Wer jemals behauptet hatte, San Angelo sei eine ruhige Stadt, der mußte wohl ein anderes San Angelo gemeint haben. Dies...
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Wer jemals behauptet hatte, San Angelo sei eine ruhige Stadt, der mußte wohl ein anderes San Angelo gemeint haben. Dieses hier bestimmt nicht. Lobo hatte den Eindruck, daß diese Stadt nur von Halbwilden und Verrückten bewohnt wurde. Jeden falls an diesem Abend. Sie waren völlig außer Rand und Band. Die Mündungsblitze ihrer Revolver zo gen grellrote Bahnen in den nächtli chen Himmel. Ihr Geschrei konnte Tote aufwecken. Es schien so etwas wie ein Aufstand stattzufinden. Vielleicht auch ein Freudenfest. Auf hundert Schritt Entfernung war das nicht so genau festzustellen. Lobo zügelte seinen Falben vor ei nem einstöckigen Haus. Ein bemaltes Schild über der Tür zeichnete es als Josua Ralleigshs Hotel aus. Nichts Be sonderes. Ein Hotel, wie man es in je der Stadt außerhalb des Zentrums fand. Die Schrift hatte Risse. Die
Farbe war schon etwas verblichen. An den Enden begann sie abzublät tern. Die ganze Außenfront hatten die Wellen der Zeit verwaschen. Über dem Eingang hing eine Lampe. Der Docht war weit herabgedreht, das Licht brannte schwach. Lobo fand es gut genug, um sich einmal für ein paar Nächte auf einem harten Bett auszustrecken. Etwas anderes über sich als immer nur den Himmel. Die Tür quietschte in den Angeln. In der kleinen Vorhalle herrschte ein einschläferndes Halbdunkel. Sie strömte die ruhevolle Atmosphäre einer Leichenhalle aus. Hinter dem Rezeptionstisch sah Lobo zuerst ei nen weißgrauen Wollkopf. Das Ge sicht darunter nahm undeutliche Formen an. Es war ein recht altes Gesicht, in das nicht nur die Jahre ihre Zeichen gesetzt hatten. Es war schmal, die Augen darin schwarz, ein wenig verträumt. 3
„Hallo." Lobo trat an den Tisch. hatte Brüste, so groß wie ausgereifte „Ich hätte gern ein Zimmer. Haben Zuckermelonen. Ihre Arme waren Sie was frei, Mister?" sehr lang und sehr stark. Sie stützte Der Mann hinter dem Tisch heftete die Fäuste in die Hüften und be seinen Blick überraschend fest auf trachtete Lobo so, wie man einen Lobo. Es dauerte recht lange, bis er kranken Hund betrachtet. In ihren antwortete: „Nein. Tut mir leid. Augen lag eine schwache Unruhe, Nichts frei, mein Freund." aber sie lächelte. „Schade." Lobo zuckte mit den „Ich will wetten, daß er keinen Nik Schultern. „Ich hätte gern wieder kel in der Tasche hat. Und wenn, hat einmal in einem Bett geschlafen. Na er ihn gestohlen. Aber Gäste weg ja, kann man nichts machen. Es gibt schicken, Josua, Josua, ich sollte dir sicher noch mehr die Ohren langzie Hotels in der hen. Fünf Zimmer Stadt." haben wir, Frem Die Hauptpersonen des Romans: der. Und keines ist Der Mann nickte Lobo — Er wollte sich in San Angelo belegt. Na, was sa bedächtig. „Gibt es. ein paar ruhige Tage gönnen — und gen Sie zu so einem Zwei Stück. Das wäre fast auf dem Boothill gelandet. Mann?" Liberty Hotel und Sam Aberdeen — Er ging über Leichen, das First City Ho wenn er ein Ziel erreichen wollte. Lobo sagte tel. Gute Hotels. Gene Carvett — Der Marshal brauchte nichts. Er hob die einen Mann wie Lobo, um zu sich Sehr schöne Ho Augenlider so selbst zu finden. tels, aber keines langsam, als hinge Laurie Ralleighs — Sie hatte eine far von beiden für Blei daran. Er sah bige Haut wie Lobo, und sie war be Sie." Der Mann reit, ihr Leben für ihn zu geben. den Mann an. lachte wie ein Jesse Moreen — In einer Stadt wie San Nicht feindselig, Angelo hatte er keine Chance. kranker Hahn. „So noch nicht einmal ist das nun mal, mißtrauisch. Er mein Freund." dachte, weshalb Lobo unterdrückte den aufsteigen wollte er mir kein Zimmer geben? den Zorn. Er schluckte ein paarmal, Weshalb er nicht, und warum diese dann drehte er sich um und ging dem Frau? Die Hautfarbe des Mannes Ausgang zu. war heller, nur ein Viertel Neger, „Warten Sie!" Es war eine feste aber immerhin, noch ein Farbiger. Frauenstimme. Ein bißchen knar Die Frau sagte: „Einen Dollar die rend, ein bißchen rauh, aber eine Nacht. Essen extra. Wenn Sie Ihr Frauenstimme. Sie kam von der Ga Pferd unterstellen wollen, der Stall lerie über der Halle. Von dort, wo ist hinter dem Haus. Macht noch mal sich die Zimmer befanden. Die Frau fünfundzwanzig Cents, mit Futter." ging nicht die Treppe herunter, sie Sie lächelte. Ihr fettes Gesicht glänz wälzte sich herunter. Und gerade te. „Josua, zeig ihm das Zimmer." wegs auf den Mann hinter der Re Der Mann kam hinter dem Tisch zeption zu. hervor. Er hauchte einen Seufzer „Josua! Mach Licht, Josua!" über die Lippen. „Ein Halbblut, KaDer Mann gehorchte. Eine schmer thy, ein Halbblut. Wenn das bloß zende Helligkeit durchflutete die gutgeht." kleine Halle. Lobo sah zuerst die „Verdammter Nigger!" sagte sie Frau an. Halbblut. Mulattin. Knapp verächtlich. Der Mann war zutiefst sechs Fuß groß und so breit, daß sie getroffen. Seine Lippen flatterten quer durch die Tür gehen mußte. Ihr hin und her wie die eines zahnlosen, Gesicht mußte einmal sehr hübsch schlafenden Greises. gewesen sein. Die Augen waren sehr Sie sah Lobo voll an, „Tut mir leid, schwarz. In diesem Moment lag ihr Mister, aber so ist er nun mal. Nur Blick fast strafend auf Josua. Sie nichts falsch machen. Nur Mister 4
Aberdeen nicht auf die Füße treten. Immer fein kuschen, buckeln, krie chen." „Du redest uns um Kopf und Kra gen. Um Gottes willen, hör auf, Ka thy!" „Ach, halt den Mund." Der Mann hatte die Hände vor der Brust zusammengelegt als wolle er beten. „Wissen Sie", sagte er, „wir haben einen Farbtupfer im Blut. Es ist schwer für uns. Wir müssen Mister Aberdeen sehr dankbar sein. Er hat uns erlaubt, das Hotel zu führen. Su chen Sie in hundert Meilen im Um kreis ein Hotel, das von einem Farbi gen geführt wird. Sie werden keines finden." „Sicher nicht. Ich möchte Ihnen keine Schwierigkeiten machen." „Quatsch", sagte die Frau hart. „Wir können uns die Gäste nicht aus suchen. Schließlich leben wir von Vermietungen. Und das nicht gerade im Überfluß." Sie betrachtete Lobo etwas näher. Ihr Blick war mütter lich. „Sie sehen ziemlich herunterge kommen aus. Wann haben Sie das letzte heiße Bad gehabt? Ich werde Ihnen eines richten." „Ich könnte es schon gebrauchen. Aber zuerst möchte ich mein Pferd versorgen." „Okay, Mann. Josua, zeig ihm den Stall. Nimm eine Lampe mit." Der Mann war schweigsam. Er hatte sich tief in seine Gedanken vergraben. Sie waren sicher nicht sehr aufheiternd. Er nahm Lobo die Satteltaschen ab und ging ihm vor aus auf das Zimmer. Die Einrichtung war dürftig. Ein Bett, eine Kommo de, eine auf drei eisernen Beinen ste hende Waschschüssel, deren oberer Rand gesprungen war. Ein kleiner Schrank. Sonst nichts. Nur noch ein muffiger Staubgeruch. Lobo hockte sich auf das Bett. Die ungewohnten Stiefel an den Füßen drückten. Er saß nur da und wartete. Auf irgend etwas. Vielleicht darauf, daß die Verrückten draußen dieses armselige Hotel zerschießen würden.
Vielleicht wartete er auf Captain McGinnest, der irgendwo in der Nä he der Stadt Land gekauft hatte. Er wußte es nicht. „Kommen Sie, Mister. Ich habe das Bad gerichtet." Lobo lächelte dank bar. Die Frau bemühte sich sehr. Ihre Art war wohltuend. Er mochte sie. Er saß in der kleinen Halle, die Bei ne weit von sich gestreckt. Er fühlte sich wohl wie schon lange nicht. Jo sua saß wieder hinter dem Tisch. Er sah aus wie eine vertrocknete Zitro ne, die nicht einmal mehr sauer ist, wenn man hineinbeißt. Aus der Kü che drang der Geruch von gebrate nem Speck, von Eiern und Kaffee. Die Frau klapperte mit Geschirr. Sie deckte den Tisch. Josua warf gele gentlich ängstliche Blicke zur Tür. Kathy sagte: „Sie geben nicht früher Ruhe, bis sie sich so vollgesoffen ha ben, daß sie halbtot umfallen. So ist das jedes Jahr." „Weshalb ist das so?" Sie lächelte ein wenig. „Sam Aber deens Geburtstag. Ein Fest für die ganze Stadt." Sie sah Lobo an, dann ihren Mann. „Ausnahmen gibt es schon. Essen Sie, junger Freund. Ich hoffe, es wird Ihnen schmecken." „Danke." Lobo stopfte sich den Mund voll. „Einen Whisky könnte ich auch vertragen, Ma'am." „Sagen Sie nicht Ma'am. Niemand sagt das. Alle sagen nur Kathy. Jo sua, hol mal die Flasche." „Wir haben keine Lizenz, Kathy. Wenn Mister Aberdeen ..." „Zum Teufel mit deinem Mister Aberdeen. Du sollst die Flasche ho len!" „Wer ist dieser Aberdeen?" Lobo sah die Frau an. In seinem Blick lag eine stumme Erwartung. Er war ein wenig drängend, auch ein wenig her ausfordernd. „Ein Mistkerl", erwiderte sie schroff, „oder eine Art Halbgott, wenn Ihnen das besser gefällt." „Mir gefällt beides nicht. He, Josua, Sie trinken doch auch einen?" Lobo nahm die Flasche. Kathy schob ihm drei Gläser hin. Er füllte 5
sie sehr langsam und sehr sorgfältig. Sie nahmen die Gläser. Lobo blickte über den Rand hinweg zuerst auf Kathy, dann sah er Josua an. „Eigentlich", sagte er, „hatte ich ge hofft, in dieser Stadt Captain McGinnest zu treffen. Kennen Sie ihn, Josua?" Der Mann machte ein Gesicht, als hätte er soeben einer Ratte den Kopf abgebissen. „Nein", würgte er hervor, „nein, ich kenne niemanden, der so heißt." „Was redest du da? Natürlich ken nen wir Mister McGinnest. Ein guter Mensch, der Captain, ein sehr guter Mensch. Ein wenig durstig. Aber wen wundert's bei der Hitze." „Wo kann ich ihn treffen?" Josuas dunkle Haut sah aus wie getrocknetes Gras. Er sah Kathy an, dann wieder Lobo. Er nickte schwach. „Ich muß mich verhört ha ben. Ja, natürlich, wir kennen ihn. Wir kannten ihn." Lobos Blick war zweifelnd. „Sagen Sie, Josua, ist bei Ihnen im Kopf et was nicht ganz in Ordnung?" „So wird's wohl sein. Nun sag ihm schon, was passiert ist. Oder soll ich es tun?" fragte Kathy. „Du bringst uns ins Unglück", murmelte Josua. Er sah sehr müde, sehr alt und sehr unglücklich aus. „Der gute Captain McGinnest ist tot", sagte Kathy. Ihre Stimme war voller Bedauern. „Umgebracht. Ein fach so, verstehen Sie? Ein Schuß aus dem Hinterhalt, und alles war vor bei. Ja, junger Freund, so ist das hier."
„Ich heiße Laurie." Lobo verschlug es den Atem. Das, was da vor ihm stand, das war keine Frau, kein Mädchen. Das war ein Wesen. Groß, gertenschlank, mit langen, glatten und tiefschwarzen Haaren. Mit einem schmalen Gesicht und einer sehr geraden Nase. Nur die Augen und die vollen roten Lippen, hinter denen weiße, etwas zu große 6
Zähne blitzten, verrieten einen klei nen Spritzer Negerblut. Um die schmalen Hüften hatte sie eine ge flochtene Kordel gebunden. Das Baumwollkleid saß eng an ihrem Körper. Feste, apfelsinengroße Brü ste vervollständigten das Bild der Begehrlichkeit. Sie sah Lobo an, und sie lächelte. Der Blick und das Lächeln konnten selbst einen Mann, der eine doppelte Dosis Schlafpulver geschluckt hatte, wieder munter machen. Lobo hatte keines geschluckt. Sie stand da und lächelte immer noch. „Haben Sie kei nen Namen?" „Lobo", würgte er hervor. „Ich hei ße Lobo." „Ein ungewöhnlicher Name. Aber er paßt zu Ihnen. Lobo." Sie ließ den Namen über die Zunge rollen. Ihre sanfte, dunkle Stimme verhauchte. „Laurie!" „Das ist Kathy. Sie ist heute ein wenig durchgedreht." „Sie ist Ihre Mutter?" Laurie nickte. „Ja. Wir nennen sie alle Kathy, und sie mag das." Sie schwebte davon. Lobo sah ihr nach, bis sie hinter der Küchentür ver schwand. Das Frühstück war gut und sehr reichlich. Lobo genoß es, an einem gedeckten Tisch zu sitzen, zu essen und an nichts zu denken. Irgendwo klappte eine Tür. Es war ein ganz ge wöhnliches Geräusch, wie es jede zu klappende Tür verursacht. Nichts Besonders. Josua Ralleighs Stimme klang ein wenig wehleidig. Eine fe ste, tiefe Stimme antwortete. Und Lobo saß am Tisch und bewältigte sein Frühstück. Er blickte erst auf, als ein langer Schatten über ihn fiel. „Sind Sie Lobo Gates?" Lobo schenkte dem Mann ein Lä cheln, in dem keinerlei Bedeutung lag. „Wer will das denn wissen?" „Ich bin Moreen, Jesse Moreen, An walt." „Ach", sagte Lobo. Sein Blick wur de etwas sorgfältiger. Er versuchte, Moreen einzustufen, ohne zu einem direkten Ergebnis zu gelangen. Der
Mann mochte um die fünfzig herum sein. Sein Haar war grau, das Gesicht markant. Die Augen darin waren sehr hell und sehr jung. Er war mit telgroß, von stämmiger Figur. Sein grauer Anzug mit den schwarzen, schmalen Einfassungen um Kragen und Knopfleisten war modern und sehr gepflegt. Eine Waffe trug er nicht. Jedenfalls war keine zu sehen. „Fertig?" Moreen grinste Lobo höflich an. „Was ist, wenn ich der bin, den Sie suchen?" „Suchen ist nicht das richtige Wort. Sagen wir, den ich erwartet habe." „Schön. Ich bin Lobo. Was wollen Sie?'' Moreen zeigte auf einen freien Stuhl. „Darf ich mich setzen?" Er wartete keine Antwort ab. Er legte seine gepflegten Hände auf die Tischplatte. Lobo sah darauf hinab. Die Hände konnten einem Spieler gehören oder einem Revolvermann. Moreen unterbrach Lobos Gedan kengang. „Sie haben Captain McGin nest gekannt, nicht wahr?" „Ich kannte einen Captain McGin nest vom Militärposten in Yuma. Si cher gibt es mehr Männer gleichenNamens." Moreen schüttelte den Kopf. „Ge wiß. Aber ich meine denselben McGinnest, den Sie meinen." Er räus perte sich sorgfältig. „Captain McGinnest hat viel von Ihnen ge sprochen. Er mochte Sie." Sein Blick glitt über Lobo, als suche er etwas. Es war ein abschätzender Blick. Ein Blick, in dem etwas war, was Lobo nicht gefiel. Der ganze Mann gefiel ihm plötzlich nicht mehr. Er war zu glatt, zu schlüpfrig. „Captain McGin nest ist tot, das wissen Sie doch, oder?" „Ich hab's gehört. Nun rücken Sie schon raus, Mann. Sie sind doch nicht gekommen, um mit mir über McGin nest zu plaudern. Er war okay, gut. Ich kannte ihn zufällig, auch gut. Jetzt ist er tot, das ist nicht gut, aber auch nicht mehr zu ändern. Also, was wollen Sie, Mister Moreen?"
Der Anwalt rückte den Stuhl et was zurecht. „Für ein Halbblut sind Sie sehr direkt. Was ich will?" Er lä chelte dünn. Diese Art zu lächeln hatte Lobo schon bei vielen Männern gesehen. Und alle waren keine guten Männer. „Ich will, daß Sie nicht in Dingen herumrühren, die den Inter essen von Captain McGinnest - oder besser seinen Erben - schaden. Ich will keine Komplikationen und auch keine Schwierigkeiten, und ich will nicht, daß Sam Aberdeen McGin nests Weideland bekommt. Haben Sie das verstanden?" Lobo blinzelte Moreen schräg an. „Haben Sie denn etwas von mir zu befürchten, Sir? Ich bin ein Halbblut. Mein Körper ist voller Narben. Sie haben mich geschlagen, gepeinigt und gequält. Ein Dutzend Revolverund Gewehrkugeln haben meine Haut verunziert. Und wissen Sie weshalb? Nur weil ich ein Halbblut bin. Sie kommen daher und reden von Schwierigkeiten und Komplika tionen. Wenn Sie wegen McGinnest irgendwo drinstecken, dann versu chen Sie, herauszukommen. Ich habe verdammt wenig Lust, meine Haut für Dinge hinzuhalten, die außerhalb meiner Interessen liegen." Lobo stand auf. „Moment noch, Mister Gates." „Sagen Sie nicht Mister Gates zu mir. Ein Halbblut ist kein Mister, schon gar nicht in diesem Land." „Auch gut. Captain McGinnest be sitzt fünftausend Hektar bestes Wei deland auf der Südseite des Concho River." „Na und? Das nützt ihm jetzt nichts mehr, Sir." „Richtig. Ihm nicht, aber seinem Bruder. Er ist der Erbe. Der Mann heißt Lester McGinnest. Er lebt in St. Louis, in Missouri drüben. Hat was mit Schiffsfracht oder sowas zu tun. Kurz, ihn interessiert weder Texas noch das Weideland. Ich habe den Auftrag, es zu verkaufen, und zwar schnell." Lobo sah den Anwalt an, als er warte er eine weitere Erklärung. 7
„Dann verkaufen Sie es doch", sag te er nach einer Weile. Moreen lachte ein kleines, hohles Lachen. „Das werde ich auch. Nur, das ist nicht so ganz einfach." Er schob sein kräftiges Kinn nach vorn. Seine Augen blickten plötzlich kalt und unversöhnlich. „Von Captain McGinnest weiß ich, zu was Sie fähig sind. Und Sam Aberdeen weiß das auch. Deshalb wäre es leicht möglich, daß Sie eines Tages auf Aberdeens Lohnliste erscheinen. Kennen Sie Sam Aberdeen?" „Nein. Ich habe auch nicht die Ab sicht, ihn kennenzulernen." Moreen winkte ab. „Warten Sie nur ab. Jeder in der Stadt wird Sam Aberdeen einmal kennenlernen. Sei es auf diese oder jene Art, aber er wird ihn kennenlernen." Jesse Mo reen versank in ein kurzes Schwei gen. Sein Gesicht kriegte vor lauter Nachdenken Falten. „Wissen Sie, was eine Land-Besitzurkunde ist?" Lobo nickte. „Ich hab davon ge hört." „Dann wissen Sie auch, daß man Weideland nach texanischen Geset zen erst ein Jahr nach dem Tod sei nes Besitzers verkaufen kann. Ohne Urkunde." „Ich will kein Land kaufen. Also ist mir das egal." „Mir nicht." Moreens Blick war von einer plötzlichen Intensität, die Lobo überraschte. Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. „Vielleicht", sagte er, „könnten Sie mir eines Ta ges von Nutzen sein. Mir und natür lich auch Mister Lester McGinnest. Und für Sie wäre es ein glattes Ge schäft." „Ich mache mir nichts aus Ge schäften, und aus solchen, die Sie mir zu bieten haben, schon gar nicht." „Nein?" Moreen lachte wieder die ses hohle Lachen. „Schon mancher Mann hat seine Meinung geändert. Vor allem dann, wenn es um harte Dollars ging. Sagen wir, fünfhun dert?'' „Das ist ein Angebot, was?" Moreen nickte. Es war eine Art Zu 8
versicht in diesem Nicken. „So ist es, mein Freund. Haben Sie je in Ihrem Leben schon einmal fünfhundert Dollar besessen? Ich wette, nein." Lobo sah Moreen mit einem har ten, klaren Blick an. „Ich sagte es be reits, Geschäfte interessieren mich nicht, auch dann nicht, wenn es um fünfhundert Dollar geht." Der Anwalt blickte an Lobo vorbei. „Nun, wir werden sehen." Er stand auf. Ein dünnes Lächeln kräuselte seine Lippen. Er war von einer glat ten Höflichkeit. „Ich bin sicher, wir sehen uns bald wieder. Es sei denn", er zögerte einen langen Augenblick, „es sei denn, Sie verlassen noch heute die Stadt." Moreen deutete einen Gruß an. Selbstbewußt durchschritt er den Raum. Lobo hörte ihn noch kurz mit Kathy reden, dann klappte eine Tür. Die große Frau wälzte die Masse ihres Leibes an Lobos Tisch. Sie wirkte wie ein verstörter, aufge schreckter Elefant. Etwas plump. Sehr gutmütig. Ihre Stimme war ein wenig unsicher. „Jesse Moreen ist kein Mann der Nächstenliebe", sagte sie. „Ich sag Ih nen das, weil ich Sie mag. Was Sie daraus machen, ist Ihre Sache." Sie seufzte verhalten und ging.
Das Liberty Hotel war ein zwei stöckiger, breitausladender Bau. Die Fassade war weiß gestrichen. In den sauber geputzten Fenstern spiegelte sich die Sonne. Die Aufschrift Liber ty Hotel prangte in großen, gelben Buchstaben auf einem Schild mit schwarzem Untergrund. Über die ganze Breite des Hauses zog sich eine Veranda. Links und, rechts des Ein gangs standen je ein großer Kübel mit blühendem Oleander. Alles sehr hübsch, sehr sauber und ordentlich. Der Mann, dem dieses Hotel gehör te, räkelte sich in einem Lehnstuhl in dem extra für ihn eingerichteten Zimmer. Es war ein großer, fetter Mann mit einem mächtigen Schädel,
buschigen, fast weißen Brauen, un ter denen die kleinen, hellen Schweinsäuglein fast ganz ver schwanden. Sein Mund war groß, die Lippen wulstig. Sein Kopf, bis auf ei nen spärlichen Haarkranz, war kahl. Sein Name: Sam Aberdeen. „Gene", sagte an diesem Nachmit tag Sam Aberdeen zu dem Marshal, „ich hörte, daß in der Stadt ein Halb blut herumschleicht. Man sagte mir, er hätte sich sehr lange und sehr ein gehend mit Moreen unterhalten. Er hat sich bei Ralleigh eingenistet Schleif ihn mal heran, Gene." „Hm." Gene Carvett schabte sich über die Wangen und dachte dabei, daß es Zeit wäre, die Bartstoppeln wieder einmal abzukratzen. „Mit welcher Begründung denn, Sam?" „Laß dir was einfallen, Gene. Er ist doch nur ein Halbblut. Da sollte dir das nicht sonderlich schwerfallen." „Sag mal, Sam, hat McGinnest nicht manchmal von einem Halbblut gesprochen?" „So ist es, Gene. Bringst du ihn her, oder soll ich ihn selbst holen?" „Schon gut, Sam. In einer halben Stunde im Office, okay?" Marshal Gene Carvett hatte ein vernarbtes Gesicht und wild blik kende, dunkle Augen. Er maß gute sechseinhalb Fuß. Allein seine Er scheinung genügte, um manchen Raufbold sofort wieder schrumpfen zu lassen. Sein Schritt dröhnte durch die leere, kleine Halle von Josua Ral leighs Hotel. Er blieb inmitten der Halle stehen, sah sich um und stieß dann einen schrillen Pfiff aus. An der Küchentür erschien Kathys erschrockenes Gesicht. „Jesses, der Marshal." Sie bewegte sich auf Car vett zu. „Was wollen Sie denn, ist was passiert?" „Nein, eigentlich nicht. Sag mal, ist das Halbblut da?" „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich spioniere meinen Gästen nicht nach." „Dann sieh gefälligst nach. Na mach schon, du alte, fette Wachtel." Er klopfte Kathy auf den Hintern.
„Nur keine Vertraulichkeiten, Marshal." Sie grinste Carvett an. Ei gentlich mochte sie ihn. Auch Car vett hing an Aberdeens Leine, aber sein Spielraum war größer. Und wenn man Gerüchten glauben konn te, so sollte Carvett Aberdeens Sohn Jim schon ein paarmal ganz schön zugesetzt haben. Zuzutrauen war ihm das. Lobo stand ein paar Augenblicke abwartend auf der Galerie. Carvett fragte: „Ist er das, Kathy?" Er winkte Lobo herunter. „Ich möchte dich sprechen, Halbblut." Lobo bewegte sich langsam die Treppen herunter. „Weswegen, Mar shal?" „Ich möchte dich sprechen", wie derholte Carvett. Er sah Lobo mit ei nem trüben Blick und ohne große Neugier an. Aus seiner Kehle kam ein Geräusch, das sich wie ein Ki chern anhörte. „Komm mit zum Offi ce." „Was soll ich?" Lobo sah Carvett ein wenig verständnislos an. „Wes halb das, Marshal?" Und er dachte, daß San Angelo keine Ausnahme war. Überall das gleiche. Du reitest in eine Stadt, hast ein paar Flecken auf der Haut, und schon kommt einer an und stellt dumme Fragen. „Weil ich das will. Hast du das ver standen?" sagte Carvett. „Ja, natürlich. Und wenn ich nicht will?" „Himmel", knurrte Carvett, „kommst du jetzt mit, oder soll ich dir erst eins auf den Hut geben?" Von der Treppe her sagte Kathy: „Tun Sie, was er verlangt, Lobo. Es gibt Dinge, in denen versteht unser Marshal keinen Spaß." Das Office war ein trockener Raum. Die Luft darin war tot und bewegungslos. Die Fenster waren mit Fliegendreck vollgeschissen, der Fußboden glich in seinem Schmutz einem Hühnerhof. Carvett blickte auf Lobos sehr lose im Holster steckenden Revolver. „Den gib besser mal her. Dir könnte sonst einfallen, Dummheiten zu ma 9
chen." Er steckte die Hand aus. Lobo grinste ein wenig flach und ein we nig unverschämt. „Holen Sie ihn, Marshal." „He, für ein Halbblut hast du ein ganz schön freches Maul." Er blickte zur Tür, durch die ein dicker, wei cher Mann quoll. „Ist er das, Gene?" Sam Aberdeen taxierte Lobo ab, wie man ein Stück Schlachtvieh abtaxiert. Er schnaufte ein wenig. Dumpf und schwer krachte er auf einen Stuhl. Lobo lehnte an der Wand. Er hatte beide Arme vor der Brust ver schränkt. Seine Lider hingen weit über die Augen. Es sah aus, als schliefe er. „Gene", sagte Aberdeen, „nimm ihm die Waffe ab. Es ist nicht üblich, daß ein Halbblut mit einem Revolver herumrennt." „Dazu gibt es keinen Grund, Sam. Du wolltest ihn sprechen. Hier ist er." Sam Aberdeens Gesicht lief rot an. Es sah jetzt aus wie eine gekochte Rübe. „Bist du verrückt, Carvett?" „Nicht die Spur, Sam. He, Halbblut, das ist Mister Aberdeen." Lobo hob etwas den Blick. Dieser Aberdeen, dachte er, ist ein fetter, schmieriger und lüsterner Schurke. Ein Mann, der jenseits aller morali schen Grundsätze steht. „Halbblut", sagte Aberdeen, „ich hörte, du hast mit Mister Moreen ein längeres Gespräch gehabt. Über was habt ihr gesprochen?" „Weshalb fragen Sie nicht Mo reen?" Aberdeen schnappte hörbar nach Luft. „Hast du das gehört, Carvett?" „Ich bin doch nicht taub. Vielleicht hat er recht, vielleicht solltest du wirklich Moreen fragen." Aberdeens kleine, kalte Augen verschwanden fast ganz hinter Fett polstern. Seine-Stimme war plötzlich dünn und quäkend. „Ich werde dir sagen, was ich tue, Carvett: Ich wer de jedes Wort aus diesem Bastard herausquetschen!" „Das wirst du nicht tun, Sam. Du Weißt, ich halte etwas von der allge 10
mein gültigen Regel. Ich kann das nicht zulassen." „Lassen Sie nur, Marshal", sagte Lobo. „Willst du mich hier zum Affen machen, Carvett?" Aberdeen ruckte zu Lobo herum. „Rede, Halbblut, aber rede schnell!" Der große, aufgebrachte und fette Mann wirkte irgendwie komisch. Ein kleines, belustigtes Lächeln spielte um Lobos Lippen. Er kratzte sich den Kopf. „Ich bin recht vergeßlich, Mi ster." Mit einer Behendigkeit, die über raschte, stand Sam Aberdeen auf den Beinen. Sein Blick war scharf und doch leer wie der einer Schlange. Die wulstigen Lippen waren nur noch ein dünner Strich, sie waren schmal und verkniffen. „Dann werde ich dir ein bißchen auf die Sprünge helfen, Halbblut." Am Tisch scharrte Marshal Car vett mit den Füßen. „Laß ihn doch in Ruhe, Sam. Was soll er schon wis sen?" „Du hältst den Mund, Carvett!" Aberdeen ballte seine großen Hände. Es wurden gewaltige Fäuste daraus. Lobo stand, als wäre er aus Stein ge hauen. Stumm, unbeweglich. Aberdeens Rechte schoß nach vorn. Sie krachte an der Stelle gegen die Wand, an der eben noch Lobos Kopf gewesen war. Aberdeens Schrei erschütterte das Office. Eine rauhe Stimme tastete sich durch das Office. „Versuchen Sie das nie wieder, Aberdeen. Nie, hören Sie?" Aberdeens Knöchel waren aufge platzt. Carvett faßte den mächtigen Mann am Arm. „Ich bring dich ins Hotel. Das hier regele ich, Sam." Aberdeen stieß Carvett von sich. „Geh zum Teufel, Mann." Er drehte sich zu Lobo herum. Seine Bewe gungen waren schwer, behäbig und ohne Eile. „Du hast dich selbst schul dig gesprochen, Halbblut. Wann, wie und auf welche Weise das Urteil vollstreckt wird, das bestimme ich." Heiße Luft strömte durch die offe
ne Tür, als Aberdeen verschwand. Marshal Carvett atmete ein paar mal tief und kräftig durch. Sein aus gespuckter Priem klebte im Schmutz des Fußbodens. „Eines Tages", sagte er, „bekommst du ein kleines, ruhiges Begräbnis. Wenn du Glück hast. Wenn nicht, werden irgendwo die Kojoten und die Geier an dir herumknabbern. Am besten, du haust ab. Vergiß alles. Sam Aberdeen, die Stadt und was es sonst noch zu vergessen gibt." Lobos Blick glitt ruhig über den Marshal. „Weshalb haben Sie nicht eingegriffen? Wie es aussieht, wer den Sie eine Menge Schwierigkeiten bekommen. Sam Aberdeen ist nicht der Mann, der das alles ruhig hin nimmt." „Nein, bestimmt nicht. Weißt du, wenn man schon den Stern trägt, muß man wenigstens mit einem Au ge nach dem Gesetz schielen. Mach dir nur keine Sorgen. Ich bring das schon wieder in Ordnung." Auf Gene Carvetts vernarbtem, abgebrühtem Gesicht lag die starre Ruhe wie auf dem einer aufgebahrten Leiche. Er legte Lobo seine mächtige Pranke auf die Schulter. „So, mein Freund, und jetzt wirst du mir mal erzählen, was Moreen von dir wollte. Wort für Wort. Schön der Reihe nach und nichts vergessen." Ein zweiter Priem schlug genau vor Lobos Füßen ein. „Wer hat Captain McGinnest er schossen? Waren Sie das, Carvett?" Ein breites Grinsen zog tiefe Fur chen durch das zernarbte Gesicht. „Weshalb sollte ich das?" Lobo zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, aber ich würde es Ihnen ohne weiteres zutrauen." Carvett lachte kurz, heiser und sehr leise. „Ich gebe mir alle Mühe, dich sympathisch zu finden, Halb blut. Aber es sieht verdammt nicht so aus, als ob mir das gelingen könnte. Also, was wollte Moreen?" „Wir haben über McGinnest ge plaudert." „Nur so, was?" „Ja, nur so."
Ansatzlos schlug Carvett zu. Über raschend. Er bot Lobo keine Chance, diesem Schlag auszuweichen. Schwer prallte Lobo gegen die Wand. Der Aufprall erschütterte das ganze Office. Über die Augen des Halb blutes legten sich graue Schleier. Carvetts Stimme kam wie durch eine Nebelwand. „Immer noch nur so?" Lobo stützte sich mit beiden Hän den auf die Tischkante. Er schüttelte den Kopf, als wolle er die tausend Teufelchen, die darin tanzten, ver treiben. „Sie haben verdammt hart zugelangt, Marshal." „Ich kann's noch härter." „Lieber nicht. Das würde mich glatt umwerfen. Wer hat Ihrer Mei nung nach ein Interesse, McGinnests Besitzurkunde verschwinden zu las sen?" Carvett pfiff durch die Zähne. Auf seinem Gesicht lag ein einfältiges Grinsen. „Das hört sich ganz brauch bar an. Nur weiter, mein Freund." „Weiter war nichts. Wirklich nicht." Lobo riß die Arme zur Dek kung hoch. Carvett ließ die Faust wieder sinken. „Das hat er dir also erzählt. Das mit der Urkunde. Nun, da gibt es schon ein paar Leute. Mich zum Beispiel. Ich bin schon lange scharf auf das Land auf der Südseite des Flusses. Moreen, dieser verfluchte Winkelad vokat, hat uns alle aufs Kreuz gelegt. Ja, dann wäre natürlich noch Sam Aberdeen. Er will sich ausdehnen. Für ihn ist das Land beinahe lebens wichtig. Es gibt auch noch ein paar andere Leute, aber die zählen nicht." „Haben Sie die Urkunde, Mar shal?" „Rede keinen Mist, Mann. Mir würde sie nichts nützen. Wenn ich gesagt habe, daß ich scharf auf das Land bin, so ist das richtig. Ich könn te es nie kaufen, einfach deshalb nicht, weil ich kein Geld habe. Und auch nicht, weil ich noch keine Lust habe, auf dem Boothill verscharrt zu werden. Aber du, was ist mit dir?" Lobo sah Carvett schläfrig an. 11
„Kein Interesse. Der Zufall hat mich nach San Angelo geweht. Das ist al les." „Dann laß dich nur schnell wieder davonwehen. Aberdeen kann sehr nachtragend sein." „Das ist auch meine Absicht. Viel leicht morgen, vielleicht in zwei Ta gen. Ein Mann braucht einmal einen Platz, wo er sich ausruhen kann." Gene Carvett nickte verständnis voll. „So ist das wohl. Nur, San Ange lo ist nicht dieser Platz. Jedenfalls nicht für dich." .
Lauries Augen strahlten wie frem de, ferne Sünden. Ihre lächelnden Lippen lockten. Die weiche, schlanke Hand lag nicht zufällig auf Lobos Haaren. „Ich wünschte", sagte sie sanft, „Sie würden heute abend nicht in den Lo ne Star Saloon gehen." Lobo lächelte zurück. „Wer sagt Ihnen, daß ich dahin gehen möchte?" Laurie verzog etwas ihre zu vollen Lippen. „Alle Männer gehen dahin, wenn sie in diese Stadt kommen. Die Mädchen kosten drei Dollar. Ein ho her Preis, wenn man bedenkt, daß ei nige von ihnen krank sein sollen." Sie nahm die Hand von seinem Haar. Im Halbdunkel schimmerten ihre Au gen feucht. „Kathy weiß viel über den Saloon. Früher, als sie das Hotel noch nicht hatte, war sie dort in der Küche beschäftigt." „Kathy hat Sie also aufgeklärt?" Sie stieß Lobo vor die Brust. „Sie sind ein großer, dummer Junge." Ihr Lachen quoll dunkel und sanft durch die weißen Zähne. Ihr sich eng ab zeichnender Körper drängte Lobo entgegen. „Du wirst nicht gehen, nein?" „Nein, Laurie." Das Blut rollte heiß und verlangend durch Lobos Körper. Es hämmerte in seinen Schläfen. Al les in ihm war Begehren. Sie zog ihn mit sich fort. Er sah nichts. Nur sie. Ihren nackten, schö nen Körper. Die kleinen, festen, run 12
den Brüste. Das lockende Verlangen in ihren Augen. Lobo drängte sie auf das breite Bett. Seine Kleider fielen. Er küßte sie. Sanft und zart. Zuerst ihren Mund, die Brüste, den ganzen Leib. Lauries Hände verirrten sich. Sie drängte ihm entgegen. Sie ver schmolzen ineinander. Sie waren eins in ihrer wilden, unverbrauchten Liebe. Laurie streckte ihren Körper in wohliger Mattigkeit. Lobos Finger spielten in ihren langen, schwarzen Haaren. Sie sagte, und ihre Stimme schien von weither zu kommen: „Ich wünschte, du würdest nie wieder fortgehen. Nie. Und ich wünschte, du würdest mich immer lieben." Sie richtete sich ein wenig auf und sah auf Lobo hinab. „Weshalb kannst du nicht bleiben?" „Ein Halbblut ist ein Ausgestoße ner. Man duldet ihn. Eine gewisse Zeit. Dann jagt man ihn davon. Jetzt sind wir glücklich, Laurie. Aber glaubst du, es würde immer so sein?" Er schüttelte den Kopf. „Sie würden unser Glück zerschlagen. Sie würden es zertreten, wie man eine Natter zertritt. Glück bedeutet ihnen nichts, weil sie selbst nicht wissen, was es ist." Sie fiel in die Kissen zurück. Sie starrte gegen die Decke. In ihrem Blick lag unendlich viel Traurigkeit. „Du sprichst wie mein Vater, fast so. Er hat nie an das Glück geglaubt. Er war immer ein Dulder." „Ich wehre mich", sagte Lobo. „Aber eines Tages werde ich das nicht mehr können. Genau wie dein Vater, wie Josua." Sie horchten beide auf. Laurie nahm Lobos Hand. „Was war das?" Lobo sprang aus dem Bett. Er stieg in die Hose, zog das Hemd über. Aus der Halle hörten sie Kathys Stimme. Laut und wütend. „Verdammte Tagediebe. Raus mit euch!" Schwere Schritte polterten die Treppe herauf. Irgendwo wurde eine Tür aufgerissen. Zwei-, dreimal brüllte ein Revolver auf. Das Zu
schlagen der Tür verklang im Don ner der Schüsse. Schwere Stiefel pol terten die Treppe wieder hinunter. Kathys Stimme erfüllte das ganze Haus. „Kerwan ..." Ein zweiter Name wurde vom Brüllen einer Waffe geschluckt. Dann war es still. Beängstigend still, so lange, bis ein Körper dumpf und schwer aufschlug. Die Gardine an einem offenen Fenster wurde vom leichten Nacht wind in den Raum geblasen. Josua Ralleigh stand neben einer Tür. Die Lampe in seiner Hand verbreitete ei nen buttergelben Schein. Zögernd, fast ängstlich, bewegte sich der Mann auf, die nach oben führende Treppe zu. „Kathy?" Seine Stimme war ein Hauch, ein Flehen, ein Nichts. Da lag sie. Das Gesicht grau. Die Augen erloschen. Lobo brauchte nur Sekunden. Das offene Fenster wies ihm den Weg. Sein Army Colt spuckte Kugeln aus. Ein Mann schrie auf. Mit einem an deren tauchte er im Dunkel unter. Es war, als hätte die Stadt nur auf diese Schüsse gewartet. Lichter flammten auf. Weiter unten, auf der anderen Straßenseite, warf Marshal Carvetts Gestalt einen riesigen Schatten. Der Marshal setzte sich in Bewegung. Ein paar Leute, nur halb angezogen, folgten ihm. Carvetts vernarbtes Gesicht war verkniffen. In seinen dunklen Augen lag ein bö ser Glanz. Er sah auf Kathy hinab. Bewegt, verbittert. In Lobos Kopf braute sich alles Unheil dieser Welt zusammen. „Ker wan, sagt Ihnen dieser Name etwas, Marshal?" „Natürlich. Steve Kerwan. Was ist - willst du etwa sagen ..." „Diesen Namen nannte Kathy, ehe sie erschossen wurde. Sie schrie ihn hinaus. Sehr laut und sehr deutlich. Die Kugel tötete sie, noch ehe sie den anderen Namen nennen konnte. Es waren zwei, Marshal. Einer von ih nen ist gezeichnet. Er wird einen Arzt brauchen."
Laurie und der alte Josua knieten vor der toten Frau. Josua hatte die Hände gefaltet. Er murmelte Gebete. Sein Gesicht war dünn und eingefal len. Seine Augen waren ohne Glanz. Laurie kniete nur da und starrte in Kathys Gesicht, das jetzt so friedlich aussah. Ein paar Leute drängten durch die Tür. Carvett schickte sie zurück. Er sah Lobo an. „Du hast dich nicht ver hört, Halbblut?" „Nein!" Carvett nickte. „Gut. Ich werde Kerwan zur Rechenschaft ziehen. Das Gesetz wird ihn treffen. Und das wird ein verdammt harter Tag für Steve Kerwan." „Welches Gesetz, Marshal?" Carvetts Blick war etwas verwirrt. „Das Gesetz", sagte er. „Das Gesetz in dieser Stadt hinkt, Marshal. Die einzige Krücke, mit der es laufen kann, besitzt Sam Aber deen." „Halbblut!" Lobo winkte ab. „Kommen Sie mal mit, Carvett." Er ging vor dem Mar shal die Treppen hinauf, stieß die Tür zu seinem Zimmer auf und zeig te auf das Bett. „Wissen Sie, was das bedeutet?" Carvett trat näher. In der Bettdek ke waren drei Einschußlöcher. Der Stoff herum war versengt. In Lobo war soviel Bitterkeit, als würde er nur noch aus Galle bestehen. „Sam Aberdeen hat schnell reagiert, so, als hätte er Angst, ich könnte etwas her vorzerren, das seinen Nimbus zer stört." „Wo warst du, wenn du nicht in deinem Bett warst?" „Das", sagte Lobo, „geht Sie nichts an." Ein Lächeln schlüpfte über Car vetts Lippen. „Nein", sagte er, „das geht mich wirklich nichts an." Er drehte sich sehr schenll zu Lobo her um. „Führe keinen Krieg nach eige nen Plänen, Halbblut. Ich versprech' dir, daß du dann ganz schnell die Endstation erreicht hast: den Boot hill!" 13
„Glauben Sie, Sie würden das schaffen?" Lobo schüttelte den Kopf. „Würden Sie nicht, Carvett. Noch ehe Sie den Revolver überhaupt heraus hätten, wären Sie tot. So tot wie Ka thy, und so tot, wie der Mann bald sein wird, der sie erschossen hat." Gene Carvett schwieg. Er hatte dieses Halbblut unterschätzt. Sie alle hatten ihn unterschätzt. Er war so gefährlich wie eine gezündete Dyna mitstange, und er hatte Gehirn im Kopf. Carvett stampfte schwer die Treppe hinunter. Er sah den alten Josua und dann Laurie an. „Es tut mir leid. Es tut mir ehrlich leid. Ich mochte sie."
Das Haus der Moreens lag am Ende einer Seitenstraße. Es war weiß ge strichen. Zur Straße hin gab es einen kleinen Garten mit vielerlei bunten Blumen darin. Begrenzt wurde der Garten von einem niederen, eben falls weißgestrichenen Zaun. Die Eingangstür war breit. In der Mitte befand sich ein Klopfer in Form ei nes Löwenkopfes aus Messing. Ne ben der Tür war ein Schild ange bracht. Jesse Moreen, Anwalt für al le Rechtsfragen, stand darauf. Hübsch, dachte Lobo, sehr hübsch. Aber dieses Haus mit dem gepflegten Garten paßte so wenig in diese Stadt wie ein Priester in ein Bordell. Lobo setzte den Türklopfer in Bewegung. Es klang dumpf und hohl. Leichte Schritte näherten sich. Die Tür wur de nur einen spaltbreit aufgezogen. „Missis Moreen?" „Wer sind Sie?" „Lobo, Ma'am. Ich möchte Mister Moreen sprechen." Die Tür wurde ein wenig weiter aufgezogen. Lobo blickte in ein lang weiliges, blasses Gesicht, in ein Paar träumerische, blaßblaue Augen, die etwas zu dicht neben einer schmalen, geraden Nase standen. Er sah aschfarbenes Haar, eine flache Brust, eine zierliche, etwas zu dünn geratene Gestalt. Die Frau sah recht 14
schwindsüchtig aus. „So, Mister Moreen möchten Sie sprechen. Ich glaube aber nicht, daß er Sie sprechen will. Mister Moreen ist krank." „Gestern war er aber noch recht munter, Ma'am." „Das war gestern", sagte sie. Sie ging ins Haus und zog die Tür hinter sich zu. Lobo wartete ein paar Au genblicke. Er hörte deutlich Moreens feste, tiefe Stimme, seinen schweren Schritt. Die Tür wurde aufgestoßen. Lobo schluckte. Moreens Gesicht war zerstampft wie ein Rodeoplatz. „Kommen Sie rein." Der Wohnraum war groß, fast quadratisch. Es gab einen die ganze Breite der Wand einnehmenden Schrank, der bis obenhin mit Bü chern vollgestopft war. Eine breite, gepolsterte Sitzbank, ein großer, runder Tisch mit einer Eben holzplatte und herum drei tiefe, sehr bequeme Sessel vervollständigten die Einrichtung. Lobo versank in ei nem der Sessel. Er zündete sich eine von Moreens dicken, schwarzen Zi garren an und stieß graue Wolken unter die mit Holz getäfelte Decke. „Was ist denn passiert, Sir?" „Sehen Sie mich doch an, dann wis sen Sie es." Lobo nickte. „Ich habe mir bald so was gedacht. Wer war es?" „Zwei von Aberdeens Leuten. Matt Warren und Morris Morgan. Wes halb sind Sie gekommen?" „Ich hatte auch einen kleinen Zwi schenfall. Marshal Carvett und Sam Aberdeen." Lobo lächelte ein wenig. „Es war aber nicht der Rede wert. Auf welcher Seite steht eigentlich dieser Marshal?" „In San Angelo gibt es nur eine Sei te. Weshalb sind Sie gekommen?" wiederholte Moreen. „Vielleicht", sagte Lobo gedehnt, „habe ich meine Meinung geändert." Jesse Moreen hielt den Kopf ge senkt. Er sah Lobo düster an. „Kathy Ralleigh, die Mulattin, was?" In den Tiefen von Moreens Augen zuckte so was wie Panik. „Sie war ein altes,
streitsüchtiges Schlachtroß. Für eine Farbige zu aufsässig. Nun, jetzt hat Aberdeen seine Hunde laufen lassen. Es wird hart, Halbblut, höllisch hart. In der Stadt wimmelt es von Strol chen wie diesem Morgan und War ren. Es wimmelt von abgefeimten Schurken, die nicht einmal davor zu rückschrecken, eine Frau zu erschie ßen. Welche Chancen sollten Sie da haben?" Jesse Moreen hatte die Lip pen fest aufeinandergepreßt. Er schien vergessen zu haben, wie man lächelt. „Gestern haben Sie noch ganz an ders geredet, Moreen." „Gestern war ich auch noch nicht zwischen zwei Mühlsteine geraten, gestern lebte auch Kathy noch." Lobo schälte sich aus den grauen Rauchwolken, welche den ganzen Raum wie Frühnebel einhüllten. „Seit Sie Captain McGinnests Inter essen vertreten, sind schon mehrere Leute getötet worden, und Sie haben nicht aufgegeben. Weshalb gerade jetzt?" Moreen tastete mit unruhigen Fin gern über sein mit Pflaster verkleb tes Gesicht. „Meine Frau", sagte er schwach. „Sie will nicht mehr hier bleiben." „Das ist natürlich ein Grund. Mo reen, wer hat McGinnest erschos sen?" Lobos Blick klebte förmlich auf dem Gesicht des Anwalts. „Woher soll ich das wissen?" Lobo lächelte, aber es war ein Lä cheln, dem die Freude fehlte. „Es wä re doch möglich, daß Sie etwas wis sen, es aber aus bestimmten Grün den, sagen wir, weil man Sie bedroht hat, nicht sagen." „Mein lieber Freund, ich diene der Gerechtigkeit seit über zwanzig Jah ren. Mit Drohungen kann man mich nicht einschüchtern." „Aber mit einer Tracht Prügel, was?" Moreens lebhafte, helle Augen wurden ein wenig schmal. Sein ver klebtes Gesicht verzerrte sich etwas. Aus Schmerz oder aus Argwohn, das war nicht festzustellen. „Es geht um
meine Frau. Ich habe ihr gegenüber eine Verpflichtung und eine Verant wortung. Aber das können Sie wahr scheinlich nicht begreifen." „Nein, kann ich nicht. Wann reisen Sie denn ab?" „In zwei oder drei Tagen." „Und wohin geht's?" „Ist das für Sie von Interesse?" Lobo zuckte mit den Schultern. „Nein, ist es nicht. Ja, dann alles Gu te, Mister Moreen." „Nach Austin", sagte Moreen. „Wir nehmen aber die Postkutsche über Fort Worth." Lobo stutzte. „Das ist aber ein mächtiger Umweg. Nach Austin über Sonora, das schaffen Sie in zweieinhalb Tagen. Da wäre noch was, Moreen. Was passiert eigentlich, wenn plötzlich jemand auftaucht, die Besitzurkunde im Landbüro vor legt und McGinnests Weideland auf seinen Namen eintragen läßt." „Was soll denn da passieren? Es wird eine neue Urkunde ausgestellt. Das ist rechtens und ganz legal." „Hm. Ich könnte also hingehen, vorausgesetzt, ich habe die Urkunde, lasse das Land auf meinen Namen eintragen, und schon bin ich Besitzer von fünftausend Hektar bestem Weideland?" Jesse Moreen runzelte die Stirn. Er dachte nach. Das Nachdenken schien ihm Schmerzen zu bereiten. „Haben Sie denn die Urkunde?" „Nein. Aber vielleicht finde ich sie." „Ja, vielleicht", sagte Moreen hin ter Lobo her. „Vielleicht, mein Freund." Von Moreen ging Lobo direkt zum Marshal's Office. Gene Carvett war nicht in bester Stimmung. Seine dunklen Augen blickten noch wilder als sonst. „Was, zum Teufel, willst du? Ich denke, du hast schon hundert Meilen zwischen dich und die Stadt gebracht." „Mein Pferd lahmt, Marshal. Ha ben Sie ein paar Minuten Zeit für 15
mich?" „Wenn du mich nicht langweilst." Lobo grinste. „Ich werd's versu chen. Sagen Sie, wo ist das Landbü ro?" „Wenn es sich um Regierungsland handelt, in Austin. Was soll diese Frage?" „Und wenn es sich, sagen wir, um Besitzwechsel handelt?" „Wenn das Land vorher Regie rungsland war, ebenfalls in Austin. Willst du noch was wissen?" Carvetts Blick wurde fuchsig. „Da steckt doch was dahinter, oder?" „Ich werde es Ihnen sagen, wenn ich es herausgefunden habe. Haben Sie Kerwan verhaftet?" „Ich kann erst jemand verhaften, wenn ich ihn gefunden habe." Car vetts Stimme war ärgerlich. „Sie finden wohl nie jemanden, was? Auch McGinnests Mörder nicht." Gene Carvett wechselte die Farbe. Er war so erregt wie ein Ochse, der gerade geschlachtet werden soll. Sei ne Stimme war heiser vor Zorn. „Halbblut", zischelte er, „ich habe dich gewarnt, und ich habe es gut mit dir gemeint. Ich weiß nicht warum, aber ich habe es wirklich gut ge meint. Aber jetzt läuft der Topf über. Wenn du morgen noch in der Stadt bist, veranstalte ich ein Treiben, bei dem du nicht nur die Stiefel, sondern auch noch deinen Kopf verlierst. Und jetzt hinaus mit dir!" Carvett unterstrich seine Worte mit einem Schlag auf die Tischplatte, der stark genug war, das ganze Office zum Wanken zu bringen. „Sie sehen schlecht aus, Marshal. Nehmen Sie einen Schluck Wasser. Sie werden den Geschmack zwar nicht mögen, aber er wird Sie auch nicht gleich umbringen. Helfen tut's bestimmt." „Soll ich dich mit einer Kugel raus befördern?" „Nein", sagte Lobo, „das werden Sie nicht. Sie werden mich bitten, zu bleiben. Sie werden das, weil Sie endlich erkannt haben, daß auch 16
Sam Aberdeen kein Herrgott ist. Weil Sie diesen Mann im Grunde Ih rer Seele hassen, und weil Sie endlich den Mut haben, sich von Aberdeens Leine zu lösen. Sie waren schon letz te Nacht entschlossen, als Sie Kathy vor sich liegen sahen. Tot. Erschos sen. Einfach nur so, oder vielleicht, weil sie nicht zulassen wollte, daß mich Aberdeens Killer umbrachten. So ist das doch, Carvett. Sagen Sie doch endlich, daß es so ist." Gene Carvett sank auf einen Stuhl. Er hielt den Kopf in beide Hände ge stützt. Er grunzte etwas vor sich hin. Lobo betrachtete die Fenster. Sie waren noch gleich mit Fliegendreck beschissen wie am Vortag. Auch der Fußboden glich noch einem schmut zigen Hühnerhof. Nur Carvett war anders. Dieser Mann war nicht schlecht geboren worden. Im Grunde war er eine anständige Seele. Er war Aberdeens ständigem Einfluß unter legen, weil es nichts gab, an dem er sich aufrichten konnte. Gene Carvett hob den Kopf. Sein kräftiges, vernarbtes Gesicht war grau vor Erschöpfung. Sein Blick matt, ein wenig verschwommen. Lo bo sah zu, wie sich der Marshal zu rechtschüttelte. „Du bist verrückt, Halbblut, ein fach verrückt", sagte Carvett. „Selbst wenn du recht hättest, du bist trotz dem verrückt. Was glaubst du, wie groß meine Chance wäre, noch eine Woche älter zu werden? Ich werde es dir sagen: Es gibt überhaupt keine Chance, noch nicht einmal den Hauch einer Chance. Vielleicht weiß ich es zu schätzen, was du gesagt hast. Aber wiederum auch nicht so sehr, daß ich mir deshalb die Kehle durchschneiden lasse." Carvett schüttelte den Kopf. „Es bleibt ver rückt." „Bisher dachte ich", sagte Lobo, „Sie seien hart. Aber Sie sind es nicht. Sie sind zu lange in dieser Stadt, und Sie laufen zu lange an Aberdeens Leine. Die meisten Menschen hier haben Angst vor Ihnen. Das hat Sie glauben lassen, daß Sie hart sind. Ein
Trugschluß, Marshal Carvett." „Hör endlich auf, verdammt! Ich bin auch nur ein Mensch mit Nerven. Und zur Zeit sind diese sehr schwach." „Sie sollten trotzdem darüber nachdenken, Carvett. Und das Trei ben", Lobo grinste aufsässig, „das verschieben Sie mal noch ein paar Tage."
Lobo war mit Laurie hinter Ka thys Sarg hergelaufen. Viele Leute, die halbe Stadt, hatten Kathy beglei tet. Nur einer fehlte, der alte Josua. Nach der sehr eindrucksvollen Beer digung hatte Lobo das Mädchen nach Hause gebracht. „Wirst du bleiben, Lobo?" In ihrer sanften Stimme schwang Angst. Er lächelte ihr zu. „Ich komme wie der, Laurie. Bald. Noch ehe es dunkel wird." „Danke, Lobo." Sie ließ sich in ei nen verschlissenen Sessel fallen. „Das hätten sie nicht tun dürfen, das mit Kathy", sagte sie. Sie weinte leise vor sich hin. Lobo hörte das hohle Geräusch von Schritten, die näher kamen. Vor dem Fenster hielten sie an. Die hohe Ge stalt eines Mannes zeichnete sich ab. Sie verschwand. Die Tür wurde hart aufgestoßen. „Ich hab mir gedacht, daß du hier bist. Doc Mason hat Ga ston Ellis eine Kugel aus dem Bein geschnitten." In Marshal Carvetts vernarbtem Gesicht zuckten die hei len Muskeln. „Wo ist dieser Ellis jetzt?" Lobo leckte seine Lippen auf eine häßliche Art. „Wahrscheinlich auf Aberdeens Ranch. Scheiße, Mann. Weshalb hab ich mich nur mit dir eingelassen?" „Sie werden ihn holen, Marshal?" Carvett dachte darüber nach, wie man über einen Killer nachdenkt. Auf seinem Gesicht erschien ein bei nahe unanständiges Grinsen. „Ho len? Glaubst du, ein Gaston Ellis läßt sich so einfach holen? Er gehört nicht
zu der Sorte, die man in den Arsch treten kann, sie im Genick packt und fortschleift. Nein, mein Lieber. Der Doc sagte, es sei eine Fleischwunde. Ein paar Tage, und Ellis sei wieder okay. Also wird er in ein paar Tagen wieder auftauchen." „Und Steve Kerwan?" Gene Carvett hob den Blick und ließ ihn träge über Lobos Gesicht gleiten. „Kerwan ist in der Stadt. Bei Aberdeen, im Hotel." Lobo war aufgestanden. Er sah das ängstliche Flackern in Lauries Au gen. Zu Carvett sagte er: „Auf was warten wir noch, Marshal?" Carvett beugte sich zu Laurie hin ab. „Wo ist er, Laurie? Du weißt doch, wo er ist. Also, heraus damit." „Lassen Sie sie in Ruhe, Carvett!" Gene Carvett ruckte zu Lobo her um. „Halte du dich raus, Halbblut. Es ist schon schlimm genug, daß ihre Mutter erschossen wurde. Ich will ihr wenigstens den Vater erhalten." Er sah Laurie an, und dann Lobo. „Der alte Josua schleicht in der Stadt herum. Ich weiß nicht, ob er über haupt mit einer doppelläufigen Schrotflinte umgehen kann. Aber er hat eine. Wenn er auf die falschen Leute trifft, ist er ganz schnell tot. Kapiert, Halbblut?" Er rüttelte Lau rie an den Schultern. „Wo ist er, Mädchen, sag es!" Laurie schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht." „Verdammter Mist. Los, komm mit, wir müssen ihn suchen!" Der Hof des Liberty Hotels war ein eingeschlossenes Viereck. Leere Ki sten lagen herum. Ein paar gepreßte Strohballen. Eine offene Tonne war mit leeren Flaschen halb gefüllt. Das Holztor nach der schmalen Seiten gasse war angelehnt. Ebenso eine in das Hotel führende Tür. Das Ge räusch von Stimmen drang nur schwach heraus. Die Sonne schien den Hof vergessen zu haben. Sie schenkte ihm keinen Strahl. Alles war düster, schmutzig und, wenn man von ein paar herumhuschenden 17
Ratten absah, ohne Leben. Der Mann, der zwischen zwei Ki sten hockte, schien schon ewig dort zu hocken. Stumm, bewegungslos, mit brennenden schwarzen Augen. Sein altes, graues Gesicht war eine starre Maske. Die dürren, sehnigen Hände hielten eine Schrotflinte. Im Hause klappte eine Tür. Es war irgendwo im Obergeschoß. Schritte kamen über eine Holztreppe. Nicht hart, eher vorsichtig. Die Tür zum Hof wurde aufgezo gen. Zuerst schob sich ein Kopf hin durch. Es war ein schmaler Kopf mit einem bis weit über die Mundwinkel herabhängenden Sichelbart. Eine hohe, schmale Gestalt wurde sicht bar. Sie steckte in einem verwasche nen blauen Baumwollhemd, über das eine ärmellose Lederweste gestreift war. Schlanke Schießerhände schwebten über den abgegriffenen Schalen eines vierundvierziger Colt revolvers. Der Mann setzte seine Füße behutsam auf eine Stufe, dann auf die zweite. Er sah sich vorsichtig um. Er überwand die dritte Stufe und stand im Hof. „Steve Kerwan?" Es war ein leiser Ruf. Mehr eine Frage. Die Stimme schien aus der Unendlichkeit zu kommen. Der Mann flog herum. Er starrte in den abgesägten Lauf einer Schrotflinte. Kaum zehn Schritte von ihm entfernt. Seine Bewegung war mehr ein Reflex. Aber sie war nicht schnell genug. Ein Geschoß, bis obenhin mit Hartbleischroten voll gestopft, war schneller. Es gab eine gewaltige Detonation. Der Rückstoß der Waffe war so stark, daß er den Schützen von den Beinen riß. Über die Holztreppe stürmten er neut Schritte. Diesmal laut, wuchtig, ohne jede Vorsicht. Der Schütze hat te sich gerade wieder aufgerichtet, bereit, die zweite Ladung aus dem Lauf zu jagen. Es gab einen scharfen, spitzen Knall. Etwas schlug gegen seine Brust. Es warf ihn zurück. Die Schrotflinte entfiel seinen Händen. In den schwarzen, weit aufgerisse 18
nen Augen lag so was wie Unglaube, Ein Name brach über seine Lippen: „Kathy!" Ein verwischendes Lä cheln. Dann war nichts mehr. Als Jo sua Ralleigh auf den Boden schlug, da war er bereits tot. „Steck den Revolver weg, Jim Aberdeen!" Marshal Carvetts gewal tige Stimme durchbrach das allmäh lich aushauchende Echo der beiden Schüsse. Lobo stellte sich seitlich an eine Bretterwand. Carvett stampfte mit schweren Schritten auf den Mann unter der Tür zu. „Weg damit, Mann!" Jim Aberdeen senkte die Waffe. Er hatte die Maße Carvetts. Er war jung, vielleicht fünfundzwanzig. Sein rotblondes Haar hing ihm wirr ins Gesicht. In den hellblauen, beina he farblos wirkenden Augen stand das Entsetzen. Der große, starke Mann war bleich bis unter die Haar wurzeln. Er würgte, dann erbrach er sich. Carvett drehte sich zu Lobo herum. „Steve Kerwan?" fragte Lobo. „Das ist nicht mehr genau festzu stellen. Aber wahrscheinlich war er es. Nun ist auch noch der alte Josua hin." Carvett stieß Jim Aberdeen den Revolver in die Seite. „Hinein mit dir!" Ein paar Männer drängten durch das angelehnte Holztor. „Hol einer den Leichenbestatter!" rief der Mar shal. „Er soll zwei Särge mitbringen!" Lobo stand noch gleich unbeweg lich an der Bretterwand. Er dachte an Laurie. Es gab nichts mehr, an das sie sich klammern konnte. Keine Ka thy mehr und keinen Josua. Und er, Lobo, würde die Stadt verlassen. Sehr bald. Laurie würde allein sein. Schutzlos, hilflos. Zu jung und zu farbig, um allein bestehen zu kön nen. Carvetts Stimme riß ihn aus sei nen trüben Gedanken. „Was ist denn? Willst du nicht mit kommen? Schließlich hast du doch in der Scheiße herumgerührt. Nun ge nieße auch den Gestank."
Sam Aberdeen saß im selben Lehnstuhl wie am Tage vorher. Er hatte seine kleinen, sehr hellen Au gen zusammengekniffen. Seine großen Hände ruhten auf den Schen keln. Lobo betrat hinter Carvett und Jim Aberdeen das Zimmer. Es hatte jenen schwachen, herzlosen Geruch, den alle Hotelzimmer haben. Auch wenn sie noch so sauber und mensch lich eingerichtet waren. „Carvett", sagte der ältere Aber deen, „du mußt verrückt sein." Sein Blick traf Jim Aberdeen. „Wie siehst du denn aus, mein Junge?" Jim griff zu einer auf dem Tisch stehenden Whiskyflasche. Er zog den Korken heraus. Der scharfe Schnaps gurgelte durch seine Kehle. Mit dem Handrücken wischte er sich über den Mund. „Geh runter und sieh dir Ker wan an. Dann brauchst du nicht mehr zu fragen. Der Nigger hat ihn mit einer Schrotladung erwischt." „Ein plötzlicher Tod", sagte Sam Aberdeen, „kann den Menschen überall begegnen." Er sah zuerst Lo bo an und dann Marshal Carvett. „So wie meinen vier Vorgängern", erwiderte Gene Carvett scharf. „Zwei starben mit einem Kugelloch im Schädel. Einen fand man mit ge brochenem Genick, und einen haben Rinderhufe bis zur Unkenntlichkeit zerstampft. War das nicht auf deiner Weide, Sam?" In Sam Aberdeens fettem Gesicht war ein Lächeln von aufgesetzter Dämlichkeit. Er nickte selbstzufrie den. „So war es, Carvett. Wie hättest du es denn gern? Wir sollten es mal mit einem Strick versuchen. Wie ge fällt dir das?" Der Marshal winkte ab. „Hör end lich auf, den wilden Mann zu spielen, Sam. Verdammt noch mal, Jim, laß die Pfoten von der Waffe. Paß mal ein bißchen auf ihn auf, Halbblut." „Dieser stinkende Bastard ist wohl jetzt deine Leibwache, was?" Jim Aberdeen hatte ein Grinsen im Ge sicht.
„Sam", sagte Carvett, „soeben hat dein Sohn den alten Josua erschos sen. Ich will nicht die Gründe erfor schen. Vielleicht hatte er welche, vielleicht auch nicht." „Der verdammte Nigger hatte die Schrotflinte schon auf mich gerich tet. Wenn ich ihn nicht erschossen hätte, läge ich jetzt genauso im Hof wie Steve Kerwan." „Mag sein. Es hat schließlich schon genug Unheil gegeben. Und wenn du nicht endlich Ruhe gibst, Sam, wird es noch mehr geben. Das mit Kathy war eine Sauerei. Es waren deine Männer, die sie erschossen haben. Solange ich zurückdenken kann, hat es so was noch nicht gegeben. Sam, rücke Gaston Ellis raus, und wir ver gessen die ganze Sache." Sam Aberdeens Blick irrte umher. Er vermied es strikt, Carvett in die Augen zu sehen. „Ich habe nieman dem befohlen, die alte Wachtel zu er schießen. Aber was willst du denn, sie war ein Nigger. Lohnt es, über haupt darüber zu reden?" „Aberdeen", sagte Lobo, „weshalb wollten Sie mich umbringen lassen? Nur deshalb, weil ich ein Halbblut bin?" „Dich wollte niemand umbringen. Lediglich eine kleine Lektion. Sie hätte dir gut getan." „In seinem Bett sind drei Einschüs se. Ich habe sie selbst gesehen, Sam", sagte Carvett. „Er wollte wahrscheinlich auch Captain McGinnest nicht umbrin gen. Ein bedauerliches Versehen, Aberdeen, was?" fügte Lobo hinzu. Das gereizte Lächeln verschwand eilig aus Sam Aberdeens fettem Ge sicht. „McGinnest wurde weder von mir noch auf meinen Befehl umge bracht. Nimm das zur Kenntnis, Halbblut." „Misch dich nicht ein, Halbblut", knurrte Carvett. „Was ist nun, Sam, rückst du Ellis heraus? Ich verspre che dir, er bekommt einen ehrlichen Prozeß. Es steht doch gar nicht fest, daß Ellis Kathy erschossen hat. Viel leicht war es Kerwan. Der ist leider 19
tot und kann nicht mehr aussagen." „Jetzt hör mal gut zu, Carvett. Al les, was du bist, bist du durch mich geworden. Ein angesehener Mann mit einem Stern auf der Brust. Du wurdest von mir gefüttert wie kaum ein anderer. Und was tust du? Du stellst dich gegen mich. Du schleppst einen Halbindianer herum, duldest, daß er sein freches Maul aufreißt. Verlangst von mir, ich soll dir mei nen besten Mann ausliefern. Viel leicht auch noch meinen Sohn, weil er in Notwehr einen alten Nigger er schossen hat." Sam Aberdeen schüt telte seinen mächtigen Kopf. „Ich sagte schon, Carvett, du bist ver rückt. Ich weiß nicht, was in dich ge fahren ist, aber du bist wirklich ver rückt. Ich gebe dir noch eine Chance, aber nur noch eine: Weg mit dem Halbblut. Mit ihm hat alles angefan gen. Weg mit ihm, sage ich. Wie, das überlasse ich dir!" „Das wäre deine Lösung, Sam. Nichts zu machen. Mann, sei doch vernünftig, du hast doch alles, was du brauchst. Du bist ein mächtiger, angesehener Mann. Mach nicht alles selbst kaputt, Sam." „Etwas fehlt ihm noch", sagte Lobo. Seine Stimme war weich, beinahe sanft. „McGinnests Weideland. Das fehlt doch noch, Aberdeen, nicht wahr?" Sam Aberdeen blickte ein wenig überrascht. „Ja", antwortete er, „das fehlt mir noch. Was weißt du dar über, Halbblut?" Er sah Lobo an. Ein unnatürliches Lächeln lag auf seinen wulstigen Lippen, das Lächeln eines Wolfes. In Lobos dunklen Augen lag eine unklare Befriedigung. „Einiges", sagte er lässig. „Sie ha ben den Preis mächtig in die Höhe getrieben, Aberdeen. Er ist so hoch, daß Sie ihn schon bald nicht mehr mit Dollars bezahlen können. Sie müssen über zu viele Tote hinweg steigen." „Rede nur weiter, Halbblut, immer weiter." Sam Aberdeens Stimme klang heiser. „Was weißt du denn 20
noch alles, he?" „Ich weiß, daß Sie scharf auf das verdammte Land sind." Sam Aberdeen stieß schnaufend die Luft aus. Jim Aberdeen rührte sich auf seine Art. Carvett schlug ihm auf den Arm. „Versuch das lie ber nicht, Jim." „Wie lange willst du dir das noch anhören, Dad? Dieser dumme Halb indianer versucht doch nur, einen Narren aus dir zu machen." Jim Aberdeen trat mit dem Fuß nach Lo bo. Der drehte sich blitzschnell, er griff den Fuß und drehte ihn nach oben. Der große Mann mit den rot blonden Haaren stieß einen Schmer zensschrei aus. Lobo drehte weiter. Jim Aberdeen konnte sich nicht mehr halten. Er fiel rückwärts und krachte mit dem Kopf schwer gegen die Wand. Einen kurzen Augenblick blieb er liegen, dann drehte er sich halb herum, sprang auf und griff zum Revolver. Carvetts Faust knall te ihm an den Kopf. Der Schlag warf Jim Aberdeen endgültig um. Sam Aberdeen bewegte sich etwas im Lehnstuhl. „Für heute hast du deinen Spaß gehabt, Carvett, du und das Halbblut." Er stand auf, plump und schwer, ein wenig schnaufend und ein wenig unsicher. „Jetzt ist es an der Zeit, daß ich meinen Spaß kriege. Und ich werde ihn kriegen. Darauf wette ich." Sam Aberdeens großes Gesicht glänzte. Es sah aus, als würde er schwitzen. Lobo spuckte auf Jim Aberdeen. „Das ist für den stinkenden Bastard. Aber nur für dieses Mal. Das nächste Mal wird es schlimmer. Sagen Sie das diesem rotznäsigen, großmäuli gen Hundesohn." Sam Aberdeens Gründfeste be gann zu wanken. Ein Halbblut hatte ihn und seinen Sohn gedemütigt. Er hatte Dinge gesagt und getan wie noch nie jemand vor ihm. Und dieser Carvett, den er genährt hatte wie ei ne Amme einen Säugling, hatte sich schützend vor das Halbblut gestellt. Sie waren beide eine Schande für die
Stadt. Er würde diese Schande besei tigen. Die Atmosphäre in der Stadt war hektisch und hochexplosiv. Offene Feindseligkeit schlug Lobo entgegen. Aber nicht nur ihm. Carvett zeigte sein finsterstes Gesicht. „Aberdeens unsichtbarer Telegraph hat bereits zu ticken begonnen. Es kommen schwere Zeiten, Halbblut. Klemm dir am besten deinen Schinder zwischen die Schenkel und hau ab, solange du das noch kannst." „Ich schau dann vom nächsten Hü gel herunter und paß auf, wie sie Ih nen den Bauch aufschlitzen. Überle gen Sie mal, Carvett, vielleicht fällt Ihnen noch was Besseres ein." Der Marshal blieb vor dem Office stehen. Die Main Street herunter drängte eine Gruppe Männer. Lobo sagte: „Kein guter Platz, Marshal. Sie sollten das Office meiden." „Quatsch nicht. Noch bin ich Mar shal, und so lange ich das bin, so lange ist das mein Office." „Sie nützen sich selbst am wenig sten, wenn Sie tot sind. Spielen Sie nicht den Helden, Mann." Lobo drängte Carvett weiter. Der Marshal stemmte die Füße in den Straßen staub. „Ich hab die Sache angefan gen, jetzt führe ich sie auch weiter. Und du, laß mich gefälligst in Ruhe." Lobo zuckte mit den Schultern. „Wie Sie wollen. Schließlich ist es Ih re Haut." „Deine kommt auch noch dran." Er beugte sich etwas zu Lobo vor. „Um was geht es eigentlich? Um ein Stück Weideland? Um die Toten? Um dich oder um mich?" „Als Marshal sollten Sie das wis sen, Carvett." „Sprich nur nicht von Gerechtig keit. Recht und Gesetz ist, was Sam Aberdeen will. Bisher bin ich ganz gut damit gefahren. Weshalb zum Teufel, mußtest du auch nach San Angelo kommen?" „Um Ihr Gewissen wachzurütteln, falls Sie eines haben."
„Scheiß Gewissen. Es nützt mir auch nichts mehr, wenn ich auf dem Boothill liege. Wem nützt es denn überhaupt etwas?" „Ich glaube", sagte Lobo, „die Leute wollen was von Ihnen, Marshal." Es waren fünf Männer. Sie blieben stehen und stemmten die Beine fest auf den Boden. Ihre Blicke waren finster, ihre Haltung drohend. Wei ter unten auf der Straße stand eine zweite Gruppe. Überall standen sie. Links und rechts auf den Gehsteigen. Vor dem Liberty Hotel, dem Concho River Sa loon. Selbst die Huren aus dem Lone Star hatten ihre Köpfe herausge streckt. Die fünf Männer vor Carvett und Lobo drängten zusammen wie ein Wurf junger Hunde im Winter. „Gene", sagte einer von ihnen, „es ist nicht rechtens, was du machst. Du hast dich für die falsche Seite ent schieden. Deshalb wollen wir, daß du den Stern ablegst. Hast du das ver standen, Gene?" „Davon hat Sam Aberdeen aber gar nichts gesagt. Jetzt hört mal her, ihr Klugscheißer! Wann und ob ich den Stern ablege, das entscheidet nicht ihr. Und was die falsche oder richtige Seite ist, das könnt ihr aus eurer Mauselochperspektive nicht beurteilen. Jetzt verschwindet und macht mich nicht wild." Sie sahen Carvett mit wirren Au gen an. Vor der mächtigen Gestalt des Marshals schrumpfte ihr Mut zu sammen. Ihr Wortführer raffte sich noch einmal auf. „Wir haben ja nichts gegen dich, Gene." Sein Blick streifte Lobo. „Es ist wegen des Halb blutes. Er ist doch an allem schuld. Jag ihn davon, Gene!" „Das habt ihr wohl in Aberdeens Schule auswendig gelernt, was? Wenn das Halbblut gehen will, dann soll es gehen. Wenn es das nicht will, dann soll es bleiben. Es hat keinem von euch was getan. Oder doch? Dann sagt es mir. Na, redet schon!" Sie schwiegen. Ihr Mißtrauen ge gen den Marshal war so deutlich in ihren Blicken wie der Schmutz unter 21
ihren Fingernägeln. Carvett stieß Lobo an. „Du hast es gehört, Halb blut. Geh, wohin du willst, oder blei be, wo du willst. Und ihr da, ihr haut jetzt ab!" Kleine Staubwölkchen stiegen un ter ihren Stiefeln auf, als sie davon schlurften. „Harmlose, kleine Nar ren", sagte Carvett. „Sie waren nur die Vorhut. Wenn Aberdeens Streit macht anrollt, wird es hart." „Wird sie anrollen, Marshal?" Carvett grinste Lobo freudlos an. „Was erwartest du denn? Sam Aber deen ist ein humorloses, altes War zenschwein, in dessen Kopf sich alles Unheil dieser Welt zusammenge braut hat. Du gehst bitteren Zeiten entgegen, Halbblut. Wenn du bleibst", fügte er hinzu. „Für Sie wird es auch nicht gerade lustig, Carvett. Es sei denn ..." „Halt den Mund", unterbrach er Lobo, „und bilde dir nicht ein, daß dein Unterschlupf sicherer ist als mein Office. Der alte Josua hatte zwar keine Lizenz für Whiskyaus schank. Aber vielleicht findest du ir gendwo eine Flasche. Ich glaube, wir könnten's beide gebrauchen." Car vett ließ Lobo einfach auf der Straße stehen. Das Halbblut sah sich um. Das Bild hatte sich nicht verändert. Überall standen sie herum. Sie standen nur da und warteten. Sie warteten, weil sie wußten, daß etwas geschehen würde. Irgend etwas, daß ihren Ner venkitzel befriedigte. Lobo fand Laurie in fast unverän derter Haltung in dem verschlisse nen Sessel sitzen. Sie sah ihn aus lee ren Augen an. Er legte ihr behutsam eine Hand auf den Kopf. „Du - du weißt es, Laurie?" Sie nickte schwach. Ihre Stimme kam müde und sehr dünn, so als wä re sie hundert Jahre alt. „Er mußte das tun. Niemand hätte ihn aufhal ten können. Ich glaube, das war er Kathy schuldig." „Du hast das gewußt, Laurie?" „Niemand hätte ihn aufhalten können", wiederholte sie. „Sein Le 22
ben gehörte Kathy. Ohne sie war sein eigenes Leben wertlos." „Er hätte an dich denken müssen." Ein kleines, verklärtes Lächeln er schien auf ihren vollen Lippen. „Weshalb an mich? Ich war nicht sein Inhalt, also brauchte er auch nicht an mich zu denken." Sie sprach ruhig, gelassen, ohne jede Erregung. „Es waren zwei, Laurie", sagte er, Sie nickte. „Ich weiß." Etwas zwi schen ihnen blieb unausgesprochen: ein schweigsames Hoffen auf der ei nen, ein wortlos gegebenes Ver sprechen auf der anderen Seite. Nach endlos langen Sekunden sagte Lau rie: „Es gibt keine Verpflichtung. Weder für dich, noch für sonst je manden. Ich will, daß du das weißt, Lobo." „Du siehst die Dinge einseitig. Die Männer, die Kathy getötet haben, wollten mich töten. Kathy kam ih nen dazwischen. Sie hat sie erkannt, und deshalb mußte sie sterben." „Und du, willst du auch sterben?" Ihre Stimme war scharf, beinahe schrill. Etwas wie Angst leuchtete in ihren schwarzen Augen. Ganz schwach und nur ganz kurz. Sie stand auf. „Du willst es meinetwegen tun. Sage nichts. Ich weiß das. Du brauchst es nicht, Lobo. Ich habe früh gelernt, mich zu wehren. Gegen viele Männer, auch gegen Jim Aber deen - und sogar gegen den Alten." Lobo zog Laurie in den Sessel zu rück. Er nahm ihre Hände. Er zwang ihr seinen Blick auf. „Das ist nicht genug, Laurie. Es gibt niemanden mehr, der seine Hände schützend über dich hält. Kathy konnte das. Aber jetzt bist du allein. Ich befürch te, die Zeit, in der du dich nicht mehr wehren kannst, ist nicht mehr fern." Ein merkwürdiges Lächeln zog ih re Mundwinkel herab. Ihr Gesicht wirkte wächsern, starr wie eine Maske. Ihre Stimme war brüchig, sie schien nicht ihr zu gehören. „Sie werden dich töten. Und dann wäre ich doch allein. Mit einer Belastung auf der Seele, die nichts und niemand mehr herunterwälzen könnte. Du
bist groß und stark, du bist ein Kämpfer. Deshalb liebe ich dich. Aber du bist zu schwach, um gegen Sam Aberdeen und sein rauhes Ru del bestehen zu können. Geh deinen Weg, Lobo. Vergiß San Angelo. Ver giß mich." Sie entzog Lobo ihre Hän de. Schnell und geschmeidig stand sie auf. Die Tür schlug hinter ihr zu, scharf und schmerzend.
Ein einziges, mageres Licht brann te über dem Eingang. Zu schwach, um die ganze Breite des Hauses zu beleuchten. Zu stark, um den hu schenden Schatten eines Mannes zu verbergen. Ein harter, einsilbiger Ruf traf Lobo wie ein Geschoß. „Halbblut!" Noch ehe der letzte Laut verklun gen war, hatte sich Lobo auf den Bo den geworfen. Ein greller Mün dungsblitz zeichnete seine Bahn durch die Dunkelheit der kleinen Halle und erlosch. Die Detonation des Schusses prallte gegen die Wän de und ließ sie erzittern. Der Geruch verbrannten Pulvers war stark und ätzend. Lobo schoß zurück. Glas splitterte. Kleine Fetzen eines bösartigen La chens gingen in zwei weiteren, schnellen Schüssen unter. Lobo roll te sich über den Boden. Von irgend wo wurde sein Name gerufen. Dicht neben ihm bohrte sich eine Kugel in den verschlissenen Sessel. Eine wei tere Kugel hauchte ihn an. Sie zog ei ne brennende Schramme über seine linke Schulter. Ein stechender Schmerz ließ Lobo kurz aufstöhnen. „Hab ich dich endlich, Halbblut?" Den Worten des Mannes folgte ein weiterer Schuß. Die Kugel riß lange Holzsplitter aus dem Fußboden. Lobo sprang auf. Er hörte das har te Klick, wenn Metall auf Metall schlägt. Der Schatten eines Mannes schälte sich aus dem Dämmerlicht. „Ich hab' mich verschossen. Nein, nicht! Kein guter Mann tut das!" „Ich bin kein guter Mann!" Lobos
Stimme war kalt und hart. Ohne Krächzen oder Keuchen. Einfach nur kalt und hart. Langsam hob er den Army Colt. Der Mann sank vor ihm auf die Knie. „Nein", heulte er, „nein!" Ein schwerer Stiefel trat gegen die Tür. Auf der Galerie brannte plötz lich eine Lampe. Eine Stimme, die Lobo nur zu gut kannte, rief: „Wenn du abdrückst, werde ich dich er schießen. Weg mit der Waffe, Halb blut!" Von der Galerie herunter kam Laurie. Die Lampe in ihren Händen schwankte. Lobo nahm sie ihr ab. Er hielt sie vor das Gesicht des Mannes am Boden. „Morris Morgan", sagte Carvett. „Diesen Namen", erwiderte Lobo
trocken, „habe ich heute schon ein mal gehört. Was werden Sie jetzt tun, Marshal?" Carvett antwortete nicht. Er stieß Morgan die Stiefelspitze in die Seite. „Steh auf und jammere nicht. Los, Mann!" Morris Morgan kam langsam auf die Beine. Auf Gene Carvetts zer narbtem Gesicht lag ein breites, ge mütliches Grinsen. „Pech gehabt, Morris, was? Nun sing mal fein, Vö gelchen." Morgans graue Augen blickten noch immer etwas erschrocken drein. Carvett drehte sich zu Laurie herum, die aus weit aufgerissenen Augen auf Lobo starrte. „Du ver schwindest besser, du kleines Luder. Na was ist, Morgan, willst du den 23
Mund aufmachen, oder soll ich nach helfen?" „Geh zum Teufel, Carvett! Du und das Halbblut!" „Das ist nicht neu." Gene Carvett packte Morgan im Genick. Der Mann stöhnte unter diesem Griff auf. Er versuchte, sich zu befreien. Es war ein müßiger Versuch. „Was werden Sie tun?" wiederhol te Lobo seine Frage. „Soll ich ihn vielleicht einsperren? Er wäre keine Stunde drin. Ich wäre tot, und du auch. Burschen wie dieser Morgan sind leicht zu melken, aber sie geben keine Milch. Also werde ich ihn ein bißchen anders anzapfen." Morris Morgan schrie schmerzhaft auf. Carvett drehte den Kragen sei ner Jacke. „Weshalb bist du so ver rückt darauf, das Halbblut abzu knallen? Los, Mann, rede!" Morgans Knie wurden weich. Der ganze Mann wurde weich. „Sam", keuchte er, „Sam wollte das. Laß mich doch los, verflucht!" Carvett schleuderte Morgan von sich, wie man ein Stinktier von sich schleudert. Er starrte Lobo wütend an. „Na, was hab ich dir gesagt? Aberdeen läßt seine Hunde laufen. Irgendwann werden sie dich beißen. Und ich muß meinen Arsch mit hin halten, nur weil ich verrückt genug war, mich mit dir einzulassen." Er schlug sich mit der Faust vor den Kopf. Morris Morgan bückte sich nach seiner Waffe. Lobo trat ihm gegen den Arm. Morgan ruckte hoch. „Dein Gesicht werde ich mir mer ken", sagte das Halbblut mit einer Stimme, die Morgan frieren ließ. Marshal Carvett scheuchte ein paar hereindrängende Männer fort. Mit ihnen auch Morris Morgan. Car vett sah Lobo mit einem gequälten Blick an. „Ich hab's nicht so gemeint, Halbblut. Lobo heißt du, nicht wahr? Du kannst mich Gene nennen, wenn du magst." Er streckte Lobo die Hand hin. „Schlag nur ein. Du bist schon ein harter Knochen. Ich wünschte, ich hätte dich unter anderen Voraus 24
setzungen kennengelernt." Lobo verriegelte die Tür. Er si cherte das zerschossene Fenster ab. Laurie hatte von irgendwo eine Fla sche Whisky aufgetrieben. Carvett setzte sich Lobo gegenüber. Eine an der rückwärtigen Wand hängende Lampe verbreitete ein trübes Licht. Es warf die Schatten der beiden Männer verzerrt auf den Boden. Lobo blickte den Marshal mit einer Art sanfter Neugier an. „Wie gut", fragte er, „kennst du ei gentlich Moreen?" Carvetts Priem klatschte auf den Fußboden. Er spuckte immer einen Priem aus, wenn es etwas gab, das ihn erregte. Und allein der Name Moreen schien ihn zu erregen. „Den Winkeladvokaten? Gut genug, um ihn zu meiden." „Dieser Morgan und ein Mann na mens Matt Warren haben Moreen ziemlich in der Mangel gehabt. Er will die Stadt verlassen. Denkst du dir etwas dabei, Marshal?" Carvett wiegte den Kopf hin und her. „Man könnte sich schon etwas denken. McGinnests Weideland, was?" „Ich würde es ihm zutrauen. Wie hoch ist der Preis?" „Schlecht zu sagen. Vielleicht fünf tausend, vielleicht fünfzigtausend, wenn es zutrifft, was man sich hinter vorgehaltener Hand erzählt." „Und was erzählt man sich?" „Öl", sagte Carvett. „Moreen will die Stadt verlassen. Weißt du wann?" „Moreen sprach von zwei oder drei Tagen. Er will nach Austin. Nimmt aber die Postkutsche nach Fort Worth. Siehst du darin einen Sinn, Marshal?" Carvett biß sich auf die Lippen. Sie fühlten sich so hart an wie ein Revol verlauf. Er stand unvermittelt auf, stockgerade und riesengroß. „Dieser Moreen", quetschte er her aus, „ist gerissener, als ich dachte. Mich geht's nichts an, und eigentlich sollte ich froh sein, wenn er verduf tet, aber ich kann ihn nun mal nicht ausstehen." Er starrte Lobo an. „Du
bleibst hier. Wenn ich in einer Stun de nicht zurück bin, kannst du mei netwegen alles zusammenschießen, was dir vor den Lauf kommt. Und wenn du abhaust, nimm das Mäd chen mit."
Lobo wartete. Manchmal trat er durch eine Hintertür auf den Hof. Das Licht des vollen Mondes war klar. Laurie hockte in einem zweiten Sessel. Sie hatte die Schultern zu sammengezogen, als würde sie frie ren. Ihr Blick lag unausgesetzt auf Lobo. Sie verfolgte jede seiner Bewe gungen. Sie studierte sein Gesicht, als hätte sie es gerade zum ersten Mal gesehen. Sie öffnete die Lippen, als würde es ihr Schwierigkeiten berei ten. Und sie öffnete sie nur so weit, daß die Worte gerade noch hin durchschlüpfen konnten, nicht wei ter. „Geh fort, Lobo. Bitte geh. Ich weiß, daß sie dich töten werden." Das Halbblut blickte etwas ver wirrt auf das Mädchen. Sein Atem war ein flaches Zischeln in der Stille des Raumes, seine Stimme klang ge preßt und verhalten. „Du weißt, daß ich das nicht kann. Niemand kann vor sich selbst davonlaufen. Nie mand. „Sie werden dich töten", wieder holte sie. Lobo erwiderte nichts. Er stellte sich neben die Wand an der Tür. Die Geräusche der Stadt drangen nur schwach zu ihm. In der Küche knackte es. Laurie stieß einen klei nen, spitzen Schrei aus. Ein Luft hauch bewegte die Gardinen an den Fenstern. Der törichte Seufzer eines Mannes stand plötzlich inmitten der kleinen Halle. Carvetts leiser Ruf lö ste die angespannte Atmosphäre. Sie kamen durch die Küche. Jesse Moreen plumpste auf den Stuhl, auf welchem sonst Josua Ralleigh geses sen hatte. Sein Gesicht, schon vorher recht mitgenommen, sah bei Gott nicht zum Verlieben aus. Auch Car vett hatte ein paar Beulen am Kopf,
die er bisher nicht gehabt hatte. Die Schatten unter Moreens Augen sa hen aus wie runde, schwarze Löcher, Er gackerte vor sich hin wie eine Henne, die gerade ein Ei gelegt hatte. Er gackerte, ohne etwas direkt zu sa gen. Gene Carvett war wütend. Er war so wütend, daß er sich vor Moreen aufpflanzte, die Fäuste in die Hüften gestützt. „Sieh dir das an!" sagte Carvett wütend. „Er und dieses Miststück von einem Weib sind mit Keulen auf mich losgegangen." Er fuhr auf Mo reen los. „Hör endlich auf zu gackern. Das macht mich langsam krank. Aufhören, verflucht noch mal!" „Carvett", preßte der Anwalt her vor, es war ihm anzumerken, wie schwer ihm jedes einzelne Wort fiel, „dafür werden Sie teuer bezahlen, sehr, sehr teuer." Er schien erst jetzt das Halbblut zu bemerken. Sein zer schlagenes Gesicht rutschte vollends aus den Fugen. „Das hätte ich mir denken können." Er spuckte aus, ehe er seinen Gedanken freien Lauf ließ. „Carvett und das Halbblut. Aber deens Blutsauger. Das seid ihr doch." Carvett wälzte das Gehörte im Kopf hin und her. Der Zorn und die Schläge auf den Kopf schienen das bißchen Verstand vertrieben zu ha ben. Lobo stieß ihn zur Seite. „Laß das, Carvett." Der Marshal faßte sich nur sehr langsam. Lobo schob ihm einen Stuhl hin. „Setz dich und nimm erst mal einen Schluck." Er reichte Carvett eine Flasche. „Du hättest früher so gescheit re den sollen." Carvett nahm einen tie fen Schluck, wischte mit dem Hand rücken über den Mund und rülpste. „Das tat gut. Himmel, Moreen, versu chen Sie bloß keine neuen Tricks!" „Wie konnte das passieren, Gene?" Carvett quälte sich ein Grinsen ab. „Dieser Moreen", sagte er, „ist ein heuchlerischer, alter Schurke. Als ich kam, war er scheißfreundlich. Ich 25
mußte mich setzen. Kaum hatte ich Platz genommen und ihn gebeten, mir ein paar Fragen zu beantworten, bekam ich eins auf den Schädel. Nicht von ihm, von dieser pikfeinen und zarten Missis Moreen. Und dann fiel auch er über mich her." Carvett ruckte zu dem Anwalt herum. „Da für werde ich Sie einsperren, Mo reen. Dafür und für den Mord an Captain McGinnest." Jesse Moreen lachte. Es war ein Lachen, dem jegliche Freude fehlte. „Sie sind ja nicht mehr ganz richtig im Kopf, Carvett." Er versuchte, auf zustehen. Carvett gab Lobo ein Zei chen. „Hau ihm eins über den Schä del." „Er hat genug. Bleiben Sie sitzen, Mister Moreen." „Ist es denn soweit, daß ein Halb blut das Sagen hat?" Er stieß den Stuhl zurück. „Versuchen Sie nicht, mich daran zu hindern, den Raum zu verlassen. Weder Sie, Carvett, noch dieses Halbblut." „Der Kerl kann zaubern", knurrte der Marshal. Er starrte finster in die kleinen, runden Öffnungen einer doppelläufigen Derringer. Moreen ging rückwärts zur Tür. Zögernd, vorsichtig, wie eine Katze auf Mäusefang. „Ich hoffe, keiner von Ihnen ist dumm genug, eine un bedachte Bewegung zu machen. Sei en Sie sicher, ich werde schießen." „Wie weit wollen Sie denn kom men, Moreen?" „Weit genug!" „Sie kommen noch nicht einmal bis zur Tür", sagte Lobo. Sein Blick bohrte sich in Moreens zerschlagenes Gesicht. Er suchte dessen Augen. Hielt sie fest. Der Atem des Anwalts ging schwer, keuchend, ungleichmä ßig. Sein Gesichtsausdruck war der eines Mannes, der versuchte, stark zu sein. Moreen hob die rechte Hand et was. Die Mündung zeigte direkt auf Lobo. Die Hand war nicht ruhig. Lo bos Blick klebte immer noch gleich fest in Moreens Gesicht. Jetzt, dachte Lobo, jetzt wird er schießen. Mit einer blitzschnellen 26
Drehung schleuderte Lobo den vor ihm stehenden Stuhl dem Anwalt entgegen. Fast im gleichen Augen blick entlud sich die Derringer. Car vett schrie auf. Lobo schoß zurück, schnell und sicher. Jesse Moreen starrte auf seine rechte Hand. Erschrocken, ungläu big. Neben Lobo fluchte Gene Carvett. Er hatte einen Stiefel vom Fuß gezo gen. Durch eine Wollsocke sickerte Blut. „Der Kerl hat mich in den Fuß geschossen. Er hätte verdammt leicht meinen Kopf treffen können. He, Laurie, hast du ein bißchen was zum Verbinden?" Lobo und Carvett blickten sich gleichzeitig um. „Wo ist sie?" „Laurie!" rief Lobo. Sein Ruf ver hallte. Von seinem Platz her sagte Moreen: „Ich brauche den Doktor. Die Kugel hat meine Hand durch schlagen." „Sie bleiben", bestimmte Carvett. „Erst zum Arzt und dann heimlich verschwinden. Da wird nichts draus. Sie stehen unter Mordanklage, Mo reen. He, Lobo, such mal etwas zum Verbinden. Ich brauch auch was." Aus dem Schatten der schwachbe leuchteten, kleinen Halle kamen leichte Schritte. Laurie bewegte sich auf Moreen zu. Dicht vor dem An walt blieb sie stehen. In ihren schwarzen Augen flammten Haß und Leidenschaft. Ohne den Blick von Moreen zu nehmen, sagte sie: „Hätte Ihre Kugel das Halbblut ver letzt, hätte ich Sie getötet." Sie drehte sich herum. Ihre dunkle Haut war von durchscheinender Blässe. Sie legte einen schweren fünfundvierzi ger Coltrevolver auf den Tisch. „Ich werde Sie verbinden, Marshal." Carvett kratzte sich den Kopf. „Es gibt viele Dinge, in denen man sich täuschen kann. Am meisten aber wohl bei einer Frau."
Die Stadt hatte ihre Sensation. Sam Aberdeen, der sich auf seiner
Ranch aufhielt, ließ sich am Morgen zur Stadt fahren. Jim Aberdeen saß mit Matt Warren seit dem frühen Vormittag im Concho River Saloon. Etwas weiter unten, auf der gegen überliegenden Straßenseite, hockte Gene Carvett auf einem Holzstuhl auf der kleinen Veranda des Mar shal's Office. An der linken Seite sei nes Gürtels baumelte ein Schlüssel bund. Es waren große, schwere Schlüssel. Solche, wie man sie zum Abschließen von Gefängniszellen verwendet. Hinter Carvett bemühte sich eine Negerin, die Fliegenscheiße von den Fenstern zu waschen. Eine andere Frau, eine Mulattin, kämpfte gegen den Schmutz auf dem Fußbo den. Und Gene Carvett saß da und wartete. Einfach nur so. Von der Veranda des Concho River Saloons löste sich ein Mann. Es war ein großer Mann. Er trug keinen Hut. Die Sonne ließ sein helles Haar röt lich glänzen. Seine großen Füße zo gen eine breite Furche durch den Straßenstaub. Hundert verborgene Augenpaare verfolgten ihn. Er ging am Marshal's Office vorbei, drehte um und kam zurück. Seine hellblau en, wäßrigen Augen blinzelten zu Carvett hinauf. „Hallo, Gene." „Hallo, Jim. Verdienst du dein Geld mit Müßiggang?" „Wir treiben erst in acht oder zehn Tagen auf. Der alte Sam ist im Hotel. Geh doch mal zu ihm, Gene." ,,Geht schlecht, Jim. Der Doc hat mir eine Kugel aus dem Fuß ge schnitten. Hat der Alte denn Sehn sucht nach mir?" „Vielleicht, Gene. Er meinte, du seist doch ein ganz brauchbarer Marshal. Ich werd's ihm sagen, das mit der Kugel." Jim Aberdeen schlurfte davon. Carvett blickte ihm nach. Scheinhei liges Hurenpack, dachte er. Ein Priem spritzte über das Geländer der Straße. Er blickte zurück. „He, ihr zwei da drin. Ich bezahle euch nicht fürs Quatschen. Seid ihr bald fertig?" „Ja, Sir." „Okay, dann fort mit euch." 28
Hinter den blankgeputzten Fen stern erschien für einen kurzen Au genblick die hohe Gestalt Lobos. „Hast du es mitgekriegt?" fragte Carvett. „Jedes Wort." „Gut. Halte dich etwas zurück. Ich glaube, da kommt er schon." Gene Carvett hatte sich nicht ge täuscht. Groß und schwer und sehr massig, so wälzte sich Sam Aberdeen die Straße herunter. Carvett blieb ungerührt auf dem Stuhl sitzen. Hin ter dem alten Aberdeen bewegten sich Matt Warren und Jim Aberdeen. Sie hielten einen Abstand von guten fünf Schritten. Sam Aberdeen war kurzatmig. Er schwitzte. „Ich muß noch mal mit dir reden, Carvett." „Nur zu, Sam." Der Marshal zeigte auf die beiden Männer hinter dem alten Aberdeen. „Schick sie weg, Sam." „Wozu?" „Schick sie weg, wenn du mit mir reden willst." Sam Aberdeen starrte Carvett an. Seine wulstigen Lippen wurden ein dünner Strich. Seine Augen Ver rutschten im Kopf. Es waren bös blik kende Augen. „Bestimmst du, wer mich begleitet?" „Keineswegs. Ich wäge nur meine Chancen ab." „Ich will dich nicht umbringen, ich will mit dir reden, Mann." Aberdeen drehte sich um. „Ihr habt es gehört. Haut ab." Gene Carvett grinste zufrieden. „So ist's recht, Sam. Und nun rede mal schön." Sam Aberdeen stampfte die weni gen Stufen hoch. Carvett verließ sei nen Stuhl und humpelte hinter Aberdeen in das Office. Der große, schwere Mann fuhr wütend herum. „Du hast mich reingelegt, Carvett." „Sei nicht albern, Sam. Kein Mensch kann Tag und Nacht einen Gefangenen bewachen, seinen Pflichten als Marshal nachkommen und dabei einen Fuß pflegen, den ihm ein Halunke zerschossen hat.
Das Halbblut hilft mir lediglich bei der Bewachung. Stimmt's, Halb blut?" „Ja, Sir!" Lobo grinste ein bißchen. Sam Aberdeen blieb mißtrauisch. „Weshalb gerade den Halbindianer? Das kann Warren übernehmen." „Schick mir lieber Gaston Ellis, Sam." Ihre Augen starrten sich an. Sie blieben ein paar endlos lange Se kunden ineinander verklammert. Der alte Aberdeen senkte als erster den Blick. „Nein", sagte er, „nein, Carvett, so kommen wir nicht weiter." „Nein? Wie weit willst du denn kommen, Sam?" Sam Aberdeen schnaufte kräftig. „Hör mal zu, Carvett: Du warst in Ordnung. Die Stadt war in Ordnung. Alles war in Ordnung, bis dieses Halbblut kam. Ich hab dir's schon mal gesagt, schick ihn weg. Sag ihm, er soll verschwinden. Du weißt, ich mag keine Halbindianer. Und schon gar keine, die herumschnüffeln." Carvett drehte sich zu Lobo herum. „Hast du das gehört? Na, was ist, willst du abhauen?" Carvett zuckte mit den Schultern. „Er will nicht, Sam. Was soll man da machen?" Sam Aberdeen blieb überraschend ruhig. Zu ruhig. Seine fest aufeinan dergepreßten Lippen lösten sich. Sie wurden wieder wulstig. Er versuchte sogar ein Lächeln. „Du bist Marshal, Carvett. Was wirfst du denn Moreen vor?" „So allerhand." Carvett zeigte auf seinen Kopf und auf den zerschosse nen Fuß. „Das da, Sam. Und viel leicht einen kleinen Mord an Captain McGinnest. Ich denke, das wird für den Strick reichen." „Hm. Hast du schon nach dem Richter geschickt?" „Ich habe eine Depesche aufgege ben. Die Zeit läuft nicht davon, und Moreen auch nicht. Was meinst du, Halbblut?" „So wird es sein, Marshal." Aberdeen blickte auf Lobo hinab, der in unveränderter Haltung auf dem Boden saß. Sie starrten sich ge
genseitig an. In ihren Blicken war je ne tiefe Feindschaft, die seit ihrer er sten Begegnung schon da war. Sie wußten es beide, und sie wußten, daß sie sich eines Tages entladen würde. Aberdeen wandte sich wieder Car vett zu. Er gab sich viel Mühe, seine Gefühle und seine Gedanken zu ver bergen. „Du hast doch nichts dage gen, wenn ich mal zu Moreen rein schaue, Carvett?" Der Marshal zuckte mit den Schul tern. „Warum sollte ich? Es steht je dem Gefangenen zu, Besuche zu empfangen. Geh nur, Sam." Er öffne te vor Aberdeen die Tür und schloß sie hinter ihm wieder ab. Sein Blick suchte Lobo. „Na?" „Er wird mit Moreen einen Handel abschließen", meinte Lobo. „Glaubst du?" „Wenn Moreen Captain McGinnest wirklich erschossen hat, ist Aber deen seine einzige Chance." „Da bin ich nicht so sicher. Aber deen und Moreen mochten sich noch nie leiden. Ich glaube sogar, sie haß ten sich." „Moreen hat McGinnests Besitzur kunde, und ich glaube, Aberdeen weiß das. Er muß sie haben. Weshalb wollte er sonst so schnell verschwin den? Er allein hat doch die Möglich keit, McGinnests Weideland zu ver kaufen, vor Ablauf eines Jahres." Carvett riß die Augen auf. Er glotzte Lobo an. Nicht sehr geist reich, eher ein bißchen blöd. „Du bist schon ein scharfsinniger Halun ke, Halbblut. Möglich, daß du recht hast. Möglich auch nicht. Irgend wann wird sich das herausstellen." Aberdeens gewaltige Stimme er schütterte das Office, sie ließ die Wände beben. „Mach auf, Carvett!" „Am liebsten", sagte der Marshal, „würde ich ihn da drinnen schmoren lassen." Er verwechselte den Fußbo den mit einem Spucknapf. „Ich ahne schwere Zeiten, Halbblut, höllisch schwere Zeiten." Sam Aberdeens fettes Gesicht strahlte eine stille Zufriedenheit aus, vielleicht auch ein wenig Genugtu 29
ung. „Er sieht schlimm aus. Warst du das, Carvett?" „Deine Wolfshunde, Sam. Ich habe nur ein bißchen nachpoliert. Das ge fällt dir doch?" Der alte Aberdeen erwiderte nichts. Sein Blick ging an Carvett vorbei. Er traf Lobo, hart und wuch tig. „Halbblut", sagte er, seine Stim me war tief und inbrünstig und satt, „dein Kopf steckt voller Unheil. Ich weiß das. Ich werde es herausquet schen. Vielleicht heute, vielleicht morgen, aber ich werde es heraus quetschen." Sie sahen ihm nach, wie er über die Straße ging. Stark und selbstsicher, voller Kraft. Ein herrschsüchtiger, brutaler Mann, der nichts gelten ließ, außer sich selbst.
In der Luft lag der Geruch von Staub und Hitze. Der glühende Ball der Sonne verkroch sich allmählich hinter den fernen Guadalupebergen. Über die von Austin herüberführen de Poststraße rumpelte die Postkut sche. Auf den Leibern der sechs Pferde lag dicker Staub, in den der Schweiß kleine Furchen gegraben hatte. Lobo saß am Rande einer kleinen Fichtengruppe, welche die Holzfäller vergessen hatten zu schlagen. Vom Fluß herauf wehten dünne Nebel. Vor ihm, auf einer Hügelkuppe, er streckte sich Sam Aberdeens Ranch haus. Gewaltig, massig, wie der Mann selbst. Eine weitausladende Senke zog sich bis zu den bewaldeten Hügeln hinüber. Sie war vollgestopft mit Rindern. Die Postkutsche war in die Main Street von San Angelo eingebogen. Ein sanfter Wind spielte mit dem fei nen Staub, den Räder und Pferdehu fe aufgewirbelt hatten. Durch das breite Tor der Aberdeen Ranch kam ein Reiter. Er ritt die kleine Fichtengruppe an. Nicht sehr eilig, aber stetig. Er saß lässig im Sat tel. Der Hut hing ihm weit im Ge 30
nick. Lobo blieb ruhig sitzen. Er saß noch so, als der Reiter vor ihm an hielt. Jim Aberdeen. Er war das Eben bild des alten Sam. Er hatte nur we niger Speck am Bauch, aber das glei che selbstzufriedene und beschissene Grinsen im Gesicht wie der Alte. Er sah auf Lobo hinab, wie man auf ein Stück Dreck hinabsieht. „Du befindest dich auf fremder Weide, Halbblut." Lobo zog die Lider hoch. Sein Blick traf Jim Aberdeen. Es war nichts Be sonderes in diesem Blick. Einfach nur ein ganz gewöhnlicher Blick. „Deine Weide, Aberdeen?" „Meine Weide. Hau ab, Halbblut. Geh zu deiner kleinen schwarzge tupften Nutte. Sie ist gut im Bett, was?" Jim Aberdeen lachte ein ein fältiges Lachen. Lobo stand langsam auf, so lang sam, als hätte er Gliederschmerzen. „Steig ab, Aberdeen", sagte er kalt. Für einen kurzen Augenblick war der große Mann im Sattel über rascht. Ein Grinsen überzog sein grobflächiges Gesicht. „Du redest mir aus der Seele, Halbblut." Lobo stand da, die Arme herab hängend, den Blick verschleiert. Er stand da wie ein Mann, der darauf wartet, daß ihm ein anderer die Faust ins Gesicht schlägt. Jim Aberdeen dachte das. Ohne Ansatz schlug er zu. Hart, gewaltig, gezielt. Lobo drehte den Kopf etwas zur Seite. Aberdeens Faust zischte an ihm vorbei. In dem Schlag war soviel Kraft, daß Jim Aberdeen nach vorn taumelte. Genau in Lobos Rechte. Der große Mann bekam glasige Au gen. Lobo war nicht gewillt, diesem Mann eine Chance zu geben. Er dachte an den stinkenden Bastard, an die schwarzgetupfte Nutte. An die miesen Beschimpfungen, die aus reichten, um einem Mann wie Jim Aberdeen das Maul zu stopfen. Die Fäuste des Halbblutes Wirbel
ten Jim Aberdeen entgegen, bis er zu Boden ging. Der große, unbezwingbare Jim Aberdeen lag vor Lobo. Er rang nach Luft. Lobo blickte auf seine Fäuste. Die Knöchel waren aufgeplatzt. „Steh auf", sagte er, „steh auf, oder ich komme über dich." Jim Aberdeen stützte sich auf die Knie. Er drückte sich mit den star ken Armen, die jetzt nachgiebig wa ren wie Gummi, vom Boden ab. Seine Knie zitterten, sie hatten kaum die Kraft, den massigen Körper zu tra gen. Er stand da, zittrig und scheu. Ein geschlagener Mann mit glasigen Augen. „Aberdeen", sagte Lobo, „du glaubst, du bist eine harte Nummer, aber du bist es nicht. Du bist ein arm seliges, kleines Schwein und kaum von einem Misthaufen zu unter scheiden." Lobo spuckte vor Jim Aberdeen aus. Er nahm seinen Fal ben, stieg in den Sattel und sah noch einmal auf den jungen Aberdeen hin ab. „Das war eine Lektion, die du studieren solltest. Eine zweite Lek tion gibt es nicht." Lobo ließ einen Mann zurück, in dessen Tiefen der Haß brodelte. Ein Haß, der keinen Zoll mehr von Mord entfernt war. Sie würden wieder aufeinanderprallen. Irgendwo, sehr bald. Das Halbblut hatte diesen Mann gedemütigt, ihn geschlagen. Das würde kein weißer Mann ver gessen, und ein Jim Aberdeen schon gar nicht. Die Dunkelheit kam und mit ihr die vielen Geräusche, die ein sinken der Tag hervorbringt. Das Licht ei nes freundlichen Mondes lag still über dem Land. Aus den Nachtberei chen kam der eintönige Gesang eines Cowboys. Das Wasser des Concho River glitzerte silbern. Es war still. Alles sah so friedlich aus. Lobo dachte an San Angelo. An die Stadt, von der Captain McGinnest einmal behauptet hatte, es sei eine gute und ruhige Stadt. Er dachte an Sam Aberdeen, der diese Stadt be herrschte, an jene Männer, deren Job 31
das Töten war. Auf Lobos harten Zügen erschien ein Lächeln, als seine Gedanken bei Laurie anlangten. Und es verwisch te, als er an Gene Carvett dachte, einen von Sam Aberdeen gemachten Marshal. Der glimmende Funke des Mißtrauens gegen Carvett kam in Lobo nicht zum Erlöschen. Carvett hatte die Seiten gewechselt. Aber hatte er das wirklich? Vieles sprach dafür, vieles, aber doch nicht alles. San Angelo war in gleißende Hel ligkeit getaucht. Lärmende Men schen erweckten den Eindruck freu diger Lebendigkeit. Aus dem Lone Star Saloon drang das schrille La chen aufgeputzter Freudenmädchen, das brünstige Röhren aufgeheizter Männer. Lobo hielt vor dem Marshal's Offi ce an. Im Hause brannte ein einzel nes, schwaches Licht. Carvett saß auf einem Stuhl. Das verbundene Bein hatte er auf den Tisch gelegt. Der ganze Raum lag unter einem Schleier stinkenden Tabakqualmes. Der Marshal grinste Lobo durch den Qualm hindurch entgegen. „Na, großer Häuptling, mal etwas Dampf abgelassen? Ich dachte immer, ich sei nur verrückt, aber du bist es auch." Er nahm das Bein vom Tisch und humpelte herum. „Das hat noch kei ner geschafft, und versucht auch noch nicht. Du hättest Jim erschie ßen sollen. Das wäre klüger und wir kungsvoller gewesen. Aber so?" Car vett zuckte mit den Schultern. „Du bist jetzt schon so gut wie tot, Lobo. Und ich fühle mich auch schon als Leiche." „Du quatschst, als hättest du dir den Bauch voll Whisky gesoffen." „Hab ich auch." Carvett kicherte. „Ein freundlicher Mann hat mir zwei Flaschen spendiert. Er ist heute abend mit der Postkutsche gekom men, von weit her, Halbblut, von sehr weit her." Lobo spitzte die Ohren. „Von wo, Carvett?" „St. Louis." Lobo setzte sich. Er sah zur Tür, 32
hinter der die Gefängniszellen lagen. „Hat er mit Moreen gesprochen?" „Er hat nur mal kurz reingeschaut. Ein ziemlich speckiger Knabe, sag ich dir. Und er ist nicht allein. Naja, mir soll's egal sein." Carvett setzte die Flasche an den Mund und schluckte. „Willst du auch?" Lobo wehrte ab. „Wo ist er jetzt?" „Sie wollten beide ein Hotel aufsu chen. Wahrscheinlich im Liberty, vielleicht auch im First City Hotel. Und wenn sie der Teufel reitet, bei Laurie." Lobo ging zur Tür. Carvetts Ruf holte ihn dort ein. „Ich bin nicht be trunken genug, um nicht zu wissen, was draußen los ist, Halbblut. Ich an deiner Stelle würde nicht so sorglos herumlaufen. Jim Aberdeen hat Warren und Morgan mit in die Stadt gebracht. Der alte Sam sitzt in sei nem Zimmer vor dem Fenster und beobachtet die Straße. Sie wissen längst, daß du zurück bist. Ja, und da ist noch jemand!" Lobo ging zwei Schritte zurück. Carvett grinste. Er drehte sich her um und fiel auf den Stuhl zurück. Lobo beugte sich halb über ihn. Car vetts Schnapsatem schlug ihm ins Gesicht. „Gaston Ellis", sagte der Marshal knapp und sehr nüchtern. „Er sucht nach dir, und das ist verdammt kein Spaß." „Wo ist Ellis?" „Irgendwo in der Stadt. Hör zu, Lo bo, nicht jetzt, nicht heute, verstehst du? Ich habe zuviel Schnaps ge schluckt, und mein Fuß ist auch noch nicht in Ordnung. Wenn der Teufels tanz losgeht, will ich dabei sein. Ist das klar?" Marshal Carvett wurde ganz plötzlich munter. „Es ist mein Job, verstehst du? Du schuldest nie mandem etwas. Weder mir noch Ka thy. Auch Laurie nicht. Geh jetzt, und kümmere dich um das Mädchen. Dieser McGinnest und der andere Bursche, dessen Namen ich verges sen habe, sehen aus wie zwei lüster ne Tagediebe. Wenn sie wirklich in Ralleighs Hotel abgestiegen sind,
und Laurie ist allein, na, ich weiß nicht. Das Mädchen wird sich nicht sehr wohl dabei fühlen." Carvett klopfte auf den Griff seines Revol vers. „Geh schon, Mann, ich kann gut auf mich aufpassen."
Sie waren in Ralleighs Hotel. Sie saßen in der kleinen Halle. Eine Whiskyflasche stand auf dem Tisch. Laurie hantierte in der Küche. Als die Tür hinter Lobo zuklappte, stand der ältere der beiden Männer auf. Er war sehr groß und sehr hager. Sein Gesicht war schmal, fast kno chig. Die Augen lagen so tief zurück, daß man nach ihnen graben mußte. Es waren kalte, stechende Augen und von tiefem Schwarz. Der schlottrige Körper steckte in einem schwarzen Anzug. Die Jacke war of fen. Sie reichte bis fast zu den Knien hinunter, und sie war abgewetzt und speckig. Um den eingefallenen Bauch hing ein mit Patronen ge spickter Gürtel. An der linken Hüfte, sehr tief und sehr auffallend, ein Coltrevolver. Das Lächeln, das der Mann Lobo zeigte, war so abgewetzt wie seine Jacke. „Ich bin Lester McGinnest", sagte er mit einer Stimme, die so trocken und tonlos war wie der heiße Wind in den Llanos Estacados. „Sie sind si cher Lobo, das Halbblut, nicht wahr?" Das Lächeln verwischte. „Ich hörte von Ihnen." Er sank in den Ses sel zurück. Mit einem kurzen Nicken zu dem zweiten Mann hin sagte er: „Das ist Kenneth Orbie. Er hat mich auf der langen Reise begleitet." Orbie sagte nichts. Er saß nur da, blickte auf den Boden und beschäf tigte sich mit seinen Gedanken. McGinnest machte eine einladende Bewegung mit der rechten.Hand. Die Linke hielt er sehr nahe am Revol vergriff. „Holen Sie sich einen Stuhl und setzen Sie sich zu uns, Lobo." „Weshalb?" Das war das erste Wort, das Lobo
gesprochen hatte. Orbie zog die Brauen hoch. McGinnest sagte: „Weil ich will, daß Sie sich zu uns set zen." Lobo schüttelte den Kopf. „Viel leicht später, McGinnest. Ich habe doch Ihren Namen richtig verstan den?" Orbie und McGinnest wechselten einen schnellen Blick. Orbie öffnete die Lippen gerade so weit, um ein paar Worte hindurchschlüpfen zu lassen. „Du strapazierst unsere Ge duld, Halbblut." Lobo blieb kühl. Er lächelte jenes freudlose Lächeln, in dem so ziemlich alles fehlte. Orbies Worte enthielten eine unausgesprochene Drohung. Sie beeindruckten Lobo nicht einmal so weit, um seine Ohren zittern zu las sen. „Ich werde Sie wissen lassen, wenn ich mich zu Ihnen setze, McGinnest. Auch Sie, Orbie." Er drehte sich um und ging mit schnellen Schritten zu Laurie hinüber, die an der Küchen tür stand. „Hast du den beiden Gent lemen ein Zimmer vermietet, Lau rie?" Der Blick des Mädchens war ge hetzt. In ihren schönen schwarzen Augen glitzerte es feucht. „Was sollte ich machen?" „Schon gut. Du gehst besser auf dein Zimmer und schließt dich ein." „Halbblut!" Der Anruf kam von McGinnest. Lobo blieb eine Sekunde lang steif stehen, dann drehte er sich langsam herum. Sein Blick kreuzte sich mit dem des großen, hageren Mannes. „Ich sagte bereits, ich habe einiges von dir gehört. Und wenn ich man ches recht verstanden habe, steckst du bereits mit einem Fuß in der Gru be. Paß auf, daß nicht auch der zwei te hineinrutscht." „Ich werde aufpassen, Mister McGinnest." Er zog den Namen in die Länge wie ein Gummiband. „Um so besser." McGinnest ruckte herum. „Bekommen wir jetzt ein Es sen, oder soll ich dir erst die Ohren langziehen, du kleine, farbige Hexe?" 33
„Ja, Sir", erwiderte Laurie schwach. Ihr Blick suchte Lobo. Der nickte. „Bring es ihnen." Er folgte Laurie in die Küche. Sie hielt ihn am Arm fest. „Laß mich nicht allein, Lo bo. Ich habe Angst. Es sind zwei schreckliche Männer. Bitte, laß mich nicht allein." „Ich bin gleich zurück, Laurie." Carvett saß wieder auf dem Holz stuhl. Sein verbundener Fuß ruhte auf der Tischplatte neben einer halbleeren Whiskyflasche. „Ich habe mir gedacht, daß du noch mal kommen würdest", sagte er. „Sind die beiden Vögel etwa bei Lau rie abgestiegen?" „Sind sie. Carvett, du hast doch Captain McGinnest gekannt. Ist es möglich, daß ein Mann wie er einen solchen Bruder haben kann?" „Möglich ist alles. Aber glauben tue ich es nicht." „Wer ist dieser Mann, was will er?" Carvett griff nach der Flasche. „Da kann man nur mit den Augendek keln klappern und raten." „Dann rat mal." Der Marshal zog den Fuß vom Tisch. „Der Doc will morgen nachse hen. Die Kugel hat den Knochen nicht verletzt. Ja", er schabte sich über das Kinn, „ich denke, ich werd' mal Moreen fragen. Mit Herumraten kommen wir nicht weit." Carvett humpelte zur Tür. Er stieß sie auf. Jesse Moreen lag auf der Pritsche, das Gesicht Carvett zugewandt. Im Schein der trübe brennenden Lampe sah es gelb aus, eingefallen, unge sund. „Lassen Sie mich endlich raus, Carvett", sagte er mürrisch. „In die ser gottverfluchten Zelle komme ich mir vor wie eine einbalsamierte Lei che." „Vielleicht sind Sie schon eine. Sie wissen es nur noch nicht." Carvett kicherte. Das tat er in letzter Zeit oft. Doch dann riß das Kichern ab. Seine dunklen Augen blickten wieder wild. Er drückte sein zernarbtes Gesicht gegen die Gitterstäbe. „Sagen Sie, Moreen, haben Sie diesen McGinnest 34
früher schon mal gesehen?" Der Anwalt setzte sich auf. Seine lebhaften hellen Augen glitten von Carvett zu Lobo und wieder zurück. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Es konnte auch Spott sein. „Jetzt flattert Ihnen wohl was, Carvett. McGinnest wird Ihnen einheizen, und dem Halbblut auch." „Hat er Ihnen das gesagt? Sie ha ben meine Frage noch nicht beant wortet, Moreen." „Gehen Sie zum Teufel!" Der An walt warf sich auf die Pritsche und drehte Carvett den Rücken zu. Im Office sagte der Marshal: „Irgend was stinkt, und es sind gewiß nicht meine Füße. Ich kann nur hoffen, daß Aberdeen eine Weile stillhält." „Wie lange, Carvett?" fragte Lobo. In den Augen des Marshals lag ein seltsamer Ausdruck. „Wie lange?" fragte er zurück. Er faßte die Whiskyflasche am Hals. „Ich sollte sie dir auf den Schädel schlagen, Halbblut." Carvett stellte die Flasche zurück. „Mißtrauen ist eine schlimme Sache. Was berechtigt dich dazu?" „Aberdeen hat dich ganz schön ge füttert. Als einer seiner Killer mich umbringen wollte, hast du mich dar an gehindert, ihn zu erschießen. Darüber habe ich nachgedacht." Marshal Carvett nahm seine Hän de vom Tisch. Er verschlang sie ineinander. Lobo hörte das Knacken der Finger. „Ich habe auch nachgedacht, Halb blut. Über dich und über mich und über das, was du mir gesagt hast, als sie Kathy erschossen. Es gibt Dinge im Leben eines Mannes, über die er leicht stolpert, und es gibt Dinge, die ihn aufschrecken. Du hast mich auf geschreckt. Wenn du immer noch glaubst, dich selbst mit Mißtrauen vergiften zu müssen, dann ist es bes ser, du verschwendest deine Zeit nicht mehr in San Angelo." „Ja", sagte Lobo, „dann wollen wir hoffen, daß Aberdeen noch eine Wei le stillhält. Jetzt kannst du mir einen
Frl. E B aus Schweiz schrieb uns:
Bremgarten
in
der
„Ich bin sechzehn Jahre alt und ein be geisterter RONCO-Fan. Diese Serie lese ich seit gut einem Jahr. Anfangs las ich so ziemlich alles. Das hat sich nun geän dert, seit ich auf RONCO gestoßen bin. Nun lese ich nur noch RONCO. Die LOBO-Serie, sowie RONCOS Tage buch lese ich seltener. Am besten ge fielen mir bisher die Nummern 138 bis 141 der 2. Auflage. Ein ganz großes Lob möchte ich dem Fo rum äußern. Es ist gut, daß die Leser sich beteiligen können, indem sie ihre Mei nung sagen können. Allerdings könnte ich mich schwarz ärgern, wenn ich manch mal die geradezu unmöglichen Kritiken an RONCO und der Redaktion lese. Unerhört finde ich es, was Herr E im Heft 275 von sich gegeben hat. Das ist der Gipfel. Ich glaube nicht, daß er mit seinen Zeilen echte RONCO-Fans davon abbringen kann, diese Serie zu lesen. Ich hoffe, daß Sie, liebe Redaktion, so weiter machen. Damit sich die Leser noch lange über diese Reihe freuen kön nen. Ich hätte noch zwei Fragen: Wie lautet die genaue Adresse des Leserdienstes? Wie verhält es sich mit einem RONCO-/ LOBO-Poster?" Unser Leserdienst, zuständig für Abonne ments, Nachbestellungen, die Bestellung von Sammelmappen und auch dann hilfsbereit, wenn in einigen Orten RONCO und LOBO zu unregelmäßig an die Zeitungsläden gelie
fert werden, ist unter folgender Adresse zu erreichen: ERICH PABEL VERLAG/Leserdienst Pabelhaus/Postfach 7550 Rastatt/Baden RONCO-Poster gibt es nicht mehr, wird es nicht mehr geben. Leider! Die Gründe haben wir mehrfach im Forum genannt. Wir be dauern das selbst sehr.
ALTE FORTS — V. Eines der bekanntesten Forts in der amerika nischen Pionierzeit — und das nicht nur we gen seines Namens — ist zweifellos Fort Abraham Lincoln in North Dakota. Dieses im Sioux-Gebiet gelegene Fort galt zudem zu seiner Zeit als eines der am besten ausge statteten Militärposten im amerikanischen Westen. Diese Behauptung ist mit Vorsicht zu genießen, angesichts der jämmerlichen Quar tiere, die die US Armee ihren Besatzungen während der Pionierjahre anboten. Die Dürf tigkeit der meisten Armeeposten sorgte für Bescheidenheit bei den Ansprüchen, selbst unter den Offizieren. Elisabeth Custer, die Witwe George Armstrong Custers, durch den Fort Lincoln berühmt wurde, war bereits zu frieden — wie sie in ihren Memoiren schreibt — daß die Offiziersunterkünfte hell und freundlich waren. Wahrscheinlich war das Lob, das die Besat zung dem 1872 errichteten Fort zollte, auch darin begründet, daß Fort Lincoln unmittelbar an der Eisenbahnlinie nach Bismarck, der
Hauptstadt North Dakotas, und am Missouri lag, so daß erstens Eisenbahnen und zweitens Flußschiffe regelmäßig Halt machen konnten und im Fort ein lebhaftes Kommen und Ge hen herrschte, so daß auch Handel und Wan del über den Militärposten liefen. Das alles bot den Soldaten Abwechslung und Anre gung neben dem täglichen Einerlei des Dien stes. Andere Armeeposten waren in der Re gel durch ihre Lage von jeglicher Zivilisation isoliert. — Bereits während der Bauzeit wurde Fort Lincoln mehrfach von Indianern attackiert. 1873 erfolgten dreimal schwere Kämpfe in der Nähe des Forts, ebenso 1874. Zu diesem Zeitpunkt war bereits Lieutenant Colonel Cu ster und der größte Teil der 7. Kavallerie hier stationiert. Custer war Kommandant von Fort Lincoln. Von hier aus unternahm er die verhängnisvollen Expeditionen in die Black Hills und die provozierenden Märsche quer durch das Indianerland. Fort Lincoln war ge wissermaßen das militärische Tor ins Land der Sioux und Cheyennes. Daß man die 7. Kavallerie hier stationierte und Custer das Kommando beließ, zeigt, welche wichtige Rolle die militärische Führung Custer ein räumte. Dies steht im Gegensatz zu den Be hauptungen vieler sogenannter Historiker, die dem Indianerjäger Custer häufig seine militä rischen Ränge und Aufgaben absprechen wol len. Wie aus den offiziellen Unterlagen der 7. Kavallerie hervorgeht, war Custer nicht nur alleiniger Kommandant von Fort Lincoln, er war über einen langen Zeitraum hinweg auch alleiniger Kommandant der 7. Kavallerie,
da zeitweise kein Colonel (Oberst) für das Regiment zur Verfügung stand. — Das Fort war ursprünglich zur Unterbringung von 6 Kompanien gebaut und hatte Ställe für 600 Kavalleriepferde. Vor der letzten großen Aktion gegen die Sioux im Sommer 1876 war fast die gesamte 7. Kavallerie, also 12 Kom panien, hier stationiert. Von hier aus zog Custer zum Little Big Horn und wurde dort vernichtend deschlagen. Fort Lincoln geriet spektakulär in die Schlagzeilen. Die überle benden der mörderischen Schlacht aus den Einheiten von Major Reno und Captain Ban teen, wurden per Dampfschiff nach Fort Lin coln ins Lazarett gebracht. — Das Haus des Kommandanten, fortan als „Custer-Haus" bekannt, w u r d e wie ein Museum erhalten. Das blieb auch so, als das Fort 1891 endgültig geräumt" wurde, weil die Besiedelung dieses einst so umkämpften Gebiets abgeschlossen war und kein militärischer Schutz mehr be nötigt wurde. Aber am 1. Dezember 1894 fuhren 100 Siedler aus der Umgebung in den verlassenen Posten und rissen fast alle Häu ser des Forts, auch das „Custer-Haus" ab, um das Material für den Bau eigener Hütten zu verwenden. Noch heute findet man hier und da Balken, Türen und Fensterrahmen aus dem legendären Fort in den Häusern rings um die Stadt Bismarck. Das war das Ende von Fort lincoln. Bis zur nächsten Woche! Ihre RONCO-/LOBO-Redaktion
Der Exerzierplatz von Fort Abraham Lincoln, Nord-Dakota, ca. 1880.
Archiv D. Kügler.
chen Augenblicke, wo jedes unbe dachte Wort, jede Bewegung zur Ka tastrophe führen konnte. Und so standen sie nur und starrten sich an. Es war ein schöner Morgen. Sehr Schließlich brachte McGinnest ein ruhig und sehr friedlich. Die Luft müdes Grinsen auf sein Gesicht. war mild und die Hitze noch er „Moreen ist mein Anwalt. Ich muß träglich. Und dann änderte sich alles. ihn sprechen. Ist das verständlich, Es brauchte dazu nur wenige Augen Marshal?" blicke. Nicht etwa, daß Sie Sonne „Gewiß!" nicht mehr schien, daß Wolken den „Dann gehen Sie zur Seite!" Himmel verfinsterten. O nein. Die Orbie stand noch immer Sonne war wie vorher, die Luft ein amKenneth Fuß der Treppe. Er stand da, als wenig wärmer, die Hitze steigend. Es hätte er schon ewig dagestanden. waren einfach nur die Männer, deren Lobo hatte die Sonne im Rücken. Anwesenheit einen Hauch von Un Sein Schatten fiel über Orbie. Car heil verbreitete. vetts und Lobos Blicke trafen sich. Sie kamen von Ralleighs Hotel. Sie Der Marshal gab die Tür frei. „Gehen schleiften ihre Füße durch den Sie nur hinein, McGinnest." Staub, so daß kleine Wölkchen auf Drinnen schloß Carvett die Tür stiegen, die ein sanfter Wind ver zum Gefängnistrakt auf. Jesse Mo wehte. Vor dem Marshal's Office reen stand an den starken Eisengit rüttelten sie sich etwas zurecht. tern. Er sah aus wie ein ungewasche Nicht sonderlich, kaum auffallend, ner Beutelbär. „Sie haben mich lange und doch genug, um auf ihre Absicht warten lassen, McGinnest." schließen zu lassen. „Sie mich auch." Er drehte sich zu Sam Aberdeen saß vor dem Fen Carvett herum. „Schließen Sie auf, ster im ersten Stock des Liberty Ho Marshal." tels. Auf der Veranda hatten es sich Der Anwalt wirkte jetzt erheblich Jim Aberdeen und Matt Warren be lebendiger. „Sind Sie taub, Carvett? quem gemacht. Gegenüber, im Mister McGinnest hat gesagt, Sie sol Schatten eines überdachten Gehstei len aufschließen." ges, lümmelten Gaston Ellis und Carvett streifte Moreen mit einem Morris Morgan herum. müden Blick. McGinnest sagte: „Was Unter der Tür des Marshal's Office immer Sie gegen Mister Moreen auch stand Gene Carvett. Groß und steif vorbringen, es ist haltlos und ent und sehr gerade. In seinem zernarb spricht nicht den Tatsachen. Lassen ten Gesicht bewegte sich kein Mus Sie ihn heraus." kel. Seine dunklen Augen blickten „Meinen Sie? Ich bin da anderer über die beiden Männer hinweg. Die Ansicht. Er bleibt drinnen, bis der Straße hinunter, über die sehr gelas Richter kommt." sen und ohne jede Eile das Halbblut „Glauben Sie das wirklich, Car kam. vett?" McGinnest hüstelte wie ein Lester McGinnest setzte einen Fuß lungenkranker Medizinmann. „Sie auf die zum Office führende Treppe. sind ein einfältiger Narr mit dem Es sah aus, als hätte er Mühe, sie zu Verstand eines Ochsen. Nur Ihr Kopf überwinden. Er zog den zweiten Fuß ist kleiner." nach, bis er fast gegen Marshal Car Gene Carvett reagierte um den vett prallte. Bruchteil einer Sekunde zu spät. „Weiter geht's nicht", sagte Car Hart und sehr nachdrücklich bohrte sich McGinnests Revolverlauf in sei vett. McGinnest tippte dem Marshal vor nen Bauch. „Haben Sie immer noch die Brust. „Doch. Gehen Sie zur Sei nicht begriffen, Marshal?" te." Das war einer jener empfindli „Doch. Jetzt schon."
Schluck geben, Gene."
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Draußen stieß Lobo den bewe gungslos verharrenden Orbie etwas zur Seite. „Du bleibst hier", sagte Orbie. Sei ne Stimme war dünn und der Revol ver in seiner Faust so eindrucksvoll wie eine Todesanzeige in der San Angelo News. Lobo spürte viele Blicke in seinem Rücken. Die der beiden Männer auf der Veranda des Liberty Hotels und die von Gaston Ellis und Morris Mor gan. Sam Aberdeens hämisches Grinsen sah er deutlich vor sich. Lobo stand mit hängenden Armen. In der aufgeheizten Atmosphäre war jede winzige Kleinigkeit von Bedeu tung. Jede Bewegung konnte eine tödliche Reaktion hervorrufen. Lobos Augen waren fast ganz ge schlossen. Durch einen schmalen Spalt hindurch sah er Orbie an. Ihm wurde bewußt, daß dieser Mann den Revolver nicht zum Spaß auf ihn ge richtet hielt. Er sah das Glitzern in Orbies grünen Augen, die so kalt blickten, wie nur die Augen eines Killers blicken konnten. Er wägte seine Chancen ab, und er erkannte, daß es keine gab. Jesse Moreen trat als erster durch die Tür des Marshal's Office auf die Veranda. Er blinzelte gegen die Son ne, deren fast senkrechte Strahlen ihn blendeten. Hinter ihm kam McGinnest. Er sah sich mit einem ge lassenen Lächeln des Behagens um. Jim Aberdeen und Matt Warren lö sten sich von der Veranda des Liber ty Hotels. Moreen drückte sich an die Wand. Seine grauen, lebhaften Au gen begannen zu flattern. Ein ge hetzter Ausdruck beherrschte sein Gesicht, als Ellis und Morgan an rückten. Lobo sah zur Tür. Er erwartete Ge ne Carvett. Aber der Marshal kam nicht. McGinnest sagte, Lobos Blick folgend: „Er ruht sich etwas aus. Du bist allein, Halbblut." Jesse Moreen begann zu schwitzen. Seine Stimme glich dem heiseren Bellen eines Hundes. „Das ist eine gottverdammte Falle, 38
McGinnest! Los, Mann, wieder rein!" Mit einem schnellen Sprung brachte sich der Anwalt in Sicher heit. Auf der Straße begann ein Re volver zu krachen. Orbie hechtete zur Seite. McGin nest war mit einem Satz hinter der Hausecke verschwunden. Lobo warf sich auf den Boden. Kenneth Orbie zog zwei-, dreimal den Stecher durch. Lobo spürte den heißen Atem der Geschosse. Er rollte zur Seite und brachte die Hand mit dem Army Colt hoch. Seine Kugel riß Orbie von den Beinen. Der schmale, fast zierlich wirken de Mann versuchte im Fallen, den Revolver noch einmal abzudrücken. Eine zweite Kugel, die jemand ande rer als Lobo abgefeuert hatte, traf ihn. Kenneth Orbie starb, noch ehe er ausgestreckt im Staub lag. Die Sonne schien grell in sein totes, gelbes Ge sicht. Jim Aberdeen und Matt Warren schossen ihre Revolver leer. Der alte Sam hatte jetzt seinen Platz auf der Veranda des Liberty Hotels. Morgan und Ellis kehrten überraschend um. Die Entfernung zwischen Lobo, dem jungen Aberdeen und Warren war für einen gezielten Revolver schuß zu groß. Ein irres Lachen roll te die Straße herunter. Dann war alles still und leer. Tot. So tot, wie Kenneth Orbie war, des sen grünen Augen weit aufgerissen gegen die Sonne starrten, und die er doch nie mehr sehen würde. Lobo stieß sich vom Boden ab. Ge duckt rannte er zum Office zurück. Er prallte auf den Anwalt, der jetzt aussah, als hätte er eine ganze Woche nicht geschlafen. „Carvett!" „Was schreist du denn so? Komm lieber her und hol mich hier raus!" Gene Carvetts starke Fäuste rüt telten an den Gitterstäben der Zelle. Der Mann, der Carvett eingesperrt hatte, hatte den großen Schlüssel bund einfach auf den Tisch gewor fen.
„Du da drin?" Lobos Lippen kräu selten sich. „Wen hast du denn erwartet? Eine nackte Nutte, einen goldenen Schmetterling vielleicht? Der lange, schmale Schlüssel ist es." Jesse Moreen klebte noch immer an der Wand. Er hob noch nicht ein mal die Arme zum Schutz gegen Car vetts Hand, die klatschend in seinem Gesicht landete. „Jetzt geht mir's besser'', sagte der Marshal. „Was war los draußen?" „Dieser Orbie ist tot. McGinnest ist irgendwo in der Stadt unterge schlüpft, und Sam Aberdeen hat sei ne Hunde zurückgepfiffen. Das er gibt doch alles keinen Sinn, Carvett. Aberdeens Leute hatten mich vor ih ren Läufen. Du warst eingesperrt, ohne Chance, eingreifen zu können. Weshalb hat Sam Aberdeen das nicht genutzt?" „Ich denke, das wird er uns selbst sagen." Carvett rieb sich das Kinn. „Dieser Orbie, man möchte glaubten,
er kam nur in diese Stadt, um hier zu sterben. Ob es jemand gibt, der ihn beweint?" „Kaum. Dreh dich mal um, Car vett", sagte Lobo. „Was habe ich dir gesagt? Er kommt sogar allein." Der Marshal stieß den am Boden sitzenden Mo reen gegen den Hintern. „Steh auf." Der Anwalt rührte sich nicht. Car vett packte ihn im Genick und schleifte ihn in die Zelle. Dort warf er ihn weg, wie man ein verlaustes Wäschestück wegwirft. Voller Ekel und Widerwillen. Als er zurückkam, stand Sam Aberdeen mitten im Raum. Sein großes, fettes Gesicht war zerfurcht von langen und zähen Gedanken. „Carvett", sagte der alte Aberdeen, „ich glaube, mir ist ein kleiner Fehler unterlaufen. Das Halbblut ist ein fi xer Bursche. Ich war sicher, der win dige, gelbgesichtige Halunke hätte ihn erledigt." „Man kann sich irren, Sam. Was
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willst du?" Aberdeens Augen senkten sich et was. Sie wanderten über Lobos Ge sicht, der mit angezogenen Knien am Boden hockte, reglos, steif, erstarrt. „Du hast ziemlich viel riskiert, Car vett. Eigentlich solltest auch du schon auf dem Weg zum Boothill sein. Ich kenne dich lange genug, um zu wissen, daß du dich nur verirrt hast. Irgendwas ist bei dir ausge hakt." „Und jetzt bist du gekommen, um es wieder einzuhaken, Sam. So ist das doch, oder?" „Richtig. So ist das." „Dann laß mal hören, Sam." Car vett lächelte spöttisch. Aberdeen stieß den Atem durch seine großen, mit Haarbüscheln zu gewachsenen Nasenlöcher. Es hörte sich an wie ein dünnes Pfeifen. „Moreen", sagte er, „ist ein habgie riger Schurke. Er glaubt, das Weide land am Südufer des Concho River sei mit Öl gespickt. Alles Quatsch. Nein", verbesserte sich Aberdeen, „er glaubt das nicht. Er hat das nur in die Welt gesetzt, um irgendein paar hirnlosen Narren das Land für teu res Geld zu verkaufen." „Das nützt ihm doch nichts. Das Land gehört McGinnest." „Es gibt keinen McGinnest mehr." „Da bin ich anderer Meinung, Sam. Vor ein paar Minuten war er noch hier." Der alte Aberdeen winkte ab. „Ein hergelaufener Tagedieb aus Forth Worth. Er wollte mit Moreen das große Geschäft machen. Hergelau fen wie dieses Halbblut, der einen Affen aus dir gemacht hat. Er hat si cher auch irgendwelche Gründe. Frag ihn doch mal, Carvett." „Sicher, Sam. Aber erst bist du dran." Aberdeen bewegte sich etwas. Die Bewegungen waren von steinerner Trägheit. Etwa so, als müsse er sich überlegen, ob er zuerst den linken oder den rechten Arm anheben solle. „Ich brauche McGinnests Weide, Carvett. Ich kann nicht warten, bis 40
das Land freigegeben wird. Meine Herden haben keinen Platz mehr.'' „Mit anderen Worten, Sam, du willst die Beskzurkunde, um das Land auf dich eintragen lassen zu können. Und du denkst, ich habe sie, oder das Halbblut, oder vielleicht Moreen." „So ist es. Irgendwer hat sie. Nicht du, Carvett. Das Halbblut auch nicht. Gib Moreen raus. In spätestens zehn Minuten hat er ausgespuckt, was es auszuspucken gibt. Einschließlich seiner Zähne." „Du hast diesen Mann vergessen, der sich McGinnest nennt, Sam. Ich habe ihn mir angesehen. Er ist nicht zu unterschätzen. Männer seiner Art geben nicht so schnell auf. Im Grun de", fuhr Carvett fort, „ist es mir scheißegal, was aus McGinnests Weideland wird. Nimm es doch. Treib deine Herde drauf. Ich werde dich nicht daran hindern. Du wirst es vor dem echten McGinnest verant worten müssen. Falls es den wirklich gibt. Was du ja bestreitest." Aberdeen streifte Carvett mit ei nem ekligen Blick. „Meine Informa tionen sind absolut zuverlässig. Und wenn es dich beruhigt, meine Herde hat McGinnests Land seit heute morgen überschwemmt." Aberdeens Stimme war eiskalt, als er das sagte. Selbstsicher und von soviel Boshaf tigkeit, daß sogar Gene Carvett so was wie eine Gänsehaut spürte. „Dann hast du ja alles, was du wolltest, Sam." „Noch nicht ganz, Carvett. Wenn du Moreen nicht rausrückst, er sich verdrückt, dann kann immer mal je mand auftauchen, der behauptet, es sei sein Land. Das hätte einen Wei dekrieg zur Folge. Und das willst du doch nicht, Carvett." „Ich bin nur für die Stadt zustän dig. Von mir aus schlagt euch doch da draußen die Schädel ein. Moreen bleibt hier, bis der Richter kommt. Und dabei bleibt es, Sam." Aberdeens Blick war völlig aus druckslos und weit weg. „Wir wer den sehen, Carvett. Da ist noch was."
Wieder traf sein Bück Lobo. „Gaston Ellis hat mir gesagt, daß er die fette Negerin nicht erschossen hat. Ker wan wäre unglücklicherweise der Revolver losgegangen. Aber der da", Aberdeen zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Lobo, „der hat Ellis ein Stück Fleisch aus dem Oberschenkel geschossen. So was kann man doch nicht ungestraft tun, nicht wahr?" Seine Augen fraßen Lobo. Das Halbblut schob sich gemäch lich an der Wand hoch. Seine Arme lagen gekreuzt vor der Brust „Wann?" fragte er, und er hörte sich an, als käme seine Stimme von weit her. Aberdeen nickte wohlwollend. „So ist's recht. Geh auf die Mitte der Straße und dann zehn Schritte nach vorn." „Aberdeen", sagte Lobo, „Sie sind ein abgefeimter, kaltherziger Schur ke, eine häßliche Kröte, und dumm sind Sie obendrein." Sam Aberdeens gewaltige Brust spannte sich. Sein großer Kopf lief rot an. Gleich, dachte Lobo, wird er platzen, wird der ganze Mann explo dieren. Aber Sam Aberdeen tat we der das eine noch das andere. Über raschend nahm sein Gesicht wieder normale Farbe an. Völlig ruhig erwi derte er: „Ich sollte dich in Stücke reißen und die Teile hundert Meilen voneinander entfernt vergraben. Aber das würde mich um meinen Spaß bringen. Ich will sehen, wie du vor lauter Angst schwitzt und wie du stirbst. Gaston Ellis läßt dich durch mich fordern. Da du anscheinend Angst hast, ihm in aller Öffentlich keit gegenüberzütreten, schlage ich vor, in einer Stunde am Fluß unten. Da gibt es eine achtzig Meter breite Sandbank, die das Wasser in mein Land hineingespült hat. Carvett kennt sie. Ellis wird dich dort erwar ten. Ich werde auch dort sein, und du, Carvett, kannst ebenfalls mitkom men. Als neutraler Beobachter sozu sagen, wenn das bei dir möglich ist." Lobo nickte knapp. „Das gilt, Aber deen. Sagen Sie Ellis, ich würde ihn
dort erwarten." In Sam Aberdeens Augen lag ein fast wohltuender Schimmer. „Ich werd's ihm ausrichten, Halbblut. Ach, Carvett, draußen liegt ein Toter. Laß ihn wegbringen. Sag dem Lei chenbestatter, er soll noch einen Sarg zum Fluß runter bringen." Der schwere Mann lachte still in sich hinein, zufrieden und irgendwie glücklich. Als er bereits an der Tür stand, um das Office zu verlassen, sagte Car vett: „Ich hoffe, du wirst den Spaß allein genießen, Sam. Ganz allein."
Carvett und das Halbblut sahen sich an. Es war etwas Verbindendes in diesem Blick. Etwas, das sie einan der näher brachte. „Traust du ihm, Carvett?" „Nicht die Spur, noch nicht einmal vom Tisch bis zum Stuhl. Ich sage dir, er hat eine Teufelei im Sinn. Du wirst natürlich nicht zum Fluß ge hen." „Ich werde gehen, Carvett. Ver such nicht, mich daran zu hindern. Es hätte keinen Sinn." „Willst du dich denn unbedingt umbringen lassen, Mann? Denk mal an Laurie." „Wer sagt, daß ich mich umbringen lassen will?" „Sei bloß nicht so sicher", knurrte Carvett aufgebracht. „Weißt du überhaupt, wer dieser Ellis ist?" „Nein. Aber ich denke, ich werde es bald wissen." „Lobo", Carvetts Stimme war jetzt so sanft wie die von Missis Whiter, die nebenan einen Kramladen hatte, wenn sie des Sonntags fromme Kir chenlieder sang, „geh nicht, Lobo. Aberdeen hatte gehofft, Orbie würde dich umbringen. Das war der einzige Punkt, in dem er die Wahrheit gesagt hat. Das Duell mit Ellis ist eine Falle. Irgendwie haben sie Respekt vor dir. Schiß haben sie. Wenn sie dich kalt gemacht haben, werden sie über mich herfallen. Und ich habe ver 41
dammt keine Lust, mir jetzt schon eine Kugel in den Bauch oder sonst wohin schießen zu lassen." Carvett begann zu schwitzen. Er war gereizt und nervös. Er quetschte jetzt die Worte heraus, als wäre ihm seine ei gene Stimme zuwider. „Aberdeen ließ Gaston Ellis vor zwei oder drei Jahren kommen. Ein Killer aus Ne vada, ein Mann ohne Nerven. Ein Teufel, dem das Töten Freude berei tet. Ich habe ihn in Aktion gesehen. Bill Brass, schon mal gehört diesen Namen? Ellis hat ihn weggeputzt. Einfach so, verstehst du?" Carvett schwieg. Mit dem Hemdsärmel wisch te er sich den Schweiß von der Stirn. „Ellis hat Brass erschossen? Ein schneller Mann, dieser Brass. Bist du soweit, Carvett?" „Dir ist nicht zu helfen. Ich werde gleich drei Särge bestellen. Einen für Orbie, einen für dich und einen für mich. Das letzte tue ich ungern. Das kannst du mir glauben." „Dich zwingt niemand, mich zu be gleiten. Klemm dir ein Pferd zwi schen die Schenkel und reite davon, wenn dir dabei wohler wird."
Das alljährliche Hochwasser im Frühjahr hatte eine breite Schneise in Sam Aberdeens Weideland geris sen. Der Boden war sandig und feucht. Den oberen Rand hatten Aberdeens Cowboys mit Stachel draht abgegrenzt. Der Concho River war an dieser Stelle breit und sehr flach. Man konnte ihn ohne Risiko mit einem Pferd durchreiten. Hinter dem Stacheldraht war eine mit Buschwerk überwucherte Mulde. In ei niger Entfernung drängten sich gut genährte Longhornrinder. Lobo und Marshal Carvett näher ten sich dem ausgewählten Platz von Osten. Sam Aberdeen und Gaston Ellis kamen von Westen. Die beiden kleinen Gruppen erreichten ihn fast gleichzeitig. Aberdeen nahm die Zügel von El 42
lis' Pferd. Er selbst blieb im Sattel sitzen. Wahrscheinlich deshalb weil ihm das Absteigen Schwierigkeiten bereitete. Lobo glitt von der Aberdeen und Ellis abgewandten Seite aus dem Sattel. Zum ersten Male sah er Ga ston Ellis, der ihm in etwa zehn Schritt Entfernung gegenüberstand. Ellis mochte um die dreißig sein. Er war mittelgroß und sehr schlank. Seine Hände waren gepflegt und so zart wie die einer Frau. Unter einem etwas zurückgeschobenen Hut hin gen ein paar lose Haarsträhnen her vor. Sie waren so braun wie seine Augen. Es waren wachsame, warten de Augen. Sie blickten geduldig, kühl, ein wenig hochmütig. Es waren Killeraugen. Ellis betrachtete Lobo mit glei chem Interesse. Um seinen harten, schmalen Mund spielte ein dünnes Lächeln. Jedenfalls hielt es Lobo da für. „Du warst schon gut heute morgen, Halbblut. Ein Mann, der so schnell ziehen, schießen und treffen kann, verdient Achtung." „Wollen wir ein Plauderstündchen halten, oder wollen wir uns schießen, Ellis?" Es war wirklich ein Lächeln, was auf Gaston Ellis Lippen lag. Es wur de ein wenig breiter, ein wenig käl ter, tödlicher. „Jetzt wirst du bewei sen müssen, wie gut du wirklich bist, Halbblut." „Habt ihr euch ausgequatscht da unten? Fangt endlich an, ich will meinen Spaß haben!" Sam Aber deens rauhes Lachen rollte über den Concho River. Gaston Ellis' rechte Hand zuckte hinab. So schnell, so gekonnt, daß die Bewegung kaum wahrzunehmen war. Lobo warf sich zur Seite. Seine Hand mit dem Army Colt flog nach oben. Es gab einen trommelfell-zerfet zenden Knall. Der Feuerblitz der Schüsse wirkte im grellen Sonnen licht matt, wie etwas, das nicht da
hin gehörte. Gaston Ellis' Revolverhand war plötzlich leer. Auf seinem verwa schenen Baumwollhemd war ein großer, roter Fleck. Und dann fiel Gaston Ellis um. So, als hätte ihm je mand die Füße weggezogen. „Vorsicht, Halbblut!" Gene Car vetts Stimme überschlug sich. Sam Aberdeen hatte die Zügel von Ellis' Pferd losgelassen. Er drückte seinen Revolver in schneller Reihen folge auf den Marshal ab. Im schützenden Gebüsch der klei nen Mulde feuerten drei Winche stergewehre fast gleichzeitig. Ihre Kugeln rissen dicht neben Lobo den feuchten, sandigen Boden auf. Carvett fluchte. Lobo schoß sich den Weg zu seinem Falben frei. Er erfaßte den Hals des Tieres. In Indianerart hing er arn der Seite. Mit der freien linken Hand zog er die Winchester aus dem Scabbard und zog sich ganz in den Sattel. Für einen winzigen Augenblick zeigte sich eine Gestalt am Rande der Mul de. Nur einen winzigen Augenblick, aber ausreichend für Lobos Schuß. Der Mann riß die Arme hoch. Er fiel rückwärts in die Büsche. Carvett hatte seinen Revolver leergeschossen. Sam Aberdeen lag hinter seinem toten Pferd. Sein großes, rotes Ge sicht war verzerrt. Ein Gewehrlauf lag auf dem Leib des Pferdes. Sam Aberdeen zielte sorgfältig. Carvett überritt ihn. Ein Pferde huf traf Aberdeen am Kopf. Der massige Mann rollte zur Seite. Der Schuß aus seinem Gewehr traf den Himmel. Carvett stürzte förmlich in die schützende Mulde am Fluß. Lobo lag am oberen Rand. Er feuerte noch zwei-, dreimal in die Büsche. „In den Sattel, Carvett! Los, über den Fluß!" Gene Carvett schwankte etwas. Der Blick aus seinen wilden Augen war etwas verschwommen. „Mach nicht schlapp, Mann, du schaffst es! Na reit' schon!" Lobo schlug Carvetts Pferd auf die Hin
terhand. Das Tier scheute vor dem Wasser. Lobo erfaßte die Zügel. Er zerrte mit aller Kraft, bis das Pferd seinen Widerstand aufgab. Es waren nur noch zwei Gewehre, die aus den schützenden Büschen Schossen, unkonzentriert, ziellos. Lobo flog im Sattel herum. Ohne das Tempo zu mindern, feuerte er zurück. Er hörte einen Mann schrei en. Dann nichts mehr. Die plötzliche Stille war tief und schmerzend. Es war eine tödliche Stille.
Es war nur ein flacher Hügel. Der Boden war steinig. Ein paar Krüp pelkiefern dorrten in einer erbar mungslos sengenden Sonne. Es war der Platz, an dem Gene Carvett aus dem Sattel fiel. Sein Hemd war bis zum Gürtel hinunter rot gefärbt. Bei jedem Atemzug erschienen ein paar kleine, rote Bläschen auf seinen Lip pen. Sein zernarbtes Gesicht war eingefallen, die dunklen Augen ohne Glanz. Carvett quälte sich ein Lä cheln ab. „So ist das wohl, wenn man stirbt. Eigentlich gar nicht so schlimm. Nur der Gedanke, verstehst du? Man muß sich erst daran gewöhnen." Lobo beugte sich über den Mar shal. Er riß ihm das Hemd herunter. Unterhalb der linken Schulter hatte eine Kugel ein großes Loch gerissen. Aus der Einschußstelle tropfte im mer noch Blut. Die Kugel steckte noch drin. „Gewöhn dich an den Gedanken zu leben, Carvett. Sei still. Ich habe Er fahrung. An dem Stückchen Blei wirst du nicht sterben. Wo gibt es, außer in San Angelo, noch einen Arzt?" „Nirgendwo." Gene Carvetts Stim me war schwach, sie war nur noch ein Hauchen. Sein Kopf rutschte zur Seite. Lobo schleifte ihn in den Schatten einer Krüppelkiefer. Dort band er auch Carvetts Pferd fest. Aus einem Gespräch mit Moreen wußte er, daß irgendwo Siedlerstel 43
len sein mußten. Er trieb den Falben bis zur Kuppe des flachen Hügels. Er sah ein paar Schafe und einen kleinen Korral, in dem zwei Milchkühe träge und lust los halbverdorrtes Gras zupften. Da hinter eine Hütte und einen Mann, der die Hand über die Augen hielt. Eine Frau verschwand in der Hütte und kam mit einem Gewehr zurück. Sie reichte es dem Mann, der es unter den Arm klemmte. Lobo ritt scharf. Als er auf Ruf weite heran war, verlangsamte er den Ritt. Der Mann hob den Lauf des Ge wehres an. „Bleiben Sie jetzt besser stehen, Fremder!" Es war eine unsichere Stimme, ein unsicherer Mann, dem das ganze Elend seines Lebens ins Gesicht geschrieben war. Lobo folgte der Aufforderung. „Mister", rief er zurück, „hinter dem Hügel liegt ein Mann mit einem Kugelloch im Rücken! Würden Sie helfen; ihn in Ihr Haus zu bringen?" Die Frau sprach auf den Mann ein. Lobo konnte ihr Gesicht nicht sehen. Sie hatte aschblonde, lange Haare, die unordentlich um den schmalen Kopf hingen. „Wer ist dieser Mann?" „Marshal Carvett aus San Angelo'' Lobo ritt etwas näher heran. Sofort riß der Mann das Gewehr wieder hoch. „Hören Sie, Mister, wenn Sie nicht helfen, wird der Marshal sehr bald tot sein. Es steht schlimm um ihn." „Sie sind ein Halbblut, nicht wahr?" Er schüttelte den Kopf. „Ich glaube Ihnen nicht." „Mann", Lobo wurde ungeduldig, „ich gebe Ihnen meine Waffen. Ich reite vor Ihnen her. Und wenn Sie meinen Sie müßten es tun, dann kön nen Sie mich erschießen. Aber um al les in der Welt, kommen Sie mit." „Ich komme mit", sagte die Frau. „Geh und hol das Maultier." Sie be trachtete Lobo aus scharfen, hellen Augen. Ihr Blick war ein Gemisch aus Neugier und Mißtrauen, ab 44
schätzend, für eine Frau ein wenig zu hart. / Der Mann brachte ein gesatteltes Maultier. Sie schwang sich gekonnt darauf. Die Mündung des Gewehres, eine Kentucky Rifle, zeigte auf Lobos Rücken. „Reiten Sie vor mir her, Halbblut", sagte die Frau. „Versuchen Sie einen Trick, werde ich abdrücken. Zwei feln Sie nicht an meiner Treffsicher heit." Lobo zweifelte nicht. Er ritt vor der Frau her. Sie fanden Gene Carvett, wie ihn Lobo verlassen hatte. Er lag in tiefer Bewußtlosigkeit. Sein Atem ging schwer und röchelnd. Der blu tige Schaum auf seinen Lippen war dunkler, intensiver geworden. Die Frau sprang noch vor Lobo aus dem Sattel. Sie hielt das Gewehr un ter dem Arm. Sie blickte auf Carvett hinab. Ohne sich umzuwenden, sagte sie: „Er sieht recht armselig aus. Von seiner Wildheit ist nicht mehr viel geblieben. So liegen sie alle einmal. Die Großen und Starken und Wil den." „Sie kennen ihn, Ma'am?" „Ja. Fassen Sie mit an." Sie banden den Marshal im Sattel fest. Carvett machte nur einmal die Augen kurz auf, ohne seine Umwelt zu erkennen. Vor der Hütte hoben sie ihn vom Pferd. Der Mann sagte: „Am liebsten würde ich ihn im Dreck lie gen lassen." „Dazu hattest du früher nicht den Mut. Jetzt brauchst du ihn nicht mehr. Geh und mach heißes Wasser." Sie wandte sich an Lobo. „Haben Sie schon mal eine Kugel aus einem Menschen herausgeschnitten?" „Nein, Ma'am." „Dann passen Sie auf, damit Sie es das nächste Mal können." Sie hielt Lobos Bowiemesser über eine Flam me. Der Mann schleppte eine Schüs sel mit dampfendem Wasser heran. Carvett lag auf dem Tisch. Der Blick der Frau streifte Lobo. „Am besten, Sie halten ein Stück Holz bereit. Sobald er den Mund auf macht, schieben Sie es ihm dazwi
sehen. Es wird höllisch schmerzen. Halten Sie seine Arme." Sie sah ihren Mann an. „Geh raus. Ich weiß, daß du das nicht mit ansehen kannst, ohne umzufallen." „Bei ihm kann ich es", erwiderte der Mann bissig. Er ging trotzdem. Die Frau setzte das Messer an. Sie tastete mit den Fingern über die Wunde, stieß tiefer. Carvett schrie auf. Lobo drückte den aufbäumenden Körper hinunter. Er warf einen schnellen Blick auf die Frau, über deren Gesicht Schweiß lief. Er sah auf ihre Hände, auf das Messer, das immer tiefer in Carvetts Schulter drang. Und dann riß sie es zurück. In ihrer linken Hand hielt sie ein platt gedrücktes Geschoß. Lobo sah sie zum ersten Male lächeln. „Stammt das aus Ihrem Revolver, Halbblut?" fragte sie. „Aus dem von Sam Aberdeen, Ma'am." Sie erwiderte nichts. Sie legte die verformte Kugel neben Carvett auf den Tisch. „Vielleicht schafft er's, vielleicht auch nicht",sagte sie nach einer Wei le. „Ich wünschte, er würde es nicht schaffen." Sie tauchte Lobos Bowie messer in die mit blutigem Wasser gefüllte Schüssel, spülte es etwas ab und gab es ihm zurück. Mit geschick ten Fingern legte sie Carvett einen sauberen, aus weißem Leinen geris senen Verband an. Der Schlafplatz der Siedler war nur eine elende, harte Pritsche. Sie legten Carvett dorthin. Sie gingen vor das Haus, vor dem der Mann aus hohlen, finsteren Augen in den ver sinkenden Tag starrte. Nach Minuten des Schweigens sag te Lobo: „Sie kennen Carvett, und Sie hassen ihn, Ma'am. Und doch haben Sie ihm geholfen. Darin liegt doch ein Widerspruch, oder?" „Ich habe ihm nicht geholfen, weil er Carvett ist, sondern weil es meine Pflicht war. Wahrscheinlich werde ich beten, daß er stirbt. Sie können das zwar nicht begreifen, aber es ist
so." „Und weshalb, Ma'am?" „Das geht Sie nichts an. Sollte Car vett am Leben bleiben, wird er es Ih nen wahrscheinlich selbst erzählen, oder auch nicht. Was macht das schon?" Der Mann drehte sich herum. „Er wird ihn belügen. Er hat immer gelo gen, Anna." „Du hältst besser den Mund, Georg." Sie drehte sich zu Lobo herum. „Werden Sie bleiben?" „Bleiben? Das Halbblut?" bellte der Mann dazwischen. „Niemand wird bleiben! Weder er noch Carvett! Ich will sie nicht im Hause haben!" „Carvett wird bleiben", sagte Lobo scharf, „und ich werde wiederkom men. Ich wünsche für Sie, daß Car vett dann okay ist. Sollte er es nicht sein, werde ich mich an Sie halten." „Das werden wir sehen!" Der Mann griff zum Gewehr, das an der Haus wand lehnte. Lobo schlug ihm die Waffe aus der Faust. Die Frau stand dabei. Wortlos, mit einem Grinsen im Gesicht. Auf ihren Mann deutend, sagte sie: „Er ist nichts wert. Manchmal ein bißchen verrückt. Tun Sie's nur, wenn es Sie erleichtert. Eine kleine Lektion wird ihm guttun." Sie lachte in sich hinein. ,,Er hat Ihnen nicht geglaubt. Hätte er gewußt, daß es wirklich Carvett war, der da draußen lag, er hätte Sie erschossen. Vielleicht tut er es noch. Drehen Sie ihm niemals den Rücken zu. Sie können beruhigt reiten. Ich werde auf Carvett achten." „Und beten, daß er stirbt?" Sie nahm ihren Blick von Lobo. „Das können Sie weder sehen, noch können Sie es verhindern. Reiten Sie nur", wiederholte sie. Sie hob das Ge wehr auf und ging ins Haus. Der Mann blickte still hinter Lobo her. Still, verbissen und voll eines Zornes, von dem er glaubte, ihn begraben zu haben.
Lobo hielt den Falben ein paar 45
hundert Yards vor den ersten Häu schwach dieses Licht auch war, für sern an. Die Stadt schlief. Weit unten, einen kurzen Augenblick blendete es etwa dort, wo das Liberty Hotel war, Lobo. Er erkannte nicht mehr als die brannte eine Lampe. Sonst nichts. Umrisse eines Mannes. Er hörte scharfes Atmen, eine Stimme, die Nur Stille und Finsternis. In Ralleighs Hotel war es so still, ihm fremd war. „Da ist jemand. Ganz als wäre es ausgestorben. Das von sicher, Laurie. Ich spüre das." Lobos Kugeln zerborstene Fenster „Lobo! Bist du das, Lobo?" Es war war von innen mit einem Stück Pap Laurie, die das rief. „Mach die Lampe pe verklebt Die vordere Eingangstür an, Matt'' war fest verriegelt. Lobo trat weiter in den Gang hin Lobo huschte um das Haus herum. ein, der in der kleinen Halle endete. Seine Schritte waren nicht zu hören. Ein Mann hatte eine Lampe entzün Er bewegte sich so leise wie eine Kat det, sie auf den Tisch gestellt. Er war ze. Im Hof war die Dunkelheit voll zurückgetreten bis an die Wand. kommen. Der Stall, die Rückwand Dort stand er. Beide Hände bis zu den des Hauses, alles herum war in ein Schultern hochgehoben. Das Licht undurchdringliches Schwarz ge fiel voll auf sein Gesicht. Seine linke Wange war aufgerissen und von Blut hüllt. Das Halbblut tastete sich zollweise verkrustet. vorwärts. Seine Füße, die wieder in Laurie saß in dem zerschlissenen Mokassins steckten, stießen gegen Sessel. Ihr Gesicht war geschwollen, etwas Hartes. Lobo fühlte mit den die Arme bis zu den Schultern hinauf Fingern darüber. Es war die Außen blau, teilweise von blutigen Schram wand der schalen, vom Hof in einen men überzogen. Lobo trat zu ihr. Oh Gang des Hotels führenden Treppe. ne den Blick von dem Mann zu wen Ganz allmählich hatten sich seine den, fragte er: „Wer war das, Lau Augen an das filzdichte Dunkel ge rie?" wöhnt. Die Umrisse einer Tür konn Sie zwang ein Lächeln auf ihre te er nur ahnen. Er fühlte den metal aufgeplatzten Lippen. „Jim Aber lenen Griff. Bereit, ihn zu drehen, die deen, Lobo." Sie nickte zu dem Mann Tür zu öffnen, hielt er inmitten der an der Wand. „Das ist Matt Warren. Bewegung inne. Von ihm hast du nichts mehr zu Es war nur ein winziges Geräusch. befürchten. Ach, Lobo, ich hatte so Kaum wahrnehmbar, von einem schreckliche Angst." sanften Säuseln des Windes nicht zu „Ich passe, Halbblut", sagte War unterscheiden. Aber es war da, und ren. „Kann ich die Hände wieder er hatte es aufgefangen. herunternehmen ?" Lobo stand da und wartete. Eine „Ich habe nicht gesagt, daß du sie in Minute, länger, er wußte es nicht. die Luft strecken sollst. Weshalb bist Dann kam dieses Geräusch wieder. du hier, Warren?" Lauter, intensiver, in seiner Art zu „Weil ich die Schnauze voll habe, erkennen. Es war das verhaltene weil ich keine Lust habe, erschossen Stöhnen eines Menschen, einer Frau, zu werden." von Laurie. „Du bist ein Aberdeen-Mann. Der Lobo drehte den Türknopf. Es alte Aberdeen hat dich gefüttert." quietschte leicht, als er die Tür nach „Ich war ein Aberdeen-Mann. innen drückte. Er schlüpfte hinein, Mein Futter habe ich mir hart genug preßte sich gegen die Wand. Er verdient." lauschte und hörte die zu einem Flü „Mit Verschießen von Revolverku stern herabgedrückte Stimme eines geln, was?" Mannes. „Als Vormann auf Aberdeens Unvermittelt, völlig überraschend, Ranch. Ich habe dem Anwalt eine flammte ein Zündholz auf. So Lektion erteilt, weil Aberdeen das 46
wollte. Ich war mit unten am Concho River, als sie über dich hergefallen sind. Und ich habe ein paar Kugeln verspritzt. Getroffen habe ich wahr scheinlich niemand!" „Und jetzt?" Warren zuckte mit den Schultern. Er löste sich träge von der Wand, blieb vor Lobo stehen und sah ihm in die Augen. „Ich habe dir gesagt, was für dich von Wichtigkeit ist, Halb blut." Er tastete über die Schramme auf seiner Wange. „Das war dein letzter Schuß. Vielleicht hat mich das ernüchtert." „Gestern noch", sagte Lobo mit kalter Stimme, „hättest du mich be denkenlos umgebracht." „Das hätte ich. Und wenn ich ge wollt hätte, wärst du jetzt bereits tot. Die Chancen, als du hereingenuscht kamst, waren auf meiner Seite.'' Laurie mühte sich auf die Beine. „Vergiß Warren, Lobo. Wahrschein lich hätte mich Jim Aberdeen er schlagen, wäre Warren nicht dazwi schengegangen." Sie wandte sich von Lobo ab und blickte Warren an. „Sag ihm alles, Matt." „Ich stehe nicht auf seiner Seite, Laurie. Ich bemühe mich, neutral zu sein. Das ist mehr, als er erwarten kann." „Wenig genug für einen Mann, der Aberdeens Vertrauen mißbraucht", sagte Lobo. „Ich vermute, Sam Aber deen würde dir die Haut in Streifen vom Leibe schneiden, wüßte er, wo du dich verkrochen hast." „Halbblut", Warren starrte Lobo an. In seinem Blick waren keinerlei Gefühle, weder Haß noch Zunei gung. Einfach nichts. „Ich habe dir gesagt, weshalb ich mich von Aber deen getrennt habe. Gut, er kennt weder die Gründe, noch weiß er, wo ich mich aufhalte. Ich habe Laurie vor Schlimmerem bewahrt. Jim Aberdeen war mir so was wie ein Freund. Vielleicht war das der Grund, weshalb er nicht über mich hergefallen ist, als ich ihn von Laurie weggerissen habe. Jetzt verlange nicht von mir, daß ich dir Jim Aber
deen oder den alten Sam ausliefere. Ich habe auch dich kennengelernt. Ich weiß, zu was du fähig bist. Mit dir hat alles Unheil angefangen. Laß es genug sein, Halbblut. Geh, hau ab, verschwinde aus San Angelo." „Und du, Warren?" Lobo lauerte der Antwort entgegen. Matt Warren zeigte ihm ein dünnes Lächeln. „Je der Mann hat einmal eine Chance. Ich habe sie jetzt." „Nein", sagte Lobo, „du hast sie nicht. Jetzt nicht mehr, Warren." Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte Lobo den Revolver herausgerissen. Warren hielt mitten in der Bewe gung inne. Er starrte das Halbblut voller Haß an. Lobos Stimme kroch zu dem Mann hin. Ihr Klang ließ Matt Warren er schauern. „Du warst zu plump, War ren, zu einfältig. Alles war zu durch
sichtig. Du hast deine Rolle schlecht gespielt. Ich habe dir keinen Augen blick geglaubt. Wer schon schlecht auf die Welt gekommen ist, der wird immer schlecht bleiben - und schlecht sterben." Warren war zurückgewichen. Jetzt stand er wieder an der Wand. Diesmal gezwungen, die Hände zu heben. Lobo wußte, daß er kein Risi ko eingehen durfte. Er tippte Warren mit dem Revolverlauf gegen den Schädel. Warren fiel um, als hätte ihm jemand die Beine weggerissen. „Weg", sagte Laurie hastig, „du mußt schnell weg, Lobo!" Ihr Atem ging plötzlich rasch und pfeifend. In ihren großen schwarzen Augen war nichts mehr, außer Angst. Lobo faßte sie an den Händen. „Du kommst mit." Sie liefen aus dem Haus. Die Dun 47
kelheit verschluckte sie. Es blieb still hinter ihnen. Beängstigend still. Und es war noch so, als sie längst auf Lo bos Falben saßen und in die Dunkel heit ritten.
Über dem Land lag das Grau eines noch nicht erwachten Tages. Lobo hatte den Platz wiedergefunden, an dem Gene Carvett aus dem Sattel ge fallen war. Hier hielt er an. Er half Laurie beim Absteigen. Er setzte sich neben sie auf den Boden. „Hinter dem Hügel ist eine Siedler stelle. Der Marshal ist dort. Ich wer de dich auch hinbringen. Mir wäre es lieb, wenn du dich etwas um Carvett kümmern würdest. Ich glaube, er ist dort nicht sehr gut aufgehoben." Er sah Laurie an und legte ihr den Arm um die Schulter. „Laß dir nur Zeit." Sie schüttelte den Kopf. „Ich muß es mir von der Seele reden, Lobo. Zu erst hatte ich Angst, du würdest alles glauben. Es war schlimm für mich." Sie blickte zum Himmel, der eine blaßrosa Färbung zeigte. „Jetzt", sagte sie, „sind sie in der Stadt. Sam Aberdeen und Jim und dieser schreckliche Fremde, der sich McGinnest nennt. Jetzt werden sie Matt Warren finden und wissen, daß ihr Plan nicht aufgegangen ist." Sie strich sich mit einer müden Bewe gung das Haar aus dem Gesicht. „Sie sind Teufel, Lobo. Ich mußte alles mit anhören. Ihre ganzen, geplanten Scheußlichkeiten. Sie drohten, mich an die Wand zu nageln, wenn ich ihr scheußliches Spiel nicht mitspielte. Und sie sagten, sie würden dich be kommen. Auf jeden Fall. Und ich müßte dann zusehen, wie sie dich tö ten." Laurie verbarg ihr geschwollenes Gesicht in den Händen. Ihre Nerven waren zu schwach, um die Erinne rung an die begangenen und geplan ten Verbrechen zu ertragen. Ihre Stimme war sehr ruhig und gefaßt, als sie nach ein paar Augenblicken weitersprach. 48
„Warren sollte dich in Sicherheit wiegen, bis zum Tagesanbruch. Dann sollte seine große Stunde kom men. Der alte Aberdeen, Jim und der Fremde, den sie für sich gewonnen haben, wollten dich dann durch die Straße schleifen. Und alle sollten zu sehen. Zuerst wollten sie dich aus peitschen wie einen entlaufenen Nigger, sagte der alte Sam. Und dann..." „Genug", unterbrach Lobo das Mädchen. „Was ist mit Moreen?" „Sie haben ihn aus dem Gefängnis geholt und fortgeschleppt. Ich glau be, auf Aberdeens Ranch. Missis Mo reen ist gestern mit der Postkutsche abgefahren. Mit der Kutsche nach Fort Worth." Laurie stand auf. Die ersten Strah len der Sonne konnten sie nicht er wärmen. Sie fröstelte. Aus vielerlei Gründen. Ihr Blick war seltsam ge hetzt. „Du hast nur eine Chance, Lo bo: davonzureiten." Das Halbblut sah Laurie lächelnd an. „Aberdeens Streitmacht ist ge waltig geschrumpft. Kerwan und El lis sind tot." „Du hast Morris Morgan vergessen. Als sie vom Fluß zurückkamen, hat ten sie Morgan quer über dem Sattel liegen. Seine Arme hingen herab." Laurie verbarg ihre Augen vor Lobo. Mit müder Stimme sagte sie: „Es ist nicht wahr, daß mit dir alles Unheil angefangen hat. Das Unheil war schon immer da. Schon so lange, wie Sam Aberdeen die Stadt beherrscht. Und das heißt, so lange ich denken kann." Sie schlang die Arme um Lobo und drückte sich fest an ihn. „Ich weiß, daß es keinen Sinn hat, dich zu bitten, alles zu vergessen. Ich bitte dich trotzdem." Lobo machte sich sanft frei. „Ich glaube, wir sollten nach Carvett se hen."
Der Mann, den die Frau Georg ge nannt hatte, stand vor der Tür. Er stand da, als hätte er auf nichts ande
res als nur auf das Halbblut gewar tet. Er sah Lobo mit einem stumpf sinnigen Blick an. Laurie beachtete er nicht. Die Frau trat heraus. Ihr Gesicht war noch genauso schmal, ihr Haar genauso unordentlich wie am Vorta ge. Sie zeigte auf Laurie. „Jetzt schleppen Sie auch noch ein Weibsstück heran. Ich kenne dieses kleine, schlampige Luder, und ich mag sie nicht. Genausowenig, wie ich Sie mag." Sie deutete hinter sich. „Und den da drinnen mag ich auch nicht. Er hat nach einem Whisky verlangt. Ein Zeichen, daß es ihm gutgeht. Packen Sie ihn also auf sein Pferd und verschwinden Sie. Alle!" Lobo stieg ab. Der Mann versperr te ihm den Eingang. „Sie haben ge hört, was meine Frau gesagt hat!" Aus dem Hause kam eine Stimme, noch etwas schwach, aber immerhin Gene Carvetts Stimme. „Schaff den Kerl weg, Lobo. Schaff ihn weg, ehe ich rauskomme und mich vergesse!" „Ich glaube", sagte Lobo zu der Frau, „Sie haben recht, Ma'am. Es geht ihm wirklich wieder gut." Er drückte den Mann einfach zur Seite. Carvett lag auf der Pritsche. Er ver suchte, wild zu blicken. Als er Lobo erkannte, zog ein breites Grinsen über sein zernarbtes, etwas eingefal lenes Gesicht. „Hast du mich hierher geschleppt?" „Gefällt es dir hier nicht, Carvett?" Der Marshal grinste noch breiter. „Du hättest keinen besseren Platz finden können. Hat Anna dich auf geklärt?" „Sollte sie?" „Ach, Scheiße. Es ist ja doch alles versaut. Daß sie ausgerechnet diesen Georg genommen hat. Diese Niete, diesen Viehdieb und Taugenichts, diesen widerlichen, hinterhältigen und miesen Gauner." „Halt nur an, Carvett. Du liegst in seinem Bett." Lobo setzte sich neben den Marshal. „Ohne diese Frau wärst du jetzt wahrscheinlich tot. Es ist nie zu spät, etwas gutzumachen. Viel leicht fällt dir gelegentlich mal etwas
ein." Die Frau trat in den einzigen Raum. Sie sah Carvett an und dann Lobo. „Zufrieden, Halbblut?" „Es gab wohl niemand, der Ihr Ge bet erhört hat, Ma'am." „Ich habe nicht gebetet." Sie wand te sich ab. Georg steckte den Kopf herein. „Der liegt ja immer noch im Bett. Raus mit ihm!" Carvett richtete sich auf. Jeden falls versuchte er es. Er stöhnte ver halten und rutschte wieder zurück. Lobo zog ein paar zerknitterte Dol larscheine aus der Tasche seines Hemdes. Es waren zwei Zehner da bei. „Er wird noch ein paar Tage blei ben müssen. Und das Mädchen auch." Er gab das Geld dem Mann.
„Das wird Sie entschädigen, denke ich." Der Mann griff mit flinken Fin gern nach dem Geld. Er ließ es in den Tiefen seiner Taschen verschwin den. „Ich wette", sagte die Frau, „daß er es heute noch bis auf den letzten Cent versäuft." „In San Angelo?" „Wo dachten Sie denn?" In Lobo war eine plötzliche, bren nende Unruhe. Wenn dieser Mann in die Stadt ritt, würde Aberdeen sehr bald wissen, wo sich Carvett und Laurie verborgen hielten. Er hatte über beide sicher schon sein Urteil gesprochen. Und es würde nieman 49
den geben, der die Vollstreckung aufhalten konnte. Also mußte Lobo verhindern, daß dieser Georg die Stadt erreichte. Laufen würde er wohl kaum. Er fand Carvetts Pferd friedlich neben dem Maultier im Stall. Der Sattel lag auf dem Boden. Die Frau war Lobo gefolgt. Als sich das Halb blut umdrehte, blickte sie mit vogel flinken Augen auf. Auf ihren Lippen lag ein fast spöttisches Lächeln. „Jetzt kriegen Sie es wohl mit der Angst, was?" „Ich will nur verhindern, daß Leu te in etwas hineingezogen werden, mit dem sie nichts zu tun haben." „Reden Sie nicht so geschwollen, Sie - Sie Halbindianer. Sie schert es doch einen Dreck, was aus mir wird. Von meinem Mann gar nicht zu re den. Um ehrlich zu sein, mich schert es auch einen Dreck, was aus ihm wird. Aber meine Haut ist mir teuer." „Wie teuer?" „Wollen Sie sie vielleicht mit Geld kaufen?" Sie spuckte vor Lobo aus. „Hier gibt es nichts zu kaufen, Halb blut." Sie hob die Hand und fuhr da mit durch die Luft, so, als wolle sie etwas wegwischen. „Es hat doch alles keinen Sinn. Sie würden es doch nicht verstehen. Ich glaube, ich muß mich bei Ihnen entschuldigen." „Schon in Ordnung, Ma'am." Lobo bückte sich nach Carvetts Sattel. Die Frau sagte: „Lassen Sie nur. Ich wer de auf ihn aufpassen." „Und Sie glauben, Sie schaffen das?". Sie lachte hart, unfraulich. „Und ob ich das schaffe." Sie setzte sich auf Carvetts Sattel. Sie wirkte plötzlich müde, verbraucht, leer und völlig ausgebrannt. In ihren Augen spie gelte sich die ganze Armseligkeit ih res Lebens. „Sie wissen nicht, was das Leben hier draußen mit diesem Mann bedeutet. Es hätte alles so an ders sein können." „Mit Gene Carvett?" Sie hob den Blick. Langsam, be dächtig. ,,Ja, mit Carvett." Die mensch liche Regung in ihr verblaßte. Sie 50
stand schnell wieder auf. „Ich sagte, daß ich auf ihn aufpassen werde. Wenn es für Sie in der Stadt etwas zu regeln gibt, dann reiten Sie und re geln Sie es. Kommen Sie schnell zu rück, damit ich wieder in meine alte, vertrocknete Haut schlüpfen kann." „Und wenn ich nicht zurückkom me, Ma'am?" „Ach, so ist das." „Ja. So ist das. Sie sind immerhin noch drei. Ein ungleiches Verhältnis. Ihr Haß und ihre Mordlust sind un befriedigt. Es hätte keinen Sinn, ein fach davonzureiten. Männer wie Sam Aberdeen würden das nicht hinnehmen." Lobo zuckte mit den Schultern. „So ist das nun einmal, und ich glaube, es wird sich nie än dern." „Weshalb ist das so?" „Ich weiß es nicht, Ma'am. Viel leicht genügt es ihnen, daß ich ein Halbblut bin, daß ich in ihren Teu felskreis eingebrochen bin und sie sich gestört fühlen." „Ja", sagte die Frau, „dann reiten Sie mal." Gene Carvett gab sich Mühe, seine Schmerzen nicht zu zeigen. Es gelang ihm nicht. Er sah elend und schwach aus. „Wenn du schon reiten mußt, dann nimm meinen Fuchswallach. Er ist ausgeruht und schnell. Es ist immerhin möglich, daß du ein schnelles Pferd brauchst." „Danke, Carvett." Sie reichten sich zum ersten Mal die Hand. Der Mar shal nickte. „Du wirst es schaffen, Halbblut."
Da stand er, der große, fette Mann. Seine kleinen Schweinsaugen waren vor Zorn ganz dunkel. Über den kah len Schädel liefen kleine Schweißbä che und versickerten in dem grauen Haarkranz. Sein Gesicht war tiefrot, die wulstigen Lippen ein schmaler Strich. „Da hat man geglaubt, die besten Männer um sich zu haben, und was hat man? Kreaturen, kleine, armseli
ge Kreaturen, die sich von einem Halbblut einer nach dem andern wegputzen lassen. Revolvermän ner!" Sam Aberdeen lachte häßlich. „Wo sind sie? Auf dem Boothill!" „Ich werde ihn erledigen, Aber deen." Die Stimme des Mannes, der das sagte, war kalt und widerlich. „Sie?" „Ja, ich!" „Für welchen Preis, McGinnest? Ist das eigentlich Ihr richtiger Na me?" „Ist das für Sie wichtig? Was ist Ih nen das Halbblut wert?" „Fünfhundert." „Eintausend." McGinnests Stimme war glatt wie ein geölter Revolver lauf. „Eintausend, Aberdeen. Das ist ein reeller Preis." „Der Kerl ist verrückt", wandte Jim Aberdeen ein. Er reckte seinen riesigen Körper. „Ich werde das selbst erledigen." McGinnest setzte sich auf einen Stuhl. Der Spott in seinen schwarzen Augen war offensichtlich. „McGinnest wird das erledigen." Sam Aberdeens Entschluß war end gültig. Ein Entschluß, der keinen Wi derspruch duldete. Es war eine Ent scheidung und ein Auftrag. „Wie geht es Warren?" „Er hat noch ein bißchen Kopf schmerzen." „Er ist ein Versager. Für Versager ist kein Platz in diesem Lande." McGinnest saß immer noch auf dem Stuhl. Er hielt den Revolver in der linken Hand und ließ die Trom mel rotieren. „Was wird mit Moreen, Aberdeen?" „Er gehört Ihnen, McGinnest. Wer fen Sie ihn in den Fluß, erschießen Sie ihn, oder lassen Sie ihn laufen. Mir ist es egal." „Moreen", sagte McGinnest, „hat uns alle aufs Kreuz gelegt. Ein Fuchs. Aber auch Füchse tappen einmal in eine Falle." Er sah den alten Aber deen an und grinste. „Das Land auf der Südseite des Flusses ist nichts wert. Ihr Krieg war ein unnützer Krieg, Aberdeen. Es gibt niemand,
der es Ihnen streitig macht. Nach Ablauf der Jahresfrist bekommen Sie es für ein paar hundert Dollar." McGinnest griff in seine Jackenta sche. Er zog einen Umschlag heraus, entnahm ihm ein Papier und hielt es Sam Aberdeen hin. „Das ist sie, die so sehr begehrte Besitzurkunde." McGinnest riß sie in Stücke und ließ sie auf den Boden flattern. Sam Aberdeen starrte finster auf McGinnest. „Haben Sie den Verstand verloren, Mann? Woher haben Sie das Papier?" „Woher schon? Missis Moreen war so freundlich. Sie hat es die ganze Zeit gehabt, seit dem Tage, an dem Jesse Moreen Irvin McGinnest er schossen hat. Ja", er stand auf, „Jesse Moreen oder Mabel Moreen. Was macht das schon für einen Unter schied?" Er nickte Jim Aberdeen zu. „Holen Sie den Anwalt. Ich werde mit ihm ausreiten."
Von dem einmal so selbstsicheren Jesse Moreen war nicht mehr viel übrig. Es waren zu viele Fäuste, durch die er gelaufen war. Der Blick seiner einmal so lebhaften grauen Augen war stumpf. Der ehemals gut sitzende graue Anzug hing ihm in Fetzen am Körper. McGinnest blick te Moreen an wie eine Wildkatze ihr Opfer. Im Raum war es plötzlich so still, als wäre gerade jemand gestor ben. Nichts störte diese Stille, nichts, kein scharfer Atemzug, nicht das Scharren von Stiefeln. Die Sekunden schlichen dahin. Endlos und lang sam. Die beiden Aberdeens wechsel ten einen schnellen Blick. Endlich sagte McGinnest: „Kom men Sie, Moreen." Er schob den An walt vor sich her. Die Tür schlug hin ter ihnen zu. Pferdehufe klapperten auf dem hartgestampften Hof. Sie wurden schwächer, sie verloren sich. „Er ist eine Ratte", sagte Sam Aberdeen. Es war seltsam, aber seine sonst so gewaltige Stimme war nicht stark genug, um den großen Wohn 51
räum zu füllen. „Er ist eine Ratte", wiederholte er, „und mir zuwider. Tief in meinem Innern wird der Wunsch immer stärker, das Halbblut möge ihn erwischen." Jim Aberdeen blickte erschrocken auf den Alten. „Und dann?" „Wir Aberdeens", sagte Sam, „ha ben unsere Probleme noch immer selbst gelöst. Du siehst, was dabei herauskommt, wenn man sie ande ren überträgt. Die Jahre, mein Jun ge, haben mich müde und fett ge macht. Das Halbblut hat mich wach gerüttelt. Er hat mir gezeigt, wo ein Mann hinkommt, wenn er träge vor sich hinlebt. Aber ich werde ihm zei gen, daß ich noch nicht abgehalftert habe. Ich werde ihm zeigen, zu was Sam Aberdeen fähig ist. Sattle die Pferde!"
Über dem Land lag die schmerzen de Hitze des Spätsommertages. Das Gras war an vielen Stellen trocken und verbrannt. Die Wasserlöcher waren eingetrocknet. Um sie herum war der Boden von den Hufen dur stiger Rinder zerstampft. Captain McGinnests Weideland. Ein Stück Erde, das Opfer gefordert hatte, das mit Blut getränkt war. Nutzlose Opfer, sinnlos vergossenes Blut. Wo lag da der Sinn? Es gab keinen, außer Sam Aberdeen. Außer diesem Mann, dessen Machtanspruch sich über alle gültigen Regeln hinweg setzte. Ein Mann von stumpfsinniger Sturheit und einem eisernen Willen. Stark genug, eine ganze Stadt zu un terdrücken. Ein Mann, der über Tote hinwegstieg wie andere über einen vertrockneten Haufen Kuhscheiße. Sam Aberdeen. Lobo, bei diesem Gedanken ange langt, spuckte aus. Aber es nützte ihm nichts. Der bittere Geschmack blieb. Er würde immer bleiben, so lange der Gedanke an Sam Aberdeen in ihm lebendig war. Lobo ließ Carvetts Fuchswallach 52
freien Lauf. Er hatte es nicht eilig, in die Stadt zu kommen. Das Tier blieb gelegentlich stehen, rupfte ein paar Grasbüschel und trottete weiter. Es trabte in eine ausgetrocknete Mulde und auf der anderen Seite wieder hinauf. Lobo riß unvermittelt und ziem lich plötzlich die Zügel zurück. Das Pferd wurde ein wenig unruhig. Das Halbblut drängte es in die Mulde zu rück. Er sprang aus dem Sattel. Schnell und geduckt rannte er wie der nach oben. Am Rande warf er sich auf den Boden. Vor ihm lag der Fluß. Auf der an deren Seite, noch reichlich dreihun dert Yards vom Ufer entfernt, be wegten sich zwei Reiter. Nicht son derlich eilig, eher so, als wären sie auf einem Ausflug. Der eine von ih nen war gedrungen. Soweit zu er kennen, war seine Kleidung städ tisch. Der andere war sehr groß und sehr hager. Es sah aus, als würde sei ne klapprige Gestalt von einem schwarzen Anzug mit langen Rock schößen zusammengehalten. Lobo spürte, wie es ihm heiß wur de. Er hatte eine schlimme Vermu tung. Einen Augenblick lang hielt der Dünne sein Pferd am Flußufer an. Er drehte sich um und sprach auf den anderen Mann ein. Der hockte stumpf im Sattel, schweigend, ohne den Kopf zu heben. Sie ritten eine Weile am seichten Ufer entlang. Der Mann im schwarzen Anzug ergriff die Zügel des anderen Pferdes. Sie durchritten den Concho River. Die Strömung war schwach, das Wasser reichte den Pferden an der tiefsten Stelle kaum bis an die Brust. Sie hiel ten genau unterhalb von Lobo an. Der untersetzte Mann drehte sein Gesicht nach oben. „Und jetzt, McGinnest?" Er hatte nicht sehr laut gesprochen, aber laut genug, daß Lobo jedes Wort verste hen konnte. „Was erwarten Sie, Moreen?" „Was man von einem Mann Ihrer Art erwarten kann. Machen Sie es
kurz, McGinnest." Auf McGinnests dünnen Lippen erschien ein schmales Lächeln. „Kei ne Falle ist tödlicher als die, die man sich selbst stellt. Auch der schlaueste Fuchs tapst einmal hinein. Sie haben hoch gepokert, und Sie haben verlo ren, Moreen. Jetzt sind Sie nichts mehr wert. Im Gegensatz zu dem Halbblut: Aberdeen hat den Preis für ihn auf glatte Eintausend gesetzt." „Und diesen Preis wollen Sie sich verdienen?" Jesse Moreen lachte schrill auf. Er saß im Sattel, mit offe nem Mund, ohne Gleichgewicht. Ein Mann ohne Erwartung, ohne Hoff nung. „Auf was warten Sie noch, McGinnest? Fehlt Ihnen etwa der Mut?" „Nein. Ich denke über das Wie nach. Sie sind keine Kugel wert. Das wäre glatte Verschwendung." Noch während McGinnest sprach, zog er den Revolver. Er packte ihn am Lauf. Der Schlag traf Moreen am Kopf. Der Anwalt fiel seitlich aus dem Sat tel. Sein Pferd scheute. Es machte ein paar Sprünge nach vorn. Erst jetzt bemerkte Lobo, daß Mo reens Hände am Sattelknauf festge bunden waren. Das Pferd schleifte ihm ein Stück mit sich fort. McGin nest fing es ein. Er zerschnitt die Stricke. Moreen plumpste auf den Boden. Einen Augenblick stand der Mann, der so dünn war wie ein Draht, über legend vor dem halb bewußtlosen Moreen. Er sprach etwas vor sich hin, dann bückte er sich und schleifte den Anwalt an das Ufer. Er will ihn ersäufen, so wie man ei ne Katze ersäuft, dachte Lobo. Ekel würgte ihn. Langsam richtete er sich auf. Sein Schatten fiel über den Hang. „McGinnest!" Der Ruf rollte den Hang hinunter. In einem Busch hinter Lobo schwatzte ein Vogel. Am Flußufer richtete sich McGinnest auf. Ein Stirnrunzeln zerknitterte sein ver trocknetes Gesicht noch mehr. „Hier stehen deine eintausend Dol 54
lar, McGinnest. Hol sie dir!" In McGinnests Augen war etwas seltsam Hartes. Seine Stimme kam so leise, als schwebe sie aus den Wolken herab. „Ich hol sie mir, Halbblut." Seine linke Hand hing ruhig herab, ein paar Zoll über dem abgewetzten Kolben seines Revolvers. Die rechte Hand griff mit einer unverdächtigen Bewegung unter seine offene Jacke. „Bevor du stirbst, will ich dir noch was zeigen. Sieh her, Halbblut." Mit der gekonnten Bewegung eines Mannes, dem Töten etwas Selbstver ständliches war, riß er einen zweiten Revolver unter der Jacke hervor. Ein übler Trick, der Trick eines Killers. Lobo hechtete nach vorn. McGin nests Kugel raste über ihn hinweg. Noch im Fall zog Lobo seinen Army Colt. McGinnests zweiter Schuß pflügte neben dem Halbblut ein wenig Erde auf. Lobo schoß zurück. Drei Schüsse peitschten aus dem Lauf. Sie hörten sich an, als wäre es einer. McGinnest drehte sich halb um sich selbst. Sein dünner Oberkörper knickte etwas nach vorn ein. Er versuchte, mit der linken Hand den Coltrevolver zu zie hen. Aber mitten in der Bewegung wurde die Hand schlapp. Er fiel. Moreen hatte sich wieder aufge rafft. Er taumelte Lobo entgegen. „Jetzt bin ich dran. Das bin ich doch, nicht wahr?" Lobo stieß den Mann von sich. „Kommen Sie mir nicht zu nahe." Mit einer harten Bewegung stieß das Halbblut den Revolver in das Holster zurück. Mit einem Blick auf den To ten sagte er: „Wer ist das wirklich? Sie haben ihn doch in die Stadt geru fen. Also wissen Sie auch, wer er ist." „Er heißt McGinnest. Eine zufälli ge Namensgleichheit. Ich bin ihm einmal in Fort Worth begegnet. Als ich seinen Namen hörte, kam mir der Gedanke..." „Den Captain umzubringen", voll endete Lobo. Moreen schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn nicht umgebracht. Sie glau
ben mir nicht. Sie meinen, ich sei ein Lügner. Aber ich habe ihn wirklich nicht umgebracht." „Aber Sie wissen, wer es war. Was macht das schon für einen Unter schied?" Jesse Moreen hockte sich auf den Boden. Er blickte über den Fluß, oh ne etwas zu sehen. Es war, als hätte ein dichter Schleier seinen Blick ver dunkelt. „Sie war an allem schuld. Sie hat mich in diese Stadt gebracht. In San Angelo hat kein Anwalt eine Chance. Und schon gar nicht, wenn es Sam Aberdeen nicht will. Er haßte mich von dem Tage an, als ich hier her kam. Und sie haßte mich auch." Moreen stand mühsam auf. „Gott hat sie mit einer bösen Krankheit ge straft. Sie wird daran zugrunde ge hen." Dieser Moreen, dachte Lobo, ist fertig, er ist am Ende. Seine besten Tage hat er hinter sich. Eine Zukunft gibt es für ihn nicht mehr. Ohne sich weiter um den Anwalt zu kümmern, packte er McGinnest quer über den Sattel. Er holte Car vetts Fuchswallach hinter der Mulde hervor, nahm die Zügel von McGin nests Pferd und ritt in den Fluß. Moreens hilfloser Anruf ließ das Halbblut halten. Er drehte sich her um, er sah Moreen neben seinem Pferd stehen. Kaputt, zerschlagen, ein Mann, den das Leben an seiner empfindlichsten Stelle getroffen hatte. „Wenn Sie keine Einwände haben, werde ich mit Ihnen reiten. Ich glau be, es ist nie zu spät. Man muß nur wollen. Und ich will!" Es war etwas von der alten Energie, die aus Jesse Moreen sprach, die seiner Stimme ei ne schwache Festigkeit verlieh. „Sie haben Aberdeen vergessen, Moreen." „Ich fürchte ihn nicht. Das konnte ich bisher nicht von mir sagen. Aber jetzt kann ich es." Lobo erwiderte nichts. Er ritt durch den Fluß. Er spürte, daß Mo reen ihm folgte, und er duldete es. Er sah ein paar verirrte Rinder, die von
zwei Cowboys zusammengetrieben wurden. Zwei Aberdeen-Cowboys. Sie starrten zu Lobo herüber. Ihre schwieligen, steinharten Hände hiel ten die Zügel lose in den Händen. Sie unternahmen gar nicht erst den Ver such, zum Revolver zu greifen. Für sie war die Waffe ein Requisit, kein Instrument zum Töten. Am Rande eines kleinen Waldstük kes hielt Lobo an. Unter einer Hit zeglocke, weit vor ihm, lag San An gelo. Und in dieser Stadt waren Sam Aberdeen und sein Sohn Jim. Sie wa ren dort und warteten auf ihn. Be sessen von dem Gedanken, ihn zu tö ten.
„Marshal", sagte Laurie, „Sie soll ten nicht so schrecklich fluchen." Sie drückte Carvett sanft zurück. „Kann denn ein Mann ruhig auf der Pritsche liegen, während ein an derer in Stücke geschossen wird? Ich muß in die Stadt. Daran wird mich niemand hindern. Niemand. Hörst du? Auch du nicht. Und diesem Ge org werde ich eigenhändig die Seele aus dem Leib reißen. Anna!" Car vetts Stimme überschlug sich fast. „Sattle den Falben!" Die Frau blieb an der Tür stehen. Ihr Gesicht war zerkratzt. Das linke Auge ganz geschlossen. „Er hat den Falben genommen", sagte sie niedergeschlagen. „Das Maultier ist bockig und bösartig. Mit ihm wirst du nicht einmal bis an den Fluß kommen. Außerdem", sie sah Carvett mitleidig an, „bist du viel zu schwach. Die Wunde wird wieder aufreißen." „Rede nur, du verrücktes Weib. Wo, zum Teufel, sind meine Hosen?" „Sie schaffen das nicht, Marshal." Laurie legte ihm eine Hand beruhi gend auf die Schulter. Carvett stieß sie von sich. „Ich werde es dir beweisen. Was stehst du noch herum, Anna? Hinaus mit dir! Leg diesem störrischen Biest einen Sattel auf." 55
Gene Carvett mußte dreimal an setzen, um in seine Hosen zu schlüp fen. Dann hatte er es geschafft. Er stand da wie ein großer, alter Baum. Von innen morsch, bei jedem Luft hauch schwankend. Laurie mußte ihn stützen. Die Frau kam zurück. Vor der Tür stand das Maultier, heimtückisch mit den Ohren spielend. Laurie sagte: „Ich komme mit, Marshal." Carvett funkelte sie böse an. „Ei nen Dreck wirst du, verstanden?" „Ich komme mit", wiederholte Laurie, „und Sie werden mich nicht hindern." Die Festigkeit ihrer Stim me überraschte Carvett. Es war et was darin, das ihn aufhorchen ließ. Aus ihr sprach ein Wille, dem er sich nicht widersetzen konnte. „Wir werden einen ganzen Tag brauchen mit so einem Biest", sagte er. „Aber meinetwegen. Was ist, An na, glaubst du, daß uns das Langohr beide tragen kann?" Die Frau zuckte mit den Schultern. „Versuch es, dann wirst du es wissen. Carvett", ihr Blick glitt über den Marshal, „solltest du es schaffen, und solltest du Georg begegnen, dann sag ihm, er möchte nicht zurückkom men. Sag ihm, ich würde ihn erschie ßen." Sie drehte sich herum und ging schnell davon. Laurie wollte ihr nacheilen. Car vett hielt sie am Arm fest. „Laß nur. Sie ist jetzt lieber allein. Sie wird es durchstehen. Später", er grinste knapp, „werde ich mich etwas um sie kümmern. Und jetzt komm. Halt das Biest, bis ich im Sattel bin." Sie brauchten mehrere Versuche. Als sie es endlich geschafft hatten, stöhnte Carvett leise auf. Laurie mußte ihn stützen. Die Hütte der Siedler war außer Sichtweite. Carvetts Kraft sank mit jedem Schritt des Maultieres, das bisher sehr friedlich war. Nur sein starker Wille hielt Carvett noch auf recht. Wenn das Maultier bockt, dachte Laurie, wird Carvett aus dem Sattel 56
fallen. Er wird hier liegen und viel leicht sterben. Und in der Stadt ist Lobo. Allein. Männern ausgeliefert, die ihn hassen. Die aus dem Hinter halt über ihn herfallen, und die ihn zerreißen werden. Es war die Angst um das Halbblut, die Laurie etwas tun ließ, das gegen jede Vernunft war. Sie schlug dem Maultier gegen den Hals. Das Tier, von dem Schlag aufgeschreckt, sprang wie ein Ziegenbock mit allen vier Beinen gleichzeitig in die Luft. Laurie umklammerte den Mar shal. Sie hielt ihn und sie hielt die Zügel. Das Maultier stemmte die Beine in den Boden. Laurie schlug noch mal zu, und dann noch einmal und immer wieder. Sie schlug, bis ihr die Hände schmerzten, bis das Maul tier plötzlich anfing zu laufen. Carvett hing wie ein halbgefüllter Sack im Sattel. Seine Wunde war wieder aufgebrochen. Der Verband war mit Blut durchtränkt. Es färbte sein Hemd bis zum Gürtel hinunter. Nur einmal drehte er den Kopf. Sein zernarbtes Gesicht war verzerrt. Wahrscheinlich sollte das, was er zeigte, ein Grinsen sein. Aber es war es nicht. Es war die schmerzvolle Grimasse eines Mannes, der wußte, daß er den Ritt kaum überleben würde. „Gut", krächzte Carvett mühsam, „gut, Laurie. Wir beide - wir beide schaffen es schon." Er sank im Sattel nach vorn. Durch die ungleiche Lastvertei lung wurde das Maultier wieder un ruhig. Es drehte den Kopf und blick te wild um sich. Laurie war wie von Sinnen. Sie schlug dem Tier die Faust gegen den Hals. „Lauf", brach es schrill über ihre Lippen, „nun lauf doch! Oder, zum Teufel, ich schneide dir die Gurgel durch!" Das Mädchen war in einer Verfas sung, in der sie keinen Augenblick gezögert hätte, das auch zu tun. Ihr Wille, ihr ganzes Ich schien sich auf das Tier zu übertragen. Es galoppier
te nicht Kein Maultier galoppiert. Aber es trabte. Gleichmäßig und rhythmisch. Raumgreifend. Einer Stadt entgegen, in der das Unheil sei nen Lauf nahm. Und Marshal Car vett hing im Sattel. Leer, ausgeblu tet. Ein Mann mit hohlem Gesicht und kraftlosen Händen. Zu schwach, um einen Revolver zu ziehen. Zu schwach, um ihn abzudrücken. Aber noch zu stark, um zu sterben. Die Stadt lag vor ihnen wie ein un heilvolles Monstrum. Die Häuser sa hen aus wie leblose, erstarrte wilde Tiere, die breite Main Street wie eine Schlange, die man in der Mitte zer hackt hatte, deren Kopf aber noch intakt war. Der Kopf mit den Gift zähnen. Laurie brauchte alle Kraft und alle Energie, um das Gefühl der Angst zu unterdrücken. Sie wagte nicht mehr, den Blick zu heben. Sie starrte nur vor sich hin auf die Straße, in den Dreck, auf Carvetts Rücken, den das Blut dunkel gefärbt hatte. Ralleighs Hotel. Das Hotel, in dem sie alles Glück dieser Welt erfahren hatte, wirkte auf sie wie ein ruhen der Pol. Sie sprang aus dem Sattel. Carvett rutschte nach. Ihre Kraft reichte nicht aus, um den großen, schweren Mann aufzufangen. Er entglitt ihren Händen. Ein Mann auf der anderen Straßenseite starrte zu Laurie her über. Sie sah ihn. „Helfen Sie, bitte, helfen Sie doch!" Der Mann sah weg. Er ging schnell in das Haus zurück. Laurie faßte Carvett unter den Ar men. Sie schleifte den schweren Mann die Treppe hinauf. Vor der Eingangstür versagten die Kräfte. Sie legte Carvett so behut sam, wie ihr das möglich war, auf den Boden. Als sie sich aufrichtete, blickte sie in das bösartig grinsende Gesicht von Jim Aberdeen. Lobo nahm sich viel Zeit. Er mußte die Stadt von Westen anreiten, um
die Sonne im Rücken zu haben. Jesse Moreen trottete hinter ihm her. Schweigsam, verbissen. In Ge danken vergraben, die außerhalb des Guten standen. Gelegentlich hielt Lobo an. Er blickte zurück und hielt nach vorn Ausschau. Aber außer den beiden Aberdeen-Cowboys war ihm nie mand mehr begegnet. Während einer kurzen Rast drängte Moreen sein Pferd neben das des Halbblutes. Er blickte auf McGinnests Revolver, den Lobo im Gürtel stecken hatte. Er streckte die Hand aus. „Geben Sie ihn mir, Lobo." „Was denn, den Revolver?" Moreen nickte. „Vielleicht kann ich ihn gebrauchen. Und wenn nur da für, mir eine Kugel in den Kopf zu schießen. Noch einmal werde ich mich nicht Aberdeen ausliefern. Ge ben Sie ihn mir." Lobo zögerte etwas, dann reichte er Moreen die Waffe hinüber. „Ich hof fe es für Sie, Moreen, daß sie ihn nach der richtigen Seite abdrücken." „Diesmal ganz bestimmt. Danke, Lobo." Sie ritten weiter. Die Stadt rückte näher. Die Sonne stand tief über den fernen Guadalupe-Bergen. Sie war ein verglühender roter Ball, dessen Strahlen das Land bizarr überflute ten. Etwa zwei Meilen vor der Stadt stießen sie auf die von Big Springs herüberführende Fahrstraße. Der Geruch von Staub lag in der warmen Luft. Lobo sah die Postkutsche auf dem Kamm eines Hügels. Er sah sie un tertauchen, in einer Senke ver schwinden. Er verschwendete einen kurzen Gedanken an sich selbst. An sein Le ben, das ihm manchmal sinnlos er schien. Ein Leben, das er in Augen blicken wie diesem haßte, und dem er doch nicht entgehen konnte. Da für sorgten die anderen. Die mit den makellos weißen Westen. Mit den glatten, farblosen Gesichtern. Män ner wie Sam Aberdeen und sein un 57
gebärdiger Sohn Jim. Er war wieder am Ausgangspunkt. Dort wo er nicht sein wollte, wo er je doch immer wieder hinkam. Ein Blick auf den toten McGinnest be stimmte seinen Weg. So würde es im mer sein. Heute und morgen. In San Angelo oder sonstwo. So lange, bis ihn eine Revolverkugel einholte. Vielleicht würde es schon heute sein. Vielleicht. Er wehrte sich dagegen, aber er wußte auch, daß er den Lauf der Dinge nicht aufhalten konnte. Niemand konnte das. Moreen hatte in der Satteltasche von McGinnests Pferd eine Flasche gefunden. Sie war noch halb gefüllt. Er entkorkte sie und reichte sie zu Lobo hinüber. „Nehmen Sie einen Schluck. Es wird Ihnen guttun. Und wenn alles vorbei ist, werden Sie menschlich. Versuchen Sie es jeden falls." Lobo schlug die Flasche aus. Er streifte Moreen mit einem kurzen, schnellen Blick. „Sind Sie es, Mo reen?" „Seit heute. Ja." Lobo lachte ein gereiztes Lachen. „Warten Sie nur ab. Ihre Mensch lichkeit wird schnell zum Teufel sein, wenn Aberdeen Sie in die Fin ger kriegt. Ihre und seine. Beten Sie, wenn Sie das können, daß das nie der Fall sein wird." Er trieb den Fuchs wallach an und zog McGinnests Pferd mit sich. San Angelos breite Main Street sah aus wie ein riesiger, alles verschlin gender Rachen. Sie war schmutzig und leer. Tot, ausgestorben. Nur hier und dort bewegten sich sehr vorsich tig verblichene Gardinen, zogen Männer ihre Blicke zurück und ver sanken in bequeme, schützende und sichere Häuslichkeit. Die Stille war bedrückend. Die Atmosphäre kni sternd. Eine ganze Stadt hielt den Atem an. Das Halbblut trottete dahin. Neben sich einen toten McGinnest, hinter sich einen Anwalt, der in zäher Selbstverständlichkeit einen Weg ging, der direkt auf den Boothill füh 58
ren konnte. Alle Wege führten dorthin. Lobo erstarrte zu Eis. Vor dem Lo ne Star Saloon stand sein Falbe. Ein Mann lag neben dem Eingang. Er lag auf dem Rücken. Seltsam ver krümmt, das rechte Bein ausge streckt, das linke etwas angezogen. Er trug eine braune, an den Knien durchsichtige Cordhose und ein ka riertes, verwaschenes Baumwoll hemd, das auf der Brust rot gefärbt war. Der Mann hatte glanzlose Au gen. Starre Augen. Die Augen eines Toten. Georg, der Siedler. Nur ein paar Atemzüge lang war Lobo aus dem Gleichgewicht. Und nur ein paar Atemzüge lang dachte er an Laurie, an Gene Carvett und die Frau draußen auf der Siedler stelle. Dann war alles vorbei. Vor dem Liberty Hotel hielt Lobo an. Ohne den Kopf zu wenden, sagte er zu Moreen: „Wenn Sie ein biß chen Verstand haben, dann reiten Sie weiter. Hier sind Sie niemandem von Nutzen. Am allerwenigsten mir." Er achtete nicht mehr auf den An walt. Seine Stimme war scharf und her ausfordernd, als er rief: „Ich bringe Ihnen McGinnest, Aberdeen, Ihren Eintausenddollar-Mann!" Lobos Stimme verhallte. Sie fand kein Echo. Er ließ die Zügel von McGinnests Pferd los. Etwas steif und schlaksig stieg er aus dem Sattel. Sein Blick suchte die Fenster des Li berty Hotels ab. Er sah nur die blan ken Scheiben, die sich in den Strah len einer versinkenden Sonne spie gelten. „Lobo!" Das war kein Ruf. Das war ein Schrei. Er rollte die Straße herunter. Er prallte gegen die Häuser und ver lor sich nur sehr langsam. Das Halbblut benötigte keine Se kunde. Er hing seitlich am Leib des Fuchswallachs. Er galoppierte die Straße hinunter, ohne sich ganz auf zurichten. Eine Revolverkugel flog ihm entgegen. Sie hauchte ihn an und strich nur knapp, über ihn hin
weg. Lobo ließ sich vom Pferd auf die Straße fallen. Das Tier geloppierte noch etwas weiter, dann blieb es ste hen. Es sah sich um, scharrte mit den Hufen und trabte dann gemächlich weiter. Lobo wälzte sich über die Straße. Sein Revolver flog hoch. Die Mündung zeigte genau auf Laurie. „Steh auf, Halbblut!" Jim Aberdeen hatte das Mädchen mit seinen starken Armen um spannt. Er hielt sie an sich gepreßt, die Revolvermündung an Lauries Hals. „Steh auf", wiederholte er, „oder, gottverdammich, ich drücke ab!" Lobo kam langsam auf die Beine. Er blickte in Jim Aberdeens großes Gesicht. Er blickte in ein Paar wäß rige blaue Augen, in denen es glitzer te. Jim Aberdeen verzog seinen gro ßen, breiten Mund. Jetzt den Re volver weg." Als Lobo einen Augen blick zögerte, sagte er, ohne die Stim me zu heben: „Ich werde sie umbrin gen. Und das ist kein Spaß, Halb blut." Lobo zog mit spitzen Fingern die Waffe. Er hielt sie von sich, öffnete die Finger und ließ sie fallen. „So ist's recht, Halbblut." Jim Aberdeen lachte breit und satt. Er lachte wie ein Mann, der soeben ei nen großen Sieg errungen hatte. Und Jim Aberdeen hatte einen errungen. Auf der Veranda regte sich Mar shal Carvett. Sehr schwach nur, aber er regte sich. Vor dem Liberty Hotel rutschte Jesse Moreen unruhig im Sattel her um. Er sah auf den Revolver in sei nem Hosenbund. Mit einer schnellen Bewegung zog er ihn heraus. Eine Stimme prallte in seinem Rücken. Sie riß ihn herum. „Moreen!" In den verhallenden Ruf brüllte ei ne Winchester. Moreens Pferd brach augenblicklich zusammen. Es be grub den Reiter unter sich. Der An walt ruderte hilflos mit den Armen. Er rief etwas, das niemand verstehen 59
konnte, dann lag er still, halb ver deckt unter dem schweren Leib des Pferdes. Sam Aberdeen stand auf der Ver anda des Liberty Hotels. Ein Mann steckte den Kopf durch die geöffnete Tür. „Das Pferd wird Moreen erdrük ken, Sir", sagte er. „Stört dich das?" Der alte Aber leen sah den Mann scharf an, wild, unbeherrscht. Der Mann schrumpfte zusammen. Sam Aberdeen gefiel das. Das war ein Ausdruck seiner Macht. Sie krochen wieder vor ihm. Sie buckelten und sie leckten ihm die Füße, wenn er das nur wollte. Er trat ein paar Schritte auf die Straße hinaus. Er sah das Halbblut, und er sah Jim, dessen Revolverlauf in den letzten Strahlen einer glutrot versinkenden Sonne matt blitzte. „Herauf mit ihm, Jim! Er soll krie chen! Auf Händen und Füßen, bis zu mir herauf!" Jim Aberdeen schob sein großes, hartes Kinn nach vorn. Seine starken Arme hielten immer noch Laurie. Er stieß sie von sich, gegen das schon recht wacklige Geländer der Veran da. Es gab nach. Laurie stürzte auf die Straße. Jim Aberdeen, im Bewußtsein sei ner Überlegenheit, lachte. Breit, ge hässig, ohne seine Begehrlichkeit je doch verbergen zu können. „Ich werde dich nehmen, so oft ich will und so lange ich will", sagte er höhnisch. „Gewöhn dich schon mal an den Gedanken, du verkommenes schwarzes Miststück." Sein Blick kroch zu Lobo hin. „Du hast gehört, was der Alte gesagt hat. Na, wie ist es, willst du kriechen, ich meine, frei willig? Oder soll ich ein bißchen nachhelfen?" „Du wirst mich erschießen müssen, Aberdeen." „So, erschießen!" Jim Aberdeen schüttelte seinen mächtigen Kopf. „Das hätte ich längst tun können, wenn ich das gewollt hätte. Das wäre zu einfach. Ein stinkendes Halbblut erschießt man nicht, man läßt es kre 60
pieren. Los jetzt, runter mit dir!" In Jim Aberdeens wäßrigen blauen Au gen war soviel aufgespeicherter Haß, der auf Entladung drängte, soviel Gemeinheit, daß allein sein Anblick einem Mann das Fürchten lehren konnte. Sam Aberdeens Stimme erfüllte die Main Street in ihrer ganzen Län ge. „Will er nicht kriechen, Jim?" „Ich zwinge ihn!" Lobo drehte sich ein wenig zur Sei te. Es war eine Vierteldrehung. Ge nug, um mit dem Rücken zu der ins Hotel führenden Treppe zu stehen. Jim Aberdeen stampfte auf ihn zu. Plump und massig. Der Revolver lag jetzt in seiner linken Hand. Laurie hockte immer noch auf der Straße, wohin sie der junge Aber deen geschleudert hatte. Oben auf der Veranda bewegte sich Marshal Carvett. Ein bißchen mehr als zuvor. Laurie sagte: „Tu, was er verlangt, Lobo. Tu es!" „Er tut es nicht", erwiderte Jim Aberdeen. Seine Rechte zuckte nach vorn. Lobo sah den Schlag kommen. Er wich ihm nur so weit aus, um nicht voll getroffen zu werden. Er taumelte gegen die Treppe und er wartete Jim Aberdeens nächsten Schlag. „Du sollst kriechen, Hundesohn!" schrie der Hüne und schlug gegen Lobos Rippen. Die Luft wurde Lobo etwas knapp. Er schnaufte, und Jim Aberdeen grinste. Das Halbblut stolperte rück wärts die Treppen hinauf. Marshal Carvett hatte seine Hal tung noch etwas mehr verändert. Er lag jetzt so, daß das Holster mit dem herausragenden Revolvergriff nicht mehr von seinem Körper verdeckt war. Jim Aberdeen setzte Lobo nach. Er hatte nur Blicke für das Halbblut. Für den Mann, der ihn geschlagen hatte. Nur für ihn und für nichts sonst. Er schlug noch einmal zu. Nicht hart genug, um Lobo wirklich umzuwerfen. Aber der fiel um. Und er fiel genau über Gene Carvett.
Der Marshal stöhnte unter dem Aufprall von Lobos schwerem Kör per. Jim Aberdeen trat mit dem Fuß nach Lobo. Dessen rechte Hand fühl te den Kolben von Carvetts Revol ver. Von seinem Leib verdeckt, zog er langsam die Waffe. Er konnte kein Risiko mehr eingehen. Jetzt nicht mehr. Lieber noch einen Schlag, ei nen Tritt. Und der Tritt kam. In ihm war soviel Kraft und soviel Zorn, daß Lobo von Gene Carvett herunterge schleudert wurde. Jim Aberdeen schrie, als er den Re volver in Lobos Hand sah. Es war ein Schrei, der selbst den immer noch am Liberty Hotel stehenden Sam Aber deen erschauern ließ, der in die Häu ser drang und ihre Bewohner in Pa nik versetzte. Es war Jim Aberdeens letzter Schrei. In den Schrei hinein drückte Jim Aberdeen den Revolver ab, mit der linken Hand. Seine Kugel zersplit terte die Bretter der Veranda. Aber das sah er schon nicht mehr. Lobo schoß. Ihm blieb gar keine andere Wahl, wenn er selbst überle ben wollte. Der Einschlag der Kugel aus so na her Entfernung warf Jim Aberdeen zurück. Er prallte gegen die Haus wand, stolperte nach vorn. Er riß das Geländer um, blickte aus toten Au gen auf Lobo, dann schlug er auf. Staub stieg auf. Er senkte sich nur langsam über Jim Aberdeen. Er deckte ihn zu, so, als wäre ein graues, schmutziges Tuch über ihn gebreitet.
Laurie bückte sich nach Lobos Ar my Colt, der vor ihren Füßen lag. Sie hielt die Waffe mit beiden Händen. Sie richtete sie auf den Mann, der mit schweren Schritten die Straße her unterlief, dessen Füße breite Fur chen in den Straßenstaub zogen, des sen starke Fäuste eine Winchester hielten. Auf der Veranda quälte sich Mar shal Carvett, seinem Rücken an der
Hauswand einen Halt zu geben. Was sich auf seinen Zügen zeigte, konnte man bei einigem guten Willen als ein Grinsen auslegen. Auf jeden Fall aber war es ein Ausdruck der Zufrie denheit. Lobo steckte den Revolver in Car vetts Holster zurück. Der Marshal krächzte mit einer Stimme, die ei gentlich gar keine war: „Ich wußte, daß du es schaffst. Ich wußte es." Lo bo blickte Carvett an. Es war der Blick eines Mannes, in dem alles lag. Dankbarkeit, Respekt und vielleicht auch Freundschaft. „Sam Aberdeen!" Es war Lauries erschreckter Schrei, der Lobo in die Welt der Ge fahr und des Todes zurückbrachte. Sie hielt den Revolver immer noch. Ihre Hände zitterten. Und Sam Aberdeen stampfte heran. Sein großes, fettes Gesicht bleich, sein Blick starr. Lobo drückte Lauries Hand mit dem Revolver zur Seite. Er stellte sich mitten auf die Straße. Ohne Waffe, mit herabhängenden Armen. Zwanzig Schritte trennten ihn noch von Sam Aberdeen, dann nur noch zehn. Der Blick der dunklen Augen war fest auf den alten Mann gerich tet. Sam Aberdeens Schritt stockte. „Nimm deine Waffe, Halbblut!" „Nein." Aberdeen hob etwas den Lauf der Winchester. „Ich werde dich erschie ßen!" „Tun Sie es, wenn Sie den Mut dazu haben, Aberdeen." Lobo blickte in das kleine, runde und schwarze Loch. Er erwartete einen Feuerblitz, einen donnernden Knall, einen har ten Schlag. Er starrte hinein, und er dachte: Weshalb schießt er nicht? Ich warte darauf, ich warte, weil ich nicht mehr will. Es hat keinen Sinn zu leben, um zu töten. Töten, weil dich andere dazu herausfordern, weil sie dich zwingen. „Schieß endlich!" „Nein!" Laurie rannte nach vorn. Sie stellte sich vor Lobo, schützend, 61
die Arme weit ausgebreitet. Sam Aberdeen machte noch einen Schritt nach vorn. Er schleuderte die Winchester weit von sich. Er sah plötzlich alt aus. Uralt, wie tausend Jahre. Sein großes Gesicht war grau. Es verfiel wie das eines Toten. Wie das seines Sohnes Jim. Er drehte sich auf der Stelle um. Schwer und un sagbar müde ging er davon. Den Weg zurück, den Weg eines Verlorenen. Lobo sah ihm blicklos nach. Er blieb noch lange in unveränderter Haltung stehen. Steif und bolzenge rade, mit herabhängenden Armen. Laurie berührte ihn sanft. Sie suchte
seinen Blick, aber Lobo blickte an ihr vorbei, durch sie hindurch. „Ich hätte ihn erschossen", sagte sie mit einer Stimme, die nicht ihr zu ge hören schien.
Lobo nickte. „Ja", erwiderte er, „du hättest ihn erschossen." Er wandte etwas den Kopf nach dort, wo Gene Carvett lag. „Hol den Doktor, Laurie. Carvett braucht ihn, und er braucht Anna." In San Angelo hatten sie vergessen, die Lichter anzuzünden. Die Dunkel heit lag schwarz und schwer über der Stadt. Sie verbarg den Mann, der mit gesenktem Blick über die Main Street ging, der am Concho River Sa loon in den Sattel eines Falben stieg und den eine alles verschluckende Finsternis vor dieser Welt verbarg. „Boothill", sprach er vor sich hin,
„die Endstation allen Lebens." Er sah zu einer einsam brennenden Kerze hinüber. Sie gab ihm weder Licht noch Trost.
Lobo sah das Blitzen des Mündungsfeuers und drückte fast im selben Se
kundenbruchteil ab.
Das Donnern der Colts klang ohrenbetäubend in dem Raum.
Lobos Kugel streifte den Banditen nur am linken Arm.
Das Blei des Banditen knallte nur eine Handbreit neben Lobos Kopf in den
Türrahmen.
Der Bandit war zweifellos reaktionsschnell.
Er hielt sich nicht damit auf, noch einmal auf Lobo zu schießen und dabei
selbst eine Zielscheibe abzugeben. Er hechtete in die Ecke zu den Gefange
nen.
Der zweite Bandit hatte sein Gewehr hochgerissen und zielte auf Lobo.
Lobo feuerte.
Der Bandit schoß noch, doch das Blei klatschte nur in die Decke. Dann brach
der Verbrecher getroffen zusammen. Das Gewehr polterte zu Boden.
Lobos Colthand ruckte bereits zu dem zweiten Banditen herum.
Doch es war zu s p ä t . . .
Lobo, der Einzelgänger, muß sich sein Recht zu leben gegen eine unerbitt
liche Umwelt immer wieder erkämpfen. Lesen Sie nächste Woche 117 dieser
großartigen Western-Serie:
Der letzte Verrat
von John Reno
ex libris
KAPTAIN STELZBEIN 2010 Printed in Germany. Januar 1979