Atlan - Minizyklus 05 Dunkelstern Nr. 12
Endstation Anaksa von Uwe Anton
Wir schreiben das Jahr 1225 NGZ. Atlan, der ...
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Atlan - Minizyklus 05 Dunkelstern Nr. 12
Endstation Anaksa von Uwe Anton
Wir schreiben das Jahr 1225 NGZ. Atlan, der unsterbliche Arkonide, ist gemeinsam mit der geheimnisvollen Varganin Kythara auf die Fährte der Lordrichter von Garb gestoßen, die mit riesigen Armeen ihrer Garbyor-Völker und geraubter varganischer Technologie an vielen Orten des Universums wirken. Zunächst wurden sie in der Southside der Milchstraße mit ihnen konfrontiert, und nun stehen sie in der Kleingalaxis Dwingeloo wieder im Kampf gegen die unheimlichen Invasoren. Mittlerweile wissen sie, dass sich hinter den Garbyor die ehemaligen »Horden von Garbesch« verbergen und die Lordrichter Zugang zum Mikrokosmos der Varganen suchen. Mittels einer Verkleinerungstechnologie und der geheimnisvollen Schwarzen Substanz scheint dies auch zu gelingen. Um sie aufzuhalten, muss Atlan ins Zentrum der Schwarzen Substanz vorstoßen. Und so heißt es nun entweder für ihn oder die Lordrichter: ENDSTATION ANAKSA …
Endstation Anaksa
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide enthüllt das Geheimnis von Anaksa. Yagul Mahuur - Der Lordrichter erreicht das Herz der Station. Kythara - Die Varganin muss sich ihren schlimmsten Erinnerungen und einem Erzherzog stellen. Garbgursha - Der Zaqoor sieht sich in der Hierarchie zurückgestuft. Anaksa - Ein geheimnisvolles Wesen kommuniziert mit fremden Besuchern.
Atlan: Rivalen »Was tust du da?« »Das siehst du doch. Ich grabe ein Loch.« Was für ein Klugschwätzer! Sicher sah ich das. »Weshalb gräbst du ein Loch?« Er hielt mit dem Schaufeln inne. Bis zur Hüfte stand er schon in der Grube. Wie ein Wilder hatte er gearbeitet. Sein Gesicht war rot angelaufen; nass glänzte es im Licht der Monde. In der Luft hing der Geruch nasser Erde. »Ich denke noch darüber nach. Vielleicht für dich. Vielleicht für Kythara. Oder für euch beide?« »Findest du das lustig? Ich muss dich enttäuschen, ich kann darüber nicht lachen.« Er hatte kein Recht auf Kythara, noch nicht. Wir mussten um sie kämpfen, wie das Ritual es vorschrieb. »Es ist mir sogar ziemlich ernst. Das Ritual ist eine einzige Lüge. Ich habe dabei keine Chance gegen dich. Also grabe ich ein Loch, in das ich alle Lügner werfen werde.« Er schnaufte erregt. Natürlich hatte er Recht, das Ritual war nur noch eine Schau. Niemand dachte heute noch daran, sich wie die wilden Vorfahren um eine Frau zu schlagen. Zudem liebte Kythara mich und nicht diesen aufgeblasenen Kalarthras. Trotzdem hatte er um sie geworben. Mit dem Ergebnis, dass wir beide uns messen mussten. »So ein großes Loch kannst du gar nicht graben. Dann musst du auch die Ältesten hineinwerfen, Kytharas Familie und meinen Clan. Sei vernünftig und lass uns die Sache in Würde hinter uns bringen.« Ich hielt ihm die Hand hin. Er schlug danach. »Du wirst schon sehen, Arkonide, ich grabe bis zum Morgengrauen. Ihr alle werdet
reinpassen.« Er spuckte aus und stieß die Schaufel in die Erde. »Es wird dir nichts nutzen. Sie will dich nicht!« Er war verliebt. Dieser einfältige Sonderling hatte sich hoffnungslos in das schönste Mädchen des Dorfes verguckt. »Was du nicht alles weißt! Ich dachte, das Ritual entscheidet?« Jetzt musste ich lachen. »Du hast doch selbst gesagt, dass du keine Chance hast. Ich muss dir ausnahmsweise Recht geben. An deiner Stelle würde ich die Brautwerbung zurücknehmen. Alle lachen schon über dich. Wenn du die Sache durchziehst, machst du auch noch deine Aussichten auf eine andere Braut zunichte. Wer nimmt schon einen Versager? Du müsstest sie dir schon im Tiergehege suchen!« Mit einem wütenden Brüllen sprang er aus der Grube. Die Schaufel hoch erhoben, kam er auf mich zu. Mir wurde plötzlich klar, dass er stark war und ich keine Schaufel hatte. Dicht vor mir blieb er stehen, sein Schweißgeruch drang in meine Nase. »Stürz nicht uns beide ins Unglück, Kalarthras. Es gibt noch eine andere Lösung.« »O nein! Und das weißt du verdammter Arkonide genau. Du oder ich!« Sei auf der Hut!, mahnte der Extrasinn. Varganen sind Arkoniden körperlich weit überlegen! Kalarthras schlug zu. Ich riss die Arme hoch, um den Kopf zu schützen, setzte zu einem Dagor-Tritt an. Doch in der Bewegung lag zu viel Wucht. Sie warf mich zehn, zwölf Zentimeter weiter zurück, als ich kalkuliert hatte, und der Tritt streifte ihn nur. Dieser Mistkerl!, dachte ich. Er hat mich überrascht! Der Extrasinn lachte höhnisch.
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Uwe Anton
Dann holte der Vargane zu einem weiteren Schlag aus und hämmerte gleich einen dritten hinterher, der meine Deckung endgültig zusammenrechen ließ. Es wurde dunkel um mich.
1. Atlan Wie ein Käfer auf dem Rücken Schwarzer Schnee fiel in dichtem Gestöber. Ich öffnete die Augen. Der Schnee blieb. Schmerzwellen brandeten durch meinen Kopf. Wo war Kalarthras? Eben hatte er mich noch … Nein. Es war ein Alptraum gewesen, vielleicht auch eine Art Vision, ich wusste es nicht. Mir war lediglich klar, dass hier an »Bord« von Anaksa vieles rätselhaft war – noch. Meine Aufgabe war es, durch all diese Rätsel hindurchzustoßen direkt ins Zentrum der Station, auf deren Konto die gefährliche Schwarze Substanz ging, die in Dwingeloo von den Lordrichtern zum Einsatz gebracht wurde. Wenn nur mein Schädel nicht so fürchterlich dröhnen würde! Was war das für ein merkwürdiges Szenario gewesen? Handelte es sich um ein Zwangsbild, das von außen auf mich projiziert worden war, oder entstammte es meinem Unterbewusstsein, das mich vor Kalarthras warnen wollte? Du Narr, das war schiere, primitive Eifersucht. Du musst deine Gefühle besser unter Kontrolle halten. In dieser Umgebung können Aussetzer tödliche Konsequenzen haben. Für alle! Der Extrasinn musste natürlich ein Wörtchen mitreden. Aber er hatte nicht Unrecht, wie ich erkannte, als sich mein Blick klärte. Die schwarzen Schneeflocken fielen heftiger, kreiselten, wirbelten, als seien sie beseelt, als belauerten sie uns, um uns zu umfangen und aufzufressen. Was würde ge-
schehen, wenn sie uns tatsächlich einschlossen? Wenn dieser Schnee den Mut dazu fand … Mut? Wie konnte Schneegestöber Mut aufbringen? Schnee ist für gewöhnlich auch weiß und nicht schwarz, bemerkte der Logiksektor. Täusch dich also nicht, was seine Optionen angeht. Hatte ich mir dieses Zögern nur eingebildet, oder verriet der Extrasinn in dieser Situation tatsächlich eine gewisse Ratlosigkeit? Ein leises Stöhnen unterbrach meinen Gedankengang. Kythara!, schoss es mir durch den Kopf. Sie würde wissen, was … Ich wollte mich auf die Seite drehen, mich der Varganin zuwenden, die neben mir lag, doch ich konnte mit viel Mühe gerade den kleinen Finger der linken Hand bewegen. Ein Blick auf das Allzweck-Armbandgerät am linken Handgelenk verriet mir, dass wir noch den 21. Juli 1225 NGZ schrieben und ich bloß ein paar Minuten bewusstlos gewesen war. Dabei hatten wir keine Zeit zu verlieren. Wir mussten den Zugang zum Mikrokosmos verschließen, den sich die Garbyor – zu welchem Zweck auch immer – mittels varganischer Technologie geschaffen hatten und der letztlich mit Sicherheit auf eine Katastrophe für ganz Dwingeloo und wahrscheinlich sogar die Milchstraße und Gruelfin hinauslaufen würde. Der Vorstoß zur Zentrale-Station war gescheitert, ich lag hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken da, konnte nicht einmal mit den Beinen zucken, nur hoffen, dass mein Zustand sich schnell besserte, bevor der schwarze Schnee uns erreichte. Jetzt kam alles darauf an, ob mein Zellaktivator es schaffen würde, die Lähmung rechtzeitig zu überwinden. Die Lähmung ließ allmählich nach – langsam, quälend langsam –, doch schließlich war es so weit: ich konnte den Kopf ein wenig drehen und sah ein wenig von Kytharas blondem Haar.
Endstation Anaksa Und glaubte im selben Moment, mir würde Eiswasser durch die Venen rinnen, denn ich sah noch mehr: In erschreckender Lautlosigkeit näherten sich uns drei furchtbar entstellte Varganen. Jetzt, da ich sie sah, vernahm ich auch die leisen, schmatzenden Geräusche, die sie bei jeder Bewegung von sich gaben. Ihre Körper waren deformiert und von schwärenden, eitrigen Wunden und Blasen übersät, so scheußlich, dass sie nach menschlichem Ermessen längst hätten tot sein müssen. Zwei konnten ihre Beine nicht mehr gebrauchen und krochen auf rohem Fleisch über den Boden, der dritte humpelte auf zwei unterschiedlich langen Beinen. Alle drei streckten gierig die Arme nach Kythara und mir aus. Waren das die Kreaturen, von denen der Vargide Saelin gesprochen hatte? Jene, die mit der Station verschmolzen waren? Jene, mit denen Kythara Kontakt herzustellen gehofft hatte? Die drei Abscheulichkeiten, die einmal Varganen gewesen sein mochten, zischten leise und gestikulierten. Sie kamen aufgrund ihrer furchtbaren Deformationen nur langsam voran. Zwanzig Meter vielleicht noch. Doch wir kamen nicht rechtzeitig weg, wenn die Lähmung so langsam verklang. Mittlerweile konnte ich zwar schon die Hand bewegen, aber das reichte nicht einmal zu einer Abwehrbewegung. Kythara flüsterte neben mir: »Atlan, wo sind wir? Was ist passiert? Mein Kopf … so dumpf. Und dann, als würden mir ein paar Stunden Erinnerung fehlen.« »Ich weiß. Das war bei mir genauso. Es geht vorbei. Allerdings erreichen uns unsere Freunde da drüben womöglich eher und machen der Sache anderweitig ein Ende.« Die varganische Konstitution musste in der Tat robuster sein als die arkonidische, denn es gelang ihr bereits, den Kopf zu heben. Nun sah auch sie die drei Gestalten. Ein Aufschrei entwich ihren Lippen. Sie fing sich schnell wieder – als ehemali-
5 ge »Göttin« in der Obsidian-Kluft war sie es nicht gewohnt, Schwäche zu zeigen. »Warte, ich sehe Varg-1 und Varg-2. Die können uns helfen. – Aktivmodus!« Nichts geschah. »Verdammt.« Mühsam hob ich den Kopf und sah die Bescherung: Die beiden Roboter hingen wie erstarrt in der Luft, nach wie vor umflimmert von ihrer Pegasus-Projektion, die allerdings merklich schwächer und durchscheinender geworden war. Früher hätte man gesagt: Sie sind »abgestürzt«, aber das ist derzeit wohl nicht angebracht, konstatierte der Extrasinn lapidar. Ihr habt es nicht sehr weit gebracht, oder? Nein, wirklich nicht. Vom Standort des zurückgelassenen Kardenmoghers waren wir erst rund 100 Kilometer entfernt. Falls wir uns überhaupt noch auf derselben Welt wie die Weltenwaffe befanden … Wir lagen auf einem kleinen Felsvorsprung. Hoch über uns spannte sich ein dunkles Gewölbe, so hoch, dass ich keine Einzelheiten erkennen konnte. Diese zwanzig, dreißig Meter der näheren Umgebung waren die einzige Konstante in einer sich ständig verändernden Welt. Ringsum wirbelte der schwarze Schnee, einzelne Flocken peitschten immer wieder unsere Anzüge. Täuschte ich mich, oder durchlief ein leises Zittern den Boden, vielleicht der Vorläufer eines Bebens? »Die Idee war gut«, tröstete ich Kythara. Die Varg-Kugelroboter hätten uns gewiss zu schützen vermocht. »Aber die Schwarze Substanz oder ein anderer Faktor an diesem Ort scheint sie ausgeschaltet zu haben.« Die Varganin seufzte. »Danke für die Diagnose. Und jetzt? Wie steht's mit deiner Beweglichkeit?« »Es geht mir von Sekunde zu Sekunde besser, aber es wird nicht reichen.« Die drei Varganen waren noch zehn, zwölf Meter entfernt.
*
6 Ich sah mich in einem Anflug von Verzweiflung um. Nicht nur unser Zustand war seltsam, auch unsere Umgebung war ein Gemisch aus sich übereinander schiebenden Sinneseindrücken. Vexierbildhaft wechselte zumindest die Wahrnehmung, die ich von ihr hatte. Gemein war allen Bildern allerdings, dass »Schneeflocken« aus Schwarzer Substanz sie durchtanzten. Konnte ich im einen Augenblick noch die kraterübersäte Landschaft des Mondes erkennen, über dessen Horizont sich der Gasriese mit seinem prächtigen Ringsystem erhob, sah ich im nächsten eine gewaltige Kaverne, deren Wände mit bizarren Gebilden besetzt waren. Unterschiedlich große schwarze Blöcke mit gerundeten Formen schienen an den Wänden zu kleben; die meisten waren gewaltig. Zwischen ihnen wanden sich meterdicke Rohre und Schläuche. Heftig pulsierend beförderten sie eine unbekannte Fracht. Kythara sah es auch. »Was ist das?« Ein sonderbares Konglomerat wahrscheinlich biomechanischer Aggregate von Hochhausgröße, vermutete der Extrasinn. Danke für die Diagnose, gab ich zurück, unbewusst Kytharas Aussage wiederholend. »Was auch immer es ist, es ist riesig, und ich halte es für lebendig.« Die dunklen, bedrohlich wirkenden Apparaturen verblichen, der Gasriese schob sich wieder über den Horizont. Ich prägte mir die Position der Sterne am Nachthimmel ein und suchte in meinen Erinnerungen nach ähnlichen Bildern, doch schon wurden sie wieder von den überdimensionierten Bioaggregaten überlagert. Trotzdem äußerte ich meine Vermutung. »Ich halte es für denkbar, dass wir den ursprünglichen Standort der Anaksa-Lebensform erblicken, ehe sie in die Umlaufbahn um den Dunkelstern versetzt wurde.« Kythara stöhnte leise auf. »Und wie genau bringt uns das jetzt weiter? Atlan! Sie sind fast da!« Ich schaute wieder zu den varganoiden Kreaturen hinüber. Sie waren noch sechs, sieben Meter entfernt. Ich sah, dass ihre
Uwe Anton nackten Arme einzige Wunden waren. Einem hing die Haut buchstäblich in Fetzen vom Fleisch, bei einem anderen schlug sie unablässig Blasen, die immer wieder aufplatzten und dabei eine eitrig anmutende Flüssigkeit hinausspritzten. Was würden sie mit uns anstellen, sobald sie uns erreicht hatten? War es Gier, die sie ihre Arme nach uns ausstrecken ließ? Aber worauf? Wollten sie uns … verzehren? Oder wollten sie aus anderen Gründen zu uns? Noch drei Meter … Das Zittern des Bodens wurde stärker. Die Vibrationen liefen durch meinen Körper und ließen meine Organe schwingen. Es war ein überaus unangenehmes Gefühl. Dann steigerten sie sich zu einem weiteren deutlich wahrnehmbaren Beben. Oder Vorbeben, das das große lediglich ankündigte? Kythara schrie leise auf, aber nicht wegen der Schwingungen. Im nächsten Moment spürte ich es auch. Eine fremde Kraft walzte über mich hinweg und presste mir die Luft aus den Lungen, dass ich glaubte, meine Brustplatte würde in tausend Knochensplitter zerspringen. Ein Vorhang aus bunten Farbschlieren legte sich auf meine Augen. Sah so das Ende aus?
* Narr! Was du spürst, ist kein körperlicher Druck! Ich lauschte dem Schmerz nach und stellte fest, dass der Extrasinn Recht hatte. Ich war ein Narr, denn mit mentaler Macht hatte ich durchaus bereits Erfahrungen gesammelt. Dies hier war zweifellos ein geistiger Druck. Die Schwarze Substanz fiel immer dichter. Sie wirbelte in winzigen Fetzen um uns. Das Gestöber verwandelte sich in einen finsteren Schneesturm. Auch die drei Varganen schienen davon beeinträchtigt zu werden, ihr Tempo verlangsamte sich noch weiter.
Endstation Anaksa Zwei Meter … »Atlan, wir müssen uns etwas einfallen lassen …«, murmelte Kythara. »Das weiß ich auch!« Ich versuchte es wieder mit der linken Hand, konnte aber nur zwei Finger um ein paar Millimeter bewegen. Die vorderste Varganen-Kreatur war fast heran. Ein Meter, ein halber … Das Zerrbild eines Varganen schob den Arm vor. Eine Woge des Gestanks schwappte zu mir herüber. Er wird mich mit irgendetwas infizieren oder gleich töten und zerreißen wie ein Ghul aus der terranischen Sagenwelt! Ein lautes Grollen ertönte. Der Felsvorsprung, auf dem wir lagen, erbebte, als wolle er unter uns wegbrechen … Die Kinder der Varganen: Ein Tag und die Ewigkeit »Immer bist du der Anführer, Tolakin! Ich will auch mal das Sagen haben.« Sein glockenhelles Lachen schallte über die Blumenwiese. »Tavena, du bist zu ungeduldig! Jeder kommt dran, das weißt du doch. So sind die Regeln.« Das Mädchen zog eine Schnute und warf sich auf Tolakin. Er hätte ausweichen können, blieb jedoch stehen und ließ zu, dass sie gegen ihn prallte. Er drehte sich, nutzte ihren Schwung aus und schleuderte sie zu Boden. Dann sprang er hinterher. Kichernd wälzten sie sich über die Wiese. Blütenstaub drang in seine Nase, er musste niesen. Sie trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust, doch er lachte nur. Abrupt wurde er ernst, umklammerte ihre Handgelenke und zwang ihre Arme zurück. »Hörst du das?« Tavena erstarrte, Stille senkte sich über die Wiese. Sie nickte. »Ja.« Der laue Sommerwind trug weitere Kinderstimmen zu ihnen herüber. Dazwischen mischte sich das keckernde Geräusch eines
7 zahmen Erdanus. »Schnell, die anderen kommen!« Tolakin sprang auf. »Lass uns ein Spiel machen!« Er war der Ältere, stand kurz vor der Jünglingsreife. Das sonnengelbe Haar trug er offen und schulterlang. Er wusste, dass Tavena ihn geradezu anbetete, doch sie war noch zu sehr Kind. »Ja, ein gutes Spiel! Dann können wir für kurze Zeit die Angst vergessen.« Ihr Blick wurde traurig. »Die schreckliche Angst, die so viele von uns lähmt. Du weißt, ich spiele erst seit kurzem mit, längst noch nicht so lange wie ihr, aber ich kenne die Furcht ebenfalls …« Er nickte aufmunternd, und sie nahmen einander an den Händen und lösten sich auf.
* Schnüffelnd sprang der Erdanu über die Wiese. Er hielt die schwarze Nase dicht über dem Boden und stieß in kurzen Abständen ein leises Fiepen aus. »Sie waren hier!«, sagte Onidro. Seine goldenen Augen funkelten plötzlich so hell, dass seine schimmernde Bronzehaut eine Spur dunkler wirkte. »Canga wittert sie.« Die anderen sahen ihn unschlüssig an. Onidro spürte, dass sie zögerten. Seflen sprach schließlich aus, was alle dachten. »Ist das erlaubt? Müssen wir sie nicht ohne Hilfe finden?« Onidro zuckte die Achseln. »Pah! Canga ist nur zufällig bei uns, also entspricht es vollauf den Regeln.« Er grinste. »Wirklich Pech für Tolakin und seine Freundin.« »Sie ist nicht seine Freundin«, maulte Seflen. Das hättest du wohl gern, dachte Onidro und bückte sich, um Canga zu streicheln. Der Erdanu reichte ihm bis an die Knie; lediglich die dunkle Schnauze ragte aus dem braunen Fell hervor, das bis auf den Boden fiel und seinen eigentlich schlanken Körper zottelig und unförmig wirken ließ. »Such, Canga, such!« Onidro kniff die Augen zusammen, als
8 der Erdanu plötzlich knurrte und vor ihm zurückwich. Das Tier scharrte hektisch mit den Hinterläufen, knurrte noch einmal – und sprang ihn an. Der Junge riss die Arme hoch und konnte im letzten Augenblick die Hände um den Leib des Erdanus legen, der sich unter seinem Griff schüttelte und wand. Canga bleckte die Zähne, fauchte laut. Heißer Speichel klatschte auf Onidros Gesicht. Das weit aufgerissene Maul mit den nicht gerade langen, aber sehr spitzen Zähnen kam der Kehle des Jungen immer näher. Schleudere ihn zurück, sonst zerfetzt er dich, dachte Onidro entsetzt. Doch er hatte Canga schon als Welpen bekommen; in all diesen Jahren war der Erdanu stets sein treuer Begleiter gewesen … »Tavena ist wirklich nicht meine Freundin, Onidro, und das weißt du ganz genau«, knurrte das Tier guttural, als seien seine Stimmbänder nicht dazu geschaffen, Sprachlaute zu produzieren. Entsetzt riss Onidro die Augen auf und starrte seinen Erdanu an, der gerade mit ihm gesprochen hatte. Dann ging ihm ein Licht auf. Er lockerte den Griff und setzte Canga auf den Boden. Das Tier wand sich nicht mehr und hatte auch zu knurren aufgehört. »Alle Achtung, Tolakin«, sagte er widerwillig. »Du bist tatsächlich etwas besser geworden. Aber ich habe dich aus der Reserve gelockt. Ich würde sagen, diese Runde geht an mich.« Der Erdanu jaulte laut auf. Mit einem Satz sprang er mitten in ein Feld aus rotem Mondfries. Die Blütenblätter wirbelten hoch und flatterten wie rote Schmetterlinge davon. Verwirrt setzte Canga sich auf und leckte sich die Pfoten. »Und wo bin ich jetzt?« Die Stimme kam aus allen Richtungen. Onidro sah sich um, die anderen Kinder drehten sich im Kreis und lachten. »Tolakin ist der Sieger«, rief Seflen, und die anderen fielen ein: »Tolakin ist der Bessere.«
Uwe Anton »Dieses Spiel geht an Tolakin.« Onidro verzog das dunkle Gesicht. Er war nicht so alt wie Tolakin und der äußere Gegensatz zu dem blonden, hellhäutigen Älteren. Er hatte gewusst, dass er verloren hatte, als er seinen Sieg verkündete, aber die Niederlage wurmte ihn. »Das wird mir zu albern.« Trotzig wandte er sich von Canga ab. »Überhaupt sind diese Spielchen nicht mein Niveau, und …« »Achtung!« Eine kühl modulierte Stimme hallte über die Wiese und unterbrach ihn. »Massiver Einfall von Schwarzer Substanz in den Bereichen Sieben bis Neun. Empfehle Gegenmaßnahmen!« »Muss es uns kümmern, wenn der Mishbar den Erdanu zwickt?« Onidro schüttelte so heftig den Kopf, dass sein wirres Haar ihn wie eine dunkle Wolke umschwebte. »Wir sollten es uns auf jeden Fall ansehen. Nachher verrate ich dir dann vielleicht meinen Trick.« Tolakin stand plötzlich vor Onidro und grinste ihn an. »Wenn er mich dann noch interessiert.« Der dunkle Junge verschwand. Tolakin zuckte die Achseln. »Auch nicht schlecht.« Lachend und singend verwandelte sich die Kinderschar in ein Blütenmeer, und Tolakin wurde die Sonne.
2. Atlan Augen schwarz in schwarz Ich hatte mich geirrt. Nicht der Felsvorsprung brach weg, sondern der Himmel stürzte ein. Genauer gesagt riss das Gewölbe hoch über uns auf. Dröhnend stürzten einige Felsbrocken herab; einer schlug nur ein paar Meter entfernt mit einem dumpfen Krachen auf. Staub wirbelte empor und nahm mir die Sicht. War das real? Oder auch wieder nur eine Vision? Die drei Varganen – entfernt. Der Tanz der schwarzen Schneeflocken ringsum wur-
Endstation Anaksa de immer hektischer und wilder. Fast schienen sie die Gesetze der Schwerkraft verhöhnen und emporstreben zu wollen, hinauf zur Gewölbedecke. Aus den Rissen im Gestein drang eine zähe Flüssigkeit, die sich beim Kontakt mit der Luft verhärtete und zu großen, fladenartigen Stücken verklumpte. Diese lösten sich von der Decke und schwebten gemächlich auf uns zu. Fast hatte ich den Eindruck, dass die Schwarze Substanz sich kontrolliert bewegte. Denn um nichts anderes handelte es sich bei den großen Klumpen! Immer mehr davon materialisierte, sickerte aus den Rissen in der Gewölbedecke oder erschien aus der Luft. Das schwarze Schneegestöber verdichtete sich zusehends, strebte auf die breiige Masse zu und vereinigte sich mit ihr. Einen Moment lang war ich dankbar, dass der Extrasinn mich mit Vermutungen verschonte, was passieren würde, wenn sie mich berührte. Je näher die unheimliche Masse kam, desto heißer brannte das Feuer, das sich plötzlich durch meine Adern zu wälzen und auch die Nervenstränge in Brand zu setzen schien. Bestand da vielleicht ein Zusammenhang, oder war das einfach eine Reaktion meines Körpers auf das Nachlassen der Lähmung? Ich befürchtete, dass mir nicht mehr genug Zeit blieb, um es herauszufinden. Zwei Meter schwebte die Schwarze Substanz über mir, dann noch einen – und stürzte herab. Aber sie hüllte nicht mich ein, sondern die Varganen-Kreatur. Einen Moment lang lag sie auf der grausam entstellten Gestalt, dann sickerte sie tiefer. Das Geschöpf fing an zu schreien. Es zuckte so heftig in krampfhafter Agonie, dass es fast einen halben Meter in die Höhe geschleudert wurde. Als es wieder auf den Boden prallte, verstummte es abrupt und rührte sich nicht mehr. Die beiden anderen Varganoiden verharrten reglos. Begreifen sie, was da geschieht? Begrei-
9 fen sie überhaupt irgendetwas? Ich konnte genau beobachten, wie die Substanz durch die Haut in den Körper eindrang. Von einem Augenblick zum anderen verfärbte er sich schwarz wie Ebenholz. Wie bei Kalarthras, meldete sich der Extrasinn. Doch die Abscheulichkeit machte noch in anderer Hinsicht eine Veränderung durch: Die verkrümmten Arme und Beine verdrehten und streckten sich. Die schwärenden Wunden schlossen, die Eiterblasen glätteten sich. Im Gesicht wanderten die Augen mit der Nase und dem Mund um die Wette an ihre angestammten Stellen zurück, es nahm wieder Züge an, die ich als die eines Varganen erkennen konnte. Ich hielt den Atem an. Als hätte man einen Stein in einen Teich geworfen. Die Wasseroberfläche zieht Kreise bis zum äußeren Rand. Abrupt kam wieder Leben in den Körper des Varganen. Ruckartig setzte er sich auf und sah sich mit weit aufgerissenen Augen um. Ich konnte keine Unterschiede zwischen Augapfel, Iris und Pupille erkennen: Die Augen waren schwarz in schwarz. Ebenfalls genau wie bei Kalarthras … Zuerst schien der Genesene die Umgebung nicht wahrzunehmen. Langsam drehte er den Kopf, als sei er gerade eben mit vollem Bewusstsein geboren worden und müsse sich erst orientieren. Vielleicht ist dem ja so, vermutete der Logiksektor. Geboren oder wiedergeboren. Dann richtete der Verwandelte sich auf. Nichts mehr erinnerte an das schreckliche, entstellte Monstrum, das er gerade eben noch gewesen war. Ein wohlgestalteter Vargane mit ebenholzfarbener Haut stand vor mir. Die Schwarze Substanz hatte ihn in Sekundenschnelle von seinen Deformationen und Verletzungen geheilt. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert sein sollte oder noch mehr Grund zur Besorgnis hatte. Wie würde der Wiedergeborene reagieren? Welche Absichten hegte er uns gegenüber? Jedenfalls war er uns jetzt in dop-
10 pelter Hinsicht überlegen. Hoffentlich konnte ich bald mehr bewegen als nur die Arme. Das Brennen in meinem Körper gab Anlass zu der hoffnungsvollen Vermutung, dass die Lähmung zusehends nachließ. Doch der mentale Druck in meinem Kopf wurde wieder stärker. Ich kam mir vor wie ein Stück Arkonstahl unter der feldenergetischen Formpresse. »Die Schwarze Substanz.« Kytharas Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich hatte erwartet, dass die restlichen schwarzen Fladen sich auf die beiden anderen Varganoiden senkten, sah mich jedoch getäuscht. Sie umschwebten den Verwandelten, als … hätten sie Bewusstsein und würden auf irgendetwas warten. Auf die Reaktion des Genesenen? Ich konnte nicht einmal Vermutungen anstellen. Ein Geräusch ließ mich zusammenfahren. Zuerst hielt ich es für ein Reiben von verfaulendem Fleisch auf dem harten Boden, doch dann erkannte ich es als Laut, als Wort … »Warum …« Einer der Verunstalteten hatte es ausgestoßen. Ich drehte den Kopf zu ihnen. Der Humpelnde öffnete und schloss immer wieder den Mund. »Warum … können wir nicht ins Kyriliane?«, brachte er schließlich hervor. Die Frage klang unglaublich gequält. Kyriliane … Der varganische Begriff für das Ganze, für alles. »Oder …« Nun sprach auch die zweite Abscheulichkeit. »Oder … uns endlich vom Instinktbewusstsein lösen … Es währt … schon eine Ewigkeit … unendlich lange … und wir sind … der Lösung niemals näher gekommen …« »Oder wenigstens sterben«, ergänzte der Erste wieder. »Lass uns sterben … wie sehr sehne ich mich mittlerweile nach der gezielten Lösung des Bewusstseins von der Hülle …« So verunstaltet die Körper der Varganen sein mochten, sie schienen noch vollständig bei Verstand zu sein und sich klar artikulieren zu können. Die Lösung des Bewusstseins vom Körper bezeichneten die Varga-
Uwe Anton nen als Freisetzung ins Kyriliane. Allmählich konnte ich mir so einiges zusammenreimen. Der Geheilte – oder von der Schwarzen Substanz Übernommene – drehte sich langsam zu den anderen um. »Onidro, du kennst die Antwort.« Seine Stimme war tief und sonor wie die von Kalarthras. »Ich warne dich vor unbedachten Taten. Kein Unbefugter darf auch nur in die Nähe der Steuerzentrale gelangen. Die Folgen wären für uns alle katastrophal.« »Die Steuerzentrale liegt fünfhundert Kilometer tiefer … und meine Sehnsucht nach der … Freisetzung … ist größer als die Angst vor allen möglichen Folgen …« Der geheilte Vargane ging nicht darauf ein und drehte sich wieder um. Stirnrunzelnd sah er mich an. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf. Ich fragte mich, ob sich hier die erhoffte Chance bot. Vielleicht gelang es uns nun, Kontakt zu den Varganen herzustellen, die körperlich und geistig mit der Station verschmolzen waren. Seine nächsten Worte machten das zarte Pflänzchen Hoffnung brutal zunichte. »Wir sollen die Eindringlinge entfernen.« Er musterte mich nachdenklich, als überlege er, wie er mich am besten beseitigen könnte. Wenn du eine Idee hast, wäre jetzt der ideale Zeitpunkt, sie mir mitzuteilen. Ich konnte nur hoffen, dass Kythara meinen Gedankenimpuls empfing, obwohl der unbekannte mentale Druck immer noch sehr schwer auf uns lastete. Sie reagierte nicht. Sie lag völlig reglos da und hatte die Augen geschlossen. Kleine Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Sie hat Kontakt aufgenommen, dachte ich. Natürlich, die Varganen haben sie als Angehörige ihres Volkes identifiziert. Der schwarze Vargane machte einen Schritt auf mich zu, dann einen zweiten. Er streckte die Arme aus und bog sie, als wolle er prüfen, wie viel Kraft in ihnen steckte. Ich fragte mich, ob die Varganen bei al-
Endstation Anaksa lem Größenwahn auch dazu neigten, Käfern die Beine auszureißen. Zweifellos konnte dieser Vertreter seiner Spezies mir in meinem derzeitigen Zustand mit geringer Anstrengung das Genick brechen … Atlan: Androiden »Wie kannst du es wagen? Was erlaubst du dir?« Kytharas goldene Augen funkelten mich an. So wütend hatte ich sie noch nie gesehen. Ich konnte nur hoffen, dass sie nicht mit dem Gedanken spielte, mich mit Waffengewalt aus der AMENSOON zu werfen. »Ich habe doch nur gesagt, dass die Varganen häufig und gern Androiden geschaffen haben …« »Und wenn schon! Dir steht kein Urteil darüber zu! Vielleicht verachtest du uns deshalb, aber für uns ist das nur einer von vielen Wegen. Wir wollen uns nicht mit dem Schicksal der Kinderlosigkeit abfinden.« »Und mit vielen anderen Dingen auch nicht«, murmelte ich. Vorsicht, mahnte der Extrasinn. Du solltest sie nicht noch provozieren. Kythara trat ganz dicht vor mich und stach mit dem Zeigefinger in Richtung meiner Nase. »Bedenke die Umstände! Wir Varganen sind durch den Wechsel aus dem Mikrokosmos in den deinen zeugungsunfähig geworden. Allein, um diese Unfruchtbarkeit untereinander zu überwinden, haben wir uns darauf konzentriert, Kunstwesen zu schaffen. Das ist der Kernpunkt. Nur darauf läuft es hinaus!« Ich ignorierte den Rat des Logiksektors und lachte leise auf. »Trotzdem kommt mir dieser Versuch gottgleich, arrogant und hybrisbeladen vor! Dieses Unterfangen ist absolut größenwahnsinnig. Für euch Varganen sind die Androiden nur der Grundstock für Leben nach eurem Abbild, genau genommen biorobotische Diener und Sklaven, die ihren Herren die fehlende Bevölkerung zu liefern haben und genau in diesem Sinn auch programmierbar wurden. Sie sind euch doch
11 völlig ausgeliefert! Ob ihr ihnen nun absolute Friedfertigkeit gegenüber ihren göttlichen Schöpfern eingebt oder ihr euch direkt mit ihnen vermischt …« »Spielt es etwa keine Rolle, dass sie sich vermehren können, wie echte Lebewesen wirken und handeln und in etlichen Fällen sogar eigenes Bewusstsein entwickeln?« Langsam wurde ich ebenfalls richtig wütend. »Das sei unbenommen! Aber wir sprechen hier über die Frage, was wahres Leben ist.« Kythara trat zurück und drehte sich einmal um die eigene Achse. Als sie mich wieder ansah, lächelte sie. »Zweifellos ist diese Thematik heikel«, sagte sie zuckersüß, »und mir ist klar, dass sie von Angehörigen unterschiedlicher Spezies durchaus kontrovers aufgenommen, betrachtet und diskutiert wird. Aber was ist zum Beispiel mit den Mucys?« Sie hatte mich kalt erwischt. Dieser Begriff war die Abkürzung für Multi-Cyborgs, eine synthetisch gezüchtete Lebensform von überwiegend ausreichender Intelligenz, um zu eigenständigem, folgerichtigem Handeln im Rahmen des jeweiligen Auftrags fähig zu sein. Mucys waren denkende und fühlende Geschöpfe gewesen, die sorgfältig erzogen und in die menschliche Gesellschaft integriert worden waren. Sie hatten nicht das Gefühl haben sollen, als Außenseiter oder gar Monstren angesehen zu werden. Ein jeder war je nach Einsatzzweck halb- oder vollorganisch hergestellt und speziellen Erfordernissen und Umweltbedingungen angepasst worden. Sollte ein Cyborg zum Beispiel besonders schnell laufen können, wurden seine Beine aus Stahl hergestellt und er mit einer leistungsfähigen Energiestation ausgestattet. Damals war es zu hitzigen Diskussionen über diese Thematik gekommen. Was würde geschehen, wenn sich die Mucys zu sehr als wirkliche Menschen fühlten? Welche Konsequenzen ethischer Art ergaben sich, wo war der Trennungsstrich zu ziehen?
12
Uwe Anton
Ich konnte mich genau daran erinnern, nicht nur wegen meines fotografischen Gedächtnisses. Denn das CyborgForschungsprogramm war um das Jahr 3500 alter Zeitrechnung vom ersten Mann des damaligen Neuen Einsteinschen Imperiums initiiert und vorangetrieben worden – von mir! »Auch ich lerne noch immer dazu«, erwiderte ich ausweichend. »Kannst du das auch von euch sagen?« »So leicht kommst du mir nicht davon! Es geht hier um die Frage: Was ist wahres Leben? Wo, wie und wann gibt es den Sprung hin zu Bewusstsein? Was macht den Geist eines Lebewesens aus, ab wann hat man eine Seele …?« Eine sehr wichtige Frage, bestätigte der Extrasinn. Wir müssen ihre Klärung aber verschieben. Du solltest lieber darüber nachdenken, woher Kythara überhaupt von den Mucys weiß. Sie hat die letzten Jahrtausende in der Obsidian-Kluft verbracht, und du hast ihr nie von ihnen erzählt. Noch während ich nach Luft schnappte, löste sich die Zentrale der AMENSOON zusammen mit der Varganin auf.
3. Atlan Dagor-Techniken Kythara stöhnte und schlug die goldenen Augen wieder auf. »Ich schaffe es nicht. Ich kann sie nicht erreichen. Sie sind zu weit weg … oder haben sich zu sehr verändert. Ihr Bewusstsein ist wie ein Nebel. Immer wenn ich ihm näher komme, weicht er vor mir zurück. Er ist einfach nicht greifbar.« Ob es an meiner Angst lag, den belebenden Impulsen des Zellaktivator oder dem natürlichen Abklingen der Lähmung, plötzlich konnte ich die Beine bewegen. Der Schmerz war unglaublich, doch es gelang mir, die Knie anzuwinkeln. Aufstehen konnte ich zwar noch nicht, aber vielleicht würde ich dem Varganen ja einen Tritt versetzen können. Und damit wie viele Sekunden gewinnen?
Zehn? Oder zwanzig? Manchmal hasste ich den Extrasinn regelrecht. Der dunkle Vargane machte noch einen Schritt auf mich zu. »Warte«, rief der, den er mit Darkunisch angesprochen hatte. »Ein Irrtum. Sie haben es sich anders überlegt. Sie wollen, dass sie es erfahren.« Die Bedeutung der Worte war mir nicht ganz klar, aber der dunkle Vargane blieb stehen. »Warum?« Das würde ich auch gern wissen! Ich blickte zu Kythara hinüber. Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie wusste auch nicht, wovon die Rede war. Der dunkle Vargane stand da und rührte sich nicht, zehn Sekunden lang, zwanzig … Ich beobachtete ihn und spürte, wie das Brennen in meinem Körper sich von den Beinen ins Becken vorarbeitete, von den Armen in die Schultern. Aber es ging so langsam voran, und das drohte mir den Verstand zu rauben. Ich versetzte mittels einer alten DagorTechnik einen Teil meines Bewusstseins in eine leichte Trance, um die Selbstheilungskräfte des Körpers zu fördern, während ich mit dem anderen verzweifelt versuchte, an irgendetwas zu denken, was nichts mit den Varganen zu tun hatte. Doch meine Gedanken kehrten immer wieder zu ihnen zurück. Sie waren kein Volk, das meine unbedingte Hochachtung genoss, vor allem nicht nach dem, was ich in den letzten Tagen und Wochen über sie in Erfahrung gebracht hatte. Experimente mit dem eigenen Körper oder Bewusstsein galten bei ihnen als völlig normal, für mich waren sie jedoch in vielerlei Hinsicht so absonderlich, dass sie sich nur als größenwahnsinnig oder schlichtweg als verrückt bezeichnen ließen. Werte ein Volk nicht nach dem Aussehen, mahnte der Extrasinn. Varganen mögen völlig humanoid sein, aber sie sind eben keine Arkoniden oder Terraner. Sie stammen aus einem anderen Universum. Vergiss das nie-
Endstation Anaksa
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mals. Ich lachte stumm auf. Mein fotografisches Gedächtnis spülte zahlreiche Erinnerungen empor. Schon in meiner Jugend hatte ich mehrere bemerkenswerte Versuche erlebt, die Varganen mit sich selbst angestellt hatten. Etwa die an den Zeitwächter Ngulh, der sich auf einer Welt des Dreißig-Planeten-Walls als Verschmelzung von Varganenbewusstseinen mit einem elektronischen Trägerkörper bezeichnet und später als Neg Gulucch auf Miracle noch eine wichtige Rolle gespielt hatte. Oder das Zentralorgan des so genannten Quaddin-Körpers, das aus varganischen Wissenschaftlern entstanden war, die vor langer Zeit eine Symbiose mit Tieren und ganz speziellen Pflanzen eingegangen waren, weil sie ihr Bewusstsein erweitern wollten, getrieben vom Drang, unglaublichere Dinge zu erschaffen, als sie es ohnehin schon zuwege brachten. Du musst dich ablenken, ohne dich von deinen Erinnerungen überwältigen zu lassen. Handlungsfähigkeit ist das oberste Gebot! Ich konnte mich schon auf den Ellbogen abstützen und die Schultern ein paar Zentimeter vom Boden hochstemmen. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich die beiden entstellten und den schwarzen Varganen. Sie rührten sich noch immer nicht, schienen eine Art inneren Monolog zu führen oder auf etwas zu lauschen, was ich nicht wahrnehmen konnte. Die Übung hat ihren Zweck erreicht. Du kannst dich schon besser bewegen. Die weitere Entwicklung des Geschehens beansprucht nun deine ungeteilte Aufmerksamkeit. Fluchend löste ich mich aus der DagorTrance und sah mich um.
* Es ging mir besser. Ich konnte zwar noch keine Bäume ausreißen, aber immerhin mühsam versuchen, mich aufzurichten, den Einfluss der Lähmung abzuschütteln.
Der »geheilte« Vargane beobachtete jede meiner Bewegung, ohne mich indessen am Aufstehen zu hindern. Plötzlich hörte ich Kytharas mentale Stimme. Der intensive Einfluss Schwarzer Substanz schien ihre Kräfte bedeutend zu verstärken, ganz ähnlich wie vor vielen hundert Jahren Paratau die Psi-Gaben der Kartanin stimuliert hatte. »Ich komme jetzt besser an ihn heran. Wahrscheinlich wird es uns nicht gelingen, ins Innere der Station vorzudringen. Es sind noch fünfhundert Kilometer bis zur Steuerzentrale. Wir haben gerade ein Sechstel der Gesamtstrecke zurückgelegt. Ich versuche, mich mental mit dir zu vereinigen. Mit deiner Unterstützung kann ich sie vielleicht doch erreichen.« Ich nickte, kämpfte mich weiter hoch. Mein Kopf fühlte sich zwar an wie eine ausgequetschte Zitrone, aber ich musste ihr Recht geben. Der mentale Kontakt mit Kythara schien mich zusätzlich zu kräftigen. Ich kniete jetzt, winkelte das rechte Bein an, setzte den Fuß auf den Boden … Dann richtete ich mich tatsächlich schwankend auf. Kythara erhob sich ebenfalls, und ich hätte ihr sogar eine bessere Haltungsnote als mir selbst gegeben. Sie stand zwar breitbeinig da, schwankte aber kein bisschen. Jetzt höre ich sie zumindest bruchstückhaft, kommunizierte sie lautlos. Warte, ich gebe es an dich weiter … Es war eine ganz seltsame Wahrnehmung. Von den drei Varganen schien ein halb akustisches, halb mentales Flüstern auszugehen. Einerseits erklang es direkt in meinem Kopf, andererseits hatte ich den Eindruck, es ganz normal zu hören. »Erkenne sie … Kythara … und ihr Begleiter … weist Restspuren des verfluchten Kyriliane-Sehers Vrentizianex auf … kannte aber auch Ischtar … Sie sind sogar … mit Kardenmogher gekommen … Sicherheitskodes und Ezellikator überwunden … Vielleicht Lösung? Nein …!« Ezellikator … der Erbauer der Kardenmogher, dessen Sicherheitskodes es in sich hat-
14 ten. Ein verschrobener Kerl, zwar ein Genie, aber eines, das knapp vor dem Wahnsinn stand. Irgendwann drehte er dann komplett durch und brachte sich um, indem er die Droge benutzte. Das Kyrachtyl gewährleistete ihm den sanften Tod, die gezielte Lösung des Bewusstseins von der körperlichen Hülle. Ich dachte noch über den Sinn der Wortfetzen nach, als ich spürte, wie sich etwas in meinen Geist einschlich. Und zweifellos auch in den Kytharas, denn in diesem Augenblick waren wir eins. Einerseits verspürte ich Erleichterung darüber, dass es meiner Gefährtin gelungen war, tatsächlich Kontakt aufzunehmen, andererseits brandete in mir die entsetzliche Angst auf, von diesem fremden Etwas übernommen zu werden, mich wieder in einer Vision zu verlieren. Oder in etwas Schlimmerem als nur einer Vision. Mit festem Griff umfing die fremde Hand in meinem Kopf alles, was sie an Gedanken vorfand. Meine Mentalstabilisierung schien dagegen völlig machtlos zu sein. Ein leichter Druck auf meine Finger ließ mich erschrocken zusammenfahren. Kythara hatte meine Hand ergriffen. Mir wurde ihre körperliche Überlegenheit wieder bewusst, mehr jedoch noch ihre Psi-Fähigkeit. Wehre dich nicht gegen das, was nun kommt. Ich glaube, wir sollen etwas erfahren. Lass meine Hand nicht los, sonst bleibst du ausgeschlossen. Das, was ich befürchtet hatte, traf ein, ohne dass ich Widerstand leisten konnte. Ein gleißendes Licht fuhr durch meinen Geist. Es verwischte mein Ich, meine Persönlichkeit, wehte meine mentale Abwehr hinfort wie der Wüstensturm den ausgetrockneten, sterbenden, aus dem Erdreich gerissenen Busch. Ich hatte so etwas schon mehrmals erlebt, zum letzten Mal, als das Leben des lemurischen Tamrats Nevus Mercova-Ban in mich hineingeflossen war und mich fast um den Verstand gebracht hatte. Abrupt veränderte sich für mich die Welt erneut.
Uwe Anton Die Kinder der Varganen: Der Endlichkeit nahe In heller Unendlichkeit erstreckte sich die Himmelsflur. Bleicher Dunst schwebte unter ihr und ließ nur hin und wieder den Blick auf ein Paradies frei. Tolakin stand einfach nur da, genau wie die anderen Kinder, in einer durchsichtigen, zerbrechlich wirkenden Hülle, angefüllt mit Anmut und Gleichgültigkeit. »Warum sollen wir die Fremden an unserem Wissen teilhaben lassen?« Onidro wirbelte einer dunklen Wolke gleich zwischen seinen Kameraden. »Es wurde so beschlossen. Wir führen aus, was erwartet wird. So sind die Regeln.« Tolakin lächelte Tavena an. Sie saß zu seinen Füßen und spielte mit zwei Erdanus. »Wir hätten sie töten sollen, so, wie ich es gesagt habe. Die Schwarze Substanz wird immer gefährlicher. Woher sollen wir wissen, wie sie auf unsere Gemeinschaft wirkt? Alles verändert sich.« Onidro nahm Gestalt an, blieb vor Tolakin stehen und sah ihn herausfordernd an. »Veränderungen sind gut. Zu lange schon verharren wir hier, ohne dass etwas geschieht. Töten kannst du sie immer noch, aber lass uns erst sehen, ob sie für uns von Nutzen sein können.« Das helle Lächeln in Tolakins Gesicht wollte so gar nicht zu seinen Worten passen. Onidro zuckte die Achseln. »Sie sind keine Kunstwesen. Die Varganin kann wohl ebenso wenig Nachkommen haben wie wir alle.« »Wir sind die Schöpfer unzähliger Welten mit ebenso unzähligen Bevölkerungen. Wir haben Androiden geschaffen, die uns dienen. Wir haben ihnen Friedfertigkeit einprogrammiert und die Fortpflanzung ermöglicht und viele andere Eigenschaften.« Tolakins Gestalt verlor die Kontur, waberte und deformierte sich. »Wir wissen, dass wir uns nicht fortpflanzen können. In den Hunderttausenden von Jahren der Forschung und Suche haben wir den Grund dafür nicht erfah-
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ren. Das Schicksal verhöhnt uns. Bei all unserem Wissen um so viele Geheimnisse bleibt uns diese eine Kenntnis verwehrt.« Tolakins Stimme schwoll zu einem Orkan an. Die Fehlbarkeit der Zeugungsunfähigkeit war ein wunder Punkt seines Volkes. »Ja, wir haben Bioroboter erschaffen, aber haben wir damit auch wahres Leben erzeugt? Sind wir nicht zu sehr Schöpfer und Herren von Kunstwesen? Wo bleibt ihr eigener Geist, ihr eigenes Denken und Handeln? Am Ende haben wir unser Ziel aus den Augen verloren, haben wir uns in Visionen und Scheinwelten geflüchtet.« Tavena stand auf und trat zwischen Onidro und Tolakin. Sie war nicht mehr das kleine, lachende Mädchen. Eine Frau mit hüftlangem goldenem Haar und stolzem Blick hatte ihren Platz eingenommen. »Was ist aus uns geworden? Ein Kollektiv der Angst, ohne die Kraft, Anaksa zu verlassen.« Mit einer Armbewegung verscheuchte sie die Wolke, zu der Tolakin geworden war. Onidro blickte noch finsterer drein und kniff die Augen zusammen. »Alles war gut. Das Spiel hatte seine Regeln, und wir hatten Spaß. Doch jetzt hat sich alles geändert. Nichts stimmt mehr, nichts ist so wie früher. Unsere Welt ist im Umbruch begriffen, wir sind ihm hilflos ausgeliefert.« »Genau deshalb dürfen wir nicht aufhören, dafür zu kämpfen, dass sich diese Wandlung zu unserem Vorteil entwickelt.« Tolakin nahm Tavena in den Arm und küsste sie. »Ich hatte ganz vergessen«, flüsterte er, »wie schön du bist.«
4. Atlan Monaidros »Und das soll ein Lebewesen sein?« »Natürlich. Und es ist gleichzeitig der Durchbruch. Wir haben es geschafft!« Einen Moment lang war ich verwirrt. Wo war ich? Was war passiert?
Dann fiel es mir schlagartig wieder ein. Die Lähmung war verschwunden, wie auch mein Körper. Mein Geist befand sich in dem eines anderen, eines Varganen. Mir wurde klar, dass ich nicht nur herausfinden musste, wo, sondern auch, wann ich war. Kythara konnte ich nicht mehr sehen, aber ich spürte ihre Gegenwart. Sie schien ganz in meiner Nähe zu sein. Durch die Augen des fremden Körpers nahm ich meine Umgebung wahr. Sie erinnerte mich an die Zentrale der AMENSOON. Zweifellos befand ich mich an Bord eines Varganenraumers in der typischen Doppelpyramiden- beziehungsweise Oktaeder-Bauweise. Der Vargane betrachtete konzentriert ein Hologramm. Es zeigte etwas, das ich auf den ersten Blick für einen kleinen Planeten hielt, mit einem Durchmesser von 2760 Kilometern, 0,25 Gravo Schwerkraft sowie einer atembaren, wenn auch sehr dünnen SauerstoffStickstoff-Atmosphäre. Auf den zweiten Blick wirkte der Brocken wie eine aufgeschmolzene und dann bizarr erstarrte Masse, überzogen von vielfältigen Furchen, Windungen, Spalten und Klüften, wie ein überdimensionierter Korallenstock. Etliche Oberflächenbereiche waren transparent oder milchig durchscheinend, viele wirkten glatt und poliert. An einigen Stellen bildete aus den Tiefen des Körpers dringendes grellweißes Licht Glanzlichter und Reflexe und verlieh der fast schwarzen, aber grünlich angehauchten Farbe ein merkwürdiges Leben. Abgerundete und geschichtete Formen herrschten vor. Viele Abschnitte waren gewellt. Ich sah Buckel, Aufwölbungen und filigrane Strukturen, die an Brücken erinnerten. Andere transparente Abschnitte wirken extrem dünn und gestatteten den Blick auf tiefer gelegene Bögen, Rundungen, Löcher, Tunnel und Durchbrüche. Anaksa. »Durchbruch erscheint mir zu viel gesagt«, antwortete der zweite Vargane, der
16 hinter meinem neuen Körper stand, so dass ich ihn nicht sehen konnte. Wir sind im Bewusstsein eines Varganen namens Monaidros, vernahm ich Kytharas Stimme in meinem Kopf. Ich … kannte ihn flüchtig. Deshalb hatte ich also ihre Präsenz gespürt: Sie hatte den Kontakt hergestellt und mich mit in diese Vision genommen, diese Innenwelt der Erinnerung. Es erleichterte mich, die Varganin in meiner Nähe zu wissen, wenn auch nur als Bewusstsein wie ich. Wann geschieht das hier? Ich weiß es nicht mehr genau. Aber ich erinnere mich an den Namen. Er war ein enger Mitarbeiter Vargos. »Wir können höchstens auf Vargos Erkenntnissen aufbauen«, bestätigte der zweite Vargane Kytharas Angaben. Vargo – diesen Namen kannte ich. Der alte Wissenschaftler, nach dem später die ursprünglichen Tropoyther der Expedition in den Makrokosmos in Varganen umbenannt wurden, hatte das Geheimnis entdeckt, wie sich Materie zwischen zwei völlig unterschiedlichen Existenzebenen austauschen ließ, so dass der von ihm konstruierte Umsetzer jede beliebige Materiemenge in den Makrokosmos bringen und zurückholen konnte. Der Wissenschaftliche Erste Rat Mamrohn hatte für die Finanzierung des Projekts gesorgt. Es gab wenige Männer im Rat von Tropoyth, die so zielstrebig und selbstbewusst auf ein Ziel hinarbeiten konnten wie er. Ohne ihn hätte es den Umsetzer niemals gegeben. Während Vargo das Gerät konstruierte, hatte Mamrohn allerdings ganz andere Pläne geschmiedet und Vorbereitungen getroffen, von denen Vargo nichts wusste. Er wollte mit einer Invasionsflotte in den Makrokosmos vordringen, dort Stützpunkte errichten, um neue Räume zu erschließen und zu erobern. Als die Expedition vorbereitet wurde, verfügten die anderen an diesem Projekt beteiligten Wissenschaftler über die nötigen Unterlagen und Kenntnisse, um alle nötigen
Uwe Anton Schritte auch ohne Vargo in die Wege zu leiten. Sie führten später auch weitere Forschungen und die unterschiedlichsten Experimente durch. Zu diesen herausragenden Vertretern ihres Volkes gehörte auch Haitogallakin, der spätere Chefwissenschaftler von Kalarthras' Expedition nach Gantatryn. Kalarthras hatte von ihm erzählt. Ihn kannte Kytharas früherer Geliebter von allen am längsten, und ihm gehörte sein ganzes Vertrauen. Haitogallakin war seine rechte Hand, zwischen ihnen gab es keine Geheimnisse. Viele wissenschaftliche Mitarbeiter hatten Vargo vor den Gefahren des Übergangs gewarnt, weil sie befürchteten, dass die Grenzen zwischen den beiden Existenzebenen zusammenbrechen und der Sektor des Mikrokosmos mit dem Umsetzer zerstört werden könnte. Vargo hatte jedoch keine Anzeichen dafür gefunden, dass die Experimente das physikalische Gleichgewicht stören könnten. Abgesehen von der Veränderung der Varganen selbst hatte es beim Vorstoß in den Makrokosmos auch keine Probleme gegeben – diese traten erst auf, als von den 2000 nur 1800 Oktaederraumer in den Mikrokosmos zurückkehrten. Ich wusste, was damals geschehen war. Die Befürchtungen hatten sich als richtig erwiesen, die Eisige Sphäre war entstanden. Von ihr erfuhren die im Standarduniversum zurückgebliebenen Varganen-Rebellen allerdings erst, als der Henker Magantilliken vor etwa 50.000 Jahren mit seiner Jagd auf die Abtrünnigen begann. Schon in den rund 6000 Jahren, die zwischen dem ersten Übertritt ins Standarduniversum und der Rückkehr des Großteils der Varganen in den Mikrokosmos vergingen, fanden eine ganze Reihe von UmsetzerExperimenten statt, an denen Vargo selbst allerdings nur selten oder gar nicht beteiligt gewesen war. Zum Einsatz kamen in diesen Jahrtausenden jedoch stets nur Aggregate, die einen geringen Masseaustausch vollzogen, also auf Personen oder geringe Frachtmengen beschränkt blieben.
Endstation Anaksa »Und mit Hilfe dieses … Lebewesens willst du …« »Ja. Die absolute Bewegung ist entschlüsselt, mit Hilfe dieses Lebewesens können wir einen Umsetzer konstruieren, der auch größere Materiemengen in den Mikrokosmos bringen und wieder zurückholen kann. Vielleicht sogar Planeten oder ganze Sonnensysteme …« Monaidros atmete tief durch. »Du machst aber ein merkwürdiges Gesicht, wenn man bedenkt, was für eine frohe Botschaft ich dir gerade überbracht habe.« Monaidros war ein kluger Bursche, aber geändert hat sich die Geschichte deshalb nicht. Er war genauso maßlos wie wir alle. Der Wissenschaftler drehte sich zu seinem Gesprächspartner um. Waren die Varganen an sich schon eine imposante Erscheinung, so stach der andere noch aus ihrer Mitte hervor. Über zwei Meter groß, muskulös und mit einem Charisma, dem man sich nicht entziehen konnte, betrachtete er Monaidros. Seltsam, dachte Kythara. Er ähnelt Mamrohn, ist es aber nicht. Ich … spüre es genau. Ich kenne ihn nicht. »Aber nein, ich bin sehr erfreut. Gantatryn ist zwar eine sehr interessante Galaxis – ich erwähne nur die verlassenen Riesenruinen des vergessenen Volkes der Rhoarxi und die Hinweise und Anspielungen auf die mystische Kathedrale von Rhoarx oder das unbekannte abgrundtief Böse, das immer wieder einige von uns wahrnehmen –, aber auch eine kleine und unbedeutende. Wir könnten es verkraften, falls du dich irrst und es doch zu physikalischen Veränderungen kommt und diese Sterneninsel zerstört werden würde.« Der Vargane lachte höhnisch. Überwältigender Hass stieg in mir empor. Dieser Mann sprach fast beiläufig vom Untergang einer ganzen Galaxis, amüsierte sich sogar über die Möglichkeit, dass er ihn herbeiführte! Wir sind nicht alle so. Dieser Vertreter unserer Spezies ist selbst für varganische Verhältnisse eitel und wahnsinnig.
17 Ich seufzte. Kythara wurde nicht müde, sich für ihr Volk zu entschuldigen und es zu verteidigen. So war es immer, so würde es immer bleiben. Es gab kein »Volk«, es gab nur gute und schlechte Angehörige eines Volkes. Aber solch eine Skrupellosigkeit … »Ich will nur hoffen, dass deine Berechnungen und Spekulationen stimmen, Monaidros. Ich mag keine Fehlschläge. Wenn du dich irrst, werde ich dich ersetzen müssen. Dann werde ich dem Expeditionsleiter einen anderen Wissenschaftler an die Seite stellen müssen, eine Person meines Vertrauens.« Mir wurde klar, dass Monaidros tatsächlich versagt haben musste. »Aber jetzt erläutere mir, wie du einen beliebigen Masse- und Energieaustausch vollziehen willst. Und du hast auch davon gesprochen, dass du mit deiner Entdeckung Objekte des hiesigen Standarduniversums in den Mikrokosmos versetzen kannst, die auf diese Weise einem Zugriff entzogen und geschützt werden könnten – während sich umgekehrt Objekte des Mikrokosmos auf ebenso vielfältige Weise nutzen ließen.« »Es ist ziemlich kompliziert …« Monaidros zögerte kurz. »Ich möchte es dir mit einem Beispiel erklären. Stellt ein Umsetzer in einem Raumschiff die Verbindung zu einer Sonne im Mikrokosmos her und zapft sie an, steht an Bord des Raumers ein Energiepotenzial zur Verfügung, das eben dieser Sonne entspricht, im Makrokosmos jedoch nur das Volumen des Umsetzers und seines Portals beansprucht.« Der unbekannte Vargane sah Monaidros ausdruckslos an und schwieg. »Doch theoretisch könnten diese Möglichkeiten in einem viel größeren Maßstab genutzt werden. Umsetzer von geeigneter Leistung wären in der Lage, Raumsektoren oder gar ganze Sterneninseln in den Mikrokosmos zu versetzen und im Gegenzug Sterne, Raumsektoren oder die ganze Varganengalaxis in dieses Universum herüberzuholen.« Daran arbeiten sie also!, dachte ich. Die AMENSOON war mehrfach in Fallen gera-
18 ten, die sie in andere Raumsektoren verschlagen oder gar verkleinert hatten. Sie versuchen genau das, was einige von uns vor Jahrhunderttausenden angedacht haben! Ich ignorierte Kytharas Bemerkung. »Je nach Einsatz ließe sich der Umsetzer also in noch nie gekanntem Ausmaß defensiv wie auch offensiv nutzen«, sagte der stattliche Vargane nachdenklich. »Und hier kommt deine Entdeckung ins Spiel?« Monaidros zeigte auf das Holo. »Wir haben in Gantatryn mehrere Dutzend dieser Riesenlebensformen gefunden, die meist Mond-, in einigen Fällen sogar Planetengröße erreichen«, erklärte Monaidros. »Wir haben sie untersucht. Sie werden nicht nur von einem Instinktbewusstsein beseelt, sondern sind darüber hinaus natürliche Energiewandler, die ihre Ernährung durch gezielte Sonnenzapfung im konventionellen wie auch hyperphysikalischen Bereich sicherstellen. Sie sind in der Lage, die angezapfte Energie direkt oder nach einer Zwischenspeicherung unter Ausnutzung von Verbindungen zum Hyperraum durch transitionsähnliche Umformungsprozesse in beliebige Masse zu transformieren, was bei der Ernährung wie auch beim Wachstum der Fall ist.« Ich merkte auf. Wahrscheinlich kam es bei diesen Prozessen zu den hyperenergetischen Überschlägen, die wir angemessen hatten. Dabei floss dann, vergleichbar mit einer Sonnenzapfung, konventionelle und Hyperenergie vom Dunkelstern zur AnaksaStation und wurde dort entweder gespeichert oder über die merkwürdigen Dimensionsdurchbrüche in unbekannte Gefilde abgeleitet. Diese Überschläge variierten zwar in der Stärke, fanden allerdings mit der Regelmäßigkeit eines kosmischen Uhrwerks exakt alle 1,3753 Sekunden statt – womit sie genau jener übereinstimmenden Pulsperiode entsprachen, die die Neutronenstern-Pulsare der Planetaren Nebel aufwiesen! »Normalerweise sind diese Lebensformen weitgehend stationär an die Umlaufbahnen von Sonnen oder Gasriesen gebunden«, fuhr
Uwe Anton Monaidros fort. »Sie können ihren Standort allerdings durch gezielte Energieausstöße sowie Transitions-Strukturfelder verändern. Das geschieht jedoch nur sehr selten, meist nach der Geburt von Ablegern, die aus dem Hauptkörper abgespalten wurden und sich dann neue ›Nahrungsgründe‹ suchen. Die mit diesen Bewegungen verbundenen beachtlichen Strukturschocks haben uns überhaupt erst auf die Spur dieser Geschöpfe gebracht.« »Und Energiewandler und MasseTransformatoren von dieser Größenordnung können wir natürlich immer für unser Umsetzer-Projekt sehr gut brauchen …« »Genau. Wir haben auf anderen Welten eine ganze Reihe von Versuchen mit dem Umsetzer durchgeführt. Dann haben wir dieses Wesen in eine Umlaufbahn mit rund siebenhundertfünfzig Millionen Kilometern Abstand zur planetenlosen blauweißen Riesensonne Thasin'cran gebracht und Zug um Zug ausgebaut. Als Zentrale dient nun eine umgebaute Arsenalstation von fünfzehn Kilometern Durchmesser, die wir uns aus der Milchstraße beschafft haben. Neben den überdimensioniert großen Umsetzer-Aggregaten haben wir in erster Linie weitere eingebaut, die die Fähigkeiten der Lebensform nutzen und in den Prozess integrieren. Ein wichtiger Punkt war hierbei auch die gezielte Anzapfung, Ausnutzung und Aufladung des Sonnenfokus in der Mitte des Zentrumshohlraums …« Ich habe davon gehört, vernahm ich Kytharas Stimme in meinem Kopf. Das geschah umgerechnet im Jahr 343.000 vor Christus der terranischen Zeitrechnung, die du mittlerweile als deine eigene ansiehst … Bevor ich ihr antworten konnte, überwältigte mich eine mentale Stoßwelle und schwemmte meine letzten Reste von Bewusstsein davon. Gorgh-12: Drei Duftmarken Gorgh-12 verstand nicht, wieso Atlan und Kythara von Pegasus so emotional begei-
Endstation Anaksa stert waren. Er hatte sich informiert, was das Wort bedeutete, aber er verband damit nichts, keine Emotion, keine Hoffnung: ein geflügeltes Pferd, gezeugt vom Gott Poseidon, entstanden aus dem Blut der Gorgone Medusa, ihrem Körper entsprungen, als Perseus ihr den Kopf abschlug. Niemand gelang es, Pegasus einzufangen, bis die Göttin Athene ein goldenes Zaumzeug mit Zauberkraft erschuf. Für Gorgh diente die Pegasus-Projektion ausschließlich als Fortbewegungsmittel. Ohne ein solches war die Suche nach Atlan und Kythara von vornherein gescheitert. Er konnte nur hoffen, dass die Garbyor kein goldenes Zaumzeug besaßen. Er drehte sich nicht um, als hinter ihm ein donnerndes Krachen ertönte. Wahrscheinlich waren weitere Brocken Schwarzer Substanz auf den Kardenmogher gestürzt. Stur hielt der Daorghor auf den Rand der Höhle von fast einem Kilometer Durchmesser und 300 Metern Höhe zu, in der Kythara den Kardenmogher gelandet hatte. Dort führten weitere Gänge und Schächte in die unergründlichen Tiefen der Anaksa-Station. Einen davon hatten die beiden Mitglieder seines neuen Kollektivs gewählt. Er versuchte erneut, sie über Normalfunk zu erreichen, bekam jedoch auch diesmal keine Verbindung. Tief sog er die Luft ein. Sie war furchtbar dünn und vollständig von der Schwarzen Substanz durchsetzt. Doch noch immer nahm er die drei schwachen Marken wahr, die ihm den Weg weisen konnten. Der Geruch von wild wachsenden Blumen. Kythara. Der eines allein jagenden Raubtiers. Atlan. Und die dritte Marke, völlig anders, fremdartig, ungewöhnlich. Bedrohlich. War diese Komponente wirklich die des nahenden Todes? Die Daorghor verfügten zwar über einen ordentlichen Selbsterhaltungstrieb, doch der ehemalige Chefwissenschaftler von Maran'Thor sah die Sache logisch nüchtern. Für ihn gehörte der Tod zum Kreislauf des Le-
19 bens. Er war unvermeidlich, würde irgendwann sogar relativ Unsterbliche wie Atlan oder die Varganen ereilen. Warum also stellte sich bei ihm solch eine ungewöhnliche Empfindung ein? Warum glaubte er, den Tod zu riechen? Er ließ den unnützen Gedanken fallen und machte sich noch einmal mit den Kontrollen der Pegasus-Projektion vertraut. Die Ortungsgeräte verrieten ihm, dass Truppen der Garbyor den Kardenmogher mittlerweile erreicht hatten. Sie würden allerdings keinen Nutzen daraus ziehen können. Die Weltenwaffe war mittlerweile vollständig von Schwarzer Substanz verschüttet und wohl restlos zerstört. Er befahl der Varg-Projektion zu beschleunigen, soweit sie es in dieser Chaoszone verantworten konnte. Überall kam es zu Einbrüchen Schwarzer Substanz, nicht immer nahmen die Ortungsgeräte die Materialisationen so rechtzeitig wahr, dass er ihnen ungefährdet ausweichen konnte. Den Ortungsdaten entnahm er, dass die Garbyor ihr sinnloses Unterfangen, an den Kardenmogher heranzukommen, aufgaben und den Weg fortsetzten. Sie schlugen die Richtung ein, in die ihn Atlans und Kytharas Duftmarken auch führten. Ein leises Piepsen des Varg ließ Gorgh die Luft heftiger durch das Tracheensystem ziehen. Unbewusst führte er eine dorsoventrale Abflachung des Abdomens herbei, die einen Blutdruckanstieg im Körper verursachte, der die Tracheenstämme zusammendrückte. Immerhin hatte er sich noch so weit in der Gewalt, dass es zu keiner teleskopartigen Verkürzung des Abdomens gekommen war. Das wäre ein Anzeichen nackter Panik gewesen. Auch vor ihm ortete der Roboter Lebewesen. Und es waren nicht Atlan und Kythara. Also konnten es nur Garbyor sein …
5. Erzherzog Garbgursha
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Uwe Anton Ein nagender Verdacht
Abrupt materialisierte ein sich rasend schnell drehender Brocken Schwarzer Substanz vor dem vordersten Gleiter. Bevor der Pilot reagieren konnte, hatte er jegliche Energie der Generatoren und Konverter aufgesogen. Wie ein Stein stürzte das Fahrzeug zu Boden. Wahrscheinlich hätte die Besatzung den Aufprall sogar überstanden, doch die Schwarze Substanz diffundierte, breitete sich als Wolke aus und stürzte sich wie ein Lebewesen auf das Metall. Die nachfolgenden Gleiter gaben vollen Gegenschub. Einen Augenblick lang befürchtete Erzherzog Garbgursha, es würde zu einer Massenkollision kommen, doch die Bordrechner übernahmen noch rechtzeitig und verhinderten die unausweichlich scheinenden Zusammenstöße. Garbgursha atmete unwillkürlich auf. Aus dem Augenwinkel beobachtete er verstohlen Heronar. Der Zaqoor-Mutant blieb ganz ruhig. »Gegenschub beibehalten bis zur letzten Abzweigung!«, befahl er. »Wir müssen einen Umweg nehmen.« Heronar hatte die Lage richtig eingeschätzt. Um die Trümmer des Gleiters bildete sich eine kleine raumzeitliche Verzerrung, eine Aufrisserscheinung, die jegliche Materie in den Hyperraum abstrahlte – nicht nur das verbogene, verzerrte Metall, sondern auch einen winzigen Teil der Masse der Station selbst. Sie geriet in Bewegung und gruppierte sich um. Der Tunnel verkleinerte sich, die Wände verschoben sich und bildeten eine neue Ausstülpung, die in eine gerade noch nicht sichtbare Kaverne führte. Wie können wir in solch einer Welt überleben?, fragte sich Garbgursha. Unter solchen Umständen? Immerhin hatte er den Flug an Bord des Kommando-Gleiters antreten dürfen, der mit vier weiteren sowie 20 Flugpanzern dem Ziel entgegenraste, dem knapp 800 Kilometer entfernten Standort des »varganischen Kardenmoghers«. So hatte Lordrichter Yagul Mahuur das kurz zuvor entdeckte kleine
Raumschiff genannt, das ihm zufolge ohne Zweifel Atlan zuzuordnen war. Heronar hatte zwei Voraustrupps losgeschickt; mit etwas Glück würde zumindest einer von ihnen die feindliche Einheit jeden Augenblick erreichen. Heronar! Er verspürte unbändigen Zorn, wenn er nur an den engsten Vertrauten von Yagul Mahuur dachte. Der Anblick des Gestaltwandlers löste sogar körperliche Übelkeit in ihm aus. Nicht nur, dass er, immerhin ein Erzherzog, sich auf Befehl des Lordrichters dem Trupp von 200 Zaqoor hatte anschließen müssen, die den Kardenmogher sichern und Atlan und seine varganische Begleiterin stellen sollten! Das war zweifellos die Quittung dafür, dass die Kopaar-Falle kläglich gescheitert war. Es hätte noch schlimmer kommen können; er hätte dafür mit seinem Leben bezahlen können. Doch die Anweisung, sich ausgerechnet Heronars Befehlsgewalt zu unterstellen, kam einer Degradierung gleich. Ein Erzherzog, der nach der Pfeife eines Trobyor tanzen musste, eines einfachen Soldaten! Zumindest stand Heronar rein formal in diesem Rang. Aber irgendetwas stimmte da nicht. Garbgursha ahnte es nicht nur, er wusste es ganz genau. Es konnte nicht anders sein. Ein Lordrichter gab sich nicht ohne weiteres mit einem Trobyor ab, akzeptierte ihn nicht als Vertrauten, geschweige denn als Freund. Irgendetwas war da faul. Doch sosehr sich Garbgursha auch den Kopf zerbrach, er kam der Lösung des Rätsels nicht auf die Spur. Und dass der Zaqoor-Mutant ausgerechnet die Gestalt des varganischen Flottenkommandeurs Veschnaron angenommen hatte … nun ja, das konnte taktische Gründe haben, von denen er nichts ahnte. Darüber durfte er nicht den Stab brechen, wollte er sich nicht selbst als beschränkter Geist disqualifizieren. Die Wege der Lordrichter waren unergründlich. Aber jedes Mal, wenn er den über zwei Meter großen, muskulösen Varganen mit
Endstation Anaksa dem kantigen Gesicht, dem fingerkurz geschnittenen rotgoldenen Haar, den goldenen Augen und der schmalen, scharfrückigen Nase sah, stellte sich bei ihm ein übler Geschmack ein. Da half es auch nicht viel, dass Heronar genau wie er selbst und die ZaqoorSoldaten in einen silbrigen Kampfpanzer gehüllt war. Aus dem Funkempfänger drang eine kaum verständliche Meldung. Garbgursha sah, dass Heronar kurz aufhorchte. Der Bordrechner konnte die starken Funkstörungen nicht vollständig ausgleichen und beschränkte sich darauf, die eindeutigen Sequenzen wiederzugeben: »… sich weiterhin steigerndes Chaos … sowohl in der Akkretionsscheibe als … beim Dunkelstern selbst … Situation gerät … Kontrolle …« Der Erzherzog fuhr zusammen, als Heronar plötzlich den Kopf drehte und ihn ansah. »Vielleicht hätte Lordrichter Yagul Mahuur dich doch nicht zu dieser Expedition abstellen sollen. Vielleicht fehlt dort oben nun ausgerechnet deine Erfahrung und Intelligenz, um Schlimmeres zu verhindern.« Garbgursha verbiss sich jede Erwiderung. Heronar schien auch gar nicht mit einer Antwort gerechnet zu haben. Er widmete sich wieder der Holoanzeige eines Spezialortungsgeräts. Der Erzherzog kannte es; er selbst hatte es in der Kopaar-Falle verwendet. Es war eine äußerlich völlig unscheinbare, neun Zentimeter durchmessende Kugel aus einem an Milchglas erinnernden Material. Doch wenn man es in die Hand nahm, entstand über der Kugel eine Holoprojektion, die die Koordinaten und die Entfernung des georteten Ziels relativ zum Standort des Spezialortungsgeräts anzeigte. Garbgursha wusste nicht genau, was das Gerät anmaß. Mit normalen Ortern und Tastern ließ sich seine Funktion nicht vergleichen. Aber er hatte seine Quellen – und die verschafften ihm Informationen, aus denen er begründete Vermutungen ziehen konnte. Er ging davon aus, dass die Funktion mit den Todesimpuls-Implantaten der Garbyor zu-
21 sammenhing. Seit Heronars Einsatz auf Galadat war definitiv bekannt, dass sich ein Daorghor namens Gorgh-12 in der Milchstraße Atlan angeschlossen hatte. Und sie hatten den Arkoniden, den sie lebend gefangen nehmen sollten, ja immer wieder aufspüren und in die Enge treiben können. Dass er ihnen schließlich doch immer wieder entkommen war, ließ sich nur auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückführen. Und auf die Inkonsequenz ihres Vorgehens. Aber das Schwert der Ordnung wollte Atlan ja unbedingt unversehrt in Gewahrsam nehmen. Warum?, dachte der Erzherzog. Auch wenn es ihm nicht oblag, die Entscheidungen des Schwerts der Ordnung zu kommentieren oder sogar zu kritisieren, interessierte ihn der Grund brennend. Hochrangige Wissenschaftler und Historiker der Daorghor hatten in seinem Auftrag Nachforschungen betrieben. Grundlage des Spezialgeräts war keine Streuemission oder aktive Tastung, sondern die Tatsache, dass alle Todesimplantate der Garbyor hyperphysikalisch verbundene Teile eines Ganzen waren. Gorghs Gerät war zwar desaktiviert, aber immer noch in dieses Ganze integriert – was kein Außenstehender ohne genaue Kenntnisse des zugrunde liegenden Konzepts feststellen konnte. Und dieses Grundprinzip beruhte nun auf etwas, das Garbgursha absolut nicht verstand. Nämlich auf der so genannten SiegelAura einer Superintelligenz namens SethApophis. Er hatte nie zuvor von Seth-Apophis gehört, wusste nicht einmal, was eine Superintelligenz war. Er wollte es auch gar nicht wissen. Es gab Dinge im Einflussbereich des Schwerts der Ordnung, an denen ein Erzherzog nicht rühren sollte. Aber er wusste um die Siegel-Aura. Diese Siegel-Aura war eine psionische Markierung aller Welten, Stationen und Raumschiffe, die vor langer Zeit voll unter der Kontrolle der Superintelligenz gestanden hatten. Ebenso hatte jedes von Seth-Apophis
22 beherrschte Lebewesen diese nicht auf konventionellem Wege messbare Aura. Das Siegel wurde erst als solches erkennbar, wenn Agenten der Superintelligenz vermehrt an einem Ort auftraten. Es war dann als mentaler Impuls zu spüren, allerdings auch fast nur für Wesen im Dienst von Seth-Apophis. Bei Raumschiffen mit großer Besatzung und bevölkerten Planeten war die Siegel-Aura naturgemäß ungleich stärker, so dass Agenten auf diese Weise immer wussten, ob sie sich einer zum Machtbereich von SethApophis gehörenden Welt näherten oder nicht. Noch hatte sich die Positionsanzeige nicht bewegt, war identisch mit dem Standort des Kardenmoghers. Und das konnte nur bedeuten … Der Gleiter wurde wie von der Faust eines Riesen emporgeschleudert. Garbgursha schrie leise auf. Statt unnützen Gedanken nachzuhängen, hätte er sich lieber auf den Flug konzentrieren sollen. Unmittelbar über dem Gleiter war es zu einer spontanen Auflösung von Schwarzer Substanz gekommen, zu einer Detonation, die das Schutzfeld bis an den Rand der Kapazität belastet hatte. Die Feldprojektoren des Flugpanzers hinter ihnen waren nicht so leistungsfähig wie die des Kommando-Gleiters; das Gefährt verging in einem dunkelroten Feuerball. »Voller Schub!«, befahl Heronar. »Mitten hindurch! Die Schutzfelder werden standhalten!« Die Gleiter und Flugpanzer des Konvois beschleunigten über alle vernünftigen Werte hinaus und rasten mit Höchstgeschwindigkeit dahin. Doch auch diesmal lag der Zaqoor-Mutant mit seiner Einschätzung der Situation richtig. Einige Panzer wurden zwar ordentlich durchgeschüttelt, aber der Stosstrupp hatte keine weiteren Ausfälle zu verzeichnen. »Weiter«, sagte Heronar; seine Worte wurden in alle Gleiter und Panzer übertragen. »Vor uns steigt die Konzentration von Schwarzer Substanz stark an. Aber das stellt keine Gefahr dar; verlasst euch nicht auf eu-
Uwe Anton re Sinne, sondern nur auf eure Instrumente.« In Garbgurshas Abscheu vor dem Trobyor mischte sich ein gewisser Respekt. Er musste Heronar zugestehen, dass er sich als überaus fähiger Kommandant erwies, dessen Auftreten und Autorität die Zaqoor mitrissen und anspornten. Auch Garbgursha selbst konnte sich dessen Charisma nur schwer entziehen. Aber ihm war klar, dass die Schwierigkeiten jetzt erst anfangen würden. Den ersten Teil der Strecke hatten sie über der Oberfläche der Anaksa-Station zurückgelegt, der Rest musste nun durch Tunnel, Schächte und Höhlen erfolgen. Und in der Tiefe der Station liefen gewaltige Aggregate, ein nicht unbeträchtlicher Teil des Stationskörpers war ausgehöhlt. Andere Bereiche oder Komponenten wiesen sogar Verbindungen zum Hyperraum oder in fremdartige Dimensionen auf. Vor ihnen erweiterte sich der Schacht, durch den sie flogen, zu einer riesigen Kaverne. Ihr Boden war von einem Teppich knöchelhoher grüner Pflanzen bedeckt, in dem überall farbenprächtige Blumen sprossen. Garbgursha argwöhnte kurz, dass ihn der durchdringende Geruch von Blütenstaub einhüllte. Natürlich eine Illusion! Der blaue, wolkenlose Himmel über der grünen Endlosigkeit riss auf, der Erzherzog sah einen pockennarbigen Mond, der schwaches rotes Sonnenlicht auf eine karge Staubwüste reflektierte. Er schloss entsetzt die Augen. Er hatte schon Wüstenplaneten und ausgebrannte Schlackehaufen gesehen, die einst blühende Planeten gewesen waren, doch diese Welt war anders. Unsagbar fremd. Er bezweifelte nicht, dass er auf der Stelle gestorben wäre, hätte der Gleiter Kurs auf die Kaverne genommen. Das ist kein Himmelskörper aus unserem Universum! Von ihm geht eine für uns tödliche Strahlung aus, die ich selbst hier noch spüre, unter den Schutzfeldern des Kommando-Gleiters, in meinem silbrigen Kampfpanzer … Davor hatte Heronar sie gewarnt. Die
Endstation Anaksa Konzentration von Schwarzer Substanz stieg derart an, dass sich ein Durchbruch zu fremdartigen Welten öffnete … oder sogar zu einer anderen Dimension! Unsere Wissenschaftler sind sich nicht sicher, dachte Garbgursha, vermuten aber aufgrund der inzwischen gemachten Erfahrungen, dass es instabile Projektionen von Welten sein könnten, die eigentlich zum Mikrokosmos der Varganen gehören und über das geöffnete Umsetzer-Portal kurzfristig im Standarduniversum manifestiert werden. Und was war dieser Mikrokosmos denn genau genommen, wenn nicht ein anderes Universum? Ein weiterer Flugpanzer explodierte ohne offensichtlichen Grund. Der Erzherzog verachtete sich dafür, befolgte aber den Rat des Trobyor Heronar und konzentrierte sich auf die Instrumente. Sie zeigten nur sich permanent widersprechende Daten, und er floh vor der Verzweiflung, die ihn zu überkommen drohte, indem er in der Trodar-Philosophie versank. Es gibt keinen Tod, es gibt nur Trodar. Es gibt kein Leben, es gibt nur Trodar. Es gibt keine Angst, es gibt nur Trodar. Es gibt keine Freude, außer in Trodar. Doch auch diese beruhigende Gewissheit konnte sein Misstrauen, seine nagenden Zweifel nicht dämpfen. Warum handelte und sprach Heronar so, als sei er der Lordrichter persönlich …? Atlan: Dapsorgam »Was tust du da?« Wie ich seine Stimme hasste! Ihren arroganten Unterton, der mit jedem Satz, jedem Wort, jeder Silbe durchschimmern ließ: Ich habe so viel mehr als du gesehen und erlebt. Ich weiß so viel mehr als du. »Das siehst du doch! Ich grabe ein Loch.« Nachdenklich schaute er zu mir herunter. Ich schuftete wie ein Wilder, stand schon bis zur Hüfte in der Grube. Schweiß stand auf meiner Stirn. Immer wieder fiel ein Tropfen zu Boden und glänzte im Licht der Monde.
23 In der Luft hing der dunkle Geruch nasser Erde. »Weshalb gräbst du ein Loch?« »Ich denke noch darüber nach. Vielleicht für dich. Vielleicht für Kythara. Oder für euch beide?« »So ein großes Loch kannst du gar nicht graben. Dann musst du auch die Ältesten hineinwerfen, Kytharas Familie und meinen Clan. Sei vernünftig und lass uns die Sache in Würde hinter uns bringen.« Er hielt mir die Hand hin. Ich schlug mit der Schaufel danach. »Dapsorgam«, sagte er. Ich hörte zu arbeiten auf, spuckte aus und stieß die Schaufel in die Erde. Nachdenklich schaute ich zu ihm hinauf. »So ist das also«, sagte ich. Aber … woher konnte er davon wissen? Damals war er noch nicht bei uns gewesen, Kythara und ich hatten nie darüber gesprochen. Ich bezweifelte sogar, dass es der Varganin überhaupt aufgefallen war. Ich hatte es sofort bemerkt, es aber niemals erwähnt. Bei der Aktivierungsprozedur hatte der Kardenmogher uns mehrere Fragen gestellt. Eine davon lautete: »Wie nannte Litrak den Schmiegschirm des Urschwarms Litrakduurn?« Ich hatte in der Obsidian-Kluft von Litrak erfahren. Vor 546 Millionen Jahren war er Kommandant eines Urschwarms gewesen, der in der Milchstraße gestrandet und schließlich in ihr aufgegangen war. Aber ich hatte nicht gewusst, wie er den Schmiegschirm genannt hatte. Wesentlich früher hatte Emion, das Saqsurmaa, das uns mittlerweile auf unerklärliche Weise verlassen hatte, völlig zusammenhanglos das Wort »Dapsorgam« ausgesprochen. In letzter Not hatte ich es wiederholt, es war die richtige Antwort gewesen. Der Kardenmogher hatte uns als Berechtigte anerkannt. Zwei Fragen waren ungeklärt geblieben. Wie hatte Emion wissen können, dass die Weltenwaffe diese Frage stellen würde und wir die Antwort brauchten? Und … woher
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hatte der Kardenmogher von Litrak und dem Urschwarm wissen können? Auf die erste Frage hatte ich noch keine Antwort gefunden. Nun gut – Emion war ein Wesen mit zahlreichen erstaunlichen Fähigkeiten gewesen, eventuell sogar paranormalen. Vielleicht war das Saqsurmaa ein Präkognostiker gewesen. Leider war es gestorben, bevor es seine Erinnerung vollständig zurückerhalten hatte. Auf die zweite gab es mehrere Antworten. Vielleicht hatten weitere Angehörige des Urschwarms unglaubliche 546 Millionen Jahre überlebt. Vielleicht war Emion nicht der Einzige gewesen. Vielleicht hatten die Varganen, die den Kardenmogher geschaffen hatten, sie gefunden. Nicht auszudenken, was sie mit dem Wissen, das sie von ihnen vielleicht bekommen hatten, alles anrichten könnten! Dieses Wissen war jedenfalls zu brisant, als dass Kalarthras damit weiterleben durfte. Mit einem wütenden Brüllen sprang ich aus der Grube. Die Schaufel hoch erhoben, stürmte ich auf ihn zu. Erst da wurde mir klar, dass er mir als Vargane körperlich hoch überlegen war. Bevor ich zuschlagen konnte, schlug er zu. Ich riss die Arme hoch, um den Kopf zu schützen, setzte zu einem Dagor-Tritt an. Doch in der Bewegung lag zu viel Wucht. Sie warf mich zehn, zwölf Zentimeter weiter zurück, als ich kalkuliert hatte, der Tritt streifte ihn nur. Dieser Mistkerl, dachte ich. Er hat mich überrascht. Der Extrasinn lachte höhnisch. Dann holte der Vargane zu einem weiteren Schlag aus, zu einem dritten, und der durchbrach meine Deckung. Es wurde dunkel um mich.
6. Atlan Der Kreis der Kinder »Ich grabe ein Loch …« Hatte ich das gerade gesagt? Nein, Kalarthras hatte die Gru-
be ausgehoben, um mich oder Kythara darin zu verscharren. Oder uns beide … Aber Kalarthras war an Bord der AMENSOON zurückgeblieben. Hatte ich mir das alles nur eingebildet? Verwirrt öffnete ich die Augen. Meine Umgebung bestand aus halbfesten grauen Schlieren. »Was?« Kythara stöhnte und setzte sich auf. »Atlan!« Ihr Tonfall riss mich vollends in die Wirklichkeit zurück. Dank meines kleinen Begleiters unter dem Schlüsselbein erholte ich mich zusehends. Ich sah die Varganin wieder deutlicher. Und dann auch die anderen. Es waren Kinder! Eine Hand voll Kinder, eindeutig varganische, mit erhabenen humanoiden Gesichtern und vorwiegend goldenem Haar. Wie war das möglich? Mir war seit zehntausend Jahren bekannt, dass die Varganen durch den Wechsel von ihrem Mikro- in unseren Makrokosmos steril geworden waren. Vielleicht weitere Experimente mit Androiden … schlug der Extrasinn vor. Sie bildeten einen Kreis um uns und sahen uns stumm an. In ihren Gesichtern erkannte ich etwas, das ihre Jugend Lügen strafte. Sie haben die Augen von Unsterblichen. Jahrtausende blicken aus ihnen. Ich musste dem Extrasinn Recht geben. Aber waren sie unsterbliche varganische Kinder … oder etwas ganz anderes? »Wer seid ihr? Ich bin Kythara, und das …« Das ferne, fauchende Geräusch einer Energiewaffe ließ die Varganin verstummen. Kythara sprang auf. Ich war einen Moment lang abgelenkt gewesen und genauso verblüfft wie meine Gefährtin. Wahrscheinlich hatte Kythara sich vor die Kinder stellen wollen, um sie zu schützen, doch sie waren spurlos verschwunden, verweht wie ein Nebelhauch vom Sturm. Kythara zog die Nase kraus. »Riechst du
Endstation Anaksa es auch? Es duftet nach Blumen. Wie seltsam …« Ich räusperte mich. »Besser nach Blumen als Schwarzer Substanz. Aber die Garbyor werden sich davon nicht beeindrucken lassen. Sie haben uns gefunden.« Immer lauter werdende Stimmen und scharrende Geräusche drangen aus einem Gang zu uns. Und dem Lärm nach zu urteilen, waren es nicht nur zwei oder drei, die unsere Spur aufgenommen hatten. »Weg hier. Wir müssen uns ein Versteck suchen. Im offenen Kampf sind sie uns überlegen.« Kythara rührte sich nicht, starrte noch immer ins Leere. Ich musste sie wegzerren. »Hast du sie gesehen? Es gibt varganische Kinder. Wie sehr habe ich mir immer gewünscht …« »Tut mir Leid, dich in deinen Betrachtungen stören zu müssen, aber wir sollten hier sofort verschwinden. Diese Kinder haben sich bereits aus dem Staub gemacht. Leider haben sie vergessen, uns mitzunehmen.« Ich zog sie in den nächstgelegenen Gang. »Schon gut.« Wütend schüttelte sie meine Hand ab und lief voraus. Ihre varganische Kondition war meiner weit überlegen, sie konnte mich mühelos abhängen. Ich verstand sehr gut, wie sie empfinden musste. Was hatten die Varganen nicht alles unternommen, um ihre Sterilität zu überwinden. Und nun liefen uns hier Kinder über den Weg? Kaum etwas von dem, was ihr hier erlebt habt, war wirklich, mahnte der Extrasinn. Ich antwortete nicht, konzentrierte mich auf die seltsame Welt, durch die wir uns bewegten. Eine lebendige Welt, jedenfalls kam sie mir so vor. Ich musste kurz an Andromeda denken, an eine der seltsamsten Lebensformen, auf die wir in der Nachbargalaxis der Milchstraße gestoßen waren. Die bewusst herbeigerufene Erinnerung half meinem Geist, sich schneller in der Wirklichkeit zu verankern. Genauer gesagt dachte ich an die Wächter der vorgelagerten Zwerggalaxis Andro-Beta, gigantische, im Weltraum lebende, anorga-
25 nische Lebewesen von kristalliner Körperstruktur, die sich von reiner Energie ernährten und keine Luft zum Atmen brauchten. Ihre Form glich einer dicken, an den Seiten abgerundeten Scheibe mit einem Durchmesser von rund 14.000 Kilometern und einer mittleren Dicke von etwa 5000, und ihr Inneres hatte aus riesigen Hohlräumen bestanden. Die Terraner hatten diese Wesen in Gedenken an Herman Melvilles Roman Moby Dick oder Der weiße Wal Mobys genannt. Wenn es in Andromeda solch ungewöhnliche Lebensformen gab, warum dann nicht auch in Dwingeloo? Wie ein riesiger, überdimensionierter Korallenstock kam mir die Umgebung vor. Sein Pulsieren war überall zu spüren. Wir erreichten eine weitere Kaverne. Ihr Boden war eine nach rechts geneigte Fläche, im Vordergrund halb transparent, von unten grellweiß beleuchtet, nach rechts grünlich abdunkelnd. Rechts schwang sich eine pechschwarze Wand gebogen in die Höhe. Im Hintergrund formten mehrere geschwungene »Rippen« an Strebepfeiler erinnernde Strukturen, die zur Decke hin in halbrunde Auswüchse und Buckel übergingen. Weiße Glanzlichter tanzten auf den polierten Flächen, grünlich angehauchtes Material wechselte mit Schatten und Dämmerung. Links erhob sich eine gläsern wirkende Dreiviertelkugel von mehreren Dutzend Metern Durchmesser, deren Wölbung nur an den hellen Reflexen zu erkennen war. Im Hintergrund der riesigen Halle gab es in einer Vorwölbung ein grob oval geformtes Portal, das in helles Licht getaucht war, während der angrenzende Saal im Dunkel versank. Nur vage war die Mündung eines Schachts zu erkennen. Wir liefen weiter, auf die Öffnung zu. Mir fiel auf, dass der Boden dieses Ganges im Gegensatz zu den Wänden und der Decke völlig glatt war. Ich überlegte, ob er künstlicher Natur war. Der Extrasinn kommentierte den Gedanken mit einem spöttischen Gelächter. Wir passierten mehrere Mündungen von
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Seitengängen. Kytharas Ruf ließ mich schließlich innehalten. »Atlan!« Sie stand in einem der Seitengänge, winkte mich zurück und zog mich ungeduldig hinein, als ich sie erreichte. »Was hältst du davon? Sollen wir uns hier in den Hinterhalt legen?« Das schöne Gesicht der Varganin hatte sich in eine verbissene Maske verwandelt. Ich nickte. »Wenn wir sämtliche Anzugsysteme ausschalten, können sie uns nicht mehr orten. In diesem Chaos ist auf Ortungen sowieso kein Verlass mehr, wie wir ja am eigenen Leib erfahren haben. Vielleicht ahnen sie etwas, doch unser einziger Vorteil ist die Überraschung. Wir müssen so viele wie möglich von ihnen erledigen.« Ich desaktivierte die Systeme und zog meinen Kombistrahler. Die Waffen im Anschlag, erwarteten wir die Garbyor.
* Als die hallenden Schritte verrieten, dass unsere Verfolger in Schussweite waren, gab ich Kythara ein Zeichen und sprang auf den breiten Hauptgang. Ich sah etwa zwanzig Verfolger, humanoide Zaqoor, aber auch Insektoide. Sofort war mein Misstrauen geweckt. Warum schickten sie uns nur eine Hand voll Garbyor hinterher? Sie mussten mittlerweile doch wissen, dass wir keine leichten Gegner waren. Mir blieb keine Zeit, mir großartig Gedanken darüber zu machen. Vielleicht wähnten sie sich klar im Vorteil, vielleicht hatten sie sich in mehrere Gruppen getrennt, um uns schneller zu finden. Ich aktivierte sämtliche Anzugsysteme. Kythara sprang ebenfalls vor. Unvermittelt eröffneten wir das Feuer auf die Garbyor. Fünf brachen sofort zusammen, die anderen erwiderten es. Die Schutzschirme unserer Anzüge flackerten auf. Punktbeschuss auf eins und zwei. Ihre Schirme sind überraschend schwach. Kytharas Stimme erklang hart in meinem Gedan-
ken. Rauch füllte den Gang aus, die Temperatur schnellte in die Höhe. Nur noch mit Hilfe der Anzugsysteme konnte ich mich orientieren. Wir wechselten ständig die Position und gaben dabei Dauerfeuer. Kythara teilte mir mit ihren halb telepathischen Fähigkeiten jeweils mit, auf welchen Garbyor ich mich zu konzentrieren hatte. Fast ohne ernsthafte Gegenwehr schossen wir einen nach dem anderen ab. Plötzlich kam mir dieser Trupp wie ein Köder vor. Als nur noch drei Garbyor standen, hörte ich ein seltsames Geräusch, das so ganz und gar nicht zu einem Kampf zu passen schien: helles Kinderlachen. Es kam von überall zugleich. Irritiert sah ich mich um und entdeckte die Zaqoor, die sich uns von hinten näherten. Im gleichen Augenblick schlug die Anzugortung Alarm. Die Elitetruppen des Erzherzogs waren auf den gleichen Gedanken wie wir gekommen, hatten ihre Systeme desaktiviert und uns in die Zange genommen. »Eine Falle! Schnell raus hier.« Doch schon erstrahlte im ganzen Gang kobaltblaues Leuchten und umfing uns. »Sie setzen wieder Fesselfelder ein. Aber diesmal nicht mit uns.« Bevor die Projektoren die nötige Feldstärke erreicht hatten, waren wir aus der Deckung geflüchtet. Im Vorbeilaufen erschoss Kythara den letzten Garbyor. »Die Kinder sind hier. Sie haben uns gewarnt! Sie wollen uns helfen!« Meine varganische Kampfgefährtin hatte eine hoffnungslos romantische Ader – oder eine entwicklungsgeschichtlich bedingte Besessenheit für Nachwuchs. Warum lassen sie uns keine effektive Hilfe zukommen? Sie könnten uns in die Zentrale bringen, das wäre ein netter Zug. Mir war nicht wohl dabei, dass Kythara meine Gedanken empfangen konnte. Die Begegnung mit den varganischen Kindern hatte sie stark erschüttert.
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Was du eigentlich verstehen müsstest. Ich seufzte innerlich. Selbst der Extrasinn war gegen mich. Wir hetzten weiter, feuerten immer wieder nach hinten. Die Schritte und Rufe der Verfolger wurden nicht leiser. Immer tiefer drangen wir in die Station ein. Dank der Kartierung, die wir aufgrund der Emissionen aus der Tiefe sowie der Strahlung des hyperenergetischen Chaos, das die Akkrektionsscheibe zunehmend heimsuchte und auf die Anaksa-Station einprasselte, bereits vorgenommen und in die Anzugpositroniken eingegeben hatten, konnten wir uns orientieren. Wir hatten bereits festgestellt, dass die Station Tausende große und kleine Hohlräume, Schächte und Kanäle besaß. Vielleicht konnten wir uns in einem davon verbergen … Ich hatte keine Augen für die sonderbaren Konglomerate biomechanischer Aggregate von Hochhausgröße in den oberflächennahen Kavernen, an denen wir vorbeihetzten. Die Ortung zeigte mir insgesamt 104 weitgehend massive kugelförmige Einbauten von jeweils 262 Kilometern Durchmesser, die in mehreren Schalen angeordnet waren. Ich machte mir keine Gedanken, worum es sich dabei handelte, sie waren zu weit entfernt. Trotz meines fotografischen Gedächtnisses war ich mir nicht sicher, ob wir ohne Plan den Rückweg gefunden hätten. Wir kamen an Aggregatkomplexen vorbei, die hier dicht an dicht standen. Die Varganen hatten sie aber nicht in kompakten und geschlossenen Schächten eingebaut, sondern mit vielen Zugängen und Nebenschächten versehen. Wie ein Schweizer Käse, dachte ich mit einem Anflug von Galgenhumor. Und wir irren in den Löchern herum, verfolgt von den Garbyor. Fast wäre ich gegen Kythara geprallt, so abrupt war sie stehen geblieben.
* »Still! Hörst du das auch?« Ich sah sie fragend an. »Ich höre nur das
Getrampel der Verfolger und schließe daraus, dass sie näher kommen. Und wir stehen mitten auf einer Kreuzung.« Doch Kythara schüttelte den Kopf und lauschte aufmerksam. Ihr Gesicht nahm fast entrückte Züge an. Die Geräusche der Verfolger wurden wieder lauter. Ich schüttelte die Varganin heftig. »Wir haben keine Zeit für …« »Sie sind genau vor uns«, unterbrach sie mich. »Und sie kennen den Weg zur Zentrale.« Unvermittelt lief sie weiter. Ich schaute mich um, sah aber nichts Außergewöhnliches, geschweige denn Kinder. Dann setzte ich mich in Bewegung, hatte wieder meine liebe Not, ihr zu folgen. Vielleicht wäre es besser, wenn die Kinder nicht wissen, warum wir zur Zentrale wollen. Falls sie überhaupt Realität sind. Ich konnte mir gut vorstellen, das sie etwas gegen die Zerstörung des Umsetzers hatten. »Wahrscheinlich wissen sie es schon. Verdammt, ich habe sie verloren.« Dafür haben uns gleich die Garbyor gefunden! Sie haben sich wohl getrennt und dringen durch verschiedene Schächte vor. Der Extrasinn war optimistisch wie immer. »Kythara, wir müssen …« Zu spät! Schon fauchte der erste Schuss. Der Anzug baute den Schutzschirm auf, und ich wirbelte herum. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass die Garbyor aus drei verschiedenen Richtungen auf uns eindrangen. Und wir standen hier wie auf dem Präsentierteller! Dank Kytharas Aussetzer hatten sie uns eiskalt erwischt. Als hätte hier noch ein Trupp auf uns gewartet!, stellte der Logiksektor fest. Die anderen mussten uns nur in diese Richtung treiben. »Es sind zu viele.« Die Individualschirme würden dem starken Beschuss nicht mehr lange standhalten. Ein paar Sekunden vielleicht noch … Doch Kythara hatte die Gegenwehr schon eingestellt. Mit geschlossenen Augen stand sie mitten im feindlichen Sperrfeuer. Ich konnte nur hoffen, dass sie mit ihren
28 paranormalen Sinnen wirklich etwas wahrnahm. Es sah ihr allerdings nicht ähnlich, unter dem Einfluss dieser verdammten Schwarzen Substanz einfach zusammenzubrechen. Ihr Schutzschirm begann blau zu schimmern. »Höchstens noch fünf Sekunden, dann bricht dein Schirm zusammen.« Ich feuerte wie ein Berserker, konnte die Garbyor jedoch nicht zurücktreiben. »Kythara! Ich werde mich ergeben. Sie wollen mich lebend.« Sie reagierte nicht. Sie kann dich nicht hören. Ich kniff die Augen zusammen. Unmittelbar vor mir flimmerte die Luft, doch nicht aufgrund des Feuergefechts, nicht wegen einer thermischen Luftbewegung. Der Effekt war einer holografischen Projektion nicht unähnlich. Die Erscheinung verdichtete sich zusehends, nahm deutliche Formen an. Vor mir stand ein großer blonder Varganenjunge. Ich erkannte ihn, er hatte in der Gruppe der Kinder, die uns umringt hatte, ganz vorn gestanden. Die Desintegrator- und Thermostrahlen schienen ihm nicht das Geringste anhaben zu können. Warum wollt ihr euch töten?, hörte ich seine Stimme in meinem Kopf. Offensichtlich verfügte er über ähnliche Fähigkeiten wie Kythara. Seid ihr nicht alle an einem Ziel interessiert? Der Zentrale? Innerlich jubelte ich auf. Er sprach von der Zentrale, also wusste er von ihr. »Wir wollten diesen Kampf nicht, er wurde uns aufgezwungen.« Meine Worte hörten sich lahm an. Die tödlichen Strahlen der Garbyor durchbohrten den Jungen weiterhin, doch er lächelte mich an, als fände hier kein Gefecht um Leben und Tod statt. »Kythara … meine Begleiterin … sie entstammt demselben Volk wie ihr. Und sie ist in großer Gefahr. Lange können wir den Garbyor nicht mehr standhalten.« Der Jüngling hob die Hand. Eine Art Entzerrungsschmerz schoss durch meine Ner-
Uwe Anton venbahnen. Unwillkürlich schrie ich auf. Die Zeit schien plötzlich gefroren. Die roten Energiestrahlen der Waffen wurden zu roten Bändern, umwebten den Raum und verloren sich im Nichts. Kurz glaubte ich ein Tier zu sehen, ein langes, schmales Fellbündel, dann ein junges, wunderschönes Mädchen. Es saß auf seinem Rücken und lachte. Gorgh-12: Ein perfekter Bau Mit klickenden Mandibeln sog Gorgh die Luft ein, konzentrierte sich auf die unsichtbare Spur seiner Freunde. Sie wurde immer schwächer. Er befürchtete, dass er sie jeden Moment verlieren würde. Zumindest funktionierte die PegasusProjektion auch in dieser chaotischen Umgebung einwandfrei. Die bizarre Umgebung machte es ihm nicht leichter. Trotz seines insektoiden Orientierungssinns hätte er sich ohne die Instrumente des Roboters wohl verirrt. Die vielen Öffnungen und Abzweigungen sahen mit der Zeit alle gleich aus. Das Material der Gangwände schien geschichtet zu sein. Immer wieder taten sich gewaltige Löcher im Boden auf, die zumeist von filigranen Strukturen überspannt wurden, die ihn an Brücken erinnerten. An anderen Stellen war der Boden völlig transparent und wirkte extrem dünn. Darunter sah er tiefer gelegene Schichten, Löcher und weitere Tunnel. Ein perfekt angelegter Bau, nur mit einigen unnötigen Schikanen, dachte er. Immer wieder sonderte er ein Sekret ab, legte eine Duftspur, um den Rückweg wiederzufinden. Nach einer Weile entdeckte er an einer Abzweigung die Spuren eines Kampfes. Die Tunnelwand schimmerte dort glasiert, mehrere beschädigte Garbyor-Waffen lagen auf dem Boden, und bei völlig unkenntlichen, verschmorten Rückständen handelte es sich wohl um Kadaver. Er konnte nur hoffen, dass keiner davon der von Atlan oder Kythara war. Sie haben schon ganz andere Gefahren überstanden. Ich werde sie bald finden.
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Seine Hoffnung wurde jedoch zerschlagen, als er nach wenigen Metern die Spur endgültig verlor.
7. Atlan Maden im Verdauungstrakt Wir werden beraten, was nun geschehen soll. Das Spiel ist bald zu Ende. Die Stimme des Jungen verhallte, er verschwand, löste sich so plötzlich auf, wie er gekommen war. Ich hatte zwar die Worte vernommen, ihr Sinn blieb mir jedoch verborgen. Was für ein Spiel? Hoffentlich waren Kytharas Kommunikationen mit den Kindern fruchtbarer als meine. Die Garbyor sind nicht mehr in eurer Nähe. Was immer das Geschöpf angestellt hat, es hat euch gerettet. Mir fiel auf, dass der Extrasinn nicht von Junge oder Kind sprach. Der seltsame Entzerrungsschmerz ließ langsam nach. Diesmal blieb unser Ortswechsel ohne Lähmungserscheinungen. Kythara war aus ihrer seltsamen Trance erwacht. »Ich habe sie gespürt … einen Moment lang war ich bei ihnen.« Sie hatte sie also doch mit ihren paranormalen Sinnen wahrgenommen; dieser Kontakt hatte uns wohl gerettet. »Was für ein merkwürdiger Ort«, murmelte ich. Wir waren in eine kleine Halle versetzt worden, deren Wände aus einer Substanz bestanden, die mich an rohes Fleisch erinnerte. Auf der gegenüberliegenden Seite sah ich eine Art biologisches Schott, eine pulsierende Membran, die wie eine Herzkammer schlug. War das ein Teil der Lebensform, in der wir uns befanden? Diese Frage machte es mir nicht leichter, meinen Plan umzusetzen. »Wir sind auf dem richtigen Weg. Das ist der nächste Abschnitt zur Zentralstation.« Kythara strich mit der Hand über die Wand der Halle. »Die Substanz ist weich und warm. Meine Anzugpositronik kann mir keine genaue Analyse geben. Fest steht nur,
dass sie tatsächlich organisch ist.« Langsam ging sie zu der Membran hinüber und untersuchte sie kurz mit ihren Anzugsystemen. »Nichts. Völlig unklare Ergebnisse.« »Hier ist nur eines klar: Alles ist möglich und nichts unmöglich.« Unbehaglich sah ich zu der pulsierenden Öffnung. Alle zehn Sekunden öffnete sie sich kurz, um sich dann sofort wieder zu schließen. Zehn Sekunden, um in den unbekannten Sektor dahinter zu gelangen. Von dem wir nicht das Geringste wissen. Vielleicht bleiben uns keine zehn Sekunden, um ihn wieder zu verlassen. Zehn Sekunden können verdammt lang sein. »Es hilft nichts, wir müssen weiter.« Kythara sah mich an. Ich nickte. Als sich das organische Schott wieder öffnete, sprang sie. Ihre varganische Konstitution würde eine unangenehme Überraschung besser verkraften als meine arkonidische. Knapp zehn Sekunden später öffnete sich die Membran erneut. Keine Kythara. Weitere zehn Sekunden später folgte ich ihr mit einem einzigen Satz. Ich hatte den Eindruck, in eine andere Welt gesprungen zu sein. Feuchte, stickige Luft schlug mir entgegen, machte das Atmen fast unmöglich. Die Luftfeuchtigkeit betrug mindestens 80 Prozent, der Druck schien leicht gestiegen zu sein. Ich schloss den Helm des Schutzanzugs. So könnte es in einem Magen aussehen. Ich dankte dem Extrasinn für seine scharfe Beobachtung. In der Tat rutschten in der Kaverne, die wir uns nun befanden, Gewebebrocken die Wände herab und hinterließen dabei glänzende Schleimspuren. Unsere Umgebung war eine einzige rot schillernde Pfütze mit einer zähflüssigen Konsistenz. Als ich den rechten Fuß hob, haftete der rötliche Schleim am Stiefel. »Hoffentlich ist das keine unbekannte Säure, die Varganenanzüge zersetzen kann.« Kythara zuckte die Achseln. »Die Anzug-
30 instrumente spielen noch immer verrückt. Ich bekomme keine genauen Ergebnisse. Jedenfalls ist das Zeug organisch.« »Und es riecht streng.« Ich rümpfte die Nase. Aber wir konnten nicht wählerisch sein. Wollten wir unser Ziel erreichen, mussten wir diese seltsame organische Kaverne durchqueren. Kythara antwortete nicht. Sie sah zur Decke hoch, von der sich gerade ein besonders großer Gewebebrocken löste. »Worauf wartest du?« »Ich kann sie wieder fühlen.« Ihre Augen verschleierten sich. »Die Kinder … der Geist der Station. Er ist so fremd, unsagbar fremd … aber ich spüre eine gewisse Verwandtschaft mit einem varganischen Geist …« »Bekommst du Kontakt?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Es gelingt mir nicht …« Dumpfe Geräusche drangen durch die pulsierende Öffnung. Die Garbyor haben die Kaverne gefunden. Höchste Zeit, von hier zu verschwinden. Der Extrasinn hatte Recht, aber ich zögerte, Kythara zu stören. Entrückt stand sie da und lauschte in sich hinein. Jetzt ist nicht die Zeit für Höflichkeiten. Zieh sie einfach mit. Die Garbyor sind gleich hier. Doch Kythara stand da wie ein Fels in der Brandung, reagierte nicht auf meine Worte. Soll ich sie etwa tragen?, fragte ich den Extrasinn. Ein Grollen hallte durch die Höhle. Die unförmigen, schleimüberzogenen Brocken gerieten in Bewegung, waberten und zuckten, teilten sich. Sie erinnerten mich jetzt an Maden, unzählige Maden. Immer schneller teilten sie sich und wimmelten bald überall herum. Zuerst wirkten ihre Bewegungen willkürlich, nicht zielgerichtet, doch dann stellte ich fest, dass immer mehr von ihnen auf Kythara und mich zukrochen. Ich versuchte den Individualschirm zu aktivieren – und musste feststellen, dass es nicht funktionierte. Kythara erging es ähnlich. Die Ma-
Uwe Anton den würden unsere Schutzanzüge berühren. Die Geräusche jenseits des organischen Schotts wurden lauter. Nun konnte ich bellende Rufe hören, sogar einzelne Stimmen unterscheiden. Was die Garbyor sagten, verstand ich allerdings nicht. Sie zögerten noch, den Schritt durch die pulsierende Öffnung ins Unbekannte zu tun. Aber sie würden nicht mehr lange warten. Sie standen unter Erfolgszwang. Wenn sie unserer nicht habhaft wurden, drohte ihnen vielleicht sogar der Tod. Kythara rührte sich noch immer nicht, obwohl die ersten Maden sie erreicht hatten und über ihre Stiefel krochen. Sie schien sie gar nicht zu bemerken. »Hier scheint der fremde Geist weitaus deutlicher ausgeprägt zu sein als zuvor«, murmelte sie. »Ich muss mich konzentrieren …« »Die Garbyor werden jeden Augenblick kommen …« Ich verstummte. Es war sinnlos, ich kam einfach nicht an sie heran. Aber sie hatte uns ja schon einmal gerettet, als sie eine empathische Verbindung zu den Kindern hergestellt hatte. »Ich … ich nehme sie jetzt ganz deutlich wahr. Und sie antworten mir.« Ein sattes, schmatzendes Geräusch ließ mich herumfahren. Ich sah, dass die Schleuse nicht mehr pulsierte und sich geschlossen hatte. Ein Rückzug war zwar nicht mehr möglich, doch es kam auch niemand mehr so einfach in die Kaverne hinein. Zumindest vor den Garbyor waren wir zuerst einmal in Sicherheit. Doch angesichts von Hunderten teils fingerlangen, teils unterarmgroßen Maden, die uns nun aus allen Richtungen entgegenkrochen und eine geschlossene wabernde Masse bildeten, stellten sich bei mir allmählich Zweifel ein, ob es wirklich von Vorteil war, dass die Kammer sich abgeschottet hatte. Heronar: Die Wirklichkeit unter der Wirklichkeit »Jetzt haben wir sie. Waffen auf Betäu-
Endstation Anaksa bung, Fesselfelder auf Höchstleistung! Wir können uns keinen zweiten Fehlschlag leisten.« Heronar vergewisserte sich, dass niemand sein Gesicht sehen konnte, und grinste breit. »Oder die Lordrichter werden uns strafen.« Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, bereute er ihn schon. Ihn würden die Lordrichter nicht strafen. Wohl aber das Schwert der Ordnung. Er hatte den Eindruck, dass es allmählich sehr ungeduldig auf eine Vollzugsmeldung in Sachen Atlan wartete. Dann und wann musste man sich Respekt verschaffen. Er hatte den Trodaryor, der die Verantwortung für den gescheiterten Hinterhalt getragen hatte, an Ort und Stelle erschossen. Lebewesen verschwanden nicht einfach so, Fehler waren unverzeihlich und zogen die Strafe direkt nach sich. »Auf mein Kommando …« Heronar verstummte. Zehn Sekunden waren vergangen, zwanzig. Das pulsierende organische Schott hätte sich längst wieder öffnen müssen. Doch es blieb geschlossen. Dreißig Zaqoor warteten darauf, in den dahinter liegenden Raum eindringen zu können, ließen die Wand nicht aus den Augen. Sie warteten weitere zwanzig Sekunden, wagten nicht, den Blick von der biologischen Schleuse zu nehmen, die Heronar gerade noch an eine Vagina erinnert hatte und jetzt auf Dauer geschlossen zu sein schien. »Abbruch!«, sagte er. Zorn wallte in ihm empor. Zorn auf das Schwert der Ordnung, das Atlan unbedingt lebend haben wollte, Zorn auf Garbgursha, der sich als immer unfähiger erwies und Atlan ein um das andere Mal hatte entkommen lassen. Und Zorn auf die Konterkraft, auf die Opposition in den eigenen Reihen, die es eigentlich gar nicht geben durfte. Sekunden dehnten sich zu Ewigkeiten. Wer hatte jetzt versagt? Oder hatte sich das Innere der verdammten, auch ihm nicht gänzlich bekannten Station plötzlich gegen ihn verschworen? Er konnte Anaksa schlecht sprengen lassen. Atlan wäre dabei umgekommen.
31 »Vorschläge … Garbgursha?« Er lächelte entwaffnend. Es bereitete ihm Freude, den Versager von Erzherzog immer wieder in Verlegenheit zu bringen. Der alte ZaqoorKämpfer war ihm zu neugierig … und zu beharrlich. Wenn er sich einmal in etwas verbiss, ließ er nicht davon ab. Und er war nicht dumm. Garbgursha misstraute ihm … ihm, Heronar, dem Trobyor. Ahnte er, dass er in Wirklichkeit das Wesen war, das er als Yagul Mahuur kannte … als Lordrichter? Beweisen konnte Garbgursha zumindest nichts. Woher sollte der Erzherzog wissen, dass Yagul Mahuur durch seinen Lordrichterstatus in der Lage war, ähnlich einem Cappin mit seinem Bewusstsein andere Lebewesen geistig zu übernehmen? Das Schwert der Ordnung hatte ihm diese Steigerung seiner Fähigkeiten beschert. Früher hatte er nur die Körper toter Artgenossen beseelen können … Er verzog das Gesicht erneut zu einem Grinsen. Ihm war ein perfektes Verwirrspiel gelungen. Der Gestaltwandler Heronar diente Yagul Mahuur dazu, unerkannt und in beliebiger Gestalt auftreten zu können. Wenn er in seinen eigenen Körper zurückkehrte, wurde der Gestaltwandler einfach »auf Eis« gelegt in einen Tiefschlaf. Die Eishaarfeld-Projektion funktionierte unabhängig von diesen Bewusstseinsversetzungen. Er konnte sie auch im Körper des Gestaltwandlers erzeugen. Der Einsatz auf Galadat war eine Ausnahme gewesen, vielleicht sogar ein Fehler. Weil Heronar die Veschnaron-Rolle spielte, hatte er Probleme mit der Varganentechnik bekommen, die er sonst niemals gehabt hätte. Er lachte leise auf. Veschnaron standen als ehemaligem Flottenkommandeur der Expedition nach Gantatryn natürlich sämtliche Hochrangberechtigungskodes als VarRhatgit Kherop zur Verfügung. Doch die nutzten ihm in der Anaksa-Station nichts. Zu verändert war das Ganze, dieses absonderliche Konstrukt aus einer korallenstockähnli-
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chen Riesenlebensform und der damit körperlich wie mental verschmolzenen Varganen. Gantatryn, dachte er wehmütig in Erinnerung an alte Zeiten, die zum größten Teil verloren gegangen war. Wie sollte man sich auch korrekt und umfassend an ein 800.000-jähriges Leben erinnern? Gantatryn, das die Cappins Gantrain nannten, Atlan hingegen als Dwingeloo bekannt war. Natürlich war die klangliche Ähnlichkeit von Gantatryn und Gantrain kein Zufall. »Also, Garbgursha? Keine Vorschläge?« Er lächelte spöttisch, als der Erzherzog schwieg. Garbgursha war dumm; er mochte etwas vermuten, ahnte aber nichts, auch nicht das Geringste, von den eigentlichen Zusammenhängen. Von der Wirklichkeit unter der Wirklichkeit. Ewigkeiten zogen sich zu Sekunden zusammen. Die ersten Zaqoor wurden ungeduldig, drehten sich zu ihm um. »Kommando zurück«, sagte er. »Waffen zu gleichen Teilen auf Thermostrahlen und Desintegratoren schalten. Zerstören wir diese Wand. Schaffen wir uns eine eigene Öffnung.« Doch bevor er den Feuerbefehl erteilen konnte, materialisierte das riesige, doppelzaqoorgroße Tier.
* Es krümmte seinen lang gezogenen Körper sprungbereit zusammen. Yagul Mahuur sah ein üppiges braunes, bis auf den Boden reichendes Fell, das sich zu sträuben schien. Er ahnte, dass sich darunter Muskeln in einem Körper spannten, dem kein Gramm Fett zu viel anhaftete. Ein dunkles Knurren drang aus der Kehle des Geschöpfs. Pechschwarze Augen glühten von innen heraus. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke, und Yagul Mahuur verspürte tatsächlich Angst. Er überwand sie. »Eine Auswirkung der Schwarzen Substanz«, rief er. »Wir sehen Dinge, die es
nicht gibt. Feuer frei!« Das Tier löste sich so abrupt auf, wie es materialisiert war. Die Desintegrator- und Thermostrahlen trafen auf die Wand – und wurden von ihr reflektiert. Zwei Zaqoor brachen verwundet zusammen, drei andere lösten sich in konzentriertem Feuer auf, verwehten zu grünem Dunst, dessen Atome keinerlei Bindung untereinander mehr hatten. Yagul Mahuur registrierte wie nebenbei, dass die Einfallswinkel keineswegs den Ausfallswinkeln entsprachen. »Feuer einstellen!« Zum ersten Mal seit Beginn der Mission verspürte er Verwirrung. Wenn er die Situation vernünftig analysierte, musste er tatsächlich davon ausgehen, dass sich die Station gegen ihn verschworen hatte. Es war ihm unbegreiflich, wie Atlan und Kythara diese Schleuse passiert haben konnten. Er glaubte, ein zaghaftes Flüstern zu vernehmen, das ihm durch den Kopf ging. Er versuchte es zu erfassen, doch es verschwand so spurlos wie das gemeingefährliche Fellknäuel. Ein Erdanu, hallte der konkrete Hauch einer Erkenntnis durch seinen Geist. Plötzlich bezweifelte er, dass es so leicht werden würde, Atlans habhaft zu werden. Mochte seine Gefährtin Kythara doch nach VARXODON, der Prächtigen, zurückkehren und ihr Dasein in diesem Bordell ohne Leidenschaft wieder aufnehmen! Ihr Schicksal war ihm gleichgültig. Nur Atlan war wichtig. Er fragte sich, was das Schwert der Ordnung ihm, dem Lordrichter, antun würde, wenn er ihm den Arkoniden nicht auslieferte.
8. Atlan Haitogallakin Mit einem Aufschrei wischte ich einen glitschigen Gewebebrocken beiseite, der von der Decke gestürzt war und über meine Helmscheibe rutschte. Sein Schleim hinterließ eine eklige Spur. Ich überlegte, ob ich
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den Schutzschirm aktivieren sollte. Ich konnte mich kaum noch bewegen. Die Behauptung, dass die widerliche, rosarote Masse ringsum allmählich bedrohliche Ausmaße annahm, wäre eine Untertreibung gewesen. Die blinden Maden wimmelten schon kniehoch übereinander, immer mehr lösten sich von der Decke und den Wänden. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie Kythara und mich schier erdrücken würden. Ich zögerte jedoch, auf Waffengewalt zurückzugreifen. Ich hatte glibberige Tiere noch nie besonders gut leiden können, jetzt watete ich fast in ihnen. Nur allzu gern hätte ich mir die Biester mit einigen gezielten Schüssen vom Leib gehalten. Aber zum einen sagte mir irgendetwas, dass das wohl der falsche Weg war, zum anderen meldete mir der Varganenanzug Funktionsausfälle der gesamten Positronik. Offensichtlich gab es in dieser Kaverne eine starke hyperenergetische Strahlung. Es kostete mich viel Kraft, mich Meter um Meter durch die wimmelnde, lebende Brühe aus schleimigen Leibern zu kämpfen. Kythara stand ungerührt da und starrte ins Leere. Ich befürchtete, dass sie wieder in Trance gefallen war. Hast du aus deiner Erfahrung mit Kytharas erster Entrückung nichts gelernt?, fragte der Extrasinn. »Doch, habe ich«, knurrte ich, watete durch den lebenden Matsch und berührte die Varganin am Arm.
* »Das ist wahre Macht! Unglaubliche, unermessliche Macht. Vergiss doch einmal deine wissenschaftliche Begeisterung. Der Wechsel in den Mikrokosmos und wieder zurück. Was ergibt sich daraus für alle Wesen, die uns vielleicht dienen könnten? Damit haben wir die absolute Macht über sie.« Schallend lachte der charismatische, Kythara unbekannte Vargane auf. In diesem Moment wurde der Größenwahn zumindest für mich personifiziert.
Diesmal brauchte ich nicht so lange, um mich zu orientieren. Mir war sofort klar, dass ich das alles wieder durch die Augen eines anderen erlebte. Die Art, mit uns zu kommunizieren, war in dieser Station sehr intensiv. In wem stecken wir diesmal? Hast du wieder Kontakt mit Monaidros aufgenommen? Nein, antwortete Kythara. Wenn ich mich recht entsinne, ist er seit zehntausend Jahren tot. Das ist Haitogallakin, der Chefwissenschaftler von Kalarthras' Expedition. Wir nehmen seine Eindrücke wahr. Haitogallakin, der beste Freund von Kalarthras, Kytharas ehemaligem Geliebten! Was meint der andere mit absoluter Macht? Diesmal zögerte Kythara. Als ich schließlich ihre Stimme vernahm, kam ihre Antwort mir ausweichend vor. Sieh und hör zu. »Das ist nur ein Nebenprodukt«, sagte Haitogallakin, »und keineswegs Ziel meiner Forschung.« Noch immer lachend, goss der unbekannte Vargane sich einen Kelch mit Mondfriesmet ein. »Aber ein sehr willkommenes! Und das Problem mit der Unfruchtbarkeit wirst du auch in den Griff bekommen.« Wovon sprachen die beiden? Offensichtlich irrte der charismatische Vargane. Selbst nach 800.000 Jahren im Makromosmos waren die Varganen in dieser Hinsicht keinen Schritt weiter gekommen – sah man vielleicht von Ischtars und meinem Sohn ab. Aber diese Lösung meinte er nicht, und wie ich Haitogallakins Gesprächspartner einschätzte, war ihm sowieso nicht daran gelegen, diese Sache zu klären. Zu spät dachte ich daran, dass meine Worte Kythara verletzen könnten. Aber hier sind Kinder. Du hast sie auch gesehen. Was sollte ich antworten? Ich hatte auch keine Erklärung für die Anwesenheit varganischer Kinder. »Wir müssen etwas unternehmen«, sagte Haitogallakin und rief ein Hologramm auf. »Wir haben eine großmaßstäbliche Verbindung zum Mikrokosmos hergestellt, die wir
34 auch benutzen können, doch die Nebenwirkungen machen uns zu schaffen. Seit die Tore zum Mikrokosmos erstmals geöffnet wurden, werden permanent gewaltige Mengen an Masse und Energie aus dem anderen Universum angesaugt oder schlagen daraus unkontrolliert in dieses Universum über. Ich befürchte einen entsetzlichen Fehlschlag.« Als ich das Hologramm sah, hielt ich den Atem an. Es zeigte die Anaksa-Station, zwar nicht ganz so, wie wir sie heute kannten, aber schon deutlich erkennbar. Riesige Protuberanzen aus Schwarzer Substanz schossen immer wieder aus der Verbindung zum Mikrouniversum, sammelten sich rings um das riesige Lebewesen und erzeugten die diffuse Akkretionsscheibe. »Die Materie aus dem Mikrokosmos springt immer öfter auf andere Sonnen über und erzeugt überdies Zonen mit heftigen Raum-Zeit-Störungen, in denen letztlich unkontrollierte Durchbrüche zum Mikrokosmos wie auch zu anderen Universen auftreten«, sagte Haitogallakin. »Diese Phänomene waren bis zu einem gewissen Grad durchaus von uns geplant«, erwiderte der charismatische Vargane, der Kythara an Mamrohn erinnerte. »Die Verbindung zum Mikrokosmos und der MasseEnergie-Austausch sollen schließlich in großem Maßstab möglich werden. Und wir können sie bis zu einem gewissen Grad auch steuern. Schon nach den sechstausend Jahren zwischen dem ersten Übertritt in dieses Universum und der Rückkehr des Großteils unseres Volkes in den Mikrokosmos war klar, dass es mit dem Umsetzer unerwünschte Wechselwirkungen gibt.« »Doch irgendwann haben sich diese Effekte verselbständigt.« In Haitogallakins Stimme schwang Verzweiflung mit. »Sie lassen sich nicht mehr beherrschen. Der Zustrom oder Ausstoß der Schwarzen Substanz ist außer Kontrolle geraten, genau wie auch das Entstehen der Zonen der RaumZeit-Störungen. Zu anderen Sonnen transitierte Schwarze Substanz führte immer häufiger zu gravierenden Störungen des Raum-
Uwe Anton Zeit-Gefüges. Wenn die Schwarze Substanz eine bestimmte Konzentration oder Menge in den befallenen Sonnen überschreitet, werden sämtliche Grenzen von Raum und Zeit gesprengt, so dass sich die Sterne unkontrolliert in Supernovae verwandeln oder gar ganze Sektoren raumzeitlich kollabieren. Wir müssen das Experiment abbrechen.« »Warum?« Der stattliche Vargane zuckte die Achseln und nippte an seinem Mondfriesmet. »Was kümmert uns schon diese unbedeutende Galaxis?« Konnte Größenwahn eine Entschuldigung für dieses Verhalten sein? Ich schüttelte mich. »Außerdem kommt es immer dann zu diesen Zusammenbrüchen«, fuhr der Unbekannte fort, »wenn ausreichend Sonnen in Form einer Kugelschale befallen werden, so dass der umschlossene Sektor die Tendenz entwickelt, sich der Natur des Mikrokosmos anzupassen. Das ist doch quasi ein Austausch- oder Ausgleichsprozess für die aus dem Mikrokosmos übergeflossene Schwarze Substanz. Der betreffende Sektor wird in ein hyperphysikalisches Feld gehüllt, das den Inhalt einer raumzeitlichen Verzerrung mit allseitig wirksamer Längenkontraktion unterzieht – gleichbedeutend mit einer Verkleinerung im Vergleich zur Umgebung. Und genau das haben wir doch gewollt.« Und auch bekommen, dachte ich. In meiner Gegenwart machten die betroffenen Raumsektoren insgesamt rund ein Drittel von Dwingeloo aus. In der Wirkung ähnelte dieser Vorgang – obwohl der Vergleich natürlich hinkte – der Längenkontraktion beim relativistischen Flug nahe der Lichtgeschwindigkeit. »In den ersten Jahrtausenden nach unserem Durchbruchsversuch glichen diese Prozesse nahezu einer Kettenreaktion und führten unkontrolliert zur Entstehung Zehntausender Supernovae.« Haitogallakin wurde lauter. Ich kaufte ihm seine Empörung tatsächlich ab. Und verfluchte die Weite des Universums. Da sich das Licht dieser Superno-
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vae erst seit rund 340.000 Jahren ausbreitete, hatte es bislang auch nur 340.000 Lichtjahre zurückgelegt. Von der Milchstraße aus war es nicht zu sehen. Wäre diese Entwicklung eher erfolgt, hätte ein stets neugieriger Perry Rhodan wohl nicht gezögert, eine Expedition nach Dwingeloo zu schicken, und wir wären schon viel früher auf die größenwahnsinnigen Machenschaften der Varganen gestoßen. So aber … So aber verstand ich durchaus, dass bei den Nachkommenvölkern der Varganen der Dunkelstern zum Hellin oder Enadas genannten Mythos geworden war. »Wie weit willst du es noch kommen lassen?«, fuhr Haitogallakin fort. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er so zu Kalarthras, seinem Expeditionsleiter, gesprochen hätte. Doch dieser Vargane war weder Kytharas ehemaliger Geliebter noch Mamrohn, auch wenn er meine Gefährtin an ihn erinnerte. Wer also war er? Und wieso kannte Kythara ihn nicht? Das Gesicht des charismatischen Varganen verdüsterte sich. »Was willst du damit sagen? Und vergiss nicht, was Monaidros zu mir gesagt hat … und was ihm widerfahren ist.« Haitogallakin ließ sich von der unverhohlenen Drohung nicht abschrecken. »Varganen werden sterben«, sagte er gepresst. »Willst du das wirklich?« Der Unbekannte blieb ihm eine Antwort schuldig.
* Abrupt wechselte die Szene. Der Vargane, durch dessen Augen ich nun blickte, stand nicht mehr in der Zentrale eines Oktaederraumers, sondern in einem Aussichtsraum. Eine riesige transparente Scheibe bot den Blick auf die Oberfläche eines Mondes, über dessen Horizont sich ein Gasriese mit prächtigem Ringsystem erhob. Ich erinnerte mich verschwommen, ebenfalls schon einmal auf diesem Trabanten gewesen zu sein. »Varganen sind gestorben«, sagte sie ge-
presst – erst die Stimme verriet mir, dass es sich um eine Frau handelte – und drehte sich um. Ich sah erneut den unbekannten stattlichen Varganen. »Willst du, dass noch mehr von uns sterben?« Kythara, dachte ich. Wann findet dieses Gespräch statt? Wir sind im Geist einer Wissenschaftlerin namens Joschtavenar, antwortete sie. Jahrhunderttausende später … vor nicht allzu langer Zeit. Ihrem Geist entnehme ich, dass Haitogallakin schon lange tot ist … seit über dreihunderttausend Jahren. Ich konzentrierte mich wieder auf die Unterhaltung. Der Unbekannte zuckte erneut die Achseln. »Vor über dreihunderttausend Jahren haben sich ein paar Wankelmütige in einem Verzweiflungsschritt mit der Riesenlebensform der Anaksa-Station beziehungsweise den dortigen Umsetzer-Aggregaten verschmolzen. Seitdem sind sie untrennbar körperlich wie geistig mit der Station verbunden. Na und?« »Sie haben immerhin den außer Kontrolle geratenen Durchbruch halbwegs schließen können …« »Vollständig geschlossen wurde die Verbindung zum Mikrokosmos nicht, weiterhin kommt Schwarze Substanz ins Standarduniversum …« »Aber seit der Bändigung hat sich die Zahl neuer Supernovae deutlich reduziert.« »Doch zwischen den verstreuten Teilen der Schwarzen Substanz einerseits und dem Dunkelstern andererseits sowie zur AnaksaStation und den weiteren Umsetzer-Standorten besteht stets eine hyperphysikalische Verbindung …« »Ein Effekt, der seit der Vernichtung des Kopaar-Umsetzers auf eine totale Katastrophe hinauszulaufen droht«, bestätigte die Wissenschaftlerin. »Ach was?« Der Kythara unbekannte Vargane grinste breit. »Nicht alle an den Versuchen beteiligten Varganen haben die Verschmelzung mit Anaksa vollzogen. Was ist mit Mantronianex und Pertrog? Gehe ich falsch in meiner Vermutung, oder haben die-
36 se beiden in den nachfolgenden Jahrzehntausenden nicht wiederholt die bestehende Verbindung zum Mikrokosmos genutzt und damit ihnen befreundeten Wesen unterschiedlichster Zivilisationen, denen sie bei Reisen durch das Universum begegneten, durch den Hin- und Rückwechsel Unsterblichkeit verschafft?« Plötzlich dämmerte mir etwas, doch es war so ungeheuerlich, dass ich meinen Geist vorerst davor verschloss. War das des Rätsels Lösung? Bekam ich hier und jetzt die Antwort auf eine Frage, die mich schon vor weit über zehntausend Jahren getrieben hatte … und nicht zuletzt zur Verzweiflung? »Was interessieren mich Mantronianex und Pertrog?« Joschtavenar hatte die Beherrschung verloren, schrie ihr Gegenüber jetzt an. »Wenn wir jetzt nichts unternehmen, wird Gantatryn in absehbarer Zeit untergehen!« Der charismatische Vargane lachte erneut. »Was haben wir mit Gantatryn zu schaffen? Wir haben uns in der Milchstraße ausgebreitet, wir strecken unsere Fühler nach Gruelfin aus … Gantatryn ist eine Spielwiese. Hier können wir lernen, Erfahrungen sammeln. Selbst wenn Gantatryn untergehen sollte … Nutzen wir die Zeit, die uns bis dahin bleibt. Perfektionieren wir den noch immer unzulänglichen Durchgang zum Mikroversum, wandeln wir den Umsetzer in eine Waffe um! Lehren wir die Androiden, die wir hier schaffen, doch endlich zu kämpfen. Narukku in der Milchstraße scheint mir ein gutes Beispiel zu sein. Warum schaffen wir hier nicht so etwas? Warum erleben wir hier immer wieder solche Rückschläge wie auf Cramar? Oder, noch schlimmer, auf Alarna, der größten Katastrophe, die mir jemals untergekommen ist?« »Dazu werde ich es nicht kommen lassen«, drohte Joschtavenar. »Ich werde mich nach Anaksa begeben, die Wankelmütigen, wie du sie nennst, aufrütteln.« »Dazu müsstest du sterben.« Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht habe ich andere Pläne mit dir. Die Versuche mit den Skla-
Uwe Anton venvölkern verlaufen vielversprechend …« Der Tonfall des unbekannten Varganen verriet mir, dass es sich bei diesem Satz um eine Drohung handelte, auch wenn ich ihren Hintergrund nicht verstand. Vergeblich suchte ich in Joschtavenars Gedanken nach derselben Schärfe Monaidros'. Intellektuell war sie ihm nicht gewachsen. Aber sie hatte Skrupel. Und ich nahm Angst wahr, starke Angst. Doch diesmal verbiss ich mir einen Kommentar. Kythara hatte sicher noch genug an der Offenbarung des engsten Mitarbeiters ihres Geliebten Kalarthras zu knabbern. Plötzlich zog Kythara sich zurück, und die Bilder schlugen um. Ich erhaschte kurz einen Blick auf ein Sklavenvolk, sah, was aus ihm geworden war. Ich sah in Joschtavenars Erinnerungen einen Planeten, der schon vor Jahrzehntausenden zu einem einzigen Massengrab geworden war. Ich sah Zerstörung und Tod. Kriege wurden geführt und verloren, ganze Völker gingen unter. Ich schrie vor Qual auf. Jahrtausende des Krieges rollten durch meinen Kopf. Wann würde dieser Wahnsinn ein Ende finden? Gorgh-12: Mit sanfter Gewalt Die Spur war keineswegs verweht, als sei sie immer schwächer geworden, bis ihre restlichen winzigen Bestandteile sich dann endgültig in der Luft aufgelöst hatten. Nein, sie war im einen Augenblick noch vorhanden, zwar schwach, aber deutlich wahrnehmbar, und im nächsten nicht mehr. Gorgh ließ die Pegasus-Projektion wenden, bis er die Witterung wieder aufnahm, und stieg ab. Langsam schritt er vorwärts. Am Ergebnis änderte sich nichts. Von einem Schritt zum anderen verschwand die Witterung. Als hätten sich Atlan und Kythara einfach in Luft aufgelöst. Plötzlich befürchtete er, dass er die beiden Mitglieder des neuen Kollektivs, zu dem er sich seit geraumer Zeit zugehörig fühlte, nie wiedersehen würde. Er
Endstation Anaksa gestand sich ein, dass er darüber Bedauern verspürte. Hinzu kam die Sorge um die eigene Existenz. Der Kardenmogher war zerstört, die Häscher der Lordrichter nicht weit … es sah nicht gut aus. Er analysierte die Situation. Letzten Endes spielte es keine Rolle, ob er hier darauf wartete, dass die Garbyor ihn fanden und töteten oder in dieser chaotischen Welt in die Irre lief und irgendwann verhungerte. Die zweite Alternative bot immerhin mehr Chancen als die erste, auch wenn sie mathematisch kaum kalkulierbar waren. Er kletterte wieder auf die Pegasus-Projektion und flog weiter. Die nächsten zwei, drei Abzweigungen ignorierte er. Völlig willkürlich bog er schließlich ab und schlug den Weg über eine der filigranen Brückenstrukturen ein. Nein. Das ist der falsche Weg. Wie vom Röhrenkollaps getroffen hielt er an. Ist es schon so weit gekommen?, dachte er. Breche ich unter dem Druck zusammen und bilde mir ein, Stimmen zu hören? Das Spiel erweitert sich. Du musst einen anderen Weg gehen, um ans Ziel zu gelangen. Gorgh-12 fuhr herum, witterte mit den Fühlern, nahm aber niemanden wahr. Dennoch wendete er den Varg und setzte den Weg fort, den er ursprünglich genommen hatte. An der nächsten Abzweigung zögerte er plötzlich, als hielte ihn eine unsichtbare Kraft zurück. Verwirrt wollte er weiterfliegen, aber das Gefühl des Unbehagens wurde immer stärker. Ich fange an zu halluzinieren. Das ist mein Ende. Ohne meine Instinkte finde ich weder das Kollektiv noch den Rückweg. Er bog ab, und das Unbehagen wich. Es ist noch nicht so weit. Du musst weiter, wir zeigen dir den Weg. Helles Lachen begleitete die Worte. Gorgh horchte auf. Gelächter von Humanoiden! Aber wie war das möglich? Zweimal folgte er den Hinweisen der Stimmen in seinem Inneren, die ihm den Weg wiesen. Dann entschied er sich be-
37 wusst, sich ihnen zu verweigern, nur um herauszufinden, was geschehen würde. Du Armer. Wie gern würde ich dir meinen Erdanu geben, damit du schneller ans Ziel gelangst, doch Tolakin verbietet es. Du musst den Weg allein finden. Das Spiel hängt davon ab. Die Wand schlug Blasen. Sie brachen auf, fielen wieder in sich zusammen, bildeten sich neu. Die Substanz, die aus ihnen tropfte, sammelte und verhärtete sich, formte einen Körper. Gorgh-12 führte unwillkürlich eine teleskopartige Verkürzung des Abdomens herbei, um einen Blutdruckanstieg im Körper zu verursachen, der die Tracheenstämme seiner Ergänzungsatmung zusammendrückte. Der Gastransport in die feineren Äste des Tracheensystems beschleunigte sich. Obwohl er nun schneller atmete, konnte er nicht klarer denken. Die Blasensubstanz vor ihm nahm Züge eines Prord an, dann wieder eines Kleid, eines Decht – allesamt längst ausgestorbene Raubtiere seines Heimatplaneten, deren Fossilien jedoch noch immer Angst und Schrecken unter den Jüngeren eines Geleges verbreiteten. Langsam wankte die Erscheinung auf ihn zu.
9. Atlan Kytharas Ängste Keuchend löste ich mich von Kythara. Sie krümmte sich vor Schmerzen, ihr Gesicht war eine verzerrte Grimasse. Ich wollte sie in den Arm nehmen, ihr etwas Wärme geben, kam jedoch nicht an sie heran. Die Maden standen mittlerweile hüfthoch, noch immer lösten sich welche mit satten, schmatzenden Geräuschen von den Wänden. Die Varganin drehte langsam den Kopf in meine Richtung und öffnete den Mund. »Warum musste es dazu kommen?« Es war nicht Kytharas Stimme, die über ihre Lippen kam. Sie war wesentlich tiefer, die Betonung der einzelnen Silben lag immer um eine Nuance daneben, als müsse sich ein
38 fremder Geist erst mit ihren Stimmbändern vertraut machen. »Warum ist es geschehen?« Ich wäre zurückgeprallt, hätten die wimmelnden Maden es nicht verhindert. Ein würgendes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Ich rang um eine geistreiche Bemerkung, doch mir fielen nur lapidare Allgemeinplätze ein. »Wer bist du?« – Das schien mir noch die beste Frage zu sein, die ich jetzt stellen konnte. »Ich bin Onidro. Onidro, Monaid oder Aidros, wie es dir gefällt.« Varganisch klingende Namen. Ich musterte Kythara unverhohlen. Obwohl die Trance von ihr abgefallen war, wirkte ihr Gesicht noch immer völlig entrückt. Sie war eindeutig nicht sie selbst. »Und … was bist du?« »Ich bin eins mit vielen. Wir sind alles.« Ich schluckte schwer. Ich hatte befürchtet, solch eine knappe, eindeutige Antwort zu bekommen. »Du bist das alles hier? Du bist Anaksa?« »Und noch viel mehr. Ich war einmal ein Vargane, bin es eigentlich noch immer. Aber wir alle sind mit Anaksa verschmolzen. Wir erschaffen Welten und lassen sie vergehen. Unsere Visionen sind eure Realität.« »Warum sind eure Visionen so bedrückend, so albtraumhaft?« Ich wischte eine Made vom Anzugärmel. »Das Spiel hat sich verändert, wir sind ängstlich geworden. Unsere Ängste spiegeln sich in den von uns kreierten Universen wider. Einige von uns wollen sich lösen, doch sie schaffen es nicht. Es kostet uns den Geist, die Fähigkeit zu erschaffen.« Kythara malte mit der Hand einen Bogen in die Luft. Sie war unter dem Einfluss des varganischen Bewusstseins eine Marionette. Ich musste ihr helfen, sich nicht in diesem geistigen »Kollektiv« zu verlieren. Allein würde sie womöglich darin untergehen. »Und warum erzählst du mir das alles?« Onidro antwortete nicht. Narr!, schimpfte der Extrasinn. Verstehst du denn nicht? Deine Halluzinationen, dein immer neuer Kampf mit Kalarthras … das sind Ausprä-
Uwe Anton gungen deines Unterbewusstseins, die die Ängste der Varganen widerspiegeln. Das ist keine Antwort auf meine Frage, erwiderte ich. Die Varganen können sich nicht mehr von dem Riesenkorallenstock lösen. Warum erzählt er dir das wohl? Warum sagt er nicht klipp und klar, was er von mir verlangt? Die Varganen halluzinieren, verdeutlichte der Logiksektor. Vielleicht sind sie genauso wenig dazu imstande, wie du es warst, als die Eifersucht auf Kalarthras dich packte. Außerdem hat er von einem Spiel gesprochen. Soll ein Spiel praktikabel sein, muss es festen Regeln folgen. Weißt du, was diese Regeln vorschreiben? Nein, ich kannte diese Spielregeln nicht. Immerhin war mir jetzt klar, dass einige der bizarren Welten, die wir in Anaksa durchquert oder zumindest gesehen hatten, Ausdruck der Ängste der hier gefangenen Varganen waren. Kytharas goldene Augen sahen noch immer durch mich hindurch in eine ferne Welt. Ich wandte den Blick von ihr ab, weil ich plötzlich befürchtete, mich in diesen Augen zu verlieren. »Ich bin nicht bereit, alles aufzugeben.« Die Stimme hatte sich verändert, kam mir nun höher vor, aber auch bedrohlicher, als spräche plötzlich ein anderes Bewusstsein durch Kythara. »Ich werde dafür kämpfen! Niemand nähert sich der Zentrale, sonst wird es geschehen!« Ich hob den Blick wieder und erkannte im letzten Moment, dass Kythara nach ihrer Waffe greifen wollte. Ich war schneller als sie. Tut mir Leid, aber ich muss es tun. Ich entriss ihr die Waffe und schlug zu. Einmal, zweimal. Die rosarote Masse fing an zu brodeln, schien plötzlich förmlich zu kochen. Blasen platzten an der Oberfläche, und mit ihnen stieg ein Gestank auf, der mir die Luft nahm. Kythara schrie auf und brach zusammen; der Vargane musste sie losgelassen haben. Im
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letzten Moment konnte ich sie an der Schulter fassen und verhindern, dass sie in das widerwärtige Gewürm stürzte. Doch wie lange würde ich sie halten können? Wir standen mitten in Onidros Welt, versanken langsam in seinem Albtraum. »Ich gebe auch nicht auf!«, schrie ich. »Wir sind einen weiten Weg gegangen, und unser Ziel soll nicht euer Ende sein.« Ich wollte mit Kytharas Waffe feuern, doch bevor ich den Auslöser betätigen konnte, schwappten die brodelnden, noch immer Blasen schlagenden Maden an uns hoch und verschlangen uns endgültig. Als mir die Helmscheibe platzte und mir Maden in den Mund drangen, spürte ich gleichzeitig einen brennenden Schmerz in den Beinen. Mein letzter Gedanke war: Fressen sie uns jetzt etwa auf?
* Ich sah hinab, doch der dunkelrote Schleim war verschwunden. Kythara lag in meinen Armen; ihr Gesicht wirkte entspannt und friedlich. So gelassen hatte ich sie schon lange nicht mehr gesehen. Der ekelhafte Geruch hing noch in meiner Nase, wurde aber zusehends schwächer und von einem anderen verdrängt. Von dem von Blumen? »Hier, trink. Onidros Traum hat dich sicher durstig gemacht.« Aus weit aufgerissenen Augen starrte ich das kleine varganische Mädchen an, das mir einen Becher hinhielt. Erst dann schaute ich mich um. Ich stand auf einer saftigen grünen Wiese, übersät mit bunten Blumen, die unter einem blauen, wolkenlosen Himmel in die Unendlichkeit zu reichen schien. Mein Helm war unbeschädigt, aber geöffnet. Hatte ich ihn jemals geschlossen? Ich ließ Kythara auf den Grasteppich sinken, nahm den Becher und trank. Wohltuend rann die klare Flüssigkeit meine Kehle hinab. Das Mädchen war mir nicht unbekannt. Es hatte zu den Kindern gehört, die in einem
Kreis um uns gestanden und zu uns herabgeblickt hatten. »Ist das auch eine Vision?« Die Kleine nickte. »Einige haben mehr Angst als andere. Sie bringen ein Ungleichgewicht in die Welt. Wir wissen nicht, wie wir ihnen helfen können.« Ich konnte mir gut vorstellen, was passieren würde, sollte die ängstliche Seite die Oberhand gewinnen. Jetzt war unsere Mission ein Wettlauf gegen die Zeit geworden – zwischen Unsterblichen, wie ich mit einem Anflug von Belustigung registrierte. Nachdenklich musterte ich das Kind. Sollte ich ihm die Frage nach seiner Herkunft stellen? Oder würde ich damit eine Lawine ins Rollen bringen? Konnte es mir überhaupt eine befriedigende Auskunft geben? »Vielleicht können wir euch helfen«, sagte ich. »Verbindet euch mit uns, seht durch unsere Augen in unsere Welt.« Das Lächeln des Mädchens wurde traurig. »So einfach ist das nicht.« Es zeigte auf Kythara. »Sie ist selbst voller Angst. Zuerst muss sie sich selbst erkennen, ihr Volk verstehen und den Hass besiegen.« »Wir haben viel erfahren, seit wir die Station betreten haben. Einiges hat nicht gerade dazu beigetragen, Verständnis für die Handlungsweise der Varganen zu wecken.« Herausfordernd sah ich das Mädchen an. Es hockte sich neben Kythara und berührte ihre Stirn. »Sie muss ihre eigene Angst überwinden.« Dann hob es Kytharas Hand und legte sie in die meine. »Gemeinsam schafft ihr es vielleicht.«
* »Helft mir! Ich sterbe!« Ich riss die Augen auf, sah aber nichts. Es war stockfinster. Der Gestank von Tod und Verwesung hing in der Luft. Ein schwacher Luftzug wehte über meine Haut. Der Varganenanzug war verschwunden. Ich trug ein Gewand aus grobem Stoff. Neben mir hörte ich ein Stöhnen. Ich stellte fest, dass die vermeintliche Dunkel-
40 heit in Wirklichkeit wallender grauer Nebel war, der sich allmählich lichtete, und sah Kythara. Sie schien gerade zu erwachen, setzte sich verwirrt auf. Dann trat nacktes Entsetzen in ihren Blick. »Was … ist das?« Sie streckte einen Arm aus. Ich sah in die Richtung, in die sie zeigte, erkannte undeutlich eine Gestalt, die über den steinigen Boden zu uns kroch. Nun verstand ich den Schrecken meiner Gefährtin. Es war eine erbärmliche Erscheinung. Die Knochen des Humanoiden – des Varganen? – stachen unter der Haut hervor, er blutete aus zahlreichen Wunden, sein Gesicht war so eingefallen, dass es nur noch aus riesigen Augen zu bestehen schien, die uns anstarrten. »So helft mir doch …« Schwach hob das arme Wesen einen Arm. Ich tastete meine Bekleidung ab. Ihr Stoff war hart und doch geschmeidig, aber ich fand keine Taschen, keinen Gürtel, an dem vielleicht ein Notfallpack hing oder eine Feldflasche. Ich konnte dem geschundenen Humanoiden nicht einmal einen Schluck Wasser geben. Vorsichtig stand ich auf. Mein Kreislauf deutete darauf hin, dass ich längere Zeit liegend verbracht hatte. Der Nebel hob sich zusehends, und mir offenbarte sich ein Bild des Schreckens. Wir befanden uns in einer Art Massengrab. Überall lagen die sterblichen Überreste unzähliger Lebewesen. Ihre Körper waren in unterschiedlichste Stadien der Verwesung eingetreten, von manchen sah ich nicht mehr als bleiche Knochen. Kythara schrie auf. »Warum sind wir hier? Ich will, dass dieser furchtbare Traum aufhört!« Fast hysterisch stieß sie die Worte hervor. Was hatte das Varganenmädchen gesagt? Wie konnte ich ihr erklären, dass, wir uns in ihren Ängsten befanden, in ihrem ureigenen Albtraum? »Wasser …«, flüsterte der Humanoide mit letzter Kraft, dann sackte er zusammen. Er
Uwe Anton hatte ausgelitten. Sein Körper sank zu Boden, zu den anderen Toten. Ein dumpfes Grollen drang durch den Nebel, wurde immer lauter. Hier wird es gleich ungemütlich. Ich ahnte, dass mein Extrasinn Recht hatte. Wie konnte es in einem Albtraum anders sein? Oder in einem Spiel, dessen Regeln andere bestimmten? Doch wo sollten wir uns in Sicherheit bringen? Das Feld der Leichen war eben, weder Hügel noch Sträucher unterbrachen die grauenhafte Szenerie. Die gesamte Umgebung schien nur aus Kadavern zu bestehen. Du musst Kythara zur Vernunft bringen. Ihre Ängste und Gedanken halten uns hier fest. Das durchdringende Geräusch stammte von einem Kettenfahrzeug, das sich aus der grauen Nebelwand schälte. Es rollte über die Toten, zermalmte ihre sterblichen Überreste. Staub von Knochen wirbelte hoch und wurde erhellt von einem Scheinwerferkegel, der über das Feld rotierte. »Sie suchen jemanden. Oder wissen sie, dass wir hier sind? Sollen wir uns zu erkennen geben?« Fragend drehte ich mich zu Kythara um. Was konnte schon schlimmer sein als dieser Ort? In ihren goldenen Augen spiegelte sich Grauen. Sie schien kurz davor zu stehen, den Verstand zu verlieren. »Ich weiß, wo wir sind. Wir haben diese Welt kurz nach den Versuchen mit dem Umsetzer besetzt. Mamrohn ließ die Invasionstruppen ganze Arbeit verrichten. Wer nicht für uns war, war gegen uns, für den Feind gab es keine Gnade.« Hatte sie die Gedanken an diesen Massenmord verdrängt, wollte sie sich nur an die glorreichen Taten der Varganen erinnern? Oder hatte sie diesen Zwischenfall im Lauf der Jahrhunderttausende einfach vergessen wie so viele andere? »Unsere Besiedelungsprogramme auf anderen Planeten waren unserer würdig, nicht
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dieses Morden«, fuhr sie fort. Tränen rannen ihre Wangen hinab. Mir wurde klar, dass ich jetzt nichts sagen konnte, was ihren Schmerz lindern würde. Vielleicht braucht sie jetzt genau das? Die ungeschminkte Wahrheit über die Varganen … »In keinen Annalen, keiner Chronik, keinem Archiv werden diese Gräueltaten erwähnt. Wir sprachen ganz allgemein von umgesetzten Planeten. Ihre Bevölkerung war uns keine einzige Silbe wert …« Das Kettenfahrzeug rasselte an uns vorbei. Die zerquetschten Leichen strömten einen Übelkeit erregenden Gestank aus. Ich riss mir ein Stück Stoff vom Ärmel meiner Bekleidung und wickelte es um Mund und Nase. Das Einatmen der Fäulnisgase ließ mich schwindeln. »Kalarthras, warum?« Kythara sank auf die Knie und starrte in einen Himmel, der keiner mehr war. Noch nie hatte ich sie so fassungslos gesehen. Wo war die Varganin geblieben, die ich kannte? Ihre Selbstbeherrschung war zertrümmert, ein Scherbenhaufen, ihre unergründliche Arroganz und Dominanz, die manchmal zur Selbstverherrlichung neigte, von Zweifeln und Hoffnungslosigkeit verdrängt worden. Kythara kniete im anonymen Tod von Tausenden von Lebewesen und konnte nicht begreifen, was ihresgleichen angerichtet hatte.
* Suchend sah ich mich um. Dass wir über keinerlei Ausrüstung verfügten, vereinfachte unsere Lage nicht gerade. Falls es hierzu noch eine Steigerung gibt. Wie willst du gegen Träume ankämpfen, Atlan da Gonozal? Auf rhetorische Fragen kann ich verzichten. Ich brauche jetzt einen praktischen Rat. Den kannst du haben, antwortete der Extrasinn zu meiner Verblüffung. Vielleicht gelingt es dir in geistiger Verbindung mit Kythara, an die Varganen heranzukommen und ihnen ihre Angst und Verzweiflung zu neh-
men. Zuerst einmal muss Kythara jedoch ihre eigene Angst überwinden. Gut gesprochen, aber auch leicht gesagt, konterte ich. Zuerst einmal müssen wir aus dieser Albtraumwelt heraus. Ich musste eine Entscheidung treffen. Kythara war nicht mehr imstande dazu. »Folgen wir dem Fahrzeug. Irgendwo müssen sie eine Basis haben.« Ich zog meine Gefährtin hoch, doch sie rührte sich nicht. »Das ist die Vergangenheit«, sagte ich eindringlich. »Wir müssen in die Gegenwart zurückkehren. Ich verstehe deinen Schmerz, aber wir können nichts mehr daran ändern. Hoffen wir also auf die Zukunft.« Sie nickte stumm. Zögernd, fast willenlos folgte sie mir. Hätte ich sie nicht immer wieder ermutigt, geradezu angetrieben, wäre sie wohl einfach stehen geblieben. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich am liebsten auf den Boden gelegt und wie ein kleines Kind zusammengerollt hätte. Auf den Boden, zwischen die Toten. Vielleicht, um ebenfalls zu sterben. Wir stolperten über den Leichenacker. Die Spur des Fahrzeugs war nicht zu übersehen. Die tiefe Rinne, die es zurückgelassen hatte, erleichterte uns das Vorankommen. Meine zehntausendjährige Lebenserfahrung half mir, den Wahnsinn fern zu halten. Die verkrümmten Leiber, die gebleichten Schädel und Knochen, Gliedmaßen aus verwesendem Fleisch, die verkrampft emporragten, das alles blendete ich einfach aus. Ich dachte nur daran, wie lange wir schon gegangen waren, ohne dass das Bild sich änderte. Verlief die Zeit in der Traumwelt der Varganen genauso schnell oder langsam wie in der Wirklichkeit? Dann musste schon längst der 22. Juli 1225 NGZ angebrochen, wenn nicht sogar wieder vergangen sein. Oder waren wir in einer Endlosschleife gefangen? Gingen wir ein und denselben Weg immer wieder von neuem? Wie dem auch sein mochte, die Station schien uns endgültig verschlungen zu haben.
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Uwe Anton
* »Halt! Wer da?« Das neblige Leichenfeld löste sich von einem Schritt zum anderen auf. An seine Stelle traten niedrige Gebäude, die sich geduckt an flache Hügel schmiegten. Vor einem stand ruhig und gelassen der Vargane. Er schien nicht überrascht zu sein, zwei Gestalten aus Nebelwirbeln treten zu sehen, und richtete eine Energiewaffe auf uns. Als er Kythara sah, senkte er den Strahler. »Verzeih mir, Hochgeborene. Ich habe dich nicht sofort erkannt.« Er verneigte sich vor ihr und senkte den Blick. Der Traum erhält eine neue Wendung. Es wurde allerdings auch langsam Zeit. Ich schüttelte den Kopf. Der Extrasinn hatte weniger Grund zur Klage als ich; schließlich war er keinen müden Meter gegangen. »Bring uns zum Rat! Wir müssen ihm Neuigkeiten über die Expeditionen berichten.« Überrascht drehte ich mich zu Kythara um. Mit dem Verlassen des Nebelfelds schien zumindest ein Teil ihrer Entschlusskraft zurückgekehrt zu sein. Sie hatte sich offensichtlich gefangen und die Situation eingeschätzt. »Er hat mich Hochgeborene genannt«, flüsterte sie mir zu. »Also ist er ein Androide, eine unserer Schöpfungen.« Hatten wir eine andere Welt erreicht? Eine, die von den Kunstwesen der Varganen beherrscht oder zumindest bewohnt wurde? Eine Welt wie Narukku, auf der die Varganen ganz nach ihrem Geschmack als Götter verehrt wurden? Ich kniff die Augen zusammen. Die Ansiedlung machte einen ländlichen Eindruck, gediegen, aber nicht sehr fortschrittlich. Die Varganen hatten ihren Geschöpfen das Leben gegeben, aber nichts von ihrer Technik. Wer wollte sich schon selbst Konkurrenz schaffen? Mit dem Friedlichkeitsgen hatten sie ihnen auch noch die Möglichkeit genom-
men, sich gegen ihre Schöpfer aufzulehnen, ja sich sogar vor ihnen zu schützen. Ich hatte vollstes Verständnis dafür, dass die Varganen deshalb auf einigen von ihren Androiden besiedelten Welten nicht mehr gern gesehen waren, man sie dort sogar fast hasste. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie Kythara mit schleppenden Schritten dem Kunstgeschöpf folgte. Die Anweisung an den Androiden schien sie einen Großteil ihrer verbliebenen Energie gekostet zu haben. Sie bewegte sich langsam und unsicher und hielt den Kopf gesenkt. Ich schloss zu ihr auf. Der Androide führte uns in ein Haus und durch einen Korridor. Gedämpfte Stimmen schlugen uns entgegen. Er öffnete eine Tür und zeigte in den dahinter liegenden großen Saal. Acht nicht mehr junge Männer saßen darin an einer langen Tafel. Wahrscheinlich Androiden, obwohl nur das sichtbare Alter ein Indiz dafür war, dass wir es nicht mit echten Varganen zu tun hatten. Als sie uns bemerkten, unterbrachen sie ihr Gespräch. Einer erhob sich und winkte uns näher. »Seid ihr die Boten? Bringt ihr endlich die Pläne, die man uns versprochen hat? Man vertröstet uns immer wieder, und unsere Geduld ist langsam erschöpft.« Kythara runzelte die Stirn. Als hätte der Tonfall des Androiden ihr gegenüber, der Hochgeborenen, sie über alle Maßen empört, war sie plötzlich wieder die Göttin, die auf niederes Leben hinabschaute. »Siehst du nicht, mit wem du es zu tun hast?« Hart hallte ihre Stimme von den kahlen Wänden zurück. »Wir wissen nichts von irgendwelchen Plänen. Meine Freunde haben wohl vergessen, mich zu informieren.« Der Sprecher zögerte und überging dann ihre Worte, als hätte er zumindest den ersten Satz nicht gehört. »Ich bin Wegandun, der Erste Rat. Wir sehen keine Möglichkeit mehr, den Aggressor abzuwehren, suchen eine Alternative. Sonst müssen wir alle sterben. Die Hochgeborenen interessieren sich nicht weiter für unser Schicksal.«
Endstation Anaksa Empörtes Murmeln folgte seinen Worten. Obwohl ich die Zusammenhänge nicht verstand, war mir klar, dass auch hier gestorben wurde. Alles im Namen der Varganen … Kythara trat an den Tisch und sah jeden einzelnen Androiden lange an. Zweifellos ging ihnen der Blick ihrer goldenen Augen durch Mark und Bein. »Wir haben Tausende Welten bevölkert, haben euch das Leben geschenkt, Kinder und Wohlstand. Das alles verdankt ihr uns. Irgendwann kommt aber der Punkt, da ihr für euch selbst verantwortlich seid. In zehntausend Jahren wird vielleicht einer von uns eurer Welt einen Besuch abstatten. Früher könnt ihr nicht darauf hoffen, das wäre unrealistisch. Zu groß ist diese Galaxis, und wir sind zu wenige.« Wegandun brauchte eine Weile, um ihre Worte zu verkraften. Ich konnte es ihm nachfühlen. »Ihr habt uns unvollkommen gemacht«, sagte er schließlich. »Es war von vornherein eure Absicht, euch Untertanen zu schaffen, die sich nicht gegen euch auflehnen können.« »Geehrte Hochgeborene, verzeiht Wegandun die harten Worte. Er meint es nicht so.« Ein bärtiger Mann stand auf und warf dem Ersten Rat einen beschwörenden Blick zu. Offensichtlich gab es in dieser Runde unterschiedliche Meinungen zu den Varganen und ihrer Tätigkeit. »Ich bin zu alt, um mich von solchen Nichtigkeiten beleidigen zu lassen. Meine Worte entsprechen den Tatsachen. Ich könnte sie schönreden, aber damit würde sich nichts ändern.« Kythara hatte den Androiden als typische Varganin geantwortet, wie es der Natur ihres Volkes entsprach. Aber nicht unbedingt der Natur der Frau, wie du sie kennen gelernt hast. »Dann gibt es für uns keine andere Lösung. Die Varganen haben keine Kontrolle mehr über die Entwicklung in Gantatryn. Sie sind verschwunden, und wir werden es bald auch sein.« Wegandun setzte sich kraftlos.
43 Ich konnte seine Verbitterung verstehen. Sein Volk war vom Untergang bedroht, und die Schöpfer glänzten durch Abwesenheit. Kythara schüttelte den Kopf. »Es tut mir Leid. Euer Schicksal ist besiegelt. Eigentlich gibt es euch schon seit Jahrzehntausenden nicht mehr. Ihr seid die Geister meiner Vergangenheit.« Ich horchte auf. Hatte sie es begriffen? War sie auf dem Weg der einzigen Erkenntnis, die uns hier herausbringen konnte? »So ist es schon geschehen?« »Ja«, sagte Kythara. »Und ihr müsstet es eigentlich wissen.« Wegandun seufzte und löste sich einfach auf. Die anderen Männer am Tisch taten es ihm gleich und gaben den Platz für acht Kinder frei, die nun an ihrer Stelle dort saßen. Gorgh-12: Die Schimäre Der Prord rollte einen Rüssel aus, wie vor Urzeiten, als er Gorghs Vorfahren in seinen riesigen Körper gesogen und verschlungen hatte. Der Kleid wetzte lange, messerscharfe Krallen, die jeden Chitinpanzer aufschlitzen konnten. Der Decht sonderte Säuredämpfe ab, die das Chitin nicht nur weich werden ließen, sondern auch die Luft in den Tracheen zähflüssig, so dass die Diffusion behindert wurde und zum Erliegen kam. Die Schimäre stieß ein fürchterliches Grollen aus und griff mit Rüssel, Krallen und Säurewolke nach Gorgh. Eine Halluzination, dachte er. Doch er hatte gesehen, wie sie sich aus der Wand löste, Gestalt annahm, und er witterte die Säure und die Ausdünstung des Geschöpfs. Er wendete die Pegasus-Projektion und schlug den Weg ein, den die Stimme in seinem Kopf ihm empfohlen hatte. Das ist schon besser. Und während der Varg-Roboter durch die Gänge einer unbegreiflichen Welt raste, hörte Gorgh nur diese helle Stimme, die ihn schier hypnotisierte und vorwärts trieb.
10.
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Uwe Anton Atlan Die Kinder der Varganen
»Ja, so ist es geschehen, hier und auch auf vielen anderen Welten.« Ein stattlicher Jüngling mit goldenem Haar stand auf und ging zu Kythara. Als er vor ihr anhielt, war er zu einem groß gewachsenen Varganen mit stolzem Blick geworden. »Wir haben erschaffen und zerstört. So war es, und so ist es noch immer.« Ein wunderschönes Mädchen mit üppigem, gelocktem Haar von der Farbe ihres golden schimmernden Kleides stand auf. »Ja, so ist es, Tolakin. Und weil viele es nicht mehr ertragen konnten, verschmolzen sie, wurden zu einer Einheit, lebten nur noch in ihren Visionen. Auch die Kinder sind eine Wunschvorstellung. Wir konnten keine zeugen oder gebären, also wollten wir selbst in ihnen leben. Es war ein zeitloses Spiel mit der Zeit.« Kythara betrachtete die Kinder stumm. Ich ahnte, was sie jetzt empfand; sie hätte diese Vision nur allzu gern als Wahrheit angesehen. »Ihr habt mir für eine kurze Zeit die Hoffnung gegeben, dass es Monaidros oder irgendjemandem sonst gelungen ist, eine Lösung für unsere Unfruchtbarkeit untereinander zu finden.« Das Mädchen strahlte mich mit einem offenen Lächeln an. In Sekundenschnelle schien es zu einer Frau heranzureifen, die Kytharas Schwester hätte sein können. »Monaidros hat es nicht geschafft und die anderen Wissenschaftler nach ihm auch nicht«, erwiderte das Mädchen. »Die Unfruchtbarkeit untereinander bleibt unser Schicksal. Genau wie jetzt Anaksa unser Schicksal ist. Wir sind an diese Lebensform gebunden. Eine Lösung vom Gemeinschaftswesen wäre unser Tod.« Es zögerte kurz. »Einigen von uns ist diese Konsequenz mittlerweile willkommen, andere hingegen können sie nicht akzeptieren.« Das ewige Ringen um die Macht über das eigene Leben. Doch diese Varganen leben schon seit Ewigkeiten.
»Was passiert, wenn eine Seite die Oberhand gewinnt?« Ich musste die Frage einfach stellen. »Das wäre gegen die Regel. Unser Spiel muss im Gleichgewicht bleiben, sonst sind alle verloren.« Mir wurde klar, wie ihr Spiel funktionierte. Und warum selbst die Lösungswilligen sich daran hielten. Sie wussten nicht, ob Anaksa ohne sie weiterhin existieren konnte. Und wie es dann denen ergehen würde, die nicht sterben wollten. »Die Beherrschung von Zeit und Raum in dieser Station hat sich zu einem bloßen Zeitvertreib entwickelt«, fuhr das Mädchen fort. »Die Jahrtausende ziehen vorbei, und wir merken es nicht einmal. Wir leben in unseren Welten und haben sogar Kinder. Sind sogar Kinder.« Kythara verzog den Mund. Sie war nicht begeistert von diesen Varganen, die zum bloßen Amüsement am Leben blieben. Keine Spur mehr von Expansion oder Weiterentwicklung … das entsprach nicht den varganischen Idealen. »Was ist aus euch geworden? Eine symbiotische Lebensform ohne eigene Ziele. Angesichts der Gefahren, die euch vom Dunkelstern drohen, eine bedenkliche Haltung.« Woher kam plötzlich diese kritische Haltung gegenüber ihrem eigenen Volk? Unterschätzte ich sie? Hatte sie auch den einzigen Ausweg erkannt? Doch schadete sie uns nicht mit ihren Worten? Unser Ziel war immerhin die Zerstörung der Zentrale im Kern dieser Station. Was kümmerten uns die Konsequenzen, die daraus entstehen würden? Diejenigen Varganen, die nicht sterben wollten, kümmerten sie allerdings gewaltig. »Etwas noch viel Schlimmeres ist aus uns geworden. Varganen haben ihr eigenes Volk verraten. Nicht wahr, Onidro?« Tolakin drehte sich um und winkte einen gerade noch dunkelhaarigen Jungen heran, der nun ein goldhaariger Erwachsener war. »Er hatte Kontakt mit einem von ihnen, aber nur sehr kurz. Es konnte einfach nicht ver-
Endstation Anaksa stehen, was er sah, mit dem erlangten Wissen nichts anfangen.« Der andere Vargane war von gedrungener Gestalt, kleiner als Tolakin, aber kräftiger. »Ich habe versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen, aber etwas hat mich zurückgeschleudert. Eine fremde Präsenz im Geist dieses Varganen hat mich einfach hinweggefegt.« Onidro überlegte kurz. »Dann hat es mich nicht mehr interessiert. Es galt, das Spiel nicht aus den Augen zu verlieren.« Ich horchte auf. »Du meinst … dieser Verräter ist keiner von euch?« »Nein. Er gehört zur zweiten Gruppe.« Ich hätte ihn gern nach dem Namen des Verräters gefragt, wusste jedoch, dass es sinnlos war. »Zur zweiten Gruppe?« »Die, die euch folgt. Die euer habhaft werden will.« Und bei ihr war ein Vargane? »Mehr kann ich dir nicht sagen.« »Weiß Anaksa, warum wir hier sind?« Im Klartext hieß das: Hatten sie uns schon durchschaut, oder waren unsere Gedanken für sie ebenso unverständlich wie die des Varganen bei den Garbyor? »Wir sind uns nicht ganz sicher. Es geht um etwas, das sich im Innern der Station befindet. Euer Ziel ist die Zentrale. Uns ist der Zugang verboten, wir konnten nie weiter vordringen als bis vor die Schleuse. Die Wesenheit, mit der wir verbunden sind, hat auch eine Veränderung des Dunkelsterns bemerkt und bringt damit euer Eintreffen in Verbindung.« »Die zweite Gruppe der Eindringlinge nähert sich dem inneren Sektor. Anaksa wird Schutzmaßnahmen ergreifen.« Tolakins Stimme klang tiefer als zuvor. Hatte Anaksa durch ihn gesprochen? Ich brauchte einen Moment, um die Information zu verarbeiten. Die Garbyor waren Tolakin zufolge fast schon am Ziel, während wir debattierten und nicht weiterkamen. Ein heißer Schauer durchlief mich bei dem Gedanken, dass das Varganenerbe in Form des leistungsfähigen Umsetzers in die Hände der Lordrichter fallen würde.
45 »Aber eines konnte ich deutlich wahrnehmen. Sie suchen den Stein der Weisen.« Onidro sah mich nachdenklich an. »Sagt dir dieser Begriff etwas?« Und ob er mir etwas sagte! Auch ich hatte mich schon auf die Suche nach diesem legendären Objekt gemacht, erstmals als junger Mann, über achttausend Jahre vor Christi Geburt. Schon damals hatte die Vergessene Positronik, deren kürzliches Auftauchen uns erst auf die Spur der Lordrichter gebracht hatte, als Schlüssel zu dem mysteriösen Stein der Weisen gegolten, der angeblich dem, der sich als würdig erwies, gewaltige Macht und großes Glück schenken sollte. Kythara und ich hatten erst vor kurzem erfahren, dass es sich bei der Positronik ursprünglich um eine Raumabwehrplattform der Lemurer gehandelt hatte, die im Krieg gegen die Haluter von einem Paratronschlag getroffen, aber nur teilentstofflicht worden war, statt komplett in den Hyperraum abgestrahlt zu werden, wie dies normalerweise der Fall gewesen wäre. Was genau geschehen war, war von dem lemurischen Bordrechner nicht erfasst oder gespeichert worden. Irgendwann hatten dann jene Varganen den im All treibenden – und zu diesem Zeitpunkt für eine Weile komplett verstofflichten – Quader gefunden, die die Spuren für die Suche nach dem Stein der Weisen legten. Ein varganischer Rechner war eingebaut, die Plattform zum Teil umgerüstet und mit Varganentechnik ausgestattet worden. Hatten etwa Mantronianex und Pertrog die Vergessene Positronik gefunden? Hatten sie mit der Zeit auf diese Weise den Mythos vom Stein der Weisen geschaffen? Zusammenhänge taten sich auf. Hatten sich, als der Henker Magantilliken vor etwa 50.000 Jahren mit seiner Jagd begann, Mantronianex und Pertrog – auch für den Fall ihres Todes – entschlossen, das Geheimnis der Unsterblichkeit anderen zugänglich zu machen, die sich dessen würdig erwiesen? Hatten sie mit Unterstützung anderer Varganen gezielt in der Milchstraße die
46 diversen Stationen der Schnitzeljagd-Suche zum Stein der Weisen geschaffen, darunter auch die Vergessene Positronik? Mein fotografisches Gedächtnis spülte die Fragmentarischen Texte von Yxathorm hoch, Vers a142, Entstehungszeit ungefähr 56.000 vor Christus. Also sprach der Träger des Lichts: Ihr, die ihr in der Dämmerung der Unwissenheit zufrieden schlummert, werdet niemals über das Stadium des Vor-Menschtums hinauskommen. Zu Menschen werdet ihr nur, wenn ihr die Verbote missachtet, eure Augen öffnet und euch der Erkenntnis zuwendet. Von diesem Augenblick an werdet ihr nicht mehr unschuldig sein, sondern gut und böse zugleich, und ihr werdet wissen, dass ihr gut und böse seid. Große Mühen und Leiden werden über euch kommen, aber wenn ihr unbeirrt weiter nach dem Licht der Erkenntnis strebt, werdet ihr in ferner Zukunft die Vollkommenheit erreichen. Viele Fallen lauern auf euren Wegen, aber auch viele Hilfen erwarten euch. Eine dieser Hilfen ist der Stein der Weisen; in den richtigen Händen kann er Dinge vollbringen, die euch wie Wunder erscheinen werden. Doch schwer ist es, ihn zu suchen, und noch schwerer, ihn zu behalten. »Eure Verfolger vermuten den Stein in dieser Galaxis. Sie glauben fest daran, dass er sich hier befindet.« Plötzlich schwankte der Boden unter meinen Füßen. Onidro wusste nicht, was er uns da mitteilte. Das ist es also. Sie suchen den »Gral«. Und das erklärte auch, warum ich den Stein der Weisen in der Milchstraße nie gefunden hatte. Falls er wirklich in Dwingeloo war, hätte ich ewig suchen können. Wenigstens glaubte ich nun zu wissen, was der Stein der Weisen überhaupt war. In meiner Jugend hatte ich aufgrund der mir vorliegenden Informationen im Stein der Weisen den Umsetzer gesehen, mit dem die Lordrichter nun in den Mikrokosmos der Varganen vorstoßen wollten. Aber das war wohl nur ein Teil der Wahrheit. Denn darauf
Uwe Anton lief es hinaus. Der tatsächliche Hintergrund des Steins der Weisen war wohl vor allem, dass die varganischen Wissenschaftler seit Hunderttausenden von Jahren herauszufinden versuchten, welche Umstände des Wechsels vom Mikro- in den Makrokosmos für die Unsterblichkeit und Sterilität ihres Volkes verantwortlich waren. Eine Antwort hatten sie nie gefunden; fest stand nur, dass dem so war und der Vorgang auch reproduziert werden konnte. Und damit steht den Varganen eine Methode zur Verfügung, die beliebigen anderen Lebewesen Unsterblichkeit verleihen kann, verdeutlichte der Extrasinn. Unsterblichkeit … das war für jeden Einzelnen schon ein starkes Motiv. Aber die Möglichkeit, sie anderen zu verleihen – die verschaffte dem, der sie besaß, gewaltige Macht! Ich hatte genügend Leute kennen gelernt, die für deutlich weniger die eigene Mutter verhökert hätten. Mit der Unsterblichkeit als Machtmittel konnte man sich nicht nur solche Subjekte hörig machen, es würde auch weitere Macht, weiteren Einfluss nach sich ziehen. Die Lordrichter waren Onidros Worten zufolge also nicht nur auf der Suche nach dem Varganenerbe in Form von Waffen und technischem Know-how … sie hatten es auch auf die Unsterblichkeit abgesehen! Konnte ich in diesem Fall über die Varganen urteilen? Meine eigene relative Unsterblichkeit versperrte mir eine objektive Sicht auf diese Handlungsweise. Aber es war so einfach. Bei den Forschungen über die Ursachen ihrer Unfruchtbarkeit stellten die Varganen fest: Wer in den Mikrokosmos eindrang und in den Makrokosmos zurückkehrte, war unsterblich geworden. Doch nur wer den Sprung von der Milchstraße nach Gantatryn schaffte, konnte hier durch Benutzung der Verbindung zum Mikrokosmos die Unsterblichkeit erringen. Und letztlich auch Zugriff auf das Erbe der Varganen erhalten …
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Ich hätte gern erfahren, was aus Mantronianex und Pertrog geworden war. Doch Kythara schwieg. Vermutlich hatte Magantilliken sie irgendwann erwischt. In puncto Größenwahn scheinen die Lordrichter es durchaus mit den Varganen aufnehmen zu können. Eher sind sie noch schlimmer. Ich musste dem Logiksektor Recht geben. Vielleicht standen die Garbyor sogar kurz davor, dieses Ziel zu erreichen. Wer konnte schon sagen, was geschehen, was sie finden würden, sobald es ihnen gelang, den Zugang zum Mikrokosmos durch die Anaksa-Station zu öffnen …
* Als hätten die Kinder-Varganen meine Gedanken gelesen, kam plötzlich Unruhe unter ihnen auf. Sie wechselten ein paar heftige Worte miteinander, deren Sinn mir verborgen blieb, dann verschwand die Hälfte von ihnen. Tolakin legte dem Mädchen eine Hand auf die Schulter und sagte leise etwas zu ihm. Onidro schnippte mit dem Fingern, und neben ihm erschien das hundeähnliche Reittier, das ich schon einmal gesehen hatte. Aber jetzt reichte es mir nicht mehr bis an die Knie, sondern war so groß wie ein Pferd. »Probleme?« Tolakin nickte. »Das Gleichgewicht gerät außer Kontrolle. Damit ist unsere Existenz gefährdet. Ein paar von uns glauben, die Zeit sei gekommen, um die endgültige Entscheidung zu treffen. Sie werden die Garbyor angreifen und töten.« Ich zögerte mit einer Antwort. Eigentlich war das in unserem Sinn. Jedoch … »Ihr müsst gegen eure Ängste ankämpfen. Nur so habt ihr die Chance, zu euch selbst zurückzufinden. Die, die bleiben wollen, und die, die sterben möchten …« »Und sie töten einander.« Tolakin schwankte kurz. »Sie rauben unsere Kraft. Wir sind nur gemeinsam handlungsfähig. Ich befürchte das Schlimmste für uns alle.«
Er verschwand. Das Mädchen sah uns sorgenvoll an. »Ihr müsst jetzt selbst auf euch aufpassen, wir können es nicht mehr. Die Kontrolle entgleitet uns. Die Ängste der Varganen sind zu stark, unsere Welt ist in Aufruhr geraten.« Onidro schlug seinem tierischen Begleiter auf die Flanke und trat dann hinter das Mädchen. »Komm, Tavena. Wir müssen uns darum kümmern, bevor es zu spät ist.« Sie nahmen sich an den Händen und waren im nächsten Augenblick verschwunden. Kythara und ich blieben allein zurück. Ich beeindruckte meine Gefährtin mit einem alten arkonidischen Kolonistenfluch. Wie sollten wir uns ohne Ausrüstung und Waffen zu der Zentralstation durchschlagen? Als hätten die Kinder meinen Gedanken noch empfangen, veränderte sich unsere Umgebung. Wir standen wieder in einem Gang der Station und trugen unsere kompletten und unbeschädigten Varganenanzüge.
* »Wo sind wir?«, rief Kythara. »Wohin haben sie uns diesmal versetzt?« Ich hatte mich schon an die Arbeit gemacht und checkte den Anzug. Alle Systeme funktionierten, einschließlich der Schutzschirme. Danach wertete ich die Ortungsergebnisse der Anzuginstrumente aus. Die hilflose Frage der Varganin hatte mir verraten, dass sie keineswegs wieder ganz die Alte war. Sonst wäre sie nämlich auf diesen Gedanken gekommen und dahin gehend aktiv geworden. Nein, ihre Ängste beeinträchtigten noch immer ihr sonst so logisches, stringentes Denken. »Etwa fünfhundert Kilometer unterhalb des Nordpols, im oberen Abschnitt eines zweihundertzweiundsechzig Kilometer durchmessenden kugelförmigen Aggregatkomplexes, der direkt an den Zentrumshohlraum grenzt.« »Also in unmittelbarer Nähe der Steuerzentrale. Die Kinder der Varganen haben
48 uns einen letzten Gefallen getan …« Aber hatten sie ihre Angst auch besiegt? Dieselbe Angst, die Kythara verspürte, die sie keineswegs überwunden hatte. Sie zögerte noch, war unsicher. Ich konnte nur hoffen, dass ich die Kinder der Varganen in meinem Sinne beeinflusst hatte. Kinder der Varganen … welch lächerlicher Begriff! Erwachsene, unsterbliche und unfruchtbare Varganen, die vor Jahrhunderttausenden mit Anaksa verschmolzen waren und sich nun nicht mehr davon befreien konnten! Kythara ortete nun endlich ebenfalls – und hielt damit inne, als seltsame Geräusche durch die Aushöhlung der Station hallten. »Schnell! Wir müssen zur Zentralstation. Die Garbyor werden sie jeden Augenblick erreichen.« Sie rannte los, und ich folgte ihr. Was hätte ich sonst auch tun können? Ich hatte erfahren, was Angst und Grauen waren. Ich hatte auf dem Leichenfeld eines varganischen Sklavenplaneten gelegen. Wenn auch nur in einer Vision. Und Kythara hielt die Angst noch immer gepackt. Wir hetzten weiter, drangen durch einen Hohlraum tiefer ins Innere der Station vor. Rechts ragte ein dunkelgrüner, glatt verkleideter Aggregatblock mit mehr als fünfzig Metern bis in halbe Höhe der Höhle. Der Sockel mündete links auf den etwa im 45-Grad-Winkel ansteigenden Boden, der hier an mehreren Stellen unregelmäßig geformte »Fenster« aufwies, grellweiß erleuchtete Milchglasflächen, zum Teil von einem grünlichen Riffelmuster überzogen. Aus der vielschichtig gestalteten Decke mit ihren Buckeln, Wölbungen und Auswüchsen ragten scharfkantig lamellenartig aufgereihte Platten. Durchgänge und Öffnungen zu angrenzenden Kavernen waren zum Teil hell beleuchtet, zum Teil versanken sie in Dunkelheit. Schräg hinter dem Aggregatblock hing ein breiter Zylinder an der Decke, auf dessen Mantelfläche kreisrunde Erhebungen zu sehen waren. Unvermittelt geriet diese unheimliche Welt aus den Fugen. Aus den Wänden lösten
Uwe Anton sich Gestalten, die wie unfertige Humanoide aussahen, wie Prototypen der Androiden von Narukku. Ohne Gesichter und mit unvollständigen Gliedmaßen stolperten sie vor unsere Füße. Sie ignorierten uns. Wortlos fielen sie übereinander her. Ich sah ein kleines, goldhaariges Mädchen, wunderschön und unschuldig, das sich in eine nicht mehr gold-, sondern glutäugige Furie verwandelte. Ich machte VarganenAbscheulichkeiten aus, deren verfaulendes Fleisch wieder hart und fest wurde. Sah einen prachtvollen goldhaarigen Varganen und einen dunkelhaarigen. Und dann verloren alle ihre Körper. So findet ihr innerer Konflikt seinen äußeren Ausdruck, sagte der Extrasinn. Vielleicht ist das auch Teil des Spiels, dessen Regeln du aufgelöst hast. Der stumme Kampf mutete völlig surrealistisch an. Die Körper der Varganen, die sich aus den Wänden gelöst hatten, schienen keine feste Kontur zu besitzen. »Das ist sinnlos«, rief ich. »Während ihr euch bekämpft, kommt der wahre Feind immer näher an sein Ziel. Ihr alle seid in Gefahr!« Ich wusste nicht, ob sie mich verstanden, aber einen Versuch war es wert. Abrupt endete ihr stummes Ringen. Einige von ihnen bildeten ein Gesicht, alle sahen mich an. Münder und Augen entstanden und lösten sich wieder auf. Ich machte mir keine Hoffnung mehr. Diese Varganen hatten sich schon längst aufgegeben, legten nicht einmal mehr auf einen perfekten varganischen Körper Wert. Ihre Erscheinung war wie das Bild einer Fünfjährigen, die stolz ihrer Mutter ihr erstes dahingekritzeltes Männlein präsentierte. »Was meinst du damit?« Plötzlich stand Tavena vor mir, wunderschön anzusehen, goldgelockt, in diesem Moment ein Kind, im nächsten eine Frau. Ihre Worte bildeten sich in meinem Kopf, sie sprach direkt zu mir, und gleichzeitig hörte ich sie. »Es ist euer Kampf«, sagte ich. »Eure Angst. Ich habe die meine besiegt. Kythara
Endstation Anaksa
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kämpft noch dagegen an. Ich habe keinen Einfluss darauf, wie ihr euch entscheidet.« Sie drehte sich um und kehrte in die Wand zurück, aus der sie gekommen war. Kythara und ich waren wieder allein. Vor einem Schott, einem fünf Meter hohen Ungetüm aus bestem Varganenstahl, das wohl keine Funktion unserer Kombistrahler auch nur ankratzen konnte. Kytharas Artgenossen waren schon immer Sicherheitsfanatiker und sehr gründlich gewesen. Auch die Varganen-Kinder waren immer nur bis hierher gelangt. »Wie kommen wir in die Zentrale?«, fragte ich. »Kein Problem«, erwiderte Kythara. »Ich bin durchaus herumgekommen und kenne wahrscheinlich den Zugangskode.« Heronar: Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit Heronar lachte. Sie hatten die Zentralstation fast erreicht. In fünf Minuten waren sie am Ziel der Wünsche der Lordrichter. Er lachte lauter. Wie dumm doch alle waren. Wie unwissend, nichts ahnend. Sie alle, ohne Ausnahme. Sie sahen den Zusammenhang nicht. Heronar. Der Trobyor. Yagul Mahuur. Der Lordrichter. Veschnaron. Eine Gestalt, die ein ZaqoorFormwandler-Mutant jederzeit annehmen konnte. Hilfreich, da ein Vargane hier Türen öffnen konnte. Er lachte noch lauter. Sie wussten nichts. Nichts.
11. Atlan Der Sonnenfokus »Zugangskode anerkannt. Berechtigung anerkannt. Ich erwarte deine Anweisungen, Kythara.« Die Stimme war tief und durchdringend und identisch mit der, die ich aus
Tolakins Mund gehört hatte. Ich sah mich um und kam mir auf Anhieb vor wie in einer der vielen varganischen Stationen auf den Versunkenen Welten, die ich in meiner Jugend oder in den letzten Wochen und Monaten betreten hatte. Kein Wunder; bei der Zentralstation handelte es sich ja um eine umgebaute Arsenalstation von 15 Kilometern Durchmesser, die die Varganen aus der Milchstraße hierher gebracht hatten. »Schott wieder schließen!«, befahl ich, als von Kythara keine Anweisungen kamen. Der Zentralrechner antwortete nicht. »Bestätigt«, sagte Kythara müde. »Mein Begleiter ist ebenfalls befehlsberechtigt.« »Er ist kein Vargane, Kythara.« »Ich bin im Moment auf seine Hilfe angewiesen.« Wir gingen weiter, der siebeneinhalb Kilometer entfernten eigentlichen Zentrale der Arsenalstation entgegen. »Statusbericht.« »Steuerzentrale gesichert. Alle versuchten Eingriffe von außen abgewehrt.« Ich nickte zufrieden. Das hieß, dass die Garbyor durchaus versucht hatten, in die Zentrale vorzudringen, sich daran aber die Zähne ausgebissen hatten. Vergiss dein eigentliches Ziel nicht, mahnte der Extrasinn. Werde so kurz vor einem möglichen Erfolg nicht leichtsinnig. Noch habt ihr es nicht geschafft. Unsere selbst gewählte Mission … den Zugang zum Mikrokosmos zu verschließen, um die Garbyor am Erreichen ihres Ziels zu hindern und gleichzeitig die Dwingeloo drohende Katastrophe abzuwenden … Wie würde die Varganenpositronik darauf reagieren? »Zentralrechner, kannst du hier Hologramme projizieren?« »Natürlich.« »Dann zeige mir das Zentrum Anaksas!« Mich interessierte brennend, was sich in dem 1200 Kilometer durchmessenden Hohlraum im Inneren der Station befand. Ihn umgab eine 800 Kilometer starke Schale, die die Varganen errichtet, ausgebaut und mit
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Aggregaten bestückt hatten und die jegliche Fernortung unmöglich machte. »Meinst du den Sonnenfokus?«, fragte der Stationsrechner. »Ja.« Das hörte sich zumindest sehr interessant an. Ein Holo bildete sich vor uns und behielt seine relative Position, obwohl wir uns mittlerweile im Laufschritt bewegten. Ich schaute in schwarzen Dunst, in dunkelviolett geprägte Dämmerung, die vereinzelt von blitzähnlichen hyperenergetischen Entladungen und Lichteffekten aufgehellt wurde, die wie fernes Wetterleuchten aussahen. »Das … ist der Dunkelstern«, entfuhr es mir.
* Ich kniff unwillkürlich die Augen zusammen und suchte auf dem Holo nach der Anaksa-Station, die sich im Zentrum der größten Verdickung der aus Schwarzer Substanz bestehenden Akkretionsscheibe des Dunkelsterns befand, konnte sie jedoch nicht erkennen. In Wirklichkeit erreichte die Scheibe einen Durchmesser von etwa 140.000 Kilometern – also von Jupitergröße – und umgab die Station mit einem undurchdringlich wirkenden Staubmantel, in dem die unterschiedlichsten hyperphysikalischen Effekte auftraten. »Das ist der Sonnenfokus«, berichtigte der Stationsrechner. »Mit einem Durchmesser von 432 Kilometern handelt es sich bei ihm allerdings tatsächlich um eine Spiegelung von Thasin'cran, vergleichbar dem Brennpunkt eines Hohlspiegels im Maßstab eins zu einhunderttausend.« Neben mir stöhnte Kythara leise auf. »Das ist … das eigentliche Portal zum Mikrokosmos«, dachte ich laut nach. »Ich brauche weitere Informationen. Setze bei mir den Wissensstand eines normalen Varganen voraus, der jedoch keine spezifischen Kenntnisse über Thasin'cran hat.« »Die Riesenlebensform Anaksa stellt als natürlicher Energiewandler ihre Ernährung
durch gezielte Sonnenzapfung im konventionellen wie auch hyperphysikalischen Bereich sicher und ist in der Lage, die angezapfte Energie direkt oder nach einer Zwischenspeicherung unter Ausnutzung von Verbindungen zum Hyperraum durch transitionsähnliche Umformungsprozesse in beliebige Masse zu transformieren«, erläuterte der Stationsrechner. Und dabei kommt es dann zu den alle 1,3753 Sekunden stattfindenden hyperenergetischen Überschlägen, die wir angemessen haben, stellte der Extrasinn fest. »Die spezifische Aufladung des Sonnenfokus durch die von den Varganen entwickelten Aggregate öffnet hier einen in beide Richtungen passierbaren Zugang zum Mikrokosmos«, fuhr der Rechner fort, »der einerseits direkt benutzbar ist, indem man etwa in den Sonnenfokus einfliegt, andererseits an vielen Stellen in der Anaksa-Station mit Transmittertoren Nebenzugänge hat, etwa für den Personentransport. Die hyperphysikalische Direktverbindung mit ihren vielfältigen Wechselwirkungen und Interaktionen bedingt allerdings auch das Überschlagen der Schwarzen Substanz auf den Dunkelstern und von dort aus zur Akkretionsscheibe sowie den übrigen befallenen Sonnen …« »Eine Art Blitzableiter«, murmelte ich. »… während umgekehrt von diesen Sonnen und der Schwarzen Substanz allgemein wiederum Wirkungen zurückschlagen, die zum Beispiel als Hypertunnel Gestalt annehmen können.« Ich nickte versonnen. Wir hatten solche »Hintertür-Verbindungen« erlebt. Diese Interaktionen schränkten sogar die überlichtschnelle Fortbewegung in Dwingeloo auf enge Korridore ein und wurden bis zu einem gewissen Grad von den Garbyor genutzt. »Wenn wir den Sonnenfokus …« Ich merkte, dass ich wieder laut nachdachte, und verstummte. Bravo! Es ist kaum ratsam, dem Stationsrechner unmissverständlich mitzuteilen, dass du den Sonnenfokus desaktivieren oder so-
Endstation Anaksa gar zerstören willst. Du weißt nicht, wie weit Kytharas Befugnisse hier gehen und was die Programmierung des Rechners von solch einer Aktion hält. Ich knirschte mit den Zähnen. Das wäre der einfachste Weg gewesen – dem Rechner zu befehlen, dem Spuk ein Ende zu bereiten. Aber ich war ja auch schon ohne den Logiksektor darauf gekommen, dass es so leicht wohl nicht werden würde. »Kythara …?« Ich drehte mich zu ihr um. Ihr Blick war noch immer seltsam leer, nach innen gerichtet. Sie hatte noch mehr mit sich selbst zu tun, als dass sie mir eine Hilfe sein würde. Aber trotzdem musste ich es versuchen. »Wie können wir …« Der Energiestrahl verfehlte mich nur knapp. Mein Varganenanzug fuhr automatisch den Schutzschirm hoch. Gleichzeitig warf ich mich herum und zu Boden. Eine bessere Deckung hatte ich nicht. Warum hatte die verdammte Ortung mich nicht gewarnt? Aber auf die war hier in Anaksa ja noch nie Verlass gewesen. Ich rollte mich ab, riss den stabförmigen Energiestrahler im Kombimodus aus dem Halfter und legte mit der gleichen Bewegung an. Und zögerte. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Kythara noch immer aufrecht dastand, als ginge sie das alles nichts an. Zwar hatte sich auch ihr Schutzschirm aufgebaut, doch der würde dem konzentrierten Punktbeschuss der über zwanzig Garbyor, auf die ich mit meinem Kombistrahler zielte, nicht lange widerstehen. Ich zerbiss einen Fluch. An der Spitze unserer Häscher stand, in einen silbrigen Kampfpanzer gehüllt, Veschnaron. Veschnaron, unter Kalarthras Flottenkommandeur der Expedition nach Gantatryn. Veschnaron, der uns bei einem Raumgefecht mit Togronen und Garbyor herausgehauen und zur Versunkenen Welt Galadat geführt hatte, wo wir dann festgestellt hatten, dass er einerseits ein falsches Spiel getrieben hatte und andererseits gar kein Vargane, sondern ein Scherge der Lordrichter war. Ich drückte noch immer nicht ab.
51 »Die richtige Entscheidung, Atlan. Dich wollen wir lebend haben. Aber auf die varganische Schlampe Kythara können wir verzichten. Auch wenn sie mir den Zugangskode verraten hat.« Der Verräter Veschnaron hielt eine nur handgroße Überwachungskamera hoch. »Von denen haben wir schon vor Urzeiten ein paar Dutzend in der Nähe des Zentraleschotts verborgen. Aber meine Dankbarkeit geht nicht so weit, dass ich deine Begleiterin deshalb verschonen würde.« Ich nickte, ließ den Kombistrahler los und stieß ihn von mir fort. Sein Scheppern über den Boden hallte unnatürlich laut in meinen Ohren. »Und jetzt steh auf«, sagte Veschnaron. »Aber ganz langsam.« Ich gehorchte. »Wie ist das möglich?«, fragte ich. »Wie seid ihr hier hereingekommen? Man muss den Zugangskode kennen, man muss Vargane sein, um …« Ich hielt inne. Varganen haben ihr eigenes Volk verraten, hallten Tolakins Worte in meinem Geist. »Verstehst du jetzt endlich?« Veschnaron gab den Zaqoor ein Zeichen. Jeweils drei traten zu mir und Kythara. Sie achteten sorgsam darauf, nicht in die Schussbahn ihrer Kollegen zu geraten. »Du bist der echte Veschnaron«, sagte ich. »Ein Vargane. Du hast dein Volk verraten und dich in den Dienst der Lordrichter gestellt. Aber du bist auch ein Gestaltwandler. Über diese Fähigkeit verfügen Varganen normalerweise nicht. Wie …« Veschnaron lachte. »Nur in Schmierenkomödien offenbart der Schurke dem gefangenen Helden beim Showdown seine Geheimnisse. Führt sie ab!« Zwei Garbyor packten mich an den Armen, der dritte trat hinter mich. Ich wusste, dass er seine Waffe auf meinen Rücken gerichtet hielt. Die drei anderen verfuhren bei Kythara genauso. »Wartet!« Veschnaron hob die linke Hand. In der rechten hielt er plötzlich eine
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unscheinbare, vielleicht zehn Zentimeter durchmessende Kugel aus einem Material, das mich an Milchglas erinnerte. Über der Kugel bildete sich eine kleine Holoprojektion. »Der Abtrünnige nähert sich. Ich kann ihn orten.« Die Garbyor, die nicht mit unserer Bewachung beauftragt waren, wirbelten herum, doch die Warnung kam zu spät. Schon brach die Hölle los.
* Schneller, als die Garbyor zielen konnten, jagte der Varg-Roboter heran. Er verwandelte sich in eine Feuer spuckende Kugel, deren Energiestrahlen die Schutzschirme und panzer von fünf, sechs, sieben Zaqoor durchschlugen und die grobschlächtigen Humanoiden in lebende Fackeln, Schlackehaufen oder grünbläulich schimmerndes Gas verwandelten, bevor die anderen – immerhin Elitesoldaten! – reagieren konnten und ihrerseits den Roboter unter Punktbeschuss nahmen. Nun geschah alles blitzschnell und fast gleichzeitig. Mit einem Ruck befreite ich mich aus dem Griff des Zaqoor. Der Soldat war zwar über einen halben Meter größer als ich und an eine Gravitation von über zwei Gravos angepasst, doch mein Dagor-Hieb traf ein empfindliches Nervenzentrum. Während er zusammenbrach, entriss ich seiner kraftlos gewordenen Hand den Strahler, schoss dem zweiten Humanoiden aus kürzester Distanz ins Gesicht und fast mit der gleichen Bewegung dem hinter mir in den Hals. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Kythara aus ihrer Starre erwacht war, zwei Zaqoor bereits gefällt hatte und den dritten mit Schlägen eindeckte. Ihre varganische Konstitution machte sie zumindest zu einer gleichwertigen Gegnerin, wenn nicht sogar zu einer überlegenen. Ich schoss auf alles, was sich bewegte, bückte mich nach dem varganischen Kombistrahler, hob ihn auf und feuerte nun beid-
händig. Ich suchte in dem Chaos nach Veschnaron, fand ihn und zielte. Auch der varganische Verräter hatte das Feuer eröffnet. Aber nicht auf den VargRoboter, der in diesem Augenblick unter den Salven der Garbyor explodierte und dabei noch zwei unserer Gegner in den Tod riss, sondern auf eine anderthalb Meter große aufrecht gehende Riesenameise, deren dunkelbrauner Chitinpanzer lediglich an Kopf und Gliedmaßen nicht von einem graumetallischen Schutzanzug bedeckt war. Gorgh-12! Offensichtlich hatte Veschnaron im Gegensatz zu mir nicht daran gedacht, dem Zentralrechner zu befehlen, das Schott wieder zu schließen, sonst wäre der Daorghor wohl kaum hier herein gekommen. Aber … wie hatte er uns überhaupt gefunden? Dann schoss mir durch den Kopf, wie die Truppen der Lordrichter uns während unserer Flucht kreuz und quer durch Dwingeloo immer wieder hatten ausfindig machen können. Sie hatten keineswegs Kalarthras mit der Schwarzen Substanz im Körper orten können, wie ich es eine Zeit lang befürchtet hatte, sondern Gorgh, wahrscheinlich über sein Todesimpuls-Implantat! Der Daorghor feuerte ebenfalls, doch erschreckend ineffektiv. Keiner seiner Schüsse traf, einer durchbohrte sogar das Hologramm, das noch immer vor mir im Gang schwebte, und ließ es flackern. Mit einem schier angewiderten Gesichtausdruck schoss Veschnaron erneut. Diesmal traf er. Der Energiestrahl verdampfte geradezu Gorghs Kopf mit den Antennenfühlern. Die sechs Beine des Daorghor liefen noch drei, vier Schritte, dann rutschten sie nach außen weg, Thorax-Segment und Hinterleib sackten mit einem knisterndraschelnden Geräusch zu Boden. Unwürdig, dachte ich. Dieser lapidare, beiläufige Tod ist seiner unwürdig. Er hat sein Leben für uns gegeben. »Garbgursha«, rief der Verräter und zeigte auf Kythara. Ein breitschultriger Zaqoor
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mit schwarzem, millimeterkurz geschorenem Haar und schmalen, dunkelbraunen Augen setzte sich in Bewegung, stampfte auf die Varganin zu. »Komm nur«, hörte ich ihre Herausforderung. »Ich habe keine Angst vor dir. Ich habe gerade jegliche Angst verloren.« Mit einem wütenden Brüllen warf er sich auf sie, holte mit seiner mächtigen Pranke aus. Ich hörte ihren schmerzerfüllten Schrei, sah aus dem Augenwinkel, wie sie zurückgeschleudert wurde und zusammenbrach. Dann nahm mir ein anderer Garbyor die Sicht auf sie. Ich stieß ihn beiseite, lief weiter, feuerte dabei unentwegt, ohne mitzubekommen, ob ich Gegner traf oder nicht. Und stand schließlich vor Veschnaron.
* Gelassen betrachtete mich der Verräter und senkte seine Waffe. »Ich brauche dich leider lebend, Atlan«, sagte er. »Und auch du willst mich nicht töten. Ich kenne zu viele Antworten auf Fragen, die dich brennend interessieren.« Während er sprach, veränderte er sich. Sein Körper wurde in dem Schutzpanzer größer, schlanker, seine Haare wurden weiß und scheitelten sich in der Kopfmitte, sein Gesicht nahm andere Züge an und wurde zuerst merkwürdig graustichig, dann schwarz. Kalarthras, erklärte der Extrasinn überflüssigerweise. Er nimmt Kalarthras' Aussehen an, um dich aus der Fassung zu bringen! Mit einem wütenden Brüllen sprang er unvermittelt auf mich zu. Mir wurde plötzlich klar, dass er mir körperlich weit überlegen war. Ich konnte trotz des Schutzpanzers seinen Schweiß riechen. »Es gibt noch eine andere Lösung.« »Nein, die gibt es nicht. Und das weißt du verdammter Arkonide genau. Du oder ich!« Er schlug zu. Ich riss die Arme hoch, um den Kopf zu
schützen, und setzte zu einem Dagor-Tritt an. Doch in der Bewegung lag zu viel Wucht. Sie warf mich zehn, zwölf Zentimeter weiter zurück, als ich kalkuliert hatte, und der Tritt streifte ihn nur. Dieser Mistkerl, dachte ich. Er hat mich überrascht. Veschnaron holte zu einem weiteren Schlag aus, zu einem dritten, und der durchbrach meine Deckung. Aber ich hatte meine Lektion gelernt, konnte ihm ausweichen und mit derselben Bewegung einen DagorSchlag genau auf seinen Kehlkopf landen. Er riss die Augen auf. Diesmal sah ich Überraschung in ihnen. Und noch einiges mehr. Ich ließ ihm keine Zeit, sich zu erholen. Ein zweiter Hieb traf ihn an der Schläfe, ein dritter an der Halskante. Er sackte zusammen, kroch vor mir zurück – und schlug mit der Hand auf ein rotes Oval auf der Brust des Schutzpanzers. Veschnaron verschwand. Ich sah nur noch eine eisglitzernde Nebelwolke, die aus dünnen Fädchen bestand und eine zylindrische Form von zwei Metern Durchmesser und dreieinhalb Metern Höhe bildete, in der sich grob eine Silhouette mit ständig wechselnden Konturen abzeichnete. Ein Eishaarfeld, warnte der Extrasinn gellend. Ein Eishaarfeld, das, wie ich wusste, die nichtstoffliche Erscheinungsform der Lordrichter darstellte und das sie an beliebigen Orten bilden konnten. War Veschnaron also nicht nur ein Verräter an seinem Volk, ein Überläufer in den Diensten der Lordrichter – sondern ein Angehöriger dieser geheimnisvollen Instanz, die Tod und Vernichtung über Dwingeloo brachte, um ihre noch unbekannten Ziele zu verwirklichen? Im nächsten Augenblick bemerkte ich eine bedrückend intensive Ausstrahlung von Macht, eine Ausstrahlung, die mich buchstäblich auf die Knie zwang. Ich konnte mich nicht rühren, war wie gelähmt, spürte, wie alle Kraft, das Leben, aus meinem Körper sickerte, während das Etwas unter dem
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Eishaarfeld sich langsam erhob, auf mich zuglitt, sich bückte … Veschnaron hatte zwar mehrmals betont, mich lebend ergreifen zu wollen, doch wenn ich ihn richtig einschätzte, war sein Zorn und Hass auf mich mittlerweile so groß, dass er jeden guten Vorsatz vergessen und mich mit bloßen Händen erwürgen würde.
* Aus dem Augenwinkel sah ich plötzlich eine vertraute Gestalt neben dem Eishaarfeld. Kythara! Sie war äußerlich unverletzt, stand jedoch gekrümmt da, als hätte man ihr jede Rippe im Brustkorb einzeln gebrochen. Ihr Gesicht war verzerrt, eine Maske aus Schmerz und Hass und … Angst konnte ich nicht mehr darin erkennen. Nur Konzentration, höchste Konzentration. Schlag doch endlich zu, dachte ich. Worauf wartest du? Sie sind da, aber sie hören nicht auf meinen Appell, vernahm ich ihre Stimme in meinem Kopf. Sie zögern noch, können sich nicht aus dem Bann lösen … Ich wusste, wen sie meinte: Tolakin und die anderen mit Anaksa verschmolzenen Varganen, die Halluzinierenden, die mit dem verbundenen Instinktbewusstsein unter Verwendung von Schwarzer Substanz quasi eigenständige Universen kreierten, in denen sich ihre Ängste spiegelten. Über dem Eishaarfeld materialisierten plötzlich wirbelnde schwarze Schneeflocken, verdichteten sich zu einem … ja, zu einem Gesicht, Tolakins Gesicht. Die Lippen bewegten sich, bildeten Wörter. »Du hast uns erreicht. Die Entscheidung war in dem Augenblick gefallen, in dem wir begannen, gegeneinander zu kämpfen. Da haben wir dem Spiel die Regeln genommen. Da haben wir diejenigen, die noch zögerten, gezwungen, sich ihrer Angst zu stellen. Es ist klar, dass keiner von uns überleben wird. Wir setzen jetzt sämtliche Schwarze Substanz aus dem Mikroversum frei, an die wir
herankommen.« Das Gesicht löste sich auf, wurde wieder zu schwarzen Schneeflocken. Dann schienen die mit Anaksa verschmolzenen Varganen alle Schleusen zu öffnen. Unmengen von Schwarzer Substanz prasselten auf Veschnaron, durchdrangen das Eishaarfeld. Anaksa erzitterte heftig. Der lähmende Einfluss fiel von mir ab. Ich robbte zurück, drehte mich um – und sah das Hologramm, das inmitten des nackten Chaos noch im Gang schwebte und den Sonnenfokus zeigte. »Stationsrechner! Was geschieht hier? Spiele eine Aufnahme vom Dunkelstern ein!« Das Bild wechselte abrupt, zeigte nun Thasin'cran selbst. Der Dunkelstern stieß Unmengen von Schwarzer Substanz aus und schien sich gleichzeitig aufzublähen, instabil zu werden. Auch hier in der Zentralstation regnete es geradezu Schwarze Substanz. Sie schlug auf die Garbyor ein, verwandelte sie. Einige schrumpften zu Miniaturgestalten, andere explodierten. Nur der Lordrichter selbst schien durch sein Eishaarfeld geschützt. Und dann sah ich in dem Holo, wie Thasin'cran unvermittelt aufblitzte, seine Helligkeit um das Tausendfache oder gar Zehntausendfache erhöhte. Ich brauchte nicht die Interpretation des Extrasinns, um zu wissen, was geschehen war. Durch den Einfluss des nun endlich befreiten Gemeinschaftswesens hatte der Dunkelstern sich abrupt in eine Supernova verwandelt! Atlan: Endstation Anaksa Das war das Ende. Wir waren tot. So etwas konnte niemand überleben. In dem Sekundenbruchteil, in dem die Supernova aufblitzte, zogen die Ereignisse der letzten Wochen an mir vorbei. Wann hatte das alles angefangen? Wir schrieben jetzt den 23. Juli 1225 NGZ – also vor gut vier Monaten. Ich dachte an das Attentat auf Arkon am
Endstation Anaksa 11. Februar 1225 NGZ, an Li da Zoltral, die ich geliebt, aber verloren hatte. Ich dachte an den unerforschten Sternhaufen Omega Centauri mit seinem lemurischen Erbe, dem Sonnentransmitter. Und an Samkar, den Roboter der Kosmokraten, der letzten Endes mein Leben rettete. Du wirst noch gebraucht, hatte er mir verkündet. Doch Li war umgekommen – nur, damit ich ihr, in Wirklichkeit auch einer Beauftragten der Kosmokraten, in der ObsidianKluft erneut begegnete. Dort hatte ich nicht nur einen Hauch kosmischer Geschichte erlebt und verhindert, dass die Reste des Urschwarms Omega Centauri, wenn nicht sogar große Teile der Milchstraße zerstörten, sondern auch Kythara kennen gelernt. Kythara, mit der ich unmittelbar darauf in die Vergessene Positronik eingedrungen war, um Licht in die ominöse Warnung eines sterbenden Cappins zu bringen, die von den Lordrichtern handelte. Wir hatten deren Spur aufgenommen – nun ja, eigentlich hatten wir lediglich versucht, die Psi-Quelle zu zerstören, die sie zu finsteren Zwecken manipuliert hatten, und einige der Versunkenen Welten der Varganen bereist. Aber was hatte ich erwartet? Die Lordrichter waren schon seit Jahren, wenn nicht seit Jahrhunderten oder noch länger aktiv. Ich hatte niemals geglaubt, ihr geheimnisvolles Treiben in wenigen Wochen beenden zu können. Kythara und ich allein gegen eine Macht, über deren Größe und Einfluss ich nicht einmal Vermutungen anstellen konnte? Lächerlich! Immerhin hatten wir wieder Kontakt mit den Cappins bekommen und waren mit ihnen nach Dwingeloo geflogen, wo die Lordrichter ebenfalls aktiv waren und den Dunkelstern manipuliert hatten. Wieder Kythara und ich einerseits und ein Schiff der Cappins andererseits allein in einer unbekannten Galaxis, in der sich die Lordrichter schon seit langem etabliert hatten. Wir waren gejagt worden, immer wieder, aber alles andere wäre unlogisch gewesen. So gesehen war es ein Wunder, dass es uns jetzt tatsächlich gelungen war, den Dunkelstern zu zerstören
55 und Dwingeloo damit vor dem Untergang zu retten. Damit hatten wir schon viel erreicht, mehr, als zu erwarten gewesen war. Aber Anaksa war für mich Endstation. Hier war es für mich vorbei. Ich hatte mein Bestes gegeben, andere würden später entscheiden müssen, ob es gereicht hatte. Und das alles hatte sich in vier Monaten zugetragen? Mir kam es viel länger vor, wie drei oder vier Jahre. Ich nahm Abschied. Du wirst noch gebraucht, glaubte ich Samkars Stimme zu hören. Unsinn! Eine Supernova-Explosion in solch geringer Entfernung konnte niemand überleben. Und wenn doch – wenn ich dem Tod wie schon so oft in letzter Sekunde von der Schippe springen konnte –, ahnte ich zum ersten Mal seit diesen vier Monaten wirklich nicht, wie es mit mir weitergehen würde. Das lag nun in anderen Händen, nicht mehr in meinen.
12. Atlan Ein neuer Mond Während ich darauf wartete, endlich tot zu sein, verfolgte ich gebannt auf dem immer stärker flackernden Holo, wie über der Verbindung zum Mikrokosmos im Kern des Dunkelsterns eine riesige Aufrisszone entstand, die gewaltige Materiemengen unvermittelt im Mikrokosmos verschwinden ließ. Im Zentrum seiner heißen Fusionszone beraubt, reichte der verbliebene Strahlungsdruck nicht aus, um der Eigengravitation zu widerstehen. Materie stürzte in die riesige Hohlblase, heizte sich dabei zu kaum vorstellbaren Temperaturen auf, entartete, formte im nuklearen Brennen durch freigesetzte Neutronen schwere Elemente jenseits des Eisens und kollabierte endgültig. Der Blitz, dessen Helligkeit der von einer Milliarde Sonnen entsprach, zuckte durch die äußeren Schichten des Dunkelsterns, die mit Geschwindigkeiten von mehr als 10.000 Kilo-
56 metern pro Sekunde fortgeschleudert wurden, während der Kern die Kollapsdichte von annähernd zehn hoch sechzehn Kilogramm pro Kubikmeter erreichte und einen rasch rotierenden Neutronenstern von nur zwanzig Kilometern Durchmesser bildete. Weitere Schwarze Substanz materialisierte, erzeugte noch mehr gewaltige hyperenergetische Entladungen. Ich sah, wie die Schiffe der Garbyor im System Notbeschleunigungen vornahmen, doch nur ein geringer Teil von ihnen entkam, die meisten wurden vernichtet. Ein gellender Schrei lenkte mich von dem Holo ab. Der Berg von Schwarzer Substanz wenige Meter entfernt bäumte sich auf, brach auseinander. Ich sah kurz das Eishaarfeld. Dann verschwand es von einem Moment zum anderen, gemeinsam mit der Schwarzen Substanz, die es wieder einhüllte. Ich fragte mich, wieso ich noch immer nicht tot war, und sah wieder zu dem Holo. Die Wirkung der Supernova-Explosion trieb die Akkretionsscheibe des Dunkelsterns auseinander, die Wolke um die Station selbst wurde zerfetzt. Aber ich lebte noch immer. Das Korallenstockwesen war noch nicht vernichtet worden. Ungläubig beobachtete ich, wie es wie ein Wellenreiter auf der sich ausdehnenden Glutwalze dahinglitt. Ich fragte mich, wo sich das Gerät befand, das diese Bilder aufnahm, oder ob es sich bei ihnen um Extrapolationen des Stationsrechners handelte, verdrängte den Gedanken aber schnell wieder. Die umgebaute Arsenalstation wurde immer heftiger durchgeschüttelt. Ich wurde einen halben Meter in die Höhe geschleudert, prallte schwer auf dem Boden auf, kroch zu Kythara, die verkrümmt dort lag, ergriff ihre Hand. Hörte ihr leises Flüstern. »Mir geht es fürchterlich, aber du solltest mal diesen Garbgursha sehen …« Sie lebte! Sie lebte! »Hast du ihn getötet?«
Uwe Anton »Natürlich«, sagte sie und wurde ohnmächtig. Damit blieb ihr der grausame Schmerz erspart, wie er im nächsten Moment durch meinen Körper zog.
* Ich kannte ihn, kannte ihn seit über 10.000 Jahren, hatte ihn in letzter Zeit seltener erlebt, aber in meiner Jugend sehr oft. Der typische Entzerrungsschmerz einer Transition! Was hatte Monaidros gleich noch gesagt? Normalerweise sind diese Lebensformen weitgehend stationär an die Umlaufbahnen von Sonnen oder Gasriesen gebunden. Sie können ihren Standort allerdings durch gezielte Energieausstöße sowie TransitionsStrukturfelder verändern. Um sein Leben zu retten, war Anaksa transitiert! Ich sah in dem Holo, wie sich, von der Schockwelle heimgesucht, ein Teil des Korallenstocks abspaltete, ein riesiger Brocken am Nordpol, einschließlich der Arsenalstation. Das Bild wechselte zu einer Totalen, zeigte einen Planeten, in dessen Nähe wir wohl rematerialisiert waren. Unser Bruchstück raste darauf zu, würde wohl darauf prallen, während der Hauptteil der Station offenbar als neuer Mond in die Umlaufbahn einschwenkte. Ich sah noch, dass die Welt offensichtlich komplett von Ruinen bedeckt war. Und einige Schiffe der Garbyor hatte es ebenfalls hierher verschlagen. Sie bildeten winzige Punkte in einem riesigen Kometenschweif. Dann wurde es dunkel um mich. Es ist vorbei, war mein letzter Gedanke. Seltsamerweise verspürte ich lediglich Erleichterung. ENDE
Endstation Anaksa
57 ENDE
Wächter der Intrawelt von Hubert Haensel Die Abenteuer Atlans rund um den Dunkelstern haben ihr Ende gefunden. Zwar ist die Gefahr, die von den Lordrichtern ausgeht, noch nicht gebannt, aber wieder einmal konnte Atlan einen kleinen Sieg verbuchen. Wenn es ihm jetzt noch gelingt, sich die passenden Verbündeten zu schaffen, dürfte selbst die Rettung der Cappins vor dem Schwert der Ordnung nicht mehr unmöglich sein.