Alexander Calhoun
Ein Pfeil als Lohn Apache Cochise Band Nr. 5 Version 1.0
Prolog Als die weißen Amerikaner Mitte de...
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Alexander Calhoun
Ein Pfeil als Lohn Apache Cochise Band Nr. 5 Version 1.0
Prolog Als die weißen Amerikaner Mitte des 19. Jahrhunderts den Südwesten der USA zu besiedeln begannen, stießen sie auf ein indianisches Volk, das bereits die Spanier und Mexikaner hatte teuer dafür bezahlen lassen, daß sie unbefugt in ihre Jagdgründe eingedrungen waren. Die etwa ein Dutzend umfassenden Apachen-Gruppen und Großsippen, am gefürchtetsten die Chiricahua-Apachen, widersetzten sich der Niederwerfung durch die Weißen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Sie überfielen zunächst Postkutschen, Frachtwagenzüge, Armeepatrouillen, Farmen, abseits gelegene Ranches und kehrten anschließend wieder zu ihren Stützpunkten in den Bergen zurück, den sogenannten »Apacherias«, die bei den Weißen der damaligen Zeit als uneinnehmbar galten. Der Widerstand flammte zum blutigsten und grausamsten Grenzkrieg der Indianergeschichte auf, als Cochise von Mangas Colorados die Führung der Stämme übernahm. Cochises Weitblick ließ ihn letztlich erkennen, daß der Untergang der roten Rasse eine von den Weißen beschlossene Sache war, die Anspruch erhoben auf alles Land zwischen den Dragoon Mountains im Südosten, dem Mogollon-Rim im Westen und der Gran Desierto im Süden. Cochises Chiricahuas, die Kerntruppe seiner Streitmacht, blieb im Angesicht der unaufhaltsamen Flut weißer Siedler, Goldgräber und Desperados nur noch eine Devise: Raube, ohne erwischt zu werden, töte, ohne getötet zu werden. Ein Kampf ohne Erbarmen entflammte in den Canyons, Tälern und Wüsten. Ein Kampf, dessen Schilderung in dieser Serie nicht die ganze Brutalität wiedergeben kann, wie sie uns die Geschichte überliefert hat.
1871 gelang es Cochise, die meisten Stämme der Apachen zu einer einzigen Widerstandsfront gegen die Eindringlinge aus Nord und Süd, Weiße und Mexikaner, zu vereinen. Die blutigsten Massaker auf beiden Seiten waren die Folge. Auf ihren flinken Ponys überfielen die Krieger in kleinen Gruppen Wagenzüge und Posthaltereien im Norden, um am nächsten Tag schon Farmer und Goldgräber im Süden oder eine Patrouille der Army im Westen anzugreifen. Militär und Siedler waren macht- und hilflos und ohne eine Möglichkeit gezielten Widerstandes den ständigen Apachenangriffen ausgesetzt. Wenn 1870 General Sherman nach Washington schrieb: »Wir führten einen Krieg gegen Mexiko, um Arizona zu bekommen, wir sollten jetzt einen Krieg führen, um dieses Land wieder loszuwerden«, so kennzeichnen diese Worte die verzweifelte Hilflosigkeit des Militärs. Diese nach authentischen Überlieferungen verfaßte Serie soll dem größten aller indianischen Führer ein Denkmal setzen: Cochise. Dem Wirken dieses Mannes und seinem Weitblick für politische Veränderungen ist es zu verdanken, daß diese Story mit ihrer ganzen Dramatik wahrheitsnah niedergeschrieben werden kann. Unsere Autoren fühlen sich verpflichtet, neben der Herausstellung der abenteuerlichen Charaktere, die in jener Zeit Geschichte machten, auch der historischen Wahrheit die Ehre zu geben. Nichts soll verschwiegen, nichts hinzugefügt oder entstellt werden. Ihr Martin Kelter Verlag
*** Die Stagecoach war angespannt und reisefertig. Anstelle der sechs schwarzen Pferde standen sechs braune in den Sielen. Maritoba-Jones entfernte die Keile unter den Rädern, während Ben Lindford seinen Platz auf dem Bock einnahm. Das Gewehr hielt er in der Armbeuge. Dabei warf er kurze Blicke auf die Höhenzüge und stellte mit Befriedigung fest, daß die beiden Indianergruppen verschwunden waren. Jeffords und Jim Walsh kamen aus dem Haus. Ihnen folgten die Fahrgäste, schließlich Charles Culver. Der erste Blick der Stationsbewohner glitt hinauf zum Plateau und auf die andere Schluchtseite. Sie seufzten erleichtert, als sie nur Steine und keine Rothäute sahen. Die Passagiere indessen wußten nichts von der Gefahr, die zu beiden Seiten des Passes lauerte. Gestärkt und erfrischt bestiegen sie die enge Kutsche, um es sich bis El Paso so bequem wie möglich zu machen. Die erste Station, die sie planmäßig anzufahren hatte, war Gilbert-Crossing, die zweite Hachita und die dritte Columbus in Neu Mexiko. Die Gesamtstrecke betrug 320 Meilen durch endlose Wüsten und karstige Gebirge mit tief eingeschnittenen Canyons. Die Fahrgäste waren eingestiegen. Maritoba schloß den Schlag und zog die Treppe ein. Mit einem Grinsen schwang er sich auf den Kutschbock, löste die Bremse und nahm die Peitsche in die Hand. Die Stagecoach rollte durch das Tor auf die Paßstraße. Jeffords, Walsh und Charles Culver blickten ihr nach. Jeffords hatte plötzlich ein flaues Gefühl im Magen. Er legte dem kleineren Culver eine Hand auf die Schulter und sagte leise:
»Mir ist gar nicht wohl in meiner Haut, Charles. Diese Ahnung …« »Was soll das?« »Ich kann's nicht erklären. Wie – wie von kommendem Unheil.« »Die Kutsche?« Thomas Jeffords zuckte mit den Achseln. »Keine Angst, Chef, die kommt schon heil an. Maritoba ist der beste Fahrer weit und breit, und Lindford ist mit seinem Gewehr auch nicht grade von Pappe.« »Hoffentlich«, murmelte Jeffords und ging ins Haus. Maritoba-Jones lenkte das schwere Gefährt indessen die gewundene Paßstraße hinab. Er hatte keine Eile. Die Strecke war abschüssig und kurvenreich. Er mußte sein ganzes Geschick aufbieten, das Sechsergespann heil durch die Kehren zu bringen. Die »Teufelskante« kam in Sicht. Die Paßstraße machte hier eine Wendung um fast 180 Grad, beschrieb dann einen entgegengesetzten Bogen und führte danach wieder in die alte Richtung. Hin und wieder zog er die Bremse an, damit die Kutsche nicht zuviel Fahrt bekam und ins Schleudern geriet. Lindford sah sich alle paar Minuten um und schien dem Frieden nicht so ganz zu trauen. »Wo sie wohl abgeblieben sind?« quetschte Jones undeutlich durch die Zähne. »Wer?« »Die Redmen, wer denn sonst.« »Sie sind noch in der Nähe«, antwortete Lindford und packte sein Gewehr fester. »Ich fühl’s in allen meinen alten Knochen.« »Ja, paß auf. Hinter der ›Teufelskante‹ lege ich einen Zahn zu.« »Das wird ein tolles Geschrei unter den Fahrgästen geben.«
»Ist mir egal, sollen sie getrost schreien. Noch zweihundert Yards, Ben. Ich zieh die Kutsche ziemlich nahe an die Felswand. Das gibt mir mehr Spielraum, wenn die Hinterräder wegrutschen.« »Deine Kutsche«, sagte Lindford und warf einen Blick über die Schulter. »Siehst du was?« fragte Jones. »Ja. Eine ganze Menge sogar.« »Was, du Trottel?« »Rothäute. Mehr als zwanzig.« »Meinetwegen hundert«, sagte der Fahrer ungerührt. »Sie können auf dem engen Paßweg nicht an uns vorbei, es sei denn, die klettern wie Gemsen.« Die »Teufelskante« war noch etwa 50 Yards entfernt. Das Gespann schoß auf die Kehre zu. »Wie weit noch?« wollte Maritoba wissen. »Achtzig Pferdelängen. Sie holen auf, Jones.« »Knall ein paar aus dem Sattel, das macht sie vorsichtiger.« »Geht nicht.« »Weshalb nicht? Du bist einer der besten Gewehrschützen, die ich kenne.« »Geht trotzdem nicht, weil sie auf keinem Sattel sitzen.« »Blödmann! Schießt du endlich?« Ben Lindford drehte sich auf dem Bock, das Gewehr an der Schulter. Bedächtig nahm er Druckpunkt und Ziel. Als er den vordersten Krieger genau im Visier hatte, krümmte er den Zeigefinger. Die Rothaut warf die Arme in die Höhe und fiel vom Mustang. Sofort rückte der nächste Krieger an seine Stelle. Ben lud nach. Während er die Patrone in die Kammer hebelte, sagte er: »Du scheinst recht zu haben, Jones.« »Womit?« »Du nanntest mich einen der besten Schützen, die du kennst.
Ich habe einen erwischt.« »Gratuliere. Halte dich mal fest, jetzt geht's in die Kehre.« Jones zog die Bremse an. Funken stoben unter den Rädern. Mit einem Zügelruck lenkte er die Leitpferde in die Kurve. In dem Augenblick, wo das Fahrzeug einschwenkte, löste er die Bremse und stieß einen gellenden Schrei aus. Hart und laut knallte die Peitsche. Die sechs Pferde rasten los. In ihrem Rücken ertönte lautes Wutgebrüll, aus der Kutsche Schmerzensschreie und Flüche. Lindford hob sein Gewehr. Als der Pulk der Rothäute um die Kehre preschte, zog er durch und traf einen weiteren Indianer. »Gut so«, sagte Jones anerkennend. Er ließ die Peitsche knallen und stieß anfeuernde Schreie aus. »Sie holen auf«, sagte Lindford. »Kannst du deine verdammten Schinder nicht mal ein bißchen unterm Schwanz kitzeln?« »Puste noch ein paar weg«, antwortete Maritoba-Jones bissig. »Wenn sie Verluste hinnehmen müssen, lassen sie vielleicht von uns ab.« »Vielleicht?« murmelte Ben und riß sein Gewehr an die Schulter. Der Schuß krachte, holte einen weiteren Apachen von seinem Bronco. »Nummer drei«, sagte der Schütze und grinste. Er lud nach, hob die Waffe und schoß – vorbei. Lindford fluchte wie ein arabischer Wasserträger. »Kannst du die verdammte Karre nicht ruhiger fahren?« »Schieß besser, dann triffst du auch.« Das Gefährt rollte im Höllentempo die Paßstraße hinab. Die Angst- und Entsetzensschreie der Passagiere wurden lauter und anhaltender. »Blöken wie Lämmer, das können sie«, knurrte Maritoba und ließ die Peitsche knallen. »Aber keiner denkt daran, sein Schießeisen zu benutzen.« Der Fahrtwind riß ihm die Worte von den Lippen. Lindford
wandte sich ihm zu. Während er sein Gewehr lud, brüllte er: »Was hast du gesagt?« »Du sollst besser schießen, du Armleuchter!« Lindford legte an, nahm lange Ziel, dann drückte er ab. Die vierte Rothaut warf die Arme hoch, verschwand im Staub. Es half nichts, die heulenden Apachen kamen näher und näher. Die Spitze war kaum noch zehn Pferdelängen hinter der Kutsche und machte Anstalten, sich auf das Gefährt zu schwingen. Für Lindford wurde das Zielen immer schwieriger, denn die Talfahrt nahm zu, und die Concord schwankte bedenklich. Maritoba-Jones kannte die Strecke wie seine Westentasche. Das gefährlichste Stück kam erst noch. Eine Viertelmeile, und die Paßstraße wurde so eng wie ein Hohlweg. Nur daß man von einem Hohlweg kaum reden konnte. Die linke Seite wurde von der himmelstürmenden Steilwand begrenzt, die rechte stürzte in einen Abgrund von mindestens 150 Fuß. Lindford schoß wieder vorbei. Fluchend und murrend lud er nach, feuerte erneut. Treffer. Fünf der Angreifer hatte er außer Gefecht gesetzt, aber es waren immer noch mehr als genug, die Weißen zu überwältigen. Jones hieb auf die Pferde ein. Schaumflocken wehten von ihren Mäulern. Die Tiere streckten sich wie Katzen, näherten sich der gefährlichen Stelle. Hinter der Kutsche waren zwei Apachen ganz dicht herangekommen. Der erste Krieger, der überspringen wollte, wurde von Lindford erwischt. Dem zweiten Mimbrenjo jedoch gelang es, vom Pferd aus aufzuspringen und sich am Federbügel festzuhalten. Lindford hatte es bemerkt und war sich der Gefahr bewußt, in der sie alle schwebten. Mit dem Gewehr jedoch konnte er den toten Punkt nicht erreichen. Die Straßenenge flog förmlich der dahinrasenden Concord entgegen. Neben Lindford tauchte eine berittene Rothaut auf. Sie trug Kriegsfarben im Gesicht, die durch den Schweiß
verlaufen waren. Er sah schauerlich aus. Maritoba entdeckte ihn, als er sein Pony wieder antrieb, um vor der Enge aufspringen zu können. Der Apache ritt mit keuchendem Pferd näher, ohne hinter sich zu blicken, zielstrebig und mordlustig. Jones mußte sich auf die Lenkung der schweren Kutsche konzentrieren. Wenn er nur jetzt nicht aufspringt, dachte er. Nur jetzt nicht. Aber dem Indianer blieb keine andere Wahl. Er mußte springen oder mit seinem Pferd in die Tiefe stürzen. Die Rothaut sprang mit einem gellenden Schrei. Jones hob das Bein in einer einzigen Reflexbewegung und traf die Brust des Mannes. Rückwärts verschwand der Mimbrenjo und stürzte mit gellendem Schrei in die Tiefe. Aber das Unglück war geschehen. Jones verlor die Gewalt über das Fahrzeug. Die beiden Führungspferde scherten aus, wurden durch harten Zügelruck wieder zurückgerissen. Die Kutsche kam vom Weg ab, hing mit dem rechten Hinterrad über dem Abgrund, konnte aber noch einmal Boden gewinnen und wurde von den galoppierenden Pferden auf die Straße gezerrt. Ein Zeitaufschub von wenigen Sekunden, mehr nicht. Jones zog die linke Bremse an, um die nach innen weisende Fahrtrichtung der Concord zu unterstützen. Es gelang ihm nicht. Das linke Hinterrad brach ein, Steine polterten in die Tiefe. Die Kutsche sackte ab. Die Hinterachse brach, das rechte Hinterrad zersplitterte, die Deichsel stellte sich hoch und nahm den Pferden jeglichen Bewegungsraum. Jones rief: »Abspringen, Ben!« Der konnte nicht. Neben ihm gähnte der Abgrund. MaritobaJones hatte noch Gelegenheit, vom Bock zu springen. Als er sich aufrichtete, traf ihn ein Pfeil in den Rücken und warf ihn vorwärts in das Gestänge. Der gemischte Klang von brechendem Holz, Angstgeschrei und wilden Kriegsrufen der Apachen drang durch den Paß. Die Kutsche kippte nach rechts. Gewachsener Stein am
Schluchtrand brach und sauste nach unten. Ihm folgte die Kutsche, riß Menschen und Pferde mit in die Schlucht. Sie schlug mehrmals auf, zersplitterte. Die Schreie in der Schlucht verstummten. * Der volle Mond hing wie ein gelber Ballon über dem Gebirge und beschien eine malerische Szene, die vermutlich noch kein Auge eines Weißen erblickt hatte. Im Canyon brannten mehr als zehn große Holzstöße und beleuchteten die Wände bis hoch hinauf zu den Schluchträndern. Krieger und Frauen liefen hin und her. An kleineren Feuern wurden Festbraten hergerichtet. Junge Krieger, die noch keinen Namen hatten, drehten die Spieße. Zwischen den Jacales innerhalb des Schutzwalles saßen Cochise, sein Sohn Naiche, Yuh, der Häuptling der NedniApachen, und Nahlekadeya. Ältere Krieger mit Rang und Namen gesellten sich dazu. Es wurde gegessen, getrunken und gescherzt. Man rief Cochise im Vorbeigehen freundliche Worte zu, die sich auf seine bevorstehende Vermählung mit der jungen und schönen Frau bezogen. Nahlekadeya hatte sich festlich geschmückt, ein rehledernes gebleichtes Kleid angezogen, ihr schwarzes Haar hochgebunden und Blumen eingeflochten. Nahlekadeya saß mit ihrem Vater Cochise gegenüber. Über das Feuer hinweg warfen sie sich Blicke zu, die Yuh mit einem zufriedenen Grunzen quittierte. Yadalanh und Giannatah, Cochises Neffen, traten heran und setzten sich auf die freigehaltenen Plätze beim Feuer. Nach einer Weile, als der Festschmaus gerade anfing, kam Naretana mit seiner Squaw und nahm neben seinem Bruder Platz. Man trank Tizwin an allen Feuern, und man wurde von Stunde zu Stunde immer ausgelassener. Mächtige Krüge
machten die Runde, tönerne Schalen wurden gefüllt, Holzbretter mit gebratenem Fleisch gereicht. Dazu aß man Wildgemüse und gekochten Mais. Am Feuer des Jefe ging es ruhiger zu. Cochise trank nie, sein Sohn ebenfalls nicht. Die übrigen männlichen Verwandten beschieden sich mit geringen Mengen des starken Getränks. Frauen bekamen so gut wie nie Alkohol. Das Trinken starker geistiger Getränke war Männersache. Cochise sah sich um. Nirgendwo entdeckte er Tla-ina. Nach ein paar Worten mit Naiche stand er auf und ging zum Feuer der Frauen. Unter den Squaws befand sich das Mädchen auch nicht. Cochise suchte Feuer für Feuer ab, ging bis zum letzten hinüber bei der Quelle. Tla-ina war nicht zu seinem Hochzeitsfest gekommen. Mit gesenktem Kopf ging Cochise zurück. Als er an seinem Jacale vorbeikam, hörte er gedämpftes Schluchzen. Er trat ein. Tla-ina saß auf ihrem Lager und hielt das Gesicht in die Hände vergraben. Tränen rannen. Das Mädchen weinte bitterlich. Cochise setzte sich neben sie und legte einen Arm um ihre Schultern. Beruhigend sprach er auf sie ein. »Was ist es, das Tla-ina so traurig stimmt? Meine Hochzeit mit Nahlekadeya?« Sie schüttelte den Kopf, gab keine Antwort. »Ist es der weiße Mann, der sich Haggerty nennt?« Das Kopfschütteln blieb aus, dafür rannen die Tränen reichlicher. »Liebst du ihn?« »Sehr, mein Bruder.« »Du würdest seine Squaw werden?« Ein kurzes Nicken. »Wenn du es erlaubst, Jefe?« Cochise holte tief Luft. Er kannte die Probleme, die ein Weißer bekam, wenn er sich eine rote Frau nahm. Squaw-Man nannten sie solche Bleichgesichter. Cochise wußte, daß ein Weißer gesellschaftlich und manchmal auch finanziell ruiniert
war, sobald er sich mit einer Indianerin einließ. Viele Trapper lebten mit einer oder mehreren roten Frauen. Das wußte der Jefe. Aber diese Männer hausten schon immer in den Bergen und sehnten sich nicht wieder nach den Ansiedlungen. Sie störten sich nicht an Klatsch und Mißgunst. Einmal im Jahr verkauften sie ihre Felle an die Aufkäufer, deckten sich dabei mit Proviant, Pulver und Blei ein und verschwanden wieder. Aber ein Scout der Armee konnte das nicht, das wußte Cochise. Außerdem dachte er an die rassischen Probleme. Kinder aus solchen Mischehen nannten die Weißen Bastarde. Sie wurden verachtet, beschimpft und manchmal sogar aus den Städten verjagt. Mit Mestizen oder Mulatten wollten die hochnäsigen weißen Männer nichts zu tun haben, ihre Frauen auch nicht. »Weißt du überhaupt, ob der ›Falke‹ dich haben will?« ›Sanfter Wind‹ schüttelte den Kopf. »Darüber redeten wir nicht.« »Worüber denn?« »Er versprach, wiederzukommen.« »Der Scout war einmal in unserem Lager. Hast du nicht mit ihm gesprochen?« »Nein. Er war damals so seltsam, Jefe, ich weiß nicht …« »Willst du, daß ich ihn herbitte?« Tla-ina hob ihr tränennasses Gesicht, lächelte verkrampft. »Wenn du das tun willst …«, flüsterte sie. »Komm mit zum Feuer«, sagte er leise. »Freue dich an meiner Freude und begrüße Nahlekadeya. Iß und trinke mit uns, sei fröhlich und warte. Ich hole den ›Falken‹ in unser Lager.« Tla-ina erhob sich. Ihre Augen strahlten. »Ich danke dir, Cochise.« Am Feuer wurden sie bereits vermißt. Aller Augen richteten sich auf sie. Inzwischen hatte der Mond seinen höchsten Stand
erreicht. Der Zeitpunkt für die Vermählungszeremonie war gekommen. Als sie nebeneinander Platz genommen hatten, erhob sich Yuh. Seine ausgebreiteten Arme geboten Ruhe. Weithin hallte seine Stimme: »Der Bruder der Sonne ist mein Zeuge, die Sterne werden in Ewigkeit bezeugen, und die Mutter allen Lebens, die Sonne, wird das Zeugnis ihres Bruders, des Mondes, bestätigen: Nahlekadeya, meine Tochter, wird dem Jefe der Chiricahuas in seine Hütte folgen und seine Squaw sein. Sie wird sein Mahl herrichten, sein Bett wärmen und seine Kinder großziehen. Von nun an sind die Stämme der Chiricahuas und Nednis durch Blutsbande so eng verknüpft, daß sie wie ein einziges großes Volk wirken. Sonne, Mond und Sterne sind meine Zeugen. Der Große Geist möge diesen Bund zwischen Krieger und Squaw besiegeln und segnen. How!« Cochise stand auf und streckte seinen imposanten Körper dem Mond entgegen. »Der Bund zwischen Nednis und Chiricahuas ist besiegelt. Deine Feinde, Yuh, sind meine Feinde, meine Freunde sind auch deine Freunde. Der Große Geist möge uns schützen und unsere Frauen fruchtbar bleiben lassen.« Er setzte sich wieder. Cochise hatte nicht nur eine Frau bekommen, sondern einen Bund mit einem anderen Stamm besiegelt, den er fest in seine Pläne einbeziehen konnte. * In einer Schlucht der Galiuro Mountains trafen sich zehn Krieger. Fünf kamen von Süden, die anderen von Norden. Vorweg ritten die beiden Anführer. Victorio hob die Hand zum Gruß und stieg vom Pony. Santana tat dasselbe und befahl seinen Tontos, sich ein paar Schritte zurückzuziehen. Auch die Mimbrenjo-Gruppe saß ab.
Die Krieger hielten die Pferde beim Zügel und harrten der Dinge, die sie mit Spannung erwarteten. Die zwei Häuptlinge setzten sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Boden und starrten sich an. Sie kannten sich, trotzdem blieben sie zurückhaltend. Beide waren mit dem gleichen Interesse und mit den gleichen Hoffnungen und Erwartungen aufgebrochen. Santana war älter als Victorio. Ein schlauer Häuptling, der sich bei allen seinen kriegerischen Handlungen gegen die Weißen nicht nur vom Kampfgeist leiten ließ. Victorio dagegen war anders. Wild und ungebändigt überfiel er alles, was eine weiße Haut hatte. Er scheute sich nicht, auch größere Gruppen anzugreifen, wenn er sich gute Beute und Skalps versprach. »Du hast meinen Boten freundlich empfangen und mich wissen lassen, daß du bereit bist, mit mir zu verhandeln.« Victorio machte eine Pause, fuhr dann fort: »Immer mehr Bleichgesichter dringen in unser Land ein. Mit jedem Weißen, der den Boden aufgräbt oder gefleckte Büffel züchtet, wird unser Lebensraum kleiner. Wir finden kaum noch Wild in den Bergen, um uns zu ernähren. Ein Krieger kann nicht allein vom Mais leben, er braucht Fleisch, um seine Kräfte zu erhalten. Findet Santana noch genügend Fleisch in seinem Gebiet?« »Wir finden nicht genügend Wild, um unsere Kinder und Squaws zu ernähren. Du hast recht, Victorio, Mais ist nichts für Krieger. Wie willst du die Weißen vertreiben?« »Ich werde Krieg führen, bis das letzte Bleichgesicht entweder getötet ist oder das Land meiner Jagdgründe verlassen hat. Krieg!« »Die Apachen führten immer Krieg, Victorio, trotzdem wurden sie aus ihren angestammten Jagdgründen verdrängt und in die Berge getrieben. Wie willst du Krieg führen?« »Die Mimbrenjos werden die Bleichgesichter töten, wo sie sie antreffen. Wir werden ihre Häuser überfallen und alles zerstören und verbrennen. Schwarze Wolken werden über das
Land ziehen und den Bleichgesichtern verkünden, daß die Apachen einen weiteren Sieg errungen haben. Zuerst müssen ihre festen Häuser vernichtet werden und die Krieger in den blauen Uniformen. Kein Langmesser darf lebend unsere Jagdgründe verlassen. Wenn wir das erreicht haben, werden sie es aus Angst nicht mehr wagen, in unser Land einzudringen.« »Und was sollen die Tontos dazu tun?« »Santana ist ein tapferer Krieger und weiß, wie groß die Beute sein wird, die wir machen. Waffen, Lebensmittel, Pferde, Maulesel… Was kann ein Krieger noch mehr verlangen?« »Nichts.« Santanas Augen funkelten. Victorio wußte, daß er ihn überredet hatte. Er fuhr fort: »Mimbrenjos und Tontos zusammen werden eine große Schar sein, die keine weiße Truppe zu fürchten braucht. Auch die Pferdesoldaten werden uns nichts anhaben können, wenn wir sie geschlossen angreifen und ihre Gruppen einzeln vernichten. Das Blut der Weißen wird den Boden tränken und die Flüsse und Bäche rot färben. Nichts wird die Apachen aufhalten können.« »Werden die Aravaipa-Apachen und die White-MountainApachen unserem Siegeszug folgen?« Victorios Gesicht verdüsterte sich. »Eskaminzin und Alchesay halten zu Cochise. Sie warten ab, was die Chiricahuas unternehmen. Chato, Nana und Loco sind auf meiner Seite.« Santana schüttelte voller Bedenken den Kopf. »Nana ist alt. Hast du das bedacht, Victorio?« »Aber ein großer und weitsichtiger Krieger. Aus den Reihen der Mimbrenjos rückt ein Mann immer weiter nach vorn. Ein junger Krieger, der viele Apachen aus allen Stämmen um sich geschart hat. Du kennst Goghlayeh?« »Ich kenne ihn. Ein starker Krieger, der die Bleichgesichter ebenso haßt wie die Gelbhäutigen. Was ist mit ihm?«
»Er schließt sich mit unseren Kriegern nicht zusammen, kämpft aber verstärkt gegen die weißen Eindringlinge. Seine Überfälle werden sie von uns ablenken. Während wir an einer anderen Stelle zuschlagen, kämpft Goghlayeh weit von uns entfernt und zieht die Pferdesoldaten auf sich.« »Das klingt gut«, murmelte Santana. »Cochise war bei Yemaspi, dem Mescalero. Was hat er dort gewollt?« Victorio hob beide Hände und streckte sie dem Tonto entgegen. Das hieß soviel wie: ich weiß es nicht. Santana nestelte sein Kalumet vom Hals und stopfte Tabak in den Pfeifenkopf. Umständlich zündete er den Tabak an. Als die Pfeife brannte, stieß er den Rauch in alle vier Himmelsrichtungen, zum Boden und zum Himmel. »Victorio hat mich überzeugt. Die Krieger der Tontos begeben sich auf den Kriegspfad und kämpfen mit den Mimbrenjos zusammen gegen die Bleichgesichter. Wir werden viele Skalps erbeuten. How!« Victorio nahm die Pfeife entgegen und wiederholte das Zeremoniell. »Tontos und Mimbrenjos werden zusammen unbezwingbar sein und die Weißen aus ihren Jagdgründen vertreiben. How!« Das Bündnis war damit besiegelt. Die Häuptlinge reichten sich die Hände, schwangen sich auf ihre Mustangs und ritten in entgegengesetzten Richtungen davon. * Nach der Vermählungsfeier zog sich Cochise mit seiner jungen Frau in den eigens für ihn erbauten Jacale zurück. Spät in der Nacht wurden die Lagergeräusche leiser und verstummten schließlich. Fast alle Krieger beider Stämme hatten so viel Tizwin getrunken, daß sie nur noch torkelnd ihre Behausungen erreichen konnten. Nur Yuh schlief nicht. Ihn quälten düstere
Gedanken. Sein Volk lebte in der sonorischen Wüste und konnte sich nur ernähren, wenn es sich ganz dem Land anpaßte, das so karg und wasserlos war wie keine andere Wüste. Durch Cochises Heirat war er als Brautvater mit dem Jefe der Chiricahuas eng verbunden. Das bedeutete, daß er seinem Schwiegersohn Krieger stellen mußte, wenn Cochise es verlangte. Männer aber waren knapp bei den Nednis. Ständige Kämpfe mit den Mexikanern und den Yaquis hatte seine Streitmacht sehr geschwächt und den Stamm fast lebensuntüchtig gemacht. Er mußte bei Cochise zu erreichen versuchen, daß die Yaquis und andere Gebirgsstämme der Sierra Madre von ihren Kriegszügen auf den Wüstenstamm abließen. Gleich am nächsten Tag wollte er einen erneuten Vorstoß wagen, nachdem Cochise vor zwei Monaten an der Tinaja in der Gran Desierto seine leise Anspielung überhört hatte. Yuh wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen. Ein Pferd kam über die Rampe in den Canyon. Es wurde heftig getrieben, und sein Keuchen war weithin zu hören. Ein Krieger trat aus der Dunkelheit und ging dem Reiter entgegen. Chan-ank war ein sehr alter Mann. Er brauchte nicht mehr viel Schlaf. Er ging dem Späher entgegen, blieb vor dessen Pferd stehen und breitete die Arme aus. »Du bist schnell geritten, Bruder«, sagte er. »Das muß einen Grund haben.« Der Krieger sprang von seinem Pony, das mit gesenktem Kopf und gespreizten Vorderbeinen in der Nacht stand und prustete. »Ich erstatte Cochise Bericht«, sagte der Mann. »Geh aus dem Weg, Alter!« »Cochise schläft. Weißt du nicht, daß wir heute das Fest seiner Vermählung feierten?« »Ich weiß es«, antwortete der Krieger. »Ich muß ihn
trotzdem sprechen, es ist wichtig.« »Sage es mir und ziehe dich dann in den Jacale der Krieger zurück. Dort findest du Fleisch und Tizwin.« Die Augen des Kriegers leuchteten. »Ich werde dir alles sagen, Chan-ank. Du darfst aber nicht vergessen, es dem Häuptling zu berichten.« »Ein alter Mann wie ich vergißt nie etwas. Rede!« »Mimbrenjos griffen beim Apache-Paß eine Kutsche der Weißen an und stürzte sie in den Canyon. Alle Bleichgesichter und die Pferde sind tot. Cochise will, daß er alles erfährt, was auf dem Land der Chiricahuas passiert. Vergiß es nicht, alter Mann!« Er zog seinen Mustang hinter sich her und verschwand in der Dunkelheit. Yuh hatte jedes Wort verstanden und machte sich Gedanken über den Vorfall. Cochise würde nicht dulden, daß ein anderer Stamm in seinen Jagdgründen Weiße tötete, denn die konnten Indianer nicht voneinander unterscheiden und würden den Überfall Cochise in die Schuhe schieben. Er stand auf, ging zu Chan-ank und fragte ihn: »Ich habe alles gehört, Bruder, jedes Wort. Was, sage mir, wird Cochise jetzt tun?« »Es wird Krieg geben«, erwiderte der alte Mann. »Die Pferdesoldaten dulden nicht, daß Weißen auch nur ein Haar gekrümmt wird. Die Pferdesoldaten und die anderen Bleichgesichter halten mehr zusammen als die Apachen. Sie werden über unsere Sippen herfallen und Männer, Frauen und Kinder töten. Es wird ein schrecklicher Krieg werden, Yuh.« »Wirst du gleich morgen früh mit dem Jefe sprechen?« »Es wird ihn nicht sehr freuen, aber mir bleibt keine andere Wahl.« »Tu's, Chan-ank, und der Jefe wird dir wohlgesonnen sein. Deine Fleischtöpfe werden sich füllen aus der Beute, die die Chiricahuas machen, und wenn der Mais geerntet wird, erhältst du deinen Anteil wie jeder Krieger.«
Chan-ank nickte, löste sich von dem Nedni und verschwand in der Nacht. Yuh betrat den Jacale, den man den Gästen aus der Wüste zur Verfügung gestellt hatte, und legte sich schlafen. * Die Hitze war unerträglich. Im Zeitlupentempo schob sich die Sonne über den wolkenfreien Himmel. Sie schien die Erde unter sich zu Staub und Asche verbrennen zu wollen. Curt Miller fluchte und wischte sich ständig den Schweiß aus der Stirn. Haggerty fluchte nicht minder laut, schob den Feldhut in den Nacken und ließ sein Gesicht von dem schwachen Wind, der vom Gebirge herabwehte, fächeln. »Noch drei Meilen, Curt«, sagte er. »Drei winzige Meilen.« »Drei tödliche Meilen«, brummte Miller, hakte die Flasche vom Sattelhorn, trank einen Schluck und befestigte sie wieder. Mit jedem Schritt näherten die Pferde sich dem Gebirge. Die Wüste lag hinter den Scouts. Eine Wüste, die sie nie in ihrem Leben betreten hatten. Der Gebirgsstock vor ihnen ließ nicht erkennen, ob sie in seinen Schluchten Wasser finden würden. Das Land zwischen dem Rio Grande und dem Pecos River war ihnen so unbekannt wie der Mond. »Erkennst du überhaupt die Spur noch?« »Klar«, sagte John Haggerty. »Sie liegt so deutlich vor mir, daß ein blinder Indianer ihr mit einem Stecken folgen könnte. Es kann nicht mehr weit sein.« »Ich habe immer geglaubt, die Mescaleros würden am Ufer des Rio Penasco leben. Da scheine ich mich gründlich geirrt zu haben.« »Durchaus nicht. Die Berge vor uns sind die Sacramento Mountains; Der Rio Penasco entspringt in diesen Bergen. Sobald wir in die Canyons eindringen, müssen wir höllisch aufpassen. Cochise kennt uns beide sehr genau. Wenn wir auf
ihn stoßen, kann das Schwierigkeiten geben.« »Will er denn überhaupt zu den Mescaleros?« »Ganz bestimmt. Wo soll er sonst hin wollen? Bestimmt nicht zu den Comanchen oder zu den Kiowas.« »Trotzdem bleibt es eine verrückte Idee, so weit nach Osten zu reiten.« »General Howard weiß, was er will. Wenn er erfahren möchte, was Cochise so weit im Osten zu suchen hat, so sind seine Bedenken begründet. Ich sage dir, Curt, der Jefe reitet zu den Mescaleros.« Wind kam auf und brachte den Reitern und den Pferden etwas Kühlung. John blickte sich um. Die Sonne brannte noch unerbittlich. Kein Wölkchen war zu sehen. Weit draußen in der Wüste wirbelten Windhosen und schleuderten Sand empor. »Zwei Meilen nur noch«, murmelte er und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Fährte zu. »Drei oder vier Tage alt. Wenn er zwei Tage für Verhandlungen braucht, ist er jetzt schon wieder auf dem Rückweg. Ich kann mir nicht denken, daß Cochise auf seiner eigenen Spur zurückreitet. Für so dumm halte ich ihn nicht. Nach Norden kann er aber nicht ausweichen, nach Süden auch nicht. Irgendwo hier in der Nähe muß er mit seinen Kriegern vorbeikommen. Suchen wir uns einen Aussichtspunkt.« »Weshalb kann er nicht nach Süden ausweichen?« fragte Curt Miller. »Das ganze Land steht ihm doch offen.« »Nicht einem Chiricahua«, entgegnete Haggerty. »Dort oben im Gebirge leben neben den Mescaleros die Poncas, Caddos und Arapahoes. Sie sind den Chiricahuas nicht ganz grün. Im Süden erwarten ihn die Kiowas und Comanchen. Diesen Weg kann er ebenfalls nicht riskieren.« »Zum Teufel, bewegen wir uns denn in einem menschenleeren Raum?« »Unsinn! Ich möchte nicht wissen, wie viele Augen uns beobachten. In diesem Land kann keine Maus ungesehen über
den Boden huschen. Sieh dort hinauf, Curt, weiter rechts, ja, da.« Miller warf einen langen Blick auf die Klippe, die sich als einzelner Fels aus dem Wüstenboden erhob. Er sah nichts. »Ich wäre dir dankbar, wenn du mir die Stelle genau zeigtest, wo du was siehst.« »Die Klippe … Hast du? Okay, jetzt mit den Augen nach rechts bis zu dem Busch, der, weiß Gott wie, dort hinaufgekommen ist. Hast du?« »Den Busch? Ja. Aber sonst sehe ich nichts.« »Warte eine Weile. Der Kerl macht sich nur unsichtbar.« Kurz darauf blitzte es dort oben kurz. Das Funkeln verschwand wieder, tauchte noch einmal auf und blieb dann ganz fort. »Rothaut?« fragte Miller knapp. »Wer sonst? Wenn es sich um keinen Mescalero handelt, dann bestimmt um einen Caddo.« »Woher weißt du das alles, John? Warst du schon einmal in dieser Gegend?« »Nie. Du mußt öfter mal in die militärischen Handbücher schauen und nachlesen, was und wer in einem bestimmten Landesteil lebt. Glotz nicht so rauf. Der Kerl sieht dich und weiß, daß wir ihn bemerkt haben.« »Soll er's nicht wissen?« »Nicht unbedingt. Es kann ein Späher von Cochise sein.« »Du denkst an alles. Auch aus dem Handbuch?« »Nein, von hier.« Haggerty tippte sich an den Kopf. »Ach, von da?« »Genau. Wenn du in diesem Land deinen Grips nicht ein wenig anstrengst, scheint dir bald die Sonne ins… Verdammt, unsere Pferde straucheln.« Die enge Schlucht nahm sie auf. Je tiefer sie hineinritten, desto kühler wurde es. Halbdämmerung herrschte hier. Curts Falbe spitzte die Ohren und sog hörbar die Luft durch
die Nüstern. Beide Pferde wechselten ohne Aufforderung die Richtung und bewegten ihre Hufe. Ein breites Gebüsch lag vor ihnen. Kakteen und Blattpflanzen wuchsen neben Korkeichen. »Scheint dort Wasser zu geben«, murmelte Haggerty. »Vorsichtig; Amigo. Wo es Wasser gibt, sind auch gewöhnlich Apachen.« Die beiden durstigen Tiere durchbrachen das verfilzte Dickicht – und standen mit den Vorderbeinen im Wasser. Aus einer Quelle floß Wasser in eine Tinaja und machte aus dem Wüstenboden ein Sumpfgelände. Die beiden Scouts schwangen sich von den Pferden und nahmen ihnen die Sättel ab. Miller kniete bereits am Beckenrand und wusch sich Gesicht und Hände. Schließlich spülte er sich den Mund aus und trank ein paar Schlucke. Das Wasser schmeckte gut und war erfrischend. John folgte seinem Beispiel, füllte dann die Wasserflaschen und die Schläuche für die Pferde. »Wie wär's mit 'ner Siesta und einem kleinen Feuerchen, John?« »Kein Feuer, Junge. Du kennst doch Apachennasen. Die riechen Rauch auf eine ganze Meile.« Die Pferde kamen aus dem Tümpel und grasten. Haggerty schleppte die Satteltaschen und den Proviantsack herbei. Er setzte sich an den Rand der Tinaja. Miller hockte sich neben ihn. Ein schwaches Geräusch störte John. Er legte den Finger auf die Lippen und blinzelte zu Curt hinüber. »Ist was?« »Aufpassen!« »Worauf?« Haggerty machte eine Kopfbewegung zu den Büschen. Curt nickte, grinste, ließ sich auf den Boden sinken und kroch wie eine Schlange auf allen vieren in das Gestrüpp. Vorsichtig bog er die Zweige zur Seite und spähte durch die Lücke. Unerwartet legte er sich auf die Seite und lachte laut. »Ich zahle gut, wenn ich zuschauen darf«, sagte Haggerty
laut. Er konnte sich denken, daß vor dem Grüngürtel keine Apachen lauerten. »Du kannst das Vergnügen umsonst haben«, rief Miller zurück. »Nur ein Gaul, der deine empfindsame Seele gestört hat.« Haggerty erhob sich und ging hin. Tatsächlich ein Pferd. Das Indianerpony rupfte Blätter ab und ließ sich durch die Anwesenheit der Weißen und der anderen Pferde nicht stören. »Verdammt und zugenäht, welcher Rothaut ist der Schinder durchgegangen?« sagte Curt und grinste. »Das läßt sich doch denken, oder?« »Nun aber mal halblang. Wenn du die Weisheit schon mit der Kelle gefressen hast, so kannst du mir doch ein bißchen davon abgeben, oder nicht? Tu nie mehr so klug, wenn dir deine Gesundheit etwas wert ist.« John Haggerty lachte schallend. Er wußte genau, daß sein Freund es im Scherz gemeint hatte. »An deiner Stelle würde ich den Gaul mal fragen, zu wem er gehört.« »Keine schlechte Idee, John. Schreiten wir zur Tat.« Er drängte sich durch das Gebüsch und wollte nach dem Pony greifen. Es drehte sich gelassen herum und lief weg. »Bleib stehen«, brummte der Scout und lief dem Tier nach. Aber bald verlor er es aus den Augen. Er machte kehrt und ging zurück. »Ist das nicht sonderbar?« fragte er Haggerty. »Was?« »Ein Pferd in dieser Wüstenei und kein Bedürfnis nach Wasser.« »Wahrscheinlich hat es dort, wo es herkommt, genügend davon. Der Indianer wird es regelmäßig getränkt haben.« »Nun gut, wie immer machst du es wieder einmal spannend. Welcher Indianer?« »Der Späher natürlich. Wenn mich nicht alles täuscht, steckt
er irgendwo in der Nähe und beobachtet uns.« »Okay, gehen wir auf die Jagd.« »Nein, laß ihn in Ruhe. Ich vermute, daß er zu Cochise gehört. Du bleibst beim Wasser und gibst auf die Pferde acht, während ich mich nach dem Aussichtsfelsen umsehe.« »Und wenn ich angegriffen werde?« »Wehrst du dich, klar. Ich glaube aber, du machst dir unnötig Gedanken. Jetzt verschwinde ich. Gib auf die Gäule acht, Amigo.« * Cochise erfuhr am frühen Morgen von dem Überfall auf die Stagecoach und machte sich große Sorgen. Tote am Paß. Das ließen sich die Weißen bestimmt nicht gefallen. Unruhig ging er im Lager auf und ab und dachte nach. Wenn es ihm nicht gelang, den weißen Häuptling von seiner Friedfertigkeit zu überzeugen, sah es für den Frieden an der Grenze schlecht aus. Rechtzeitig genug fiel ihm ein, daß es Thomas Jeffords' Problem war und nicht das des Generals, aber Jeffords war schwer zu überzeugen, das wußte er. Er sah seinen Aufbruch zu den Navahos gestört, wollte sich dies aber nicht eingestehen. Der Stamm im Norden Arizonas war das letzte Glied in seiner Weltanschauung, den Frieden durch Demonstration der Macht erhalten zu können. Blitzartig entschloß er sich, am Abend zu reiten. Eile war unbedingt geboten. Auf dem Rückweg von den Mescaleros hatten ihm seine Späher berichtet, daß zwei weiße Scouts seinen Zug verfolgt hatten. Wer die Männer waren, wußte er, und in wessen Auftrag sie handelten, wußte er ebenfalls. General Howard traute ihm nicht so ganz, aber das war sein gutes Recht. Cochise lächelte vor sich hin. Das Lächeln verging ihm jedoch, wenn er an Thomas Jeffords dachte, den Postmeister.
Sie waren so etwas wie Freunde und mochten sich gegenseitig gut leiden. Dieses Verhältnis wurde durch den Überfall der Mimbrenjos gestört. Cochise entschloß sich, auf dem Rückweg vom Canyon de Chelly über den Paß zu reiten und mit Jeffords zu sprechen. Gelang es ihm, die Navahos auf seine Seite zu ziehen, tat er mehr für den Frieden als jeder andere Mann jener Zeit. Ungestüm wandte er sich um und gab einem in der Nähe stehenden Krieger den Befehl zum Abritt. Bereits vor Tagen hatte er sich entschlossen, nur mit seinen engsten Vertrauten nach Norden zu reiten, um den Navahos keinen Grund zu kriegerischen Handlungen zu geben. Aus dem hinteren Canyonteil kamen Nachise, Giannatah und Nahaye mit ihren Ponys. Im weiten Abstand folgte Naiche. Cochise lächelte, als er seinen jüngsten Sohn mit dem großen Pferd am Zügel sah. Der Knirps reichte ihm die Zügel und machte ein mürrisches Gesicht. »Was fehlt dir?« fragte Cochise. »Bist du krank?« Nachise nickte, legte seine rechte Hand aufs Herz und antwortete: »Sehr krank, Vater: Ich bin ein Krieger und muß in der Obhut von Weibern bleiben, während du auf dem Kriegspfad bist.« »Wer hält deine Hand über dich, mein Sohn?« »Tla-ina.« Cochise lächelte. »Das ist gut so, Nachise. Für den Kriegspfad bist du noch ein wenig zu jung. Meinst du nicht auch?« Naiche kam heran, nahm den kleinen Bruder einfach an der Hand und führte ihn in den Jacale der ledigen Frauen, übergab ihn Tla-ina. Als er zu dem Trupp zurückkehrte, saßen sie alle bereits auf den Pferden und warteten auf ihn. Langsam ritten sie aus dem Tal zur Rampe. Über der Mesa glühte die Sonne. Cochise schlug die Richtung nach Norden
ein und entfernte sich vom Apache-Paß. Am Abend sah er weit im Westen Fort Buchanan und wich noch weiter nach Osten aus, um nicht zufällig einer Patrouille in den Weg zu laufen. Der Canyon führte zur Ebene und ging in Wüste über. Ohne Rast ritten die Chiricahuas die ganze Nacht hindurch und rasteten erst am Morgen, um ihren ermüdeten Pferden Ruhe zu gönnen. Ein seltsamer Zufall wollte es, daß Cochise in dieser Nacht an John Haggerty und Curt Miller vorbeiritt, ohne daß sich beide Gruppen bemerkten. Auch den Tag darauf sahen die Chiricahuas niemanden. Sichteten sie eine Staubfahne am Horizont, machten sie notfalls weite Umwege, um nicht entdeckt zu werden. Am vierten Tag waren sie schon weit nördlich des Gila, den sie an einer seichten Stelle durchwatet hatten. Auf ihrem Weg zum Canyon de Chelly sahen sie Ranch an Ranch, Farmgebäude und große Herden, die unbewacht auf der Ebene grasten. Naiche wollte eine Kuh abschießen, aber Cochise verbot es. Der Verdacht wäre sofort auf Indianer gefallen, denn kein Weißer tötete ein Rind, um sich einen Braten aus dem Fleisch zu schneiden und den Rest liegenzulassen. Nach zwei Wochen sahen sie im Norden und Westen das zerklüftete braune Felsgebirge, durch das sich der Colorado vor Urzeiten seinen Weg zum Golf von Kalifornien gebahnt hatte. Cochise hatte es geschafft und würde in zwei Tagen im Canyon de Chelly sein und versuchen, Wakonda, den NavahoHäuptling, für seine Pläne zu gewinnen. * Es war bereits dunkel, als Haggerty zum Wasser zurückkam und auf Millers Frage hin den Kopf schüttelte. »Nichts zu sehen, Curt. Wir müssen ihn verpaßt haben, oder
er ist doch einen anderen Weg geritten. So kann man sich irren.« »Irren ist menschlich, sprach der Hahn und … Was nun? Reiten wir zurück?« »Bleibt uns nichts anderes übrig. General Howard erwartet einen ausführlichen Bericht über Cochises seltsamen Zug nach Osten. Wir wollen ihn nicht enttäuschen und uns morgen früh auf die Socken machen.« »Hast du was von dem Späher bemerkt?« »Nichts. Einen Apachen-Späher sieht man nur, wenn er wirklich gesehen werden will. Auch das Pony ist nicht mehr in der Landschaft. Das könnte bedeuten, daß der rote Kerl sich heimlich aus dem Staub gemacht hat.« »Hört sich gut an«, sagte Curt. »Da würde einem kleinen Kochfeuerchen nichts mehr im Wege stehen, oder?« »Nein. Ein warmes Essen kann auf keinen Fall schaden. Kochst du?« »Wenn du keine Angst hast, dich zu vergiften, will ich's riskieren und ein Menü zusammenstellen, von dem unsere Ahnen noch sprechen werden.« »Gib nicht so an. Was kannst du schon groß zusammenstellen? Speck, Bohnen, Tortillas. Oder Bohnen, Tortillas und Speck?« Miller trat nach Haggerty, aber der wich schnell zur Seite, so daß der freundschaftlich gemeinte Tritt ins Leere ging. Curt suchte dürres Holz und nahm die kleine Pfanne und Blechteller aus der Satteltasche. Nach dem Essen breiteten sie ihre Deckenrollen aus und legten sich schlafen. Am frühen Morgen wurden sie von den Pferden geweckt, die bis zu den Fesseln im Wasser standen und schlürften. Sie erhoben sich gleichzeitig aus ihren Decken und rollten sie zusammen. Miller entfachte ein kleines Feuer und bereitete das Frühstück mit viel Kaffee und heißen Tortillas.
Kurz nach Sonnenaufgang schwangen sie sich auf die Pferde und durchbrachen den Buschstreifen. Die Kühle des Canyons nahm sie auf und begleitete sie auf dem langen Weg nach Westen. Eintönig vergingen die Tage. Nach mehr als zwei Wochen kamen die Gipfel der Chiricahua-Mountains in Sicht. Von nun an hieß es für die Scouts, noch besser aufzupassen. Gegen Abend gelangten sie an einen Seitenarm des Bavispe und suchten vergeblich nach Wasser. Der Flußlauf war durch die andauernde Hitze ausgetrocknet. John parierte sein Pferd, starrte auf das kiesige Flußbett, machte aber keine Anstalten, aus dem Sattel zu steigen. Nach einem kurzen Rundblick fragte Curt: »Warum reitest du nicht weiter, John? Schiß in den Hosen?« »Kann man wohl sagen. Weißt du, wo wir sind?« »Natürlich. Im Apachenland. Ist was?« »Sieh dir mal das Flußbett an.« Miller bemerkte nichts Auffälliges. »Was ist damit? Ich kann nichts sehen.« »Mach mal die Augen ganz auf.« Das Flußbett, etwa zehn Yards breit, war trocken und leer. In seiner Mitte war das Geröll aufgeworfen. Wie ein flacher Hügel sah es aus. Miller schüttelte den Kopf. »Gibt dir der Hügel nicht zu denken, Curt?« »Sollte er?« »Bleib bei den Pferden und paß auf, daß mir niemand in den Rücken kommt.« John sprang vom Pferd und gab Curt die Zügel zu halten. Er ging über das knirschende Geröll und blieb beim Hügel stehen. Miller sah, wie er niederkniete und mit den Händen den Kies entfernte. John räumte die rundgeschliffenen Steine zur Seite, kam tiefer, fand aber nichts. Er wollte sich schon wieder erheben und umkehren, als ihm etwas auffiel. Er beugte sich noch einmal vor und drückte die Fingerspitzen in den Sand.
Er fühlte etwas Weiches. Zweifelnd sah er auf. Curt saß auf seinem Pferd und blickte zu ihm herüber. Er hielt sein Gewehr in der Armbeuge, den Lauf auf das andere Ufer gerichtet. Hastig warf John einen Blick in die Runde, sah aber nichts außer der Ödlandschaft. Danach richtete er sein Augenmerk wieder auf die Mulde und räumte Kies und Sand zur Seite. Etwas Weißes tauchte auf. Es nahm Formen an. Ein menschliches Gesicht. Bart, geschlossene Augen, eingefallene Wangen, braune Zähne. John Haggerty fuhr in die Höhe, als wäre er von einer Tarantel gebissen worden, winkte seinem Freund und rief: »Curt, bring die Pferde rüber!« Miller stieg ab und setzte sich in Bewegung. Das Ufer war flach und wie gestampfter Lehmboden. »Hast du 'ne Bonanza entdeckt? Ein Faß Bier wäre mir lieber.« »Sieh dir mal den Toten an. Kennst du ihn?« »Was, 'ne Leiche? Soll ich alle Toten dieser schlechten Welt kennen?« »Quatsch! Was sagst du dazu? Ein Weißer, im Flußbett verscharrt …« »Was soll ich sagen? Nie gesehen. Kennst du ihn?« »Sieh noch mal genau hin.« Miller tat es. »Klar, ein Weißer. Kein Indsman trägt einen Bart.« »Das meine ich nicht. Die Brust.« Miller nickte. »Er wurde vermutlich ermordet und verscharrt.« »Von hinten erschossen. Durch die Ausschußöffnung kannst du deine Faust stecken. Scheußlich!« Miller trat näher an die Grube. »Verwahrlost und heruntergekommen, aber ein Weißer. Was vermutest du?« Haggerty überging die Frage. Nachdenklich schweifte sein Blick über die Landschaft. Er sah die Bergkette bei Pirtleville
im Süden, im Westen die ersten Berge der Dragoons und im Nordosten die Chiricahua Mountains. »Bei Anson City hat man Gold gefunden. Sogar beträchtliche Mengen. Wir reiten parallel zur Grenze und müßten die Stadt eigentlich sehen.« »Hier ist keine Stadt.« »Das beweist, daß wir zu weit nach Norden abgekommen sind. Cochise hat uns auf den Leim geführt und in diese Richtung gelockt.« »Schön und gut. Was hat das alles mit dem Toten zu tun? Ist er etwa ein Digger aus jener Stadt?« Haggerty nickte. »Schon möglich.« »So weit hier oben? Glaube ich nicht, John. Da steckt was anderes hinter. Jemand hat ihn umgelegt und im Flußbett verscharrt.« »Ermordet und verscharrt«, bestätigte Haggerty. »Und warum? Ohne Grund tötet man keinen Menschen. Wir sehen uns dort drüben zwischen den Felsen um. Wenn wir einen Claim finden, wissen wir, warum er umgebracht wurde. Gehen wir.« Miller rührte sich nicht vom Fleck. »Moment mal, John! In dieser Wildnis kann ein weißer Mann allein nicht leben. Darauf willst du doch hinaus? Kein Wasser jagdbares Wild schon gar nicht. Herumstreifende Apachen. Ich sage dir, ein Hundeleben …« »Schlimmer als das. Doch die Gier nach Gold ist wie ein Rausch. Goldsucher fragen nicht nach Mühsal und Gefahren.« »Dann waren es Apachen.« »Die hätten ihm den Skalp abgenommen.« John Haggerty kniete wieder am Boden und grub den Toten aus. Der Leichnam kam frei, als Miller half. Ein ausgewachsener Mann, derbe Kleidung, wie sie ausschließlich von Diggern getragen wurde. Keine Waffe, nicht mal einen Revolvergurt.
»Kein schöner Anblick.« »Im Tod sehen sie alle gleich aus, Curt.« »Er muß schon einige Tage hier liegen.« »Woran siehst du das?« »Seine Hände.« Haggerty sah genauer hin. »Was ist damit?« »Sie sind nicht gefaltet, wie man das bei einem Christenmenschen macht, den man zur letzten Ruhe bettet.« Schweißtriefend standen die beiden Scouts bei dem Grab, Die Sonne brannte vom Himmel, als wollte sie die Felsen in flüssige Lava verwandeln. Beide starrten den Toten an und suchten nach irgendwelchen Erkennungszeichen. Nur die Ausschußöffnung eines großen Kalibers sagte ihnen etwas. »Curt, durchsuche seine Taschen. Vielleicht finden wir einen Brief oder etwas anderes, was auf seine Person hinweist. Höchstens vierzig, stämmig, breite Schultern, verarbeitete Hände. Kann ein Goldgräber sein.« Miller ging in die Hocke und durchwühlte die Hosentaschen und die Weste. Nichts. Nicht einmal ein Tabaksbeutel oder ein Streichholz. Der Mann war nicht nur ermordet, sondern auch ausgeplündert worden. »Decken wir ihn wieder zu?« John starrte noch immer auf die Klippen und schien sich ständig zu fragen, was er dort finden mochte. Curt wollte aufstehen und mit der Zuschüttung des Grabes beginnen, da warf sich John auf ihn und riß ihn zu Boden. Ein Schuß hallte durch das Flußtal und verklang in vielen Echos. »Bleib liegen!« zischelte Haggerty. »Der Killer ist in der Nähe und schießt auf uns. Rühr dich nicht!« Vorsichtig hob er den Kopf und spähte zu den Felsen. Ein graues Rauchwölkchen über einer gezahnten Wand, sonst nichts. »Gib mir Deckung«, sagte John und rollte sich auf die Seite.
»Wohin willst du?« »Mir das Schwein holen. So ein verdammter, hinterhältiger Bastard!« »Okay. Wirf mein Gewehr rüber. Du bekommst so viel Feuerschutz, wie du nur brauchst.« Mit ein paar Sätzen war John bei den Pferden, zerrte Millers Gewehr aus dem Scabbard und warf es quer in die zupackenden Hände. Ein zweiter Schuß warf Kies und Sand in Johns Nähe auf. Miserabler Schütze, dachte er. Mit langen Sprüngen rannte er dem Ufer zu, arbeitete sich die flache Böschung hinauf und warf sich zu Boden. Sperrige Felsen, Geröll. Im Hintergrund wuchtige Klippen, davor Buschwerk aus stacheligem Zeug. John zwängte sich durch das Dickicht. Eine Art Arena lag vor ihm. Sie stieg terrassenförmig an und war mit Unkraut übersät. Der Scout blieb stehen und starrte wie hypnotisiert auf die Gewehrmündung. Sie richtete sich auf seinen Bauch. Ein Hahn klickte. * »Was wollen Sie schon wieder, Sie billige Dutzendware?« schrie der wachhabende Corporal. »Mensch, hauen Sie ab! Hier sind Sie so unerwünscht wie stinkendes Aas.« »Ich will zum Colonel.« »Wohin?« »Zum Commandeur dieses Forts.« »Klingt schon besser. Ihr Zivilisten lernt's noch.« Ward kletterte umständlich vom Pferd und näherte sich dem verschlossenen Tor. Mit dem Klöppel schlug er gegen die dicken Bohlen. »Ich muß zu Colonel Brigham, Wache! Es ist dringend!« »Mann, klemmen Sie sich Ihren Schinder zwischen die Beine und schnurren Sie ab! Colonel Brigham ist nicht für Sie zu
sprechen. Wo kämen wir hin, wenn jeder Zivilist glaubt, die Army sei nur für ihn da?« »Ich sagte, es ist dringend. Chiricahuas trieben mein Vieh weg. Soll ich den Verlust ohne Widerspruch hinnehmen?« »Vieh? Wieviel?« »Eine Herde von dreißig Stück.« »Alle Wetter! Warten Sie, Rancher. Ich will sehen, was ich tun kann.« Es dauerte eine Viertelstunde, bis sich der Corporal wieder meldete. »Sie dürfen hereinkommen, Ward, aber halten Sie sich nicht zu lange in der Kommandantur auf. Wie ich schon sagte: wir haben mehr zu tun.« Der Torbalken knarrte, der rechte Flügel schwang nach innen und ließ Ward mit seinem Pferd durch. Auf dem Paradeplatz hatte sich nichts geändert. Überall wehte Staub und bedeckte die Fronten der Unterkünfte. Die Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika hing schlaff am Mast und bewegte sich nur, wenn ein leichter Windhauch aus der Wüste wehte. Ward ging quer über den Exerzierplatz zur Kommandantur, schlang die Zügel um den Halfterbalken. Als er ins Haus trat, empfing ihn Kühle und Stille. Eine Ordonnanz kam aus dem Nebenzimmer und fragte nach seinen Wünschen. »Sie müssen warten«, sagte der Lieutenant. »Ich werde Sie anmelden. Wenn es wirklich so dringend ist, wie Sie behaupten, wird der Colonel Sie vorlassen.« Er verschwand, kam aber schon nach kurzer Zeit zurück. »Colonel Brigham erwartet Sie, Mister.« Er hielt die Tür auf und ließ den Rancher eintreten. Brigham erhob sich hinter seinem Schreibtisch und reichte Ward die Hand. »Wie geht es Ihnen?« »Nicht gut, Sir. Chiricahuas trieben mir eine Herde von dreißig Stieren fort. Wenn das so weitergeht, bin ich ruiniert.
Ich denke schon daran, meinen Fleischvertrag mit der Armee zu lösen …« »Nun mal sachte, Mr. Ward. Man soll doch nicht gleich aus allen Rohren schießen, wenn man etwas erreichen will. Dreißig Stiere, sagten Sie? Wurde jemand getötet?« »Nein. Die Herde war ohne Aufsicht. Trotzdem … Ich kann den Verlust einfach nicht hinnehmen und bitte Sie, etwas zu tun. Felix, Jesusas Junge, muß aus den Händen der Chiricahuas befreit werden, und ich will meine Herde wiederhaben.« »Was beweist, daß es wirklich Cochises Krieger waren? Mr. Ward, Sie müssen verstehen, daß ich nicht einen Kleinkrieg vom Zaune brechen kann, wenn ich keine eindeutigen Beweise habe.« »Ich sage, es waren Chiricahuas«, kam prompt das Echo. »Ich erkannte sie an ihrer Kriegsbemalung.« »Und Sie sind absolut sicher, daß derselbe Stamm Ihre Kühe abtrieb?« »Ganz sicher, Sir.« Brigham überlegte eine Weile. So, ganz traute er dem Rancher nicht. Aber es konnte nicht schaden, wenn sich eine größere Patrouille oben beim Paß sehen ließ. »Es ist gut«, sagte er, »Sie überzeugen mich. Vom Oberkommando wurde mir ein junger Lieutenant unterstellt, den ich mit der Aufgabe betrauen werde, nach dem Jungen zu forschen und die Stiere wieder herzubringen. Sind Sie jetzt zufrieden?« »Ich werde mit ihm reiten, Sir. Wie heißt der Offizier?« »George N. Bascom.« »Danke, Sir. Wann soll das Unternehmen starten?« Brigham winkte ab. »Ich spreche von keinem militärischen Unternehmen, Mr. Ward. Ich hoffe, das ist klar gesagt? Bascom wird sich mit der Sache befassen, mehr kann ich nicht für Sie tun.« »Das genügt vorerst. Danke. Und wann, sagten Sie, reitet die
Patrouille zum Paß?« »Sagen wir, übermorgen. Wenn Sie dem Lieutenant als Führer dienen wollen, habe ich nichts dagegen. Keine Kriegshandlungen gegen die Apachen! Ich warne Sie, Mr. Ward!« Ward nickte, stand auf und verabschiedete sich. * Cochise hielt hoch oben auf einer Felsplatte über dem Canyon de Chelly. Er war allein. Seine Leute warteten weiter unten. Lange spähte er in das breite und gewundene Tal, versuchte Einzelheiten zu erkennen und mögliche Gefahrenquellen auszumachen. Nach Westen zu wurde der Canyon breit und unübersichtlich. Dunst verdeckte die Sicht. Und über der Dunstschicht flimmerte die Hitze. Cochise kniff die Augen zusammen und schützte sie mit der flachen Hand gegen die grellen Sonnenstrahlen. Er sah die Hogans. Flache Bauten aus Stangen, Reisig und mit Lehm beworfen. Rauch kräuselte dort unten. Schafe weideten an den Hängen, Pferde und ein paar Ziegen. Was er sehen konnte, befriedigte Cochise nicht. Navahos lebten auch in Höhlen, unter weiten Felsvorsprüngen und in engen, überdeckten Seitencanyons. Er konnte es sich nicht leisten, in eine Falle zu geraten. Der Pinto unter ihm wurde unruhig, scharrte mit dem Vorderhuf und schnaubte warnend. Cochise sprang ab und hielt das Pferd beim Zügel. Es spitzte die Ohren, schnaubte wieder und richtete seinen Blick auf ein Gesteinsmassiv zur Rechten. Verwittertes Geröll aus rotem Sandstein und Porphyr wuchs wallartig empor. Wieder schnaubte das Pferd. Nervös zerrte es am Zügel. Der Häuptling wußte, daß der Pinto vor Menschen keine Angst hatte. Es mußte demnach ein Raubtier sein, das sich zwischen
den mächtigen Brocken aufhielt. Ein Puma oder ein Bär. Cochise brachte das Tier außer Gefahr und beschwerte 50 Yards weiter einwärts die Zügel mit einem schweren Stein. Er zog sein Messer und pirschte sich mit äußerster Vorsicht an die Felsformation heran. Als er über den Wall kletterte, roch er die Ausdünstung eines großen Raubtieres. Hinter dem Wall blieb er zunächst stehen, um sich mit der Lage dieses Labyrinths von Steinen vertraut zu machen. Der Häuptling vernahm leise Geräusche, konnte sie jedoch nicht deuten. Lautlos glitt er weiter, umrundete einen riesigen Sandsteinbrocken. Der penetrante Geruch wurde stärker. Er machte noch zwei Schritte und verharrte abrupt. Im Schatten einer Felswand lag ein Braunbär und schlief. Sein Schnarchen hatte der Häuptling gehört. Der Bär hätte Cochise nicht gestört, aber er mußte auf Sicherheit gehen. Wenn sie zu dritt an dem Versteck vorbeiritten, konnte der Bär erwachen und sich auf sie stürzen. Cochise nahm einen Stein und warf ihn dem Raubtier an den Kopf. Der Bär erwachte, richtete sich brummend auf und erkannte seinen Erzfeind. Mit einem heiseren Wutschrei stellte er sich auf die Hinterpranken. Unbeholfen trottete er auf den Indianer zu. Cochise ließ ihn dicht herankommen. Der faulige Gestank aus dem Rachen des Bären nahm ihm fast den Atem. Als die beiden Pranken nach ihm schlugen, um ihn zu erfassen und zu erdrücken, tauchte er unter ihnen hinweg und gelangte in den Rücken des Bären. Bevor der sich in seiner Tölpelhaftigkeit umwenden konnte, stieß ihm der Häuptling das Messer zwischen die Rippen. Der Bär fauchte gräßlich, schwankte, ruderte hilflos mit den Vorderpranken und brach zusammen. Als der Koloß aufprallte, zitterte der Boden in Cochises Umgebung. Noch ein röchelndes Grunzen, ein kurzes Zucken der Glieder. Der Bär war tot. Cochise ging zu dem mächtigen Körper und wischte sein
Messer an dem Pelz ab. Als er sich wieder aufrichtete, hörte er eine Stimme hinter sich. »Cochise, der Häuptling der Chiricahuas, ist ein mächtiger Krieger. How!« Der Apache drehte sich um. Drei hochgewachsene Indianer warfen bewundernde Blicke auf ihn. Einen von ihnen kannte er: Wakonda. Er schob die Klinge in die Lederscheide, streckte beide Hände flach in die Richtung der Navahos und sagte: »Ich komme in Frieden, Wakonda. Ist Cochise an deinem Feuer willkommen?« »Er ist es«, antwortete der Navaho. »Tapfere Krieger sind in unseren Hogans jederzeit gern gesehen.« Cochise wies auf den Bären. »Er gehört dir, Wakonda.« »Du hast ihn erlegt. Die Beute gehört immer dem, der sie selbst erkämpfte. So ist es Brauch unter den roten Völkern.« »Ich tötete ihn auf deinem Land, Jefe, er gehört dir. Betrachte ihn als Geschenk der Chiricahuas. How!« Wakonda nickte dankbar und gab seinen Kriegern ein Zeichen. Sie häuteten den Bären ab, schnitten die besten Stücke aus seinem Körper und rollten den Kadaver zur Seite. »Du bist in Begleitung«, sagte Wakonda. »Meine Späher berichteten mir von deinem Kommen.« »Mein Sohn Na-Cheez und ein alter Krieger, Wakonda.« »Sie sind mir willkommen. Folge mir!« Der Navaho drehte sich um und ging auf den Wall zu. Cochise und die beiden Krieger mit dem Bärenfell folgten. Bei Cochises Pferd blieb Wakonda stehen. »Siehst du den Weg ins Tal, Cochise?« Er deutete auf einen Ziegenpfad, der in Schlangenwindungen in die Tiefe führte. »Ich sehe ihn.« »Diesem Weg folgst du zu unserem Lager. Ich wiederhole: die Krieger der Chiricahuas sind in meinem Hogan willkommen.«
* Haggerty glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als er das Gewehr und die beiden Weißen sah. Sie grinsten ihn höhnisch an. Wie Goldgräber sahen sie nicht aus, eher wie Desperados. Bärtig, schmutzstarrend und abgerissen, wirkten sie wie Männer, die lange in der Wildnis gelebt hatten. »He, Bucko, da staunst du, was?« »Worüber? Über zwei ausgestopfte Affen?« »Werde nur nicht frech, Mensch. Los, die Hände hoch! Noch höher! Ja, so ist's recht.« »Was wollt ihr von mir?« fragte Haggerty. »Ruf mal deinen Kumpel her, Bucko.« »Den Teufel werde ich!« sagte er laut. »Reiß dein Maul nicht so weit auf, Hombre, sonst knallt's. Du sollst ihn herrufen, nicht in die Flucht brüllen.« »In die Flucht brüllen … Glaubt ihr, der reißt vor euch aus?« »Wir glauben alles, nur nichts Gutes. Stell keine Fragen und tu, was ich dir sage, dann passiert nichts.« »Habt ihr den Bärtigen umgelegt und im Flußbett verscharrt?« »Geht dich einen Dreck an. Hör zu, Bucko, halte dich hier raus, verstanden?« »Geht's um Gold, Jungs? Mir könnt ihr's sagen. Ich nehm's mit dem Gesetz auch nicht so genau.« »Du sollst still sein, Bastard! Ihr beide seid Scouts der Siebenten, da fresse ich einen Besen. Wir beobachteten euch eine ganze Weile und …« »Wir sollen Scouts sein?« unterbrach John ihn. »Daß ich nicht lache. Wir kommen aus Albuquerque und gehen in die Minen nach Styling oder Tombstone.« »Du Bastard lügst. Mach uns nur nichts vor. Ihr beide seid Scouts oder Männer des Gesetzes. Lügen helfen nicht, ihr habt
den Toten gesehen … Laß ja die Hände oben.« John winkelte die Arme wieder ein Stück an. Wo nur Curt bleibt? dachte er. Er muß längst gemerkt haben, daß etwas faul ist. Wenn Curt den Kerl mit dem Gewehr ausschaltete, ist der Rest ein Kinderspiel. Ziehen und schießen, bevor der andere zieht und schießt. Wir haben es hier mit dem übelsten Grenzgelichter zu tun, das keinen Pardon verdient. »Ich bin kein Gesetzesmann«, sagte der Scout. »Ob du es bist oder nicht, ist mir im Moment egal. Wenn du jetzt nicht den anderen rufst, lege ich dich um.« John hatte keine andere Wahl mehr. Er brüllte: »Dan Tanna, komm schnell mal rüber, hier ist was!« Curt mußte schon auf den Kopf gefallen sein, wenn er den Wink nicht verstanden habe. Miller gab keine Antwort. John rief noch einmal und lauter. Beim Flußbett blieb es still. Ohne eine Miene zu verziehen, grinste der Scout in sich hinein. Womöglich war Curt schon in der Nähe. Er mußte Zeit gewinnen, sie hinhalten, Miller die Möglichkeit geben, einen sicheren Schuß anzubringen. »Ihr habt ihn wohl schon umgelegt und spielt hier Komödie?« »Quatsch nicht so dämlich. Wir kamen aus dem Felsgebiet nicht raus. Wenn dein Kumpel nicht augenblicklich was von sich hören läßt, bist du dran. Kapiert?« »Bin nicht taub. Soll ich noch mal rufen?« »Du bleibst stumm wie ein Fisch. Josh, mit dem anderen stimmt was nicht.« »Allerdings!« rief Miller im Rücken der Outlaws. »John, mach dich flach!« Ein Schuß krachte. John kannte den Klang von Curts Spencer. Er warf sich auf den harten Boden und äugte nach vorn. Der Desperado mit dem Gewehr taumelte, kippte vornüber. Die Waffe entfiel seiner Hand. »Übernimm ihn, John!« rief Curt.
John trat in Aktion. Er wußte, daß sein Freund nachladen mußte. Das kostete zwei Minuten. In der Zeit konnte viel passieren. Er sprang auf, wollte den anderen lebend. Seine Linke umklammerte die Revolverhand des Outlaws und drückte sie herunter. Ein Schuß löste sich. Die Kugel fuhr dem Kerl ins Bein. Der Mann krümmte sich, erwischte einen Aufwärtshaken. Sein Kopf flog zurück. Eine gestochene Gerade folgte und schleuderte ihn auf den Rücken. John trat heran und zog seinen Colt. »Steh auf! So schlimm ist es nicht. Los, hoch mit dir!« Mühsam kam der Outlaw auf die Beine. Sein tückischer Blick traf den Scout. »Abschnallen, Freundchen!« Blut drang durch die Hose des Verwundeten. Er tanzte auf einem Bein und stöhnte. Er öffnete die Gürtelschnalle und ließ den schweren Gurt zu Boden fallen. Miller kam aus seinem Versteck, ging zu dem Toten und drehte ihn auf den Rücken, schüttelte den Kopf. »Unbekannt«, sagte er. »Kennst du sie, John?« Miller deutete auf den Lebenden. »Was fangen wir mit ihm an?« »Er wird dem nächsten Sheriff übergeben.« »Und der?« Miller wies auf den Toten. »Wir verscharren ihn. Er soll neben seinem Opfer im Flußbett ruhen.« »Wollen wir den Lumpenhund nicht fragen, was sie hier trieben, und weshalb sie den dritten Mann töteten?« »Nichts dagegen, Curt. Inzwischen sehe ich mich ein bißchen um. Bring die Pferde hierher. Hier sind wir einigermaßen geschützt.« Miller holte die Pferde, führte sie in den Schatten eines Felsens und tränkte sie. Danach hing er ihnen die Futtersäcke um. John verschwand. Er nahm seinen Henry-Stutzen und hebelte eine Patrone in die Kammer.
John folgte dem mittleren von drei Pferden. Als er ein Stück in das Gewirr aus gewachsenen Felsen und verwitterten Steinen hineingegangen war, sah er, daß die Trampelpfade hinter der Klippe wieder zusammenstießen. Der Weg ging in die Höhe, führte schräg nach oben. Kein Gebüsch, kein Baum. Nur Kakteen, wie überall in der Wüstenregion. Der Scout stieg gebückt bis zum höchsten Punkt und sah sich um. Vor ihm eine schmale Schlucht. Ein mit einer Axt behauener Baumstamm überbrückte den Spalt. Haggerty wagte einen Rundumblick. Felsen, Schluchten, Sandstrecken. Kein Grün wuchs, so weit das Auge reichte. John warf einen Blick in die Schlucht. Dämmerig grau war es dort unten, aber ein gutes Auge konnte Umrisse und Körper zahlreicher Gerätschaften erkennen. Werkzeug aller Art lag wahllos herum, und im rechten Teil des Spalts entdeckte John ein Loch in der Wand. Der Weg führte auf der anderen Seite des Balkens weiter auf eine Ansammlung von Felsmassen zu, die nach Abraum aus einer Grube aussahen. Kurz entschlossen betrat John Haggerty den Balken und balancierte mit ausgebreiteten Armen hinüber. Es gelang. Er stieß auf ein senkrecht führendes Loch im Fels, und als er sich vorbeugte und hineinblickte, sah er, daß es nach zwei Yards abwinkelte und schräg wie ein Stollen in den Berg führte. John schätzte die ungefähre Richtung ab und kam zu dem Schluß, daß das Loch im Spalt der Austritt des Stollens sein mußte. Wer hatte eine solche Titanenarbeit vollbracht, einen Stollen diagonal in die Tiefe zu treiben, und zu welchem Zweck? Er erinnerte sich an die Werkzeuge und Geräte. Als er sich nachdenklich umdrehen und den Weg zurückgehen wollte, fiel in der Nähe ein Schuß. Er blieb stehen und nahm das Gewehr in beide Hände. Langsam ging er bis zum Balken. Hier wartete er, weil er
hastige Schritte hörte. Millers Stimme schallte durch die Bergeinsamkeit, dann krachte noch ein Schuß. »John, halte ihn auf! Der Kerl ist getürmt!« * Das große Feuer warf Licht und zuckende Schatten in die Höhle. Sie war 20 Yards tief und 30 breit. 25 Fuß über ihrer Grundfläche neigte sich der gewachsene Fels diagonal nach hinten und vereinigte sich mit einem grauen Kalkstein. Cochise warf verwunderte Blicke in die Runde. Auf den Wänden prangten Höhlenzeichnungen in verschiedenen Farben. Die Zeichnungen stellten Jagdszenen dar, Menschen mit Waffen in den Händen, ein Lagerfeuer, Büffel und Antilopen. Wakonda, der neben Cochise am Boden kauerte, folgte dessem Blick und zeigte auf die primitiven Malereien. »Unsere Vorfahren haben das gemacht«, erklärte er. »Gefallen sie dir?« »Sie sehen sehr gut aus«, antwortete der Chiricahua höflich. »Unsere Vorfahren? Wann war das?« »Es ist lange her. Viele Sommer und Winter sind vergangen, als das Volk der Hohokam hier lebte. Damals gab es noch keine Navahos und Apachen in diesem Land.« Cochise betrachtete die vielen Menschen in der Höhle. Sie bot mindestens 30 Personen Platz. Wakondas Sippe mußte groß und mächtig unter den Navahos sein. An mehreren Stellen brannten kleine Kochfeuer, wurde Essen zubereitet und verteilt. Am großen Feuer saßen Cochise, Naiche, Giannatah und Nahaye. Ihnen gegenüber Wakonda, drei junge NavahoKrieger, die vermutlich seine Söhne waren, und ein sehr alter Medizinmann. Sein Haar war weiß und strähnig und hing ihm bis über die Schultern. In den Händen hielt er einen Wedel aus
Bast. Mißtrauisch fixierte er Cochise und dessen Krieger. Der Jefe ahnte, daß er von dem Alten Schwierigkeiten zu erwarten hatte, war aber nicht gewillt, nachzugeben oder seine Pläne durchkreuzen zu lassen. Das Essen wurde gereicht, auf flachen Tontellern gebratenes Fleisch, runde Maiskuchen und Brei aus gekochten Kürbissen. Cochise bedankte sich mit einem Kopfnicken. Es schmeckte vorzüglich, besonders der Fruchtbrei. Apachen kannten so etwas nicht und langten deshalb kräftig zu. Nach dem Essen wurde das benutzte Geschirr von jungen Frauen oder Mädchen abgeräumt. Ein Krug ging rund. Jeder trank. Das scharfe alkoholische Zeugs schmeckte sogar Cochise, der sonst Alkohol meistens mied. »Unsere Brüder, die Chiricahuas, sind zu uns gekommen und wurden als tapfere Krieger empfangen, obwohl Wakonda nicht den Grund für diesen Besuch kennt«, sagte der Navaho. Cochise erzählte, daß er aus dem Süden des Landes kam und einen weiten Ritt durch feindliche Gebiete gewagt hatte, um die tapferen Krieger der Navahos kennenzulernen und sie mit dem Besuch der Chiricahuas zu ehren. Das war diplomatisch und unverbindlich. Wakonda nickte geschmeichelt. Wenn Chiricahuas so weit aus dem Süden kamen, bedeutete dies für seinen Stamm eine große Ehre. Natürlich war ihm klar, daß ein anderer Grund als der genannte vorliegen mußte. Kein Indianer ritt 200 Meilen, um einer anderen Rothaut die Hand zu schütteln. Er versuchte deshalb auf Umwegen, hinter Cochises Geheimnis zu kommen. »Erbeuteten die Krieger der Chiricahuas viele Skalps in diesem Sommer?« »Viele«, antwortete der Jefe. »Skalps von den Gelbhäutigen im Süden.« »Und von den Bleichgesichtern?« »Keine. Die Chiricahuas und die Hellhäutigen schlossen
Frieden.« Wakonda musterte ihn kritisch. Er wußte noch immer nicht genau, weshalb Cochise ihn aufgesucht hatte. Nach dieser Antwort konnte er sich den weiteren Verlauf der gegenseitigen vorsichtigen Ausfragung denken. »Wird Cochise nie wieder das Kriegsbeil gegen die weißen Eindringlinge erheben?« »Wenn die Pferdesoldaten oder andere Bleichgesichter den Krieg eröffnen, werden die Chiricahuas mit allen Brüdern, Stämmen und Sippen unseres großen Volkes kämpfen. Gehören die Navahos zu den Brüdern der Apachen?« »Zählen die Mescaleros und die Yaquis dazu?« lautete die Gegenfrage. »Sicher, und die Nednis im Süden. Alle Stämme der Apachen.« Wakonda überlegte eine Weile. Er spürte, daß Cochise die Wahrheit sagte und nicht übertrieb. Trotzdem, ein Krieg gegen die Weißen war eine riskante Sache, seit Kit Carson den Großteil der Stämme unterworfen und zur Räson gebracht hatte. Aber das war lange her. Wakonda war damals ein junger Krieger gewesen, konnte sich aber recht gut an die Kämpfe mit den Truppen erinnern. »Das wird eine große Macht sein, die an Kraft und Stärke den Pferdesoldaten gewachsen ist«, sagte er. »Das ist sie. Diese Macht soll aber nur eingesetzt werden, wenn die Weißen mit dem Krieg beginnen.« »Du wirst die Krieger aller Stämme führen?« »So ist es vorgesehen«, antwortete Cochise schlicht. Naiche und Cochises engere Verwandtschaft schwiegen, um abzuwarten, worauf der Jefe hinaus wollte. Aber der schlaue Wakonda ließ sich nicht so schnell zu einem Zugeständnis herbei. Cochise entwickelte schließlich vor dem Navaho eine Kampfstrategie, die dieser begeistert billigte. Er stand auf, nahm die Friedenspfeife entgegen, die
sein Solin ihm reichte, stopfte sie umständlich und zündete sie an. »Wo die Bleichgesichter stark sind, werden wir nicht sein, wo sie schwach sind, locken wir sie in einen Hinterhalt. Die Berge, die Wüste, das Wasser, die Winde und das Feuer sind unsere Verbündeten. Wir werden ihnen zeigen, wie es ist, das ganze Land zum Feind zu haben. Wir werden sie töten. Die Pferdesoldaten sind schwerfällig wie vollgefressene Bären, also müssen wir schnell wie Koyoten sein. Sie haben mehr Pulver und Blei als wir. Deshalb werden wir, was wir brauchen, von ihnen holen und sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Und wenn sie hierhin und dorthin reiten, um uns zu suchen, töten wir sie hinter Steinen hervor. Sie werden fürchten, daß jeder Busch, jeder Baum, jeder Canyon eine Todesfalle ist.« Cochise machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Es war eine lange Pause, während der er sich um seine Achse drehte und das Kalumet schwang. Die anwesenden Indianer, gleich welchen Alters und Geschlechts, sahen ihn gebannt an. Mit gehobener Stimme fuhr er fort: »Wir werden sie wie gefährliche Raubtiere behandeln. Sie dürfen schlafen, nie ganz wach sein. Die Furcht muß sie langsam auffressen, bis sie nur noch einen einzigen Gedanken haben: weg aus diesem Land!« Er sog an der Pfeife und stieß den Rauch in alle vier Himmelsrichtungen, zur heiligen Erde und zu den Göttern im Himmel. Dann reichte er die Pfeife Wakonda. Der nahm sie entgegen, verbeugte sich vor dem Kalumet und führte das Mundstück an die Lippen. Nach den sechs vorgeschriebenen Rauchstößen erwiderte er mit hallender Stimme: »Wakonda hat gehört und verstanden. Wenn Cochise zum Kampf gegen die weißen Eindringlinge aufruft, werden die Navahos ihm folgen. Die Beute wird groß sein und das Land gehört wieder uns. How!«
Cochise warf einen befriedigten Blick auf sein Gefolge. Er hatte erreicht, was er erreichen wollte. Mit Diplomatie und Schläue war es ihm gelungen, auch den Norden des Apachenlandes auf seine Seite zu ziehen und die Front gegen die Weißen zu stärken. * Haggerty hatte die beiden Schüsse und Millers Rufe gehört. Er balancierte über den Balken, gelangte zur Mitte und sah den verwundeten Outlaw heranhinken. Nicht weit hinter ihm rannte Curt Miller. In seiner Angst vor dem Gewehr betrat der Bandit die schmale Brücke und streckte beide Hände vor, um Haggerty vom Balken zu stoßen. Miller blieb stehen, legte an, aber er drückte nicht ab. Das Risiko, den Freund zu treffen, war zu groß. Entsetzt sah er mit an, wie sich die beiden auf dem nur fußbreiten Balken näherten. Millers Haare sträubten sich, und über seinen Rücken lief ein Kälteschauer. Haggerty rief: »Zurück, du Idiot! Willst du in den Spalt stürzen?« Der Mann hielt mühsam mit seinem verwundeten Bein das Gleichgewicht. Sie waren nur noch zwei Yards voneinander entfernt. Noch einmal rief der Scout: »Zurück, du Narr!« Aber die Angst vor der Waffe in seinem Rücken beflügelte den Mut des Desperados. Er machte noch einen kleinen Schritt und wollte nach Haggerty greifen. John überlegte, ob er ziehen und schießen sollte. Das wäre aber nach den ungeschriebenen Gesetzen des Westens glatter Mord gewesen. Curt rief: »Leg dich flach auf den Balken, John! Ich schieße auf ihn!« Es war eine verzweifelte Situation, in der sich der Scout
befand. Ein Absturz mußte unausweichlich tödliche Folgen haben. Er blieb einfach stehen und starrte dem Gegner in das angstverzerrte Gesicht. Der Mann war irre vor Angst und zitterte am ganzen Körper. Blut aus seiner Beinwunde näßte den Balken und machte ihn schlüpfrig. Für John Haggerty war die Situation grauenhaft und lebensgefährlich. Ein verzweifelter Mensch würde alles daransetzen, die rettende andere Seite zu gewinnen, zumal er verwundet war. Wenn er, Haggerty, sein Leben retten wollte, durfte er keine Kompromisse eingehen. Trotzdem, umbringen konnte er den Outlaw einfach nicht. Er warf die Arme in die Höhe und stieß einen gellenden Schrei aus. Der Bandit zuckte zusammen, machte reflexartig einen Schritt zurück, glitt aus und konnte nicht mehr das Gleichgewicht halten. Es gelang ihm noch, mit den Händen die Balkenkante zu umklammern. Frei schwebte er über dem Abgrund. Haggerty stand wie erstarrt. Er versuchte sein pochendes Herz zu beruhigen und atmete tief durch. Langsam ließ er sich auf die Knie sinken. »Halte dich fest, du Hundesohn, ich helfe dir.« »Ja, ja, Mann, ich werde dich reich belohnen.« John setzte sich auf den Balken und ließ die Beine auf beiden Seiten herabbaumeln. Mit der Linken packte er den Kragen der schmuddeligen Lederweste und zog. »Wirf ein Bein über den Balken und stoß dich hoch!« Der Outlaw versuchte es, aber es gelang ihm nicht. Wahrscheinlich hatte ihn der Blutverlust zu sehr geschwächt. Das erhobene Bein glitt in die alte Lage zurück. John hielt fest, aber der Kragen der morschen Jacke riß, der schwere Körper sackte. Die Finger konnten das Gewicht nicht mehr halten und rutschten ab. Mit einem gellenden Schrei fiel der Mann in die
Tiefe. »Allmächtiger!« rief Miller entsetzt. »Alles in Ordnung, John?« Haggerty, noch auf dem Balken stehend, sah zu Miller hinüber. »Ja, Curt. Laß mir einen Augenblick Zeit.« »Alle Zeit der Welt, wenn du willst. Leg ruhig eine Verschnaufpause ein. Mensch, Mensch, war das eine aufregende Sache.« Ruckartig bewegte sich der Scout auf dem Balken vorwärts. Er riskierte es nicht mehr, sich aufzurichten und zu balancieren. Nach Minuten war er drüben angelangt und ließ sich von Miller auf festen Boden ziehen. Langsam erhob er sich, ging bis an den Rand des Abgrunds und blickte in die Tiefe. Es flimmerte vor seinen Augen. Er hatte den Mann zu retten versucht, das war richtig, und doch konnte er sich nicht von dem Vorwurf befreien, nicht alles getan zu haben. Müde drehte er sich zu Miller um und fragte: »Was war geschehen? Weshalb konnte er dir entkommen, zumal er verwundet und gehbehindert war?« »Meine Schuld«, erwiderte der Scout zerknirscht. »Ich ließ mich durch die Pferde ablenken. Ja, ja, es war allein meine Schuld.« »Reg dich nicht darüber auf, Curt. Es hat eben nicht sein sollen.« »Glaubst du an ein vorherbestimmtes Schicksal?« John nickte. Sein Gesicht wirkte von der Anstrengung der letzten Minuten noch grau und eingefallen. »Mann, ich hatte vielleicht Angst um dich.« Haggerry war mit seinen Gedanken schon wieder ein Stück voraus. »Was war mit den Pferden? Sie sind doch noch da, oder?« »Als ich hinter dem Kerl herlief, standen sie noch auf ihren
Platz. Nein, das ist's nicht. Sie wurden plötzlich unruhig, aber ich konnte den Grund nicht feststellen. Komm, sehen wir nach.« Sie gingen hintereinander über den Pfad bis zum Wall. Von den beiden Pferden war nichts mehr zu sehen. John fluchte lästerlich, Miller stimmte mit ein, riß seinen Hut vom Kopf und schmiß ihn auf die Erde. Mit den Füßen stampfte er aus Wut vor seiner Unaufmerksamkeit darauf herum. »Was bin ich für ein dämlicher Hund«, brummte er. John grinste. »Da kannst du recht haben, Curt. Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung.« »Witzbold. Was machen wir jetzt? Ohne Pferde sind wir verloren.« Haggerty lächelte immer noch. Miller starrte ihn verwundert an. »Das schreckt dich kein bißchen, was?« »Nicht die Bohne«, antwortete der Chief-Scout. »Laufen wir eben.« »Das läßt dich so kalt? Fast hundert Meilen bis Fort Buchanan …« »Sechzig«, unterbrach Haggerty ihn trocken. »Gut, sechzig. Weit genug, um mir einen Angstschauer über den Rücken zu jagen.« »Wird schon nicht so schlimm sein.« Haggerty grinste. »Es ist Sommer, also warm. Wasser gibt es nicht. Unser Proviant ist beim Teufel, mein Gewehr ebenfalls. Wir werden von Skorpionen und Taranteln leben. Mahlzeit!« Curt Miller starrte den Freund entgeistert an. »John, sag' mal, hat dein – dein … Ich meine, hat dein Verstand gelitten? Du redest so komisches Zeug.« »Nicht, daß ich wüßte. Warum?« »Ich sagte es gerade. Du redest Blödsinn.« Haggerty lachte schallend. Sein Freund tippte sich an die Schläfe und machte ein besorgtes Gesicht. Mit einem Irren 60
Meilen durch die Hölle zu marschieren, nichts zu essen, nichts zu trinken, immer in Gefahr vor Indianern, das war mehr, als sein Verstand begriff. John machte der Komödie ein Ende. Er ergriff Curts Arm und ging mit ihm zusammen ein Stück näher an das Flußufer. Was John bereits vor Minuten gesehen hatte, sah Curt nun auch. Ungefähr 200 Yards weiter unten standen ihre Pferde mitten im Kiesbett und tauchten die Nüstern in ein Loch, das scheinbar Wasser enthielt. »Verdammt, verdammt! Warum sagtest du das nicht gleich? Dein Gehirn muß doch was abbekommen haben, alter Halunke.« Beide grinsten, dann lachten sie lauthals. »Gehen wir zusammen die Gäule holen«, sagte John. »Mal sehen, ob es tatsächlich dort Wasser gibt.« Sie stolperten über Geröll und blankgewaschenen Kies, und als sie dicht vor der Aushöhlung standen, sahen sie es: Wasser. Nicht viel, aber doch ausreichend, um die Feldflaschen zu füllen. »Eine Quelle«, sagte Miller verwundert, »mitten im Flußbett. Nicht zu fassen.« Haggerty schaute nach Westen. Die Sonne ging langsam unter. Es wurde kühler. Sie füllten die vier Feldflaschen, schnallten sie an die Sattelhörner und verließen mit den Pferden am Zügel das Flußbett. * Es war heller Tag und glühend heiß. Cochise schlug einen Bogen um Fort Buchanan und ritt über einen langen Grashang, der zu Wards Ranch gehörte, auf die Paßstraße. Die Pferdehufe wirbelten Staub auf, der hinter dem Trupp wallte. Diese Staubfahne war noch in weiter Ferne zu sehen. Aber die Apachen sah niemand. Cochise verließ die Straße
und bog in einen gewundenen Seitencanyon ein. Die Tageshitze war hier zu ertragen. Nach zwei Stunden erreichten sie den Paß. Manzanitas und Speerdorn wuchsen dort und verbargen den geheimen Seitenweg. Cochise ritt schneller. Bald mußte die Station in Sicht kommen. Obwohl seine Mine ausdruckslos blieb, freute er sich auf ein Wiedersehen mit Thomas Jeffords. Bevor der Häuptling die Bauwerke sehen konnte, roch er den Rauch aus dem Schornstein. Sein Mustang witterte das Wasser und drängte vorwärts. Die letzte Kehre. Der Giebel des Haupthauses war zu erkennen, die Umzäunung, die Schmiede, schließlich der langgestreckte Stall und die Koppel. Weiße Männer standen auf dem Hof vor dem Haupteingang. Als sich einer umdrehte und die Indianer sah, verschwanden sie blitzartig in das Haus. Cochise lächelte. Sie hatten Angst vor Apachen, und das erfüllte ihn mit Stolz. Noch zwanzig Pferdelängen war er entfernt, als die hochgewachsene Gestalt Jeffords aus der Tür trat und zum Tor ging. Cochise hob die rechte Hand zum Gruß, aber seine freundliche Geste wurde von Jeffords nicht erwidert. Der Jefe zügelte sein Pony, das zur Quelle drängte, und stieg ab. Mit dem Pferd am Zügel trat er auf Jeffords zu. »Meine Augen freuen sich, einen guten Weißen wiederzusehen, mein Herz freut sich und meine Seele. How!« Jeffords blickte ihm kalt entgegen und rührte keine Hand, den Häuptling zu begrüßen. »Die Freude sollte ungetrübt sein, Jefe, aber sie ist es nicht«, sagte er. »Eine zerstörte Postkutsche und acht tote Weiße lassen keine Freude in mir aufkommen.« »Was ist geschehen?« »Das weißt du nicht?« »Nein, Hellauge. Ich war viele Monde weit weg von meinen Jagdgründen.« Jeffords nahm sich ein Herz. Es mußte gesagt werden, selbst
wenn er sich nicht an die Regeln der Gastfreundschaft hielt, die den Rothäuten heilig war. »Deine Krieger stürzten eine meiner Kutschen in den Abgrund. Sechs tote Pferde und acht zerschmetterte Menschen. Hält man so Wort bei den Chiricahuas?« Cochise zuckte zurück. Sein Gesicht drückte Erstaunen und Zweifel aus. Er kniff die Augen zusammen, als er den Postmeister anstarrte. »Ein Chiricahua hält sein Wort, Hellauge«, entgegnete er grimmig. »Wenn es geschehen ist, wie du sagst, waren es nicht meine Krieger.« »Apache ist Apache.« Da war er wieder, der Unverstand des weißen Mannes, der alles, was eine rote Haut hatte, Apache nannte. »Ich sage dir, es waren keine Chiricahuas, und nur das zählt. Apache ist nicht Apache. Wir sind ein großes Volk mit vielen Führern, und unsere Sippen sind so zahlreich wie die Sandkörner in der Wüste.« Thomas Jeffords würgte seine Bitterkeit hinunter. Er wollte es nicht mit Cochise verderben und seiner Gesellschaft keinen Strich durch die Rechnung machen. Die Butterfield Overland war auf die Station hier oben und die Benutzung der Paßstraße angewiesen und konnte sich keinen Privatkrieg mit den Chiricahuas leisten. »Komm ins Haus, Cochise, du bist willkommen!« Der Häuptling drehte sich um, stieg auf sein Pferd und ritt an. Ohne Jeffords noch eines Blickes zu würdigen, trieb er sein Pony durch den Paßsattel und verschwand hinter der jenseitigen Kehre. Naiche und die beiden Krieger folgten ihm. Buck Tinatra, Larry Osborne und Charles Culver traten aus dem Haus und warfen besorgte Blicke hinter den Indianern her. Tinatra rief: »Was ist geschehen, Thomas?« Jeffords schloß sekundenlang die Augen. Er fühlte sich ausgelaugt.
»Ich glaube, ich habe einen bösen Fehler begangen, Buck. Ich – ich …« »Ja? Ist was nicht in Ordnung?« Jeffords zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Er wird es mir nie verzeihen, daß ich ihm Wortbruch unterstellte. In dieser Beziehung sind die Redmen empfindlich.« »Du hast ihm die Sache mit der Postkutsche vorgehalten?« »Nicht nur das, sondern auch angelastet.« »Bist du des Teufels, Mensch?« Culver trat an seine Seite. »Thomas, haben wir noch eine Chance?« flüsterte er. »Warum denn nicht?« antwortete Jeffords. »Cochise wird nicht gleich einen Krieg anfangen, so empfindlich ist er nun wieder nicht.« Larry Osbome schüttelte den Kopf und machte ein düsteres Gesicht. »Klingt alles nicht gut, Thomas. Jetzt braucht er nur noch einen weiteren Anlaß, um den roten General auf den Kriegspfad zu treiben. Ich halte ihn für sehr empfindlich.« Jeffords ging auf und ab. Er spürte eine bleierne Müdigkeit in seinen Beinen und ein erdrückendes Schuldgefühl. Sehr diplomatisch hatte er sich nicht verhalten, und seine Leute wußten das und kreideten ihm sein Fehlverhalten an. »Er reitet in seine Apacheria und wird tagelang darüber brüten, wie er die Scharte auswetzen kann«, sagte Jeffords ohne Überzeugung. Am liebsten wäre er Cochise nachgeritten und hätte ihn um Verzeihung gebeten, aber sein eigener Stolz verbot ihm das. Im Augenblick wußte er nicht, wie es weitergehen sollte. Er brauchte Cochises Schutz, um seine Kutschen sicher über den Paß zu leiten. Thomas Jeffords seufzte und ging ins Haus. Osborne und Tinatra sahen sich an. In ihren Blicken versteckte sich Ablehnung. Galt sie Jeffords? Larry zog die Schultern hoch,
ging zum Stall. Buck sprach mit Charles Culver, aber sie redeten nur über Nebensächliches. Die Sonne ging unter und färbte den Himmel rosa und golden. Graue und violette Schatten hüllten die Berge ein. Der Wind frischte auf. Culver fragte: »Was hältst du von dieser Geschichte? Übel, was?« »Sie kann es werden«, erwiderte Buck Tinatra. Besorgnis klang aus seiner Stimme. »Wie werden?« wollte Culver wissen. »Ich bin kein Hellseher. Meine Erfahrung mit Apachen ist nicht groß. Was geht in ihrer Seele vor? Wie denken Sie? Wie handeln sie? Ich weiß das alles nicht und kann deine Frage nicht beantworten. Fest steht nur, daß es sehr schlimm werden wird, wenn Cochise den Befehl zur Vernichtung der Station gibt.« »Können wir gar nichts tun?« »Nichts«, erwiderte Buck. »Alles hängt nun von Cochise und seinen Chiricahuas ab. Das haben wir Thomas zu verdanken,« »Siehst du nicht etwas zu schwarz?« »Möglich. Ich will nichts Bestimmtes andeuten, aber ich schätze, daß wir mächtig auf der Hut sein müssen. Wachen Tag und Nacht. Patrouillen in die nähere und weitere Umgebung. Larry und ich haben unsere früheren Ritte eingestellt, nachdem es ruhig hier oben geworden war. Ich glaube nicht, daß Chiricahuas die Kutsche angriffen. Ein Heuchler ist dieser Cochise nicht. Das sehe ich ihm an. Er kam völlig unbefangen hier herauf und wollte Thomas begrüßen. Scheiße!« Er spuckte aus, ließ Culver stehen und folgte Larry Osborne in den Stall. * Thomas Jeffords saß im dunklen Raum, Kopf und Rücken gegen die warme Mauer gepreßt, und hing seinen Gedanken
nach. Er war als Habenichts aus dem Osten gekommen, hatte sich bei der Butterfield emporgearbeitet und für seine Existenz gekämpft. Nun saß er mit offenen Augen in der Dunkelheit und stellte sich vor, wie es sein würde, wenn er noch einmal versagte und die Gesellschaft ihn wegen Unfähigkeit feuerte. Er kam sich hilflos vor. Alles hatte er verpatzt, Cochise vor den Kopf gestoßen und eine neue Gefahr für die Postkutschenlinie heraufbeschworen. Plötzliche Kälte rann trotz der Tageshitze über seinen Rücken. Er wußte auf einmal, was er zu tun hatte. Er mußte zu Cochise reiten, versuchen, dem Jefe zu erklären, daß die Pferde mit ihm durchgegangen waren. Es blieb ihm nichts anderes übrig: er mußte sich entschuldigen und sich mit Cochise versöhnen. Thomas stand auf, trat in die offene Tür. Die Stille wirkte bedrückend, lähmend. Was ging draußen in der Nacht vor? Lauerten sie schon in der Nähe? Oder waren sie weitergezogen, wie es den Anschein hatte? Jeffords starrte in die Dunkelheit. Da war nichts, was ihm Furcht einflößte. Und doch hatte er ein Gefühl, das an Todesahnung grenzte. Sosehr er sich auch einredete, daß alles Unsinn war, das Gefühl wich nicht. Aus dem hinteren Teil des Hauses drangen lautes Lachen und klatschende Geräusche. Seine Freunde spielten Poker. Den Vorfall hatten sie schon wieder vergessen oder gewaltsam unterdrückt. Spontan entschloß sich Thomas Jeffords, den ersten Bußgang seines Lebens zu machen und vor Cochise niederzusinken mit flachen Händen, die um Vergebung baten. In dieser und in der nächsten Woche ging es nicht. Er mußte nach Tombstone, um dem froschäugigen Ron Ballard, den sie nur »Fatty« nannten, von der Vernichtung der Concord zu berichten. Er tat es ungern, aber es mußte sein. Die Gesellschaft war gezwungen, eine neue Kutsche auf der Strecke einzusetzen und
sich außerdem Gedanken zu machen, wie der Weg über den Paß abgesichert werden konnte. Die Hitze des Tages hatte sich verflüchtigt, und ein kühler Wind wehte durch den Canyon. Thomas Jeffords trat vor das Tor hinaus. Keine noch so ausgereifte Überlegung half ihm. Er mußte zuerst nach Tombstone und danach zu Cochise. Entschlossen ging er ins Haus zurück. Er mußte mit seinen Leuten eine Lagebesprechung ansetzen, damit er seine ständig sich steigernde Spannung abbauen konnte und wieder Format gewann. Thomas ging zur hinteren Flurtür, klopfte, trat ein und blieb im grellen Licht der Kerosinlampe stehen. Seine beiden Freunde schienen das Vertrauen zu ihm verloren zu haben. Culver wirkte ungeduldig. Er verstand es, einen fühlen zu lassen, was er empfand. Jim Walsh wanderte auf und ab. Walker und Kelly lehnten an der Wand und wichen seinem Blick aus. James Wallace saß breitbeinig auf einem Stuhl und ließ seine großen Fäuste zwischen seinen Knien baumeln. Thomas zupfte an seiner Unterlippe. »Freunde«, sagte er, »wir müssen eine Entscheidung treffen. Unser Proviant geht zu Ende. Wir haben kaum noch Futter für die Tiere. Die Trockenheit hier oben in den Bergen läßt das Gras langsamer wachsen. Was tun?« Sie zuckten die Achseln. Keiner von ihnen hatte einen Vorschlag zu machen, der Jeffords' Sorgen hätte mildem können. »Die Apachen greifen nachts nicht an«, sagte Larry Osbome. »Wir könnten in einer Nacht nach Tombstone durchbrechen. Das ist es doch, was du meinst?« »Nein. Ich meine etwas ganz anderes. Was wird sein, wenn Larry und Buck mit mir zusammen nach Tombstone reiten? Greifen die Rothäute an, sind nicht genug Leute hier, um die
Station zu verteidigen.« »Du rechnest mit einem Angriff Cochises?« fragte Walsh. »Nein. Aber es könnten Mimbrenjos oder Tontos versuchen, ein paar Skalps zu erbeuten. Nach meiner Rückkehr breche ich sofort zu Cochise auf und bitte den Häuptling um gutes Wetter. Hat jemand Vorschläge?« Sie schwiegen sich aus. Jeffords begriff nicht, warum es nicht anders sein konnte. Offenbar hatten sie Angst. Es ist schwierig, ängstliche Menschen zur Ausführung bestimmter Pläne zu bewegen. Wie sehr er irrte, erfuhr er erst viel später. Thomas richtete sich auf. Schließlich war er der Stationsleiter. »Morgen abend, kurz nach Anbruch der Dunkelheit, reiten Buck, Larry und ich nach Tombstone. Wir sind in vier bis fünf Tagen mit etlichen Maultieren zurück. Inzwischen müssen wir auf Gott vertrauen, daß hier oben nichts passiert.« * 54 Dragoner standen abmarschbereit auf dem Paradefeld. Mit ihren Pferden. Alle starrten auf Lieutenant George N. Bascom vor der Front. Hinter ihm am linken Flügel Sergeant Hurt Hartfield. Colonel Brigham verabschiedete den jungen, ehrgeizigen Offizier. Er wies zu John Ward hinüber, der vor der Kommandantur wartete. Ward stieg in den Sattel und gesellte sich zu Bascom. Der zerrte sein Pferd herum und befahl mit gellender Stimme: »Kompanie – aufsitzen!« Rasseln und Klappern von Metallteilen. Die Dragoner schwangen sich in die Sättel. Der nächste Befehl hallte über den Platz:
»Kompanie, rechts – schwenkt! Anreiten!« Der Hornist blies »Gott schütze unseren langen und schweren Weg …« Das schwere Tor wurde geöffnet. Die Posten legten grüßend die Hände an ihre Käppis. Bascom, der junge Lieutenant aus West Point, setzte sich an die Spitze und legte die Rechte grüßend an den Feldhut. Standartenträger und John Ward rückten auf und ritten neben Bascom. Hinter der Truppe verklang das Trompetensignal über Fort Buchanan. Es ging zur Paßstraße hinauf. Hart klapperten die beschlagenen Hufe der Pferde. Die Soldaten schwiegen. Der Wind wehte Staub in ihre Gesichter, und sie mußten die Lippen geschlossen halten. Vor ihnen lagen die Dragoon Mountains. Bascoms Augen musterten kalt und geringschätzig die feindliche Landschaft. Mit einer Kompanie Dragoner würde er die Welt aus den Angeln heben und jeden Angriff abschlagen. Kein Apache war auch nur einem einzigen seiner Soldaten gewachsen. Dachte er. Er war an die Grenze gekommen, um in seiner Laufbahn als Offizier schneller zu klettern. »War Colonel Brigham mit der Entsendung der Truppe zum Apache-Paß einverstanden?« fragte Ward und blickte zu dem tiefen Einschnitt im Gebirge hinauf, der wie ein drohend gekrümmter Finger aussah. Bascom sah ihn erstaunt an. »Er hatte immer schon eine andere Einstellung zu Indianern als ich.« »Und wie ist seine Einstellung?« »Sehr human. Ich dagegen kann sie nicht leiden. Sie sind falsch und hinterhältig, brutal und unberechenbar.« »Ganz meine Meinung. Sehen Sie mal geradeaus, Mr. Ward. Was ist das dort vorn am Hang?« Ach, du liebe Güte! dachte Ward. Das Kerlchen hat in seinem Leben noch keine Kuh gesehen. Laut sagte er: »Rindviecher, Sir, viele Rindviecher. Sie gehören mir.«
»Was? Sie lassen die Herde hier oben beim Paß weiden?« »Wo denn sonst? In der Wüste gibt es kein Gras, und davon leben sie nun mal.« »Das weiß ich auch«, erwiderte der Offizier scharf. »Warum sind Sie auf einmal so zynisch?« »Bin ich das?« »Das finde ich, ja.« Ward sah ihn von der Seite her an. »Sie sind der Befehlshaber dieser Truppe, Lieutenant, und Sie können Ihren großen Wirbel bei Ihren Untergebenen veranstalten, nicht aber bei mir. Ich jedenfalls höre mir Ihr dämliches Gequatsche nicht länger an. Ihnen brauche ich bestimmt nicht zu erklären, welchen gefährlichen Job ich für die Armee übernehme. Ein Ritt ins Apachenland! Ich muß Ihnen auch nicht lang und breit auseinandersetzen, wie sehr Sie mich mit Ihrem Getue und Ihrem gespielten Heldenmut ankotzen.« Bascoms Gesicht drückte Verblüffung, Scham und einen geradezu infernalischen Haß auf den Rancher aus. Doch er beherrschte sich. Doch was er antwortete, klang bissig. »Was tun denn Sie fairer, großer Mann. Sie verlangen, daß ich Ihren Indianerbastard aus dem Nichts zaubern soll. Alles Lug und Trug. Dem Colonel konnten Sie was vormachen, mir nicht.« »Was soll das heißen?« »Daß Sie den Colonel schamlos belogen. Pinal-Apachen raubten den Jungen, aber doch keine Chiricahuas.« »Wenn Sie das wußten, warum drängten Sie sich nach dem Kommando?« »Weil es in meine Pläne paßt. Was Sie sich allerdings dabei gedacht haben, wird mir ein Rätsel bleiben. Ich glaube Ihnen von heute an kein Wort.« »Dann lassen Sie es, Sie Apachenschreck. Machen Sie rechtzeitig einen Plan, was Sie am Paß eigentlich wollen. Felix
ist nicht bei den Chiricahuas.« »Ich habe Order, nach dem Bastard zu suchen, und das werde ich tun. Notfalls auf meine Art. Cochise werde ich zwingen, den Jungen herbeizuschaffen.« »So habe ich mir das gedacht. Im Grunde ist mir der Bankert egal. Ich will nur Ruhe haben vor Jesusas Klagegeschrei. Ruhe, verstanden?« Beide schwiegen. Sie hatten ihre Absichten bloßgelegt und kannten sich nun. Stunden danach erreichte die Truppe den Paßsattel. Die Station tauchte auf. Ward setzte sich nach hinten ab und kam erst wieder an die Spitze, als er Männer aus dem Haus treten sah. Bascom hob sich im Sattel. »Kompanie – halt! Absitzen!« Bascom wandte sich an den vierschrötigen Mann, der nach Pferdeschweiß roch. »Sind Sie der Boß?« fragte er und hielt ihm die Rechte hin. Jim Walsh übersah sie geflissentlich. Er mochte keine Uniformierten und ließ Bascom es deutlich merken. »Nein.« »Wer leitet die Station?« »Mr. Jeffords ist nach Tombstone geritten. Ein Glück, daß Sie mit den Soldaten gekommen sind. Seit gestern spukt's hier in der Umgebung.« »Was soll das heißen?« Walsh zeigte auf eine zerfaserte Wurzel. »Das Ding hing heute morgen am Tor. Können Sie sich einen Reim darauf machen?« Ward hob die Wurzel auf. Die dünnen Fäden waren bunt angemalt, der Hauptstock in der Mitte gespalten. Eine schwarze Feder klemmte in dem Spalt. Das Ding war nicht länger als ein Unterarm. Bascom starrte die Wurzel an. Ekelte sich, die bemalte Stelle zu berühren. »Was bedeutet das?« Ward machte ein besorgtes Gesicht. »Warnung«, sagte er. »Krieg, Überfall, Kampf, Skalps. Sie
haben für jeden Begriff eine andere Farbe. Der Station droht Gefahr.« »Allmächtiger!« Walsh schnappte nach Luft. »Seien Sie still«, sagte Bascom. »Meine Soldaten bleiben hier, bis Mr. Jeffords wieder zurück ist.« Er wandte sich an Ward: »Sie sind sicher, daß es sich bei diesem widerlichen Fetisch um eine Botschaft handelt?« »Absolut.« »Apachen?« Ward nickte, starrte auf das Wurzelwerk. »Wozu machen sie es?« »Sie wollen die Weißen einschüchtern.« »Was geschieht, wenn sie feststellen, daß Soldaten im Paß biwakieren?« »Keine Ahnung. Entscheidend ist, wer sie führt. Bei Victorio kommt es zweifellos zum Kampf. Ist's nur ein Unterhäuptling … Ich weiß es nicht, verdammt!« Hurt Hartfield salutierte. »Darf ich Lager aufschlagen lassen, Sir?« »Natürlich, Sergeant.« »Und wo, Sir?« Bascom wies auf die Grasfläche jenseits des Zaunes. »Nur kleine Kochfeuer, doppelte Wachen und vorgeschobene Posten, die sich alle halbe Stunde ablösen.« »Jawohl, Sir.« Der Sergeant machte eine zackige Kehrtwendung und verschwand. * Cochise saß grübelnd am Feuer. Im Lager herrschte absolute Stille. Auf der anderen Seite der wärmenden Flammen saß Nahlekadeya. Sie nähte an einem neuen Paar Mokassins für den Jefe.
Cochise hatte Sorgen, das sah sie ihm an. Irgend etwas hatte ihn aus dem Gleis gebracht, nur was es war, hätte sie wohl nie erfahren. Krieger waren nicht sehr gesprächig zu ihren Squaws, und wenn sie redeten, betraf es allgemeine Dinge. Cochise sprach nie darüber. Nahlekadeya war deshalb erstaunt, als Cochise den Kopf hob und sie fragte: »Was würdest du tun, wenn ein guter Freund dich beleidigen und aus seinem Lager stoßen würde?« Mit wohlklingender Stimme antwortete sie ruhig: »Es kann kein so guter Freund sein, wenn er das tat. Verachte ihn, Koh-Cheez.« »Das kann ich nicht. Einen roten Krieger kann ich deswegen verurteilen und ihm meine Verachtung zeigen, aber keinem Weißen.« »Und weshalb nicht? Sind sie nicht ebenso Menschen wie wir?« »Doch, doch«, sagte Cochise. »Er ist bei seinem Volk ein großer Jefe, der die Kutschen beherrscht, die immer mehr Bleichgesichter in unser Land bringen. Ich kenne die Sitten und Gebräuche der Weißen nicht so gut, um über sein Verhalten zu Recht oder zu Unrecht zu befinden. Ich bin hilflos und verunsichert.« »Darf ich den Jefe fragen, was ihm widerfahren ist?« Cochise erzählte, was ihm beim Apache-Paß passiert war. Am Schluß sagte er: »Ich frage mich, ob ich ihn töten oder lieben soll, ob ich ihm dankbar sein muß für seinen Hinweis, oder ob ich sein Haus abbrennen soll wegen der frevlerischen Verleumdung?« »Wer hat seine Kutsche zerstört, Chiricahuas?« »Mimbrenjos. Sie sind die hinterhältigste Sippe der Apachen. Dasoda-hae war der größte Jefe aller Stämme und ein Mimbrenjo, aber Victorio ist nichts weiter als ein Aufwiegler
und hinterhältiger Mörder, der seine eigenen Taten den Chiricahuas anlastet und nach Mord und Brandschatzung wieder in der Reservation verschwindet.« »Ist das wirklich so?« Cochise nickte. »Wenn ich wie ein Hund von den Weißen Brot nehme, darf ich die segensreiche Hand nicht beißen. Tue ich's doch, wird sich diese gute Hand gegen mich wenden und den Hund erschlagen.« »Du bist der Jefe aller Apachen, genau wie es Dasoda-hae damals war. Warum befiehlst du ihm nicht, mit den Untaten aufzuhören?« »Er ist mir keine Treue und keinen Gehorsam schuldig.« »Du bist der Jefe«, sagte sie noch einmal eindringlich. »Ja, deswegen werde ich auch handeln. Ich habe eingesehen, daß ich Jeffords Unrecht tat: Ich werde morgen zum Paß reiten und mich entschuldigen. Ich bin nicht der Hund, der die gute Hand beißt. Du und Nachise werden mich begleiten. Außer euch beiden Naretana, mein Bruder, seine Söhne Yadalanh und Giannatah. Naiche wird im Lager bleiben und die jungen Männer von Torheiten abhalten. How!« Nahlekadeya wußte, daß es nichts mehr zu sagen gab. Cochise hatte sich entschieden. * Haggerty und Miller hockten mit untergeschlagenen Beinen beim Feuer und starrten schweigend und nachdenklich in die Flammen. Schwacher Rauch verbrennenden Holzes zog über den Pfad nach oben. »Du meinst also Gold?« »Was denn sonst? Bei Tageslicht sehen wir uns die Sachen an. Anschließend begraben wir die beiden Bastarde und machen uns aus dem Staub.« »Weshalb diese Eile?«
»Man wird die Wüstenregion leid und sehnt sich nach der Zivilisation, wenn man lange genug in ihr herumstolpert. Geht's dir nicht auch so?« Curt nickte. »Hast du 'ne Vermutung, was zwischen diesen drei Kerlen vorgefallen sein kann? Grundlos bringt man doch keinen Menschen um.« »Streit, was weiß ich. Streit um Gold oder um das, was sie dort unten im Spalt fanden oder zu finden hofften. Morgen werden wir's wissen.« Curt stand auf, räumte das benutzte Geschirr und die Pfanne zur Seite, rieb sie mit Sand aus und stellte sie so auf einen Stein, daß er sie am nächsten Morgen sofort wieder benutzen konnte. Danach ging er zu den Pferden, gab ihnen Wasser und hängte den Tieren die Futterbeutel um. »Ich würde gern wissen, wo wir genau sind«, sagte er über die Schulter. »Zehn bis zwölf Meilen nördlich von Anson City. Das Kaff liegt auf der Grenze zwischen Neu Mexiko und Chihuahua. Vor einhundertfünfzig Jahren sollen Jesuiten in diesem Gebiet nach Gold gesucht und auch gefunden haben.« »Dann handelt es sich bei dem Loch dort unten um eine Jesuitenmine?« »Möglich, Curt. Was soll's. Sind wir Goldgräber oder Scouts?« »Schlechtbezahlte Scouts. Es könnte nicht schaden, wenn wir einen Hut voll von diesem edlen Metall fänden. Lily jedenfalls würde sich mächtig freuen.« »Aha, Lily. Hat dir die grünäugige Hexe den Kopf verdreht, alter Schwede?« »Kommt darauf an, wie man es auslegt, John. Wir hatten vor langer Zeit beschlossen, zu heiraten. Je länger wir warten, desto ungeduldiger wird sie. Am Ende findet sie einen anderen Freier, der sie vom Fleck weg nimmt, und ich habe das Nachsehen.«
Haggerty lachte. Miller stimmt in das Lachen ein. John Haggerty stand auf, nahm seine Deckenrolle und breitete sie abseits der immer kleiner werdenden Flammen aus. »Gehen wir schlafen«, sagte er. Grinsend fügte er hinzu: »Ohne Lily.« Miller wachte zuerst auf. Es war schon fast Tag. Der östliche Himmel stand in vollem Licht und wurde von Minute zu Minute heller. Curt schälte sich aus den Decken, sammelte Holz und entfachte das Feuer wieder. Aus der Feldflasche füllte er den flachen Wasserkessel und stellte ihn auf die Kochmulde. Haggerty blinzelte in den neuen Tag hinein und warf die Decken ab. »Du hast wohl keine Ruhe im Hintern, wie? Was gibt's zum Frühstück?« »Freie Auswahl, John. Ganz wie's beliebt. Bohnen mit Speck und Tortillas oder Tortillas mit Bohnen und Speck. Dazu Kaffee, schwarz und heiß wie die Hölle.« »Klingt gut. Ein Stück Fleisch kannst du nicht anbieten?« Miller drehte sich um die ganze Himmelsrose. »Tut mir leid, mein Herr. Um diese Zeit schlafen Klapperschlangen, Skorpione und Taranteln noch. Vielleicht zum Mittagessen, he?« Sie lachten und fühlten sich den Strapazen des neuen Tages wieder gewachsen. Nachdem sie gefrühstückt und ihre Decken eingerollt hatten, löschte Miller die Glut mit Sand und Kies. Sie ließen die Pferde in ihrem Versteck und machten sich auf den Weg, um den Stollen, oder was immer es war, genau in Augenschein zu nehmen. Hintereinander balancierten sie über den Felsspalt. John vermied es, einen Blick in die Tiefe zuwerfen. Der Tote auf dem Grund des vor Urzeiten entstandenen Risses störte ihn. Bei dem Loch blieben sie zunächst stehen, um sich die Gegend anzuschauen. Inzwischen war es heller geworden. Im Süden stieg eine dünne Rauchfahne auf. Haggerty fuhr sich mit
der Hand über die Bartstoppeln. Weiter im Westen sah er ein zweites Rauchsignal, ein drittes und ein viertes weit entfernt. Er wußte, daß es nach Süden und Westen hin keinen Ausweg mehr gab. Die beiden Scouts wechselten einen knappen Blick, nickten sich zu und verstanden sich ohne Worte. »Ich steige ein«, sagte John und warf einen spähenden Blick in den senkrechten Stollen. »Während ich unten bin, gibst du ein wenig acht auf die Umgebung. Alles klar, Curt?« »Okay.« Gleich darauf stand John Haggerty in dem übermannshohen Loch. Der Rand reichte gerade bis an seine Hutkrone. Der Stollen führte schräg in die Tiefe und verlor sich in Finsternis. »Ich brauche was zum Leuchten, Curt. Gib mir deine Zündhölzer.« Er bekam sie, bückte sich und folgte dem Stollen nach unten. Alle paar Schritte blieb er stehen, riß ein Streichholz an und musterte die Wände in dem kurzen, flackernden Licht. »Natürlicher Stollen, von Menschenhand bearbeitet.« Sein Murmeln verhallte wie das drohende Flüstern menschenfeindlicher Berggeister. Über Johns Rücken glitt ein Schauer nach dem anderen. Vorsichtig tastete er sich auf dem glatten, abschüssigen Steinboden weiter. Der Gang machte eine Wende. An seinem Ende wurde es heller. Wie ein grauer Ballon hing die Stollenmündung vor ihm in der Dunkelheit. Als er in das diffuse Licht hinaustrat, blieb er stehen und blickte nach oben. Miller starrte herunter und hob sich scharf gegen den Himmel ab. »Hast du was gefunden?« »Bis jetzt nicht«, antwortete John. »Warte.« Er ging zu den Geräten und versuchte herauszufinden, aus welcher Zeitepoche sie stammten. Sie wirkten alt und waren zum Teil verfallen. Spitzhacke, Schaufel und ein schwerer
Hammer lagen wahllos verstreut neben verrosteten Meißeln und anderen Werkzeugen. John musterte die Wände der Spalte. Quarzstreifen. Rosenquarz mit gelben Einsprengungen. Er kramte seine Kenntnisse über die Goldgewinnung zusammen und kam zu dem Schluß, daß er einen »Blowup«, eine geologische Schicht mit einem Erzaustritt, vor sich hatte. Vor Jahrhunderten war hier nach Gold gegraben worden. Vermutlich waren es Jesuiten gewesen. Achselzuckend wandte er sich dem Toten zu. Er durchsuchte dessen Taschen, fand aber keinen Hinweis auf die Person des tödlich verunglückten Mannes. Fest stand, daß die drei Outlaws durch einen Zufall auf das Erzlager gestoßen sein mußten. Gearbeitet hatten sie dort unten nicht. Es war möglich, daß sie am selben Tag wie die Scouts oder einen Tag früher hier angekommen waren. Was sich unter ihnen abgespielt hatte, sollte für alle Zeiten verborgen bleiben. Tote reden nicht. Im Hintergrund des Erdrisses sah John einen niedrigen Stollen. Er ging hin. Abraum lag vor dem runden Loch. Aber er war ebenso alt wie alles andere. Haggerty hob den Toten hoch und trug ihn zu dem Kurzstollen, schob ihn hinein und verschloß die Öffnung mit Felsbrocken. Als das, Grab geschlossen war, nahm er den Hut ab und blieb ein paar Sekunden stehen. Ein Gebet zu sprechen, vermochte er nicht. John setzte seinen Hut auf und ging zum anderen Spaltende. Überall Quarzstreifen, glitzernde Einsprengungen: Gold. »Verdammt und zugenäht, John, was gibt's da unten zu sehen? Ich bin gespannt wie ein Paukenfell, und du sagst kein Wort.« »Ich komme nach oben«, antwortete Haggerty. »Hier unten ist absolut nichts, worüber es sich zu reden lohnte. Warte einen Moment.«
Nach einer mühsamen Kraxelei in dem niedrigen Stollen gelangte er wieder ans Tageslicht. Curt half ihm aus der Grube. »Gold gefunden?« fragte er erwartungsvoll. »Nichts. Ein paar Quarzgänge, aber es dürfte sich kaum lohnen, sie abzubauen. Alter Krempel, wie man ihn vor hundertfünfzig Jahren bei Minenarbeiten verwandt hatte. Morsch, verrostet. Reiten wir.« »Nach Westen?« Der Freund hatte sich wieder beruhigt und schien nicht enttäuscht zu sein. »In die Hände der Apachen? Nein. Wir folgen dem Trockenbett und weichen in nördliche Richtung aus. Nach fünf bis sechs Meilen schlagen wir einen Bogen nach Westen und müßten in der Nähe von Fort Buchanan herauskommen.« »Okay«, sagte Miller. »Verduften wir.« * Die Sonne ging auf. Ihre Strahlen glitten zaghaft über das Plateau hoch über dem Apache-Paß. Die Stille des frühen Tages und der Holzrauch, der aus dem Paß wehte, machten den hochgewachsenen Indianer vorsichtig. Er glitt von seinem Pinto, ließ ihn bei seinem Sohn zurück, näherte sich dem Abgrund und warf einen besorgten Blick in die Tiefe. Zelt an Zelt reihte sich auf dem Fuhrhof der Station. Insgesamt zählte er sieben spitze Zelte und ein flaches. Zwei kleine Kochfeuer brannten. Verstört wandte sich Cochise an Naiche: »Pferdesoldaten. Das bedeutet nichts Gutes, Sohn.« Naiche schwang sich vom Rücken seines Braunen und ging mit dem Jefe zurück bis an den Steilabfall der kleinen Mesa. In diesem Augenblick trat der Trompeter vor ein Zelt und blies zum Wecken. Weit schallten die Töne durch das Bergland. Gleichzeitig warf die Sonne eine Flut farbigen Lichtes in die Canyons. Cochise stand allein. Naiche zog sich ein Stück
zurück, um den Jefe nicht zu stören. Cochise breitete die Arme aus, der Sonne entgegengestreckt. So stand er mehrere Minuten. Betete er? Rief er die Spenderin allen Lebens an, ihm beizustehen auf seinem Gang zu Thomas Jeffords? Das Bild dieses Indianers, würdevoll und stolz in der Haltung, den Kopf im Nacken, das bronzenfarbene Gesicht mit der Adlernase und dem kantigen Kinn dem Glutball zugewandt, glich dem eines Gottes irgendeiner heidnischen Religion. Sein Blick glitt über die fernen Berge, die 9000 Fuß hoch aufragten, über die Wüste mit ihren Trockenzonen, den zahlreichen tief eingeschnittenen Canyons und Hochtälern. Sein Land und der Lebensraum seines Volkes. Die Sonne war bis zur Hälfte ihrer Scheibe über das zerklüftete Bergland gestiegen und kletterte weiter. Cochise ließ die Arme sinken, blieb aber stehen. Wenn die Soldaten unter ihm nicht gewesen wären, hätte er sich ruhiger gefühlt und wäre hinabgeritten. Aber so vorsichtig er selbst auch war, es gab keine Erklärung für die Anwesenheit der Reitersoldaten. Die blauen Uniformen störten ihn. Verzweifelt wehrte er sich gegen den Gedanken, Weißauge Jeffords habe wegen der Überfälle in der letzten Zeit den Schutz der Langmesser angerufen. Cochise glaubte es nicht, wollte und durfte es nicht einmal in Erwägung ziehen. Wortbruch war den Chiricahuas unbekannt. Ein gegebenes Wort bedeutete ihnen mehr als ein Vertrag mit sieben Siegeln. Der berühmte Häuptling wirkte wie ein Monument. Seine königlich zu nennende Haltung in dem weißen Lederjagdhemd, den verzierten Leggins aus dem gleichen Material und den kniehohen Mokassins, an den Seiten mit Borsten und Zähnen des schwarzen Wildschweines und hellen Perlen verziert, war wie ein Symbol der Auflehnung gegen die Vergewaltigung
seines Volkes durch die Weißen. Zwischen den Zelten tummelten sich Soldaten, gingen abwechselnd zur Quelle und wuschen sich. Scherzrufe tönten herauf. Cochise wandte sich ab. Seine Bewegungen, geschmeidig wie die einer Raubkatze, wurden an diesem Morgen von den unerwarteten Eindrücken gedämpft, die sich lähmend auf seine Sinne legten. Sein buntbesticktes Stirnband leuchtete im Sonnenlicht und verlieh seinen strengen Zügen mit der hochfliegenden Stirn etwas Majestätisches. Man kannte ihn weit über die Landesgrenzen hinaus. Längst war sein Ruf bis in den fernen Osten gedrungen. Man fürchtete ihn bei den Weißen wegen seiner Härte, aber man verehrte ihn auch wegen seiner Klugheit und schätzte ihn als einen Häuptling, dessen Weisheit und politische Fairneß dazu beitrugen, daß der zwangsläufig geschlossene Frieden Bestand hatte. Er, Cochise, war der Häuptling aller Apachen, der Jefe. Ein König in seinem Reich, der mit der linken Hand mild regierte und mit der Rechten die Zügel hielt. Kurz sagte er: »Wir reiten.« »Zu den Pferdesoldaten, Cochise?« Naiches Stimme klang belegt. »Zu Hellauge Jeffords.« Mit einem gewaltigen Satz sprang er über die Pferdegruppe auf die Satteldecke und ergriff die Zügel. Über einen gewundenen Weg gelangten sie in den Paß. Kühl und feucht war es dort unten. Die Luft duftete nach Kiefern und Wacholder. Cochise gebot seinem Gefolge, ein paar Pferdelängen zurückzubleiben. Er rechnete mit einem Schock der Weißen, wenn sie sich unverhofft Chiricahuas gegenübersahen. Zwei Soldaten hielten auf einer Anhöhe Wache. Ihre Aufmerksamkeit galt eher ihren Kameraden bei den Feuern als
der Paßstraße. Trotz der aufgestellten Wachen wäre es Apachen eine Leichtigkeit gewesen, das Lager zu umstellen und im passenden Augenblick zuzuschlagen. Der Wachtposten fuhr herum und hob das Gewehr. Die Soldaten an den Feuern richteten sich auf und starrten schreckensbleich auf die Indianer. Wieder hatte Cochise das Gefühl uneingeschränkten Triumphes, als er ihre Angst erkannte. Zwei Zivilisten drängten nach hinten, ein schlanker Offizier griff nach seinem Revolver. Angst und Hektik bestimmten die Bewegungen der Langmesser. Innerlich lächelte Cochise. Apachen wären längst auf und davon und hätten aus dem Hinterhalt gekämpft. Die Weißen aber blieben wie hypnotisiert stehen. Er parierte sein Pony. Lieutenant George Bascom kam gespreizt wie ein Pfau heran und warf sich in die Brust. »Wer bist du, Rothaut? Du wagst es, in das Lager von Soldaten zu kommen? Siehst du denn nicht, daß mehr als fünfzig Gewehre auf dich gerichtet sind?« »Ich sehe keine Gewehre«, erwiderte Cochise höflich. »Zeige sie mir.« Bascom wurde rot. John Ward gewann seine rüde Sicherheit wieder und drängte sich durch die Soldaten. Er blieb bei Bascom stehen. Vergeblich suchte er die Kriegsbemalung in Cochises Gesicht. Bascom überspielte seine Unsicherheit mit einem schnarrenden Befehlston. »Ich habe gefragt, wer du bist.« »Cochise.« Bascom zuckte förmlich zusammen. Er betrachtete die Rothaut genauer und sah die kältesten braunen Augen, die ihm je begegnet waren. Je mehr er versuchte, seine Sicherheit wiederzugewinnen, desto weniger gelang ihm das. »So, du bist Cochise? Dich habe ich mir anders vorgestellt. Du bist also der Indianer, der das ganze Grenzgebiet in Aufruhr bringt?«
Cochise starrte den Weißen ausdruckslos an. Er hörte die Aggressivität aus Bascoms Stimme und hielt sich zurück. »Ich habe mit dir gesprochen«, knurrte Bascom. »Du weißt doch hoffentlich, wie ein Offizier aussieht?« Ward wandte sich an Bascom. »Machen Sie keine Schwierigkeiten, Lieutenant«, sagte er hastig. Cochise ließ seinen Blick über das Lager schweifen. Alle Männer beobachteten ihn. Nur einer von ihnen war Offizier. Alle anderen waren Soldaten und Unteroffiziere, bis auf den Mann in Cowboykleidung. Den Offizier, der sich wie ein grüner Junge benahm, kannte er. Er hatte damals die Pferdesoldaten angeführt, die mit den beiden Scouts in die Berge gekommen waren. Bascom biß sich auf die Lippen und lief rot an. Verhaltungsmaßregeln von einem Zivilisten haßte er. Lange starrte er in das braune Gesicht mit dem bunten NavahoStirnband. Es wirkte auf ihn wie aus Ton modelliert. »Wenn Sie mit heiler Haut aus diesen verfluchten Bergen herauskommen wollen, dann tun Sie lieber, was ich anordne, Bascom. Legen Sie sich nicht mit dem Häuptling an. Sie sollen einen Jungen suchen, mehr nicht.« Der Lieutenant wirbelte herum. »Was geht Sie das an?« fauchte er. »Wer führt hier das Kommando, Sie oder ich?« »Sie«, sagte Ward und fletschte die Zähne. Cochise vernahm jedes Wort und warf dem Rancher, der sich abwandte, einen langen Blick nach. Bascom setzte sich wieder in Positur und schnarrte: »Auf meine Frage, was du hier suchst, habe ich noch keine Antwort. Also?« »Ich wollte Hellauge Jeffords einen Besuch machen.« »Jeffords ist nicht hier. Seine Leute sagen, er sei nach Tombstone geritten.« Cochise nickte. Er wußte, was er hatte wissen wollen. Kerzengerade saß er auf dem Ponyrücken.
»Ich habe dir erklärt, was ich hier will. Aber du hast mir noch nicht gesagt, was du auf dem Land der Chiricahuas zu suchen hast.« Bascom betrachtete Cochise mit einer Geringschätzigkeit, als hätte der Jefe soeben eine Gotteslästerung begangen. »Was ich auf was zu suchen habe? Mensch, Rothaut, haben dich alle guten Geister verlassen?« Cochise starrte den aufgeblasenen Weißen nur an und ließ sich nicht provozieren. »Du bist auf meinem Land, Bleichgesicht.« Der junge Offizier lächelte überheblich. »Auf deinem Land? Dieses Gebiet gehört zum Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika. Falls du das noch nicht weißt, roter Mann, dann schreib's dir hinter deine ungewaschenen Ohren.« Das kurze Blitzen in Cochises Augen hätte den Offizier warnen müssen. Aber der war so tief in seine eingebildete Feldherrenrolle verstrickt, daß er auf keine Zeichen achtete. Er hatte hier oben im Paß die Macht, setzte sie aber falsch ein. Sein Kommando wirkte wie ein Rausch auf ihn und ließ ihn die Situation völlig falsch einschätzen. »Und ich, Lieutenant George N. Bascom, vertrete die Vereinigten Staaten in diesem Gebirgsteil. Kapiert?« John Ward sagte zu einem Sergeanten, der sich neben ihn gestellt hatte: »Wenn dieser Idiot nur das Maul halten würde. Verdammt, der gräbt sich sein eigenes Grab.« »Ist die Rothaut wirklich so schlimm, wie an der Grenze erzählt wird?« fragte Sergeant Hartfield. »Noch viel schlimmer. Sieh ihn dir doch genau an. Souverän wie ein König, seine Haltung und sein Gebahren sind majestätisch. Und wie sieht der Lieutenant aus? Wie ein Giftzwerg gegenüber einem Riesen!« Wards Stimme klang bedrückt. Ihm war es beim Anblick Cochises wie Schuppen von den Augen gefallen. In dieser
Sekunde bereute er seine Falschaussage gegenüber Colonel Brigham und ahnte, daß er die verkehrte Methode gewählt hatte, seiner Geliebten Jesusa Martinez zu imponieren. Aber der Kelch mit dem bitteren Trank ging noch einmal an ihm vorüber, Cochise hob die Rechte, hielt sie flach empor und murmelte: »Friede sei in diesem Land, das den Chiricahuas gehört. Wer diesen Frieden stört, soll auf ewig verdammt sein.« Er zerrte sein Pony herum und ritt mit seinen Kriegern davon. * John Haggerty und Curt Miller hatten ihren Bericht abgegeben und ihre Unterkunft aufgesucht. Am späten Abend wurden sie von einer Ordonnanz gestört, die sie beide zu Brevet-General Joseph West befahl. Der empfing sie leutselig und nicht so überheblich, wie es sonst seine Art war. »Nehmen Sie doch Platz, meine Herren. Bitte.« Er bot ihnen in seinem Zelt Feldstühle an, stellte eine halbvolle Flasche und Gläser auf den Tisch. »Ich las Ihren Bericht mit Interesse, Gentlemen. Wenn General Howard auch mit meiner Auffassung über die Behandlung der Indianer nicht konform geht, so schließt sich doch die oberste Heeresleitung meiner Meinung an. Ich sprach kürzlich mit General Sherman über die Apachen. Der General gab deutlich zu verstehen, daß Howard zu human vorgeht und seine Machtmittel nicht ausschöpft, um die Rothäute zur Räson zu bringen. Ich wäre jetzt daran interessiert, Ihre Meinung zu hören.« Curt wechselte mit seinem Freund einen Blick. Haggerty sagte: »Wir haben keine Meinung über eine mögliche Vorstellung, wie Indianer zu behandeln sind, Sir. Das ist nicht die Aufgabe,
die von uns verlangt wird.« »Weiß ich«, sagte West abschwächend. Er merkte, daß er das Gespräch falsch begonnen hatte. »Sie werden zugeben, daß wir das Land befrieden müssen. Mehr und mehr Weiße strömen aus allen Teilen der USA hierher, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Sie waren lange genug in Cochises Lager und können ihn besser beurteilen als jeder andere. Wie wird er sich bei dem ständigen Zustrom der fremden Rasse in seine Jagdgründe verhalten?« »Das kann niemand voraussagen, Sir«, antwortete John Haggerty. »Ich bin der Meinung, daß er sich an den mit General Howard mündlich geschlossenen Vertrag hält. Bis heute sind keine Übergriffe gegen Weiße bekanntgeworden.« »Eine Postkutsche der Butterfield Overland wurde angegriffen und vernichtet.« »Nicht von Chiricahuas, Sir.« »Von Indianern jedenfalls. Macht das einen Unterschied?« Miller runzelte über so viel Unwissenheit die Stirn, Haggerty verzog nur spöttisch die Mundwinkel. »Einen gewaltigen, Sir. Cochise kann nur im Krieg für alle Stämme sprechen. Wir sind aber nicht im Kriegszustand mit den Apachen. Sie kennen den Unterschied sehr genau und wissen, daß sie sich nicht an die Vereinbarung zu halten brauchen, die Cochise und Howard trafen. Cochise sprach nur für seinen Stamm, den Chiricahuas.« »Das ist doch sehr unbefriedigend, oder?« Haggertys Gesicht wurde rot von mühsam unterdrücktem Zorn. »Mit der Einhaltung des Friedens durch Cochise ist schon sehr viel erreicht worden, Sir. Es sollte möglich sein, auch mit den anderen Stämmen zu verhandeln. Der wahre Störenfried ist Victorio. Mit ihm sollte gesprochen werden. Jeder an der Grenze weiß, daß er seine Raubzüge vom San Carlos-Reservat aus unternimmt. Er streift bis weit nach Sonora hinein, mordet
und plündert, und wenn er richtig in Fahrt ist, greift er auch mal eine Einrichtung der Weißen an. Wollen Sie Cochise dafür verantwortlich machen, Sir?« Brevet-General West preßte die Lippen zusammen. »Meine Meinung ist dabei völlig unwichtig, Mr. Haggerty. Ich vertrete im Südwesten ausschließlich die Meinung und Wünsche der Armeeführung. General Sherman will, daß alle Apachenstämme befriedet werden, und das schnell.« John nickte, sah kurz seinen Freund an. »Verständlich, Sir. Aber wir verstehen nicht, was wir zwei tun können, das Ansinnen der Generäle zu unterstützen. Ich darf erinnern: wir sind Scouts, nichts weiter.« »Gerade auf Sie beide kommt es nach Meinung Shermans an. Sie kennen Cochise persönlich, waren in seiner Apacheria und sind mit den Sitten und Gebräuchen dieser Leute so vertraut, daß ich Ihnen unbedingt ein besseres Beurteilungsvermögen über die Lage in diesem Territorium zubilligen muß. Verstehen Sie, was General Sherman meint? General Miles und General Crook unterstützen Shermann in jeder Beziehung.« West legte eine Kunstpause ein. Er mußte sich selbst einen inneren Ruck geben, um seine Worte richtig zu formulieren. Er sprach gedehnt wie ein Südstaatler, war es aber nicht. West kam aus Vermont und hatte im Bürgerkrieg für die Nordarmee gekämpft. »General Sherman ist also der Meinung, daß nur mit einer Art Gewalttat der Frieden gesichert werden kann. Eine solche Tat wäre die Möglichkeit einer Erpressung. Ja, Erpressung. Anders kann man es nicht nennen …« Haggerty unterbrach ihn kalt, ohne Rücksicht auf seinen hohen Rang: »General, diesen Zahn können Sie sich ziehen lassen. Cochise läßt sich nicht erpressen und durch keine Drohung dazu bewegen, etwas zu tun, was die Weißen gegen ihn aufstachelt. Darauf läuft doch Ihr Vorschlag hinaus?«
»Äh, nicht ganz, Chief-Scout. Er hat einen kleinen Sohn aus seiner ersten Ehe, oder nicht?« »Doch, einen achtjährigen Jungen«, erwiderte Haggerty ahnungslos. »Sehen Sie. Darauf läuft General Shermans Idee hinaus. Wenn wir den Jungen in unseren Besitz bringen könnten, wären alle Probleme, die wir mit den Indianern haben, gelöst.« Die Scouts glaubten ihren Ohren nicht zu trauen. John saß wie versteinert, die Hand um das Glas gekrallt, das braunen Whisky enthielt. Er trank nicht, vergaß alles um sich herum. Seine Gedanken glitten zurück, weit hinauf in die Berge. Wie ein Blitz zuckte es durch seinen Körper. Den Jungen als Geisel nehmen? Sherman mußte total verrückt geworden sein. John sprang auf, funkelte West an und schrie: »Sir! Ich weiß nicht, was Sie sich dabei gedacht haben, mir ein solches Angebot zu machen. Ich werde es in hundert Jahren noch nicht wissen. Halten Sie mich für einen Kidnapper? Trauen Sie mir wirklich zu, ein unschuldiges Kind in den Schmutz Ihrer Politik hineinzuziehen? Allein der Gedanke ist verwerflich und so abstoßend, daß ich dazu keinen Kommentar geben möchte. Auf mich können Sie nicht zählen. Gute Nacht!« Bevor sich Brevet-General West von seiner Überraschung erholt hatte, war Haggerty schon draußen. Seine Schritte verklangen im Sand. Miller saß wie versteinert. Er war kein so schneller Denker wie John. Wenn er über etwas grübelte, brauchte er Zeit. Er wollte sich erheben und Haggerty folgen, aber Wests Hand legte sich auf seine Schulter und drückte ihn auf den Sitz. »Warten Sie, Mr. Miller, ich habe noch mit Ihnen allein zu reden.« *
Im Canyon der Seufzer brannte ein kleines Feuer mit einem schwachen Lichtkreis. Groteske Schatten huschten über die Felswände im Hintergrund. Wind strich raunend und klagend durch Unterholz und Klippen, unterstrich das Gespenstische der ganzen Situation. Cochise und Naiche hockten mit untergeschlagenen Beinen vor den Flammen, auf der anderen Seite Cochises Neffen. Brütendes Schweigen. Cochise fühlte sich gedemütigt, provoziert von einem jungen Weißen in Uniform. Nur sein Howard gegebenes Versprechen hatte ihn daran gehindert, dem Offizier seine Mokassinsohle ins Gesicht zu treten. Neben Bascom hatte jener Mann gestanden, der die Ranch bei Fort Buchanan besaß. Beide störten den Frieden, das fühlte er. Er bedauerte, nicht auf Weißauge Jeffords gestoßen zu sein. Der hätte weitere Entgleisungen verhindert und auch vor dem arroganten Offizier keinen Respekt gehabt. Es half nichts, er, Cochise, mußte mit Jeffords sprechen, sich entschuldigen und die Lage mit ihm erörtern. Was wollten die Pferdesoldaten am Paß? Der Gedanke an die geballte Macht bei den einzigen Quellen weit und breit machte ihn unruhig. Bereiteten sie einen Angriff vor? Er stand auf, ging hin und her. Naiches Blicke folgten dem Jefe. Giannatah und Yadalanh ließen sich von der Unruhe Cochises anstecken. Sie waren besorgt. Nach einer Weile blieb Cochise stehen. Seine Augen richteten sich auf Giannatah. »Du wirst zurückreiten und die Pferdesoldaten beobachten. Ich möchte wissen, was sie machen, wohin sie reiten und wann Hellauge Jeffords kommt.« Der junge Krieger nickte. »Cochise wird mit mir zufrieden sein.« »Du bist ein guter Krieger, ich weiß es. Bei Sonnenaufgang
reitest du. Sei vorsichtig. Wenn die Bleichgesichter dich erwischen, behandeln sie dich als Spion. Spione erschießen sie.« »Kein Langmesser wird mich sehen, keine Kugel wird mich treffen.« Cochise neigte sein Haupt. In dieser einzigen Bewegung lag die unnachahmliche Würde eines großen Führers. Nicht umsonst hatten ihn Weiße mit Napoleon und Alexander dem Großen verglichen. * »Lassen Sie uns sachlich über die Angelegenheit sprechen, Mr. Miller. Der Generalstab erwartet von uns Aktionen, keine humanen Gefühlsausbrüche. Sie wissen, was es für Sie bedeuten kann, ein solches Unternehmen durchzuziehen? Erfolgreich durchziehen, meine ich.« Miller schüttelte den Kopf. »Ich denke wie Haggerty, Sir.« »Jemand muß es tun.« »Ich nicht, Sir. Cochise ist weit über die Grenze hinaus Legende. Lebende Legende. Die Weißen fürchten ihn, deswegen das schmutzige Spiel mit seinem Sohn. Ich mache da nicht mit.« »Legende hin, Legende her. Er macht uns höllisch zu schaffen.« »Weil wir den Anlaß dazu bieten. Cochise ist in der Lage, mehr als zweitausend Apachen aufzubieten. Wissen Sie, was das heißt, Sir? Haben Sie eine Ahnung, wo unsere Armee bleibt, wenn er losschlägt? Können Sie sich ausmalen, was mit den Weißen geschieht, die in seine Hände fallen?« »Deswegen muß ihm das Handwerk gelegt werden. Mr. Miller, Sie sind Weißer, dazu Scout bei der Army. Läßt es Sie kalt, wenn Menschen Ihrer Rasse abgeschlachtet werden?«
Miller lächelte bitter. »Cochise ist kein Schlächter. Ich lernte ihn kennen, stand ihm Auge in Auge gegenüber. Ich lernte ihn als Mann und Krieger schätzen. Und, das sage ich mit aller Bestimmtheit, ich bin glücklich, ihn als meinen Freund zu bezeichnen.« »Sie übertreiben.« »Keinesfalls, Sir. Sie behandeln ihn wie einen einfachen, primitiven Indianer. Cochise ist mehr – ein König, ein Fürst unter seinem Volk, dessen Wort an allen Ratsfeuern bis hinauf zu den Sioux etwas gilt.« »Sie wollen mir einfach nicht zuhören.« »Ich beteilige mich an keiner Schweinerei, Sir. Cochise ist es wert, mit Fairneß und Anstand behandelt zu werden. Mein letztes Wort, General.« West ging zum Tisch, füllte zwei Gläser mit Brandy. Er reichte eins dem Scout. Der lehnte ab. Achselzuckend stellte West das Glas wieder auf den Tisch. »Sie wollen heiraten, Miller? Ist da was dran an dem Gerücht?« »Woher wissen Sie es?« »Man spricht im Lager darüber. Ja oder nein?« »Vielleicht. Noch ist's nicht soweit. Meine Zukünftige meint, daß ich meinen Job bei der Armee aufgeben und seßhaft werden soll. Well, klingt gut, aber womit?« Miller rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Das Stichwort war für West gefallen. Hinterlistig fragte er: »Wüßten Sie, was Sie bei einem Ausscheiden aus der Armee anzufangen hätten, um Frau und Kinder zu ernähren?« »Natürlich, Sir.« »Und?« »Ich würde Schollenbrecher oder Rancher werden. Am Santa Cruz steht eine Pferderanch zum Verkauf. Sie gehört Jorge Dura, einem Greaser. Er will nach Mexiko zurück und für die Ranch mit allem Inventar fünftausend Dollar.«
»Zuchtpferde?« »Dreißig Stuten und zwei Hengste. Arabisches Blut. Ausgezeichnet. Ich habe mir vor Wochen alles angesehen. Nur… Nun ja, was gibt's noch zu sagen?« »Das Geld fehlt Ihnen, ja?« »Ich müßte noch viertausend zusammenkratzen, aber woher, wenn nicht stehlen.« West schaltete blitzschnell. Er nahm Millers Glas, drückte es ihm in die Hand. »Die Armee ist bereit, Ihnen Fünftausend bar auf die Hand zu zahlen, wenn Sie uns den Indianerbalg bringen. Mit dem Mehrbetrag könnten Sie sich für ein Jahr verproviantieren und notwendige Anschaffungen machen. Trinken wir auf Ihre Zukunft, Mr. Miller.« Der Scout zögerte. Wenige Worte eines Uniformierten hatten erreicht, ihn wankelmütig werden zu lassen. »Was sagt John Haggerty dazu? Er ist Chief-Scout, Sir.« »So, sagt er was?« Miller nickte. »Nichts Gutes, dessen bin ich sicher.« »Für Cochise ist Haggerty genauso ein Feind wie jeder andere Weiße.« »Falsch! John operierte Cochises Schwester nach einem Skorpionstich und rettete sie vor dem sicheren Tod. Anschließend kämpfte er mit Wakashi, einem Widersacher aus dem Stamm der Mimbrenjos. Glauben Sie, der Jefe hat das schon vergessen?« »Bei Rothäuten will das gar nichts heißen. Die sind undankbar und denken nur an sich selbst.« Miller erhob sich, setzte das Glas hart ab und wandte sich voll dem General zu. Ihre Blicke kreuzten sich wie Schwerter. »Sir, das sind sie nicht.« »Ich habe fast den Eindruck, daß Sie für die Indianer mehr empfinden, als für Ihre Landsleute.« Er trat vor Miller hin und drückte ihn wieder auf den Sitz.
»Ich habe nie gehört, daß ein Scout nicht dann und wann einen Schluck trinkt. Auf Ihr Glück!« sagte West und leerte das Glas. Miller nippte nur. Ihm war es egal, was West machte. Der General spielte seinen letzten Trumpf aus. »Sie können sich schon nächste Woche von unserem MilitärPfarrer trauen lassen. Und die Woche darauf sind Sie mit Ihrer neugebackenen Frau bereits auf Ihrer Ranch. Wie hört sich das an?« »Vorher aber wollen Sie Nachise?« »Keine Ware ohne Geld. Diesmal ist es umgekehrt, Mister.« »Teufel, reißt es in der Armee auch schon ein, Gewalt mit Gewalt zu vergelten?« »Miller, wir bieten Ihnen ein Vermögen für eine Gefälligkeit, und Sie haben Skrupel, Ihrer Rasse zum Recht zu verhelfen. Ich versichere, dem Jungen passiert nicht das geringste. Schließlich führen wir keinen Krieg gegen Kinder.« »Ich glaube Ihnen nicht.« »Nicht ein Haar wird ihm gekrümmt.« »Wie Mangas Coloradas?« entfuhr es Miller. Der General lächelte säuerlich. »Das wollte niemand, Miller. Eine Panne, wie sie in jedem Armeelager passieren kann. Wann brechen Sie auf?« »Weiß General Howard von dem Coup?« »Ich bitte Sie. Howard ist Oberkommandierender in Südwest. Kommen wir zur Sache. Sechs Apachenscouts begleiten Sie und decken Ihren Rückzug. Den Jungen zu schnappen und aus dem Gebirge herauszubringen, dürfte einem Mann wie Ihnen nicht schwerfallen. Oder?« »Die haben überall Späher, Sir.« West machte eine abschließende Geste. Er wirkte ungeduldig und zerfahren. »Vergessen Sie nie, daß Sie ein Weißer sind und wie ein Weißer zu handeln haben. Morgen erhalten Sie von mir die
Schuldurkunde über sechstausend US-Dollar. Noch etwas, Mr. Miller, wenn Sie Hemmungen haben, mit Mr. Haggerty oder einem anderen darüber zu sprechen, so sagen Sie, Sie hätten mein Angebot abgelehnt. Einen Dreh finden wir schon, Sie mit den Apachen aus dem Lager zu lotsen.« Miller nickte. Brevet-General West hatte auf der ganzen Linie gewonnen. * Am dritten Tag nach seiner Rückkehr in die Apacheria wurde Cochise durch seinen Neffen über die Truppenbewegungen beim Paß informiert. Giannatah kam am Nachmittag. Cochise empfing ihn sofort. »Die Pferdesoldaten ritten am Morgen gegen Sonnenaufgang«, berichtete der Späher. »Du hast sie verfolgt?« »Ja.« »Wie lange?« »Bis Mittag, Jefe.« »Keine Anzeichen, daß sie zurückkehren werden?« »Keine.« »Nach Osten, sagst du?« »Zu den Jagdgründen der Mescaleros.« »Du hast die Spuren richtig gelesen?« »Bestimmt.« »Ist Hellauge Jeffords zurückgekehrt?« »Nein, Jefe.« »Ich danke dir, Giannatah. Geh in deinen Jacale und ruhe dich aus.« Grübelnd wanderte Cochise auf und ab. Er war allein. Das Kochfeuer knisterte. Cochise überdachte die mögliche Marschroute der Soldaten. Plötzlich begriff er, daß alles nur ein Trick war. Kein Truppenführer jagte seine Abteilung 200
Meilen durch Gebirge und Wüsten, um lediglich seine Macht zu demonstrieren. Cochise setzte sich, nahm einen trockenen Ast und ritzte die Landschaft in den festgetretenen Lehm, so wie er sie im Gedächtnis hatte. Zehn Meilen hinter dem Canyon de los Embudos schnitt eine kleine Schlucht das breite Wüstental und mündete in den Canyon der Seufzer. Angetrieben von dem Gedanken sprang Cochise spontan wieder hoch und nahm seine ruhelose Wanderung auf. Das Schluchtenlabyrinth stand plastisch vor seinen Augen. Was bezweckte der junge Offizier mit dieser Täuschung? War das alles nur ein Zufall? Kurz entschlossen verließ er sein Wickiup und schritt würdevoll zum Jacale der Krieger. Nur sein Bruder Naretana und dessen Söhne waren anwesend. Sie erhoben sich bei seinem Eintreten. »Morgen reiten wir noch einmal zum Paß«, sagte Cochise. »Ich muß wissen, ob der weiße Häuptling mit seinen Kriegern wieder zurückritt. Ihr sollt mich begleiten, Nahlekadeya und Nachise. Sie werden es nicht wagen, uns in Gegenwart einer Squaw und eines Jungen anzugreifen.« »Die Bleichgesichter kennen unsere Sitten nicht.« »Ich weiß, Naretana. Es wird sie jedoch von unserer Harmlosigkeit überzeugen.« »Kein Chiricahua ist für sie harmlos«, wandte Giannatah ein. »Das macht ihre Angst vor uns.« »Aus Angst könnten sie einen Fehler begehen und uns angreifen.« Cochise gab keine Erwiderung. Er blieb bei seinem Entschluß. Seine Squaw betrat die Hütte und setzte sich vor das Feuer. Sie beobachtete Cochise besorgt. »Du hat etwas vor, Jefe, was dir Kummer bereitet?« »Wir reiten morgen zum Paß.« »Wir?«
»Du, Nachise, Naretana und seine Söhne.« Ahnte Nahlekadeya die düsteren Wolken, die sich über dem Gebirgstal zusammenbrauten? Die Nacht verging. Cochise verzehrte sich in Ruhelosigkeit. Am Morgen trat Naiche ein. Er hielt seinen kleinen Bruder Nachise an der Hand. Naretana und seine Söhne folgten Naiche dichtauf. »Die Pferde stehen bereit.« Der Häuptling nickte, streifte seine Leggins über die Beine und vergewisserte sich, daß das lange Messer in der Scheide steckte. Hinter ihm verließ auch seine Sippe die Hütte. Als er sein Pony bestieg, warf er einen langen Blick in die Runde. Das Lager erwachte. Rauch stieg aus den Wickiups und verteilte sich. Naiche ritt mit den Kriegern am Schluß. Als sie die Pferde auf die Rampe lenkten, ging die Sonne auf. Ein strahlendes Lichtfeld schob sich über die Mesa. Um die Mittagszeit gelangten sie an den Canyon, den Miller und Bascom mit der Patrouille benutzt hatten. Von nun an ging es abwärts. Der Boden wurde eben, das harte Gestein von Sand bedeckt, der unter den Hufen knirschte. Eine Stunde später gelangten sie in den Canyon der Seufzer. Ein leichter Wind wehte von den Bergen und fächelte Mensch und Tier Kühlung zu. Naiche starrte auf Cochises breiten Rücken. Er war stolz auf seinen Vater. Noch stolzer war er, Chiricahua zu sein. Mehr und mehr wurde er sich der Größe und der würdevollen Erscheinung Cochises bewußt. Er nahm sich vor, so wie sein Vater zu werden. Als hätte der Jefe seine Gedanken erraten, wandte er den Kopf und sagte über die Schulter: »Naiche, du bist mit uns geritten, obwohl ich dich für die Bewachung des Lagers vorsah. Mißachtest du neuerdings meine Befehle?« »Nein, Jefe.«
»Weshalb bist du dann nicht in der Apacheria?« »Ich bin ein Krieger und habe Anspruch, meinem Vater zur Seite zu stehen, wenn er in den Kampf zieht.« »Wir gehen nicht in den Krieg.« »Den Weißen ist nicht zu trauen.« »Wer befiehlt im Lager?« »Chan-ank und Nahaye.« »Chan-ank sah siebzig Sommer, Naiche. Er ist alt. Nahaye, ›Gelbe Feder‹, trauert um seine Familie. Sie werden keine aufmerksamen Führer und Wächter sein.« »Sie sind alt, aber weise und erfahren.« »Das stimmt.« Cochises Stimme ließ Zweifel erkennen. »Vielleicht soll es so sein. Komm mit.« »Danke, Jefe. Mein Platz ist an deiner Seite. Wenn du es wünscht oder befiehlst, Jefe, reite ich zurück.« Der Häuptling schüttelte den Kopf und lächelte. Wie alle jungen Krieger, war auch Naiche kampfbegierig. Aber er, der Jefe, war nicht ausgezogen, um zu kämpfen. Der eintönige, schweigsame Ritt durch den knochentrockenen Canyon war zumindest für die Squaw und den Jungen anstrengend. Dennoch, keine Klage drang über ihre Lippen. Am Spätnachmittag sahen sie den Paß vor sich liegen. Cochise befahl abzusteigen und eine Rast einzulegen. Ein kleines Feuer war schnell entfacht. Sie brieten mitgenommenes Fleisch an einem Stock, den sie über die Flammen hielten. Dazu gab es trockene Maisfladen und Wasser. »Reiten wir heute abend noch zum Paß?« Cochise winkte ab. »Morgen nach Tagesanbruch, Sohn. Bei der hier oben herrschenden Finsternis wäre es zu gefährlich, sich der Station zu nähern.« Nach dem Abendessen wurde es schnell dunkel. Wie in diesen Breiten üblich, strich ein kalter Wind von den Bergen,
wirbelte Staub auf und trieb Tumbleweeds durch die Canyons. Die Krieger nahmen ihre dünnen Decken von den Pferden und breiteten sie aus. Ein aufmerksamer Beobachter hätte feststellen können, mit welch einer Disziplin die Indianer den Wachdienst übernahmen. Die Squaw, der Junge und der Häuptling wurden stillschweigend ausgeschlossen. Naiche, Yadalanh und Giannatah wechselten sich im Rhythmus von zwei Stunden im Wachdienst ab, ohne daß auch nur ein einziges Wort darüber gefallen wäre. Die Nacht verlief ruhig. Der frühe Morgen verlief genauso ungestört. Als die Sonne aufging, saßen sie schon um das Feuer und nahmen ihre erste Mahlzeit ein. Eine halbe Stunde danach brachen sie auf. Cochise fühlte sich sicher und schickte keinen Späher voraus, wie es sonst seine Art war. Während sie über die langgezogene Böschung auf die Paßstraße gelangten und zu den Quellen ritten, deutete nichts auf eine Gefahr hin. Sie erreichten die erste der drei Quellen. Cochise ließ kurz anhalten und die Wasserschläuche füllen. Gleich darauf ging der Ritt weiter. Die zweite Quelle kam in Sicht. Noch weitere 200 Yards, dann würde der Jefe die Bauwerke sehen. Er sah etwas anderes – zunächst. Gelbe Zelte standen in Reih und Glied auf dem Frachthof, und zwischen den luftigen Militärunterkünften brannten Kochfeuer und ließen grauen Rauch zum Himmel kräuseln. Cochise zügelte sein Pony und starrte auf das Lager. Er stellte fest, daß man ihn entdeckt hatte. Ein Posten lief zu einem abseits stehenden Zelt und verschwand. Kurz darauf tauchte er mit Lieutenant George N. Bascom auf. Langsam ritt Cochise weiter. Bascom kam ihm entgegen. Er bemerkte den bestürzten Ausdruck in Cochises Gesicht und grinste in sich hinein. Sein Trick war ihm gelungen. Der Häuptling wollte zu Jeffords, aber er, Bascom, wollte Cochise.
Ein kurzes Manöver, ein kleiner Ritt nach Osten, durch einen Seitencanyon den Weg zurück, und alles war in bester Ordnung. Bascom sah den Jungen, die Squaw, die vornehmen Krieger in Cochises Begleitung und dachte sich seinen Teil. Mit gespielt freundlichem Lächeln trat er auf den Häuptling zu, legte seine Hand auf den Pferdehals und sagte: »Steig ab, Jefe, du und deine Sippe sind mir willkommen.« »Ich will zu Hellauge Jeffords.« »Mr. Jeffords ist noch nicht aus Tombstone zurück.« »Wann erwartet ihr ihn?« »Morgen.« »Dann komme ich morgen wieder.« Cochise wollte sein Pferd herumziehen, sah Wallace, der aus dem Haus trat, und stieg ab. Er kannte James Wallace als Jeffords' rechte Hand und hatte Vertrauen zu ihm. Mit ausgestreckter Hand ging er auf James zu. Sie begrüßten sich wie zwei alte Freunde und redeten miteinander. Aus dem Hintergrund trat John Ward. Lieutenant Bascom warf ihm einen fragenden Blick zu, Ward zwinkerte. Bascom ging zu der Gruppe hinüber und fragte: »Darf ich den Häuptling in mein Zelt einladen? Ein kühler Trunk wird an diesem warmen Morgen bestimmt guttun.« Cochise drehte sich lächelnd um und gab mit einem Kopfnicken zu verstehen, dem Ruf des weißen Häuptlings zu folgen. Er winkte seine Squaw, den Jungen und die beiden Neffen sowie Naretana, seinen Bruder, herbei. Nur Naiche beachtete er nicht. Dadurch aufmerksam geworden, wich Naiche zurück und gelangte hinter die Krümmung. Er sprang vom Pferd und wartete. Im Zelt reichte Lieutenant Bascom Becher mit verdünntem Agavensaft herum. Während sie tranken, huschte Ward hinaus und befahl Bascoms Soldaten, das Zelt zu umstellen. Als die leeren Becher auf den Feldtisch gestellt wurden, kam
Bascom zur Sache. Er sagte: »Du hast die Santa Rita-Mine überfallen und Beute gemacht. Gib sie heraus! Außerdem hast du den Jungen des Ranchers Ward in deine Gewalt gebracht. Übergib ihn uns, und du bist frei.« »Frei?« »Ja, wenn du tust, was ich verlange.« »Ich weiß von keinem Jungen.« »Du hast ihn verschleppt.« »Ich habe auch keine Beute. In Santa Rita gab es keine Dinge, die Apachen gebrauchen können.« In Cochise wühlte bitterer Grimm. Er konnte nichts anderes denken, als daß Wallace ihn verraten und den Langmessern ausgeliefert hatte. Im stillen schwor er Wallace furchtbare Rache. »Gib den Jungen heraus und die Beute, dann kannst du gehen, wohin du willst!« »Du willst mich und meine Familie gefangen nehmen?« »Chiricahua-Häuptling, du bist gefangen.« Cochise legte seine Stirn in Falten. »Ich will mich bei den anderen Stämmen nach dem Jungen erkundigen, weißer Häuptling. Von der Beute kann ich dir nichts geben, weil ich keine habe.« Bascom, dem das Palaver zu lange dauerte, wurde ausfällig. »Du miese Rothaut, glaubst du, ich ließe mich von dir auf den Arm nehmen? Ihr bleibt gefangen, bis ich Wards Jungen und das Gold aus der Mine vor mir sehe.« Cochise wollte sich wuterfüllt auf den Weißen stürzen, hielt sich jedoch im letzten Moment zurück. Mit einem einzigen Satz stand er bei der Zeltwand, riß das Messer aus den Leggins und schlitzte mit einem wuchtigen Hieb die Plane auf. Dann hechtete er hinaus und verschwand geduckt und ungesehen von den Wachen zwischen Felsen. Seine Familie aber war gefangen.
* Wallace betrat den hinteren Teil der Schmiede. Er ahnte nicht, was sich im Zelt zugetragen hatte. Er traf Charles Culver und Jim Walsh, die sich über die Anwesenheit der Truppe unterhielten. In diesem Augenblick sahen sie Cochise durch die Zeltwand brechen. Culver wunderte sich über das Verhalten des Jefe. War es zum Streit zwischen ihm und dem Offizier gekommen? Die Männer unterhielten sich noch eine Weile über den Vorfall und ergingen sich in allerlei Mußmaßungen. Cochise gelang es, unbemerkt durch die Postenkette zu schleichen. Naiche wartete auf ihn hinter der Felsnase. »Verrat!« stieß Cochise zornbebend hervor. »Was ist geschehen? Wo sind …« »Gefangen. Reite wie der Wind, Naiche, und bringe mir zwanzig Krieger!« »Willst du die Soldaten angreifen, Jefe?« »Reite!« Cochises Stimme klang scharf und duldete keinen Widerspruch. Er beobachtete, wie Bascom vor das Zelt trat, die Wache wegschickte und sich sofort wieder zurückzog. Cochise kochte vor Wut. Seine Familie war gefangen. Naiche erwartete er mit den Kriegern gegen Abend, um dann seine Leute zu befreien. Die Verantwortlichen für diesen Schurkenstreich mußten bestraft werden. Von nun an gab es kein Vertrauen mehr zwischen ihm und den Weißen. Seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Verfolgten sie ihn? Mehr als 40 Uniformierte bestiegen ihre Pferde und ritten unter Hartfields Führung aus dem Lager, auf ein kleines Seitental zu. Die Zeit verrann. Die Sonne fiel nach Westen. Mit Rollen und quietschenden Federn kam die Nachmittagskutsche. Sie hielt hinter dem Tor. Die Reisenden stiegen aus. Walsh kam, schirrte die Pferde aus und brachte sie auf die Koppel hinter dem Stallgebäude.
Mit sechs Maultieren kam er zurück und stellte sie in die Sielen. Nach kaum zehn Minuten war die Concord schon wieder reisefertig. Jede Bewegung und alle Änderungen registrierte Cochise mit Argusaugen. Eine Stunde später fuhr die Kutsche in Richtung Tombstone ab. Die Geräusche verebbten auf der Paßstraße. Bascom ließ sich nicht sehen. Kurz nach Abfahrt der Stagecoach kamen fünf Soldaten und brachten die Gefangenen in das Haus. John Ward hielt sich im Zelt des Offiziers auf. Sein Gewissen plagte ihn. Er wußte nun, daß er einen großen Fehler gemacht hatte, die Chiricahuas als Kindesräuber hinzustellen. Reue half nichts. Das Unheil war nicht mehr aufzuhalten. Weder er noch Bascom ahnten, daß um diese Stunde ein großer Trupp Chiricahuas sich in einem Seitencanyon versteckte. Cochise besprach sich mit Naiche und einem Unterhäuptling. Bei Anbruch der Dämmerung ging er allein auf Umwegen zu den Gebäuden zurück und bat Wallace ins Freie. James Wallace kam ans Fenster, sah den Jefe und winkte. Ahnungslos kamen er, Charles Culver und Jim Walsh aus dem Haus, um den Chiricahua zu begrüßen. Wallace wußte, daß Jeffords und Cochise Freunde waren. Er befürchtete nichts, konnte aber nicht ahnen, daß ihn Cochise für den Rädelsführer hielt. In diesem Augenblick drangen Indianer von allen Seiten auf die Weißen ein und packten sie. Culver und Walsh gelang es, sich loszureißen und zum Haus zurückzueilen. Culver wurde von einem Chiricahua niedergeschossen, als er die Tür öffnen wollte. Zwei Posten rannten herbei, hoben ihre Gewehre und feuerten. Walsh brach zusammen. Der Soldat hatte ihn mit einem Indianer verwechselt. Wallaces Schreie hörte man noch lange. Bascom stürmte aus dem Zelt und organisierte mit den wenigen Soldaten die Abwehr. Doch es gab nichts abzuwehren.
Kein Apache griff an. Sein Blick wurde pures Gift, als er die Toten sah. Er hielt einen vorbeirennenden Soldaten an und fragte: »Was, zum Kuckuck, ist passiert?« »Sir, die Indianer raubten einen Postgehilfen. Wir konnten es nicht verhindern. Zwei weitere Männer aus dem Haus sind tot.« Bascom schickte den Mann fort und ließ sich von einem Corporal den genauen Hergang berichten. Der Mann zitterte vor überstandenem Schreck. Fluchend betrat Bascom sein Zelt. Wenn die Situation sich auch ungünstig gestaltet hatte, rechnete er nicht mit einem Angriff Cochises. Daß das Schicksal bereits anders entschieden hatte, konnte er nicht ahnen. Noch hätte verhindert werden können, daß sich die fatale Situation zu einem regelrechten Krieg entwickelte. Der Häuptling war fest entschlossen, die Freiheit seiner Familienangehörigen zurückzugewinnen und offenbar bereit, sich auf einen Handel einzulassen. Es kam anders. Ein Späher raste auf schäumendem Pony die Paßstraße herauf und warf sich vor Cochise aus dem Sattel. Er meldete die Ankunft eines Frachtwagenzuges aus Mexiko. Sein Weg führte durch den Camino del Diablo. »Wie viele Wagen hast du gezählt?« fragte Cochise den Späher. Der hob vier Finger. »Beladen?« »Schwer wie eine trächtige Büffelkuh.« »Bleichgesichter?« »Zwei.« »Und Gelbhäutige?« Acht zählte der Mann an den Fingern ab. Cochise entschloß sich schnell. Er befahl fünf Krieger zu dem Gefangenen und schickte sie in den versteckten Canyon.
Mit dem Rest der Chiricahuas brach er auf. Es begann der zweite große Grenzkrieg gegen Weiße und Mexikaner. Noch vor Anbruch der Dunkelheit sah Cochise die gelbe Staubwolke über dem Treck und griff an. Fahrer und Begleiter waren über den jähen Angriff so überrascht, daß sie kaum an Gegenwehr dachten. Sie wurden lebend überwältigt und niedergeschlagen. Die zwei Männer ließ Cochise fesseln und auf Pferde setzen. »Was geschieht mit den Gelbhäutigen?« fragte Naiche. »Bindet sie an die Wagenräder! Nehmt euch, was ihr haben wollt. Danach steckt die Fahrzeuge in Brand.« Die Plünderung dauerte eine halbe Stunde, während der die Glieder der Mexikaner vor Angst schlotterten. Die beiden Gefangenen verfolgten das Schauspiel voller Entsetzen. Als die Murphys leer waren, gab Cochise den Befehl, die Wagen zu verbrennen. Unter den entsetzten Schreien der gefesselten Mexikaner zündeten die Apachen die Planen an und legten brennendes Holz in die Fahrzeuge. Nach wenigen Minuten schossen Rauchwolken und Flammen in den Abendhimmel und verdunkelten den Canyon. Die Krieger störten sich nicht an den Angstschreien der Mexikaner, schwangen sich auf ihre Mustangs und führten die hochbepackten Zugpferde mit. In einer langen Kette, die Karawane in der Mitte, näherten sich die Chiricahuas wieder dem Paß. Cochise ließ Beute und Pferde in die geheime Schlucht bringen. Persönlich holte er Wallace heraus. Für das Flehen und Betteln des Mannes hatte er kein Gehör. An einer langen Leine schleppte er den Gefesselten hinter sich her. Bis auf Rufweite näherte er sich dem Soldatenlager vor der Poststation. Bascom trat vor die Front; formte die Hände zu Muscheln und rief: »Was willst du, Rothaut?« »Meine Familie im Austausch gegen diesen Weißen!« Er zeigte mit dem Finger auf Wallace. »Kommt nicht in Frage.«
»Ich werde ihn martern lassen!« schrie er laut. Wallace flehte und bettelte, aber ohne darauf zu hören, lehnte Bascom den Tauschhandel ab. Da gelangte Cochise zu der Überzeugung, daß jedes weitere Verhandeln fruchtlos gewesen wäre, und zerrte Wallace außer Sichtweite, um auf seine Art Gerechtigkeit walten zu lassen. Noch hätte verhindert werden können, daß sich die Situation zu einem regelrechten Krieg entwickelte. Cochise war fest entschlossen, die Freiheit seiner Familie zu erzwingen, notfalls mit Gewalt. Er schleppte Wallace, der in Todesängsten schwebte und um seine Freilassung bettelte, in den Seitencanyon und überließ ihn den Kriegern. Alle gefangenen drei Amerikaner wurden von ihren Fesseln befreit. Dann begann ein so grausames Spiel, daß einem weißen Zuschauer die Haare zu Berge gestanden hätten. Fünf Apachen bestiegen ihre Ponys und ritten mit geneigten Lanzen auf die Deliquenten los. Sie brachten die Davonrennenden nicht etwa um, sondern verletzten sie mit den Lanzenspitzen an Stellen, die nicht tödlich waren. Angst- und Schmerzensschreie hallten durch die Schlucht. Unter den Anfeuerungsrufen und dem Johlen der Krieger ritten die Krieger immer wieder die Schmerzgepeinigten an. Die suchten ihr Heil in kopfloser Flucht. Es half ihnen nichts, die Pferde waren schneller. Eine Stunde lang dauerte die Hetzjagd. Die Weißen fielen auf die Knie und bettelten mit erhobenen Händen um Gnade. Cochise setzte schließlich den Schlußpunkt. Er hob den rechten Arm und rief den Kriegern ein paar Worte zu. Sie setzten zum letzten Ritt an und töteten die Gemarterten. Dieser Vorfall war der Auftakt zu einem neuen Indianerkrieg, dem grausamsten und blutigsten, den die Grenze je erlebt hatte. *
Zwei Tage später schickte Lieutenant Bascom eine Patrouille in das Vorland, die feststellen sollte, wo sich die Chiricahuas aufhielten. Die Gefangenen waren noch im Haupthaus und in einem Zimmer eingeschlossen. Dreimal am Tag durften sie heraus und sich unter strenger Bewachung ergehen. Am nächsten Tag kam Thomas Jeffords mit seinen beiden Revolvermännern zurück. Voller Entsetzen vernahm er, was sich in der Zwischenzeit abgespielt hatte. Als schließlich am späten Abend die Patrouille ins Lager einritt und danach bekannt wurde, was in jenem Seitencanyon und im Camino del Diablo passiert war, ging das Grauen in der Station am Apache-Paß um. Bascom bat Jeffords zu sich. Anwesend waren noch John Ward und Sergeant Hurt Hartfield. Bascom empfing den Stationsleiter mit den Worten: »Haben Sie schon gehört, Mr. Jeffords? Cochise folterte drei Weiße zu Tode und verbrannte acht Mexikaner bei lebendigem Leib.« »Daran tragen Sie die Schuld, Lieutenant. Hätten Sie mit Ihren dämlichen Maßnahmen gewartet, bis ich zurück war, wäre das alles nicht geschehen. Beten Sie, daß Sie mit einem blauen Augen davonkommen.« Ward schaltete sich ein: »Ich kann keine …« »Sie schweigen!« fuhr Jeffords ihn an. »Sie dürfen sich getrost die andere Hälfte der Schuld anlasten. Ihre Falschaussage hat erst dazu geführt, daß Colonel Brigham die Truppe unter einem unerfahrenen Offizier losschickte.« Bascom wurde bei dieser Anschuldigung wild. Er verwies ihn des Zeltes. Thomas Jeffords ging. Unmittelbar darauf rannte Bascom nach draußen und schrie nach dem Corporal der Wache. »Holen Sie sofort zehn Mann mit aufgepflanztem Bajonett, Corporal!« Corporal Fellmer blieb stehen. In seine Augen glitzerte es.
»Jawohl, Sir.« »Na los, worauf warten Sie?« »Die Leute … Ich meine, meine Kameraden sind verbittert darüber, daß die Indianer gefangengenommen wurden. Wir alle befürchten neue Kämpfe mit den Apachen, und das ist…« »Schnauze!« brüllte Bascom mit rotem Kopf. »Wegtreten! Hartfield soll ein paar derbe Stricke mitbringen. Haben Sie verstanden?« Corporal Fellmer nickte, schluckte den schweren Kloß herunter, der ihm im Hals drückte. Mit einer Kehrtwendung hastete er davon. Sergeant Hartfield kam nach fünf Minuten und brachte zehn Soldaten mit, die ihre Seitengewehre auf die Läufe gepflanzt hatten. Hurt Hartfield trug Stricke über dem Arm. »Holen Sie die Gefangenen aus dem Haus!« schnarrte George N. Bascom. »Was haben Sie vor, Sir?« »Sie werden gehängt.« »Allmächtiger!« »Hartfield, halten Sie Ihren Mund! Hier gebe ich das Kommando. Und ich gab eins. Holen Sie die roten Bastarde!« »Sir, Sie können die Leute nicht aufhängen.« »Und warum nicht?« »Weil sie Indianer sind, zu Cochises Sippe gehören und von ihm furchtbar gerächt werden.« »Reden Sie keinen Unsinn, Mann. Wenn der Häuptling erfährt, daß seine Verwandten gehängt wurden, wird er klein beigeben und zu Kreuze kriechen. Los jetzt, raus mit den roten Bastarden!« Hartfield winkte seiner Gruppe und ging zum Haus hinüber. Alle im Camp starrten ihm atemlos nach. Keiner der Soldaten hatte ein gutes Gefühl bei dieser Aktion. Hurt klopfte. Thomas Jeffords öffnete und zog die Augenbrauen hoch, als er die bewaffneten Soldaten sah.
»Sergeant, welche Dummheit begeht dieser Trottel von Offizier jetzt?« »Ich soll die Indianer ins Freie führen, Mr. Jeffords. Er will sie aufhängen lassen.« »Sind Sie des Teufels?« »Ich nicht, dieser Trottel von Lieutenant.« Der Postmeister stellte sich breit in den Türrahmen und versperrte Hartfield den Zugang. »Richten Sie ihm aus, daß ich mich weigere, die Gefangenen herauszugeben. Gehen Sie! Sagen Sie es ihm!« »Sagen Sie es ihm selbst«, murrte der Sergeant. »Ich verlasse das Haus erst wieder, wenn er zusichert, sich nicht an Cochises Verwandtschaft zu vergreifen. Gehen Sie, Mann, und reden Sie mit ihm!« Hartfield ging wieder zum Zelt. Kurz darauf hörte man den Lieutenant brüllen. Er stürmte ins Freie und legte die 100 Yards bis zum Haus im Laufschritt zurück. »Sind Sie wahnsinnig geworden, mir die Gefangenen zu verweigern? Was bilden Sie sich eigentlich ein, Sie komischer Zivilist?« Jeffords warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Mäßigen Sie sich, Lieutenant.« »Ich mache das, wie ich will. Heraus mit den Rothäuten!« Thomas Jeffords kam mit angewinkelten Armen und geballten Händen die Steinstufen herunter und baute sich vor Bascom auf. »Vergessen Sie, daß Sie sich auf fremden Grund und Boden aufhalten, Lieutenant? Ich kann Sie jederzeit und in Vollmacht der Butterfield Overland von diesem Land weisen.« »So, können Sie?« höhnte der Offizier. »Mit wem denn? Es würde mich interessieren, mit welchen Männern Sie das anfangen wollen.« »Mit uns«, bemerkte Larry Osborne schleppend. »Mit mir und mit dem da.« Er deutete auf den schwarzhaarigen Buck.
Hinter den beiden tauchten zwei weitere Männer auf und machten grimmige Gesichter. Burt Kennedy und Norbert Walker drängten sich durch die Tür und blieben hinter Jeffords stehen. »Soll ich dem Grünschnabel von Offizier heimleuchten, Thomas?« Jeffords wandte sich um. »Nein. Noch nicht. Jungs, bewaffnet euch. Wenn dieser Geistertänzer seine Leute auf das Haus hetzt, erhält er einen Privatkrieg, daß ihm Hören und Sehen vergeht.« »Mit Freuden, Thomas«, sagte Kennedy. »Eine Kostprobe gefällig, Greenhorn?« fragte Walker. Larry rief vom Treppenabsatz: »Geh doch mal 'n bißchen zur Seite, Thommy. Ich will diesem Angeber von Blaubauch 'ne blaue Bohne zu schmecken geben.« Jeffords hob die Rechte. »Schluß jetzt mit dem Unfug! Sie erhalten keinen Eintritt, Lieutenant. Wenn Sie ihn erzwingen wollen, erschießen wir die Hälfte Ihrer Leute, bevor Sie auch nur Hand an die Indianer legen können.« »Das melde ich General Howard.« Bascom zitterte vor Wut und Scham. »Melden Sie, was Sie wollen, aber verschwinden Sie.« Bascom warf einen hilflosen Blick auf Hartfield. »Ich komme wieder«, sagte Bascom halsstarrig. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, entgegnete Jeffords, drehte sich um und ging mit Kennedy und Walker auf das Haus zu. Bascom rannte ihnen nach. Wild mit den Händen fuchtelnd, schrie er: »Wissen Sie überhaupt, was Cochise mit Mr. Wallace, Ihrem Postgehilfen, gemacht hat?« Jeffords blieb stehen. »Was soll ich denn wissen?« »Cochise hat Ihre Leute zu Tode martern lassen.«
»Meine Leute?« echote Jeffords gedehnt. »Nun ja, Wallace und zwei weitere Weiße. Ich kenne sie nicht und nehme an, daß sie zu Ihrem Team gehören.« Jeffords schüttelte den Kopf. »Zwei meiner Männer sind in dem unseligen Kampf, den Sie heraufbeschworen und zu verantworten haben, gefallen. Wallace ist in seine Hände geraten. Ich glaube nicht, daß der Jefe diesen harmlosen Mann ein Leid zufügen wird.« »Er ist tot«, sagte Bascom triumphierend. »Er und zwei weitere Weiße wurden so lange gemartert, bis der Tod eintrat. Sie können Sie besichtigen, Jeffords.« »Für Sie bin ich immer hoch Mr. Jeffords. Verstanden?« »Meinetwegen. Reiten Sie zum Winkelcanyon, es ist ja nicht weit. Cochise ist fort, aber er hinterließ Ihnen ein freundschaftliches Andenken, an das Sie noch lange denken werden.« Jeffords gab seinen Freunden Verhaltensmaßregeln, ließ sich von Kennedy ein Pferd bringen und preschte los. Nach zwei Stunden kehrte er zurück. Er kam mit gesenktem Kopf durch das Tor geritten und ließ sich vor dem Haus aus dem Sattel gleiten. Burt kam vom Stall herüber, nahm das Pferd beim Zügel. »Hat er gelogen, Thomas? Nicht wahr, das Miststück log?« »Er sagte die Wahrheit«, murmelte Jeffords. »Weißt du, was das bedeutet, Burt? Von nun an sind wir keine Stunde mehr hier oben sicher.« * Cochise traf mit seinen Apachen in der Gebirgsfeste ein und ließ die Beute aus dem verbrannten Frachtzug unter den Sippen verteilen. Auf dem Ritt in die Apacheria hatte er außerdem eine Ranch zerstört, eine Mine hochgenommen und eine Postkutsche der Butterfield verbrannt. An Thomas Jeffords
hatte er dabei nicht gedacht. Sofort nach seiner Ankunft schickte er einen Reiter zu dem Mimbrenjo-Häuptling Victorio im San Carlos-Reservat und zwei Späher zum Paß hinauf. Sie sollten auskundschaften und ihm berichten. Daß die Bergfestung inzwischen von sieben Paar Augen beobachtet wurde, ahnte der Jefe nicht. Miller und seine Scouts lagerten auf der gegenüberliegenden Seite des Canyons in einem Labyrinth von Klippen und warteten auf ihre Chance. Im Canyon herrschte eine erdrückende Stille. Es hatte den Anschein, als wäre etwas passiert. Späher kamen und gingen. Kundschafter aus weit entfernten Regionen ritten in das Lager, um am selben Tag wieder zu verschwinden. Die Scouts versuchten vergeblich, ein paar Worte zu erlauschen. Nach unten konnten sie nicht. Sie wären sofort getötet worden. Also waren sie auf ihre Augen und Ohren angewiesen. Am dritten Tag entstand urplötzlich eine bemerkenswerte Unruhe unter den Kriegern. Ein Späher kam ins Tal und eilte in die Häuptlingshütte. Gleich danach kam Cochise heraus und lief zur Rampe. Er beschattete mit einer Hand die Augen und starrte zum Canyonrand hinauf. Die Scouts murmelten bewundernd, als die hochgewachsene Gestalt in der traditionsreichen Wüstenkleidung sahen. Cochise! Ein Fürst unter seinem Volk, ein König der Wüsten- und Gebirgsbewohner. Von irgendwoher drang ein schriller Schrei. Miller wandte sich an einen der Scouts und fragte: »Was ist los?« »Jemand kommt.« »Wer?« »Weiß nicht.« Millers Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Drei Reiter näherten sich der Rampe. Sie ritten über die Mesa und hielten
genau an der Stelle, wo sich die Rampe nach unten neigte. Curt Miller zuckte zusammen. Er erkannte Nachise, den Jungen, eine Squaw und einen Späher, den er am Vormittag beobachtet hatte. Sein Blick schweifte wieder in die Tiefe. Naiche kam aus einem Wickiup, gesellte sich zu seinem Vater und blickte ebenfalls nach oben. Mehr als ein Dutzend Krieger stellte sich dazu und brüllte im Chor. Curt begriff, was sich abspielte. Sein Blick hing verzückt an der majestätischen Gestalt Cochises. Die drei Reiter ritten über die Rampe nach unten. Cochise und Naiche gingen ihnen entgegen. Die Krieger blieben ehrfürchtig zurück. Dies war eine Familienangelegenheit. Das Pony mit der jungen Squaw blieb vor Cochises ausgebreiteten Armen stehen. Er nahm die schlanke Frau in seine Arme und hob sie vom Pferd. In diesem Moment bekam Miller die ersten Gewissensbisse. Das Idyll im Tal erregte ihn. Es zu zerstören kam ihm wie eine Gotteslästerung vor. Nicht genug, daß Bascoms Verhalten eine neue, gefährliche Krise mit den Apachen heraufbeschworen hatte, beging er den zweiten Fehler seiner Offizierslaufbahn, der auch sein letzter war. Bascom gab einem Corporal Befehl, fünf Pferde bereitzustellen. Einem zweiten Unteroffizier befahl er, sich mit zehn Soldaten draußen am Paß zu verbergen und fliehende Apachen festzunehmen. Nichts ahnend machten sich die beiden Unteroffiziere an die Arbeit. Der Lieutenant trat schließlich vor das Haus und rief Thomas Jeffords. Der schloß die Tür auf und trat auf das Podest. »Sie wünschen?« »Ich habe mich entschlossen, Ihrem Rat zu folgen und die Rothäute freizulassen.« »Ihr Entschluß kommt mir etwas zu plötzlich, Bascom.« »Er ist das Produkt eines nachdenklichen Tages und der
Vernunft. Die Roten mögen ziehen, wohin sie wollen.« Jeffords überlegte nicht lange. Dem Wort eines Offiziers mußte er Glauben schenken. Er ging ins Haus zurück und besprach sich mit Larry und Buck. Tinatra Buck sagte: »Laß sie ziehen, Thomas, es ist die bessere Lösung. Wir sind die Verantwortung los und brauchen nicht die Rache des Häuptlings zu befürchten.« »Und wenn er ihnen ein Leid antut?« Larry knirschte mit den Zähnen. »Dann hole ich ihn vor meinen Revolver. Basta! Ja, laß sie gehen.« Nach kurzem Überlegen entschloß sich Jeffords, die Gefangenen an die Armee zu übergeben. Er befahl den beiden Hands, die Indianer aus ihrem Zimmer zu holen. Im Korridor erwartete Jeffords sie. Er ignorierte die haßerfüllten Blicke der Krieger und wandte sich an die Squaw: »Draußen stehen Pferde bereit. Ihr könnt in Cochises Lager reiten. Nichts wird euch passieren. Ich bin ein Freund des Häuptlings, sage es ihm.« Naretana spuckte aus. Seine Söhne trugen eine undurchdringliche Miene zur Schau und äußerten sich mit keinem Wort. Nahlekadeya prüfte die hellen Augen Jeffords auf den Wahrheitsgehalt seiner Worte. Sie konnte keine Hinterlist und keinen Falsch feststellen. Sie nickte und sagte im schlechten Englisch: »Cochise wird es dir danken, weißer Mann.« Nachise beachtete Jeffords nicht. Er drängte nach draußen und schien froh zu sein, der Enge des Zimmers zu entrinnen. Als Jeffords die Tür öffnete, sahen sie die bereitgestellten Pferde. Die fünf Tiere wurden von einem einzigen Soldaten gehalten. Weit und breit war keine Gefahr zu erkennen. Bascom trat aus seinem Zelt. Ihm mißfiel es, daß Jeffords die zwei Revolvermänner mitgebracht hatte. Vor nichts hatte er Furcht. Aber wenn er die Coltschwinger sah, bekam er
jedesmal eine Gänsehaut. »Ich übergebe Ihnen die Gefangenen, Lieutenant Bascom«, sagte Jeffords. »Wehe Ihnen, wenn ihnen ein Leid geschieht.« Larry drängte sich an Thomas vorbei und blieb vor dem Offizier stehen. »Ich traue Ihnen nicht über den Weg, Lieutenant, und ich warne Sie. Falls einem von ihnen auch nur ein Haar gekrümmt wird, werden Sie es mit mir ausschießen müssen. Beherzigen Sie meinen Rat, und lassen Sie die Apachen ziehen.« Bascom wandte sich verächtlich ab und gab Befehl, die Pferde zu bringen. Die Gefangenen stiegen auf und ritten grußlos davon. Hinter der Kehre lag die Paßstraße nach Südwesten vor ihnen. Nichts war zu sehen. Sie wollten schon erleichtert aufatmen, als berittene Soldaten mit blitzenden Säbeln auf sie eindrangen und die Gruppe umringten. Trotz der Proteste der Indianer wurden sie in den Seitencanyon abgedrängt. Es war derselbe Canyon, der die Todesschreie der drei Weißen gehört hatte. Unter einer Korkeiche ließ der Corporal anhalten. Hallaran war die Exekution an den wehrlosen Indianern zuwider, aber er mußte dem Befehl seines Truppenführers folgen. Soldaten warfen den männlichen Apachen Schlingen um die Hälse. Die losen Enden der Stricke schleuderten sie über einen starken Ast und verknüpften sie am Stamm. Alles ging schnell und wie einstudiert. Nach einem kräftigen Hieb auf die Kruppen stoben die Pferde angstwiehemd davon. Drei Körper schwebten frei in der Luft, pendelten sekundenlang und streckten sich. Naretana, Cochises Bruder, und seine Söhne Yadalanh und Giannatah waren tot. Nahlekadeya und Nachise wandten keinen Blick von den Gehängten. Ein dunkler Schatten legte sich wie die Hand des Todes über das Tal. Die Frau und der Junge standen mit ausdruckslosen Mienen vor dem Galgenbaum, umringt von
schweigenden Soldaten. Corporal Hallaran schüttelte sich vor plötzlichem Ekel. Es war schlimm, als Weißer in diesem grausamen Land leben zu müssen. Noch viel schlimmer aber war es, Soldat zu sein und Befehlen gehorchen zu müssen, deren Ausführung einen aufrechten Mann mit Widerwillen erfüllte. Er trat vor die Frau hin. »Du kannst mit dem Jungen reiten«, sagte er. »Nichts wird mehr geschehen.«(*5) Er wandte sich um und gab den Befehl zum Aufsitzen. * Cochise stand starr. Den Blick nach Nordwesten gerichtet, schien ihn die Bluttat an seinen männlichen Verwandten zu lähmen. Keiner der Krieger sagte ein Wort. Das Schweigen wirkte bedrückend. In dieser Situation wurde in ihm der Gedanke an Rache geboren. An eine furchtbare und blutige Vergeltung, die sich über alle Weißen in seinem Land wie eine Sturmflut ergießen sollte. Der Stationsleiter kam ihm in den Sinn. Er fragte Nahlekadeya nach Hellauge Jeffords. Sie erzählte ihm, wie es gewesen war. »Er handelte im guten Glauben und kann nichts dafür. Dieser Mann nannte dich seinen Freund. Er ist edel und gut, Cochise.« Cochise und die Squaw zogen sich in ihre Hütte zurück. Am Feuer ließ der Jefe sich den Lynchmord bis ins letzte Detail erklären. Danach gab er sich brütenden Gedanken hin, die nichts Gutes verrieten. In einem Versteck auf der Mesa lauerte inzwischen die nächste Gefahr. Ahnungslos gab sich Cochise der Stille seines Wickiups hin. Ein Krieg gegen die Weißen hätte den Untergang der Apachen bedeutet. Ein ständiges Nachgeben mit der Aussicht auf einen Platz in der Reservation wäre ebenfalls ein Todesurteil gewesen. Chiricahuas brauchten die Wüste und
die Berge, Luft zum Atmen und den bitteren Rauch der Mesquitefeuer. Sie mußten den Adler und den Bussard beobachten, den Hirsch jagen und das Raunen der Quellen vernehmen. Chiricahuas war der Wind heilig, die ziehenden Wolken, der Schnee auf den Gipfeln der Berge. Cochise verhüllte sein Haupt mit einer Santillodecke und schloß die Augen. Sein jüngster Sohn stieß bei der Quelle auf seine gleichaltrigen Spielgefährten, während der Jefe mit seinem Gewissen rang. Sie setzten sich gemeinsam an den Beckenrand und lauschten Nachises Erzählung. Der Sohn des Häuptlings hatte ein echtes Abenteuer erlebt, war gefangen gewesen und wieder freigelassen worden. Und das machte ihn bei den Jungen zum Helden. Es dunkelte bereits. Die Schatten wurden länger. Ein seltsames Zwielicht lag über dem Canyon und ließ Konturen verschwimmen. Unbemerkt von den Spähern krochen die Scouts bis zu jener Stelle, die oberhalb der Quellen lag. Miller suchte nach einer Möglichkeit, wie er sich des Jungen bemächtigen konnte. Zeit und Dämmerung waren günstig. Ihm konnte es nicht gelingen, ungesehen in den Canyon zu gelangen. Aber den Scouts. Ein amerikanischer General hatte irgendwann behauptet, Apachen wären nur durch Apachen zu besiegen. Er besprach sich mit den Scouts. Ihre bedenklichen Mienen sagte ihm genug. Bei der Quelle waren keine Krieger zu sehen. Sie hielten sich in der Nähe ihrer Wickiups auf. Die Scouts mußten nur schnell nach unten huschen, den Jungen packen, ihn und die anderen Bengels am Schreien hindern, über die Rampe zurückkehren und … Miller grübelte. Er suchte nach einen gangbaren und ungefährlicheren Weg. Es konnte klappen, wenn die anderen Indianerjungens nicht in der Nähe gewesen wären. Der Zufall half ihm. Zwei von ihnen entfernten sich in Richtung des
Lagers. Nur einer blieb bei Nachise. Die beiden redeten miteinander. Das war Millers Chance. Eine Sekunde später war er allein. Er starrte sich die Augen aus dem Kopf, sah aber nichts mehr von den Apachen-Scouts. Minuten vergingen. Er befürchtete schon, daß Nachise ebenfalls zum Lager gehen wollte. Ein verhaltener Schrei in der Tiefe ließ ihn zusammenzucken. Er spähte über den Rand. Seine Scouts huschten schon wieder über die Rampe nach oben. Zwei von ihnen trugen den erschlafften Jungen. Es war geglückt. Curt Miller atmete auf. Trotzdem fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut. Ein zweiter Schrei bei der Quelle riß ihn hoch. Der Schrei wiederholte sich, gellend und weithin hallend. Krieger setzten sich in Bewegung. Auf der anderen Seite des Tales erschien ein berittener Wachtposten. Der Späher starrte in die Tiefe, konnte aber aus seiner Position die Scouts nicht sehen. Noch blieb Curt Miller fest an den Boden gepreßt liegen. Er beobachtete und beschränkte sich darauf, unentdeckt zu bleiben. Cochise und Naiche kamen aus ihren Behausungen. Sie ließen sich die Ursache des Gebrülls erklären. Mit anderen Kriegern rannten sie zur Quelle. Miller beobachtete mit klopfendem Herzen jede Phase im Canyon. Noch waren die Scouts nicht außer Gefahr. Als Cochise die flüchtenden Apachen-Scouts hoch oben auf der Rampe sah, stieß er einen schrillen Warnruf aus. Der pflanzte sich über die Mesa fort und wurde beantwortet. Miller war es mulmig zumute. Er sah Krieger herbeieilen, beritten und zu Fuß. Krieger, die hier oben im Verborgenen Wache hielten. Bevor die Scouts mit dem sich wehrenden Jungen die Höhe erreichten, standen mehr als fünf Chiricahuas mit angeschlagenen Waffen bereit.
Aus dem Tal drängten die ersten Krieger auf die Rampe, unter ihnen Cochise und Naiche. Die Scouts blieben mit dem zappelnden Jungen in den Armen stehen. Sie konnten weder nach oben noch nach unten. Sie waren gefangen. Miller ahnte, daß sein Unternehmen fehlgeschlagen war. Mit der Ahnung kam das Grauen und die Angst. Er kroch zurück, richtete sich auf, als er sich weit genug vom Schluchtrand entfernt hatte. In einer Anhäufung von Felsen verhielt er, um sich zu orientieren. Den Scouts konnte er nicht mehr helfen, nur noch seine eigene Haut retten. Dämmerung und Schatten machten das Land unübersehbar. Curt glaubte sich bereits in Sicherheit, als zwei graue Gestalten mit blitzenden Kriegsbeilen vor ihm auftauchten. Er schrak zurück wollte seinen Colt aus der Tasche reißen und fliehen, kam aber nicht mehr dazu. Etwas Stumpfes, Schweres traf ihn am Kopf und ließ ihn zusammenbrechen. Die beiden Chiricahuas hoben ihn mit Triumpfgeschrei hoch und trugen ihn über die Felsbrücke. Nachise war frei, die sechs Scouts befanden sich in den Händen der Chiricahua-Apachen. Man schleppte die Gefangenen zum Lager und warf sie fest verschnürt beim Beratungsfeuer zu Boden. Cochise und Naiche traten vor Miller hin. Sie musterten ihren Gefangenen, der gerade erwachte. Naiche fragte: »Was machen wir mit ihnen?« »Sie werden büßen, alle. Rammt die Pfähle ein!« Cochises Sohn gab den Befehl weiter. Sieben rindenfreie Pfähle wurden in das Erdreich gerammt. Das Ratsfeuer wurde neu genährt. Flammenschein beleuchtete die Wände und die schauerliche Szenerie. Die Gefangenen schwiegen. Es gab angesichts ihrer hoffnungslosen Lage nichts mehr zu sagen. Miller verfluchte seinen Leichtsinn, Brevet-General Wests Vorschlag gefolgt zu sein. Er dachte an Thomas Jeffords und John Haggerty, an die vielen Freunde, die ihm nicht mehr
helfen konnten. Und er dachte an die rothaarige Lily in Santa Magdalena. Aus! Trommelschläge. Krieger begannen den Martertanz. Mit zuckenden und stampfenden Bewegungen umkreisten sie die Pfähle, an die die Gefangenen festgebunden worden waren. Baumtrommeln fielen ein, schließlich noch zwei oder drei Hirtenflöten. Der Lärm wurde markerschütternd, zu einem dämonischen Hexensabbat, angeleuchtet von den blutroten Flammen. Mehr und mehr Chiricahuas gesellten sich der tanzenden Gruppe zu. Ihr Stoßen, Stampfen und Rütteln war zwar grotesk für einen Betrachter. Auf einen Zuruf Cochises trat abrupt Stille ein. Die braunen Wasserspeiergesichter der Krieger wandten sich ihm zu. Der Häuptling stand beim Feuer, die Arme zum dunklen Himmel erhoben, die Augen auf die ersten Gestirne gerichtet, das Gesicht dem Wind zugewandt. Mit hallender Stimme sprach er zu den Kriegern: »Wir hatten den Weißen Freundschaft angeboten. Wir waren bereit, sie in unserem Land zu dulden, von ihnen zu lernen, wie sie auch von uns lernen konnten. Die Weißen brachen das Abkommen. Sie töteten Krieger meiner Sippe, hängten sie auf wie gemeine Verbrecher.« Er machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. »Nicht genug damit, sie wollten meinen Sohn Nachise rauben, um die Chiricahuas zu erpressen. Die Weißen sind in ihrem Tun verwerflich, gemein und hinterhältig. Ihre Anwesenheit in unserem Land schadet den Chiricahuas. Deswegen tötet sie, rottet sie aus, wie sie uns ausrotten wollen. Zastee!« »Zastee!« schrie der Chor der Apachen. Cochise ging zu Miller. Man hatte den Scout mit den Füßen an den Stamm gefesselt und seine Hände nach hinten gebunden. Gelassen blickte er Cochise entgegen. Der Jefe blieb
vor ihm stehen, betrachtete ihn wie etwas Widerwärtiges. »Du und die Verräter an deiner Seite werden sterben«, verkündete er. »Von nun an herrscht wieder Krieg zwischen den weißen Männern und den Apachen. Ihr alle werdet durch die Hand der Chiricahuas den Tod finden.« Miller konterte: »Wir sind alle sterblich, die Weißen wie die Roten.« Cochise spuckte ihm ins Gesicht. Wütend zischte er: »Weißer Hund!« Curt wußte, daß es für ihn keinen Ausweg mehr gab. Dieser Hochgebirgscanyon war für ihn die Endstation seines Lebens. Er brauchte auf keinen mehr Rücksicht zu nehmen, nicht mal auf sein Leben. Er spuckte zurück. »Deine Worte sind Labsal für meine Seele, roter Bastard. Wenn du glaubst, daß ich um mein Leben winseln werde, hast du dich getäuscht. Fangt endlich mit der Marter an.« Gelassen wischte sich Cochise den Speichel aus dem Gesicht, hob die Hand und schrie: »Zastee! Tötet sie! Den weißen Hund zuletzt!« Sechs indianische Scouts stimmten den Totengesang an. Sie wiegten die Köpfe im Takt ihrer dumpfen Stimmen. Rauch stieg von den Feuern auf, verdeckte das Licht der Sterne. Messer flogen auf die Gefangenen zu. Die Szene wirkte wie eine Orgie der Hölle. Rotes Licht, Rauch, wirbelnde Gestalten, Wickiups wie Elefantenrücken im Hintergrund – das Inferno hätte nicht schlimmer sein können. Die Scouts litten unter unsagbaren Schmerzen, hielten trotzdem die Köpfe erhoben und sangen. Schließlich machte sich doch der Blutverlust bemerkbar. Der Gesang wurde leiser, verstummte. Cochise gab ein weiteres Zeichen. Junge Krieger mit Pfeil und Bogen traten an. Sie spannten die kurzen Kriegsbogen aus dem Holz des Maulbeerbaumes. Sechs Pfeile zischten, löschten gleichzeitig sechs Leben aus. Cochise trat noch einmal vor Miller hin. Lange starrten sie
sich in die Augen. Cochise fragte: »Warum?« »Befehl, Jefe. Die Weißen handeln auf Befehl.« »Der einarmige General?« »General Howard ist dein Freund, Jefe. Nein, nein, ein anderer weißer Häuptling.« »Sag mir seinen Namen.« »Du kennst ihn doch nicht. Brevet-General West, Joseph West.« »Mangas Coloradas Mörder. Ihn kenne ich nur zu gut.« Cochises Hand machte eine kreisende Bewegung. »Die roten Verräter sind tot. Auch dein Leben wird am Marterpfahl enden. Die Ehre, um dein Leben zu kämpfen, gewähre ich dir nicht. Du bist nicht der ›Falke‹. Stirb mit Haß, Bleichgesicht. Du sollst winseln und um Gnade betteln, aber keine Gnade finden. Haß sollst du am Ende verspüren, um so besser wirst du meinem Volk in den Ewigen Jagdgründen dienen.« Der Häuptling trat zurück. Als das erste Messer Millers Oberarm traf, dachte er an Lily. Beim zweiten Treffer sah er sie vor sich. Ihre grünen Augen blickten ihn traurig an. Bei jedem weiteren Treffer zog eine andere Gestalt aus einem Lebenskreis kaleidoskopartig an ihm vorbei. Er schrie, stöhnte und jammerte nicht. Nur seine Gedanken rasten. Er hatte falsch gehandelt. Statt Geld erhielt er einen Pfeil als Lohn. Ohne Ehren und Auszeichnungen ging er als Kidnapper in die Geschichte ein. Curt Miller, Scout der Siebenten, büßte still und ergeben. Langsam sank sein Kopf auf die Brust. Curt Miller war tot.
ENDE