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G. F. UNGER Ein Begriff für Western-Kenner G. F. UNGER ist der erfolgreichste WesternSchriftsteller deutscher Sprache. BASTEILÜBBE veröffentlicht in dieser Reihe exklusiv seine neuesten Romane.
Die Zaubersharps Tom Harper hat eine Idee im Kopf, und er ruht nicht, bis er einen tüchtigen Büchsenmacher findet, der seine Sharps so umbaut, dass daraus eine richtige Wunderwaffe wird. Natürlich will er das Zauberding dann auch ausprobieren, und so lässt er sich für eine Scharfschützentruppe anwerben, die die Kanonenboote der Nordstaatenarmee daran hindern soll, Vicksburg endgültig in Schutt und Asche zu schießen. Dass er dabei töten muss, entschuldigt er damit, dass er auf diese Weise hilft, die in der belagerten Stadt lebenden Frauen und Kinder zu retten. Aber macht er sich nicht etwas vor? Ist er nicht längst dem Rausch des Tötens verfallen, und wird er sein Gewissen jemals von der Schuld befreien können, die er auf sich lud?
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH Band 45 248 1. Auflage: Oktober 2003
Vollständige Taschenbuchausgabe Bastei Lübbe Taschenbücher ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe Originalausgabe All rights reserved © 2003 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach Lektorat: Will Platten Titelillustration: Prieto/Norma Agency, Barcelona Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg Satz: Wildpanner, München Druck und Verarbeitung: AIT Trondheim, Norwegen Printed in Norway ISBN 3-404-45248-8
Sie finden uns im Internet unter http://www.bastei.de oder http://www.luebbe.de Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
Bei der Eroberung des Westens hatten nicht so sehr die Winchester- oder Henry-Gewehre das große Sagen, sondern die großkalibrigen »Kanonen« jenseits der 45er-Grenze, deren gewaltige Pulverladungen bis zu 120 Grains betrugen und deren Kugeln bis 550 Grains schwer waren. Die Indianer nannten ein solches Gewehr »Spricht-weit-Gewehr« oder »Gewehr, das heute schießt und morgen trifft«. Das bekannteste dieser großkalibrigen Gewehre war die Sharps. Was man mit solch einen Gewehr machen konnte, ist historisch belegt. Im Juni 1874 wurde der Handelsposten Adobe Walls, südlich von Dodge City gelegen, tagelang von etwa siebenhundert Indianern belagert und nur von neunundzwanzig Büffeljägern verteidigt. Doch diese konnten mit ihren Buffalo Sharps weiter als eine halbe Meile schießen, sicher treffen und sich die Roten vom Leibe halten. Einer der Büffeljäger – sein Name war William Dixon – schoss mit seiner Sharps Kaliber 50-120-550, die über ein VollmerZielfernrohr, hergestellt in Germany, verfügte, aus sehr weiter Entfernung einen Indianer aus dem Sattel. Die Entfernung wurde später von der Armee gemessen und betrug 1406 Meter oder 1538 Yards.
Es gab in der Geschichte des Westens und seiner Eroberung immer wieder Erzählungen von besonderen Sharps. Man nannte sie auch Zaubersharps. Wahrscheinlich waren es besonders gut gelungene Waffen, oder sie wurden von wirklichen Meisterschützen benutzt und so zu Legenden. Dies ist die Geschichte einer solchen Sharps.
1 Es ist im Sommer des Jahres 1863 in St. Louis, dem Sammelpunkt und Ausfalltor für den großen Treck nach Westen, als ein gewisser Tom Harper die Werkstatt der Büchsenmacher HeumannRedersoli betritt. Es gibt zu dieser Zeit viele Büchsenmacher in St. Louis, denn hier rüsten sich all die Trapper, Goldsucher, Emigranten und sonstigen Glücksjäger mit Waffen, Munition und all den vielen anderen Dingen aus, mit deren Hilfe sie überleben wollen. Tom Harper legt eine schwere Buffalo Sharps auf den Ladentisch und fragt: »Sind Sie Mister Redersoli?« »Der bin ich, Mister. Was kann ich für Sie tun – oder für diese Sharps?« »Eine Menge, wenn Sie wirklich so gut als Büchsenmacher sind, wie man sich überall erzählt.« »Ich bin der Beste, Mister.« »Tom Harper ist mein Name, Mister Redersoli, Tom Harper.« »Also gut, Mister Harper, was soll's denn sein?« »Bauen Sie mir diese Sharps um, sodass ich sie nicht mehr wie eine Perkussionswaffe laden muss, also nicht mehr von vorn durch den ganzen Lauf und hinten mit einem Zündhütchen, sondern
mit einer dieser neuen Zentralfeuerpatronen. Hier, mit diesen Metallpatronen will ich sie laden und abschießen. Können Sie das schaffen, Mister Redersoli, oder muss ich zu einem anderen Künstler gehen? Bei Sharps selbst wies man mich ab, weil man keine Zeit für Experimente hätte. Man müsste Lieferfristen einhalten.« Tom Harper greift in die Tasche seiner Lederjacke und holt eine Hand voll Messingpatronen hervor, legt sie auf den Ladentisch. »Damit will ich von hinten in eine Kammer laden können. Also müssten Sie vor dem hinten offenen Rohr eine Lade- oder Brennkammer bauen. Ich stelle mir das so vor.« Die beiden Männer beginnen nun ein langes Gespräch. Und immer wieder nimmt der Büchsenmacher eine der Messingpatronen und betrachtet sie staunend, fragt schließlich: »Und wer stellt diese Wunderdinger her?« »Die hat man drüben in Europa erfunden, in Paris. Und jetzt gibt es eine Fabrik in Pittsburgh. Also, trauen Sie sich zu, diese Sharps in eine Zaubersharps zu verwandeln?« »Es juckt mich.« Redersoli grinst. »Verdammt, es juckt mich mächtig. Sie führen mich in Versuchung. Aber das kann Wochen dauern. Das kostet Geld.«
»Aber Sie werden berühmt mit Ihrem Partner.« Die beiden Männer sehen sich noch einmal an. Dann nickt Redersoli. »Kommen Sie in drei Wochen wieder. Vielleicht schaffe ich es bis dahin. Wie gut können Sie eigentlich schießen?« »Verdammt gut, Mister, verdammt gut.« Nach diesen Worten verlässt Tom Harper die Werkstatt. Es herrscht immer noch Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd, und dennoch wollen viele Menschen nach Westen und Nordwesten, also nach Kalifornien und Oregon. Denen ist der Krieg völlig egal und gleichgültig. Sie sind keine Patrioten, sondern wollen ihr Glück finden, Land erobern, Gold suchen und sich nicht um die Sklavenfrage kümmern. Und so boomt St. Louis, und die Stadt lässt sich durchaus mit dem Gewimmel eines Ameisenhaufens vergleichen. Tom Harper stürzt sich in dieses Gewimmel. Er besitzt einiges Geld, denn seine Winterjagd auf Pelztiere war erfolgreich. Auch konnte er seinen Skalp behalten. Und so vertreibt er sich die nächsten drei Wochen beim Kartenspiel die Zeit und begeht einige Sünden in Molly Dunns Etablissement, hat auch einige Kämpfe zu bestreiten mit hitzigen Burschen, deren Hirne so klein sind, dass sie
Erfolgserlebnisse mit den Fäusten, Messern und Revolvern suchen. Aber er übersteht alles und findet sich drei Wochen später wieder in Redersolis Werkstatt ein. Und wieder stehen sich die beiden so ungleichen Männer gegenüber und spüren Sympathie für einander. »Na?« So fragt Tom Harper kurz. »Von Ihnen erzählt man sich einige Geschichten in St. Louis«, sagt Redersoli und grinst. »Vorgestern haben Sie drei Flussschiffer aus den Riverbee Saloon geprügelt, weil diese Sie einen verdammten Squawmann nannten. Sind Sie ein Squawmann?« »Ich war einer«, erwidert Tom Harper ernst. »Ja, ich hatte eine Arapaho bei mir. Sie war mir eine gute Frau einen langen Jagdwinter lang. Aber im Frühjahr drang während meiner Abwesenheit ein Grizzly in unsere Hütte ein.« Tom Harper verstummt heiser, und Redersoli sieht ihm an, dass er nicht weiter darüber sprechen will. Doch er fragt: »Dann sind Sie weit oben im Norden gewesen und kamen mit einem Steamer den Missouri herunter?« Tom Harper nickt nur. Doch dann spricht er: »Ich hörte im Norden von den anderen Trappern, dass Sie der beste Waffenmacher wären. Und jetzt frage ich mich, ob sich der weit Weg gelohnt
hat. Dreitausend Meilen waren es gewiss. Also, großer Champ?« Redersoli grinst ihn stolz an. Ja, es liegt ein Ausdruck von Stolz und Zufriedenheit auf seinem Gesicht. Dann wendet er sich um und holt aus einem verschlossenen Schrank das Gewehr. »Ich habe es völlig umgerüstet, einen Verschlussblock erfunden. Wenn der Hahn in der Feuerrast steht, also zurückgelegt ist, lässt sich der Verschlussblock öffnen. Ein mit dem Block verbundener Haken zieht dabei die leere Patronenhülse aus dem Lauf. Eine neue Patrone kann eingelegt werden. Ich habe auch den ganzen Lauf veredelt und dem Kaliber angepasst. Der Lauf hat nun sechs Züge. Sehen Sie, Harper, da sind Stellschrauben am Visier und an der Kimme. Nun kann alles für Weitschüsse noch besser eingestellt werden, sodass der Streukreis selbst auf fünfhundert Yards nicht größer sein dürfte als der Umfang Ihrer Hutkrempe. Aber wir müssen hinaus in die Prärie fahren und diese Gun einschießen und einstellen. Ich muss meinen kleinen Werkstattwagen mitnehmen, um Veränderungen vornehmen zu können. Vielleicht müssen wie eine ganze Woche dort draußen bleiben.« »Und dann?« Tom Harper fragt es grinsend. »Dann haben Sie eine Zaubersharps.« Redersoli grinst zurück. »Und ich werde meine
Erfindung zum Patent anmelden. Dazu brauche ich einen Anwalt – auch drüben in Europa. Und dann weiß ich immer noch nicht, ob nicht schon einer vor mir eine vergleichbare Konstruktion erfunden hat.« (Anmerkung: Im Jahre 1867, also zwei Jahre nach dem Bürgerkrieg, wurde in Paris das beste Gewehr der Welt prämiert. Es war ein Remington Rollblock-Gewehr. Es hatte genau den hier von mir beschriebenen Verschlussblock. Aber es war ein Remington, kein Redersoli.) Redersoli hält die völlig umgeänderte Sharps wie eine Kostbarkeit in seinen Händen. Wäre sie sein eigenes Baby, könnte er dies nicht vorsichtiger und glücklicher wirkend halten. Doch dann fragt er ziemlich hart: »Harper, was können Sie finanziell beisteuern? Ich habe ja, wie Sie wissen, einen Partner. Und ich kann nicht Geld aus der Firma nehmen, muss also diese Sache hier zwischen uns beiden aus eigener Tasche finanzieren. Denn weil ich allein nur mit dieser Arbeit beschäftigt war über drei Wochen, entgingen mir andere Aufträge. Auch verlor ich Kunden, die zu anderen Waffenmachern gingen. Harper, was zahlen Sie als Ihren Anteil?« Tom Harper hebt beide Hände, so als würde er sich ergeben. Dann aber blinken wieder seine Zahnreihen scharf in seinem braunen Gesicht. Er hat zwar blonde Haare, aber er gehört dennoch zu jener
Sorte, die von der Sonne eine gebräunte Haut bekommt. »Ich hatte eine gute Jagd im YellowstoneGebiet«, sagt er. »Und hier in St. Louis gewann ich auch fast jede Nacht beim Poker. Mein Kapital beträgt mehr als dreitausend Dollar. Wollen Sie tausend Dollar Vorschuss?« »Ja, das wäre fair. Also fahren wir morgen hinaus auf die Prärie. Und dann noch eine Frage.« »Fragen Sie, Redersoli, fragen Sie.« »Diese Zentralfeuer-Patronen – sind Sie damit gut versorgt?« »Ich kann die Hülsen selbst füllen, Redersoli.« »Dann ist es ja gut, Harper.« Sie grinsen sich an.
Es ist zwei Wochen später, als sich Tom Harper mit seiner Zaubersharps wieder auf den Weg machen will. Doch als er bei einer der Reedereien eine Fahrkarte hinauf nach Ford Buford an der Yellowstone-Mündung kaufen will, da sieht er neben dem Eingang an der Hauswand ein Plakat, auf dem zu lesen ist: Scharfschützen gesucht! Er tritt ein in das Reederei-Office und fragt den Angestellten hinter dem Pult: »Wer sucht Scharfschützen?«
Der ältere Mann betrachtet ihn ernst und erwidert: »Es gibt da einen gewissen Colonel S. Sharps. Er kam den Mississippi herauf, um hier unter den Trappern der Hirschlederbrigade, die immer wieder den Missouri abwärts kommen, Scharfschützen anzuwerben für seine Scouttruppe.« »Und der heißt Sharps?« Tom Harper fragt es staunend und fragt weiter: »Hat der etwas mit der Fabrikation der Sharps-Gewehre zu tun?« Der Mann hinter dem Pult hebt seine Schultern und lässt sie wieder sinken. »Was weiß ich ...«, erwidert er schließlich. »Es gibt in unserem großen Land gewiss viele Sharps. Ich weiß nur, dass er eine besondere Truppe aufstellt, um den Rebellen zu Hilfe kommen zu können. Es sollen besondere Scharfschützen mit Sharps-Gewehren sein, so genannte Sharps Shooter. Ist das auch eine Sharps, die Sie bei sich haben?« »Ja, das ist eine«, grinst Tom Harper und denkt: Es gibt ja auch viele Harpers, warum soll es dann auch nicht mehr als einen Sharps geben. »Und der ist Colonel?« So fragt er den Mann. Dieser grinst: »Er ist kein Armee-Colonel. Viele Südstaatler, die eine kleine Truppe aufstellen, ernennen sich selbst. Sie finden ihn im Big River House.« Tom Harper überlegt noch einige Sekunden.
Und dann vergisst er, dass er sich eigentlich eine Fahrkarte kaufen wollte. Jetzt will er erst diesen Colonel S. Sharps kennen lernen.
2 Das Big River House ist ein großes Haus, in dem zumeist Reisende, die den Mississippi heraufkamen, auf eine Passage den Missouri hinauf warten – aber auch auf dem Mississippi abwärts ins Kriegsgebiet bei Vicksburg, das man auch Gibraltar des Südens nennt, weil es das Hinterland der Rebellenarmee noch kontrolliert. Doch Vicksburg wird schon belagert. Und sollte es von den Truppen der Union genommen werden, ist die Armee der Konföderation abgeschnitten von jeder Möglichkeit des Nachschubs von den Seehäfen her und den Staaten des tiefsten Südens. Auf der Veranda des Big River House sitzen einige Männer scheinbar träge herum. Einige haben die Lehnen ihrer Stühle gegen die Hauswand gekippt, andere sitzen am Geländer und stützen sich mit den Füßen ab. Scheinbar gelangweilt beobachten sie das Leben und Treiben auf der Uferstraße. Und sie alle – Tom Harper stellt es sofort fest – haben eine Sharps bei sich. Sie alle sind offenbar Sharps Shooter. (Anmerkung: Jenen Colonel Henry S. Sharps hat es wirklich gegeben. Und er stellte wirklich jene Sharps-Shooter-Truppe auf, von der diese Geschichte erzählt.)
Als Tom Harper die Veranda betritt, da betrachten sie ihn abschätzend und witternd, lassen unwillkürlich an lauernde Raubtiere denken, in deren Revier ein Artgenosse kommt. Einer jedoch sagt: »Geh nur hinein zum Colonel.« Harper nickt nur und tritt ein. Er findet den Colonel in einem Nebenraum, hält in der offenen Tür inne und betrachtet den Mann. Doch auch er wird taxiert. Er spürt den an ihm tastenden Instinkt des hart und zäh wirkenden Mannes, dessen Haar schon grau ist. Ja, Sharps wirkt wie ein Offizier in Zivil, ein Mann mit flintsteinharten Augen und einem hartlippigen Mund. Seine geschmeidigen Hände liegen auf dem Tisch. Die Fingerspitzen trommeln ein wenig und verraten die innerliche Ungeduld des Mannes. Und seine Frage ist trocken: »Wie gut schießen Sie mit der Sharps?« »Ich bin zufrieden, Mister Sharps.« »Colonel! Reden Sie mich mit Colonel an! Und auch mit Sir.« »Wenn ich in Ihrer Truppe bin, Mister Sharps. Also frage ich erst einmal, was es mir einbringt, wenn ich Ihrer Truppe beitrete.« Die Augen des Mannes werden schmal. Und die Lippen seines Mundes zwischen dem grauen Bart werden härter noch als ohnehin.
»Ehre«, sagt er dann. »Es bringt Ihnen Ehre ein. Und überdies wird uns die Konföderation mit Land belohnen – mit guten Land. Denn wir Scharfschützen könnten Vicksburg retten. Auf welche Entfernung treffen Sie noch ein ruhendes Ziel von der Größe eines Hundes?« »Mit meinem Zielfernrohr aus Germany noch auf tausend Yards.« Henry S. Sharps' Augen bleiben immer noch schmal. »Zeigen Sie mir Ihr Gewehr!« »Nein, Mister Sharps. Es wäre so, als würde ich meine Frau von Ihnen betatschen lassen.« Nach diesen Worten wendet sich Tom Harper um, um zu gehen. Doch Sharps spricht hart: »Einen Moment, Mann!« Und so hält Tom Harper inne und spricht über die Schulter: »Ich bin nicht scharf auf diese Art von Ehre. Und der ganze Krieg zwischen Nord und Süd ist mir egal. Ich bin Jäger.« »Gut, Mann, gut! Wir werden Yankees jagen. Und ich zahle hundert Dollar Sold je Monat, wenn Sie wirklich auf tausend Yards einen Hund treffen können. Wie ist ihr Name, Mann?« »Harper, Tom Harper.« »Und Sie haben auch Berglöwen und Grizzlys gejagt?« »Habe ich.«
»Hundert Dollar also und freie Verpflegung, wenn Sie sich wie ein Soldat verpflichten. Weglaufen wäre dann Desertion und stünde unter Kriegsrecht. Harper, ich will Vicksburg zu Hilfe kommen. Dort in dieser Stadt sind auch Frauen und Kinder, Verwundete. Und sie werden mit Kanonen beschossen. Die Yanks schießen Vicksburg in Schutt und Asche. Wir werden die Kanoniere auf große Entfernung erledigen. Deshalb brauche ich die besten Schützen.« Als Henry Sharps verstummt, wendet sich Tom Harper ihm wieder zu, sodass er nicht mehr über die Schulter zu ihm sprechen muss. »Also gut, Colonel, Sie haben mich. Ich bin neugierig darauf, ob zwei Dutzend Sharps Shooter Vicksburg retten können. Wann fahren wir den Mississippi hinunter?« »In einer knappen Stunde mit der Orleans Queen. Sie liegt hier an der Landebrücke und macht bereits Dampf auf. Also können Sie noch Ihre Siebensachen holen, Harper. Und Sie wollen mir immer noch nicht Ihr Gewehr zeigen?« »Sie können es sich ansehen, aber ich gebe es nicht aus der Hand.« »He, ist es vielleicht eine Zaubersharps?« »Vielleicht, Colonel, vielleicht.« Tom Harper wendet sich und geht hinaus. Henry Sharps aber murmelt: »Was ist mit seinem Gewehr? Das ist keine normale Sharps. Da ist was mit dem Verschluss – nun, wir werden sehen.«
Als er eine knappe Stunde später auf die Landebrücke kommt, da hat er die Sharps in einer Wildlederhülle verborgen und umgehängt. In beiden Händen trägt er zwei große Lederbeutel. In einem sind seine wenigen Habseligkeiten, also Unterwäsche, zwei Hemden und Socken, natürlich auch Wasch- und Rasierzeug. Im anderen Lederbeutel – oder Sack – hat er Munition und all das Gerät zum Nachfüllen der Patronenhülsen und zum Scharfmachen. Auch das Zielfernrohr – es ist sorgfältig in einer langen Hülse verwahrt – ist in diesem Ledersack. Die anderen Sharps-Schützen betrachten ihn wieder witternd. Einer sagt: »Das wird eine Jagd ...« Auch er betrachtet die Männer, indes sie warten, bis die Gangway für sie von Bord auf die Landebrücke geschoben wird. Auch er versucht sie Mann für Mann einzuschätzen. Ja, sie alle waren Jäger, also Trapper und Bergläufer, Scouts und Indianerkämpfer. Und jetzt wollen sie auf eine andere Jagd gehen. Es juckt sie vielleicht auf diese andere Jagd. Denn es herrscht Krieg, und sie können ihre Schießkünste mit dem Segen der Konföderation demonstrieren. Vielleicht werden sie sogar von einem Geistlichen zuvor für dieses Tun gesegnet. Denn alle Armeen der Welt beten ja zumeist vor einer Schlacht und erbitten die Hilfe ihres Gottes. So sind nun mal die Menschen. Tom Harper
verspürt bereits auf der Landebrücke ein aufsteigendes Gefühl des Bedauerns, so als sagte ihm sein Instinkt schon jetzt, dass er eine falsche Entscheidung getroffen haben könnte. Er sieht einigen von ihnen die Jagdlust an. Und sie würden ja auch gewissermaßen die Lizenz zum Töten besitzen und spüren jetzt schon eine Art Nervenkitzel. Aber dann denkt er wieder, dass sie ja einer Stadt zu Hilfe kommen wollen, in der sich Frauen, Kinder und Verwundete befinden und die gnadenlos mit Kanonen beschossen wird, um sie sturmreif zu machen. Es könnte durchaus sein, dass sie zu spät kommen, sehr viel zu spät. Denn die Schlacht um Vicksburg dauert schon viele Wochen, ja Monate. Hier in St. Louis spricht man ständig darüber und bekommt mit jedem Dampfboot neue Nachrichten. Er weiß also einigermaßen Bescheid. Sie befinden sich in St. Louis noch im Gebiet der Nordstaaten, also nördlich der Grenzen von Arkansas, Tennessee und Virginia. Der Flussweg nach Vicksburg im Staat Mississippi ist noch weit, sehr weit. Dass Henry Sharps es wagt, hier im Nordstaaten-Gebiet Scharfschützen für die Südstaaten anzuwerben, ist für ihn ein ungeheures Wagnis.
Aber er konnte sie wahrscheinlich nirgendwo sonst bekommen als in St. Louis, wo die Trapper, Gebirgsläufer und Indianerkämpfer immer wieder aus Wyoming und Montana den Missouri abwärts kommen, um sich zu amüsieren, all die Sünden zu begehen in den Tingeltangels und Hurenhäusern, nachdem sie viele Monate eines langen Winters einsam in ihren Jagdgebieten lebten und Pelztiere töteten. Ja, nur hier konnte Henry Sharps solch eine Sharps Shooter-Mannschaft zusammen bekommen. Doch was können sie schon ausrichten? Um Vicksburg tobt eine gewaltige Schlacht zwischen den Armeen. Auf jeder Seite stehen sich mehr als dreißigtausend Soldaten gegenüber. Und der Mississippi wird von einer Kanonenboot-Flotte der Union beherrscht. Was können da schon ein Dutzend Sharps Shooter ausrichten? Es ist ja bekannt, dass die Union den Unter- und Oberlauf des Mississippis beherrscht und nur die 110 Meilen des Mittellaufs von der Konföderation kontrolliert werden. Und um die Beherrschung dieses Mittellaufs geht es. In diesen Mittellauf mündet der Yazoo River, und im Schutze des Yazoo Rivers sammelt sich immer wieder die Kanonenboot-Flotte der Union. Dies alles ist auch in St. Louis bekannt. Und so wissen es auch Henry Sharps' Männer. Und so
glauben sie, dass ihr Einsatz nicht in Vicksburg als Verteidiger der fast sieben Meilen langen Verteidigungslinie erfolgen wird, sondern an den Ufern des Yazoo River, wo sich die Kanonenboote der Union sammeln, um die Schäden der Granaten zu reparieren. Diese Flotte unter dem Kommando von Admiral Porter, angeführt vom Flaggschiff Benton, versucht es unablässig, wird jedoch von den Kanonen der zur Festung gewordenen Stadt Vicksburg an der Landung gehindert. So also stellt sich die Situation für die Sharps Shooter dar. Und so spüren sie alle wahrscheinlich eine riesengroße Herausforderung. Zwei Dutzend Sharps sollen gegen zwei Dutzend Kanonenboote und Transporter einen Sieg erringen. Dies alles ist ihnen also klar. Endlich wird die Gangway von der Orleans Queen auf die Landebrücke geschoben. Mit einigen Dutzend anderen Passagieren – darunter auch Offiziere der Union – gehen sie an Bord. Sie treten nicht als eine Mannschaft auf, sondern haben sich in Gruppen aufgeteilt. Denn wenn sie für den Süden kämpfen wollen, befinden sie sich hier ja als angeworbene Söldner im Feindgebiet. Tom Harper bekommt mit einem Mann eine Kabine zugewiesen.
Als sie eintreten und allein sind, verhalten sie voreinander und sehen sich an. Dann spricht der Mann heiser: »Ich bin Yellowstone Pierce. Und wer bist du?« »Harper, Tom Harper.« Pierce nickt und spricht dann fast drohend: »Ich hoffe, du schnarchst und furzt nicht zu sehr. Weißt du, ich lebte mit solch einem Schnarcher und Furzer fünf lange Jagdmonate in einer kleinen Hütte hoch in den Bergen. Als ich ihn nicht länger ertragen konnte, habe ich ihn totgeschlagen. Das war Notwehr.« Pierce verstummt grimmig und hart, hat ein böses Glitzern in seinen Augen. Tom Harper grinst ihn an und erwidert: »Ja, diese Sorte ist schlimm. Aber sage mir, Freund Pierce, warum bist du hier dabei wie ich und die anderen?« Nun grinst auch Pierce – er ist ein rothaariger, sommersprossiger Hüne – und erwidert: »Schießen! Ich schieße gern auf alles, was sich bewegt – auf Grizzlys, Berglöwen, Büffel und Indianer. Nun will ich auf Yankees schießen mit meiner Kanone. Ich habe schon auf alles geschossen, nur noch nicht auf Yankees. Wir alle sind ja so etwas wie Kunstschützen. Und ich will von uns allen der beste Schütze sein. Das wird Spaß machen.« Er verstummt mit einem Klang von Vorfreude in der Stimme.
Tom Harper aber wird sich darüber klar, dass dieser Pierce eine Macke hat. Und vielleicht haben sie alle eine Macke, sind alle nicht normal, irgendwie verrückt. Er verspürt tief in seinem Kern ein Erschrecken und denkt: Heiliger Rauch, wo bin ich hier gelandet? Zu was für einer Meute gehöre ich hier, wenn sie alle so sind wie dieser Pierce? Aber wir wollen doch einer Stadt helfen, die zur Festung wurde und in der sich auch Frauen und Kinder befinden. Er legt sein Gepäck auf eine der beiden Kojen und wendet sich zur Tür. »Ich will mir das Schiff ansehen«, murmelt er und geht hinaus. Als er verschwunden ist, starrt Pierce auf das in Leder eingehüllte Gewehr, das zwischen Harpers Gepäck auf der Koje liegt. Doch er rührt nichts an, sondern wirft sein eigenes Gepäck auf die andere Koje und verlässt ebenfalls die Kabine. Ja, auch er will sich das Schiff ansehen. Er fuhr noch nie auf einem Mississippi-Steamer, kennt nur die sehr viel kleineren Dampfboote des Missouri und Yellowstone. Tom Harper verschwindet indes schon auf dem Vorschiff um die Kabinenaufbauten. Die Orleans Queen befindet sich schon fast mitten auf dem Strom. Das mächtige Schaufelrad treibt sie in der Strömung abwärts.
Und sie hat noch einen weiten Weg vor sich. Er geht nach vorn und blickt den Mississippi hinunter, fragt sich, was dort im Süden auf ihn wartet, was das Schicksal für ihn bereit hält. Denn er glaubt an ein Schicksal. Jemand tritt neben ihn mit einer leichten Bewegung. Als er zur Seite blickt, sieht er eine Frau. Auch sie blickt den Strom hinunter, so als wären in ihr die gleichen Fragen wie in ihm, Tom Harper. Dann aber spürt sie offenbar seinen Blick und wendet den Kopf. Sie sehen sich in die Augen. Ihr Blick ist gerade und fest. Es sind grüne Augen, etwas schräg gestellt und nicht zu eng an der Nase. Es ist eine gerade Nase über einem vollen Mund. Es ist gewiss kein schönes Gesicht, dazu wirkt es zu eigenwillig und etwas unregelmäßig. Aber es ist ein rassiges Gesicht, in dem das Leben schon einige Zeichen hinterließ. Als sie nun lächelt, wird das Gesicht für Tom Harper plötzlich schön. Ihre ganze Ausstrahlung trifft ihn voll, und er spürt, dies ist eine Frau, die das Leben kennt und schon Höhen und Tiefen erlebte. Für eine Frau ist sie mittelgroß. Der Wind auf dem Strom presst ihr das Kleid fest den Körper. Sie ist makellos gewachsen. Lächelnd fragt sie: »Zufrieden, Mister?« Es ist ein Klang von Herausforderung und Nachsicht
zugleich in ihrer Stimme. Sein Instinkt sagt ihm, dass er sie dennoch wie eine Lady behandeln sollte. Und so spricht er lächelnd: »Verzeihen Sie mir, Lady, wenn ich Sie betrachte wie ein schönes Bild. Ich komme aus den Bergen im Norden, und Sie sind für mich die erste wirklich schöne Frau seit langer Zeit.« Er deutet den Strom hinunter und spricht ruhig: »Wenn die Menschen wüssten, was voraus auf sie wartet.« »Das wäre schlimm für uns«, erwidert sie und will sich abwenden. Doch dann hält sie inne. »Ich hielt Sie sofort für einen Bergläufer, Mister. Aber Sie wollen nach Süden. Ist das nicht für Sie die falsche Richtung?« »Das fragte ich mich soeben auch«, lächelt er ernst. »Mein Name ist Harper, Tom Harper. Aber die weite Reise hat sich schon deshalb gelohnt, weil ich Sie ansehen kann und wieder einmal mehr begreife, dass diese Welt immer wieder wunderschön ist.« Sie schüttelt etwas ärgerlich den Kopf. Der Wind bewegt ihr rotgold schimmerndes Haar. Dann spricht sie: »Tom Harper, Sie raspeln Süßholz.« Nach diesen Worten wendet sie sich endgültig mit einer leichten Bewegung und geht davon. Er
aber sieht ihr nach und erfreut sich an ihrem Gang, Was für eine Frau, denkt er. Und sie hat mir nicht einmal ihren Namen genannt, obwohl ich ihr meinen nannte. Er spürt ein Gefühl der Enttäuschung. Aber was hat er denn erwartet? Und so setzt auch er sich in Bewegung und erkundet weiter dieses große Schiff, das gewiss viermal so groß ist wie ein Missouri-Steamer.
3 Am nächsten Tag – es ist schon Abend – erreicht die Orleans Queen die Ohio-Mündung und macht an einer Landebrücke fest. Er sieht die für ihn so wunderschöne Frau mit anderen Passagieren an Land gehen und folgt ihr. Denn die Orleans Queen wird erst am nächsten Tag bei Sonnenaufgang wieder losmachen und in den Strom gehen. Er weiß inzwischen auch den Namen dieser Frau. Jennifer O'Hara, dies ist ihr Name. Er erfuhr ihn vom Steward der Kabinenpassagiere. Und weil er dem Steward einen Dollar gab, erfuhr er auch noch: »Die Lady ist oft unterwegs auf diesem Strom. Manchmal spielt sie Poker mit hart gesottenen Burschen. Und einmal – es war bei der vorherigen Reise – war ein hoher Offizier der Union die ganze Nacht bei ihr in der Kabine. Aber sie ist gewiss keine Hure – nein, gewiss nicht.« Tom Harper denkt wieder an die Worte des Stewards, indes er Jennifer O'Hara in die Stadt an der Ohio-Mündung folgt. Er fragt sich, wohin sie wohl will. Denn sie strebt den engen Gassen zu, die von kleinen Häusern und Hütten gesäumt werden. Es ist hier ziemlich dunkel. Nur da und dort fällt etwas Licht aus kleinen Fenstern.
Er kann Jennifer O'Hara schnell durch die Lichtbahnen gleiten sehen. Und dann sieht er sie mit zwei Gestalten kämpfen. Ja, sie setzt sich zur Wehr. Aber die beiden Kerle bekommen sie unter Kontrolle. Einer stößt drohend hervor: »Wenn du nicht willig mit uns kommst, dann ...« Weiter kommt der Mann nicht. Denn nun ist Tom Harper bei ihnen. Er kennt keine Gnade mit solchen Burschen, die eine Frau überfallen. Bevor sie überhaupt in der Dunkelheit die Gefahr erkennen können, schlägt er mit dem schweren Revolver zu, den er aus dem Hosenbund zauberte mit einem schnellen Griff. Als sie zu seinen Füßen liegen, hört er Jennifer O'Hara ruhig sagen: »Danke, mein Freund, danke. Doch jetzt lassen Sie mich allein weiter gehen. Ich bin gleich am Ziel und in Sicherheit.« Sie bückt sich und hebt eine Reisetasche auf. Dann tritt sie zu ihm und blickt in der Dunkelheit zu ihm hoch. Sie ist ihm so nahe, dass er ihren Atem spürt, als sie sagt: »Warten Sie an Bord auf mich. Man wird mich zum Schiff zurück begleiten. Ich bin jetzt sicher. Gehen Sie!« Zuletzt klingt es sehr energisch. Doch er zögert. Aber sie wendet sich ab und geht schnell weiter. Er verharrt noch und begreift, dass es besser für ihn wäre, wenn er nicht zu neugierig sein würde.
In der Dunkelheit der Gasse kann er bald ihre sich rasch bewegende Gestalt nicht mehr erkennen. Doch dann öffnet sich irgendwo eine Tür. Im herausfallenden Lichtschein kann er sie einen Moment erkennen. Sie verschwindet in dem kleinen Haus. Die Tür schließt sich. Jennifer O'Hara hat also ihr Ziel erreicht. Er blickt auf die beiden Männer zu seinen Füßen, vernimmt auch ihr Stöhnen. Und so weicht er ein Stück zurück und lehnt sich gegen die Hauswand. Bald hört er die Kerle lauter stöhnen, dann böse fluchen. Einer sagt: »Diese verdammte Katze – sie lässt sich beschützen. Jake, Wir haben uns die Prämie nicht verdient, verdammt. Wir hätten ihr die Tasche abnehmen sollen. Wo mag der Bursche sein, der uns plattgemacht hat?« »Ich bin hier«, meldet sich Tom Harper. »Warum habt ihr diese Frau überfallen?« Die beiden Kerle haben sich nun erhoben. Sie verharren schwankend. Einer stützt sich an der Hauswand ab. Doch dann beginnen sie abermals heftig zu fluchen. »Du Hurensohn von einem Rebellen«, knirscht einer, »ihr werdet den verdammten Krieg dennoch verlieren.« Nach diesen Worten torkeln sie davon, halten sich die Köpfe. Er kann es trotz der Dunkelheit in
der engen Gasse erkennen, sieht sie auch zwischen zwei Häusern verschwinden, wo es offenbar einen Durchgang gibt. Seine Gedanken jagen sich. Er versucht das alles zu begreifen. Und so kommt er endlich zu einer Erkenntnis. Die beiden Kerle hielten ihn für einen Rebellen, also für einen Mann der Konföderation, dessen Aufgabe es war, Jennifer O'Hara zu beschützen. In ihrer Tasche musste sich etwas befinden, was sie in jenem Haus abzuliefern hatte. Also ist sie wahrscheinlich ein Kurier für die Südstaaten. Denn nur so bekommt alles seinen Sinn. Sie brachte etwas von St. Louis nach hier. Er stößt die Schulter von der Hauswand ab und macht sich auf den Rückweg zum Schiff, um dort auf Jennifer O'Hara zu warten. Denn irgendwann wird sie wohl zurückkommen.
Er wartet vor ihrer Kabine an der Reling lehnend, raucht eine Zigarette und genießt die frische Nachtluft. Die Stadt an der Ohio-Mündung hat viele Lichter. An den Landebrücken liegen andere Steamer. Und auf der Hafenstraße ist ebenfalls noch viel Bewegung. Er sieht Fußgänger, Wagen, Reiter.
Alles wirkt friedlich. Auf der anderen Seite, der Ohio-Mündung gegenüber, da liegt Fort Henry. Keine hundert Meilen stromabwärts beginnt die Grenze zu den Südstaaten. Dort sind Arkansas und Tennessee. Er muss länger als eine Stunde warten, und es ist fast schon Mitternacht, als er Jennifer O'Hara kommen sieht. Zwei Männer begleiten sie bis zur Landebrücke. Im Licht der Laternen kann er erkennen, dass sie Schrotflinten tragen. Sie warten, bis Jennifer O'Hara an Bord ist, und gehen wieder zur Stadt zurück. Und wenig später steht Jennifer O'Hara vor ihm. Sie kam schnell den Aufgang zum Kabinendeck hoch und atmet ein wenig rascher. Ganz dicht tritt sie zu ihm. Er spürt ihren Atem, als sie spricht: »Du solltest keine Fragen stellen, mein Freund aus dem Norden. Weißt du, eigentlich mochte ich dich vom ersten Moment an. Komm mit in meine Kabine.« Es ist plötzlich alles ganz selbstverständlich zwischen ihnen. Und so folgt er ihr hinein und nimmt sie drinnen in die Arme, spürt die Lebendigkeit und das Feuer in ihrem Körper. Einmal im Verlauf der Nacht sagt sie leise flüsternd: »Tom, eine Frau, die sich nicht mit jedem Kerl einlässt, die ist immer wieder verdammt allein und einsam und möchte dennoch nicht verdorren. Auch du warst einsam. Ich spürte
es. Doch du solltest dir keine Hoffnungen machen. Dies hier an Bord wird nur eine Episode sein. Unsere Wege trennen sich bald. Und ich danke dir, dass du keine Fragen stellst.« Sie rollt sich wieder über ihn und flüstert: »Ja, liebe mich noch mal, gib mir alles, denn das Leben kann sehr kurz sein.« Es ist im Morgengrauen – und das Dampfhorn der Orleans Queen tutet mächtig, um die letzten Landgänger aus der Stadt an Bord zu holen, als er ihre Kabine verlässt. Yellowstone Pierce wird wach bei seinem Kommen und kichert heiser: »Na, auf welcher Molly hast du gelegen? War das hier an Bord oder in der Stadt?« Er lässt noch einmal ein Kichern hören und dreht sich auf die andere Seite, um wieder einzuschlafen. Als auch Tom Harper liegt, macht die Orleans Queen die Leinen los. Er denkt noch lange über Jennifer O'Hara nach, die sich ihm schenkte und von ihm beschenkt werden wollte. Sie ist einsam gewesen. Und sollte sie eine Spionin der Konföderierten sein, ein Kurier wichtiger Dinge, die kriegsentscheidend sein können, dann lebt sie ständig in Gefahr. Ja, es ist durchaus möglich, dass man sie hängen würde.
Er hätte sie gerne gefragt, was sie zu diesem Wagnis veranlasst hat. Denn gewiss tat sie es nicht für Geld, eher schon aus Rache. Er schläft endlich ein und verzichtet auf das Frühstück.
Noch zwei Nächte verbringen sie gemeinsam in Jennifers Kabine. Die Orleans Queen ist nun halb leer. Denn nicht alle Passagiere wollten weiter in das Kriegsgebiet. Zweimal kommen kleine Kanonenboote der Konföderierten längsseits, und bewaffnete Soldaten gehen an Bord. Dann spricht Henry Sharps mit ihrem Offizier und zeigt diesem ein Schreiben. Aber auch die anderen Passagiere bekommen keine Schwierigkeiten. Und so geht die Reise weiter. Am dritten Tage versammelt Henry Sharps seine Mannschaft nach dem Frühstück auf dem Hurrican-Deck und klärt sie mit folgenden Worten über alles auf, was er von den Patrouillenbooten erfuhr. »Jungs, es ist alles ganz einfach«, beginnt er. »Die Yanks haben die hundert Meilen lange Yazoo-Schlucht geflutet und schiffbar gemacht. So gelangten ihre Kanonenboote in den Yazoo River. Ich brauche euch das nicht so genau zu erklären. Wichtig ist für uns, dass sich die
Kanonenboote dort in der Mündung auf den großen Angriff vorbereiten. Es liegen dort zwei Ironclads – Chillicothe und Baron de Kalb –, sechs flachgehende, leicht gepanzerte Kanonenboote, zwei Rammer, ein Schlepper und dreizehn Transporter mit der Division von Brigadier Ross an Bord, also etwa fünftausend Mann. Sie versuchen es schon seit Monaten, bei Vicksburg zu landen. Und diesmal wollen sie es schaffen. Doch sie können es nicht schaffen, wenn wir mit unseren weit reichenden Sharps ihre Rudergänger abschießen und sie selbst durch die schmalen Panzerschlitze treffen können. Ihr könnt euch den Ruhm als beste Kunstschützen dieses Krieges erringen und in die Geschichte eingehen. Morgen gehen wir in der Nacht am Yazoo-River an Land und werden von unseren Scouts in die günstigsten Positionen eingewiesen. Das ist alles, Männer.« Sie schweigen zu seinen Worten eine Weile. Dann aber spricht Yellowstone Pierce für alle. »Das wird ein Höllenfest für uns! Denn wir sind die besten Sharps Shooter und werden zu Legenden!«
Als Tom Harper wieder hinunter auf das Kabinendeck kommt, steht Jennifer O'Hara an der Reling vor ihrer Kabine und sieht ihm entgegen.
»Jetzt weiß ich Bescheid«, spricht sie. »Aber du bist ein Mann aus dem Norden. Was bewog dich zu diesem Vorhaben?« Er betrachtet sie ernst, und er weiß, dass die vergangene Nacht die letzte Liebesnacht zwischen ihnen war. Er wird sie niemals vergessen können und verspürt ein großes Bedauern. Sie erkennt das in seinen Augen, lächelt seltsam ernst und verständnisvoll zugleich und spricht: »So ist das Leben, Tom. Es war schön mit dir, und ich werde lange Zeit mit keinem anderen Mann etwas anfangen können. Aber es ist nun mal so, dass uns unser Schicksal wieder trennt. Die Yankees haben meinen Mann und meine beiden Kinder getötet, als sie unser Haus mit Kanonen beschossen. Ich will mich immer noch rächen.« Sie wendet sich ab und verschwindet in ihrer Kabine. Yellowstone Pierce kommt heran, verharrt bei ihm und grinst ihn an. »Das ist sie also, die du ständig vernaschen konntest, Harper. He, ich hielt sie für eine unnahbare Lady. Wie hast du die geschafft?« »Halt dein verdammtes Maul, Pierce«, erwidert er und lässt ihn stehen. Pierce lacht hinter ihm her. »He, es gibt keine heiligen Weiber auf unserer Erde. Das habe ich in einem Nonnenkloster herausgefunden, damals in Columbia, hahaha!«
Sie alle, die das hören, lachen nun brüllend los. Es ist kein normales Lachen, sondern der Ausbruch einer innerlichen Anspannung. Denn sie alle fühlen sich am Ziel. Sie werden endlich schießen können mit ihren schweren, weit reichenden Gewehren und können ihre Macht auskosten. Ja, sie alle sind mehr oder weniger süchtig. Es ist eine Krankheit in ihnen. Sonst hätten sie sich nicht anwerben lassen. Henry S. Sharps, der sich mit Colonel anreden lässt, hat sie sich in St. Louis unter vielen anderen aussuchen können, sich zuvor mit ihnen unterhalten und herausgefunden, von welcher Sucht sie befallen sind. Bisher waren sie hier an Bord noch keine richtige Mannschaft oder verschworene Gemeinschaft. Sie hatten sich ja in kleine Gruppen aufgeteilt. Doch jetzt – nachdem Henry Sharps auf dem Hurrican-Deck zu ihnen sprach, da ist alles anders. Die Orleans Queen fährt indes weiter abwärts auf dem großen Strom, der die wichtigste Lebensader des gewaltigen Landes zwischen seiner Nord- und Südgrenze ist, sehr viel wichtiger noch als der Missouri. Aber es ist nun schon später Nachmittag. Bald werden sie an Land gehen. Henry Sharps wird dafür sorgen, dass dieser Steamer oberhalb
der Yazoo-Mündung in einer Bucht dicht genug an Land anlegt.
Es ist tiefste Nacht, als sie in einer Bucht an Land gehen. Dann geht die Orleans Queen wieder in den Strom. Sie hat nun kaum noch Passagiere an Bord und keine Ladung in den Frachträumen. Wahrscheinlich wird man sie ohne Beschuss an Vicksburg vorbei lassen, aber darauf warten, dass sie als Blockadebrecher beladen von New Orleans wieder stromauf kommt. Sie alle verharren am Strand in der Bucht in der Dunkelheit. Und sie sind nass bis unter die Achselhöhlen. Denn sie mussten von Bord ins Wasser und dann mit all ihrem Gepäck an Land waten. Einer heisere Stimme murrt: »Verdammt, was ist jetzt? Können wir wenigstens ein Feuer machen?« Aber dann werden sie aus der Dunkelheit des Uferwaldes angerufen: »He, seid ihr die Sharps Shooter, auf die wir schon eine Ewigkeit warten?« Drei Gestalten tauchen aus der Dunkelheit des Waldes auf. Henry Sharps' Stimme fragt kühl: »Wie weit müssen wir gehen?« »Etwa zehn Meilen bis zur Halbinsel vor der Yazoo-Mündung. Sind Sie Colonel Sharps? Wir
dachten schon, dass Sie überhaupt nicht kommen würden.« »Ja, ich bin Colonel Sharps. Worauf warten wir hier noch, wenn ihr so ungeduldig seid?« Einer der drei Männer, die aus dem Wald kamen, lacht grimmig. Dann spricht er hart: »Die Yanks bereiten wieder einen neuen Angriff vor. Sie bekamen auch neue Ironclads mit schweren Mörsern. Und in Vicksburg geht die Munition aus. Unsere Artillerie kann bald nicht mehr schießen. Vielleicht kommt ihr im allerletzten Moment. Und wir alle sind mächtig neugierig, wie man mit Sharps-Kanonen eine ganze Flotte von Kanonenbooten aufhalten kann. Seid ihr wirklich so gut, wie man uns erzählt hat?« Die Sharps Shooter lachen nur verächtlich als Antwort. Dann tönt Yellowstone Pierces Stimme böse: »Wir schießen auf tausend Yards einem Wildeber genau ins Arschloch, Bruderherz!« Nun lachen sie alle. Es ist eine seltsame Stimmung, so als fieberten sie voller Ungeduld einem besonderen Erlebnis entgegen. Und wahrscheinlich ist es so, dass sie alle mehr oder weniger stark von ihrer Schießlust besessen sind und dies wie die Vorfreude auf einen Rausch spüren. Auch Tom Harper verspürt ein seltsames Gefühl. Er kann es noch nicht so richtig begreifen, weiß noch nicht, was er davon halten soll.
Doch dann erinnert er sich wieder daran, dass in Vicksburg auch Frauen und Kinder sein sollen und die Yankees schon seit vielen Wochen immer wieder angreifen und mit ihren Kanonenbooten und Ironclads die Festung beschießen. Bisher mussten sie immer wieder aufgeben und sich zurückziehen. Sie verloren Kanonenboote und Transporter mit vielen Soldaten. Doch jetzt hat die Artillerie von Vicksburg kaum noch Munition. Und so glaubt Tom Harper, dass er auf der richtigen Seite schießen wird. Sie beginnen ihren Zehn-Meilen-Marsch, werden angeführt von den drei Männern, die sie erwartet haben. Es ist ein Marsch durch schwieriges Gelände. Sie schleppen auch einiges Gepäck mit. Aber sie alle waren ja mal Trapper, Gebirgsläufer, Indianerkämpfer. Sie sind die Härtesten jener Hirschlederbrigade aus den Rocky Mountains. Und sie wollen mit ihrer Schießkunst in die Geschichte eingehen. Die hundert Dollar Sold interessieren sie kaum.
4 Als es Tag wird, sind sie am Ziel und sehen nun erst richtig, wohin man sie geführt hat. Sie befinden sich auf einer Landzunge, die wie eine Halbinsel in die Yazoo-Mündung hineinreicht, etwas halbmondförmig und felsig. »Das ist es, Männer«, sagt Colonel Henry S. Sharps. Es ist ein besonderer Klang in seiner Stimme, so als spürte jetzt schon einen Triumph in sich. Sie können den Yazoo hinaufblicken. Denn ihre Position ist etwa zwanzig bis dreißig Yards über dem River. In einiger Entfernung – es mag mehr als eine Meile stromaufwärts sein –, da sehen sie die Kanonenboote, Transporter und Tender der Union. Und an ihren Masten flattern die Flaggen und Wimpel. Einer der Männer in grauer Uniform und mit drei Sergeantenstreifen am Ärmel sagt ernst: »Seht ihr das, Jungs? Das sind sie. Und nun könnt ihr zeigen, ob ihr nur kleine Wadenbeißer seid oder mehr. Könnt ihr eine ganze Flotte aufhalten, die auf den Transportern fünftausend Mann ans Ufer von Vicksburg bringen will?« »Wir werden sehen!«, ruft eine kehlige Stimme. Sie gehört Sam Bullock, einem bärtigen Trapper aus den Bitter Roots, den es nun sehr weit nach Süden verschlagen hat, was er als
großes Abenteuer empfindet, als Herausforderung, sich selbst etwas zu beweisen. Vielleicht sind sie alle mit ruhmsüchtigen Revolverschwingern zu vergleichen, die an die Unbesiegbarkeit ihrer Waffen glauben. Sie alle haben mehr oder weniger gute Zielfernrohre zur Verfügung. Uns so holen sie ihre Waffen aus dem Futteralen, packen die kostbaren Zielfernrohre aus und setzen sie auf. Als sie alle über die Läufe ihrer Gewehre hinweg durch ihre Fernrohre blicken, da holen diese alles zehnfach näher heran. Und so können sie an diesem klaren Morgen alles gut erkennen. Auch Tom Harper blickt durch sein VollmerZielfernrohr. Auf dem Flaggschiff Benton weht die Flagge des Admirals neben der Flagge der Union. Wie die Benton sind auch alle anderen Kanonenboote gepanzert. Auch die Ruderhäuser sind durch dicke Eisenplatten geschützt. Doch sie alle haben nach vorn und an den Seiten Öffnungen. Denn die Rudergänger und Kommandanten müssen ja Sicht haben, um navigieren zu können. Sie hören Colonel Sharps rufen: »Seht ihr die Luken in den Ruderhäusern? Das sind die Einschusslöcher für euch. Da hinein müsst ihr
ballern. Nur so könnt ihr die Rudergänger erledigen und die Boote führungslos machen. Sie werden mit voller Kraft herangerauscht kommen und auf Grund laufen. So möchte ich es haben. Diese Luken sind eure Ziele. Und wenn ihr wirklich so gut seid als Sharps Shooter, dann ist es so, als würdet ihr eine ganze Flotte blind machen.« Als er verstummt, da schweigen sie noch eine Weile und sehen sich alles erst noch gründlich an. Sie haben hier oben auf dem Felsenrücken der Halbinsel eine Linie gebildet und auch recht gute Deckung gefunden. Doch sie wissen, dass der Pulverdampf ihrer schweren Gewehre ihre jeweilige Stellung verraten wird. Sam Bullocks Stimme dröhnt dann: »Die sollen nur kommen! Wir schießen jeder Mücke die Augen aus! Denn wir sind die Besten, ja, verdammt wir sind die Allerbesten!« Eine andere Stimme brüllt: »Hoffentlich lassen sie uns nicht zu lange warten! Denn die Schornsteine rauchen noch nicht. Die müssen erst noch Dampf machen! Das dauert noch!« Der Tag vergeht, und so müssen sie sich die Zeit vertreiben. Jene drei Soldaten, von denen sie hergeführt wurden, sind immer noch bei ihnen. Der Sergeant sagt einmal warnend: »Kein Feuer zum Kaffeekochen oder Pfannkuchen braten, Jungs.
Wir sind umgeben von Yanks und können nur hoffen, dass ihre Scouts nicht auf unsere Fährte stoßen und auf die Idee kommen, dass wir nicht zu ihnen gehören. Am besten wäre es, wenn ihr euch hier einfach tot stellt.« »Das brauchst du keinem von uns zu sagen, Drei-Winkel-Soldat«, grollt eine heisere Stimme. Und eine andere fügt hinzu: »Ich werde schlafen und von der dicken Molly in St. Louis träumen, die mir sagte, dass ich der beste Bulle auf Erden wäre.« »Das hat sie mir auch gesagt, French Pete«, grollt eine andere Stimme. »Die hat das jedem Freier gesagt. Das gehört zu ihrem Job, hahaha!« Die ganze Reihe lacht nun. Und dann beginnen sie alle von der dicken Molly in St. Louis zu erzählen, die sie fast alle besucht haben in deren Etablissement. Der Sergeant aber hört sich das alles eine Weile an und spricht dann trocken: »Ihr habt es wohl in eurem ganzen Leben nur mit Huren getrieben, ihr armen Hunde.« Sie schweigen eine Weile. Schließlich sagt einer von ihnen: »Sersch, du hast keine Ahnung, wie das ist, wenn man fünf Monate in einem abgelegenen Gebirgstal in einer elenden Hütte leben muss und jeden Tag bei jedem Wetter alle Fallen zu kontrollieren hat. Wenn du dir da nicht wenigstens eine Squaw kaufst, die dich wärmt, wenn draußen die
Blizzards toben, dann bist du der ärmste Hund auf dieser Erde. Und wenn du dann in die so genannte Zivilisation kommst und deine Pelzausbeute zu Geld gemacht hast, dann lässt sich keine seriöse Frau mit dir ein. Das tun dann nur die Huren. He, was glaubst du, warum sind wir hier mit unseren Kanonen? Ich sage dir, Sersch: Wir zeigen euch allen, was wir wirklich wert sind. Basta!« Als der Mann verstummt, da schweigen sie alle. Und eigentlich gibt es ja auch nichts mehr zu sagen. Auch der Sergeant schweigt. Sie können nur noch warten, bis die Kanonenboot-Flotte der Union kommt. Und was sie da vorhaben, ist eigentlich unmöglich und verrückt, allein eine Idee ihres Anführers, der sich selbst zum Colonel machte. Denn sie sind ja Guerillas, keine regulären Soldaten, im besten Falle eine Art Miliz. Von Guerillas unterscheiden sie sich dadurch, dass sie gegen die Armee der Union kämpfen, nicht irgendwo im Hinterland gegen Zivilbevölkerung. Sie müssen sich auf ein langes Warten einstellen und sind hier ständig in Gefahr, entdeckt zu werden. Yellowstone Pierce hat es sich neben Tom Harper bequem gemacht und starrt ständig auf Harpers Gewehr, bis er schließlich sagt: »He, das ist zwar eine Sharps, aber sie hat am Laufende einen Verschluss. Und wenn der sich öffnen lässt,
dann müsstest du das Ding von hinten laden können. He, was ist das für ein Gewehr?« »Eine Zaubersharps«, sagt Tom Harper und grinst. »Es gibt in St. Louis einen Waffenmacher – sein Name ist Redersoli –, der baut dir deine Kanone für tausend Dollar um. Und dann besitzt du auch eine Zaubersharps. Dann musst du dir nur noch die notwendigen Patronen beschaffen, diese neuen Zentralfeuerpatronen, in deren Boden du die Zündhütchen unterbringen kannst. Und wenn der Lauf deiner Waffe dick genug ist, aus allerbesten Stahl gezogen, dann kannst du auch eine starke Pulverladung in die Patronen tun. Pierce, ich bin auch deshalb hier, um meine Waffe auszuprobieren. Vielleicht ist sie die beste Waffe der Welt zu dieser Zeit.« Harper verstummt ernst. Und Pierce bringt nur ein »Oooh« hervor, so sehr staunt er. Dann aber fragt er: »Und wie heißt der Waffenmacher in St. Louis?« »Redersoli, das ist sein Name.«
Sie müssen den Rest des Tages, die folgende Nacht und dann den nächsten Tag und die zweite Nacht auf dem Felsenrücken der schmalen Landzunge verbringen. Feuer dürfen sie nicht machen, also müssen sie vom kalten Proviant leben.
Einige von ihnen vertreiben sich die Zeit mit Karten, andere würfeln – und wieder andere schlafen zumeist, so als wollten sie sich in weiser Voraussicht einen Vorrat an Schlaf zulegen. Doch so gelassen sie sich auch geben, man spürt dennoch ihre lauernde Bereitschaft. Sie alle waren ja Jäger, die auf ihr Wild lauern und dabei ständig wachsam bleiben mussten. Jetzt lauern und warten sie auf besonderes Edelwild – auf die Kanonenboote der Union. Es ist dann nach der zweiten Nacht, als sie da und dort erwachen. Einer von ihnen gähnt laut. Und eine enttäuschte Stimme flucht bitter und verkündet dann: »Verdammt, ich habe von der dicken Molly in St. Louis geträumt.« »Und wie war sie?« So fragt eine andere Stimme. »Darüber redet ein Gentleman nicht, Charly.« Nun lachen sie röhrend los. Pierce grollt: »Er sagt, er wäre ein Gentleman, dieser Hurensohn, oho!« Vielleicht wäre es zu einem Streit gekommen, denn die Warterei hat in ihnen eine aggressive Stimmung erzeugt. Doch da ruft die Stimme des Sergeanten, der mit seinen beiden Männern immer noch bei ihnen ist: »Sie machen Dampf auf! Seht ihr die Schornsteine qualmen? Sie machen Dampf auf. Also werden sie bald kommen! Und dann könnt
ihr zeigen, ob ihr mehr könnt, als auf der dicken Molly zu liegen, verdammt!« Die Stimme des Sergeanten grollt nun und hat einen Beiklang von Verachtung. Ja, für ihn sind sie eine Bande von Squawmännern aus dem Norden. Henry Sharps aber ruft barsch: »Ruhe jetzt! Das Warten hat bald ein Ende. Bald könnt ihr dieser Welt etwas zeigen, nämlich, wie zwei Dutzend schwere Buffalo Sharps eine ganze Flotte von Kanonenbooten aufhalten!« Da schweigen sie und beginnen noch einmal ihre Gewehre zu überprüfen und Munition bereitzulegen. Das Wild muss bald kommen. Die Warterei hat endlich ein Ende. Und sie werden schießen können auf besonderes Wild. Sie alle spüren es jetzt wie eine Sucht. Und wenn sie gewinnen, dann wird die ganze Welt darüber reden. Es wird früher Mittag. Dann hat die Flotte genügend Dampfdruck in ihren Kesseln, um mit großer Fahrt aus der Yazoo-Mündung in den Mississippi zu rauschen. Denn schnell müssen sie sein, um den Kanonen von Vicksburg bewegliche Ziele zu bieten, die schwerer zu treffen sind. Die Sharps Shooter auf dem langen Felsenrücken, von dem sie den Yazoo stromauf
sehen können, haben längst ihre Stellungen eingenommen. Sie alle werden auf die große Entfernung liegend aufgelegt schießen. Denn die Sichtöffnungen in den Ruderhäusern sind klein. Aber hinter jeder Öffnung wird ein Gesicht sein. Auch Tom Harper blickt durch sein Zielfernrohr. Er hat das Visier auf zwölfhundert Yards eingestellt, doch das Fernrohr bringt ihm das Ziel auf hundertzwanzig Yards heran. Er ist sich seiner Zaubersharps sicher. Mit Redersoli hat er sie tagelang auf der Prärie bei St. Louis ausprobiert. Er hört Henry Sharps' Stimme rufen: »Jungs, ihr könnt schießen, sobald ihr sicher seid, etwas treffen zu können!« Die Stimme klirrt metallisch, denn auch für diesen Mann, der sich selbst zum Colonel ernannte, geht es um viel. Er hat eine Menge Zeit und Geld investiert und eine Mannschaft von eitlen Schießern zusammenbekommen. Die Kanonenboote kommen immer schneller den Yazoo River abwärts. Jedes Boot hat zwei rauchende Schornsteine, eisengepanzerte Aufbauten und nach allen Seiten Geschützluken, aus denen die Kanonenrohre ragen. Diese Kanonenboote können nach allen Seiten schießen, auch schräg nach oben, also hinauf zur
Artillerie von Vicksburg, sobald sie die Festung passieren. Hinter den Kanonenbooten kommen die Transporter, gefüllt mit den Landetruppen, die sie unter dem Schutz ihres Feuers an Land setzen wollen. Fünftausend Mann sollen es sein, mit denen General Grant die Festung endlich von der Flussseite her erobern will, die auf der Landseite von dreißigtausend Mann eingeschlossen ist. Aber die Konföderierten in Vicksburg zählen ebenfalls noch zumindest dreißigtausend Mann, dazu noch viele Zivilisten. Und sie alle in der Festung hungern schon viele Wochen. Jeden zweiten Tag gibt es Maultierfleisch, etwas Maisbrot und wenige andere Essbarkeiten. Hunde und Katzen sind längst schon verzehrt. Es ist dann Tom Harpers Gewehr, das als erstes kracht und die schwere Kugel aus dem Lauf feuert. Diese Kugel ist lange unterwegs, wird vom Krachen des Schusses überholt und schickt auch das böse Pfeifen voraus. Man könnte – wenn man dieses rauschende Pfeifen hört – in einem Sekundenbruchteil vor der Kugel den Kopf wegducken. Doch der Rudergänger auf dem ersten Kanonenboot hört das rauschende Kugelpfeifen gewiss nicht in seinem gepanzerten Ruderhaus. Auch der Kommandant neben ihm kann es nicht hören.
Tom Harper kann nicht sehen, ob er trifft, denn die Wolke des Schwarzpulvers vor der Gewehrmündung hüllt auch ihn schnell ein und versperrt ihm die Sicht. Aber die Männer neben ihm beginnen zu brüllen. Und einige Sekunden später kann auch er erkennen, dass dieses erste Kanonenboot nicht mehr den Kurs einhält. Der Rudergänger hinter der Luke ist ausgefallen. Das gepanzerte Boot ist steuerlos und rammt wenig später mit der Backbordseite auf Grund. Sie alle brüllen auf dem Felsenrücken der Landzunge, die von den Kanonenbooten und allen anderen Schiffen umfahren werden muss. Dann aber krachen die anderen Sharps. Denn die ganze Flotte kommt schnell näher, wird auch noch von der Strömung des Yazoo Rivers beschleunigt, nicht nur von den ratternden und patschenden Schaufelrädern angetrieben. Die Sharps Shooter schießen, laden und schießen. Es ist ein ständiges Feuern, das nur dann unterbrochen wird, wenn sie ihre Gewehrläufe kühlen und von dem Schmauch des Schwarzpulvers befreien müssen. Vor ihnen auf dem Yazoo River aber herrscht ein böses Durcheinander. Denn es wurden inzwischen auch weitere Kanonenboote steuerlos und rammten auf Grund. Sie liegen kreuz und
quer in der ziemlich engen Fahrrinne, die von Kies- oder Sandbänken, auch einigen Riffen, ohnehin schon sehr eingeengt wird. Die Truppentransporter aber rauschen nun in dieses Durcheinander, weil sie gar nicht so schnell abbremsen können, denn die schweren Flachboote sind mit zu viel Masse in Bewegung, und der Schwung einer Masse ist nicht so schnell zu stoppen. Diese Transporter kamen nun auch in den Schussbereich der Scharfschützen. Die Soldaten sind auf diesen Flachbooten fast ungeschützt. Henry Sharps' Männer feuern nun weiter auf die Soldaten. Doch dann müssen sie aufhören. Ihre Gewehrläufe glühen fast. Sie müssen eine Pause einlegen, kühlen, ausspülen – und dann bekommen sie Artilleriefeuer auf ihren Felsenrücken. Die Kanonen der Boote feuern nun zu ihnen herüber. Sie bekommen jetzt das ganze Feuer, das eigentlich der Festung Vicksburg zugedacht war, denn auch auf Grund sitzende Kanonenboote können schießen. Und noch etwas geschieht dort vor ihnen auf dem Fluss. Der Sergeant erkennt und begreift es zuerst. »Hoiii, jetzt kommen sie an Land und wollen uns besuchen! Seht ihr, sie setzen mehr als hundert
Mann an Land. Die Jagd auf uns beginnt! Kanonenboote konntet ihr aufhalten, aber mit mehr als hundert Mann zu Fuß werdet ihr es schwer haben. Ich mache mich mit meinen Männern auf die Socken! Wir versuchen zur Festung zu gelangen.« Er hat es kaum ausgesprochen, da schlagen bei ihm die Granaten ein. Die Kanonen schießen Schrapnells, und das sind böse Granaten mit Kugelfüllung, sozusagen gewaltige Schrotladungen. Sie richten unter den Sharps Shootern eine Menge Schaden an. Tom Harper wartet nicht länger. Er begreift schnell, dass er keine Sekunde verlieren darf. Soeben waren sie noch die Sieger. Sie hielten eine Flotte auf. Jetzt werden sie bald gejagte Verlierer sein. Hinter Tom Harper und wenigen anderen Männern bleiben Tote und Verwundete zurück. Auch von Henry Sharps, ihrem Colonel, ist nichts mehr zu hören. Und so gilt wohl für die Überlebenden nur noch der Spruch: Rette sich wer kann. Jetzt sind sie gejagte Hunde. Tom Harper läuft mit Yellowstone Pierce. Manchmal flucht er, dann wieder lässt er ein wildes Lachen hören. Und einmal, als sie verschnaufen und sich im Uferwald zu orientieren versuchen, da stößt er
hervor: »Huuiii, das war ein Schießfest! Dafür lohnte sich die weite Reise. Aber wenn sie uns erwischen, ziehen sie uns die Haut ab. Verdammt, Harper, es ist ein weiter Weg bis nach Montana.« Tom Harper erwidert nichts. Aber in diesem Moment denkt er an Jennifer O'Hara. Und es ist ein bitteres Bedauern in ihm.
5 Als es Abend wird, sind sie noch fünf Mann und glauben fest, entkommen zu sein. Denn sie waren ja oben im Norden Bergläufer, Trapper, Indianerkämpfer, also besonders zäh und ausdauernd. Und auch im dichten Wald können sie sich schnell und lautlos bewegen. Doch als es Abend wird, da erreichen sie eine Ebene und sehen vor sich die Lichter einer kleinen Stadt. Schnaufend verharren sie und wittern hinüber. Einer sagt: »Da könnten Blaubäuche stationiert sein.« »Aber wo Yanks sind, da werden auch Pferde sein«, knurrt Pierce. »Nicht wahr, Bullock, du würdest auch lieber reiten?« »Und wenn ich einige Yanks deshalb umbringen müsste«, erwidert Bullock. Wade aber spricht: »Und Hunger hätte ich auch. Ihr nicht?« »Also gehen wir«, entscheidet Tom Harper. »Doch wenn es möglich ist, dann bringen wir keinen um, sondern versuchen es friedlich. Jetzt geht es nicht mehr um Vicksburg, sondern nur um uns.« Sie setzen sich wieder in Bewegung. Und sie sind mit fünf hungrigen Berglöwen zu vergleichen.
Die Lichter vor ihnen – noch etwa eine Meile entfernt – erweisen sich, indes sie näher kommen, als eine Post- und Frachtstation. Denn sie erreichen einen Wagenweg, der von Norden kommend über Yazoo City nach Vicksburg führt, jetzt aber gewiss von den Unionstruppen kontrolliert wird, die ja Vicksburg eingeschlossen haben. Sie halten inne. Einer von ihnen – sein Name ist Kelso – lacht leise und spricht dann zufrieden: »Ja, das ist eine Pferdewechselstation mit einem Store und einigen Hütten. Seht ihr die Corrals und Weidekoppeln? Wir bekommen Pferde. Also gehen wir, verdammt!« Sie setzen sich wieder in Bewegung, und als sie der Station schon sehr nahe sind, beginnt ein Hund zu bellen. Wieder halten sie inne. Bullock knurrt: »Dieser verdammte Hund ...« Aber Pierce lacht verächtlich: »Mir tun Hunde nichts. Hunde sind meine Brüder und Freunde. Ich muss in meinem früheren Leben selbst ein Hund gewesen sein.« »Du bist immer noch einer«, kichert Kelso, »ein zweibeiniger Hund.« Sie gehen weiter, Pierce nun voran. Wenig später springt ihn der große Hund an. Doch es ist kein Angriff. Das Tier will ihm nicht an die Kehle, sondern beginnt sein bärtiges Gesicht zu lecken.
»Seht ihr«, lacht Pierce röhrend und krault dem großen Hund den Hals an der Kehle. Sie gehen nun weiter, und der Hund bleibt neben Pierce bei Fuß, winselt immer wieder zu ihm empor. Als sie das Stationshaus erreichen, treten dort zwei Gestalten heraus. Es sind Soldaten. Ja, sie tragen die blauen Uniformen der Unionsarmee. Und sie halten Gewehre im Hüftanschlag. Dass sie nicht voller Misstrauen sind, dies liegt wahrscheinlich am Verhalten des großen Hundes. Denn dieser hat nur am Anfang warnend gebellt. »He, wer seid ihr?« So fragt einer der Soldaten. »Bleibt stehen und sagt erst, wer ihr seid!« Zuletzt bellt die Stimme im militärischen Kommandoklang. Yellowstone Pierce lacht als Antwort und erwidert: »Pferdesoldat, wir wollen von euch nur fünf Pferde. Ihr könnt sie uns freiwillig geben oder nicht. Doch wir bekommen sie gewiss.« Er hat kaum ausgesprochen, da springen die beiden Soldaten schießend rückwärts ins Stationshaus zurück. Aber sie schaffen es nicht. Denn die Gewehre der fünf Sharps Shooter krachen in der Nacht und hallen als Donner über der Ebene in der Runde. Die beiden Soldaten fallen in der noch offenen Tür übereinander. Doch sie werden ins Haus gezogen. Und dann verlöscht drinnen das Licht.
Aus den beiden Fenstern aber krachen Schüsse. Als es still wird, weil sie drinnen nachladen müssen, ruft Pierce rau: »Ihr verdammten Narren, wir wollen doch nur fünf Pferde! Lohnt es sich dafür zu sterben? Wir haben die ganze Flotte der Kanonenboote aufgehalten! Wie könnt ihr da versuchen, uns jetzt am Pferderaub zu hindern! Ihr seid Narren, verdammte Narren. Euer Hund war schlauer als ihr!« Er brüllt es zuletzt voller Bitterkeit. Aber was geschehen ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Denn dass sie zurückschossen, waren Reflexe gewesen, sehr viel schneller als jeder Gedanke. Es bleibt nun still in der ehemaligen PostStation, die von einer kleinen Gruppe Soldaten besetzt ist. Die fünf Sharps Shooter aber laden erst ihre Gewehre nach. Dann gehen sie hinüber zu den Corrals. Kelso spricht: »Wir sollten keine Pferde mit dem Brand der US-Kavallerie nehmen.« »Wem sagst du das?« Wades Stimme klingt bitter. Sie finden in den Corrals genug Pferde ohne Armee-Brand, auch Sättel. Wenig später sind sie unterwegs.
Tom Harper reitet als letzter Mann. Er hat bis jetzt geschwiegen, aber was hätte er auch sagen sollen? In ihm sind viele bittere Gedanken. Denn eigentlich war alles nutzlos und umsonst. Er hat sich als Schießer anwerben lassen und geglaubt, gut zu handeln, wenn auch auf böse Weise. Denn Krieg ist immer böse und macht selbst die Sieger letztlich zu Verlierern, weil ja auch sie Opfer bringen mussten. Gewiss, sie konnten die Kanonenboote aufhalten, und es wird eine Weile dauern, bis die Flotte wieder einsatzfähig ist. Sie alle liefen ja rechts und links an den Ufern des Yazoo auf Grund oder gar auf Klippen. Und sie haben ja auch den Landetruppen auf den Transportern Verluste zugefügt, einige Munitionskisten getroffen, die dann explodierten. Ja, sie haben die ganze Flotte gestoppt. Aber für Vicksburg bedeutet das nur eine kurze Erholungspause. Es wird bald fallen, muss sich ergeben wegen Mangel an Proviant und Munition. Eine ganze Armee von mehr als dreißigtausend Mann muss sich ergeben. Vicksburg ist jetzt schon bedeutungslos. Die kämpfenden Armeen der Konföderation östlich des Mississippis sind abgeschnitten von ihrem Hinterland im Südwesten – von der Baumwolle und den Ernten.
Dies alles wird Tom Harper klar. Und so bedauert er, dass er mit seiner Sharps so weit nach Süden ging, um zu schießen – und dass er sich von Henry Sharps anwerben ließ. Nur eines weiß er: Seine Sharps ist die Beste. Er war es, der mit dem ersten Schuss über mehr als tausend Yards hinweg durch die kleine Sichtluke im gepanzerten Ruderhaus des ersten Kanonenbootes den Rudergänger traf. Es war ein absoluter Meisterschuss mit einem Zaubergewehr. Gewiss, er hat getötet. Doch dadurch rettete er vielen Soldaten in der Festung das Leben. Es ist dennoch ein bitteres Bedauern in ihm. Er hat einen Fehler gemacht. Das Zaubergewehr hat ihn dazu verleitet. Indes sie so reiten, hat er die vier anderen Männer vor sich. Eigentlich gehören sie alle zur gleichen Sorte. Sie sind Jäger, Trapper, Bergläufer, Squawmänner dann und wann. Denn eine Squaw ist bei den friedlichen Stämmen billig zu kaufen, zum Beispiel bei den Crows. Sie alle sind also nicht das, was man besonders achten müsste, denn sie wollten im Nordwesten alle nur überleben, konnten manchmal nicht edel und gut sein. Dennoch ist er wahrscheinlich gebildeter als die vier Männer da vor ihm auf den gestohlenen Pferden.
Denn sein Vater war einer der wenigen weißen Händler, die mit den Stämmen der Hochprärie Handel trieben. Und er erinnert sich immer mit Achtung und Dankbarkeit an seine Mutter, die ihm Lesen und Schreiben, Rechnen und eine Allgemeinbildung beibrachte. Dennoch wurde er ein Jäger. Und einst liebte er mit dem Herzen eine schöne Squaw vom Stamm der Arapaho, die von einem Grizzly erschlagen wurde. Und jetzt? Was wird jetzt sein? Er macht sich keine Illusionen. Auf keinen Fall will er nach St. Louis zurück, und von dort mit einem Steamer den Missouri hinauf wieder nach Nordwesten. Denn was sie taten, wird sich in den nächsten Wochen zwischen der Ost- und Westküste herumsprechen. Diese Sensation wird von allen Zeitungen ausgeschlachtet werden. Denn sie haben mit zwei Dutzend Sharps eine ganze Flotte von Kanonenbooten in der engen YazooMündung aufgehalten. Das ist ungeheuerlich, gewaltig, eigentlich unmöglich. Nur ganz besondere Kunstschützen mit besonderen Gewehren konnten das vollbringen. Und so werden die Überlebenden dieser kleinen Mannschaft berühmte Männer sein. Einige werden ihre Geschichte überall erzählen, wo man ihnen Drinks spendiert oder Kriegsberichterstatter Honorare dafür zahlen.
Ja, so wird es kommen.
Es ist zwei Tage später in einer kleinen Stadt am Mississippi, als er sich von seinen bisherigen Gefährten trennt. Denn es gibt hier eine Fähre, die mit Baumwollballen beladene Wagen von Arkansas herüberbringt und leere Wagen wieder hinüberschafft. Er reitet einfach zur Fähre hinunter. Pierce ruft ihm nach: »He, wohin willst du? Die Saloons mit den Mädchen sind in der Stadt vor uns, nicht dort unten.« Aber er winkt ab. Die vier bisherigen Gefährten halten an und blicken ihm nach. Kelso brüllt: »Was passt dir nicht an uns? Warum reitest du einen anderen Weg?« Aber auch jetzt winkt er nur ab. Er will nicht mit ihnen zusammenbleiben. Denn er weiß, dass sie einen völlig anderen Weg einschlagen werden, als er ihn zu gehen beabsichtigt. Denn sie haben zu sehr ihre Macht als Sharps-Männer erlebt und wollen dieses Gefühl auch weiter auskosten. Er aber möchte untertauchen, sich verstecken. Arkansas da drüben gehört noch zu den Staaten der Konföderation des Südens. Und auch Texas gehört dazu. Doch irgendwann werden dort
die Sieger mit ihren Besatzungstruppen herrschen. Also muss er weiter nach Nordwesten ins neutralere Colorado. Und dort sind ja schon die Rocky Mountains. Als er auf die Fähre reitet, hört er seine vier bisherigen Gefährten noch rufen: »Hooiii, Sharps Shooter, johooo!« Er winkt noch mal und denkt dabei, indes er dem Fährmann den halben Dollar gibt: Aaah, keiner von uns wird seinem Schicksal entkommen. Er lehnt dann an der Reling und hält sein Pferd am kurzen Zügel. Plötzlich denkt er wieder an Jennifer O'Hara und fragt sich, warum sie ihm jetzt in den Sinn bekommt und er ihr Bild mit geschlossenen Augen deutlich vor sich sieht. Wo mag sie jetzt sein? Verließ sie in Vicksburg die Orleans Queen oder fuhr sie weiter bis nach New Orleans der Strom hinunter? Er glaubt nicht, dass er sie noch einmal in seinem Leben wiedersehen wird. Ob sie ihn schnell vergessen kann? Als er die Fähre verlässt, ist er in Arkansas. Es gibt auf dieser Seite einen kleinen Ort. Vor einem Saloon hält er an, sitzt ab und geht hinein. Denn es ist Mittag. Er spürt Hunger. Und er riecht den Hammelbraten bis hinaus auf die Straße. Der
herrliche Duft ist stärker als der Geruch des Stromes. Sein Magen reagiert heftig und gierig. Seine Sharps lässt er eingehüllt im Lederfutteral am Pferd zurück. Aber hinter seinem Gürtel steckt sein schwerer Colt. Und mit diesem Colt kann er umgehen. Als er eintritt, sieht er ein halbes Dutzend Gäste an einem langen Tisch beim Essen. Und der Hammelbratenduft steigt noch mehr in seine Nase und von dort abwärts in seinen gierig gewordenen Magen hinein. An der Bar stehen einige Gestalten. Und sie alle im Raum starren ihn an, so wie man in diesem Lande jeden Fremden anstarrt. Aus der offenen Tür der Küche aber tritt eine junge Frau hinter den Schanktisch, wobei sie sich die Hände an der Schürze trocknet. Ihre tiefblauen Augen betrachten ihn forschend, indes sie fragt: »Wollen Sie ein Essen oder nur einen Drink?« »Ich würde gerne essen, Ma'am«, erwidert er. »Dann nehmen Sie am langen Tisch Platz. Kaffee können Sie sich selbst einschenken.« Nach diesen Worten verschwindet sie wieder in der Küche, und offenbar ist sie hier die Köchin und Wirtin zugleich. Ihre Haare sind unter einem Kopftuch verborgen, aber offensichtlich sind es rotblonde
Haare. Sie lässt ihn abermals an Jennifer O'Hara denken. Er setzt sich und gießt sich Kaffee ein. Einer der Männer fragt von der Bar herüber, das Glas mit dem Bier noch in der Hand haltend: »Mister, woher kommen Sie – vielleicht aus Vicksburg? Wir sind alle neugierig auf Nachrichten aus Vicksburg. Hält sich die Festung noch immer?« Er nimmt erst einen Schluck Kaffee und erwidert dann: »Ja, Vicksburg hält sich noch. Ein Angriff der Union brach wieder einmal zusammen.« Als er verstummt, da schweigen sie. Er sieht, dass sie alle Zivilisten sind. Keiner trägt eine Uniform. Aber sie alle wirken wie von der gleichen Sorte, nämlich hart gesotten, zäh und rau. Sie sind auch gut bewaffnet. Und so weiß er, dass sie Guerillas sind und wahrscheinlich zu einer größeren Bande gehören. Vielleicht kamen sie her, um die Fähre zu kontrollieren und schlagen sich erst einmal die Bäuche voll. Sie könnten eine Art Vortrupp oder Erkundungstrupp sein. Ein schwarzer Junge bringt ihm aus der Küche das Essen. Die Frau ist also nicht ohne Hilfe. Sie tritt nun aus der Küche und hat das Kopftuch abgenommen, auch die Schürze. Hinter dem Schanktisch beginnt sie Gläser zu spülen.
Einmal treffen sich ihre Blicke mit denen von Tom Harper. Jener Mann am Schanktisch, der vorhin die Fragen stellte, kommt nun zum langen Tisch und verharrt vor Tom Harper, dem das Essen schon schmeckt »Warum sind Sie kein Soldat, Mister?« So fragt er auf Harper nieder. »Das könnte ich Sie auch fragen«, erwidert dieser und blickt schräg zu ihm hoch. Der Mann grinst. »Wir sind Guerillas und gehören zu Quantrills Truppe. Wenn Sie wollen, können Sie sich uns anschließen. Wollen Sie?« Tom Harper schüttelt kauend den Kopf, schluckt den Bissen herunter und erwidert ruhig: »Nein, ich reite allein meiner Wege. Dieser Krieg ist nicht mein Krieg. Ich will zurück nach Montana. Noch Fragen?« Zuletzt klingt seine Stimme hart. Er starrt in die Augen des Mannes und dieser spürt, dass er im Begriff ist, einen Berglöwen am Schwanz zu zerren. Und so wendet er sich ab und kehrt zum Schanktisch zurück. Die Frau hinter der Bar – sie säubert immer noch die Gläser – wirft ihm abermals einen forschenden Blick zu. Er erwidert ihn, denn sie gefällt ihm, weil sie ihn an Jennifer O'Hara denken lässt, der sie ähnlich sieht wie eine Schwester.
Vom Strom herauf hört man das patschende Schaufelrad der Fähre. Sie ist inzwischen hinübergefahren und kommt wieder zurück, um hier anzulegen. Ein Mann kommt von draußen herein und ruft zum Schanktisch hinüber: »Es sind Soldaten der Union an Bord! Ich zählte fünf.« »Dann sollen sie nur kommen«, erwidert der Mann an der Bar, der offensichtlich der Anführer der Guerillas ist. Es bleibt still im Raum. Aber sie alle hier wirken nun lauernd. Die Frau hinter der Bar hat alle Gläser sauber und geht in die Küche. Doch dabei wirft sie noch einen schnellen Blick über die Schulter zurück auf Tom Harper, der jetzt den Teller geleert hat und sich noch einmal Kaffee eingießt. Er möchte ihr zurufen, dass er zahlen will, aber sie verschwindet so schnell, als würde auf dem Herd etwas anbrennen. Und so verharrt er, trinkt einen Schluck Kaffee, dreht sich danach eine Zigarette und denkt dabei: Eigentlich sollte ich jetzt schnell verschwinden ... Er erhebt sich, legt einen Dollar auf den Tisch und geht hinaus. Schweigen folgt ihm. Als er draußen verhält, da sieht er die fünf Soldaten von der Landebrücke herauf geritten kommen.
Plötzlich weiß er, dass sie auf seiner Fährte kommen und längst von den Fährleuten erfahren haben, dass er an seinem Pferd ein schweres Gewehr in einem Lederfutteral hängen hat. Er wurde den Soldaten gewiss beschrieben, ebenso sein Pferd, ein Fuchs mit weißen Strümpfen. Aber er weiß auch, dass er jetzt nicht aufsitzen und wegreiten sollte. Denn das würde wie eine Flucht aussehen. Eine Jagd würde beginnen. Und eigentlich reiten die fünf Soldaten in eine Falle, denn drinnen im Saloon sind mehr als ein Dutzend Quantrill-Guerillas. Warum sollte er also flüchten? Er verharrt neben seinem Pferd an dem Haltebalken. Es ist das einzige Sattelpferd vor dem Saloon. Die Tiere der Guerillas stehen wahrscheinlich im Hof des Saloons, also hinter dem Haus. Die vier Kavalleristen werden von einem Sergeanten angeführt, der ihr fünfter Mann ist. Und dieser Sergeant sieht hart und erfahren aus. Sie kommen im Schritt heraufgeritten von der Landebrücke, wo die Fähre wieder losmacht und zurück auf die andere Seite schräg gegen die Strömung dampft. Tom Harper raucht immer noch seine Zigarette. Dann halten die Soldaten bei ihm. Der Sergeant betrachtet Harpers Pferd und richtet dann seinen harten Blick auf ihn.
»Du warst dabei am Yazoo«, spricht er. »Wir haben alle Überlebenden von euch. Unser Nachrichtensystem ist schneller, als ihr reiten konntet. Auch die vier anderen, von denen du dich getrennt hast, haben wir dort drüben schon kassiert. Wie konntet ihr Narren nur hoffen, dass ihr uns entkommen würdet?« In Tom Harper jagen sich nun die Gedanken. Und so wird ihm alles sehr schnell klar. Sie konnten am Yazoo nur mit fünf Mann entkommen, nachdem die Schrapnells unter ihnen wüteten. Doch alle Sharps Shooter waren gewiss nicht tot, einige nur verwundet. Und es gab und gibt immer Verräter. Die Spur war dann leicht zu verfolgen, zumal die Armee auch mit einem Spiegelsystem von Bergkuppen Nachrichten über viele Meilen hinweg versenden kann. Der Sergeant starrt ihn triumphierend an und spricht hart: »Zumindest wirst du als Pferdedieb am Hals hochgezogen, bis kein Leben mehr in dir ist. Ihr habt Pferde der Union gestohlen und getötet.« Sie halten vor ihm, sitzen noch in den Sätteln und zielen mit ihren Revolvern über die Köpfe ihrer Pferde auf ihn. Und sollte er auch nur eine leichte Bewegung nach seinem Revolver im Gürtel machen, werden sie schießen. Sie warten nur auf eine solche
Bewegung von ihm. Für sie ist dies ein böses Spiel. Verdammt, denkt er, wir konnten eine Flotte von Kanonenbooten aufhalten. Doch zum Entkommen waren wir zu dumm. Und weil er nicht hängen will als Pferdedieb, schnappt er nach seiner Waffe. Ja, er will lieber von Kugeln sterben als hängen. Doch als er schießt und mit seiner ersten Kugel den Sergeanten vom Pferd fegt, da sieht er in die Mündungsfeuer der Soldaten und hört auch hinter sich das Krachen der Waffen drinnen im Saloon, wo in den nächsten Sekunden die Guerillas aus der Tür und den Fenstern schießen. Er spürt noch die Einschläge der Kugeln und fällt um.
6 Irgendwann beginnt er zu begreifen, dass er am Leben ist. Denn Tote spüren keine Schmerzen mehr. Oder ist er in der Hölle und fügen ihm Teufel diese Schmerzen zu? Als er sich dies mit mühsamen Gedanken zu fragen beginnt, da wird es in seinem Kopf immer klarer. Es ist eine seltsame Klarheit, so als würde er aus dunklen Tiefen zum Licht hochsteigen. Dann öffnet er die Augen, und als sich die Nebel lichten und alles hell wird, da sieht er das Frauengesicht über sich. Er hält es zuerst für Jennifer O'Haras Gesicht, begreift dann jedoch, dass es sich um die Saloonwirtin handeln muss, die sich über ihn beugt. Also ist er nicht in der Hölle. Er lebt, hat Schmerzen und liegt auf einem Bett. Nach einer Weile fragt er zu jenem ernst lächelnden Gesicht empor: »Wie lange liege ich hier schon?« Seine Worte sind kaum verständlich. Dennoch erwidert die Frau: »Vier Tage und vier Nächte. Dies ist der fünfte Tag, aber es ist erst früher Morgen. Ich glaube, Sie sind jetzt über den Berg. Ich holte zwei Kugeln aus Ihnen heraus und versorgte auch die Streifwunden. Ihr Fieber hat in der Nacht nachgelassen. Ich denke, Sie können es jetzt schaffen.«
Er muss erst eine Weile nachdenken, bis er alles richtig begriffen hat. Sie aber fasst ihn unter den Kopf, hebt diesen etwas an und lässt ihn einige Schlucke Tee trinken. Das tut ihm gut. Und so kann er verständlicher fragen: »Was ist geschehen? Wie ist das alles abgelaufen?« Sie lässt ihn noch mal trinken. Dann erklärt sie ihm ruhig: »Ihr habt alle zu gleicher Zeit geschossen, Sie, die Soldaten und die Guerillas aus den Öffnungen des Saloons – ihr alle in derselben Sekunde. Es war, als würde die Hölle losbrechen.« »Und dann?« Er fragt es nach einer Weile des mühsamen Nachdenkens und Begreifens. »Dann ritten die Guerillas weiter«, spricht sie spröde. »Sie haben nicht einmal ihre Zeche bezahlt, sagten mir nur, dass Krieg wäre und wir alle Opfer bringen müssten. Die Leute des Ortes halfen mir dann, Sie hier auf dieses Bett zu tragen. Und die toten Soldaten trugen wir auf die Fähre. Dort drüben warteten die anderen Soldaten, denen die vier anderen Sharps Shooter entkommen waren.« Abermals muss er erst eine Weile nachdenken, bevor er fragen kann: »Und man weiß hier schon, was an der Yazoo-Mündung geschah?« Sie nickt. »Solche Nachrichten verbreiten sich schnell. Und dieses Geschehen ist eine unglaubliche Sensation: Zwei Dutzend Sharps
Shooter halten eine ganze Flotte von Kanonenbooten auf und lassen sie steuerlos auf Grund laufen. Eure Überlebenden sind nun berühmt und gehen in die Geschichte ein. Was da am Yazoo geschah, wird ausgeschmückt werden. Es kamen auch Soldaten herüber, die nach Ihnen suchten, Mister. Wir führten Sie zu einem Grab, in dem einer der Guerillas liegt, und sagten ihnen, dass Sie es wären. Sie sind in Sicherheit. Dieser Ort ist der Konföderation treu und wird Sie nicht verraten. Man bewundert und verehrt hier die Sharps Shooter der Yazoo-Mündung, die Vicksburg zwar nicht retten konnten, der Festung jedoch eine Ruhepause verschafften. Vicksburg hat sich vorgestern ergeben. Es war am vierten Juli. Heute ist der sechste. Haben Sie Hunger, Mister?« »Harper, Tom Harper«, murmelt dieser. »Ja, das ist mein Name. Und Ihrer?« »Sally, Sally Lonnegan. Und mein Mann gehört zu den Verlierern in Vicksburg – wie auch noch andere Männer aus unserem Ort. Wir beten hier ständig in unserer kleinen Kirche, die eigentlich nur eine umgebaute Scheune ist, dass unsere Männer es überleben konnten. Ich hole Ihnen eine Hühnersuppe. Diese werden Sie wohl vertragen können. Sie hatten Glück, Tom Harper.« Sie geht hinaus. Er aber bleibt mit vielen Gedanken zurück.
Und er weiß, dass Yellowstone Pierce, Bullock, Wade und Kelso offenbar entkommen konnten. Wahrscheinlich hatten sie rechtzeitig die Stadt verlassen und sich dann ihre Verfolger mit ihren weit reichenden Gewehren vom Hals gehalten. Ja, so etwa konnte es gewesen sein. Und so fragt er sich, wann er wieder reiten kann. Wahrscheinlich hat er auch sein Pferd verloren im Kugelhagel. Es kann gar nicht anders sein. Er schläft plötzlich wieder ein. Als Sally Lonnegan mit der Suppe kommt, kann sie ihn nicht füttern. Und sie weckt ihn auch nicht. Der Schlaf ist gewiss besser für ihn. Und wenn er erwacht, wird er noch größeren Hunger haben. Sie verhält eine Weile an seinem Lager und blickt auf ihn nieder. Und dabei fragt sie sich, ob auch ihr Mann so viel Glück haben wird wie dieser Tom Harper, den sie gesund pflegen will, so als könnte sie dadurch auch ihrem Mann helfen.
Es ist zwei Wochen später, als sich Tom Harper auf den Weg macht im Sattel eines anderen Pferdes. Und inzwischen weiß man auch hier in diesem kleinen Ort am Westufer des Mississippi mehr über Vicksburgs Kapitulation.
General Grant hat einen grandiosen Sieg errungen. Sein Gegenspieler General Pemperton unterschrieb am 4. Juli 1863 die Kapitulation. Fast dreißigtausend konföderierte Soldaten gerieten in Gefangenschaft. Die Unionsarmee erbeutete 172 Geschütze, Offiziere durften ihre Degen behalten, auch ihre Pferde. Und die Zivilbevölkerung von Vicksburg würde geschützt werden. So lauteten die Nachrichten. Und der Mann von Sally Lonnegan kehrte heim mit nur einem Arm. Dies alles lässt Tom Harper hinter sich zurück. Er will raus aus dem jetzt von der Unionsarmee beherrschten Arkansas. Denn eines weiß er: Es gibt Steckbriefe mit ausgesetzten Belohnungen auf ihn. Ein guter Zeichner hat nach Beschreibungen von allen, die entkommen konnten, gute Bilder gefertigt. Sie ritten ja drüben durch die Stadt. Die Jagd auf sie ist in vollem Gange. Und es ist ja immer noch Krieg. Der wird sogar noch zwei Jahre dauern. Doch dies weiß er ja nicht. Er will nur entkommen.
Es ist zwei Monate später, als er in einer Postkutsche nach Santa Fe unterwegs ist. Und
von Santa Fe über Taos ist es nicht mehr weit nach Colorado. Seine Zaubersharps hat er immer noch bei sich. Sonst aber besitzt er nur wenig Gepäck, das hauptsächlich aus Munition besteht und in seinem Ledersack fast so schwer wiegt wie Blei oder Gold. Es ist eine gemischte Reisegesellschaft in der neunsitzigen Abbot & Downing Stagecoach. Und sie alle wissen nicht, dass sie auch Lohngelder transportiert, die sich hinten im Gepäckkasten befinden. Nur der Fahrer und dessen Begleitmann sind informiert. Die Kutsche wird dicht vor Santa Fe angehalten in einem Hohlweg zwischen Felsen. Der Fahrer geht kein Risiko ein, als ihm jemand den Hut vom Kopf schießt und eine Stimme scharf vom Felsen nieder ruft: »Halt an, Sharkey!« Und er hält an. Er und sein Begleitmann heben die Hände. Und dann warten sie alle geduldig – auch die Passagiere in der Kutsche –, bis die Banditen die Beute aus dem Gepäckkasten geholt haben. Dann hört man den Hufschlag von zwei Pferden. Und der Fahrer hoch oben auf dem Bock ruft böse: »Das waren gewiss die Laffitter-Brüder! Ich kenne die Stimme von George Laffitter. Sie haben sich zwanzigtausend Dollar Lohngelder
geholt. Oho, die Aurora-Mine würde gewiss zweitausend Dollar Belohnung zahlen. Doch wer würde sich dieses Geld verdienen wollen, he, wer denn?« »Ich will es versuchen!«, ruft Tom Harper aus der Kutsche. »Fahren Sie aus dem Hohlweg hinaus, damit ich die Reiter sehen kann.« »Aaah, die sind dann mehr als eine halbe Meile weit weg!« Der Fahrer brüllt es bitter. Doch dann fährt er wieder an. Und als die Kutsche wieder im Freien ist, da sehen sie die beiden Reiter tatsächlich schon fast eine halbe Meile entfernt auf nur trabenden Pferden. Jeder der Reiter hat einen schweren Beutel am Sattelhorn hängen, gefüllt mit harten Dollars. Denn die Aurora-Mine ist eine große Mine, die nicht nur Lohngelder, sondern auch noch viele andere Beträge zu zahlen hat. Die Passagiere sind alle ausgestiegen und sehen nun zu, wie Tom Harper – dieser große, schweigsame Mann, mit dem sie schon zwei Tage in der Kutsche sitzen – ein in Leder eingehülltes Gewehr unter dem Kutschbock hervorzieht, das er nicht mit in die Kutsche nehmen durfte. Mit diesem Gewehr klettert er auf das Kutschdach und hat von oben einen guten Weitblick. Sie sehen, wie er das schwere Büffelgewehr aus dem Lederfutteral zieht und
anschließend ein Zielfernrohr auf den Lauf montiert. Anschließend holt er aus der Tasche seiner Lederjacke eine Messingpatrone, öffnet den Ladeverschluss des Gewehrs und lädt es. Dann spricht er zum Fahrer und dessen Beifahrer nieder: »Haltet das Gespann ruhig. Die Kutsche darf nicht rucken. Verstanden?« »Ja, verstanden«, krächzt der Fahrer. »Aber die Entfernung ist jetzt zu weit. Dies Kerle können Sie nicht mehr erwischen.« »Mal sehen«, erwidert Tom Harper nur. Und dann sehen sie, wie er auf dem Kutschdach mit einem Bein niederkniet und auf das hoch gestellte Knie des anderen Beines seinen linken Ellbogen aufstützt, dabei das Gewehr anlegt, dessen Visier offenbar auf diese weite Entfernung bereits eingestellt ist. Denn er klappt es nur mit einem schnellen Griff auf. Er zielt nicht lange mit angehaltenen Atem. Dann kracht der Schuss wie ein Donnerschlag, und hinter der schweren Kugel kommt der Schwarzpulverrauch aus der Mündung. Sie hören das Rauschen des Geschosses. Und dann überschlägt sich gut tausend Yards weiter einer der Reiter mit seinem Pferd. Und der Schütze auf dem Kutschdach lädt schnell nach, schießt noch einmal und trifft abermals mit seiner Zaubersharps. Ja, es muss ein Zaubergewehr sein. Und der Schütze muss ein Zauberschütze sein.
Anders ist es für die staunenden Passagiere und die beiden Männer von der Postlinie nicht zu erklären. Es muss ein Zauber sein. Denn die Entfernung war gewaltig. Tom Harper springt von der Kutsche – zuerst auf den Fahrersitz, dann zu Boden. »Fahren wir hin«, spricht er ruhig mit einem bitteren Ernst. »Oder wollt ihr laufen, um das Lohngeld zu holen?« Sie alle sind noch stumm vor Staunen, aber sie gehorchen. Die Kutsche fährt vom Wagenweg und hoppelt über die Ebene, zieht mit ihren Rädern Furchen durch den sandigen Boden, in dem nur da und dort Dornenbüsche und Kakteen zu sehen sind. Dann erreichen sie die beiden Banditen. Einer liegt halb unter seinem toten Pferd und stöhnt vor Schmerz, stößt dann voller Wut und Bitterkeit hervor: »Ihr verdammten Hurensöhne, warum habt ihr das getan? Mit was für einer Kanone habt ihr auf unsere Pferde geschossen, dass sie sich mit uns überschlugen?« Aber sie geben dem Mann keine Antwort. Sie steigen alle aus der Kutsche, auch die beiden Frauen, und gehen dann einige Dutzend Schritte weiter, wo der andere Bandit liegt. Das stürzende Pferd warf ihn in einen Dornbusch, dessen Stacheln ihn wie kleine Dolche verletzten. Mühsam kommt er herausgekrochen und verharrt
auf Händen und Knien, so als wäre er ein Hund auf vier Beinen. Dann starrt er keuchend zu ihnen hoch und verzerrt sein Gesicht. Der Fahrer spricht zu ihm nieder: »George Laffitter, diesmal war es wohl nichts. Wir werden dich und deinen Bruder auf dem Kutschdach nach Santa Fe mitnehmen. Du weißt doch, dass Santa Fe so viel wie heiliger Glaube bedeutet? Und so solltest du beten und daran glauben, dass sie dich in Santa Fe nicht hängen werden, obwohl ihr schon mehr als einen von uns vom Bock geschossen habt. Jetzt habt ihr verloren, ihr Stinker. Irgendwann musste euer Glück ja mal zu Ende sein.«
Zwei Stunden später erreichen sie Santa Fe und liefern die Gefangenen ab, denen es gar nicht gut geht und im Gefängnis vom Doc versorgt werden müssen. Im Sheriff's Office müssen der Fahrer, sein Begleitmann und auch Tom Harper alles zu Protokoll geben und ihre Aussagen unterschreiben. Der Sheriff blickt Tom Harper dann fest an und spricht: »Mister Harper, ich weiß ziemlich sicher, wer Sie sind. Die Kunde vom Kampf der Sharps Shooter gegen die Kanonenboote der Union hat sich in Windeseile überall verbreitet, wahrscheinlich sogar bis hinauf nach Montana
und Oregon. Einige von euch konnten entkommen. Und Sie sind einer von ihnen. Die Minen-Gesellschaft, deren Lohngelder Sie retteten, wird Ihnen eine hohe Belohnung zahlen. Doch Sie müssen einige Tage bleiben. Ich werde dafür sorgen, dass Sie die Belohnung so schnell wie möglich erhalten. Und Sie sind hier in Santa Fe einigermaßen sicher vor der Unionsarmee, denn hier ist kein Kriegsgebiet. Die ganze Stadt ist Ihnen dankbar. Denn die Minenleute können nun überall in den Geschäften ihre Schulden bezahlen und in den Saloons und sonst wo wieder Geld ausgeben. Sie sind hier unter Anhängern und Freunden der Konföderation des Südens.« Als der Sheriff verstummt, überlegt Tom Harper nicht lange. Denn eine Belohnung kann er gewiss gut gebrauchen. Zwar besitzt er noch fast zweitausend Dollar, obwohl er damals dem Waffenmacher in St. Louis tausend Dollar für den genialen Umbau seiner Sharps zahlte. Doch er hat bisher kaum Geld ausgegeben. Allerdings hatte Henry Sharps ihm und auch all den anderen Sharps Shootern noch keinen Sold gezahlt. Aber das kann er leicht verschmerzen. Denn sein Davonkommen zählt mehr.
7 Es gefällt ihm in der alten Pueblo-Stadt, durch die der alte Wagenweg nach Taos und dann über den Apachenpass nach Colorado führt. Schon die Spanier schufen diesen Weg, als sie nach den goldenen Städten von Cibola suchten und an vielen Stellen Missionen errichteten, um die Heiden zu bekehren. Er wohnt in diesen beiden Tagen bei der Schwägerin des Sheriffs, die eine kleine Pension betreibt und Witwe wurde seit der Schlacht am Bull Run am Anfang des Krieges. Sie ist noch jung und mehr als hübsch, eine dunkelhaarige Frau mit blauen Augen und ein paar Sommersprossen auf der Nase. Sie gefällt Tom Harper mächtig, und er findet schnell heraus, dass er sie haben kann, wenn er nur will. Und so will er und liegt schon in der ersten Nacht nicht in seinem, sondern in ihrem Bett, so als hätte sie nur auf ihn gewartet. Irgendwann sagt sie in seinen Armen: »Du bist der erste Mann seit dem Tag, an den ich Witwe wurde. Ich wollte nicht länger verdorren. Kannst du das verstehen?« »Und wie«, erwidert er. »Jeder Mensch kann das verstehen. Du bist eine Vollblutfrau voller Feuer. Und du warst einsam inmitten einer Stadt. Man kann nicht ständig auf das Süße im Leben
verzichten. Und wir beide haben uns vom ersten Augenblick an gefallen.« »Doch ich werde dich nicht bei mir halten können, und du würdest mich auch nicht mitnehmen, wohin du auch gehst?« »Nein«, erwidert er. »Wir werden uns nur in Erinnerung behalten, und es werden gute Erinnerungen sein, die zu jenen gehören, die das Leben lebenswerter machen.« Sie rollt sich über ihn und küsst ihn lange. »Ehrlich bist du«, flüstert sie. »Man kann wohl nicht alles haben. Liebe mich, Tom Harper, liebe mich die ganze Nacht. Denn ich will mich noch lange an dich erinnern können. Wann hattest du vor mir deine letzte Frau?« »Aaah, das ist lange her«, murmelt er und denkt an Jennifer O'Hara. Und dann denkt er noch weiter zurück an die Arapaho-Squaw, die er sich für zwei Pferde und ein Gewehr kaufte und die er schon mit dem Herzen zu lieben begann, als der Grizzly sie tötete. Ja, er hatte ihren Tod damals gerächt. Aber das machte sie nicht wieder lebendig. Und jetzt hält er wieder eine Frau in den Armen. Er denkt mit einem Gefühl von Bitterkeit: Eigentlich bin ich doch ein armer Hund, was Frauen betrifft, verdammt. Also sollte ich auch jetzt und hier nehmen, was ich bekommen kann.
Am nächsten Tag – es ist schon fast Mittag – findet er sich im Sheriff's Office ein, nach einem späten Frühstück mit Louisa. Der Sheriff grinst ihn an und fragt: »Haben Sie es gut gehabt bei meiner Schwägerin? Sie haben Louisa gewiss an ihren Mann erinnert, der mein Bruder war. Er war ein Typ wie Sie, Harper.« »Darüber sprachen wir nicht«, erwidert Tom Harper ernst. »Aber ich weiß, dass ich bei ihr bleiben könnte.« »Doch das wollen Sie nicht – oder?« »Ich bin ein Trapper aus den Bergen Montanas. Und ich kam nur so weit nach Süden, um mit meinem Gewehr etwas Besonderes zu vollbringen. Aber das war falsch. Ich bin nicht mehr stolz darauf. Ich war zu stolz auf mein Gewehr und halte es immer noch für das beste auf dieser Erde. Was ist mit der Belohnung der Minen-Gesellschaft?« »Die kann ich Ihnen auszahlen – zweitausend Dollar. Und ich soll Sie fragen, ob Sie nicht weiter die Gold- und Geldtransporte schützen wollen für zweihundert Dollar Gehalt und Prämien. Das ist ein nobles Angebot. Ich habe nicht mal die Hälfte dieser Summe als Gehalt. Wollen Sie?« Tom Harper schüttelt den Kopf. Erst dann sagt er ruhig: »Ich will weiter. Und ich werde mir ein Pferd kaufen und wieder reiten.«
»Über Taos und den Apachenpass?« Wieder nickt Tom Harper nur. »Dann passen Sie gut auf sich auf, Harper. Denn dort oben im Pass lauern die Banditen und Apachen. Früher hielt die Armee diesen Pass frei, manchmal auch eine Bürgermiliz aus Taos. Aber jetzt im Krieg kämpft die Armee anderswo. Und die Bürgermiliz besteht nur noch aus alten Männern.« Der Sheriff – er ist grauköpfig und hinkt mit dem linken Bein – öffnet die Lade seines narbigen Schreibtisches und holt einen Umschlag hervor. »Zweitausend Dollar«, sagt er. »Sie müssen quittieren. Und wann reiten Sie?« »Heute noch«, murmelt Harper. »Sonst bleibe ich noch bei Ihrer Schwägerin hängen.« »Das wäre doch nicht schlecht?« Der Sheriff hat ein Funkeln in den Augen. Aber Tom Harper geht hinaus. Draußen ist ihm nach einem Drink, und so steuert er den nächsten Saloon an und lässt sich am Schanktisch einen Tequila geben. Ja, er will ein besonders scharfes Zeug, denn sein Abschied von Louisa wird nicht so einfach werden. Aber erst muss er sich noch ein Pferd, einen Sattel und einige andere Dinge kaufen. Und so begibt er sich geradewegs zum Mietstall und ersteht dort einen zähen Pinto, also einen schwarzweißen Schecken.
Als er aufsitzen und aus dem Hof reiten will, taucht in der Einfahrt ein Mann auf, der die Hand hebt, so als wollte er ihn aufhalten, und dabei fragt: »Sind Sie Mister Harper, der Sharps Shooter?« »Und wenn, Mister, und wenn?« Er betrachtet den Mann und kommt zu der Auffassung, dass er es mit einem Boss zu tun hat, wahrscheinlich einem Boss von einem Frachtwagenzug. Er kennt sich aus mit solchen Typen. Ohne sie und deren Frachtwagenzüge könnten der Westen und Nordwesten nicht erobert werden. Männer wie diese bringen Frachten überall hin, wo sich Menschen niederlassen. Der Mann ist starkknochig wie ein zähes Maultier. Und gewiss ist er als junger Bursche ein Maultiertreiber gewesen. Der Mann sagt: »Mister Harper, der Sheriff hat Sie mir empfohlen. Er hat mich Ihnen nachgeschickt. Und hier bin ich. Denn ich brauche Sie und Ihre Zaubersharps. Kommen Sie und nehmen wir einen Drink. Besprechen wir alles. Denn ich will Ihnen ein gutes Angebot machen.« Tom Harper zögert noch. Der Mann aber sagt: »Ich bin Sam Stonewall, und ich habe einen Frachtzug von fünfzig Wagen, die von vierhundert Maultieren gezogen werden. Ich muss über den Apachenpass, aber diese
Hurensöhne schießen mir meine Fahrer und Maultiertreiber einen nach dem anderen ab.« Er verstummt grimmig und voller Bitterkeit, ist angefüllt mit einem bösen Zorn, den er um jeden Preis loswerden will. »Wer sind diese Hurensöhne?« Tom Harper fragt es ruhig und ernst. »Und wie viele sind es? Können Ihre eigenen Leute nicht kämpfen?« Indes er dies fragt, setzen sie sich in Bewegung und gehen im Gleichschritt durch den Staub der Straße zu einer der Cantina hinüber, wo unter dem vorgebauten Dach einige Tische und Stühle stehen, aber niemand sitzt. Sie nehmen Platz und bestellen bei der Bedienung Tequila. Dann spricht Sam Stonewall etwas ruhiger und sachlicher: »Es sind nur ein halbes Dutzend, zwei Indianer, ein Halbblutmann und drei Weiße. Sie hocken auf den Terrassen der Steilwände, doch nur auf der Ostseite. Und sie haben starke Büffelgewehre, mit denen sie sehr weit schießen können. Immer wenn ich mit meinem Wagenzug über den Pass will, um meine Waren zu den Minenstädten in Colorado zu bringen, da warten sie auf mich und verlangen Zoll. Ich muss dann einen Reiter mit dem Geld zum Pass hochschicken, zu dem sie von oben an einer langen Leine einen Beutel herunterlassen, in den mein Bote das Geld zu legen hat. Ich habe schon zweimal bezahlt, nachdem ich zuvor zwei meiner
Fahrer und einige Maultiere verloren hatte. Doch jetzt ist Schluss, weil ich von Ihnen hörte, Mister Harper. Der Sheriff sagte mir, dass Sie mir helfen könnten, weil Sie einer der Sharps Shooter wären, die in der Yazoo-Mündung vor Vicksburg eine ganze Flotte von Kanonenbooten aufgehalten haben. Ich zahle Ihnen fünfhundert Dollar. Und das ist genau der Betrag, den sie von mir kassieren wollen für freien Durchzug über den Pass. Wollen Sie, Mister Harper?« Er hat nun alles gesagt und kippt sich den Tequila in den Hals, schüttelt sich und bekommt dann für einen Moment einen zufriedenen Ausdruck ins Gesicht, weil der scharfe Schnaps in seinem Magen ein wohliges Gefühl erzeugt. Auch Tom Harper leert sein Glas. Dann denkt er nach. In ihm sind nun viele Gefühle. Doch im Grunde spürt er nur die große Herausforderung. Es ist so wie damals am Yazoo, als es darum ging, die Kanonenboote aufzuhalten mit präzisen Schüssen auf die kleinen Öffnungen in den gepanzerten Ruderhäusern, durch welche allein der Rudergänger nach vorn blicken konnte. Es waren so genannte Kunstschüsse notwendig. Und jetzt wird es nicht anders sein. Aber diesmal wird er ein Duell mit sechs Gegnern austragen müssen, die ebenfalls mit schweren Gewehren ausgerüstet sind.
Er verspürt ein Gefühl der Herausforderung. Vielleicht ist er jetzt mit einem ruhmsüchtigen Revolverhelden zu vergleichen, der immerzu die Zweifel in sich tilgen muss, wenn er sich fragt, ob er der schnellste Schießer ist. Es könnte sein, dass auch er jetzt dieses Gefühl in sich spürt, das wie eine Sucht ist, eine Krankheit. Gewiss wird er ein gutes Werk verrichten, wenn er dem Wagenzug den Pass freischießen kann. Aber er wird einen Kampf auf böse Weise kämpfen müssen, weil es Tote geben wird. Dennoch entschließt er sich, denn wieder einmal mehr wird er demonstrieren können, dass sein Gewehr die beste Sharps der Welt ist – und er der beste Schütze. Und so nickt er und sieht Sam Stonewall fest an. »Ich werde es versuchen, Mister Stonewall. Wann wollen Sie über den Pass?« »In zwei Tagen werde ich am Fuße des Passes rasten und gegen Mittag des dritten Tages die Engstelle unterhalb der Wasserscheide erreichen. Ich schaffe mit dem Wagenzug nur zwanzig Meilen am Tag. Sie werden warten müssen, Mister Harper.«
Als er Louisa sagt, dass er an diesem Tag noch reiten will, da erwidert sie ruhig: »Schade, mein Freund, schade. Ich hätte gerne noch viele Nächte mit dir verbracht und dich beschenkt und mir von
dir meine Einsamkeit nehmen lassen. Vielleicht wären wir ein gutes Paar geworden.« Sie verstummt sehr beherrscht, macht ihm keine Vorwürfe, dass er sie, obwohl sie sich ihm schenkte, so schnell wieder verlassen will. Er nimmt sie in seine Arme und spricht leise auf sie nieder, wobei ihre Haare sein Kinn kitzeln: »Vergib mir, Louisa. Ich kann nicht anders. Es gibt da oben im Apachenpass bei Taos eine Herausforderung für mich und meine Sharps. Du warst für mich wie ein Licht in dunkler Nacht. Ich danke dir. Aber ...« »Schon gut«, unterbricht sie ihn und löst sich aus seinen Armen. »Bitte geh, bevor ich zu weinen beginne, verdammt, bitte geh endlich.« Und so geht er wortlos mit seinem wenigen Gepäck und dem für ihn so kostbaren Gewehr und hat ein Gefühl des Bedauerns in seinem Kern.
Es ist Nachmittag, als er Santa Fe in Richtung Taos verlässt. Er überholt eine halbe Meile weiter den langen Wagenzug von Sam Stonewall. Dieser reitet an der Spitze seiner langen Wagenschlange. Sie winken sich zu. Und in drei Tagen will Stonewall am RatonPass sein, dem Apachenpass hinüber nach Colorado, wo man überall in den Rocky Mountains Gold findet.
Mit seinem neuen Pferd ist er sehr zufrieden. Der Pinto trabt willig und ist offenbar als so genanntes Rinderpferd geschult worden. Denn er bleibt zum Beispiel auf dem Fleck stehen, wenn sein Reiter aus dem Sattel ist und die Zügelenden am Boden unter seiner Nase liegen. Je länger sie unterwegs sind, umso besser verstehen sich Reiter und Pferd und werden binnen weniger Tage gute Partner. Er hält sich etwas abseits des Wagenwegs und übernachtet unter freiem Himmel. Er wird also kaum von anderen Menschen gesehen, und am nächsten Tag – es ist schon wieder Nacht geworden – umreitet er die Lichter der PuebloStadt Taos. Am nächsten Tag muss er den Raton-Pass erreichen und wird sich dann oben auf der Westseite einen Platz suchen. Wenn alles stimmt, was Sam Stonewall ihm sagte, dann wird er sich den sechs Banditen und Wegelagerern genau gegenüber befinden. Er ist als Trapper und Bergläufer ein erfahrener Mann, und die Rockies in all ihren Formationen sind hier nicht viel anders als in Montana. Manchmal verspürt er ein seltsames Gefühl in sich, so etwa, als stünde er vor einem großen Jagderlebnis, fast so wie an der Yazoo-Mündung, wo er den ersten Schuss abgab und mit seinem Treffer dafür sorgte, dass ein Kanonenboot auf
Grund lief, weil es plötzlich ohne Steuermann oder Rudergänger fuhr.
8 Der Raton-Pass ist ein tiefer Einschnitt in der Bergwand, die sich wie eine gewaltige Barriere von Ost nach West erhebt. Und in Jahrtausenden hat sich ein Creek mit vielen Windungen in diese Bergwand hineingefressen und so einen Durchgang geschaffen, der bis zur Wasserscheide nur wenig ansteigt oder abfällt. Tom Harper musste sein Pferd unten lassen in einer tiefen Bergfalte, die er mit Dornbüschen verschloss. Dann machte er sich mit seinem Gepäck auf den Weg nach oben. Und nun beobachtet er aus guter Deckung heraus mit seinem Zielfernrohr die Terrasse in der Wand ihm gegenüber. Er kann die Kerle schon bald entdecken und begreift, warum sie auf der Ostseite ihre Position eingenommen haben. Denn drüben kann man auf einem Plateau bis zum Rand des Steilabfalls reiten und braucht nur von oben auf eine der Terrassen abwärts zu steigen. Ja, er zählt sechs Mann, kann sie mit seinem Zielfernrohr deutlich erkennen, so als wären sie nur wenig mehr als hundert Yards entfernt. Aber die wirkliche Entfernung beträgt mehr als tausend Yards. Es ist eine weite Entfernung.
Sie haben es sich bequem gemacht, liegen oder hocken zumeist im Schatten, während die Sonne hoch über ihnen steht. Ja, sie warten geduldig. Tom Harper vertreibt sich die Zeit mit dem Füllen von mehr als zwei Dutzend Messingpatronenhülsen. Er hat die ganzen Utensilien mit hochgenommen, also Pulver, Kugeln, eine kleine Waage, Zündhütchen, Zangen. Er füllt die leeren Hülsen sorgfältig und feilt auch einige Kratzer an ihnen glatt, damit sie nach dem Abschuss beim Rauswerfen nicht klemmen und er sie mit der Messerspitze heraushebeln muss. Er bereitet alles sorgfältig vor und beobachtet zwischendurch immer wieder die Kerle ihm gegenüber. Dabei achtet er sorgfältig darauf, dass sich kein Sonnenlicht im Glas seines Fernrohrs spiegeln kann. Die Stunden vergehen. Bald muss die Spitze des Wagenzuges von Süden her die Windungen des schmalen Passweges herauf gekrochen kommen. Er setzt sein Vollmer-Zielfernrohr auf den Gewehrlauf, lässt es einrasten und stellt dann das Visier auf die richtige Entfernung ein, wobei ihm auch hier seine Erfahrung als Jäger hilft. Es ist dann später Nachmittag, als er die Spitze des Wagenzuges um die Biegung herumkommen sieht.
Sam Stonewall führt seinen Wagenzug persönlich an, reitet an der Spitze. Dann aber kracht drüben ein Schuss. Die Kugel fährt vor den Hufen von Stonewalls Pferd in den Boden. Und damit ist alles klar. Stonewall müsste allein weiter bis zu der Stelle, wo ein Beutel an einer langen Leine mehr als hundert Yards an der Felswand herunterhängt. Eine Stimme gellt durch die Bergwelt und erzeugt ein Echo, ist aber dennoch mit ihrer Forderung einigermaßen verständlich. »Taaauuuseeend Dooolllaaar!« So gellt es. Und das ist der doppelte Preis, denn Stonewall nannte ja den Betrag von fünfhundert Dollar. Und um der Forderung Nachdruck zu verleihen, kracht wieder ein Schuss. Diesmal trifft die Kugel Sam Stonewalls Pferd mitten in die Brust. Es ist eine gnadenlose, brutale Drohung, die der Forderung Nachdruck geben soll. Stonewall kommt gut aus dem Sattel und verharrt dann neben seinem zusammenbrechenden Pferd, bis das Echo des Schusses verhallt ist. Dann hebt er die Arme und droht mit den Fäusten. Für Tom Harper ist nun alles klar.
Er schießt aufgelegt und trifft mit dem ersten Schuss. Die Kerle da drüben sehen natürlich die Rauchwolke und können seine Position ausmachen. Doch das nützt ihnen wenig, da die Entfernung für ihre Gewehre zu weit ist. Sie besitzen nun mal keine Zaubersharps. Dennoch versuchen sie es. Auf ihrer Terrasse suchen sie Deckung und beginnen zu schießen. Aber sie müssen dabei stets etwas von sich zeigen, können nicht total in Deckung bleiben. Er schießt weiter, trifft zwei weitere von ihnen, verwundet sie zumindest. Dann bleibt es still. Sie zeigen sich nicht mehr, obwohl sie noch zu dritt kämpfen könnten. Doch sie geben es auf, weil ihre Gewehre nicht weit genug schießen können. Unten aber hat sich Sam Stonewall mit seinem Wagenzug wieder in Bewegung gesetzt. Man hat ihm ein Maultier nach vorn bringen können. Er nahm seinem toten Pferd den Sattel ab. Auch zog man das tote Tier vom Weg weg. Und so zieht er an der Spitze des Wagenzuges weiter über den Pass und unter Tom Harper vorbei. Es ist alles plötzlich so einfach. Tom Harper muss nur die Kerle drüben in Deckung halten. Zweimal muss er noch feuern. Es dauert dann lange, bis die fünfzig schweren Frachtwagen – manche haben noch Anhänger – vorbei sind und jenseits der Wasserscheide
verschwinden, weil es dort wieder abwärts geht. Auch die Remuda von fast hundert Maultieren wird nachgetrieben. Es ist später Nachmittag geworden.
Tom Harper sieht einige Stunden später die Lichter und Feuer des Wagenzuges vor sich in der Nacht. Er meldet sich durch Zuruf und sitzt dann am Feuer des Koches ab, wo er Sam Stonewall auf einer Kiste sitzen sieht. Die Männer in der Runde sehen ihn im Feuerund Laternenschein an. Einer fragt heiser: »Mister, haben Sie alle erledigt, diese verdammten Hurensöhne?« Sam Stonewall aber sagt: »Gute Arbeit, Mister Harper. Haben Sie gehört, dass der Kerl tausend Dollar verlangte? Also müsste ich sie Ihnen zahlen.« »Nein, Mister Stonewall. Wir hatten uns auf fünfhundert geeinigt. Das waren wirklich üble Banditen, die keine Skrupel hatten, ein unschuldiges Pferd zu töten. Ich habe verdammt gern auf sie geschossen, wahrscheinlich einen getötet und zwei verwundet. Aber drei blieben am Leben. Vor denen müssen Sie sich vorsehen, Mister Stonewall.« Dieser grinst breit. »Die versuchen es nicht noch mal. Wollen Sie etwas essen? Wir haben
einen guten Koch. Deshalb habe ich auch gute Fahrer. Oder haben Sie keinen Appetit?« »Doch«, erwidert Tom. »Ich mache mir keine Gewissensbisse. Das waren Mistkerle.« Sie sehen sich im Feuer- und Laternenschein eine Weile wortlos an. Dabei wird ihnen bewusst, dass sie zu einer Sorte gehören, obwohl einer ein Trapper und der andere ein ehemaliger Maultiertreiber und Frachtfahrer ist. Sie gehören zu jener Sorte, die niemals aufgibt und auch gnadenlos hart gegen sich selbst sein kann, wenn es gilt, ein Ziel zu erreichen. Stonewall spricht schließlich: »Wollen Sie bei mir bleiben als Scout und meinen Wagenzug sichern? Ich habe wertvolle Ladung. Wenn mich jemand abschießt, dann ...« Er spricht nicht weiter, sondern macht eine Handbewegung, die mehr ausdrückt, als viele Worte es gekonnt hätten. Dann erst spricht er weiter: »Die Goldfundgebiete in Colorado sind voller Banditen. Goldwölfe nennt man sie hier. Sie würden meinen Wagenzug übernehmen. Und meinen Fahrern ist es gleich, von wem sie ihren Lohn bekommen. So einfach ist das. Ich habe zwar zwei Revolvermänner auf meiner Lohnliste – dort drüben sitzen sie –, die mich in den Städten und Camps beschützen mit ihren schnellen Colts, aber aus der Ferne kann man mich abknallen. Die Waren in meinen Frachtwagen sind
zweihunderttausend Dollar wert im Einkauf. Meine Gewinnspanne ist hoch, weil die Nachfrage gewaltig ist. Es ist schwer, all die Waren zu bekommen und aus den Kriegsgebieten herauszubringen. Man muss gewaltige Umwege fahren. Wir sind hier in Colorado abseits des Krieges. Doch hier findet ein anderer Krieg statt. Wollen Sie bleiben, Tom Harper, bis ich meine Ladung verkauft habe? Es ist meine letzte Handelsfahrt. Ich werde dann zu meiner Familie nach Boston zurückkehren und bis an mein Lebensende bei meiner Frau und den zwei Töchtern bleiben. Ich bin fünfundfünfzig Jahre und gesund. Ich kann noch wunderschöne Jahre haben, wenn ich am Leben bleibe. Ich zahle Ihnen noch mal fünfhundert Dollar, wenn Sie bei mir bleiben, bis der letzte Wagen leer ist.« Als er verstummt, da sehen sie sich wieder eine Weile schweigend an. »Ich werde darüber bis morgen schlafen«, spricht Tom Harper schließlich. »Morgen beim Frühstück sage ich Ihnen Bescheid, Mister Stonewall. Und jetzt muss ich mich um mein Pferd kümmern dort unten am Creek.« Er erhebt sich, tritt zu seinem Pferd und nimmt es an den langen Zügeln mit hinunter zum Creek, wo auch die Maultiere und Pferde des Wagenzuges von dessen Reitern getränkt wurden. Sie werden dort von so genannten Wranglern
bewacht, die tagsüber auch die Remuda der Reservetiere treiben. Er wäscht den Pinto gründlich vom Staub des langen Reitens ab, entfernt alle Kletten und reibt ihn trocken. Und ständig hört er die Geräusche des lagernden Wagenzuges. Hier lagern fast hundert Menschen und mehr als sechshundert Tiere. Sam Stonewall ist der Boss. Und dennoch ist er verdammt allein, einsam, wahrscheinlich ohne Getreue in einer gefährlichen Welt, weil er etwas besitzt, was jene haben wollen, die vom Raub leben, nämlich einen ganzen Wagenzug voller wertvoller Dinge. Er ist ein armer Hund, denkt Tom Harper. Und er hat eine Familie in Boston, eine Frau und zwei Töchter, die er auf seinen Wegen nicht bei sich behalten kann. Ja, er ist ein armer Hund. Später dann, als er am Creek bei seinem Pferd unter seiner Decke liegt, den Sattel als Kopfkissen, da denkt er wieder an jene Jennifer O'Hara, die damals auf der Orleans Queen an Bord blieb, als er mit den anderen Sharps Shootern bei der Yazoo-Mündung von Bord ging. Was war aus ihr geworden? Wahrscheinlich war sie eine Spionin und als solche auf der Flucht vor dem Geheimdienst der Union. Oder ging sie bei Vicksburg – nur wenige Meilen weiter abwärts, von Bord und saß in der Festung fest? Ja, wie
mag es ihr ergangen sein? Er würde sie zu gerne wiedersehen und fragt sich wieder einmal mehr, ob es ihr ebenso ergeht wie ihm. Oder konnte sie ihn schnell vergessen? Das fragt er sich eigentlich ständig. Er schläft schließlich ein. Und er kann nicht ahnen, dass er Jennifer wiedersehen wird.
Es ist im Morgengrauen, als er an das Feuer tritt, wo der Koch mit seinen beiden Gehilfen für die große Mannschaft kocht und sich jeder an den Klapptischen den Blechteller füllen lässt, ein Stück Brot dazu bekommt und sich auch Kaffee holen kann. Sam Stonewall steht am Küchenwagen gelehnt am Rand des Feuerscheins und sieht ihm fragend entgegen. Tom Harper stellt den gefüllten Blechteller auf den breiten Radreifen und trinkt erst einen Schluck vom starken Kaffee. Dann nickt er Stonewall zu und spricht: »Ich bin dabei, Mister Stonewall. Sie haben mich für fünfhundert Dollar, bis Ihre Wagen leer sind.« »Gut, Tom Harper, gut. Und hier sind die fünfhundert Dollar, die Sie sich gestern verdient haben. Wir sind jetzt gewissermaßen Partner. Nennen Sie mich einfach Sam. Und ich sage Tom zu Ihnen. Ich denke, Sie sollten dem Wagenzug vorausreiten und den Weg sichern. Wir müssen zum South Platte River und dessen Nebenflüssen.
Dort sind die Goldfundgebiete seit achtzehnhundertachtundfünfzig. Es entstanden überall Minen, Camps und kleine Minen- und Goldgräberstädte. Die Wagenwege dorthin sind deutlich zu erkennen an den Radfurchen und all dem Zeug von den vielen Tausenden, die unterwegs zum Gold Ballast wegwarfen. Sie werden auch rechts und links der Wege immer wieder Gräber sehen. Und überall lauern die Banditen.« Tom Harper nickt nur und beginnt dann den Teller zu leeren. Es gibt ein gut gewürztes Stew, also ein Schmorgericht, eigentlich eine dicke Pampe, vergleichbar mit dem Labskaus der Seeleute. Als Tom Harper fertig ist, geht er zu seinem Pferd, sitzt auf und reitet davon. Einer der beiden Revolvermänner, die Stonewall als Leibwächter bei sich hat, tritt zu ihm und fragt: »Reitet er voraus mit seiner Zaubersharps? Wir wissen ja jetzt alle, dass er einer der berühmten Sharps Shooter vom Yazoo ist. Reitet er also für Sie, Boss?« »Und wie, Ringo – und wie«, erwidert Stonewall. »Der wird all die Hurensöhne abknallen, die auf mich lauern mit ihren Buffalo Sharps. Seine Sharps schießt weiter und genauer. Er ist der beste Shooter mit diesem Ding.«
9 Es ist ein schöner Tag, dem viele andere schöne Tage folgen. Denn das Wetter hält sich gut. Tom Harper reitet an diesen Tagen dem Wagenzug weit voraus und erkundet auch rechts und links des Wagenwegs das unübersichtliche Land. Dann und wann sieht er auf dem Wagenweg Reiter, auch Wagen, ja sogar Postkutschen. Denn es streben immer noch viele Glückssucher zu den Goldfundgebieten. Der Wagenweg ist nicht einsam. Dann und wann stößt er auf Fährten, die den Weg kreuzen und in den Hügeln verschwinden. Er folgt diesen Fährten manchmal ein Stück, aber sie führen nicht zu verborgenen Camps in der Nähe des Wagenweges. Und so kehrt er wieder um, reitet hinauf zu Hügelkämmen, legt sich dort auf die Lauer und beobachtet das Land mit seinem Zielfernrohr. All seine Erfahrungen als Trapper, Scout und Indianerkämpfer kommen ihm dabei zu Hilfe. Denn er kann auch am Verhalten der Vögel in der Luft seine Schlüsse ziehen. Es ist am dritten Tag, als er durch eine Schlucht muss, die sich durch felsige Steilhänge windet. Hier stößt er auf die Fährte von zwei Reitern, die in eine ansteigende Querschlucht führt. Er will ihr folgen, doch dann hört er einige kleine Steine von oben niederfallen.
Und so weiß er, dass dort oben jemand ist. Er reitet weiter, so als wäre auch er einer der Reiter, die dem Lockruf des Goldes folgen, ganz gleich, auf welche Weise sie es bekommen wollen. Aber hinter der nächsten Schluchtbiegung findet er eine tiefe Spalte, in der er sein Pferd zurücklassen und von der aus er in einer Rinne nach oben klettern kann. Nach etwa einer Stunde befindet er sich hinter zwei Männern, die bäuchlings am Rande des Steilabfalls liegen und in die Schlucht blicken können. Er bewegt sich leise wie ein Berglöwe, so als wäre er ein Schatten. Als er hinter einem Stein innehält, da ist er den beiden Männern so nahe, dass er fast auf sie spucken könnte – zumindest mit einem Kirschkern. Und in der Stille hier oben kann er jedes Wort verstehen. Wahrscheinlich konnte sich nur ein Jäger und Trapper so lautlos anschleichen. Er hört einer der Männer sagen: »Bald muss er kommen, verdammt.« Der Mann hat kaum ausgesprochen, da hört man unten den Wagenzug in die Schlucht einfahren mit Peitschenknallen und scharfen Rufen, weil die Schlucht leicht ansteigt und die Fahrer ihre Gespanne nun antreiben.
Tom Harper weiß und kann es sich gut vorstellen, dass Sam Stonewall jetzt wie immer an der Spitze reitet. Und so ist es auch. Tom Harper kann zwar nicht in die Schlucht abwärts blicken, denn er ist vom Rand und den beiden Kerlen einige Schritte entfernt, aber er hört einen von ihnen sagen: »Da kommt er wie immer an der Spitze herangeritten wie ein großer Häuptling. Diesmal schießen wir ihn ab. So will es der Boss.« Tom Harper hört jedes Wort. Er sieht auch, dass sie beide schwere Gewehre bei sich haben, mit denen sie auch auf mehr als dreihundert Yards noch gut treffen können. Und so wartet er nicht länger, sondern sagt hinter ihnen: »Daraus wird nichts, ihr Pfeifen. Denn ihr habt gewiss Dreck in den Ohren. Sonst hättet ihr mich kommen hören. Könnt ihr mich wenigstens jetzt verstehen?« Sie zucken zusammen. Soeben waren sie noch voll nach unten in die Schlucht und auf den hereinfahrenden Wagenzug konzentriert. Jetzt fährt der Schrecken durch ihre Glieder. Doch sie sind klug genug, keine schnellen Bewegungen zu machen. Und so wenden sie nur – immer noch bäuchlings liegend – ihre Köpfe und blicken über ihre Schultern hinweg zu ihm empor.
Sie sehen einen großen Mann, der trotz seiner gelben Haare indianerhaft wirkt. Er hält die schwere Sharps in der Linken und will damit gewiss nicht schießen. Denn in seinem Gürtel vor dem Bauch steckt sein Revolver, dessen Kolben griffbereit für seine Rechte nach rechts ragt. Und so werden sie plötzlich sorgloser. Denn schließlich sind sie Revolvermänner. Der Mann da vor ihnen trägt die Waffe nicht einmal in einem Holster, hält sie nicht schussbereit in der Hand. Langsam rollen sie sich auf den Rücken und erheben sich. Nun stehen sie sich keine sechs Schritte voneinander entfernt gegenüber. Noch blicken sie sich witternd um, können nicht glauben, dass er allein ist. Doch sie sehen sonst niemanden. Das beruhigt sie. Sie beginnen zu grinsen. »He«, spricht einer heiser, »du willst dich doch wohl nicht mit uns anlegen, du verdammter Schleicher?« »Doch, das will ich. Denn sonst schießt ihr meinen Boss ab. Ich habe es ja soeben gehört. Aber sagt mir, wer euch zu diesem Mord beauftragt hat. Wer will den Wagenzug übernehmen?« Nun grinsen sie noch breiter. Einer sagt: »Was würde dir dieses Wissen noch nützen, du verdammter Schleicher? Und was verstehst du
schon von der Politik hier im Goldland von Colorado? Hier geht es um Monopole. Der Mann, für den wir schießen, heißt Jessup Harley. Doch das wird weiter ein Geheimnis bleiben. Jetzt!« Der Mann stößt das letzte Wort scharf hervor. Es ist das Zeichen für seinen Partner. Sie schnappen beide nach ihren Revolvern, die sie in steifen Schnellzugholstern tragen, die überdies auch noch innen eingefettet sind. Dennoch sind sie nicht schnell genug gegen einen Mann aus Montana, der die Waffe aus dem Hosenbund ziehen muss. Er trifft sie blitzschnell, indes sie die Läufe ihrer Waffen hochschwingen. Und so taumeln sie getroffen rückwärts und stürzen über den Rand in die Tiefe. Ihre Schreie gellen durch die Schlucht. Mit dem noch rauchenden Revolver in der Faust tritt Harper an den Rand des Steilabfalls und blickt hinunter. Er sieht Sam Stonewall auf dem grauen Wallach – und er sieht die leblosen Körper der beiden Kerle, die einen rechtschaffenen Mann abschießen wollten. Sie fielen knapp ein Dutzend Yards vor Stonewall auf den felsigen Schluchtboden. Stonewall bekommt den Wallach, der sich erschrak, schnell wieder unter Kontrolle und blickt zu Harper hoch. Die Entfernung beträgt keine hundert Yards.
Stonewall hebt dankend die Hand, winkt hinauf zu ihm. Dann sitzt er ab, um die beiden Toten zur Seite zu ziehen, damit sein Wagenzug – dieser hat nicht einmal angehalten und kommt nun heran – nicht über sie hinwegfahren muss. Doch das hätten die Maultiere des ersten Wagens gewiss nicht getan. Sie hätten sich gesträubt und wären nicht einmal mit Peitschenhieben anzutreiben gewesen. Tiere sind oft die besseren Lebewesen. Stonewall macht also den Weg rechtzeitig frei, sitzt wieder auf und reitet an. Abermals winkt er dankend hinauf. Und Tom Harper winkt zurück. In ihm sind zwei verschiedene Gefühle. Er hat töten müssen, hatte gar keine andere Wahl. Doch er verhinderte den Mord an Sam Stonewall. Und den Namen Jessup Harley hat er sich gut gemerkt.
Es ist schon Abend, als er zum großen Wagencamp geritten kommt, das sich in einem weiten Tal wieder an einem Creek befindet. Sie alle sehen ihn an, Sam Stonewalls Stimme klingt ruhig und fest. »Sie haben einen guten Job verrichtet, Tom. Ich danke Ihnen.«
Er erwidert nichts, lässt sich vom Koch den Blechteller füllen und tritt damit zu Stonewall, der wie immer an der Wand des Küchenwagens lehnt. Erst dort sagt er: »Jessup Harley – sagt Ihnen dieser Name etwas?« »Gewiss«, nickt Stonewall. »Harley ist mein größter Konkurrent. Er versorgt das Goldland von Kansas City her. Und er möchte das Monopol. Ich hatte ihn schon immer in Verdacht. Ja, er hätte meinen Wagenzug mit seinen Revolvermännern übernommen. Aber dies ist meine letzte Handelsfahrt. Wenn ich am Leben bleiben und mit meinem diesmaligen Gewinn entkommen kann, dann überlasse ich ihm das Feld. Ich will nur noch mit meinem Gewinn zu meiner Familie nach Boston. Und das ist ohnehin ein verdammt weiter Weg. Sie wissen dort nicht, ob ich noch lebe. Gewiss beten sie ständig für mich. Ich werde sie überraschen.« Tom Harper nickt nur und leert dann seinen Teller. Was sollte er auch sagen? Später dann, als er sein Pferd versorgt hat und sich niedergelegt hat, da denkt er wieder einmal über die Welt und die Menschen nach. Dieser Sam Stonewall ist irgendwie mit einem Kapitän zu vergleichen, der mit seinem Schiff auf allen Weltmeeren segelt und monatelang nicht daheim sein kann.
Und manchmal gehen solche Kapitäne mit Schiff und Besatzung unter. Was für ein Leben ... Dann denkt Tom Harper plötzlich an jene vier Sharps Shooter, mit denen er damals entkommen konnte – an Bullock, Wade, Kelso und Yellowstone Pierce. Wo mögen sie jetzt sein? Was wurde aus ihnen? Denn sie alle wurden ja berühmt. Ganz gewiss waren sie auf der Flucht vor den Häschern der Union. Also mussten sie in neutrale Gebiete. Und die sind hier im Nordwesten, angefangen in Colorado über Wyoming bis hinauf nach Montana, Idaho und Oregon. Auch er, Tom Harper, ist ja unterwegs nach Nordwesten und will das ganze Indianerland zwischen sich und die Rache der Unionsarmee bringen. Es könnte also durchaus sein, dass er die vier Männer irgendwo trifft. Denn er glaubt, dass sie zusammenbleiben werden, sich nicht trennen, weil sie zu viert eine Macht sind. Er verdrängt die Gedanken an sie und denkt zuletzt wieder an Jennifer O'Hara, so wie immer vor dem Einschlafen. Doch diesmal ist ein besonderes Gefühl dabei, so etwas wie eine Ahnung?
Der Wagenzug erreicht am späten Abend des nächsten Tages die Goldgräber- und Minenstadt Golden. Sam Stonewall lässt ein Verkaufscamp aufschlagen, das einige Tage wie eine kleine Stadt Waren anbietet. Das Kommen des Wagenzuges wurde schon vor Stunden bekannt. Und der erste Käufer kommt mit einem Wagen aus der Stadt herüber und ruft: »Hoi, Mister Stonewall, da sind Sie ja endlich! Haben Sie die beiden bestellten Roulettetische mitgebracht – auch das Klavier?« »Ich habe alles, Mister Bellow«, erwidert Stonewall ruhig. Tom Harper aber reitet hinüber in die wilde Stadt Golden. Er überlässt Stonewalls Schutz nun dessen beiden Revolvermännern und Leibwächtern. Irgendeine Ahnung – ein Gefühl, das er sich nicht erklären kann – lässt ihn nach Golden reiten, so als wartete dort etwas auf ihn. Er kennt dieses Gefühl unbestimmbarer Ahnungen. Als Jäger hat er oft darauf reagiert, war dann Gefahren entgangen oder hatte reiche Beute gemacht. Und jetzt? Er spürt irgendwie, dass in Golden etwas auf ihn wartet. Aber was wird es sein? Ist es dieser Jessup Harley, an den er die letzten Stunden oft dachte? Wird er sich diesen Mann ansehen können?
Er dachte zuletzt aber auch immer wieder an die vier anderen Sharps Shooter. Und auch an Jennifer O'Hara musste er ständig intensiv denken. Es ist schon Nacht, als er in die wilde Stadt reitet, die aus einem primitiven Camp entstanden ist, als hier noch die ersten Goldgräber ihre Claims absteckten und die ersten Minen entstanden. Golden – dieser Name ist ein Bluff – liegt an beiden Seiten des Creeks, der nach all den Fäkalien und Unrat stinkt, mit dem die Menschen die Natur verdrecken. Dieser stinkende Creek sagt alles über Golden. Es ist ein wildes Drecknest. Und dennoch gibt es hier jenen scheinbaren Luxus, nämlich viele Lichter vor den Tingeltangels, Saloons, Spielhallen, deren Obergeschosse zumeist nur Fassaden sind, die etwas vortäuschen, was gar nicht da ist. Schon vor der ersten großen Amüsierhalle steht ein Anreißer in einem goldbetressten Zirkusanzug. Er bläst immer wieder in eine Trompete und ruft dann mit gellender Stimme: »Herein, Gentlemen – nur hereinspaziert! Bei uns gibt es die schönsten Mädchen, das beste Bier und den beste Brandy! Und Ramona tanzt jede Stunde mit einer Schlange um den nackten Bauch! Herein, Gentlemen, und erlebt unser Paradies!«
Tom Harper reitet weiter, bis er neben dem Barbierladen eine Badeanstalt erreicht. Als er absitzt, tritt ein junger Bursche zu ihm heran und sagt: »Ein Badefass ist noch frei. Ich versorge Ihr Pferd und hole auch neue Unterwäsche aus dem Store, dazu Hemden zur Auswahl. Ich bin Pete und ein seriöser Betreuer. Mister, ich achte auch auf Ihr Gepäck und Ihr Gewehr. Hier wird fast alles gestohlen. Sie sind bei mir in guten Händen. Denn ich bin Pete.« Tom Harper sitzt ab und stößt dem jungen Burschen leicht seinen steifen Zeigefinger gegen die Brust. »Pass auf, Pete«, sagt er grinsend. »Wenn du ein guter Junge bist, dann werde ich dich belohnen. Aber wenn du ein Drecksjunge bist, dann ertränke ich dich in diesem stinkenden Creek. Denn ich würde dich finden – selbst in einem Rattenloch.« Er lässt die Zügel fallen und geht hinein. Der Barbier rasiert soeben einen Kunden und fragt: »Baden oder Haare schneiden?« »Baden«, erwidert Tom Harper. »Wer ist dieser Pete dort draußen?« »Der ist in Ordnung, Mister. Sein Vater brach sich ein Bein. Nun sorgt er für die ganze Familie. Der ist in Ordnung. Gehen Sie nur in die Badestube. Dort nimmt sich Hiob Ihrer an.« Hiob erweist sich wenig später als ein riesiger Neger, der im Süden gewiss einem Sklavenhalter
entkommen konnte und es hier wahrscheinlich in Freiheit besser hat. »Ich gieße noch einige Eimer heißes Wasser zusätzlich ins Badefass«, verspricht er. »Es ist gutes Wasser, nicht aus dem Creek, sondern aus unserem Brunnen. Es ist Trinkwasser.« »Gut, Hiob.« Harper nickt und beginnt sich zu entkleiden, legt seinen Revolver auf den Schemel neben dem Badefass. Im Raum herrscht keine Helligkeit, eher ein Halbdunkel. Und in den Badefässern prusten andere Badegäste. Plötzlich brüllt eine Stimme: »Hoi, Jungs, seht euch das an! Seht mal, wer hier bei uns zu Besuch ist!« In den anderen Fässern kommen sie nun höher und können über die Ränder ihrer Fässer sehen. Ihre Köpfe sind noch mit Seifenschaum bedeckt. Sie müssen auch ihre Augen von Seifenschaum befreien. Dann aber erkennen sie Tom Harper. Es ist Yellowstone Pierces röhrende Stimme, die fast feierlich fragt nach dem ersten Gebrüll: »Erkennt ihr ihn endlich, ihr Witwenmacher?« Er ist nicht mehr ganz nüchtern. Auch die anderen sind es nicht. Aber nun brüllen sie alle los: »Tooom Haaarper!«
Und dann werden sie wieder still. Sie wittern aus ihren Fässern und dem Seifenschau zu ihm herüber. Bullock fragt dann: »He, wie geht es dir, Tom? Was macht deine Zaubersharps?« Er zögert mit der Antwort, denn er hat ein ungutes Gefühl. Sein Instinkt sagt ihm, dass er sich nicht zu sehr über dieses unerwartete Wiedersehen freuen sollte. Schließlich erwidert er, indes er ins Badefass steigt: »Es geht so, Jungs, es geht so. Aber ihr seid ziemlich lustig. Also geht es euch gut. Wie waren die Wochen unterwegs nach Nordwesten? Haben sie euch gejagt? Ihr seid ja mächtig berühmt geworden.« Sie beginnen brüllend zu lachen, so als hätte er ihnen einen Witz erzählt. Dann ruft Kelso: »Er will wissen, ob es uns gut geht! Oho, er will es wirklich wissen, oho!« Wieder ist es eine Weile still. Hiob, der herkulisch wirkende Schwarze, bringt zwei Eimer heißes Wasser, gießt es in Harpers Fass und geht wieder. Wade spricht dann hart: »He, er gehört nicht mehr zu uns. Hast du verstanden, Harper! Du gehörst nicht mehr zu uns. Du hast uns damals verlassen, bist auf die Fähre geritten. Du gehörst nicht mehr zu uns.« Er verstummt grimmig.
Tom Harper aber erwidert nichts. Er seift seinen Kopf ein. Seine Haare sind sehr lang. Der Barbier wird eine Menge davon abschneiden müssen. Auch den Bart will er sich abrasieren lassen. Ob Sam Stonewall ihn dann noch erkennen kann? Er grinst bei dem Gedanken. Dann genießt er es, lange im sehr warmen Wasser zu hocken, sich in Seifenschaum einzuhüllen. Auf die vier anderen Badegäste im Raum achtet er nicht besonders. Denn sie hätten es ihm gar nicht so deutlich sagen müssen. Er gehört nicht mehr zu ihnen. Ihre Sharps Shooter-Mannschaft gibt es nicht mehr. Sie wurden berühmt und berüchtigt, hatten sich anwerben lassen, um ihre Schießkunst zu beweisen wie ruhmsüchtige Revolverhelden. Doch es brachte ihnen keinen Schießerlohn. Er fragt sich, wovon die vier ehemaligen Partner jetzt leben. Denn es scheint ihnen gut zu gehen. Für wen schießen sie jetzt? Für einen Auftraggeber oder für sich? Das sind seine Fragen. Sie sind dann vor ihm fertig mit der Baderei, steigen aus den Fässern und trocknen sich ab. Er kann sie im Halbdunkel einigermaßen gut sehen – und er denkt dabei an vier hungrige Wölfe, Büffelwölfe, die besonders groß und gefährlich sind.
Sie blicken immer wieder, indes sie sich ankleiden, zu ihm herüber. Von ihnen geht der Atem von Feindschaft aus. Sie mögen ihn nicht, weil er sie damals verließ und nicht länger mit ihnen reiten wollte. Sie fühlen sich von ihm verachtet. Er hat seinen Revolver griffbereit neben dem Badefass auf dem Schemel liegen. Als sie angekleidet sind, nehmen sie ihre Siebensachen an sich, die in der Ecke auf einer Bank liegen. Ihre Sharps-Gewehre lehnen an der Wand. Endlich sind sie fertig und wenden sich zum Gehen. Doch dann hält Yellowstone Pierce noch einmal inne und spricht: »Komm uns nur nicht irgendwie und irgendwo in die Quere, Harper. Einen letzten Gefallen will ich dir noch erweisen. Gewiss erinnerst du dich noch an die schöne Jennifer O'Hara, in deren Bett du gelegen hast auf der Orleans Queen. Sie blieb ja damals an Bord, als wir am Yazoo ausstiegen. Jetzt ist sie hier in Golden. Auch sie konnte sich irgendwie retten, denn ich denke, sie war eine Spionin der Konföderation.« Nach diesen Worten geht Pierce als letzter Mann hinaus. Aber dafür kommt Pete, der Junge, herein und trägt ein Paket vor sich her. »Ich habe mich beim Storehalter für alles verbürgt«, sagt er stolz. »Ich bringe Unterzeug,
Strümpfe und Hemden. Ihr Pferd wird von meinem Freund im Mietstall versorgt. Er passt auch auf Ihre Sachen und das Gewehr auf. Haben Sie noch besondere Wünsche, Sir?« »Nein«, erwidert Harper, »ich denke, du bist ein Junge, auf den sein Vater stolz sein kann. Ich werde mir gleich vom Barbier die Haare schneiden lassen. Dort kannst du dann mit der Rechnung für alles hinkommen. Gut so?« »Gut so, Sir«, erwidert Pete. »Soll ich Ihr altes Zeug in die Abfallkiste werfen? Sie müssen ziemlich lange unterwegs gewesen sein.« »Bin ich, Pete, bin ich. Aber sag mir, kennst du in Golden eine schöne Frau mit grünen Augen und rotblonden Haaren, deren Name O'Hara ist? Gewiss ist sie die schönste Frau in Golden.« »Die kenne ich«, erwidert Pete sofort, »ja, die ist wirklich wunderschön, Sir. Sie teilt in der Fair Play Hall beim Black-jack die Karten aus. Sonst noch etwas, Mister?« Pete verstummt stolz. Er mag vierzehn oder fünfzehn Jahre alt sein, und er ernährt eine ganze Familie, weil sich sein Vater ein Bein brach. Offenbar hat er noch Geschwister, um die sich seine Mutter kümmern muss. Dieser Pete wird verdammt schnell ein Mann werden und auf eine schöne Jungenzeit verzichten müssen. In Tom Harper ist ein Glücksgefühl. Er hat – immer noch im Badefass hockend – das Bild von Jennifer O'Hara deutlich vor Augen. Denn sie ist
hier in Golden. Ein Spiel des Schicksals hat sie alle in dieser wilden Stadt zusammengeführt. Nein, er glaubt nicht an einen Zufall, sondern eher an ein Spiel des Schicksals, dem niemand entkommen kann, weil es jedem Menschen von Geburt an bestimmt ist und die Geschehnisse wie ein Mosaik zusammensetzt.
Er sieht wie neu aus, als er sich auf den Weg zur Fair Play Hall macht. O ja, er hat Pete reichlich belohnt, auch sein Pferd im Mietstall besucht und alles in Ordnung gefunden. Die wilde Stadt lärmt nun noch lauter als bei seinem Kommen vor fast zwei Stunden und gebärdet sich wie ein wildes Tier. Die ersten Betrunkenen taumeln über die staubige Straße, in deren Wagenfurchen noch der Schlamm vom letzten Regen ist. Aus den Saloons und Tingeltangels tönt Lärm. An einer Gassenmündung zeigt ein Feuer- und Schwertschlucker seine Kunst, während dessen Frau und zwei Kinder mit Blechnäpfen umhergehen und von den Zuschauern etwas Geld erhalten. Die elend schlechte Straße mündet auf einen Platz, in dessen Mitte eine mächtige und gewiss dreihundert Jahre alte Burreiche steht, deren Holz so hart ist, dass niemand sie zu fällen versuchte.
Und auf der anderen Seite sieht er vor sich die Fair Play Hall. Sie ist das größte Gebäude in der Stadt, hat sogar ein echtes oberes Stockwerk. Er geht hinüber und freut sich auf Jennifer. Denn auf der Orleans Queen haben sie sich geliebt, sich gegenseitig beschenkt und diese Freuden des Lebens genossen. Jetzt wird er sie vielleicht wieder in den Armen halten können. Und so tritt er ein und stößt zwei Betrunkene rechts und links von sich zur Seite, die gegen ihn taumeln und dabei grölend behaupten, dass dies keine Fair Play Hall, sondern ein stinkendes Rattenloch sei. Er sucht sich den Weg durch einige Räume, die ineinander übergehen, und betritt endlich die große Spielhalle. Hier gibt es Spieltische jeder Sorte, und überall versuchen all die Süchtigen ihr Glück. Denn es ist gewiss eine Spielsucht, die sie an ein Glück glauben lässt, das letztlich stets nur die Spielhalle hat. Als er an ihren Black-jack-Tisch tritt und zwischen zwei anderen Spielern verhält, da blickt sie auf, so als hätte er ihren Namen genannt. Ja, sie muss seine plötzliche Nähe gespürt haben wie eine körperliche Berührung. Er erkennt in ihren Augen und auf ihrem Gesicht ein freudiges Überraschtsein. Dann aber teilt sie weiter die Karten aus, bis alle Spieler genug zu haben glauben. Zwei werfen
die Karten weg, weil sie mehr als einundzwanzig Augen haben. Dann blickt sie in ihre Karten und sagt ruhig: »Ich zahle an mehr als neunzehn.« »Die habe ich«, sagt ein Goldgräber und wirft grinsend zwei Zehnen auf den Tisch. Aber ein anderer Mann spricht trocken: »Zahlen Sie an einundzwanzig, Miss Grünauge, und die habe ich.« Er wirft eine Zehn und ein Ass hin und bekommt seinen Einsatz von zehn Dollar doppelt zurück. Die Spieler am Black-jack-Tisch gehen weg. Nur Harper verharrt. Sie sehen sich an, und er sagt nach einigen Atemzügen: »Ich bin sehr froh, dass ich dich wiederfinden konnte. Denn ich konnte dich nicht vergessen. Wie ist es bei dir, Jenny?« »Nicht anders, Tom«, erwidert sie sofort. »Du musst bis nach Mitternacht warten. Denn dann erst endet hier mein Dienst. Warte am Hinterausgang im Hof. Dann kannst du mich heimbringen und vor den Betrunkenen schützen.« Sie können sich nicht weiter unterhalten, denn es treten andere Spieler an den Tisch. Einer spricht grinsend: »Bei schönen Frauen habe ich immer Glück. Ich setze hundert Dollar« Der Mann ist gut gekleidet und wahrscheinlich ein Minenbesitzer.
Auch Harper setzt zehn Dollar. Wenig später gewinnt er. Jennifer zahlt ihm den doppelten Einsatz. Und der Mann, der hundert Dollar setzte, wendet sich fluchend ab. Auch Harper geht weiter, und er fragt sich, ob er wirklich Kartenglück hatte oder ob Jennifer ihm die Gewinnkarten absichtlich gab. Er wird sie fragen.
10 Die Tage und Nächte vergehen. Für Tom Harper und Jennifer sind es Tage und Nächte des Glücks und der Liebe. Doch was soll aus ihrer Beziehung werden? Dies fragen sie sich beide. Er ist ja eigentlich immer noch ein Bergläufer, Jäger und Trapper, Indianerkämpfer und zeitweiliger Scout. Sie aber lebte einst als verwöhnte und ziemlich gebildete Tochter reicher Sklavenhalter in einem Herrenhaus. Er kann sie gewiss nicht mit in eine Jagdhütte nehmen wie damals jene Squaw. Also müsste er sich völlig verändern. Und sie kann gewiss nicht wie eine Squaw leben. Dennoch lieben sie sich stets zwischen Mitternacht und Morgen. Er bekam im selben Hotel neben ihrem Zimmer eine kleine Kammer. Doch sein schmales Bett bleibt unbenutzt. Tagsüber lässt er sich bei Sam Stonewall blicken, der seine Wagen aus dem Wagenzug mit gutem Gewinn verkauft und eines Tages zu ihm sagt: »Tom, morgen bin ich hier fertig und mache mich auf den Weg nach Boston. Ich werde Ihnen noch eine gute Prämie zusätzlich zahlen. Wollen Sie mich nach Boston begleiten, Tom?«
Da schüttelt er den Kopf und erwidert: »Nein, Sam, ich habe hier eine Frau wiederfinden können, die ich schon für immer verloren zu haben glaubte. Ich muss erst herausfinden, wie es zwischen ihr und mir weitergehen kann. Können Sie sich auf Ihre beiden Revolvermänner nicht verlassen?« »Doch«, erwidert Stonewall. »Ambrose Kinkaid und Ringo Lumate sind ehrlich und treu. Ihr Stolz lässt nichts anderes zu. Sie werden mich und die Kiste voller Geld bis nach Boston begleiten. Tom, es sind mehr als dreihunderttausend Dollar. Denn es ist ja der ganze Warenwert und der Gewinn zusammengekommen. Ich werde meiner Familie in Boston weiterhin ein schönes Leben bieten können. Denn jetzt schon lebten sie wohlhabend in einem schönen Haus. Tom, ich wünsche Ihnen das Glück, das ich bis jetzt hatte und hoffentlich weiter haben werde.« Er holt tief Atem und fügt hinzu: »Meinen ganzen Wagenzug und alle Maultiere habe ich ebenfalls gut verkauft.« »An wen, Sam, an wen?« Harper fragt es irgendwie witternd wirkend. Aber Stonewall hebt nur die massigen Schultern und erwidert dann: »Wahrscheinlich an einen Strohmann, hinter dem Jessup Harley steckt. Aber das ist mir völlig egal. Ich bin fertig mit meinem bisherigen Geschäft. Und der Preis hat gestimmt. Und es ging mir auch darum, dass
alle meine Fahrer und der Koch übernommen wurden und weiterhin ihre Jobs behalten. Morgen bin ich weg aus Golden. Wir nehmen die Morgenpostkutsche nach Kansas City. Und dann geht es weiter mit der Eisenbahn. In spätesten zwei Wochen bin ich daheim. Und ich komme als der große Gewinner, als ein Lucky Cuss, nicht wahr?« »Viel Glück, Sam«, erwidert Tom Harper nur und geht davon. Denn der Abschied fällt ihm schwer. Er mag diesen Mann und weiß, dass auch Stonewall ihn mag.
Es ist am späten Nachmittag des nächsten Tages – und Stonewall ist schon länger mit seinen beiden Leibwächtern als zehn Stunden unterwegs, als Tom Harper und Jennifer auf Pferden unterwegs sind. Ja, sie sind ausgeritten. Tom musste wieder einmal seinen Pinto bewegen. Jennifer lieh sich ein Pferd, eine zierliche rote Stute. Sie ist eine gute Reiterin. Tom bewundert ihre Art zu reiten. Auf einem kleinen Hügel am Wagenweg nach Kansas halten sie inne und sitzen ab. Von ihrem Platz aus haben sie eine gute Sicht. Nebeneinander setzen sie sich nieder. Er dreht sich schweigend eine Zigarette und zündet sie an.
Nach einigen Zügen aber fragt er ruhig: »Jenny, was soll aus uns werden? Was muss ich tun, damit du meine Frau wirst und wir das ganze Leben zusammenbleiben können? Sage es mir, Jenny.« Sie betrachtet ihn ernst. Dann spricht sie langsam: »Ich bin hier in Golden geblieben, um mir das Reisegeld nach Oregon zu verdienen. Lass dir was einfallen, was wir in Oregon machen könnten.« Er sieht sie staunend an. »Du würdest mir das überlassen?« »Wenn du nicht verlangst, mit dir auf Pelztierjagd zu gehen. Alles andere wäre mir recht.« Als sie verstummt, da will er etwas erwidern. Doch dann sieht er auf dem Wagenweg einen Mann mit letzter Kraft dahergetaumelt kommen. Er kennt diesen Mann, der jetzt auf die Knie fällt und nicht wieder auf die Füße kommen kann, sich lang hinlegt, um auszuruhen. Der Mann ist einer von Sam Stonewalls Leibwächtern. Sein Name ist Ambrose Kinkaid. Und er ist offenbar böse angeschossen. Auch Jennifer hat alles beobachtet und spricht: »Reiten wir hin. Der da braucht Hilfe. Woher kommt er ohne Pferd?« »Von der Postkutsche, die heute bei Sonnenaufgang Golden in Richtung Kansas
verließ«, erwidert Tom Harper, und in seiner Stimme ist eine bittere Gewissheit. Sie sitzen nun auf und reiten vom flachen Hügel zum Wagenweg hinunter. Nach einer halben Meile erreichen sie den Mann. Ja, es ist Ambrose Kinkaid. Und er lebt noch, obwohl seine ganze Schulter zerschossen wurde und er fast schon verblutet ist. Er hat sein Halstuch in das große Loch gestopft. Als sie bei ihm knien, da öffnet er die Augen und verzerrt sein ganzes Gesicht zu einem trotzigen Grinsen. Ja, er ist ein harter und zäher Bursche und kämpft gegen das Sterben an. Denn er blutet immer noch und muss fast schon ausgelaufen sein. Dennoch schleppte er sich bis hierher. »Lasst mich hier liegen«, flüstert er mit kaum hörbarer Stimme. »Zieht mir nur die Stiefel aus. Und beerdigt mich nach Christenart in Golden.« »Was ist passiert?« Tom Harper fragt es scharf und drängend. Denn er glaubt, dass Kinkaid nicht mehr lange bei Besinnung sein und sprechen kann. Er muss sich tief über Kinkaids Mund beugen, um ihn sagen zu hören: »Die schossen uns in Klumpen – die ganze Kutsche, alle. Diese Mörder schossen mit vier Sharps-Gewehren, bis sich niemand mehr von uns regte. Auch die Pferde ...« Weiter spricht Kinkaid nicht. Seine Stimme verhaucht.
Und nun blutet er nicht mehr. Denn sein Herz hörte auf zu schlagen. Jennifer und Tom sehen sich an. Er spricht ganz ruhig: »Jenny, wenn wir ihn nach Golden gebracht haben, werde ich eine lange Fährte reiten müssen. Ich kann dir nichts versprechen. Stonewall war mir ein väterlicher Freund. Und ich weiß ...« »Schon gut, Tom«, unterbricht sie ihn. »Was du auch tun wirst und wie lange es dauern wird, ich werde in Golden auf dich warten.« Es ist noch nicht Abend, als er die zerschossene Postkutsche erreicht. Hinter ihm ziehen vier galoppierende Pferde den Wagen der Post- und Frachtlinie von Golden. Aber sie können nur die Toten bergen. Die Kutsche wurde von den schweren Sharpskugeln fast in Stücke geschossen. Und da diese Geschosse durch die Kutschwände wie durch Pappe gingen, traf es auch alle Passagiere. Das alles war ein besonders böses Morden. Zuerst schossen sie die Pferde zusammen, dann in die stehende Kutsche hinein, bis sich kein Leben mehr in ihr regte. Sam Stonewall liegt neben der Kutsche. Er hatte sich ins Freie retten wollen. Auch der Kutscher und dessen Begleitmann liegen außerhalb der Kutsche, denn sie wurden vom hohen Bock geschossen. Drinnen in der Kutsche
finden sie Ringo Lumate, eine Frau und zwei Goldgräber. Es war ein barbarisches Morden, so als hätte die Hölle ihre bösesten Teufel ausgespuckt, um sie ein ungeheuerliches Verbrechen begehen zu lassen. Einer der beiden Männer, die mit dem Wagen kamen, spricht knirschend: »O Himmel, warum hast du das zugelassen? Was waren das für Ausgeburten der Hölle? Wie können normale Menschen so etwas tun?« »Weil sie innerlich ohne Gefühl sind«, erwidert Tom Harper. »Weil sie verrückt sind, schießsüchtige Irre, die sich in einen Schießrausch versetzt hatten, so als hätten sie eine Droge genommen. Als sie zu schießen begannen, gerieten sie in einen wilden und bösen Rausch. Sie konnten nicht mehr aufhören.« Die beiden Männer der Postlinie sehen ihn staunend an. Einer fragt: »Sie reden so, als würden Sie diese Mörder kennen. Ist das so?« Tom Harper nickt nur stumm. »Und ich hole sie mir Mann für Mann«, spricht er, nachdem sie die Toten in den Wagen gelegt haben. »Sagen Sie dem Postagenten in Golden, dass ich die Fährte aufgenommen habe. Ich werde irgendwann nach Golden zurückkommen.« Die beiden Männer der Postlinie starren ihn an.
Dann deutet einer auf Tom Harpers Pferd. »Auch Sie haben eine schwere Sharps im Sattelschuh stecken. Und hier wurde alles mit Sharps-Gewehren in Stücke geschossen. Man erzählt sich überall schon seit Wochen die Geschichte der Sharps Shooter, die am Yazoo alle Kanonenboote der Union aufhielten. Und fünf dieser Sharps Shooter sollen damals den UnionsTruppen entkommen sein. Vier tauchten in letzter Zeit immer wieder bei uns in Golden auf. Sind Sie der fünfte Sharps Shooter, der mit der Zaubersharps?« Der Mann starrt Tom Harper fast ehrfürchtig an. »Ich gehörte schon lange nicht mehr zu ihnen«, spricht Harper ruhig. Dann tritt er zu seinem Pferd, sitzt auf und reitet an. Sie sehen ihm schweigend nach. Er reitet nach Norden, denn in diese Richtung führt die Fährte von vier Reitern und einem Packpferd. Im letzten Licht des sterbenden Tages kann man die Fährte noch erkennen. Erst als er ihren Blicken entschwunden ist, weil die Dunkelheit nun schnell von Osten her herangeschlichen kommt, da sagt einer der beiden Männer der Post- und Frachtlinie: »Ich denke, er wird sie abknallen wie tollwütige Wölfe. Seine Sharps soll eine ganz besondere Sharps sein.«
Der andere Mann nickt heftig. »Und das verdienen diese Mörder auch nicht anders. Sie wurden berühmt und galten als besondere Helden der Konföderation. Aber sie handelten damals schon aus Schießlust, nicht als Patrioten für den Süden. Die wollten nur ihre Schießlust befriedigen.«
Obwohl es Nacht wurde, reitet Tom Harper weiter nach Norden. Er ist fest davon überzeugt, dass die vier Mörder in gar keine andere Richtung reiten können mit ihrer Beute, dieser Kiste voller Geld, mit der Sam Stonewall zu seiner Familie nach Boston wollte und nur einige Meilen weit kam. Nun werden sie ihn in Golden mit seinen beiden Leibwächtern beerdigen, die ihm nicht helfen konnten, weil sie gegen weit reichende Sharps mit ihren Colts machtlos waren. Ja, sie können nur nach Norden und müssen das Indianerland zwischen sich und das Gesetz bringen. Nur dann können sie sicher sein. Doch wie werden sie sich verhalten? Das ist die große Frage, über die Tom Harper ständig nachdenkt. Denn es gibt viele Möglichkeiten. Die Mörder können die Beute unter sich aufteilen und sich dann trennen, sodass jeder seinen eigenen Weg reitet.
Sie können aber auch zu viert zusammenbleiben, weil sie sich dann mächtiger fühlen gegen alle möglichen Verfolger mit ihren schweren Gewehren. Doch es könnte auch sein, dass sie durch Losentscheid einen von sich auf ihrer Fährte zurücklassen. Tom Harper versucht sich das alles vorzustellen und sich in die Kerle hineinzudenken. Dann weiß er es, und auch sein Instinkt sagt ihm, dass er mit der letzteren Möglichkeit rechnen muss. Doch wenn einer der Mörder als sichernde Nachhut auf Verfolger lauert, dann wird er gutes Büchsenlicht haben wollen, also weite Sicht an einem hellen Morgen. Und so bleibt Tom Harper die ganze Nacht in Bewegung. Er reitet nicht schnell, dafür stetig. Sein Pinto ist ein zähes Tier. Einige Male sitzt er ab, gönnt ihm eine Verschnaufpause, reibt es mit Gras ab und massiert ihm die Muskeln. Er weiß, dass die vier Dreckskerle es ebenso machen. Und er weiß, dass er sie erst einholen kann, wenn er den Hinterhalt rechtzeitig erkennt, der Kugel entkommt und sie eine längere Pause einlegen. Es ist ein höllisches Spiel. Denn sie alle sind ja Trapper, Gebirgsläufer, Scouts und Indianerkämpfer. Sie alle kennen sich aus in diesem Spiel und verfügen über besondere Instinkte, so als wären sie zweibeinige Wölfe.
Er bleibt also bis zum Morgen in Bewegung, erreicht mitten in der Nacht auch einen schmalen Wagenweg, der irgendwohin nach Norden führt. Links von sich sieht er in der Ferne den Pikes Peak, und an einer Weggabelung ist ein Brett an einem Baum festgenagelt, auf dem zu lesen ist: Colorado Springs. Es ist keine Meilenangabe eingeschnitzt. Das Land vor ihm ist unübersichtlich und wild. Zu seiner Linken erheben sich die Rocky Mountains. Er reitet immer vorsichtiger, schickt sozusagen seinen Instinkt voraus, lauscht auf innerliche Zeichen, auf unheilvolle Ahnungen. Und die ganze Zeit fragt er sich, wen sie auf ihrer Fährte zurückgelassen haben. Das haben sie bestimmt. Doch wen sie auch zurückließen, er braucht sehr weites Schussfeld. Nur dann nützt ihm seine Buffalo Sharps etwas. Er muss schießen und treffen können, bevor er in Schussnähe ihrer Gewehre ist. Tom Harper fragt sich auch, ob sie damit rechnen, dass er sie verfolgt. Denn sie waren gewiss gut informiert, wussten, dass er den Wagenzug begleitet und mit seiner Zaubersharps beschützt hat, erfuhren von einem der Fahrer an einer Bar sogar, dass Stonewall und er ein gutes Verhältnis hatten.
Ja, es kann durchaus sein, dass sie mit ihm rechnen als unerbittlichem Verfolger. Er erreicht nun den Rand einer Ebene und verhält in guter Deckung. Langsam sitzt er ab und bewegt sich sattelmüde etwas steifbeinig. Dann holt er das sorgfältig eingehüllte Zielfernrohr aus einer seiner beiden Satteltaschen und sucht sich eine gute Stelle, wo er sich auf den Bauch legen und das Fernrohr auflegen kann. Er blickt nun über die Ebene zu nächsten Hügelkette hinüber. Es sind wilde, zerhackt wirkende Felsenhügel. Die Sonne steht noch weit im Osten. Wenn er das Fernrohr nicht in diese Richtung hält, wird sich kein Sonnenlicht im Glas widerspiegeln. Sein Instinkt warnt ihn mit einem unbehaglichen Gefühl. Er kennt diese Ahnung. Er hatte sie zum letzten Mal so stark, als er den Grizzly verfolgte, der damals in seine Berghütte eingebrochen war und ihm die wunderschöne Gefährtin erschlug. Damals lauerte dieser Grizzly ebenfalls auf seiner Fährte und wartete auf den Verfolger. Er spürt also wieder dieses Gefühl, diese unheilvolle Ahnung. Und so fragt er sich, wer von ihnen dort drüben auf Verfolger wartet. Ist es Wade, Kelso, Bullock oder Yellowstone Pierce? Mit seinem Fernrohr sucht er die ganze Hügelkette ab, nimmt sich Zeit. Und dabei denkt
er wieder einmal mehr an Jennifer – aber dann auch an Sam Stonewall, auf den seine Familie nun vergebens warten wird. Drüben regt sich nichts. Die Entfernung beträgt etwa zwei Meilen. Er könnte also auf der Ebene nach rechts und links ausweichen und dann wieder die frühere Richtung einschlagen. Doch dann würde er einen Verfolger hinter sich haben. Er könnte eingekeilt werden und zwischen zwei Feuer geraten. Vor sich mitten auf der Ebene, da steht eine kleine Felsengruppe. Sie ist etwa eine knappe Meile entfernt. Er beobachtet sie lange und kommt zu der Überzeugung, dass sich dort niemand mit einem Pferd verborgen hält. Denn immer wieder fliegen Vögel auf die Felsen. Aber am Rand der Ebene will ein Raubvogel auf die Hügelkette nieder und steigt dann schnell wieder zum Himmel empor. Tom Harper entschließt sich plötzlich. Er geht zu seinem Pferd und zieht die Sharps aus dem Sattelschuh, setzt das Zielfernrohr auf und überzeugt sich, dass eine Patrone im Ladeverschluss ist. Dann sitzt er auf und reitet los. Er muss sich noch nicht beeilen, denn die Entfernung ist auch für eine schwere Buffalo Sharps noch zu weit. Dann aber, als er fast eine Meile geritten ist, lässt er seinen Pinto anspringen.
Und da hört er auch schon die Kugel heranpfeifen. Es ist ein seltsames Rauschen, und es eilt dem Krachen des Schusses voraus. Erst nach Sekundenbruchteilen vernimmt er das donnernde Krachen. Die Kugel trifft ihn nicht. Sein Pferd sprang im letzten Moment an. Doch er sieht drüben nun im Felshang die Rauchwolke. Als er die kleine Felsengruppe erreicht und sich vom Pferd wirft, da nimmt er seine Waffe mit. Drüben kracht es wieder, und die schwere Kugel verfehlt ihn abermals. Doch diese beiden Fehlschüsse sind nicht die Schuld des Schützen, wer es auch sein mag dort drüben. Es liegt an der Entfernung. Sie beträgt ja fast tausend Yards, zu weit für ein sich schnell bewegendes Ziel und die schwere, sich relativ langsam bewegende Kugel. Tom Harper liegt nun in Deckung und beobachtet die Stelle, über der sich die Rauchwolke erhob. Mit den Zielfernrohr holt er sich die Stelle auf etwa hundert Yards heran und murmelt dabei: »He, wer von ihnen bist du, du verdammter Narr! War deine Pulverladung zu schwach oder die Entfernung zu weit?« Wenig später kann er erkennen, wer dort drüben gelauert und geschossen hat. Für einen Moment sieht er den Mann.
Es ist Yellowstone Pierce. Ihn hat also das Los getroffen. Und er hat es hier zweimal versucht. »Oh, du verdammter Narr«, murmelt Tom Harper. Er kennt nun die Stelle sehr genau und beobachtet sie durch das Fernrohr, stellt auch das Visier ein und wartet geduldig. Pierce hat seinen Hut abgenommen. Manchmal erkennt Tom für einen kurzen Moment den roten Haarschopf des Gegners. Das ist immer dann, wenn Pierce seine Haltung verändert oder über seine Deckung blickt. Noch zweimal feuert Pierce und versucht Harpers Pferd zu treffen, das sich zwischen den Felsen bewegt. Doch auch dies gelingt ihm nicht. Für seine Sharps ist die Entfernung zu weit. Und wenn er die Pulverladung erhöht, dann platzt ihm vielleicht der Lauf. Die Zeit vergeht. Es ist still in weiter Runde. Nur am Himmel kreisen Raubvögel. Und jagende Falken stoßen ihre Schreie aus. Es ist ein Geduldspiel. Tom Harper ist ständig konzentriert und hat die Hand am Abzug. Doch will er Pierce treffen, muss dieser zumindest zwei Sekunden lang zu sehen sein. Sonst trifft ihn keine Sharpskugel auf diese Entfernung, selbst wenn Harper nur ganz kurz zielt.
Und dieses schnelle Schießen mit einer Sharps ist höchste Kunst. Es ist dann fast zwei Stunden später, und die Sonne steht hoch über ihnen, als Tom Harper schießt. Pierce zeigte sich zu lange, weil er sich erhob, um vielleicht von seinem Pferd die Wasserflasche zu holen. Denn es wurde heiß. Durch das Zielfernrohr kann Tom Harper erkennen, wie hart seine Kugel Pierce zurückstößt. Dann wird Pierce unsichtbar. Harper sitzt auf und reitet im Trab hinüber.
11 Yellowstone Pierce lehnt an einem großen Stein und grinst ihn an. Mit beiden Händen versucht er das Einschussloch in der Brust dicht zu machen. Aber das ist natürlich vergebens, denn die Kugel hat in seinem Rücken gewiss ein sehr viel größeres Austrittsloch hinterlassen. Er wird nicht mehr lange leben, und er weiß es. Er hat verloren und bezahlt nun für sein Verbrechen. Mühsam spricht er: »Du mit deiner verdammten Zaubersharps ...« Tom Harper sitzt ab und hockt sich neben ihm nieder. Aus nächster Nähe blicken sie sich in die Augen. »Warum habt ihr sie alle ermordet, alles in Stücke geschossen? Wart ihr von Sinnen, ganz und gar wie in einem Rausch?« So fragt er heiser und mit einem Ausdruck von Abscheu und Verachtung in den Augen. Pierces Gesicht verzerrt sich noch mehr. In seinen Augen flackert es seltsam. Dann spricht er mit seinem letzten Atem: »Ja, wir waren plötzlich verrückt. Seit unserem Sieg über die Kanonenboote der Union waren wir wohl süchtig nach einer Schießerei. Als wir die beiden Führungspferde erschossen, um die Kutsche zu stoppen, da konnten wir nicht mehr aufhören. Ja, wir waren plötzlich verrückte
Schießer, konnten nicht aufhören. Und jetzt bezahle ich meine Schuld. Ich denke, du wirst auch die anderen erledigen mit deiner Zaubersharps. Sie haben eine Blechkiste voller Geld bei sich.« »Ich weiß, Pierce«, murmelt Tom Harper. »Ja, ich hole sie mir alle. Denn Sam Stonewall war ein guter Mensch, ein Mann, der zum Salz der Erde gehörte. Er hatte es nicht verdient, von Schießern abgeknallt zu werden. Und auch alle anderen Menschen in und auf der Kutsche hatten solch ein Sterben nicht verdient.« Er will sich erheben. Yellowstone Pierce aber holt aus seinem tiefsten Kern noch einmal ein wenig Kraft und stößt bittend hervor: »Beerdige mich, Harper. Deck mich mit Steinen zu, damit die Aasfresser mich nicht ...« Weiter kommt er nicht. Nun endlich ist er tot und hat bezahlt. Denn manchmal gibt es Gerechtigkeit auf Erden. Harper erhebt sich, verharrt bei ihm und blickt auf ihn nieder. Eigentlich hätte Pierce keine Beerdigung nach Christenart verdient, denn er war kein Christ, sondern zuletzt ein böses Ungeheuer. Tom Harper verachtet ihn zutiefst. Dennoch kann er den Toten nicht so liegen lassen.
Über ihnen kreisen schon die ersten Geier, so als wären sie hergesandt worden. Er geht zu Pierces Pferd, sattelt es ab und nimmt die Decken zu Pierce mit. Nachdem er ihn eingehüllt hat, häuft er Steine über ihm auf zu einem Grabhügel. Und Pierces ganze Habseligkeiten – auch das schwere Gewehr – verbirgt er in einer Felsspalte, die er mit Steinen schließt. Dann nimmt er die Fährte wieder auf. Als er aus den Felsenhügeln hinaus ist und abermals eine kleine Ebene erreicht, da sieht er die Fährte wieder deutlich auf dem schmalen Weg nach Colorado Springs.
Es ist am nächsten Tage gegen Mittag, als er den kleinen Ort Colorado Springs erreicht, der unterhalb der roten Quelle eines kleinen Flusses zwischen roten Mesas liegt. Auch hier gibt es einige Minen, in denen Silber und Kupfer gefördert wird. Er reitet sehr vorsichtig in den kleinen Ort, aber er sieht nirgendwo Sattelpferde, in deren Sattelschuhen Sharps stecken. Vor dem Saloon hält er an und sieht sich noch einmal um, bevor er hineingeht. Es ist Mittagszeit. Der Mann hinter dem Schanktisch fragt sofort: »Wollen Sie essen, Mister? Meine Frau hat Hirschbraten.«
Er nickt nur und verlangt dann am Schanktisch ein Bier und trinkt einige Schlucke. Der Wirt aber ruft in die Küche hinein: »Noch ein Essen, Maria!« Dann sieht er Harper mit einem forschenden Blick an. Aber er fragt nichts, denn das gehört zum ungeschriebenen Gesetz in diesem Land. Dafür fragt Harper fast sanft: »Kamen drei Reiter mit einem Packpferd hier durch?« Der Wirt ist ein bulliger Mann, der hinter dem Schanktisch auf einem hohen Stuhl sitzt. Und neben ihm lehnen zwei Krücken, die er offenbar zur Fortbewegung benötigt. Der Wirt zögert und blickt fest in Harpers Augen. Offenbar erkennt er darin etwas, denn er spricht plötzlich: »Drei böse Pilger waren das. Sie schienen auf einen Nachzügler zu warten und wurden immer ungeduldiger. Aber Sie gehören gewiss nicht zu ihnen – oder?« »Nein«, erwidert Harper, »ich nicht. Wann sind sie von hier fort?« »Vor zwei Stunden. Und sie sagten mir, dass ich ihnen einen Rotkopf nachschicken sollte.« Tom Harper nickt nur, nimmt sein Glas und geht zu einem der Tische. Es sitzen noch weitere Gäste da und dort. Sie alle nehmen hier das Mittagessen ein, und man sieht ihnen an, dass es ein gutes Essen ist.
Einer blickt zu Harper auf und sagt grimmig: »Ich bin der Storehalter dort drüben auf der anderen Seite. Einer der drei Pilger kaufte Tabak und belästigte meine Frau, als sie ihn bediente. Sind Sie hinter denen her? Sind Sie ein Gesetzesmann?« »Sie haben eine Postkutsche überfallen und alle getötet – die Passagiere, den Fahrer und den Begleitmann. Ja, ich bin hinter ihnen her.« Als Harper verstummt, da schweigen sie alle im Raum, bis dann endlich einer der Gäste bitter sagt: »Ja, der verdammte Krieg im Südosten spuckt immer wieder seinen Abschaum nach Norden.« Tom Harper erwidert nichts. Die Frau aus der Küche bringt ihm nun das Essen und verlangt einen halben Dollar. Es ist ein gutes Essen. Indes er den Teller leert und auch das Bierglas austrinkt, denkt er an Jennifer in Golden und fragt sich, wann er wieder bei ihr sein wird. Sie alle im Raum beobachten ihn schweigend. Er spürt ständig ihre Blicke. Aber niemand sagt etwas. Erst als er sich erhebt und hinausgeht, sagt jemand: »Viel Glück, Lawman. Sie sind verdammt allein auf Wolfsjagd.« »Danke«, spricht er über die Schulter zurück. Draußen hat sich sein Pferd am Tränketrog erfrischt. Er bindet es los, sitzt auf und reitet aus dem kleinen Ort, der gewiss mal eine größere
Stadt werden wird, wenn die Minen Gewinn bringen. Er beschäftigt sich in seinen Gedanken wieder mit den drei Mördern. Diese haben nun etwa drei Stunden Vorsprung. Doch sein Pferd ist müde. Er könnte sie an diesem Tag nicht einholen. Und in der Nacht wird er rasten müssen. Er kann sich leicht ausrechnen, dass sie am nächsten Tag irgendwo auf Pierce warten werden. Und wenn dieser nicht kommt, dann werden sie auf Verfolger warten, die Pierce nicht aufzuhalten vermochte. Sie werden sich ein weites Schussfeld aussuchen, also eine Ebene, die die Verfolger überqueren müssen. Mit ihren Sharps können sie Verfolger abschießen, bevor diese mit ihren leichteren Gewehren auf Schussnähe herangekommen sind, also auf etwa hundert oder hundertfünfzig Yards. Irgendwann werden sie herausfinden, dass ihnen nur ein einziger Verfolger auf der Fährte ist – aber mit einer besonderen Sharps, die eine zumindest zweihundert Yards weitere Reichweite hat als ihre Gewehre. Und dann ...? Harper fragt sich, was sie dann tun werden. Er denkt auch wieder an Sam Stonewall und dessen Familie im fernen Boston, jener Stadt an der Atlantikküste. Aber zuletzt denkt er an Jennifer.
Wann wird er wieder bei ihr sein? Wird er die drei Kerle erledigen und Gerechtigkeit schaffen können? Oder werden sie ihn von ihrer Fährte schießen mitsamt seiner Zaubersharps? Es ist ja alles noch völlig offen. Sie sind erfahrene Jäger und können ohne Gewissensbisse töten. Denn ihnen fehlt etwas. Sie sind sich dieses Mangels nicht mal bewusst. Und was ist mit ihm? Auch er hatte sich damals der Sharps ShooterMannschaft angeschlossen, um mit seinem Zaubergewehr etwas zu vollbringen. Ja, auch er verspürte jene Schießlust, so wie ein Degenfechter die Lust auf ein Duell. Doch er suchte sich einen Feind aus, der eine Festung bombardieren wollte, in der sich auch Frauen und Kinder befanden. Er kämpfte wie ein Soldat gegen andere Soldaten. Er reitet mit all diesen Gedanken und Gefühlen in die Nacht hinein, sucht sich schließlich einen guten Platz für ein Camp, kümmert sich um sein Pferd und legt sich zur Ruhe. Er schläft sofort ein, denn er ist sicher, dass die drei Bösen meilenweit vor ihm sind. Auch sie müssen sich ausruhen und ihren Pferden eine längere Rast gönnen. Aber morgen, denkt er, werden sie mit der Kiste voller Geld abermals vergeblich auf Yellowstone Pierce warten und begreifen, dass
Pierce nicht mehr zu ihnen stoßen wird, dass jemand ihn erledigt hat wie einen Wolf.
Bullock, Wade und Kelso fanden zwanzig Meilen weiter im Norden ebenfalls einen guten Platz für die Nacht. Sie hocken an einem Feuer an einem Creek unter einem leicht überhängenden Steilufer und haben ein Feuer angemacht, weil dies hier unten in Deckung des Steilufers von Süden her nicht zu sehen ist. Sie haben ihren Hunger gestillt und rauchen. Immer wieder blicken sie sich im Feuerschein an. Wade sagt irgendwie biestig: »He, Kelso, du hast rote Augen. Wie kann ein Mensch nur rote Augen haben? Nicht mal Tiere haben rote Augen.« Aber Kelso lacht und erwidert: »Auch du hast rote Augen, Wade. Der Feuerschein verursacht das. Hast du keine andere Sorgen als meine rote Augen, Wade? Denk lieber mal darüber nach, warum Pierce nicht aufgetaucht ist. Den muss jemand erledigt haben. Aber wer? War es ein ganzes Aufgebot der Post- und Frachtlinie oder ...« Er bricht ab. Bullock fragt hart: »An wen denkst du?«
Sie schweigen eine Weile. Dann spricht Kelso: »Harper war in den Diensten des Wagenzugbesitzers ...« Mehr spricht er nicht, und er muss ja auch den angefangenen Satz nicht beenden. Sie wissen auch so, was er ihnen sagen will. Bullock bellt böse: »Das werden wir morgen irgendwo herausfinden.« Sie schweigen abermals lange, starren ins Feuer und lauschen in die Nacht. Doch sie hören nur das leise Plätschern des Creeks und das Knistern der Flammen am Holz des Feuers. Kelso spricht plötzlich: »He, wir haben eine Kiste voller Geld. Doch was nützt sie uns jetzt hier? In jeder Stadt könnte ich mir eine Frau kaufen, so wie zuletzt in Golden in China-Nellys Etablissement. Sie hieß Natascha und sagte mir, dass sie eigentlich eine russische Gräfin wäre, die aus Alaska fliehen musste, weil sich ihre Familie die Feindschaft der Zarensippe zugezogen hätte. Und ich glaube auch jetzt noch, dass sie wirklich eine ehemalige Gräfin war. Sie hatte was, verdammt, sie hatte was. Und sie nahm hundert Dollar dafür. Aber die war sie wert, o verdammt, wann kann ich mir wieder in nächster Zeit so eine Frau kaufen! Wo wird das sein? Wohin reiten wir?« Sie schweigen wieder lange. Dann spricht Wade: »Wir sind unterwegs nach Montana und wollen über die Bitterroots zum Columbia, auf
diesem nach Vancouver und zur Westküste. Dort sind wir weit weg von all dem Mist, den wir hinter uns wissen. Wir werden unsere Beute teilen und uns trennen. Ich kann eure Gesichter schon jetzt nicht mehr sehen. Kann mir einer von euch erklären, warum wir mit dem Schießen nicht mehr aufhören konnten? Ich denke ständig darüber nach und finde keine Antwort. He, warum also schossen wir weiter, nachdem wir die Führungspferde der Kutsche erledigt hatten, sodass sie nicht mehr weiter konnte?« Er verstummt hart. Sie aber schweigen und denken nach, lauschen tief in sich hinein und stellen fest, dass ihnen etwas fehlt. Schließlich spricht Bullock: »Unsere Gewehre, die Sharps – sie geben uns ein Gefühl von Macht. Man fühlt sich wie ein Halbgott. Schießen ist wie ein Rausch. Man ist mächtig – jedenfalls mir geht es so.« Ihr Schweigen dauert nun noch länger als zuvor. Dann aber beugt sich Kelso zur Seite und holt eine noch halb volle Flasche Brandy aus einer seiner Satteltasche. »Trinken wir«, spricht er heiser. »Irgendwann kommen wir in die Hölle. Aber zuvor wollen wir das Leben auf dieser Erde noch auskosten. Auch in Vancouver wird es käufliche Weiber geben und all den anderen Spaß. Meint ihr wirklich,
dass Tom Harper hinter uns her sein könnte und Yellowstone Pierce schon in die Hölle schickte?« Bevor sie ihm antworten, lassen sie die Flasche in die Runde um ihr Feuer gehen und trinken abwechselnd. Dann stößt Bullock hervor: »Wenn er es ist, dann soll er nur kommen, verdammt!«
12 Jennifer O'Hara denkt in diesen Tagen und Nächten immer wieder an Tom Harper und wird sich immer mehr bewusst, dass sie diesen Mann liebt, richtig mit dem Herzen liebt und ihn nicht verlieren möchte. Das Leben hat sie hart gemacht gegen Verluste. Sie hat lernen müssen, diese zu ertragen. Doch um Tom Harper würde sie weinen. Und so sind ihre Gedanken ständig bei ihm, auch beim Kartenausteilen an ihrem Black-jackTisch, den sie gemietet hat in der Fair Play Hall zu Golden. Sie muss die Hälfte ihres Gewinns an das Haus abführen, aber sie ist gewissermaßen eine selbstständige Unternehmerin. Denn so kann man es wohl sehen. Wenn sie Verluste macht und keinen Gewinn abführen kann an das Haus, dann wird man ihr den Tisch wegnehmen. So einfach ist das, denn Unternehmer, die keinen Gewinn machen, die gehen ganz gnadenlos Pleite. Einige Male macht sie Verluste, weil sie zu sehr an Tom Harper denkt und sich nicht ganz und gar auf das Spiel konzentriert, ihrem Instinkt gehorcht. Sie kennt natürlich längst schon alle wichtigen Männer von Golden und der weiteren Umgebung.
Und einer der mächtigsten und rücksichtslosesten Männer ist Jessup Harley. Als sie etwa eine Stunde nach Mitternacht das Office der Spielhalle betritt, um wie immer die Hälfte ihres Gewinne abzuführen, da sitzt nicht wie sonst immer der Manager O'Brien hinter dem Schreibtisch neben dem offenen Geldschrank, sondern ein anderer Mann, nämlich jener Jessup Harley. Und er ist ein sehr gut aussehender Mann, der sich wie ein gebildeter Gentleman darstellt und sich auch elegant kleidet. Er ist dunkelhaarig und blauäugig. Seine Augen sind von einem strahlenden und intensiven Blau, das dunkler als der Himmel ist, und glitzern im Lampenschein. In seinem Gesicht sind einige Zeichen, die von Kämpfen zeugen. Sein Lächeln ist blinkend, fast raubtierhaft. So sieht und lächelt er Jennifer an. Doch in seinem Blick ist etwas, was ihr von Anfang an Sorgen bereitet. »Sie sind überrascht, mich hier zu sehen, nicht wahr, Lady?« So fragt er höflich. Dabei bietet er ihr – er hatte sich erhoben bei ihrem Eintritt wie ein höflicher Gentleman – den Stuhl auf der gegenüberliegenden Seite des Schreibtisches an. Sie setzt sich mit einer leichten Bewegung, der man nicht ansieht, dass sie viele Stunden hinter ihrem Black-jack-Tisch stand und Karten austeilte.
Sie setzt sich und spricht: »Ja, ich bin etwas überrascht, Mister Harley.« Er nimmt ebenfalls wieder Platz. An seinem linken Finger blinkt ein Brillantring. Es ist der kleine Finger. »Ich habe die Fair Play Hall übernommen«, sagt er und lächelt. »Sie gefallen mir, Miss O'Hara, und ich möchte Sie zu gern näher kennen lernen. Ja, ich möchte Ihnen wie einer ehrenwerten und seriösen Lady den Hof machen. Hätten Sie etwas dagegen einzuwenden? « »Ich bin keine Miss«, erwidert sie ruhig. »Also sollten Sie Mistress O'Hara zu mir sagen, Mister Harley. Ich weiß auch, dass Sie ein mächtiger Mann sind hier in Golden und der weiteren Umgebung. Sie versorgen mit Ihrer Frachtlinie das ganze Land und diese Stadt und haben nun auch keine Konkurrenz mehr durch Mister Stonewall. Aber ich lege keinen Wert auf nähere Männerbekanntschaften. Können wir nun abrechnen?« Seine Augen werden schmal. Doch er beherrscht sich und nimmt die Abweisung offenbar hin. Sein Lächeln ist dann belustigt. »Schade«, spricht er. »Sie sind für mich eine Lady aus dem Süden und zu gut, um Karten auszuteilen, ja, zu edel und zu kostbar als Frau. Sie hätten einen Mann verdient – zumindest einen Freund –, der Ihnen etwas bietet. Nun, wir werden sehen. Ich komme stets mit Geduld
irgendwann zu meinen Zielen. Wir werden sehen. Und natürlich stehen Sie unter meinem Schutz. Unterschätzen Sie das nicht, denn ich bin nun der Boss von Golden und hundert Meilen in der Runde.«
Als Jennifer O'Hara später in dem kleinen Hotel in ihrem Bett liegt, da muss sie immerzu über Jessup Harley nachdenken. Sie ist sich darüber klar, dass er sie haben will und ihre Abweisung eine Herausforderung für ihn ist. Und das macht ihr Sorge. Sie hält ihn für einen zweibeinigen Tiger, ein Raubtier in Menschengestalt, das ständig gierig auf Beute ist. Und je weiter er kommt, umso gieriger wird er werden. Ja, sie wird von ihm jetzt schon als Beute betrachtet. Und so macht sie sich Sorgen und schläft trotz ihrer Müdigkeit nicht ein. Wenn nur Tom bald zurückkäme, denkt sie. Aber sie wird noch lange warten müssen, sehr, sehr lange. Würde sie das wissen, dann käme sie gewiss zu dem Entschluss, sich zur abgehenden Morgenpostkutsche zu schleichen, um Golden zu verlassen. Denn wahrscheinlich sitzt sie jetzt in einer Falle.
Aber sie will ja auf Tom Harpers Rückkehr warten. Und so muss sie bleiben. Aber wie lange kann sie sich Jessup Harley vom Halse halten? Wann wird er darauf verzichten, sich wie ein Gentleman zu geben? Irgendwann – draußen ist schon der graue Morgen – schläft sie endlich ein. Aber es ist kein erholsamer Schlaf, in den sie fällt. Sie träumt, dass sie auf der Flucht vor einem Ungeheuer ist. Doch dann läuft sie in Tom Harpers schützende Arme. Nun erst schläft sie traumlos weiter.
Tom Harper findet am nächsten Vormittag das Camp der drei Sharps Shooter, auch die leere Flasche, die ihm sagt, dass sie hier zuletzt einige Schlucke daraus genommen hatten. Doch auf was tranken sie? Längst wissen sie, dass mit Yellowstone Pierce etwas passiert sein muss, weil er nicht mehr zu ihnen aufschloss. Jemand muss ihn also eingeholt haben, den er mit seiner Sharps nicht aufhalten konnte. Also hat es ihn selbst erwischt. Haben sie deshalb auf ihn getrunken und ihm einen guten Platz in der Hölle gewünscht, wohl
wissend, dass er niemals in den Himmel der Guten kommen würde? Oder haben sie darauf getrunken, dass sie ihre Beute nun nur noch in Drittel und nicht in Viertel aufteilen können? Er traut ihnen Letztes durchaus zu, denn er weiß ja, wie hart gesotten sie sind. Er verharrt eine Weile und studiert noch die Spuren und Zeichen des verlassenen Camps. Ja, er sieht auch die Abdrücke der Geldkiste im Boden. Es ist eine ziemlich schwere Kiste, in der sich viel Hartgeld, aber auch Gold befindet. Denn viele der Kunden des Handels-Wagenzuges zahlten mit Goldstaub oder Nuggets. Bargeld ist knapp in den Goldfundgebieten. Tom Harper weiß, dass er diese drei Kerle wird töten müssen, um ihnen die Kiste abnehmen zu können. Denn bis zum letzten Atemzug werden sie um die Beute kämpfen. Und da sie in dreifacher Übermacht sind, kann es durchaus möglich sein, dass er auf der Strecke bleibt. Denn sie sind erfahrene Jäger, die sich auf jedes Wild verstehen und sich bisher stets behaupten konnten. Er fragt sich, ob er dieses Risiko immer noch eingehen will. Lohnt es sich, für eine Kiste voller Geld und Gold das Leben einzusetzen? In Golden weiß er Jennifer O'Hara, diese wunderbare Frau.
Sie wartet auf ihn. Er könnte die Jagd aufgeben und sich auf den Rückweg machen. Niemand könnte ihm verübeln, wenn er aufgibt. Denn seine Chancen gegen die drei Kerle sind nicht groß. Doch dann denkt er wieder an Sam Stonewall, den Mann, mit dem er sich so gut verstand, so als wären sie Vater und Sohn. Sie haben ihn ermordet. Seine Familie in Boston wird vergebens auf seine Heimkehr warten nach all den vielen Jahren Handelsfahrt. Kann er diese Familie im Stich lassen? Er fragt es sich in seinen Gedanken und lauscht dabei tief in sich hinein. Und immerzu begreift er, dass er Sam Stonewall immer noch die Treue halten muss. Sein Tod ändert nichts daran. Und so erhebt er sich aus der Hocke, tritt zu seinem Pferd und nimmt die Fährte wieder auf. Die Spur ist deutlich und wirkt irgendwie herausfordernd, so als würden ihm die drei Verfolgten ständig zurufen: »Komm nur, Tom Harper, komm nur! Wir wissen ja, dass du das bessere Gewehr besitzt, eine Zaubersharps. Aber sie wird dir nicht helfen können, wenn du in unseren Hinterhalt reitest!« Er wird sich wieder einmal mehr auf seinen Instinkt verlassen müssen, auf sein feines
Ahnungsvermögen, das eigentlich nicht zu erklären ist. Denn es ist ein besonderer Sinn, den man nur erwirbt als Jäger in einem gefährlichen Land, in dem man ständig auf der Hut sein muss, um überleben zu können. Ja, er gleicht jetzt einem Wolf auf der Fährte in einem fremden Revier, in dem überall Fallen auf ihn lauern. Aber er kennt alle Tricks der Fallensteller und Jäger. Das Land ist unübersichtlich, denn hier sind die Vorberge, die von der westlichen KansasPrärie zu den Rocky Mountains von Colorado aufsteigen, durchzogen von Schluchten und Bergketten, dazwischen kleine Ebenen. Die Fährte führt nach Nordwesten und bleibt auf einem schmalen Wagenweg, der eigentlich nur durch die Radfurchen und Hufspuren entstanden ist, doch irgendwohin führt, wo Menschen leben, weil in diesem Land überall Gold und Silber gefunden wird. Und für Gold und Silber gehen die Menschen durch jede Hölle oder schaffen sie dort, wo es gefunden wird. So einfach ist das eigentlich seit ewigen Zeiten.
Bullock, Wade und Kelso erreichen an einem späten Nachmittag einen kleinen Ort in den
Bergen östlich der Front Range. Auf einem Schild sehen und entziffern sie den Namen des Ortes, lesen ziemlich mühsam Georges Town und Silver Lodge Station. Sie halten nebeneinander auf dem letzten Hügel und blicken in das Tal und auf den Ort nieder. »Das ist eine Silber-Burg.« Kelso grinst. »Hier wird überall Silber gefunden, kein Gold. Seht ihr die Minenlöcher überall in der Runde in den Hängen? Aber wir haben bessere Sachen in unserer Kiste. Silber, was ist schon Silber gegen Dollars und Gold? Auf dieses Silber hier machen wir große Haufen, hahahaha!« Auch die anderen lachen verächtlich. Dann spricht Wade: »Ich würde gerne mal einige Drinks kippen und mir eine dicke Frau kaufen für eine Nacht. Ob wir uns das erlauben können?« Sie denken nach, und sie sind ja lange geritten. Trotz einer Kiste voller Geld und Gold in ihrem Besitz haben sie auf alle Freuden verzichten müssen. Bullock knurrt böse: »Warum flüchten wir eigentlich, wenn nur er es ist, der uns noch folgt? Nur er kann es noch sein, denn jedes Aufgebot wäre längst schon umgekehrt. Also, warum flüchten wir vor ihm? Er konnte Pierce gewiss mit seiner Zaubersharps erledigen auf große Entfernung. Aber da in dieser kleinen Stadt sind
wir zu dritt gegen ihn. Da nützt ihm die Zaubersharps nichts mehr. Also sollten wir auf ihn warten.« Sie denken nach. Dann gibt Kelso zu bedenken: »He, die schwere Kiste – wo könnten wir die lassen? Das ist gar nicht so einfach, denke ich. In solch einen Silberstadt lauern die Geier. Das könnt ihr euch doch denken. Sind wir Narren?« Wieder denken sie nach und spüren dabei das Verlangen nach Drinks und Frauen, fragen sich, wie groß ihr Vorsprung sein könnte. Dann aber fluchen sie wie auf Kommando gleichzeitig. Und als sie dann hinunter in das Tal reiten, da schlagen sie einen Bogen um die kleine Stadt. Inzwischen fiel auch die Dunkelheit ins Tal nieder. Sie sehen überall die Lichter, die ihnen in der weiten Runde all die Minen und Claims anzeigen. Die Stadt mitten im Tal leuchtet besonders hell. Wade flucht plötzlich wild und ruft dann: »Verdammt, wegen ihm können wir uns hier nicht mal ein paar kleine Freuden leisten. Warum konnte ihn Pierce nicht abschießen?« »Weil Pierce ihm nicht gewachsen war«, grollt Kelso. »Und weil auch wir das vielleicht nicht sind. Er ist schon ein besonderer Bursche.«
Sie haben angehalten und blicken zu den Lichtern hinüber. Dabei müssen sie sich etwas in den Sätteln wenden, denn die kleine Stadt liegt schon etwas hinter ihnen. Ein Reiter kommt ihnen aus der Dunkelheit entgegen. Als der Reiter bei ihnen ist und wortlos vorbei will, da fragt Wade: »He, mein Freund, wie sind die Weiber im Hurenhaus dort drüben?« Der Reiter hält an und erwidert: »In Georges Town gibt es kein Hurenhaus. Das dulden die seriösen Hennen dort nicht, die es nicht für Geld machen, aber gewiss nicht mit weniger Freude, obwohl sie sich sonst so züchtig geben. Das Hurenhaus ist dort drüben. Da rechts voraus, eine halbe Meile weiter, wo die vielen Lichter sind. Da warten die Schönen des Georges Valley mit allen Sünden, hahaha!« Der Reiter treibt sein Pferd wieder an. Sie aber blicken auf das erleuchtete Haus rechts vom Talweg eine halbe Meile voraus. Wade spricht trocken: »Reiten wir hin. Und dann lösen wir uns ab, weil einer draußen bei unserer Kiste bleiben muss. Ja, einer von uns wird als letzter Mann die Freuden der Sünden genießen können.« Er verstummt voller Trotz. Und dann reiten sie wieder an.
13 Jeden Tag fragt sich Jennifer O'Hara, wann Tom Harper zurück nach Golden kommen wird. Und diese Frage wird tief in ihr immer banger. Denn es könnte durchaus sein, dass Tom nie wieder nach Golden kommen kann, weil die Banditen ihn von ihrer Fährte schossen. Dann würde sie hier bis ans Ende ihrer Tage nutzlos warten. Aber noch ist sie nicht bereit, ihren eigenen Weg zu gehen, obwohl sie fort möchte, um Jessup Harley zu entkommen. Ja, es wird jeden Tag schwerer für sie, diesem Mann auszuweichen, ihn zurückzuweisen. Ihre Spielgewinne sind jetzt sehr bescheiden. Sie hat den Verdacht, dass Harley die gerissensten Spieler an ihren Black-jack-Tisch schickt, ja, dass er diese Spieler mit reichlich Geld versorgt. Und wie immer eine Stunde nach Mitternacht muss sie bei ihm abrechnen. Sie kann ihm dann keine größeren Anteile auszahlen, immer sind es nur wenige Dollar. Dann lächelt er sie mit blinkenden Zahnreihen an und spricht: »Jennifer, Sie haben das doch gar nicht nötig. Ich schenke Ihnen ganz Golden und mache Sie zur Queen des Goldlandes. Geben Sie mir nur eine Chance.«
Doch sie schüttelt stets den Kopf und geht wortlos. Es ist dann an einem dieser Tage am Nachmittag, als sie ausreitet. Denn sie braucht diese zwei Stunden in der frischen Luft und der Bewegung auf einem Pferd. Sie reitet stets am Creek entlang aufwärts. Denn da ist der Creek noch sauber und klar, nicht versaut von den Fäkalien und all dem anderen Mist der Stadt. Dann blickt sie stets lange nach Norden. Denn von dort her muss Tom Harper zurückkommen. Doch auch an diesem Tag ist ihr Hoffen vergebens. Als sie das Pferd wendet, um zurück zur Stadt zu reiten, da sieht sie Jessup Harley kommen, und sie weiß, dass er ihr gefolgt ist. Sie erwartet ihn regungslos im Sattel. In der Tasche ihres ledernen Reitrockes hat sie einen Derringer. Und dieses Wissen gibt ihr einige Sicherheit. Dabei denkt sie: Du Narr kannst nicht wissen, dass ich im Krieg schon töten musste. Ja, sie hat töten müssen, denn sie war als Geheimkurier für die Konföderation unterwegs. Einige Male wollte man sie abfangen. Sie wäre als Spionin vor ein Kriegsgericht gestellt und gewiss zum Tode verurteilt worden.
Aber der kleine Colt-Derringer hat ihr stets geholfen. Und nun? Das fragt sie sich, indes sie auf das Näherkommen von Jessup Harley wartet. Er hält wenig später seinen schwarzen Hengst vor ihr an, und irgendwie passt es zu ihm, dass er ein Tier reitet, das er ständig unter Kontrolle halten muss. Sein Lächeln sagt ihr, wie sehr er an seine Überlegenheit glaubt. Als er den Hut vor ihr zieht und wie ein Gentleman aus dem aristokratischen Süden schwingt, da lässt sie sich nicht täuschen. O ja, sie weiß genau, dass er gewiss kein Gentleman ist. Sie spürt es, so als würde sie einem Raubtier gegenüberstehen. Er spricht ruhig: »Wir sollten endlich zur Sache kommen und nicht mehr länger herumtändeln. Ich will Sie haben, Jennifer – ganz und gar. Und Sie wissen, dass Sie mir nicht entkommen können. Honorieren Sie also, dass ich immer noch richtig um Sie werbe, obwohl ich Sie nehmen könnte wie alles, was ich haben will. Ergeben Sie sich. Denn Sie würden es nicht bedauern müssen. Also, Jennifer, sitzen wir ab und lieben wir uns, hier am Creek im duftenden Gras zwischen den Blumen. Seien wir romantisch wie ein Liebespaar im Frühling.« Sie hört es und blickt dabei fest in seine rauchgrauen Augen, sieht in ihnen das Funkeln,
wie es ein Jäger erkennen lässt, der sein Wild gestellt hat. Ja, er will nicht länger warten. Deshalb folgte er ihr und stellte sie hier. Aber sie schüttelt den Kopf und spricht ganz ruhig: »Mister Harley, aus uns kann nichts werden, denn ich mag Sie nicht. Ihre ganze Sorte, die sich stets alles nehmen will, mag ich nicht. Also geben Sie mir den Weg frei, denn ich will zurück in die Stadt.« Sie will anreiten, doch er versperrt ihr immer noch den Weg, stellt sein Pferd sogar quer. Sie müsste um ihn herumreiten, aber wahrscheinlich würde er ihr auch dann wieder den Weg versperren. Sie hört ihn sagen: »Golden ist meine Stadt, und Sie wollen darin leben. Jennifer, warum sind Sie so unklug? Denn Sie sind doch eine erfahrene Frau und haben längst auf Ihren Wegen lernen müssen, sich zu arrangieren. Also ergeben Sie sich endlich.« Doch sie schüttelt abermals den Kopf und holt den Derringer aus der Tasche ihres ledernen Reitrocks. »Muss ich Sie erst vom Pferd schießen, damit Sie einer Lady den Weg freigeben?« Ihre Stimme klingt spröde, und weil er in ihre grünen Augen starrt, spürt er mit seinem Instinkt, dass sie schon getötet hat. Er weiß es plötzlich
mit untrüglicher Sicherheit. Das verblüfft ihn sehr. Doch er fasst sich schnell. Und so hebt er beide Hände, lacht dabei, so als gefiele ihm dies alles. Er hält den schwarzen Hengst mit Schenkeldruck unter Kontrolle. Und dann spricht er lachend, so als gefiele ihm diese Frau nun noch sehr viel mehr: »Oho, Jennifer, Sie sind großartig – Sie haben mein Format! Wir wären ein ganz besonderes Paar. Ich habe diesen Hengst unter meinem Sattel gebändigt. Ich kann alles bändigen und mir untertan machen, selbst wenn ich es vorher zerbrechen muss. Ich könnte auch Sie zerbrechen, Jennifer. Aber ich will weiter um Sie werben, bis Sie erkennen müssen, wie sehr wir von einem Schicksal für einander bestimmt wurden.« Nach diesen Worten gibt er ihr den Weg frei und blickt ihr lange nach. Dabei verspürt er das Gefühl von Respekt und Herausforderung zugleich. Ja, er will sie immer noch richtig erobern und von ihr nicht verachtet werden. Es liegt ihm alles daran, dass sie freiwillig zu ihm gehört. Und so spricht er knirschend: »Ich bekomme dich irgendwie und irgendwann.«
Indes reitet Jennifer scheinbar ruhig und gelassen zurück nach Golden.
Sie sieht sich nicht um, denn sie weiß, dass Harley dies als Furcht und Schwäche auslegen würde. Sie spürt genau, dass er ihr nachsieht. Doch er folgt ihr nicht. Und so denkt sie darüber nach, wie sie sich nun verhalten und wie es weitergehen soll in Golden. Muss sie die Flucht ergreifen? Oder kann sie in der Spielhalle ihren Tisch weiter benutzen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten? Aber Jessup Harley bedrängte sie nicht länger. Er ließ sie reiten, lachte nur, als würde ihm dieses Spiel Spaß bereiten. Und so wird sie sich ihn gewiss noch eine Weile vom Leibe halten können, zumindest so lange, wie er sich einige Hoffnung machen kann. Dann aber denkt sie an Tom Harper. »Verdammt, komm endlich zurück, Tom Harper«, murmelt sie. »Lass mich nicht eine Ewigkeit warten hier in Golden. Wo bist du jetzt, Tom Harper?« Als sie sich das fragt, da kann sie natürlich keine Antwort bekommen.
Als Tom Harper unter sich im Tal die Lichter von Georges Town sieht, da hält er an und denkt nach. Er ist sicher, dass er immer noch auf der richtigen Fährte ist und aufgeholt hat.
Und so fragt er sich, ob die drei Verfolgten mit der Geldkiste in dieser kleinen Minenstadt angehalten haben. Denn wenn das so sein sollte, dann könnte er sie hier eingeholt haben. Er denkt auch darüber nach, was die drei Sharps Shooter hier bei einem Aufenthalt tun würden. Aber das ist leicht zu erraten. Sie werden Drinks in ihre Kehlen kippen, ein gutes Essen zu sich nehmen und sich vielleicht in einem Store Vorräte kaufen. Und weil er sie ja in ihrer ganzen Primitivität kennt, immer wieder ihre Reden über käufliche Frauen hörte, da kann er sich auch vorstellen, dass es sie mächtig juckt und sie an einem Bordell bestimmt nicht vorbeigeritten sind. Deshalb entschließt er sich und reitet vom Pass hinunter und geradewegs auf dem Wagenweg in die Stadt hinein. Und natürlich verspürt auch er das Verlangen nach einem Glas Bier und einem guten Essen. Er hält dann vor einem Saloon an und will absitzen. Ein Junge von etwa dreizehn Jahren tritt zu ihm und fragt: »Sir, darf ich auf Ihr Pferd achten? Ich könnte es tränken, abwaschen und von den Kletten befreien, auch füttern. Und alles täte ich für einen halben Dollar.« Tom Harper grinst. Er denkt an Pete in Golden. In jeder Stadt im Westen scheint es einen
solchen Jungen zu geben, der sich ein paar Dollars verdienen will. Als er auf die Worte des Jungen lauscht, kommt ein anderer Reiter herangeritten und hält neben ihnen an. Bevor er an dem Haltebalken absitzt, lacht er leise und sagt dann: »Oho, Lonny, du bist also wieder im Geschäft.« Er wendet sich an Tom Harper und spricht zu diesem hinüber: »Dem können Sie vertrauen in dieser Stadt.« Sie sitzen nun beide ab. Harper übergibt dem Jungen die Zügelenden seines Pferdes und fragt dabei: »Bist du immer hier, Lonny?« »Gewiss, Sir. Ich warte hier stets auf Reiter, die mir ihre Pferde anvertrauen.« »Dann hast du vielleicht drei Reiter mit einem Packpferd einreiten sehen, Lonny?« »Nein, Sir – nicht seit heute Nachmittag.« »Aber ich«, mischt sich der Reiter ein, der inzwischen sein Pferd angebunden hat und sich unter dem Haltebalken hindurch bückte und nun oben auf dem Plankengehsteig verhält. »Ich sah drei Reiter mit einem Packpferd kurz nach Nachtanbruch. Sie fragten mich nach dem Bordell, und ich sagte ihnen, dass es hier in Georges Town keins gäbe, sondern eine halbe Meile weiter draußen rechts vom Wagenweg.« Der Mann geht nach diesen Worten lachend in den Saloon hinein.
Tom Harper aber nimmt dem Jungen die Zügelenden wieder aus der Hand und sitzt wieder auf. Im Laternenschein vor dem Saloon sieht er dem Jungen die Enttäuschung an und fischt einen halben Dollar aus der Westentasche. »Hier, Lonny. Weil ich aus unserem Geschäft aussteige, was wir ja schon beschlossen hatten in dem Moment, da ich dir die Zügelenden gab, zahle ich eine Stornogebühr. Du weißt doch, was Storno bedeutet?« »Sicher, Sir. Wenn man von einem abgeschlossenen Geschäft zurücktritt, muss man dennoch zahlen. Aber Sie sind ein fairer Mister. Von Ihrer Sorte gibt es wenige auf dieser Erde.« Lonny sagt es feierlich. Tom Harper aber reitet weiter, lässt die kleine und ziemlich wilde und laute Stadt hinter sich und sieht dann eine halbe Meile weiter zu seiner Rechten am Wagenweg ein großes Haus, das voll erleuchtet ist. In ihm ist nun ein grimmiges Hoffen, ja, er verspürt sogar eine instinktive Gewissheit. Denn er kennt ja die Kerle zu gut. Seine Gedanken beschäftigen sich jedoch sehr schnell damit, wie sich die von ihm Verfolgten wohl verhalten haben. Durch die Stadt ritten sie nicht. Und auch die Geldkiste werden sie nicht mit ins Bordell genommen und auch nicht unbewacht auf dem Packpferd vor dem Haus gelassen haben.
Also wird einer von ihnen noch draußen sein und auf die Geldkiste aufpassen. Das kann gar nicht anders sein. Sie werden sich also abwechseln bei den käuflichen Sünden im Hurenhaus. In Tom Harper ist ein grimmiges Frohlocken. Und so reitet er weiter und biegt vom Wagenweg auf den schmalen Weg ein, der hinüber zum Freuden- und Sünden-Tempel führt. Er hört dann auch die Musik und begreift, dass es drinnen ziemlich wild zugeht. Denn Frauenstimmen kreischen, so als gäbe es eine Menge Spaß. Vor dem Haus stehen eine Reihe Sattelpferde, sind auch einige Wagen abgestellt. Eines der Pferde an den langen Haltebalken ist ein Packtier. Es trägt eine Last, die man für eine in Segeltuchplane eingehüllte Kiste halten kann. Tom Harper stellt sein Pferd ans Ende der langen Reihe und hält sich dabei in Deckung und außerhalb des Lichtscheins. An der Hauswand ist eine Bank. Dort sitzt ein Mann, der sich eine Zigarette anzündet. Im Schein des Flämmchens erkennt Harper unter der Hutkrempe das Gesicht von Wade. Ja, dort neben dem Eingang sitzt Wade auf der Bank und passt auf das Packpferd mit der Geldkiste auf. Heiliger Rauch, was sind sie doch für brünstige Narren, denkt Harper.
Er geht um das Ende der Haltestange herum und betritt die Veranda. Als er nur noch sechs Schritte von Wade entfernt ist, erhebt sich dieser plötzlich und wirft die Zigarette weg. »Hoi, Harper, da bist du ja endlich«, faucht Wade. »Was hast du mit Pierce gemacht, verdammt?« Als Wade den Fluch ausstößt, greift er zu seinem Revolver. Eine Sekunde später ist er stehend tot und bricht zusammen. Drinnen aber ist immer noch Lärm, toben sie wild, feiern irgendein Fest. Tom Harper tritt an eines der Fenster und blickt hinein, hält den rauchenden Revolver noch in der Faust. Und nun sieht er, was sich drinnen abspielt und der Grund dafür ist, warum sich niemand darum kümmert, was draußen geschehen ist. Denn sie veranstalten in der großen Halle ein so genanntes Pferderennen. Die Pferde sind männliche Gäste, die sich auf Händen und Knien über den Boden bewegen und weibliche Reiterinnen auf ihren Rücken tragen. Es sind mehr als ein Dutzend, und sie müssen auch über Hindernisse und unter Tischen hindurch. Und die Zuschauer brüllen begeistert. Die Musik spielt.
Es ist ein lärmendes Durcheinander. Tom Harper bindet das Packpferd mit der Kiste los, bringt es zu seinem Tier am Ende der langen Reihe, sitzt auf und reitet unbehelligt davon. Was könnte er auch anderes tun?
14 Es ist zwei Nächte und zwei Tage später, als sich Tom Harper darüber klar wird, dass er die beiden Verfolger nicht mehr hinter sich, sondern vor sich hat. Ja, sie haben ihn in der letzten Nacht umritten. Das war nicht schwer, denn durch das Packpferd war er ständig behindert. Es ist am nördlichen Rand einer Ebene, als er anhält und hinüber zum südlichen Rand späht. Er lauscht tief in sich hinein und verspürt die unheilvolle Ahnung. Seine beiden Pferde sind müde. Und so sitzt er ab und sucht sich eine Stelle, von der aus er gute Sicht hat, selbst aber sichere Deckung findet. Er weiß, dass nun alles ein Geduldsspiel ist. Und so trinkt er erst einmal aus seiner Wasserflasche und raucht eine Zigarette. Dabei beobachtet er den jenseitigen Rand der Ebene, der von einer Hügelkette begrenzt wird. Er beobachtet besonders die Vögel dort über dem langen Kamm. Später nimmt er das Zielfernrohr zu Hilfe. Doch er kann niemanden entdecken. Wenn Kelso und Bullock dort drüben auf ihn lauern, weil sie ihn umreiten konnten und nun vor ihm sind, dann verbergen sie sich gut.
Nur die Vögel, die zuerst niederfliegen, dann aber schnell wieder aufsteigen, verraten ihm, dass dort drüben etwas nicht stimmt. Die Entfernung beträgt mehr als tausend Yards. Und so wartet er geduldig, isst von seinem kalten Proviant zu Mittag und wartet weiter mit der Geduld eines Indianers. Er weiß, dass auch Bullock und Kelso längst an dem Verhalten der Vögel erkannt haben, dass er hier angehalten hat. Sie sind ja als erfahrene Jäger nicht dümmer als er. Und so fragt er sich, ob sie nach Anbruch der Dunkelheit kommen werden, um sich die Kiste zu holen und ihn zu töten. Denn sie wollen die Kiste, in der sich mehr als dreihunderttausend Dollar in Bargeld und Gold befinden. Um diese Beute werden sie kämpfen bis zum letzten Atemzug. Sie müssen jedoch damit rechnen, dass er nach Nachtanbruch aufbricht, um sie ebenfalls zu umreiten und sie in der Nacht seine Fährte nicht sehen können. Dann bekommt er wieder einen großen Vorsprung, Was also werden sie tun? Denn dass er nach Golden zurückreitet, steht überhaupt nicht fest. Es wird später Nachmittag, als er drüben eine Bewegung erkennen kann. Und ein kurzes
Blinken verrät ihm, dass auch sie mit ihren Zielfernrohren nach seiner Position suchen, also genauer wissen wollen, wo er in Deckung liegt. Wie lange also werden sie warten? Er hat ihnen die große Beute geraubt. Und das macht sie gewiss verrückt. Es ist dann fast schon Sonnenuntergang rechts von ihm im Westen, als er sie kommen sieht. Ja, sie kommen aus der Hügelkette geritten in vollem Galopp. Sie greifen tatsächlich an und vertrauen darauf, dass man mit einer Sharps keine schnellen Schnappschüsse anbringen kann und nach jedem Schuss nachladen muss. Sie wollen näher heran, um ihre eigenen Sharps einsetzen zu können. Und so werden sie gewiss mitten auf der Ebene eine Deckung suchen. Sie reiten nicht nebeneinander, sondern halten großen Abstand. Da sie sich auf dem unebenen Gelände im wilden Galopp befinden, bilden sie zwei sich schnell und unregelmäßig bewegende Ziele, die auf diese weite Entfernung mit einer Sharps einfach nicht sicher zu treffen sind. Und so versucht es Tom Harper erst gar nicht. Sharpskugeln fliegen zu langsam. Und Zielvorhalten nützt nichts, wenn sich das Ziel zu schnell und zu unregelmäßig bewegt. Er muss also warten. Etwa eine Viertelmeile vor ihm auf der Ebene befindet sich eine Baumgruppe. Zwischen den
Bäumen sind einige große rote Felsen, etwa so groß wie Elefanten. Er kann sich leicht ausrechnen, dass die beiden Angreifer zu diesen Felsen und Bäumen wollen. Und so verhält er sich immer noch still und hofft, dass er sie täuschen kann, sodass sie annehmen, er wäre gar nicht hier. Denn die aufsteigenden Vögel können auch von anderen Lebewesen erschreckt worden sein. Sie verschwinden nun in Deckung der Bäume und Felsen. Die Sonne aber beginnt schon den Himmel rot zu färben. Er liegt bewegungslos auf dem Bauch, hat das Gewehr aufgelegt und das Visier richtig eingestellt, ebenso den Druckpunkt so leicht wie möglich gewählt. Durch das Vollmer-Zielfernrohr sucht er nun ein Ziel, denn er weiß, dass sie es drüben ebenso machen. Sie glauben immer noch, dass er hier auf der Lauer liegt, und werden keinen Fehler machen. Doch um zielen zu können, müssen sie etwas von sich zeigen, zumindest den Gewehrlauf mit der Mündung und einen Teil ihres Kopfes. Und so ist es auch. Im letzten Licht des sterbenden Tages sieht er etwas dort drüben und drückt ab. Er kann dann durch den Pulverdampf seiner Sharps einen Moment lang nichts erkennen, weiß nicht, ob er getroffen hat.
Das Echo des donnernden Schusses hallt von den gegenüberliegenden Hügeln zurück. Er aber wechselt seine Stellung, denn er weiß, dass die Wolke des Pulverdampfes seinen Platz verrät. Und dann kommt auch schon die erste Kugel von drüben. Die Sonne beginnt hinter den Bergen im Westen zu verschwinden. Nur der Himmel färbt sich immer mehr in das Rot des Sonnenuntergangs. Eine Weile bleibt es drüben still. Dann aber tritt Kelso aus den Felsen heraus und unter den Bäumen hervor. Er kommt mit erhobenen Händen, hat sein Gewehr nicht bei sich. Langsam nähert er sich Schritt für Schritt und hält seine Hände immer noch hoch. Dies alles ist im letzten Licht des Tages noch gut zu erkennen. Als Kelso bis auf etwa zweihundert Yards heran ist, hält er an und winkt. In der Stille des sterbenden Tages hört man ihn deutlich genug rufen: »He, Harper, komm heraus und stell dich! Lass uns um die Kiste kämpfen! Bullock ist tot, mausetot! Den hast du mit deiner Zaubersharps erledigt. Nur wir beide sind noch übrig. Lass es uns wie Krieger austragen!« Seine Stimme gellt. Tom Harper zögert noch.
Ja, er könnte ihn jetzt leicht abknallen. Und es könnte auch sein, dass Bullock gar nicht tot ist, sondern nur darauf wartet, schießen zu können. Es könnte ein böser Trick sein. Doch dann erhebt er sich, lässt sein Gewehr zurück und macht sich auf den Weg zu Kelso, der geduldig wartet. Von Osten her kommen die ersten Schatten der Nacht. Und das Rot im Westen schwindet. Es ist dann fast schon richtig Nacht, als sie beide voreinander halten und nur noch sechs Schritte sie trennen. Kelso sagt: »Wir könnten die Beute teilen und dann jeder von uns seines Weges reiten. Das wäre vernünftig – oder?« »Nein, Kelso«, erwidert Harper. »Ihr habt wie in einem wilden Schießrausch in die Postkutsche geschossen und alle Menschen getötet, auch Sam Stonewall, der mir ein väterlicher Freund war. Er war ein guter und ehrlicher Mann, der nach langen Jahren Handelsfahrt heim zu seiner Familie wollte. Kelso, ich kann dich nicht entkommen lassen. Es würde sonst keine Gerechtigkeit geben.« Er hat kaum ausgesprochen, als er Kelsos schnelle Bewegung erkennt. Das schwere Green-River-Messer, das Kelso von unten heraus nach vorn schleudert, fährt ihm in die Schulter.
Doch zugleich kracht sein Revolver und tötet Kelso. Und so ist es endlich vorbei. Er ist nun der letzte Sharps Shooter vom Yazoo. Als er das Messer aus seiner Schulter zieht, kann er ein bitteres Stöhnen nicht unterdrücken. Die Wunde blutet heftig, doch sie ist kein Kugelloch, in dessen Ausschuss man eine Männerfaust stecken könnte, nur eine Messerwunde. Das Green-River-Messer sollte ihm gewiss in den Hals fahren. Nur seine blitzschnelle Bewegung hatte dies verhindert. Er flucht bitter, nimmt sein Halstuch ab und drückt es auf die blutende Wunde, hofft dabei, dass keine wichtigen Adern oder Sehnen verletzt sind. Einige Stunden später – es ist schon nach Mitternacht – weiß er es ziemlich sicher. Die Wunde blutet nicht mehr. Er kann seinen Arm bewegen, wenn auch unter Schmerzen. Und so weiß er, dass er davongekommen ist. Auch fand er Bullock. Die schwere Kugel riss Bullock ein Stück vom Kopf weg. Er wird Bullock und Kelso am nächsten Tag beerdigen. Nein, er kann die Mörder nicht einfach so liegen lassen. Also wird er Steinhügel über ihnen errichten. Und dann?
Er hockt am Feuer und denkt darüber nach. Ja, was soll er jetzt tun? In Golden wartet Jennifer auf seine Rückkehr. Es wäre so leicht für ihn, mit einer Kiste voller Geld und Gold zu Jennifer zurückzureiten. Sie wären reich. Ja, er verspürt die Verlockung. Er besäße eine schöne Frau und wäre reich. Was für ein herrliches Leben könnten sie führen, oho! Dieser Gedanke ist ständig wie ein stummer Jubelschrei in ihm. Doch dann taucht immer wieder Sam Stonewalls Bild vor seinem geistigen Auge auf, so als stiege sein Geist aus den Flammen des Feuers. Er erinnert sich wieder an all die Gespräche, die sie miteinander führten und Sam ihm von seiner Frau und seiner Familie erzählte. Oh, er kennt Sams Familie so gut, als wäre er schon dort bei ihr zu Besuch gewesen. Kann er diese Familie um das Vermögen betrügen, für das Sam Stonewall all die Jahre Handelsfahrt auf sich nahm – wie ein Kapitän nach vielen Seereisen oder Walfang-Fahrten? Kann er das? Ist er Sam Stonewall nicht immer noch zu Treue verpflichtet? Immer wieder stellt er sich diese Frage. Und stets ist die Antwort die gleiche.
Er bleibt drei Tage an diesem Ort und pflegt seine Wunde. In der Umgebung findet er einige Kräuter, deren Heilwirkung ihm die schöne Arapaho erklärte, mit der er in seiner Berghütte lebte. Er knetet diese Kräuter zu einer grünen Masse – einer Pampe, würden Kinder sagen – und legt sie auf die Wunde, sodass auch der Saft darin eindringen kann. Die Heilwirkung ist großartig. Denn die Wunde entzündet sich nicht, sondern schließt sich schnell. Ja, die Toten beerdigt er und spricht auf den Steinhügel des Doppelgrabes nieder: »Eure Seelen sind nun in der Hölle, denke ich. Aber eure Hüllen werden wieder zu Erde. Und das ist gut so. Vielleicht bin auch ich kein Guter und hatte meine Zaubersharps eine Weile zu viel Macht über mich. Aber dennoch ...« Er bricht ab, denn würde er den Satz vollendet haben, hätte er gewiss gesagt: »... bin ich nicht so schlecht wie ihr.« Doch das zu sagen, bringt er nicht fertig. Am vierten Tag – er kann seinen Arm nun wieder fast schmerzfrei bewegen – bricht er endlich auf. Und er will nach Boston zu Sam Stonewalls Familie, zu Clementine Stonewall und deren Kinder. Dabei weiß er, wie sehr Jennifer auf ihn wartet, ja, dessen ist er sicher.
Doch er muss nach Boston mit der Kiste voller Gold und Geld. Es ist ein weiter Weg bis zur Ostküste. Und er weiß nicht viel über Boston, eigentlich nur, dass Boston zurzeit immer noch der wichtigste Seehafen der USA ist. Und er kennt einen Spruch über Boston, einen Trinkspruch, der so lautet: »Und jetzt stoßen wir an auf Boston, die Heimat des Stockfischs und der Bohnen, wo die Cabots nur mit den Lowells sprechen und wo die Lowells nur mit Gott sprechen.« So hatte es ihm Sam Stonewall mal lachend erzählt bei einem Drink. Aber er weiß, dass von Kansas aus Eisenbahnen nach der Ostküste – also auch nach Boston – fahren. Jennifer wird nicht allzu lange warten müssen. Und von einer Poststation aus kann er ihr einen Brief senden, obwohl auch der bis nach Golden verdammt lange unterwegs sein wird. Vielleicht ist es eine gnädige Fügung des Schicksals, dass er unbehelligt mit der Geldkiste allen Gefahren entgeht, die auf allen Wegen westlich des Missouri lauern. Er muss nicht mehr kämpfen, obwohl er dazu bereit wäre. Das Schicksal meint es nun gut mit Sam Stonewalls Familie. Und so kommt es, dass er zwei Wochen später in Boston eintrifft und nicht für möglich hält,
dass es auf dieser Erde eine solch große und noble Stadt gibt. Er kommt sich wie auf einem anderen Stern vor, bestaunt aus der Kutsche, in die er am Bahnhof mit seinem Gepäck steigt, all die großen Häuser, die Prachtstraßen, die Brücken. Auch an der Universität fahren sie vorbei. Denn der Kutscher kennt die Straße, wo die Stonewalls wohnen. Und schließlich erreichen sie das schöne Haus, das Stonewall schon vor Jahren seiner Familie errichten ließ.
15 Als er den Türklopfer betätigt, öffnet ihm ein Mädchen von etwa fünfzehn Jahren, das wie eine kleine Lady gekleidet ist. Das Mädchen staunt zu ihm empor, und vielleicht hat sie noch niemals einen solchen Mann gesehen, der aus einer anderen Welt gekommen zu sein scheint. Und wäre dieser Man nicht blond, so würde sie ihn für einen Indianer halten. Dann aber erinnert sich die junge Lady, dass es sich um einen Trapper handeln könnte. Denn solche Gestalten sah sie schon einmal auf Bildern in den Zeitungen, die vom Wilden Westen berichteten – auch von den Indianern. Sie blickt an ihm nieder und sieht eine Eisenkiste und einiges anderes Gepäck, auch ein in Leder eingehülltes Gewehr. Und so blickt sie wieder hoch und sieht in zwei Augen, die ihr Vertrauen geben. Deshalb fragt sie höflich: »Was kann ich für Sie tun, Mister?« »Miss, mich schickt Ihr Vater«, erwidert er sanft. »Ich komme aus Colorado.« Sie staunt wieder zu ihm hoch. Dann spricht sie und macht dabei eine einladende Bewegung: »Bitte treten Sie ein, Mister, wenn mein Vater Sie schickt.«
Er nickt dankend und trägt zuerst die Kiste, dann das andere Gepäck durch die Tür und schließt diese sachte hinter sich. Indes ruft das Mädchen ins Haus hinein und eine Treppe hinauf: »Mom! Nelly, Jeremy! Wir haben Besuch! Dad hat einen Mann zu uns geschickt! Kommt und seht ihn euch an! Er kommt aus Colorado!« Sie wendet sich ihm wieder zu, und er verharrt neben der Kiste und seinem Gepäck mit dem Hut in der Hand. Und die Gerufenen kommen, zuerst der kleine Jeremy, der etwa zehn Jahre alt sein mag, dann taucht ein Mädchen von etwa zwölf Jahren auf, voller Neugierde in ihrem Blick. Dann erscheint Clementine Stonewall. Und sie ist eine schöne Frau, eine richtige Lady mit einer besonderen Ausstrahlung. Er blickt in ihre braunen Augen und begreift, dass sich diese Frau beherrschen kann und nicht zu einem heulenden Elend wird, wenn er ihr erzählt, dass Sam Stonewall nie wieder heimkehren wird. Er spürt die fragenden Blicke und muss hart schlucken. Und im Blick der Frau erkennt er die plötzliche Sorge. Ihr feiner Instinkt sagt ihr, dass er nicht mit guter Nachricht gekommen ist. Und so fragt sie mit fester Stimme: »Kommen Sie mit schlechter Nachricht? Warum sonst hat
mein Mann Sie geschickt? Warum kommt er nicht selbst?« Er muss wieder schlucken. Dann erwidert er: »Ma'am, Ihr Mann kann nicht mehr kommen. Ich bringe nur seinen Nachlass. Es tut mir so Leid, Ma'am. Er war mir ein väterlicher Freund. Und zuletzt konnte ich ihn nicht beschützen.« Als er verstummt, da drängen sich die drei Kinder an die Mutter, pressen sich an diese und wollen umfangen werden von deren Armen. Clementine Stonewalls Blick ist fest, aber ihr Herz pocht heftig. Und ihre Unterlippe zittert so sehr, dass sie mit den Zähnen darauf beißt. Nach einer Weile hat sie sich wieder mehr unter Kontrolle und fragt durch das Weinen ihrer Kinder: »Hat er leiden müssen, Mister?« »Mein Name ist Harper. Tom Harper, Lady. Nein, er hat nicht leiden müssen. Da in der Kiste sind mehr als dreihunderttausend Dollar in Bargeld und Gold. Sie werden keine Not leiden. Er hat für seine Familie gesorgt.« »Weil Sie ihm treu geblieben sind, Tom Harper«, spricht sie, und in ihrer Stimme ist ein Klirren, so als würde diese Stimme wie Glas zerbrechen können. Sie löst ihre Arme von den Kindern und macht eine einladende Bewegung. »Sie sind unser lieber Gast«, spricht sie ruhig. »Wir haben ein schönes Gastzimmer. Und wir
möchten, dass Sie bleiben und uns in den nächsten Tagen alles erzählen. Denn wenn er Ihr väterlicher Freund war, dann hatten sie zueinander ein besonderes Verhältnis. Er war vor zwei Jahren zum letzten Male bei uns für zwei Wochen. Er war ein fahrender Händler. Er konnte kein anderes Leben führen. Doch ich liebte ihn. Kommen Sie, Tom.« Sie löst sich von ihren Kindern und geht voraus. Und dann ist er im Gastzimmer und weiß, dass Sam Stonewalls Familie jetzt allein mit ihrem Schmerz sein will. Das muss er respektieren. Er hört draußen den kleinen Jeremy laut fragen: »Ist Dad jetzt im Himmel?«
Er bleibt einige Tage bei den Stonewalls als deren Gast, dem sie so sehr viel zu verdanken haben. Und er erzählt ihnen alles, was er mit Sam Stonewall erlebte und was für Gespräche sie führten. Er macht ihnen auch klar, wie sehr Sam Stonewall seine Familie liebte und sich darauf freute, seine nächsten Jahre bei ihr und mit ihr verbringen zu können. Inzwischen ist es Winter geworden. Der Krieg im Süden und Südwesten dauert immer noch an.
Vicksburg fiel am 4. Juli 1863. Damit war der gewaltige Mississippi ganz und gar in den Händen der Union. Die Staaten Arkansas, Louisiana und Texas waren abgeschnitten, und die ganze Kraft der Unionstruppen konzentrierte sich nun auf Virginia. Das alles wurde natürlich auch in Boston bekannt. Immer wenn Tom Harper durch die pulsierende Hafenstadt wandert und sich alles staunend ansieht, sieht er Soldaten in ihren blauen Uniformen. Er bestaunt auch die großen Seeschiffe im Hafen. Alles ist so neu für ihn. Denn eigentlich ist er ja nur ein Trapper aus Montanas Bergen. Einmal treten zwei Offiziere zu ihm, als er in einem noblen Saloon einen Drink nimmt und das große Ölbild hinter der Bar bestaunt, das eine wunderschöne, leicht bekleidete Frau auf einem Stier reitend darstellt. Einer der beiden Offiziere sagt zu ihm: »Warum sind Sie eigentlich noch Zivilist, obwohl unsere Nation einen Bruderkampf austrägt, den es möglichst schnell zu beenden gilt, um die Verluste auf beiden Seiten so gering wie möglich zu halten? Mister, warum sind Sie kein Soldat?« »Es ist nicht mein Krieg«, erwidert Harper ruhig. »Ich bin ein Mann aus Montana. Dort hat man andere Sorgen. Ich bin nur auf einem kurzen Besuch hier.«
Die beiden Offiziere betrachten ihn nun böse und verächtlich. Einer sagt: »Auch Montana gehört zur Union.« »Was wissen Sie schon über Montana«, spricht Harper abweisend, zahlt seinen Drink und geht hinaus. Als er wenig später am großen Gebäude der Bostoner Zeitung vorbeikommt, werden dort die neuesten Nachrichten bekannt gemacht. Es ist März geworden. Man schreibt das Jahr 1864, und auf der ersten Seite der neuen Zeitungsausgabe kann man lesen: General Grant wurde Nachfolger von General Halleck und ist nun Oberbefehlshaber über alle Truppen der Union. Er übernimmt das Kommando der Potomac-Armee, und General Sherman erhält den Oberbefehl auf dem südwestlichen Kriegsschauplatz. Tom Harper liest es wie all die anderen Leute, die sich um den Anschlag am großen Brett neben dem Eingang drängen. Und als er sich dann aus der Menge drängt, da ist er entschlossen, endlich nach Golden und zu Jennifer aufzubrechen. Er weiß, dass er der Familie von Sam Stonewall eine Menge bedeutet, ist er doch sozusagen das letzte Lebenszeichen von Sam
Stonewall gewesen, das zur Todesnachricht wurde. Trotzdem kann und will er nicht länger bleiben. Und so sagt er es ihnen beim Abendessen. Sie sehen ihn betroffen an. Doch dann fasst sich Clementine Stonewall schnell und lächelt ernst. »Dieser Tag musste wohl kommen«, spricht sie. »Tom, Sie wurden uns ein Freund. Wir verdanken Ihnen und Ihrer Treue viel. Würden Sie sich belohnen lassen mit fünfzigtausend Dollar?« »Nein, Ma'am«, erwidert er ernst, »ich möchte nur meine Reisekosten, und das sind noch keine fünfhundert Dollar. Ja, die hätte ich gerne. Denn nun habe ich wieder eine weite Reise vor mir bis nach Golden in Colorado. Ma'am, was werden Sie tun, wenn ich weg bin?« Er blickt in Clementines Augen und erkennt darin ein Funkeln. Sie alle blicken nun auf sie, also auch ihre drei Kinder. Und dann hören sie es endlich. Denn sie spricht: »Ich habe lange nachgedacht. Wir werden aufs Land ziehen, eine Farm kaufen. Das hätte auch Sam so gewollt. Tom, um uns müssen Sie sich keine Sorgen machen.«
Sie hebt das Glas und prostet ihm zu: »Auf Ihr Glück, Tom. Ich jedenfalls weiß genau, welche Farm ich für uns kaufen werde.« Er denkt in den nächsten Tagen immer wieder an die Stonewalls, indes er mit seinem wenigen Gepäck mit der Eisenbahn nach Westen fährt. Und die Zaubersharps trägt er immer noch im Lederfutteral mit sich und fragt sich manchmal, warum er damals so verrückt war. Er hat sich total verändert. Doch er ist immer noch der einzige Überlebende der legendären Sharps Shooter vom Yazoo. Es gibt immer noch Zeichnungen von ihnen auf den Steckbriefen der Union. Auch in Boston hingen welche. Doch es ist nicht leicht, nach den Zeichnungen einen Menschen zu erkennen, vor allem da niemand damit rechnet, dem letzten Sharps Shooter so weit im Osten zu begegnen. Und so fühlt er sich völlig sicher, weiß jedoch, dass er seine Sharps niemals einem Kenner zeigen darf. Irgendwann erreicht er Kansas City und nimmt von dort aus eine Postkutsche nach Westen. Seine Gedanken sind ständig bei Jennifer. Und viele Fragen sind in ihm, besonders die bange Frage, ob sie noch in Golden auf ihn wartet. Denn es vergingen ja viele Wochen. Er war hinter vier gefährlichen Sharps Shootern her, die ihn schon bald von ihrer Fährte geschossen haben konnten.
Wie lange konnte eine Frau wie Jennifer an seine Rückkehr glauben und an sein Überleben? Ja, er macht sich einige Sorgen, aber zugleich weiß er auch, dass er gar nicht anders handeln konnte in seiner Treue zu Sam Stonewall. Muss er diese Treue mit seinem Glück bezahlen? Es ist dann im April – und in den Bergen von Colorado schmilzt der Schnee –, als er sich auf einem Pferd auf dem schmalen Wagenweg Golden nähert und nur noch wenige Meilen vor sich hat. Der Weg führt dicht vor Golden an jenem Creek entlang, der oberhalb der Stadt noch sauber und klar ist, dann aber von den Menschen in Golden so verdorben und versaut wird, wie es nur Menschen tun können, die vor unserer Erde keine Ehrfurcht besitzen. Es ist ein besonders schöner und warmer Apriltag, so als wäre es schon der Wonnemonat Mai. Aber er weiß, bald wird er all die Claims und Minen zu sehen bekommen, die wie böse Wunden am Körper der Erde wirken. Und er fragt sich auch, was inzwischen aus der wilden Stadt wurde. Hat jemand sie gebändigt, oder ist sie noch wilder und böser geworden, so wie damals Sodom und Gomorrha?
16 Jennifer O'Hara weiß nicht, wie lange sie das Leben in Golden noch aushalten kann. Ja, sie fühlt sich wie eine Gefangene von Jessup Harley. Denn dieser beherrscht die Stadt und deren weite Umgebung mit seinen Handlangern, die nichts anderes als eine Bande von Revolverschwingern sind. Es gibt einige hinterhältige Morde an Männern, um die sich andere scharten und so Parteien bildeten. Diese Anführer und Leitfiguren verschwanden schnell. Und auch das ClaimOffice mit all seinen Registern brennt ab. Claimund Minenbesitzer können ihre Ansprüche nicht mehr nachweisen. Die drei Stadträte von Golden haben sich Jessup Harley total unterworfen. Und so regiert er die Stadt, setzt auch Deputy Marshals ein und lässt dafür hohe Schutzgelder kassieren. Kurzum: Golden wurde ein noch böseres Nest als früher. Und weil Jennifer in diesem bösen Nest leben und ihren Unterhalt bestreiten muss, steht sie immer noch jede Nacht am gemieteten Blackjack-Tisch und teilt die Karten aus. Manchmal tritt Jessup Harley zu ihr und lässt sich wie alle anderen Spieler Karten geben. Doch er gewinnt nie, hat stets zu wenig oder zu viel Augen, meistens mehr als einundzwanzig. Und
dann geht er zumeist mit den Worten davon: »Lady, dafür habe ich Glück in der Liebe.« Sie lachen dann alle. Aber sie verzieht nur ihre Mundwinkel. Jennifer spielt in diesen Wochen mit wechselndem Glück. Von all den Spielern wird sie bewundert, verehrt, respektiert. Denn es hat sich herumgesprochen, dass sie keinem Mann hier in Golden den Vorzug gibt. Niemand kann bei ihr landen. Und so erfreuen sie sich alle an ihrem Anblick, ihrem Lächeln und am Klang ihrer Stimme, wenn sie zum Beispiel sagt: »Ich zahle an zwanzig.« Denn dann hat sie in ihrem Blatt nur neunzehn. Jede Nacht muss sie eine Stunde nach Mitternacht bei Harley in dessen Office abrechnen. Und jede Nacht fragt er sie: »Nun, Jennifer, wie lange wollen Sie sich noch gegen mich wehren? Ich bekomme Sie ganz gewiss, so wie ich alles bekomme, was ich haben will. Sträuben Sie sich doch nicht länger. Denn noch werbe ich mit allem Respekt um Sie. Was haben Sie denn an mir auszusetzen? Ich sehe gut aus, bin gesund und mächtig. Ich kann eine Frau dem Himmel nahe bringen. Warum versuchen Sie es nicht mal mit mir? Haben Sie Angst, dass Sie dann von mir nicht mehr loskommen können und Ihre Freiheit verlieren?«
Es sind fast immer die gleichen Worte, die er zu ihr spricht. Und sie schüttelt stets den Kopf und erwidert auch mit den gleichen Worten: »Mister Harley, ich mag Ihre Sorte nicht, diese Sorte, die sich alles nimmt. Vielleicht gehe ich bald fort von hier.« Sie wendet sich dann stets ab und geht zur Tür. Dann holen sie stets seine Worte ein: »Ich würde Sie nicht gehen lassen, Jennifer. Sie gehören jetzt schon mir. Ich lasse Ihnen nur noch etwas Zeit, sich zu ergeben. Aber ich warte nicht mehr lange.«
Sie denkt an diesem warmen Apriltag wieder an seine Worte, als sie wie immer ausreitet, um frische Luft zu atmen nach den Nächten am Spieltisch und sich zur Entspannung den Bewegungen des Pferdes anzupassen. Und wie immer reitet sie am Creek entlang, der nun ziemlich angeschwollen ist vom Schmelzwasser aus den Bergen. Als sie jene Stelle erreicht, wo sie stets umkehrt, da reitet Harley zwischen den Felsen hervor, und sie weiß, dass er hier auf sie gewartet hat. Sie halten voreinander an. Die Nasen ihrer Pferde berühren sich fast.
Als sie in Harleys Gesicht blickt und das Funkeln in seinen Augen erkennt, da weiß sie, dass er seine Wartezeit beendet hat. Bisher war es zwischen ihnen wie ein Spiel. Jetzt wird es ernst. Sie sieht es ihm an. Und so greift sie in ihre Rocktasche, um den kleinen Colt-Derringer in die Hand zu bekommen. Denn erst dann wird sie sich sicherer fühlen. Aber da zeigt er ihr, wie rücksichtslos er ist. Denn er stößt den Angriffsschrei eines Pumas aus. Es ist ein wildes Kreischen, wie es eigentlich nur Indianer nachmachen können – und es ist der Beweis, dass dieser Harley früher ein anderes Leben führte. Sonst könnte er nicht den Schrei eines Berglöwen so täuschend nachahmen. Jennifers Stute bäumt sich sofort auf, wirbelt auf der Hinterhand herum und keilt dann nach hinten aus. Jennifer fliegt über den Pferdekopf hinweg in das noch braune Gras des vergangenen Herbstes. Und als sie sich benommen aufrichtet, da ist Harley bei ihr. Es ist von Anfang an klar, dass er ihr Gewalt antun will. Und so beginnt sie zu kämpfen. Er aber lacht begeistert und brüllt dabei: »Ja, jaaa, das liebe ich! Oho, heute breche ich dich ein!«
Sie aber kämpft verzweifelt weiter, versucht es mit Tritten gegen seine Schienbeine und in seinen Unterleib. Dann aber trifft sie ein böser Faustschlag. Sie fällt auf den Rücken und keucht nach Luft, indes er nun breitbeinig über ihr steht und auf sie nieder spricht: »Ergib dich endlich! Ich habe lange genug um dich geworben. Ergib dich, verdammt, du stolze Katze!« Sie liegt hilflos zu seinen Füßen und spürt eine schreckliche Erniedrigung. Ihr Hass und ihre Verachtung auf diesen Mistkerl könnten nicht größer sein. Dann aber hören sie beide das pfeifende Rauschen einer schweren Sharpskugel. Und fast im selben Moment schlägt die Kugel in Jessup Harleys Schulter ein, reißt ein Stück davon weg und stößt ihn zur Seite, sodass er nicht mehr breitbeinig über ihr steht. Jennifer erhebt sich langsam und verharrt schwankend. Sie sieht sich nach dem Schützen um und erkennt ihn in weiter Ferne auf einem Hügelkamm, von dem er nun langsam heruntergeritten kommt. Erst unten lässt er das Pferd anspringen. Sie läuft ihm entgegen. Ihre Stimme ruft immer wieder: »Tom, o Tom, du hast mich lange warten lassen, fast zu lange!«
Und dann ist er bei ihr, schwingt sich vom Pferd und nimmt sie in die Arme. Und er weiß, dass seine Zaubersharps noch einmal etwas Böses verhindert hat, das anders nicht mehr zu verhindern gewesen wäre ... ENDE