KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND K U L T U R K U N D I L ICHE HEFTE
HERMANN
GERSTNER
DIE ...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND K U L T U R K U N D I L ICHE HEFTE
HERMANN
GERSTNER
DIE WEISSE OASE W Ü S T E N B E I S E NACH GADAMES
VERLAG SEBASTIAN
LUX
MURNAUMÜNCHENINNSBRUCKBASEL
Lockruf der Wüste „Schachmatt", sagt Apotheker Freiberg und blinzelt mich durch seine Brillengläser an. Ich bedaure meinen König. Das Spiel ist verloren. Ich lehne mich in den Sessel zurück. Noch eine Partie? Revanche? Nein, genug für heute! „Cornelia, hol eine Flasche Wein — oder lieber gleich zwei!" bittet der alte Apotheker seine Enkelin. Während er den Rotwein entkorkt, wendet er sich an mich: „Wo waren Sie mit Ihren Gedanken? Sie geben doch sonst nicht so leicht ein Spiel verloren." Cornelia setzt sich zu uns. Sie ist Fotografin. Knapp zwanzig Jahre alt. Ich brauche kein Geheimnis aus meinen Gedanken zu machen, ich habe Reisepläne geschmiedet, der Winter ist bald vorbei, und wenn der Frühling kommt, wird es- mich hier nicht mehr halten. Wohin? Nun nach Gadames! Ich nenne den Ort, als müßte jedermann Gadames kennen — Gadames, die Perle der Sahara, die Königin der Wüste, die schönste Oase Afrikas! Ich bin vor Jahren schon dort gewesen, jetzt will ich ein zweitesmal hinfahren. Was Venedig für Europa ist, das ist Gadames für Afrika. Nicht, als hätten die beiden Städte gleichen oder ähnlichen Charakter. Venedig ist die Stadt der Paläste, der Kanäle, der Gondeln — Gadames ist die Märchenstadt der Wüste. Beide Städte sind Träume, die zur Wirklichkeit wurden. Noch einmal will ich diese Bilder aus „Tausend und eine Nacht" erleben, um wieder darüber zu schreiben. Ich komme ins Erzählen. Wir sind schon bei der zweiten Flasche Wein. Ich hole meine alten Dias herbei, sie leuchten in unverblichenen Farben. Auf einmal sagt Cornelia schwärmerisch: „Nehmen Sie mich mit nach Gadames. Ich könnte dort mein fotografisches Meisterstück machen!" „Als ob das so einfach wäre", antworte ich, „eine Reise durch die Wüstenstrecken kann sehr gefährlich werden, wenn man in einen Sandsturm gerät. Ich habe es schon einmal erlebt, als unser Motor nach einem Orkan nicht mehr mitmachte. Es war keine schöne Situation. Wir kamen uns wie Schiffbrüchige vor. Schließlich wurden wir von Militärwagen herausgeholt." 2
„Nehmen Sie midi trotzdem mit", sagt Cornelia entschlossen, „das Licht dort über der Oase wird mir zu wunderbaren Aufnahmen verhelfen." „Mit welchem Fahrzeug wollen Sie denn hinkommen?" fragt der Apotheker und schenkt dabei mein Glas wieder voll. „Ich werde mir in Tripolis einen Jeep mieten!" „Großartig", wirft Cornelia scherzend ein, „ich werde eine Plastikhaube nähen, mit Reißverschluß. Wenn ein Sandsturm kommt, werden wir damit den ganzen Wagen und uns alle einhüllen." „So eine Reise kostet allerlei Geld", sage ich. „Ich muß selbst noch sehen, wie ich sie finanzieren kann." Wir sind bei der dritten Flasche, als der Apotheker die Entscheidung trifft: „Wir können uns das ernsthaft überlegen. Immer wenn ich so in meiner Apotheke stand und den Duft der fremden Gewürze in mich aufnahm, dachte ich mir: Eigentlich hast du in deinem Leben genug Pillen und Mixturen verkauft. Du solltest einmal dorthin fahren, wo die exotischen Gewürze wachsen. Wenn ihr mich mitnehmt, will ich schon ein paar größere Scheine dazutun." Ich weiß, der Apotheker tut alles für seine Enkelin, die im Krieg ihre Eltern verloren hat und seitdem bei dem Großvater lebt. Wir fangen an zu rechnen. Unsere Köpfe werden heiß beim Planen. Trinken wir noch ein Glas auf das Gelingen unserer Fahrt in die Weiße Oase!
Achmed wird unser Begleiter Das war vor einigen Monaten. Jetzt an einem Frühlingstag stehen wir drei tatsächlich an der Mole von Tripolis. Ein Blick zurück zu den Schaumkronen des Mittelmeers! Wir zeigen unsere Pässe vor, das Visum ist in Ordnung, das junge Königreich Libyen öffnet uns seine Wege. Wir quartieren uns in einem kleineren, freundlichen Hotel ein. Ein paar Tage wollen wir uns akklimatisieren und währenddessen einen Jeep mit einem zuverlässigen Fahrer auftreiben. Wir schlendern die prächtige Uferstraße von Tripolis entlang, sie prunkt mit hohen Palmen und stattlichen Häusern im italienisch3
afrikanischen Mischst!!. Abgeschieden liegt die Araberstadt m!t ihren lärmerfüllten Gassen. In einem der schattig überwölbten Basare kauft Apotheker Freiberg unserer Fotografin einen fein ziselierten Silberring. Auch nach Suk-el-Giuma fahren wir hinaus, einem Araberdorf, das wegen seines Wochenmarktes berühmt ist. Stolz bewegen sich die Einheimischen im weißen Burnus zwischen den bunten Auslagen einher, die auf den Boden gebreitet sind: Gemüse, Orangen, Zitronen, Datteln, Fruchtkerne, Töpfe, Riechwasser, Stoffe, grob gehämmerte Sicheln und Messer. Als Wasserbehälter werden alte gestöpselte Flaschen und leere Benzinkanister feilgeboten. Wir machen einen Abstecher in die gewaltige Ruinenstadt Sabratha, die westlich von Tripolis zwischen Wüste und Meer liegt. Diese alte römische Provinzstadt und Hafenfestung ist seit 1924 aus den Sandmassen freigelegt worden. Herrisch schritten einst die Römer über das Forum, dessen Größe noch aus den marmornen Überresten zu erkennen ist! Vor der prächtigen Säulen wand des antiken Theaters spielte man griechische und römische Klassiker und für die Soldaten und das Volk die derben Komödien der Verfallszeit. Von hier und von der weiter westlich gelegenen Großstadt Leptis Magna strahlte der Glanz des Imperiums über die nordafrikanischen Küstenprovinzen Roms. Man hat uns im Hotel einen jungen Araber empfohlen, einen Werkstudenten, der sich gern nebenbei etwas verdient. Er stellt sich uns vor: Achmed heißt er, er möchte einmal Lehrer werden. Sein braunes Gesicht ist von einem schmalen Sehnurrbärtchen gezeichnet. Wir unterhalten uns mit ihm auf französisch oder englisch, und er erweist sich als ein guter Kenner des Landes und seiner Geschichte. Auch von Autos scheint er etwas zu verstehen, er ist schon in Gadames gewesen; im vorigen Jahr war er bei einer Gesellschaft angestellt, die in der Sahara nach öl bohrte. Sachkundig berät er uns: Wir werden Trockenobst und Konserven, Wassersäcke, Töpfe, Pfannen und etwas Geschirr mitnehmen müssen. Der Wagenverleiher, mit dem wir in Unterhandlung stehen, schwört auf Achmed, der trotz seines modischen Bärtchens auch unser Vertrauen gewinnt. — Wir regeln das Finanzielle, schließen eine Versicherung für den Wagen ab, die nicht billig ist; das Risiko, daß der Jeep nicht heil oder gar nicht zurückkommt, ist groß. 4
Im ersten Frühlicht des kommenden Tages hält Achmed mit dem Jeep vor unserem Hotel. Geduldig wie ein Kamel nimmt der Wagen alle unsere Lasten auf. Achmed hilft eifrig mit. Jetzt, da er eine helle Hanellhose und ein weißes offenes Hemd trägt, kommt er uns gar nicht mehr fremd vor. Nur das Ledertäschchen, das er im offenen Hemdausschnitt an einem Kettchen trägt, sieht etwas absonderlich aus. Es ist sein Amulett, an dem Zähne und Krallen von wilden Tieren hängen. Sicher ist auch ein Koranspruch auf einem Pergamentblättchen in den Beutel eingenäht; der Spruch soll seinen Träger vor Unheil bewahren. Nun, jeder nach seiner Sitte!
Tief blickt man in die Höhlenwohnungen von Garian hinab 5
Der Wüste entgegen Es geht los. Achmed erweist sich als ein schneidiger Fahrer. Bald haben wir das schmale fruchtbare Küstengebiet durchquert, wo Zehntausende von Ölbäumen zu Plantagen zusammengefaßt sind. Unvermittelt geht das Land in die unfruchtbare, baumlose Steppe über. In kühnen Kehren schraubt sich der Wagen auf der von den Italienern gebauten Straße zum Gebirge empor, das wie eine von Westen nach Osten gelagerte Mauer den Eintritt in die südlichere Wüstenzone zu verwehren scheint. Noch im vorigen Jahrhundert waren diese Felswände ein schwer zu bezwingendes Hindernis für die Afrikaexpeditionen. An schwindelnden Abstürzen geht es dahin. Dann haben wir die Hochfläche des Dschebel erreicht, und plötzlich breiten sich beglückend Getreidefelder und Olivenhaine mitten über die sonst ausgetrocknete Landschaft von Garian, dem Hauptort des Dschebel. Ein betriebsames Städtchen mit Kastell, Moschee und Minarett. Am seltsamsten die vor dem Ort gelegenen Höhlenwohnungen am Grund tiefer Schächte, die so groß sind, daß man bequem ein mehrstöckiges Haus hineinstellen könnte. Unten sehen wir die Bewohner inmitten ihrer Hühner und Ziegen. Auf einem schrägen Gang, der seitlich des Schachtes durch die Erde getrieben ist, erreichen sie ihre Behausung. Kammern und Nischen sind in der Tiefe seitwärts in die Erde und in die Felsen gehöhlt und dienen als Wohnstuben, Schlafgemächer, Küche und Stauung. Da es hier wenig regnet, braucht man sonst kein Dach — Hauptsache, man ist gegen die sengende Hitze dort unten in den schattigen Ausbuchtungen geschützt. Achmed treibt uns zur Eile. Bevor wir weiterfahren, legt er seine Rechte ans Amulett, als wolle er deutlich machen, daß wir den Schutz Allahs auf der nun beginnenden Fahrt in die Wüste wohl brauchen könnten. Wirklich, die Landschaft wird einsamer, keine Bäume mehr, keine Sträucher, der letzte Busch verschwindet, selbst das Steppengras mit seinen fahlen Stauden will hier nicht mehr wachsen. Steinfelder, Geröll — Gelände, das die Sonne erbarmungslos ausgedorrt hat. Wir nähern uns der Region, in dem es nur einen Herrn gibt, den Sand! Noch liegen einige Oasen am Weg, die man jedesmal nach langer Fahrt durch leblose Mondlandschaften froh wie kleine Paradiese 6
begrüßt. Palmen, Häuser und Wasser! Gepriesen seien die Oasen Jefren, Naluc und Sinauen! Grandios ist in der Oase Jefren der Blidc von der Terrasse aus auf die alte zerklüftete Berberfestung und vom Festungsberg hinaus auf die fladie Einöde, die man fast hundert Kilometer weit überschauen kann. Ahnlich ist es in Nalut, das als großartiges Bergnest in die Felsen gezaubert ist. Und erst Sinauen mit der alten türkischen Zitadelle und dem grünen Wunder seiner Palmengärten! Durch unfruchtbare öde Weiten sind die Oasen voneinander getrennt. Wir aber wollen uns nicht aufhalten. Nur nachts gönnen wir dem Motor und uns selbst ein wenig Ruhe. Noch etwa siebenhundert Kilometer haben wir südwärts zu fahren. Wenn wir Glück haben, erreichen wir sie morgen oder übermorgen — die gepriesene Oase Afrikas, Gadames.
Die Perle der Sahara Bei Kilometer 400 hält Achmed an und führt uns zu einem Steinblock. Wir stehen am Grab eines Schweizers. Der tollkühne Eidgenosse, der einst den Weg von Nalut nach Gadames zu Fuß zurücklegen wollte, ist an dieser Stelle verdurstet. Er ist nicht der einzige, der das Wagnis, in die Wüste einzudringen, mit dem Tod bezahlt hat. Viele erkennbare oder versandete Gräber liegen an unserer Piste. Der Jeep rollt weiter. Wir werden gerädert und durchgeschüttelt. Auf Hunderte von Kilometern kein Baum, nichts Grünes, keine Wasserlache. Selbst die Felsenschründe und die Geröllflächen treten zurück. Der Sandozean hebt an. In dem Durstland wellen sich die Dünen. Solange der Wind schweigt, liegen sie wie tot da. Wie riesige erstarrte Kamelleiber. Wehe aber, wenn der Wind zu wehen beginnt, oder wenn der Sturm über die endlose Weite braust! Dann wird der Sand lebendig, gefährlich — die Dünen wandern. Hier in dieser Gegend war es, wo bei meiner ersten Wüstenfahrt der Sand uns überfiel und den Motor unseres Wagens erstickte. Der Staubsand ist so fein, daß er alles durchdringt. Der Einheimische wirft sich vor seinem Wüten auf den Boden und hüllt sein Gesicht fest in das Tuch seines Umhangs, um Augen und Atemorgane zu schützen. Wir aber haben Glück: Der Wind bleibt stumm. Allah ist uns gün-
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stig gesinnt. Aber die glühende Sonne, die über der unermeßlichen Landschaft brennt, und das Gleißen der Sandkristalle quälen uns. Die Lippen sind trocken, wir selber wie ausgedorrt. Stunde um Stunde holpern wir voran. ich weiß nicht, wie lange wir gefahren sind. Man verliert in diesem Sandozean alles Maß für Zeit und Raum. Von Zeit zu Zeit gibt Achmed Vollgas, um über eine herübergewehte Sandwoge zu kommen. Nur nicht steckenbleiben! — Bravo, es ist geschafft, die Piste wird wieder fester! Wir haben die gefährlichsten Stellen, wo die Sanddünen immer wieder über die Fahrbahn hinwegwandern, hinter uns. Aber auch weiterhin macht uns der aufwirbelnde Staub und Sand schwer zu schaffen. Tapfer und unverdrossen arbeitet der Motor. Noch blendet die Sonne vom westlichen Himmel, als Achmed den Wagen plötzlich anhält und sich strahlend vor Freude zu uns zurückwendet. „Gadames!" sagt er. Mit einem ähnlich glückhaften Ton in der Stimme mögen die Griechen des Xenophon einst das rettende Meer begrüßt haben, als sie nach endlosem Marsch „T-.alatta, Thalatta" — „Das Meer! Das Meer!" — einander zuriefen. Wir springen von den Sitzen, recken uns auf. Hinter uns und seitwärts trostlose Wüste mit Steinbrocken und Sandgewoge. Aber dort, mitten in der gelben Weite vor uns, ein schmaler grüner Saum, die Palmen von Gadames. Wie ein Schmuckreif überragen sie weißes Gemäuer. Wir nehmen die Feldstecher zur Hand, erkennen Einzelheiten: Palmenkronen zeigen ihr Gefieder, dahinter und dazwischen blinkende Mauern, Dächer mit Zinnen und Zacken. Man hat dieser Stadt, die hier an der Dreiländerecke liegt, wo Libyen, Tunesien und Algerien sich berühren, die schmückendsten Beiwörter gegeben, hat sie die „zauberhafteste Oase" genannt, „Mysterium in der Gluthölle", „Juwel in der Wüste". Die Wirklichkeit vor uns trotzt jeder Beschreibung. Alle Mühsal der vergangenen Tage ist vergessen im Anblick dieses Wunders. Zehntausende von Palmen grünen inmitten einer trostlos eintönigen Umwelt, eine weiße Stadt wächst aus dem Gelb-Braun der Sahara. Das Notizbuch liegt in meiner Hand, als könnte man in ihm jede Einzelheit mit dem Wort festhalten. Cornelia hebt die Kamera vors Auge, knipst und knipst. Achmed aber ist sdion wieder sach8
lich-nüchtern, denn schon neigt sich die Sonne auf Scharlachfarbener Lichtbahn dem Horizont zu. Wir fahren einen weiten Abhang hinab, näher kommen die Palmen, näher die weißen Mauern.
Herberge unter Palmen In die Stadt darf kein Wagen hinein. Wir lassen den Jeep in einem geschützten Winkel und im Schatten der Mauer stehen, dekken die Räder gegen die Sonne ab und stülpen eine Haube über die Karosserie. Schon sind Neugierige um uns versammelt, helfen uns das Gepäck zum Hotel tragen. Der Weg dorthin ist von lehmigen Gartenmauern gesäumt, hinter denen Palmen emporsteigen. Das Hotel selbst steht noch außerhalb der eigentlichen Stadt im Bereich der Gärten. 1932 erbaut, während die Italiener Libyen als Kolonie besaßen, ist sein Stil der Siedlung harmonisch angeglichen. Eine wundersame Herberge nimmt uns für die Zeit unseres Aufenthaltes auf, der schwarze Diener Mohammed im roten Fez betreut uns. Gartenstraßen münden vor dem Hotel in eine schmucke Anlage mit bequemen Liegestühlen, die mit Kamelhäuten überzogen sind. Der schönste Ort für das Frühstück oder für die Träume am Abend! Rings umschatten Palmen den Platz und überdecken auch einen Teil des ebenerdigen Hotels. Wir betreten die Eingangshalle, einen Bogengang, dessen halbrunde Fensteröffnungen mit zierlichem Maßwerk ausgefüllt sind. Ein frischer Lufthauch weht herein, es ist angenehm kühl. Der Diener weist uns die Zimmer an. Daß hier mitten in der Wüste fließendes Wasser und Badezimmer vorhanden sind, erscheint uns als der größte Luxus. Im kalten frischen Bad spülen wir den Staub der Wüste von uns ab und werfen uns in zivilisiertere Kleidung. i
Im Gartenhof ist für uns gedeckt. Es sind heute ein paar Prospektoren da, die im Auftrag einer Dlgesellschaft südlich von Gadames nach DI suchen. Die Dlleute sind mit ihren Dreiachsern und den Anhängern öfters auf der Piste zu finden und lassen sich zuweilen auch in Gadames sehen. Der Dlgeruch, der in den Kleidern der Fremden liegt, paßt nicht recht in diese Umgebung. Aber für die Männer, die an hundert Stellen der libyschen Wüste in die Tiefe bohren und nach dem Ende des Algerienkricges den 9
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Plan einer Ölleitung durch Westlibyen erwägen, ist dieser Geruch Lebenseloment. Die Gläser werden mit rotem algerischem Wein gefüllt. Ober uns das leise Säuseln der Palmen im Nachtwind. Der Diener stellt die Fontänen im Hof an, silbrig springen aus einer Schale, die auf einer stumpfen Säule ruht, die Wasserstrahlen ins Licht. Genüßlich schnuppert mein Begleiter: Es gibt Hammelfleisch mit Bohnen und als Nachtisch Datteln und Feigen. Wie fern ist Tripolis — wie fern Europa! Die Welt hat sich völlig verwandelt. Zum Mokka und zur Zigarette begeben wir uns in die Innenräume. Gadames selber hat noch kein elektrisches Licht, bezieht den Strom stundenweise von dem kleinen Fort, das außerhalb der Oase liegt. Jetzt, in der stromlosen Zeit, sind die Kerzen entzündet, und in ihrem warmen Schein treten die arabischen Muster auf den Lampen, Büchern und Stühlen zauberhaft hervor. Die Wände sind mit Bildern aus dem Leben der Wüste bemalt. Wir nehmen zur Feier des Tages noch einen Pernod, nur Achmed als Mohammedaner lehnt ab. Ein paar Offiziere kommen vom nahen Fort, sie suchen ein wenig Abwechslung nach dem eintönigen Dienst und laden uns alle für ein' der nächsten Tage in ihre Unterkünfte ein. Am späten Abend sitzen wir um ein niedriges Tischchen vor dem Hotel in den Liegestühlen, über uns die leicht bewegten Palmen, durch deren Gezweig die Pracht klarer Sterne strahlt. Tausend Grillen zirpen. Frösche quaken, ein Zeichen, daß die berühmte Quelle ATn el Fräs nicht weit ist. Morgen soll uns der erste Weg dorthin führen. Verschleierte Frauen huschen an uns vorbei, sie holen in der Dunkelheit Wasser. Die nahe Stadt ist schweigsam. Nur manchmal schreit ein Esel. Irgendwoher dringen l-'lötentönc, eine Schalmei — und wieder Stille. Mit den Schatten, die im Mondlicht über die gelblichen Pfeiler hingehen, verwandelt sich das Hotel in ein Wüstenschloß. Von außen gesehen ist es die Residenz eines arabischen Königs — von innen betrachtet, ein wohliges Gästehaus mit allen Einrichtungen der Zivilisation! Wir lauschen in die N a c h t . . . wir fühlen uns wie auf einer bergenden Insel. Dort, nur wenige Schritte von uns entfernt, wogt um uns das Meer der Wüste — die Sahara. 10
Die „Quelle der Stute" Der Tag weckt uns mit einem phantastisch blauen Himmel und dem Glorienschein der Sonne. Die kleine Gesellschaft trifft sich vor dem Hotel zum Frühstück. Der schwarze Diener bringt Tee. Der Apotheker genießt das Aroma, tief beugt er sich über die Schale. Mit einem Schnappschuß bringt uns Cornelia auf ihren Film. „Achmed, erzählen Sie uns doch die Geschichte von der Quelle Ai'n el Fräs", sage ich. »Jeder Araber kennt doch die Legende von dem heiligen Wasser von Gadames!" „Ja, von Ai'n el Fräs träumt jeder Sohn der Wüste", bestätigt Achmed. „In ihrer Mächtigkeit hat sie in der ganzen Sahara kaum ihresgleichen. Die Tuareg nennen sie übrigens Arscheschuch, Krokodilquelle." „Und ihre Geschichte?" „Vor- Jahrtausenden hauste hier in der Wüste der mächtige No madenstamm des Königs Nimrod. Einer aus seinem Reitervolk verirrte sich im Sandmeer; selbst sein Pferd hatte die Orientierung verloren und weigerte sich, nur einen Schritt weiter zu tun. Der Reiter legte sich, vom unerträglichen Durst gequält und verwirrt, in den Sand und ergab sich in sein hoffnungsloses Schicksal. Doch die treue Stute scharrte mit dem Huf im Sand, als müsse sie einem geheimen Gebot gehorchen, und mit einem Mal schoß aus dem trockenen Wüstenboden ein Strahl frischen Wassers, schwoll von Minute zu Minute stärker an und wurde zu Aln el Fräs — der .Quelle der Stute'. Reiter und Roß waren gerettet. Die Quelle versiegte nicht mehr, und alsbald bedeckte sich ringsum die Wüste mit Pflanzen aller Art, Palmen sprossen und die Menschen ergriffen Besitz von dem gesegneten Erdenfleck. Im 7. Jahrhundert, als der von Mohammed entflammte Islam auch die längst blühende Oase Gadames erreichte, verwandelte das gläubige Volk den Reiter aus dem Stamm des Königs Nimrod in einen mohammedanischen Heiligen, und man schrieb das Quellwunder Allah zu."
• Wir haben es nicht weit bis zu Allahs Wassern. Wer nicht an die Legende glaubt, schreibt der Quelle, einer wahren Gottesgabe, ein Alter von fünftausend Jahren zu. Der dunkle Wasserspiegel 11
ist zwischen Palmen in ein viereckiges Becken gefaßt, dessen Grundmauern noch aus der Römerzeit stammen. Man blickt bis auf den Grund, wo an mehreren Stellen das Wasser her aufquillt. Es stammt aus einer Grundwasserschicht, die vierhundert Meter tief unter der Oberfläche liegt. Das Becken wurde angelegt, um von hier aus die Verteilung des Wassers auf die Oasengärten leichter regeln zu können Am Rand ist es nur emen Meter tief, es erreicht in der Mitte eine Tiefe von vier bis fünf Meiern. Das Bassin ist etwa zwanzig Meter breit und dreißig Meter lang. Für die Sahara ein ungewöhnliches Ausmaß. In der Minute entströmen etwa zwei bis drei Kubikmeter dem Boden. Der Apotheker möchte es einigen Frauen gleichtun, die zum Brunnen gekommen sind, um den Durst zu löschen und Wasser in ihre Krüge zu füllen. Aber Achmed warnt ihn. Das Wasser sei lauwarm, etwas salzig und Europäern nicht bekömmlich. Während sich die Gadamesen in Jahrtausenden an die Eigenart des Wassers gewöhnt haben, kann sein Genuß bei Europäern leicht zu Typhus führen. Trotzdem erscheint uns die Quelle als etwas Wundersames.
Die Wasseruhr am Marktplatz mit dem blinden Gaddu*
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Während die Frauen graziös die gefüllten Wasserkrüge heben, klirren die silbernen Arm- und Knöchelspangen; die Gefäße auf dem Kopf balancierend, schreiten sie davon. Zwischen den verhüllenden Tüchern sieht man nur ihre blitzenden Augen. Von der Quelle Ain el Fräs wird das Wasser in mehreren Kanälen zur Stadt hineingeleitet, die Wasserrinnen laufen unter den Häusern entlang und verzweigen sich über die ganze Oase. In der italienischen Zeit wurde noch ein artesischer Brunnen außerhalb der Oase gebohrt. Aber diese zweite Quelle hat mit ihren Quadern und Eitcnröhren nicht den Reiz des Wunderbaren. Wenn man das Wasser von Gadames rühmt, meint man „ATn el Fräs" — die „Quelle der Stute".
Geheimnisvolle Gassen Unweit der Quelle beginnt hinter den Palmen die eigentlich* Stadt. Im gleißenden Sonnenlicht wächst die Stadtmauer aus dem harten Boden gelbweiß in das wolkenlose Himmelsblau. Aus sonnengetrockneten Ziegeln zusammengesetzt, zeigt sie eine rauhe Außenseite. Gekrönt ist sie von weißgekalkten Balustraden und Zinnen, die fast unvermittelt in die ebenso weißen Dächer übergehen. Man hat Gadames eine unterirdische Stadt genannt. Aber das stimmt nicht, sie macht nur einen unterirdischen Eindruck, wenn man sie durchschreitet. Zum Schutz gegen Hitze, blendendes Licht und Treibsand haben die Bewohner in Jahrhunderten eine einzigartige Bauweise entwickelt. Da die Häuser alle in Dachhöhe miteinander verbunden sind, hat die ganze Stadt gleichsam nur ein einziges Dach. Und auch die Gassen unterscheiden sich von allen anderen Gassen der Welt. Sie wühlen sich zu ebener Erde, streckenweise auch etwas eingesenkt, zwischen den Hauseingängen schmal und eng dahin und werden von den Häusern völlig überdeckt. Man tritt in sie ein wie in Bergwerksstollen. Wir begegnen hier in diesem Irrgarten von überwölbten, tunnelartigen Gassen keinem Auto und keinem Fahrzeug, das von Tieren gezogen wird. Selbst die breiteste „Straße" erlaubt es nur, daß zwei Menschen eben noch nebeneinander gehen können. Meist kann man sich aber nur hintereinander den Weg durch diese Katakombensiadt suchen. Wer sich im Dunklen nähert, 13
macht durch Räuspern, Grunzen, Fußscharren rechtzeitig auf lieh aufmerksam. Kilometerweit verzweigt sich das Netz dieser engen dunklen Gänge, in denen es sehr leise zugeht. In der „Hauptstraße" stehen weiße steinerne oder aus Ziegeln gefügte Bänke an den Seiten. Hier kauern oft die Männer, um der Kühle, um der Träume willen. Hätten wir nicht Achmed bei uns, der sich einigermaßen auskennt, wir würden uns in diesem Gewirr der überdeckten Tunnelgassen verirren. Es ist so, als wären wir in einen riesenhaft ausgebreiteten Keller geraten, mit lauter schmalen Gängen, aus denen wir nicht mehr herausfinden. Manchmal landen wir in einer stockdunklen Sackgasse und müssen uns wieder zurücktasten. Immer wieder biegen, winden, verknäueln sich die Gassen diese Labyrinths. Die Männer, die in ihrem Barakan im Finstern dicht an uns vorbeischlürfen, jagen einem Angst ein, und die Phantasie spiegelt sich versteckte Dolche vor. Aber die Zeiten, da es für einen Fremden gefährlich war, hier zu verweilen, sind längst vorbei. Die Menschen sind friedlich. So wandern wir weiter über die festgestampfte, nackte Erde dieser Gassen, die in immerwährende Dämmerung gehüllt sind. Nur manchmal öffnet sich eine Art Lichtschacht nach oben, dann sehen wir geschwungene Bögen über uns, von denen die Hauswände gestützt werden. Ehe wir aus einem solchen Lichthof wieder in die Nacht hineingleiten, betrachten wir links und rechts ein paar Haustüren, die vom Lichte des Tages angeleuchtet sind. Sie sind aus Holz oder Palmenrippen gefügt und verwehren, fest verschlossen, allen Fremden den Zugang. Drüben schimmern ein paar Säulen mit Kapitellen. Daneben ist eine Hand abgebildet, die „Hand Fatimas", der Tochter Mohammeds, die die Bewohner vor Unheil bewahren soll. In der Nähe ein Mondzeichen, ein kreisendes Sonnenrad, eine Schlange — Sinnbilder, die böse Geister abhalten. Hier und da mildert ein Olleuduer die Finsternis, und man erkennt eine waschende Frau, die sich über eine offene Wasserröhre beugt. Und weiter geht's in den niedrigen und engen Stollen. An einem Hauseingang erkennen wir die Umrisse von Fischen und ein paar Gazellenhörner. Sollen auch sie gegen den bösen Blick schützen? Schnell begreifen wir, wie zweckmäßig diese Bauweise ist. In den 14
sorgsam gepflegten und gereinigten Gassen Ist man gegen die Glut der Sahara völlig gefeit, hier im Schattenreich können einem die fünfzig Grad Hitze nichts anhaben, die im Sommer über der Wüste brüten. Mögen auch Sandstürme wüten, hier unten ist man geborgen. Nur heftiger Regen könnte diese Herrlichkeit aus Lehmziegeln gefährden. Aber nur alle zwanzig Jahre regnet es an dieser Dreiländerecke in stärkerem Maße, und die Sonne trocknet die Nässe sofort wieder. Hier, im Tiefenbereich von Gadames ist die Welt der Männer! Frauen haben da nichts zu suchen. Nur manchmal huschen sie vorbei, verschwinden dann mit einem Wasserkrug links oder rechts in einem der Schächte. Oder sie kommen nach Sonnenuntergang herunter, um möglichst ungesehen zum Abendgebet in eine der Moscheen zu eilen. Die Kinder aber haben Zutritt! Wie herrlich können sie hier Versteck spielen! In einem Tor, das durch einen Lichtschacht erhellt ist, stehen so ein paar Knirpse in ihren malerischen Gewändern. Ein strenger dunkelhäutiger Lehrer bewacht die kleine Gesellschaft. Cornelia knipst die Schar, da sie in den dunklen Gassen selbst zu keiner Aufnahme kommt. Nebenan öffnet sich ein kleiner Hof, wir sehen einen Töpfer an seiner Drehscheibe stehen. Dicht dabei ein helleres Mauerviereck, in dem ein paar Schafe eingesperrt sind. Und wieder hinein in den Irrgarten der Gassen! Auf sanften Pantoffeln gleitet ein Vermummter vorbei. Statuengleich sitzt dort auf einer Steinbank ein anderer und meditiert. Wie laut, wie lärmvoll sind unsere Städte gegenüber dieser stillen Unterstadt! Irgendwo spricht einer einen Vers aus dem Koran, auf einer Bank erörtern die Männer die Ankunft einer Karawane.
Auf dem Sklavenmarkt Die Gasse, die wir entlanggehen, mündet plötzlich auf einem der wenigen Plätze, die in Gadames angelegt sind. Wir treten hinaus in das helle Licht, Gassenschächte wie der unsrige kommen von allen Seiten auf den Platz zu. In der Mitte steht als Wahrzeichen ein Maulbeerbaum, sein Stamm ist von einem brunnenartigen Mauerring eingefaßt. An den weißen Wänden ringsum Sitzbänke und steinerne Nischen. Die Zweige des Baumes werfen 15
bizarre Schatten auf die Mauerflächen, die mit farbigen Ornamenten mosaikähnlich verziert sind. „Was bedeuten die eisernen Ringe und Koten an der Wand?" fragen wir Achmed und er erklärt es uns: „Es gibt in Gadames zwei ähnliche Plätze, den „Platz des Großen" und den „Platz des Kleinen Maulbeerbaumes". Der Platz des Großen Maulbeerbaumes, auf dem wir uns befinden, mißt an jeder Seite etwa zwanzig Meter: Hier hat man einst die männlichen Sklaven zum Kauf ausgestellt und angeboten. Auf dem Platz des Kleinen Maulbeerbaumes, der nur die Größe eines stattlichen Zimmers hat, erfüllte sich das Schicksal der Sklavinnen. Die paar Quadratmeter sind verhängnishaft geworden für Tausende von Menschen aus dem Schwarzen Erdteil — jahrhundertelang. Und es ist noch gar nicht so lange her, seit hier Sklaven zum letztenmal verschachert wurden. Noch um die Wende zum 20. Jahrhundert brachen arabische Sklavenjäger in die Negerdörfer der zentralafrikanischen Regenwälder ein, suchten sich die arbeitskräftigen Männer und Frauen und gesundgewachsene Kinder aus und verschleppten sie in grausamen Trecks auf den zentralen Sklavenmarkt von Gadames. Manchmal umfaßte eine einzige Sklavenkarawane tausend Männer, Frauen, Mädchen und Knaben. Niemand kümmerte sich hier um das Verbot des Sklavenhandels und der Sklavenhaltung, das im vorigen Jahrhundert mehrfach ausgesprochen worden war, auch die türkischen Gouverneure nicht, die für jeden Sklaven eine Provision erhielten. Heute sind die beiden Plätze unter dem Dach der Maulbeerbäume ein zauberhaftes Idyll — aber wieviel Leid und Tränen haben diese Mauern gesehen, wieviel Lebensangst, Trennungsschmerz und Zukunftssorgen wurden hier durchlitten! Käufer und Verkäufer saßen sonnen- und sandgeschützt in den schattigen Nischen, taxierten die angekettete „Ware", feilschten um das „schwarze Elfenbein", trennten gnadenlos Mütter von ihren Kindern, Männer von ihren Frauen.
Die Wasseruhr am Marktplatz Noch einmal tauchen wir in die Dämmerung einer Gasse ein, Achmed führt uns zum Marktplatz, dem „größten" Platz von Gadames. Es ist die Herzmitte der Stadt, aber auch sie umfaßt nur 16
ein schmales Geviert, gesäumt von grellweißen Mauern, über die Palmenwipfel hinausragen. Frauen sieht man kaum. Wie das Gassengewirr, so gehört auch der Markt den Männern, die sich hier zu einem Geschäft treffen, auf den steinernen Sitzen ringsum Alltagsdinge besprechen oder schweigend in den Himmel träumen. Ich spähe in eine gewölbte Aushöhlung in der Mauer; sie liegt tiefer als der Markt. Ein vorspringendes gemauertes Dach schützt die Höhlung vor der Sonne. Ich bin überrascht, daß der schattige Sitzplatz in der Rundung heute leer ist; auf meiner ersten Reise nach Gadames hatte ich hier noch den Gaddus bei seiner interessanten Beschäftigung beob-
In den reichen Häusern der Weißen Oase sind die Wände mit den Hautschätzen behängt, die in geldlosen Zeilen dem Tausch dienten
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achten können, einen alten blinden Mann. Er hatte eine der wichtigsten und'verantwortungsvollsten Aufgaben in der Oase übernommen. Er war einer der fünf Wasserzuteiler, die in der Stadt an den Wasserrinnen Tag und Nacht ihres Amtes walteten. An den anderen Gaddus-Platzen waren Knaben mit dieser Aufgabe betraut. Die Palmenanlagen, Gärten und Ackerchen der Oase können nicht alk gleichzeitig dauernd von der Quelle Ai'n getränkt werden, das Wasser muß so gerecht wie möglich in wechselnder Folge den einzelnen Landbesitzern zugeteilt werden. Das Maß, das jedem zukommt, damit sein Boden genügend Feuchtigkeit erhält, ist genau festgelegt. Niemand würde es wagen, etwa das Rinnsal des Nachbarn heimlich anzuzapfen, wenn dem Nachbarn gerade sein Quantum Wasser zugeleitet wird. Deshalb gab es an den fünf schmalen Wasserkanälen, die von der Quelle ATn el Fräs nach allen Richtungen führen, je einen Beauftragten, der mit Hilfe der Wasseruhr, der Clepsydra, die Bewässerung regulierte. Es war ein einfaches Verfahren, von dem schon die Bibel berichtet und das man auch im Vorderen Orient kennt; selbst der Blinde bediente die Uhr sicher und zuverlässig. Von Zeit zu Zeit beugte er sich in das Dunkel der Gaddus-Höhlung herab und füllte einen Eimer bis obenhin mit dem Wasser aus der Rinne. Das Wasser begann durch ein winziges Loch im Eimerboden abzutropfen. Hörte der Blinde den Tropfenfall nicht mehr, so war seine Wasseruhr abgelaufen. Er machte einen Knoten in ein bereitliegendes Strohseil, füllte den Eimer von neuem, und wieder begann seine Uhr leerzulaufen. So fügte sich Knoten an Knoten. Ein Verzählen war nicht möglich. Nach fünfzehn oder zwanzig Knoten — je nach dem Maß der Zuteilung an den einzelnen Gartenbesitzer — unterbrach der Gaddus seine Arbeit und warf ein Strohbüschel in die Wasserrinne. Das Stroh trieb weiter und zeigte draußen dem Gärtner an, daß seine Wasserzeit abgelaufen war. Der Gärtner schloß die Schleuse am Gartenzugang, und das Wasser floß nun eine Zeitlang dem Nachbarn, und nach diesem dem zweiten Nachbarn zu. So wurde Garten um Garten gleichmäßig und gerecht bewässert. Die geknoteten Strohseile dienten zur Kontrolle und Abrechnung; denn in 18
der türkischen Zeit mußten Abgaben für die Wasserentnahme entrichtet werden. „Und heute?" (rage ich Achmed. „Warum gibt es den Gaddut nicht mehr?" Auch hier in Gadames hat die neue Zeit Einzug gehalten. SandV und Wasseruhren, die wie die' Sonnenuhren jahrtausendelang den» Menschen gedient haben, braucht man nicht mehr. In einer Zeit, in der finanzkräftige Gesellschaften in der Sahara nach DI bohre«. und man nicht weit von hier die Pipeline aus dem Erdölgebiet von Edscheleh nach dem libyschen Hafen Suara vorbeiführen will — ändert sich vieles, selbst in dieser entlegenen Oase. Der Blinde hier an der Wasseruhr und die anderen Wassermesser sind überflüssig geworden, europäische Uhren regeln heute auch in der Sahara das Leben.
Die Bewohner und ihre Geschichte Gadames ist eine sehr alte Stadt. Ruinen antiker Bauten, runde und viereckige Türme, Säulenschäfte und Schuttmassen aus verschiedenen Zeiträumen sind noch heute in der Umgebung zu erkennen. Schon in der Blütezeit Ägyptens war Gadames eine bedeutende Siedlung. Das beweist ein aufgefundenes zeitgenössisches Relief. Auch aus der Zeitspanne zwischen der ägyptischen und der griechischen Epoche sind steinerne Kulturreste vorhanden. Inschriften mit griechischen Buchstaben bezeugen, daß die Sonne Homers bis in die Sandwüsten Afrikas strahlte. Später trugen die Römer ihre siegreichen Adler in den Bereich der afrikanischen Sanddünen. Der Schriftsteller Plinius berichtet, daß „Cydamus", wie er Gadames nannte, im Jahre 19 vor Christi Geburt römisch wurde. Man nimmt an, daß die Herrschaft Roms über diesen Erdenfleck mindestens zweihundertfünfzig Jahre gedauert hat. Noch um 230 nach Christi gehörte die Oase, wie wir aus entdeckten Inschriften wissen, zur römischen Provinz Numidien. Erst als das Römerreich verfiel, zog man die Besatzung von dem südlichsten Militärposten des Imperiums ab. Seitdem lebte Gadames, vergessen von der großen Welt, ein verborgenes Leben. Im siebten Jahrhundert n. Chr. wurde die „Weiße Oase" von den Arabern wiederentdeckt. Auf ihrem Vormarsch entlang der nord19
afrikanischen Küste drangen die Reiterhorden Mohammeds bis Gadames vor und eroberten trotz des verzweifelten Widerstandes der Bewohner die Stadt, über der nun die grüne Fahne des Propheten wehte. Doch bald gewann die Oase ihre Freiheit wieder, während Tripolitanien nacheinander der spanischen, maltesischen und türkischen Herrschaft unterworfen wurde. Die Wüste schirmte die feindlichen Kräfte besser ab als Meere und Gebirge. Erst im Jahre 1864 wurde Gadames von den Türken besetzt. Aber auch in der türkischen Zeit änderte sich im Lebensstil von Gadames, das den harten Gesetzen der Wüste zu gehorchen hatte, nur wenig: Forscher und Missionare, die sich der sagenumwobenen Oase näherten, wurden feindselig empfangen und fanden häufig den Tod. In den Jahren 1911 und 1912 entrissen die Italiener den Türken die Provinzen Tripolitanien und Cyrenaika. Als sie die Küstenzone gesichert und kolonisiert hatten, stießen sie in die südliche Wüste vor und zwangen auch Gadames unter ihre Herrschaft. Straßen wurden angelegt, geländegängige Wagen schufen schnelle Verbindungen, die Oasen der Sahara waren dem Mittelmeer nahe gerückt. Im zweiten Weltkrieg sahen die Gadamesen auch Engländer und Franzosen in den Mauern. Nach dem Krieg mußte Italien auf seine nordafrikanischen Besitzungen verzichten, die „Weiße Oase" gehört seitdem zum neugegründeten Königreich Libyen, sie ist zu einer besonders glanzvollen Perle in der Königskrone des Landes geworden. Achmed, der uns das alles erzählt, ist stolz auf den jungen Staat, dem er angehört. Er holt aus dem nahen Basar Orangen und Datteln, als wolle er uns als besonders willkommene Gäste in seinem eigenen Reich bewirten. Während wir uns gütlich tun, gibt er uns einen kleinen Einblick in das soziologische Gefüge der Stadt.
Berber, Araber und Tuareg In Gadames leben vier verschiedene Bevölkerungsgruppen mehr oder weniger scharf voneinander getrennt. Die ersten beiden sind berberischer Herkunft und rühmen sich, unmittelbar von den Gründern der Stadt abzustammen. Lange Zeit rivalisierten diese beiden Bruderstämme miteinander. Sie lebten in gesonderten Vier20
tcln und trugen heftige Kämpfe untereinander aus; jetzt herrsche Friede zwischen ihnen. Den dritten Bevölkerungskreis bilden vornehme Araber, die gleichfalls im eigenen Viertel wohnen, aber von den alteingesessenen Berbern lange Zeit als Eindringlinge angesehen wurden. Noch geringer schätzte man den vierten Personenkreis ein, der sich aus freigelassenen Negern, ihren Nachkommen und aus Negermischlingen zusammensetzt. Sie sind aus der Zeit der Sklavenjagden zurückgeblieben. Die moderne Zeit hat schon viele Vorurteile beseitigt, aber die älteren Leute scheuen sich auch heute noch, das Viertel der andern zu betreten. Nur der Marktplatz ist neutrales Gebiet. Hier stoßen die einzelnen Stadtregionen zusammen. Wovon leben die Gadamesen, nachdem die Quelle des Handels zum größten Teil versiegt ist und nur noch wenige am Karawanendiensc teilhaben? Fruchtbar ist die „Weiße Oase" nur im Gegensatz zur Wüste. Zumeist wird von den Bewohnern größte Bedürfnislosigkeit verlangt. Kühe und Rinder gibt es hier ebensowenig wie Schweine. Nur Schafe, Ziegen und Hühner sind Haustiere, nur ihr Fleisch bereichert an Festtagen die Tafel. Die Kamele braucht man für die Karawanen. Oft müssen ein paar Handvoll Datteln genügen, den Hunger zu stillen. Manche verdienen ihr Brot durch handwerkliche Erzeugnisse, die von den Fremden begehrt werden; sie stellen Schuhe und Ledergürtel her, fertigen aus Tierhäuten entzückende Pantoffeln an, nähen Kamelsättel, verstehen Schafwolle zu weben, die Töpferscheibe zu drehen, sie verarbeiten Silber zu Geschmeide, sind als Schneider und Gerber, Schmiede und Juwelenarbeiter, als Schreiner und Maurer tätig. Das Handwerk ist heute die sicherste Einnahmequelle, die Landwirtschaft tritt demgegenüber, wie überall in der mohammedanischen Welt, zurück. Beim Anbau in den Gärten trifft man daher meist dunkelhäutige Arbeiter. Von den Tuareg spricht Achmed nicht. Er will später von ihnen berichten, wenn wir ihre Hütten draußen vor der Stadt besuchen. Denn die Tuareg dürfen hier unter den etwa achttausend Bewohnern der Oase nicht leben; sie führen in der Wüste und am Rande der Oase ihr eigenes Dasein — doch auch ihnen sichert die Quelle ATn el Fräs das Dasein. 21
Häuser und Moscheen Wir möchten gern durch eine der verschlossenen Türen in ein Haus eintreten, um zu sehen, wie die Familien leben. Achmed erwirkt uns für den nächsten Tag die Erlaubnis. Der Nachmittag ist als Besuchszeit vereinbart. In einem schmalen seitwärtigen Tunnelgang klopft Achmed an eine Holztür. Freundlich empfängt uns der Hausherr, ein weibliches Wesen bekommen wir nicht zu Gesicht. Zwischen getünchten Wänden gehen wir einen schmalen Flur entlang. Eine Treppe, in deren kühlem Winkel der Behälter mit dem Trinkwasser aufbewahrt wird, führt uns in den Hauptraum. Auf dem Boden liegen edel gemusterte Teppiche, ringsum an den Wänden türmen sich goldgestickte Kissen. Dazwischen Strohmatten und bunte Decken. Keine Fenster in den Mauern, nur ein Schlitz, so schmal wie eine Schießscharte. Das Licht dringt von oben durch Luken herein. Man ist beglückt über die angenehme Dämmerstimmung. Reicher Schmuck an den Wänden: Kupferkessel, blinkende Spiegelscheiben, Messingeräte, Teller, Kannen, Arabesken. Seitlich weitet sich der Raum in eine Nische hinein, die mit Pfühl, Matten und farbig gemusterten Decken zu einer wohnlichen Schlafkoje hergerichtet ist. Solange das Haus Kühle hergibt, kann man hier des Nachts auf schwellenden Polstern ruhen. In diesem Prunkzimmer, wo uns ein Diener Tee serviert, vermißt man die bei uns gebräuchlichen Möbel nicht. Auf Kissen und Teppichen können wir uns bequem lagern. Immer wieder bewundern wir die Fülle des Wandschmucks, diese schön geformten Zinnund Silbergefäße, die türkischen Kaffeetassen, die Wasserpfeifen, die Palmblätter aus Gold. Der Raum ist wie eine Schatzkammer. Es ist nicht lange her, da gab es noch keine Bargeldgeschäfte in der Wüste. Die Gegenstände, die man hier sieht, ersetzten das Geld. Hier regiert der Hausherr wie ein Patriarch über seine Familie. Ein paar Stufen aufwärts! Wir stehen im oberen Raum des Hauses, dem Schlafgemach. An den kalkweißen Wänden fehlt jeder Schmuck, der Boden ist ohne Matten und Teppiche. Durch den Lichtschacht blickt man in den weit offenen, zumeist regenlosen Himmel und des Nachts in die Sterne. Von hier sind es nur wenige Sprossen 22
zu den Dächern. Aber da droben ist die Welt der Frauen, dort haben Männer keinen Zutritt. Es ist Zeit, dem Hausherrn Dank zu tagen. Achmed führt not in die Dunkelheit der Gassen zurück. Er geleitet uns aus der Häuslichkeit in die religiöse Mitte von Gadames, die große Moschee. Im Gotteshaus gibt es weder Stühle noch Bänke. Teppiche sind ausgebreitet und bedecken den Boden bis zu den weiß gekalkten Wänden. Kurze und kräftige Säulen stützen die Gebetshalle. Ringsum Sprüche aus dem Koran, Gipsornamente, Rosen und Monde. So wuchtig die Moschee von außen erscheint, so reich gegliedert ist sie mit ihren gewundenen Säulen und ziervollen Kapitellen im Inneren. Neben einer Säule kniet auf dem Teppich ein Mohammedaner und betet deutlich vernehmbar Koranverse. Von Zeit zu Zeit beugt er sich nieder, berührt mit der Stirne den Boden und wendet sich in die Richtung, wo seine Gedanken das heilige Mekka suchen. Hinter dem vom Baldachin überwölbten Altar lesen Männer gemeinsam im Heiligen Buch. Aus Räuchergefäßen steigt Weihrauchduft auf. Achmed hat uns vergessen. Er kniet und verrichtet sein Gebet. Die Moschee, die wir betreten haben, ist Ziel vieler Pilger; sie ist einem Mitkämpfer des Propheten geweiht, der im siebten Jahrhundert Gadames eroberte und hier gestorben ist. Unbemerkt verlassen wir die Gebetsstätte. Wir wollen Achmed nicht stören.
Über den Dächern Wieder sind wir im Freien. Neben der Moschee steht das Minarett, aber es ist nicht schmal und schlank wie sonst, sondern wirkt wie ein gedrungener Festungsturm. Wir wissen nicht, ob wir recht handeln, als wir auf einer gewundenen Treppe zur Plattform hinaufsteigen; denn eigentlich müßte uns die geheimnisvolle, verborgene Welt da droben über den Dächern von Gadames verschlossen sein. Wir stehen am Turmrand und lugen vorsichtig über die Brüstung. Eingesäumt vom Ring der grünen Palmenwipfel breitet sich über ganz Gadames hinweg als zweite Lebenswelt das Gewoge der Dächer, auch sie wie eine weiße Oase. Da die Dächer miteinander verbunden sind, kann man über sie hinweg von einem Ende der 23
Stadt zum anderen wandern und sich einander besuchen — aber nur wenn man eine Frau ist. Nur des Nachts darf der Mann hinauf, um in der Kühle sein Lager aufzuschlagen. In der Frühe aber ist er verschwunden. Zwischen den Dächern ragen überall Mauerchen und Stege, Zacken, Türmchen und Zinnen auf und beleben das märchenhafte Bild. Um den Sinn der seltsamen Mauerzacken ist viel herumgerätselt worden. Man nennt sie Serafine. Vielleicht verdanken sie dem menschlichen Wunsch nach Abwechslung und Begrenzung ihr F.ntstehen, vielleicht sind es auch Baukörper, um die Mauern zu stützen. Vielleicht sollen sie auch die bösen Geister abhalten, jedenfalls gewähren sie unter einem glutheißen Himmel schattige Ecken und umgrenzen das kleine Reich der einzelnen Haushalte. Glanzvoll schimmern die Rosetten, die Balustraden, die Dachkanten. Aufgehellt zittert der Himmel darüber. In einer Terrassenecke steht ein Herd, denn die Gadameserin verrichtet hier oben alle häusliche Arbeit. An bestimmten Tagen kommen die Marktfrauen herauf und bieten ihre Waren an. In einer anderen Ecke wölbt sich eine Kuppel: Es ist die häusliche Moschee, wo die Familie betet und die Reliquien der Vorfahren verehrt. Im Hintergrund erblicken wir einige Frauen in ihrer langwallenden Gandura. Ihre roten Gewänder heben sich kontrastreich ab von dem leuchtenden Weiß des Gemäuers. Sie bemerken uns nicht. Sie gehen aufeinander zu — auch jetzt sind ihre Gesichter fast ganz verhüllt — und tauschen Neuigkeiten aus. Eine andere flicht ihr Haar, eine jüngere Frau balanciert geschickt wie eine Katze über den Steg zu ihrer Nachbarin. Schmuck glitzert und gleißt, Silberspangen blitzen an den Gelenken, Goldschnüre laufen über blaues Tuch. Hier ist das ungestörte Reich der Frauen. Auf dieser Dachlandschaft und in den Häusern erfüllt sich ihr Leben. Auf dieser Quadratmeile dürfen sie hin- und herwandern, von hier aus können sie zwischen den grünen Palmenwedeln in die Wüste hineinschauen, können die ferne große Welt erahnen. Und doch scheinen sie zufrieden zu sein. Dort spielt eine Mutter mit ihren Kindern, ein paar Frauen tanzen, andere singen — sie kennen kein anderes Lebenslos. Ihr Kreis ist die Familie. 24
Gesegnete Gärten Oft genug haben wir das Gewirr der dunklen Gassen durchstreift. Nun lockt es uns, die Gärten, die die Stadt umgrenzen, zu durchwandern. Die Pfade sind von hohen gelblichen Lehmmauern eingefaßt. Die Mauern sind so hoch, daß meist die eine Hälfte des Weges von Schatten verdunkelt, die andere von der grellen Sonne bestrahlt ist. Tore führen in die Gärten hinein, in denen auf hohen Schäften fünfundzwanzigtausend Palmen ihre Kronen erheben. Die Gärten sind nicht groß. Jetzt im Frühjahr sind die Vierecke saftgrün vom dicht emporsprießenden Getreide, das nur unter den Palmen gedeiht. Die Palmen liefern die nahrhaften Datteln. Wir sehen auch Mandel-, Pfirsich-, Aprikosen-, Granatäpfel- und Feigenbäume. Mancherlei Gemüse wird gezogen, Bohnen und Spinat, Tomaten, Rüben, Zwiebeln und Knoblauch. Besonders begehrt sind wegen ihres Saftes die Melonen. Erstaunlich, was der sonst so sterile Wüstenboden
Tuare« mit enthülltem Gesicht, ernst blicken die Augen
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hier mit Hilfe des Wassers hervorbringt! Wasser und Sonne verwandeln die Gärten, in denen wir auch Orangenbäume, Bananenstauden und Tabakpftanzen erkennen, in grüne Inseln. Dauerhaft sind die Ziegel, die nicht gebrannt, sondern in der Sonnenglut gehärtet wurden. Streckenweise sind die ziegelgefügten Gartenmauern mit einem Fries geschmückt, der aus durchbrochenen Dreiecken besteht. Auf einem der Gartenwege waltet ein Straßenkehrer mit langem Besen seines Amtes. Ein paar Kinder spielen, sie tragen den roten Fes und sind mit Sackkleidern umhüllt. Drüben treibt ein kohlrabenschwarzer Neger, der barfuß daherkommt, ein wolliges Schaf der Schlachtbank entgegen. Hinter ihm erscheint eine Negerin, ihr Gesicht ist nicht verhüllt, ih" gelbliches wallendes Gewand wird durch ein rotes Brusttud; ergänzt, über die schwarzschnürigen Haare hat sie ein rosafarbenes Kopftuch gelegt. Perlenketten und Glasschnüre hängen ihr um den Hals, an beiden Handgelenken klirren Messingarmbänder. In der Linken trägt sie ein goldgelbes flockiges Bündel Wolle. Ein Araberjunge schleppt sich mit einem Strauß Palmenzweigen ab, rot und blau gestreift ist sein Gewand. Ein junges Mädchen kommt vorüber, erst gegen ein entsprechendes Bakschisch stellt sie sich der Kamera. Stolz zeigt sie den Halsschmuck aus porzellanfarbenen Tierzähnen, die Messingreifen im Ohr, die ziselierten Messingplättchcn der Stirnkette. Sie lüpft das blaue Gesichtstuch ein wenig, man sieht eine fein geschwungene Nase, ein aufheiterndes Lachen um den Mund, aus dem die Zähne blitzen. Die Bevölkerung von Gadames ist von vielerlei Herkunft. Berber und Araber, Tuareg, Neger und Mischlinge aller Art bilden eine Vielfalt, die diese kleine Oase zu einem Schmelztiegel Afrikas gemacht hat. Immer war Gadames eine Stätte der Begegnung für die Völkerschaften des dunklen Erdteils. Genug! Hastig hebt unsere Schöne das blaue Tuch wieder vor Nase und Mund. Nur ihre nachtdunklen Augen bleiben sichtbar, graziös und lautlos eilt sie davon. Sie wird Allah um Vergebung bitten müssen, daß sie ihr Antlitz unserer Neugierde enthüllt hat. Noch ein letzter Blick in die Gärten! Aus einer Zisterne schöpfen junge Burschen Wasser in dicht geflochtene Körbe und lassen ein einen ausgehöhlten Baumstamm laufen. Das Wasser rinnt auf ein Beet — eine Szene wie aus der Zeit der Pharaonen. 26
In der Karawanserei Am Rande der Gärten, da, wo die Palmen dichter nehm, greift die Mauer weiter aus und umschließt ein kahles Geviert mit festgestampftem Boden: die Karawanserei. Vor einer halben Stunde ist eine Karawane eingetroffen, die Kamele und Dromedare stehen herum und warten nach der langen Wanderung auf da« erlösende Wasser. Durstig heben sie die Köpfe in die Luft. Gleichmütig schaut ein weißes Mehari über seine braunen Gefährten hinweg, uns gönnt es keinen Blick. Ein Kameltreiber bringt Wasser und versorgt die Tiere, die gierig schlürfen. Zufrieden legen sie sich auf den kahlen Boden, rasten nach den mühseligen Wochen, in denen sie mit drückenden Lasten von einer Sanddüne zur anderen stapften. Fahl schimmern die Höcker, das Fell ist an vielen Stellen vom Riemenzeug und Tauwerk kahl gescheuert. In seiner Blütezeit ist die Oase Gadames mit unseren Hansastädten zu vergleichen gewesen. Es war die Handelsstadt der Sahara zwischen Tripolis im Norden und dem Sudan im Süden, zwischen Timbuktu im Südwesten und Ägypten im Osten. Manche Großkaulleute der Stadt unterhielten im Sudan oder in den Häfen an der Mittelmeerküste eigene Handelsfilialen. Da die alten Karawanenwege, die nach allen Seiten der Windrose durch die Sahara führten, von kriegerischen Wüstenstämmen, vor allem von den Tuareg, bedroht waren, hatten die Handelsherren mit diesen Stämmen Verträge abgeschlossen, um die Karawanen gegen Überfälle zu sichern. Mit dem erkauften Geleitbrief versehen, brachten die Karawanen auf dem Rücken von Hunderten von Kamelen die Kostbarkeiten des Sudans heran. Man legte unterwegs Depots für die Rückreise an, ohne daß die Gefahr bestand, daß sie ausgeplündert wurden. Der Handel brachte den Reichtum nach Gadames. Hier stapelten sich die Waren, hier wurden sie umgeladen und umgesetzt. Vom Taschadsee und vielen anderen Gegenden des Südens brachten die Kamele und Dromedare Elfenbein, Goldstaub und Barrengold, Raubtierfelle und Ebenholz, Straußenfedern und Perlen, Safran und Pfeffer. Das meiste Geld freilich verdiente man am „schwarzen Gold", an den Sklaven. Man sagt, daß in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts alljährlich mehr als dreißigtausend Kamele durch Gadames kamen. Und 27
jedesmal war es ein Ereignis, wenn am Horizont über dem Saum einer Düne wieder die Silhouette einer Karawane auftaueilte: Schmal hoben sieh die hochgewachsenen Beine der Tiere gegen den überhitzten Himmel ab, sehnsüchtig streckten die Kamele ihre Köpfe der Oase entgegen. F.s war, als ob ein großes Schilf unter vollen Segeln und mit reichen Frachten in einen Haien einlaufe Die Zeit der Karawanen geht zu Fnde. Noch gibt es zwar Kamel/.üge durch den unabsehbaren Sand, noch gibt es die vertrauten Bilder mit einsamen Lagerfeuern und schwermütigen Nomadenliedern. Aber ihre große Zeit ist vorüber. Und mit jeder ausbleibenden Karawane mindert sich der Wohlstand in Gadames und der Glanz, der alten Handelshäuer. Auch in dieser Hinsicht kann man Gadames mit Venedig vergleichen: Noch ist hier wie dort das unvergleichliche Stadtbild erhalten, dort die prunkende Lagunenstadt mit ihren Palästen, hier eine fast biblisch anmutende Wüstenitadt mit allem Zauber, mit aller Romantik vergangener Jahrhunderte. Patina liegt auf dem Ganzen, ein Goldschimnier ohnegleichen. Wir verdanken es dem Traditionsbewußtsein der Gadamesen wie der Venezianer, daß sie ihre großartigen Stadtschöpfungen nidit verkommen ließen, sondern sie durch die Zeiten fast unversehrt erhielten und bewahrten.
Bei den Tuareg und den Toten An einem der nächsten Tage verlassen wir den Bezirk der Stadt, den Saum der Mauern, das Grün der Gärten. Vor uns Geroll und Sand. Durch die Gluthitze wandern wir zur „Hochebene der Götzen", zu den „Idolen" Wir müssen etwa einen Kilometer weit gehen. Auf der höchsten Düne treffen wir auf zwei unförmige Säulen. Am Sockel sind sie dick und gedrungen, weiter oben abgebröckelt, verwittert. Wie steinerne Skelette stehen sie da. Man hat viel an ihnen herunigedculct, man kennt aber weder ihre Herkunft noch ihr Alter, geheimnisvoll wie Sphinxe schauen sie drein, die Araber geben ihnen viertausend Lebensjahre. Gewiß ist, daß sie jahrtausendelang die glühenden Sonnenstrahlen, die tobenden Sandstürme ertragen haben. Jede Karawane macht einen Umweg und zieht /wischen ihnen hindurch, um sich den Segen der Götter zu sichern.
A u f dem Weg zwischen der Stadt und den „ I d o l e n " liegt das Kastell von Gadames, das Port. Außerhalb der Mauern angelegt, gebietet es sowohl über die Stadt wie über die Wüste. Es stammt aus der türkischen Zeit. Die mächtige viereckige Bauanlagc ist wie eine Festung umwehrt. Der libysche Offizier, der uns am Abend unserer A n k u n f t zu einem Besuch eingeladen hat, erwartet uns am Tor. F,r führt uns in den kahlen Innenhof, zeigt uns die Stuben mit den harten Lagern der Soldaten, läßt uns die Offiziersräume sehen und geleitet uns hinauf auf den Mauerwall. Von der Höhe aus haben w i r einen ungehinderten Blick über die Wüste — nach der anderen Seite breitet sich die Stadt Gadames mit ihren dicht zusammengeschlossenen Häusern unter den Palmen aus. Nächstes Ziel sind die armseligen Behausungen der Tuareg, die auf dem Wüstengeröll errichtet sind. Die meisten Tuareg sind N o maden, nur wenige sind vor den Toren von Gadames seßhaft geworden. Ihre H ü t t e n sind aus zusammengelesenen Wüstensteinen erbaut, Decken und Palmwedel bilden die Dächer, sie bieten nur wenig Schutz gegen Sonnenglut und Sandstürme. Die Tuareg gehen noch immer verschleiert. Böse Geister sollen nicht unversehens Eingang durch die GesichtsöfTnungen linden. Das verhüllende Tuch, der L i t h a m , der nur die Augen freiläßt, schützt natürlich auch gegen den Sand. Die Tuareg, berühmte Kamelreiter, waren einst die Herren der Wüste, überfielen Karawanen, beraubten sie oder zwangen sie zu drückenden Abgaben. Aber allmählich haben auch sie der veränderten Zeit ihren T r i b u t gezollt. Einige sind Karawancnführer, andere leben vom Fremdenverkehr, manche verdingen sich in den Hotels. Die Nachfahren der ehedem freien Nomaden sind arm geworden, Kamele sind ihr einziger Reichtum. Aber von ihrem Stolz haben sie nichts verloren. Eben schreitet der H ä u p t l i n g der Tuareggruppe vorüber: Wie der Herr der Sahara erscheint er! Als Zeichen seiner Würde trägt er einen kirschroten Burnus, der mit Gold bestickt ist. Der Turban und das Gesichtstuch sind von blendendem Weiß. Wie ein Scheich mustert er uns, als wolle er sagen: Was w i ß t ihr schon von uns und unserer Vergangenheit? Was w i ß t ihr von unserem Reich, der Wüste, die ihr nur am Saum berührt habt? Meßt uns nicht nach euren Maßstäben! In
Ehrerbietung
grüßen
ihn
ein 29
paar
Tuaregfrauen,
die
im
Gegensatz zu den Männern nicht verschleiert sind. Sie hocken vor einem Zelt, eine junge Frau näht an einem Schuhzeug, eine andere flickt einen Umhang, die dritte rührt Hirsebrei an. Die freundlichen Frauen lassen uns in das Innere des Zeltes blicken. Ein paar Matten liegen auf dem harten Boden, das Hausgerät besteht aus wenigen Schüsseln und einem Teekessel, der über der Feuerstellc hängt. Im Eck knurrt ein Hund. Nichts deutet auf Wohlstand in diesem Unterschlupf, in dem man nicht einmal aufrechtstehen kann. Die Lebenden haben wir beobachtet, ein letzter Weg zu den Toten. Die Verstorbenen müssen außerhalb der Stadt zur ewigen Ruhe kommen. Seit Jahrtausenden begräbt man sie jenseits des Mauerringes und der Gärten; denn der Oasenboden ist für die Toten zu kostbar. Der Friedhof wächst in die Wüste hinaus, kahl und nackt. Keine Mauer, kein Zaun begrenzt ihn, er ist selbst ein Stück der Einöde. Fünf Kilometer weit zieht sich die Stätte der Toten hin, die Wüste bietet ihnen unermeßlichen Raum. Im Gegensatz zu unseren Friedhöfen bleibt jedes Grab an seinem Platz, man fügt immer neue Gräber an die alten. Die gläubigen Mohammedaner haben keine Angst vor dem Tod, er führt sie ja in Allahs Gefilde der Seligen. Zwei Steine gönnt man den Männern, einen zu Häupien, einen zu .Füßen. Den Frauen gewährt man ein drittes Steinmal. Wie wahllos hingeworfen erscheinen die kniehohen Grabsteine, wie ein riesiges Geröllfeld. Wind und Sand ebnen die frischen Hügel schnell wieder ein, und es ist kein Unterschied zwischen den Ruhestätten der Reichen und der Armen, vom Hochmut der Menschen bleibt keine Spur. Keine Blume, keine Pflanze — die Wüstensonne würde hier ohnedies alles rasch verdorren lassen. Dicht vor uns senkt man gerade einen Toten, den man in Leinen gewickelt hat, in die Grube. Die Klageweiber sind verstummt, nur Tränen senden sie dem Enteilenden nach. Der mohammedanische Glaube duldet nicht einmal eine Insdirift. Der Mensch soll wieder zu Staub werden.
Zur Stunde des Abschieds Wir haben Gadames, das Juwel der Sahara, im Glanz der Sonne erlebt. Noch sind unsere Augen vom Weiß wie geblendet, als wir in der Abenddämmerung, in der Stunde des Abschieds, zum letzten30
mal draußen vor dem Hotel beisammensitzen. Glühend sinkt die Sonnenscheibe schnell dem Horizont entgegen. Violett und bläulich wachsen die Schatten. Ein grelles Purpurrot flammt auf, goldene Streifen säumen den Wüvtcnhimmcl, der sich mit Gelb, einem Flor von Silbergrau und Türkis langsam eindunkelt. Vor uns steht rubinroter Wein aus Algier. Im Osten steigt der Mond über der Wüste empor. Unter seinem Schein wird auch der hohe Sternenhimmel heller, die Stadtmauer hinter den Palmen schimmert weiß wie Schnee. Auch in der Vollmondnadu bleibt Gadamcs die Weiße Oase. Selbst die Palmenblätter gewinnen einen weißen Schimmer, wie Kreidefelsen sehen die Mauerzacken aus. Wir heben die Gläser. Achmed ist der einzige, der keinen Wein trinkt. „Auf Ihren Filmen nehmen Sie viel von dieser Stadt mit", sagt er, „die Bilder der Mauern und Häuser, der Palmengärten und Quellwasser, die Bilder von Leben und Tod. Aber diese Stille, das Schweigen der Wüste, den Glanz, der Sterne — all das müssen Sie in sich tragen, als Erinnerung an eine Welt, die ein Stück meiner Heimat ist." Cornelia legt ihre Hand auf seinen Arm: „Vergessen werden wir das nicht, Achmed. Immer werden wir uns zurücksehnen! Wissen Sie, daß wir verliebt sind in diese Stadt?" Achmed lächelt beglückt. Er nestelt das Amulett von der Kette und läßt uns die arabischen Zeichen auf dem eingenähten Pergamentblättchen sehen. Leise zitiert er die aufgeschriebenen Koranverse: „Ein Zeichen der Auferstehung ist die tote Erde, die wir durch das Wasser neu beleben, um dadurch Saaten hervorzubringen, von deren Frucht ihr eßt. So legten wir Gärten auf der Erde an, mit Palmbäumen und Weinstöcken, und ließen Quellen aus ihr hervorstrudeln." Die Sterne stehen in großer Stille über uns. Die Stadt schläft, sie umhüllt sich mit sanften Schatten . . . Umsehlaggestaltung: Karlheinz Dobsky • Fotos: Heimann Gerstner L u x - L e s e bogen 383 (Erdkunde) H e f t p r e i s 30 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1,80) durch lede Buchhandlung und lede Postanstalt - Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Bnchhandlung vorrätig - Druck. Hieronymup Mühlberger Augsburg - Verlag: Sebastian Lux. Murnau vor München — Herausgeber Antonius Lux.
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