Ren Dhark Die Sternenbrücke
Die große SF-Saga von Kurt Brand Band 12 Bereits erschienen: (l) Sternendschungel Galaxis ...
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Ren Dhark Die Sternenbrücke
Die große SF-Saga von Kurt Brand Band 12 Bereits erschienen: (l) Sternendschungel Galaxis – (2) Das Rätsel des Ringraumers (3) Zielpunkt Terra – (4) Todeszone T-XXX (5) Die Hüter des Alls – (6) Botschaß aus dem Gestern (7) Im Zentrum der Galaxis – (8) Die Meister des Chaos (9) Das Nor-ex greift an! – (10) Gehetzte Cyborgs (11) Wunder des blauen Planeten sowie die Sonderbände: Die Legende der Nogk Gestrandet auf Bittan Sollte Ihre Bezugsquelle nicht alle REN-DHARK-Bände verfügbar haben, können Sie fehlende Bände direkt beim Verlag nachbestellen. 2
l. Auflage HJB Verlag & Shop e.K. Postfach 22 01 22 56.544 Neuwied Telefon: 02.631-356.100 Fax:02.631-356.102 Internet: http://www.ren-dhark.de © REN DHARK: Brand Erben Buchbearbeitung: Gerd Rottenecker Beratung: Heinz Mohlberg Cover: Ralph Voltz Illustrationen: Hubert Schweizer Druckvorlagenherstellung: TYPO-Schlick GmbH, 56.566 Neuwied Druck und Bindung: Westermann Druck Zwickau GmbH © 1998 HJB Verlag Alle Rechte vorbehalten ISBN 3-930.515-22-9
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Vorwort Eines der großen Themen der Ren-Dhark-Heftserie, das vor allem in den Heften ab ca. Nr. 67 immer mehr in den Vordergrund trat, war zweifellos die Suche nach den Mysterious, den geheimnisvollen Erbauern der POINT OF. Mit dem vorliegenden Band sind wir auch in der Ren-Dhark-Buchausgabe bei diesem Themenkomplex angekommen. Nachdem der im vorangegangenen Buch 11 geschilderte Angriff der Robot-Ringraumer auf Terra in drastischer Weise deutlich gemacht hat, daß es in der Milchstraße außer dem Industriedom von Deluge und einigen halbvergessenen Erinnerungen noch weitere Hinterlassenschaften der Mysterious geben muß, begibt sich Ren Dhark mit seinen Getreuen auf die Suche – und wird fündig! Doch >die Sternenbrücke< ist nur die erste Station auf einem Weg, der noch viele Überraschungen für Ren Dhark & Co. bereithält. Eine dieser Überraschungen ist die Begegnung mit jener absolut menschenähnlichen Rasse, die ihrerseits großes Interesse am Erbe der Mysterious hat und in den folgenden Bänden noch für eine Menge Aufregung sorgen wird. Aufregend gestaltete sich auch die >Geburt< der ersten Ausgabe unseres Ren Dhark Magazins, die zusammen mit diesem Buch an alle Abonnenten und Vorbesteller ausgeliefert wird und sich in einer Reihe von Beiträgen mit Ren Dhark, aber auch mit Perry Rhodan und SF allgemein beschäftigt. Wer regelmäßig unsere Internet-Seiten besucht (mittlerweile unter der Adresse http://www.ren-dhark.de), hat sicher bereits mitbekommen, daß es mittlerweile auch einen Kunstdruck mit dem Titelbildmotiv des zweiten Sonderbandes (die POINT OF im Anflug) gibt, sowie eine schwarze Tasse mit silbernem Aufdruck (Ren-Dhark-Schriftzug und die POINT OF). Aber natürlich haben wir auch das Büchermachen nicht vergessen, und daher wollen wir darauf hinweisen, daß im Januar 1999 der zweite Band unserer Kurt-Brand-Edition erhältlich sein wird, diesmal mit Nachdrucken der lange vergriffenen Romane Deserteure der Cosmic Police, Genies vom Fließband und Der Tod greift nach den Sternen. Nachzutragen blieben noch die Titel und der Verfasser (denn dieses Mal ist es nur ein einziger) der Originalromane, die überarbeitet und teilweise gekürzt in dieses Buch eingeflossen sind: Die Sternenbrücke, Um das Leben des Com4
manders, Das Reich der Schwarzen Weißen, Die siebte Sonne und RoboterWacht – alle von Kurt Brand. Hohberg, im Herbst 1998 Gerd Rottenecker
Prolog Auf der Erde und den Welten des terranischen Einflußbereichs schreibt man Anfang 2057. Ein an turbulenten Ereignissen reiches Jahr ist vor wenigen Tagen zu Ende gegangen. Da war zunächst das überraschende Wiederauftauchen der Robonen, die unter ihrem Anführer Allon Sawall für Unruhe sorgten, und praktisch parallel dazu die Bedrohung durch das Nor-ex, jene unbegreifliche Wesenheit aus einem anderen Universum. Doch die Geschehnisse im Rahmen der sogenannten Norex-Krise führten auch zur mehr oder weniger freiwilligen Kontaktaufnahme mit zwei außerirdischen Rassen: den zwergenwüchsigen Utaren vom Planeten Esmaldan und den riesenhaften, ungehobelten Rateken. Mit dem Goldenen Menschen von Mirac sind Ren Dhark und seine Getreuen auf ein weiteres Rätsel der Vergangenheit gestoßen, das noch nicht einmal in Ansätzen gelöst ist, und merkwürdige Vorkommnisse im Höhlensystem von Deluge haben erneut bewiesen, daß auch dort noch viele Geheimnisse ihrer Enträtselung harren. Doch das folgenschwerste Ereignis des vergangenen Jahres war zweifellos der Angriff einer gewaltigen Robot-Ringraumerflotte auf das Sol-System, über dessen Ursachen auf Terra immer noch spekuliert wird. Nur der persönliche Einsatz von Ren Dhark und Arc Doorn – und jede Menge Glück – haben damals den Untergang der Menschheit verhindert. Immerhin gelang es den Terranern, nach Abzug der Robotraumer knapp 4000 Ringraumer in ihren Besitz zu bringen – ein Zuwachs an Machtpotential, den die TF in diesen unsicheren Zeiten sehr gut gebrauchen kann. Mittlerweile verfolgt Ren Dhark mit der POINT OF schon einige Zeit die Spur der abgezogenen Ringraumer. Er hofft noch immer, faß sie ihn zur Heimatwelt der Mysterious führen wird – oder zumindest zu einer Welt, auf der die Geheimnisvollen mehr Hinweise zurückgelassen haben als im Industriedom auf Hope. Die erste Station seiner Suche – der Planet W-4 im Ika-3S-System – entpuppte sich als Enttäuschung; statt mit Lösungen wurden die Terraner nur mit einem weiteren Rätsel konfrontiert. Doch die Energiefahnen der Robot-Ringraumer weisen Ren Dhark auch wei5
terhin den Weg – bis er jene Kette aus neun leuchtenden Sonnen in der Bildkugel sieht, die ihn magisch anzuziehen scheint… Im Industriedom ist zwischenzeitlich Jos Aachten van Haag noch immer auf der Jagd nach den beiden entarteten Cyborgs Mildan und Dordig, die dort als Unsichtbare ihr Unwesen treiben…
1. Das Raum-Zeit-Gefüge bebte! Ununterbrochen maß die Strukturortung der POINT OF starke Gefügeerschütterun- gen an. Der durch eine Gravitationsbombe zerstörte Planet W-4 im Ika-3S-System bäumte sich noch einmal gegen seinen unabänderlichen Untergang auf. Immer wieder jagten gigantische Energiefontänen in den dunklen Weltraum und erschütterten seine Struktur. Ren Dhark, der Commander der Planeten, hatte das Flaggschiff an seinen Freund Dan Riker abgegeben. Er stand hinter Tino Grappa und verfolgte auf den Oszillos der großen Ortungsanlage, wie in einem letzten verzweifelten Aufbäumen ein Planet verging. In immer mehr Stücke brach W-4 auseinander! Sie rasten in alle Richtungen davon; doch die meisten würden in das weiße Muttergestirn dieses Systems stürzen. Ren Dharks Gesicht war wie versteinert. In seinem Innern loderten Enttäuschung und ohnmächtige Wut. Er verwünschte das Schicksal, das ihn daran gehindert hatte, dieser Spur der Mysterious weiter zu folgen. Roboter unbekannter Herkunft hatten W-4, der einstmals von den Geheimnisvollen beherrscht worden war, in einem selbstmörderischen Angriff zerstört. Dhark warf der Bildkugel einen Blick zu. Sie zeigte noch immer ein Inferno. Flammen, die in den Raum schlugen! Blitze, die im Schwarz des Universums vergingen! Magma, das nach allen Seiten zerfloß und schnell verblaßte… Und dann existierte W-4 nicht mehr. Ausgelöscht das Wunder einer Riesenstadt, in der einst Millionen intelligenter Wesen gewohnt hatten! Warum? Von wem? Wer hatte diese Roboter in die Tiefen der roten Wüste geschickt und ihnen 6
befohlen, sich darin zu verstecken? Und wo in der Milchstraße hauste die gnadenlose Rasse, die ihren Robotern dieses unmenschliche Zerstörungsprogramm mitgegeben hatte? Ren Dhark ertappte sich dabei, daß er seine Hände geballt hatte. Er begriff erst in diesem Moment, wie maßlos seine Wut war, und er erschrak vor seiner eigenen Reaktion. Zu groß war seine Enttäuschung. Er fühlte sich wie ein Kind, das um eine Freude betrogen worden war. Hatte er nicht von den Mysterious geträumt? In seiner Kabine, bevor ihn der Alarm in den Kommandostand gerufen hatte? Für einen Moment glaubte er wieder die flachen, kalkweißen Gesichter der fünfköpfigen Mysteriousfamilie zu sehen – die Geheimnisvollen mit dem dritten Auge auf dem Schädeldach. Plötzlich fror Ren Dhark. Sein Blick ging wieder zur Ortungsanlage zurück. Er wollte diesen häßlichen, deprimierenden Traum vergessen, so schnell er konnte. Sein Gefühl wehrte sich mit aller Macht dagegen, womöglich einen Wahrtraum erlebt zu haben. So konnten die Geheimnisvollen nicht aussehen! So durften sie nicht aussehen! Aber wie sahen sie in Wirklichkeit aus? Warum hatten er und seine Begleiter weder in der Ruinenstadt noch im Höhlensystem von Deluge auch nur einzige Abbildung von ihnen gefunden? Wie ein Blitz schoß Ren Dhark ein Begriff durch den Kopf: Die Grakos! Nein! dachte er. Die Mysterious können unmöglich mit den Grakos identisch sein! Der Bericht der Utaren muß im Laufe der Jahrhunderte verfälscht worden sein. Unwillkürlich mußte er an die Statue auf dem Planeten Mirac denken. Auch wenn ihr Kopf und Arme fehlten, so stellte sie doch unverkennbar einen Menschen dar. Einen Menschen, der im Licht von drei blauen Sonnen stand. Einen Mysterious? Aber warum war dann dieses Standbild nicht aus Unitall gewesen? Blauschimmernd – und unangreifbar? Unangreifbar? Das stimmte doch nicht! Unitall war zu beschädigen! Der zerstörte Ringraumer auf Mirac war der Beweis. Ein aufgerissenes, ausgeplündertes Schiff, von dem nur ein Flash übriggeblieben war… Tino Grappas Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. »Vorbei! Diese Planetenbombe hat W-4 buchstäblich zerkrümelt!« Endlich ließ das grauenhafte Feuerwerk in der Tiefe des Raumes, wo vor einer 7
Stunde noch W-4 seine Bahn gezogen war, an Intensität nach. Die Gefügeerschütterungen ebbten ab. Ren Dhark nickte; sein Blick saugte sich an den Instrumenten fest. Sie bestätigten, was Grappa gerade gesagt hatte. Langsam wandte er sich ab. Wortlos ließ er sich in den Pilotensessel sinken. Aber er übernahm das Schiff nicht. Dan Riker warf ihm einen fragenden Blick zu. Er bemerkte ihn nicht. Seine Gedanken kreisten noch immer um die Mysterious. Das Jagdfieber hatte ihn gepackt. Wenn ihn niemand verstehen wollte, auch sein Freund Dan nicht, dann mußte er eben ohne ihr Verständnis jagen. Irgendwo in diesem Sternenmeer aus Millionen Sonnen mußte die Heimatwelt der Geheimnisvollen zu finden sein. Eine Rasse, die Akzente von dieser Größe gesetzt hatte, konnte doch nicht einfach spurlos verschwinden. »Ja?« schreckte er auf, als er endlich die zum drittenmal gestellte Frage seines Freundes vernahm. »Springen wir jetzt zur Erde zurück, Ren – oder was hast du vor?« Ruhig erwiderte Dhark, und ein seltsames Funkeln glomm in den Tiefen seiner braunen Augen: »Die Aufgabe zu Ende führen, die wir uns gestellt haben…« Dan Riker seufzte ergeben. Ren ist wieder süchtig geworden -süchtig nach den Mysterious!
Die BERNHARDTS STAR wurde vermißt. Von Esmaladan, der Welt der Utaren, war trotz der Störungen des galaktischen Magnetfelds ein verstümmelter To-Funkspruch durchgekommen. Der größte Teil war unverständlich, aber dennoch war eindeutig daraus hervorgegangen, daß die BERNHARDTS STAR Esmaladan bereits vor drei Terra-Tagen mit Kurs auf das Sol-System verlassen hatte – und niemals angekommen war. Esmaladan war nur 3724 Lichtjahre von Sol entfernt, lag sozusagen >vor der Haustür<. Für den Kreuzer eine Distanz, die leicht in einem Sprung zu bewältigen gewesen wäre. Eine erste Suchaktion war ausgelöst worden. Marschall Bulton beriet sich einmal mehr mit seinem Stab. »Na«, sagte er unzufrieden, »wir müssen zwar damit rechnen, daß wir von den Suchschiffen keine Funksprüche empfangen können, aber im stillen hatte ich doch gehofft, die eine oder andere Nachricht…« Sein Stand-Vipho meldete sich energisch. Captain Patters, sein Adjutant, war schneller als der Marschall und nahm die Nachricht entgegen. Im gleichen Moment wurde es im Besprechungsraum des 8
Stabes still.
Tage vorher… In der BERNHARDTS STAR breitete sich langsam aber sicher eine immer stärker werdende, dumpfe Lethargie aus. Das lange Warten, auf das sich die Besatzung unter Colonel Neep vorbereitet hatte, drohte sich bis zum Jüngsten Tag auszudehnen, sollten die Störungen des galaktischen Magnetfelds nicht nachlassen. Auch der To-Funk versagte. Die nächste Relaisstation – 1046 Lichtjahre entfernt – war entweder defekt, oder sie empfing die Notrufe des Kreuzers nicht. Leutnant Arsan hatte Sitzwache in der Kommandozentrale und langweilte sich unbeschreiblich. Noch drei Stunden und achtundvierzig Minuten, dachte er, als er dem Chrono einen kurzen Blick zuwarf. Dann würde Kerr ihn ablösen. Und nach Kerr wäre Wrigley an der Reihe. Ab und zu schaute Colonel Neep herein. In den letzten beiden Tagen hatte er es sich abgewöhnt, Fragen zu stellen. Was gab es in einem Schiff schon Neues, das im freien Fall durch den Raum trieb und kein einziges As-Onen-Triebwerk mehr in Gang bringen konnte? Ausfall der Trajektoren! hatte der Leitende Ingenieur zu melden gewußt. Das wäre noch nicht einmal so schlimm gewesen, nur fand sich im Ersatzteildepot kein einziges Reserveaggregat. Im Moment der Transition mußten die Trajektoren ausgesetzt haben. Anders war dieser Fehlsprung nicht zu erklären. Denn statt in Richtung auf das SolSystem wieder das Normalkontinuum zu erreichen, war die BERNHARDTS STAR auf der Koordinate Grün um 1847 Lichtjahre versetzt worden und damit Terra nur um rund 600 Lichtjahre nähergekommen. Colonel Neep hatte Sergeant Beaujean, den Leiter des Ersatzteildepots, kurzerhand einsperren lassen. Aber damit gab es an Bord der BERNHARDTS STAR immer noch keinen zweiten Satz Trajektoren. Man hatte dann alle Hoffnung darauf gesetzt, daß Esmaladan oder Terra die Notrufe hören würde. Doch Esmaladan und Terra schwiegen. Auf allen Frequenzen war es still, wenn man von den Störgeräuschen des galaktischen Magnetfeldes absah, die selbst den Hyperspace nicht verschonten. Das Schiff auf Vordermann zu bringen dauerte auch nicht ewig. Der Kreuzer blitzte bis in die letzte Ecke, als sei jedes einzelne Teil in ein Tulchrom-Bad getaucht worden. Diese Arbeitstherapie hatte die Stimmung der Besatzung wenigstens nicht auf den Nullpunkt sinken lassen. Schlimmer war ihr das Nichtstun bekommen. 9
Der Kommandant wußte von den bösen Gerüchten, die unter seinen Männern die Runde machten. Nur sah er keinen Weg, sie ein für alle Mal zu unterbinden. Dreimal in vierundzwanzig Stunden Normzeit heulte der Alarm durchs Schiff. Einsatzübungen! »Damit den Kerlen nicht die Knochen einrosten!« hatte Colonel Neep einmal gesagt. Leider war sein Ausspruch gehört worden. Wie ein Blitz hatte er sich im Schiff verbreitet und der allgemeinen Unlust neue Nahrung gegeben. Als Neep wieder einmal einen Kontrollgang durch seinen Kreuzer machte, stellte er fest, daß das Stimmungsbarometer auf den Nullpunkt gesunken war. Er konnte es seinen Männern nicht verdenken. Sie hatten alles an Bord, um die Menschen auf Terra vor den größten Gefahren des galaktischen Magnetfelds zu schützen. Erstaunlich bereitwillig hatte die Weisheit der Utaren beschlossen, den Terranern jede Hilfe zu gewähren, um ein energetisches Schutzfeld um die Erde errichten zu können. Die Lagerräume des Kreuzers barsten fast vor manschen Aggregaten, die zum Aufbau eines solchen Schirmes erforderlich waren. Mit allen Wünschen für ein gutes Gelingen hatten die kleinwüchsigen Humanoiden das terranische Schiff verabschiedet. Voller Stolz war die Besatzung abgeflogen. Wenn dieser Schutzschirm auch keinen hundertprozentigen Schutz gewährte, so reduzierte er die einfallenden Strahlenwerte zumindest auf ein Maß, das der Menschheit das Überleben gewährleistete. Und dann waren die Trajektoren ausgefallen. Kein einziges As-Onen-Triebwerk konnte mehr angefahren werden. Die BERNHARDTS STAR war nur noch eine gewaltige Metallkugel, die hilflos durchs All trieb. Leutnant Arsan streckte sich und gähnte dabei, bis ihm die Kinnlade in den Gelenken krachte. Er schloß die Augen – und als er sie wieder öffnete, schrie er auf! Ein paar Kilometer vor der BERNHARDTS STAR war ein Raumschiff rematerialisiert! Ein Raumer mit zwei Wülsten! Ein Schiff der Rateken! Im gleichen Augenblick heulte der Alarm durch den Kreuzer. Doch außer den Männern hinter den Ortungen wußte niemand, daß es sich diesmal nicht um eine Übung handelte. Die meisten beeilten sich nicht sonderlich. Bis sie das Aufbrüllen der auf Volllast gefahrenen Konverter hörten.
Auch Leutnant Herklitt hatte sich gelangweilt. Lustlos hatte er neben der Zielerfassung der Raptorstrahlantennen gehockt. 10
Und dann sah er plötzlich ein unbekanntes Raumschiff ins Normalkontinuum einbrechen! Und er sah den grellgelben Kampf strahl, der die obere Polkuppel seines Kreuzers zum Ziel hatte. »Feuer!« brüllte er über die Verständigung. »Feuer aus allen Antennen!« Das Haupttastergerät analysierte die energetische Zusammensetzung des ratekischen Schutzschirms. In Sekundenbruchteilen hatte sich der Raptorstrahl darauf eingestellt und begann wie ein Vampir die Energie des Prallfelds der Rateken abzusaugen, um sie den eigenen Speicherbänken zuzuführen. Die Raptorstrahlantennen waren siebzehn Meter lange Gitterkonstruktionen, die als Abschluß eine sechzehn Quadratmeter große Metallplatte trugen, auf der sich in genau gleichbleibendem Abstand einige hundert Millionen mikroskopisch feiner Linien kreuzten. Der Energiestrahl des ratekischen Schiffs zerplatzte am Schutzschirm der BERNHARDTS STAR. Der Kreuzer schlug mit allen Waffenarten zurück. Die Raptorstrahlen machten ihrem Namen alle Ehre, aber es reichte nicht. Der Schutzschirm der Rateken wurde nicht schwächer. Statt dessen feuerten die Angreifer mit immer mehr Strahlbatterien auf den Kreuzer der TF. Colonel Neep, der inzwischen den Leitstand erreicht hatte, mußte tatenlos mit ansehen, wie diese fremdartige Rasse sein Schiff zu einer Zielscheibe machte. Rotkontrollen flammten vor ihm auf. Belastung des Schutzschirms fast 99 Prozent! »In die Anzüge! In die Anzüge!« gellte Neeps Befehl über die Bordverständigung. Mehr konnte er nicht tun. Alles andere erledigten seine Waffenoffiziere. Der Pressorstrahl kam nicht zum Tragen. Drehstrahl und Tremble-Schock zeigten kaum Wirkung. Das gegnerische Schiff setzte immer mehr Geschütze ein. Nach wie vor konzentrierte sich das Feuer auf die obere Polkuppel. »SOS absetzen! Dauerruf!« bellte Neep zur Funk-Z. Über Helmfunk wurde seine Order bestätigt. Da schlug der erste Treffer in der BERNHARDTS STAR ein! Das Schiff dröhnte wie eine Glocke. Man konnte sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. r-Alarm! Der 400-Meter-Kreuzer besaß keine obere Polkuppel mehr. Sie war in Energie umgewandelt worden, und härteste Strahlung breitete sich mit rasender Geschwindigkeit im Schiff aus. Die letzten Schotts schlössen sich. Jedes Deck war jetzt abgeschottet. Nur über Helmfunk war noch eine Verständigung möglich. Noch arbeiteten die Instrumente vor dem Colonel einwandfrei. Drei Tremble-Schock-Antennen wurden zerfetzt – fünfundvierzig Meter lange, 11
spiralförmige Hohlrohre, die beim Feuern konstant auf minus 200 Grad Celsius gehalten werden mußten. Volltreffer in Deck 2, dicht unter der großen Schleuse! Keine Verständigung mehr mit Deck 3. Da traf Colonel Neep die schwerste Entscheidung seines Lebens. Es war sinnlos, den Kampf noch länger fortzusetzen. Die BERNHARDTS STAR, so groß wie das Schiff der Rateken, kam gegen dessen Feuerkraft nicht an! »An alle! Aussteigen! Schiff sofort über die vom Feind abgewandten Schleusen verlassen! Feuer einstellen! Schiff verlassen!« Die Soll-Stärke der TF-Kreuzer betrug zweihundertzehn Mann. Die BERNHARDTS STAR flog mit einer 217-köpfigen Besatzung. Aber wie viele davon lebten noch? »Diese Rateken!« tobte Neep in ohnmächtigem Zorn, als er an seine Ladung dachte – die Aggregate, die ihnen von den Utaren überlassen worden waren, um schnellstens über Terra einen energetischen Prallschirm aufbauen zu können. Wieder wurde sein Kreuzer von einem Volltreffer erschüttert. Verstrebungen knirschten unter den hohen Belastungswerten. Die BERNHARDTS STAR begann zu rotieren. Neep sah es an den Bildschirmen. Der Weltraum mit seinem Sternenmeer schien sich ganz langsam zu drehen. Er sah sich um. Hinter ihm standen seine Offiziere und rührten sich nicht. Wollten sie den Heldentod sterben? »Raus, Männer! Verdammt noch mal, raus aus dem Sarg!« Alle hörten es über Helmfunk. Sarg hatte Colonel Neep sein Schiff genannt. In einem Sarg liegen nur Tote, sie aber – sie wollten leben! Das Schott sprang auf. In diesem Moment schlugen drei Kampfstrahlen auf der BERNHARDTS STAR ein. Schlagartig erloschen eine Reihe Kontrollen am Steuerpult; die Anzeigen der meisten Instrumente fielen auf null. Die Männer rannten um ihr Leben! Und die BERNHARDTS STAR rotierte! »Männer«, brüllte Neep über Helmfunk, während er mit seinem letzten Offizier über das Hauptdeck der nächstgelegenen Schleuse zujagte. »Das Schiff dreht sich. In drei Minuten muß der letzte draußen sein!« Sie alle würden dann draußen im Raum schweben. Kein einziger würde in einem Beiboot sitzen, das wenigstens das Gefühl gab, etwas geschützt zu sein. Ein weiterer Volltreffer schlug bei Hangar V ein. Es grenzte an ein Wunder, daß die BERNHARDTS STAR nicht auseinanderbrach. Vor dem Haupt-A-Grav stand ein baumlanger Mann, die Arme weit ausgebreitet. Er federte in den Beinen, um das stärker werdende Schwanken des Schiffs abzufangen. 12
»Weiter!« war seine Stimme über Funk zu hören. »Der Liftschacht liegt still.« Neep sah das Erschrecken auf den Gesichtern seiner Männer. Der Weg zur nächsten Schleuse war plötzlich doppelt so weit geworden. Weiter! Wieder schrie der Kreuzer unter einem Volltreffer auf. Das Knirschen, Knacken und Krachen nahm jetzt kein Ende mehr. Vor ihnen riß der Boden auf. In einem weiten Satz übersprangen sie die Kluft. In diesem Augenblick fielen die Schwerkraftregler aus! Null Gravos im Schiff! Es gab kein Oben und Unten mehr. Die Männer schwebten teils sich überschlagend durch die Decks, prallten gegen Wände und Decken, wurden abgestoßen und in alle Richtungen getrieben. Ein Blitz fuhr durch den Kreuzer! Ein neuer Volltreffer! Ein Wunder, daß das Schiff überhaupt noch existierte! Der gelbe Blitz riß drei Decks auf. Metall vergaste, Konverter gingen hoch. Das Schiff entwickelte sich zu einer atomaren Hölle. Neep hielt sich mit einer Hand irgendwo fest; mit der anderen Hand hatte er den Arm eines Mannes gepackt, der an ihm vorbei auf diese Hölle zuschweben wollte. Im Helmfunk ein einziges Schreien, Brüllen, Rufen und Stöhnen. Neep gab den Versuch auf, sich verständlich zu machen. Niemand konnte ihn in diesem Tohuwabohu hören. Seine Stimme ging in der Lärmkulisse unter. Dann wurde es ruhiger. Weitere Treffer blieben aus. Eine Minute verging, eine zweite… Die Männer faßten sich wieder. Sie wandten das an, was sie in ihrer Ausbildung gelernt hatten, benutzten jeden Vorsprung, um daran Halt zu finden und sich vorwärts zu bewegen. Raus! Nur ‘raus! hämmerten ihre Gedanken. Neep stieß auf Leutnant Kerr, der bewußtlos durch einen Korridor trieb. Er schleppte ihn mit, wenngleich er dadurch noch langsamer vorwärtskam. Andere handelten ebenso. Nur die Toten ließen sie zurück: Männer in zerfetzen Raumanzügen. Männer, die in die Vernichtungsbahn der ratekischen Kampfstrahlen gekommen waren. Sie brauchten keinen A-Grav-Schacht zu benutzen. Im Bereich des Hauptdecks war die Zelle des Kreuzers an einer Stelle auf einer Länge von mehr als fünfzig Meter aufgerissen. Vor sich sah Neep den unendlichen Raum, diesen Abgrund, der kein Ende hatte. »Scheinwerfer an! Wir müssen zusammenbleiben!« Zwischen halb zerschmolzenen und zerfetzten Trägern hindurch arbeitete er sich, Leutnant Kerr auf der Schulter, zum Riß vor. Andere standen schon an 13
der Kante, zögerten einen Moment und stießen sich dann ab, schwebten hinaus in den freien Raum. Ein Zittern lief durch den Torso des Kreuzers. Ein lautloses Zittern, das um so unheimlicher war. Geräusche gab es in der luftleeren BERNHARDTS STAR nicht mehr. Dann kam die Meldung, daß der letzte Mann das Schiff verlassen hatte. Das trieb auch den Kommandanten nach draußen. Abstoßen! Kräftig abstoßen! Scheinwerfer an! Kerr festhalten! Und dann befand er sich schon im Weltraum und trieb langsam von der BERNHARDTS STAR weg. Der Kreuzer brannte! Er zerschmolz unter den atomaren Gluten, die in seinem Innern tobten. Neep rotierte langsam. Sein Blick suchte das Schiff der Rateken. Er konnte es nirgendwo entdecken. Wahrscheinlich befand es sich >hinter< dem seiner endgültigen Zerstörung entgegentorkelnden Kreuzer. Aber er sah Scheinwerferstrahlen in der Schwärze des Alls. Doch diese relativ wenigen Lichtpunkte konnten niemals 217 Besatzungsangehörige sein. Neep versuchte über Helmfunk seine Männer zu erreichen. Sein Ruf kam nicht durch. In diesem Moment brach die BERNHARDTS STAR in einem Glutorkan auseinander. Alles spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab. Eine Serie starker Explosionen beschleunigte das Auseinanderbrechen, und dann gab es auch die atomaren Gluten nicht mehr. Der Weltraum war wieder schwarz; nur in der Ferne standen die kalten Lichtpunkte unzähliger Sonnen, und die Scheinwerferstrahlen der hilflosen Männer glichen Geisterfingern. Plötzlich ein Aufschrei, schrecklich laut unter dem Klarsichthelm. Und dann waren von allen Seiten Schreie zu hören. Neep fühlte sich von einer unsichtbaren Kraft gepackt und mitgerissen. Traktorstrahlen! schoß es ihm durch den Kopf. Die Rateken holen uns in ihr Schiff! Sekunden später war die vierhundert Meter durchmessende Kugel mit den zwei Ringwulsten auch zu sehen. Sie schien antriebslos im Raum zu stehen. Drei starke Scheinwerfer leuchteten aus einer weit geöffneten Schleuse. In diese Schleuse wurden die Terraner von den Traktorstrahlen gezogen. Rateken nahmen sie in Empfang, die alles andere als zart mit den terranischen Raumfahrern umgingen. Colonel Neep gehörte zum dritten Schub, der in die Schleuse gezerrt wurde. Hinter ihm schloß sich das Außentor. Er selbst war von einem kräftigen Arm gepackt und konnte kaum noch atmen. Was aus Leutnant Kerr geworden war, 14
den man ihm von der Schulter gerissen hatte, wußte er nicht. Die Schleuse wurde voll Luft gepumpt. Zwei Kontrollen leuchteten an der Wand auf, dann öffnete sich das Innentor, und die Rateken zogen und schoben ihre Beute ins Schiff. Ein paar Minuten später stand Colonel Neep vor einem Rateken, der der Kommandant dieses Raumers zu sein schien! Um seinen Hals hing eine Kette mit einem Translator. Im Hintergrund der Steuerzentrale hielten sich noch acht andere Humanoide auf, die von ihm aber keine Notiz nahmen. Neeps Blick tastete den Riesen ab. Zwar hatte auch der Colonel das Holovid vom >Besuch< des Singu auf Terra gesehen, aber einem Rateken leibhaftig gegenüberzustehen war doch etwas ganz anderes. Gut drei Meter groß, überragte er den Terraner bei weitem, und in diesem unbeweglichen Stehen lag eine Demonstration der Überlegenheit, die Neep überhaupt nicht gefallen wollte. Furchtlos, die Hände vor der Brust gekreuzt, den Klarsichthelm des Raumanzugs zurückgeklappt, erwiderte Neep dieses Verhalten, indem er sich ebenfalls nicht bewegte, den Riesen nur sorgfältig musterte: die graue, lederartige Haut, den an eine überdimensionale Birne erinnernden Kopf, den Facettenkranz, die schmallippigen Münder, von denen er drei sehen konnte. Der Rateke trug einen hellgrauen, viel zu weiten Overall, der in hundert Falten um seinen Körper hing. Plötzlich glühten im Facettenkranz des Riesen vielfarbige Lichter auf. Das obere Drittel des birnenförmigen Kopfes schob sich für einen kurzen Augenblick über das Sehorgan, glitt dann wieder nach oben. »Soll dagkar red sbras!« Rauh, laut, tief und befehlend klang die Stimme des Rateken durch die Kommandozentrale. Der Translator übersetzte praktisch gleichzeitig. Warum habt ihr ratekisches Hoheitsgebiet verletzt? Neep glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Sie sollten ratekisches Hoheitsgebiet verletzt haben? Oorch, die Heimatwelt der Rateken, lag doch über zweihundert Lichtjahre entfernt! »Wir haben kein Hoheitsgebiet verletzt!« sagte er mit aller Entschiedenheit. »Und außerdem befanden wir uns in Raumnot. Es wäre die Pflicht der Rateken gewesen…« Wieder übersetzte der Translator sofort. Das Gebrüll des Rateken unterbrach den Colonel. »Was maßt du dir an, Terraner, die Grenzen unseres Hoheitsgebiets zu definieren?« Neep zuckte unmerklich zusammen. Doch gleichzeitig brodelte es in seinem 15
Innern. Hatte der Riese gerade wirklich von Anmaßung gesprochen? Doch während er noch nach einer angemessenen Entgegnung suchte, rief einer der Rateken vor den Kontrollinstrumenten dem vor ihm stehenden Riesen etwas zu. Ein Anruf vom Heimatplaneten, Ragka – der Dam! erklang die blecherne Stimme des Translators. »Frugitt get tu sabbet!« brüllte der Kommandant, drehte sich für seine Körpergröße erstaunlich schnell um und stampfte auf den großen Sessel zu, der vor einer breiten Instrumentenwand stand. Abführen und schocken! übersetzte der seelenlose Translator. Augenblicklich standen zwei andere Rateken neben dem Colonel, packten ihn an den Armen und schleppten ihn aus der Zentrale. Neep war bereits bewußtlos, als man ihn in einen großen Raum stieß, wo er zwischen seine ebenfalls paralysierten Männer fiel.
Der Jäger BOA gehörte zu den siebzehn Raumern, die auf der Route TerraEsmaladan nach der vermißten BERNHARDTS STAR suchten. Das 200-Meter-Schiff hatte vor wenigen Minuten wieder einmal eine Kurztransition durchgeführt und tastete nun mit seinen Ortungsanlagen erneut den Raum nach dem verschollenen Kreuzer ab. Captain Rewal, ein drahtiger Mittdreißiger mit grauen Schläfen, hielt sich zufällig in der Funk-Z auf, als vom Kommandoschiff ein To-Funkbefehl einlief, der mit Mühe und Not entziffert werden konnte. Zur Vorsicht fragte Rewal bei der HELIS nach, ob die Order auch richtig verstanden worden sei. Der Kreuzer HELIS, das Kommandoschiff dieses Suchgeschwaders, antwortete nicht. Wieder einmal hatten die Störungen, die wahrscheinlich die gesamte Galaxis durchzogen, den Funkverkehr zusammenbrechen lassen. »Hm…« brummte der Captain. Er strich über sein Kinn, nickte den Männern in der Funk-Z keineswegs vergnügt zu und meinte: »Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als das Risiko auf mich zu nehmen. Hoffentlich macht uns hinterher der Stab keine Vorwürfe.« Seine Bedenken waren berechtigt. Laut Suchplan sollten alle siebzehn Schiffe systematisch die 3724 Lichtjahre zwischen dem Sol-System und Esmaladan nach der BERNHARDTS STAR absuchen, und nun war ein kaum zu entziffernder Befehl eingegangen, die Nachforschungen in Richtung der Koordinate Rot auszudehnen. Die BOA transitierte, nachdem sich herausgestellt hatte, daß in diesem Sektor nicht einmal ein Gesteinsbrocken als Irrläufer durch den Raum trieb. Der Jäger blieb auf Rot. Ein Sprung folgte dem anderen. Die dritte Schicht unter Rewal hatte gerade 16
wieder ihren Dienst angetreten, als die Energieortung anschlug. Die Werte waren verschwommen. Captain Rewal wurde ungeduldig. »Zum Teufel, sagen Sie mir doch wenigstens, in welcher Richtung die Energiefahnen treiben?« Erst nach drei weiteren Kurztransitionen erhielt er klare Angaben. »Höchste Feuerbereitschaft!« befahl er der Waffensteuerung. Er flog sein Schiff selbst. Die X-Zeit lief. Mehr als 2,5 Lichtjahre von der nächsten Sonne entfernt rematerialisierte die BOA. »Na?« fragte Rewal, nachdem er sich vom Transitionsschock erholt hatte, und drehte sich zur Ortung um. Der junge Leutnant dahinter winkte ab. Der Kommandant sollte sich noch etwas gedulden. Tasterstrahlen griffen in den freien Raum. LED-Diagramme erschienen und verschwanden wieder. Amplituden huschten über Oszillos. Sensortasten wurden angetippt. Die Feinortung lief. Die Augen des Leutnants wurden unnatürlich groß. »Captain!« seine Stimme zitterte. »Captain, 2 Millionen Kilometer vor uns hat vor einigen Tagen ein starker energetischer Ausbruch stattgefunden. Koordinaten: Grün 56:32,06, Rot 03:74,33 und Gelb 18:36,10.« Die As-Onen-Triebwerke wurden auf höchste Leistung geschaltet. Der Jäger beschleunigte und raste durch den dunklen Raum der angegebenen Position entgegen. Noch einmal fragte Rewal den Mann am Ortungspult: »Kein Schiff in der Nähe festzustellen?« »Nein, nur eine unbestimmte Anzahl Trümmerstücke, die noch identifiziert werden müssen.« »Kann diese Identifizierung auch mal ein bißchen schneller durchgeführt werden?« fragte Rewal, den das Jagdfieber erfaßt hatte. Vergeblich wartete er auf nähere Angaben. »Soll ich vielleicht im Raumanzug nach draußen gehen und die Brocken selbst untersuchen?« polterte er plötzlich los. Der Offizier hinter der Ortungsanlage schnappte nach Luft. Sein Gesicht war rot. Viele kleine Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Und in seinem Blick lag Hilflosigkeit. »Captain… Captain, vor… vor uns… wir haben… wir müssen vor uns…« »Versuchen Sie’s mal schriftlich! Vielleicht bekommen Sie dann den Satz zusammen«, sagte Rewal mit beißendem Spott und wollte seine BOA an den Ersten abgeben, als der Ortungsspezialist ausstieß: »Vor uns treiben die Bruchstücke eines Schiffs durch den Raum, das um die 400 Meter Durchmesser gehabt haben muß!« 17
Die BERNHARDTS STAR! schoß es Rewal durch den Kopf. Die Scheinwerfer der BOA flammten auf. Das Schiff ging in eine Kreisbahn, umflog das Gebiet, in dem überall größere und kleinere Trümmerstücke herumtrieben, und dann wurde aus der Kreisbahn eine sich nach innen verengende Spirale. Die grellen Lichtfinger erfaßten ein besonders großes Bruchstück, mehr als hundert Meter lang, stark gewölbt, und über achtzig Meter breit. Jetzt sagte Rewal zu seinem Ersten Offizier: »Übernehmen Sie die BOA!« Hastig erhob er sich, verließ noch hastiger die Zentrale und eilte zum Hangar III. Neben dem Beiboot erwarteten ihn schon die fünf Männer, die ihn begleiten würden. Kurz darauf schwebte das Beiboot aus der BOA. Für einen Augenblick wurde im Prallschirm des Jägers eine Feldlücke geschaltet, und mit weit aufgeblendeten Scheinwerfern tastete sich das kleine Boot an das Trümmerstück heran. Auf die kurze Distanz war die Funkverbindung zum Schiff auf allen Frequenzen klar. Rewal, der neben dem Piloten des Beiboots saß, hörte gerade den letzten Bericht aus seiner Zentrale. »Mit größter Wahrscheinlichkeit haben wir es mit der vermißten BERNHARDTS STAR zu tun, Captain!« Das Beiboot legte an. Ein schwacher Traktorstrahl sorgte dafür, daß es nicht abtreiben konnte. Die Männer machten sich fertig zum Aussteigen. Die kleinen Scheinwerfer an den Raumanzügen leuchteten auf. Der Befehl lautete, das Trümmerstück zu identifizieren. Korporal Entwich schwebte an der rechten, zerfetzten Außenkante entlang. Sie wies keinerlei scharfe Spitzen, Vorsprünge oder tückische Metallsplitter auf – ganz im Gegenteil war die Bruchstelle in diesem Bereich auffallend glatt. Zu glatt. Konnte dieser saubere Schnitt durch einen Kampfstrahl ausgeführt worden sein? Über Helmfunk rief er den Captain. Der schwebte heran, hielt sich neben dem Korporal fest, ließ den Lichtkegel seines Scheinwerfers wandern, schwebte um die Kante herum und stutzte. III pi-omega 665a, las er! Das filmdünne Material seines Raumanzugs störte nicht, als er einen Plastikbehälter öffnete, die Sensorkamera herausnahm und die Stelle filmte. Dabei verwünschte er die Störungen des galaktischen Magnetfelds, die jeden Funkverkehr mit Terra unmöglich machten. Durch eine unwillkürliche Bewegung war der Lichtkegel seines Scheinwerfers nach links gewandert. Rewal blickte dem bleichen Strahl nach. »Nein!« stieß er aus, aber das änderte nichts an der Tatsache, daß dort ein Teil 18
eines As-Onen-Triebwerks im Lichtkegel dahintrieb. Schnell schwebte er hinüber. Ein Blick sagte ihm alles. Diese Trümmer waren noch vor ein paar Tagen die stolze, 400 Meter durchmessende BERNHARDTS STAR gewesen! Aber welche Katastrophe war über das Schiff hereingebrochen? Er untersuchte noch einmal die Bruchstelle. »Entwich, sehen Sie diese schwache Schmelzbahn, ja? Und was fällt Ihnen daran auf?« Die Sensorkamera lief schon wieder. Sie sollte dem Stab der TF den Beweis bringen, daß diese Trümmer einst zu dem vermißten Kreuzer gehört hatten. »Kommandant«, stieß Entwich überrascht aus, »die Schmelzspur… sie verläuft ja von außen nach innen!« »Ja, nach innen!« wiederholte Rewal schwer. »Nach innen. Man hat die BERNHARDTS STAR zusammengeschossen. Aber wer…?« Über Helmfunk setzte er drei weitere Beiboote in Marsch. Ihr Auftrag lautete, das Trümmerfeld nach Toten abzusuchen, obwohl sich der Captain wenig Hoffnungen machte, Spuren der Besatzung zu finden. Denn ein Schiff, das in so viele Stücke geborsten war, mußte bei der Explosion die Männer bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt haben. Er befand sich mit seinen Leuten schon wieder auf dem Weg zur BOA, als die alarmierende Nachricht durchkam: »Wir haben einen Mann gefunden, Captain. Er lebt, ist aber bewußtlos!« In der Medo-Station der BOA schrillte der Alarm. Alle Ärzte des Schiffes wurden dorthin beordert. Als das Beiboot mit dem Bewußtlosen in den Hangar einflog, stand schon eine Schwebeplatte bereit, die den Mann in die MedoStation schaffen sollte. Die Ärzte sahen es nicht gern, daß Captain Rewal ihre Arbeit beobachtete, aber sie verstanden, warum er unbedingt im OP bleiben wollte. Vorsichtig wurde dem Bewußtlosen der Raumanzug abgestreift. »Geben Sie her!« rief Rewal leise dem Arzt zu, der den Anzug in die Ecke werfen wollte. Ein Punkt war dem Major schleierhaft: Wie konnte ein Mensch im Raumanzug viele Tage mit dem beschränkten Sauerstoffvorrat überleben? Er überprüfte die Kontrollanzeige, schüttelte ungläubig den Kopf, öffnete das Ventil und hörte ein deutliches Zischen. Der Luftvorrat dieses Anzugs reichte noch für fünf Stunden! Das begriff Rewal noch weniger. Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Neben ihm stand Dr. Suahel. »Sie brauchen nicht länger zu warten, Captain. Der Mann hat eine Fraktur der Schädelbasis, eine schwere Gehirnerschütterung und vier gebrochene Rippen. Wir verstehen selbst nicht, warum er noch lebt.« 19
»Wird er durchkommen?« Fragend blickte Rewal den Arzt an. »Vielleicht. Genaueres kann ich Ihnen erst sagen, wenn wir unsere Untersuchungen abgeschlossen haben. In… ungefähr einer halben Stunde, ja?« Das war eine dezente Aufforderung an den Kommandanten, den OP zu verlassen. Er wartete in der Zentrale. Inzwischen hatten alle Beiboote der BOA die Suche nach weiteren Überlebenden aufgenommen, aber der Weltraum gab keine weiteren Raumfahrer der BERNHARDTS STAR preis – weder lebende noch tote. Ohne Resultat flogen die Beiboote wieder ein. Dann meldete sich die Medo-Station, Dr. Suahel. »Der Bewußtlose – Sergeant Ivan Torgew – müßte so schnell wie möglich zur Behandlung ins Brana-Tal. Schon mal davon gehört, Major?« Der nannte nur einen Namen! Echri Ezbal. »Captain, können Sie eine Transition nach Terra verantworten?« Fassungslos blickte Rewal den Mediziner an. »Können Sie es denn dem Kranken gegenüber verantworten, Doktor?« Ein feines Lächeln umspielte den Mund des Arztes, in dessen Adern das Blut feuerländischer Indianer floß. »Wir können, Captain. Wir haben Torgews Gehirn in Giloan gebettet. Trotz Schädelbasisbruch wird er eine Transition ohne Folgeschäden überstehen.« »In Ordnung. Ich lasse die Sprungkoordinaten erstellen. Transition erfolgt wie gewohnt!« Die BOA kam mitten im Sol-System aus dem Hyperraum. Über To-Funk verlangte Captain Rewal sofortige Landeerlaubnis auf Cent Field. Ein einziger Satz in seinem kurzen Bericht fegte alle Schwierigkeiten beiseite: BERNHARDTS STAR zerstört gefunden! Eine halbe Stunde nach der Landung der BOA befand sich Sergeant Ivan Torgew schon in der Cyborg-Station und lag in Raum 45 auf dem OP-Tisch. Captain Rewal erstattete Marschall Bulton Bericht und wollte gerade seine Videoaufnahmen vorführen, als das Vipho sich meldete. Ein unbekanntes Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Der Mann, dessen Kleidung den Arzt verriet, nahm sich nicht einmal die Zeit, seinen Namen zu nennen. »Hier Cyborg-Station, Brana-Tal. Ivan Torgew, Besatzungsangehöriger der BERNHARDTS STAR, hat für ein paar Minuten das Bewußtsein wiedererlangt. Nach seinen Angaben ist der Kreuzer von einem Doppelwulst-Raumer zusammengeschossen worden!“ »Rateken!« sagten Bulton und Rewal wie aus einem Mund. Das Gesicht des Arztes zeigte keine Regung. Er fuhr fort: »Der Kreuzer hatte Totalausfall der Trajektoren und kein Ersatzteil im Depot. Marschall, genügen Ihnen diese Angaben?« 20
»Danke!« sagte Bulton nur, sah den Bildschirm grau werden und betrachtete wieder den Captain. »Jetzt benötigen wir Ihre Aufnahmen nicht mehr. Wir wissen sogar, wer den Kreuzer zusammengeschossen hat: Die Rateken!« »Und was wird die TF jetzt unternehmen, Marschall?“ »Was wohl, Rewal?« stellte Bulton seine Gegenfrage. »Wissen Sie, wie stark die Flotte der Rateken ist?« Stumm blickte der Captain seinen Oberbefehlshaber an. »Mindestens 8000 Einheiten. Als dieser >Singu der Rateken< uns vor kurzem seine Aufwartung gemacht hat, drohte er Dhark und mir mit dem Einsatz von acht Fados – das bedeutete mehr als 8000 Raumschiffe! Soll ich Ihnen immer noch die Frage beantworten, was wir auf diesen verbrecherischen Zwischenfall hin tun werden?« Rewals Kiefermuskeln mahlten. »Aber doch nicht zur Tagesordnung übergehen, Marschall?« »Nein, aber den Rateken auch nicht mit unserer Macht drohen, die wir in Wirklichkeit gar nicht haben. Die Entscheidung liegt allein in Trawisheims Händen. Ich beneide ihn nicht darum.« »Ja«, sagte Rewal, »aber was kann alles aus diesem Zwischenfall entstehen?« »Ein Krieg, den wir nicht wollen. Den wir unter keinen Umständen wollen. Und im allerschlimmsten Fall – Terra könnte vernichtet werden. Darum darf die Entwicklung keinesfalls einen solchen Weg nehmen!« Rewal dachte einen Moment nach. »Aber mit den vor kurzem erbeuteten Ringraumern haben wir doch ein enormes Machtpotential dazu gewonnen…« »Ein Machtpotential, das wir noch längst nicht beherrschen«, unterbrach Bulton den jungen Captain. »Schiffe, für die wir keine ausgebildeten Besatzungen haben und die noch nicht auf unsere Bedürfnisse umgerüstet sind. Natürlich finden pausenlos Test- und Erprobungsflüge statt, doch es wird noch Wochen, wenn nicht gar Monate dauern, bis wir eine nennenswerte Zahl einsatzfähiger Ringraumer in die TF eingliedern können. Und selbst dann…« Bulton schwieg für einen kurzen Moment. Sein Blick schien durch Rewal hindurchzugehen. »Selbst dann kann ein Krieg nicht die Lösung sein. Krieg ist niemals eine Lösung. Vielleicht…« Er verstummte. In die einsetzende Stille erklang das Signal des Vipho. Wieder war es der Arzt aus der Cyborg-Station. »Nur eine kurze Information. Torgew hat in der Narkose gesprochen. Demnach muß Colonel Neep vor der endgültigen Vernichtung seines Schiffs der Besatzung den Befehl gegeben haben, die BERNHARDTS STAR zu verlassen. Das war’s, Marschall.« Rewal hielt dem prüfenden Blick seines Chefs stand. »Wir haben jeden Kubikmeter Raum im Bereich der Unglücksstelle durchforscht. Die Beiboote meines Schiffes haben jeden Körper angeflogen, der vielleicht ein Mensch hätte sein können. Marschall, in dem ganzen Trümmer21
feld gab es nur diesen einen Mann.« »Wurden auch die Tasteranlagen eingesetzt?« fragte Bulton, der bereit war, dem Captain zu glauben. »Die Taster der BOA und die aller Beiboote. Marschall, ich bin bereit zu beschwören, daß wir weder Lebende noch Tote übersehen haben.« Bulton nickte. »Ich glaube Ihnen. Allein schon der Gedanke, Sie könnten einen hilflosen Mann draußen zwischen den Sternen übersehen haben, ist schrecklich.« Aber es gab diesen Mann, der übersehen worden war. Er hieß Leutnant Kerr, und er war aus seiner Bewußtlosigkeit erwacht, als die As-Onen-Triebwerke der BOA auf Vollast geschaltet wurden und glühende Energieströme aus dem innenliegenden Ringwulst des Schiffes in den Raum stießen. Die Erkenntnis, unrettbar verloren zu sein, traf den geschwächten Leutnant so stark, daß er darüber zum zweitenmal das Bewußtsein verlor. In diesem Punkt war das Schicksal mit ihm gnädig. Er bekam nicht mehr mit, wie die Glutströme aus den As-Onen-Triebwerken der BOA an Mächtigkeit verloren, um dann schnell mit der Raumschwärze eins zu werden.
2. Die POINT OF, das Flaggschiff der Terranischen Rotte, befand sich allein zwischen den beiden Spiralarmen Il/a und HI/a. Trotz des Unterganges von W-4 dachte Ren Dhark nicht daran, die Verfolgung der gewaltigen RobotRingraumerflotte aufzugeben. Er wollte ihre Heimatwelt aufspüren! Er war es als Commander der Planeten der Menschheit schuldig! Das Mißverständnis, das die unbekannte Flotte hatte über Terra erscheinen lassen, mußte ein für allemal ausgeräumt werden! Wie hätte der Commander auch auf den Gedanken kommen sollen, daß ein gewisser Captain Jon Bradock, Kommandant des Forschungsraumers FO-23, Ursache dieses Mißverständnisses war? Im Schiff setzte das undefinierbare Pfeifen wieder ein. Die X-Zeit lief. Blitzartig schaltete der Checkmaster die beiden Intervalle – die absolute Transitionsbremse der POINT OF – ab. 22
Der Ringraumer entmaterialisierte, bewegte sich in Nullzeit durch den Hyperspace und kehrte mitten im Sternenmeer des Spiralarms Il/a wieder ins Normalkontinuum zurück. Im gleichen Moment umhüllten die beiden Intervalle wieder das blauschimmernde Unitallschiff, und über die Bildkugel konnten Ren Dhark und Dan Riker das gleißende Band einer Perlenkette sehen, die sich vor ihnen ausbreitete. Routinemäßig gaben die Ortungsoffiziere ihre Meldungen ab. In diesem Bereich der Milchstraße hatten die Werte des elektromagnetischen Feldes fast die gleiche Höhe wie im solaren Raum. Überall drohte allen die gleiche Gefahr! »Commander?« Ren Dhark unterbrach sein Gespräch mit Dan Riker. Fragend drehte er sich nach Grappa um, erhob sich, als er dessen Achselzucken sah, und trat zu ihm. »Siebzehn Lichtjahre Abstand, Dhark. Neun Sonnen. Ich kann mir nicht helfen, ich habe es schon mit allen Methoden versucht, aber ihre Distanz zueinander ist mit 2,01 Lichtjahren unheimlich…« Tino Grappa sprach so leise, daß nur Ren Dhark ihn verstehen konnte – vielleicht hätte sich sonst Dan Riker jener Meldung des Bordastronoms Jens Lionel erinnert, an dem Tag, da er freudestrahlend in den Leitstand gekommen war, als Dhark mit seiner kleinen Gruppe in der Ruinenstadt vermißt wurde. Lionel hatte Riker damals von einem Sonnensystem berichtet, dessen sechs innere Planeten Zwillingspaare darstellten, die alle auf verschieden großen Bahnen ihr Muttergestirn mit derselben Umlaufzeit umkreisten. Aber Dan Riker hörte Grappas Hinweis nicht, und Lionel hatte inzwischen auch vergessen, dem Commander persönlich über die Entdeckung auf den in einem Flash gefundenen Sternkarten zu berichten. Daß dieses neu erworbene Wissen an den Checkmaster gegeben worden war, gehörte zur Routine jeder Forschungsarbeit. Wortlos ließ Dhark seinen Blick wandern. Im stillen gratulierte er sich zu seinem Ortungsspezialisten, denn aus den vielen ausgeworfenen Werten gerade die zu entdecken, die eine Sonnenkette betrafen, dazu gehörte schon mehr als Können, das erforderte eine große Portion Einfühlungsvermögen. »Neun Sonnen«, murmelte Dhark und wartete, bis Grappa das Diagramm erstellt hatte, »neun Sterne. Unterschiedlich in Strahlungsintensität, Größe und Masse. Aber…« Verwundert schüttelte er den Kopf. »Was ist das hier, Grappa?« Er deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Stelle. »Darüber zerbreche ich mir schon die ganze Zeit den Kopf«, gab der Ortungsfachmann offen zu. »Etwas, das sich auch mit der Feinortung nicht fassen läßt. Sollten wir uns das nicht einmal näher ansehen, Commander?« Ren Dhark überlegte. Die Verlockung, sich diese neun Sonnen anzuschauen, wurde stärker und stärker. Doch Rikers forschender Blick erinnerte ihn an die 23
Aufgabe, die er sich selbst gestellt hatte. »Wir werden kaum Zeit dazu haben, Grappa, und Sie noch weniger. Sie dürfen jetzt erst einmal nach den Energiefahnen der Ringraumer-Flotte fahnden. Hoffentlich haben die kurzen Zerfallszeiten nicht schon alles verwischt.« Seine Sorge war begründet. Die energetischen Spuren, die sowohl Sie als auch Sternensog im freien Raum hinterließen, hatten eine ziemlich kurze Lebensdauer. War nach der Physik der Mysterious der Strahlungswert unter 3,7 Pron abgesunken, dann war es unmöglich zu erfahren, mit welcher Energieabgabe das zu verfolgende Schiff transitiert hatte und in welche Richtung der Sprung ausgeführt worden war. Und nur bei einem Wert von 5,1 Pron und höher konnte nachträglich die Entfernung berechnet werden, über die die Transition erfolgt war. »Okay«, murmelte Grappa leicht enttäuscht und begann die Suche nach Energiefahnen. »Was war?« fragte Riker seinen Freund, als der sich wieder in den PilotenSessel fallen ließ. Dhark hätte lieber gegrübelt, darum fiel seine Antwort auch so knapp aus. »Nichts von Bedeutung. Ein paar Sonnen in siebzehn Lichtjahren Entfernung.« Und damit war auch die zweite Chance vertan. Vorhin hatte Riker nicht verstanden, was Grappa über die Distanz der neun Sonnen zueinander gesagt hatte. Nun hielt Ren Dhark es nicht für nötig, seinen Freund ausführlich zu unterrichten.
Die fremden Sternkonstellationen gaben dem Spiralarm Il/a das Aussehen eines unbekannten Meeres, dessen Inseln wie stecknadel-kopfgroße Punkte leuchteten. Im linken oberen Bereich der Bildkugel zeigte sich ein Sternbild, wie Menschen es noch nie gesehen hatten. Vierundsechzig Sonnen aller Spektralklassen bildeten zusammen einen Doppelring. Die Mitte der gewaltigen Kreisfläche war sternenleer, aber an sieben Stellen des Kreisbogens – und das fast wieder im gleichen Abstand zueinander – griffen helleuchtende Sternenketten strahlenförmig in den Raum hinaus. Sterne, die sich gleichsam selbst stilisiert darstellten! Das Sternbild der Sterne! Der optische Eindruck war überwältigend. Dazu kam noch, daß hinter diesem Sternbild keine anderen Sonnen zu sehen waren. Und im weiten Umkreis um diese Konstellation war der Raum ebenfalls auffallend sternenarm. »Mein Gott«, sagte Ren Dhark fasziniert, »und gleich kommen die Astronomen mit ihren detaillierten Angaben und sagen uns, daß dieses Sternbild der 24
Sterne nichts anderes als eine optische Täuschung ist.« Riker lächelte und warf seinem Freund einen amüsierten Blick zu. Das war der Commander, wie ihn nicht viele Menschen kannten - der Mann, er noch immer mit offenen Augen träumen konnte und die Kraft besaß, sich an etwas Schönem zu erfreuen. Hoffentlich verlernt er das nie, dachte Riker und zuckte zusammen, als Grappa ihnen in sachlichem Tonfall mitteilte, einer Gruppe von Energiefahnen alle erforderlichen Angaben entlockt zu haben. »Dann können wir ja«, drängte Riker, der diese Aktion so schnell wie möglich abgeschlossen haben wollte. »Ja, aber…« Das Aber blieb in der Luft hängen. Der Monitor der Bordverständigung rechts neben Dhark flammte auf, und es erschien das Gesicht des Bordastronomen Jens Lionel. »Commander, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es auf der Koordinate Rot eine > Kette < aus neun Sonnen gibt, die alle den gleichen Abstand zueinander haben?« »Ich weiß«, warf Ren Dhark ein, der spürte, wie die Versuchung in ihm wieder stärker wurde. »Um so besser«, erwiderte der ahnungslose Astronom. »Aber was Ihnen neu sein dürfte und auch Grappa vielleicht noch nicht erkannt hat – Commander, diese neun Sonnen sind durch ein Leuchtfeld miteinander verbunden!« »Wie bitte?« Dhark hatte sich aufgerichtet und lauter als bisher gesprochen. »Ein Leuchtfeld verbindet diese neun Sonnen?« »Das steht einwandfrei fest. Nur die Natur des Leuchtfelds ist uns unbekannt. Zumindest sind auch gravitatorische Kräfte im Spiel.« »Hast du von einer Planetenbombe nicht genug, Ren?« mischte sich Riker ein, der schon das Schlimmste befürchtete, weil er das starke Interesse seines Freundes bemerkt hatte. »Willst du auch noch erleben, wie Sonnen auseinanderbrechen? Aber dann bleibt von uns bestimmt nicht ein Atom übrig!« Ren Dhark überhörte die Warnung, obwohl ihm seine Vernunft sagte, daß sie keine Zeit hatten, sich näher mit diesem Phänomen zu beschäftigen. Er versuchte, seine Stimme desinteressiert klingen zu lassen, aber es gelang ihm nicht, wie Dan Riker registrierte. »Lionel, habe ich das gerade richtig verstanden? Sie sagten, gravitatorische Kräfte würden das Leuchtband durchziehen?« Der Astronom begann lebhaft zu gestikulieren. »Commander, das habe ich in dieser Form nicht behauptet. Ich kann es gar nicht behaupten, weil meine Kollegen und ich für die Existenz dieser Gravitationseinflüsse keine Erklärung haben.« 25
»Hm…« Dhark warf der Bildkugel einen abschätzenden Blick zu. Er wollte diese neun Sonnen, die im gleichen Abstand zueinander standen, ausmachen. Aber um sie herum gab es so viele andere Sterne, daß sie sich kaum abzeichneten. Neun Sonnen, überlegte er und ließ sich Lionels Worte noch einmal durch den Kopf gehen. »Also gut, Lionel. Wir sehen uns den Fall einmal an.« Über das Gesicht des Astronomen glitt ein Ausdruck ehrlicher Freude. »Wunderbar!« sagte er, nur hörte ihn keiner mehr, weil Dhark die Verständigung ausgeschaltet hatte, während Dan Riker bissig wiederholte: »Wunderbar! Wirklich wunderbar!« Dhark überhörte es. Er hatte sich ein neues Ziel gesetzt, und das wollte er erreichen. Er übersah nur eine Kleinigkeit, und an die wurde er von seinem Zusatzgedächtnis, wie man Dan Riker inoffiziell oft nannte, erinnert. Abrupt beugte sich Riker zu ihm herüber. »Hast du vergessen, daß die Energiefahnen nur eine kurze Zerfallzeit haben, Ren? Wie willst du neue Werte erhalten, wenn wir bei diesen neun Sonnen die Zeit verlieren, die uns bei der Untersuchung der nächsten Energiefahnen fehlen wird?« Ein unbehagliches Gefühl stieg in Ren Dhark auf. Dan Riker hatte recht. Der Commander preßte die Lippen zusammen, warf der Bildkugel noch einen forschenden Blick zu – und erhielt in diesem Moment Hilfe, mit der er nicht gerechnet hatte. Grappa hatte Rikers Warnung gehört. Er rief zum Steuerpult herüber: »Commander, wir haben eine Zeitreserve von minimal acht Stunden!« Das gab den Ausschlag! In der POINT OF setzte wieder das undefinierbare Pfeifen ein; kurz vor der Transition verschwanden die Intervalle – und eine Lichtstunde vor den neun Sonnen kehrte die POINT OF wieder in das normale Raum-Zeit-Kontinuum zurück. Den üblichen Transitionsschock – die unangenehme Begleiterscheinung eines jeden Sprungs mit einem Kugelraumer – gab es im Flaggschiff nicht. Der Entund Rematerialisationseffekt lief spurlos ab. Aber die Männer erlebten einen Schock, als sie die Wiedergabe der Bildkugel sahen! Eine Neuner-Kette Sonnen der unterschiedlichsten Spektralklassen zog sich in die Tiefen des Alls hinein. Ein rotleuchtendes, diffuses Strahlenfeld verband die einzelnen Sterne miteinander. Es begann im Bereich des ersten Himmelskörpers und endete im Einflußgebiet der neunten Sonne. Die Position der POINT OF war zufällig so günstig, daß der optische Eindruck mit der mathematischen Wirklichkeit übereinstimmte. Das Schiff war eine Lichtstunde vom fünften Stern der Kette entfernt, und rechts wie links konnte man die beiden Vierergruppen sehen, die beide einen deutlichen Halbbogen 26
bildeten. Ren Dhark hatte seine Hände um die Kanten des Instrumentenpults gelegt. Er fühlte das kühle Unitall nicht. Für einen kurzen Moment vergaß er seine Aufgabe als Kommandant des Schiffes. Er sah nur dieses Sternenband, das von einem rotleuchtenden Strahlenfeld umhüllt wurde. Großer Himmel, dachte er, unsere Galaxis ist voller Wunder. Plötzlich sah er diese Sternkonstellation mit anderen Augen. Erst als er es gesagt hatte, wurde er sich seiner Gedanken bewußt. »Eine Sternenbrücke!« Dan Riker brachte ein Stöhnen über seine Lippen. Langsam lehnte er sich im Copiloten-Sessel zurück. »Tatsächlich, es sieht wie eine Brücke aus Sternen aus!« Aber er ließ sich weniger stark als Ren Dhark beeindrucken. Wieder warnte er. »Ren, wir dürfen unter keinen Umständen mehr als vier Stunden für diese Aktion verwenden, sonst werden wir nie herausfinden, wohin die RingraumerFlotte verschwunden…« Über die Bordverständigung gellte es aus der astrophysikalischen Abteilung: »Commander, jede zweite Sonne, mit der ersten angefangen, besitzt Planeten, aller Wahrscheinlichkeit nach auch Sauerstoffwelten!« Ren Dhark rührte sich nicht. Er hatte den Blick gesenkt und überflog automatisch die Instrumente. Alles klar! Alles…? »Commander, Schiff liegt in Fremdortung!« rief Tino Grappa Die Sternenbrücke hatte nach der POINT OF gegriffen!
Leutnant Kerr erwachte zum zweitenmal aus seiner Bewußtlosigkeit. Wieviel Zeit inzwischen vergangen war, konnte er nicht sagen. Dafür wußte er um so besser, wieviel Zeit ihm noch blieb. In zwei Stunden und zwanzig Minuten würde sein Luftvorrat aufgebraucht sein. Dann würde der sanfte Tod zu ihm kommen – der Tod, der ihn zuerst bewußtlos werden ließ, um ihn anschließend ohne Qualen mitzunehmen. Kerr trieb im freien Raum, nur im Schutz seines M-Anzugs. Unendlich weit waren die Sterne entfernt. Ihr Leuchten reichte bis zu ihm. Überall waren Sterne – nur in seiner Nähe war nicht ein einziger. Kerr bewegte sich nicht. Nicht aufregen, befahl er sich in Gedanken, denn jede Aufregung kostet Sauerstoff. Im nächsten Moment hörte er sich lachen. Warum sollte er mit seinem Luftvorrat sparsam umgehen? In zwei Stunden und 27
zwanzig Minuten würde ohnehin alles zu Ende sein. Und es war ein miserabler Trost, zu wissen, daß sein Name bald in Lettern aus Tofirit auf einer Gedenktafel zu lesen sein würde. Er dachte an seine Freundin. Für Ende des Monats hatten sie sich in Cualpo verabredet. Fünf Urlaubstage wollten sie in dem kleinen Ort am Pazifik unter ewig blauem Himmel verleben. Wieder lachte er auf. Verzweifelt. Er trieb durch ewige Dunkelheit, über den Abgrund von Zeit und Raum. Er hatte jetzt Urlaub bis zum Jüngsten Tag – Urlaub vom Leben. Es würde ja nur noch kurze Zeit dauern, bis es soweit war. »Na ja«, sagte er sich, und unter dem Klarsichthelm klang es ganz anders als sonst. Seine Apathie war nicht echt. Er hatte Angst vor dem Sterben, allein in dieser Unendlichkeit. Wann würde es soweit sein? In zwei Stunden und zehn Minuten! »Verdammt! Verflucht…« Seine ohnmächtige Wut brach sich in Kraftausdrücken Bahn, doch sie erleichterten ihn nicht. Es spielte keine Rolle, daß es für ihn kein Oben, Unten, Rechts oder Links mehr gab. Aber daß er mit jedem Atemzug Luft verbrauchte, war nicht egal. Eine unüberwindliche Macht schien ihn immer wieder dazu zu zwingen, auf das schwachleuchtende Instrument zu sehen, das ihm seinen Sauerstoffvorrat anzeigte. Um ihn herum die ewige Nacht, der unendliche Raum mit seiner immerwährenden, absoluten Stille. In diesen Augenblicken begriff Leutnant Kerr zum ersten Mal wirklich, daß der Mensch ein Nichts im Universum war. Er hätte den Scheinwerfer seines Raumanzuges einschalten können. Damit hätte er die Dunkelheit vertrieben, aber nicht die Stille. Er schaltete ihn nicht ein. Ich werde noch verrückt, bis es soweit ist, dachte er. Aber eine Stunde später war Kerr immer noch nicht verrückt. Die Heizung in seinem Anzug arbeitete einwandfrei. Die Temperatur blieb konstant auf 19,5 Grad Celsius. Auch der Schmerz in Kerrs Kopf blieb konstant, aber er störte ihn kaum. Was war schon ein leichter, dumpfer Schmerz im Kopf, wenn man in einer Stunde nicht mehr leben würde? Seine Arme bewegten sich. Seine Hände griffen zum Verschluß des Klarsichthelms. Er wollte ihn aufreißen. Er wollte seinem Leben selbst ein Ende machen. Es 28
war so sinnlos, auf den Tod zu warten. Das Schiff, dessen leuchtende AsOnen-Bahnen er gesehen hatte, war doch schon vor Stunden wieder verschwunden. Vor Stunden? Dieser Gedanke brannte sich in seinem Gehirn fest. Die Hände, die um den Verschluß seines Klarsichthelms lagen, ließen los. Kerr warf einen Blick auf die Leuchtscheibe seines Chronos, las Datum und Uhrzeit ab. Er erinnerte sich, wann Colonel Neep den Befehl gegeben hatte, die brennende BERNHARDTS STAR zu verlassen. Kurz danach mußte ihn ein herumwirbelndes Trümmerstück getroffen haben. Aber er hätte doch gar nicht mehr aus der Bewußtlosigkeit erwachen dürfen! Aus der ersten Bewußtlosigkeit. Er wußte nicht, daß sich Captain Rewal über den gleichen Punkt Gedanken gemacht hatte. Doch während Rewal die Lösung nicht fand, entdeckte Kerr sie. Seine Besinnungslosigkeit hatte ihn dicht am Tod vorbeigetrieben; es war ein Wunder, daß er daraus noch einmal erwacht war, denn die Sauerstoffversorgung seines Gehirns war in dieser Zeitspanne so minimal gewesen, daß eigentlich schwerste Schäden die Folge hätten sein müssen. Ich habe die ganze Zeit über kaum Luft verbraucht, dachte er, und diese Feststellung machte ihn nicht glücklich. Mein Atem muß unwahrscheinlich flach gewesen sein. Und jetzt darf ich noch eine halbe Stunde warten, bis ich an Sauerstoffmangel ersticke. Doch das wollte er nicht! Ich mache Schluß, sagte er sich, und zum zweitenmal griffen seine Hände zum Verschluß des Klarsichthelms. Ich will nicht in diesem Anzug verfaulen und verwesen. Mein Körper soll bis ans Ende aller Tage ein Körper bleiben. Ich will, daß man auch in tausend oder mehr Jahren noch feststellen kann, wer ich gewesen bin. Schluß jetzt mit… Tu ‘s nicht! Seine Finger hatten keine Kraft mehr. Seine Arme senkten sich. Jetzt fange ich doch noch an verrückt zu werden, schoß es ihm durch den Kopf. Ich will Schluß machen und meine Gedanken sagen mir, es nicht zu tun. Das ist doch nicht normal! Seine Augen starrten blicklos in die Ferne. Sein Blick fand nirgendwo Halt. An keinem einzigen scharf begrenzten Lichtpunkt. Aber war dieser grünleuchtende Stern vorher auch schon zu sehen gewesen? Er sah schärfer hin. Der Stern blieb unverändert. Er war doch gar nicht so klein wie alle anderen 29
Sonnen?! Zum erstenmal, seitdem er aus seiner zweiten Bewußtlosigkeit wieder wach geworden war, suchte er nach einem markanten Anhaltspunkt, um eine Vergleichsmöglichkeit zu haben. Daß er darüber sein nahes Ende vergaß, wurde ihm nicht bewußt. Ein Sternbild, das einem zerquetschten Viereck glich, diente ihm als Anhaltspunkt. Sein Blick pendelte zur grünen Sonne hinüber. Die ist ja größer geworden, stellte er fassungslos fest und begann wieder an seinem Verstand zu zweifeln. Grün? Grün leuchtende Sonnen? Und eine, die so groß war und die er die ganze Zeit übersehen haben sollte? Gab es Sonnen, die in diesem grellen Grün leuchteten? Ungewollt schüttelte er unter seinem Klarsichthelm den Kopf. Er erinnerte sich nicht, jemals so etwas gehört zu haben. Doch hatte nicht ein bekannter Astronom gesagt, daß die Klassifizierung der Sterne immer schwieriger wurde, je weiter man in die Galaxis vorstieß? Kerr kontrollierte schon wieder seinen Sauerstoffvorrat. »Verdammt noch mal, in zwanzig Minuten ist es endlich soweit…« Nein! Er lachte verbissen auf, laut und verzweifelt. Er ballte die Fäuste. Ich spinne, dachte er, ich spinne tatsächlich! Mein Gehirn hat einen Knacks bekommen, einen ganz ordentlichen! Ich will Schluß machen und es sagt nein! Sein Mund öffnete sich vor grenzenlosem Erstaunen, und er vergaß ihn wieder zu schließen. Die grüne Sonne war noch größer geworden! Sie hatte sich zu einer kleinen Scheibe entwickelt! Ein Raumschiff, fragte sich Kerr, und die Hoffnung flammte wild in ihm auf. Ein Raumschiff, das mich geortet hat? Das Raumschiff einer der vielen Intelligenzen, die sich in unserem Spiralarm aufhalten? Ein Schiff, dessen Scheinwerfer grünes Licht ausstrahlt? Voller Angst war sein Blick, als er seinen Luftvorrat kontrollierte. Noch achtzehn Minuten…! Sein Helmfunk arbeitete. Er war eingeschaltet, seit er in der BERNHARDTS STAR seinen Klarsichthelm geschlossen hatte. »Hier Kerr! Terraner Kerr! Kerr von der BERNHARDTS STAR! Hier…« Er rief immer wieder. Er wurde nicht müde, es zu tun. Es war ihm gleichgültig, daß er jetzt sehr viel Luft verbrauchte. Seine Retter waren doch auf dem Weg zu ihm! Egal wer! Und wenn Monstren kamen, um ihn zu bergen? Waren nicht auch die Ducks – 30
die Sukooren – für die Menschen ursprünglich Monstren gewesen? Handtellergroß war der grellgrüne Punkt geworden. So schnell konnte sich keine Sonne verändern. »Mein Gott!« stammelte Kerr, und die Verzweiflung brach wieder über ihn herein. Es gab Millionen Sonnen im Weltraum, die sich innerhalb weniger Stunden verändern konnten. Pulsationssterne! RR-Lyra-Sterne! Sterne, die in einem regelmäßigen Rhythmus ihre Leuchtkraft veränderten; andere wieder, die keinen Rhythmus kannten. Er war einem Pulsationsstern zum Opfer gefallen! »Ich Vollidiot!« keuchte er. »Daß ich daran nicht gedacht habe!« Er schloß die Augen. Er wollte nichts mehr sehen. Keine Dunkelheit, keine scharf umgrenzten Lichtquellen, und erst recht nicht diese grellgrüne Scheibe. Kerr, wir helfen! Die Apathie war stärker. Ihm war es gleichgültig, daß er kurz vor dem Ende feststellen mußte, nicht mehr normal zu sein. Er suggerierte sich selbst etwas ein, das es nicht gab. Er glaubte eine Stimme in seinem Kopf gehört zu haben. Lächerlich… idiotisch! Eine Stimme, wo er in diesem Abgrund aus Zeit und Raum weit und breit der einzige Mensch war. Kerr! Da war diese Stimme schon wieder. Eine Stimme, die ihn zwang, die Augen zu öffnen. Er war verrückt. Er hatte ganz eindeutig Halluzinationen. Der handtellergroße, grellgrün leuchtende Fleck mußte einfach eine Halluzination sein. Eine Halluzination, die langsam vor seinen Klarsichthelm nach links trieb. Ganz langsam! Er keuchte. Zum erstenmal, seit er die Besinnung wiedererlangt hatte, brach ihm der Schweiß aus. Er hatte das Gefühl, die Temperatur in seinem MRaumanzug sei sprungartig gestiegen. Jetzt sah er schon zwei grellgrün leuchtende Flächen. Jede handtellergroß. Eine rechts von ihm, die andere zur Linken. Und dann spürte Kerr eine Berührung – und im gleichen Moment waren die Leuchtflächen verwunden. In seinem Kopf zuckten Blitze! Er wollte schreien und konnte es nicht. Panik schnürte ihm die Kehle zu. Die Angst war unmenschlich. Er versuchte seine Arme zu bewegen. Gelähmt! Die Beine auch! Ebenso die Finger! Sein ganzer Körper. Nicht einmal mehr den Kopf konnte er drehen. Und diese grellen Blitze hinter seiner Stirn. 31
In einem gellenden Schrei brach sich seine Panik Bahn. Ein kräftiger Stoß war durch seinen Körper gegangen. Er stürzte. Er fiel der Länge nach hin, schlug mit der linken Schulter auf. Er lag! Über ihm stand eine Sonne am Himmel, und um ihn herum sah es aus, als ob er sich auf Terra befinden würde. Er zog ein Bein an, stemmte sich mit den Armen hoch. Er erkannte den Plastikbeton unter sich. Plastikbeton? Leutnant Kerr versuchte sich aufzurichten. Dieser Vorgang kostete Kraft. Er hatte wieder Gewicht. Er war nicht mehr gewichtslos. Aber er mußte immer noch halluzinieren! Und sein Luftvorrat reichte noch zwölf Minuten! Schwerfällig erhob er sich. Der dumpfe Schmerz in seinem Kopf nahm zu. Kerr wurde schwindlig. Das Gefühl, sich übergeben zu müssen, überwältigte ihn. Instinktiv riß er den Verschluß seines Klarsichthelms auf und erbrach sich. Er atmete stoßweise, keuchend. Frische, nicht besonders warme Luft. Dann hatte sich sein Magen entleert, aber der Schmerz im Kopf war noch schlimmer geworden, genau wie das Schwindelgefühl. »Ich kann nicht mehr!« stöhnte Kerr verzweifelt. »Mein Kopf! Mein Kopf!« Er legte beide Hände an die Schläfen, und ein neuer, gewaltiger Schmerz raste durch sein Gehirn. Er hörte sich aufschreien, riß die Hände herunter. Er durfte seinen Kopf nicht berühren. Langsam brach er in die Knie. Er lag ein zweites Mal am Boden. Als er sich ächzend wieder erhob, wußte er nicht, wie lange er bewußtlos gewesen war. Es mußte lange gewesen sein, denn die Sonne am wolkenlosen Himmel hatte spürbar ihre Position verändert. Der Leutnant sah sich um, drehte sich ganz langsam um die eigene Achse. Über ihm rauschte etwas mit niedriger Geschwindigkeit dahin. Ein Jett! »Ja, ein Jett«, hörte er sich sagen, aber diese Worte hatten für ihn keinerlei Bedeutung. Dann fiel sein Blick auf ein Gebäude, blieb daran hängen. Seine Augenlider flackerten. Wieder blickte er auf. Das Gebäude hatte sich nicht verändert. Es war auch nicht verschwunden. Er machte den ersten Schritt. Schwankend. Auf das Gebäude zu. Und dem ersten Schritt folgte der zweite. Er ging wie ein Betrunkener. Er torkelte. Ein Mann sah ihn herankommen, erkannte ihn an der Uniform als Leutnant der TF. Er schnupperte, als er den Leutnant stützte, aber er konnte keine Alkoholfahne riechen. Und dann sah er zufällig das blutverkrustete Haar des bleichen, 32
schwankenden Mannes, der noch kein Wort über die Lippen gebracht hatte. »Leutnant, Sie gehören in die Medo-Station… Großer Himmel, Leutnant, was ist mit Ihnen passiert?« Kerr antwortete nicht. Der andere packte ihn fester am Arm, wollte ihn zur Medo-Station schaffen. »Nein!« stieß Kerr aus. »Nicht in die Medo-Station. Zu Bulton, zu Marschall Bulton… Bulton… Bul…« Er brach zusammen und merkte nicht mehr, daß ihn sein Helfer im letzten Moment auffing. Eine Viertelstunde später schlugen drei Ärzte der Medo-Station Alarm. Marschall Bulton wurde beim Abendessen gestört. -»Wer? Wer soll der schwerverletzte Mann sein? Ein Leutnant Kerr? Und ob ich einen Leutnant Kerr kenne!« Er stierte auf sein Spezial-Vipho. Er konnte das alles nicht begreifen. Und der Appetit auf sein Abendessen war ihm restlos vergangen. »Sie sind überzeugt, daß Ihr verletzter Patient Leutnant Kerr von der BERNHARDTS STAR ist? Mein lieber Doc, wer ist hier verrückt? Sie oder ich? Allem Anschein nach Sie! Kerr war an Bord des Kreuzers, als er nach Esmaladan aufbrach. Daß man das Schiff vernichtet hat, wird sich inzwischen – was?« Der Doktor hatte ihn unterbrochen und nachdrücklich seine Behauptung wiederholt, der Patient in ihrer Medo-Station sei Leutnant Kerr von der BERNHARDTS STAR. »Ich komme, Doc, aber eines garantiere ich Ihnen: Wenn Sie mich…« Wenig später stand er am Krankenbett. Er nickte nur. In diesem Bett lag ganz eindeutig Leutnant Kerr von der BERNHARDTS STAR. Langsam blickte Bulton auf. Die Ärzte hielten seinem Blick stand. Nur als er fragte: »Können Sie mir vielleicht erklären, wie Leutnant Kerr plötzlich nach Terra kommt?« zuckten sie die Achseln. »Hat er denn kein Wort gesprochen?« »Nicht ein einziges!« Sie hatten nur seine Papiere gefunden, und sie hatten zuerst geglaubt, dieser schwerverletzte Mann sei ein Hochstapler, der sich die Uniform des Leutnants angeeignet habe. Jetzt zuckte auch Bulton mit den Achseln. »Es gibt keinen Zweifel, dieser Mann ist Leutnant Kerr. Ich kenne ihn persönlich. Aber wie, um alles in der Welt, ist er von der zerschossenen BERNHARDTS STAR nach Terra gekommen…« »…und das mit diesem schweren Schädelbruch!« fiel ihm ein Arzt ins Wort. »Kerr hat eine physische Leistung vollbracht, die wir nur damit erklären können, daß er einen unvorstellbar schweren Schock erlitten hat. Das Trauma ver33
drängte alle Folgen des Schädelbruchs und der Gehirnerschütterung. Kerrs Gleichgewichtszentrum ist so schwer gestört, daß er nach der Schulmedizin einfach nicht in der Lage sein dürfte, auch nur einen Schritt zu gehen. Uns liegt aber der Bericht eines Jett-Piloten vor, der auf Landeplatz F-73 einen einzelnen Mann gesehen haben will, dessen Gesicht auffallend blaß gewesen sein soll. Wenn es tatsächlich Kerr war, dann hat er noch über zwei Kilometer aus eigener Kraft zurückgelegt. Für uns Ärzte ist das ein Wunder, wie für Sie, daß Kerr plötzlich auf der Erde ist.« »Ja«, sagte Bulton nachdenklich, »und ich hatte immer geglaubt, die Zeit der Wunder sei längst vorbei. Bitte, informieren Sie mich, wenn Leutnant Kerr vernehmungsfähig ist. Sie wissen, welche Bedeutung seine Aussagen haben können!«
3. Nur langsam kehrte sein Bewußtsein zurück. Sein Schädel brummte, sein Nacken schmerzte, dennoch setzte Colonel Neep sich auf und versuchte sich zu orientieren. Er hockte auf dem Fußboden im Laderaum eines Schwebers oder Beiboots, umgeben von knapp dreißig seiner Männer, die teilweise ebenfalls gerade aus der Betäubung erwachten. Eine ruckartige Kursänderung ihres Transportfahrzeugs, bei der bestimmt zwei Gravos durchkamen, hätte ihn fast wieder flach auf den Boden gelegt, wenn ihn nicht eine kräftige Hand an der Schulter gepackt und gestützt hätte. »Die Burschen haben einen verdammt rasanten Flugstil – und lausige Andruckabsorber!« sagte eine Stimme, die zu der Hand zu gehören schien. Mühsam drehte Neep sich um. Schräg hinter ihm hockte Leutnant Arsan und grinste ihn verzerrt an. Der überaus kräftig gebaute Mann war anscheinend schon etwas eher aus der Paralyse erwacht, doch als Arsan sich jetzt mit der freien Hand den Nacken massierte und dabei das Gesicht verzog, begriff Neep, daß auch der bullige Leutnant noch immer mit den Nachwirkungen der ratekischen Schock-Strahlen zu kämpfen hatte. »Wo sind wir?« fragte der Colonel. Arsan zuckte die Schultern. »Ich nehme an, wir befinden uns auf dem Heimatplaneten der Rateken. Ich bin auch erst an Bord dieses Beiboots wieder zu mir gekommen, aber da draußen gibt es einen grauen Himmel.« Der Leutnant deutete auf eine Reihe von runden Bullaugen, die jeweils mehr als einen Meter 34
durchmaßen und sich in >Augenhöhe< der Rateken in regelmäßigen Abständen an den Wänden ihres Aufenthaltsraums befanden. Neep kniff die Augen zusammen, konnte aber nichts erkennen. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder seiner direkten Umgebung zu. »Das können doch unmöglich alle unsere Männer sein… Wissen Sie vielleicht, wo die übrigen sind?« Arsan schüttelte den Kopf und zuckte dabei zusammen. »Ich habe nur eine Vermutung, Colonel. Ich habe vorhin versucht, aus einem der Fenster zu sehen, und dabei ist kurz ein weiteres Beiboot in mein Blickfeld geraten. Deshalb nehme ich an, daß unsere >Gastgeber< uns auf mehrere Fahrzeuge aufgeteilt haben.« »Hoffentlich«, brummte Neep düster. Bevor er noch mehr sagen konnte, kippte das Beiboot plötzlich nach links ab und ging in eine langgezogene Kurve. Für einen kurzen Augenblick erhaschten Neep und Arsan und vielleicht noch ein halbes Dutzend weiterer Männer, die mittlerweile wieder zu sich gekommen waren, einen Blick auf ihr Ziel: In einem von gewaltigen Bergzügen umgebenen Talkessel lag eine Stadt. Riesige Kuppelbauten und einige hohe, ebenfalls von Kuppeln gekrönte Türme prägten das Stadtbild – zumindest hatte Neep in den wenigen Sekunden, in denen er die Stadt hatte sehen können, diesen Eindruck gewonnen. Und noch etwas war dem Colonel aufgefallen, doch es dauerte einige Zeit, bis er wußte, was es war: Der Luftraum über der Stadt schien völlig frei von irgendwelchen Schwebern oder anderen Fluggeräten zu sein, ganz anders als auf Terra oder auch auf Esmaladan, der Welt der Utaren. Schlagartig wurde es jenseits der Bullaugen dunkel. »Wir sind in ein Gebäude eingeflogen«, vermutete Arsan. Noch bevor Neep darauf etwas erwidern konnte, setzte das Beiboot bereits mit einem spürbaren Ruck auf. Augenblicke später glitt ein Teil der Außenwand beiseite. In der Öffnung erschienen zwei Rateken und erteilten Neep und seinen Männern in ihrer rauhen Sprache einen viel zu lauten Befehl. Auch wenn die Übersetzung diesmal fehlte, war die Bedeutung eindeutig und wurde noch durch die Gesten der beiden Riesen unterstrichen: Die Terraner sollten den Laderaum verlassen. Mühsam rappelten sich die Männer der BERNHARDTS STAR auf. Die Rateken bedeuteten ihnen, sich zu beeilen, und trieben sie wie Vieh eine schräge Rampe mit geriffelter Oberfläche hinunter. Colonel Neep war einer der ersten, der mit Arsans Hilfe die Rampe mehr hinunter taumelte als ging. Unten angekommen, versuchte er sich einen Eindruck von ihrer neuen Umgebung zu verschaffen. Sie befanden sich in einer Halle von gewaltigen Ausmaßen, in der ein dämmriges Zwielicht herrschte. Heller Lichtschein markierte die Mündung eines Gan35
ges an einer der Seitenwände, und auf dieses Licht wurden sie von den Rateken zugetrieben. Die Riesen waren nicht zimperlich und zogen und schoben die Terraner vorwärts. Neep drehte sich um. Hinter ihnen stand das Beiboot, das sie gerade verlassen hatten, schräg dahinter fünf weitere Boote des gleichen Typs, die ebenfalls gerade ihre menschliche Fracht entluden. Die Beiboote sahen aus wie die obere Hälfte eines knapp unterhalb des Schiffsäquators zertrennten Doppelwulstraumers, nur wesentlich kleiner. Neep schätzte den Durchmesser der kreisförmigen Grundfläche auf vielleicht 25 Meter. Ein kräftiger Stoß ermahnte den Colonel, nicht stehenzubleiben, und innerlich fluchend ergab er sich in sein Schicksal und trottete Seite an Seite mit seinen Männern auf die hell erleuchtete Gangmündung zu.
Die Sternenbrücke hatte nach der POINT OF gegriffen! Mit einem einzigen Blick hatte sich Ren Dhark mit seinem Freund verständigt, und wortlos hatte Riker das Kommando über das Flaggschiff der TF übernommen. Dhark stand neben Grappa. Die POINT OF wurde abgetastet, daran gab es keinen Zweifel. »Kommt aus dem Bereich der fünften Sonne, einer Zweitausgabe von Mira im Walfisch.« Grappa konnte auch sarkastisch werden. Ein Zeichen seiner Ratlosigkeit. Dhark verstand ihn gut. Er war nicht weniger ratlos. Er griff seinem Ortungsspezialisten über die Schulter und drückte einen Steuerschalter. Ein neues Diagramm erschien. Es war grausam ehrlich in seiner Aussage: Die beiden Intervalle, in deren Schutz die POINT OF flog, waren für die Fremdortung kein Hindernis. Eine unbekannte Technik wurde mit den Mini-Welträumen des Ringraumers so spielend leicht fertig, als ob sie gar nicht vorhanden seien. Die astrophysikalische Abteilung meldete sich. »Commander, wir haben soeben einen gesteuerten Schwerkraftstoß durch das rote Strahlenfeld angemessen! Einen Schwerkraftstoß in Form einer Sendung oder Nachricht.« Dhark warf den Kopf in den Nacken. Die Gravitation hatte bis zum heutigen Tag noch längst nicht alle Geheimnisse preisgegeben. Auch die Erkenntnisse aus der Mysterious-Technik reichten dafür noch nicht aus. Und hier sollte soeben mittels eines Schwerkraftstoßes eine Nachricht durchgegeben worden sein? 36
Dhark bemerkte Dan Rikers beschwörenden Blick. Ren, laß uns verschwinden! hieß dieser Blick. Laß uns verschwinden, solange wir dazu noch in der Lage sind! Erneut meldete sich die astrophysikalische Abteilung. »Commander, innerhalb der Neuner-Sonnenkette gibt es keine Störungen des galaktischen Magnetfelds. Wir haben x-mal nachgemessen. Wir können nicht das geringste feststellen. Das ist einfach ungeheuerlich. Das eröffnet aber auch für alle Wesen in der Milchstraße einmalige Perspektiven!« Der sonst so gelassene Experte schien regelrecht ins Schwärmen zu geraten. Grappa war Ortungsfachmann. Ihn interessierte mehr als alles andere, wieso die beiden Intervalle für die Fremdortung anscheinend nicht vorhanden waren. Aus dem Triebwerksraum meldete sich Arc Doorn. Seine Stimme klang nicht anders als sonst. »Dhark, wir haben Schwierigkeiten mit den Flächenprojektoren. Haben wir noch andere Probleme?« Ren Dhark hätte um ein Haar die Beherrschung verloren. Doorns Maulfaulheit war manchmal wirklich unerträglich. Lauter als gewohnt fragte der Commander über die Verständigung zurück: »Darf ich vielleicht auch einmal erfahren, welcher Art die Schwierigkeiten mit den Flächenprojektoren sind?« »Natürlich«, erklärte Doorn leicht gönnerhaft. »Ich dachte, Sie hätten es an den Instrumenten schon abgelesen. Jemand klaut uns die emittierte Energie. Sie kommt nicht mehr zum Brennkreis. Auf den paar Metern bis dahin ist sie futsch!« Plötzlich war auch zu hören, daß einiges im Schiff nicht stimmte. Die letzten Energieerzeuger, Transformer und Speicherbänke waren aktiv geworden. Im Copiloten-Sessel verzweifelte Dan Riker. Obwohl der Sie auf Vollast geschaltet war, fiel seine Leistung immer schneller gegen Null. Riker fluchte lautlos. Hatte er etwas Ähnliches nicht auf W-4 erlebt, als er versucht hatte, das Intervall über der Ruinenstadt durch Strahlbeschuß zum Zusammenbruch zu bringen? Er fand keine Gelegenheit, noch länger darüber nachzudenken. Sie stand auf Null! Sternensog ließ sich nicht anfahren! Im Schiff wurde zwar noch Energie erzeugt, aber sie kam nicht mehr dort an, wo sie gebraucht wurde. Plötzlich flackerte die Beleuchtung der Zentrale. Die Oszillos am Ortungspult schienen zu verblassen. Grappa stöhnte verzweifelt und warf dem Commander einen hilflosen Blick zu. Aber auch Ren Dhark war von der Entwicklung überrascht worden. »Jetzt setzt auch die Echokontrolle aus!« Das war Walt Brugg aus der Funk-Z. 37
Aus der WS-West klang es »Wir können einpacken, Commander. Hier…« Der Rest ging in unverständlichem Gemurmel unter. In der Kommandozentrale setzte die Beleuchtung endgültig aus. Alles lag still – außer dem Schwerkraftregler…! Jetzt kamen die ganz gewöhnlichen Stearinkerzen zum Einsatz, die zur Ausrüstung eines jeden Raumschiffs der TF gehörten, seit das Flaggschiff in einem Nor-ex eine ähnliche Erfahrung gemacht hatte. »Staffettendienst!« befahl Ren Dhark, als die ersten Kerzen brannten, aber nicht in der Lage waren, die fünfundzwanzig mal fünfundzwanzig Meter große Kommandozentrale zu erhellen. Dhark war zum Instrumentenpult zurückgekommen und hatte wieder in seinem Sessel Platz genommen. »Da hast du es!« So hatte Dan Riker ihn empfangen. Und was sollte er darauf erwidern? Vor ihm brannte eine Kerze. Das Licht flackerte, aber es strahlte auch eine gemütliche Wärme aus. Es war ein kümmerliches, aber angenehmes Licht. Man konnte alle Sorgen vergessen, wenn man lange genug in die tanzende Flamme sah… Es war ein unwirkliches Bild. In der POINT OF, dem modernsten Schiff der TF, bewegten sich Männer über Decks und in Zentralen und trugen eine brennende Kerze vor sich her. Sie konnten nicht laufen, denn dann erlosch das kümmerliche Licht. Sie mußten buchstäblich schleichen. Aber sie kamen auch bei diesem Tempo ans Ziel. Dhark nahm die Meldungen der Stafettenläufer entgegen. Die wichtigste überbrachte Arc Doorn. »Alles liegt still. Man hat uns also nicht nur die Energie abgesaugt, man hat inzwischen auch alles abgeschaltet.« Dhark atmete schwer. »Danke!« sagte er barsch. Doorn warf ihm einen prüfenden Blick zu, versuchte Rikers Gesichtsausdruck zu erkennen und sah, wie dieser ihn durch einen Wink aufforderte, schleunigst die Kommandozentrale zu verlassen. Er ging in gemütlichem Tempo hinaus. Er hatte Zeit, und der Weg war anstrengender als sonst. Schließlich funktionierten auch die A-Grav-Schächte nicht mehr. Wer von einem Deck zum anderen wollte, mußte die Nottreppen benutzen. »Und was jetzt?« fragte Dan Riker nach langem Schweigen. Ren Dhark zeigte Nerven. »Bin ich Hellseher? Hätte ich diese Entwicklung vielleicht voraussehen sollen? Oder kannst du mir wenigstens erklären, wieso unsere Intervalle vor den fremden Ortungsstrahlen nicht mehr den geringsten Schutz bieten?« fauchte er seinen Freund an. Dan Riker befand sich in einer besseren Position als der Commander. Er hatte 38
schließlich vor dem Besuch dieser Sternenbrücke gewarnt. Er hatte von Anfang an befürchtet, daß sie die Spur der Robot-Ringraumerflotte verlieren könnten. Was hätten sie denn bei einem Objekt dieser Art in vier Stunden schon erreichen können? Aber er schwieg. Er wollte nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. Es war auch so schon schlimm genug, daß die stolze POINT OF zu einem hilflosen Spielball unbekannter Kräfte geworden war. Die Gedanken des Commanders kreisten derweil um die Tatsache, daß nach wie vor Erdschwere in der POINT OF herrschte, während alles andere von außen abgeschaltet worden war, sogar Luftversorgung und Heizung. Der Luftinhalt des Ringraumers würde noch ein paar Wochen reichen. Der Ausfall der Heizung war da schon bedenklicher, denn in knapp acht Stunden würden die Unitallwände ausgekühlt sein und die Raumkälte ins Schiff dringen. Und dann schreckte Dhark plötzlich zusammen, genau wie alle anderen an Bord der POINT OF. Die Beleuchtung war wieder aufgeflammt. Die Instrumente zeigten wieder Werte an. Der Sie ließ sich wieder anfahren. Der Spuk war vorbei! Der Ringraumer gehörte wieder seiner Besatzung.
Mit einem knappen Nicken nahm Ren Dhark Tino Grappas Meldung entgegen. Seine Gedanken eilten bereits weiter… Während der Dunkelphase, die nicht länger als eine Stunde gedauert hatte, war die POINT OF auf eine andere Position gebracht worden. Sie stand jetzt nicht mehr eine Lichtstunde von der fünften Sonne entfernt, sondern befand sich mitten in deren System, das acht Planeten besaß. Wer konnte ein Interesse daran haben, den Ringraumer hierher zu bringen? »Commander, wir haben die ersten Grob werte vorliegen. Der fünfte Planet ist eine Sauerstoffwelt!« Die Astrophysiker arbeiteten so zuverlässig und schnell wie immer. Rikers Augen wurden groß. »Hast du nach diesem Zauberkunststück etwa immer noch vor, in diesem Sektor zu bleiben, Ren?« Dharks »Ja« war knapp und unabänderlich. Das spürte auch Dan Riker, der nur zu gut wußte, wann sein Freund nicht mehr mit sich reden lassen wollte. Dhark forderte von Grappa die erforderlichen Werte an, um sich über die Position des fünften Planeten ein Bild machen zu können. Gleichzeitig errechnete der Checkmaster die Kursdaten. Die POINT OF nahm Fahrt auf. 39
Über Bordverständigung teilte der Commander der Besatzung das neue Ziel mit. Sein nächster Anruf galt der astrophysikalischen Abteilung. »Nein«, erklärte man ihm, »davon können wir nichts mehr feststellen. Seitdem wir im System der fünften Sonne stecken, ist das Leuchtband mit seinen gravitatonischen Nebenerscheinungen nicht mehr zu erfassen. Wir haben keine Erklärung dafür.« Dhark bedankte sich, auch wenn die Angaben des Astrophysikers in krassem Widerspruch zur Wiedergabe der Bildkugel standen. Dort war das Leuchtband klar und deutlich zu erkennen. Grappa meldete nichts. Die Funk-Z schwieg. Das alles paßte vorne und hinten nicht zusammen. »Waffen klar?« Die Offiziere in der Kommandozentrale horchten auf. Es kam selten vor, daß der Commander sich in dieser Form mit den beiden Waffensteuerungen in Verbindung setzte. Dan Riker fiel es immer noch schwer, Dhark zu verstehen. Die Zeit brannte ihnen unter den Nägeln – in spätestens sechs Stunden würde es im gesamten Spiralarm keine einzige Energiefahne mehr geben, die noch verraten könnte, in welche Richtung das Gros der Ringraumer-Flotte verschwunden war – und Ren Dhark interessierte sich plötzlich nur noch für diese Sternenbrücke. Langsam tauchte der Planet aus dem Dunkel des Weltraums auf, in dem das Feuerauge seiner Riesensonne als große, blendende, bedrohliche Scheibe stand. Bis auf hundert Kilometer hatte der fünfte Planet, der schwach rötlich schimmerte, den gleichen Durchmesser wie die Erde. Seine Schwerkraft betrug 1,2 Gravos, die Rotationszeit 21:56,30 Stunden Norm-Zeit. Die Analyse bestätigte, daß es sich um eine Sauerstoffwelt handelte. Giftige Gase waren in der Atmosphäre nicht festzustellen. Die POINT OF raste mit hoher Fahrt auf ihr Ziel zu, das in der Bildkugel allmählich größer wurde. In der Zentrale war es ruhig. Immer noch machte sich Spannung breit, wenn ein unbekannter Planet angeflogen wurde. Man mußte mit allem rechnen. In diesem Fall ganz besonders. Dreieinhalb Millionen Kilometer vor ihrem Ziel bremste Dhark das Schiff ab. Mit etwas mehr als zehntausend Kilometern pro Sekunde bewegte sich die POINT OF relativ langsam weiter. Bei den Astrophysikern liefen die Auswertungen der letzten Feinanalysen ein. Auch die Astronomen standen kurz vor dem Abschluß ihrer Arbeiten. Der Planet, den sie anflogen, besaß ein geradezu ideales Klima. Lakonisch meldete Grappa: »Die Fremdortung hat uns wieder!« Die Funk-Z verhinderte, daß Dhark eine Frage stellen konnte. 40
»Commander«, gab Elis Yogan durch, »wir haben einen Funkspruch empfangen und ihn…« Und dann meldete sich der Checkmaster. Landeplatz ww-674. Kurs mit Peilstrahl abstimmen. Dhark runzelte die Stirn. Manchmal war ihm das Bordgehirn der POINT OF fast unheimlich. »Yogan«, wandte er sich an die Funk-Z, »spielen Sie uns den Anruf in die Zentrale.« Sie hörten die Worte einer unverständlichen Sprache. Der Checkmaster aber hatte sie übersetzen können, wie er seinerzeit auch das Schlangenzischen der Giants vollendet beherrscht hatte. Metallisch hatte die Stimme geklungen, als ob… Dhark schüttelte den Kopf. Seit seinem Zusammenstoß mit den Robotern der Ruinenstadt war sein Interesse an derartigen Maschinen stark abgeflaut. Diese fast perfekten Konstruktionen verursachten bei ihm ein tiefes Unbehagen. Reaktionsschnell und von eiskalter Logik, waren sie gefährliche Gegner. »Yogan, den Funkspruch noch einmal einspielen.« Hastig fügte er hinzu: »Auch zu Doorn in den Triebwerksraum.« Dan Riker sah ihn fragend an, aber er hatte keine Zeit für große Erklärungen. Außerdem müßte Dan mit seinem phantastischen Gedächtnis eigentlich von selbst daraufkommen. Noch einmal war die metallisch klingende Stimme zu hören, die in unbekannter Sprache eine Anweisung gab. »Nun, Doorn?« fragte Dhark den Sibirier über die Bordverständigung. Doorn wiegte zögernd den Kopf. Selbst auf dem kleinen Monitor war deutlich zu erkennen, wie angestrengt er nachdachte. »Das ist zwar alles schon eine halbe Ewigkeit her, Dhark, aber… aber wenn ich an die Sendung denke, die wir einmal mit dem kleinen Gigant-Sender auf Hope hereingeholt haben… es könnte dieselbe Sprache sein.« »Die Vermutung habe ich auch…« Die Astrophysiker schalteten sich dazwischen. »Im Bereich dieses Systems herrschen Normalverhältnisse, Commander. Von Hochwerten des elektromagnetischen Feldes ist hier nichts festzustellen. Die Werte liegen sogar bedeutend niedriger als jene, die auf Terra erfaßt wurden, als man diesen Zweig der Astrophysik zu beherrschen begann.« Dhark begriff die Bedeutung dieser Meldung sofort. Ihm war die Katastrophe, die durch die Störungen des galaktischen Magnetfelds heraufzog, nicht gleichgültig. Und er wußte auch, daß die Mediziner Mutationen nicht ausschließen wollten oder konnten. Und hier war von der Bedrohung nicht das geringste festzustellen. 41
Die Fremdortung war verschwunden. Der Peilstrahl, der von dem unbekannten Planeten hochkam, stand. Die POINT OF vollzog eine geringfügige Kurskorrektur und flog mit noch stärker gedrosselter Geschwindigkeit ihrem Ziel zu. »Commander, Energieortung spricht an. Drei starke Quellen ausgemacht. Gerade ist eine vierte hinzugekommen. Donnerwetter… der Planet wird lebendig!« Alle in der Zentrale befürchteten in diesem Augenblick das gleiche: einen Angriff auf die POINT OF. Er kam auch – aber ganz anders, als erwartet! Ein gewaltiger Traktorstrahl durchschlug die Intervallfelder des Ringraumers, packte das Schiff, dessen Sie sich vergeblich gegen diesen Angriff wehrte, und riß es zum Planeten hinunter. Die Andruckabsorber der POINT OF heulten lauter als je zuvor. Dharks Blick war auf die Instrumente gerichtet. Seine Fingerspitzen lagen auf den Steuerschaltern. Er beherrschte diese für Menschen komplizierte Steuerungstechnik wie kein zweiter. Der Sternensog kam! Er wirkte nicht! Dhark machte einen letzten Versuch. Aber nicht einmal das undefinierbare Pfeifen wie vor jeder Transition war zu hören. Die POINT OF brach in die äußeren Luftschichten des Planeten ein, auf den sie in ein paar Sekunden stürzen mußte. In der Bildkugel war nur noch der Teil eines Kontinents zu sehen: eine riesengroße Ebene, im Norden von einem Meer begrenzt. Ren Dharks Augen wurden groß. Mitten in der lindgrünen Ebene unter ihnen klaffte ein riesiges, mehrere Kilometer messendes, dunkles, vieleckiges Loch. Und in dieses Loch raste sein Schiff mit gleichbleibend hoher Fahrt hinein. Dhark hörte noch, wie die Andruckabsorber der POINT OF im höchsten Diskant aufheulten, spürte, wie der Andruck hochschnellte – und dann nichts mehr…
Leutnant Kerr schlug die Augen auf. Ein paar Minuten später war er nicht mehr allein in seinem großen, luftigen Krankenzimmer. Vier Ärzte und eine Anzahl blitzender medizinischer Geräte umstanden sein Bett. Die Untersuchung lief. Kerrs kleines und großes Gehirnstrommuster wurden ausgeweitet. Der Kranke sah Amplituden über kleine Oszillos wandern; es be42
deutete ihm nichts. »Gut«, sagte ein Arzt zufrieden und schenkte ihm einen aufmunternden Blick. »Sie haben ausgezeichnet auf Dia-Alpha-3-b angesprochen.« Noch nie davon gehört, wollte Kerr sagen, als er sich leicht aufbäumte – ein elektrischer Stoß war durch seinen Körper gegangen. »Ausgezeichnet!« sagte ein anderer Arzt. Kerr wurde ärgerlich, doch nur für einen kurzen Moment. Dann bäumte sich wieder auf. Aus Angst! Er war verrückt! Er sah Halluzinationen! Er trieb doch durch den Raum. Durch das ewige Dunkel. Über dem Abgrund der Unendlichkeit. Und sein Sauerstoffvorrat reichte nur noch ein paar Minuten. »Nein… nein! Ich mach’ Schluß!« kam es über seine Lippen. Auf den Oszillos rasten die Blips dahin. Er hörte nicht die Anordnung: »Sako-8 injizieren!« Er hörte auch das Zischen des Injektors nicht. Noch fühlte er das Sedativum in seine Haut dringen. »Ich mach Schluß… Jetzt! Aber wo ist denn mein… mein…« Sein Nervensystem wurde leicht gelähmt und gleichzeitig seine Denkfunktionen heruntergesetzt. Sein Panikanfall gebremst. Danach erst trat die beruhigende Wirkung des Medikaments in Kraft. Je stärker sie wurde, um so mehr hob sie die gesteuerte Lähmung auf. Kerrs Blick wurde wieder klar. Sein Atem ging ruhiger. Die Flecken auf seinem Gesicht verschwanden langsam. Die kühle Hand eines Arztes berührte seine Wange. »Sie müssen ruhig bleiben, Kerr. Sie liegen in der Medo-Station des TFStabes. Ihr Genesungsprozeß verläuft überaus befriedigend.« In Kerrs Blick lag Angst. Angst, daß alles, was er gerade erlebte, plötzlich wie ein Schemen davontreiben könnte und er wieder allein in der Dunkelheit des Universums schweben würde. Die Zahl der Blips auf einem Oszillo erhöhte sich schlagartig. Ein zweiter Arzt trat dicht neben sein Bett. Er hatte erkannt, warum die Zahl der Amplituden so groß geworden war. »Kerr, Sie befinden sich nicht mehr auf der BERNHARDTS STAR. Sie liegen in einem Bett der Medo-Station des Stabes. In Cent Field auf Terra! Haben Sie das alles verstanden?« Es klang wie Musik in seinen Ohren, und er wollte das alles so gern glauben – aber wie, um alles in der Welt, war er nach Terra gekommen? Er war doch ganz allein! Allein im Weltraum. Die gleißenden Strahlbahnen der As-Onen-Triebwerke waren doch schon vor langer Zeit in der Unendlichkeit 43
kleiner und kleiner geworden. »Wo bin ich?« fragte er mit zuckenden Lippen. Ein Arzt reichte ihm etwas zu trinken. Er hielt das Plastikgefäß mit eigener Kraft und trank in gierigen Zügen. Er stöhnte erleichtert auf, als er den Becher geleert zurückgab. »Besser, Kerr?« Das erste Lächeln flog über sein bleiches Gesicht. Der Kontakt um seine Stirn wurde lästig. »Wir können es abnehmen«, entschied ein Arzt. Dann wurden die medizinischen Untersuchungsgeräte zur Seite geschoben. »Kerr, haben Sie noch Beschwerden?« Auch der dumpfe Schmerz in seinem Kopf war verschwunden. Aber wie war er zur Erde gekommen? Je länger die Ärzte ihn befragten, um so größer wurden ihre Zweifel. Sollte dieser Leutnant trotz der gegenteiligen Untersuchungsergebnisse verrückt sein? Dieser Mann behauptete allen Ernstes, nicht zu wissen, wie er nach Terra gekommen war. Er faselte von einem grellgrünen Fleck, aus dem zwei geworden waren, und daß er plötzlich unbeschreibliche Angst bekommen hätte. Mehr als vor dem Ersticken im Raumanzug. Kerr blieb bei seiner Aussage. Er erkannte, daß die Ärzte ihm nicht glauben wollten. Und er registrierte, wie mißtrauisch sie ihn ansahen – als ob sie an seinem Verstand zweifelten. Aber er war nicht verrückt! Das wußte er ganz genau! Viel besser als sie. Nur wie er zur Erde gekommen war, das konnte er ihnen beim besten Willen nicht verraten… Aber er war jetzt auf Terra. Nur das zählte für ihn. Den Ärzten genügte es nicht! Marschall Bulton wurde benachrichtigt. Man spielte ihm und einigen Stabsoffizieren das Gespräch mit Kerr vor. »Wirklich normal? Nicht verrückt?« fragte Bulton, nachdem er sich die Videoaufnahme zweimal angesehen hatte. »Nein«, sagte einer der Ärzte, »Kerr ist gesund.« Der Choleriker brach wieder einmal in Bulton durch. »Kerr ist verrückt! Übergeschnappt! Sie können’s nur nicht feststellen… Oder soll ich vielleicht glauben, er sei die paar tausend Lichtjahre bis Terra zu Fuß gegangen?« »Marschall, Sie sind sich aber immer noch sicher, daß der Mann in der MedoStation Leutnant Kerr ist, oder?« Bulton fing sich, quälte sich ein »Sony!« ab, kratzte sich den Kopf und fauchte im nächsten Moment seine Stabsoffiziere an, die sich an der Debatte nicht beteiligt hatten. »Darf ich die Herren bitten, mir Ihre Meinung zu dem Fall kundzutun!« 44
Es war kein gutes Zeichen, wenn der Marschall sich bemühte, besonders gewählt zu sprechen. Colonel Kuan zuckte mit den Schultern. »Es gibt keine Erklärung für Kerrs Auftauchen auf der Erde, wenn er nicht doch von einem Raumschiff…« Lautstark unterbrach ihn Bulton: »Aber das ist nun doch wirklich lang und breit untersucht worden. Außer der BOA ist kein einziges Schiff in dem Sektor gewesen, in dem die Rateken den Kreuzer zusammengeschossen haben. Oder wollen Sie mir etwa weismachen, daß ein Schiff, das nicht zur TF gehört, unsere Überwachung unterflogen und auch noch die Dreistigkeit besessen hat, auf Cent Field zu landen, ohne dabei bemerkt zu werden?« So leicht ließ sich der Colonel nicht einschüchtern! »Und was ist mit Sawalls Robonen? Haben ihre Raumschiffe nicht einen beinahe perfekten Ortungsschutz? Und haben sie unser gesamtes Überwachungssystem nicht bereits mehrfach zum Narren gehalten?« »Aus! Schluß der Debatte!« bestimmte Bulton. »Meine Herren, ich danke Ihnen!« Das war ein Hinauswurf. Aber Bultons Stabsoffiziere kannten ihren Chef. »Tja«, sagte er, als er mit den Ärzten allein war, »wenn Kerr uns nicht mehr sagen kann, dann wird es wohl für alle Zeiten ungeklärt bleiben, wie er zur Erde gekommen ist. Glücklich bin ich darüber nicht. Sie haben ja gehört, was dieser Colonel gesagt hat. Sawalls Robonen.« Der Marschall schnaubte wütend. »Die haben tatsächlich mehrfach unseren Ortungsring durchflogen, und wir haben nichts bemerkt… Die Möglichkeit, daß Kerr von Robonen nach Terra gebracht wurde, ist also nicht ganz von der Hand zu weisen.« »Aber Sie glauben es nicht, Marschall?« fragte ein Arzt interessiert. »Nein!« erklärte Bulton fest. »Und selbst wenn es die Robonen gewesen wären – warum hätten sie Kerr dann heimlich mitten auf Cent Field ablegen sollen…« Der Marschall verstummte. Von draußen wurde die Tür geöffnet. Manu Tschobe trat ein und stutzte, als er das Ärzteteam bei Bulton sah. Der Marschall hingegen wirkte fast erleichtert, als er erkannte, wer da sein Büro betreten wollte. Mit einer ungeduldigen Handbewegung winkte er den Afrikaner herein. »Sie kommen genau richtig, Tschobe. Vielleicht sind Sie in der Lage, etwas Licht in dieses Dunkel zu bringen!« Dann erklärte er Tschobe den Fall. Aufmerksam hörte der Afrikaner zu. Er ließ sich nichts anmerken, als man ihm die Videoaufnahmen vorspielte. Nur einmal spielte so etwas wie ein Lächeln um seine Mundwinkel. Gelassen steckte er sich eine Zigarette an. »Nun? Das ist alles ziemlich mysteriös, nicht wahr, Tschobe?« meinte Bulton. »Nein, meine Herren. Für mich ist ganz klar, wer Kerr zur Erde gebracht hat. 45
Aber Sie können nicht darauf kommen, weil Sie sie noch nie gesehen haben.« Er machte eine Pause, als wollte er die Spannung noch erhöhen. Dann sagte er langsam: »Kerr wurde von den Synties nach Terra gebracht.« »Von den Synties?« Einer der Ärzte schüttelte ungläubig den Kopf. Tschobe konnte die Skepsis des Mannes verstehen. »Ja«, sagte er dennoch mit aller Entschiedenheit, »die Synties haben Kerr das Leben gerettet. Und sie haben mit ihm einen Sprung durch den Hyperraum gemacht. Daher die Angst, die ihn ganz am Schluß überfallen hat. Bitte, ich gebe Ihnen einen Tip: Fragen Sie Kerr, ob er nicht von Synties gerettet worden ist.« »Aber gerade das weiß er doch nicht!« fiel einer der Ärzte dem Afrikaner ins Wort. »Er wird es wissen, wenn Sie ihn in der Form fragen, wie ich es Ihnen vorgeschlagen habe.« Und Kerr wußte es. Und es tat ihm gut, endlich zu wissen, wer ihn gerettet hatte. »Ihr Synties…« flüsterte er am Abend, kurz bevor er einschlief, und in seinen Worten schwang Dank mit. Auf dem Planeten Oorch verfluchten hundertachtundvierzig Terraner die herrischen, birnenköpfigen Riesen, die ihr Raumschiff zusammengeschossen und sie hierher verschleppt hatten, nur um sie einzusperren und ansonsten sich selbst zu überlassen. Hundertachtundvierzig Terraner, die in mehreren großen, aneinandergrenzenden Räumen hinter einer Energiesperre hockten und warteten, daß endlich etwas passieren würde. Aber außer, daß sie in regelmäßigen Abständen mit Wasser und Nahrungsmitteln versorgt wurden, geschah nichts. »Ich halte das nicht mehr lange aus«, sagte Leutnant Arsan zu Colonel Neep. »Nach meinen Berechnungen sind wir jetzt schon drei Tage hier, und niemand kümmert sich um uns. Verstehen Sie das, Colonel?« Neep schüttelte den Kopf. Das ist jetzt schon das zweite Mal, daß ich mich mit meinen Männern in der Hand von Extraterrestriern befinde. Auch bei den Utaren war die Situation lange Zeit völlig undurchsichtig, aber dort hat sie sich zum Guten gewendet, dachte er. Er ließ den Blick durch die Räume schweifen, die ihr Gefängnis bildeten. Zumindest gibt es diesmal keinerlei Anzeichen, daß wieder eine Panik ausbrechen wird. »Noch sind die Männer ruhig – diese ratekischen Schockstrahlen haben es aber auch wirklich in sich –, aber ich weiß nicht, was passieren wird, wenn es noch lange so weitergeht«, erklang Arsans Stimme. Neep blickte den Leutnant prüfend an. »Haben Sie etwa gerade meine Gedanken gelesen, Arsan?« sagte er in dem halbherzigen Versuch, einen Scherz zu 46
machen. Arsan lächelte dünn. »Sie haben gerade an Esmaladan gedacht, das konnte man deutlich von ihrem Gesicht ablesen, Colonel. Schließlich haben wir uns auch dort anfangs in einer ziemlich unangenehmen Situation befunden. Und dennoch habe ich den Eindruck…« er ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen. »…daß unsere Ausgangssituation damals hundertmal besser war.« Neep seufzte. Er fühlte sich furchtbar müde, und er war nicht sicher, ob das wirklich nur die Nachwirkungen der ratekischen Schockstrahlen waren. »Aber was sollen wir tun, Arsan? Was können wir tun? Diese Burschen sind uns körperlich weit überlegen, und wir haben noch nicht einmal eine einzige kümmerliche Waffe, um diesen Nachteil etwas auszugleichen.« Arsan machte ein grimmiges Gesicht. »Mir wird schon noch etwas einfallen, Colonel, darauf können Sie sich verlassen… Mir fällt ganz bestimmt etwas ein!«
Die POINT OF war gelandet, flach auf dem Bauch. Ihre fünfundvierzig Paar Teleskopstützen waren nicht ausgefahren worden. Niemand hatte dieses Manöver durchführen können. Alle an Bord waren bewußtlos gewesen. Doch mittlerweile war die Mannschaft wieder einsatzbereit. Ren Dhark hatte die Scheinwerfer seines Flaggschiffs eingeschaltet. Zusammen mit seinen Offizieren stand er vor der Bildkugel. Sie wollten endlich wissen, wo sie gelandet worden waren. »Nichts zu sehen!« stöhnte Dan Riker. Dhark hatte in Gedanken die gleiche Feststellung gemacht. Nun betätigte er einen Steuerschalter, und die in der äußeren Wandung der POINT OF liegenden Scheinwerfer begannen in einem komplizierten Zusammenspiel ihre Strahlen nach rechts und links, oben und unten zu schwenken. Die Bildkugel blieb schwarz. Auch dort, wo die Lichtfinger den Boden trafen, stießen sie auf Schwärze und Leere. Über dem Schiff war es genauso. In 3218 Meter Höhe befand sich eine waagerechte, geschlossene schwarze Decke. Sie schien aus einem Stück zu sein. Aber wie weit reichte sie nach rechts und links? Grappa wandte den Blick von der Bildkugel und widmete sich wieder der Distanzortung. Sekunden später kamen seine Angaben. Die mehr als drei Kilometer über ihnen liegende schwarze Decke überspannte ohne jede Stütze eine gigantische Halle, die 138 mal 74 Kilometer maß. 47
»Commander, ich messe in Richtung Grün 17:43 eine gleichbleibende schwache Energieemission an. Sonst rührt sich hier nichts.« Knapp fragte Dhark zurück: »Grappa, wie weit entfernt?« »Genau…« Es verschlug ihm die Sprache. Seine Distanzortung warf ununterbrochen andere Werte aus. Ein Flugkörper befand sich im Anflug auf den Ringraumer. »Commander, unbekanntes Objekt im Anflug auf das Schiff!« Über die Bordverständigung stand Dhark mit allen Räumen der POINT OF in Verbindung. »Morris, wie sieht’s bei Ihnen aus?« Der Funkoffizier hatte nichts zu melden. »Dhark, unbekannter Flugkörper setzt auf Grün 17:49 zur Landung an. Ich kann ihn nur undeutlich orten, als ob das Ding unter einem Ortungsschutz fliegen würde.« »Groß?« fragte Dhark kurz. Er bemerkte die verstohlenen Blicke von allen Seiten, und er wollte sich nichts anmerken lassen. Wieder einmal dachte er an die Mysterious. Und wieder einmal hoffte er, ihnen zu begegnen. Den Geheimnisvollen, die niemals mit den Grakos identisch sein konnten! »Commander?!« Die gesamte Besatzung der POINT OF sah den unbekannten Flugkörper – einen Riesen-Flash! Auf zwölf auffallend dünnen Teleskopbeinen setzte der Flash knapp hundert Meter vor der Schleuse II des Flaggschiffs elegant auf. Langsam spreizte das Fahrzeug seine Ausleger, und der gedrungene, plumpe Rumpf näherte sich immer mehr dem Boden der unwirklich großen Halle. Acht Scheinwerfer hatten das Objekt erfaßt und ließen es nicht mehr los. Blauviolett schimmerte der Rumpf. Unitall! »Dhark, wir haben Empfang!« Glenn Morris’ Meldung schlug wie eine Bombe ein. Im gleichen Moment war in allen Köpfen die Stimme des Checkmaster zu hören! Commander Dhark wird gebeten, mit einer achtköpfigen Delegation den XeFlash zu benutzen! »Große Milchstraße!« stöhnte Dan Riker. »Die Mysterious! Mein Gott, hier leben sie – hier, in der Sternenbrücke!« Für einen Augenblick wurde es in der Kommandozentrale der POINT OF laut, dann gewannen die Offiziere die Fassung zurück. Niemand rührte sich. Zu unerwartet hatte sie die Aufforderung getroffen. Dan Riker legte seinem Freund die Hand schwer auf die Schulter. 48
»Ren… großer Himmel…« Er war so erschüttert, daß er nicht mehr weitersprechen konnte. In den braunen Augen des Commanders stand ein triumphierendes Leuchten. Seine Hartnäckigkeit, diesen Sektor anzufliegen, hatte sich doch ausgezahlt. In seinen Gedanken hallte die telepathische Stimme des Checkmaster nach: Commander Dhark wird gebeten… Am Xe-Flash hatte sich seitlich eine Schleuse geöffnet. Knapp zwei Meter über dem Boden schob sich aus dem Rumpf des großen Blitzes eine Rampe heraus, die sich langsam senkte. Im grellen Licht der Scheinwerfer war der Xe-Flash in allen Einzelheiten zu sehen. Übermannshoch, dicht hinter der plumpen Nase eine Schleuse, die merkwürdig unpassend wirkte. Die Schleuse, in deren Innern schwaches blaues Licht schimmerte, blieb leer. Kein Wesen zeigte sich. Diese Tatsache zwang Ren Dhark, seine acht Begleiter auszuwählen. Dan Riker ahnte, was ihm wieder einmal bevorstand. »Sag bloß…« »Warum sprichst du darüber, wenn du es weißt, Dan?« unterbrach ihn Dhark. »Von der Besatzung wird mich nur Arc Doorn begleiten. Die anderen werden Wissenschaftler und Techniker sein. Du handelst nach eigenem Ermessen!« »Verstanden«, meldete sich lakonisch der Sibirier über die Bordverständigung. Dharks ausgezeichnetes Namensgedächtnis kam ihm jetzt zugute. Nach kurzem Überlegen bestimmte er sieben Experten der verschiedensten Fachrichtungen. Dan Rikers unzufriedenes Gesicht übersah er geflissentlich. Doorn betrat die Zentrale. Wortlos blieb er neben dem Checkmaster stehen. Einer der Offiziere machte ihm Platz. Noch war nicht zu erkennen, welche Aufgabe er dem Bordgehirn stellen wollte. Doch als eine sonore Stimme in unbekannter Sprache durch die Zentrale dröhnte, drehte sich auch Ren Dhark auf der Stelle um. »Wollte nur mal hören, wie das klingt!« lautete Doorns Erklärung. Er war offensichtlich enttäuscht, genau wie Dhark. Plötzlich verstand Riker ihre Enttäuschung. Aber er war der festen Überzeugung, daß sie sich in diesem Fall irrten. Alle, auch Dhark und der Sibirier, hatten viel zu wenig praktische Erfahrung mit der Sprache der Mysterious gehabt. Man konnte an diesem einen Satz, den der Checkmaster nun mehrfach wiederholt hatte, nicht feststellen, ob er der Sprache der Geheimnisvollen entstammte oder nicht. Und Dan Riker selbst war überzeugt, daß diese Worte einen auffallenden Gleichklang mit jenem Funkspruch besaßen, den sie mit dem kleinen Gigant-Sender auf Hope aufgefangen hatten, bevor sich das Gerät selbst zerstörte. 49
Er sagte es Dhark. »Möglich, daß du recht hast, Dan.« Dhark lächelte unmerklich, als er die Vorsicht der wartenden Experten bemerkte. Sie hatten sich auf die Angabe nicht verlassen, die Luft in dem unterirdischen Riesenraum sei ohne Bedenken atembar. Sie hatten ihre Klarsichthelme geschlossen und öffneten sie nur widerstrebend, als Dhark ihnen durch Handzeichen klarmachte, daß keinerlei Gefahr bestand. Der Boden war rußschwarz, sein Absorptionsvermögen unwahrscheinlich groß. Aber es war unmöglich, für diese Schwärze der Wände, der Decke und des Bodens einen plausiblen Grund zu finden. Dhark trat an den Xe-Flash heran. Wunderbar das blauviolette Schimmern des Rumpfs. Bizarr das Aussehen der zwölf weit gespreizten, spinnbeindürren Ausleger. Ohne Zögern betrat Ren Dhark die kleine, flach ansteigende Rampe. In der Schleuse sah er sich kurz um. Die Instrumente kamen ihm bekannt vor. Einwandfrei entstammten sie der Technik der Mysterious. Das innere Schott war ebenfalls geöffnet. Die Schleuse hatte eine Tiefe von nur anderthalb Metern. Ihr maximales Fassungsvermögen betrug zehn Personen. »Donnerwetter!« sagte der Commander überrascht. Er stand im unteren Deck. Der Xe-Flash besaß zwei. Mit ausgestreckten Armen hätte Dhark die Decke berühren können. Doch nicht diese Tatsache hatte ihn in Erstaunen versetzt, sondern die eigenartige Anordnung der Sessel, die für die menschliche Körperform maßgeschneidert zu sein schienen. Die Sessel waren im Kreis aufgestellt, in einem viereckigen Raum, aus dessen Wänden blaues Licht kam. In drei Ringen hintereinander fanden hier achtunddreißig Personen Platz. In weichen grauen Sesseln, die sich vollkommen jeder Körperform anpaßten. Von einem Pilotenraum war nichts zu sehen. Instrumente gab es nicht. Nur diese Sessel. »Bitte!« sagte Dhark, als er sich von seiner Überraschung erholt hatte. »Bitte, nehmen Sie Platz.« Seine Begleiter ließen sich nieder. Einer wischte über die Armstütze, betrachtete dann seine Handfläche, konnte in ihr aber keinerlei neue Erkenntnisse lesen. Die Luft in der Kabine des Xe-Flash war frisch und roch leicht nach Ozon und einem unbekannten Duftstoff. »Auch hier!« stieß Arc Doorn hervor, als an der Decke die Bildprojektion sichtbar wurde. Für Mysterious eingerichtet, die auf dem Schädeldach ein drittes Auge besaßen. Die Terraner durften wieder einmal den Kopf weit in den Nacken legen, wenn sie erkennen wollten, wie die Umgebung draußen aussah. Schwarz und dunkel! Als ob sie durch das Nichts fliegen würden. Die Scheinwerfer der POINT OF verfolgten sie, hielten den großen Flugkörper fest. 50
Die Männer im Xe-Flash schwiegen. Eine eigenartige Spannung hatte sich ihrer bemächtigt. Sie flogen ins Ungewisse. Sie befanden sich tief unter der Oberfläche eines ihnen unbekannten Planeten, der zur Sternenbrücke gehörte. »Die Wand!« sagte Dhark zu dem Sibirier. Sie rasten auf eine schwarze Wand zu. Sie hatten das Ende dieser unterirdischen Anlage erreicht – oder nur das Ende eines unvorstellbar großen Hohlraumes? Der Xe-Flash besaß ein Intervall. Er flog durch die schwarze Wand. Er flog in blaues Licht hinein! Er bremste ab und landete. Eine kleine Plattform, die gut zwanzig Meter über das Bodenniveau herausragte, nahm den Xe-Flash auf. Die Projektion über den Köpfen der Terraner lieferte ein phantastisches Bild. Sie sahen halbkreisförmig angeordnete Reihen mit Hunderten von Sesseln. Sie sahen die spiegelnden Wände, die tausendfach alles wiedergaben. Sie sahen die im herrlichsten Blauton leuchtende, leicht nach außen gewölbte Decke. Sie sahen in einen kaum fünfzig Meter hohen Raum hinein, der aber über hundert Meter tief war. Und sie sahen, wer sie geholt hatte. Neun Männer im gelandeten Xe-Flash lehnten sich ganz langsam zurück; ihre Haltung war entspannt, locker hingen ihre Arme herab – und sie vergaßen fast zu atmen. Gemessenen Schrittes kam jemand den breiten Gang zwischen den Sesselreihen auf den zwanzig Meter höher liegenden Landeplatz zu, und viele Hundert andere sahen ihm nach, wie er sich dem Xe-Flash näherte.
4. Brüllend jagte der Orkan durch das Brana-Tal. Die Flanken der gewaltigen Berge waren nicht mehr zu sehen. Sie wurden von einer dicken Wand aus wirbelnden Schneeflocken verdeckt. Wettersturz! Am Morgen war der Himmel über der Cyborg-Station noch blau gewesen. Es 51
hatte versprochen heiß zu werden, wie an den Tagen zuvor. Doch jetzt hielt sich kein Mensch mehr draußen auf. Alle hatten die schützenden Unterkünfte aufgesucht. Der Wind war innerhalb einer Stunde zum brüllenden Orkan geworden. Als er Stärke 12 überschritten hatte, war der Schnee dazugekommen. Für das BranaTal eine Katastrophe. Mitten im Sommer brach der Winter in das Hochtal ein und erstickte die karg bewachsenen Weideflächen unter einer weißen Decke. Nur die Cyborg-Station nicht! Ihr energetischer Schutzschirm widerstand auch den wütendsten Naturgewalten. Im Innern der Station nahm niemand Notiz von dem Wettersturz. Von Echri Ezbal bis zum unwichtigsten Hilfstechniker verließen sich alle auf den energetischen Schutzschirm. Auch Malt Rottan bildete da keine Ausnahme. Der schlanke, etwas nach vorn gebeugt gehende Mann, der seine Hände tief in die Taschen seines Overalls vergraben hatte, betrat seinem Dienstplan gemäß gegen 14:30 Uhr Norm-Zeit den Hauptkontrollraum, um ihn zu inspizieren. Routinearbeit, die jeder Techniker ebensogut erledigen könnte, dachte er nicht zum erstenmal, als das Schott vor ihm aufsprang. Rechts an der Wand der Fahrplan – ein Wort, das in keinem technischen Nachschlagewerk zu finden war. Dennoch wußte jeder Techniker innerhalb der Cyborg-Station, was es bedeutete. Rottan warf dem Fahrplan einen prüfenden Blick zu. Er zeigte überall grün. Alle Leuchtlinien strahlten in dieser beruhigenden Farbe. »Na also!« brummte Rottan – und blieb im gleichen Moment wie angewurzelt stehen. Hauptphase VII hatte auf rot gewechselt! Die Sektoren 34 bis 34d standen kurz vor dem Zusammenbruch! Irgendwo in den Tiefen der unterirdischen Station wurden jetzt ein halbes Dutzend Reserve-Konverter hochgefahren. Die Nebenphasen 17 bis 23, Teile der Hauptphase VII, zeigten ebenfalls rot. Die Sektoren 35 bis 36 wurden bereits durch energetische Einwirkung überlastet. Der energetische Schutzschirm der Cyborg-Station drohte zusammenzubrechen! Und die Reserve-Konverter waren nicht mehr in der Lage, den drohenden Zusammenbruch aufzuhalten? »Ruhe! Ruhe!« brüllte Ingenieur Malt Rottan seine vier Mitarbeiter an, die wild durcheinanderredeten. »Die Nerven behalten!« Er war auch verwirrt. Aber er versuchte seine Verwirrung nicht zu zeigen. Jetzt mußte er beweisen, daß er auch Katastrophenfälle meistern konnte. 52
Aber wie? Dieser Fall war nie geübt worden, weil sich niemand diese Möglichkeit hatte vorstellen können. Von draußen erfolgte kein Angriff auf den energetischen Schutzschirm, und dennoch drohte er zusammenzubrechen! Also ein Angriff von innen? Malt Rottan stand vor dem Fahrplan, dieser für einen Laien verwirrenden Leuchtbahn-Anlage. Schweiß stand auf seiner Stirn. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Hinter seiner Stirn jagten sich förmlich die Gedanken. Die letzten Reserve-Konverter der Cyborg-Station waren angefahren. Automatisch. Der S-Leiter drohte zu schmelzen. Der achte Transformer-Ring zeigte rot. Er war um 150 Prozent überlastet. Malt Rottan erkannte sofort, in welcher Gefahr die Cyborg-Station schwebte: Sie drohte sich durch die wahnsinnig erhöhten Energieabgaben selbst zu vernichten. Das ließ sich nur verhindern, wenn der energetische Schirm abgeschaltet wurde, auch wenn draußen ein Unwetter herrschte, wie man es im Brana-Tal noch nie erlebt hatte. Knapp über der Not-Taste, mit der er alles abschalten konnte, blieb seine Hand in der Luft hängen. Wieder starrte er den Fahrplan wie ein Weltwunder an. Quer-Sinko 47 zeigte sich nicht als rote Leuchtbahn! Bei dieser Katastrophe hätte sie aber rot zeigen müssen! In diesem Augenblick bewies sich, wie gut Malt Rottans Ausbildung gewesen war. Er drückte die Not-Taste nicht. Es interessierte ihn nicht, daß der energetische Schutzschirm in den Sektoren 34 bis 36 zusammenzubrechen drohte. Reserve-Konverter ausschalten! Rottans Hände huschten über Sensortasten, während er weiter angestrengt nachdachte. Alles wieder auf normal bringen! Auch wenn der Fahrplan das Gegenteil anzeigte! Der Fahrplan spielte verrückt. Er war durchgegangen. Die Sektoren 34 bis 36 waren nie durch energetische Fremdbelastung bedroht gewesen. Die roten Leuchtbahnen erloschen ebenso plötzlich, wie sie vorhin aufgeleuchtet hatten. »Verdammter Mist!« sagte Malt Rottan, und es kam von Herzen. Entgeistert sahen ihn die Männer an. Rottan grinste verkrampft. Vollkommen hatte er den Vorgang auch nicht begriffen. Das machte ihn unsicher. Aus dieser Unsicher53
heit fauchte er einen Techniker an: »Reden Sie endlich! Was haben Sie beobachtet?« Das gleiche wie Malt Rottan. Auch ihm hatten seine Instrumente gezeigt, daß die Sektoren 34 bis 36 des energetischen Schutzschirms über der Station dicht vor dem Zusammenbruch gestanden hatten. »Strahlbeschuß von außen oder von innen her?« bohrte Rottan. Der Techniker machte den Mund auf – und bekam ihn fast nicht wieder zu. »Weder… weder – noch, Rottan!« stammelte er endlich. Eine Sirene heulte auf. Die Ankündigung einer wichtigen Durchsage, die in allen Räumen der Station – selbst den OPs – gehört werden konnte. »Wir haben einen unbekannten, nicht gemeldeten kleinen Flugkörper in der Ortung. Anflug auf Sektor 34. Höchste…« Schweigen! Fünf Mann im Haupt-Kontrollraum glaubten, neben ihnen habe ein Blitz eingeschlagen! Anflug eines unbekannten Flugkörpers auf genau den Sektor, der laut Fahrplan dicht vor dem Zusammenbruch gestanden hatte? Mit drei Sätzen stand Malt Rottan neben der Verständigung. »Hier Haupt-Kontrolle, Rottan! Was macht der Flugkörper?« Die Ortung schwieg sich aus. Auf dem Bildschirm war ein Mann zu sehen, der so demonstrativ den Kopf schüttelte, daß man beinahe Mitleid mit ihm bekommen konnte. »Nun sagen Sie doch endlich etwas!« drängte Rottan ungeduldig, überflog gleichzeitig ein halbes Hundert Instrumente und fragte sich in Gedanken verzweifelt, warum jetzt die Sektoren 34 bis 36 nicht mehr vor dem Zusammenbruch standen, nachdem sie keine Zusatzenergien mehr erhielten. Aber aus der Ortungszentrale erhielt er keine Antwort. Statt dessen lachte er auf. Laut und schallend. Aber nicht fröhlich, sondern wütend. Wütend über sich selber. »G-Information 347/11 vom vergangenen Monat! Mann, erinnern Sie sich vielleicht daran?« Das galt dem Orter, der sich immer noch ausschwieg. Aber das Gedächtnis des Mannes war ausgezeichnet. Er warf den Kopf hoch, preßte die Hände gegen die Schläfen und sagte: »Ja…« und dann noch einmal und noch einmal. »Ja… ja! Plötzlich war das kleine Schiff nicht mehr zu tasten. Dabei hatte es knapp drei Kilometer vor dem Schirm gestanden. Sein Verschwinden hat mich konfus gemacht. Ich habe nicht mehr daran gedacht, einen Blick auf den Analysator zu werfen.« »Dann tun Sie es jetzt endlich!« »Es könnte sich… es könnte sich um ein Giant-Schiff gehandelt haben. Es 54
könnte, sage ich… aber jetzt ist es weg… keine Spur mehr davon zu entdecken…« »Es könnte sich aber ebensogut auch um ein Schiff der Robonen gehandelt haben, oder?« fragte Rottan energisch. »Ja… ja, natürlich…« »Danke! Den Alarm können Sie wohl abblasen.« Er drehte sich zu seinen Männern um und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wir dürfen uns freuen«, sagte er mit sarkastischem Tonfall. »Aber wenn das stimmt, was ich vermute… Großer Himmel, wird sich die GSO freuen, und dann gibt’s eben zwei Parteien, die Spaß haben.« Niemand verstand ihn. Malt Rottan gab keinen Kommentar. Er setzte sich hinter die Verständigung, tastete einen Kode und wartete. Der Schirm flammte auf, aber er zeigte nur drei Buchstaben: GSO. Malt Rottan gab seine Personalien an, seinen Arbeitsbereich, dann legte er los. »…daher bin ich überzeugt, daß man unseren Fahrplan präpariert hat. Ob hier im Haupt-Kontrollraum oder auf dem Weg zu den Ring-Transformern, das werden wir noch nachprüfen.« Jetzt wurde er unterbrochen. »Rottan, Sie sind also davon überzeugt, daß… nun, ich bin kein Fachmann… also daß Sie dazu gebracht werden sollten, unserem Prallschirm zuviel Energie zuzuführen, um auf diese Weise einen Kurzschluß zu erzeugen?« Rottan machte ein Gesicht, als ob man ihm Essigessenz eingeflößt hätte. »Ja, so kann man es laienhaft auch ausdrücken. Wir haben noch den Beweis für meinen Verdacht zu erbringen.« »Wie sind Sie eigentlich überhaupt darauf gekommen, Rottan?« fragte man ihn von der GSO-Stelle in der Station interessiert. »Nun, weil die Quer-Sinko 47…« Er verstummte. »Nein, verlangen Sie nicht, daß ich einem Laien das erklären soll. Aber diese 47 hätte bei unserem verrücktspielenden Fahrplan unter keinen Umständen grün leuchten dürfen!« »Also hat kein Experte diese Manipulation vorgenommen – wenn es denn eine gewesen ist!« Heftig widersprach Rottan. »Ganz im Gegenteil. Es muß ein Experte gewesen sein. Quer-Sinko 47 beweist es. Dem Burschen ist dabei nur ein winziger Denkfehler unterlaufen. Gerade in diesem Fall bin ich selbst bestimmt schon hundertmal darauf hereingefallen. Aber wer von meinem Kollegen würde so etwas tun? Wirklich… ich kann’s mir nicht vorstellen.« »Den Mann zu finden, überlassen Sie bitte uns!« wurde ihm erwidert. »Bringen Sie uns die Beweise, daß man Ihren Fahrplan präpariert hat. Was ist das eigentlich für ein Ding, Ihr Fahrplan?« Nein, dachte Malt Rottan entsetzt, das darf man mir wirklich nicht antun! Aber er wollte dem GSO-Mann nicht zum zweitenmal sagen, daß er ein Laie wäre. 55
Im letzten Moment kam ihm eine Idee. »Ihnen unseren Fahrplan zu erklären, ist in drei Sätzen nicht möglich. Ich lasse Ihnen heute noch das Band darüber zukommen. Es enthält alles für Sie Wissenswerte.« Der GSO-Mann bedankte sich auch noch. Wirst du dich wundern und mich bald verwünschen, dachte Malt Rottan mit leichter Schadenfreude, während die Verbindung zur GSO-Zentrale der Cyborg-Station zusammenbrach. »Ja, meine Herren, und nun wartet ein schöner Haufen Arbeit auf uns.« Damit erhob er sich und trat zu seinen Untergebenen. Seine Gedanken kreisten um die Robonen und ihre Raumschiffe mit dem fast perfekten Ortungsschutz. Oder sollte diesmal jemand ganz anderes seine Hand im Spiel haben?
Echri Ezbal und seine Mitarbeiter im OP-01 der Cyborg-Station hatten sich durch den Zwischenfall nicht stören lassen. Auf dem von A-Grav-Kräften gehaltenen OP-Tisch vor ihnen lag Mark Carrell, der zum ersten Cyborg einer neuen Generation werden sollte. Carrell nahm nicht mehr wahr, wie viele Ärzte, medizinische Ingenieure und Techniker im OP-01 tätig waren. Eine schwache, aber lang wirkende Narko-Dosis hatte ihn betäubt. Sein Zweites System, über das er schon seit Wochen verfügte, lag still. Bis zu diesem Punkt würde er sich auch in Zukunft nicht von den Cyborgs der ersten Generation unterscheiden. Aber heute wollten Ezbal und seine Mitarbeiter einen Schritt weitergehen als bisher. Carrells Kleines und Großes Gehirnstrommuster waren klar, sein Blutdruck konstant. Kein Wunder, denn wer in die engere Wahl kam, Cyborg zu werden, mußte nicht nur psychisch, sondern auch physisch vollkommen gesund sein. Weich schlug eine Glocke an. »O. K.«, sagte ein Arzt mit auffallend langem Gesicht. Echri Ezbal schob mit ruhiger Hand einen Kabelstrang zur Seite, der von einer dünnen Folie ausging, die Carrells Brustkorb umspannte. Der Kopf des jungen Mannes war kaum zu sehen. Kontakte in verschiedensten Farben bedeckten fast alles. Selbst auf den Lippen klebten Folien, und auch von ihnen gingen dünne Kabelverbindungen zu den Kontroll-Geräten. Sieben Ärzte standen um Mark Carrell herum. Sieben Mediziner, die trotz aller Erfahrungen von einer starken Erregung erfaßt worden waren. Mark Carrell sollte vergiftet werden! Durch ein Virus, das vom Planeten Bittan im 404-System stammte. Wie jedes andere Virus war auch dieses im passiven Zustand kristallin, während es in der Gegenwart von lebendem Gewebe aktiv wurde, um sich in einem kettenreakti56
onsähnlichen Prozeß zu vermehren. Dieser Erreger besaß keine Inkubationszeit. Unter dem stärksten Sensor-Mikroskop sah er wie ein Doppelpunkt aus. Mit seiner Dicke von 0,09 Mikron war es das kleinste Virus seiner Art und passierte ungehemmt jeden bakteriendichten Filter. Sechs verschiedene Stämme hatte Ezbal beobachtet. Sie zu trennen, war eine virulogische Meisterleistung gewesen. Aber erst die Gruppe F zeigte Eigenschaften, die erregend und bestürzend zugleich waren. Das Virus F vermehrte sich nicht in Gegenwart lebenden Gewebes! Es blieb passiv – kristallin! Und Echri Ezbal, der sonst jedes seiner Worte vorher abwägte, hatte damals gesagt: »Man muß es kitzeln, um es zur Aktivität zu zwingen!« Das Kitzeln bestand in einer relativ hohen Steuerspannung von 6,38 Volt! Erst wenn dieser Impuls erfolgt war und es sich in engster Nachbarschaft von Gewebe befand, begann es sich in einer gerade noch zu übersehenden Weise zu vermehren. Nur konnte dieser Vorgang zunächst nicht mehr unter Kontrolle gebracht werden! Dennoch hatte Echri Ezbal nicht aufgegeben. Ein Reihenversuch war dem anderen gefolgt. Schließlich fand er die Lösung: Das Virus F mußte sich überall im lebenden Gewebe befinden, wenn man es durch eine Steuerspannung aktivierte. Das bedeutete nichts anderes, als überall den kettenreaktionsähnlichen Prozeß auszulösen, der in seinen Anfängen verhältnismäßig langsam ablief und nur in dieser Phase zu beherrschen war. In den letzten Wochen hatte Mark Carrell immer wieder darauf gedrängt, endlich die letzte Phase des Versuches mit ihm abzuschließen. Er war ungeduldig geworden – er, der genau wußte, was mit ihm geschehen würde, wenn das Experiment mißlang. Mißlang es, dann konnte ihn nichts mehr vor dem Tod retten! Daran dachte Ezbal, als er die wichtigsten Kontrollen noch einmal überflog. Er dachte auch an Urran, seinen Hund und an seinen Selbstversuch vor langer, langer Zeit. Damals waren die beiden Versuche mit dem gesamten, nicht nach Stämmen getrennten Virus-Komplex gemacht worden. Gleich sollten Carrell nur Viren des Stammes F injiziert werden. Eine bestimmte Menge, berechnet nach Carrells Körpervolumen, würde bald durch die Adern des jungen Mannes fließen und vom Blut und allen biochemischen Prozessen gleichmäßig über den gesamten Organismus verteilt werden. Achtzehn Stunden nach erfolgter Injektion würde dann in jedem Gewebeteil der Virus F zu finden sein. Eine unheimliche Vorstellung für jeden Menschen, für jeden Mediziner, dem die Geheimnisse dieses Virus nicht bekannt waren. Ezbal blickte auf. 57
Die Prüfung der Einheiten-Zahl war durchgefühlt; ein Gerät hatte noch einmal gezählt, wieviel Viren sich in der Injektionspistole befanden. Mark Carrells linker Arm lag in einer Führung, die seine Vene in der Armbeuge schwach hervortreten ließ. »Bitte«, sagte ein junger Mediziner neben Echri Ezbal und reichte ihm die Injektionspistole. Der greise Brahmane setzte das Gerät bei Carrell an. Die Sensorsteuerung verbesserte die Position. Als eine Kontrolle grün aufflammte, hatte Ezbal nur noch den Kontakt zu drücken. Viren vom Planeten Bittan drangen in Mark Carrells Blutbahnsystem ein und breiteten sich in seinem Körper aus. Knapp eine halbe Minute dauerte der InjektionsVorgang. Manch einer der Mediziner fragte sich in dieser kurzen halben Minute: Wird das gutgehen? Haben wir auch wirklich alle Eventualitäten bedacht? Nur einer machte sich keine Sorgen: Mark Carrell. Er dämmerte in leichter Narkose dahin.
Ren Dhark und seine acht Begleiter sahen über die Bildprojektion des großen Xe-Flash ein phantastisches Bild. Jemand kam auf den Liegeplatz ihres Fahrzeuges zu. Aber dieser Jemand existierte nicht! Der große Raum mit den vielen im Halbkreis aufgebauten Sesselreihen und seinen spiegelnden Wänden – war nicht wirklich! Es war alles nur Projektion! Vollkommen in der Wiedergabe, und dennoch als Projektion zu erkennen. Ren Dhark erhob sich langsam. Er wollte zur kleinen Schleuse gehen, um diesem Phantom entgegenzueilen. Doch dann entsann er sich, daß der Xe-Flash auf einer gut zwanzig Meter hohen Plattform gelandet war. Bestürzt blieb er stehen. Gab es diese Plattform wirklich? Oder war sie auch nur eine Projektion? Stand ihr großer Flash vielleicht nur unbeweglich in irgendeinem Raum, dessen Grenzen ihnen verhüllt waren? »Was ist das?« fragte Doorn, der so leicht nicht zu erschüttern war. Er wischte sich immer wieder über die Augen. Die Wissenschaftler wagten kaum zu atmen. Ihre Augen konnten sich nicht daran gewöhnen, durch diesen Jemand hindurchsehen zu können, der vor wenigen Augenblicken stehengeblieben war. Die anderen, die vielen Hundert, die in den Sesseln saßen und zum Xe-Flash schauten, auch sie waren durchsichtig. Trotz ihrer olivgrünen, enganliegenden Kleidung. Die neun Männer schreckten auf. Ein leichtes Zittern lief durch den Xe-Flash. 58
Sie fühlten sich, als wären sie in einer Liftkabine, die sich abwärts in Bewegung setzte. Und dann lief ein Stoß durch das kleine Raumschiff. Ren Dhark war sich klar, daß er endlich eine Entscheidung zu treffen hatte. »Wir müssen gehen. Man erwartet uns.« Das war lächerlich. Eine meisterhafte Projektion erwartete sie. Dieser Jemand, der vor ihrem Xe-Flash stand, war nicht vorhanden. Alle, die in den Sesseln saßen, waren nicht existent. Der Saal mit all seinen Einrichtungen nicht. »Verrückt!« murmelte er. »Völlig verrückt.« Aber er ging. Seine Nackenwirbel schmerzten von dem ständigen Blick zur Bildprojektion an der Decke. Zögernd folgten ihm seine Begleiter. Sie erreichten die Schleuse, die weit offenstand. Die Rampe ging im flachen Winkel zum Boden. Am Ende der Rampe stand dieser Jemand. Die Projektion eines Menschen! Ein Mann, schlank und groß, mit ausdrucksvollem Gesicht, durch das die Terraner hindurchsehen konnten. Ein Mann in enganliegender olivgrüner Kleidung. Ein Mann, der sie erwartungsvoll anblickte, jetzt langsam seine Hände schloß, und dann noch langsamer, wie zum Gruß mit dem Kopf eine angedeutete Verbeugung machte. Ren Dhark hielt sich plötzlich an Doorn fest. Wie ein Schock hatte ihn seine Entdeckung getroffen. Vor ihnen, am Fuß der Rampe, stand Dr. San Wolko. Das Phantom, das zu ihnen heraufblickte, war Wolkos Ebenbild. Aber Wolko befand sich doch auf der POINT OF! Er gehörte zu der Gruppe von Wissenschaftlern, die während ihres letzten Aufenthalts auf Terra an Bord gekommen waren. Hinter Dhark entstand Unruhe. Ein Mann drängte sich vor. Entsetzen in seinem Blick. Seine Lippen zuckten. Er starrte das Phantom aus großen Augen an. »Das ist doch… Wolko, Kollege Wolko…« Er hatte es auch entdeckt! Ren Dhark beobachtete den Sibirier. Doorn registrierte den Blick. »Toll, wie sie das machen. Diesen Burschen hat man unsere Köpfe aufgesetzt, und die sind auch noch durchsichtig, Hohlköpfe…« Es klang nicht gut. Ein Zeichen, daß der bullige Mann sich hilflos fühlte. Ren Dhark zögerte, weiterzugehen. Der Xe-Flash, der sie bis zu dieser Stelle gebracht hatte, war existent, aber war das, was sie als Boden sahen, wirklich vorhanden? Oder war es ein Abgrund, der ihnen zur Todesfalle wurde, wenn 59
sie die Rampe verließen? Wie kann ich nur so mißtrauisch sein, fragte sich der Commander, gab sich innerlich einen Ruck und ging die Rampe hinunter – auf Dr. San Wolko zu. Einen winzigen Moment zögerte er, bevor er die Rampe verließ, dann wagte er den Schritt und stand auf festem Boden. Vier Meter von einem Phantom entfernt, das Wolkos Gesichtszüge besaß. »Bitte?!« sagte Dhark, und wie es das Phantom vorher getan hatte, so deutete er nun mit einer Kopfbewegung eine Begrüßung an. Keine Antwort. Keine paramentale Botschaft. Langsam drehte sich das Phantom um und setzte sich mit gemessenen Schritten in Bewegung. Halt! Bleiben Sie! wollte Ren Dhark dem Phantom nachrufen, aber in diesem Augenblick schaltete die Lichtflut, die sie umgab, von Blau auf Rot. Und dann gab es den Saal mit den spiegelnden Wänden nicht mehr; die halbkreisförmig aufgestellten Sesselreihen waren verschwunden, ebenso alle halbdurchsichtigen Phantome. Sie blickten auf eine fremde Welt hinaus. Sie glaubten am Rand einer Hochfläche zu stehen. Direkt vor ihnen lag ein Talkessel – und in diesem Talkessel die im Goldton schimmernden Gebäude einer fremdartigen Stadt! »Mirac?« sagte Arc Doorn fasziniert, und er glaubte, die dreihundert Meter hohe, köpf- und armlose Statue zu sehen, die auf jenem Planeten stand und im Licht der drei Sonnen in einem ähnlichen Farbton schimmerte wie die bizarren Bauwerke dieser Stadt. Spiraltürme stießen zum Himmel hinauf. Kuppelbauten waren an vielen Stellen zu sehen. Superschmale, aber weitgespannte Brückenkonstruktionen, die sich in verwirrendem Wechsel über- und unterschnitten, schufen aus den weit auseinanderliegenden Stadtteilen ein harmonisches Ganzes. Hochstraßen wichen in verwegenen, atemberaubenden Kurven Wohnblöcken aus, verloren sich in der Ferne, in der die Umrisse eines Gebirges zu erkennen waren, das an den Himalaja erinnerte. Neun Terraner konnten sich von diesem Anblick nicht losreißen. Sie nahmen die unbeschreibliche Schönheit dieser fremden gigantischen Stadt in sich auf wie ein Verdurstender den ersten Schluck Wasser. Ren Dhark mußte unwillkürlich an die große, verlassene und teilweise zerstörte Stadt auf W-4 denken, aber sie hielt keinen Vergleich zu diesem Märchenbild aus. Alles war atemberaubend. Alles war schön. Allein diese Spiraltürme, die sich in elegantem Schwung und sich verjüngend in den Himmel schraubten. Gleißend im Goldton. Kaum wahrnehmbar eine blaue Lichtflut, in der alles 60
lag. Und zwischen den einzelnen Stadtteilen, von weitgespannten Brücken gewagtester Konstruktion miteinander verbunden, Parkanlagen mit gelben, grünen und blauschwarzen Flächen, mit silbern glänzenden Seen und Flüssen, die alle mäandernd ihren Weg zogen. Das ist ihre Stadt, dachte Ren Dhark immer wieder. Das muß die Stadt der Mysterious sein. Arc Doorn stieß ihn an; unter der Wucht dieses unbeschreiblichen Eindruckes flüsterte er: »Ich glaube, jetzt haben wir sie gefunden… unsere Freunde.«
Dan Riker wurde immer unruhiger. Er hatte auch allen Grund unruhig zu sein. Die Funkverbindung zum Commander und seinen acht Männern war schlagartig abgerissen. Dazu hatte Tino Grappa den großen Flash aus seiner Ortung verloren. Mike Doraner und Pjetr Wonzeff tauchten in der Kommandozentrale auf. Riker ahnte, welchen Vorschlag sie zu machen hatten. Er winkte ab, kaum daß Doraner einen Satz gesagt hatte. »Zu gefährlich. Ich kann einen Flash-Einsatz jetzt noch nicht verantworten. Es ist schließlich nicht das erstemal, daß wir jede Verbindung zum Commander verloren haben. Wir dürfen wieder einmal warten.« Die beiden Piloten gaben so schnell nicht auf. Wonzeff hatte einen anderen Vorschlag. »Dann sollten Sie uns wenigstens erlauben, nach oben durchzufliegen.« Kopfschüttelnd erwiderte Riker: »Haben Sie schon vergessen, wie man uns heruntergeholt hat? Und glauben Sie wirklich, man würde einem Flash erlauben, mit eingeschaltetem Intervall zur Oberfläche zu fliegen? Nein, Wonzeff, vorläufig geht kein Flash in den Einsatz. Sie und Doraner können sich zwar für alle Fälle bereit halten – aber wann es soweit sein wird, kann ich jetzt noch nicht sagen.« Schweigend stapften die beiden Draufgänger hinaus. Sie waren unzufrieden. In den letzten Wochen hatte es kaum etwas zu tun gegeben. Einsätze, wie sie sie vor Jahren fast tagtäglich geflogen hatten, waren inzwischen eine Seltenheit. Sie kamen sich überflüssig vor. Beim A-Grav-Schacht blieben sie stehen. Pjetr Wonzeff grinste verkniffen. Mike Doraner blickte finster drein. »Also?« fragte Wonzeff. Doraner nickte. Sie waren sich einig. Sie wollten es wenigstens versuchen.
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»Gerade ist ein Flash ausgeflogen«, meldete Tino Grappa lapidar. Dan Riker war so verblüfft, daß er einen winzigen Augenblick zögerte, Wonzeff und Doraner per Funk zu befehlen, sofort umzukehren. »Weg! Verschwunden! Nicht mehr zu erfassen!« Das hatte Grappa zu melden gehabt. Eine halbe Minute später gab die Funk-Z durch, daß sie keinen Kontakt mit dem Flash bekommen könnte. Riker kochte innerlich. Er verstand die beiden Flash-Piloten nicht. Sie hatten gegen seinen ausdrücklichen Befehl gehandelt – sie, die sonst die Zuverlässigkeit in Person waren. Grappa konnte nur das wiederholen, was er schon einmal gesagt hatte: »Der Flash ist nach oben durchgestoßen!« Oben begann in 3218 Metern Höhe. Dort befand sich eine geschlossene schwarze Decke, die aus einem Stück zu sein schien. Ihre Fläche betrug mehr als 10.200 Quadratkilometer! Es war unvorstellbar, aber die Männer in der POINT OF mußten es glauben. Und die gesamte Anlage befand sich in dreitausend Metern Tiefe. Doraner und Wonzeff hatten sie im Flash 005 verlassen. Sie waren oben! Sie waren durch! Nur konnte die POINT OF ihnen nicht folgen! Seit das Schiff in diesem unterirdischen Riesenhangar steckte, war nichts mehr wie gewohnt. Am harmlosesten war noch, daß die POINT OF mit ihrer gesamten Auflagefläche auf dem Boden lag und nicht wie üblich auf fünfundvierzig Paar Teleskopbeinen ruhte. Beunruhigender war die Tatsache, daß die Intervalle der POINT OF nicht mehr einzuschalten waren. Demgegenüber spielte es kaum noch eine Rolle, daß sowohl Sie wie Sternensog versagten. Die fuß-ballgroßen Flächenprojektoren des Ringraumers emittierten keine Energie mehr. Im Schiff suchte man längst nicht mehr nach dem Fehler für dieses Versagen. Miles Congollon, der Chefingenieur, hatte mit absoluter Sicherheit erklärt, daß die Ursache nicht im Schiff zu suchen sei. Und Dan Riker hatte genau diese Aussage befürchtet. In seiner Erinnerung war für alle Zeiten eingebrannt, wie unbekannte Kräfte die POINT OF auf diesen Planeten heruntergeholt hatten. Ren ist wieder einmal vermißt und das Schiff praktisch ein Wrack. Rikers Faust krachte gegen das Instrumentenpult. »Zum Teufel«, knurrte er, »wieso konnte dann der Flash sein Intervall erstellen?« Die Offiziere in der Zentrale zuckten zusammen, doch niemand beantwortete die Frage. Riker beugte sich vor. Seine Fingerspitzen lagen auf den Steuerschaltern. Diese waren nicht blockiert. Aus der Nullstellung kippten sie in andere Positionen. Oberes Intervall stand! 62
Unteres Intervall auch! Unter der POINT OF gab es keinen schwarzen metallenen Boden mehr. Im Bereich des unteren Intervalls, das wie sein oberer Zwilling einen Durchmesser von dreitausend Metern hatte, gab es nichts außer dem Miniweltraum. Der obere endete knapp unter der Decke. Rikers Augen waren unnatürlich groß geworden. Nun versuchte er den Sie einzuschalten. Der Sie kam! A-Grav funktionierte auch. Die POINT OF hob vom Boden ab. Deutlich zeigte es die Bildkugel. Unmerklich stieg das Schiff. Die Teleskopstützen wurden ausgefahren. Am Instrumentenpult leuchtete eine Grünkontrolle nach der anderen auf. Dan Riker hätte mit der POINT OF das unheimliche Gefängnis verlassen können, aber daran dachte er keine Sekunde. Schiff stopp! A-Grav hielt es. Sie war ausgeschaltet. Zentimeter um Zentimeter sank der Ringraumer. Weich setzte er auf. A-Grav aus! Riker stieß einen Seufzer aus und kreuzte die Arme vor der Brust. Jetzt begriff er gar nichts mehr. Der Spuk war schlagartig aufgetreten, kaum daß die Verbindung mit Dhark abgerissen war… Elis Yogan in der Funk-Z bewies, daß er ein kräftiges Organ hatte. Über die Verständigung brüllte er: »Wir haben wieder Kontakt mit dem Commander. Wir haben wieder Kontakt. Aber hört euch das nur an! Hört euch das…« Und sie hörten: »….bezaubernd, einfach unbeschreiblich… Dafür gibt es keine Worte, keine… Und erst diese Kurven. Man möchte sie streicheln…« In dieser Art ging es ununterbrochen weiter. Dharks Stimme war unverkennbar zu hören. Auch die von Doorn. Dann redeten die Männer alle durcheinander. Männer, die nur noch Superlative benutzten. Großer Himmel, dachte Riker, dessen Entsetzen wuchs, je länger er lauschte, was ist denn bloß mit denen passiert!? Plötzlich konnte er dieses Geschwafel nicht mehr länger anhören. »Yogan, geben Sie mir den Commander!« »Tut mir leid, Riker. Wir können den Commander nur hören, aber nicht sehen. Die Bildphase liegt still. Wir rufen dauernd, aber er meldet sich nicht. Der Ton kommt dazu über eine Frequenz herein, die auf seinem Spezial-Vipho nicht drauf ist!« Walt Brugg mischte sich ein: »Riker, SOS-Ruf von der 005! Aber wir können den Standpunkt des Senders nicht ausmachen. Wir wissen nicht einmal, aus welcher Richtung der Dauerruf kommt. Der Flash sendet mit Automatik.« 63
In der Zentrale der POINT OF hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Keiner der Offiziere fühlte sich wohl in seiner Haut. Niemand beneidete Riker jetzt um seine Position. Er drehte sich mitsamt seinem Sessel um. »Grappa?« Der schüttelte den Kopf. Hinter den Ortungen gab es nichts zu tun. »Verdammt! Von allen Ortungen muß doch eine in der Lage sein zu bestimmen, aus welcher Richtung dieses Gesülze kommt! Hallo Funk-Z, haben Sie mitgehört?« Sie hatten, aber sie konnten ihm auch nicht helfen. Die Übertragung der Gruppe Dhark kam aus allen Richtungen – von rechts, links, vorn, hinten, oben und unten. Die Wandung des unterirdischen Hangars war eine einzige Antenne. »Pah…« stieß Riker aus und ahnte nicht, daß auf seinem Kinn wieder einmal der rote Fleck zu sehen war. Hätte Ren doch bloß auf meine Warnungen gehört! Hätte er doch darauf verzichtet, sich diese Sternenbrücke näher anzusehen, und statt dessen die Verfolgung der Robot-Ringraumer fortgesetzt. Die Spur jener Schiffe hatten sie jetzt endgültig verloren. Zu lange schon hielten sie sich im Bereich der Sternenbrücke auf – und ob sie diesen Planeten jemals wieder würden verlassen können, war mehr als fraglich.
Colonel Michael Neep fühlte sich müde und mutlos. Er war einer der erfahrensten Raumschiffkommandanten der TF und hatte sich schon häufiger in vermeintlich aussichtslosen Situationen befunden, und dennoch niemals den Mut verloren, aber diesmal war es anders. Es hatte wirklich ganz den Anschein, als wären den Rateken ihre Gefangenen völlig gleichgültig, und wenn sie nicht regelmäßig mit Wasser und Nahrungsmitteln versorgt worden wären, dann hätte man wirklich glauben können, die grauhäutigen Riesen hätten sie schlichtweg vergessen. Aber was noch weitaus schlimmer war: Auch den Terranern selbst schien ihre Situation mittlerweile völlig gleichgültig zu sein. In gewissen Abständen stieg in Neep immer wieder einmal das Gefühl auf, daß daran irgend etwas falsch war, aber er konnte sich einfach zu nichts aufraffen. Er war nicht der einzige, der unter dieser merkwürdigen Lethargie litt. Auch Leutnant Arsan hatte auf seine kämpferischen Worte von vor zwei – oder waren es drei, oder vier? – Tagen keine Taten folgen lassen, genausowenig wie irgendein anderer seiner Männer. Sie alle waren damit zufrieden, in ihrem zugegebenermaßen geräumigen Gefängnis auf dem Fußboden zu hocken und gelegentlich die Wände abzuschreiten oder durch einen der Durchbrüche in einen der angrenzenden Räume zu wandern. Manchmal näherte sich einer sogar dem energetischen Prallschirm, 64
der eine Wand ihrer Behausung bildete, bis zur sogenannten >Prickelgrenze<. Leutnant Arsan hatte diesen Begriff geprägt, und er galt der Wirkung des besagten Prallschirms, der ein immer stärkeres Prickeln auf der Haut verursachte, je mehr man sich ihm näherte. Zumindest anfangs war das Gefühl eher angenehm als unangenehm und vor allem eine Art Abwechslung. »Das ist doch alles nicht normal«, brummte Leutnant Arsan, der einmal mehr neben seinem Kommandanten hockte. »Man könnte fast glauben, diese Typen mischen Drogen in unser Essen, um uns ruhigzustellen.« Neep nickte zustimmend. Diese Überlegung hatte in der Tat etwas für sich. Aber was bezwecken die Rateken mit dieser Vorgehensweise – und ist das wirklich wichtig? dachte er. Arsan reckte sich und gähnte ausgiebig. »Ach, was soll’s. Das Ganze ist eigentlich völlig unwichtig.« Wieder nickte Neep. Für einen Augenblick stieg ein leichtes Unbehagen in ihm auf, aber das Gefühl verflüchtigte sich zu schnell, als daß er es irgendwie hätte festhalten können. Der Prallschirm erlosch. Augenblicke später betraten mehrere Rateken den Raum. Sie schoben eine AGrav-Platte mit Wasser und Nahrungsmitteln vor sich her, die sie sogleich unter den Gefangenen verteilten. Einer der Rateken schritt langsam durch die Räume und blieb hin und wieder stehen, um einen Gefangenen intensiver zu betrachten. Neep fand dieses Verhalten so ungewöhnlich, daß er genauer hinsah. Der Rateke hielt ein Gerät in der Hand, in das er ab und zu etwas einzutippen schien. Und dann führte er es an einen seiner Münder und sprach hinein – viel leiser als in jenem bellenden Befehlston, den die Rateken normalerweise an den Tag legten. Ein Kommunikator? Oder ein Diktiergerät? fragte sich Neep. Wieder stieg ein Gefühl von Gleichgültigkeit in ihm auf. Aber der Colonel versuchte mit aller Macht es niederzukämpfen. Er wollte sich nicht wieder von der Lethargie einlullen lassen. Hier gab es etwas, über das sich nachzudenken lohnte! Mittlerweile war die Essensausgabe beendet. Die Rateken bei der A-GravPlatte riefen ihrem Kollegen etwas zu und verließen den Raum. Der einzelne Rateke, der sich die Gefangenen genauer angesehen hatte, bewegte sich ebenfalls wieder in Richtung Ausgang, doch er tat es sehr langsam. Immer wieder blieb er stehen, um noch einen weiteren Gefangenen intensiv zu mustern. Und immer wieder sprach er in das kleine Gerät in seiner Hand. Dann war auch er verschwunden. Der Prallschirm stand wieder. 65
»Finden Sie das Verhalten dieses Rateken nicht auch ein bißchen merkwürdig, Arsan«, wandte Neep sich an den Leutnant, der noch immer neben ihm hockte. Ihm war, als würde er durch zähen Sirup waten, um diese Frage zu formulieren. Arsan blickte ihn verständnislos an. Er schien Probleme zu haben, seine Augen auf Neep zu fokussieren. Schließlich zuckte er die Schultern. »Ich weiß nicht, was Sie meinen, Colonel. Das einzige, was ich merkwürdig finde, ist, daß diese Typen von Tag zu Tag ein bißchen mehr lila werden.« Neep zuckte zusammen. Er sah zu jener Stelle, an der die Rateken den Raum verlassen hatten und wo jetzt wieder der Prallschirm stand. Arsan hatte recht. Neep hatte es gesehen und doch nicht gesehen: Die Haut der Rateken, die ihnen heute das Essen gebracht hatten, hatte einen deutlichen Stich ins Violette aufgewiesen.
5. Sie glaubten immer noch, am Rand einer Hochfläche zu stehen, zu deren Füßen viele hundert Meter tiefer eine imposante, faszinierende Stadt lag. Sie wußten aber auch, daß das alles nicht Wirklichkeit war, sondern nur eine überzeugende Projektion. Selbst Arc Doorn hatte die Projektion anfangs für real gehalten, hatte von den Mysterious als unseren Freunden gesprochen, um nur wenige Augenblicke später seine Meinung zu revidieren. »Ich Narr!« sagte er, und es klang verbittert. »Ich habe mich einfach von den Spiraltürmen und dem Goldglanz verzaubern lassen.« »Aber warum zeigt man uns das jetzt?« sinnierte Ren Dhark. Zufall konnte es nicht sein. So wenig es Zufall gewesen war, die POMP OF auf diesen Planeten zu holen. Welche Absicht verbarg sich hinter all dem? Wo gab es diese Stadt? Oder wo hatte es sie einmal gegeben? Herausfordernd blickte der Sibirier den Commander an. »Dhark, können Sie mir noch sagen, wer für die Erbauer der Ringraumer den Namen Mysterious erfunden hat?« Dhark schüttelte den Kopf. War es so wichtig, sich daran zu erinnern? Doch daß diese unbekannte Rasse, von der sie bis zur Stunde niemals eine Abbildung gefunden hatten, den Namen die Geheimnisvollen verdiente, war unbestritten. Dhark warf den Wissenschaftlern einen kurzen Blick zu und mußte unwillkür66
lich schmunzeln. Zwei von ihnen machten Aufnahmen! Es lag ihm schon auf der Zunge, ihnen zu empfehlen, diese nutzlose Arbeit einzustellen, weil sie hinterher weder auf ihren Fotos noch den Videobändern etwas sehen würden, doch dann hinderte ihn ein vages Gefühl daran. Unwillkürlich schrie er auf. Die Darstellung der unbeschreiblich schönen, fremden Stadt zerriß! Da war nur noch Dunkelheit. Und ein riesiger Raum, der sie mit seiner Größe schier erdrückte. Aber auch das war nicht ganz richtig! Sie hielten sich nicht in absoluter Dunkelheit auf. Von der Decke herab leuchtete es. Goldgelb! Unter der Decke oder in ihr rotierte etwas! Die stilisierte Wiedergabe einer Spiral-Galaxis! Das Emblem! »Großer Himmel!« stieß Ren Dhark ergriffen aus, den Kopf weit zurückgelegt und den Blick zur Decke gerichtet, wo die Spirale sich in gleichmäßigem Tempo drehte und ihr sanftes goldenes Leuchten verströmte. Hundert Meter lang? Tausend? Auf Hope hatten sie das Emblem zum erstenmal gesehen, in der zweiten Höhle hinter der Toten Stadt, auf dem Kontinent Deluge. Die Tote Stadt und die beiden hintereinander liegenden Höhlen gab es nicht mehr. Roccos wahnsinnige Sprengkommandos hatten in ihrem mörderischen Versuch, Dhark und seine Freunde zu vernichten, alles zum Einsturz gebracht. Seit dieser Katastrophe glaubte kein Mensch mehr daran, daß jemals das Rätsel gelöst werden würde, wieso Maschinengiganten zu Staub zerfallen konnten. Und in der zweiten Höhle hatte es gewaltige Maschinenstraßen einer unbekannten Technik gegeben, doch alle Aggregate waren schon mehr und minder zerstört gewesen; aus Metall war Staub geworden. Aber unter der Höhlendecke hatte es ein rotierendes Emblem gegeben, das der stilisierten Wiedergabe einer Spiral-Galaxis entsprach. Erst in jüngster Vergangenheit waren sie wieder auf ein derartiges Emblem gestoßen – auf Mirac, im Hohlsockel der mehr als dreihundert Meter hohen Statue. Und dann hatten Ren Dhark und Dan Riker in jenem Flash, der aller Wahrscheinlichkeit nach zum Bestand des zerstörten Ringraumers gehört haben mußte, nicht nur Sternkarten, sondern auch eine kleine Ausführung dieses Zeichens gefunden, die sich mittlerweile an Bord der POINT OF befand. Und hier sahen sie es nun abermals. Hoch über ihnen. Golden leuchtend. Langsam rotierend. Riesengroß. Ein67
drucksvoll. Das Emblem! Eines der Rätsel der Mysterious! Eines von Tausenden. Wer steuerte das alles? Wer hatte die telepathische Einladung abgestrahlt? Wer dem Xe-Flash die erforderlichen Impulse gegeben, sie abzuholen und hierher zu bringen? Lauerten irgendwo im Hintergrund die Mysterious und beobachteten voller Schadenfreude diese Narren, die sich Terraner nannten und hofften, den Weltraum erobern zu können? Nicht zum ersten Mal schoß Ren Dhark ein Begriff durch den Kopf: Grakos! Die Geißel der Milchstraße! »Nein!«. Er konnte es nicht glauben. Er wollte es nicht glauben. In diesem Punkt mußten die Utaren unrecht haben! Das leuchtende Emblem an der Decke rotierte im gleichmäßigen Tempo. Um sie herum war es totenstill. Nur hin und wieder war das unterdrückte Atmen eines Mannes zu hören. Wieder war der Übergang abrupt. An der Decke war nichts mehr zu sehen. Verschwunden das Emblem, verschwunden aber auch die Dunkelheit. Knapp dreißig Meter hinter ihnen stand der Xe-Flash mit ausgefahrener Rampe. Sie befanden sich in einem gewaltigen Raum, der von schwachem blauen Licht erhellt wurde. Dhark erinnerte sich. Es war höchste Zeit, daß er der POINT OF eine Meldung durchgab. Sein Spezial-Vipho versagte. Die der anderen auch. »Das ist kein Zufall«, erklärte Dhark trocken. »Ich bin gespannt, wie es nun weitergeht«, meinte Arc Doorn. Dhark lächelte. »Ich auch, mein Lieber. Haben Sie eigentlich, seit wir die POINT OF verließen, auch nur einen Moment das Gefühl gehabt, in Gefahr zu sein?« »Nein…« Da erreichte sie die zweite auf paramentaler Basis abgestrahlte Nachricht. Commander Dhark wird aufgefordert, mit seinen Begleitern den Xe-Flash aufzusuchen! Zwei der Wissenschaftler lachten verkrampft auf. Die Stimme in ihrem Kopf hatte sie maßlos erschreckt. Doorn winkte ihnen beruhigend zu. »Gratulieren Sie sich, daß Sie niemals mit dem CAL der Giants Bekanntschaft gemacht haben. Der konnte sich über einige tausend Lichtjahre Distanz mit uns in Verbindung setzen.« Die Worte Arc Doorns erinnerten Ren Dhark wieder einmal an ein weiteres Rätsel, das bei ihrem Vorwärtsstürmen ungelöst zurückgeblieben war – und 68
das ausnahmsweise einmal nichts mit den Mysterious zu tun hatte: das immer noch unerklärliche plötzliche Verschwinden der Giants und jener fünf Gehirne, die sich CAL genannt hatten. Und dann fielen ihm auch noch jene Kinder ein, die von den Giants zu Paranormalen gemacht worden waren: Tyler, Edgar und Pia, die mit den G’Loorn verschwunden waren, und Marek, dem sie ihre Befreiung aus robonischer Gefangenschaft verdankten… Mittlerweile hatte Dhark den Xe-Flash fast erreicht. Dicht vor der Rampe stutzte er, lachte auf und schüttelte den Kopf. Rätsel über Rätsel, dachte er, während er langsam die Rampe hinaufschritt. Und es scheint ganz so, als kämen für jedes in Ansätzen gelöste mindestens zwei, drei neu hinzu! Sie nahmen wieder Platz. Die Schleuse schloß sich. Von irgendwoher erklang ein leises Geräusch. Der Bildschirm über ihren Köpfen zeigte ein anderes Bild. Der Xe-Flash flog wieder die Wand an und durch sie hindurch. Im gleichen Moment arbeiteten die Viphos wieder. Die POINT OF hatte einen Dauer-Suchruf nach ihnen laufen! Als sie knapp zehn Minuten später über die Schleuse l den Ringraumer wieder betraten, bedankte sich der Commander bei den Wissenschaftlern. »Falls Ihre Filme etwas zeigen sollten, bitte ich Sie, mich zu informieren.« Arc Doorn forderte er auf, ihn in die Zentrale zu begleiten. Sie hatten den Leitstand gerade betreten, als die Wissenschaftler sich meldeten. Wie Ren Dhark bereits vermutet hatte, zeigten ihre Aufnahmen nichts. Sie mußten zerknirscht zugeben, tatsächlich einer Projektion zum Opfer gefallen zu sein.
In 3800 Metern Höhe stand der Ringraumer über dem Planeten, in dessen Tiefen das Schiff sich einige Stunden aufgehalten hatte. Der Start aus dem unterirdischen Hangar war ohne jeden Zwischenfall verlaufen. Mit eingeschalteten Intervallfeldern war der Ringraumer durch die geschlossene Decke zur Oberfläche durchgestoßen. Nicht ein einziger fremder Ortungsstrahl hatte seit dem Start nach dem Schiff gegriffen. Der Planet, auf dem Mike Doraner und Pjetr Wonzeff immer noch vermißt wurden, schien nichts anderes als eine Sauerstoffwelt zu sein, auf der kein Leben existierte, von Technik ganz zu schweigen. »Und es hat wirklich keinen einzigen Hinweis gegeben, weshalb man euch die Projektionen vorführte?« bohrte Dan Riker. Leicht ungeduldig erwiderte Ren Dhark, der aufmerksam die Bildkugel beobachtete, während die POINT OF gerade einen Ozean überflog: »Dan, es gab nur diese drei Bilder. Sie wurden uns übergangslos serviert. Und diese Bilder sahen wir nicht einmal mit unseren Augen. Wir sahen sie in unserem Kopf. 69
Und nun bitte ich dich herzlich, dir ohne meine Hilfe darüber Gedanken zu machen. Mir wäre lieber, wir würden endlich Kontakt zu dem Flash bekommen. Das Schweigen von Doraner und Wonzeff wird mir von Minute zu Minute unheimlicher.« Er drehte sich nach Grappa um. »Ist Ihre Ortungsanlage wirklich okay, Grappa?« »In bester Verfassung, Commander!« In der Bildkugel zeigte sich der Ozean, über dem gerade die Sonne aufging, von seiner besten Seite: Die Dünung war schwach, und das Wasser leuchtete in einem herrlichen blassen Grün. Nach knapp einer halben Stunde Flug tauchte im Osten eine Gebirgskette auf, die im Dunst schwachblau schimmerte. Dhark preßte die Lippen aufeinander. Je mehr Zeit seit dem Start verging, um so unbehaglicher fühlte er sich, weil Grappas Energieortung immer noch nichts anzeigte. Sie hätte aber Werte bringen müssen! In den Tiefen dieses Planeten gab es doch gewaltige Anlagen. Die POINT OF hatte sich stundenlang in einem unterirdischen Hangar aufhalten müssen. Aber nicht einmal mit der Massenortung war dieser Komplex zu erfassen. Kaum daß das Schiff zur Oberfläche durchgebrochen war, hatten sämtliche Ortungen – auch die Echokontrolle in der Funk-Z – auf Null geschaltet. »Als ob jemand die Hand dazwischen halten würde«, murmelte Dhark. Doch wer konnte ein Interesse daran haben, daß sie Doraner und Wonzeff nicht fanden? Die Mysterious? Dhark kam in seinen Gedanken nicht von ihnen los. Hier, auf diesem Planeten, hatten sie gelebt, wie sie vor rund tausend Jahren auch auf Hope gelebt hatten. Von Hope mußten sie von einem Tag zum anderen verschwunden sein. Hier konnte es sich doch nicht ebenso verhalten haben. Der Xe-Flash – eine eigenartige Bezeichnung. An diesem Punkt stockten Dharks Gedanken. Die auf paramentaler Basis arbeitende Anlage in der Tiefe hatte nicht nur seinen Namen gekannt, sie hatte auch gewußt, daß die Terraner den Beibooten des Ringraumers den Beinamen Flash gegeben hatten. Und um ihn von den normalen Flash zu unterscheiden, war dieses Boot Xe-Flash genannt worden. Langsam flog die POINT OF das Küstengebirge an. Die Baumgrenze verlief wie auf Terra in knapp zweitausend Metern Höhe. Blauschimmernde, sehr schlanke Bäume standen auf zerrissenen Graten. Tief eingeschnittene Täler schoben sich in das Gebirge hinein, das nicht besonders breit war. Der Ozean verschwand langsam aus der Bildkugel. Hinter den beiden Pilotensitzen, am Checkmaster, hielt sich Arc Doorn auf. Miles Congollon wußte, wo sich seine rechte Hand befand. Der Sibirier nahm 70
am Bordgehirn eine Einstellung nach der anderen vor. Es schien ihm nichts auszumachen, daß ziemlich häufig rot kam. Er ließ sich dadurch in seiner Arbeit nicht stören. Und schließlich bestätigte der Checkmaster, was Dhark und Doorn bereits vermutet hatten: Alles, was sie in dem zweiten unterirdischen Raum gesehen zu haben glaubten, war nur in ihren Köpfen erzeugt worden. Mit ihren Augen hatten sie nichts anderes als das schwache blaue Licht bemerkt; und das auch erst, als die dritte Projektion zu Ende gewesen war. »Danke«, sagte Dhark, als Doorn ihm das Ergebnis seiner Bemühungen mitteilte. »Haben Sie schon eine Erklärung dafür?« »Keine. Die Geheimniskrämerei der Mysterious wird mir immer unbegreiflicher. Und in einem Punkt habe ich inzwischen größere Angst als je zuvor, daß sie auch die Grakos sein könnten, Dhark. - Warum haben wir bisher keine einzige Darstellung von ihnen gefunden?« »Vergessen Sie die Statue auf Mirac nicht«, wandte der Commander ein. »Die ist doch viel zu…« Dan Riker mischte sich ein. »Seht euch das an!« Die POINT OF näherte sich einem Hochplateau, das von vielen Linien durchzogen wurde, die sich in der Ferne alle in einem Punkt trafen. Straßen! Und der Straßenknotenpunkt lag in Flugrichtung des Ringraumers. »Metallstraßen«, sagte Tino Grappa. Der Aufnahmewinkel der Bildkugel veränderte sich. Eine Straße schien in die Zentrale der POINT OF hineinzuführen. »Vollkommen frei. Nirgendwo verweht. Als ob man sie gerade gefegt hätte«, stellte Riker überrascht und mit leicht ungläubigem Unterton fest. Ren Dhark dachte an die Ruinenstadt auf W-4. Dort waren die Straßen durch raffinierte Sprinkleranlagen in den Häuserfronten immer wieder gereinigt worden. Aber in diesem Fall gab es keine Häuserfronten entlang der Schnellstraße. Wie ein Fremdkörper lag sie in der rötlichen kargen Landschaft, überspannte als Brücke kleinere Täler. Die beiden Männer in den Pilotensesseln setzten sich ruckartig auf. Sie wollten noch näher an die Bildkugel herankommen. Die Straße, die sie beobachteten, wurde gerade in diesem Moment gewaschen. Von den leicht hochgezogenen, gewölbten Rändern sprühte ein grünlicher, gasförmiger Stoff, der sich schnell auf dem Straßenbelag niederschlug und eine einzige geschlossene Fläche bildete. Atemlos verfolgten an vielen Stellen im Ringraumer die Männer vor den großen und kleineren Bildkugeln diesen Vorgang. 71
Das Schimmern der Straße war verschwunden, Als breiter grüner Strich lag sie nun in der Landschaft. Doch nur für ein paar Sekunden. Dann verblaßte das Grün, und heller denn je funkelte und gleißte das Metallband in der Sonne. »Chemische Reinigung durch irgendeine Emulsion«, murmelte Dan Riker. Dhark war skeptisch. Solch ein antiquiertes Reinigungsverfahren traute er den Mysterious nicht zu. Doch was auch immer sie gerade beobachtet hatten, es war auf jeden Fall die beste und schnellste Straßenreinigung gewesen, die sie je erlebt hatten. Auf W-4 waren die Straßen noch durch Wasserfontänen gereinigt worden. Hier hatte man zu einem anderen Verfahren gegriffen. Bedeutete dies vielleicht, daß die Mysterious diese Welt erst sehr viel später besiedelt hatten? Der Ringraumer näherte sich jenem Punkt, wo sich alle Straßen trafen. Der Punkt wurde zu einem Trichter, in dem spiralförmig ein Straßenband in die Tiefe verlief, das sechsmal breiter war als die Bahnen auf dem Planeten. »Sohle liegt auf 720 Meter!« gab Grappa unaufgefordert durch. Gab es in dieser Tiefe eine Stadt? Elf Kilometer weiter erhielten sie die Antwort. Mitten über dem Talkessel stoppte die POINT OF. Unter dem Schiff lag eine grandiose Stadt. »Kennen wir!« hatte Arc Doorn gerade gesagt, und damit schien die Sache für ihn erledigt. Fast wütend starrte Dan Riker seinen Freund an. Aber der hatte der lapidaren Erklärung des Sibiriers nur ein bestätigendes, kommentarloses Nicken hinzuzufügen. Sie hatten diese Stadt bereits gesehen – als Gedankenprojektion. Im Goldton schimmernde Spiraltürme schraubten sich zum Himmel empor! Kuppelbauten zeigten ihre glänzenden Dächer und wirkten zugleich wie kraftvolle Panzer, zum Sprung geduckt. Filigrane, superschmale Brücken, die eigentlich unter dem leisesten Windhauch hätten einstürzen müssen, spannten sich in waghalsigen Bogenkonstruktionen von Stadtteil zu Stadtteil. Dazwischen, darunter und darüber Hochstraßen, die mit atemberaubenden Schwüngen und Kurven brillierten und spiralig ganze Wohnblöcke einschlössen. Der Anblick war berauschend, von einer wahrhaft unwirklichen Schönheit. »Grappa, stimmt auch alles?« Ren Dhark hatte nicht vergessen, wie vollendet ihnen diese Stadt schon einmal mittels Gedankenprojektion gezeigt worden war. Grappas Antwort überraschte auch den Commander. »In Süd, 45:32 Grad, achtzehn Kilometer von unserem Standort, befindet sich 72
ein Raumhafen!« »Okay!« Dhark schaltete den Sie ein und nahm Kurs auf den Raumhafen, der noch nicht zu sehen war. Sie überflogen einen Park mit gelben, grünen und blauschwarzen Rächen. Sie überflogen in niedriger Höhe, mit abgeschaltetem unterem Intervall, silbern glänzende Flüsse und Seen. Auch der letzte Offizier in der Zentrale starrte die Bildkugel an und suchte nach irgendwelchen Anzeichen von Leben. Nichts! Wie auf W-4! Unter ihnen eine tote, von ihren Einwohnern verlassene Stadt. Und verlassen lag auch der nicht besonders große Raumhafen da. Sie hatten auch kein großes Landefeld nötig, dachte Ren Dhark, der den gewaltigen unterirdischen Hangar nicht vergessen konnte, in den man die POINT OF hineingeholt hatte. Wahrscheinlich hatte sich der gesamte Weltraumwarenverkehr im Bereich dieser unterirdischen Knotenpunkte abgespielt. Und so war es vielleicht möglich, daß der kleine Raumhafen vor ihnen nur dem Verkehr auf dem Planeten gedient hatte. Aber ganz verlassen war das Landefeld denn doch nicht: als sie es einmal zur Gänze überflogen hatten, fanden sie den Flash!
Echri Ezbal erhob sich von seinem einfachen Lager. Hund und Katze, die zu seinen Füßen gelegen hatten, blinzelten ihn einmal an, schlössen ihre Augen und schliefen weiter. Eine halbe Stunde nach seinem Erwachen verließ Ezbal seine spartanisch eingerichteten Privaträume. Sein Ziel war OP-01. Er dachte an Mark Carrell, der gleich zum ersten Cyborg einer neuen Serie werden sollte. Und während er daran dachte, schlug sein Herz kaum schneller. Er war vom Erfolg des Experimentes überzeugt, obwohl er wußte, daß auch ein Scheitern im Bereich des Möglichen lag. Ein gescheiterter Versuch würde für Mark Carrell den Tod bedeuten – einen qualvollen, unausweichlichen Tod. Als Ezbal OP-01 betrat, lag Carrell schon auf dem Operationstisch. Er war bei Bewußtsein und grüßte Ezbal durch Kopfnicken, als dieser sich über ihn beugte. Der junge Mann befand sich in bester Laune und meinte: »Ihre Sorcerer sind bestimmt hundertmal nervöser als ich, Ezbal.« Die Ärzte und medizinischen Ingenieure hörten diesen Begriff auch von einem angehenden Cyborg nicht gern, aber selbst Kollegen, die niemals einen Fuß in OP-01 gesetzt hatten, nannten die Menschen, die in 01 arbeiteten, schlicht Sorcerer – Zauberer. Und tatsächlich hatte Echri Ezbal, der bedeutendste Biochemiker und Geneti73
ker Terras, aus seinen Mitarbeitern so etwas wie Zauberer gemacht. Er hatte sie gelehrt, was er sich in mehr als dreißigjähriger Abgeschiedenheit mittels unermüdlicher Forschung erworben hatte. Und er zeigte mit dem belustigten Funkeln seiner Augen, daß er Carrell den Spitznamen nicht übelnahm. »Gut geschlafen?« »Ausgezeichnet, Ezbal. Trotz der Viren!« »Sehr schön«, bemerkte Ezbal und trat vom OP-Tisch zurück. Der Mann, aus dem ein Cyborg eines neuen Typs gemacht werden sollte, kannte den Ablauf des Prozesses ganz genau, dem er sich gleich freiwillig unterwerfen würde. Er war auch über die Gefahren aufgeklärt worden. Sie schreckten ihn nicht. Die letzten Kontroll-Kontakte wurden bei ihm angeschlossen. Test Nummer l! Er schaltete auf sein Zweites System. Im gleichen Moment lagen sämtliche normalen Körperfunktionen bei ihm still. Das auf suprasensorischer Basis tätige Programmgehirn hatte alle Steueraufgaben übernommen. Ein Test folgte dem anderen. Das Zweite System in Carrell arbeitete auch in höchsten Belastungsbereichen einwandfrei. »Check gleich! Raffdistanz Null. – Logsensor ausgezeichnet, Wert hundert vier!« Die Cyborg-Technik hatte neue Begriffe geschaffen, neue Verfahren, neue Meßinstrumente, und den Medizinern und den medizinischen Ingenieuren und Technikern das Fenster zu diesem Wunderland weiter auf gestoßen. »Test Nummer 30!« Der letzte und komplizierteste. Eine Stunde und acht Minuten später war er zu Ende. Das Zweite System in Mark Carrell arbeitete fehlerlos. Sein Programmgehirn war das beste, das man je einem Cyborg eingesetzt hatte. Die Erfahrungen, die man bei Holger Alsop, Bram Sass, Ule Cindar und den anderen gemacht hatte, waren in die Entwicklung seines Programmgehirns eingeflossen. Mark Carrell schaltete auf die normalen Körperfunktionen zurück. »Okay?« fragte ihn Ezbal. Der Cyborg nickte. »Aber wie verabredet, keine Betäubung.« Der Chef der Station erwiderte: »Wie verabredet.« Er wandte sich ab. Carrell war glücklich, daß ihn jetzt niemand beobachtete. Plötzlich hatte er Angst bekommen. Wenn der Versuch schief ging… Noch konnte er zurücktreten. Kein Mensch wurde gezwungen, zum Cyborg zu werden. Auch mit den Viren vom Planeten Bittan im Körper konnte er sagen: Ich mache nicht mehr mit! Diese Viren taten ihm nichts. Sie waren selbst in 74
Gegenwart von lebendem Gewebe nur Kristalle, sie waren passiv. Sie würden bis an sein Lebensende passiv bleiben. Ich höre auf! beschloß Mark Carrell und fühlte, wie ihm die Angst den Hals zuschnürte. Ich sage Ezbal, daß ich nicht mehr will. Aber Mark Carrell sagte nichts. Er brauchte gar keine Angst zu haben. Er war doch ein Cyborg. Er verfügte über ein Zweites System, auf das er nur umzuschalten brauchte. Dann gab es in seinem Empfinden keine Angst mehr. Ich schalte um! dachte er entschlossen, und tat auch das nicht. Ein Arzt stand am OP-Tisch und legte ihm die Zählrohre an. »Au! Verdammt noch mal, das tut ja weh!« stieß Carrell überrascht aus, als sich die vielen dünnen Zählrohre in Oberarm und Oberschenkel bohrten. »Noch?« fragte der junge Arzt und lachte ihn an. Carrell schüttelte den Kopf. »Nein, jetzt nicht mehr.« Der Arzt ging. Andere kamen, legten ihm Serp-Manschetten an, überprüften Kontakte, und dann heulte der Zähler im ersten Probelauf. Er war mit einem Suprasensor gekoppelt. Plötzlich legte sich eine kühle Hand auf Carrells nackten Brustkorb. Er blickte auf und sah in Echri Ezbals unergründliche Augen. »Carrell, plötzlich habe ich Angst. Wollen wir den Versuch nicht abbrechen? Die Möglichkeit, daß etwas schief läuft, besteht leider.« Er hatte leise gesprochen. So leise, daß der Arzt, der sich neben ihm mit dem Sitz der Galischen Viper herumärgerte, kein Wort verstanden hatte. Er hat auch Angst, dachte Mark Carrell, und begriff nicht, wie gut ihm das in diesem Augenblick tat. Zwei Männer im OP-01 hatten Angst. Er, das Opfer, und Echri Ezbal, der ihn zu seinem Opfer machen wollte. »Nein!« sagte Mark Carrell bestimmt. »Ich möchte nicht, daß der Versuch abgebrochen wird. Ich will nicht noch einmal diese Angst erleben. Denn morgen, oder übermorgen…« der Anflug eines Lächelns huschte über sein blasses Gesicht, aus dem alle Sonnenbräune verschwunden war, »…denn übermorgen stehe ich dann vor Ihnen und sage: Wollen wir jetzt nicht den Versuch machen, Ezbal? Dann lieber jetzt gleich!« Er hatte immer noch Angst, das Experiment könnte mißlingen, doch diese Angst war zu beherrschen; sie hatte ihre kreatürliche Kraft verloren. Sie steckte nur unter der Haut, aber nicht im Herzen und nicht im Verstand. Der erste Probelauf des Zählers war zu Ende, sein Heulen verstummt. Lauf zwei und drei folgten. Und dann war es soweit. Das Kommando lautete: »Steuerspannung anfahren!« Mark Carrell preßte die Lippen aufeinander. 75
Steuerspannung, das hieß, ihn vergiften! Vergiften durch Viren! »Fährt an!« »Hat sechs Volt erreicht.« »Zähler hochfahren«, ordnete Ezbal an. »Suprasensor hat Steuerung übernommen, Zählwerk-Kontrolle okay.« Dann war der Vollwert erreicht. Carrell hörte es am harten Stopp! Der Zähler heulte. Der Suprasensor arbeitete geräuschlos wie immer. Ärzte und Ingenieure standen herum, als ob sie sich verbotswidrig in diesem aseptischen Raum aufhalten würden. Auch Mark Carrell lag still. Er wurde in diesem Moment von der Steuerspannung vergiftet! Die Viren des Stammes F vom Planeten Bittan waren durch die Steuerspannung aus ihrem kristallinen Zustand geweckt worden, um sich plötzlich in einem kettenreaktionsähnlichen Prozeß überall in seinem Körper zu vermehren Und der Zähler gab bis auf die achte Stelle hinter dem Komma an, wie groß die Zahl der Viren in jeder Körperzelle geworden war. Abrupt brach das Heulen ab. Carrell wunderte sich, daß er keine Zeit gefunden hatte, Angst zu verspüren. So schnell war alles gegangen! »Mark, wie fühlen Sie sich?« rief ihm Ezbal zu, der ungeduldig auf die Auswertung wartete. Drei Ärzte standen am OP-Tisch. Drei Ärzte entnahmen Carrells Körper an drei Stellen Blutproben. Sie hatten es eilig, damit im Labor nebenan zu verschwinden. Carrell wußte, warum sie es so eilig hatten. Nebenan würde gleich festgestellt werden, um wie viele Abermillionen Einheiten sich die F-Viren in seinem Körper vermehrt hatten. Und weil er das nicht wußte, konnte er auch Ezbal nicht sagen, wie er sich fühlte. Die Stille im OP-01 entwickelte sich zu einem Dämon, der alle zu verschlingen drohte. War Mark Carrell ein Mann, der zum Sterben verdammt war? Er lag ruhig, hatte die Augen geschlossen. Er lauschte voller unerträglicher Spannung in sich hinein. Er war durch Viren verseucht? Davon spürte er nichts. Auch der kettenreaktionsähnliche Vermehrungsprozeß war gefühllos abgelaufen; ebenso der Vermehrungsimpuls durch die Steuerspannung. Carrell glaubte Ezbal sprechen zu hören, dabei hatte es ihm der Wissenschaftler schon vor Wochen zu erklären versucht. Trotz der Viren, die in jeder Zelle seines Körpers steckten, stellte er für seine Mitmenschen keine Gefahr dar. Er würde auch dann nicht in Quarantäne ge76
nommen werden, wenn dieser Versuch mißlungen war und er sterben würde. F-Viren waren nur mittels einer Injektion auf einen Menschen zu übertragen! Da flog die Tür zum Labor auf. »Geschafft!« schrie ein Arzt und schwenkte eine Folie, als wolle er einen großartigen Sieg verkünden. »Geschafft, Ezbal! Wir sind bis auf die fünfte Stelle hinter dem Komma genau. Und die Viren… es sind die schönsten Doppelpunkt-Kristalle, die schönsten…« Darauf hatten alle gewartet. Die Viren vermehrten sich nicht mehr. Sie waren wieder passiv geworden, nichts anderes als leblose, kristalline Molekularkonstruktionen. Keine aktiven Ungeheuer kleinster Größenordnung, die einen menschlichen Körper vernichten konnten. Als die Steuerspannung abgeschaltet wurde, hatten sie jegliche Aktivität verloren. Gleich winzigen Fremdkörpern in feinster Verteilung führten sie nun ein passives Dasein in einem Mann, der Mark Carrell hieß. Der lachte übers ganze Gesicht. Er sah in Ezbal s Augen, die vor Freude und Genugtuung leuchteten. »Ezbal, jetzt einen Cognac«, bat Carrell. Der Experte schüttelte bedächtig den Kopf. »Wir wollen alles schnell hinter uns bringen. Nach der Operation, Carrell. In knapp einer halben Stunde. Einverstanden?« Und ob er einverstanden war. Diese Operation war eine Bagatelle. Von ihm aus konnte es losgehen. Und es ging los. Teilnarkose. Carrell blieb bei vollem Verstand. Von dem kleinen Schnitt unter dem linken Rippenbogen spürte er nichts. Er hörte Worte aus der medizinischen Terminologie, die er nicht verstand. Aber dennoch wußte er, was mit ihm gemacht wurde. »Den Impulsator, bitte«, forderte Echri Ezbal mit ruhiger Stimme. Er nahm den kleinen Eingriff an Carrell selbst vor. Der Cyborg wartete gespannt auf die Anweisung, die gleich kommen mußte und ihm galt. »Carrell, auf das Zweite System schalten!« Eine Vorsichtsmaßnahme. Echri Ezbal zapfte den L-Leiter seines Zweiten Systems an. Ein Leiter mit wichtigen Funktionen, der von der freigelegten Stelle ohne weitere Knotenpunkte direkt mit dem Programmgehirn verbunden war. »Geschaltet!« erwiderte Carrell mit seiner Cyborgstimme, deren Tonfall sich von seiner normalen kaum unterschied. Aus dem Hintergrund des OP-01 kam die Durchsage: »Drei-Theta bis Kon77
Komplex abgeschaltet.« Normal, stellte Carrells Programmgehirn fest. Das und nichts anderes durfte beim Anzapfen des L-Leiters passieren. Ein Sensor-Mikroskop wurde an den OP-Tisch herangefahren. Die Einstellung erfolgte automatisch. Scheinwerfer flammten auf. Die übrigen Ärzte traten einer nach dem anderen vom OP-Tisch zurück, und dann stand nur noch Ezbal mit einem Assistenten bei Mark Carrell. Eine nadeldünne Lichtbahn endete in der Eingriffstelle. Es roch leicht nach verbranntem Fleisch. »Getrennt!« kam aus dem Hintergrund die Meldung. Carrell spürte nichts. Auch keine Angst. Ein Cyborg, der auf sein Zweites System geschaltet hatte, kannte keine Angst. Und keine Neugier. Eine winzige Greifklaue hielt den Impulsator, einen stecknadel-kopfgroßen runden Metallkörper, und senkte sich zu dem kleinen Einschnitt unter dem linken Rippenbogen hinab. Sensoren, die hunderttausendmal sicherer waren als die erfahrenste Hand eines Chirurgen, steuerten den Vorgang. Im Hintergrund des OP wurde das Programm dreifach kontrolliert. Irgendwo summten kleine Aggregate. Die beiden Ärzte am OP-Tisch rührten sich nicht mehr. Sie waren nur noch Zuschauer. »Fertig!« sagte Ezbal leise, als sich die gesamte Apparatur zurückzog und dicht über Carrells Brustkorb zur Seite schwenkte. »Bitte Kontrollen anfahren.« Der Einschnitt unter dem linken Rippenbogen blutete nicht. Die vier Klammern, die ihn geöffnet hielten, hatten für diesen Vorgang kaum Kraft aufzuwenden. Dann waren die Kontrollen durchgeführt. Der Impulsator war einwandfrei angeschlossen. »Kleber!« verlangte Ezbal. Ein biologisches Adhesive wurde in die Wunde gesprüht. Die vier Klammern lösten sich. Behutsam drückte Ezbal die Wundränder gegeneinander. Ein hauchdünner Film eines anderen Klebers wurde über der Schnittstelle versprüht. Unter dem Film verschwand der hellrote Wundstrich. Zum erstenmal sah Ezbal den Cyborg an. »Mark, Sie können wieder auf normal schalten.« Und aus dem Cyborg Mark Carrell wurde wieder der Mensch Mark Carrell, dessen Körperfunktionen wie gewohnt arbeiteten, als wären sie niemals abgeschaltet gewesen. Leben kam in den OP. Ärzte umstanden Carrell. Die letzten Kontakte wurden ihm abgenommen. Jemand reichte ihm einen sterilen Kittel. Carrell legte ihn um seine Schultern, richtete sich auf und ließ die Beine vom OP-Tisch gleiten. 78
Erstaunt stellte er fest, wie stark sie zitterten. Auf Ezbals hoher Stirn standen viele kleine Schweißperlen. Mark Carrell hielt sich fest. »Wann machen wir den Haupttest, Ezbal?« Verwundert schüttelte der greise Wissenschaftler den Kopf. »Sind Sie gar nicht klein zu bekommen, Mark? Heute nicht. Heute und auch morgen ruhen Sie sich aus. Wir benötigen diesen Zeitraum, um Ihre Viren kontrollieren zu können.« Bestürzt blickte ihn Carrell an. »Aber Sie haben mir doch gesagt, daß nichts mehr passieren kann, wenn die Vermehrungsaktion beherrscht wurde. Und sie ist doch vollständig beherrscht worden, oder?« »Das schon«, erwiderte Ezbal nachdenklich. »Nur sind wir keine Viren. Und es wäre verantwortungslos von uns, wenn wir keine Kontrollen vornehmen würden. Also bis übermorgen, Mark.«
Seufzend legte Bernd Eylers, der Chef der Galaktischen SicherheitsOrganisation, den Bericht über die jüngsten Vorkommnisse im Brana-Tal beiseite. Er war mehr als nur beunruhigt – er war besorgt. Die Cyborg-Station war einer der bestgeschützten Komplexe auf der Erde, und das aus gutem Grund. Die Vorstellung, daß die Ergebnisse von Echri Ezbals Forschungsarbeit in die falschen Hände geraten könnten, verschafften ihm eine Gänsehaut. Es war schon schlimm genug, daß zwei Cyborgs der letzten Serie entartet waren, ohne daß Ezbal oder einer seiner Mitarbeiter bisher auch nur den geringsten Anhaltspunkt hatten, was zu dieser Entartung geführt haben könnte. Es war gut möglich, daß das kleine Häufchen nicht rückgeschalteter Robonen, das sich immer noch auf der Erde herumtrieb, etwas damit zu tun hatte. Schließlich trug auch dieser letzte Versuch, sich Zugang zur Cyborg-Station zu verschaffen, die Handschrift der Robonen. Andererseits… Das Schrillen des Vipho riß ihn aus seinen Gedanken. Er hatte eine ganz bestimmte Vorahnung, wer ihn so früh am Morgen zu sprechen wünschte, und diese Ahnung erwies sich als richtig. Auf der kleinen Sichtscheibe erschien das Gesicht von Henner Trawisheim. »Guten Morgen, Eylers. Ich nehme an, sie haben die neuesten Berichte bereits gelesen?« Eylers nickte. »Sie spielen wahrscheinlich auf den Vorfall im Brana-Tal an, Trawisheim. Eine eigenartige Geschichte.« »Eine Geschichte, die mich vor allen Dingen zutiefst beunruhigt, Eylers. Erst der Fall Mildan und Dordig, und jetzt diese raffinierte Sabotageaktion. Ich mache mir ernsthaft Sorgen um die Sicherheit der Cyborg-Station.« 79
Der immer etwas linkisch wirkende Eylers beugte sich leicht nach vorn. »Das kann ich zwar gut verstehen, Trawisheim, aber Sie können mir glauben, daß von unserer Seite alles getan wird, um die Sicherheit der Cyborg-Station zu gewährleisten. Wir haben unsere Präsenz vor Ort erhöht, und wir haben die Sicherheitsvorkehrungen der Transmitterzugänge drastisch verschärft. Eigentlich…« Trawisheim wedelte etwas ungeduldig mit der Hand. »Ich weiß natürlich, daß Sie und Ihre Leute alles nur Menschenmögliche tun, Eylers, aber… ich mußte meinem Herzen einfach einmal Luft machen! – Aber noch eine ganz andere Frage: Stimmt es, daß Jos Aachten van Haag sich immer noch auf Hope herumtreibt – und wer kümmert sich dann an seiner Stelle hier auf Terra um die Nachforschungen in Sachen Robonen?« Müde wischte sich Eylers übers Gesicht. »Es stimmt, van Haag ist tatsächlich immer noch auf Hope. Er behauptet, eine heiße Spur in Sachen entarteter Cyborgs gefunden zu haben. Aus diesem Grund möchte ich ihn eigentlich nicht zurückrufen…« Trawisheim nickte zustimmend, sagte jedoch nichts. »Was nun die Nachforschungen bezüglich der Robonen hier auf der Erde betrifft, so haben sich in den letzten Tagen Bonner und sein Team darum gekümmert«, fuhr Eylers fort. »So ganz zufrieden bin ich mit seinen Ergebnissen jedoch nicht… Möglicherweise sollte ich jemand anderen daransetzen.« Trawisheim nickte erneut. »Diese Entscheidungen überlasse ich voll und ganz Ihnen, Eylers; ich habe vollstes Verständnis für ihre Maßnahmen, und ich weiß, daß Sie Ihren Job ganz hervorragend machen. Ich bin nur einfach ein bißchen beunruhigt. Die Ereignisse entwickeln sich fast zu schnell… Wir sehen uns in den nächsten Tagen garantiert noch, Eylers.« Das Bild auf der Sichtscheibe verblaßte. Eylers stand auf, trat ans Fenster, und ließ seinen Blick über die Silhouette von Alamo Gordo schweifen. Jos ist ganz sicher noch ein Weilchen auf Deluge beschäftigt, dachte er, und es macht wenig Sinn, ihn jetzt dort abzuziehen. Bonner und sein Team haben bisher herzlich wenig Erfolg gehabt, Yeung ist auf Dorado – wer könnte sich also noch um diesen Scholf und seine Renegatentruppe kümmern. Und plötzlich hatte er eine Idee. Er trat zum Vipho und rief die Zentrale. »Besorgen Sie mir so rasch wie möglich eine abhörsichere Verbindung mit Jelena Suskowna«, befahl er dem Wachhabenden, »oder nein, warten Sie… fordern Sie sie auf, schnellstmöglich hier aufzutauchen. Danke!«
Kräftige Fäuste packten ihn unsanft, rissen ihn hoch. Es dauerte einige Augenblicke, bis Colonel Neep realisierte, was mit ihm ge80
schah – aber dann sorgte der Adrenalinstoß dafür, daß der Schleier zerriß, der sich über sein Bewußtsein gelegt hatte. Schlagartig wachte Neep aus seinem Dämmerzustand auf. Er hing im Griff zweier Rateken, die ihn schon beinahe aus seinem Gefängnis geschleift hatten. Panische Angst ergriff den Colonel. Was haben sie mit mir vor? dachte er. Wohin wollen die Riesen mich bringen? Er versuchte sich zu wehren, aber wenn auch sein Verstand im Augenblick klar zu sein schien, so war sein Körper doch immer noch wie gelähmt, wollte ihm kaum gehorchen. Mit wachsender Verzweiflung blickte Neep sich um. Seine Männer hockten apathisch auf dem Fußboden ihres Gefängnisses. Einige sahen mit glanzlosen Augen zu ihm herüber, aber der Colonel war sich nicht sicher, ob sie überhaupt mitbekamen, was vorging. Von ihnen hatte er keine Unterstützung zu erwarten. Neep wollte um Hilfe rufen, doch seine Kehle war trocken und er brachte nur ein schwaches Krächzen heraus. Und dann hatten sie das Gefängnis verlassen. Seine beiden Bewacher führten – oder besser schleiften – den Colonel durch unzählige Gänge, wobei es allmählich tiefer ging. Entsetzt registrierte Neep, daß es ihm zunehmend gleichgültiger wurde, wohin die Rateken ihn bringen wollten. Die Lethargie kehrte zurück, wie er mit einem letzten Rest klaren Verstandes erkannte. Er versuchte, dagegen anzukämpfen, doch wozu…? Er nahm kaum noch wahr, daß sie schließlich in einem Raum ankamen, wo ihn seine beiden Bewacher unsanft in einen Sessel setzten. Er spürte etwas Kühles in seinem Nacken, hörte ein Zischen Ruckartig setzte Neep sich auf. Er war wieder klar! Und diesmal war es nicht jene hypererregte Klarsichtigkeit, die nur einem Adrenalinstoß zu verdanken war. Sie müssen uns etwas ins Essen gemischt haben… Drogen, um uns ruhigzustellen, dachte Neep, während er sich umsah. Und jetzt haben sie mir ein Gegenmittel verabreicht… aber warum? Der Raum, in dem er sich befand, war für ratekische Verhältnisse eher klein und völlig kahl. Neep war allein. Wer auch immer ihm das Gegenmittel injiziert hatte, mußte sich zurückgezogen haben, noch ehe es richtig zu wirken begonnen hatte. Ein Geräusch schreckte ihn auf. Die ihm gegenüberliegende Wand versank auf ihrer ganzen Breite im Boden und gab den Blick auf einen weiteren, um einiges größeren Raum frei, an dessen Rückwand sich ein Monitor an den anderen reihte. Die meisten waren eingeschaltet und zeigten Rateken, die allen möglichen, auf den ersten Blick meist unverständlichen Tätigkeiten nachgingen. Vor der Monitorwand stand ein einziger, riesiger Sessel, und in diesem Sessel hockte ein Rateke. Farbige Lichter huschten über den Neep zugewandten Fa81
cettenkranz. »Ich sehe, du bist erwacht, Terraner!« Viel zu laut prasselten die blechernen Laute der Translatorstimme auf Neep herab. Er zuckte zusammen. Hatte der Rateke dieses Zusammenzucken bemerkt? Zumindest dröhnte die Stimme nicht mehr ganz so laut, als der Riese fortfuhr: »Kannst du mich verstehen, Terraner?« Neep nickte. Er räusperte sich und mußte dreimal ansetzen, eher er schließlich die Worte »Ja, ich kann Sie verstehen« herausbrachte. Seine Stimme klang dünn in dem kahlen Raum. »Spürst du noch irgendwelche Nachwirkungen des Grid?« »Ist… ist das diese Droge, die Sie uns ins Essen gemischt haben?« Allmählich fiel Neep das Sprechen leichter. »Wir benutzen sie normalerweise dazu, die Hrraggna zu besänftigen, aber unsere Medtechs haben festgestellt, daß sie auch auf den Metabolismus von euch Terranern wirkt«, erwiderte der Rateke. Bei seinen Worten bewegte sich das, was Colonel Neep bisher für eine Art Wulst gehalten hatte, der sich um die Bodenplatte des Sessels zog, in dem der Riese saß. Das Wesen war lang, graubraun, und es hatte viel zu viele Beine und lange, drahtige Borsten, die es jetzt aufrichtete. Es erinnerte Neep an eine überdimensionierte Raupe - bis es herzhaft gähnte und dabei das gewaltige, zahnstarrende Maul aufriß. Neep erschauerte. »Ihr habt euch einen schlechten Zeitpunkt für euren Besuch auf Oorch ausgesucht, Terraner«, fuhr der Rateke fort. Er tätschelte die >Raupe< begütigend, die sich nach einem weiteren Gähnen wieder unter seinem Sessel zusammenrollte. Neep glaubte sich verhört zu haben. »Besuch?« preßte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Besuch? Ihr Raumschiff hat uns angegriffen und aufgebracht, obwohl wir uns in Raumnot befanden, und das…« »Ich habe nicht vor, mit dir über die Umstände eures Besuches zu diskutieren, Terraner!« knallte die Stimme des Translators dazwischen. Gegen diese Lautstärke kam Neep nicht an. »Mag sein, daß es zu einem Mißverständnis gekommen ist, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß ihr ratekisches Hoheitsgebiet verletzt habt! Es war vielleicht« – an dieser Stelle machte der Translator ein unverständliches Geräusch – »daß ihr einem Raumschiff der Rraer begegnet seid – schließlich ist die Zeit der Wrossna, und da sind sie noch agressiver als sonst… Aber das ist jetzt unwichtig.« »Unwichtig?« brachte Neep dumpf hervor. »Dieses Mißverständnis hat Terra um eine große Chance gebracht. Wir hatten Schirmfeldprojektoren an Bord, die…« »Glaubst du denn wirklich, Terraner, der Schutzschirm der Alten Zwerge 82
könnte eure Welt vor den Magnetstürmen schützen?« Neep zwinkerte überrascht. Also haben die Rateken das Wrack der BERNHARDTS STAR untersucht, dachte er. Und wie hat dieser Rateke die Utaren genannt? Der Riese beugte sich auf seinem Sessel leicht nach vorn. Neep registrierte zum ersten Mal bewußt, daß seine Haut nicht grau, sondern lila war. »Solche Schutzschirme gewähren keinen Schutz vor den Magnetstürmen. Wißt ihr denn nicht, daß diese Stürme sich durch den Hyperraum fortbewegen und an jedem beliebigen Ort wieder ins Normalkontinuum einbrechen?« Die Zahl der farbigen Lichter, die über den Facettenkranz des Rateken huschten, nahm zu. »Aber ich kann nicht noch mehr Zeit mit dir vergeuden, Terraner; Wrossna-tal ruft, und ich spüre, daß auch meine Zeit herannaht. Wir werden uns in die Tiefen dieser Welt zurückziehen und in den Katakomben, geschützt von den Rra-talli und den Adern aus reinem Luurs den Fortbestand unseres Volkes sichern. Doch Wrossna-tal ist großzügig. Wir wollen euch ermöglichen, in eure Heimat zurückzukehren, und haben Kontakt mit eurer Heimatwelt aufgenommen. Sie haben ein Schiff geschickt, daß dich und deine Begleiter abholen wird…« Neep hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Die Monitorgalerie an der Rückwand beanspruchte seine ganze Aufmerksamkeit. Dort bot sich ihm auf einem Monitor ein vertrauter Anblick – und dann wurde das Bild aufgezogen und füllte plötzlich die gesamte Wand. »Die POINT OF«, flüsterte Neep.
6. Rul Warren hatte den Flash 005 wieder ins Depot der POINT OF geflogen. Von Pjetr Wonzeff und Mike Doraner keine Spur! Sie mußten das Beiboot freiwillig verlassen haben. Nichts deutete auf Gewaltanwendung hin. Alles war ordnungsgemäß abgeschaltet worden – und gerade das war unverständlich. Ihre M-Raumanzüge und ihre Strahlwaffen fehlten ebenso wie die leistungsfähigen Spezial-Viphos, die nur TF und GSO besaßen. Ren Dhark äußerte sich nicht zum Verschwinden der beiden erfahrenen Män83
ner. Er hatte auch kaum ein Wort über ihr eigenmächtiges Handeln verloren. Nachdenklich saß er in seiner Kabine am Schwebetisch und spielte mit einer Folie. Das Kommando hatte er an Hen Falluta, den I.O. abgegeben. Die beiden Waffensteuerungen waren nach wie vor gefechtsklar. Miles Congollon, der Eurasier mit dem manchmal melancholischen Blick, stieß Riker an. »Wir haben einem Punkt zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, Riker. Der Einstieg der 005 stand offen, als wir das Beiboot erreichten. Das ist doch anomal. Ich traue Wonzeff und Doraner diesen Fehler nicht zu. Ergo?« »Stimmt!« mischte sich Ren Dhark ein, der die Folie aus der Hand legte, aber nach der Kaffeetasse griff und erst einmal langsam trank. Dann knabberte er schon wieder ein Biskuit und ließ es zwischen seinen Zähnen krachend zersplittern. Riker, Doorn und Congollon sahen ihn fragend an. Er ließ sich nicht stören. Schließlich war er auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut, und das Gefühl, ab und zu Appetit zu haben, war ihm nicht fremd geworden. Unbändiges Hungergefühl hatte ihn aus der Zentrale in seine Kabine getrieben, und auch Doorn, der eigentlich kein besonders großer Esser war, hatte über seinen knurrenden Magen geklagt. Sie hatten sich hochwertige Biskuits aus der Messe kommen lassen und eine erstaunlich große Menge Kaffee dazu getrunken. Congollon und Riker hatten die Eßsucht der beiden Männer mit Erstaunen, aber stillschweigend beobachtet. Doch als nun auch Doorn wieder in die Schale griff und gleich drei Biskuits herausnahm, platzte Congollon mit der Frage dazwischen: »Heiliger Strohsack, hört das mit der Esserei denn gar nicht mehr auf?« Dhark ließ seinen angebissenen Biskuit fallen. »Moment!« sagte er scharf, und sein forschender Blick galt dem Sibirier, der mit vollen Backen kaute. »Doorn, haben Sie schon wieder Riesenappetit?« Der konnte mit vollem Mund schlecht sprechen, dafür nickte er um so heftiger. Dhark drehte sich zur Bordverständigung um. »Rundspruch! Die sieben Wissenschaftler, die mit Doorn und mir den XeFlash benutzt haben, möchten sich bitte unverzüglich über die Bordverständigung bei mir melden.« Einer nach dem anderen rief durch. Einer nach dem anderen hatte das gleiche zu sagen! Jeder litt an unstillbarer Eßlust! Während Ren Dhark zuhörte, kaute er schon wieder. Arc Doorn leerte mit einem kühnen Griff die Schale. Riker legte ihm die Hand auf den Arm. »Das ist doch nicht mehr normal, Doorn!« Der nuschelte mit vollem Mund: »Haben Sie mal so ‘nen Kohldampf!« und spülte mit Kaffee nach. Der Commander griff in die leere Schale, ließ seine Hand darin liegen. Gerade berichtete der siebte Wissenschaftler, daß er sich seinen unstillbaren Hunger 84
wirklich nicht erklären könne. Dhark unterbrach ihn. »Richten Sie Ihren Kollegen, die uns begleitet haben, aus, daß sich alle in den nächsten fünf Minuten in der Medo-Station einzufinden haben. Ende!« Er erhob sich, sah den Sibirier an und sagte: »Los, Doorn, auch wir haben dort zu erscheinen!« Wortlos und mit einem traurigen Blick auf die leere Biskuitschale erhob sich Doorn. »Vorher spring’ ich aber noch mal schnell in die Messe, Dhark!« »Kommt nicht in Frage!« widersprach der Commander, der am liebsten gesagt hätte: >Das ist ein Wort! Und in der Messe essen wir beide uns endlich mal richtig satt!< Aber der Verstand hatte ihm ein unerbittliches Stopp zugerufen. Der Hunger war unnatürlich. Er war krankhaft. Das hatte mittlerweile auch Doorn erkannt. »Das verdanken wir Ihren Freunden, Commander!« Wann hatte Doorn den Commander der Planeten schon einmal mit seinem Titel angeredet? Aber er hatte die Mysterious nicht zum erstenmal zweideutig als Freunde Dharks bezeichnet. Er mochte sie nicht. Sie waren ihm zu geheimnisvoll! Er glaubte, daß hinter ihrem rätselhaften Verschwinden vor rund tausend Jahren eine tückische Absicht steckte. Er war nicht zu überzeugen, daß die Mysterious eine edle Rasse gewesen sein sollten. So viel Edelmut gab es seiner Meinung nach nicht, weil das für ein mächtiges Volk lebensfeindlich war. Dhark hatte den Einwurf des bulligen Mannes überhört. Er war neben dem Chefingenieur stehengeblieben. »Miles, die 005 und ihr geöffneter Einstieg hat uns etwas sagen wollen. Aber warum haben weder Wonzeff noch Doraner ihre Warnung dem Bordgehirn mitgeteilt? Lassen Sie noch einmal alles überprüfen. Wir sind in der Medo-Station zu finden.« Dort fanden sie schon die sieben Wissenschaftler vor. Einer mißvergnügter als der andere. Auch Dhark war schlechter Laune. In seinen Därmen wühlte und tobte ein Hunger, der immer unerträglicher wurde. Die Mediziner Maitskill und Hanfstick hörten aufmerksam zu. Zwischendurch hatten sie sich schon ein paarmal fragend angesehen und etwas ratlos mit den Schultern gezuckt. Von spontan ausbrechender krankhafter Freßlust hatten sie noch nie zuvor gehört. »Machen wir eine Labilitätskontrolle!« schlug Hanf stick schließlich seinem Kollegen vor. Dhark ließ die Labilitätskontrolle als erster über sich ergehen. Doorn und die 85
sieben Experten hinter seinem Rücken sprachen ununterbrochen vom Essen. Ihm brach vor Hunger schon der Schweiß aus. Keinen Deut interessierte er sich für die Resultate der vorgenommenen Kontrollen. In Gedanken sah er einen Tisch, der mit den wunderbarsten Gerichten überladen war. »Halt!« schrie er laut, als sich einer der Wissenschaftler davonschleichen wollte. Doorn warf seinem Commander einen schiefen Blick zu. »Ihre Freunde, Dhark!« Die beiden Mediziner hatten inzwischen die Ergebnisse der Labilitätskontrolle ausgewertet. Das Resultat lag vor ihnen: Hypnotische Beeinflussung! »Ich habe Hunger!« meuterte Doorn. »Ich hält’s kaum noch aus.« Hanfstick schüttelte ihn. »Doorn, nehmen Sie Vernunft an. Der Spaß kann Sie und die anderen das Leben kosten, wenn wir nicht herausfinden, wie man Sie hypnotisch beeinflußt hat!« Das alles interessierte Doorn nicht, der offensichtlich am stärksten von allen unter dem unbändigen Hungergefühl litt. Stereotyp erklärte er: »Ich hab’ Kohldampf! Große Milchstraße, ich bestehe nur noch aus Hunger!« Es kostete Ren Dhark beinahe unmenschliche Anstrengung, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. »Gibt es nicht einige Mittel, mit denen man hypnotische Beeinflussungen schnell und nachhaltig beseitigen kann?« Maitskill wehrte mit erhobenen Händen ab. »Zu gefährlich. Ihre Beeinflussung liegt in einem Spektrumsbereich, auf den unsere Mittel nicht ansprechen und sogar kontraindizierend wirken.« Dhark wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Sie können sich vielleicht nicht vorstellen, was wir neun im Moment mitmachen. Lange halten wir nicht mehr durch. Entweder Sie helfen uns, oder Sie müssen uns schocken. Wir dürfen hier unter keinen Umständen mehr hinaus, oder wir essen uns zu Tode!« Am liebsten wäre er, so schnell ihn seine Beine tragen konnten, in die Messe gerast, aber noch arbeitete sein Verstand einwandfrei. Er wußte, was ihnen bevorstand, wenn die Mediziner ihm und Doorn und seinen übrigen Begleitern nicht helfen konnten. »Das hat uns die Gedankenprojektion eingebracht!« keuchte einer der Wissenschaftler und hielt sich den schmerzenden Magen. Schon wieder wollten sich zwei Mann heimlich davonstehlen. »Schocken Sie uns!« verlangte Dhark. Maitskill wie Hanfstick zögerten. »Schocken!« wiederholte Ren Dhark, der nur noch an Essen denken konnte. »Verdammt noch mal, Sie sollen uns schocken!« Er hatte geschrieen. Der Hunger in ihnen allen wurde von Minute zu Minute 86
unerträglicher. Sie litten unter Hungerschmerzen! »Dhark, wir…« Ein Wissenschaftler stürmte vor, packte Maitskill an den Schultern und schüttelte ihn. »Tun Sie endlich etwas mit uns! Tun Sie etwas, und stehen Sie nicht herum! Von Worten werden wir nicht satt. Große Milchstraße, wo gibt’s denn hier eine Kleinigkeit zu essen?« Auch dieser Mann war schon wieder beim Thema. Hungergefühle hatten seinen logischen Verstand überwältigt. »Los! Bordverständigung. Rundfrage, wer an Bord eventuell über hypnotische Fähigkeiten verfügt. Maitskill, schnell«, brachte Dhark mit letzter Willenskraft über seine Lippen. »Ja, das… hoffentlich… sofort, Commander!« Hinter Ren Dharks Stirn hämmerte ein neuer Begriff: Die Grakos! Die Grakos! Nur eine Rasse, die von Natur aus grausam war, konnte ahnungslose Wesen einer anderen Art auf so teuflische Weise beeinflussen. Sie standen unter einem übermächtigen hypnotischen Zwang, waren Sklaven eines paramentalen Befehles geworden, dem sie einfach nachkommen mußten. Auch wenn ihnen der Verstand sagte, daß sie sich auf diese Weise zu Tode essen würden. Aufstöhnend krümmte sich Dhark. Niemals hatte er sich vorstellen können, daß Hunger so furchtbar sein könnte. Zusammengekrümmt hockte Doorn in seinem Sessel, die Knie angezogen, den Kopf gesenkt. Wohin er sah, Männer mit schmerzverzerrtem Gesicht. Männer, die wie er nur an Essen dachten. Und Maitskill hatte bis jetzt immer noch keine positive Antwort erhalten. Sollte unter den Wissenschaftlern und Technikern, die sie bei ihrem letzten Aufenthalt auf Terra an Bord genommen hatten, tatsächlich kein einziger sein, der über hypnotische Kräfte verfügte? »Ich möchte einen Versuch machen, Dhark, aber er kann auch schiefgehen«, sagte Hanf stick unvermittelt. Der Commander starrte ihn einen Augenblick lang an, sagte dann hastig: »Tun Sie es! Machen Sie den ersten Versuch an mir, Hanfstick!« Doorn hatte mitgehört. »Kommt nicht in Frage! Den Commander brauchen alle. Ich bin zu ersetzen. Hanfstick, versuchen Sie es an mir… Oh, dieser unerträgliche Hunger.« Er krümmte sich noch stärker. Sein Widerstand gegen das aufoktroyierte Gefühl war erneut zusammengebrochen. Hanfstick zögerte. Mit einer ungeheuerlichen Energieleistung stand Dhark langsam auf. »Hanfstick, machen Sie den Versuch!« Seine braunen Augen blitzten. Seine Stimme war fest und energisch. Durchdringend blickte er 87
Hanfstick an. Der wurde unsicher. »Bitte, kommen Sie mit in den kleinen OP.« Arc Doorn versuchte noch einmal sich einzumischen, doch der scharfe Befehl des Commanders verschloß ihm den Mund. »Bitte den Oberkörper frei machen und hinlegen.« Hanfstick hatte Dhark den Rücken gekehrt, um ein kleines Aggregat einzuschalten. »Dhark, ich warne Sie noch einmal. Bei diesem Versuch… kann eine Schädigung Ihres Gehirns eintreten!« Ren Dhark krümmte sich wieder. Er hatte kaum noch Kraft, sich auf den OPTisch zu legen. Das furchtbare Hungergefühl, bisher im Unterleib lokalisiert, breitete sich mehr und mehr über seinen gesamten Körper aus. Essen…! Essen…! schrie alles in ihm. Essen…! Hanfstick trat neben den Tisch. Hinter Dharks Kopf fuhr ein breiter, aber dünner Ring aus der Tischfläche. Obwohl aus Metall, war er dennoch so elastisch, daß er sich eng um Dharks Kopf legte. »Hände in die Klammern, bitte!« Dhark streckte seine Arme etwas zur Seite. Irgendwo knackte es leise. Der Commander konnte seine Arme nicht mehr bewegen. Energetische Fesseln hielten sie. Drei Kontakte hafteten an seinem Oberkörper. Hanfstick murmelte: »Ich muß die Werte Ihrer Labilitätskontrolle haben«, und eilte aus dem Raum. Kurz darauf kam er mit einer Folie in der Hand zurück. Er versuchte zum letztenmal zu warnen. »Dhark, es kann dabei ein Unglück passieren…« »Machen Sie doch endlich weiter!« keuchte Dhark, der am liebsten nach Essen geschrien hätte. »Also dann…« Hanf stick drückte drei Kontakte, las von der Folie die Werte ab, nahm entsprechende Einstellungen vor und hatte dann Angst, den Kommandoimpuls zu geben. Warum dauert es so lange? hämmerte es hinter Dharks Stirn. Warum macht Hanf stick nicht schneller? Und dann glaubte er, sein Kopf würde auseinanderfliegen. Er schrie. Er brüllte. Der kleine OP-Raum war voller Blitze! Tausend Nadeln stachen in seinem Kopf. Das war schlimmer als die Hölle! Er sah noch die schwarze Wand heranrasen. Als sie ihn erreichte, fiel er in Ohnmacht. Ein fast unmenschlicher Schrei weckte ihn. Ruckartig setzte er sich auf. Vier Ärzte beobachteten ihn aufmerksam. Der wilde Schrei war nicht mehr zu hören. »Commander, wie fühlen Sie sich?« 88
»Großer Himmel!« flüsterte er und schüttelte den Kopf. Er hatte keinen Hunger mehr. Die nagenden Schmerzen waren verflogen. Nur die Bauchdecke spannte etwas. »Gut«, sagte er endlich. »Ausgezeichnet. Und das Völlegefühl – ist das normal?« Es war normal. Er hatte zu viele Biskuits gegessen. Die mußte sein Magen erst einmal verarbeiten. Dhark stutzte, grübelte. Warum war er hungrig gewesen? Und wer hatte eben so laut geschrien? Er schaute zur Seite, zur Tür. Auf einer Schwebebahre wurde Arc Doorn hereingebracht. Der Sibirier schlief. »Commander, fühlen Sie sich wirklich wohl?« wurde er ein zweites Mal gefragt. »Ja, natürlich!« Aber er hatte nicht die ganze Wahrheit gesagt. In seiner Erinnerung war ein Loch. Man hatte die POINT OF gewaltsam auf diesen Planeten heruntergeholt und in einem unterirdischen Hangar gelandet. Zusammen mit Doorn und ein paar Wissenschaftlern hatte er nach Aufforderung einen Xe-Flash bestiegen. Und dann kam das Loch in seiner Erinnerung. Der Xe-Flash hatte sie irgendwohin gebracht – aber wohin? Er zuckte erneut zusammen. Wieder ertönte ein gellender Schrei. Fragend blickte er den Arzt an seiner Seite an. »Kollege Hanfstick behandelt Ihre Begleiter, Commander. War es sehr schlimm?« »Der Hunger? Ja, entsetzlich. Wir hatten alle fürchterlichen Hunger…« Er verstummte. Irgend etwas in seiner Erinnerung fehlte. Warum hatten sie alle diesen unerträglichen Hunger gehabt? »Was war eigentlich, Doc?« fragte er und schüttelte den Kopf. Der Arzt horchte auf. Er stellte seine Fragen. Zuerst interessiert, dann immer mehr bestürzt. Der Commander hatte einen Teil seines Erinnerungsvermögens verloren! Der Arzt rannte davon, in den kleinen OP-Raum, in dem Hanfstick die letzten vor Hunger sich krümmenden Experten behandelte. »Aufhören!« schrie der Arzt. »Sofort aufhören, Hanf stick! Der Commander hat sein Erinnerungsvermögen verloren! Um Gottes willen, aufhören!« Hanf stick erbleichte. Maitskill überschüttete seinen Kollegen mit Vorwürfen. »Ihre Holzhammer-Methode mußte ja Schädigungen im Gehirn auslösen! Hanfstick, ich hätte es nie riskiert!« Der deutete auf die Wissenschaftler, die in den Sesseln hingen und sich unter Qualen krümmten. »Reden Sie keinen Unsinn, Maitskill. Hätten diese Menschen Zeit ihres Lebens im Tiefschlaf dahindämmern sollen?« 89
»Ja! Zumindest, bis wir wieder auf Terra gewesen wären!« Hanf stick ließ seinen Kollegen stehen. Er alarmierte Dan Riker und suchte den Commander auf. Je länger er fragte, um so unruhiger wurde auch er. Riker stürmte herein. Hanfstick informierte ihn. Dhark mischte sich ein. »Halb so schlimm, Dan. In meinem Kopf ist alles klar, nur weiß ich nicht, warum ich von diesem scheußlichen Hungergefühl gequält worden bin. Und ich weiß auch nicht, wohin uns dieser große Flash gebracht hat. Dan, wo waren wir denn?« »Das mußt du besser wissen als ich. Ich durfte mich doch in der POINT OF langweilen. Ren, du hast mir doch von drei verschiedenen Gedankenprojektionen erzählt…« »Von Gedankenprojektionen? Ich? Von drei verschiedenen? Wer ist hier verrückt, he? Ich weiß von keiner Gedankenprojektion. Zum Kuckuck, wo sollen wir die denn erlebt haben. Und wann?« Ren Dhark hatte die Erinnerung daran verloren! Auch Arc Doorn! Drei Stunden später stand fest, daß auch der letzte Experte, der den Commander begleitet hatte, nichts mehr von ihrem Erlebnis wußte! Ihnen allen war der Film über den Anflug der POINT OF auf die riesige Stadt mit ihren Spiraltürmen, phantastischen Brücken und Parkanlagen vorgespielt worden. »Ren«, hatte Riker eindringlich gesagt, »du hast in der Kommandozentrale beim Anflug behauptet, das alles schon in einer Gedankenprojektion gesehen zu haben. Erinnerst du dich denn auch nicht mehr an das rotierende Emblem, das man euch gezeigt hat?« »Daß ich in der Zentrale davon gesprochen habe, daß du andauernd lästige Fragen gestellt hast, ja, das weiß ich wohl. Aber ich weiß nicht mehr, wo und wann ich so etwas gesehen haben soll.« Er schlug mit beiden Händen leicht gegen seine Stirn. »Hier drinnen fehlt etwas. Uns allen. Frag’ Doorn! Frag’ die Experten! Sie wissen so wenig wie ich.« Wieder war Hanfstick von seinen Kollegen angegriffen worden. Der Mediziner verteidigte sich energisch. Aber er befand sich in der Defensive. Dhark sah sich schließlich genötigt einzugreifen. »Hanfstick, was haben Sie mit uns angestellt? Erklären Sie es uns Laien bitte.« Der Mediziner räusperte sich. »Nach den Resultaten der Labilitätskontrolle befanden Sie sich eindeutig in einem hypnotischen Zustand, der aber nur Ihr Hungergefühl betraf. Meinen Kollegen und mir war bisher kein derartiger Fall untergekommen. Wir wissen nicht, wie Sie unter diesen Einfluß gerieten. Möglicherweise hat es etwas mit der Gedankenprojektion zu tun. Als ich bemerkte, daß Ihr Pseudo-Hungergefühl unerträglich wurde, beschloß ich, Ihren hypnotischen Block durch einen kurzen, aber sehr starken Dri-Yo-Impuls aufzubrechen. Die Stelle im Gehirn, die Ihr Hungergefühl steuert, sollte durch diesen 90
Impuls nicht nur überreizt, sondern auch kurzfristig gelähmt werden. Zwei Vorgänge also, die in dieser Reihenfolge hintereinander ablaufen mußten. Darin lag die Gefahr. Denn wäre zuerst die Lähmung aufgetreten, hätte die Überreizung abgelenkt werden und Gehirnpartien treffen können, denen ein Dri-YoImpuls dieser Stärke nicht zugemutet werden darf. Dieser Fall trat glücklicherweise nicht ein. Es gelang, den Hypno-Block zu knacken, den fraglichen Bereich mit Fremdenergie regelrecht zu überschwemmen und ihm durch kurzfristige Lähmung Zeit zu einer normalen Regeneration zu geben. Dabei sind aber in allen Fällen gleichartige Pannen aufgetreten. Mit dem Impuls traf… Nein!« Hanfstick hatte sich unterbrochen. Nun starrte er Ren Dhark aus Augen an, in denen sich Unglauben und kindliches Erstaunen widerspiegelten. »Commander, meine Kollegen und ich sind Narren gewesen! Wir haben uns durch die Werte der Labilitätskontrolle täuschen lassen, dabei hätten wir es auf den ersten Blick erkennen müssen! Erinnern Sie sich noch, wie Mentcaps wirksam werden?« »Und ob, mein Lieber!« Diese Mentcaps, die das Archiv in der Ringraumer-Höhle lieferte, waren eines der größten medizinischen Geheimnisse der Mysterious. Diese kleinen synthetischen Kugeln hatten den Terranern über tausend Jahre altes Wissen der Geheimnisvollen übermittelt, indem man die Kapsel einfach schluckte. Wer sich dann aber innerhalb der nächsten zwei Wochen nicht intensiv mit diesem Wissen beschäftigte, vergaß alles wieder. Doch warum sprach Hanfstick nicht weiter? Der Arzt war blaß geworden. »Commander, ich habe mit einer falschen Therapie Erfolg gehabt. Es wäre gar nicht nötig gewesen, Sie einer solch radikalen Behandlung zu unterziehen. Die Gedankenprojektion verfügte noch über einen zweiten, unterschwelligen Effekt. Sie und Ihre Begleiter sind während der Projektion als Fremde erkannt worden…« »Reden Sie keinen Unsinn, Hanf stick«, fiel ihm Dhark ins Wort. »Man wußte, wer wir waren. Man hatte mich durch einen telepathischen Spruch aufgefordert, diesen Xe-Flash zu besteigen…« Maitskill mischte sich ein. »Dhark, ich befürchte, daß Hanf stick recht hat…« »Aber woher wollen Sie das denn plötzlich wissen?« fragte Dhark erregt, der kein Freund von wilden Hypothesen war. »Sie waren doch nicht bei uns!« »Aber wir haben die Labilitätskontrolle vorgenommen. Die Werte sind eindeutig. Während Ihres Erlebnisses muß etwas vorgefallen sein, irgend etwas, das meiner Vermutung nach eine Sicherung der Mysterious ausgelöst hat. Vielleicht haben Sie gesprochen, und Ihre Sprache konnte nicht identifiziert wer91
den. Vielleicht ist etwas anderes Außergewöhnliches geschehen. Sie können es uns nicht mehr sagen, weil Sie alles vergessen haben. Vorher aber hatten wir Ihre Labilitätswerte, und die weisen an einer Stelle klar aus, daß zu der ersten Gedankenprojektion noch eine zweite hinzugekommen ist. Leider deuteten wir es als hypnotische Beeinflussung. Tatsächlich erlebten sie alle zwei Gedankenprojektionen zur gleichen Zeit. Eine zeigte Ihnen Bilder; die andere sollte erst später wirksam werden. Sie sollten sich totessen. Sie sollten sterben. Die sicherste Methode, ein Geheimnis zu schützen. Beide Gedankenprojektionen arbeiteten nach der Funktionsweise der Mentcaps!« Arc Doorn sah Hanf stick wie ein Wundertier an. Die aufmerksam lauschenden Experten wußten nicht, was sie dazu sagen sollten. Sie hatten nie eine Mentcap eingenommen. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß man eine Mentcap schluckte und eine halbe Minute später über Wissen verfugte, das die Mysterious vor rund tausend Jahren darin gespeichert hatten. Dhark war mit der Erklärung des Mediziners nicht einverstanden. »Zu kompliziert, Hanfstick. Ich will nicht bestreiten, daß wir ab einem bestimmten Zeitpunkt zwei Gedankenprojektionen gleichzeitig erlebten, aber es will mir nicht in den Kopf, daß man uns mit der zweiten Projektion vernichten wollte. Dieses Pseudo-Hungergefühl, das in uns ausgelöst wurde, muß etwas anderes zu bedeuten haben. Haben Sie schon einmal daran gedacht, daß es eine Warnung sein könnte?« »Uff!« stieß Arc Doorn aus und lehnte sich zurück. Das war unmißverständlich: Er akzeptierte Dharks Vermutung nicht! »Doorn, haben Sie eine bessere Erklärung?« fuhr Dhark ihn verärgert an. »Leider nicht«, gab der Sibirier brummig zur Antwort und verfiel wieder in seine Rolle des Schweigers. Dhark erhob sich. »Beenden wir die unfruchtbare Diskussion. Haben die Mediziner irgendwelche Bedenken, wenn wir jetzt die Medo-Station verlassen?« Sie konnten gehen. Das Gehen fiel ihnen aber auch jetzt noch nicht so leicht wie sonst. Ihr überfüllter Magen kämpfte immer noch mit der Unmenge an Speisen, die sie ihm seit Ausbruch des Hungergefühls zugeführt hatten. Als sie mit Riker an der Messe vorbeikamen und ihnen Essensduft entgegenwehte, hielten sich Dhark und Doorn die Nase zu und schüttelten sich. Allein der Gedanke an Essen weckte Übelkeit in ihnen. In der Zentrale warteten keinerlei Überraschungen auf sie. Wonzeff und Doraner waren nach wie vor verschollen. Die Untersuchung der 005 hatte keinen Hinweis geliefert, warum die Männer ihren Blitz verlassen hatten und weshalb sie sämtliche Geräte einschließlich des Hyperfunks ausgeschaltet hatten. »Was nun?« fragte Riker. Es war Nachmittag geworden. Der doppelspiralige Tower warf lange Schatten. Die Bildkugel holte die bizarre Silhouette der 92
fremden Stadt ganz nah heran. »Dan, wo können wir Doraner und Wonzeff suchen?« Ein Schulterzucken begleitete die Antwort. »Mir gefällt der Gedanke nicht, alle verfügbaren Flash zur Suche einzusetzen.« Überrascht blickte Dhark ihn an. »Mir behagt diese Idee auch nicht. Ist das nicht seltsam? Aber damit kommen wir nicht weiter. Die POINT OF einsetzen?« Riker schüttelte den Kopf. »Wenn wir sie irgendwo suchen müssen, dann in der Stadt. Dazu eignet sich der Ringraumer schlecht. Und ich frage mich die ganze Zeit, warum auch ihre Spezial-Viphos schweigen. Das ist mir nicht geheuer…« »Vollkommene Abschirmung, und das ist kein gutes Zeichen. Das heißt, unsere beiden Männer sind in Gefahr! Aber wo?« »In dieser Stadt oder in einer unterirdischen Anlage.« Nachdenklich nickte Dhark. »Bald ist es dunkel. Trotz aller technischen Hilfsmittel ist Dunkelheit ein Hindernis. Wenn ich etwas mehr beunruhigt wäre, würde ich dennoch eine Suchmannschaft loschicken. So aber warten wir, bis es draußen wieder hell geworden ist. Ich gehe schlafen. Hanfsticks Experiment steckt mir noch in den Gliedern.« »Hunger hast du keinen mehr?« frotzelte Riker und grinste. Ren Dhark schüttelte sich. »Sprich nicht vom Essen! Zerbrich dir lieber den Kopf, warum man uns in diesen Zustand versetzt hat. Bis dann, mein Lieber.« Damit verließ er die Zentrale der POINT OF. Kopfschüttelnd blickte Riker seinem Freund nach. Halblaut murmelte er: »Daß Ren hinter Kleinigkeiten immer Wichtiges suchen muß. Sie sollten sich totessen. Man wollte sie als Mitwisser eines Geheimnisses aus der Welt schaffen. Allem Anschein nach haben auch bei den Mysterious die Toten nichts mehr verraten können.« Dan Riker war ahnungslos. Alle waren ahnungslos!
Es war nicht die POINT OF, die Oorch angeflogen hatte und auf einem Raumhafen der Rateken gelandet war, um Colonel Neep und die Männer der BERNHARDTS STAR abzuholen. Aber das bekamen die Geretteten erst mit, als sie sich bereits an Bord des Ringraumers befanden und das Schiff schon wieder gestartet war. Neep war direkt in jenen Großhangar gebracht worden, den er bereits von ihrer Ankunft auf Oorch kannte – oder zumindest in einen, der genauso aussah –, und erst dort wieder mit seinen Männern zusammengetroffen. Im Gegensatz zu ihm befanden sich seine Leute noch im Griff des Grid und schlurften apathisch die Rampen in die Beiboote hinauf. 93
Mit gemischten Gefühlen schloß Neep sich ihnen an. Es war ihm nicht erlaubt worden, über Funk mit dem Raumschiff, das Neep zu diesem Zeitpunkt immer noch für die POINT OF gehalten hatte, Kontakt aufzunehmen. »Ihr werdet hinaus auf das Landefeld gebracht und könnt dann an Bord des Ringschiffs gehen«, hatte der Rateke gesagt. »Wozu willst du dann jetzt noch mit dem Kommandanten sprechen?« Wenige Augenblicke später war er bereits abgeholt worden. Auf dem Landefeld waren die Terraner dann mit dem Gegenmittel behandelt und anschließend mit vorgehaltenen B lästern auf die Schleusen des Ringraumers zugetrieben worden. Die Verwirrung war groß gewesen, als die Männer nacheinander aus ihrem Dämmerzustand erwachten, und ihr Unmut über die wenig freundliche Behandlung hatte sich in lauten Rufen Luft gemacht – aber direkt vor ihnen stand das Flaggschiff der TF und erlöste sie aus der Gefangenschaft der Riesen, und nur das zählte! Neep war einer der letzten gewesen, der an Bord des Ringraumers gegangen war, und ein junger Leutnant hatte ihn noch in der Schleuse abgefangen und mit in die Kommandozentrale genommen. Jetzt saß er Janos Szardak gegenüber. »Ich verstehe es immer noch nicht ganz«, murmelte Neep. Er fühlte sich unsagbar müde; die Gefangenschaft und die Anspannung forderten ihren Tribut. Janos Szardak zuckte die Schultern. »Viel kann ich Ihnen auch nicht erzählen, Neep. Cent Field hat einen Funkspruch der Rateken aufgefangen, in dem es sinngemäß hieß, wir sollten ein Raumschiff schicken, um die auf Oorch >gestrandeten< Terraner abzuholen. Die Vorgaben waren dabei eindeutig: Nur ein Raumschiff, das auf einem genau bezeichneten Landefeld zu landen hatte, und niemand von uns durfte das Schiff verlassen…« Sein Gesicht war so ausdruckslos wie immer, als er fortfuhr: »Da Ren Dhark und die POINT OF im Augenblick wieder einmal irgendwo in der Milchstraße unterwegs sind, die Ringraumer unseren Kugelraumern aber bei weitem überlegen sind, hielt Bulton es für eine gute Idee, eines unserer bereits umgerüsteten und sich in der Testphase befindlichen Beuteschiffe zu schicken.« Neep blickte sich um. »Ist das jetzt Ihr neues Schiff, Szardak?« Szardak zuckte erneut die Schultern. »Fragen Sie den Stab der TF. Ich weiß es nicht… aber, Neep, würden Sie ein Schiff fliegen wollen, daß TRR-7 heißt?« Neep verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »TRR-7?« »Test-Ringraumer-7! Sie kennen doch die Vorliebe unserer Bürokraten für Abkürzungen.« Neep nickte. Dann wurde er sich bewußt, daß Szardak ihn aus stechenden Au94
gen anstarrte. »Ist etwas nicht in Ordnung, Szardak?« »Tja, also«, begann der Mann mit dem Pokerface gedehnt, »hatten Sie bei den Rateken eigentlich Gelegenheit, sich… äh… zu waschen? Nein? Das habe ich mir gedacht… Dann, Colonel Neep, tun Sie mir bitte den Gefallen und…«
Die Gebirgskämme in der Ferne tauchten langsam aus dem Dunkel der Nacht auf. Die ersten Spiraltürme waren wieder zu erkennen. Ein neuer Tag brach über dem fünften Planeten der fünften Sonne der Sternenbrücke an. In der POINT OF standen drei Einsatzgruppen bereit. Um 04:30 Uhr Normzeit sollte die Suche nach Mike Doraner und Pjetr Wonzeff beginnen. Zwölf Flash kamen zum Einsatz. Zwei Blitze blieben als Reserve in der POINT OF zurück. Die restlichen Beiboote befanden sich noch auf verschiedenen Kugelraumern der TF. In Vierer-Formation flogen die Blitze aus. Dhark führte die erste Gruppe, Riker die zweite und Doorn die letzte. Der Stadtrand in der Nähe ihres Landeplatzes war das erste Ziel. Tausend Meter rechts und links der Formation Dhark flogen die beiden anderen Vierergruppen. Das dringlichste Gebot hieß permanente Funkverbindung! Sollte sie abreißen, bedeutete das automatisch: So schnell wie möglich zur POINT OF zurückkehren! Die verlassene Riesenstadt zeigte sich auf den Bildschirmen der Flash als gewaltiges Häusermeer, das sich scheinbar bis zum fernen Gebirge erstreckte. Ren Dhark wollte bei diesem Suchunternehmen nicht das kleinste Risiko eingehen. Der partielle Verlust seines Erinnerungsvermögens war ihm eine zu eindeutige Warnung gewesen, daß er hier mit allem zu rechnen hatte. In dreihundert Meter Höhe erreichte Dharks 002 als erster Flash den Stadtrand. Achtzehn Kilometer waren sie vom Landeplatz der POINT OF entfernt. Für zwei Männer wie Wonzeff und Doraner eine Strecke, die sie ohne jedes Hilfsmittel in drei Stunden zurücklegen konnten. Ein leeres Band, dachte Ren Dhark, der den Kopf in den Nacken gelegt hatte, um einen Blick auf die Bildprojektion zu werfen. Unbewußt weiteten sich seine Augen. Die in einer eleganten Kurve zu Boden schwingende Straße war nicht leer! »Kucks, sehen Sie das?« stieß er aus, und gleichzeitig ließ er den Flash abkippen und flog auf das zu, was er entdeckt hatte: zwei Fahrzeuge kurz vor dem Ende der Kurve am linken Rand! Zwei glitzernde, ellipsenförmige Körper, die im Sonnenlicht blauviolett schimmerten. Unitall! dachte Dhark, und seine Kopfhaut prickelte. Würde man in dieser 95
Stadt endlich erfahren, wie die Geheimnisvollen ausgesehen hatten, diese Wesen mit dem dritten Auge auf dem Schädeldach? »Fahrzeuge?« fragte Harold Kucks. Er schien nicht begeistert zu sein. »Moment«, erwiderte Dhark und gab allen Flash bekannt, daß er sich die Sache näher ansehen wollte. Alle Blitze stoppten. Die 002 hatte ihr Ziel erreicht. Die spinnbeindünnen Ausleger fuhren aus, spreizten sich, und der Flash setzte auf. Kucks hatte genaue Anweisungen. Er rührte sich nicht, sah nur zu, wie der Commander das Beiboot verließ und auf den nächsten der beiden Scheibenkörper zuging. Durchmesser etwa drei Meter. Dicke zwei Meter. Die Kanten abgerundet. Eine leicht ovale Öffnung, breit genug, einen Menschen bequem einsteigen zu lassen. Dhark hatte seinen Blaster gezogen. Der Test mit seinem Spezial-Vipho war glatt verlaufen. Der Funkkontakt zu seiner 002 und den anderen Blitzen war einwandfrei. Einmal blieb er stehen und sah sich um. Tiefe Stille umgab ihn. Die Luft war ruhig, ihr Duft berauschend. Als ob feine Parfümspuren in ihr enthalten seien. Erstaunlich glatt und dennoch rutschfest war der Straßenboden. Nirgendwo konnte Dhark einen Kratzer oder eine Schramme sehen, nirgendwo eine Fuge. Sollte man diese Hochstraßen in einem Guß erstellt haben? Dharks Klarsichthelm lag zusammengefaltet in seinem Nacken. Aus dem Vipho klangen ununterbrochen die Peilzeichen der POINT OF, die einzigen Laute außer dem Klang seiner Schritte. Dann stand er vor dem Unitallkörper. Vorsichtig näherte er sich der Öffnung, den Blaster schußbereit in der Hand. Er schob den Kopf vor. Er zuckte zurück. Im Innern der Scheibe war Licht aufgeflammt -weiches, blaues Licht! Es hatte ihn erschreckt. Er stand wie angewurzelt. Sein Lachen klang verkrampft. Er fühlte, daß er noch nicht wieder die gewohnte Spannkraft besaß. Das Erlebnis vom vergangenen Tag hatte seine Kräfte viel stärker in Anspruch genommen, als er es hatte wahrhaben wollen. Das Licht im Fahrzeug war längst wieder erloschen. Ren Dhark machte einen zweiten Versuch. Dieses Mal schreckte er nicht zurück, als das Licht wieder aufleuchtete. Ein Blick sagte ihm genug: Mysterious-Technik! Alles war vertraut: Der kleine Pilotensessel, die zwei Reihen Steuerschalter, die Bildscheibe und die drei anderen Sessel! Gleichzeitig dachte er an Doraner und Wonzeff. Wenn sie auf ein Gerät dieser Art gestoßen waren, dann hatten sie es auch benutzt, und sie am Rand der rie96
sigen Stadt zu suchen, war Zeitverschwendung. Dhark betrat die Kabine. Als er aufrecht hinter dem Pilotensessel stand, befand sich die Decke dicht über ihm. Terraner und Mysterious besaßen die gleiche Körpergröße. Ihre Anatomie mußte bis auf das dritte Auge ebenfalls der menschlichen sehr ähnlich gewesen sein. Dhark wischte über die Sessellehne und betrachtete seine Handfläche. Nicht ein Staubpartikel! Etwas hilflos zuckte er mit den Schultern. Dieser staubfreie Zustand war ihm unerklärlich. Einen Moment später nicht mehr. Geräuschlos hatte sich der Eingang geschlossen. Am Steuerpult waren drei Kontrolleuchten aufgeflammt. Einsatzbereit! sagten sie. Dhark nahm die nächste Funkprüfung vor. Sein Vipho war klar. Kucks fragte erregt an, ob er den Eingang geschlossen habe. Nach ihm meldete sich Dan Riker. »Ren, wage nichts! Mach mit dem Ding keinen Versuch!« Er dachte nicht daran. Langsam drehte er sich um und ging auf die Stelle zu, an der sich die Öffnung befunden hatte. Lautlos sprang sie auf. Dhark atmete tief durch, als er wieder auf der Hochstraße stand. Etwas weiter lag der zweite Flugkörper, auch mit geöffnetem Einstieg. Noch überlegte er, ob er ihn auch besichtigen sollte, als ihn ein schwaches Blinken störte. Links von ihm lag ein kleiner Gegenstand auf dem Boden. Er ging darauf zu, hob ihn auf – und hatte den Beweis in der Hand, daß Wonzeff und Doraner hier gewesen waren. Die kleine Lichtbombe, die in seiner Handfläche leicht hin und her rollte, gehörte zur Standardausrüstung der Flash-Piloten. Wie konnte man sie verlieren? Hatten Doraner und Wonzeff vorgehabt, mit dieser Lichtbombe ein Zeichen zu geben, wo man sie zu suchen hatte? Aber warum war dann später eins dieser Fahrzeuge von ihnen benutzt worden? Er saß schon wieder in seinem Flash, als er über Funk den anderen seine Beobachtungen mitteile. »…ist es Unsinn, Doraner und Wonzeff an der Peripherie zu suchen. Das werden sich die beiden auch überlegt haben, falls sie sich in einer Notlage befanden. Nach ihrem SOS-Ruf muß das der Fall gewesen sein. Beide sind erfahren genug, um zu wissen, daß man sie zuerst im Zentrum der City suchen wird. Wir kennen also unser neues Ziel.« Sie überflogen die Stadt; eine Stadt aus mehr als dreißig Städten, die durch phantastische Parks voneinander getrennt und durch faszinierende Brücken und Hochstraßen miteinander verbunden waren. Drei große Flüsse mäanderten durch das riesige Gebiet. Teilweise flössen sie unterirdisch. In den Parkregio97
nen traten sie wieder an die Oberfläche und zogen zwischen grünen, blauen und gelben Vegetationsflächen ihre Bahn. Die flachen Ufer waren ein einziges Blütenmeer. Glitzernde Seen zeigten spiegelnde Wasserflächen, aber nicht ein einziges Tier war zu sehen. Nirgendwo war Bewegung. Alles war tot, bis auf die Flora. Die Straßenschluchten waren leer. Die Spiraltürme ohne den kleinsten Hauch Leben. Die Brücken reflektierten das Sonnenlicht und warfen kaum Schatten. Die Hochstraßen mit ihren waghalsigen Kurven lagen verlassen. Und die Männer in den zwölf Flash schwiegen. Die drei Gruppen näherten sich der City. Das Zentrum war ein kreisrunder, mehr als vier Kilometer durchmessender Platz. Rings um ihn gleichförmige Hochhäuser, deren Außenfronten alle einen leichten Blaustich hatten. Blau, die Farbe der Mysterious! Doch alles wurde von einer Konstruktion beherrscht! Hoch über dem Mittelpunkt des gewaltigen Platzes, in 2367 Meter Höhe, schwebte eine zylindrische, ultrablau leuchtende Ringröhre! 1310 Meter betrug ihr Durchmesser! Die zylindrische Röhre war 108 Meter dick. Riker meldete sich erregt über Funk. »Sollte das Zufall sein, Ren? Die Ringröhre im Industriedom hat 108 Meter Gesamtdurchmesser. Und hier gilt dieser Wert für den Ringkörper!« »Vielleicht ist es Zufall; vielleicht auch nicht. Ich lande als erster mit meiner Gruppe, dann du, Dan, und zum Schluß, wenn kein Zwischenfall passiert ist, die Gruppe Doorn. Verstanden, Are?« Lakonisch dessen Antwort: »Verstanden.« Vier Flash schwebten auf den Platz hinunter. Vier Blitze setzten auf. In ihnen arbeiteten alle Ortungen. Es war und blieb unverständlich, daß die Energieortung noch nicht einmal die schwebende Zylinderröhre erfassen konnte. »Kucks«, fragte Dhark seinen Begleiter, »haben Sie keine Werte erhalten, als ich auf der Hochstraße diesen Flugkörper betrat?« »Nein, Commander. Bestimmt nicht. Aber ich habe gesehen, wie es im Innern blau aufleuchtete, als Sie Ihren Kopf vorstreckten.« »Okay, Kucks, Sie haben wieder auf mich aufzupassen. Wenn die Funkverbindung zu mir abreißen sollte, unternehmen Sie keinen Versuch, mich zu finden. Es sei denn, ich entdecke eine Möglichkeit, mich zu melden. Ist das auch für alle anderen klar?« Dan Riker polterte los. »Was hast du schon wieder vor, Ren? Allein aussteigen? Warum bleibst du nicht im Flash sitzen und fliegst ein, wo es dir gefällt?« Dhark schwieg einen Augenblick. Eine scharfe Falte bildete sich auf seiner 98
Stirn. »Ist es uns jemals gelungen, mit einem Flash in einen der Maschinengiganten des Industriedomes einzufliegen? Außerdem sehe ich in dieser Art des Eindringens ein viel größeres Risiko, als allein diese Gebäude zu betreten…« Er schloß seinen Klarsichthelm, stieß den Ausstieg auf und sprang federnd zu Boden. Sein Helmfunk war klar. Unverzerrt kamen die Peilzeichen der POINT OF herein. Er drehte sich noch einmal um und winkte Leutnant Kucks zu, dann ging er über die spiegelnde, staubfreie Fläche des Platzes auf das nächste Hochhaus zu. Ein Haus mit mehr als hundert Stockwerken und fünf gewaltigen Portalen, die jeweils mehr als fünfzig Meter auseinander lagen! Fugenlos die Außenfront! Nirgendwo die geringsten Zerfallserscheinungen. Nirgendwo Ansammlungen von Erdreich. Nirgendwo Leben. Das Peilzeichen der POINT OF zu hören war beruhigend. Hin und wieder vernahm er kurze Bemerkungen, die zwischen den einzelnen Flashbesatzungen ausgetauscht wurden. Dhark stand vor dem mittleren Portal. Er streckte die Hand aus, um die glatte Fläche zu berühren… seine Hand stieß ins Leere. Das Portal hatte sich geöffnet! In seinem Empfang ging alles durcheinander. Die Männer in ihren Flash hatten plötzlich Energieortung. Dan Riker verschaffte sich Gehör. »Ren, die leuchtende Ringröhre ist aktiv geworden. Großer Himmel, sie sendet Impulse, wie ich sie noch nie gesehen habe!?« Da übertönte der Sender der POINT OF alles andere. Die Funk-Z verlangte den Commander. Grappa befand sich am anderen Ende der Verbindung. »Commander, die Stadt ist aufgewacht. Der halbe Planet. Ich komme hinter meinen Ortungen nicht mehr mit. So etwas hat es noch nie gegeben. Die Zahl der angelaufenen Konverter kann nur noch der Checkmaster ermitteln. Mehr als hunderttausend müssen aktiv geworden sein, Dhark. Darunter Giganten, von denen wir nicht einmal zu träumen wagten!« Da war aber noch etwas im Empfang. »Einen Moment Ruhe, Grappa!« befahl Dhark. Er lauschte. Da war es wieder, aber nicht zu verstehen. Es kam zu schwach herein. Der starke Sender der POINT OF überlagerte es. »Funk-Z, Sendung für eine Minute unterbrechen. Vollständig unterbrechen!« »Okay!« Das war Glenn Morris’ Stimme gewesen. Im gleichen Moment herrschte Ruhe im Empfang. Und da war es wieder zu hören. Jetzt verständlich. 99
Wonzeffs Stimme, eine verzweifelte Stimme: »Dhark… Dhark, hören Sie mich? Hören Sie uns? Dhark, sind Sie es gewesen, der alles aktiviert hat? Waren Sie es? Großer Himmel, sie werden alle lebendig… alle… alle…« Und dann war die Verbindung unterbrochen. Dhark stand fassungslos vor dem großen geöffneten Portal und rührte sich nicht mehr. Wer war lebendig geworden? Wer? Die Mysterious?
7. Vibrationsalarm! Höchste Alarmstufe! Der Vibrationsalarm riß auch Menschen, die schon im Sterben lagen, aus ihrer Lethargie. Professor Monty Bell lag nicht im Sterben; er schlief. Bis ihn der Alarm aus dem Schlaf aufscheuchte. Erschreckt setzte er sich auf. Im gleichen Moment flammte die Beleuchtung auf. Er streckte den rechten Arm aus, betätigte einen Schalter und seufzte erleichtert, als er den Alarm nicht mehr spürte, der ihn bis in die letzte Faser seines Körpers getroffen hatte. Die Scheibe des Viphos leuchtete. Einschalten und melden! Die Beine dabei aus dem Bett nehmen und zur Kleidung greifen! Seine Zentrale verlangte ihn zu sprechen. Mitten in der Nacht? Um 02:34 Uhr Norm-Zeit? Und sie hatte den Vibrationsalarm ausgelöst? »Ja, was ist denn los?« polterte der Astrophysiker ungehalten. »Nichts mehr, Bell«, sagte der Mann auf dem Bildschirm. »Gar nichts mehr!« Die Muskeln im Gesicht des Sprechers zuckten nervös. Monty Bell war nicht nervös. Er war verärgert. Erstens, weil man ihn auf diese scheußliche Weise geweckt hatte, und zweitens, weil er sich diese dumme Antwort hatte anhören müssen. »Houss«, sagte er scharf, ohne auf die Antwort des Mannes einzugehen, »wer hat den Vibrationsalarm ausgelöst?« »Ossorn! Wir wurden völlig überrascht. Er hatte uns vorher nicht informiert und…« »Verbindung mit Ossorn!« verlangte Bell. Er ließ seine Kleider wieder fallen, 100
schwang die Beine zurück ins Bett. Wenn Ossorn es nicht für nötig hielt, sich direkt mit ihm in Verbindung zu setzen, dann war alles entweder nur halb so schlimm – oder hoffnungslos! Warum sollte er sich also beeilen? Hiobsbotschaften konnte er ebensogut im Bett empfangen. Das Bild auf dem Schirm wechselte. Yve Ossorn sah übernächtigt aus. Bell wunderte sich nicht. Er hatte nach vier Tagen und drei Nächten auch zum erstenmal wieder sein Bett gesehen. Die Störungen des galaktischen elektromagnetischen Feldes hatte sie an ihrem Arbeitsplatz festgenagelt. Bis sie nicht mehr konnten. Bis feststand, daß ihre Hoffnungen in Träume verwandelt worden waren. Die Schutzschirmexperten hatten auch den letzten Menschen aus dem Traumreich seiner Hoffnungen auf den nackten Boden der Wirklichkeit zurückgeholt – und Colonel Neep, der mit dem Rest seiner Besatzung mit der TRR-7 nach Terra zurückgekommen war. Es gab keinen Schutz gegen die Störungen aus der Milchstraße, weil der größte Teil der Energieorkane den Hyperspace als Reiseweg benutzte, um dann mit unverminderter Gewalt wieder ins Normalkontinuum einzubrechen – Schutzschirme hielten sie dabei kaum auf! Dennoch hatte Yve Ossorn vor wenigen Minuten Vibrationsalarm ausgelöst! Gespannt blickte Bell seinen Kollegen an. Der rieb sich die Augen. Übernächtigt. Aber er mußte noch zehn Stunden aushaken. Einer mußte die Stellung halten. Trotz Suprasensoren. Einer mußte in der Lage sein, Entscheidungen zu fällen. Yve Ossorn hatte eine gefällt. »Bell«, begann er, und ein verzerrtes Lachen stand um seinen Mund, »ich mache Feierabend. Ich habe schon mit Hope gesprochen. Auch mit den Utaren. Es stimmt…« Bell verlor die Beherrschung. Er hatte kein Wort verstanden. Ossorn sprach wie ein geistig Minderbemittelter. Bell brüllte ihn an. Ossorn reagierte nicht. Er winkte nicht einmal ab. Er hatte seinen Kopf in die Hände gelegt und starrte in die Aufnahmeoptik seines Viphos als sei ihm plötzlich alles egal. »Bell, bitte, explodieren Sie nicht gleich wieder. Ich kann doch nichts dafür. Wirklich nicht. Ich habe nicht dran gedreht. Bestimmt nicht. Sie sitzen ja im Bett. Also können Sie auch nicht hart fallen, Wenn es Sie umhaut. Es gibt keine Störungen im galaktischen Magnetfeld mehr. Vor einunddreißig Minuten sind die Werte so tief gefallen, wie man es seit vierzig Jahren nicht mehr beobachtet hat. Na, hätten Sie an meiner Stelle nicht auch Vibrationsalarm gegeben?« Monty Bell stand schon neben seinem Bett. 101
»Ossorn, Sie machen jetzt nicht Feierabend. Holen Sie Craig aus den Federn. Und alle Assistenten. Ich will die gesamte Astrophysik versammelt sehen. In zehn Minuten bin ich unten!« Unten, das war unter Alamo Gordo. Unter der Hauptstadt Terras lag auf unzähligen Etagen das größte Forschungszentrum, das die Erde jemals eingerichtet hatte. Und Monty Bell war nicht nur Chef der astrophysikalischen Abteilung mit ihren vielen Nebenzweigen, sondern auch der Leiter des Gesamtkomplexes. Sein Jett brachte ihn auf die Landefläche des Regierungsgebäudes. Er verzichtete darauf, den A-Grav-Lift zu nehmen. Er benutzte den Transmitter. In 700 Meter Tiefe trat er aus der grauen Ringantenne, passierte die Kontrolle, die sein Kleines Gehirnstrommuster überprüfte, und eilte zu seinem Arbeitsraum neben dem Hauptlabor. Wren Craig saß vor Folien und studierte sie. Drei Suprasensoren warfen die neuesten Diagramme aus. Abrupt blieb Monty Bell stehen. Mit einem Blick hatte er die sensationellen Veränderungen erkannt. »Wunderbar!« stieß er aus. Ossorn und Craig drehten sich nicht um. Cent Field hatte durchgeschaltet. Die Hyperfunkstation verband sie mit dem Inselkontinent Deluge auf Hope. Spence Bentheim, ein alter Kollege von Ossorn und Craig, bestätigte noch einmal die Beobachtungen, die man auch auf Terra und Esmaladan gemacht hatte. »Aber etwas stimmt nicht«, warnte Bentheim. »Der Energiegewinn, den die Teilchen durch die magnetische Ablenkung erfahren, ist plötzlich nicht nur anomal niedrig geworden, wir können auch nicht feststellen, ob er auf Kosten der Bewegung geht. Sehen Sie sich einmal Diagramm XIV unserer zweiten Meldung an. Und vergleichen Sie es mit Diagramm 34/Theta der letzten Messung!« Spence Bentheim machte eine Pause. Bell ordnete halblaut an: »Auf Deckung schalten!« Die beiden Diagramme wurden übereinander auf einen Großbildschirm projiziert. Die meisten Werte stimmten überein. Haargenau, aber im unteren Drittel zeigte sich auf dem Diagramm 34/Theta eine merkwürdige Abweichung. »Wir haben uns zu früh gefreut«, murmelte Bell, dem der kalte Schweiß ausbrach. Neben ihm fluchte Ossorn und schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. Er konnte nicht verstehen, wie ihm diese Abweichung hatte entgehen können. »Ruhe vor dem galaktischen Weltuntergang!« Wren Craig nannte das Kind beim Namen. Nur konnte niemand sagen, wann der neue Sturm losbrechen würde; noch gab es keinen Menschen, der für diese Veränderungen eine Erklärung hatte, die allen Überprüfungen standhielt. 102
Bell trat zu Ossorn. »Sie haben mit den Utaren gesprochen, ja? Und denen sind diese Abweichungen nicht aufgefallen? Sie haben sie mit keinem Wort erwähnt?« »Kein Wort darüber. Wir haben davon ja auch nichts angemessen. Nur Hope. Aber Hope liegt ja auch einige Lichtjahre weiter in der Richtung, aus der die Strahlorkane zu kommen pflegen.« »Dann hat Hope einen Fehler gemacht!« behauptete Monty Bell. »Hm«, brummte Craig und schüttelte den Kopf. »Hm«, machte auch Ossorn. Schließlich kannte er Spence Bentheim gut. Sie hatten zu den 50.000 Kolonisten gehört, die nach Hope verschlagen worden waren. Zusammen waren sie durch dick und dünn gegangen. Einer wußte um die Schwächen des anderen, aber beide trauten Bentheim keinen gravierenden Fehler zu. Die Hyperfunkverbindung nach Hope stand noch. Bentheim hatte mitgehört. »Kein Fehler, Bell!« widersprach er über viele tausend Lichtjahre hinweg. »Wir haben hier auch einige physikalische Außenstationen. Wir haben eine nach der anderen angerufen und Kontrollen durchführen lassen. Wir haben die drei Satelliten, die fünfhundert Lichtjahre entfernt stehen, neu programmiert. Wir wollten absolut sichergehen. Bell, unser Diagramm 34/Theta weist keine Fehlmessungen auf!« Monty Bell und seine Kollegen verspürten keine Müdigkeit mehr. Ihr Blick wanderte wieder zum Großbildschirm, der zwei Diagramme übereinander zeigte. »Diese Abweichung…« murmelte Bell und schüttelte verzweifelt den Kopf, »als ob sich irgendwo in der Milchstraße kosmische Teilchen mit niedrigen Energien versammeln würden, um bei einem Zusammenstoß mit anderen Teilchen mehr Energie aus diesen Zusammenstößen zu gewinnen, als sie bei Zusammenstößen mit atomaren Teilchen verlieren! Meine Herren, so klar haben wir es noch nie gesehen!« Bell hatte von >Sehen< gesprochen und dabei nicht berücksichtigt, daß man die Quelle der Strahlorkane immer noch nicht gefunden hatte. »Bei Bulton laufen wir auf…« Gedanken waren ungewollt in Worte gefaßt worden. Bell ignorierte die erstaunten und fragenden Blicke seiner Kollegen. Marschall Bulton würde ihnen ohne Genehmigung des Commanders nie einen Raumer zur Verfügung stellen, um mit diesem Schiff endlich die Quelle zu finden, in der die Störungen des galaktischen Magnetfelds ihren Ursprung hatten. Und Commander Ren Dhark befand sich nicht auf Terra. Flottenchef Riker ebenfalls nicht. Plötzlich schoß Bell ein Gedanke durch den Kopf. »Bentheim, sind Sie allein?« 103
»Ja, aber…« »Welches Schiff liegt auf Hope?« »Im Augenblick keines. Als der Orkan abflaute, haben die beiden Kornmandanten die Gelegenheit genutzt und Kurs auf Terra genommen.« »Danke!« sagte Bell enttäuscht. Er war um eine Hoffnung ärmer. Seine Idee, mit einem der auf Hope liegenden Raumschiffe so tief in die Milchstraße vorzustoßen, bis man die Quelle der Magnetfeldstörungen tasten konnte, ließ sich nicht realisieren. »Machen wir Schluß, meine Herren. Die Überwachung wird nicht verändert. Ossorn, schicken Sie alle Mitarbeiter wieder ins Bett. Aber, zum Teufel, warum erfaßt man auf Hope andere Werte als auf Esmaladan oder bei uns? – Bentheim«, wieder drehte er sich zum Vipho um, das ihn mit der Hyperfunkstation verband, »Sie haben mitgehört, ja? Dann kennen Sie mein Problem. Lassen Sie sich von Cent Field eine Verbindung zu den Utaren geben. Sprechen Sie mit den utarischen Experten. Machen Sie sie auf Ihre Meßwerte aufmerksam, und Sie selbst, Bentheim, kontrollieren bitte noch hundertmal nach, ob Sie wirklich diese verdammten Werte erfassen. Wenn ja, dann benutzen Sie auch mal Ihr Gehirn und denken darüber nach, warum Sie sie erfassen, wir und gegebenenfalls die Utaren aber nicht. Dieser Grund muß doch aufzudecken sein, oder sind Sie anderer Meinung?« Mit ironischem Unterton bedankte sich Spence Bentheim bei Bell für den guten Rat, aber er nahm dem Professor die Anspielung nicht übel. Sie waren alle nervös, weil sie wußten, welche Gefahren durch diese Strahlorkane ausgelöst werden konnten. »Gut! Ich werde Ihrem Rat folgen. Wenn wir unserer Sache absolut sicher sind, rufe ich wieder an.« Aber auch vierundzwanzig Stunden später hatte Spence Bentheim immer noch nicht wieder angerufen. Hope schwieg! Hope war auch über To-Funk nicht mehr zu erreichen, obwohl es gerade jetzt keine Störungen mehr in der Milchstraße gab, die jeden Funkverkehr unmöglich machten, Der Planet Hope schien nicht mehr zu existieren.
Jos Aachten van Haag erwartete keinen Erfolg mehr. In Gedanken verwünschte er Manu Tschobe, der die Behauptung in die Welt gesetzt hatte, die beiden entarteten Cyborgs Dordig und Mildan seien nicht verschwunden, sondern nur unsichtbar geworden. »Quatsch! Gibt’s nicht, aber ich Narr bin darauf hereingefallen!« murmelte der 104
GSO-Mann, während er durch die Maschinenhöhle schlenderte und den riesigen Aggregaten kaum einen Blick zuwarf. Die Experten, die hier seit Jahren ihre Forschungen betrieben und bis zum heutigen Tag erst einen kleinen Teil der großen Maschinenanlagen und deren Zweck enträtselt hatten, kannten ihn. Grußlos gingen sie an ihm vorbei. Über sein Vipho kam eine Meldung durch, die ihn nicht interessierte. Es war doch nichts Ungewöhnliches, daß die To-Funkverbindung nach Terra durch Veränderungen im galaktischen Magnetfeld unmöglich war. Aber der Teamchef der Funkzentrale gab keine Ruhe. Über Vipho forderte er Hyperfunk-Experten an. »Hier ist einwandfrei Sabotage betrieben worden!« behauptete der Mann allen Ernstes. Das war der Moment, in dem Jos aufhorchte. Er meldete sich. »Ach, Sie!« wurde ihm erwidert. Es klang etwas von oben herab. Idiot, dachte Jos und schaltete wieder aus. Er änderte die Richtung seines Spazierganges. Kurz darauf passierte er die sensorische Sperre der Funkzentrale. »Van Haag, was verstehen Sie schon von Hyperfunk?« wurde er vom Teamchef angefahren, einem jungen Mann von fünfundzwanzig Jahren, der sichtlich nervös war. »Nichts! Wozu auch?« erwiderte Jos lässig. »Aber wovon Sie nichts verstehen, davon verstehe ich etwas, und das ist eine ganze Menge^ mein Guter!« Schließlich war Jos Aachten van Haag nicht irgendwer. Er gehörte zu den besten Männern der GSO, und er besaß – abgesehen von bedeutungslosen Ausnahmen – Bernd Eylers’ absolutes Vertrauen. Seine Vollmachten reichten weit. Aber Jos benutzte derartige Mittel nicht gern. Er verfügte über andere Methoden, um sein Ziel zu erreichen. Er kehrte dem Teamchef den Rücken und wandte sich an einen blutjungen Techniker, der im Augenblick nicht wußte, was er mit der Gredo-Zange machen sollte, die er von einer Hand in die andere wandern ließ. »Erzählen Sie mal, was hier passiert ist!« forderte Jos den Techniker auf. Als er den fragenden Blick bemerkte, den der Mann seinem Teamchef zuwarf, fügte er hinzu: »Der ist abgemeldet. Sie werden jetzt von der GSO vernommen, klar?« Jos hatte den richtigen Mann angesprochen. Der Techniker erzählte gern. Und er gehörte zu den Menschen, die ausgezeichnet beobachten konnten. »…und da gehe ich wieder an Schaltwand III entlang, stutze und denke: Nanu, das war doch eben anders, und sehe genauer hin. Da haut’s mich fast um. Das Okti-Segment ist ohne Strom, und wenn das mal ausfällt, kann der Funker einpacken. Dann kommt er mit keinem Spruch mehr weiter als zehn Lichtjahre. Ich habe dann mit zwei Kollegen die Verkleidung abgenommen, und da hat uns fast der Schlag getroffen. Das Okti-Segment ist okay. Van Haag, wenn ich 105
Ihnen das Okti-Segment erklären darf…« »Nicht nötig«, wehrte Jos großzügig ab. »Erzählen Sie weiter. Wenn ich etwas nicht begreife, frage ich schon.« Das tat er bald. »Sie können den Fehler nicht finden?« »Nein!« »Wieso spricht Ihr Teamchef dann von Sabotage?« »Weil’s Sabotage ist!« »Verdammt nochmal«, platzte Jos heraus, »solch eine Behauptung muß man doch erst einmal beweisen!« »Können wir auch. Moment mal.« Der Techniker trat an einen Tisch und nahm etwas herunter. Als er vor Jos die Hand öffnete, lag ein kleiner Gegenstand darin. »Das haben wir nebenan im Hauptstromraum gefunden. Hinter der Verkleidung des Nus-Trafos. Der wird alle vier Stunden genauestens kontrolliert. Und so’n Ding hat darin keinen Platz. Von uns kennt es keiner. Wissen Sie vielleicht, was das ist?« Jos brauchte es nicht einmal in die Hand zu nehmen. Er kannte den kleinen Gegenstand. Ein Spezial-Zerhacker und -Raffer. Ein Zusatzgerät für SpezialViphos, mit denen Cyborgs ausgerüstet waren. Nun bedauerte er, daß mit Terra keine Verbindung zu bekommen war. Denn er hätte gern die GSO-Zentrale gesprochen, genauer, die Ausrüstungsstelle. Sie hätte ihm präzise sagen können, an welchen Cyborg dieses kleine Zusatzgerät ausgehändigt worden war. Statt die Frage zu beantworten, fragte Jos: »Welche Nummer steht auf der Rückseite? Drehen Sie es einmal um!« Der Techniker las die Nummer laut ab. Sie war leicht zu behalten: BAU-3-BU. »Geben Sie das Ding Ihrem Chef. Er soll es hinter die sicherste… nein, noch besser in einen der altmodischen Panzerschränke legen. Danke, mein Lieber. Sie haben nur ein gutes Stück weitergeholfen. Und ich bin jetzt auch davon überzeugt, daß hier Sabotage vorliegt.« Eine verblüffte Funkmannschaft sah ihm ratlos nach, als er den Raum verließ. »Der Kerl ist vielleicht ein Angeber!« sagte jemand, als Jos außer Hörweite war. Der Teamchef nickte. Er dachte das gleiche.
Pjetr Wonzeff und Mike Doraner waren verzweifelt. Über ihre Viphos konnten sie Ren Dhark und seine Gruppen zwar hören, aber sie konnten sich mit ihm nicht in Verbindung setzen. Sie kamen nicht durch. Der Sender der POINT OF überlagerte alles, dabei ging es um Minuten – um Sekunden. 106
Sie mußten den Commander warnen! Wieder schrie Wonzeff in sein Vipho: »Dhark, Dhark!! Hören Sie mich? Hören Sie uns? Dhark, haben Sie alles aktiviert?« Dabei irrte sein Blick durch den riesigen unterirdischen Raum, durch die Lagerhalle, in der sich an allen Ecken etwas bewegte. »Waren Sie es? Großer Himmel, sie werden alle lebendig… alle… alle!« Seine Augen waren so unnatürlich groß wie die seines Begleiters. Um sie herum wurde es lauter und lauter. »Pjetr…« keuchte Mike Doraner und schüttelte verzweifelt sein Spezial-Vipho, »wir haben keine Verbindung mehr. Ich kann Dhark nicht mehr hören!« Beide hatten Angst. Zu plötzlich war um sie herum alles lebendig geworden und kam nun auf sie zu. Von allen Seiten. »Mein Gott, wer hat das ausgelöst?« stieß Pjetr Wonzeff aus. Weder er noch Mike Doraner sahen den Strahl, der sie traf und von den Beinen riß.
Unbeweglich stand Ren Dhark vor dem großen, geöffneten Portal. Der Hilferuf seiner beiden Flash-Piloten hatte ihn stärker getroffen als er es sich anmerken lassen wollte. Wer war lebendig geworden? Etwa die Mysterious? Dhark drehte sich um. Kucks sicherte hinter ihm. Genau wie die anderen, die ihre Flash nicht verlassen hatten. Unheimlich wirkte der kreisrunde, riesengroße Platz mit der darüber schwebenden, ultrablau leuchtenden Ringröhre. Die POINT OF meldete sich wieder. »Auf Empfang bleiben!« ordnete Dhark knapp an. Die folgende Frage galt Dan Riker. »Kommst du mit?« »Ja!« klang es gepreßt. »Ich komme!« Ein Flash schwebte heran, landete dicht hinter Leutnant Kucks; Riker stieg aus, kam langsam auf den Commander zu. »Und?« Mit einer Kopfbewegung deutete Ren Dhark auf das geöffnete Portal. Aus zusammengekniffenen Augen starrte Riker in die gewaltige Halle. Weit im Hintergrund rotierte ein im Goldton schimmerndes Emblem, die stilisierte Darstellung einer Spiralgalaxis. Das Schimmern war stärker als das blaue Licht in der Halle, deren blauschimmernde Wände keinerlei Verzierungen aufwiesen. Diese Halle mußte für Riesen gebaut worden sein, nicht für Wesen von der Größe der Terraner. Allein dieser Empfangsraum war mit der beeindruckenden Weite eines Doms zu vergleichen. Unwillkürlich verwandelte sich Rikers Trotz in Faszination. Auch er dachte an die Geheimnisvollen, und an die verwirrenden Spuren, auf die sie bisher gesto107
ßen waren. »Na, dann wollen wir mal«, sagte er mit einem dünnen Lächeln. Dhark hob sein Vipho. »An alle! Wir glauben nicht, daß uns Gefahr droht; falls wir uns aber plötzlich nicht mehr melden, dann ist die Suche nach uns abzubrechen, wenn dadurch die POINT OF oder die Besatzung gefährdet werden sollten. Verstanden, POINT OF?« Man hatte den Commander verstanden. Sein Befehl gab seinen Männern nicht viel Spielraum, wenn er mit Riker erst einmal in diesem gigantischen, mehr als hundert Stockwerke hohen Gebäude verschwunden war und sich nicht mehr melden konnte. »Und was ist mit der Suche nach Wonzeff und Doraner?« »Wird fortgesetzt, aber unter den gleichen Einschränkungen!« erklärte Dhark scharf. »Ende!« Ren Dhark schritt voran. Durch das Portal. Hinein in die Halle. Hinein in das blaue Licht, das sie zum erstenmal im Industriedom auf Hope gesehen hatten. Ihr Ziel war das rotierende Emblem vor oder in der Wand am Ende der Halle. Alles in Dhark war konzentrierte Spannung. Seine Blicke wanderten ununterbrochen hin und her. Über ihnen befand sich die kaum gewölbte Decke. Sie bestand aus Unitall, genau wie Wände und Boden. Doch der Boden war mit einer schalldämpfenden, durchsichtigen Schicht überzogen, die Geräusche regelrecht in sich aufsog. Je tiefer sie in die Halle kamen, um so kleiner, nichtiger kamen sie sich vor. Dhark spürte die Unruhe seines Freundes. »Wenn wir nur wüßten, was hier lebendig geworden sein soll, Ren…« Im gleichen Moment blieben sie wie angewurzelt stehen. Unter ihren Füßen hatte der Unitallboden zu leuchten begonnen. Sie standen auf einem rotierenden, golden schimmernden Emblem, das sich im Boden drehte! Dhark spürte überall in seinem Körper ein feines Prickeln. Dan Riker kratzte sich durch den filmdünnen M-Anzug, aber er sagte kein Wort. Dhark versuchte das Prickeln zu ignorieren. Hing es vielleicht mit dem rotierenden Emblem unter ihren Füßen zusammen? »Warte einen Moment!« sagte er kurz entschlossen zu Riker, auf dessen Kinn sich wieder einmal der rote Fleck zeigte. Dhark machte fünf große Schritte. Kaum hatte er den Bereich der Spirale verlassen, als von dem Prickeln nichts mehr zu spüren war. Er winkte Riker heran. Der schüttelte sich und sah seinen Freund fragend an. Was sollte Dhark ihm antworten? Seine Spekulation in Worte kleiden, daß sie im Bereich der Spirale womöglich getestet worden waren? Als Dhark sich umdrehte, war das Emblem hinter ihnen verschwunden. 108
Sie gingen auf die gegenüberliegende Wand zu. Ihre Blicke suchten vergebens nach einem A-Grav-Schacht. Boden und Decke waren aus einem Guß, aber was hatte das bei der Technik der Mysterious schon zu bedeuten? Hin und wieder hörten sie aus dem Empfang ihrer Viphos Wortfetzen oder knappe Bemerkungen. Nach wie vor bestand auch einwandfreie Verbindung zur POINT OF. Dann hatten sie das Ende der Halle erreicht. Das Emblem rotierte in der Wand. Aus der Wand kam das im Goldton schimmernde Leuchten, das etwas Beruhigendes an sich hatte. Dhark machte plötzlich mit beiden Armen eine hilflose Bewegung, wie ein Mensch, der sich festhalten will, aber nirgendwo Halt findet. Neben ihm stieß Riker einen Schrei aus. Unter ihnen existierte kein Boden mehr. Das Emblem vor ihnen war verschwunden. Für einen Sekundenbruchteil hatten sie einen riesengroßen grauen Ring gesehen, der aus der Wand auf sie zugekommen war. Wie ein Spuk war dann auch schon wieder alles vorüber. Sie befanden sich nicht mehr in der Halle. Sie standen am Fuß einer breiten, fünfstufigen Treppe. Sie blickten zu einem gigantischen, geschlossenen Portal hinauf! Aber sie sahen das Portal kaum. Das war auch unwichtig. Sie starrten das Wesen an, das in majestätischer Haltung auf dem oberen Treppenabsatz stand, die Arme weit ausgestreckt, die Handflächen den beiden Terranern zugewandt! Und sie erinnerten sich an die kleinen, verlassenen Städte auf jenem namenlosen Planeten, auf den sie von Allon Sawalls Robonen verschleppt worden waren – oder genauer, an eine dieser Städte! Dort waren ihnen zum ersten und zum letzten Mal Wesen begegnet, die sie spontan als Schwarze Weiße bezeichnet hatten! Wesen, von denen Lati Oshuta behauptet hatte, es handle sich um Roboter. Und hier trafen sie wieder auf eines dieser Wesen! Auf einen Roboter?! Ren Dhark atmete schwer. Der Übergang von einer Umgebung zur anderen war blitzschnell erfolgt. Ein Transmitter hatte sie aus der Halle vor ein gewaltiges Gebäude mit einem riesigen Portal befördert. Direkt diesem Schwarzen Weißen in die Arme! Majestätisch sah er sie an, als hätte er das Minderwertigste vor sich, das es innerhalb der Milchstraße gab. »Was hältst du davon?« flüsterte Dan Riker. 109
Ein Achselzucken war Dharks Antwort. Sein Blick brannte sich an dem Schwarzen Weißen fest. Der Oberkörper des Fremden war nackt – abgesehen von einer schmalen, enganliegenden feuerroten Schärpe, die von der rechten Schulter zur linken Hüfte verlief und kaum etwas von seiner tiefschwarzen Haut verdeckte. Kurz und gelbweiß war die Hose. Die Füße steckten in leichten Sandalen. Um die Stirn dieses unbeweglich stehenden Wesens lag ein weißer Reif, der in der Mitte einen rotfunkelnden Stein trug. Das Portal hinter ihm war geschlossen. Hoch über dem Kopf des Schwarzen Weißen zeigte es die stilisierte Wiedergabe einer Galaxis, und auch sie schimmerte im Goldton! »Dan«, auch Ren Dhark flüsterte jetzt, gebannt von dem Anblick. »Wir haben keinen Kontakt mehr mit den Flash-Gruppen. Die POINT OF ist auch nicht mehr zu hören.« »Mich wundert gar nichts mehr«, erwiderte Riker ebenso leise; unwillkürlich glitten seine Hände zu den Kolben der Strahlwaffen. Dhark hatte es bemerkt. »Nicht ziehen!« zischte er. Der Schwarze Weiße bewegte sich. Er nahm die Hände herunter und kam gelassen auf sie zu, den Blick aus seinen grell leuchtenden Augen starr auf die beiden Männer gerichtet. Der Stein in seinem weißen Reif funkelte und blitzte in hellem Rot. »Zurück!« flüsterte der Commander. Der Fremde vor ihnen war zwar unbewaffnet, dennoch fühlte sich Dhark von Sekunde zu Sekunde unbehaglicher. »Wir müssen den Transmitter wieder erreichen.« Hastig drehte er sich um, während der Schwarze Weiße inzwischen zwei Stufen tiefer gekommen war. In ungläubigem Erstaunen weiteten sich Dharks Augen. Sie befanden sich unter einer großen Energiekuppel! Darin gab es nur das Gebäude, vor dem sie standen! Ringsherum breitete sich eine gepflegte Rasenfläche aus, die einem blaugrünen, dichten Teppich ähnelte. Von einem Transmitter keine Spur. Dicht hinter ihnen endete der feste, blauschimmernde Bodenbelag. Der Schwarze Weiße kam langsam die letzten Stufen herunter.
Arc Doorn hielt es in seinem Flash nicht mehr aus. Vor fünfzehn Minuten Norm-Zeit war die Verbindung zum Commander abgerissen. Auch die Männer in der Funk-Z der POINT OF verzweifelten. Sie hatten alles versucht, um erneut Kontakt mit Dhark und Riker zu bekommen, es aber nicht geschafft. 110
»Ich gehe allein!« hatte Doorn den anderen Männern der drei Gruppen mitgeteilt. Als sie Einwände erhoben und ihn auf die präzisen Anweisungen des Commanders hinwiesen, hatte er nur abgewinkt. Jetzt marschierte er auf das geöffnete Portal zu und verschwand in der Halle. Sein Ziel war ebenfalls das rotierende Emblem an der Stirnwand. Daß auf halbem Weg unter seinen Füßen kurzfristig eine zweite Spirale rotierte, bemerkte er genausowenig, wie er das leichte Prickeln in seinem Körper wahrnahm. Ein Transmitter, dessen graue Antenne auf ihn zukam, riß auch ihn in eine andere Umgebung. Drei Schwarze Weiße empfingen ihn. Sie standen vor einem geschlossenen Portal auf einem Treppenpodest und geboten ihm mit unmißverständlicher Geste Halt. Arc Doorn kannte derartige Wesen nur aus den Erzählungen Ren Dharks und Dan Rikers. Und er wußte, daß die beiden Cyborgs diese Schwarzen Weißen als Roboter identifiziert hatten. Der Sibirier war nicht mit leeren Händen gekommen. In jeder hielt er einen Blaster, und die Abstrahlpole zielten genau in die richtige Richtung. Sie haben Dhark und Riker auf dem Gewissen! dachte er, und drückte kaltblütig die Kontakte an seinen Blastern. Drei Schwarze Weiße flogen in donnernden Explosionen auseinander! Drei Lichtfontänen jagten nach allen Seiten. Eine starke Druckwelle traf den Sibirier, ließ ihn schwanken. »Damit habt ihr wohl nicht gerechnet, was?« sagte er knurrend und stieg langsam die fünfstufige Treppe hinauf. Dabei versuchte er, die ganze Umgebung zu erfassen. Flüchtig betrachtete er das Emblem am geschlossenen Portal. Noch flüchtiger sah er zu der Stelle hinüber, wo eben noch drei Schwarze Weiße gestanden hatten. Arc Doorn hatte das gewaltige, geschlossene Portal erreicht. Als er zur Seite trat, um nach dem Öffnungskontakt zu suchen, sah er auf dem Fußboden etwas aufblitzen. Er bückte sich und brummte schon ein »Na, also!« als er es aufhob. Der Commander hatte eine eindeutige Spur hinterlassen. Doorn drehte das SolStück noch zwischen den Fingern, als ihn ein Geräusch herumwirbeln ließ. Er sah nichts mehr. Er fühlte nichts mehr. Daß ihn ein Schwarzer Weißer wie ein Leichtgewicht über die Schulter warf und mit ihm die fünfstufige Treppe hinunterging, merkte er nicht mehr. Der Schwarze Weiße verließ die Bodenplatte vor der Treppe, betrat den blaugrünen Rasen und griff wieder nach der leblosen Gestalt über seiner Schulter, als vor ihm aus dem Nichts der graue Ring eines Transmitters existent wurde. Wie ein völlig wertloses Ding wurde Arc Doorn in den Bereich der Transmitter-Antenne geschleudert und verschwand darin. 111
Im OP-01 wurden die letzten Vorbereitungen getroffen. Echri Ezbal hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst die Aufsicht zu führen. Er wußte am besten, was für Mark Carrell auf dem Spiel stand. Hin und wieder warf der greise Wissenschaftler einen Blick auf das Chrono. In wenigen Minuten mußte Mark Carrell eintreffen. In Gedanken fragte sich Ezbal, was wohl im Kopf dieses draufgängerischen Mannes vor sich gehen mochte. Carrell wußte genau, daß der Versuch auch in seinem letzten Stadium noch mißlingen, daß er sterben könnte. Die Tür hinter der Steril-Schleuse öffnete sich. Carrell trat ein, acht Minuten vor der festgesetzten Zeit. Er sagte »Guten Morgen«, obwohl es draußen Nacht war. In der unterirdischen Anlage waren alle Uhren auf Norm-Zeit gestellt; es spielte keine Rolle, welche Tageszeit draußen im Brana-Tal herrschte. Mark Carrell machte einen zufriedenen Eindruck. Er hatte gut geschlafen, und die Steril-Dusche im Schleusenraum hatte ihn noch munterer gemacht. »Alles okay, Ezbal! Von mir aus kann der letzte Test durchgeführt werden.« Der Wissenschaftler wunderte sich insgeheim über den Mut des Cyborgs. Ezbal war in der letzten Nacht noch einmal alle Berechnungen und Berichte durchgegangen und hatte sämtliche Untersuchungsprotokolle durch einen großen Suprasensor überprüfen lassen. Dennoch war er das Gefühl einer letzten Unsicherheit nicht losgeworden – und nun drängte Carrell darauf, den Abschlußtest anlaufen zu lassen. Diesmal nahm er nicht auf dem OP-Tisch Platz, sondern im Gliedersessel, in dem auch Operationen durchgeführt wurden. Mehrere Motoren liefen an, kaum daß er Platz genommen hatte, und durch Sensoren gesteuert, veränderten sie den Gliedersessel so lange, bis der Cyborg bequem saß. Rechts hielten sich zwei Ingenieure auf, links drei, die Kontaktplatten an Arme, Beine, Rumpf und Kopf anlegten. Sie wurden von drei Medizinern abgelöst, die mit Ple-Saugköpfen herankamen und Kabel hinter sich herzogen. Mark Carrell bemerkte nicht, daß die an bestimmten Stellen angelegten Saugnäpfe plötzlich eine Reihe winziger Nadeln in seine Haut stießen. Er war diese Prozedur durch die vorhergegangenen Untersuchungen und Versuche längst gewohnt. Ebensowenig beeindruckte ihn der Einsatz der vielen medizinischen Geräte, die gleich einer doppelten Ringmauer um ihn herum aufgebaut waren, während rechts neben ihm an der Wand eine große Schalttafel zusammengefaßt noch einmal alles anzeigte, was jedes einzelne Gerät in seinem speziellen Bereich angab. Wie beim letzten Versuch war auch heute wieder der Zähler das wichtigste Instrument. Er gab bis auf viele Stellen hinter dem Komma genau an, wie viele Milliarden Viren sich pro Raumeinheit in seinem Körper befanden – Viren der 112
Gruppe F, von denen Echri Ezbal sich Wunderdinge versprach. Heute sollte er nun den Beweis erbringen, daß er mit diesen Viren im Körper ein besserer Cyborg war als alle anderen zuvor. Die Viren in seinem Körper waren jetzt passiv und damit vollkommen harmlos, als ob sie gar nicht vorhanden wären. Die vergangenen Stunden hatten es bewiesen, da zudem das Virus F keine Inkubationszeit besaß. Darum wartete er nun auch ungeduldig darauf, daß endlich dieser Test zu Ende ging. Er wollte wieder die Sonne sehen. Er war es müde, Woche um Woche als Versuchskaninchen in der Cyborg-Station hinter sich zu bringen. Er wollte endlich als Cyborg im Brennpunkt der Ereignisse stehen. Im OP-01 wurde es still. Nur das Summen der Aggregate war zu hören. Kein Mensch sprach ein Wort. Jeder wartete auf Echri Ezbals letzte Anweisungen für Mark Carrell. Ezbal stand neben dem Zähler. Jetzt hob er den Kopf und gab Carrell das verabredete Zeichen. Mark Carrell schaltete auf sein zweites System und erledigte als Cyborg alle ihm gestellten Aufgaben wie eine Maschine. Es kümmerte ihn nicht, daß Echri Ezbal die Angaben des Zählers ununterbrochen verfolgte. Als Cyborg kannte er keine Angst. »Aufgabe hundertunddrei…« Auch die erledigte er. Mit Test hundertzehn war der erste Teil des Versuchs zu Ende. Wie erwartet, war die ganze Testreihe ein voller Erfolg.
8. Über Deluge stand wieder das Intervall. Es hatte sich automatisch aufgebaut, ein Zustand, der den Männern und Frauen im Höhlensystem zwar nicht mehr neu war, der aber immer wieder größte Beunruhigung hervorrief. Die Astronomen und Astrophysiker standen plötzlich wieder im Mittelpunkt des Interesses. Aber auch Spence Bentheim und seine Kollegen konnten nicht erklären, warum das Intervallfeld wieder um Deluge stand und den gesamten Kontinent absicherte. Die Funkspezialisten stellten ihre Arbeit ein. Von einem Moment zum anderen war die Verbindung mit Terra abgerissen. Nicht nur das: kein einziges Schiff der TF war mehr zu hören. Dabei hatten sich die Verhältnisse des galaktischen 113
Magnetfeldes in den letzten Stunden nicht mehr verändert. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschte ein physikalischer Zustand, den man fast als normal bezeichnen konnte. Die Einbrüche aus dem Hyperspace bestanden nicht mehr. Die Magnetometer zeigten die niedrigsten Werte seit Jahren. Eigentlich ein Grund zum Feiern, aber warum war dann die ToFunkverbindung mit Terra abgerissen? Warum hatte sich das Intervallfeld automatisch aufgebaut? Bentheim war nicht anzusprechen. Mit hochrotem Kopf hatte er die Theorie eines Kollegen als Nonsens bezeichnet und sich jede weitere Diskussion verbeten. Der Kaffee schmeckte ihm nicht. Die Zigarette auch nicht. Die Folien interessierten ihn nicht mehr. Diagramme wollte er keine mehr sehen. Und er wollte keinen Besuch haben. Sein Vipho störte ihn. Auf der Bildscheibe war Jos Aachten van Haag zu sehen. »Was wollen Sie denn von mir?« fauchte Bentheim ihn an. Der GSO-Mann ignorierte den abweisenden Ton. »Sie besuchen, Bentheim.« »Ich habe zu tun!« log der Astrophysiker. »Ich auch. Ich bin in zwei Minuten bei Ihnen.« Kurze Zeit später ließ sich Jos Aachten van Haag gemütlich bei Bentheim nieder. »Schlechte Zeiten«, sagte er und schob die Folien auf dem Tisch zur Seite. »So etwas verbindet.« »Um mir das zu erzählen, stehlen Sie mir die Zeit, van Haag?« Jos betrachtete den Astrophysiker amüsiert. »Sonst haben Sie mich Jos genannt, Bentheim. Aber das macht nichts. Ich bin Kummer gewohnt. Zum Beispiel suche ich die Burschen, die gleich reihenweise Videokameras klauen.« Spence Bentheim gähnte demonstrativ. Jos Aachten van Haag sah großzügig darüber hinweg. »Man hat auch den Kerl immer noch nicht gefunden, der in der Funkzentrale ein bißchen Sabotage verübt hat. Am Ende bleibt so etwas an mir hängen. In dieser Beziehung sind wir Kollegen. Man dichtet Ihnen auch schon Nichtskönnen an, weil Sie nicht in der Lage sind, zu erklären, warum uns das Intervall mal wieder auf die Nerven geht.« »Von mir aus…« »Von mir aus aber nicht, Bentheim«, unterbrach er den anderen, »denn jeder ist ein bißchen stolz auf seinen Beruf. Ich habe in Ihrem Interesse einen Ihrer lieben Kollegen zurechtgestaucht, der Sie einen eingebildeten Trottel nannte.« »Wer war das?« schoß Bentheim seine Frage ab. »Namen werden nicht genannt!« entgegnete Jos gelassen und schob sich eine 114
Zigarette zwischen die Lippen. »Aber was mich an dieser komischen Sache interessiert, ist folgendes: Erstellt diese Mysterious-Automatik das kontinentale Intervall nur dann, wenn Gefahr von draußen droht, oder hat es auch die Aufgabe, den Planeten Hope vor Deluge zu schützen?« »Wohl zu heiß gebadet, van Haag?« fragte Bentheim grob. Damit konnte er einen Jos Aachten van Haag nicht reizen. »Möglich, aber Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn Sie sich meine Frage mal gründlich durch den Kopf gehen lassen würden. Sie müßten doch eigentlich genug Grips haben, um die Geschichte mit dem Intervall mal von der anderen Seite zu sehen…« Das war dem Astrophysiker zuviel; er hatte Monty Beils Anspielung noch nicht vergessen. Er sprang auf. Sein Gesicht hatte die Farbe einer reifen Tomate. »Noch eine Anspielung dieser Art, van Haag, und ich fordere Sie auf, diesen Raum zu verlassen.« »Ich werde mich zusammennehmen, Bentheim«, versprach Jos, ohne eine Miene zu verziehen. »Es wird mir leichter fallen, wenn Sie sich mal mit meinem Problem beschäftigen. Und das heißt: Gefahr von innen nach außen! Das heißt auch: Schutz des Planeten Hope durch das Intervall, das um Deluge liegt. Und das heißt ebenfalls: Wenn hier alles in die Luft fliegt, dann bleibt Hope von der Katastrophe auf Deluge verschont. Bentheim, ich habe doch sonst niemanden hier, mit dem ich diese Möglichkeit diskutieren kann!« Der Astrophysiker hatte sich wieder etwas beruhigt. »Sie laufen einem Hirngespinst nach, Jos.« »Ich bin nicht dieser Ansicht, mein Lieber. Wie wollen Sie zum Beispiel folgende Ereignisse der letzten Stunden erklären: Fall 1: Eine A-Grav-Schwebeplatte macht sich selbständig und kracht im Industriedom gegen einen nur einmal vorhandenen Maschinensatz, wenn auch ohne die geringste Wirkung zu erzielen. Fall 2: In unserer Kantine, die auf konzentriert gedachte Wünsche beinahe jede Mahlzeit liefert, taucht ein Filetsteak mit frischen grünen Bohnen und Kartoffeln auf. Der Betreffende, der es beobachtete, war – mit Verlaub gesagt – ein Vollidiot! Statt über sein Vipho Alarm zu schlagen, rennt er davon, um weitere Augenzeugen heranzuholen. Als er mit drei Mann zurückkommt, sind Filetsteak, Bohnen und Kartoffeln zur Hälfte verspeist, aber außer meinem Gewährsmann war niemand in der Kantine. Fall 3: Vor einer Stunde erfahre ich, daß mich unser ehrenwerter Depotverwalter im Verdacht hatte, ihm reihenweise Kameras geklaut zu haben. Um mich zu überfuhren, hat er schon vor Tagen zwei Kameras versteckt angebracht, die meinen Diebstahl beweisen sollten. Nun, vor einer Stunde fehlten schon wieder 115
drei Stück! Fall 4: Wir verfügen noch über zwei Jetts. Alle anderen sind durch Sabotage so zerstört worden, daß sie irreparabel sind. Fall 5: Im Waffenarsenal…« Lustlos winkte Bentheim ab. »Was kümmern mich Ihre Sorgen. Sie sind der GSO-Mann. Suchen Sie den Geistesgestörten. Ich bin Astrophysiker und kann Ihnen bei Ihren Nachforschungen wohl kaum nützen.« Jos zerkrümelte den Zigarettenrest im Ascher, blickte dabei den Experten herausfordernd an. »Ich habe Sie wirklich nicht für so dumm gehalten, wie Sie sich jetzt geben, Bentheim. Mann, haben Sie immer noch nicht begriffen, daß ich keinem Hirngespinst nachjage, sondern jenen zwei verfluchten Cyborgs, die Manu Tschobe umbringen wollten und die durch den Strahlbeschuß eines Mysterious-Roboters unsichtbar wurden?« Spence Bentheim lächelte mitleidig. Und schwieg. Jos Aachten van Haag war stur. Er versuchte es noch einmal. Zum letztenmal, wie er es sich in Gedanken geschworen hatte. »Bentheim, gleich wird Ihnen das Lachen vergehen. Haben Sie vielleicht eine kleine Ahnung, wie kompakt, wenn ich diesen Ausdruck benutzen darf, das Programmgehirn eines Cyborgs mit Daten beschickt wird, bevor man es einbaut? Jeder Cyborg ist auf einer Reihe von Wissensgebieten Spezialist. Unsere beiden Entarteten, Mildan und Dordig, sind Experten der Funk-, Waffen- und Energietechnik. Die rätselhaften Fälle, die sich bisher im Höhlensystem ereignet haben, weisen eindeutig darauf hin, daß die beiden Cyborgs nicht nur existieren, sondern außerordentlich aktiv sind. Und nun zurück zu meiner Überlegung, Bentheim: Die Astrophysik behauptet, draußen sei alles wieder okay, das galaktische Magnetfeld zahm wie ein Baby. Aber dennoch steht plötzlich das Intervall um unseren Kontinent. Könnte es sich nicht eingeschaltet haben, weil dieses Mal die Gefahr im Höhlensystem akut geworden ist?« Spence Bentheim versuchte ein spöttisches Lachen, das aber nicht voll gelang. Die Hartnäckigkeit des GSO-Mannes beeindruckte ihn stärker, als er es wahrhaben wollte. Jos übersah nicht, daß sein Gesprächspartner unsicher geworden war. Er war klug genug, seinen Triumph nicht zu zeigen. Im gleichen Ton, als habe er noch eindringlicher und mit stärkster Überzeugungskraft auf ihn einzureden, fuhr er fort: »Bentheim, ich komme nicht weiter. Ich bin auf keinem einzigen Wissensgebiet Fachmann. Ich benötige Hilfe. Und ich brauche einen Mann, der glaubt, daß es diese beiden Cyborgs noch gibt.« Bentheim schwieg lange und blickte Jos forschend an. Er seufzte. »Tja… wenn ich mir überlege, daß wir keine To-Funkverbindung mit Terra mehr bekommen 116
können, und was Sie mir eben an rätselhaften Fällen aufgezählt haben… Aber… Jos, wie kann ein Mensch unsichtbar werden und weiter aktiv bleiben? Dafür gibt es doch keine wissenschaftliche Erklärung!« »Die mich im Augenblick auch nicht im geringsten interessiert!« warf Jos grob ein. »Bentheim, wollen Sie mir helfen, oder wollen Sie mich weiterhin für einen Trottel halten?« Bentheim beugte sich leicht vor und streckte van Haag die Hand über den Tisch entgegen. »Ich helfe Ihnen, Jos.« »Gott sei Dank! Hoffentlich habe ich Sie nicht zu spät aufgesucht. Kommen Sie, Bentheim, ich muß Ihnen noch etwas zeigen, von dem ich Ihnen noch nichts erzählt habe. Ihnen werden die Augen übergehen!«
Der Schwarze Weiße hatte Ren Dhark und Dan Riker nicht angegriffen. Dicht vor ihnen war er stehengeblieben, hatte sich halb gedreht, zum Treppenpodest gewiesen und ihre Blicke in die neue Richtung gelenkt. Das Portal schwang auf. Nach innen. Deutlicher konnte eine Einladung nicht ausgesprochen werden. Die Blicke der beiden Männer kreuzten sich. Auffordernd nickte Dhark seinem Freund zu. Als Dhark seinen Fuß hob, um auf die fünfstufige Treppe zuzugehen, machte ihnen der Schwarze Weiße Platz, folgte ihnen dann in knapp drei Meter Abstand. Der Raum hinter dem hohen Portal war auffallend klein. Zögernd betraten die Männer den dunklen Raum, der nur vom Tageslicht erleuchtet wurde. Ren Dhark drehte sich nach ihrem unheimlichen Begleiter um, dessen Augen in diesem Zwielicht stärker als vorher leuchteten. Von dem funkelnden Stein am Stirnreif war nichts mehr zu sehen. Die Wände waren ohne jeden Schmuck, die Decke nicht besonders hoch. Dan Riker mußte den Wunsch unterdrücken, nach seinen Strahlwaffen zu greifen. Plötzlich riß Ren Dhark ihn zurück. Erst im letzten Moment hatte er das Loch im Boden bemerkt. Dan Riker preßte die Lippen zusammen und schnaufte. Der Schreck ließ ihn einige Verwünschungen murmeln. Der Schwarze Weiße hatte ihr Zögern bemerkt und auf seine Art reagiert. Er überholte sie, trat in die Öffnung hinein und schwebte langsam in die Höhe! Überrascht blickten sie nach oben, der langsam aufwärts schwebenden Gestalt hinterher. Trotz des Zwielichts, das in dem Raum herrschte, war eindeutig zu erkennen, daß der Schwarze Weiße eine Sichtsperre passierte und dahinter verschwand. »Halt mich fest, Dan, bis ich auch nach oben schwebe!« forderte Ren Dhark 117
seinen Freund auf, griff nach dessen Hand und schob seinen Fuß über die Öffnung im Boden. »Vorsicht!« warnte ihn Riker, der voller Unbehagen daran dachte, daß der Boden unter seinen Füßen glatt war und nirgendwo Widerstand bot. Wenn Dhark in dieses Loch stürzte und er ins Rutschen kam, gab es keine Möglichkeit, sie vor dem Absturz zu bewahren. Seine Sorge stellte sich als unbegründet heraus. Wie der Schwarze Weiße schwebte auch Ren Dhark mit geringer Geschwindigkeit nach oben. Dan Riker ließ seinen Freund los. Ihm war nicht ganz wohl zumute, als auch er einen Schritt über die Öffnung tat. Doch genau wie Dhark wurde er langsam nach oben getragen. Von Ren Dhark waren nur noch die Beine zu sehen. Der übrige Teil des Körpers befand sich schon hinter der Sichtsperre. Und nun verschwand er vollkommen. Dhark wunderte sich nicht, von seinem Freund nichts mehr zu sehen. Statt dessen erkannte er den Schwarzen Weißen, der einige Meter über ihm langsam vom Schwerkraftfeld in die Höhe getragen wurde. Glatt und fugenlos war die Wandung des Schachts. Das diffuse Grau weckte den Verdacht, daß es sich um eine energetische Wandung handeln mußte. Als Dhark nach unten blickte, sah er Dan Riker durch die Sichtsperre heraufschweben. Ihm wurde allmählich klar, wie sehr ihn das unerwartete Auftauchen des Schwarzen Weißen verwirrt hatte. Er hatte nicht geglaubt, dieser Art Roboter nach dem Intermezzo auf jenem namenlosen Planeten im Kugelsternhaufen Dg-45 so schnell wieder zu begegnen. Über ihnen verschwand der Schwarze Weiße ein zweites Mal. Eine zweite Sichtsperre. Dhark machte Riker darauf aufmerksam, dann wurde auch er dieser Sicherung zugetragen, deren Sinn ihm verborgen blieb. Widerstandslos schwebte er durch sie hindurch – und schloß geblendet die Augen! Er glaubte in die Rotglut eines altmodischen Hochofens hineinzufliegen, aber eines Hochofens, der statt Hitze Kälte ausstrahlte. Dhark griff mit einer Hand nach seinem Klarsichthelm und zog ihn über den Kopf. Die Heizung in seinem M-Raumanzug begann sofort mit maximaler Leistung zu arbeiten. Ein Gefühl, als ob tausend Nadeln in sein Gesicht stechen würden, ließ ihn eine scharfe Verwünschung murmeln. Dann gewöhnten sich seine Augen an die blendende Rotglut. Aber außer dieser Farbe, die aus allen Richtungen kam, konnte er nichts erkennen. 118
Hoffentlich reagiert Dan auch so schnell, dachte Dhark besorgt. Übergangslos wechselte die Rotglut zu einem wohltuenden gelben Leuchten. Einem gelben Leuchten, das ihm Sicht nach allen Seiten erlaubte. Ein Traktorstrahl griff nach ihm, zog ihn nach rechts. Dort standen drei Schwarze Weiße! Schwarze Weiße, deren Augen nicht grell strahlten! Er schwebte auf sie zu. Dicht über dem Boden. Von einem Traktorstrahl bewegt. Um ihn herum ein Tempel, der auf schwarzen, schlanken, vieleckigen Säulen ein nach innen durchgebogenes Dach trug. Am Ende dieser Säulenalleen standen drei Schwarze Weiße, die miteinander plauderten, dabei aber immer wieder zu ihm herüber sahen. Im gelben Licht wirkten die schwarzen, schlanken Säulen deplaciert. Wie Fremdkörper. Dharks Stilempfinden wurde strapaziert, und er wunderte sich, daß er in dieser Situation noch die Kraft besaß, sich darüber Gedanken zu machen. Er passierte das letzte Säulenpaar. Wenige Schritte vor den drei Schwarzen Weißen setzte ihn der Traktorstrahl sanft ab. Als er hastig den Kopf drehte und sich nach Dan Riker umblickte, sah er ihn heranschweben. Im gleichen Moment setzte Musik ein. Auf und abschwellende Töne; Töne ohne jeden Rhythmus; Töne in allen Tonlagen. Ein wildes Durcheinander, und dennoch harmonisch im Klang. Dazu veränderte das gelbe Licht seine Leuchtstärke, wurde mit der Musik stärker oder schwächer, je nachdem, ob die meisten Töne im hohen Frequenzbereich erklangen oder im niedrigen. Riker stieß seinen Freund an, als er neben ihm auf dem Boden abgesetzt wurde. »Ren, die sehen doch ganz anders aus…« brachte er hastig über die Lippen. Zu spät fiel ihm Ren Dhark ins Wort. Riker hatte nicht beobachten können, daß die Schwarzen Weißen im gleichen Augenblick verstummt waren, als diese eigenartige Musik ertönte. Und die Musik brach ab! Das gelbe Licht leuchtete wieder konstant. Die ausgeprägten Gesichter der drei Schwarzen Weißen veränderten sich auffallend. Sie wirkten empört! Wie Menschen, die eine heilige Handlung durch andere entweiht sehen! »Was ist denn jetzt los?« fragte Riker bestürzt, weil ihm diese Veränderung unheimlich wurde. Ein Traktorstrahl griff nach ihnen. Sie wurden zur Seite gerissen. Die drei Schwarzen Weißen verschwanden vor ihren Augen. Sie jagten auf eine Wand zu, die sich an einer Stelle öffnete. Durch diese schmale Öffnung wurden sie gezerrt und hart abgesetzt – und dann war um 119
sie herum nur noch undurchdringliche Dunkelheit. Beide schalteten wie auf Kommando die Scheinwerfer ihrer Raumanzüge ein. Zwei grelle, eng gebündelte Strahlen trafen auf eine schwarze Wand. Die Strahlen gingen in die Runde. Knapp fünf mal fünf Meter war ihr Verlies groß. Fugendicht die Wände. Nirgendwo die Andeutung eines Risses. Das Gleiche galt für Decke und Boden. Im ganzen Raum befand sich kein einziges Möbelstück. Dan Riker hatte für die Schwarzen Weißen kein gutes Wort übrig. Dhark ließ ihn schimpfen, weil er wußte, daß sein Freund nur die Anspannung abbaute. Dann erklärte ihm Dhark, was seiner Meinung nach geschehen war. Seine Vermutung ging dahin, daß Riker durch seine Worte eine heilige Handlung gestört und sie sich dadurch bei den Schwarzen Weißen alle Sympathien verscherzt hätten. »Kann sein«, brummte Riker, »aber konnte ich so etwas ahnen? Ren, wie sieht es mit deinem Sauerstoffvorrat aus?« »Voll, Dan. Hoffentlich dauert unsere Gefangenschaft nicht lange.« Sein Helmfunk meldete sich. Überrascht sah er die Kontrolle aufleuchten. Plötzlich hörte er Mike Doraners Stimme. »An alle! An alle! Wonzeff und ich befinden uns in höchster Lebensgefahr. Wir sollen eliminiert werden!« Mit metallischem Klang in der Stimme unterbrach ihn Ren Dhark. »Doraner, Riker und ich können Sie hören. Versuchen Sie zu beschreiben, wo man Sie festhält.« Verzweifeltes Lachen klang aus dem Lautsprecher. »Keine Ahnung, Commander. Als wir aus der Betäubung erwachten, befanden wir uns in einer uns unbekannten Umgebung. Jetzt stecken wir in einem kleinen, lichtlosen Raum. Wir verstehen nicht, daß man uns die Strahlwaffen und den Raumanzug belassen hat.« »Beschreiben Sie den Raum genau«, verlangte Dhark. Aufmerksam lauschte Riker. Er verstand nicht, daß die Schwarzen Weißen keinen Versuch machten, den Funkverkehr zu unterbinden, den sie bestimmt registriert hatten. Mike Doraner gab eine Beschreibung durch, die genau auf den Raum paßte, in dem auch Dhark und Riker sich aufhielten. Nur hatten die beiden Flash-Piloten keine Ahnung, wie sie in ihr Verlies gekommen waren. Eine Idee schoß Dhark durch den Kopf. »Doraner, wo hat man Ihnen gesagt, daß Sie und Wonzeff eliminiert werden würden?« Es erwies sich schnell, daß die beiden Flash-Piloten in dem großen Raum mit den schlanken, schwarzen Säulen zum Tode verurteilt worden waren. »Doraner, geben Sie genau an, in welche Richtung Sie durch den Traktorstrahl gezent wurden. Vor die ersten Säulen? Durch die erste Säulenallee? Bitte, ü120
berlegen Sie. Vielleicht können wir uns gegenseitig helfen!« Damit hatte er zu verstehen gegeben, daß auch sie sich in einer Notlage befanden. Ein kurzer Ausruf zeigte Doraners Verblüffung. Dann hatte er sich wieder gefaßt und machte die gewünschten Angaben. »Danke, das genügt. Hört Wonzeff mit?« »Ja.« »Gut! Wenn Sie den Klarsichthelm geschlossen haben, öffnen Sie ihn. In zehn Sekunden klopfe ich mit dem Kolben meines Blasters gegen unsere Wand. Wenn Sie mein Klopfen hören, antworten Sie durch drei kurz aufeinanderfolgende Schläge. Achtung, Zeit läuft…« Dan Riker blickte auf sein Chrono und zählte laut: »Eins, zwei…« Dhark wartete auf den Ablauf der zehnten Sekunde, dann ließ er den schweren Kolben seiner Strahlwaffe gegen die Wand krachen. Fünfmal hintereinander. Er und Riker hielten den Atem an. Würden sie die Antwort hören? Ihre Scheinwerferstrahlen rissen einen Teil der Wand aus der Dunkelheit. In ihrem Gefängnis war es totenstill. Dann hörten sie ein Klopfen! Dreimal kurz hintereinander! »Hallo, Doraner…« Dharks Funkgerät arbeitete einwandfrei, dennoch bekam er keine Verbindung mit den beiden Flash-Piloten mehr. Die Schwarzen Weißen hatten sich eingemischt! »Wir müssen uns beeilen, Dan!« Dhark verlor keine Sekunde mehr. Er überhörte sogar Rikers Einwand, der nicht begeistert war, daß Dhark die Wand, die sie von Wonzeff und Doraner trennte, mit ihren B lästern aufbrechen wollte. Rikers Sorge war berechtigt. Sie hatten keine Ahnung, aus welchem Material die Wand bestand, und konnten sich bei ihrem Versuch selbst in größte Gefahr bringen. »Dan, Anzug schließen! Schalte deinen Scheinwerfer ab. Einer genügt, und mit deinem Strahler hältst du auf dieselbe Stelle, die ich unter Beschuß nehme!« Die schwere Waffe lag ruhig in Dharks Hand. Gelassen drückte er den Kontakt. Energiekaskaden sprühten nach allen Seiten. Dort, wo der Strahl auf die Wand traf, breitete sich ein rotglühender Kreis aus, der schnell größer wurde. Mit zusammengekniffenen Augen nahm auch Dan Riker den rotglühenden Kreis unter Beschuß. Materie wurde umgewandelt. Radioaktive Energien wurden frei. Die Temperatur in ihrem kleinen Verlies schnellte sprunghaft in die Höhe. Die beiden Männer merkten davon nichts. Ihre filmdünnen M-Raumanzüge schützte sie nicht nur vor hohen r-Werten, sondern auch vor vielen Hitzegraden. Das glühende Loch in der Wand wurde größer und tiefer! Der Sprühregen aus leuchtenden Energiebahnen verstärkte sich. Unentwegt hielten Dhark und Riker die Finger auf dem Kontakt ihrer Waffe. Wenn die Wand nicht meterdick 121
war, dann mußten sie gleich zum Nebenraum durchbrechen. Und dann entdeckte Dhark, daß sie nicht allein an ihrer Befreiung arbeiteten. Auf der anderen Seite gingen Wonzeff und Doraner mit der gleichen Methode vor. Blitzschnell griff Dhark mit der Linken nach Riker und riß ihn mit sich zu Boden. Keine Sekunde zu früh! Sie lagen kaum, als Blasterstrahlen dicht über sie hinwegzischten. »Wir sind durch!« stieß Dhark aus. »Das hätte ins Auge gehen können!« murmelte Riker, der aber wie Dhark das glühende Loch in der Wand weiterhin vergrößerte. Dhark warf einen Blick auf die Kapazitätsanzeige seiner Waffe. Kurz und zufrieden war sein Nicken. Erst ein Drittel der gespeicherten Energie war verbraucht worden. Da verschwand der doppelte Strahl aus dem Verlies, in dem sich die Piloten befanden. Dhark und Riker arbeiteten noch eine halbe Minute, dann ließen auch sie ihre Waffen sinken. Jetzt kam das Warten! Blieb ihnen noch Zeit dazu, oder hatten die Schwarzen Weißen längst entdeckt, daß ihre Gefangenen versuchten, sich zu befreien? Die Ränder des mehr als ein Meter durchmessenden Durchbruchs glühten noch immer. Geschmolzenes Metall lief in dicken Bahnen zu Boden, um dort langsam dunkler zu werden und zu erstarren. Es konnte noch Stunden dauern, bis die Temperaturen in diesem Bereich auf ein erträgliches Maß gesunken waren. Stunden, über die sie nicht mehr verfügten. Dhark preßte seinen Helm an den Rikers. Auch so konnte man sich verständigen. »Dan, wir müssen es riskieren! Anlauf – und im Hechtsprung durch das Loch!« Riker sah den Commander wie ein Weltwunder an. Die Wand war knapp einen halben Meter dick! Wenn der Springer die Wand irgendwo berührte, würde ihm keine Zeit mehr bleiben, sein Testament zu machen. »Wir müssen es tun, Dan!« drängte Dhark, der seine innere Unruhe selbst nicht verstand. »Willst du zuerst springen?« »Okay!« klang es dumpf und gepreßt von Klarsichthelm zu Klarsichthelm. Nur dieses eine Wort war über Rikers Lippen gekommen. Er ging bis an die andere Wand zurück. Dhark hatte sich seitlich hingehockt und den Lichtkegel seines Scheinwerfers auf den glühenden Kranz gerichtet. Riker setzte sich in Bewegung, wurde schneller und – stoppte dicht vor der Absprungstelle. Seine Nerven hatten versagt. Der glühende Kranz hatte ihm den Mut zum Absprung genommen. 122
Er unternahm einen zweiten Versuch, warf vorher seinem Freund einen forschenden Blick zu, den Dhark nicht erwiderte. Der wußte nur eines: wertvollste Sekunden waren unwiederbringlich verloren! Wieder Anlauf! Und nun der Hechtsprung! Wie ein Torpedo, die Arme weit vorgestreckt, den Körper fast waagerecht, sprang Riker durch die Öffnung, deren Ränder nach wie vor in unverminderter Stärke glühten. Dhark nahm an der Startstelle Platz. Er schaltete seinen Scheinwerfer ab. Das Ziel war nicht zu verfehlen. Absprung! Hechtsprung! Er prallte im anderen Raum nicht hart auf den Boden. Vier Arme griffen nach ihm. Vier Fäuste bekamen ihn zu fassen und sorgten dafür, daß er nur mit den Beinen aufkam. Er wollte keine einzige Sekunde mehr verlieren. Kaum stand er sicher, als er schon wieder seinen Blaster in der Hand hatte und auf die Wand feuerte, durch die die beiden Piloten aus dem Säulenraum in dieses Verlies gebracht worden waren. Vier Blaster durchschnitten mit ihren Strahlen das Metall, wie ein heißes Messer durch Butter fährt. Vier Blaster brannten eine fast mannshohe, aber schmale Öffnung hinein! Durch Handzeichen gab Dhark zu erkennen, in welcher Reihenfolge sie das Verlies verlassen wollten. Als letzter betrat Dan Riker den Raum mit den schwarzen Säulen. Ein Raum, in dem sich nichts bewegte! »Weiter!« sagte Dhark mit einer Armbewegung, und seine Hand deutete in die Richtung des A-Grav-Lifts, der sie zu diesem Raum hochgetragen hatte. Vier Terraner in geschlossenen M-Raumanzügen rannten los. Vier Mann, die in jeder Hand eine schußbereite Waffe hielten. Vier Menschen, die sich auch von einem Roboter nicht aufhalten lassen wollten. Halt! Nicht weiter! Pjetr Wonzeff wollte unter dem Eindruck der Stimme, die er in seinen Kopf gehört hatte, dem Befehl schon folgen, doch Dhark gab ihm einen Stoß, daß er nach vorn taumelte. Anders konnte Dhark sich nicht verständlich machen, denn nach wie vor lag der Helmfunk lahm. Nicht weiter! donnerte ein zweites Mal die fremde Stimme in ihrem Kopf. Sie rannten weiter! Ein paar Meter vor sich sahen sie die Öffnung des A-Grav-Lifts im Boden. Sie mußten ihn erreichen! 123
Nicht weiter! Sie hörten die Stimme in ihrem Kopf zum drittenmal. Aber auch diese Warnung konnte sie nicht aufhalten. Mike Doraner verlor den Boden unter den Füßen. Ein Traktorstrahl hatte ihn erfaßt und riß ihn zur Seite. Auf der Stelle wirbelte Ren Dhark herum. Er schoß in die Richtung, aus der der Traktorstrahl kam. Zwischen die Säulen! Auch Pjetr Wonzeff schoß. Seine ganze angestaute Wut entlud sich in diesem Augenblick. Noch wußten weder der Commander noch die anderen Männer der POINT OF, was die beiden Flash-Piloten erlebt hatten, als sie gegen Dan Rikers Befehl den Ringraumer verlassen und zur Oberfläche des Planeten durchgestoßen waren. Wonzeff wollte aber nicht noch einmal ein Erlebnis dieser Art durchstehen – und er wußte, daß es Doraner genauso ging. Er haßte die Schwarzen Weißen! Sie und ihre Roboter! Am Ende der Säulenallee explodierte etwas. Der Boden zitterte und bebte! Eine Sonne schien sie verschlingen zu wollen. Mike Doraner stürzte und blieb bewegungslos am Sockel einer Säule liegen. Die Wand war an einer Stelle auseinandergeflogen, und aus der breiten Öffnung fauchten nach allen Seiten Energieströme, die den großen Raum in eine strahlenverseuchte Hölle verwandelten. Ren Dhark sah den Piloten am Boden liegen. Wie ein Sprinter rannt er auf den hilflosen Mann zu. Der Traktorstrahl existierte nicht mehr. Die Anlage, die ihn erzeugt hatte, ging in nicht enden wollenden Explosionen unter. Es war förmlich ein Wunder, daß dieser Teil des Bauwerks noch nicht in Stücke gerissen worden war. Die Stimme in ihrem Kopf, die sie hatte aufhalten und zugleich warnen wollen, war verstummt. Nur Gewalt hätte den Commander jetzt noch stoppen können. Er hatte Mike Doraner erreicht, hob ihn hoch und warf ihn sich über die Schulter. Wieso der Mann im MAnzug hatte bewußtlos werden können, mußte später geklärt werden. Er rannte mit seiner Last zurück. Die Temperaturregelung in seinem M-Anzug schaltete die Kühlung höher. Das filmdünne Material ließ noch kein Grad der Gluthitze durchkommen, die in dem Säulenraum herrschte, aber im Anzug stieg durch Dharks Anstrengung automatisch die Temperatur. Ren Dhark blickte sich suchend nach Riker und Wonzeff um. Beide waren verschwunden! Der Platz, wo er sie verlassen hatte, war leer. Schon wollte er stoppen, als er hinter einer Säule einen Arm sah, der sich schnell bewegte. Vier Säulen trennten ihn noch von der Stelle, als er von links drei Schwarze Weiße heranschweben sah! 124
Roboter! Mit einer Hand hielt er Doraner fest, damit er ihm nicht von der Schulter rutschte. Mit der anderen nahm er seinen Blaster hoch, aber bevor er den Kontakt drücken konnte, schössen die Roboter. Nicht auf ihn! Auch nicht auf Wonzeff und Riker, die er plötzlich wieder sehen konnte! Diese drei Roboter schienen nur die Aufgabe zu haben, die immer noch von Explosionen erschütterte Anlage hinter der Wand des Säulenraumes stillzulegen. Drei tiefblaue, nadeldünne Strahlen zischten aus den Armen der Roboter zur Explosionsstelle. Ren Dhark hatte keine Zeit, zu verfolgen, was dort geschah. Er mußte zu seinen Freunden, die hinter den Säulen Deckung vor einer Gefahr genommen hatten, die er nicht erkennen konnte. Dennoch blickte er sich ein paarmal nach den drei Robotern um, die aber von ihm und Doraner keine Notiz nahmen, sondern sich gerade in den Bereich der flackernden Energiebahnen stürzten und dabei ununterbrochen nadeldünne, tiefblaue Strahlen emittierten. Wieder sah er Rikers Arm, dann das Gesicht seines Freundes, auf dem sich Entsetzen widerspiegelte. Riker warnte ihn nicht, näher heranzukommen. Er winkte ihm sogar zu, sich zu beeilen. Neben ihm legte Dhark den bewußtlosen Doraner ab. Riker preßte seinen Klarsichthelm gegen den des Commanders. Dumpf hörte Dhark ihn sagen: »Ren, wir kommen ab der zweiten Säule vor uns keinen Schritt mehr weiter. Wir können von der Grenzlinie an unsere Beine nicht mehr bewegen!« Dhark stutzte. Er setzte sich wortlos in Bewegung. Als er die nächste Säule passierte, entdeckte er Wonzeff, der mit dem Rücken dagegenlehnte. Er wirkte wie jemand, der sich langweilt. Dhark ging weiter auf die Grenzlinie zu. Er überschritt sie. Nichts hielt ihn auf. Welchen Unsinn hatte Dan ihm nur erzählt? Er drehte sich nach Riker und Wonzeff um und machte ihnen Zeichen, ihm zu folgen und dabei Doraner nicht zu vergessen. Die Verwunderung auf den Gesichtern der beiden Männer war nicht gespielt. Sie verstanden offensichtlich nicht, daß er diese unsichtbare Grenzlinie hatte passieren können. Die Explosionsstelle spie keine Energiebahnen mehr aus. Die drei Roboter schienen mit der Katastrophe fertig geworden zu sein. Und dann hielt Ren Dhark den Atem an. Pjetr Wonzeff bewegte sich nicht mehr. 125
Dicht hinter ihm stand Dan Riker, Doraner auf dem Rücken. Mit der freien Hand machte er eine vielsagende Geste. Riker dachte nicht daran, auch nur noch einen Schritt weiter auf die unsichtbare Grenze zuzugehen. Ich konnte die Barriere passieren, stellte Dhark in Gedanken fest. Hat man vielleicht die Absicht, mich von meinen Begleitern zu trennen? Er machte die Probe. Er ging zurück. Nichts hielt ihn auf! Dann hatte Pjetr Wonzeff kaum Zeit, sich zu wundern. Der Commander umschlang seinen Flash-Piloten, legte ihn sich wie einen Sack über die Schulter und ging los. Kein Widerstand! Aber Wonzeff s Haltung hatte sich beim Passieren der Grenzlinie verändert. Wie ein nasser Sack hatte er über Dharks Schulter gelegen. Ohne jede Muskelanspannung, wie ein Mensch, der seiner Sinne und Kräfte nicht mehr mächtig ist. An der nächsten Säule wollte Dhark ihn zu Boden legen, um auf diesem zeitraubenden Weg nun auch Riker und Doraner zu holen. Als er ihn absetzte, wurde der Flashpilot wieder aktiv. Da der Helmfunk immer noch versagte, konnte Dhark nicht verstehen, was Wonzeff sagte. Doch daß es keine besonders freundlichen Worte waren, war nicht schwer zu erraten. Dhark kehrte ihm den Rücken, hatte Riker schon das Zeichen gegeben, daß er nun Doraner über die Sperre schaffen wollte, als Wonzeff ihn zurückriß. Er wirbelte herum, in jeder Hand eine Waffe. Fünf Schwarze Weiße in knallbunten Hosen kamen auf sie zu. Nur waren sie nicht allein. Ihnen folgten in einem Abstand von gut zehn Metern acht ihrer Roboter! Wonzeff preßte seinen Helm gegen den von Dhark. »Dhark, das haben Doraner und ich schon mal erlebt. Das ist die Jury, die uns versprochen hat, uns zu eliminieren!« Ren Dhark ließ sich durch diese beunruhigende Aussage nicht beeinflussen. Er wollte den Schwarzen Weißen beweisen, daß sie diesen Planeten in friedlicher Absicht angeflogen hatten. Und wenn ihr Nachrichtendienst ebensogut war wie ihre Technik, mußte ihnen klar sein, daß die POINT OF und ihre Besatzung nichts Böses im Schilde führten. Als Pjetr Wonzeff den Blaster hob, um das Feuer auf die Schwarzen Weißen zu eröffnen, drückte Dhark seine Hand nach unten. Die so menschlich wirkenden Gesichter der unbekannten Wesen zeigten nicht die geringste Regung. Zwischen den beiden letzten Säulen blieben die fünf stehen, während die Roboter die rechts und links liegenden Säulenreihen pas126
sierten und versuchten, Dhark und seine Männer zu umzingeln. Der Commander kniff die Augen zusammen, wagte es, sich einmal umzudrehen und zur Explosionsstelle zu blicken. Die drei Arbeiterroboter hatten sie vollständig unter Kontrolle gebracht. Doch wieso konnten es sich diese fünf Schwarzen Weißen erlauben, ohne Schutzanzüge diesen verseuchten Raum aufzusuchen, in dem tödliche r-Werte herrschen mußten? Pjetr Wonzeff war ein paar Schritte zur Seite gegangen. Noch immer hielt er den Blaster schußbereit in der Hand, genau wie Ren Dhark. Fünf Schwarze Weiße, die trotz ihrer dunklen Haut keinen negroiden Einschlag besaßen, blickten ihn an. Weder freundlich, noch feindlich. Unpersönlich. Wie eine Sache, die keinen Wert besitzt! Nicht einmal eine Spur Neugier gab es. Und was sollte diese Demonstration? Was bezweckten die fünf Schwarzen Weißen damit? Warum machten sie nicht den Versuch, sich mit ihnen zu verständigen? Plötzlich brach Wonzeff zusammen. Die Waffe entglitt seinen Händen, er knickte in den Knien ein und fiel der Länge nach hin. Ein unsichtbarer Angriff war durchgeführt worden; ein hinterlistiger Angriff, der heiß die Wut in Dhark auflodern ließ. Er riß seine Blaster hoch. Aus wütend funkelnden Augen starrte er die fünf Schwarzen Weißen an – und schoß dann doch nicht. Eine undefinierbare Macht zwang ihn, sich umzudrehen. Jenseits der Grenzlinie lagen Dan Riker und Mike Doraner bewegungslos am Boden. Mit einer eindeutigen Geste streckte Dhark die Waffen. Langsam ging er auf die fünf Schwarzen Weißen zu, die alle einen Kopf größer waren als er. Vor dem mittleren blieb er stehen. Seine Hände schnellten nach vorn, bekamen zwei Schultern zu fassen. »Was soll das alles?!« tobte er unter seinem geschlossenen Klarsichthelm und schüttelte den Schwarzen Weißen. Er hatte die beiden Roboter nicht herankommen sehen. Vier kräftige Hände rissen ihn zurück. Hände, die ihm die Arme zerdrücken konnten. Der Schwarze Weiße, der von Ren Dhark geschüttelt worden war, winkelte die Arme an und machte in Richtung der Roboter eine Bewegung, die der Commander nicht verstand. Der Druck um seine Arme verstärkte sich. Er verlor den Boden unter den Füßen, und seine beiden Bewacher schwebten mit ihm davon, an den 127
fünf Schwarzen Weißen vorbei und auf eine geschlossene Wand zu. Dhark gab um sein Leben keinen Sol mehr, und in seinen Augen war auch das Schicksal Dan Rikers und der beiden Flash-Piloten besiegelt.
Hope schwieg noch immer. Grund genug für Bernd Eylers und Henner Trawisheim, Chris Shanton – der sich wieder einmal um das terranische DefensivSystem kümmerte und seit Tagen von Ast-Station zu Ast-Station unterwegs war – ins Regierungsgebäude von Alamo Gordo zu zitieren. Das Gespräch war kurz, und es ging darin nicht zuletzt um die angeblich unsichtbaren, entarteten Cyborgs, derentwegen Jos im Industriedom zurückgeblieben war. Ein Thema, bei dem es nur allzu logisch erschien, auch Manu Tschobe hinzuzuziehen, den Shanton in seiner polternden Art fröhlich als >Experten für unsichtbare, verrückte Supermänner< begrüßte. Die vier Männer – und nicht zu vergessen Shantons mittlerweile wieder der Sprache mächtiger, ständiger Begleiter Jimmy – kamen schnell zu einem Ergebnis. Schließlich wurde es immer unwahrscheinlicher, daß doch noch ein Funkkontakt mit Hope Zustandekommen würde, da die Störungen des galaktischen Magnetfelds bereits seit Stunden wieder zunahmen. »Ich gehe jetzt in die Kantine«, sagte Shanton, kaum daß er zusammen mit Tschobe und Jimmy Henner Trawisheims Büro verlassen hatte. »Diese trockenen Besprechungen machen mich immer durstig. Und die Zeit reicht noch für ein, zwei Cognacs…« Tschobe nickte ergeben. Drei Stunden später startete der Jäger DOG von Cent Field mit Kurs auf das Col-System. Die einzigen Passagiere an Bord waren Manu Tschobe, Chris Shanton und ein Robot-Hund namens Jimmy.
9. Tino Grappa lutschte ein Bonbon, das den Nährwert einer vollwertigen Mahlzeit besaß. Er hatte es dankend abgelehnt, die Messe aufzusuchen und sich in der Zwischenzeit von seinem Kollegen an der Ortungsanlage vertreten zu lassen. Seit der Funkverkehr mit dem Commander und Riker abgebrochen war und auch die drei Einsatzgruppen auf dem kreisrunden Platz der fremden Stadt keine 128
Verbindung mehr mit ihnen herstellen konnten, war es in der POINT OF still geworden. Überall machte sich die Überzeugung breit, daß sich Dhark und Riker in größter Gefahr befanden. Auch Tino Grappa wurde davon beherrscht. Das war auch der Hauptgrund, weshalb er seinen Platz hinter den Ortungen nicht verließ. Seine Ortungen! Scherzhaft war schon oft behauptet worden, er sei mit ihnen verheiratet. Im gewissen Sinn stimmte das auch. Innerhalb der TF gab es keinen Spezialisten auf diesem Gebiet, der mit seinem Können und Einfühlungsvermögen Grappa übertraf. In der Funk-Z hatte Walt Brugg ausgehalten. Funkortung und Echokontrolle liefen mit höchster Leistung. Die Antennen in der Unitallhaut der POINT OF waren auf das Zentrum der Stadt ausgerichtet, aber die Auswertung erbrachte keine Werte. Arc Doorn ist verschwunden! war vor knapp einer Stunde von Leutnant Kucks durchgegeben worden, der mit dem Commander in dessen Flash geflogen war. Auf dem Bildschirm der Bordverständigung erschien Walt Bruggs Gesicht. »Doorn ist wieder da. Ziemlich angeschlagen. Nach Kucks’ Angaben will er einen Kampf mit Schwarzen Weißen gehabt haben. Doorns Bericht klingt reichlich konfus. Er behauptet, die Schwarzen Weißen hätten bewegliche Transmitter eingesetzt.« Tino Grappa zuckte kaum merklich zusammen. Die Energieortung hatte eine starke Strahlenquelle getastet. Seine Finger huschten über die Kontrollen. Das Diagramm auf dem kleinen Oszillo zeigte eine besonders starke n-Kurve. Automatisch peilte sich die Distanzortung auf die Strahlenquelle ein. Am Checkmaster flammten die Grünkontrollen auf. Das Bordgehirn der POINT OF befaßte sich mit den Ortungswerten. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 98,4 Prozent ungesteuerter Energieausbruch über dem Stadtzentrum. Koordinaten der Strahlungsquelle… Tino Grappa fixierte den angegebenen Punkt. Laut schnappte er nach Luft. Das konnte nicht stimmen! Die Strahlungsquelle sollte sich in 8537 Metern Höhe über dem Mittelpunkt der Stadt befinden!? Aber dort oben gab es doch nichts als freien Himmel! Walt Brugg legte eine Sendung zur Zentrale. Doorn meldete sich aus seinem Flash. Der Sibirier forderte die POINT OF an. Seinen Worten war zu entnehmen, daß er die Strahlungsquelle ebenfalls geortet hatte. Und er schien seinen Ortungen weit mehr Vertrauen zu schenken als Grappa, der immer noch an der Auswertung des Checkmasters zweifelte. 129
»Wenn wir jetzt zögern und die POINT OF nicht einsetzen, sehen wir den Commander nie wieder!« behauptete Doorn erregt. »Ich habe diese Schwarzen Weißen, diese menschenähnlichen Roboter jetzt kennengelernt. Ich weiß nicht, wie ich zurückbefördert worden bin, aber daß ich vorher drei Roboter hochgehen ließ, ist eine unverrückbare Tatsache. Hallo, POINT OF, kommt das Schiff?« Die Beratung in der Zentrale des Ringraumers war kurz. Die Ausweitung des Checkmasters gab den Ausschlag. »Doorn«, gab Hen Falluta durch, »wir halten uns an die Order des Commanders. Die POINT OF geht nicht in Einsatz!« »Ich habe verstanden!« erwiderte der Sibirier und schaltete ab. Die Männer in der POINT OF hörten nicht mehr, was er noch zu sagen hatte: »Denen werde ich es zeigen. Was ist, Männer, wer macht mit, das unsichtbare Ding über unseren Köpfen anzufliegen und sich dafür zu interessieren, was dort oben… Oh!« Er verstummte. Die Werte, die seine Energieortung auswarf, wurden von Sekunde zu Sekunde schwächer. Über Funk kamen die ersten Bedenken. »Doorn, wir wissen doch gar nicht, was sich da unsichtbar über der Stadt befindet.« Scharf erwiderte der bullige, sonst so wortkarge Mann: »Als wir uns mit dem Nor-ex herumschlugen, wußten wir auch nicht, worum es sich handelte, und doch zögerte der Commander keine Sekunde, den Kampf aufzunehmen.« Fünf Flash meldeten sich. »Okay, das dürfte genügen. Intervallfeld einschalten, alle Strahlantennen klarmachen, aber wir greifen nur dann an, wenn uns kein anderer Ausweg bleibt. Schließlich wollen wir den Commander heil zurückbekommen. Auf Gedankensteuerung schalten. Mein Flash übernimmt die Gruppe. Start in einer Minute. Noch Fragen?« Niemand machte dem Sibirier die Leitung der neuen Einsatzgruppe streitig. Unter den Männern befand sich auch keiner, der mehr Einsätze hinter sich gebracht hatte als Arc Doorn. Drei Sekunden vor dem Start ging eine Meldung an die POINT OF. »Hier Doorn, fliege mit insgesamt sechs Flash einen Einsatz, um den Commander herauszuhauen. Ende!« Im gleichen Moment hörte er in seinem Kopf die unpersönlich klingende Stimme der Gedankensteuerung: Habe Gruppe übernommen. Ziel bekannt! Gleichzeitig hoben sechs Flash ab, fuhren ihre spinnbeindünnen Ausleger ein und stiegen senkrecht in die Höhe, dem unsichtbaren, unbekannten Ziel entgegen. Die Beiboote standen über Funk miteinander in Verbindung. Aber niemand hatte ein Interesse daran, etwas zu sagen. Jeder wußte, daß sie mit ihren klei130
nen Blitzen einem übermächtigen Gegner Paroli bieten wollten. Und jeder Mann in den sechs Flash war sich klar, daß dieser Einsatz ihr letzter werden konnte. Die Gedankensteuerung schaltete den Sie höher. Der Brennkreis unter den plumpen Blitzen entwickelte titanische Kräfte. Die große Stadt mit ihren gewagten Brückenkonstruktionen, den gewaltigen Wohnvierteln und bizarren Spiraltürmen schien förmlich in die Tiefe zu stürzen. Unbeweglich saß Arc Doorn in seinem engen Sitz. Nur ab und zu legte er den Kopf in den Nacken, um dem Bildschirm einen Blick zuzuwerfen. Er zeigte nichts anderes als den Himmel über diesem Planeten. Die Ortung warf auch keine Werte mehr aus. Der Energieausbruch existierte nicht mehr. Flogen sie auf ein Ziel zu, das sie niemals finden würden? Doorns Partner hatte Bedenken. Der Sibirier stieß ein kurzes Lachen aus. »Keine Sorge. Solange die Gedankensteuerung funktioniert, haben wir nicht viel zu befürchten. In diesem Fall spielt es keine Rolle, ob unsere Ortungen Null werte auswerfen oder nicht.« Der Höhenmesser gab 5000 Meter an. Immer schneller stiegen die Flash in einer langgezogenen Kette auf. Als die Stadt achttausend Meter unter ihnen lag, drosselte die Gedankensteuerung den Sie. Doorn runzelte die Stirn, als er bemerkte, daß sämtliche Antennen auf StrichPunkt-Strahl geschaltet waren. Wieso weiß die Gedankensteuerung schon jetzt, welche Strahlen gleich einzusetzen sind? fragte er sich in Gedanken, und wieder beschlich ihn ein Unbehagen – wie immer, wenn er sich der Gedankensteuerung anvertraute. In 8500 Meter Höhe stoppten die Flash. Nur von dem schwach arbeitenden Sie gehalten, standen sie vor einer unsichtbaren Grenze, die auch jetzt noch nicht mittels einer Ortung zu erfassen war. Was mag das sein? fragte sich Doorn, der die Fingerkuppen auf den Steuerschaltern liegen hatte, obwohl sie blockiert waren, seit die Gedankensteuerung das Kommando übernommen hatte. Schlagartig heulten in jedem der sechs Flash die Aggregate auf. Pfeifen setzte ein. Mein Gott, dachte Doorn, wir transitieren! In diesem Augenblick erfolgte der Sprung. Sechs Flash rematerialisierten in einen Bereich, der nicht einmal von den Ortungen der Mysterious zu erfassen gewesen war. Grelles Licht drang über die Bildprojektion über den Köpfen der Männer in die kleinen Kabinen der Blitze. Das Heulen der Aggregate verstummte. Eins der vielen Instrumente zeigte an, daß der Sie wieder arbeitete, und daß das Intervall, das kurz vor dem winzigen 131
Sprung abgeschaltet worden war, wieder schützend um jedes Beiboot lag. »Das kenne ich doch!« stieß Doorn überrascht aus, als er die fünfstufige breite Treppe erkannte, die unter ihnen lag. Senkrecht, den Kurs um kein Grad verändernd, rasten sechs Blitze an der fugenlosen Wand eines riesigen Gebäudes entlang und höher. Ein Gebäude, das im Stil nicht zu den Bauwerken der Stadt paßte. Ein Gebäude ohne ein einziges Fenster! »Welch ein Kasten!« stieß Doorns Partner aus, der Rücken an Rücken zu ihm saß. »Und das Monstrum schwebt auch noch in mehr als achttausend Metern Höhe über der Stadt!« fügte Arc Doorn hinzu, der schlagartig erkannte, daß er sich auf ein Abenteuer eingelassen hatte, dessen Ausgang für sie mehr als fraglich sein würde. »Funk klar?« Der Funk lag still! Es gab keine Verbindung mehr zu den anderen Flash. Der To-Funk reagierte auch nicht. »Da hat man uns eine hübsche Sperre dazwischengelegt«, knurrte der Sibirier beunruhigt. Er verstand das alles nicht. Über seinen Bildschirm konnte er jeden der fünf anderen Flash sehen, aber über Funk mit ihnen zu sprechen war unmöglich. Seine Augen weiteten sich. Sein Flash flog auf ein Loch in der fugenlosen Wand zu. Eine mehr als dreißig Meter durchmessende Öffnung, die eindeutig durch eine starke Explosion entstanden war. War an dieser Stelle der Energieausbruch erfolgt, den ihre Ortungen für kurze Zeit angemessen hatten? Sein Flash flog in die Öffnung ein. Er flog durch ein Gewirr zerschmolzener Aggregate und zerrissener, verbogener Metallwände, von denen einige fast meterdick waren und doch dem gewaltigen Explosionsdruck nicht hatten standhalten können. Doorn warf einen Kontrollblick zur Bildprojektion. In Gedanken verwünschte er einmal mehr die Mysterious und ihr drittes Auge auf dem Kopf. Die anderen Beiboote folgten. Das beruhigte ihn. Sein Flash durchflog die erste, unbeschädigte Wand. Der Sie hinterließ eine winzige Schmelzspur, wie fast immer, wenn ein Flash im Schutz des Intervalls mit Sie eine kompakte Masse durchflog. Langsam flogen sie weiter, vorbei an Schwarzen Weißen, die aus ihren grell leuchtenden Augen dem Flash Blicke zuwarfen, sonst aber keine Reaktion zeigten. Die Strahlantennen der Blitze waren noch nicht aktiv. Wir haben Roboter gesehen, dachte Doorn, und Roboter sind gegen die paralysierende Kraß der Strich-Punkt-Strahlen immun, auch wenn sie wie schwarzhäutige Terraner aussehen. 132
Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als sein Flash aus dem Kurs gerissen wurde. Die anderen schlugen zurück! Die Andruckabsorber in den Blitzen heulten auf, als die Beiboote in die Höhe gewirbelt wurden und dabei ein gutes Dutzend Stockwerke durchflogen. Vergeblich drückte Doorn einen Steuerschalter. Sie waren nach wie vor blockiert. Noch immer vor führte die Gedankensteuerung das Kommando. Und sie reagierte schneller und präziser, als ein Mensch es jemals hätte tun können. Sie auf Maximum! Jedes andere Quentchen Energie dem Intervall zuführen! Die Blitze kamen wieder auf Kurs, stießen innerhalb des riesigen Gebäudes in jene Tiefen zurück, aus denen sie hinausgeworfen worden waren. Das sind nie und nimmer Druckstrahlen gewesen, dachte Doorn, der keinen Blick von den Instrumenten ließ. Dennoch haben diese Burschen eine Waffe gegen uns eingesetzt, mit der sie aus jedem Flash einen Fußball machen! Wieder warf er der Projektion einen Blick zu. Keiner der anderen Flash war zu sehen. Es beunruhigte ihn nicht sonderlich. Solange die Gedankensteuerung das Kommando führte, waren sie nicht ernstlich in Gefahr. Dennoch konnte sich der Sibirier eines unguten Gefühls nicht erwehren. Der Einsatz dauerte ihm zu lange; er hatte einen schnelleren Erfolg erwartet. Und im gleichen Augenblick, als sein Flash in einen großen Raum voller Säulenalleen einflog, begriff er, daß er zuviel von der Gedankensteuerung erwartet hatte. Und dann stoppte sein Flash! Setzte vor zwei Menschen auf, die bewegungslos am Boden lagen. Doorn, den Kopf weit in den Nacken gelegt, kniff die Augen zusammen. »Das ist doch… Da sind doch Riker und Doraner!« stieß er aus. Und fügte im gleichen Atemzug hinzu: »Rückendeckung! Ich steig’ aus, aber…« Für vier Personen war in einem Flash kein Platz; drei konnten zur Not damit befördert werden, aber auch das war schon mit größten Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten verbunden. Da schwebte der nächste Flash durch die Wand. »Doorn, Sie wagen zuviel!« warnte ihn sein Begleiter, aber der Sibirier hörte nicht, hatte den Ausstieg schon aufgestoßen und schwang sich hinaus. Er riß den Arm hoch, kaum daß er den Boden berührt hatte, und winkte dem Piloten des zweiten Flash, seinem Beispiel zu folgen. Ein dritter Blitz traf ein, ein vierter. Plötzlich zuckte der Sibirier zusammen, als er einen Blick auf die Instrumente seines M-Anzugs warf. Die r-Werte in diesem Raum bewegten sich im tödlichen Bereich! Seine Augen weiteten sich, als er sich umdrehte und in der Wand das riesige Loch mit den starken Schmelzspuren erkannte. Unwillkürlich zog er seinen Blaster, brachte ihn in Anschlag, richtete ihn auf Schwarze Weiße, deren Augen grell leuchteten. 133
Roboter der Fremden! Roboter, die von den Terranern keine Notiz nahmen und unbeeindruckt von deren Anwesenheit weitergingen, auf jene Stelle zu, wo in der Wand dieses große Loch klaffte. Arbeiter-Robs! Etwas unsicher geworden ließ Doorn seine Waffe sinken. Zwei Männer waren ausgestiegen und kamen auf ihn zu. Er deutete auf Riker und Doraner und gab durch Zeichen zu verstehen, daß man die leblos am Boden liegenden Männer an Bord nehmen sollte. Kurz darauf wurde auch Pjetr Wonzeff gefunden. Ebenfalls ohne Besinnung. Aber wo war der Commander? Arc Doorn trat von einem Fuß auf den anderen. Er verwünschte seine Unruhe. Alles ging ihm nicht schnell genug, und sich zu verständigen, indem Helm gegen Helm gepreßt wurde, kostete zusätzlich wertvolle Zeit. Drei Flash sollten mit den bewußtlosen Männern auf dem schnellsten Weg zur POINT OF fliegen, sie dort in der Medo-Station abliefern und wieder zurückkommen. »Protter, konzentrieren Sie Ihre Gedanken auf die Gedankensteuerung. Befehlen Sie ihr, das Kommando über die drei Flash zu übernehmen. Geben Sie unmißverständlich als Ziel den Ringraumer an. Und nun, Tempo, Männer! Wir warten hier auf Ihre Rückkehr!« Protter nickte unter seinem Klarsichthelm. Er wirkte etwas unsicher. Kein Wunder, hatte er bisher doch wenig Erfahrung mit der Gedankensteuerung. Doorn blieb neben seinem Flash stehen und sah zu, wie die Besinnungslosen in die drei anderen Beiboote verladen wurden. Hoffentlich werde ich eines Tages nicht auch einmal auf diese wenig angenehme Weise verfrachtet, dachte er und nickte dann zufrieden, als die Einstiege nacheinander geschlossen wurden. »Es hat geklappt!« brachte er über seine Lippen, als die drei Blitze gleichzeitig abhoben. Im nächsten Augenblick saß er auch wieder in seinem Beiboot und wollte gerade den Einstieg schließen, als ihm jede Kraft aus dem Arm zu schwinden schien. Aus dem Nichts heraus kam eine graue Ringkonstruktion herangeschwebt. »Großer Himmel«, keuchte er und verstand plötzlich, warum ihn diese unerklärliche Unruhe gepeinigt hatte. Die Fremden setzten bewegliche Transmitter ein! Die graue Antenne hatte seinen Flash erreicht! Die Fremden behandelten die Terraner und ihre Flash wie lästiges, aber harmloses Ungeziefer! Aus der Ringröhre, die knapp 2400 Meter über dem großen runden Platz im Herzen der Riesenstadt schwebte, fielen nacheinander drei Flash heraus! 134
Nicht einmal die Gedankensteuerung der Mysterious hatte verhindern können, daß sie auf diese Weise aus dem unsichtbaren Bauwerk hoch über der Stadt hinausgeworfen wurden! Der blitzschnell hochgeschaltete Sie verhinderte einen Absturz. Mit zitternden Knien stieg Doorn aus dem Flash. Aus weit aufgerissenen Augen blickte er zu der blauleuchtenden Ringröhre hinauf. Sie war also nicht nur eine Steuerungsanlage, die diese Stadt beherrschte, sondern außerdem noch eine Transmitter-Antenne! Doorn dachte an Hope, an den Industriedom, wo es ebenfalls eine – wenn auch deutlich kleinere – blauschimmernde, schwebende Ringröhre gab. War sie vielleicht auch eine Transmitter-Station? Sein Partner stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. »Doorn, die POINT OF will Sie sprechen!« Der Funk arbeitete also wieder. Auf der eingeschalteten Frequenz herrschte ein einziges Tohuwabohu. Nicht nur die Funk-Z der POINT OF verlangte Bericht, sondern auch die Besatzungen der auf dem Platz zurückgebliebenen Flash. Die Männer in diesen Beibooten konnten sich nicht erklären, wieso plötzlich drei Blitze einfach aus der leuchtenden Ringröhre über ihnen auf den Platz heruntergestürzt waren. In dieses Durcheinander rief Doorn: »Ich komme zum Schiff!« Er überließ es wieder der Gedankensteuerung, ihn zum Ringraumer zu bringen. Mit dem Abheben seines Flash setzte das typische Pfeifen ein, das Intervall wurde abgeschaltet, und nach einer Kurztransition wurde das Beiboot dicht vor der POINT OF wieder existent. Der Flash flog ins Depot ein. Mit einem Satz war Doorn draußen. Den Klarsichthelm zurückgeklappt, rief er seinem Partner zu: »Warten Sie hier. Ich bin gleich wieder zurück!« Dann jagte er schon über das Deck der Kommandozentrale zu.
Neugierig folgte Spence Bentheim Jos Aachten van Haag. Wortlos bestiegen sie eine Schwebeplatte, die Jos steuerte. Als sie das große Portal zum Industriedom passierten, blickte der Astrophysiker den Agenten fragend an, doch der schüttelte nur den Kopf und legte den gestreckten Zeigefinger an die Lippen. Warum diese Geheimniskrämerei? dachte Bentheim verwundert und nahm sich vor, Jos später darüber zu befragen. Der Industriedom, diese gewaltige Anlage mit ihren bis zu 900 Meter hohen Mammutaggregaten, strahlte im blauen Licht. Bentheim, der wieder einmal seinen Blick an den fugenlos verkleideten Giganten entlang gleiten ließ, seufte. Neunhundert Quadratkilometer groß war die Anlage, die von einer schweben135
den zylindrischen Ringröhre mitten im Zentrum gesteuert wurde. Besaßen die Mammutmaschinen im äußeren Drittel eine graue Verkleidung, so waren die Aggregatsätze zum Zentrum hin mit einer Unitallhaut überzogen. Warum es diesen Unterschied gab, war bis zum heutigen Tag noch nicht herausgefunden worden. Nur einem Zufall war es zu verdanken, daß die Menschen inzwischen wußten, wer diese Anlagen, die alle vor rund tausend Jahren von den Mysterious erbaut worden waren, instand hielt. Professor Tim Acker und Manu Tschobe hatten bei ihrem Aufenthalt im großen Transmitter-Raum erstmals beobachten können, wie Roboter aus der Transmitter-Antenne gekommen und über energetische Bahnen in die Mammutaggregate hineingeflogen waren. Sie hatten aber auch fassungslos festgestellt, daß diese gigantischen Aggregate ununterbrochen produzierten und ihre Produkte durch den Transmitter irgendwohin beförderten. Damals hatten viele Terraner geglaubt, bald auf die Mysterious zu stoßen. Heute gab es nur noch eine Handvoll Menschen, die glaubten, die Mysterious würden noch leben. Und diese Handvoll war seinerzeit Augenzeuge gewesen, als in der kreisrunden grauen Transmitter-Antenne dieses alte, zerfurchte Gesicht zu sehen gewesen war – das Gesicht eines Menschen, eines uralten Menschen! Blitzartig schössen Spence Bentheim diese Erinnerungen durch den Kopf, während Jos die Schwebeplatte dem Zentrum der Anlage zusteuerte. Dann erreichten sie den runden, freien Platz, der von den glatten Fronten der riesigen, verkleideten Maschinensätze begrenzt wurde. Über dem Platz, in rund hundert Metern Höhe, schwebte die ultrablau strahlende zylindrische Ringröhre. Weich hatte Jos ihre Schwebeplatte aufgesetzt. Er hielt den Astrophysiker zurück, als der die Plattform verlassen wollte. Mit der anderen Hand deutete er auf die Ringröhre. Warum gehen wir denn nicht näher heran? fragte sich Bentheim. Warum dieses Versteckspiel, den Platz aus sicherer Deckung zu beobachten – wie zwei Verbrecher, die nicht gesehen werden wollen? Langsam verging die Zeit. Hin und wieder überquerte eine Schwebeplatte mit Forschern den Platz. Niemand bemerkte Jos und den Astrophysiker. Ein Stoß gegen seine Schulter ließ Bentheim aufmerken. Er starrte die Ringröhre an. Ihr Aussehen hatte sich blitzartig verändert. Sie leuchtete nicht mehr so intensiv ultrablau. Und dann hielt er den Atem an. Aus dem Leerraum der Ringröhre sah er zwei Schatten in die Tiefe fallen. Nur für einen Moment! Für einen Sekundenbruchteil. Aber er hatte einwandfrei ihre menschlichen Umrisse erkannt. 136
Er riß den Kopf herum, blickte seinen Begleiter fragend an. Jos, zwei schwere Paraschocker in den Fäusten, bedeutete ihm durch eine Geste abermals, zu schweigen. Dem Astrophysiker lief es kalt den Rücken hinunter. Sein Entsetzen verwandelte sich in Erschrecken, als er dicht an seinem Kopf zwei Strahlbahnen entlangzischen hörte. Jos schoß mit beiden Schockern! Schritte jagten davon! Zwei Schatten, die zu den Umrissen zweier erwachsener Menschen wurden! Sie liefen ins Nichts hinein. Ihre Umrisse verschwammen immer stärker, bis sie zuletzt eins waren mit dem blauen Licht. Jos Aachten van Haag schoß nicht mehr. Er sah Bentheim an. Sagte nur ein einziges Wort: »Na…?!« Bentheim schüttelte sich. »Sind sie weg?« Grimmig lachte der GSO-Mann. »Ich habe sie heute zum drittenmal auf diese Weise erwischt, und zum drittenmal sind sie mir entkommen. Da! Sehen Sie es?« Er riß den Astrophysiker herum und deutete auf die schwebende Ringröhre, deren blaues Leuchten blasser geworden war. Zwei Schatten verschwanden in ihrem leeren Mittelpunkt! Und dann strahlte die Röhre wieder so ultrablau wie gewohnt, und die beiden Schatten gab es nicht mehr. »Jetzt sind sie endgültig weg!« erklärte Jos mit verkniffenem Gesicht. »Den Weg haben sie noch jedesmal benutzt. Ich glaube, diese Ringröhre ist nebenbei auch eine Transmitter-Anlage.« Bentheim verbarg sein Zittern nicht. Der Gedanke, daß sich zwei unsichtbar gewordene Cyborgs unter ihnen aufhielten, war grauenhaft. Unwillkürlich betrachtete er die riesigen Maschinengiganten auf der anderen Seite des kreisrunden Platzes. Unvorstellbar, wenn nur eine dieser Anlagen in die Luft fliegen würde. Der gesamte Kontinent Deluge würde beim Freiwerden der Energien auseinanderreißen. Hastig blickte er sich nach allen Seiten um. In diesen Minuten fürchtete er sich. Er hatte plötzlich Angst und verstand nicht, wie dieser GSO-Mann so gelassen bleiben konnte. »Wir haben eben Glück gehabt, Bentheim. Ebensogut hätten die Burschen erst heute nacht kommen können. Aber nun sind Sie an der Reihe. Zerbrechen Sie sich einmal den Kopf, wie man die beiden verdrehten Cyborgs wieder für immer sichtbar machen kann. Wie weit ich mit meiner Bestrahlung durch die beiden Paraschocker gekommen bin, haben Sie hoffentlich registriert.« Bentheim zuckte hilflos die Schultern. »Ich bin Astrophysiker, Jos, kein Strah137
lenexperte oder Biologe. Ich habe keine…« »Doch! Sie haben!« unterbrach ihn Jos energisch. »Sie haben Erfahrung mit unsichtbaren Sonnen, und Sie wissen, was man anstellen muß, um diese unsichtbaren Sterne trotzdem auf den Film zu bekommen. Lassen Sie sich etwas einfallen. Dann garantiere ich Ihnen, daß wir diesen beiden Burschen doch noch das Handwerk legen, falls wir vorher nicht alle gemeinsam eine Himmelfahrt gemacht haben.« Ein unbehaglicher Gedanke, die Verantwortung allein zu tragen. Bentheim versuchte sich abzusichern. »Müssen wir nicht die anderen benachrichtigen?« Jos grunzte verächtlich und schob sich dann eine Zigarette zwischen die Lippen. »Haben Sie Lust, von den meisten für verrückt erklärt zu werden? Anfangs habe ich auch nicht an Manu Tschobes Behauptung geglaubt, die beiden entarteten Cyborgs seien durch den Strahlbeschuß des M-Robs unsichtbar geworden. Unsichtbar! Und ich kann nur bis heute nicht vorstellen, wie ein Mensch unsichtbar werden kann. Können Sie es?« Bentheim schüttelte den Kopf. Sein Blick galt der schwebenden Ringröhre. »Sind Sie überzeugt, daß diese Anlage zugleich auch ein Transmitter ist?« »Allerdings. Nur, wie diese beiden Verdrehten auch noch fliegen können, das geht über meinen Verstand. Na, keine Lust mehr, die anderen von unseren Beobachtungen zu unterrichten?« fragte Jos spöttisch. Der Astrophysiker wurde aktiv. »Ich muß mich schnellstens informieren, welche Strahlen die Paraschocker emittieren. Vielleicht kommen wir auf diesem Weg weiter. Aber ich habe jetzt erst noch ein paar Fragen.« »Fragen Sie.« »Warum wollten Sie, daß wir auf der Fahrt mit der Schwebeplatte nicht sprachen?« »Woher sollte ich wissen, daß sich die beiden Verdrehten nicht schon im Industriedom aufhielten? Ich kann’s nicht beweisen, aber wenn es zweimal mit rechten Dingen zugegangen ist, dann bin ich von diesen Cyborgs belauscht worden. Sie müssen sogar neben mir gestanden haben. Denn kaum hatte ich heimlich zwei Kameras angebracht, da waren sie auch schon wieder verschwunden. Darum forderte ich Sie auf, unterwegs kein Wort zu sagen.« »Hm…« brummte Bentheim. »Haben Sie mit Absicht die M-Roboter nicht in Ihre Berechnungen einbezogen?« Aus großen Augen sah Jos ihn an. »Sie meinen die Reparaturroboter, die von Acker und Tschobe beobachtet worden sind? Bentheim, vielleicht liege ich mit meinem Verdacht gründlich daneben, aber ich glaube mehr denn je, daß damals, als Tschobe von Mildan und Dordig umgebracht werden sollte und der Roboter aus dem Transmitter sich einmischte, diesem Rob ein Fehler unterlau138
fen ist.« »Sie meinen, er hatte den Auftrag, Mildan und Dordig zu töten?« »Ja! Aber das hat nicht geklappt. Und dafür gibt es nur eine Erklärung: Weil Dordig und Mildan Cyborgs sind! Echri Ezbal muß jedem Cyborg etwas mitgegeben haben, von dem er selbst keine Ahnung hat! Beweis: unsere beiden unsichtbaren Männer!« Bentheim erhob sich. Das lange Sitzen hatte ihn müde gemacht. Im gleichen Moment sackte er zusammen. Jos warf sich von der Schwebeplatte herunter. Sein Training als GSO-Mann rettete ihn davor, auch geschockt zu werden. Mildan und Dordig waren durch die Ringröhre zurückgekommen und zum Angriff übergegangen! Sie schössen mit ihren Paraschockern! Und die sah Jos Aachten van Haag! Nur die Waffen! Sie waren sein Ziel! Und er verstand zu schießen und auch zu treffen! Zum zweitenmal innerhalb kurzer Zeit sah er zwei Schatten in panischer Flucht davonlaufen und dabei blasser und blasser werden, bis sie verschwunden waren. »Zur Hölle«, fluchte Jos hinter seiner Deckung, »Cyborgs sind doch sonst noch schneller als nicht umgeschaltete Robonen! Wieso war ich dann gerade eben schneller als sie? Sind die beiden inzwischen gar keine Cyborgs mehr?« Und wohin verziehen sich die Burschen bloß? dachte er voller Grimm und drückte schon wieder beide Kontakte. Zwei Schatten wollten in der Ringröhre verschwinden! Nur diesmal schafften sie es nicht! Sie stürzten ab – und blieben dabei Schatten. Jos Aachten van Haag hielt beide unter Dauerfeuer. Es bereitete ihm keine großen Schwierigkeiten, die sich schnell bewegenden Ziele zu treffen. Er war mit rechts so gut wie mit links. »Boys…« zischte er, und es klang wie ein Fluch. Die Umrisse der Schatten wurden schärfer. Sie sausten nach unten. Nur noch zehn Meter trennten sie vom Aufprall! Und dann waren sie verschwunden! Wie Licht, das ausgeschaltet wurde. Mutlos ließ Jos seine beiden schweren Schocker sinken. Seine Lippen waren fest zusammengepreßt, sein Gesicht eine bösartige Grimasse. Er war wütend. Wütend über sich und die Unzulänglichkeit seiner Waffen. Mildan und Dordig hatten es einmal mehr verstanden, sich im letzten Moment vor der Vernichtung zu retten. Aber wo waren sie jetzt? Kamen sie vielleicht im Schutz ihrer Unsichtbarkeit auf ihn zu, um ihn auch unschädlich zu machen? Jos dachte an den bewußtlosen Astrophysiker. Bentheim hatte eine starke Do139
sis abbekommen. Wahrscheinlich mußte er ärztlich behandelt werden. Das gab den Ausschlag. Für ihn gab es keine Gefahr mehr. Er mißachtete sie einfach. Mit einem Satz war er auf der Schwebeplatte, nahm neben dem Antrieb Platz, schaltete ihn ein und zog das auf A-Grav-Basis arbeitende Transportgerät hoch. Sein Ziel war die Maschinenhöhle, in der sich auch die Medo-Station befand.
Auf halbem Weg zur Kommandozentrale der POINT OF machte Arc Doorn kehrt! Dort hatte er im Moment nichts zu suchen! Dort würde man sich stur an die Order des Commanders halten. Dan Riker mußte die Entscheidung treffen! Er mußte so schnell wie möglich aus seinem geschockten Zustand geweckt werden. Mit ausdruckslosem Gesicht hörte sich Hanfstick die Forderung des Sibiriers an. »Darf ich jetzt auch mal etwas sagen?« fragte er Doorn bissig, nachdem der sein Ultimatum gestellt hatte. »Darauf warte ich!« knurrte der bullige Mann mit dem Boxergesicht. »Riker, Wonzeff und Doraner sind mit einer uns unbekannten Strahlart geschockt worden! Vielleicht können Sie sich etwas darunter vorstellen, wenn ich Sie daran erinnere, daß die drei Männer geschockt wurden, während ihr MRaumanzug geschlossen war!« Doorn machte mit der rechten Hand eine wegwerfende Bewegung. »Großer Himmel, das weiß ich doch auch, Hanfstick. Also Sie wollen nicht alles versuchen?« »Als derzeitiger Chef der Medo-Station denke ich nicht daran, das Leben von drei Männern aufs Spiel zu setzen. Ist das klar?« »Aber dann geht uns womöglich der Commander vor die Hunde, Hanf stick. Dhark ist den Schwarzen Weißen in die Hände gefallen!« Eiskalt erwiderte der Arzt: »Ich erinnere mich, daß der Commander schon einmal Kontakt mit diesen Schwarzen Weißen hatte.« Noch kälter hielt ihm Doorn entgegen: »Diese Roboter müssen anders programmiert sein als die auf dem Planeten der Robonen. Ich hab’s doch am eigenen Leib erfahren!« »Darum stehen Sie ja auch kerngesund und ziemlich aufsässig vor mir!« spottete Hanf stick. Abrupt setzte sich der Sibirier in Bewegung. Am Eingangsschott blieb er kurz stehen und rief Hanfstick zu: »Tun Sie, was Sie für erforderlich halten! Ich tue das meine!« 140
Nachdenklich blickte der Arzt ihm nach. Was hat Doorn damit gemeint? fragte er sich selbst.
Auch die Offiziere in der Kommandozentrale ahnten nichts, als er eintrat. Das Flash-Depot hatte seine Ankunft schon gemeldet! Wie ein wilder Stier stürmte Doorn schnurstracks auf Hen Falluta zu, der im Piloten-Sessel hockte. Mit funkelnden Augen, die Hände in die Hüften gestemmt, baute sich der Sibirier vor dem Ersten Offizier der POINT OF auf. »Wir müssen Dhark heraushauen, Falluta! Er ist den Schwarzen Weißen in die Hände gefallen! Und dieser Hanfstick will nichts riskieren, um Riker blitzschnell wieder fit zumachen. Also?« Falluta erwiderte zögernd: »Die Befehle des Commanders sind aber sehr präzise, und sie besagen eindeutig…« »Sie besagen überhaupt nichts, denn Dhark konnte nicht ahnen, in was für eine Situation er geraten würde!« unterbrach Doorn den I.O. unwirsch. »Ich weiß, daß Dhark in Gefahr ist, und ich werde ihn da heraushauen, koste es was es wolle!« Der Sibirier schwieg einen Augenblick und musterte den Mann, der im Augenblick offiziell das Kommando über die POINT OF besaß. Falluta war noch jung und ziemlich unerfahren und schien sich in seiner Haut alles andere als wohl zu fühlen. »Wenn es irgendwelchen Ärger geben sollte, nehme ich den auf meine Kappe«, begann Doorn erneut, diesmal allerdings wesentlich ruhiger. »Also, was ist – sind Sie dabei?« Wenn nicht, ziehe ich die Sache eben allein und auf meine Weise durch, setzte er in Gedanken hinzu. Falluta seufzte. Er fühlte sich dieser Situation nicht gewachsen. Unsicher irrte sein Blick zu Leon Bebir, dem HO. der beim Checkmaster stand, dann zu Grappa hinter seinem Ortungspult, schließlich zum Bildschirm der Bordverständigung, auf dem Glenn Morris’ Gesicht zu erkennen war. Alle schienen ihn gespannt anzusehen. Falluta dachte an die Befehle des Commanders, und dann dachte er daran, was der Mann, der hier entschlossen vor ihm stand, schon alles mit Dhark erlebt hatte… »Also gut, Doorn, ich bin dabei!« Der I.O. fluchte innerlich, weil seine Stimme so belegt klang. Er räusperte sich, warf noch einmal einen Blick in die Runde, und fühlte sich plötzlich sehr viel besser, als er in allen Gesichtern Zustimmung las. »Was schlagen Sie vor?« »Sie lassen mich in den Piloten-Sessel – und ich bringe unser gutes altes Mäd141
chen dahin, wo wir mit den Flash waren!« Falluta wechselte in den Copiloten-Sessel. Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Doorn, Sie besitzen doch überhaupt kein Raumflugpatent…« »Na und«, brummte der Sibirier und setzte sich im Piloten-Sessel zurecht. »Trotzdem kann ich mit der POINT OF wahrscheinlich besser umgehen als Sie!« Falluta schluckte eine scharfe Entgegnung hinunter, weil er sich eingestehen mußte, daß Arc Doorn wahrscheinlich recht hatte. Der schaltete bereits wild am Instrumentenpult. Alarm an alle geöffneten Schleusen. Impulse zum Triebwerksraum. Sie wurde angefahren, A-Grav kam. Kaum merklich hob die POINT OF ab. Die fünfundvierzig Paar Teleskopstützen wurden in die Unitallhaut eingefahren. Die letzte Schleuse in hundert Meter Höhe geschlossen. Als Doorn diese Kontrolle las, schaltete er den Sie auf Maximum. Falluta fragte noch einmal. »Was haben Sie genau vor?« »In den Bau einfliegen! Dhark suchen! Den Schwarzen Weißen sagen, daß man mit uns nicht machen kann, was man will – und wenn’s nicht anders geht, das Intervall abschalten!« Falluta hatte Bedenken. Doorn sah sein Kopfschütteln nicht. Er brachte die POINT OF auf Kurs, warf dabei dem Bordchrono immer wieder einen forschenden Blick zu. Die Zeit rann viel zu schnell dahin. Kurs auf das Bauwerk in mehr als achttausend Meter Höhe! »Grappa, geben Sie folgende Koordinaten an den Checkmaster!« befahl er wie ein Mann, der seit Jahren nichts anderes getan hatte, als die POINT OF zu fliegen. Der Ortungsspezialist führte die Order aus und warf der Bildkugel einen Blick zu, der ihm verriet, daß ihr Schiff sich in mehreren tausend Metern Höhe über der großen Stadt befand. Doorn schaltete um. Er gab das Kommando an das Bordgehirn ab. Im gleichen Moment war im gesamten Schiff jenes undefinierbare Pfeifen zu hören, das eine Transition ankündigte. »Ich verstehe nicht, daß man uns ungeschoren läßt«, rief ihm Falluta zu. Dann erfolgte der Sprung. Im nächsten Augenblick stand der Ringraumer dicht vor seinem Ziel, im Innern eines abgeschirmten Bereichs, der vom Planeten her ortungstechnisch nicht erfaßt werden konnte. Die Andruckabsorber heulten sekundenlang auf. Der vom Checkmaster auf negative Beschleunigung geschaltete Sie mußte seine gesamte Macht entfesseln, um den Ringraumer auf einer unwahrscheinlich kurzen Distanz zum Stillstand zu bringen. 142
»Alle Waffen klar!« meldete die WS-West, und für einen Augenblick war Bud Cliftons Kindergesicht auf dem Bildschirm der Bordverständigung zu sehen. Die Meldung aus der Funk-Z überraschte Doorn nicht besonders. Sogar der To-Funkkontakt zu den Flash, die immer noch auf dem kreisrunden Platz standen, war sofort nach Beendigung der Transition abgerissen. Der Sie arbeitete wieder normal. Doorn hatte die Kommandogewalt erneut übernommen. Vorläufig benötigte er den Checkmaster nicht mehr. »Doorn, schwache Energieortung auf Grün 34:54,98 und Blau 02:00,26. Man scheint ein paar kleine Konverter eingeschaltet zu haben.« »Sonst wirklich nichts?« fragte Doorn verblüfft, dem es unerklärlich war, daß die Schwarzen Weißen keinen Versuch unternahmen, den Ringraumer aus ihrem Bereich hinauszuwerfen. »Nichts… oder meine Ortungen arbeiten hier nicht einwandfrei!« Die POINT OF stieg senkrecht in die Höhe. Das Stockwerk mit den zerfetzten Außenwänden war Doorns Ziel. Drei Minuten nach dem Start vom Rand des kleinen Raumhafens am anderen Ende der Stadt stand der Ringraumer vor der zerrissenen Öffnung. »Einflug!« sagte Arc Doorn, und unter dem leichten Druck von vier Fingerkuppen nahmen ebensoviele Steuerschalter eine andere Position ein. Die POINT OF flog im Schutz ihrer beiden Intervallfelder in ein massives Bauwerk ein, als ob die metallenen Wände und Decken gar nicht existent seien. Langsam schob sich die hundertachtzig Meter durchmessende Ringröhre tiefer in das Gebäude hinein. Der um den Mittelpunkt des Leerraums arbeitende Brennkreis des Sie richtete in diesem Fall keine Zerstörungen an, weil es innerhalb der Intervalle nichts mehr gab, was an ein Bauwerk erinnerte. »Die Untätigkeit der anderen wird mir langsam unheimlich!« stieß Tino Grappa plötzlich aus. »Mir auch!« sagte Doorn und ließ die Instrumente nicht aus den Augen.
Ren Dhark hatte Platz genommen. Nach einer höflichen Aufforderung. Nach der Bitte, es sich bequem zu machen. Nach der Bemerkung, sich als Gast zu fühlen. In bestem Terranisch! Von einem der fünf Schwarzen Weißen! Den Raum, in dem er sich befand, hatte er über einen Transmitter erreicht. Die Gegenstation befand sich nebenan. Man hatte ihm Zeit gelassen, sich alles anzusehen. Und er war drauf und dran gewesen, an seinem Verstand zu zweifeln. Er kannte den Transmitter-Typ. Zum erstenmal hatten die Terraner ihn auf Hope kennengelernt, ein Teil der damals neuen, unglaublichen Mysterious-Technologie. Und hier, in der Sternenbrücke, stieß er auf die gleichen Modelle. 143
Und dann hatte ihn einer der fünf Schwarzen Weißen in flüssigem Terranisch angesprochen. Fünf Wesen einer schwarzhäutigen Rasse, die trotz ihrer dunklen Hautfarbe keinen negroiden Einschlag aufwiesen. Fünf Wesen, die sich über die Anwesenheit eines Ringraumers auf ihrer Welt lustig machten. »Dhark, wollen Sie sehen, wo sich Ihr Flaggschiff im Augenblick befindet?« richtete der Schwarze Weiße, der sich Girr-O nannte, die Frage an ihn. Der Commander zuckte zusammen. So stark, daß es den anderen nicht entging. Sie lächelten wie Menschen, die sich ihrer uneingeschränkten Macht bewußt sind. »Ihr Freund Dan Riker hätte uns nur dann interessiert, wenn er allein gekommen wäre und Sie es vorgezogen hätten, an Bord der POINT OF zu bleiben!« Sie wußten alles! Sie kannten seinen Namen! Den Namen des Flaggschiffs! Den Namen seines Freundes! Und sie mußten auch gewußt haben, wie er aussah! »Sind diese Fragen so schwer zu beantworten?« fragte Girr-O ironisch und legte beide Arme auf die weich gepolsterten Lehnen seines Sessels. »Haben Sie vergessen, daß wir Ihnen einen Xe-Flash geschickt haben?« Dhark hatte sich gefangen. Schlagartig war ihm einiges klar geworden. Aber er konnte sich keine Antwort auf die Frage geben, woher die Schwarzen Weißen so gut Terranisch sprachen. »Dhark, Sie sind kein guter Gesellschafter und Unterhalter. Meine Männer und ich verstehen Sie nicht. Wir wollen Ihnen nichts Böses. Es sei denn, daß Sie in unserer Absicht, Sie nie mehr nach Terra zurückkehren zu lassen, etwas Niederträchtiges sehen. Das gleiche betrifft natürlich auch Ihr Schiff. Ach ja, ich wollte Ihnen noch zeigen, wo es zur Zeit zu suchen ist. Bitte, hinter Ihnen ist die Projektion!« Der kleine Raum, in dem er sich mit seinen fünf Gastgebern befand, war fremdartig, aber dennoch gemütlich eingerichtet. Der schwach spiegelnde Boden war etwas ungewöhnlich, die Wände, die aus Form-Energie bestanden, ebenfalls, genau wie die leicht nach innen gebogene Decke. Doch das Mobilar hätte ebensogut aus einer terranischen Werkstatt stammen können, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, einen neuen Stil zu entwickeln. Dhark drehte sich um. Er glaubte nicht mehr, in einer ausweglosen Lage zu sein. Diese Schwarzen Weißen, die ihre Roboter fortgeschickt hatten, nachdem sie aus der Transmitter-Antenne getreten waren, protzten nicht mit ihrer Macht, aber sie ließen ihn merken, daß sie ihm tausendmal überlegen waren. Ren Dhark sah seine POINT OF. Sie steckte in einem Gebäude, das ihm bekannt vorkam. Meter um Meter schob sich das Schiff tiefer in das Bauwerk hinein. »Dhark, wir lassen Ihrem Mann diesen kleinen Spaß, den wir uns aus einem 144
ganz bestimmten Grund erlauben können. Warum? Das werden Sie bald erfahren.« Der Commander studierte das Gesicht seines Gegenübers. Ein kluges, markantes Gesicht. Ein Gesicht, das viele Frauen als männlich schön bezeichnet hätten. Nur die Augen paßten nicht zu dieser Klugheit und Schönheit. Es waren nicht einmal kalte oder häßliche Augen. Es waren Augen, die ununterbrochen ihre Farbe veränderten, wie ein Chamäleon sein Aussehen verändern kann. Dieser Farbwechsel war nicht nur irritierend, er wirkte gegenüber der schwarzen Haut dieser Wesen unnatürlich. Dharks Blick fiel auf sehr gepflegte Hände mit manikürten Fingernägeln. Ein dünner Ring aus weißem Metall umschloß den rechten Mittelfinger. Die anderen vier Männer trugen keinen Schmuck. Aber sie waren genauso gepflegt wie Girr-O. Girr-O begann mit seinem Ring zu spielen. Er drehte ihn am Finger hin und her. Ein maliziöses Lachen tauchte auf seinen schmalen Lippen auf. »Dhark, ich kann mich gut in Ihre Lage versetzen. Alles, was Sie bisher in unserer Gegenwart gesehen oder gehört haben, muß Sie überrascht haben. Glauben Sie mir, Terranisch beherrsche ich erst seit dem gestrigen Tag. Wir glaubten es nicht nötig zu haben, die Sprache eines bedeutungslosen Volkes lernen zu müssen. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß wir uns geirrt haben. Denn seit wir die Sternenbrücke besetzten, ist es nie wieder einem fremden Raumschiff gelungen, unsere Sperren zu durchbrechen. Auch Sie haben es mit Ihrem Schiff nicht fertiggebracht, aber es hätte nur einiger weniger Stunden bedurft, bis Sie die schwache Stelle gefunden hätten. Deshalb hielten wir es für das beste, Sie einfach zur Landung zu zwingen.« Girr-O schwieg. Ren Dhark mußte dem anderen antworten, wenn er nicht leichtsinnig seine Lage verschlechtern wollte. »Girr-O, ich habe Ihnen für Ihre Offenheit zu danken. Sie haben mich über meine Lage und die meiner Besatzung nicht im unklaren gelassen. Sie haben mir an Hand weniger Beispiele Ihre Überlegenheit bewiesen. Zeugt es dann nicht von kleinlichem, verkrampftem Handeln, ungebetene Besucher, die in friedlicher Absicht gekommen sind, am Weiterflug zu hindern?« Aus Girr-Os Gesicht war jede Spur eines Lächelns verschwunden, je länger Dhark gesprochen hatte. Er richtete sich auf. Er benahm sich wie ein Terraner, der innerlich erregt ist. »Halten Sie uns für so dumm, Ihren glattzüngigen Worten zu glauben. Dhark? Machen Sie sich selbst weis, wir hätten keine Ahnung, wer Sie zu uns geschickt hat? Bilden Sie sich ein, meinen Leuten und mir würde es Spaß machen, auf dieser erbärmlichen Station Wache zu schieben?« Sie sollten geschickt worden sein! 145
Diese Schwarzen Weißen nannten einen Planeten Station? »Hier liegt ein Irrtum vor…« versuchte Dhark wenigstens einen Punkt klarzustellen. »Ja«, unterbrach ihn Girr-O mit schneidender Stimme, »hier würde ein Irrtum vorliegen, wenn Sie, Dhark, nicht während der Vorführung der drei Bilder an Ihre Auftraggeber gedacht hätten! Und dann haben Sie auch noch die Dummheit begangen, in einem Schiff Ihrer Auftraggeber die Sternenbrücke anzufliegen! Jeder begeht einmal in seinem Leben einen schwerwiegenden Fehler. Sie haben ihn begangen, als Sie an Ihren Auftraggeber dachten. Genug darüber. Ich untersage Ihnen, noch einmal dieses Thema anzuschneiden, oder ich mache von den mir zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln Gebrauch und lasse Sie durch eine Jury aburteilen!« »Wie Sie bereits kaltblütig meine beiden Flash-Piloten Wonzeff und Doraner zum Tode verurteilt haben, Girr-O!« entgegnete Ren Dhark schneidend, der begriffen hatte, daß es falsch war, diesem Schwarzen Weißen nicht forsch und entschlossen entgegenzutreten. »Urteile auszusprechen und zu vollstrecken, sind zweierlei Tätigkeiten, Dhark. Ihre Flash-Piloten interessieren uns nicht. Unser Interesse beschränkt sich auf Sie, Ihr Schiff und Ihren Auftraggeber. Aber ich erhalte gerade die Nachricht, wie friedfertig Ihre Absicht und die Ihrer Besatzung wirklich ist. Bitte, drehen Sie sich noch einmal zur Projektion um!« Er tat es ein zweites Mal. Er sah seine POINT OF, und der Ringraumer war in diesem Moment, wenn die Übertragung real war, kein friedfertiges Schiff. Und dann hörte er Girr-O hämisch lachend sagen: »Das ist unsere Antwort auf die friedfertige POINT OF, Dhark!« Ren Dhark glaubte zu träumen, doch sein Verstand sagte ihm, daß er nichts anders als die nackte Wirklichkeit sah – nichts!
Sie fanden Ren Dhark nicht, obwohl die POINT OF im Schutz ihrer Intervalle diese Etagen schon dreimal durchflogen hatte. »Unsere Intervalle sind zu groß!« machte Grappa Doorn aufmerksam, während der Sibirier ein hoffnungsloses Stöhnen ausstieß. »An den Intervallen hat es nicht gelegen!« erwiderte Doorn bissig. »Unsere Flash haben den Commander auch nicht finden können. Gut! Wenn diese Schwarzen Weißen es nicht anders haben wollen, dann zwinge ich sie, uns Dhark herauszugeben. Scheinbar lassen die Robs nur mit sich reden, wenn wir Gewalt anwenden.« Erneut nahm die POINT OF Kurs auf das riesige Gebäude mit dem Loch in der Wand. 146
Sie flog ein. Sie stoppte, als sie die Mitte erreicht hatte. Und in diesem Moment schaltete Arc Doorn beide Intervalle ab. Rundherum um das Schiff wurde alles wieder existent! Ein unbeschreibliches Krachen, Reißen, Donnern, Brechen, Dröhnen und Zittern raste durch das Bauwerk. Wände fanden keinen Platz mehr, Decken trafen auf Unitall, Rohre und Leitungen zersplitterten. Tragende Wände schwangen wie geschlagene Trommelfelle hin und her, bewegten sich dicht vor der Zerreißgrenze. Ein Fremdkörper von hundertachtzig Meter Durchmesser, der sein eigenes Raumgefüge verlassen hatte und in einem riesigen Gebäude existent geworden war, erschütterte das Bauwerk in seinen Grundfesten. Die Zelle der POINT OF dröhnte wie eine zersprungene Glocke, die nur noch Mißtöne von sich gibt. Das eigene Wort war nicht mehr zu verstehen. Das Zittern der tragenden Konstruktionen übertrug sich auf das Schiff. Ein Beben und Schwingen, wie man es noch nie erlebt hatte, erklang überall. Arc Doorn brach der kalte Schweiß aus. Wenn diese Demonstration ihrer Macht auch nichts half, dann hatte er die Lage des Commanders nur noch mehr verschlechtert, wenn Dhark überhaupt noch lebte. Dann war alles still! Die Wiedergabe der Bildkugel wechselte blitzartig! Es gab das gigantische Haus in mehr als achttausend Meter Höhe über der Stadt nicht mehr! Es gab nur noch den freien Himmel und unter ihnen die Riesenstadt mit ihren Brücken, Hochstraßen und Spiraltürmen, mit ihren Parks, Flüssen und Stadtteilen. Sonst nichts! Gar nichts…
10. Arc Doorn und Tino Grappa in der Kommandozentrale der POINT OF schrien auf, als der Ringraumer in die Tiefe zu stürzen begann! Die Flächenprojektoren emittierten keine Energien mehr. »Großer Himmel!« keuchte Grappa, der nicht verstand, warum seine Ortungen schlagartig ausgefallen waren. Und Arc Doorn hatte immer noch Mühe zu verstehen, wieso das Schiff sich vor ein paar Sekunden noch in diesem gewaltigen Gebäude über der Riesen147
stadt befunden hatte – und jetzt gab es dieses Gebäude auf einmal nicht mehr, und der Ringraumer drohte auf die Stadt zu stürzen, die achttausend Meter unter ihnen lag. A-Grav einschalten! schoß ihm durch den Kopf. Aber A-Grav kam nicht! Die POINT OF fiel immer schneller. Die Riesenstadt schien dem Schiff förmlich entgegenzufliegen. A-Grav kommt nicht! A-Grav kommt nicht! rasten die Gedanken hinter der Stirn des Sibiriers. Jetzt kann nur noch die Gedankensteuerung helfen! Es ging beinahe über seine Kräfte, sich darauf zu konzentrieren. Versagte sie auch? Gab es Einflüsse von außen, die auch die Gedankensteuerung lahmlegten? Doorns Blick brannte sich am Höhenmesser fest. 5600 Meter! Die Bildkugel war schon nicht mehr in der Lage, die gesamte Stadt zu zeigen. Die Randbezirke waren aus dem Bildbereich der Kugel hinausgewandert, und weitere Stadtteile verschwanden. Höhe 4800 Meter! Wo bleibt die Gedankensteuerung? Warum übernimmt sie nicht das Kommando? Schweiß tropfte Doorn in die Augen. Er merkte es kaum. Höhe 4200 Meter! Übernehme! hörte er endlich die unpersönlich klingende Stimme. Aber der Sturz der POINT OF ging unaufhaltsam weiter! Aus der Funk-Z kam Bruggs Schrei: »Doorn, was ist los? Was ist passiert?« Durchdringendes Pfeifen setzte ein. Wollte die Gedankensteuerung das Schiff in Transition zwingen? Aber wie denn? Sie und Sternensog versagten doch! Das Pfeifen wurde immer lauter. Höhe knapp viertausend Meter! Die beiden Intervalle existierten seit dem Augenblick nicht mehr, in dem Arc Doorn es auf eine Machtprobe in dem fiktiven Bauwerk hatte ankommen lassen. Miles Congollon meldete sich aus dem Triebwerksraum. »Doorn, hier ist…« In diesem Moment zwang die Gedankensteuerung den Ringraumer in Transition! Ohne Sie! Ohne jede Vorwarnung! In der Bildkugel waren Sterne zu sehen. Keine Spur mehr von einer riesengroßen Stadt mit phantastisch sich durch die Luft schwingenden Hochstraßen, un148
wirklich aussehenden Brückenkonstruktionen und bizarren Spiraltürmen. Kein Planet in nächster Nähe. Nur die neun Sonnen der Sternenbrücke! Und der Sie arbeitete nach wie vor nicht. Um die POINT OF gab es kein zweifaches Intervall! Tino Grappa hinter seinen Ortungen explodierte. »Was ist in diese dreimal verfluchte Anlage gefahren? Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu!« Im Pilotensessel murmelte Arc Doorn dumpf vor sich hin: »Mein Lieber, hast du eine Ahnung, was bei mir los ist?!« Er verzweifelte auch. Die Verbindung zum Checkmaster war abgerissen. Das Instrumentenpult lag brach. Kein einziges Kontrollinstrument zeigte irgendeinen Wert an. Ertobit. Doorn schüttelte sich unwillkürlich. Warum mußte ihm gerade zu diesem Zeitpunkt dieses Wort, das der Checkmaster einmal geprägt hatte, einfallen? Stand die POINT OF im freien Fall? Jagte sie mit hoher Geschwindigkeit auf einer Bahn entlang, die sie mit Unterlicht aus dem Bereich der Sternenbrücke trug? In der Bordverständigung rührte sich nichts. Aus keiner der vielen Abteilungen kam eine einzige Anfrage. Doorn war dem Schicksal von ganzem Herzen dankbar, daß man ihn mit Fragen verschonte. Wie hätte er sie denn auch beantworten sollen? Er warf erneut einen Blick auf die Bildkugel. Das Flaggschiff der TF mußte sich außerhalb der Sternenbrücke befinden, denn selbst die größte Sonne war nur noch als Scheibchen zu erkennen. Wir haben den Commander im Stich gelassen, dachte Doorn. Grappa verließ seine Ortungen und trat neben den Sibirier. Mit einem Blick zum Instrumentenpult hatte er erkannt, daß alle Instrumente auf Null standen. »Wie bei mir«, sagte er nachdenklich. Doorn bewegte sich ruckartig. Grappas Bemerkung hatte ihn wie ein kräftiger Impuls getroffen. Welchen Fehler hatte er gemacht? Was hatte er übersehen, nachdem die Gedankensteuerung das Kommando über die POINT OF übernommen hatte? Der Ortungsspezialist richtete eine Frage an ihn. Heftig schüttelte er den Kopf. »Lassen Sie mich nachdenken, Grappa!« Er schloß die Augen. Er wollte sich auch nicht durch die Wiedergabe in der Bildkugel ablenken lassen. Die Gedankensteuerung hatte die POINT OF nicht nur vor dem Absturz bewahrt, sondern auch aus dem Bereich des gefährlichen Planeten gerissen, der von Schwarzen Weißen beherrscht wurde. Dieser Vorgang, einschließlich der Transition, war ohne Sie oder Sternensog erfolgt. Aber wie war es dann be149
werkstelligt worden? Der Reihe nach ging er alle Punkte durch, die ihm damals übermittelt worden waren, als er im Archiv der Ringraumerhöhle eine dieser Mentcaps geschluckt hatte. Keinen einzigen Punkt hatte er vergessen, denn zu intensiv hatte er sich mit dem aufgenommenen Wissen, mit der neuen Materie beschäftigt. In seinen Gedanken spielten Formeln der Mysteriousmathematik eine wichtige Rolle. Er sah die komplizierten Schachtelverbindungen, über die die Steuerkommandos gegeben werden konnten. Vor seinen Augen zeigte sich der verwirrende Schaltplan, der sich hinter der Unitallverkleidung des Instrumentenpults verbarg. Doorn hatte keine Ahnung, welch ein verbissenes Gesicht er machte. Grappa, der ihn beobachtete, hielt unwillkürlich den Atem an. Der Sibirier erschien ihm plötzlich fremd. Da sah Arc Doorn eine Spur, die ihn zu einem neuen Ziel bringen konnte. Doch wie dieses Ziel aussehen würde, wußte er nicht. Seine Gedanken bauten den komplizierten Schaltplan bis ins letzte Detail neu auf. Formeln wurden entwickelt, verwendet und durch andere abgelöst. Die Spur wurde deutlicher. Da meldete sich die astronomische Abteilung der POINT OF. Doorn nahm die Störung nicht wahr. Grappa rief hastig, aber nicht besonders laut zurück: »Lionel, melden Sie sich in zehn Minuten noch einmal. Bitte, uns unter keinen Umständen jetzt stören!« Am Schachtelverteiler Gree-78, den Doorn sich in Gedanken aufgebaut hatte, kam er nicht mehr weiter. Auch die Spur hatte er verloren. Das überraschte ihn nicht. Schrittweise ging er zurück, merkte einmal auf, nickte und wußte nicht einmal, daß er genickt hatte, und bog bei Fillto-Beta über den Sama-Fekt ab. Er ging auf der Spur weiter. Neue Planbilder kamen und gingen. Plötzlich legte er seine Hände um die Kante des Instrumentenpults. In Gedanken nahm er die Endkontrolle vor. Dann kippten Steuerschalter unter dem Druck seiner Fingerkuppen in andere Positionen! Arc Doorn hatte das Kommando über die POINT OF wieder übernommen! Die Gedankensteuerung hatte es widerspruchslos abgetreten. Im Schiff heulten sämtliche M-Konverter in einer noch nie gehörten Tonlage. Es war ein durchdringendes, aber kein störendes Heulen. Es hörte sich so an, als ob titanische Energien darauf warteten, endlich freigelassen zu werden. »Doorn?!« Grappa kämpfte vergeblich gegen sein immer stärker werdendes Angstgefühl an. Er fürchtete sich vor den nächsten Sekunden, und er fürchtete sich vor dem Sibirier und dem, was der gleich tun würde! Mit beiden Händen hielt er die kräftigen Schultern des Mannes fest, der ruhig im Pilotsessel saß und wieder so intensiv nachdachte, daß er sich dieser Berührung nicht bewußt wurde. 150
Es gab keinen anderen Weg für seine Spur. Nur diesen einen – und der führte zum Ziel, wie Arc Doorn jetzt erkannte! Wieder kippten Steuerschalter in andere Positionen. Die M-Konverter heulten noch infernalischer. Im gleichen Moment veränderte sich das Aussehen eines Teils der Instrumente auf dem Pult, als ob man sie gegen andere ausgewechselt hätte. Doorn schaltete wieder. Plötzlich riß das Universum auseinander! Das Nichts kam von allen Seiten in die POINT OF hinein…!
Als Ren Dhark sich wieder den Schwarzen Weißen zuwandte, zeigte sein Gesicht keine Überraschung mehr. »Nun?« fragte Girr-O, und abermals hatte seine Stimme einen schneidend scharfen Klang. Der Commander zuckte mit den Schultern. »Ein nicht besonders beeindruckender Trick, zunächst ein fiktives Gebäude zu errichten und es dann wieder verschwinden zu lassen. Girr-O, warum haben Sie mir nicht mehr gezeigt, wie die POINT OF abstürzte? Warum wurde die Projektion abgeschaltet, als der Sturz begann? Doch wohl kaum aus Menschenfreundlichkeit, oder?« Der Färb Wechsel in den Augen der Schwarzen Weißen war auffallend. Ihre versteinerten Gesichter sprachen eine unmißverständliche Sprache. Ren Dhark war zufrieden, daß er diese Wesen erfolgreich geblufft hatte. In Wirklichkeit hatte ihn der hohe Stand ihrer Technik entsetzt. Terra konnte da nicht mithalten. Allein die Vorstellung, an beliebiger Stelle ein fiktives Gebäude zu errichten, das alle Zeichen von Realität aufwies, war für die Erde noch reine Utopie. Diese Schwarzen Weißen hingegen hatten die Terraner anscheinend mühelos mit ihrer energetischen Fata Morgana genarrt. Ren Dhark zwang sich zu einem spöttischen Lächeln. Er glaubte die Schwachstelle der Schwarzen Weißen entdeckt zu haben. Sie waren allergisch gegen Spott und Ironie. Aber stimmte das auch? War es nicht verfrüht, jetzt schon solche Schlüsse zu ziehen? Girr-O funkelte ihn durchdringend an. Das Lächeln um Dharks Mund blieb. Mit keinem Zeichen wollte er verraten, daß er die Drohungen dieser Intelligenzen ernst nahm. Er fürchtete um das Schicksal des Ringraumers, und er sah keine Chance, diesen Wesen zu entkommen. Girr-O war kein Typ, der sich an seiner Macht berauschte. Es machte ihm anscheinend nichts aus, Niederlagen hinzunehmen. Das war ein eindeutiges Zeichen von Stärke. Dennoch schien etwas nicht zu stimmen. 151
Girr-O flüsterte mit seinen Begleitern. Ren Dhark hatte keine Augen für den Raum, in dem er sich aufhielt. Seine Gedanken begannen immer intensiver um einen Punkt zu kreisen. Warum hatten ihm die Schwarzen Weißen den Absturz der POINT OF nicht gezeigt? War es seinem Flaggschiff doch noch gelungen, im letzten Moment zu entkommen? Er wurde aus seinen Gedanken gerissen. Zwei Roboter tauchten hinter ihm auf. Sie mußten durch die Wand gekommen sein. Sie blieben neben ihm stehen, packten ihn, zerrten ihn hoch. Gegenüber diesen Konstruktionen, die – abgesehen vom grellen Leuchten ihrer Augen – genauso aussahen wie ihre Erbauer, gab es keinen sinnvollen Widerstand. Ren Dhark wurde seinen M-Anzug los. Dann durchsuchten ihn die beiden Robs. Nicht einmal der nichtigste Gegenstand blieb in seinen Taschen. Sein Spezial-Vipho zerkrümelte unter dem Druck einer Roboterhand. Die winzigen Trümmer verschwanden in einem elastischen Behälter. Die Maschinenwesen schienen genau zu wissen, welchem Zweck der Inhalt seiner Taschen diente. Mit ausdruckslosen Gesichtern sahen die fünf Schwarzen Weißen der Durchsuchung zu. Kaum war sie beendet, als sich Girr-O erhob, nun seinerseits ironisch lächelte und in abfälligem Ton sagte: »Dhark, Ihre Chancen sind noch tiefer gesunken, und bald interessieren Sie uns nicht mehr. Höchstens noch dieses lächerliche Terra!« Er ging an ihm vorbei auf die Wand zu, schritt durch die Wand, die sich auf einem engbegrenzten Bereich entstofflichte und dabei nur um Nuancen ihren Farbton änderte. Dhark machte sich Sorgen über Girr-Os Bemerkungen; gleichzeitig verstärkte sich sein Verdacht, daß sie im Zusammenhang mit der POINT OF standen. War diesen so menschenähnlichen Wesen, die sich fast allmächtig wähnten, ihre Aktion gegen den Ringraumer etwa mißglückt? Und wenn, resignierte Dhark in Gedanken, was kann mir dieses Wissen schon einbringen? »Mitgehen!« vernahm er; einer der Schwarzen Weißen deutete auf die beiden Roboter. Widerspruchslos gehorchte der Commander. Die beiden Maschinenkonstruktionen nahmen ihn in die Mitte und berührten ihn leicht an den Schultern. Als sie auf die Wand zugingen, begriff er, warum. Anscheinend war er als Terraner nur im Kontakt mit einem der Roboter in der Lage, den entstofflichten Bereich der Wand zu durchqueren. Er bemerkte einen kaum spürbaren Widerstand und für einen Moment wurde es dunkel um ihn, aber schon beim nächsten Schritt traf ihn das Licht wieder in voller Stärke. 152
Er befand sich auf der anderen Seite der Wand! Dieser Vorgang erklärte auch, warum Dan Riker und er nicht einmal die Andeutung einer Öffnung gefunden hatten, nachdem man sie in das Verlies gesperrt hatte. Eine Technik, die mit Entstofflichungen arbeitete, konnte auf Türen verzichten. Aber warum sollte er als Terraner nicht in der Lage sein, ohne Begleitung Wände an den präparierten Stellen zu passieren? Sorgten vielleicht eingebaute Sicherungen vor jeder mißbräuchlichen Benutzung – und waren die Roboter so konstruiert worden, daß diese Sicherungen auf sie nicht ansprachen? Über einen waagerecht verlaufenden A-Grav-Schacht, dessen Sphäre eine hohe Geschwindigkeit aufwies, wurde Dhark von den stummen Robotern in einen anderen Bereich des Gebäudes gebracht. Über einen zweiten Schacht ging es dann einige hundert Meter tiefer. Auf dem ganzen Weg begegneten sie niemandem. Und das erinnerte Dhark wieder daran, daß Girr-O diesen Planeten abfällig eine Station genannt hatte. Hatten die schwarzen Weißen vielleicht erst nachträglich diese Welt in Besitz genommen, und war ihr Machtbereich in diesem Teil der Galaxis so groß, daß sie Welten, auf denen sie nur ein Kommando abgesetzt hatten, Stationen nennen konnten? Erneut legten die Roboter ihm eine Hand auf die Schulter, und abermals durchschritten sie eine Wand. Unwillkürlich stockte sein Schritt! Sie hatten einen großen Raum betreten, der von einer schwarzen, viereckigen Scheibe beherrscht wurde. Mehr als vier mal vier Meter groß, schwebte die Platte dicht über dem Boden stützenlos mitten im Raum. Weitab von ihren Kanten waren zwei Instrumenten- und Steuerpulte aufgebaut. Und vor diesen Pulten standen Sessel! W-4 im Ika-3S-System, schoß es Dhark durch den Kopf. Dort hatten sie im Zentrum der großen Stadt die Zentrale gefunden, vor deren Schaltwand die gleichen Sesselmodelle gestanden hatten wie hier! Mysterious! Wenn es nach dem rotierenden Emblem noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, daß dies einst eine Welt der Geheimnisvollen gewesen war, so sah er ihn hier vor sich. Dhark wurde von starken Roboterhänden vorwärtsgerissen. Die seelenlosen Konstruktionen ließen ihm keine Zeit, sich noch länger umzusehen. Ihr Schritt klang dumpf. Der Bodenbelag schluckte keinen Schall. Er war blau und glänzte; er bestand aus Unitall. Die schwarze Räche wirkte wie eine stumme Drohung. Und auf diese Drohung wurde Dhark von den beiden Robotern zugeführt. Leises Knistern und Rauschen klang durch den Raum. Es kam hinter des Steu153
erpulten hervor, als wären Transformerreihen überlastet. Die schwarze Platte aber strahlte gnadenlose Kälte aus, je näher Dhark der Konstruktion kam. Er begann zu frösteln. Glaubte er zunächst noch, sich die Kälte nur einzubilden, weil die stumme Drohung mit jedem Schritt stärker wurde, so entdeckte er schnell, daß die Platte tatsächlich Kälte ausstrahlte. Er war noch zwanzig Meter von ihr entfernt, als die Fläche in ihrer Mitte der Länge nach barst, rotes Glühen aus der Bruchstelle strömte, und aus diesem roten Glühen ein Ungeheuer heraus flog, das sich mit wahnsinnigem Krächzen auf Dharks linken Begleiter stürzte. Alles geschah so schnell, daß er kaum etwas mitbekam. Er konnte nicht einmal sagen, wie das krächzende Ungeheuer aussah, das sich mit markerschütternden Schreien auf den Roboter stürzte, ihn hochriß und gegen die Wand schleuderte. Ein furchtbarer Schlag traf Dhark und schickte ihn in flachem Winkel über den glatten Unitallboden. Seine Geschwindigkeit war so hoch, daß er sich durch die Reibungshitze die Handflächen verbrannte und kaum in der Lage war, den Aufprall gegen die Wand mit den Beinen abzufangen. Wilder Schmerz raste durch seinen Körper und ließ ihn aufstöhnen. Nur kurz war seine Angst, sich beide Beine gebrochen zu haben. Was sich hinter ihm abspielte, hörte sich nach einem Kampf auf Leben und Tod an. Strahlbahnen zischten. Etwas schrie wie wahnsinnig. Dann kam ein Augenblick der Ruhe, gefolgt von grellem Kreischen und einer heftigen Explosion. Der zweite Roboter war beim Aufprall gegen die Wand explodiert! Ren Dharks robotische Bewacher bestanden nicht mehr. Das Ungeheuer! schoß es ihm durch den Kopf. Das Ungeheuer war schon über ihm. Drei tennisschlägergroße Saugnäpfe berührten ihn an drei Stellen seines Rücken. Flüssigkeit, die brennend heiß war, drang durch seine Kleidung und drohte ihm die Haut zu verbrennen. Über sich sah er nur einen großen, beinahe konturlosen Schatten, der immer noch diese ekelhaften kurzen Schreie ausstieß, und dieser Schatten hob ihn hoch, als ob er ein Leichtgewicht sei, und flog dann mit unheimlich hoher Geschwindigkeit durch den Raum, dicht an der geborstenen schwarzen Platte vorbei, auf die dahinterliegende Uni-tallwand zu. Dhark konnte den Kopf nicht drehen. Sein Blick war auf den staubfreien Boden gerichtet. Die drei Saugnäpfe auf seinem Rücken drohten ihm das Blut aus dem Körper zu holen, so stark war ihre Saugkraft. Er begriff, daß er in die Fänge eines flugähnlichen Ungeheuers geraten war, das vorher zwei Roboter vernichtet hatte – und er hatte immer noch keine Ahnung, wie dieses Ungeheuer aussah, das beim Riegen auch noch ein schrilles Zischen von sich gab. Die Wand kam näher – und dann flogen sie durch die Wand! 154
Und durch weitere Wände! Immer schneller wurde der Wechsel von hell und dunkel. Immer höher stieg die Fluggeschwindigkeit des kreischenden Ungeheuers, dessen Saugnäpfe den Commander nicht losließen. Dhark glaubte, sein letztes Stündlein hätte geschlagen. Gleich mußte eine Wand kommen, die sich nicht entstofflichte und sie hindurchließ. Plötzlich schien alles auseinanderzufliegen. Weite war um ihn herum! Weite nach allen Seiten! Und eine Helligkeit, die sich nicht mehr veränderte! Er riß die Augen weit auf. Sie überflogen eine dieser Brücken, die aus der Ferne wie zerbrechliche Konstruktionen ausgesehen hatten! Sie befanden sich über der Stadt mit ihren bizarren Spiral türmen. Sie befanden sich, genauer ausgedrückt, über einem der großen Parks mit den silbern schimmernden Seen und Flüssen. Dicht hinter seinem Rücken befand sich die Quelle des schrillen Zischens, das sich inzwischen der Ultraschallgrenze genähert hatte. Ren Dhark war klar, daß ihn ein Ungeheuer verschleppte, aber er konnte sich nicht erklären, warum dieses Ungeheuer erst zwei Roboter vernichtet hatte. Der scharfe Fahrtwind riß ihm den Atem vom Mund. Die hohe Geschwindigkeit holte ihm jedes Quentchen Wärme aus dem Körper. Die Kraft der drei Saugnäpfe schien in den letzten Sekunden noch stärker geworden zu sein. Plötzlich kippte Dharks Entführer ab. Im Sturzflug ging es nach unten. In eine Straßenschlucht hinein, deren Häuserblocks mehr als fünfhundert Meter hoch waren. Augenblicke später zerfetzten turmdicke, brüllende Strahlbahnen die Atmosphäre! Die gigantische Stadt entfesselte schlagartig ihre Abwehrkräfte! Ren Dhark hörte nur den ersten Feuerschlag. Im nächsten Augenblick schien er in einen grundlosen schwarzen Abgrund zu stürzen. Im übernächsten Moment lag er ruhig auf dem Boden. Er spürte keine Saugnäpfe mehr auf seinem Rücken. Um ihn war es ziemlich still, bis auf das schwere Atmen eines Wesens, das er nicht sehen konnte, obwohl der Raum, in dem er sich befand, von weichem blauem Licht erhellt war. Verblüfft richtete er sich auf. Mit beiden Handrücken fuhr er sich über den Rücken. Dabei sah er sich um. Seine Augen fielen auf die stilisierte Darstellung einer Spiral-Galaxis. Das Emblem! Er ignorierte es. Er versuchte das zu erkennen, was so laut und schnell atmete, versuchte das 155
Ungeheuer zu finden, das ihn entführt hatte. Entführt? Seine Gedanken rotierten. Was war das eben gewesen? Strahlbahnen von allen Seiten! Strahlbahnen, die versuchten, ihn und seinen Entführer zu vernichten. Und dann? War er nicht in einem zeitlosen Ablauf hoch über der Riesenstadt in diesen Raum versetzt worden? Was selten vorkam, geschah jetzt: Ren Dhark fluchte wie ein Sternentramp. Er konnte das Etwas nicht sehen, das sich neben ihm befand und so laut und schnell atmete! Er streckte die Hände aus – und riß sie erschreckt zurück, als sie auf elastischen Widerstand stießen. Reg’ dich nicht auf. Ich liege neben dir! Er preßte die Hände gegen den Kopf. Telepathische Verständigung! Sein Entführer war aber nicht nur Telepath, sondern auch noch unsichtbar! Ich bin nicht unsichtbar. Ich lebe nur in einem Bereich, den dein Sehvermögen nicht mehr erfassen kann. Wenn du Geduld hast und ich wieder Kräfte sammeln kann, werde ich mich dir bald zeigen können. Aber dann erschrick nicht vor meinem Aussehen, Freund. Freund! Wie herrlich dieses Wort in Ren Dharks Kopf klang. Eine unbekannte Intelligenz hatte ihn Freund genannt. Und er glaubte diesem klaren Gedankenimpuls. Behaupteten terranische Experten nicht, daß es innerhalb telepathischer Verständigung unmöglich wäre zu lügen? Ich kann lügen, aber warum sollte ich dich anlügen, Freund? Dhark wurde die Sache unheimlich. Er wagte vorsichtig in die Richtung zu sehen, aus der das Atmen kam. Er sah nichts! Er sah nichts, was seinen Blick aufhielt! Er sah die glatte graue Wand in dieser Richtung ebenso deutlich wie in allen anderen Richtungen. Und doch liege ich neben dir, Freund! Der Raum war leer. Nicht besonders groß. Rund dreißig Quadratmeter und dabei knapp vier Meter hoch. Er besaß ein Fenster. Nur gab es Fenster dieser Art auf Terra nicht. An einer Stelle war die Wand transparent. So durchsichtig, als ob das Viereck mit den durchbrochenen Ecken nur ein Loch sei. Es war keine leere Öffnung. Ren Dhark überzeugte sich. Seine Hand kam in Höhe der Wand nicht weiter, berührte unsichtbare Materie. Ren Dhark sah hinaus. Er blickte in die Tiefe. Für einen Augenblick schwindelte ihn, als er die bizarren Linien des Spiralturms erkannte, die sich nach unten schwangen. 156
Er hatte nicht damit gerechnet, sich in einem der Türme aufzuhalten, die der namenlosen Stadt ihre markante Skyline gaben. Aber, zum Teufel, wie bin ich in diesen Turm gekommen? fragte er sich, während sein Blick nach zischenden Strahlbahnen suchte. Es gab keine! Die Strahlgeschütze der Riesenstadt schwiegen wieder, nachdem sie ihr Ziel aus der Erfassung verloren hatten. An diesem Punkt stockte Dhark. Wieso haben uns die Strahlgeschütze nicht beim ersten Feuerschlag getroffen und vernichtet? Ich hatte eine kleine Feldverschiebung vorgenommen, mein Freund! hörte er die Antwort auf seine Frage, die er sich nur innerlich gestellt hatte. Abrupt drehte Ren Dhark sich um. Wer bist du? Woher kommst du? Habe ich richtig beobachtet, als ich dich aus der Bruchstelle der schwarzen Platte fliegen sah? Ich bin Mone. Wir alle heißen Mone. Wir haben nur diesen Namen. Du wunderst dich darüber? Aber du wirst nicht mehr staunen, wenn du erfährst, daß wir gleich sind. Jeder von uns ist wie der andere, wie ein bestimmtes Atom sich von anderen derselben Sorte nicht unterscheidet. Woher ich komme? Dies ist meine Welt, die wir Mone nennen. Wir leben zwischen ihr… Zwischen ihr? blitzte es durch Dharks Kopf. Er konnte sich darunter nichts vorstellen. Mone hatte sofort erfaßt, daß der andere ihm nicht folgen konnte. Freund, wir leben über dem Kernbereich! Nach eurem Maßstab ist die darüberliegende Kugelschale durchschnittlich 370 Kilometer entfernt. Die Oberfläche dieses Planeten ist unserem ING nicht zuträglich. Die hier herrschenden, stark veränderten Lebensbedingungen können wir nur für kurze Zeit durch hohe Energieabgaben kompensieren. Ren Dhark schüttelte sich unwillkürlich, als er sich vorzustellen versuchte, wo die Rasse seines unsichtbaren Retters lebte! Im Planeten! Über dem Kern dieses Planeten! Also Tausende von Kilometern tief in seinem Innern! Freund, wird dir nun langsam klar, daß wir Mone uns im organischen Aufbau stark von all denen unterscheiden müssen, die auf ihrer Welt leben? Dhark nickte. Er stellte sich den aberwitzigen Druck vor und die Hitze, die jede Materie vergasen mußte, wenn dem nicht der hohe Druck entgegengestanden hätten. Wir haben immer in Frieden gelebt, gleich welche Wesen die Oberfläche bewohnten. Erst die Atens brachen in unser Reich ein. Wir konnten sie so lange abwehren, bis sie Roboter zu uns herunterschickten, die sich im Schutz von Prallschirmen bewegten. Ich wurde dazu bestimmt, mich von ihnen gefangennehmen zu lassen. Ich erhielt den Auftrag, zu erforschen, warum sie uns nicht 157
in Ruhe lassen. In der schwarzen Platte glaubten die Atens mich an jeder Flucht hindern zu können, und sie glaubten, mir mit Hilfe ihres Extraktors alles Wissen entreißen zu können. Woher sollten sie auch ahnen, daß ein Mone über kein Wissen verfügt, sondern es nur in Verbindung mit allen anderen Monen besitzt? Was ich also nicht besitze, konnten sie mir durch den Extraktor auch nicht gewaltsam nehmen. Ich durfte es sie nicht merken lassen, denn ich hatte meinen Auftrag zu erfüllen, ihre Pläne zu erfahren. Es war schwierig, denn Girr-O hält sich nur selten auf dieser Welt auf. Er besuchte sie wieder, als man dein Schiff gewaltsam zur Landung zwang… Zuviel Unerwartetes war in den letzten Sekunden auf Dhark eingestürzt. Er glaubte, eine halbe Ewigkeit sei vergangen, seit der Mone ihm auf telepathischer Basis berichtete, während es in Wirklichkeit nur Momente gewesen waren. Bitte, Mone, sagte er in Gedanken, das Allerwichtigste zuerst. Warum hast du mich gerettet? Warum bist du das Risiko eingegangen, mit zwei Robotern zu kämpfen? Um dir im Extraktor dein Wissen entreißen zu können, hätte man dein Gehirn zerstören müssen, so daß du am Ende ein lebender Leichnam gewesen wärest. Und um dich retten zu können, mußte ich zuerst die beiden Roboter vernichten. Mißtrauen flammte in Commander Dhark auf. So viel uneigennützige Hilfsbereitschaft war ihm nicht geheuer. Er machte sich nichts daraus, daß der Mone jeden seiner Gedanken las. Was steckte hinter dieser Hilfsbereitschaft? Welchen Preis würde er dafür zahlen müssen? Ich habe dich gerettet, weil Girr-O wegen der Ankunft eures Schiffes auf diese Welt zurückkommen mußte. Durch ihn erfuhr ich die Pläne der Atens. Wir können uns in Zukunft darauf einstellen. Mone, wer sind die Atens? Und versteckt im Hintergrund seiner Gedanken dachte er gleichzeitig an die Mysterious und an die Grakos! Erneut empfing er die Antwort des Mones. Wir kennen weder die Rasse, die du Mysterious nennst, noch die Grakos. Wir kennen nur die Atens, weil sie in unseren Bereich einbrachen. Der Mone log! Und er war dazu auch noch dumm! Er hatte sich in einem wichtigen Punkt widersprochen! Er hatte behauptet, als einzelner Mone über kein Wissen zu verfügen, nur innerhalb der Gesamtheit seines Volkes Wissen zu besitzen. Und hier hatte er die ganze Zeit über eine präzise oder unwahre Erklärung nach der anderen gegeben! Der unsichtbare Mone schwieg. »Also doch!« stieß Ren Dhark aus; Ernüchterung schoß in ihm hoch. Ein wil158
der Verdacht wurde in ihm wach. Dieser Mone gehörte zu den Kreaturen, die den Schwarzen Weißen hörig waren! Ein Schrei entrang sich seinen Lippen. Der Mone hatte ihn angegriffen und zu Boden geschleudert! Ungeheuer! dachte Ren Dhark in verzweifelter Wut und versuchte, um sich zu schlagen. Aber er erhielt keine Gelegenheit mehr dazu. Ein Saugnapf, der beim Kontakt abermals heiße Flüssigkeit ausgespritzt hatte, warf ihn auf den Bauch, und bevor der Commander sich auf die neue Situation einstellen konnte, packten die drei Saugnäpfe erneut zu und rissen ihn hoch. Wieder glaubte er, in einen bodenlosen schwarzen Abgrund zu stürzen, um sich übergangslos unter hohen, fremdartigen Bäumen liegend wiederzufinden. Neben ihm atmete etwas schwer und schnell. Ein vielfüßiges Reptil mit dem Körper einer Schlange kroch dicht vor seinen Füßen vorbei, schob aus seinem Piranhamaul eine kolbenförmige Zunge und richtete das Auge an der Spitze des leicht gerundeten Kolbens auf Ren Dhark. Der zog instinktiv seine Beine an, warf sich blitzschnell zur Seite und hörte dicht neben seinem rechten Ohr das widerlich klingende Zischen einer Strahlbahn und das Krachen zerbrechender Knochen. In drei Teilen lag der zuckende Kadaver auf dem Boden. Braune Flüssigkeit floß aus den Resten des mehr als zwei Meter langen Reptils und versickerte im Boden. Angewidert drehte Dhark den Kopf zur Seite. Der Gestank trieb ihn hoch. Vorsicht! warnte ihn der Mone, und wieder mußte sich Dhark zur Seite werfen, um dem tellerartigen grünblauen Gewächs auszuweichen, das plötzlich aus seinem knollendicken Mittelpunkt sein Lasso nach ihm geschleudert hatte. Ein neuer Strahl, aus dem Nichts kommend, schnitt das Lasso dicht über der Pflanze ab. Es tut mir nicht leid, Freund, aber ich mag mörderische Gedanken nicht! Mit keinem Gedankenimpuls ging der unsichtbare Mone auf Ren Dharks Verdacht ein. Er meldete sich schon wieder. Freund, ich muß auf der Hut sein, denn Girr-O sucht den gesamten Planeten nach uns ab. Beinahe hätte er uns im Spiralturm entdeckt. Auch hier werden wir nicht lange bleiben können, denn die Atens sind grausame und unermüdliche Jäger. Schalte ich meine Verbindung zu den anderen Monen ab, dann bin ich dir keine Hilfe mehr. Halte ich die Verbindung jedoch aufrecht, werde ich von Girr-O geortet. Oh, Freund, ich habe soeben neues Wissen erhalten. Freund, flieh, so schnell du kannst. Aber vergiß die siebte Sonne nicht! Nur wenn du den äußeren Schein überwindest, wirst du ihr wahres Herz erkennen können! Vergiß das Herz der siebten Sonne nicht! Der Abgrund und die Dunkelheit kamen wieder. Und wieder wurde es hell um Ren Dhark. 159
Leutnant Kucks im Flash glaubte ein Gespenst zu sehen. Der Commander saß im Beiboot! »An Alle! An Alle!« brüllte Dhark. »Start durch Gedankensteuerung! Transitionsstart!« Sie hörten seine Stimme über Funk, konnten es aber nicht glauben. Aber die Gedankensteuerung belehrte sie, daß der Commander leibhaftig in seinem Flash saß. Alle Steuerschalter waren blockiert. Die hinter der Unitallverkleidung gelegenen Konverter wurden blitzschnell hochgefahren. Durchdringendes Pfeifen war in jedem Blitz zu hören. Mein Gott, dachte Ren Dhark, und der Schweiß stand ihm auf der Stirn, das geht über meine Kräfte! Das geht über meinen Verstand! Das durchdringende Pfeifen störte sich nicht an seinen Sorgen, die Gedankensteuerung auch nicht. Er sollte die siebte Sonne nicht vergessen! Das Herz der siebten Sonne? Rasend schnell wurde das Pfeifen lauter, das jede Transition ankündigte! Und doch glaubte der Commander, es so langsam wie jetzt noch nie erlebt zu haben. Warum starteten die Blitze nicht? Er riß die Augen auf. Sle kam nicht! Der Sternensog arbeitete nicht. Die Projektoren unter dem Flash emittierten keine Energie! Dhark warf den Kopf in den Nacken und schaute zur Projektion hoch. Sie zeigte den riesigen kreisrunden Platz mit den hohen Bauwerken und der gewaltigen, ultrablau leuchtenden Ringröhre! »Commander?!« Dhark wollte nicht angesprochen werden. Er war verzweifelt. Sie kamen von diesem Planeten nicht weg. Die Atens hielten sie fest. Die Atens, die sich der Technik der Mysterious bedienten! Alles riß auseinander! Ohne Sle! Ohne Sternensog. Plötzlich befanden sich die Flash nicht mehr auf dem kreisrunden Platz einer riesigen Stadt, sondern im freien Raum, und die Projektion zeigte ihnen die neun Sonnen der Sternenbrücke. Ren Dhark betrachtete diese in ein leuchtendes Energiefeld gehüllte Brücke, aber seine Gedanken verweilten bei Mone, der ihn Freund genannt hatte. In diesem Augenblick hoffte er, Mone eines Tages wieder zu treffen. Ihn oder alle Monen, die in der Tiefe ihres Planeten knapp über desssen Kern wohnten.
11. 160
Die DOG war aus der Transition gekommen und raste mit 0,82 Licht dem ColSystem entgegen. Chris Shanton und Manu Tschobe wurden unterrichtet, daß der Jäger Hope in l:20 Stunden Normzeit erreichen würde. »Aber wir haben immer noch keinen Funkkontakt mit dem Höhlensystem«, ergänzte der Kommandant. »Sollten wir endlich die Verbindung herstellen können, schalten wir sofort zu Ihnen durch.« Bei diesem Versprechen war es geblieben. Kein Anruf wurde beantwortet. Dann stand die DOG über Hope, raste über den ewig wildbewegten Ozean hinweg und flog Deluge an. Tschobe und Shanton waren in die Kommandozentrale gerufen worden. Deluge wurde von seinem kontinentalen Intervall abgeschirmt. »Schöne Aussichten!« stellte Shanton unzufrieden fest. »Wenn man das Intervall nicht ausschaltet, dürfen wir hier bis zum Jüngsten Tag Schleifen fliegen. Was können wir tun, Captain?« Der Kommandant, ein schlanker, dunkelhäutiger Mann indischer Abstammung, zuckte ratlos mit den Schultern. »Ich hatte gehofft, Sie hätten eine Idee.« Shanton lachte dröhnend auf. »Besten Dank für Ihren guten Glauben. Leider muß ich Sie enttäuschen. Die DOG ist nicht die POINT OF. Sie allein könnte das Intervall knacken. Nur ist die POINT OF nicht verfügbar. Na, was meinen Sie, Tschobe?« Er sah den Afrikaner herausfordernd an. »Nichts zu machen. Ich schlage vor, so nah wie möglich an das Intervall heranzufliegen, und dann mit maximaler Leistung über To-Funk zu rufen.« Captain Singh verzog sein Gesicht. Er hielt nicht viel von Tschobes Vorschlag. »Okay, können wir machen«, sagte er dennoch. Er gab der Funk-Z die erforderlichen Befehle. Dann begann das Warten. Die Geduld der Männer wurde auf keine harte Probe gestellt. »Captain, wir kommen auch auf diese kurze Distanz nicht durch. Das heißt, wir dringen wohl tief ins Intervall ein, aber dann stoßen die Funkwellen auf eine Sperre, von der sie reflektiert werden.« »Eine Sperre?« echote Chris Shanton. »Ich komm’ rüber und schau’ nur die Sache mal an.« Nach einigen Minuten war er zurück. Dicht gefolgt von Jimmy. »Wieder eine neue Überraschung ä la Deluge. Das Höhlensystem liegt unter einem absoluten Funkschutz, der alles abschirmt. Wir können wieder Kurs Terra nehmen. Hier kommen wir nie durch.« »Aber wir müssen!« polterte der Captain, der kein Verlangen hatte, von Marschall Bulton der Unfähigkeit bezichtigt zu werden. Manu Tschobe betrachtete die Bildschirme. Die DOG stand in 4000 Metern Höhe, nur einen Kilometer vom Intervallfeld 161
entfernt, über dem Ozean, dessen Wellenkämme mehr als dreißig Meter hoch waren. Der Sturm, der über das Meer raste und die Wassermassen aufpeitschte, konnte dem Kugelraumer nichts anhaben, der im Schutz seines Prallschirms flog. Manu Tschobe erinnerte sich, wie es damals gewesen war, als die automatisch arbeitenden Sicherungen im Höhlensystem das Intervall eingeschaltet hatten. Es hatte Deluge vor den Spitzenwerten der galaktischen Magnetfeldstörungen schützen sollen. Aber im Moment waren diese Werte noch längst nicht lebensbedrohend, wenngleich sie seit Stunden wieder anstiegen. Tschobe rief die Astrophysiker an. Er vergewisserte sich, daß die Werte des galaktischen Magnetfeldes tatsächlich noch deutlich unter den gefürchteten Höchstwerten lagen. Anschließend trat er zum Captain und zu Shanton. »Wir dürfen nicht auf Gegenkurs gehen. Dort unten«, er deutete in Richtung des Inselkontinents, »muß etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein. Vielleicht haben ein paar Narren mit einem der Mammutaggregate im Industriedom gespielt, und das Ding ist jetzt drauf und dran, auseinanderzufliegen. Nun ja…« Er bemerkte die ungläubigen Blicke sehr wohl, mit denen Captain Singh und Shanton ihn bedachten. »Es kann auch irgend etwas anderes sein. Was weiß ich? Ich bin kein Hellseher!« Unbewußt streichelte der Dicke seinen Robot-Hund, und Jimmy stieß ein vergnügtes Knurren aus, das sein Wohlbehagen anzeigte. »Schön, warten wir. Nur schade um die wertvolle Zeit. Aber das letzte Wort haben Sie, Captain.« Der dachte an Marschall Bulton. Er hatte kein Verlangen danach, wie ein Kadett zusammengestaucht zu werden. Das machte es ihm leicht, sich schnell zu entscheiden. »Wir warten. Vielleicht kommen wir doch irgendwann mit To-Funk durch und man schaltet dann für ein paar Sekunden das Intervall ab, damit wir einfliegen können.« »Ihre Worte in Gottes Ohr«, knurrte Shanton und stampfte zum Schott. »Wenn man mich sucht, ich bin in der Messe. Diese Panne ist nur auf den Magen geschlagen. Ich hab’ einen Cognac nötig!« »Hat er auch!« stieß Jimmy aus und drückte sich an seinen Herrn, als habe er bei ihm etwas gutzumachen. »Kann das Viech wieder sprechen?« fragte der Captain erstaunt und blickte zum Schott, das sich hinter dem Dicken und seinem Hund geschlossen hatte. »Ja!« erwiderte Tschobe automatisch. Seine Gedanken kreisten um das Intervall und den Funkschutzschirm, unter dem der Kontinent Deluge lag. Er wurde das ungute Gefühl nicht los, über einem Vulkan zu kreisen, der kurz vor dem Ausbruch stand. Er ahnte nicht, wie nah er mit seinem Verdacht der Wirklichkeit gekommen war. 162
Jos Aachten van Haag hatte den geschockten Bentheim in der Medo-Station abgeliefert. Scheinbar gaben sich die Ärzte mit seiner knappen Erklärung zufrieden. »Bentheim ist unglücklicherweise in einen vollen Schockerstrahl hineingelaufen!« Doch kaum hatte Jos die Medo-Station wieder verlassen, klang es schon ganz anders. »Dieser Bursche hat unseren Astrophysiker paralysiert!« knirschte der leitende Arzt. »Wie können wir diesem Schnüffler das Handwerk legen?« Herausfordernd blickte er seine Kollegen an, die Bentheim behandelt hatten und nun nichts anderes tun konnten, als abzuwarten, bis der Wissenschaftler wieder wach wurde. »Die Zentrale müßte das entscheidende Wort sprechen, aber die wollen nicht so recht. Sie haben Angst vor den weitreichenden Vollmachten dieses GSOManns.« Man mochte Jos Aachten van Haag nicht, weil er überall auftauchte, herumstand, beobachtete, um dann so unauffällig zu verschwinden, wie er gekommen war. Und man mochte ihn nicht, weil er die rätselhaften Sabotageakte immer noch nicht aufgeklärt hatte, die in den letzten Tagen in den Höhlen verübt worden waren. Jos hatte sich mittlerweile zum Waffendepot begeben. Killi, der Chef des Depots, saß hinter seinem Schreibtisch und dachte nicht daran, die Beine herunterzunehmen. Auch er mochte den GSO-Mann nicht. »Van Haag, sind Sie denn Waffenexperte, daß Sie sich zutrauen, einen Paraschocker auseinanderzunehmen?« fragte Killi von oben herab. Jos warf einen Blick auf sein Chrono. Vor zwei Stunden und acht Minuten war Spence Bentheim von einem der beiden entarteten Cyborgs geschockt worden. Die verstrichene Zeit reichte aus, um diese unsichtbaren Burschen wieder aktiv werden zu lassen. Die Zeit genügte auch, um sie zu Fuß vom Zentrum des Industriedoms bis nach hier gelangen zu lassen, wenn sie sich etwas beeilten. Aber wahrscheinlich waren sie unterwegs sowieso auf eine Schwebeplatte gesprungen und hatten sich auf diese Weise befördern lassen. »Van Haag, Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet«, drängte Killi, der plötzlich den vielbeschäftigten Mann zu spielen begann und in den Folien auf seinem Schreibtisch herumwühlte. Jos stand neben der Tür, den Rücken gegen die Wand gelehnt. Wenn die Tür aufging, verdeckte sie ihn zum Teil. Vier Schritt vor ihm saß Killi, der endlich die Beine vom Schreibtisch genommen hatte. Der Mann kam sich als Cheflagerist des Waffendepots sehr wichtig vor. Er glaubte Jos’ weitreichende Vollmachten ignorieren zu dürfen. Noch ließ der GSO-Agent ihn in diesem Glau163
ben. »Killi, ich verstehe ein wenig von Strahlwaffen«, erwiderte er wenig glaubwürdig. »Bitte, zeichnen Sie die Anweisung ab, damit man mir drei der schwersten und neuesten Modelle aushändigt.« Killi, ein kleiner Mann mit leichtem Bauchansatz, war ein schlechter Schauspieler. Während er eine Folie hin und her drehte und so tat, als würde er intensiv nachdenken, las Jos bereits die Ablehnung in seinem Gesicht. »Tut mir leid, van Haag, aber Ihren Vollmachten stehen meine Vorschriften gegenüber. Erst wenn die Zentrale Ihren Antrag genehmigt hat, darf ich Ihnen die Waffen aushändigen.« Er versuchte ein joviales Lächeln, doch der GSOMann hatte den Kopf leicht zur Seite gedrehte und sah in Richtung der Tür. Langsam wurde sie von der anderen Seite aufgestoßen. »So was…!« stieß Killi aus, erhob sich und hatte allem Anschein nach vor, die von selbst aufgesprungene Tür wieder zu schließen. Er kam nicht einmal bis zur Schreibtischecke. Jos Aachten van Haag erhielt auch keine Gelegenheit, den Mann zu warnen. Aus dem Türspalt zischte ein Schockerstrahl. Während Killi noch bewußtlos zu Boden sank, schoß Jos aus beiden Paraschockern in Richtung der Türöffnung, ohne seinen Standort zu verlassen. Er sah die Umrisse eines Mannes im Türspalt, und sah sie blitzschnell wieder verschwinden. Dann krachte die Tür ins Schloß, und Jos Aachten van Haag war mit dem paralysierten Killi allein in dessen Arbeitsraum. »Hm… sie sind hinter mir her«, knurrte Jos, und über seiner Nasenwurzel standen drei senkrechte Falten. Er warf dem bewußtlosen Killi einen abwägenden Blick zu, und gleichzeitig stellte er sich vor, wie die Ärzte in der MedoStation reagieren würden, wenn er ihnen diesen Mann zur Behandlung brachte. Es würde den Medizinern doch gar nichts anderes übrigbleiben, als anzunehmen, daß er sowohl Spence Bentheim wie auch diesen Killi geschockt hatte. Oder sollte er sich der Gefahr aussetzen, sich vollends unglaubwürdig zu machen, indem er ihnen von den beiden entarteten Cyborgs erzählte? Seine Position war nicht gut. Die Unsichtbaren hatten die Möglichkeit, ihn jederzeit auszuschalten. Er hatte ihnen nur sein Gespür und seine Erfahrung entgegenzusetzen. Würde das ausreichen, um Mildan und Dordig zur Strecke zu bringen? Jos setzte sich hinter Killis Schreibtisch, tastete die Verbindung zur MedoStation und sagte, als das Gesicht des leitenden Arztes auf der Bildscheibe des Stand-Viphos auftauchte: »Bitte, holen Sie Killi ab, den Chef des Waffendepots. Er ist in den vollen Strahl eines Para-Schockers geraten.« »Was? Schon wieder einer? Van Haag, wir werden diesen Fall sofort der Zentrale melden.« »Ich hatte nichts anderes erwartet«, sagte Jos und schaltete ab. 164
Hier hatte er nichts mehr zu tun. Seine Hände lagen um die Kolben seiner Schocker, als er das Waffendepot verließ und den Weg zur Funkzentrale einschlug. Er erreichte sie nicht. Dumpfes Grollen, wie es ein urplötzlich losbrechendes Gewitter ankündigt, raste durch die Höhle. Die Menschen, über sich mehr als dreitausend Meter festes Gestein, blickten erschreckt auf. Niemand konnte sich dieses anhaltende Grollen erklären, das immer lauter wurde, bis man kaum mehr das eigene Wort verstehen konnte. Ein kurzer, aber unbeschreiblich harter metallischer Schlag beendete den Spuk. Sekunden später kam über die Hauptwelle aller Viphos die alarmierende Nachricht: Das Portal zum Industriedom hat sich automatisch geschlossen! Kaum eine Minute später wurde bekanntgegeben: Die Wissenschaftlergruppen, die im Industriedom eingeschlossen sind, melden übereinstimmend, daß die Aktivität dreier Mammut-Aggregate schlagartig so hochgeschaltet wurde, daß jederzeit mit der Explosion dieser Maschinensätze zu rechnen ist. Gleichzeitig hat sich der Zugang zum Großtransmitter-Raum geschlossen! Damit tritt Alarmorder 3 in Kraft. Mit der Evakuierung des gesamten Höhlensystems wird sofort begonnen. Ende der Durchsage. Auch in der Funkzentrale machte man sich zur Evakuierung bereit. Es war Zufall, daß Sergeant Hegur noch einmal einen Check über alle Frequenzen laufen ließ. Im nächsten Augenblick hatte er die Gefahr vergessen, in der sie alle schweben sollten. Ein Schiff der Hunter-Klasse rief über To-Funk. Der Raumer stand dicht über dem Intervall und verlangte, es abzuschalten, um auf Deluge landen zu können. Mit einem Handgriff stellte Hegur die Verbindung zur Zentrale her. Die Männer, die hier Dienst machten, dachten noch nicht daran, ihren Arbeitsbereich zu verlassen. Laut Alarmorder 3 durften sie erst als letzte an ihre Evakuierung denken. »Können Sie die DOG anrufen, Sergeant?« wurde Hegur von einem Colonel unterbrochen. »Rufen Sie durch. Wir haben jetzt…« -kurze Pause, ein Blick auf irgendeine Uhr in der Zentrale – »wir haben jetzt 16:42 Uhr Normzeit. Um 16:45 Uhr schalten wir das Intervall für eine Minute ab, aber nur dann, Sergeant, wenn Sie sofort Funkkontakt mit der DOG bekommen. Ich bleibe am Vipho. Los, Mann, rufen Sie das Schiff an.« Sergeant Hegur dachte an keine Beförderung, als er wie ein alter Routinier das To-Funkgerät mit der geringsten Sendeleistung hochschaltete und mit fester Stimme sagte: »Höhlensystem ruft DOG! DOG, bitte kommen…« Die Funk-Z der dog meldete sich. Der Colonel in der Zentrale hörte mit. Vor einem Stand-Vipho hockte ein Oberleutnant und sprach mit einem Wissenschaftler in der Maschinenhöhle. 165
»Zeitvergleich, Lisua! Wir haben jetzt 16:43,32 Uhr Normzeit… jetzt 43,35! Um 16:45,00 Uhr schalten Sie das Intervall für eine Minute ab. Die Zeit muß ausreichen, um die DOG in den Bereich des Intervallfelds gelangen zu lassen. Bitte Zeitabgleich – und wiederholen Sie den Befehl!« Der Wissenschaftler namens Lisua, in dessen Adern das Blut von Chinesen und Schwarzen floß, tat wie ihm geheißen. »Ich bleibe in Verbindung und…« Aus! Plötzlich war Lisuas faltiges Gesicht von der Sichtscheibe des Stand-Viphos verschwunden! Der Wissenschaftler meldete sich auf keine Anrufe mehr. Der Colonel wurde informiert. »Vor der Intervallsteuerung muß etwas passiert sein, Colonel. Lisua meldet sich nicht mehr. Mitten im Satz…« Mittels eines Spezial-Viphos drängte sich eine laute Stimme ins Gespräch: »Jos Aachten van Haag hier. Ich habe mitgehört. Ich kümmere mich um den Fall. Abschaltzeitpunkt bekannt. Ich bleibe in Verbindung. Bin schon auf dem Weg!« Jos Aachten van Haag, der im Verdacht stand, Spence Bentheim geschockt zu haben? Außergewöhnliche Situationen haben immer außergewöhnliche Entscheidungen verlangt. Während der Colonel noch mithörte, wie Sergeant Hegur mit dem Funkoffizier der dog sprach, rief er seinem Oberleutnant zu: »Lassen Sie Jos handeln. Er sitzt im selben Boot wie wir!« Das Spezial-Vipho des GSO-Mannes übertrug dessen schnelle Schritte, sein hastiges Atmen und hin und wieder unverständliches Knurren. Dann meldete er sich. Seine Angaben waren knapp, aber plastisch.
Jos lief, was seine Lungen hergaben. Sein Ziel war jenes Aggregat, das vor knapp zwei Jahren eher zufällig entdeckt worden war. Die Wissenschaftler waren sich einig wie selten, daß es sich hierbei nur um eine Art Notsteuerung des Intervalls handelte, aber es erfüllte seinen Zweck. Das allein zählte. Als Jos um die Ecke bog, sah er einen Mann verkrümmt auf dem Boden liegen. Lisua! »Hallo, ich sehe ihn. Lisua ist bewußtlos. Allem Anschein nach geschockt. Passen Sie auf, wenn ich mich nicht mehr melde. Ich spreche von jetzt an ununterbrochen. Hören Sie mich nicht mehr, dann haben die Verdrehten mich auch erwischt. Bin noch zwanzig Meter entfernt. Habe noch vierzig Sekunden Zeit bis Plan. Wo mögen die Burschen sich versteckt haben? Dabei kann ich nicht langsamer werden. Verdammt, wie die Zeit dahinrast. Lisua hat’s schwer erwischt. Wieder die volle Ladung. Stehe jetzt vor der…« Nichts mehr! 166
Dem Oberleutnant hinter dem Stand-Vipho brach der kalte Schweiß aus. Der Colonel brauchte nicht unterrichtet zu werden. Er hatte mitgehört. Plötzlich war doch etwas zu hören! Zischende Strahlbahnen. Und dann – großer Himmel! Diese Flüche waren selbst dem Co-lonel neu! Entsetzliche Flüche eines vor Wut rasenden Mannes. Und dieser Mann war Jos Aachten van Haag. Was, um alles in der Welt, verfluchte er nur in Grund und Boden? Und er hatte nur noch acht Sekunden Zeit, um das Intervall um Deluge abzuschalten! Dachte dieser GSO-Mann nicht mehr an seine Aufgabe? Jos dachte daran! Obwohl er immer noch fluchte! Die beiden Verdrehten waren ihm abermals entkommen. Davongezogen im vollen Bereich seiner Schockerstrahlen! Von zwei Seiten her hatten sie ihn unter ihr Feuer genommen. Sie hatten ihn genau wie Lisua ausschalten wollen. Auch er sollte nicht in der Lage sein, das Intervall um Deluge abzuschalten. Dabei waren sie über eine winzige Kleinigkeit gestolpert. Jos Aachten van Haag war kein x-beliebiger GSO-Mann. Jos Aachten van Haag war der Mann in der GSO, der über ein undefinierbares Gespür für gefährliche Situationen verfügte, und als er vor der Steuerung des Intervallfelds stand, war er plötzlich drei Schritte zur Seite gesprungen. Völlig unmotiviert. Hatte sich dabei um hundert-achtzig Grad gedreht und sich schon in der Drehung die Strahlbahnen aus zwei Paraschockern ansehen dürfen. Ihre Ausgangspunkte erkannte er. Darauf hielt er seine Waffen. Die Abstrahlpole emittierten mit höchster Leistung. Und seine Strahlbahnen schlugen ins unsichtbare Ziel ein. Zwei entartete Cyborgs wurden als Schatten sichtbar. Und diese Schatten konnten Schockerstrahlen nicht gut vertragen. Sie stellten ihr Feuer ein. Sie jagten davon, wie sie Jos Aachten van Haag schon mehrfach hatte davonlaufen sehen. »Ich krieg’ sie nicht, ich krieg’ diese Höllenbande einfach nicht! Warum habe ich Idiot mich so lange mit Killi beschäftigt? Warum war ich nur so ein…« Es war 16:45,00 Uhr Normzeit! »Abgeschaltet! Intervall abgeschaltet! Die DOG kann Deluge anfliegen! Auftrag vollzogen. Halte weiterhin Stellung. Hallo, Medo-Station, holt Lisua ab. Der Mann hat euch nötig. Ende!« Jos Aachten van Haag schaltete sein Spezial-Vipho aus. Im gleichen Moment wurde er etwas ruhiger. Eine Zigarette tat ihm gut. Er inhalierte tief, lehnte sich gegen die fugendichte Verkleidung des Maschinensatzes, dachte kurz an die 167
anfliegende DOG, dann aber an die Experten, die im Industriedom eingeschlossen waren, weil eine automatisch arbeitende Katastrophensicherung das gewaltige Portal zwischen Dom und Maschinenhöhle geschlossen hatte. Der einzige Ausweg, der den Experten im Industriedom noch offengeblieben war, bestand in dem kleinen Transmitter, dessen Gegenstation sich auf Kontinent Vier befand. Hoffentlich waren die Wissenschafter nicht so kopflos geworden, diesen Ausweg zu vergessen. Mit einem Blick kontrollierte er sein Chrono. 16:46,02 Uhr Normzeit! Er mußte das Intervall wieder einschalten. Jos überstürzte nichts. Er vertraute in diesem Augenblick der Technik der Mysterious, die auch beim Bau des Industriedoms bestimmt mit einkalkuliert hatten, daß mal einige Mammut-Aggregate in die Luft fliegen könnten. Und wenn sie diese Möglichkeit wirklich berücksichtigt hatten, dann würde der Dom auch die Sabotageaktionen der beiden entarteten Cyborgs überstehen und… Der Boden unter seinen Füßen bäumte sich auf. Um ihn herum schwankten die großen Maschinensätze in ihren Bettungen. Bedrohliches Knirschen kam aus der Höhe, von der Decke her. Und dann senkte sich der Boden tiefer als normal. Und wieder knirschte es überall, und wieder sah es überall so aus, als würden die langgestreckten, verkleideten Aggregate wie betrunken hin und her schwanken. Aus der Tiefe drang ein unterirdisches Grollen herauf. Jos preßte seine Hände gegen die Ohren, um vom donnernden Getöse nicht taub zu werden. Was spielte sich in diesen Sekunden im Industriedom ab? Zerbarsten die Mammut-Aggregate, von denen viele bis zu neunhundert Meter hoch waren, eines nach dem anderen? Flogen sie der Reihe nach in die Luft? War es zu einer Entwicklung gekommen, die man nur noch mit einer atomaren Kettenreaktion vergleichen konnte? Erst jetzt dachte Jos Aachten van Haag an seine eigene Sicherheit. In Gedanken fluchte er schon wieder. Wer hätte es an seiner Stelle nicht getan? Er hatte keine Hoffnung mehr, noch einmal die beiden Col-Sonnen zu sehen. Und die DOG, die Terra geschickt hatte, kam zu spät!
Ren Dhark und seine Begleiter erlebten das gleiche, was die Männer in der POINT OF durch Doorns Umschaltung hatten erleben müssen, nur daß der Flash-Verband von der Gedankensteuerung zusammengehalten wurde. In jedem Flash heulten die beiden Konverter hinter der Unitallverkleidung in einer noch nie gehörten Tonlage auf. Dhark hatte den Eindruck, als würden titanische Energien darauf warten, endlich freigesetzt zu werden. 168
Der Sie arbeitete immer noch nicht. Sternensog war nicht einzuschalten. Die Ortungen lieferten Null werte. Alles schien brachzuliegen, und doch wußte Dhark, daß das nicht der Fall war. Nur hätte er sein Wissen nicht erklären können. Es war etwas, das tief in seinem Unterbewußtsein steckte, das er einmal in der Ringraumerhöhle gelernt hatte und das etwas mit Mentcaps zu tun hatte. Seine Fingerspitzen lagen auf den Steuerschaltern. Seine Finger zuckten. Sie wollten Befehlen gehorchen, die aus seinem Unterbewußtsein kamen. Welchen Befehlen? Dhark saß leicht verkrampft. Nervös kaute er an seiner Unterlippe. Über den Wekun-Fekt nach Rigg-K! So hatten seine Finger die Steuerschalter schalten wollen! Wekun-Fekt…? Rigg-K…? In seinem Kopf zerriß etwas. Wissen, das in seinem Unterbewußtsein gespeichert worden war, brach durch. Über den Wekun-Fekt nach Rigg-K schalten! Das war es! Und er verstand plötzlich, warum die beiden Konverter in seinem Flash so laut heulten! Sie warteten auf sein Kommando! Die Gedankensteuerung auch. Er sollte ihr den Beweis liefern, daß er wieder einmal etwas mehr begriffen hatte. Steuerschalter kippten in andere Positionen. Das Aussehen eines Teils der Instrumente auf dem Pult veränderte sich, als ob sie gegen andere ausgewechselt worden wären. Dhark waren diese neuen Instrumente vertraut. Mentcaps hatten ihm beschrieben – wie sie aussahen und welche Aufgaben sie hatten. Der Commander wunderte sich, wie gut sein Copilot, Leutnant Kucks, sich beherrschen konnte. Der junge Mann störte ihn mit keiner einzigen Frage. Stärker als das letztemal zuckten Dharks Finger. Ohne Furcht gab er dem inneren Drang nach. Schalten! Steuerschalter kippten in andere Positionen. Plötzlich riß das Universum auf! Das Nichts kam von allen Seiten in den Flash hinein -
Ren Dhark stemmte die Last von seiner Brust. Eine Last, die ihn kaum atmen ließ. Aber er konnte diese Last nicht sehen, weil er seine Augen nicht öffnen konnte. Er versuchte es ein zweites Mal, doch seine Augenlider waren schwer wie Blei. 169
Er stöhnte, und er drehte sich dabei leicht nach rechts. Sein Verstand arbeitete einwandfrei. Sein Verstand stellte die Frage, wieso er unter einer drückenden Last stöhnte – und sich dennoch so leicht bewegen konnte! Langsam kehrte sein Erinnerungsvermögen zurück. Er hatte in seinem Flash geschaltet. Er hatte vorher die Instrumente gegen andere ausgewechselt. Durch eine Schaltung. Und die beiden Konverter im Beiboot hatten sich anders verhalten, als er es gewohnt gewesen war. Dann war das Universum aufgerissen! Ist das alles wirklich passiert? fragte er sich. In diesem Augen-217 blick gelang es ihm, die Augen zu öffnen. Seine Lider waren nicht mehr bleischwer. Dhark sah sich um. Immer wieder. Es fiel ihm schwer, sich umzudrehen und rechts und links über die Schulter zurückzublicken. Und dann wieder geradeaus. Noch schwerer fiel es ihm, alles zu verstehen. Er befand sich in der Kommandozentrale der POINT OF! Er saß im Pilotensessel, und im Copilotensessel lag zusammengesunken Dan. Von Grappa hinter seinem Ortungspult war nur der linke Fuß zu sehen. Er ragte seitlich hinter der Anlage heraus. Grappa lag besinnungslos am Boden. Genau wie die beiden Offiziere am Checkmaster. Und die oben auf der Galerie. Niemand in der Kommandozentrale war bei Bewußtsein. Ren Dhark fühlte sich noch zu schwach, um sich zu erheben. Sein Blick fiel auf die Bildkugel. Sie zeigte ihm neun Sonnen, die deutlicher zu sehen waren als alle anderen Sterne. Er sah die Sternenbrücke zum zweitenmal. Und wieder wurde etwas in seiner Erinnerung wach. Hatte er die Sternenbrücke nicht schon einmal in genau der gleichen Position gesehen? Es gelang ihm, die Hände hochzunehmen und gegen die Schläfen zu pressen. Sein Kopf drohte zu platzen. Irgend etwas Unheimliches, irgend etwas, das jede Vorstellung sprengte, war mit ihnen geschehen. Mit den Männern der POINT OF, mit ihm und…? Auch mit den Männern, die mit ihm vom Planeten der Schwarzen Weißen geflohen waren? »Großer Himmel, wie komme ich in die Zentrale?« Niemand hörte sein Rüstern. Er war der einzige im Kommandostand des Flaggschiffes, der bei Bewußtsein war. 170
Der dumpfe Druck in seinem Kopf wich langsam. Mone! Hatte er das alles nur geträumt, wie damals, als er geglaubt hatte, auf der Heimatwelt der Mysterious zu sein? Gab es weder Mone noch die Schwarzen Weißen noch ihre Roboter mit den grell leuchtenden Augen? Er schaltete die Bord-Verständigung auf Rundruf. Jegliches Echo blieb aus. Niemand hörte ihn. Aber er hörte Dans Stöhnen, und er sah, wie schwer es seinem Freund fiel, die Bewußtlosigkeit abzuschütteln. Als Riker ihn verständnislos anblickte, waren Minuten vergangen. »Du…? Du hier? Und ich…« Das war vorläufig alles. Dhark sprach Riker nicht an, der sich unter großen Anstrengungen umblickte und dabei ununterbrochen den Kopf schüttelte. Konnte Dan auch nicht verstehen, daß er im Copilotensessel der POINT OF saß? »Ren, wann bin ich wieder aufs Schiff gekommen? Und was ist hier los?« Gleich einem Blitz schoß Ren Dhark eine Erinnerung durch den Kopf. Über den Wekun-Fekt nach Rigg-K umschalten! Wie unter einem Peitschenhieb zuckte er zusammen. Er konnte nicht glauben, was er da gerade gedacht hatte. »Das kann nicht wahr sein! Niemals!« »Was denn?« fragte Riker. Dhark gab ihm keine Antwort. Er erhob sich, wankte zum Checkmaster und stellte seine Frage. Die Antwort kam sofort. Riker ahnte vielleicht, daß sein Freund am Checkmaster stand, aber er sah es nicht, weil er einfach noch zu schwach war, sich umzudrehen. Darum nahm er auch nicht wahr, wie Dhark das Ergebnis las, erschauerte, und es sich dann ausdrucken ließ. Er schob es in seine Tasche. Langsam ging er zum Schrank, in dem sein M-Anzug aufbewahrt wurde. Sein M-Anzug war nicht da! Seine Taschen waren leer. Er besaß sein Spezial-Vipho nicht. Sein Chrono fehlte. Mone! schoß es ihm durch den Kopf. Er hatte also doch nicht geträumt? Und die Angaben, die ihm der Checkmaster geliefert hatte, waren die einzig sinnvolle Erklärung? Zeitverschiebung! Eingriff in den Ablauf der Zeit! Der Checkmaster hatte noch eine Ergänzung zu diesem Komplex nachgeliefert. 171
Der Eingriff in den Ablauf der Zeit kann nie über die Lebensspanne des einzelnen Individuums hinausgehen und ist nur in Richtung Vergangenheit möglich! Ren Dhark ging ein zweites Mal zum Checkmaster. Er rief die Koordinaten der POINT OF ab. Er stellte die Zusatzfrage, ob das Schiff sich schon einmal an diesem Punkt befunden hätte und wann das gewesen wäre. Die Antworten kamen sofort. Ren Dhark ließ sie ebenfalls ausdrucken. Als er wieder im Pilotensessel saß, gab er sie Riker. Wortlos! Und wortlos legte Dan Riker sie auf das langgestreckte Instrumentenpult. Schwer schüttelte er den Kopf. Dann blieb er reglos sitzen, starrte nur dumpf vor sich hin. Er hatte kaum Kraft, mit den Erkenntnissen fertig zu werden. Er erlebte einen bestimmten Abschnitt seines Lebens ein zweites Mal! Er und alle anderen in der POINT OF! Er mußte im Copilotensessel sitzen, weil er sich vor fast zwei Tagen an der gleichen Stelle aufgehalten hatte. Und diese zwei Tage lagen nicht mehr in der Vergangenheit, sondern sie waren wieder zur Gegenwart geworden, weil sie ein Stück in der Zeit zurückgegengen waren. »Zett-Vau«, sagte Ren Dhark. Das riß Riker aus seinem dumpfen Brüten. »Was ist das? Was heißt das schon wieder?« Es klang nicht aggressiv. Es klang beunruhigt. »Eine Abkürzung, Dan. Sie klingt weniger dramatisch als Zeitverschiebung. ZV, wie TF – für Terranische Flotte.« Riker interessierte das alles nicht. Er hatte den gesamten Vorgang immer noch nicht vollständig erfaßt. »Wir sind also gar nicht zwangsgelandet worden? Wir haben keine Begegnung mit den Schwarzen Weißen gehabt, Ren?« »Doch. Nichts, an das wir uns erinnern, haben wir geträumt. Jeder an Bord der POINT OF hat seine Erlebnisse gehabt. Und jeder erlebt nun zum zweitenmal die letzten beiden Tage. Wir alle stecken schon mittendrin.« »Und wir erleben alles noch einmal, Ren?« Deutlich zeigte Riker, wie unheimlich ihm das alles war. »Verändern wir damit nicht etwas, dessen Folgen wir jetzt noch gar nicht absehen können?« Daran hatte Dhark auch schon gedacht. Aber es gab einen Ausweg, der ein Zeitparadoxon vermeiden half: Sie durften den Planeten der Schwarzen Weißen kein zweites Mal anfliegen. Vergiß das Herz der siebten Sonne nicht! Das waren Mones letzte Gedanken gewesen, die ihn erreicht hatten, bevor er sich in seinem Flash wiedergefunden hatte. »Bitte, Ren, laß uns abdrehen! Wenn es stimmt, daß wir die letzten zwei Tage 172
noch einmal leben, dann haben wir jene unersetzbare Zeit wiedergewonnen um der Spur der Robot-Flotte weiter folgen zu können. Bitte, Ren, verzichte darauf, andere Systeme der Sternenbrücke zu erforschen. Großer Himmel, hast du denn nicht genug von unserer Begegnung mit den Schwarzen Weißen?« Dan Riker flehte den Freund regelrecht an. Er hoffte, daß Dhark den Befehl geben würde, weiter der Spur der verschwundenen Robot-Flotte zu folgen. Aber Riker hatte nicht die Erlebnisse hinter sich, an die der Commander sich erinnerte. Hatte ihm Girr-O nicht unmißverständlich angekündigt, daß sich die Schwarzen Weißen den lächerlichen Planeten, der sich Terra nannte, bald einmal näher ansehen würden? Dhark verschwieg in seinem kurz zusammengefaßten Bericht seine Begegnung mit Mone. Er erklärte auch nicht, wie er den Schwarzen Weißen hatte entkommen können. Und daß Riker deswegen keine Frage stellte, war normal. Denn auch er hatte keine Erinnerung, wie er wieder auf die POINT OF gekommen war. Endlich meldete sich ein Mann über die Bordverständigung. Miles Congollon hatte sein Bewußtsein zurückerlangt. Eine Stunde später war auch der letzter Mann wieder fit. Aber mit einem kleinen Teil der Besatzung war nichts anzufangen: In der Medo-Station suchten die Ärzte verzweifelt nach den geschockten Patienten Riker, Doraner und Wonzeff. Im Triebwerksraum fragte sich Arc Doorn ratlos, wieso er hier wach geworden war und nicht im Pilotensitz des Ringraumers. Die Männer, die in den Flash den Einsatz geflogen hatten, glaubten alle nur geträumt zu haben. Niemand von ihnen kam auf den Gedanken, daß sie die beiden letzten Tage gerade noch einmal erlebten. Und ihre Bewußtlosigkeit führten sie auf einen Angriff zurück, den die POINT OF gut überstanden, der sie aber geschockt hatte. Aber dann machte der Begriff Zeitverschiebung die Runde. Im Triebwerksraum beobachtete Miles Congollon erstaunt, wie der Sibirier zusammenzuckte und sich einen Vollidioten nannte. In der Kommandozentrale erhielt Dhark einen Anruf aus der Medo-Station. Die Ärzte verlangten ihn dringend zu sprechen. »Dhark, wir haben gerade die ersten Untersuchungen abgeschlossen. Kucks, Wonzeff und Doraner hatten sich freiwillig zur Verfügung gestellt. Leider sind wir noch nicht zu einem eindeutigen Resultat gekommen. Zu viele Imponderabilien verschleiern noch das Untersuchungsergebnis, aber es steht jetzt schon fest, daß uns allen diese Zeitverschiebung nicht besonders gut bekommen ist.« Maitskill redete trotz seines beschwörenden Tons um den heißen Brei herum. Offensichtlich fühlte er sich unsicher. »Nonsens!« brummte Dan Riker. »Ich fühle mich ausgezeichnet. Dieser Schock bei der Zeitverschiebung…« 173
Maitskill hatte verstanden, was er gar nicht hätte hören sollen. Erregt fiel er Riker ins Wort. »Wir haben nicht nur eine Zeitverschiebung erlebt, sondern in diesem Prozeß auch eine Ortsverschiebung durchmachen müssen! Sie zum Beispiel, und Wonzeff und Doraner befanden sich im geschockten Zustand in der Medo-Station, als die ZV stattfand. Ihre Existenz wurde aufgehoben, und sie remateriali-sierten genau an der Stelle, an der sie sich vor rund zwei Tagen zur gleichen Zeit aufgehalten hatten. Jeder Mann an Bord wurde einer doppelten Belastung unterworfen, wie die auffallende Veränderung der Echodiagramme beweist!« »Du lieber Himmel«, stieß Riker aus, während Dhark aufmerksam lauschte, »was ist denn bitte ein Echodiagramm, Maitskill?« »Das Echodiagramm ist ein Teil des Großen Gehirnstrommusters. Es hat sich bei Wonzeff, Doraner und Kucks gegenüber älteren Auf-222 nahmen stark verändert. Noch können wir diese Veränderungen nicht deuten, aber sie geben Anlaß zur Sorge.« Abermals hatte sich Maitskill ungenau ausgedrückt. Riker wollte ihn daraufhin ansprechen, doch Dhark kam ihm zuvor. Er nahm die Warnung des Mediziners ernst. »Maitskill, ich möchte noch einmal betonen, daß Sie vollkommen freie Hand für Ihre Untersuchungen haben. Bestimmen Sie, wer von der Besatzung in der Medo-Station anzutreten hat, und unterrichten Sie mich sofort, wenn Sie neue Resultate vorliegen haben. Danke, Maitskill.« Er lehnte sich zurück und begann, mit den Fingerspitzen gegen die Verkleidung des Instrumentenpults zu trommeln. Dan Riker deutete dieses Zeichen richtig. »Du machst dir Sorgen, Ren? Warum? Wegen der doppelten Belastung?« »Ja, wegen der Veränderungen im Echodiagramm. Maitskill ist niemand, der sich aus Sensationslust wichtig machen will.« »Hm…« Riker fuhr über sein Kinn. »Ich bin Laie auf dem Gebiet der Gehirnstrommuster, aber wenn du ebenso wie Maitskill Bedenken hast, dann könnte ich mir vorstellen, daß du es so schnell nicht wieder wagen würdest, die Zeitverschiebung zu benutzen.« Dhark stutzte. Sein Blick, der auf der Bildkugel ruhte, schien plötzlich in unendliche Weiten zu gehen. Kaum merklich schüttelte er den Kopf. Dann drehte er sich um, und Riker konnte erkennen, wie bestürzt Dhark war. »Dan, erst jetzt, durch deine Bemerkung, habe ich die Warnung der Mysterious verstanden. Durch deine Frage, ob ich es noch einmal wagen würde, die ZV zu benutzen.« Jetzt hatte Dhark nach Rikers Meinung in Rätseln gesprochen. Er wußte von keiner Warnung der Mysterious. 174
»Augenblick, Dan, ich benötige Hilfe.« Er rief Arc Doorn aus dem Triebwerksraum zu sich. Kurz darauf trat der Sibirier ein. »Are!« Es kam selten vor, daß der Commander einen anderen mit Vornamen anredete. Arc Doorn merkte auf. »Sie haben doch die Instrumente umgeschaltet und dann eine Schaltkombination durchgeführt, die Ihnen bis zum Moment des Schaltens unbekannt gewesen war. Stimmt das?« »Hm… Darüber zerbreche ich mir schon die ganze Zeit den Kopf, Dhark. Bei der Sache war irgend etwas nicht normal.« Er sprach langsam, schleppend, als würde er nach den richtigen Worten suchen. »Dhark, ich konnte auf einmal den Schaltplan hinter dieser Verkleidung sehen. Ich weiß natürlich nicht, ob Sie den Wekun-Fekt…« »…nach Rigg-K schalten, Doorn! Doch das weiß ich auch…« »Zum Donnerwetter, aber ich nicht!« polterte Riker dazwischen. »Ist einer von euch so freundlich, mich zu informieren?« »Kaum möglich, Dan«, antwortete der Commander. »Als Doorn und ich damals über die Mentcaps dieses Wissen bezogen, warst du am Satten Sterben erkrankt.« Diese Bemerkung weckte im Sibirier eine Erinnerung. »Daher wußte ich das. Aber…« Er stockte, wirkte plötzlich nachdenklich. »Aber etwas ist daran nicht normal. Dhark, sollten wir das vielleicht gar nicht erfahren? Haben wir Terraner etwas herausgefunden, das die Mysterious als ihr Geheimnis gewahrt wissen wollten, das nur wenigen aus ihrer Rasse übermittelt werden sollte?« Dhark trommelte nicht mehr mit den Fingerspitzen. Er schüttelte leicht den Kopf. »Ich sehe den Fall anders, Doorn. Als wir beide die Mentcaps schluckten, die uns über dieses Instrumentenpult informierten, bekamen wir auch unbemerkt das Wissen mitgeliefert, wie eine Zeitverschiebung durchzuführen ist. Im Gegensatz zu allem anderen Wissen mußten wir uns noch nicht einmal ausführlich mit ihm beschäftigen. Es wurde – wenigstens in meinem Fall – tief im Unterbewußtsein gelagert. So, als ob damit auch die Warnung verbunden gewesen wäre, die Zeitverschiebung nur in aussichtslosen Situationen anzuwenden.« »Dann fragt doch einmal den Checkmaster!« mischte sich Riker wieder ein. »Mach’ ich!« erwiderte Doorn. Nach kurzer Zeit kam er mit verbissenem Grinsen zurück. »Da!« sagte er und drückte Dhark die Folie in die Hand. Über die Zeitverschiebung werden keine weiteren Auskünfte gegeben! »Freundlich!« murrte Riker, der nach Dhark die Folie las. »Ja«, sagte der Sibirier, »ich glaube, Ihre Vermutung stimmt, Dhark. Mit der Art, wie dieses Wissen über die ZV in unserem Unterbewußtsein verankert wurde, sollten wir gleichzeitig gewarnt werden, sie so selten wie möglich zu benutzen. Doch wie sind Sie auf diese Erkenntnis gestoßen?« 175
Ren Dhark berichtete ihm über die Warnung der Mediziner. »Ich fühle mich aber erstklassig!« behauptete Doorn. »Ich auch. Ich glaube, wir alle im Schiff… Ich wäre froh, wenn Maitskill in diesem Fall schwarz gesehen hätte. Nun, wir müssen abwarten, was unsere Ärzte herausfinden. Auf eine Sache möchte ich aber noch ausdrücklich hinweisen, Doorn: Ohne Sondergenehmigung haben Sie bis auf Widerruf die. ZV nicht zu benutzen. Haben wir uns verstanden?« Arc Doorn brachte nicht einmal ein dürftiges »Ja!« über die Lippen. Er nickte einfach und verließ die Zentrale in Richtung Triebwerksraum. Ren Dhark schien den Fall abgeschlossen zu haben. Er drehte sich nach den Ortungen um. »Grappa, die Daten über die siebte Sonne der Sternenbrücke!« Dan Riker atmete tief durch. Sein Betteln und Bitten war umsonst gewesen. Ren Dhark dachte nicht daran, weiter die verschwundene Robot-Flotte zu verfolgen. Diese Sternenbrücke hatte Dhark verhext! Er traf die letzten Vorbereitungen, um in einer verhältnismäßig kurzen Transition die siebte Sonne anzufliegen. Ren Dhark glaubte es tun zu müssen. In seinen Ohren klang Mones Rat nach: Vergiß das Herz der siebten Sonne nicht!
12. Marschall Bulton hatte Besuch. Besuch, den er nicht gern sah. Besuch, der ihm äußerst lästig war, und den er doch nicht einfach an die frische Luft setzen konnte. Mit Professor Monty Bell und den Astrophysikern Ossorn und Craig konnte er nicht so umspringen, wie er es manchmal mit seinen Schiffskommandanten tat. Und diese drei Wissenschaftler hatten sich fest vorgenommen, sich nicht hinauswerfen zu lassen. Sie wollten Bulton unter Druck setzen. Sie wollten den Marschall zwingen, ihnen einen Kugelraumer für Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen. Einen FO-Raumer. Sie waren nicht mit leeren Händen in sein Arbeitszimmer gekommen. Sie hatten Unterlagen mitgebracht, die auch ein Laie verstehen konnte. Und Bulton verstand sie. Er hätte den Experten sowieso jedes Wort geglaubt. Seit Jahren wurden die Menschen auf Terra von den unerklärlichen Höchstwer176
ten des elektromagnetischen Feldes der Milchstraße bedroht, und diese Bedrohung war wieder einmal akut geworden. Bulton konnte sich nicht hinter der Ausflucht verschanzen, die TF habe zu wenig Schiffe. Nachdem den Terranern 3782 Ringraumer in die Hände gefallen waren, hatte dieses Argument kaum noch Gewicht. Auch wenn für diese Schiffe noch viel zu wenig ausgebildete Mannschaften zur Verfügung standen. Außerdem dachte der Marschall nicht daran, gegen den ausdrücklichen Befehl des Commanders zu handeln. »Was erreichen Sie damit, meine Herren, wenn Sie wissen, wodurch diese Störungen im galaktischen Magnetfeld ausgelöst werden? Wollen Sie mir vielleicht erzählen, Sie könnten dann die Hand dazwischenhalten und die Störungen von der Erde fernhalten?« Bell sprang auf. Ihn ärgerte Bultons saloppe Ausdrucksweise. Er war nicht gewohnt, daß man in dieser Form mit ihm diskutierte. Bulton, ansonsten für sein cholerisches Temperament berühmtberüchtigt, lenkte ein. »Nehmen Sie wieder Platz, Bell. Es hat keinen Sinn, daß wir uns gegenseitig das Leben schwermachen. Tragen Sie Ihr Anliegen dem Commander vor.« »Der ist wieder einmal weder auf Terra noch per Hyperfunk zu erreichen!« erwiderte Bell, der seit vielen Jahren eng mit Ren Dhark befreundet war, bissig. »Das müssen Sie ihm schon selbst vorhalten«, riet ihm der Marschall. »Ich habe kein Recht, unserem Commander Vorschriften zu machen. Vielleicht sollten Sie mit Henner Trawisheim reden. Möglich, daß er über ihre Anfrage anders denkt.« »Sie wollen uns also kein Raumschiff zur Verfügung stellen?« warf Ossorn ein, der sich bislang im Hintergrund gehalten hatte. »Von Wollen kann nicht die Rede sein – ich darf es nicht. Und zum letztenmal, meine Herren: Ich wiederhole hier nicht die Argumente des Commanders, sondern ich vertrete meinen Standpunkt. Wir haben kein Schiff, das in der Lage ist, unsere Galaxis von einem Ende zum anderen zu durchqueren – und danach auch noch Terra wieder zu erreichen!« »Sie lügen, Marschall!« Das hatte ihm noch niemand gesagt. Bulton lief krebsrot an. Mühsam beherrschte er sich. »Ich hoffe, Bell, Ihnen sind diese Worte nur so herausgerutscht. Doch ich verlange, daß Sie Ihre Behauptung auf der Stelle zurücknehmen.« »Ich denke nicht daran!« erwiderte der Professor trotzig. »Die TF verfügt über rund viertausend Ringraumer. Ringraumer sind in der Lage, zehnmal quer durch die ganze Milchstraße zu fliegen!« »Stimmt, aber das wissen wir nur von der POINT OF, meine Herren.« Bulton 177
hatte sich wieder völlig in der Gewalt. »Wir wissen nicht, wie groß die Reichweite der erbeuteten Ringraumer ist. Es steht Ihnen frei, unsere Ingenieure zu befragen. Und aus diesem Grund bestehe ich darauf, daß Sie sich jetzt entschuldigen, Bell!« »Verschaffen Sie mir eine Vipho-Verbindung zu einer der Werften, Bulton!« Einen Augenblick zögerte der Marschall, dann, mit einem Achselzucken, beugte er sich zu seinem Stand-Vipho vor. »Die Lacis-Werft, bitte!« Er wechselte ein paar erklärende Sätze mit dem Werftchef. »Bitte, Bell, Sie müssen sich schon hinter meinen Schreibtisch bemühen, wenn Sie Ihre Auskünfte erhalten wollen.« Wortlos trat Monty Bell neben ihn. Das Gesicht auf der Bildscheibe des Vipho kam ihm bekannt vor. Sein Gegenüber hatte gerade gehört, wer er war. »Professor, Sie wünschen?« Bell wollte alles erfahren, was Reichweite und Leistung der erbeuteten Ringraumer betraf. Er erhielt die Informationen. Sie deckten sich haargenau mit Bul-tons Angaben. »Danke«, sagte Bell und schaltete ab, wandte sich dann dem Marschall zu. »Sie sind leider kein Lügner.« Bulton begnügte sich mit dieser Erklärung. Er hatte Verständnis für Beils Reaktion, aber er konnte ihm beim besten Willen nicht helfen. Er durfte es nicht, wenn er nicht leichtsinnig das Leben einer kompletten Besatzung aufs Spiel setzen wollte. Schon auf dem Weg zur Tür blieb Craig kurz stehen. »Marschall, Sie haben heute Terra einen schlechten Dienst erwiesen. Hoffentlich machen Sie mit Ihrer Entscheidung nicht Geschichte!« Bulton schwieg. »Ich kann Ihnen nicht danken, daß Sie uns empfangen haben, Marschall«, sagte Monty Bell zum Abschied. Endlich war der stellvertretende Chef der TF wieder allein in seinem Arbeitszimmer. Auf seinem Schreibtisch lagen die Folien, die ihm unmißverständlich sagten, in welcher Gefahr die Erde wieder einmal schwebte. Und während er die Folien zur Seite schob, dachte Bulton an seine Frau, an seine drei Kinder, und daran, daß er in einem Monat Großvater werden würde. Drohte nicht auch seinem Enkel Gefahr, als Mutant geboren zu werden? Marschall Bultons Sorgen unterschieden sich jetzt in keinem Punkt von den Sorgen des einfachen Mannes auf der Straße.
228 Die DOG, war auf Deluge gelandet. 178
Wieder einmal machte der kleine Kontinent seinem Namen alle Ehre: Sintflutartiger Regen ergoß sich aus den dunklen, sturmgepeitschten Wolken, die das gewaltige Gebirge bis zu seinen Ausläufern hinunter verdeckten. »Sauwetter!« fluchte Chris Shanton, der sich neben Manu Tschobe durch den Regen zum A-Grav-Schacht kämpfte. Jimmy raste wie ein normaler Hund, der lange nicht mehr hatte frei herumlaufen dürfen, quer durch die hohen Pfützen, und schien unbändige Freude daran zu haben, wenn das Wasser nach allen Seiten spritzte und ihn auch noch von unten her durchnäßte. Der Sturm packte die beiden Männer mit seiner ganzen Kraft, als sie aus dem Bereich der turmdicken Teleskopbeine der DOG kamen. Da verging auch dem Dicken jede Lust zu fluchen. Triefendnaß erreichten sie jenes kleine Gebäude, in dem sich der Eingang zu der schräg abwärts verlaufenden Doppelröhre befand. »Hallo!« stieß Manu Tschobe aus, als er Gestalten aus den Regenschleiern heraustreten sah. Was ist denn hier passiert? schoß es ihm durch den Kopf, und er trat auf den nächsten Mann zu. »Evakuierung!« brüllte der Fremde ihm ins Ohr. »Das Portal zum Industriedom hat sich automatisch geschlossen. Mehrere Mammut-Aggregate sollen kurz vor der Explosion stehen!« Chris Shanton packte den Afrikaner an der Schulter. »Wollen Sie in diesem Mistwetter eine Konferenz abhalten, Tschobe? Los, kommen Sie!« Gegen Shantons Kraft war jeder Widerstand sinnlos. Der Diplomingenieur schien sich keine Gedanken zu machen, wieso aus der anderen A-Grav-Röhre Menschenmassen herausquollen und ohne Rücksicht auf das Unwetter in den Regen hinaus und auf die anderen Gebäude zuliefen, die seit einigen Monaten den Rand des Plateaus säumten. Erst als sie und Jimmy von der Sphäre in Richtung der Ringraumerhöhle getragen wurden, fragte Shanton, was denn hier los sei. »So…? Im Industriedom fliegen die großen Wolkenkratzeraggregate auseinander? Aha!« Er konnte keinen weiteren Kommentar mehr abgeben. Ihr Spezial-Vipho war auf Empfang gegangen. Auf der kleinen Bildscheibe war Jos Aachten van Haag zu sehen. »Sie kommen zu spät. Hier ist der Teufel los – und Ihre Cyborgs haben das auf dem Gewissen, Tschobe!« »Was?« stieß Chris Shanton fassungslos aus. »Der glaubt auch an Ihren Unsinn, Tschobe?« Der Afrikaner ignorierte den Dicken. »Jos, wo können wir Sie finden?« fragte er den Agenten. »Zwischen Ringraumer- und Maschinenhöhle. Ich warte dort auf Sie, wenn bis dahin nicht alles in die Luft geflogen ist. Aber beeilen Sie sich. Vielleicht müs179
sen wir schleunigst versuchen, ins Freie zu kommen. Ende!« Das sah nicht gut aus; Jos’ Stimme hatte nicht gerade Ruhe ausgestrahlt. Der GSO-Mann hatte hastig und erregt gesprochen – etwas, das man von ihm sonst nicht gewohnt war. Sie erreichten das Ende der A-Grav-Röhre, stießen auf eine Menschentraube, die darauf wartete, ins Freie zu gelangen. Niemand stellte ihnen eine Frage. Niemand hielt sie auf. Jeder hoffte, noch vor der Explosion nach draußen zu kommen. Shanton und Tschobe rannten quer durch die Ringraumerhöhle, in der vor Jahren Ren Dhark und seine Freunde die fast fertiggestellte POINT OF entdeckt hatten. An der verabredeten Stelle trafen sie auf den GSO-Mann. Jos hatte sich in der Zwischenzeit wieder beruhigt. Er rauchte, aber seine Blicke irrten suchend durch die Höhle. »Sie kommen ohne Cyborgs?« fragte er enttäuscht. »Ja, und?« wollte Tschobe wissen. Jos biß sich auf die Lippen. »Jetzt habe ich kaum noch Hoffnung. Aber kommen Sie, es ist nicht mehr gesund, sich zu lange in diesem Raum aufzuhalten, denn Ihre lieben Verdrehten, Tschobe, schießen eifrig aus ihren ParaSchockern.« »Soll das ein Witz sein?« orgelte Shanton und baute sich angriffslustig vor Jos auf. »Leider ist es die nackte Wahrheit, aber nun kommen Sie doch. Los, ins Maschinendepot. Hoffentlich halten sich Mildan und Dordig nicht dort auf.« Schnaufend folgte Shanton den beiden Männern und seinem Hund, der sich längst das Wasser aus dem schwarzen Fell geschüttelt hatte. Der dicke Bauch, den der Diplomingenieur vor sich her trug, wippte bei jedem Schritt auf und ab. »Uff!« stieß er aus, als er sich schwer atmend auf einer Kiste niederließ und kopfschüttelnd beobachtete, wie Jos die Tür sicherte. »Wenn Sie nicht übergeschnappt sind, Jos, muß ich wohl an Ihre Gespenster glauben.« »Hoffentlich beweisen die Ihnen nicht zu schnell, wie real sie sind!« knurrte ihn Jos an. Im gleichen Moment schwankte der Boden. Die Metallplastikwände des Maschinendepots knirschten. An einer Stelle trennte sich die Decke von einer Stützfläche, und ein fingerbreiter Riß entstand. Jos bemerkte die fragenden Blicke seiner Besucher. »Das kommt aus dem Industriedom! So geht es schon seit einer guten Stunde. Die Intervalle werden immer kürzer, die Beben dafür stärker!« Manu Tschobe betrachtete die Wasserlache zu seinen Füßen und sah sie doch nicht. 180
»Wer hat das kontinentale Intervallfeld eingeschaltet? Wer diesen Schirm, der keinen Hyperfunkspruch durchkommen läßt und…?« »Was?« fuhr Jos auf.« Sie konnten nicht…?« »Nein, wir konnten nicht. Wir wären schon Stunden früher hier eingetroffen. Aber was machen Sie denn für ein Gesicht, Jos?« Wieder kaute der GSO-Mann an seiner Unterlippe. »Ich hätte besser aufpassen müssen. Noch besser. Großer Himmel, das hat keiner von uns geahnt! Darum konnten wir auf einmal keine Verbindung mehr mit Terra bekommen. Wollen Sie wissen, auf welches Konto diese Schweinerei geht, Tschobe? Auf das Konto der beiden Entarteten, die…« Erneut bebte der Boden, stärker als beim letztenmal. Unwillkürlich blickten alle drei Männer zur Decke hinauf und sahen, wie sie sich deutlich nach rechts verschob. »Raus hier, oder wir werden gleich unter diesem einstürzenden Kartenhaus begraben!« verlangte Chris Shanton. Sie kamen nicht hinaus. Die Tür hatte sich verzogen und ließ sich nicht öffnen. Shanton brannte mit seinem Blaster ein Loch hinein, durch das sie aussteigen konnten. Zwischendurch schwankte der Boden erneut. Tschobe blieb wie angewurzelt stehen. Er schüttelte den Kopf und sah dabei in die Maschinenstraße hinein. Das unterirdische Grollen war verklungen, die Schritte der aus dem Höhlensystem flüchtenden Menschen waren verhallt. Auch die Zentrale war geräumt worden. Sie waren die einzigen in dieser gigantischen Anlage – sie und die Wissenschaftler, die sich wahrscheinlich noch im Industriedorn aufhielten. Jos und Shanton wurden auf Manu Tschobe aufmerksam. Niemand bemerkte, daß Jimmy verschwunden war. Der Robot-Hund war um eine Ecke gebogen und raste eine andere Maschinenstraße entlang. »Tschobe, wollen Sie hier Wurzeln schlagen?« knurrte ihn der Dicke an. Tschobe erwachte aus seinen Grübeleien. »Hier stimmt was nicht, Jos! Die Beben sind nicht echt! Alle drei Höhlen sind mit Unitall verkleidet, und mir kann keiner erzählen, daß Unitall wie ein elastisches Material schwingen kann!« Um ihm zu beweisen, daß er Unsinn geredet hatte, schwankte der Boden stärker denn je, und die schweren Maschinensätze schrien in ihren Bettungen wie waidwund geschossenes Wild. Von der Decke herab kam Knirschen und Knacken und aus der Tiefe das Brüllen gequälter Gesteinsformationen. »Wenn das kein Erdbeben ist, und auch kein Beben, das durch Explosionen ausgelöst wurde – was, in Teufels Namen, ist es dann, Tschobe?« brüllte ihm Shanton ins Ohr. Der brüllte nicht weniger laut zurück: »Wir müssen in den Industriedom! Wir müssen…« Tschobe wirkte erschüttert. Er packte den Dicken. »Shanton, wir 181
haben uns durch dieses kontinentale Intervall verwirren lassen. Es hätte doch einen Weg in die Höhlen gegeben. Von Kontinent Vier aus über die kleine Transmitter-Anlage!« »Na und? Dürfen wir nicht auch einmal etwas übersehen?« fragte der Diplomingenieur keineswegs betroffen zurück. »Aber warum wollen Sie in den Industriedom? Glauben Sie, das Klima darin sei besonders zu empfehlen?« Ein unerwartetes Ereignis enthob Tschobe einer Antwort. Verblüffung und kindliches Erstaunen breiteten sich auf seinem Gesicht aus. Und endlich sahen jetzt auch die beiden anderen in die Richtung, in die er angestrengt starrte. Jimmy war davongezogen wie ein Scotchterrier, der froh war, endlich mal wieder rennen zu können. Nur lief er schneller als jeder normale Hund, und trotz seiner Geschwindigkeit, die sich immer mehr der Hundertkilometermarke näherte, raste er dicht an den verkleideten Maschinensätzen entlang. Seine Ortungen arbeiteten mit maximaler Leistung – Ortungen, die nur er besaß. Shanton hatte sie ihm erst einen Tag vor ihrem Abflug eingebaut. Entfernung noch 730 Meter. Zwei bewegliche Strahlungsquellen mit unsauberen Frequenzen! Allein die Ortungsresultate bestimmten Jimmy s Handeln. Sein Suprasensor machte sich weder über bewegliche Strahlungsquellen noch über unsaubere Frequenzen Gedanken. Er speicherte die Daten und weitete sie zugleich aus. Jimmys Abstrahlpol auf der Zungenspitze wurde aktiviert. Als anständiger Hund hatte er bei diesem Lauftempo sein Maul aufzureißen und zu hecheln. Jimmy hechelte. Ein Luxus, den ihm Shanton mitgegeben hatte, damit er auch in dieser Hinsicht einem natürlichen Hund glich. Die beiden Strahlungsquellen bewegen sich in die Höhe! Distanz 265 Meter. Der kleine Suprasensor hatte die erste Auswertung abgespeichert und gleichzeitig ein halbes Hundert Sensoren zusätzlich eingeschaltet. Plötzlich waren achtzig Prozent des Innenlebens des >Briketts auf vier Beinen< aktiv. Abrupt ging Jimmy mit seinem Tempo herunter. Das lag nicht daran, daß der Boden besonders heftig bebte und das Brüllen aus der Tiefe lauter als vorher gewesen war, sondern weil er sein Ziel fast erreicht hatte. Bei der nächsten Kreuzung bog Jimmy ab. Der Robot-Hund nahm den Kopf hoch. Seine Ortungssysteme liefen auf Hochtouren. Achtzehn Meter hoch! Auf dem dritten Maschinensatz rechts. Zwei Strahlquellen, die sich langsam voneinander entfernen! In diesem Moment wurde ein Zusatzprogramm aktiv. Der Suprasensor hatte die unsauberen Frequenzen abgeglichen und ein paar charakteristische Muster erkannt. Fremdkörper besitzen Paraschocker, Kapazität 76 Prozent! Achtung! 182
Jimmy war auf alles vorbereitet. Daß er von dem, was sich auf der Wölbung des dritten Maschinensatzes bewegen sollte, über seine optischen Systeme nichts erkennen konnte, spielte keine Rolle. Er riß sein Maul etwas weiter auf, schob seine Zunge vor. Sie sah wie eine rauhe Hundezunge aus. Nur der daumennagelgroße Fleck an der Spitze gehörte nicht dazu. Der Abstrahlpol. Jimmy ließ sich auf seine Hinterläufe nieder, legte den Kopf etwas zur Seite und äugte in die Höhe. Die optischen Erfassungssysteme lieferten immer noch kein Bild, dennoch war dort eben etwas. Gefahr! wertete der Suprasensor die allerneuesten Daten aus. Jimmys als Reserve eingebauter Kleinstkonverter im Hinterlauf wurde blitzartig hochgefahren. Sein Hauptkonverter lief bereits auf Vollast. Der Abstrahlpol auf der Zungenspitze spie eine nadeldünne Energiebahn aus. Jimmy bewegte den Kopf nicht mehr. Sein Suprasensor registrierte und speicherte, daß oben auf der Verkleidung des Maschinensatzes ein Schatten sichtbar wurde, der die Umrisse eines Menschen besaß. Und dieser Mensch schien sich nicht besonders wohl zu fühlen, denn der Schatten tanzte wild hin und her, warf sich auf die Verkleidung, erhob sich wieder und versuchte sich dann schnell zur anderen Seite zu bewegen – dorthin, wo sich die zweite Energiequelle befinden mußte. Jimmys Zunge im geöffneten Maul bewegte sich. Er sah allerliebst aus – ein netter, harmloser, schwarzfelliger Scotchterrier mit schiefgelegtem Kopf. Jimmy verfolgte den Schatten mit seinem enggebündelten Energiestrahl. In seinem Innern entwickelte sich zunehmend Hitze, doch mehr als zwei Dutzend Thermostate sorgten dafür, daß er sich nicht selbst zerschmolz. Und dann stolperte der Schatten! Er verlor etwas, das im gleichen Moment Form annahm, als es sich nicht mehr im Schattenbereich befand. Ein schwerer Paraschocker fiel in die Tiefe. Jimmy kümmerte sich nicht darum. Weder sein Programm noch sein Suprasensor interessierten sich dafür. Was dort oben weglaufen wollte, war viel interessanter! Schlagartig wurden acht Thermostate aktiv. Die Hitze in Jimmy hatte den zulässigen Höchstwert erreicht. Er begann verdächtig nach Isolationsmaterial zu stinken. Der Reserve-Kleinstkonverter wurde abgeschaltet. Der Hauptkonverter deutlich heruntergefahren. Im nächsten Augenblick gab es oben auf dem Maschinensatz keinen Schatten mehr, der davonzulaufen versuchte. Ohne jede Regung zog Jimmy die Zunge zurück, schloß sein Maul, nahm den 183
Kopf wieder in die normale Lage und erhob sich. Ohne sich um das erneut einsetzende Beben zu kümmern, lief er auf den schweren Paraschocker zu. Er packte ihn mit der Schnauze, ließ seine Ortungen noch einmal arbeiten und gehorchte dann dem Impuls, zurückzukehren. Manu Tschobe nahm ihm die Waffe ab. Demonstrativ zeigte er sie Shanton und Jos. Der Dicke kratzte sich ratlos die Glatze, blickte Jimmy mißtrauisch an und schnauzte dann: »Wie kommst du dazu, auf eigene Faust loszuziehen? Und wieso stinkst du so entsetzlich?« Jos legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Lassen Sie Ihr Spielzeug zufrieden, Shanton. Sie haben hoffentlich begriffen, was er uns gebracht hat?« »Ach«, winkte Shanton ab, »hören Sie doch bloß auf mit diesen kindischen Fragen. Aber ich möchte wissen, wie der Köter zu einem derart eigenmächtigen Handeln gekommen ist. Das hab ich ihm nicht eingebaut.« »Lügner!« sagte Jimmy und entfernte sich als vorsichtiger Hund aus Shantons Reichweite. Der Dicke schüttelte irritiert den Kopf. »So ganz allmählich werde ich aus meiner eigenen Konstruktion nicht mehr schlau. Aber lassen wir Jimmy.« Fragend blickte er Tschobe an. »Beabsichtigen Sie immer noch, in den Industriedom vorzudringen?« »Natürlich.« »Warum tun wir’s dann nicht?« Zwei grundverschiedene Menschen, stellte Jos in Gedanken fest, aber zwei, die sich gegenseitig wunderbar ergänzen. Dann beeilte er sich, ihnen zu folgen. Sie sprachen nicht mehr. Sie gingen nicht mehr. Sie liefen, und Shanton mußte seinen hin und her pendelnden Bauch festhalten. Auf der anderen Seite der Maschinenstraße, die geradewegs zum geschlossenen Portal führte, hielt sich Jimmy auf gleicher Höhe mit ihnen. Niemand ahnte, daß er seine Ortungssysteme wieder hochgeschaltet hatte und ganz besonders aufmerksam die verkleideten Wölbungen der Aggregate kontrollierte. Er suchte nach Schatten, die so eigenartig tanzen konnten.
Die siebte Sonne war ein gelblich leuchtender Stern der Klasse F, der nicht nur im Aussehen, sondern auch in der Größe an Sol erinnerte. Allerdings wies sein Spektrum starke Wasserstofflinien auf. Er besaß sechzehn Planeten. Auffallend viel für diese relativ kleine Sonne. Jens Lionel, der Astronom der POINT OF, hatte schon seinen Kommentar dazu abgegeben. »Die Bahnen der fünf äußersten Planeten sind nicht stabil. Ein Umläufer stört den anderen. Zwei stören drei weitere, und alle stören sich gegenseitig. Unser Checkmaster schätzt die Lebensdauer dieser Planeten auf ca. 800.000 bis 900.000 Jahre. Dann dürften sie sich gegenseitig zerstört haben.« 184
Aus vier Lichtstunden Entfernung flog der Ringraumer das System an. Dhark hatte bewußt diese große Distanz gewählt, um seinen Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, in aller Ruhe ihre Untersuchungen anstellen zu können. Niemand hatte vergessen, wie sie auf den Planeten heruntergeholt worden waren, den die Schwarzen Weißen als Station benutzten. »Es würde mich interessieren, warum du ausgerechnet diese Sonne anfliegst und die sechste übersprungen hast?« fragte Riker seinen Freund. Er erhielt keine Antwort. Dhark wollte nicht über Mone sprechen. Er konnte nicht. In der astronomischen und der astrophysikalischen Abteilung ging es hektisch zu. Alle Phasen zum Checkmaster waren besetzt. Das Bordgehirn der POINT OF hatte wieder einmal seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Die erste Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. Der dritte, vierte und sechste Planet waren Sauerstoffwelten! Die Gravoswerte lagen zwischen 0,89 und 1,02 g. »Und was ist mit dem fünften Planeten?« fragte Lionel. Der fünfte Planet war ein Mondsammler! Er besaß nur achtunddreißig Trabanten! Lionel wurde ungeduldig. Er wartete auf Ergebnisse. »Meine Herren…« Man drückte ihm eine Folie in die Hand. Er glaubte an einen schlechten Scherz, aber die Gesichter seiner Kollegen verrieten ihm, daß sie diesen Angaben ebenfalls mißtrauten. So etwas konnte es doch nicht geben! Lionel stutzte, als er die Schwerkraftwerte des fünften Planeten las: 42,8 Gravos! Und sein Durchmesser? Kleiner als Terra. Rund ein Fünftel kleiner, aber mehr als vierzigmal schwerer als die Erde. Das konnte nicht stimmen! Und dazu auch noch achtunddreißig Trabanten. Keine besonders großen, aber größer als die größten Planetoiden im SolSystem. »Die Bahnen der Trabanten sind stabil. Sie sind ein Leckerbissen für Mathematiker«, behauptete einer der Astronomen euphorisch. Lionel hatte seine Entscheidung getroffen. »Ich nehme mich dieses Mondsammlers selbst an. Untersuchen Sie die Sauerstoffplaneten. Aber daß uns keine Panne unterläuft!« Als der Ringraumer die Bahn des äußersten Planeten kreuzte, war er noch knapp zwei Lichtstunden von seinem Ziel entfernt. Dhark hob die Fahrt auf. Näher wagte er im Augenblick nicht heranzugehen. Nach wie vor wartete er auf die Endauswertung seiner Astronomen und Astrophysiker. Eine Stunde später hatte sich noch nichts geändert. »Wollen unsere Sterngucker es diesmal besonders gut machen?« frotzelte Ri185
ker, der seine Ungeduld kaum noch zügeln konnte. Dhark übergab ihm das Kommando. »Ich schau mich mal selbst bei den Astronomen um.« Die Wissenschaftler blickten überrascht auf, als Ren Dhark ihre Abteilung betrat. Jens Lionel kam aufgeregt auf ihn zu. »Sehen Sie sich das einmal an, Commander! Bitte, kommen Sie her und sehen Sie es sich an!« Er zog ihn zu seinem Schreibtisch, auf dem ein Berg Folien lag. Lionel wischte alle bis auf zwei beiseite; die reichte er Dhark. Der runzelte die Stirn, als er einen Ausdruck betrachtete, der eine verrückte Planetenbahn wiedergab. »Was soll das, Lionel?« »Wir verstehen es auch nicht, Commander. Wir sind einfach nicht in der Lage, die Bahnen der Sauerstoffplaneten festzulegen.« Dhark sah seinen Chefastronomen lange und zweifelnd an. Dann studierte er den Ausdruck noch einmal. Tatsächlich, er zeigte nicht die Bahn eines Planeten, sondern die Bruchstücke von den Bahnen dreier Welten! Verärgert ließ Dhark die Folie sinken. »Sie wollen mir wohl nicht ernsthaft weismachen, Sie wären nicht in der Lage, die Bahndaten zu bestimmen?« Jens Lionel blickte betreten drein. »Aber genau so ist es, Commander«, sagte er leise. Er winkte einen jungen Kollegen heran. »Callose, zeigen Sie bitte Commander Dhark die Aufzeichnungen!« Ein schlaksiger junger Mann mit abstehenden Ohren erhob sich und trat an einen Monitor. Der Bildschirm wurde hell. Die Bahnen der drei Sauerstoffwelten waren zu sehen. Planeten, die von einer Bahn auf eine andere überwechseln sollten! Unmerklich Dhark hielt den Atem an. Er mußte wieder an Mone denken! Hatte ihn das unsichtbare Wesen auf dieses Phänomen aufmerksam machen wollen? Flüsternd begann Lionel zu sprechen. »Das sind die Bahnen analog unserer ersten Ortungsergebnisse. Unten am Rand ist der Standort der POINT OF eingetragen.« Lionel gab Callose ein Zeichen. Das Bild auf dem Monitor wechselte. »Und das sind die Bahnen analog der aktuellen Ortungsergebnisse. Wie Sie sehen, befindet sich der sechste Planet noch immer auf seiner Bahn, aber Nummer Drei und Vier haben die Plätze getauscht.« Er gab Callose noch einmal ein Zeichen, und das Bild auf dem Monitor wechselte erneut. »Diese Bahndaten fußen auf Ortungsergebnissen, die ungefähr eine Stunde alt sind. Hier befindet sich der sechste Planet auf der Bahn des vierten, der vierte…« Dhark warf den Kopf zurück. »Genug, Lionel, es reicht! Wer hat sich diesen Unsinn ausgedacht. Sie etwa?« Lionel lächelte verzerrt. »Sie haben natürlich recht, von Unsinn zu reden, aber das hilft uns auch nicht weiter. Bitte, darf ich Sie auffordern, sich das alles in Natura anzusehen? Das heißt, die Aufnahmen, die wir gemacht haben, seit wir 186
uns in diesem System befinden. Bitte, Commander, nehmen Sie Platz.« Sie hatten einen anderen Raum betreten, in dem es außer einem mehr als zwei Meter durchmessenden Bildschirm und ein paar Sesseln nur blanke Unitallwände zu sehen gab. Lionel schaltete ein. »Um die Sache etwas zu beschleunigen, werde ich auf einen hohen Zeitraffer-Faktor gehen«, erklärte er. Das Bild war gestochen scharf. Es zeigte die künstlich abgeblendete F-Sonne und die Planeten Nummer drei, vier, fünf – den Mondsammler – und sechs, die völlig normal auf ihren Bahnen durch die Schwärze des Alls trieben. »Aber das sieht doch alles völlig normal aus!« brauste Dhark auf, der keine Lust verspürte, Rätsel zu lösen. »Jetzt auch noch?« fragte Lionel, statt auf Dharks Aussage einzugehen und schaltete im gleichen Moment. »Was haben Sie gerade getan, Lionel?« »Umgeschaltet. Die erste Aufzeichnung war eine Simulation, erstellt auf der Basis der ersten Ortungsdaten. Genau so müßten die Planeten eigentlich zu sehen sein. Und was sehen Sie jetzt?« Dhark rieb sich die Augen, aber das half nichts: Die Sauerstoffwelten schienen in unregelmäßigen Abständen die Bahnen zu wechseln, tauchten immer wieder auf einer falschen Bahn auf. Vergiß das Herz, der siebten Sonne nicht! Wieder kam ihm Mones Hinweis in den Sinn, und erneut fragte er sich, was dieser Hinweis tatsächlich zu bedeuten hatte. »Haben Sie gerade beobachtet, wie A auf der Bahn von C auftauchte, Dhark?« Lionels Stimme klang noch nicht einmal triumphierend, eher gequält. Ren Dhark hatte es mit eigenen Augen gesehen, aber er wollte es einfach nicht glauben. Planeten, die ihre Bahn wechseln konnten, gab es nicht – selbst wenn Jens Lionel das hundertmal behauptete. Er drehte sich zu Lionel um, sah ihm scharf in die Augen. »Haben Sie eindeutige Beweise, daß es diese drei Sauerstoffwelten in diesem System wirklich gibt?« Bevor der überraschte Experte antworten konnte, hatte Dhark Tino Grappa in die astronomische Abteilung beordert. Der Ortungsspezialist mußte sich das Phänomen ansehen und sollte dann die Frage beantworten, ob diese Planeten wirklich real waren. Grappa war ehrlich. »Commander, ich wage jetzt weder ja noch nein zu sagen. Aber wenn diese Planeten nicht existieren, dann haben unsere Ortungen versagt.« »Haben Sie das nicht schon einmal getan, als Doorn die POINT OF in das große Gebäude einflog, das über der Riesenstadt hinter einem Deflektorschirm 187
lag?« »Fiktive… fiktive Planeten? Aber es muß so sein, denn es gibt keine Planeten, die ihre Bahn verlassen können, um auf einer anderen Planetenbahn weiterzuziehen. Doch…« Es fiel ihm schwer, das auszusprechen, was er annahm. »Doch wenn es fiktive Planeten sind, warum hat dann meine Energieortung nichts entdeckt? Commander, kann ich noch einmal zur Zentrale zurück und an der Ortung einige Versuche machen?« »Sie können, Grappa! Ich warte hier auf Sie!« Er war wieder mit Lionel allein. Hin und wieder betrachtete Dhark das Bild auf dem großen Monitor. Hin und wieder sah er einen der drei Planeten verschwinden und einen anderen auf einer Bahn auftauchen, die nicht seine Bahn war. Nach einiger Zeit brach Dhark das Schweigen. »Welche Auskunft hat Ihnen der Checkmaster gegeben?« »Auskunft?!« echote der Astronom. »Er hat die Auskunft verweigert. Nein, das ist nicht richtig. Er hat gesagt: Keine Auskunft möglich. Ihm scheint das auch zu hoch zu sein.« Endlich kam Grappa zurück. »Ich habe den Checkmaster eingeschaltet. Ich habe durch ihn alles noch einmal überprüfen lassen. Von ihm kam ein Okay nach dem anderen. Mit Energie-, Distanz- und Masseortung kann ich alle drei Sauerstoffwelten, auch den Mondsammler und seine Trabanten erfassen, aber es ist keine Quelle von Fremdenergie auf den drei Planeten zu entdecken.« »Was nichts zu sagen hat, wenn sie unbewohnt sind.« Dhark warf dem Monitor noch einmal einen kurzen Blick zu, erhob sich und meinte, während er den Raum in Begleitung Lionels verließ: »So kommen wir also nicht weiter. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns den Fall aus der Nähe anzusehen. Mone…« »Wie bitte?« fragte Lionel. »Ach, nichts«, erwiderte Dhark abwehrend, aber er glaubte erneut den telepathischen Hinweis zu vernehmen: Aber vergiß die siebte Sonne nicht! Nur wenn du den äußeren Schein überwindest, wirst du ihr wahres Herz erkennen können! Vergiß das Herz der siebten Sonne nicht! Jens Lionel erschrak, als er Ren Dhark unmotiviert lachen hörte. Der Commander lachte schallend und schlug sich gegen die Stirn. Nur wenn du den äußeren Schein überwindest, wirst du ihr wahres Herz erkennen können! Ihr wahres Herz! Ein paar Minuten später hatte er wieder im Pilotensessel Platz genommen, betätigte die Steuerschalter, und über die Flächenprojektoren wurde dem Brennkreis mehr Energie zugeführt. Die POENT OF ging mit ihrer Beschleunigung bis dicht an die Lichtmauer 188
heran. Kurz davor schaltete Dhark auf den Sternensog. Unverändert der Kurs des Schiffs. Niemand ahnte, was er vorhatte. Er bewegte lautlos die Lippen. Er bewegte sie in der Art, als ob er das Wort »Mone« aussprechen würde. Mone… Vergiß das Herz der siebten Sonne nicht!
13. Das Tor zum Industriedom hatte sich geöffnet. Es hatte auf die schwache Alpha-Rhythmus-Frequenz Tschobes so reagiert wie damals auf der Flucht vor Roccos Rollkommando, als sie halb wahnsinnig vor Hunger und Durst auf der anderen Seite gelegen hatten. Im Laufe der Jahre war der Schlüssel, wie dieses Portal zu öffnen und zu schließen war, in Vergessenheit geraten. Zum Schluß wußten nur noch wenige, daß die große rechteckige Öffnung in Wirklichkeit ein gigantisches, zweiflügeliges Tor war, das auf Gedankenbefehl reagierte. Chris Shanton und Jos Aachten van Haag gehörten ebenfalls zu den Unwissenden, und Erstaunen spiegelte sich noch auf ihren Gesichtern, als der Höllenlärm aus dem Industriedom sie mit voller Wucht traf. »Schnell! Schnell!« drängte Tschobe, der die unsichtbaren Cyborgs nicht vergessen hatte. Jimmy spielte ihnen einen Streich. Jimmy gehorchte plötzlich weder seinem Herrn noch dessen Spezialsendern, mit denen er das robotische Innenleben des Scotchterriers ausschalten konnte. Jos begann zu toben. Er mußte schreien, um gehört zu werden. Wütend brüllte Shanton zurück: »Ich kann es mir nicht erklären. Der Sender arbeitet. Jimmy hat den Impuls empfangen, aber das Biest gehorcht einfach nicht mehr!« Dann war es sinnlos, noch einen Versuch zu machen, sich zu verständigen. Das neunhundert Quadratkilometer große Areal war ein einziger gewaltiger Schlund, der mit Stentorstimme brüllte. Die beiden Flügel des Portals erbebten, schienen sich regelrecht zu verwinden, aber das Unitall war längst noch nicht bis zur Grenze seiner Bruchfestigkeit belastet. Um so schlimmer, um so unbeschreiblicher diese Geräuschorgie. Um so un189
faßbarer, daß die gewaltigen Mammut-Aggregate im Gegensatz zu den Maschinensätzen in der benachbarten Höhle nicht hin und her schwankten, sondern so unbeweglich standen wie immer. Das blaue Licht im Dom hatte sich nicht verändert, aber es konnte die drei Männer, die verzweifelt auf Jimmys Rückkehr warteten, nicht beruhigen. Chris Shanton war ratlos. Er machte sich Vorwürfe. Vergeblich grübelte der korpulente Ingenieur darüber nach, was er seiner Robotkonstruktion in den letzten Tagen unbeabsichtigt an Eigenleben eingebaut haben könnte. Jos, der gerade die Hauptmaschinenstraße entlangsah, zuckte zusammen, stieß seine Begleiter an und machte sie auf das >Ding< aufmerksam, das da herangerast kam. Zwei Schwebeplatten, von denen die obere verkehrt herum auf der unteren lag, jagten mit Höchstfahrt auf sie zu. Keiner der drei Männer machte den Versuch, die Strahlwaffen zu benutzen. Unitall war weder mit Paraschockern noch mit Blastern beizukommen. »Das Portal schließen! Tschobe, Portal schließen!« brüllte Shanton, die Pranken als Trichter vor dem Mund. Zu spät! Manu Tschobe tobte innerlich. Doch genau wie Shanton und van Haag mußte er tatenlos mit ansehen, wie das improvisierte Fahrzeug in gut zehn Metern Höhe über sie hinweg in den Industriedom jagte. Mildan und Dordig hatten es geschafft, die Maschinenhöhle zu verlassen. Im Hohlraum der beiden aufeinanderliegenden Schwebeplatten mußten sie sich absolut sicher fühlen. In ohnmächtiger Wut sahen die drei Männer die Konstruktion in Richtung des kreisrunden Platzes davonfliegen. Tschobe zwang sich, nicht mehr daran zu denken. Wenigstens im Augenblick nicht. Er konzentrierte seine Gedanken. Er rief den Pullman! Er wollte dieses eigenartige Gefährt der Mysterious als Fortbewegungsmittel benutzen, über dessen Funktionen man immer noch nicht genau Bescheid wußte. Jos und Shanton blickten sich verblüfft an, als sie in ihrem Kopf die Stimme hörten: Ich komme! Shanton dachte unwillkürlich an seinen Robot-Hund. Jos stellte sich in Gedanken die Frage, ob ihn der Höllenlärm an die Grenze des Wahnsinns gebracht hatte. Und dann kam aus Richtung des kreisrunden Platzes der Pullman auf sie zu: Eine Konstruktion aus vierzehn Kugeln von einem Meter Durchmesser, die durch Gestänge miteinander verbunden waren -und im Pullman saß Jimmy! Chris Shanton verstand die Welt nicht mehr! 190
Der Pullman raste heran. Der Dicke und Jos sahen ihn zum erstenmal in Aktion. Die Oberflächen der vierzehn Kugeln schimmerten perlmuttfarben, die Gestängeverbindungen wirkten dagegen stumpf. Jimmy saß in einer Kugel, in deren oberer Hälfte sich ein Viertel in einem Winkel von neunzig Grad aufgeklappt hatte. Tschobe interessierte sich nicht für den Robot-Hund. Im Augenblick war es ihm egal, daß er aus der entgegengesetzten Richtung zurückkam, in die er verschwunden war. Durch Handzeichen forderte er Jos und Shanton auf, den Pullman zu besteigen. Drei weitere obere Hälften klappten auf. Die schalenförmigen Sitze waren nicht übermäßig bequem, aber das spielte in so einer Situation keine Rolle. Zu den Aggregaten, die kurz vor der Explosion stehen! befahl Tschobe dem Pullman, als er auf dem Fahrzeug Platz nahm. Zielangabe ungenau! Jos griff sich mit einer verzweifelten Bewegung an die Schläfen. Chris Shanton hatte vergessen, daß er sich Jimmy vornehmen wollte. Diese MysteriousKonstruktion, die niemals den Bereich des Industriedoms verließ, interessierte ihn als Techniker so sehr, daß er darüber glatt vergaß, daß er sich in einem Raum befand, der jeden Augenblick in die Luft fliegen konnte. Tschobe war für kurze Zeit ratlos. Seine Zielangabe war ungenau gewesen? Der Pullman konnte damit nichts anfangen? Zum Großtransmitter-Raum! befahl er in Gedanken. Ziel erfaßt! klang die Antwort in drei Köpfen auf. Dicht über dem Unitallboden schwebend, raste der Pullman mit unwahrscheinlicher Beschleunigung los. Die Wände der Mammut-Aggregate schienen an den drei Terranern vorbeizufliegen. Zweimal bog der Pullman an einer Kreuzung ab, jagte andere Straßen entlang, um dann plötzlich zu stoppen. Er hatte seine Passagiere ans Ziel gebracht. Vor den verschlossenen Großtransmitter-Raum! Jimmy sprang auf den Boden, die Männer stiegen ab, und dann glaubten Jos und Shanton zu träumen, als die Gestänge automatisch in die Kugeln einfuhren, die Oberteile sich nahtlos schlössen und plötzlich nur noch vierzehn Kugeln übrig waren, die sich zu einer Kette formierten, um dann in Richtung auf den zentralen Platz davonzujagen! Der Afrikaner hatte dem Vorgang keine Beachtung geschenkt. Über den stark vibrierenden Boden war er auf die geschlossene Unitallverkleidung zugelaufen, hinter der der Transmitter-Raum lag. Was habe ich hier eigentlich gewollt? fragte er sich und warf den Geräten der Wissenschaftler, die hier aufgebaut worden waren, einen prüfenden Blick zu. Nicht zuletzt aus eigener Erfahrung wußte er nur zu gut, daß keine Macht der Welt die Sperre zum Transmitter beseitigen konnte, wenn sie auf einen Kom191
mandoimpuls hin geschlossen worden war. Jimmy schnüffelte an ihm herum. »Hau ab!« brüllte er durch den Lärm, der sich in den letzten Minuten verändert hatte. Ein auf- und abschwellendes Heulen begann alles andere zu übertönen. Mit diesem Heulen hatte sich auch das Vibrieren des Unitallbodens verstärkt. Das Zittern war so stark geworden, daß keiner der drei Männer noch ruhig stehen konnte. Jimmy ignorierte Tschobes Aufforderung. Er sprang sogar an dem Afrikaner hoch, rannte ein paar Schritte zur Seite, kam zurück und sprang ihn erneut an. Das ließ Chris Shanton aufmerken. Er beugte sich zu Jimmy hinab und brüllte ihm ins Ohr: »Was hast du denn?« Der Scotchterrier warf den Kopf hoch. Sein Maul war nun dicht vor dem Ohr des Dicken. »Drei Wolkenkratzer glühen! Sie erzeugen den Lärm, aber noch viel lauter ist der blaue Ring über dem kreisrunden Platz!« Mit Mühe hatte Shanton sein sprechendes Spielzeug verstanden. Noch größere Schwierigkeiten machte es, diese Nachricht Jos und Tschobe mitzuteilen. »Einer muß hierbleiben, für den Fall, daß der Großtransmitter-Raum wieder geöffnet wird. Wer versucht mit mir das Zentrum zu erreichen?« Shanton war mit Tschobes Vorschlag nicht einverstanden. Ihm war klar geworden, daß sie hier nichts tun konnten. Unverantwortlicher Leichtsinn hatte sie den Industriedom aufsuchen lassen, der längst von allen Wissenschaftlern verlassen worden war. Er winkelte die Arme an und winkte erregt ab. Sein Gesicht war ein unmißverständlicher Ausdruck energischen Widerspruchs. Nur hatte er Jimmy vergessen. Der packte Shantons rechten Unterarm und versuchte ihn nach unten zu ziehen! »Miststück, elendes! Wohl verrückt geworden, oder was!« brüllte Shanton durch das immer lauter werdende auf- und abschwellende Heulen, das inzwischen so stark geworden war, daß die Männer allmählich Schwierigkeiten mit ihrem Gehör bekamen. Manu Tschobe wunderte sich längst nicht mehr über die Eigeninitiative, die Jimmy entwickeln konnte. Jos kam sich seit dem Eintreffen von Tschobe und Shanton ohnehin überflüssig vor. Der durchdrehende Scotchterrier ließ ihn kalt. Mochte der Dicke sehen, wie er damit fertig wurde. Zufällig sah er die Straße entlang, die von den bis zu neunhundert Meter hohen Wolkenkratzern begrenzt wurde. Er kniff die Augen zusammen, als er in der Ferne ein ungewöhnlich grelles, eng begrenztes Leuchten zu erkennen glaubte. Sollte dieses Leuchten von einem der drei glühenden Mammut-Aggregate herrühren? Ein heller, trocken knallender Schlag in nächster Nähe ließ alle herumfahren. 192
Der Großtransmitter-Raum stand offen! Die gewaltige graue Ringantenne, die den gesamten Raum beherrschte, war eingeschaltet! Tschobe reagierte sofort. Erregt winkte er seinen Freunden zu, ihm zu folgen. Als hätte er nur darauf gewartet, jagte Jimmy mit weit ausgreifenden Sprüngen in den Transmitter-Raum hinein und stoppte vor der Ringantenne; für Manu Tschobe das sichere Zeichen, daß auch ihnen der Weg nicht versperrt war. Mit gespannten Gesichtern folgten ihm Shanton und Jos Aachten van Haag. »Großer Himmel!« Der Dicke hätte um ein Haar seine Fassung verloren. Von einem Schritt zum anderen hatten sie den Bereich der Lärmorgie verlassen. Im Großtransmitterraum war es wunderbar still. Kein Heulen war zu hören, kein Zittern lief durch den Unitallboden. Als ob diese Anlage gar nicht zum Industriedom gehörte! Jimmy benahm sich auffallend gesittet. Er hockte vor der Ringantenne und tastete sie mit seinen Ortungen ab. Während die Männer noch darauf warteten, daß ihr Gehör wieder normal funktionierte, nahm der Robot-Hund einige Messungen vor und begann die erfaßten Daten mit jenen zu vergleichen, die er gespeichert hatte, als er zusammen mit Tschobe die mysteriöse Transmitterreise gemacht hatte. Eine Hundeschnauze stieß gegen Shantons Bein. »Zur Hölle«, brauste der dicke Mann auf und starrte Jimmy wütend an, »sind bei dir irgendwelche Sensoren durchgebrannt? Ich glaube, es ist höchste Zeit, daß ich dich abschalte und…« Jimmy ließ seinen Konstrukteur nicht ausreden. »Die Antenne ist auf kurz geschaltet!« Tschobe und Jos horchten auf. »Kurz geschaltet?« echote der Diplom-Ingenieur. »Auf kurz! Auf kurze Distanz!« verbesserte der Scotchterrier. »Quatsch!« sagte Jos, der dem Brikett auf vier Beinen viel weniger zutraute, als Shanton hineingebaut hatte. Jimmy ignorierte den Einwand. Sachlich erklärte er: »Datenvergleich. Als Tschobe und ich reisen mußten, war die Antenne auf lang geschaltet. Jetzt steht sie auf kurz. Auf ganz kurz.« »Dann spring doch hinein«, forderte Jos ihn auf. Jimmy nahm die Aufforderung ernst. »Stopp!« brüllte Shanton, doch es war zu spät. Das schwarzfellige Etwas hatte den Antennenbereich erreicht und verschwand darin. »Mann!« grollte der Dicke und verzog das Gesicht. In seinen Augen loderte die Wut. Langsam ballte er seine Pranken zu Fäusten und orgelte mit seiner tiefen Baßstimme los: »Wenn ich den nicht wiedersehe, Jos, dann sind wir geschie193
dene Leute! Für immer! Haben Sie mich verstanden?!« Selbst ein Halbtauber hätte sein Brüllen kaum überhören können. Doch Jos war alles andere als halbtaub. Sein Gehör arbeitete wieder einwandfrei. Sein Verstand auch. »Ich habe Sie verstanden, Shanton, aber ich weise Ihre Anschuldigungen zurück. Haben Sie nicht jedem, der es hören wollte oder nicht, erklärt, Ihr Spielzeug würde nur Ihren Befehlen gehorchen?« Manu Tschobe sah sich gezwungen einzugreifen. Einen Streit konnten sie in dieser Situation nun wirklich am allerwenigsten gebrauchen. Er stellte sich zwischen die beiden Männer, deutete nach draußen in den Industriedom und sagte energisch: »Wenn wir gleich mit dieser Anlage in die Luft fliegen, dann spielt es wirklich keine Rolle mehr, ob Jimmy ein paar Minuten vorher abhanden gekommen ist. Bitte, sehen Sie sich das einmal an. Ich denke, das reicht. Oder?« In der Ferne, fast am Ende der Straßenschlucht, war der grell leuchtende Fleck größer geworden. Ein Mammut-Komplex schien von Gluten, die in seinem Innern tobten, bis dicht an den Schmelzpunkt gebracht worden zu sein! Beinahe weiß, mit einem leichten Stich ins Blaue, war der strahlende Fleck. Seine Leuchtkraft stach in die Augen. Sie blendete und ließ die Männer schon nach wenigen Sekunden kaum noch etwas erkennen. Und dann stand Jimmy plötzlich wieder zwischen ihnen. Niemand hatte seine Rückkehr bemerkt. Aber er machte sich bemerkbar. »Ich weiß, wo die beiden Schatten zu finden sind. Ich bin in ihrem Versteck gewesen!« Der Robot-Hund konnte so treuherzig aufblicken, daß es jetzt auch Tschobe schwer fiel, sich daran zu erinnern, daß Jimmy tatsächlich nur eine technische Spielerei war. »Kannst du mich zu ihnen führen, Jimmy?« fragte der Afrikaner. Jos schaltete sich ein. »Widerspruch! Wenn jemand das Versteck der Entarteten aufsucht, dann ich! Ich glaube nicht, daß Sie inzwischen von der Abschußliste der Cyborgs gestrichen worden sind, Tschobe. Und nach meinen Erfahrungen mit ihnen gehe ich kaum ein Risiko ein, wenn es zu einem Kampf kommen sollte.« »Einverstanden, Jos. Werden Sie Jimmy mitnehmen?« Fragend sah der GSO-Mann den Diplom-Ingenieur an. »Wenn Shanton mir sein Brikett anvertraut?« Der brummte: »Bin ich schon jemals ein Spielverderber gewesen? Hauen Sie ab mit dem Lauser. Er wird Sie bestimmt nicht im Stich lassen!« »Okay.« Jos warf einen Blick auf sein Chrono und stutzte. »Was? Wir halten uns erst seit dreißig Minuten im Industriedom auf? Und ich glaubte, es seien inzwischen Stunden vergangen! Na schön, ich werde so schnell ich kann zu194
rückkehren. Bis dann!«
Vergiß das Herz der siebten Sonne nicht! Die POINT OF flog auf unverändertem Kurs tiefer in das System hinein. Die Geschwindigkeit im Überlichtbereich war bei 2,2 konstant geblieben. »Wir lassen uns Zeit!« hatte Dhark erklärt. Unmerklich waren die drei Sauerstoffplaneten und der Mondsammler in der Bildkugel größer geworden. In der Zentrale herrschte wieder einmal jene undefinierbare Spannung, die sich schon so oft gezeigt hatte, wenn rätselhafte Welten angeflogen wurden. »Diese Sternenbrücke hat es in sich«, war von der Galerie herunter zu hören. »Ja«, sagte Dhark leise, »sie hat es in sich, und unsere auf fremden Bahnen tanzenden Planeten auch.« Dabei spielte ein amüsiertes Lächeln um seinen Mund, als ob ihm gerade diese Sache außerordentlich viel Spaß machte. »Oho!« stieß Riker aus. »Deine Laune hat sich gebessert?« »Meine Laune ist seit der ZV nie schlecht gewesen, Dan. Ich hatte nur über etwas nachzudenken.« Die Kontrollen des Instrumentenpultes zwangen weder Dhark noch Riker zu erhöhter Aufmerksamkeit. Die Alarmbereitschaft im gesamten Schiff war nur eine Vorsichtsmaßnahme. Die Meldungen, die Grappa hinter seinen Ortungen in unregelmäßigen Abständen abgab, hätten eigentlich dazu beitragen müssen, daß es in der Zentrale keine Spannung gab, aber niemand konnte vergessen, wie die POINT OF auf dem Planeten der Schwarzen Weißen zur Landung in einem riesigen unterirdischen Hangar gezwungen worden war. »Ich schalte um«, sagte Dhark halblaut, als der Ringraumer die Bahn des siebten Planeten überflog. Er schaltete jedoch nicht nur von Sternensog auf Sie, sondern er veränderte auch den Kurs des Schiffes. Auf Grün ging die POINT OF von 53:55 nach 61:10. Einige Instrumente zeigten neue Werte an. In der Bildkugel veränderten die Sauerstoffwelten und der Mondsammler ihre Positionen. Jens Lionel fragte über die Bordverständigung an, warum das Schiff auf anderen Kurs gegangen sei und ob der Commander keinen der Sauerstoffplaneten mehr anfliegen wollte. Dhark beugte sich leicht nach vorn. »Wir werden auf etwa zwanzig Millionen Kilometer Distanz die Bahn des sechsten Planeten passieren. Der Vorbeiflug wird rund achtzehn bis zwanzig Minuten dauern, Lionel. Ich hoffe, diese Zeitspanne reicht aus, um das Phänomen der tanzenden Planeten zu entschleiern.« Lionels Gesicht auf dem kleinen Bildschirm der Bordverständigung zeigte Ratlosigkeit. »Commander, darf man erfahren, welcher Planet angeflogen wird?« 195
Ruhig erwiderte Dhark: »Wir werden keinen einzigen Planeten anfliegen.« Als Lionels Gesicht von der Bildscheibe verschwunden war, warf Riker dem Freund einen schiefen Blick zu. »Ren, du wirst immer eigenartiger. Seit wir diese Sternenbrücke entdeckt haben, hast du dich verändert.« Leise fuhr er fort: »Zu deinem Nachteil! Du bist sprunghaft geworden. Deine Entscheidungen lassen die große Linie vermissen, die du früher nie aus den Augen verloren hattest.« »Sonst noch etwas, Dan?« fragte Dhark freundlich. Sie kannten sich zu lange, als daß einer viel vor dem anderen verbergen konnte. »Na, immer noch nichts Neues von unseren tanzenden Planeten oder vom Mondsammler?« wandte Dhark sich an Grappa. »Bis auf schrumpfende Distanzwerte alles unverändert. Keine Energieortung. Keine Veränderung der Massen. Wenn ich an Lionels Behauptungen denke, muß ich glauben, daß alle Ortungen defekt seien.« »Glauben Sie es nicht, Grappa. Denken Sie auch nicht an Lionel. Werfen Sie hin und wieder einen Blick zur Bildkugel. Ich glaube nicht, daß wir so schnell wieder tanzende Planeten zu sehen bekommen.« Dan Riker vergaß beinahe den Mund zu schließen, als er das hörte. Sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Der Commander ignorierte die Verblüffung seines Freundes. Er ließ eine geringe Kursabweichung vom Checkmaster korrigieren. Dann begann der Vorbeiflug der POINT OF an den tanzenden Planeten und dem Mondsammler. Die Funk-Z gab kurz durch: »Keine Vorkommnisse. Auf allen Frequenzen herrscht Ruhe.« Plötzlich wurde die Wiedergabe der Bildkugel unscharf. Die automatisch arbeitende Feineinstellung versuchte zu regulieren. Die Unscharfe blieb. Der Commander reagierte darauf nicht, sondern befragte Grappa schon wieder. Der hatte auch jetzt nichts Neues zu berichten. Aber Lionel. Er hatte sich zu Dhark durchgeschaltet. »Wir haben eben die ersten Aufnahmen durchlaufen lassen. Darauf ist das Phänomen der bahnwechselnden Planeten eindeutig zu erkennen…« Dhark erwiderte: »Ich glaube es Ihnen, Lionel. Achten Sie besonders gut auf diesen Film und hüten Sie ihn wie einen Schatz.« Das Mißtrauen in Riker wuchs. Hatte Dharks Bemerkung nicht leicht ironisch geklungen? »Aber Commander!« Tino Grappa war verwundert. »Lassen Sie sich nicht irre machen, Grappa. Bitte, beobachten Sie während des Vorbeiflugs besonders aufmerksam.« Dann waren in arythmischer Folge die drei bahnwechselnden Sauerstoffplane196
ten auch in der Bildkugel zu sehen. Die erste Unruhe in der Kommandozentrale der POINT OF kam auf. Stimmte das, was sie mit eigenen Augen über die Vergrößerung der Bildkugel sahen, oder stimmten nur die Angaben der Ortungen? Danach sollte es wohl diese drei Sauerstoffwelten geben, aber keine aus der Bahn tanzenden Planeten! Grappas Ortungsanlage tastete drei Planeten, die sich normal benahmen. Von irgendwelchen Bahnveränderungen war nichts festzustellen. Dieser Widerspruch zwischen optischer Wiedergabe und Ortung sorgte auch nicht gerade für Beruhigung. Und woher rührte die Unscharfe in der Wiedergabe, die selbst von der Feineinstellung nicht beseitigt werden konnte? Dann verschwand diese Unscharfe. Der Vorbeiflug an den Sauerstoffplaneten und dem Mondsammler war zu Ende. Das Phänomen war auch nicht mehr zu beobachten. Die POINT OF behielt ihren Kurs bei. Sie näherte sich der Bahn des zweiten Umläufers, einer heißen, nackten Steinkugel, die kaum zu erkennen war, weil sie im Begriff stand, hinter der gelblichen F-Sonne zu verschwinden. Die erste Welt des Systems stand in Opposition. Dhark rief die astronomische Abteilung. »Lionel, hat die Spektralanalyse der F-Sonne etwas von Bedeutung ergeben?« Eine Routinefrage. So verstand der Astronom sie auch. »Nein. Dieser F-Typ ist ein früherer Sonnenstern. Der Wechsel von Klasse G nach F hat vor etwa dreizehn Millionen Jahren stattgefunden. Die Korona verfügt zwar über ungewöhnlich starke und vielschichtige Magnetfelder, die aber insgesamt nicht von Bedeutung sind.« Dhark wollte schon austasten, als Lionel fortfuhr: »Schon vor dem Einflug in dieses System wurde eine interessante Beobachtung gemacht. Sie erinnern sich doch, daß wir dieses rotleuchtende, diffuse Energiefeld beobachteten, das alle neun Sonnen miteinander verbindet. – Nein, wir haben es bis jetzt noch nicht identifizieren können. Stand uns denn die Zeit dazu zur Verfügung, Commander?« Dhark lachte. »Habe ich Ihnen denn Vorhaltungen gemacht, Lionel? Bitte, weiter, Ihr Bericht interessiert mich.« »Dhark«, erklärte Lionel, »dieses Energiefeld, das die Form eines Hohlschlauches hat, geht entweder von dieser Sonne aus, auf deren Kurs wir liegen, oder es endet bei ihr. Ebensogut kann auch beides möglich sein. Wir haben unsere Untersuchungen noch nicht abgeschlossen, weil die Kollegen von der astrophysikalischen Fakultät glauben, einige Widersprüche entdeckt zu haben.« Wenn Lionel so anfing, bestand Gefahr, daß er in der nächsten Stunde immer noch sprach. Der Commander unterbrach ihn. »Ist dieses Strahlenfeld energiearm?« 197
»Im Gegenteil! Außerordentlich energiereich. Ich habe die Werte nicht im Kopf, aber ich gebe sie Ihnen, wenn Sie es wünschen.« »Danke, Lionel, vielleicht später.« Das Gespräch war zu Ende. In der Zwischenzeit hatte die Bildkugel abgeblendet, denn die gelbliche Sonne, die ein Drittel des Bildvolumens einnahm, blickte wie ein riesiges glühendes Auge in die Zentrale des Ringraumers und überschüttete auch den letzten Winkel mit ihrer Lichtflut. Wortlos verließ Dhark den Pilotensessel und trat zum Checkmaster. Er stellte eine Frage. Die Antwort kam schnell: Präzisere Daten erforderlich! Er überlegte kurz und stellte eine neue Frage. Grün war zu sehen. Dann erfolgte die Antwort. Dhark schien zufrieden zu sein. Und gab dem Bordgehirn den Befehl, eine Transition durchzuführen. Er saß kaum wieder im Pilotensessel, als das durchdringende Pfeifen im Ringraumer begann. Rundruf über die Bordverständigung: »Transition in fünf Minuten. X-Zeit läuft. Klarsichthelme schließen. Ende!« In der astronomischen Abteilung tobte Jens Lionel. »Ich verstehe Dhark nicht mehr. Ich begreife nicht, warum er nicht eine dieser Sauerstoffwelten angeflogen hat. So etwas wie diese tanzenden Planeten bekommen wir nie mehr zu sehen.« Andere dachten ähnlich. Dan Riker gehörte dazu. Die beiden Intervalle verschwanden. Die Transition erfolgte fast gleichzeitig. In zeitlosem Ablauf entstofflichte die POINT OF, durchquerte den Hyperspace und rematerialisierte wieder im normalen Raum-Zeit-Kontinuum. Mit einer fahrigen Bewegung hob Dhark beide Hände, preßte sie gegen seinen Klarsichthelm und bewegte die Lippen, ohne zu sprechen. Dann öffnete er den halbstabilen Helm und klappte ihn nach hinten. Sein Blick hastete über die Instrumente. Er durfte zufrieden sein. Sein Schiff stand im freien Fall über der unbekannten Welt. Fünfzehn Millionen Kilometer unter ihnen drehte sich ein Planet, dessen markantestes Merkmal ausgedehnte gelbliche Flächen waren. Hoch über ihnen aber brannte der Himmel, spannte sich ein einziges, zusammenhängendes gelblich brennendes Glutmeer! »Er hatte recht!« brachte Dhark über die Lippen. »Großer Himmel, er hatte recht!« Schweiß rann ihm übers Gesicht, in die Augen. »Großer Himmel!« flüsterte er noch einmal. Er legte seine Hände um die Kante des Instrumentenpultes; sie zitterten. Die Männer in der Zentrale waren seinem Beispiel gefolgt und hatten ihre Klarsichthelme auch wieder zurückgestreift. Von allen Seiten starrten sie den Commander an, der wie ein alter Mann im Pilotensessel hockte und alle Spann198
kraft verloren zu haben schien. Seine Stimme klang brüchig, als er über die Bordverständigung die Experten in der astronomischen Abteilung aufforderte, eine Luftanalyse vorzunehmen. Erst während dieser Durchsage erholte sich Grappa von seinem Schock. Mit unverhüllter Angst im Blick hatte er diesen gelblich brennenden Himmel gemustert und für die Welt darunter kein Auge gehabt. Glenn Morris’ Stimme aus der Funk-Z klang auch nicht besonders kräftig und klar. »Commander, wir haben mit der Funkortung drei starke Hyperfunkstationen ausgemacht, die ununterbrochen senden. Text verschlüsselt. Man funkt Symbolzeichen mit gleichbleibender Geschwindigkeit. Das läßt auf automatische Sender schließen. Koordinaten der Stationen sind an Checkmaster durchgegeben worden.« Grappa fiel es nicht auf, daß Dhark ihn nicht aufforderte, die erfaßten Daten durchzugeben. Die wichtigsten von ihnen las der Commander von den Anzeigen seines Instrumentenpultes ab. Neben ihm rührte sich Dan Riker. Etwas unsicher fragte er: »Darf man endlich erfahren, wo wir uns befinden?« Dhark grinste jungenhaft. Er beugte sich vor und schaltete die Bordverständigung auf Rundspruch. Seine Mitteilung sollte alle im Ringraumer erreichen, nicht nur die Offiziere im Kommandostand. »Hier Dhark! Wir befinden uns in der siebten Sonne der Sternenbrücke, einem Sterntyp der Klasse F! Meiner Vermutung nach ist der brennende Himmel die Innenseite der Korona, die wir beim Anflug beobachten konnten. Sobald die Luftanalysen gemacht worden sind und wir die Sicherheit haben, daß der Kern von einer Sauerstoffatmosphäre umhüllt ist, werden wir versuchen zu landen. Unsere Funkortung hat drei starke Hyperfunk-Sender festgestellt. Der Alarmzustand bleibt bestehen. Ende der Durchsage.« Er fühlte sich wie zerschlagen. Wie ein Mann, dem man das Allerletzte in einer einzigen Anstrengung abverlangt hatte. Und es war auch eine einzige Anstrengung gewesen. Von jenem Moment an, in dem er endlich Mones Hinweis richtig verstanden hatte: Vergiß das Herz der siebten Sonne nicht! Er hatte sich zwingen müssen, sich nicht für das Phänomen der tanzenden Planeten zu interessieren. Er hatte den Mondsammler außer acht lassen müssen. Und er hatte schweigen müssen… Aber warum hatte er geschwiegen? Warum hatte er seine Entscheidung allein gefällt? Woher hatte er den Mut genommen, in eine Sonne zu fliegen! Woher die Kraft, unerschütterlich an Mone zu glauben? Mein Gott, bin ich doch anders als andere Menschen? Hoffentlich nicht! Ich möchte kein Ausnahmemensch sein, auch keiner werden! 199
Er wurde abgelenkt. Jens Lionel meldete sich. Seine Stimme klang wie ein verrostetes Reibeisen. Der Astronom sah mitgenommen aus. Als ob er Fieber hätte. »Dhark, Commander… Dhark…« Würde er es irgendwann schaffen, einen vollständigen Satz herauszubringen? »Lionel, nun sagen Sie schon! Hat dieser Planet eine Atmosphäre?« Lionels Stimme überschlug sich. »Er hat, Dhark, er hat! Die wunderbarste, sauberste Luft, die wir jemals über die Fernanalyse auseinandergenommen haben. Durchschnittstemperatur 18,3 Grad Celsius. Keine giftigen Beimischungen. Keine Verschmutzungen. Rotation 23:42 Stunden Normzeit. Nur mit der Bestimmung der Umlaufzeit hapert es. Sterne und Boliden, Commander, wir sind hier alle völlig aus dem Häuschen!« »Schwerkraft? Durchmesser? Lionel, kommen Sie bitte wieder zur Sache!« »1,02 Gravos. Und der Durchmesser dieses Zwitters: 14.251 Kilometer mit schwachen Abplattungen an den Polen. Aber der brennende Himmel, diese Sonnenkorona, besitzt eine andere Rotationszeit. Der brennende Himmel dreht sich gegenläufig in 108 Tagen, 15 Stunden und 21 Minuten einmal um seine Achse. Er ist von der Planeten-Oberfläche rund 141 Millionen Kilometer entfernt. Die Stärke der Korona haben wir noch nicht ermitteln können!« Diese Angaben genügten Dhark. Jens Lionel war glücklich, sich wieder in die Arbeit stürzen zu können. Ihn kümmerte es nicht, daß die POINT OF aus dem freien Fall auf Landekurs ging. Der Ringraumer fiel langsam in die Tiefe und überflog dabei auf enger werdender Spiralbahn die Welt, der Lionel gerade eben einen Namen gegeben hatte. Grappa hatte den Namen verändert, gekürzt, und als der Commander ihn zum erstenmal hörte, hatten ihn seine Offiziere schon mehrfach benutzt. Zwitt wuchs in der Bildkugel, je tiefer die POINT OF sank. Es war eine Welt, die von vier mächtigen Kontinenten beherrscht wurde, die beinahe gleichmäßig weit voneinander entfernt waren. Tintenblau schimmerten die dazwischenliegenden Wassermassen. Die Alarmbereitschaft in den Waffensteuerungen zerrte an den Nerven der Männer. Bud Clifton wischte sich immer wieder seine schweißnassen Hände trocken. Er hatte sich vorgenommen, daß die POINT OF bei diesem Anflug nicht zum Spielball fremder Mächte werden sollte. Jean Rochard dachte ebenso. Alle Strahlantennen des Ringraumers, die in der dicken Unitallhaut lagen, waren auf Nadelstrahl geschaltet, aber je tiefer das Schiff auch sank und je länger es über Zwitt flog, es erfolgte kein Angriff. Morris, Brugg und Yogan in der Funk-Z wurde es allmählich unheimlich. Mit immer größer werdendem Unbehagen mußten sie feststellen, daß der Flug des Ringraumers vom Boden her durch Funkortung verfolgt wurde. Schwieg eine der drei starken Hyperfunkstationen, dann tauchte an anderer Stelle auf einem 200
anderen Kontinent eine neue dafür auf, die im gleich schnellen Rhythmus funkte. »Wir fliegen den Standort der ersten Station an!« entschied Ren Dhark, als die POINT OF in die dichteren Luftschichten eindrang und von der See kommend den Kontinent anflog, der am weitesten nach Süden reichte. Die gelblichen Flächen, die sie bereits aus größerer Höhe bemerkt hatten, entpuppten sich als steppenähnliche Weiten. Doch nirgendwo zeigten sich Spuren einer Kultur. Nirgendwo war etwas zu entdecken, das einer Siedlung intelligenter Lebewesen ähnelte. »Unglaublich!« stellte Riker mißtrauisch fest. »Zwitt sieht zu harmlos aus!« Das Schiff setzte zur Landung an. In vierhundert Metern Höhe wurden die fünfundvierzig Paar Teleskopbeine ausgefahren. Fast auf den Meter genau dort, wo sich der starke Hyperfunk-Sender befinden sollte, setzte die POINT OF auf dem gelblichen Rasenteppich auf. Nicht weit entfernt von einem zerklüfteten, aber relativ niedrigen Gebirge. Der Sie wurde abgeschaltet. A-Grav blieb und nahm der POINT OF vier Fünftel ihres Gewichts. Die beiden Intervalle bestanden nicht mehr, aber der Checkmaster hatte die Order erhalten, sie beim geringsten Verdachtsmoment sofort wieder einzuschalten. Die Männer in der Funk-Z gaben auf. Sie konnten die Lage der Funkstation nicht mehr feststellen. Auch Grappa mit seinen Ortungen erreichte keine Resultate. »Hundertprozentige Abschir…?« Die letzte Silbe brachte Riker nicht mehr über seine Lippen. In der Bildkugel erschien ein Bauwerk, das ihm in Stil und Aussehen unheimlich bekannt vorkam. »Ein Tempel«, sagte Ren Dhark verblüfft. »Ein Tempel im griechischen Stil?! Wie der Parthenon? Hier…?« Zehn Minuten später flogen Dhark und Riker, von zwei weiteren Flash begleitet, aus. Ihr Ziel war dieser Tempel, der so starke Ähnlichkeit mit dem Parthenon auf der Akropolis zu Athen hatte. Vor einer Schlucht war er erbaut worden. Rechts und links ragten nackte Felswände zum brennenden Himmel hoch, aber sie kamen mit ihrer wilden Zerrissenheit nicht zur Wirkung. Der Tempel mit seinen wunderbaren schneeweißen Säulenreihen, seinem herrlichen Fries und der überdimensional angelegten Treppe zwang jede Intelligenz, nur ihn anzublicken. »Einmalig!« stieß Dhark aus. »Unfaßbar!« Das war Rikers Urteil, als sie noch hundert Meter von dem gewaltigen Bauwerk entfernt waren und sich ihm gegenüber wie Zwerge vorkamen. Nebeneinander standen sie auf dem gelblichen Rasenteppich, und ihr Blick sog 201
sich am Anblick des Tempels fest. Sie achteten nicht auf die beiden Flash, die rechts und links hinter ihnen standen. Sie überhörten zunächst auch das kaum wahrnehmbare feine Singen. Plötzlich zerriß ein harter, trockener Knall die friedliche Stille. Feuer stand über dem Tempel! Ein Bogen aus Flammen! Und diese Flammen züngelten wild zum brennenden Himmel hinauf! Ein Flammenbogen in Form eines Halbkreises! Ein Flammenbogen, der als friedlicher Schutz über dem Tempel stand.
14. Klein und hilflos kamen sich Ren Dhark und Dan Riker vor, während sie den gewaltigen Tempel mit den schneeweißen Säulen betrachteten, über dessen Dach der Flammenbogen loderte. Der harte, trockene Knall hatte die beiden überraschten Männer zusammenzucken lassen. War diese mehrere hundert Meter hohe, halbbogenförmige Rammenwand eine deutliche Warnung, die Tempelanlage nicht zu betreten, oder eine Aufforderung, nicht länger stehenzubleiben? Die beiden schwarzen Wände, die hinter dem Tempel eine steile, tiefe Schlucht bildeten, wurden von der Lohe beleuchtet, und das flackernde Licht schuf Reflexe, die dem Einschnitt in das nicht besonders hohe Gebirge etwas Gespenstisches gaben. Dazu kam der brennende Himmel, der so ungewöhnlich war, daß Dhark und Riker immer wieder zu ihm hinauf sahen. Hinauf zu dieser hochenergetischen leuchtenden Hülle von Sonnenformat, der dieser Zwitter seinen Namen verdankte. »Die siebte Sonne der Sternenbrücke«, sagte Riker nachdenklich. Ren Dhark und er waren schon vor dem Start des Kolonistenraumers GALAXIS Freunde gewesen, und er kannte den Commander wie kein zweiter Mensch. In einer vertraulichen Geste legte Riker Dhark die Hand auf die Schulter. »Ren«, sagte er, während der rotlodernde Flammenbogen knisterte und fauchte, »irgend etwas hat dich zur siebten Sonne gezogen, aber was war es? Willst du es mir nicht endlich sagen?« Selbst wenn Ren Dhark es gewollt hätte, er konnte nicht über Mone sprechen. Irgend etwas in seinem Innern hinderte ihn daran. Er wich dem fragenden 202
Blick seines Freundes aus, sah sich wieder den Flammenbogen an, betrachtete den Tempel mit seinem Fries, dessen Darstellungen er aus dieser Entfernung nicht erkennen konnte, und sagte schließlich, als Rikers Geduld fast schon überstrapaziert war: »War es nicht natürlich, daß ich eine Sonne mit Planeten aufsuchte, die einmal ein GO-Stern wie Sol gewesen war?« Rikers Hand glitt von der Schulter des Freundes. Er wußte natürlich, daß Dhark die Frage nicht wahrheitsgemäß beantwortet hatte. Schließlich erklärte diese Antwort nicht, warum Dhark in die Sonne transitiert war. Irgend etwas stimmt nicht mit Ren – oder er hält mich für einen kompletten Idioten, dachte Riker. Doch er ließ sich nichts anmerken, sondern fragte einfach: »Was werden wir tun?« Dhark traf seine Entscheidung. »Zur POINT OF zurückfliegen. Wir dürfen nicht das kleinste Risiko eingehen. Der Planet, auf dem die Schwarzen Weißen ihre Station errichtet haben, hat uns alle genug Lehrgeld zahlen lassen.« »Du und kein Risiko eingehen… das nehme ich dir nicht ab, Ren«, meinte Riker. »Aber ich habe nichts dagegen, wieder zur POINT OF zurückzukehren. Schließlich müssen wir noch die Hyperfunkstation finden, die uns beim Anflug unter ihre Ortungskontrolle nahm.« Ohne Zwischenfall erreichten sie den Ringraumer, flogen ein und begaben sich in die Kommandozentrale. Hier erwartete sie eine Überraschung. Alle Mitglieder der astronomischen Abteilung waren um die große Ortungsanlage des Flaggschiffs versammelt. Vier Offiziere standen am Checkmaster und stellten ihm eine Frage nach der anderen. Die Bordverständigung zur Funk-Z stand, und aus dem Lautsprecher war Walt Bruggs Stimme zu hören. »Wir haben es jetzt mit der Echokontrolle auch erfaßt. Es ist beinahe überall.« Der Commander und Riker blieben überrascht am Schott zur Zentrale stehen. Sie hatten keine Ahnung, was Brugg soeben gemeint hatte. Mit der Echokontrolle konnte festgestellt werden, ob eine angerufene Station funkklar war oder abgeschaltet hatte. Langsam näherte sich Dhark der Ortungsanlage. Erst im letzten Moment bemerkte man ihn. Jens Lionel, der neben Grappa saß, rückte etwas zur Seite, damit auch der Commander die Oszillos sehen konnte. Die Energieortung arbeitete mit maximaler Leistung, was nichts Besonderes war, aber der Erfassungsbereich ließ Dhark aufmerken. Der brennende Himmel über Zwitt wurde abgetastet, und die automatische Sektorsteuerung erfaßte mit automatenhafter Sturheit Bereich um Bereich. Dhark wunderte sich, daß man die Echokontrolle in der Funk-Z mit der Energieortung gekoppelt hatte. Diese Verbindung war nur über den Checkmaster möglich, der die zusätzliche Aufgabe problemlos bewältigte und trotzdem die ihm gestellten Fragen mit gewohnter Schnelligkeit beantwortete. 203
Der Commander wurde aus den Amplituden und Diagrammen nicht schlau. Er konnte nicht ablesen, was die Energieortung in der gelblich brennenden, 141 Millionen Kilometer entfernten Korona erfaßte und identifizierte. Noch weniger begriff er, wieso anscheinend alle anderen im Leitstand wußten, worum es sich handelte. Die Sektorsteuerung nahm sich den nächsten Bereich der hochenergetischen Korona über Zwitt vor. Auf den Oszillos erschienen die gleichen Blips, auch die gleichen Diagramme, nur hatte sich ihre Position im Koordinatensystem verändert. Erst als der Commander entdeckte, daß auch die Distanzortung mit der Echokontrolle gekoppelt war, begann ihm etwas zu dämmern. Dennoch blieb ihm der Gesamtzusammenhang unklar. Die Korona als Ganzes umkreiste Zwitt entgegen der Planetenrotation. Innerhalb jedes einzelnen Sektors der Korona gab es hundertvierundvierzig Punkte, die sich – relativ zu ihrer direkten Umgebung – sehr schnell bewegten. Sie bewegten sich mit der Planetendrehung, und zwar so schnell, daß sie – von einem beliebigen Punkt auf der Planetenoberfläche ausgehend – ihren Standort relativ zur Oberfläche nicht veränderten. Doch warum war die Echokontrolle mit der Ortung in der Zentrale gekoppelt worden? Damit waren doch nur Hyperfunkstationen zu erfassen, und das, was sich in der hochenergetischen Schicht befand, konnten doch keine Hyperfunkstationen sein! Seit einiger Zeit wurde der Commander von Jens Lionel unauffällig beobachtet. Nun räusperte sich der Astronom und legte eine Hand auf Dharks Arm. »Wir konnten es uns auch nicht vorstellen. Wir kamen einfach nicht dahinter, was diese 144 Punkte pro Bereich darstellen sollten. Wir zeigten die erfaßten Werte Miles Congollon, und der erkannte auf den ersten Blick, worum es sich handelt. Dhark, wir haben es hier mit supergroßen Flächenprojektoren zutun!« »Mit Flächenprojektoren?« echote Dhark, der sofort an Sie und Sternensog dachte. Aber was hatten in dieser Korona von den Ausmaßen einer Sonne Sie oder Sternensog zu suchen? Welche Aufgabe sollten sie in der hochenergetischen Kugelschale erfüllen? Nein, das konnte einfach nicht sein. »Hier muß ein Irrtum vorliegen«, sagte Dhark bestimmt. Lionel nickte zustimmend, widersprach aber dann seinem Com-mander. »Das dachten wir zunächst auch, doch als wir uns einen dieser 144 Punkte pro Bereich genauer ansahen und einige Messungen anstellten, machten wir eine interessante Beobachtung. Erinnern Sie sich an das schlauchartige, rotleuchtende Energiefeld, von dem die gesamte Sternenbrücke eingehüllt ist? Meine Kollegen und ich waren beim Einflug in dieses System nicht in der Lage, zu sagen, ob das Feld von dieser Sonne ausging, oder ob es in ihr endete, oder ob beides der Fall war. 204
Inzwischen liegt uns ein Teil der Lösung vor. Das Energiefeld endet in der künstlichen Korona. Die darin schwebenden Flächenprojektor-Stationen sind zugleich Empfänger und Sender. Sie nehmen die herangeführte Energie auf, verarbeiten sie auf eine Weise, die uns noch unbekannt ist, und emittieren sie wieder, um erstens diese Korona zu erstellen und zweitens, sie stabil zu halten…« »Sie sind verrückt, Lionel!« platzte Ren Dhark heraus. Der Astronom nahm ihm diese Bemerkung nicht übel. »Wir haben diese Theorie anfangs auch für völlig abwegig gehalten, Commander. Aber inzwischen zweifeln wir nicht mehr, daß…« »Großer Himmel!« unterbrach ihn Dhark. »Lionel, wenn das stimmen sollte, was Sie da behaupten, dann hätten wir es hier…« Wieder stockte er. »Es tut mir leid, aber mein Verstand wehrt sich gegen diese Vorstellung. Ich kann es nicht glauben!« »Wir auch nicht, aber man zwingt uns dazu. Besonders meine Kollegen und ich stehen unter starkem Druck. Wir haben kurz nach der Landung noch einmal die Aufzeichnungen mit den tanzenden Planeten und dem Mondsammler durchlaufen lassen. Commander, auf dem Film waren keine tanzenden Planeten zu sehen, die ihre Bahnen wechselten, sondern drei Sauerstoffwelten, die sich völlig normal verhielten! Wie unter einem Schock saßen wir da, und jeder fragte sich: Was habe ich denn nun wirklich beim Vorbeiflug gesehen? Wir können nur vermuten, was geschehen ist. Wir alle standen unter suggestivem Einfluß. Wir sollten etwas sehen, das in Wirklichkeit in dieser ungewöhnlichen Form nicht existierte. Wir sollten mit allen Mitteln abgehalten werden, uns näher mit der siebten Sonne zu befassen. Damit tritt eine Frage in den Vordergrund, Commander, die nur Sie beantworten können: Wie kamen Sie dazu, an den drei interessanten Sauerstoffwelten vorbeizufliegen und einen Sprung zu wagen, der uns mitten in einer Sonne hätte existent werden lassen, wenn diese siebte Sonn eine normale Sonne gewesen wäre? Dhark, wie kamen Sie zu diesem Entschluß?« Mehr als dreißig Mann sahen ihn erwartungsvoll an. Und Dan Riker, der neben ihm stand und ihm die Hand auf die Schulter gelegt hatte, flüsterte: »Jetzt mußt du endlich Farbe bekennen, mein Lieber!« Wieder gab es diese Sperre irgendwo in seinem Innern, die es Dhark unmöglich machte, über Mone zu sprechen. Weshalb nur? fragte sich Dhark, Mone hat mich doch gar nicht Zum Schweigen über unser Zusammentreffen verpflichtet. Dennoch gab es etwas, das ihm den Mund schloß. Und diese Unfähigkeit, die Wahrheit zu sagen, zwang ihn zur gleichen Ausrede, die er gegenüber Dan Riker benutzt hatte. Er verwies auf die siebte Sonne, die, nach Sternzeit gemessen, vor nicht allzu langer Zeit noch ein GO-Typ ge205
wesen war. Niemand glaubte ihm. Neben ihm stöhnte Riker unterdrückt auf. »Merkst du nicht, daß du unglaubwürdig wirst?« fragte er im Flüsterton. Dhark hatte es schon selbst erkannt, aber er konnte ihnen beim besten Willen nichts über Mone erzählen. Eine Kraft, die stärker war als sein Wille, zwang ihn zu schweigen. Bin ich beeinflußt? fragte er sich, während man ihn noch von allen Seiten enttäuscht ansah. Hat Mone mir einen Para-Block verpaßt? Aber wieso kann ich dann an ihn denken und nur nicht über ihn sprechen? Hen Falluta, der Erste Offizier der POINT OF, der im Pilotensessel Sitzwache hatte und die Instrumente und die Bildkugel beobachtete, lenkte das Interesse der Männer plötzlich auf andere Dinge. In der Bildkugel war in maximaler Vergrößerung der gewaltige Tempel zu sehen, der viel besser nach Europa gepaßt hätte als auf diese rätselhafte Welt. Der Flammenbogen über der Tempelanlage hatte sich auffallend verändert. Über dem unteren Bogen hatte sich ein zweiter gebildet, und darüber, mit fast senkrecht hochragenden Flammenwänden, stand ein dritter, der sich erst in einigen tausend Metern Höhe in einer spitzen Kurve vereinigte. »Seht euch das an!« hatte Falluta gerufen und auf die Bildkugel gewiesen. Schweigen breitete sich in der Kommandozentrale aus, das zu einer andachtsvollen Stille wurde, als zwischen dem zweiten und dem dritten Flammenbogen ein Emblem auftauchte, das vielen in der POINT OF mittlerweile vertraut war: die stilisierte Wiedergabe einer Spiral-Galaxis! Urplötzlich hatte Ren Dhark eine Eingebung. Er erinnerte sich an eine bestimmte Koordinatengruppe! Im nächsten Augenblick drängte er sich zum Checkmaster, wo man ihm erstaunt, aber bereitwillig Platz machte, und stellte seine Frage. Als die Antwort erschien, genügte ihm ein Blick auf den Monitor. Seine Erinnerung hatte ihn nicht im Stich gelassen. Er ließ die Werte ausdrucken, trat neben Riker, drückte ihm die Folie in die Hand. »Dan, erinnerst du dich an diese Koordinaten?« Riker dachte einige Sekunden lang angestrengt nach und schüttelte dann den Kopf. »Nein, Ren. Sie sind mir fremd.« »Aber mir nicht, und dem Checkmaster auch nicht. Erinnerst du dich an die Nacht, als wir auf Mirac lagen und der Hurrican durch das Tal mit dem zerstörten Ringraumer raste? Damals fingen wir einen Dauerruf auf einer Hyperfrequenz auf, auf der wir noch niemals eine Sendung empfangen hatten. Wir hörten ununterbrochen eine tiefe Stimme einen einzigen Satz in einer kehllautfreien Sprache sagen. Wir haben ihn nicht verstanden, aber wir waren uns einig, daß ein intelligentes Wesen in höchster Not um Hilfe rief…« Je länger Dhark sprach, um so nachdenklicher war Rikers Gesicht geworden. 206
Schon nach den ersten Hinweisen seines Freundes hatte er sich erinnert. Der Hilferuf war damals nicht nur von einer Station ausgestrahlt worden, sondern von sieben gigantischen Hyperfunk-Sendern, die weit auseinandergelegen hatten. Ein siebenfacher Dauerschrei war durch die Milchstraße gejagt. Dieser Ruf hatte sie an die sieben Symbole der Mysterious erinnert, auf die sie auf der Flucht vor Rocco in jener Höhle gestoßen waren, in der es die halb zu Staub zerfallenen Maschinen gegeben hatte – und das Emblem einer SpiralGalaxis an der Höhlendecke. Dan Riker ließ die Folie sinken. »Jetzt verstehe ich langsam… Jetzt verstehe ich dich endlich, Ren. Dein Unterbewußtsein hat uns zur siebten Sonne geführt…« Er drehte sich um und sein Blick wanderte von einem Mann zum anderen. Dann sagte er auffallend ruhig: »Meine Herren, wir befinden uns auf einer jener sieben Welten, von der damals auf einer sonst nie benutzten Hyperfrequenz ein Dauernotruf in unbekannter Sprache ausgestrahlt wurde!« Ren Dhark dachte nicht daran, seinen Freund zu verbessern. Im Gegenteil, er war froh darüber, daß Rikers Schlußfolgerung falsch war. So lief er nicht mehr Gefahr, über Mone sprechen zu müssen. Was auch immer sie aber tatsächlich zur siebten Sonne geführt hatte, war plötzlich nebensächlich geworden. Viel bedeutender war die Tatsache, daß von hier aus einer der sieben Notrufe abgestrahlt worden war. Doch wo war dieser Sender zu suchen, der gigantische Ausmaße haben mußte? Lionel sah den Commander beinahe herausfordernd an, als wollte er sagen: Na, Commander, glauben Sie jetzt endlich alles? Dhark ignorierte den Blick des Astronomen. Er fühlte, daß er seine gewohnte Spannkraft nicht mehr besaß, und das ließ ihn leicht zu einem Entschluß kommen. »Meine Herren, wenn es keine schwerwiegenden Zwischenfälle geben wird, werden wir uns auf diesem Planeten – oder was es sonst sein mag – gründlich umsehen. Für ein solches Forschungsunternehmen sollten wir aber erst einmal Kräfte sammeln. In einer halben Stunde werden alle, bis auf die Wachen, sich zur Ruhe legen. Um 02:30 Uhr Norm-Zeit wird dann im Schiff geweckt. Hiermit möchte ich allen eine gute Nacht wünschen. Wer aber vorher noch das Bedürfnis haben sollte, gut zu essen, den bitte ich, sofort die Messe aufzusuchen.« Niemand protestierte. Plötzlich fühlte jeder einzelne, daß der Besuch der Sternenbrücke an ihren Kräften gezehrt hatte, und als das erste unkontrollierte laute Gähnen durch die Kommandozentrale klang, lachte niemand. Langsam leerte sich der Leitstand. »Dein bester Befehl seit Tagen!« urteilte Dan Riker mit leichter Ironie. »Ich habe dich buchstäblich bewundert, als du darauf hingewiesen hast, man könne vor der befohlenen Nachtruhe eventuell noch die Messe aufsuchen. Ich kann mich nicht daran erinnern, daß du schon jemals zuvor daran gedacht hast, deine 207
Mitmenschen könnten hin und wieder Hunger haben.« »Den du natürlich hast, Dan, oder?« Der sagte knapp und mit ernstem Gesicht: »Ren, das war die überflüssigste Frage, die du jemals gestellt hast!« Er verpaßte etwas, weil ihn ein saftiges Steak mit besten Beilagen wie ein Magnet in die Messe zog. Dhark besprach mit dem Offizier vom Dienst noch den Wachplan, als Zwitt sich veränderte. Der gelblich brennende Himmel, der so hoch über dieser Welt stand, wie der Mittelpunkt der Sonne von ihrer Oberfläche entfernt war, wurde orange. Gleichzeitig breitete sich draußen Dämmerung aus, wurde schnell zum Zwielicht. Über Zwitt wurde es Nacht! Der Himmel verdunkelte sich. Sein brennendes Leuchten erlosch. Wohin der Blick der Männer auch fiel, sie sahen über sich nur die Innenseite einer Korona, die kein Licht mehr emittierte. »Eigenartig«, sagte Dhark, und er erinnerte sich, was Lionel behauptet hatte. Er drehte sich um und trat an den Checkmaster. Pro Bereich sollten sich 144 Flächenprojektor-Stationen in der Korona befinden. Das würde bedeuten, daß die Zahl dieser Stationen riesengroß sein müßte, wenn Lionels Hypothese stimmen sollte. Der Checkmaster gab das Resultat durch. Kopfschüttelnd betrachte Dhark die nur astronomisch zu nennende Zahl und murmelte: »Jede Station soll einen Durchmesser von rund zwei Kilometern haben. Um Millionen von ihnen zu bauen, benötigt auch eine Wundertechnik zig Jahre. Über uns soll es aber Millionen mal Millionen Flächenprojektoren geben… Nonsens! Diese Zahl erreicht man noch nicht einmal dann, wenn einem eine halbe Ewigkeit zur Verfügung steht!« Unwillkürlich wanderte sein Blick zur Bildkugel. Eine Anzeige verriet, daß sie sich auf Infrarot geschaltet hatte. Deshalb sah er die Tempelanlage so klar, als wäre es draußen immer noch heller Tag. Die drei Rammenbogen faszinierten ihn immer wieder aufs Neue. Sie standen keineswegs still, sondern schwangen weich auf und ab, und aus ihren oberen Bereichen schössen hin und wieder lodernde Zungen zum abgedunkelten Himmel empor. Was verbarg sich hinter dieser auffallenden Demonstration? Was stellte dieses System, auf dessen Zentralwelt sie sich befanden, in Wirklichkeit dar? Nachdenklich verließ er die Kommandozentrale, um seine Kabine aufzusuchen. Unterwegs schoß ihm die Idee durch den Kopf, den Astronomen und Astrophysikern in ihrer Abteilung einen Besuch abzustatten. Seine Müdigkeit gab ihm jedoch den Rat, eine Handvoll Schlaf zu nehmen. Aber er konnte nicht 208
einschlafen. Vor seinen Augen tauchte ununterbrochen die Sternenbrücke auf. Er glaubte, die neun Sonnen zu sehen, und die Erinnerung führte ihn auf jenen Planeten zurück, der von den Schwarzen Weißen als Station benutzt wurde. Er sah ihre Roboter mit den grelleuchtenden Augen, und er hörte Girr-O wieder reden. Mone, dachte er, doch das war sein letzter klarer Gedanke. Augenblicke später war er eingeschlafen. Jos Aachten van Haag klopfte das Herz bis zum Hals, als er in Begleitung Jimmys durch die graue Ringantenne des Transmitters trat. Niemand konnte ihm sagen, ob er wirklich dort herauskommen würde, wo vor ihm der RobotHund gewesen war. Übergangslos kam er an. Er trat aus einer Ringantenne, die nur wenig mehr als zwei Meter Durchmesser hatte, aber das nahm er nicht wahr. Er konnte nichts sehen. Grellste Lichtflut umgab ihn, und urweltliches Dröhnen ließ ihn halb taub werden. Geblendet tastete er nach Jimmy, berührte dessen schwarzes Fell und krallte seine Finger hinein. Der Robothund, der neben ihm stehengeblieben war, setzte sich wieder in Bewegung. Jos preßte instinktiv seine freie Hand gegen die Augen. Sofort ließ die Blendung nach, und der Schmerz wurde schwächer. Das Brüllen und Toben entfesselter Gewalten blieb unverändert stark. Abrupt blieb Jimmy stehen. Der Scotchterrier stieß ihn kräftig mit der Schnauze an. Als sich dieser Vorgang zum dritten Mal wiederholte, wagte Jos, vorsichtig die Augen zu öffnen. Ich träume! schoß es ihm durch den Kopf. So etwas gibt’s doch gar nicht! Er war von Bildschirmen umgeben! In einem Raum, durch dessen Wände das Brüllen, Heulen und Krachen des brennenden Mammut-Aggregats drang, in dem die grellen Feuerzungen und Energieballungen aber nicht zu sehen waren. Wie ein Hund schmiegte sich Jimmy an ihn. Unbewußt streichelte Jos das Wesen, das ihn hierhergeführt hatte. Er stand mitten in einem zylindrischen Raum, der bis auf den Deckenabschluß und Boden keine Winkel besaß. Jos kam nicht auf den Gedanken, die Bildschirmringe, die ihn umgaben, zu zählen. Schirm neben Schirm. Eine Reihe über der anderen. Bis zur Decke. Und alle Bildschirme übermittelten Bilder der Katastrophe in diese Beobachtungszentrale. Als der Boden unter seinen Füßen zu zittern begann, wurde er abgelenkt. Mit einem Aufschrei sprang er zur Seite. Jimmy hatte mit einem Satz sogar die Wand erreicht. Ein Kontrollpult schob sich aus dem blauen Unitallboden. Ein Ring von einem halben Meter Dicke bei einem Durchmesser von knapp zwei Metern. An einer Stelle war der Ring offen. Die einzige Möglichkeit, um zu dem polierten nied209
rigen Hocker zu gelangen, der im Mittelpunkt stand. Jos war der Verzweiflung nah, während er die Instrumente und Steuerschalter betrachtete. Er bereute seinen Entschluß, allein den Versuch unternommen zu haben, die beiden entarteten Cyborgs aufzuspüren. Vergebens wünschte er sich Chris Shanton herbei, der mit dieser Anlage bestimmt etwas anzufangen gewußt hätte. Der Steuerring, unitallfarben schimmernd, war komplett ausgefahren worden. Doch Jos rührte sich nicht, weil sein Blick abgelenkt worden war. In der dritten Reihe beobachtete er gleichzeitig vier nebeneinander liegende Bildschirme. Habe ich Halluzinationen? fragte er sich und schloß für einen Moment die Augen. Doch als er sie wieder öffnete, hatten sich die Bilder nicht geändert. Roboter der Mysterious waren zu sehen -oder waren diese großen, an Schildkröten erinnernden Konstruktionen, die da heranschwebten, etwas ganz anderes? In drei Reihen kamen sie an, verteilten sich an einer bestimmten Stelle und verschwanden in den Tiefen der entfesselten Energiefontänen. Dann sah er auf dem rechten äußeren Schirm drei dieser Konstruktionen für einen Moment wieder. Mitten in den wildesten Explosionen, in denen unbekannte MysteriousAnlagen auseinanderflogen, stießen sie in das Zentrum der Katastrophe vor. Hört der Strom dieser >Schildkröten< denn gar nicht mehr auf? fragte sich der GSO-Mann, der sich immer hilfloser vorkam und die beiden Cyborgs Mildan und Dordig inzwischen fast vergessen hatte. Shanton und Tschobe mußten her und sich mit diesem Steuerring beschäftigen. Vielleicht war diese Anlage die letzte Chance, den Industriedom – und damit auch den Kontinent Deluge – vor der endgültigen Vernichtung zu bewahren. Natürlich! Jimmy sah ihn aus einigen Schritten Entfernung an, den Kopf leicht schräg gelegt. Hastig winkte Jos. Die Robotkonstruktion machte einen Satz und landete dicht neben ihm. Jos beugte sich zu Jimmy hinab und brüllte ihm mit voller Lautstärke ins Ohr: »Hau ab und hol den Dicken und Tschobe!« Das schwarzfellige Brikett auf Beinen wirbelte herum, sauste auf eine Bildschirmreihe zu, die sich dicht vor ihm teilte, etwas nach außen schwang und damit die zylindrische Wand öffnete. Plötzlich war die Katastrophe wieder in ihrem gesamten Ausmaß zu sehen, und erneut mußte Jos die Augen schließen. Sterne und Boliden, tobte er in Gedanken und riß sich den Klarsichthelm wieder über den Kopf, den er zurückgestreift hatte, als er Jimmy seinen Befehl ins Ohr gebrüllt hatte. Hoffentlich hat mich die Strahlung jetzt nicht gegrillt! Der Spalt, durch den die Robotkonstruktion verschwunden war, hatte sich wieder geschlossen. Der GSO-Mann befand sich nun allein in dem Raum mit den Hunderten von Bildschirmen und dem Steuerring, mit dem er nichts anzufangen wußte. Innerlich hatte er sich bereits darauf eingestellt, mit der gewaltigen Anlage in die Luft zu fliegen. Keine schöne Vorstellung, aber wenn er dabei an Shanton und Tschobe dachte, die genauso gefährdet waren wie er, dann spielte 210
es wirklich keine Rolle, ob er gleich schmerzlos ins Jenseits befördert wurde oder erst eine halbe Stunde später. Der Strom der blauen Schildkröten-Konstruktionen hatte sich vervielfacht. Aus drei endlosen Reihen waren zwölf geworden, die zu ihren Einsatzorten jagten. Kopfschüttelnd beobachtete Jos den Vorgang. Er konnte sich nicht erklären, welchen Sinn dieser Einsatz haben sollte. Noch unheimlicher war ihm der Steuerring mit seinen vielen Schaltern, Instrumenten und blinkenden Kontrollanzeigen. Es war doch Unsinn, sich vorzustellen, daß mit dieser Anlage der Ausbruch der Katastrophe verhindert werden könnte. Ebenso war der Einsatz der Schildkröten reine Materialverschwendung. Die Reihen der Bildschirme rissen auf. Manu Tschobe und Chris Shanton taumelten herein. Zwischen ihnen der Scotchterrier, an dem beide Männer sich festhielten, weil auch sie geblendet waren. Die automatisch arbeitende Filtereinrichtung ihres Klarsichthelms kam gegen diese Lichtfluten einfach nicht mehr an. Die Verständigung war nur noch über Helmfunk möglich, und dennoch schwierig, weil der Lärm, dieses Brüllen, Fauchen und Orgeln in allen Tonlagen, auch mit dem geschlossenen Klarsichthelm nicht abzuschirmen war. Manu Tschobe und Chris Shanton hatten sich buchstäblich auf den Steuerring gestürzt, und dabei das interessante Geschehen auf einigen Bildschirmen nicht bemerkt. Diplom-Ingenieur Shanton war zu dick. Sein Bauch paßte nicht durch die Öffnung des Rings. Fluchend blieb er vor der Anlage stehen, während der Afrikaner schon auf dem kleinen Hocker saß, der drehbar war und langsam herumschwenkte. Über den Helmfunk hörte Jos mit, worüber die beiden Männer sprachen. Er verstand kein Wort, weil ihm die technischen Begriffe nicht bekannt waren. Aber ein Ausdruck war ihm geläufig: Gesteuerte Implosionen! Das konnte sich doch bestimmt nicht auf dieses hochgehende MammutAggregat beziehen? Tschobe, den die meisten Menschen als ausgezeichneten Arzt kannten, war auch auf dem Gebiet der Hyperfunk-Technik ein erstklassiger Experte und durch seine Einsätze mit Ren Dhark zu einem Allroundman geworden. »Jos!« hörte der GSO-Mann den Afrikaner über Helmfunk brüllen, »diese beiden entarteten Cyborgs…« Der Zufall hatte plötzlich seine tückische Hand im Spiel. Blendendes Licht fiel in den zylindrischen Raum mit den vielen Bildschirmen. An der gleichen Stelle, die Jimmy als Tür entdeckt hatte, öffnete die Wand sich schon wieder. 211
Jos kam seine Ausbildung als GSO-Mann zugute. Er reagierte unwahrscheinlich schnell, und während ihn noch das Entsetzen über die beiden Schatten packte, die sich als dunkle Silhouetten vor der blendenden Lichtflut abzeichneten, schoß er schon aus beiden ParaSchockern. Ein dritter Schatten war durch die grelle Lichtflut geflogen, lange bevor Jos seine Strahler benutzte. Der Robot-Hund hatte mit seinen Ortungen die Gefahr erkannt und angemessen. Der Abstrahlpol auf seiner Zungenspitze emittierte ein Strahlengemisch, das der Scotchterrier laut Programmierung nur im alleräußersten Notfall benutzen durfte – nur, wenn es darum ging, Menschenleben vor der Vernichtung zu bewahren. Jimmy war ein wahres Wunderwerk an technischen Einrichtungen, aber letztlich gehorchte er Programmen. Und ethische Fragen hatten beim Programmieren nur eine begrenzte Rolle gespielt. Die Hände vor den Klarsichthelm gepreßt, dabei die Finger ein wenig gespreizt, spähte Jos in das grelle Licht und hatte nicht einmal Zeit, sich über das Wasser, das ihm in die Augen schoß, zu wundern. Unter dem Strahlbeschuß der Robotkonstruktion wurden zwei Schatten, die menschliche Umrisse hatten, wieder zu Menschen! Jos erkannte erst Mildan, dann Dordig! »Shanton, rufen Sie Ihr Ungeheuer zurück!« schrie Jos, der kein Interesse daran hatte, gleich vor zwei Aschehaufen zu stehen. Mildan und Dordig brachen zusammen! Jimmy schoß immer noch. »Abstellen! Abstellen!« schrie Jos wie von Sinnen; er wußte, daß die beiden entarteten Cyborgs nie mehr seine Fragen würden beantworten können. Das Brikett auf Beinen tötete zwei Cyborgs, die durch noch immer nicht genau geklärte Umstände entartet waren – die aber trotz allem immer noch Menschen waren! Jos mußte die Augen schließen, zu stark war die Blendung mittlerweile geworden. Fast gleichzeitig erfolgten an der Stelle, an der die beiden Cyborgs zusammengebrochen waren, zwei starke Energieausbrüche. Leuchtende Energiefontänen zuckten nach allen Seiten. Der GSO-Mann bekam die Druckwelle der Explosion zu spüren und taumelte. Als er wieder fest auf den Beinen stand, kam Jimmy durch die Bildschirmwand wieder in den Raum herein. Auf seinem Rücken hatte ein Energiestrahl eine breite Bahn seines schwarzen Fells weggeschmolzen, und der nackte Metallrumpf war zu sehen. »Shanton, Ihr wahnsinniger Köter hat gerade zwei Menschen umgebracht!« schnaubte Jos, kaum daß er wieder etwas sehen konnte. »Sie können…« 212
»Ach, halten Sie den Mund, Sie oberschlauer Superagent!« brüllte der Dicke mit seinem orgelnden Baß dazwischen. »Wenn Jimmy so gehandelt hat, dann hatte er einen Grund. Und ganz nebenbei: Können Sie mir vielleicht erklären, wieso die beiden Verdrehten wie kleine Atombomben explodieren konnten? Und jetzt halten Sie endlich Ihren Mund und geben uns die Möglichkeit…« Er kam auch später nie mehr darauf zurück, von welcher Möglichkeit er hatte sprechen wollen. Einige Bildschirme, die den Einsatz der Schildkröten zeigten, erregten sein Interesse. »Die haben ja einen Durchmesser von gut fünf Metern! Und sind dazu noch über zwei Meter hoch… Große Beteigeuze, woher kommen die Apparate?« Manu Tschobe, der schon wieder die Instrumente und Steuerschalter studierte, blickte auf. Er drehte sich mit seinem Hocker, blieb aber stumm. Dann verdeckte Shanton ihm zum Teil die Sicht, weil dieser dicht an die Bildschirme herangetreten war und die Vorgänge wie ein Wunder anstarrte. Plötzlich stand der Afrikaner neben dem Diplom-Ingenieur. Er hatte es im Ring nicht länger ausgehalten. Er sagte noch immer kein Wort, und Jos kam sich erneut in Gegenwart der beiden Spezialisten höchst überflüssig vor. Innerlich tobte er, weil er so schnell nicht vergessen konnte, daß dieser Robot-Köter zwei Menschen kaltblütig zerstrahlt hatte. Tschobes Stimme zerriß die Stille im Helmfunk. Mit beiden Händen packte er Shantons dicken Oberarm und versuchte den Zwei-Zentner-Mann zu schütteln. »Shanton, diese Schirmreihe paßt zu den Instrumenten der Serie 13-2! Diese… Wanzen. diese Dinger… Große Milchstraße, die haben… die steuern ja… die machen’s, Shanton! Die!« Jos hatte kein Wort verstanden. Er begriff nicht, worüber sich der Afrikaner derart aufregte, daß er keinen kompletten Satz mehr zustandebrachte. Shantons Orgelstimme dröhnte auf. Ihm erging es nicht anders als seinem Kollegen. »Stimmt! Los, Tschobe, sehen Sie schnell nach! Wir müssen Gewißheit haben! Wenn das wirklich stimmt…« Tschobe saß schon wieder auf dem Hocker und studierte bestimmte Instrumente und Kontrollanzeigen. Die Spannung in Jos wurde unerträglich. Er hatte auch nichts von dem verstanden, was der Dicke da gerade von sich gegeben hatte. »Es stimmt, Shanton! Ich habe mich nicht geirrt!« rief Tschobe über die Helmverständigung und lief wieder zur Bildschirmreihe, auf der der immer noch andauernde Einsatz der Schildkröten-Armee zu beobachten war. »Das ist nicht zu fassen! Nicht zu fassen, Tschobe! Diese Wanzen machen aus Explosionen gesteuerte Implosionen.« Gesteuerte Implosionen! Und dann schien der Dicke keine Luft mehr zu bekommen und mußte erst einmal tief 213
durchatmen. »Die Implosions-Energien verzehren sich anscheinend selbst!« hörte Jos den Afrikaner brüllen; er hatte den Eindruck, daß Tschobe an seinem eigenen Verstand zu zweifeln begann. Jos Aachten van Haag hielt es nicht länger aus. »Darf ich auch mal wissen, was hier vorgeht und…« »Kommen Sie her, Mann«, forderte ihn Shanton auf. »Sehen Sie sich das an und…« »Das hatte ich schon beobachtet, lange bevor Sie hier ankamen!« konterte Jos, der sich über das Verhalten des Dicken zu ärgern begann. Sein großartiges Getue ging ihm auf die Nerven. »Und das haben Sie uns nicht gezeigt?« fauchte ihn Tschobe zu allem Überfluß an. »Jos, das ist die Rettung für den Industriedom! Aber woher kommen diese Dinger? Wo gibt’s hier den Transmitter, der solche Ströme an Wanzen heranschafft?« Jos hatte es satt, mit dahingeworfenen Bemerkungen abgespeist zu werden. Er wollte endlich Erklärungen. »Tschobe, bin ich Experte oder Sie? Behalten Sie Ihre Erkenntnisse für sich. Ich die meinen auch…« Er bekam Jimmys Nackenhaare zu fassen. Der Hund blickte auf. Jos deutete nach draußen, und erinnerte sich in diesem Moment, daß er auf der Spezialfrequenz des Hundes zu ihm sprechen konnte. Hastig schaltete er seinen Helmfunk um. »Jimmy, zeig mir den Platz, wo du die Schatten gesehen hast.« Weder Chris Shanton noch Manu Tschobe hatten mitgehört. Sie waren ahnungslos, als der GSO-Mann mit dem Scotchterrier zu der Stelle der Bildschirmwand ging, hinter der sich der Ausgang nach draußen in die entfesselte Energiehölle verbarg. Hätte Jos Aachten van Haag geahnt, was ihn erwarten würde - niemals hätte er sich von Jimmy den Platz zeigen lassen, wo der Robothund zwei Schatten beobachtet hatte.
15. Über Zwitt war wieder Tag. Der Himmel brannte erneut in leuchtendem Gelb, aber im Gegensatz zum vergangenen Tag trieben Wolken, die an Schwefeldünste erinnerten, lautlos über den unbekannten Kontinent dahin. Unverändert standen die drei Flammenbogen über der Tempelanlage, die wie ein Bollwerk den Eingang zur Schlucht zu versperren schien. 214
In allen Räumen der POINT OF herrschte gespannte Erwartung und eine gewisse Unruhe, denn kurz nach dem allgemeinen Wecken hatte Ren Dhark durchgegeben, daß er diesmal mit mehreren großen Gruppen diesen eigenartigen Planeten durchforschen wolle. Wie eigenartig Zwitts physikalische Verhältnisse waren, hatten Jens Lionel und sein Team dem Commander schon berichtet. Die Astronomen und Astrophysiker waren der Order, eine Handvoll Schlaf zu nehmen, nicht nachgekommen, sondern hatten ihre Untersuchungen ununterbrochen weiter betrieben. Zwitt war einwandfrei ein Planet mit einer hochenergetischen Kugelschale, die künstlichen Ursprungs war – einer Art Sonnenhülle vom Sterntyp F. Die Stärke dieser Korona schwankte zwischen 35.000 und 61.000 Kilometern. »Wir haben es hier also mit einem System zu tun, das nur aus Planeten besteht, aber keine Sonne besitzt«, hatte Dhark noch einmal nachgefragt. »So gut wie alles, was wir bis jetzt herausgefunden haben, haben wir dem Checkmaster zu verdanken, Commander. Vieles davon basiert noch auf Wahrscheinlichkeitsrechnungen, Extrapolationen und Simulationen – aber es erscheint zumindest logisch.« Lionel hatte eine kurze Pause gemacht, als wollte er sich sammeln, ehe er fortgefahren war. »Zuerst gab es nur Zwitt, auf dessen Oberfläche wir uns befinden. Nach Aufbau der Flächenprojektor-Stationen in einem Abstand von 141 Millionen Kilometern um Zwitt wurde die Korona entwickelt. Die erforderlichen Kräfte bezog man aus dem Hohlschlauch, der die gesamte Sternenbrücke einhüllt. Diese Strahlenhülle ist so genial und raffiniert zugleich aufgebaut, daß wir sie nicht als Kunstgebilde erkennen konnten, sondern sie für die Korona einer Sonne vom Typ F hielten. Auf der Innenseite der Korona befindet sich ein stark abschirmendes Feld, das wohl die lebensnotwendigen Lichtmengen und Lichtarten durchkommen läßt, in der Hauptsache aber dafür sorgt, daß alle Kräfte in der Korona nur in den Weltraum hinaus wirksam werden. Acht der neun Sonnen der Sternenbrücke haben allem Anschein nach keine andere Aufgabe, als der Korona des Planeten Zwitt die Möglichkeit zu verschaffen, wie eine normale Sonne auszusehen. Als diese Entwicklung abgeschlossen war, wurden die Planeten herbeigeschafft. Man hat sich nur mit den inneren Umläufern Arbeit gemacht; bei den Bahnen der äußeren Planeten ist man hingegen sehr nachlässig vorgegangen…« »Hm…« hatte der Commander den Vortrag des Astronomen unterbrochen, »wie stellen Sie sich das vor? Man nehme einen Planeten unter den Arm und schaffe ihn einige tausend Lichtjahre weiter zu einem anderen System. Das klingt doch ein wenig utopisch, oder nicht?« »Nein, Commander, keineswegs utopisch. Wir haben uns damit abzufinden, 215
daß Zwitts Sonnenkorona einerseits ein künstliches Gebilde ist, gleichzeitig aber auch eine vollwertige Sonne, deren Kräfte groß genug sind, dieses komplizierte Planetensystem zu beherrschen. Auch wenn wir uns nicht vorstellen können, wie man diese gigantischen Aufgaben gelöst hat, so können wir doch sagen, daß es millionenmal schwieriger war, die Korona um Zwitt zu erzeugen, als die fehlenden Planeten heranzuschaffen!« Dann waren Unmengen astronomischer und astrophysikalischer Details gefolgt, bis der Commander Lionel mit der Bitte unterbrochen hatte, die wichtigsten Erkenntnisse in einem Report zusammenzufassen und ihm zur Verfügung zu stellen. Riker kam auf den Bericht der Astronomen wieder zu sprechen, während sie warteten, ob es der Funkortung gelingen würde, eine der starken Hyperfunkstationen auszumachen, die die POINT OF beim Überfliegen von Zwitt nicht aus ihren Tasterstrahlen hatten entkommen lassen. »Einen Punkt haben unsere Sterndeuter links liegengelassen: die tanzenden Planeten! Warum hat man sich die Arbeit gemacht, die Besatzungen einfliegender Raumschiffe mit diesem Phänomen regelrecht auf den Arm zu nehmen?« »Liegt die Antwort nicht auf der Hand?« stellte Ren Dhark die Gegenfrage. »Um von Zwitt abzulenken!« Heftig wehrte Riker ab. »Nein, das kann es nicht sein. Wer fliegt schon in eine Sonne hinein? Höchstens ein Selbstmörder – oder ein Terraner namens Ren Dhark. Wir sollten uns, wenn wir Zwitt wieder verlassen haben, diese drei tanzenden Planeten doch noch einmal näher ansehen.« Elis Yogan aus der Funk-Z meldete sich über die Bordverständigung. »Wir geben es auf, Dhark, denn wir erreichen ebensowenig wie Grappa mit seinen Ortungen. Fast könnte man sagen: Es ist wie verhext!« Dhark wandte dem kleinen Bildschirm der Bordverständigung wieder den Rücken zu. »Es bleibt dann bei Alarmstufe 3, aber es ändert nichts an unserem Erkundungsvorstoß. Wir haben jetzt« – er warf einen Blick auf sein Chrono – »09:42 Uhr Norm-Zeit… also noch achtzehn Minuten, bis es soweit ist. Wir sollten uns auch fertigmachen, Dan.«
Die Tempelanlage war umstellt worden. Zehn Flash, mit den erfahrensten Piloten besetzt, sollten unter Einsatz aller Mittel unverzüglich eingreifen, wenn ein Notruf erfolgen würde. Die beiden Waffensteuerungen des Flaggschiffs waren in höchster Alarmbereitschaft. Bud Clifton und Jean Rochard warteten nur darauf, die Strahlantennen der POINT OF einsetzen zu können. Alles war bis ins kleinste Detail vorbereitet worden, um den hundertacht Mann der Expeditionstruppe den größtmöglichen Schutz zu geben. Das Waffendepot der POINT OF 216
hatte noch niemals seit seiner Einrichtung so viele leere Fächer aufgewiesen wie an diesem Tag. Jeder Mann, der an dem Unternehmen teilnahm, war buchstäblich bis an die Zähne bewaffnet, und die normalen Viphos waren gegen die Spezialgeräte ausgetauscht worden, die sonst nur von der GSO und den Männern um Dhark benutzt wurden. Unter allen Umständen wollte der Commander vermeiden, daß er oder seine Männer noch einmal in eine Lage kamen, aus der es nach menschlichem Ermessen keine Rettung mehr gab. Die Lehre, die er durch die Schwarzen Weißen bezogen hatte, steckte Dhark noch in den Gliedern. Und er ging davon aus, daß es auf Zwitt keinen Mone gab, der ihn oder seine Leute retten würde. Die energetische Struktur der drei übereinanderstehenden Flammenbogen hatte man noch nicht analysieren können. Daß sie keine harte Strahlung emittierten, stand fest. Im Bereich der Tempelanlage sollte es – wenn man den Ortungsergebnissen trauen wollte – keine Konverter oder ähnliche Energieerzeuger geben. Aber bis zum Zeitpunkt des Einsatzes konnte auch nicht festgestellt werden, woher die drei Flammenbogen ihre Energie bezogen. Über Vipho kam die Klarmeldung der letzten Gruppe. Das Chrono zeigte 10:09 Uhr Norm-Zeit. Der Himmel über Zwitt brannte in leuchtendem Gelb. Er schien zum Greifen nah, und dennoch standen 141 Millionen Kilometer zwischen Zwitt und der Innenseite dieser künstlichen Sonnenkorona, die in dieser Form wahrscheinlich nur geschaffen worden war, um auf Zwitt Leben zu ermöglichen. Ren Dhark gab das letzte Kommando vor dem Einsatz: »Klarsichthelme schließen! Allgemeine Funkstille mit Ausnahme der Gruppenführer!« 10:10 Uhr Norm-Zeit. Dhark, Riker und Doorn näherten sich der breiten Treppe, die zum Tempel hinaufführte. Zum erstenmal sahen die Menschen den Fries aus der Nähe. Die Skulpturen, die nichts Humanoides an sich hatten, konnten sie nicht mehr enttäuschen. Als die Vergrößerung der Bildkugel in der POINT OF sie bis auf Lebensgröße herangeholt hatten, waren die meisten Männer bald müde geworden, diese ineinander verschlungenen Ungeheuer zu betrachten. Es war deutlich, daß hier Körper dargestellt worden waren, aber alle waren kopflos, und was manche Experten als Gliedmaßen bezeichneten, sahen die übrigen im Schiff als wüste Auswüchse der überschäumenden Phantasie eines unbekannten Künstlers. Zwischen den Fugen der Tempelstufen wuchs glashartes gelbliches Gras, das an Eiszapfen erinnerte. Wenn ein Fuß dagegen stieß, federten die Halme, als ob sie aus Stahl wären. Niemand achtete darauf. Jeder versuchte, das Halbdunkel zwischen den Säulenreihen zu durchforschen. »Licht!« gab Dhark über Helmfunk an die POINT OF. 217
Die Scheinwerfer des Flaggschiffs flammten auf. Über den Köpfen der Männer standen achtzehn scharfgebündelte Bahnen, die unter dem Fries zwischen den Säulenreihen ins Halbdunkel vorstießen und es aufrissen. Zum gleichen Zeitpunkt hatte die erste Gruppe, die aus fünfundzwanzig Mann bestand, das Podest erreicht. Wie angewurzelt blieben sie stehen. Sie blickten in eine riesige Halle, die vollkommen leer war. Doorn schaltete an seinem tragbaren Ortungsgerät und ging von einer Frequenz auf die andere. Geduldig warteten alle, was er zu sagen hatte. »Nichts«, meinte der maulfaule Sibirier schließlich, »und das ist mir zu wenig!« Eine Halle, mehr als achtzig Meter im Quadrat, auf allen vier Seiten von Säulen begrenzt. Decke und Boden spiegelglatt, mit schmutziggrauem Marmor verkleidet. Marmor, der nur einen Teil des einfallenden Lichts reflektierte. Staub lag auf dem Boden. Nicht überall, aber hier und da – teilweise sogar fußhoch. Und Gras wuchs im Halbdunkel. Das war alles! Ratlos sahen sich die Männer an. Auf ihren Gesichtern zeichneten sich Enttäuschung und Mißtrauen ab. »Die anderen Gruppen langsam aufrücken bis zum Ende der Säulenreihen!« gab Dhark durch. Er stand neben Doorn und überzeugte sich, daß dessen Ortungsgerät nur bedeutungslose Werte zeigte. Die Energieortung lag still. Das Hauptinstrument zeigte Null. Sie waren zehn Meter tief in die Halle eingedrungen; der Commander gab das Zeichen, weiterzugehen, nachdem er sich vergewissert hatte, daß die anderen Gruppen das befohlene Ziel erreicht hatten. Der angewehte Boden zeigte im Licht der Scheinwerfer ihrer M-Anzüge keinerlei Spuren von irgendwelchen Tieren. »Nicht einmal Insekten sind zu sehen. Eine Welt ohne irgendeine Form von tierischem Leben, genau wie der Planet, den die Schwarzen Weißen als Station benutzt haben.« Dan Rikers Feststellung fand kein Echo. Die Männer waren unruhig. Immer wieder sahen sie sich nach allen Seiten um. Sie erreichten eine Stelle, die frei von angewehtem Staub war; der Bodenbelag war völlig glatt und schimmerte matt. Und über uns drei Flammenbogen, dachte Ren Dhark, über einem leeren Tempel, der nichts über seine Erbauer aussagt. Sein Schritt stockte. Mit ihm verhielten Riker und Doorn, die die Spitze der fünfundzwanzigköpfigen Gruppe bildeten. Sie hatten Musik gehört. Wie auf dem Planeten der Schwarzen Weißen! Aber diese Musik war anders. Die Tonfolgen waren einschmeichelnd, wenn sie 218
auch sehr leise klangen, als würden sie von einem Windhauch aus weiter Ferne herangetragen. Zwei Baßlagen bildeten die Untermalung. Klar waren drei Instrumente herauszuhören, die eine kurze Melodie immer wieder spielten. Im Rhythmus dazu erklangen weich, aber sehr gedämpft, Gong-Schläge, die mit dem Ende der kurzen Melodie ebenfalls ausklangen. Woher kam diese Musik? Konnte vielleicht Doorns Ortungsgerät darüber Auskunft geben? Es ließ die Terraner im Stich! Dhark gab durch eine Geste den Befehl, unter keinen Umständen über Helmfunk zu sprechen. Er hatte die bösen Erfahrungen mit den Schwarzen Weißen nicht vergessen. »Weitergehen!« Mit jedem Schritt wurde die Musik lauter; das war die einzige Veränderung! Eine Ahnung stieg in Ren Dhark auf. Er drehte sich um! Sie waren allein! Sie waren… Einer seiner vierundzwanzig Begleiter schrie auf! Im gleichen Augenblick verstummte die Musik. Sie standen unter einem dreifachen Flammenbogen, und vor ihnen breitete sich auf einer Ebene die Stadt aus! Die Stadt! Menschen von Terra sahen zum erstenmal Zwitts wirkliche Oberfläche! Über den Tempelraum hatten sie den Bereich von Fiktionen und Illusionen verlassen. Die Flammenbogen waren der Eingang zur Stadt. Dhark erinnerte sich seiner Befehle. Über Helmfunk versuchte er die zurückgebliebenen Gruppen zu erreichen. Er atmete erleichtert auf, als er sofort Antwort erhielt. Seine Bedenken, sie könnten funktechnisch von den anderen getrennt worden sein, erwiesen sich als unbegründet. »Sie werden Musik hören, die bei jedem Schritt lauter klingt. Lassen Sie sich davon nicht irritieren. In unvermindertem Tempo weitergehen. Sie werden dann eine ortungstechnisch nicht anzumessende Sichtsperre durchschreiten und schließlich die Peripherie einer…« Dhark stockte. Der Ausdruck Stadt wollte ihm nicht über die Lippen. Blickten sie auf eine Stadt hinunter – oder auf einen Industriekomplex? Bauwerke in Ringform breiteten sich vor und unter ihm aus. Der äußere Ring hatte einen Durchmesser von zwölf Kilometern und war selbst über einen Kilometer breit, bei einer gleichmäßigen Höhe von gut dreihundert Metern. Zum Zentrum hin wurden die Bauten allmählich niedriger, so daß die gesamte Anlage von außen her wie ein Trichter aussah, in dem sich helle, ebene Rächen und markante dunkle Rillen abwechselten. Letztere waren nichts anderes als die im Kreis verlaufenden Straßenzüge zwischen den einzelnen Ringen mit ihren glatten Dächern. Ren Dhark war sich immer noch nicht sicher, was er da sah. Er nahm den letz219
ten Satz seiner Durchsage wieder auf: »…und schließlich unter dem dreifachen Flammenbogen auf uns treffen!« »Mitten in der Schlucht?« fragte einer der Gruppenführer. Ren Dhark atmete schwer. Auch ihn kostete es Überwindung, das verhältnismäßig niedrige Gebirge zu vergessen, das den Hintergrund zur Tempelanlage gebildet hatte. Es hatte niemals existiert. Es war nichts anderes als eine meisterhafte, technisch perfekte Fiktion – eine Fiktion, die sogar die Ortungsanlagen der POINT OF genarrt hatte. »Es gibt keine Schlucht. Es gibt kein Gebirge, und ob es diesen Tempel wirklich gibt, in dem Sie sich mit Ihren Männern aufhalten… Großer Himmel, ich wage es nicht zu behaupten. Stellen Sie keine Fragen mehr, sondern kommen Sie uns nach!« Ren Dharks Blicke tasteten wieder die grauen, glatten Dächer der Ringbauten ab. Die Funkstille war von seinen Männern durchbrochen worden. Der Eindruck, den dieser Komplex auf sie machte, war zu gewaltig. Dagegen verblaßte die Stadt auf dem vernichteten Planeten W-4, genau wie die, die von den Schwarzen Weißen als Station benutzt wurde. In Gedanken fragte sich der Commander, was die Erbauer veranlaßt haben konnte, für diese zusätzliche Tarnung zu sorgen – vor allem, da doch schon Zwitt im Schutz einer energetischen Hülle lag, die die perfekte Illusion einer ganz normalen Sonne mit allen charakteristischen Merkmalen darstellte. Arc Doorn stieß ihn an und reichte ihm das tragbare Ortungsgerät. »Dhark, versuchen Sie mal Ihr Glück damit. Ich bekomme einfach keine vernünftigen Ergebnisse.« Dhark nahm das Gerät nicht an. Er wußte, daß auf den Sibirier Verlaß war; wenn es Doorn nicht gelang, etwas Wichtiges zu ertasten, dann brauchte er es nicht auch noch zu versuchen. Er legte den Kopf in den Nacken und sein hochstabiler, geschlossener Klarsichthelm machte die Kopfbewegung mit. Im gleichen Moment hielt er sich an Doorn und Riker fest. Die drei Flammenbogen wanderten langsam auf das Zentrum des Komplexes zu. Ihre Bogen gewannen an Durchmesser und Höhe. Die Intensität ihres Leuchtens jedoch blieb unverändert. Riker und der Sibirier folgten Dharks Blick. Heftig schüttelte Riker den Kopf. Fast wütend fragte er Doorn: »Und Sie können mit der Energieortung immer noch nichts erfassen? Haben wir denn schon wieder eine mit Wundertechik erzeugte Fata Morgana vor uns, oder was, zum Teufel, soll das alles bedeuten?« Die Flammenbogen gaben keine Antwort. Lautlos bewegten sie sich weiter auf das Zentrum zu. »Wie ein Fanal!« 220
Irgendeiner von Dharks Begleitern hatte es gesagt. Damit hatte die Stadt einen Namen. Fanal! Die zurückgebliebenen Gruppen hatten zu ihnen aufgeschlossen. Nichts hatte sie aufgehalten, auch nicht die Sichtsperre. »Wir stehen vor einem riesigen Komplex und können nicht erkennen, wo wir ansetzen sollen«, meinte Dhark. Resignation schwang in seiner Stimme mit. »Du willst keinen Vorstoß unternehmen, Ren? Nicht einmal Fanal mit einem Flash überfliegen?« Dan Riker hatte in Worte gefaßt, was alle anderen dachten. Die Männer fieberten danach, zu erfahren, was sich in diesen gigantischen Ringbauwerken befand. Fanal wirkte völlig verlassen. Dieser Eindruck wurde durch die Tatsache unterstrichen, daß nirgendwo Bewegung festzustellen war. Keine Insekten, keine Tiere, keine Wesen, die sich mit Flügeln oder Flughäuten durch die Luft bewegten. »Verdammt«, platzte plötzlich Riker heraus, »hier gibt’s auch keine schwefelfarbenen Wolken! Liegt denn dieser Planet komplett unter einer Tarnkappe? Aber wozu das Theater?« Ren Dhark ließ ihn reden. Er hätte sich am liebsten selbst mit impulsiven Bemerkungen Luft gemacht. Was versteckte sich in Fanal? Wer hatte diesen Komplex erbaut? Ihn mit einem absolut sicheren Ortungsschutz versehen? Und warum war das Bauwerk irgendwann einmal verlassen worden? Vergiß das Herz der siebten Sonne nicht! Wieder mußte er an Mones telepathischen Hinweis denken. Er hatte es nicht vergessen. Er war in die siebte Sonne transitiert, und er hatte Zwitt unter der Sonnenkorona entdeckt. Und jetzt waren sie auf Fanal gestoßen, diesen kolossalen Komplex aus fünfunddreißig Ringbauten. Mitten über dem Komplex standen nun die drei Rammenbogen. Ihre Feuerzungen waberten hinauf zum gelblich brennenden Himmel. Hundertacht Terraner standen auf dem Kamm eines Höhenzugs, der sich allmählich zur Stadt absenkte, die mit ihrem mächtigen Außenring mehr als allem anderen einer Festung ähnelte. Wohin der Blick auch fiel, nirgendwo besaß die glatte, graue Front der Ringanlage eine Öffnung oder ein Fenster. Alles wirkte wie aus einem Guß. Ren Dhark rang sich zu einem Entschluß durch. Hatte er eben noch überlegt, ob es nicht besser wäre, die meisten Männer zur POINT OF zurückzuschicken, so bedauerte er nun, daß sie so wenig waren. Die zehn Piloten der Blitze stell221
ten die Notreserve dar. Auf sie wollte er jetzt noch nicht zurückgreifen. »Wir machen einen Vorstoß bis zur Ringmauer. Die Flash übernehmen die Sicherung. Die einzelnen Gruppen setzen sich nach Plan in Marsch!« Sie erreichten ihr Ziel ohne die geringste Störung. Die Verbindung zur POINT OF war unverändert gut, und die Kommandozentrale hatte nichts Bedeutungsvolles zu berichten. Dhark auch nicht. Fanal ließ sie nicht hinein. Der fast dreihundert Meter hohe äußere Ring verfügte tatsächlich über keine einzige Öffnung. »Warum haben wir keine Schwebeplatten mitgenommen?« fragte Ren Dhark sich leise selbst. Dan Riker, der die Frage gehört hatte, antwortete mit einem Schulterzucken. Wir können schließlich nicht immer an alles denken, Ren, schien es zu sagen. Plötzlich meldete sich die POINT OF. Auf der kleinen Bildscheibe des Viphos tauchte Walt Bruggs Gesicht auf. »Wir haben einen Hyperfunkspruch aufgefangen, Dhark. Gerafft und zerhackt. Impulsdauer 0,0005 Mikrosekunden. Standort des Senders in diesem Sonnensystem dicht vor der Bahn des sechsten Planeten, des äußeren Tänzers. Spruch konnte bisher weder auf normale Länge gebracht noch entziffert werden. Nach Rückfrage an Checkmaster erhielten wir folgende Antwort: Form der Amplitude deutet auf bekannte Erscheinung hin; Vorliegende Daten reichen aber nicht aus, eine Wahrscheinlichkeitsrechnung durchzuführen. Wir haben versucht, die Richtung festzustellen, in die der Spruch abgestrahlt wurde, aber das ist uns leider nicht gelungen. Nur mit der Echokontrolle haben wir auf dem Planeten der Schwarzen Weißen eine Hyperfunkstation erfaßt, die mit maximaler Leistung arbeitet. Doch was hat das schon zu bedeuten, wenn wir nicht beweisen können, daß der abgestrahlte Spruch ihr gegolten hat.« Atemlos hatten die Männer gelauscht. Jedem war klar, was die Nachricht zu bedeuten hatte. Ein fremdes Raumschiff befand sich im System und schien im Begriff zu sein, den äußeren der drei tanzenden Planeten anzufliegen. Würde es dabei bleiben? Unwillkürlich schüttelte sich Ren Dhark. Abermals glaubte er Mones telepathische Botschaft zu vernehmen: Vergiß das Herz der siebten Sonne nicht! Die Erinnerung irritierte ihn, störte ihn irgendwie in seinen Überlegungen. Bruggs Nachricht hatte ihn nervös werden lassen. Ein fremdes Raumschiff in diesem System… das konnte eigentlich nur bedeuten, daß die Schwarzen Weißen ihre Spur trotz der Zeitverschiebung gefunden hatten und sie nun verfolgten. Aber wieso erinnerte er sich gerade in solchen Augenblicken immer wieder an Mones Hinweis? Er entdeckte, daß Riker ihn beobachtete. Dan besaß manchmal ein ausgezeich222
netes Gespür dafür, ob er selbst unsicher war oder sich zu keinem Entschluß durchringen konnte. Dhark mußte schon wieder an Mone denken! Gleichzeitig sprach er mit Walt Brugg in der Funk-Z. »Brugg, schalten Sie sofort zur Ortung durch, damit Grappa mithören kann. Dieses fremde Raumschiff darf unter gar keinen Umständen aus der Ortung verloren werden. Rufen Sie mich unverzüglich an, wenn etwas Neues vorliegt. Wir werden jetzt drei der zehn Flash einsetzen und versuchen, nach Fanal hineinzukommen.« »Fanal? Was ist denn das?« Bruggs Frage war berechtigt. Er konnte die Bezeichnung der >Stadt< noch nicht kennen. Mit wenigen Worten klärte Dhark den Funker auf, dann schaltete er zu den Piloten um. Pjetr Wonzeff, Rul Warren und Mike Doraner erfuhren, daß sie mit Ren Dhark, Dan Riker und Arc Doorn in den Einsatz gehen sollten. Das paßte Riker nicht so ganz. »Bist du dir sicher, daß du nicht wieder zuviel wagst, Ren?« »Sicher bin ich mir nicht, aber…« gab der Commander mit einem verlegenen Lächeln zur Antwort. Aus der Sicherungsreihe flogen die drei Flash heran und setzten vor dem Commander, Riker und dem Sibirier auf. Dhark erteilte seinem Stellvertreter, Oberleutnant Roder, die letzten Anweisungen – dann stiegen sie zu den Piloten hinein, schlössen den Einstieg, kontrollierten noch einmal die Funkverbindung und starteten. Senkrecht stiegen die drei plumpen Blitze, die trotz ihrer häßlichen Form wunderbare Raumfahrzeuge waren, an der grauen, fugenlosen Wand empor. Dhark hatte Zeit, einigen Gedanken nachzuhängen. Dabei blieb er, der auf der Suche nach den Mysterious war, immer wieder an den gleichen Fragen hängen: Wer waren die Schwarzen Weißen, diese den Terranern unglaublich ähnliche Rasse, die sich auf den ersten Blick kaum von den Menschen der Erde unterschied? Wo lag ihre Heimatwelt? War ihre Technik tatsächlich so hoch entwickelt, oder hatten sie, nachdem die Geheimnisvollen verschwunden waren, nur deren Erbe angetreten? Und warum hatten sich ihre Roboter, die ihnen auf dem namenlosen Planeten der Robonen viel freundlicher entgegengetreten waren, in Gegenwart ihrer Konstrukteure ganz anders verhalten? Plötzlich dachte er wieder an Mone, die unsichtbare Intelligenz, die in den Tiefen jenes anderen Planeten wohnte und dort von den Robotern der Schwarzen Weißen aufgestöbert worden war. Mone war nicht gut auf sie zu sprechen. »Wir sind oben!« Wonzeffs Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. Sie hatten die ebene Dachfläche des ringförmigen Bauwerks erreicht und begannen sie langsam zu überfliegen, um nahe der anderen Kante zu landen. Neunhundertsechsundsechzig Meter war die Krone der Ringanlage breit. Fu223
genlos und aus dem gleichen unbekannten Material gebaut wie die Außenwand. Erschütterungsfrei setzte die 002 auf. Rechts und links davon landeten die 003 und die 004. Die Piloten rührten sich nicht, als Dhark und seine beiden Begleiter ausstiegen. Vorsichtig bewegten sich die Männer bis zur Kante vor. Ihre Hände lagen um die Kolben der Strahlwaffen, aber niemand dachte an eine Gefahr. Jeder war gespannt, was ihnen der Blick in die Tiefe gleich zeigen würde. Wenige Meter vor Erreichen ihres Ziels sahen sie den ersten Streifen zwischen den beiden Ringen. Eine graue, leere Straße. Ein glatter Ring zwischen den Anlagen. So leer, so eintönig, wie Fanal wohl überall aussah. Mehr als zweihundert Meter waren es bis zum nächsten Bauwerk, das sich in nichts von dem unterschied, auf dem sie standen. Es gab kein einziges Fenster, nicht die kleinste Andeutung eines Portals. Und in der Tiefe diese breite, leere Straße. Ein graues, leeres Band unter einem gelblich brennenden Himmel. Ren Dhark versuchte sich gegen das Gefühl zu wehren, das dieser trostlose Anblick in ihm aufsteigen ließ, und er wartete auf eine Bemerkung von Dan Riker oder Arc Doorn, aber beide sagten kein Wort. Sie gingen zu den Flash zurück, ließen sich in die Sitze fallen und schlössen den Einstieg. Die Blitze hoben ab, flogen über die Kante, und senkten sich mit schwach arbeitendem Sie zur Straße hinab. »Weiter beobachten!« befahl Dhark über Helmfunk. Die Krümmung der Straßenschlucht zwischen den beiden trostlosen Bauwerken war kaum festzustellen, nur wenn sie geradeaus sahen, entdeckten sie, daß sie den Kreisbogen nicht besonders weit einsehen konnten. In fünfzig Meter Höhe flogen die drei Blitze auf Sicherheitsabstand hintereinander. Je länger der Kontrollflug über die äußere Ringstraße dauerte, um so höher wurde die Geschwindigkeit der Flash. »Ein Friedhof ist tausendmal schöner!« stellte Dan Riker sarkastisch fest. Dann bemerkte Wonzeff: »Wir haben unseren Ausgangspunkt wieder erreicht!« Rechts glatte graue Wände; links glatte graue Wände; die Straße grau und glatt und leer; der Himmel eine gelblich brennende Fläche, ohne Wolken. Die drei Flammenbogen waren von ihrer Position aus nicht zu sehen. Die Stille war erdrückend; sie wirkte regelrecht unheimlich. Dhark rief Oberleutnant Roder an. Der hatte nichts Neues zu melden. Er rief die POINT OF, aber auch dort gab es keine Neuigkeiten. Das von den Ortungen erfaßte fremde Raumschiff stand immer noch in Höhe der Bahn des sechsten Planeten. In diesem Moment wurde Dhark aufmerksam. Unwillkür224
lich beugte er sich vor. »Brugg, geben Sie mir Grappa!« Das Gesicht auf dem Schirm wechselte. »Grappa, Sie haben trotz Sonnenkorona keine Schwierigkeiten mit der Ortung?« »Nein!« »Haben Sie sich schon einmal überlegt, daß das unbekannte Schiff unsere Ortungsstrahlen anmessen könnte? Und haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was passieren wird, wenn die Besatzung des fremden Raumers dadurch die Position der POINT OF erfährt und auf diese Weise entdeckt, daß die siebte Sonne der Sternenbrücke gar keine Sonne ist?« Keine Antwort; nur Tino Grappas schweres Atmen war über die Funkverbindung zu hören. Riker räusperte sich, dann kam sein allgemein gehaltener Vorwurf: »Und daran hat kein Mensch gedacht?« »Abschalten, Dhark?« kam von der POINT OF die in unsicherem Tonfall gehaltene Frage: »Ja, bis auf die Echokontrolle… nein! Auch die! Aber kontrollieren Sie statt dessen die Sonnenkorona. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät.« Die Flash standen, von schwacher Sle-Leistung gehalten, auf der Stelle. »Überfliegen wir einmal die gesamte Anlage!« Die Ringbauwerke wurden niedriger, je näher sie dem Zentrum kamen, und auch schmaler. Ebenso verringerte sich die Breite der leeren grauen Straßen. Dies geschah jedoch so gleichmäßig und unmerklich, daß die sechs Mann in den Blitzen bald das Gefühl dafür verloren hatten, wie sehr der Durchmesser der Ringbauten zusammengeschrumpft war. »Dhark… links! Ganz weit links…« Rul Warren hatte etwas entdeckt, das allen anderen entgangen war. Der sechste oder siebte Ring, vom Zentrum aus gezählt, war an einer Stelle unterbrochen! Sofort nahmen die Flash Kurs auf die entsprechende Stelle. Je näher die Männer kamen, um so deutlicher sahen sie über die Bildprojektion, daß dem sechsten Ring ein mehr als hundert Meter langes Stück fehlte. Dann standen sie in knapp zweihundert Metern Höhe genau darüber. Die Ringlücke war zum Teil durch eine Häuserzeile aufgefüllt! Die Häuser standen auf der Ringkrone, die an dieser Stelle viel tiefer lag! Die Straße darunter lag nur noch vierzig Meter unter der Krone. »Häuser mit Fenstern und Türen! Häuser in einem Stil, der den scheußlichen Zementklötzen, wie sie in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf Terra gebaut wurden, verdammt ähnlich ist«, urteilte Mike Doraner, und hatte damit eine ausführliche Beschreibung abgegeben. 225
Großer Himmel, dachte Dhark fassungslos, was haben an dieser Stelle der Anlage Häuser zu suchen? »Wir sehen uns diese Bauten mal an!« Drei Flash setzten wieder auf. Die Ortungen liefen. Distanzwerte kamen, dazu nichtssagende Massewerte, mehr nicht. Grau die Fronten der Häuser. Im leichten Gelbton schimmernd die Fenster, die das Licht des brennenden Himmels widerspiegelten. Geschlossen die schwach blau wirkenden Türen. Und über allem diese Stille, die etwas Unheimliches, Unwirkliches hatte. »Dan, rufe Roder und die POINT OF an. Informiere die Männer, was wir entdeckt haben!« Dhark zählte die Stockwerke der Häuserreihe mit den langen rechteckigen Fenstern, die durch Verstrebungen auch noch unterteilt waren. Wieso waren an dieser Stelle Häuser gebaut worden? Er hatte sie im Zentrum erwartet! Ich mache mir selbst etwas vor, verbesserte er sich in Gedanken. Im Zentrum habe ich erwartet, einen ultrablau leuchtenden schwebenden Ring zu sehen, einen kreisrunden Platz, und in den diesen Platz begrenzenden Ringbauten Portale, die in ihr Inneres führen. Aber niemals habe ich damit gerechnet, solche Häuser zu sehen. Hat diese Anlage vielleicht gar nichts mit den Mysterious zu tun? »Fertig!« gab Riker durch. »Und nun?« »Aussteigen, bis auf die Piloten! Sollte der Funkkontakt abreißen, sofort Meldung an Roder und die POINT OF. Was dann noch zu tun ist…? Handeln nach eigenem Ermessen, aber unter keinen Umständen ein Großeinsatz, um uns zu suchen. Das war’s wohl!« Drei Mann verließen drei Flash. Hinter ihnen schlössen sich die Ausstiege der Blitze wieder. Für die Piloten bestand Alarmstufe 1. Über ihre Bildprojektion sahen sie den Commander mit Riker und Doorn langsam auf die nächste Haustür zugehen. Die Männer hatten die Klarsichthelme noch geschlossen und unterhielten sich über Funk. Auffallend war Dharks Einsilbigkeit. »Wie eine Falle…« »Was hast du gesagt, Ren?« Riker drehte sich um und musterte den Freund von Kopf bis Fuß. Dharks Bemerkung war keine Antwort auf seine Frage gewesen. »Diese Häuserreihe gefällt mir nicht, Dan. Sie erinnert mich an die drei tanzenden Planeten. Auch das war ein Versuch, jedes einfliegende Raumschiff abzulenken.« »Aber du warst nicht abzulenken, Ren. Du warst der einzige, der sich an die Koordinaten der sieben Sender erinnert hat, die damals den Notruf abstrahlten!« Unwillkürlich nickte der Commander. Es war ihm schon wieder entfallen, daß er durch diese Ausrede vielen bohrenden Fragen aus dem Weg gehen konnte. 226
Mone, dachte er, was hast du bloß angerichtet, als du mich auf die siebte Sonne aufmerksam gemacht hast?! Dreißig Meter trennten sie noch von der nächstgelegenen Haustür – und dreißig Meter sollten es auch bleiben. »Wir kehren um! Sofort!« Dan Riker verstand überhaupt nichts mehr. Doorn schwieg wie meist. Kommentarlos nahm er Dharks Order hin, machte kehrt und ging zu den Flash zurück. »Stop!« rief Riker ihm nach. »Doorn, was sagen Ihre Ortungen?« Der warf einen kurzen Blick auf sein tragbares Gerät. »Nichts!« Als letzter machte sich Riker auf den Rückweg. Seine Augen funkelten wütend, als er sich im engen Sitz niederließ und den Einstieg schloß. Er hätte zu gern einen Blick in diese Häuser geworfen, und er konnte seinen Freund einfach nicht verstehen. Dhark war mit sich selbst unzufrieden. Als ihm der Gedanke gekommen war, diese merkwürdig deplazierten Häuser könnten eine Falle für ungebetene Besucher sein, hatte er völlig instinktiv gehandelt – und dann hatte er seinen impulsiven Entschluß nicht wieder rückgängig machen wollen. Er unterrichtete Roder und die POINT OF, daß die Durchsuchung der Häuser nicht vorgenommen worden sei und sie ihren Flug quer über die Ringe wieder aufgenommen hätten. Die Flash gingen mit dem Tempo herunter, je näher sie dem Zentrum kamen. Hundertacht Meter Durchmesser hatte der runde Platz. Einundzwanzig Meter hoch war der erste Ring und fünfzehneinhalb Meter breit seine glatte graue Dachkrone. Auch diese Anlage besaß keine Fenster und Türen. Wohin die Männer nach der Landung auch sahen: graue, glatte Wände; ein grauer Platz, darüber die drei Flammenbogen und über ihnen der gelblich brennende Himmel. »Verkapselt… alles verkapselt, und dann diese Häuser, die wirklich nicht hierhergehören. Große Milchstraße, welche Idioten haben das gebaut?« Ren Dharks Angst war nicht kleiner geworden. Im Gegenteil, sie hatte eine Intensität erreicht, die ihm den Schweiß aus den Poren trieb. Das Gefühl, es sei trotz einwandfrei arbeitender Klimaanlage im Raumanzug viel zu heiß, ließ in ihm den Wunsch aufkommen, den Klarsichthelm zu öffnen. Seine Hände packten bereits zu, da gelang es ihm, den unsinnigen und gefährlichen Wunsch zu unterdrücken. »Ren«, wagte Dan Riker einen Vorstoß, »soll nicht wenigstens ein Flash versuchen, im Schutz seines Intervallfelds in den kleinsten Ring einzufliegen?« Wenn du wüßtest, wieviel Angst ich gerade davor habe, dachte der Commander und kniff die Augen zusammen, weil ihm der Schweiß hineinlief. Seine Stimme verriet keine Unsicherheit, als er antwortete: »Das kommt nicht 227
in Frage. Ich denke nicht daran, mit diesem Manöver zu riskieren, daß einer der Ringe hochgeht!« »Verdammt, Ren!« setzte Riker ungehalten nach. »Doorn kann keinerlei Energiequellen feststellen. Diese Konservenanlage scheint nichts anderes als die verrückte Spielerei einiger noch verrückterer Architekten zu sein. Denke nur an diesen lächerlichen Tempel mit den drei Flammenbogen…« Rikers Worte ließ einige seiner Begleiter unwillkürlich nach oben blicken. Die Flammenbogen erloschen! Sie fielen in sich zusammen! Sie waren nicht mehr! Nur noch der gelblich brennende Himmel stand über Fanal. Plötzlich gellte Grappas Stimme in ihrem Helmfunk auf: »Strukturerschütterung! Immer neue Strukturerschütterungen! Raumer fliegen ein! Raumschiffe stürzen sich auf uns.« Schlagartig wurde die Verbindung zur POINT OF unterbrochen und war nicht wieder herzustellen – genau wie die zu den Gruppen unter Oberleutnant Roder, die vor der äußeren Ringmauer warteten. Und Ren Dhark spürte seine Angst immer größer werden…
16. Jos stand wieder vor Manu Tschobe und Chris Shanton. Jimmy hatte er zurückgelassen. »Lassen Sie hier alles stehen und liegen! Kommen Sie mit! Sehen Sie sich an, was Ihr Monstrum entdeckt hat!« Der GSO-Mann gestikulierte wild, während er diese Worte hervorbrachte, um so die Aufmerksamkeit von Tschobe und Shanton auf sich zu lenken. »Was hat Jimmy entdeckt? Was haben Sie gesehen, Jos?« orgelte der DiplomIngenieur. »Bin ich der Fachmann? Woher soll ich das wissen? Ich habe nur den Verdacht, daß Jimmy einen Transmitter gefunden hat. Aber keinen mit einer grauen Ringantenne, sondern eine irisierende Kugel, in deren Innern es rot glüht. 228
Ja, Shanton, Sie brauchen mich gar nicht so ungläubig anzustarren! Vielleicht ist es auch gar kein Transmitter, sondern eine Höllenmaschine, mit der wir uns kurz und schmerzlos in die Luft jagen können, bevor wir hier langsam gegrillt werden. Aber sehen Sie sich das Ding doch einmal an. Das ist hundertmal interessanter als diese Armee von Schildkröten oder mechanischen Wanzen. Kommen Sie jetzt mit oder nicht?« Sie ließen alles im Stich. Der GSO-Mann, dem seine Aufregung deutlich anzumerken war, hatte sie neugierig gemacht. Aber ein Transmitter, der anstelle einer Ringantenne eine irisierende Kugel haben sollte, in deren Innern es rot glühte? Mit Jos schien die Phantasie durchgegangen zu sein, oder bei ihm zeigten sich schon die Auswirkungen von schweren Strahlenschäden. Sie stießen wieder in die Licht- und Energiefluten vor, die von einem Schirm kaum noch gebändigt werden konnten. Ein Mammut, neunhundert Meter hoch, mehr als einen Kilometer lang und breit, schien endgültig kurz davor zu stehen, in die Luft zu fliegen. Shanton und Tschobe ließen sich von Jos führen, der trotz aller Blendung doch noch etwas sehen mußte, denn kein einziges Mal wurde er langsamer. »Vorsicht! Jetzt!« Er packte beide am Nacken. Es kostete ihn Mühe, den ZweiZentner-Mann vorwärts zu stoßen. Mit Manu Tschobe hatte er weniger Arbeit. Es ging durch eine schwarze Wand, die schwachen Widerstand aufwies, aber dann nachgab. Eine Wand, die dicker als ein Meter sein mußte. Und eine Wand, die es schaffte, den Höllenlärm des Wolkenkratzer-Aggregats vollkommen zu isolieren. »Da! Na, was habe ich gesagt?« brüllte Jos über den Helmfunk, weil auch er noch halb taub war. Blaues Licht um sie herum. Ein großer, mehr als dreißig Meter hoher Raum, dazu mehr als dreimal so lang und breit. Links eine einzige Instrumentenwand mit einem Steuerpult. Rechts blankes Unitall. Aber in der Mitte eine irisierende Kugel, deren Durchmesser mehr als zehn Meter betrug. Eine Kugel, die aus flimmernder Energie zu bestehen schien und dennoch oben und unten Kontakt mit einer halbkugeligen Schale hatte, die von einem kräftigen Metallrahmen gehalten wurde. In der Mitte der Kugel flackerte es rot. Ein unruhiges Flackern, als wolle es jeden Augenblick die Kugel sprengen und sich in den Raum stürzen. »Puh…« stieß Shanton aus, der seinen Klarsichthelm geöffnet hatte, »welches Kuckucksei haben Sie uns denn jetzt gezeigt, Jos? Aber wo ist Jimmy?« Sein Robothund war ihm ans Herz gewachsen, und er hatte ihn noch nie gern ausgeliehen. Jimmy war ihm plötzlich wichtiger als diese irisierende Kugel mit dem rotglühenden Innenleben. 229
»Eben war er noch hier«, erklärte Jos. »Als ich Sie holen ging, saß er dort in der Ecke.« Ahnungslos blickte Shanton nach unten, als er durch den Raumanzug eine leichte Berührung an seinem Knie spürte. Jimmy hockte da und schaute treuherzig zu ihm hoch. »Biest!« schnaubte Shanton, doch seine vor Freude funkelnden Augen verrieten, daß er einen Kosenamen benutzt hatte. Manu Tschobe brannte vor Neugier, doch er zeigte auch deutlich, daß ihm der Scotchterrier langsam unheimlich wurde. »Das hier hat das Monstrum entdeckt, und den Weg in dieses Mammutaggregat auch. Shanton, was bisher noch keinem Menschen gelungen ist, Ihr Monstrum hat’s geschafft und…« »Sagen Sie nicht immer Monstrum, Tschobe. Sagen Sie meinetwegen Miststück oder Luder. Das klingt wenigstens nett, wenn’s nett gesagt wird. Jimmy ist kein Monstrum. Er hat nur etwas von meinem Verstand mitbekommen.« »Angeber!« sagte das Ding, das etwas von dem Verstand seines Schöpfers erhalten haben sollte. »Und Angeber habe ich noch nie leiden können!« Niemand achtete auf den Robothund, selbst Shanton reagierte nicht auf Jimmys vorlaute Worte. Ihre Aufmerksamkeit galt einzig und allein der irisierenden Kugel und dem Steuerpult vor der großen Instrumentenwand. Tschobe machte eine hilflose Bewegung, als würde er an seinem Verstand zweifeln. »Das muß ein Transmitter sein! Das ist auch ein Transmitter, aber warum hat er anstelle einer Antenne eine Kugel? Und was hat diese Anlage in dem Mammutaggregat zu suchen?« Sie sahen sich genauer um. Dieser Raum war kein Versteck, und nichts deutete darauf hin, daß die beiden entarteten Cyborgs sich hier aufgehalten hatten. Über diesen Punkt wurde der Dicke stutzig. »Sollten Mildan und Dordig diesen Transmitter benutzt haben und von Jimmy nur entdeckt worden sein, weil sie gerade aus der Kugel kamen oder im Begriff waren, durch sie zu verschwinden?« Sie sahen einander an. Dann blickten sie alle zu der irisierenden Kugel. Das rote Leuchten in ihrer Tiefe flackerte unregelmäßig. Tschobe hatte die Lippen zusammengepreßt und studierte wieder das Schaltpult mit den ihm vertrauten Steuerknöpfen. Die Bedeutung der meisten war ihm nicht klar. Ebenso fand er keine Antwort darauf, warum es über dem Pult einen Bildschirm gab. Was hatte der an dieser Stelle zu suchen? Er schaltete ihn ein. Der Monitor flackerte, wurde schwarz, aber in der schwarzen Fläche leuchteten zwei scharf umgrenzte Punkte, die von weniger hellen umlaufen wurden. Er sah das Col-System! Ihr System mit Hope! »Shanton! Jos!« Sein Ruf ließ sie herantreten. Mit wenigen Worten hatte er ihnen alles erklärt. »Und jetzt schalte ich weiter. Ich bin gespannt, was uns der 230
Schirm dann zeigt.« Der Steuerschalter kippte in eine andere Position. Das Bild wechselte. Drei Männer hatten vergessen, daß sie sich in einem riesigen Maschinengiganten befanden. Sie hatten auch die Roboter vergessen, die wie überdimensionierte Schildkröten aussahen und zu Tausenden im Industriedom im Einsatz waren. Eine ihnen unbekannte Sternkonstellation erschien auf dem Monitor. Drei blauweiße Sonnen, die auffallend nah zusammenstanden, jedoch alle über ein eigenes Planeten-System verfügten. »Man müßte Astronom sein, um zu wissen, welches Sternbild hier dargestellt wird«, murmelte Shanton. Tschobes Blick war über die Instrumente gewandert. Als er die Zahlensymbole der Mysterious erkannte, wußte er, daß mit diesem Gerät die Koordinaten einer dieser drei Sonnen angegeben worden waren – jedoch Koordinaten nach dem Einteilungssystem der Geheimnisvollen! Was fehlte, war ein Checkmaster, der in der Lage war, sie auf das terranische System umzurechnen! Drei Kontrolleuchten blinkten auf. »Was hat das nun wieder zu bedeuten?« fragte Jos, der sich hilflos vorkam. »Die Aufforderung, die Feineinstellung vorzunehmen«, erwiderte Tschobe, der sich gar keine Gedanken machte, wie sicher er in den wenigen Minuten geworden war, seit er am Steuerpult stand. Manches hatte Ähnlichkeit mit der Anlage in der POENT OF; vieles war fremd, dennoch ergab das Ganze ein Bild, wenn es auch in seinen Konturen verwaschen war. Die drei Kontrolleuchten brannten nicht mehr. Auf dem Bildschirm hatte eine kleine Verschiebung stattgefunden. Die Sonne im Südbereich des Monitors hatte sich in den Vordergrund geschoben und zeigte ihre dreizehn Planeten. Der sechste flackerte wie ein Blinklicht. »Dort befindet sich die Gegenstation!« behauptete Manu Tschobe. »Hypothese!« schränkte Shanton die Bemerkung des Afrikaners ein. »Scheint ein bißchen weit weg zu sein, oder?« Tschobe fühlte auch kein Verlangen, die Transmitter-Anlage auszuprobieren. Ihn fröstelte immer noch, wenn er an die Reise dachte, die er zusammen mit Jimmy unternommen hatte und bei der sie auf einem unbekannten Planeten auf den vermißten Professor Acker gestoßen waren. Wieso sie zum Schluß auf der sich mitten im All befindlichen POINT OF herausgekommen waren, hatte nie geklärt werden können. Jos Aachten van Haag brachte ihnen den entscheidenden Punkt wieder in Erinnerung. »Müssen wir erst zu Cyborgs umgebaut werden, daß wir den Mut finden, diesen Transmitter zu benutzen? Mir ist die Vorstellung sympathischer, auf einem fernen Planeten mein Glück zu versuchen, als mit diesem Höllenkasten in die Luft zu fliegen!« 231
Das erinnerte sie an die Katastrophe, die sich im Industriedom abspielte. Chris Shanton setzte sich in Bewegung, schob seinen dicken Bauch vor sich her und drängte sich durch die Wand, die abermals nur schwachen Widerstand entwickelte. »Was hat Shanton vor?« fragte Jos überrascht. »Keine Ahnung«, erwiderte Tschobe geistesabwesend. Er musterte Jos aus leicht zusammengekniffenen Augen. »Machen Sie mit, Jos?« fragte er plötzlich. »Was? Was soll ich mitmachen?« »Na, eine Transmitterreise zu diesem Planeten? Aber bedenken Sie, daß es sehr gut möglich ist, daß wir nie wieder hierher zurückfinden…« Der Zwei-Zentner-Mann kehrte zurück. Seine Augen funkelten. »Die Wanzen«, keuchte er, »die Wanzen bekommen die Hölle unter Kontrolle. Sie sind überall. Weiß der Himmel, wie sie aus Explosionen Implosionen machen und mit energetischen Ausbrüchen verfahren, als ob ein harmloses Rinnsal umzulenken sei. Das ist eine Feuerwehr! Einmalig! Das muß man gesehen haben!« Er stutzte, weil weder Tschobe noch Jos sich sonderlich für seine Worte interessierten. »Shanton, wir werden den Transmitter benutzen. Bleiben Sie hier, um auf uns zu warten? Nur Jimmy müssen Sie uns mitgeben und…« »Den Teufel werde ich tun«, polterte der Dicke. »Hier warten und Däumchen drehen, was? Das könnte Ihnen so passen. Ich komme mit. Nur möchte ich vorher wissen, auf welche Distanz Sie geschaltet haben, Tschobe.« »Das würde ich selbst gern wissen«, erwiderte der Afrikaner. »Bleiben Sie bei Ihrem Entschluß?« Chris Shanton ging auf die irisierende Kugel zu. »Ist die Anlage eingeschaltet?« »Soweit ich es beurteilen kann - ja!« »Okay. Los, Jimmy, wir beide machen den Anfang!« sagte Shanton aufmunternd zu seinem Robothund. Dann knurrte er Tschobe an: »Aber eines kann ich Ihnen versichern, Tschobe: Wenn ich in der Bratpfanne eines Kannibalen lande, dann dürfen Sie schon mal Ihr Testament machen!« Der Dicke hatte keine Angst; zumindest zeigte er sie nicht. Dicht neben ihm befand sich der Scotchterrier. Beide blieben nun einen Moment vor der Kugel stehen. Shanton sah sich noch einmal nach Jos und Tschobe um und machte dann den entscheidenden Schritt. Zusammen mit Jimmy drang er in die Kugel ein! Die beiden so unterschiedlichen Wesen bewegten sich darin, als ob sie sich in freier Luft aufhalten würden! Sie gingen weiter, immer weiter! Und sie wurden dabei kleiner. Mit jedem Schritt, der sie dem roten Leuchten näherbrachte, das unverändert in unregel232
mäßigen Abständen flackerte. »Das ist… das ist nicht zu fassen. Himmel, ist das wirklich ein Transmitter?« stieß Manu Tschobe aus, der sich anstrengen mußte, um Mann und Hund noch erkennen zu können. Aus dem Riesen Shanton schien ein Zwerg geworden zu sein, der nur noch knapp zehn Zentimeter groß war. »Warum dreht er sich nicht um? Warum reagiert er nicht? Er muß mich doch über Funk…« Mann und Hund, kaum noch zentimetergroß, hatten das rote Glühen erreicht. Blitzartig veränderte es sein Aussehen! Grelles ultrablaues Licht schoß aus dem Mittelpunkt der Kugel in den Raum. Ein kurzes, einmaliges Aufleuchten. Dann gab es wieder den flackernden Rotpunkt in dem irisierenden Gebilde zu sehen, aber keine Spur mehr von Chris Shanton und seinem Robot-Hund! »Hm…« brummte Jos, »hätte ich doch vorhin nur meinen Mund gehalten…« »Mir gefällt die Sache auch nicht so recht, aber was bleibt uns anderes übrig, als dem Dicken und seinem Monstrum… äh, seinem Hund zu folgen? Wir können ihn doch nicht im Stich lassen.« »Bringen wir es hinter uns, Tschobe!« »Einen Moment noch, Jos. Ich möchte noch einmal versuchen, mit irgendwem auf Deluge Funkkontakt zu bekommen. Ich würde die Wissenschaftler gerne über unser Experiment informieren, und außerdem möchte ich ihnen mitteilen, daß schildkrötenähnliche Roboter dabei sind, die Katastrophe im Industriedom unter Kontrolle zu bringen.« Seine Rufe blieben ohne Antwort. Schließlich gab Tschobe es auf. »Los! Lassen wir Shanton nicht zu lange warten.« Und nebeneinander gingen sie mit klopfendem Herzen auf die große, irisierende Kugel zu, in der es rot leuchtete.
Die RWF-Labs im Ural waren ein wenig ansehnlicher Industriekomplex. Die langen, flachen Fertigbetonhallen paßten nicht in die romantische zerrissene Naturlandschaft mit ihren dunklen Berghängen, den reißenden Wildbächen und den nadelspitzen Felsgraten. Die RWF waren nur Fachleuten ein Begriff. Aber der Nimbus, mit dem sich diese Forschungsstätte umgeben hatte, drohte allmählich zu verfliegen. Es schien ganz so, als hätte Cir Monk, der Chef-Metallurg, vor einigen Jahren zuviel versprochen. Seine damaligen Ankündigungen waren schlichtweg sensationell gewesen, und sie hätten ihn zu einem der berühmtesten Männer Terras gemacht, wenn sie in Erfüllung gegangen wären. Doch irgendwann war es um die RWF still geworden. Die Schwierigkeiten, die völlig unerwartet aufgetreten waren, als man daran gegangen war, einen Verarbeitungsprozeß für das rotleuchtende Schwermetall Tofirit zu entwickeln, 233
entpuppten sich als weit größer «s erwartet. Dieses Erz, das man bisher nur auf Hope und auf Jump entdeckt hatte, besaß ein spezifisches Gewicht von 481,072 kg/cm3. Erst seine Kristalle hatten den To-Funk möglich gemacht. Er war dem normalen Hyperfunk in jeder Hinsicht überlegen. Man ahnte, daß das Schwermetall vielseitig verwendet werden konnte, doch immer neue Probleme türmten sich vor den Wissenschaftlern auf. Damals, als diese Schwierigkeiten erstmals in vollem Umfang abzusehen gewesen waren, hatte Cir Monk ernsthaft überlegt, ob er seinen Posten als ChefMetallurg nicht niederlegen sollte. Seine Kollegen hatten ihm wochenlang zureden müssen, die Arbeit nicht hinzuwerfen. Und als er sich dann dazu durchgerungen hatte weiterzumachen, und nicht mehr an seinen Rücktritt dachte, war es um die RWF still geworden. In der Folgezeit wurde nicht einmal mehr das Ministerium für Technik in Alamo Gordo kontinuierlich unterrichtet. Dem anscheinend ziemlich schläfrigen Ressortchef fiel nicht auf, daß die RWF zu einem Kostenfaktor geworden waren, der in keinem Verhältnis zu den Ergebnissen stand, die in den Labors erzielt wurden. Es bedurfte eines schneidigen jungen Bürokraten, der Mitglied in der von Henner Trawisheim höchstpersönlich eingesetzten >Kommission zur EffizienzÜberprüfung der terranischen Verwaltungsbehörden< war und in dieser Tätigkeit nicht ganz zu Unrecht ein Sprungbrett für eine spätere politische Karriere sah, um das Mißverhältnis aufzudecken. »Seltene Erden, Schwermetalle – vor allem Molybdän – und dazu praktisch ein kompletter abgewrackter 400-Meter-Beuteraumer der Giants… und was ist dabei bisher herausgekommen? Nichts, rein gar nichts!« Harald Erneson, sportlich, dynamisch und mit der Eloquenz eines Holovid-Rechtsanwalts gesegnet, sah den Vorsitzenden der EU-Kommission anklagend an und knallte ihm mit einer schwungvollen Geste einen Stapel Folien auf den Schreibtisch. »Und jetzt hat der Chef-Metallurg von RWF, dieser… Monk, auch noch 300 Tonnen Nickel angefordert! Sie sind sicher mit mir einer Meinung, Herr Vorsitzender, daß es so nicht geht!« Der Vorsitzende der EU-Kommission nahm sich Zeit, die Unterlagen, die sein ehrgeiziger Untergebener zusammengetragen hatte, sorgfältig zu sichten. Dann rief er den zuständigen Ressortchef im Ministerium für Technik an und erklärte ihm unmißverständlich, daß die RWF-Labs keine 300 Tonnen Nickel erhalten durften. Bei RWF wartete man immer ungeduldiger auf die Lieferung. Monk tobte und schlug über Vipho beim zuständigen Ressortchef in Alamo Gordo Krach! Dieser hatte das unangenehme Gefühl, zwischen zwei Feuer geraten zu sein, und wußte sich nicht anders zu helfen, als bei seinem Minister vorstellig zu werden. Innerhalb der Berichterstattung kam ans Licht, welche Unsummen die bisher 234
ergebnislosen Forschungsarbeiten der RWF verschlungen hatten. Cir Monk sollte erschöpfend Auskunft geben. Der Metallurg weigerte sich, es über Vipho zu tun. Der Minister für Technik beorderte ihn nach Alamo Gordo. Cir Monk gab zur Antwort, daß er es für sinnvoller halten würde, wenn die Unterredung vor Ort – im Ural – stattfand. Der seltene Fall trat ein, daß sich ein Minister von Alamo Gordo aus auf den Weg zum Ural machte, um sich an Ort und Stelle zu überzeugen, wo die riesigen Geldmengen geblieben waren. Drei Tage dauerte sein Aufenthalt bei der RWF. Nach seiner Rückkehr vereinbarte er unverzüglich einen Termin mit Henner Trawisheim. Im Laufe der Unterredung stieß Marschall Bulton hinzu. Am Abend des gleichen Tages spie die Transmitter-Gegenstation der RWF die 300 Tonnen Nickel aus. »Jetzt müssen wir aber Glück haben!« sagte Cir Monk, als er die Meldung erhielt. Er setzte sich ein letztes Mal mit dem mittlerweile im Ural versammelten Brain-Trust zusammen, dem auch einige Wissenschaftler von Hope – unter anderem der Metallurg Paul Renoir sowie Achmed Tofir, der Entdecker des Tofirits – angehörten. »Morgen abend lassen wir den entscheidenden Versuch laufen. Wir wissen, was wir wollen – und wir wissen auch, daß wir mit diesem Versuch ein nicht unbedeutendes Risiko eingehen. Wenn er mißlingt, kann der halbe Ural in die Luft fliegen. Wenn wir ihn morgen starten, dann werden sich nur noch achtundsechzig Menschen im Werk befinden, und auf einen Umkreis von fünfundsiebzig Kilometern hält sich niemand mehr auf…« Mittlerweile lief der Versuch schon in der dritten Stunde. Fünf abschirmende Energiewände lagen zwischen der Versuchsstätte und dem Kontrollraum, in dem Monk mit sieben Mitarbeitern vor einem überdimensionalen Bildschirm saß. Zwei der modernsten Suprasensoren standen zur Verfügung, und sämtliche Konverter, über die die RWF verfügte. Die MMC-Werke auf der anderen Seite des Ural hatten Order, ein Drittel ihres Energievorrats abzugeben, wenn Monk sie anforderte. 23.000 Tonnen Tofirit wollte Cir Monk in einem Arbeitsgang verarbeiten! In einer mit hochwiderstandsfähigem Kunststoff ausgekleideten Grube von zweihundert Metern Durchmesser und einer Tiefe von hundertacht Metern schwebten – gehalten von vier superstarken A-Grav-Feldern – die 23.000 Tonnen Tofirit, die im Licht der strahlenden Mittagssonne wie Millionen riesengroßer Rubine funkelten. Rund um die Grube waren Steuergeräte aufgefahren, eine Unzahl kostspieligs235
ter Injektoren, Rha-e-Former – ein Erzeugnis der Mysterious-Technologie –, Fernkontrollen und eine Reihe von Antennen in bizarrsten Formen. Ein kuppeiförmiges Energiefeld schirmte die Grube ab. Bis zum Kontrollraum, in dem sich Monk mit seinen sieben Mitarbeitern aufhielt, sicherten weitere vier Schutzschirme diese Männer, die sich von den wenigen innerhalb des RWF-Komplexes verbliebenen Menschen der Grube am nächsten aufhielten. »Neunundvierzig zu Ende. Nullstand wieder erreicht. Die Katas 17 und 18 aus IX werden gegen die Katas 21, 22 und 23 aus X ausgetauscht. 27,4 Tonnen Nickel werden jetzt zusätzlich eingefahren. Letzter Konverter-Ring hat angesprochen.« Monks Assistent hatte wie ein Roboter gesprochen und jede Position der Checkliste genannt, die von einem der kontrollierenden Suprasensoren auf seinem Monitor angezeigt wurde. Achtzehn Kilometer trennten sie von der Grube. Fünfzig Kilometer würden nicht ausreichen, sollte dieser Versuch in einer Katastrophe enden. Monk beobachtete über den großen Bildschirm, wie weitere 27,4 Tonnen Nickel, von einem vektorierbaren A-Grav-Feld gehalten, eingefahren wurden. Der obere rechte Ausschnitt des Schirms ließ sehen, daß durch überlange Kunststoffgelenke die Katalysatoren 17 und 18 entfernt wurden. Drei andere traten an ihre Stelle. Die Kunststoffgelenke schwenkten zurück. Eine Reihe Meldungen auf den Kontrollmonitoren verriet, daß die nächste Phase des Versuchs anlaufen konnte. Monks Assistent beugte sich zum Stand-Vipho vor. »Fünfzig fährt an. X-Zeit läuft!« Cir Monk, der die Anspannung kaum noch aushielt, griff nach einer Zigarette. Während er tief inhalierte, begannen am Grubenrand die Injektoren aufheulend ihre gebündelten Energien zu emittieren. Die Rha-e-Former brummten in einer so tiefen Tonlage, daß die rund um den Grubenrand aufgebauten Mikrofone es gerade noch erfassen konnten. Im Kontrollzentrum bewegte sich keine Hand. Keine einzige Schaltung wurde durchgeführt. In diesem Stadium des Versuchs unterlag die gesamte Ablaufkontrolle den beiden Suprasensoren. Sie hatten außerdem den Befehl, beim kleinsten Anzeichen einer Katastrophe alles auf Null zu fahren – wenn dafür die Zeit noch reichte! Das war die große Unbekannte dieser Versuchsreihe! Plötzlich richtete sich Cir Monk auf. Hastig zerdrückte er die gerade angerauchte Zigarette im Ascher. Die Suprasensoren hatten alle verfügbaren Energiemengen der MMC-Werke auf der anderen Seite des Urals abgerufen und eingesetzt. Die letzten Reserve236
Injektoren heulten auf. Das Aussehen der Katas, die wie Liliputmonde den 23.000 Tonnen schweren Tofiritbrocken umschwebten, veränderte sich. Diese Materialien, die als Katalysatoren wirkten und zu einem genau berechneten Zeitpunkt eine ganz bestimmte Reaktion auslösen sollten, wechselten teilweise in einen anderen Aggregatzustand. Sie vergasten, konnten aber nicht entfliehen, weil sie von ihrem A-Grav-Feld gehalten wurden. Der Energieschirm über der Grube war mit 98,2 Prozent belastet. Cir Monk warf einen hastigen Blick auf das Chrono, das die X-Zeit wiedergab. Noch drei Minuten und ein paar Sekunden, dachte er. In diesem Moment entstand über der Kunststoffgrube eine Sonne, die 23.000 Tonnen Gewicht hatte! Die Reaktion war eingetreten! Das Tofirit begann seine Molekularstruktur zu verändern! Die beiden steuernden und kontrollierenden Suprasensoren griffen auf der Grundlage ihrer Programmierung in den Ablauf ein. Im gleichen Moment standen in den MMC-Werken alle Maschinen still. Not-3 war eingetreten! Jetzt Not-4 und Not-5! Zwei weitere industrielle Fertigungskomplexe, die Sikorski-Werft und die Tritt-Corporation, konnten über ihre eigenen Energien nicht mehr verfügen. Sämtliche angeforderten Energiemengen fraß diese Sonne über der Kunststoffgrube, die in ihrem superstarken A-Grav-Feld zu rotieren begann und dabei immer stärker strahlte. Doch die Belastung des schützenden Energieschirms war auf 45,3 Prozent gefallen! Von den Katalysatoren konnten Monk und seine Kollegen keine Spur mehr entdecken. »Keine harte Strahlung… keine harte Strahlung…« keuchte einer der Assistenten und schüttelte fassungslos den Kopf. »Doch! Genug davon! Im Kern des Tofirits!« stieß Cir Monk aus, der das Gefühl hatte, er würde in den nächsten Augenblicken zusammenzubrechen. Seit das Tofirit zu reagieren begonnen hatte, war Monks innere Anspannung kontinuierlich gestiegen und inzwischen kaum noch auszuhalten. Das Nickel über der Grube hatte sich verändert! Im Licht der gerade geschaffenen Kleinstsonne, die immer schneller um ihre eigene Achse rotierte, schimmerte es in einem giftigen Grünton. Im Kern des Tofirits stieg die Temperatur unaufhaltsam immer höher. Die 23.000 Tonnen hätten längst gasförmig sein müssen, dennoch war das Material nur glutflüssig. Der Druck unter dem Energieschirm stieg sprunghaft an. Diskontinuierlich verlaufende Reaktionen, dachte Cir Monk, der wie erstarrt 237
vor dem großen Bildschirm saß und seine Blicke zwischen den Kontrollgeräten und dem Schirm pendeln ließ. »Jetzt…!« Der Schrei gellte durch die Kontrollzentrale! Für den Bruchteil einer Sekunde hatte es ausgesehen, als ob das rotierende glutflüssige Tofirit auseinanderfliegen wollte. Die in strahlendstem Weiß glühende Kugel hatte sich wie ein Ballon aufgebläht – und war dann ebenso blitzartig in sich zusammengefallen. Not-4 und Not-5 wurden nicht mehr eingesetzt. Auch die MMC-Werke konnten etwas später wieder über ihre Energie verfügen. Ein Drittel der Injektoren an der Grube schaltete sich ab. Die superstarken A-Gravfelder gingen mit ihrer Leistung herunter. Das grelle Leuchten der rotierenden Schwermetallkugel ließ nach. Ihr Farbton veränderte sich zu strahlendem Grün, verblaßte, und dann blähte sich die Kugel noch einmal auf, um an einer Stelle aufzureißen. Die beiden Suprasensoren arbeiteten hundertprozentig exakt. Tofirit, fremdartig farblos, floß aus dem Riß in die Grube und rann an der glatten Kunststoffwandung entlang jener Öffnung zu, die sich am tiefsten Punkt blendenartig aufgetan hatte, um darin zu verschwinden! Haben wir es geschafft? fragte sich Cir Monk. Er fühlte in diesem Moment noch keinen Triumph. Noch konnte niemand sagen, ob die Reaktion so verlaufen war, wie er und all jene, die an diesem Projekt beteiligt gewesen waren, es berechnet und extrapoliert und sich letztlich vor allem erhofft hatten. Der Riß in der Kugel wurde länger und breiter. Das Tofirit verlor mehr und mehr seine Form. Schließlich sah es wie ein überdimensionaler Tropfen aus, der sich, kaum noch von A-Grav-Feldern beeinflußt, in die Tiefe der Grube ergoß. Unter der Grube lief es in vorbereitete Formen, die ebenfalls von leistungsstarken Kühlanlagen umgeben waren. Ein heller Summton kündigte das Ende des Versuchs an. Siebeneinhalb Stunden später lagen die ersten metallurgischen Werte vor. Terra besaß ein Metall, das in seiner hochkomprimierten Molekularstruktur das Unitall in jeder Hinsicht übertraf. Ein Vorteil wog dabei besonders schwer: Innerhalb der ersten drei Stunden nach seiner Umwandlung konnte Tofirit ohne besonders große technische Schwierigkeiten bearbeitet werden, danach jedoch widerstand es wie das Unitall allen Angriffen! Jetzt können wir endlich unsere Raumschiffe bauen! dachte Cir Monk, als er auf sein Stand-Vipho zuging, um seinen Erfolg nach Alamo Gordo zu melden. Er kam nicht bis dorthin. Ein Schwächeanfall ließ ihn zusammenbrechen. Besinnungslos am Boden liegend, wurde er von einem seiner Assistenten gefunden, der seine sofortige Überführung in die Medo-Station veranlaßte. 238
Die untersuchenden Ärzte hatten schnell ihre Prognose gestellt, dann aber nahmen sie sich den Assistenten vor, der sich gegen seinen Willen untersuchen lassen mußte. »Man sollte es nicht glauben!« fauchte ihn der Chefarzt an. »Man kann sich kaum vorstellen, daß man es hier mit erwachsenen Menschen zu tun hat! Sie haben mit Ihren Körperkräften Raubbau getrieben! In einer Form…« Monks Assistent mochte zwar müde sein, aber so ließ er noch lange nicht mit sich reden. »Doktor«, fauchte er ebenso energisch zurück, »warum erzählen Sie mir etwas, was ich schon lange weiß? Und was glauben Sie, werde ich jetzt tun? Also lassen Sie mich jetzt gefälligst wieder gehen. Mein Bett erreiche ich auch ohne Ihre Hilfe. Vorher habe ich in Vertretung von Cir Monk noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Oder haben Sie schon einmal einen Minister warten lassen?« Und mit diesen Worten war er draußen. Der Arzt schüttelte in einer resignierenden Geste den Kopf. »Wissenschaftler… pah, Spinner sind das alles, nichts als spätpubertäre, wichtigtuerische Spinner!«
Achtzehn fremde Raumschiffe waren nach Zwitt durchgebrochen! 112 Millionen Kilometer entfernt standen sie über dem Planeten. Der Alarm in der POINT OF war automatisch ausgelöst worden. A-Grav riß den Ringraumer vom Boden! Die Flächenprojektoren des Sie emittierten mit maximaler Leistung. Im Leerraum des Rings entstand der Brennkreis, der das Flaggschiff durch die dichten Luftschichten dem freien Raum entgegenjagte. In der Funk-Z rief Glenn Morris seinem Kollegen Walt Brugg zu: »Keine Verbindung mit dem Commander mehr! Auch nicht zu den wartenden Gruppen. Selbst über To-Funk ist nichts zu machen!« Tino Grappa hinter den Ortungen hatte andere Sorgen. Das Schiff war geortet worden. Es lag in fremden Tasterstrahlen! Die achtzehn unbekannten Raumer hatten die POINT OF erfaßt. Hen Falluta, der augenblickliche Kommandant des Flaggschiffs wischte sich über die Augen. Die drei Flammenbogen über der Tempelanlage waren verschwunden! Grappa sah über seinen Oszillo eine Amplitude huschen, deren Schwingungsweite seine Anlage nicht voll erfassen konnte. Im nächsten Moment waren die Kontrollgeräte tot! Abgeschaltet! Falluta sah die Bildkugel über dem langgestreckten Instrumentenpult schwarz werden. Gleichzeitig waren sämtliche Steuerschalter blockiert. Über die Bordverständigung meldete sich Bud Clifton aus der WS-West: »Wir 239
können kein einziges Ziel mehr erfassen! Zum Teufel, was ist denn jetzt schon wieder los?« Niemand konnte ihm auf diese Frage eine vernünftige Antwort geben. Die POINT OF war blind! Die POINT OF war nicht mehr zu steuern! Und das alles in 12.000 Metern Höhe über der Oberfläche einer Welt, die sich im Innern einer Sonnenkorona befand. »Der Checkmaster… der Checkmaster…« Voller böser Ahnungen wirbelte Falluta mitsamt seinem Pilotensessel herum. Der Checkmaster lag still! Das Bordgehirn der POINT OF arbeitete nicht mehr! War das der Anfang vom Ende? Besaß der Ringraumer überhaupt noch seine beiden Intervalle? Stürzte das Schiff womöglich bereits in die Tiefe?
17. Die Wissenschaftler, die sich über die beim Angriff der G’Loorn zerstörte, mittlerweile aber längst wieder aufgebaute Transmitterverbindung aus dem Industriedom nach Kontinent 4 gerettet hatten, fingen von dem 100-MeterKugelraumer DOG die Nachricht auf, daß sich Jos Aachten van Haag, Manu Tschobe und Chris Shanton noch immer im geräumten Höhlensystem aufhalten würden. Alle Versuche, mit ihnen über Funk Verbindung aufzunehmen, seien bis jetzt gescheitert. Zwei der Techniker, die sich auf den Inselkontinent gerettet hatten, meldeten sich freiwillig. Kaum hatten sie ihr Angebot vorgetragen, als sie auch schon in ihre M-Raumanzüge stiegen. Ces Lakuss stand am Fenster und sah zur Schachtanlage hinüber, den einzigen Hinweis auf das Tofirit-Vorkommen in knapp eineinhalb Kilometern Tiefe. Besser die als ich! dachte er und schämte sich im gleichen Augenblick für diesen Gedanken. Abrupt drehte er sich um. »Ich gehe auch mit!« sagte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. Im gleichen Moment schien eine Zentnerlast von ihm zu weichen. Von allen Seiten erklangen mahnende Stimmen, die vor jeder voreiligen Handlung warnten. Barsch schnitt ihnen Lakuss das Wort ab. »Rufen Sie das Team 240
am Transmitter an, damit man die Anlage für uns klarmacht!« Ein paar Minuten später stapften sie hinaus, marschierten am langgestreckten Verwaltungsbau vorbei und weiter auf die Transmitterstation zu. »Ein Himmelfahrtskommando!« sagte Risaro lakonisch. Er hatte noch nicht einmal seine Ausbildung vollendet, wollte erst im kommenden Monat sein Examen als Transformer-Techniker machen. »Würdest du etwa wollen, daß man dich hängenließe, wenn du dich in einer solchen Situation befinden würdest?« fragte Kilkill in ziemlich scharfem Ton. »Nein, natürlich nicht, deshalb habe ich mich schließlich freiwillig gemeldet«, erwiderte Risaro, »aber es bleibt trotzdem ein Himmelfahrtskommando!« Noch bevor Kilkill etwas sagen konnte, mischte Lakuss sich ein. »Wir sollten uns besser nicht streiten«, versuchte er die Erregung seiner beiden Begleiter zu dämpfen. »Hoffen wir lieber, daß wir sie finden und noch einmal die beiden Col-Sonnen sehen.« Die Transmitter-Station auf Kontinent 4 war ursprünglich von den Mysterious errichtet worden, die das Tofirit-Vorkommen wahrscheinlich erst entdeckt hatten, kurz bevor sie Hope fluchtartig verließen. Sie war dann in den Wirren der G’Loorn-Krise zerstört worden, denen auch die Siedlerstadt Cattan mitsamt ihren 50.000 Einwohnern zum Opfer gefallen war. Mittlerweile gab es jedoch längst wieder eine funktionierende Transmitterverbindung zwischen dem Höhlensystem von Deluge und Kontinent 4, nicht zuletzt weil sich diese Verbindung einfach als unglaublich praktisch erwiesen hatte. Lakuss und seine beiden Begleiter machten einen Schritt durch die Ringantenne der kleinen Anlage – und setzten ihren Fuß im Industriedom auf den Boden. Als sie den abgeteilten kleinen Raum mit dem Transmitter verließen, erwarteten sie, gleich in eine Hölle zu geraten. Doch die Wirklichkeit war ganz anders. Die Mammuts im Dom arbeiteten normal! Nicht das geringste Zittern lief durch den Boden. Kein Brüllen, Dröhnen und Heulen erfüllte mehr die Luft in der neunhundert Quadratkilometer großen Höhle! Alles war so, wie sie es normalerweise gewohnt waren. Nur langsam erholten sich die Männer von ihrer Verblüffung. »Wunder gibt’s nicht, darum glaube ich auch an keines«, murmelte Lakuss. Risaro und Kilkill hörten es über Helmfunk. »Aber hier ist eines geschehen!« widersprach Kilkill. »Hier standen doch drei Mammuts vor der Explosion, und mir kann keiner erzählen, daß drei Aggregate von neunhundert Metern Höhe und einem Kilometer Länge und Breite von einem Moment zum ändern wieder zahm werden, wenn sie kurz vorher noch in die Luft zu fliegen drohten. Wollen wir uns die Sache nicht mal aus der Nähe ansehen? Schwebeplatten stehen doch genug herum.« Lakuss erinnerte ihn daran, warum sie überhaupt erst das Wagnis auf sich ge241
nommen hatten, in den Industriedom zurückzukehren. Aber weder Jos Aachten van Haag, noch Manu Tschobe oder Chris Shanton meldeten sich auf ihre Funkrufe. Daß sie auch keine Verbindung zur DOG und zu Kontinent 4 bekommen würden, war ihnen schon bei ihrem Aufbruch klar gewesen. Die Schwebeplatte brachte sie in rasender Fahrt zum nächstgelegenen der drei Mammut-Aggregate, die noch vor kurzer Zeit knapp vor der Explosion gestanden und sie und alle anderen damit aus dem Industriedom gejagt hatten. »Risaro«, fragte Lakuss zum drittenmal, »sind Sie ganz sicher, daß dieser Wolkenkratzer durchgehen wollte?« Und er deutete auf das Monstrum, vor dem sie mit einem Sicherheitsabstand von einem Kilometer gelandet waren. »Und ob ich diesen Wolkenkratzer wiedererkenne, Lakuss! Dieses Ungetüm war das erste von den dreien, das durchging. Ich habe doch nur knapp zwei Kilometer entfernt auf der anderen Seite mit dem Dreiser-Team gearbeitet. Wenn Sie es immer noch nicht glauben wollen, dann gehen Sie doch mal hin, ziehen Ihren Handschuh aus und legen nur mal kurz Ihre nackte Hand an die Unitallverkleidung. Sie werden sich alle fünf Finger verbrennen, wenn Sie nicht schon vorher geschmort werden!« Keine Viertelstunde später zweifelte Risaro ernsthaft an seinem Erinnerungsvermögen. Der unitallverkleidetete Riese war nicht wärmer oder kälter als der Mammut auf der anderen Seite der Maschinenstraße! Aber Risaro war sich eigentlich hundertprozentig sicher, daß die Unitallwände schon geglüht hatten, als er mit seinem Team zum Transmitter geflüchtet war. Er fühlte sich unter den mißtrauischen Blicken von Lakuss und Kilkill alles andere als wohl. Doch die Kraft, gegen dieses Mißtrauen aufzubegehren, brachte er nicht auf. Dazu waren seine Zweifel, sich vielleicht doch geirrt zu haben, mittlerweile viel zu groß, auch wenn ein Teil seines Verstandes unbeirrt darauf beharrte, daß sie vor dem Giganten standen, der drauf und dran gewesen war, zu explodieren. »Ich spinne doch nicht!« brauste er plötzlich auf, und dann hatte er auf einmal eine Idee. Er legte sein Ohr an die Verkleidung, die eine völlig normale Temperatur hatte. Er lauschte und lauschte und rührte sich nicht von der Stelle. Er ignorierte die Fragen seiner beiden Kollegen. Erlauschte! Schließlich folgten Lakuss und Kilkill seinem Beispiel. Klüger als Risaro wurden sie dadurch auch nicht. »Das hört sich an, als würde da drin alles abgerissen«, meinte Lakuss unsicher; er schenkte dem verkleideten Maschinengiganten einen mehr als mißtrauischen Blick. »Oder nach Aufräumungsarbeiten«, sagte Kilkill widerwillig, weil ihm seine 242
eigene Vermutung lächerlich vorkam. Risaro ließ sie reden. Er preßte sein Ohr wieder gegen das Unitall, das in unregelmäßigen Abständen einen eigenartigen Höllenlärm übertrug. Gerade kreischte, krachte und donnerte es wieder, als wären im Innern des Maschinengiganten zehn Stockwerke voller Geräte und Aggregate in die Tiefe gestürzt. Danach war wieder jenes gleichmäßige Geräusch zu hören, das immer vor und nach diesen kurzen Lärmspitzen zu hören war. »Könnten da drin Roboter am Werk sein?« Wütend biß sich Risaro auf die Lippen. Er hatte diesen Gedanken gar nicht aussprechen wollen und wunderte sich, daß seine Begleiter nicht lauthals loslachten. Die Schwebeplatte brachte sie zum Großtransmitter-Raum. »Geschlossen!« konstatierte Lakuss, der nichts anderes erwartet hatte. »Sehen wir uns die beiden anderen Mammuts an, bevor wir die Suche nach van Haag, Tschobe und Shanton fortsetzen!« Sie mußten sie suchen, doch als sie vor dem zweiten standen, erhielten sie durch die starke Hitzeausstrahlung den spürbaren Beweis, an der richtigen Stelle zu sein. Ihre Verblüffung wurde zu Unbehagen, als sie Zeugen wurden, wie schnell die Unitallverkleidung abkühlte. Hilflos blickte Lakuss auf sein Chrono. Vor fünf Minuten hatten sie vor lauter Hitze nicht näher als bis auf zehn Meter herangehen können – und nun konnten sie das ungeschützte Ohr an das Unitall legen! Ein zweites Mal hörten sie diese undefinierbaren Geräusche hinter der Verkleidung. »Wir machen uns auf Kontinent 4 lächerlich, wenn wir…« begann Lakuss. Zufällig drehte Kilkill sich um – und stieß im gleichen Moment einen Schrei aus: »Wer kommt denn da?« Die Wissenschaftler, die sich auf Kontinent 4 geflüchtet hatten, kehrten zurück! Der Abbau des kontinentalen Intervalls um Deluge hatte ihre Annahme bestärkt, daß die Gefahr im Industriedom beseitigt sein müßte. Der Funkverkehr mit der dog war wieder möglich. Das Schiff stand immer noch auf seinem Landeplatz auf dem Plateau über dem Höhlensystem. Mit größter Intensität wurde die Suche nach den drei vermißten Männern und dem Robot-Hund aufgenommen. Buchstäblich jeder Winkel des Höhlensystems wurde umgekrempelt. »Sind nirgendwo zwei Schatten beobachtet worden, die menschliche Umrisse haben?« kam eine Anfrage vom Kommandanten der DOG. Die ziemlich unwirsche Antwort aus dem Höhlensystem ließ ihn wütend aus der Zentrale seines Raumschiffs stapfen und die Medo-Station aufsuchen. Dort angekommen überschüttete er den Astrophysiker Spence Bentheim mit Vor243
würfen, die der Wissenschaftler widerspruchslos über sich ergehen ließ. »Captain Singh«, sagte Bentheim mit schwacher Stimme, »legen Sie den Männern, die sich in der Nähe des kreisrunden Platzes aufhalten, ganz besonders ans Herz, den schwebenden Ring aufmerksam zu beobachten und sofort von ihren Para-Schockern Gebrauch zu machen, wenn sie zwei Männer darin verschwinden oder herauskommen sehen.« Wortlos drehte sich der Kommandant um und verließ mit eiligen Schritten die Medo-Station. Sechs Stunden später wurde die Suche nach den Vermißten eingestellt. Die letzte Hoffnung, sie könnten im Großtransmitter-Raum eingesperrt sein, mußte begraben werden, als dieser sich automatisch wieder öffnete. Die Vermutung, sie könnten den Transmitter benutzt haben, erwies sich auch als falsch, denn die Anlage lag still! Im Höhlensystem versuchte man zur Tagesordnung überzugehen, doch überall, wo sich Gruppen bildeten, sprach man nicht nur über die verhinderte Zerstörung des Industriedoms, sondern auch über das rätselhafte und spurlose Verschwinden der drei Männer und des Robot-Hundes.
Die Einstiege der drei Flash schlössen sich; Augenblicke später befanden sich die Beiboote der POINT OF wieder im Schutz ihrer Intervallfelder. Starten! wollte Ren Dhark befehlen, aber das Wort kam ihm nicht über die Lippen. Zwitt zeigte sein wahres Gesicht! An unzähligen Stellen schien der brennende Himmel aufzureißen. Die Sonnenkorona griff mit ihren Flächenprojektor-Stationen an! Sie griff Zwitt an! Und Zwitt schlug zurück! Während die Männer in den drei Flash über die Bildprojektion atemlos das ungeheuerliche Schauspiel verfolgten, wie Energiebahnen aus der Korona herunterschossen, ging die Ringanlage zum Gegenangriff über. Sie war eine Strahlgeschützstellung von wahrhaft planetarischem Format! Ein einziges Strahlgeschütz, das einen Durchmesser von zwölf Kilometern hatte! Und im innersten Ring – dem kleinsten – befanden sich drei winzige Flash! Aus allen Richtungen kommend und in allen Farben des Regenbogens leuchtend, standen gigantische Energiefinger im Raum zwischen Innenhülle und Zwitt. Sie leuchteten bedeutend heller als der brennende Himmel. Das verwirrende Gittermuster ließ unwillkürlich Gedanken an einen Weltuntergang aufkommen. Ren Dhark verfolgte mit starrem Blick das Geschehen über die Bildprojektion. Schon beim ersten Feuerschlag hatte er begriffen, woher seine Angst gekom244
men war. Jetzt hatten sie die Antwort! Unbewußt kniff er die Augen zusammen. Hoch über ihnen hatte es einmal kurz, aber grell aufgeblitzt. Jetzt wieder, jedoch an einer anderen Stelle! Über die Gedankensteuerung stellt der Commander die Bildprojektion um. Sie erhöhte den Zoomfaktor, und dann stand ganz nah vor seinen Augen, was in Wirklichkeit weit draußen im Raum geschah. Fassungslos betrachtete Ren Dhark das neue Bild! Die vielen Strahlbahnen, die von der Innenseite der Korona ausgingen, erreichten Zwitts Oberfläche gar nicht! Sie endeten dort, wo es abermals aufgeblitzt hatte, als ob es an dieser Stelle für einen kurzen Augenblick eine winzige Sonne gegeben hätte. Unwillkürlich duckte sich der Commander, und den anderen Männern in den Flash erging es nicht anders. Der Energiesturm, der von der inneren Ringanlage emittiert wurde, hatte seine Bahn geändert. Im spitzen Winkel jagte er nun in nördlicher Richtung zum Himmel hoch! Und auch diese Strahlbahn endete mitten im freien Raum, und wieder glühte an der Stelle eine Sonne auf! »Die fremden Raumschiffe!« brachte Dhark über die Lippen. Seine Blicke tasteten die Bildwiedergabe ab. Er sah den Strahlturm, der sie von allen Seiten umschloß. Das, was sie für glatte, fugenlose Ringbauwerke mit flachen Dächern gehalten hatten, war in Wirklichkeit nichts anderes als eine titanische AntennenEinrichtung, deren Emissionswinkel wahrscheinlich im Material verändert werden konnte. Fremde Raumschiffe waren durch die Korona gebrochen – Schiffe der Schwarzen Weißen –, und nun schlug die Sonnenkorona zusammen mit dem Planeten erbarmungslos zurück! Warum aber war die POINT OF nicht angegriffen worden, als sie innerhalb der Korona über Zwitt rematerialisiert war? Pjetr Wonzeff, der seine Bildprojektion auf einen anderen Bereich eingestellt hatte, schrie auf. Er, einer der erfahrensten Flash-Piloten, der in vielen Einsätzen seine Ruhe nicht verloren hatte, konnte nur noch stammeln. »Dhark…! Commander… Zwitt hat ja… ja, Zwitt hat ein paar hundert Forts dieser… dieser Größe. Das ist…« Blitzschnell schaltete der Commander auf den Bereich, den Wonzeff sich ansah. Angesichts der titanischen, gelben Strahlen mußte er die Augen schließen. Durch schmale Schlitze versuchte er, das Bild zu erkennen! Wonzeff hatte gut beobachtet. Zwitt mußte mit Forts von planetarischen Dimensionen regelrecht gespickt sein! Die Oberfläche dieser Welt glich einem Igel, der seine in allen 245
Regenbogenfarben leuchtenden Stacheln aufgerichtet hatte – Stacheln, die einen Durchmesser von zwölf Kilometern hatten! Was mag aus der POINT OF geworden sein? fragte sich Dhark in Gedanken immer wieder. War sein Flaggschiff in diesem Inferno untergegangen? War Tino Grappas verstümmelter Funkspruch der letzte Ruf gewesen, den das Schiff hatte abgeben können? Er blickte zur Energieortung. Sie hatte sich abgeschaltet, und er begriff sofort, warum. Die M-Geräte der Flash waren auf Energieausbrüche dieser Größenordnung, wie sie allein Fanal entwickelte, nicht geeicht! Die Ortung hatte sich abgeschaltet, um eine Überlastung zu vermeiden. »Dhark, Funksprüche… Hören Sie? Hören Sie es?« schrie ihm Wonzeff zu, den Kopf so weit wie möglich zur Seite gedreht. Bei dem Höllenlärm, mit dem die Strahlbahnen die dichten Luftschichten Zwitts zur Seite schleuderten und dabei gleichzeitig aufheizten, war die Sendung kaum zu verstehen, obwohl Pjetr Wonzeff auf maximale Lautstärke geschaltet hatte. Worte einer unbekannten Sprache waren zu hören! Worte, die Ren Dhark dennoch bekannt vorkamen, und die ihn an Girr-O, den Schwarzen Weißen, erinnerten. Um sich verständlich zu machen, rief er Wonzeff so laut wie möglich zu: »Wir haben es mit Schwarzen Weißen zu tun!« Der Flash-Pilot hatte den Commander verstanden. Hoffentlich hat unsere POINT OF dieses Tohuwabohu unbeschadet überstanden, dachte er voller Grimm, weil er den Schwarzen Weißen diesen heißen Empfang von Herzen gönnte. Ren Dhark hatte andere Sorgen. Innerhalb des inneren Rings befanden sich seine drei Flash in Sicherheit, aber was würde geschehen, sollte es einigen Schiffen der Schwarzen Weißen gelingen zu landen – und wenn die Fremden dann Fanal angriffen? Schließlich war die Möglichkeit, daß es auch bei dieser Anlage tote Winkel gab, nicht ganz auszuschließen. Er konzentrierte seine Gedanken und gab das Kommando über die drei Blitze an die Gedankensteuerung ab. Habe übernommen! vernahm er klar und deutlich. Auch die anderen hatten die Nachricht verstanden. Doch auf welcher Basis die Gedankensteuerung arbeitete, wie der Kontakt erfolgte, war immer noch eines der vielen ungelösten Rätsel der Mysterious. Schlagartig änderte sich die Szene im gewaltigen Raum zwischen der Innenseite der Korona und Zwitts Oberfläche. Die in der Kugelschale kreisenden Flächenprojektor-Stationen hatten ihr Feuer eingestellt. Über Zwitt gab es nur noch den gelblich brennenden Himmel. 246
Auch die planetaren Forts schickten keine Strahlbahnen mehr nach oben. Der gewaltige hohle Turmstrahl, in dessen Schutz sich die drei Flash befunden hatten, existierte nicht mehr. Dhark klopfte gegen die Unitallverkleidung dicht neben der Energieortung. Sie warf auch jetzt Null aus! Das verdammte Ding ist kaputt! dachte er, der sonst so schnell nicht die Beherrschung verlor. Da meldete sich überraschenderweise die Gedankensteuerung: Absolute Abschirmung! Keine Ortung möglich! Dhark glaubte es. Er zweifelte keine Sekunde an dieser Aussage. Er zweifelte auch nicht mehr daran, daß die Korona – dieses von unzähligen Flächenprojektor-Stationen erzeugte künstliche Gebilde im Abstand von 141 Millionen Kilometern – von acht der neun Sonnen der Sternenbrücke mit Energie beschickt wurde! Daß die Stationen in der energetischen Kugelschale zugleich auch Abwehrforts waren, hatten die letzten Minuten gezeigt. Die Gedankensteuerung fuhr den Sie an. Drei Flash hoben ab. Die Blitze gingen auf Gegenkurs. Sie flogen in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Ihre Geschwindigkeit war erstaunlich gering. Sie überflogen die einzelnen grauen Ringe, die ihr Aussehen nicht verändert hatten. Mehrfach kontrollierte Dhark den Himmel, doch die drei Flammenbogen, nach denen er sich zu sehnen begann, tauchten nicht wieder auf. Resigniert erklärte Wonzeff, der seit dem Start versucht hatte, mit der POINT OF oder der Gruppe Roder Kontakt zu bekommen: »Es ist wie verhext, Dhark. Die Sender der Schwarzen Weißen sind zu hören, aber von unserem Schiff kommt kein Pieps durch!« »Moment, Wonzeff, ich werde einen Versuch machen.« Dhark konzentrierte seine Gedanken auf einen Punkt. Mit der Kraft seiner schwachen Alpha-Rhythmus-Frequenz befahl er der Gedankensteuerung, auf den Checkmaster der POINT OF zu schalten. Die Antwort, die er und seine fünf Begleiter in ihren Köpfen hörten, ließ alle das Schlimmste befürchten. Kein Kontakt mit Checkmaster möglich, weil Existenz des Checkmaster nicht mehr festzustellen ist! »Aus!« brachte Pjetr Wonzeff über die Lippen. Er war totenblaß geworden. Das Gleiche dachte Ren Dhark, und er stellte sich in Gedanken die Frage, ob er durch seine Order, den unbekannten Verband im Bereich der tanzenden Planeten zu orten, Zwitts Abwehrreaktion womöglich erst ausgelöst hatte. »Die Häuser! Dhark, wir landen vor den Häusern!« Sie flogen die Lücke im sechsten Ring an. Die Gedankensteuerung fuhr die 247
sechs spinnbeindünnen Ausleger aus. Erschütterungsfrei setzten die Blitze nebeneinander auf. Ren Dhark rührte sich nicht. Er schenkte der Hausreihe mit den langgestreckten Fenstern kaum einen Blick. All sein Denken kreiste nur um einen Punkt: Diese Landung durch die Gedankensteuerung war der Beweis, daß die POINT OF nicht mehr existierte! Hier war jetzt ihr Zuhause! Hier! Und über ihnen brannte der Himmel in leuchtendem Gelb!
18. In der großen, irisierenden Kugel leuchtete es gar nicht rot. Zumindest sahen Tschobe und Jos davon nichts. Sie hatten auch nicht das Gefühl, bei jedem Schritt kleiner zu werden, obwohl sie sich noch gut daran erinnerten, wie Shanton und Jimmy vor ihren Augen zu Liliputanern geworden waren. Sie gingen einfach immer weiter in die Kugel hinein, obwohl ihnen das Herz bis zum Hals klopfte. Ihre Umwelt erinnerte sie an schmutzigen, undurchdringlichen Nebelrauch – an besten Londoner Smog aus dem vergangenen Jahrhundert! Und genau vor ihnen war der Smog am dichtesten, fast schwarz. Die Schwärze zog sie wie ein Magnet an, bestimmte ihre Richtung. Plötzlich war die Schwärze nicht mehr zu sehen. Der schmutzige Nebelrauch wurde mit jedem Schritt dünner. Und dann hatten sie die Kugel durchquert! Die Kugel der Gegenstation! Manu Tschobe stolperte über Chris Shanton, der reglos am Boden lag. Im dichten Blätterdach über ihnen rauschte der Regen, und in den Wipfeln heulte der Wind. Die Lache um Shanton wurde zusehends größer. Ringsherum war Urwald – ein Urwald, der von Sekunde zu Sekunde bedrohlicher wirkte –, nur hinter ihnen befand sich eine irisierende Kugel, in deren Innern es rot glühte! »Sichern! Nach allen Seiten und nach oben!« zischte Manu Tschobe, der schon neben Chris Shanton kniete und den Dicken zu untersuchen begann. Jos Aachten van Haag hatte keine Zeit, sich zu wundern. Ahnungslos warf er einen Blick zum blauen Blätterdach hinauf, aus dem sich das Wasser in stetigen Rinnsalen ergoß. Der Blitz, der neben ihm einschlug, ließ ihn mit einem Fluch zurückspringen. 248
Dabei kam er ins Stolpern und krachte gegen einen Baumstamm, der wie poliertes Mahagoni aussah. Dort, wo er gerade noch gestanden hatte, wand sich plötzlich ein schillernder Wurm mit drei Köpfen. Halb von einem Strahlschuß zerfetzt, besaß das Wesen noch immer genug Energie, sich im Todeskampf zu wehren. Über die Oberfläche des linken Kopfes liefen krampfartige Wellen. Jos, der sich seinen schmerzenden Rücken rieb und sich dabei verzweifelt fragte, wer gerade eben geschossen hatte, warf sich mit einem gellenden Aufschrei zur Seite. Er hatte zu spät reagiert. Der kürbisgroße Kopf hatte sich vom Wurmkörper getrennt und flog auf ihn zu! Ein greller Strahlfmger traf das Geschoß mitten im Flug! Mit einem donnerndem Krachen zerplatzte es, und heulend sausten die Fragmente wie Querschläger nach allen Seiten davon. Dann wanderte der Strahl zu dem sich immer noch windenden Wurmkörper und verwandelte ihn mitsamt dem Morast in dem er lag, in rotglühende Asche. »Zum Teufel!« Tschobes Aufschrei verstummte. Aus dem Blättermeer fiel ein Schatten herunter. Jimmy landete mitten in einer Pfütze, und Schlamm bespritzte die beiden Männer in ihren M-Anzügen. Jos wischte sich den Dreck vom Klarsichthelm. Daß die schmutzige Brühe an ihm herunterlief, bemerkte er nicht. Manu Tschobe hatte von dem Vorgang, der sich innerhalb weniger Sekunden abgespielt hatte, nichts mitbekommen. Aber der donnernde Knall lag ihm noch in den Ohren. »Jos?« Der Abstrahlpol auf Jimmys Zunge wurde schon wieder aktiv. Weder Tschobe noch Jos hatten etwas bemerkt. Nun sahen sie, wie unter dem Blasterstrahl abermals ein Wurm verging, der seine Köpfe gerade aus dem morastigen Boden schieben wollte. Viermal krachte es. Vier Dreckfontänen schössen zwischen den fremdartigen Bäumen hoch und überschütteten die Männer mit wahren Schlammassen. Jos und Tschobe warfen sich vielsagende Blicke zu. Ihre Transmitterreise hatte sie ja auf einen geradezu lieblichen und paradiesischen Planeten gebracht! Fluchend stellte sich Manu Tschobe unter einen Sturzbach, der aus dem blauen Blättermeer herabfiel. Er benutzte ihn als Dusche, während Jos, in jeder Hand einen Strahler, sicherte. Jimmy machte die Sintflut, die sich über sie ergoß, nichts aus. Er hatte seine Ortungen auf größte Leistung geschaltet und ließ seine jetzt harmlos aussehende Zunge links aus der Schnauze hängen. 249
»Was ist mit dem Dicken geschehen?« fragte Jos über Helmfunk. »Jetzt weiß ich’s«, erwiderte der Afrikaner, der in seinem M-Anzug nicht naß werden konnte. »Shanton muß beim Verlassen der Transmitterkugel von so einem fliegenden Ding getroffen worden sein.« »Mich wollte es auch erwischen!« teilte Jimmy plötzlich mit. »Darum bin ich nach oben geklettert. Aber da oben, zwischen den Blättern und Zweigen, ist es noch schlimmer!« Er erklärte nicht näher, was genau es zwischen den Blättern und Zweigen an Unangenehmem gab. »Gerade jetzt muß Shanton ausfallen«, stellte Tschobe verärgert fest, der mit Jos den Platz getauscht hatte. Keine fünf Meter entfernt stand die irisierende Transmitterkugel. Jos deutete hinüber. »Man müßte sie auf Gegenrichtung schalten, und wir könnten Shanton zurückbefördern. Haben Sie schon feststellen können, was er abbekommen hat?« »Ich bin Arzt und kein Hellseher!« knurrte Tschobe den GSO-Mann an. Eine halbe Minute später hatte er den Befund. Die Kugel, die Shanton am Kopf getroffen hatte, lag jetzt neben ihm. Er hatte sie unter sich begraben, als er zusammengebrochen war. »Jos, wenn er Glück hat, ist er in einer halben Stunde wieder…« Jimmy konnte mit seinem Sprachtalent zur Plage werden. Rücksichtslos fiel er Tschobe ins Wort. »Luftanalyse abgeschlossen. Atmosphäre atembar. Kleiner, aber harmloser Zusatz von Stinkstoff vorhanden!« Trotz ihrer Ungewissen Lage grinsten die beiden Männer. Jimmy hatte sich gerade wieder einmal der gleichen saloppen Redeweise bedient wie sein Erbauer. Im nächsten Moment lachten sie nicht mehr. Jimmy hatte wieder auf Blaster geschaltet und den Abstrahlpol an seiner Zungenspitze aktiviert. Drei Äste wurden förmlich abgesägt. Krachend und polternd kamen sie mitsamt dem blauen Blattwerk herunter. Mit hastigen Sprüngen retteten sich die Männer hinter einige Baumstämme, die so glatt und glänzend wie poliertes Mahagoni waren. Chris Shanton wurde vom Blattwerk zugedeckt. Weder Jos noch Tschobe achteten darauf. Entsetzt starrten sie ein drei Meter langes Reptil mit blauem Schuppenpanzer an. Jede Schuppe war eine tödliche Waffe, die in einen fast unterarmlangen, nadelspitzen Stachel auslief. Noch schreckenerregender waren die fünf Tentakel, die abgetrennt ein paar Schritte weiter lagen und sich unter rasenden Zuckungen mit ihren Spiralbohrer-Spitzen immer tiefer in einen dicken, polierten Stamm bohrten. Das Rauschen des sintflutartigen Regens und das Heulen des Sturms in den Wipfeln wurde plötzlich von einem alles übertönenden Zischen überlagert. 250
Nacheinander flogen die spiralförmigen Spitzen der Tentakel aus dem Stamm. Kaum waren sie draußen, als fünf armdicke Strahlen einer tiefroten Flüssigkeit unter hohem Druck weit in das Halbdunkel des Urwalds schössen. »Großer Himmel, Jos! Sehen Sie sich das an!« schrie Tschobe, der den Scheinwerfer seines Raumanzuges eingeschaltet und den Lichtkegel auf die Stelle gerichtet hatte, an der einer der Strahlen an einem ebenholzschwarzen Baumstamm zerplatzte. Die tiefrote Flüssigkeit war Säure! Sie zerfraß den Stamm mit einer Schnelligkeit, die die Männer das Grauen lehrte. »Los! Weg von hier!« stieß Jos aus und war in zwei Sätzen bei Shanton. Überall dort, wo die tiefrote Flüssigkeit den Boden erreichte, begann es zu dampfen. Dichte Nebelschwaden breiteten sich trotz der Wassermassen, die unaufhörlich aus dem Blätterdach rieselten, nach allen Seiten aus. Der Flüssigkeitsvorrat in dem dicken Baumstamm schien unerschöpflich zu sein. Der Druck, der hinter den Strahlen stand, mußte mehr als zwanzig Atmosphären betragen. Ein Glück, daß sich die Katastrophe in der entgegengesetzten Richtung abspielte, und nicht dort, wo Shanton lag. Jos schaffte es mit Mühe, den Diplom-Ingenieur hochzuwuchten. Erst als Tschobe ihm half, konnte er den schweren Mann auf seine Schulter hieven. »Wohin, Jos?« fragte Manu Tschobe zu recht. »Bei dem Wetter durch einen unbekannten Urwald? Legen wir den Dicken dicht vor der Kugel ab. Dort ist es noch am sichersten.« Jos schwankte unter der Last, während er durch den Morast auf die Transmitter-Anlage zuging. Das Zischen der fünf dicken Säurefontänen verfolgte ihn. Als er Shanton vorsichtig zu Boden gleiten lassen wollte, kam der DiplomIngenieur wieder zu sich. Eine Viertelstunde später war er schon in der Lage, seinem Ärger Luft zu machen. Gerade hatte er die ersten Verwünschungen von sich gegeben, als unter tosendem Krachen ein Baumgigant zusammenstürzte und bei seinem Sturz zwei jüngere Bäume entwurzelte. Shanton begriff allmählich, warum seine Begleiter sprungbereit dastanden. Auch er schaltetete seinen Scheinwerfer ein und leuchtete in die Richtung, in der der von Säure zerfressene Baum zusammengebrochen war. Die Männer rechneten damit, daß die beiden kleineren Bäume vielleicht auch zu der Art gehörten, die in ihrem Innern Säure gespeichert hatte. Kurz darauf schalteten sie ihre Scheinwerfer wieder aus. Ihre Befürchtungen hatten sich glücklicherweise nicht bewahrheitet. »Und jetzt?« orgelte Shantons tiefe Baßstimme. »Ich habe die Richtung«, mischte sich Jimmy wieder einmal ein, »Distanz knapp einen Kilometer!« 251
»Was hast du erfaßt?« fragte der Dicke seinen Robot-Hund. »Ziel nicht klar zu erkennen.« Damit mußten sie sich zufriedengeben. Tschobe, der den Transmitter auf Einbahnverkehr nach Hope eingestellt hatte, löschte die Schaltung, indem er die Anlage wieder in beide Richtungen aktivierte. »Für den Fall, daß man im Industriedom herausgefunden hat, auf welchem Weg wir verschwunden sind.« »Wenn er überhaupt noch steht«, warf Shanton ein. »Er steht noch!« behauptete Tschobe bestimmt. »Bitte, diese Kontrollanzeige beweist es. Die Gegenstation im Dom arbeitet nach wie vor einwandfrei. Und außerdem sollten wir die Schildkröten nicht vergessen, die eingesetzt worden sind, um die Katastrophe im letzten Moment doch noch abzufangen.« Niemand konnte sich vorstellen, daß es zu diesem Zeitpunkt im Industriedom keine Katastrophensituation mehr gab. Sie stapften durch Morast. Der Regen troff aus dem Blätterdach. Der Wind heulte, und Jimmy mußte dreimal eingreifen, um gefährliche Angriffe der heimtückischen Fauna des unbekannten Planeten abzuwehren. Seine Distanzangabe stimmte. Nach einem Marsch von etwa einem Kilometer erreichten sie den Rand des Urwalds. Sie standen zwischen den letzten Bäumen und blickten in eine sanft geschwungene Talmulde, die im strahlenden Licht einer blauweißen Sonne lag. Dort Sonnenschein und ein friedlich aussehender Landstrich - über den Männern eine dunkle Wolkenschicht, aus der es in Strömen goß, und um sie herum die letzten Ausläufer eines fauchenden Sturms. Sie standen im Morast, aber ein paar Schritte weiter breitete sich ein blühender Grasteppich aus, und zwischen den sich in einer sanften Brise wiegenden, farbenfrohen Halmen schwirrten und summten kleine Insekten von Blüte zu Blüte. Falter, größer als eine Männerhand, segelten lautlos vorüber. »Hier stinkt’s nicht mehr!« durchbrach Jimmy s Stimme die Stille, und in mächtigen Sätzen jagte er der Mulde entgegen. Mit weit ausholenden Schritten folgten ihm die Männer. Als sie sich einmal umdrehten, sahen sie den Urwald gleich einer dunklen Mauer hinter sich aufragen, und darüber die fast unveränderte schwarze Wolke, aus der immer noch Wassermassen stürzten. Vom Heulen des Sturmes war nichts mehr zu hören. »Mag der Kuckuck wissen, warum die Mysterious die Transmitter-Anlage ausgerechnet in einem Urwaldstück aufgebaut haben, in dem zugleich ein lebensgefährlicher Zoo zu finden ist!« Chris Shanton erwartete keine Antwort auf seine Frage. Der Robot-Hund tollte vor ihnen her. Ab und zu blitzte es auf seinem Rücken, wenn das Licht der blauweißen Sonne auf ein Stück blanke Metalloberfläche traf. 252
Jos dachte an Mildan und Dordig, die durch Jimmys Eingreifen umgekommen waren. »Ob unsere beiden Cyborgs auch hier gewesen sind?« Alle drei hatten die Klarsichthelme zurückgeklappt und atmeten die frische, würzige Luft tief ein. »Diese Frage müßten Sie leichter beantworten können als wir«, hielt ihm Shanton vor. »Sie hatten Gelegenheit, die beiden und ihr Wirken im Höhlensystem zu beobachten.« »Gerade darum fällt mir die Antwort so schwer«, widersprach der GSO-Mann. »Wir wollen doch nicht vergessen, daß Tschobe beseitigt werden sollte. Aber warum? Und warum setzte die andere Seite unsere Cyborgs ein – und wie wurden sie zu Entarteten gemacht?« Shanton schnaufte. Er war kein Freund langer Spaziergänge; noch weniger benagte es ihm, sich kriminalistisch zu betätigen. »Man sollte doch meinen…« Der Rest blieb ungesagt. In Shantons Tasche summte ein Gerät so laut, daß es nicht zu überhören war. Hastig holte der Dicke es heraus. Jimmy meldete Ortungsstrahlen! »Bei dem sind ein paar Platinen durchgeschmort«, brummte der Dicke, nachdem er seinen Blick über die freundliche, aber nichtssagende Landschaft hatte kreisen lassen. Sie hatten die Mulde fast erreicht. Ein paar hundert Meter vor ihnen stand das Brikett auf Beinen und äugte zu ihnen herüber. Die beiden Bodenwellen sahen harmlos aus. Bis zum fernen Horizont war die bäum- und strauchlose Landschaft nichts anderes als ein weiches Auf und Ab. Und doch mußte es auf diesem Planeten noch etwas anderes geben. Den Mysterious war nicht zuzutrauen, daß sie hier grundlos eine KugelTransmitteranlage aufgebaut hatten. Der Standort der Anlage in dem von aggressivem Leben wimmelnden Urwaldstück war ein Indiz dafür, daß diese Welt etwas zu verbergen hatte. Jimmys Sender funkte ununterbrochen die Auswertung des Suprasensors: Fremdortung tastet uns ab! Fremdortung tastet uns ab! Shanton fragte zurück. Er verlangte eine spezifizierte Auskunft. Die lakonische Antwort lautete: Nicht zu klassifizieren! Ebenso war der Einfallswinkel nicht anzumessen. Manu Tschobe, der über die besten Kenntnisse in Sachen Mysterious-Technik verfügte, hielt das Warten nicht mehr aus. »Entweder wir gehen jetzt ein gewisses Risiko ein – das wahrscheinlich nicht einmal mehr besonders groß ist, weil man uns geortet und vielleicht auch schon getestet hat –, oder wir machen auf der Stelle kehrt und verschwinden wieder durch den Kugel-Transmitter!« »Okay!« traf Shanton seine Entscheidung und schob seinen Bauch vor. Geheuer war ihm dieser Fall nicht, denn immer wieder strich er über seinen Backenbart und rieb sich die Glatze. Jos folgte schweigend. Sein Beruf hatte ihn ge253
lehrt, sich so schnell nicht zu wundem, aber in Gedanken fragte er sich ununterbrochen, was es in diesem Abschnitt zu finden geben mochte, den sie soeben von einer ausnahmsweise hohen Bodenwelle aus überblickt hatten. Sie holten Jimmy ein, der seinen Platz nicht verlassen hatte. Er behauptete, daß an dieser Stelle die Ortungsstrahlen am stärksten seien. »…Als ob wir von allen Seiten durchleuchtet würden!« Fernes Pfeifen, das schnell lauter wurde und aus dem wolkenlosen Himmel zu kommen schien, zwang die Männer, in die Höhe zu blicken. Über ihnen war ein winziger Punkt zu sehen, der von Sekunde zu Sekunde größer wurde. »Ein Raumschiff!« stieß Shanton überrascht aus, der sein Wissen über Jimmys Suprasensor bezog. »Nicht besonders groß!« »Ortung aus!« kam vom Scotchterrier eine Meldung, die selbst der Dicke nicht glauben wollte. Eine Scheibe von mehr als zehn Metern Durchmesser und einer Dicke von drei Metern, die im Licht der blauweißen Sonne wie Perlmutt glänzte, landete mit summenden Triebwerken kaum hundert Metern von den Männern entfernt. »Einsteigen!« sagte Manu Tschobe, als die Scheibe sich an einer Stelle öffnete und im Innenraum ein gleichmäßig flackerndes Licht zu sehen war. »Selbstmörder!« orgelte Shanton, folgte aber dem Afrikaner, der ruhig und gelassen auf die glänzende Scheibe zuging. Jimmy und Jos hatten einen Augenblick gezaudert, doch als der Hund sich in Bewegung setzte, schloß sich als letzter auch der GSO-Mann an. »Leer!« stieß Tschobe aus, als er die Scheibe betrat und die Sessel musterte, die nebeneinander vor der runden Wand standen. In der Mitte befand sich ein halbkugeliges, mit dem Boden verbundenes, verkapseltes Gerät, das nichts von seinen Aufgaben verriet. »Sie sollen Ihren Willen haben!« polterte der Diplom-Ingenieur, ließ sich schwer in einen Sessel fallen und streckte die Beine weit von sich. Er zuckte mit keiner Wimper, als Jimmy einen großen Satz machte und auf seinem Schoß landete. Kaum hatten auch van Haag und Tschobe Platz genommen, als sich die Scheibe schloß. Nach einigen Minuten sahen sie sich fragend an. Ihre Gesichter zeigten nicht unbedingt den intelligentesten Ausdruck. Nichts war inzwischen geschehen! Gar nichts. Nicht das leiseste Vibrieren war durch ihr Gefängnis gelaufen. Unverändert das Summen der Triebwerke. Plötzlich öffnete sich die Scheibe wieder. »Probe beendet!« sagte Shanton mit sarkastischem Unterton – und vergaß sei254
nen Mund zu schließen. Ein Röcheln kam über seine Lippen. Jimmy flog von seinem Schoß, und mit einer Schnelligkeit, die man dem Dicken nie zugetraut hätte, raste er auf den Ausgang zu. Nicht weniger schnell folgten ihm Manu Tschobe und Jos Aachten van Haag. Nur Jimmy schlich sich ganz langsam zum Ausgang, gerade so, als hätte er etwas Furchtbares ausgefressen. Er hatte ein schlechtes Gewissen – soweit ein Robot-Hund mit einem eigenwilligen Programmgehirn so etwas wie ein schlechtes Gewissen haben konnte! Seine Ortungssysteme versagten, obwohl laut Suprasensor kein Fehler in seinen technischen Eingeweiden vorlag. Jemand, der noch ein bißchen mehr konnte als sein Erbauer Chris Shanton, hatte seine Ortungssysteme einfach abgeschaltet! Die drei Männer beachteten Jimmy nicht. Sie wußten nicht, wohin sie zuerst und wohin sie zuletzt blicken sollten, und dann sahen alle drei zufällig nach oben. Über ihnen war ein Meer, ein Ozean! Über ihnen waren Tiefseeungeheuer zu sehen, die aus großen Glotzaugen zu ihnen herunterblickten. Dazwischen bewegten sich ganze Schwärme kleiner und mittelgroßer Wesen, bei denen es sich um Fische handeln mußte. Das alles schien zum Greifen nah und war tatsächlich mehr als siebzig Meter von ihnen entfernt. Eine glasklare Decke, die es erlaubte, vom Grund eines Ozeans zu seiner Oberfläche hinaufzusehen! »Große Milchstraße!« stieß Manu Tschobe aus, der seinen Blick gewaltsam losreißen mußte, um sich nicht noch tiefer in die Vorstellung zu verstricken, die Decke könnte im nächsten Augenblick bersten und Millionen Tonnen Wasser könnten zu ihnen hereinstürzen. Sein Verstand sagte ihm jedoch nüchtern, daß Intelligenzen, die solch eine gewaltige Anlage auf dem Grund eines Ozeans bauen konnten, auch über die Mittel verfügten, einen Wassereinbruch von vornherein auszuschließen. Sie standen am Anfang. Hinter ihnen lag die Scheibe, die unter der künstlichen Beleuchtung ebenso glänzte wie im Licht der blauweißen Sonne. Sie standen am Anfang einer Bandstraße, die viele Kilometer lang war. Sie standen in einer Werft der Mysterious, in der Ringraumer gebaut wurden! Chris Shanton merkte gar nicht, daß er leise vor sich hin sprach: »Sieben… acht… neun… zehn… Bei allen Sternteufeln! Elf Bandstraßen! Elf!« Drei Terraner und ein Robot-Hund, dessen Ortungssysteme abgeschaltet worden waren, erlebten einen Arbeitstakt der Bandstraßen mit. In elffacher Ausführung! Elf Ringraumer-Zellen – aber ein Schiffstyp, der kleiner als die POINT OF war – wurden auf elf Bandstraßen von unsichtbaren Kräften lautlos um den 255
Durchmesser eines Schiffes vorwärtsbewegt. Ganz am Anfang der Straßen, wo sich die ersten dieser Ringröhren eben noch befunden hatten, öffnete sich der Boden – und aus elf dunklen Öffnungen schwebten lautlos elf neue Schiffszellen hervor! Manu Tschobe hob beide Hände und preßte sie gegen die Schläfen. »Gute Nacht!« flüsterte er, und noch einmal: »Gute Nacht! Wenn sich hier die Mysterious auch seit tausend Jahren nicht mehr haben blicken lassen… In der Zwischenzeit… Nein! Nonsens! Diese Bandstraßen können doch nicht seit tausend Jahren ununterbrochen Raumschiffe gebaut haben!« Schweigend wurde er von beiden Seiten angesehen. Shanton und Jos nickten nur. »Und wenn doch?« »Ach!« stieß Tschobe auf Shantons Frage aus und ließ seine Hände wieder sinken. »Sie zerbrechen sich den Kopf, wie viele Raumer in tausend Jahren gebaut worden sind. Ich zerbreche mir den Kopf, warum man uns hierhergebracht hat. Was war der Anlaß dazu?« Die elf dunklen Öffnungen unter den neu herangeführten Schiffszellen hatten sich inzwischen wieder geschlossen. Die Bandstraßen liefen in der Ferne in einem Punkt zusammen. Wo war das Ende? Und was gab es hinter dem Ende der Straßen zu sehen? Einen ausgehöhlten Planeten, der einen Tausend-Jahre-Vorrat an Ringraumern in sich barg – Schiffe, deren Durchmesser keine hundert Meter betrug? »Warum sehen wir uns nicht erst einmal alles an?« stellte Jos die Frage. »Und wie verhalten wir uns, wenn wir auf Mysterious stoßen?« »Ich lasse mir von ihnen den Backenbart streicheln!« fauchte Chris Shanton, der sich nicht wohl bei der Vorstellung fühlte, die der GSO-Mann gerade aufgezeigt hatte. »Vielleicht schafft uns die Scheibe ans Ende der Bandstraßen«, machte Tschobe den Vorschlag und liebäugelte mit der Gedankensteuerung. Es war genau wie beim erstenmal: Sie betraten die Scheibe, setzten sich, der Einstieg schloß sich, sie warteten, der Einstieg öffnete sich und sie traten wieder hinaus. Sie hatten das Ende der Bandstraßen erreicht. Die wie Perlmutt glänzende Scheibe sprach auf die Impulse der Alpha-Rhythmus-Frequenz eines Terraners an! Elf blauviolett schimmernde Ringraumer warteten auf den letzten Arbeitstakt, um ins Depot geschafft zu werden. Tschobe konnte den Dicken und Jos nur mit Mühe und Not zurückhalten. Sie mußten mit der Inspektion eines der Ringschiffe warten, bis sie die Dauer eines Arbeitstakts kannten. In der Zwischenzeit ließ Shanton Jimmy ein paar Messungen vornehmen. Auf fünfundachtzig Meter legte der Scotchterrier den Durchmesser der Ringröhren 256
fest, bei einem Durchmesser des Druckkörpers von fünfzehn Metern. Wie die POINT OF besaß auch dieser Typ vier Schleusen. Die im Unitall befindlichen Antennen waren klar und deutlich zu erkennen. Alle Schiffe im Stadium der Endfertigung wirkten auf die drei Terraner so vertraut, als würde die TF nur aus Raumern dieses Typs bestehen. Manu Tschobe war in der Zwischenzeit ein wenig zwischen zwei Bandstraßen spazieren gegangen. Ihn interessierte es, mit welcher Methode diese Schiffe ausgerüstet wurden. Es hatte ihn stutzig werden lassen, die ganze Zeit über keinen Arbeitslärm zu hören. Selbst als auf allen Bändern die Schiffe verschoben worden waren, war dieser Prozeß lautlos abgelaufen. Im viertletzten Arbeitstakt-Bereich machte er eine erste Entdeckung. Die beiden Zellen rechts und links, die von A-Grav-Feldern gehalten wurden, waren ringsum von Aggregaten umgeben, die ihn an Transmitter erinnerten, wenngleich sie kaum Ähnlichkeit mit den Typen hatten, die er inzwischen kennengelernt hatte. Sie besaßen weder eine graue Ringantenne, noch die irisierende Kugel mit dem roten Leuchten im Mittelpunkt. Dennoch war der Afrikaner bereit zu beschwören, daß diese sechsundsiebzig Maschinensätze vor den Unitallhüllen Transmitter waren. Der Wunsch, über eine der Schleusen einzusteigen, wurde übermächtig. Während er noch zwischen Vorsicht und Unternehmungslust schwankte, kam ihm der Arbeitstakt zu Hilfe. Abermals wurden auf allen elf Bandstraßen die Ringraumer zum Ende hin lautlos verschoben. Mit diesem Prozeß hatten sich auch alle Aggregate, die Tschobe für Transmitter hielt, von der Zelle zurückgezogen, und sie kamen wieder heran, als die nachgeschobene Zelle ihren Standort erreicht hatte. Achtzehn Minuten Norm-Zeit hatte der letzte Takt gedauert. In den nächsten achtzehn Minuten wollte sich der Afrikaner einen groben Überblick darüber verschaffen, wie dieser Ringraumer-Typ im Innern ausgerüstet wurde. Das Hindernis traf ihn vollkommen unvorbereitet: Die offenstehende Schleuse war durch ein energetisches Feld gesperrt! Als er bei der dritten Schleuse auch aufgehalten wurde, mußte er erkennen, daß ihm ein Betreten des Schiffs unmöglich war. Er eilte zu Shanton und Jos zurück. Ihr Gesichter verkündeten nichts Erfreuliches. »Diese verdammten Mysterious!« polterte der Dicke und wühlte mit allen fünf Fingern in seinem Backenbart. »Der Teufel soll sie holen! Aber alle!« Das war kein frommer Wunsch, aber Tschobe hörte solche Worte nicht zum ersten Mal; Arc Doorn hatte schon oft etwas Ähnliches vorgebracht. Auf Tschobes fragenden Blick hin erklärte Jos: »Wir konnten weder das eine noch das andere Schiff betreten, als es den letzten Trakt erreicht hatte.« Nichts Neues für Tschobe. Das gleiche hatte er eben auch erlebt. »Und wohin werden die Raumer geschafft?« Verärgert schüttelte der GSO257
Mann den Kopf. »Die verschwinden genauso, wie sie gekommen sind. Boden auf! Rein ins Loch! Boden zu! Nächster Kahn heran. Aus! Ende! Klasse, was?« »Verdammter Mist!« tobte Shanton, der sich überhaupt nicht beruhigen konnte, »man hält uns zum Narren!« »Benutzen wir die Scheibe. Vielleicht spricht sie noch einmal auf Gedankenimpulse an und bringt uns ins Raumer-Depot«, schlug Tschobe vor. Er konnte in dem Verfahren, wie die Mysterious ihre dienstklaren Raumer fortschafften, zunächst einmal nichts Geheimnisvolles entdecken. Eine halbe Stunde später zweifelten drei Terraner an ihrem Verstand. Sie befanden sich im Depot. Sie hatten nicht abschätzen können, ob in den gigantischen Lagerhallen zehntausend oder dreißigtausend Raumschiffe gelagert wurden. Sie wollten es auch nicht mehr wissen, seit sie die elf anderen Bandstraßen gesehen hatten, auf denen diese Schiffe wieder abgewrackt wurden! Jeder Irrtum war ausgeschlossen, denn unter ihren Blicken wurden die leeren Ringzellen am Ende der Straße in gleichmäßige Teile zerschnitten! »Ich kann’s nicht fassen!« sagte Chris Shanton. »Und wenn ich hundert Jahre alt werden sollte: Ich werde nie verstehen, wie man solche Werte einfach vernichten kann!« »Hören Sie eigentlich etwas, Shanton? Hören Sie auch nur das schwächste Geräusch?« machte ihn der Afrikaner auf das Offensichtliche aufmerksam. Die zylindrische Ringröhre aus Unitall wurde in Scheiben geschnitten. Drei Männer sahen den Vorgang aus nächster Nähe, aber sie hörten nichts. Knapp drei Meter dick war jedes Zylinderstück, das von der Röhre abgetrennt wurde. Von einem A-Grav-Feld gehalten und augenscheinlich von Traktorstrahlen gezogen, wurde eine Scheibe nach der anderen einem großen Aggregat zugeführt, das das Ende der Bandstraßen darstellte. Ein Unitallkoloß mit einer dreißig mal dreißig Meter großen Front, die aber nur an ihren Kanten blau schimmerte, nahm die abgetrennten Stücke auf. Sie schwebten auf die schwach flimmernde Fläche zu und verschwanden einfach. »Man verfährt hier mit Unitall, als ob es weich wie Butter wäre«, murmelte Jos Aachten van Haag, der über das Metall der Geheimnisvollen nur wußte, daß es bisher jeder Bearbeitung durch Menschen und ihre Technik widerstanden hatte. Chris Shanton drehte sich so schnell zu Tschobe um, als ob er ihn angreifen wollte. Seine Pranken legten sich um die Schultern des Afrikaners. Er hielt sie fest und zwang sein Gegenüber, ihm in die Augen zu sehen. »Tschobe, strengen Sie Ihren Verstand an. Ich gebe freiwillig zu, daß diese Vorstellung über meinen Grips geht. Haben Sie eine Erklärung für die unverständliche Zerstörungswut der Mysterious? Was halten Sie davon?« »Was ich davon halte? Wahrscheinlich machen wir uns immer noch nicht die richtige Vorstellung von der Industriekapazität der Mysterious. Wenn diese 258
Werft nur eine von vielen hundert ist… Nein, es übersteigt auch mein Vorstellungsvermögen, und mit Gewalt will ich mich nicht lächerlich machen.« »Jetzt reden Sie tatsächlich Unsinn. Was heißt hier, sich lächerlich machen, mein Lieber? Habe ich mir nicht gerade eben selbst ein Armutszeugnis ausgestellt?« Tschobe sah starr an dem Diplom-Ingenieur vorbei und seufzte hörbar. »Shanton, Sie sind eine Nervensäge! Gut, Sie sollen wissen, was ich vermute: Die Mysterious verfügen über so viele Raumschiffswerften, daß sie es sich leisten können, Schiffe, die ein bestimmtes Alter – oder meinetwegen auch eine bestimmte Zahl von Flugstunden – erreicht haben, wieder abzuwracken. Und genau das haben wir hier in vollendeter Form gesehen!« Grimmig sah der Dicke seinen Begleiter an. »Quatsch! Das gibt’s auch bei den Mysterious nicht, oder hat’s nie gegeben. Geld muß bei denen auch Geld gewesen sein.« »Und wenn das Imperium für uns unvorstellbare Ausmaße gehabt hat, dann könnte diese Anlage unter dem Ozean eines uns unbekannten Planeten sogar eine kleine, unbedeutende Werft sein.« Chris Shanton wühlte in seinem Backenbart herum und stieß so laut Luft aus, als ob seine Lungen unter Überdruck litten. »Besten Dank für Ihre Auslassungen, Tschobe. Sie waren sehr interessant, nur nicht logisch. Ein Imperium, wie Sie es sich anscheinend vorstellen, hinterläßt zwischen den Sternen unserer Milchstraße nicht nur Spuren von der Art, wie wir sie bisher gefunden haben, sondern auch Spuren seiner Schöpfer. Bis zur Stunde wissen wir aber noch nicht einmal, wie die Geheimnisvollen ausgesehen haben; dabei muß eine Rasse, die über ein Riesenimperium herrscht, aus Abermilliarden Köpfen bestehen!« »Oder aus robotischen Anlagen, wie wir sie vom Industriedom her kennen, oder wie man sie uns mit den Bandstraßen hier zeigt!« warf Tschobe ein, dem es keineswegs absurd vorkam, in dieser Werft nur eine unbedeutende Anlage der Geheimnisvollen zu sehen. Jos Aachten van Haag beteiligte sich nicht an der Unterhaltung seiner beiden Begleiter. Mit deren technischem Wissen konnte er ohnehin nicht mithalten. Interessiert verfolgte er, wie durch unsichtbare Kräfte ein drei Meter breiter Ring von der zylindrischen Hohlröhre abgetrennt wurde. Und was er an dieser Stelle beobachtete, geschah zur gleichen Zeit auf derselben Höhe auch an zehn anderen abgerüsteten Ringschiffen. Unwillkürlich drehte er sich um. Er wollte nachsehen, ob das Auseinanderschneiden des Druckkörpers hinter seinem Rücken in der gleichen Geschwindigkeit vor sich ging. Während er sich umdrehte, sah er zufällig die Bandstraße entlang. Jos Aachten van Haags Augen weiteten sich. Seine Hände flogen zu den Kol259
ben der Strahlwaffen. Er riß sie hoch und hatte die Fingerkuppen auf den Kontakten liegen. Während ihm der Schweiß ausbrach, brüllte er aus vollen Lungen: »Stop! Stehenbleiben! Keinen Schritt weiter!« Die beiden Männer, auf die er seine Waffen gerichtet hatte, blieben abrupt stehen. Chris Shanton und Manu Tschobe wirbelten – alarmiert durch Jos’ gellenden Schrei – herum. Der Afrikaner wischte sich über die Augen. Er dachte nicht daran, seinen Blaster zu ziehen. Die sind doch tot! dachte er immer wieder. Die hat doch Jimmy auf dem Gewissen – Jimmy, das Monstrum! Aber sie waren nicht tot! Sie standen neben dem vorletzten Ringkörper, der auf seine Abwrackung wartete. Mildan und Dordig, die beiden entarteten Cyborgs!
19. Dreißig lange Minuten warteten die sechs Männer in den Flash 002, 003 und 004, dann stieg Ren Dhark als erster aus. Die Luft im Bereich dieses planetaren Verteidungsforts, das von ihnen den Namen Fanal erhalten hatte, war noch mit harter Strahlung verseucht, die aber in der letzten halben Stunde auffallend schnell gesunken war, als ob unbekannte Kräfte am Werk seien, die Atmosphäre so schnell wie möglich wieder zu reinigen. Aus diesem Grund konnte der Commander es nicht wagen, seinen Klarsichthelm zu öffnen und zurückzuklappen. Nachdenklich blieb er neben der 002 stehen, und sein Blick glitt an der Front der Häuserreihe entlang. Wieder störte ihn dieser Stilbruch. Die Bauten paßten nicht zur Ringanlage, und diese Tatsache machte ihn erneut mißtrauisch. Er vermutete nicht mehr, die Bauten auf dem an dieser Stelle tiefer gesetzten Ring könnten eine Falle darstellen. Seit der Angriff gegen die Raumer der Schwarzen Weißen erfolgt war, glaubte er sogar fest, daß ihnen keine Gefahr drohte. Aber warum eigentlich nicht? Seine Überlegungen drehten sich schon wieder um die Mysterious. Sind wir in unserem biologischen Aufbau dieser verschollenen Rasse so ähnlich, oder hat man uns mittels robotischer Anlagen getestet und unsere Gehirn260
strommuster überall dorthin übermittelt, wo die Geheimnisvollen einst ihre Städte und Verteidigungsstellungen errichtet hatten? Dan Riker und Arc Doorn ahmten sein Beispiel nach und verließen ebenfalls ihre Blitze. »Immer noch keine Spur von der POINT OF.« Rikers Bemerkung brachte Dhark wieder in den harten Alltag zurück. Unwillkürlich schüttelte er sich bei der Vorstellung, mit seinen Begleitern allein auf diesem von einer Sonnenkorona umgebenen Planeten zu sein. »Ob alle Schiffe der Schwarzen Weißen vernichtet worden sind?« fragte Arc Doorn, der sich einfach nicht vorstellen konnte, daß es die POINT OF nicht mehr geben sollte. Ein Ereignis, das sich als der Anfang einer Katastrophe erweisen sollte, gab die Antwort. Sie sahen das Aufblitzen durch die Scheiben der Häuserreihe. Sie sahen die Vorderfronten bersten und die Bruchstücke in alle Richtungen davonfliegen. Dann erst hörten sie den Knall einer gewaltigen Explosion, dem die Druckwelle auf dem Fuß folgte. Blitze zuckten aus allen Öffnungen und brachten die Plastikbetonkonstruktion zum Einsturz. Wie ein Kartenhaus fiel alles zusammen. Dhark und seine beiden Begleiter hatten sich zu Boden geworfen, aber als um sie herum die Plastikbetonbrocken einschlugen, sprangen sie auf und rannten um ihr Leben. Arc Doorn hatte den Bruchteil einer Sekunde zu spät reagiert. Er sah ein großes Stück Wand heranfliegen. Instinktiv riß er den rechten Arm hoch, als wollte er den tonnenschweren Brocken abwehren. Der Luftzug zog ihm die Beine unter dem Körper weg. Er sah Sterne, als er aufschlug, und dann traf eine Riesenfaust seine linke Körperseite und schleuderte ihn quer über das Dach des sechsten Ringes. Der Sibirier hatte mit dem Leben bereits abgeschlossen. Er glaubte, Brustkorb und Becken seien zerfetzt, als er eine Hand im Nacken spürte, die ihn hochriß. Ren Dhark hatte gesehen, was mit Doorn geschehen war. Ohne auch nur einen einzigen Gedanken an die Gefahr zu verschwenden, in die er sich begab, rannte er zur Seite, dorthin, wo der Sibirier von einem mehrere Meter großen Mauerstück über das flache Dach gefegt wurde und über den Rand zu stürzen drohte. Der Commander sprang auf das dahinrutschende flache Stück Mauer, ließ sich auf die Knie fallen und versuchte Doorn zu packen. Erst beim dritten Versuch bekam er ihn im Nacken zu fassen. Er riß ihn hoch, schrie auf, weil sie sich schon kurz vor der Kante befanden, und warf sich mit dem Sibirier von dem Bruchstück, das eine Sekunde später in die Tie261
fe stürzte und auf der leeren Ringstraße aufschlug und zerbarst. Arc Doorn konnte nicht mehr stehen. Immer wieder brach er in die Knie. Die Schmerzen, die durch seinen Körper tobten, nahmen ihm die Kraft zum Atmen. Aber sie mußten die Flash erreichen, wenn sie von den herumfliegenden Trümmern nicht erschlagen werden wollten. Noch immer donnerten und krachten ununterbrochen Explosionen in der fast vollkommen zerstörten Häuserreihe. Ren Dhark erkannte die Verfassung des Sibiriers. Er packte den bulligen, gedrungenen Mann und warf ihn sich über die Schulter. Das rettete ihnen beiden das Leben. Der kurze Halt hatte ihr Vorwärtskommen verzögert, und genau an der Stelle, an der sie sich unter normalen Umständen gerade befunden hätten, war ein stockwerkgroßes Stück Plastikmauer niedergestürzt. Keuchend unter der schweren Last erreichte Dhark die 004. Er ließ Doorn in den Sitz fallen, sah Riker in die 003 steigen und raste selbst zu seinem Flash zurück. Der Einstieg schnappte zu, das Intervall stand. Dhark öffnete seinen Klarsichthelm und murmelte eine Verwünschung. »Ich habe um Sie drei keinen Sol mehr gegeben, als ich die Strukturerschütterung begriff.« Im gleichen Augenblick wurde Ren Dhark wach. Wovon hatte Pjetr Wonzeff gesprochen? Von einer Strukturerschütterung’? Wieso? Was sollte die denn mit der Gefahr zu tun haben, in der sie alle geschwebt hatten? »Gefahr?« echote Wonzeff auf Dharks Frage. »Das sollte ein tödlicher Schlag sein. Denn das Ding, das die Häuser hat auseinanderfliegen lassen, kam aus dem Hyperraum. Eine Art Bombe, die transitieren kann!« Dhark zuckte zusammen. »Das würde bedeuten…« »Ja«, fiel ihm Pjetr Wonzeff ins Wort, »das kann eigentlich nur bedeuten, daß es einigen Schiffen der Schwarzen Weißen gelungen ist, auf Zwitt zu landen. Allmächtig ist dieser Planet also doch nicht. Schade.« Noch immer hatte die Gedankensteuerung das Kommando über die drei Flash. Ren Dhark konzentrierte sich, und er atmete erleichtert auf, als er in seinem Kopf die Stimme vernahm, die in unpersönlichem Ton erklärte: Kommandoführung wieder abgegeben! In diesem Augenblick wurde Fanal von allen Seiten angegriffen. Aus dem Nichts heraus! Die Bildprojektionen brachten ihnen die Stichflammen und Gluten der Explosionen in die Flash. Der Außenring riß an sieben Stellen zugleich auf und spie Feuer in den gelblich brennenden Himmel. Überall stießen Energiezungen nach allen Seiten. »Blitzstart! Mir folgen!« schrie Ren Dhark. Er hoffte, daß die beiden anderen 262
Piloten prompt reagierten. Der Sie jagte die Flash gen Himmel, als Zwitt zum zweitenmal sein wahres Gesicht zeigte! Schlagartig wurde es Nacht. Der gelblich brennende Himmel erlosch! Dennoch war es nicht überall dunkel. Die Finsternis wurde von dicken, in allen Farben leuchtenden Energiebahnen aufgerissen. Ren Dhark begriff nicht, warum Zwitt verdunkelt worden war. Über Infrarot konnte man so gut sehen wie bei Tageslicht. Da hörte er im Empfang abermals einen Funkspruch in jener Sprache, die ihn an Girr-O erinnerte. Im nächsten Moment waren sechs oder sieben weitere Sender zu hören. Der Commander ließ die Funkortung laufen. Die Stationen lagen bis zu dreitausend Kilometer voneinander entfernt, fast gleichmäßig über den nördlichen Teil Zwitts verteilt. »Folgen Riker und Doorn?« richtete er die knappe Frage an Wonzeff. »Haben dicht aufgeschlossen. Aber sollen wir…?« Da wurde Fanal ein zweites Mal aus dem Nichts heraus angegriffen. Der Gegner schickte seine Bomben durch den Hyperraum mitten in die Ringanlage hinein! Sein Ziel war zweifelsfrei der äußere Ring – und am Fuß dieser Anlage befanden sich die Gruppen unter Oberleutnant Roder! »Commander, wir liegen in Fremdortung!« alarmierte ihn Won-zeff. Dhark ließ alle Peiler seines Flash laufen. Er ahnte, daß es nun auf Sekunden ankam. Doch ihnen blieb keine einzige Sekunde mehr! Der Gegner schlug unbarmherzig zu. Vor ihnen wurde es strahlend hell! Drei Bomben explodierten in Flugrichtung der Flash! Drei winzige Sonnen mit ihren freiwerdenden Höllenenergien versuchten, die Intervalle der Blitze zum Zusammenbruch zu bringen. »Durch!« brüllte Wonzeff, der den Sie auf normale Leistung geschaltet hatte. »Wir sind durch…« Da brachte der Feind gleich zwei Bomben pro Flash zum Einsatz! Die Belastung des Intervalls der 002 schnellte auf 99,2 Prozent. Es fehlte nur eine Winzigkeit, und das Beiboot mit Dhark und Wonzeff an Bord wäre vernichtet worden. Die Blendensteuerung der Bildprojektion arbeitete in gewohnter Präzision. Aber die Bildwiedergabe nicht! Fanal war verschwunden! Fanal, das sie kaum zehn Kilometer hinter sich gelassen hatten. Keine Spur war mehr von der gewaltigen Ringanlage zu sehen! 263
Sollte Infrarot nicht mehr arbeiten? Dhark und Wonzeff nahmen zur gleichen Zeit an ihren Pulten die Kontrolle vor. Infrarot arbeitete normal! »Die Berge… Dhark, die Berge sind wieder da! Und die Flammenbogen! Mein Gott, die sehen jetzt ja ganz anders aus!?« Wonzeff war verwirrt. »Soll ich den Flash übernehmen?« fragte Dhark. Er wunderte sich über sich selbst, daß ihn dieser Wechsel nicht überrascht hatte. Zwitt setzte seine vielleicht stärkste Defensivwaffe ein: Fiktion! Aber hatte Fanal nicht hinter einem sicheren Schirm gelegen? Sie hatten Fanal doch erst sehen können, als sie die Tempelanlage passiert hatten. Ren Dhark hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Die Flächenprojektor-Stationen in der Korona waren wieder zu überdimensionalen Forts geworden. Aus der vollkommen abgedunkelten Innenhülle schössen erneut Tausende von Energiebahnen herunter. Und an vielen Stellen blitzte es auf. Raumschiffe, die verglühten! Neue Raumschiffe der Schwarzen Weißen? Hatte der erste Verband, dem es zum Teil gelungen sein mußte, auf Zwitt zu landen, Verstärkung angefordert, und brach diese Verstärkung jetzt mittels Transitionen in den abgeschirmten Raum ein? »Wonzeff, sehen Sie sich das an!« stieß Dhark aus, den die neue Entwicklung nun doch überraschte. Die planetaren Forts griffen in die Schlacht ein, die in einer Entfernung zwischen dreizehn und achtundsechzig Millionen Kilometern stattfand. Aber diese Forts waren nicht zu sehen! Nur ihre gigantischen Strahlbahnen, diese hochenergetischen Hohlrohre, deren äußere Ringe – wenn man Fanal als repräsentatives Beispiel ansah -einen Durchmesser von zwölf Kilometern hatten! Über zwanzig dieser Forts zählte Ren Dhark. Sie waren aufgrund ihrer nach allen Seiten hin und her schwenkenden Energiefinger unschwer zu erkennen. Aber welchen Sinn hatte es dann überhaupt, die Ringanlagen durch fiktive Landschaften unsichtbar zu machen? Orkane mit unvorstellbarer Stärke mußten mittlerweile über Zwitt rasen – Stürme, die noch bis in die obersten Luftschichten zu bemerken waren. Dharks Gedanken wirbelten wild durcheinander. Einmal dachte er an seine POINT OF, dann an die Männer, die unter dem Kommando Roders vom Angriff aus dem Nichts überrascht worden waren, und dann wieder an diesen Planeten mit seiner 141 Millionen Kilometer entfernten Korona… Und dennoch war dieses Wunderwerk einer unbegreiflichen Technik nicht unverletzlich! Die Schwarzen Weißen mit ihren pausenlos diesseits der Korona rematerialisierenden und sich verzweifelt wehrenden Raumschiffen bewiesen es schon 264
wieder. Der nachtdunkle Himmel, von grelleuchtenden Energiefingern nur stellenweise aufgerissen, gebar eine winzige Sonne nach der anderen. Schiffe der Schwarzen Weißen, die in Energie umgewandelt worden waren. Doch das Aufblitzen in vielen Millionen Kilometern Höhe hörte nicht mehr auf. Es sah so aus, als ob immer mehr Flächenprojektor-Stationen in den Kampf eingriffen Der Gegner schien mit einer riesigen Flotte durchgebrochen zu sein. Plötzlich erklang aus dem Lautsprecher des Flash ein Funkspruch: POINT OF ruft Commander Dhark! Bitte kommen! POINT OF ruft Commander Dhark! Bitte kommen! Bitte kommen! Der Funkverkehr war wieder klar! Das Flaggschiff der Terranischen Flotte war nicht vernichtet worden! »Gott sei Dank!« Dan Riker in seiner 003 war die Erleichterung überdeutlich anzumerken. Wie üblich, war von Arc Doorn nichts zu hören. Ob er inzwischen die Folgen seines Unfalls überwunden hatte? Dhark rief auf der Frequenz des Ringraumers zurück. Er wunderte sich, daß der Bildschirm grau blieb. Keine Antwort! Er schaltete den Hyperfunk-Sender auf höchste Leistung, rief gleichzeitig die erfaßten Daten der Funkortung ab. Das konnte doch nicht stimmen?! Die POINT OF sollte sich außerhalb der Korona befinden? »Wonzeff, überprüfen Sie das bitte noch einmal. Hier muß ein Fehler vorliegen.« Es dauerte nicht lange, da meldete Wonzeff: »Dhark, wir müssen es glauben. Die POINT OF steht in der Nähe des inneren tanzenden Planeten!« Der Commander fragte sich, was Falluta wohl veranlaßt oder gar gezwungen haben mochte, den Zwitt-Bereich zu verlassen. Irgend etwas an der neuen Position des Ringraumers störte ihn. War es wegen der Nähe zu einem der drei tanzenden Planeten, die es in Wirklichkeit in dieser Form gar nicht gab? »Commander! Commander!« Heilige Milchstraße, das war doch Oberleutnant Roders Stimme, der Chef der Gruppen, die vor der äußeren Ringmauer in Wartestellung verblieben waren. »Hier Dhark!« rief der Commander erleichtert. »Roder, ich habe Sie gehört. Bitte, melden Sie sich! Haben Sie Ausfälle gehabt?« »Dhark, abschalten. Wir werden erneut geortet!« mischte sich Wonzeff erregt ein. Mit einem Blick auf die Instrumente erkannte Ren Dhark, daß fremde Taster265
strahlen nach der 002 griffen und auch die beiden anderen Flash erfaßt hatten. Die Gedankensteuerung schaltete sich ein! Das tat sie unaufgefordert nur, wenn allerhöchste Gefahr für die Flash und ihre Besatzungen bestand. Die Leistung des Sie stieg schlagartig auf Maximum! Die Andruckabsorber begannen zu heulen! Die Energieortung zeigte astronomische Werte. Rund um die Flash riß der nachtdunkle Raum auf – und winzige Sonnen stürzten sich mit ihren Energien auf die Beiboote der POINT OF! Der Feind hatte sie zum drittenmal mit seinen Transitionsbomben angegriffen! Geblendet schlössen Dhark und Wonzeff die Augen. Die automatisch arbeitenden Filterblenden der Bildprojektion hatten der Lichtflut für Sekundenbruchteile nicht mehr Herr werden können. In diesen kurzen Sekunden brachen die Intervallfelder um die Flash zusammen. Die beiden Energieerzeuger in jedem Beiboot, die bisher nur in seltenen Fällen zusammen hochgeschaltet worden waren, kamen nicht mehr dazu, ein neues Intervall zu errichten! Die Andruckabsorber standen kurz vor dem Zusammenbruch. Die Gravoswerte in den Blitzen schwankten. »Uns hat ein Traktorstrahl erwischt!« stellte Dhark in ohnmächtigem Grimm fest, als er wieder etwas sehen konnte und die Werte an seinen Instrumenten ablas. Die 002 wurde im spitzen Winkel nach unten gerissen. Den anderen Flash erging es ebenso. Der Sie kam gegen die Gewalten nicht mehr an. Die Gedankensteuerung schaltete ihn einfach ab. Es wurde auch kein weiterer Versuch mehr unternommen, das Intervall neu aufzubauen. Alle verfügbaren Energiereserven wurden den heulenden Andruckabsorbern zugeführt. Sie hatten die wichtigste Aufgabe zu erfüllen: die Besatzungen der Blitze so lange am Leben zu halten, bis entweder dieser Angriff vorüber oder aber eine entscheidende Änderung der Lage eingetreten war. 3000 Meter Höhe! Sie wurden immer noch schneller. Dhark zerrte seinen Klarsichthelm wieder über den Kopf. Das Geheul der Andruckabsorber machte eine normale Verständigung von Mann zu Mann praktisch unmöglich. Da half nur der Helmfunk. »An alle! Unter keinen Umständen nach der Zwangslandung das Feuer eröffnen. Bestätigung!« Warren und Doraner bestätigten. Riker und Doorn äußerten sich nicht dazu. Höhe noch 1000 Meter! Die Beschleunigung stieg unaufhaltsam. Mit fünffacher Über266
schallgeschwindigkeit jagten drei hilflos gewordene Blitze im Griff eines superstarken Traktorstrahls ihrem unbekannten Ziel entgegen. Aber dieser Traktorstrahl war nicht sauber! Er mußte zugleich ein Leit- oder Trägerstrahl für gesteuerte Gravitationskräfte sein, die ununterbrochen versuchten, in die Flash einzubrechen, aber noch nicht ans Ziel gekommen waren. Nur so ließ sich die Belastung der Andruckabsorber erklären. Höhe 200 Meter! In jedem der drei Flash schaltete ein Absorber ab! Das Heulen des anderen ließ nach, als die Geschwindigkeit abrupt unter Mach l fiel. Dann setzten die Beiboote – ohne die Ausleger auszufahren – mit viel zu hoher Geschwindigkeit auf. Die plumpen Blitze wühlten sich mit ihrer platten Nase ins Erdreich, überschlugen sich ein paarmal und blieben dann auf der Seite liegen. Seit die Terraner die Flash benutzten, waren sie noch nie auf diese Weise gelandet. Ren Dhark dankte dem Schicksal, daß er den Absturz und die folgenden Überschläge seiner 002 abgesehen von ein paar Prellungen gut überstanden hatte. Sein Kopf brummte noch, als er über Helmfunk durchgab: »Unter keinen Umständen die Flash verlassen. Abwarten, was auf uns zukommt!« »Herzlichen Dank, Terraner Dhark«, hörte er eine Stimme aus dem Helmlautsprecher, die er sofort erkannte. Girr-O, der Anführer der Schwarzen Weißen, befand sich auf Zwitt! Girr-O hatte sich seine Beute, die ihm durch die Hilfe von Mone entkommen war, wieder zurückgeholt! »Wer war das denn?« fragte Dan Riker ahnungslos. »Wer hat sich denn diesen schlechten Witz erlaubt?« »Girr-O, Dan!« Der Schwarze Weiße meldete sich noch einmal über Funk: »Ich bin nur an dem Terraner Dhark interessiert. Jetzt noch mehr als vorher, weil ich es ihm zu verdanken habe, endlich das Tor zur Sonne gefunden zu haben!« Dhark stutzte, als er den Ausdruck Tor zur Sonne hörte. Tor zur Sonne? War damit Zwitt mit seiner Sonnenkorona gemeint? Ren Dhark schaltete die Bildprojektion um. Er versuchte, den Raumer zu entdecken, aus dem Girr-O zu ihm gesprochen hatte. Der Schwarze Weiße schien sich auf Zwitt sehr sicher zu fühlen. Die energiespeienden RächenprojektorStationen in der Korona und die flacher schießenden planetaren Forts dieser Welt machten auf ihn anscheinend wenig Eindruck. Dhark suchte, doch nirgendwo in dem wüstenartigen Landstrich, in dem sie sich befanden, konnte er ein Raumschiff entdecken. Bis zum Horizont breitete 267
sich die riesige Ebene aus – und bis zum Horizont war kein einziges Raumschiff zu sehen. Immer noch führte die Gedankensteuerung das Kommando. Erst auf einen konzentrierten Gedankenimpuls hin gab sie die Ortungen frei. Sie erbrachten kein Resultat. Im Umkreis von hundert Kilometern gab es kein Raumschiff. Dennoch ließ Dhark sich nicht täuschen. Er hatte das Bauwerk in mehr als achttausend Metern Höhe über der Stadt mit den Spiraltürmen und den weitgeschwungenen Brücken und Hochstraßen nicht vergessen. Damals hatten die Ortungen der POINT OF auch nicht einwandfrei gearbeitet. Ren Dhark grinste verbissen, als er per Funk den Kalauer durchgab: »Nimmst du es ganz genau, Zett-Vau!« Es erfolgte keine Rückfrage. Riker, Doorn, Doraner und Warren hatten ihn verstanden. Das letzte Mittel, sich vor Girr-O zu retten, war die Zeitverschiebung! Es war kaum anzunehmen, daß es den Schwarzen Weißen gelingen würde, den versteckten Sinn des Kalauers aufzudecken, weil es die Abkürzung Zett-Vau in der terranischen Sprache erst seit etwas mehr als einem Tag gab. Ren Dhark zuckte plötzlich zusammen! Hatte die Besatzung der POINT OF tatsächlich eine Zeitverschiebung erlebt? Wenn ja, wie war es dann möglich, daß sie noch innerhalb der zweitägigen Verschiebung in Richtung Vergangenheit hier schon wieder auf Girr-O trafen? Das Schicksal ließ ihm keine Zeit, dieses Problem in Ruhe zu durchdenken. Zwitt zeigte sein drittes Gesicht! Zwitt setzte seine Roboter ein! Und über Zwitt wurde es schlagartig wieder Tag! Der Boden öffnete sich an vielen tausend Stellen. Kreisrund und dunkel waren die Öffnungen, aber darüber flimmerte es, und dieses Flimmern, das an erhitzte Luft erinnerte, pulsierte schneller und schneller. Dhark und seine fünf Männer beobachteten eine der Öffnungen, die kaum hundert Meter von ihnen entfernt war. Sie fragten sich, was das zu bedeuten hatte, bis der Commander erschüttert an seinen Instrumenten ablas, daß im Rhythmus des Pulsierens Strukturerschütterungen erfolgten! Aber tausend im nahen Umkreis?! Was geschah hier? Was verließ das Normalkontinuum oder was kehrte über den Hyperraum wieder ins Einstein-Kontinuum zurück? Sekunden vergingen. Auch Ren Dhark war dann doch einigermaßen überrascht, als in zwei Kilometern Entfernung etwas auseinanderriß und im Flirren einer sich wild hin und her bewegenden energetischen Wand ein Raumschiff sichtbar wurde. Ein Gigant, der aus zwei Kugeln bestand, die zu etwa einem Fünftel ineinandergeschoben und zusätzlich durch einen auffallend dicken Ringwulst mitein268
ander verbunden waren. Die grauen Kugelzellen mochten jeweils sechs- oder siebenhundert Meter Durchmesser haben und wirkten mit ihren langen Strahlantennen wie monströse Igel. War das Girr-Os Schiff? Befand sich der Schwarze Weiße in diesem Koloß? Ren Dhark kniff die Augen zusammen. Die Transparenz der hin und her schwankenden Wand nahm zu. Schwärme von großen Insekten schienen die beiden Kugeln zu umtanzen! Insekten? Dhark schaltete die Bildprojektion um. Er war der erste Mensch, der Zwitts Roboterarmee zu Gesicht bekam… Keine Nachbildungen von Humanoiden! Keine fliegenden Panzer! Die unmöglichsten Formen waren zu erkennen: Würfel, Kugeln, Halbkugeln, Pyramiden, Zylinder, Ikosaeder, Dodekaeder und viele andere Körper, für die es keine Namen gab! Tausende flogen um den Doppelkugelraumer herum! Tausende, die sich plötzlich zu seltsamen Gebilden vereinigten und sich auf den Antennenwald des Raumschiffs stürzten! Bei jedem Kontakt der Robot-Gruppen mit einer der bizarren Antennen entstanden winzige Sonnen, die ihre Energie aber gegen die Raumschiffszelle abstrahlten. Dhark wußte nicht mehr, wohin er zuerst sehen sollte. Es gab keine Antenne mehr, an der nicht einer dieser grotesken Robot-Körper hing, aber es gab noch Tausende von Einzelteilen, die aus dem Nichts entstanden, sich hinter der flirrenden Wand zu weiteren Gebilden verbanden, und sich dann auf das Schiff stürzten. Warum wehrte sich die Besatzung nicht? Kein einziger Schuß verließ die Antennen, aber an vielen Stellen glühten die Robot-Gruppen auf und steigerten in Sekundenteilen ihre Emissionsleistungen – gegen die Kugelhülle! Die Roboter-Wacht des Planeten Zwitt hatte den Kampf gegen die unerwünschten Eindringlinge aufgenommen! »Ren! Ren…« Dan Riker meldete sich. »Ren, sie schmelzen dem Schiff alle Antennen ab!« Das hatte Dhark auch schon beobachtet, aber im ersten Moment nicht glauben wollen. Das Schauspiel, das vor ihnen ablief, war ungeheuerlich. Der Doppelkugelraumer versuchte zu starten! Die Energieortung der 002 verriet es Dhark. Aber das Schiff rührte sich nicht von der Stelle. Die Luft um den Raumer herum war mit bizarren Robotkörpern übersättigt! Sie kamen aus dem Nichts! Sie kamen auf die gleiche Art und Weise hinter 269
den hochenergetischen Schutzschirm des Raumschiffs der Schwarzen Weißen, wie diese ihre Bomben im Bereich der Ringanlagen zum Einsatz gebracht hatten. Aus oder in den Rohren, die aus der Tiefe heraufführten, transitierten sie, und ihr Sprung war so genau berechnet, daß sie innerhalb der relativ kleinen Schutzsphäre des Doppelkugelraumers den Normalraum wieder erreichten! Neue Kombinationen griffen den auffallend mächtigen Ringwulst an! Arc Doorn hatte etwas entdeckt, das ihm die Zunge löste: »Über die Energieströme des Schiffs, das zu starten versucht, dringen die Roboter in den Ringwulst ein.« Er hatte kaum ausgesprochen, als der Ringwulst an mehreren Stellen aufriß und Glutbahnen ins Freie stieß! Im Schiff war ein Atombrand ausgebrochen! Dhark drehte seinen Kopf, so weit es ging. »Wonzeff, ich möchte einfliegen, aber allein. Würden Sie…« Der Pilot hatte verstanden. »Okay, wenn wir das Intervall wieder einschalten können!« Das Intervall stand, wurde abgeschaltet. Wonzeff stieg aus und rannte zur 003 hinüber. Ob es Dan Riker recht war oder nicht – er mußte ihm Platz machen. Riker tobte, weil Ren Dhark wieder einmal alles auf eine Karte setzte und noch nicht einmal verraten hatte, warum er in das Schiff der Schwarzen Weißen einfliegen wollte. Hatte ihm die ersten Begegnung mit diesem Girr-O nicht gereicht? Und genau an Girr-O dachte der Commander. Ihn wollte er aus dem brennenden Schiff retten; den wichtigsten aller Schwarzen Weißen, wie er für sie der wichtigste aller Terraner war! Die 002 hob ab und nahm Kurs auf den Doppelkugelraumer, dessen Ringwulst brannte. An seinen Instrumenten stellte er eine besonders starke Strukturerschütterung fest – doch daß sie ihm gelten könnte, das ahnte Ren Dhark nicht. Plötzlich raste sein Flash auf ein paar hundert Robotkörper zu, die vor ihm aus dem Nichts aufgetaucht waren. Blitzschnell schlössen sie sich zu einem Ring zusammen, dessen Öffnung nicht besonders groß war. Dieser Ring nahm Kurs auf Dharks 002! Der Ring nahm vom Intervall des Blitzes keine Notiz, sondern umschloß das Beiboot der POINT OF! Entschlossen versuchte Dhark, den Sie auf maximale Leistung zu bringen! Damit leitete er die Vernichtung des Flash ein! Die 002 wurde zu Boden gedrückt! Die fünf Männer, die zurückgeblieben waren, sahen, wie die Roboter den Flash zudeckten. Sie erlebten nicht mit, wie man das Beiboot Nummer 2 der POINT OF aufschnitt! Ren Dhark gab auf, als sein Flash den Boden berührte, aber als er den Riß in 270
der Unitallhaut seines Blitzes immer länger werden sah, und der vordere Antrieb innerhalb weniger Sekunden in einem lautlosen Vorgang vom tankförmigen Flugkörper abgeschnitten wurde, wußte er mit absoluter Sicherheit, daß Zwitt eine Welt der Mysterious war. Und er wußte auch, daß es für Girr-O, den Schwarzen Weißen, keine Rettung mehr gab. Die Roboter-Wacht warnte nicht. Sie schlug zu! Sie vernichtete laut Programm. Sie vernichtete sogar sich selbst! Die Gruppen, die gegen den Doppelkugelraumer im Einsatz waren, gingen in den Atomgluten des auseinanderfliegenden Schiffes mit unter! Ren Dhark aber war zum Gefangenen einer Gruppe von Robotern geworden. Er steckte in ihr wie in einem Gefängnis, das ihn wie eine zweite Haut umschloß…
REN DHARK Band 13 Durchbruch nach ERRON-3 erscheint Ende Februar 1999 Bereits erschienen und lieferbar: Buchausgabe (jeweils ca. 352 Seiten), DM 29,80 Bd. l „Sternendschungel Galaxis“ Bd. 7 „Im Zentrum der Galaxis“ Bd. 2 „Rätsel des Ringraumers“ Bd. 8 „Die Meister des Chaos“ Bd. 3 „Zielpunkt Terra“ Bd. 9 „Das Nor-ex greift an!“ Bd. 4 „Todeszone T-XXX“ Bd. 10 „Gehetzte Cyborgs“ Bd. 5 „Die Hüter des Alls“ Bd. 11 „Wunder d. bl. Planeten“ Bd. 6 „Botschaft aus d. Gestern“ Bd. 12 „Die Sternenbrücke“ Buchausgabe (ca. 192 Seiten), DM 19,80 Sonderband „Gestrandet auf Bittan“ In Vorbereitung: Bd. 13 und ein weiterer Sonderband (Februar 1999) Bd. 14 (April 1999) Bd. 15 und ein weiterer Sonderband (August 1999) Bd. 16 (November 1999) Bd. 17 (Februar 2000) Weitere Bände erscheinen im Abstand von ca. drei Monaten
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