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Roy Palmer 1.
Der Kutscher atmete ein paarmal tief und heftig durch, dann drang ein Fluch über seine Lippen. Eigentlich war das bei ihm schon etwas Besonderes, denn schließlich hatte er bei Sir Freemont in Plymouth gedient und sich gute Manieren beibringen lassen. Gewöhnlich benahm er sich weniger ungehobelt als die anderen Männer der Seewolf -Crew. Kurzum, es mußte schon ganz dick kommen, um ihn aus dem seelischen Gleichgewicht zu werfen und auf die Palme zu schicken. Heute war das der Fall. Sein Gemütszustand drohte aus der Balance zu geraten. Aber nicht, weil die „Isabella III.“ einen Sturm zu überstehen oder sich gegen eine Übermacht von spanischen Kriegsgaleonen zu behaupten hatte — nein, es ging ihm nur ganz entschieden gegen den Strich, was die Deckskameraden mit ihm vorhatten. „Stell dich nicht an wie eine Jungfrau“, sagte Blacky. „Wir müssen dich über Bord schmeißen. Je weniger Aufstand du dabei machst, desto besser für dich.“ „Das ist ein dicker Hund“, protestierte der Kutscher. Seine Lippen preßte er zu einem Strich zusammen. Seine blauen Augen funkelten angriffslustig. „Warum immer ich? Ihr wißt genau, daß ich das Schwimmen immer noch nicht gelernt habe. Damals vor der Mocha-Insel mußte ich auch herhalten. Aber das war ja noch was anderes, das hab ich für Matt Davies und Pete Ballie getan. Aber jetzt schon wieder — nee, da müßt ihr euch einen anderen suchen.“ Er schob die Ärmel hoch, griff nach einem auf Deck liegenden Dweil und streckte ihn vor. Das Ding war zum Deckschrubben bereitgestellt worden, aber der Kutscher funktionierte es jetzt in eine Waffe um. Er war ein bißchen, schmalbrüstig, aber doch zäh. Im Kampf stand er durchaus seinen Mann. „Hör doch auf“, erwiderte Blacky. Er stand zwei Schritte vom Kutscher entfernt am Backbordschanzkleid. Neben ihm war Buck Buchanan, der mit zupacken sollte.
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Buck gehörte zu den ehemaligen KaribikPiraten an Bord der „Isabella“. Von den Ereignissen auf der Mocha-Insel wußte er wenig. Damals waren er und seine Kameraden noch nicht bei der SeewolfMannschaft gewesen, und sie hatten nur ansatzweise in Erzählungen vernommen, auf was der Kutscher anspielte: Pete Ballie und Matt Davies waren seinerzeit von den Araukanern gefangengenommen worden. Ed Carberry und andere „Verschwörer“ hatten einen Unfall fungiert, damit sie einen Vorwand hatten, entgegen Francis Drakes Anweisungen, zur Insel zu gelangen, um Pete und Matt herauszuhauen. Der Kutscher war also mit einem Abfallkübel in die See gestürzt und dann von den Freunden „gerettet“ worden. „Eben daher wissen wir ja, daß du deine Aufgaben immer gewissenhaft durchführst, selbst, wenn dir das Wasser bis zum Hals steht“, fuhr Blacky fort. Die Ironie in seiner Stimme war kaum zu überhören. An Bord der „Isabella“ herrschte nicht gerade Idealstimmung, und das verwandelte ihn in eine Art gereizten Stier. „Los, komm jetzt, sei kein Frosch.“ „Warum ausgerechnet ich?“ sagte der Kutscher starrsinnig. Blacky schaute zur Großmarsstenge hoch, als stünde dort eine präzise Antwort auf die Frage. Mit erzwungener Geduld entgegnete er: „Weil Hasard es so befohlen hat. Weil es so echt wie möglich aussehen soll. Weil man eine verlauste Landratte flinker aus dem Wasser zieht, wenn sie tatsächlich nicht schwimmen kann und jeden Augenblick abzusaufen droht.“ „Verlauste Landratte?“ Der Kutscher zeigte grimmig die Zähne. „Kommt her und holt euch ab, was der Nichtschwimmer euch um die Ohren zu hauen gedenkt.“ Wütend schwenkte er den Dweil hin und her. Die Lappen klatschten bedrohlich. Buchanan grinste jetzt. „Hör auf, den wilden Mann zu spielen, Kutscher. Du weißt ganz genau, daß der Seewolf immer noch geladen ist und uns deshalb Feuer unterm Hintern macht. Wir tun gut daran, zu kuschen. Ich hab jedenfalls keine Lust, wegen Befehlsverweigerung an der
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Rahnock aufgebaumelt zu werden oder mir den Kopf abreißen zu lassen.“ „Ha!“ sagte der Kutscher. „Weil der Seewolf auf euch sauer ist, wollt ihr eure aufgestaute Wut jetzt an mir auslassen, wie? Das könnte euch so passen! Geschieht euch ganz recht, daß ihr wegen der Ausschreitungen in Culebra hart herangenommen werdet. Da lernt ihr, was es heißt, sich bei den Weibern zu verausgaben und den Mund zu voll zu nehmen.“ „Jetzt hört aber alles auf“, gab Blacky zurück. „Du verlauster Kombüsenhengst warst doch auch mit auf Landgang und hast eine dralle Hafenhure vernascht, oder? Also, was spuckst du so große Töne? Mitgefangen, mitgehangen. Stell den Dweil weg und ergib dich.“ „Nein. Ich habe in Culebra keinen Streit vom Zaun gebrochen.“ „Wir auch nicht.“ „Nein, aber ...“ „Laß Gordon Watts aus dem Spiel“, sagte Buchanan drohend. „Der liegt auf dem Grund der See und tut keiner Fliege mehr was. Was passiert ist, läßt sich nicht mehr rückgängig machen.“ Der Kutscher blickte verwirrt. Er begriff, daß er einen Schritt zu weit gegangen war. Natürlich wollte auch er einem Toten nichts Schlechtes nachreden, es tat ihm leid, daß er in seiner Empörung die falschen Worte gewählt hatte. Er stand noch unschlüssig mit dem erhobenen Dweil, da turnte Dan O’Flynn vom Quarterdeck, lief quer über die Kuhl und steuerte auf sie zu. Unter den Luvhauptwanten stoppte er. Der handige Nordostwind fuhr in seine blonden Haare und zerzauste sie. Grinsend hob er hoch, was er in den Händen hielt, zielte, rief: „Ho, Kutscher!“ und warf es dem Verdatterten zu. Der Kutscher handelte instinktiv. Er ließ den Dweil los. Der fiel klappernd auf Deck. Unterdessen fing er Dans Geschoß auf und wog es verdutzt in den Händen. Es war ein Fender, ein dicker, mit Tauwerk bespannter Holzknüppel, der
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normalerweise zum Schutz der Schiffswand diente. „Den umarmst du“, sagte Dan. „Holz schwimmt oben, deswegen sind unsere Schiffe auch aus Holz gebaut ...“ „Das weiß ich!“ rief der Kutscher. Er wollte wieder lautstarken Protest erheben, aber plötzlich ging alles sehr schnell. Blacky und Buck Buchanan hatten seine Unschlüssigkeit ausgenutzt und sich näher an ihn herangeschlichen. Jetzt packten sie zu. Der Kutscher schrie auf. Er wollte um sich schlagen, aber das ging nicht, weil die beiden ihn festhielten wie in einem Schraubstock. Er trat ihnen gegen die Schienbeine, aber das ignorierten sie. Flink trugen sie ihn bis ans Schanzkleid, hoben ihn hoch und verschafften ihm einen einmaligen Ausblick auf die tiefblaue Fläche des Stillen Ozeans. Der Kutscher hielt sich mit den Beinen an einer Rüste fest, aber das nutzte ihm auch nicht mehr viel. Dan O’Flynn kitzelte ihm ein wenig die Füße. Der Kutscher brüllte auf. Er fühlte, wie Blacky und Buck ihn losließen, dann sauste er an den Berghölzern vorbei. Die Schiffswand war eine düstere, abweisende Mauer neben ihm, und er konnte nicht mehr tun, als verzweifelt seinen Fender zu umklammern. Er klatschte mit dem Hintern zuunterst in die Fluten, tauchte unter, schoß prustend wieder hoch, schüttelte sich wie ein nasser Hund und hielt sich an dem Fender, seiner einzigen Rettung, fest. Damals, vor der Mocha-Insel, war es ein Holzkübel gewesen. Der Fender funktionierte nach dem gleichen Prinzip. Er verhinderte, daß der Kutscher jämmerlich absoff. Der Kutscher sah, wie die „Isabella III.“ mit prallem Zeug davonzog. Bitterkeit packte ihn. Jemand johlte zum Beifall für seine Bravournummer - es war das dreiste Bürschchen Dan O’Flynn. Na warte, dachte der Kutscher, dich kriege ich noch! „Mann über Bord!“ brüllte Blacky. Die Meldung wurde weitergegeben wie im Ernstfall, dann gellten Ed Carberrys Kommandos über Deck. Die Segel wurden backgebraßt. Der Rudergänger Pete Ballie ließ das Schiff über Backbordbug drehen,
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so daß sie eine Schleife von rund neunzig Grad fuhren und dann mit einem Kreuzschlag gegen den Wind gingen. Philip Hasard Killigrew hatte die Hände auf die Schmuckbalustrade gelegt, die den Querabschluß des Achterkastells nach vorn bildete. Er beobachtete seine Männer und merkte sich jeden Fehler, der ihnen unterlief. Er nahm sie auf das härteste heran und duldete keine Schwächen. Er verlangte ihnen das äußerste ab, besonders den ehemaligen Karibik-Piraten. Mitte April 1579 hatten sie Culebra in Nicaragua verlassen. Seitdem schliff er seine Crew erbarmungslos. Tagsüber purrten seine Befehle sie fast pausenlos an die Brassen und Schoten, jagten sie zu kühnsten Segelmanövern in die Wanten und bis unter die Toppnanten hinauf. Reihum wurde an Kanonen und Drehbassen exerziert. Die Zwischenzeiten, sogar die frühen Morgenstunden und die Zeit nach dem Dunkelwerden, füllte der Seewolf mit Manövern wie „Mann über Bord“ oder „Feuer im Vorschiff“ und ähnlichen Dingen aus. Jeder Mann mußte jede Station an Bord der „Isabella III.“ voll und ganz versehen können. „Rollenschwof“ nannten die Seeleute diese Art von Beschäftigung, die ihnen allmählich auf die Nerven ging und sie innerlich zum Kochen brachte. Smoky, Stenmark, Matt Davies und Patrick O’Driscoll waren dieses Mal mit der Segelpinasse dran. Sobald der ausgesprochen wendige Zweimaster in der Nähe des „schiffbrüchigen“ Kutschers lavierte und durch geschicktes Manövrieren stoppte, fierten sie das Beiboot weg und enterten über Jakobsleitern ab, die Sam Roskill und Bob Grey die Bordwand hinabbaumeln ließen. Auch Roskill und Grey sprangen an Bord der Pinasse. Dann pullten sie auf den Kutscher zu und zogen ihn aus dem Wasser. Er fluchte jetzt, was das Zeug hielt und kümmerte sich keinen Deut mehr um die gute Erziehung, die er bei Sir Freemont genossen hatte. Da er nicht schwimmen konnte und sich im nassen Element folglich außerordentlich tolpatschig
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benahm, hatten die Männer auf den Einsatz der Segelpinasse nicht verzichten können. Ein guter Schwimmer hätte sich mit ein paar kräftigen Zügen selbst bis an die Bordwand der Zweimastgaleone befördert und die Jakobsleiter erklommen. Aber genau das sollte ja nicht sein - Befehl vom Seewolf. „Kutscher, schaff dir ein dickeres Fell an“, sagte Smoky in der Pinasse. „So wie ich die Dinge sehe, wirst du noch öfter gegen deinen Willen über Bord gehen. Hasard hat sich in den Kopf gesetzt, uns die Hammelbeine langzuziehen. Und wie ich ihn kenne, gibt er erst Ruhe, wenn wir auf dem Zahnfleisch übers Deck kriechen.“ Das stimmte. Hasard hatte immer noch eine Mordswut im Bauch - wegen der Geschehnisse in Culebra. Die Männer waren richtiggehend aggressiv geworden, weil sie schon seit Monaten keine Frauen mehr gehabt hatten und sich mal wieder richtig austoben mußten. Hasard hatte ihnen Landurlaub gewährt. Die Attraktion der „Putas“ an Land war eine Kreolin namens Juana gewesen - ein ausgekochtes, raffiniertes Luder. Gordon Watts hatte Perlen aus den Frachträumen der „Isabella“ gestohlen, um sie bezahlen zu können. Und eben das war für Hasard wie ein Schlag unter die Gürtellinie gewesen! Keiner der Männer hatte ihn bisher hintergangen, keiner hatte es jemals gewagt, auch nur einen winzigen Teil der Schätze an Bord ihrer Galeone anzutasten. Nun, Gordon Watts war für seine Unvorsichtigkeit bitter bestraft worden. Juana, gierig auf mehr Perlen und Schmuck von Bord der „Isabella“, hatte ihn von einem Zambo umbringen lassen. Von Culebra aus war der Seewolf mit seiner „Isabella III.“ zunächst nach Westen abgelaufen. Später hatte er dann aber - zum Entsetzen seiner Mannschaft - südlichen Kurs genommen. „Mon Dieu“, hatte Jean Ribault gesagt. „Mein Gott, Hasard, ich bin wirklich keine furchtsame Natur. Aber was wir hier tun, das bedeutet soviel, wie dem Spanier mitten zwischen die Reißzähne zu segeln.“
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Er konnte es sich erlauben, den Seewolf zu kritisieren. Er hatte mit ihm das Landabenteuer im Hafen von Panama bestanden. Sie hatten den dicken Hafenkommandanten Alfonso de Roja, den nicht minder beleibten Gouverneur Diego de Avila sowie den Polizeipräfekten Miguel de Villaneva und dessen Clique das Fürchten gelehrt und die Mäuse im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Tisch tanzen lassen. Beide hatten sie hoch gesetzt und ihr Leben mehrmals in die Waagschale geworfen. Die Erlebnisse hatte ihre Freundschaft gefestigt. Dennoch, Philip Hasard Killigrew hatte dem intelligenten Franzosen nur geantwortet: „Und wenn schon! Willst du dich vielleicht vor den Dons verstecken?“ Jean hatte es vorgezogen, keinen weiteren Kommentar abzugeben. Hasard wandte sich um und verfolgte mit wachem Blick, wie seine Männer über das Schanzkleid auf das Achterdeck kletterten und dort von ihren Kameraden in Empfang genommen wurden. Sie holten die Segelpinasse ein und zurrten sie mit Brooktauen fest. Blacky und Smoky prüften den ordnungsgemäßen Sitz der Laschungen, dann erstatteten sie ihrem Kapitän Meldung. Der Kutscher verzog sich hinter das Kombüsenschott und brummelte dabei irgendetwas Unverständliches. Wenn er gedacht hatte, er könne jetzt einen ruhigen Lenz schieben, so hatte er sich gründlich getäuscht. Schon wenig später tönte ein neuer Kommandoruf des Profos über Deck. „Schiff klar zum Gefecht!“ Zähneknirschend begaben sich die Männer auf ihre Stationen, ihre bloßen Füße trabten über die Decks. Der Kutscher beeilte sich, die Kombüsenfeuer zu löschen. Er übernahm es auch, die Decks mit Sand zu bestreuen, wie das vor jedem Seegefecht unerläßlich war. Unterdessen schwangen die Stückpforten der „Isabella“ hoch, und rumpelnd wurden die Kanonen ausgefahren: je vier Demi-Culverinen, also Neunpfünder, auf jeder Seite der Kuhl sowie sechs Drehbassen, zwei vorn auf der
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Back, zwei auf dem Achterdeck und zwei auf der Kuhl ganz achtern. Das war im Gegensatz zu den dicken Kriegsgaleonen der Spanier eine geradezu lächerliche Armierung. Doch Hasard hatte den Dons nun schon so oft mit diesem Schiff eingeheizt, daß ihnen das Lachen endgültig vergangen war. Die „Isabella III.“, die früher „Valparaiso“ geheißen hatte und ein Prisenschiff war, hatte sich als echtes Glücksschiff erwiesen. Sie führte nur Fock- und Großmast - statt des Rahgroßsegels hatte sie ein Gaffelsegel -, aber dank ihrer Bauweise war sie schneller und wendiger als die meisten anderen Galeonen. Aber all das wäre nichts gewesen, wenn Hasard nicht diese Mannschaft gehabt hatte, diese Crew von geradezu unerhört draufgängerischen, fähigen, mit allen Salzwassern gewaschenen Kerlen. Er hätte sich für sie in Stücke schlagen lassen, wie sie für ihn durchs Feuer gingen. Aber er wußte auch genau abzuwägen, wann er sie loben durfte und wann er sie seine ganze Härte spüren lassen mußte. Hasard wußte, daß die Erfolgsserie ein Ende hatte, wenn er die Disziplin an Bord nicht rigoros wiederherstellte. Sie segelten frech und gottesfürchtig mit einer imposanten Pulverladung und einem noch imposanteren Schatz durch die Weltgeschichte - und er wollte, daß dies noch einige Zeit so andauerte. Er stieg selbst zur Kuhl hinunter und inspizierte das Zubehör der Geschütze. Kartuschen, Kuhfüße, Handspaken, Schwämme und Keile befanden sich in tadellosem Zustand. Auch die Pulverhörner waren ordnungsgemäß gefüllt. Und was die Justierung der Neunpfünder und Drehbassen betraf, so fand Hasard bei allem Groll nichts zu kritisieren. Al Conroy blickte von einer der DemiCulverinen an der Backbordseite der Kuhl auf. „Wie lange soll das noch so weitergehen, Hasard?“ fragte er. „Wir haben unsere Lektion jetzt zur Genüge gelernt. Alles, was nun noch folgt, kann nur eine Art von Beschäftigungstaktik sein.“
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„Genau das, Al.“ „Ja, zum Teufel noch mal, ist denn das wirklich notwendig?“ „Unbedingt.“ Hasard stand mit leicht abgewinkelten Beinen und verschränkte die Arme vor der Brust - ein Riese von einem Mann, den weder die rollenden und stampfenden Bewegungen des Schiffes noch eine jäh aufkommende Bö aus dem Gleichgewicht holen konnte. „Aber Wenn es dir besser im Kabelgatt oder in der Vorpiek gefällt, Mister Conroy, dann kann ich dich ohne weiteres zufriedenstellen.“ Al war ein wenig blaß geworden. „Nein, Sir.“ „Noch etwas zu meckern, Mister Conroy?“ „Nein, Sir.“ Dan O’Flynn hockte auf seinem Ausguckposten im Großmars, schaute auf die Männer hinunter und schüttelte den Kopf. Sein einziger Zuhörer war Arwenack, der Schimpansenjunge. Der saß mit trübseliger Miene auf dem Rand der Segeltuchverkleidung und kratzte sich am Kopf. „Ganz unter uns“, sagte Dan. „Ich frage mich langsam, ob Hasard noch richtig im Kopf ist. Entweder hat er sich in den Kopf gesetzt, uns alle langsam aber sicher weichzuklopfen. Oder er entwickelt sich zu einem bulligen Urviech wie sein Alter, Sir John. Das wäre schlimm, Arwenack.“ Dan legte den Kopf schief. „Oder aber er plant was ganz Bestimmtes, wozu er eine noch bessere und verläßlichere Mannschaft braucht. Die Crew war ja schon immer ein verwegener Haufen, aber jetzt will er sie offensichtlich in eine Kampfmaschine verwandeln, die absolut zuverlässig ist. Na, ich bin mal gespannt, was daraus wird.“ Arwenack nickte ernst, als hätte er wirklich verstanden. Unten auf der Kuhl wandte sich der Seewolf an Ben Brighton. „Ben, ab morgen früh übernimmst du für vierundzwanzig Stunden Aufgaben und Verantwortung des Kapitäns an Bord dieses Schiffes, während ich mich ausschließlich als Beobachter im Hintergrund halte. Von jetzt an setze ich jeden Tag einen anderen Mann als Kapitän
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ein, damit jeder von euch Himmelhunden auch das lernt und vor allen Dingen ein unerschütterliches Selbstvertrauen kriegt.“ Ben Brighton und alle anderen blickten Hasard verdutzt an. Was war los? Redete der Seewolf im vollen Ernst? Oder sprach er mit zwei Zungen? Etwas unschlüssig fuhr sich Ben mit der Hand über das Kinn. „Was ist?“ erkundigte sich Hasard. „Habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt, Mister Brighton?“ „Doch, ehm - aye, aye, Sir!“ erwiderte Ben rasch. * Erst in der vierten Woche der Fahrt ließ Philip Hasard Killigrew die sprichwörtliche Katze aus dem Sack. An diesem bedeutungsvollen Tag führte Ferris Tucker als „Kapitän“ das Oberkommando über die „Isabella“. Erst gegen Abend löste Hasard ihn ab und erteilte den Befehl, alle Männer sollten sich auf der Kuhl versammeln. Ferris Tucker entfernte sich ziemlich verlegen. Ganz geheuer war es ihm nicht gewesen, den Kapitän zu mimen. Gemeinsam mit Ben Brighton, Smoky und Karl von Hutten trommelte er die Crew zusammen. Hasard stand auf dem Quarterdeck, als sie sich am Großmast zusammendrängten und erwartungsvoll zu ihm aufschauten. Er blickte sie der Reihe nach an. Es waren 26 Mann, davon dreizehn Mitglieder der alten Stammcrew, seit auch Ed Carberry die „Golden Hind“ von Francis Drake verlassen hatte und zu dem Seewolf gestoßen war. Zwölf waren ehemalige Karibik-Piraten - mit Gordon Watts waren es dreizehn gewesen. Karl von Hutten, der sechsundzwanzigste, war eigentlich ein Außenseiter, jedoch nur seiner Herkunft nach. Er hatte sich binnen kürzester Zeit tadellos angepaßt und war wie alle anderen ein Mann, auf den Hasard nicht mehr verzichten mochte. Hasard begann: „Ich glaube, ihr habt es verdient, eine Erklärung zu erhalten. Vorher möchte ich aber wissen, ob sich irgendjemand von euch schon mal präzise
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Gedanken darüber gemacht hat, warum wir uns auf Südkurs befinden.“ Karl von Hutten meldete sich zu Wort: „Meiner. Meinung nach willst du das Schicksal herausfordern, Hasard. Angst habe ich nicht, wenn es darum geht, den verfluchten Philips eins zu verpassen. Nur will ich dir eins zu bedenken geben: Nach unserem Schlag gegen Panama muß bei den Spaniern nun wirklich allerhöchste Alarmstufe herrschen, ganz abgesehen davon, daß ja auch Francis Drake unablässig im Südmeer Beute gerissen hat. So wie ich die Spanier kenne - und ich kenne sie sehr gut -, lassen sie nichts unversucht, um uns zu fassen und zu vernichten. Vielleicht bist du so verwegen, durch die Magellanstraße nach England zurücksegeln zu wollen. Aber ich bin sicher, daß unser Gegner sie bereits abgeriegelt hat und auf uns lauert.“ „Mit anderen Worten“, rief Jean Ribault, „Karl ist der Ansicht, daß ein solcher Plan reiner Wahnsinn ist! Die Männer deiner alten Crew wissen im übrigen doch auch, was da unten für eine Hölle los war. Warum sollen wir unbedingt den Tod suchen?“ „Warum läßt du uns wie Fische am Haken zappeln?“ fragte Stenmark. Hasard grinste. Es war schon einige Zeit her, daß er nicht mehr in ihrer Gegenwart gelächelt hatte. Manch einem fiel der berühmte Stein vom Herzen. Zum ersten Mal, seitdem sie Culebra verlassen hatten, schien Hasard sich wieder in den alten Seewolf zurückzuverwandeln. Er hatte die Crew fester in der Hand, hatte alle Zweifel ausgeräumt, die ihn wochenlang bewegt hatten. „Erinnert ihr euch noch an die ‚Victoria’?“ fragte er. Plötzlich lachten die Männer. Sie stießen sich an, tauschten Blicke aus und rissen Witze über jenen Raid, in dem sie Mitte März vor Panama die Galeonen der Spanier gekapert und ausgeplündert hatten. Und ob sie sich an die „Victoria“ erinnerten! Sie hatten sie um eine stattliche Ladung Perlen erleichtert, den gesammelten Reichtum in den
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Frachträumen der „Isabella“ verstaut und dann weitere spanische Galeonen versenkt. Die wenigen Besatzungsmitglieder, die sich an Bord befunden hatten, hatten sie auf den Panama vorgelagerten Inseln ausgesetzt. „Also“„ meinte Ben Brighton, „entweder bin ich ein bißchen schwer von Begriff, oder ich habe heute meinen schlechten Tag — jedenfalls hab ich immer noch nicht kapiert, auf was du hinauswillst.“ Hasard grinste immer noch, in seinen Augen tanzten plötzlich tausend Teufel. Er sah Dan O’Flynn an, aber in dem Gesicht des Bürschchens verriet noch keine Regung, daß er endlich verstanden hatte. Dabei hätte er der erste sein müssen, der begriff! Hasard sagte gelassen: „Ich habe die ,Victoria’ von oben bis unten durchsucht, wie ihr wißt. Was euch nicht bekannt ist: In der Kapitänskammer stieß ich auf einen Mann, der gerade eine Truhe durchwühlte. Der Kapitän Juan Bravo de Madinga war ja nicht an Bord, sondern befand sich auf Landgang mit dem Hafenkommandanten und Konsorten. Ich knöpfte mir also den Eindringling vor. Erst wollte er nicht mit der Wahrheit rausrücken. Aber dann stellte sich heraus, daß er ein Spitzel des Vizekönigs von Peru war. Er hatte den Auftrag, de Madinga zu beschatten. De Madinga stand in dem Verdacht, seit ungefähr zwei Jahren von allen Schatzladungen, die er nach Panama bringen sollte, eine ganz gehörige Portion für sich abzuzweigen.“ „Also ein windiger Hund wie dieser Hafenkommandant de Roja und der Präfekt de Villanueva“, warf Jean Ribault ein. „Gibt es denn keinen Don, der nicht an Unterschlagungen und Betrug denkt? Die kennen keine Loyalität und gegenseitiges Vertrauen, sondern jeder denkt nur an seinen persönlichen Vorteil. Meiner Ansicht nach sind das glatte Dekadenzerscheinungen.“ „Was ist das. Dekadenz?“ wollte Nils Larsen wissen. „Verfall“, gab Karl von Hutten zurück.
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„Der Spion heißt Sancho Ortiz“, fuhr Hasard fort. „Ich beutelte ihn ordentlich durch und klopfte noch aus ihm heraus, daß er bereits mehr in Erfahrung gebracht hatte, als er zugeben wollte. De Madinga hatte seine Privatschätze in einer kleinen Bucht südlich von Callao verborgen. Die ‚Victoria’ hatte als Heimathafen ja Callao, wenn ihr euch erinnert. Das geheime Versteck hatte de Madinga auf einer Seekarte mit einem Kreuz bezeichnet.“ „Ha!“ stieß Dan mit einem Mal aus. „Jetzt geht mir ein ganzer Kerzenleuchter auf! Ich war ja dabei, als du diesen Ortiz aushorchtest, Hasard. Wir haben ihn zusammen mit den anderen Besatzungsmitgliedern auf der Insel Taboga ausgesetzt, wo er noch schmort, wenn ihn keiner gefunden hat.“ „Ich untersuchte die Truhe und fand eine braune Mappe aus Schweinsleder“, sagte Hasard. Er sah, wie sich die Augen der Männer weiteten, wie hier und dort Münder aufklappten. Geradezu genüßlich berichtete er weiter: „Darin steckte eine Küstenkarte des Gebietes um Callao. Etwa neun Meilen südöstlich von der Stadt ist eine Bucht mit einem Kreuz markiert. Die Bucht liegt oberhalb von Chorillos, einem winzigen Hafenort — etwa zwei Meilen davon entfernt.“ „Mannmann!“ rief Dan O’Flynn. „Du hast also vor, hinzusegeln und den Schatz zu heben? Daß ich nicht eher darauf gekommen bin!“ Hasard zog etwas aus der Tasche hervor: die Schweinsledermappe. Er rollte demonstrativ die Küstenkarte auf. Seine Männer begannen zu jubeln. Die Stimmung an Bord war vollends wiederhergestellt. Die Aussicht auf neue Beute brachte die Crew wieder ordentlich in Schwung. „Das wird eine glatte Sache“ sagte Jeff Bowie. „Wir segeln in aller Ruhe dorthin, suchen den Schatz, reißen ihn uns unter den Nagel und hauen ab, ohne daß uns jemand in die Quere gerät.“ „Fast zu schön, um wahr zu sein“, meinte Matt Davies.
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Hasard hob die Rechte, und die Männer verstummten sofort wieder. „Tut mir leid, aber ich muß euch einen Dämpfer aufsetzen. So einfach ist die Angelegenheit nun auch wieder nicht. Immerhin sind nicht nur wir allein auf den Schatz erpicht.“ „Wer denn noch?“ rief Dan. „De Madinga ist von mir im Duell getötet worden, als deine große Komödie beim Festbankett des Gouverneurs von Panama platzte und der Capitan euch den Weg verstellen wollte. Und dieser Sancho Ortiz wird seinem Auftraggeber wohl kaum bereits Bericht erstattet haben.“ Der Seewolf zog die Augenbrauen hoch. „Da würde ich mal nicht so sicher sein. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber es könnte sein, daß der Schatz bereits gefunden worden ist. Unser einziger Trumpf ist die Karte, denn Ortiz hatte sie noch nicht betrachtet, als ich ihn in der Kapitänskammer der ‚Victoria’ erwischte. Er weiß also nicht genau, wo der Schatz liegt.“ Ben Brighton trat neben ihn. „Dann also nichts wie nach Callao. Wir klüsen, was das Zeug hält, damit wir nicht aus der Übung kommen.“ Mit flüchtigem Grinsen blickte er auf Ferris Tucker. „Also, Männer. wer ist von jetzt ab wieder der Kapitän auf der ‚Isabella’?“ „Hasard!“ brüllten die Männer. „Es lebe der Seewolf!“ * Das einmastige Fischerboot dümpelte in Sichtweite der Küste rund zwanzig Meilen südlich von Callao dahin. Der einsame Mann an Bord hatte die Netze ausgeworfen, aber das nur zum Schein. Im Grunde war es ihm völlig gleichgültig, ob er etwas fing oder nicht. Denn seine Existenz hing nicht von ein paar armseligen Fischen und den Launen des Meeres, sondern von weitaus bedeutsameren Dingen ab. Er war ein schlanker, dunkelhaariger Mann. Er hatte es sich gemütlich gemacht, indem er sich zwischen zwei Duchten
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gesetzt und mit dem Rücken gegen die Backbordwand gelehnt, die Beine nach Steuerbord ausgestreckt hatte. Seine Kleidung ähnelte der derben Kluft eines Fischers, doch auch sie war nur Tarnung. Seine Hände waren nicht schwielig und grob wie die eines an harte körperliche Arbeit gewöhnten Mannes. Sie waren feingliedrig und weich. Wer seine Gesten beobachtete, wußte, daß er nicht in den Spelunken winziger, unbedeutender Dörfer, sondern in vornehmen Kreisen verkehrte. Sein Name war Sancho Ortiz. Ortiz lauschte dem sanften Schmatzen, mit dem die Wellen des Ozeans an den Bordwänden des Einmasters entlangleckten, und gab sich dabei seinen Überlegungen hin. Er wußte nicht, wie der bärenstarke Mann hieß, der ihn an Bord der „Victoria“ überwältigt und zur Preisgabe seines Geheimnisses gezwungen hatte. Das einzige, was er über ihn wußte, war, daß er ein Engländer und damit in seinen Augen ein gottverfluchter Hundesohn war. Ortiz wollte diesen Engländer überraschen, sich an ihm rächen und verhindern, daß ihm der Schatz des Juan Bravo de Madinga in die Hände fiel. Er war überzeugt, daß sie sich irgendwann treffen würden — Erzfeinde, die sich gegenseitig zu überlisten und umzubringen trachten würden. Ortiz’ Handeln seit dem Überfall auf die „Victoria“ wurde von diesen Gedanken bestimmt. Manchmal führte er Selbstgespräche. Dann sagte er: „Warte nur, Ingles, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“ oder „Wir haben noch eine Rechnung miteinander zu begleichen“. Was geschehen war, konnte jener verhaßte englische Freibeuter nicht einmal ahnen. Ortiz grinste bei dem Gedanken, daß jener vielleicht meinte, die Besatzungsmitglieder der versenkten Galeone säßen noch auf den Inseln vor Panama fest. Aber sie hatten sich schon bald nach ihrer unfreiwilligen Landung auf Taboga durch Rauchzeichen bemerkbar gemacht. Eine Galeone aus Guayaquil war aufgekreuzt und hatte sie
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nach Panama gebracht, wo sie den Überfall in allen Einzelheiten geschildert hatten. Sie hatten auch von dem Aufruhr vernommen, den es dort wegen der verdammten Engländer noch gegeben hatte — daß der Hafenkommandant und der Polizeipräfekt entführt worden waren zum Beispiel. Er, Sancho Ortiz, hatte all diesen Dingen nur noch relativ wenig Bedeutung beigemessen. Er war verschlagen, skrupellos, wendig und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Dank seiner blendenden Umgangsformen hatte er es verstanden, sich sehr schnell aus der ganzen Affäre zu ziehen, überflüssige Vernehmungen zu vermeiden und sich als Geheimagent des Vizekönigs von Peru auszugeben. Von da an hatte ihn praktisch niemand mehr aufhalten können. Er hatte sich an Bord der Galeone zurückbegeben und war mit ihr nach Guayaquil gesegelt. Von dort aus war er auf dem Landweg nach Callao gereist. Anfang Mai war er eingetroffen, hatte sich aber nicht bei Don Francisco de Toledo, dem Vizekönig von Peru, zurückgemeldet, sondern einen kühnen Entschluß gefaßt. Er wollte allein nach dem versteckten Schatz de Madingas suchen! Weshalb sollte er dem Vizekönig überbringen, was mit ein bißchen Geschick durchaus ihm allein zufallen konnte? In Panama hatte Ortiz erfahren, daß de Madinga tot aufgefunden worden war. Folglich waren die verborgenen Reichtümer also „herrenlos“ geworden. „Es gibt nur noch ein Problem“, sagte Sancho Ortiz zu sich selbst. „Wo liegt das genaue Versteck des Schatzes — wo? Madre de Dios, ich muß es herausfinden — so oder so.“ Ihm war lediglich bekannt, daß sich der geheime Platz südlich von Callao in einer kleinen Bucht befinden sollte. Der Engländer, der die Meute der Korsaren befehligte, hatte ihn daran gehindert, die Seekarte von de Madinga zu ergattern und einzusehen. Sancho Ortiz hatte sich genügend darüber geärgert und seinem Bezwinger die Pest auf den Hals
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gewünscht. Inzwischen aber war seine Wut vernunftsmäßigen Erwägungen gewichen. Er rechnete fest damit, daß der schwarzhaarige Teufel von einem Engländer mit seinem Schnellsegler aufkreuzen würde. War ihm nicht selbst daran gelegen, den Schatz zu annektieren? Gewiß, er hatte mit seinen Männern auf der Reede von Panama aufgeräumt und große Beute geschlagen. Sie mußten eine Menge Gold, Silber und Perlen auf ihren Zweimaster geschafft haben, diese wilden Kerle! Aber die verfluchten Engländer konnten seiner Ansicht nach den Hals nicht voll genug kriegen. Was sie an sich reißen konnten, das nahmen sie sich. Auf jeden Fall würden sie versuchen, das Versteck des de-Madinga-Schatzes zu finden. Wenn die Dinge tatsächlich so lagen, wie er sie sich ausmalte, brauchte Sancho Ortiz nur zu warten und zu beobachten. Seit Tagen strich er nun schon mit seinem Fischerboot an der Küste auf und ab. Dann kehrte er wieder um und legte die Strecke in entgegengesetzter Richtung zurück. Auf die Dauer wurde ihm dieser Törn langweilig, aber er redete sich Mut zu, indem er sich immer wieder sein Ziel vor Augen hielt. „Der Zweck heiligt die Mittel“, murmelte er. In etwas abgewandeltem Sinn traf dieser Satz auch auf sein Unterfangen zu. Ein Italiener hatte diese Maxime erhoben, ein gewisser Niccolo Macchiavelli, der 1469 geboren und 1527 gestorben war und die Staaten einem Kreislauf von Blüte und Verfall unterworfen glaubte. Ja, Ortiz war ein belesener und eigentlich gebildeter Mann. Man hatte ihm die abendländische Kultur in Klosterschulen eingetrichtert, als er noch in der spanischen Heimat gelebt hatte. In der neuentdeckten Welt hatte er bisher immer nur einen Nutzen aus all diesem Wissen gezogen: die Mitmenschen übers Ohr zu hauen und sich selbst zu bereichern. Seine praktisch angewandte Lebensphilosophie nannte er das. Wegen seiner Gerissenheit war ihm die Aufgabe eines Spions des Vizekönigs gleichsam wie auf den Leib geschneidert.
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Jetzt, vor der entscheidendsten Phase seines Lebens, glaubte er, sich selbst zu übertreffen. Selbstverständlich hatte er sich in Callao umgehört, bevor das Fischerboot genommen hatte und zu seinem Unternehmen aufgebrochen war. Für einen Mann seines Schlages war es nicht sonderlich schwer gewesen, gewisse Details über de Madingas heimliche Tätigkeit herauszubekommen. Der Kapitän der „Victoria“, so hatten Männer aus dem Hafenviertel beobachtet, war manchmal abends verschwunden und am darauffolgenden Morgen zu seinem Schiff zurückgekehrt, wenn dieses vor Callao zur Übernahme der wertvollen Ladungen bereitlag. Ortiz erschien es wegen dieser Zeitspanne logisch, daß sich de Madinga keinesfalls mehr als zwanzig Meilen von Callao entfernt haben konnte. Immer hatte er sich in südlicher Richtung davongestohlen, nur war nie festgestellt worden, wo sein genaues Ziel lag. Sancho Ortiz hatte nichts unversucht gelassen, um genauere Informationen zu erhalten. Er hatte mit Schmiergeldern nicht gespart, doch die Leute von Callao hatten ihm nicht mehr berichten können. Natürlich war nicht bekannt, daß Jean Bravo de Madinga Raubgut fortgeschafft hatte, und Ortiz hatte sich gehütet, auch nur ansatzweise etwas darüber verlauten zu lassen. Sonst hätte er bald sämtliche Abenteurer aus Callao auf dem Hals gehabt. Mysteriös nahm sich aus, daß de Madinga Callao nicht nur auf dem Landweg verlassen hatte, sondern sich bisweilen auch mit einem Boot südwärts gewandt hatte. Noch wußte sich Ortiz keinen Reim auf diesen Umstand zu bilden. Aber er, hoffte, auch hier bald klarer zu sehen. Am frühen Nachmittag glaubte der Spion des Vizekönigs im Südwesten etwas zu erkennen. Er setzte sich auf, nahm ein Spektiv zur Hand und zog es auseinander. Durch die Optik erkannte er Mastspitzen über der Kimm. Er fuhr erregt hoch, hielt
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unausgesetzt Ausschau und versuchte, Genaueres zu erspähen. Zuerst dachte er, den verhaßten Engländer entdeckt zu haben. Aber das stellte sich rasch als Irrtum heraus. Die Maststengen und Flögel, die sich da allmählich aus der See her- vorzuschieben schienen, gehörten eindeutig spanischen Schiffen! Ortiz erblickte zeitweilig ihre vollständigen Umrisse und begriff, daß es sich um einen Verband von Kriegsgaleonen handelte. Er kämpfte seine Unruhe nieder und konzentrierte sich dann darauf, etwas über den Bestimmungsort und die Aufgabe des Verbandes zu erfahren. Gegen Abend hatte er sich wieder Callao genähert und ergründet, daß die Galeonen die Küste unterhalb der Stadt gewissermaßen abschirmten. Die Schlußfolgerungen, die sich aus diesem Tun ziehen ließen, lagen auf der Hand. Ortiz war sicher, daß der Vizekönig Don Francisco de Toledo den Verband geschickt hatte. Der alte Fuchs hat sich auch auf die Lauer gelegt, dachte er grimmig, das war ja zu erwarten! Der Vizekönig hatte mittlerweise natürlich von den furchtbaren Ereignissen in Panama erfahren -wenn auch nicht aus erster Hand durch den Spion, den er ausgeschickt hatte. Er wußte, daß Juan Bravo de Madinga im heldenhaften Kampf gegen den schwarzhaarigen englischen Bastard und dessen Leute sein Leben gelassen hatte und würde diese Tatsache gewiß durch eine offizielle Verlautbarung zu würdigen wissen. De Madinga, der Sohn des Vaterlandes, hatte sich bedingungslos geopfert! Ortiz grinste säuerlich, er glaubte zu hören, wie der betreffende Text am Hofe verlesen wurde. Hätte de Madinga durch seinen Einsatz eine Wende herbeigeführt und die Engländer zurückgeworfen, dann hätte man ihm jetzt bestimmt ein Denkmal errichtet! Der Vizekönig wußte, daß die „Victoria“ ausgebeutet und versenkt worden war genauso wie alle übrigen Galeonen auf der Reede von Panama. Insgesamt waren es zwölf gewesen! Voll überschäumender Wut hatte er weiter gehört, daß der
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Übeltäter wahrscheinlich ein Kumpan von „El Draque“, also Francis Drake, war. Sancho Ortiz fuhr sich mit der Hand durch die Haare und schnitt eine grüblerische Miene. Wie war dieser schwarzhaarige Bastard doch in Panama genannt worden? Ja, jetzt fiel es ihm wieder ein: „El Lobo del Mar“ - der Seewolf. Don Francisco de Toledo hatte sich ausgerechnet, daß der Seewolf nach der Durchsuchung der „Victoria“ Kenntnis von der Lage des Schatzversteckes erhalten hatte. So war sein Plan gereift: durch den Einsatz des Verbandes von Kriegsgaleonen hoffte er, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Die Korsaren, so glaubte er, würden bald erscheinen und den Schatz holen. Dann brauchte er ihnen diesen Schatz nur noch abzunehmen und konnte sich im übrigen für den tolldreisten Überfall auf Panama „revanchieren“, indem er den Seewolf und seine Besatzung mitsamt ihrem kleinen Zweimaster zusammenschoß. Sancho Ortiz begann, die Netze einzuholen. Ein bitterer Zug überschattete sein Gesicht. Für ihn war diese Erkenntnis nicht gerade erheiternd. Er mußte sehr vorsichtig zu Werke gehen. Wurde er von „El Lobo del Mar“, geschnappt, konnte er sein letztes Gebet sprechen. Dann wurde er an der nächsten Rahnock aufgehängt, bis kein Leben mehr in ihm war, und anschließend den Haien zum Fraß vorgeworfen. Und wenn die Besatzungen der Kriegsgaleonen auf ihn aufmerksam wurden? Wahrscheinlich hatten sie die Anweisung, ihn dem Vizekönig vorzuführen. Mißtrauisch war Don Francisco allemal geworden, und ertappte er seinen Spion bei Nachforschungen vor Callao, konnte er sich den Rest denken. Es gehörte keine besondere Intelligenz dazu. In dem Fall fackelte er genauso wenig wie der Seewolf. Ortiz hielt in seiner Tätigkeit inne und griff sich unwillkürlich an den Hals. Er würgte einen Kloß herunter, der sich in der Kehle geformt hatte.
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Er stand zwischen zwei Feuern, spekulierte aber darauf, als der lachende Dritte aus der Schatzsuche hervorzugehen. „Es kommt einzig und allein auf deine Klugheit an, Sancho“, sagte er sich. Er holte das Netz ein und betrachtete den Fang, der da munter auf den Planken zwischen den Duchten seines Einmasters zappelte. Er bückte sich und zog das größte Exemplar hervor. Plötzlich grinste er. Mit einer Hand hielt er den Fisch, einen schweren Umber, an den Kiemenöffnungen fest, mit der anderen griff er nach dem Messer, das er im Gurt stecken hatte. Er schlitzte das Tier auf und weidete es aus. Er arbeitete mit grimmiger Genugtuung, denn die ganze Zeit über stellte er sich vor, wie es war, wenn ihm erst der „Lobo del Mar“ in die Fänge ging. * Jean Ribault saß nach erfolgter Wachablösung mit den anderen Männern seiner Wache auf dem Rand der Gittergräting in der Kuhl der „Isabella III“. und nahm seine wohlverdiente Mahlzeit ein. Als der Kutscher ihnen brachte, was er da auf seinem Holzkohlenfeuer bereitet hatte, verzog der Franzose das Gesicht. „Verdammt, schon wieder aufgewärmtes Pökelfleisch. Ob du den Schiffszwieback nun röstest oder nicht, bleibt sich gleich, Kutscher -besser wird er keinesfalls. Und das Dünnbier ist heute auch wieder lauwarm, was?“ Er griff nach der Muck, die ihm zugereicht wurde, und nickte. „Natürlich wieder lauwarm wie Kinderpipi.“ Der Kutscher setzte sich zu ihnen. Er hatte auch noch nicht gegessen und würgte den Fraß mit Selbstüberwindung herunter. „Du kannst mäkeln, soviel du willst, Jean, ich tue mein Bestes, um ein bißchen Abwechslung in den Speisezettel zu bringen“, entgegnete er würdig. „Abwechslung?“ Ribault lachte auf. „Dieses Zeug ist eine Beleidigung für den Gaumen eines Gourmets.“ „Red doch keinen Stuß“, sagte Al Conroy. „Wir hocken hier auf einem Schiff und
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nicht an der Tafel irgendeines Fürsten. Stell gefälligst nicht so blöde Ansprüche. Franzose. Du kannst noch froh sein, daß dem Kutscher nicht dauernd Kakerlaken ins Dünnbier und in die Suppe fallen, wie das bei Mac Pellew immer der Fall war.“ Ribault zog die Augenbrauen hoch. „Was du nicht sagst! Tut mir leid, aber ich denke immer noch an das vorzügliche Festbankett des fetten Gouverneurs von Panama. Feinschmecker sind die Dons, das muß man ihnen lassen.“ „Besonders, was die Nachspeise betrifft“, erwiderte Blacky und grinste. Sie lachten plötzlich alle, denn worauf er anspielte, war klar: zum Dessert hatte es beim Festbankett des Gouverneurs Diego de Avila knüppeldicken Verdruß gegeben. Hasard und Jean hatten sich den Weg mit ihren Degen freigekämpft—es hatte einen Heidenaufstand gegeben. „Ich weiß nicht, was ihr wollt“, sagte Stenmark, der riesige Schwede. „Wir haben sechs Wochen Fahrt hinter uns und damit jede Menge Rollenschwof, drei Stürme und ein höllisches Gewitter. Meiner Meinung nach dauert es nicht mehr lange, und wir sind am Ziel. Dann fassen wir frisches Trinkwasser und holen uns irgendwo auch neuen Proviant.“ „Wenigstens ein bißchen Gemüse“, meinte Jean Ribault. „Damit wir was haben, womit wir Schiffszwieback und Pökelfleisch garnieren können.“ Al Conroy hob den Kopf und hielt die Nase in den Wind. „Es ist Ende Mai und dennoch nicht so warm wie oben in Panama, Leute. Wie paßt das zusammen?“ Blacky warf ihm einen Seitenblick zu. „Mensch, hast du denn vergessen, daß wir wieder den Äquator passiert haben? Hier unten ist jetzt Herbstende.“ „Ach ja, richtig. Hat jemand eine Ahnung, auf welcher Position wir uns befinden?“ „Ja“, sagte eine Stimme hinter ihnen. Sie wandten die Köpfe und sahen den Seewolf, der sich lautlos genähert hatte und sie nun zufrieden anlächelte. „Wir stehen auf vierzehn Grad südlicher Breite ungefähr acht Meilen querab von Callao. Denkt ihr
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daran, daß wir in vertraute Gefilde zurückkehren?“ „Und ob“, entgegnete Jean. „Callao hat uns schon einmal zu einem Schatz verholfen. Aber, wie ich die Dinge sehe, werden wir diesmal wohl kaum Gelegenheit haben, im ,Gabian Feroce` einzukehren und uns den Nachfolger von Miguel Casias, dieser Ratte, anzugucken. Ich glaube ...“ Er wurde durch Dan O’Flynn unterbrochen, der plötzlich im Großmars loskrähte: „Mastspitzen! Backbord achteraus!“ Philip Hasard Killigrew war wie der Blitz auf dem Achterdeck, griff sich den Kieker und hielt Ausschau. Dans scharfe Augen hatten mal wieder ihre Verläßlichkeit bewiesen. Tatsächlich waren an der Kimm hinter ihnen die Mastspitzen mehrerer Schiffe zu erkennen. Hasard konnte allein drei zählen — Dreimaster, augenscheinlich ziemlich groß und zu einem ganzen Verband gehörig. Sollte er die „Isabella“ gefechtsklar machen lassen? Daß sie Spanier gesichtet hatten, war sonnenklar. Aber lohnte sich ein Kampf? Hasard gelangte zu der Einsicht, daß er sich damit möglicherweise sämtliche Chancen verbaute, auf den Schatz des Juan Bravo de Madinga zu stoßen. Herrschte hier an der Küste erst Zustand und sprach sich die Meldung herum, „El Lobo del Mar“ sei wieder aufgetaucht, konnte er sich nicht mehr klammheimlich zu der von de Madinga bezeichneten Bucht pirschen. Er beschloß, den Dons das Heck zu zeigen. Es war Nachmittag. Der Wind wehte von Osten, eine leichte Dünung kräuselte die See. Hasard wandte sich an Ben Brighton. „Wir gehen sofort auf Westkurs vor den Wind, und zwar mit der gewohnten Fixigkeit, Ben.“ „Aye, aye, Sir.“ Sekunden später herrschte an Deck der „Isabella“ emsige Geschäftigkeit. Die Männer griffen in die Schoten und Brassen und manövrierten ihr Schiff herum. Hasard stand im Windschatten des Steuerhauses und verfolgte, mit welcher Präzision die Crew arbeitete. Pete Ballie legte den
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Kolderstock herum, die „Isabella“ fiel ab und ging vor den Wind. Nach einer Stunde gerieten die Mastspitzen an der Kimm außer Sicht. Dan O’Flynn beugte sich weit über die Verkleidung des Großmars hinaus und winkte seinem Kapitän triumphierend zu. Neben ihm hockte Arwenack und keckerte übermütig. „Paßt auf, daß ihr nicht runterfallt und euch den Hals brecht!“ rief Matt Davies zu ihnen hinauf. „Ihr seid ja noch grün hinter den Ohren!“ Dan und Arwenack tauschten einen raschen Blick. Dann turnte der Schimpansenjunge über die Großmarsrah, ließ sich in die Leewanten fallen und sauste abwärts, daß man ihm kaum mit dem Blick folgen konnte. Plötzlich war er neben Matt Davies. Der Mann mit der eisernen Unterarmprothese stand am Backbordschanzkleid unterhalb der Quarterdeckgalerie, nicht weit von einer der Drehbassen entfernt. Er kriegte gar nicht richtig mit, wie Arwenack heranhuschte — nur, als ihm plötzlich die Mütze fehlte, fluchte er los. Arwenack raste auf dem Schanzkleid entlang, kletterte flink bis zur Back empor und jumpte auf eine Nagelbank am Fockmast. Er drehte sich um, krakeelte los und setzte sich herausfordernd Matt Davies’ Mütze auf. Matt schüttelte die Faust. „Heda, zum Teufel, laß mein gutes Stück heil, du verdammter Affe!“ Er drückte Karl von Hutten, der gerade neben ihm stand, seine Brasse in die Hand und lief los. Er kam an Ferris Tucker und Bob Grey vorüber. Grey meinte: „Versteh gar nicht, warum er einen solchen Aufstand wegen des verlausten Speckdeckels macht.“ Matt Davies hatte die Back erreicht. Aber Arwenack setzte blitzschnell auf die Luvwanten über, hangelte in den Webeleinen hoch und blieb neben der Unterliek des Focksegels kauern. Er hatte immer noch die Mütze auf und hielt etwas in den Pfoten, das Matt Davies nicht genau erkennen konnte. Matt hing ebenfalls in den Wanten, als er begriff, was Arwenack da von der
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Nagelbank hatte mitgehen lassen — einen Koffeynagel. Jetzt schwang er ihn drohend, in seinen Augen blitzte der Übermut. Matt Davies war in die Falle getappt. Er hob seine Hakenprothese, bewegte sie in einer abwehrenden Gebärde und rief : „Tu das nicht, ich rate dir, es nicht auf die Spitze zu treiben — du Affe!“ Arwenack konnte nicht nur mit allen möglichen Gegenständen werfen, er verstand es auch, zu treffen. Er fletschte die Zähne. Es sah aus, als ob er grinse. Ein Ruck, und der Belegnagel entglitt seinen Fingern. Matt Davies kriegte ihn auf den Hinterkopf. Es gab ein hohles Geräusch, das bis auf die Kuhl zu vernehmen war, und Matt hörte plötzlich die Englein im Himmel singen. Er taumelte in den Wanten, fing sich aber wieder und kehrte auf das Vorschiff zurück. Wütend massierte er sich den lädierten Hinterkopf. Eine dicke Beule begann sich abzuzeichnen. „Wenn ich den blöden Affen erwische, ziehe ich ihm die Haut in Streifen ab und setze ihn euch zum Abendbrot vor“, sagte er. Batuti stand plötzlich hinter ihm, sein Gesicht war drohend umwölkt. „Nur über Batutis Leiche! Arwenack brav, tut keinem was zuleide, wenn nicht geärgert wird.“ „Er hat angefangen“, sagte Matt Davies wütend. Blacky rief lachend zurück: „Stimmt nicht, du hast gesagt, er sei noch grün hinter den Ohren. Das hat er sich zu Herzen genommen.“ „Muß man jetzt schon aufpassen, wie man mit dem Lauseaffen spricht?“ murrte Matt Davies. „Das habt ihr davon, ihr habt das kleine Biest viel zu sehr verwöhnt. Säuft Schnapsflaschen aus und klaut anderer Leute Mützen - wo bleibt da die Disziplin?“ „Arwenack brav“, sagte Batuti drohend. „Schön, aber ich will meine Mütze wiederhaben.“ Batuti steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen schrillen Pfiff vernehmen. Fast augenblicklich turnte Arwenack auf seine mächtige Schulter, zerrte sich die
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Mütze vom Kopf und stülpte sie Matt Davies wieder über. Matt marschierte auf seinen Platz zurück. Bob Grey sagte: „Möchte wissen, warum er so an seinem alten Speckdeckel hängt.“ Hasard ging wieder auf Südkurs. Die „Isabella III.“ überlief den vierzehnten Breitengrad, steuerte dann Südostkurs und kreuzte gegen Abend gegen den Ostwind direkt auf die Küste zu. „Die Mastspitzen haben dich gewarnt“, meinte Ben- Brighton. „Ich glaube aber, daß wir nicht gesehen worden sind. Wir haben uns rechtzeitig vor den Philipps verdrückt.“ Der Seewolf nickte. „Davon bin ich auch überzeugt, Ben, aber wir tun dennoch gut daran, doppelt und dreifach vorsichtig zu sein. Ich hatte euch ja gesagt, daß wir uns möglicherweise mit anderen Anwärtern um den Schatz balgen müssen.“ „Du meinst, der Schiffsverband könnte vom Vizekönig losgeschickt worden sein?“ „Ja. Nehmen wir mal an, die Galeonen lauern uns auf. Dann erwarten sie uns doch von Norden, nicht wahr?“ „Falls ihre Kapitäne nicht total auf den Kopf gefallen sind, ja.“ „Wir müssen sie also umgehen und die kleine Bucht bei Chorillos von Süden her ansteuern“, erwiderte Hasard. „Was wir hiermit tun.“ Er nestelte die braune Mappe aus Schweinsleder aus seiner Tasche hervor, zog die Karte heraus und faltete sie auseinander. „Südlich von Chorillos und dem Versteck des Schatzes gibt- es noch eine andere Bucht, wenn die Karte stimmt. Die laufen wir erst einmal an und peilen dann die Lage.“ * Der Mond zeigte ein nahezu volles Rund und goß kaltes Licht über Peru aus. Es setzte den Wellenkämmen weiße Silberstreifen auf. Hasard betrachtete das idyllische Glitzern der Wasserfläche vom Achterdeck der „Isabella“ aus. Er ließ den Blick weitergehen und sah im Hintergrund undeutlich die flachen Konturen des ostwärts liegenden Festlandes. Es war
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gegen Mitternacht, und sie pirschten sich mit ihrem Schiff unter Land segelnd an die Bucht heran, die er als Versteck ausgewählt hatte. Jean Ribault hatte sich direkt unter den Klüverbaum der „Isabella“ gekauert und arbeitete konzentriert mit Faden und Blei. Gewissenhaft lotete er immer wieder die Tiefe des Wassers aus. Über ihm auf der Back stand Blacky, der die einzelnen Meldungen an Piet Straaten weitergab. Straaten raunte sie auf die Kuhl zu Smoky hinunter, und so ging es weiter über Deck bis nach achtern zu Ben Brighton, Pete Ballie und Hasard. Sie hatten keine einzige Laterne gesetzt, vermieden lautes Sprechen und gaben sich auch sonst Mühe, alle Geräusche zu unterbinden. Die „Isabella“ glitt wie ein Geisterschiff durch die Dunkelheit. Das einzige, was die Mannschaft nicht verhindern konnte, war das Knarren der Blöcke und Rahen und das Singen des Windes in der Takelage. „Acht Faden“, ließ Jean Ribault vernehmen, und seine Kameraden leiteten die Angabe weiter. Aus den acht wurden bald sieben Faden. Aber solange das Maß nicht unter sechs Faden rutschte, konnte sich die Crew mit ihrem Schiff weitertasten, ohne den Kurs zu wechseln. Hätte sich keine Ladung in den Frachträumen befunden, dann hätten sie auch noch eine Wassertiefe von vier und weniger Faden passieren können. „Sechs Faden!“ „Zwei Strich Backbord, Pete“, ordnete Hasard an. Ballie folgte der Anweisung, und sofort reagierte das ungemein manövrierfähige Schiff auf die Ruderbewegung. Jean Ribault meldete wieder sieben Faden Wassertiefe, und der Seewolf konnte aufatmen. So ging es über eine halbe Stunde lang weiter. Sie loteten sich mit allergrößter Vorsicht an die Einfahrt der Bucht heran. Hasard hatte auf der Küstenkarte des Juan Bravo de Madinga gesehen, daß die Ufergegend in der Umgebung steil zum Meer hin abfiel. Das entsprach auch den Tatsachen. Als sie auf etwa eine
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Kabellänge an die Einfahrt heran waren, sah er die steil aufragenden Felsen. Mit bloßem Auge war nun zu erkennen, wie erschreckend schmal die Einfahrt war. Sie entsprach etwa der zweifachen Schiffsbreite der „Isabella“ „Himmel, Arsch und Zwirn“, sagte Blacky auf der Back. „Das ist ja ein Mauseloch.“ „Schscht“, machte Jean Ribault unter ihm. „Du willst uns wohl verraten, was?“ „Glaubst du, daß diese kahle Landschaft bewohnt ist, Franzose?“ „Möglich ist alles.“ „Dann halte ich lieber den Mund.“ „Siebeneinhalb Faden, melde das weiter!“ zischte Ribault. Es gehörte allerhand seemännisches Können dazu, die Zweimastgaleone durch die schmale Öffnung im Gestein zu segeln. Die Tiefe des Wassers war gerade ausreichend, doch eine unbedachte Geste des Rudergängers oder der Männer an den Brassen und Schoten genügten, und sie schlugen mit der Bordwand gegen die schroffen Felsmauern. Mit gemischten Gefühlen schauten die Männer zu, wie die matt glänzenden Wände an ihnen vorüberzogen. Besonders Ferris Tucker wurde es mulmig zumute, denn er als Schiffszimmermann dachte natürlich sofort daran, wie viele Stunden es in Anspruch nehmen würde, auch nur ein kleines Leck im Schiffskörper wieder auszubessern. Stenmark, Smoky, Gary Andrews, Will Thorne, Nils Larsen und Sven Nyberg standen mit Piken und anderen Hilfsmitteln bereit, um sich im Fall der Havarie damit gegen die Felsen zu stemmen, aber viel versprachen auch sie sich von einem derartigen Manöver nicht. Endlich hatte sich das Heck der „Isabella“ durch die Einfahrt gezwängt. Die Männer grinsten sich erleichtert an. Hasard ging vor Bug- und Heckanker, teilte die Wachen ein, die sich im Abstand von acht Glasen ablösten und zog sich schließlich vom Achterdeck in seine Kammer zurück. Auf dem Quarterdeck blieb er noch einmal stehen und sagte zu Ben Brighton:
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„Morgen früh sehen wir uns die Gegend genauer an.“ Die Sonne hatte sich als glutroter Ball hinter dem östlichen Horizont emporgeschoben, verlor aber rasch an Farbe und verbreitete schließlich graues, freudloses Licht. Dan O’Flynn hatte Jean Ribault im Vormars abgelöst und hielt eifrig mit dem Kieker Ausschau. Er unterbrach nur kurz, als die Männer unten auf der Kuhl den Seewolf begrüßten, der soeben das Achterkastell verlassen hatte. Dan blickte nach unten und sah, wie Hasard in die Fockwanten stieg und auf den Rüsten nach oben klomm. Grinsend kletterte er in den Vormars. „Morgen, Dan. Neuigkeiten ?“ „Aye, aye, Sir. Die Bucht ist unbewohnt.“ „Das ist schon mal von Vorteil für uns.“ Hasard nahm ihm das Spektiv ab und ließ selbst den Blick in die Runde schweifen. Dan hatte sich nicht getäuscht. Die Kuppen der Klippfelsen und das dahinterliegende Land waren kahl, fast vegetationslos. Nur hier und da wuchs ein bißchen dürres Gras, Bäume gab es überhaupt nicht, lediglich ab und an ein paar stachelige, widerborstige Kakteengewächse. Hasard schaute noch nach Süden auf die See hinaus, dann setzte er den Kieker wieder ab. „Weißt du was, Dan? Wir sind gar nicht mehr so weit von den ChinchaInseln entfernt. Hättest du nicht Lust auf einen Abstecher?“ Das Bürschchen schüttelte sich unwillkürlich. Er war wirklich nicht zart besaitet, aber was sie auf den Guano-Inseln gesehen hatten, jagte ihm noch nachträglich einen eiskalten Schauer über den Rücken. „Wie hatte Karl von Hutten doch so richtig gesagt?“ erwiderte er. „Isla del Medio Isla de la Muerte. Todesinsel. Ein Platz des Grauens. Keine zehn Gäule bringen mich dorthin zurück.“ „War ja auch nur ein Witz. Ich habe nicht vor, mich mit der ‚Isabella’ vor der Küste zu zeigen. Die Dons halten die Augen offen, aber hier sind wir vor Störungen so gut wie sicher.“ Hasard sah nach unten, wo nun sämtliche Männer der Crew auf den
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Beinen waren. „Ich teile einen Posten ein, der die See von Land aus beobachtet. Du sitzt hier oben zwar goldrichtig, aber nach Nordwesten ist dir die Sicht durch ein paar größere Felsen versperrt.“ „Stimmt. Außerdem: doppelt hält besser“, erwiderte der pfiffige Dan. Hasard glitt in die Webeleinen zurück und hangelte nach unten. „Luke Morgan“, sagte er. „Du läßt dich mit der Pinasse an Land pullen, Ed Carberry soll die Rudergasten einteilen. Bis wir nicht von unserem Landgang zurück sind, bleibst du auf vorgeschobenem Posten und meldest jede Bewegung auf See, klar?“ „Aye, aye, Sir!“ Luke Morgan salutierte. Er war ein kleiner, aber gewitzter und flinker Mann, dunkelblond, blauäugig, mit einer Messernarbe über der Stirn, Früher hatte er bei der englischen Armee gedient. Er war desertiert, doch den alten Schliff und die Disziplin, die man ihm dort eingebläut hatte, hatte er auch als Pirat in der Karibik beibehalten. Unter der Fuchtel von Mac-Dundee-Einohr hatte er es jedoch nicht ausgehalten. Er war mit zwölf seiner Gefährten zur Crew des Seewolfes übergelaufen - und das hatte er wahrhaftig nicht bereut. „Ed!“ rief er. „Du sollst die Rudergasten für die Pinasse bestimmen.“ „Blacky, Batuti, Matt Davies, Gary Andrews, Stenmark, Al Conroy – bewegt euch, ihr lahmen Affenärsche!” polterte der Profos los. „Soll ich euch Beine machen, was, wie?“ Das war so seine Art, kein Mensch konnte sie ihm nehmen. Als Hasard auf ihn zutrat, sagte er: „Habe ich was von Landgang gehört? Das ist genau nach meinem Geschmack.“ „Ich will die Schatzbucht von Land und nicht von See her erkunden“, erwiderte Hasard. „Da bin ich mit von der Partie, Seewolf.“ Hasard schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, Ed. Aber ich nehme in diesem Fall lieber Karl von Hutten mit. Er und ich, wir gehen im Bedarfsfall wegen unserer Sprachkenntnisse glatt als echte Dons durch, wie du weißt. Es ist gut möglich,
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daß wir unterwegs auf eine Patrouille der Spanier stoßen, vielleicht auf einen ganzen Trupp. Wir müssen äußerst vorsichtig sein.“ „Verdammt und zugenäht“, sagte der Profos. „Es ist wirklich Zeit, daß ich dieses verflixte Spanisch lerne. Ich kann das Kauderwelsch der Dons zwar auf den Tod nicht ausstehen, aber mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als mich damit abzuplagen.“ „Ein paar Wörter kannst du doch schon“, meinte Al Conroy. „ ,Mierda` zum Beispiel oder ,Puta` oder ,Al diablo`.“ Der Profos legte die Stirn in drohende Falten. „Willst du mich verscheißern, Al?“ „Nein, wie kommst du darauf?“ sagte Hasards Waffenexperte und grinste. „Al diablo“, sagte Ed Carberry. Dann setzte er sich zum Achterkastell hin in Marsch, brachte die Männer auf Trab und verfolgte mit wachem Auge, wie die Segelpinasse abgefiert wurde und unten auf der Wasserfläche aufsetzte. Wenig später enterte er mit den Rudergasten und Luke Morgan ab. Während der kleine Mann zum südwestlich liegenden Ufer der Bucht gepullt wurde, ließen sich Hasard und Karl von Hutten wenig später zur entgegengesetzten Seite bringen. Morgan war inzwischen durch eine schmale Bresche im Gestein auf die Klippfelsen geklettert. Er winkte ihnen zu. Ed Carberry bediente die Ruderpinne der Pinasse. Hasard kauerte im Bug und suchte sich eine geeignete Landestelle aus. Die Wasserfläche in der kleinen, versteckten Bucht war glatt wie ein Spiegel. Die Pinasse durchpflügte sie mit einer seichten Bugwelle, schob sich rasch bis an das Nordostufer heran und setzte knirschend auf den grauen Kies, der den schmalen Streifen zwischen Felsen und Brandung bedeckte und sich bis in das flache Uferwasser ausbreitete. Die Männer holten die Riemen ein. Hasard und von Hutten jumpten über das Dollbord, wateten an Land und verabschiedeten sich von den Kameraden. „Wenn wir bis heute abend nicht wieder zurück sind, könnt ihr anfangen, uns zu suchen“, sagte der Seewolf.
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„Mal nicht den Teufel an die Wand“, gab der Profos zurück. „Ich drücke euch die Daumen, daß alles glatt geht. Bringt den Schatz schon mit, wenn’s möglich ist.“ „Du machst vielleicht Witze“, sagte Karl von Hutten. Die beiden Männer wandten sich ab und stiegen einen natürlichen Pfad hinauf, den Hasard schon vom Wasser aus entdeckt hatte. Der Pfad war sehr schmal und stellenweise schlüpfrig. Sie mußten aufpassen, daß sie nicht abrutschten und sich unten am Fuß der Felsen die Knochen brachen. Etwas besser wurden die Wegverhältnisse, als der Pf ad nach rechts abknickte und praktisch in das Gestein führte. Sie gelangten auf eine Geröllmulde, die in sanfter Steigung weiter nach oben verlief. Bald hatten sie ein winziges Plateau erreicht. Es stellte einen vorzüglichen Aussichtsplatz dar. Sie schauten zur „Isabella III.“ zurück und sahen, daß die Pinasse bereits wieder zurückgepullt worden war. Carberry und die beiden anderen winkten ihnen von der Jakobsleiter aus zu. Dan O’Flynn gab vom Vormars aus zu verstehen, daß bislang noch alles in Ordnung war. „Dann mal los“, sagte Hasard. „Ich hoffe, du hast dir die Fußsohlen anständig eingefettet, damit du keine Blasen kriegst.“ „Hör mal, ich bin doch eine ehemalige Landratte und daher noch ans Marschieren gewöhnt.“ Sie wanderten in Richtung Nord-NordWest – immer an der Küste entlang, die hier in Nordwest-Südost-Richtung verlief. Hasard hatte die Schweinsledermappe mit der Küstenkarte Juan Bravo de Madingas bei sich. Sonst war er wie Karl von Hutten mit Degen, Pistole und Spektiv ausgerüstet. Sie überquerten das Gebiet der zerklüfteten Klippfelsen, ohne eine Menschenseele zu Gesicht zu bekommen. Die Sonne wanderte höher. Sie erreichten flacheres Land und strebten durch kniehohes Gras voran. Sie sichteten Buschgruppen, vereinzelte Bäume sowie Pinien-- und
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Kiefernwälder. Etwas später stießen sie auf bebaute Felder. Von nun ab bewegten sie sich mit größter Aufmerksamkeit weiter. Sobald sie die ersten Bauten entdeckten, änderten sie die Marschrichtung. Sie schlugen einen Bogen um das Dorf, das vor ihnen lag. Es bestand aus geduckten Häusern. Sie waren ohne Ausnahme aus sonnengetrockneten Adobelehmziegeln errichtet und mit Schilf- und Strohmatten gedeckt. „Das ist Chorillos“, sagte der Seewolf. „Ich glaube nicht, daß dort große Gefahren auf uns lauern. Aber zwei Fremde fallen immer auf. Es ist besser, wenn wir uns gar nicht erst blicken lassen.“ „Ganz meine Meinung“, gab Karl von Hutten zurück. „In so kleinen Siedlungen wird viel geschwätzt, und es gibt immer irgendwelche Burschen, die glauben, eine Meldung über ein paar Neuankömmlinge an die nächste spanische Garnison weiterleiten zu müssen.“ Gegen Mittag gelangten sie wieder auf Steilfelsen. Hasard überprüfte ihre Position anhand der Karte und hielt zielstrebig auf einen imaginären Punkt nordwestwärts zu. Nach einer Kletterpartie standen sie endlich auf einer schroffen Gesteinsfläche, von der aus sie wieder die See vor Augen hatten. Hasard wies nach rechts. Unter ihnen öffnete sich die Steilküste landeinwärts, und zwar wie ein großes, umgedrehtes C. Sie standen eine Weile schweigend und beobachteten die bunten Seevögel, die zwischen den Felsen hin- und herflatterten. Sie hatten in Einschnitten und kleinen Grottenlöchern ihre Nester gebaut. An manchen Stellen war das Gestein bis auf den Fuß hinunter mit Weißer, kalkähnlicher Substanz bekleckert. Das war Guano, Vogelmist. Er war hier zwar nicht so überreichlich vorhanden wie auf den Chincha-Inseln, aber Hasard fühlte sich trotzdem wieder einmal unangenehm an das Abenteuer auf der Isla del Medio erinnert. Die Wasserfläche lag etwa vierzig Yards unter ihnen. Einen nicht ganz Schwindelfreien konnte hier schon das
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Grausen packen. Karl von Hutten streifte die kahlen, steil abfallenden Felsen mit etwas ratlosem Blick, dann sagte er: „Sag mal, bist du ganz sicher, daß dies die Schatzbucht ist?“ „Hundertprozentig. Alle Angaben auf der Karte von de Madinga haben sich bisher als präzise erwiesen. Er hat diese Bucht mit einem Kreuz bezeichnet, und im näheren Umkreis gibt es keine weiteren Plätze dieser Art, so daß jeder Zweifel ausgeschlossen ist.“ „Ich frage mich, wo hier der Schatz verborgen sein soll. Etwa unter irgendeinem Vogelnest? Da lachen ja die Hühner.“ Hasard zuckte mit den Schultern. „Es bleibt uns nichts anderes übrig, als das Gelände Zug um Zug zu erkunden. Bestimmt existiert irgendwo ein versteckter Pfad, ein Eingang zu einer Höhle oder etwas Ähnliches.“ Er tat ein paar Schritte in nördlicher Richtung, blieb wieder stehen und sagte: „Los, komm, wir haben keine Zeit zu verlieren. Paß auf, daß du dir nicht das Genick brichst. Es geht hier ziemlich steil runter.“ Sie ließen sich einen kleinen Hang hinabgleiten, wanderten über eine Art Plateau und zwängten sich durch knorriges, verfilzt wirkendes Buschwerk, das hier aller Kargheit zum Trotz gedeihte. Sie entfernten sich ein Stück von der Bucht, gerieten dann aber auf einen Pfad, der durch eine Spalte wieder seewärts führte. Kurz darauf tasteten sie auf einem glitschigen Felssims an der Steilwand entlang. Unter ihnen waren die Fluten des Pazifiks, die hier mit unverminderter Wucht gegen das Gestein anrollten, und nicht durch vorgelagerte Klippen besänftigt wurden, wie das im Versteck der „Isabella“ der Fall war. Das Wasser klatschte und brauste gegen das Ufer, sprühte in Gischtwolken empor, schien zu kochen. Die Bucht war so klein, daß der Seewolf es niemals wagen würde, hier mit seinem Zweimaster einzulaufen. Sie kletterten in weniger gefährliche Bereiche hinauf, drückten sich wieder
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durch widerspenstiges Gebüsch und umrundeten allmählich die gesamte Bucht. Mit größter Aufmerksamkeit schauten sie sich um. Sie wälzten sogar Felsbrocken von ihren Plätzen und suchten überall nach Spuren oder Hinweisen auf das Versteck. „Hoffnungslos“, sagte Karl von Hutten schließlich. „Es ist zum Verzweifeln. Der Capitan der ‚Victoria’ muß sich hier großartig ausgekannt haben. Falls er uns von dort aus, wo er jetzt steckt, zusehen kann, lacht er sich vor Schadenfreude bestimmt kringelig.“ Hasard setzte sich auf einen hüfthohen Quaderstein. „Ja, man kann schon den Mut verlieren. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, daß de Madinga ein Versteck anlegte, das schwer wiederzufinden ist. Er mußte zum Beispiel befürchten, daß die Landschaft durch ein Unwetter verwüstet wurde.“ „Gewisse Dinge können sich verändern“, sagte von Hutten. „Du kehrst an einen Ort zurück, dessen Charakteristik du dir genau eingeprägt hat und kannst dich doch nicht mehr orientieren. Ja, das leuchtet mir durchaus ein, Hasard. Aber de Madinga wird so schlau gewesen sein, zwar eine Karte anzufertigen, aber der Nachwelt deswegen doch nicht auf die Nase zu binden, wo genau er seinen geklauten Reichtum versteckt hat.“ Der Seewolf öffnete die Mappe aus Schweinsleder und nahm die Karte zur Hand. Er faltete das für sie so kostbare Stück Pergament auseinander und vertiefte sich noch einmal in die Eintragungen. Da war die peruanische Küste mit ihrem genauen Verlauf, da waren die beiden Buchten, die für sie von Interesse waren. Da war eine etwas unbeholfen gezeichnete Windrose, die über die Himmelsrichtungen keinen Zweifel offenließ. Da waren Krakel, die Bäume kennzeichneten, Vierecke, mit denen wohl Felsbrocken angedeutet werden sollten, Pfeile, die auf die Lage der Orte Callao und Chorillos hinwiesen. Ein Kreuz zeigte schließlich den Platz auf, an dem sich der Schatz befinden sollte: im unteren Drittel der Bucht, an ihrer östlichen Seite.
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An dieser Stelle befanden sie sich —rechts unterhalb der Buchtmitte. In ihrer Ungewißheit hatten Hasard und von Hutten zwar das gesamte Gebiet abgeforscht, aber das hatte die Annahme, daß de Madinga es bei der Eintragung des Kreuzes mit der Exaktheit nicht so genau gehalten hatte, auch nicht bestätigt. „Verdammt noch mal“, sagte Karl. Irgendwie mußte er seinem Unmut Luft schaffen. Er hob einen faustgroßen Stein auf und schleuderte ihn in ein Gebüsch. Schnatternd stieg ein Vogel daraus auf. Es war ein Tölpel, der sich dort niedergelassen hatte. Jetzt stob er empört davon. „Moment mal“, sagte Hasard plötzlich. „Sieh dir das Kreuz doch noch mal ganz genau an. Fällt dir daran nichts auf?“ Von Hutten beugte sich über die Karte. Seine Stirn war gekräuselt, sein Mund ärgerlich verzogen. „Hrn. Es ist ziemlich hastig hingeschmiert worden.“ „Und?“ „Und — nichts weiter. Es steht nicht gerade, sondern eher wie ein X da.“ Hasard lachte. „Herrlich, das haben wir vorher überhaupt nicht beachtet!“ „Es ist doch auch nicht wesentlich, oder?“ „Augenblick. Konzentriere dich auf die beiden linken Schenkel des Kreuzes. Wohin weisen die?“ „Zum Meer.“ „Und sie bilden einen Winkel, der kleiner als neunzig Grad ist.“ „Na schön, das ist ja alles richtig, aber wieso soll das für uns von Bedeutung sein?“ fragte von Hutten. „Ehrlich gesagt, ich kann dir nicht ganz folgen.“ „Vielleicht befinde ich mich auf dem Holzweg. Aber ich meine, wir sollten dennoch mal logisch weiterdenken. Angenommen, de Madinga hat das Zeichen absichtlich so schief hingezeichnet — könnte das nicht ein Hinweis sein?“ „Aber wie?“ „Verlängern wir mal die beiden seewärts zeigenden Schenkel des Kreuzes.“ Hasard folgte der Richtung, die sie wiesen, mit dem Zeigefinger. „Der obere schneidet die
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Mitte einer Auskerbung am Buchtrand gegenüber.“ Von Hutten stand auf, schirmte die Augen mit der Hand gegen die Sonnenstrahlen ab und schaute zur nordwestlich verlaufenden Steilwand hinüber. „Stimmt, die Kerbe gibt’s wirklich. Oberhalb davon, etwas zum Binnenland hin, steht eine große Pinie.“ Hasard stieß einen Pfiff aus. „Die ist hier auch eingezeichnet, und die Verlängerung des Kreuzschenkels trifft genau darauf. Jetzt weiter. Der untere linke Schenkel läuft auf das untere Buchtufer zu und stößt direkt auf einen Felsbrocken. De Madinga war so penibel, auch die Steine mit aufzumalen. Aber ich glaube allmählich, daß er das nicht bloß der schönen Zeichnung wegen getan hat Von Hutten drehte sich, blickte nach Südwesten und sagte: „Also, den Felsblick, den du meinst, kann ich auch sehen. Er hat eine etwas merkwürdig aufragende Spitze, wie auf der Karte.“ Hasard sprang auf. „Ich hab’s! Genau in der Mitte der Schenkel, und zwar an unserem Ufer hier, muß sich der Platz mit dem Versteck des Schatzes befinden. Das heißt, de Madinga hat uns tatsächlich sehr genaue Angaben geliefert, wir wußten sie nur nicht zu deuten.“ Sie befanden sich etwa einen Steinwurf vom Buchtrand entfernt. Hasard brauchte nur über eine flache Kuppe bis an den steilen Abbruch zu laufen und stand genau auf dem betreffenden Fleck. Er blickte noch einmal zu der Einkerbung drüben an der anderen Felswand hinüber, peilte auch den spitz zulaufenden Felsblock an, den schon von Hutten entdeckt hatte. Mit den Armen formte er den spitzen Winkel - ja, er hatte den entscheidenden Punkt erreicht. Etwas ratlos blickte er zu Boden. Er stand auf hartem, schroffem Gestein. Zwei Schritte weiter nach Südwesten, und das Land knickte in scharfem Abbruch nach unten ab und stieß auf die donnernde Brandung hinunter. Von Hutten trat neben ihn und sagte: „Wie reimt sich das jetzt wieder zusammen?“
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Hasard wollte so dicht vor dem Ziel nicht die Flinte ins Korn werfen. Er schritt die nähere Umgebung ab und. fand mehrere Schroffen und Spalten, die ins Gestein führten. Er untersuchte sie genau, griff hinein und trachtete auch danach, sich hineinzuzwängen - ohne Erfolg. „Da paßt nicht mal Arwenack hinein“, stellte von Hutten nüchtern fest. „Wenn du meine Meinung hören willst: Wir sind einem verfluchten Schabernack aufgesessen. Ich meine fast, de Madinga aus dem Fegefeuer heraus vor Vergnügen wiehern zu hören.“ „Hör doch auf. Der Schatz existiert, wir müssen ihn bloß finden.“ „Vielleicht liegt er ganz woanders.“ „Nein. Hilf mir, den Boden abzuklopfen.“ Sie knieten sich hin und hieben mit den Fäusten auf den Untergrund. Auch das führte nicht zum Erfolg, es gab keine hohlen Stellen. Die Sache wurde immer verfahrener. „Wie verhext ist das“, sagte von Hutten. „Vor den Erfolg hat der liebe Gott bekanntlich die Mühe gestellt -aber langsam bereitet mir die Angelegenheit keinen Spaß mehr.“ Philip Hasard Killigrew arbeitete verbissen weiter. Er hatte sich in die Idee verbohrt, um jeden Preis auf den Schatz zu stoßen. Von Huttens trockene Kommentare gingen ihm auf die Nerven. Er war drauf und dran, ihn barsch zurechtzuweisen, als er sich endlich besann und einsah, daß er sich ziemlich dumm und unüberlegt benahm. Er stand auf und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. „Also schön, wir brechen ab. Es hat keinen Zweck, daß wir uns hier verrückt machen. Wir gehen zur ‚Isabella’ zurück und beraten mit den anderen. Vielleicht gewinnen wir dieser vertrackten Suche auf Distanz gesehen neue Gesichtspunkte ab.“ „Da bin ich ganz deiner Meinung.“ Von Hutten wies zur Sonne hoch. Sie hatte den höchsten Punkt ihrer Bahn hinter sich. „Es geht auf den Nachmittag zu. Bevor wir wieder auf unserem Schiff angelangt sind, ist es fast dunkel.“
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„Ich weiß, daß ich sehr dicht an der Lösung des Rätsels bin. Irgendetwas hat sich tief in mir festgesetzt und wartet darauf, entdeckt zu werden“, sagte Hasard. Von Hutten schaute ihn nachdenklich an. „Das hast du treffend ausgedrückt, und wahrscheinlich hast du recht. Aber wenn man sich zu sehr in einen Gedanken verrennt, gerät man in einen Engpaß.“ „Hältst du mich für einen Narren?“ „Unsinn, was soll das?“ „Wir haben mit der Zeit genügend Schätze an Bord der ‚Isabella’ gehortet. Kommt es da noch auf ein paar Truhen mehr oder weniger an?“ Karl von Hutten schnitt eine Grimasse. „Tut mir leid, aber in der Beziehung muß ich nun doch gegen dich anstinken. Ja, es kommt auf die vertrackten Truhen an. Denn jede Perle, die wir den gottverfluchten Dons aus der Nase ziehen, bedeutet für uns einen kleinen Triumph für mich jedenfalls, weil ich die Spanier mehr hasse als die Pest, die Cholera und die Pocken zusammen.“ Hasard grinste breit. „Das wollte ich nur hören. Ich dachte schon, du hättest deine Begeisterung verloren.“ Sie stießen sich an, lachten und wollten zurück zu ihrem Schiff marschieren. Der Seewolf streifte die Fläche des Ozeans noch einmal mit einem prüfenden Blick und hielt von Hutten zurück. „In Deckung, da ist was!“ Sie ließen sich sinken und legten sich hinter ein paar Quadern auf die Lauer. Hasard nahm das Spektiv zur Hand, schaute hindurch und vergewisserte sich, daß er nicht unter Halluzinationen litt. Was er ansatzweise gegen das weißliche Sonnenlicht erkannt hatte, entpuppte sich jetzt als der Mast eines Fischerbootes. Das Boot segelte von Nordwesten her an der Küste entlang. „Und?“ sagte von Hutten. „Scheint harmlos zu sein, der Bruder. Ziehen wir uns zurück, daß er uns nicht sieht?“ „Nein. Warte noch.“ Der Einmaster näherte sich der Bucht, und eine halbe Stunde später passierte er. Für einen Augenblick war es Hasard so, als
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wolle der einzelne Mann an Bord des Bootes den Kurs ändern und in die Bucht segeln. Aber er zog vorüber und glitt in Richtung auf Chorillos davon. Hasard setzte das Spektiv ab. „Was ist los?“ fragte Karl von Hutten. „Du siehst richtig verbiestert aus. Stimmt mit dem Caballero etwas nicht?“ Hasard schaute ihn irritiert an, dann glätteten sich seine Züge wieder. „Ach was, ich habe mich getäuscht. Der Bursche kam mir bekannt vor, aber das war wohl Einbildung.“ Sie verließen das zerklüftete Umland der Bucht und strebten nach Südosten. Hasard dachte doch wieder an den Fremden in dem Einmaster. Die nach Westen wandernde Sonne hatte ihn auch durch das Spektiv so sehr geblendet, daß er die Züge des Mannes dicht genau hatte erkennen können. Kannte er ihn doch? Oder litt er neuerdings unter Sinnestäuschungen? Der Zweifel blieb und nagte an ihm. 4. Zügig marschierten sie zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Wieder mieden sie Chorillos, wieder waren sie ständig auf Deckung bedacht. Von den Feldern kehrten ein paar ärmlich gekleidete Gestalten zum Dorf zurück. Es waren Bauern, die sie aber nicht entdeckt hatten. Hasard wandte sich hinter der Siedlung wieder an die Küste zurück. Der Sonnenball färbte sich allmählich rot und sah aus, als wolle er sich in den bleiglatten Ozean stürzen. Hasard sichtete den Einmaster wieder und behielt ihn fortan im Auge. Er war an Chorillos vorbeigesegelt und hielt sich weiterhin in Küstennähe. Was war sein Ziel? Hasard versuchte, seine Absichten durch intensive Beobachtung zu ergründen, gelangte aber zu keinem Schluß. Handelte es sich wirklich um einen Fischer, der nach harter Arbeit erschöpft in seinen Heimathafen zurückkehrte? Der Zweifel wich nicht.
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Die Schatten der Nacht krochen über das Land und schoben sich auf die See hinaus, als sie endlich ihren Ausgangspunkt erreichten. Hasard umrundete die kleine, versteckt liegende Bucht und trat zu dem Posten Jean Ribault, der Luke Morgan abgelöst hatte. Sie berichteten ihm, was sie erlebt hatten. Der Franzose meldete keine Neuigkeiten, aber Hasard fragte ihn: „Hast du das Boot nicht gesehen?“ „Den Einmaster, der kurz vor Einbruch der Dunkelheit vorüberzog? Der steuerte nach Süden.“ „Er war mit einem Mann besetzt?“ „Ja, mit einem ziemlich schlanken Mann, soweit ich beobachten konnte. Ist das so wichtig? Das war doch nur ein Fischer, der froh war, bei ruhiger See und einigermaßen handigem Wind nach Hause zurückzusegeln.“ „Natürlich“, erwiderte Hasard. Er ließ der „Isabella“ Zeichen geben. Wenig später wurde die Pinasse ausgesetzt und herübergepullt. Sie nahm sie auf, und Hasard und von Hutten erzählten Carberry und den anderen über die Schwierigkeiten, die sich bei der Suche nach dem Schatz ergeben hatten. Der Seewolf versuchte, sich wegen des Einmasters nicht zu beunruhigen. Er schalt sich sogar einen Narren, daß er sich wegen eines vereinzelten Fischerbootes solche Gedanken machte. Aber dennoch blieben seine leisen Zweifel. Den Landposten ließ er für die ganze Nacht besetzen. Und natürlich zog auch wieder die Ankerwache auf. Als er sich auf der Kuhl einfand, um noch einmal mit der Mannschaft die Lage zu erörtern, umringten ihn die Männer und schauten ihn voll Ungeduld an. Vorläufig konnte er aber nur mit den Schultern zucken und sagen: „Tut mir leid, Leute, aber wir haben außer steilen Felsen und Vogelmist in der besagten Bucht nichts Wesentliches entdeckt. Wir haben wie die Verrückten gesucht, aber es hat den Anschein, als habe Juan Bravo de Madinga, dieser gerissene Fuchs, seine Raubbeute sehr, sehr gut versteckt.“
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„Der Teufel soll ihn holen“, sagte Carberry. Blacky entblößte sein kräftiges Gebiß. „Das ist schon geschehen, -wenn du dich recht entsinnst. Und leider macht den Capitan ja auch keiner wieder lebendig, daß wir ihn uns vorknöpfen und aus ihm herausholen können, wo die vielen schönen Klunker nun eigentlich liegen.“ Hasard zog sich nach einigem Palaver in seine Kammer im Achterkastell zurück. Er fühlte sich deprimiert. Selten breiteten sich derart niederschmetternde Gefühle in ihm aus, er haßte sie. Auch jetzt trachtete er mit allen Mitteln danach, die miserable Laune zu verdrängen. Er holte eine Flasche aus dem Schapp. Sie enthielt Chicha, den Maisschnaps der Araukaner, der es in sich hatte. Nach einem Glas wurde es noch nicht besser, deshalb genehmigte er sich noch einen kräftigen Schluck, fühlte sich wieder einigermaßen auf dem Damm und nahm sich von neuem die Karte des Kapitäns der Galeone „Victoria“ vor. Immer wieder verlängerte er mit den Fingern die beiden seewärts weisenden Schenkel des Kreuzes, grenzte den Landbereich ab, den das entstehende Dreieck umfaßte, murmelte vor sich hin. Er wußte nicht, wie lange er schon über dem Plan gebrütet hatte, als ihm einfiel, sich mit ein paar eigenen Skizzen zu helfen. Er stand also auf und durchstöberte die Schapps seiner Kammer. In einem der Fächer stieß er auf leicht angegilbtes, aber durchaus noch brauchbares Büttenpapier, das Diaz de Veloso, der einstige Kommandant auf der in „Isabella III.“ umgetauften „Valparaiso“, freundlicherweise für ihn zurückgelassen hatte. Hasard grinste dünn, setzte sich ans Pult und bereitete seinen Federkiel vor. Er zeichnete die Küstenkarte ab und gab sich Mühe, keine Details zu vergessen. Die Schenkel des verflixten Kreuzes verlängerte er diesmal mit Federkiel und Lineal. Dann probierte er alle möglichen Kombinationen durch, gelangte aber immer wieder zu dem gleichen Ergebnis.
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Der Schatz mußte dort stecken, wo sie ihn bereits gesucht und nicht gefunden hatten. Wo lag die Lösung? Seine Stimmung sank wieder auf den Nullpunkt ab. Er genehmigte sich ein drittes Glas Chicha und spürte die belebende Wirkung des scharfen Destillats. Doch seinen Ärger konnte es auch nicht verdrängen. Sollte er denn wirklich klein beigeben und auf den Spaß, den Spaniern wieder ein Schnippchen zu schlagen, verzichten müssen? Ein Geräusch riß ihn aus seinem gedankenverlorenen Zustand. Er hob den Kopf: Oben an Deck rumorte etwas. Hasard war sofort auf den Beinen, lief auf den Gang hinaus, nahm mit drei Sätzen den Niedergang zur Kuhl hinauf und stürzte auf Deck. Er registrierte eine Bewegung hinter sich und drehte sich um. Ben Brighton war an die Quartergalerie getreten. Durch eine beschwichtigende Gebärde bedeutete er dem Seewolf, daß kein Grund zur Unruhe bestünde. „Nicht der Rede wert“, sagte er. „Was da gerummelt hat, waren die Ankertrossen. Ich habe sie etwas dichter hieven lassen.“ „Warum?“ „Damit wir achtern nicht an ein Riff stoßen. Dan O’Flynn hat es tagsüber ausgemacht – als ihr zu der Schatzbucht unterwegs wart. Es liegt unter dem Wasserspiegel, und so konnte er es erst bei ablaufendem Wasser entdecken. Bei Niedrigwasser wären wir natürlich unweigerlich angeeckt, weil ...“ „ ... weil unser Schiff weiter achteraus sackt, wenn wir die Trossenlänge belassen“, vervollständigte Hasard verdattert. Plötzlich fixierte er seinen guten alten Bootsmann mit starrem Blick. „Mann, Ben, ist das noch zu fassen? Ich – wieso bin ich nicht früher darauf gestoßen?“ Ben kratzte sich am Kopf. „Hör mal, ist dir nicht gut? Du stammelst ja vor dich hin wie ein Wickelkind ...“ Hasard schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, daß es klatschte. „Das ist die Lösung! Ich habe überhaupt nicht an Ebbe und Flut gedacht!“
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Al Conroy und Matt Davies, die als Ankerwachen eingeteilt waren, näherten sich der Kuhl und betrachteten aufmerksam Kapitän und Bootsmann, die wie die Ölgötzen dastanden und sich konsterniert anstarrten. Matt Davies sagte leise: „Himmel, Arsch, was ist bloß mit denen los? Irgendwas muß mit der Luft hier nicht stimmen, oder es ist der Fluch, der von den Chincha- Inseln ausgeht...` „Hör auf“, sagte Conroy bissig. „Ich hab mir geschworen, jedem eine reinzuhauen, der wie Mac Pellew, der abergläubische Hund, daherredet.“ Ed Carberrys massige Gestalt löste sich aus der Öffnung einer Luke im Vordeck. Er hatte Geräusche und Stimmen vernommen und stieg herauf, um nach dem Rechten zu sehen. Blacky und Batuti, die auf der Back am Achterspill gearbeitet und die Trosse des Bugankers belegt hatten, stiegen gerade auf die Kuhl hinunter und wollten sich unters Vordeck verziehen, doch der Profos hielt sie auf. „Stop mal, ihr Burschen.“ Blacky schnitt eine Grimasse. „He, Ed, wir haben unseren Wachdienst abgeschlossen und sind froh, eine Mütze voll Schlaf zu kriegen. Ich kann’s kaum abwarten, an meiner Koje zu horchen.“ „Sollt ihr ja auch, ihr Rübenschweine“, erwiderte Carberry finster. „Aber verratet mir wenigstens, was mit Hasard und Ben los ist. Die glotzen sich ja an, als hätten sie soeben ein Fischweib übers Schanzkleid springen sehen. Mich laust der Affe.“ „Keine Ahnung, was da los ist“, sagte Batuti. Sie pirschten über die Kuhl, Al Conroy und Matt Davies schlossen sich ihnen an. Sie waren bei Hasard und Ben Brighton, als Hasard gerade rief: „Richtig, Ben, der Tidenhub beträgt hier fünf bis sieben Yards.“ „Sag bloß, du hast das nicht gewußt!“ „Natürlich, aber ich habe es nicht berücksichtigt.“ „Berücksichtigt wobei?“ Der Seewolf grinste plötzlich, seine beiden weißen Zahnreihen blitzten wie Perlen in
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der Nacht. „Bei der Suche nach dem Versteck des Schatzes natürlich. Fallen dir jetzt die Schuppen von den Augen?“ „Na klar!“ „Das wurde auch Zeit“, sagte der Profos. „Wenn mich nicht alles täuscht, ist der Platz, an dem das alte Schlitzohr de Madinga seine Raubbeute verstaut hat, nur bei Ebbe zu erreichen, aber nicht bei Flut, was, wie?“ „Du hast es erfaßt“, entgegnete der Seewolf. „Ich habe immer gewußt, daß du ein kluges Kerlchen bist, Ed“, bemerkte Blacky. Er handelte sich einen drohenden Blick des Profos’ ein, kümmerte sich aber den Teufel darum. „Und?“ fuhr er fort. „Welche Konsequenzen ziehen wir daraus?“ Der Seewolf blickte ihn an. „Das liegt doch auf der Hand. Wir lassen die Pinasse zu Wasser und machen sie segelklar, dann brechen wir auf, um uns die Schatzbucht noch mal genauer anzusehen.“ „Diesmal“, versetzte Edwin Carberry grollend, „diesmal bin ich mit von der Partie - wenn du nichts dagegen hast, Hasard.“ „Im Gegenteil.“ Der Profos grinste von einem Ohr zum anderen. „Auf was warten wir dann noch? Etwa, daß die Dons auf den gleichen Trichter kommen wie wir? Wir sind die ersten, das walte Gott und die Lissy. * Hasard teilte außer Carberry noch fünf Männer ein, die ihn an Bord der Segelpinasse begleiten sollten: Ben Brighton, Jean Ribault — er war an Land durch Will Thorne abgelöst worden —, Patrick O’Driscoll, Jan Ranse und Piet Straaten. Jean Ribault benötigte er unbedingt als Ausguck. Mit seinen scharfen Augen konnte der Franzose Dan O’Flynn durchaus Konkurrenz machen. Dan hatte Ruhe nötig und kam für das Unternehmen nicht in Frage, ebenso wenig Blacky und Batuti, die den ganzen Tag über auf den Beinen gewesen waren und
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verschiedene Arbeiten auf Deck erledigt hatten. Etwas wehmütig blickten sie der Pinasse nach, als diese in der Dunkelheit *verschwand. Es wurde spannend und sie bedauerten, nicht mit von der Partie sein zu können. Andererseits sahen sie aber auch ein, daß logischerweise nicht die komplette Crew mit dem Seewolf zur Schatzbucht ziehen konnte. Hasard bediente die Ruderpinne der Pinasse. Die anderen legten sich in die Riemen und pullten kräftig, bis das Boot die schmale Einfahrt passiert hatte und auf die offene See hinausglitt. Das Großsegel und die Fock konnten gesetzt werden. Der Wind schob die Pinasse vor sich her. Carberry griff unter eine der buchten, zog etwas Stabförmiges hervor und zeigte es seinem Kapitän. „Ich habe genügend Fackeln an Bord genommen.“ „Ausgezeichnet. Die werden wir auch brauchen können.“ „Musketen, Pistolen, Schießpulver und Kugeln sind auch reichlich vorhanden. Benötigen wir die auch?“ Carberry grinste wieder. „Ich hoffe es nicht. Aber vor Überraschungen sind wir natürlich nicht sicher. Bereiten wir uns also auf jeden möglichen Verdruß vor.“ Hasard dachte wieder an den Einmaster, den sie gesichtet hatten. Das Bild wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf. Sah er Gespenster? Ließ er nach? Er redete sich alles mögliche ein, verfiel jedoch immer wieder auf seinen leisen Zweifel, der sich nach und nach zu einem Verdacht verstärkte. „Die Waffen laden“, ordnete er an. „Und daß ja das Pulver nicht feucht wird.“ Carberry und Patrick O’Driscoll kümmerten sich um die Bedienung der Segel. Sie hatten günstigen Südostwind und glitten relativ schnell durch die schwärzlichen Fluten des Stillen Ozeans. Hasard verharrte an der Ruderpinne, Jean Ribault versah seinen Posten als Ausguck vorn im Bug der Pinasse, Ben Brighton und die beiden Holländer versorgten jetzt Musketen und Pistolen. Sie schütteten Pulver in die Läufe, stopften es mit den
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Ladestöcken etwas fest, schoben Verdämmungspfropfen ein, paßten die bereits fertig gegossenen Bleikugeln ein und bestrichen auch die Pfannen der Steinschlösser mit Pulver. Das Schießen mit Vorderladern erforderte fast ebensoviel Achtsamkeit bei der Vorbereitung wie die Präparation der Geschütze an Bord der „Isabella“. Alles hing von der genauen Bemessung der Ladungen, ihrer Qualität und Trockenheit ab. Das richtige Zielen war praktisch nur der Schlußakt, wenn es hart auf hart kam. Kurz nach Mitternacht erreichten sie die Cförmige Bucht. „Aufpassen“, sagte Hasard. „Mit Vorsicht hineinlavieren und auf Untiefen achten!“ „Aye, aye, Sir“, gab der Profos zurück. Die Pinasse strich auf die Einfahrt der Bucht zu. Hasard ließ anluven, und sie segelten ins Innere des halb-mondartigen Felsenkessels. Die schroffen Klippen ragten wie Mahnmale im fahlen Licht des Mondes auf. Die Brandungswellen rauschten auf sie zu und brachen sich grollend an den glatten Unterseiten. Hasard stellte mit sachkundigem Blick fest, daß das Wasser bereits wieder auflief. Aber als sie näher an die Felswände gerieten, entdeckte er, was er erhofft hatte. Er stieß Ben Brighton an. „Nun sieh dir das an! Da haben Karl von Hutten und ich wie die Hornochsen oben gestanden und herumgerätselt, und die Antwort auf unsere Fragen lag doch so nahe.“ „Man muß nur darauf kommen“, meinte Ben. Unterhalb des Platzes, der auf der Karte von de Madinga durch das Kreuz gekennzeichnet war, hob sich das gähnende Maul einer Grotte hervor. Die Öffnung im Felsen war bereits wieder halb durch Wasser ausgefüllt. Dennoch ließ Hasard die Segel aufgeien und die Männer zu den Riemen greifen. Sie pullten an die Grotte heran. Hasard zündete mit Feuerstein und Feuerstahl eine der Fackeln an. Ihr rötlichgelber Schein warf gespenstisch-bizarre Muster auf die nassen Felswände. Hasard hielt sie so nahe wie möglich an die unter Wasser stehende
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Grottenöffnung heran, und das zuckende Licht fiel in einen Gang. „Ich kann das Ende nicht sehen“, sagte Ben Brighton. Carberry zeigte ein fast ehrfürchtiges Gesicht. „Donnerwetter, die Höhle verläuft also bis tief in den Felsen.“ „Und was das wichtigste ist“, sagte der Seewolf, „sie scheint anzusteigen. Das muß ich mir genauer ansehen.“ Er ließ sich absetzen. Beim An-LandSpringen glitt er ab und fiel hin, rutschte aber nicht ins hochgischtende Wasser zurück, sondern konnte sich gerade noch rechtzeitig festhalten. Die Fackel war auf einer nassen Gesteinsplatte gelandet und drohte zu erlöschen. Hasard hob sie rasch wieder auf, trat in die Grotte und watete durch das hüfthohe Wasser. Ohne Mast hätte die Pinasse glatt bis in das Höhleninnere vorstoßen können. So aber mußte sie vor der Sohle zurückbleiben. Hasard blickte zurück und sah sie auf- und abschwingen. Die Gestalten seiner Männer nahmen sich schemenhaft aus. Carberry, der bulligste von allen, legte die Hände wie einen Trichter an den Mund und rief ihm nach: „Und, Hasard?“ Dunkel hallte seine Stimme von den Grottenwänden wider. „Wartet noch!“ rief Hasard zurück. Er setzte seinen Erkundungsgang fort und gelangte wegen der Steigung der Sohle auf trockenen Grund. Immer noch zeichnete sich kein Ende des langen Stollens ab. Hasard hielt inne und wägte ab: Sollte er noch weiter vordringen? Das auflaufende Wasser drohte ihm den Rückweg abzuschneiden. Wenn die Flut die Grotte verschloß, konnte er nicht mehr zurück — oder aber es gab noch einen Ausgang zum Land hin. Er watete zur Segelpinasse zurück. Das Wasser reichte ihm jetzt fast bis zur Brust. Er ging an Bord, zog sich die Stiefel aus und legte sie zum Trocknen über eine freie Ducht. „Ich habe keine Ahnung, wie weit die Höhle noch führt“, sagte er. „Aber wir können uns erstmal mit ihrer Entdeckung begnügen. Morgen abend kehren wir
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rechtzeitig zurück und stellen weitere Nachforschungen an. Eins ist so gut wie sicher.“ „Ja“, erwiderte Ed Carberry. „Der Schatz steckt in der Grotte.“ Sie pullten auf die offene See, setzten die Segel und kehrten zur „Isabella III.“ zurück. 5. Am Nachmittag des Vortages glaubte Sancho Ortiz hoch oben auf den Klippen bei Chorillos zwei Männer gesichtet zu haben. Vergebens hatte er weiter nach ihnen Ausschau gehalten. Irgendwie hatte er gehofft, sie wiederzuentdecken, hatte sich schon ausgemalt, daß sie zu der Mannschaft des gottverdammten schwarzhaarigen englischen Bastards, des „Maldicho Lobo del Mar“ zählten und ihn zu dem Schatz führen würden. Doch auch am Morgen dieses Tages hatte er sie nicht wiedergesehen. Eine Pechsträhne schien ihn zu verfolgen, jedenfalls gelangte er zu diesem Schluß, nachdem er auch die Cförmige Bucht untersucht hatte, über der er ihre Gestalten entdeckt hatte. Nichts. Keine Spur von einem Schatzversteck. Wer waren die Fremden? Spanier? Soldaten oder Peones — harmlose Landarbeiter? Das Licht des ausklingenden Tages war zu schlecht gewesen, um Einzelheiten erkennen zu können. Sancho Ortiz, der Spion, zwang sich, nicht mehr an die beiden Männer zu denken. Sie waren nur kurz erschienen und dann wieder verschwunden. „Sie sind keine Schlüsselfiguren“, sagte er sich. Er war im Laufe des Tages wieder fast bis nach Callao hinaufgesegelt, dann jedoch umgekehrt und von neuem in Richtung auf Chorillos in Küstennähe dahingekreuzt. Am späten Nachmittag befand er sich schätzungsweise zwanzig Meilen südlich von Callao. Er hatte wieder den Verband spanischer Kriegsgaleonen gesichtet, hatte sich tunlichst vor ihnen verdrückt und erlebte jetzt einen pittoresken Sonnenuntergang. Sonst hatte sich nichts
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Nennenswertes ereignet. Langsam wurde Ortiz nervös. Sollte er aufgeben? „Niemals“, sagte er wütend. „Auf keinen Fall.“ Er zog die Fischernetze, die er wieder zum Schein ausgelegt hatte, an Bord. Diesmal warf er die zappelnde Beute einfach zurück ins Meer. Gelegentlich hatte er größere Fische mit nach Callao oder in die umliegenden Orte genommen, in denen er die Nächte verbracht hatte. Er hatte sich die Tiere von Frauen zubereiten lassen, und sie hatten ihm gemundet. Inzwischen aber hatte auch diese Sache ihren Reiz verloren. Das Ausweiden von Fischen stimmte ihn nur noch wütender, als er ohnehin schon war. Ja, Sancho Ortiz hatte die Geduld verloren! Er setzte das Segel seines Einmasters und steuerte wieder nach Nordwesten. Fast hatte er im Dämmerlicht Chorillos erreicht, da konstatierte er plötzlich, daß sich querab vor ihm an der Küste etwas regte. Sofort drehte er bei, nahm sein Spektiv zur Hand und hob es an das Auge. Er entdeckte die schmale Einfahrt einer Steilfelsenbucht. Natürlich war sie ihm nicht neu, er hatte sie schon früher beobachtet, jedoch nichts Besonderes gesehen – nur ein paar kreischende Seevögel. Jetzt aber schob sich etwas aus der Einfahrt. Ortiz blickte wie gebannt hin und erkannte die Umrisse eines Bootes. „Eine Segelpinasse“, murmelte er. „Das ist doch nicht zu fassen!“ Er sah deutlich, daß sich sieben Männer an Bord befanden, und beobachtete, wie sie aus dem engen Durchlaß pullten und die beiden Segel setzten. Jetzt stiegen Bedenken in ihm auf. Hatten sie ihn vielleicht auch schon entdeckt? War er nicht viel zu nah dran? Er handelte. Rasch wandte er sich mit seinem Einmaster nach Nordosten. Er ging unter Land, streifte eine Weile auf und ab und entdeckte dann eine flache Stelle, die ihm für eine Landung geeignet erschien. Er ließ sein Fischerboot auf den Ufersand laufen, sprang ins Flachwasser und zog es so weit wie möglich an Land. Dann vergewisserte er sich, daß es nicht
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abtreiben konnte. Er nahm seine Waffen und das Spektiv an sich, lief los, hetzte an der Küste entlang, geriet auf ansteigendes Land und mußte bald auf allen vieren klettern, um nicht abzugleiten. Sancho Ortiz erklomm Felsen. Er bewegte sich zielsicher und war von der Richtigkeit seines Tuns überzeugt. Erstens einmal mußte er sich verstecken, denn selbst, wenn die Männer in der Pinasse Spanier waren, konnte er sich keineswegs in Sicherheit wägen. Waren sie Schergen des Vizekönigs in Lima, durfte er sich ihnen auf gar keinen Fall zeigen. Zweitens: Die Pinasse war ein Beiboot und gehörte zu einem Schiff. Dieses lag zweifellos in der Bucht hinter dem schmalen Durchlaß. Ortiz’ Aufgabe war es also, die Herkunft jenes Seglers zu erkunden und darauf sein weiteres Handeln einzustellen. Die Felsen wurden immer steiler, aber er erreichte ein kleines Plateau und gelangte nun wieder besser voran. Mühselig bahnte er sich einen Weg durch das ungastliche Gelände, Die Dunkelheit breitete sich aus. Er durfte kein Licht machen und mußte sich so leise wie möglich verhalten. All dies erschwerte sein Vorhaben. Doch er ließ nicht locker, bis er sich bäuchlings auf die Vorderkante der Steilfelsen zuschob und in die kleine, versteckte Bucht blicken konnte. Was er sah, verschlug ihm fast den Atem. Er hatte es erwartet, und doch war er jetzt überrascht. Dieser schwarzhaarige englische Bastare. Keinem anderen als ihm konnte der schlanke Zweimaster gehören, der dort unten ankerte! O ja, Sancho Ortiz erinnerte sich noch sehr genau an dieses Schiff. Schließlich war er auf ihm zu der Insel Taboga gebracht und dort mit den Besatzungsmitgliedern der „Victoria“ ausgesetzt worden. Kalter Haß stieg in ihm auf. Er konnte es kaum erwarten, die Masten des Schnellseglers brechen zu sehen, zu verfolgen, wie ihr Schanzkleid in tausend Stücke zersplitterte und die Männer dahinter sich in ihrem Blut wälzten, wie die herabstürzenden Spieren die noch Lebenden erbarmungslos erschlugen.
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Sollte er den Befehlshaber der Kriegsgaleonen Verständigen? In einem Anflug impulsiver Gemütsaufwallung spielte er mit dem Gedanken, die Landsleute einfach aufzusuchen und über das Auftauchen der Engländer zu unterrichten. In der Bucht saßen die Kerle wie in einer Mausefalle, es mußte eine Kleinigkeit sein, ihnen den Garaus zu bereiten. Ortiz verwarf die Überlegung wieder. Er wußte ja, was die Glocke geschlagen hatte und war sich klar darüber, wohin die Männer mit der Pinasse aufgebrochen waren. Seinen Rachegefühlen freien Lauf zu lassen, das hieß andererseits, auf den Schatz zu verzichten! Er konnte nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wenn er doch noch der lachende Dritte sein wollte. Ob „El Lobo del Mar“ und seine Gefährten von den spanischen Kriegsgaleonen vernichtet wurden oder nicht, mußte er mehr oder weniger dem Zufall überlassen wenigstens vorläufig. Vorsichtig umrundete er die Bucht. Er nahm sein Messer zur Hand, weil er damit rechnete, auf Wachen zu stoßen. Dank seiner Umsicht gelangte er aber ungehindert in das Gebiet nördlich der Bucht, konnte etwas später direkt an der Küste entlanglaufen und entdeckte die Pinasse wieder. Ihre Umrisse hoben sich deutlich genug ab, daß er ihr mühelos folgen konnte. Im Laufschritt hielt er mit. * Dieses Mal hatte Hasard Dan O’Flynn als Ausguck mitgenommen. Außerdem befanden sich an Bord der Pinasse: Blacky, Smoky, Jeff Bowie, Sam Roskill und Bob Grey. Die Vorkehrungen, die sie trafen, waren wieder die gleichen wie am Vortag. Blacky prüfte, ob die Fackeln ordnungsgemäß gewickelt und getränkt waren, die anderen außer Hasard und Dan widmeten sich dem Laden der Waffen. „Hoffentlich lohnt sich der Zirkus und uns läuft endlich mal ein Don vor die Mündung“, sagte der schlanke Sam
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Roskill. „Man kommt aus der Übung und die Waffen rosten ein.“ „Hört euch das an“, versetzte Blacky. „Wie kann man nur so blutrünstig sein?“ „Wir bekämpfen doch die Spanier, um ihnen die Vorherrschaft auf See zu nehmen, oder?“ entgegnete Roskill in herausforderndem Tonfall. „Ein Korsar Ihrer Majestät, der Lissy, darf also auf keinen Fall zimperlich denken.“ „Das tut auch keiner von uns“, sagte Smoky. „Bei dir tickt es wohl nicht richtig, was?“ „Ich finde auch, du solltest durch dein Gerede kein Unheil heraufbeschwören“, meinte Bob Grey zu Roskill gewandt. „Ich drücke uns jedenfalls die Daumen, daß die Philipps nicht ebenfalls bereits auf den Schatz gestoßen sind.“ „Ich auch“, fügte Hasard hinzu. „Falls der Vizekönig Don Francisco de Toledo seine Truppen ausgeschickt hat, um uns zu erledigen, und falls wir mit den Dons an der Schatzgrotte zusammentreffen, wird es wahrhaftig kein Honigschlecken, uns den Weg freizukämpfen.“ „Sam meint nur, er kann es kaum erwarten, daß mal wieder ordentlich was los ist“, stellte Jeff Bowie richtig. „Und das kann ich durchaus verstehen. Mir juckt’s nämlich auch in den Fingern.“ „Ihr seid unverbesserlich.“ Hasard grinste. Der Wind stand an diesem Abend nicht so günstig wie am Vortag, doch dank des Geschickes der kleinen Crew erreichten sie schon kurz nach Einbruch der Dunkelheit die Schatzbucht. Dan O’Flynn hielt nach allen Seiten Ausschau, bevor sie sich der Grotte näherten. Er gab dem Seewolf ein Handzeichen die Luft schien rein zu sein. Jedenfalls war Dan überzeugt, daß sie außer dem Mond und den Sternen bei ihrem Landemanöver keine Zeugen hatten. Mit der üblichen Vorsicht manövrierten sie an den Eingang der Grotte heran. Sie lag ganz frei. Ein paar stufenförmige Gesteinsabsätze vor ihrem gähnenden, finsteren Schlund wurden von den Brandungswellen umspült. Dan O’Flynn richtete sich im Bug auf und dirigierte die kleine Mannschaft bis dicht
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an die Felsen heran. Er flankte über das Dollbord, war als erster an Land und suchte nach Unebenheiten, um die er die Festmacher der Pinasse legen konnte. Er fand ein paar erhabene Stellen im Fels, doch die Leinen rutschten immer wieder davon ab. Daraufhin versuchte er, sie in Spalten festzuklemmen, doch das schien auch nicht die Ideallösung zu sein. Die anderen sprangen nun ebenfalls an Land. Hasard sagte: „Los, wir ziehen die Pinasse ganz aufs Trockene, damit sie nicht abtreibt.“ Sie packten zu und hievten ihr Boot mit einem mehrfachen „Hauruck“ auf die Gesteinsstufen. Nachdem sie sich überzeugt hatten, daß es sicher lag, griffen sie unter die Duchten und zogen die Fackeln und Waffen hervor. Sie schoben die Pistolen und Messer in die Gurte. Es knackte, als sie probeweise die Musketenhähne spannten und dann wieder sicherten. Jeder Mann hatte eine Muskete und eine Fackel. Hasard entfachte eine Lunte und zündete die Pechfackeln an. Mattgoldner Lichtschein breitete sich aus. Rauchschwaden stiegen auf und schlugen unter die Höhlendecke. Hasard und seine sechs Begleiter blickten zu Boden und stellten fest, daß da noch eine Bewegung war. Wasser strömte an ihren Füßen vorüber zum Auslaß der Grotte hin. „Das Wasser läuft noch ab“, sagte Hasard. „Wir verfügen also über eine genügend große Zeitspanne, um die ganze Höhle zu erkunden.“ „Es sei denn, sie reicht bis Lima“, wandte Dan ein. „Witzbold“, entgegnete Smoky. „Mußt du immer das letzte Wort haben?“ „Ja“, sagte Dan frech. Sie packten ihre Musketen und Fackeln fester und begannen ihren Marsch in das Innere der langgezogenen, unwirtlichen Grotte. Der Felsboden war glitschig. Sie mußten sehr aufpassen, daß sie nicht ausrutschten und hinfielen. Hasard, der die Gruppe anführte, erreichte bald den Punkt, an dem er in der vorigen Nacht umgekehrt war. Immer noch gurgelte das ablaufende
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Wasser unter ihren Füßen. Hasard blieb stehen, leuchtete die Wände und die Decke ab und deutete auf die vielen Algen, die die Grotte ausfüllten. Sie waren lang und unansehnlich und muteten wie gewaltige Flechten an. „Sehr gemütlich“, sagte Dan. „Hier möchte ich nicht von den Fluten überrascht werden“, sagte Blacky. „Muß ein verdammt unangenehmes Gefühl sein. Je nachdem, wo man sich gerade befindet, schafft man es nicht einmal, zum Ausgang zurückzutauchen. Der Weg ist zu lang.“ „Abwarten“, meinte Dan. „Wir wissen doch, daß der Gang ansteigt, oder?“ Sam Roskill machte schmale Augen. „Schon, aber wie weit führt er hinauf? Könnte doch gut möglich sein, daß die Flut ihn trotzdem bis zu seinem Ende hin zuspült.“ „In dem Fall dürfte der Schatz von de Madinga ziemlich verwässert aussehen“, sagte Bob Grey. Sie lachten, dann wanderten sie weiter, gerieten an den Beginn der Steigung und mußten von nun an noch mehr achtgeben. Der Untergrund blieb glitschig und trügerisch, und er war mit Geröll bedeckt, das stellenweise so hoch lag, daß sie sich regelrecht einen Weg hindurch suchen mußten. Der Gang wies ein paar Biegungen auf, aber in seiner Gesamtheit verlief er gerade. Die Gefühle der Männer waren gemischt, als sie tiefer und tiefer ins Innere des Höhlensystems vorstießen. Dan schritt gleich hinter dem Seewolf und empfand nichts als jugendliche Unbekümmertheit und den ungeheueren Drang, endlich auf den ersehnten Schatz zu stoßen. Blacky wurde den Eindruck nicht los, bei der Grotte könnte es sich um eine Fälle der Spanier handeln. Smoky schaute sich auch mißtrauisch nach allen Seiten um, als erwarte er irgendwo Seitenstollen oder Verstecke, in denen Feinde lauern konnten, die sich unmittelbar nach dem Einsetzen der Ebbe eingefunden hatten. Die drei Karibik-Piraten hatten ziemlich grimmige Mienen aufgesetzt. Sam Roskills Gerede hatte Bob Grey und Jeff Bowie doch
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innerlich angeheizt. Sie warteten ebenfalls auf eine Konfrontation mit den Spaniern. Hasard leuchtete den Höhlengrund ab und blieb plötzlich stehen. „Hier“, sagte er zu Dan. „Fällt dir was auf?“ „Ja. Wir befinden uns endlich auf dem Trockenen.“ „Das bedeutet?“ „Ist doch klar: Wir haben die Flutgrenze erreicht.“ Dan grinste, sein Lausbubengesicht wirkte im Feuerschein der Fackeln koboldhaft. „Das schlimmste, was uns jetzt noch passieren kann, ist, daß wir von der Flut überrascht werden und hier solange festsitzen, bis uns die Luft knapp wird.“ „Wenn du nicht bald aufhörst, dreh ich dir den Hals um“, sagte Sam Roskill. „Laß deinen Kampfeifer nicht an mir aus!“ „Hältst du dann also endlich die Klappe?“ „Nein.“ Dan wich zur Seite und entging so dem Boxhieb, den Roskill ihm hatte verpassen wollen. Natürlich legte sich keiner ernsthaft mit dem Bürschchen an. Aber bisweilen reizte er die Kameraden doch ganz gewaltig mit seinen frechen Bemerkungen. Der Felsboden blieb trocken, desgleichen die Wände der Grotte. Sie drangen weiter ins Ungewisse vor. Smoky zählte die Schritte von der Flutgrenze an. „Hundertzwanzig“, sagte er, als sie einmal wieder innehielten. „Das bedeutet, die trockene Strecke ist bis hierher ungefähr hundert Yards lang.“ „Ganz schönes Stück“, meinte Jeff Bowie. „Möchte bloß wissen, wohin uns der Marsch noch führt. Ehrlich gesagt werden wir ganz hübsch auf die Folter gespannt.“ „De Madinga hat gewußt, was er tat“, entgegnete Hasard. „Ein Platz wie dieser ist hundertprozentig sicher, und ohne die Karte hätte man ewig suchen können, ohne jemals auf die Beute zu stoßen. Bei der Wahl des Versteckes muß er sich wohl immer wieder vor Augen gehalten haben, was der Vizekönig mit ihm angestellt hätte, wenn die verschwundenen Reichtümer gefunden worden wären.“ „Hoffentlich geht es hier mit rechten Dingen zu“, sagte Dan O’Flynn dumpf.
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„Was tun wir, wenn uns de Madingas Geist erscheint?“ „Du kannst froh sein, daß Al Conroy nicht dabei ist.“. Smoky grinste. „Er hat geschworen, jedem eine reinzuhauen, der Gespenster und Dämonen heraufbeschwört wie Mac Pellew, unser nörgeliger alter Kombüsenhengst an Bord der ,Golden Hind`. Erinnert ihr euch noch, wie er von Verwünschungen und dem Fluch der Geister gefaselt hat, als wir die Magellanstraße passierten?“ „Ja“, sagte Hasard. „Und der Himmel bewahre uns davor, ein solches Gegreine noch mal wieder mit anhören zu müssen.“ Er streckte seine Hand mit der Fackel vor und marschierte weiter. Die Steigung dauerte an. Kleine Geröllteile lösten sich unter seinen Füßen und kollerten zu den sechs Männern zurück, die sich hinter ihm befanden. Er sah, wie sich die rechte Grottenwand unversehens auftat und einen düsteren Durchschlupf freigab. Im Lichtkreis der zuckenden Fackel sah es tatsächlich so aus, als öffne sich die Wand vor ihren Augen eine optische Täuschung. Hasard stellte sich unter den Rand des Durchlasses, hob seine Lichtquelle - und stieß einen leisen Pfiff aus. Dan drängte sich neben ihn und sagte: „Donnerschlag!“ Vor ihren Augen tat sich eine hochgelegene Seitengruft auf. An ihrem Ende waren schön säuberlich Kisten gestapelt worden. Dan zählte sie und sagte: „Dreizehn Stück. Ist das nicht eine Glückszahl?“ Der Seewolf trat als erster in die Gruft, hinter ihm schlossen die Männer auf. Sie verharrten auf der Felssohle dicht vor den Truhen und starrten auf ihr gut erhaltenes Holz und ihre matt schimmernden Beschläge. „Na also“, sagte Hasard. „Da wären wir am Ziel unserer Wünsche.“ „Sprengen wir die Schlösser mit Pulver auf?“ fragte Sam Roskill. Hasard kniete sich hin. Er hantierte ein wenig an den Schlössern einer Schatzkiste herum, stellte fest, dass sie nur locker in
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ihren Bügeln hingen und löste sie. Lächelnd hob er den Deckel. Blacky hielt seine Fackel über den Inhalt. Ein einziger Ausruf des Erstaunens wurde laut. Dann fand Smoky als erster die Sprache wieder. „Himmel, das ist ja viel schöner, als ich erwartet habe.“ In der Tat, die Kiste war bis zum Rand mit Perlen gefüllt. Dan konnte es nicht lassen, er mußte sich bücken und mit beiden Händen hineingreifen. Genießerisch schöpfte er aus dem Vollen, hob die Arme wieder an und ließ ein ganzes Fuder des glitzernden Reichtums in die Kiste zurückprasseln. „Ich könnte darin baden“, sagte er begeistert. Hasard öffnete die nächste Kiste. Auch diesmal gab es keine Schwierigkeiten mit der Verriegelung. Bob Grey stieß einen schrillen Pfiff aus. Diamanten! „Klunker aller Größen“, stieß Sam Roskill hervor. „He, Jeff, leuchte mal! Jetzt fasse ich rein, wenn ihr nichts dagegen habt.“ Keiner erhob Widerspruch. Sam kniete sich vor den Kistenrand, hob ein paar Diamanten heraus und betrachtete sie stellvertretend für alle anderen. Sie waren groß wie Nüsse. Lachend ließ er sie über Brust und Bauch wieder in die Kiste zurücktrudeln. Hasard untersuchte die dritte Kiste. Sie enthielt ebenfalls Diamanten. In der vierten schließlich häuften sich wieder Perlen. Hasard drehte sich um, setzte sich hin und lehnte sich mit dem Rücken gegen die vierte Kiste. „Also, eins muß man de Madinga, dem gerissenen Fuchs, wirklich lassen: Er hat sich nicht mit unnötigem Plunder abgegeben, sondern das Wertvollste abgestaubt.“ „Aber Gold- und Silberbarren sind nicht dabei“, meinte Blacky. Dan winkte ab. „Brauchen wir ja auch nicht, wir haben schon genug an Bord der ‚Isabella’. Außerdem wäre es eine verdammte Plackerei, Barren von hier aus zur Pinasse und dann an Bord der Galeone zu transportieren.“
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„Da hast du ausnahmsweise mal recht“, bestätigte Sam Roskill. Hasard nickte. „Natürlich, und ihr müßt auch bedenken, daß Barren für einen einzelnen Mann wie Juan Bravo de Madinga wohl kaum hierherzuschaffen gewesen wären. Er war, alles in allem gesehen, schon ein kluger Kopf, was?“ „Aber das hat ihm nichts genutzt“, sagte Smoky. „Wahrscheinlich hat er jahrelang gerafft und ist dann doch leer ausgegangen. Aber vielleicht erklärt der treusorgende Vize ihn zum Helden — wegen seines selbstlosen Kampfes gegen dich und Jean Ribault —, statt ihn wegen Raub und Unterschlagung noch nachträglich am nächsten Galgen aufzubaumeln.“ „Dieser Spion Sancho Ortiz war kurz vor der endgültigen Entdeckung der Karte“, erwiderte Hasard. „Zumindest wußte er, daß der Schatz in einer Bucht bei Callao versteckt liegen muß. Was wohl aus ihm geworden ist? Ob er sein Wissen inzwischen an den Vizekönig weitergegeben hat?“ „Kann sein“, sagte Bob Grey. „Wenn ich an die Mastspitzen der spanischen Kriegsgaleonen denke, die wir gesehen haben.“ „Ich werde den Verdacht nicht los, daß Ortiz hinter dem Schatz her ist“, sagte Hasard. „Irgendwie will es mir nicht aus dem Sinn, daß er auf eigene Faust nach dem Schatz forschen könnte. Verschlagen genug für ein solches Unternehmen wäre er. Fragt sich nur, ob er von der Insel Taboga und aus Panama fortgekommen ist.“ Er erhob sich. „Aber lassen wir das jetzt, wir haben Dringenderes zu tun, als Mutmaßungen anzustellen. Mannt die vier Kisten, die wir geöffnet haben, sofort in die Pinasse, mehr können wir im Moment nicht mitkriegen. Wir kommen später wieder und holen uns den Rest.“ „Aye, aye, Sir“, antwortete Dan. „Hopphopp, keine Müdigkeit vorschützen!“ rief Blacky, „Bewegen wir uns, sonst holen wir uns hier noch einen feuchten Hintern.“ „Ich will den Hauptgang bis zu seinem Ende erkunden.“ Hasard griff sich seine
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Fackel, die er auf der Felsensohle abgelegt hatte, wandte sich wieder dem Durchschlupf zu und schritt auf der Steigung weiter. Die sechs Männer begannen mit dem Abtransport der Schatzkisten. 6. Der Seewolf war ungefähr eine Viertelstunde unterwegs. Die Steigung des Hauptganges hatte nicht nachgelassen oder ganz ausgesetzt, war eher noch steiler geworden. Abzweigungen gab es nicht mehr. Neue Überraschungen wie die dreizehn Schatzkisten entdeckte er nicht. Schließlich stieß er auf angehäuftes Geröll, hinter dem sich eine scheinbar undurchdringliche Wand erhob — das Ende des Ganges. Hasard hatte sich etwas in den Kopf gesetzt, so leicht wollte er nicht aufgeben. Hartnäckig forschte er an dem Geröllberg weiter und tastete die rückwärtige Wand ab. Der Gang war flacher geworden, stellenweise mußte er sich bücken, um nicht mit dem Kopf anzustoßen. Dann entdeckte er, was er gesucht hatte. In Schulterhöhe befand sich ein Steinbrocken, an dessen Kanten Luft vorüberstrich. Hasard lächelte zufrieden. Man sollte eben nicht vorzeitig aufgeben! Er drückte mit den Händen gegen den Steinbrocken und beförderte ihn ein Stück fort. Der Wind fächelte ihm nun stärker ins Gesicht. Hasard räumte den Stein ganz zur Seite, hatte eine Öffnung über sich und blickte in die Dunkelheit der Nacht hinaus. Er legte die Hände in den Rand des Loches, spannte die Muskeln an und schwang sich ins Freie hinaus. Er richtete sich auf und blickte zum sterndurchwirkten Nachthimmel empor. Er senkte die Augen etwas und stellte fest, daß sich unter ihm eine Geröllmulde ausdehnte. Nach seinen Schätzungen befand er sich südostwärts von der Bucht und mindestens achthundert Yards von ihr entfernt. De Madinga hatte also zwei Möglichkeiten gehabt, an sein Versteck zu gelangen!
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Hasard sagte sich, daß er schon ein sehr ausgekochter Halunke gewesen sein mußte. Er hatte an alles gedacht und nichts, das für ihn von Bedeutung sein konnte, außer acht gelassen. Wenn gerade Flut herrschte, hatte er trotzdem an seinen Schlupfwinkel gelangen können. Er hatte also allen Grund gehabt, sich ins Fäustchen zu lachen! Hasard kletterte wieder in den Gang zurück. Er verwandte einige Zeit darauf, den Felsbrocken wieder über den Ausgang zu ziehen und so auszurichten, daß er wie vorher lag. Von außen mußte es geradezu unmöglich sein, das Loch zu entdecken. Man mußte schon in das Geheimnis eingeweiht sein. Hasard eilte den Gang hinunter. Stunden waren verstrichen, es wurde Zeit, daß sie die Grotte verließen. Vor dem Durchschlupf zur Nebengruft traf er auf Dan, Blacky, Smoky und Bob. Gerade waren sie damit beschäftigt, die letzte der vier Kisten zur Pinasse zu mannen. Er berichtete, was er entdeckt hatte. „Wirklich schlau, der Bruder“, sagte Smoky. „Wir können nun also auch unabhängig vom Tidenhub jederzeit in die Höhle gelangen - einfach großartig. Was tun wir?“ „Es bleibt bei meinem ursprünglichen Plan“, entgegnete Hasard. „Wir müssen sehen, daß wir mit der Pinasse fortkommen. Mehr als vier Kisten können wir im Moment nicht befördern.“ „Es tut mir in der Seele weh, die anderen neun hierzulassen“, sagte Dan mit einem bezeichnenden Blick auf die anderen Schatzkisten. „Mir auch, aber es geht nicht anders.“ „Das Wasser läuft bereits wieder auf“, meldete Blacky. Hasard ging zum nassen Teil des Ganges hinunter, die anderen folgten ihm. Sie mußten durch kniehohes Wasser waten, als sie kurz vor dem seewärtigen Ausgang waren. Dan, Blacky, Smoky und die drei ehemaligen Karibik-Piraten hatten die Segelpinasse von den jetzt überfluteten Gesteinsstufen gehoben und so sorgfältig wie möglich vertäut. Jeff und Sam waren
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im Boot geblieben und halfen jetzt, die vierte Kiste über das Dollbord zu mannen und zwischen den Duchten zu verstauen. Die Musketen wurden ebenfalls verfrachtet. Dann löschten die Männer die Fackeln. Sie lösten die Festmacher, begaben sich an Bord und stießen sich von den Felsen ab. Hasard nahm auf der Heckbank Platz und bediente die Ruderpinne. Seine Gefährten pullten die Pinasse quer über die C-förmige Bucht zur Ausfahrt hinüber. „Eines ist sonnenklar“, sagte Smoky. „Die dreizehn Kisten bergen ein Vermögen, das man überhaupt nicht genau abschätzen kann. Mir wird schwindlig, wenn ich daran denke, was wir so nach und nach an Bord unserer ‚Isabella’ gehievt haben.“ Die Männer lachten und ulkten miteinander. Die bei der Herfahrt aufgekommene Spannung und leichte Gereiztheit war gewichen. Es gab keine ungelösten Fragen mehr, der Schatz war gefunden worden. In Hochstimmung segelten die sieben zu der Felsenbucht zurück, in der der Zweimaster versteckt lag. Carberry, Tucker, Stenmark, Batuti und die anderen, die auf den Beinen waren, sahen schon den Mienen der Pinassencrew an, was die Stunde geschlagen hatte. Als sie Hasard, Dan und Blacky die Hände entgegenstreckten und ihnen über das Schanzkleid halfen, blickten sie sie bereits erwartungsvoll an. Der Seewolf grinste aber nur und sagte nichts. Auch seine beiden Begleiter hatten spitzbübische Mienen aufgesetzt und schwiegen. Die Männer auf der Kuhl schauten ratlos drein. „Auf was wartet ihr, verdammt?“ rief der Profos. „Los, los, es sind Kisten an Bord zu hieven, seht ihr das nicht?“ Löschtaue wurden über die Backbordtaljen nach außenbords abgefiert. Smoky und die drei Karibik-Piraten in der Pinasse nahmen die Enden in Empfang und schlangen sie um die erste Kiste. Wenig später wurde sie an Bord der Zweimastgaleone gezogen. Batuti und Stenmark machten sie los, packten ihre Griffe und stellten sie auf Deck. Die „Isabella“-Crew wurde kribbelig vor Neugierde.
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Hasard spannte sie auf die Folter. Erst ließ er die übrigen drei Kisten emporziehen und auf Deck wuchten. Die Pinasse wurde auch eingeholt, und Smoky, Jeff Bowie, Sam Roskill und Bob Grey kletterten über eine Jakobsleiter hoch. Erst jetzt trat der Seewolf auf die Kuhl der „Isabella III.“ und öffnete die Deckel der Kisten. Da stand die komplette Mannschaft und riß die Augen auf. Wäre Kaplan Francis Fletcher, der Geistliche von Drakes „Golden Hind“, bei ihnen gewesen, hätte er sicherlich die Gelegenheit ergriffen und ein Gebet gesprochen. So aber breitete sich nur andächtige Stille aus. Was da in den vier Truhen funkelte, stockte den Wert ihrer unter den Ladeluken verstauten Gesamtbeute erheblich auf. Karl von Hutten griff eine der Perlen auf, bewegte sie ein bißchen zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ sie dann wieder in die Kiste zurückfallen. Es gab ein tickendes Geräusch. Die Crew stand immer noch wie erstarrt. Erst Arwenack löste den Bann. Frech und ohne Ehrfurcht turnte er vom Großmast, hoppelte auf eine der Diamantenkiste zu und stoppte an ihrem Rand. Er fletschte die Zähne, stieß einen grunzenden Laut aus und griff mit spitzen Fingern in die volle Pracht. Zwei taubengroße Diamanten glitzerten plötzlich in seinen Händen. Er grinste begeistert, hob sie an die Augen und klemmte sie sich zwischen die Lider. Mit einem Keckern ließ er die Arme wieder sinken -die Diamanten blieben vor seinen Augen. Er sah aus wie ein Dämon mit glühenden Pupillen, und das Prusten und Lachen, mit dem die Crew sein Kunststück quittierte, bereitete ihm besondere Freude. Vor lauter Übermut produzierte er einen seiner halsbrecherischen Rückwärtssaltos. Er sprang aus dem Stand hoch, wirbelte um die Körperachse und setzte sicher wieder auf. Die Männer grölten vor Vergnügen. Arwenack turnte die Großmastwanten hinauf. Es war erstaunlich, wie sicher er sich trotz der Diamanten bewegte, die ihm doch die Sicht nahmen. Erst auf dem Großmars verweilte er. Er
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winkte ihnen zu. Die Männer brüllten „Hurra“ und „Da Capo“. Da ließ er sich einfach fallen, sauste wie der Blitz an den Wanten nach unten und fing sich erst über dem Schanzkleid wieder ab. Schnatternd sprang er auf die Kuhl, zeigte eine groteske Verbeugung und klatschte von neuem in die Hände. Die Diamanten klemmten immer noch in seinen Augenhöhlen. „Also wirklich, so einen Affenzirkus hab ich noch nicht gesehen“, sagte Matt Davies. „Na los, Arwenack, gib die Steinchen wieder her.“ Er streckte die Hand aus und marschierte auf den Schimpansenjungen zu. Der antwortete mit einem röchelnden Laut, warf sich herum und raste über das Steuerbordschanzkleid zum Achterdeck hoch, wo er auf der Handleiste der Schmuckbalustrade hockenblieb. „Laß ihm doch den Spaß“, sagte Ed Carberry. „He, Leute, der Seewolf soll hochleben!“ Er stimmte ein Lied mit wüstem Text an, und die anderen fielen ein. Carberry und Batuti hoben Hasard auf ihre mächtigen Schultern und trugen ihn ein Stück über Deck. Erst auf seinen Protest hin wurde er wieder heruntergelassen. „Dan“, sagte er. „Du gehst in meine Kammer und holst die letzten beiden Flaschen Chicha, die ich dort deponiert habe. Wir wollen den Fund des Schatzes feiern.“ „Ja, die Klunkern müssen begossen werden“, sagte Al Conroy. „Himmel und Hölle, die Dons würden vielleicht Augen machen, wenn sie uns jetzt hier so sähen.“ „Wenn du weiter so schreist und Carberry wie ein Seelöwe brüllt, haben wir sie bald auf dem Hals, die Philipps“, unkte Matt Davies. „Aber ich bin auch verdammt froh, daß die Kisten von Juan Bravo Dingsbums endlich in unserem Besitz sind. Mann, Hasard, du kommst mir vor wie der Weihnachtsmann. Uns fehlt jetzt bloß noch der Baum und ein bißchen Schnee, und es ist wie daheim in Cornwall bei der großen Festbescherung.“
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„Ist doch noch viel zu früh für Weihnachten“, sagte Karl von Nutten. Gary Andrews lachte. „Matt hat seinen schwülstigen Augenblick, da könnt ihr nichts tun.“ „Einmal wieder bei Nathaniel Plymson in der ,Bloody Mary’ sitzen“, schwärmte Matt. „Einmal wieder kräftig die Humpen stemmen, wenn draußen der kalte Wind durch die Gassen pfeift und der ausgestopfte Stör überm Tresen zu wackeln anfängt – herrje, das wäre schön!“ „Hör auf, ich heul gleich“, sagte Dan O’Flynn. „Heimweh?“ sagte der Kutscher. „Schlag dir das aus dem Kopf, Matt. Wir haben noch eine lange Strecke vor uns, bis wir wieder in Plymouth landen können. Außerdem habe ich gar nicht das Verlangen danach, diesem falschen Aas von einem Spelunkenwirt wieder mal die Perücke über die Augen zu ziehen.“ „Sechs Wochen Schufterei auf hartem Südkurs haben sich wirklich gelohnt“, stellte Ferris Tucker fest. „Ich glaube, die Schleiferei … äh, ich meine natürlich das dauernde Exerzieren auf Deck haben wir doch bestimmt alle vergessen, oder?“ „Was?“ schnappte der Profos. „Soll das heißen, daß ihr Hundesöhne wieder ordentlich gedrillt werden wollt? Ferris, du kannst meinetwegen wieder den Kapitän spielen, und der ganze Rollenschwof geht noch mal von vorn los ...“ „Nein“, sagte der rothaarige Riese mit einer abwehrenden Geste. „Himmel, das hab ich damit nicht sagen wollen.“ „Einen besseren Kapitän als Hasard gibt es sowieso nicht“, erklärte Gary Andrews. „Wenn die meisten von uns heute noch einen heilen Hintern haben, so haben sie das dem Seewolf zu verdanken. Vergeßt das nicht.“ Hasard räusperte sich, er war wirklich ein wenig verlegen geworden. „Denkt daran, daß in der Grotte noch neun Kisten liegen und darauf warten, von uns geborgen zu werden. Morgen nachmittag brechen wir wieder auf und holen sie heraus. Und dann verschwinden wir aus dieser Bucht und
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kehren dieser Gegend endlich ein für allemal den Rücken.“ 7. Sancho Ortiz hatte hoch über dem Wasserspiegel auf einem winzigen Plateau am Rande der C-förmigen Bucht gelegen und gesehen, wie die mit sieben Männern besetzte Segelpinasse eingetroffen war. Zunächst hatte er nicht viel erkennen können, doch er hatte trotz zunehmender Dunkelheit konstatiert, daß sie im Felsen verschwunden waren. Er hatte sich den Kopf darüber zermartert, wie das möglich sein konnte. Schließlich hatte die kleine Crew unten Fackeln angezündet, und er hatte die Öffnung der Grotte entdeckt. Von da an war für ihn alles klar gewesen: Der Schatz des Juan Bravo de Madinga lag irgendwo in jener Höhle, und die verdammten Engländer waren dabei, ihn herauszuholen. Oh, er hatte den schwarzhaarigen Teufel wohl erkannt. Und jetzt war er plötzlich sicher, daß er am Vortag ihn und einen anderen Mann auf den Felsen der Steilküste gesichtet hatte. Er hätte sich vor Wut und Enttäuschung am liebsten in die Hand gebissen. So nahe war er dem Ziel schon gewesen, und doch hatte er es nicht geahnt! Jetzt ließ er sich die heißersehnte Beute vor der Nase wegschnappen! Er hatte ausgeharrt und seine Pistole gezückt. In einem Anflug von kalter Wut hatte er auf den verhaßten „Lobo del Mar“, den Seewolf, lauern und ihn niederstrecken wollen. Doch dann hatte er sich allmählich wieder beruhigt. Was brachte ihm eine solche Tat schon ein? Sie war genauso unsinnig wie der Plan, den Engländern vorzeitig den spanischen Kriegsschiffsverband auf den Hals zu jagen. Sancho Ortiz bemühte sich, besonnener zu sein. Mit seiner Beherrschung war es jedoch fast wieder aus, als er die fackeltragenden Männer später aus dem Grottenmaul unter sich hervortreten sah. Vier Kisten platzierten sie zwischen den Duchten ihrer Pinasse — und es gab keinen Zweifel,
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welcher Art der Inhalt dieser Kisten war. Ortiz hätte vor Zorn schreien können. Er wohnte auch den letzten Phasen des Unternehmens bei: Die sieben stiegen in das Boot zurück, legten ab und pullten bei auflaufendem Wasser wieder auf den Ozean hinaus. Sie waren südwärts im Dunkel der Nacht verschwunden. Ortiz lag da und sann nach, was er tun konnte. Er hatte die Kisten gesehen und war wie ein Raubtier, das Blut geleckt hatte. Ein Zittern durchlief seinen hageren Körper. Die Gier weitete seine Augen, verzerrte sein Gesicht und preßte seine Gedanken in eine einzige, starrgerichtete Bahn: Wie konnte er in die Grotte gelangen? „De Madinga, du. hast nicht nur vier Kisten in der Grotte versteckt“, sagte er. „Santa Maria, nein, so ein Trottel kannst du nicht gewesen sein, es muß sich um mehr, viel mehr gehandelt haben, denn sonst hätte der idiotische Vizekönig nicht Lunte gerochen und mich, seinen Spürhund, auf deine Spur gehetzt. Nein, de Madinga, mich täuscht keiner. In der Höhle dort unten liegt noch mehr. Sie haben nicht alles mitkriegen können, diese unersättlichen englischen Bastarde. Die Beute wartet auf mich. O Himmel, wie schaffe ich bloß den Abstieg?“ Er blickte in die Tiefe. Das Rauschen der See nahm sich aus, als befände sich die Brandung dicht unter ihm, doch durch dieses Phänomen ließ er sich nicht täuschen. Er hatte genau beobachtet und geschätzt, daß er sich rund vierzig Yards über der Wasserlinie befand. Das war eine verteufelt große Distanz! Groß genug, um ihn in die tiefsten Höllenschlünde zu schmettern, wenn er sich zu weit vorwagte und abstürzte! Vorsichtig tastete er sich an den Abgrund heran. Er forschte verbissen nach einem Abstieg, fand aber keine Möglichkeit. Nach längerer Suche entdeckte er nur eine Bresche im Gestein, durch die er tiefer kriechen und sich schließlich bis auf einen direkt an dem Steilufer entlang verlaufenden Sims schieben konnte. Er glitt mit dem Rücken zum Fels darauf
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entlang. Einmal rutschte er beinahe auf dem schlüpfrigen Untergrund aus. Nur mit Mühe konnte er die Balance halten. Es wurde ihm entsetzlich weich in der Kniegegend. Er hatte das Gefühl, das Herz sacke ihm bis in die Hüftgegend seines Körpers. Die Angst setzte sich in seinem Inneren fest und verdrängte fast die unbändige Gier nach Reichtum und Macht. „Heilige Mutter Gottes, steh mir bei“, stammelte Sancho Ortiz. Er schlich auf dem Weg zurück, den er genommen hatte, und betete und fluchte in einem Zug. Er konnte sich wieder in die Bresche drücken und war heilfroh, als er sicheren Boden unter den Füßen hatte. Verzweifelt starrte er in die Tiefe. „Wenn ich doch jetzt mein Boot bei mir hätte“, flüsterte er. „Diablo, warum schickst du mir mein Boot nicht? O verdammt, muß ich denn immer alles falsch machen?“ Er überlegte sich, daß die Wegstrecke zurück zu dem Einmaster doch ganz beträchtlich ausfiel, und daß er es nie im Leben schaffte, noch vor der Flut hierher zurückzusegeln und in die Grotte einzudringen. Er hatte ja gesehen, wie das Wasser bereits wieder in die Höhlenöffnung geflutet war, als der Seewolf und seine Gefährten in die Pinasse zurückgekehrt waren. Es gehörte kein Scharfsinn dazu, sich den Rest zusammenzureimen. Bald würde die gesamte Grotte unter Wasser stehen und sich damit auch dem schärfsten Beobachterblick entzogen haben. „Zur Hölle“, sagte er. Er ballte die Hände. „Was soll ich tun? Wie gehe ich jetzt vor? Wer gibt mir einen Rat?“ Weder der liebe Gott noch der Teufel, die er gleichzeitig zu seinen Verbündeten zu machen suchte, standen ihm bei. Sancho Ortiz fluchte und flehte, wie es zu seinem aufbrausenden, impulsiven Charakter paßte. Doch alles Zürnen nutzte ihm nichts. Er beruhigte sich wieder und grübelte darüber nach, wie er doch noch zu einer Lösung seines Problems gelangen konnte. De Madinga, dachte er plötzlich –er ist nicht immer auf dem Wasserweg
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hierhergekommen! Die Leute von Callao haben mir doch berichtet, manchmal sei er auch auf dem Landweg aufgebrochen. Aber wie gelangte er dann in die Grotte– ohne Boot? Ortiz sprang auf. Das war es! Die Grotte mußte einen zweiten Eingang von der Landseite her haben. Juan Bravo de Madinga war bestimmt nicht hier aufgekreuzt, um nur das schöne Panorama zu genießen, wenn er gerade kein Boot zur Verfügung hatte. Nein, er war ein mit allen Wassern gewaschener, windiger Hund gewesen und hatte sein heimliches Geschäft meisterhaft verstanden! Sancho Ortiz lobte und verwünschte de Madinga in seinem Inneren, dann machte er sich von neuem auf die Suche. Er wurde von fieberhafter Hast gepackt. Zunächst, so sagte er sich, suchst du die Bucht von Norden bis Süden ab. Laß keinen Fleck aus! Drehe jeden Stein um! Während seiner fieberhaften Tätigkeit fiel ihm plötzlich ein, daß es auch noch eine andere Möglichkeit gab. De Madinga konnte irgendwo ein Boot versteckt haben! Ortiz bezog diesen Gesichtspunkt mit in seine Erwägungen ein und hielt auch nach einem verborgenen Liegeplatz zwischen den Felsen Ausschau. Schätzungsweise eine Stunde verging, und er hatte die Bucht von Norden bis Süden abgesucht. Von einem geheimen Liegeplatz keine Spur! Er ließ sich nicht entmutigen, sondern konzentrierte sich von jetzt an voll und ganz darauf, nach einem zweiten Eingang zur Grotte Ausschau zu halten. In der Dunkelheit war das nicht gerade ein Vergnügen. Hin und wieder stolperte er über Steine und Gestrüppwurzeln. Einmal schlug er der Länge nach in ein stacheliges Gebüsch. Sein Gesicht wurde von Dornen zerkratzt, seine Kleidung aufgerissen. Er fluchte vor sich hin, erhob sich wieder und arbeitete voll Ingrimm weiter. Eine Lichtquelle hatte er nicht bei sich. Von der Entdeckung der englischen Segelpinasse an war für ihn alles viel zu schnell gegangen. Er hatte trotz seiner gewohnten Umsicht und Gerissenheit total
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vergessen, eine Fackel von Bord seines Einmasters mitzunehmen. Am liebsten hätte er sich deswegen geohrfeigt. Wieder spielte er mit dem Gedanken, sich sein Boot zu holen. Was scherte ihn noch die Flut, wenn es doch einen Landeingang zu dem Versteck des Schatzes gab? Nein, es hat keinen Zweck, dachte er schließlich, du darfst dich nicht zu weit von dieser Bucht entfernen! In der Zwischenzeit könnte was Unvorhergesehenes passieren. Was ist zum Beispiel, wenn die Männer der spanischen Kriegsgaleonen den Seewolf auch beobachtet haben und bald hier aufkreuzen? Dann ist der Teufel los! Und wenn du mit deinem Einmaster an der Ankerbucht des englischen Seglers vorbeiziehst? Wirst du dann nicht von den englischen Hurensöhnen entdeckt? Nein, nein, schlag dir das aus dem Kopf, es hat keinen Zweck! An der Küste fand er keinerlei Hinweis auf einen zweiten Eingang zur Grotte. Sein Tatendrang ließ nach, sein Zorn wurde wieder größer. Als der Morgen graute, übermannte ihn die Müdigkeit. Er kroch unter einen überstehenden Felsen, der sich rund fünfzig Yards von der Küste entfernt erhob, legte sich hin und zog die Beine an den Körper. Den Kopf bettete er auf seine angewinkelten Arme. In dieser Haltung schlief er ein. Seine Träume waren bewegt und warfen viele Fragen auf. Er sah einen Zweimaster über die Wellenkämme der See schweben, sah, wie sich schadenfroh grinsende Gestalten über das Schanzkleid beugten und reihenweise Kisten und Truhen an Bord zogen. Er rannte über das Wasser zu ihnen, klammerte sich an einer Kiste fest und wurde mit hochgehievt. Plötzlich riß das Tau, und er raste in einen gähnenden schwarzen Abgrund. Er schlug hart auf, richtete sich verwirrt auf und blickte über den Schein von unzähligen Feuern hinweg in die ernsten Mienen dreier Männer. Es waren der Kapitän der Galeone „Victoria“, Juan Bravo de Madinga, der Vizekönig von Peru, Don Francisco de Toledo — und der verhaßte „Lobo del Mar“, die jetzt ein
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paar Schritte auf ihn zutraten, mitten in den Flammen stehenblieben und mit den Fingern auf ihn wiesen. „Tod über dich, Sancho Ortiz!“ rief Don Francisco. „Du hast meinen Freund de Madinga auf dem Gewissen!“ „Hängen wir ihn auf!“ schrie de Madinga. „Überlaßt ihn mir“, sagte der Seewolf mit dumpfer, unheimlicher Stimme. „Meine Männer werden ihn zerreißen, sie sind schlimmer als Wölfe. Seine Überreste werfen wir den Haien zum Fraß vor.“ „Nein!“ schrie Ortiz. „Der zweite Eingang ...“ „Es gibt ihn nicht“, sagte der Vizekönig barsch. „Er will sich herausreden!“ brüllte de Madinga. „Dabei hat erst er mich zum Verbrecher abgestempelt, dieser Lügner! Er hat meinen Tod auf dem Gewissen, aber ich bin unschuldig, unschuldig, unschuldig!“ „Nein!“ rief Ortiz. Der Seewolf hatte plötzlich glühende Augen und sah wie ein echter Wolf aus. „Es existiert kein Schatz“, dröhnte seine Stimme in Ortiz’ Ohren. „Es ist alles Einbildung, Einbildung!“ Er war mit einem Satz aus dem Feuer heraus und schlug seine Reißzähne in Ortiz’ Hals. Sancho Ortiz spürte Nadelstiche in seinem Hals, dann fühlte er, wie etwas Warmes, Klebriges austrat und über seine Haut lief. Blut! Er ruderte verzweifelt mit den Armen, keilte um sich und wehrte sich mit aller Macht gegen das grausame Schicksal. Er schlug die Augen auf und sah ein Stück blauen Himmel. Verwirrt richtete er sich von seinem primitiven Lager auf. Er war am ganzen Körper mit Schweiß bedeckt, vom Gesicht liefen die Ausdünstungen in Rinnsalen auf seinen Hals und seine Brust hinunter. Seine Zunge lag wie ein pelziger Klumpen in der Mundhöhle. Er verspürte Hunger und Durst und das Bedürfnis, sich zu waschen. Schwer atmend stand er auf. Die wilden Alpträume hatten seine Gedanken beeinflußt und durcheinandergebracht. Er mußte sich geistig erst wieder orientieren, bevor er etwas Sinnvolles unternehmen konnte.
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Der Schatz! Die Grotte! Der zweite Eingang! Unnachgiebig und hart gegen sich selbst forschte er weiter. Er legte sich ein System zurecht, nach dem er in größer werdenden Abständen an dem Buchtufer auf- und abmarschierte, ohne auch nur einen Winkel auszulassen. Die Sonne kletterte höher und stand bald im Zenit. Ortiz schwitzte, als stünde er unter größten körperlichen Anstrengungen. Die Zeit drängte, seine Nervosität kam wieder an die Oberfläche. Er sah Seevögel, die kreischend ihre Kreise über ihm zogen, schüttelte die Fäuste gegen sie und verfluchte sie. Es wurde Nachmittag. Sancho Ortiz legte eine kurze Pause ein. Durst und Hunger begannen ihn jetzt erst richtig zu quälen, doch er gönnte sich keine größere Unterbrechung. Es gab im näheren Umkreis weder eine Trinkwasserquelle noch Büsche mit Beeren oder sonstiges Eßbares. Er hätte weiter ins Landesinnere ziehen müssen, um sein Nahrungsbedürfnis stillen zu können. Doch ebenso gut hätte er nach Chorillos gehen oder zu seinem Einmaster zurückkehren können, unter dessen Duchten Proviant verstaut war. Nein, sagte er sich immer wieder, noch nicht! Nicht lockerlassen, Sancho! Er kletterte durch das zerklüftete Umland der Schatzbucht. Über einen kurzen, flachen Hang gelangte er auf eine Geröllmulde. Er wollte sie überqueren, weil er sich von ihr auch nichts erhoffte — da wurde seine Aufmerksamkeit unversehens durch eine Bewegung gefesselt. Unwillkürlich tastete er nach der Pistole, die in seinem Gurt steckte. Dann ließ er die Hand wieder sinken. Was er entdeckt hatte, war nichts weiter als eine Ratte. Sie lief vor ihm davon und verschwand unter einem Felsbrocken. Verdammtes Biest, dachte er. Er wollte weitergehen. Aber dann stutzte er doch. Die Ratte, dachte er, das elende Scheusal ist unter einem Stein verschwunden und nicht wieder aufgetaucht. Was bedeutet das?
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Er stieg zu der Stelle hoch, ließ sich auf die Knie nieder und rüttelte zunächst nur ein wenig, dann aber energischer an dem Brocken. Plötzlich löste er sich und rollte ihm direkt vor die Knie. Sancho Ortiz reckte seinen hageren Leib, hob den Kopf —und blickte in den dunklen Einstieg zu einem Gang. * Er war nicht mehr zu bremsen. Er schlug die Hände zusammen, lachte und gebärdete sich wie ein Kind. Außer sich vor Freude wälzte er sich auf dem staubigen Untergrund. Dabei stammelte er Worte wie „O verdammt“ und „Santa Maria“ und „dieser ausgekochte Hund de Madinga“. Schließlich erhob er sich wieder auf die Beine und taumelte voran. Stolpernd gelangte er an den Eingang, den er soeben freigelegt hatte. Er setzte sich auf seinen Rand, streckte die Beine in die Öffnung und ließ sich langsam hinuntergleiten. Seine Füße erreichten den Boden des unterirdischen Ganges. Er kicherte, ließ sich ganz sinken und bückte sich, um oben nicht mit dem Kopf anzustoßen. Seine Augen waren an das grelle Sonnenlicht gewöhnt, er blinzelte, um sich auf das Dunkel im Gang einzustellen. Mit etwas linkischen Bewegungen hastete er schließlich weiter. Er lief zu schnell, wurde unachtsam und stieß mit der Stirn gegen eine in den Stollen ragende Felsnase. Fluchend rieb er sich die schmerzende Stelle. Die Pein dämpfte seinen euphorischen Gemütszustand etwas. Von jetzt ab schlich er nur noch und gab sich dabei Mühe, auf jede Unebenheit seiner düsteren Umgebung zu achten. Bald war es stockfinster. Er konnte nicht mehr die Hand vor Augen sehen. Als er sich umdrehte, vermochte er auch nicht mehr das Einstiegsloch zu erkennen. Es war verschwunden, denn der unterirdische Gang verlief in vielen Windungen durch den Felsen. Somit befand sich der
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Zweiteingang nicht mehr in Sancho Ortiz’ Sichtbereich. Er fluchte. Es hatte keinen Sinn, weiterzugehen, er riskierte dabei Kopf und Kragen. Was war, wenn sich plötzlich irgendwo ein in die Tiefe führender Nebenstollen auftat? Er würde glatt hineintreten und sich zu Tode stürzen. Langsam verrauchte seine Wut wieder. Hatte er nicht endlich die Schatzhöhle entdeckt? Es gab keinen Zweifel, sie mußte es sein, denn sie führte im stetigen Gefälle zur Bucht hinunter, dorthin, wo die Engländer in der Nacht mit ihrer Pinasse angelegt hatten. Er lachte wieder. Grinsend drehte er sich um und tastete sich wie ein Blinder zurück. Sobald er wieder etwas Licht hatte, beschleunigte er seinen Schritt. Etwas später hatte er das Schlupfloch erreicht. Er brauchte etwas, das ihm zu Licht im Gang verhalf. Eine Fackel. Aufgeregt begab er sich ins Freie, rannte die Geröllmulde hinunter und sah sich nach Bäumen um. Von einer Pinie brach er einen tief herabhängenen Ast ab. Das kostete ihn einige Anstrengung, denn der Ast war nicht ausgestorben und ausgetrocknet, sondern bot heftigen Widerstand – so als wolle er sein Vorhaben boykottieren. Sancho Ortiz ließ nicht locker. Seine Finger waren bald über und über mit Baumharz bedeckt. Er bekam den Ast endlich los und trug ihn zu dem Grotteneingang. Voll Ungeduld nestelte er ein Stück Lunte und einen Feuerstein aus seiner Hose hervor. Er brachte die Lunte zum Glimmen, zündete den stark harzhaltigen, armdicken Ast an und drang wieder in den Gang ein. Die einfache Fackel drohte bei seinen Bewegungen zu erlöschen. Er mußte stehenbleiben und sie tiefer halten, damit das Feuer sich wieder neu entfachte. Mit starkem Pusten brachte er die Flamme zum Auflodern, sie stieg bis zur Höhlendecke empor und verbreitete zuckendes, anheimelndes Licht. Zügig marschierte er voran. Er erkannte den Platz wieder, an dem er notgedrungen
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hatte verharren müssen. Tiefer und tiefer drang er in den langen Gang vor. Das Beutefieber packte ihn. Nach ungefähr einer Viertelstunde entdeckte er linker Hand die Öffnung einer hochliegenden Nebengruft. Vor Ungeduld begann er zu keuchen. Er trat ein, leuchtete die kleine Höhle mit der Behelfsfackel ab und schrie begeistert auf. Neun Kisten standen auf dem schroffen Felsboden. Sancho Ortiz legte die Fackel hin, schritt auf die Kisten zu und sank ergriffen auf die Knie. In seinen Augen lag ein Flackern. Seine Finger strichen zärtlich über die Deckel der eisenbeschlagenen Behälter, seine Lippen waren unaufhörlich in Bewegung und formulierten bewundernde Laute und hastig ausgestoßene Sätze. „Ihr Lieben, ihr Guten — Sancho hat euch endlich gefunden! Laßt euch umarmen, ihr seid mein!“ Er öffnete den ersten Kistendeckel und stöhnte auf. Smaragde und Rubine und jegliche Art von Edelsteinen lachten ihn an! Außer sich vor Begeisterung kroch er auch zu den nächsten Truhen und riß ihre Deckel auf. Als alle neun Kisten offenstanden, eilte er von einer zur anderen, griff mit den Händen in die Diamanten- und Perlenberge und ließ das wertvolle Gut an sich herabrieseln. Tränen der Freude flossen über sein Gesicht. Er kicherte. „Seid umschlungen“, stieß er immer wieder aus. „Ihr seid mein! Meine heißgeliebten, wohlverdienten Schätze!“ Ja, sie waren sein, denn er hatte dem Kapitän Juan Bravo de Madinga nachspioniert. Er war in das Achterkastell der „Victoria“ eingedrungen und hatte nach der Küstenkarte geforscht, von deren Existenz er gewußt hatte. Ihm stand das Vermögen zu, alle anderen, die es an sich reißen wollten, waren Verbrecher. Sancho Ortiz hatte beide Hände voll Perlen, als ihm wieder die verfluchten englischen Bastarde einfielen. Fluchend warf er die schimmernden Steine in ihre Kiste zurück, stand auf und blickte sich um. Seine Augen
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hatten einen wilden, unsteten Glanz, seine Lippen waren feucht. „Don Francisco de Toledo“, sagte er. „Jahrelang habe ich hart für dich geschuftet. Jetzt endlich habe ich mich für meine treuen Dienste belohnt — angemessen, nicht mit einem schändlichen Hungergeld, wie du es mir gezahlt hast. Glaubst du, ich lasse mich noch zurückdrängen? Nein!“ Seine Stimme hallte schaurig von den Grottenwänden wider. „Weder du noch die Ingléses — keiner kriegt meinen Schatz!“ Bevor der Seewolf und seine Leute zurückkehrten, wollte er das Versteck ausgeräumt haben. Er klappte den Deckel der ersten von ihm geöffneten Truhe zu. Nachdem er sie sorgsam verriegelt hatte, versuchte er sie anzuheben. Sie wog sehr schwer. Er konnte sie nicht tragen — nur ziehen. So zerrte er sie zum Durchschlupf zwischen Nebengruft und Hauptgang. Die auf dem Boden liegende Behelfsfackel brannte noch und streute rötliches Licht aus. Als Ortiz mit seiner Kiste den Hauptgang erreicht hatte, umgab ihn jedoch bereits wieder Finsternis. Die Flamme der Fackel warf nur noch einen schmalen Lichtstreifen durch die Öffnung in der Wand. Er ließ die Kiste stehen und kehrte in die Nebengruft zurück. Eine Weile stand er und überlegte. Dann warf er in einem plötzlichen Entschluß die Kistendeckel zu, riegelte sie ab und las die Fackel vom Boden auf. Er trug sie in den Hauptgang und hielt nach einer Befestigungsmöglichkeit Ausschau. Legte er die Fackel einfach wieder auf den Boden, erhielt er nur wenig Licht und riskierte außerdem, daß sie erlosch, weil sie schon ziemlich weit abgebrannt war und sich im unteren Teil des Astes nicht mehr so viel Harz befand wie im oberen. Ortiz entdeckte eine Spalte im Gestein und steckte die Fackel hinein. Für die Weiterbeförderung der Schatzkiste benötigte er beide Hände. Er zerrte sie die Steigung hinauf. Nach zwei Biegungen des Ganges reichte das Fackellicht nicht mehr aus. Er mußte die
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Lichtquelle holen und weiter voraus neu anbringen. In der Hand halten konnte er sie unmöglich, mit nur einer Hand brachte er die schwere Kiste einfach nicht vorwärts. So bugsierte er die Kiste in Etappen zum Landausstieg der Grotte hinauf. Er wußte nicht mehr, wie weit es bis zum Ausstieg war und wie spät es sein mochte. Er hatte jedes Raum- und Zeitmaß verloren. Er dachte nur noch an den Inhalt der neun Kisten und an das großartige Leben, das er als reicher Mann führen würde. Nach Europa würde er zurückkehren, aber natürlich nicht nach Spanien! In Italien wollte er sesshaft werden, sich ein Schloß in der Toskana kaufen und herrliche Gelage mit viel Rotwein und hübschen jungen Frauen halten. Er kicherte wieder. Endlich würde er nicht mehr voll Neid zu dem Vizekönig in Lima aufschauen, sondern wie jener leben! Schweißgebadet erreichte er den Ausstieg. Es hatte ihm einige Kraft abverlangt, die schwere und unhandliche Kiste den Gang hinaufzuziehen. Das Geröll hatte ihn stark behindert. Doch das schwierigste Stück Arbeit lag noch vor ihm. Er mußte die Kiste ins Freie hieven. Zunächst holte er die Fackel wieder, löschte sie und warf sie nach draußen auf die Geröllmulde. Danach stellte er die Kiste so auf, daß sie auf ihrer rechten Seitenfläche ruhte und in ihrer Länge nach oben aufragte. Er kletterte über sie nach draußen, drehte sich um und griff wieder in das Loch. Er bekam sie zu fassen und zerrte mit aller Macht an ihr. Ein heftiger Ruck ging durch seinen Körper. Mit zusammengebissenen Zähnen und wild verzerrtem Gesicht lüftete er die Schatzkiste an. Er spürte ein schmerzhaftes Reißen in seinem Unterleib und glaubte, er würde es nicht schaffen. Der Schmerz fraß sich durch seinen Leib und breitete sich mehr und mehr aus. Endlich sah er den Rand der Truhe, zerrte sie über den Rand des Höhleneinganges und ließ sie überkanten. Hart setzte sie auf. Sancho Ortiz ließ sich neben ihr zu Boden sinken. Mehrere Minuten lag er keuchend da und wartete, daß der Schmerz nachließ
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und seine Kräfte wiederkehrten. Er war ein Mann, dessen ganzes Können sich auf Intrigenspiel und andere Hinterhältigkeiten beschränkte. Körperliche Arbeiten war er nicht gewöhnt. Aber der unbändige Wunsch, den verhaßten Engländern den Schatz zu entreißen, zwang ihn wieder hoch. Verbissen umklammerte er den Griff der Kiste. Er beförderte sie in die Geröllmulde. Von hier aus ging alles relativ einfach: sie rutschte mit ihm nach unten, kam wieder zum Stehen und befand sich jetzt nur noch ein paar Schritte von einem knorrigen Gestrüpp entfernt. Sancho Ortiz lachte auf, es klang irre. Unter Kichern zog er seine Beute in das Dickicht. Er suchte ein paar Zweige zusammen und verteilte sie so auf der Kiste, daß sie vollständig getarnt war. Er stieg die Geröllmulde hoch und steuerte von neuem auf den Einstieg des unterirdischen Ganges zu. Vergessen waren Wut, Durst und Hunger, vergessen auch bereits die Mühe, die ihm der Abtransport der ersten Kiste bereitet hatte. Er wollte bis zur völligen Erschöpfung arbeiten. Plötzlich blieb er stehen. Er folgte einem unerklärlichen inneren Drang und kletterte eine Anhöhe hinauf. Am Stand der Sonne erkannte er nun, daß es Spätnachmittag war. Die Stunden waren wie im Flug verstrichen. Sancho Ortiz hielt einen Rundblick über das felsige Ufer der Schatzbucht und die See - und fuhr plötzlich zusammen. Von Süden segelte die Pinasse der Engländer heran. Er ballte die Hände. Hart traten die Adern an seinen Schläfen und am Hals hervor. „Maldichos ingleses“, sagte er voll Haß. „Der Teufel soll euch holen. Fahrt zur Hölle!“ Hatte er noch auf einen günstigen Zufall gehofft, beispielsweise darauf, daß der Verband der spanischen Kriegsgaleonen endlich auf die Gegner aufmerksam geworden war und ihnen einen Hinterhalt gelegt hatte, so wurde er innerhalb der nächsten Minuten bitter enttäuscht. Die
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Pinasse hielt auf die Einfahrt der Cförmigen Bucht zu und glitt herein. Sancho Ortiz wurde von ohnmächtiger Wut und Panik ergriffen. Er hatte erst eine Kiste geborgen! Er mußte seinen Schatz verteidigen -aber wie? 8. Dieses Mal hatte der Seewolf nur vier Männer mitgenommen. Er brauchte Platz für die restlichen neun Schatzkisten aus der Grotte. So hatte er aus den Reihen der kräftigsten Männer seiner Crew ausgewählt: Al Conroy und Gary Andrews von der alten Stammbesatzung, Batuti, den mächtigen Gambia-Neger, und Buck Buchanan, einen der ehemaligen KaribikPiraten. Buck war groß wie ein Kleiderschrank, semmelblond, helläugig. Vom Gemüt her wirkte er ziemlich schwerfällig, und er war auch wirklich alles andere als ein Schnelldenker. Aber im Kampf mit Gegnern verwandelte er sich in einen wütenden Stier, der verdammt schnell mit denen aufräumte, die das Pech hatten, sich gerade in seiner Nähe zu befinden. Außerdem war er in der Lage, allein eine der schweren Schatztruhen auf seinen kolossalen Schultern zu tragen. Und darauf kam es Hasard an. Er wollte die Grotte so flink wie möglich ausräumen und zur „Isabella III.“ zurücksegeln, damit sie auf Nimmerwiedersehen aus dieser Gegend verschwinden konnten. Er wußte, daß es irgendwann zwangsläufig zur Konfrontation mit dem spanischen Kriegsgaleonenverband kommen mußte. Ebenso dachte er immer noch an den mysteriösen Einmaster. Nach wie vor wußte er sich auf dessen Auftauchen keinen Reim zu bilden. Er hatte den Eindruck, daß das Küstengebiet von Callao allmählich mehr als brenzlig für sie wurde. Gary Andrews kauerte im Bug der Segelpinasse. Er .hielt angestrengt Ausschau, als sie sich jetzt dem Grotteneingang näherten. „Ein guter Gedanke, eher aufzubrechen“, sagte er. „Das Wasser läuft zwar noch ab,
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aber wir können schon in die Grotte eindringen. Oder hat jemand Angst vor nassen Füßen?“ „Batuti nicht“, gab der Neger zurück. „Batuti ist ganz verrückt auf Schatz.“ Sie manövrierten an die Grotte heran. Einige Zeit mußten sie wieder darauf verwenden, die Pinasse zu vertäuen. Erst als sie völlig sicher waren, daß sie nicht abtreiben konnte, begaben sie sich auf den Marsch durch den langen Gang. Alle fünf hielten Fackeln, aber auf die Musketen verzichteten sie diesmal, um die Hände für die Kisten frei zu haben. Hasard trug als Waffen seinen Degen und seine Reiterpistole, die anderen waren mit Messern und Pistolen ausgerüstet. Zu Anfang reichte ihnen das Wasser noch bis zu den Knien. Dann aber gelangten sie auf freien, wenn auch feuchten und schlüpfrigen Untergrund. Sie kletterten über das Geröll und erreichten die Flutgrenze, schritten nun zügiger aus und blieben schließlich vor dem Durchlaß zur erhöht liegenden Nebengruft stehen. „Das Tor zum Reichtum“, sagte Gary Andrews. „Wie findet ihr das?“ „Sehr gut. An dir ist ein Poet verlorengegangen“, erwiderte Al Conroy. Er hielt seine Fackel höher, begab sich neben Hasard in die Gruft und ließ seinen Blick über die gut erhaltenen Schatzkisten streifen. Plötzlich sah er seinen Kapitän an. „Sag mal, hast du nicht von neun Kisten gesprochen?“ „Ja.“ „Dies sind nur acht!“ Hasard stutzte. Ja, Al Conroy hatte recht, einer der schweren Behälter fehlte. Was ging hier vor? Rasch faßte er seinen Entschluß. „Los, schafft die Kisten so schnell wie möglich zur Pinasse. Ich werfe mal einen Blick in den hinteren Teil des Ganges.“ „Brauchst du Beistand?“ fragte Al Conroy. „Nein. Es ist wichtiger, daß ihr die Kisten zum Boot bringt. Wenn ich den oder die Burschen finde, die die neunte Kiste geraubt haben, schlage ich Alarm.“ Er nahm sich eine Fackel und trat wieder in den Gang hinaus. Während die vier
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Männer mit dem Kistentransport begannen, wanderte er weiter die Steigung hinauf und näherte sich dem Landausstieg. Er bewegte sich mit äußerster Vorsicht voran. Die ganze Zeit über war er auf Überraschungen gefaßt. Von selbst konnte sich die neunte Truhe nicht davongestohlen haben. Und gezählt hatten sie bei ihrem ersten Abstecher in die Schatzhöhle auch richtig, ein Irrtum war ausgeschlossen. Entweder hatten die Spanier ebenfalls bereits ihre Finger auf dem Schatz - oder es gab in der Grotte Gespenster, was höchstens ein verrückter, abergläubischer Mensch annehmen konnte, nicht ein Philip Hasard Killigrew aus der alten Seeräubersippe, deren Stammfeste Arwenack in Cornwall stand. Er gelangte auf weichen Untergrund. Hier blieb er stehen, senkte die Fackel etwas und suchte den Boden ab. Zwischen dem verstreut liegenden Geröll breiteten sich Sandflächen aus. An einer Stelle entdeckte Hasard, wonach er gesucht hatte. Abdrücke im Boden! Er hielt Fußspuren und längliche Fährten auseinander. Die länglichen Abdrücke rührten zweifellos von einem schweren Gegenstand her - von der Schatzkiste. Ein einzelner Mann hatte sie gezogen. Wer? Hasard war gewarnt. Er bückte sich und legte die Finger vorsichtig in die Spuren. Sie waren ganz frisch. Möglicherweise hielt sich der Fremde noch in der Nähe auf. Wo? In der Höhle? Hasard prüfte routinemäßig die Ladung seiner doppelläufigen Reiterpistole und den Sitz des Degens. Dann schlich er weiter. Ständig auf eine jähe Gegenüberstellung mit dem Widersacher vorbereitet, pirschte er sich allmählich bis an den Auslaß heran. Rund zwanzig Schritte davor rammte er seine Fackel in eine Felsspalte. Er hielt wieder nach allen Seiten Ausschau, entdeckte aber nichts, was seinen weiteren Argwohn erregte. In lauernder Haltung schob er sich auf den Geröllhaufen zu, der den Abschluß der Höhle bildete. Er erreichte ihn, untersuchte ihn und wußte, daß sich der Gegner nicht im Gang aufhielt.
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Mißtrauisch beäugte er den Stein, der auf dem Ausstieg lastete. Er hatte sich bei der ersten Expedition ganz genau eingeprägt, wie der Brocken gelegen hatte. Jetzt hatte er eine andere Position. Hasard grinste verwegen. So raffiniert der Mann vorgegangen war, er hatte doch erhebliche Fehler begangen. Er hätte die Spuren verwischen und den Stein besser auf das Ausstiegsloch rollen sollen. Aber vielleicht war er überrascht worden. Wer eine Kiste holt, der will auch die anderen, dachte Hasard. Er rechnete stark damit, daß der Fremde die Segelpinasse entdeckt und daraus seine Konsequenzen gezogen hatte. Lag er im Freien versteckt? Oder hatte er es angesichts der Übermacht vorgezogen, zu verschwinden? Hasard beschloß, die Probe aufs Exempel zu unternehmen. Er kauerte sich unter den Stein, hob die Arme und drückte die Fingerkuppen gegen die Unterseite. In dieser Haltung wartete er einen Augenblick ab. Dann stieß er den Felsbrocken mit einem Ruck von sich. Er rutschte vom Ausstieg und holperte mit Getöse zur Geröllmulde hinunter. Hasard lauschte und hütete sich, seinen Kopf nach draußen zu strecken. Nichts geschah. Das Licht des ausklingenden Tages fiel in den Zweitausgang der Grotte. Der Seewolf hockte neben dem Streifen, den es auf den Boden des Ganges zeichnete. Natürlich erwartete er nicht, daß der Fremde so dumm war, in die Höhle zu schauen. Aber er wartete auf ein Geräusch, auf etwas, das von der Anwesenheit des Unbekannten zeugte. Nichts. Vergeudete er seine Zeit? War der Bursche längst mit der Kiste verschwunden? Hasard überlegte. Er konnte nicht einfach zu seinen Männern zurückkehren, ihnen beim Verstauen der acht Kisten helfen und im übrigen so tun, als wäre nichts geschehen. Zumindest mußte er sich genau davon überzeugen, daß sich niemand mehr in der Nähe befand, der ihnen in die Quere geraten konnte.
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Er legte die Hände in den Ausstieg, klammerte sich fest, stieß sich vom Boden ab und hechtete ins Freie. Sofort rollte er sich auf dem Boden ab, sprang wieder auf und drehte sich um. In diesem Moment blieb er wie erstarrt stehen. Er blickte in die Mündung einer Radschloßpistole. Sie war auf seinen Kopf gerichtet und ließ keinen Zweifel über die Absichten ihres Besitzers offen — zumal der Mann ihm kein Fremder war. Hasard musterte das schmale Gesicht des Mannes und las glühenden Haß in seiner verzerrten, unendlich verschlagen wirkenden Physiognomie. „Sancho Ortiz“, sagte er. „Das habe ich mir doch gedacht.“ Ortiz erhob sich langsam. Er hatte direkt über dem Ausstieg gelauert. Seine Augen waren schmal und funkelten tückisch. Eigentlich überragte der Seewolf ihn um gut einen Kopf, aber jetzt schaute der Spanier triumphierend auf seinen Erzfeind hinunter, da er auf einer Art Felsempore über ihm stand. Die Beine hielt er leicht angewinkelt. Er grinste ein wenig, aber Hasard gab sich keinen falschen Hoffnungen hin. Wenn Ortiz auch vor Wut und Haß zitterte —er würde ihn nicht verfehlen. „El Lobo del Mar“, sagte Ortiz. „Verdammter schwarzhaariger Bastard, die Stunde der Abrechnung ist gekommen. Wie lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet, welche Entbehrungen hat mich das alles gekostet!“ Er starrte in das harte Gesicht des Feindes und wartete darauf, daß dessen Miene in sich zerfiel, daß der Kerl um Gnade flehte. Der Seewolf grinste aber nur und erwiderte Ortiz’ Blick furchtlos aus seinen eisblauen Augen. Die Narbe, die sich von seiner Stirn bis auf die linke Wange hinabzog, schien den Ausdruck des Hohnes und der Verachtung noch zu verstärken. „Du armer Tropf“, sagte Hasard. „Ja, du bist wirklich zu bedauern.“ Ortiz hob die Pistole etwas und hielt sie nun am ausgestreckten Arm. Sein Zeigefinger spannte sich um den Abzug.
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„Schieß“, sagte Hasard. „Auf was wartest du noch?“ Soviel Kaltblütigkeit hatte Sancho Ortiz noch nicht erlebt. Etwas kochte in seinem Inneren über. 9. Im letzten Moment beherrschte er sich. Er hätte jetzt gern in dieses grinsende, geradezu teuflisch verwegene Gesicht gefeuert, aber er hielt sich mit aller Macht zurück. Seine Stimme klang leise und drohend. „Ich brauche dich noch, sonst wäre es jetzt mit dir aus gewesen, Lobo del Mar. Los, wir gehen in die Höhle. Ich warne dich. Eine Dummheit, ein fauler Trick, und ich schieße dir eine Kugel in den Kopf.“ Er ließ sich den flachen Hang der Empore hinuntergleiten und setzte neben dem Einlaß zum unterirdischen Gang auf. Hasard ließ ihn nicht aus den Augen. Er hoffte auf einen Ausweg, aber Sancho Ortiz blickte ihn ebenso unverwandt an. Dieser Ex-Spion des Vizekönigs war nicht zu unterschätzen! Er würde wirklich nicht zögern, ihn niederzuschießen, wenn es hart auf hart ging. Darauf konnte Hasard es im Augenblick nicht ankommen lassen. Die Chancen standen zu ungünstig für ihn. Einen Ausfall zu unternehmen, hieß Selbstmord begehen. Sein Degen und seine doppelschüssige Reiterpistole steckten wie zwei entfernte, unerreichbare Fremdkörper in seinem Gurt. Er würde höchstens die Finger an den Griff einer Waffe legen, zum Herausziehen blieb ihm keine Zeit, Ortiz drückte vorher ab. Hasard fügte sich. Ortiz trat hinter ihn, setzte ihm die Mündung seiner Radschloßpistole an den Nacken und sagte: „So nah warst du dem Tod noch nie, du Hund.“ „Du wiederholst dich.“ Ortiz nahm Hasard die Waffen ab, steckte sie sich selbst zu und drückte dem Gefangenen den Pistolenlauf in den Rücken. „Beweg dich. Wir unternehmen einen kleinen Spaziergang.“
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Hasard mußte vor ihm durch den Einstieg in den Gang zurückkriechen. Ortiz schwieg vorläufig. Er hielt sich dicht hinter ihm. Mit der Pistole im Anschlag ließ er sich hinter ihm zu Boden und stand nun mit ihm in der Höhle. Hasard hatte gehofft, daß die Fackel erloschen war, aber er wurde enttäuscht. Wieder war ihm keine Fluchtmöglichkeit vergönnt. Die Fackel steckte in der Felsspalte und brannte nach wie vor. Ohne sein Wissen hatte er sich zuvor selbst eine Chance verbaut. Ohne Licht hätte er es riskiert, sich vor dem Bewacher aus dem Staub zu machen, die Dunkelheit hätte ihn schützend aufgenommen. Er streckte die Hand nach der Fackel aus. „Halt!“ sagte Ortiz. „Das könnte dir so passen. Du hättest Lust, mir die Flamme ins Gesicht zu schlagen, was?“ Er lachte leise, dirigierte Hasard an der Fackel vorbei und nahm sie selbst an sich. „Weiter“, drängte er. „Weiter, nicht mehr stehenbleiben.“ Der Seewolf zeigte sich gehorsam. Er legte sich eine neue Taktik zurecht. Zunächst wollte er Ortiz glauben lassen, daß er wirklich jeden Fluchtund Widerstandsgedanken fallengelassen hatte. Dann konnte er zu einer List ausholen. Wenn er sich schon nicht selbst dem Griff des Verbrechers entziehen konnte, wollte er wenigstens veranlassen, daß seine Männer ihm Hilfe leisteten. Er mußte sie warnen. Sie befanden sich rund fünfzig Schritte von der eigentlichen Schatzgrotte entfernt, da begann Hasard plötzlich wieder zu reden. „Ich hatte also doch recht mit meinem Verdacht, Ortiz.“ Ortiz antwortete nur widerstrebend, war aber doch neugierig. „Wovon sprichst du?“ „Von dem einmastigen Fischerboot. Ich habe es vorbeisegeln sehen, war aber nicht ganz sicher, ob du der Mann an Bord warst.“ „Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen“, sagte. der Spanier. „Anfang Mai war ich bereits in Peru, kehrte aber nicht zum Hof des Vizekönigs zurück, sondern brach gleich nach Callao auf und
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nahm das Boot. Ich habe lange gewartet, aber es hat sich gelohnt.“ „Ja. Und die spanischen Kriegsgaleonen, die hier kreuzen?“ „Sei still, Bastard.“ Hasard fuhr unbeirrt fort. „Ich schätze, ihr Auftauchen bringt auch für dich Verdruß. Natürlich ist der Vizekönig hinter dir her. Jemand hat ihm gemeldet, daß du zwar in Panama mit dem Leben davongekommen bist, als wir die Galeonen versenkten, aber doch wohl keine Lust hattest, ihm Genaueres über Juan Bravo de Madingas geheime Unterschlagungsaktionen noch mitzuteilen. Stimmt’s?“ Ortiz zischte zurück: „Wenn du nicht augenblicklich schweigst, ziehe ich dir den Pistolenkolben über den Schädel. Ich weiß, daß deine Leute in der Nähe sind. Sie könnten uns hören und so gewarnt werden.“ Hasard lachte auf. „Die haben längst die restlichen acht Kisten in unsere Pinasse verfrachtet und warten am Wasser auf mich, Ortiz. Du kriegst den Schatz nicht mehr vollständig, sondern mußt dich auf die eine Kiste beschränken, die du irgendwo dort draußen versteckt hast.“ „Still!“ „Und wenn du mich tötest, werden dich meine Männer jagen, bis sie mich gerächt haben. Es sei denn, sie überlassen dich deinen Landsleuten. Falls die dich mit der einen Schatzkiste antreffen, ist der Fall für sie klar. Sie werden dich zum Vizekönig nach Lima bringen, und der sucht sich einen schönen, harten Holzblock aus, auf dem er dich köpfen kann.“ Ortiz wurde wütend und vergaß seine Vorsicht. „Al diablo, Seewolf, das könnte dir so passen! Du hast vergessen, daß ich dich als Geisel in der Hand habe und keiner deiner Hurensöhne etwas gegen mich unternehmen kann. Ich werde mich deiner bedienen, bis wir außer Gefahr sind. Hölle und Verdammnis, mich kriegt keiner – keiner, hörst du?“ Sie waren jetzt höchstens noch zwanzig Schritte von der erhöht liegenden Seitengrotte entfernt. Hasard hoffte inständig, daß sich seine Männer noch
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nicht zur Segelpinasse zurückgezogen hatten. Er blieb vor dem Durchlaß zwischen Hauptgang und Gruft stehen, spürte aber sofort wieder die Pistole im Rücken. Er trat ein. Zwei Kisten ruhten noch auf der. Felsensohle. Einer seiner Männer war soeben dabei, die eine aufzuheben – es war Buck Buchanan. Verblüfft setzte er sie wieder ab. „He, Moment mal, Hasard, was – was ist denn jetzt passiert?“ Hasard preßte die Lippen zu einem Strich zusammen. Er hatte es geahnt! Seine Vorkehrungen waren umsonst gewesen! Ausgerechnet Buchanan, der nie schnell schaltete, befand sich in der Seitengruft! Resignierend ließ er die Arme sinken und zuckte mit den Schultern. „Keine Dummheiten, Mann“, sagte Ortiz in gebrochenem Englisch. „Ich strecke deinen Kapitän nieder, wenn du dich nicht ergibst. Nimm die Hände hoch.“ „Aber ...“ „Tu, was er sagt“, befahl der Seewolf. Buck Buchanan hob langsam die Arme und hatte große, bestürzte Augen. Und doch hatte Hasard plötzlich den Eindruck, daß sein Entsetzen irgendwie gespielt war. Er kam nicht dazu, seine Überlegungen weiterzuführen. Ortiz stieß ihn wieder mit der Pistole an. „Nimm einen Stein auf, Mann. Geh zu dem Narren dort hinüber und schlag ihn nieder. Wir brauchen ihn nicht, er ist uns nur lästig.“ Als Hasard zögerte, hob er die Waffe höher und drohte: „Du erhältst einen Genickschuß, wenn du nicht parierst.“ Hasard bückte sich und klaubte einen etwa faustgroßen Felsbrocken auf. Langsam ging er damit auf Buck Buchanan zu. Der begann plötzlich zu grinsen und wich zurück. Hasard sagte: „Bleib stehen, Buck, ich habe den Befehl, dich bewußtlos zu schlagen, sonst erschießt dieser wahnsinnige Spanier mich wirklich.“ Der kleiderschrankgroße Mann trat weiter zurück. „Das laß ich mir nicht bieten“, sagte er – und grinste immer noch.
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Sancho Ortiz schloß nun auf. Er hielt die Pistole in Hasards Genick gedrückt und rief: „Satan von einem maldicho ingles! Wenn du nicht auf der Stelle gehorchst, ist es aus mit deinem Capitan!“ Der Seewolf schritt dem zurückweichenden Buchanan nach und konstatierte mit einem Mal, daß die Schatzgrotte eine Felsspalte aufwies, die er bei seinen vorherigen Abstechern nicht entdeckt hatte. Ganz nah ging er jetzt an dieser Spalte vorbei und glaubte, die Bewegungen eines Körpers darin zu bemerken. Er strebte weiter Buchanan nach und spürte äußerste Erregung in sich aufsteigen. Noch zwei Schritte, und es war soweit. Hinter ihm huschte ein schwarzer Schatten aus dem Felsspalt. Das Grinsen fiel von Buck Buchanans Gesicht ab wie eine Maske, er duckte sich und brüllte: „Vorsicht Hasard!“ Philip Hasard Killigrew zog den Kopf ein, krümmte den Rücken und ließ sich nach vorn fallen. Buck wich vor ihm aus, sonst wären sie zusammengeprallt. Hinter Hasard warf sich der riesige Gambia-Neger auf den Gegner: Batuti, der mit Buchanan bei den Schatzkisten gewesen war und rasch gehandelt hatte, als er Hasards und Ortiz’ Stimmen vernommen hatte. Er hatte sich in den Spalt gedrückt und war buchstäblich eins mit ihm geworden. Wegen seiner dunklen Hautfarbe hatte man ihn absolut nicht erkennen können. Batuti schlug zu und riß mit einem einzigen furchtbaren Hieb Ortiz’ Pistolenarm hoch. Gleichzeitig ließ er eine Faust auf dessen Schädel niedersausen. Sancho Ortiz schrie gellend auf. Er zog aber den Zeigefinger noch durch. Donnernd löste sich der Schuß aus der Radschloßpistole. Sein Krachen pflanzte sich als grollendes Echo durch die gesamte Höhle fort. Die tödliche Ladung schlug wirkungslos in die Grottendecke. Ortiz sackte auf die Knie, neigte sich vornüber und schlug hin. Buck Buchanan glitt an seinem Kapitän vorüber. Hasard wirbelte herum und sah, wie er ein Messer aus dem Gurt zog.
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Buck warf sich auf Ortiz und rammte ihm die blitzende Klinge in den Rücken. Der Spanier zuckte zusammen, warf sich auf die Seite und strampelte vor Wut und Schmerz mit den Beinen. Bald fehlte ihm die Kraft dazu. Er blieb wimmernd liegen. Hasard war neben ihm, als er seine letzten Flüche ausstieß. „Vayase al diablo, Engländer — geh zum Teufel! Cojones los ingleses, alle Engländer sind Dreckskerle ...“ Er brach ab und stöhnte mit verzerrtem Gesicht. „Wo liegt die Schatzkiste, die du geborgen hast?“ fragte Hasard. Er sah den Kerl leiden, aber er empfand kein Mitleid, wenn er nur daran dachte, daß er sie alle hatte umbringen wollen. „Das — das erfährst du nie“, keuchte Ortiz. „Wir finden sie auch so.“ „Die Pest soll dich dahinraffen, du Bastard!“ „Bist du allein oder hast du Verbündete? Sprich!“ Ortiz gab eine lästerliche Verwünschung von sich, dann sagte er: „Rate doch. Zerbrich dir den Kopf. Du wirst es — nie herauskriegen — nie ...“ „Ich drücke ihm den Hals zusammen“, sagte Buck Buchanan leise, gefährlich leise. Batuti kauerte neben ihm. Er sah im selben Moment wie der Seewolf, wie Ortiz’ Augen einen starren Glanz erhielten und sich nicht mehr regten. „Nicht mehr nötig“, sagte er. „Don ist hin. Geschieht ihm recht.“ Hasard nahm dem Toten seinen Degen und die doppelschüssige Reiterpistole ab. „So stirbt ein Schmarotzer“, sagte er hart. „Ich hätte ihn schon an Bord der ‚Victoria’ aus dem Weg räumen sollen. Aber ich wollte keinen Wehrlosen gemein ermorden. Menschlichkeit zahlt sich eben nur selten aus.“ * Hasard stand auf. „Wir lassen die Leiche hier zurück“, sagte er. „Batuti und Buck, ihr schafft zunächst mal die beiden Kisten zur Pinasse. Sagt Gary und Al, was hier
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losgewesen ist. Batuti, du bleibst gleich bei ihnen. Buck, du kommst mit Tauen zu mir zurück.“ Die beiden schauten ihn etwas verständnislos an, und er fügte hinzu: „Ich will den Landausgang der Höhle ein für allemal verschütten, um vor weiteren Überraschungen sicher zu sein. Ob Ortiz nun Verbündete hat oder nicht, keiner soll uns noch in den Rücken fallen.“ Wenig später war Buck Buchanan mit den Tauen bei ihm. Die Kisten hatten sie zur Pinasse gebracht. Batuti verweilte befehlsgemäß am seewärtigen Eingang der Schatzgrotte. Hasard führte Buck zum Landausgang. Sie zückten ihre Pistolen und spähten ins Freie. Hasard wollte sich nicht noch einmal wie vorher übertölpeln lassen. Dieses Mal drückte er sich seitwärts aus dem Loch, warf sich hinter einen Stein und riß die Waffe sofort wieder hoch. Es blieb ruhig. „Buck, du kannst rauskommen“, sagte der Seewolf. „Wir suchen jetzt die fehlende Kiste.“ Sie forschten die nähere Umgebung der Höhle ab und schauten selbstverständlich vor allem auf der Empore nach, auf der Sancho Ortiz erschienen war. Von einer Kiste war nicht die Spur zu entdecken. Hasard ließ den Blick schweifen und entdeckte unterhalb der Geröllmulde ein Gebüsch. Er winkte Buck Buchanan zu. Sie glitten die Empore hinunter, liefen zur Mulde und. stolperten auf dem beweglichen Geröll nach unten. Wenig später hatte Hasard den mit Zweigen getarnten Deckel der Kiste freigelegt. „Na bitte“, sagte er. „Hätten wir darauf vielleicht verzichten sollen?“ „Bestimmt nicht“, meinte Buck. „Was tun wir? Schleppen wir die Kiste etwa durch den Gang bis zum Boot?“ „Nein. Wir haben die Taue. Los!“ Gemeinsam trugen sie die Schatzkiste das ansteigende Felsland hinauf. Hasard suchte sich einen einigermaßen passablen Pfad zum Ufer. So schnell sie konnten, brachten sie ihr wertvolles Gut bis an den scharfen Abbruch, mit dem die Felsen zum Wasser
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hin abknickten. Hasard legte sich auf den Bauch, schob den Kopf über den Rand und erblickte unter sich vor dem Grottenmaul die Segelpinasse. Er stieß einen Pfiff aus. Batuti, Gary Andrews und Al Conroy zeigten sich, schauten zu ihm hoch und gaben ihm Zeichen. Er beteuerte ihnen durch eine Gebärde, daß sie die Kiste gefunden hatten. „Los, Buck, schlage die Tampen um die Truhe. Wir seilen sie einfach ab, das geht schneller und zügiger als der lange Transport durch den unterirdischen Gang.“ Er half mit, die Taue um die Kiste festzuzurren. Kurz darauf bugsierten sie sie über die Felsenkante, ließen sie baumeln und fierten sie vorsichtig ab. Dabei mußten sie sich in Felsspalten stemmen, um nicht mitgerissen zu werden. Ein Pfiff verkündete, daß die Kiste fast unten angelangt war. Sie verlangsamten die Bewegung der Taue, dann war ein leichter Ruck zu spüren und der starke Zug ließ nach, bis sie das Gewicht nicht mehr wahrnahmen. Hasard begab sich wieder an die Felsenkante und sah nach unten. Gary Andrews bewegte die Hand. Batuti und Al Conroy waren soeben dabei, die Kiste zu den anderen acht in die Pinasse zu pferchen. Buck wollte die Taue einholen, aber Hasard hielt ihn zurück. „Die brauchen wir noch. Wir binden sie fest, Buck.“ Ein Tau spannten sie um einen knorrigen Baumstumpf. Ein zweites knotete Hasard kunstvoll in einer Felsenspalte fest. Ein drittes befestigten sie nur notdürftig, der Seewolf hatte keine Verwendung mehr dafür, wollte es aber auch nicht mehr aufschießen, um keine Zeit zu verlieren. Sie hasteten zu dem Landausstieg der Schatzgrotte zurück. Buck Buchanan schaffte Steine herbei, Hasard stieg wieder auf die Empore und begann, das zwischen dem Gestein lagernde Erdreich zu lockern. Er half mit dem Messer nach. Schließlich löste er eine regelrechte Erdlawine aus, die auf den Ausgang niederstürzte. Hasard und Buck schaufelten sie mit den Händen weiter in den Gang hinein und schoben Steine nach, bis wirklich alles verstopft
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war. Auch der Rand des Höhlenloches war inzwischen in sich zusammengestürzt, keine Maus würde diese Barriere jemals wieder passieren können. Sie liefen zu dem Platz zurück, von dem sie die neunte Kiste nach unten befördert hatten. Hasard wählte das Tau aus, das in der Felsspalte befestigt war. Buck Buchanan prüfte noch einmal den Sitz des anderen, um den Baumstumpf gewickelten Taus. Dann schoben sich beide über den Rand der steilen Klippe und hangelten nach unten. Hasard ließ Buck Vorsprung, er wollte von seinem luftigen Standpunkt aus noch Ausschau nach etwaigen Feindschiffen halten. Er stemmte sich mit den Füßen gegen die Steilwand, drehte sich um und sandte einen langen, prüfenden Blick auf See hinaus. Danach ließ er sich weiter in die Tiefe. Er hatte nichts Alarmierendes entdeckt. Dennoch war er nicht vollends beruhigt. Als letzter ließ er sich auf die Gesteinsstufen vor der Grotte sinken. Batuti und Buck Buchanan drückten gegen das Heck der Pinasse, Gary Andrews und Al Conroy hatten an den Seiten nach dem Dollbord gepackt und schoben das Boot über die Felsplatten zum Wasser. Die Ebbe hatte voll eingesetzt und die Pinasse bis auf das Gestein absacken lassen. „Alle Kisten an Bord, Hasard“, meldete Gary Andrews. „Dann nichts wie fort“, entgegnete Hasard. „Es wird bereits dunkel. Wahrscheinlich fragen sich die anderen, ob uns was zugestoßen ist.“ Hasard ging als letzter an Bord und drückte die Pinasse mit einem Bein vom Ufer fort. Durch die wogende Brandung pullten sie quer durch die Schatzbucht auf den Ozean hinaus. Hasard warf einen letzten Blick zu der Grotte zurück und dachte daran, ob wohl eines Tages jemand das Skelett von Sancho Ortiz finden würde. Jahrzehnte konnten bis dahin vergehen. Eine Viertelstunde später sichtete Gary Andrews im Nordwesten eine Schiffsbewegung.
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„Spanische Galeonen“, meldete er. „Himmel, Arsch, jetzt sind uns die elenden Dons doch auf den Fersen.“ Hasard schaute über die Schulter zurück. Der Verband der Kriegsgaleonen nahm sich schemenhaft und drohend in den dunkler werdenden Schatten der Abenddämmerung aus. Hasard zählte drei Schiffe. Drei, das waren genug, um die „Isabella III.“ für ewige Zeiten auf den Grund des Stillen Ozeans zu schicken. „Aber erstmal müssen sie uns haben“, sagte er grimmig. 10. Noch ungefähr eine Viertelstunde verstrich, dann hatten die Spanier Hasard und seine vier Begleiter erspäht. Der Seewolf bemerkte es ganz deutlich an ihren Manövern. Sie fielen ab und folgten ihnen nun direkt. „In wenigen Minuten sind wir in der Ankerbucht!“ rief Gary vom Bug der Pinasse aus. „Ich kann die Steilfelsen bereits sehen.“ Sie segelten mit prall aufgeblähtem Fockund Großsegel, aber Hasard ließ zusätzlich noch pullen. Die Männer legten sich in die Riemen, als hätten sie den Tod an Bord. Tatsächlich ging es um Minuten, denn die drei feindlichen Galeonen rückten immer näher. Sobald die Pinasse an den nordwestlich ausgerichteten Felsen war, die die eine Seite der Buchteinfahrt bildeten, erhob sich Hasard von der Heckducht, zog seine doppelschüssige Reiterpistole und spannte den Hahn. Er feuerte sie in den Himmel ab. Er betete darum, daß Ben Brighton begriff und sofort schaltete. Es blieb keine Zeit, mit der Pinasse in die Felsenbucht zu segeln. Die Pinasse schob sich weiter auf die enge Passage zu. Hasard schaute sich wieder zu dem Verband um und sah ihn dunkel, fett und behäbig heranpflügen. Schon jetzt ließ sich etwas von der Siegessicherheit spüren, mit der die Dons anrückten. Hasard ballte die Hände. Ben Brighton, dachte er immer wieder, laß um Himmels willen nicht auf dich war-¬ ten!
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„Ho, Männer, da kommen sie!“ rief Gary Andrews plötzlich. Und dann erschien der schlanke Leib der „Isabella“ in der beängstigend schmalen Ausfahrt. Ja, die Männer hatten geschaltet und waren sofort ankerauf gegangen. Jetzt zeigten sie ein halsbrecherisches Manöver. Unter vollem Zeug rauschten sie aus der Bucht und riskierten dabei, zu havarieren. Es war eine Probe großen seemännischen Könnens, doch es zeigte sich, wie gut der Seewolf daran getan hatte, sie in den sechs Wochen Fahrt hart heranzunehmen. Die Schleiferei trug ihre Früchte — die „Isabella“ schob sich unversehrt aus der Passage hervor. Hasard saß an der Ruderpinne und dirigierte die Pinasse an die „Isabella“ heran. Um eine Kollision zu vermeiden, ließ Ben Brighton backbrassen und so die Geschwindigkeit des Schiffes verringern. Seine Kommandorufe waren bis auf die Pinasse hinunter zu vernehmen, zwischendurch immer wieder die Befehle Edwin Carberrys, der die Crew an die Geschütze beorderte. Jakobsleitern wurden über das Steuerbordschanzkleid der „Isabella“ geworfen. Sie klatschten an der Bordwand herab. Taue baumelten bis auf die Wasserfläche. Hasard ging mit der Pinasse längsseits, ließ sie festmachen und die Schatzkisten in aller Eile nach oben auf die Kuhl hieven. Dann ließ er Gary, Al, Batuti und Buck aufentern. Er selbst ging erst an Bord seiner Galeone, nachdem er die Pinasse achtern angehängt hatte. Als er an der Achtergalerie aufenterte, blickte er wieder nach Nordwesten und sah die drohenden Umrisse der spanischen Galeonen größer werden. Die Geschützluken der „Isabella“ wurden hochgezogen, und donnernd rollten die Demi-Culverinen auf ihren Lafetten vor. Hasard kletterte neben Ben Brighton auf das Achterdeck und sah, daß alle acht Kanonen ausgerannt waren und die Männer mit den Feuerkeilen an den Lunten bereitstanden. Längst hatte der Kutscher das Kombüsenfeuer zum Ersticken gebracht. Ferris Tucker hatte die Luken
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und Niedergänge verschalkt, Sandsäcke aus dem Bauch des Schiffes an Deck mannen lassen und Segeltuchpützen mit Meerwasser bereitgestellt. Die „Isabella“ war bereit, ihre erste Steuerbordbreitseite auf die Gegner abzufeuern. „Klar Schiff zum Gefecht!“ rief der Seewolf. „Aye, aye, Sir!“ schrie Ed Carberry zurück. „Klar zum Gefecht!“ Hasard übernahm sofort die Drehbasse an der Steuerbordseite ganz achtern auf der Kuhl. Die Lunte war klar, sie hatte ihre Pulverladung und davor im Rohr eine zweipfündige Eisenkugel. Stenmark hatte sie geladen, er stand neben seinem Kapitän und assistierte ihm. „Deck!“ schrie Donegal Daniel O’Flynn aufgeregt vom Großmars herunter. „Die Dons luven an und gehen höher an den Wind!“ Hasard begriff, daß sie ihnen den Weg abschneiden wollten. Prompt ließ er nach Steuerbord ausweichen. Der erste Spanier konnte nicht mehr mitdrehen, es sei denn, er wendete. Stur segelte er auf seinem Kurs weiter. Die beiden anderen Feindgaleonen rückten auf — und der Seewolf steuerte mitten durch den Verband hindurch. Ben Brighton stand gebückt am Steuerhaus, ihm gingen fast die Augen über, aber er sagte nichts. Die Geschützpforten der spanischen Galeonen waren gefallen, drohend ragten die Geschützmündungen ins Freie. Sie schienen die „Isabella III.“ herausfordernd anzuglotzen. Im schalen Licht des aufziehenden Mondes zählte Hasard an jeder Backbordseite der Spanier rund zwanzig Geschütze. Das hieß, jedes Schiff verfügte über mindestens vierzig Kanonen! Sie waren der kleinen „Isabella“ haushoch überlegen. Hasard grinste. Solche Erwägungen hatten ihn noch nie weit gebracht. „Zünden“, sagte er. Stenmarks Hand mit der Lunte glitt zur Zündpfanne der Drehbasse, deren schmaler Kanal zur Pulverladung im Bodenstück der Drehbasse führte. Bruchteile von Sekunden später spie das Geschütz Feuer und Rauch
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und ruckte zurück. Im Schanzkleid der zweiten Galeone prangte plötzlich ein Loch, Verwundete schrien. „Feuer!“ brüllte Ed Carberry. Die Steuerbordseite der „Isabella“ spuckte vier Neunpfünderkugeln aus, zusätzlich donnerten nun auch die Drehbassen auf Back und Kuhl. Ehe es sich die Dons versahen, wummerten auch die DemiCulverinen auf der Backbordseite los. Die drei Backbord-Drehbassen wurden von Al Conroy, Blacky und Jean Ribault bedient. Während die Neunpfünder-Geschosse in die Kuhl des ersten Spaniers hagelten und Tote und Verwundete zurückließen, brachten die drei dem Feind erheblichen Schaden auf dem Vorschiff und Achterkastell bei. Angesichts der gut gezielten Breitseiten der „Isabella“ kamen die Dons kaum dazu, Atem zu holen und Paroli zu bieten. Aber dann böllerten die Kanonen auf den Kriegsgaleonen doch los und heizten dem Seewolf und seiner Crew mächtig ein. Doch die ersten Breitseiten saßen teils zu hoch, teils zu tief. Der Seewolf grinste, ließ seine Drehbasse nachladen, übergab sie dann aber an Stenmark. Hasard sprang zu Ben Brighton und Pete Ballie, hielt nach allen Seiten Ausschau und stellte fest, daß sein verwegenes Manöver Erfolg gehabt hatte. Feuerspeiend waren sie durchgebrochen, jetzt lagen die beiden beschädigten Galeonen der Dons achteraus und schwangen nur behäbig herum. Die dritte war noch nicht auf Schußweite heran — die „Isabella III.“ zog unter vollem Zeug davon und legte Distanz zwischen sich und die Gegner. . „Die Philipps müssen früher auf - stehen, wenn sie uns packen wollen!“ rief Karl von Hutten. „He, Hasard, wohin geht die Fahrt?“ „Erstmal segeln wir nach Westen“, erwiderte der Seewolf. „Dann sehen wir weiter.“ An Bord der drei Spanischen Galeonen standen die Kapitäne und _ ihre Offiziere mit verbitterten Mienen und schauten dem vertrackten Zweimaster nach, der wie ein
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Gespensterschiff im schwarzen Mantel der Nacht untertauchte. Die dritte, nicht lädierte Galeone nahm die Verfolgung auf, mußte aber nach etwa einer halben Stunde abbrechen. Ihre Mannschaft hatte die „Isabella III.“ nicht wieder zu Gesicht bekommen. Sie
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schien wirklich ein Geisterschiff zu sein, diese kleine und gering armierte Zweimastgaleone mit den „maldichos Ingléses“ an Bord, die den Spaniern in der Neuen Welt das Fürchten beibrachten.
ENDE