Klaus Störtebeker Band 9 Die Piratenbraut von Gloria von Felseneck Sie ist stolz und will mit einer erlittenen Schmach ...
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Klaus Störtebeker Band 9 Die Piratenbraut von Gloria von Felseneck Sie ist stolz und will mit einer erlittenen Schmach nicht mehr leben. Sie springt ins Meer in ihrer Verzweiflung, wird aber gerettet. Ihrem Peiniger wird sie wieder begegnen...
Die See und die Dämmerung waren an jenem verhängnisvollen Tag seine Verbündeten gewesen - und natürlich auch Melchior Rassbrandt, zumindest bis zu einem gewissen Zeitpunkt. Damals, als er überzeugt gewesen war, endlich am Ziel seiner Wünsche angelangt zu sein und den berüchtigten Goedecke Micheel gefangen zu haben, hatte er ihn noch gebraucht. Melchior war stark wie ein Ochse und ihm war es auch gelungen, trotz des starken Wellenganges das Boot mit kräftigen Ruderschlägen schnell in Fahrt zu bringen, so schnell, dass es von den miteinander kämpfenden Männern nicht gesehen wurde. Niemand auf der ›Maria Anna‹ hatte ihre Flucht bemerkt. Zum Teufel! Vor Klaus Störtebeker war man sich doch niemals sicher. Immer tauchte er dort auf, wo man ihn am wenigsten erwartete. Warum reichte es ihm nicht, sich selbst die Taschen und den Wanst zu füllen? Warum musste er stets und ständig den Retter spielen und damit die Pläne anderer Leute zunichte machen? Der Mann, der das dachte und jetzt einen leisen Fluch ausstieß, hockte hinter einem dichten Gebüsch nahe der Straße. Doch auch das heutige Vorhaben schien nicht von Erfolg gekrönt zu sein. Schon seit über einer Stunde war kein Wagen hier vorbeigekommen, den er und seine Helfershelfer hätten überfallen können. Nur ein paar Bauern und Handwerker hatten ihre Karren mühselig hinter sich hergezogen. Bei denen war nicht viel zu holen, es lohnte sich nicht, ihnen das letzte Schwein zu stehlen oder ein paar armselige Münzen. Davon wurde er keinesfalls reich, man würde nur Aufsehen erregen, das er nicht gebrauchen konnte. Die Augen des Räubers waren scharf wie die eines Falken und seine Ohren vernahmen das Geräusch von rollenden Rädern immer schon von weitem. Doch es blieb auch weiterhin still, nichts regte sich, nicht einmal eine Maus raschelte im Gras. Ingomar von Humfried oder Nikolaus Rupp, wie er sich jetzt nannte, gab nun seine angespannte Haltung auf und machte es sich bequem. Er streckte sich lang aus, schloss für eine Weile die Augen und rief sich den Tag seiner Niederlage wieder ins Gedächtnis. 4
Irgendwann waren er und Melchior der Küste nahe genug gekommen, dass sie endlich an Land gehen konnten. Trotz der Dunkelheit sahen sie beim Näher kommen die Umrisse von einigen Hütten und eine Kirche. Sie zerrten das Boot vom Strand bis zum Wald und versteckten es im Unterholz. Dort würde es vorerst nicht auffallen, wenn es überhaupt jemand fand. Das Boot war auch längst nicht so wichtig wie der Hunger, der ihnen die Mägen laut knurren ließ. Noch schlimmer als der Hunger war jedoch der Durst gewesen. Ihre Zungen schienen am Gaumen festgeklebt zu sein. Rasend vor Zorn, aber doch darauf bedacht, keinen Lärm zu machen, schlichen sie durch das Dorf und fanden schließlich einen Brunnen. Ein Eimer stand auch noch da. Es war also einfach, an Wasser zu gelangen. Sie tranken, bis sie meinten, keinen Tropfen mehr herunter zu bekommen. Der Duft von Geräuchertem stieg ihnen in die Nase, ließ sie wie Hunde diese Spur verfolgen, bis sie an einem Gehöft ankamen, wo sie fanden, was sie suchten. Mit Speck und Schinken in den Händen verließen sie das Dorf, rasteten am Waldrand und verschlangen dort beinahe die Hälfte ihrer Beute. Nur gut, dass sie scharfe Messer bei sich trugen, um sich das Geräucherte in mundgerechte Scheiben schneiden zu können. »Und was machen wir nun?«, hatte Melchior Rassbrandt gefragt, nachdem er sich den Mund mit dem Handrücken abgewischt und sein Messer weggesteckt hatte. »Wir haben nun nicht mehr als das nackte Leben.« »Das wird sich bald wieder ändern, lass mich nur machen.« Ingomar von Humfried hatte laut gegähnt, sich ins Gras geflegelt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt. »Bis jetzt ist mir immer etwas eingefallen, wie du recht gut weißt. Aber nicht zu dieser Stunde, ich bin viel zu müde, um einen klaren Gedanken fassen zu können.« Er hatte die Augen geschlossen und war binnen weniger Minuten eingeschlafen, zumindest hatte Melchior das geglaubt. Er hatte jedoch so lange wach gelegen, bis er dessen leise Schnarchtöne gehört hatte. Dann war er lautlos aufgestanden, hatte sein Messer hervorgeholt und damit seinen Begleiter erstochen. Er brauchte ihn jetzt nicht mehr, er war ihm nur lästig auf dem Weg nach oben. Außerdem hatte er viel zuviel gewusst. 5
Seitdem waren mehr als vier Wochen vergangen. Er, Ingomar von Humfried, hatte Aufnahme bei einer Räuberbande gefunden, die in der Gegend rund um Doberan ihr Unwesen trieb. Bei ihnen, in ihren Höhlen und Ruinen, hatte er sich verbergen und seine Wunden lecken können. Und durch sie wollte er auch zu Geld kommen - zu sehr viel Geld. Das brauchte er, um sich an seinen Feinden zu rächen, um sich Freunde zu erkaufen und um sein Ziel doch noch zu erreichen. Eines Tages würde er als vermögender und geachteter Mann vor dem Stralsunder Bürgermeister stehen und um die Hand seiner Tochter bitten. Bis jetzt war ihm das Glück hold gewesen. Angeführt von Busso, dem Einäugigen, hatten sie wohlhabende Kaulleute und Adlige ausgeraubt und mitunter sogar getötet, wenn diese ihre Taschen und Truhen nicht hatten öffnen wollen. In diesem Augenblick zuckte der vermeintliche Nikolaus Rupp zusammen, denn er vernahm ganz deutlich das Wiehern von Pferden. Er richtete sich auf und spähte durch das Blätterwerk. Fast gleichzeitig hörte er das Signal des Hauptmannes. Es war das Zeichen zum Angriff. * »Henrike, es hilft nicht, du wirst noch mehr Beeren und Pilze suchen müssen. Man muss diesen Sommer nutzen, so viele Waldfrüchte hatten wir seit langem nicht. Getrocknetes und Gepökeltes können wir noch den ganzen Winter über essen.« Paula Jansen blickte ihre jüngste Tochter mit einer gewissen Strenge an, während sie den Brotteig knetete. Schließlich wusste sie genau, dass diese lieber bei den Nonnen des nahe gelegenen Klosters im Kräutergarten half, als in den Wald zu gehen. Nun, so ganz ungefährlich war es ja auch nicht, vor allem nicht, wenn man hübsch und jung war. »Aloisia oder Brunhilde könnten doch auch mal...« »Nichts da! Die beiden sind weit kräftiger als du, die müssen das Vieh versorgen und auf dem Feld arbeiten.« Mit diesen barschen Worten schnitt die Bäuerin der Tochter das Wort ab, bedachte sie mit einem weiteren missbilligenden Blick, setzte dann jedoch gutmütig hinzu, als sie Henrikes trotzige und zugleich ängstliche Miene sah: »Viel6
leicht kannst du Jan überreden, dass er mit dir geht. In diesem Fall könntet ihr noch Holz und Kienäpfel sammeln.« »Ja, Mutter, ich werde ihn fragen«, erwiderte das Mädchen folgsam, obwohl es ganz genau wusste, dass Jan sie nur allzu gern begleiten würde. Er mochte sie und sie ihn eigentlich auch - als guten Freund. Als ihren Gemahl konnte sie sich ihn allerdings nicht so recht vorstellen. Jan war zwar sehr fleißig und zu allen möglichen Arbeiten auf dem Feld und im Haus taugte er auch. Aber er war nicht sehr mutig, er würde sie bestimmt nicht beschützen, falls sie im Wald von einem Räuber oder wilden Tier überfallen würde. Jan würde wahrscheinlich schreiend davonlaufen. Er war übrigens der Sohn des Nachbarn und würde einmal den Hof erben. Diese Tatsache genügte ihren Eltern, um in ihm einen Freier für eine ihrer Töchter zu sehen. Leider gefiel sie, Henrike, dem tapsigen Jan Höllriegel am besten. Ihr wäre es jedoch lieber gewesen, wenn er sich für Aloisia oder Brunhilde interessiert hätte. Henrike hatte inzwischen die Küche verlassen, hatte zwei Körbe genommen sowie die große Kiepe, die man auf dem Rücken tragen konnte. Ihre Kleidung war angemessen und festes Schuhwerk trug sie auch. Ihr Haar bedeckte Sie jedoch nicht, sondern flocht es noch einmal zu festen Zöpfen und steckte diese am Hinterkopf mit einer Nadel fest. Jan hatte offensichtlich auf sie gewartet. Ungeachtet väterlicher Aufträge lungerte er in der Nähe herum und stürzte sich förmlich auf Henrike, als diese aus dem Haus trat. »Mir scheint, du gehst wieder Beeren und Pilze sammeln.« »So ist es. Du kannst ja mitkommen. Die Mutter braucht noch Holz und Kienäpfel.« »Die braucht meine auch. Ich hole nur noch die Weidenkörbe.« Jan marschierte eilig zum Haus und war nach wenigen Minuten wieder da. Er nickte Henrike begeistert zu und ging dann an ihrer Seite den Weg entlang, der zum Wald führte. Sie sprachen leise miteinander, scherzten und lachten, aber Henrike übersah bewusst die Blicke, mit denen er sie immer wieder begehrlich musterte. Sie wollte ihn nicht kränken, ermuntern allerdings auch nicht. 7
Doch heute wuchs der schüchterne Jan über sich hinaus, er blieb abrupt stehen und sagte: »Der Vater will das Haus vergrößern, wir hätten dann genug Platz, auch für ein paar Kinder.« Sie blieb ebenfalls stehen, entgeistert und sekundenlang sprachlos. Doch dann fing sie sich und erwiderte lachend: »Fürwahr, eine romantische Werbung mit Kniefall und schönen Worten war das nun gerade nicht.« Er zuckte nur mit den Schultern. »Dergleichen liegt mir nicht.« »Ja, ich weiß.« Sie sah zu ihm auf, der mehr als einen Kopf größer war als sie. Sie blickte in warme braune Augen, sah darin seine Zuneigung für sie und dachte, dass er vermutlich ein guter Ehemann sein würde. Er war noch jung und gesund und vor allem gutmütig. Er würde sie wahrscheinlich niemals schlagen, wie es so mancher andere Ehemann tat. Er war nicht reich, hatte aber ein gutes Auskommen und er war der einzige Sohn. Er musste sein Erbe mit niemandem teilen. Und doch stichelte sie: »Mich willst du, nicht eine meiner Schwestern?« »Deine Schwestern...? Ph...« Er machte eine abwertende Geste und setzte dann erklärend hinzu: »Die gefallen mir nicht, sie haben beide ein großes Mundwerk, besonders Aloisia und sind so grob wie Stallmägde. Du aber bist fein und zierlich, hast Haare wie gesponnenes Gold, eine schöne Stimme und bist klug. Werde bitte mein Weib, ich bitte dich von Herzen darum.« Sie standen sich gegenüber, hatten ihre Körbe auf die Erde gestellt und schauten sich an. Sein Blick war verlangend und voller Liebe, der ihre eher nachdenklich. Ihre Eltern würde es freuen, wenn sie sich für den Sohn des Nachbarn entschied. Man wusste sie dann gut versorgt. Und eine eigene Häuslichkeit war auch nicht zu verachten. Was wollte sie mehr? »Ja, ich will dein Weib werden«, sagte sie nun fest, »aber noch nicht gleich, erst wenn meine Aussteuer fertig ist. Gar so armselig möchte ich doch nicht in die Ehe gehen.« Jan war damit zufrieden. Geduldig und genügsam, wie er nun einmal war, bedeutete diese Antwort für ihn beinahe schon die Seligkeit auf Erden. 8
»Rike!«, jauchzte er und nahm sie so stürmisch in die Arme, dass ihr die Kiepe von den Schultern rutschte. »Ich bin ja so glücklich. Wollen wir es nachher gleich den Eltern sagen?« »Wenn du es so willst, dann...« Weiter kam sie nicht, denn er bedeckte ihren Mund mit dem seinen. Ihr gefielen seine Liebkosungen nicht sonderlich, sie nahm sie jedoch hin, wie etwas, was nicht zu umgehen war. * »Nun haben wir aber genug Beeren, Pilze ebenfalls. Oder was meinst du?« Henrike zeigte auf die reiche Ausbeute in ihren Körben. »Ich denke, es genügt«, erwiderte er, während er das gesammelte Holz zusammenband. »Kienäpfel haben wir auch reichlich gefunden. Mehr können wir nun weiß Gott nicht tragen, vor allem du nicht.« Er nahm ihr die Kiepe ab und befestigte sie auf seinem Rücken. »Es reicht, wenn du die Körbe mit den Pilzen nimmst. Alles andere werde ich mir aufladen.« Sie strich flüchtig über seine Wange, zum Dank und weil sie wusste, wie sehr er sich darüber freute. »Nun, dann komm, meine liebe Braut, gehen wir heim und sagen den Eltern, dass wir uns verlobt haben«, erklärte er nun, küsste sie nochmals und machte sich dann mit ihr auf den Heimweg. Kaum im Dorf angekommen, vernahmen sie ein aufgeregtes und Stimmengewirr. Von überall her hörten sie immer wieder denselben Namen: Klaus Störtebeker. Und dann sahen sie ihn. Er musste es sein, denn in all den Geschichten, die man sich über ihn erzählte, war er stets der blonde blauäugige Held, der andere Männer mit seiner Größe und seinem Mut bei weitem übertraf. An die Tür des Wirtshauses gelehnt, stand er da, einen Humpen mit Bier in der Hand und er schien sich über etwas zu amüsieren. Henrike vergaß bei diesem Anblick, dass sie zwei Körbe mit Waldfrüchten trug, die nicht gerade leicht waren. 9
»Ja, das ist er wohl«, meinte Jan, nachdem er den Mann genauer betrachtet hatte. »Ich hab' gehört, dass er hier in der Nähe vor Anker gegangen sein soll.« »Und was macht er hier in unserem Dorf?«, flüsterte Henrike. »Weiß nicht, hat anscheinend mal wieder irgendwas mit der Obrigkeit auszufechten. Komm, lass uns weitergehen!« Sie nickte, starrte aber noch immer zu dem breitschultrigen Piraten hin, der inmitten einiger Bauern und Handwerker stand und sie, die kleine Henrike, ganz gewiss nicht sah. Unterdessen versammelten sich immer mehr Männer, Frauen und Kinder auf dem Platz vor der Schenke, man drängelte sogar. Und so kam es, dass sie Jan aus den Augen verlor, immer weiter geschoben wurde und sich schließlich ängstlich umsah. »Fürchte dich nicht, Mädchen«, sagte plötzlich jemand dicht neben ihr. Sie erschrak und war gleichzeitig freudig erregt. Es war Klaus Störtebeker, der sie nun aus dem Gedränge heraus führte und leise fragte: »Du hast wohl deinen Schatz verloren?« »Ja, er ist mir irgendwie abhanden gekommen.« »Wir werden ihn gemeinsam suchen«, versprach Klaus lächelnd. »Aber vorher schenke ich dir noch etwas für die Aussteuer.« Henrike schaute entgeistert zu, wie er einen Beutel aus seinem Wams zog, diesen geschwind in einen ihrer beiden Körbe warf und unter die Pilze mischte. Und dieser Beutel war so schwer, dass er nur mit Münzen gefüllt sein konnte. »Danke, Herr.« Mehr bekam sie vor Überraschung nicht heraus. Er lächelte ihr zu, nahm sanft ihren Arm und ging dann mit ihr immer weiter, bis sie vor Jan standen, der sie schon verzweifelt gesucht hatte. »Rike, da bist du ja endlich. Es ist allmählich an der Zeit, dass wir nach Hause kommen. Unsere Mütter werden sich bereits Sorgen machen.« Jan drängte zur Eile, denn es gefiel ihm nicht, seine Braut in der Begleitung eines anderen Mannes zu sehen. Und dabei war es völlig egal, wer dieser andere Mann war. Klaus Störtebeker argwöhnisch musternd, setzte er noch förmlich hinzu: »Ich danke Euch, dass Ihr 10
meine Braut... beschützt habt. Doch nun müssen wir gehen. Lebt wohl.« »Viel Glück«, antwortete Klaus, nickte den beiden noch zu und ging dann zum Wirtshaus zurück, wo Gerd Windmaker und noch zehn seiner Schiffsknechte auf seine Befehle warteten. Sie würden in Kürze weiterziehen müssen, was er bedauerte, genauso wie er es bedauerte, kein Zuhause zu haben. Er war doch eigentlich immer nur auf der Flucht vor der Obrigkeit und ihren ganz gnadenlosen Häschern. Manchmal hatte er schon daran gedacht, sich irgendwo zur Ruhe zu setzen, einen anderen Namen anzunehmen, sich ein Weib zu nehmen und Kinder in die Welt zu setzen. Würde so ein Leben ihn glücklich machen? Wohl kaum. Er schüttelte über sich selbst den Kopf. Er war doch noch viel zu jung, um sein Leben in Ruhe und Beschaulichkeit zu verbringen. Er brauchte den Kampf und die Herausforderung - und das Gefühl, den Armen wieder einmal geholfen zu haben, auch wenn er dem Galgen oft schon sehr nahe gewesen war. Im Morgengrauen waren er und seine Leute hier im Fischerdorf Bassenthin angekommen, eigentlich nur, um mal etwas anderes zu essen, als Schiffszwieback und Dörrfleisch. Dann wollten sie unverzüglich weiter. Bürgermeister Jakob Starkow hatte ihn jedoch gebeten, noch ein Weilchen zu bleiben. Er brauchte seinen Rat, aber viel mehr noch seine Hilfe im Kampf gegen eine Horde von Räubern. Es musste sich um eine besonders gefährliche Diebesbande handeln, die offenbar von einem Ort zum anderen zog und Tod und Verwüstung zurückließ. Erst vor drei Tagen hatten sie in einem der Nachbardörfer mehrere Häuser niedergebrannt, hatten Vieh gestohlen und zwei Frauen gezwungen, ihnen zu Willen zu sein. Während dieser Überlegungen war Klaus wieder vor der Schenke angekommen, wo er nicht nur die Männer vom ›Roten Teufel‹ vorfand, sondern auch den Bürgermeister und andere wichtige Vertreter von Bassenthin. * 11
»Um Christi willen, steht uns bei, Klaus Störtebeker«, bat Jakob Starkow, nachdem man sich in der so genannten Hinterstube versammelt hatte. »Macht diese Mörder und Diebe ausfindig und schickt sie zur Hölle. Wir können uns kaum gegen sie wehren. Unsere Waffen sind alt, genauso wie viele unserer Männer. Und die Jünglinge haben noch nicht gelernt zu kämpfen.« Klaus blickte zu Gerd und den übrigen Seeleuten, sah, wie sie zustimmend nickten und erwiderte: »Wir können hier nicht Wochen verbringen, aber vielleicht gelingt es uns schon innerhalb kurzer Zeit, die Räuber zu besiegen. Erzählt uns mehr von ihnen.« »Sie tauchen wie aus dem Nichts auf, überfallen Kutschen, stehlen Vieh und machen selbst vor den Schätzen der Kirchen nicht halt«, antwortete ein älterer Mann und setzte dann mit zitternder Stimme hinzu: »Wir befürchten, dass diese Bestien in Menschengestalt auch bald unser Dorf heimsuchen werden. Helft uns, Klaus Störtebeker!« »Selbstverständlich werden wir Euch nicht im Stich lassen«, entgegnete Klaus nachdenklich. »Doch sagt, wer ist Euer Herr hier im Dorf? Ich habe ein Schloss gesehen und dachte...« »Das gehört dem Herrn Friederich von Nieburg«, unterbrach ihn Kaspar Höllriegel. »Oder besser gesagt, es gehörte ihm, denn der Herr ist im letzten Monat gestorben. Und sein Erbe hat sich noch nicht sehen lassen.« »Dem gehören ja auch noch andere Dörfer. Deshalb hat er es ja auch nicht nötig, uns zu schützen. Was liegt ihm schon an uns? Nicht einmal das Schloss wird ausreichend bewacht.« »Gibt es keinen Vogt, der seinen Herrn vertritt?«, warf Gerd Windmaker ein. »Doch, aber der ist alt. Kämpfen ist nicht seine Stärke, er hockt lieber am Feuer und hofft, dass er sich bald zur Ruhe setzen kann.« Jakob Starkow winkte entschieden ab, bevor er weiter sprach: »Wir haben uns natürlich gerüstet, haben die Nachtwachen verstärkt und die Waffen zurechtgelegt, aber wir haben auch unsere Felder zu bestellen und unser Vieh zu versorgen.« Klaus sah die Angst in den Gesichtern der Dorfoberen, alles gestandene Männer, die so leicht nichts umwerfen konnte. Wenn sie 12
schon um ihr Leben und ihre Habe bangten, wie musste es dann erst den Frauen und Kindern ergehen? Sie würden die ersten sein, die auf der Strecke blieben. Der Schiffshauptmann unterdrückte einen Seufzer und beschloss, seine eigenen Interessen und die der dänischen Königin für eine Weile ruhen zu lassen, auch wenn ein Teil seiner Männer ihren Unmut über diesen ländlichen Aufenthalt lautstark äußern würden. »Wir werden Euch helfen, soweit es in unserer Macht steht«, bekräftigte er nun seine Worte von vorhin. »Und da Ihr Euch schon gut gerüstet habt, müsste es mit dem Teufel zugehen, wenn wir dieser Mörderbande nicht ein für allemal den Garaus machen würden.« Er hielt dem Bürgermeister die Hand hin, die dieser dann kräftig drückte. * Der Mond war nur eine schmale Sichel, sein Licht war so verschwindend gering, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Busso, der Einäugige und seine Spießgesellen schienen jedoch wie Katzen zu sein, die auch in der Dunkelheit ihre Ziele haarscharf erkannten. Kurz nach Mittemacht waren sie aufgebrochen, um im nächsten Dorf zu plündern. Sie hatten den Schutz des Waldes so lange genutzt, wie es eben möglich gewesen war und befanden sich inzwischen bei einer Scheune, verharrten dort minutenlang und lauschten auf verdächtige Geräusche. Doch sie hörten nichts, nur das Rauschen des Windes und das Krächzen von Nachtvögeln. »Weiter!«, zischte der Räuberhauptmann und rannte zum nächstgelegenen Gehöft, dem Anwesen des Bürgermeisters. Die anderen folgten ihm. Sie kletterten über die Mauer, die Wohnhaus, Nebengebäude und Ställe umschloss und hatten schon die Treppe erreicht, als ein Netz über sie fiel und mindestens die Hälfte von ihnen vorerst kampfunfähig machte. Busso fluchte gotteslästerlich, aber es gelang ihm, sich und einige andere zu befreien, sein Schwert zu ziehen und mit seinen Männern auf die Gegner einzuschlagen. Doch statt auf Bauerntölpel und Greise trafen sie auf junge, kampferprobte Männer, die den Besitz des Bür13
germeisters wohl zu verteidigen wussten. Unterstützt von den Dörflern, die mit aller Art Waffen herbei gerannt kamen, erkannten sie bald, dass dieser Beutezug zum Scheitern verurteilt war. Wenn man Glück hatte, konnte man nur das nackte Leben retten. Der Räuberhauptmann keuchte, schrie seinen Männern Befehle zu und sank kurz darauf zu Boden. Ein Schwertstreich hatte seinem Leben ein Ende gesetzt. Der Tod ihres Anführers ließ die übrigen Räuber in Verwirrung und Panik geraten. Soweit sie mit dem Leben davongekommen waren, wollten sie im Dunkel der Nacht verschwinden, was jedoch schier unmöglich war. Die Einwohner des Dorfes schienen inzwischen alle auf den Beinen zu sein, sie verhinderten die Flucht der Verbrecher, blendeten sie mit Fackeln und versetzten ihnen schmerzhafte Hiebe. Innerhalb kurzer Frist wurden sie eingefangen und in den Keller des Bürgermeisters gesperrt. »Bewacht sie und schafft sie baldmöglichst zur Stadt, wo sie vor einen Richter geführt werden«, rief Störtebeker laut und setzte dann lachend hinzu: »Und nun schafft die Kadaver beiseite und lasst uns unseren Sieg feiern.« Mit diesen Worten fand er den ungeteilten Beifall der Obrigkeit und der einfachen Leute. Man jubelte ihm und seinen Männern zu und trug ihn bald darauf zum Wirtshaus. Den Mann, der sich geistesgegenwärtig noch vor Beginn des Kampfes in der Scheune versteckt hatte, sah niemand. Doch dieser selbst hatte genug gesehen, vor allem den einen, den er so gut kannte und glühend hasste - Klaus Störtebeker. Als er sich einigermaßen sicher war, dass alle zur Schenke gerannt waren, verließ er seinen Hinterhalt und marschierte seelenruhig auf das Haus zu. Es war leicht, die Tür aufzubrechen und die Amtsstube des Bürgermeisters zu finden. Überzeugt davon, sich nun doch noch die Taschen füllen zu können, wollte er die Tür öffnen, bekam jedoch einen Schlag in den Rücken, der ihn taumeln ließ. Er fiel jedoch nicht, sondern drehte sich nickartig um, erblickte eine junge Frau, die ihn mit einem Knüppel bedrohte und schrie: »Hab' ich dich doch erwischt, du Dieb und Mörder!« 14
Sie schlug auf ihn ein, er konnte jedoch geschickt ausweichen und verpasste ihr einen so derben Schlag auf den Kopf, dass sie bewusstlos in sich zusammensank. »Dumme Pute«, murmelte er verächtlich vor sich hin, bevor er im Arbeitszimmer von Jakob Starkow nach Geld und Geldeswert zu suchen begann. Er war auch in dieser Hinsicht sehr geübt und bedauerte nur, dass er sich auf Münzen beschränken musste. Die silbernen Leuchter und den wertvollen Spiegel hätte er gern mitgenommen, doch die Gegenstände waren nur hinderlich und würden ihn überdies verraten. Offenbar waren doch nicht alle Dorfbewohner im Wirtshaus. Er musste zusehen, dass er fort kam. Nachdem er das Geld an sich genommen hatte, öffnete er leise und vorsichtig die Tür, sah aber niemanden, der ihm gefährlich werden konnte. Nur das Mädchen war noch da. Es war inzwischen wieder zu sich gekommen, war aber noch recht benommen. Der Mann, der sich Nikolaus Rupp nannte, musterte es einen Augenblick und kniff die Augen zu einem Spalt zusammen, als würde er überlegen. In Wirklichkeit dachte er nur sehr wenig, ihn regierten nur seine Triebe und das Verlangen nach einer Frau. Er riss das Mädchen hoch, warf es sich über die Schulter und eilte so mit ihm aus dem Haus. Als er an der Scheune angekommen war, ließ er es ins Stroh fallen und befreite sich von seinem mit Münzen gefüllten Kittel. Danach warf er sich auf die halb Bewusstlose. Erst jetzt kam Henrike endgültig zu sich. Ihr Kopf schmerzte und sie fühlte sich schlecht. Aber noch unerträglicher war der Mann, der ihre Röcke hoch gezerrt hatte und sich nun mit brutaler Gewalt zwischen ihre Schenkel schob. Sie schrie laut und qualvoll auf, doch seine Hand auf ihrem Mund erstickte jeden weiteren Schrei. Sie wehrte sich verzweifelt und mit letzter Kraft, den mächtigen Körper konnte sich jedoch nicht abschütteln. Aber immerhin bekam sie ihre Hände frei, mit denen sie den Mann kratzte, wo sie ihn traf. 15
Diese Wunden mussten tief sein, denn er stöhnte gepeinigt auf und schlug nach ihr, hart und fest, bis eine erneute Ohnmacht sie in finstere Nacht sinken ließ. Er bekam, was er wollte. Leise fluchend und doch selbstgefällig erhob er sich, tastete dabei sein Gesicht ab, das wie Feuer brannte. Im dämmrigen Licht des beginnenden Tages bemerkte er Blut auf seiner Hand, sein Blut. Die Frau, die er geschändet hatte, war also noch kräftig genug gewesen, ihm das Gesicht zu zerkratzen und vermutlich so, dass er für immer gezeichnet war. »Dirne!«, zischte er voller Wut, nahm sein Schwert, das neben seinen Sachen lag und wollte zuschlagen, denn nur so konnte er sich an ihr rächen. Und nur so würde sie schweigen. Schon hatte er den Arm erhoben, um sie zu richten, als er Stimmen vernahm, Stimmen von Männern, Stimmen, die immer näher kamen. Da ließ er den Arm wieder sinken, ordnete hastig seine Kleidung, raffte seinen Kittel mit dem Geld an sich und flüchtete in den Wald, wo er seine gut verborgenen Schätze hervorholte. Sie würden ihm gute Dienste leisten - auf dem Weg in die feine Gesellschaft. Ingomar von Humfried lächelte süffisant. Dieses Mal hatte er nicht wirklich verloren, zumindest war er seinem Todfeind wieder einmal entkommen. * Henrike hörte, wie man nach ihr rief, aber sie antwortete nicht. Sie konnte es nicht, sie wollte es auch nicht. Sie wollte nur noch sterben. Nach dieser Qual und dieser Schande war das der einzige Ausweg. Gott würde sich ihrer erbarmen. Man suchte nach ihr, fragte sich vermutlich, warum sie nicht mehr bei der kranken Frau des Bürgermeisters weilte. Sie hatte doch versprochen, Hiltgunde zu pflegen. Doch sie konnte jetzt niemandem mehr in die Augen sehen, weder der Frau des Dorfoberen noch ihren Eltern oder Jan. Sie konnte nur noch eines tun, bevor sie starb. Sie musste den Mann töten, der ihr das angetan hatte. 16
Sie hatte sein Gesicht sehen können, nur kurz, aber es hatte sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingegraben, genauso wie die Verletzungen, die sie ihm zugefügt hatte. Sie würde ihn immer und überall erkennen. Aber hier konnte sie nicht bleiben, nicht in diesem Dorf, in dem ihre Eltern und Geschwister lebten. Sie musste fort, musste sich einen Ort suchen, wo sie niemand kannte und sie musste Arbeit finden. Wenn sie doch wenigstens das Geld noch gehabt hätte, das Klaus Störtebeker ihr geschenkt hatte. Aber das hatte sie der Mutter gegeben - für die Aussteuer. Die Stimmen verloren sich allmählich, klangen immer ferner und waren bald gar nicht mehr zu hören. Henrike dachte an ihre Familie und an das Leid, das sie den ihren zufügen musste. Aber war eine tote Tochter nicht besser, als eine, die sich hatte schänden lassen? Man würde ihr sowieso die Schuld an diesem Vorfall geben, würde sie vielleicht sogar beschimpfen und verspotten. Unterdessen kündigte sich der Sonnenaufgang an. Ein neuer Tag begann, der erste Tag ihrer Rache. Aber sie merkte entsetzt, als sie sich mühsam erhob, dass sie ihre Kraft überschätzt hatte. Ihr Gewand war zerrissen, ihr Kopf schmerzte und sie blutete. So konnte sie sich nicht auf den Weg machen. Josette fiel ihr ein. Die Alte hauste in einer elenden Hütte zwischen Bassenthin und dem nächsten Dorf. Bis dahin war es recht weit. Aber ihre Kräuter würden ihr helfen, wieder gesund zu werden. Und die Alte würde auch zu keiner Menschenseele ein Wort sagen. Bei einem erneuten Versuch aufzustehen, fiel Henrike auf die Knie, so schwindlig war ihr. Doch sie zwang sich ruhig und tief zu atmen, damit sie die Schwäche besiegte. Und endlich, nach mehr als einer Stunde, hatte sie sich soweit in der Gewalt, dass sie stehen und gehen konnte. Sie verhüllte ihr Haar und das Gesicht mit dem Schultertuch und verließ langsam, ganz langsam die Scheune. Bis zu Josettes Hütte mochten es mehrere Meilen sein, besonders dann, wenn man den Weg über die Felder und Wiesen nahm. Aber sie wollte und musste es schaffen. Sie durfte nur niemandem begegnen, nur das nicht. 17
Sie hastete vorwärts, musste sich aber viel zu oft ausruhen, zumal die Sonne mittlerweile erbarmungslos brannte. Schatten suchend ließ sie sich schließlich unter den dicht belaubten Zweigen einer alten Linde nieder, schloss erschöpft die Augen und schlief dann ein. »Hey, Mädchen, ich kenne dich doch. Was ist mit dir? Du bist doch die Henrike Jansen, die man schon überall im Dorf sucht.« Eine warme Hand legte sich auf ihren Unterarm. Sie erschrak, beruhigte sich aber, als sie den Mann erkannte. Es war Klaus Störtebeker, der neben ihr kniete, während seine Gefolgsleute in der Nähe die Pferde zum Stehen gebracht hatten. »Ach, Ihr seid es«, hauchte sie und versuchte, sich aufzurichten, was ihr jedoch nicht gelang. »Ich dachte schon...« »Was dachtest du?«, forschte er und betrachtete sie besorgt. »... dass... er es wieder ist, dieser Mann, der mir Gewalt angetan hat.« »Gewalt angetan...?«, wiederholte Klaus ungläubig. »Wer war es?« Henrike zitterte am ganzen Leib, als sie mit brüchiger Stimme antwortete: »Ich kenne ihn nicht, vielleicht gehört er zu der Räuberbande, vielleicht ist er auch ein Wegelagerer oder ein Ritter. Er hat mich... niedergeschlagen... im Haus von Bürgermeister Starkow, ich war bewusstlos, weiß nicht... wie lange. In der Scheune hinter dem Haus bin ich dann vollends zu mir gekommen, aber es war schon zu... spät. Ich konnte ihm nicht mehr entrinnen.« »Armes Mädchen... und warum bist du jetzt hier? Das ist nicht der Weg nach Bassenthin.« »Dort habe ich nichts mehr verloren«, flüsterte sie und schluchzte leise. »Ich kann auch den Mann nicht mehr heiraten, dem ich mich versprochen habe. Ich will nur noch Vergeltung üben... bevor ich sterbe.« Klaus strich behutsam über die Wange. »Der Schuft ist es nicht wert, dass du dein Leben opferst. Dass du Vergeltung üben willst, ist eine andere Sache. Doch wie willst du das machen? Du kennst ihn ja nicht einmal.« 18
»Seinen Namen nicht, aber ich habe ihn gesehen... und ich habe ihm das Gesicht zerkratzt. Ich weiß es, denn ich hatte seine Haut unter meinen Fingernägeln. Und ich werde ihn finden. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher.« »Und wohin wolltest du jetzt?« »Zu der alten Kräuterfrau, sie wird mir helfen bei...« Henrike errötete vor Verlegenheit. »Wäre es nicht besser, wir würden dich zu unserem Heilkundigen bringen? Er wird dich untersuchen und...« »Nein... nein, kein Mann soll mich jemals wieder... berühren.« Sie wich vor Klaus zurück, schaffte es nun doch, sich aufzurichten, brach aber bewusstlos zusammen, noch ehe Störtebeker sie auffangen konnte. Wie eine geknickte Blume lag sie im Gras und war so blass, als gehörte sie schon nicht mehr auf diese Welt. »Wir nehmen sie mit!«, ordnete Klaus nun an, während er Henrike vorsichtig anhob und zu seinem Pferd trug. »Ich glaube nicht, dass eine Kräuterfrau ihr ausreichend helfen kann. Zwei von euch reiten unverzüglich nach Bassenthin zurück, damit die Eltern des Mädchens Bescheid wissen.« Olaf und Hajo erklärten sich bereit und Olaf fragte: »Was sollen wir denn sagen?« »Die Wahrheit«, erwiderte der Schiffshauptmann knapp, während er Henrike einem anderen Seemann übergab. Er schwang sich in den Sattel und befahl dann: »Reich mir das Mädchen hoch, Ragnar!« Der Mann gehorchte. Henrike, die allmählich wieder zu sich kam, spürte seine derben Fäuste und schrie leise auf, weil sie meinte, das Gleichgewicht zu verlieren. Angstvoll klammerte sie sich an Klaus Störtebeker, der nun beruhigend sagte: »Fürchte nichts, Mädchen. Wir wollen dir wirklich nur helfen.« Sie antwortete nicht, konnte es nicht, denn sie fühlte sich mittlerweile so schlecht, dass es ihr egal war, was nun mit ihr geschah. * 19
»Sie muss doch irgendwo sein.« Diesen Satz hatte Paula Jansen in den letzten Stunden wollt schon unzählige Male gesagt. Inzwischen war ihre sonst so kräftige Stimme immer leiser und banger geworden. Und als ihr Mann sie nun auch noch anschrie, ihr zu verstehen gab, dass die Jüngste, das kleine Luder, wahrscheinlich mit einem der Seeleute auf und davon sei, sank sie laut weinend auf einen Schemel und schlug die Hände vor das Gesicht. »Das meine ich auch«, ließ sich Aloisia vernehmen, die unschlüssig am Herd stand. »Jan hat mir erzählt, dass sie mit Klaus Störtebeker geschwatzt hat.« »Das ist genau das, was ich sage«, rief Robert Jansen erbost. »Sie wird sich mit ihm oder einem anderen Kerl im Heu gewälzt haben...« »Nie und nimmer glaube ich das«, beharrte Paula. »Rike ist nicht so eine. Und warum hätte sie so etwas tun sollen, sie ist doch Jan versprochen?« Der Bauer zuckte nur mit den Schultern. Eine Tochter, die einfach fortlief, sollte künftig sehen, wo sie blieb. Er wollte seine weinende Frau gerade wieder anschnauzen, als Brunhilde, die älteste Tochter, fassungslos sagte: »Schaut doch, Vater, die Seeleute kommen zurück.« Nun rannten alle zuerst zum Küchenfenster und anschließend aus dem Haus, wo inzwischen Olaf und Hajo von ihren Pferden gestiegen waren. »Wir bringen eine Nachricht von Eurer Tochter, Robert Jansen«, begann Olaf ruhigen Tones, während er auf den Bauern zuging. »Wir haben sie vorhin halbtot am Wegrand gefunden und sie hat uns erzählt, was ihr in der vergangenen Nacht widerfahren ist.« »Was denn?«, stieß Robert Jansen verständnislos hervor. »Sie sollte doch nur nach der Frau des Bürgermeisters sehen und dann mit uns feiern.« »Sicher, aber einer der Räuber muss entkommen sein, er hat sie niedergeschlagen und vergewaltigt...« »Vergewaltigt...«, flüsterte Paula tonlos, »... das arme Ding.« Ihr Blick war wie erloschen, als sie ihren Mann anschaute. »Hörst du es, Robert, irgendein Lump hat sie geschändet.« 20
Der Bauer schwieg betroffen, genauso wie seine älteren Töchter, Paula hatte sich jedoch soweit gefasst, dass sie fragen konnte: »Wo ist Henrike jetzt?« »Unser Schiffshauptmann bringt sie gerade zu einem Arzt«, erwiderte Hajo. »Das ist sicherlich gut für sie, er wird ihre Wunden heilen können.« »Ein Arzt?« Der Bauer schnaubte verächtlich. »Ein ehrbares Weib hat sich nur von ihrem eigenen Gemahl und von anderen Weibern anschauen zu lassen.« »Aber der Arzt wird ihr vielleicht noch helfen können«, wandte Brunhilde betroffen ein. »Ihr wollt doch nicht, dass sie stirbt, Vater.« »Das wär das Beste - für uns alle. Einen Mann wird sie nach dieser Schande nicht mehr finden, vielleicht auch gar nicht mehr wollen...« »Mann, versündige dich nicht, Henrike kann doch nichts dafür... und sie braucht uns jetzt, sie hat doch nur noch uns, denn Jan wird sich gewiss von ihr zurückziehen, wenn er das Schreckliche erfährt.« Robert Jansen sah seine Frau durchdringend an. »So ist es. Man wird mit Fingern auf das Mädel zeigen, denn eine Frau, der Gewalt angetan wurde, ist immer eine Verworfene. So wird doch immer geredet. Aber ich will natürlich nicht, dass meine Tochter unnötig leidet. Deshalb soll sie das Geld bekommen, das für ihre Aussteuer gedacht war. Vielleicht kann sie damit irgendwo ein neues Leben anfangen, wenn sie wieder gesund ist.« Mit schweren Schritten ging er ins Haus, kam nach wenigen Minuten wieder und drückte Olaf den Beutel mit Münzen in die Hand, den Henrike erst vor wenigen Tagen von Klaus Störtebeker bekommen hatte und dann noch eine Geldbörse aus dunklem Leder. »Ihr wollt Eure Tochter also nicht wieder sehen?«, fragte Hajo empört. »Doch, irgendwann schon«, antwortete der Bauer dem Seemann. »Wenn genug Gras über die Sache gewachsen ist. Versteht doch, wer wird uns noch achten, wenn...?« Olaf und Hajo schwiegen tief betroffen, blickten noch einmal in die Gesichter der Anwesenden, sahen, dass der Bauer seine Ehre über seine Liebe stellte, dass die Bäuerin vor Sorge und Angst sprachlos war, 21
ebenso wie Henrikes älteste Schwester. Das jüngere Mädchen lächelte jedoch leicht, was die beiden Seeleute nicht verstehen konnten. »Wir werden Eurer Tochter ausrichten, was Ihr gesagt habt, Bauer Jansen. Und nun lebt wohl - und pflegt Euer hartes Herz.« Hajo maß den Alten mit zornigen Blicken, bevor er Olaf folgte. Die Zurückbleibenden sahen ihnen nach, bis sie ihren Blicken entschwunden waren. Die Bäuerin wischte sich die Tränen mit dem Schürzenzipfel ab und der Bauer verschwand eilig im Stall. Brunhilde lächelte jedoch eigentümlich und sagte: »Nun ist der Jan wieder frei, Aloisia.« »Ja«, giftete diese. »Der Vater war nur so dumm, den Kerlen noch das Geld zu geben. Das war recht schäbig von ihm. Man hätte es gut gebrauchen können.« »Es ist Henrikes Geld«, schrie Paula und verpasste dann ihrer Zweitjüngsten einen derben Schlag auf das Hinterteil. * »Wo... bin... ich?« Henrike sprach leise und mühsam, während sie sich irritiert in dem kleinen Raum umsah. Sie erblickte einen schmalen Tisch, einen Stuhl und eine große Kiste - und einen älteren Mann, der vor ihrem Lager stand. »Ihr seid auf einer Kogge und auf dem Meer, junge Frau. Ich bin Christoph Jörgens, der Schiffsarzt, der Euch nun fragt, wie Ihr Euch fühlt.« »Schlapp und müde.« »Das ist kein Wunder, Ihr habt viel Blut verloren, aber Ihr seid jung und gesund und werdet in ein paar Wochen wieder munter wie ein Zicklein umher springen. Ihr könnt auch noch Kinder bekommen, auch wenn Euch dieses Untier viel Schaden zugefügt hat.« »Ich will keinen Mann mehr.« Jörgens lächelte nachsichtig. »Die Zeit wird auch die Wunden Eurer Seele heilen, glaubt nur. Doch vorerst müsst Ihr Euch stärken. Unser Smutje hat eine nahrhafte Suppe gekocht, die wird Euch gut munden. Seht, da kommt er ja schon.« 22
Ein junger Bursche war lautlos eingetreten, er hielt einen Napf in der Hand, aus dem es köstlich duftete. »Kommt, ich helfe Euch!« Der Heilkundige griff Henrike unter die Achseln und brachte sie so in eine sitzende Position. Dann nahm er auf der Bettkante Platz, nahm dem Koch die Schüssel ab und sagte: »Du kannst gehen, Lukas. Ich versorge das Fräulein schon selbst.« »Und nun wird brav gegessen, ein Löffel voll und noch einer und noch einer.« Der Arzt plapperte munter drauflos, bis Henrike mehr als die Hälfte der Suppe gegessen hatte. Danach ließ er sie wieder auf das Kissen zurücksinken und meinte zufrieden: »So, nun schlaft weiter und macht Euch keine Sorgen. Alles wird gut, Ihr seid hier zwar auf einem Piratenschiff, aber so sicher, als wäret Ihr in einem Nonnenkloster.« »Ich danke... Euch«, murmelte sie und schloss die Augen. Ein Piratenschiff, dachte sie noch. Es muss Klaus Störtebeker gehören... Zehn Tage später ging es ihr schon so gut, dass sie aufstehen und an Deck gehen konnte, selbstverständlich nur in Begleitung des Arztes. Denn so ganz traute der Kapitän seiner Mannschaft wohl doch nicht. Es waren immerhin Männer, die schon seit Monaten nicht mehr bei einem Weib gelegen hatten. Klaus Störtebeker sah Henrike nur gelegentlich. Er hatte anderes zu tun, als bei ihr zu sitzen und zu plaudern. Um so erstaunter war sie, als er an diesem Nachmittag zu ihr kam, sich zu ihr auf das Lager setzte und ruhig sagte: »Du bist nun wieder gesund, Mädchen. Das freut mich sehr. Doch wie soll es nun mit dir weitergehen? Immer kannst du nicht bei uns bleiben. Das ist viel zu gefährlich.« »Das möchte ich auch nicht«, antwortete sie mit monotoner Stimme. »Zu meinen Eltern kann ich allerdings nicht zurück. Der Vater hat strenge Ansichten. Er wird mir immer wieder vorwerfen, ich hätte diesen Mann zu seinem schändlichen Tun ermuntert. Und dann ist da noch Jan, mit dem ich mich nun nicht mehr vermählen kann.« Klaus verzichtete darauf, der jungen Frau im einzelnen zu erzählen, was er von Hajo und Olaf gehört hatte, er nickte nur bestätigend und erwiderte: »Ich glaube auch, dass es besser ist, wenn du an einem anderen Ort neu beginnst, genauso wie deine Eltern es wün23
schen. Dein Vater hat dir deshalb das Geld für die Aussteuer geschickt...« »Meine Eltern wissen, wo ich jetzt bin?«, warf sie aufgeregt ein. »Ja, ungefähr schon. Zwei meiner Leute sind bei ihnen gewesen und haben ihnen erklärt, was mit dir in jener Nacht geschehen ist.« »Und wie haben sie es aufgenommen?« Störtebeker zögerte einige Sekunden mit der Antwort, dann sagte er: »Dein Vater ist wirklich ein strenger Mann, aber deine Mutter hat vor Freude geweint, weil du noch lebst.« Ein bitteres Lächeln kräuselte Henrikes Mund, aber sie klagte nicht, sie entgegnete nur traurig: »Ich werde meine Familie nicht in Verlegenheit bringen und doch befürchte auch, dass... dass... dieser Mann... mich suchen wird, weil er mich töten will.« »Warum sollte er?«, fragte Klaus überrascht. »Ich glaube, er wollte mich nach der Tat beseitigen, ist jedoch gestört worden, weil man nach mir gesucht hat. Außerdem weiß er, dass ich ihn wieder erkennen würde.« »Wie sieht er denn aus?« »Er ist groß und kräftig, sein Haar ist eher hell als dunkel und er sieht nicht aus wie ein Räuber. Er könnte auch ein Ritter oder ein feiner Herr sein.« »Ein gut aussehender Mann also und noch ziemlich jung, nicht wahr, nicht älter als ich?« »Ihr kennt Ihn?« »Schon möglich«, antwortete Klaus zerstreut. »Mir sind schon viele gefährliche Männer begegnet, aber es gibt einen, der ist wie der Wolf im Schafspelz und so hinterlistig wie ein Fuchs. Er scheint mit dem Teufel im Bunde zu sein, denn er hat schon viele Seeleute um ihr Leben gebracht. Aber es gelingt uns einfach nicht, ihn zu fassen und unschädlich zu machen.« »O Gott«, hauchte Henrike verängstigt, doch Klaus drückte beruhigend ihre Hand. »Wir wissen beide nicht, ob es sich um ein und dieselbe Person handelt, aber es ist immer gut, wenn man die Gefahr erkannt hat und sich danach richtet. Und genauso, wie du diesen Unhold beschreiben 24
kannst, so wird er auch noch wissen, wie du aussiehst. Schon allein dein Haar könnte dich verraten.« »Daran habe ich auch schon gedacht«, versetzte sie bedrückt. »Ich werde es unter Tüchern und Hauben verbergen müssen.« »Du musst auch einen anderen Namen annehmen. Wie wäre es, wenn du fortan als Witwe... Karoline Mendel bei einem älteren Ehepaar leben würdest?« »Ich wollte mich doch bei einem Bauern oder Handwerker verdingen, wollte arbeiten, irgendwo mein Brot verdienen...«, antwortete sie. »Mein Geld wird nicht reichen, um damit auszukommen.« »Das sicher nicht«, gab Klaus lächelnd zu. »Aber lass mich nur machen, Mädchen. Bevor wir nach Nowgorod aufbrechen, wirst du die ehrbare Witwe Karoline sein, die ein wenig Geld von ihrem Mann geerbt hat und bei Verwandten wohnt. Und diese werden dir auch bei der Suche nach einer geeigneten Stellung behilflich sein. Wärst du mit dieser Regelung einverstanden?« »Ja, o ja, denn ich vertraue Euch, Klaus Störtebeker.« Henrike lächelte schüchtern und drückte spontan die Hand des Piraten. * »Wir freuen uns, liebe Karoline, dass Ihr künftig bei uns wohnen wollt. Möge unser Herrgott Euch gnädig sein auf all Euren Wegen.« Nach diesen schlichten Begrüßungsworten reichte Pfarrer Raimund Paschke der jungen Frau die Hand, wies dann auf die rundliche Frau an seiner Seite und setzte freundlich lächelnd hinzu: »Das ist meine Gemahlin Ludowika. Sie wird Euch jetzt zu Eurem Gemach führen und Euch alles erklären, was Ihr wissen wollt und wissen müsst.« Henrike würgte ein paar Dankesworte hervor und folgte anschließend der Hausfrau. Diese zeigte ihr kurz darauf eine recht große Stube, in der ein Bett sowie ein Tisch mit zwei Stühlen standen. Ein abgetretener Teppich zierte den Holzfußboden und an der Wand hing ein runder Spiegel. Eine Truhe mit einem gewölbten Deckel und ein Waschtisch mit den üblichen Utensilien vervollständigten das Mobiliar. Das Schönste aber war ein sehr bequemer Sessel, der mit rotem Samt 25
bezogen worden war. Er stand vor dem Fenster, von dem man einen herrlichen Ausblick auf vereinzelte Häuser und einen Park hatte. Die junge Frau lächelte unwillkürlich, was der Pfarrersfrau nicht entging. »Ich lasse Euch jetzt allein, damit Ihr Euch hier häuslich einrichten und ausruhen könnt. Da kommt ja auch schon der Bursche mit Eurem Gepäck. In einer guten Stunde wird übrigens das Abendessen aufgetragen. Ich schicke Euch dann das Hausmädchen. Es wird Euch den Weg weisen.« »Ich werde pünktlich sein und hoffe Euch nicht zu große Ungelegenheiten zu machen«, antwortete Henrike und drückte der Frau dann einige Münzen in die Hand. Die Pfarrersfrau nahm sie, ohne sich zu zieren. Als Henrike allein war, packte sie zuerst ihre Gewänder, Tücher und Hauben aus sowie alles, was zu den Leibgedingen einer nicht ganz armen Frau gehörte. Störtebeker hatte für diese Ausstattung gesorgt oder sorgen lassen, so dass niemand im Dorf auf den Gedanken kommen konnte, sie wäre ein Mädchen, das die Schande von zu Hause fortgetrieben hatte. Er hatte anscheinend alles mit dem Gemeindehirten besprochen, was zu besprechen gewesen war. Danach war sie eine entfernte Verwandte der Familie Paschke, verwitwet und auf der Suche nach einer Stellung. Bis sie diese gefunden hatte, würde sie der Hausfrau in der Küche und im Garten zur Hand gehen. Henrike lächelte trübe. Sie hatte sich ihr Leben anders vorgestellt, ganz anders, hatte von einem fürsorglichen Mann und mehreren Kindern geträumt, doch dieser Traum war nun endgültig vorbei. Und manchmal fragte sie sich, warum sie überhaupt noch lebte. Doch dann erwachte ihr Kampfgeist, der ihr riet, mit der Schande zu leben und auf den Tag der Rache zu hoffen. Leise seufzend schloss sie nun den Deckel der Truhe und ging zum Spiegel, der ein Meisterstück der Schmiedekunst war. Sie betrachtete sich eingehend, fand sich blass und mager, war jedoch im großen und ganzen mit ihrem Aussehen zufrieden. Die eng anliegende weiße Haube verdeckte ihr Haar vollständig, die sonst so dunklen Augenbrauen hatte sie heller gefärbt, was insgesamt aus einem hübschen Bauernmädchen eine unscheinbare Frau machte. Das hatte sie auch 26
bezweckt. Und sie brauchte auch nicht mehr hübsch zu sein, sie wollte keinen Mann auf sich aufmerksam machen. Es war gut, dass ihre Mutter sie nicht sehen konnte. Sie hätte angesichts dieser Maskerade die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Sie öffnete und sah dann das Hausmädchen auf der Schwelle stehen, das sie anschließend zum Speisezimmer führte. Die nächsten Tage verliefen sehr ruhig. Henrike, die Gott dankte, dass ihr wenigstens eine Schwangerschaft erspart geblieben war, fand sich in ihrer bescheidenen Art und ihrem Fleiß gut in den Alltag der Familie Paschke hinein. Sie half beim Spinnen und Nähen, jätete Unkraut und kümmerte sich um das Federvieh, was ihr Lob und Dank ihrer Gastgeber einbrachte. Und doch atmete sie heimlich auf, als der Pfarrer an diesem Sonntag, kurz nach dem Gottesdienst, zu ihr sagte: »Unser Gutsherr ist vorhin an mich herangetreten und hat mich gefragt, ob ich nicht eine Frau wüsste, die sich als Kindermädchen eignen würde. Ich habe da an Euch gedacht, Karoline.« »Kindermädchen?«, wiederholte Henrike erstaunt und setzte dann hastig hinzu: »Ja, ich glaube, diese Arbeit könnte ich verrichten. Wie viel Kinder hat der Gutsherr denn?« »Nur eines, ein sechsjähriges Mädchen, das ohne Mutter aufwachsen muss. Claudius von Nieburg ist Witwer und hat auch nicht viel Muße, sich mit seiner Tochter zu beschäftigen.« »Ja, das ist verständlich. Aber den Namen Nieburg kenne ich. So hieß auch der Herr von Bassenthin.« Der Pfarrer nickte zustimmend. »Soweit mir bekannt ist, hat der Baron diese Herrschaft kürzlich von einem Onkel geerbt. Doch sagt, was soll ich ihm denn ausrichten?« »Richtet ihm aus, dass ich da sein werde, sobald er es möchte.« »So ist es brav«, erwiderte Raimund Paschke salbungsvoll und nickte Henrike freundlich zu, bevor er sich anderen Gemeindemitgliedern widmete. * 27
Die mecklenburgische Kogge war wegen des extrem schlechten Wetters viel zu dicht an die Insel Öland geraten und strandete. Die Mannschaft versuchte sich zu retten, was in der vom Sturm gepeitschten See beinahe ein Ding der Unmöglichkeit war. Einige Männer konnten dennoch an Land gelangen, ob sie damit jedoch ihr Leben wirklich retteten, war mehr als zweifelhaft. Verbündete des verhassten Albrecht von Schweden wurden von den Bütteln des aufgebrachten Adels kurzerhand gefangen genommen und musste damit rechnen, bereits am nächsten Tag hingerichtet zu werden. Lüder Marlow, dem es durch Gottes Hilfe oder irgendeine glückliche Schicksalsfügung gelungen war, sich an den Rest eines im Wasser treibenden Mastes zu klammem, sah mit Entsetzen, wie seine Kameraden geschlagen und abgeführt wurden. Der Tod war ihnen sicher, aber sie würden unter Qualen sterben, er jedoch brauchte nur den Mast loszulassen und seine ohnehin fast erstarrten Gliedmaßen nicht mehr zu bewegen, dann würde er schon bald in der Ewigkeit angekommen sein. Er schloss erschöpft die Augen, klammerte sich aber weiterhin an das Holz, halb bewusstlos trieb er auf dem Meer, das inzwischen viel ruhiger geworden war. Der Sturm hatte erheblich nachgelassen. Die Kogge, die sich in schneller Fahrt näherte, bemerkte er in seinem Zustand jedoch nicht mehr, eben sowenig wie die Schaluppe, die von kräftigen Männern gerudert wurde. Er spürte die Arme nicht, die ihn aus dem Wasser zogen und kam erst wieder zu sich, als der Tag sich neigte. Ein bärtiger Mann beugte sich über ihn und hielt ihm einen Becher an die Lippen. »Trink, Seemann!« Lüder gehorchte zitternd, trank in kleinen Schlucken und fragte sich beklommen, wo er wohl gelandet sein mochte. Er war noch immer auf dem Meer, auf einem Schiff, das fühlte er. Aber auf was für einem? Er wollte sprechen, doch seine Zunge versagte ihm den Dienst, er brachte nur ein heiseres Krächzen zustande, das der Bärtige jedoch zu deuten wusste. »Du bist hier in guter Hut«, sagte er in deutscher Sprache. »Unser Schiffshauptmann ist gerecht und hat noch niemanden grundlos um 28
sein Leben gebracht. Ruh dich aus und sieh zu, dass du wieder zu Kräften kommst.« Den letzten Satz hörte Lüder schon nicht mehr. Er fieberte stark und war dem Tod näher als dem Leben. In diesem Zustand verbrachte er einige Tage, bis endlich seine unverwüstliche Natur siegte. Er würde wieder gesund werden. Doch was würde danach mit ihm geschehen? Inzwischen war ihm nämlich klar geworden, dass er in die Hände von Piraten gefallen war. Diese mussten jedoch noch nicht ganz gefühllos sein, denn sie hatten ihm immerhin das Leben gerettet und gesund gepflegt. »Wie heißt du eigentlich, Seemann?« Ein Mann, den Lüder bisher noch nicht gesehen hatte, war in die Mannschaftskajüte gekommen, in deren letzten Winkel man dem Schiffbrüchigen ein Lager bereitet hatte. »Man nennt mich Lüder Marlow, die Kogge, auf der ich angeheuert hatte, ist vor Öland gestrandet...« »... und gehörte zur mecklenburgischen Flotte, nicht wahr?« »Ja...«, gab er gedehnt zu und richtete sich stöhnend auf. »Wir sollten König Albrecht zur Hilfe kommen.« »König Albrecht?« Klaus Störtebeker zuckte mit den Schultern, als wenn er andeuten wollte: Was geht der mich an? Laut sagte er jedoch: »Der König hat sich geweigert, seinen Thron an Margarete von Dänemark abzutreten und wird nun zusammen mit seinem Sohn auf der Festung Lindholm gefangen gehalten, er sitzt sozusagen hinter schwedischen Gardinen.« »Es ist also doch so gekommen, wie man es ihm schon lange prophezeit hat. Aber der Krieg ist damit wahrscheinlich noch immer nicht zu Ende.« »Nein, aber das soll weder dich noch uns kümmern. Doch was wird nun aus dir? Wir haben Kurs auf Lübeck genommen. Willst du dort an Land gehen?« »Das würde ich schon gern, doch ich weiß nicht, wovon ich leben soll. Meine Familie ist arm. Könnt Ihr nicht einen Schiffsknecht gebrauchen? Ihr seid doch der Kapitän, oder nicht?« 29
»Doch, der bin ich und mein Name ist Klaus Störtebeker. Willst du immer noch bei mir anheuern?« Lüder zögerte, erwiderte dann aber fest: »Ich werde Euch gern dienen, Hauptmann.« Klaus hielt ihm die Hand hin. »Dann sei bei uns willkommen, Lüder Marlow. Aber denke immer daran, dass wir Verräter zu finden wissen und diese gnadenlos richten werden.« »Ich bin kein Verräter, nur ein armer Mensch«, beteuerte Lüder festen Tones. Klaus glaubte ihm. Dieser Mann war ehrlich und rechtschaffen, er war nicht wie Karsten Studer, den er und Goedecke immer noch suchten. Klaus lächelte grimmig bei diesen Gedanken, dann legte er dem neuen Schiffsknecht wohlwollend die Hand auf die Schulter und sagte: »Wir haben noch einiges zu bereden, aber erst, wenn du vollkommen gesund bist.« Lüder atmete nach diesen Worten erleichtert auf. Es machte kaum einen Unterschied, ob er nun für den Herzog zur See fuhr oder an der Seite von Klaus Störtebeker kämpfte. Voller Gefahren war es allemal. * »Du hast es mit den Weibern, das kannst du nicht abstreiten, alter Freund. Du rettest Grafentöchter, Bauerndirnen und bist auch bei den reichen Bürgermädchen beliebt. Wie machst du das bloß?« Goedecke blickte seinen Freund an, als solle ihm dieser ein lange gehütetes Geheimnis verraten. »Ich bin immer ehrlich zu ihnen, freundlich und fürsorglich. Das ist alles.« Klaus lachte herzhaft, wurde dann jedoch wieder ernst, was sich in den nun folgenden Worten ausdrückte: »Es gibt gewisse Anzeichen, dass Karsten Studer noch am Leben ist und wieder sein Unwesen treibt.« »Was??« Goedecke sprang von seinem Schemel auf, als hätte man ihm in den Allerwertesten gestochen. »Woher weißt du das? Was hast du gehört?« 30
Störtebeker, der mit Goedecke in der Herberge ›Zum Walfisch‹ saß, beugte sich näher zu ihm und erwiderte leise: »Lüder Marlow, der vor kurzem bei mir angeheuert hat, scheint ihn zu kennen, zumindest einen Mann, auf den die Beschreibung haargenau passt. Er kennt ihn allerdings nicht als Rarsten Studer, sondern als Ingomar von Humfried. Seine Familie wohnt in dem Dorf, in dem Lüder geboren wurde und aufgewachsen ist. Ritter Humfried hat mehrere Söhne, von denen Ingomar bei weitem der bösartigste ist. Er soll schon als Kind Menschen und Tiere gequält haben. Vor ein paar Jahren ist er von zu Hause fort und man erzählt sich, dass er nach Stralsund gegangen sein soll. Geht dir nun ein Licht auf?« »Mehr als eines, aber sprich nur weiter«, erwiderte Goedecke grimmig, setzte sich wieder und trank dann seinen Humpen Bier in einem Zug leer. »Ja und dann habe ich vor ein paar Wochen ein Mädchen aufgelesen, das von einem gut aussehenden Burschen vergewaltigt worden war. Und dieser Bursche gehörte allem Anschein nach zu einer Räuberbande, der wir gerade das Handwerk gelegt hatten. Überzeugt davon, dass wir alle erwischt hatten, haben wir gefeiert. Und in dieser Zeit hat er zuerst dem Bürgermeister die Ersparnisse gestohlen und anschließend das Mädchen geschändet. Danach war er wie vom Erdboden verschwunden, so wie es dieser Hundesohn immer macht. Sicher bin ich mir natürlich nicht, dass er es war.« »Aber es passt zu ihm.« Störtebeker nickte und sagte dann wie zu sich selbst: »Der Teufel muss seine schützende Hand über ihn halten. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass er uns immer wieder entwischen kann. Die Kleine, die er vergewaltigt hat, meint, dass sie ihm bleibende Narben verpasst hat.« »Die werden ihm gut stehen«, brummte der Kapitän der ›Maria Anna‹. »Was ist übrigens aus der Frau geworden?« »Ich habe sie mitgenommen und Christoph hat sie gesund gepflegt.« »Und dann wollte sie unbedingt bei dir bleiben.« 31
»Nein, das nicht.« Klaus schüttelte den Kopf. »Sie wollte arbeiten. Ich habe sie deshalb bei einer mir gut bekannten Familie in der Nähe von Stralsund untergebracht. Dort wird man ihr weiterhelfen. Aber ich habe mir vorgenommen, sie im Auge zu behalten. Eine innere Stimme sagt mir, dass dieser Teufelsbraten sich an ihr rächen wird.« * Henrike war mit stark klopfendem Herzen und einem mulmigen Gefühl in der Magengegend zum Schloss gewandert, um sich dort dem Herrn von Nieburg vorzustellen. Dunkel gekleidet wie eine Ordensschwester wirkte sie älter als sie war und hoffte, dass sie so auf den Baron einen guten Eindruck machen würde. Und nun stand sie vor ihm, in einem schmalen Gemach mit hohen Fenstern, sah ihn hinter einem wuchtigen Schreibtisch sitzen und wartete darauf, dass er das Wort an sie richtete. »Ihr seid also Karoline Mendel«, begann der Gutsherr und musterte die junge Frau eingehend. »Der Pfarrer hat Euch mir warm empfohlen. Doch ich würde gern mehr über Euch wissen. Wie alt seid Ihr und was habt Ihr bisher gemacht?« Auf derartige Fragen gut vorbereitet, log sie: »Ich bin vor kurzem fünfundzwanzig geworden und habe jahrelang meine jüngeren Geschwister betreut. Als ich zwanzig geworden bin, hat mich der Bäcker Adolar Mendel zur Frau genommen. Leider ist mein Gemahl vor wenigen Wochen verstorben.« Claudius von Nieburg reichte diese Antwort noch nicht. Er gab seine lässige Haltung auf, beugte sich ein wenig vor wollte dann noch wissen: »Könnt Ihr lesen und schreiben?« »Ja, das kann ich. Die Nonnen im benachbarten Kloster haben es mich gelehrt. Ich kann auch ein wenig rechnen, die Kenntnisse einer Lehrerin habe ich allerdings nicht.« »Die sind auch nicht notwendig. Mir geht es vor allem darum, dass meine Tochter gut betreut und beaufsichtigt wird. Sie ist leider etwas verwildert und bedarf strenger Führung. Kommt und seht selbst!« 32
Der Schlossherr erhob sich und bedeutete der jungen Frau, ihm zum geöffneten Fenster zu folgen, von dem man einen großen Teil des Hofes überblicken konnte. Mägde und Knechte gingen geschäftig ihrer Arbeit nach, in einer Ecke scharrten ein paar Hühner und der Hofhund lag dösend vor seiner Hütte. Henrike nahm das jedoch nur flüchtig wahr, sie blickte fasziniert und verwundert zugleich auf ein kleines, zierliches Mädchen, das mit einem Schwert aus Holz auf einen etwas älteren Jungen eindrang. Mit viel Geschick und flink wie ein Wiesel umkreiste es den Knaben, täuschte ihn arglistig und stieß ihm dann das Schwert in den Oberschenkel. Der Junge schrie und wollte sich auf die Kleine stürzen, doch diese war viel schneller als er. Sie lief zum Brunnen, aus dem eine Magd gerade Wasser geholt hatte. Ihre Hände in den Eimer tauchend, spritzte sie den herannahenden Jungen nass und rief triumphierend: »Willi, du bist so dumm, dass dich die Schweine beißen.« Anscheinend war Willi das wirklich, oder er traute sich nicht, der Tochter des Herrn das Fell zu gerben. Er blieb jedenfalls einen Moment fassungslos stehen, starrte auf seinen nassen Rock und lief schließlich leise vor sich hin schimpfend davon, begleitet vom höhnischen Gelächter der Kleinen. Henrike lächelte unwillkürlich, der Gutsherr seufzte jedoch und sagte verärgert: »Das da ist meine Tochter Johanna, sie ist so wild wie ein Junge und ist strikt gegen alle weiblichen Beschäftigungen. Ihr werdet es nicht einfach mit ihr haben.« »Vielleicht nicht, aber wenn sie Vertrauen zu mir fassen sollte, glaube ich doch, dass wir gut miteinander auskommen werden. Eure Tochter mag offensichtlich gern spielen. Dabei hat sie ihren Spaß und kann trotzdem viel lernen.« »Freut Euch nicht zu früh«, warnte Claudius von Nieburg und nahm erneut hinter seinem Schreibtisch Platz, während Henrike in der Nähe des Fensters stehen blieb und sah, dass das Kind nun in einem Stallgebäude verschwand. »Hanna ist mitunter ein kleiner Teufel, ihr fehlt eben die Mutter.« »Heißt das, dass Ihr mich in Euren Dienst aufnehmt?«, fragte sie atemlos. 33
»Ja, das heißt es«, erwiderte er mürrisch. »Ihr seid übrigens bereits das fünfte Kindermädchen. Alle anderen haben es immer nur wenige Wochen ausgehalten.« Sie verkniff sich einen Kommentar, neigte nur den Kopf und fragte bescheiden: »Wenn ich Euch recht verstanden habe, soll ich Eure Tochter den ganzen Tag beaufsichtigen. Ich nehme nun an, dass ich auch in ihrer Nähe schlafen soll. Ist das richtig?« »Ihr habt es erfasst. Schnürt nur alsbald Euer Bündel und richtet Euch hier häuslich ein. Die Großmagd wird Euch alles weitere erklären. Ich habe jetzt keine Zeit mehr.« Der Gutsherr, der Anfang der Dreißig sein mochte, marschierte mit schnellen Schritten aus dem Raum. Henrike schaute ihm entgeistert nach. Sie war es nicht lange, denn eine Frau in mittleren Jahren betrat kurz darauf die Kammer und sagte gleichmütig: »Ich bin Dörthe, die Großmagd und werde Euch jetzt im Haus herumführen und Euch auch Eure Kammer und die von Fräulein Johanna zeigen.« Das angehende Kindermädchen nickte erleichtert, während es der Frau folgte. Mit der betulichen Dörthe war sicher besser auszukommen als mit dem kurz angebundenen Herrn von Nieburg. Und deshalb wagte sie auch zu fragen: »Ist das Kind schon längere Zeit ohne Aufsicht?« »So ist es - leider. Nachdem Fräulein Johanna der letzten Kinderfrau Frösche und Spinnen ins Bett gesetzt hat, ist diese wie von Furien gejagt aus dem Haus gelaufen.« »So ängstlich und schreckhaft bin ich nicht«, antwortete Henrike und dachte daran, dass sie schon viel mehr hatte ertragen müssen als ein paar harmlose Tiere. »Wohl Euch.« Die Frau nickte mit dem Kopf, als wenn sie sagen wollte: Warten wir es ab. Aber sie äußerte sich nicht weiter zu den derben Spaßen der kleinen Johanna, sondern erklärte der neuen Bediensteten den Tagesablauf im Schloss, bis sie vor den beiden Gemächern angekommen waren, die das Kind bewohnte. »Diese Kammer ist für das Kindermädchen vorgesehen«, sagte die Großmagd, nachdem sie von einem Raum zum anderen gegangen war und eine schmale Tür geöffnet hatte. Henrike blickte wenig begeistert 34
in eine enge Stube, in der nur die allernotwendigsten Möbel standen und von Behaglichkeit keine Rede sein konnte. Einen Seufzer unterdrückend, sagte sie sich, dass sie sich in diesem Raum wahrscheinlich nur wenig aufhalten würde. Sie hatte vermutlich mehr als genug damit zu tun, die Tochter des Gutsherrn zu bändigen. So täuschte sie Zufriedenheit vor und sagte möglichst gelassen: »Ich danke Euch, Dörthe und würde mich freuen, wenn ich mich mit meinen Fragen immer an Euch wenden dürfte.« »Aber gern.« Die Großmagd lächelte geschmeichelt. »Kommt nur zu mir, denn unser Herr will von dem ganzen Weiberkram nichts hören und sehen. Er hat überdies mit der Jagd und der Bewirtschaftung seiner Güter mehr als genug...« Was Claudius von Nieburg im einzelnen zu tun hatte, erfuhr Henrike vorläufig nicht, denn seine Tochter stürmte jetzt wie die wilde Jagd herein und fuchtelte mit ihrem Holzschwert herum. »Ich will kein Kindermädchen!«, schrie sie aufgebracht. »Das werdet ihr alle schon noch merken.« »Aber Fräulein Johanna...« Der Einwand der Großmagd verhallte ungehört, da das Kind seine zukünftige Betreuerin eingehend musterte. Henrike nutzte die Gelegenheit, nun ihrerseits die Kleine genauer zu betrachten. Sie sah ihrem Vater sehr ähnlich, hatte die gleichen grauen Augen und ihre Haare waren fast schon so dunkel, wie die ihres Vaters, sie war alles in allem ein hübsches Kind und schien auch sehr aufgeweckt zu sein. »Gefalle ich dir?«, erkundigte sich Henrike, als Johanna ihre Musterung beendet hatte. »Warum solltest du mir gefallen?«, wurde spitzzüngig erwidert. »Du bist ja nur ein Kindermädchen und die kann ich nie leiden.« »Johanna, nun reicht es aber«, mischte sich Dörthe ungehalten ein. »Dein Vater wäre sehr böse, könnte er hören, wie frech du bist.« »Er hört es aber nicht und du wirst nicht petzen.« Sich dessen ganz gewiss, hüpfte Johanna munter herum und nutzte ihr Schwert, um eine Vase vom Tisch auf den Fußboden zu befördern. Dörthe bückte sich sofort, sammelte die Scherben in ihre Schürze und lief dann hinaus. 35
»Das war eine schöne Vase«, sagte Henrike unterdessen missbilligend zu dem kleinen Unband. »Warum hast du sie zerschlagen?« »Weil ich es so wollte. Und dich werde ich auch schlagen, wenn du mich ärgerst. Ich werde die Peitsche nehmen.« »Soll ich mich nun fürchten?«, fragte Henrike lachend, was der Kleinen nun ganz und gar nicht gefiel. »Ich werde dir schon noch Angst machen«, fauchte sie und lief dann so schnell hinaus, wie sie gekommen war. Dörthe, die gleich darauf wiederkam, sagte nur gleichmütig, während sie den Fußboden trocken wischte: »Da habt Ihr nun gleich einen ersten Eindruck von unserer wilden Hummel bekommen, sie ist wie ein Junge und es wäre besser gewesen, wenn sie ein solcher geworden wäre. Welcher Mann will später einmal ein Mädchen heiraten, das sich nicht zu benehmen weiß?« »Bis dahin vergehen ja noch ein paar Jahre«, antwortete Henrike begütigend und dachte bei sich, dass Johanna von Nieburg eigentlich nur ein kleines, einsames Mädchen war, für das niemand Zeit hatte und das niemand so recht verstand. * Der Wunsch nach eklatanter Vergeltung bohrte in ihm wie die Klinge eines stumpfen Messers. Weit davon entfernt, die Überlegenheit dieses Gegners anzuerkennen, schmiedete Ingomar von Humfried einen Racheplan nach dem anderen. Bisher war ihm allerdings keiner gut genug gewesen, mit keinem würde es ihm gelingen, seine Feinde gefangen zu nehmen und später seinem Auftraggeber vor die Füße zu werfen. Aber immerhin hatte er in den vergangenen Wochen genug an Geld und Geldeswert angehäuft, um sich eine respektable Unterkunft zu mieten und sich wie ein Mann besseren Standes mit Gewändern aus kostbaren Stoffen zu kleiden. Er nannte sich jetzt Reimar von Hunzingen, gab sich leutselig und volksnah und hatte Freunde gefunden. Doch das war alles nicht genug. 36
Sich, wie so oft in letzter Zeit im Spiegel betrachtend, starrte er auch an diesem Morgen in sein narbiges Antlitz und bereute, dass er diesem hinterlistigen Frauenzimmer aus Bassenthin nicht den Todesstoß versetzt hatte. Statt dessen war er geflohen wie der Hase vor dem Fuchs, was letzten Endes auch richtiger gewesen war. Die vor Wut schäumenden Dorfbewohner hätten in ihm möglicherweise doch den Räuber erkannt und hätten ihn wahrscheinlich am nächsten Baum aufgeknüpft. So war die Dirne mit dem Leben davongekommen - noch. Er würde sie finden - eines Tages - genauso wie er Goedecke Micheel und Klaus Störtebeker finden würde. Aber allein würde er das nie schaffen. Er brauchte Geld, viel Geld, um sich ein Schiff kaufen zu können, mit dem er den Schrecken der Meere jagen konnte. Und er brauchte Verbündete, reiche Leute mit Ansehen und Macht und natürlich ein paar Dummköpfe wie Melchior Rassbrandt einer gewesen war. Mittlerweile war es fast Herbst geworden. Es würde nicht mehr allzu lange dauern, dann würden sich die Freibeuter in ihre Winterquartiere zurückziehen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Für ihn, Ingomar von Humfried, war das jedoch der Beginn seiner Rache, einer Rache, die er gut vorbereiten musste. Aber zuerst würde er sich nach diesem Weib mit den spitzen Fingernägeln erkundigen. Er würde nach Bassenthin zurückkehren, als vermögender, geachteter Mann - als Reimar von Hunzingen. Er würde angeblich ein Freund des Gutsherrn sein und sicher bald herausbekommen, was er wissen wollte. Seine Rechnung ging auf. Nur wenige Tage später erfuhr er, dass die jüngste Tochter des freien Bauern Jansen das Dorf vor etwa zwei Monaten verlassen hatte. Warum wusste man nicht so genau, manch einer sagte, sie wäre ins Kloster gegangen, andere meinten, sie hätte ganz plötzlich geheiratet und die ganz Schlauen waren der Ansicht, die Vitalienbrüder hätten sie zu ihrer Beute gemacht. Klaus Störtebeker hätte sie schließlich auf sein Pferd gesetzt und mitgenommen. Theobald Meltusch, der Schweinehirt, hatte es seinerzeit genau gesehen. Aus Henrike Jansen war eine Piratenbraut geworden, auch wenn das ihre Familie nicht wahrhaben wollte. 37
Der vermeintliche Herr von Hunzingen lächelte dünn bei diesen Auskünften. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er einen genaueren Anhaltspunkt bekommen hätte, wo er das heimtückische Frauenzimmer finden würde. An eines glaubte er jedoch nicht. Mochte sie Störtebeker zu Willen gewesen sein oder auch nicht, in keinem Fall hatte er sie mit auf sein Schiff genommen. * Johanna war anfangs störrischer und ungehorsamer als je zuvor gewesen, wurde jetzt jedoch allmählich zugänglicher und friedfertiger. Und das lag nur daran, dass ihr neues Kindermädchen für ihre zahlreichen Ungezogenheiten nur ein mildes Lächeln übrig gehabt hatte. Karoline Mendel regte sich nie auf, so wie ihre Vorgängerinnen es meist getan hatten. Sie schimpfte nicht, sie handelte nur und zwar schnell und unmissverständlich. Aus diesem Grund durfte der kleine Hund, ihr kleiner, allerliebster Spielkamerad, auch heute nicht bei ihr sein, sondern saß vermutlich in der Küche und nagte genüsslich an einem Knochen. Unartige Kinder hätten so liebe Geschöpfe nicht verdient, hatte Karoline vorhin gesagt und Fido fort gebracht. Und nun saßen sie und ihre Betreuerin in der Kammer an einem Tisch, wo sie, Johanna, mit den ersten Schreibübungen beginnen sollte. »Ich kann das nicht und ich will auch nicht.« Hanna schleuderte die Tafel auf den Fußboden. »Du willst doch so mutig wie ein Junge sein«, erwiderte Henrike ungerührt. »Und dazu gehört auch, dass du klug bist und dich in Schrift und Sprache gut auszudrücken weißt. Nur so wirst du einmal eine gute Herrin sein und auch deine Feinde besiegen können. Die Dummheit war schon immer der Anfang allen Übels.« Nun, dumm wollte das kleine Fräulein natürlich nicht sein und so hob es die Tafel wieder auf und malte mit ungelenker Hand die ersten Buchstaben darauf, so wie es ihr aufgetragen worden war. 38
»Da hast du!« Johanna schob die Tafel nach einer Weile über den Tisch bis zu ihrer Betreuerin. »Und jetzt hole ich meinen Hund und gehe mit ihm zur Wiese am Bach.« »Gut«, lenkte Henrike ein, nachdem sie die Schreibübungen für recht ordentlich befunden hatte, »gehen wir zur Wiese am Bach.« »Wir?«, rief Johanna aufgebracht. »Ich gehe mit Fido allein. Dich brauchen wir nicht.« »Entweder komme ich mit, oder du bleibst hier.« Henrike stand auf und ging zur Tür, so einen Fluchtversuch des Kindes vereitelnd. Ungerührt von Hannas Gezeter: »Geh weg da!« und »Ich werde den Hund auf dich hetzen«, stand sie da und maß die Kleine mit strengem Blick, der dann nach einer Weile auch seine Wirkung tat. »Na gut, dann kommst du eben mit«, tat sie gönnerhaft und ging dann brav neben Henrike her, bis sie die Küche erreicht hatten. Der Hund war ein Terrier und fast noch ein Welpe, verspielt und übermütig. Als er sein ›Frauchen‹ sah, ließ er den Knochen liegen und stürmte, vor Freude winselnd, auf sie zu. »Mein liebster Fido«, rief Hanna begeistert, während sie ihm das Fell kraulte. Henrike sah den beiden einige Sekunden lächelnd zu, bevor sie zur Großmagd sagte: »Johanna und ich machen jetzt unseren Spaziergang, sind aber rechtzeitig zum Abendessen zurück.« »Dann gehabt Euch wohl.« Dörthe schaute kaum von ihrer Arbeit auf, war innerlich jedoch zufrieden. Die neue Kinderfrau sah zwar aus wie eine Betschwester, schien aber doch in der Lage zu sein, das Kind ordentlich erziehen zu können. Zumindest lungerte Johanna nicht mehr so oft in den Ställen herum und heckte weit weniger Schelmenstreiche aus. Unterdessen waren Henrike und Johanna auf der Wiese angekommen, begleitet von dem Terrier, der laut kläffend umher sprang und die hier grasenden Pferde in Erregung versetzte. »Fido, komm sofort zurück!«, schrie Johanna angstvoll und zornig zugleich. Doch Fido fühlte sich nach dem Genuss des Knochens wahrscheinlich so kräftig wie eine ausgewachsene Dogge, er raste jedenfalls auf eine Stute und ihr Fohlen zu und bellte, was das Zeug hielt. Er bellte und bellte - bis ihn ein Huf der Stute traf, worauf er re39
gungslos im Gras liegen blieb. Doch damit nicht genug. Die in höchstem Maße verärgerte Pferdemama setzte zu einer weiteren Attacke an, wurde jedoch von Henrike daran gehindert. Die junge Frau war inzwischen bei dem Tier angekommen und rief ihm beruhigende Worte zu, die es nur zu gut kannte. Schließlich kam sie des öfteren hierher und hatte immer ein paar Mohren bei sich, so wie heute auch. »Nimm Fido und bringe ihn in Sicherheit!« Diese Anordnung galt Johanna, die wie erstarrt stehen geblieben war und mit vor Schreck geweiteten Augen dem makabren Schauspiel zugesehen hatte. Als sie sah, dass das Pferd ruhiger wurde und sogar die Mohren fraß, rannte sie zu dem kleinen Hund, nahm ihn auf den Arm und lief zum Bach, wo sie laut schluchzend in die Knie sank. »Lass mal sehen!« Henrike ließ sich kurz darauf neben der Kleinen nieder und tastete das Hündchen vorsichtig ab, konnte jedoch keine offene Wunde oder einen Knochenbruch feststellen. Einige Augenblicke später regte sich Fido und öffnete die Augen, worauf ihn die junge Frau behutsam auf die Erde setzte. Noch ein wenig taumelnd, aber doch schon recht wacker machte er ein paar Schritte, was Hanna zu der Frage veranlasste: »Wird er vielleicht doch wieder... gesund?« »Möglich wäre das schon. Wir müssen abwarten, ob er frisst. Aber jetzt ist es am besten, wenn du ihn auf die Arme nimmst und nach Hause trägst.« »Ja, das mache ich. Komm, Fido!« Die Kleine hatte bereits die Hände ausgestreckt, um den Hund hochzuheben, tat es dann aber doch nicht, sondern strich ihrem leise jaulenden Spielgefährten nur über den Kopf. Danach blickte sie Henrike bettelnd an und sagte zaghaft: »Ich trau mich nicht, hab' Angst, dass ich ihm weh tun könnte. Würdest du ihn... bitte tragen, Karoline?« »Selbstverständlich.« Ehe der Hund noch protestieren konnte, lag er wohl geborgen in den Armen des Kindermädchens. Johanna atmete hörbar auf und sagte dann leise: »Du bist sehr lieb, Karoline und so mutig wie ein Ritter.« * 40
Claudius von Nieburg kam gerade aus der Schmiede, als er seine Tochter und deren Betreuerin erblickte. Seinen Rappen am Zügel führend, blieb er abrupt stehen und fragte schroff: »Hat Euch meine Tochter nun schon so um den Finger gewickelt, dass Ihr ihren Hund tragen müsst? Kann das Vieh nicht laufen?« »Fido ist von Rosella getreten worden«, würgte Hanna kleinlaut hervor, denn ihr Vater hatte ihr verboten, der Stute und dem Fohlen zu nahe zu kommen. »Nur deshalb hat Karoline ihn auf den Arm genommen.« »Ihr wart demnach mit meiner Tochter und dem Köter auf der Weide bei den Pferden?«, blaffte er sie an. »Das überrascht mich nicht. Weiber müssen sich ja stets und ständig über Verbote hinwegsetzen. Und was habt Ihr nun davon? Ein paar aufgescheuchte Rösser und einen halbtoten Hund.« »Ihr habt mir nicht verboten, auf den Wiesen spazieren zu gehen, Herr«, wehrte Henrike sich. »Ihr habt mir übrigens noch gar nichts verboten, weil Ihr ja bisher kaum mit mir gesprochen habt. Wie kann ich da wissen, was ich beachten muss?« Der Gutsherr schaute sie zuerst verblüfft an und erwiderte dann bissig: »Um eine Antwort scheint Ihr offenbar niemals verlegen zu sein. Ein wenig seltsam bei einer ehemaligen Klosterfrau, die fromm und demütig sein sollte. Oder findet Ihr das nicht?« »Ich bin eine Witwe und keine Klosterfrau.« »Aber Ihr seht wie eine solche aus.« Claudius von Nieburg deutete geringschätzig auf das schlichte dunkelblaue Gewand und die schmucklose weiße Haube. »Aber was soll es? Wenn nur Johanna mit Euch zufrieden ist, dann will ich es auch sein. Was ist nun mit dem Hund?« »Ich glaube, er ist von dem Huf des Pferdes nur etwas gestreift worden.« »Ja, Papa, so ist es... und ich verspreche Euch, nicht mehr mit Fido auf die Wiese zu gehen«, mischte sich die Kleine treuherzig ein. »Er ist noch viel zu klein und zu dumm.« »Hoffentlich denkst du auch immer daran, was du mir soeben versprochen hast. In Kürze beginnen die großen Jagden, da kann ich ein 41
kleines, naseweises Töchterchen und einen unerzogenen Hund nicht gebrauchen.« »Ich bleibe auch viel lieber bei Karoline«, versetzte das Kind schnippisch. »Die spielt nämlich mit mir und Ihr nicht, Papa.« »Dein Vater hat wenig Zeit«, warf Henrike begütigend ein. »Und nun komm, ich glaube, dein Hund braucht eine Schale Milch.« Sie deutete einen Knicks an und eilte dann zum Herrenhaus. Johanna folgte ihr, nachdem sie ihrem Vater noch einen giftigen Blick zugeworfen hatte. Der Gutsherr blieb noch einen Moment verdattert stehen, dann tätschelte er seinem Rappen den Hals und murmelte: »Vom Mundwerk her passen die beiden wunderbar zusammen, sie könnten fürwahr Mutter und Tochter sein.« * Mehr als zwanzig Männer waren zur alljährlichen Jagd auf jede Art von Wild gekommen und genossen die Gastfreundschaft des Herrn von Nieburg. Henrike war froh, mit dieser lärmenden Horde nichts zu tun zu haben. Auch Johanna fand die Männer abscheulich, Fido schien der gleichen Ansicht zu sein, denn sein Fell sträubte sich und er zitterte, sobald er den Geruch und das Gebell seiner Artgenossen vernahm. Das übrige Gesinde hatte jedoch viel mehr als sonst zu tun, denn die Jäger hatten stets und ständig einen gesegneten Appetit und Wein und Bier hatte in Strömen zu fließen. Und dann war da auch noch der Schmutz, den die Herren und ihre Hunde verursachten. Claudius von Nieburg sah über diesen und die Unordnung geflissentlich hinweg. Ihm genügte es, wenn seine eigenen Gemächer gesäubert wurden. Diese Aufgabe hatte in den letzten Tagen Henrike übernommen, um die hin und her eilenden Mägde ein wenig zu entlasten. Auch heute hatte sie den Fußboden gefegt und geschrubbt, das Bett gerichtet und seine achtlos hingeworfenen Gewänder geglättet und auf eine Truhe gelegt. 42
Johanna, die seit Fidos Rettung mit tiefer Liebe an ihr hing, war stets bei ihr und beschäftigte sich auf ihre Weise. Eben schaute sie aus einem der hohen Bogenfenster und beobachtete die Männer, die sich im Schlosshof langsam zur Jagd rüsteten. »Der da ist ein ganz böser Mann«, erklärte sie jetzt und wies mit ausgestrecktem Zeigefinger auf einen groß gewachsenen, offensichtlich noch jüngeren Ritter. Henrike trat neben sie und fragte leise: »Hat er dir etwas angetan?« »Nein, aber er ist schlecht zu den Tieren, schlägt die Pferde und hat Fido einen Fußtritt versetzt.« »Ja, dann ist er wirklich böse, dann solltest du...« Ihre Stimme erstarb in dem Moment, als der Mann sich umdrehte und nach oben schaute. Zutiefst erschrocken wich Henrike bis weit in das Gemach zurück, denn sie hatte den Unseligen erkannt, der ihr in jener Nacht Gewalt angetan hatte. Er war es, sie täuschte sich nicht - und sein Gesicht war von zwei schlecht verheilten Kratzwunden gezeichnet. Dieser Mann war ein Räuber, ein Frauenschänder und mit Sicherheit auch ein Mörder. Sie konnte nur hoffen, dass er sie bis jetzt nicht gesehen hatte. Aber vielleicht erkannte er sie auch gar nicht. »Was hast du, Karoline?« Johanna griff ängstlich nach Henrikes Hand. »Bist du krank?« »Nein, ich bin nicht krank, nur ein bisschen müde. Mein Kopf schmerzt von dem Lärm, den die Jäger und ihre Hunde machen. Ich glaube, es ist besser, wenn wir heute auf unseren Spaziergang verzichten.« »Ja, schon wegen Fido«, stimmte die Kleine ihr eifrig zu. »Die großen Hunde könnten ihn beißen. Komm, Karoline, gehen wir zu ihm, damit er sich nicht ängstigt.« In dieser Nacht lag Henrike noch lange wach. Ihre Gedanken überschlugen sich vor Angst und Entsetzen. Am liebsten wäre sie noch zur selben Stunde fortgelaufen. Aber dann würde sie das Kind allein lassen müssen, die kleine Johanna, die sie so lieb gewonnen hatte. Doch das war nur die erste Reaktion gewesen, jetzt musste sie vernünftig sein, musste versuchen, das Kind und sich selbst zu schützen und vielleicht auch den Gutsherrn und sein Gesinde. 43
Damals hatte der Wunsch nach Rache sie daran gehindert, Selbstmord zu begehen. Dieser Wunsch bestand immer noch, genauso wie der Hass. Doch was sollte sie tun? Allein war sie machtlos. Es gab nur eines, was sie tun konnte, sie musste den Schlossherrn und alle Dorfbewohner vor diesem Ungeheuer in Menschengestalt warnen. * Am nächsten Morgen, als die Jäger nach einer durchzechten Nacht noch schliefen, ging sie mit dem Kind zum Haus des Pfarrers, ließ die Kleine bei dem Hausmädchen, erzählte dann dem Ehepaar die ganze Wahrheit über den Räuber von Bassenthin und schloss mit den Worten: »Man sieht es ihm nicht an, aber er ist so gefährlich wie eine Giftschlange. Er kann nur Böses im Schilde führen.« »Wisst Ihr, wie er heißt?«, erkundigte sich Ludowika Paschke sichtlich besorgt. »Leider nicht. Sein Name würde uns wahrscheinlich auch wenig nützen, denn ich bin davon überzeugt, dass er diesen wechselt, wie es ihm passt. Einmal ist er ein Räuber, dann wieder ein Ritter... und ein Seemann muss er auch schon gewesen sein, denn Klaus Störtebeker glaubt, ihn ebenfalls zu kennen.« »Was werdet Ihr nun tun, Karoline?« »Ich weiß es nicht. Könnt Ihr mir nicht einen Rat geben?« Der Pfarrer blickte auf seine wie zum Gebet miteinander verschlungenen Hände und schwieg nachdenklich. Die Frauen störten ihn nicht, nickten jedoch zustimmend, als er vorschlug: »Klaus Störtebeker hat mir versprochen, hier noch vor dem Wintereinbruch vorbeizuschauen. Zur Sicherheit werde ich aber noch einen Boten losschicken, der alle unsere Freunde benachrichtigt. So hoffe ich, dass unsere Botschaft schnell weiter geleitet wird und ihn bald erreicht. Ich bin mir sicher, dass er uns helfen kann und helfen wird. Und Ihr, Karoline, solltet umgehend mit dem Baron reden.« »Das werde ich tun, Herr Pfarrer«, entgegnete sie festen Tones. »Man muss ihm doch die Augen öffnen über seinen vermeintlichen Freund. Aber wird er mir auch glauben?« 44
»Ich weiß es nicht.« Der Geistliche zuckte die Schultern. »Claudius von Nieburg ist mitunter...« »... ein wenig selbstgefällig«, ergänzte Ludowika seufzend. »Nur was er denkt und glaubt, ist richtig. Die Meinung von anderen Leuten gilt ihm nichts. Sein Vater war auch so.« »Du hast recht, Frau, aber wir müssen es trotzdem versuchen.« »Der Baron mag sein, wie er will«, bekräftigte Henrike. »Aber an seinem Leben und dem seiner Tochter wird ihm schon gelegen sein. Ich werde auf alle Fälle mit ihm sprechen, werde ihn warnen, so gut es eben möglich ist.« »So ist es recht, aber seht Euch vor. Ihr seid selbst in großer Gefahr.« Der Pfarrer legte kurz seine Hand auf ihre Rechte und drückte sie so fest, als wollte er ihr Mut zusprechen. »In großer Gefahr sind wir alle, solange dieser Mann unter uns weilt.« Henrike erhob sich von dem Stuhl, auf dem sie gesessen hatte und wandte sich zur Tür. »Ich verspreche Euch, auf das Kind und mich acht zu geben. Doch nun muss ich gehen.« »Wir wünschen Euch viel Glück«, erwiderte der Geistliche. »Möge unser Herrgott Euch beistehen und seine schützende Hand über Euch halten.« »Das wünsche ich Euch auch.« Ihr Kopftuch nach Art alter Frauen fast bis über die Augen ziehend, ging sie hinaus und eilte zu Johanna, die in der Küche auf einem Schemel saß und an einer Brezel knabberte. Eine halbe Stunde später kamen sie vor dem Herrenhaus an, schlichen durch einen wenig benutzten Seiteneingang und wurden auf diese Weise von niemandem gesehen, auch wenn die Jäger und ihr Gefolge mittlerweile erwacht waren. Henrike setzte sich auf eine Bank und nahm das Kind auf ihren Schoß. »Du darfst nicht mehr so allein herumstreifen, Hanna«, schärfte sie der Kleinen ein. »Der Mann mit den Narben im Gesicht, er könnte dir sehr weh tun. Bleibe lieber bei mir oder bei deinem Vater. Versprichst du mir das?« »Ja, das verspreche ich dir.« 45
»Du bist ein braves Kind, aber sage mir, weißt du vielleicht wie ich ungesehen zu deinem Vater gelangen kann?« »Hm«, Hanna nickte verschmitzt. »Es gibt einen geheimen Gang vom Vorratskeller direkt in seine Kammer, in der er immer arbeitet. Soll ich ihn dir gleich zeigen?« »Nein, noch nicht. Erst wenn die Jäger aufgebrochen sind. Du weißt doch, niemand darf uns sehen.« * Claudius von Nieburg hatte wegen dringender Absprachen mit einigen widerspenstigen Pächtern nicht an der heutigen Jagd teilnehmen können, was er jedoch nicht bedauerte. Die Angelegenheiten, die seine Güter betrafen, hatten Vorrang vor den weidmännischen Vergnügungen. Das Korn war eingebracht worden, lagerte aber noch in den Scheunen und musste gedroschen werden. Immerhin war es eine gute Ernte gewesen, allerdings nicht für jeden Bauern. Manche von ihnen waren so faul, dass sie lieber ins Wirtshaus gingen und... Ein leises Geräusch unterbrach seine Gedankengänge. Und dieses Geräusch wurde eindeutig von der geheimen Tür verursacht, von deren Existenz eigentlich nur der Schlossherr wissen sollte. Eilig griff er zu seinem Schwert, ließ es jedoch sogleich wieder sinken, als die Tür vorsichtig geöffnet wurde und Karoline Mendel, das Kindermädchen, sein Arbeitszimmer betrat. »Ihr? Was wollt Ihr hier? Und woher wisst Ihr von dem unterirdischen Gang?« Seine Augen blitzten sie wütend an, während er seine Waffe auf den Tisch legte. »Eure Tochter hat ihn mir gezeigt«, begann Henrike mit leiser Stimme. »Und glaubt mir, Herr, ich würde ihn niemals benutzt haben, wenn ich Euch nicht warnen müsste.« »Mich warnen? Wovor oder vor wem? Meint Ihr etwa, ich kann mich nicht allein verteidigen?« Er lachte spöttisch. »Sicher, wenn Ihr den Feind kennt, der Euch bedroht. Aber derjenige, den ich Euch nennen will, ist überaus schlau und gerissen. Ihr 46
werdet ihn und seine schwarze Seele erst erkennen, wenn Ihr in seine Falle getappt seid, wenn es vielleicht zu spät ist.« »Dummes Geschwätz. Entfernt Euch auf der Stelle, geht dahin, wo Ihr hingehört - zu meiner Tochter.« Henrike ließ den Zorn des Barons schweigend über sich ergehen, aber sie entfernte sich nicht, sondern bat schließlich eindringlich: »Hört mich wenigstens an, Herr. Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, wenn ich noch länger schweige. Wenn es nur um mich gehen würde, dann wäre ich schon vor zwei Tagen fortgelaufen, hätte mich verborgen vor dem Mann, den ihr zu Euren Freunden zählt. Aber ich habe große Angst um Eure Tochter und glaube, dass sie und auch Ihr in großer Gefahr seid. Dieser Mann ist ein Teufel.« »Drückt Euch endlich klarer aus! Wer soll dieser Teufel sein?« »Der Mann mit den beiden Narben auf der rechten Wange. Und diese Narben stammen von meinen Fingernägeln. Ich habe ihm das Gesicht zerkratzt in jener Stunde, als er mir Gewalt angetan hat.« »Und das soll ich Euch glauben? Ihr wollt Euch doch nur wichtig machen. Dieser Mann ist von Adel und würde sich niemals so weit vergessen, dass er sich mit einem Bauernmädchen, wie Ihr eines gewesen seid, im Heu wälzt.« »Wisst Ihr so genau, dass er von Adel ist?«, sagte sie. »Damals gehörte er noch zu einer Bande von Räubern, die in der Gegend, aus der ich komme, großen Schaden angerichtet hat. Ihr müsst doch davon wissen. Hat der Vogt von Bassenthin Euch nichts mitgeteilt?« »Bassenthin? Das Gut habe ich zwar von meinem Oheim geerbt, von einer Räuberbande habe ich jedoch noch nie etwas gehört.« »Weil Ihr viel zu selten da gewesen seid. Jetzt solltet Ihr Euch aber unbedingt erkundigen, fragt Euren Vogt und den Bürgermeister.« Sie blickte flehend zu ihm auf und fügte dann noch hinzu: »Glaubt mir doch. Dieser Mann ist nicht nur ein Räuber, sondern auch ein Mörder. Ich bin mir sicher, dass er es auf Euer Geld abgesehen hat. Und um dieses zu bekommen, dazu wird ihm jedes Mittel recht sein. Ich bitte Euch inständig...« »Papperlapapp, Herr von Hunzingen ist ein Ehrenmann und ein vortrefflicher Jäger. Ihr müsst ihn mit jemand anderem verwechseln. 47
Und nun verschwindet! Ich habe es satt, meine Zeit mit Euch zu vergeuden und meine Gäste von Euch verunglimpfen zu lassen.« »Bitte, Herr...« Henrike sank auf die Knie, wurde jedoch unbarmherzig hoch gezerrt und dann buchstäblich vor die Tür gesetzt. »Das Weib will sich nur wichtig machen«, zischte Claudius von Nieburg grimmig und setzte sich dann wieder an seinen Schreibtisch. Doch er tauchte die Feder nicht mehr in das Tintenfass, sondern stützte den Kopf in die Hände und dachte nach. Die Betreuerin seines Kindes war unterdessen zu ihrer Kammer gelaufen - mit Tränen in den Augen und einer grenzenlosen Wut auf den Schlossherrn. »Überheblicher und uneinsichtiger Kerl, der die Wahrheit nicht hören will«, sagte sie leise zu sich, während sie zu Johanna ging, die dicht an ihren Hund geschmiegt, auf dem Teppich eingeschlafen war. »Ich sollte wirklich verschwinden, aber ich kann es nicht. Ich kann nur noch beten und auf ein Wunder hoffen.« * Es waren nicht die Kanonen gewesen, die ihnen den Sieg beschert hatten, sondern der Kampf Mann gegen Mann. Sie hatten die Kogge geentert, hatten die Mannschaft dezimiert und eigene Verluste hinnehmen müssen, aber sie hatten letzten Endes doch gesiegt und damit den Herren der Hanse wieder einmal ein Schnippchen geschlagen, oder besser: schweren Schaden zugefügt. Klaus lächelte bitter, als er an dieses Gefecht dachte. Sechs seiner besten Leute waren umgekommen, mehr als doppelt so viele verletzt, zum Teil schwer. Auch ihm selbst hatte ein Hieb mit dem Schwert arg zugesetzt, aber seine kräftige Natur und die Kunst des Arztes hatten die klaffende Wunde bald heilen lassen. Die Wunden in seiner Seele konnte Christoph Jörgens jedoch nicht heilen, sie waren für immer eingebrannt in Herz und Hirn. Gerade jetzt, wo der ›rote Teufel‹ Kurs auf die Küste von Rügen genommen hatte, erinnerte er sich an jene Zeit, als er geglaubt hatte, in Clara Wichmann eine dauerhafte Gefährtin gefunden zu haben. Sie hatte es nicht sein können, genauso wenig 48
wie Anna, seine Jugendliebe. Beide hatten die Sicherheit eines bürgerlichen Lebens vorgezogen, was er ihnen auch nicht verdenken konnte. Seitdem hütete er sich, die Liebe und die Frauen zu ernst zu nehmen, zumindest die meisten. Henrike Jansen, das Mädchen aus Bassenthin, gehörte nicht dazu, zumal er in Sorge um sie war. Wie mochte es ihr inzwischen ergangen sein? Würde sie mit der Schande leben können? Der Schiffskapitän, der bis jetzt am Ruder gestanden hatte, winkte nun einen Seemann heran, damit dieser seinen Posten übernahm. Er gab ihm noch ein paar Aufträge und begann, dann ein längeres Gespräch mit Gerd Windmaker und Lüder Marlow. Der Aufenthalt im Winterquartier musste gut vorbereitet werden. »Sobald wir die Insel erreicht haben, werde ich in Richtung Stralsund reiten. Es würde mich freuen, wenn ihr beide mich begleiten würdet.« Die beiden Männer fragten nicht, was ihr Anführer vorhatte. Ihnen genügte es, zu seiner Mannschaft zu gehören. Und so waren sie auch pünktlich zur Stelle, als Klaus an einem nebligen Novembermorgen das Quartier verließ, in dem sie übernachtet hatten und zu dem Bauern marschierte, bei dem er ein paar Pferde in Pflege gegeben hatte. Kaum dort angekommen, flüsterte ihm der Bauer zu: »Ist schon eine Botschaft für dich da. Ein Pfaffe hat Sehnsucht nach dir. Mehr weiß ich auch nicht, musst halt lesen, was er geschrieben hat.« Noch ziemlich flink für seine vorgerückten Jahre, rannte der Alte zu einer Futterkiste, die einen doppelten Boden besaß. Hier bewahrte er geheime Botschaften und ein paar Waffen auf, wie Klaus genau wusste. Der Brief von Raimund Paschke, den der Bauer ihm jetzt gab, war von allergrößter Wichtigkeit und besorgniserregend. »Ich habe es kommen sehen«, stieß Störtebeker zornig hervor, nachdem er die Botschaft gelesen hatte. An seine beiden Seeleute gewandt, sagte er jedoch mit erzwungener Ruhe: »Karsten Studer scheint wieder aufgetaucht zu sein. Wir werden uns beeilen müssen, um ein ganzes Dorf vor ihm zu bewahren.« * 49
Schon seit drei Tagen waren die Jäger abgereist, nur der Herr von Hunzingen weilte noch im Schloss. Er hatte den Baron um weitere Gastfreundschaft gebeten, weil eines seiner Pferde angeblich krank war. Claudius von Nieburg glaubte seinem Standesgenossen, er zweifelte nicht und wurde nur ein wenig unsicher, wenn er Karoline Mendel begegnete. Doch das kam nicht allzu oft vor. Aus diesem Grund sah er auch sein Kind nur wenig, was sogar dem vermeintlichen Reimar von Hunzingen auffiel. Dem Gutsherrn an diesem Morgen beim Frühstück gegenüber sitzend, fragte er scheinbar beiläufig: »Ist Eure Tochter krank, oder hält ihr Kindermädchen sie gefangen?« »Nein, sie ist nicht krank und wird auch nicht unter Verschluss gehalten. Hanna ist immer nur ein wenig wild und braucht eine starke Hand. Außerdem hat sie nichts bei den erwachsenen Leuten zu suchen.« »Nun, mich stört sie nicht. Ich habe kleine Kinder gern und es dauert mich, dass ich noch keine eigenen habe.« Ingomar von Humfried verstand es, seiner Stimme einen traurigen Klang zu verleihen. »Dem Übel ließe sich doch sehr schnell abhelfen«, versetzte der Gutsherr grinsend. »Es gibt viele Mütter, die schöne Töchter haben.« »O ja, mit Verlaub auch unter Eurem Gesinde. Nur das Kindermädchen scheint hässlich zu sein, oder sehr scheu. Ich habe es nämlich noch nie aus der Nähe gesehen.« Claudius von Nieburg dachte plötzlich an das Gespräch mit dieser Frau. Gab es vielleicht doch einen Zusammenhang zwischen Reimar von Hunzingen und Karoline Mendel? Jene hatte behauptet, dass er zu einer Räuberbande gehörte, die in Bassenthin und Umgebung ihr Unwesen getrieben hatte. »Sie ist eine gute Erzieherin, aber in der Tat sehr hässlich und scheu. Aber mein inzwischen verstorbener Oheim hat sie mir empfohlen. Da konnte ich nicht gut ablehnen, er war schließlich im Begriff, mir die Herrschaft Bassenthin zu vererben.« »Bassenthin?« »Ihr schaut mich so verblüfft an. Kennt Ihr diesen Ort?« 50
»Nnein«, schwindelte Humfried, der sich schnell wieder gefangen hatte. Aber seine Gedanken schlugen Purzelbäume und ihm wurde heiß und kalt zugleich. Henrike Jansen war seinerzeit spurlos verschwunden. Das bedeutete aber noch lange nicht, dass sie nicht doch irgendwo eine Stellung gefunden hatte - zum Beispiel als Kindermädchen. Sollte sie etwa... hier sein? Hatte sie ihn vielleicht schon längst erkannt? Versteckte sie sich deshalb unter mausgrauen Gewändern und dunklen Tüchern? Seine Erinnerung an dieses Mädchen war nicht sonderlich gut, sein Interesse an ihr hatte schließlich nur dem Bereich abwärts der Taille gegolten. Zudem war es bis auf die wenigen Minuten im Haus des Bürgermeisters dunkel gewesen, aber ihr leuchtend blondes Haar hatte er sich doch gut gemerkt, genauso wie ihren Namen. Und jung war sie gewesen, erfrischend jung, aber leider auch mit den scharfen Krallen einer Katze gesegnet. »Nein, nicht wirklich«, wiederholte er jetzt. »Aber ich habe den Namen des Dorfes schon einmal gehört. Die Leute dort sollen Seeräubern Unterschlupf gewähren.« »Davon ist mir nichts bekannt«, antwortete der Baron und lächelte gezwungen. »Die Herrschaft Bassenthin ist mir noch sehr fremd, aber ich werde in Kürze dorthin reisen und nach dem rechten sehen.« Mit diesen unmissverständlichen Worten hoffte er, den ihm langsam unheimlich werdenden Gast zu vertreiben. Dieser schien jedoch kein Ohr für diesen Hinweis zu haben - ganz im Gegenteil. Nach dem Morgenmahl schlenderte der Räuber scheinbar ziellos durch das Schloss, begutachtete anschließend die Ställe mit den Tieren darin, sprach mit einigen Knechten und Mägden über dies und jenes und erfuhr so ganz nebenbei den Namen des Kindermädchens. »Karoline Mendel - so hieß jene nicht, die mir zu meinen Narben verholten hat und die dafür noch nicht gebüßt hat«, murmelte er vor sich hin. »Aber ein Name ist ja nur Schall und Rauch.« Er grinste tückisch und dachte an seine eigenen Scharaden. Und er dachte daran, dass er noch viel reicher werden musste. Die Zeit war allmählich reif zum Zuschlagen. Dabei durfte er allerdings nicht gestört werden und es durfte niemand wissen, was hinter ihm lag. 51
* Henrike wurde mit jedem Tag unruhiger, den der ehemalige Räuber von Bassenthin bei ihrem Dienstherrn weilte. Er gab sich dem Gesinde gegenüber freundlich und so leutselig, dass sogar die handfeste Großmagd ein Loblied nach dem anderen sang. »Ihr mögt ihn wohl nicht, Karoline?«, sagte sie in diesem Augenblick und blickte Henrike, die mit Johanna in der Küche am Tisch saß, verständnislos an. »Nach einer sehr unglücklichen Ehe mag ich Männer überhaupt nicht mehr.« Diese Antwort leuchtete Dörthe nun doch ein. Sie wechselte geschwind das Thema, was Henrike nur recht war. Nun sprach man über das Weihnachtsfest und darüber, dass Häuser und Kirchen mit Tannenzweigen und Girlanden geschmückt werden mussten. »Und kleine Weihnachtskuchen bäckst du auch, Dörthe oder nicht?« Johanna, die diese Frage stellte, hatte vor lauter Vorfreude schon rote Wangen bekommen. »Wir backen und brutzeln und machen alles, was das Herz begehrt, kleines Fräulein«, erwiderte die Großmagd mit warmer Stimme. »Es wird alles reichlich vorhanden sein - für große und kleine Leckermäuler.« »Aber vorher wirst du noch einige Schreibübungen machen«, legte Henrike fest, während sie sich erhob. »Komm, gehen wir!« Das Kind stand folgsam auf, aber man sah ihm an, dass es gerne noch in der Küche geblieben wäre. Hier war es warm und nahrhaft und man brauchte vor allen Dingen nicht zu lernen. Hanna war daher auch sehr erfreut, als sie auf dem Weg zu ihrer Kammer dem Gutsherrn begegneten. »Papa, Papa!«, rief sie schon von weitem, lief auf ihn zu und ließ sich von ihm im Kreis herumschwenken. »Noch einmal!«, befahl sie, nachdem der Baron sie wieder auf den Boden gestellt hatte, doch dieser schüttelte den Kopf, flüsterte ihr aber etwas ins Ohr, was bei der Kleinen großen Jubel auslöste. 52
»Ich gehe mit meiner Tochter zu den Pferden.« Mit diesen kühlen Worten wandte sich Claudius von Nieburg an das ein wenig abseits stehende Kindermädchen. »Es ist nicht notwendig, dass Ihr uns begleitet.« Henrike nickte nur, wollte schweigen und bat dann doch: »Ihr werdet Hanna doch persönlich zurückbringen, nicht wahr?« »Was soll diese Frage?«, versetzte er hochmütig. »Meine Tochter kennt hier jeden Weg und Steg. Sie verirrt sich nicht.« »So habe ich meine Frage auch nicht gemeint, bitte, Herr...« Der Baron winkte nur ungehalten ab. Er hatte bereits das Kind an die Hand genommen und ging nun mit ihm in Richtung der Eingangshalle, von der man am schnellsten zu den Stallungen gelangte. Henrike blieb besorgt und verstört auf dem Gang stehen. Am liebsten wäre sie jedoch den beiden nachgerannt, um den arroganten Schlossherrn bei den Schultern zu packen und ihn zu schütteln, bis ihm Hören und Sehen verging. Gewonnen hätte sie damit allerdings gar nichts. Er würde sie in Schimpf und Schande davonjagen - und Johanna war dann wieder allein, vielleicht sogar der Begierde des Herrn von Hunzingen ausgesetzt. Wie auf ein Stichwort sah sie diesen jetzt auf sich zukommen, langsam und lautlos wie eine Raubkatze, die zum todbringenden Sprung ansetzt. Es war zu spät, um ungesehen davonlaufen zu können. Daher versuchte sie das erst gar nicht, sondern wollte nach kurzem Gruß an ihm vorbeihuschen. Er hielt sie jedoch am Arm fest, während er sie mit schmalen Augen musterte. »Wir kennen uns doch, so scheint mir.« »Sicher, man nennt Euch Reimar von Hunzingen und Ihr seid ein Freund meines Dienstherrn. Doch nun lasst mich bitte los. Ich bin keine Dirne.« »Nein? Mir ist aber so, als wenn du es schamlos mit mir im Stroh getrieben hast, damals in jener Nacht, du weißt schon.« Sie stieß ihn heftig von sich und rief mit lauter, schriller Stimme: »Was erlaubt Ihr Euch? Ich bin eine ehrbare Witwe und habe nie einen anderen Mann an mich heran gelassen als meinen Gemahl. Merkt Euch das!« 53
»Ehrbare Witwe? Ein gerissenes Luder bist du... mit Locken so blond wie ein Engel. Mich kannst du nicht täuschen...« Ohne dass sie es verhindern konnte, hatte er ihr die Haube ruckartig vom Kopf gerissen und prallte dann entsetzt zurück. Er hatte seidiges blondes Haar erwartet und blickte nun auf kurze brandrote Strähnen, eitrige Flechten und blutigen Schorf. »Was... ist... das?«, fragte er töricht. »Eine Hautkrankheit, das seht Ihr doch. Meint Ihr, ich trage meine Hauben und Tücher nur so zum Spaß? Ich habe dieses Leiden schon seit Jahren und mitunter sogar am ganzen Körper. Das müsste Euch doch aufgefallen sein, damals im... Stroh.« Ihr Sarkasmus ernüchterte ihn. Er betrachtete sie erneut und fragte sich, warum er diese hässliche und verunstaltete Magd für Henrike Jansen hatte halten können. Sie hatten doch keinerlei Ähnlichkeit miteinander. Er musste Gespenster gesehen haben. »Bedecke dich bloß wieder! Beim Anblick deiner grindigen Kopfhaut wird mir speiübel. Du bist tatsächlich nicht meine - kleine Gespielin, sondern ein hässliches und krankes Weib.« Ingomar von Humfried machte sich mit langen Schritten davon, verärgert und erleichtert zugleich. Die junge Frau atmete auf. Es war gut gewesen, ihre Haarpracht zu opfern, die verbleibenden Stoppeln mit Henna rot zu färben und mit einer seltsamen Paste zu versehen. Es musste gut gelungen sein, denn der Räuber von Bassenthin hatte sich angewidert abgewandt und die Flucht ergriffen. Zumindest glaubte er jetzt nicht mehr, dass sie Henrike Jansen war. Doch die Gefahr für die Bewohner von Schloss und Dorf war damit noch lange nicht vorbei, sie begann erst jetzt so richtig. * Die beiden Bauerntölpel hatten ihrer Meinung nach die Sache außerordentlich gut gemacht. Ihr Auftraggeber würde mit ihnen zufrieden sein und mit der Belohnung würden sie im Wirtshaus reichlich Wein und Bier trinken und sich vielleicht auch eine Dirne leisten können. 54
Wie der Ritter ihnen befohlen hatte, hatten sie zuerst das kleine Mädchen aus der Ferne beobachtet, hatten gesehen, wie es mit seinem Vater zum Pferdestall gegangen war. Hinter einer Strohmiete verborgen, hatten sie abgewartet bis der Gutsherr das Kind zum Haus schickte und sich dann anderen Angelegenheiten zuwandte. Dann hatten sie einen flügellahmen Vogel in der Nähe der Miete ausgesetzt, darauf hoffend, dass die Kleine das Tier bemerken und an sich nehmen würde. So war es dann auch gewesen. Johanna hatte sich gebückt, um das Vögelchen behutsam in die Hand zu nehmen. In diesem Augenblick hatten sie sich auf die gestürzt und hatten sie, noch ehe sie schreien und sich wehren konnte, geknebelt und auf den Karren getragen, der wie zufällig in der Nähe stand. Die Fahrt zum Wald war reibungslos verlaufen. Wer hätte sie auch anhalten sollen? Kunz und Hans fuhren tagtäglich in den Wald. Angeblich sammelten sie Reisig. In Wirklichkeit legten sie jedoch Fallen aus. Auf diese Art und Weise hatten sie auch den Herrn von Hunzingen getroffen, der ihre schändlichen Taten sofort dem Gutsherrn hatte melden wollen. Er hatte es dann doch aber nicht getan, hatte jedoch diesen Auftrag für sie gehabt. Es sollte auch nur ein Scherz sein. Natürlich würde das kleine Fräulein vom Gut bald befreit werden. Dumm wie Bohnenstroh glaubten sie ihm und freuten sich, dem volksverbundenen Herrn behilflich sein zu können. Sie hatten die Kleine zu dem mit Efeu und Brombeeren fast zugewachsenen Keller gebracht, der von einem ehemaligen Försterhaus übrig geblieben war und hatten anschließend Meldung erstattet. Reimar von Hunzingen hatte sie kurz abgefertigt, ihnen aber ihren Lohn für den Abend versprochen, wenn der ›Spaß‹ endgültig gelungen sei. An dieses Versprechen dachte er jetzt, als er wieder in seinem Gemach weilte, in einem Lehnstuhl lümmelnd, die Füße auf den Tisch gelegt. Natürlich würde er diesen Dummköpfen niemals den versprochenen Lohn zahlen, er würde seinen Dank mit dem scharfen Messer abstatten, das er immer bei sich trug und das ihm schon viele gute Dienste geleistet hatte. 55
Der Räuber beglückwünschte sich zu der Idee, die Tochter des Gutsherrn entführen zu lassen. Danach würde jener das Kind suchen und nicht mehr so wachsam sein wie zuvor. Er würde in die Falle laufen, in die er laufen sollte... und dann würde sein Reichtum den Besitzer wechseln. Mit Geld und Gut gesegnet konnte er, Ingomar von Humfried, mächtige Verbündete gewinnen und ein gut ausgerüstetes Schiff kaufen. Doch erst, wenn Goedecke Micheel und Klaus Störtebeker durch den Henker vom Leben zum Tode gebracht worden waren, würde er ein angesehener Mann und der Schwiegersohn des Herrn Wulflam werden können. Vorläufig genügte es, sich im Hintergrund zu halten und den Herrn von Nieburg in sein Verderben zu locken. Es würde sicher nicht lange dauern, dann glich das Schloss einem Ameisenhaufen. Alle würden herumlaufen und nach dem Kind suchen - und das würde ihm die notwendige Bewegungsfreiheit verschaffen. Abwartend und anscheinend ziellos schlenderte er herum und fand irgendwann, dass alles noch viel zu ruhig zuging. Hatte man die kleine Johanna etwa noch nicht vermisst? Hatte dieses hässliche Kindermädchen noch keinen Alarm geschlagen? Doch dann hörte er endlich die ersten Wortfetzen, nach denen die Dienerschaft und sämtliche Knechte und Mägde jeden Winkel des Schlosses nach der Kleinen absuchten. Man nahm jedoch an, dass sie sich, wie es ihre Art war, irgendwo versteckt hatte. Gut so, dachte der Räuber und beteiligte sich zum Schein an der Suche, bis er beschloss, den Gutsherrn aufzusuchen. Das Chaos war inzwischen groß genug. * »Herr Baron, es reicht nicht, im Schloss und den anderen Gebäuden nach Johanna zu suchen. Ich sage Euch, man hat sie entführt, um Euch zu erpressen.« Henrike war ihrem Dienstherrn bis zu seinem Arbeitszimmer gefolgt und stand nun vor ihm. Claudius von Nieburg blickte das Kindermädchen zornig an. »Wer sollte sie denn entführen? Sie läuft seit Jahr und Tag mehr oder weni56
ger allein herum. Wahrscheinlich sitzt sie irgendwo und amüsiert sich über uns. Ich werde sie übers Knie legen, wenn ich ihrer habhaft geworden bin.« »Das werdet Ihr ganz gewiss nicht tun, Ihr werdet nämlich froh sein, sie überhaupt wiederzubekommen. Ich flehe Euch an, gebt den Befehl, sie mit Fährtenhunden zu suchen, bittet die Leute im Dorf um Mithilfe und achtet vor allen Dingen auf Herrn von Hunzingen. Er will Euch zugrunde richten, genauso, wie er viele andere um Gut und Leben gebracht hat. Und denkt an Euer Kind, das jetzt mutterseelenallein irgendwo gefangen gehalten wird. Der Winter steht vor der Tür, Hanna wird frieren, wird sich erkälten und vor Angst...« Einer energische Handbewegung ließ sie verstummen und seine Stimme, die leise forderte: »Es kommt jemand. Schweigt und versteckt Euch!« Henrike gehorchte und versteckte sich unwillkürlich hinter dem goldbraunen Samtvorhang, der vor der kaum sichtbaren Tür zum Geheimgang angebracht worden war. Sie öffnete die Tür, schlüpfte in den Gang, ließ aber die Tür einen Spalt breit offen, damit sie hören konnte, wer den Raum betrat. Und sie hatte auch eine ganz bestimmte Ahnung, wer dieser Jemand sein würde. Sie täuschte sich nicht. Der Mann, der sich hier Reimar von Hunzingen nannte, kam herein und zu seinem Gastgeber sagte: »Wie ich hörte, sucht Ihr Eure Tochter. Nun, ich weiß, wo sie ist.« »Gott sei gedankt. Wo habt Ihr sie denn gefunden?« »Das sage ich Euch erst dann, wenn Ihr auf meine Bedingungen eingegangen seid, Claudius von Nieburg, nicht eine Sekunde früher.« »Ich verstehe Euch nicht, mein Freund.« Die Stimme des Gutsherrn klang merklich befremdet. »Ihr werdet mich gleich verstehen.« Henrike vernahm ein Geräusch, als wenn eine Tür verschlossen wird und hörte dann, wie der Gutsherr unwillig fragte: »Wozu verschließt Ihr die Tür?« »Damit uns niemand bei unseren... äh... Verhandlungen stört und damit Ihr mir nicht entkommen könnt.« »Was soll das? Seid Ihr des Teufels?« 57
»Nennt mich wie Ihr wollt«, gab der Räuber höhnisch zurück. »Der Name ist mir gleichgültig, was ich von Eurem Besitz allerdings nicht sagen kann. Verzichtet schriftlich auf Euer Vermögen und Eure Güter, dann werde ich so gnädig sein und Euch und Eure Tochter am Leben lassen.« Henrike hatte genug gehört. Sie drückte die Tür geräuschlos zu und rannte durch den Gang, bis sie in der Vorratskammer angekommen war. Dort blieb sie einen Augenblick stehen, presste die Hand auf die Brust und überlegte, was sie nun tun sollte. Würde man ihr das glauben, was sie eben gehört hatte? Wohl kaum. Die einzigen, die dem ach so freundlichen Herrn von Hunzingen nicht über den Weg trauten, waren der Pfarrer und seine Gemahlin. An sie musste sie sich wenden, wenn man die Leute im Dorf und das Gesinde des Herrn von Nieburg überzeugen wollte. * Klaus und seine Mitstreiter hatten ihren Pferden und sich selbst nur die allernotwendigsten Pausen gegönnt. Gekleidet wie freie Bauern ritten sie zum Pfarrhaus, übergaben ihre Rösser dem Hausknecht und betraten dann die Kirche, so als hätten sie die Absicht zu beten, gingen aber zu dem kleinen Raum neben der Kanzel, wo Raimund Paschke Gebetbücher und andere kirchliche Gegenstände aufbewahrte. Nur wenige Minuten danach trat der Pfarrer zu ihnen, zusammen mit einer Frau, die Klaus sofort wieder erkannte. »Henrike!«, rief er und umarmte sie kurz und herzhaft. Und dann erkundigte er sich: »Wie geht es Euch?« »Soweit recht gut, doch ich bin in großer Sorge um das Kind, das ich zu betreuen habe. Es ist im Laufe des Vormittags verschwunden und nun habe ich noch erfahren, dass der Vater dieses Kindes, der Baron von Nieburg, erpresst wird - von keinem anderen als dem Räuber, der mir Gewalt angetan hat. Er weilt schon wochenlang auf dem Gut und hat es verstanden, fast alle zu täuschen, so dass ich nicht gewagt habe, die Männer des Dorfes um Hilfe zu bitten. Mir würde ja 58
doch niemand glauben. Ich bin mir aber sicher, dass der Herr Pfarrer genug Einfluss besitzt, um wenigstens einige zu überzeugen.« »Ihr habt klug und umsichtig gehandelt«, erwiderte Klaus anerkennend. »Wenn dieser Mann derjenige ist, den ich seit langem suche, dann ist er mit Waffen allein nicht zu besiegen. Doch ich glaube, Eile tut not. Lasst uns aufbrechen.« Mehr Worte waren nicht notwendig. Der Pfarrer sowie Gerd Windmaker und Lüder Marlow nickten zustimmend, Henrike hingegen griff dankbar nach Störtebekers Hand und drückte sie fest. Danach schmiedeten die Männer einen Plan, der vor allem die Suche nach dem Kind beinhaltete. Erst wenn man Johanna gefunden hatte, würde man den Herrn des Gutes befreien können. »Wir müssen sehr vorsichtig sein, damit wir das Leben des Kindes nicht gefährden«, sagte Klaus noch. Der Pfarrer meinte jedoch bedrückt: »Hoffentlich ist es noch am Leben.« »Ich hoffe es. Dieser Mann ist nicht dumm. Er wird das Kind erst beseitigen, wenn es ihm nicht mehr nützlich sein kann. Solange er nicht erreicht hat, was er will, braucht er es noch. Es ist sein größter Trumpf.« * »Ich werde niemals auf Eure Bedingungen eingehen.« Claudius von Nieburg war zwar tief erblasst, hielt sich jedoch sehr gerade und maß den Räuber mit verächtlichen Blicken. Er zeigte seinem Gegner nicht, wie es in ihm stürmte und wie gern er seine Hände um dessen Hals gelegt und zugedrückt hätte. Leider war er ihm schutzlos ausgeliefert und hatte auch keine Möglichkeit, die Truhe zu erreichen, in der er sein Schwert und andere Waffen aufbewahrte. Sein Gast, mit dem er sich freundschaftlich verbunden gefühlt hatte, stand davor, grinste boshaft und sagte kalt: »Ihr werdet Euch das noch überlegen, wenn Ihr mit ansehen müsst, wie Eure Tochter gefoltert wird.« »Ihr wollt Euch an einem... Kind vergreifen?« »Warum nicht, wenn es meiner Sache dienlich ist.« 59
Der Baron antwortete nicht, innerlich machte er sich jedoch die heftigsten Vorwürfe. Karoline Mendel hatte ja so recht gehabt, sie hatte ihn gewarnt, mehrfach sogar und hatte ihn angefleht, sein Kind nicht aus den Augen zu lassen. Er hatte ihr nicht geglaubt, hatte sie statt dessen beschimpft und ausgelacht. Nun hatte man ihm die Rechnung präsentiert - eine Rechnung, die ihn und seine Tochter vielleicht das Leben kosten würde. Sich zur Ruhe und Besonnenheit zwingend und auf Hilfe hoffend, würgte er nach einer Weile hervor: »Über Eure Bedingungen rede ich erst, wenn ich meine Tochter gesund in den Armen halte, früher nicht. Ihr könnt sie töten und mich auch, an die Güter und mein Vermögen kommt Ihr jedoch nicht heran. Es ist so abgesichert, dass ein Fremder keinen Zugang bekommen kann. Mein Erbe wird mein Vetter sein. Ihr könnt das Schloss in Brand setzen, doch was nützt Euch das schon?« »Euer dummes Gewäsch könnt Ihr Euch sparen«, gab der Räuber mit unterdrückter Wut zurück. »Wir werden jetzt einen kleinen Spaziergang machen, wir beide ganz allein, so wie zwei Freunde, die auf die Jagd gehen. Der Unterschied wird nur sein, dass ich Waffen bei mir trage und Ihr nicht. Und dann werdet Ihr alsbald das Geschrei Eurer Tochter hören.« »Ihr seid ein Untier!« »Na und? Ich fühle mich sehr wohl dabei.« Ingomar von Humfried schloss die Tür wieder auf, ließ den Gutsherrn aber nicht aus den Augen und flüsterte ihm zu, als sie auf dem Gang standen: »Eine falsche Bewegung oder ein falsches Wort und Ihr seid auf der Stelle ein toter Mann.« Eine Klinge blitzte auf, aber Claudius wusste auch so, wie bitterernst seine Lage war. Er verließ das Schloss an der Seite dieses Schurken und schien unbeeindruckt zu sein, als ihm sein Gesinde mitteilte, es hätte Johanna immer noch nicht gefunden. »Ich werde sie jetzt selbst suchen«, versetzte er mit brüchiger Stimme. »Geht wieder an eure Arbeit und verhaltet euch ruhig.« »Ja, Herr«, kam es vielstimmig und betroffen zurück. Die Menge zerstreute sich - einschließlich der Bauern, die den eben angekommenen Pfarrer begleiteten. Man hatte diese drei Männer noch nie im Ort 60
gesehen, aber da sie mit dem Pfarrer sprachen, waren sie offenbar Bekannte von ihm. Man sah in ihnen keine Gefahr, Ingomar von Hunzingen auch nicht. Von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugt, dachte er gar nicht daran, dass seine Feinde sehr nahe sein könnten. * Johanna wusste nicht, wie lange sie nun schon in diesem dunklen und muffigen Keller weilte. Sie wollte schreien und konnte es nicht, weil ein dicker Lappen ihren Mund versperrte. Sie tastete immer wieder die Wände ab, in der Hoffnung, eine Öffnung zu finden, durch sie schlüpfen konnte. Doch soviel sie auch suchte, sie stieß nur auf hartes, feuchtes Gestein. Verzweifelt weinend und vor Kälte zitternd hockte sie in einer Ecke und wusste nicht, wie ihr geschah. Aber sie tat etwas, was sie noch nie so recht hatte tun mögen - sie betete. »Hier ist es«, sagte unterdessen der Räuber zu seinem Gefangenen. Er stieß einen kurzen Pfiff aus, worauf Kunz und Hans aus ihrem Versteck gekrochen kamen, beide trugen derbe Stiefel und dicke Pelze. Ihnen konnte die Kälte nichts anhaben. »Holt die Kleine heraus und bindet sie an einen Baum!«, wurde ihnen barsch befohlen. »Danach verschwindet, aber schnell!« Die beiden Burschen, die immer noch auf einen ›Spaß‹ aus waren, blickten sich entgeistert an und zögerten, diesen Befehl auszuführen. »Anbinden, Herr? Warum denn das?« »Ihr habt keine Fragen zu stellen. Macht endlich, was ich sage. Und denkt daran, kein Spaß, keine Belohnung.« Das wirkte. Die beiden verschwanden eilig, während der Räuber fluchte: »Dämliches Pack!« »Da kann ich Euch nur beipflichten.« Die Stimme des Barons klang beinahe amüsiert, was den Räuber zu einem Fausthieb veranlasste. Claudius von Nieburg taumelte zwar, aber er fiel nicht zu Boden. Im letzten Moment konnte er sich am Stamm einer Buche festhalten. »Dort steht Ihr genau richtig.« Ingomar von Humfried hatte plötzlich ein Seil in der Hand, das bereits eine Schlinge aufwies. Diese warf 61
er dem Gutsherrn um den Hals, zog sie eng um dessen Kehle und zischte: »Ich erdrossele Euch, wenn Ihr mir nicht zu Willen seid. Und glaubt ja nicht, dass Euch jemand helfen wird. Wir sind ja angeblich auf der Jagd. Niemand weiß, dass Ihr um Euer Leben und das Eures kleinen Bastards bangen müsst.« »Ich will meine Tochter sehen, vorher geschieht gar nichts...«, antwortete Claudius heiser und angespannt. »Aber selbstverständlich, ganz wie es Euch beliebt. Da ist sie ja auch schon.« Humfried ließ den Baron los und deutete mit einer theatralischen Geste auf die Bauernburschen, die eben auf sie zukamen. Einer von ihnen trug Johanna. »Ihr habt sie geknebelt? Ist Euch denn gar nichts mehr heilig?« »Regt Euch doch nicht auf, Baron. Meint Ihr, ich will, dass die Göre jemanden auf uns aufmerksam macht? Binde sie an, Kunz und dann sucht beide Reisig. Möglicherweise müssen wir doch ein kleines Feuer machen.« Der junge Bauer gehorchte widerstrebend, wagte jedoch nicht, den scheinbar teilnahmslos dastehenden Gutsherrn anzusehen. In aller Eile band er das Kind am Stamm fest und rannte danach zu seinem Freund, der sich bereits verdrückt hatte - und fand ihn leblos im Gras. Ein Pfeil zwischen den Schulterblättern hatte seinem Leben ein Ende gesetzt. »Verdammt!«, keuchte er und rannte, so schnell er konnte, zu einem schützenden Gebüsch. Doch auch dort wurde er entdeckt und mit einem Schlag zu Fall gebracht - von einem großen blonden Mann, den man den Schrecken der Meere nannte. Und dieser nickte nun seinen Männern zu und bedeutete, Henrike und dem Pfarrer, sich in Sicherheit zu bringen. Und dann stürmten die Freibeuter mit erhobenem Schwert zu dem Platz, an dem der Räuber inzwischen vor dem kleinen Mädchen stand und lässig sagte: »Dein Vater ist ein unbelehrbarer Geselle. Er will nicht einsehen, dass...« Er sprach nicht weiter, seine Augen weiteten sich vor Schreck und grenzenloser Wut und er wusste, dass ihm jetzt nur noch die Flucht helfen konnte. Schnell wie ein Hase rannte er davon, wurde von Störtebeker jedoch mühelos eingeholt. 62
»Feige seid Ihr auch noch, Karsten Studer«, rief er, packte den Fliehenden und warf ihn zu Boden. Und dieser Boden war weich, bestand nicht aus festem Lehm, sondern aus Humus und Tannennadeln. Humfried bekam jedenfalls genug davon zu fassen und schleuderte diese Handvoll dem Piraten in die Augen. Wie geblendet fuhr dieser zurück, konnte jedoch dem tödlichen Messerstich in letzter Sekunde ausweichen. Doch plötzlich fühlte er sich von seinem Widersacher, der ihn umklammert hatte, befreit. Er hörte einen rauen Schmerzenslaut und dann die besorgte Stimme von Gerd Windmaker: »Bist du verletzt, Klaus?« Störtebeker schüttelte den Kopf, während er aufsprang, mit einer Hand jedoch seine Augen bedeckte. »Der Hund, er hat mich mit Erde außer Gefecht setzen wollen. Fast wäre es ihm gelungen. Wo ist er jetzt?« »Er liegt hier und ist tot.« Das kam von Lüder Marlow. »Mein Schwert hat ihm den Garaus gemacht.« Klaus hatte sich unterdessen den Schmutz mit seinem Halstuch aus den Augen gewischt. Sie brannten zwar immer noch fürchterlich und tränten unaufhörlich, aber er konnte doch sehen, dass Karsten Studer blutend und reglos im Gras lag. Seine Augen waren geschlossen, sein Mund jedoch wie zum Schrei geöffnet. »Diese Bestie! Mag sie in der Hölle schmoren.« Störtebeker wandte sich angewidert ab. »Was machen wir nun mit ihm und seinen Helfershelfern?«, fragte Lüder Marlow. »Wir lassen sie liegen.« Klaus lachte schon wieder. »Den Rest erledigen die Wölfe.« * Claudius von Nieburg hatte sich selbst von der Schlinge und anschließend seine halb bewusstlose Tochter von ihren Fesseln und dem Knebel befreit und sie in seinen Umhang gewickelt. Fast gleichzeitig waren der Pfarrer und Henrike da gewesen und knieten nun neben ihm. 63
»Das arme, kleine Ding«, flüsterte Raimund erschüttert. »Es muss unverzüglich von einem Arzt untersucht werden. Nur gut, dass unsere Pferde in der Nähe stehen.« »Pa... pa...« Johanna war zu sich gekommen und schmiegte sich zitternd an ihn, der sich nun mit dem Kind in den Armen erhob. »Mein kleines Mädchen«, murmelte er und küsste sie auf die Stirn. »Nun wird wieder alles gut, du wirst schon sehen.« »Böse Männer haben mich... gepackt... und... in einen Keller gesperrt und...« Die restlichen Worte waren nicht mehr zu verstehen, denn das Kind begann, laut zu schluchzen. Das Weinen verebbte jedoch, als die Kleine ihre Betreuerin erkannte. »Karoline...« Sie streckte die Arme nach ihr aus. Und Claudius von Nieburg, der standesstolze Baron, ging zu der Frau, in der er bisher nur ein hysterisches Weib gesehen hatte und sagte ernst: »Nehmt meine Tochter, Karoline Mendel, bei Euch ist sie gut aufgehoben, denn Ihr habt sie besser gehütet als ich.« Henrike nahm ihm das Kind ab und sagte dabei: »Hanna braucht jetzt viel Pflege und Zuwendung. Dafür werde ich sorgen.« Sie setzte sich auf einen Baumstumpf, die Kleine an sich drückend und ihr beruhigende Worte zuraunend. Störtebeker und seine Männer waren unterdessen zurückgekommen, sie gingen auf den Gutsherrn zu und als sie dicht vor ihm standen sagte Klaus ernst: »Mein Name ist Störtebeker und die beiden Männer sind Lüder Marlow und Gerd Windmaker, zwei meiner treuesten Gefährten zur See und auf dem Land.« »Claudius von Nieburg«, entgegnete der Baron gepresst und überrascht, weil der von der Obrigkeit gehasste und vom Volk geliebte Rebell leibhaftig vor ihm stand. »Ihr seht mich tief beschämt«, fuhr er fort, nachdem er sich ein wenig gefangen hatte, »weil ich in dem Entführer meines Kindes einen guten Freund gesehen habe. Wenn Ihr nicht gekommen wäret, dann...« Seine Stimme brach und er wandte sich erschüttert ab. »Wir sind aber gekommen. Eure Tochter wird diese schrecklichen Stunden vielleicht nie vergessen, genauso wenig wie Ihr und die Frau, die den Unhold längst erkannt hatte. Ihr habt Ihr es zu verdanken, 64
dass ich eine Botschaft erhalten habe, die mich hierher gerufen hat gerade noch rechtzeitig.« Der Blick des Gutsherrn streifte Henrike, die sich bescheiden im Hintergrund hielt. »Sie war es, nicht wahr?« »Ja, Henrike Jansen ist ein tapferes und kluges Mädchen aus Bassenthin, das von demjenigen geschändet wurde, der sich Reimar von Hunzingen, Nicolaus Rupp und Karsten Studer genannt hat. Als letzterer ist er zur See gefahren und hat viele Männer auf dem Gewissen. Doch jetzt ist er endlich besiegt worden.« »Er ist... tot?« »Ja, Baron Nieburg, genauso wie seine beiden Kumpane«, erklärte Störtebeker tief aufatmend. »Ihr habt von ihm nichts mehr zu befürchten.« »Gott, sei gelobt«, stießen der Gutsherr und der Pfarrer beinahe gleichzeitig hervor und Claudius von Nieburg setzte hinzu, während er dem Piratenhauptmann und seinen Freunden die Hand reichte: »Meine Tochter und ich, wir danken Euch. Ohne Euch wären wir verloren gewesen und nicht nur wir, mit großer Wahrscheinlichkeit sogar das ganze Dorf.« »Das kann ich nach meinen schlimmen Erfahrungen mit diesem Ehrlosen nicht bestreiten«, erwiderte Störtebeker schlicht. »Doch es war nicht mein Schwert, der seinem schändlichen Tun ein Ende gesetzt hat, sondern das von Lüder Marlow.« »Auch bei ihm bedanke ich mich, so wie bei allen, die hier versammelt sind. Wie ich hörte, seid Ihr zu Pferd hier. Ist auch eines für mich dabei?« »Selbstverständlich, Henrike hat uns darauf gebracht«, antwortete Klaus lächelnd. Der Gutsherr nickte nur und sagte: »Dann lasst uns jetzt zum Schloss reiten, wo Ihr meine Gäste sein sollt.« »Das soll gelten, Baron. Wir haben auch schon tüchtigen Hunger und Durst.« * 65
»Habt Dank, Klaus Störtebeker. Ihr habt mich und viele andere gerächt, habt einem Kind und seinem Vater das Leben erhalten.« Henrike reichte dem Kapitän des ›Roten Teufels‹ die Hand und lächelte ihm zu. »Der Dank ist auch auf meiner Seite. Nur durch Euch war es möglich, meinen größten Feind so schnell zu finden und zu besiegen. Aber werdet Ihr nun auch selbst überwinden können? Die Schmach und die Schande vermag auch ich nicht von Euch zu nehmen.« »Nein, das kann niemand. Doch ich habe gelernt, damit umzugehen. Wenn ich auch nie mehr heiraten werde, so wird es vielleicht doch immer wieder ein Kind geben, das mich braucht, so wie Johanna. Für sie lohnt es sich zu leben.« »Das, genau das, wollte ich nur von Euch hören, Henrike.« Klaus nahm sie brüderlich in die Arme und drückte sie kurz an sich. »Und nun lebt wohl. Wir werden uns wieder sehen, wenn ich auch nicht weiß, wann das sein wird.« »Lebt wohl und viel Glück, Klaus Störtebeker.« Die junge Frau küsste ihn flüchtig auf die Wange und stand dann noch so lange am Tor, bis der Freibeuter und seine Freunde davon geritten waren. »Kommt, Johanna verlangt nach Euch.« Claudius war langsam näher gekommen und stand nun dicht hinter ihr. Sie drehte sich um, blickte in sein blasses Gesicht. »Hat ihr Zustand sich verschlechtert?« »Nein, ich glaube nicht. Aber es ist besser, wenn Ihr in ihrer Nähe seid. Sie fürchtet sich dann weniger.« Sie nickte ihm zu und ging hastig zum Herrenhaus zurück, wunderte sich aber, dass der Baron an ihrer Seite blieb. Er folgte ihr zu Johannas Kammer und blieb so lange dort, bis die fiebernde und aufgeregte Kleine sich beruhigt hatte und einschlief. »Ich denke, wir können sie eine Weile allein lassen«, meinte er und strich seiner Tochter sanft über das Haar. »Hanna ist zäh und wird sich erholen. Doch jetzt bitte ich Euch, mich in mein Arbeitszimmer zu begleiten. Es gibt einiges zu besprechen.« »Ja, gern«, erwiderte sie leise und ging dann an seiner Seite bis zu jenem Raum, in dem noch gestern der Räuber den Gutsherrn erpresst hatte. 66
»Ich möchte Euch danken, Karoline, nein, Henrike, so heißt Ihr ja richtig«, begann er, nachdem er die Tür des Gemaches hinter ihnen geschlossen hatte. »Ihr wart klüger als ich und habt meiner Tochter und mir das Leben gerettet. Sagt mir, was Ihr Euch wünscht.« Sie zögerte einige Sekunden, dann erwiderte sie: »Ich möchte bei Johanna so lange bleiben dürfen, wie sie mich braucht.« »Mehr nicht?« »Nein, ein Kind zu betreuen ist eine wundervolle Aufgabe und zur Landarbeit tauge ich ohnehin nicht.« Er betrachtete ihre schmale Gestalt und meinte dann: »Das wohl nicht, Ihr seid viel zu zart. Aber eine Baronin Nieburg braucht auch nicht besonders kräftig zu sein. Sie hat genug Gesinde, das ihr behilflich sein wird.« »Ich verstehe Euch... jetzt... nicht.« »Nein? Dann muss ich wohl deutlicher werden.« Der Gutsherr nahm ihre Hand, hauchte einen Kuss darauf und sagte ernst: »Bitte werdet meine Gemahlin, Henrike Jansen.« »Aber... das kann ich nicht«, stammelte sie verwirrt. »Habt Ihr nicht vernommen, dass ich aus ganz einfachen Verhältnissen komme und dass man mich... geschändet hat?« »Doch, ich habe alles gehört. Euer Vater ist ein Bauer, also ein sehr ehrenwerter Mann, der fleißig schafft und seine Familie ernährt. Und das andere, das kümmert mich nicht. Dieser Schurke hat sich Euch aufgezwungen, Ihr habt ihn nicht gewollt. Und eines Tages werdet Ihr vergessen können und an meiner Seite eine glückliche Frau sein. Eine gute Mutter seid Ihr bereits.« »Ihr werdet eine andere Frau finden, eine, die noch Freude an der Liebe hat. Ich kann Euch nichts mehr sein.« Er ließ sich nicht beirren. »Warten wir es ab. Ich werde viel Geduld haben.« »Ihr könnt mich doch nicht aus... Dankbarkeit heiraten wollen?« »Ich bin Euch dankbar, das ist wahr, aber heiraten würde ich Euch deshalb nicht wollen. Es gibt genug andere Möglichkeiten, mich zu bedanken. Ich möchte Euch zur Frau, weil ich Euch mag und weil ich Euch bewundere, schon lange. Ich wollte es nur nicht zugeben. Und 67
Johanna mag Euch auch. Aber Ihr mögt mich wohl nicht, weil ich Euch so schlecht behandelt habe. Glaubt mir, Liebste, das wird nicht wieder vorkommen.« »Ich weiß nicht, ob ich Euch mag«, gab sie mit zitternder Stimme zurück. »Ich kenne Euch nur als strengen Dienstherrn - und selbstherrlichen Edelmann. Wie kann ich Euch vertrauen und Zuneigung für Euch empfinden?« »Zu Klaus Störtebeker habt Ihr aber Vertrauen.« Das klang bitter und eifersüchtig, was Henrike durchaus bemerkte. »Ja, ich vertraue ihm«, bekannte sie aufrichtig. »Ich vertraue ihm wie einem Bruder, denn er hat mich damals gerettet und sein Arzt hat mich gesund gepflegt, aber ich habe aus diesem Grund auch Wochen auf seinem Schiff zugebracht. Manch einer wird sogar annehmen, ich wäre eine Piratenbraut.« »Möglich«, gab er lächelnd zu. »Doch man wird sich nicht dauernd mit Euch und Eurer Vergangenheit beschäftigen. Was mich allerdings erstaunt, ist die Tatsache, dass ein Pirat Euch geholfen hat. Ihr habt doch Eltern und Geschwister...« »Man wollte mich zu Hause nicht mehr haben - wegen des Geredes«, versetzte sie tonlos. »Und ich wollte dort auch nicht bleiben. Aber Ihr müsst nicht denken, dass mein Vater mich ohne Geld hat ziehen lassen.« »Das vielleicht nicht, aber ohne Schutz.« »Für den hat Klaus Störtebeker gesorgt. Er hat mich, als ich wieder gesund war, bei den Pfarrersleuten untergebracht. Dort ist es mir gut gegangen.« »Und dann seid Ihr zu mir gekommen«, ergänzte Claudius und legte einen Arm um ihre Schultern. »Das war das Beste, was meiner Tochter und mir geschehen konnte. Bitte denkt über meinen Antrag nach.« Henrike entzog sich ihm, ging unruhig ein paar Schritte hin und her und sagte dann: »Ich bin nicht besonders hübsch und habe mir außerdem die Haare abgeschnitten und rot gefärbt, damit - er - mich nicht erkennt und kann daher...« 68
»Seht«, machte er und nahm ihr behutsam die Haube ab. Sanft über das kurze und inzwischen wieder saubere Haar streichend, sagte er tröstend: »Die wachsen bald wieder.« »Es wird aber dauern, bis es wieder so schön ist, wie es einmal war. Aber ich wusste mir nicht anders zu helfen, mein Haar hätte mich verraten. So aber konnte ich dem Angriff des Schurken entgehen.« »Er hat Euch... überfallen?«, rief der Gutsherr bestürzt aus. »Wollte er etwa wieder...?« »Nein, das vermutlich nicht, aber er hatte mich irgendwie doch erkannt, wollte wohl Rache oder fürchtete, dass ich seine Pläne durchkreuze, wahrscheinlich beides. Er hat mir die Haube vom Kopf gerissen und war dann sichtlich erschrocken, denn ich hatte mir noch eine eklige Mixtur aus Eiern und getrocknetem Hühnerblut in die Haare geschmiert. Da hat er mich in Ruhe gelassen und gemeint, ich wäre ein hässliches und krankes Weib.« Seine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln. »Fürwahr, das war ein ausgezeichneter Mummenschanz. Doch nun ist er nicht mehr nötig, jetzt könnt Ihr Euch modisch und farbenfroh kleiden. Gleich morgen wird eine Schneiderin kommen, die...« »Nein, Herr«, unterbrach sie ihn, während sie die Haube wieder aufsetzte, »ich muss mich erst wieder daran gewöhnen, ohne Angst zu leben und ich muss nachdenken, auch über uns beide. Lasst mir Zeit, lasst Johanna erst gesunden.« »Gut, Henrike, es soll so sein, wie Ihr es wollt. Aber eines ist unumgänglich.« »Was denn?«, fragte sie erstaunt. »Alle hier im Schloss und im Dorf müssen erfahren, dass Ihr uns gerettet habt, dass Ihr Hilfe geholt habt, dass Ihr Henrike Jansen seid. Der Pfarrer wird eine Messe lesen, aber das wird vielleicht doch nicht reichen, um Euch vom Ruf der Piratenbraut zu befreien. Böse Zungen gibt es überall, auch hier. Es wäre besser, wenn ich unsere Verlobung verkünden könnte.« Sie lächelte traurig. So waren die Menschen eben, sie jubelten Klaus Störtebeker zu, nahmen, was er ihnen gab und hofften auf seine Hilfe in Not und Bedrängnis. Die Frau, die mit ihm zusammen gesehen 69
wurde, wurde trotzdem verächtlich eine Piratenbraut genannt. Auch deshalb hatte ihr Vater sie nicht mehr auf dem Hof haben wollen. »Ja, es wäre besser«, sagte sie aus diesen Überlegungen heraus. »Ich würde so gern wieder zur Ruhe kommen, wieder fröhlich sein. Aber werdet Ihr wirklich - Geduld - mit mir haben und nicht gleich Euer Recht als Ehemann einfordern?« »Ja, Liebste, ich werde sehr geduldig sein. Das verspreche ich Euch.« Claudius von Nieburg nahm ihre Hand und drückte sie fest. * Das Dorf glich einem Bienenschwarm, nachdem der Gutsherr vor aller Ohren verkündet hatte, dass seine zukünftige Gemahlin den angeblichen Reimar von Hunzingen entlarvt und tatkräftige Hilfe geholt hatte, um das Dorf vor diesem Raubritter zu schützen. »Wir waren alle leichtgläubig und vertrauensselig«, rief er den Bauern und Handwerkern zu, die sich auf dem Anger versammelt hatten und ihn ungläubig anstarrten. »Wir haben den Wolf im Schafspelz nicht erkannt und auch ich war dumm genug, in ihm einen Freund und edlen Mann zu sehen. Henrike Jansen kannte ihn jedoch, er gehörte schließlich zu der Räuberbande, die ihr Heimatdorf überfallen hatte. Sie hat getan, was in ihren Kräften stand, sie hat zusammen mit Klaus Störtebeker und unserem Herrn Pfarrer meine Tochter und mich gerettet. Und dafür wollen wir ihr alle danken.« Claudius von Nieburg ging zu der jungen Frau, die in seiner Nähe stand und küsste ihr die Hand. Fast gleichzeitig erschollen nun Hochrufe, hörte man Gelächter und ein Spielmann stimmte eine lustige Weise an. So vergaßen die meisten Dörfler sehr schnell die Gefahr, in der sie geschwebt hatten. Sie jubelten dem Gutsherrn und seiner künftigen Gemahlin zu, lachten und tanzten - und freuten sich über das Fass Bier und das Schwein am Spieß, das ihnen der Baron zur Feier des Tages spendierte. Den angehenden Eheleuten war allerdings noch nicht nach Feiern und Tanzen zumute. Johanna fieberte immer noch, schrie oftmals im 70
Schlaf und weinte viel. Nur in Henrikes Gegenwart wurde sie ruhiger und war dann auch bereit, etwas Nahrung zu sich zu nehmen. Auch zu dieser Stunde lag sie schluchzend im Bett, streckte jedoch freudig die Arme aus, als Henrike und Claudius die Kammer betraten und sich zu ihr setzten. »Mein liebes kleines Mädchen«, sagte der Baron leise und nahm die mager gewordene Kleine in die Arme, wiegte sie hin und her und murmelte dann: »Werde doch wieder gesund, mein Liebchen. Du willst doch auch tanzen und dich freuen, wenn Henrike und ich Hochzeit machen. Oder nicht?« Johanna, die inzwischen wusste, das Karoline eigentlich Henrike hieß, schaute verblüfft zu ihm auf. »Henrike wird meine Frau Mama?« »So ist es. Wenn es dir besser geht, dann werden wir heiraten. Nimm also immer recht brav deine Medizin und denke nicht mehr an die bösen Stunden in dem kalten und feuchten Keller. Die Männer, die dich dorthin verschleppt haben, sind tot und unterdessen von den Wölfen gefressen worden. Sie können dir nichts mehr zuleide tun.« Die Vorstellung, dass die Wölfe zähnefletschend über ihre Entführer hergefallen waren, erheiterte das Kind. Es kicherte sogar und meinte schadenfroh: »Das geschah ihnen recht.« Henrike nickte dazu, denn auch ihr hatten zwei Jäger erzählt, dass sie Überreste von menschlichen Körpern im Wald gefunden hatten. Der Dämon war besiegt, der Alptraum zu Ende. Sie konnte wieder ein ganz normales Leben führen... oder doch beinahe. Nachdenklich schaute sie auf den Mann, der sich mit ihr vermählen wollte und der jetzt seine Tochter in die Küssen zurück gleiten ließ, sie sorgsam zudeckte und anschließend auf die Stirn küsste. Würde sie auf Dauer gut mit ihm auskommen? Vermutlich, sie erwartete ja nicht viel von ihm, nur ein Heim und seinen Schutz. Aber würde er wirklich Verständnis für sie haben? Konnte er sich in eine Frau hineinversetzen, der man Gewalt angetan hatte? »Bleibst du noch ein wenig bei mir, Henrike?« Johanna riss sie aus ihren Überlegungen und blickte sie bittend an. 71
»Aber sicher.« Sie streichelte der Kleinen über die Wangen, errötete jedoch verlegen, als das Kind fragte: »Bekomme ich nun bald einen Bruder oder eine Schwester?« Sie brauchte jedoch nicht zu antworten, Claudius von Nieburg, der sich inzwischen erhoben hatte, legte ihr für einen Moment die Hand auf die Schulter und sagte ruhig: »Wenn der liebe Gott es will, wirst du vielleicht eines Tages Geschwister haben, Johanna. Du musst fleißig beten, genauso wie ich.« »Ja, Papa, das will ich gern tun«, murmelte das Mädchen schläfrig. Ihre Hand in die von Henrike schmiegend, kuschelte sie sich in die Kissen und war dann binnen weniger Minuten eingeschlafen. »Ich glaube, das Fieber lässt nach.« Die junge Frau nickte dem Gutsherrn beruhigend zu. Er atmete auf und verließ dann die Kammer. Es gab noch einiges zu tun, bis er Hochzeit halten konnte. * Henrike betrachtete die kostbaren Gewänder, strich über feine Stoffe und edle Spitzen. Die Schneiderin und ihre Helferinnen mussten anscheinend Tag und Nacht genäht haben, um in so kurzer Zeit die Garderobe für die zukünftige Baronin von Nieburg fertig zu bekommen. Auch die Putzmacherinnen hatten mehr als genug zu tun gehabt, sie hatten Fächer aus Straußenfedern, kegelförmige Kopfbedeckungen mit duftigen Schleiern, parfümierte Handschuhe, Gürtel und Schnallen hergestellt. Ein Teil dieser Pracht lag bereits in zwei Truhen, die man auf die Reise mitnehmen wollte. »Wir werden nicht hier heiraten, sondern in Bassenthin. Eure Familie und alle Bewohner des Dorfes sollen wissen, dass Ihr die Frau an meiner Seite seid, dass ich Euch achte und liebe.« So hatte es Claudius angeordnet, nachdem Johanna wieder munter umher sprang und ihre üblichen Streiche machte. Henrike hatte nicht widersprochen, auch wenn sie ein wenig Angst vor dem Wiedersehen mit ihrer Familie, Jan Höllriegel und den übrigen Dorfbewohnern hatte. »Wie ich sehe, erfreut Ihr Euch an Euren schönen Kleidern.« Der Schlossherr hatte geräuschlos die Tür geöffnet und trat nun neben sie. 72
»Ja, in der Tat... ich bin überwältigt und ich danke Euch sehr.« »Eure Ausstattung ist eine Selbstverständlichkeit, aber ich freue mich natürlich, dass sie Euch gefällt.« »Ihr seid so gut zu mir«, erwiderte sie und blickte zu ihm auf. »Wie kann ich Euch nur danken?« »Seid fröhlich und denkt daran, dass nicht alle Männer wie wilde Tiere sind. Es gibt nicht nur Härte und Gewalt, sondern auch Liebe und Zärtlichkeit.« »Ja, ich weiß. Ich war ja schon einmal einem Mann versprochen, einem guten Mann.« »Vermisst Ihr ihn? Wollt Ihr zu ihm zurück?«, fragte er hastig. »Nein.« Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Jan ist ein lieber Junge, aber noch weitgehend von seinem Vater abhängig. Ich mag ihn, aber eher wie einen Bruder.« Claudius von Nieburg nickte nur dazu, atmete jedoch heimlich auf. Von ihrem ehemaligen Verlobten drohte ihm also keine Gefahr. Aber sein Verlangen nach dieser Frau machte ihm allmählich so zu schaffen, dass er es nicht unterlassen konnte zu fragen: »Und Ihr wollt keinen lieben Jungen, sondern einen handfesten Mann mit Erfahrung?« »Ich möchte einen Mann, der mir nicht weh tut.« »Seid unbesorgt.« Er legte beide Arme um sie und zog sie sanft an sich heran. »Es wird nichts Schlimmes geschehen, aber ich bin auch nur ein Mann, der Sehnsucht hat. Wäre es nicht Zeit... für den ersten Kuss?« »Ja... natürlich«, erwiderte sie gehorsam und legte ihren Kopf an seine Brust. Sie spürte seine Wärme und hörte sein Herz klopfen. Er wollte sie also wirklich. Staunend sah sie zu ihm auf, lächelte unwillkürlich und spürte dann seinen Mund, der sich zart auf den ihren legte. Sie hatte erwartet, Abscheu und Ekel zu empfinden, wenn ein Mann sich ihr näherte, wenn ein Mann sie berührte, küsste und streichelte. Doch sie spürte nur ein Gefühl von Geborgenheit und von Wärme - und hatte plötzlich den Wunsch, ihn glücklich zu machen. »Claudius«, flüsterte sie, als er ihren Mund wieder freigegeben hatte. »Ihr habt wirklich viel Erfahrung. Ihr habt mir soeben viel von meiner Angst genommen.« 73
»Wenn das so ist«, entgegnete er und lächelte schalkhaft, »dann würde ich gern noch viel mehr von Euren Sorgen zerstreuen. Was meint Ihr dazu?« »Wenn Ihr es vorerst bei Küssen belasst, dann bin ich einverstanden.« »O ja.« Er drückte sie fester an sich und küsste sie dann lange und ausgiebig. * Der Jahreszeit nach war es Winter, aber das Wetter war mitunter noch recht milde, so dass man sich immer noch viel im Freien aufhalten konnte, besonders an diesem Tag, an dem man den neuen Herrn von Bassenthin, den Baron, von Nieburg, erwartete. Endlich trat er sein Erbe an, endlich ließ er sich sehen und hatte vielleicht auch ein Ohr für die Sorgen und Nöte der Einwohner des Dorfes. Der Vogt, der Pfarrer und Bürgermeister Starkow waren der Ansicht, dass der Gutsherr in guter Stimmung sein musste. Schließlich wollte er hier seine Hochzeit feiern. Man war also sehr gespannt, sehr neugierig und hoffte auf ein großes Fest, an dem das ganze Dorf teilnehmen würde. Paula Jansen und ihre beiden Töchter gingen heute auch öfter als sonst aus dem Haus. Es hieß, der Baron sei noch jung und wäre ein ansehnliches Mannsbild, groß und stattlich von Gestalt und so reich, dass es ihm und den Seinen an nichts mangelte. Doch soviel sie auch schauten, eine hochherrschaftliche Kutsche mit einem Wappen und edlen Pferden war nirgends zu sehen. Enttäuscht wandten sie sich wieder ihrer Hausarbeit zu. Aloisia, die inzwischen Jan Höllriegel hinreichend klar gemacht hatte, dass nur sie die richtige Gemahlin für ihn wäre, stichelte an einem Leinentuch, Brunhilde stand am Herd und Paula hatte eben schmutzige Wäsche in einen Bottich mit Wasser getan. Sie kam jedoch nicht mehr dazu, die Hände in die Seifenlauge zu tauchen, da ihr Ehemann in die Küche kam und aufgeregt hervorstieß: »Eine Kutsche hat 74
soeben auf unserem Hof angehalten. Ich glaube, es ist die Kutsche vom Herrn Baron. Seht doch!« Er öffnete das Fenster, doch den Frauen genügte der Blick durch die schmale Öffnung nicht. Sie liefen zur Tür hinaus, so wie an jenem Tag, als die Abgesandten von Klaus Störtebeker hier angekommen waren. Der Bauer folgte ihnen und auch in der Nachbarschaft war man aufmerksam geworden. Wie angewurzelt stand das niedere Volk da und starrte auf die vier Männer zu Pferde, die eben abgestiegen waren, auf den Kutscher, der dem Baron die Wagentür öffnete. Und der Mann, der nun ausstieg, war wirklich der feine Herr. Seine muskulösen Beine steckten in glänzenden Stiefeln, seine eng anliegenden Hosen waren dunkelbraun und sein Wams von jener grünen Farbe, die an Moos erinnerte. Dazu trug er einen bestickten, mit Pelz verbrämten Umhang und einen ebenfalls grünen Hut mit einer breiten Krempe. Er blickte nur flüchtig auf die versammelten Menschen, sein Interesse galt der jungen Frau, der er seine Hand reichte, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Ein Raunen ging durch die Menge, ein Staunen und Seufzen, denn trotz ihres eleganten Gewandes hatte man Henrike sofort erkannt. »Unsere... Tochter«, murmelte Robert Jansen und schaute seine Frau verwirrt an. »Was hat das alles... zu bedeuten?« »Was weiß denn ich?« Paula kümmerte sich nicht um ihren völlig entgeisterten Gemahl. Sie eilte auf die Ankömmlinge zu, scherte sich nicht um den Baron und sein Gefolge, ihr ging es nur um ihre Jüngste, die sie halb schluchzend, halb lachend in die Arme nahm. »Rike, Mädchen, dass ich dich nun wiederhabe, muss unser Herrgott so bestimmt haben. Ich bin so glücklich und du scheinst es auch wieder zu sein.« Claudius von Nieburg störte das Wiedersehen zwischen Mutter und Tochter nicht, er beobachtete es nur mit leichter Rührung und sagte, als Henrike sich ihm wieder zuwandte: »Das ist also Eure Mutter, meine Liebe. Würdet Ihr so freundlich sein, mich ihr und den übrigen Mitgliedern Eurer Familie vorzustellen.« Sie nickte zustimmend, schaute in die Runde und vergewisserte sich, dass alle anwesend waren. Erst danach sagte sie feierlich: »Lie75
ber Vater, liebe Mama, liebe Schwestern, ich möchte euch den Baron Claudius von Nieburg vorstellen. Ich habe in den letzten Monaten seine kleine Tochter betreut und nun...« Sie wurde nun doch ein wenig verlegen und blickte hilfesuchend zu ihrem zukünftigen Ehemann, der dann auch gelassen ergänzte: »Und nun hat mir Henrike die Ehre erwiesen, meinen Heiratsantrag anzunehmen. Robert und Paula Jansen, ich werde bereits morgen Euer Schwiegersohn sein.« »Herr... Baron, ich kann es noch gar nicht... fassen.« Der Bauer verbeugte sich linkisch und verzichtete sehr gern auf alle Formalitäten, die im allgemeinen üblich waren. Es gab ohnehin nichts auszuhandeln. Und überdies würde Claudius von Nieburg wohl wissen, dass er ein armes Mädchen zur Frau bekam. Daher setzte er nur hinzu: »Gehen wir doch ins Haus, wenn es recht ist.« »Gern.« Claudius gab seinem Gefolge noch einige Anweisungen, bevor er gemeinsam mit Henrike das Haus betrat, in dem sie geboren wurde. * Nun war sie die Gemahlin des Herrn von Nieburg. Der Pfarrer hatte sie am Vormittag eingesegnet, hatte von Glück, Vertrauen und Verantwortung gesprochen und saß nun, wie alle anderen Hochzeitsgäste an der langen Tafel, auf der lukullische Köstlichkeiten standen. Er ließ es sich gut schmecken, sie selbst hatte jedoch nur wenig Appetit, eigentlich gar keinen. Sie war seine Gemahlin. Und was das bedeutete, wusste sie lange genug. »Wenn Ihr nichts dagegen habt, dann ziehe ich mich jetzt für eine Weile zurück.« Henrike, wunderschön anzuschauen in dem burgunderfarbenen Hochzeitskleid, sagte das leise zu ihrem Ehemann, der neben ihr an der langen Tafel saß. »Ich habe nichts dagegen«, erwiderte er verständnisvoll. »Ruht Euch nur aus. Die letzten Tage waren anstrengend genug.« »Ich werde bald wieder, hier sein.« Leise seufzend und innerlich zitternd verließ sie den Festsaal und betrat nun mit schnellen Schritten 76
die Eingangshalle. Dort wurde Bier und Wein ausgeschenkt, was regen Zuspruch bei den Gästen fand. Die schöne Braut blieb trotzdem nicht unbeachtet, vor allem von einem jungen Mann nicht, der seinen kräftigen Körper in ein reichlich enges Gewand gezwängt hatte. Er eilte schnurstracks auf sie zu, verbeugte sich linkisch und stammelte: »Ich wünsche dir... Euch... viel Glück, Frau... Baronin.« Henrike war stehen geblieben, blickte den Mann gleichmütig an, während sie erwiderte: »Ich danke dir, Jan, auch im Namen meines Gemahls.« »Eigentlich hätte ich Euer Ehemann sein sollen, aber das Schicksal hat es nicht so gewollt.« »Das Schicksal oder das Gerede der Leute«, entgegnete sie herb. »Aber letztlich ist es gut, so wie es gekommen ist. Ich denke, du wirst mit Aloisia recht glücklich werden.« »Mein Vater hat mir geraten, um sie zu freien. Sie ist eine gute Bäuerin.« Und hat ein Schandmaul, fügte Henrike in Gedanken hinzu. Jan wird das sehr bald zu spüren bekommen. Laut sagte sie jedoch nur: »Dann wünsche ich dir ebenfalls Glück und eine reiche Kinderschar.« Sie nickte ihm freundlich zu und ging dann rasch weiter, bis sie in ihrem Schlafgemach angelangt war. Hier ließ sie sich von ihrer Kammerjungfer den Kopfputz richten. Danach schickte sie das Mädchen fort. Sie brauchte es vorläufig nicht. Sich in einen Sessel setzend, versuchte sie, die Furcht vor der Hochzeitsnacht zu besiegen und rief sich immer wieder das Versprechen ihres Ehemannes ins Gedächtnis. Er würde behutsam mit ihr umgehen, oder vielleicht sogar ganz auf sein Recht verzichten. Am liebsten wäre sie jetzt zu Johanna gegangen, die eifrig gefeiert hatte und nun im Nebenraum unter Aufsicht der Kammerfrau schlief. Doch da sich das nicht schickte, stand sie auf und wollte das Gemach verlassen. Sie kam jedoch vorerst nicht dazu. Aloisia war plötzlich da, blickte sie boshaft an und fragte verschwörerisch: »Weiß dein Gemahl, dass du schon einen anderen hattest, weiß er, dass du keine Jungfrau mehr bist?« 77
»Er weiß alles von mir. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Henrike, die den Neid in den Augen ihrer Schwester nur zu gut sah, lächelte spöttisch. »Dann muss er ein gar seltsamer Mensch sein. Jan hat dich nach diesem - beschämenden Vorfall - jedenfalls nicht mehr gewollt. Das hat er mir selbst gesagt.« »Seine Entscheidung war doch sehr günstig für uns beide, nicht wahr? Du hast Jan bekommen und ich habe einen Mann gefunden, der edel und vornehm ist... und an meine Schuldlosigkeit glaubt. Doch nun lass uns gehen, anderenfalls wundern sich die Gäste zu sehr. Eine Braut ist nun einmal die Hauptperson und hat bei der Hochzeit anwesend zu sein. Außerdem wird Claudius mich schon suchen.« Die Baronin von Nieburg gab der intriganten Aloisia keine Gelegenheit, weitere Gemeinheiten von sich zu geben. Sie ließ sie einfach im Raum stehen und ging hocherhobenen Hauptes hinaus. Niemand merkte ihr an, wie sehr sie sich über ihre Schwester ärgerte. Neu waren ihr deren Neid und ihre spitze Zunge allerdings nicht. Diese Schwester hatte, ganz im Gegensatz zu der sanften Brunhilde, schon immer das haben wollen, was sie, Henrike, ihr eigen nannte, auch wenn es sich mitunter nur um ganz simple Dinge gehandelt hatte, ein Band für das Haar zum Beispiel. »Claudius... Claudius«, äffte Aloisia ihr leise nach. »Sie soll sich nur nicht zu sicher sein. Oh, hätte ich das alles nur rechtzeitig gewusst, dann hätte ich noch zu meinen Gunsten handeln können.« Auf dem Weg zum Festsaal begegnete ihr der Baron. Ihr lässig zunickend, wollte er an ihr vorübergehen, stutzte jedoch und blieb stehen, als sie ihn ansprach: »Auf ein Wort, verehrter Schwager.« »Was gibt es?«, fragte er unwillig. Sie tat so, als würde ihr die Antwort schwer fallen und sagte schließlich scheinbar sehr bedrückt: »Ihr seid ein rechtschaffener und kluger Mann, Baron. Daher halte ich es für meine Pflicht, Euch das zu sagen, was meine Schwester Euch verschweigt und wahrscheinlich immer verschweigen wird. Unser Vater hatte einen triftigen Grund, sie aus dem Hause zu weisen.« »Tatsächlich?« Das klang gelangweilt. 78
»Ja, sie wird Euch eine ungetreue Ehefrau sein. Hier im Dorf hatte sie zuerst Jan Höllriegel, den Sohn unseres Nachbarn und dann einen Kerl von einer Räuberbande. Die Schande haben unsere Eltern nicht ertragen können, aber gutmütig, wie sie nun einmal sind, haben sie sie mit genug Geld ausgerüstet, bevor sie die Dirne weggeschickt haben.« »Ja und...?« Aloisia beugte sich näher zu ihm, so nahe, dass er den Ansatz ihres Busens betrachten konnte, ob er wollte oder nicht. »Sie ist dann leider, ich wage es gar nicht zu sagen... leider mit dem Piraten Klaus Störtebeker und seinen Spießgesellen auf und davon. Was das bedeutet, könnt Ihr Euch denken.« »Nein, das kann ich nicht.« Der Baron lächelte naiv. »Wisst Ihr denn nicht, wie viel Männer an Bord einer Kogge sind?« »Doch, ungefähr vierzig.« Sein Lächeln wurde breiter. »Henrike ist so lüstern, dass sie es bestimmt mit allen getrieben hat. Ich wollte es Euch nur sagen, damit Ihr immer ein wachsames Auge auf Eure Gemahlin habt.« »Und was soll ich Eurer Ansicht nach nun tun?« Sie zuckte mit den Schultern. »Das sagte ich ja schon, aber wenn Ihr mit ihrer Vergangenheit nicht leben könnt, müsst Ihr die Ehe für ungültig erklären lassen. Jetzt ist es noch möglich.« Er hatte nun genug von ihrem Geschwätz, seine Miene wurde abweisend und er erwiderte mit klirrender Stimme: »Hütet Eure böse Zunge, Schwägerin. Alles, was Eurer Schwester in den letzten Monaten widerfahren ist, ist mir schon lange bekannt. Und ich dulde es nicht, dass Ihr schlecht über sie redet. Ich liebe Henrike und werde sie bis zu meinem letzten Atemzug lieben.« »Aber sie liebt Euch nicht, will nur gut versorgt sein.« Er antwortete nicht, maß sie nur mit verächtlichen Blicken und ging dann weiter. Wie kam seine tapfere Gemahlin nur zu so einer missgünstigen Schwester? Aber in einem hatte Aloisia durchaus recht. Henrike liebte ihn nicht. Und er wusste nicht, ob er jemals ihr Herz erringen würde. Eines wusste er jedoch genau. Er würde mit der Hochzeitsnacht noch lange warten müssen. 79
* Seit diesem Tag waren viele Wochen vergangen. Der Winter hatte einem herrlichen Frühling Platz gemacht. Schneeglöckchen und Blausterne gaben dem Park ein wahrhaft märchenhaftes Aussehen. In diesem Park machte Henrike häufig ihre Spaziergänge. Johanna begleitete sie mitunter, meist dann, wenn der Hauslehrer, der inzwischen eingestellt worden war, den Unterricht beendet hatte. Ihr Leben verlief jetzt in einem ruhigen Gleichmaß, ausgefüllt mit den Tätigkeiten der Hausfrau und der Betreuung des Kindes. Ihren Gemahl sah sie meist nur zu den Mahlzeiten, er behandelte sie freundlich und respektvoll, küsste sie aber nur selten. Wahrscheinlich merkte er, dass sie noch nicht bereit war, ihm mehr zu geben. In den letzten Wochen war er zunehmend reizbarer geworden, was sie durchaus verstand. Sie verstand auch, dass er ihre Nähe weitgehend mied und oft auf seinen anderen Besitzungen weilte, so wie zur Zeit auch. Aber sie vermisste ihn - mit jedem Tag mehr. Das musste sie sich eingestehen. An diesem Nachmittag war sie zum Pfarrhaus gegangen, wo sie immer willkommen war. Ludowika und Raimund Paschke fühlten sich stets geehrt, wenn die Baronin Nieburg ihnen einen Besuch machte. Heute waren sie jedoch nicht allein, als Henrike vom Hausmädchen in die gute Stube geführt wurde. Ein hoch gewachsener blonder Mann saß mit ihnen an dem großen Tisch. Vor ihnen standen Becher und ein Krug, in dem vermutlich Wein war. »Frau Baronin, es freut uns außerordentlich, dass Ihr gerade heute bei uns vorbeischaut.« Ludowika eilte auf sie zu, während die Männer sich erhoben. »Seht doch, Klaus Störtebeker hat es sich nicht nehmen lassen, hierher zu kommen, um sich nach Eurem Ergehen zu erkundigen. Wir haben ihm schon erzählt, dass Ihr inzwischen mit unserem Gutsherrn vermählt seid.« Klaus hatte die junge Frau ungeniert betrachtet. Für seinen Geschmack war sie immer noch zu dünn, aber er war dennoch zufrieden mit ihrem Aussehen und mit ihrem Stand. Sorge und Angst waren aus 80
ihren Zügen gewichen und sie strahlte eine gewisse Würde aus, die ihr gut zu Gesicht stand. »Frau Baronin Henrike«, meinte er augenzwinkernd und schloss sie für einen Augenblick fest in die Arme. »Wie schön Ihr geworden seid. Warum nur habe ich Euch nicht bei mir behalten?« »Das frage ich mich auch - schon lange.« Die scharfe Stimme des Barons ließ sie wie ertappte Sünder auseinander fahren. Niemand hatte sein Eintreten bemerkt, weder der Pfarrer, noch seine Frau, ganz zu schweigen von Klaus und Henrike. Sie war es jedoch, die sich zuerst besann und gelassen sagte: »Ich wünsche Euch einen schönen Tag, Claudius und freue mich, dass Ihr wieder den Weg nach Hause gefunden habt.« »Leider habe ich Euch dort nicht vorgefunden. Eure Kammerjungfer sagte mir, dass Ihr ihre Begleitung abgelehnt hättet und statt dessen ganz allein zum Pfarrhaus wandern wolltet. Wisst Ihr denn noch immer nicht, wie gefährlich es ist, wenn ein Weib ohne Schutz unterwegs ist?« »Sollte ich überfallen werden, kann die Jungfer mir auch nicht helfen. Aber da Ihr nun wieder daheim seid, könnt Ihr mich nach Hause geleiten. Mein Platz ist jetzt bei Euch.« »So? Das kann ich kaum glauben«, stieß er verbittert hervor. »Ist es nicht eher so, dass Ihr Euch lieber mit dem Freibeuter trefft, der Euch seinerzeit gerettet hat. Vielleicht liebt Ihr ihn sogar. Mich habt Ihr ja nur genommen, weil Ihr auf eine gute Versorgung aus wart. Da seid Ihr genauso wie andere Weiber.« Sie schaute ihn mit zornig blitzenden Augen an und zischte: »Ich wollte ein friedliches Heim, das ist wahr. Aber ich hätte dieses auch von Klaus Störtebeker bekommen können. Es hätte mir nichts ausgemacht, irgendwo an Land auf ihn zu warten. Wenn ich ihn lieben würde, dann hätte ich das getan - aber ich liebe ihn nicht, sondern Euch, auch wenn Ihr so ein Dummkopf seid und nicht sehen wollt, dass ich mich nach Euch sehne.« »Henrike...« Keiner von seinen Freunden, Verwandten und Bediensteten hatte den Herrn von Nieburg jemals so fassungslos gesehen, wie in diesem Augenblick. Wie vom Blitz getroffen stand er da, 81
aber seine Augen sagten Henrike alles, was sein Mund noch verschwieg. »Claudius, Ihr habt mir so sehr gefehlt«, flüsterte sie, ging zu ihm, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf den Mund. Es war nur eine kurze und keusche Berührung, auf den Mann übte sie jedoch eine beinahe berauschende Wirkung aus. Mit einem Jubellaut riss er Henrike in seine Arme und küsste sie lange und innig, heiß und wild und murmelte immer wieder Liebesworte. »Wollen wir jetzt nach Hause gehen, mein Liebster?« Sie befreite sich sachte aus seinen Armen. »Dort ist es doch am schönsten und dort...« Als sie verlegen schwieg und eine zarte Röte ihr Gesicht färbte, vollendete er zärtlich: »... und dort wollen wir endlich Hochzeit feiern, wenn du mir meinen Verdacht verzeihen kannst. Was meinst du, meine Liebste?« Sie lächelte verstehend zu ihm auf. »Du warst eben eifersüchtig, aber ich war es auch schon oft. Manchmal habe ich mich gefragt, ob inzwischen eine andere das Lager mit dir teilt und ob ich dich allzu lange habe warten lassen.« »Es gibt keine andere«, beteuerte er. »Du bist die Einzige für mich. Und die lange Wartezeit habe ich in dem Augenblick vergessen, als du mir deine Liebe gestanden hast.« * Störtebeker und das Ehepaar Paschke hatten den Raum taktvoll verlassen, nachdem der Baron so plötzlich aufgetaucht war. Ein wenig besorgt und doch zuversichtlich saßen sie nun in der Küche am Feuer und sprachen leise miteinander - über den Krieg der Mächtigen, der auf dem Rücken des Volkes ausgetragen wurde und über die Menschen, die Gottes Lehren nicht beherzigten. »Die meisten von den reichen Herren gehen jeden Sonntag mit Weib und Kind in die Kirche«, erklärte der Pfarrer mit belegter Stimme. »Sie beten und singen fromme Lieder. Ihre Taten sind jedoch alles 82
andere als fromm. Im Grunde genommen geht es ihnen nur um Reichtum und Macht.« »Claudius von Nieburg ist eine rühmliche Ausnahme«, mischte sich die Hausfrau ein. »Er ist ein guter Herr, streng, aber gerecht. Er liebt den Frieden und...« »... und seine Gemahlin«, warf Klaus lächelnd ein. »Darüber bin ich sehr froh. Henrikes Schicksal hat doch noch einen günstigen Verlauf genommen.« »Weil Ihr zur Stelle wart, Klaus Störtebeker und ihr Mut zum Leben gemacht habt. Von ihren Angehörigen verstoßen und von ihrem Bräutigam verlassen, wäre sie umgekommen. Doch nun erzählt, was führt Euch zu mir?« Raimund Paschke blickte den Piraten forschend an. »Nichts Besonderes, nur der Wunsch, Henrike wieder zu sehen und Euch das hier zu geben«, versetzte Klaus ernst. Er zog einen ledernen Beutel aus einer Tasche seines Gewandes, gab diesen dem Gemeindehirten und setzte dann noch hinzu: »Verwendet diese Münzen für die Erhaltung des Gotteshauses, für die Kranken und Schwachen und all jene, denen mit Geld geholfen werden kann. Und betet für mich, dass ich noch lange Gottes Freund und aller Welt Feind sein kann.« »Ja, ich werde Euch in meine Gebete einschließen und werde immer wieder versuchen, die Menschen zum Besseren zu bekehren«, antwortete der Pfarrer und ließ den Beutel in einer Schublade verschwinden. Störtebeker sagte nichts dazu, er lächelte nur bitter, doch seine Miene entspannte sich wieder, als der Gutsherr und seine Gemahlin jetzt in die Küche kamen. Ihre Augen strahlten und Henrike hatte ihre Hand in die ihres Mannes gelegt. »Wir wollen uns nun verabschieden«, begann Claudius von Nieburg. »Ich habe einen langen Ritt hinter mir und bin rechtschaffen müde. Aber ich möchte nicht versäumen, Euch noch einmal zu danken und Euch Glück und Gesundheit zu wünschen, Klaus Störtebeker. Unsere Welt wäre besser, wenn es mehr Männer wie Euch geben wür83
de.« Er hielt dem Freibeuter die Rechte hin, sah ihm in die Augen und sagte dann noch: »Ich bitte Euch um Eure Freundschaft.« Klaus hatte sich erhoben und stand nun vor dem Baron. Ihre Hände fanden sich zu kurzem, aber festem Druck, während er erwiderte: »So soll es sein, Claudius von Nieburg. Ihr werdet mir ein wahrer Freund sein. Das weiß ich.« Störtebeker und seine Begleiter verbrachten die Nacht im Pfarrhaus, jene Nacht, in der Henrike und Claudius von Nieburg endgültig zueinander fanden und die Vergangenheit nur noch ein Schatten wurde, besiegt von einer glücklichen Gegenwart. Ende
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