Franco Solo
Franco Solo Die Mordbrenner
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Franco Solo
Franco Solo Die Mordbrenner
scanned by AnyBody corrected by moongirl Unmittelbar in Höhe des Campingplatzes beschrieb die Straße eine Kurve. Der Tankwagen, den Eve Blair schon von weitem gehört hatte, schleuderte. Im gleichen Augenblick zerriß das Krachen der Explosion den Tank. Stichflammen schossen nach allen Seiten. Ein Mantel aus Glut umhüllte den schlingernden Wagen, als er über den Randstreifen geriet. Eve Blair sah mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen, wie ein gigantischer Feuerball auf sie zuraste. Krachen und Bersten erfüllte die Luft. Um Eve Blair brach plötzlich die Hölle los. Erst später stellte COUNTER MOB fest, daß die Explosion des Tankwagens kein Unfall war, sondern eine gezielte Aktion der Mafia. Und damit begann für Franco Solo einer der härtesten und gefährlichsten Fälle seines Lebens ... (Backcover) Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG Copyright © 1979 by Erich Pabel Verlag KG, Rastatt Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck
Krachen und Bersten erfüllte die Luft. Hinter Eve brach die Hölle aus. Trümmer flogen, das Fauchen und Zischen der Flammen steigerte sich zum Orkan. Die Druckwelle traf Eves Rücken, schleuderte sie vorwärts, und sie warf sich verzweifelt über das kleine Mädchen, um es mit ihrem Körper zu schützen. * Der schmetternde Krach ließ die Scheiben klirren. Jayson Greer wollte gerade eine Zigarette aus der Dose nehmen, aber jetzt blieb seine Hand in der Schwebe. Franco Solo saß ihm in seinem Bungalow am Rande von Dallas gegenüber. Der Counter-Mob-Agent wandte sich ruckartig um. Sein Blick glitt über das ausgedehnte Heizöl- und Benzinlager am Fuß des Hügels, über die Ausfallstraße, den kleinen See mit dem Campingplatz ... Feuer! Eine orangefarbene Lohe, eigentümlich verschwommen in der heißen texanischen Luft. Von hier oben sah es gar nicht so gefährlich aus. Aber von hier oben wirkten auch die Wohnwagen winzig, die sich am Seeufer drängten - weiße Trailer, Campingbusse, bunte Vorzelte, nach denen Flammenzungen schlugen. Francos Magen krampfte sich zusammen. Er sprang auf, stand mit drei Schritten am Fenster, hörte das Poltern, als Jayson Greer seinen Sessel umstieß. Der klotzige grauhaarige Mann keuchte. Franco spürte seinen Atem im Nacken, aber er erkannte Greers Stimme kaum. „Der Tankwagen! Ein Tankwagen ist auf den Campingplatz gerast! Oh nein ..." Franco wirbelte herum. Er hatte Phantasie genug, um sich vorzustellen, was da unten geschah, obwohl das Feuer aus der Entfernung immer noch nicht besonders gefährlich aussah. Und Jayson Greer wußte es, -2-
weil er vom Fach war, weil er sich auskannte und schon mehr als einen Benzinbrand erlebt hatte. Er stand starr, mit hängenden Schultern, die Augen aufgerissen. Nichts an ihm erinnerte in diesen Sekunden an den vitalen, kraftstrotzenden Hünen, der entschlossen war, der Mafia die Stirn zu bieten, aber Franco hatte keine Zeit, sich darum zu kümmern. Er riß den Telefonhörer von der Gabel und wählte mit fliegenden Fingern den Notruf. Was zu sagen war, ließ sich in drei knappen Sätzen zusammenfassen. Jayson Greer hatte sich gefangen. Jetzt war er es, der sich den Hörer schnappte und wählte. Franco wandte sich ab, und noch während er zur Tür hastete, hörte er Greer mit heiserer Stimme Anweisungen an die Betriebsfeuerwehr hervorstoßen, die es auf dem Gelände des Öl- und Benzinlagers gab. Sie würde schneller sein als der Katastrophenzug aus Dallas. Vielleicht schnell genug, um das Schlimmste zu verhindern ... Aber Franco war sicher, daß es bereits Opfer gegeben hatte. Als er den schallisolierten Bungalow auf dem Hügel verließ, konnte er das ferne Geschrei hören, die Kette einzelner Explosionen, die von hochgehenden Butangasflaschen herrührte. Der gemietete Mustang stand auf dem Parkplatz. Franco warf sich hinter das Steuer, ließ den Motor an und jagte den Wagen durch die Grundstückseinfahrt auf den Weg, der sich in Serpentinen den Hügel hinunterwand. Kurz vor der Einmündung fuhr er einfach auf den Randstreifen. Aus der Einfahrt des Benzinlagers rumpelten hintereinander drei schwere Trockenlösch-Fahrzeuge, wie sie für Flughäfen und Mineralölbetriebe vorgeschrieben waren. Die Straße würde ohnehin in wenigen Minuten heillos verstopft sein, und Franco wollte nicht unnötig zum allgemeinen Chaos beitragen. Hastig stieg er aus, überquerte die Fahrbahn und lief quer über eine der -3-
verwilderten Rasenflächen auf die Buschkette zu, die den Campingplatz begrenzte. Als er die raschelnden Zweige zur Seite schob, traf ihn der Anblick der Katastrophe wie ein Schlag in die Magengrube. Feuer, Hitze, Rauch, Geschrei und rennende Menschen - ein Chaos, in dem es unmöglich war, Einzelheiten zu erkennen. Irgendwo drüben an der Straße zischte das Löschpulver, das die Flammen erstickte. Von Dallas her gellten die ersten Sirenen. Eine halbe Sekunde lang stand Franco wie gelähmt und starrte in das Durcheinander, dann riß er sich zusammen und begann entschlossen, sich vorwärts zu kämpfen. Zum Zentrum der Katastrophe konnte er ohnehin nicht ohne Atemschutzgerät vordringen: In der texanischen Hitze regte sich kein Windhauch, und der Qualm lagerte in schweren Wolken über der Unglücksstelle. Aber die fliegenden Trümmer hatten Dutzende von Streubränden angefacht. Vertrocknetes Buschwerk stand in Flammen. Feuer leckte über Wohnwagenwände, brennende Fetzen von Zeltleinwand flogen herum. Irgendwo in dem Durcheinander krachte es schon wieder, als eine weitere Gasflasche explodierte. Schreie brandeten auf. Franco wechselte die Richtung, wich einem stürzenden Mast aus, der wer weiß welchen Zwecken gedient hatte, und kämpfte sich in die Richtung, in der es offenbar Verletzte gegeben hatte. In panischem Entsetzen flüchteten Gestalten zum Seeufer hin. Franco stolperte fast über eine bewußtlose Frau, die mit dem Gesicht nach unten am Boden lag. Sie hatte Brandwunden an den Händen, eine Schwellung an der Schläfe, wo sie ein Trümmerstück getroffen haben mußte. Franco drehte sie vorsichtig auf den Rücken, schob die Hände unter ihren Achseln durch und packte ihren angewinkelten Arm im vorschriftsmäßigen Transportgriff. Auch hier wurde der Qualm jetzt dichter. Der Mafiajäger hustete, spürte das leichte Brennen -4-
in der Kehle. Vorsichtig zog er die Frau auf die Buschkette zu, bis er freies Gelände erreichte, und dort stürmten bereits von der Straße her zwei Sanitäter mit einer Trage über die Wiese. Franco wandte sich um und rannte zurück. Er brachte noch zwei Verletzte in Sicherheit, riß die Türen von drei leeren Wohnwagen auf und hörte im vierten ein dünnes Weinen. Ein höchstens halbjähriges Baby in einer Hängematte! Rauch war durch die Fliegengitter in den Wagen eingedrungen. Vorsichtig nahm Franco das strampelnde Bündel auf, und ein paar Minuten später legte er es einer resoluten grauhaarigen RotKreuz-Schwester in die Arme. Inzwischen war es der Feuerwehr gelungen, den Brand unter Kontrolle zu bringen. Rettungsmannschaften und Sanitäter mit Atemschutzgeräten rückten von allen Seiten auf den Campingplatz vor, durchkämmten systematisch das Gelände - ein einzelner konnte jetzt nur noch stören. Franco wischte sich den Schweiß von der Stirn, sah sich um - und da traf ein plötzlicher, gleißender Lichtreflex seine Augen. Er kniff die Lider zusammen. Sein Blick tastete über die Flanke des Hügels, der sich auf der anderen Seite des Bachs erhob, von dem der See gespeist wurde. Jetzt war nichts mehr zu sehen. Franco wußte, daß es dort oben eine Art Aussichtspunkt gab: heute morgen war er zufällig an den Hinweisschildern vorbeigefahren. Er wollte sich schon wieder abwenden - doch da blitzte erneut der seltsame Reflex auf. Diesmal erkannte der Mafiajäger, was es war. Ein Fernglas! Die Gläser eines Feldstechers, die in der Sonne gleißten! Irgend jemand saß dort oben auf dem Hügel und sah sich in aller Ruhe die Katastrophe an, die der verunglückte Tankwagen ausgelöst hatte. -5-
Warum? Auf Anhieb fiel Franco ein halbes Dutzend möglicher Gründe ein: die Neugier eines Zufallsbeobachters, ein sensationslüsterner Anwohner, vielleicht der Parkwächter lauter ganz normale, harmlose Erklärungen. Und wenn der Unfall gar kein Unfall gewesen war, sondern Sabotage? Konnte es sein, daß die Schuldigen jemanden zu dem Aussichtspunkt geschickt hatten, um den Erfolg ihres Anschlags zu beobachten? Ein verdammt durchschlagender Erfolg, dachte Franco bitter. So hatte das die Mafia - falls sie dahintersteckte - bestimmt nicht geplant. Die „ehrenwerte Gesellschaft" zog unauffällige Methoden vor. Ein explodierender Tankwagen war schon spektakulär genug. Die Katastrophe auf dem Campingplatz mußte auch den Mafiosi auf den Magen schlagen, wenn auch nicht aus Menschlichkeit oder Gründen des Gewissens, und vielleicht hockte der Beobachter deshalb noch dort oben und brachte es nicht fertig, sich von der Stelle zu rühren. Wenn es sich um einen Mafioso handelte! Wenn es nicht doch ein Unglücksfall gewesen war. Aber das würde Franco Solo sehr schnell herausfinden. Ohne ersichtliche Eile wandte er sich ab, schlenderte über den verwilderten Rasen und war Sekunden später zwischen den Birken und Kiefern verschwunden, die die Hügelflanke bedeckten. * Der Schatten war angenehm kühl, das frische Grün hielt Benzingerüche und Straßenstaub fern. Franco fragte sich flüchtig, was einen vernunftbegabten Menschen überhaupt dazu bewegen konnte, seinen Urlaub mitten im heißen Texas zwischen einem Highway und einem lauwarmen See zu verbringen. Naja, die Wohnwagen waren klimatisiert, und manche Leute konnten nicht braun genug werden. Der -6-
Mafiajäger vergaß die Frage und konzentrierte sich darauf, so rasch und lautlos wie möglich auf die Hügelkuppe zu gelangen. Seine Annahme, daß es sich bei dem Tankwagen-Unfall um Sabotage handeln könnte, war durchaus nicht aus der Luft gegriffen. Zwischenfälle dieser Art häuften sich in letzter Zeit hier in Texas. Ausgelaufene Heizöltanks und eine vernichtende Explosion an einer Tankstelle, die zwei Menschenleben gekostet hatte, gehörten auch noch in die Bilanz. Die entscheidenden Hinweise hatten die Wirtschafts-Fachleute von COUNTER MOB aufgespürt - jener geheimen Außenstelle des Department of Justice, für die Franco Solo arbeitete und die sich dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen widmete. Die Mafia, hieß es, strecke ihre schmutzigen Finger nach dem einträglichen Öl- und Benzingeschäft aus. In diesem Geschäft rollte der Dollar, und wo der Dollar rollte, konnte die „ehrenwerte Gesellschaft" natürlich nicht abseits stehen. Klar, daß sie nicht so einfach die „Multis", die großen internationalen Konzerne, unterwandern konnten. Um in diesem exklusiven Club eine Rolle zu spielen, mußten sie sich erst einmal eine Hausmacht verschaffen - und deshalb setzten sie den Hebel bei den kleineren inländischen Gesellschaften an. Vor allem natürlich in Texas, wo es in manchen Gegenden mehr Bohrtürme gab als Häuser. Eine Tankstellenkette und zwei Mineralölfirmen hatten bereits den Besitzer gewechselt: Verkäufe via Makler, Umwandlung in eine komplizierte Struktur von Beteiligungen, so daß sich nicht mehr überblicken ließ, was wirklich wem gehörte und wer dahintersteckte. Fest stand, daß die Besitzer aller drei Unternehmen kurz vor dem Verkauf von ungewöhnlich vielen Pannen und Unglücksfällen betroffen worden waren. Genauso wie Jayson Greers Firma. Nur daß der grauhaarige, hünenhafte Greer ein starrköpfiger Texaner war, -7-
der sich nach dem ersten unverhüllten Erpressungsversuch sofort an die Behörden gewandt hatte. Deshalb war Franco Solo in Dallas. Und deshalb entbehrte seine Vermutung, daß ein Mafioso die Katastrophe auf dem Campingplatz beobachtete, nicht einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Wenn er den Gangster erwischte, war er vielleicht einen Schritt weiter. Der Bursche würde zwar schweigen wie eine Auster, aber allein schon seine Person und sein Background konnten Auskunft darüber geben, in welcher Richtung die Verantwortlichen für die dunklen Machenschaften zu suchen waren. Geschmeidig turnte Franco über eine hochstehende Wurzel hinweg und wich einem Brombeerdickicht aus. Der Boden war steinig, teilweise trat der nackte Felsen hervor, deshalb konnte er es vermeiden, durch das raschelnde Birkenlaub zu waten. Irgendwo hörte er eine der Quellen gurgeln, die in den Bach und den kleinen Stausee mündeten. Die Gegend war untypisch für die Prärielandschaft um Dallas und wurde denn auch prompt als Freizeitzentrum genutzt. Was die Behörden allerdings nicht gehindert hatte, vor ein paar Jahren den Highway mitten durch den sogenannten „Park" zu führen und seelenruhig Genehmigungen für die Ansiedlung von Industrie zu erteilen ... Franco blieb stehen und lauschte angespannt. Vom See her heulten die Sirenen abfahrender Krankenwagen. Hier oben war alles still. Noch ein paar Schritte, dann mußte der Aussichtspunkt auftauchen. Der Mafiajäger nahm an, daß es sich um eine der üblichen Holzplattformen mit Stelzen und Geländer handelte, und in der nächsten Minute bekam er die Bestätigung. Reglos blieb er zwischen den niedrigen Latschenkiefern kauern.
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Die Plattform war leer. Langsam ließ er den Blick wandern, doch das eigentümliche Gespinst von Schatten und grüngoldenen Sonnenflecken machte es schwer, etwas zu erkennen. Francos Kopfhaut kribbelte. Ein sensationsgieriger, aber ansonsten harmloser Zuschauer hätte nicht ausgerechnet jetzt das Feld geräumt. Und schon gar nicht derart lautlos! Der Kerl mit dem Fernglas hatte Dreck am Stecken. Im übrigen stand noch nicht einmal fest, daß er allein war. Franco nahm die Beretta in die Rechte und tastete mit der Linken nach einem Stein. Er grinste matt, als er ausholte und warf. Die Szene erinnerte ihn fatal an irgendeinen albernen Wildwest-Film. Sein unbekannter Gegner war kein Western-Held und ballerte deshalb auch nicht blindlings auf die Stelle, wo der Stein klirrend auf Fels schlug. Aber immerhin: Der Bursche fuhr erschrocken herum, und das flüchtige Rascheln in den Sträuchern verriet seinen Standort. Er hatte Lunte gerochen. Franco war kein Bilderbuch-Indianer, der sich vollkommen lautlos durch ein Dickicht schlagen konnte. Ein paar winzige Geräusche ließen sich in solchen Fällen nie vermeiden, und wenn der Gangster scharfe Sinne besaß, mochte er sie durchaus gehört haben. Vielleicht hatte er auch einen ausgeprägten Instinkt für Gefahren. Jedenfalls lauerte er, rührte sich nicht aber wo genau sein Widersacher steckte, war ihm offenbar noch unklar. Behutsam richtete sich der schlanke junge Mann zwischen den Kiefern auf, zog sich einen halben Schritt zurück und begann, einen Bogen zu schlagen. Die Pistole lag schwer und kühl in seiner Faust. Auch er hatte während des endlosen, erbitterten Kampfs gegen den Moloch Mafia eine Art Instinkt entwickelt, ein feines Gefühl für die Gefährlichkeit einer Situation, das ihn selten im Stich ließ. Jetzt -9-
war er ziemlich sicher, nur mit einem einzigen Gegner zu tun zu haben. Einem Mann, der dort drüben im Gebüsch steckte, offenbar nicht recht wußte, was er tun sollte, und demnach wohl nicht gerade zur Spitzengarnitur der Hitmen und Soldaten zählte. Trotzdem hatte Franco keine Lust, den Köder zu spielen, um den Kerl aus der Reserve zu locken. Der nächste fliegende Stein prallte auf eine Stufe der Treppe, die zu der Aussichtsplattform führte. Wieder verriet das flüchtige Rascheln, daß der Unbekannte zusammenzuckte. Dann knirschte etwas, als werde ein Erdkrümel unter einer Schuhsohle zermahlen. Geriet der Bursche in Panik? Fühlte er sich eingekreist, in einer Falle, die jeden Augenblick zuschnappen konnte? Daß sich niemand auf der Aussichtsplattform und der Treppe aufhielt, war allerdings auch von seinem Platz aus deutlich zu sehen. Diesmal hob Franco einen trockenen Ast auf, wartete ein paar Sekunden und ließ das Holzstück schräg hinter sich ins Gebüsch sausen. Es gab ein Geräusch, als bewege sich jemand hastig ein Stück zur Seite. Und jetzt verlor der Gangster endgültig die Nerven. Zweige knackten, das Laub raschelte heftiger. Francos Blick bohrte sich in den Schatten des Pfades, der von der Lichtung mit der Plattform aus zur anderen Seite des Hügels führte. Jäh teilten sich die Büsche, eine Gestalt tauchte auf, und für den Bruchteil einer Sekunde konnte der Mafiajäger eine drahtige Figur, lackschwarzes Haar und ein braunes, vor Anspannung verzerrtes Gesicht erkennen. Der Mann warf sich sofort herum und hetzte den Pfad entlang. Wahrscheinlich hatte er irgendwo in der Nähe seinen Wagen geparkt. Franco war nicht gesonnen, den Burschen entkommen zu lassen. Blitzartig schnellte er hoch und stand mit zwei Schritten auf der Lichtung. -10-
„Halt!" schrie er. „Stehenbleiben!" Aber er ahnte, daß sein Gegner nicht reagieren würde, wartete zwei Sekunden und jagte einen Warnschuß über den Kopf des Fliehenden hinweg. Der Mafioso zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Mitten in der Bewegung warf er sich nach rechts. Und diesmal kam ihm der Zufall zur Hilfe, ließ ihn hinter einem Felsbrocken landen, der eine halbwegs passable Deckung abgab. Franco preßte die Lippen zusammen und rannte. Vorwärts, wohlgemerkt! Erstens gab er auf der Lichtung ein zu gutes Ziel ab, zweitens wollte er näher herankommen, um der Sache so schnell wie möglich ein Ende zu machen. Seine Augen hingen an dem Felsen, und in der Sekunde, in der sich die Pistolenmündung über die Kante schob, ließ er sich fallen und rollte nach links ins Gebüsch. Dornenranken zerrten an seiner Kleidung. Er kam hoch, riß sich los und tauchte in eine Lücke. Zweimal hintereinander knallte es, doch die Kugeln lagen erbärmlich schlecht und bewiesen, daß der Gangster tatsächlich kein überragendes As in seiner Branche sein konnte. Naja: Wahrscheinlich hatte es der Boß nicht für nötig gehalten, zu einem simplen Beobachtungsauftrag einen erstklassigen Mann abzustellen. Der Boß ... Flüchtig glaubte Franco, das breite, wohlgenährte Gesicht von Carlo Reggazzo vor sich zu sehen. Carlo Reggazzo, dessen Umzug nach Dallas, Texas, man mit den neuesten Machenschaften der Mafia in Verbindung brachte. Das Bild versank sofort wieder. Knackende, raschelnde Geräusche verrieten, daß sich der Gangster hinter dem Felsen zur Flucht wandte. Quer durch das -11-
Dickicht! Franco fluchte leise, sprang auf und überquerte den Pfad, um ebenfalls ins Gebüsch einzudringen. Er orientierte sich nach dem Gehör, holte rasch auf, obwohl er sich vorsichtig bewegte. Der Gangster brach wie ein wildgewordener Bison durch die Büsche, Franco nutzte Lücken, wich den tückischen Ranken aus, glitt schlangengleich vorwärts. Dreimal schoß sein Gegner, dreimal fetzte er nur Blätter von den Sträuchern. Wenn er seine letzte Kugel verfeuerte, würde der Mafiajäger auf jeden Fall nah genug sein, um den Kerl zu erreichen, bevor er die Pistole aufladen konnte. Mit einem Sprung setzte Franco über einen umgestürzten Baumstamm hinweg - und dann war es ein purer, lächerlicher Zufall, der ihn die entscheidenden Sekunden kostete. Als er aufkam, gab der Boden unter seinen Füßen nach. Eine Fuchsröhre, ein Dachsbau, ein Mauseloch - der Teufel mochte wissen, welche Art von Viehzeug hier dicht unter der Oberfläche Gänge in die Erde buddelte. Jedenfalls sank Franco bis über die halbe Wade ein, kippte vom eigenen Schwung getrieben nach vorn, und ein scharfer Schmerz zuckte durch seinen Knöchel. In einem Reflex ließ er die Beretta fallen und schlug die Rechte um einen Ast. Das bremste seinen Sturz und bewahrte ihn vermutlich vor einem Beinbruch. Fluchend stützte er sich hoch, zerrte den Fuß aus dem Erdloch und bückte sich nach der Pistole, als er wieder festen Stand gewonnen hatte. Sein Knöchel schmerzte, aber er ignorierte es. Mit zusammengebissenen Zähnen rannte er weiter, durchbohrte das grüngoldene Dämmerlicht mit den Blicken und lauschte. Trotz des Lärms, den er selbst verursachte, konnte er das Klatschen von Schuhsohlen auf glattem Asphalt hören. Der Gangster rannte über eine Straße oder einen Parkplatz. Logisch: In der Nähe eines Aussichtspunktes mußte es ja so -12-
etwas geben. Franco lief weiter. Vor sich sah er die helle Fläche des Asphalts durch die Büsche schimmern, und im gleichen Augenblick hörte er bereits einen Wagenschlag zuknallen. Als er die letzten Zweige beiseitefegte, heulte der Motor auf. Der Parkplatz war nicht groß, doch der helle Mercury dort drüben stand genau richtig, unmittelbar an der Zufahrt. Das Getriebe krachte, die Reifen kreischten. Mit einem Satz schoß der Wagen vorwärts und verschwand mit wedelndem Heck im Einschnitt der Straße. Breitbeinig stand Franco da, mit ausgestreckten Armen, die Beretta im Combat-Anschlag. Er zielte auf den linken Hinterreifen, aber die wilden Schleuderbewegungen des Wagens machten es unmöglich zu treffen. Der harte Knall dröhnte in Francos Ohren. Mit zusammengebissenen Zähnen ließ er die Waffe sinken und starrte dorthin, wo der Mercury wie ein hellgrauer Schemen verschwunden war. Immerhin: Noch während des Abdrückens war es dem jungen Counter-Mob-Agenten gelungen, die Wagennummer abzulesen. Eine Dallas-Nummer. Sie hatte sich unauslöschlich in sein Gedächtnis geprägt. Nach Lage der Dinge glaubte er nicht daran, daß der Mercury gestohlen war, er würde den Halter ermitteln können - und das brachte ihn vielleicht trotz allem einen kleinen Schritt weiter. Mit einem tiefen Atemzug schob er die Beretta zurück in die Schulterhalfter. Erst als er sich abwandte und - diesmal über den schmalen Pfad - zurück zu der Lichtung hinkte, nahm er das ferne Heulen der Sirenen wieder wahr. In den letzten Minuten war er voll konzentriert gewesen, hatten das nervenaufreibende Lauern und die wilde Hetzjagd seine ganze Aufmerksamkeit erfordert. Jetzt kam ihm wie mit einem Schlag wieder voll zu Bewußtsein, was dort unten an dem kleinen Stausee geschehen war. -13-
Eine Katastrophe. Tote, Verletzte, Verwüstungen ... Und das alles, weil ein Haufen skrupelloser Verbrecher nach immer noch mehr Dollars, immer noch mehr Macht, immer noch einträglicheren Geschäften gierte. Wie die Spinnen im Netz saßen sie in ihren Villen, Luxusbungalows und eleganten Penthäusern und zogen die Fäden, an denen ihre Marionetten tanzten. Und selbst ein Mann wie Carlo Reggazzo, den die Mafia nach Dallas geschickt hatte, um den neuen Geschäftszweig zu organisieren, war im Grunde nur eine Marionette - dirigiert von einer vielköpfigen Hydra, die wohl niemals endgültig besiegt werden konnte. Vielleicht nicht. Vielleicht war der Kampf wirklich aussichtslos. Aber er mußte weitergehen, denn sonst würde dieses Krebsgeschwür allmählich alles zerfressen. Franco Solo biß die Zähne zusammen, ging eilig weiter und war sich nicht einmal selbst bewußt, daß seine Kiefermuskeln in diesen Sekunden wie Stränge hervortraten. * Zwanzig Minuten später hatte er wieder den Campingplatz erreicht. Das Feuer war gelöscht, auch die Rettungsarbeiten liefen offenbar im letzten Stadium: In zwei großen Notarzt-Wagen wurden Opfer mit leichteren Verletzungen ambulant behandelt. Die Menschen in ihrer bunten Freizeitkleidung standen bleich und benommen herum, starrten auf die Bilder der Verwüstung und schienen immer noch nicht wirklich begriffen zu haben, was da über sie hereingebrochen war. Die Polizei hatte die Straße gesperrt, auf der Wiese drängten sich Patrolcars und Gerätewagen. Der Platz sah aus wie nach einem Bombenangriff, doch da die meisten Wohnwagen so weit wie möglich vom -14-
Staub und Benzingestank des Highways entfernt standen, hatten sich die verheerendsten Folgen der Katastrophe in Grenzen gehalten. Vor allem war das wohl der raschen Reaktion von Jayson Greers Betriebsfeuerwehr zu danken, den Löschfahrzeugen, die schon Minuten nach der Katastrophe an Ort und Stelle gewesen waren. Franco entdeckte den grauhaarigen Firmenchef neben einem hochgewachsenen Uniformierten in der Nähe des TankwagenWracks. Greers Hünengestalt wirkte gebeugt, seine Schultern waren eingesunken. Als Franco hinzutrat, spürte er einen jähen Krampf im Magen. Die Feuerwehr hatte die Leiche des TankwagenFahrers geborgen. Oder das, was davon übriggeblieben war. „Larry!" murmelte Greer erstickt. „Oh verdammt! Wer soll es seiner Frau sagen?" Franco wußte, daß Jayson Greer selbst zu jener Frau gehen würde: Er war nicht der Mann, der solchen Dingen auswich. Sein Blick traf den jungen Counter-Mob-Agenten, mit allen fünf Fingern fuhr er sich durch das struppige graue Haar. „Zwei Tote", sagte er heiser. „Wenn man's überlegt, grenzt es an ein Wunder, daß es nicht schlimmer gekommen ist. Von den Verletzten schweben ein paar in Lebensgefahr. Oh mein Gott ..." Er brach ab und schüttelte hilflos mit dem Kopf. „Gibt es schon Hinweise auf die Unfallursache?" fragte Franco. „Ich weiß nicht. Der Wagen muß aus der Kurve getragen worden sein. Oder glauben Sie ...?" Wieder verstummte er. Franco hob die Schultern. „Ich muß ein Telefongespräch führen", sagte er leise. „Wahrscheinlich dauert es etwas länger. Kann ich Sie später zu Hause antreffen?"
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„Ja, sicher. Aber ich weiß nicht, wann ich dort sein werde. Die Polizei wird Fragen haben. Und ich muß zu Larrys Frau." Franco nickte nur. Er hatte einen bitteren Geschmack in der Kehle, als er sich abwandte. Über den trümmerbedeckten Platz steuerte er auf die Buschkette zu, um seinen Wagen zu erreichen. Dabei kam er dicht an einer blondhaarigen jungen Frau vorbei, die auf einen Polizeibeamten einsprach. Ein vielleicht fünfjähriges kleines Mädchen klammerte sich an ihrem Kleid fest. Ihre Stimme zitterte. „Aber ich habe es gesehen! Ganz genau gesehen!" „Nennen Sie mir bitte Ihren Namen und halten Sie sich zur Verfügung. Ich werde später zu Ihnen kommen." „Eve Blair. Das rote Wohnmobil dort drüben, mit den zerbrochenen Scheiben." Der Beamte notierte den Namen, nickte, strebte rasch irgendeiner dringenderen Aufgabe zu. Franco zögerte, dann blieb er stehen. „Miß Blair?" Sie fuhr zu ihm herum. In den blauen Augen flackerte noch das überstandene Entsetzen. „Entschuldigen Sie", sagte Franco ruhig. „Ich wollte Sie nicht erschrecken. Aber ich hörte, wie Sie dem Beamten erklärten, daß Sie etwas gesehen hätten. Können Sie mir erzählen, was es war?" Eve Blair war zu geschockt und verwirrt, um zu fragen, was der schlanke schwarzhaarige Mann überhaupt mit der Sache zu tun hatte. Vielleicht hielt sie ihn für einen Kriminalbeamten in Zivil - jedenfalls zögerte sie nicht mit der Antwort. „Der Tankwagen!" stieß sie hervor. „Ich wollte gerade Wäsche aufhängen und sah ihn kommen. Er ist nicht einfach aus -16-
der Kurve getragen worden und explodiert, wie die Polizisten denken. Er hat schon vorher gebrannt." „Sind Sie sicher?" „Ganz sicher." Die junge Frau nickte. „Es gab - etwas wie einen Blitz am Heck des Wagens. Ich hielt ihn zuerst für einen Lichtreflex. Aber dann sah ich die Flammen. Und der Fahrer muß auch etwas gemerkt haben. Er wollte bremsen. Dann krachte es plötzlich, überall waren Flammen, und der Wagen kam die Böschung herunter." Franco hielt den Atem an. Selbst wenn die Experten nichts finden sollten - die Aussage dieser jungen Frau war der Beweis für einen Sabotageakt. „Der Wagen geriet also erst von der Straße, nachdem der Tank explodiert war? Das steht fest?" „Ja, so war es. Der Tank muß explodiert sein. Und kurz vorher explodierte etwas Kleineres am Heck. Glauben Sie, das ist wichtig?" „Sehr wichtig", sagte Franco. „Kommen Sie mit! Der Beamte vorhin muß nicht richtig zugehört haben, sonst hätte er Sie bestimmt nicht auf später vertröstet." Gemeinsam mit der jungen Frau fragte er sich zum Einsatzleiter durch: einem kleinen, breitschultrigen Captain mit dichtem weißem Stoppelhaar. Dieser Mann hörte zu. Und da er auf Anhieb die Wichtigkeit von Eve Blairs Aussage begriff, ließ er die junge Frau sofort in sein fahrbares Büro bringen. Ein paar Minuten später schwang sich Franco Solo in seinen gemieteten Mustang. Er fuhr nur eine knappe Meile, bis er am Straßenrand eine Telefonzelle entdeckte. Als er den Hörer abhob und wählte, stellte er flüchtig fest, daß seine Hände zerkratzt waren und seine Kleidung die Spuren von Staub, Erde und Gras auf wies.
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Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein gewisser Miller. Franco nannte das Codewort, daß ihm alle Wege ebnete. Und die Nummer des Mercury, mit dem der Mafioso geflohen war, und dessen Halter ermittelt werden sollte. „Moment", sagte Miller, der ebenfalls für COUNTER MOB arbeitete und in Wahrheit sicher ganz anders hieß. „Bleiben Sie dran! Der Computer schafft das in ein paar Minuten." „Okay. Danke." Franco preßte den Hörer ans Ohr, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Glaswand der Telefonzelle und wartete ... * Carlo Reggazzo hatte sich in einem der teuren, exklusiven Villenviertel von Dallas niedergelassen. Das neugegründete Unternehmen, als dessen Inhaber er fungierte, hatte seinen Sitz am anderen Ende der Stadt. Die Firma trug den schönen Namen „Top Tex", hatte in kurzer Zeit einen beachtlichen Aufschwung genommen und würde zweifellos noch weiter wachsen. Zweifellos jedenfalls für Carlo Reggazzo, der sich etwas darauf zugute tat, schon schwierigere Aufgaben bewältigt zu haben als diejenige, die ihm die „ehrenwerte Gesellschaft" diesmal übertragen hatte. Im Augenblick allerdings näherte sich Reggazzos Stimmung dem Tiefpunkt, da die letzte Aktion nicht so abgelaufen war, wie sie sollte. Der Mafiaboß stand an seinem feudalen Schreibtisch, das riesige Panoramafenster im Rücken, und preßte den Telefonhörer ans Ohr. „Verstanden", sagte er kalt. „Du fährst in deinen Laden und bleibst für die nächste Zeit auf Tauchstation, klar?"
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Er wartete die Antwort des Anrufers gar nicht erst ab, sondern warf den Hörer auf die Gabel. Dann drückte er auf den Knopf der Gegensprechanlage. „Capello!" bellte er knapp, ließ sich auf den Drehstuhl fallen und griff nach einer flachen Orientzigarette mit Goldmundstück. Zwei Minuten später betrat seine rechte Hand Helenio Capello den Raum. Er war ebenso groß wie sein Boß, aber ansonsten das genaue Gegenteil: nicht schwer und wuchtig, sondern hager, spitznasig, mit der nervösen Gestik eines überzüchteten Windhunds. Wer ihn nicht kannte, neigte dazu, ihn zu unterschätzen, für harmlos zu halten. Seine Augen verrieten ihn, aber die pflegte er hinter einer blau getönten Brille zu verbergen. „Sir?" fragte er. Reggazzo war eitel und verlangte respektvolles Benehmen, doch er gehörte zu den wenigen Mafiosi, die nichts von den alten Traditionen hielten. Er schätzte die Anrede „Sir". Aber diesmal quittierte er sie nicht mit dem üblichen wohlwollenden Lächeln. „Gio hat angerufen", sagte er hart. „Die Tankwagen-Aktion ist zu einer Katastrophe geworden, die durch den gesamten amerikanischen Zeitungswald rauschen wird." „Nein!" sagte Helenio Capello ungläubig. „Doch", knurrte Reggazzo. In wenigen Worten schilderte er, was geschehen war. Die Opfer interessierten ihn nicht. Umso mehr das Aufsehen, das die Sache erregen würde. „Hölle", murmelte Helenio Capello erschrocken. „Das ist noch nicht alles. Jemand hat Gio auf seinem Posten entdeckt und erwischte ihn fast. Er weiß nicht, wer es war. Er behauptet auch, daß der Unbekannte ihn nicht erkannt haben könne, aber das bezweifle ich." „Dreck! Gio ist vorbestraft und ..." -19-
„... und die Bullen haben ihn in der Kartei." vollendete Reggazzo. „Wenn er nur mit dem Fernglas herumgefuchtelt hätte, könnte uns das gleich sein. Aber der Narr hat den Fehler gemacht, wie ein Wilder um sich zu schießen." Capello biß sich auf die Lippen. „Das heißt ..." „Ja, das heißt es", sagte Carlo Reggazzo hart. In seinem kräftigen, wohlgenährten Gesicht zogen sich die Augen zu dunklen Schlitzen zusammen. „Wir dürfen kein Risiko eingehen. Sieh zu, daß du alles Notwendige in die Wege leitest, Helenio ..." * Der Besitzer des hellen Mercury hieß Giovanni Pacco und betrieb eine Spielhalle in einem der wenig vornehmen Vergnügungsviertel. Viel mehr war über den Mann nicht bekannt, außer daß er eine Vorstrafe wegen Körperverletzung und Nötigung hatte. Franco fuhr langsam an dem Lokal vorbei. „Golden Nugget", nannte es sich, obwohl es nun wirklich nicht an das bekannte Etablissement in Las Vegas erinnerte. Die Fenster waren bis zur halben Höhe mit schwarzer Farbe zugekleistert und mit „Nuggets" aus Goldstanniol geschmückt. Von der Hauswand bröckelte der Putz, ein rostiges Scherengitter verschloß den Eingang. Daß der Vergnügungsschuppen am hellen Mittag noch nicht geöffnet war, hatte Franco nicht anders erwartet. Er fand eine freie Parkbox für den Mustang, stieg aus und betrachtete die Umgebung aus schmalen Augen. Das „Golden Nugget" war ein Flachbau und stand einzeln. Links lag eine Baustelle in friedlicher Mittagsruhe, rechts begrenzte der Zaun eines Holzlagers den breiten Weg, der vermutlich zu einem Garagenhof führte. Franco beschloß, einen Blick auf die Rückseite des Gebäudes zu werfen. Giovanni Paccos Privatadresse war mit der des Lokals identisch, also mußte es irgendwo ein paar Wohnräume samt Eingang geben. -20-
Was Franco für einen Garagenhof gehalten hatte, entpuppte sich als eine Art Müllkippe, die von schlampig zusammengezimmerten Schuppen begrenzt wurde. Eine Katze sonnte sich auf einem Haufen alter Matratzen. Leere Getränkekisten stapelten sich, zerbrochene Stühle, ein Monstrum von Sofa, und in einer Ecke leuchteten die knalligen Farben eines Dutzends ausrangierter Spielautomaten. Auf der Rückseite des Gebäudes waren sämtliche Rolläden heruntergelassen - vermutlich, um die Mittagshitze nicht in die Räume dringen zu lassen. Franco musterte die Hintertür. Namensschilder gab es nicht. Auch keine Klingel. Der Mafiajäger drehte noch einmal ab, nahm sich zunächst einmal die Schuppen vor - und zwei Minuten später hatte er den hellen Mercury gefunden. Was nicht unbedingt besagte, daß Giovanni Pacco zu Hause war. Genausogut konnte er den Wagen hier versteckt haben, um ihn später verschwinden zu lassen, weil er ihm einfach zu heiß geworden war. In diesem Fall wäre es dann allerdings auch unwahrscheinlich gewesen, daß er sich zu Hause aufhielt. Franco wandte sich ab, ging zur Hintertür zurück und probierte kurzerhand den Drehknauf. Nicht abgeschlossen. Ein kurzer Flur, rechts und links Türen, geradeaus ein bunter Perlenvorhang. Dessen Geklirr würde den ungebetenen Besucher unweigerlich verraten, also tastete Franco erst einmal nach dem Drehknauf der Tür auf der linken Seite. Ein großer Lagerraum. Leer ... Rechts lagen, ebenfalls leer, Giovanni Paccos Privaträume. Flüchtig sah sich Franco in den beiden vergammelten Zimmern -21-
um und warf einen Blick ins Bad. Was die Legalität seines Vorgehens anging, machte er sich keine großen Gewissensbisse. Sämtliche Türen waren offengewesen. Bei dem „Golden Nugget" handelte es sich um ein öffentliches Lokal - und bei dem Versuch, ein öffentliches Lokal zu betreten, konnte es schließlich jedem mal passieren, daß er sich in ein paar Türen irrte. Keine Spur von Giovanni Pacco. Franco biß sich auf die Lippen. Jetzt noch die Spielhalle! Er glitt auf den Flur zurück, blieb vor dem Perlenvorhang stehen und lauschte. Nichts rührte sich. Sehr vorsichtig schob Franco den Vorhang ein Stück zur Seite, aber er konnte nicht verhindern, daß die Plastikperlen leise klirrten. Der Raum vor ihm wirkte gespenstisch. Dünne Streifen Sonnenlicht fielen oberhalb der schwarz lackierten Flächen durch die Fenster, ließen Staubpartikel tanzen und bunte Blechteile an den Spielautomaten glitzern. Die einarmigen Banditen standen ringsum an den Wänden, genauso leblos wie die ausrangierten Exemplare draußen auf dem Hof. In der Mitte der langgestreckten Halle gab es ein paar Billardtische, neben dem Eingang die leere Glaskabine, wo man abends seine Chips erwerben konnte. Über einem bogenförmigen Mauerdurchbruch baumelte ein Schild mit der Aufschrift „Club Private", was vermutlich hieß, daß in den Nebenräumen gepokert wurde. Franco machte zwei Schritte in die Halle hinein - da sah er ihn. Ein dunkles Bündel unmittelbar vor einem der Billardtische. Braune Lederjacke, Jeans - die Hosenbeine waren hochgerutscht und zeigten silbergraue Socken. Der Mann lag reglos auf dem Gesicht, mit ausgebreiteten Armen, und Franco erkannte ihn sofort an dem lackschwarzen, dicht an den Schädel gekämmten Haar. -22-
Der Mafiajäger zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Er hatte plötzlich das Gefühl, als liege ihm ein Stück Blei im Magen. Ja, sie reagierten schnell, die Herren von der „ehrenwerten Gesellschaft". Schnell und brutal und eiskalt, auch wenn es um ihre eigenen Leute ging. Giovanni Pacco mußte den Fehler begangen haben, die Vorgänge wahrheitsgetreu zu schildern. Er war gesehen worden. Es gab jemanden, der ihn beschreiben konnte. Er wiederum kannte seinen Auftraggeber und solche Probleme pflegte die Mafia mit Blei zu lösen. Zwei Schritte, dann kauerte Franco neben der reglosen Gestalt und drehte sie vorsichtig auf den Rücken. Der Kopf rollte zur Seite. Gebrochene Augen starrten zur Decke. In dem hageren bronzefarbenen Gesicht wirkte der Ausdruck fassungslosen Entsetzens wie gefroren. Giovanni Pacco hatte seine Mörder gekannt und nichts Böses geahnt. Und er hatte sie arglos dicht an sich herankommen lassen, das bewiesen die schwarzen Schmauchspuren rings um die Einschuß stelle in Höhe des Herzens. Franco atmete tief durch. Seine Hand löste sich von der Schulter des Toten. Er wollte unter die braune Lederjacke greifen, suchte den endgültigen Beweis, daß er tatsächlich Giovanni Pacco vor sich hatte, nicht etwa jemanden, dem der Spielhallen-Besitzer nur seinen Wagen geliehen hatte - und in der gleichen Sekunde hörte er das Geräusch. Ein leises Scharren. Es kam von links, aus einem der Nebenräume, und Franco Solo wußte schlagartig, daß die brutalen Killer noch im Haus waren. * Der Mann war nur mittelgroß, sehr schlank, sehr gepflegt, mit dezenter Eleganz gekleidet. -23-
Silberfäden zogen sich durch das dunkle, sorgfältig frisierte Haar. Der gleiche Silberschimmer lag auf seinen Schläfen und dem kleinen Schnurrbart. Das schmale, leicht gebräunte Gesicht wirkte so vornehm und kultiviert wie die ganze Erscheinung, die sanften Augen schienen ständig zu lächeln. Angelo Testi sah aus wie ein reicher Privatier, ein wenig altmodisch mit dem korrekten Anzug und dem kleinen Spazierstock. Niemand wäre so leicht auf den Gedanken gekommen, ihm etwas Böses zuzutrauen. Als er seinen majestätischen schwarzen Rambler Ambassador von Dallas her dem Campingplatz am Stausee zusteuerte, hatte sich der erste Ansturm der Neugierigen bereits gelegt. Die Straßensperren waren aufgehoben worden, die wenigen Wagen, die ihre Fahrt verlangsamten, wurden von den Cops weitergewinkt. Ob die Fahrer dann ein Stück entfernt anhielten und ausstiegen, kümmerte die Beamten nicht sonderlich, solange sich die Neugierigen aus der unmittelbaren Nähe der Unglücksstelle fernhielten. Auf dem Campingplatz und in der näheren Umgebung waren seit der Katastrophe so viele aufgescheuchte Menschen herumgelaufen, war so viel passiert, daß man ohnehin keine auch nur halbwegs verwertbaren Spuren finden konnte. Angelo Testi fuhr den Cadillac auf die Wiese, auf der schon ein paar andere Wagen standen. Er stieg aus und ließ den Blick über das Bild der Verwüstung schweifen. Noch waren keine Aufräumungsarbeiten begonnen worden: Sachverständige untersuchten die Trümmer, die Polizeibeamten führten Vernehmungen durch. Immer noch ging durchdringender Brandgeruch über dem Platz, und Angelo Testi zog leicht die Brauen zusammen. Langsam schlenderte er am Straßenrand entlang und dann schräg die Böschung hinunter.
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Scheinbar fassungslos betrachtete er die rauchgeschwärzten, ausgebrannten Wohnwagen-Wracks, die Überreste der verkohlten Vorzelte, die zur Unkenntlichkeit zusammengeschmolzenen Plastikstühle. Am Rand des Campingplatzes' stand der Kastenwagen der Mordkommission. Testis Blick glitt weiter und erfaßte das schwere TrockenlöschFahrzeug, das sich auf dem weichen Boden festgefahren hatte. Ein paar Männer versuchten, es wieder flottzumachen - und einer von ihnen war Jayson Greer. Das Gesicht des grauhaarigen Hünen wirkte kantig und verbissen. Er war nicht bei der Sache. Immer noch lag der Besuch bei der Witwe des Tankwagen-Fahrers vor ihm. Zögerte er ihn mit unbewußter Absicht hinaus, in der Hoffnung, daß die Polizei sie schon benachrichtigt hatte, wenn er kam? Greer biß sich auf die Lippen. Sie mußten das verdammte Löschfahrzeug wieder einsatzbereit bekommen, das war wichtig. Einmal hatte die Werkswehr der „Greer Company" das Schlimmste verhütet auch wenn die Katastrophe immer noch schlimm genug gewesen war. Und niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob die Verbrecher jetzt erst einen neuen Erpressungsversuch machen oder noch einmal zuschlagen würden ... Jayson Greer wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der schwere Motor, den einer seiner Leute angelassen hatte, verstummte wieder. Der Wagen rührte sich nicht, wenn man von den durchdrehenden Rädern absah. Greer richtete sich auf, rieb sich fluchend das Kreuz - und dabei fiel sein Blick auf den schlanken Mann mit den graumelierten Haaren. Jayson Greer hielt den Atem an. Testi, dachte er ungläubig. Angelo Testi, der dreimal verdammte Mafia-Makler! Natürlich: die Polizei konnte ihm nicht das geringste nachweisen. Seine Geschäfte liefen korrekt ab. Es war nicht -25-
verboten, Firmen aufzukaufen, die zuvor von rätselhaften Unglücksfällen betroffen worden waren, und den Besitzern den angeblich gutgemeinten Rat zu geben, sich doch lieber von den unglückseligen Objekten zu trennen. Mehr tat Testi nicht. Und an wen er die betreffenden Objekte dann hinterher weiterverkaufte, konnte ihm auch niemand vorschreiben. Aber daß er es wagte hierherzukommen, am hellen Tag, an den Ort eines schrecklichen Verbrechens, das seine Auftraggeber begangen hatten ... Jayson Greer knirschte mit den Zähnen. In seinem Schädel begann es zu summen, als er den schlanken, von Kopf bis Fuß gepflegten Mann auf sich zukommen sah. Angelo Testi lächelte. Nicht das übliche Strahlen, mit dem er seinen Kunden zu begegnen pflegte, sondern ein eher gedämpftes, bedauerndes Lächeln, das der traurigen Situation angemessen schien. Er blieb außer Hörweite der Männer stehen, die sich immer noch mit dem schweren Löschwagen abmühten. Greer fühlte den Blick der sanften braunen Augen. Einen Blick, der eine kaum merkliche Aufforderung enthielt. Wollte der Kerl seine schmutzigen Geschäfte etwa hier unter den Augen der Polizei abwickeln? Es gab wenig, was Jayson Greer der Mafia nicht zugetraut hätte, aber an soviel Kaltschnäuzigkeit und niederträchtigen Zynismus konnte er einfach nicht glauben. „Augenblick", knurrte er seinem Vorarbeiter zu, während er sich langsam in Bewegung setzte. Seine kräftigen Fäuste hatte er in die Taschen des verrußten, ölverschmierten Jacketts geschoben. Jetzt, da er auf den schlanken Makler zutrat, straffte sich seine Gestalt wieder. Er rollte die Schultern und blieb abwartend stehen. „Hallo", sagte Testi leise. „Eine schreckliche Geschichte, nicht wahr?" -26-
Das Summen in Greers Schädel verstärkte sich. „Stimmt", sagte er durch die Zähne. „Ich wollte es kaum glauben, als ich es hörte. Das ist schon der zweite Tankwagen, der Ihnen verunglückt, oder?" „Stimmt", wiederholte Greer gepreßt. Seine hellen Augen starrten den anderen durchdringend an. Er wartete. Angelo Testi war nicht hier, um unverbindlich zu plaudern. Er würde die Katze aus dem Sack lassen - auf seine Art ... „Schlecht für das Geschäft, solche Zwischenfälle, nicht wahr, Mr. Greer?" Der grauhaarige Hüne hatte den lebhaften Wunsch, seine Faust in dieses gutgeschnittene, kultivierte Gesicht zu schlagen. Er beherrschte sich nur mit Mühe. „Noch schlechter für's Geschäft ist die Tatsache, daß Druck auf die Tankstellen ausgeübt wird, die ich beliefere", knurrte er. „Man will sie zwingen, ihr Benzin in Zukunft von einer anderen Firma zu beziehen. Von der ,Top Tex' - falls Ihnen das ein Begriff ist." „Oh, natürlich. Einer meiner besten Kunden." Testis sanftes Lächeln brachte seinen Gesprächspartner fast um den Verstand. „Aber was heißt zwingen, Mr. Greer?" fuhr der Makler leichthin fort. „Jede Firma versucht eben, so gut wie möglich ins Geschäft zu kommen. Daß sie dabei die Lieferschwierigkeiten ihrer Konkurrenten ausnutzt, kann man ihr schließlich nicht zum Vorwurf machen. That's Business, Mr. Greer." Der grauhaarige Hüne schwieg. Er hätte ohnehin kein Wort herausgebracht. Der Zorn erstickte ihn fast. „Tja", sagte Angelo Testi mit einer lässigen Handbewegung. „Und nun, Mr. Greer? Wie soll es jetzt weitergehen? Haben Sie sich inzwischen überlegt, ob Sie nicht doch lieber verkaufen wollen?" -27-
Jayson Greer hielt den Atem an. Das ging zu weit! Das durfte einfach nicht sein. „Sie machen mir ein Angebot?" knirschte er. „Jetzt? Hier?" „Warum nicht? Sie haben nichts als Schwierigkeiten mit diesem unglückseligen Unternehmen, nicht wahr? Es könnte doch sein, daß die Ereignisse Sie zu dem Wunsch gebracht haben, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen und irgendwo in Ruhe und Frieden zu leben, ohne Ärger und Streß. Es wäre doch möglich ..." „Du Schwein!" flüsterte Jayson Greer. „Du verdammtes, dreckiges, niederträchtiges ..." „Nana, Mr. Greer! Mäßigen Sie sich! Ich könnte mich sonst veranlaßt sehen, eine Beleidigungsklage ..." Tief und rasselnd holte der grauhaarige Hüne Atem. Vor seinen Augen lagen rote Schleier. Die maßlose Wut in ihm explodierte förmlich, und mit einem jähen, heiseren Laut sprang er auf den Makler zu und packte ihn am Kragen. Testi erbleichte. Hastig versuchte er, sich loszumachen. Greer schüttelte ihn, immer noch besinnungslos vor Wut. Seine Stimme dröhnte. „Du Dreckstück! Ich mache dich fertig! Ich erwürge dich eigenhändig, ich ..." „Hilfe!" kreischte der Makler schrill. „Zur Hilfe!" Drei, vier von den Polizisten warfen die Köpfe herum. Jemand schrie etwas. Mit wenigen Schritten waren die Beamten heran, um die Kampfhähne zu trennen. Jayson Greer keuchte. Seine Augen loderten. Zwei Mann mußten ihn an den Armen festhalten, um ihn daran zu hindern, sich von neuem auf seinen Widersacher zu stürzen. In diesen Sekunden wäre der grauhaarige Hüne tatsächlich fähig gewesen, den anderen umzubringen. Wild kämpfte er gegen die Griffe der -28-
beiden Polizisten, und nur allmählich wich der rote Nebel vor seinen Augen. Angelo Testi atmete tief durch. Er war immer noch blaß, aber auf seinen Lippen lag schon wieder das gefährlich sanfte Lächeln. Mit einer Geste, die ungemein arrogant wirkte, wischte er sich ein imaginäres Stäubchen vom Revers seines eleganten Anzugs. „Armer Kerl", sagte er mit seiner dunklen, modulationsfähigen Stimme. „Er muß einen schweren Schock davongetragen haben. Ging einfach auf mich los, als ich nur versuchte, ihm ein paar ganz normale, harmlose geschäftliche Vorschläge zu machen." Er schüttelte den Kopf, als könne er es nicht begreifen, dann lächelte er wieder. „Kümmern Sie sich um ihn, Gentlemen. Und halten Sie ihn bitte fest, bis ich weg bin, sonst wird der Ärmste sich noch unglücklich machen ..." * Zwei Herzschläge lang verharrte Franco Solo reglos und mit angehaltenem Atem neben dem toten Spielhallen-Besitzer. Die Killer waren noch da. Mindestens einer von ihnen stand hinter ihm in der Tür, die zu irgendeinem Nebenraum führte. Deutlich hatte Franco das winzige Geräusch gehört, und er wußte, daß sein Leben an einem seidenen Faden hing. Rechts von ihm stand die lange Reihe der Billardtische. Bestimmt keine anständige Deckung, aber besser als nichts. Im Bruchteil einer Sekunde hatte der Mafiajäger die Situation analysiert, seine eigene Chance abgeschätzt, und dann handelte er. Wie von einer Bogensehne abgeschnellt sprang er hoch. Er hörte das Knacken des Revolverhahns, sah den Schatten in der Tür nur aus den Augenwinkeln. Mit der Rechten stützte er sich auf die Bande, schwang seinen Körper hoch und übersprang mit einem einzigen mächtigen Satz die ganze Breite des Tisches. -29-
Dumpf dröhnte der Schuß in seinen Ohren. Er landete am Boden, ließ sich instinktiv nach rechts fallen, wo das Tischbein einen kleinen zusätzlichen Schutz bot. Seine Hand glitt unter die Jacke und schlug sich um den Kolben der Beretta. Der zweite Schuß peitschte. Die Kugel traf Metall, sauste jaulend als Querschläger weiter. Der Einschlag mußte irgendeinen Mechanismus ausgelöst haben, denn auf den grünen Filz rollten plötzlich mit gedämpftem Klirren die Billardkugeln. Der dritte peitschende Knall! Blitzartig richtete sich Franco ein Stück auf und schoß über die Bande hinweg auf das Mündungsfeuer. Ein rauher Fluch mischte sich in den Nachhall des Krachens. Schritte scharrten und dann klirrte deutlich und unüberhörbar das Schloß einer Maschinenpistole. Jetzt wurde es kritisch. Der Mafiajäger zuckte herum, erfaßte mit einem schnellen Blick die Reihe der schlafenden Automaten. Eins von den Biestern stand schräg in den Raum hinein: ein Apparat, bei dem der Spieler eine Kugel um diverse Ecken praktizieren mußte. Franco kannte das Ding nicht. Er sah nur, daß es das einzige war, hinter dem er Deckung finden konnte, eben weil es schräg stand. Blindlings stieß er sich ab, hechtete darauf zu und rollte sich hinter den grellfarbenen Aufbau, während bereits das bösartige Tak-tak-tak der Maschinenpistole die Stille zerhackte. Glas klirrte. Querschläger jaulten, prasselnd hämmerte die Salve gegen die Reihe der Spielautomaten. Ein Gong ertönte. Irgendwo erklang ein Glockenspiel, das sonst den Hauptgewinn ankündigte, Zählwerke begannen zu rasseln, Funken sprühten, weil es einen Kurzschluß gegeben hatte. Fast sah es so aus, als erwache die ganze Spielhalle zu gespenstischem Leben, und selbst als die MP-Garbe längst verstummt war, klirrte, klingelte und ratterte es noch, wo die Kugeln eingeschlagen waren. -30-
Franco biß die Zähne zusammen. Er wußte, daß seine Lage miserabel war: Mindestens zwei Gegner hatte er geortet, den Revolverschützen und den Burschen mit der Maschinenpistole, und vielleicht trieben sich noch mehr im Haus herum. Wenn sie ihn in die Zange nahmen, konnte er einpacken. Der Spielautomat deckte ihn nur in eine Richtung und ... „Da drüben muß er stecken!" Die Stimme klang heiser vor Erregung - eine Stimme, die Franco nie gehört hatte. „Los, um die Billardtische herum! Wir nehmen ihn in die Zange! Ich halte ihn unten, und du machst ein Sieb aus ihm, sobald du ihn siehst!" Ein Gemüt wie ein Fleischerhund, dachte Franco erbittert. Der Kerl hatte zuletzt geflüstert, aber die Worte waren trotzdem deutlich zu verstehen gewesen. Jetzt konnte der junge Agent die vorsichtigen, schleichenden Schritte hören. Einer seiner Gegner machte Anstalten, die lange Reihe der Billardtische zu umrunden: der MP-Schütze vermutlich, denn sein Komplize hatte ihm ja empfohlen, ein „Sieb" aus dem Opfer zu machen, was sich mit einem halb leergeschossenen Revolver schlecht bewerkstelligen ließ. Franco zog die Lippen von den Zähnen. Er saß in der Falle. In diesen Sekunden war er nicht Jäger, sondern Gejagter. Aber seine Widersacher schienen zu vergessen, daß ein in die Enge getriebenes Wild gefährlich ist. Vorsichtig hob Franco den Kopf und spähte über den Spielautomaten hinweg. Zwei Schritte dahinter zeichnete sich im gedämpften Licht der bogenförmige Mauerdurchbruch ab, der zu dem angeblichen Privatclub führte. Offenbar lag eine Art Vorraum dahinter, von dem mehrere Türen abzweigten. Franco packte die Beretta fester, spannte die Muskeln und lauschte auf die Schritte des
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Mannes, der sich langsam an den Billardtischen entlang bewegte. Der Bursche wußte, daß er ein erstklassiges Ziel abgab. Vermutlich war er so gespannt wie eine Bogensehne, bereit, sofort auf alles zu schießen, was sich bewegte. Drüben an der Tür flüsterten Stimmen, also gab es noch einen dritten Mann. Franco biß die Zähne zusammen. Wenn er mit heiler Haut aus dieser Falle herauskommen wollte, hatte er keine Wahl, mußte er jetzt knallhart zur Sache gehen. Vorsichtig spähte er um die Ecke des Spielautomaten, sah schattenhaft die Beine des MPSchützen unter einem der Billardtische und hob die Beretta. Dumpf brach sich der Schußknall in dem hallenartigen Raum. Der Gangster schrie und krümmte sich zusammen, der Lauf der Maschinenpistole knallte auf Holz. Schwer verletzt war der Mann bestimmt nicht, aber in den nächsten Sekunden würde er nicht mehr daran denken, irgend jemanden in ein Sieb zu verwandeln. Blitzartig sprang Franco auf und ließ noch in der Bewegung die Beretta in die Linke wechseln. Er gab zwei ungezielte Schüsse auf die Tür ab, während er sich mit der Rechten aufstützte und über den langgestreckten Spielautomaten flankte. Die Kugeln lagen zu hoch, um zu treffen, aber sie irritierten die Gangster und hinderten sie dran, sorgfältig zu zielen. Der Revolver peitschte auf, doch der Schütze legte lediglich die Glasabdeckung des Spielautomaten in Scherben. Franco landete geschmeidig am Boden, ließ sich tief in die Knie sacken. Aus der Hockstellung heraus schnellte er vorwärts, erreichte mit einem flachen Hechtsprung den Mauerdurchbruch und rollte in Deckung. Der angeschossene Gangster stöhnte, keuchte und fluchte abwechselnd, doch jetzt besann er sich auch wieder auf seine Waffe.
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Die MP-Salve ratterte. Franco preßte sich in den Schutz des Wandstücks, das den Mauerdurchbruch begrenzte, und sah sich hastig um, während gefährlich dicht neben ihm die Kugeln Fetzen aus der Tapete rissen. Der Vorraum wurde nur von dem Licht erhellt, das aus der Halle einfiel. Grün lackierte Türen zeichneten sich von der Wand ab. Franco richtete sich vorsichtig auf und glitt ein paar Schritte zur Seite, als die Salve verstummte, weil der MP-Schütze wohl eingesehen hatte, daß er sein Opfer so nicht erwischen konnte. Längst hielt der Mafiajäger die Pistole wieder in der Rechten. Mit der Linken tastete er neben sich, fand den Metallknauf und drehte. Die Tür bewegte sich lautlos in den Angeln. Ein kleiner Raum, eine Art Büro mit Schreibtisch und Rollschränken. Franco hörte das aufgeregte Flüstern seiner Gegner, die Flüche, die gepreßte Stimme, die irgend etwas von „Halb so schlimm" und „Vorsicht jetzt" hervorstieß. Die Kerle hatten sich die Sache etwas zu einfach vorgestellt, und jetzt waren sie offenbar zu verwirrt, um rasch und entschlossen nachzusetzen. Mit einem Schritt glitt der schwarzhaarige junge Mann über die Schwelle und schloß lautlos die Tür hinter sich. Über den abgeschabten Pseudo-Perser huschte er zum Fenster. Sonnenlicht fiel herein, Franco mußte blinzeln. Seine Hand tastete nach dem Riegel, zerrte vorsichtig, und durch das dünne Holz der Tür konnte er immer noch die Stimmen seiner Gegner hören. „Er ist durch den Hinterausgang verschwunden, ganz klar!" „Hat er dich gesehen?" „Garantiert nicht ..." „Jack, verdammt, halt die Klappe! Wir durchsuchen die Bude. Sicher ist sicher!"
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Jack war offenbar der Verletzte: Er knirschte wütend mit den Zähnen, aber er hörte gehorsam auf zu stöhnen. Schritte näherten sich dem Mauerdurchbruch und verharrten wieder, während Franco Solo vorsichtig den zweiten Riegel öffnete. Der Drehgriff des Fensters klemmte. Franco biß sich auf die Lippen. Er sah förmlich vor sich, wie seine Gegner unschlüssig in dem Mauerdurchbruch standen und die Türen anstarrten. „Ich sag' doch, er ist verschwunden!" knurrte wieder die erste Stimme. „Wir müssen hier weg. Irgend jemand hat garantiert die Knallerei gehört und die Bullen alarmiert." „Aber ..." Der Fenstergriff gab nach. Mit einem scharfen Knacken - doch das wurde von einem anderen Geräusch übertönt, das im gleichen Augenblick einsetzte. Sirenen! Das nervenzerfetzende, auf- und abschwellende Heulen eines Patrolcars! Die Gangster hörten es ebenfalls. Ein rauher Fluch ertönte, dann das Rascheln heftiger Bewegung. „Weg hier!" zischte der Anführer. „Los, schnell!" Die Schritte entfernten sich, hetzten quer durch die Halle. Franco hörte das unsichere Stolpern des Verletzten und das halb unterdrückte Ächzen. Hastig zog der Mafiajäger das Fenster auf. Die Einfahrt zum Hof lag unter ihm, von dem Zaun des Holzlagers begrenzt. Der Mustang stand draußen auf der Straße, in unmittelbarer Nähe. Und die Killer waren aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls mit einem Wagen gekommen. Sie würden überstürzt davonrasen, würden sich auf den Polizeiwagen konzentrieren - und nicht mit einem Verfolger rechnen, da sie glaubten, daß sich Franco längst durch den -34-
Hinterausgang aus dem Staub gemacht hatte und froh war, überhaupt entwischt zu sein. Er lächelte grimmig. Geschmeidig schwang er sich auf die Fensterbank und sprang auf den grauen Asphalt. Irgendwo schlug eine Tür. Immer noch gellte die Sirene, aber Franco hatte das Gefühl, daß sie sich entfernte, statt näher zu kommen. Er glitt an der Hauswand entlang, die Beretta noch in der Rechten. Schritte hallten, Absätze klapperten auf dem Asphalt. Der Mafiajäger erreichte die Einmündung, blieb dicht an der Mauer stehen und spähte vorsichtig um die Ecke. Die drei Gangster rannten über den Gehsteig. Zwei Dutzend Yard, dann rissen sie die Türen eines dunklen Cadillac auf. Der Motor wurde gestartet, während sich der Verletzte noch abmühte, auf den Rücksitz zu klettern. Wie eine Rakete schoß der Wagen vorwärts, und die Türen wurden vom Druck des Fahrtwinds zugeschlagen. Das Heulen der Sirene verebbte. Kein Zweifel: Der Patrolcar war nur zufällig in der Nähe vorbeigekommen, hatte ein ganz anderes Ziel als die Spielhalle. Möglich, daß die Bewohner der Nachbarhäuser die Schüsse gehört und die Polizei alarmiert hatten, aber bis die Streife hiersein würde, konnte es noch eine Weile dauern. Franco wartete ein paar Sekunden, dann löste er sich aus seiner Deckung und rannte ebenfalls über den Gehsteig. Seinen verstauchten Fuß spürte er kaum noch - vielleicht lag es an der Anspannung, die ihn alles andere vergessen ließ. Vor ihm bog der Cadillac nach rechts ein, als er seinen Mustang erreicht hatte. Er warf sich hinter das Lenkrad, ließ den Motor kommen und startete. Mit singenden Reifen bog er um die Ecke.
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Sekunden später hatte er den Cadillac wieder im Blickfeld: Der Gangsterwagen ordnete sich nach links ein, um die Auffahrt einer Schnellstraße zu nehmen. Sie verließ Dallas in nördlicher Richtung - und das legte die Vermutung nahe, daß die Killer zunächst einmal so viele Meilen wie möglich zwischen sich und den Ort ihres skrupellosen Verbrechens bringen wollten. Franco hängte sich an. Jetzt, um die Mittagszeit, war der Verkehr nicht besonders lebhaft. Niemand rührte sich aus den klimatisierten Wohnungen und Büros, wenn er nicht unbedingt mußte. Wahrscheinlich, überlegte der Mafiajäger, würden die Killer ihn über kurz oder lang bemerken. Und versuchen, ihm eine Falle zu stellen, da sie es sich einfach nicht leisten konnten, einen Verfolger im Nacken zu haben. Aber diesmal war er vorbereitet. Diesmal würde er sich nicht in eine Situation manövrieren lassen, in der ihm nur noch die Flucht blieb. Mit einer Übermacht war er schon mehr als einmal fertiggeworden. Einer seiner Gegner war verletzt, nicht voll einsatzfähig, und die Kerle hatten das Handicap, auf Unauffälligkeit bedacht sein zu müssen. Trotzdem hätte es Franco vorgezogen, die Polizei zu alarmieren. Er war nicht wild auf eine harte Auseinandersetzung - doch da der Mustang nicht über Autotelefon verfügte, konnte er in dieser Hinsicht nichts unternehmen ohne das Risiko, daß seine Widersacher endgültig untertauchten. Er peilte in den Außenspiegel, ließ zwei Wagen passieren und ordnete sich auf die rechte Spur des Highway ein. Vor ihm lief die Ausfallstraße in einer fast unmerklichen Rechtskrümmung nach Norden. Er konnte den Cadillac sehen, der jetzt mächtig aufdrehte. Franco preßte die Zähne zusammen, trat das Gaspedal durch und wechselte auf die linke Spur. Es half alles nichts: Wenn er nicht Gefahr laufen wollte, den Caddy zu verlieren, mußte er die beiden anderen Wagen überholen. Da die Gangster den Mustang nicht kannten, würden sie jedenfalls nicht sofort Verdacht schöpfen. Franco überlegte. -36-
Wahrscheinlich wollten die Kerle als nächstes irgendeinen Unterwelt-Arzt ansteuern, der die Verletzung des Angeschossenen behandelte. Wenn der Verfolger bis dahin nicht bemerkt wurde, hatte er eine gute Chance, die Kerle dort zu stellen. Wenn! Und außerdem war es möglich, daß sie gar nicht daran dachten, ihren Komplizen zum Arzt zu bringen, sondern einfach blindlings flohen, um irgendwo den weiteren Verlauf der Ereignisse abzuwarten. Die Firma „Top Tex" oder gar Carlo Reggazzos Adresse war bestimmt nicht ihr Ziel - das wäre zu schön gewesen. Franco fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er ging vom Gas, denn vor ihm verlangsamte auch der Cadillac das Tempo. Wahrscheinlich hatten die Gangster eingesehen, daß es besser war, sich ans Speedlimit zu halten. Durch die getönten Scheiben konnte Franco nur die Umrisse ihrer Gestalten erkennen - und dann sah er, wie sich einer der Kerle umwandte. Zwei Sekunden später beschleunigte der Cadillac wieder. Die Gangster kümmerten sich nicht mehr um die Geschwindigkeitsbegrenzung, und Franco wußte, daß sie den Verfolger in ihm erkannt hatten. * Im Gegensatz zu Franco Solos Mustang verfügte der Cadillac der Killer über ein Autotelefon. Ein paar Meilen entfernt in Carlo Reggazzos weißer Villa griff der Gangsterboß gerade nach einer Zigarette, als der cremefarbene Apparat auf seinem Schreibtisch anschlug. Helenio Capello stand mit einem halbvollen Whiskyglas am Fenster und blickte durch die riesige Panoramascheibe. Er fuhr leicht zusammen und wandte sich um, während Carlo Reggazzo nach dem Hörer griff. Mit der freien Hand ließ er das Feuerzeug aufflammen und zündete die Zigarette an. -37-
„Ja?" fragte er zwischen zwei Zügen. „Buster hier, Boß." „Und?" Reggazzos Frage klang wie das Schnappen von Fangzähnen. Er hatte den aufgeregten Tonfall in der Stimme des anderen sofort gehört. „Gio wird nicht mehr reden, Boß", berichtete der Gangster mit dem Namen Buster hastig. „Aber da war jemand, der uns dazwischengefunkt hat. Wir wollten ihn ebenfalls erledigen, aber er konnte entwischen. Jetzt hängt er uns auf den Fersen und ..." „Wieso hängt er euch auf den Fersen, wenn er angeblich geflohen ist?" fragte Reggazzo. „Reiß' dich gefälligst zusammen und erzähle der Reihe nach, was passiert ist!" Buster tat es. Der Gangsterboß hatte die Lautsprecheranlage eingeschaltet, damit seine rechte Hand das Gespräch mithören konnte. Capello biß sich auf die Lippen. Sein Gesicht spannte sich, die Nase schien noch spitzer zu werden. „Wir konnten uns nicht um den Kerl kümmern, weil wir zusehen mußten, daß wir uns vor den Bullen in Sicherheit brachten", schloß der Killer. „Und jetzt ist der Typ hinter uns und verfolgt uns. In einem weißen Mustang. Schneller Schlitten! Abhängen können wir den so leicht nicht." „Kann er euch einholen?" „Bestimmt nicht. Der Caddy ist immer noch 'ne Kleinigkeit schneller, jedenfalls wenn er erstmal rollt. Solange wir auf dem Highway bleiben, kann nichts passieren, wenn die Bullen keine Kontrollen machen ..." „Nicht um die Mittagszeit", sagte Reggazzo entschieden. Wobei ihm bewußt war, daß man das nicht als hundertprozentig sicher annehmen konnte. Aber da es sich bei dem Mustang-
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Fahrer aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls um einen Polizeibeamten handelte, spielte es keine große Rolle. „Wir können ihn nicht abhängen!" wiederholte Buster drängend. „Wenn wir vom Highway 'runtergehen, ist er uns erst recht überlegen. Bei dem Sprintvermögen des Mustang kommt der Caddy nicht mit." Reggazzo zögerte kurz. Er starrte Capello an und legte die Hand über die Sprechmuschel. „Ich möchte wissen, wer dieser Kerl ist, Helenio", knurrte er. Capello biß sich auf die Lippen. „Zu gefährlich, Sir. Wenn es ein Bulle ist, kann er jederzeit seine Kollegen benachrichtigen, und das heißt, daß wir nicht mehr viel Zeit haben. Buster und die anderen müssen den Burschen loswerden. Und der Cadillac muß verschwinden." Reggazzo nickte nachdenklich. Er wußte aus Erfahrung, daß er sich in solchen Fällen auf das Urteilsvermögen seiner rechten Hand verlassen konnte. „Ist der Hubschrauber startklar?" fragte er. „Sicher. Es kostet nur einen Anruf, die Boys auf die Beine zu bringen." „Sehr gut." Der Gangsterboß löste die Hand von der Sprechmuschel. „Buster?" „Ja, Sir?" „Hör genau zu, Buster! Ich werde dir jetzt erklären, was ihr zu tun habt. Es ist eure einzige Chance, den Murks wieder gerade zu biegen, den ihr angerichtet habt. Wenn ihr jetzt noch irgendeinen Fehler macht, geht es euch dreckig ..." Erst im letzten Augenblick wurde der Cadillac nach rechts in die Ausfahrt gerissen. Der Highway war ziemlich leer. Franco lenkte den Mustang mit zusammengebissenen Zähnen über das graue Asphaltband. Hier, auf freier Strecke, hatte er keine Chance, den -39-
Gangsterwagen zu überholen. Er wollte es auch gar nicht. Die Killer mußten sich etwas einfallen lassen - und dann konnte er sich auf die Situation einstellen und versuchen, das Gesetz des Handelns an sich zu reißen. Was die Kerle jetzt machten, war ein ziemlich plumper Versuch. Franco blieb Zeit genug, den Mustang herunterzubremsen und in die enge Kurve der Ausfahrt zu ziehen. Die Straße, der der Cadillac jetzt folgte, führte in nordöstlicher Richtung durch die sanften, von vergilbendem Gras bewachsenen Hügel. Wie ein gelblich-braunes Meer dehnte sich die Prärielandschaft nach allen Seiten. Franco hatte sich die Umgebung von Dallas auf der Karte angesehen und sehr genau eingeprägt, deshalb wußte er, daß es auf den nächsten zwanzig, dreißig Meilen für die Killer nicht die leiseste Chance gab, ihn abzuhängen. Sie konnten nicht einmal versuchen, ihren Wagen in den Schutz einer Hügelfalte zu fahren und einen Hinterhalt zu legen. Die Räder des Cadillac wirbelten eine yardhohe Staubwolke auf. Sie verriet den Standort des Wagens, und ihre Höhe zeigte zuverlässig jede Änderung des Tempos an. Dazu kam, daß der Mustang wegen seiner erstklassigen Kurvenlage dem Caddy in diesem Gelände überlegen war. Die Gangster hatten versucht, ihn mit dem Überraschungsmanöver des plötzlichen Abbiegens zu übertölpeln. Jetzt, da ihnen das nicht gelungen war, schienen sie ziemlich ratlos. Oder? Franco kniff die Augen zusammen, zog den Mustang um eine Kurve und sah die hintere Stoßstange des Caddy in der Sonne gleißen. Staub puderte den Wagen, doch der Mustang sah vermutlich nicht besser aus. Mühelos holte er auf und schob sich näher an den Gangsterwagen heran. Eigentlich mußten die Kerle inzwischen begriffen haben, daß sie sich ziemlich idiotisch benahmen. -40-
Waren sie idiotisch? Oder hatten sie einen bestimmten Plan? Nach Francos Erinnerung gab es weit und breit kein einziges Gebäude, das etwa als Stützpunkt der Mafia hätte dienen können und wo möglicherweise eine Übermacht darauf wartete, daß die Gangster in dem Cadillac den Verfolger in die Falle lockten. Es gab überhaupt keine Möglichkeit, in diesem Gelände eine Falle zu stellen. Die Kerle konnten nur weiterfahren und hoffen, daß ihrem Gegner schneller das Benzin ausging als ihnen. Oder sie konnten anhalten und die Entscheidung erzwingen, doch dazu machten sie keinerlei Anstalten. Franco grub die Zähne in die Unterlippe. Die Sache gefiel ihm nicht. Irgend etwas paßte nicht zusammen. Irgendeinen Aspekt, irgendeine Möglichkeit hatte er übersehen. Die Staubwolke vor ihm bewegte sich gleichmäßig und zeichnete die Windungen der Straße nach. Ab und zu tauchte das Heck des Cadillac auf, wenn die Fahrbahn ein Stück geradeaus lief. Jedesmal war der Wagen der Gangster dem Mustang ein Stück näher. Franco holte auf. Er schnitt die Kurven scharf an, spielte die Straßenlage seines Flitzers aus, beobachtete seine Gegner - und dann hörte er irgendwo hinter sich ein Geräusch, das rasch anschwoll. Rattern! Das charakteristische Mähmaschinen-Rattern eines Hubschraubers. Franco warf den Kopf herum, suchte den fahlen, heißen Himmel mit den Augen ab und sah den Helikopter wie eine gigantische Libelle über den gelben Hügeln hängen. Die Maschine glänzte silbern in der Sonne. Sie kam rasch näher. Franco konnte nicht mehr hinsehen, da er sich auf die Straße konzentrieren mußte, doch er hörte das Rotorengeräusch, das immer lauter wurde. Irgendeine Maschine, die zufällig hier vorbeikam? Es war möglich. Bei den großen -41-
Entfernungen in Texas zählten Helikopter und Sportflugzeuge zu den durchaus gängigen Verkehrsmitteln. Aber Franco glaubte nicht an einen Zufall. Die ganze Zeit über hatte er sich schon über das scheinbar verrückte, völlig unvernünftige Verhalten seiner Gegner gewundert - und das Auftauchen des Hubschraubers lieferte eine perfekte Erklärung dafür. Autotelefon! Es war lächerlich einfach. Die Kerle hatten lediglich ihren Boß zu benachrichtigen brauchen, der dann sofort die notwendigen Schritte einleitete. Jetzt fragte sich nur noch, was der Unbekannte wollte. Wenn es ihm lediglich darum ging, seinen Leuten die Flucht zu ermöglich, konnte sich die Hubschrauber-Besatzung damit begnügen, ein paar Handgranaten vor den Mustang zu werfen. Wenn sich der Boß dafür interessierte, wer Franco war und was er wollte, mußten die Gangster den Vogel landen und den Mustang stoppen. Dann würden sich wahrscheinlich auch die Kerle aus dem Cadillac einmischen - und das hieß, daß es der Mafiajäger mit einer mindestens fünffachen Übermacht zu tun hatte. Wenn er sich nicht irrte! Wenn er nicht Gespenster sah, wenn der Hubschrauber nicht doch harmlos war! Aber die Wahrscheinlichkeit dafür wurde immer geringer, je näher die Maschine kam. Sie folgte dem Verlauf der Straße, das war eindeutig. Und sie hing so tief, daß Franco sie im Rückspiegel sehen konnte. Der Agent ließ den Blick von dem silbernen Vogel zum Wagen der Killer gleiten, dann trat er auf die Bremse und setzte kaltblütig die Geschwindigkeit herunter. Der Cadillac fuhr weiter. Obwohl der Fahrer seinerseits den Mustang im Rückspiegel haben mußte und deutlich sah, daß der Flitzer zurückblieb. Der Gangsterwagen verschwand hinter einem Hügel, die Staubwolke
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entfernte sich - die Kerle dachten offenbar nicht daran anzuhalten. Was hieß, daß ihre Komplizen in dem Hubschrauber versuchen würden, Franco umzubringen. Der Mafiajäger preßte die Lippen zusammen. Kleine Schweißperlen prickelten auf seiner Stirn, als er das Tempo noch weiter heruntersetzte. Jetzt sah er den Helikopter nicht mehr im Rückspiegel, sondern hörte das schnelle, harte Rattern schräg über sich. Die Maschine blieb auf gleicher Höhe, zwei, drei Sekunden lang, und der Mafiajäger wußte, daß im nächsten Moment etwas passieren würde. Blitzartig ließ sein Fuß das Bremspedal los und trat den Gashebel bis zum Anschlag durch. Der Mustang machte einen Satz, schoß mit singenden Reifen vorwärts. Fast gleichzeitig ratterte eine Maschinenpistole los, und Franco sah, wie die Kette der Einschläge unmittelbar hinter dem Wagen Funken aus dem Asphalt schlug. Jetzt raste der Mustang wieder mit höchstmöglicher Geschwindigkeit über das graue, gewundene Band der Straße. Francos Muskeln schmerzten vor Anspannung. Sein Blick zuckte umher. Mit dem Wagen konnte er dem verdammten Hubschrauber auf die Dauer nicht entgehen, das wußte er. Aber in dem gleichförmigen Hügelland war er den Gangstern zu Fuß genauso hilflos ausgeliefert. Was er brauchte, war eine Möglichkeit, sich unsichtbar zu machen - und Sekunden später sah er linker Hand die roten, von der Erosion zerfressenen Felsen im dürren Gestrüpp der Mesquite-Sträucher. Der Helikopter zog über ihn hinweg. Die Gangster hatten keine Eile, glaubten sich ihres Opfers bereits sicher. Wie ein silbriges Rieseninsekt hing die Maschine schräg über der Straße. Der Rotor quirlte. Die Kanzeltür war geöffnet, und Franco konnte den matten, dunklen Glanz von Waffenstahl erkennen. -43-
Der Lauf der Maschinenpistole zielte jetzt auf die Motorhaube des Mustang. Gleich würde die nächste Salve losrattern. Undeutlich sah der Counter-Mob-Agent die Gestalt im Schatten der Kanzel. Einen wuchtigen Typ mit breiten Schultern, kantigem Schädel, hellem Stoppelhaar. Der Mafiajäger tippte kurz auf die Bremse, beschleunigte wieder, als der Hubschrauber sein Tempo herabsetzte. Es war ein Verwirrspiel, das wenig einbrachte. Aber Francos Chancen standen miserabel, und er hatte zumindest eine halbe Sekunde gewonnen, als er mit jäher Plötzlichkeit das Lenkrad herumriß. Der Mustang brach aus, schoß quer über die Fahrbahn und rumpelte über den Randstreifen. Staub wirbelte auf, als er den Hang des Hügels hinaufschoß. Franco wußte, daß die zähen Wurzeln des Büffelgrases den Boden fest genug machten, so daß er nicht Gefahr lief, sich mit dem Wagen festzufahren. Der Mustang hüpfte, schlingerte, schien sich auf dem unebenen Gelände fast das Getriebe aus dem Bauch zu schütteln. Der Mafiajäger nagelte das Gaspedal aufs Bodenblech, und während er versuchte, sich gleichzeitig auf das Rattern des Helikopters und die Tücken des vertrackten Geländes zu konzentrieren, tastete seine Rechte nach dem Knopf am Armaturenbrett, der den Mechanismus des Cabrio-Verdecks auslöste. Vor den Kugeln einer Maschinenpistole konnte ihn das Faltdach ohnehin nicht schützen. Und jetzt kam alles darauf an, daß er seine Gegner sah, daß er berechnen konnte, was sie tun würden, und die Chance hatte, ihnen um Sekundenbruchteile zuvorzukommen. Dabei war er sich immer noch völlig klar darüber, daß seine Lage kaum kritischer hätte sein können. Aber er hatte schon Situationen überstanden, in denen seine Chancen so gut wie Null waren! Er
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lebte immer noch - und er dachte nicht daran, das Spiel aufzugeben, bevor es wirklich aus war. Mit dem Daumen drückte er zu. Der Mechanismus surrte, das Verdeck glitt zurück und gab den Blick auf den Himmel frei. Einen hohen, heißen Himmel, von dem die Mittagssonne herunterstarrte wie ein zorniges Auge und den Hubschrauber in grellem Silberglanz leuchten ließ. Der Vogel war etwas zurückgeblieben: Francos Manöver mußte die Gangster tatsächlich überrascht haben. Aber jetzt nahm die Maschine wieder Fahrt auf - und Franco wußte, daß sie auf jeden Fall wesentlich schneller war als der Mustang. Immerhin: Bei geöffnetem Verdeck hatte er freie Sicht. Als der Hubschrauber wie eine zornige Hornisse auf ihn herabzustoßen drohte, konnte er mit einem wilden Schlenker nach rechts ausweichen. Die MP-Salve ratterte, eine Kette kleiner Dreckfontänen spritzte dort hoch, wo der Wagen eben noch gewesen war. Franco riß das Steuerrad herum, fing das ausbrechende Heck ab und jagte den Flitzer unmittelbar unter dem Hubschrauber hinweg. Jetzt war er auf der Seite der Maschine, auf der die Kanzeltür noch geschlossen war, und wieder hatte er ein paar kostbare Sekunden gewonnen. Der Schatten der Hügelfalte nahm ihn auf. Er sah das Mesquite-Gestrüpp zum Greifen nahe, sah die roten, zerklüfteten Felsen über den dürren Sträuchern aufragen. Das Rattern des Rotors dröhnte in seinen Ohren. Der Hubschrauber war nach links abgeschwenkt, flog in einer engen Kurve von neuem an, und diesmal wußte Franco, daß er der tödlichen Salve nicht mehr entgehen konnte. Schweiß lief über sein Gesicht und strömte in den Achselhöhlen. Sein Herz hämmerte, die Anspannung verkrampfte seine Muskeln und ließ die Sehnen deutlich unter der Haut hervortreten. Aber er wußte, daß er sich jetzt nicht den -45-
geringsten Fehler leisten durfte, wenn er diesmal davon kommen wollte. Er schaffte es, kaltblütig bis zum allerletzten Augenblick zu warten. Erst als von neuem das harte Tak-tak-tak der Tommy Gun die heiße Luft zerriß, rammte er blitzschnell den Türgriff auf und warf sich mit seinem ganzen Gewicht nach links gegen den Wagenschlag. Gleichzeitig gab er dem Lenkrad einen heftigen Linkseinschlag, um nach Möglichkeit die Wirkung des Fahrtwinds aufzuheben. Die Tür schwang auf. In Francos Ohren dröhnte das nervenzerfetzende Rattern der langen Salve. Er ließ sich fallen, rollte geschmeidig wie eine Katze über den Boden, und im selben Moment erreichte die MP-Garbe den Wagen, der führerlos weiterraste. Kreischend perforierten die Einschläge das Blech des Mustangs. Franco rollte durch den Staub, wälzte sich wieder und wieder um die eigene Achse, so schnell wie möglich, da er nur zu gut wußte, daß es hier ums nackte Überleben ging. Drei Yard, vier, fünf, sechs! Er hörte das Fauchen der Stichflamme, sah den grellen Lichtreflex. Gleich würde es knallen. Noch einmal schnellte Franco seinen Körper herum, dann riß er schützend die Arme über den Kopf und preßte das Gesicht in den Staub, als das Donnern der Explosion über ihn hinwegrollte. Metallteile sirrten durch die Luft, ein Hagel von Splittern und Steinen regnete auf ihn herunter. Er riß den Mund auf, holte Luft und schluckte eine Ladung Staub. Das Krachen der Detonation betäubte seine Ohren. Hustend und würgend stemmte er sich hoch und warf einen Blick zu seinem Wagen hinüber. Der Mustang war nur noch ein Klumpen Blech, aus dem bläuliche Flammen züngelten.
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Rauch wölkte auf und umhüllte den Hubschrauber, der jetzt schräg abkippte, damit der MP-Schütze freies Schußfeld hatte. Der Mafiajäger befand sich schon wieder in Bewegung. Für ein paar entscheidende Sekunden waren die Kerle in dem Helikopter abgelenkt gewesen, hatten sie nicht gemerkt, daß ihr Opfer im letzten Moment aus dem Wagen entwischt war. Franco schnellte herum und rollte den Abhang hinunter. Die Mesquite-Büsche hielten ihn auf. Wieder hämmerte die Maschinenpistole. Die Kette der Einschläge wanderte auf den Mafiajäger zu, und ein paar nerven-zerfetzende Sekunden lang war er fast sicher, daß die tödliche Kette ihn einholen würde. Mit einem letzten, verzweifelten Sprung rettete er sich in den Schatten eines Felsens. Steinsplitter flogen. Das bösartige Mähmaschinen-Rattern des Hubschraubers ließ die Luft zittern. Gleich würde die Maschine weiterfliegen und genau über dem Felsen hängen. Franco warf den Kopf herum. Er brauchte eine Deckung, die ihn gegen die Gefahr von oben schützte. Sein Blick traf auf eine überhängende Steinkante, und während der Gangster die zweite Hälfte des Magazins verfeuerte, rollte der Mafiajäger von neuem über hartes Gras, staubige Erde und scharfkantige Steine. Diesmal wanderte die Kette der aufspritzenden Dreckfontänen nur ein paar Inch an seinem Körper vorbei. Er konnte den Luftzug der Kugeln spüren. Verzweifelt preßte er sich gegen den Felsen und lauschte auf das Rotorengeräusch, das ihm die Position seiner Gegner verriet. Der Helikopter beschrieb einen Bogen, und nach ein paar Sekunden tauchte er von neuem in Francos Blickfeld auf. Jetzt drückte der Pilot den Vogel nach unten, damit der Mann mit der Maschinenpistole den toten Winkel im Schatten des Überhangs bestreichen konnte. -47-
Franco hob die Beretta und feuerte auf die Kanzel, damit die Burschen merkten, daß es gefährlich war, sich allzu sicher zu fühlen. Tatsächlich wurde der Helikopter hastig wieder ein Stück hochgezogen. Franco glitt zur Seite, zog sich tiefer zwischen die Felsen zurück. Sobald er außer Sicht war, wechselte er die Richtung, rannte geduckt weiter und kauerte sich schließlich unter einer schrägen Felskante auf die Fersen. Aus schmalen Augen sah er zu der schwarzen Rauchwolke hinüber, die von dem immer noch brennenden Mustang aufstieg. Sie war meilenweit zu erkennen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis irgend jemand aufmerksam wurde. Die Gangster mußten damit rechnen, daß die Highwaypatrol oder der nächste County Sheriff auftauchten. Konnten sie es sich leisten, zu landen und das Gelände zu durchkämmen? Franco lächelte grimmig. Selbst wenn sie es versuchten - zwischen den Felsen mußten sie ihn erst einmal finden. Dann würde er alle Chancen haben, sie einzeln zu überrumpeln. Sie versuchten es nicht. Eine Weile hing der Hubschrauber noch wie ein bösartiges Insekt am gleichen Fleck, dann kippte er schräg ab und schwirrte in östlicher Richtung davon. Franco richtete sich auf und blickte der Maschine nach, bis er sie nur noch als silbrigen Lichtreflex am Himmel erkennen konnte. Das Rattern verebbte. Stille schien sich über die heiße, einsame Landschaft zu senken wie ein erstickender Mantel. Der Mafiajäger lauschte sekundenlang, konzentrierte sich, doch auch von dem Cadillac war nichts mehr zu hören. Der Hubschrauber hatte die Aufgabe gehabt, die Flucht der Killer zu decken. Das Hauptziel war erreicht worden - auch wenn es sicher nicht in der Absicht der Gangster gelegen hatte, das Opfer entkommen zu lassen. Franco fragte sich, ob die Kerle etwa planten, ihn in Sicherheit zu wiegen und dann -48-
zurückzukommen. Er glaubte nicht daran. Die Burschen konnten nicht damit rechnen, daß ihre Aktivitäten unbemerkt geblieben waren, und sie würden es vorziehen, kein Risiko einzugehen. Der Mafiajäger richtete sich auf und verließ seine Deckung. Minuten später stand er vor dem ausgeglühten Wrack des Mustangs. Die Rauchwolke war dünner geworden. Rings um den Wagen ließ die abstrahlende Hitze die Luft zittern. Franco sah sich um. Braune Hügel, das schmale Asphaltband der Straße - sonst nichts. Mit einem tiefen Atemzug strich sich der Agent das schwarze Haar aus der Stirn. Der Gedanke an den Fußmarsch, der vor ihm lag, ließ ihn im Geiste fluchen. Natürlich hätte er warten können, bis sich irgend etwas tat. Aber erstens war er nicht sicher, ob die Explosion wirklich bemerkt worden war, und zweitens erschien ihm der Gedanke an die endlosen Fragen, die die Polizei stellen würde, auch nicht gerade verlockend. Schließlich gab die Erkenntnis den Ausschlag, daß es sein Auftrag erforderte, unauffällig zu arbeiten und so lange wie möglich anonym zu bleiben. Noch einmal ging er zu den Felsen zurück: Irgendwo mußte der breitkrempige Stetson liegen, den hier in Dallas jedermann trug - aus gutem Grund, da es die texanische Sonne in sich hatte. Franco fand den Hut in total zerbeultem, verstaubtem Zustand, doch das spielte keine Rolle. Flüchtig klopfte der Agent die lädierte Kopfbedeckung aus, stülpte sie auf und marschierte zurück zur Straße. Wenn er Glück hatte, würde jemand vorbeikommen und ihn mitnehmen. Aber ihm schwante, daß er seine Ration an Glück für heute schon aufgebraucht hatte. * Tränen rannen über das Gesicht der jungen Frau. -49-
Sie versuchte nicht, sie wegzuwischen. Ihre Augen wirkten leer, dunkel vor Schmerz, seltsam ungläubig, als weigere sich ihr Bewußtsein, die Wahrheit zu akzeptieren. Jayson Greer bewegte unbehaglich die Schultern. Er hätte gern geholfen, aber er wußte nur zu gut, daß es nichts gab, was er in diesem Moment hätte tun oder sagen können. Er mußte sich räuspern. „Lassen Sie mich wissen, wenn Sie etwas brauchen, Mrs. Millroy. Um die Formalitäten brauchen Sie sich nicht zu kümmern, ich sorge dafür, daß alles erledigt wird. Nur die Polizei wird wahrscheinlich eine Menge Fragen stellen - das läßt sich nun einmal nicht ändern." „Ich weiß, Mr. Greer. Vielen Dank, daß Sie gekommen sind." „Das war doch selbstverständlich. Denken Sie daran, daß ich für Sie da bin, wenn Sie Hilfe brauchen." Die junge Frau nickte nur. Noch ahnte sie nicht, daß ihr Mann nicht einfach mit dem Tankwagen verunglückt, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach einem Sprengstoffanschlag zum Opfer gefallen war. Jayson Greer hatte es nicht übers Herz gebracht, ihr die ganze Wahrheit zu sagen. Fast zwei Stunden war er in dem hübschen, bescheidenen Holzbungalow geblieben, um die junge Frau in ihrem ersten Schmerz nicht allein zu lassen. Jetzt mußte jeden Augenblick ihre Schwester eintreffen, die ein paar Tage hierbleiben würde. Die beiden kleinen Kinder waren bei den Großeltern, dort würden sie für die nächste Zeit am besten aufgehoben sein. Jayson Greer wartete noch, bis draußen ein heller VW Rabbit vorfuhr und Mrs. Millroys Schwester ausstieg, wechselte ein paar Worte mit ihr, und dann verabschiedete er sich endgültig. Es dämmerte bereits, als er sich in den Wagen setzte und startete. Eine Viertelstunde später hatte er wieder den Campingplatz erreicht. Der Polizeieinsatz war vorbei, nur noch die -50-
Brandwache der Feuerwehr patroullierte und paßte auf das mit Seilen abgesperrte Geländestück auf, wo die Sachverständigen noch nicht mit ihrer Arbeit fertig waren. Über den Hügeln im Westen glomm der Himmel in dunstigem Rot. Der Widerschein der untergehenden Sonne, der über dem Platz lag, ließ Greer erschauern, weil er ihn an die Feuersbrunst erinnerte. Das Dämmerlicht verwischte die Spuren der Katastrophe. In einigen Wohnwagen waren die Fenster erhellt, aber niemand ließ sich blicken. Wahrscheinlich waren die meisten Menschen nur noch hier, weil die Polizei sie als Zeugen brauchte. Der Schock saß tief in ihnen, und die meisten hatten sich offenbar regelrecht in ihre Behausungen verkrochen. Langsam lenkte Jayson Greer den Wagen über den gewundenen Weg zu seinem Haus hinauf. Er dachte an Angelo Testi, den verbrecherischen Makler, der sich nicht gescheut hatte, sein Angebot unter den Augen der Polizei zu wiederholen, am Ort der Katastrophe, während noch die Trümmer rauchten. Greer kannte dieses Angebot. Es war lächerlich gering. Aber selbst wenn es auf das Doppelte oder Dreifache erhöht worden wäre: Der grauhaarige Hüne hätte nicht daran gedacht zu verkaufen. Er ließ sich nicht erpressen. Irgend jemand mußte sich dieser Verbrecherbrut entgegenstellen. Die Mafia war unangreifbar, solange niemand den Mut fand, dem Terror zu trotzen. Und diejenigen, die sich dem Kampf gegen den Moloch verschrieben hatten, konnten es nicht schaffen, wenn es nicht gelang, die Mauer des Schweigens aufzubrechen, die die Gangster schützte. Jayson Greer dachte an den schlanken schwarzhaarigen Mann, der Kontakt zu ihm aufgenommen hatte. Franco Solo war einer von denen, die den erbitterten Kampf gegen die Mafia führten. Dabei wirkte er auf den ersten Blick ganz anders, als Jayson Greer ihn sich vorgestellt hatte, überraschend jung, gar nicht besonders kriegerisch - doch der grauhaarige Hüne besaß -51-
Menschenkenntnis genug, um sofort gespürt zu haben, was in dem anderen steckte. Jetzt war er unterwegs, um irgend etwas herauszufinden. Er mußte eine Spur haben. Das Ende eines Fadens, der vielleicht zu dem Drahtzieher im Hintergrund führte - jenem Mann, dessen Namen Franco Solo bereits zu kennen glaubte, ohne es beweisen zu können. Beweise - das war es. Die Gangster gingen geschickt vor, gaben sich keine Blöße. Aber wenn sie erst einmal merkten, daß man ihnen auf der Spur war, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlten, dann würden sie vielleicht die Nerven verlieren und einen entscheidenden Fehler machen. Jayson Greer fühlte sich erschöpft und zerschlagen, als er den Wagen auf den kiesbestreuten Parkplatz vor dem Bungalow rangierte. Im Haus war alles dunkel. Greer hatte es am hellen Vormittag verlassen, und jetzt erinnerte er sich, daß er in der Aufregung nicht einmal daran gedacht hatte, die Tür abzuschließen. Achselzuckend öffnete er sie, durchquerte die Diele und machte Licht im Wohnzimmer. Die Müdigkeit zerrte an ihm, doch er wußte, daß er so oder so nicht hätte schlafen können. Es war eine andere Art von Müdigkeit, die er empfand, eine Müdigkeit, die ihre Wurzeln im Gefühl der Hilflosigkeit und des ohnmächtigen Zorns hatte. Greer ging auf die kleine Bartheke zu und nahm die Whiskyflasche aus dem Regal. Er goß sich einen Doppelten ein. Der letzte für heute, nahm er sich vor. Er brauchte einen klaren Kopf, wenn Franco Solo zurückkam hoffentlich mit Neuigkeiten, die sie einen Schritt weiterbringen würden. Jayson Greer setzte das Glas an die Lippen, und in der gleichen Sekunde hörte er das Geräusch. Ein leises Quietschen! -52-
Die Angeln der Badezimmertür, begriff er - sie hätten längst geölt werden müssen. Schritte huschten durch die Diele. Greer fuhr herum, das Glas noch in der Rechten - doch da hatte sein Gegner schon das Wohnzimmer erreicht. Waffenstahl schimmerte. „Keine Bewegung!" flüsterte eine Stimme. Ein Ruck mit der Maschinenpistole unterstrich den Befehl, und wie ein Stich ins Hirn traf Greer die Erkenntnis, daß jeder Widerstand Selbstmord gewesen wäre. Klirrend zerbarst das Whiskyglas auf dem Teppich. Jayson Greer rührte sich nicht, stand wie versteinert. Sein Blick löste sich von der Waffe und tastete zu dem Gesicht hoch, das von einer schwarzen Strumpfmaske verborgen wurde. Das Lampenlicht spiegelte sich in den scharfen dunklen Augen hinter den Sehschlitzen. Aus dem Schatten der Diele tauchten zwei weitere Männer auf: ebenfalls maskiert und mit Pistolen bewaffnet. „Hände hoch!" forderte der Mann mit der MP. „Umdrehen! Gesicht zur Wand!" Greer schluckte. Mechanisch spreizte er die Arme ab. Während er sich langsam umdrehte, überstürzten sich seine Gedanken. Die Kerle mußten im Bad gelauert haben. Einfach genug hatte er es ihnen ja gemacht, ins Haus einzudringen. Aber sie wollten ihn nicht umbringen. Hätten sie ihn töten wollen, wäre der Mummenschanz mit den Masken nicht notwendig gewesen. Jayson Greer starrte die Wand an, lauschte auf die Schritte seiner Gegner und spürte, wie sich seine Magenmuskeln zusammenzogen. Er wußte, was ihm bevorstand. Das, was die Gangster eine „Lektion" zu nennen pflegten. Es war schon anderen passiert, die sich widersetzt hatten. Zum Schein waren ihnen die Brieftaschen gestohlen worden, in den Akten der Polizei erschienen die Ereignisse als Raubüberfälle - und hinterher waren die Betroffenen dann immer bereit gewesen zu tun, was man von ihnen verlangte. -53-
Ich nicht, dachte Greer erbittert. Mich kriegen sie nicht klein! In hundert Jahren nicht ... Die Wut ließ ihn die Angst vergessen, die sich in seine Eingeweide krallte. Er hörte, wie einer der Kerle an ihn heranglitt. Die Gangster würden bestimmt nicht schießen. Das konnten sie sich gar nicht leisten, denn dann bekamen sie seine Unterschrift unter dem Kaufvertrag nie. Jayson Greers Sohn war achtzehn Jahre alt und lebte in einem Internat. Er würde erben, aber das Testament enthielt die ausdrückliche Klausel, daß er die Firma nicht vor seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr verkaufen durfte, wenn er nicht durch einen drohenden Bankrott dazu gezwungen wurde. Der grauhaarige Hüne preßte die Zähne zusammen. Seine Muskeln spannten sich. Wenigstens einen der Kerle wollte er zwischen die Fäuste bekommen, damit er schon etwas zurückgezahlt hatte, wenn sie ihn durch die Mangel drehten. Er lauschte, konzentrierte sich darauf, blitzartig herumzuwirbeln aber er kam nicht mehr dazu. Völlig unvermutet schlug der Maskierte hinter ihm zu. Greer spürte noch den Luftzug, dann schleuderte ihn ein brutaler Hieb nach vorn und ließ ihn kraftlos an der Wand hinunterrutschen.. * Franco Solo hatte das Gefühl, sich nicht ein paar Meilen vor Dallas zu befinden, sondern mitten in der Wüste des Lleano Estacado. Seine Lippen waren trocken und aufgesprungen. Die Zunge klebte ihm am Gaumen, der Durst ließ seine Kehle wie Feuer brennen. Mechanisch wie ein Roboter trottete er an der endlosen, leeren Straße entlang, auf der sich seit drei Stunden kein einziges verdammtes Auto zeigte. Am Anfang hatte Franco laut und ziemlich lästerlich geflucht, jetzt fehlte ihm die Kraft -54-
dazu. Dabei wußte er natürlich genau, daß seine Lage zwar unangenehm war, aber keineswegs bedrohlich. Er hätte auch wesentlich härtere körperliche Anstrengungen durchgestanden. Notfalls sogar einen Marsch durch die echte Wüste, die auch mit der heißesten, staubigsten Prärie nicht zu vergleichen war. Die wirkliche Wüste dörrte den Körper aus, bis er keinen Tropfen Schweiß mehr hervorbrachte. Und wirklicher Durst äußerte sich nicht in dem Verlangen nach einem Schluck Wasser, sondern in Schmerzen, Fieber und Halluzinationen ... Franco grinste mühsam, als er die nächste Bodenwelle hinter sich brachte und in einiger Entfernung das breite graue Band des Highways erkannte. Die Peitschenleuchten brannten bereits. Über einem der Hügel lag der Widerschein der grellgrünen Neonreklame, die zu dem Rasthaus gehören mußte, das Franco im Vorbeifahren gesehen hatte. Noch eine Viertelstunde Fußmarsch, schätzte er. Aber jetzt wurden die Entfernungen nicht mehr von der heißen, flimmernden Luft verzerrt, und er erreichte das Rasthaus wesentlich schneller, als er geglaubt hatte. Nur ein paar Trucks standen auf dem Parkplatz. Franco sah das Spiegelbild seiner verdreckten, abgerissenen Erscheinung in einer Scheibe und zog es vor, zunächst einmal die Waschräume aufzusuchen. Mit Genuß schöpfte er lauwarmes Wasser in der hohlen Hand, gurgelte, trank ein paar Schlucke, gurgelte wieder und hielt schließlich den Kopf unter den Hahn, nachdem er den Hut abgesetzt hatte. Der Staub ließ sich ohne große Mühe aus den Kleidern klopfen. Mit den Rissen, die er dem Dornengestrüpp verdankte, war es etwas anderes. Franco warf einen Blick in den Spiegel, stellte fest, daß sein Aussehen jedenfalls niemanden mehr veranlassen würde, umgehend die Streife zu alarmieren, und stülpte den verbeulten Stetson wieder auf den Kopf. Im Foyer der Raststätte gab es eine Reihe von Telefonzellen. Anonym rief der Mafiajäger die Polizei an und gab den Beamten einen Hinweis auf den Mord an dem Spielhallen-55-
Besitzer Giovanni Pacco. Danach wählte er die Geheimnummer von COUNTER MOB und wurde direkt mit seinem Vorgesetzten verbunden. Colonel Warner wünschte einen Bericht, was eigentlich gar nicht in Francos Absicht gelegen hatte. Ziemlich lustlos faßte er zusammen, was sich bis jetzt ereignet hatte, bevor er zu seinem eigentlichen Anliegen kam. Er brauchte Informationen über den Ermittlungsstand der Polizei. Vor allem über die Untersuchungsergebnisse der Brand- und Sprengstoff-Experten. Informationen, die er nicht selbst beschaffen konnte - also würde COUNTER MOB schön unauffällig an ein paar Fäden ziehen. Außerdem mußte sich jemand um das ausgeglühte Wrack in der Wüste kümmern und der Mietwagenfirma eine zufriedenstellende Erklärung liefern. Colonel Warner schnaufte: Er hatte es nicht so gern, wenn demolierte Wagen den Etat belasteten. Franco knurrte unwillig: schließlich hatte er auch nicht gerade eine übertriebene Vorliebe für Situationen, bei denen Autos in Blechhaufen verwandelt wurden, vor allem nicht, wenn er drinsaß. Allerdings verzichtete er darauf, das dem Colonel auseinanderzusetzen, legte mit einem schiefen Lächeln den Hörer auf und verließ die Telefonzelle. In der Raststätte folgten ihm mißtrauische Blicke. Er kümmerte sich nicht darum, ging erst zu dem Automaten, der eisgekühlten Orangensaft lieferte, und dann an die lange Theke der Cafeteria. Seit dem Morgen hatte er nichts mehr gegessen, inzwischen war es dunkel draußen. Er häufte kaltes Huhn, Schinken, Weißbrot und frischen Salat auf sein Tablett, stellte ein großes Bier dazu und balancierte das ganze zu einem der Tische, nachdem er an der Kasse gezahlt hatte. Ein doppelter Mokka beschloß die Mahlzeit und hob die leicht ermüdende Wirkung des Biers wieder auf.
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Als Franco eine halbe Stunde später die Raststätte verließ, fühlte er sich wesentlich besser. Der Tankstelle war ein Autoverleih angeschlossen. Der Counter-Mob-Agent entschied sich für einen dunklen Pontiac, plünderte seine Brieftasche, um die Kaution hinterlegen zu können, und lenkte den Wagen Minuten später bereits über den Highway. Inzwischen war es völlig dunkel geworden. Die Verkehrsdichte nahm zu, Scheinwerfer ließen das graue Asphaltband glänzen. In einiger Entfernung wirkten die Highway-Beleuchtungen wie Perlen an sich kreuzenden Schnüren. Francos Gedanken arbeiteten. Im Grunde, sah er ein, hatte er überhaupt nichts erreicht. Giovanni Paccos Mörder waren nur Schemen für ihn gewesen, nicht einmal das Kennzeichen des Cadillacs hatte er ablesen können, da die Gangster die Nummernschilder mit Dreck verschmiert hatten. Die Kennzeichen des Hubschraubers waren ebenfalls überklebt gewesen. Wenn überhaupt, dann konnte Franco höchstens einen einzigen Punkt als Erfolg verbuchen: Daß es ihm gelungen war, seine Gegner unsicher zu machen und wenigstens vorübergehend aus ihrer Reserve zu locken. Franco benutzte eine Umgehungsstraße, um zu dem kleinen Stausee auf der anderen Seite von Dallas zu gelangen. Der Campingplatz lag im Licht der Highwaybeleuchtung, außerdem hatte die Brandwache ein paar Scheinwerfer aufgestellt. Die meisten Wohnwagenfenster waren hell, aber die Menschen schienen sich förmlich verkrochen zu haben. Der Schock vermutlich. Oder Angst vor einem neuen Anschlag obwohl sich eigentlich jeder sagen mußte, daß das Attentat dem Tankwagen und nicht dem Campingplatz gegolten hatte. Morgen, wenn die Polizei mit ihren Vernehmungen fertig war, würde vermutlich ein fluchtartiger Massenaufbruch einsetzen. Mit Recht, wie Franco fand. Er wagte sich gar nicht erst vorzustellen, was passieren konnte, wenn es der Mafia einfallen sollte, Jayson Greers Treibstofflager zum Ziel eines weiteren Anschlags zu machen. -57-
Der elektrische Zaun und die Alarmanlage waren als Sicherheit nicht gerade überwältigend. Nicht, wenn jemand ernsthaft vorhatte, das System zu unterlaufen, und Spezialisten darauf ansetzte. War damit zu rechnen? Wahrscheinlich nicht, gab sich Franco selbst die Antwort. Jedenfalls nicht so schnell. Nach allen seinen Erfahrungen mit der „ehrenwerten Gesellschaft" würde sich deren nächste Aktion gegen Jayson Greer persönlich richten. Aber zunächst kam mit Sicherheit ein neues Kaufangebot. Franco ahnte nicht, daß Jayson Greer dieses Angebot bereits erhalten und nachdrücklich zurückgewiesen hatte. Ein Erpressungsversuch am Ort der Katastrophe, unter den Augen der Polizei - dieses Vorgehen war so zynisch und unverfroren, daß es sich selbst der junge Counter-Mob-Agent, der die Mafia gut genug kannte, nicht vorstellen konnte. Er nahm an, daß sich die Gangster irgendwann im Laufe des nächsten oder übernächsten Tages melden würden - und er rechnete mit keiner Gefahr, als er den Pontiac auf dem kiesbestreuten Platz vor Jayson Greers Bungalow ausrollen ließ. Die Außenbeleuchtung brannte nicht. Nur durch die Ritzen der heruntergelassenen Rolläden sickerte Lampenlicht. Im Schatten der Blautannen am Rand des Vorplatzes stand Greers Wagen. Er war zu Hause, wartete vermutlich schon eine geraume Weile. Franco stieg aus, ging eilig auf die Tür zu und klingelte. Stille. Franco wartete auf das Sesselrücken, auf Jayson Greers laute, federnde Schritte, die typisch für einen schweren, aber nicht plumpen Mann waren. Nichts geschah. Vielleicht war Greer eingeschlafen nach dem langen, harten Tag, der hinter ihm lag. Vielleicht brauchte er auch frische Luft und ging ein Stück spazieren. Franco fiel ein halbes Dutzend naheliegender Erklärungen ein. Nur nicht die, daß da jemand auf Zehenspitzen -58-
durch die Diele schlich - und er war ganz einfach selbst zu erschöpft, um die drohende Gefahr zu spüren. Dieses eine Mal versagte der sichere Instinkt, der ihn sonst selten im Stich ließ. Als die Tür vor ihm aufschwang, wurde er völlig überrascht. Sein Blick erfaßte die drahtige Gestalt, die Strumpfmaske, das Schimmern von Metall. Seine Hand zuckte zur Schulterhalfter, in einem eingeschliffenen Reflex der Abwehr wollte er zurückweichen und sich zur Seite werfen - doch da preßte sich bereits der Schalldämpfer-Aufsatz der Pistole in seine Magengrube. „Herzlich willkommen", sagte eine ironische, durch die Maske gedämpfte Stimme. „Nimm die Hände hoch und komm herein, Sportsfreund. Und zwar ein bißchen plötzlich, sonst hast du gleich ein Loch an einer Stelle, wo du ganz bestimmt nicht gern eins haben möchtest ..." * Franco brauchte nur zwei Sekunden, um einzusehen, daß er keine Wahl hatte. Er ließ die Hand sinken, spreizte die Arme ab, stieß langsam die angehaltene Luft aus. Vor ihm trat der Maskierte einen Schritt zurück, und Franco setzte sich in Bewegung, da an der auffordernden Bewegung mit der Pistole nichts mißzuverstehen war. Wie Schemen tauchten zwei weitere Gangster aus dem Halbdunkel der Diele. Ebenfalls maskiert - was immerhin den Schluß zuließ, daß sie nicht gekommen waren, um zu töten. Aber auch nicht, um Jayson Greer ein neues Angebot zu machen! Franco brauchte nur wenige Sekunden, um die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das Ganze ergab nur dann einen Sinn, wenn sich der verbrecherische Makler oder einer seiner
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Komplizen im Laufe des Tages an Greer gewandt und erneut auf Granit gebissen hatte. Und dann war ein Rollkommando losgeschickt worden, um dem widerspenstigen Firmenbesitzer endgültig das Rückgrat zu brechen. Franco spürte einen bitteren Geschmack in der Kehle. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloß. Der Maskierte glitt um ihn herum und preßte ihm die Pistolenmündung in den Rücken. Der Mafiajäger spürte den Atem des Burschen im Nacken. Einer seiner Komplizen trat seitlich an das Opfer heran, fischte die Beretta aus der Schulterhalfter, leerte systematisch alle Taschen. Etwas Verdächtiges konnte er nicht finden. Francos Papiere waren so gut wie echt, lauteten auf den Namen John Hiller aus San Diego - und dort würde jemand, der sich die Mühe machte nachzuforschen, sogar wirklich auf die Existenz eines Geschäftsmannes namens John Hiller stoßen. Auf die naheliegende Frage, warum dieser John Hiller eine Pistole mit sich herumschleppte, kamen die Gangster im Augenblick nicht. Franco wurden die Arme auf den Rücken gezogen, dünne Nylonstricke schlangen sich um seine Gelenke. Der Druck der Pistolenmündung wich von seinem Rückgrat. Dafür packte jemand seine Ellenbogen und stieß ihn vorwärts. Im Wohnzimmer brannte die Deckenleuchte. Jayson Greer lag reglos auf dem Teppich. Franco biß sich auf die Lippen. Die „ehrenwerte Gesellschaft" kam zur Sache, ließ selbst die wenigen Rücksichten fallen, die sie sonst aus Gründen kühler Berechnung zu nehmen pflegte. Wenn Jayson Greer jetzt verkaufte, konnte sich jeder kleine Patrolman an den Fingern einer Hand ausrechnen, was geschehen war. Diese dreckigen Verbrecher mußten sich vollkommen sicher fühlen, wenn sie sich nicht einmal die Mühe machten, keine sichtbaren Spuren zu hinterlassen. -60-
Schweigend schoben die Kerle Franco durch den Raum und stießen ihn in einen Sessel. Die Pistole mit dem SchalldämpferAufsatz zielte jetzt auf seinen Bauchnabel. Drei zusammengekniffene mißtrauisch funkelnde Augenpaare starrten ihn durch die Seeschlitze der Maske an. „Wer bist du?" fragte der Wortführer. „Mach' den Mund auf, wenn du nicht willst, daß wir nachhelfen." Franco schluckte. Er war wütend, und es fiel ihm schwer, erschrocken auszusehen. Ganz offensichtlich hatten ihn seine Gegner noch nicht als denjenigen identifiziert, der in der Spielhalle des toten Giovanni Pacco aufgetaucht war, und deshalb war es am besten, vorerst den Ahnungslosen zu spielen. „Ich ... ich hatte einen Unfall", stammelte Franco, da ihm gerade noch rechtzeitig eingefallen war, daß er im Moment nicht ganz wie ein Geschäftsmann aus San Diego aussah. Sekundenlange Verblüffung. „Unfall?" echote der Wortführer der Maskierten. „Na und?" „Ich ... ich meine nur! Wegen des zerrissenen Anzugs! Darf ich erfahren, wer Sie ... eh, ich meine, was Sie ..." „Schnauze!" knurrte der Maskierte, der Francos Rolle offenbar glatt schluckte. „Du machst nur den Mund auf, wenn du gefragt wirst! Wer du bist, will ich wissen." „John Hiller ..." „Lesen kann ich selbst. Was hast du hier zu suchen?" „Nichts! Gar nichts! Ich meine - ich wollte mit Mr. Greer reden. Geschäftlich! Ich bin ein Neffe von James Norton, dem James Norton von ‚Norton Oil'. Sie kennen doch ,Norton-Oil'?" Der Gangster konnte „Norton-Oil" nicht kennen, da eine Firma dieses Namens überhaupt nicht existierte, aber die Lüge wirkte überzeugend. Durch die Seeschlitze der Maske starrte der Bursche den schlanken, schwarzhaarigen jungen Mann an. -61-
Wenn er wollte, konnte Franco sehr harmlos wirken: Ganz wie der nette, etwas schüchterne Junge von nebenan, dem niemand irgend etwas Außergewöhnliches zutraute. Der Maskierte schluckte die Geschichte. Das einzige, was ihm offenbar noch unklar blieb, waren die Beziehungen, die zwischen der vermeintlichen „Norton Oil" und der Firma Greer bestanden. Unschlüssig kratzte er sich am Kinn, fluchte gepreßt, weil die Maske etwas verrutschte - und dann entschloß er sich, die Probleme nach bewährter Methode in einem Aufwasch zu erledigen. „Du wirst verschwinden, Sonny", erklärte er. „Morgen! Ab nach San Diego, verstanden?" „Aber ..." „Du bist hier überflüssig. Wenn jemand Geschäfte mit dem guten Mr. Greer macht, sind wir das. Oder willst du, daß dein komischer Öl-Onkel einen Haufen Dollars für deine Beerdigung hinausschmeißen muß?" „N-nein", stotterte Franco scheinbar erschrocken. „Na also! Morgen zischst du ab nach San Diego, klar?" „Ja ... Bestimmt! Ich werde verschwinden! Ich will in nichts hineingezogen werden ..." „Ein sehr vernünftiger Standpunkt." Die Stimme des Maskierten triefte vor Hohn. „Und damit du auch begreifst, wie vernünftig dieser Standpunkt ist, kriegst du jetzt eine kleine Kostprobe von dem, was dir blüht, wenn du Schwierigkeiten machst." Er trat grinsend zurück und nickte seinen Komplizen zu. „Los, nehmt euch den Sonnyboy vor. Aber verbeult ihn nicht zu sehr. In San Diego braucht man nicht unbedingt zu wissen, wie ungesund die Luft in Dallas ist." Franco hatte es kommen sehen. Er fluchte innerlich. Nach außen hin bemühte er sich, Entsetzen in seinen Blick zu legen. Denn da er ohnehin keine Chance hatte, sich zu wehren, konnte er genausogut die Rolle des ängstlichen John Hiller aus San Diego weiterspielen. *
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Der Farbfernseher lief mit abgestelltem Ton. Eine Horde buntbemalter Hollywood-Indianer preschte über die Mattscheibe und verfolgte den einsamen Helden. Die dazugehörige Geräuschkulisse hätte zweifellos aus Kriegsgeschrei und krachenden Schüssen bestanden. Carlo Reggazzo interessierte sich nicht dafür. Er ließ den Apparat nur laufen, weil er die Wirkung des Werbespots seiner neugegründeten Firma überprüfen wollte. Ein paar Sekunden später war es so weit. Reggazzo drehte den Ton auf. „Top-Tex", säuselte eine Mädchenstimme, bei der der Firmenname mehr nach einem Liebestrank denn nach einer Ölgesellschaft klang. „Mit Top-Tex fahren Sie gut! Top-Tex bringt Kraft in den Tank und hilft Energie sparen. Top-Tex - der Treibstoff der Zukunft!" Ein sündiges Lächeln der Lady, eine knallrote Tanksäule in Großaufnahme, ein sprudelnder Benzinschlauch, mit Musik unterlegt, als handele es sich um Fortuns Füllhorn. Carlo Reggazzo schaltete den Fernseher aus und warf einen fragenden Blick in die Runde. „Sehr gut", behauptete der Makler Angelo Testi, der in einem der Sessel saß und ein Long-Drink-Glas zwischen den Fingern drehte. „Das mit dem Energiesparen leuchtet mir immer noch nicht ein", sagte Helenio Capello. „Und so ohne Erklärung glaube ich auch nicht, daß es überhaupt jemandem einleuchtet." „Laß nur!" Reggazzo lächelte. „Die cleveren Boys von der Werbung wissen schon, wie man so etwas anfängt. Wir haben genug mit anderen Problemen zu tun. Angelo - ich denke, dein spezieller Freund Greer ist jetzt soweit." Das Gesicht des Maklers verfinsterte sich. Hier, wo sie unter sich waren, wirkte er zwar immer noch elegant und kultiviert, aber weit weniger sanft als gewöhnlich. Carlo Reggazzo und -63-
Helenio Capello kannten ihn, denen brauchte er nichts vorzumachen. „Ich weiß nicht", murmelte er. „Dieser Kerl ist stur wie ein Bisonbulle. Heute nachmittag hätte er mich fast erwürgt. „Heute abend wird er schon anders darüber denken". „Sind Sie da sicher? Ich bezweifle es, ehrlich gestanden. Nach allem, was passiert ist, bin ich sogar sicher, daß sich der Kerl von einer Tracht Prügel ganz bestimmt nicht beeindrucken läßt." Carlo Reggazzo nahm einen Schluck aus seinem Glas. Er lächelte breit, in den dunklen, tiefliegenden Augen funkelte es triumphierend. „Da mögen Sie recht haben, Testi", gab er zu. „Einen Mann wie diesen Greer bekommt man in der Tat nicht weich, indem man ihn durch die Mangel dreht. Aber das ist in diesem Fall ohnehin nur ein kleiner Nebeneffekt. Ich habe gewisse Erkundigungen über den Mann einziehen lassen. Und dabei habe ich den Punkt gefunden, an dem wir die Daumenschrauben ansetzen können. Greer wird nachgeben, verlassen Sie sich darauf." Der Makler hob die Brauen. „Und was ist das für ein Punkt, von dem Sie sich so viel versprechen?" „Es ist besser, wenn Sie nichts davon wissen, Angelo. Dann können Sie auch nicht ungewollt verraten, daß Sie eingeweiht sind. Eins steht nämlich jetzt schon fest: daß Greer vor Wut fast den Verstand verlieren wird." Angelo Testi rutschte unbehaglich auf seinem Sessel nach vorn. „Soll ich ihn noch heute abend besuchen?" fragte er. „Nein, nicht heute abend. Morgen, Angelo! Wir wollen unserem Freund erst einmal Gelegenheit geben, sich wieder zu fassen." Testi atmete erleichtert auf. „Und Sie glauben wirklich, es wird keine Schwierigkeiten mehr geben?" -64-
Reggazzo hob die breiten Schultern. „Wer kann das so genau wissen?" meinte er lächelnd. „Auf jeden Fall werden wir uns auch auf weitere Aktionen vorbereiten müssen. Helenio, das ist deine Aufgabe. Wie steht es übrigens mit der Tankstellen-Sache?" „Recht gut. Die meisten Besitzer machen keine Schwierigkeiten. Einige wenige weigern sich noch, aber es wird nicht besonders schwierig sein, sie zur Räson zu bringen." „Ausgezeichnet! Trinken wir auf den Erfolg! Cheerio ..." Sie hoben die Gläser. Drei Männer, die auf den ersten Blick wie ganz normale Geschäftsleute wirkten. Männer mit weißen Kragen und rabenschwarzen Westen ... Niemand, der sie in diesen Minuten beobachtet hätte, wäre so leicht auf die Idee gekommen, daß sie ihre schmutzigen Geschäfte mit Mord und gnadenlosem Terror machten. * Franco Solo wußte aus Erfahrung, daß das Erwachen aus einer Ohnmacht jedesmal anders war. Diesmal hielt er sich eine Weile in einem recht angenehmen Schwebezustand, bis die erste klare Erinnerung wie ein Messer den Nebel zerriß. Jayson Greer! Die Kerle hatten erst ihn durch die Mangel gedreht und dann auch noch einen Mann, den sie für einen zufälligen, völlig harmlosen Besucher halten mußten. Franco biß die Zähne zusammen und kämpfte gegen die kalte Wut. Er hing immer noch gefesselt in dem Sessel. Sein Magen und seine Rippen schmerzten, aber soweit er es beurteilen konnte, hatte er sich nichts gebrochen. Ob Jayson Greer genauso glimpflich davongekommen war, mußte sich erst noch zeigen.
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Franco blickte zu ihm hinüber. Der grauhaarige Hüne war immer noch bewußtlos: Ein schlechtes Zeichen, obwohl es auch sein konnte, daß die Ohnmacht einfach in einen tiefen Schlaf übergegangen war. Franco atmete ein paarmal tief durch, lauschte sekundenlang, aber er hatte nicht wirklich erwartet, noch etwas zu hören. Die drei maskierten Gangster waren verschwunden. Sie hatten ihre Aufgabe erledigt, jetzt würde die Gegenseite ihren nächsten Zug machen. Ob sie ihr Opfer tatsächlich so schlecht kannten, daß sie glaubten, einen Mann wie Jayson Greer auf diese Weise kleinkriegen zu können? Franco wußte es nicht, und er hatte auch keine Zeit, lange darüber nachzugrübeln. Er spannte die Muskeln und zerrte probeweise an seinen Fesseln. Hoffnungslos, begriff er. Die Stricke saßen fest und bestanden aus unzerreißbarem Nylon. Francos Blick glitt aufmerksam in die Runde und blieb an dem großen, lederbespannten Tischfeuerzeug hängen. Als er sich nach vorn aus dem Sessel fallen ließ, begann Jayson Greer zu stöhnen. Franco wandte den Kopf. Der grauhaarige Hüne regte sich, ächzte wieder, veränderte keuchend seine Lage. Wahrscheinlich würde er eine Weile brauchen, um die Bewußtlosigkeit abzuschütteln. Franco spannte sich, rollte mühsam über den Teppich und blieb ein paar Sekunden reglos liegen, als er den niedrigen Tisch erreicht hatte. Greers Stöhnen war verstummt. Als der Counter-Mob-Agent diesmal zu ihm hinübersah, hatte der grauhaarige Hüne die Augen geöffnet und blinzelte. Sein Atem ging zu kräftig, als daß er unter der Wirkung eines traumatischen Schocks hätte stehen können. Und innere Verletzungen hatte er offenbar auch nicht davongetragen, sonst -66-
wäre es ihm nicht so einfach möglich gewesen, sich herumzuwälzen. „Mr. Greer?" fragte Franco eindringlich. „Oh verdammt! Mein Kopf ... Sind Sie das, Solo?" „Können Sie mich nicht sehen?" Francos Stimme klang besorgt. Greer wäre nicht der erste gewesen, der nach einer solchen brutalen Behandlung eine Schädigung des Sehnervs davongetragen hätte. „Doch, doch", murmelte er. „Ich kapiere nur nicht ... Diese Dreckskerle haben mich zusammengeschlagen. Aber wo kommen Sie her? Sie waren doch gar nicht hier!" „Jetzt schon", sagte Franco trocken. „Sind Sie in Ordnung?" „So einigermaßen, glaube ich. Und Sie?" „Bei mir haben sich die Burschen nicht so viel Mühe gegeben. Sie halten mich für einen Ihrer Geschäftsfreunde, für John Hiller aus San Diego." „Hiller? Gibt's den?" „Nicht wirklich. Ich erzähle Ihnen später Einzelheiten, damit Sie die Geschichte im Falle eines Falles bestätigen können." Greer nickte nur, ziemlich benommen. Franco zog die Knie an und stemmte eine Schulter gegen die niedrige Tischkante. Er spürte den verständnislosen Blick des anderen, doch im Augenblick konnte er sich nicht mit langen Erklärungen aufhalten. Vorsichtig versuchte er, sich aufzurichten. Zweimal verlor er das Gleichgewicht und stürzte wieder auf den Teppich. Beim drittenmal schaffte er es, hielt sich schwankend auf den Füßen und setzte sich einfach auf die Tischplatte. Als er sich ein Stück zurückschob, beförderte er ein Magazin und einen Aschenbecher auf den Teppich. Glas klirrte, das Holz ächzte leise. Franco hoffte, daß der Tisch nicht unter ihm zusammenbrechen würde. Mühsam erreichte er das Feuerzeug -67-
mit seinen gefesselten Händen und tastete nach dem Knopf, mit dem man es anzünden konnte. Fünf Sekunden später brannte die Flamme. Sie erlosch auch nicht, als der Knopf losgelassen wurde - um sie zu ersticken, mußte man den Deckel, der beim Anzünden aufsprang, wieder zurückdrücken. Außerdem hatte das Feuerzeug den Vorteil erfreulicher Standfestigkeit. Franco grinste matt, konzentrierte sich und näherte seine gefesselten Hände der Flamme. Im nächsten Moment knirschten seine Zähne aufeinander, und Schweiß brach ihm aus. Er hatte vorher gewußt, daß er den Stricken nicht zuleibe rücken konnte, ohne die Haut in Mitleidenschaft zu ziehen. Seine Gelenke brannten, für Sekunden war der Schmerz fast unerträglich, dann hörte er das Zischen, mit dem eine der Nylonschnüre durchschmorte. Aufatmend rutschte er ein Stück nach vorn. Die Fesselung lockerte sich, mit dem nächsten Atemzug hatte er die Arme frei. Er warf nur einen flüchtigen Blick auf seine malträtierten Gelenke, griff nach dem Feuerzeug und durchtrennte auch die Stricke an seinen Füßen. „Das haben Sie wohl schon öfter gemacht, was?" fragte Jayson Greer trocken. „Genau." Franco lächelte. „Ordinäre Hanfstricke sind wesentlich schwerer durchzubekommen, aber das scheinen die meisten Leute einfach nicht zu begreifen." Er glitt vom Tisch, reckte die steifen Glieder, dann war er mit wenigen Schritten bei Jayson Greer und ging neben ihm in die Hocke. Der grauhaarige Hüne ächzte unterdrückt, als die Stricke an seinen Händen und Füßen durchgeschnitten wurden. Er wollte sich aufrichten, doch er bewegte sich zu hastig und fiel sofort wieder zurück. Franco runzelte besorgt die Stirn. Vorsichtig tastete er die Rippen des anderen ab, untersuchte ihn so -68-
gründlich, wie er es vermochte, aber Jayson Greer schien keine ernsthaften Verletzungen davongetragen zu haben. Beim zweiten Versuch kam er mit Francos Hilfe auf die Beine. Reichlich unsicher wankte er zu einem der Sessel und ließ sich in die Polster fallen. Franco ging zur Bar und goß zwei Whisky ein. Sie konnten jetzt beide einen Schluck gebrauchen. Der grauhaarige Hüne leerte sein Glas in einem Zug bis zur Neige, und in das kantige, verwitterte Gesicht kehrte wieder etwas Farbe zurück. „Dreckskerle", knurrte Greer. „Wenn ich die erwische ..." „Haben Sie einen Erste-Hilfe-Kasten im Bad?" „Klar! Aber zuerst werden mal Ihre Gelenke verarztet. Ich hab' doch nur ein paar Schrammen, ich ..." „Ich bringe einen Spiegel mit. Dann können Sie sich die ,paar Schrammen' ja mal ansehen." Wie sich herausstellte, ließ sich Jayson Greer auch von seinem eigenen Spiegelbild nicht besonders beeindrucken. Der Mann war aus hartem Holz geschnitzt. Er grinste schon wieder, als sie sich gegenseitig verarzteten. Franco leerte sein Glas und fuhr sich mit allen fünf Fingern durch das dunkle Haar. „Was haben die Kerle gewollt?" fragte er knapp. Greer zuckte die Achseln. „Sie haben nichts gesagt. Wahrscheinlich sollte es ein Denkzettel sein. Oder eine letzte Warnung. Dieser Angelo Testi hat die Unverfrorenheit besessen, mich heute nachmittag auf dem Campingplatz anzusprechen, praktisch unter den Augen der Polizei. Ich glaube, ich hätte ihn erwürgt, wenn die Beamten nicht dazwischengegangen wären." Franco konnte es verstehen. Testis Handlungsweise offenbarte in der Tat einen kalten, gefühllosen Zynismus, der kaum zu überbieten war, bei dem man nur noch schauern konnte.
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„Und was haben Sie inzwischen gemacht?" wollte Jayson Greer wissen. Der Mafiajäger berichtete. Er hatte keinen Grund, irgend etwas zu verheimlichen - auch wenn die Ereignisse nicht gerade dazu angetan waren, die Stimmung zu heben. Greer wußte bisher noch nicht einmal, daß Franco kurz nach der Katastrophe jemanden entdeckt hatte, der den Unglücksort durch ein Fernglas beobachtete. Jetzt lebte der Mann nicht mehr. Seine Mörder waren entkommen, und beinahe hätte es auch noch Franco erwischt. Er erzählte knapp und sachlich. Lediglich das Telefongespräch mit COUNTER MOB ließ er aus, denn Jayson Greer kannte diese Organisation nicht. Er wußte nur, daß Franco für eine Behörde arbeitete, und mehr sollte und durfte er auch nicht wissen. „Verdammte Drecksbande!" kommentierte der grauhaarige Hüne das Gehörte. Sein Gesicht hatte sich verkantet, die Zähne preßten sich so hart aufeinander, als wolle er etwas zermalmen. Mechanisch tastete er nach der Zigarettenpackung und dabei knisterte etwas unter seiner Jacke. Greer zog die Brauen zusammen. Seine Hand fuhr in die Tasche und zerrte etwas hervor. Ein Prospekt, wie Franco erkannte: ein buntes Faltblatt mit Fotos eines schloßartigen alten Gebäudes, verschiedener Sportstätten und einer Waldlandschaft. Es war offensichtlich, daß Greer nichts vom Vorhandensein des Dings geahnt hatte. Die Gangster mußten es ihm - aus welchem Grund auch immer - während seiner Bewußtlosigkeit in die Tasche geschoben haben. Zwei, drei Herzschläge lang starrte er auf die bunten Bilder und dabei wurde er bleich bis in die Lippen. „Großer Gott!" flüsterte er. „Was ist das?" fragte Franco scharf. -70-
Greer sah ihn an. Unter dem grauen, struppigen Haar wirkte sein Gesicht plötzlich alt und eingefallen. Seine nächsten Worte klangen rauh und tonlos und waren kaum zu verstehen. „Woodlake-College", flüsterte er. „Das ist ein Prospekt des Internats, das mein Sohn besucht. Und ich Narr habe geglaubt, er sei dort sicher ..." * „Gute Fahrt, Sir!" Billy Larsen tippte an den Rand seiner Mütze und blickte dem Wagen nach, der über die Ausfahrt auf den Highway rollte. Neonlicht ließ die Zapfsäulen der Tankstelle glänzen. Larsen wischte sich die Hände an dem ölverschmierten Overall ab und überlegte, ob es sich lohnte, den Laden noch für ein paar Stunden geöffnet zu halten. Die Trucks, die zu seiner Stammkundschaft gehörten, waren alle schon durch. Aber vielleicht kamen noch ein paar Leute von dem Campingplatz: Sicher brachen die meisten auf, sobald die Polizei sie wegließ, und dann würden sie Sprit brauchen. Billy Larsen seinerseits brauchte jeden Dollar. Er mußte Hypotheken abbezahlen, er wollte anbauen, eine kleine Cafeteria, später vielleicht zwei, drei Bungalows als Grundstock für ein Motel ... Ein zufriedenes Lächeln flog über sein sommersprossiges Gesicht. Er sah schon vor sich, was er hier aufbauen wollte - ganz gleich, wieviel Arbeit es kostete. Er sah Linda Keith in der Cafeteria wirken, Linda, die dann natürlich Linda Larsen heißen würde! Er sah hübsche Häuschen zwischen blühenden Büschen, einen Springbrunnen, der jeden magisch anzog, der auf dem staubigen Highway vorbeikam ... Ein dumpfes Dröhnen riß ihn aus seinen Gedanken. Kein Wagen diesmal, sondern der infernalische Lärm frisierter Motorräder. Billy Larsen runzelte die Stirn. Er stand -71-
immer noch zwischen der Reihe der Zapfsäulen und dem Flachbau, in dem Waschanlage, Werkstatt, Büro und seine winzige Wohnung untergebracht waren. Auf dem Highway konnte er ein halbes Dutzend greller Scheinwerfer erkennen, die sich in Schlangenlinien hinter- und umeinander bewegten. Rocker auf ihren Feuerstühlen. Wahrscheinlich veranstalteten sie mal wieder eine Wettfahrt und erschreckten die übrigen Verkehrsteilnehmer, bis die Highway-Patrol die Horde zur Räson brachte. Billy Larsen lächelte, als er an die Zeit dachte, wo auch er auf einer Harley Davidson mit angebohrtem Auspuff durch die Gegend gerast war. Bei ihm hatte es sich gegeben, und bei den meisten, die da jetzt den wilden Mann spielten, würde es sich wohl auch geben. Billy wollte sich abwenden - doch dann verharrte er, weil die Motorradhorde das Tempo heruntersetzte. Merkwürdig, dachte Larsen. Die Typen hatten doch sonst ihre Stamm-Tankstellen, wo sie in Ruhe an ihren Maschinen herumbasteln konnten. Na, ihm sollte es recht sein. Er beobachtete, wie die schweren Maschinen vom Highway abschwenkten, über die Auffahrt rasten, in Höhe der Zapfsäulen zum Stehen kamen. Von den Gesichtern der jungen Burschen war unter den schweren Helmen mit den heruntergeklappten Visieren kaum etwas zu erkennen. Billy Larsen erwartete, daß der Höllenspektakel gleich verstummen würde. Er lächelte immer noch. Bis ihm klarwurde, daß die Rocker gar nicht daran dachten, die Motoren abzustellen. Sie schwangen sich aus den Sätteln, bockten die schweren Maschinen einfach so auf - und jetzt spürte Larsen auch die jähe, wilde Aggressivität, die von der Szene ausstrahlte. Der junge Mann biß die Zähne zusammen. Unwillkürlich wich er einen halben Schritt zurück. Er sah die grinsenden, zur Undeutlichkeit verschwimmenden Gesichter -72-
unter den Helmen. Er sah das Lauern in der Haltung der Burschen, die unausgesprochene Drohung in ihren Bewegungen, aber auch die Zielstrebigkeit, die sich nicht mit irgendwelchem Vorgeplänkel aufhielt - und von einer Sekunde zur anderen begriff er. „Wer schickt euch?" Er mußte brüllen, um den Höllenlärm der Maschinen zu übertönen. „Die ,Top-Tex', nicht wahr? Diese dreckigen, verdammten Gangster, die ...“ Die Rocker taten so, als ob sie nichts gehört hätten. Unaufhaltsam rückten sie auf ihr Opfer zu, schwarz und drohend in ihrer Lederkleidung. * Eine halbe Minute lang blieb es so still, daß man eine Stecknadel fallen gehört hätte. Franco starrte auf das bunte Faltblatt. Er begriff sofort. Ein Schulprospekt ... Das Internat in Kalifornien, das Jayson Greers achtzehnjähriger Sohn besuchte ... Die Gangster hatten ihrem Opfer den bunten Prospekt in die Tasche gestopft, hatten ihm zu verstehen gegeben, daß sie wußten, wo sich der Junge aufhielt und die Drohung, die in dieser Geste lag, war nicht mißzuverstehen. „Tim!" flüsterte der grauhaarige Hüne. „Um Himmels Willen! Ich glaubte ihn sicher! Es ist so weit weg! Ich glaubte ihn in Sicherheit ..." „Wir können ihn schützen", sagte Franco ruhig. Greer hob mit einem Ruck den Kopf. Seine Augen wirkten stumpf und glanzlos. Die breiten Schultern waren herabgesunken, als drücke ein Tonnengewicht sie nieder. Schon einmal hatte Franco ihn so gesehen - heute morgen, als er am Ort der Katastrophe stand, das Feuer sah und die Schreie der Opfer hörte ... „Schützen?" wiederholte er bitter. „Vor der Mafia? Vor diesen ... diesen Bestien in Menschengestalt?" „Sie wissen, daß es -73-
möglich ist, Mr. Greer." „So? Weiß ich das?" Der grauhaarige Hüne krümmte die Lippen, und seine Stimme klang rauh vor Bitterheit. „Ich weiß nur, daß diese Kerle fähig wären, die ganze Schule in die Luft zu sprengen, wenn sie anders nicht zum Ziel kämen. Ich will nicht mehr. Ich gebe auf, Solo, hören Sie? Ich kann nicht auch noch meinen Sohn mit hineinziehen. Ich könnte den Gedanken einfach nicht ertragen, daß er in Gefahr ist." „Greer! Wenn Sie jetzt aufgeben, ist alles umsonst gewesen! Dann sind Larry Millroy und all die anderen für nichts und wieder nichts gestorben, dann ..." „Ich weiß", murmelte der grauhaarige Hüne. „Aber es ändert nichts. Ich kann nicht mehr ... Ich - habe mich überschätzt. Es tut mir leid ..." Er brach ab, starrte stumpf vor sich hin. Franco preßte die Lippen zusammen. Er spürte, daß die Entscheidung endgültig war, daß nichts sein Gegenüber jetzt noch umstimmen konnte. Wut schoß in ihm hoch, ein kalter, würgender Zorn auf diese Verbrecher, die so verdammt genau wußten, wie sie ihre Opfer packen konnten, die nie aufgaben, vor nichts zurückschreckten. Aber auch er, Franco, würde nicht aufgeben. Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft. Es gab noch eine Möglichkeit. Einen Weg, um beides zu erreichen, was sie wollten: Jayson Greer die Sicherheit für sich und seinen Sohn, Franco die Chance, den Öl-Gangstern doch noch das Handwerk zu legen ... „Mr. Greer!" sagte er leise und eindringlich. Der grauhaarige Hüne hob nicht einmal den Kopf. „Es ist zwecklos. Sie können mich nicht umstimmen." „Das will ich auch nicht. Jedenfalls nicht so, wie Sie glauben. Ich habe eine Idee." Greer blickte auf. „Und wie sieht die aus?" fragte er tonlos. -74-
„Sie werden verkaufen, Mr. Greer. Und zwar nicht an Angelo Testi, sondern an mich. An ihren Geschäftsfreund John Hiller aus San Diego." „Aber ..." „Wenn Ihnen die Firma nicht mehr gehört, sind Sie doch aus allem heraus, nicht wahr?" „Ja ...", murmelte Greer zögernd. „Und genau das werden wir erreichen. Sie verkaufen, setzen sich ins nächste Flugzeug und verschwinden zusammen mit Ihrem Sohn an einen sicheren Ort, bis alles vorbei ist. Ich spiele den neuen Besitzer der Firma, locke Carlo Reggazzo aus seiner Reserve und sorge dafür, daß er für den Rest seines Lebens im Zuchthaus landet. Später können Sie Ihre Firma dann wieder übernehmen. Oder für einen anständigen Preis zu Ihren eigenen Bedingungen verkaufen, wenn Sie nicht in Dallas bleiben wollen." Jayson Greer schluckte. Seine Augen flackerten. „Reggazzo wird Gift und Galle spucken vor Wut", sagte er heiser. „Soll er! Sie werden nicht mehr hier sein." „Aber Sie, Franco!" Die jähe Erregung hatte Greers Hünengestalt wieder gestrafft. „Wissen Sie, was Sie da tun wollen? Sie werden Reggazzos ganze Wut auf sich ziehen! Er wird die Geduld verlieren und ein Exempel statuieren! Und Sie werden ganz allein gegen die verdammte Meute stehen!" „Das ist mein Beruf", sagte Franco trocken. „Sie wollten uns helfen, Mr. Greer. Ich verstehe, was Sie jetzt bewegt, und ich respektiere Ihre Entscheidung. Aber ich würde so oder so nicht aufgeben. Und der Vorschlag, den ich Ihnen gemacht habe, bietet immer noch die beste Chance." „Ich hätte das Gefühl, daß Sie Ihre Haut für mich zum Markt tragen", murmelte er. „Daß Sie etwas tun, was eigentlich ich ..."
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„Unsinn! Ich sagte schon, daß es mein Beruf ist. Ich bin dazu ausgebildet worden, mit solchen Situationen fertigzuwerden. Sind Sie einverstanden, Mr. Greer?" Der grauhaarige Hüne atmete tief durch. „Okay", sagte er leise. „Einverstanden. Ich hoffe nur, daß Sie mit heiler Haut davonkommen ..." * Billy Larsen hatte drei Whisky am hellen Vormittag getrunken. Er starrte sein Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken an. Dunkle Ringe lagen unter den Augen, das war alles. Die Kerle hatten sich gehütet, ihn ins Gesicht zu schlagen. Aber an seinem Körper schmerzte jeder Knochen und jeder Muskel, und er dachte dran, daß ihm der Doc geraten hatte, sich ein paar Tage ins Bett zu legen. Der Doc mußte ja auch keinen Haufen Hypotheken abbezahlen. Und nicht die Dollars für einen Aushilfs-Tankwart berappen, der doch nur schlampig arbeiten würde. Billy Larsen hinkte nach draußen, als er den Wagen vorfahren hörte, und hoffte inständig, daß es nicht schon wieder ein Bekannter war, der fragen würde, ob er einen Unfall gehabt habe. Es war ein Bekannter. Kein Freund, kein Stammkunde- aber ein Mann, den Billy Larsen kannte und bei dessen Anblick ihm die kalte Wut bis in die Haarspitzen stieg. Hank Rollec! Bevollmächtigter der Firma „Top-Tex", die nach außen hin nichts anderes tat, als völlig harmlos und legal ihr Benzin anzupreisen. Billy Larsen biß die Zähne zusammen. Am liebsten wäre er mit dem Schraubenschlüssel auf den Kerl losgegangen. Aber ihm war nur allzuklar, was dann passieren würde: Er, Billy, wanderte wegen gefährlicher Körperverletzung vor den Richter, -76-
und die Zukunft, für die er so zäh und verbissen kämpfte, war endgültig im Eimer. Aus schmalen Augen starrte er dem Mann entgegen, der seinen Wagen etwas abseits von den Zapfsäulen parkte und ausstieg. Rollec war groß und hager, ein slawischer Typ mit scharfen Wangenknochen, lackschwarzem Haar und dunklen, undurchdringlichen Augen. Er lächelte. Ein dünnes Lächeln, das die Kälte nicht verbergen konnte, die dahinter lauerte. „Hallo, Larsen!" rief er aufgeräumt. „Schöner Tag heute, was? Aber Sie sehen etwas angegriffen aus, mein Freund." „Ich bin nicht Ihr Freund", knurrte Billy Larsen tief in der Kehle. „Was wollen Sie?" Rollec schaltete das Lächeln ab. Seine Augen lauerten. „Geschäfte machen", sagte er gedehnt. „Meinem Job nachgehen. Benzin verkaufen." „Benzin von ,Top-Tex', ja?" „Ja", bestätigte der hagere Mann, ohne einen Versuch zu machen, das Lächeln wieder anzuknipsen. „Top-Tex!" Larsen spuckte den Namen förmlich aus, „Das Zeug kommt mich glatte fünf Prozent teurer als das, was ich jetzt verkaufe. Können Sie mir erklären, warum ich das tun sollte?" „Denken Sie nach", empfahl der hagere Vertreter. „Wenn Sie scharf überlegen, kommen Sie sicher von selbst darauf, warum Sie das tun sollten." Larsen erstickte fast an seiner Wut. Eine Wut, in die sich lähmende, elende Angst mischte. Er wußte, der Rocker-Überfall gestern abend war die letzte Warnung gewesen. Und er fragte sich, was die Kerle mit ihm machen würden, wenn er sich auch diesmal weigerte. Ihm den Laden über dem Kopf anzünden? -77-
Ihn umbringen? „Ich hab' einen Vertrag, Mann", sagte er heiser. „Die ,All Texas' wird mir einen Prozeß anhängen. Wenn ich Konventionalstrafe zahlen muß, bin ich pleite, dann ..." „Die ,All Texas' wird überhaupt nichts", fiel ihm Hank Rollec ins Wort. „Das heißt: doch, sie wird etwas tun! Sie wird Ihnen den Hahn zudrehen, Larsen. Dagegen können Sie dann klagen. Vielleicht haben Sie sogar Erfolg, wenn die Sache durch alle Instanzen gegangen ist. Mag sein, daß Sie Schadenersatz bekommen. So in zehn, zwölf Jahren. Und das auch nur, falls die ,All Texas' bis dahin noch existiert." Billy Larsen hatte mit angehaltenem Atem zugehört. So war das also! Diese Schweine setzten den Hebel nicht nur bei den privaten Tankstellen an, sondern auch bei den Lieferfirmen. Sie spielten den einen gegen den anderen aus, bedrohten alle - und am Ende würden sie auch alle in die Tasche stecken. Wenn er, Billy Larsen, kein „Top-Tex"-Benzin durch die Zapfsäulen gurgeln ließ, würden die Dreckskerle dafür sorgen, daß er überhaupt kein Benzin bekam. Keine Firma würde wegen eines mickrigen Abnehmers wie Larsen riskieren, daß ihr die Mafia die Tankwagen in die Luft jagte. Und wenn er noch so viele Prozesse anstrengte, wenn er vor Gericht hundertmal Recht bekam - an seinem Bankrott würde das auch nichts mehr ändern. „Na?" fragte Hank Rollec. „Sind Sie immer noch sicher, daß es nicht am besten für Sie ist, auf mein Angebot einzugehen?" Larsen grub die Zähne in die Unterlippe. „Ich werd's mir überlegen", murmelte er. „Ich ... ich rufe Sie an." „Okay, mein Freund. Aber überlegen Sie nicht zu lange." Hank Rollec schwang herum und schlenderte wieder auf seinen Wagen zu. -78-
Larsen starrte ihm nach, mit verkrampften Schultern und geballten Fäusten. Immer noch kämpften Wut und Angst in ihm gegeneinander. Und jetzt kam auch noch das Gefühl verzweifelter Hoffnungslosigkeit dazu. Er wußte plötzlich, daß er so oder so am Ende war. Ja, die Mafia würde hier alles in die Tasche stecken. Und selbst wenn sie ihn nicht zum Verkauf zwangen, was sie vermutlich gar nicht vorhatten, da er ein viel zu kleiner Fisch für sie war - er würde nur noch eine Marionette sein, die zu tanzen hatte, wenn die dreckigen Verbrecher an den Fäden zogen. Nicht mit mir, dachte Billy Larsen. Wenn er schon für jemand anderen schuftete, dann wenigstens nicht für die Mafia. Und wenn er schon aufgab, dann würde er wenigstens versuchen, zurückzuschlagen und sich zu rächen. Steifbeinig ging er in seine Glaskabine zurück, nahm den Telefonhörer ab und kurbelte die Nummer des FBI herunter. * Der Kaufvertrag wurde im Büro eines Rechtsanwalts unterzeichnet und notariell beglaubigt. Die beiden Partner bei diesem seltsamen Geschäft hatten sich in dunkle Anzüge geworfen, damit der Vorgang nach außen hin glaubhafter wirkte. Jayson Greers Buchhalter, von Anfang an nicht eingeweiht, aber als Staffage notwendig, geriet völlig aus dem Häuschen. Greer selbst wirkte blaß und besorgt: Man sah ihm an, daß ihm die Sache nicht schmeckte. Franco spielte den Sonnyboy aus San Diego, strahlte gute Laune aus und lud die ganze Gesellschaft zu einem Schluck Sekt in ein Lokal ein, von dem er wußte, daß der Geschäftsführer ein Strohmann der Mafia war. Die Transaktion würde sich zwar nicht sofort herumsprechen, aber später, wenn die Bombe platzte, war die Sache für Carlo Reggazzo nachprüfbar. Er würde sie schlucken. Und er würde -79-
vor Wut rotieren. Vielleicht würde seine erste Reaktion auch der Wunsch sein, sich an Greer zu rächen, aber in diesem Punkt wußte Franco, daß er sich auf die Regie von COUNTER MOB verlassen konnte. Noch gestern abend hatte er ein weiteres Gespräch mit Colonel Warner geführt. Jetzt fuhr er mit Greer und dem Buchhalter zum Firmengelände, um auch das hinter sich zu bringen, was zwar nicht zu den notwendigen Formalitäten, aber zum üblichen Ablauf gehörte. In der Bürobaracke auf dem großen, umzäunten Platz wurden Bierflaschen geköpft. Jayson Greer hielt eine kleine Ansprache, stellte den neuen Besitzer vor, machte Franco mit „seinen" Mitarbeitern bekannt. Die Leute waren verblüfft, aber sie reagierten mit Gelassenheit. Der Vorarbeiter, ein rothaariger irischer Riese mit Namen Reggy O'Carr, legte den Kopf schief, musterte den neuen „Boß" ziemlich eindringlich und zuckte schließlich die mächtigen Schultern. „Naja", sagte er unschlüssig. Und Franco, der plötzlich begriff, was der Mann dachte, produzierte ein leises Grinsen. „Ich möchte, daß etwas klar ist", sagte er ruhig. „Hier wird sich nichts ändern, die Firma läuft genauso weiter wie zuvor einmal abgesehen davon, daß ich mich vorläufig in dem Zimmer über dem Büro einquartieren werde, bis ich eine endgültige Bleibe gefunden habe. An unserer Arbeitsweise und den geschäftlichen Verbindungen ändert sich nichts. Ich habe eine Ölgesellschaft gekauft. Nicht etwa Anteile an einer gewissen Gesellschaft, die sich ,ehrenwert' zu nennen pflegt, wie Sie sicher alle wissen. Ich bin überzeugter Junggeselle, ich gehöre zu keiner ‚Familie', und ich habe auch in Zukunft nicht vor, mich einer anzuschließen. Ich hoffe, wir verstehen uns." Zwei Sekunden lang war es sehr still.
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Ein paar von den Leuten scharrten unruhig mit den Füßen, einige wechselten ungläubige Blicke. Der irische Vorarbeiter kniff die Augen zusammen, dann grinste er breit. „Klar Mann", sagte er trocken. Dabei streckte er die Hand aus, und als Franco die kräftige Pranke schüttelte, war er sicher, daß er sich auf diesen Reggy O'Carr hundertprozentig verlassen konnte. Auch die anderen hatten verstanden. Den Ausdruck „ehrenwerte Gesellschaft" kannte jeder. Und was die Mafia unter „Familie" verstand, war auch kein Geheimnis. Sie alle wußten, worum es ging, sie wußten auch, daß es Ärger geben würde - aber es war schwierig, in ihren Gesichtern zu lesen, was sie wirklich dachten. Ihre halblauten Gespräche klangen ziemlich erregt, als sie wieder an ihre Arbeit gingen. „Eine ganze Reihe der Leute wird den Kram hinwerfen", prophezeihte Jayson Greer düster. „Manche haben die ganze Zeit nur darauf gewartet, daß ich endlich nachgab und die Mafia den Laden schluckte, damit wieder Ruhe war. Und ob die verdammten Verbrecher mir nicht längst einen Spitzel untergejubelt haben ..." Er zuckte die Achseln. „Wir werden sehen." Franco lächelte. „Kommen Sie, wir müssen uns beeilen, wenn wir rechtzeitig auf dem Flugplatz sein wollen." Die Fahrt in Francos Pontiac verlief sehr schweigsam. Eine halbe Stunde später ließen sie den Wagen auf dem Parkplatz stehen und betraten die Abfertigungshalle des Flughafens. Dort trafen sie zwei unauffällige, korrekt gekleidete Männer, denen man auf den ersten Blick nicht ansah, aus welchem Holz sie geschnitzt waren. Aber Franco kannte sie, und als er sie mit Jayson Greer bekanntmachte, war er sicher, daß dem grauhaarigen Hünen nichts mehr geschehen konnte. -81-
Weder ihm, noch seinem Sohn, der vorsichtshalber ebenfalls für eine Weile Urlaub an einem unbekannten Ort machen würde. Greer atmete tief und fuhr sich mit der Hand über sein struppiges graues Haar. „Es tut mir leid", sagte er heiser. „Ich weiß, es ist nicht richtig, davonzulaufen, aber ..." Franco lächelte. „Niemand kann Ihnen einen Vorwurf machen", sagte er. „Außerdem ist die Sache im Grunde genommen ein ausgezeichneter Schachzug." Aber er wußte, daß er Greer nicht überzeugen konnte. Der grauhaarige Hüne hatte aufgegeben. Er würde sich schuldig fühlen, er würde nie mehr der Alte sein, und ganz gleich, wie die Sache ausging - auch Jayson Greer war ein Opfer der Mafia geworden. * Es war Mittag, als Franco sein Gepäck aus dem Hotel holte und sich in dem kleinen Wohnraum in Jayson Greers Bürobaracke einrichtete. Auf dem Gelände des Lagers lief der Betrieb wie immer. Das Brummen an- und abfahrender Tankwagen erfüllte die Luft, Anweisungen, Flüche, manchmal Gelächter flogen hin und her. Über allem hing der Geruch nach Öl und Benzin, den man nach einer Weile nicht mehr wahrnahm. Franco blickte durch die staubige Fensterscheibe. Der Gedanke, daß er für ein paar Tage allen Ernstes gezwungen war, eine Ölgesellschaft zu leiten, ließ ihn lächeln. Es würde durchaus glaubhaft wirken, wenn er sich zunächst einmal darauf beschränkte, Akten und Unterlagen zu sichten. Und seine Ausbildung bei COUNTER MOB hatte auch gewisse wirtschaftliche Grundkenntnisse umfaßt und würde ihn zumindest befähigen, den Betrieb notdürftig aufrecht zu erhalten -82-
und Entscheidungen zu treffen, falls sich unaufschiebbare Fragen ergaben. Franco wandte sich ab, stieg ins Büro hinunter und begann, sich ein paar Aktendeckel auf den Schreibtisch zu packen. Später erschien Greers Buchhalter, um ihn mit Eifer in die tieferen Geheimnisse der Firma einzuweihen. Der Mafiajäger beschränkte sich aufs Zuhören und nickte nur ein paarmal verständnisvoll. Erst als er draußen auf dem Platz plötzlich wütende Stimmen hörte, unterbrach er den langweiligen Vortrag. Drüben am Zaun, wo noch drei von den schweren Tankwagen auf ihren Einsatz warteten, drängten sich ein paar Männer in gelben Overalls. Franco konnte nichts genaues sehen, aber er hatte den Eindruck, daß sich ein kurzes, heftiges Handgemenge abspielte. Zwei Gestalten lösten sich aus dem Pulk und wischten in Richtung Tor. Sie trugen Jeans und T-Shirts, also konnten sie nicht zur Belegschaft gehören. Franco erkannte den rothaarigen irischen Vorarbeiter, der sich gerade umwandte. Sein Gesicht war grimmig verzogen. Als er den neuen „Boß" auf dem Verandavorbau entdeckte, runzelte er die Stirn, zögerte kurz und stapfte dann auf die Baracke zu. „Schwierigkeiten?" fragte der Mafiajäger ruhig. Reggy O'Carr schüttelte den Kopf. „Nee, Sir. 'n paar junge Burschen hatten sich in 'nem unbewachten Moment durch das Tor gedrückt. Wahrscheinlich wollten sie klauen. Aber wir haben sie sehr schnell wieder auf die Straße befördert." „Das sehe ich. Kennen Sie die Leute?" „Nee, Sir", wiederholte der rothaarige Riese. Damit war für ihn die Sache erledigt. Aber Franco hatte ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube, als er zu den beiden -83-
Kerlen hinüberspähte, die sich außerhalb des Geländes gerade in einen klapprigen alten VW schwangen und davonfuhren. Der Mafiajäger sagte sich, daß er wahrscheinlich Gespenster sah. Im Augenblick hätte wohl selbst eine Horde Kinder, die sich für das Treibstoff-Lager interessierte, sein Mißtrauen erregt. Achselzuckend wandte er sich ab und ging ins Büro zurück, hörte dem Vortrag des Buchhalters bis zum Ende zu und beschäftigte sich später wieder mit den Akten. Daß Jayson Greers Firma auf ziemlich gesunden Füßen stand, hatte er schon vorher gewußt. Für den Besitzer gab es nicht den geringsten Grund, das florierende Unternehmen zu verkaufen. Nicht, solange die Mafia nicht durch Terroranschläge und Sabotageakte dafür sorgte, daß das Geschäft allmählich in den Ruin trieb. Greer hatte in dieser Hinsicht inzwischen schon einiges einstecken müssen, und der Verdacht, daß auf seine Kunden Druck ausgeübt wurde, um sie zu einem Wechsel des Lieferanten zu zwingen, war vermutlich nur allzu berechtigt. Franco preßte die Lippen zusammen. Er kannte das alles. Die Methoden, mit denen die Mafia arbeitete, glichen sich überall. Das war auch der Grund dafür, daß COUNTER MOB seine Agenten nicht nur in allen Kampftechniken schulte, sondern auch dazu ausbildete, wirtschaftliche Zusammenhänge zu durchschauen, die Tricks zu erkennen, mit denen die „ehrenwerte Gesellschaft" ihre Geschäfte tarnte, um notfalls in der Lage zu sein, die Fähigkeiten eines Buchhalters oder Steuerprüfers zu entwickeln. Notfalls! Franco Solos Aufträge waren meist anders geartet, liefen nur zu oft nach dem Muster ab, daß er von COUNTER MOB in die Hölle geschickt wurde und dann sehen mußte, wie er wieder herauskam. Diesmal, würde es nicht anders sein. Die Stunden, -84-
die der Mafiajäger in Jayson Greers Büro herumsaß und in Akten blätterte, waren nur eine Atempause. Um vier Uhr nachmittags fuhr draußen auf der Straße ein Cadillac vor. Durch das Fenster des Büros konnte Franco das Tor sehen. Er kannte den schlanken, eleganten Mann, der dort stand und mit einem sanften Lächeln auf einen der Arbeiter einredete. Testi! Angelo Testi, der Makler! Er sah genauso so aus wie auf den Fotos, die der Mafiajäger gesehen hatte: ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, kultiviert, weltmännisch - und im Augenblick ein wenig arrogant in seiner Gestik, da er offenbar der Meinung war, daß man ihn entschieden zu lange in der Hitze stehen lasse. Der Mann im gelben Overall öffnete schließlich. Der vernichtende Blick, den Testi ihm zuwarf, war selbst aus der Entfernung zu sehen. Hoch erhobenen Hauptes marschierte der Makler auf die Baracke zu. Ein vornehmes schwarzes Diplomatenköfferchen unter dem Arm, das unvermeidliche Stöckchen in der Linken. Sein Hut war ein nostalgisches Modell, obwohl es nicht einmal entfernt an den landesüblichen Stetson erinnerte. Dem Mann fehlte nur noch ein weißer Seidenschal, dann hätte er ausgesehen, als sei er aus einem Revuefilm der Dreißigerjahre entsprungen. Die Treppen knarrten unter seinen Schuhen. Er klopfte kurz, dann öffnete er auf das knappe „Come in" die Tür und trat über die Schwelle. Flüchtig sah er sich in dem Büro um, heftete seinen Blick auf Franco Solo und hob leicht irritiert die Brauen. „Guten Tag", sagte er reserviert. „Guten Tag", erwiderte Franco freundlich. „Eh ... Ich möchte Mr. Greer sprechen." Franco lächelte. „Mr. Greer ist verreist. Leider kann ich Ihnen nicht sagen, wo Sie ihn finden und wann er zurückkommt." -85-
Angelo Testi schluckte. Ungläubig starrte er den Mann hinter dem Schreibtisch an. „Aber ... aber das gibt es doch nicht! Er kann doch nicht einfach ..." „Ich war ebenfalls überrascht." Franco kehrte die Handflächen nach oben. „Ich hätte gern noch einiges mit Mr. Greer besprochen, aber er hatte es merkwürdig eilig, Dallas zu verlassen, nachdem der Kaufvertrag unterzeichnet war." Testi begriff nicht. „Kaufvertrag?" echote er völlig verblüfft. „Kaufvertrag", nickte Franco. „Nachdem ich schon einige Zeit mit Mr. Greer verhandelt hatte, sind wir uns nun endlich einig geworden. Ich habe die Firma erworben, wie Sie vielleicht schon aus der Tatsache entnehmen, daß ich hier sitze. Wenn Sie Mr. Greer privat sprechen wollen, kann ich Ihnen also leider nicht helfen. Falls es sich aber um geschäftliche Dinge handelt dürfte ich dann vielleicht Ihren Namen und Ihr Anliegen erfahren?" Angelo Testi brauchte mehrere Sekunden, um diese lange Rede zu verdauen. Er wurde erst blaß, dann rot, dann wieder blaß. Für einen Moment erinnerte der Blick seiner sanften braunen Augen lebhaft an ein neugeborenes Kalb, das sich nicht im Stall zurechtfindet. „Wie bitte?" flüsterte er. „Wollen Sie ... wollen Sie damit etwa sagen, dieser ... dieser ganze Laden hier gehört jetzt Ihnen?" „Der Laden gehört mir", bestätigte Franco gelassen. „Mein Name ist übrigens John Hiller, Mister ...?" Er hängte ein deutliches Fragezeichen an den Satz. Der Makler schluckte und wischte sich ein paar feine Schweißperlen von der Stirn. „Testi", murmelte er erschüttert. „Angelo Testi." -86-
„Sehr erfreut, Mr. Testi. Setzen Sie sich doch bitte. Sie sehen etwas angegriffen aus." Die leise Ironie in den Worten war kaum zu überhören, aber im Augenblick hatte Angelo Testi kein Ohr dafür. Er ließ sich tatsächlich auf den Besucherstuhl sinken - einfach, weil er das Gefühl hatte, daß ihn die Tatsachen sonst im wahrsten Sinne des Wortes umwerfen würden. „Nun, Mr. Testi?" erkundigte sich Franco höflich. „Darf ich fragen, was ich für Sie tun kann?" Der Makler rang um Fassung. Und da sich bei ihm unter der Maske des Gentleman ein abgebrühter Gangster verbarg, gelang es ihm verhältnismäßig schnell, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sogar der sanfte, verbindliche Ausdruck kehrte in seine Augen zurück. Er atmete tief durch, schlug die Beine übereinander und legte sein albernes Stöckchen über das Knie. „Wie soll ich sagen ...", begann er. „Sagen Sie es einfach, wie es ist", empfahl Franco trocken. „Eine gute Einstellung. Also zur Sache, Sir. Ich fürchte, Sie haben ein ziemlich schlechtes Geschäft gemacht. Mr. Greer scheint Sie über - nun, über gewisse Schwierigkeiten im Unklaren gelassen zu haben." „Hat er das?" Franco ließ die flache Hand auf einen der Aktendeckel fallen. „Sie gestatten, daß ich es bezweifle, Mr. Testi. Soweit ich sehe, handelt es sich bei der ,Greer Oil' um ein gesundes Unternehmen." „Und die Unfälle? Die Sabotageakte? Hat Ihnen Greer darüber berichtet?" „Unfälle gibt es überall. Bedauerlich, aber leider Tatsache. Und was das Thema Sabotage angeht, halte ich das ganze für ein albernes Gerücht. Oder wissen Sie mehr darüber?" „Nein, nein", beeilte sich Testi zu versichern. „Das heißt, ich weiß selbstverständlich nicht, wer oder was dahintersteckt, aber ich weiß immerhin, daß es sich um mehr als bloße Gerüchte -87-
handelt. Irgend jemand hat es auf die Firma abgesehen. Vielleicht ein ehemaliger Angestellter, der sich rächen will, vielleicht ein übergeschnappter Umweltschützer ..." Er brach ab und zuckte die Achseln. „Ich habe schon Mr. Greer davon zu überzeugen versucht, daß es besser sei, die Firma zu verkaufen. „Er hat sie verkauft", stellte Franco fest. Der Makler biß sich auf die Lippen. Er war aus dem Konzept gebracht, suchte krampfhaft nach unverfänglichen Argumenten, was nach Lage der Dinge nicht ganz einfach war. Schließlich blitzte es in seinen sanften Augen verhalten auf, als er die richtige Idee hatte. „Ich fürchte, die Aktionen richteten sich weniger gegen die Person Mr. Greers als gegen die Firma als solche", behauptete er. „Ich bin sogar ziemlich sicher, daß man auch Ihnen keine Ruhe lassen würde ..." „Ach ja?" „Ja, Mr. Hiller. Es ist nun so, daß ich einen Kunden an der Hand habe, der die ,Greer Öl' völlig auflösen, verlagern und in seinen eigenen Betrieb eingliedern möchte. Die Firma würde nicht mehr existieren, verstehen sie? Also würde sie auch nicht mehr als Ziel für diese verbrecherischen Anschläge in Frage kommen." Franco hob die Brauen. Fast hätte er laut gelacht. „Und was für ein Kunde ist das?" wollte er wissen. „Das darf ich Ihnen leider nicht sagen, wie Sie verstehen werden. Mein Ruf als ehrlicher Makler ..." „Auf jeden Fall scheint es ein Menschenfreund zu sein", meinte Franco. „Er ist also entschlossen, meine Firma zu erwerben, um mich vor Schaden zu bewahren?" „So ähnlich, Mr. Hiller, so ähnlich. Auf jeden Fall bietet sich Ihnen hier die Chance, aus einer Sache glimpflich wieder herauszukommen, in die Sie sicher nur aus Unkenntnis -88-
hineingeschliddert sind. Ich würde Ihnen dringend empfehlen, die Möglichkeit zu ergreifen." Franco sah ihn an. Er konnte Jayson Greer jetzt noch besser verstehen als vorher: Die zynische Unverschämtheit dieses vorgeblichen Gentlemans reizte tatsächlich dazu, ihm an die Kehle zu fahren. „Und was passiert, wenn ich ablehne?" fragte der Mafiajäger gedehnt. „Wird man mich dann noch einmal zusammenschlagen, so wie gestern abend, als ich zufällig Mr. Greer zu Hause besuchte? Oder wird man mich umbringen? Vielleicht den ganzen Laden hier in die Luft jagen?" Angelo Testi seufzte tief. „Sie scheinen mir die Schuld an der Situation zu geben", sagte er vorwurfsvoll. „Dabei geht es mir nur darum, Ihnen mit einem guten Rat zur Seite zu stehen und Sie vor Schwierigkeiten zu bewahren. So etwas ist schließlich Menschenpflicht, Mr. Hiller. Nochmals: Ich rate Ihnen dringend, mein Kaufangebot zu akzeptieren. Sehr dringend! In Ihrem eigenen Interesse!" Franco lehnte sich zurück. Trotz aller schönen Reden: Die Drohung in den Worten war nicht zu überhören gewesen. Nicht einmal ein harmloser Sonnyboy aus San Diego konnte sie mißverstehen. Angelo Testi lächelte erwartungsvoll - doch sein Lächeln gefror, als er die harten Linien sah, die sich um die Lippen seines Gegenübers kerbten. „Nein", sagte der Mafiajäger ruhig. „Wie bitte?" „Die Antwort ist Nein." Francos Stimme klirrte jetzt, und nichts in seiner Haltung erinnerte mehr an den Sonnyboy aus San Diego. „Ich verkaufe nicht. Jetzt nicht und später nicht! Das ist mein letztes Wort. Ich möchte Sie bitten, zu gehen und sich nie wieder hier sehenzulassen, Mr. Testi. Meinen Leuten werde ich die entsprechenden Anweisungen erteilen. Sollten Sie -89-
trotzdem noch einmal auf diesem Grundstück aufkreuzen, lasse ich Sie wegen Hausfriedensbruchs verhaften, klar?" „Aber ... aber Mr. Hiller, ich ..." „Raus", sagte Franco. Und diesmal klang es so, daß Angelo Testi erbleichend aufsprang und hastig den Rückzug antrat. Der letzte Blick, den er über die Schulter warf, wirkte nicht mehr sanft, sondern war das reine Gift. Und Franco hatte das deutliche Gefühl, daß seine Gegner jetzt sehr schnell zur Sache kommen würden. * Angelo Testi war immer noch geschockt, als er eine knappe Stunde später Reggazzos Villa betrat. Der Mafiaboß war sicher gewesen, daß das Opfer nachgeben würde. So sicher, daß er sogar Testi überzeugt hatte, der Jayson Greer besser zu kennen glaubte. Und was hatte dieser Dreckskerl getan? Die Firma verkauft, ja! Aber nicht an die Mafia, sondern an einen hergelaufenen Typ aus San Diego. Wahrscheinlich zu einem Spottpreis und nur aus dem einen, einzigen Grund, weil er seinen Gegnern das Nachsehen geben wollte: Die Wut verhinderte vorerst, daß Testi weiter als bis zu diesem Punkt dachte. Ungeduldig wartete er, bis der Butler aus Reggazzos Arbeitszimmer zurückkam und den Besucher mit einer steifen Verbeugung zum Eintreten aufforderte. Der Mafiaboß saß hinter seinem riesigen Schreibtisch. Erwartungsvoll sah er Testi entgegen - und dann zogen sich seine Brauen zusammen, als er den Ausdruck auf dem Gesicht des Maklers bemerkte. „Was ist?" stieß Reggazzo hervor. „Will der Kerl etwa immer noch nicht verkaufen?" -90-
Testi atmete aus. Fast erstaunt stellte er fest, daß es ihm ein gewisses bösartiges Vergnügen bereitete, die Hiobsbotschaft zu überbringen. „Greer hat verkauft", sagte er. „Nur nicht an uns, sondern an den Kerl, den unsere Leute gestern abend gleich mit durch die Mangel gedreht haben." „Waaas?" machte Carlo Reggazzo verblüfft. Testi berichtete. Ein Bericht, bei dem das kräftige, wohlgenährte Gesicht des Mafiabosses immer länger wurde. Schließlich hob er die Faust und ließ sie krachend auf die Schreibtischplatte fallen. „Verdammt!" schrie er. „Das ist doch unmöglich! Das glaube ich einfach nicht! Angelo, du verdammter Idiot hast dich bluffen lassen!" „Ich konnte mir schlecht die Kaufverträge zeigen lassen", sagte Testi giftig. „Aber ich habe mich etwas umgehört. Erstens: Dieser John Hiller hält sich schon seit mehreren Tagen in Dallas auf. Zweitens: Er hat schon gestern abend etwas davon gefaselt, daß er geschäftliche Dinge mit Greer zu besprechen hat. Und drittens haben er, Greer und der Buchhalter heute morgen einen Notar aufgesucht und anschließend im ,Copacabana' Sekt getrunken." „Verdammt!" flüsterte Reggazzo mit bleichen Lippen. In der nächsten halben Stunde entfaltete er rege Aktivität. Das Telefon lief heiß. Die Geschichte mit dem Sekt, mit dem im „Copacabana" auf irgendeinen geschäftlichen Abschluß angestoßen worden war, ließ sich noch am leichtesten nachprüfen. Was sich im Büro des Notars abgespielt hatte, hätte eigentlich ein Geheimnis bleiben müssen. Aber ein Mann wie Carlo Reggazzo verfügte nun mal über ausgezeichnete Beziehungen. Einzelheiten erfuhr er zwar nicht, doch am Ende stand ziemlich fest, daß es sich bei dem Papier, das da notariell -91-
beglaubigt worden war, tatsächlich um einen Kaufvertrag gehandelt hatte. „Wir sind hereingefallen", gab er widerstrebend zu. „Jetzt müssen wir noch einmal von vorn anfangen. Dieser Kerl aus San Diego - was für einen Eindruck hat er auf dich gemacht?" „Hiller?" Der Makler zog die Unterlippe zwischen die Zähne und überlegte. „Ich weiß nicht recht ..." „Dann denk' nach, verdammt!" „Das tue ich ja", sagte Testi beleidigt. „Aber der Mann ist sehr schwer einzuschätzen. Er ist ahnungslos, hat keinen Schimmer, was läuft, aber er wirkt auch ziemlich entschlossen. Mir hat er regelrecht das Haus verboten." „Ein Held!" stöhnte Reggazzo. „Gütiger Himmel! Ein Held aus San Diego, der sich vorgenommen hat, allen die Zähne zu zeigen." „Ich weiß nicht recht. Natürlich, er ist ein Narr, er muß einfach ein Narr sein, wenn er sich in dieses Spiel eingekauft hat. Aber andererseits ... wie soll ich sagen ..." Carlo Reggazzo stoppte das unklare Gestammel mit einer Handbewegung. Er hatte begriffen, daß Testi schlicht und einfach nicht wußte, was er von der Sache halten sollte. Der Mafiaboß zögerte kurz, dann drückte er einen Knopf der Gegensprechanlage nieder und befahl seine rechte Hand zu sich. Helenio Capello erschien eine halbe Minute später. Er war im Park gewesen, hatte sich beeilt und keuchte noch. In knappen Worten schilderte ihm Carlo Reggazzo die Lage. Capello war sprachlos - doch sein Boß wollte ohnehin keinen Kommentar hören. „Wir müssen etwas unternehmen", sagte er hart. „Ich denke nicht daran, an diesen Kerl aus San Diego noch viel Zeit zu verschwenden. Helenio, du sorgst zunächst einmal dafür, daß -92-
ein paar Leute den Burschen nicht mehr aus den Augen lassen. Und dann wirst du, verdammt nochmal, etwas arrangieren, das uns dieses leidige Problem ein für allemal vom Hals schafft." * Es dämmerte bereits, als Franco mit dem Pontiac nach Dallas hineinfuhr. Er mußte endlich wissen, was die offiziellen Ermittlungen der Behörden erbracht hatten. Ob es irgendwo einen Hinweis gab, bei dem er ansetzen, vielleicht einen Beweis, der die Selbstsicherheit seiner Gegner erschüttern konnte. Der Kontaktmann, den ihm Colonel Warner genannt hatte, hieß Hal Dermont und gehörte zum hiesigen FBI. Die Frage, in welcher Beziehung der G-man zu COUNTER MOB stand, stellte sich Franco lieber erst gar nicht. Während er den Pontiac durch Dallas lenkte, hatte er ein paarmal das Gefühl, verfolgt zu werden. Da er ohnehin damit rechnete, war es ihm ziemlich gleichgültig. Hal Dermont würde sorgfältig Maske machen, bevor er am Treffpunkt erschien, das war so abgesprochen. Franco stellte den Wagen auf einem der großen Parkplätze der Innenstadt ab, ging die letzten paar Schritte zu Fuß und steuerte eine schummrige kleine Bar mit dem Namen „Blue Doll" an. Der Betrieb war nur mäßig. Show gab es nicht, nur gedämpfte Beleuchtung und mittelprächtige Mädchen. Dafür hielten sich die Preise in Grenzen und erlaubten es sogar, daß müde Büromenschen hier nach Feierabend einen Drink nahmen. Franco bestellte Martini und bekam das gelinde Grausen, als er sah, wie der Keeper die fertige Mischung aus einer Karaffe über die Eiswürfel im Glas kippte. Das Zeug schmeckte entsprechend mies. Franco nippte nur an dem Drink, sah sich um und entdeckte seinen Mann am anderen Ende der Theke. -93-
Das Gesicht, mit Perücke, Schminke und einigen anderen Tricks getarnt, war ihm fremd, aber das Erkennungszeichen stimmte: eine aufrecht auf der Theke stehende Pall-MallSchachtel nebst silbernem Feuerzeug. Franco begegnete dem Blick des anderen und nickte unmerklich. Hal Dermont gähnte, bestellte sich einen neuen Whisky und rutschte dann vom Hocker. Er schlenderte auf die Tür zu, die zu den Toiletten führte. Franco wartete einen Moment, bevor er die gleiche Richtung einschlug. In dem Flur, in den er geriet, roch es penetrant nach Desinfektionsmitteln. Links führte eine beängstigend schmale Treppe ins obere Stockwerk. Rechts lagen die Türen mit den Aufschriften „Ladies" und „Gentleman" - aber Franco wußte, daß es kaum einen Ort gab, an dem man leichter belauscht werden konnte als in den Kabinen einer öffentlichen Toilette. Rasch folgte er dem langen Flur und stieß die Hintertür des Gebäudes auf. Der Hof glich einer Müllkippe. Irgendwo pfiffen Ratten, der Geruch nach Abfällen hing schwer in der Luft. Franco verzog das Gesicht, dann wandte er sich nach rechts, wo er im Schatten eines Bierkästen-Stapels eine Bewegung wahrgenommen hatte. Hal Dermont grinste im Dunkeln. Franco fragte sich, wie der Mann wirklich aussah: In der Maske wirkte er ziemlich bieder. Der Eindruck änderte sich allerdings, als er die ersten Worte sprach. Seine Stimme klang ruhig, und gelassen, und verriet Energie und Härte. Knapp und präzise informierte der G-man Franco über die bisherigen Ermittlungsergebnisse. Viel war es nicht, was da zusammengekommen war. In der Hauptsache bezog es sich auf die Arbeit der Sprengstoff-Spezialisten. Aber deren Erkenntnisse würden erst wichtig werden, wenn man die Täter ermittelt, die Bombenwerkstatt gefunden und damit die Möglichkeit hatte, Vergleiche zu ziehen. -94-
„In Fort Worth ist ein ganzes Benzinlager in Flammen aufgegangen", berichtete Dermont. „Die Sprengung eines Bohrturms in der Nähe von Waco konnte im letzten Moment verhindert werden, weil der Sprengsatz zufällig entdeckt wurde. In und um Dallas selbst scheint sich die Lage dagegen allmählich zu beruhigen. Was darauf schließen läßt, daß sich immer mehr von den Betroffenen dem Terror beugen und nachgeben." „Also keine Zeugen? Niemand, der Anzeige erstattet hat?" Hal Dermont zögerte und kniff die Augen zusammen. „Wir haben eine Anzeige von einem Tankstellenbesitzer namens William Larsen vorliegen", sagte er langsam. „Er behauptet, man wolle ihn zwingen, sein Benzin in Zukunft von der Firma ,Top-Tex' zu beziehen." Franco horchte auf. „Top-Tex! Die Gesellschaft, die Carlo Reggazzo und Konsorten neu gegründet haben!" „Stimmt", nickte Dermont. „Aber machen Sie sich lieber keine falschen Hoffnungen. Larsen hat aus purem Zorn Anzeige erstattet. Er wurde von Rockern überfallen und zusammengeschlagen. Am nächsten Tag machte der Vertreter, der ihm das ,Top-Tex' Benzin anpreisen wollte, dann den Fehler, etwas zu deutlich zu werden. Leider gibt es für das Gespräch keine Zeugen." „Und Larsen? Was wird er tun?" „Er hat sich noch nicht entschieden. Wir wollen versuchen, bei der nächsten Kontaktaufnahme eine Falle zu bauen, aber ich glaube nicht, daß etwas dabei herauskommt. Rollec, so heißt dieser Vertreter, braucht nur zu behaupten, er habe sich die Drohungen aus den Fingern gesogen, um bessere Geschäfte zu machen." Franco nickte.
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Er wußte, daß Dermont recht hatte: Es war ungeheuer schwierig, auf dem Weg über die kleinen Fische an die großen Bosse heranzukommen. Trotzdem unterstrich der Mafiajäger die Namen Larsen und Rollec in seinem Gedächtnis. Man konnte nie wissen. Eine Einzelaktion, noch in der Schwebe - vielleicht ließ sich da doch etwas machen, gerade weil die Sache so unbedeutend war, daß Carlo Reggazzo ihr keine große Aufmerksamkeit widmen würde. Die beiden Männer besprachen noch ein paar Einzelheiten, dann verabschiedeten sie sich. Franco hatte Dermonts Privatnummer notiert, für den Fall, daß eine neue Kontaktaufnahme nötig werden würde. Der Gman ging als erster in die Bar zurück, der junge Counter-MobAgent folgte ihm wenig später. Während Hal Dermont das Lokal verließ, bestellte Franco einen neuen Cocktail und dazu ein großes Glas Soda. Er hatte die Verfolger nicht vergessen, und er zog es vor, sicherheitshalber noch eine ganze Weile an der Theke sitzenzubleiben, damit niemand Verdacht schöpfte, der ihn vielleicht beobachtete. Als er wieder auf die Straße trat, war es völlig dunkel geworden. Was hier in der Innenstadt von Dallas hieß, daß Autoscheinwerfer, Peitschenleuchten und Reklamen in allen Regenbogenfarben darin wetteiferten, die Nacht zu erhellen. Der Parkplatz wirkte dagegen finster, obwohl er von Laternen umgeben war. Franco ging an der Reihe der abgestellten Wagen vorbei, den Autoschlüssel bereits in der Hand, und steuerte auf seinen Pontiac zu. Normalerweise hätte er nachgedacht, sich das vorausgegangene Gespräch ins Gedächtnis zurückgerufen und systematisch auf Einzelheiten abgeklopft, die ihm vielleicht weiterhelfen konnten. Jetzt dachte er an die möglichen Verfolger. Immer noch hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden, doch das mochte -96-
Einbildung sein. Franco lauschte, konzentrierte sich mit allen Sinnen auf die Umgebung. Er sah nichts, hörte nichts, jedenfalls nichts Verdächtiges, aber er war trotzdem nicht beruhigt, als er den Motor des Pontiacs anließ. Die Parkplatzausfahrt lag im Dunkeln. Erst als Franco darauf zufuhr, wurde sie vom Licht der Scheinwerfer erhellt. Ganz kurz glaubte der Mafiajäger, einen massigen Schatten wahrzunehmen - und im nächsten Moment schien vor ihm etwas zu explodieren. Eine lautlose Explosion ... Scheinwerferlicht! Wie eine riesige Doppelsonne blendete es Francos Augen. Er hörte das Röhren des schweren Motors und begriff, daß dort in der Dunkelheit ein Truck gelauert hatte, der jetzt auf ihn zuraste. Auf dem Fahrstreifen zwischen den geparkten Autos hatte er nicht die leistete Chance, rechtzeitig auszuweichen. Der Lastwagen würde ihn rammen, ihn zermalmen ... Franco hörte auf zu denken. In den endlosen Stunden eines harten, hundertmal innerlich verfluchten Trainings hatte er gelernt, Gefahrensituationen schneller einzuschätzen als andere, schneller zu reagieren, schneller und genauer den Ausweg aus einer Falle zu sehen. Er dachte nicht. Was er tat, lief als eine Kette eingeschliffener Reflexe ab - und deshalb konnte er nach der normalen, durch nichts zu verkürzenden Schrecksekunde handeln, ohne erst zu überlegen. Raus aus dem Wagen! Seine Linke hebelte den Türgriff auf, mit der Schulter warf er sich gegen den Wagenschlag. Gleichzeitig trat er noch einmal das Gaspedal durch, weil es ihm in Fleisch und Blut übergegangen war, in unkontrollierbaren Situationen Abstand zwischen sich und die Gefahrenquelle zu bringen. Der Pontiac machte einen Satz auf den Truck zu, während Franco bereits aus dem Wagen hechtete. Hart knallte er gegen das Heck eines -97-
abgestellten Rabbit. Der Anprall ging ihm durch und durch und machte ihn benommen. Aber seine Muskeln zogen sich von selbst zusammen. Er wälzte sich über das Wagenheck hinweg und landete in der Deckung des linken Hinterrades. Gleichzeitig krachte es. Schmetternd traf die riesige Stoßstange des Trucks die Motorhaube des Pontiac und schob sie wie eine Ziehharmonika zusammen. Ein kreischender, nervenzerfetzender Ton von reißendem Metall. Glas klirrte. Der Truck schob den Pontiac vor sich her, das Heck des Personenwagens stieß gegen eins der geparkten Autos. Wieder schnitt das Geräusch von aneinanderreibendem Metall durch die Nacht, und während sich Franco vorsichtig aufrichtete, begriff er, daß im Plan seines Gegners ein tödlich gefährlicher Fehler steckte. Er begriff es in der Sekunde, in der er die sprühenden Reibungsfunken zwischen den verkeilten Wagen sah. Dies hier war ein Parkplatz. Der Kerl, der den Truck lenkte, hatte vielleicht schon mehr als einen Menschen auf diese Weise ermordet oder auf Wochen ins Krankenhaus gebracht, aber er hatte das immer im freien Gelände getan. Auf Straßen, die es ihm gestatteten, das Opfer zu rammen und ohne nennenswerten Aufenthalt weiterzurasen. Hier ging das nicht. Links und rechts standen geparkte Fahrzeuge dicht an dicht. Der Pontiac konnte nicht beiseite geschleudert werden. Sein Heck hakte sich fest. Er versperrte den schmalen Fahrstreifen - und damit nahm er dem Truck die Möglichkeit, rasch wieder aus der Gefahrenzone zu verschwinden. Auch der Gangster begriff das erst, als vor ihm die Funken der Reibungshitze nach allen Seiten sprühten. Funken! Feuer! Vielleicht ein Riß im Tank des gerammten Wagen, ausfließendes Benzin und ...
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Franco hörte, wie krachend der Rückwärtsgang ins Getriebe fuhr. Hinter der Frontscheibe des Trucks war sekundenlang ein weißes, angstverzerrtes Gesicht zu erkennen. Verzweifelt und vergeblich versuchte der Fahrer, den Koloß in Fahrt zu bringen, sich vor dem zu retten, was unweigerlich folgen mußte - doch der Mafiajäger wußte, daß es keine Chance dazu gab. Ein neuer Krach. Knatternd diesmal, eigentümlich dumpf: wie ein flammendes Fanal schoß die Stichflamme in den Himmel. Franco hatte hinter dem Heck des Rabbit gekauert, jetzt reagierte er abermals mit einer Kette mechanisch ablaufender Reflexe. Blindlings warf er sich zurück, rollte über den Boden, kam zwischen den nächsten Wagen wieder hoch. Die Explosion des Benzintanks dröhnte noch in seinen Ohren. Der Tank des Pontiac! Aber die Wucht der Detonation hatte auch den Tank des Lastwagens zerrissen und in der nächsten Sekunde schoß eine neue Stichflamme in den Himmel. Franco warf sich zu Boden und schützte seinen Kopf mit den verschränkten Armen. Glas klirrte, als die Druckwelle über den Parkplatz fegte. Trümmer wurden in die Luft gewirbelt und prasselten wieder zu Boden, eine schwarze Qualmwolke breitete sich aus. Ringsum ging ein Regen von Metallteilen nieder, krachte, kreischte und knallte es, als sei die Hölle selber ausgebrochen. Es dauerte Sekunden, bis der tödliche Hagelschauer verebbte - und in diesen Sekunden hörte Franco einen gellenden, langgezogenen Schrei, der nicht enden wollte. Der Truckfahrer! Er hatte sich verschätzt. Er hatte nicht bedacht, daß sein Mordanschlag auf diesem Gelände einem Selbstmordversuch gleichkam. Franco sprang auf, spurtete zwischen den Wagen zum mittleren Fahrstreifen - aber er wußte schon vorher, daß er
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dem Mann im Führerhaus des Lastwagens nicht mehr helfen konnte. Der Truck brannte lichterloh. Franco biß die Zähne zusammen, hetzte weiter, rannte zur Fahrerseite hinüber. Er hatte die Gestalt im Feuersturm gesehen. Für ihn spielte es in diesen Sekunden keine Rolle mehr, daß der Mann in diese Situation gekommen war, weil er ihn, Franco, hatte umbringen wollen. Nur noch der Mensch zählte, das hilflose Opfer, das bei lebendigem Leibe verbrennen würde. Der Mafiajäger richtete sich auf, wollte den Wagenschlag öffnen und zuckte mit einem Schrei zurück, weil der Türgriff glühendheiß war. Ein Sprung brachte ihn auf das Trittbrett, er riß den Zipfel seiner Jacke hoch und benutzte ihn als Isolation. Diesmal ging es; obwohl es eine höllische Quälerei war, da Franco ohnehin Brandwunden an den Gelenken hatte. Die Tür schwang auf. Und die schreiende, verkrümmte Gestalt kippte heraus, ohne daß sie erst gezogen werden mußte. Franco fing den stürzenden Körper auf, sprang mit seiner Last vom Trittbrett hinunter und fühlte ein Würgen in der Kehle, weil er ahnte, daß alles nichts mehr nützen würde. Er zerrte den Mann so weit wie möglich weg von den zwei brennenden Wagen. Vorsichtig ließ er ihn zu Boden gleiten. In einiger Entfernung raste die Flammenhölle. Möglicherweise würde sie auch andere Fahrzeuge erfassen. Franco war sich bewußt, daß er eigentlich versuchen mußte, irgendwo einen Schaumlöscher zu erwischen, auch wenn es nicht viel Sinn hatte, aber er brachte es einfach nicht fertig, den Sterbenden allein zu lassen. Finger krallten sich in den Stoff seines Jacketts. Der Atem des Mannes ging schnell und stoßweise. Sein Gesicht war verzerrt. Er würde nichts mehr sagen, er konnte es nicht mehr. Aber er hielt sich an Franco fest, als klammere er -100-
sich mit verzweifelter Kraft an das schwindende Leben, und in seinen Augen schien alles Entsetzen zu liegen, zu dem ein Mensch nur fähig sein konnte. Sekunden dehnten sich zur Ewigkeit. Franco murmelte beruhigende Worte, die sinnlos waren. Er hörte das Heulen der Sirenen, das Klappern von Schritten. Der Sterbende wimmerte, weil er keine Kraft mehr zu schreien hatte - und nach endlosen Sekunden erschlaffte sein verkrampfter Körper. Er lebte nicht mehr. Franco ließ ihn vorsichtig zu Boden gleiten und richtete sich auf. Im Moment war es sinnlos, sich den Fragen der Polizei auszusetzen. Im Widerschein des langsam in sich zusammenfallenden Feuers zog sich der Mafiajäger zwischen die geparkten Wagen zurück, und wenig später war er in der Dunkelheit verschwunden. Der Pontiac war der zweite Mietwagen, den er abschreiben konnte. Franco ging zu Fuß, mit zusammengebissenen Zähnen und hervortretenden Kiefermuskeln. Zorn schüttelte ihn. Ein kalter, würgender Zorn, der nichts Befreiendes hatte und nach einem Ventil suchte. Diesmal, schwor sich der Mafiajäger, würde er zum Angriff übergehen. Die Zeit des Wartens war vorbei. Und er würde genau das tun, mit dem seine Gegner in dieser Situation am allerwenigsten rechneten ... * Angelo Testis Maklerbüro lag in einem der vornehmen Geschäftsviertel von Dallas.
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Franco Solo kochte immer noch vor Wut, als ihn das Taxi am Straßenrand absetzte. Er wußte, daß Testis Wohnung unmittelbar über dem Maklerbüro lag. Ein Riesen-Apartment, sehr exklusiv. Aber es war ja auch leicht, sich von den Dollars der Opfer, die von der Mafia skrupellos erpreßt wurden, eine vornehme Adresse zu leisten ... Der Lift beförderte Franco ins vierte Stockwerk. Als er klingelte, nahm er sich zusammen: Es war nicht unbedingt nötig, daß ihm der Makler seine Absichten vom Gesicht ablas. Für einen Moment verdunkelte sich der Ausschnitt des Spions, dann schwang mit einem gedämpften Summton die Tür auf. Angelo Testi lächelte so sanft und verbindlich wie eh und je. Wahrscheinlich glaubte er, daß sein Gegner kam, um die bedingungslose Kapitulation anzubieten. Zu spät sah er den harten Ausdruck im Gesicht des anderen. Und zu spät fiel ihm ein, daß dieser andere gerade eben einem brutalen Mordanschlag entgangen sein mußte. Angelo Testi erbleichte. Mühsam riß er sich zusammen. Da er unwillkürlich einen halben Schritt zurückgewichen war, konnte Franco über die Schwelle treten. „Guten Abend." Testis Stimme krächzte, vergeblich bemühte er sich, einen unverbindlichen Plauderton anzuschlagen. „Kommen Sie herein, Mr. Hiller, ich ..." Mit dem Absatz stieß Franco die Tür zu. Seine Hand fuhr unter die Jacke. Mit einem Ruck zog er die Beretta aus der Schulterhalfter, und Angelo Testi starrte wie versteinert vor Schreck in die Mündung. „Ich ... ich verstehe nicht ...", stammelte er. „Sie werden gleich verstehen", knurrte Franco. Ohne seinen Gegner aus dem Blickfeld zu lassen, durchmaß er die Diele, warf einen Blick ins Wohnzimmer, und öffnete sämtliche anderen Türen, um sich davon zu überzeugen, daß der verbrecherische Makler allein in der Wohnung war. Die Mündung der Beretta zielte unverwandt -102-
auf Angelo Testis Brust. Er zitterte wie Espenlaub. Kein Zweifel: Er war der Situation nicht gewachsen, er hatte die harte Seite des schmutzigen Geschäfts immer nur aus der Ferne beobachtet und nie am eigenen Leib erlebt. „Was wollen Sie?" flüsterte er. „So sagen Sie mir doch endlich, was Sie wollen!" Franco antwortete nicht. Mit der Pistolenmündung dirigierte er seinen Gegner ins Wohnzimmer. Testi stolperte fast über die Teppichkante, und er war weiß wie frisch gefallener Schnee, als er sich schwer atmend in einen der kostbaren Büffelleder-Sessel sinken ließ. Schweiß stand in dicken Tropfen auf seiner Stirn. Daß die Pistole vor seinem Gesicht nicht entsichert war, nahm er nicht wahr, dafür verstand er einfach nicht genug von Waffen. Starr hing sein Blick an dem Finger, der sich über den Abzug geschoben hatte. „Man hat versucht, mich umzubringen", sagte Franco hart. Testi schluckte. Sein Adamsapfel hüpfte. „Sie ... Sie glauben doch nicht ...", krächzte er. „Doch! Genau das glaube ich! Und jetzt will ich wissen, wer dahintersteckt. Und Sie werden es mir erzählen." „Aber ... aber woher soll ich wissen ..." „Sie wissen es. Es kommt nur einer in Frage, und zwar derjenige, der meine Firma haben will. Wer ist es, Testi? Ich will den Namen wissen." Der Makler zitterte. Er wagte nicht einmal, den Schweiß wegzuwischen, der ihm in die Augen lief. „Bitte ...", flüsterte er. „Sparen Sie Ihren Atem! Ich will eine klare Antwort. Und ich warte nicht lange! Ich bin knapp einem Mordanschlag entkommen und habe einen Mann in einem brennenden Wagen -103-
sterben sehen. Ich bin nicht in der Stimmung, viel Federlesens mit Ihnen zu machen, Testi! Den Namen!" Der Makler starrte in die schwarze Mündung der Pistole. Widerstrebend hob er den Blick und sah in Francos Gesicht. Ein hartes Gesicht. Augen, die in diesen Sekunden kalt und undurchdringlich wie dunkle Kieselsteine wirkten. Angelo Testi erschauerte, als er begriff, oder zu begreifen glaubte, daß der Mann vor ihm zu allem entschlossen war, daß er die Waffe tatsächlich abfeuern würde. Der Makler wagte sich nicht auszumalen, was Carlo Reggazzo tun würde, wenn er die Wahrheit erfuhr. Aber Reggazzo saß weit weg in seiner Luxusvilla. Die tödliche Waffe dagegen war nur wenige Inch von Testis Gesicht entfernt. Er atmete flach. Ganz gleich, was später passieren würde - die Angst vor dem nächsten Augenblick überwog in diesen Sekunden alles andere. „Top-Tex", würgte der Makler hervor. „Wie bitte?" „Top-Tex ... Reggazzo ... Die ,Top-Tex' will die Firma ,Greer Oil' schlucken. Der Mann, an den ich ... an den ich Ihr Unternehmen weiterverkaufen soll ..." „Ja?" „Reggazzo", wiederholte Testi matt. „Carlo Reggazzo. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Von einem Mordanschlag weiß ich nichts, das schwöre ich!" Franco atmete tief durch. Er hatte die Antwort schon vorher gekannt. Aber wenn er in seiner Rolle als ahnungsloser John Hiller bleiben wollte, brauchte er eine Erklärung dafür, daß er sie kannte. Eine Erklärung, die er jetzt hatte - denn Angelo Testi würde sich, auch wenn es ihn einen heftigen inneren Kampf kosten sollte, am Ende aus purem Selbsterhaltungstrieb dazu durchringen, seinen Boß zu warnen. Jetzt hing er bleich und zitternd im Sessel und schien darauf gefaßt zu sein, daß sein Gegner ihn doch noch erschießen würde. -104-
Franco verzog angewidert die Lippen. Er wußte, daß von der Härte und Entschlossenheit der meisten Gangster nicht viel übrig blieb, wenn es ihnen selbst an den Kragen ging. Aber Angelo Testi war bei weitem der mieseste Feigling, der ihm seit langem über den Weg gelaufen war. Mit einem Ruck stieß der Mafiajäger die Pistole zurück in die Schulterhalfter und wandte sich ab. „Dem Kerl drehe ich eigenhändig den Hals um", stieß er durch die Zähne. Es klang, als spreche er zu sich selbst. Aber die Worte waren einzig und allein für Angelo Testi bestimmt, und der zuckte prompt wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Ein paar Minuten später winkte Franco von neuem ein Taxi heran und nannte die Adresse einer Mietwagenfirma. Er dachte an Carlo Reggazzo, der in seiner feudalen Villa wie eine bösartige Spinne in ihrem Netz saß. Das Haus glich vermutlich einer Festung. Franco wußte, daß er sie nicht stürmen konnte, er hatte es auch gar nicht vor. Der Mafiaboß mußte sich ab und zu auch einmal um seine Firma kümmern. Er hatte ein Büro im Verwaltungsgebäude der „Top-Tex". Dort gab es Angestellte, normale Arbeiter, die mit den verbrecherischen Umtrieben nichts zu tun hatten - und dort konnte es sich Reggazzo zumindest nicht leisten, einfach einen Besucher umbringen zu lassen. Heute nacht gab es nichts mehr, was Franco hätte tun können. Aber er ahnte, daß er trotzdem keinen Schlaf finden würde. Angelo Testi brauchte nur wenige Minuten, um seine Entscheidung zu treffen. Nichts tun und abwarten - das war sein erster Impuls gewesen. Alles in ihm sträubte sich gegen die Vorstellung, Carlo Reggazzo eingestehen zu müssen, daß er seinen Namen preisgegeben hatte. Aber wenn er nichts tat, würde ihn der Mafiaboß für die Folgen verantwortlich machen, und der Makler -105-
wußte nur zu gut, daß das sein Ende gewesen wäre. Er hatte keine Wahl. Er mußte Reggazzo anrufen und ihn warnen. Und er mußte es sofort tun. Denn nach Testis Meinung würde dieser Kerl aus San Diego keine Zeit verlieren, sondern wie ein verrückt gewordener Berserker losrasen und versuchen, seinen Gegner zu stellen. Testis Finger zitterten immer noch, als er den Telefonhörer abnahm, doch er brachte es zumindest fertig, die richtigen Ziffern einzutippen. Drei- oder viermal ging der Ruf durch. Dann wurde am anderen Ende der Leitung abgehoben. „Ja?" sagte Carlo Reggazzos beherrschte Stimme. „Testi hier ..." Die Stimme des Maklers klang alles andere als beherrscht. Reggazzo sog scharf die Luft ein - Zeichen dafür, daß er sich sofort alarmiert fühlte. „Was ist los, zum Teufel?" stieß er durch die Zähne. Angelo Testi erzählte. Er brauchte fast fünf Minuten dazu, drehte und wand sich und suchte verzweifelt nach Worten, die seine Handlungsweise in einem etwas günstigeren Licht erscheinen ließen. Es war vergebliche Mühe. Was zählte, waren die Tatsachen - und Carlo Reggazzo hatte ein ausgesprochenes Talent dafür, sich kein X für ein U vormachen zu lassen. „Du Idiot!" fauchte er. „Du verdammte, feige Ratte!" „Was sollte ich denn machen?" fragte Testi verzweifelt. „Der Kerl drohte, mich zu erschießen. Ich war ohnehin wie vor den Kopf geschlagen, als er plötzlich gesund und lebendig vor mir stand. Irgend etwas muß schiefgegangen sein, irgend etwas ..." „Ich weiß", unterbrach ihn Reggazzo gereizt. „Der verdammte Narr, der Hiller erledigen sollte, hat sich stattdessen mit seinem eigenen Truck ins Jenseits befördert." „Er ... er ist tot?"
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„Ja. Aber das interessiert jetzt nicht. Du Bastard hast verraten ..." „Er hätte mich erschossen! Der Kerl ist völlig durchgedreht! Ich hatte keine Wahl, das schwöre ich!" „Ach nein! Und auf den Gedanken, irgendeine gute Story zu erfinden, bist du nicht gekommen, was? Du hattest mindestens ein halbes Dutzend anderer Ölgesellschaften zur Auswahl, auf die du ihn hättest hetzen können, du elende Null!" Angelo Testi schluckte schwer. Auf diesen Gedanken war er tatsächlich nicht gekommen. Mit zitternden Fingern wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Ich war völlig fertig", flüsterte er. „Ich dachte doch, der Bursche schwebt längst zu seinen Ahnen. Und als er kam, glaubte ich zuerst, daß er wenigstens den Schock seines Lebens davongetragen hätte und jetzt endlich verkaufen wollte. Ich konnte einfach nicht mehr denken, ich ..." „Schon gut", knurrte Carlo Reggazzo. Es kostete ihn Mühe, die Wut aus seiner Stimme zu verdrängen. Aber er wußte, daß er den Makler brauchte. Jetzt noch! Abgerechnet wurde, wenn alles glatt über die Bühne gegangen war. „Haben Sie ... haben Sie irgendeinen Auftrag für mich, Sir?" fragte Testi hoffnungsvoll. „Jetzt nicht. Ich rufe Sie an, wenn ich Sie brauche." „Danke! Vielen Dank, Sir ..." Erleichtert ließ sich der Makler in den nächstbesten Sessel sinken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Am anderen Ende der Leitung drückte Carlo Reggazzo langsam den Hörer auf die Gabel. Eine steile Falte stand zwischen seinen Augen. Mechanisch zündete er sich eine seiner -107-
Orientzigaretten an, inhalierte tief und stieß den Rauch durch die Nase. Er war beunruhigt. Nicht, daß er sich wirklich Sorgen gemacht hätte: Sowohl hier in seiner Villa als auch in dem Büro auf dem Gelände der „TopTex" fühlte er sich vollkommen sicher. Aber es irritierte ihn, daß es ihm nicht gelang, dieses eine, lächerliche Problem in den Griff zu bekommen. Jayson Greer hatte ihm einen bösen Streich gespielt. Dieser Sonnyboy aus San Diego war von der zähen Sorte, war größenwahnsinnig genug, um seinerseits zum Angriff überzugehen. Größenwahnsinnig, ja! Aber erstens hatte der Kerl bereits bewiesen, daß nicht so leicht mit ihm fertigzuwerden war, und zweitens konnte Carlo Reggazzo nichts weniger gebrauchen als weitere spektakuläre Ereignisse. Irgendwann würde der Verrückte bei ihm, Reggazzo, auftauchen. Würde er zur Vernunft kommen, wenn man ihm klar genug machte, worauf er sich einließ? Reggazzo wußte selbst nicht, warum, aber er bezweifelte es. Er fragte sich, ob es nicht überhaupt besser war, dem Burschen einen wirklich fairen Preis anzubieten, damit endlich Ruhe herrschte. Die Dollars spielten keine Rolle. Aber Reggazzo schüttelte trotzdem den Kopf - es widerstrebte ihm einfach, vor diesem John Hiller zu kapitulieren. Abwarten, sagte er sich. Auf ein paar Tage kam es nicht an. Und inzwischen war er sogar gespannt darauf, den Burschen persönlich kennenzulernen, der ihm so viel Ärger machte. * Schon bevor er zu Angelo Testi fuhr, hatte Franco ein paar Tricks aus der Kiste geholt, um die Verfolger abzuschütteln, falls sie ihm noch auf den Fersen saßen. -108-
Jetzt zog er das gleiche Programm ein zweitesmal durch. Vor einer Telefonzelle stoppte er schließlich, rief den G-man Hal Dermont an und erzählte ihm, was sich auf dem Parkplatz ereignet hatte. Von dem zerstörten Pontiac führte möglicherweise eine Spur zu der Autovermietung und von dort zu dem angeblichen John Hiller. Franco wollte zum jetzigen Zeitpunkt vermeiden, daß die Polizei bei ihm auftauchte. Dermont versprach ihm, die Ermittlungen abzublocken - was einfach zu bewerkstelligen war, da der getötete Gangster aus einem anderen Bundesstaat stammte und der Fall daher ohnehin in die Zuständigkeit des FBI fiel. Franco schlief schlecht in dieser Nacht. Er wachte immer wieder auf, und einmal fuhr er in Jeans und T-Shirt und machte eine Runde über das Gelände. Der Nachtwächter stoppte ihn mit einem Ungetüm von altem ArmyColt. Der Mann war aufmerksam, aber für Franco - und für jeden professionellen Gangster - wäre es eine Kleinigkeit gewesen, den 45er beiseitezuschlagen. Was die technischen Sicherheitsmaßnahmen anbelangte, hatte der Mafiajäger von Anfang an gewußt, daß sie vielleicht einen kleinen Gelegenheitsdieb aufhalten konnten, aber keinen Spezialisten. Franco unterhielt sich eine Weile mit dem Nachtwächter, denn kehrte er ins Haus zurück und versuchte weiterzuschlafen. Am nächsten Morgen fühlte er sich zerschlagen, doch die innere Spannung half ihm, die Müdigkeit zu überwinden. Er wußte, daß Carlo Reggazzo morgens in seinem Büro auf dem Gelände der „Top-Tex" zu arbeiten pflegte. Nur wegen des äußeren Scheins vermutlich. Um so weit wie eben möglich den Eindruck des Harmlosen, Normalen zu erwecken, um erst gar nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, daß es sich bei der neugegründeten Ölgesellschaft nur um ein Scheingebilde zu Tarnungszwecken handelte. -109-
Der weiße Chevrolet Camaro, in den sich Franco schwang, war der dritte Mietwagen, den er während dieses Einsatzes benutzte. Er hoffte, daß sich der Schlitten nicht auch noch in Schrott verwandelte: Colonel Warner würde Zustände bekommen. Franco grinste leicht, während er das Benzinlager verließ, in Richtung Dallas rollte und dann die breite Umgehungsstraße einschlug, an der auf der entgegengesetzten Seite der Stadt die Firma „Top-Tex" lag. Das Gelände sah nicht viel anders aus als das der Firma „Greer Oil", obwohl es gut doppelt so groß war. Der gleiche hohe Maschendrahtzaun, die gleichen Tanks, die gleiche Art von Wagen und barackenartigen Gebäuden. Die Overalls der Arbeiter hatten ein helles Grün, genau wie die Tankwagen und die Buchstaben des Firmenzeichens. Das breite Einfahrtstor stand einladend offen. Kein Wunder: Die „TopTex" konnte es sich leisten, da sie als einzige unter den kleineren privaten Ölgesellschaften keinerlei Terroranschläge zu fürchten hatte. Franco lenkte den Wagen über die asphaltierte Zufahrt und ließ ihn vor dem zweistöckigen Holzbau ausrollen. Hinter einem der oberen Fenster glaubte er, eine flüchtige Bewegung zu entdecken. Die Gestalt verschwand sofort wieder. Franco lächelte matt, stellte den Motor ab und stieß den Wagenschlag auf, während sich von drei Seiten gleichzeitig die Overall-Typen näherten. Trotz des offenen Tors hatten sie offensichtlich Anweisung, keinen Unbefugten auf dem Gelände herumschnüffeln zu lassen. Franco las aus ihrer Reaktion, daß er der erste „Unbefugte" war, der es versuchte. Die Männer wirkten etwas ratlos. Franco lehnte sich an seinen Wagen, setzte ein naßforsches Grinsen auf und sah von einem zum anderen.
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„Hey, Mister ...", begann ein großer, hagerer Bursche mit knochigen Zügen. „Ich will den Chef sprechen", erklärte Franco ruhig. Stille. Die Männer wechselten Blicke. „Wieso?" erkundigte sich der Knochige schließlich. „Das werde ich ihm selbst sagen. Ich nehme an, ich finde ihn hinter dem dritten Fenster von links im oberen Stockwerk. Wenn du also deine Quadratlatschen aus dem Weg nehmen würdest, Sonny ..." Der Bursche schluckte. Er wirkte überfordert: Offenbar war ihm während seiner bisherigen Tätigkeit für die Firma „Top-Tex" eine solche Frechheit noch nicht vorgekommen. Die anderen Männer begannen zu murren. Franco nahm an, daß es sich bei den meisten um ganz normale Arbeiter handelte, aber sie waren es sichtlich gewohnt, mit einem gewissen Respekt behandelt zu werden. Der Mafiajäger stieß sich von der Motorhaube des Camaro ab. Notfalls war er bereit, hier eine turbulente Show abzuziehen, um durchgelassen zu werden. Die Show hätte sogar recht gut zu seiner Rolle gepaßt - doch sie erwies sich schon im nächsten Moment als überflüssig. Die Tür des Barackenbaus schwang auf. Eine breite, wuchtige Gestalt trat auf den Verandavorbau hinaus. Die Köpfe der Anwesenden wandten sich ihr wie von unsichtbaren Fäden gezogen zu - und auch Franco erkannte den Mann auf Anhieb. Reggazzo! Carlo Reggazzo, der Mafia-Boß! Einen Augenblick blieb er stehen und blinzelte in die Sonne. Seine Haltung wirkte völlig gelassen - doch Franco erkannte die Zeichen der Spannung darin. Reggazzo machte ein paar Schritte, umfaßte das Holzgeländer mit den Händen und lächelte. -111-
„Schwierigkeiten?" fragte er lässig. „Da will jemand mit Ihnen sprechen, Sir. Hiller heißt er. Behauptet er jedenfalls. Kam einfach angefahren und ..." „Schon gut, Jack." Carlo Reggazzo lächelte immer noch. Franco wußte, daß ihn der Mafiaboß erwartet hatte. Seine dunklen Augen waren ohne jeden Ausdruck. Aus dem breiten, wohlgenährten Gesicht ließ sich keinerlei Regung ablesen. „Hiller", wiederholte der Mafiaboß gedehnt. „Der Mann, der dem armen Mr. Testi den Schrecken seines Lebens eingejagt hat - nicht wahr?" „Ich hoffe es", sagte Franco trocken. „Ah! Sie hoffen es! Nun, ich persönlich bin nicht so leicht zu erschrecken. Sie wollen mich sprechen?" „Genau", sagte Franco knapp. Carlo Reggazzo machte eine Geste, als sei ihm jeder Besucher, der mit ihm sprechen wollte, aufs höchste willkommen. „Treten Sie ein, Mr. Hiller", sagte er einladend. „Ich habe einen ausgezeichneten hundertjährigen Scotch in meinem Office. Ich bin fast sicher, daß wir uns zur allgemeinen Zufriedenheit verständigen werden ..." * Johnny Cavender hatte Spätschicht gehabt und schlief noch. Sein möbliertes Zimmer lag an einer der Hauptverkehrsstraßen von Dallas, doch an den ständigen Autolärm hatte er sich längst gewöhnt. Es gab überhaupt kaum eine Sorte von Lärm, die Johnny Cavender hätte aus dem Schlaf wecken können. Er hörte nicht die Schritte draußen auf dem Flur, er hörte nicht, wie der Sperrhaken angesetzt wurde, und er
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hörte auch nicht, wie schließlich die Tür mit ihren erbärmlich quietschenden Angeln aufschwang. Johnny Cavender erwachte erst, als ihn jemand an der Schulter rüttelte. Und selbst da wurde er zwar wach, aber durchaus nicht klar im Kopf, da er am vergangenen Abend in seiner Stammkneipe entschieden zu viel Whisky in sich hineingeschüttet hatte. Stöhnend fuhr er hoch. Seine Lider flatterten, er blinzelte in das helle Licht, das durch das Fenster einfiel, und zuckte nicht einmal sofort zusammen, als er die maskierte Gestalt auf der Bettkante sah. Erst mit Verzögerung wurde ihm klar, daß ein Maskierter am frühen Morgen nichts Gutes bedeuten konnte. Cavender stöhnte abgrundtief. Er war nicht ängstlich. Wenn man sich vorgenommen hatte, spätestens bis zum Alter von vierzig Jahren das große Geld zu machen, durfte man nicht ängstlich sein. Und auch nicht zimperlich. Johnny war zweiunddreißig, hatte für das „große Geld" noch acht Jahre Zeit und wartete bisher vergeblich auf die passende Gelegenheit. Einstweilen tröstete er sich mit Whisky. Und das nicht zu knapp. „Hey!" brummelte er. „Du hast wohl Sand im Radar, Mann. Was soll das? 'n ehrlichen Christenmenschen mitten in der Nacht stören!" „Es ist zehn Uhr morgens", behauptete der Maskierte. „Na und? Für mich dauert der Tag bis vier Uhr früh, und da der Mensch acht Stunden Schlaf braucht, ist zehn Uhr logischerweise mitten in der Nacht. Wie sind Sie überhaupt hereingekommen, Sie ... Sie Karnevalsgeck?" „Wollen Sie fünftausend Dollar verdienen?" fragte der Maskierte dagegen. Johnny Cavender richtete sich auf die Ellenbogen auf. -113-
Fünftausend Dollar' Das klang gut, sehr gut - egal, wie undurchsichtig die ganze Situation auch sein mochte. „Fünftausend Dollar?" echote er zweifelnd. „Genau, Mann!" „Und was soll ich dafür tun? Etwa die ,Greer Oil' in die Luft jagen?" Im Prinzip hatte Johnny Cavender mit dieser Bemerkung einige Hellsichtigkeit bewiesen. Immer noch stützte er sich mit den Ellenbogen aufs Bett. Die Nachwirkungen des Whiskys hinderten ihn daran, Angst zu haben oder sich übermäßig zu wundern. Der Maskierte blinzelte irritiert und machte eine schnelle Handbewegung, da ihn so viel Gelassenheit an Gefahr denken ließ. Prompt erschienen zwei weitere Kerle mit schwarzen Strumpfmasken aus der Diele. Johnny Cavender rieb sich das Kinn mit dem Handrücken. Fünftausend Dollar ... Für ihn war diese Summe groß genug, um keine weiteren Fragen zu stellen. „Vorauszahlung", forderte er. „Oder ich mache es nicht, und wenn ihr euch auf den Kopf stellt und mit den Beinen wackelt." „Vorauszahlung", stimmte der Maskierte zu. „Okay. Und worum geht es?" Der Maskierte erklärte es ihm. Johnny Cavender war clever. Er wußte sofort, worauf die Sache hinauslief: Zwar verlangte man nicht von ihm, die Firma „Greer Oil" in die Luft zu sprengen, doch irgend etwas in dieser Richtung würde passieren. Aber er wußte auch, daß es sehr hinderlich war, ein Gewissen zu haben, wenn man das große Geld machen wollte. Johnny Cavender genügte die Überzeugung, daß man ihn nicht erwischen würde, ihm nichts nachweisen konnte. Er sah eine Chance, und deshalb zögerte er nur wenige Sekunden. -114-
„Okay", sagte er. „Wird gemacht." Der Maskierte nickte und lächelte zufrieden ... * Die Klimaanlage summte. Carlo Reggazzo saß hinter einem für seine Verhältnisse recht bescheidenen Schreibtisch und fixierte den Besucher aus engen Augen. Franco hatte die Beine übereinandergeschlagen. Im Gegensatz zu dem korrekt gekleideten Mafiaboß trug er nur Jeans, T-Shirt und Lederjacke, aber wenn er wollte, konnte er auch in einem solchen Aufzug sehr arrogant und selbstsicher wirken. Jetzt wollte er. Seine dunklen Augen musterten den anderen vom Scheitel bis zur Sohle. Reggazzo ärgerte sich. Das sollte er auch. Franco handelte nach der einfachen Erkenntnis, daß man einen Gegner, der sich verschanzte, herausfordern mußte. Nur dann konnte man ihn zu einem Fehler verleiten, und nur dann bestand eine gewisse Hoffnung, daß man die fehlenden Beweise auf dem Silbertablett serviert bekam. „Sie müssen den Verstand verloren haben", erklärte Carlo Reggazzo gedehnt. „Ist Ihnen klar, daß Mr. Testi Sie wegen Nötigung anzeigen könnte?" „Aufgrund eines Gesprächs ohne Zeugen?" Franco lächelte dünn. „Ich brauchte nur alles abzustreiten, das wissen Sie genau." „Sie Narr! Sie sind wohl förmlich versessen darauf, Schwierigkeiten zu bekommen, was?" Franco kniff die Augen zusammen. Bisher hatte er lässig in dem Besuchersessel gelehnt, jetzt beugte er sich vor. Von einer Sekunde zur anderen schien sich eine unsichtbare Stahlsaite in seiner Haltung zu spannen. „Jetzt hören Sie mal zu", sagte er leise und scharf. „Dieser Testi ist zu mir gekommen und hat mir angeboten, meine neue -115-
Firma zu kaufen. Ich habe abgelehnt. Ein paar Stunden später wurde ein Mordanschlag auf mich verübt. Ein Mordanschlag, Mister! Glauben Sie, ich kann nicht zwei und zwei zusammenzählen? Und bilden Sie sich etwa ein, ich würde das so einfach hinnehmen?" Carlo Reggazzo fingerte eine flache Orient-Zigarette mit Goldmundstück aus der Packung. „Sie sind ein Narr", wiederholte er seine Ansicht. „Was haben Sie jetzt von der ganzen Sache? Testi hat Ihnen erzählt, daß ich die Firma ,Greer Oil' kaufen möchte. Das ist kein Geheimnis. Und es ist vor allem kein Beweis für Ihre abenteuerlichen Mutmaßungen. Die Polizei wird Sie auslachen, wenn Sie Anzeige erstatten und behaupten, daß ich, ein ehrenwerter Bürger dieser Stadt, einen Mordanschlag auf Sie in Szene gesetzt hätte." „Ich weiß, daß ich es nicht beweisen kann", sagte Franco hart. „Aber das ändert nichts. Ich bin hier, um Sie zu warnen, Reggazzo. Ich pflege zurückzuschlagen, wenn ich angegriffen werde. Ich lasse mich nicht einschüchtern. Auch nicht von Ihnen." „Sind Sie sicher?" fragte der Mafiaboß lächelnd. Franco starrte ihn an. „Ziemlich sicher", sagte er gedehnt. „Tatsächlich? Und was wollen Sie tun, wenn wieder etwas passiert? Glauben Sie, ich lasse Sie ein zweitesmal so nahe an mich herankommen? Sie haben eine Pistole in der Schulterhalfter, wie ich sehr wohl sehe. Was wollen Sie damit? Mich erschießen? Und was, bitte sehr, würde Ihnen das nützen?" Franco konnte sich einer gewissen Bewunderung für die Kaltblütigkeit des anderen nicht erwehren.
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„Sind Sie so sicher, daß ich es nicht tun werde?" fragte er. „Geht es über Ihre Vorstellungskraft, daß ich vielleicht eine gewisse Rachsucht empfinde?" „Und was hätten Sie davon? Ein Dutzend Zeugen hat Sie mit mir zusammen im Haus verschwinden sehen. Sie würden den Rest Ihres Lebens im Zuchthaus verbringen. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihre Zukunftspläne so aussehen." Franco grinste. „Stimmt", sagte er. „Aber meine Zukunftspläne sehen auch nicht so aus, daß ich mich von Ihnen aus dem Geschäft boxen lasse, Reggazzo." „Das sagten Sie bereits." Der Mafiaboß zögerte einen Moment, dann atmete er tief durch. „Testis Angebote an Mr. Greer waren vielleicht nicht ganz fair, wie ich zugeben muß. Würden Sie einen angemessenen Preis akzeptieren? Einen Preis, der Ihnen bei der ganzen Transaktion einen gewissen Gewinn sichert? „Warum sollte ich?" fragte Franco ruhig. Reggazzo sah ihn an. Bisher hatte sich auch der Mafiaboß höflich und gelassen gegeben, jetzt ließ er die Maske fallen. Sein Gesicht verkantete sich. Die dunklen, tiefliegenden Augen wirkten hart und ausdruckslos wie erstarrte Lava. „Wir sind allein", stellte er fest. „Es gibt für dieses Gespräch genausowenig Zeugen, wie es sie für Ihre Unterhaltung mit Angelo Testi gegeben hat. Deshalb werde ich Ihnen jetzt ganz klar sagen, warum Sie mein Angebot annehmen sollten, Mr. Hiller." „Da bin ich aber gespannt", sagte Franco trocken. „Gespannt? Ich halte Sie für klug genug, um von selbst zu wissen, was hier läuft, Hiller. Wenn Sie nicht freiwillig verkaufen, werde ich dafür sorgen, daß Sie verkaufen müssen, wenn Sie nicht Bankrott anmelden wollen. Und dann, das ist Ihnen wohl klar, werden Sie mit Verlust verkaufen. Ihre Kunden werden die Verträge brechen. Ihre Leute werden kündigen. Weil sie Angst um ihre Haut haben. Sie werden auf -117-
die Dauer keinen einzigen Tankwagen mehr heil durchbekommen, Mr. Hiller, Sie werden ..." „Soll das eine Drohung sein?" „In der Tat", sagte Reggazzo kalt. „Das soll eine Drohung sein. Ich pflege zu bekommen, was ich haben will. Und die Leute, die sich auf die Hinterbeine stellen, sehen im allgemeinen sehr schnell ein, daß sie nur sich selbst schaden. Sie werden das auch einsehen, Mr. Hiller. Spätestens morgen, das kann ich Ihnen versichern." Franco zog die Lippen von den Zähnen. „Ich werde es weder morgen noch übermorgen noch überhaupt irgendwann einsehen", behauptete er. „Sie können mich kreuzweise, Mr. Reggazzo. Haben Sie das verstanden?" Der Mafiaboß drückte seine Zigarette im Ascher aus. Er lächelte immer noch. Ein selbstsicheres, überlegenes Lächeln, in dem die kalte Drohung nicht zu übersehen war. „Sie werden es einsehen", sagte er ruhig. „Ich bin morgen den ganzen Tag hier in meinem Büro zu erreichen. Lassen Sie sich die Sache durch den Kopf gehen, Mr. Hiller. Überschlafen Sie sie! Ich bin sicher, daß Sie morgen wieder hiersein werden und daß wir uns dann einigen können." Franco preßte die Lippen zusammen. Jetzt legte er unterdrückten Zorn in seinen Blick. Einen Zorn, den er nicht einmal zu spielen brauchte. Er wußte die Worte seines Gegners zu deuten, er wußte, daß der Mafiaboß versuchen würde, ihm auf irgendeine drastische Weise zu zeigen, daß er keine Chance hatte. „Sie irren sich, Reggazzo", knirschte er. „Ich werde bestimmt nicht zu Kreuze kriechen. Ich nicht!" „Abwarten", sagte der Gangster gelassen. „Sonst noch etwas, Mr. Hiller?" „Lassen Sie mich in Ruhe! Das ist der beste Rat, den ich Ihnen geben kann. Ich sagte schon, daß ich zurückschlage. Es -118-
könnte leicht sein, daß bei Gelegenheit auch hier bei Ihnen etwas passiert, wenn Sie nicht zur Vernunft kommen." Das abfällige Zucken von Reggazzos Mundwinkeln verriet deutlich, was er von der Drohung hielt. „Ich habe zu tun, Mr. Hiller", erklärte er. „Wenn Sie also alles gesagt haben, was Sie sagen wollten ..." „Ich habe alles gesagt. Und ich hoffe in Ihrem eigenen Interesse, daß Sie sich danach richten. Auf Wiedersehn, Mr. Reggazzo." Franco schob seinen Stuhl zurück. Sein Gesicht war unbewegt, als er sich verabschiedete genauso unbewegt wie das des Gangsters. Reggazzo begleitete ihn, ganz der höfliche Gastgeber, bis hinaus auf den Verandavorbau. Ein paar von den Arbeitern sahen neugierig herüber, als Franco wieder in seinen Wagen kletterte. Einen Erfolg, dachte er, hatte er immerhin schon zu verzeichnen: Bei den Männern der „Top-Tex" würde er von jetzt an als jemand gelten, der vom Boß persönlich empfangen wurde und dem man deshalb keine Schwierigkeiten machen würde, wenn er das Gelände betreten wollte. Vielleicht konnte sich das irgendwann noch einmal günstig auswirken. Francos Gedanken arbeiteten, als er durch das große Tor auf die Straße fuhr. Er wußte nicht, wie es weitergehen würde, hatte deshalb auch noch keinen festen Plan. Aber er wußte eins: Daß das Gesetz des Handelns jetzt bei seinen Gegnern lag und daß er in den nächsten vierundzwanzig Stunden höllisch aufpassen mußte. Etwas würde passieren. Francos Aufgabe war es in erster Linie, zu verhindern, daß es - was immer es war - wieder unschuldige Opfer kostete. Und ob
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sich dabei die Chance ergab, Carlo Reggazzo in seinem eigenen Netz zu fangen, mußte sich noch herausstellen. * Für eine Weile lief Carlo Reggazzo in seinem Büro auf und ab wie ein gefangener Tiger. Er war wütend. Dem Besucher gegenüber hatte er sich beherrscht, jetzt verzerrte sich sein Gesicht, und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Arroganter Dreckskerl, dachte er. Dieser Hiller schien tatsächlich gesonnen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Reggazzo hatte das Äußerste an Entgegenkommen gezeigt, als er für die „Greer Oil" einen fairen Preis bot. Er hatte es getan, weil es im Zusammenhang mit dieser Firma schon zu viel unliebsames Aufsehen gegeben hatte. Der Gangsterboß wußte, wie wenig die „ehrenwerte Gesellschaft" solches Aufsehen schätzte. Aber John Hiller ließ sich nicht einmal mit der Aussicht auf einen guten Gewinn locken, und das hieß, daß eine weitere spektakuläre Aktion nicht zu umgehen war. Nur flüchtig überlegte Carlo Reggazzo, ob er das Objekt nicht besser aufgeben sollte. Er verwarf den Gedanken sofort wieder. Er brauchte die „Greer Oil". Wenn es ihm nicht gelang, die Firma in die Hand zu bekommen, würde man ihm das als Versagen auslegen. Und so unangreifbar war seine Position innerhalb der Mafia nicht, daß er sich ein Versagen leisten konnte, ohne persönliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Zähneknirschend drückte er seine Zigarette im Ascher aus und griff zum Telefon. Die Nummer, die er wählte, kannte er auswendig. Am anderen Ende der Leitung wurde sofort abgenommen. „Reggazzo", meldete sich der Gangsterboß. „Ist alles wunschgemäß verlaufen?" „Ja, Sir. Der Bursche hat keine Schwierigkeiten gemacht." -120-
„Und er weiß nicht, für wen er arbeitet?" „Er hat keine Ahnung, genau wie Sie es wünschten." „Zuverlässig?" „Bestimmt, Sir. Ich habe selten jemanden getroffen, der auf die paar Dollar so versessen war. Er sagt, es ist ganz einfach. Er braucht nur ein paar Sicherungen herauszudrehen." „Sehr gut", sagte Reggazzo zufrieden. „Wir brauchen den Burschen heute abend. Und du wirst dann während der Nacht mit deinen Leuten den Rest übernehmen." „Wie beim letztenmal?" „Wie beim letztenmal", bestätigte Reggazzo. „Noch Fragen?" Der Mann am anderen Ende der Leitung hatte keine Fragen mehr. Er war Spezialist. Für Carlo Reggazzo hatte er schon mehr als nur einen Auftrag erledigt, und er würde auch in diesem Fall schnell und zuverlässig arbeiten. Als der Gangsterboß wenig später den Hörer auflegte, stand ein Glitzern bösen Triumphs in seinen Augen. * Am Nachmittag schlief Franco ein paar Stunden, weil er wußte, daß er in der Nacht nicht dazu kommen würde. Auf dem Gelände lief alles wie üblich. Gegen Abend kam ein Teil der Tankwagen von ihren Touren zurück. Die Männer machten Feierabend. Allmählich wurde es still. Franco schloß eigenhändig das große Tor ab: Normalerweise tat das der Nachtwächter, wenn er kam, aber heute würde er auf Francos Anweisung zu Hause bleiben. Der Mafiajäger war sicher, daß seine Gegner noch in dieser Nacht zuschlagen wollten. Er ahnte auch, daß das hier auf dem Firmengelände geschehen würde, und er wollte nach Möglichkeit verhindern, daß dabei irgend jemand zu Schaden kam. -121-
Es war reine Routine, daß er um Mitternacht noch einmal die Sicherheitseinrichtungen kontrollierte. Dabei merkte er, daß jemand die Alarmanlage ausgeschaltet und die Stromzufuhr für den elektrischen Zaun unterbrochen hatte. Ein Angestellter der Firma zweifellos, ein Mann, der von der Mafia bestochen worden war. Franco verzichtete darauf, Stromzufuhr und Alarmanlage wieder einzuschalten. Wenn er jetzt die Pläne seiner Gegner durchkreuzte, war die Sache nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Er dachte an die Explosion des Tankwagens, an Reggazzos Drohung. Möglich, daß der Gangsterboß den gleichen teuflischen Anschlag ein zweitesmal versuchen würde. Beim letztenmal hatte er einen Zeitzünder verwendet und ... Zeitzünder! Franco kniff die Augen zusammen, überlegte scharf, spürte den Gedankenverbindungen nach, die das Wort in ihm geweckt hatte. Ein Zeitzünder ... Ein Tankwagen, der eine Bombe spazierenfuhr ... Carlo Reggazzo, der in seinem Büro darauf wartete, daß er, Franco, die totale Kapitulation anbot ... In seinem Kopf begannen schemenhaft die ersten Umrisse eines Plans zu entstehen. Er lächelte matt. Wenn er sich nicht sehr irrte, würden ihm seine Gegner Gelegenheit zu einem Schachzug geben, mit dem sie bestimmt nicht rechneten. Der Mafiajäger warf einen Blick zur Uhr, dann verließ er leise das Büro und begann einen Rundgang, um den Zaun zu kontrollieren. Noch war er unbeschädigt. Franco zog sich in den Schatten eines Schuppens zurück und lauschte auf das ferne Motorenbrummen, das wenig später verstummte. Er durfte sich nicht darauf verlassen, daß die Aktion seiner Gegner einem der Tankwagen gelten würde. Sie hatten schon einmal ein ganzes Benzinlager in die Luft gejagt. Das hieß, daß er ihre Ankunft nicht verpassen durfte. Sie -122-
würden vorsichtig sein, da sie damit rechnen mußten, daß er wachsam war. Und es würde sich um Spezialisten handeln, Spitzenleute, die ihr Fach verstanden. Franco blieb nichts übrig, als sich so weit wie möglich auf sein Gehör zu verlassen. Vorsichtig bewegte er sich über das weitläufige Gelände, blieb immer wieder lauschend stehen, hielt sich im Schatten von Schuppen und Wagen. Lediglich die Highwaybeleuchtung sorgte für etwas Helligkeit. Vereinzelt kamen Wagen vorbei, doch Franco war sicher, daß seine Gegner ihr Fahrzeug außer Sichtweite abstellen würden. Kurz nach zwei Uhr hörte er wieder das Brummen eines Motors, das dann abbrach. Beim ersten Mal war der betreffende Wagen offenbar in einen Feldweg abgebogen, doch diesmal verstummte das Geräusch zu abrupt, um diesen Schluß zuzulassen. Franco wechselte die Richtung, schlich dorthin, wo seine Gegner vermutlich auftauchen würden, wenn sie tatsächlich mit dem Wagen gekommen waren, den er gehört hatte. Der Mafiajäger duckte sich in den Schatten eines Wellblechschuppens, in dem Ersatzteile gelagert wurden, spähte um die Ecke und wartete. Der Zaun lag in seinem Blickfeld. Niedriges Gestrüpp wucherte auf der anderen Seite, zwei Autowracks rosteten vor sich hin. Dort, wo der Damm des Highways anstieg, war ganz kurz eine schemenhafte Bewegung zu sehen. Später raschelte es ein paarmal im Gestrüpp. Geräusche, die auch von einem Tier verursacht worden sein konnten. Erst eine Viertelstunde später schälten sich ein paar geduckte Gestalten aus dem Schatten. Drei Männer ... Sie trugen schwarze Jeans, schwarze Rollkragenpullover, dünne schwarze Strumpfmasken - eine Tarnung, die sie in der Dunkelheit fast unsichtbar machte. Die Lautlosigkeit ihrer Annäherung ließ auf Übung schließen. Franco vermutete, daß es sich um ehemalige GIs handelte, -123-
Vietnam-Veteranen, wie sie nach der Beendigung des Krieges zu Tausenden arbeitslos auf der Straße gesessen hatten, von denen nur allzuviele auf die schiefe Bahn geraten waren ... Minutenlang lauschten sie, dann schienen sie sicher zu sein, daß die Luft rein war. Einer von ihnen glitt dichter an den Zaun heran, berührte den Maschendraht mit der Spitze eines Schraubenziehers, dessen Griff isoliert war, und überzeugte sich, daß der Strom tatsächlich abgeschaltet war. Danach ging er mit der Drahtschere zu Werke, kappte ein paar Maschen in unmittelbarer Bodennähe und flocht den Zaun an dieser Stelle vorsichtig auseinander, damit er das Loch später so wieder schließen konnte, daß die Beschädigung zumindest auf den ersten Blick nicht zu sehen war. Nacheinander schlüpften die drei Männer durch die Lücke. Franco hatte sich ein Stück zurückgezogen, lauschte und setzte sich erst in Bewegung, als sich die Schritte seiner Gegner entfernt hatten. Wie ein Schemen folgte er den Eindringlingen und ein paar Minuten später wußte er, daß ihr Ziel tatsächlich die Tankwagen waren. Franco runzelte die Stirn. Wenn die Kerle einen der Angestellten bestochen hatten, waren sie wohl auch darüber informiert, welcher der Wagen wann startete. Auf dem Gelände wollten sie ihn wohl nicht in die Luft jagen: Das konnte zu einer Katastrophe von Ausmaßen führen, die bestimmt nicht im Interesse der Mafia lagen. Franco wußte Reggazzos Angebot, einen, großzügigen Preis zu zahlen, durchaus einzuschätzen: es war dem Wunsch entsprungen, weitere spektakuläre Ereignisse nach Möglichkeit zu vermeiden. Das Unglück auf dem Campingplatz hatte genug Aufsehen erregt. Nach dieser Sache würde auch ein auf freier Strecke explodierender Tankwagen, der sonst vielleicht nicht mehr Aufmerksamkeit gefunden hätte als ein normaler Verkehrsunfall, die Gemüter ziemlich erhitzen, Reggazzo -124-
steckte in der Klemmen. Einerseits stand er unter Erfolgszwang, andererseits durfte er hier keinen Hexenkessel entfesseln - und er hatte offenbar genau die Entscheidung getroffen, mit der Franco gerechnet hatte. Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete er die drei Männer, die sich zwischen den Tankwagen bewegten. Einer von ihnen hielt Wache und spähte angestrengt zu der dunklen Bürobaracke hinüber. Die beiden anderen tauchten unter das Heck des mittleren Fahrzeugs. Metall klirrte leise. Franco hörte schabende Geräusche, einmal einen halb unterdrückten Fluch. Die Männer brauchten nur wenige Minuten, dann krochen sie wieder unter dem Wagen hervor. „Das gibt einen ganz hübschen Knall", flüsterte der Größere von ihnen. „Genau um halb zehn." Auch sein Komplize flüsterte. „Der Karren dürfte dann kurz vor Athens sein. Viel Verkehr herrscht da nicht um diese Zeit. Ich möchte wissen, warum der Boß plötzlich so zimperlich ist." „Damit es nicht mehr Trouble gibt als nötig, du Narr. Komm' jetzt! In fünf Minuten wird der Nachtwächter seine nächste Runde machen." „Wetten, daß der sich überhaupt nicht aus seiner Hütte traut? Und dieser komische Typ aus San Diego scheint sich auch verkrümelt zu haben." Von wegen, dachte Franco, während er den Schritten der drei Männer nachlauschte. Sie schlüpften durch den Zaun, flochten sorgfältig den Maschendraht wieder zusammen und häuften Staub und ein paar kleine Steine über die durchgeschnittenen Stellen. Der Mafiajäger beobachtete sie aus der Deckung des Wellblechschuppens. Die Kerle waren völlig ahnungslos. Wahrscheinlich wäre es leicht gewesen, sie zu überrumpeln -125-
aber das hätte nicht viel genutzt, da diese knallharten ProfiTypen nur in den allerseltensten Fällen redeten. Außerdem hatte Francos Plan inzwischen feste Gestalt angenommen. Ein Plan, bei dem er mit etwas Glück den Kopf des Unternehmens treffen, Reggazzo selbst das Handwerk legen konnte. Um halb zehn würde die Bombe hochgehen, hatte ihm die Unterhaltung seiner Gegner verraten. Und um diese Zeit würde Carlo Reggazzo bereits in seinem Büro sitzen ... Die drei Gangster zogen sich wieder zwischen die Büsche zurück. Diesmal bewegten sie sich rascher und weniger vorsichtig, da sie nicht mehr befürchten mußten, daß eine Entdeckung ihre Pläne durchkreuzte. Franco wartete, bis er die drei dunklen Gestalten über die Schräge des Highway-Damms klimmen sah. Der Mafiajäger wandte sich ab, huschte zu den Tankwagen hinüber und lag bereits unter dem Heck des mittleren Fahrzeugs, als in der Ferne der Motor des Gangsterwagens gestartet wurde. Die Bombe war gut getarnt, aber nicht gut genug für jemanden, der mehr als nur einen flüchtigen Blick unter den Wagen warf. Franco ging noch einmal ins Büro zurück, holte eine starke Batterielampe, die er unter das Heck stellte, dann machte er sich daran, den Sprengsatz zu demontieren. Er brauchte eine Viertelstunde dazu, da er behutsam zu Werke ging, um nicht zu riskieren, daß ihm die Ladung um die Ohren flog. Als er die Lampe ausschaltete und sich unter dem Wagen wegrollte, war die Gefahr gebannt. Vorsichtig trug Franco die Bombe zu seinem gemieteten Camero und deponierte sie im Kofferraum. Scharf war sie jetzt nicht mehr. Aber aus der Nähe des Öl- und Benzinlagers mußte sie auf jeden Fall so schnell wie möglich entfernt werden.
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Im Büro baute Franco den Zeitzünder auseinander und überzeugte sich davon, daß er tatsächlich auf die Zeit eingestellt war, die die Gangster genannt hatten. Danach griff er zum Telefon und wählte die Privatnummer seines Verbindungsmanns. Hal Dermont war zu Hause - und Francos Bericht verschlug ihm sekundenlang die Sprache. „Diese Drecksbande!" knirschte er. „Und warum, zum Teufel, haben Sie die Burschen entwischen lassen?" „Weil es nicht um die kleinen Fische, sondern um den großen Hal geht. Ich habe mit der Bombe etwas vor. Ich will sie, bildlich gesprochen, Reggazzo unter den eigenen Hintern schieben." „Hey", sagte Dermont alarmiert. „Keine Angst, es wird nichts passieren. Ich erzähle Ihnen das später. Zuerst mal will ich jetzt das Teufelsei loswerden. Benzin und Dynamit paßt nicht so gut zusammen." „Wir können das Ding mit einem Spezialfahrzeug abholen und ..." „Lieber nicht. Ich halte es für möglich, daß Reggazzo das Gelände zumindest aus der Ferne beobachten läßt. Am besten komme ich mit dem Wagen zu einem Treffpunkt, wo wir das Baby umladen." Genauso geschah es. Hal Dermonts Kollegen wirkten sichtlich verständnislos: Der Special-Agent, der als Kontaktmann für COUNTER MOB fungierte, würde seine Phantasie arg strapazieren müssen, um ihnen später eine Erklärung für die Vorgänge zu liefern. Vorerst wurden keine Fragen gestellt. Das Spezialfahrzeug startet. Hal Dermont schwang sich auf den Beifahrersitz des Camero und zündete sich eine Zigarette an. „Und wie, bitte sehr, wollen Sie das Teufelsding jetzt unter Reggazzos Hintern schieben?" erkundigte er sich. -127-
Franco grinste. „Der Kerl erwartet mich morgen in seinem Büro, in der Annahme, daß ich zu Kreuze kriechen werden", sagte er. „Ich gehe hin. Aber vorher erstatte ich offiziell Anzeige gegen ihn. Zusammen mit der Aussage dieses Billy Larsen und den übrigen Hinweisen dürfte das wohl genügen, um die richterliche Genehmigung für eine Abhör-Aktion zu erwirken." „Abhör-Aktion?" „Mit allen Schikanen! Vor allem mit genügend Zeugen, die die Richtigkeit der Tonband-Aufzeichnung beeiden können." „Kein Problem", meinte Dermont gedehnt. „Aber so schlau, daß er nicht ein zweitesmal völlig offen mit Ihnen spricht, dürfte Reggazzo ja wohl auch sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er darauf hereinfällt." „Er wird darauf hereinfallen", sagte Franco trocken. „Und anschließend werden Sie ihn nicht nur der Erpressung überführen können, sondern der Anstiftung zum Mord. Die Abhör-Aktion muß spätestens um neun Uhr morgens beginnen. Kann ich mich darauf verlassen?" „Können Sie. Wollen Sie mir nicht verraten, was Sie vorhaben?" Franco sagte es ihm. Zwei Sekunden lang war Hal Dermont völlig verblüfft. Aber dann begannen seine Augen zu funkeln, und auf seinem Gesicht erschien ein amüsiertes Grinsen. * Um 8,30 Uhr am nächsten Morgen betrat Carlo Reggazzo sein Office. Er war überzeugter Frühaufsteher, und im Gegensatz zu manchen anderen Bossen der „ehrenwerten Gesellschaft" pflegte er tatsächlich zu arbeiten. Von dem unsichtbaren Netz, daß sich -128-
um ihn zusammenzog, ahnte er nichts. In aller Ruhe sah er die Post durch, las die Morgenzeitung und rauchte dabei die erste Zigarette des Tages. Um neun Uhr rief er seinen Sprengstoff-Spezialisten an, um nachzufragen, ob alles geklappt hatte. Kein verräterisches Knacken in der Leitung wies darauf hin, daß das Gespräch abgehört wurde. Nur wenige Worte fielen Worte, aus denen kaum etwas zu entnehmen war. Aber den Technikern des FBI gelang es, den Anschluß des Gesprächsteilnehmers zu orten - und das war für die Killertruppe der Anfang vom Ende. Carlo Reggazzo hielt die Bombenwerkstatt seiner Leute für sicher. Um zehn nach neun rief er Angelo Testi an und erklärte ihm, daß er ihn brauche: Aus Tarnungsgründen sollte das Geschäft auch diesmal über den Makler laufen. Testi versprach, spätestens in einer halben Stunde zu kommen. Reggazzo legte den Hörer auf und hob ihn sofort wieder ab, da das Telefon im gleichen Augenblick wieder anschlug. Helenio Capello war am anderen Ende der Leitung. Er hatte in Fort Worth und Cleburne mit einigen anderen störrischen Opfern verhandelt. Auch sein Bericht war nicht eigentlich verräterisch. Aber es fielen Namen dabei - und später würde dieses Telefongespräch dem FBI dabei helfen, endlich Zeugen zu finden, die bereit waren, gegen die Gangster auszusagen. Carlo Reggazzo zündete sich eine weitere Zigarette an und sah den Rauchringen nach. Er grübelte. Die neue drastische Warnung würde diesem John Hiller aus San Diego reichen, davon war der Gangsterboß jedenfalls überzeugt. Und wenn nicht? Wenn der Bursche anders war, härter als selbst der starrköpfige Jayson Greer, der am Ende doch aufgegeben hatte? Aufgegeben, ja! Mit einem -129-
Paukenschlag sozusagen, unter Hinterlassung diverser Probleme. Er mußte gewußt haben, an wen er seinen Laden da verkaufte. Und Hiller mußte gewußt haben, worauf er sich einließ, begriff der Mafiaboß plötzlich. Das Rollkommando, dem der junge Mann rein zufällig in die Hände gefallen war, hatte ihn als typischen Sonnyboy geschildert. Aber das war er nicht, ganz und gar nicht -und das wiederum hieß, daß er den netten, harmlosen Jungen ganz bewußt gespielt hatte. Wer, zum Teufel, war dieser Mann überhaupt? Reggazzo wurde plötzlich klar, daß er so gut wie nichts über den Burschen wußte. Ein paar Routine-Nachforschungen in San Diego hatten nur ergeben, daß dort tatsächlich ein Millionenerbe namens John Hiller eine Villa besaß, in der er allerdings selten auftauchte. Das alles erschien dem Mafiaboß plötzlich merkwürdig dünn - und fast erschrocken begriff er, wie blind er sich darauf verlassen hatte, daß sein Gegner tatsächlich war, was er zu sein vorgab. Er würde genauere Nachforschungen anstellen. Und bis dahin mußte er vorsichtig sein, äußerst vorsichtig. Wütend preßte er die Lippen zusammen und fragte sich zum wiederholte Male, ob es nicht besser sei, diesen Teil der Angelegenheit vorerst aufzugeben. Wenn es nur um die Zeit gegangen wäre! Aber wenn er die „Greer Oil" ungeschoren ließ, würden sich auch andere auf die Hinterbeine stellen. Es half alles nichts. So sehr Reggazzo das Problem auch drehte und wendete - er kam immer wieder zu dem gleichen Ergebnis: daß er mit John Hiller fertigwerden mußte. Reggazzo biß die Zähne zusammen und warf einen Blick auf die Wanduhr. Viertel nach neun.
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Noch fünfzehn Minuten, dann würde irgendwo auf dem Highway ein Tankwagen in die Luft fliegen. Aber Carlo Reggazzo war plötzlich gar nicht mehr so sicher, daß diese letzte Warnung tatsächlich genügen würde. * Zwanzig Minuten zuvor hatte der Fahrer, der den Tankwagen über Athens nach Jacksonville bringen sollte, zu seiner gelinden Überraschung erfahren, daß der neue Firmenchef beschlossen hatte, sich heute höchstpersönlich ans Steuer zu setzen. Der Trucker begriff das nicht, aber er hielt sich nicht damit auf, lange darüber nachzudenken. Ein freier Tag war ein freier Tag, ganz gleich, welcher verrückten Laune er ihn verdankte. Franco schwang sich ins Führerhaus, stilecht mit einem grünen Augenschirm angetan, startete den Motor und bewies seiner staunenden Belegschaft, daß er durchaus mit dem schweren Fahrzeug umzugehen verstand. Er konnte notfalls auch mit einem Schützenpanzer fertigwerden: Die Ausbildung bei COUNTER MOB war sehr vielseitig gewesen. Vorsichtig lenkte er das röhrende, vibrierende Monstrum durch das Tor auf den Highway. Binnen Minuten erreichte er die Umgehungsstraße. Um nach Athens zu gelangen, hätte er wenig später abbiegen müssen, doch er zog an der Einmündung vorbei und rollte weiter. Sein Ziel war das Gelände der Firma „Top-Tex". Unter der linken Achsel fühlte er den beruhigenden Druck der Beretta. Alles kam darauf an, daß er sich nicht aufhalten ließ, doch er hatte ohnehin nicht den Eindruck gehabt, daß der Mafiaboß in seinem Büro von Gorillas bewacht wurde. Wahrscheinlich fühlte er sich sicher auf dem belebten Gelände zwischen Dutzenden seiner Angestellten. Außerdem hatte er gestern laut genug erklärt, daß er heute einen weiteren Besuch -131-
des vermeintlichen John Hiller erwartete. Franco glaubte nicht, daß es Schwierigkeiten geben würde. Seine Haltung spannte sich, als die Gebäude der Firma „TopTex" hinter der nächsten Biegung auftauchten. Er hatte Glück: Das Tor stand sperrangelweit offen, da wohl gerade ein Fahrzeug das Gelände verlassen hatte. Franco drückte kurz auf die Hupe, um sich bemerkbar zu machen, bevor das Tor wieder geschlossen wurde. Zwei Männer in ölverschmierten Overalls sahen ihm überrascht entgegen. Er winkte ihnen zu, fuhr durch das Tor, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt - und da sie ihn erkannten, machten sie keinen Versuch, ihn aufzuhalten. Klippe Nummer eins war damit überwunden. Franco lächelte hart und öffnete die Knöpfe seiner Lederjacke, um im Notfall schneller an die Beretta in der Schulterhalfter zu kommen. Von einem Polizeieinsatz hatte er bisher nichts bemerkt, aber er wußte, daß er sich auf Hal Dermont verlassen konnte. Sein Blick glitt über die Fenster des zweistöckigen Holzbaus, in dem Reggazzos Büro lag. Nichts rührte sich, denn das Motorengebrumm eines schweren Tankwagens hatte für den Gangsterboß nichts Verdächtiges. Daß einer dieser Tankwagen unmittelbar vor das Gebäude gefahren wurde, war schon ungewöhnlicher - doch es würde etwas dauern, bis Carlo Reggazzo aus dieser Tatsache die richtigen Schlüsse zog. Franco stellte den Motor ab, zog die Handbremse an und stieß den Wagenschlag auf. Die Türkante stieß gegen die Hauswand. Der Mafiajäger hatte den Zündschlüssel abgezogen, jetzt schlug er die Tür zu, schloß sie blitzartig ab und ließ den Schlüssel in die Jackentasche gleiten. Nichts konnte den schweren Wagen jetzt noch so leicht von der Stelle bewegen.
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Zumindest nicht schnell genug - und Franco war sehr gespannt auf das Gesicht, das der Gangsterboß machen würde, wenn ihm erst einmal klarwurde, daß die Bombe jetzt vor seiner eigenen Haustür tickte. * Der Kastenwagen war als Wäscherei-Fahrzeug getarnt. Von innen sah er aus wie eine Mischung aus Werkstatt und Funkzentrale. Tonband-Spulen drehten sich, ein Techniker beobachtete die Zeiger der Skalen, die über die Qualität der Aufzeichnung Auskunft gaben. Gleichzeitig wurde jedes Geräusch, das die hochempfindlichen Richtmikrophone auffingen, durch den Lautsprecher übertragen. Jedesmal, wenn auf dem Gelände der Firma „Top-Tex" ein Wagen startete, mußte die Lautstärke gedrosselt werden, da der Lärm unerträglich wurde. Die Geräusche aus dem Büro wurden gelegentlich überlagert - aber die meiste Zeit kamen sie klar genug, daß die Männer in dem Kastenwagen zumindest jedes gesprochene Wort verstehen konnten. Hal Dermont dachte daran, daß schon die abgehörten Telefongespräche ihnen vermutlich einen Schritt weiterhelfen würden. Sie konnten zumindest die Beteiligung von Helenio Capello und Angelo Testi beweisen. Zwar würden die Aufnahmen als solche vor Gericht nicht als Beweismittel anerkannt werden, aber die Aussagen der Männer, die mithörten. Außerdem hatte Reggazzo mit dem Anführer des Trios gesprochen, das die Sprengladung gelegt hatte. Name und Anschrift des Mannes waren bekannt, ein paar Beamte bereits unterwegs zu seiner Adresse. Dermont hielt es für unwahrscheinlich, daß der Bursche in der kurzen Zeit schon alle Spuren seiner tödlichen Basteleien beseitigt hatte.
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Genau um viertel nach neun klopfte jemand ein bestimmtes Signal an die Hecktür des Kastenwagens. Einer der Techniker öffnete. Ein junger G-man steckte seinen Kopf herein. Er grinste, als er Hal Dermont zunickte. „Gerade eben ist ein Tankwagen der Firma ,Greer Oil' auf das Gelände gefahren", gab er bekannt. „Er steht genau unter Reggazzos Fenster. In ein paar Sekunden muß der Zauber losgehen." „Okay", nickte Dermont. „Ab jetzt allgemeine Alarmbereitschaft. Wenn es so weit ist, müssen wir schnell zuschlagen." Der junge Beamte schloß die Tür wieder. Hal Dermont zündete sich eine Zigarette an, obwohl die Luft ohnehin zum Schneiden dick war. Aus dem Lautsprecher drang das Rücken eines Stuhls, als Carlo Reggazzo in seinem Büro aufsprang, und in den nächsten Minuten lauschten die Männer im Wagen so aufmerksam, daß sie kaum zu atmen wagten. * Falls es irgendwelche Bodyguards auf dem Firmengelände gab, schienen sie zu schlafen. Vielleicht wurden sie nicht aufmerksam, weil Franco zu schnell und zielstrebig handelte. Vielleicht verstanden sie auch einfach zu wenig von dem Betrieb hier, um überhaupt zu merken, daß da ein fremder Tankwagen an einer Stelle stand, wo er ganz und gar nicht hingehörte. Die Arbeiter in ihren ölverschmierten Overalls reagierten zwar mit erstaunten Blicken, aber sie hatten gestern gesehen, daß der schwarzhaarige junge Mann dort von Reggazzo empfangen worden war, und sie wunderten sich lediglich darüber, daß er heute mit einem ausgewachsenen Tankwagen aufkreuzte. Carlo Reggazzo begriff überhaupt nichts. -134-
Von seinem Platz hinter dem Schreibtisch aus hörte er nur den Krach, konnte jedoch nichts erkennen. Er schob seinen Stuhl zurück, um ans Fenster zu treten und nachzusehen - aber er tat es ohne besondere Eile. Franco Solo betrat das Office, ohne anzuklopfen. Er öffnete die Tür in der Sekunde, in der Reggazzo begriff, daß der Tankwagen unter dem Fenster nicht der Firma „TopTex" gehörte. Das Quietschen der Angeln ließ den Mafiaboß zusammenzucken. Er wirbelte herum - und blickte in die schwarze, drohende Mündung der Beretta. Mit dem Absatz stieß Franco die Tür zu, griff hinter sich und drehte den Schlüssel. Mehr des psychologischen Effekts wegen, denn er hatte den Eindruck gewonnen, daß es eine ganze Weile dauern würde, bis jemand auftauchte, um nach dem Rechten zu sehen. Reggazzo starrte ihn an. Der Gangsterboß schluckte heftig und hatte Mühe, sich zu fassen. „Sind Sie wahnsinnig geworden?" stieß er hervor. „Was wollen Sie, Mann? Sie müssen auch noch den letzten Rest Ihres lächerlichen bißchen Verstandes verloren haben." „Wieso?" erkundigte sich Franco sehr ruhig. „Weil ich einem Mann, der mich bedroht hat, mit der Waffe in der Hand gegenübertrete? Das geschieht lediglich zu meinem eigenen Schutz, Mr. Reggazzo. Ich bin gekommen, um Sie noch einmal eindringlich zu warnen, Ihr dreckiges Spiel fortzusetzen, verstanden?" Reggazzo kniff die Augen zusammen, bis sie nur noch schmale Schlitze bildeten. Schlagartig spannte sich sein breites, kräftiges Gesicht. Franco mußte an Hal Dermonts Prophezeiung denken, daß Reggazzo seine Drohung nicht wiederholen, sondern sehr schnell darauf kommen würde, daß das Gespräch abgehört wurde. Jetzt schienen seine Gedanken haargenau in diese -135-
Richtung zu gehen, doch er reagierte nur mit einem überheblichen Lächeln, das seine Mundwinkel kräuselte. „Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie sprechen", sagte er reserviert. „Ach nein! Und Sie haben sicher auch nichts damit zu tun, daß meine Fahrer bestochen wurden und reihenweise die Brocken hingeworfen haben." „Bestochen? Ihre Fahrer? Was bringt Sie denn auf diesen abenteuerlichen Gedanken?" „Dreimal dürfen Sie raten!" schrie Franco mit gespielter Wut. „Sehen Sie doch aus dem Fenster, Sie verdammter Bastard! Glauben Sie, es macht mir Spaß, den verdammten Tankwagen da unten persönlich nach Jacksonville zu kutschieren?" Unwillkürlich wandte sich der Gangsterboß wieder dem Fenster zu. Sein Blick hing an dem gewölbten Tank, der in der Sonne leuchtete. Niemand auf dem Gelände schien sich um den Wagen zu kümmern. Reggazzo begriff nicht einmal sofort, was Francos Worte bedeuteten. „Sie scheinen ja sehr vielseitig begabt zu sein", sagte er spöttisch. „Aber ich sehe nicht, was ich mit Ihren Problemen ..." Er stockte. Jetzt war der Penny gefallen. Carlo Reggazzo sah plötzlich blaß und ungesund aus. „Sie fahren den Tankwagen nach Jacksonville?" krächzte er. „Wie Sie sehen, Sie ..." „Über Athens?" „Wie denn sonst? Vielleicht über Houston, Sie ..." „Dann - ist das der gleiche Wagen, der von Anfang an für Jacksonville bestimmt war?"
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„Natürlich ist er das. Was soll die dämliche Fragerei? Hören Sie, Reggazzo, ich sage Ihnen ..." Der Mafiaboß hörte nicht zu. Sein Blick zuckte zu der großen Uhr an der Wand. Zwanzig nach neun! Nein: zweiundzwanzig nach neun schon! Auf Reggazzos Stirn erschienen ein paar feine Schweißperlen, und er rang mühsam um Fassung. „Setzen Sie sich augenblicklich in den verdammten Wagen und verlassen Sie mein Grundstück", stieß er hervor. Franco lächelte schief. Er wußte, was in seinem Gegner vorging. Carlo Reggazzo glaubte, daß der Tankwagen unter seinem Fenster immer noch eine Sprengladung spazierenfuhr. Eine Sprengladung, die um punkt halb zehn explodieren würde. Zu einer Zeit, zu der der Wagen längst hätte über den Highway zwischen Athens und Jacksonville rollen sollen - und zu der er, wenn nicht ganz schnell etwas geschah, stattdessen immer noch vor dem zweistöckigen Holzbau stehen würde. Für den Mafioso war klar, daß niemand in diesem Haus eine Chance hatte, die Detonation zu überleben. Er stand auf glühenden Kohlen. Sein Blick wanderte zwischen der Uhr und der Pistolenmündung hin und her. „Wird's bald?" fauchte er. „Verschwinden Sie, Mann! Hauen Sie mit dem verdammten Wagen hier ab und ..." „Ich denke nicht daran", sagte Franco trocken. „Ich habe mit Ihnen zu reden, Reggazzo, ich ..." „Aber ich rede nicht mit Ihnen! Wenn Sie nicht gehen, gehe ich! Und zwar auf der Stelle!" Die Art, wie sich der Gangsterboß mit mühsam bewahrter Würde in Bewegung setzte, hatte etwas Groteskes. Er hielt Franco für ahnungslos. Aber er rechnete damit, daß das Gespräch belauscht wurde, er wußte, daß er erledigt war, -137-
wenn er auch nur eine Andeutung über die Bombe unter dem Tankwagen machte. Mit verbissenem Gesicht versuchte er, sich an Franco vorbeizuschieben - und schrie leise auf, als ihm der vermeintliche John Hiller die Pistolenmündung vor die Brust stieß. „Hiergeblieben", sagte Franco hart. „Ich bin noch nicht mit Ihnen fertig, Reggazzo, ich ..." „Das ist Hausfriedensbruch! Das ist Nötigung, Erpressung!" Reggazzos Stimme hatte einen schrillen Unterton. „Ich lasse mir das nicht bieten, auch nicht von Ihnen!" Keuchend war er bei den Worten zurückgewichen. Diesmal versuchte er, das Fenster zu erreichen, um es aufzureißen und seine Leute zu Hilfe zu rufen. Mit zwei Schritten war Franco bei ihm und packte ihn am Kragen. „Du bleibst!" stellte er fest. „Wir zwei werden jetzt ein paar Takte Fraktur reden, klar? Ich gehe hier nicht weg, bevor ich nicht eine schriftliche Zusicherung von dir in Händen habe, daß du in Zukunft ..." „Wir können uns einigen!" versprach der Gangsterboß krächzend. „Ich gebe Ihnen jede Zusicherung, die Sie wünschen. Später! Zuerst müssen Sie mit dem verdammten Tankwagen von dem Gelände verschwinden und ..." Franco kniff die Augen zusammen. „Warum?" fragte er hart. „Was ist mit dem Wagen?" Reggazzo schwitzte. Sein Blick klebte an der Uhr. Fünfundzwanzig nach neun! Und der Teufel mochte wissen, ob der Zeitzünder wirklich auf die Sekunde genau eingestellt war. „Kommen Sie mit!" krächzte der Mafioso. „Wir fahren in meine Villa, da läßt sich alles besser besprechen. Schnell, wir..." „Schnell? Wieso schnell? Das gefällt mir nicht, Mann! Wieso, zum Henker, haben Sie es auf einmal so eilig?" Sechsundzwanzig nach neun ... -138-
„Ich ... ich ...", stotterte Carlo Reggazzo mit zitternder Stimme. „Bemühen Sie sich nicht", sagte Franco kalt. „Sie glauben doch nicht wirklich, daß ich mich in Ihre Villa abschleppen lasse, damit Sie mich in aller Ruhe von Ihren Gorillas fertigmachen lassen können. Mir gefällt es hier sehr gut. Und ich habe Zeit, Freundchen." „Du Narr! Du verdammter Narr!" Reggazzo heulte fast. Mit einer wilden Bewegung versuchte er, sich loszureißen, schlug um sich, trat - doch Franco wich mühelos aus, und sein eiserner Griff war nicht zu sprengen. „Aufhören, oder ich verpasse dir eine Vollnarkose!" schimpfte er. „Nein!" Um Himmels willen, nein!" Reggazzos Stimme schrillte. Der Zeiger der Uhr sprang auf siebenundzwanzig nach neun! Noch drei Minuten! Drei Minuten, um das Haus zu verlassen und zu rennen! Reggazzo begriff, daß er hier nicht wegkam. Gleich würde es krachen alles andere spielte jetzt keine Rolle mehr. „Die Bombe!" kreischte er. „Wir müssen hier weg, du Idiot! In drei Minuten fliegt hier alles in die Luft!" „Bombe?" fragte Franco. „Was für eine Bombe?" Dabei verstärkte er seinen Griff noch - und Carlo Reggazzo schloß in verzweifelter Panik die Augen. „Der Tankwagen", gestand er flüsternd. „Der Tankwagen ist mit einer Sprengladung präpariert. Er wird in drei Minuten in die Luft fliegen." * Drei Meilen außerhalb der Stadtgrenze von Dallas hielten zwei Zivilfahrzeuge des FBI am Rand seiner Senke.
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Die Sonne knallte auf die Gebäude der alten Farm. An den Rändern des halb ausgetrockneten Creeks zeigte das Gras ein frisches Grün - die einzige Farbe in der eintönigen gelbbraunen Hügellandschaft. Mesquitegestrüpp bedeckte die Hügelflanken, ein paar Säulenkakteen ragten in die heiße Luft. Die Männer, die die Wagen verließen, bewegten sich geduckt und vorsichtig, um ungesehen an den Gebäudekomplex heranzukommen. In der ehemaligen Wohnhalle lag Art Lipari ausgestreckt auf einem uralten Sofa, döste vor sich hin und griff ab und zu nach der Whiskyflasche, die neben ihm auf dem Boden stand. Die Hälfte des Inhalts hatte er schon in sich hineingeschüttet. Bis zum Abend würde er die ganze Flasche geschafft haben. Nach einem Auftrag mußte sich der Killer Art Lipari betrinken, das war schon immer so gewesen, und es hatte bisher weder ihn noch seine Auftraggeber gestört, da er ansonsten keinen Tropfen Alkohol anrührte und noch nie in die Lage gekommen war, nach getaner Arbeit einen klaren Kopf zu brauchen, um irgendwelchen Schwierigkeiten zu begegnen. Gino Ponessa und Al Danner pokerten. Sie tranken ebenfalls, wenn auch nicht so maßlos wie ihr Anführer. In den Jahren, die sie schon für die Mafia arbeiteten, hatten sie es sich angewöhnt, sich einfach auf Liparis Glück zu verlassen. Der hagere Killer machte keine Fehler, setzte nie einen Auftrag in den Sand, hinterließ keine Spuren und hatte niemals Schwierigkeiten. Keiner der Gangster dachte im Traum daran, etwa eine Wache aufzustellen und die Gegend zu beobachten. Sie rechneten mit keiner Gefahr, und selbst der überspannte, stets nervöse Al Danner fühlte sich zu sicher, um die Annäherung der G-men zu bemerken. Für die Beamten war die Sache lächerlich einfach. Sie umstellten das Haus, spähten durch die Fenster, sondierten die Lage. Lipari schlief fast. Ponessa und Danner konzentrierten sich voll auf ihr Spiel, da sie gerade beide ein Full House auf der -140-
Hand hatten und der Dollarstapel im Pott immer weiter wuchs. Sie achteten nicht auf ihre Umgebung, hatten Schweißperlen auf der Stirn - und sie wurden völlig überrascht, als plötzlich die Tür aufflog. Erschrocken warfen sie die Köpfe herum. Lipari war von der halben Flasche Whisky so benebelt, daß er erst begriff, als sich bereits die Handschellen um seine Gelenke schlossen. Ponessa und Danner schafften es noch aufzuspringen. Ihre Stühle kippten um, ihre Hände zuckten in Richtung Schulterhalfter - doch da wimmelte der Raum schon von bewaffneten G-men. Ponessa hob die Arme. Danner drehte durch, wollte die Pistole ziehen und sich den Weg freischießen. Ein Handkantenschlag prellte ihm die Waffe aus den Fingern, ehe er sie richtig zu fassen bekam, und wieder schnitt das metallische Klicken der Handschellen durch die Stille. „Was soll das?" krächzte Ponessa, der zwar nicht der Cleverste, aber zumindest in der augenblicklichen Situation der Nervenstärkste des Trios war. „Ihr seid wohl verrückt, ihr ..." „Sie sind vorläufig festgenommen", erklärte einer der Beamten gelassen. „Und zwar unter dem Verdacht des mehrfachen Mordes und Mordversuchs, der Transportgefährdung, des Vergehens gegen das SprengstoffGesetz und der Brandstiftung. Hören Sie genau zu, ich werde Ihnen jetzt pflichtgemäß Ihre Rechte vorlesen ..." Ihre Rechte kannten die drei Gangster sowieso. Stumm und bleich starrten sie anschließend auf den Durchsuchungsbefehl. Unfähig zu begreifen, was da über sie hereinbrach. Liparis Telefongespräch mit Carlo Reggazzo war völlig legal abgehört worden, also konnten die gewonnen Erkenntnisse auch zur Grundlage einer legalen Durchsuchung gemacht werden. -141-
Und wenn diese Durchsuchung Beweise zutage förderte, würden sie von jedem Gericht ohne weiteres anerkannt werden. Eine Viertelstunde später hatten die G-men die Werkstatt im Keller gefunden. Eine Bombenwerkstatt, daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Alles sprach dafür, daß hier die Sprengsätze entstanden waren, mit denen die Killer ihre Anschläge verübt hatten - und wenn das so war, würden es die Experten in den Labors anhand der verwendeten Materialien einwandfrei nachweisen können. Art Lipari, Gino Ponessa und Al Danner wußten, daß sie ausgespielt hatten. Sie schwiegen wie die Austern. Kein Wort ohne Anwalt, das war ihre Devise. Ihren Auftraggeber jedenfalls würden sie so schnell nicht preisgeben. Aber das war zu diesem Zeitpunkt auch gar nicht mehr nötig. * Carlo Reggazzo hatte vor den Ohren von einem halben Dutzend unsichtbarer Zeugen ein Geständnis abgelegt. Jetzt riß er sich mit verzweifelter Kraft los und stürmte zur Tür. Für eine winzige Sekunde des inneren Triumphs hatte Francos Aufmerksamkeit nachgelassen. Ein Tritt vors Schienbein war die Quittung. Reggazzo schrie auf, als er vergeblich am Türknauf rüttelte, dann fiel ihm ein, daß sein Gegner abgeschlossen hatte. Mit fliegenden Fingern drehte er den Schlüssel. Franco hätte ihn auf dem Treppenabsatz eingeholt - doch der Mafiaboß raffte sich zu einem Sprung auf, der ihn über die letzten sechs Stufen hinwegtrug, gegen die Haustür prallen ließ und förmlich nach draußen katapultierte. Der ganze Verandavorbau erzitterte, als Reggazzo über die Stufen rollte und im Staub landete. -142-
Der Schatten des Tankwagens fiel über ihn. Panisches Entsetzen ließ ihn wie ein Stehaufmännchen hochschnellen. Verblüfft wandten die Männer in ihren grünen Overalls die Köpfe - aber Reggazzo kam nicht auf die Idee, sie zu warnen. Er rannte, stolperte prompt über einen herumstehenden Werkzeugkasten und schlug von neuem lang hin. Franco hatte die Pistole wieder in die Schulterhalfter geschoben, als er aus dem Haus kam: Er wollte hier keine Schießerei provozieren. Mit einem schnellen Blick spähte er in die Runde - und da sah er den feierlichen schwarzen Cadillac, der gerade durch das offene Tor rollte. Angelo Testis Wagen! Der Makler hatte sich den ungünstigsten Moment für seine Ankunft ausgesucht. Ungünstig für ihn, wohlgemerkt. Er hätte noch eine Chance gehabt, wenn er kaltblütig genug gewesen wäre, die Ruhe zu bewahren - doch was als nächstes geschah, war entschieden zu viel für seine Nerven. Carlo Reggazzo rannte mit verzerrtem Gesicht und ausgebreiteten Armen auf den Cadillac zu, weil er mit dem Fahrzeug der verheerenden Explosion zu entkommen hoffte, die er jede Sekunde befürchtete. Im gleichen Moment begannen ringsum Sirenen zu heulen. Von allen Seiten schossen Patrolcars und zivile FBI-Wagen auf die Umgehungsstraße. Blitzartig war das Tor blockiert. Männer sprangen aus den Fahrzeugen und stürmten das Gelände. Angelo Testi würgte vor Schreck den Motor ab. Er war eingekreist. Reggazzos Benehmen verriet ihm deutlich, daß die Dinge hier eine katastrophale Entwicklung nahmen. Seit dem Besuch des vermeintlichen John Hiller hatte Angelo Testi eine Pistole bei sich, und jetzt verlor er prompt die Nerven. Er sprang aus dem Wagen und griff zur Schulterhalfter. -143-
Blindlings raste er in Richtung Tor, ebenso blindlings schoß er um sich. Einer der Polizisten taumelte zurück und griff sich mit einem Schrei an die Schulter, und dann dröhnte die Luft sekundenlang vom Krachen der schweren Polizeicolts. Angelo Testi wurde an Schulter und Oberarm getroffen und brach zusammen. Nichts Lebensgefährliches, registrierte Franco flüchtig. Er war stehengeblieben, weil er den Beamten nicht in die Schußlinien laufen wollte. Vor ihm stolperte Carlo Reggazzo verzweifelt auf den Cadillac zu, riß die Tür auf, doch da setzte sich auch der Mafiajäger wieder in Bewegung. Der Gangster schaffte es nicht mehr, den Wagenschlag zu schließen. Franco schlug beide Hände um die Türkante. Der Mafioso, der sich von innen an den Griff klammerte, wurde mit einem wilden Ruck aus dem Wagen befördert. Zum drittenmal landete er im Staub, und diesmal versuchte er, wie ein kranker Käfer davonzukriechen. Franco packte ihn am Kragen und zog ihn hoch. Ein atemloser, grinsender Hal Dermont sprang hinzu, und im nächsten Moment schlössen sich Handschellen um Carlo Reggazzos Gelenke. Vom Tor dröhnte eine megaphonverstärkte Stimme, forderte die Leute auf, Ruhe zu bewahren, keinen Widerstand zu leisten und den Anordnungen der Polizei zu folgen. Aber die Männer in ihren grünen Overalls begriffen ohnehin nicht, was geschah, und dachten nicht daran, sich die Finger zu verbrennen. Nur Carlo Reggazzo kreischte immer noch in den höchsten Tönen. „Die Bombe! Die Bombe! Weg hier! Die Bombe ..." „Halt dein Maul!" brüllte ihn Franco an.
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Und als Reggazzo tatsächlich vor Schrecken verstummte, fügte er fast gemütlich hinzu: „Es gibt keine Bombe mehr. Das Ding hatte ich schon entschärft, fünf Minuten nachdem deine Killer es angebracht hatten ..." Carlo Reggazzo brauchte eine volle Minute, um die Worte zu begreifen. Seine Augen quollen vor, das breite, kräftige Gesicht nahm die Farbe von schmutziger Milch an. Er mußte zweimal ansetzen, ehe er sprechen konnte. „K...keine Bombe?" stammelte er. „Keine Bombe", bestätigte Franco gelassen. Reggazzos Kinn sank auf die Brust, und er wäre zusammengebrochen, wenn ihn nicht zwei der G-men gestützt hätten. * Helenio Capello wurde noch am gleichen Tag verhaftet. Das erste, was er im Vernehmungszimmer zu sehen bekam, war Carlo Reggazzos unterschriebenes Geständnis. Der Mafiaboß kam einfach nicht darüber hinweg, daß er auf einen simplen Bluff hereingefallen war. Er war fertig, war gebrochen bis auf den Grund seiner schwarzen Seele - und Helenio Capello begriff sehr schnell, daß er ebenfalls reden mußte, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, den Hauptteil der Schuld in die Schuhe geschoben zu bekommen. Die Aussagen der beiden Männer setzten eine Verhaftungswelle in Gang. Zeugen meldeten sich. Es hagelte plötzlich Anzeigen wegen Erpressung, Körperverletzung, Sachbeschädigung. Ein paar Männer, die in Dallas und Umgebung bisher als ehrenwerte Bürger gegolten hatten, verschwanden spurlos und wurden nie mehr gesehen -aber es waren nur wenige, die schnell genug -145-
begriffen, was die Stunde geschlagen hatte, um dem großen Aufräumen noch zu entgehen. Zumindest im Räume Dallas wurde das Öl- und Benzingeschäft für die „ehrenwerte Gesellschaft" so heiß, daß sie ihre gierigen Finger schleunigst zurückzog. Carlo Reggazzo, Helenio Capello, die drei Bomben-Killer und der verbrecherische Makler Angelo Testi wurden wegen Verabredung zum Mord zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Nach allem, was inzwischen an Beweisen vorlag, war es nicht mehr nötig, daß Franco Solo als Zeuge auftrat. Später erfuhr er, daß die Mafia noch lange nach einem gewissen John Hiller gesucht hatte. Vergeblich - aber das war schließlich kein Wunder. Einen Mann, der nur auf dem Papier existiert, kann nicht einmal die „ehrenwerte Gesellschaft" finden, um sich an ihm zu rächen ... ENDE
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