DIE MüNDIGE WELT 11
DIE MüNDIGE WELT 11. BAND
1. Weißensee -
eHR.
KAI S E R
2. Verschiedenes
VER LAG 1 9 5 6
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DIE MüNDIGE WELT 11
DIE MüNDIGE WELT 11. BAND
1. Weißensee -
eHR.
KAI S E R
2. Verschiedenes
VER LAG 1 9 5 6
M ü N eHE N
©
1956 ehr. Kaiser Verlag Mündten
Alle Redtte, audt die des auszugsweisen Nadtdrucks, der photomedtanisdten Wiedergabe und der übersetzung vorbehalten. - Printed in Germany Satz und Druck: Budtdruckerei Albert Sighart, Fürstenfeldbruck
VORWORT
Dem ersten Band mit einführenden Aufsätzen über Dietrich Bonhoeffer folgt nun ein zweiter. Er legt zunächst die Arbeit von Weißensee vor (20. bis 22. 9. 1955), die sich im Gegensatz zur Betheler Tagung der Bonhoeffer-Freunde ausschließlich mit einer Sache befaßte: dem Begriff der "nichtreligiösen Interpretation". Auf der Tagung der Gesellschaft für Evangelische Theologie in Wuppertal im März berichtete Ernst Wolf, daß unter den schriftlich an Karl Barth gerichteten Fragen die häufigsten solche nach dem BonhoefferVerständnis in der Richtung dieser Sache gewesen sind. Barth zeigte hier f;reilich die geringste Bereitwilligkeit, zu antworten. Er sagte, man solle sich doch - und das sei auch Bonhoeffers würdiger - an den Bonhoeffer halten, der in den früheren Schriften deutliche und klare Äußerungen gemacht habe, statt sich auf den unsicheren Boden der Briefe zu begeben, wo jeder in die Schlagworte hineinlege, was ihm grade am Herzen liege. Das wird zu hören sein. Jedoch nicht so, daß wir die Sache des späten Bonhoeffer liegen lassen und ängstlich werden. Aber vielleicht so, daß wir allmählich deutlicher sehen, wie der spätere Bonhoeffer aus dem früheren hervorgeht. Die Zusammenhänge, das Wiederaufnehmen, das Abbrechen, die Mutationen sind aufregend. Ich hörte unwirsche Firmierungen: Bonhoeffer-Scholastik, die sich breit macht; ganze BonhoefferMidrasche, die aus der Erde (natürlich aus der Erde!) schießen. Wir würden sie gerne alle sehen. Aber lassen wir uns doch nicht abdrängen, dabeizusein, wenn durch Bonhoeffers Vorstöße alte verhärtete Fronten in Bewegung geraten und neue Dialoge anheben, selbst zwischen "Griechen" und "Christen" (Walter Otto WE S. 222), und auch hinzuhören, wenn Leute aus anderen Ländern mit ihrem gänzlich verschiedenen Denkhintergrund an dieser Stelle ein Gespräch mit uns aufnehmen. Um eine Andeutung von dieser Diskussion zu geben und den Blick in die Richtung des Ganzen zu lenken, ist ein zweiter Abschnitt mit verschiedenen Arbeiten und Vorträgen angefügt. Er hätte leicht erweitert werden können. Es hat sich vor allem in Dänemark eine lebhafte Diskussion entwickelt, die uns leider nicht zugänglich ist. Von dort haben wir aber einen Beitrag zum Thema der ökumene erhalten. Es erscheint mir ganz angemessen, daß er von dort kommt statt von uns.
Vor kurzem raunte mir ein deutscher Kirchenführer zu, er habe sich immer gewundert, wieso Dietrich Bonhoeffer sich ausgerechnet mit dem Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen, diesem "merkwürdigen Verein", und mit Life and Work eingelassen habe, statt mit dem theologisch soviel hoffähigeren Faith and Order. Das muß ja wohl damit zusammenhängen, daß Bonhoeffer sich weniger für theologische Plattformen interessiert hat als für Orte, an denen man um das Gebot der Stunde besorgt war - das als einer, der sich sehr versiert auf Plattformen zu bewegen verstand. Zu diesem Thema gibt uns J. Glenth0j überraschende Aufschlüsse. Diese Arbeit wird hoffentlich andere ermuntern, festzuhalten und an uns weiterzugeben, was in ihren Schreibtischen oder ihrer Erinnerung noch aufgehoben ist. Die endlich erstellte Bibliographie wird zu einer Art biographischenAbrisses. G. Roth hat mit großer Hartnäckigkeit jedeEinzelheit aufgespürt und viele werden es ihm danken. Damit wächst freilich auch das Bedürfnis, an die verstreuten Arbeiten heranzukommen. Deshalb soll nun damit begonnen werden, diese, ergänzt durch Unveröffentlichtes, zusammenzufassen. Zunächst ist ein Band geplant, in dem Versprengtes unter den Stichworten Ökumene, Kirchenkampf, Theologie erscheint. Dann einer mit Auslegung, Predigten, Gemeinde. Bei Bekannten und Schülern Dietrich Bonhoeffers müssen noch Rundbriefe, Predigten, Entwürfe, Nachschriften, vielleicht auch wichtige Privatbriefe vorhanden sein, die wir noch nicht oder nicht mehr haben. Jeder, der hier dem Sammeln mit Abschriften oder Originalen hilft, ist hoch willkommen. Es muß noch ein Wort zum Titel gesagt werden. "Die mündige Welt" entspricht nicht genau unseren Wünschen (wie sollte sie auch!) und wurde auch nicht von uns erfunden. Der Titel könnte dazu verleiten, Bonhoeffer vom falschen Ende her zu verstehen, als ob er mit der Anthropologie beginne und ende. Jeder, der in seine Welt eindringt, wird bald gewahr, daß das nicht so ist. Aber die Diskussion hat nun einmal so begonnen. Und warum soll es hier nicht auch so gehen wie anderwärts, wo eine Sache unter einem etwas unglücklichen, aber einprägsamen Titel diskutiert wird? Und dann ist er ja doch auch ein kräftiger Fanfarenstoß, der nun eben so zu dem Hymnus Christi hinzugehört, welchen Bonhoeffer anstimmt. Er hat ihn in einem Augenblick ausgestoßen, als er die erbärmliche Unmündigkeit seiner Umwelt am eigenen Leibe zu spüren bekam, biszum Stummwerden. Genau da hat er sich zu ihrem Anwalt gemacht. Man hat herausgefunden, daß diesen letzten Äußerungen Bonhoeffers die Eschatologie fehlt. Daran ist etwas. Die eschatologische Glut der "Nachfolge" hat er zu diesem Zeitpunkt nicht repetiert. Daß er sie jetzt nicht wiederholte, verhinderte aber ihre Entwertung zu einer Aus-
flucht. Er kannte und fürchtete die beruhigenden Alibi. Ein Alibi kann je zu seiner Zeit beides werden: sowohl die Eschatologie wie die mündige Welt. "Die mündige Welt" ist eine Fanfare im Namen Christi und hoffentlich nicht das Alibi. hier etwas billiger oder durch die Hintertüre zu erlangen. was der klugen Umsicht und dem gehorsamen Einsatz vorbehalten bleibt. Mai 1956
E. Bethge
INHALT
I. WEISSENSEE A. S eh ö n her r,
Bericht über die 2. Tagung zum Studium von Bonhoeffers Werk
9
G. E bel i n g, Die "nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe"
12
G. Ha r b sm eie r, Die "nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe" bei Bonhoeffer und die Entmythologisierung .
74
I. Ursprung und Ansatz der Gedanken Bonhoeffers zur nicht-religiösen Interpretation - II. Verworfene Wege der Verkündigung und der Theologie angesichts der mündig gewordenen Welt - III." Was heißt die Wahrheit sagen?"
II. VERSCHIEDENES E. B e t h g e , Dietrich Bonhoeffer - Der Mensch und sein Zeugnis.
92
R. G. S mit h , Diesseitige Transzendenz
104
J.
116
GI e n t h
ß
j, Bonhoeffer und die ökumene
I. Die Anfänge - II. Der Jugendsekretär - III. Der Dienst der Bekennenden Kirche an der gesamten Christenheit - IV. Entziehung der Lehrbefugnis - V. Die fragende Stimme - VI. Der zweite Briefwechsel mit Faith and Order - VII. Das amerikanische Intermezzo - VIII. Im Warten auf den jüngsten Tag der geschichtlichen Zukunft verpflichtet - IX. Die letzte Frucht seines Ringens - X. Die Stimme eines Boten
Bibliographie
204
1. WEISSENSEE
B E R ICH T üBE R DIE 2. TAG U N G ZUM S TU D IU M VON BONHOEFFERS WERK vom 20. bis 22. September 1955 in Berlin-Weißensee Von Albrecht Schönherr
Freunde und Schüler Dietrich Bonhoeffers hatten sich im August 1954 in Bethel getroffen, um das Erbe Dietrich Bonhoeffers zu sichten. Persönliche Erinnerungen sollten zusammengetragen und festgehalten werden, die theologischen Fragen, die er uns hinterlassen hat, bezeichnet und zur weiteren Erarbeitung herausgestellt werden. Das Ergebnis von Bethelliegt in dem Sammelband "Die mündige Welt" vor. Nun mußte weitergearbeitet werden. Das geschieht ohnehin allenthalben. Es ist erstaunlich, in welchem Umfang sich Bonhoeffers Werk Gehör verschafft hat. Einige besonders smöne und im Hinblick auf das etwas unwirsche Urteil Barths über "Widerstand und Ergebung" überaus erfreuliche Zeugnisse stehen in Band IV, 2 der "Kirchlichen Dogmatik". Es war denen, die sich dem Erbe Dietrich Bonhoeffers nicht nur sachlich verpflichtet fühlen, klar, daß die von Bonhoeffer aufgeworfenen Fragen auch im Rahmen direkten Gespräches angegangen werden mußten. Einmal, weil sie in weitesten Kreisen erregte Diskussionen entfesselt haben, und dann, weil mancherlei allzu eifrige Antworten laut werden, die von dem Gesamtwerk Bonhoeffers aus nur als unzutreffend, manchmal sogar als gefährlich angesehen werden müssen. Bonhoeffer beginnt in einigen Kreisen jüngerer Theologen so etwas wie kanonisch zu werden. Dagegen muß man ihn, der sich selbst nicht mehr wehren kann, zu schützen versuchen. So wurde der Plan gefaßt, zuerst das am meisten besprochene und die extremsten Deutungen zulassende Problem der von Bonhoeffer (leider) so genannten "nicht-religiösen Interpretation der biblischen Begriffe" anzufassen. Dabei war es wichtig, das Werk Bonhoeffers aus einer isolierten Schau herauszuholen, in der es sich weniger sachkundigen Betrachtern leicht darstellt. Diesen Dienst haben die beiden Referate von Ebeling und von Harbsm!}ier, die sie auf der nun zustandegekommenen zweiten Tagung vom 20. bis 22. September 1955 in BerlinWeißensee vorgetragen haben, in hervorragender Weise geleistet. 9
Ebeling hat Bonhoeffers Frage mitten in die theologischen Bemühungen der Gegenwart hineingestellt und Bonhoeffers Erbe damit gewissermaßen "entmythologisiert". Harbsmeier stellte neben die theologiegeschichtliche die gattungsmäßige Einordnung, indem er ihn dem" Theologen" Bultmann als Lehrer der "Weisheit" gegenüberstellte. Die Aussprache war wegen des überraschend großen Plenums von etwa 200 Teilnehmern naturgemäß etwas akademisch-zurückhaltend. Einen breiten Raum nahmen die Fragen ein, die mit der Behauptung einer "religionslosen" und "mündigen" Welt kommen müssen: Ob denn die Welt wirklich mündig geworden sei, ob Bonhoeffers Kritik der Religion das rechte treffe, ob man von Religionslosigkeit reden könne. Weiter führten die Beiträge des Dänen Glenth0j, der die Ethik als 2. Band der Nachfolge, als die Weite, die notwendig der Enge folgen mußte, bezeichnete und damit das Werk Bonhoeffers als einheitlich und folgerichtig erwies. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, daß das Problem der "nicht-religiösen Interpretation" so etwas wie eine Ethik der Verkündigung sei, daß das Problem der christologisch begründeten Ethik die eigentliche Leidenschaft in B.s gesamtem Werk darstelle. Deutlich war jedenfalls, daß es sich bei der Verkündigung an die mündige Welt nicht um eine akademische, hermeneutische Frage handeln kann, sondern daß hier nur eine Kirche auslegen kann, die selbst Zeugin ihrer Sache ist, und daß ihr Wort unmittelbar, nicht erst im Umweg über religiöse "Voraussetzungen" in den Dienst Christi, den Dienst "für andere", zu rufen hat. Wie sehr das alles noch offene Fragen sind, die erst ganz allmählich in ihrer Tragweite überhaupt in Sicht kommen, hat die Tagung deutlich genug gezeigt. Wieviele Schwierigkeiten machen uns Bonhoeffers Sätze selbst - über die Sachschwierigkeiten hinaus! B.s Neigung zu kurzen, summarischen und damit allzu leicht bestechenden Thesen, seine oft nur andeutende und großen Kontakt voraussetzende Redeweise, die zwar dem privaten Briefstil von "Widerstand und Ergebung" entsprechende, oft sehr ungesicherte Art seiner Urteile, all das macht das Verständnis nicht leichter. Allerdings wird dem manches einfacher und durchsichtiger, dem die sorgfältigen Gedankengänge in "Sanctorum communio" und "Akt und Sein" beständig vor Augen stehen. Man ist immer wieder überrascht, wie deutlich er dort bereits seinen Weg sieht. Es wird vielleicht gut sein, die Frage der "nicht-religiösen Interpretation" vorläufig weniger laut, dafür aber um so intensiver in sorgfältiger Einzelarbeit und im kleinsten Kreise weiterzubearbeiten. Den Teilnehmern war es wichtig, daß in einer für 1956 zu planenden Tagung Fragen der Ethik oder der Christologie besprochen würden. Die Lust nach weiterem Austausch wurde auch durch den wirklich schönen Rahmen unterstützt, in dem die Tagung stattfand: Das 10
Stoecker-Stift in Berlin-Weißensee, das durch seine Ruhe mitten in der Großstadt und durch seine sehr aufmerksame Gastlichkeit konzentriertes Arbeiten ermöglichte. Am Anfang und Schluß des Tages standen Morgen- und Abendandachten in der Art des Predigerseminars Finkenwalde. Ein großer Gewinn für alle Teilnehmer war die Bibelarbeit Westermanns über ausgewählte Hiobstücke.
11
DIE
"N ICH T - R E L I G I ti SEI N TE R P RE TAT ION BIBLISCHER BEGRIFFE"l Von Gerhard Ebeling I.
Die Formel "nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe", mit der Dietrich Bonhoeffer in seinem letzten Lebensjahr das ihn umtreibende theologische Problem signalisierte 2, erregt in dreifacher Hinsicht Befremden und Erstaunen. 1) Für den, der der neueren, mit Karl Barth einsetzenden theologischen Entwicklung fern steht, erscheint die hier geradezu herausfordernd zum theologischen Programm erhobene Antithetik von christlichem Glauben und Religion als eine Paradoxie, in der sich die Bemühung um das alte Problem der Absolutheit des Christentums offenbar halsbrecherisch überschlägt. Aber auch wer von dem theologischen Ansatz Barths herkommt - auf den sich Bonhoeffer in diesem Gedankenzusammenhang wiederholt als auf den eigentlichen Inaugurator beruft 3, um ihm freilich zugleich den Vorwurf der Inkonsequenz und 1 Der Aufsatz erschien zuerst in der Zeitschrift für Theologie und Kirche, 52. Jahrg. (1955), S.296-360. Der Abdruck erfolgt mit Genehmigung des Verlages J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Für den Druck wurden die letzten Abschnitte des Vortrags überarbeitet und erweitert. - Abkürzungen der Titel der im folgenden zitierten posthum veröffentlichten Schriften Dietrich Bonhoeffers: E = Ethik. Zusammengestellt und herausgegeben von Eberhard Bethge. München 1949. Letzte Aufl. 1956. WE = Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Herausgegeben von Eberhard Bethge. München 1951. Letzte Aufl. 1955. 2 Die Formel klingt zum ersten Mal in dem Brief vom 5. 5. 1944 (WE 183) an und erscheint dann ausdrücklich in obiger Fassung WE 233 und 239. Statt "nicht-religiöse Interpretation" kann es auch "weltliche Interpretation" heißen (vVE 185, 237, 242), statt "biblischer Begriffe" auch "der theologischen Begriffe" (WE 219). Um törichten Mißverständnissen von vornherein entgegenzutreten: Es handelt sich selbstverständlich nur um eine theologische Reflexionsformel in bezug auf die Verkündigung, nicht um ein in das Vokabular der Verkündigung aufzunehmendes Schlagwort! 3 "Barth, der als einziger in dieser Richtung zu denken angefangen hat, ... " (WE 179) "Barth hat als erster Theologe - und das bleibt sein ganz großes Verdienst - die Kritik der Religion begonnen ... " (WE 184) "Er führte den Gott J esu Christi gegen die Religion ins Feld ,Pneuma gegen Sarx'. Das bleibt sein größtes Verdienst (Römerbrief 2. Aufl. trotz aller neukantianischen EierschaIen!).
12
des Rückfalls in einen "Offenbarungspositivismus" zu machen 4 - , steht mit einiger Verlegenheit vor den Konsequenzen, die Bonhoeffer seinerseits ziehen zu müssen glaubt. Barth selber hat, abgesehen von dem etwas verwirrten Kopfschütteln über die ihm zuteil gewordene Kennzeichnung als Offenbarungspositivisten, für das mit der nichtreligiösen Interpretation gemeinte Problem nur bagatellisierend ein gewisses Verständnis aufbringen können, das nach seinem eigenen Empfinden im Grunde kein Verständnis ist 5. Bonhoeffer war sich dessen bewußt, daß das Weitergehen in der von Barth einst eingeschlagenen Denkrichtung keineswegs mühelos und ohne weiteres einleuchtend sei 6. Er erwartete, daß seine theologischen Gedanken mit ihren Konsequenzen selbst bei den ihm Vertrauten Verwunderung, vielleicht sogar Sorge erwecken würden 7. Und er gestand das Fragmentarische und Änigmatische seiner Äußerungen durchaus ein 8. Aber er wußte Durch seine spätere Dogmatik hat er die Kirche instandgesetzt, diese Unterscheidung prinzipiell auf der ganzen Linie durchzuführen." (WE 219) • Vgl. die Fortsetzung der Zitate der vorigen Anm., besonders WE 219: "Nicht in der Ethik, wie man häufig sagt, hat er dann versagt ... , aber in der nichtreligiösen Interpretation der theologischen Begriffe hat er keine konkrete Wegweisung gegeben, weder in der Dogmatik noch in der Ethik. Hier liegt seine Grenze und darum wird seine Offenbarungstheologie positivistisch, ,Offenbarungspositivismus', wie ich mich ausdrückte." Ferner: WE 220, 260 f. Unter "Offenbarungspositivismus" versteht Bonhoeffer die durch die Abwehr der liberalen Theologie bestimmte restaurative Verteidigung der biblischen und kirchlichen überlieferung, bei der infolge mangelnder Interpretation die Welt sich selbst überlassen bleibt, die einzelnen Elemente der überlieferung undifferenziert als gleichbedeutende und -notwendige Stücke des Ganzen ausgegeben werden, die Frage nach dem Glauben durch Darlegung des "Glaubens der Kirche" als beantwortet gilt und somit ein Gesetz des Glaubens aufgerichtet wird. Daß damit eine heute sehr wirksame Tendenz in Theologie und Kirche gekennzeichnet ist, steht außer Frage, ebenso daß das theologische Werk Karl Barths weithin leider zu einer Verstärkung dieser Tendenz beigetragen hat. Inwieweit dies im Widerspruch steht zu den eigenen Intentionen Karl Barths, Bonhoeffers Urteil also möglicherweise Karl Barth selbst nicht trifft, kann jetzt nicht erörtert werden. Im übrigen werden solche Zensuren wie "Offenbarungspositivismus" natürlich nie auf das Einverständnis seitens der so Zensurierten rechnen dürfen. Sie fordern nur zu einer sachlichen Diskussion heraus, bei der die allgemeine (aber dann so gut wie nichts besagende) Ablehnung eines Offenbarungspositivismus extra controversiam steht. S. auch u. S. 16 Anm. 22. 5 Die mündige Welt 121 f. (= Ev. Theol. 15 [1955]; 244). 6 "Lutheraner (sogenannte!) und Pietisten würden eine Gänsehaut bei diesen Gedanken kriegen ... " (WE 113) "Manchmal erschrecke ich über meine Sätze ... " (WE 268) 7 WE 178, 185. 8 WE 237, 239, 246, 262, 268. Das ist nur eine Konkretion der Einsicht in das Fragmentarische des Lebens dieser Generation im Unterschied zu der voraufgegangenen Generation: WE 80, 153 f., 202. Deshalb dürfen auf die bruchstückhaften Andeutungen zum Problem der nicht-religiösen Interpretation folgende Bemerkungen angewandt werden: "Aber gerade das Fragment kann ja auch wieder auf eine menschlich nicht mehr zu leistende höhere Vollendung hinweisen ... Wenn auch die Gewalt der äußeren Ereignisse unser Leben in Bruchstücke schlägt ... , so soll doch möglichst noch sichtbar bleiben, wie das Ganze geplant und gedacht war, und mindestens wird immer noch zu erkennen sein, aus welchem Material hier gebaut
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sich doch dabei geleitet durch eine instinktive Ahnung von etwas ganz Neuem und Umwälzendem 9. 2) Auf Bonhoeffers eigene theologische Entwicklung gesehen, erscheinen seine Äußerungen über die nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe als rätselhaftes Umschlagen eines ihm irgendwie schon immer eigenen "Radikalismus" 10 in die entgegengesetzte Richtung. Wer dachte bei der Lektüre der "Nachfolge" 11 oder des "Gemeinsamen Lebens" 12 an ein positives Urteil über Religionslosigkeit, Weltlichkeit und Diesseitigkeit? Ein Erstaunen über die sich darin abzeichnende Wandlung klingt mehr oder weniger in allen Versuchen einer Darstellung der letzten Entwicklungsphase Bonhoeffers an. Bonhoeffer selbst gab diesem Erstaunen Recht, wenn er rückblickend von den Gefahren des Buches über die Nachfolge sprach, ohne freilich sich von diesem Buch, das er als Ende eines bestimmten Weges erkannte, zu distanzieren 13. Das Doppelurteil, das Kontinuität und Wandlung in einem ausdrückt, steigert vielleicht gerade jenes Erstaunen über die nicht-religiöse Interpretation, die trotz allem in einem Zusammenhang stehen soll mit der "Nachfolge", und darum wohl auch das Erstaunen über die "Nachfolge", die trotz allem schon angelegt sein soll auf die nicht-religiöse Interpretation. Jedenfalls scheint es mir nicht angewurde oder werden sollte ... " (WE 80) "Es kommt wohl nur darauf an, ob man dem Fragment unseres Lebens noch ansieht, wie das Ganze eigentlich angelegt und gedacht war und aus welchem Material es besteht. Es gibt schließlich Fragmente, die nur noch auf den Kehrichthaufen gehören ... und solche, die bedeutsam sind auf Jahrhunderte hinaus, weil ihre Vollendung nur eine göttliche Sache sein kann, also Fragmente, die Fragmente sein müssen ... " (WE 153 f.) 9 WE 206, 215. 10 Wie wenig damit in Wirklichkeit Bonhoeffers Wesen gekennzeichnet ist, werden alle bezeugen, die ihn persönlich kannten. Vgl. dazu die doch auch für sein theologisches Selbstverständnis aufschlußreiche Bemerkung über das Mittelgebirge als "die Natur, die zu mir gehört" - "im Sinne des Natürlichen, nicht Exaltierten, der Selbstbescheidung und Selbstgenügsamkeit (1), des Nichtweltanschaulichen, der Zufriedenheit mit dem Konkreten und vor allem des ,Nach-außen-hin-sich-nicht-zuerkennen-Gebens' " (WE 147). Wenn Barth ihn dem zurechnet, was er die "schwermütige Theologie der norddeutschen Tiefebene" zu nennen pflegt (Die mündige Welt 122 = Ev. Theol. 15 [1955]; 245), so muß sich dieses Bonmot einer theologischen Geographie in bezug auf Bonhoeffer vielleicht doch korrigieren lassen in "Theologie des Mittelgebirges", wozu dann als Kennzeichen wohl gerade auch die hilaritas gehörte, in der Bonhoeffer ein Gemeinsames zwischen Luther und Kar! Barth gesehen hat (WE 156) und die man ihm selbst kaum absprechen kann. Man vergleiche dazu, was Bonhoeffer in bezug auf den "Optimismus" gesagt (WE 29 f.) und vor allem wie er ihn gelebt hat, wofür ja gerade die Briefe aus der Haft ein einziges Zeugnis sind. - Zur Frage des Radikalismus vgl. ferner E 80 ff.: "Christliches Leben" ist "weder eine Sache des Radikalismus noch des Kompromisses." "In Jesus Christus ... tritt an die Stelle des Radikalismus und des Kompromisses die Wirklichkeit Gottes und der Menschen." (81) "Radikalismus entspringt immer einem bewußten oder unbewußten Haß gegen das Bestehende." (82) 11 München 1937. 12 Theol. Existenz heute, Heft 61. München 1939. 13 WE 113 und vor allem 248.
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bracht zu sein, die Zusammenstellung jener beiden Stichworte sich zur Beruhigung und zur Abmilderung des schockierenden Eindrucks dienen zu lassen, als könne es doch mit der nicht-religiösen Interpretation letztlich nicht so gefährlich sein, wenn man bedenkt, daß es der Verfasser der "Nachfolge" ist, der dieses Schlagwort aufgebracht hat. Sehe ich recht, so steht Bonhoeffers Name heute in so großer Achtung weithin trotz der absonderlichen Dinge, die in seinen letzten Tegeler Briefen zu lesen sind und die den Kredit nicht zerstören konnten, den er sich in kirchlichen und theologischen Kreisen vorher erworben hatte 14. Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob dieser Kredit nicht schon längst überzogen wäre, wenn seine Stimme weiter unter uns geblieben und nicht in einem Martyrium verstummt wäre, dessen Ernst auch den überlebenden mit seiner etwaigen Kritik verstummen läßt, wobei ebenfalls zu fragen ist, ob die Sprache dieses Todes wirklich verstanden ist, solange sie nicht in ihrem Einklang mit den befremdenden Worten über die nicht-religiöse Interpretation vernommen ist. 3) Erstaunlich mutet es schließlich an, daß seine Gedanken in der Haftzeit diese Richtung nehmen, und zwar, wie die Daten der Briefe ausweisen, gerade in dem zweiten, die Entscheidungen heraufführenden Jahr von April 1944 an 15. Sollte als Frucht der zwangsweisen Isolation vom tätigen Leben in der Welt nicht vor allem gesteigerte meditative Konzentration auf das, was man ihm nicht rauben konnte, zu erwarten gewesen sein, als Frucht des von der Zelle aus miterlebten apokalyptischen Geschehens die Besinnung auf das Ende der Welt, als Frucht der vom 20. Juli 1944 an gewissen Erwartung des Todes die vorauseilende Versenkung in das Jenseits? Statt dessen kreisen die Gedanken um ein Erfassen Gottes nicht in der Innerlichkeit und an den menschlichen Grenzen, sondern in der Mitte und Fülle des Lebens, um die Mündigkeit der Welt und um die tiefe Diesseitigkeit des Christentums 16. Bonhoeffer erkannte hier freilich Zusammenhänge. Nicht zufällig gibt er sich gerade in dem Brief vom 21. Juli 1944 darüber Rechenschaft, daß er es nur auf dem Wege habe erkennen können, den er nun einmal gegangen sei 17, einem Wege, auf dem er sich die Frage, ob es wirklich die Sache Christi sei, um derentwillen er gefangen saß, als Anfechtung aus dem Kopf schlug 18 und sich, nicht zur Ablenkung, 14 Das Recht dieser Pointierung wird durch das zunehmend starke Echo auf "Widerstand und Ergebung" keineswegs in Frage gestellt. 15 Die ausdrückliche Behandlung unseres Themas setzt in dem Brief vom 30. 4. 1944 ein, WE 178 ff. 16 Ich verweise hier nur auf HauptsteIlen wie WE 182, 236 und 247 f. 17 WE 249. 18 WE 92. Vgl. E 162 f. Doch zum rechten Verständnis dessen ist hinzuzunehmen: "daß für mich die Führung meiner ganzen Angelegenheit ganz entscheidend eine Glaubensfrage ist" (WE 128).
15
sondern in der Linie seiner theologischen Denkbewegung, vornehmlich mit Philosophie, Geschichtsforschung und schöner Literatur des 19. Jahrhunderts befaßte 19. Ich habe mich zur Einführung auf eine bloße Andeutung von Gesichtspunkten beschränkt, die an sich auf eine viel ausführlichere Behandlung drängen. Bei der Beschäftigung mit Person und Werk Dietrich Bonhoeffers kann man nur schwer der Tendenz widerstehen, bei der engen Verbindung des Theologischen mit dem Menschlichen zu verweilen, wie sie uns vor allem in der Briefsammlung "Widerstand und Ergebung" so ergreifend und immer neu bewegend anspricht. Man kann sich das ausführliche Zitieren kaum versagen, um immer wieder ihn selbst zu Worte kommen und das einzigartig Atmosphärische seines Wesens auf sich wirken zu lassen. Man könnte darum geneigt sein, alles, was zu unserm Thema zu sagen wäre, um die eingangs genannten Gesichtspunkte zu gruppieren und aus ihnen heraus zu entwickeln. Es wäre dann zu reden von der theologischen und geistigen Herkunft Bonhoeffers und seinem Standort in der neuesten Theologiegeschichte, von der Entwicklung, die er -selbst durchlaufen hat, und von dem Persönlichen, das in "Zucht", "Tat", "Leiden" und "Tod" als "Stationen auf dem Wege zur Freiheit" 20 den nie zu vergessenden Kommentar seines theologischen Denkens darstellt. Trotz der mancherlei Veröffentlichungen über ihn, die alle mehr oder weniger in dieser Weise verfahren, wären hier noch Aufgaben zu erledigen. Was seine theologische Einordnung betrifft, so dürfte man bei seinen eigenen gelegentlichen Bemerkungen darüber 21 nicht stehen bleiben, die z. T., wie etwa über Bultmann, unbestreitbar Fehlurteile enthalten 22. Man müßte dabei den theologischen Querverbindungen der i9 Vgl. die vielen Literaturerwähnungen in den Briefen. "Ich lebe mit meiner Lektüre jetzt ganz im 19. Jahrhundert. Gotthelf, Stifter, I=ermann, Fontane, Keller habe ich in diesen Monaten mit reiner Bewunderung gelesen. Eine Zeit, in der man ein so klares, einfaches Deutsch schreiben konnte, muß im Grunde eine sehr gesunde Substanz gehabt haben." (WE 56) "Es gibt heute so wenige Menschen, die an das 19. und 18. Jahrhundert noch innerlich und geistig Anschluß suchen ... wer ahnt überhaupt noch, was im vorigen Jahrhundert, also von unseren Großvätern, gearbeitet und geleistet worden ist, und wieviel von dem, was sie gewußt haben, ist uns bereits verlorengegangen! Ich glaube, die Menschen werden eines Tages aus dem Staunen über die Fruchtbarkeit dieser jetzt vielfach so mißachteten und kaum gekannten Zeit nicht herausko=en." (WE 81 f.) "Eigentlich wollte ich das 19. Jahrhundert in Deutschland möglichst gründlich kennen lernen. Dazu fehlt mir jetzt vor allem noch eine gute Kenntnis von Dilthey." (WE 144) 20 WE 250 f. Dieses Gedicht ist eine Rechenschaftsablage über das eigene Leben unter dem unmittelbaren Eindruck des Fehlschlags der Widerstandsbewegung. 2i Vor allem WE 218-221. 22 S. u. S. 51 Anm. 31. In gewissem Grade gilt das von all diesen beiläufigen Urteilen, die von rein illustrativer Bedeutung für die- Fixierung besti=ter Sachprobleme sind und nur in reinen Privatbriefen so ungeschützt geäußert werden konnten. Vgl. o. S. 13 Anm. 4.
16
Sache nach auf den Grund gehen und dabei auch auf Beziehungen zu sprechen kommen, die ihm gar nicht bewußt waren, vielleicht auch gar nicht bewußt sein konnten, weil sie nicht auf direkten Berührungen, sondern auf unerwartet gleichlaufenden Problembemühungen beruhen, wie etwa zu Gagarten oder zu Hirsch. Man würde dabei, ohne daß dies seiner Originalität Abbruch täte, ihn nicht so isoliert sehen, wie das gewöhnlich geschieht, sondern darauf aufmerksam werden, daß er von Fragen bedrängt und zu Einsichten unterwegs war, die nun eben doch nicht nur die seinen waren. Man würde aber auch über die falsche Fragestellung hinauskommen, ob er mehr Barth oder mehr Bultmann zuzuordnen sei, ihn vielmehr der leider so schwach vertretenen jüngeren Generation zurechnen müssen, deren Schülerverhältnis zu den überragenden theologischen Lehrern sich bewähren muß im Voranschreiten zu den ihr eigenen Aufgaben, zu denen nun eben auch das neue Verarbeiten des Erbes der liberalen Theologie gehört 23. In bezug auf die Entwicklung, die Bonhoeffer selbst durchlaufen hat 24, wäre nach dem in allen Wandlungen sich durchhaltenden Grundimpuls zu fragen, der auch gerade diese Wandlungen ermöglichte und erforderte. Es wäre nicht nur darauf zu achten, wie das, was in der allerletzten Zeit anscheinend so neu und revolutionär hervorbricht, schon in der Ethik sich zum größten Teil anmeldet, sondern in der gleichen Weise wäre auch die ganze Spanne seiner literarischen Hinterlassenschaft im Lichte seiner Herkunft und seines Endes zu untersuchen. Man käme dabei vielleicht zu dem Ergebnis, daß die Phase, die vor allem durch die "Nachfolge" charakterisiert ist, nur ein Umweg, aber ein notwendiger Umweg war, um dasjenige theologisch verarbeiten zu können, was hier gerade zunächst ausgeklammert zu bleiben schien 23 .. Es war die Schwäche der liberalen Theologie, daß sie der Welt das Recht einräumte, Christus seinen Platz in ihr zuzuweisen; sie akzeptierte im Streit von Kirche und Welt den von der Welt diktierten - relativ milden - Frieden. Es war ihre Stärke, daß sie nicht versudlte, die Geschichte zurückzudrehen und die Auseinandersetzung wirklich aufnahm (Troeltsch!), wenn diese auch mit ihrer Niederlage endete." (WE 218) .. Ich fühle mich als ein ,moderner' Theologe, der doch noch das Erbe der liberalen Theologie in sich trägt, verpflichtet, diese Fragen anzuschneiden. Es wird unter den Jüngeren nicht viele geben, die das beides in sich verbinden." (WE 257) .. Erst damit" (nämlich mit der nicht-religiösen Interpretation) .. ist m. E. die liberale Theologie (durch welche auch Barth, wenn auch negativ, noch bestimmt ist) überwunden, zugleich aber ist ihre Frage wirklich aufgenommen und beantwortet (was im Offenbarungspositivismus der B. K. nicht der Fall isti)." (WE 221) 24 .. Ich habe gewiß vieles zugelernt, aber sehr verändert habe ich mich, glaube ich, nicht. Es gibt Menschen, die sich ändern und manche, die sich kaum ändern können. Ich habe mich, glaube ich, nie sehr geändert ... Sich-entwickeln ist ja etwas anderes. Einen Bruch in unserem Leben haben wir eigentlich beide nicht erfahren ... Früher habe ich mich manchmal nach einem solchen Bruch gesehnt. Heute denke ich darüber anders. Die Kontinuität mit der eigenen Vergangenheit ist doch auch ein großes Geschenk." (WE 174) Vgl. auch WE 96, 173.
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und was dann durch die Frage nach der nicht-religiösen Interpretation hineingeholt wurde, nämlich das weltliche Erbe, dessen volle Einbeziehung seine Theologie erst zur Reife, und vielleicht dürfen wir trotz allem Fragmentarischen sagen: wirklich zu dem gesetzten Ziel kommen ließ. Und was endlich den Menschen Dietrich Bonhoeffer selbst betrifft, so wäre ohne Frage eine umfassende Biographie ein eminent wichtiger Schlüssel zum Verständnis dessen, was ihm zu sagen aufgetragen war, - eine Biographie, deren Zirkel mit weitem Radius den ganzen Bereich von Traditionen und Entscheidungen, von Bindung und Freiheit dieses Lebens zu umschreiben hätte und deren Lot in die offenbar gewordenen und in die verborgenen Tiefen seines Menschseins zu senken wäre, um das uns durch ihn Gegebene weiterwirken zu lassen und in dem vor uns Verhüllten dem Urteil dessen Raum zu geben, dem Bonhoeffer selbst auf die Frage "Wer bin ich?" die Antwort überließ 25. Obwohl also sehr viel für eine solche Behandlung unseres Themas spräche, die unmittelbar und im wesentlichen referierend an Gestalt und Wort Bonhoeffers orientiert bliebe, scheint mir nun doch ein anderes Vorgehen zumindest auch berechtigt, wenn nicht gar in erster Linie notwendig, nämlich unter Verzicht auf jede emotionale Wirkung in eine nüchterne theologische Untersuchung der Frage einzutreten, was eigentlich die Formel "nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe" besagen kann. Gewiß nicht ohne die vorhandenen Äußerungen Bonhoeffers auf dessen eigene Meinung abzuhorchen, aber doch unter Einsatz unseres eigenen Mitdenkens, Nachdenkens und Weiterdenkens, so daß uns Bonhoeffer letztlich ganz uninteressant wird gegenüber dem Sachproblem, auf das er mit dem Stichwort "nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe" hingewiesen hat.
11. Wir werden in die Reichweite dieses Problems überhaupt nur gelangen, wenn wir uns auf bestimmte Voraussetzungen einlassen, die bei Bonhoeffer mit aller wünschenswerten Deutlichkeit ausgesprochen werden. So viel Grund man zu der Klage hat über das Unausgegorene, in aper!;uhaften Andeutungen Steckenbleibende, Rätselhafte in seinen Ausführungen zum Problem der nicht-religiösen Interpretation biblischer Begriffe, so wenig Anlaß hat man zu der Entschuldigung, daß in bezug auf jene Voraussetzungen Unklarheit herrsche. Dabei handelt es sich gar nicht um besondere, Bonhoeffer eigene Voraussetzungen, 25
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WE 242 f., dazu auCh 118.
über deren Berechtigung man verschiedener Meinung sein könnte, sondern um die allgemeinsten Voraussetzungen theologischen Denkens überhaupt, um dessen einfachste Grundregeln, die in dieser ihrer Einfachheit zu erkennen und an denen unentwegt und unerbittlich festzuhalten allerdings keineswegs selbstverständlich ist. Wenn wir uns zunächst diesen Voraussetzungen zuwenden, so werden wir damit schon erste Hinweise erhalten, was Bonhoeffer mit der nicht-religiösen Interpretation biblischer Begriffe meinte und was nicht. 1) Im theologischen Denken geht es um Jesus Christus. In welcher Intensität Bonhoeffers theologisches Denken an Jesus Christus orientiert war, bedarf keiner Belege. Man könnte weiten Partien seines Schrifttums gegenüber eher beunruhigt sein von der Frage, ob er nicht jeweils zu schnell, zu selbstverständlich, zu massiv dogmatisch von Jesus Christus redet, theologische Probleme geradezu durch formelhafte Verwendung dieses Namens zudeckt und es an der gerade hier so notwendigen Explikation weithin mangeln läßt. Der von Althaus gegen Barth erhobene Vorwurf des Christomonismus 1 würde auch Bonhoeffer treffen. Es wäre freilich verkehrt, unter diesem Gesichtspunkt Barth und Bonhoeffer ohne weiteres auf ein und derselben Linie zu sehen. Eben weil sie beide in so radikaler Weise christologisch orientierte Theologen sind, zeichnen sich beider Differenzen notwendig in der Christologie ab. Und außerdem ist, wenn wir einmal das Althaussche Schlagwort aufnehmen wollen, der christomonistische Ansatz keineswegs etwas, was nur Barth eigen ist, so sehr Bonhoeffer hier auch durch ihn beeinflußt sein mag. Auch für Karl Heim ist dieser Ansatz charakteristisch. Und um die hier zu beachtenden theologiegeschichtlichen Zusammenhänge nur ein wenig weiter zurückzuverfolgen, sei an die Ritschlsche Schule erinnert, in der WiIhelm Herrmann das theologische Gewißheitsproblem einzig und allein auf die Begegnung mit Jesus Christus abstellte und Johannes Gottschick erklären konnte: "Ohne Jesus wäre ich Atheist." 2 Man fühlt sich eher an Äußerungen dieser Art als an die christologische Fundamentierung der Kirchlichen Dogmatik Barths erinnert, wenn wir in einem der letzten erhaltenen Briefe Bonhoeffers in bewußt einfachster Form es so ausgesprochen finden: "Wenn die Erde gewürdigt wurde, den Menschen Jesus Christus zu tragen, wenn ein Mensch wie Jesus gelebt hat, dann und nur dann hat es für uns Menschen einen Sinn zu leben. Hätte Jesus nicht gelebt, dann wäre unser Leben trotz aller anderen Menschen, die wir kennen, verehren und lieben, sinnlos." 3 Wenn, wie E. Bethge be1 2 3
Paul Althaus, Die christlilhe Wahrheit (1952); 56 ff. Althaus, aaO 54. WE 266.
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richtet, auf einem Pfarrkonvent die Äußerung gefallen ist: .. man dürfe doch hoffen, daß Bonhoeffer ganz am Ende zu seinem Glauben wieder zurückgefunden habe" 4, so ist das zwar vom gängigen Glaubensbegriff her verständlich und für diesen auch höchst bezeichnend (man könnte sagen: erschreckend bezeichnend!), es ist doch aber andererseits unbegreiflich, wie dabei übersehen werden konnte, daß sich in den Briefen auch keine Spur eines Irrewerdens an Jesus Christus entdecken läßt, daß es Bonhoeffer vielmehr in immer elementarerer Weise um den persönlichen Christusglauben ;; geht und daß seiner Meinung nach das allerdings so problematisch gewordene Reden von Gott allein von Jesus Christus her seine rechte Begründung erfahren kann 6. In dem skizzenhaften Entwurf der Arbeit, die er noch zu schreiben vorhatte, heißt es: .. Was ist Gott? Nicht zuerst ein allgemeiner Gottesglaube an Gottes Allmacht ete. Das ist keine echte Gotteserfahrung, sondern ein Stück prolongierter Welt. Begegnung mit Jesus Christus. Erfahrung, daß hier eine Umkehrung alles menschlichen Seins gegeben ist, darin, daß Jesus nur ,für andere da ist'. Das ,Für-andere-da-sein' Jesu ist die Transzendenzerfahrungl Aus der Freiheit von sich selbst, aus dem ,Fürandere-da-sein' bis zum Tod entspringt erst die Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart. Glaube ist das Teilnehmen an diesem Sein Jesu. (Menschwerdung, Kreuz, Auferstehung.) Unser Verhältnis zu Gott ist kein ,religiöses' zu einem denkbar höchsten, mächtigsten, besten Wesen - dies ist keine echte Transzendenz -, sondern unser Verhältnis zu Gott ist ein neues Leben im ,Dasein-für-andere', in der Teilnahme am Sein Jesu." 7 Lassen wir alle Fragen, die dazu zu stellen wären, zunächst unausgesprochen und nehmen wir erst nur dies zur Kenntnis: Das Problem der nicht-religiösen Interpretation entspringt für Bonhoeffer nicht einem Zweifel an Jesus Christus, sondern gerade dem Glauben an Jesus Christus. Nicht Jesus Christus, sondern die Vokabel Gott, ja die religiösen Begriffe schlechthin sind ihm problematisch 8. Die Frage nach der nichtreligiösen Interpretation leitet sich ihm direkt her aus Grund und Zentrum seiner Theologie, der Christologie. Die nicht-religiöse InterpreDie mündige Welt 19 = Ev. TheoI. 15 (1955); 157. "Allgemein in der Bekennenden Kirche: Eintreten für die ,Sache' der Kirche etc., aber wenig persönlicher Christusglaube. ,Jesus' entschwindet dem Blilk." (WE 259) 6 "Alles, was wir mit Recht von Gott erwarten, erbitten dürfen, ist in Jesus Christus zu finden. Was ein Gott, so wie wir ihn uns den).<en, alles tun müßte und könnte, damit hat der Gott Jesu Christi nichts zu tun. Wir müssen uns immer wieder sehr lange und sehr ruhig in das Leben, Sprechen. Handeln, Leiden und Sterben Jesu versenken, um zu erkennen, was Gott verheißt und was er erfüllt." (WE 265) 7 WE 259 f. &
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WE 183.
tation ist für Bonhoeffer nichts anderes als christologische Interpretation 9. Das klingt schon in der Ethik an: "Es geht in der Kirche nicht um Religion, sondern um die Gestalt Christi und ihr Gestaltwerden unter einer Schar von Menschen." 10 Und in den Briefen wird einmal die verblüffende hermeneutische Konsequenz gezogen: Das Hohe Lied sei tatsächlich als irdisches Liebeslied zu lesen; das sei wahrscheinlich die beste "christologische" Auslegung 11. Wenn wir sagten: nichtreligiöse Interpretation sei christologische Interpretation und folglich christologische Interpretation nicht-religiöse Interpretation, so erscheint freilich das, was wir vorhin von der Gefahr eines allzu selbstverständlichen, allzu massiv-dogmatischen Redens von Jesus Christus sagten, in einem anderen Licht. Gerade dieser Gefahr ist sich Bonhoeffer offenbar bewußt geworden. Den ersten kühnen Vorstoß in den Problemkomplex der nicht-religiösen Interpretation stellt er programmatisch unter das Generalthema: "Was mich unablässig bewegt, ist die Frage, was das Christentum oder auch wer Christus heute für uns eigentlich ist." 12 In der Tat: auch das gängige Reden von Jesus Christus ist ihm zutiefst problematisch geworden 13. Wohlbemerkt: nicht Jesus Christus selbst, nicht der Glaube an ihn, nicht die Christus-Gewißheit, die in Jesus Christus selbst den Grund aller Gewißheit hat - das ist nach Bonhoeffer vielmehr "der feste Boden, auf dem wir stehen" 14. Die 9 Diese Formulierung darf nicht dahin mißverstanden werden, als sei dabei das, was "christologische Interpretation" heißt, als selbstverständlich bekannt vorausgesetzt und etwa mit dem identisch, was Bonhoeffer in früheren Jahren an Beispielen "christologischer" Interpretation des Alten Testaments vorgelegt hat: König David, in: Junge Kirche 4 (1936); 64-69. 157-161. 197-203. Der Wiederaufbau Jerusalems nach Esra und Nehemia, ebenda 653-661. Schöpfung und Fall. Theologische Auslegung von Gen. 1-3. 2. Aufl. München 1937. Das Gebetbuch der Bibel. Eine Einführung in die Psalmen. Bad Salzuflen 1940. Es geht vielmehr um ein neues Erfassen der Aufgabe christologischer Interpretation. So wenig dabei jene Auslegungsversuche in jeder Hinsicht als verfehlt zu bezeichnen wären, so notwendig ist doch eine sehr weitgehende Kritik ihrer Methode von den in den Reflexionen über die nicht-religiöse Interpretation gegebenen Ansätzen her. Das kommt leider in dem Aufsatz von Richard Grunow über Dietrich Bonhoeffers Schriftauslegung nicht zur Geltung. 10
E 26.
WE 213, vgl. 192 f. 12 WE 178. 13 "Nur wenn man die Unaussprechlichkeit des Namens Gottes kennt, darf man auch einmal den Namen Jesus Christus aussprechen." (WE 112) 10 "Gewiß ist, daß wir immer in der Nähe und unter der Gegenwart Gottes leben dürfen und daß dieses Leben für uns ein ganz neues Leben ist; daß es für uns nichts Unmögliches mehr gibt, weil es für Gott nichts Unmögliches gibt; daß keine irdische Macht uns anrühren kann ohne Gottes Willen, und daß Gefahr und Not uns nur näher zu Gott treiben; gewiß ist, daß wir nichts zu beanspruchen haben und doch alles erbitten dürfen; gewiß ist, daß im Leiden unsere Freude, im Sterben unser Leben verborgen ist; gewiß ist, daß wir in dem allen in einer Gemeinschaft stehen, die uns trägt. Zu all dem hat Gott in Jesus Ja und Amen gesagt. Dieses Ja und Amen ist der feste Boden, auf dem wir stehen." (WE 265 f.) 11
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Frage liegt nahe, warum denn das eigentlich so ist, und wenn das so ist, warum ihn dann noch die Frage unablässig bewegen muß, wer Christus heute für uns eigentlich sei. Nun, die Antwort auf den ersten Teil der Frage wird um heute theologisch so verpönte Begriffe wie "Erfahrung" oder gar "Erlebnis" nicht herumkommen. Es ist nun einmal so: Jesus Christus ist ihm begegnet, er weiß sich von Jesus Christus gerufen und in Anspruch genommen, er hat sich mit hineinreißen lassen in den Weg Jesu Christi, Jesus Christus ist ihm als der Herr gewiß geworden. Er ist ihm als die Hoffnung und Kraft seines Lebens zur Erfahrung geworden 15. Wie auch immer man das umschreiben mag - ihm steht es außer Zweifel, daß er dahin gehört, an den "Ort ... , an dem Gott und die Weltwirklichkeit miteinander versöhnt sind, an dem Gott und der Mensch eins geworden sind", wo darum "Gott und die Welt mit demselben Blick ins Auge zu fassen" sind 16. Aber - und damit wenden wir uns dem zweiten Teil der Frage zu - das nun wirk, lich zu erfassen, es von Grund auf zu verstehen, es zu existieren, sich darüber bis in die letzten Konsequenzen Rechenschaft zu geben, es aussagbar, mitteilbar zu machen, es befreiend und erlösend aussprechen zu können 17, das ist eine Aufgabe, die das unablässige Bewegtsein von der Frage erfordert: Wer ist Christus heute eigentlich für uns? Darauf nicht nur mit überlieferten, religiös standardisierten, kraftlos gewordenen Worten, sondern in voller persönlicher Verantwortung zu antworten, ist eine Sache, der der Theologe seine ganze denkerische Kraft zu widmen hat. Diesem Entscheidenden gegenüber nimmt das Problem, um das es bei Althaus' Kritik am sog. christomonistischen Offenbarungsgedanken geht, eine durchaus sekundäre Stellung ein, ja es kann und darf nur innerhalb jener theologischen Fundamentalfrage, wer Christus für uns heute eigentlich ist, theologische Relevanz erhalten. Darin hat der von Althaus getadelte Christomonismus jedenfalls recht, daß J esus Christus, 15 Ich nehme hier, allerdings in freier Kombination, Wendungen auf, wie sie in Bonhoeffers Briefen gelegentlich auftauchen, z. B. 231, 245, 252, 259, 264. Daß er so freilich niCht in der Form von Selbstbekenntnissen redet, will zur AbsChirmung obiger Aussagen gegen naheliegende Mißverständnisse sehr wohl beachtet sein. Trotzdem darf man siCh durCh diesen wiChtigen Vorbehalt nicht davon abbringen lassen, der Bedeutung der Erfahrung für Bonhoeffers theologisChes Denken naChzugehen. Dafür kommen auch anscheinend ganz untheologische Äußerungen über "Erfahrung" in Betracht, z. B.: "Verloren wäre die Zeit, in der wir niCht als Menschen gelebt, Erfahrungen gemaCht, gelernt, geschaffen, genossen und gelitten hätten." eWE 9) Mein Leben "ist eine ununterbrochene BereiCherung der Erfahrung gewesen" 'eWE 173). Ferner auch Bemerkungen wie die über das "moralisChe GedäChtnis" (WE 143) oder über seine eigene "Abkehr vom Phraseologischen zum Wirklichen" (WE 174). 16 E 15. 17 WE 169 spriCht er von dem "lösenden und befreienden Wort", WE 207 von dem "versöhnenden und erlösenden Wort". VgI. u. S. 34 ff.
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was ja auch Althaus letztlich nicht bestreiten will, in der Theologie nicht in Betracht kommt als ein Grund des Glaubens neben anderen und darum erst recht nicht als ein von einer anderswo begründeten Glaubensgewißheit her mühsam anzueignender Glaubensinhalt, der, wenn man ein Christ sein will, eben auch geglaubt werden muß 18. Vielmehr kommt Jesus Christus in der Theologie in Betracht als der Grund des Glaubens 19. Wenn wir das nicht verantwortlich auszusagen vermögen, hören wir zwar nicht auf, Theologen zu sein - denn wann sind wir so weit, es wirklich aussagen zu können? -; wohl aber hören wir auf, Theologen zu sein, und sollten das ehrlich und getrost eingestehen, wenn unser theologisches Denken nicht mehr zentral von der Frage beherrscht ist, wer Christus für uns heute eigentlich ist. Es mag sich im Verfolgen dieser Frage dann ergeben, daß Althaus' Kritik am sog. Christomonismus ein gewisses Recht hat, daß, gerade um das verantwortlich auszusagen, wer Christus für uns heute eigentlich ist, nun doch anders als eng christologisch im herkömmlichen Sinne geredet werden muß, und daß Bonhoeffers Gedanke der nicht-religiösen Interpretation der christologischen Interpretation einen in dieser Hinsicht beachtlichen Akzent gibt, der der Gefahr, die Althaus im sog. Christomonismus sieht, begegnet. Aber wie dem auch sei - das ist jedenfalls deutlich, daß die Frage, die Bonhoeffer zum Problem der nicht-religiösen Interpretation hingetrieben hat, auch unsere Frage sein muß, solange wir überhaupt den Anspruch erheben, Theologen zu sein, und daß wir in dem Maße Aussicht haben, die Bonhoeffersche Problemstellung zu verstehen - und dann gegebenenfalls in kritischer Auseinandersetzung mit der von ihm angedeuteten Lösung -, als wir uns in unserem gesamten theologischen Denken von der Grundfrage, wer Jesus Christus für uns heute eigentlich sei, wirklich unablässig bewegen lassen. 2) Die zweite Grundvoraussetzung, auf die wir uns einlassen müssen, um für Bonhoeffers Problemstellung offen zu sein, ist die Respektierung des Gebots der intellektuellen Redlichkeit. "Intellektuelle Redlichkeit in allen Dingen, auch in den Fragen des Glaubens, war das hohe Gut der befreiten ratio und gehört seitdem zu den unaufgebbaren sittlichen Forderungen des abendländischen Menschen. Die Verachtung der Zeit des Rationalismus ist ein verdächtiges Zeichen für einen Mangel am Bedürfnis nach Wahrhaftigkeit. Daß intellektuelle Redlichkeit nicht das letzte Wort über die Dinge ist, daß die Helle des Verstandes 18 Das meint doch Bonhoeffer in seiner Kritik am Offenbarungspositivismus, "wo es dann heißt: ,friß, Vogel, oder stirb'; ob es nun Jungfrauengeburt, Trinität oder was immer ist, jedes ist ein gleichbedeutsames und -notwendiges Stück des Ganzen, das eben als Ganzes geschluckt werden muß oder gar nicht. Das ist nicht biblisch." (WE 184) 19 S. O. S. 21 Anm. 14.
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oftmals auf Kosten der Tiefe der Wirklichkeit geht, hebt doch niemals mehr die innere Verpflichtung zum ehrlichen und sauberen Gebrauch der ratio auf. Hinter Lessing und Lichtenberg können wir nicht mehr zurück." 20 Zwei verhängnisvollen Mißverständnissen ist hier entgegenzutreten, die dazu angetan sind, angeblich um der Theologie willen, aber doch faktisch zum Schaden der Theologie, den Begriff der intellektuellen Redlichkeit zu diskreditieren. Einmal: Es wäre selbstverständlich ein großer Irrtum, die intellektuelle Redlichkeit etwa in dem Sinne für eine Errungenschaft der Neuzeit zu halten, daß es sie vorher nicht gegeben hätte und die vorausliegenden Zeiten damit eo ipso unter das Verdikt mangelnder intellektueller Redlichkeit fielen. Wenn Bonhoeffer beispielsweise einmal sagt, der salto mortale zurück ins Mittelalter könne nur ein Verzweiflungsschritt sein, der nur mit dem Opfer der intellektuellen Redlichkeit erkauft werden könne 21, so ist damit kein Urteil ausgesprochen über die Menschen des Mittelalters, sondern nur über unser Verhältnis zum Mittelalter als einer Zeit, die eben nicht die unsere ist 22. Die banale 20
E 37.
WE 241. Bonhoeffer scheint zwar ein absolutes Urteil über das Mittelalter selbst zu fällen, wenn er als "das Prinzip des Mittelalters" "die Heteronomie in der Form des Klerikalismus" bezeichnet (WE 241). Obwohl diese Formel eine recht anfechtbare historiographische Abbreviatur ist, bringt in ihr doch der Begriff der Heteronomie in Abhebung gegen den die Neuzeit charakterisierenden Begriff der Autonomie offenbar einen charakteristischen Wesenszug des Mittelalters zum Ausdruck. Entsprechend scheint die Aussage, daß "intellektuelle Redlichkeit in allen Dingen ... das hohe Gut der befreiten ratio" (E 37), also doch der Zeit der Aufklärung sei, ebenfalls ein absolutes und zwar negatives Urteil über das Mittelalter zu implizieren. Nun mag dieses Urteil durch die Beobachtung eine Modifizierung erfahren, daß "der Ursprung der geistigen Freiheit, die Europa großgemacht hat", schon in den großen Auseinandersetzungen zwischen Kaisertum und Papsttum liegt (WE 237 f.) und daß aus dem Mittelalter selbst eine "von der Renaissance ganz wesensverschiedene ,Weltlichkeit'" erwuchs, die "nicht eine ,emanzipierte', sondern eine ,christliche', aber antiklerikale Weltlichkeit" gewesen ist, die in Dichtung und gestaltender Kunst des 13. Jahrhunderts sich Ausdruck verschafft und in ihrer Eigenart als besondere Entwicklungslinie bis in das 19. Jahrhundert fortgewirkt hat (WE 156 f., vgl. auch 215 und 167). Aber auch wenn man die ganze Vielschichtigkeit des Verhältnisses von Mittelalter und Neuzeit berücksichtigt, wird man schwerlich demjenigen am Mittelalter, was man etwa dem Begriff des "Klerikalen" subsumieren könnte, mit Urteilen wie "Heteronomie" oder gar "intellektuelle Unredlichkeit" historisch gerecht. Wir würden dabei von Voraussetzungen ausgehen, die für das Mittelalter einfach nicht gegeben waren. Das damit angerührte Problem geschichtlichen Verstehens und Urteilens kann hier selbstverständlich nur anvisiert werden. Das muß aber geschehen, um sich der Schwierigkeit bewußt zu sein (und durch sie nicht verwirren zu lassen!), die allen Erörterungen über den sog. Geist der Neuzeit anhaften, nämlich daß wir ihm einerseits (bei aller Kritik im einzelnen!) dem Mittelalter gegenüber recht geben müssen, daß dies aber andererseits keineswegs zu der Meinung berechtigt, als hätte der mittelalterliche Mensch eigentlich auch so urteilen müssen, als müßten wir also dem Mittelalter das Recht, so zu sein wie es war, absprechen. Diese Problematik klingt auch bei Bonhoeffer an in der Infragestellung der Hegeischen Gesamtkonzeption 21
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Weisheit, daß die Geschichte eine Einbahnstraße ist - eine Einbahnstraße, wenn ich im Bilde so sagen darf, von solcher technischen Vollkommenheit, daß der Verkehr in umgekehrter Richtung schlechthin ausgeschlossen ist und ein entsprechendes Fahrverbot sich eigentlich erübrigt -, diese banale Weisheit voll in unser Bewußtsein aufzunehmen, ist allerdings schwieriger, als man erwarten sollte. Denn, auf unser Problem angewandt, heißt es, daß das, was die intellektuelle Redlichkeit erfordert, dem geschichtlichen Wandel unterliegt. Unsere Einsicht, daß die menschliche ratio selbst geschichtlich ist, ist ja der bes~e Beleg dafür, daß, wenn wir heute von intellektueller Redlichkeit reden, wir keineswegs die Ideale und Illusionen der Aufklärung und ihres ungeschichtlich angesetzten Vernunftbegriffes damit verbinden. Die von Bonhoeffer in einem ganz anderen Problemzusammenhang geprägte Formulierung, die Wahrheit sagen heiße sagen, wie etwas in Wirklichkeit ist, schließe also die Respektierung des Geheimnisses, des Vertrauens und der Verhüllung mit ein 23, weist darauf hin, daß der Begriff der Wahrheit ebenso wie der ihm verschwisterte Begriff der Freiheit 24 geschichtlicher Art ist 25 und daß beide wiederum in ihrer Bezogenheit auf den Begriff der Wirklichkeit 26 gesehen werden müssen. Das heißt: von der GesChiChte als eines Entwicklungskontinuums (WE 157 f.) und speziell in der Erwägung, ob niCht heute vielleiCht allein von dem Begriff der Kirche aus das Verständnis für den Spielraum der Freiheit (Kunst, Bildung, FreundsChaft, Spiel) wieder zu gewinnen ist und eben dadurCh auCh der AnsChluß an das Mittelalter (!) neu gewonnen würde (WE 136). Ein solCher eChter AnsChluß an das Mittelalter, der niCht zu verweChseln wäre mit Rückkehr ins Mittelalter, wäre dann vergleiChbar dem "Werden wie die Kinder", was ja auCh niCht durCh willkürliChen VerziCht auf innere RedliChkeit mögliCh ist, sondern nur "durCh Buße, d. h. durCh letzte RedliChkeit" (und d. h. doCh unter EinsChluß der intellektuellen Redlichkeit) (WE 241). 23 WE 114 ff. Vgl. dazu den im Gefängnis gesChriebenen (WE 94, 119) unvollendeten Aufsatz "Was heißt die Wahrheit sagen?" E 283-290. ",Lüge' ist die Zerstörung und die FeindsChaft gegen das WirkliChe, wie es in Gott ist." (WE 119) 24 ICh kann hier nur hinweisen auf das in WE außerordentliCh häufige Vorkommen des Begriffs der Freiheit. Dafür sind besonders CharakteristisCh die beiden GediChte "Stationen auf dem Wege zur Freiheit" (250 f.) und "Der Freund" (269 ff.). Dazu die Bemerkungen über den Freiheitsbegriff in E passim, vor allem 193 ff. 25 Besonders deutliCh E 289: "Wie wird mein Wort wahr? 1. Indem iCh erkenne, wer miCh zum SpreChen veranlaßt und was miCh zum SpreChen bereChtigt. 2. Indem iCh den Ort erkenne, an dem iCh stehe. 3. Indem iCh den Gegenstand, über den iCh etwas aussage, in diesen Zusammenhang stelle. In diesen Bestimmungen ist zunäChst stillsChweigend vorausgesetzt, daß das SpreChen überhaupt unter bestimmten Bedingungen steht; es begleitet niCht in fortwährendem Fluß den natürliChen Lebenslauf, sondern es hat seinen Ort, seine Zeit, seinen Auftrag und damit seine Grenzen." 26 E passim, bes. 55-61. Am Begriff der WirkliChkeit den Zusammenhang von Theologie und Ontologie bei Bonhoeffer zu analysieren, ist eine Aufgabe, deren Inangriffnahme man sich im Rahmen der sehr begrenzten Möglichkeiten dieses Vortrags um so mehr versagen muß, je mehr man gerade darin einen entsCheidenden Knotenpunkt niCht nur in Bonhoeffers Denken - iCh erinnere an seine Habilita-
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Die Forderung intellektueller Redlichkeit ist die Verpflichtung, mein Denken im Einvernehmen zu halten mit meiner Wirklichkeit. Dabei meint der Begriff "meine Wirklichkeit" den unteilbaren Gesamtzusammenhang dessen, was mich angeht und wie es als mich Angehendes zu erkennen mir zumutbar ist. Diese Definition ermöglicht und erfordert die Berücksichtigung der geschichtlichen und damit auch der individuellen Differenziertheit dessen, was intellektuelle Redlichkeit jeweils konkret besagt. Wer an einem Teil der ihn angehenden Wirklichkeit schuldhaft taus Feigheit oder aus Trägheit oder wie immer) vorbeidenkt oder die ihm zumutbaren Möglichkeiten zur Erkenntnis des ihn Angehenden nicht ausschöpft, der verstößt gegen das Gebot der intellektuellen Redlichkeit 27. Zu der den Menschen der Neuzeit angehenden Wirklichkeit gehört nun aber - und das läßt für ihn die Pflicht zurintellektuellen Redlichkeit in der Tat eine ganz neue und gegenüber früher ganz einzigartige Bedeutung gewinnen - die Erschließung der Autonomie der Vernunft und dementsprechend die unumgängliche Pflicht zum Gebrauch der autonomen Vernunft 28 - wohlbemerkt: nicht tionsschrift: Akt und Sein. Transzendentalphilosophie und Ontologie in der systematischen Theologie. Beitr. z. Förd. christI. TheoI. 34, 2. Gütersloh 1931 -. sondern auch in der gegenwärtigen Theologie überhaupt sieht. Ein Zitat möge als Hinweis auf die Tragweite des Problems genügen: "In Christus begegnet uns das Angebot, an der Gotteswirklichkeit und an der Weltwirklichkeit zugleich teilzubekommen, eines nicht ohne das andere. Die Wirklichkeit Gottes erschließt sich nicht anders, als indem sie mich ganz in die Weltwirklichkeit hineinstellt, die Weltwirklichkeit aber finde ich immer smon getragen, angenommen, versöhnt in der Wirklichkeit Gottes vor . .. Es geht also darum, an der Wirklichkeit Gottes und der Welt in Jesus Christus heute teilzuhaben, und das so, daß ich die Wirklichkeit Gottes nie ohne die Wirklichkeit der Welt und die Wirklichkeit der Welt nie ohne die Wirklichkeit Gottes erfahre." [E 60 f.) 27 Es besteht darum ein - von Bonhoeffer selbst freilich, wenn ich nichts übersehen habe, nie direkt ins Auge gefaßter - Zusammenhang zwischen dem Gebot der intellektuellen Redlichkeit und dem, was er über das Stehen in der Polyphonie und Mehrdimensionalität des Lebens sagt, WE 192 f., 195 und besonders 209 f.: "Ich beobachte hier immer wieder, daß es so wenige Menschen gibt, die viele Dinge gleichzeitig in sich beherbergen können ... Sie gehen an der Fülle des Lebens und an der Ganzheit einer eigenen Existenz vorbei; alles Objektive und Subjektive löst sich für sie in Brumstücke auf. Demgegenüber stellt uns das Christentum in viele verschiedene Dimensionen des Lebens zu gleicher Zeit; wir beherbergen gewissermaßen Gott und die ganze Welt in uns ... Man muß die Menschen aus dem einlinigen Denken herausreißen - gewissermaßen als ,Vorbereitung' bzw. ,Ermöglichung' des Glaubens, obwohl es in Wahrheit erst der Glaube selbst ist, der das Leben in der Mehrdimensionalität ermöglicht ... " Ich hielte es nicht für zu gewagt, jedenfalls nicht für gewagter, als dieser letzte Satz, wie er dasteht, ohnehin ist, wenn man ihn so variierte: Man muß die Menschen aus der intellektuellen Unredlichkeit herausreißen - gewissermaßen als "Vorbereitung" bzw. "Ermöglichung" des Glaubens, obwohl es in Wahrheit erst der Glaube selbst ist, der das Leben in intellektueller Redlimkeit ermöglicht. Doch damit ist dem obigen Gedankengang schon vorgegriffen. S. u. S. 30 f. 28 "Gott als moralische, politische, naturwissenschaftliche Arbeitshypothese ist abgeschafft, überwunden; ebenso aber als philosophische und religiöse Arbeitshypothese [Feuerbach!). Es gehört zur intellektuellen Redlichkeit, diese Arbeits-
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zum autonomen Gebrauch der Vernunft; denn nicht der Mensch selbst, sondern die Vernunft ist recht verstanden autonom 29, während die Verwechslung der Autonomie der Vernunft mit der Autonomie des Menschen gerade eine neue Heteronomie der Vernunft zur Folge hat, wie genügend Beispiele aus der Geschichte der Neuzeit zeigen. Diese recht verstandene Autonomie der Vernunft gehört so sehr zur Wirklichkeit des Menschen der Neuzeit, daß er gar nicht gefragt ist, ob er von ihr Gebrauch machen will, sondern nur, wie er von ihr Gebrauch macht, nämlich ob er diesen Gebrauch dem Gebot der intellektuellen Redlichkeit unterworfen sein läßt, und d. h. weder die autonome Vernunft für seine ganze Wirklichkeit hält, noch auch Bereiche seiner Wirklichkeit willkürlich abschirmt gegen die autonome Vernunft 30. Daß im Rahmen dieses allgemein umrissenen Problems der intellektuellen Redlichkeit noch eine Fülle von Fragen zu erörtern wäre, ist selbstverständlich. Aber das eine dürfte deutlich sein, daß der Mensch der Neuzeit gegen die Pflicht zur intellektuellen Redlichkeit verstößt, wenn er nicht in dem ihm jeweils zumutbaren Maße sein Denken, worüber auch immer, offen hält für die mit der Autonomie der Vernunft gesetzten Tatsachen. Die Schwierigkeiten, die daraus erwachsen, verlangen von dem moderhypothese fallen zu lassen bzw. sie so weitgehend wie irgend möglich auszusmalten. Ein erbaulimer Naturwissensmaftler, Mediziner ete. ist ein Zwitter ... wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, daß wir in der Welt leben müssen - ,etsi deus non daretur'." (WE 240 f.) 29 Im führe damit eine Untersmeidung ein, die ich hier nimt, wie es nötig wäre, ausführlim begründen und entfalten kann. Verbaliter scheint sie dem Spramgebraum Bonhoeffers zu widersprechen. Er pflegt einfam von der Autonomie des Menschen bzw. der Welt zu reden, WE 215, 239, 240. Im halte aber eine solme Unterscheidung für notwendig, wenn man in der Linie Bonhoeffers weiterzudenken versucht. 30 Hier ist der notwendige Ort der kritismen Aussagen über die Vernünftigkeit. "Offenkundig ist das Versagen der ,Vernünftigen', die in bester Absicht und naiver Verkennung der Wirklimkeit das aus den Fugen gegangene Gebälk mit etwas Vernunft wieder zusammenbiegen zu können meinen. In ihrem mangelnden Sehvermögen wollen sie allen Seiten Remt widerfahren lassen und werden so durm die aufeinanderprallenden Gewalten zerrieben, ohne das Geringste ausgerimtet zu haben. Enttäusmt über die Unvernünftigkeit der Welt sehen sie sim zur Unfrumtbarkeit verurteilt, treten sie resigniert zur Seite oder verfallen haltlos dem Stärkeren." (WE 11) In der Parallelstelle E 12 findet sich die be amtliche Modifikation, daß das Versagen der Vernünftigen damit zusammenhängt, daß sie den Abgrund des Heiligen nicht zu sehen vermögen. Ferner: "Wir glaubten, daß wir uns durm Vernunft und Recht im Leben durchsetzen, und wo beides versagte, sahen wir uns am Ende unserer Möglichkeiten. Wir haben die Bedeutung des Vernünftigen und Geremten aum im Geschimtsablauf immer wieder überschätzt. Ihr ... erfahrt von Kind auf, daß Mämte die Welt bestimmen, gegen die die Vernunft nimts ausrichtet. Ihr werdet Euch daher mit diesen Mächten nüchterner und erfolgreicher auseinandersetzen. " (WE 204) Vgl. dazu auch die Ausführungen über die Dummheit, nämlim "daß sie nicht wesentlich ein intellektueller, sondern ein mensmlimer Defekt ist", und "daß die innere Befreiung des Menschen zum verantwortlimen Leben vor Gott die einzige wirkliche überwindung der Dummheit ist" (WE 17-20).
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nen Menschen ganz besondere Wachsamkeit in bezug auf seine intellektuelle Redlichkeit, nämlich in schärfster Selbstkritik darauf zu achten, daß er sich nicht selbst belügt, sondern sein Denken tatsächlich im Einvernehmen hält mit seiner Wirklichkeit. Das andere Mißverständnis ist die irrige Vorstellung, als laufe die Forderung der intellektuellen Redlichkeit hinaus auf eine Einengung in bezug auf die Entfaltung des Glaubens. Das ist ja in der Tat das Bild, das uns die Geschichte des Christentums seit Beginn der Neuzeit bietet. Bonhoeffer hat in immer neuen Ansätzen diese dem christlichen Glauben abgenötigte Rückzugsbewegung analysiert 31 und in scharfen Worten sowohl die "Attacke der christlichen Apologetik auf die Mündigkeit der Welt" 32 als auch das Sichzufriedengeben mit einem allerletzten, angeblich sicheren Reduit gegeißelt 33. Auch die Bekennende Kirche verschont er nicht von diesem Urteil: Es weht in ihr nicht ganz freie Luft. "Kirche in der Selbstverteidigung." 34 Dieser Konflikt des Christentums mit der intellektuellen Redlichkeit, den Bonhoeffer drastisch dahin charakterisiert, es seien "nur noch einige ,letzte Ritter' oder ein paar intellektuell Unredliche, bei denen wir ,religiös' landen können" 35, beruht auf einer verhängnisvollen Verwirrung in bezug auf das Verhältnis von Glaube und Vernunft 36. Das rechte Verständnis des Verhältnisses von Glaube und Vernunft hat sich daran auszuweisen, 31 WE 181 f., 210 f., 215 f., 229 ff. Daraus nur eine, sich ähnlich mehrfach wiederholende Formulierung: " ... wenn ... - was sachlich zwangsläufig ist - sich die Grenzen der Erkenntnis immer weiter herausschieben, wird mit ihnen auch Gott immer weiter weggeschoben und befindet sich demgemäß auf einem fortgesetzten Rückzug." (WE 210 f.) 32 WE 216 ff., 221, 230. Besonders 217 f.: "Die Attacke der christlichen Apologetik auf die Mündigkeit der Welt halte ich erstens für sinnlos, zweitens für unvornehm, drittens für unchristlich." "Dem Wort Gottes ist die Zudringlichkeit aller dieser Menschen viel zu unaristokratisch ... " (WE 236) 33 "Wenn man auch in allen weltlichen Fragen schon kapituliert hat, so bleiben doch immer die sogenannten ,letzten Fragen' - Tod, Schuld - auf die nur ,Gott' eine Antwort geben kann und um derentwillen man Gott und die Kirche und den Pfarrer braucht. Wir leben also gewissermaßen von diesen sogenannten letzten Fragen der Menschen." (WE 216, 230) "Die Verdrängung Gottes aus der Welt, aus der öffentlichkeit der menschlichen Existenz, führte zu dem Versuch, ihn wenigstens in dem Bereich des ,Persönlichen', .Innerlichen', ,Privaten' noch festzuhalten." Es folgen die scharfen Äußerungen über "die Kammerdienergeheimnisse" als "das Jagdgebiet der modernen Seelsorger" und die soziologische Charakterisierung dieser Entwicklung als "Aufruhr der Minderwertigkeit". Und dann zusammenfassend: "Theologisch gesehen ist der Fehler ein doppelter: erstens, man glaubt einen Menschen erst als Sünder ansprechen zu können, wenn man seine Schwächen bzw. sein Gemeines ausspioniert hat; zweitens, man meint, das Wesen des Menschen bestehe in seinen innersten, intimsten Hintergründen, und das nennt man dann seine ,Innerlichkeit'; und ausgerechnet in diesen menschlichen Heimlichkeiten soll nun Gott seine Domäne haben!" (WE 233-235) .. WE 261, 259, ferner: 220, 221. 35 WE 179. 36 Auch von den folgenden Ausführungen gilt, daß sie notgedrungen nur andeuten können, was ausführlicher Explikation bedürfte.
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daß es beide Sätze unverkürzt festzuhalten und je in verschiedener Hinsicht als uneingeschränkt gültig zu interpretieren vermag, nämlich: Der Glaube tötet die Vernunft, und: Der Glaube steht im Einvernehmen mit der Vernunft 37. Dazu ist aber nötig, zu wissen, was Glaube heißt. Die Verwirrung in bezug auf das Verhältnis von Glaube und Vernunft ist daran kenntlich, daß man entweder nur einen dieser beiden Sätze meint annehmen zu können, aber dessen radikales Verständnis dann doch nicht durchhalten kann - denn ein unvernünftiger Glaube ist ebenso nonsense wie ein vernünftiger Glaube -, oder daß man beide Sätze verwirft und an deren Stelle eine ausgleichende Kompromißformel setzt. So oder so werden Glaube und Vernunft als zwei Größen auf derselben Ebene gesehen, die sich gegenseitig den Raum streitig machen oder zugunsten der einen oder der andern eine schiedlich-friedliche Raumverteilung vornehmen 38. In jedem Fall ist dabei die Ursache der Verwirrung ein Mißverständnis dessen, was Glaube heißt. Der Glaube wird als ein Konkurrenz- oder Ergänzungsorgan zur Vernunft angesehen, als eine ins übervernünftige verlängerte Vernunft. Der so verstandene, bereits heimlich von der Vernunft überwältigte Glaube, der darum nichts anderes als Pseudoglaube ist, ist bestrebt, sich selbst zu rechtfertigen und zu schützen, indem er die Vernunft, soweit möglich, sich selbst zum Gesetz macht und deren legitime Autonomie in Heteronomie verwandelt. Dieser Pseudoglaube ist selber heteronom gewordene Vernunft und fordert notwendig die Gegnerschaft der im recht verstandenen Sinne autonomen Vernunft heraus. Der notwendige und unvermeidliche Konflikt zwischen Glaube und Vernunft, der in dem theologischen Satz zum Ausdruck kommt, daß die Vernunft in bezug auf das Sein des Menschen vor Gott blind sei, ist nun an eine falsche Stelle verlagert und in einen allerdings sehr folgenreichen Scheinkonflikt verwandelt, in dem der Satz über die Blindheit der Vernunft mit allerlei Beweisen menschlicher Unvernunft gestützt wird, an denen es zwar
37 Vgl. dazu E 63 f.: "Wie in Christus die Gotteswirklichkeit in die Weltwirklichkeit einging, so gibt es das Christliche nicht anders als im Weltlichen, das ,übernatürliche' nur im Natürlichen, das Heilige nur im Profanen, das Offenbarungsmäßige nur im Vernünftigen ... Dennoch ist das Christliche nicht identisch mit dem Weltlichen, das Natürliche mit dem übernatürlichen, das Offenbarungsgemäße mit dem Vernünftigen, sondern es besteht vielmehr zwischen beiden eine allein in der Christuswirklichkeit und d. h. im Glauben an diese letzte Wirklichkeit gegebene Einheit. Diese Einheit wird dadurch gewahrt, daß das Weltliche und das Christliche usw. sich gegenseitig jede statische Verselbständigung des einen gegen das andere verbieten, daß sie sich also polemisch zueinander verhalten und gerade darin ihre gemeinsame Wirklichkeit, ihre Einheit in der Chri· stuswirklichkeit bezeugen." 38 Vgl. Bonhoeffers Angriff auf "das Denken in zwei Räumen": E 61-69. Besonders wichtig daraus: "Das Raumdenken als statisches Denken ist - theologisrh gesprochen - gesetzliches Denken." (64)
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keinen Mangel hat, aber deren Aufweis ja letztlich, was man sich nicht klar macht, nur zugunsten der Vernunft spricht. Nur eine Theologie, die nicht weiß, was Glaube heißt, kann sich für den Glauben Vorteil versprechen von einer Schwächung der Vernunft. Nur ein falscher Glaube und d. h. nur der Unglaube kann von einer heteronom und darum zuchtlos gewordenen Vernunft profitieren. Man darf sich darum über die Zuchtlosigkeit einer sich gegen den christlichen Glauben wendenden Vernunft nicht beklagen, solange im Namen eines mißverstandenen christlichen Glaubens und angeblich zum Vorteil des christlichen Glaubens die Zuchtlosigkeit der Vernunft gefördert wird. Es ist nur ein Zeichen moralischer Gesundheit, wenn gegen diese verzerrte und depravierte Gestalt des Glaubens im Namen der Vernunft Stellung genommen wird 39. Daraus ergibt sich: Der recht verstandene christliche Glaube fordert und fördert den rechten Gebrauch der legitimerweise autonomen Vernunft im Sinne und in den Grenzen dieser Autonomie. Insofern ist der christliche Glaube, wenn auch nur indirekt, am Gesamtbereich des menschlichen Lebens interessiert, nicht nur an den sog. Dingen des Glaubens, sondern auch an den Dingen, die der autonomen Vernunft unterworfen sind, und zwar in dem Sinne interessiert, daß die Vernunft hier wirklich vernünftig und sachgemäß sei, d. h. vernehme und vernehmbar mache, was die Dinge besagen. Der Glaube kann und muß gegebenenfalls in dieser Hinsicht gegen menschliche Unvernunft zum Anwalt der Vernunft werden und das Gebot der intellektuellen Redlichkeit auf allen Gebieten des menschlichen Lebens einschärfen. Er muß aber zugleich in Sachen des Glaubens selbst die Forderung der intellektuellen Redlichkeit respektieren und wird dabei das eine nie tun können ohne das andere. Dabei beugt sich der Glaube nicht einem fremden Gesetz, sondern folgt seinem eigenen Gesetz, und d. h. er steht in der Freiheit. Denn wenn, wie wir sagten, intellektuelle Redlichkeit heißt, mein Denken im Einvernehmen zu halten mit meiner Wirklichkeit, dann besagt intellektuelle Redlichkeit in Sachen des Glaubens, daß der Glaube nicht ängstlich an einem Teil meiner Wirklichkeit vor39 In ähnlicher, wenn auch dem Obigen gar nicht paralleler Weise: "Wie ... Luther gegen das sich verselbständigende, sich von der Wirklichkeit in Christus lösende Christliche mit Hilfe des Weltlichen im Namen einer besseren Christlichkeit protestierte, so muß auch der heutige polemische Gebrauch des Christlichen gegen das Weltliche im Namen einer besseren Weltlichkeit geschehen und darf gerade nicht wieder in eine selbstzweckliche statische Sakralität führen." (E 64) Dem Obigen ziemlich genau entsprechend: "Die Attacke der christlichen Apologetik auf die Mündigkeit der Welt halte ich ... für sinnlos, ... weil sie mir wie der Versuch erscheint, einen zum Mann gewordenen Menschen in seine Pubertätszeit zurückzuversetzen, d. h. ihn von lauter Dingen abhängig zu machen, von denen er faktisch nicht mehr abhängig ist, ihn in Probleme hineinzustoßen, die für ihn faktisch nicht mehr Probleme sind." (WE 217 f.)
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bei glaubt, sondern es mit meiner ganzen Wirklichkeit zu tun hat 40, also, wie Bonhoeffer richtig sagt, nicht ein partieller Akt, sondern "ein Ganzes, ein Lebensakt" ist 41. Intellektuelle Redlichkeit in Sachen des Glaubens ist nicht etwa aus Konzession gegen eine herrschsüchtig gewordene Vernunft zu fordern, sondern der Glaube selbst fordert sie um seiner selbst willen, weil er wirklicher Glaube sein will 42. Der Mangel an intellektueller Redlichkeit in Sachen des Glaubens ist Symptom heimlichen Unglaubens, eines Unglaubens, der den Glauben meint von der Wirklichkeit absperren zu müssen. Darum ist es eine Grundvoraussetzung theologischen Denkens, daß die Frage nach dem Glauben weder so gestellt wird: Was muß ich glauben? 43 - das hieße den Glauben der Vernunft zum Gesetz zu machen - noch auch so: Was kann ich glauben? - das hieße die Vernunft dem Glauben zum Gesetz zu machen. Die Frage nach dem Glauben hat vielmehr zu lauten, um nun wieder eine Formulierung Bonhoeffers aufzugreifen: "Was glauben wir wirklich?, d. h. so, daß wir mit unserem Leben daran hängen?" 44 Das bedeutet nun freilich nicht, daß die Sprache des Glaubens sich nährt aus der auf sich selbst gestellten Subjektivität des Glaubenden. Denn es darf ja hier nun keinen Augenblick außer acht gelassen werden, daß der Glaube Antwort ist auf das im Glauben selbst zum Ziel kommende 40 "Wer sich zu der Wirklichkeit Jesu Christi als der Offenbarung Gottes bekennt, der bekennt sich im selben Atemzug zu der Wirklichkeit Gottes und zu der Wirklichkeit der Welt; denn er findet in Christus Gott und die Welt versöhnt. Eben darum ist der Christ auch nicht mehr der Mensch des ewigen Konflikts, sondern wie die Wirklichkeit in Christus eine ist, so ist er, der zu dieser Christuswirklichkeit gehört, auch selbst ein Ganzes. Seine Weltlichkeit trennt ihn nicht von Christus, und seine Christlichkeit trennt ihn nicht von der Welt. Ganz Christus angehörend steht er zugleich ganz in der Welt." (E 65) 11 "Der ,religiöse Akt' ist immer etwas Partielles" (WE 246). Beim Denken in zwei Räumen wird "die Sache Christi zu einer partiellen, provinziellen Angelegenheit innerhalb des Wirklichkeitsganzen" (E 61). Dazu die häufigen Bemerkungen über den "ganzen Menschen", den cw1h;)(orco~ "BABW~ im Gegensatz zum (wrn;! ol'IjJvzo~ (Jak. 1, 4. B): WE 141, 161 f., 193, 209, 236. Wie sich das zum fragmentarischen Charakter des Lebens verhält (0. S. 13 Anm. B), s. u. S.65 und 72 . .. S. o. S. 26 Anm. 27. 43 WE 260. 44 WE 260. Bonhoeffer deutet an, daß sich daraus weitreichende Folgerungen ergeben: "Revision der ,Bekenntnis'frage (Apostolikum); Revision der Kontroverstheologie; Revision der Vorbereitung auf das Amt und der Amtsführung." (WE 262) Speziell: "Die lutherisch-reformierten - (teils auch katholischen) Gegensätze sind nicht mehr echt. Natürlich kann man sie jederzeit mit Pathos repristinieren, aber sie verfangen doch nicht mehr. Dafür gibt es keinen Beweis, davon muß man einfach auszugehen wagen. Beweisen kann man nur, daß der christlichbiblische Glaube nicht von diesen Gegensätzen lebt und abhängt." (WE 260) Es lag ihm daran, "einmal den Versuch zu machen, einfach und klar gewisse Dinge auszusprechen, um die wir uns sonst gern herumdrücken" (WE 262). "Wir müssen es auch riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden." (WE 257) Was ist in dieser Hinsicht seitdem in Theologie und Kirche geschehen?
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Wort Gottes und darum alles, was sich als Glaube ausspricht, sich auszuweisen hat am ursprünglichen Zeugnis des Glaubens. Es darf aber ebensowenig außer acht gelassen werden, daß der Glaube nicht anders zur Sprache kommt und darum auch eine theologische Entfaltung des Glaubens nicht anders möglich ist als in eigener Verantwortung - wir könnten auch sagen: im Zeugnis und d. h. eben in letzter "Redlichkeit uns selbst gegenüber" 45, nämlich nicht so, "daß man sich immer wieder hinter den ,Glauben der Kirche' verschanzt", sondern so, daß man "ganz ehrlich fragt und konstatiert, was man selbst eigentlich glaubt" 46. Denn nur so wird der Glaube dazu angehalten, konkreter Glaube zu sein, und nur so wird er in Theologie und Verkündigung als konkreter Glaube entfaltet, nicht als das Schema eines übernommenen und zum Gesetz gewordenen religiösen Methodismus 47, sondern als ein im Einvernehmen mit meiner Wirklichkeit stehender Glaube, richtiger als ein meine ganze Wirklichkeit einvernehmender Glaube. Wenn Bonhoeffer darüber nachdenkt, "wie die Begriffe Buße, Glaube, Rechtfertigung, Wiedergeburt, Heiligung ,weltlich' ... umzuinterpretieren sind" 48, dann meint er damit nichts anderes als: Was heißt unter der strengen Zucht der Frage "Was glauben wir wirklich?" Buße, Glaube, Rechtfertigung, Wiedergeburt, Heiligung eigentlich konkret 49? Wie sind all diese Begriffe so zu verstehen, daß sie nicht an unserer Wirklichkeit vorbei45 WE 261. Daß der theologisch heute so gern gebrauchte Begriff des Zeugnisses die "Redlichkeit uns selbst gegenüber" impliziert, wird natürlich nie bestritten, aber auch wenig auf die Folgen hin bedacht. 46 WE 260 f. 47 Z. B. zur Begründung dessen, warum in seinen "Gebeten für Mitgefangene" (WE 96-101) die Bitte um Vergebung nicht im Mittelpunkt steht: "Ich würde es für seelsorgerlich und sachlich ganz verfehlt halten, hier ,methodistisch' vorzugehen." (WE 149) Oder: aus dem Kreuz bzw. dem Leiden ein Prinzip zu machen. wäre "ein ungesunder Methodismus, der dem Leiden den Charakter der Kontingenz einer göttlichen Schickung raubt" (WE 253 f.). Existenzphilosophie und Psychotherapie als säkularisierter Methodismus: WE 217, 230. Ferner: WE 218, 246. "Christsein heißt nicht in einer bestimmten Weise religiös sein, auf Grund irgendeiner Methodik etwas aus sich machen (einen Sünder, Büßer oder einen Heiligen), sondern es heißt Menschsein, nicht einen Menschentypus, sondern den Menschen schafft Christus in uns. Nicht der religiöse Akt macht den Christen, sondern das Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben" (WE 244) und d. h. eben: der Glaube (WE 245). Daß sich das "Hineingerissenwerden in das messianisrne Leiden Gottes in Jesus Christus" in ganz verschiedener Weise, also nicht nach einem bestimmten methodischen Schema, vollzieht, wird WE 245 mit neutestamentlichen Beispielen belegt. "Wenn Jesus Sünder selig marnte, so waren das wirkliche Sünder, aber Jesus machte nirnt aus jedem Menschen zuerst einmal einen Sünder." (WE 231) Vgl. auch E 77 f. Daß Bonhoeffer damit Luthers Ausführungen in der Römerbriefvorlesung über das magnificare peccatum und das oportere peccatores fieri (WA 56; 3, 6-11 157, 2-6 229, 7 - 230, 8 231, 6-12 232,34 - 233, 33) nicht widersprechen, sondern sie in ihrem rechten Verständnis sichern wollte, scheint mir gewiß zu sein. 48 WE 185. 49 Vgl. Otto Küster, Konkreter Glaube, ZThK 48 (1951); 101-114.
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gehen, auch nicht etwa nur ein separierter Teil unserer Wirklichkeit sind, sondern unsere Wirklichkeit im Ganzen betreffen? Nicht-religiöse Interpretation - so können wir nun also als weiteres vorläufiges Ergebnis registrieren - meint konkrete Interpretation. 3) Die dritte Grundvoraussetzung endlich, die in Bonhoeffers Gedanken zum Problem der nicht-religiösen Interpretation wirksam ist und die ein Grundelement alles theologischen Denkens sein muß, ist die Ausrichtung auf die Aufgabe der Verkündigung 50. Bei der beherrschenden Stellung, die die Kirche im gesamten theologischen Werk Bonhoeffers einnimmt 51, läge es nahe, an dieser Stelle auf den Kirchenbegriff zu rekurrieren und die Grundvoraussetzung, um deren Bestimmung es uns jetzt geht, etwa mit der heute zum Gemeinplatz gewordenen Formulierung zu charakterisieren, daß Theologie eine Funktion der Kirche sei 52 und darum alles theologische Denken sich von daher zu verstehen habe. Das würde nun aber die präzise Erfassung dessen, was jetzt beachtet sein will, gefährden. Nicht daß damit nicht in der Tat hingedeutet wäre auf das, was Bonhoeffer auch in dieser letzten Phase seines theologischen Denkens unablässig beschäftigt. Das beweisen ja gerade die um der Kirche willen kirchenkritischen Äußerungen, von denen das Nachdenken über das Problem der nicht-religiösen Interpretation begleitet ist. Ausgerechnet in den Jahren, in denen uns ein neues Erleben und Verstehen dessen, was Kirche ist, widerfahren zu sein schien, hat die Kirche nach Bonhoeffers Urteil "nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft ... , als wäre sie ein Selbstzweck" 53, hat also gegen ihr Wesen verstoßen, das Bonhoeffer jetzt dahin de50 Im folgenden ist unter "Verkündigung" selbstverständliCh nicht nur die Sonntagspredigt zu verstehen, aber allerdings gerade auch sie. 51 Von seiner Dissertation (Sanctorum Communio. Eine dogmatische UntersuChung der Soziologie der Kirche. Berlin 1930. Neudruck: TheoI. Bücherei Bd. 3, München 1954) an sind im Grunde sämtliche Veröffentlichungen Bonhoeffers auf das Thema "KirChe" ausgeriChtet. Hans-Christoph von Hase, Begriff und Wirklichkeit der Kirche in der Theologie DietriCh Bonhoeffers. 5' Z. B. Karl Barth, KD I, 1 (1932); 1.' Emil Brunner, Die christliChe Lehre von Gott. Dogmatik Bd. I (1946); 3. Paul Althaus, Grundriß der Dogmatik I (1947); 7 (dagegen die wichtigen Vorbehalte in: Die Christliche Wahrheit [1952]; 4 ff.I). Heinrich Vogel, Gott in Christo (1951); 74 f. Hermann Diem, Theologie als kirchliche Wissenschaft (1951); 21 ff. Dtto Weber, Grundlagen der Dogmatik I (1955); 30 ff. Aber auch etwa: Michael Schmaus, Katholische Dogmatik I (1953); 22 f. Bei Bonhoeffer selbst: Akt und Sein (1931); 123; letzte Auf!. 1956. - Es ist an der Zeit, die Formeln "Theologie als Funktion der KirChe" oder "Theologie als kirchliche Wissenschaft", die nur im katholisChen Verständnis einen wirklich eindeutigen Sinn haben, kritisch unter die Lupe zu nehmen und dann jedenfalls etwas vorsichtiger zu verwenden, sowie der Meinung entgegenzutreten, als sei die Parole von der "Kirchlichkeit der Theologie" eine ganz überraschende Neuentdeckung der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts (so Hermann Diem, aaD 22 H.), während sie doch im 19. Jahrhundert ihren Ursprung hat und damals intensiv diskutiert worden ist. Darüber befindet siCh eine Dissertation in Vorbereitung. 53 WE 206. VgI. o. S. 28 Anm. 34.
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finiert: "Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist." 54 Daß die Äußerungen Bonhoeffers über die Kirche während der Zeit seiner Haft ausschließlich auf diesen Ton einer leidenschaftlichen Kritik gestimmt sind, kann nun aber weder damit abgE1tan werden, daß darin ja eben nur seine Liebe zur Kirche zum Ausdruck komme, noch damit, daß jene Äußerungen, isoliert genommen, doch nur die halbe Wahrheit enthalten. Das alles ist gewiß richtig. Aber es kommt ja jetzt gar nicht auf eine nach allen Seiten abgewogene und sich auch nicht der Undankbarkeit schuldig machende Beurteilung jener Jahre an. Es geht viel. mehr darum, zu erfassen, was in der Bonhoefferschen Kritik theologisch eigentlich am Werke ist. Und das ist doch dies, daß Bonhoeffer die Kirche ganz und gar dem ausgeliefert sein läßt, was Kirche zur Kirche macht, und daß darum auch sein theologisches Denken um der rechten Orientierung an der Kirche willen sich an dem orientiert, was Kirche zur Kirche macht. Das aber ist das Wort Gottes als verkündetes. An diesem Existenzgrund der Kirche hat alles Reden über die Kirche ihr Kriterium. An diesen Existenzgrund rührt darum Bonhoeffer, wenn er sagt, unsere Kirche sei "unfähig, Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein" 55. Um diesen Existenzgrund geht es auch in jenem Ruf, der das ganze Pathos der zuletzt geplanten Schrift vorwegnimmt: "Die Kirche muß aus ihrer Stagnation heraus. Wir müssen wieder in die freie Luft der geistigen Auseinandersetzung mit der Welt." 56 Es geht also um die Frage der rechten Verkündigung. Gewiß auch um die Frage der Gestalt der Kirche 57. Aber doch nur insofern, als deren Veränderung und Umschmelzung, die Bonhoeffer kommen sieht, mit der Frage der Verkündigung zusammenhängt und von da ihren Ausgang nimmt, so daß alles vorzeitige Organisieren nur eine Verzögerung des Kommenden bedeuten würde 58. Es will doch beachtet sein, daß Bonhoeffers Schau auf das Kommende in diesem Zusammenhang gerade nicht das Problem der Gestalt 59, sondern das Problem der Sprache betrifft: " ... der Tag wird kommen, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, daß sich die Welt darunter verändert und erneuert." Er redet also von der Welt, wo man dem unmittelbar VorWE 261. S. auch E 66. WE 206f. 56 WE 257. 57 S. u. S. 35 Anm. 61. 58 WE 207. 59 Dem oben folgenden Zitat geht unmittelbar voraus: "Bis Du groß bist. wird sich die Gestalt der Kirche sehr verändert haben. Die Umschmelzung ist noch nicht zu Ende. und jeder Versuch, ihr vorzeitig zu neuer organisatorischer Machtentfaltung zu verhelfen. wird nur eine Verzögerung ihrer Umkehr und Läuterung sein. Es ist nicht unsere Same, den Tag vorauszusagen - aber ... n (WE 207) M
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aufgehenden nach an die Veränderung und Erneuerung der Gestalt der Kirche denkt! Und er fährt dann fort: "Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu, daß sich die Menschen über sie entsetzen und doch von ihrer Gewalt überwunden werden, die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit, die Sprache, die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen seines Reiches verkündigt." 60 Man muß sich freilich fragen, ob man Bonhoeffers Intention wirklich gerecht wird, wenn man gerade diese Äußerung, nach der sich das ganze Kirchenproblem in das Sprachproblem konzentriert, als entscheidend wichtig anblendet 61. Es wäre hier allerdings noch sorgfältig abzuhorchen, was ihm in der Ethik am Gestaltbegriff so wichtig war 62 und was er in bezug auf die Tat und das Werk theologisch einzuschärfen sich be-
WE 207. Für das untrennbare Beieinander von Verkündigung und Gestalt der Kirche bei Bonhoeffer sind zwei Äußerungen gerade aus dem Umkreis der Erörterungen über die nicht-religiöse Interpretation charakteristisch. So heißt es WE 180 in einem Atem: "Wie sprechen ... wir ,weltlich' von ,Gott', wie sind wir ,religionslosweltlich' Christen ...1" Ebenso folgt WE 182 auf die Frage nach dem rechten Sprechen von Gott: "Wie dieses religionslose Christentum aussieht, welche Gestalt es annimmt, darüber denke ich nun viel nach ... " Dieselbe Reihenfolge spiegelt sich auch in dem Entwurf, wenn unter 2 c) die Interpretation der biblischen Begriffe, und anschließend unter d) dann das Problem des Kultus behandelt werden soll (WE 260). Man darf dies alles m. E. nicht im Sinne eines Gefälles deuten, in welchem das Problem der nicht-religiösen Interpretation seinen eigentlichen Ort nicht so sehr im Wort als im Existenzvollzug findet, die Frage nach dem rechten Reden also relativiert, wenn nicht gar aus dem, was hier mit "Interpretation" eigentlich gemeint sei, ausgeklammert wird. In diese Richtung scheinen die Ausführungen in HammelsbeCks Aufsatz (Die mündige Welt = Ev. Theologie 15 [1955]) schließlich zu tendieren (aaO 60 f. bzw. 198 f.). Man könnte sich dafür freilich auf verschiedene Äußerungen Bonhoeffers berufen: "Die Zeit, in der man alles den Menschen durch Worte - seien es theologische oder fromme Worte sagen könnte, ist vorüber" (WE 178). " ... vielleicht kann man aber nicht einmal mehr davon ,sprechen' wie bisher" (WE 180). "Darum müssen die früheren Worte kraftlos werden und verstummen, und unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muß neugeboren werden aus diesem Beten und aus diesem Tun ... Bis dahin wird die Sache der Christen eine stille und verborgene sein; aber es wird Menschen geben, die beten und das Gerechte tun und auf Gottes Zeit warten." (WE 207) Unsere Kirche "wird die Bedeutung des menschlichen ,Vorbildes' ... nicht unterschätzen dürfen; nicht durch Begriffe, sondern durch ,Vorbild' bekommt ihr Wort Nachdruck und Kraft." (WE 262) Gewiß sind gerade diese Aussagen sehr ernst zu nehmen. Aber im letzten Zitat ist doch nicht zu übersehen, daß das Vorbild das Wort der Kirche voraussetzt, und in den voraufgehenden Zitaten nicht, daß in ihnen gerade alles hindrängt auf die Frage nach der Verkündigung, dem Zu-Worte-Kommen des Wortes Gottes. Und schließlich ist nicht zu vergessen, wie sehr es Bonhoeffer selbst bei dem allem zum Schreiben drängte und noch viel mehr zu dem entbehrten Gespräch. In dem Problem der nicht-religiösen Interpretation geht es darum wirklich entscheidend um. die Aufgabe der Verkündigung. 82 Besonders E 23 ff. 60
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mühte 63. Das muß jetzt außer Betracht bleiben. Ich will aber nicht verschweigen, daß es m. E. überaus kritischer Wachsamkeit bedarf, um das, was Bonhoeffer in bestimmter Zuspitzung sagen konnte, theologisch richtig einzuordnen. Wie ja überhaupt mit einzelnen Worten und Gedanken Bonhoeffers, wenn sie nicht in eigener theologischer Arb'eit angeeignet, sondern als kanonisch nachgeredet werden, der gröbste Unfug angerichtet werden kann. Das gilt z. B. auch von jener Forderung, die Kirche müsse, um mit dem Für-andere-da-sein einen Anfang zu machen, alles Eigentum den Notleidenden schenken und die Pfarrer sollten ausschließlich von den freiwilligen Gaben der Gemeinden leben oder einen weltlichen Beruf ausuben 64. Begreiflich in jener Situation! Ausgezeichnet als Test, wie es mit der Kirche in Wahrheit bestellt ist, auch ohne daß dieses Experiment durchgeführt wird I Ernst zu nehmen in der Tat als Stachel im Gewissen der Kirche! Doch inwiefern wäre das wirklich ein Anfang dessen, daß die Kirche als Kirche für andere da sei? Daß sie mit ihrem Eigentum für andere da ist in einer aufsehenerregenden Demonstration, könnte nur noch tiefer verschleiern, daß sie mit ihrer Existenz, und d. h. mit der Verkündigung als ihrem eigenen Existenzgrund nicht für andere da ist. Es könnte jedenfalls nicht dies bewirken, daß die Kirche zu der Erkenntnis kommt: Sie ist als Kirche so wenig etwas für sich selbst, daß ihr Dasein für andere im strengen Sinne gar nicht ihr Dasein für andere ist, sondern allein die Bezeugung dessen ist, daß Gott in Christus für andere da ist, aber diese Bezeugung nun wirklich als Bezeugung für andere. Das ist es doch, was Bonhoeffer eigentlich in Atem hält oder richtiger: ihm geradezu den Atem verschlägt, die ungeheuer bedrängende Frage: "Wie kann Christus der Herr auch der Religionslosen werden?" 65 Das ist das Problem der Verkündigung und damit ein Problem der Interpretation und damit wiederum ein Problem der Sprache und in dem allen ein eminent theologisches Problem. Auch hier wieder wollen wir versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen durCh Auseinandersetzung mit einem naheliegenden Mißverständnis. Das Mißverständnis ist dies, als handle es sich um ein nur mehr oder weniger technisch formales Problem, als befände man sich nicht mitten in der Sache der Theologie, werin man auf das Problem der Sprache stößt. Ich charakterisiere dieses Mißverständnis bewußt nicht so, wie es hier und da zur vermeintlichen theologischen Ehrenrettung Bonhoeffers schon geschehen ist, nämlich daß es hier selbstverständlich nicht um so etwas wie "Anknüpfungspunkt" und "Vor63 64
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E 149 ff. WE 203, 250. WE 261. WE 179.
verständnis" gehe 66. M. E. beruht eine solche Inschutznahme Bonhoeffers ihrerseits auf einem Mißverständnis, zumindest auf dem, als könne der Anschluß an eine bestimmte theologische Sprachregelung das Nachdenken und die Argumente ersetzen. Es könnte ja sein, daß eine alte und zweifellos festgefahrene Diskussion über ein keineswegs erledigtes Problem unter neuem Aspekt in Gang kommen müßte. Doch halten wir uns an das Problem selbst und nicht an diese oder jene Etikettierung. Bonhoeffer wußte selbstverständlich, daß die Theologie und ebenso die Verkündigung dauernd vor das Problem der übersetzung gestellt ist. "Ebensowenig wie in der Dogmatik können wir in der Ethik nicht einfach die biblische Terminologie wiederholen. Die veränderte ... Problematik fordert eine veränderte Terminologie." 67 Was der Bekennenden Kirche (und wahrhaftig nicht etwa nur ihr!) vorzuwerfen ist, nämlich "Kirche in der Selbstverteidigung. Kein Wagnis für andere" 68, das erfährt darin seine Erläuterung, daß hier zwar die großen Begriffe der christlichen Theologie durchgehalten werden, aber das, was sie eigentlich besagen, unentfaltet und fern bleibt, weil ihnen die Interpretation fehlt 69. Das Problem des sachgemäßen Sprechens, der Ansprechbarkeit, der Inanspruchnahme, des Getroffenwerdens, der Verständlichkeit oder wie immer man das formulieren mag 70, was im Blick auf den heutigen Menschen die Frage nach einer nichtreligiösen Interpretation entstehen läßt, faßt Bonhoeffer nun aber so radikal, daß ebenso wie das dogmatisch traditionelle, unentfaltete Reden 71 auch all die modernen Versuche christlicher Apologetik als hoffnungslose, ja geradezu unchristliche Versuche 72 dastehen, die bei dem heutigen Menschen, wie er wirklich ist, und zwar bei dem normalen gesunden Menschen, einfach nicht ankommen, sondern höchstens bei einigen Randexistenzen, bei Menschen in Grenzsituationen oder bei durch künstliche Präparation empfänglich Gemachten 73. Man darf sich Die mündige Welt 21, 122 (= Ev. Theol. 15 [1955]; 159, 244). E 173. 68 WE 259. 69 WE 220. 70 Es kommt hier nicht auf statistische Erhebungen über Bonhoeffers Sprachgebrauch an. Vgl. nur Wendungen wie: "für Gott nicht ansprechbar" (WE 230) oder: "ich weiß nicht, wo man einen solchen packen, stellen, zur Besinnung bringen kann" (WE 143). 71 In Verbindung mit der Bemerkung über den Offenbarungspositivismus: "Für den religionslosen Arbeiter oder Menschen überhaupt ist hier nichts Entscheidendes gewonnen." (WE 180) 72 Vgl. O. S. 28 Anm. 32. "Unchristlich - weil Christus mit einer bestimmten Stufe der Religiosität des Menschen, d. h. mit einem menschlichen Gesetz verwechselt wird." (WE 218) 73 (Zwar unmittelbar bezogen auf den säkularisierten Methodismus, aber das macht in diesem Zusammenhang nichts aus:) "Und wen erreicht er? Eine kleine Zahl von Intellektuellen, von Degenerierten, von solchen, die sich selbst für das 66
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über die fehlende Wirkung auf die breiten Massen nicht beruhigen mit der Auskunft, daß der Auserwählten eben nur wenige sind 74. Vielmehr muß dieser Tatbestand zur kritischen Frage in bezug auf den Inhalt der Verkündigung werden. Was daran, abgesehen von allen möglichen Einwänden, einfach richtig ist, ist dies, daß nicht der Gläubige, sondern der Ungläubige das Kriterium der Verständlichkeit der Predigt ist. Denn das Wort der Verkündigung will Glauben wirken, setzt aber nicht Glauben als Vorbedingung voraus. Die faktische Situation der kirchlichen Verkündigung heute ist aber die, daß zumeist die gläubige Gemeinde zum Kriterium der Verständlichkeit der Predigt gemacht ist und damit der Glaube zur Vorbedingung des Hörens des Wortes. Diese Verkehrung des Verhältnisses von Wort und Glaube, die darauf beruht, daß man nicht den Ungläubigen Kriterium der Verständlichkeit der Verkündigung sein läßt, hat nicht nur die Fremdsprachlichkeit des Wortes zur Folge 75, sondern auch das Sprachloswerden des echten Glaubens, der sich von einem religiösen Gerede abwenden muß 76, das nicht mehr den wirklichen Menschen anspricht, weil es ihn nicht zur Sprache bringt. So wird die eigentümlich sympathisierende Nähe des Glaubenden zum Religionslosen, wie sie Bonhoeffer von sich bezeugt 77, zum echten Symptom der gegenwärtigen Situation des Christentums. Es geht dabei gerade nicht um missionarische AnnäherungsWichtigste auf der Welt halten und sich daher gern mit sich selbst beschäftigen. Der einfache Mann, der sein tägliches Leben in Arbeit und Familie und gewiß auch mit allerlei Seitensprüngen zubringt, wird nicht getroffen. Er hat weder Zeit noch Lust, sich mit seiner existenziellen Verzweiflung zu befassen und sein vielleicht bescheidenes Glück unter dem Aspekt der ,Not', der ,Sorge', des ,Unheils' zu betrachten." (WE 217) Ebenso 230, 179, 181. "Niemals hat Jesus die Gesundheit, die Kraft, das Glück eines Menschen an sich in Frage gestellt und wie eine faule Frucht angesehen." (WE 231) 7< WE 259, 179, vgl. auch 230. 75 "Was Versöhnung und Erlösung, was Wiedergeburt und Heiliger Geist, was Feindesliebe, Kreuz und Auferstehung, was Leben in Christus und Nachfolge Christi heißt, das alles ist so schwer und so fern, daß wir es kaum mehr wagen, davon zu sprechen." (WE 206) Vgl. auch WE 207, 220. 76 Zu der Schwierigkeit, "den andern ein christliches Wort zu sagen": WE 139 f., 142 f., E 79 f. Wichtig ist dann aber die Unterscheidung: "Während ich mich den Religiösen gegenüber oft scheue, den Namen Gottes zu nennen - weil er mir hier irgendwie falsch zu klingen scheint und ich mir selbst etwas unehrlich vorkomme (besonders schlimm ist es, wenn die anderen in religiöser Terminologie zu reden anfangen, dann verstumme ich fast völlig und es wird mir irgendwie schwül und unbehaglich) -, kann ich den Religionslosen gegenüber gelegentlich ganz ruhig und wie selbstverständlich Gott nennen." (WE 181) Vgl. WE 104 über das Nichtaussprechen des Namen Gottes, sowie WE 200. Auch die allgemeinen Äußerungen über "Gerede" (WE 114 f., 133, 148 f., 171) stehen damit wenigstens in einem indirekten Zusammenhang. 77 "Oft frage ich mich, warum mich ein ,christlicher Instinkt' häufig mehr zu den Religionslosen als zu den Religiösen zieht, und zwar durchaus nicht in der Absicht der Missionierung, sondern ich möchte fast sagen ,brüderlich'." (WE 181) Hier sind auch jene Äußerungen zu bedenken, in denen Bonhoeffer selbst bekennt,
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versuche, sondern um ein Zurückgeworfenwerden auf die Anfänge des Verstehens 78 und um ein stammelndes neues Zu-Worte-Kommen des Wortes Gottes, ein tastendes Neuentdecken dessen, was eigentlich christlicher Glaube heißt 79. Das kündigt sich in Bonhoeffers Ringen um die Frage der nicht-religiösen Interpretation an. Nicht-religiöse Interpretation ist Interpretation des Glaubens 80.
III.
Wenn ich von den drei Grundvoraussetzungen sprach, von denen her Bonhoeffers Problemstellung zu verstehen ist und bei denen wir selbst uns als Theologen unbedingt behaften lassen müssen, nämlich daß es im theologischen Denken um Jesus Christus geht, daß das Gebot der intellektuellen Redlichkeit respektiert werden muß und daß es auf die Ausrichtung auf die Aufgabe der Verkündigung ankommt, so ist es wohl deutlich geworden, daß es sich nicht um eine Addition heterogener Elemente handelt, sondern nur um die Entfaltung eines unteilbaren Ganzen. Und wenn ich auf die Erörterung dieser Voraussetzungen so starkes Gewicht legte, daß darüber die Behandlung des eigentlichen Themas zurückzutreten scheint, so bin ich allerdings der Meinung, daß die Beschäftigung mit dem befremdenden Schlagwort der nicht-religiösen Interpretation biblischer Begriffe nur fruchtbar werden kann, wenn wir weder ängstlich noch fasziniert auf diesen Begriff starren, auch nicht ungeduldig nach praktischer Anleitung zur Durchführung dieses Programms fragen, sondern uns selber auf den Weg bringen lassen, auf einen Weg, der keine gebahnte Straße ist, sondern im Vollzug unserer eigenen Bewegung zum Wege wird, auf einen Weg, auf dem wir uns als Theologen ja bereits befinden, aber möglicherweise richtungslos umherirrend oder träge auf der Stelle tretend. Wenn Bonhoeffer uns dazu helfen soll, auf diesem unserm eigenen Weg und darum in eigener Bewegung in Gang zu kommen, so ist uns dazu viel förderlicher als die im Begriff der nicht-religiösen kein "homo religiosus" zu sein (WE 104, 96, 248) und zeitweise den Gottesdienst so merkwürdig wenig zu vermissen (WE 119) bzw. durch Wochen zu gehen, in denen er wenig in der Bibel lese (WE 163, dagegen aber Stellen wie 93, 111, .139, 247!). Zum Ganzen auch die dies alles schon vorwegnehmende Briefäußerung aus der Zeit vor der Verhaftung (25. 6. 1942): Die mündige Welt 20 (= Ev. Theol. 15 [1955]; 158). 78 WE 206. 79 WE 206 f. Nicht zufällig treibt es Bonhoeffer zu dichterischen Versuchen, -
ein Symptom des eigenen Hineingerissenseins in das Wort- und Sprachgeschehen. 80 Nämlich in dem Sinne, daß das Wort der Verkündigung allein auf den Glauben abzielt, und daß dabei der tiefe Unterschied von Glaube und Religion deutlich wird.
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Interpretation intendierte Antwort die Einprägung der dahin treibenden Fragen: Wer ist Christus heute für uns eigentlich? Was glauben wir wirklich? Wie kann Christus der Herr auch der Religionslosen werden? Wenn diese Fragen uns treiben, wenn nicht so sehr wir hinter diesen Fragen her sind, als vielmehr diese Fragen hinter uns her sind, wenn sie uns keine Ruhe lassen, unser theologisches Denken in unablässiger Bewegung und in strenger Disziplin halten, dann ist das Beste erreicht, was bei einer Beschäftigung mit Bonhoeffer herauskommen kann, nämlich daß er uns von sich unabhängig und zu freien Theologen macht, die selber ganz bei ihrer Sache sind. Wir wissen dann, was unsere Aufgabe ist: nicht das Beharren bei einer bestimmten Interpretiertheit, sondern das Beharren bei der nie zu Ende kommenden Arbeit der Interpretation des Evangeliums. Und wir haben dann von jenen Grundvoraussetzungen her immerhin einige wesentliche Anweisungen mit auf den Weg bekommen als Grundregeln dieser Interpretation: Sie muß sein christologische Interpretation, konkrete Interpretation und Interpretation des Glaubens. Noch einmal sei daran erinnert, daß das nicht drei verschiedene Dinge sind. Die uns aufgegebene Interpretation ist entweder dies alles miteinander, oder sie ist weder christologische Interpretation noch konkrete Interpretation noch Interpretation des Glaubens. Wenn wir nun aber trotzdem noch weiter fragen danach, warum Bonhoeffer offenbar dafür und für nichts anderes den Begriff der nicht-religiösen Interpretation geprägt hat, so kann uns dies m. E. nur dazu dienen, das an Hand jener Grundvoraussetzungen Gesagte noch um einen Grad schärfer zu erfassen und jedes Ausbrechen nach dieser oder jener Seite hin zu verhindern. Ist es nötig zu betonen, daß der Begriff der nicht-religiösen Interpretation nicht dazu geprägt ist, die Zügel der theologischen Arbeit locker zu lassen, sondern dazu, sie straffer anzuziehen, nicht dazu, die Tradition der biblischen und theologischen Begriffe munter über Bord zu werfen, sondern dazu, sie wieder zu gewinnen, nicht dazu, in einen snobistischen Freibeuterjargon zu verfallen, sondern dazu, um ein neues Zur-Sprache-Kommen des Wortes Gottes zu ringen, nicht dazu, das Leben gegen die Lehre, die Tat gegen den Gedanken auszuspielen, sondern dazu, in die Lehre wirklich das Leben, in das Denken wirklich die Tat einzubeziehen 1, i "Denken und Handeln wird für Euch in ein neues Verhältnis treten. Ihr werdet nur denken, was ihr handelnd zu verantworten habt. Bei uns war das Denken vielfach der Luxus des Zuschauers, bei Euch wird es ganz im Dienste des Tuns stehen." (WE 203) Gewiß erfuhr Bonhoeffer gerade in der Haft, was es um die "Muffigkeit und Unechtheit einer nur geistigen Existenz" ist (WE 228). Aber ausgerechnet ihn darf man nicht etwa zum Verächter des Denkens machen. Vgl. nur WE 209 f., 222.
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nicht dazu, daß wir einzig und allein den Ungläubigen ein Verstehen ermöglichen, sondern dazu, daß wir selbst, wir Theologen, zum rechten Verstehen gelangen 2, nicht dazu, daß wir jetzt die nicht-religiöse Interpretation als Evangelium proklamieren, sondern dazu, daß wir, wenn sich das als sachgemäß erweisen sollte, in nicht-religiöser Interpretation wirklich das Evangelium proklamieren? Bonhoeffer urteilte mit Recht so bitter über alle pfäffischen Kniffe der Theologen s. Vom Begriff der nicht-religiösen Interpretation darf man darum nicht einen neuen, noch raffinierteren Kniff erwarten, wie man es nun machen soll. Man muß es vielmehr wagen, sich in ein noch unaufgeklärtes und gefährliches Gelände zu begeben. Und man muß versuchen, die Dinge theologisch schärfer durchzureflektieren, als es Bonhoeffer gelungen ist. Der Begriff der nicht-religiösen Interpretation resultiert aus drei Quellen, einer Analyse unserer heutigen geschichtlichen Situation, einer bestimmten Auffassung von dem, was Religion ist, und einer Einsicht in das Wesen des Evangeliums. Diese Gesichtspunkte greifen ineinander und bedingen einander. Man muß sie aber trotzdem, soweit möglich, getrennt voneinander entfalten. 1) Unsere heutige Situation ist davon bestimmt, daß der schicksalhafte, die Neuzeit kennzeichnende Säkularisierungsprozeß auf allen Gebieten des menschlichen Lebens, nicht nur in Wissenschaft, Politik, Kunst und Moral, sondern selbst in bezug auf die Religion zu einer gewissen Vollständigkeit gekommen 4 und für den modernen Menschen zur selbstverständlichen Signatur seines Daseins- und Wirklichkeitsverständnisses geworden ist. Auf die historische Analyse dieses Vorganges, die für Bonhoeffer ein wichtiges Element seiner theologischen Besinnung war 5, brauchen wir uns jetzt nicht einzulassen. Seine skizzenhaften Bemerkungen dazu deuten bloß die allerbekanntesten Tatsachen an und können nur geschichtsfremden Theologen als eine Art Entdeckung erscheinen. Auch die aufs Ganze gesehen positive Bewertung dieses Prozesses kann aus dem Munde eines Theologen nur dem überraschend klingen 6, dem die Kontinuität mit der Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts zerrissen ist und der sich nun vermeintlich völlig neuen Perspektiven gegenüber sieht 7. Eigenständig ist nun aber die 2 "Auch wir selbst sind wieder ganz auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen." (WE 206) 3 WE 234, 236, 261. 4 WE 215. 5 WE 156 f., 215 f., 237 f., 239 f. Ausführlicher E 36-46. 6 Bonhoeffer selbst leistet diesem Fehlurteil Vorschub durch die pauschale Bemerkung: "Katholische und protestantische Geschichtsschreibung sind sich ... darüber einig, daß in dieser Entwicklung der große Abfall von Gott, von Christus, zu sehen sei." (WE 216) 7 Wer seine Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung und die Auseinandersetzung mit deren Problemen, angeregt von Bonhoeffer, auf breitere Basis stellen
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Art, wie er die Problematik zuspitzt auf das Phänomen der Religion. Die ungeheure Vorverlegung der Grenzen menschlichen Erkennens und Könnens hat als ihr Korrelat die unaufhaltsameZurückdrängung Gottes aus den Erkenntnis- und Lebensbereichen einer mündig gewordenen Welt 8. Gott behält nur noch Raum an der äußersten Peripherie. Für das normale Leben braucht man ihn weder als "Arbeitshypothese" noch als "deus ex machina". Dieser Vorgang und sein Ergebnis haben an sich mit einem aktiven weltanschaulichen Atheismus nichts zu tun. Er vollzieht sich mit innerer Notwendigkeit 9 im Gefolge des für den Umgang mit allen Weltphänomenen zur Selbstverständlichkeit gewordenen rein methodischen und hypothetischen Prinzips des "etsi deus non daretur" 10, das mit Religionsfeindlichkeit nicht das mindeste zu tun hat. Die Kehrseite ist nur, daß entsprechend dieser Verdrängung Gottes aus der Welt des Erfahrbaren die Religion immer mehr zu einer besonderen Provinz am Rande des Lebens wird, anknüpfend an die Grenzerfahrungen der menschlichen Existenz. Ja, in Verbindung von Tatsachenbeobachtung und Prognose kommt Bonhoeffer zu der Feststellung: die Zeit der Religion sei überhaupt vorüber. "Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen; die Menschen können einfach, so wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös sein." 11 Gegen dieses, wie es scheint, reichlich summarische Urteil kann man natürlich mancherlei Einwände erheben. Daß er in Konzentration auf das Abendland die heutige Rolle der großen Weltreligionen nicht in Betracht zieht, will insofern allerdings wenig besagen, als der abendländische Säkularismus ja zu einer Konkurrenz sämtlicher Religionen geworden ist 12. Den Einwand, den man etwa unter Berufung auf Kirchenzugehörigkeitsstatistik erheben kann, hat Bonhoeffer schon in der Ethik vorweggenommen durch die Unterscheidung von unverhüllter und religiös verbrämter Gottlosigkeit 13. Die Deutung etwa des kommunistischen will, sei, abgesehen von Dilthey und Troeltsch, vor allem verwiesen auf: Emanuel Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. 1-5. Gütersloh 1949-1954, und Friedrich Gogarten, Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit. Die Säkularisierung als theologisches Problem. Stuttgart 1953. Das sind gegenwärtig die besten Erläuterungen zu dem, was Bonhoeffer in bezug auf die geschichtliche Analyse im Auge hatte. s S. o. S. 28 Anm. 31 und 33. o Bonhoeffer sagt: "sachlich zwangsläufig" (WE 210). 10 WE 240 f. 11 WE 178. " ... wenn also die Menschen wirklich radikal religionslos werden und ich glaube, daß das mehr oder weniger bereits der Fall ist ... " (WE 179). 12 Der E 38 zitierte Ausspruch von Ibn Saud: "Ich habe Maschinen aus Europa holen lassen, aber die Irreligiosität will ich nicht" ist doch, was Bonhoeffer an jener Stelle übersieht, als Ausdruck der Gegenwehr gerade Bestätigung des oben Gesagten. Vgl. hierzu auch H. Vogel, Jesus Christus und der religionslose Mensch. Berlin 1955, 16 f. 13 E 42. S. auch nächste Anm.
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Atheismus als Pseudo-Religion und damit als Beweis für die unzerstörbare religiöse Anlage des Menschen hat zwar einen Wahrheitskern, ist als Gegenargument gegen Bonhoeffers These aber kaum überzeugend 14. In einem jedenfalls wird man Bonhoeffer entschieden recht geben müssen: Wir stehen hinsichtlich des Phänomens der Religion in einer gegenüber der gesamten Geschichte völlig neuen Situation. Das, was man mit dem Schlagwort "Säkularismus" zu bezeichnen pflegt, ist 11 Bei den Ausführungen über die "abendländische Gottlosigkeit" (E 41 f.) greifen drei Gesichtspunkte ineinander, die von Bonhoeffer selbst, wie iCh meine, nicht deutlich genug unterschieden sind: 1. Die abendländische Gottlosigkeit hat selbst religiösen Charakter. "Sie untersCheidet sich völlig von dem Atheismus einzelner griechischer, indischer, chinesisCher und abendländischer Denker. Sie ist nicht die theoretische Leugnung der Existenz eines Gottes. Sie ist vielmehr selbst Religion, und zwar Religion aus FeindsChaft gegen Gott. Eben darin ist sie abendländisch. Sie kann von ihrer Vergangenheit nicht lassen, sie muß wesentlich religiös sein. Eben dies macht sie nach menschliChem Ermessen so hoffnungslos gottlos." Darum müsse man z. B. von der "Religion des Bolschewismus" sprechen. 2. Die abendländische Gottlosigkeit ist weithin christlich getarnt. Sie "erstreCkt siCh von der Religion des Bolschewismus bis mitten in die christlichen KirChen hinein. Sie ist gerade in Deutschland, aber auCh in den angelsächsischen Ländern betont ChristliChe Gottlosigkeit." Das Gemeinsame in der antichristlichen wie in der christliChen Gestalt der abendländischen Gottlosigkeit ist die "Vergötterung" des Menschen. Darum ist Kirchenfeindschaft und KirChenzugehörigkeit kein eindeutiges Kriterium zur Abgrenzung des Phänomens der abendländisChen Gottlosigkeit. Soweit ist völlig klar, was Bonhoeffer meint. SChwierig werden diese Ausführungen durCh das Hinzutreten eines weiteren Gesichtspunktes. 3. Es ist zu unterscheiden zwischen einer hoffnungslosen und einer verheißungsvollen Gottlosigkeit. Hatte Bonhoeffer zunächst die abendländisChe Gottlosigkeit insgesamt in allen ihren Erscheinungsformen, auch der bolsChewistischen, als hoffnungslos gottlos bezeiChnet, weil sie selbst religiösen Charakter hat, so verschieben siCh nun in eigentümlicher Weise die Aspekte: Es gibt "neben der religiös-christliCh verbrämten Gottlosigkeit, die wir eine hoffnungslose Gottlosigkeit nannten, eine verheißungsvolle Gottlosigkeit, die antireligiös und antikirchlich spricht. Sie ist der Protest gegen die fromme Gottlosigkeit, soweit sie die Kirchen verdorben hat, und wahrt damit in gewissem, wenn auch negativem Sinne das Erbe eines echten Gottesglaubens und einer echten KirChe ... Diese verheißungsvolle Gottlosigkeit ist ebenso wie die hoffnungslose Gottlosigkeit eine spezifisCh abendländisChe Erscheinung." Eine Verwirrung scheint jetzt also dadurCh zu entstehen, daß hier nur die christliCh verbrämte Gottlosigkeit als hoffnungslos bezeiChnet wird, während die antireligiös und antikirchlich spreChende Gottlosigkeit verheißungsvoll sein soll. Diese Wendung des Gedankengangs ist offensichtlich nicht genügend durchreflektiert. Denn wie verhält sich das Urteil über die abendländisChe Gottlosigkeit insgesamt als "wesentlich religiös" und speziell über den Bolschewismus als Religion zu der Feststellung einer Art abendländisCher Gottlosigkeit, die nun doch nicht "wesentlich religiös" sein und darum in ihrem antireligiösen und antikirChlichen SpreChen (also doch wohl auch der Bolschewismus!) verheißungsvoll sein soll? Zur Entwirrung müßte man wohl folgendes sagen: 1. Bonhoeffer will offenbar mit dem, was er über die verheißungsvolle Gottlosigkeit sagt, nicht die Äußerung über den Bolschewismus als Religion und damit als Erscheinung der hoffnungslosen Gottlosigkeit aufheben, wohl aber modifizieren. 2. Darum muß man etwa in bezug auf den Bolschewismus unterscheiden zwischen der Tatsache des offenen Protestes gegen Religion und KirChe, soweit darin in der Tat der Protest gegen die fromme Gottlosigkeit wirksam wird, und der Tatsache des selbst hier nicht radikal durchgehaltenen, weil selbst wieder zur Religion gewordenen Protestes. 3. Diese Unterscheidung
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ein Novum ohne jede Parallele. Man mag über die gegenwärtige Lage und über die Zukunft wesentlich differenzierter urteilen als Bonhoeffer, das ändert nichts an jener erregenden Tatsache. Darüber hinaus aber wird man zugeben müssen, daß Bonhoeffers Urteil im Prinzip unabhängig ist von Statistik und Prognose. Denn letztlich ist es, so überraschend das klingt, für das, worum es ihm geht, gleichgültig, wie und damit das Beieinander von "verheißungsvoll" und "hoffnungslos" kann selbstverständlich nur in den Blick kommen vom recht verstandenen christlichen Glauben her, dem durch den offenen Protest gegen die fromme Gottlosigkeit nur gedient werden, durch die religiös-christlich verbrämte Gottlosigkeit dagegen nur Gefahr drohen kann. 4. Es wäre doch nun aber zu fragen, ob man sich durch die in bestimmter Hinsicht durchaus berechtigte Kennzeichnung der abendländischen Gottlosigkeit als "wesentlich religiös" und darum auch des Bolschewismus als Religion nicht allzu leicht gegenüber dem notwendigen Protest gegen die fromme Gottlosigkeit verschließt, indem man den religiösen Charakter etwa des Bolschewismus entweder apologetisch zugunsten der Religion überhaupt oder polemisch gegen den von dort her laut werdenden (wenn auch vom Bolschewismus selbst nicht richtig verstandenen) echten Protest ausschlachtet. Droht hier nicht eine Verwischung der Konturen, wenn man allzu sicher und eindeutig eine Erscheinung als "religiös" interpretiert, die dies expressis ver bis nicht sein will? 5. An diesem Punkt scheint mir nun Bonhoeffer in den Tegeler Briefen einen Schritt über jene Äußerung in der Ethik hinaus zu tun, indem er den Begriff der Religion auf deren ausdrücklich sich so bezeichnende Erscheinungen beschränkt und davon das Phänomen der modernen Religionslosigkeit unterscheidet, die abendländische Gottlosigkeit also, soweit sie ausdrücklich nicht religiös sein will, auch nicht als "religiös" interpretiert. Das schließt allerdings ein gewisses Recht zu solcher Interpretation nicht aus, wie sie sich ja gerade in bezug auf den Bolschewismus und dessen Strukturverwandtschaft mit Religion immer wieder aufdrängt, wobei man jedoch trotz allem bei einer Bezeichnung als Pseudo-Religion stehen bleiben müßte, um die Begriffe nicht willkürlich durcheinander zu bringen. 6. In den Tegeler Briefen ist freilich Bonhoeffer, wenn er von dem religionslosen Menschen spricht, gar nicht an einem ausdrücklich antireligiösen Typus wie dem Bolschewismus orientiert, wenn dieser auch nicht aus seinen Betrachtungen von vornherein ausgeschlossen ist. Was er vor Augen hat, ist vielmehr der moderne Mensch als solcher, wie er z. B. durch den "religionslosen Arbeiter" repräsentiert ist (WE 180), aber vielleicht noch viel ausgeprägter durch den Typ eines hochgebildeten, aristokratischen, seiner öffentlichen Verantwortung bewußten und traditionsgegründeten Bürgertums, also der Schicht, der Bonhoeffer selbst entstammte. Man muß wohl an gewisse eindrucksvolle Gestalten aus der Gruppe der Widerstandsbewegung denken, oder sagen wir allgemeiner: an den religionslosen Menschen in seinen edelsten und sachlichsten Vertretern, um zu verstehen, was Bonhoeffer meinte. 7. Erst dann wird man begreifen, warum sich Bonhoeffer sowohl gegen eine "moralisierende" und übertragene Deutung von "Götzendienst" als auch gegen eine moralisierende Aburteilung des Phänomens der Gottlosigkeit wendet. "Die übliche Auslegung des Götzendienstes auf ,Reichtum, Wollust und Ehre' scheint mir gar nicht biblisch. Das ist eine Moralisierung. Götzen werden angebetet und Götzendienst setzt voraus, daß Menschen überhaupt noch etwas anbeten. Wir beten aber gar nichts mehr an, nicht einmal Götzen. Darin sind wir wirklich Nihilisten." (WE 225) "Die mündige Welt ist gottloser und darum vielleicht gerade Gott-näher als die unmündige Welt." (WE 246) "Insofern kann man sagen, daß die beschriebene Entwicklung zur Mündigkeit der Welt, durch die mit einer falschen Gottesvorstellung aufgeräumt wird, den Blick freimacht für den Gott der Bibel ..... (WE 242) In diese Dimension der Bonhoefferschen Problemstellung stößt H. Vogel in seiner o. S. 42 Anm. 12 genannten eindrucksvollen Schrift leider nicht vor.
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sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Religiösen und Religionslosen gestaltet. Die Religiösen selbst sind durch die Änderung der geistesgeschichtlichen Gesamtsituation nur noch sozusagen partiell religiös, eben in der religiösen Provinz ihres Wesens, während sie im übrigen in weiten Bereichen ihres Lebens faktisch ebenfalls religionslos existieren 15. Auch wo an der Religion mit Leidenschaft festgehalten wird, ist sie doch als etwas in sich höchst Problematisches, weil nicht das ganze Leben Betreffendes, offenbar geworden. Darum ist ja auch für Bonhoeffer, wenn man genau hinsieht, nicht das Aufkommen einer radikalen Religionslosigkeit, sondern, allerdings in deren Lichte, das Phänomen der Religion heute das eigentliche Problem. 2) Was versteht Bonhoeffer eigentlich unter Religion? Wir stoßen hier auf eine eigentümliche Schwierigkeit. Auf der einen Seite konfrontiert er - wie wir sahen, mit Recht - das Phänomen der modernen Religionslosigkeit der gesamten vorausgehenden Geschichte. Auf der andern Seite arbeitet er mit einem Religionsbegriff, der im wesentlichen am Religionsverständnis der Neuzeit orientiert ist. Als Kennzeichen der Religion nennt Bonhoeffer wiederholt zwei Komponenten: das Metaphysische und die Innerlichkeit 16. Ist es schon fraglich, ob der Begriff des Metaphysischen für eine generelle Kennzeichnung des Religiösen geeignet ist oder nicht vielmehr nur für eine bestimmte Ausformung des Religiösen, so ist es sogar außer Zweifel, daß die Innerlichkeit oder, wie Bonhoeffer dafür auch sagen kann, das Individua15 Vgl. WE 216, 230, 233 f., 236 und o. S. 31 Anm. 41. Die sog. "rein religiöse" Predigt ist dadurch gekennzeichnet, daß sie das Evangelium von der weltlichen Existenz des Menschen trennt (E 247). Der "Pietismus als letzter Versuch, das evangelische Christentum als Religion zu erhalten" (WE 258), bestätigt doch gerade das (jedenfalls in der Neuzeitl) das Religiöse kennzeichnende Denken in zwei Räumen. Die Bemerkung in bezug auf den Offenbarungspositivismus: "An der Stelle der Religion steht nun die Kirche" (WE 185) spricht an sich etwas biblisch Richtiges aus, will doch aber in dem Zusammenhang, in dem sie steht, gerade kritisch sagen: Damit daß man, wie im Offenbarimgspositivismus, statt von "Religion" von "Kirche" redet, ist gar nichts gewonnen, wenn dabei die Welt auf sich selbst gestellt und sich selbst überlassen bleibt. "Das ist der Fehler" (WE 185). Vgl. schließlich: "Auch diejenigen, die sich ehrlich als ,religiös' bezeichnen, praktizieren das in keiner Weise; sie meinen also vermutlich mit ,religiös' etwas ganz anderes." (WE 178) 16 WE 180, 183. Zur Erläuterung dessen, was er unter "metaphysisch" versteht, dienen die Bemerkungen über ein falsches, vom theoretischen Erkenntnisproblem her bestimmtes Verständnis von Transzendenz: WE 182, 184, 210 f., 255, 259. Auf dem Begriff der "Innerlichkeit" und auf dessen Kritik liegt der stärkere Akzent: WE 178, 233 f., 236. Damit synonym gesetzt: "Herz" WE 194, 218 (dagegen 236 die Feststellung, was "Herz" im biblischen Sprachgebrauch heißt) oder auch "Gewissen" WE 178 (zu diesem Begriff auch WE 11 ff., E 12 f., 134 ff., 188 ff. Es ist ein empfindlicher Mangel, daß Bonhoeffer in der Gewinnung eines theologisch sachgemäßen Gewissensbegriffs, wie dies m. E. von Luthers conscientia-Begriff her möglich und notwendig ist, nicht weiter vorgestoßen ist. Vgl. dazu jetzt vor allem E. Hirsch, Lutherstudien Bd. I. Gütersloh 1954).
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listische 17 gerade erst in der Neuzeit als Kennzeichen des Religiösen, wenn nicht überhaupt erst aufgetreten, so doch erst die Bedeutung gewonnen hat, die Bonhoeffer ihm beimißt, während es in bestimmten Religionen völlig fehlt. Ein sorgfältiges Durchdenken dieses Punktes in Bonhoeffers Konzeption müßte selbstverständlich sich der ganzen Schwierigkeit einer Definition des Religionsbegriffs aussetzen 18. Es könnte auf den ersten Blit!< als hoffnungslos erscheinen, sich um den Begriff einer nicht-religiösen Interpretation weiter zu bemühen, solange über den zugrunde liegenden Religionsbegriff keine volle Klarheit herrscht. Trifft Bonhoeffer mit seinem Religionsbegriff nicht eben nur das Religionsverständnis der Neuzeit? Wie kann er dann aber daraufhin so generelle Urteile fällen, wie über das Ende des Zeitalters der Religion überhaupt? Nun, ich meine, trotz der unbestreitbaren Schwierigkeiten, die sich hier auftun und die darum auch die Begriffsprägung "nicht-religiöse Interpretation" leicht anfechtbar machen, befinden wir uns doch nicht etwa in einer Sackgasse. Das hat doch Bonhoeffer richtig gespürt, daß im Blick auf die gesamte Religionsgeschichte insofern der Neuzeit eine einzigartige Bedeutung zukommt, als ihr Religionsverständnis auf die Zersetzung des Religiösen im herkömmlichen Sinne überhaupt hinsteuert und, was auch danach kommen mag, es jedenfalls nicht die Repristinierung eines früheren Religionsverständnisses sein kann. Darum kommt in der Tat dem neuzeitlichen Religionsbegriff eine faktische kritische Bedeutung zu für die Erfassung des Phänomens der Religion überhaupt, soweit wir darüber aus geschichtlicher Erfahrung etwas zu sagen vermögen. Der neuzeitliche Religionsbegriff bringt sozusagen aposteriori an den Tag, was in der Religion überhaupt schon immer angelegt, aber verborgen war. Das Gesetz der Unumkehrbarkeit des geschichtlichen Ablaufs wird man auch für die Religionsgeschichte ernst zu nehmen haben. Wenn in dem geistesgeschichtlichen Umbruch zur Neuzeit sich eine in bezug auf das Selbst- und Weltverständnis schlechthin einzigartige Wendung vollzogen hat, wie wir urteilen müssen, so ist davon auch und gerade die Geschichte der Religion aufs stärkste betroffen. Wir gehen in bezug auf das Phänomen der Religion einem schlechthin Unbekannten entgegen. Wir werden, vorsichtiger als Bonhoeffer, nicht einfach die Prognose eines völlig religionslosen Zeitalters stellen können. Wir werden jedoch insofern dieser Prognose ihr gewisses Recht zugestehen müssen, als sie schärfer, als es sonst möglich wäre, zum Ausdruck bringt, daß nicht bloß das, was wir heute unter Religion verstehen, sondern auch das, was in früheren Zeiten als Reli17
WE 183.
Im kann hier nur die Aufgabe stellen, die einer Behandlung auf sehr breiter Basis bedürfte. Dringend notwendig wäre eine gründliche Untersumung über den Religionsbegriff im 19. und 20. Jahrhundert. 18
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gion existierte, zu einem Ende hintendiert, von dessen wirklichem Aussehen wir uns noch ebensowenig eine Vorstellung machen können wie von dem, was darauf folgt. 3) Es läßt sich nicht verkennen, daß die Erörterung von Bonhoeffers Religionsbegriff auf historischer und phänomenologischer Ebene zwar unausweichlich ist, aber doch nicht dahin trifft, wovon Bonhoeffer in seinem Gebrauch des Religionsbegriffes eigentlich bestimmt ist. Das ist vielmehr das theologische Urteil über den prinzipiellen Gegensatz zwischen dem christlichen Glauben und aller Religion. Was heißt das? Dieser Gegensatz zwischen dem christlichen Glauben und aller Religion ist aufs große und ganze selbstverständlich immer behauptet worden in der Weise, daß das Christentum als die religio vera den übrigen Religionen als den religiones falsae entgegengesetzt wurde. Inwiefern dabei der Tatsache Gewicht zukommt, daß trotzdem der Religionsbegriff für beide Seiten verwandt wurde, sei einmal dahingestellt. Jedenfalls hat erst in der Neuzeit der Religionsbegriff als Allgemeinbegriff die systematische Bedeutung gewonnen, das Christentum mit den übrigen Religionen zunächst einmal prinzipiell auf ein und derselben Ebene zu sehen, um dann erst hinterher die Frage seiner gradweisen oder auch absoluten überlegenheit gegenüber allen Religionen zu stellen. Demgegenüber war es in der Tat ein Novum, wenn Barth in seinem Römerbrief den Gegensatz von christlichem Glauben und Religion, über die traditionelle orthodoxe Terminologie hinausgehend, prinzipiell faßte: Der christliche Glaube ist nicht Religion, sondern der prinzipielle Gegensatz zur Religion. Neu daran war freilich letztlich nur diese terminologische Seite. Denn der Sache nach prinzipiell - und d. h. nicht nur auf einem formalen Offenbarungs anspruch fußend, sondern auf einen sachlich-strukturellen Gegensatz hinweisend - hatte bereits Luther den Gegensatz zwischen christlichem Glauben und allen Religionen gefaßt, insofern diese trotz aller Unterschiede untereinander ohne Ausnahme die Struktur des Gesetzes haben, der Glaube an Christus aber Glaube an das Evangelium ist 19. Dieser Gegensatz ist von der Sache her radikal, denn lex est negatio Christi 20. Bonhoeffer, der die prinzipielle Fassung 19 Z. B.: "Idolatria omnis religio, et quo preciosior, spiritualior, hoc pestilentior, quae avertit oculos a fide in Christum et in sua ... Extra Christum omnes religiones sunt idola." (WA 40, 2; 110,6-111,1) "Non est differentia inter Iudaeum, Papistam, Turcam. Diversi quidem ritus, sed idem cor et cogitationes ... quia sie: si sie fecero, erit mihi deus clemens. Eadem passio omnium hominum in animis. non media via inter cognitionem Christi et operationem humanam. Postea nihil refert, sive sit Papista, Turca, Iudeus, una fides ut altera. Ideo maxime stulti, quod invicem digladiantur propter religionem." (WA 40, 1; 603,6-604,3) "Amissa hac doctrina et articulo (nämlich die Unterscheidung von iustitia activa und passiva) amisimus omnia. sine eo qui est, est Turca, papista vel Iudeus et nihil aliud potest docere quam opera, quia aut iustitia legis aut gratiae est." (WA 40, 1; 46, 10-12) 20 WA 40, 2; 16, 4.
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des Gegensatzes von Barth übernommen hatte, tat nun darin einen kühnen Schritt über Barth hinaus, daß er den zunächst rein dogmatisch begründeten Gegensatz in Beziehung setzte zu der faktischen geschichtlichen Situation, in der sich das Christentum heute befindet im Verhältnis zu Religion und Religionslosigkeit. Dieser kühne Schritt war einfach notwendig, wenn man den Barthschen Ansatz ernst nahm. Man mußte gewissermaßen die Probe aufs Exempel machen durch Konfrontation mit der Geschichte. Dabei ergab sich folgendes. Es besteht ein nicht zu übersehender Zusammenhang zwischen dem christlichen Glauben und dem modernen religionslosen Menschen. Und zwar in doppelter Hinsicht. Einmal in genetischer Hinsicht: der christliche Glaube ist ursächlich beteiligt an dem Säkularisierungsprozeß der Neuzeit. Und zwar nicht etwa nur im Sinne einer Schuld der Kirche davon wäre auch zu reden 21 - , sondern auch in dem Sinne, daß nur auf dem Boden des Christentums diese radikale Säkularisierung möglich war 22 und daß sie trotz aller Einschränkungen und Vorbehalte, die hier anzubringen wären, eine geschichtliche Vollstreckung dessen ist, was im christlichen Glauben selbst angelegt ist in bezug auf das Verhältnis zur Welt, nämlich die Entgötterung der Welt. Ferner - und darauf deutet ja das Vorige schon hin - auch in sachlicher Hinsicht. Es besteht eine paradoxe Konformität zwischen dem christlichen Glauben und dem Menschen der radikalen Säkularisation. Bonhoeffer macht sich das am Verhältnis zur Religion deutlich. ,Religiös interpretieren' ... heißt ... einerseits metaphysisch, andererseits individualistisch reden. Beides trifft weder die biblische Botschaft noch den heutigen Menschen." 23 Das heißt selbstverständlich nicht: Der heutige Mensch ist religionslos. Der christliche Glaube ist nicht Religion. Also ist der heutige Mensch Christ. Dieser Syllogismus spottet ja schon der Regeln der Logik. Aber das fst doch in der Tat gemeint: Die biblische Botschaft verträgt nicht nur, sondern fordert letztlich von sich aus die nicht-religiöse Interpretation. Sie wird dadurch erst eigentlich getroffen. Und darum ist das Gegenüber von biblischer Botschaft und heutigem Menschen letztlich nicht hoffnungslos, sondern in bestimmter Hinsicht sogar verheißungsvoll. Denn religiös zu sein ist nicht eine Vorbedingung für das Verständnis der biblischen Botschaft. Nun besteht doch aber, wie die Konfrontation mit der Geschichte ,erst recht in erdrückendem Maße zeigt, auch ein Zusammenhang von christlichem Glauben und Religion, ein so inniger Zusammenhang, daß ,einem im Umgang mit der Geschichte jene prinzipielle Unterscheidung tt
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E 49 ff. WE 206.
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E 36, 38. WE 183 f.
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von christlichem Glauben und Religion völlig problematisch wird. Dessen ist sich Bonhoeffer natürlich bewußt. Das Christentum sei immer eine Form der Religion gewesen oder, wie er auch umgekehrt sagen kann, die Religion ein Gewand und zwar ein wechselndes Gewand des Christentums 24. Aber ist das Christentum als Form der Religion von dieser ablösbar oder die Religion als Gewand des Christentums von diesem zu trennen? Die verwendeten Begriffe lassen diese Möglichkeit zwar logisch zu, so daß man den Gedanken eines "religionslosen Christentums" theoretisch vollziehen kann 25. Aber sind jene Begriffe "Form" oder "Gewand" sachgemäß? Sie sind schon in rein terminologischer Hinsicht fatale historiographische Begriffe. Wie steht es aber in sachlicher Hinsicht? Wenn Christentum und Religion realiter unterscheidbar und d. h. in äußerster Konsequenz: voneinander ablösbar sein sollen, dann jedenfalls auch nach Bonhoeffer nur in dem Falle, daß Religion als solche aufhört zu existieren. Solange noch Religion eine echte Möglichkeit des Menschseins wäre, bestände auch jene uns bisher einzig und allein geschichtlich bekannte Symbiose von Christentum und Religion. Wenn aber diese Voraussetzung dahinfiele und nur dann, würde die Trennung akut. Dazu ist nun zweierlei zu fragen. Einmal: Was wäre Religion, wenn sie aufhören könnte, eine echte Möglichkeit des Menschseins zu sein? Bonhoeffer meint ja in der Tat, es käme jetzt an den Tag, daß Religion "eine geschichtlich bedingte und vergängliche Ausdrucksform des Menschen gewesen" sei. Es gäbe also nicht so etwas wie eine dem Menschsein essentiell eigene religiöse Anlage, kein sog. "religiöses Apriori" 26. Nehmen wir dies einmal hin, so müssen wir nun doch notwendig weiter fragen: Was war dann die existentiale Bedingung der Möglichkeit von Religion als einer geschichtlich vorübergehenden und vergänglichen Ausdrucksform des Menschen? Was drängte in der "Form" der Religion zum "Ausdruck" und in welcher "Form" kommt eben dasselbe zum "Ausdruck" beim Verschwinden der Religion? Die rein negative Formel "Religionslosigkeit" ist offensichtlich unzureichend, sobald man, was unvermeidlich ist, sich vor das Problem einer existentialen Interpretation von Religion und Religionslosigkeit gestellt sieht, d. h. vor die Frage, in welchem Bezug beides zum Menschsein des Menschen steht. Denn wenn, wie Bonhoeffer meint, Religion eine geschichtlich bedingte und vergängliche Ausdrucksform des Menschen ist, dann hinterläßt sie, wenn sie vergeht, doch nicht einfach nichts, sondern weicht einem andern, welches, obwohl negativ als Religionslosigkeit charakterisiert, als ein Positivum verstanden werden muß, das mit der Religion jedenfalls dies gemein2. WE 178, 179. 25
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WE 179, 182. WE 178 f.
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sam hat, daß es eine an die Stelle der Religion tretende "Ausdrucksform" des Menschen ist und darum in der gleichen Hinsicht den Menschen kennzeichnet wie bisher die Religion. Es wäre also nach dem gemeinsamen Ort von Religion und Religionslosigkeit zu fragen, nach dem, worin sie in aller Gegensätzlichkeit identisch sind. Und mit diesem beiden Identischen, mit dem Ort, an dem sie beide verwurzelt sind und nicht primär mit Religion oder Religionslosigkeit -, hat es offenbar das Christentum eigentlich zu tun, wenn es bisher das Gewand der Religion getragen hat 27, nun aber dagegen das Gewand der Religionslosigkeit eintauscht. So jedenfalls müßte man sich wohl ausdrücken, wenn anders man Bonhoeffer nicht unterschieben will, daß die Religionslosigkeit als solche mit dem Christentum identisch sei, und man seinen Satz, daß "die westliche Gestalt des Christentums nur als Vorstufe einer völligen Religionslosigkeit" zu beurteilen sei 28, nicht dahin karikieren darf, daß die westliche Gestalt des (bisher religiös verhüllten) Christentums nur die Vorstufe einer völligen Religionslosigkeit (und damit des unverhüllten, wahren Christentums) sei. Zieht man die Linien in dieser Weise aus, so wird einem bewußt, mit welchen terminologischen und samlichen Schwierigkeiten diese Ausführungen Bonhoeffers belastet sind. Man wird noch einmal sehr gründlich das Problem des "religiösen Apriori" durchdenken müssen, ehe man ihm die Behauptung abnimmt, daß es gar nicht existiere 29. Man wird sich aber durch solche Bedenken keinesfalls von der Berücksichtigung zweier Tatsachen abbringen lassen dürfen, nämlim daß das Aufkommen dessen, was Bonhoeffer als "Religionslosigkeit" bezeichnet, nun doch etwas anderes ist als eine bloße Modifikation des Religiösen (wenigstens in dessen herkömmlichem Sinne), und weiter daß es in der durch diese Veränderung dem Christentum aufgenötigten Selbstbesinnung überraschenderweise um gar nichts anderes geht, als wozu die Einsicht in das Wesen des Evangeliums selbst nötigt. Damit stehen wir vor der andern Frage: Wie konnte eigentlich das 27 "Und aUin dieses Gewand hat zu versdrledenen Zeiten sehr verschieden ausgesehen." (WH 179) 28 WE 179. 29 Die Bereitsmaft, Bonhoeffers Kritik am "religiösen Apriori" zuzustimmen, wird heute im allgemeinen groß sein wegen des damit zusammenhängenden Problems der natürlimen Theologie. Aber abgesehen von der terminologischen Problematik jener auf Troeltsch zurückgehenden Begriffsprägung, ist es doch zweierlei, wie man eine unbestritten angenommene religiöse Anlage des Menschen theologism beurteilt, bzw. ob man die Existenz einer solmen religiösen Anlage bestreitet. Die Meinung, daß im letzteren Fall das Problem einer natürlichen Theologie nun wirklim radikal eliminiert sei, ist ein Kurzsmluß. Es stellt sich hier vielmehr nur in völlig untraditioneller Gestalt. Folgt man Bonhoeffer auf seinem theologismen Denkweg, so wird m. E. gerade das, was nam dem herkömmlichen Verständnis mit dem allerdings hömst unglücklim so bezeimneten Problem der natürlimen Theologie gemeint ist, einem in neuer Weise in den Weg treten.
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Christentum so lange "in religiöser Form" existieren. wenn es doch im Grunde in ihm nicht um Religion geht? Wenn Bonhoeffer sagt. daß die religiöse Interpretation letztlich an der biblischen Botschaft vorbeigeht. ihr nicht gemäß ist - hatte man dann also in der bisherigen Geschichte des Christentums diese biblische Botschaft verfehlt? Und wie steht es mit der biblischen Botschaft selbst? Trägt nicht auch sie das Gewand der Religion? Nun. es könnte ja in der Tat so sein. daß die faktische Symbiose von christlichem Glauben und Religion stets die Struktur eines Spannungsverhältnisses hatte. daß diese Spannung aber meist mißachtet und der christliche Glaube von der Religion nahezu überwuchert war und nur an wenigen Stellen - sagen wir etwa: bei Paulus. bei Luther - das kritische Verhältnis des christlichen Glaubens zur Religion theologisch scharf zur Geltung gekommen ist. Gehen wir einmal davon aus. daß durch dieses Verständnis des christlichen Glaubens die biblisme Botschaft wirklich getroffen ist. so ginge es in einer sachgemäßen Interpretation des Neuen Testaments darum. diese kritisme Relation von christlichem Glauben und Religion an den Tag zu bringen und um des reinen Verständnisses des Evangeliums willen auch durchzuhalten. Wenn Bonhoeffer das mit der nicht-religiösen Interpretation meint - und daran kann m. E. kein Zweifel sein -. dann kommt er damit tatsächlich in enge Nähe zu Bultmann. Er selbst hat dies auch durmaus erkannt 30. Wenn trotzdem in den wenigen vorhandenen Bemerkungen darüber die kritische Abgrenzung überwiegt. so ist dabei folgendes zu beachten: einmal. daß Bonhoeffers Vorwurf. Bultmann verfalle in das typisch liberl;lle Reduktionsverfahren. die ausdrückliche Intention Bultmanns verkennt 31. ferner daß Bonhoeffer selbst im Zuge der nicht-religiösen Interpretation das Mythologische "Bultmann sCheint nun Barths Grenze irgendwie gespürt zu haben." (WE 220) WE 183. 220 f. Man vergleiChe: Bonhoeffer: "Bultmann ... verfällt ... in das typisCh liberale Reduktionsverfahren (die .mythologisChen' Elemente des Christentums werden abgezogen und das Christentum auf sein ,Wesen' reduziert). Ich bin nun der Auffassung, daß die vollen Inhalte einschließlich der ,mythologischen' Begriffe bestehen bleiben müssen - ... aber daß diese Begriffe nun in einer Weise interpretiert werden müssen, die niCht die Religion als Bedingung des Glaubens ... voraussetzt." Bultmann: "Kann man sChematisch sagen, daß in der Epoche der kritisChen ForsChung die Mythologie des Neuen Testaments einfach kritischeliminiert wurde, so wäre - ebenso sChematisch gesagt - die heutige Aufgabe die, die Mythologie des Neuen Testaments kritisch zu interpretieren." Dazu die Abgrenzung gegen die Methode der liberalen Theologie und der religionsgesChichtlichen SChule (Kerygma und Mythos I, 25 ff.). Ob entgegen dieser Intention Bultmanns Exegese faktisch doch der Gefahr einer Reduktion verfällt, ist eine andere Frage, durCh die man sich niCht von der simplen Feststellung abbringen lassen darf, daß Bonhoeffer an der zitierten Stelle Bultmanns Position falsch charakterisiert hat. Im übrigen wäre dann immer noch zu beaChten, daß es neben der "liberalen Reduktion" auch eine theologisch legitime Reduktion (im Sinne der reformatorisChen Konzentration!) gibt. Ein Beispiel von Reduktion der letzteren Art ist ja die Theologie Bonhoeffers selbst. 3U
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als konform mit dem Religiösen erkennt, nicht-religiöse Interpretation darum eo ipso die Befreiung der biblischen Botschaft aus dem so naheliegenden mythologischen Mißverständnis bedeutet 32, und schließlich daß Bonhoeffer der überzeugung ist, noch einen entscheidenden Schritt über Bultmann hinaus- und damit erst wirklich theologisch vorzugehen, indem er nicht nur die mythologiscllen Vorstellungen und Begriffe, sondern die religiösen Begriffe überhaupt als problematisch empfindet und darum die entscheidende Aufgabe gerade bei der Interpretation solcher Begriffe sieht, die zwar nicht oder so gut wie nicht vom mythologischen, wohl aber vom religiösen Verständnis bedroht 32 Vgl. den Absdmitt über die biblische Botschaft in ihrem Verhältnis zu den Erlösungsmythen: WE 225-227. Die Bezeichnung des Christentums als Erlösungsreligion hält Bonhoeffer für einen kardinalen Fehler, "durch den Christus vom Alten Testament getrennt und von den Erlösungsmythen her interpretiert wird". "Die Erlösungsmythen suchen ungesChiChtliCh eine Ewigkeit nach dem Tod." "Die christliche AuferstehungshofInung unterscheidet sich von der mythologischen darin, daß sie den Menschen in ganz neuer und gegenüber dem Alten Testament noch verschärfter Weise an sein Leben auf der Erde verweist. Der Christ hat nicht wie die Gläubigen der Erlösungsmythen aus den irdischen Aufgaben und Schwierigkeiten i=er noch eine letzte Ausflucht ins Ewige ... Das Diesseits darf nicht vorzeitig aufgehoben werden ... Erlösungsmythen entstehen aus den menschlichen Grenzerfahrungen. Christus aber faßt den Menschen in der Mitte seines Lebens." Mit all dem Charakterisiert Bonhoeffer doch nichts anderes als den Gegensatz von christlichem Glauben und Religion. Vgl. damit z. B., wie Bultmann (ablehnend I) den Religionsbegriff charakterisiert, der die religionsgesChi<;htliche Schule bei der Interpretation des Neuen Testaments leitet: "Religion ist die Sehnsucht des Menschen über die Welt hinaus, ist Entdeckung einer Sphäre über der Welt, in der nur die Seele, vom Weltlichen sich lösend, weilen kann. In der Religion ist der Mensch mit Gott allein, durchströmt von den Kräften einer höheren, wahren Welt. Und die Religion stellt sich nicht in Lebens- und Weltgestaltung dar, sondern im zwecklosen Handeln des Kultus." (Kerygma und Mythos I, 26 f.) Aber wird nicht der Gegensatz Bonhoeffers zu Bultmann frappant, wenn Bultmann als "mythologisch" diejenige Vorstellungsweise bezeichnet, "in der das UnweltliChe, Göttliche als Weltliches, Menschliches, das Jenseitige als Diesseitiges erscheint" (aaO 23), während Bonhoeffer gerade als das charakteristisch Mythologische die Flucht ins Jenseitige unter vorzeitiger Aufhebung des Diesseits bezeichnen würde? Und erst recht, wenn man Bultmanns Begriff der "EntweltliChung" mit Bonhoeffers Begriff der "weltlichen Interpretation" und der "tiefen Diesseitigkeit des Christentums" konfrontiert? Man darf sich hier durch scheinbare Gegensätze auf Grund scheinbaren Gleichklangs der verwendeten Begriffe nicht verwirren lassen. In dem einen Fall geht es um die mythologische Vorstellungsweise (darum BuItmann: das Jenseitige als Diesseitiges), in dem andern Fall um das mythologische Selbstverständnis (darum Bonhoeffer: Flucht aus dem Diesseits ins Jenseits). In dem einen Fall geht es um Kennzeichnung der eschatologischen Dimension (darum Bultmann: EntweltliChung, die aber wohl zu unterscheiden ist von EntweltliChung im Sinne eines mystischen Religionsbegriffs!), in dem andern Fall um die Sicherung des Eschatologischen als Eschatologischen (darum Bonhoeffer: das Diesseits, und d. h. das "Vorletzte", darf gerade um des "Letzten" willen nicht vorzeitig aufgehoben werden; vgl. E 79 ff.). So darf es nicht verwundern, wenn die übereinstimmung gerade etwa in bezug auf den Begriff der "Jenseitigkeit" deutlich wird, indem Bultmann die Vorstellung von Gottes Jenseitigkeit als räumlicher Ferne mythologisch nennt (aaO 23) und Bonhoeffer sagt: "Das Jenseitige ist nicht das unendlich Ferne, sondern das Nächste." (WE 255) "Das ,Jenseits' Gottes ist nicht
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sind 33. Es kommt jetzt nicht auf eine Erörterung dessen an, wie dies Letztgenannte sich faktisch zu Bultmanns theologischem Ansatz verhält. Aber es ist notwendig, abschließend zu fragen, auf welchem Wege die mit all den angerührten Problemen des Religionsbegriffs belastete Formel der nicht-religiösen Interpretation theologisch präzisiert werden kann. IV. Gibt es eine theologische Kategorie, die es ermöglicht, das Problem der Religion in seiner theologischen Relevanz, d. h. in seinem Verhältnis zum christlichen Glauben so in den Griff zu bekommen und durchzureflektieren, daß dabei die Einsicht in das Wesen des Evangeliums, die in Bonhoeffers Konzeption wirksam ist, zu voller Deutlichkeit gelangt? Welche theologische, und d. h. doch: welche am Evangelium selbst orientierte und von ihm her bestimmte Kategorie ist dazu geeignet, den theologischen Ort von Religion und Religionslosigkeit zu fixieren? Bonhoeffer hat mit sicherem Instinkt gemerkt, welche Kategorie das sein müßte, aber dann doch leider davon nicht mehr durchgreifenden Gebrauch gemacht. Er sagt: "Die paulinische Frage, ob die :n;8Q~7:0{trj Bedingung der Rechtfertigung sei, heißt m. E. heute, ob Religion Bedingung des Heils sei. Die Freiheit von der :n;8Q~7:0{trj ist auch die Freiheit von der Religion." 1 Dementsprechend besagt die nichtreligiöse Interpretation biblischer Begriffe, "daß diese Begriffe nun in einer Weise interpretiert werden müssen, die nicht die Religion als Bedingung des Glaubens (vgl. die ,Peritorne' bei Paulus!) voraussetzt" 2. das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens! Die erkenntnistheoretische Transzendenz hat mit der Transzendenz Gottes nichts zu tun. Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig." (WE 182) Auch eine Bultmann anscheinend so radikal entgegengesetzte Aussage wie die: "Diese Mythologie (Auferstehung ete.) ist die Sache selbst!" (WE 221) rückt in ein anderes Licht, wenn man all das Gesagte mitbedenkt: daß (wie Bultmann!) Bonhoeffer nicht eliminieren will, wohl aber Interpretation fordert, und zwar eine nicht-mythologische (im Sinne der Erlösungsmythen!). - Ich will mit diesen Randbemerkungen keineswegs einfach Bonhoeffer gleich Bultmann gesetzt haben. über die wirklichen Unterschiede wäre sehr viel zu sagen. Man soll sich aber die Mühe machen, sie an der richtigen Stelle zu fixieren. 33 WE 183. Es wäre freilich zu fragen, ob etwas von dem, was Bonhoeffer vorschwebt, sich nicht in Bultmanns Begriffsinterpretationen in der "Theologie des Neuen Testaments" vollzieht. Aber auch abgesehen davon scheint mir das Urteil von R. Grunow (Die mündige Welt 66 = Ev. Theol. 15 [1955]; 204), daß mit Bonhoeffers Forderung der nicht-religiösen Interpretation "Bultmanns Entmythologisierungsforderung überholt, ja ... geradezu veraltet sei", eine etwas vorschnelle Auswertung von Bonhoeffers Äußerung zu sein, daß Bultmann "nicht ,zu weit' ... , sondern zu wenig weit gegangen" sei (WE 183). 1 WE lBO f. 2 WE 221.
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Hier liegt, wie ich meine, der entscheidende Ansatzpunkt, um das Problem der nicht-religiösen Interpretation einer umfassenden theologischen Klärung entgegenzuführen. Die Analogie zur Beschneidung verweist auf den Begriff des Gesetzes. Das Problem der Religion (und damit dann freilich auch das Phänomen der Religionslosigkeitl) fällt unter die theologische Kategorie des Gesetzes. Das Verhältnis von Religion und christlichem Glauben ist vom Verhältnis von Gesetz und Evangelium her durchzureflektieren. Das klingt bei Bonhoeffer auch sonst gelegentlich an, so z. B. wenn er sagt, Christus mit einer bestimmten Stufe der Religiosität des Menschen verwechseln heiße ihn mit einem menschlichen Gesetz verwechseln 3, oder daß das für das Religiöse charakteristische Raumdenken - theologisch gesprochen - gesetzliches Denken sei 4. Man beachte wohl: Die Heranziehung des Begriffes des Gesetzes besagt selbstverständlich nicht die Identifikation von Religion und Gesetz. Davor warnt schon die Parallelisierung mit der Beschneidung; denn die Beschneidung ist ja nicht identisch mit dem Gesetz schlechthin. Eine Identifikation von Religion und Gesetz würde zudem auf dem Mißverständnis beruhen, als sei Religionslosigkeit Gesetzlosigkeit, was ja ganz und gar nicht Bonhoeffers Meinung entspricht. Die Heranziehung des Begriffs des Gesetzes besagt vielmehr, daß das Phänomen der Religion (ebenso wie das der Religionslosigkeit!) innerhalb des Problems des Gesetzes seinen theologischen Ort hat, und zwar so, daß vom Religionsbegriff her die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium gerade nicht in den Blick kommen kann, das Dominieren des Religionsbegriffs in der Theologie darum nur zu einer Verfälschung des Evangeliums in Gesetz führen kann. In summarischer Vorwegnahme des damit gewiesenen theologischen Denkweges und der darin implizierten Erkenntnis könnte man sagen: Religiöse Interpretation ist gesetzliche Interpretation. NiCht-religiöse Interpretation meint Gesetz und Evangelium unterscheidende Interpretation. Und in Rückbeziehung auf das in Teil 11 Erarbeitete müßte man nun sagen: Gesetzliche Interpretation kann weder christologische Interpretation noch konkrete Interpretation noch Interpretation des Glaubens sein, sondern verdirbt dies alles miteinander, so viel dabei auch angeblich christologisch oder konkret oder vom Glauben geredet werden mag. Umgekehrt: allein die Gesetz und Evangelium unterscheidende Interpretation ist zugleich und untrennbar voneinander Christologische Interpretation, konkrete Interpretation und Interpretation des Glaubens. 3
WE 218.
E 64. VgI. auch E 247: "An die 'Stelle des unechten Gegenüber von moralisierender und religiöser Thematik hat die echte Unterscheidung und Verbindung von Gesetz und Evangelium zu treten." t
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Die begründende und entfaltende Durchführung dieses Ansatzes ist eine Aufgabe, die im Rahmen dieses Vortrags auch nicht annähernd bewältigt werden kann. Denn es ist ja nicht so, als stünde mit der Lehre von Gesetz und Evangelium ein fertiges und selbstverständliches Schema bereit, in das das von Bonhoeffer angerührte Problem nur eingeordnet werden müßte, um auf diese Weise sofort seine Lösung zu erfahren (und damit wohl auch seine aufwühlende Kraft zu verlieren!). Es handelt sich vielmehr um die Aufgabe, im Blick auf diese Problemstellung die Lehre von Gesetz und Evangelium neu zu durchdenken, sie aus der theologiegeschichtlichen Dimension wieder in die Dimension systematischen theologischen Denkens hineinzuholen und sie damit zugleich aus einem partiellen theologischen locus zum Inbegriff der theologischen Prinzipienlehre werden zu lassen. Zugespitzt könnte man sagen: Die Lehre von Gesetz und Evangelium ist nicht so etwas wie ein Patentschlüssel zum Problem der nicht-religiösen Interpretation, wohl aber könnte das Problem der nicht-religiösen Interpretation zu einer neuen Erschließung der Lehre von Gesetz und Evangelium führen. Dies aber ist eine sehr weitschichtige Aufgabe, bei der die gesamte Lehre vom Worte Gottes in strenger Beziehung auf die Wirklichkeit zur Verhandlung kommen müßte, wobei dann der Verflechtung des theologischen und des ontologischen Problems nicht ausgewichen werden dürfte, d. h. der Frage nach dem Zusammenhang von Sein, Wort und Sprache. Statt dessen muß ich mich auf einige Bemerkungen beschränken, um wenigstens andeutungsweise erkennbar zu machen, daß und wie die Bonhoeffersche Problemstellung in diese Richtung tendiert. 1) Die Analogie des Problems der Religion zum Problem der Beschneidung wäre sofort mißverstanden, wenn man übersähe, daß Paulus an der Frage der Beschneidung nur exemplifiziert, was für das Verhältnis von Glaube und Gesetz überhaupt gilt. Verstünde man das paulinische XillQ/,(; VOf-tOV allein vom Zeremonialgesetz und nicht vom ganzen Gesetz, so liefe seine Rechtfertigungslehre nur hinaus auf eine Änderung des Gesetzes, das Evangelium wäre dann nichts anderes als nova lex. Daß die Beschneidung nicht Bedingung der Rechtfertigung ist, ist nur in bezug auf den Juden die Konkretion dessen, daß das Gesetz als solches nicht Bedingung der Rechtfertigung ist. Das bloße Unbeschnittensein bzw. die Aufhebung des Zeremonialgesetzes ist noch keineswegs im strikten Sinne Freiheit von der Beschneidung. Denn Freiheit von der Beschneidung ist erst radikal verstanden als Freiheit vom Gesetz überhaupt: "daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben" (Rm 3, 28). Entsprechend hieße religionslos sein noch lange nicht im strikten Sinne Freiheit von der Religion. Denn Freiheit von der Religion wäre ebenfalls radikal erst
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verstanden als Freiheit vom Gesetz überhaupt. Darum gilt: "Beschnitten sein ist nichts, und unbeschnitten sein ist nichts" [1. Kor 7, 19), religiös sein ist nichts, und religionslos sein ist nichts! Nun bedarf aber die in Christus dem Glauben geschenkte Freiheit vom Gesetz einer Interpretation, die in bezug auf das Gesetz vornehmlich zweierlei zu bedenken gibt. Einmal: Die Predigt des Evangeliums schließt notwendig und bleibend Predigt des Gesetzes in sich, und zwar um des rechten Verständnisses des Evangeliums willen. Ohne die Predigt des Gesetzes kann das Evangelium gar nicht als Evangelium gepredigt werden. Daß Christus die Erfüllung und damit das Ende des Gesetzes ist, kann nur bezeugt werden, indem das Gesetz zur· Sprache kommt. Will man das Evangelium predigen, ohne das Gesetz zu predigen, so macht man eo ipso aus dem Evangelium Gesetz und verfälscht damit zugleich das Gesetz, indem man aus dem Evangelium ein religiöses Sondergesetz macht, das mit der den Menschen als Menschen angehenden Wirklichkeit nichts zu tun hat, sondern den Menschen, um ihn zum Christen zu machen, der Wirklichkeit entfremdet. An der Predigt des Gesetzes hängt darum, daß das Evangelium konkret, verständlich und verbindlir:h und in dem allen wirklich als Evangelium, d. h. erlösend und befreiend gepredigt wird. Wir können auch sagen: Die Predigt des Gesetzes.gehört deshalb um der Predigt des Evangeliums willen in die Predigt des Evangeliums, weil es in der Predigt des Evangeliums um den wirklichen Menschen geht. Man darf also nicht sagen: Obwohl eigentlich nur das Evangelium zu predigen ist, muß trotzdem daneben leider auch noch Gesetz gepredigt werden. Das hieße soviel wie: Obwohl das Evangelium zu predigen ist, muß trotzdem leider auch vom Menschen in seiner konkreten Wirklichkeit, dem das Evangelium gilt, die Rede sein. Wäre es so, dann wäre das Evangelium eine Art Märchen, das um so reiner zur Geltung kommt, je mehr es uns unsere wirkliche Existenz vergessen läßt. Es muß vielmehr heißen: Weil das Evangelium zu predigen ist, muß gerade deshalb vom Menschen in seiner konkreten Wirklichkeit die Rede sein. Und entspreoj:J.end: Weil das Evangelium zu predigen ist, muß das Gesetz gepredigt werden. Die Predigt des Gesetzes schränkt die Predigt des Evangeliums nicht ein, sondern dient, recht verstanden, dazu, daß die Predigt des Evangeliums wirklich Predigt des Evangeliums sei. Ohne die Predigt des Gesetzes würde die Predigt des Evangeliums aufhören, Predigt des Evangeliums zu sein. Ferner: Die christliche Verkündigung unterscheidet sich nun aber von anderer "Verkündigung" in Religionen, Weltanschauungen usw. nicht nur dadurch, daß sie Predigt des Evangeliums ist, sondern auch dadurch, wie sie das Gesetz predigt, nämlich daß sie es um des Evangeliums willen predigt. Die Predigt des Evangeliums tritt nicht zu einer 56
vorgegebenen und davon unberührten Predigt des Gesetzes hinzu, sondern die Predigt des Gesetzes selbst wird von der Predigt des Evangeliums her alteriert. Um diese Feststellung gegen Mißverständnis abzuschirmen, sei sofort erläuternd hinzugefügt: Die christliche Verkündigung predigt nicht ein anderes Gesetz, sondern sie predigt das Gesetz anders. "Anders", d. h. in Bezeugung dessen, was nur vom Evangelium her bezeugt we:rden kann, nämlich was das Gesetz vermag und was es nicht vermag, und d. h. daß die lex non necessaria, ja impossibilis ist ad iustificationem 5. Doch müßte man nun nicht gleichfalls sagen, die christliche Verkündigung predige auch ein anderes Gesetz? Ist nicht neben der im Evangelium dem Glauben zugesprochenen Freiheit vom Gesetz überhaupt, also neben der durch Christus als Erfüllung und Ende des Gesetzes geschehenen Abrogation des Gesetzes im Ganzen auch die Tatsache einer partiellen und keineswegs nur im Glauben gültigen Abrogation des Gesetzes zu beachten, d. h. einer Abrogation, die sich nur auf bestimmte Teile des Gesetzes erstreckt (also z. B. das alttestamentliche Zeremonialgesetz) und somit eben auf eine Änderung des Gesetzes hinausläuft? Um diesen offensichtlichen Tatbestand richtig zu verstehen, bedarf es nun aber der Berücksichtigung einer Unterscheidung, die ich hier nur thetisch ohne nähere Explikation einführen kann. Es ist zu unterscheiden zwischen dem Gesetz als immer schon geschehendem und der Predigt des Gesetzes, anders ausgedrückt: zwischen dem Gesetz im Hinblick darauf, daß es untrennbar zu meiner Existenz gehört, daß es geradezu meine Wirklichkeit ist 6, und dem Gesetz im Hinblick darauf, daß es in einer bestimmten Auslegung gelehrt wird. Nur darum kann überhaupt dem Menschen das Gesetz gepredigt werden, weil das Gesetz zuvor schon immer beim Menschen ist, weil der Mensch gar nicht Mensch wäre, ohne daß er dem Geschehen des Gesetzes ausgeliefert wäre. Im Blick darauf ist der Begriff einer nova lex strenggenommen ein Widerspruch in sich. Man könnte bestenfalls von einer renovatio legis 7 sprechen. Auch in bezug Diese geläufige Wendung Luthers bedarf keiner besonderen Belege. Vgl. dazu Luthers Begriff des Gesetzes. Z. B.: "Prior pars doctrinae (nämlich die Predigt des Gesetzes) ostendit illas res, quae iam existunt in natura humana." (WA 39, 1; 361, 29 f.) (Gegen die Wendung "lex requiritur":) "Hi sunt improprii et incommodi sermones, nec veri sunt. Nam lex iam adest, ist schon da. Lex prius adest in facto." (aaO 477, 6 f. vgl. auch 446 f.) "Lex ... nulla nostra necessitate, sed de facto iam invitis nobis adest ... " (aaO 353, 37 f.) "Haec tria, lex, peccaturn, mors sunt inseparabilia. Quatenus igitur mors adhuc est in homine, eatenus peccatum et lex est in homine." (aaO 354, 24 ff.) Vgl. meinen Aufsatz: Zur Lehre vom triplex usus legis in der reformatorischen Theologie, ThLZ 1950; 235-246. 7 " ••• coactus est Deus a novo nobis, ne prorsus suam legern oblivisceremur, metam proponere, ut sic recordaremur saltem, qui iam antea fuerimus et qui iam simus. Itaque renovata lex est, et quidem scripta et tradita certo populo, in quantum scripta, sed non in quantum dicta, quia hae notitiae communes erant omnibus gentibus, sicuti experientia ipsa testatur." (WA 39, 1; 539, 13-540, 3) 5 6
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auf die in der christlichen Verkündigung um der Predigt des Evangeliums willen notwendig inbegriffene Predigt des Gesetzes kann man also nicht von einer doctrina novae legis, sondern nur von einer nova doctrina legis sprechen. Von daher wäre jene partielle Abrogation des Gesetzes zu interpretieren als ein Zur-Geltung-Kommen der lex ipsa. Dabei wird insofern das Evangelium zum Kriterium dieser Abrogation, als das Vorzeichen, das vom Evangelium her die Predigt des Gesetzes bestimmt (nämlich daß das Gesetz impossibilis sei ad iustificationem), einen Teil der überlieferten doctrina legis zwar gerade erst recht in Kraft setzt, einen anderen Teil dagegen schlechthin erledigt sein läßt. Und zwar ist, sofern das Gesetz um des Evangeliums willen gepredigt wird, derjenige Teil der überlieferten doctrina legis schlechthin erledigt, der von der Erkenntnis her sinnlos geworden ist, daß das Gesetz nicht Mittel zur Erlangung des Heils ist 8. Daß bei dieser kritischen Sonderung in bezug auf überlieferte doctrina legis Evangelium und rationale Aufklärung nicht nur in sehr problematischer Nachbarschaft erscheinen, sondern auch in unbestreitbare faktische Berührung treten können, sei jetzt nur am Rande erwähnt, obwohl ja damit wieder ausdrücklich der Kontakt hergestellt wäre zur Bonhoefferschen Problemstellung. Dieser nur notdürftig skizzierte und darum nach verschiedenen Seiten hin unabgeschützt gebliebene Gedankengang, zu dem Bonhoeffers Parallelisierung des Problems der Religion mit dem Problem der Beschneidung Anlaß gibt, sei noch illustriert und dadurch zugleich auf seinen eigentlichen scopus hin vorangetrieben durch den Hinweis auf Luthers Argumentationsweise. Die christliche Freiheit vom Gesetz wirkt sich auf die Predigt des Gesetzes aus in der Weise der Reduktion auf das allen ins Herz geschriebene Gesetz. Das tritt zutage in der Frage nach der Verbindlichkeit der Predigt des Gesetzes. Wenn mir jemand sagt: du bist nicht beschnitten, so trifft mich damit nicht die anklagende Stimme des Gesetzes, es betrifft mich gar nicht. Wenn mir dagegen vorgehalten wird: du glaubst nicht an Gott, du fürchtest ihn nicht usw., so klagt mich das an, weil es mich betrifft 9. Wie steht es aber heute? 8 Gewiß wäre hier noch weiter zu differenzieren, wie es Luther z. B. in bezug auf die Beschneidung tut: "Circumcisio et lex fiat tandem definita: quod non necessaria ad iustificandum ... gentibus non debet imponi, quia esset eis novitas, ergo nemo cogatur ad Circumcisionem neque aliquis cogatur vi a Circumcisione ... Paulus non cogit nec facto, verbo Iudeos a Circumcisione sed addit: per quam non potestis iustificari ... Neminem coge a Circumcisione; maneat, si vult, modo hoc sciat: non esse necessariam ad iustificationem." (WA 40,1; 158, 1 f. 6 f. 159, 6 f. 8 L) Aber diese Klausel hat doch nun faktisch auch bei den Christen aus den Juden zur Abrogation des Zeremonialgesetzes geführt. 9 Im Anschluß an das Zitat S. b7 Anm. 7: "Nam si hoc non esset, iam nihili fecerimus, si lex diceret: Tu non fidis Deo, non times Deum, abu.:eris nomine eius, quam iam nihili facimus, si quando diceretur: Tu non es circumcisus, tu non affers bovem, vitulum, pecudes. Nam haec cum audio, nihil moveor neque perhorresco
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Trifft das auch den modernen religionslosen Menschen? Wir müssen wohl zugeben: Nein! Welche Veränderung ist damit eingetreten? Daß der moderne religionslose Mensch nicht mehr de facta unter dem Gesetz steht? Keineswegs, wenn anders, wie wir sagten, das Gesetz untrennbar zur Existenz des Menschen gehört, geradezu seine Wirklichkeit ist! Daß das Gesetz, unter dem er de facta steht, nicht in Wahrheit Gottes Gesetz ist? Die christliche Verkündigung wäre am Ende, wenn das zuträfe! Die Veränderung, auf die wir hier stoßen, ist doch wohl die, daß die traditionelle "religiöse" Auslegung des Gesetzes, unter dem auch der religionslose Mensch de facta steht, offenbar für diesen das Gesetz nicht mehr verständlich und verbindlich zur Sprache zu bringen vermag, weil sie diesen modernen religionslosen Menschen nicht mehr in seiner Wirklichkeit zur Sprache bringt, sondern meint, ihm ein Gesetz hinzufügen und entgegensetzen zu müssen, das nicht als das Gesetz zu veri: fizieren ist, unter dem der moderne religionslose Mensch de facta steht. Und das ist offenbar deswegen so, weil die traditionelle "religiöse" Interpretation des Gesetzes grundsätzlich davor kapituliert hat, das Gesetz im ganzen und damit die Wirklichkeit im ganzen und damit auch den ganzen Menschen zur Sprache zu bringen und in Ansprl!ch zu nehmen. Gerade weil sie so, wie sie es tut, von GaU redet, nämlich sozusagen als von einer zusätzlichen, an die Welt und die Existenz des Menschen angrenzenden Wirklichkeit, darum bezeugt gerade sie nicht mehr das Gesetz als GaUes Gesetz. Es kann sich also ganz und gar nicht darum handeln, dem modernen religionslosen Menschen zuliebe darauf zu verzichten, das Gesetz als GaUes Gesetz zu bezeugen. Vielmehr geht es gerade darum, angesichts des modernen religionslosen Menschen sich neu der Frage zu stellen, was es heißt, das Gesetz, das untrennbar zur Existenz des Menschen gehört und das geradezu seine Wirklichkeit ist, als Gottes Gesetz zu bezeugen. Die herkömmliche religiöse Interpretation des Gesetzes ist zu einem religiösen Sondergesetz geworden, dem - vergleichbar dem Gesetz der Beschneidung - die Allgemeinverbindlichkeit fehlt, und das darum, wenn seine übernahme trotzdem zur Vorbedingung des Glaubens gemacht wird, gerade vom Evangelium her für abrogiert zu erklären ist. Die entscheidende Frage lautet darum: Wie predigen wir dem religionslosen Menschen das Evangelium als Freiheit vom Gesetz, und d. h. Jesus Christus als Erfüllung und Ende des Gesetzes, ohne ihm et tarnquarn ludum iocurnque puto. At quando dicit: Tu es incredulus Deo, non credis Deo, non tirnes Deurn, es adulter, moemus, inobediens et quicquid tale est, hic statim perhorresco et pavesco et sentio in corde, rne certe hoc debere Deo, non quia traditus et scriptus decalogus sit nobis, sed quod scimus velleges has nobiscurn in mundum attulirnus et hac quidern praedicatione statim velarnen tollitur et ostenditur rnihi, quod facio peccaturn." (WA 39, 1; 540, 3-13)
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zuvor erst ein Gesetz aufzuerlegen, das ihm ein fremdes, ihn nicht betreffendes Gesetz ist? Wie trifft den religionslosen Menschen eigentlich das Gesetz? Was ist das, was ihn unbedingt angeht? Wie bringen wir das Gesetz, unter dem er de facto steht, zur Sprache? Ich sage, das sei die entscheidende Frage; denn an der Verständlichkeit und Verbindlichkeit der Predigt des Gesetzes hängt die Verständlichkeit und Verbindlichkeit der Predigt des Evangeliums 10. 2) Welchen Beitrag liefern Bonhoeffers Bemerkungen über Religion und Religionslosigkeit zum Problem der Predigt des Gesetzes, oder wie wir nun auch sagen können: des Zur-Sprache-Kommens der uns angehenden Wirklichkeit? Lassen wir jetzt einmal die Fragezeichen zu Bonhoeffers Gebrauch des Religionsbegriffs [so O. Teil III) unberücksichtigt, so ergibt sich folgendes Bild: Die Grundstruktur von "Religion" ist: die Ergänzung der Wirklichkeit durch Gott. Auf diesen Nenner ließe sich m. E. die Fülle der verschiedenen Aussagen Bonhoeffers über die Religion bringen: das für die Religion charakteristische Denken in zwei Räumen 11, das Bemühen, Gott einen Raum auszusparen 12, die Auffassung von Transzendenz im erkenntnistheoretisch-metaphysischen Sinne 13 oder im Sinne des 10 "Nur wenn man die Unaussprechlichkeit des Namens Gottes kennt, darf man auch einmal den Namen Jesus Christus aussprechen; nur wenn man das Leben und die Erde so liebt, daß mit ihr alles verloren und zu Ende zu sein scheint, darf man an die Auferstehung der Toten und eine neue Welt glauben; nur wenn man das Gesetz Gottes über sich gelten läßt, darf man wohl auch einmal von Gnade sprechen, . und nur wenn der Zorn und die Rache Gottes über seine Feinde als gültige Wirklichkeiten stehen bleiben, kann von Vergebung und von Feindesliebe etwas unser Herz berühren. Wer zu schnell und zu direkt neutestamentlich sein und empfinden will, ist m. E. kein Christ ... Man kann und darf das letzte Wort nicht vor dem vorletzten sprechen. Wir leben im Vorletzten und glauben das Letzte ... " (WE 112 f.) 11 S. o. S. 29 Anm. 38 und S. 31 Anm. 41. "Solange Christus und die Welt als zwei aneinanderstoßende und einander abstoßende Räume gedacht werden, bleibt dem Menschen nur folgende Möglichkeit: Unter dem Verzicht auf das Wirklichkeitsganze stellt er sich in einen der beiden Räume, er will Christus ohne die WeIt oder die WeIt ohne Christus. In beiden Fällen betrügt er sich selbst. Oder aber der Mensch will in beiden Räumen zugleich stehen und wird damit der Mensch des ewigen Konflikts ... So schwierig es nun sein mag, sich dem Bann dieses Raumdenkens zu entziehen, so gewiß ist es doch, daß es sowohl dem biblischen wie dem reformatorischen Denken zutiefst widerspricht und daß es daher an der Wirklichkeit vorbeigeht. Es gibt nicht zwei Wirklichkeiten, sondern nur eine Wirklichkeit, und das ist die in Christus offenbar gewordene Gotteswirklichkeit in der Weltwirklichkeit." (E 62) 12 S. O. S. 28 Anm. 31 und 33. " ... es scheint mir immer, wir wollten dadurch nur ängstlich Raum aussparen für Gott." (WE 182) " ... daß sie alle, darauf ausgehen, einen Raum für Religion in der WeIt oder gegen die WeIt auszusparen." (WE 219) "Wo behält nun Gott noch Raum? fragen ängstliche Gemüter ... " (WE 241) "Ich will also darauf hinaus, daß man Gott nicht noch an irgendeiner allerletzten heimlichen Stelle hineinschmuggelt ... " (WE 236) 13 S. O. S. 52 f. Anm. 32 "Das ,Jenseits' Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens! Die erkenntnistheoretische Transzendenz hat mit der Tran-
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die menschlichen Möglichkeiten übersteigenden 14, die Lokalisierung der Transzendenzerfahrung als Grenzerfahrung 15, ihre Schematisierung als Lösung ungelöster Probleme 16, die Rolle Gottes als "Lückenbüßers" 17, das Aufspüren und Ausnützen der menschlichen Schwächen zum Nachweis des Angewiesenseins auf Gott 18, das Verständnis des
szendenz Gottes nichts zu tun." (WE 182) "Das Jenseitige ist nicht das unendlich Ferne, sondern das Nächste." (WE 255) "Gott ... nicht in den Begriffsgestalten des Absoluten, Metaphysischen, Unendlichen ete." (WE 260) 14 "Die Religiosität des Menschen weist ihn in seiner Not an die Macht Gottes in der Welt." (WE 242) " ... So tun sie alle, alle, Christen und Heiden." (WE 246) "Was ist Gott? Nicht zuerst ein allgemeiner Gottesglaube an Gottes Allmacht ete. Das ist keine echte Gotteserfahrung, sondern ein Stück prolongierter Welt . . .. Unser Verhältnis zu Gott ist kein ,religiöses' zu einem denkbar höchsten, mächtigsten, besten Wesen - dies ist keine echte Transzendenz - ... " (WE 259) "Nicht die unendlichen, unerreichbaren Aufgaben, sondern der jeweils gegebene erreichbare Nächste ist das Transzendente." (WE 260) 15 "Die Religiösen sprechen von Gott, wenn menschliche Erkenntnis (manchmal schon aus Denkfaulheit) zu Ende ist oder wenn menschliche Kräfte versagen - es ist eigentlich immer der deus ex machina, den sie aufmarschieren lassen, entweder zur Scheinlösung unlösbarer Probleme oder als Kraft bei menschlichem Versagen, immer also in Ausnutzung menschlicher. Schwäche bzw. an den menschlichen Grenzen; das hält zwangsläufig immer nur solange vor, bis die Menschen aus eigener' Kraft die Grenzen etwas weiter hinausschieben und Gott als deus ex machina überflüssig wird; das Reden von den menschlichen Grenzen ist mir überhaupt fragwürdig geworden (ist selbst der Tod heute, da die Menschen ihn kaum noch fürchten, und die Sünde, die die Menschen kaum noch begreifen, noch eine echte Grenze?) ... An den Grenzen scheint es mir besser, zu schweigen und das Unlösbare ungelöst zu lassen ... Die Kirche steht nicht dort, wo das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, sondern mitten im Dorf." (WE 181 f.) " ... nicht erst an den Grenzen unserer Möglichkeiten, sondern mitten im Leben muß Gott erkannt werden." (WE 211) "Erlösungsmythen entstehen aus den menschlichen Grenzerfahrungen." (WE 227) "Gewiß nahm sich Jesus der Existenzen am Rande der menschlichen Gesellschaft, Dirnen, Zöllner, an, aber doch durchaus nicht nur ihrer, sondern weil er sich der Menschen überhaupt annehmen wollte." (WE 231) Vgl. auch o. S. 28 Anm. 33. 16 " ••• Gott wird zur Antwort auf Lebensfragen, zur Lösung von Lebensnöten und -konflikten." (WE 230) "In dem, was wir erkennen, sollen wir Gott finden, nicht aber in dem, was wir nicht erkennen; nicht in den ungelösten, sondern in den gelösten Fragen will Gott von uns begriffen sein. Das gilt für das Verhältnis von Gott und wissenschaftlicher Erkenntnis. Aber es gilt auch für die allgemein menschlichen Fragen von Tod, Leiden und Schuld ... (Jesus Christus) ist die Mitte des Lebens und ist keineswegs ,dazu gekommen', uns ungelöste Fragen zu beantworten. Von der Mitte des Lebens aus fallen gewisse Fragen überhaupt aus und ebenso die Antworten auf solche Fragen ... In Christus gibt es keine ,christlichen Probleme'." (WE 211) 17 (In bezug auf die Erfahrung der Trennung:) "Es ist verkehrt, wenn man sagt, Gott füllt die Lücke aus; er füllt sie garnicht aus, sondern er hält sie vielmehr gerade unausgefüllt ... " (WE 131) " ... daß man Gott nicht als Lückenbüßer unserer unvollkommenen Erkenntnis figurieren lassen darf." (WE 210) ",Gott' als Arbeitshypothese, als Lückenbüßer für unsere Verlegenheiten ... " (WE 258) 18 S. o. S. 28 Anm. 32 und 33, S. 37 f. Anm. 73, oben Anm. 15. "Ich will also darauf hinaus, ... daß man den Menschen in seiner Weltlichkeit nicht ,madig macht' ... " (WE 236) Vgl. hierzu auch die Kritik an "religiösen Erpressungen": WE 140, 179, 181, 218, 234 f.
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Christseins als menschlicher Sonderexistenz 19, die Schwerpunktverlagerung in ein individualistisches Heilsverständnis 20, in die Innerlichkeit 21 bzw. in das Jenseits 22, wobei die Welt sich selbst überlassen bleibt 23, ihre Gottlosigkeit religiös verdeckt wird 24, und Gottes Gaben und seine "Stunden" verkannt werden 25. Das sind Abbreviaturen, die über die von Bonhoeffer gegebenen Ansätze hinaus und gegebenenfalls in kritischer Auseinandersetzung mit diesen einer umfassenden Explikation bedürften, um das darin anvisierte "religiöse" Verständnis des Gesetzes herauszuarbeiten. Das theologische Problem wäre dabei dies, ob und warum bei einer Grundanschauung, die auf die Ergänzung der Wirklichkeit durch Gott hinausläuft, sowohl das rechte Verständnis des Gesetzes als auch das rechte Verständnis des Evangeliums verfehlt wird. Demgegenüber ist nun die Grundstruktur der "Religionslosigkeit": das Fertigwerden mit der Wirklichkeit ohne Gott. In dieser Wendung WE 244, zitiert o. S. 32 Anm. 47. Vgl. auch S. 31 Anm. 41. "Ist nicht die individualistische Frage nach dem persönlichen Seelenheil uns allen fast entschwunden? Stehen wir nicht wirklich unter dem Eindruck, daß es wichtigere Dinge gibt, als diese Frage (- vielleicht nicht als diese Sache, aber doch als diese Frage!?)? Ich weiß, daß es ziemlich ungeheuerlich klingt, dies zu sagen. Aber ist es nicht im Grunde sogar biblisch?" (WE 184) 21 S. o. S. 28 Anm. 33 und S. 45 Anm. 16. "Die Bibel kennt unsere Unterscheidung von Äußerem und Innerem nicht ... Das ,Herz' im biblischen Sinne ist nicht das Innerliche, sondern der ganze Mensch, wie er vor Gott ist." (WE 236) Vgl. auch die Polemik gegen die Tendenz zur Vergeistigung: WE 126, 160, 253. 22 S. o. S. 52f. Anm. 32. "Das Schwergewicht fällt nun auf das Jenseits der Todesgrenze. Und eben hierin sehe ich den Fehler und die Gefahr. Erlösung heißt nun Erlösung aus Sorgen, Nöten, Ängsten und Sehnsüchten, aus Sünde und Tod in einem besseren Jenseits. Sollte dieses aber wirklich das Wesentliche der Christusverkündigung der Evangelien und des Paulus sein? Ich bestreite das." (WE 226, vgl. auch 184) 23 WE 185. 24 Der Mensch "muß also wirklich in der gottlosen Welt leben, und darf nicht den Versuch machen, ihre Gottlosigkeit irgendwie religiös zu verdecken, zu verklären." (WE 244) "Wenn man von Gott ,nicht-religiös' sprechen will, dann muß man so von ihm sprechen, daß die Gottlosigkeit der Welt dadurch nicht irgendwie verdeckt, sondern vielmehr gerade aufgedeckt wird ... " (WE 246) 25 "Man soll Gott in dem finden und lieben, was er uns gerade gibt; wenn es Gott gefällt, uns ein überwältigendes irdisches Glück genießen zu lassen, dann soll man nicht frömmer sein als Gott und dieses Glück durch übermütige Gedanken und Herausforderungen und durch eine wildgewordene religiöse Phantasie, die an dem, was Gott gibt, nie genug haben kann, wurmstichig werden lassen. Gott wird es dem, der ihn in seinem irdischen Glück findet und ihm dankt, schon nicht an Stunden fehlen lassen, in denen er daran erinnert wird, daß das Irdische nur etwas Vorläufiges ist und daß es gut ist. sein Herz an die Ewigkeit zu gewöhnen, und schließlich werden auch die Stunden nicht ausbleiben, in denen wir aufrichtig sagen können: ,ich wollt', daß ich daheime wär' .. .' Aber das alles hat seine Zeit und die Hauptsache ist, daß man mit Gott Schritt hält und ihm nicht immer schon einige Schritte vorauseilt, allerdings auch keinen Schritt hinter ihm zurückbleibt. Es ist übermut, alles auf einmal haben zu wollen, das Glück der Ehe und das Kreuz und das himmlische Jerusalem .. ." (WE 123 f.) 19
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gipfelt Bonhoeffers Analyse des modernen religionslosen Menschen 26. Doch wie ist das gemeint? Im Sinne eines bejahenden Urteils? Es be· dürfte nicht erst des Hinweises, daß dann ja jede weitere Bemühung um die christliche Verkündigung überflüssig ist und Bonhoeffers Frage, wie man religionslos-weltlich von Gott reden könne, geradezu gegen den Satz vom Widerspruch verstößt und eine Absurdität darstellt, wenn der religionslose Mensch tatsächlich und in uneingeschränktem Sinne mit der Wirklichkeit fertig wird ohne Gott. Es genügte schon die Feststellung, daß jenes Urteil offensichtlich ganz unrealistisch ist. Denn welcher vernünftige, nüchtern denkende Mensch wollte behaupten, daß man überhaupt im strikten Sinne von einem Fertigwerden mit der Wirklichkeit reden könne, ganz gleich unter welchem Vorzeichen, ob "ohne Gott" oder "mit Gott"? Wird dann nicht aber doch die Theologie und die christliche Verkündigung zwangsläufig auf den von Bonhoeffer so leidenschaftlich abgelehnten Weg gedrängt, den Nachweis zu führen, daß und inwiefern der Mensch mit der Wirklichkeit nicht fertig wird, und auf diesen Nachweis ihre Existenzberechtigung zu gründen? Dem ist zwar dadurch ein Riegel vorgeschoben, daß der Geltungsanspruch der christlichen Verkündigung sich nach Bonhoeffer nicht herleitet aus darin dargebotenen Problemlösungen 27. Trotzdem bleibt doch die Aufgabe einer kritischen Auseinandersetzung gerade auch mit dem modernen religionslosen Menschen unausweichlich. Es hat allerdings den Anschein, daß Bonhoeffer die ganze Schärfe seiner Kritik gegen den religiösen Menschen richtet, den Religionslosen dagegen eigentümlich schont. Dieser Eindruck ist jedoch in dieser allgemeinen Form völlig falsch. Wenn er die Mündigkeit der Welt bejaht, so meint er damit selbstverständlich "nicht die platte und banale Diesseitigkeit der Aufgeklärten, der Betriebsamen, der Bequemen oder der Lasziven" 28. Man braucht nicht erst all die Äußerungen kritischer Analyse, ja bisweilen des Abscheus in bezug auf gewisse Erscheinungsweisen des modernen
28 Unter der "Bewegung in der Richtung auf die menschliche Autonomie" versteht er "die Entdec:kung der Gesetze, nach denen die Welt in Wissenschaft, Gesellschafts- und Staatsleben, Kunst, Ethik, Religion lebt und mit sich selbst fertig wird". "Der Mensch hat gelernt, in allen wichtigen Fragen mit sich selbst fertig zu werden ohne Zuhilfenahme der ,Arbeitshypothese: Gott' ... es zeigt sich, daß alles auch ohne ,Gott' geht, und zwar ebensogut wie vorher." (WE 215 f.) ,,,Menschen werden faktisch - und so war es zu allen Zeiten - auch ohne Gott mit diesen Fragen fertig", nämlich "allgemein menschlichen Fragen von Tod, Leiden und Schuld". (WE 211. Beachtlich ist hier die Parenthese: "zu allen Zeiten"!) 27 "Es ist heute so, daß es auch für diese Fragen (s. vorige Anm.!) menschliche Antworten gibt, die von Gott ganz absehen können ... es ist einfach nicht wahr, daß nur das Christentum eine Lösung für sie hätte. Was den Begriff der ,Lösung' angeht, so sind vielmehr die christlichen Antworten ebenso wenig - oder ebenso gut - zwingend wie andere mögliche Lösungen." (WE 211) VgI. o. S. 61 Anm.16. 28 WE 248.
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Menschen zusammenzustellen 29, sondern es sollte die bloße Erinnerung an seine Gegner, denen er bis zum Tod widerstand, genügen, um jedes Mißverständnis auszuschließen, als decke er ein leichtfertiges oder hybrides "Fertigwerden ohne Gott". Aber das Problem sitzt tiefer. Man darf sich die Auseinandersetzung mit dem modernen religionslosen Menschen nicht so .einfach machen, daß man sich nur an dessen Entartungen hält. Wie. steht es angesichts seiner besten Möglichkeiten mit dem Fertigwerden ohne Gott? Ist es nun nicht doch notwendig, hier von "Grenzen" zu reden, diesen Menschen auf seine Grenzen hin anzusprechen und an solchen Grenzen von Gott zu sprechen? Läßt es sich im Ernst aufrechterhalten, daß das Reden von den menschlichen Grenzen überhaupt fragwürdig geworden und selbst der Tod und die Sünde heute keine echte Grenze mehr seien 30? Hat nicht Bonhoeffer selbst die Bedeutung solcher Grenzerfahrungen für sich persönlich bezeugt 31, und steht nicht darüber hinaus seine letzte theologische Entwicklung ganz im Zeichen des bewußten DurChstehens eines "Grenzfalles" 32? Man stößt darum auch in den grundsätzlichen Ausführungen immer wieder auf Bemerkungen, die das "Fertigwerden " mit einem Fragezeichen versehen, auf das Problem der "Grenze" hinweisen und als Korrektiv jener anderen Aussagen nicht einfach übergangen werden dürfen. So wenn er von dem Fertigwerden mit dem Sterben das Fertigwerden mit dem Tod unterscheidet 33, wenn er beobachtet, "daß die
29 Als Beispiele seien nur erwähnt die Ausführungen über das "Qualitätsgefühl" und den "Prozeß der Verpöbelung in allen Gesellschaftsschichten" (WE 24 ff.), über die "zynische ... gottlose Offenheit" (WE 108, 114 ff.), über den Verlust des "moralischen Gedächtnisses" (WE· 143), über jämmerliches Verhalten von Mitgefangenen (WE 145 f.), über Restbestände eines Glaubens an irgend etwas "übersinnliches" (WE 159 f.), über "eine schauerliche Verödung und Verarmung" als Folgeerscheinung der Versachlichung (WE 171 f.). über das einlinige Denken ("wenn Flieger kommen, sind sie nur Angst; wenn es was Gutes zu essen gibt, sind sie nur Gier; wenn ihnen ein Wunsch fehlschlägt; sind .sie nur verzweifelt; wenn etwas gelingt, sehen sie nichts anderes mehr", WE 209 f.) usw. Vgl. auch o. S. 27 Anm. 30. 30 S. o. S. 61 Anm. 15. 3t " ••• die schweren Luftangriffe ... führen mich ganz elementar zum Gebet und zur Bibel zurüd< ... In mehr als einer Hinsicht ist diese Gefängniszeit für mich eine sehr heilsame Pferdekur." (WE 110 f.) "... es ist eben doch so, daß die Not kommen muß, um uns aufzurütteln und ins Gebet zu treiben ... " (WE 139) 32 WE 92. 33 "Ostern? Unser Blilk fällt mehr auf das Sterben als auf den Tod. Wie wir mit dem Sterben fertigwerden, ist uns wichtiger als wie wir den Tod besiegen. Sokrates überwand das Sterben, Christus ·überwand den Tod als 8axa7:0~ $X1}(J6~ . . . Mit dem Sterben fertigwerden bedeutet noch nicht mit dem Tod fertigwerden. Die überwindung des Sterbens ist im Bereich menschlicher Möglichkeiten, die überwindung des Todes heißt Auferstehung. Nicht von der ars moriendi, sondern von der Auferstehung Christi her kann ein neuer, reinigender Wind in die gegenwärtige Welt wehen. Hier ist die Antwort auf das: 6o~ ""oL nov a..ro na~ nw'ljaw ..Tjv 'l'ijv." (WE 168)
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meisten Menschen nicht wissen, woher sie eigentlich leben", und darin "ein unbewußtes Warten auf das lösende und befreiende Wort" zu erkennen meint 34, wenn er zeigt, wie das Fertigwerden des modernen Menschen mit den Bedrohungen der Natur in verschärftem Maß vor das Problem des Fertigwerdens mit sich selbst stellt 35, und wenn er betont, daß der Mensch nie für sich selbst, sondern nur in der Erfahrung des eigenen Begrenztseins - also letztlich paradoxerweise nur als Fragment! - ein Ganzer sein kann 36. Aber all diese Tatbestände, die nun einmal in der Erfahrung von Schuld und in der Begegnung mit dem Tod ihre äußerste Erlebnisdichte erhalten, heben doch nicht auf, machen es vielmehr um so bedrängender, daß der moderne religionslose Mensch mit der Wirklichkeit fertig werden muß ohne Gott. Er hat Gott nicht als Kompensation seiner Schwächen, als das Jenseits seiner Grenzen, als Prolongatur der Welt, als Ergänzung der Wirklichkeit. Er ist ganz an diese Welt gewiesen, dem Druck der Wirklichkeit und damit ihrem Anspruch uneingeschränkt ausgesetzt. Als der mündige Mensch ist er der WE 169. "Ziel ist, unabhängig von der Natur zu sein. Natur wurde früher durch die Seele überwunden, bei uns durch technische Organisation aller Art. Das uns unmittelbar Gegebene ist nicht mehr die Natur, sondern die Organisation. Mit diesem Schutz vor der Bedrohung durch die Natur entsteht aber selbst wieder eine neue Bedrohung des Lebens, nämlich durch die Organisation selbst. Nim fehlt die seelische Kraft I Die Frage ist: Was schützt uns gegen die Bedrohung durch die Organisation? Der Mensch wird wieder auf sich selbst verwiesen. Mit allem ist er fertiggeworden, nur nicht mit sich selbst! Gegen alles kann er sich versichern, nur nicht gegen den Menschen. Zuletzt kommt es doch auf den Menschen an." (WE 258) Vgl. auch WE 200 ff. "Es wird nicht die Aufga.be unserer Generation sein, noch einmal ,große Dinge zu begehren', sondern unsere Seele aus dem Chaos zu retten und zu bewahren und in ihr das Einzige zu erkennen, das wir wie eine ,Beute' aus dem brennenden Hause tragen." (WE 202 f.) 36 "Der Wunsch, alles durch sich selbst sein zu wollen, ist ein falscher Stolz. Auch was man anderen verdankt, gehört eben zu einem und ist ein Stück des eigenen Lebens ... Man ist eben mit dem, was man selbst ist und was man empfängt, ein Ganzes." (WE 111) "Wittiko ,tut das Ganze', indem er sich im wirklichen Leben zurechtzufinden sucht und dabei immer auf den Rat der Erfahrenen hört, also indem er selbst ein Glied des ,Ganzen' ist. Man wird nicht für sich allein ein ,Ganzer', sondern nur mit anderen zusammen." (WE 141) In bezug auf die Erscheinung des Abstumpfens gegen schwere Eindrücke meint er, "daß es sich doch auch um ein klareres, nüchterneres Erfassen der eigenen begrenzten Aufgaben und Möglichkeiten und dadurch um die Ermöglichung wirklicher Liebe zum Nächsten handeln kann." (WE 175) "Schließlich sind eben die menschlichen Beziehungen doch einfach das Wichtigste im Leben; daran kann auch der moderne ,Leistungsmensch' nichts ändern, aber auch nicht die Halbgötter oder die Irrsinnigen, die von menschlichen Beziehungen nichts wissen. Gott selbst läßt sich von uns im Menschlichen dienen. Alles andere ist der Hybris sehr nahe." Gewiß besteht auch die Gefahr einer Verkehrung in einen "Kult des Menschlichen", "der der Wirklirhkeit unangemessen ist. Ich meine demgegenüber hier die schlichte Tatsache, daß die Menschen uns wichtiger im Leben sind als alles andere. Das bedeutet gewiß keine Geringschätzung der Welt der Dinge und der sachlichen Leistung ... Für viele Heutige ist der Mensch doch auch nur ein Teil der Welt der Dinge. Das liegt daran, daß ihnen das Erlebnis des Menschlichen einfach abgeht." (WE 263 f.) 34 35
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in Freiheit gesetzte und damit unvertretbar zu freier Verantwortung geforderte Mensch. Es ist ihm verwehrt, einen Gott als Gott anzuerkennen, der nur in den Lücken und an den Grenzen seiner, des Menschen, Existenz einen Ort hätte, aber ihn in der Mitte seiner Existenz, in der "freien Verantwortlichkeit des freien Mannes" 37, nichts anginge, einen Gott also, der sozusagen von der Unmündigkeit des Menschen lebt und nicht sich gerade in der Gottlosigkeit der Welt zu Worte meldet. Natürlich hat auch der moderne religionslose Mensch viele Möglichkeiten der Flucht vor der Wirklichkeit 38, aber doch nur unter Verletzung des Gebots der intellektuellen Redlichkeit - denn "wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, daß wir in der Welt leben müssen - ,etsi deus non daretur'" 39. Die Fortsetzung des Zitats präzisiert nun aber ebenso überraschend wie grundlegend, was es mit dieser Erkenntnis der Wirklichkeit auf sich hat: "Und eben dies erkennen wir - vor Gott! Gott selbst zwingt uns zu dieser Erkenntnis. So führt uns unser Mündigwerden zu einer wahrhaftigen Erkenntnis unserer Lage vor Gott. Gott gibt uns zu wissen, daß wir leben müssen als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden. Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verläßt [Markus 15, 34)! Der Gott, der uns in der Welt leben läßt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott." 40 Zweierlei ist daran ungemein bedeutsam: einmal wie hier Gott zur Sprache kommt nicht in Aufhebung, sondern in Bestätigung des "ohne Gott", und ferner daß in dieser Erkenntnis sich die intellektuelle Redlichkeit des modernen Menschen und das christliche Glaubenszeugnis in eigentümlicher Weise begegnen. Doch wie ist das zu verstehen? Es kann ja kein Zweifel daran sein, daß Bonhoeffer so, wie er hier redet, nur als Theologe reden kann, und daß die Behauptung, unser Mündigwerden führe zu einer wahrhaftigen Erkenntnis unserer Lage vor Gott, die theologische Interpretation eines Sachverhalts ist, der zwar unabhängig von dieser Interpretation gegeben ist, aber in seiner Wahrheit nur von der christlichen Verkündigung her erschlossen, erkannt und in Geltung gesetzt wird. Es handelt sich also nicht um das Kapitulieren vor einer in sich geschlossenen und fertigen außertheologischen Erkenntnis, zu der dann nur noch etwas Theologisches addiert würde, sondern "die Mündigkeit der Welt" "wird nun wirklich besser verstanden, als sie sich selbst versteht, nämlich vom Evangelium, von Christus her" 41. Auf die Fest37 WE 14. Zum Jahren" (WE 9 ff.) 38 Dazu müssen "Wer hält stand?" 39 WE 241. 40 WE 241. 41 WE 221, vgl.
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Begriff der Verantwortung vgl. die Ausführungen "Nach zehn im Zusammenhang. auch die Möglichkeiten gerechnet werden, die in dem Abschnitt (WE 10 ff.) behandelt werden. auch 219: "Zwar muß die Welt besser verstanden werden, als
stellung dieses Schnittpunktes einer Wirklichkeits erkenntnis in intellektueller Redlichkeit und des Zeugnisses der christlichen Verkündigung stoßen wir ja immer wieder bei Bonhoeffer 42, aber stets in der Weise, daß die Feststellung dieses Schnittpunktes eine theologische Feststellung ist, jenes eigentümliche Zusammentreffen darum letztlich den christlichen Glauben voraussetzt, weil das Standhalten vor der Wirklichkeitserkenntnis in intellektueller Redlichkeit und das wahre Durchstehen der "Mündigkeit" allein "vor Gott" möglich ist 43. Damit ist das methodologische Problem der Theologie skizziert, wie es hinter den gesamten Ausführungen Bonhoeffers steht. Deshalb kann man den eigentlichen Zugang zu dem, was er über die "Religionslosigkeit" sagt, nur von seinem Verständnis des christlichen Glaubens her gewinnen. Und es wird nun deutlich, daß diejenige Grundanschauung, die durch ein pures "Fertigwerden mit der Wirklichkeit ohne Gott" gekennzeichnet ist, zwar in bestimmter Hinsicht (nämlich gegen jede "religiöse" Verdeckung) das Gesetz, unter dem wir de facto stehen und das unsere Wirklichkeit ist, bloßlegt, daß sie es aber nicht in Wahrheit, d. h. unter Ausschluß aller Fluchtversuche, zur Sprache zu bringen vermag, weil sie das Gesetz nicht als Gottes Gesetz vernimmt und zur Sprache bringt. 3) Das, worauf unser Gedankengang nun notwendig hinsteuert, ist, in traditioneller theologischer Terminologie, die Frage der geistlichen Auslegung des Gesetzes. Dies erforderte aber ein Eingehen auf die Christologie, wobei dann streng daran festzuhalten wäre, daß Christus nicht legislator, wohl aber als impletor legis interpretator legis ist. Ich umreiße die Aufgabe in schulmäßiger Formulierung, nicht um sie damit dem Automatismus eines dogmatischen Schemas auszuliefern, sondern um die weiten theologischen Zusammenhänge anzudeuten, die nun in Betracht zu ziehen wären. Denn in sachgemäßer theologischer Behandlung sind Gesetz und Evangelium in keiner Weise voneinander zu sie sich selbst versteht!, aber eben nicht ,religiös' ... ", also, wie ich es formulierte, nicht im Sinne einer Ergänzung der Wirklichkeit durch Gott, sondern wie man nun sagen könnte: "theologisch" im Sinne der Erkenntnis der Wirklichkeit vor Gott. 42 Dafür besonders instruktiv außer der oben zitierten Stelle WE 241: WB 183 f. (s. o. S. 48 bei Anm. 23), 209 f. (s. o. S. 26 Anm.27). 217 f. (s. o. S. 28 Anm. 32), 242 und 246 (s. u. S. 70 f. Anm. 67). Vgl. auch die Zusammenstellung des Christen mit dem "Gebildeten" (WE 141). die ".christliche' Weltlichkeit" (WB 157). die "tiefe Diesseitigkeit" (WE 248). das Verhältnis von Christsein und Menschsein (s. u. S. 71 f.), die Nähe zum Religionslosen (s. o. S. 38 f. Anm.77). die Bemerkungen über "Die Götter Griechenlands" (WE 222), über "die Frage nach dem ,unbewußten Christentum'" (WE 252) und vieles andere. 43 "Wer hält stand? Allein der. dem nicht seine Vernunft. sein Prinzip. sein Gewissen, seine Freiheit. seine Tugend der letzte Maßstab ist. sondern der dies alles zu opfern bereit ist. wenn er im Glauben und in alleiniger Bindung an Gott zu gehorsamer und verantwortlicher Tat gerufen ist. der Verantwortliche, dessen Leben nichts sein will. als eine Antwort auf Gottes Frage und Ruf. Wo sind diese Verantwortlichen?" (WB 13)
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isolieren. Das Gesetz interpretiert das Evangelium, und das Evangelium interpretiert das Gesetz. Für ihr Verhältnis gilt sowohl ein "coniunctissime" wie ein "distinctissime". Die rechte Lehre von Gesetz und Evangelium hat darzutun, in welcher Hinsicht das Gesetz dem Evangelium vorgeordnet ist, in welcher Hinsicht aber auch das Evangelium dem Gesetz vorgeordnet ist, freilich so, daß die Ordnung "Evangelium und Gesetz" dazu dient, die Ordnung "Gesetz und Evangelium" zu bestätigen und auf keinen Fall umgekehrt. In diesen formal skizzierten Zusammenhang gehören Äußerungen Bonhoeffers, auf die zum Schluß wenigstens noch kurz hingewiesen sei, weil (im Blick auf die notgedrungene Kürze: obwohl) hier nun alle bisherigen Fäden zusammenlaufen. "Jesus ruft nicht zu einer neuen Religion, sondern zum Leben." 44 "Christus ist ... nicht. .. Gegenstand der Religion, sondern etwas ganz anderes, wirklich Herr der Welt." 45 "Jesus nimmt das ganze menschliche Leben in allen seinen Erscheinungen für sich und das Reich Gottes in Anspruch." Das Thema, um das es Bonhoeffer geht, lautet darum: "Die Inanspruchnahme der mündig gewordenen Welt durch Jesus Christus." 46 Darin läßt Gott "den Ruf des Evangeliums zu seinem Reich" ergehen 47. Denn Gottes Wort "regiert" 48. Deshalb ist für Bonhoeffers christologischen Ansatz die Aussage grundlegend, daß in Christus die Wirklichkeit Gottes und die Wirklichkeit der Welt eine Wirklichkeit sind 49. "Jesus Christus ... ist die Mitte des Lebens." 50 Und dementsprechend "faßt" Christus "den Menschen in der Mitte seines Lebens" 51. Desgleichen steht "die Kirche ... nicht dort, wo das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, sondern mitten im Dorf" 52. WE 246. WE 180, vgI. 218. 46 WE 231, vgI. 179 (s. o. S. 36). 47 WE 194: "Ein Reich, stärker als Krieg und Gefahr, ein Reich der MaCht und Gewalt, ein Reich, das für die einen ewiger SChrecken und Gericht, für die anderen ewige Freude und Gerechtigkeit ist, nicht ein Reich des Herzens, sondern über die Erde und alle Welt, nicht vergänglich, sondern ewig, ein Reich, das sich selbst seinen Weg schafft und siCh Menschen ruft, die ihm den Weg bereiten, ein ReiCh, für das sich der Einsatz des Lebens lohnt." 48 WE 236. 49 S. O. S. 22 bei Anm. 16, S. 25 f. Anm. 26, S. 29 Anm. 37, S. 30 Anm. 39, S. 31 Anm. 40, S. 60 Anm. 11. 50 WE 211. Ebenso: "Ist nicht die Gerechtigkeit und das Reich Gottes auf Erden der Mittelpunkt von allem?" (WE 184) 51 WE 227. Gerade weil es um das Reich Gottes geht, gilt: "Nicht um das Jenseits, sondern um diese Welt, wie sie geschaffen, erhalten, in Gesetze gefaßt, versöhnt und erneuert wird, geht es doch. Was über diese Welt hinaus ist, will im Evangelium tür diese Welt da sein; ich meine das nicht in dem anthropozentrischen Sinne der liberalen, mystischen, pietistischen, ethischen Theologie, sondern in dem biblischen Sinne der Schöpfung und der Inkarnation, Kreuzigung und Auferstehung Jesu Christi." (WE 184) 52 WE 182. 44
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Darum muß Gott in der Mitte des Lebens bezeugt werden 53. Der Mensch muß "an seiner stärksten Stelle mit Gott konfrontiert" werden 54. Gott will in diesem Leben und in dem, was er gerade gibt, gefunden und geliebt sein 55. Denn "in den Tatsachen selbst ist Gott" 56. Obwohl bei oberflächlichem Verständnis solche Aussagen merkwürdigerweise teils in theokratischem Sinne, teils aber auch in kulturprotestantischem Sinne mißdeutet werden könnten, kann doch gerade bei einer Lektüre im Zusammenhang gar kein Zweifel an der gemeinsamen christologischen Verwurzelung all dieser Aussagen bestehen 57. Es steht auch nicht etwa dahinter so etwas wie eine einseitige Schöpfungs- oder Inkarnationstheologie, sondern es ist beachtlich, wie Bonhoeffer gerade von der Auferstehung her am schärfsten den Gesichtspunkt der Diesseitigkeit herausstreicht 58 und darin eine vom Alten Testament herkommende Linie 59 verschärft sieht. Diese ungewöhnliche, christologisch begründete Antithetisierung des Diesseits gegen das· Jenseits, der "Mitte" gegen die "Grenze", zielt doch letztlich nicht darauf ab, die Transzen. denz zugunsten einer Immanenz, die "Grenze" zugunsten der "Mitte" aufzuheben oder zu vergleichgültigen, sondern gegen ein falsches Ver-
53 " ••• ich möChte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, niCht in den SchwäChen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen." (WE 182) "In dem, was wir erkennen, sollen wir Gott finden, nicht aber in dem, was wir nicht erkennen; niCht in den ungelösten, sondern in den gelösten Fragen will Gott von uns begriffen sein ... niCht erst an den Grenzen unserer MögliChkeiten, sondern mitten im Leben muß Gott erkannt werden; im Leben und nicht erst im Sterben, in Gesundheit und Kraft und nicht erst im Leiden, im Handeln und niCht erst in der Sünde will Gott erkannt werden" [WE 211) Vgl. auch WE 231 (s. o. S. 37 f. Anm. 73). 5< WE 236. Deshalb fordert Bonhoeffer, "daß man die Mündigkeit der V/elt und des Menschen einfaCh anerkennt, daß man den Menschen in seiner WeltliChkeit nicht ,madig maCht' ". 55 S. o. S. 62 Anm. 25. "ICh glaube, wir sollen Gott in unserem Leben und in dem, was er uns an Gutem gibt, so lieben und solches Vertrauen zu ihm fassen, daß wir, wenn die Zeit kommt und da ist - aber wirklich erst dann! - auch mit Liebe, Vertrauen und Freude zu ihm gehen." (WE 123) 56 WE 134. "... es gibt durch jedes Ereignis, und sei es noch so unglüddich, hindurch einen Zugang zu Gott." (WE 120) "Gott begegnet uns nicht nur als Du, sondern auch ,vermummt' im ,Es' und in meiner Frage geht es also im Grunde darum, wie wir in diesem ,Es' (,Schicksal') das ,Du' finden ... " (WE 151) 57 Im Anschluß an das zweite Zitat o. Anm. 53: "Der Grund dafür liegt in der Offenbarung Gottes in Jesus Christus." (WE 211) 58 .. Die Christliche Auferstehungshoffnung unterscheidet sich von der mythologischen darin, daß sie den Menschen in ganz neuer und gegenüber dem Alten Testament noch verschärfter Weise an sein Leben auf der Erde verweist." (WE 226) ... .. die tiefe Diesseitigkeit, die voller ZuCht ist, und in der die Erkenntnis des Todes und der Auferstehung immer gegenwärtig ist, meine ich." (WE 248) 59 Vgl. besonders WE 112 f., 182, 184, 185, 193, 225-227, 253 f. Diese Sicht der Bedeutung des Alten Testaments für den christlichen Glauben bedürfte einer besonderen Untersuchung.
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ständnis von Transzendenz und "Grenze" 60 das sachgemäße Verständnis herauszuarbeiten: "Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig." 61 Doch was heißt das? Sowohl dieses christologische Verständnis der "Diesseitigkeit" und "Weltlichkeit" (in dem Beieinander der Linien von Schöpfung und Altem Testament, von der Inkarnation und der Auferstehung her) als auch dessen Verhältnis zu "Religion" und "Religionslosigkeit" wird erst vollends deutlich, wenn man als Grundton in Bonhoeffers Denken die theologia erueis erkennt. Nicht daß dadurch zurückgenommen oder eingeschränkt würde, was er über "die Inanspruchnahme der mündig gewordenen Welt durch Jesus Christus" 62, über das Reich Gottes als "ein Reich der Macht und Gewalt ... über die Erde und alle Welt" 63 sagt und daß er von Gott sprechen möchte "nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht ... bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen" 64; vielmehr muß dies alles nun erst in der rechten Perspektive erscheinen und in seiner Allgemeinverständlichkeit und Allgemeinverbindlichkeit deutlich werden. Denn welche Legitimation hat ein solches Reden von Gott? Die durch die Bewegung zur Autonomie sich vollziehende "Verdrängung Gottes aus der Welt" 65 hat ihr Korrelat in dem Christusgeschehen selbst: "Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns." 66 Wogegen die "Religion" sich sträubt, gerade das wird "vor Gott" und d. h. in Christus als unsere Wirklichkeit, damit aber zugleich - und dies bleibt auch in der Entwicklung zur Mündigkeit der Welt verborgen - als Gottes Wirklichkeit offenbar 67. Ist es nicht so, S. o. S. 60 f. Anm. 13 und S. 61 Anm. 14. WE 182. VgI. auch: "Aus der Mitte und Fülle des Lebens mit dem Gebot Gottes heraus entsteht die Grenze, nicht umgekehrt." (E 221) 62 S. o. S. 68 bei Anm.46. 63 S. o. S. 68 Anm. 47. 81 S. O. S. 69 Anm. 53. 65 WE 233. " ... daß Gott immer weiter aus dem Bereich einer mündig gewordenen Welt, aus unseren Erkenntnis- und Lebensbereichen hinausgeschoben wird, und seit Kant nur noch jenseits der Welt der Erfahrung Raum behalten hat." (WE 229 f.) Vgl. auch o. S. 28 Anm. 31. 66 WE 242. 67 "Hier liegt der entscheidende Unterschied zu allen Religionen. Die Religiosität des Menschen weist ihn in seiner Not an die Macht Gottes in der Welt, Gott ist der deus ex machina. Die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen. Insofern kann man sagen, daß die beschriebene Entwiddung zur Mündigkeit der Welt, durch die mit einer falschen Gottesvorstellung aufgeräumt wird, den Blid< frei macht für den Gott der Bibel, der durch seine Ohnmacht in der Welt Macht und Raum gewinnt. Hier wird wohl die ,weltliche Interpretation' einzusetzen haben." (WE 242) ",Christen stehen bei Gott in seinem Leiden', das unterscheidet Christen von Heiden ... Das ist die Umkehrung von allem, was der religiöse Mensch von Gott erwartet. Der Mensch wird aufgerufen, das Leiden Gottes an der gottlosen Welt mitzuleiden." (WE 244) "Wenn man von Gott ,nicht-religiös' sprechen will, dann muß man so von ihm 60
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daß Gottes Ohnmacht in der Welt unsere Wirklichkeit ist? Kraft dieser Ohnmacht hilft Christus 68, Das ist die Offenbarung von Gottes Allmacht 69, Das Leben, zu dem Jesus ruft, ist die Teilnahme an der Ohnmacht Gottes in der Welt 70, Und eben dies und nichts anderes heißt "Glauben" 71, Doch sind das nicht Paradoxien, die auf keine Weise zu verifizieren sind? Nun, es geht hier in der Tat um Metanoia 72, um "eine Umkehrung alles menschlichen Seins" 73. Die Begegnung mit Jesus bedeutet die Umkehrung aller Bewertungen der Menschen 74. Das ist keinem anzudemonstrieren. Der Glaube wird nur durch Glauben verifiziert. Aber darin hat das Zeugnis vom Glauben als Glauben weckendes Wort seine Verständlichkeit und Verbindlichkeit, daß es die Wirklichkeit verifiziert und insofern allerdings bezogen ist auf die Erfahrung. Denn es spricht den Menschen auf sein Menschsein hin an und zielt auf nichts anderes ab als darauf, daß er wirklich Mensch sei. Das Christsein fügt zum Menschsein nichts hinzu, sondern setzt das Menschsein in Kraft. "Nicht ein homo religiosus, sondern ein Mensch schlechthin ist der Christ, wie Jesus ... Mensch war." 75 Hier kommt nun noch einmal all das in Betracht, was Bonhoeffer über das "Ganzsein" des Menschen 76 und über die Existenz in der Mehrdimensionalität und Polyphonie des Lebens 77 sagt. Stellten wir vorher fest, die Grundstruktur von "Relisprechen, daß die Gottlosigkeit der Welt dadurch nicht irgendwie verdeckt, sondern vielmehr gerade aufgedeckt wird und gerade so ein überraschendes Licht auf die Welt fällt. Die mündige Welt ist gottloser und darum vieIleicht gerade Gottnäher als die unmündige Welt." (WE 246) Vgl. auch o. S. 20 Anm. 6. 88 "Es ist Matth. 8, 17 ganz deutlich, daß Christus nicht hilft kraft seiner Allmacht, sondern kraft seiner Schwachheit, seines Leidens!" (WE 242) Vgl. vorige Anm. 69 "Aus der Freiheit von sich selbst, aus dem ,Für-andere-da-sein' bis zum Tod entspringt erst die Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart." (WE 259) 70 WE 246. 71 "Nicht der religiöse Akt macht den Christen, sondern das Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben." (WE 244) "Das ist die ,Metanoia', nicht zuerst an die eigenen Nöte, Fragen, Sünden, Ängste denken, sondern sich in den Weg Jesu Christi mithineinreißen lassen, in das messianische Ereignis, daß J es. 53 nun erfüllt wird!" (WE 244 f.) "Das Teilhaben am Leiden Gottes in Christus", "das ist ... ,Glaube'" (WE 245). "Glaube ist das Teilnehmen an diesem Sein Jesu." (WE 259) 72 Vgl. vorige Anm. und WE 249. 73 WE 259. n WE 231. 75 WE 248. Beachtlich die oben ausgelassene Parenthese: "im Unterschied wohl zu Johannes dem Täufer". Zu dieser Identifikation von Christsein und Menschsein - man könnte sagen: der Christ ist der identifizierte Mensch! - vgl. ferner: WE 136, 244, 249. 76 S. o. S. 31 Anm. 41, S. 65 Anm. 36. 77 S. o. S. 26 Anm.27. Dazu gehört der häufig sich wiederholende Gedanke, daß das Christsein nichts zu tun habe mit Indifferenz in bezug auf Wünsche und mit einer Temperierung der Gefühle, vielmehr sich bewährt im Aushalten starker
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gion" sei: die Ergänzung der Wirklichkeit durch Gott, und die Grundstruktur der Religionslosigkeit sei: das Fertigwerden mit der Wirklichkeit ohne Gott, so können wir nun als Grundstruktur des Glaubens formulieren: das Aushalten der Wirklichkeit vor Gott 78. In dieser Bestimmung ist der Glaube konkreter Glaube, ist "Weltlichkeit" für ihn Notwendigkeit und Geschenk zugleich 79. Das ist Bonhoeffer zur Erfahrung geworden, während er früher gemeint hatte, man könne glauben lernen, indem man so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuche 80. "Später erfuhr ich und ich erfahre es bis zur Stunde, daß man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen - sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann (eine sogenannte priesterliche Gestalt!),. einen Gerechten oder Ungerechten, einen Kranken oder einen Gesunden - und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Mißerfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, - dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der WeIt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist ,Metanoia'; und so wird man ein Mensch, ein Christ ... " 81 Das "Aushalten der Wirklichkeit" ist also soviel wie ein "Fertiggemachtwerden ", das gerade in dem Verzicht, aus sich selbst etwas zu machen, und d. h. in dem Fragmentbleiben den Menschen "ganzen Menschen" sein läßt, nicht den "Menschen an sich", sondern den "Menschen für andere" 82. Daß der Mensch in dieser Weise Mensch wird allein "vor Gott", und d. h. in der "Begegnung mit Jesus Christus", daß "das ,Für-andereda-sein' Jesu ... die Transzendenzerfahrung" und der "Glaube ... das Teilnehmen an diesem Sein Jesu" ist 83, daß darum allein die Verkündigung des Wortes Gottes als Gesetz und Evangelium durch Töten und Lebendigmachen diesen Menschen· schafft, das bewahrheitet sich
Spannungen: WE 68, 95 f., 121 f., 131, 134 f., 141, 142, 146, 161 f., 171 f., 175, 192 f., 209 f., 212, 256. 78 Der Christ "muß das irdische Leben wie Christus (,Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?') ganz auskosten, und nur indem er das tut, ist der Gekreuzigte und Auferstandene bei ihm und ist er mit Christus gekreuzigt und auferstanden." (WE 227) 79 "Er muß ,weltlich' leben und nimmt eben darin an dem Leiden Gottes teil; er darf ,weltlich' leben, d. h. er ist befreit von den falschen religiösen Bindungen und Hemmungen." (WE 244) 80 WE 248. 81 WE 248 f. Und im Anschluß an das Zitat o. Anm. 79: "Christsein heißt nicht ... auf Grund irgendeiner Methodik etwas aus sich machen (einen Sünder, Büßer oder einen Heiligen), sondern es heißt Menschsein ... " 82 WE 260. 83 WE 259.
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allein ubi et quando visum est deo und kann auch durch "nicht-religiöse Interpretation" nicht erzwungen werden. Aber daß es uns aufgetragen ist, im "Aushalten der Wirklichkeit vor Gott" uns auf die Anfänge des Verstehens zurückwerfen zu lassen, an der konkreten Interpretation von Gesetz und Evangelium herumzubuchstabieren und uns in Dienst nehmen zu lassen für ein neues Zur-Sprache-Kommen des Wortes Gottes, dafür ist uns Dietrich Bonhoeffer verpflichtende Mahnung.
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DIE "N ICH T - RE L I G lÖS EIN TE R P RE TAT ION BI B LI S C HER BEG R I F F E" BEI BON HO E F F E R UND DIE ENTMYTHOLOGISIERUNG Von Götz Harbsmeier I.
Ursprung und Ansatz der Gedanken Bonhoeffers zur nicht-religiösen Interpretation Eines ist der Vollzug von Interpretation. Ein anderes das Nachdenken darüber, was Interpretation überhaupt sei, worin sie bestehe und wie sie vor sich gehe. Dem Nachdenken über die verstehende Aneignung im allgemeinen wie über das dem christlichen Glauben im besonderen innewohnende Verstehen und dessen Verhältnis zu den biblischen Texten, in denen ihm das Wort Gottes begegnet, ist die gesamte Arbeit Rudolf Bultmanns gewidmet. In diesem Zusammenhang spielt dann auch die Frage der verständlichen Mitteilung [also der Hermeneutik) die entscheidende Rolle. Im Zuge solchen Nachdenkens ist Bultmann dann auf die Notwendigkeit einer "Entmythologisierung" gekommen, ohne welche es nach seiner Meinung bei den heute gegebenen Voraussetzungen und Bedingungen verstehender Aneignung auch keinen Glauben in intellektueller Redlichkeit geben kann. Entmythologisierung ist existentiale Analyse des in der Bibel als Mittel der Verkündigung begegnenden Mythos. Man sieht: das ganze Unternehmen bleibt bei Bultmann ganz bewußt im "Raume" des Nachdenkens über das Verstehen des Bibeltextes und will so den Charakter notwendiger Vorerwägung für den Vollzug von Verkündigung tragen und auf diese Weise dem Vollzug dienen, ohne selbst schon Vollzug zu sein. Ganz im Raume dieses Nachdenkens kann hier eine bestimmte "Lehre" über die biblische Hermeneutik entwickelt werden, mit der Absicht, der uns heute aufgetragenen Verkündigung den Dienst der intellektuellen Redlichkeit, das heißt der Gewissensschärfung für eine verantwortliche Begrifflichkeit zu erweisen. Ganz anders Bonhoeffer. Bei ihm finde ich nichts von jenem Abstand des Nachdenkens zum Vollzug, nichts von einem "Denken des Denkens", von einem absichtlich offengehaltenen Graben zwischen einer 74
existentialen Theologie und einer existentiellen Verkündigung, einer Ontologie des Glaubens und dem Glauben selbst. Ich sehe ihn vielmehr immerfort im kühnen Sprunge begriffen, ja den Abstand von vornherein gar nicht erst suchend oder herstellend, sondern ihn immer schon hinter sich habend, ständig im Akte selbst begriffen. Wo er auch arbeitet, was er auch tut, denkt und sagt: es ist offenkundig schon Entschluß und Entschlossenheit, eigentlich nie aus dem bewußten Abstand des über das Tun und Denken Nachdenkenden, sondern in der Bedrängnis und Freudigkeit des die Entschlüsse Durchdenkenden. Dieser Unterschied ist wichtig. Er ist grundlegend für die Divergenz in der Hermeneutik auf beiden Seiten. Die Nichtbeachtung dieses Unterschiedes läßt nur allzu leicht die Dinge auf einer Ebene erscheinen, die in Wirklichkeit an getrenntem Ort je ihren besonderen, nicht ohne weiteres in Einklang zu bringenden Sinn und Wert haben. Weder im positiven noch im negativen Sinne darf der Bonhoeffersche Gedankengang als Beitrag zu einer existential-theologischen Hermeneutik genommen werden, wie sie für Bultmann charakteristisCh ist. Bonhoeffer steht ganz außerhalb einer derartigen Grundkonzeption der Hermeneutik. Er maCht jedenfalls die für Bultmann so grundlegende Unterscheidung von existential und existentiell, ontologisch und ontisch nicht zum Fundament aller weiteren Erwägungen. Ja es kommt mir so vor, als sei ihm derartiges ebenso suspekt, wie es Karl Barth suspekt ist, und als habe er, wie dieser, eine geradezu instinktive, theologische Aversion dagegen. Es wird siCh zudem im weiteren Verlauf dieser Untersuchung zeigen müssen, wie bestimmend auCh für die inhaltliChen Ergebnisse es sein muß, ob jemand jene grundlegende UntersCheidung zwischen einem existentialen Verstehen und einem existentiellen "Daseinsverständnis" trifft und vollzieht, oder ob er es sich verboten sein läßt, von da her zu denken und zu leben. Am Anfang der Bonhoefferschen Erwägungen steht niCht die Problematik einer Art "Erkenntnistheorie", einer Lehre vom Verstehen geschichtlicher Zeugnisse im allgemeinen und des biblischen Zeugnisses im besonderen, sondern ein tief erschütterndes Erschrecken über die faktische Religionslosigkeit des heutigen Menschen. Bonhoeffer sieht siCh von der Entdeckung überfallen: ich lebe in einer Welt, die ohne Religion, ohne Wunder, ohne irgendeinen Gott oder auch Götzen tatsächlich "fertig wird". Er sieht, wie es dazu gekommen ist und kommen mußte (WE S. 215 f.) 1. Die Welt ist dem Menschen radikal entgöttert. Die Entgötterung ist im Prinzip auf der ganzen Linie gelungen. Es geht überall tatsächlich 1
Widerstand und Ergebung (WE), Chr. Kaiser, München, 1951.
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ohne Gott und die Götter. Das ist ein Novum in der Geschichte. Nirgends vorher weiß sich der Mensch ohne Götter, ohne Religion. Nirgends sonst "geht es" ohne Gott. Jetzt ist das Leben des Menschen in seiner Welt eine einzige Demonstration dafür, daß man allenthalben ohne Gott fertig werden kann, ohne daß sich dadurch am Lauf der Welt etwas ändern würde. Das "religiöse Apriori" besteht nicht mehr! Die Gott und die Götter verlassende und von ihnen verlassene Welt bleibt so gut und so schlecht, wie sie einst mit ihren Göttern gut und schlecht war. Die Donarseichen aller Religionen konnten und können allenthalben gefällt werden, und es geschieht darum doch nichts anderes als das, was immer geschieht 2. Dieses Erschrecken darüber, daß es tatsächlich ohne Götter, ohne Religion, ohne Wunder und ohne den christlichen Gott "geht", wird für den zur schweren Anfechtung, der aus alledem die Frage an den Christen vernimmt: "Wo ist nun dein Gott?" Die Schwere dieser Anfechtung nimmt nur zu im Blick auf die Bibel, die den religionslosen Menschen in diesem Sinne nirgends kennt. Sie kennt nur Juden oder Heiden. Beide haben ihre Götter. Der Heide ist der an die Götter und Götzen "Dahingegebene", der unter der Gewalt von Mächten und Dämonen Verknechtete. Ihre Botschaft ist die Krisis der jüdischen Gesetzesfrömmigkeit wie der heidnischen Religiosität. Religiosität im Sinne von 2 Wir haben es hier nicht mit jenen "Diagnosen" des Zeitgeistes zu tun, wie sie bis auf diesen Tag namentlich in der christlichen Journalistik der Nachkriegszeit modisch geworden zu sein scheinen. Bonhoeffer fragt nicht nach der "geistigen Situation der Zeit", um sie, - wie könnte es je anders sein? - auf ihre besondere Weise gottlos zu finden. Es fehlen bei ihm die üblichen Belege für solche Diagnosen aus den Äußerungen und Ereignissen und Befürchtungen der Zeit. Derartige Variationen der alten Klage über die gottlose Welt, wie sie seit Spener und A. H. Franke die erweddiche Predigt zu benötigen scheint, fehlen hier ganz und gar. Es steht hier nicht der Mensch unter der Anklage, gottlos zu sein. Dazu bedarf es für Bonhoeffer keiner besonderen und erschütternden Entdeckung, die im übrigen auf dem Wege jener Diagnosen sicher nie h t zu haben ist. Daß der Mensch Gott verläßt, ist Bonhoeffer wohl bewußt. Was er aber "entdeckt" und was ihn erschüttert und anficht, ist, daß Gott und wie Gott diesen heutigen Menschen verläßt und läßt. Weil es sich so verhält, darum allein handelt es sich hier für Bonhoeffer um die Versuchung der Gottverlassenheit und um dasjenige Erschrecken, das solcher Versuchung eigen ist. "Gott", in je der möglichen Bedeutung dieses Wortes als Name für das "religiöse Apriori" des Menschen, ist im Verschwinden begriffen. Jenes Apriori besteht nicht mehr. Und es ist nicht zurück zu holen. Es war Eberhard Bethge, der mich sehr mit Recht auf die Möglichkeit einer Mißdeutung der Bonhoefferschen Intention an diesem Punkte aufmerksam gemacht hat. Gleichwohl möchte ich nur um so mehr daran festhalten, daß m. E. Bonhoeffer die "Götter-Verlassenheit" des nicht-religiösen Menschen als Anfechtung nimmt und sich darin sehr kräftig von Bultmann unterscheidet, der seinerseits, weit ab von jenen journalistischen Mode-Diagnosen, das Daseinsverständnis des Neuen Testamentes mit Hilfe der Kategorien der Existenzialphilosophie zu uneingeschränkter Geltung zu bringen sucht. Daß dieses Unterfangen mit der Versuchungssituation, in der ich Bonhoeffer sehe, nichts zu tun hat, ist klar. Und auf die Feststellung dieses Unterschiedes kommt es mir hier entscheidend an.
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Abhängigkeitsverhältnissen gegenüber den Mächten, Göttern und Gewalten gehört hier offenbar zum Wesen des Menschen schlechthin. Daß der Mensch, im speziellen Sinn von Religion, hat, worauf er sein Herz setzt, wes er sich alles Guten versieht, gilt hier als eine Wesensbestimmung des Menschen überhaupt. Und alle Verkündigung des Evangeliums an diesen Menschen ist darauf aus, ihn bei seiner jeweiligen Religion zu treffen. Wo aber soll die Verkündigung den Menschen fassen, wenn für ihn nicht mehr gilt, daß er Götter habe und sich in Abhängigkeit zu ihnen verstehe, sondern daß er tatsächlich ohne alle Götter fertig wird, auch ohne den - religiös verstandenen - Gott der Christen? Was Christus für den Menschen ist, der sich durch die Werke selber vor Gott rechtfertigt, was er dem ist, der den Götzen opfert und die Götter Griechenlands verehrt, das sagt uns die Bibel. Und wer Christus für den ist, der aus dem Evangelium wiederum Gesetz und also eine Religion macht, das kann Luther noch verhältnismäßig leicht in Auslegung der Schrift denen sagen, die so mit dem Christus eine vermaledeite Abgötterei getrieben haben und treiben.
Wer aber ist Christus für den, der radikal ohne Religion "fertig wird"? Wer ist er für den, der sich schlechthin "mündig", und das heißt: unabhängig weiß nicht nur von den Göttern, sondern auch von Gott als dem fabricator mundi, und auch von dem Gott, der der Vater Jesu Christi ist? Wer ist Christus für einen, der sich und die Welt von Gott verlassen weiß und der darum gar nicht erst seinerseits Gott zu verlassen braucht? Was hilft mir da eigentlich mein biblischer "Text" und die sachgemäße und verständliche Auslegung desselben? Was hilft mir da alle Erörterung des hermeneutischen Prinzips und der anzuwendenden Methode? Mag hier alles so sachgemäß zugehen wie nur irgend möglich: läßt mich dann nicht erst recht der so ausgelegte Text darin allein, daß er mir auf meine Frage gar nicht antworten kann, weil er ja den Menschen nicht kennt, der "mündig" ist? Wie soll sich dieser mündige Mensch in dem Menschen wiederfinden können, der da zum Beispiel in den ersten Kapiteln des Römerbriefes als der Jude, Heide oder Grieche angeredet wird? Je mehr dieser Mündige begreift, was wirklich "da steht", desto mehr muß er sich ja als "mündig" nicht betroffen fühlen! Denn daß er mündig geworden ist, daraufhin redet ihn der Text jedenfalls nicht an. Man könnte höchstens sagen, der Text rechtfertigt geradezu seine Mündigkeit und bestätigt sie ihm. Er macht ihm selbst womöglich begreiflich, daß es nicht ohne diesen Text ist, wenn er nun mündig in der Welt steht und selber in ihr und mit ihr fertig werden muß. Und in einer ganz gewissen Weise hat er damit auch recht. Es fällt auf, daß Bonhoeffer mit dieser ganzen Fragestellung, die ich hier nach seinen Äußerungen in WE mit eigenen Worten darzustellen versucht habe, überhaupt nicht auf das Problem "Glaube und Verstehen" drängt, wie wir das von Bultmann her kennen. Es ist 77
offenbar so, daß er die Aporie gar nicht im "Verstehen" sieht, sondern eben in der "Mündigkeit" des in der Welt allein gelassenen Menschen. Es liegt für ihn nicht am Verstehen, wenn der mündige Mensch nicht zu hören bekommt, wer Christus für ihn ist. Es liegt daran, daß es für ihn ohne Götter und ohne Gott geht. Dieser Grund liegt wesentlich tiefer als der der bloßen Schwierigkeiten im Verstehen. Denn hier ist das Hindernis nicht das der Sprache der Bibel samt ihrer Begriffs- und Vorstellungswelt und Zeitgebundenheiten. Dieses Hindernis kann in intellektueller Redlichkeit durch die hohe Kunst der Hermeneutik grundsätzlich immer bewältigt werden, wenn es auch nach Bonhoeffer durch Bultmann nicht befriedigend gelöst ist. Bonhoeffer hat aber hier jedenfalls ein ganz anderes Interesse: nämlich das der überwindung der Anfechtung, ja Versuchung, die die mündig gewordene Welt in seiner Sicht bedeutet. Das ist etwas anderes als die überwindung sprachund vorstellungsbedingter Schwierigkeiten. Die Versuchung besteht in der Gottverlassenheit der mündig gewordenen Welt wie auch der Kirche inmitten dieser Welt. In dieser Lage sieht sich Bonhoeffer gerade so versucht, wie er es selbst in jenen Bibelarbeiten von Finkenwalde im Jahre 1937 beschrieben hat (ich halte diese Bibelarbeiten unter dem Titel "Versuchung" 3 in unserem Zusammenhang für außerordentlich aufschlußreich). Im Lichte der Situation solcher Versuchung verstehe ich es, wenn Bonhoeffer in WE sagen kann, "daß Bultmann nicht zu weit, wie die meisten meinten, sondern zu wenig weit gegangen ist, usw ... " (S. 183). Denn in der Versuchungssituation gibt es nicht nur keine Wunder, sondern auch keinen Gott mehr. Wunder und Gott gehören zusammen. Beides läßt sich nicht trennen, wie Bultmann gern will. Mit diesem scheinbar kleinen Schritt vom Wunder zu Gott selbst ist erst die Türe zu dem aufgestoßen und durchschritten, was Bonhoeffer - ganz auf anderer Ebene als bei Bultmann - erschreckt, anficht und versucht. Bonhoeffer sieht diese "mündige Welt" in einer Weise der Gottverlassenheit ausgesetzt, die ihm beispiellos erscheint. Das eine, entscheidende Glied in der Kette all dessen, was Bultmann in jener Schrift zur Entmythologisierung sonst für "erledigt" erklärt, fügt Bonhoeffer noch hinzu: Auch Gott ist "erledigt". Damit ist das ganze Problem grundstürzend verändert. Damit ist aber auch seine Lösung von anderswoher zu erwarten als von der existentialen Analyse. Denn das Hindernis für den Zugang des mündig gewordenen Menschen zu Gott ist Gott selbst und gar nicht das "Verstehen" des Menschen. Dieser Not der Versuchung der Kirche durch eine mündig gewordene Welt, das heißt also durch ihre - der Kirche - Gottverlassenheit in der Welt, hilft keine 3
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Versuchung. ehr. Kaiser, München, 1953.
Hermeneutik auf, so notwendig diese auch immer an ihrem Orte sein mag. Darum folgt auch Bonhoeffer keineswegs den Spuren Bultmanns. Vielmehr legt er diese Versuchungssituation der Kirche mit der Welt mit Markus 15, 34 aus und sagt: "Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verläßt." "Vor und mit Gott leben wir ohne Gott", "Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen an's Kreuz. Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt, und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns." "Die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen." Und hier folgt der für die ganze Rede von der Interpretation für die mündige Welt entsmeidende Satz: "Insofern kann man sagen, daß die beschriebene Entwicklung zur Mündigkeit der Welt, durch die mit einer falschen Gottesvorstellung aufgeräumt wird, den Blick freimacht für den Gott der Bibel, der durch seine Ohnmacht in der Welt Macht und Raum gewinnt. Hier wird wohl die ,weltliche Interpretation' einzusetzen haben." Hier ist davon ausgegangen, daß Gott tut, was sein Wort sagt. Gott hat uns an diese Mündigkeit dahingegeben. "Gott gibt uns zu wissen, daß wir leben müssen als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden" (WE 241). Die Situation des Auslegers ist ihrerseits bereits b!lstimmt durch das auszulegende Wort. Die Interpretation trägt dem Remnung, indem sie die Gottverlassenheit der mündigen Welt von vornherein als Handeln Gottes an ihr gelten läßt und geltend macht und eben dies einen wesentlichen Bestandteil der Interpretation selber sein läßt. "Hier wird die ,weltliche Interpretation' einzusetzen haben", sagt Bonhoeffer. Es geht hier vorerst nur um den Ansatz, nicht um mehr. Was in diesem Ansatz überwunden werden soll, ist nicht da~ Nichtverstehen des "Mündigen", sondern die Anfechtung und Versuchlmg, die der Mündige für Bonhoeffer bedeutet. Und die überwindung geschieht nicht durch wirksame Beseitigung von Mißverständnissen oder von Nichtverstehen auf der Seite des Mündigen diese sind hier noch. gar nicht im Blick -, sondern durch den Hinweis darauf, daß Gottes Sieg in seiner Ohnmacht in der Welt, also nur am Kreuz gewonnen ist. Die ganze Interpretation ist hier nichts anderes als Trost, als Ermutigung. Damit setzt die weltliche Interpretation ein. Was aber soll dem Mündigen dieser Trost? Er bedarf ja nicht des Trostes. Seine Mündigkeit besteht ja darin, daß er auch ohne christlichen Trost fertig wird. Das ist richtig. Zunächst ist es aber für den "Interpreten" von entscheidender Bedeutung, sich im Blick auf den Mündigen dadurch trösten zu lassen, daß ihm gesagt ist: Der Gott, der den Mündigen verläßt, ist der Gott, der ihm grade dadurch hilft. Bonhoeffers Andeutungen scheinen es mir immerhin zuzulassen, ja herauszufordern, hier noch etwas weiter zu gehen, als er selbst gegangen ist. Mündigkeit bedeutet ja nicht bloß, daß ich ohne Gott und die Götter fertig werde, sondern auch, daß mithin der Mündige der Selbstverantwortliche ist. Der Mündige ist der für sich und seine Welt vor
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sich selbst Verantwortliche. Diese Selbstverantwortlicb.keit ist seine Lust, aber auch seine Last, sein Stolz, aber auch seine Sorge und seine Verzweiflung. Ja, man wird sagen dürfen: die Verantwortlichkeit vor sich selbst für seine Welt ist seine Religion. Menschliche Autonomie ist auch Religion, wenn auch nicht eine im Sinne des klassischen Heidentums oder der Religionsgeschichte und Phänomenologie. Der autonome Mensch ist auch nicht ohne Glauben, nicht ohne Unterworfenheit und Abhängigkeit, selbst dann nicht, wenn er seine Autonomie als reine Willkür versteht. Nichtreligion ist also ein sehr relativer Begriff. Das Allein-fertig-werden-müssen ist in keinem Falle möglich ohne die Sorge. Die Sorge aber ist faktisch der Gott des autonomen Menschen. Und die Abhängigkeit von ihr ist durch und durch von der selben Art, wie die Abhängigkeit von Göttern nur je sein kann. Die Entwicklung zur Autonomie des Menschen im Sinne von Bonhoeffer ist, so gesehen, keineswegs ein Prozeß der absoluten Abschaffung der Religion, sondern ein solcher der zunehmenden übernahme göttlicher Funktionen und Befugnisse durch den Menschen. Das heißt aber: die Götter verschwinden dahin, woher sie auch gekommen sind: in des Menschen Herz. Und dieses Herz, das sein will wie Gott, ist nun in einem: Götze und Götzendiener, sein eigener göttlicher Herr und sein eigener Knecht. Es gibt keine· Götter mehr für ihn, weil er selbst die göttliche Verantwortung übernommen hat. Und das ist keineswegs auf die Dauer nur eine Lust, sondern schwerste Last. Nichts ist so schwer, wie die Selbstverantwortlicb.keit für die Welt. Insofern ist Trost hier wohl am Platze, je mehr einer wirklich mündig ist. Ist Mündigkeit Selbstverantwortlichkeit des Menschen, dann ist sie auch sein Verhängnis, von ihm als solches auch zunehmend empfunden. Der Mensch kann alle seine Götter abschütteln, wie er sie ja auch alle erst inthronisiert hat. Was er aber nicht abschütteln kann, das ist seine Verantwortlichkeit. Verantwortlich bleibt er auf alle Fälle, entweder seinen Göttern oder sich selbst, was keinen so sehr großen Unterschied macht. Je weniger er noch Götter hat, je mehr er ohne Götter fertig werden will und muß, desto mehr gerät er unter die Gewalt der Sorge der Selbstverantwortlichkeit, bleibt er selbst und seine Welt seiner Sorge überlassen. Und daß dieser Umstand - gar nicht in den Augen des in Sorge Mündigen, wohl aber in den Augen dessen, der alle Sorge auf Gott geworfen hat, der für uns sorgt - diesen mündigen Menschen hoffnungsvoll gegen Gott stellt, das scheint mir Bonhoeffer sehr tröstlich erkannt zu haben. Der von Gott verlassene, mündige Mensch ist der auf seine Verantwortlichkeit hin anredbare. In ihr steckt sein ganzer tödlicher Widerspruch gegen Gott. Von Gott her gesehen steckt aber auch in ihr Seine, und nicht des Menschen, Möglichkeit, den Glauben zu schaffen, der die Selbstverantwortlichkeit von dem autonomen Selbst und von der Sorge befreit. Der mündige Mensch ist so wenig ohne Gott wie der fromme Heide. Er ist von niemandem sonst als Gott dahingegeben an die Sorge und an das Selbst. Und er ist so wenig wie der Jude und der Heide fähig und willens, Gott Raum, Herrschaft und die Ehre zu geben. Aber das bedeutet nicht, daß die Ausrichtung des Evangeliums an ihn nicht ein Auftrag und eine Aufgabe wäre, die auf eine ganz andere Weise und mit anderen Mitteln als denen der Verkündigung an Juden und frommen Heiden vollziehbar sind. Mehr als den hier zur Sprache gebrachten Ansatz hat Bonhoeffer uns nicht hinterlassen, dafür aber um so mehr die Aufgabe, hier weiter zu wägen und zu wagen, was zu tun und zu sagen sei im Dienste rechter Verkündigung.
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11. Verworfene Wege der Verkündigung und der Theologie angesichts der mündig gewordenen Welt Es geht Bonhoeffer jedenfalls nicht darum, den Religionsschwund rüd
streifen wie ein Kleid oder modifizieren und umwandeln nach einem Maß, das dem Datum selbst nicht eigen ist. Interpretieren heißt offenbar für Bonhoeffer: die Auferstehung als das zur Geltung zu bringen, was sie ist, sie zu Worte kommen zu lassen als Widerfahrnis extra nos, pro nobis. Interpretation heißt aber nicht: das Datum bloß als Deutemittel, als Interpretament zu nehmen für eine "Sache" (ein Interpretandum), die selbst kein Datum, kein Ereignis, kein Widerfahrnis, kein Geschehnis, sondern - sagen wir: je meine existentielle Wahrheit ist. Es wäre nun wahrlich ein Leichtes, hier den Apologeten Bultmanns zu machen und dabei die Schwäche, die "Ainigmatik" und die Abbreviaturen eines Gefängnisbriefes für Bultmann auszunutzen. Es liegt ja auf der Hand, daß es Bultmann ausdrücklich gerade nicht um allgemeine Wahrheiten, nicht um Reduktion oder Subtraktion, sondern um Interpretation der biblischen Mythologie geht. Es wäre also sehr leicht und ebenso steril für unsere Bemühungen um das Erbe Bonhoeffers, nun einfach zu sagen: Bonhoeffer hat eben Bultmann nicht verstanden. Hätte er ihn verstanden, dann hätte er auch schon eingesehen, daß seine Intention sich mit der Bultmanns im Entscheidenden deckt. Das wäre leicht und sehr naheliegend. Es wäre aber doch kaum zutreffend. Denn hier redet Bonhoeffer in letzten Urteilen, ohne die explizite Angabe des Weges dorthin. Es könnte ja sehr wohl sein, daß er tatsächlich in der Intention mit Bultmann ganz einig ist. Einige Äußerungen scheinen mir das zu bekräftigen. Eines aber ist die Intention, ein anderes das Gelingen der Durchführung derselben. Ich verstehe Bonhoeffers Kritik an Bultmann jedenfalls als auf die Frage nach diesem Gelingen bezogen. Bultmann will nicht Reduktion und Subtraktion, sondern Interpretation. Er will die liberale Theologie an diesem Punkt überwinden. Ist ihm das gelungen? Bonhoeffer meint: nein. Denn Bultmann mißversteht, so meine ich Bonhoeffer verstehen zu sollen, den Gebrauch der mythologischen Diktion in der Bibel fundamental. Indem er unter Mythos allgemein Göttergeschichten versteht, die an sich Unanschauliches so darstellen, als wäre es in Geschichten, in Fakten und Daten objektivierbar und auch objektiviert, die also jenseitiges Geschehen in diesseitigen Begebenheiten und also "uneigentlich" aussprechen, mag Bultmann recht haben. Indem er die Aufgabe der existentialen Interpretation darin sieht, das unanschaulich, jenseitige Eigentliche ohne die objektivierenden Geschichten und durch die interpretierenden Existentialien zur Sprache zu bringen, mag er wiederum recht haben, freilich nur, solange es sich um solche mythologischen Göttergeschichten handelt, wie sie außerhalb der Bibel im umgebenden Heidentum im Schwange sind. Dieses Prinzip der existentialen Interpretation ist auf die Bibel nicht ohne weiteres, bzw. nur in sehr engen Grenzen 82
anwendbar, und zwar deshalb nicht, weil in der Bibel das Mythologische gar nicht im Dienste eines unanschaulich jenseitigen, naturhaften oder auch geschichtlichen Daseinsverständnisses, sondern der realen Offenbarungsgeschichte Gottes mit dem Menschen in der Welt steht. Durch den Gebrauch des Mythologischen in solchem Dienst ist die Interpretation vor eine geradezu umgekehrte Aufgabe gestellt. Was sonst bei einem Mythos das Uneigentliche, das anschaulich Diesseitige ist, ist in der Bibel gerade das Eigentliche, die "Sache", um die es sim handelt. Und die für Bultmann so entscheidende eigentliche "Bedeutsamkeit", zu welcher seine Interpretation vorstoßen soll, ist gerade das "Uneigentliche" , Inadäquate, Unangemessene, das ständig neu aufgegebene, mitteilende Wort. In einer gewissen Vereinfachung und Schematisierung des tatsächlich differenzierteren Sachverhaltes soll einmal die Formulierung gewagt werden: in außerbiblischen Göttergeschichten ist das eigentliche Datum die menschliche Existenz; die "Daten" der Gesmichten haben grundsätzlich bloßen Auslegungscharakter. Im bibHschen Gebrauch der Mythologie dagegen stehen jene Auslegungsdaten für die aller Auslegung vorgegebene und ihr vorgelegte, sie selbst erst schaffende, geschichtliche Tat Gottes. Und die menschliche Existenz besteht nun entweder in der gehorsamen, tätigen, handelnden, denkenden und fühlenden Auslegung dieser Tat, durch die sie gesetzt und qualifiziert ist, oder in deren tätiger Verwerfung. Was in einem außerbiblischen Mythos tatsächlich Auslegung ist, nämlich die Geschichte, die da von einer Gottheit erzählt wird, das ist in der Bibel gerade nidtt Auslegung, sondern der "Gegenstand" der Auslegung (so verstehe im es, wenn Bonhoeffer sagt: "sondern die Mythologie [Auferstehung usw.] ist die Sache!"). Und was in einem außerbiblischen Mythos tatsächlich Gegenstand der Auslegung ist, nämlich die Wahrheit der menschlichen Existenz, das ist in der Bibel gerade Auslegung, die durch jenen Gegenstand hervorgerufen wird. Mit andern Worten: in der Bibel ist die menschliche Existenz von dem Thron gestoßen, auf dem sie in einem außerbiblischen Mythos immer sitzt. Weder ist hier der existierende Mensch das Subjekt der Selbstauslegung mit Hilfe der Götter, noch ist seine Existenz in sich selbst der Fundort seiner eigenen Wahrheit. Hier ist Gott auf dem Thron. Er ist das Subjekt der Auslegung der Existenz des Menschen. Und seine Auslegung ist die Wahrheit der menschlichen Existenz. So ist die Bibel nicht ein Beitrag zur Existenzerhellung für den Mensmen, zu einem Unternehmen also, dessen Initiator heimlich doch immer der Mensch bleibt. Vielmehr ist das ganze Unternehmen dem Menschen hier aus der Hand genommen durch die Initiative Gottes. Von da her ist es ~sachgemäß und darum unzulässig, ohne Rücksicht auf den "pervertierenden" Gebrauch, den die Bibel vom Mythos macht, diesen 83
auch innerhalb der Bibel so zu interpretieren, als handle es sich hier nur um einen, wenn auch noch so besonderen Spezialfall von uneigentlicher Objektivation. Hier scheint mir der Grund dafür zu liegen, daß Bonhoeffer entgegen den klaren Intentionen Bultmanns dennoch behauptet, Bultmann sei über den Liberalismus nicht hinausgekommen. Der Liberalismus Bultmanns steckt - in der Sicht Bonhoeffers - in seinem Mythosbegriff und in der Anwendung der existentialen Interpretation auf die biblische Mythologie. Nur als Anmerkung sei hier gesagt, daß ja Bultmann in der existentialen Interpretation eine gute Waffe wider alle orthodoxen und positivistischen Objektivierungen der Offenbarung und des Heilsgeschehens sieht. Es scheint mir nun, als wolle Bonhoeffer diese Waffe im Grunde doch als ein modifiziertes, liberales Instrument ansehen, mit dem jene Objektivierungen nicht destruiert werden können, ohne daß dabei "die Sache" selbst auch angegriffen wird. Indem Bultmann nicht sieht, daß die biblische Mythologie schon als Phänomen durch ihren Gebrauch die sonst angebrachte und gebotene und fruchtbare existentiale Interpretation scheitern lassen muß, um sie wirklich fruchtbar werden zu lassen, bleibt auch er im Liberalismus stecken.
Bonhoeffer denkt sich die überwindung des Liberalismus im Zuge seiner nicht-religiösen Interpretation anders. Es steht für ihn fest, daß Bultmann eben doch nicht umhin kann, mit der existentialen Interpretation das biblische Zeugnis auf einen falschen Nenner zu bringen, nämlich den des "Wesens" des Christentums als einem geschichtlichen Existenzverständnis je meines Augenblickes als der eschatologischen Möglichkeit und Hoffnung. Bonhoeffer nennt eben das Reduktion. Reduktion ist das Gegenteil von Entfaltung und Ausbreitung von Reichtum und Fülle. Sie enthält als Auslegung die Tendenz zur Dürre. Ist aber Schriftauslegung recht verstanden, wenn sie "in dürren Worten", in unserem Falle in den Existentialien, den ganzen lebendigen Reichtum der Schriftaussagen jeweils konvergieren läßt? Wie lange kann man das aushalten? Heißt: "die Wahrheit sagen" im Sinne theologischer wie auch verkündigender Schriftauslegung auf die Dauer: mit dürren Existentialien sagen, was die Schrift offenbar in so ganz anderer, reicher Mannigfaltigkeit sagt? Wir werden auf diesen Punkt noch zurückkommen. Denn es will mir scheinen, daß wir als Ausleger gerade von dem zu lernen haben, was Bonhoeffer zu dem so überaus erregenden Problem: "was heißt: die Wahrheit sagen?" geschrieben hat. Hier kommt es nur darauf an, die Dürre nicht nur als unvermeidlich mit jeder derartigen Reduktion verbunden in Kauf zu nehmen, sondern zu erkennen, daß die reduzierende Interpretation im Sinne Bonhoeffers vor allen Dingen keine rechte Auslegung der Schrift ist. Denn sie verkennt ihren Gegenstand, indem sie die Gestalt der biblischen Verkündigung als eine mythologische nimmt, die sie dann existential interpretiert. Das Mytho84
logische in der Schrift ist aber in diesem Sinn gar nicht ein Gestaltproblem, zugleich auch Name für die Gegenwart der Sache selbst. Und der Sprung in den existentiellen Vollzug wird hier nicht etwa - wie beabsichtigt - gefördert oder ermöglicht, sondern gehemmt und geradezu verhindert. Will Bonhoeffer im Blick auf Bultmann der liberalen Reduktion wehren, so will er zur gleichen Zeit aber auch im Blick auf Barth dessen "Offenbarungspositivismus" nicht als Waffe gegen Bultmann ins Feld führen. Wiederum: nicht als ob Bonhoeffer nicht wüßte, daß Barth selbst keinesfalls Offenbarungspositivist sein möchte. Eines aber ist, was einer keineswegs sein möchte, ein anderes, was er dennoch wirklich ist und tatsächlich wirkt. Bonhoeffer verneint nicht die Intention Barths, sondern - wenn alles zu allem kommt - das Gelingen des Werkes der überwindung des Positivismus roie des Liberalismus. Bonhoeffer ist hier wie bei Bultmanns Theologie auf das Wägen der letzten Ergebnisse, auf den faktischen Erfolg des theologischen Vollzuges und nicht so sehr auf die "Meinung" der Autoren selbst gerichtet. Es gibt gelungene und steckengebliebene Bergbesteigungen. Auch in der Theologie aber entscheidet nicht so sehr die Intention, sondern das Werk und die Wirkung über das Gelingen der Bewältigung gestellter Probleme. Bonhcieffer geht auch Barth gegenüber aufs Ganze. Barth hat schon recht, wenn er die harte Rede vom "friß Vogel oder stirb" nun gerade im Blick auf seine Dogmatik aus dem Munde Bonhoeffers einigermaßen "verwirrend", errötend und ratlos machend empfindet. In der Tat: es sollte selbst einem Bonhoeffer schwer fallen, wirklich zu verifizieren, was da in dem schweren Brocken eines Gesamturteils aus der Tiefe eines theologisch angefochtenen Gewissens herausgestoßen ist. In der Tat: wo hat Barth "einem Vogel geboten, die Jungfrauengeburt zu ,fressen' oder zu ,sterben"'? ["Mündige Welt" S. 121, Brief Barths an Herrenbrück] 4. Aber auch das ist wohlgetan von Barth, die Frage, die aus solchem Urteil spricht, stehenzulassen, ohne einen expliziten Versuch einer literarischen Selbstrechtfertigung. Es kommt auch hier nicht darauf an, wer recht hat, sondern daß und wie das Rechte geschieht. Es ist hier jedenfalls nicht entscheidend, ob Bonhoeffer mit oder gegen Barth den Offenbarungspositivismus wehren will, sondern darauf, daß er ihm wehrt und roie er sich solches Wehren erfolgreich denkt. Das führt zu der Frage nach der ,Sache' der Auferstehung usw." "Die Auferstehung ist die Sache selbst" will sagen: sie ist nicht 4
Mündige Welt. ehr. Kaiser, München, 1955.
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"Ausdrmk" für ein dahinterliegendes Anderes, "Eigentliches" und daher als Ausdruck durch einen anderen Ausdruck ersetzbar. Sondern sie ist das Eigentliche, das es auszulegen gilt. Sie ist eine Selbstmitteilung Gottes, nicht hinter einem Ereignis, sondern identisch mit dem Ereignis, das da Auferstehung heißt. Das Ereignis ist eine Selbstauslegung Gottes in einer an uns vollbrachten Tat. Aber auch nach der andern Seite eines positivistischen Mißverständnisses hin muß das Datum der Auferstehung bewahrt werden. Es ist das Datum sui generis! Es ist Gabe, Geschenk, Wohltat, Heilstat und nicht zwingende "Tat-Sache". Es ist die den Glauben schaffende, ermöglichende und hervorrufende Tat Gottes, als solche aber nicht außerhalb des Glaubens zugänglich und ohne ihn in sich objektiv abgeschlossen, und darum nichts, das man "fressen" muß, wenn man nicht sterben will. Das schließt nicht aus, daß dieses Datum vor dem Glauben das "Datum" ist. Im Gegenteil! Wie könnte sonst die Auferstehung darin bestehen, daß sie den Glauben schafft, ermöglicht, hervorruft und auf den Auferstandenen richtet? Ist die existentiale Interpretation in der Gefahr, die Auferstehung zu einem Mittel der Selbstauslegung des Glaubens der ersten Jünger bzw. zu einem Interpretament des Glaubens an den Gekreuzigten zu machen, so ist die positivistische Hinnahme der Auferstehung in der Gefahr, den Glauben zu einem "Fressen" von Tatsachen zu degradieren, die mit dem Glauben nichts zu tun haben, in sich allein, für sich und "an sich" abgeschlossen stehen. Sie schaffen, ermöglichen und eröffnen nicht den Glauben. Sie bestehen nicht darin, dies alles zu tun. Sie sind nur zum "Fressen" da, und dieses' "Fressen" ist dann das Werk der anerkennenden oder verwerfenden Stellungnahme des Menschen zu ihnen. Mit einer solchen positivistischen Offenbarungstheologie darf man einer mündig gewordenen Welt sowenig kommen wie mit einer existentialen Interpretation. Die mündig gewordene Welt ist ja gerade mündig geworden gegenüber einem kirchlichen Anspruch auf Glauben an solche "Tatsachen". Und gerade das ist es ja, was aus dem christlichen Glauben immer wieder eine Religion macht: 1. der Offenbarungspositivismus, der das Datum der großen Taten Gottes dogmatisch oder weltanschaulich vergesetzlicht und das heißt vergötzt.· Und 2. dementsprechend die Verkehrung des Glaubens in eine Sollerfüllung, a) eines bestimmten Quantums gläubig für wahr zu haltender Fakten, b) der Wahrnehmung der daraus sich ergebenden Pflichten. Nicht-religiöse Interpretation im Angesicht einer alle dem zunehmend entwachsenen und widerspenstigen Welt kann nur in der Aufhebung des positivistischen Mißverständnisses und des daraus entstehenden berechtigten Mißtrauens gegen Kirche, Theologie und Pre-
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digt bestehen. Diese Aufhebung sieht Bonhoeffer trotz heißen Bemühens weder von Bultmann noch von Barth als hinreimend befriedigend und weiterführend gelöst an. Er nimmt sich vor, an ihrer Lösung zu arbeiten. Und im meine, nam seinem Tode bleibt diese Aufgabe an uns gestellt. Zwismen liberaler Reduktion und positivistischem Dogmatismus sucht Bonhoeffer nam einem Weg der Interpretation, die die berechtigte Frage der liberalen Theologie aufnimmt und beantwortet, ohne jedom Reichtum und Fülle des sim offenbarenden Gottes in der Reduktion verschwinden zu lassen, ohne die Gabe selbst für deren Einkleidung zu nehmen und beides voneinander zu scheiden. Aber aum ohne beides zusammen heimlich zu vergötzen durm irgendeine gesetzliche Objektivation. III.
"Was heißt die Wahrheit sagen?" Die Verkündigung angesichts einer mündig gewordenen Welt gelingt nicht dadurch, daß der alte "Vormund- und Lüd<enbüßer-Gott" als Arbeitshypothese auch für den mündigen Mensmen als unentbehrlich nachgewiesen wird. Der Scharfsinn, mit dem eine gewisse Apologetik zynism dem Menschen auf der Spur ist, um ihm die Stellen zu zeigen, an denen es deutlich wird: es geht doch nicht ganz ohne Gott, ersmeint Bonhoeffer mit Recht verwerflich. Nicht an den ganz geheimen, nom so entlegenen "wunden Punkten", an den "Grenzen" ist der mündige Mensm zu fassen und für die Verkündigung aufzuschließen, sondern inmitten seiner ganzen Profanität, in seiner Weltlichkeit. ,,- ich möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen" (WE S. 182). "Das ,Jenseits' Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens! Die erkenntnistheoretische Transzendenz hat mit der Transzendenz Gottes nichts zu tun. Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig. Die Kirche steht nicht dort, wo das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, sondern mitten im Dorf ... " (ebd.). Deutlich genug ist hier die Frage nicht die: wie kann ich den, der kein "Organ" mehr für Transzendenz hat und daher die biblische Sprache als Sprache der Transzendenz mißversteht, über sein Mißverständnis aufklären?, sondern die: liegt hier überhaupt die Transzendenz vor, die bis zu Bultmann hin immer wieder allzusehr als das eigentliche Problem des Verstehens angesehen wird? Und Bonhoeffer gibt eine eindeutige Antwort: "Das Jenseits Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens!", auch nicht das der "Metaphysik" 87
(WE S. 180), sondern das des "Verlassens", wie oben ausgeführt worden ist. So verstehe ich den Satz: "Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig. " Gewiß gibt es das Problem des Verstehens von metaphysisch-mythologischen Texten der Bibel und also die hermeneutische Frage in dem Sinne des sachgemäßen heutigen Ausdruckes für ein Geschehen, dessen Inhalt und Bedeutsamkeit "jenseits" konstatierbarer Wirklichkeit liegt. Aber dieses Bultmanns ganze Arbeit durchgehend bestimmende Problem ist nicht das Anliegen Bonhoeffers. Abseits von einer derartigen, ihm im Grunde fremden Fragestellung ist ihm in einem als solchem nicht weiter der Reflexion unterliegenden Vollzug existentiellen Verstehens - horrible dictu für Bultmann - an einer "Interpretation" von Gottes Jenseits inmitten unseres Lebens als dem "Verlassen" gelegen, durch das hindurch Gott "Raum" in der Welt gewinnt. Natürlich sagt Bonhoeffer nirgends, Gott sei jemals eine "diesseitige", meßbare und konstatierbare "Größe". Diesseitig ist Gott für ihn nur in dem Sinne, daß der Mensch und die Welt nie ohne Gott sind, oder vielmehr, daß Gott nicht ohne den Menschen sein will, auch nicht, wenn er ihn "für eine kleine Zeit" verläßt. Er ist aber nicht diesseitig im Sinne der Immanenz als dem Korrelat zur erkenntnistheoretischen Transzendenz. Wie nun Bonhoeffer zu solcher - immerhin doch so zu nennenden Erkenntnis, bzw. zu einem Verständnis gekommen ist, nach welchem eigentümlichen hermeneutischen Prinzip er hier verfahren ist, das auch dann vorliegt, wenn es dem Erkennenden unkritisch nicht bewußt ist, das interessiert Bonhoeffer nun einmal nicht. Dafür hat er sozusagen gar keine Zeit, und auch nicht den nötigen Abstand der Reflexion. Das aber würde Bultmann interessieren. Und das Verlangen nach einer Rechenschaftsablage in dieser Hinsicht kann zwar nicht abgewiesen werden, bleibt aber im Falle Bonhoeffers unbefriedigt. Ähnlich wie Barth scheint Bonhoeffer jenes Verlangen darum suspekt zu sein, weil es in der Form, wie es von Bultmann geltend gemacht wird, einen Aufenthalt in einem Raum der distanzierten Existentialität voraussetzt, den der Glaubende nicht betreten kann, ohne sich selbst zu suspendieren. Es scheint so, als widerstrebe es auch Bonhoeffer mit Macht, sich selbst betrachtend vom Glauben zu distanzieren, um zu bedenken, was Glauben ist und wie der Glaubende sich selbst versteht. Die "Wahrheit", die allenfalls aus dieser Distanz heraus über den Menschen gesagt werden könnte, wäre eine "kalte" Wahrheit. So jedenfalls kann dem mündigen Menschen nicht die Wahrheit gesagt werden, wie dies Bonhoeffer vorschwebt. Er will also diesen Menschen nicht an seine "Grenzen" führen, um ihm an den Stellen seines Vers agens den Gott nahezubringen, der hier
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noch seinen Raum hätte. Er will mitten in seinem Leben, da, wo er stark und "gut", tüchtig und in seinem besten Streben begriffen ist, Christus verkündigen als den Gott, der mit uns ist, indem er uns verläßt. Hier, und nicht an den Krisenpunkten soll ihm gesagt werden, wer Christus gerade für ihn ist. Er soll dies nicht auf dem Umweg über die Religiosität erfahren. Die Religion soll nicht die Bedingung werden, unter der er das erfahren wird. Der mündige Mensch muß nicht erst religiös "verschnitten" werden, um ein Christ sein zu können, sowenig die Beschneidung für die Heiden in der Mission des Paulus eine Vorbedingung sein sollte. Christus soll ihnen Weg, Wahrheit und Leben werden ohne den Umweg über eine religiöse Deutung, wie sie die landläufige Kirchlichkeit, ohne sich dessen auch nur allenthalben bewußt zu sein, immer wieder gibt und verbindlich macht. Das würde ein radikales Ende der kirchlichen Praxis bei Häuptern wie bei den Gliedern bedeuten. Denn was die empirische Kirche immer noch unentwegt ist und worin sie sich nach dem Tode Bonhoeffers immer mehr verfestigt und stark macht, das ist eine Religion: die "christliche" Religion. Daran ändern die modernen Formen der Evangelisation und Missionierung der Massen und der Gruppen wie der Stände und Einzelnen gar nichts. Sie bestätigen und betätigen nur dir') Religion. Unabsehbar ist, was die nicht-religiöse Interpretation für die Kirche in der Welt und für die Welt bedeuten würde. Sie müßte einen totalen Gestaltwandel auf Grund einer innersten Veränderung ihrer Substanz zur Folge haben. Deshalb ist die inzwischen fast modische Bonhoeffer-Verehrung ein für die gegenwärtige Struktur der Kirche explosibles Unterfangen, falls diese Verehrung nicht taub bleibt, sondern hörend wird, daß das "religiöse Apriori" einmal aufhört, Apriori zu sein. Was Bonhoeffer im Grund vorschwebt als nicht-religiöse Interpretation, halte ich für eine Sache der "Weisheit". Ich kenne keinen Theologen der jüngsten Zeit, der auf mich SQ sehr den Eindruck eines rechten Weisheitslehrers gemacht hat wie Bonhoeffer. Es ist nicht von ungefähr, daß er sich dem Alten Testament selber so nahe und verbunden weiß. Dort nämlich ist jene Weisheit, die ich hier meine. Da ist noch nicht jenes hellenische "Verstehen", das hernach die Weisheit, die wir insbesondere aus der Gattung der biblischen Weisheitsliteratur kennen und die uns auch sonst allenthalben im Alten Testament begegnet, mehr und mehr verdrängt und durch das ersetzt, was wir "Theologie" nennen. - Es ist sachgemäß, von der Theologie des Paulus und des Johannes zu sprechen. Dagegen ist es angebracht, bei dem Alten Testament von dessen "Weisheit" zu sprechen. Bonhoeffer hat gewiß eine Schwäche für die Theologie - im positiven wie im negativen Klang dieses Wortes -. Seine "Stärke" aber ist die Weisheit. 89
Und seine eigentlichen Leistungen in der "Ethik", ganz besonders in der "Versuchung", aber auch in seinen mehr "philosophischen" Schriften wie der "Sanctorum Communio" und "Schöpfung und Fall" liegen in der Richtung der Weisheit, die aus dem Worte Gottes in Vollmacht zu schöpfen weiß. Was zum Beispiel Bonhoeffer in der Ethik von der Scham sagt, das ist nicht eigentlich Theologie, sondern Weisheit. Sie hat zur Theologie hin eine Grenze. So scheinen mir auch Bonhoeffers Grenzen eben dort zu liegen, wo die Weisheit ihre Grenzen zur Theologie hin hat. Ich sage das deshalb, weil es mir darum geht, das Erbe Bonhoeffers nicht in ein "genus" hinübergetragen zu sehen, in dem es seine eigentliche Leuchtkraft verliert. Ich halte Bonhoeffer für einen rechten Weisheits lehrer der Kirche. Auf dem eigentümlich vollmächtigen propheteuein seiner Rede, auch wenn sie im schweren Rüstzeug lutherischer Theologie ergeht, beruht seine Wirkung. Hier liegt sein besonderes Charisma. Eine in unserer Zeit sehr. selten gewordene Gabe. Wer immer die Arbeit Bonhoeffers weitertreiben will, der sehe nur zu, daß er eine Frage, die letztlich an die Weisheit unter den Gliedern der Gemeinde gerichtet ist, nicht allzu geschäftig "theologisiert" und damit unfruchtbar macht. Es läuft doch bei all den Gedanken, die Bonhoeffer sich zur Verkündigung angesichts einer mündigen Welt macht, alles auf die Weisheit hinaus, heute und hier dem Mitmenschen "die Wahrheit" zu sagen. Ist schon die Entmythologisierung bei Bultmann keineswegs ein Programm, sondern als eine theologische Aufgabe des Verstehens gedacht, die nicht nach praktikablen Rezepten zu leisten ist, wieviel mehr gilt das Entsprechende von der so ganz anders gemeinten "Sache" der nicht-religiösen Interpretation. Sie ist eine Sache der Weisheit, die der Theologie genug zu denken gibt. Wenn aber nur die Theologie hier das Wort zu führen hätte, dann würde dem mündigen Menschen die Wahrheit gewiß nicht auf die rechte Weise gesagt. Denn die Theologie, sofern sie selbst nicht der Vollzug von Anrede ist, sondern das Bedenken dessen, daß das Wort Gottes Anrede ist, und was es als solche zum Inhalte hat, sagt die Wahrheit anders, als sie in direkter Anrede an den Mündigen gesagt sein will. Daher kann einer ein trefflicher Theologe sein, ohne als solcher schon geschickt zu sein, seinen Mitmenschen recht die Wahrheit zu sagen. Es ist nicht die Theologie, sondern die Weisheit, die uns das rechte Wort im Vollzuge der Interpretation gibt. Nach Bonhoeffer gibt es ein "zynisches", nur dem Interesse der "Erhellung" dienendes Die-Wahrheit-Sagen, das Lüge ist. So gibt es auch in unserer Interpretation ein theologisches Die-Wahrheit-Sagen, das in conspectu ecclesiae nicht die Wahrheit ist (WE S. 218 ff.). Das macht die Bemühung der Theologie nicht überflüssig.
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Es kann keine Weisheit geben, die den Dienst der Theologie verschmäht. Es gibt aber auch keine rechte Theologie, die nicht mehr weiß, daß sie von der Weisheit lebt. Dem Mündigen die Wahrheit sagen, die Christus für ihn ist, ist sicher nicht die Sache einer bloß "angewandten Theologie". Es bedarf dazu nicht bloß des theologischen Einfalles und Scharfsinnes, sondern darüber hinaus der Weisheit, die damit umzugehen weiß im Ernstfalle. Auf dieser Linie bewegt sich Bonhoeffer. Es muß sich erst noch zeigen, was die Bonhoeffersche Hermeneutik der Weisheit wirklich hergibt. Eine wichtige Entscheidung darüber wird eben der mündige Mensch haben. Wir werden ihn auf seine Selbstverantwortlichkeit hin anzureden haben, auf den darin liegenden Widerspruch zu dem Christus, den wir predigen, zu dem Ohnmächtigen, der in den Schwachen mächtig ist. Hier werden wir wohl einzusetzen haben mit der Bitte um den Geist, der den Glauben schafft. Gebe Gott uns die Weisheit, die uns dann weiter aus der Fülle des Wortes Gottes schöpfen läßt, die dem "mündigen" lebendiges Wasser gibt.
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II. VERSCHIEDENES
DIETRICH BONHOEFFER - DER MENSCH UND SEIN ZEUGNIS* Von Eberhard Bethge I.
Die Stimme Dietrich Bonhoeffers hat einen vielfachen Klang. Es ist nicht sofort möglich, die eine tragende Formel aus der Vielfalt ihrer Aussagen zu hören. Die Angeredeten haben gewechselt und er hat für jeden ein anderslautendes Wort: für die Theologen um das Jahr 1930; für die Synodalen in der Mitte der dreißiger Jahre; für Christen und Bekenntnislose in öffentlicher Verantwortung um das Jahr 1940. Seine wache Fähigkeit, auf den Partner zu hören und nicht an ihm vorbeizureden, bestimmt einen verschiedenen Stil. So versteht er zu argumentieren und zu lehren, dann zu verkündigen und zu beschwören und schließlich zu raten und zu lösen. Mit den alten Worten seiner Kirche baut er nicht nur Vorstellungen auf, sondern schafft Realitäten, innere und äußere neue Konstellationen. Immer ist sein Wort von Wagnissen und Experimenten begleitet. Er argumentiert zunächst in systematischen Arbeiten mit Theologen und Philosophen über die Kirche. Er gerät in der zweiten Periode in Zweifel, ob er bei der Disziplin der Systematik bleiben soll; seine Leidenschaft ist nun bei der Auslegung des Alten und Neuen Testaments. Theologisch Stellung beziehen ist jetzt kein Spiel mehr, sondern confessio und damnamus. In der ersten Periode hat er zu verstehen versucht, wie Christus in der konkreten konsistorialen Kirche gegenwärtig ist, und betont, daß er nirgends anders zu haben sei als in ihrer empirischen irdischen Gestalt. Jetzt ist zu verkündigen und zu unterscheiden, daß mit IHM nicht ein zahmer, auswechselbarer Herr gegenwärtig sei, sondern ein Herr, dessen Gnade in Gehorsam ruft und keine Vermischung mit den trunkenen Sätzen des "deutschen Frühling" duldet. Die dritte Periode aber bietet ein Bild im Entwurf, fragmentarisch und im Stadium der brieflichen Meditation. Die Periode des Katheders, die * Vortrag, gehalten auf der Feier zum 10jährigen Todestag, veranstaltet von der Evangelischen Kirche der Union in Bonn am 11. 4. 1955.
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Periode des Talars treten zurück und vor uns steht der Mann der Briefe und der Zettel. Entsmeidungen nam vorn sind zu treffen, mit befreitem Gewissen. Von Mann zu Mann ist Ja und Nein zu finden, nimt in den klaren "letzten Dingen", sondern in den "vorletzten", zweideutigen und mit Blut befleckten Angelegenheiten verantwortlimer und smuldig gewordener Bürger. Und so ist die Frage in Bonhoeffers letzten Briefen keine Kathederfrage mehr, sondern eine brennende Existenzfrage: wie denn Christus hier gegenwärtig und wer er eigentlim heute unter solmen Mensmen ist. Bonhoeffer läßt sim nun nimt mehr in einen sauber umgrenzten Bereim verweisen. Er taumt in allen drei Bereimen auf: auf dem Katheder, auf der Kanzel und auf dem Rathaus, und das nimt nur beiläufig, sondern jeweils mit der ganzen Smärfe seiner Analyse und dem beunruhigenden Wagnis ungesimerter Vorstöße. Das ist verwirrend für unser herkömmlimes Kirmentum und das gefällt uns in unserer gegenwärtigen Situation nimt sehr gut; die saubere Teilung wäre so viel bequemer. Aber Bonhoeffer hat gewußt, was er tat, und ist nimt leimtfertig von dem einen auf das andere Podium hinübergeglitten. Es waren immer Entsmeidungen in der WaclJ.heit und Nümternheit des Glaubens. So muß in dem, was er selber nur als "Fragment seines Lebens" bezeimnete, gerade das Gesmenk eines Lebens gesumt werden, das seine Fülle umgreift. Man wird finden, daß es durm alle Stadien einen unersmütterten Beziehungspunkt enthält und daß dieser sim entfaltet in die Bereime des Geistes und der Frömmigkeit, des Willens und der Spiele, der heißen Wünsme und smmerzlimen Opfer, der Selbst- und der Nämstenliebe. Das ist es, was uns von seinen Briefen nimt loskommen läßt: das Leben wird durm seine Augen hindurm bunt und voller Abenteuer, ohne dom den smalen Gesmmack der Zerstreuung zu hinterlassen; hinter allem lebt ein konzentriertes Verhältnis zu dem Jesus aus Nazareth, ohne dom je in die Nähe der penetranten Absimtlimkeit zu gelangen. Der Engländer Payne Best, der Bonhoeffer erst in den letzten Lebenstagen seit Bumenwald kennenlernte, smrieb in seinem Bum "The Venlo Incident": "Bonhoeffer smien mir immer eine Atmosphäre von Glück, von Freude über jedes geringste Lebensereignis und von tiefer Dankbarkeit für die bloße Tatsame zu verbreiten, daß er lebendig war ... Er war einer der sehr wenigen Mensmen, die im jemals getroffen habe, für die Gott real und immer nahe war . . . " [So 180).
Man mag sim fragen, ob wir mit unseren gegenwärtigen Versumen, aus der Isolierung der Kanzel oder des Katheders herauszukommen, immer sehr glücklim, klar und gesmickt sind; man sollte sim jedom nimt allzu unglücklim mamen lassen durm Wamstumssmmerzen und 93
verunglückte Gehversuche. Bonhoeffer erlaubt uns jedenfalls nicht, sehnsüchtig in die goldene Zeit der sauber getrennten Gartenzäune zurückzublicken, hinter denen man sich auf ein gelegentliches friedliches Gespräch über den Zaun beschränken konnte.
II.
Wer versucht, das Zeugnis des ganzen Bonhoeffer zu fassen, findet die widersprüchlichsten Formeln, jede voll explosiver Kraft. 1. Man kann und man hat sich ihm genähert von der "Nachfolge" und vom "Gemeinsamen Leben" her. Und man findet einen Mann mit überzeugendem Ruf zu Gehorsam und Zucht. 2. Man kann sich ihm nähern von den Schriften und Aufsätzen über die Kirche und ihre Grenzen. Und man findet einen Mann, der das Seelenheil überzeugend an die Grenzen der Kirche bindet. 3. Man kann sich ihm nähern - und Unzählige tun das heute - von der heftigen Kritik an der Kirche und ihrer Predigt in den Briefen der letzten Zeit. Und man findet endlich einen Mann, der vom Dogma befreit und selbst für Christus nach neuen Umschreibungen greift. 4. Man kann sich ihm nähern von der "Ethik" und der Widerstandsbewegung her. Und man findet endlich einen Christen, der handelnd und schreibend Revolution und Pazifismus nicht den Minderwertigen überläßt. Das Bild muß viermal gemalt werden: der mönchische, der orthodoxe, der liberale und der politische Bonhoeffer. Es gäbe freilich noch Elemente, die zum Ganzen der Person und ihrem Verständnis dazugehören: eine unübersehbare bürgerliche und konservative Seite. Sie wird sichtbar in der Ethik, im Roman und Dramenfragment. Es gibt dort Stellen, die fast dazu verleiten, Bonhoeffer zum vollmächtigen Vertreter der Idee des christlichen Abendlandes zu machen. Ausländer haben gelegentlich Schwierigkeiten und fragen, ob er nicht doch nur ein Deutschland von 1910 im Herzen hat und vertritt. Tatsächlich ist seine ganze Persönlichkeit aus Herkunft und Umgang noch einmal gesteigert grade in den letzten Lebensjahren - gesättigt mit einer Liebe zur Tradition und zur Kontinuität des geschichtlichen Erbes. Der Mensch braucht "Boden unter den Füßen" (Mündige Welt S.13).
Da ist ein anderes Element, das Karl Barth mit der "lutherischen Schwermut" oder mit der "schwermütigen Theologie der norddeutschen Tiefebene" umschreibt (Ev. Theol. 55, 245). Es gäbe einiges zu berichten, wie die acedia (WE 92) zuweilen eine zerstörerische Gewalt in Bonhoeffers Leben bekommen konnte -, aber es wäre auch zu be94
richten von ihrem schönen Gegenstück, der hilaritas, welche er in Widerstand und Ergebung (S. 156) in langer Ahnenreihe von Walter von der Vogelweide bis zu Barth selber hin entdeckt und die er "als Zuversicht zum eigenen Werk, als Kühnheit und Herausforderung der Welt und des vulgären Urteils, als feste Gewißheit, der Welt mit dem eigenen Werk, auch wenn es ihr nicht gefällt, etwas Gutes zu erweisen, als hochgemute Selbstgewißheit beschreiben möchte". Und mit Genuß entdeckt er den Satz von Lessing "Ich bin zu stolz, mich unglücklich zu denken - knirsche eins mit den Zähnen - und lasse den Kahn gehen, wie Wind und Wellen wollen. Genug, daß ich ihn nicht selbst umstürzen will!" (WE S. 134). Ich möchte aber das Bild in den vorhergenannten vier Richtungen ein wenig näher andeuten. Ich möchte einladen, je die Richtung des Weges mit voller Wendung einzuschlagen und, was da anzutreffen ist, in seiner Ausschließlichkeit stehenzulassen und lange auszuhalten. Bonhoeffer will hinhören, wenn der Wille Gottes zu erlauschen ist. Er hat Furcht, ihn durch eine frühzeitige Systematisierung nur zu zähmen. Die kleine Bibelarbeit "Versuchung" ist mir immer ein klassisches Beispiel gewesen, wie er hinhört und keinen vorzeitigen systematisChen AusgleiCh widerspruchsvoller Worte der SChrift versuCht. Bonhoeffer kennt vielleicht nur ein Verbot: nämlich von Christi Aufträgen und von seinen Erlaubnissen zu klein und zu milde zu denken. So wird es nicht darum gehen können, ein wohlgeordnetes, domestiziertes Zeugnis Bonhoeffers herauszukristallisieren, um ihm einen zufriedenen Beifall zu spenden, sondern darum, daß wir ohne Ängstlichkeit seine Fragen im eigenen Experiment überprüfen.
1. Da ist zunächst ein Bonhoeffer, der wie ein mönchischer Asket erscheint. Nicht nur Karl Barth hat seine Bedenken über ihn geäußert (s. "Mündige Welt" S. 119 f.). Man fürchtete, daß ein Mann mit seinem Einfluß und Format ein Führer in eine unevangelisChe Richtung werden könnte. Man hörte aus der Nachfolge heraus, daß er aus der Gnade Gottes eine unerschwinglich teure Sache macht. WirkliCh hat sich Bonhoeffer während seiner englischen Zeit die evangelischen neuen Kloster- und Ordensgründungen der Anglikaner interessiert angesehen und immer eine Offenheit für ihre Ordnung eines gemeinsamen Lebens behalten. WirkliCh hat er selbst den Versuch eines "Bruderhauses" gewagt, den Bruderrat der Altpreußischen Union in AnspruCh genommen und erstaunlicherweise damals dessen Erlaubnis und die Freigabe der "Brüder" für Finkenwalde erreicht. NiCht er, sondern Himmlers Auflösung des Predigerseminars beendete den VersuCh 95
nach zwei Jahren Bestehen. Wirklich hat Bonhoeffer uns zugemutet, Weihnachten und Ostern dort und nicht zu Hause zu verbringen, in der christlichen und nicht in der bürgerlichen Gemeinschaft. Er hat auch gemeint, nicht nur Theologie, sondern ebenso das Beten lehren zu müssen. Er hat es fertiggebracht, die Praxis der Beichte zu erneuern, ohne vorher aufdringlich doziertes Programm. Zucht im Umgang miteinander und im Reden übereinander waren plötzlich Realitäten. Wenn sich heute entstehende christliche Lebensgemeinschaften in Deutschland oder in Frankreich für Bonhoeffer interessieren, haben sie ein legitimes Recht dazu. Dieser Bonhoeffer ist stark und unübersehbar. Aber die Zucht wurde doch nie ein Selbstzweck. Das ist sehr deutlich zu lesen in dem Brief an den Altpreußischen Rat zur Einführung des Bruderhauses ("Mündige Welt" S. 9 f.). Dazu sei noCh ein anderes Dokumentzitiert, das uns in manChen modernen Auseinandersetzungen hilfreiCh sein könnte. In einer Debatte 1936 mit den sogenannten "Neutralen" hatten Bonhoeffers SChüler die Geduld verloren und jemand prangerte den "zügellosen Beifall und den dämonisierten Fanatismus der radikalen Finkenwalder" an. Bonhoeffer schrieb darauf: " ... Wenn es in einer solChen Stunde (i. e. wo es um den reChten oder unreChten Weg der KirChe geht) dann auCh einmal zu leiChten psyChisChen Explosionen kommt, so kann iCh miCh darüber niCht so sehr ereifern. Es geht ja wirkliCh um noCh WiChtigeres ... Verfehlungen im Ton der Rede und im zuChtvollen Verhalten sind reparabel ... Sehr viel sChwerer reparabel aber ist es, wenn die KirChe in ihrem Zeugnis von Christus den Weg der Treue und der Wahrheit verläßt. Eine ZuCht, die niCht mehr dem leidensChaftliChen Protest gegen die VerfälsChung der Wahrheit Raum läßt, kommt niCht mehr aus der Ganzheit des Gehorsams gegen Jesus Christus, den Herrn, sondern wird zu einem willkürliChen ChristliChen Ideal, einem selbsterwählten Werk. ICh brauChe Ihnen niCht zu sagen, daß iCh mit Ihnen darin einig bin, daß jede ZuChtlosigkeit die von uns verkündigte Wahrheit unglaubwürdig maCht. Aber Verheißung hat allein das reChte Zeugnis von Christus und niCht das Werk der ZuCht." Bonhoeffers EindringliChkeit ist die Fähigkeit, die SaChe aufregend und bindend zu maChen. Sie ist fern jeder ZudringliChkeit, weil er niChts höher aChtet, als MensChen auf die eigenen Füße zu stellen. Das Gefühl für Zeit, Ort und Situation des Gegenübers waren außerordentliCh waCh in ihm. ICh erinnere an die Charakteristische Stelle, als er im Bombenhagel dem naCh Gott sChreienden Mann neben siCh mit dem Blick auf die Uhr nur zuruft: "Es dauert höChstens noCh zehn Minuten" (WE S.140).
Der Bonhoeffer, der die Geheimnisse der NaChfolge und des Gemeinsamen Lebens aufdeckt, weiß auCh zwingend die Geheimnisse des irdi96
schen Lebens zu öffnen. Wie kann er über die Sonne reden, daß sie ihm wieder einmal auf die Haut brennen möchte und den ganzen Körper zum Glühen bringt, "so daß man wieder weiß, daß man ein leibliches Wesen ist" (WE S. 227). Er freut sich über die heiße und glühende Liebe des Hohen Liedes: "Es ist wirklich gut, daß es in der Bibel steht, all denen gegenüber, die das Christliche in der Temperierung der Leidenschaften sehen" (WE S. 192). Seinem Nachfolger im Predigerseminar 1939 (Amerikareise) hinterließ er einen Zettel auf dem Schreibtisch mit der Bitte, im Unterricht die angegebenen Gegenstände weiterzuführen, mit der Ermunterung, daß er eine der schönsten Arbeiten in der Bekennenden Kirche übernehme, und dann mit der ausdrücklichen Ermahnung, bitte recht viel mit den Brüdern in dem nahen Wald spazierenzugehen. 2. Der zweite ist ein orthodoxer Bonhoeffer. Dieser scheint die Kirche zu verabsolutieren und zum reinen Selbstzweck zu machen. Tatsächlich ist sie in ihrer empirischen Gestalt die Wirklichkeit, in der er lebt und denkt; aus ihr und für sie hat er geschrieben und gesprochen. Sie war die Entdeckung seiner ersten Periode, sie war die Freude und Sorge der zweiten - und sie war die Enttäuschung und die Hoffnung der dritten Periode. Eine andere als die Bekennende Kirche anzuerkennen, hat er in den Jahren der Verwirrung und der Schwäche nicht für möglich gehalten. Tatsächlich konnte man ihn so verstehen, als wenn er die Grenzen der Bekennenden Kirche mit Gottes eigenen Grenzen unbarmherzig gleichsetze. Tatsächlich hat er mit Gründen des Seelenheils um Neutrale und Abtrünnige gerungen. Und tatsächlich hat er in den Entscheidungen der Bekenntnissynoden Entscheidungen des Heiligen Geistes selber gesehen. Mit wachsender Trauer sah er freilich so ernsthafte kirchliche Beschäftigungen wie die Liturgik zum Alibi für andere Unterlassungen werden; "nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen". Mit wachsender Verachtung sah er innerhalb der Bekennenden Kirche auch den beginnenden Rückzug hinter die Bekenntnisse des 16. Jahrhunderts - die er doch selber so gut kannte und die er in jedem Semester von neuem zu lehren liebte. Aber die Union hielt er eher für etwas Verheißungsvolles als für etwas Böses. Mit lautem Protest sah er 1938 das Zurückweichen in der Eidesfrage mit an: "Ich kann die Schuld, die die Bekennende Kirche durch die ,Weisung' zur Eidesleistung auf sich geladen hat, nur als Folge eines Weges ansehen, auf dem der Mangel an Vollmacht, an Bekenntnisfreudigkeit, Glaubensmut und Leidensbereitschaft schon längere Zeit mitten unter uns spürbar geworden ist ... " (Brief an APU-Bruderrat vom 11.8. 38.) 97
Aber Trauer, Verachtung und Protest haben seine theologisch verwurzelte Bindung an die vorhandene empirische Kirche nicht in Frage gestellt. Hierher gehörte eigentlich ein ausführlicher Abschnitt über den oekumenischen Bonhoeffer, der gerade aus seiner antiliberalen Entdeckung der Kirche zu einem der stärksten frühen Vorkämpfer der Oekumene in Deutschland geworden ist, in Handlungen, in einer noch nicht zusammengestellten, spannenden Korrespondenz und in grundsätzlichen Aufsätzen. Er sah die Probleme der Konfessionen und Denominationen in ihrer ganzen Schärfe, aber ebenso ihre oekumenischen Möglichkeiten nach vorn. Aus seiner "orthodoxen" Treue zur Kirche hat er dann so unorthodox reden können. Aus dieser Treue kommt die Schärfe, mit der er daran leidet, daß die Kirche zum Selbstzweck erstarrt ist. "Unsere Kirche, die in diesen Jahren nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat, als wäre sie ein Selbstzweck, ist unfähig, Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen der Welt zu sein" (WE S. 206). "Dir Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. Um einen Anfang zu machen, muß sie alles Eigentum den Notleidenden schenken. Die Pfarrer müssen ausschließlich von den freiwilligen Gaben der Gemeinden leben, evtl. einen weltlichen Beruf ausüben. Sie muß an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend" [WE S. 261). Wird aus dem Orthodoxen hier nun doch der Schwärmer? Und mit ihm dann zum Beispiel auch H. Symanowski mit seinem Mainzer Versuch? Wenn wir die Sache damit beiseiteschieben, sind wir jedenfalls nur noch schwächliche Orthodoxe, absorbiert vom Flicken der Bekenntnis-Zäune um unsere Schrebergärten, einem hobby für den Feierabend. 3.
Dem mönchischen und dem orthodoxen Bonhoeffer steht nun heute noch ein ganz anderer gegenüber, wieder ein zweifacher: der liberale und der gefährlich politische Bonhoeffer. Dieser dritte und vierte scheint endlich die Kirche so resolut zu verlassen, wie der erste und zweite unerbittlich hat an sie fesseln wollen. Am Grabe Adolf von Harnacks hat Bonhoeffer im Namen der Schüler gesprochen: " ... Es wurde uns an ihm deutlich, daß Wahrheit nur aus Freiheit geboren wird. Wir sahen in ihm den Vorkämpfer des freien Ausdrucks einmal erkannter Wahrheit, der sein freies Urteil je und je neu bildete und es ungeachtet der ängstlichen Gebundenheit der vielen je wieder deutlich zum Ausdruck brachte" [15. 6. 1930). Bonhoeffer 98
fühlte sich verpflichtet dem guten Erbe derjenigen liberalen Theologie, die in ihren besten Intentionen nicht mehr sagen wollte, als sie auch verstehen und verantworten konnte. Bonhoeffer erkannte und schätzte sowohl die Bescheidenheit wie auch die Hybris, die dieses Programm zugleich enthielt. So setzt er sich am Ende, als nach dem Scheitern des 20. Juli eigentlich alles für ihn zu Ende ist, in seiner Zelle noch hin und schreibt die kurze Skizze, die auszuführen er uns hinterlassen hat: "Die Kirche muß aus ihrer Stagnation heraus ... in die freie Luft der geistigen Auseinandersetzung . . . Wir müssen es auch riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen" (WE S. 257). Bonhoeffer greift nun an, was solange Religion genannt wurde. Er greift auch das Christentum an, sofern es eine Religion wird, die nur noch ein weltflüchtiges refugium ist, zugänglich für einige wenige Bevorzugte oder Benachteiligte; das Christentum, das eine mehr oder weniger gut gehende Apotheke geworden ist für seelische Hypochonder; einige approbierte Angestellte halten in ihr die pharmaka athanasias in kleinen Dosen feil. Er wußte zwar schon aus der Philosophie und Wissenschaft, daß der Mensch jetzt ohne die Arbeitshypothese Gott mit seinen Problemen fertig wird, selbst mit dem Tod - aber im Umgang mit handelnden Männern jedes oder auch gar keines Bekenntnisses wurde diese Situation noch ganz anders deutlich und brennend. Er wußte zwar schon aus der Theologie, daß die Kirche eine glatte Gotteslästerung begeht, wenn sie Gott zu einem Lückenbüßer marnt, der wenigstens noch die unentded.
Schreibtisch aus und nicht vom Katheder. So wird er auch nicht weitergeführt werden in Seminaren und MonQgraphien - wie nötig auch die Kontrolle der intellektuell-theologischen Verdeutlichung werden wird. Er muß sich bewähren in neuen Experimenten und Entscheidungen von Menschen der Kirche, die "ungeachtet der ängstlichen Gebundenheit" in die engste Fühlung mit Menschen treten, die in Fabriken, in öffentlichen Verantwortungen leben, erst recht in den Gebundenheiten moderner Totalitarismen und die sich wenig oder keinen kirchlichen Luxus. mehr leisten können. Die Beobachtung scheint mir bedeutsam, daß Bonhoeffers Gedanken nicht der Ost-Westteilung unterworfen sind, sondern auf beiden Seiten als eine befreiende Herausforderung und Hilfe erfahren werden. Wenn wir im Nachbuchstabieren der explosiven Andeutungen Bonhoeffers besser eindringen in den grundstürzenden Umschlag von der Deus-ex-machina-Vorstellung in die Erfahrung des durch Leiden zum Herrn werdenden Gott, wird unsere Predigt den Apothekenstil eines Tages verlieren und ein wenig besser die Herrschaft Christi proklamieren. Bonhoeffers Andeutungen entspringen nicht der Kapitulation vor der modernen gottlosen Welt; sie kommen aus der konzentrierten Versenkung in Wesen und Leben des Stifters unseres Glaubens. Er macht nicht durch Subtraktionsverfahren annehmbar, was die Zollschranke des Modernen allenfalls passieren kann. Er will der Gegenwart Christi heute auf der Spur bleiben, sie besser verstehen und bezeugen. Und hier zerbrechen die Begriffspaare liberal und orthodox; aber es bleibt: ein Mensch mit Christus, frei und ausgestattet mit wachen Augen.
4. Dieser Bonhoeffer mag noch nicht jeden erreichen. Aber der politische ist eine Frage an seine Kirche - und an das Land, zu dem er und wir gehören. Unsere Kirche fühlt sich durch den politischen Bonhoeffer nicht nur bereichert, sondern von ihrer Geschichte her herausfordernd belastet. An anderer Stelle habe ich zu zeigen versucht, wie Bonhoeffer selbst seine Situation an der Grenze verstanden, wie er die auf ihn gefallene Verantwortlichkeit geklärt und entschieden hat (s. "Mündige Welt" S. 10-15). Unsere Kirche wird hoffentlich nicht zu spät eine Stellung dazu einnehmen, daß einer ihrer Besten nicht mehr in frommen Zirkeln, sondern bei den Deutschen in ihrer höchsten Gewissensnot hat sein wollen. Diese Gedenkfeier wird von der Heimatkirche Paul Schneiders aus Dickenschied ausgerichtet. Schneider und Bonhoeffer sind beide Blutzeugen für den einen Gott des Dekaloges; Schneider für die erste Tafel, Bonhoeffer für die zweite. Paul Schneider ruft die Welt zur 100
Kirche, Dietrich Bonhoeffer ruft die Kirche zur Welt ["Mündige Welt", S. 15). Wir haben beide Zeugen zu hören und den ganzen Reichtum weiterzugeben, der aus jener Zeit auf uns gekommen ist. Aber Bonhoeffer und seine toten Mitverschworenen sind erst recht eine Frage an unser Vaterland. Dieses Land ist geographisch zerrissen. Aber tödlicher ist die Bedrohung, daß es zerrissen und unsicher darüber ist, wo die Güter seiner Tradition liegen. Ohne sie kann auch die deutsche Demokratie nicht leben. Diese Güter unterliegen unserer verantwortlichen Wahl. Es ist nicht gleichgültig, ob wir uns verschließen oder annehmen, ob wir eine sterile Tradition konservieren oder Mutationen unseres Geschichtserbes aufnehmen und weitergeben. Mit Bonhoeffer, der nur einer aus den Vielen des Widerstandes ist, trat etwas Neues in unser deutsches Geschichtserbe ein, das wir vorher so nicht besaßen. Es ist dies, daß Christen und Nicht-Christen eine Revolution auf sich genommen haben mit all ihren Konsequenzen aus Scham und Liebe. Daß sie aus ihr heraus zu einer freien Verantwortung durchstießen. Daß sie aus ihr deckungslos und ohne Anlehnung an Beifall oder Befehl das Notwendige taten. Wer heute in der Verehrung Bonhoeffers und seiner Mitverschworenen ein Element der Staatsgefährdung sieht, hat noch nicht das Herz dieser deutschen Verschwörung entdeckt: die Durchbrechung der Ordnung aus Scham und Liebe - wo aber gäbe es eine tiefere und festere Bindung? In ihr wurzelt der anhaltende und kühl und zielstrebig gewordene Zorn der Verschwörer und in ihr der Wille - nicht zur eigenen - aber zu Deutschlands Zukunft inmitten seiner Nachbarn. Unser Geschichtskalender steht in unseren Nachbarländern noch immer im Zeichen von Fanatikern, die schrecklich mit sich selbst beschäftigt waren. Wir sind jetzt in der Lage, diesen Kalender langsam zu verändern. Weil Scham und Liebe die Triebfedern waren, darum gab es auch bei Bonhoeffer die schöne Freiheit denen gegenüber, die noch einen anderen Weg gehen mußten oder wollten. Der Fanatiker sieht in jedem, der sich nicht seinem Willen und Weg unterwirft, einen Feind, der entweder einschwenken oder vernichtet werden muß. Die Verschwörer aber taten das ihre, sie hielten die Freiheit der Entschlüsse für die Basis einer neuen Versöhnung. Weil das für uns heute zu einer Lebensfrage wird, möchte ich hier ein Stück eines hilfreichen Briefes anfügen, den Bonhoeffer schrieb, als ein ihm Nahestehender 1942 den Einberufungsbefehl bekam: "Nun da es soweit ist ... möchte ich Dir als Erstes sagen, daß ich mich für Dich freue, daß die Zeit der Ungewißheit und des Wartens jetzt vorbei ist und daß Du nun innere Ruhe darüber haben kannst, dort zu sein, wo Deine gleichaltrigen Kameraden auch sind; das war es ja wohl, was Dich hauptsächlich umtrieb, und das wird es wohl auch sein, was 101
Dir innerlich in schwierigen Situationen helfen wird. Sich vom Geschick und von der Not der anderen Menschen nicht trennen zu wollen, mit ihnen Gemeinschaft haben wollen, das ist ja etwas ganz anderes als einfach mitmachen, mitlaufen wollen; . . . Gerufen sein, an der Gemeinschaft teilzunehmen und sein Teil mitzubringen und mitzutragen, was es denn auch sei, das ist, glaube ich, ein ziemlich fester Grund, um darauf zu stehen und um auch Schweres durchzumachen. Und wenn man sich von Zeit zu Zeit dessen bewußt wird und schließlich ganz aus dem Bewußtsein leben kann, daß dies Gerufensein ja letztlich kein zufälliges, sondern daß es der Weg Gottes mit unserem Leben ist, dann kann man, glaube ich, sehr zuversichtlich ins Unbekannte gehen. Allerdings sind dann dem Leben in der neuen Gemeinschaft auch ganz bestimmte Grenzen gesetzt, und es bricht einem innerlich alles zusammen, wenn man diese Grenzen aus einer falschen Solidarität heraus verletzt ... " Im Mai 1945 zogen wir aus einem Versteck zwischen Dachziegeln ein Manuskript wieder hervor. Es hatte alle Luftminen überstanden. Die 20 Seiten waren das Geschenk, das sich Dietrich Bonhoeffer an der Wende von 1942 zu 1943 für ein paar Freunde ausgedacht hatte: die Rechenschaft "gemeinsam im Kreise Gleichgesinnter gewonnener Ergebnisse auf dem Gebiet des Menschlichen" (WE S. 9); kurze Essays "Wer hält stand", "Vom Erfolg", "Von der Dummheit .. , "Vertrauen", "Qualitätsgefühl", "Sind wir noch brauchbar?" u. a. Jetzt wird uns deutlich, daß es das Manifest des Geistes dieser Männer ist, welches die Zeiten überdauert. Wir sollten es in unsere Schulbücher aufnehmen. Eben hat es Gerhard Ritter in seinem Buch über Gördeler als das "Schönste, Tiefsinnigste und bleibend Wertvollste, was zu einer Analyse der geistigen Situation jener Zeit und des deutschen Widerstandes je geäußert worden ist", bezeichnet (G. Ritter, Goerdeler ... S. 111). Die Analyse Dietrich Bonhoeffers in diesen Blättern ist von einem tiefen Optimismus getragen: "Ob es jemals in der Geschichte Menschen gegeben hat, die ... die Quelle ihrer Kraft so gänzlich im Vergangenen und Zukünftigen suchten - und die dennoch, ohne Phantasten zu sein, das Gelingen ihrer Sache so zuversichtlich und ruhig erwarten konnten - wie wir?" (WE S.10). Davon haben diese Männer nach ihrer Katastrophe nichts zurückgenommen, sie blieben ungebrochen und gaben sich nicht selbst auf, damit wir heute, genährt aus ihrem Opfer, uns von diesem Optimismus anstecken lassen.
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III.
Eindringlich und überzeugend führt uns dieser Mann jeweils in die angegebenen Richtungen und läßt sich nicht vorzeitig durch die Bedenklichen aufhalten: in die Richtung der Nachfolge, der Kirchengemeinschaft, der Wahrheitsfrage und der öffentlichen Verantwortlichkeit. Werden wir uns der Beunruhigung stellen? Es kann nicht ausbleiben, daß es Gruppierungen solcher gibt, die einseitig auf die Nachfolge hören, und anderer, die auf die neue Wahrheitsfrage eingeschworen sind. Es wird aber eine gute Erschütterung sein, wenn ihn jeder alsbald mit gleicher überzeugungskraft auf dem anderen Pfad entdeckt. Aus der Begegnung mit Bonhoeffer wächst dann das Bild eines Menschen, der in der Freiheit des Glaubens die ganze Fülle der vita christiana offenbart. In einem sehr kurzen Leben ist er begnadet gewesen, ein Mensch zu sein, ein ganzer Mensch unter der Herrschaft Christi. Man wird gewahr, wie das Widersprüchliche zueinander stimmt. Der Intellektuelle ist fromm und dieser Fromme gebraucht seine Intelligenz. Ein Schriftgelehrter wagt Taten und der Täter bleibt ein außerordentlicher Schriftgelehrter. Ein Pazifist wird zum Verschwörer und der Verschwörer ist ein Pazifist. Ein Deutscher wird übernational und der übernationale bleibt sehr deutsch. Der Zugreifende ist scheu und zart und dieser Scheue verändert seine Umgebung. Katheder, Kanzel und Rathaus entdecken durch ihn ihre unlösliche Beziehung. In Erkenntnis, Verkündigung und Verantwortlichkeit ist er ein Ganzer. Er bleibt unverwundet und heil, obwohl er mitten in der Philosophie eines müden Nihilismus aufgewachsen ist und ein Zeitgenosse ihrer so erfolgreichen Ausnutzung durch schreckliche Pseudo-Autoritäten hat sein müssen. Er hat sich auf keinen Flirt mit dem verführerischen Nichts eingelassen und seinen rasenden Boten nichts eingeräumt. Sie haben ihn getötet, aber sein Bild und sein Zeugnis überlebt und wird zum Damm wider ein neues Spiel mit dem Nichts. Der Damm bricht überall, wo wir unsere Freiheit mit Bindungslosigkeit interpretieren. Der Damm wird fester überall dort, wo wir durch ihn uns ermutigen lassen, die Freiheit auf dem Wege der Verbindlichkeit zu entdecken. Darum sind wir heute im Schmerz über den Verlust dennoch glücklich, das Zeugnis Dietrich Bonhoeffers zu besitzen.
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DIESSEITIGE TRANSZENDENZl Von Ronald Gregor Smith
In diesem Vortrag möchte ich andeuten, wo mir der Weg für den echten Glauben aus der Sackgasse herauszuführen scheint - ein Weg, der am Ende natürlich zu praktischen Forderungen und Folgen christlichen Handeins führt. Allerdings behandle ich hier nur die Voraussetzungen einer neuen Theologie des Menschen, die der, wie mir scheint, großen Zukunft .zu entsprechen vermag, der unsere Gesellschaft entgegengeht, wenn sie zu einem richtigen Selbstverständnis gelangt. Bisher habe ich nur vom Versagen gesprochen: vom Versagen der Renaissance und vom Versagen der Reformation. Die Renaissance versagte, weil sie die Logik ihrer eigenen Reife nicht mittels einer vollentwickelten Lehre vom Menschen zu Ende verfolgte; und die Reformation, weil sie nicht der vollen Freiheit inne wurde, die sich ihr in der Möglichkeit eröffnete, die metaphysischen Bande des Mittelalters zu zerbrechen. Immer wieder versuchte man, eine Lösung zu erkämpfen, aber im wesentlichen haben die Erben der Renaissance ohne Hoffnung weitergearbeitet, und die Erben der Reformation haben Lösungen vorgeschlagen, die wenig mehr als Nachhutgefechte zur Verteidigung unhaltbarer Positionen waren. Die Kluft zwischen der herkömmlichen christlichen Haltung und der des durchschnittlichen unkirchlichen Menschen hat Bultmann überschritten in seinem Entmythologisierungsversuch, den ich im letzten Kapitel umriß. Aber die Kirchen halten im allgemeinen sein Bemühen für unannehmbar. Einsam und gefährlich ist sein Weg über diese Kluft, und für den Durchschnittsmenschen ebenso wenig zugänglich, wie etwa der erste Flug über den Kanal durch Bleriot von Hinz und Kunz wiederholt werden konnte. Es wird Zeit und Mühe kosten, bis dieses bahnbrecherische Unternehmen sich in die Tradition hineingearbeitet hat; aber noch ist es nicht soweit, und es wird nicht leicht sein. Inzwischen ist die charakteristische Haltung des Durchschnittsmenschen, daß er entweder in irgendeinem Kollektiv zusam1 Kapitel 5 This worldly Transcendence aus The New Man. Christianity and Man's Coming of Age, The Alexander Love Lectures, gehalten in Australien 1955, SCM Press, London 1956. S. 94-112. übersetzung von Käthe Smith.
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mengebündelt, oder daß er in einem Individualismus isoliert ist, der keine Hoffnung auf eine Gemeinschaft zuläßt. In beiden Fällen weiß man kaum von Gemeinschaft. Selbst Freundschaft oder Liebe, die Höhepunkte wirklicher Gemeinschaft zwischen Menschen, werden immer seltener. Wo steht nun in all diesem der Christ? Welches sind seine wirklichen Bindungen und Verpflichtungen? Wo ist seine Gemeinschaft, die Kirche, die neue Schöpfung? Und wenn ich die dringendste und persönlichste Frage von allen stelle: "Was muß ich tun, um gerettet zu werden?", dann habe ich keine Lästerung im Sinn, keine letzthinnige Skepsis, wenn ich sage, daß die Antwort, die dem fragenden Gefängniswärter in der Apostelgeschichte erteilt wurde: "Glaube an den Herrn Jesus Christus", keine direkte und ausreichende Antwort auf meine Frage ist, heute, in meiner Lage, - der oben dargestellten historischen Lage. Für mich und meine Gefährten in der modernen Welt, ob sie nun innerhalb oder außerhalb der Kirche stehen, läßt diese Antwort viele Fragen offen, die Frage nach dem Wesen des Glaubens, die Frage, wer Jesus denn ist, und wo und wie er ist, und die Frage nach der Art der Errettung selber. Das heißt, wir werden sehr vieles ganz von neuem durchdenken müssen, nicht in der Form einer biblischen Theologie an sich oder einer systematischen Theologie an sich, sondern in existentieller Begegnung mit der Bibel und der Welt, wodurch der fast gänzlich verschüttete Anspruch echter Transzendenz als einer in dieser Welt bestehenden Kraft neu aufgedeckt wird. Einen der erhellendsten Zugänge zur Klärung dieses ganzen Fragenkomplexes hat ein Mann geliefert, dessen früher Tod einer der tragischsten Verluste für die Kirche unserer Zeit war. Ja, wenn ich aus der großen Anzahl der Schriftsteller, denen ich soviel für diese Vorträge verdanke, einen besonders hervorheben wollte, so wäre er es. Dietrich Bonhoeffer war ein Pfarrer der deutschen Bekennenden Kirche und wurde mit der Anklage verräterischer Betätigung von den Nazis verhaftet. Nach dem Mißlingen des Attentats gegen Hitler im Juli 1944 wurde auch er hingerichtet, nur wenige Tage, bevor die herannahenden amerikanischen Truppen sein K.Z.-Gefängnis erreichten und öffneten. In den langen Gefängnismonaten konnte er an seine Eltern und an einen Freund Briefe schreiben, von denen einige erhalten sind und später veröffentlicht wurden. In England und Amerika sind sie unter dem Titel "Letters and Papers from Prison" 2 erschienen. In diesen Briefen und Fragmenten lernen wir einen kultivierten, sensiblen Geist kennen, der als Erbe des Reichtums Europas sich an seinen Schätzen erfreut, der aber gleichzeitig leidenschaftlich mit dem Problem ringt, 2
"Widerstand und Ergebung"
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wie der moderne Mensch zu seinem echten Leben als Erbe des Christentums findet. Wie man ein Christ wird, war Bonhoeffers Anliegen, wie es auch das Kierkegaards war. In diesem Bande von Fragmenten und aufreizenden Andeutungen ist ein kleiner Abschnitt, der die einfache überschrift trägt: "Entwurf einer Arbeit" [So 257 ff.) Bonhoeffer sagt hier in fünf Seiten mehr als die meisten vielleicht in fünfhundert. Er umreißt den Plan für ein Buch von drei Kapiteln. Das erste Kapitel sollte das Mündigwerden der Menschheit behandeln, den gleichzeitigen Verfall der Religion und das letzthinnige Versagen der protestantischen Kirchen, selbst der großen kämpfenden Bekennenden Kirche zur Zeit der Naziherrschaft in Deutschland. Das zweite Kapitel sollte untersuchen, was christlicher Glaube in Wirklichkeit bedeutet, und zwar im Sinne der bezeichnenden überschrift "Weltlichkeit und Gott": was wir unter Gott verstehen, und die daraus folgende Neu-Interpretation , biblischer Terminologie, des Kultus, der Credos. Das letzte Kapitel sollte die Folgerungen für die nun existierende Kirche ausarbeiten. Ich zitiere aus dem kurzen letzten Kapitel: "Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. Um einen Anfang zu machen, muß sie alles Eigentum den Notleidenden schenken. Die Pfarrer müssen ausschließlich von den freiwilligen Gaben der Gemeinden leben, evtl. einen weltlichen Beruf ausüben. Sie muß an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend" (S. 261).
Ich glaube nicht, daß Bonhoeffer hier lediglich wohlbekannte Ermahnungen zur Frömmigkeit und zu guten Werken wiederholt. Zwar ist er der Gewalt des gelebten Beispiels gegenüber nicht gleichgültig, schöpft er hier doch direkt aus der Quelle, die er in Jesu Menschsein findet. Aber den Schlüssel zu seinem revolutionären Denken finden wir in seinem neuen Verständnis zweier Dinge: Gottes und der Welt. Er denkt diese beiden nicht als voneinander getrennte Größen, so, als sei die Einzelvorstellung von Gott ein Besitz, mit dem man gegen die Welt entsprechend vorgehen könne. In dem "Entwurf einer Arbeit" sagt er ausdrücklich, daß das Erlebnis der Transzendenz in "Jesu Für-andere-da-sein" zu finden sei. Das heißt, wir begegnen der Transzendenz in dem Dasein für andere, wie es uns in Jesu Leben und Lehre gegeben ist. Auch etwas wichtiges Negatives wird damit ausgesagt, daß wir nämlich Gott nicht in erster Linie in einer über ihn aufgestellten Behauptung begegnen. Wir finden Gott nicht in einem abstrakten Glauben an seine Allmacht oder Allwissenheit oder gar an die Idee der Liebe. Gott ist nicht die Idee, die wir von ihm haben. Er ist überhaupt keine Idee. Wenn wir versuchen, eine Idee an die Stelle Gottes zu setzen, so beten wir darin nur eine Prolongation der Welt an. Solche falsche Gottesverehrung hat zu allen möglichen Verkehrungen in der Geschichte der Kirche geführt, 106
die immer allzu eifrig bereit war, im Namen Gottes zu handeln, und sich eine Vertrautheit mit ihm angemaßt hat, die schließlich zu der Gotteslästerung geführt hat, daß Menschen im Namen Gottes und seiner Liebe getötet wurden. Das ist ein sittliches Versagen. Aber die Verwechslung Gottes mit unseren dogmatischen Behauptungen über ihn hat nicht nur zu einem sittlichen, sondern auch zu einem intellektuellen Versagen geführt. Allzuschnell waren wir immer bereit, vor allem seit dem großen Durchbruch der Renaissance, eine Art von Schlacht im Namen Gottes gegen die Welt zu schlagen. Auch hier wollte die Kirche Gott sozusagen vor den Folgen seines eigenen Leichtsinns schützen, den er zuerst zeigte, indem er seine Welt schuf, und dann, indem er sie errettete. Zu ungestüm, zu kühn und waghalsig erscheint dem normalen Verstande des Christen Gottes Befreiungstat in seinem Wort - die, wie oben mehrfach betont wurde, nur dann wirklich befreiend ist, wenn sie als mehr als nur ein Einzelfall in der Geschichte gesehen wird. Als der Durchbruch des Menschengeistes den christlichen Krieger von einer Verteidigungsstellung in die andere zurückwarf, reagierte daher der Christ in den letzten Jahrhunderten immer auf ähnliche Weise: Vor den herannahenden Bataillonen der Intelligenz, der Vernunft und des Skeptizismus, und während ein Wissensgebiet nach dem andern in die Hand der Technik, der Naturwissenschaft, der Psychologie fiel, wurde Gott von allzu willigen Händen gerettet. Die Kinder des Lichtes waren immer eifrig dabei, Gott in die Dunkelheit zurückzuzerren, jenseits der Grenzen des übersehbaren Lebens, in die Region, die man euphemistisch das Geheimnis Gottes nennt. Das Geheimnis Gottes wird als eine terra incognita angesehen, als ein noch nicht erkennbares, und nicht etwa als ein wahrhaft unaussprechliches, gegenwärtiges Geheimnis, dessen Geheimnis eine tatsächlich existierende, erlebte Begegnung mit einer zwar unbegreiflichen aber nicht unerreichbaren Gabe ist. Die Folgen dieser wiederholten Rückzüge sind ein verzerrtes Verständnis Gotte~, Verwirrung in den Reihen auf beiden Seiten, Verunglimpfung von Gottes Namen. Indem die Kirche nämlich versucht hat, Gott abzuschirmen, hat sie in Wirklichkeit nur ihre Idee Gottes beschirmt. Sie hat nicht das fleischgewordene Wort in der blutenden Hilflosigkeit äußersten Knechtsdienstes verehrt, sondern einen entmannten Jesus, denJesus mit dem Heiligenschein aus Ersatzgold, und den Flitter-Pietismus einer dekadenten Jesusologie. Sie hat nicht den Gott inmitten der Welt verehrt, sondern eine Art von Ausweich-Mechanismus, der von ihren eigenen Ängsten erfunden ist. In einem wundervollen Brief, der während eines Bombenangriffes auf die Gegend seines Gefängnisses geschrieben wurde, faßt Bonhoeffer die Verwirrung unserer gegenwärtigen Kirche in folgenden Worten zusammen: 107
"Während ich mich den Religiösen gegenüber oft scheue, den Namen Gottes zu nennen - weil er mir hier irgend wie falsch zu klingen scheint und ich mir selbst etwas unehrlich vorkomme (besonders schlimm ist es, wenn die anderen in religiöser Terminologie zu reden anfangen, dann verstumme ich fast völlig und es wird mir irgendwie schwül und unbehaglich) -, kann ich den Religionslosen gegenüber gelegentlich ganz ruhig und wie selbstverständlich Gott nennen. Die Religiösen sprechen von Gott, wenn menschliche Erkenntnis (manchmal schon aus Denkfaulheit) zu Ende ist oder wenn menschliche Kräfte versagen - es ist eigentlich immer der deus ex machina, den sie aufmarschieren lassen, entweder zur Scheinlösung unlösbarer Probleme oder als Kraft bei menschlichem Versagen, immer also in Ausnutzung menschlicher .Schwäche bzw. an den menschlichen Grenzen; das hält zwangsläufig immer nur solange vor, bis die Menschen aus eigener Kraft die Grenzen etwas weiter hinausschieben und Gott als deus ex machina überflüssig wird; das Reden von den menschlichen Grenzen ist mir überhaupt fragwürdig geworden (ist selbst der Tod heute, da die Menschen ihn kaum noch fürchten und die Sünde, die die Menschen kaum noch begreifen, noch eine echte Grenze?), es scheint mir immer, wir wollten dadurch nur ängstlich Raum aussparen für Gott; - ich möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod .und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen. An den Grenzen scheint es mir besser, zu schweigen und das Unlösbare ungelöst zu lassen ... Gott ist mitten in unserm Leben jenseitig. Die Kirche steht nicht dort, wo das menschliche Vermögen versagt, sondern mitten im Dorf." (S. 181 f.) Diese kraftvolle Anerkennung, daß Gott in seiner Welt ist, entspringt aus Bonhoeffers Auffassung von dem Wesen der Begegnung mit Jesus. Er sagt: "Glaube ist das Teilnehmen an diesem Sein Jesu. (Menschwerdung, Kreuz, Auferstehung.) Unser Verhältnis zu Gott ist kein ,religiöses' zu einem denkbar höchsten, mächtigsten, besten Wesen - dies ist keine echte Transzendenz -, sondern unser Verhältnis zu Gott ist ein neues Leben im ,Dasein-für-andere', in der Teilnahme am Sein Jesu. Nicht die unendlichen, unerreichbaren Aufgaben, sondern der jeweils gegebene erreichbare Nächste ist das Transzendente. Gott in Menschengestalt!, nicht wie bei orientalischen Religionen in Tiergestalten als das Ungeheure, Chaotische, Ferne, Schauerliche; aber auch nicht in den Begriffsgestalten des Absoluten, Metaphysischen, Unendlichen etc.; aber auch nicht die griechische Gott-Menschgestalt des ,Menschen an sich', sondern der ,Mensch für andere', darum der Gekreuzigte. Der aus dem Transzendenten lebende Mensch." (S. 259 f.) Wenn wir die Begegnung mit Jesus so auffassen, eröffnen wir eine Dialektik der Transzendenz, die uns, wie ich glaube, aus unserer modernen Sackgasse herausführen kann. Einerseits wird die Welt hier. gebührend anerkannt als der Ort, an den Jesus kam, der Ort, wo er ]esus war, und demzufolge er ist, was er ist. Dies bringt Bonhoeffer zu seinen wiederholten, aber leider nicht ganz ausgearbeiteten Bemerkungen über Weltlichkeit oder Religionslosigkeit, wie er es nennt. In einem Briefe sagt er:
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"Was mich unablässig bewegt, ist die Frage, was das Christentum oder auch wer Christus heute für uns eigentlich ist. Die Zeit, in der man alles den Menschen durch Worte - seien es theologische oder fromme Worte sagen könnte, ist vorüber; ebenso die Zeit der Innerlichkeit und des Gewissens, und das heißt eben die Zeit der Religion überhaupt. Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen: die Menschen können einfach, so wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös sein. Auch diejenigen, die sich ehrlich als ,religiös' bezeichnen, praktizieren das in keiner Weise; sie meinen also vermutlich mit ,religiös' etwas ganz anderes. Unsere gesamte 1900jährige christliche Verkündigung und Theologie baut auf dem ,religiösen Apriori' der Menschen auf. ,Christentum' ist immer eine Form (vielleicht die wahre Form) der ,Religion' gewesen. Wenn nun aber eines Tages deutlich wird daß dieses "Apriori' gar nicht existiert, sondern daß es eine geschichtlich bedingte und vergängliche Ausdrucksform des Menschen gewesen ist, wenn also die Menschen wirklich radikal religionslos werden - und ich glaube, daß das mehr oder weniger bereits der Fall ist (woran liegt es z. B., daß dieser Krieg im Unterschied zu allen bisherigen eine ,religiöse' Reaktion nicht hervorruft?) -, was bedeutet das dann für das Christentum? ... Wie kann Christus der Herr auch der Religionslosen werden? Gibt es religionslose Christen? Wenn die Religion nur ein Gewand des Christentums ist - und auch dieses Gewand hat zu verschiedenen Zeiten sehr verschieden ausgesehen - was ist dann ein religionsloses Christentum? ... Was bedeutet eine Kirche ... in einer religionslosen Welt? ·Wie sprechen wir von Gott - ohne Religion? ... Wie sind wir ,religionslos - weltlich' Christen ... ohne uns religiös als Bevorzugte zu verstehen, sondern vielmehr als ganz zur Welt Gehörige? Christus ist dann nicht mehr Gegenstand der Religion, sondern etwas ganz anderes, wirklich Herr der Welt." (S. 178 ff.)
In solchen Briefen dringt Bonhoeffer, wie ich glaube, zu einer ganz neuen Auffassung von der Stellung des Menschen und der Welt vor: er sieht sie in ihrer eigenen Berechtigung existieren, als den Ort, wo Gott gerne ist. Man könnte sagen, daß er eine neue Auffassung von der Bedeutung dieser Welt und von uns selbst gewinnt, als Schöpfung, als Geschöpfe; aber das war keine abstrakte oder isolierte Auffassung, sondern sie war eng verbunden, ja, sie entsprang seiner Auffassung von Christus als dem Herrn der Welt. Dies wenigstens scheint seine Absicht gewesen zu sein bei den Bemerkungen, die er in solchen Briefen machte, wenn man allerdings auch nicht leicht einsieht, wie er mit solchen Ansichten zu einer orthodoxen Lehre von dem Verhältnis zwischen Christus und dem Vater kommen konnte. Jedoch der springende Punkt für unsere überlegungen ist die Spannung zwischen dieser Behauptung über den Menschen und die Welt, über des Menschen Weltlichkeit und Religionslosigkeit und der anderen Seite von Bonhoeffers Position. Dieser anderen Seite wegen verfällt Bonhoeffer nicht in ein stoisches Gewährenlassen der Welt in ihrer Selbstgenüge. Er nennt sie Arkandisziplin, also eine geheime Disziplin. Hier liegt der Kern seines Denkens; doch dürfen wir sie nicht als eine 109
Art individualistischen Rückzuges ansehen, eine Pflege der Innerlichkeit, oder sogar als ein Streben nach persönlicher Erlösung. Mit Recht weist er darauf hin, daß das Alte Testament nirgends von der Erlösung der Seele spricht, und daß im Neuen Testament überall die Gerechtigkeit und das Reich Gottes im Mittelpunkt stehen. "Nicht um das Jenseits", schreibt er, "sondern um diese Welt, wie sie geschaffen, erhalten, in Gesetze gefaßt, versöhnt und erneuert wird, geht es doch" (S. 184). Wovon er lebt, ist nichts besonders Originelles, aber es ist der Gipfel wie auch der Grund all seines Glaubens. Es ist eine Art humorvolles, demütiges, verzichtendes Geheimnis von Frömmigkeit und Hoffnung, das kein Gegenstück in der sichtbaren Welt findet, kein Symbol und keine Handlung, wodurch es völlig aufgefangen und ausgedrückt werden könnte, nichts in Kult oder Ritus, das es vertreten könnte. Ich meine damit nicht, daß Bonhoeffer die Berechtigung von Symbol und Handlung und Ritus leugnete oder herabsetzte; nur waren sie für ihn sekundär, ein Teil jener Sonderentwicklung von Antwort und Ausdruck des Glaubens, die man insgesamt Religion nennt. über diese Dinge hinaus suchte Bonhoeffer nach der Form für seinen Glauben, die der Welt wirklich begegnen könnte, in ihr sein, ohne Vorbehalt, so wie Christus in ihr war. Dem Wort Tillichs, daß Jesus kam, um die Religion zu zerstören, hätte er wohl zugestimmt. Dieser Glaube aber beruhte auf der im Christentum andeutungsweise entwickelten und seltsamen Tradition der Geheimhaltung und des Kostbarhaltens, der nie besondere Beachtung gegeben worden ist. Diese Tradition hat dieselben Wurzeln wie die Lehre von der Erwählung, doch hat sie sich in anderer Richtung und zu einem anderen Ergebnis entwickelt. "Werft eure Perlen nicht vor die Säue" (Matth. 7, 6); "Schüttelt den Staub jener Stadt von euren Füßen" (Matth. 10); "Dies ist mein Leib" (Matth. 26, 26): alle diese Worte setzen voraus, ja verlangen eine Art von Eingeweihtheit und Verschwiegenheit, die das Eindringen des Neugierigen oder Selbstsicheren deutlich verbietet. Gewiß, Christi Worte sind an alle gerichtet und sein mächtiger universaler Zug hat das Christentum auf viele siegreiche Wege geführt. Paulus' gleichfalls machtvolle Betonung der Gegebenheit, der Gabe der göttlichen Gnade, verbindet sich mit diesem Universalismus, so daß der Gedanke des Geheimnisses und der Exklusivität nicht allzu stark in der christlichen Geschichte hervortritt. Trotzdem ist er da, und die Einfachheit des Evangeliums, die Mahnung, demütig zu sein und unauffällig beim Beten, nie nackte Gewalt zu gebrauchen, sondern nur immer Dienst und Opfer - das alles nährt und erhält diesen Gedanken. Die wirkliche Stärke und Bedeutung dieser Arkandisziplin liegt aber darin, daß sie den Gläubigen beständig zurückstößt in diese Welt. Er darf ihr nicht entfliehen, wozu, wie Reinhold Niebuhr einmal bemerkte, Studenten der Theologie neigen, wenn sie einem unlösbaren Problem 110
gegenüberstehen: sie hören auf, sich damit herumzuschlagen, und nehmen den Fahrstuhl zum Ewigen. Die Arkandisziplin läßt ein solches Ausweichen nicht zu, denn diese Auffassung des Ewigen hat für sie kein wirkliches Interesse. Diese beiden Elemente also, Gottes Weltlichkeit und die Arkandisziplin, stoßen in einer machtvollen Dialektik in Bonhoeffers Denken aufeinander. In der Spannung dieser Dialektik wird der Christ immer bleiben. Die christliche Dialektik anders auszulegen, etwa als die Spannung zwischen dem Reich, das schon da ist, und dem, das noch kommen wird, oder die Spannung zwischen dieser Welt und der nächsten, zwischen Erde und Himmel, beruht auf einer zu engen Auffassung der Eschatologie oder einer naiven übernahme der alten Mythologie. Echte Dialektik, wie Bonhoeffer sie angedeutet hat, findet Gott nicht im Kultus für sich genommen, noch in irgendeiner Form von Pietismus oder Sozialismus, die jeder immer nur eine Seite der Dialektik betonen und dieser daher nicht treu bleiben. Vielmehr verlangt diese Dialektik der Verpflichtung an die Welt eine völlige Verantwortlichkeit in und für die Welt, mit all ihren Interessen und Problemen. Gefahren gibt es hierbei natürlich auch, einmal die Gefahr, daß man stillschweigend und verantwortungslos zusieht, wie die Welt als selbstgenügsames Ganzes dahintreibt, und dann die Gefahr, daß die Arkandisziplin völlig unsichtbar und daher praktisch nicht vorhanden ist. Es . ist für den Glauben schwer, die Spannung eines Bekenntnisses zu bestehen, das nur dann vollkommen ist, wenn es nicht sich selbst bekennt; das seine Wirklichkeit nur dann zeigt, wenn es sich nicht behauptet, sondern wenn es nachgibt; wenn es sich mit der Welt identifiziert, und doch nicht die Welt einfach übernimmt; wenn es nicht damit genug sein läßt, "Herr, Herr" zu rufen, sondern wenn es in dieser einen jetzt versöhnten Welt und für sie lebt. Aber diese Dialektik ist notwendig. Du bist beides: für die Welt, in aller Kraft der gegebenen Situation, und gegen sie; gegen sie nicht auf Grund einer intellektuellen Rationalisierung von Passivität und völliger Welt-Verleugnung, sondern gegen sie aus der Tiefe dieser existentiellen Dialektik heraus. Der Christ kann dieser Welt, die Gott schuf und die er liebt, nicht gleichgültig gegenüberstehen. Und doch, wie kann er anders als gegen sie sein in ihrer Bosheit und Sünde und Hoffnungslosigkeit? Beide Haltungen sind nötig, beide gleichzeitig und ohne Vorbehalt. Dies ist die Tiefe und innere Beschaffenheit der Trübsal, die Christus betrübte; mehr noch: es ist die "Erstattung, was noch mangelt an Trübsalen" (KoI. 1, 24) durch die ganze freudevolle Qual des geschichtlichen Versagens und der geschichtlichen Möglichkeiten des Menschen. Die drängendste Frage innerhalb dieser Dialektik ist, ob die positive Evangelisation hier noch eine Berechtigung hat. Bringt der Evangelist 111
nicht eine Botschaft mit Vollmacht? Verkündet er nicht, wie ein Herold, die Botschaft seines Herrn? Gewiß, so ist es. Nur müssen wir die Frage anders formulieren: ob eine wirkliche Evangelisation heutzutage nicht vielmehr in jener Art von Identifizierung mit der Welt in all ihren Sorgen und Freuden und Leistungen und Sich-in-Frage-stellen besteht also mit der mündig gewordenen Welt in ihrem Selbstverständnis, wie Bonhoeffer es ausdrückt - als in der Zumutung eines fremden Systems traditioneller Begriffe an diese Welt. Der Welt dazu verhelfen zu sich selber zu kommen, anstatt zu versuchen, sie aus sich herauszuschütteln - ist das nicht immer an den großen Wendepunkten der Weltgeschichte so geschehen? Augustins Theologie, beispielsweise, die tausend Jahre christlicher Geschichte bestimmt hat, entstand mitten in der Situation, in der er lebte, als Rom gefallen war und die Barbaren vor den Toren standen. Er konnte seine Diözese und sein Vaterland nicht retten; aber aus seinem Werk wurde die neue Christenheit des Westens geboren. In der heutigen Situation können wir nicht dieselben Lösungen herbeizwingen. Vor allem können wir die mythologischen oder die metaphysischen Ansichten von Transzendenz mit ihrer Grundvoraussetzung der Religiosität des Menschen nicht einfach wieder hervorholen. Das heißt durchaus nicht, daß wir die Lehre vom Worte Gottes aufgeben; es heißt jedoch, daß wir unsere Begegnung mit der Majestät des souveränen Herrn der Geschichte auf neue Weise auszudrücken suchen. Denn der alte Lehrsatz, der auf einer Metaphysik des Unterschiedes zwischen der Stellung Gottes und der Stellung des Menschen beruht, ist so weit .abgesunken, daß der Versuch, Gottes majestätisches Anders-Sein festzustellen, schließlich dahin geführt hat, daß nur noch des Menschen Eingeschlossensein in der Welt auf fruchtlose Weise festgestellt wird. Die alte Lehre von der Transzendenz ist nichts weiter als die Feststellung einer veralteten Weltanschauung. Die Ungeheuerlichkeit von Gottes Tat, als er sich in der Inkarnation der Welt gab, können wir auf die alte Denkweise nicht mehr richtig erfassen. Die Lehre vom Wort entartet in eine pietistische Jesusologie oder in die wilde Gier, das Wort zu besitzen und darüber zu verfügen. Beidemale wird die Welt nicht .gebührend ernst genommen. In der Inkarnation aber hat Gott die Welt und die Geschichte und die Besonderheit der Geschichte so bejaht, daß wir unmöglich unsere Anschauung über ihn auf eine metaphysische Ausarbeitung des Ereignisses der Inkarnation beschränken können. Die Macht dieses Ereignisses können wir nur in der Logik eben dieses Er·eignisses richtig erfassen. Es muß ein Weg gefunden werden, diesem Ereignis ohne Vorbehalt und ohne Einschränkung zu begegnen. Den Weg, auf dem wir ihm begegnen, nennen wir gemeinhin Glauben. Aber auch er ist nicht eine Beziehung zu einer sonst unbegreiflichen Tran.szendenz; nicht das sogenannte mystische Erkennen des Unerforsch112
lichen. Sondern diese Beziehung des Glaubens findet ihren Platz in dem Bereich menschlicher Tätigkeit und sonst nirgends; und mit dem Bereich meine ich den ganzen Bereich menschlicher Tätigkeit, von dem das Religiöse nur ein Teil ist, und zwar, wenn meine Diagnose zutrifft, ein sich dauernd verringernder Teil. Ich möchte sagen, um ein extremes und krasses Beispiel anzuführen, daß wir sogar bereit sein müssen, die Behauptungen eines erklärten Atheisten wie I;euerbachs in seinem folgenschweren Ringen um das Problem "Gottes Sein und menschliche Existenz" ganz ernst zu nehmen. Ich zitiere einige Sätze aus seinem Frühwerk "Das Wesen des Christentums" 3. Es lag Feuerbach hier besonders daran, zu widerlegen, daß der Glaube an einen individuell existierendenGott nötig sei, mitsamt den besonderen Beweisen für seine Existenz, die in Form von Wundern und anderen speziellen Wirkungen geliefert werden. Insoweit läßt er sich natürlich nur auf die alte Debatte der Aufklärung für und wider spezielle Offenbarung (die revelatio specialis) ein. Aber ich glaube, daß sein Denken doch ungefähr jenem neuen Verständnis der Transzendenz entgegentrieb, das mich hier beschäftigt. Er schreibt: "Der Glaube an die Existenz Gottes ist der Glaube an eine besondere, von der Existenz des Menschen und der Natur unterschiedene Existenz. Dieser Glaube ist daher nur dann ein wahrer, lebendiger, wenn besondere Wirkungen, unmittelbare Gotteserscheinungen, Wunder geglaubt werden. Nur da, wo der Glaube an Gott sich identifiziert mit dem Glauben an die Welt, der Glaube an Gott kein besonderer Glaube mehr ist, wo das allgemeine Wesen der Welt den ganzen Menschen einnimmt, verschwindet auch natürlich der Glaube an besondere Wirkungen und Erscheinungen Gottes. Der Glaube an Gott hat sich gebrochen, ist gestrandet an dem Glauben an die Welt, an die natürlichen als die allein wirklichen Wirkungen. Wie hier der Glaube an Wunder nur noch der Glaube an historische, vergangene Wunder, so ist auch die Existenz Gottes hier nur noch eine historische, an sich selber atheistische Vorstellung." (21. Kapitel, letzter Absatz.)
Aus dem bisher Entwickelten wird man erkennen, daß das Interessante an Feuerbachs Argument ist, daß er gegen die alten Argumente von Gottes transzendenter Macht plädiert und für eine historische Existenz Gottes, wie er es nennt. Daß für ihn dies "historische" gleichbedeutend ist mit "atheistisch", scheint mir eine unnötige Abweichung von seinem eigenen Argument zu sein. Ein Glaube, der uns nicht aus dieser Welt heraus in einen Bereich willkürlicher Eingriffe versetzt, sondern vielmehr tiefer in die Welt hinein in ihrer Geschichtlichkeit, scheint mir die eigentliche Pointe unseres Glaubens an die historische Inkarnation zu sein. In diesem geschichtlichen Worte Gottes erkennen wir nichts Willkürliches, sondern das unaufhörliche Drängen Gottes 3 Ludwig Feuerbach, "Das Wesen des Christentums" in Gesammelte Werke, Frommanns Verlag, Stuttgart (E. Hauff) , 1903.
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durch die Ereignisse, die Dinge und die Menschen und die Situationen seiner Welt. Wir können iu gar keiner engeren Beziehung zu Gott stehen als in der schon von ihm, durch sein eigenes sanftes uns Drängen geschaffenen Beziehung. Ich kann hier Luther zitieren, wie auch Feuerbach es bei diesem Argument tut: "Wir haben noch immerdar mit Gott also zu schaffen, daß er uns verdeckt und verborgen ist, und ist nicht möglich, daß wir in diesem Leben von Angesicht zu Angesicht bloß mit ihm handeln können. - Alle Creaturen sind itzt nichts anders denn eitel Larven, darunter sich Gott verbirgt und dadurch mit uns handelt." (Feuerbach S. 229.)
"Noch immerdar", sagt Luther, und "eitel Larven". Seine Worte zeigen die Sehnsucht des Christen nach der höchsten Begegnung, von Angesicht zu Angesicht, nach der visio beata. Wenn wir hierauf hoffen und vertrauen, so kann aber daraus unser Glauben wachsen, ohne daß wir ihn weiter zu untersuchen, geschweige denn ein neues Ideengerüst zu errichten brauchen, womit wir das Leben nach dem Tode zu erklären suchen. Wie Luther bei all seinen transzendentalen Vorbehalten klar sieht, handelt Gott an uns in diesem Leben in den andern Kreaturen. So kann ein Verständnis der Transzendenz in unserm Glauben lebendig werden: in der Vielfalt von Gottes Schöpfung und Schaffen tritt uns sein Wort entgegen in unserm gegenwärtigen Sein. Wir begegnen Gott in seinen Werken und in seinen Gaben, nicht an sich und nicht in einer Vorstellung von ihm. Er wird sichtbar durch die menschliche Existenz dort, wo der Einzelne ihm völlig offen gegenübersteht, Vergebung empfängt und frei wird. Aber wir stehen Gott immer nur gegenüber in der Begegnung und durch die Begegnung mit andern Menschen (und nirgends anders, und auch nicht zusätzlich hierzu), in der jeweilig entstehenden Gemeinschaft mit andern Menschen. Das Ewige ist in der Zeit, der Himmel ist durch die Erde, das übernatürliche nicht verschieden von dem Natürlichen, das Geistliche nicht mehr als das volle Menschliche: alle diese Kategorien lösen sich in der Macht der einen echten Beziehung auf, der zwiefachen Beziehung zu Menschen und Dingen. Hier ist die eigentliche Stelle, wo der Mensch neu gemacht wird. Der neue Mensch ist der Mensch in Gemeinschaft mit den Menschen kraft der geschenkten Gnade, die ihm begegnet als Aufgaben und Verantwortungen und sich erschließenden Freiheiten in den wirklich gegebenen Situationen in ihrer Ganzheit. Die ist die echte Hoffnung für die Welt. Die Hoffnung für die Kirche und für die Christenheit sind sekundär. Wir dürfen hoffen, daß aus der lebendigen Begegnung mit Gott, innerhalb der Struktur der Gnade, der gegebenen Situation, jenem feinen, unvollständigen Gewebe, das in den delikaten Banden verantwortungsvoller Freiheit alle die hält, 114
die, von sich abgewandt, den Nöten und Unternehmungen der Welt offen gegenüberstehn - wir dürfen hoffen, daß aus dieser Begegnung neue Geschichte geschaffen werden kann. Aus solcher Wendung, solcher Rückkehr in die uns dargebotene Freiheit ist Geschichte immer geschaffen worden. Sie ist nicht voraussehbar, ist überraschend; ihre Wirkung übertrifft alle Berechnung oder Erwartung. Denn diese Begegnung ist der Brennpunkt, die Pointe, der eine lebendige Punkt in der ganzen Menschheitsgeschichte: der Punkt, wo ein Mensch, in seiner tiefsten Menschlichkeit, mit der ganzen Last seiner Erinnerungen, die wir Kultur nennen, und der ganzen Last seines Vers agens und seiner Sünde, für sein ganzes Leben die Worte der Vergebung und die Einladung zum Glauben annimmt, die das Palimpsest aller Blätter der Geschichte sind.
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DIETRICH BONHOEFFER UND DIE ÖKUMENE Von J0rgen Glenthej "Hättest du keine Kirche, so wärest du nicht Gott."l
(LutherJ
"Kein Heros, sondern ein in den Kampf verbissener, immer neu siegender und immer neu verletzter soll der Mensch sein und mit ihm sein ganzes Geschlecht. In diesem Kampf, den er als Fluch und als Verheißung auf sich nimmt und durchkämpft, darf der Mensch leben,"! (Bonhoeffer)
Vorbemerkung Die Zeit der fröhlichen Entdeckung der Gabe Gottes an seine weltweite Kirche durch Dietrich Bonhoeffer ist vorüber. Die Zeit der dankbaren Verehrung nicht. Die Zeit der voreiligen Inanspruchnahme von den verschiedensten Seiten hat schon angefangen. Mit ihr ist die Aufgabe der sorgfältigen Exegese gestellt. Im Folgenden wird zum Thema "Bonhoeffer und die ökumene" das Material den Interessierten vorgelegt, soweit es mir bis jetzt zu sammeln möglich gewesen ist. Noch steht die mühsame Arbeit bevor, alles zu sammeln. Zerstreut in vielen Archiven wird vieles erst nach und nach gefunden werden. Doch scheint es mir erlaubt, einen ersten Versuch zu machen, die ökumenische Tätigkeit Dietrich Bonhoeffers darzustellen, weil die bisherigen Darstellungen seiner Entwiddung diese Seite kaum berücksichtigt haben. Nicht, daß jetzt ein ökumenischer Bonhoeffer einem sozialen, mönchischen, orthodoxen, liberalen oder In den folgenden Anmerkungen sind Bonhoeffers Werke sowie Werke über ihn abgekürzt zitiert: E MW N SC SmF WE
Ethik, München 1949. Mündige Welt, Münmen 1955. Nachfolge, München 1952. Sanctorum Communio, Münmen 1954. Smöpfung und Fall, Münmen 1955. Widerstand und Ergebung, München 1951.
Bei Zitaten aus anderen Auflagen ist die abweimende Jahreszahl in Klammern vermerkt. 1 Erstes Motto des Aufsatzes zit. nam "Glaubst du, so hast du", Versuch eines Lutherischen Katechismus von D. B. und Franz Hildebrandt, Monatsschrift für Pastoraltheologie 1932, Heft 5/6, S. 171. 2 SdlF, S. 107.
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politischen noch hinzuzufügen sei 3, sondern es soll im Gegenteil die Kontinuität seines theologischen Denkens und die Einheit seines Lebens ganz anders sichtbar werden, als es in den bisherigen Darstellungen der Fall gewesen ist. Die Darstellung wird zeigen, wie dringlich notwendig es für die ökumene ist, daß die Geschichte des Verhältnisses zwischen der Bekennenden Kirche und der ökumenischen Bewegung geschrieben wird 4.
I. Die Anfänge
"Aber der Leib Christi ist Rom und Korinth, Wittenberg, Genf und Stockholm, und die Glieder aller Einzelgemeinden gehören zusammen zur Gesamtgemeinde als sanctorum communio." 5 Dieses Bekenntnis zur ökumenischen Kirche scheint das erste schriftliche Bekenntnis zu ökumenischen Bestrebungen bei Dietrich Bonhoeffer zu sein. Kühn wagt der junge Theologe die "Allgemeine Konferenz für Praktisches Christentum" in Stockholm im August 1925 in demselben Atemzug zu nennen mit den Städten, die in der Kirchengeschichte Jahrhunderte hindurch Bedeutung gehabt haben. Ohne das Wort "ökumenisch" zu verwenden, ist in Worten, die eine Aussage von Erzbischof Söderblom weiterführen 6, die ganze Sache da. Die Literatur, die durch die Konferenz in Stockholm hervorgerufen war, ist in "Sanctorum Communio" schon berücksichtigt, und Bonhoeffer erhebt feierlich seine Stimme; fast wie ein Motto seines Lebens klingen die Worte: "Wir stehen in einer Zeit, in der viel von der Einigung der Kirchen geredet wird. Gerade da darf nicht vergessen werden, daß Einigung von unten her nicht gleich Einheit von oben her ist und daß der Einigungswille sich zunächst innerhalb der kleineren und kleinsten Gemeinde verwirklichen sollte. Der Weg zur Einigung aber führt über die härtesten Widerstände; denn je kräftiger der Wille, desto ausgesprochener die individuellen Gegensätze. Freilich wird ein Grundziel als relative Einheit da sein, auf dem aufgebaut werden kann. Und das ist in der Kirche auch dort anzunehmen, wo es nicht formulierbar ist, sondern wo der Wille, es zum begrifflichen Ausdruck zu bringen, noch an der Arbeit ist. Trotz der Erkennt-
3 Vgl. Ebh. Bethge: Dietrich Bonhoeffer - Der Mensch und sein Zeugnis, Kirche i. d. Zeit, Ev. Inf.- und Nachrichtendienst 1955. S. 92 ff. • Vgl. A History of the Ec. Movement 1517-1948 von R. Rouse and Stephen Ch, Neill, S. P. C. K., London, 1954, S. 575, Anm. 1. 5 SC, S. 167. 6 Vgl. Headlam: The Church of England, London 1924, S. 185; vgl. Christian Fellowship, S. 119-12L
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nis, absolute Einigkeit, die der Geisteinheit entspräche, nie erreichen zu können, wird der Wille zu ihrer größtmöglichen Verwirklichung in der Gemeinde lebendig sein, und er wird seinen Trost haben im Gebete Jesu, ,daß sie alle eins seien, gleich wie Du Vater in mir und ich in Dir' (Johs. 17, 21). Und es wird der Ruhm der Gemeinde sein, durch ihre Einigkeit die Herrlichkeit Jesu vor der WeIt zu preisen" (v. 23) 7.
Dieser junge Theologe tritt als bewußt evangelisch-lutherischer Theologe auf die Bühne 8, Konfessionalist ist er aber nicht. Er wagt einen Fehler in CA VII zu finden 9 und nimmt hier in seiner ersten Schrift wie in seiner letzten geplanten Bestandsaufnahme das evangelischkatholische Gespräch unbefangen auf. Spricht er von dem durch Christus gesetzten Miteinander und Füreinander in der Gemeinde, wo "jeder dem anderen ein Christus werden darf und soll", so daß der Christ sagen kann, "daß die Keuschheit anderer seiner begehrlichen Versuchung hilft, daß das Fasten anderer ihm Gewinn, daß das Gebet der Nächsten für ihn dargebracht sei", so fragt er sofort: "Nähern wir uns aber hier nicht bedenklich der katholischen Lehre vom Thesaurus, die im Mittelpunkt der gesamten neueren katholischen Anschauung von der sanctorum communio steht?" Er antwortet aber, charakteristisch für seine Denkweise: "Gewiß, wir nähern uns ganz bewußt, wir wollen den guten Kern, der uns verloren zu gehen droht, mit Luther in der evangelischen Dogmatik erhalten wissen." 10 Nicht am Rande wird die Problematik der ökumenischen Bestrebungen angeschnitten, sondern in ihrer Mitte. Sie wird ernstgenommen. Bonhoeffer bejaht die Bestrebungen als tief im Wesen der Kirche begründete, tritt aber sofort theologisch korrigierend und mahnend auf. Mit dem Thema "Sanctorum communio" ist er notwendig in der Mitte der ökumenischen Arbeit. Seine Dissertation darf wohl als solche als ein Beitrag dazu angesehen werden, daß man in der Zukunft nicht auch von den ökumenischen Synoden sagen muß, was er mit derber Satire seiner Gegenwart zuruft: "Es hat ja wirklich einmal Synoden gegeben, in denen man von der Sache sprach, in denen Theologie getrieben wurde!" 11 Können wir auch nicht ganz sicher feststellen, wann und durch welche Vermittlung Bonhoeffer persönlich an den ökumenischen Bestrebungen mitbeteiligt worden ist, so wissen wir ganz sicher, was seine LeidenSC, S. 148-149. SC, S. 166: "Liebe und tiefer dogmatischer Einblick in den Sinn der Geschichtlichkeit der Kirche haben es Luther schwer gemacht, sich von der römischen Kirche loszureißen. Ressentiment und dogmatischer Leichtsinn sollen uns niCht kurzer Hand unsere geschichtliche evangelisChe KirChe nehmen können." 9 SC, S. 206. '0 SC, S. 131. 11 SC, S. 189. 7
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schaft für diese Arbeit geweckt hat. Das von ihm selbst ausgefüllte Personalblatt für die Universität Berlin gibt an: "Militärverhältnisse: W. S. 1923 mit Studentenverbindung ,Igel' bei den Jägern in Ulm. Kurzzeit." Ein Freund aus seiner ersten Dozentenzeit, Pfarrer W. Maechler, Berlin, hat außerdem mitgeteilt, daß Bonhoeffer auf die kritischen Einwendungen der Studenten gegen die Weltbundarbeit immer in dem Sinne geantwortet habe: "Ich tue es doch, weil das Internationale uns gegen den kriegshungrigen Nationalismus helfen kann." Diese zwei Aussagen erlauben uns, folgende Schlüsse zu ziehen: Der 17jährige Student aus dem konservativen Milieu, dessen zweitältester Bruder im ersten Weltkrieg gefallen ist, schließt sich einem freiwilligen Militärkorps an. Deutschland war damals durch die Versailles-Verträge entmilitarisiert, aber freiwillige, heimliche Militärverbände entstanden. Sie schossen wie Pilze empor und bekamen sehr schnell einen halboffiziellen Status. Sie wurden z. B. von der Regierung gegen die kommunistischen Revolten oder als Grenzsicherung gebraucht. Alte Berufsoffiziere waren die Erzieher. Aber in diesen Korps lebte ein Nationalismus, der der Demokratie feindlich war. Das bekannte Freikorps "Stahlhelm" hatte als Motto: ",Stahlhelm' sieht in der Wiederherstellung der militärischen Macht Deutschlands den einzigen Weg zur Freiheit und zum wirklichen Weltfrieden." 12 Von diesem Geist, der in ähnlichen Bewegungen in vielen anderen Ländern auch zu spüren war, ist Bonhoeffer erschüttert worden. Er ist einen Weg gegangen, der einen jungen Mann aus seinen Schichten damals einsam machen mußte. An diesem konkreten Ausgangspunkt wird seine theologische Entwicklung verständlich. Es wird auch verständlich, daß er sich eben der Arbeit des "Weltbundes" anschließen mußte. Er hat selbst in einem Brief vom 17.11. 1941 an einen jungen Mann, der eingezogen war, geschrieben: "Du machst nun Deine eigenen Erfahrungen, sie sind so ganz anders als die, die ich in Deinem Alter gemacht habe. Dabei glauoe ich, daß sehr viel davon abhängt, was man so um die zwanziger herum erlebt und vor allem, wie man es erlebt. Bei mir waren das die Jahre um 1926. Das Studium ging dem Ende zu; man konnte in aller Freiheit lernen und arbeiten; man reiste und sah etwas von Europa. Damals erholte sich Europa gerade so allmählich wieder von der Armut, der Zerrissenheit, dem Haß, den der Weltkrieg über es gebracht hatte. Deutschland begann, süh in der Welt wieder eine Stellung zu schaffen durch Arbeit, Wissenschaft, Geist. Alte Vorurteile der Völker gegeneinander wichen einer in den abendländischen Völkern auflebenden Hoffnung auf ein besseres, fruchtbareres Zusammenleben in friedlichem Geist. Die besten Kräfte der Völker rangen darum, den Frieden zu gewinnen - der freilich von vornherein schwer belastet war. Man spürte 12 Hartvig Frisch: Pest over Europa, Bolschevisme - Fascisme - Nazisme. Tiden indtil 1933. Kebenhavn 1950. 2. unv. Aun., S. 100.
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so etwas wie eine abendländische Aufgabe, ja Sendung in der Welt. Man arbeitete und glaubte zu wissen, wofür. Man schuf tragende, sich geistig verantwortlich wissende Kreise. Man diskutierte leidenschaftlich gegen und letztlich doch miteinander." 13
Wenn diese Worte auch durch die dazwischenliegenden Erlebnisse ein wenig heller gefärbt sind, als es korrekt wäre, so geben sie doch dasselbe Bild von den Ausgangspunkten der Entwicklung Bonhoeffers: Die Zerrissenheit des Abendlandes und die Arbeit für den Frieden. Die Soziologie, die Sozialphilosophie und überhaupt die Anthropologie sind dann natürlich in den Mittelpunkt seines Interesses gerückt, und als Theologe mußte er die Ergebnisse seiner Beobachtungen für die systematische Theologie fruchtbar machen. In der Antrittsvorlesung 31. 7. 1930, Berlin, heißt es, "daß ein Jahrhundert der Ingenieure, das eine neue Welt auf dem Boden der alten aufgebaut hat, und andrerseits ein verlorener Krieg für uns die Frage nach dem Menschen neu und verschärft stellen müssen". Und später: "Man fühlt sich den Boden unter den Füßen weggezogen und will doch nicht fallen." Die Frage von Schöpfung und Fall hat sich fast von selbst als die hinter allen konkreten Fragen liegende theologische Grundfrage gemeldet und diese Frage ist auch von seiner ersten Arbeit bis zum letzten Brief aus dem Gefängnis das Thema der Themata gewesen. Ich wage zu sagen: Das Ringen mit der Problematik von Schöpfung und Fall war die Kontinuität seines fragmentarischen Schaffens. Theologisch schwerbewaffnet tritt er in die ökumenische Arbeit ein. Aber ehe er von der Arbeit beschlagnahmt wurde, verbrachte er ein Studienjahr auf dem Union Theological Seminary in New York vom Sommer 1930 bis Sommer 1931. Theologisch hat er hoffentlich mehr gelernt als ihm bewußt war. In einem Bericht über seine Erfahrungen bei diesem Aufenthalt hat er jugendlich, europäisch, kurz alles zusammengefaßt in den Satz: "Wir haben diesen amerikanischen Studenten und Professoren gegenüber eine ganze Dimension mehr." 14 Er hat wenigs.tens die angelsächsische theologische Welt kennen gelernt. Die späteren Angriffe auf das "Angelsachsenturn" sind bei Bonhoeffer nicht aus theologischer Leichtfertigkeit und Faulheit heraus geführt. Die Freundschaft mit den beiden Niebuhrs, Paul Lehmann und vor allen Dingen mit den beiden theologischen Mitstipendiaten: dem schweizerischen, musikalischen Erwin Sutz und dem französischen, pazifistischen Jean Lasserre hat den Horizont menschlich und theologisch erweitert. Mit diesen beiden letzten zusammen ist ein Triumvirat entstanden, das lebenslang bestand.
13
14
Unterwegs, Jhrg. 5, H. 3, 1951, S. 151-152. Evang. Theologie 1955, H. 4/5, S. 147.
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Er hat die drei Hauptsprachen beherrscht 15, dazu Spanisch und Italienisch. Er besaß geradezu eine Neugier und eine feine Nase für alles, was seinen Horizont erweitern konnte. In New York hat er fleißig Harlem besucht. Von den Negro Spirituals wurde er so beeindruckt, daß er sie später seinen Konfirmanden an der Zionskirche und seinen Vikaren in Finkenwalde vorgesungen hat. Schon damals hat er sich nach Indien gesehnt und die Reisemöglichkeiten nach Indien und zurück untersucht 16. Er wollte die Non-violence-Bewegung bei Gandhi studieren. Was Reinhold Niebuhr in "Christianity and Crisis", Juni 1945, schreibt, erscheint mir sehr zweifelhaft. Er schreibt: "When he was in this country in 1930-31 as German fellow at Union Theological Seminary he was inclined to regard political questions as completely irrelevant to the life of the faith." 17 Schon in "Sanctorum Communio" ist ausdrücklich "das Streben der sanctorum communio, alles menschliche Gemeinschafts- und Gesellschaftsleben zu durchdringen" als die eine große grundsätzliche Bestrebung in der Kirchengeschichte dargestellt 18. Eher ist das geläufige, amerikanische Mißverständnis der Barth'schen Theologie bei Niebuhr hier vorhanden. Die von R. Niebuhr zitierte Äußerung von 1939 19 mag richtiger sein; nur ist die Pointe bei Bonhoeffer nie anti-barthisch gewesen. Er hat übrigens selbst dieses Mißverständnis schon in einem Brief an H. Rößler vom 25. 12. 1932 korrigiert. "Sie werden doch hoffentlich meinen vor langer Zeit gefallenen Ausdruck des "Desinteressement" (nämlich: an den politischen Dingen, die das Volk 15 D. B. wurde als Dolmetscher für Englisch, Französisch und Deutsch zur Oxford-Konferenz 1937 eingeladen, vgl. Papiere in Genf, Route de Malagnou 17, World Council of Churches. 16 Geht aus dem Brief einer Travel Agencie in New York an D. B. vom 3. 12. 1930 hervor, im Besitz E. Bethges. 17 Christianity and Crisis, June 1945, Nr. 11, S. 6, R. Niebuhr: Death of a Martyr. - "Als er 1930/31 in diesem Lande als Deutscher am Union Theological Seminary war, war er geneigt, politische Fragen als völlig irrelevant für das Leben des Glaubens anzusehen." 18 SC, S. 212 f. 19 "I still remember a discussion of the theological and political matters I had with hirn in London in 1939 when he assured me that Barth was right in coming more political; but he criticized Barth for defining his position in a little pamphlet. ,H', he declared in rather typical German fashion ,one states an original position in many big volumes, one ought to define the change in one's position in an equally impressive volume and not in a little pamphlet'." (Christianity and Crisis, Nr. 11, 1945, S. 6.) ("Ich erinnere mich noch einer Diskussion über theologische und politische Angelegenheiten, die ich mit ihm 1939 in London hatte, da er mir versicherte, daß Barth recht daran tut, politisch aktiver zu werden; aber er kritisierte Barth darin, daß er seine Stellungnahme in einer kleinen Flugschrift darlegte. ,Wenn man', erklärte er in ziemlich typisch deutscher Art, ,einen originalen Standpunkt in vielen großen Bänden darlegt, sollte man einen einzelnen Standpunktwechsel in einem ebenso eindrucksvollen Band erklären'.")
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bewegen) nicht falsch verstehen (ich kann mich dessen übrigens gar nicht mehr erinnern); er erscheint mir heute eigentlich frivol. Bezeichnen sollte er wohl nur die Begrenzung, in der ich diese Probleme sehe, auch die Tatsache der Kirche." 20 In einem Jahresbericht vom 29. Okt. 1932 21 über die Tätigkeit des Jugendausschusses des "Weltbundes" haben wir - von ihm selbst formuliert - seine Position in der damaligen politischen Frage: "Von dem der politischen Konjunktur gegenüber ,neutralen' Ort katexochen, nämlich von einer rechtverstanden christlichen Kirche her bemüht sich eine bisher noch kleine, aber ihr Ziel sehr unverwandt ins Auge fassende Gruppe junger Menschen aller Stände und Berufe darum, die politische Wirklichkeit der gegenwärtigen internationalen Lage vor allem klar zu Gesicht zu bekommen, sodann zu beurteilen und in der ihr sachlichen angemessenen Weise zu bestimmen." Das Grundthema der vier Tagungen, seitdem die Jugendgruppe auf der Konferenz des Weltbundes in Cambridge 1.-5. Sept. 1931 gebildet war, "ist die Frage nach der Stellung und dem Beitrag der christlichen Kirchen zum internationalen Frieden. Die denkbar größte Mannigfaltigkeit der hier zur Aussprache gelangten Ansichten ist zusammengehalten durch eine Grundvoraussetzung, die alle Teilnehmer verbindet, nämlich: Daß allein auf dem Boden der christlichen Kirche zu diesem Thema sachlich, d. h. neutral, und verantwortlich gesprochen werden könne". In diesen Sätzen ist auch nichts vorhanden von einer Neigung, politische Fragen "as completely irrelevant to the life of the faith" anzusehen; wohl aber die erwähnte Dimension mehr: der Boden der Kirche! Bonhoeffer war zwei Monate von der Kirche beurlaubt worden, um nach Cambridge zu reisen 22. Auf der Konferenz wurde er zum hon. secretary der Jugendarbeit in Deutschland gewählt 23. Im Weltbund stand seit der Gründung am 2. Aug. 1914 in Konstanz die Frage nach dem internationalen Frieden und dem Beitrag der Kirchen dazu im Vordergrund. Die Bewegung ist von Anfang an ausgesprochen pazifistisch, aber nicht immer extrem. Die Aufgabe des Weltbundes war in Prag am 30. Aug. 1928 neuformuliert worden, und es ist sehr deutlich gesagt, daß die nationalen Vereinigungen dafür arbeiten sollten, daß die nationalen Kirchen bereit seien "ta use their influence with the peoples, parlaments and governments of their own countries to bring 20 Dietrich Bonhoeffer, Einführung in seine Botschaft, Verlag Kirche in der Zeit 1955, S. 63. 21 Kirdte, Jugend, Friede. Zu den Jugendtagungen des Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen: Täglidte Rundsdtau, Tageszeitung für Staatsgesinnung und Reidtsgesundung, November 1932; Manuskript vom 29.10.1932. 22 Brief an Erwin Sutz, Zürich, vom 24. 7. 1931. 23 Die drei ehrenamtlidten Sekretäre waren: Rev. F. W. T. Craske, England, Pastor P. C. Toureille, Frankreidt, und D. B.
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about good and friendly relations between the nations" 24. Mit diesen Aufgaben muß Bonhoeffer natürlich schon vor Cambridge völlig einverstanden gewesen sein, sonst hätte er sich nicht als Sekretär wählen lassen können. II. Der Jugendsekretär 1. Die Forderung einer ökumenischen Theologie
Mit Cambridge fängt eine sehr intensive Pionier arbeit für den Weltbund an, bald auch für "Life and Work", aber nicht nur für die beiden Organisationen, sondern für die ganze ökumenische Bewegung. Die Forderung einer ökumenischen Theologie wurde von Bonhoeffer leidenschaftlicher erhoben als vorher und bezeichnet eine wichtige Station in der Entwicklung der ökumenischen Bewegung 1. Diese Forderung entstand zunächst als Korrektiv zu "einem aktions- und resolutionsfreudigen Angelsachsentum" 2, das dem kontinentalen Denken fremd war. Bonhoeffer hat sich bemüht, festzustellen, daß "die Aufgabe der Tagungen des ersten Jahres sein [mußte), die allgemeinen Grundlagen unserer Zusammenarbeit neu zu entdecken"; nicht aus Angst vor den konkreten Fragen als Flucht in die Prinzipien, "sondern es entsprach der Erkenntnis von der Haltlosigkeit alles Redens über Einzelheiten, wo nicht vorher die alleinmögliche Richtung des verantwortlichen Redens und Fragens klargeworden ist" 3. Diese Linie hat die Vorläufigkeit der Arbeit betont; sie ist eine Mahnung, die für alle Zeiten in der ökumenischen Arbeit ein Gewinn ist: zu sachlicher Bescheidenheit, zum Ernstnehmen des fremden Standpunktes und zu scharfer Begrenzung des Eigenen; und das alles um des Vertrauens zur Arbeit und des Gewichts des konkreten biblischen Gebotes des Friedens willen! Bonhoeffer ist in die ökumenische Arbeit gegangen, bevor er Karl 24 The World Alliance for Int. Friendship through the Churches, Handbock, Geneva 1935, S. 22 . .. Ihren Einfluß bei den Völkern, den Parlamenten und den Regierungen ihrer eigenen Länder zu gebrauchen, um gute und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Nationen zustande zu bringen." 1 A. Keller zählt unter die Stationen zur theologischen Grundlegung der ökumenischen Bewegung "die sozialtheologischen Vorarbeiten von Troeltsch" und "die lutherische Bekämpfung einer sozial-pragmatischen Theologie, wie etwa bei IhmeIs und leidenschaftlicher bei Bonhoeffer". Reformatio II. Jhrg., H. 2, Febr. 1953, S. 113. 2 Vgl. Anm. Kap. I, 21. 3 ebd.
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Barth persönlich kennengelernt hat, und bevor Karl Barth selbst sich bereit erklärt hatte, nicht nur von außen her teilzunehmen 4. In einem Brief an E. Sutz aus Bonn 5, wo Bonhoeffer Barth zum ers~<;)nmal getroffen hatte, erzählt er, daß er als Vorbereitung für die Kont\~renz in Cambridge Nationalökonomie liest! In demselben Brief berichtet er, wie er das ethische Problem lange mit Barth diskutiert hat, und er fügt hinzu: .. Das ist wirklich einer, von dem man was lernen könnte." In der ökumenischen Arbeit hat Bonhoeffer die Forderung einer theologischen Grundlegung erhoben und ein "Warten-lernen" gerufen; aber persönlich hat er gleichzeitig intensiv mit ethischen Fragen, ganz besonders mit der Frage nach dem konkreten Gebot gerungen. Er hatte sich aber verbindlich zur ökumenischen Sache bekannt. So heißt es über die Konferenz in Cambridge 6: "Die bevorstehende Abrüstungskonferenz in Genf und die mit ihren Problemen in nicht unerheblichem Zusammenhang stehende Weltkrise hatte den versammelten Vertretern der Kirchen das Thema der Tagung diktiert", nämlich die Abrüstungsfrage. Unter dem Zeichen dieser Fragen stand sowohl die Tagung des .. International Council" als auch die internationale Tagung für die Jugend. Die ökumenische Arbeit ist "ein Anliegen der hellhörig gewordenen, aufgeschreckten jungen Christenheit", schreibt er. Die Aufrüstung der großen Mächte, die internationale ökonomische Krise, die Arbeitslosenfrage besonders in Deutschland, der Nationalsozialismus, die völlige Ratlosigkeit der Kirche diesen Problemen gegenüber haben Bonhoeffer aufgeschreckt und hellhörig gemacht. Hellhörig auch für die innere Problematik der ökumenischen Arbeit, und fähig, sie in Worten zu formulieren wie wenige. Und er hat unter der ökumenisch beteiligten Jugend Gehör gefunden. Mit der Forderung einer ökumenischen Theologie hat Bonhoeffer nicht nur eine Epoche der Weltbundarbeit geprägt, sondern bleibendes Gut für die Ökumene hinterlassen. Man spürt in jener Forderung den Geist von dem Karl Barth, der sich zur ökumenischen Arbeit bis 1932 als Beobachter verhielt. Bonhöeffer ist aber kein Epigone. Er hielt sich nicht fern. Man hätte beides erwarten können, daß er als Systematiker in "Faith and Order" zu finden wäre - ist nicht der Kirchenbegriff sein Thema in .. Sanctorum Communio" und "Akt und Sein" gewesen? Oder in "Life and Work"?• A. Deißmann schreibt in seinem Bericht über die Tätigkeit der Theologenkom" mission 1931/32 vom 31. 7. 1932, daß Barth "mir im Frühjahr 1932 mitteilte, er habe seine Bedenken gegen eine Mitarbeit in derTheologenkommision, die er seither gehabt habe, nunmehr zurückgestellt und sei bereit, die bereits früher beschlossene Wahl in die Kommission anzunehmen". 5 Brief an E. Sutz vom 24.7.-1931. 6 Theol. Blätter 1931, S. 299-300. Die Abrüstungskonferenz in Genf 1931 wurde von ähnlichen vergeblichen Erwartungen wie die Konf. 1955 umgeben.
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hat er nicht Stockholm im selben Atemzug mit Korinth, Rom, Wittenberg und Genf erwähnt? Er ist im Weltbund zu finden! Warum? Er gehört einer aufgeschreckten Jugend an, die der Friedensfrage nicht mit Ressentiment, wie etwa die beiden Theologieprofessoren Althaus und Hirsch 7, gegenüberstehen kann. Deshalb betont er auch in seinem Bericht über Cambridge, daß es sich "nicht primär um eine politische Auseinandersetzung" handelt, d. h. um eine parteipolitische; sondern darum, ob die damals "aufrüstenden Völker gewillt sein werden, zu ihrem gegebenen Wort (im Art. 8 der Völkerbundsatzung und in der Präambel des V. Teils des Versailler Vertrags) zu stehen, oder ob mit dem gebrochenen Wort gleich der erste Versuch einer sittlichen Ordnung der internationalen Beziehungen der Völker hoffnungslos zusammenbrechen soll. Dicht vor dem Abgrund eines abermaligen völligen sittlichen Chaos' des Völkerlebens fassen die Kirchen festen Fuß und rufen auf zur Wahrhaftigkeit und Treue, das gegebene Versprechen zu achten und einzulösen." Das sind keine pathetischen Worte. Er wußte wohl Bescheid schon durch seine Familienverbindungen. Trat er tür die Botschaft der Konferenz ein [daß nämlich der "Krieg als Mittel zur Schlichtung internationaler Streitigkeiten dem Geiste (,mind and method'!) Christi widerspreche", oder etwa die Forderungen einer wesentlichen Verminderung der Rüstungen, eines gerechten Verhältnisses der bewaffneten Völker, der Sicherheit aller Völker gegen etwaige Angriffe], so wußte er doch wohl, daß diese Botschaft der Kritik nicht entgehen würde, "es sei hier zu viel oder es sei zu wenig gesagt oder aber man habe wieder einmal nur etwas gesagt". Er greift aber sofort zu, die Lage näher zu erklären. Und es zeigt sich für den Leser, daß er durch seine Analyse der Gegensätze innerhalb des Weltbundes einen Beitrag zur ganzen ökumenischen Arbeit gegeben hat, der wahrscheinlich noch lange wichtig sein wird. Zu viel gesagt wird in den theologischen Formulierungen, zu wenig in dem, was faktisch gesagt worden ist. Warum? Die angelsächsische Theologie, die damals den Weltbund und auch weithin die Stockholmer Bewegung beherrschte, wurde von der kontinentalen (deutsch-französisch-dänischen) Jugend leidenschaftlich bestritten 8, und die Parallelkonferenz der Jugend hat daher keine Resolution herausgeschickt. Dieser Gegensatz wurzelt darin, so behauptet Bonhoeffer, daß die Repräsentanten der angelsächsischen Welt "die Problematik etwa des Kriegsproblems nur in Realisierung eines bereits feststehenden Ideals, d. h. 7
Vgl. Hirsch-Althaus-Erklärung, Theol. Blätter, 1931, Juni, Nr. 6, Jhrg. 10,
S. 177-178. 8 Der spätere Prof. Regin Prenter, Aarhus, hat sich in einem Bericht über Cambridge ähnlich geäußert. Hojskolebladet Nr. 44, Jhrg. 56, S. 695-696.
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als Aktionsproblematik, nicht aber als Wesensproblematik begreifen", wie die vom europäischen Kontinent. Hinter dieser Behauptung liegt die ganze Schrift "Akt und Sein", die so nicht weniger als "Sanetarum Communio" ein zentral ökumenisches Buch ist. Nicht durch Glättung, sondern durch Erkenntnis der Wahrheit geht für Bonhoeffer der Weg vorwärts. Erkennt man aber die Wahrheit noch nicht, dann ist es schon ein Schritt vorwärts, keine Resolution herauszuschicken oder besser "das offen einzugestehen". Oder aber wenn die Kirchen die berechtigte Hoffnung, "daß doch die Kirchen nun endlich, endlich einmal ganz konkret reden sollten", enttäuschen müssen und nur "christliche Prinzipien" - die angewandte Kunst -, die auf solchen Konferenzen der echten Christlichkeit am gefährlichsten sind, aussprechen, ja, dann muß auch das offen eingestanden werden. Bonhoeffer hat öfters als Alternative zum vollrnächtigen Reden der Kirche das qualifizierte Schweigen gefordert 9. Er meint trotz alledem, daß die Weltbundarbeit langsam, aber sicher fortschreitet und ein Werk tut, "von dem wir bisher nicht wissen, wie wir es besser und schneller betreiben könnten". Er erkennt, daß der damals spürbare Wandel im Denken des Amerikaners über die Alleinschuld Deutschlands am ersten Weltkrieg nicht den Anstoß von den Kirchen bekommen hat. Auch diese Erkenntnis wendet sich aber sofort zu einer emphatischen Frage: "Wann wird die Zeit kommen, da die Christenheit das rechte Wort zur rechten Stunde spricht?" Mit solchen Beobachtungen und Gedanken tritt Bonhoeffer verbindlich und aktiv als ehrenamtlicher Sekretär in die Arbeit für den Weltbund ein. Ehrenamtlicher Sekretär, das heißt: "Youth Commitee should be active and effective to the maximum with a minimum of means!" 10 2. Die ökumenische Frage gehört zur Elementarlehre der Kirche Seit 1. Oktober 1931 ist Bonhoeffer zugleich Studentenpfarrer an der Technischen Hochschule und Privatdozent an der Universität Berlin. Wir können seinem Weg durch diesen Winter an Hand der Briefe an den damaligen jungen Vikar Erwin Sutz in Zürich folgen. Uns begegnet in diesen Briefen ein junger Mensch von 25 Jahren, von dem man sehr viel will und erwartet, der aber manchmal schlechterdings nicht sehen kann, "wie ich die Dinge recht machen soll" 11. Er hungert danach, 9 über qualifiertes Schweigen auch: SC, S. 189; Zur theol. Begründung d. Weltbundarbeit, Die Eiche, IV, 335 u. 338. Vgl. die Forderung, das Nichtwissen zu bekennen, die B. K. und die ökumene, Ev. Theologie, 2. Jhrg. 1935, S. 249. 10 In einem Brief vom 28.10. 1931 angeblich in Cambridge so formuliert: "Das Jugendkommitee sollte tätig und wirksam sein für die größte Menge bei einem Minimum an Mitteln." 11 Hier und im Folg.: Brief vom 8. 10. 1931.
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einen Lehrer zu haben; er wurde ihm nie gegeben. "Wenn ich einmal in meinem Leben hätte mit einem älteren Mann zusammentreffen können zu gemeinsamer Arbeit, der mir wirklich Lehrer geworden wäre ich weiß nicht, warum mir das nie gegeben wurde. Ob ich es nicht ausgehalten hätte? ... es muß eine unglaubliche Sicherheit geben." Dazu kommt nun "die beispiellose Situation unseres öffentlichen Lebens in Deutschland": "Niemand übersieht die Situation auch nur einigermaßen. Aber man steht allgemein unter dem sehr bestimmten Eindruck, vor ganz großen Wendungen in der Weltgeschichte zu stehen." Im bevorstehenden Winter 7 Millionen Arbeitslose, "d. h. 15-20 Mill. Leute hungrig", schreibt er. "Kluge Leute vom Wirtsmaftsfach haben mir gesagt, die Same sehe so aus, als ob wir in rasendem Tempo einem Ziel zugetrieben würden, das niemand kenne und aufhalten könne. Ob unsere Kirche noch eine Katastrophe übersteht, ob es nicht dann endgültig vorüber ist, wenn wir nimt sofort ganz anders werden? Ganz anders reden, leben! Aber wie? Am nämsten Mittwom ist eine Zusammenkunft aller Berliner Pfarrer zur Erörterung der Winterprobleme; mal sehen, was das für Probleme sindl Ich fürmte Smlimmes von dieser Versammlung. Und dom weiß keiner es besser zu mamen. Und das in solmen Zeiten I Wozu hat man denn seine ganze Theologie?" Die soziale Not und das Versagen der Kirche und speziell der Pfarrer sieht er so smarf, daß er einsam werden mußte. Aber nicht ohne gute Freunde. "Aber was mich gegenwärtig viel mehr besmäftigt, ist die Konfirmandenstunde, die ich 50 Jungens im Norden von Berlin gebe. Das ist ungefähr die tollste Gegend von Berlin, mit den smwierigsten sozialen und politismen Verhältnissen. Anfangs benahmen sich die Jungens wie verrüd.
Er zieht für zwei Monate in ein möbliertes Zimmer jener Gegend. um die Jungens jeden Abend bei sich zu haben. Nach dem Abendessen haben sie sich mit Schachspiel u. drgl. unterhalten und zum Schluß eine Lesung aus der Bibel und Katechese gehabt. Oft konnte er sie direkt über eine halbe Stunde lang so ansprechen, daß sie zuhörten. Von diesen Jungens und von den Eltern, die sämtlich von ihm besucht wurden, lernt er die sozialen, politischen und kirchlichen Fragen von ihrer konkret-menschlichen Seite her kennen. Die hochgebildete "Germanengestalt" [Barth) 13 des bürgerlichen, preußischen Akademikermilieus findet sich unter diesen Menschen zu Haus. "Das ist wirklich Arbeit." Später kauft er ein Holzhäuschen in BiesenthaI, damit er das Wochen12 Die Negro spirituals sind auch in einem Proletariermilieu entstanden und massiv biblisch und eschatologisch. 13 MW, S. 115.
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ende mit den Konfirmanden und Studenten zusammen verbringen kann. Die Erfahrungen unter diesen Jungens und ihren Eltern laufen auf Erkenntnisse hinaus, die schon Ansätze sind zu den späteren Gedanken über das Hinterweltlertum der Kirche 14 und die Notwendigkeit, eine Zeitlang im "Beten und das-Rechte-tun" zu leben, ehe man wieder die christlichen Worte aussprechen kann 15. Man spürt schon hier, wie das Wort "christlich" einen ironischen Beiklang haben kann. Daß hier wirklich bereits Ansätze zu den jetzt so umstrittenen Aussagen in den Gefängnisbriefen vor uns liegen, beweist eine Notiz aus den Vorlesungen desselben Winters, die zeigt, daß er die Frage der Gottnähe der gottlosen Welt theologisch klar vor sich gehabt hat: "Der Mensch ist nicht halb iustus, halb peccator, sondern beides ganz. Hiermit ist die Moral gefährdet. Es muß von der Gottlosigkeit des Menschen auch bei den höchsten Leistungen des Menschen und von der Gottnähe auch bei den Gottlosen geredet werden." 16 Die Frucht des Konfirmandenunterrichts ist" ,Glaubst du, so hast du' - Versuch eines Lutherischen Katechismus" von Dietrich Bonhoeffer und Franz Hildebrandt 17. Er versucht hier "zu formulieren, was der Lutherische Glaube heute sagt". Was in diesem Zusammenhang interessiert, ist die Tatsache, daß die modernen, ökumenischen Fragen in den Katechismus, d. h. in die Elementarlehre der Kirche hineingezogen sind: unter dem ersten Artikel die Kriegs- und Friedensfrage und unter dem dritten Artikel die Zerrissenheit der Kirche, also eben die beiden Fragen, die für ihn die aktuellen, die Hauptfragen waren. Der Katechismus ist auf ganz elementaren Kinderfragen aufgebaut. Die Eingangsfragen: "Was ist Evangelium?", "Wer ist evangelisch?" werden beantwortet und die Antwort unterstützt mit einem Lutherwort, das in der folgenden Zeit wie ein Antiphon in seinen Predigten, Vorträgen und Briefen wiederkehrt 18: "Das aber ist der christliche Glaube: wissen, was du tun sollst und was dir geschenkt ist" [Luther, W. A. 30, I, 94). "Aber muß man nicht im Krieg das Leben zerstören? Eben darum weiß die Kirche nichts von der Heiligkeit des Krieges. Hier wird mit entmenschten Mitteln der Kampf ums Dasein geführt. Die Kirche, die das Vaterunser betet, ruft nur Gott um den Frieden an. Ist das nicht vaterlandslos? 11 D. B.: Dein Reim komme I, in: Stimmen aus der deutsmen chr. Studentenbewegung, H. 78, Berlin (Furme), 1933, S. 29-42. i5 WE, S. 207. i6 Namsmrift 1932/33 von J. Wintherhager, Berlin. i7 Monatssmrift für Pastoraltheologie, 28. Jhrg. 1932, H. 5/6, S. 167-172. i8 Vgl. Predigt am Sonntag Exaudi (8. 5. 1932), Brief an E. Sutz vom 17. 5. 1932. - Zur theol. Begründung d. Weltbundarbeit, Die Eime, IV, 338, Opening adress in Gland am 25. 8. 1932 (vgl. Bericht vom Vorsitzenden der Jugendkommission des Weltbundes Bismof von Ripon in Yorkshire Post vom 27. 9. 1932).
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Gott hat gemacht, daß von einem Blut aller Menschen Geschlechter auf dem ganzen El'dboden wohnen (Apg. 17, 26). Darum ist ein völkisches Trotzen auf Fleisch und Blut Sünde wider den Geist. Der blinde Eifer, der nur sich selbst behauptet, wird im Staat gebändigt; ihn hat Gott in sein Amt eingesetzt, daß wir als Christen ihm dienen. Wie soll sich der Christ politisch verhalten? Bliebe er auch am liebsten dem politischen Kampf fern, so drängt ihn doch das Gebot der Liebe, sich auch hier für seinen Nächsten einzusetzen. Ob ihn der Befehl des Staates gegen das Gewissen führen darf, muß sein Glaube und seine Liebe wissen. In jeder Entscheidung erfährt er den unversöhnlichen Zwiespalt zwischen dem Frieden Christi und dem Haß der Welt. Haben die Christen keine andere Lösung? Wir erkennen das Unrecht unserer Gedanken und Werke. Darum hofft alle Welt ruhelos auf die Erscheinung des Erlösers und seiner Gerechtigkeit. Wir bitten Gott, daß er uns nicht richte, sondern uns für sein Werk recht fertig mache." Die ganze Weltbundarbeit klingt in diesen Sätzen durch. Sie ist aber hier ganz von dem angelsächsischen Sauerteig befreit. "Was dir geschenkt ist" ist kein Problem für ihn [ist es wohl auch nie gewesen), aber "was du tun sollst" wurde ihm die brennende Frage. "Wir sollten wirklich eine Kirche sein. Aus unserer unbegreiflichen Zerrissenheit dringen wir auf eine Gemeinschaft aller Christen. Sie zu haben ist uns Menschen nie anders möglich als im Warten und im Glauben, der seiner Kirche treu ist." Er fragt, aber nicht sentimental-positivistisch. Die Frage folgt: "Wo ist die wahre Kirche?" "Wo die Predigt steht und fällt mit dem reinen Evangelium vom gnädigen Gott gegen alle menschliche Selbstgerechtigkeit. Wo die Sakramente hängen am Wort Christi ohne alle Zauberei. Wo Gemeinschaft des Geistes im Dienen steht und nicht im Herrschen." Natürlich kann man in einem Katechismus nicht die letzte Konkretion erwarten. In der Seelsorge und in der Predigt muß aber konkret geredet werden, wenn die Kirche in der Vollmacht Christi reden soll. Wenn wir nun Bonhoeffers Entwicklung verfolgen, müssen wir uns erinnern, daß er in seiner ganzen Theologie eigentlich diese Jungen und diese Eltern vor Augen hatte. Noch im Gefängnis 1943-44 sind in dem Entwurf eines Dramas jene Konfirmanden gleichsam im Gespräch mit ihm. Die Stellung des Christen zur Welt ist letzten Endes sein Problem. Wenn er in den Kirchenkampfjahren auch für die innere Konzentration gekämpft hat, so kommt das daher, daß die Frage nach der Stellung des Christen zur Welt ihn immer wieder auf die VoUmachtsfrage zurückgeworfen hat. So hat er in einem ökumenisch aktiven Kleinkreis in den drei ersten Semestern seiner Dozentenzeit in der Berliner CSV eben die Stellung des Christen zur Welt zur Untersuchung gestellt. "Wir haben diese Fragen damals nach einzelnen Sachgebieten gegliedert (Leib, Gesetz usw.) und haben daraufhin das NT gelesen. Es trug dann
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jeder die Stellen, die sein Sachgebiet betrafen, im Zusammenhang vor. Dies geschah ohne Berücksichtigung der einschlägigen Literatur. Wir haben dann aus der direkten Lektüre die Stellungnahme ermittelt, die zu den konkreten Fragen wie Gesetz, Natur usw. im NT vorliegt" 19.
Wie wir später sehen sollen, ist es charakteristisch für Bonhoeffer, die Vollmachtsfrage der Kirche als eine Frage nach der Autorität der Bibel zu verstehen. Liegt nicht auch das Gewicht der Bonhoeffer'schen Fragestellungen eben darin, daß er ganz konkrete aktuelle Fragen schlicht mit der Bibel konfrontiert? Wichtig ist uns wenigstens das Ergebnis, daß nicht etwa erst der Kirchenkampf Bonhoeffer zum Bibelausleger gemacht habe. Schon die Frage nach der Stellung des Christen zur Welt hat diese Entwicklung hervorgerufen. 3. Aufmarsch der theologischen Streitkräfte "Am 4. April 1932 tagte in London das internationale Jugendsekretariat des Weltbundes unter Vorsitz des Bischofs von Ripon. Die drei Jugendsekretäre gaben Bericht über ihre Arbeit, wobei besonders bemerkenswert war, daß der französische Vertreter sich über die Aussichten der Weltbundarbeit unter der französischen Jugend am hoffnungsvollsten aussprach. Nirgends scheinen die Anknüpfungspunkte so schwer zu finden zu sein wie gegenwärtig in Deutschland", schreibt Bonhoeffer 20. Vom 5. bis 8. April ist er Gast auf der englisch-französischen Regional-Konferenz in Epsom in England. "Inzwischen war ich mal wieder in England auf einer sehr überflüssigen Tagung", schreibt er am 17.5.1932 an Erwin Sutz. Warum überflüssig? "Die drei Hauptthemata waren: Is Christianity practicable in state life? in social life? in industriallife?" Aber ohne eine intensive Vorbereitung kommt man kaum über gegenseitige Informationen hinaus, die Gespräche sind der Gefahr des Zerflatterns ausgesetzt, "group findings" 21, "Resultate" müssen erzwungen werden, und dazu kommt, daß "man bereits ain Eingang zur Hauptfrage stecken blieb, weil man sich nämlich nicht klar darüber werden koimte, was ,Christianity' nun eigentlich sei". "Man darf sich nicht daran gewöhnen, im schönen Gefühl internationaler Freundschaft Zeit zu verlieren für ernste Arbeit." 22 Diese Worte sind für die Jugendarbeit immer noch aktuell, obwohl für die Riesenkonferenzen vielleicht ganz umgekehrt zu sagen wäre, daß man Zeit für die internationale Freundschaft verliert durch zu viel Arbeitl
19
bei 20
21 22
Undatierter Bericht nadl der Arbeit in drei Semestern; unter den Papieren
J. Wintherhager.
D. B.s Bericht: Ökumenisdle Jugendarbeit in: Die Eidle 1932, III, 260, 20. Jhrg. Gruppenergebnisse. Vgl. Anm. 20 dieses Kapitels.
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Am 29.-30. April tritt die Mittelstelle für ökumenische Arbeit in Berlin auf die Bühne, und mit einem Dietrich Bonhoeffer als Sekretär mußte das mit einer theologischen Konferenz geschehen. Den Bericht hat Bonhoeffer selbst verfaßt 23. Dieser Bericht ist deshalb eine wichtige Quelle, weil wir hier nicht nur seine Position in der ökumenischen, sondern auch in der deutschen innerkirchlichen Situation fixiert finden. Der Bericht zeigt uns - das sieht man jetzt mit Erstaunen - schon ein Jahr vor dem Anfang !les Kirchenkampfes den Aufmarsch der theologischen Streitkräfte. Die Positionen sind schon hier eingenommen. Die grundsätzlichen Linien des Verlaufes des Kirchenkampfes sind hier ganz deutlich, und man wundert sich, daß der jüngste Teilnehmer der Diskussion, ein 26jähriger, schon hier Worte sagen kann, die die ganze Entwicklung im voraus durchleuchten. Wer behaupten will, daß 1933 eine Neuentwicklung in Bonhoeffers Denken bedeutet habe, der lese diesen Bericht vom Ende April 1932: Ein Blick auf die Namen der Teilnehmer in der Diskussion, und man sieht, daß die kirchlichen Großmächte durch Zentralfiguren repräsentiert waren: Professor (später Bischof) W. Stählin, Generalsuperintendent W. Zöllner (beide tätig in Faith and Order, der letzte auch in Life and Work), Professor A. Deißmann (Nestor der deutschen ökumenischen Arbeit in Weltbund, Life and Work und Faith and Order), Pastor Peter (Leiter der D.e.-Jugendarbeit), Pastor H. Lilje (Sekretär der ehr. Studentenbewegung, Jungreformatorisch) und D. Bonhoeffer. Anwesend waren noch der Missionswissenschaftler Dr. Siegfried Knaak und der damalige Oberkonsistorialrat Dr. Th. Hecke!. "Wer in der Jugendarbeit ökumenischen Gedanken Gehör verschaffen will, erfährt es heute wohl am deutlichsten, daß uns die rechte theologische Basis für diese Arbeit fehlt. So ist es verständlich, daß gerade die Arbeit der Mittelstelle für ökumenische Jugendarbeit sich mit einer theologischen Konferenz einführt", schreibt er in der "Eiche" 24. "Generalsuperintendent D. Zöllner sprach über ,Die Kirche und die Kirchen', Professor Stählin über ,Die Kirche und die Völker'. Die sich anschließende Auseinandersetzung führte in die letzten Voraussetzungen des ökumenischen Denkens hinein und blieb freilich auch darinnen stecken. Es konnte keinem entgehen, daß wir hier gerade bei den entscheidendsten Fragen in einer tiefen Ratlosigkeit stehen." 25 So faßt er seinen Eindruck zusammen. Es würde zu weit führen, die ganze Auseinandersetzung hier zu rekapitulieren. Wir verfolgen nur die Entwicklung Bonhoeffers. Bonhoeffer erhebt zu den Thesen des Vermittlungstheologen Zöllner den 23 24 25
ebd. und ausführlich in: Die Eiche, 20. Jhrg., Nr. 1/2 1932, S. 361-365. 1932, IH, 260-261. ebd.
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Einwand 26, daß die Wahrheitsfrage verkürzt sei. "Der Begriff der Häresie sei der ökumenischen Bewegung verloren gegangen." Man darf nicht durch Psychologisierung und Historisierung die Schärfen verwischen und wie Zöllner "von der Voraussetzung einer den Kirchen einheitlich gegebenen Grundwahrheit, die nur in verschiedenen Ausdrucksformen von allen Kirchen dargestellt werde, ausgehen". Das eigentlich beunruhigende Problem der ökumenischen Arbeit - jedenfalls so wie es von der jungen Generation empfunden werde - sei nicht das Verhältnis von Organismus und Organisation, sondern das von Wahrheit und Unwahrheit in der Verkündigung der verschiedenen Kirchen 27. "Woher leitet man das Recht kirchlicher Gemeinschaft ab, wo es um zwei fundamental verschiedene ,Wahrheitsideen' gehe, von denen doch nur eine wahr sein könne, die andere aber häretisch sei." Stählin gibt vieles zu. Er betont die Katholizität und das sakramentale Wesen der Kirche, aber auch "das Streitgespräch, das heißt den Kampf um das rechte Verständnis der einen Wahrheit", nötigenfalls als eine pflichtmäßige Form des Bekenntnisses zur Einheit der Kirche. Er wirft aber Bonhoeffer vor, sein "Argument sei bewußtseinsanthropologisch, es komme auf das hinter dem Bewußtwerden Liegende an". "Demgegenüber meint Privatdozent Bonhoeffer, man müsse eine Wahrheitsaussage beim Wort nehmen, man dürfe sich nicht darauf zurückziehen, daß man im unbewußten Hintergrund dasselbe ,meine', ohne es gleichzeitig zu klarem Ausdruck im Wort zu bringen." Diese Diskussion sollte drei Jahre später in statu confessionis in der ökumenischen Arbeit wieder aufgenommen werden im Briefwechsel zwischen Faith and Order und Bonhoeffer. Wie später gezeigt werden soll, hat Bonhoeffer schon 1932 die Achillesferse von Faith and Order gefunden. Am zweiten Tage sprach W. Stählin über die Kirche und die Völker. Es muß wiederholt werden, daß wir hier nicht die ganze Aussprache kritisch darstellen können. Es geht darum, die theologische Entwicklung Bonhoeffers geschichtlich festzustellen, sofern sie die ökumenische Arbeit betrifft. "In der Diskussion wendet sich Lic. Bonhoeffer gegen den dem ganzen Stählinschen Entwurf zu Grunde liegenden Begriff der Schöpfungs ordnung. " Geschiedenheit und Verschiedenheit der Völker, Gegebenheiten, Schicksal sind Begriffe, die den Sündenfall voraussetzen. Die Kampfesaufgabe der Völker wird eben von diesen Begriffen gerechtfertigt. "Wenn die Kampfesaufgabe aus dem Gehorsam gegen die gewisse Schöpfungsordnung Gottes entspringt, warum sollte man Hier und im Folgenden: Die Eiche, 20. Jhrg., Nr. 1/2 1932, S. 361. ebd., S. 363: "Die dogmatischen Differenzen zwischen verschiedenen an der ökumenischen Arbeit beteiligten protestantischen Kirchen seien erheblicher als die des ursprünglichen Protestantismus zum Katholizismus." 26
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dann nicht seinen Kampf als einen Kampf für die Sache Gottes ausgeben? Daran könne man nur zweifeln, wo die Gewißheit des Wissens um die Schöpfungs ordnung erschüttert ist." "Vielmehr solle man an Stelle von Schöpfungsordnung den Begriff von ,Erhaltungsordnung' Gottes einführen." "Der Unterschied (zwischen Schöpfungsordnung und Erhaltungsordnung) sei der, daß vom Begriff der Schöpfungsordnung her gewisse Ordnungen, Gegebenheiten als an sich wertige, urständliche, als solche "sehr gute" angesehen werden, während mit dem Begriff der Erhaltungsordnung gemeint sei, daß jede Gegebenheit nur von Gott in Gnade und Zorn erhaltene Gegebenheit sei im Ausblick auf die Offenbarung in Christus. Jede Ordnung unter der Erhaltung Gottes sei ausgerichtet auf Christus und nur seinetwegen erhalten. Eine Ordnung ist nur solange als Erhaltungsordnung Gottes anzusehen, als sie noch offen ist für die Verkündigung des Evangeliums. Wo eine Ordnung, und sei sie die ursprünglichst erscheinende, Ehe, Volk usw. dieser Verkündigung grundsätzlich verschlossen ist, muß sie preisgegeben werden. Statt von der Schöpfungsordnung her, müsse allein aus der in Christus gegebenen Offenbarung Gottes die Lösung des allgemein ethischen, hier des ökumenischen Problems gesucht werden."
Dieser Kampf um die theologischen Begriffe war kein Spiel mit Worten. Todernste Gegensätze steckten dahinter. Walter Künneth hat behauptet, daß er der erste sei, der diesen Begriff schon 1933 in den ersten Auflagen seiner "Theologie der Auferstehung" S. 153 f. eingeführt habe 28. Das stimmt nicht. Bonhoeffer hatte diese Unterscheidung der Begriffe schon ein Jahr vorher vorgenommen. Bonhoeffer meinte, in jenem Begriff einen Schutz gegen den Nationalismus gefunden zu haben. Aber die Verblendung hat ja keine Grenzen. Sie kann auch die rechtschaffene Theologie falsch verwenden. Wie verblendet man damals als Theologe sein konnte, kommt zutage in der Schrift "Die Nation vor Gott" (S. 30 ff.), wo W. Künneth versucht, den Begriff der Erhaltungsordnung pro-hitlerisch zu verwenden: "Von hier aus wird auch zutiefst verständlich, wenn der Kanzler des Reiches wiederholt von dem Angewiesensein auf die Vorsehung spricht und sich ihrer entscheidenden Fügung bewußt wird." 29 Der nationalsozialistische Pfarrer Peter war nicht so verblendet; er erklärte einfach: "Schöpfungsordnung sei gar nicht ein Gegenstand des Erkennens, sondern einfach des Gegebenseins. " 30 Bonhoeffer scheint nicht mit ihm gekämpft zu haben. Der wirklich gefährliche Gegner 28 Walter Künneth, Politik zwischen Dämon und Gott. Eine christliche Ethik des Politischen. Lutherisches Verlagshaus, Berlin 1954, S. 136, Anm. 23: "Die erstmalige Einführung des Begriffes ,Erhaltungsordnung' habe ich schon 1933 in den ersten Auflagen von ,Die Theologie der Auferstehung', S. 153 f., sowie in ,Die Nation vor Gott' vorgenommen." 29 Die Nation vor Gott. Zur Botschaft der Kirche im Dritten Reich. Lic. Dr. Walter Künneth u. Dr. Helmuth Schreiner, Berlin 1933, S. 36. 30 Die Eiche, 20. Jhrg., Nr. 1/2 1932, S. 365.
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mußte natürlich der theologisch engagierte Vertreter einer kirchlichen Theologie werden. Das Schwanken innerhalb der Kirche ist für die Substanz der Kirche immer das gefährlichste. Es ist sehr leicht, hinterher zu verurteilen; das hier Gesagte soll auch nur so aufgefaßt werden, daß es deutlich macht, wie scharf Bonhoeffer nicht nur gedacht, sondern gesehen hat, was los war. Stählin bestreitet, daß Schöpfungs ordnung nur von Christus her erkannt werde 31. Durch Christus sei Schöpfungsglaube nur eschatologisch bestimmt. Stählin hat aber die Konsequenzen gewittert und behauptet: wenn mit dem Begriff der Erhaltungsordnung die Möglichkeit gegeben sein soll, eine bestehende Ordnung um Christi willen preiszugeben, so sei zu bestreiten, daß wir die Möglichkeit haben, zu entscheiden, wann dieser Augenblick gekommen sei. "Vielmehr führe diese Betrachtungsweise sehr leicht in gewisse weichlich-pazifistische Ideen hinein, die unchristlich seien." "Bonhoeffer hält es gegenüber den von Stählin geäußerten Bedenken für ein verantwortliches Denken gerade für unerläßlich, diese Entscheidung zu wagen, wenn der Augenblick gekommen sei, daß eine nur noch unter Erhaltung stehende Ordnung zerbrochen werden müsse, weil sie nicht mehr offen sei für die Offenbarung in Christus. Und dieses sich-Entscheiden sei gerade jeder Weichheit fern." In diesen letzten Sätzen findet sich schon eine ganze Reihe von Stichworten, die auch Hauptbegriffe seiner Ethik sind: Verantwortliches Denken, Wagen, der konkrete Augenblick, offen für die Offenbarung in Christus. "Die sogenannte revolutionäre Möglichkeit" taucht hier zum ersten Mal auf 32. Sie bedeutet aber für Bonhoeffer noch keinen Gegensatz zu seinem Pazifismus. Dieser Aufmarsch der Streitkräfte innerhalb der deutschen Kirche bedarf einer Ergänzung, die die Position Bonhoeffers profiliert. Bonhoeffer lebte in diesem Jahr immer beschäftigt mit dem Wort aus 2. Chron. 20, 12, auf das das Lutherwort in dem Katechismus anspielt: "Wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern unsere Augen sehen nach Dir." über dieses Wort hielt er am Sonntag Exaudi (8. 5. 1932) "Es gäbe auch außerchristlimen Schöpfungsglauben", ebd. Die sogenannte revolutionäre Möglichkeit ist sChon vor Hitlers MaChtübernahme mehrmals ausgesproChen. Hier: Zur theol. Begründung, Die EiChe, IV, 1932, S. 340; Was ist KirChe, Der VormarsCh, Ev. MonatssChrift für Politik u. Kultur, Jhrg. 3, H. 1, Jan. 1933, S. 10. ("DennoCh darf das zweite Wort mit allen seinen Konsequenzen als eine letze MögliChkeit der KirChe niCht ausgesChlossen werden."); Die KirChe vor der Judenfrage, Der VormarsCh, Jhrg. 3, H. 6, Juni 1933, S. 174. "Die dritte MögliChkeit besteht darin, niCht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die SpeiChen zu fallen." "Die Notwendigkeit des unmittelbar politisChen Handelns der KirChe hingegen ist jeweils von eine"m "evangelisChen Konzil" zu entsCheiden und kann mithin nie vorher kasuistisCh kontrolliert werden." 31
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eine Predigt, die einen ungewöhnlich tiefen Eindruck machte. Am 17. 5. schreibt er an E. Sutz: "Neulich habe ich über 2. Chron. 20, 12 gepredigt. Da habe ich meine ganze Verzweiflung mal abgeladen." Diese Verzweiflung bezog sich auf das kirchlich-theologische Gebiet gen au so wie auf das politisch-soziale. "Eine Begegnung Barths mit den hiesigen Kirchenfürsten" findet er "in jeder Weise typisch" und "deprimierend". "Es lebt in diesen Leuten noch immer so ein inquisitorischer Geist, der sich mit den Symptomen begnügt ohne den Sachen an die Wurzel zu gehen - nur so wenig schneidig und so ekelhaft muffig." "Es war ein schönes Bild . . . als Barth wie ein Angeklagter auf seinem kleinen Stühlchen sitzend gegenüber den großen Kirchenmännern Rede stehen sollte und als dann auf die Bitte, man möchte doch mit den Fragen einsetzen, nichts erfolgte als ein langes peinliches Schweigen, weil keiner sich gern zuerst blamieren wollte, und dann, als das Schweigen ominös zu werden begann, Herr Knaak mit der Frage begann, worin nach Barths Ansicht der Unterschied zwischen schweizerischem und preußischem Nationalgefühl bestände. Damit war das Niveau endgültig festgelegt." "Es waren qualvolle Stunden, aus denen Barth einigermaßen erschüttert, die hiesigen Kirchenmänner aber sehr befriedigt darüber, was für ein reizender Mensch doch Barth sei, nach Hause gingen!" ... "Die Lage hier sieht wirklich verzweifelt aus." "Es kann schon übermorgen drunter und drübergehen und nicht etwa, weil sich irgendetwas großes Neues ankündigte, sondern allein weil etwas Morsches kaputt geht." Es sind "viele angeregte Leute" hier in Berlin, aber "fast keine mit denen man mal theologisch ein vernünftiges Wort reden kann". Hitler hätte in diesem Sommer einen Platz in der Regierung bekommen können; er wollte aber alles oder nichts. Zum theologischen Aufmarsch vor dem ersten Versuch, den Grund einer ökumenischen Theologie zu legen, muß noch ein Detail berichtet werden, das Bonhoeffer im oben zitierten Brief erwähnt: "Jetzt ist das Buch von Brunner da 33, auf das ich mich sofort gestürzt habe." Er ist noch ziemlich am Anfang, hat aber den Eindruck wie schon im "Mittler", daß Brunner wohl wunderbar klar schreibe, aber zu schnell arbeite. "Ich hätte Lust eine Diskussion daranzuknüpfen. " Er muß erst fertiglesen "und ich hoffe noch, daß sich meine Sorge nicht bestätigt". "Mir spitzt sich das Problem immer schärfer und immer unerträglicher zu. Neulich habe ich über 2. Chron. 20. 12 gepredigt. Da habe ich meine ganze Verzweiflung mal abgeladen. Aber Barth selbst steht - das ist mir jetzt klar - nicht zu mir in diesem Punkt, aber er hat mich doch auch neulich wieder darauf angeredet, ob ich noch immer so denke und deutlich genug gesagt, daß ihm dieser Punkt eben auch immer unheimlich 33
Das Gebot und die Ordnungen, 1932.
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sei. Es scheint mir gegenwärtig fast, als ob man den Sakramentbegriff hineinziehen müsse ... " Bonhoeffer hat mit der Frage nach dem konkreten Gebot keine befriedigende Antwort bei Barth bekommen, und er meinte, das sei von ihm selbst eingestanden. Brunner nimmt in seinem Buch die aktuelle Frage vom Gebot und den Ordnungen auf. Bonhoeffer legt aber das Buch enttäuscht weg. Wir haben in einem Brief an E. Sutz vom August 1932 seine Kritik. Sie ist vernichtend. Seitdem spielt Brunner keine Rolle mehr in der theologischen Entwicklung Bonhoeffers 34. "Es bleibt nach dem ganzen Buch doch noch immer im Dunkel, was es für die Kirche bedeutet, daß sie ein konkretes Gebot geben bzw. nicht geben kann." Weil Brunner die Frage nicht "in den Mittelpunkt rückt, ja, sie nur vorübergehend stellt und beantwortet", "so kommt es auch, daß man es gar nicht voll empfindet, daß das, was Brunner nun wirklich sagt, für die Kirche unendlich wenig, ja, eine wirkliche Bedrohung ihrer Substanz ist". "Es scheint mir, daß hier für das theologische Denken einfach die erste Frage und der Ausgangspunkt alles weiteren liegt." Die ökumenische Arbeit hängt von dieser Frage und ihrer Beantwortung ab. "Im Grunde hängt das alles am Problem der Ethik, d. h. eigentlich an der Frage nach der Möglichkeit der Verkündigung des konkreten Gebotes durch die Kirche." "Ich komme eben von einer sehr mäßigen Konferenz in der Tschechei zurück, die mich wieder einmal an dem Wert dieser ganzen ökumenischen Arbeit hat irre werden lassen." Dort hatte er auf einer Jugendfriedenskonferenz in Cernohorske Kupele am 26. Juli 1932 einen Vortrag "um mein theologisches Gewissen zu beruhigen" gehalten. Dieser Vortrag ist sehr wichtig. Er ist sein erster Versuch, einen Status der ökumenischen Arbeit festzustellen, und in diesem Vortrag finden wir die verschiedenen Aussagen, die schon im Vorigen zitiert sind, zum Versuch einer theologischen Begründung der Weltbundarbeit systematisch geordnet. Wir müssen aber, bevor wir diesen Vortrag näher ansehen, eine kleine deutsch-französische Regionalkonferenz in Westerburg vom 12. bis 14. Juli 1932 erwähnen, die Bonhoeffer als "die gelungenste des vergangenen Jahres" bezeichnet 35. Das Thema war "Die Einheit des deutsch-französischen Protestantismus zwischen Katholizismus und Bolschewismus". Dieses Thema verband "allgemein theologische Besinnung und konkrete Einzelfragen miteinander". Das war Bonhoeffers eigene Denkweise. "Thesen und Referate waren lange vorbereitet und teilweise ausgetauscht." Auch das war sein Ideal. Daß man die evangelische ökumene vor Augen hatte, geht aus dem Bericht hervor. "Es 34 D. B. hat Brunner gelesen und in Vorlesungen erwähnt, aber nur einmal zitiert: SC, S. 21, Anm. 2. 35 Die Eiche, 20. Jhrg., Nr. 1/2 1932, S. 365/366.
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zeigte sich, daß die Bedrohung des französischen und deutschen Protestantismus durch den Katholizismus an je ganz verschiedenen Punkten gesehen wird und daß darum auch die Beurteilung des Katholizismus und die Auseinandersetzung mit ihm je ganz verschieden geartet sein müsse." Hieraus ergab sich dann ein wirklich neues Verständnis von Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen dem deutschen und französischen Protestantismus. Der Nationalismus in den beiden Ländern wurde eingehend diskutiert. "Das Problem des Nationalsozialismus stand auch hier naturgemäß sehr im Mittelpunkt des Interesses. Seiner strikten und verständnislosen Verurteilung auf diesen Konferenzen müssen wir Deutsche immer wieder nachdrücklichst mit dem Hinweis begegnen, daß die Politik des Auslandes sich selbst das größte Maß der Verantwortung für den Nationalsozialismus in seiner gegenwärtigen Gestalt zuzumessen habe und daß es darum nicht angehe, hier unverantwortlich abzuurteilen, sondern vielmehr dies Anliegen selbstverantwortlich ernst zu nehmen." Für die nächste Konferenz wurde deshalb bestimmt: "Als: eines der Hauptthemata ist die Frage der Revision der Verträge in Aussicht genommen." Dieser Bericht ist wichtig, weil er zeigt, daß Bonhoeffer bei der Ablehnung des Nationalsozialismus Deutschland das Wort in der ökumene geredet hat. Es ist auch festzustellen, daß Bonhoeffer seine Meinung schon vor 1933 öffentlich ausgesprochen hat, die er, wie wir später sehen sollen, im Memorandum von 1941 unverändert festhielt: "Die Politik des Auslandes hat sich selbst das größte Maß der Verantwortung für den Nationalsozialismus in seiner gegenwärtigen Gestalt zuzumessen." Auch das gehört zum theologischen Aufmarsch. Aber wenden wir uns dem Vortrag von Cernohorske Kupele zu. Der Vortrag trägt den Titel: "Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit. " 4. Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit "Es gibt noch keine Theologie der ökumenischen Bewegung." Aber "entspringt die ökumenische Bewegung einem neuen Selbstverständnis der Kirche, so muß und wird sie eine Theologie hervorbringen" 36. Sonst ist sie nur zeitgemäße Zweckorganisation wie die Mitternachtsmission. Die Arbeit von Lausanne wird diese Theologie nicht hervorbringen. "Auf Grund wovon geschieht denn die theologische Zusammenarbeit in Lausanne, ist sie selbst ein Ausdruck eines neuen kirchlichen Selbst36 "Denn Theologie ist die Selbstverständigung der Kirche über ihr eigenes. Wesen auf Grund ihres Verständnisses der Offenbarung Gottes in Christus." Zur theol. Begründung d. Weltbundarbeit, Die Eiche, IV, S. 334, 1932.
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verständnisses oder ist sie letztlich Zweckorganisation zur besseren gegenseitigen Verständigung differierender theologischer Terminologien? Und je nach der Beantwortung dieser Frage wird man besser wissen, was man von Lausanne erwarten darf und was nicht." "Unzweifelhaft ist die ökumenische Arbeit aufs engste mit der Praxis verknüpft." Eine große Gruppe alter Praktiker sagt nun: "Gottlob, daß wir hier keine Theologie treiben müssen, daß wir hier endlich einmal frei sind von der lähmenden Problematik für die christliche Tat." "Aber eben diese Haltung ist verderblich gewesen und fordert unseren vollsten Protest heraus." Denn damit wird die ökumenische Arbeit grundsätzlich politisch bedingten Konjunkturschwankungen preisgegeben. "Weil es keine Theologie der ökumenischen Bewegung gibt, darum ist der ökumenische Gedanke z. B. gegenwärtig in Deutschland durch die politische Welle des Nationalismus in der Jugend kraftlos und bedeutungslos geworden. Und es steht in anderen Ländern nicht anders." "Der in der ökumenischen Arbeit Stehende muß sich vaterlandslos und unwahrhaftig schelten lassen." 37 Kein Wort über das, was die Kirche in der ökumenischen Arbeit praktisch geleistet hat! Mit elementarer Kraft ist aber auf den Jugendkonferenzen "die Erkenntnis der tiefen Ratlosigkeit gerade in den Fragen, die unser Zusammensein begründen sollen", zum Durchbruch gekommen. "Wir sollten hier wirklich mehr wissen." "Und nun merken wir mitten auf dem See, daß das Eis, auf dem wir stehen, brüchig ist." Deshalb 1. "Qualifiziertes Schweigen könnte der Kirche angemessener sein als ein Reden, das möglicherweise sehr unqualifiziert ist". "Das bedeutet Protest gegen jedes Kirchentum, das nicht der Frage nach der Wahrheit vor allem die Ehre gibt." 2. "Wir fordern eine verantwortliche Theologie der ökumenischen Bewegung um der Wahrhaftigkeit und um der Gewißheit der Sache willen," 38 d. h. ein "Nellerarbeiten der biblischen und reformatorischen Grundlagen unseres ökumenischen Kirchenverständnisses ". So begründete er "die Forderung einer ökumenischen Theologie". Bonhoeffer behauptet nun, daß - bewußt oder unbewußt - eine Auffassung der Kirche der Weltbundarbeit zugrunde liege: "Die Kirche als eine Gemeinde des Herrn J esus Christus, der Herr der Welt ist, hat den Auftrag, sein Wort der ganzen Weit zu sagen." "Nicht ein heiliger, sakraler Bezirk der Welt gehört Christus, sondern die ganze Welt." "In welcher Vollmacht spricht die Kirche, wenn sie diesen Anspruch Christi auf die Welt verkündigt?" "Die Kirche ist die Gegenwart Christi auf Erden ... Christus praesens 39. Darum allein hat ihr Wort Vollebd., S. 335. ebd., S. 336. 39 Vgl. N (1937), S. 164: "Die Kirche ist der gegenwärtige Christus selbst. Damit gewinnen wir einen sehr vergessenen Gedanken über die Kirche zurück. 37
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macht. Das Wort der Kirche ist das Wort des gegenwärtigen Christus, es ist Evangelium und Gebot." "Als das Wort aus der Vollmacht des Christus praesens muß das Wort der Kirche heute und hier gültiges, bindendes Wort sein." Er fährt aber fort mit dem für das Verständnis seiner Position sehr beachtenswerten anthropologischen Axiom, aus dem die Ethik eigentlich gewachsen ist und von dem aus die Linien direkt zur Kritik des Offenbarungspositivismus und zur weltlichen Interpretation der biblischen Begriffe gehen: "Mit Vollmacht kann zu mir nur gesprochen werden, wenn ein Wort aus der tiefsten Kenntnis meiner Menschlichkeit mich in meiner ganzen Wirklichkeit jetzt und hier betrifft. Jedes andere Wort ist Ohnmacht. Das Wort der Kirche an die Welt muß darum aus der tiefsten Kenntnis der Welt dieselbe in ihrer ganzen gegenwärtigen Wirklichkeit betreffen, wenn es vollmächtig sein will. Die Kirche muß hier und jetzt aus der Kenntnis der Sache heraus in konkretester Weise das Wort Gottes, der Vollmacht, sagen können, oder sie sagt etwas anderes, Menschliches, ein Wort der Ohnmacht. Die Kirche darf also keine Prinzipien verkündigen, die immer wahr sind, sondern Gebote, die heute wahr sind. Denn, was "immer" wahr ist, ist gerade "heute" nicht wahr. Gott ist uns "immer" gerade ,heute' Gott."
Man versteht, daß Bonhoeffer die Verkündigung vom Evangelium und Gebot in Vollmacht als mit "in vollster Konkretion" gleichsetzt, "sonst bleibt es im allgemeinen Bekannten, im Menschlichen, im Ohnmächtigen, in der Lüge". "Kann die Kirche mit derselben Sicherheit sagen: Wir brauchen eine sozialistische Wirtschaftsordnung, oder: Geh nicht in den Krieg, wie sie sagen kann: Dir sind deine Sünden vergeben?" "Worin liegt das Prinzip der Konkretion beim Evangelium, und wo liegt es beim Gebot?" "Das Evangelium wird konkret bei dem Hörenden, das Gebot wird konkret durch den Verkündigenden." Die Schwierigkeit ist aber, daß die volle detaillierte Sachkenntnis die Vorbedingung für ein wirkliches Gebot ist. Das macht eben die Gebote der Kirche immer wieder unsicher in ihrer Gültigkeit. Aus diesem Dilemma führen nur zwei Möglichkeiten: entweder ein Sichzurückziehen auf die Etappe der Prinzipien, oder: eins von zwei: Ein bewußtes und qualifiziertes Schweigen des Nichtwissens oder das Gebot wird gewagt 40, in aller denkbaren Konkretion, Ausschließlichkeit, Radikalität. Die Kirche kann aber damit Gottes Namen lästern, wenn sie irrt und sündigt; "aber sie darf es sprechen im Glauben an die Sündenvergebung, die auch ihr gilt". "Die Verkündigung des Gebotes erfährt die Sicherung seiner Gültigkeit durch die Verkündigung der Sündenvergebung . . . Die Sicherung der Gültigkeit ihrer Verkündigung der Sündenvergebung ist das Sakrament." "Was für die Verkündigung des 40
Die Eiche, IV, 338.
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Evangeliums das Sakrament ist, das ist für die Verkündigung des Gebotes die Kenntnis der konkreten Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist das Sakrament des Gebotes." Weil die Welt gefallene Welt ist und nur Bestand hat in ihrer Beziehung auf die geschaffene Welt, so ist "das ethische Sakrament der Wirklichkeit" nur insofern als Sakrament zu bezeichnen als diese Wirklichkeit selbst ganz begründet ist in ihrer Beziehung auf die Schöpfungswirklichkeit, wie das Gebot beruht in der Sündenvergebung. Sakramente sind nämlich Taufe und Abendmahl, weil sie "die einzigen Gestalten der ersten Schöpfungswirklichkeit in diesem Äon sind". Diese Gedanken sind so konzentriert formuliert, daß viele entscheidende Fragen nicht beantwortet werden. Sie sind auch später nicht in dieser Terminologie weitergeführt. In der "Ethik" hat Bonhoeffer diese Terminologie an die biblische angenähert, und als die einzige Gestalt der ersten Schöpfungswirklichkeit bezeichnet er den menschgewordenen Gott, Jesus Christus, der der Wirkliche ist 41. "Weil er als der Wirkliche Ursprung, Wesen und Ziel alles Wirklichen ist, darum ist er selbst der Herr und das Gesetz des Wirklichen. Das Wort Jesu Christi ist also die Auslegung seiner Existenz und damit die Auslegung jener Wirklichkeit, in der die Geschichte zu ihrer Erfüllung kommt." 42, Die Terminologie ist fruchtbarer geworden, aber die Sache ist dieselbe: "Das Gebot ist die einzige Ermächtigung zum ethischen Reden." 43 "Das Gebot wächst nicht aus der geschaffenen Welt heraus." 44 "Das Wort Jesu Christi ist also Auslegung seiner Existenz" 45, die die letzte Wirklichkeit des Lebens ist. Nur durch die Verkündigung von Jesus Christus wird die Konkretion möglich und wirklich. Den krampfhaften Terminus: "das ethische Sakrament der Wirklichkeit" hat er in der "Ethik" fallen lassen. Der Weltbund hat ein bestimmtes göttliches Gebot an die Welt auszurichten, "so lange die Welt nicht Kirche ist" 46. "Die Erkenntnis des Gebotes ist ein Akt der Offenbarung Gottes. Wo vernimmt die Kirche diese Offenbarung?" Zwei Antworten sind möglich: Das biblische Gesetz, die Bergpredigt oder die Schöpfungsordnung. Die Bergpredigt veranschaulicht, "was Gottes Gebot sein kann, aber nicht, was es gerade heute und gerade für uns ist. Das kann niemand hören als wir selbst, und das muß Gott heute sagen ... So allein sind wir frei vom Gesetz, das sich zwischen uns und Gott stellt, und hören allein auf Gott" 47. Die Bergpredigt als Gottes Gebot war das Lieblingsthema des Angelsachsenturns, das weithin den Weltbund und Life and Work durchsäuert hatte. Die zweite Antwort kam aus dem deutschen Luthertum, das für die 41
E, S. 177 (1. Auf!. 1949).
ebd., S. 178-179. '3 ebd., S. 214. 44 ebd., S. 216.
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ebd., S. 179. Die Eiche, IV, S. 338. ebd., S. 339.
Weltbundarbeit verschlossen war. Sie will das Gebot Gottes in der Schöpfungsordnung finden. Aber auch hier ist Gottes Gebot "als etwas gedacht, das ein für allemal da ist, in bestimmten Ordnungen jederzeit gegeben'~. Von hier aus läßt sich alles rechtfertigen. "Man braucht ein Daseiendes nur als Gottgewolltes, Gottgeschaffenes auszugeben, und jedes Daseiende ist für die Ewigkeit gerechtfertigt, die Zerrissenheit der Völker, nationaler Kampf, der Krieg, die Klassengegensätze, die Ausbeutung der Schwachen durch die Starken, die wirtschaftliche Konkurrenz auf Tod und Leben." Wie beantwortet Bonhoeffer nun selbst diese Fragen? "Das Gebot kann nirgends anders herkommen, als wo die Verheißung und Erfüllung herkommt, von Christus", der uns das Leben und die Vergebung gibt, die neue Welt bringt und verheißt. Nicht daß wir jetzt sehen können, welche Ordnungen als Schöpfungs ordnungen anzusehen sind und welche nicht, sondern alle Ordnungen der gefallenen Welt sind höchstens Erhaltungsordnungen, wie wir es früher kennengelernt haben. Und doch treffen wir auch hier "die revolutionäre Möglichkeit": "Jede Ordnung - und sei es die älteste und heiligste - kann zerbrochen werden und muß es, wenn sie sich in sich selbst verschließt, verhärtet und die Verkündigung der Offenbarung nicht mehr zuläßt." 48 Das Gebot von Christus her "kann die radikalste Zerstörung fordern gerade um des Einen Aufbauenden willen". "Das Wagen und Entscheiden der Kirche für oder gegen eine Ordnung der Erhaltung wäre eine Unmöglichkeit, wenn es nicht geschähe im Glauben an den Gott, der in Christus auch der Kirche ihre Sünden vergibt. Aber in diesem Glauben muß gewagt und entschieden werden." Die im Weltbund zusammengeschlossenen Kirchen meinen, daß die Ordnung des internationalen Friedens heute Gottes Gebot für uns sei. Die Kirche muß aber auf jeden Versuch einer Rechtfertigung des Gebotes Gottes Verzicht leisten. Das angelsächsische Denken sah den hier gemeinten Frieden als ein Stück des Reiches Gottes auf Erden. Das Ideal des Friedens wurde hier verabsolutiert. Ja, "der vorhandene Friede ist gerade schon der Beweis dafür, daß Wahrheit und Recht gewahrt sind". "Nicht ein statischer Friedensbegriff [Angelsachsenturn), ebensowenig aber auch ein statischer Wahrheitsbegriff [HirschAlthaus'sche Erklärung!) 49, begreifen den evangelischen Friedensgedanken in seiner bewegten Beziehung zum Wahrheits- und Gerechtigkeitsbegriff. " Diese bewegte Beziehung macht grundsätzlich den Kampf als Möglichkeit des Handeins im Blick auf Christus verständlich. Kampf ist 4S 49
ebd., S. 340. ebd., S. 342. - Vgl. Anm. 7 dieses Kapitels.
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nicht Schöpfungs ordnung, aber er kann Erhaltungsordnung sein auf die Zukunft Christi, auf die neue Schöpfung hin. Rechtfertigung des Kampfes ist aber nicht grundsätzlich Ja zum Kriege. Der Krieg ist heute schlechterdings vernichtend und keine Erhaltungsordnung; er muß deshalb der Ächtung durch die Kirche verfallen, besonders weil der Krieg, um leben zu können, der Idealisierung und Vergötzung bedarf. "Wir sollen uns hier auch nicht vor dem Wort Pazifismus scheuen. So gewiß wir das lezte pacem facere Gott anheimgeben, so gewiß sollen auch wir pacem facere zur überwindung des Krieges." Krieg ist ein "heute unter Verbot Gottes stehendes Mittel des Kampfes" 50. Der Wille Gottes richtet sich nicht nur auf die Neuschaffung des Menschen, sondern auf Neuschaffung der Zustände. Auch Zustände können in der gefallenen Welt gut sein, nämlich "in Bezug auf die Neuschaffung durch Christus". Persönliches Kennenlernen ist aber nicht genug, nein, "mehr als alles andere brauchen wir gegenwärtig in der ökumenischen Bewegung die eine große zusammenfügende Verkündigung" 51. Die Kirchen, die im Weltbund zusammenkommen, sprechen zur Christenheit und zur Welt. Aber die furchtbare Not, die alles bisher Gesagte zu vernichten droht, ist, daß die Kirchen im Weltbund nicht eine gemeinsame Wahrheitserkenntnis haben, sondern hier aufs Tiefste zerrissen sind. "Wenn sie Christus oder Evangelium sagen, so meinen sie je etwas Verschiedenes." Nur als Kirche, die die Wahrheit des Evangeliums verkündigt, können wir sprechen. Aber die Wahrheit ist zerrissen. Aber furchtbarer noch ist, daß "wir uns leichten Herzens darüber hinwegsetzen. Wir spielen hart am Abgrund". "Ich weiß hier keine Lösung." "Daß die Kirche in ihrer Not demütig bleibe und von der Vergebung allein lebe, das ist die letzte Auskunft, die hier gegeben werden kann." Dieser Vortrag verdient übrigens bekannt zu werden, weil wir hier eine indirekte Auseinandersetzung mit E. Brunner vor uns haben. Bonhoeffer hat die Probleme mit Brunner selbst diskutiert. Aber die Theologie Brunners spielt eigentlich bei Bonhoeffer nie eine Rolle. Im Kirchenkampf ist Brunner auch ganz am Rande gewesen. Die Brunnersche Theologie fand aber besonders unter den "Jungreformatoren" 50 Siehe hierzu die lehrreiche Stellungnahme Brunners zum Pazifismus in "Das Gebot und die Ordnungen" Kap. 37 und Anm. dazu. Brunner lehnt Hirsch ab, der sagt: "Der Krieg ist, ohne daß er irgendwie verherrlicht wäre, als notwendiges Stück der göttlichen Schöpfungsordnung ... begriffen." Brunner nennt auch die Ausführungen von Althaus eine Halbheit und fordert "einen politischen Pazifismus, einen Pazifismus aus Staatsraison, und zwar als Christen". Aber er begründet seinen Pazifismus letzten Endes mit der Behauptung, daß Krieg jetzt politischer Wahnsinn sei, nicht daß Krieg unter Verbot stehe. 51 Die Eiche, IV, S. 343.
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Schüler, welche Karl Barth auch eben für die der Kirche Gefährlichsten angesehen hat 52, weil die Brunner'sche Parole: Natur und Gnade hier zur Parole: Nationale Erweckung und reformatorisches Bekenntnis geworden war. Bonhoeffers Abneigung gegen Faith and Order, aus theologischen Gründen, sollte später bestätigt werden dadurch, daß Faith and Order sich mit der "offiziellen" Reichskirche verband und aus prinzipiellen "ökumenischen" Gründen keine Stellungnahme zum Kampf auf Tod und Leben der Bekennenden Kirche wollte. Ganz anders im Weltbund und Life and Work. Hier hat Bonhoeffer einen Kampf mitgekämpft um die theologische Basis für die christliche Tat. Die Frage nach der theologischen Begründung der ökumenischen Arbeit war seit Stockholm 1925 öfters gestellt, besonders in Life and Work, im Weltbund aber seltener. Bonhoeffer bringt diese Frage zur Kulmination eben im Weltbund mit der Forderung einer ökumenischen Theologie und mit der Frage nach dem konkreten Gebot als theologischem Ausgangspunkt. So haben der Weltbund und Life and Work Fragen aufgenommen, von denen man hätte erwarten müssen, daß Faith and Order sie aufnahm. So ist Life and Work und Weltbund zur echten theologischen Arbeit von seiner Praxis her gekommen; und Faith and Order ist in der theologischen Arbeit von der Wirklichkeits- und Wahrheitsfrage, d. h. von der eigentlichen, theologischen Frage der Kirche weggeführt; das Gespräch kam über das Gespräch zwischen den "Traditionen" nicht hinaus. Faith and Order mußte naturgemäß vom Kirchenkampf im wesentlichen unberührt bleiben. Life and Work und Weltbund dagegen mußten auf ihrer Seite naturgemäß die aktuellen Fragen durcharbeiten, um Stellung nehmen zu können, um zur Tat zu kommen. Die theologische Stellungnahme wurde zur Tat Es ist aber niemals zu einer spezifischen ökumenischen Theologie gekommen; man spricht doch von "ecumenical ideas" 53, die mehr oder weniger gemeinsam sind. Die theologische Arbeit ist aber so spät zustande gekommen, daß man von der nationalsozialistischen Seite in Deutschland bis tief in die Bekennende Kirche hinein weithin mit Mißtrauen den wirklichen Motiven der ökumenischen Arbeit gegenüberstand. Die Frage nach der Vollmacht der Kirche in der konkreten Verkündigung mußte von vornherein eine Grundfrage sein. Eben diese Frage hat Bonhoeffer weitergetrieben zum Schriftstudium. Schon vom 25. 8. - 31. 8. 1932 ist er wieder auf einer Konferenz. Die Jugendarbeit von Life and Work und vom Weltbund hielten eine gemeinsame, internationale Konferenz in Gland am Genfersee. Auf dieser 52 Theologische Existenz heute Nr. 1, 1933, und MW, S. 111, über "Junge Kirche" und "die Leisetreterei und Leimsiederei, die da das Feld beherrscht". 53 A History of the Ec. Movement 1517-1948, London 1954, S. 590.
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"Konferenz hielt Bonhoeffer am 25.8. eine kleinere Rede: "The Christian Call in the Present Situation", die uns nicht erhalten ist. Vom 29.8. aber naben wir das Manuskript zu "Spiritual Summing up: Message of the World Alliance, and prayers, Dr. Bonhoeffer", wie es im Programm nieß. Von der ersten Rede schrieb der Bischof von Ripon: "The refrain of the German [Youth secretary) was the Old Testament word: ,We know not what we should do, but our eyes are unto Thee', as the expression of a pessimism that verged on passivism." 54 Wir können aus diesen Worten feststellen, daß er Gedanken wie in der Exaudi-Predigt am 8. Mai vorgeführt hat. Eine Rede gegen alle, auch die christlichen Pro.grammreden muß es gewesen sein. "Die programmatischen Behauptun_gen sämtlicher Ideale sind im tiefsten erschüttert." 55 Aber der angelsächsische Bischof hat ohne Zweifel überhört, was sicher nicht nur in der Exaudi-Predigt da war, sondern auch in jener Rede: Ein Zeugnis von dem Gott, der spricht: "Ich tue es, ich allein und -kein anderer. Glaubt an das Evangelium. Das ist sein neues Gebot, daß wir auf ihn sehen sollen, wie er im Tod das Leben, im Kreuz die Auferstehung schafft." über die letzte Rede schreibt der Bischof von Ripon: "At a later 'Session the German leader corrected his first pessimistic ernphasis by a passionate proclamation of the ,Church', and ended: ,Europe has to be conquered- a second time by and for Christ. Are we ready?'." 56 Diese letzte Rede kennen wir aus seinem Manuskript 57. Wir können daher feststellen, daß der Bischof auch diese Rede mit angelsächsischen Ohren gehört hat 58. In der deutschen, originalen Fassung heißt es mit einer Anspielung auf die nächtliche Vision des Apostels Paulus in Apg. 16, 9: "Europa, die Welt, will zum zweitenmal von Christus erobert werden. Sind wir bereit?" Nicht also: Sind wir bereit, Europa für Christus zu erobern, sondern: sind wir bereit zu helfen, daß Europa von Christus erobert wird? Immer wieder sieht man, wie Bonhoeffer als "ein impulsiver, visionärer Denker" angesehen wird, "dem plötzlich etwas aufging, dem er 54 Yorkshire Post vom 27. 9. 1932. Vielleicht hat Bonhoeffer die Exaudi-Predigt vom 8. 5. 1932 wieder gehalten. 55 Aus dem Manuskript der Exaudi-Predigt. 56 "In einer späteren Sitzung korrigierte der deutsche Leiter seine erste pessimistische Stellungnahme durch eine leidenschaftliche Verkündigung der ,Kirche' und schloß: ,Europa muß ein zweites Mal durch und für Christus erobert werden. Sind wir bereit'?" 57 Im Besitz von E. Bethge. 58 Bischof von Ripon schreibt (Yorkshire Post am 27. 9. 32), daß nur ein "full fledged Nazi" ("begeisterter Nazi") da war; "the theologians varied chiefly in their attitude to Kar! Barth" ("hauptsächlich die Theologen differierten in ihrer Haltung zu Kar! Barth").
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dann lebhaft Form gab, um nach einiger Zeit doch auch wieder, man wußte nicht: endgültig oder nur bis auf weiteres, halt zu machen bei irgend einer vorläufig letzten These" 59. Es ist aber fraglich, ob diese Charakteristik zutrifft. In dieser letzten Rede finden wir keine Selbstkorrekturen. Derselbe glühende Geist, dieselbe Lehre vom Kreuz Christi "mitten in der Welt", dieselbe Lehre von Gottes Reich und den vorläufigen Ordnungen der Welt, derselbe Glaube ist in dieser Rede, wie wir dies alles bereits früher kennengelernt haben: "Die glaubenslose Welt spricht: Die Kirche ist tot, laßt uns hier Leichenbegängnis feiern mit Reden und Konferenzen und Resolutionen, die ihr alle Ehre antun. Die glaubenslose Welt voller frommer Illusion spricht: Die Kirche ist nicht tot, sie ist nur schwach, und wir werden ihr mit all unserer Kraft dienen und ihr wieder aufhelfen. Der gute Wille allein tut es, laßt uns eine neue Moral machen. Der Glaubende spricht: Die Kirche lebt mitten im Sterben, allein weil Gott sie aus dem Tode zum Leben ruft, weil er gegen uns und durch uns das Unmögliche tut."
Neu ist aber in dieser Rede ein Abschnitt, in dem Bonhoeffer eine große Sorge ausspricht, eine Sorge, "die sich mir die ganze Konferenz über mit wachsender Schwere aufgedrängt hat: Ist es nicht in allem, was wir hier miteinander geredet haben, immer wieder erschreckend deutlich geworden, daß wir der Bibel nicht mehr gehorsam sind? Wir haben unsere eigenen Gedanken lieber als die Gedanken der Bibel. Wir lesen die Bibel nicht mehr ernst, wir lesen sie nicht mehr gegen uns, sondern nur noch für uns. Wenn unsere ganze Tagung hier einen großen Sinn gehabt haben soll, so wäre es vielleicht der, uns zu zeigen, daß wir ganz anders die Bibel lesen müssen, bis wir uns wieder treffen".
Nicht erst der Kirchenkampf hat Bonhoeffer zum Bibelausleger gemacht, sondern schon die ökumenische Arbeit. So sind die Vorlesungen im Wintersemester 1932/33: Schöpfung und Sünde, aus denen das Buch "Schöpfung und Fall, eine theologische Auslegung von Genesis 1 bis 3" entstand, Theologie im Dienste der ökumene. Man findet aber keine direkte Andeutung vom Verhältnis zur ökumenischen Arbeit. ökumenische Arbeit war ja für Bonhoeffer nicht eine Arbeit für eine Zweckorganisation, sondern eine Arbeit der Kirche. "Die theologische Frage richtet sich ... auf die reale überwindung des Bösen am Kreuz, sie fragt nach der Vergebung der Schuld, nach der Versöhnung der gefallenen Welt." 60 "Die Bibel ist doch eben nichts als das Buch, auf dem die Kirche steht. Sie ist dies ihrem Wesen nach, oder sie ist nichts." 61 59
K. Barth in einem Brief an Landessuperintendent P. W. Herrenbrück, 21. Dez.
1952. - MW. S. 121. 60 61
SchF. S. 97. ebd .• S. 7.
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Dieses Buch beweist, daß die Problematik von Schöpfung und Fall die Grundfrage Bonhoeffers zu dieser Zeit war. Es ist aber erstaunlich zu sehen, wie er in diesem kleinen Buch zahlreiche Themata angeschlagen hat, die er in seinen Gefängnis-Briefen weiterverarbeitet hat. Die Gefängnis-Briefe sind nicht ohne dieses Buch zu verstehen. überhaupt findet man hier vieles, das sich in den folgenden Jahren entfaltet. Man könnt':} ohnehin dem Buch den Titel: "Der theologische Sündenfall in der evangelischen Kirche" geben. Das Stichwort: Pseudoluthertum liegt sehr nah. Der Weg zur "Nachfolge" ist nicht weit. Auch hier können wir feststellen, daß der Kirchenkampf gar nicht eine Neuentwiddung für Bonhoeffer bedeutet hat, wie öfter behauptet worden ist. So finden wir in einer kleinen Diskussionseinleitung, die er im ökumenischen Studentenstudienkreis schon im Winter 1932/33 gehalten haben soll ["Christus und der Friede") 62, nicht nur die Nachfolge Christi als Zentralbegriff, sondern in Zusammenhang damit eine ganze Reihe von Stichworten, die wir in der "Nachfolge" breit behandelt wiederfinden: einfältiger Glaube und Gehorsam contra Reflexion, Hervorheben der Seligpreisungen und die Bergpredigt, das Doppelgebot, die Frage vom Mißverständnis von Gesetz und Evangelium, billige Gnade, die Schlangenfrage und Nachfolge. So ist also auch die "Nachfolge" mit der ökumenischen Arbeit eng verbunden. 5. Warten-lernen! Ungeheuer viel hat Bonhoeffer in seinem ersten "ökumenischen" Jahre [Sept. 1931-1932) als Dozent, Studentenpfarrer an der Technischen Hochschule, Sekretär des Weltbundes, Erzieher einer proletarischen Konfirmandenklasse geleistet. Die Arbeitslast wurde in den folgenden Jahren nicht leichter. Ein Freund und Schüler hat mitgeteilt 63, daß Bonhoeffer sich schon vor 1933 ähnlich äußerte wie später in der Londoner Zeit: "daß es eigentlich genug für einen Christenmenschen sei, 36 oder 37 Jahre alt geworden zu sein". Liegt hier irgendwie eine Erklärung für seine ungeheuere Arbeitsenergie und merkwürdige Unbefangenheit in all den Fragen, vor denen wir, die am Leben hängen, erschrecken? Wollen wir wissen, wie er selbst die Rechenschaft für dieses Jahr abschließt, dann lesen wir seinen Bericht über die Jugendkonferenzen in der "Eiche" 64: 1. "daß die Kirche allein der Boden sein kann, auf dem das sonst so fragwürdige internationale Gespräch offen und sachlich geführt werden kann". 2. "Warten-lernen, - das ruft die ganze 62 63 64
Durmschlag im Besitz J. Wintherhagers, Berlin. Pfarrer W. Maechler, Berlin. Die Eime, ZO. Jhrg., Nr. l/Z 193Z, S. 367.
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Jugendarbeit des Weltbundes der Generation der Älteren zu, die vielleicht etwas besorgt und ungeduldig auf dies Treiben der JUngen blickt. Warten-lernen! " 6. In statu confessionis
"Der Kampf der Bekennenden Kirche ist von Anfang an unter stärkster Anteilnahme der christlichen Kirchen außerhalb Deutschlands geführt worden." "Die Ökumene hat bei dem Entstehen der Bekennenden Kirche fürbittend und sich ihr verpflichtend Pate gestanden", schreibt Bonhoeffer 1935 65 • Wir haben schon gesehen, wie der theologische Aufmarsch in der ökumenischen Arbeit zu einem Vorgefecht im April 1932 führte. Für Bonhoeffer bedeutete der Kirchenkampf nur eine selbstverständliche Weiterführung der Weltbundarbeit. Man hat diese Anteilnahme der christlichen Kirchen am Kirchenkampf von Anfang an mißverstanden. Sie hat aber mit politischem Eingreifen von außen nichts zu tun. Viele ökumenisch Beteiligte in Deutschland haben das nicht verstanden, und viele, die von Haus aus für die ökumenische Arbeit wenig Interesse hatten, haben für die ökumenische Arbeit erst im Kirchenkampf Verständnis bekommen. Bonhoeffers ökumenische Tätigkeit wird nun durch die Machtübernahme des Nazismus gehemmt, hört aber nicht auf 66. Den ersteren Eindruck bekommt man, weil es den beiden langjährigen ökumenischen Mitarbeitern Hans Schönfeld und Wilh. Menn möglich gewesen ist, je einen Bericht über "die deutsche Evangelische Kirche und die ökumenische Bewegung 1925-1948" 67 und über "die ökumenische Bewegung 1932-1948" 68 zu schreiben, ohne den Namen Bonhoeffers zu nennen. überhaupt klafft in der großen Darstellung der Geschichte der ökumenischen Bewegung im Blick auf das Verhältnis zwischen der Bekennenden Kirche und der Ökumene eine Lücke 69. Bonhoeffer war vom ersten Tag an der schärfste Gegner des Nationalsozialismus. Bekannt ist, wie er in seiner Rundfunkrede am 1. FeEvangelische Theologie, 2. Jhrg. 1935, H. 7 (Aug.), S. 245 f. Im Bericht über die Tätigkeit des Weltbundes in der Zeit von März 1932 bis Juni 1933, dem Arbeitsausschuß vorgelegt von Pastor Henry-Louis Henriod, Generalsekretär, Genf 1933, S.5, heißt es: "Wegen Mangels an Mitteln und wegen der schwierigen Lage in Deutschland hat es sich für die ,Kommission tür Veröffentlichungen' als unmöglich herausgestellt, irgendwelche Tätigkeit zu entfalten. Dr. Bonhoeffer hat gebeten, einen anderen Vorsitzenden einzusetzen." 67 Dr. Hans Schönfeld: Deutsche Evangelische Kirche und ökumenische Bewegung 1925 bis 1948, in: Die Ordnung Gottes und die Unordnung der Welt, Deutsche Beiträge zum Amsterdamer ökum. Gespräch 1948, Ev. Verlagswerk, Stuttgart 1948, S. 223-237. 68 Wilh. Menn: Die ökumenische Bewegung 1932-1948, Kirchliches Jahrbuch 1945 bis 1948, S. 239-320, Gütersloh, 1950. 69 Vgl. Anm. I 4. 65
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bruar 1933 vor einem Führer, der ein Verführer wird, warnte. Weniger bekannt ist, daß er schon am 15. April sein Manuskript: "Die Kirche vor der Judenfrage" 70 fertiggestellt hatte. Wenige Tage vorher hatte man die Judengesetzgebung begonnen. "Hier haben die verständigsten Leute ihren Kopf und und ihre Bibel gänzlich verloren", schreibt er 71. Wer heute diese Fragen studiert, soll nicht zu leicht richten. Erstaunlich ist es aber zu sehen, mit welcher Klarheit Bonhoeffer sofort gesehen hat, daß ein Arierparagraph in der Kirche die Kirche judenchristlich machen würde 72. - Aber nicht so erstaunlich, wenn man sich erinnert, daß "endeavours towards the conciliation of class and race antagonisms which become of international importance" 73 eine der Aufgaben des Weltbundes war. Es ist hier nicht die Aufgabe, Bonhoeffers Anteil am Kirchenkampf zu behandeln. Es soll nur festgestellt werden, daß das Jahr 1933 keinen Umschlag in seiner Theologie bedeutete. Noch ist es nicht möglich, genau zu sagen, an welchen Konferenzen und Ratssitzungen Bonhoeffer teilgenommen hat. Und in vielen Fällen wissen wir auch nicht, welche Rolle er hier und da gespielt haben mag. Daß er sehr tätig gewesen ist, steht aber fest 74. Auch steht fest, daß die ökumenische Arbeit seinen, Lebensweg mehrmals aus einer geradlinigen Bahn geschleudert hat. Im Sommer 1933 schreibt er 75: "Man hat mir vorgeschlagen, als deutscher Pfarrer mit Sonderauftrag für ökumenische Arbeit nach London zu gehen. Ich überlege mir das sehr, und ich glaube nämlich, daß gerade bei all den Möglichkeiten, die man hier für die Kirche in Erwägung ziehen muß, eine enge Fühlungnahme mit den englischen Kirchen gegebenenfalls von ganz großer Wichtigkeit sein kann." Er fuhr zwei Tage nach London, konnte sich aber noch nicht entschließen. Was er mit dem Wort "gegebenenfalls" gemeint hat, kann man nur erraten. War "der nächste Krieg" schon in seinen Gedanken? Wie es dann zum Entschluß kam, hat er in seinem Brief an Karl Barth
Der Vormarsch, 1933, Nr. 6, S. 176. Brief an E. Sutz vom 14. Februar 1933. 72 "Eine solche erzwungene Ausweisung würde - auch wenn sie rein korporativ-organisatorischen Charakter haben sollte - doch immer eine wirkliche Kirchenspaltung bedeuten, eben weil sie die rassische Einheit der Kirche zum Gesetz erheben würde, das als Voraussetzung für die Kirchengemeinschaft erfüllt sein müßte. Mit ihr würde sich also die ausschließende Kirchengemeinschaft als judenchristlich konstituieren." Der Vormarsch, 1933, Nr. 6, S. 176. 73 "Bemühungen zur Aussöhnung im Widerstreit der Klassen und Rassen, die von internationaler Wichtigkeit werden." 74 D. B. nahm an der wichtigen Ratssitzung in Sofia vom 15.-20. 9. 1933 teil, wo man sich über die Judenfrage in Deutschland äußerte. Handbook 1938, World All., Geneve, S. 4175 Brief an E. Sutz vom 17. 7. 1933. 70
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vom 24. akt. 1933 erzählt 76, aber ohne das geheimnisvolle "gegebenenfalls" zu nennen. - Der Arierparagraph in der Altpreußischen Unionskirche hatte die Kirche als Kirche in Frage gestellt. Der status confessionis war da, darin war Barth mit ihm einig. Aber Barth nimmt alle persönlichen Argumente als Ausflucht und verlangt von ihm, mit dem nächsten oder übernächsten Schiff zurückzukehren nach Berlin, "um treu und brav Ihr dort hinterlassenes Maschinengewehr zu bedienen". Aus London schreibt Bonhoeffer aber nichts Näheres über das "gegebenenfalls", sondern - wieder an E. Sutz - darüber, daß er den Kirchenkampf eigentlich nur als ein Vorgefecht ansehe. "Der eigentliche Kampf, zu dem es vielleicht später kommt, muß einfach ein glaubendes Erleiden sein und dann, dann vielleicht wird sich Gott wieder zu seiner Kirche mit seinem Wort bekennen, aber bis dahin muß viel geglaubt, viel gebetet und viel gelitten werden." " ... wenn einen dieser Kirchenkampf überhaupt noch interessiert. Es geht ja schon längst nicht mehr um das, um das es dort zu gehen scheint; die Fronten liegen ja ganz anders. Und obwohl ich mit vollen Kräften in der kirchlichen Opposition mitarbeitete, ist es mir doch ganz klar, daß diese Opposition nur ein ganz vorläufiges Durchgangsstadium zu einer ganz anderen Opposition ist." 77 Auch dieses "wenn einen dieser Kirchenkampf überhaupt noch interessiert" hat er nicht an Barth geschrieben. Die zwei Hauptmotive in einem Brief an Barth zu formulieren hat er also nicht gewagt. Warum nicht? Karl Barth war ja der Mann, in dem er den Lehrer sah, den er, der junge, theologisch Obdachlose 78, so sehr brauchte. Die theologische Kritik an Barth lebte mit der persönlichen Verehrung gleichzeitig in Bonhoeffer weiter. So schreibt er an E. Sutz 79: "Wissen Sie, ich glaube - vielleicht wundern Sie sich darüber -, daß die ganze Sache an der Bergpredigt zur Entsrheidung kommt. Ich glaube, daß die Theologie Barths - aber gewiß auch die Ethik Brunners - nur noch einmal verzögert haben - und gewiß fluch ermöglicht haben, daß das erkannt wird." Deshalb predigt Bonhoeffer in London über die Bergpredigt: "Es geht immer um das Halten des Gebotes und gegen das Ausweichen. Nachfolge Christi - was ist das, möchte ich wissen es ist nicht erschöpft in unserem Begriff des Glaubens. Ich sitze an einer Arbeit, die ich Exerzitien nennen möchte - nur als Vorstufe -. Bitte helfen Sie mir hier mit." Mit diesen Worten stimmt überein, was er am 19.9.1936 nach zwei Jahren des Schweigens an Barth schreibt: "Im Grunde war die ganze 76
MW, S. 112-114.
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Brief an E. Sutz aus London undatiert; geschätzt Winter 1933/34. Ausdruck selbstbiographisch benutzt im Brief an E. Sutz vom 27. 10. 1932. Vgl. Anm. 77 dieses Kapitels.
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Zeit eine andauernde, stillschweigende Auseinandersetzung mit Ihnen und darum mußte ich eine Weile schweigen. Es sind hauptsächlich die Fragen der Auslegung der Bergpredigt und der paulinischen Lehre von Rechtfertigung und Heiligung. Ich bin an einer Arbeit darüber." 80 Die Vorarbeiten zur "Nachfolge" sind also schon in England gemacht. Die Reise nach Indien schien näher als je. C. F. Andrews hatte in Gland an der ganzen Tagung teilgenommen 81, und Bonhoeffer hatte durch ihn eine Einladung nach Indien bekommen 82. Er hatte Schwierigkeiten mit der Reichskirchenregierung. Bischof Heckel wollte, daß er unterschreibe, daß er sich "jeglicher ökumenischen Betätigung enthalten sollte" 83. Er wurde nicht anerkannt, weil er keine Loyalitätserklärung unterschreiben wollte. Zurück in ein Pfarramt in der preußischen Kirche wollte er nicht wegen des Arierparagraphen. Er war aber von der Universität nur beurlaubt. In dieser Schwebe verliefen 1 1/2 Jahre (bis zum März 1935) in London. Eine Zeitlang schien ihm auch das Eintreten in ein anglikanisches Kloster eine Möglichkeit zu sein 84. In dieser Zeit entstand die persönliche Freundschaft mit Bischof G. Bell von Chichester. Mit Bonhoeffer als Dolmetscher der Bekennenden Kirche in der ökumene ist dieser Aufenthalt "in der Wüste" 85 vielleicht von genau so großer Bedeutung für den Kirchenkampf, d. h. für Deutschland gewesen, als wenn er in Deutschland geblieben wäre! Das Jahr 1933 bedeutete aber, daß das ganze Leben Bonhoeffers bis zum Tode in Flossenbürg in statu confessionis gelebt werden mußte. 7. Fanö Bei den Vorbereitungen für die Weltkirchenkonferenz in Oxford 1937 spielte Bonhoeffer eine nicht zu übersehende Rolle. Nach einer vorbereitenden Studienkonferenz in Paris April 1934 sollte auf der Insel Fanö, Dänemark, eine gemeinsame Ratstagung für Life and Work und das Exekutivkomitee des Weltbundes stattfinden und gleichzeitig eine Jugend-Konferenz. Zu dieser letzteren war Bonhoeffer als Sekretär selbstverständlich geladen. Es lief aber so, daß er der einzige Sprecher aus der Bekennenden Kirche auf der Ratstagung der "Erwachsenen" wurde, zu deren Vollversammlungen die Jugendlichen Zutritt hatten. MW, S. 116-117. Die Eiche, 20. Jhrg., Nr. 1/2, S. 367: "zu unserer besonderen Freude". 82 Gebetbuch der Bibel, MBK-Verlag Bad Salzuflen 1953, S. 21. 83 Vgl. Anm. 77 dieses Kapitels. Obwohl man ihm "aus Angst vor der ökumene" nach London zu fahren genehmigte. MW, S. 113. 8. Brief an J. Wintherhager aus London vom 25. 10. 1934. - In den Briefen an E. Sutz hat er mehrmals mit dem Gedanken an eine "nette Professur in der Schweiz" gespielt. 85 MW. S. 113. 80
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Das ging so zu. Schon am 14. Juni hatte man ihn gebeten, Vorschläge und Anregungen zu den Fragen des zweiten Tages zu machen (Thema: Kirche und Völkerwelt), und ihn zugleich eingeladen zu einer am 24.8. nachmittags stattfindenden Vorbesprechung über den Verlauf der Diskussion 86. Wann er direkt als Sprecher eingeladen wurde, ist nicht ganz klar; es geht aber aus einem Brief vom 8. 8. 1934 an Bischof V. Ammundsen, Haderslev, Dänemark, hervor 87, daß man bis zuletzt gehofft hatte, auch eine Delegation aus der Bekennenden Kirche zu bekommen. Da dies nicht gelungen, und da eine Einladung offiziell an Präses D. Koch ausgegangen war, war Bonhoeffer bereit, alle persönlichen Bedenken zurückzustellen. Es war ihm wichtig, daß es "mehr oder weniger offiziell erklärt worden ist, daß man uns hören will". Nach einer Zusammenkunft in Hamburg etwa eine Woche vor der Konferenz stand es fest, daß eine Delegation aus der Bekennenden Kirche nicht zu erwarten wäre. Das wußte Bonhoeffer aber erst, nachdem er die Einladung empfangen hatte. Im Brief vom 8. 8. wendet er sich aber an Bischof Ammundsen mit einer Bitte, die für die deutsche Situation damals sehr charakteristisch war. "Ganz offen und persönlich: ich habe beim Gedanken an Fanö mehr Angst vor manchem unserer eignen Leute als vor den Deutschen Christen. Man wird vielfach unsrerseits entsetzlich vorsichtig sein, um ja nicht unpatriotisch zu erscheinen; nicht so sehr aus Angst, als aus einem falsch verstandenen Ehrgefühl heraus. Viele, auch solche, die schon länger in der ökumenischen Arbeit stehen, können bis heute nicht begreifen und nicht glauben, daß wir hier wirklich allein als Christen zusammen sind. Sie sind furchtbar mißtrauisch, und darum nicht restlos offen." Darum die Bitte, daß Bischof Ammundsen diese Menschen vertrauensvoll und offen zu machen versuche "gerade auch in unserer Stellung zum Staat", "um Jesu Christi willen und der ökumenischen Sache willen". "Es muß klar werden - so furchtbar es ist -, daß die Entscheidung vor der Tür steht: Nationalsozialist oder Christ; daß wir einen Schritt weitergehen müssen als wir vor einem Jahr waren (ich weiß, Sie haben es damals schon gesagt!). Es kann furchtbar schwer und hart für uns alle werden, aber wir müssen hinein und hindurch, ohne Diplomatie mit offener christlicher Rede. Und wir werden im Gebet miteinander den Weg dazu finden. Das wollte ich gern sagen." Der Bonhoeffer, der vor zwei Jahren den aktionsfreudigen Freunden das zuchtvolle: Warten-lernen! zurief, schreibt jetzt weiter: "Ich bin der Meinung, HS sollte eine Resolution gefaßt werden - alles Ausweichen nützt nichts. Und wenn der Weltbund in Deutschland dann aufgelöst wird - nun gut, dann haben wir das Zeugnis abgelegt, daß wir schuldig waren. Besser als unwahrhaftig weitervegetieren. Es ist jetzt nur mit der ganzen Wahrheit
86 Brief an D. B. von dem Konferenzsekretariat. D. B. war schon am 27. 1. 1934 von "Consultative Group" zu statement und introduction über Church and State aufgefordert. 87 Im Besitz der königlichen Bibliothek, Kopenhagen.
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und Wahrhaftigkeit geholfen. Ich weiß, manche meiner deutschen Freunde denken anders. Aber ich bitte Sie inständigst um Verständnis für diesen Gedanken." Ein Brief 88 vom 18. 8. wird geschrieben, um die letzte Bitte nochmals zu unterstreichen, nachdem eine "Nationalsynode" durch eine Reihe von Kirchengesetzen vom 9. Aug. 1934 u. a. auch einen Diensteid zum Führer forderte 89. "Nun scheint es mir aber im Hinblick auf die Ergebnisse gerade der allerletzten Zeit einfach unerläßlich, daß nicht Life and Work, sondern auch der Weltbund eine Resolution, bzw. dieselbe Resolution herausgehen lassen. Ich weiß, daß eine starke Strömung dagegen ist. Ich werde aber alles dazu tun, dagegen anzugehen. Wir dürfen jetzt nicht schweigen." Die Konferenz in Fanö sollte nur die Weltkonferenz in Oxford 1937 vorbereiten. Sie wurde eine höchst dramatische Konferenz und vielleicht von größerer Bedeutung als die Oxfordkonferenz selbst. In Oxford waren nur ein Paar Repräsentanten der deutschen Freikirchen; hier war sowohl die Reichskirche als auch die Bekennende Kirche repräsentiert. Die Konferenz sollte eigentlich in allen Details für die Nachwelt geschildert werden. Hier haben wir nur Möglichkeit und Platz für Andeutungen. Man war während der Vorbereitungen im Zweifel, ob der neue Reichsbischof Müller eingeladen werden sollte wie die anderen Kirchenleiter. Das ist nicht geschehen. Der Leiter der Delegation der Reichskirche war Bischof Heckel. Seine Thesen: "Das Staatsproblem und die Kirche Christi" 90 sind höchst interessant schon dadurch, daß die Bonhoeffersche Lehre von den Erhaltungsordnungen bewußt auch für die Nazikirche in Anspruch genommen ist. Eine Nachwelt würde eine schöne evangelische Theologie hier finden, wenn sie nicht mehr wüßte! Auf der Konferenz hat Heckel aber nicht nur seine Thesen vorgeführt, sondern seine Antwortrede hat 90 Minuten gedauert und die übertragung ins Englische noch 60 Minutenl 91 Seine Rede wurde als "ein Ausflug in die theologische Stratosphäre" bezeichnet. Die wirklichen Probleme wurden nicht berührt Als Klimax kam ein Sonderbote direkt aus dem nervösen Reichskirchenamt in Berlin mit dem Flugzeug über Kopenhagen! Daneben fanden verschiedene peinliche Zusammenstöße auch mit der Jugendkonferenz statt. Die Atmosphäre war so gespannt, daß die Weltpresse in dieser Woche sich von Fanö Sensationsstoff holte. Die Reichskirche nicht nur vor der Weltkirche, sondern vor der ganzen Welt enthüllt! ebd. Junge Kirche, 2. Jhrg. 1934, S. 672 f. 90 Im Valdemar Ammundsen-Archiv, kgl. Bibliothek, Kopenhagen. 91 The Times vom 27. 8. 1934, S.9: Heckel "read a paper in reply" ("las eine Antwort vor"). 88 89
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Die Resolution wurde ausführlich und klar erlassen. "Ein autokratisches Kirchenregiment, besonders wenn es durch feierlichen Eid dem Gewissen auferlegt wird, die Anwendung von Gewaltmethoden und die Unterdrückung freier Aussprache" wurden als "mit dem wahren Wesen der Kirche Jesu Christi unvereinbar" erklärt 92. Präses D. Koch wurde in Abwesenheit als "coopted" Mitglied des Rates gewählt, wie Bonhoeffer als Jugendrepräsentant der Bekennenden Kirche. Ein Jahr später schrieb Bonhoeffer: "Die B. K. nimmt an der ökumenischen Arbeit als Kirche teil." 93 Das ist mit Recht gesagt, obwohl es nicht immer der ökumene klar war, weil die Repräsentanten der B. K. auf Fanö nicht unter die ordentlichen Mitglieder des Rates gewählt werden konnten. Es geht aus der Resolution auch nicht ganz eindeutig hervor, daß die Bekenntnissynode mehr als eine Gruppe "in der Deutschen Evangelischen Kirche" sei. "Der ökumenische Rat wünscht, seineBrüder in der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche des Gebetes und der herzlichen Verbundenheit in ihrem Zeugnis für die Grundsätze des Evangeliums zu versichern, sowie seines Entschlusses, enge Gemeinschaft mit ihnen aufrecht zu erhalten". Der Rat hatte aber gleichzeitig gewünscht, "seiner Verbundenheit mit allen christlichen Brüdern in Deutschland inmitten der Schwierigkeiten und Wirren der gegenwärtigen Zeit Ausdruck zu geben und mit allen Gruppen in der Deutschen Evangelischen Kirche in freundlicher Beziehung zu bleiben". Auf welcher Seite das Herz des Rates war, daran konnte man keinen Zweifel haben. Die Antwort der Reichskirchendelegation war auch ein Protest. Die Anklagen seien alle falsch, und man behauptete,_ daß "öffentliche Resolutionen der inneren kirchlichen Entwicklung in Deutschland nicht förderlich waren". Für diese Konferenz hatte Bonhoeffer einige Thesen zum Thema: "Die Kirche und die Welt der Nationen" aufgestellt. Diese sind uns erhalten. Er wurde in einem Brief vom 13.8. 94 gebeten, sie zu erweitern, aber diese erweiterte Fassung besitzen wir nicht, ebensowenig wie seine Rede und seine Beiträge zur Diskussion. Wir wissen nur, daß die meisten der Zuhörer nach seinem Vortrag kräftig Beifall klatschten 95. Wir können durch diese Thesen den Pazifismus Bonhoeffers
92 Junge Kirche, 2. Jhrg. 1934, S. 700 f. Hier auch die Gegenresolution der reichskirchlichen Teilnehmer. 93 Ev. Theologie, 2. Jhrg., H. 7 (Aug.), S. 260. 94 L. a. W.-Archiv, Genf: Fanö, Kasette 33. 95 Charakteristisch ist ein kleines Intermezzo aus der Erinnerung des ehemaligen Superintendenten in Potsdam und jetzigen Hauptpfarrers der deutschen Gemeinde in Kopenhagen, Werner Görnandts, der als Zuhörer auf Fanö war: "Ich hörte einen Vortrag von ihm (Bonhoeffer), in dem er ungeschminkt zu den kirchlichen Verhältnissen in Deutschland Stellung nahm. Unter den Zuhörern befand sich auch Professor D. Titius aus Berlin, der wohl zu den Anhängern des Reichs-
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klar fixieren. Die Thesen tragen als Untertitel: "Vorläufiger Entwurf zur Theologischen Grundlegung der Weltbundarbeit." Wir treffen also dieselbe Bemühung wie früher. Die Thesen geben außerdem der Behauptung: "Die B. K. nimmt an der ökumenischen Arbeit als Kirche teil" einen tieferen Hintergrund. Auch der Weltbund muß sich selbst als Kirche verstehen, nicht nur als Zweckverband. "Nur als Kirche kann der Weltbund vollmächtig das Wort Christi den Kirchen und Völkern sagen." Ohne die organisatorischen Fragen zu behandeln heißt es weiter: "Weltbundarbeit heißt Arbeit der Kirchen für den Frieden unter den Völkern. Sie erstrebt das Ende und die überwindung des Krieges." Er distanziert sich ausdrücklich von dem säkulären Pazifismus, der "nicht von Christus, sondern von einem erwünschten oder unerwünschten Weltbild aus argumentiert". Auf alle Einwände antwortet die Kirche mit dem Gebot: "Aber du sollst nicht töten!" "Gott dispensiert nicht von der Erfüllung seines Gebotes." "Maßstab unseres Handeins ist nicht die menschliche Wohlfahrt, sondern Gehorsam gegen Gottes Gebot. Selbst wenn Krieg Wohlfahrt bedeutete, bliebe Gottes Gebot unerschüttert!" "Die Mächte der Dämonen werden nicht durch Organisationen gebrochen, sondern durch Gebet und Fasten." "Nicht der Pazifismus ist der Sieg, der die Welt überwunden hat [1. Joh. 5, 4), sondern der Glaube, der alles von Gott erwartet und auf die Wiederkunft Christi und sein Reich hofft." Beseitigupg"d~s Krieges wäre nur Beseitigung eines "schauderhaften Symptoms" des übels. Er glaubt aber, daß es möglich sei. In einer englischsprachigen Ansprache: "The Church and the Peoples of the World" 96 wird dieser bischofs gehörte. Da er aus Berlin kam, kannten wir uns und ich hatte ihm zuvor die Ansprache überreicht, die ich bei der Trauerfeier für Reichspräsident Hindenburg in der St. Petri-Kirche gehalten hatte und die gedruckt war. Als Bonhoeffer seinen Vortrag beendet hatte, klatschte ich mit den meisten Zuhörern zusammen kräftig Beifall. Als ich den Saal verlassen hatte, kam plötzlich Professor Titius auf mich zu und reichte mir meine Ansprache zurück mit den Worten: ,Von /linern Manne, der einem Vortrag von Bonhoeffer Beifall zollen könne, wünsche er keine gedruckte Ansprache zu besitzen oder zu lesenl' So genau hatte er mich also während des Bonhoefferschen Vortrags beobachtet, wahrscheinlich um meine Einstellung zu erkennen. Ich hatte gar nicht bemerkt, daß er überhaupt anwesend war." Mitgeteilt 17. 2. 1956. 96 Rückübersetzt in Unterwegs, 1954, H. 3, S. 129-131: Die Kirche und die Völker der Welt. Vgl. Dietrich Bonhoeffer, Einführung in seine Botschaft, 1955, S. 35-37: "Der Friede muß gewagt werden." Friede auf Erden ist kein Problem, sondern ein Gebot, gegeben bei Christi Geburt. Entweder "bedingungsloser blinder Gehorsam" oder die scheinheilige Schlangenfrage: "Ja, sollte Gott wirklich gesagt haben ... ?" Friede soll sein wegen der Kirche Christi, um derentwillen die Welt besteht. Und die Brüder, die diese Kirche bilden, sind durch das Gebot des einen Herrn Christus, dessen Wort 'sie hören, unzertrennlicher aneinandel' gebunden als Menschen gebunden sind durch alle Bande der Geschichte, des Blutes, der Klasse und Sprache. Wie kommt dieser Frieden nun zustande? Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Wege der Sicherheit. Denn der Friede muß gewagt werden. Der einzelne
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Glaube mit prophetischer Glut verkündigt. "Peace on earth is not a problem, but a commandment given at Christ's coming." Entweder "the unconditional, blind obedience" oder die scheinheilige Schlangenfrage "Yea, hath God said ... 1" Wir sind hier der "Nachfolge" 97 ganz nah. "There shall be peace because of the Church of Christ, for the sake of which the world exists." "And the brothers who make up the Church are bound together, through the commandment of the one Lord Christ, whose Word they hear, more inseparably than men are bound by all ties of common history, of blood, of class and language." "How does peace come about?" "There is no way to peace along the way of safety. For peace must be dared." "The individual Christian cannot do it", "the individual Church ... can witness and suffer" . "Only the one great Ecumenical Council of the Holy Church of Christ over all the world can speak out so that the world, though it gnashes its teeth, will have to hear." "The Ecumenical Council is in session; it can send out to all believers this radical call to peace. The nations are waiting for it in the East and in the West. Must we be put to shame by non-Christians in the East? ... The hour is late ... We want to give the world a whole word, not a half word - - a courageous word, a Christian word. We want to pray that this word may be given us, today. Who knows if we shall see each other again another year?"
Den Glauben und das Halten des Gebotes ohne jedes Ausweichen, darum geht es, obwohl der Begriff der Nachfolge hier nicht vorkommt. Aber die Sprache der "Nachfolge" ist deutlich vorhanden. In dieser Ansprache erfahren wir ausdrücklich, daß Bonhoeffers Pazifismus eine christliche non-violence Haltung ist, durch die die gesamte Weltkirche den Krieg verhindern sollte. Er hielt es für möglich, obwohl die Hauptsache für ihn war, daß diese Haltung die gebotene sei. Das konkrete Gebot sagen können, war ihm d!}mals die Voraussetzung einer vollmächtigen Verkündigung der Kirche. Aber auch das Tun gehört dazu. Der Unterschied zwischen dieser Haltung und der der Gefängnisbriefe beruht auf dem Mißlingen des Widerstandes und auf dem Versagen der Bekennenden Kirche gegenüber den Entrechteten. Die Barmherzigkeit Gottes wurde dadurch ganz anders sichtbar 98. Christ kann das nicht, die einzelne Kirche kann auch kein Zeugnis ablegen und leiden. Nur das eine große ökumenische Konzil der Heiligen Kirche Christi in der ganzen Welt kann sprechen, so daß die Welt, wenn auch mit Zähneknirschen, hören muß. Der ökumenische Rat ist zusammengetreten; er kann an alle Gläubigen diesen radikalen Ruf zum Frieden aussenden. Die Völker warten darauf im Osten und im Westen. Sollen wir uns von nichtchristlichen Völkern im Osten beschämen lassen? ... Es ist die letzte Stunde ... Wir haben der Welt ein ganzes Wort zu geben, kein halbes - ein mutiges Wort, ein christliches Wort. Wir wollen beten, daß dieses Wort uns heute gegeben wird. Wer weiß, ob wir uns noch einmal wiedersehen werden? 97 N (1950), S. 27. 98 Brief an H. Rößler vom 25. 12. 1932 in: Dietrich Bonhoeffer, Eine Einführung in seine Botschaft, Verlag Kirche in der Zeit, 1955, S. 62.
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8. Bis zum Zurücktreten Von Fanö fuhren einige der jugendlichen Teilnehmer nach Frankreich, wo eine kleine theologische dreitägige Konferenz am 3. September in Bruay-en-Artois anfing, an der etwa ein Dutzend junger Theologen aus Deutschland, England und Frankreich teilnahmen 99. Das Thema war: "Der Staat vom christlichen Standpunkt aus". Dieses Treffen fand an dem Ort statt, wo Bonhoeffers Freund, der dritte im Bunde in USA, J ean Lasserre, Pfarrer war. Die Gemeinde war eine echte Proletariergemeinde. Bonhoeffer hat bei dieser Gelegenheit zwei Straßenpredigten auf Französisch gehalten 100. Schon in Briefen vom 11. 9. 1934 101 und 25.10. 1934 102 erzählt er, daß er sich entschließen müsse, ob er Leiter eines zu errichtenden Predigerseminars der B. K. werden, ob er in London bleiben oder nach Indien fahren oder in ein Kloster eintreten solle. Bekannt ist, daß er im April 1935 zurückging nach Deutschland, um Direktor des Predigerseminars der B. K. in Finkenwalde zu werden. über Bonhoeffers ökumenische Tätigkeit in den nächsten Jahren müssen wir uns leider auf ganz wenige Auskünfte beschränken 103. Er scheint auf der Jugendkonferenz in Berkuwitza, Bulgarien, vom 7. bis 11. akt. 1934 gewesen zu sein. In Chamby vom 1.-8. Aug. 1935 ist er bestimmt gewesen, nicht aber in La Borcarderie bei Neuchätel vom 8. bis 14. Sept. 1936 und in Oxford vom 12.-26. Juli 1937 oder auf späteren Konferenzen. Inzwischen besuchte er eine Anzahl von vierteljährigen Sitzungen für Sekretäre oder Executivkomiteemitglieder u. dergl. Wir können hier keine vollständige Reihe aufstellen: Jugendkommission in Genf 1.-3. akt. 1935 (Bonhoeffer wurde hier als Glied des "souscomitee des cultes et Mudes bibliques" für die Weltjugendkonferenz 1938 vorgeschlagen), in La Borcarderie bei Neuchätel 28.-30. März 1936 nicht (J. Wintherhager hat Bonhoeffer vertreten). Am 19. 2. 1937 ist in London Bonhoeffer zum letztenmal als ehrenamtlicher Regional-Sekretär der Jugendarbeit des Weltbundes und Life and Work. In den "Minutes" 104 heißt es: "He stated that he did not feel in a position to work on the same platform with other youth groups than those of the Confessional Church. 99 Oekumenischer Presse- und Nachrichtendienst, Genf, Nr. 27; Ausgabe: Nachrichtendienst, Sept. 1934, S. 2. 100 Mitgeteilt von J. Wintherhager, Berlin. - Einen Gruß der Dankbarkeit für die Fanö-Konferenz hat D. B. von dieser Konferenz am 8. 9. 1934 an V. Ammundsen geschrieben. Ammundsen-Archiv, Kopenhagen. 101 An E. Sutz aus London geschrieben. 102 An J. Wintherhager, Berlin, aus London geschrieben. 103 Vgl. Minutes im Weltbund- und L. a. W.-Archiv Genf, und Briefe an E. Sutz. 104 Im Besitz des ehemaligen in Fanö fungierenden Vorsitzenden der Jugendkommission des Weltbundes Pfarrer G. Sparring-Pertersen, Kopenhagen.
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Within his own circle, however, as Director of the Seminar of the Confessional Church h.e has been able to talk with the students about oecumenical problems, to give lectures on the subject, and to discuss these questions regularly in private conversations. Talks are possible only in very smaH groups but they are composed of people on whom one is able to rely, and they feel the need of increased oecumenical understanding" 105.
Was hier in einem Satz wiedergegeben ist ("he did not feel in the position to work on the same platformwith other youth groups than those of the Confessional Church") hat er in seinem wichtigen Aufsatz: "Die Bekennende Kirche und die ökumene" 106 begründet. Dieser Aufsatz war aber, als er geschrieben wurde, nicht zunächst als Warnung gegen den Weltbund und Life and Work gemeint. Er hatte eine ganz andere Adresse!
III. Der Dienst der Bekennenden Kirche an der gesamten Christenheit 1. Erster Briefwechsel mit Faith and Order Hinter jenem Aufsatz liegt eine Episode, die später ein Nachspiel bekam und wie ein Scheinwerfer Licht auf Geschichte und Substanz der ökumenischen Arbeit wirft. Eine Episode, die erklärt, warum man in der großen Geschichte der ökumenischen Bewegung 1517-1948 so vorsichtig das Verhältnis zwischen der Bekennenden Kirche und der ökumene ununtersucht läßt 1. Besonders die Darstellung der Geschichte von Faith and Order tritt in helles Licht durch diese Episode. Der ökumene ist nicht damit gedient, daß man eine solche Episode verschweigt. Es geht ja in dieser Episode nicht um Kleinigkeiten, sondern um die Substanz der ökumenischen Bewegung überhaupt. Und nichts dient der ökumenischen Bewegung weniger, als wenn man ihre Geschichte selbstverherrlichend darstellt. Am 17. Juni 1935 schickte der damalige Generalsekretär des Fortsetzungskomitees von Faith and Order, Canon L. Hodgson, Bonhoeffer eine Einladung 2, an der Konferenz des Fortsetzungskomitees in Hinds105 "Er erklärte, daß er sich nicht in der Lage fühle, auf derselben Ebene mit andern Jugendgruppen als denen der Bekennenden Kirche zusammenzuarbeiten. Innerhalb seines eigenen Kreises jedom., als Leiter des Seminars der Bekennenden Kirche, war es ihm möglim., mit den Studenten über ökumenische Probleme zu reden, Vorlesungen über dieses Gebiet zu halten und diese Fragen regelmäßig in privaten Ausspram.en zu diskutieren. Unterhaltungen sind nur möglich in sehr kleinen Gruppen; aber die setzen sich aus Leuten zusammen, auf die man sich verlassen kann und die die Not für ein verstärktes ökumenisches Verständnis spüren. 106 Ev. Theologie, 2. Jhrg. 1935, H. 7 (Aug.), S. 245-261. 1 Vgl. Anm. I, 4. . 2 Die beiden Korrespondenzen sind im Faith and Order-Arm.iv, Genf, Countries I erhalten. Die Briefe von Hodgson an D. B. vom 17. 6. 1935, von D. B. an 11
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gavl in Dänemark zur Vorbereitung der Weltkonferenz in Edinburgh 1937 als "visitor" teilzunehmen. In seiner Antwort vom 7. Juli schrieb
Bonhoeffer: "I should very much like to attend the meeting. But there is first of all the question if representatives of the Reichskirchenregierung will be present, which would make it impossible for me to come." 3 Canon Hodgson antwortete am 9. Juli, daß Dr. Krummacher und Bischof Heckel teilnehmen würden. Man kann als Bewegung nicht "exclude the representatives of any Church which ,Accepts our Lord Jesus Christ as God and Saviour' " 4. Von Anfang an ist eine allgemeine Einladung an alle Kirchen ausgegangen, "and we cannot arrogate to ourselves the right to discriminate between them" 5. Man ist äußerst interessiert "to be guided in our deliberations by all possible sections of Christian thought, and are especially anxious that Germany should not be represented exclusively by the Reichskirche. We have made it clear to the representatives of the Reichskirche that we cannot regard them as representing German Evangelical Christianity as a whole" 6,· und dementsprechend ist die Einladung auch an Bonhoeffer ergangen. Am 18. Juli schickt Bonhoeffer eine ausführliche Antwort mit der Begründung, warum er die Einladung nicht annehmen konnte. In diesem Brief haben wir die Vorlage für den Aufsatz in der "Evangelischen Theologie". Dieser Briefwechsel müßte deshalb mit jenem Aufsatz zusammen wieder gedruckt werden. In der charakteristischen. Einleitung im Fragestil formuliert Bonhoeffer in straffen, prägnanten Wendungen, daß für einen christlichen H. vom 7. 7.1935 und von H. an D. B. vom 9. 7. 1935 im Auszug; von D. B. an H. vom 18. 7. 1935 im Original, von H. an D. B. vom 26. 7. 1935 Durchschlag; von D. B. an H. Ende März 1939 im Original und von H. an D. B. vom 30. März DurchsdJlag. Außerdem befindet sich bei Pfarrer Wilhelm Niemöller, Bielefeld: Brief von H. an D. B. vom 9. 7. 1935 im Original und in D. B.s übersetzung ins Deutsche; Brief an H. von D. B. vom 18. 7. 1935, Durchschlag des engl. Originals und eine von D. B. korrigierte, aber nicht ganz zuverlässige übersetzung ins Deutsche; dazu noch ein Geleitbrief von D. B. an Präses Koch vom 24. 7. 1935 bei D. B.s übersendung der bis dahin geführten Korrespondenz; Brief von H. an D. B. vom 26. 7. 1935 im Original. - Im Brief an Koch vom 24. 7. 1935 übrigens: "Dieselbe Schwierigkeit besteht ja noch für den Besuch der Sitzung des ökumenischen Rates, dessen beratendes Mitglied ich seit einem Jahr bin." 3 "Ich würde sehr gern die Konferenz besuchen. Aber da ist vor allem die Frage, ob Vertreter der Reichskirchenregierung anwesend sein werden, was es für mich unmögliCh machen würde, zu kommen." 4 "die Vertreter irgendeiner Kirche, die ,uns ern Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland anerkennt', ausschließen." 5 "und wir können uns nicht das Recht anmaßen, einen UntersChied zwischen ihnen zu machen." 6 "in unseren Beratungen von allen möglichen Gruppen des christlichen Denkens geführt zu werden; und wir sind besonders besorgt, daß Deutschland nicht ausschließlich durch die Reichskirche vertreten sein soll. Wir haben den Vertretern der Reichskirche klargemacht, daß wir sie nicht als Vertretung der deutsChen evangelisChen Christenheit in ihrer Gesamtheit betrachten können."
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Pfarrer und Lehrer nichts schöner wäre als eine ökumenische Synode, die letzten Endes nach den Worten des Herrn Jesus Christus gemeinsam um eine sichtbare Einigung der zerrissenen Christenheit beten will. Sollte die Verantwortung nicht pharisäische Prätentionen und impulsive Richtsprüche gegen jede Kirche verbieten und am ersten zur Buße und zum Hören auf jeglichen Bruder, vielleicht zum Unterwerfen eigener Auffassungen unter die Korrekturen des Bruders rufen? "For it cannot be considered to be of ultimate importance that any man or any church should maintain their views and doctrines by persisting in their ,right' attitude. The only thing which really matters is our Lord Jesus Christ, that He may prevail and His title remain unviolated in spite of all our human wisdom." "I am writing all this as a member of the Confessional Church in Germany. At the same time I must state that, with regard to the German Reich Church, the position of my Church is fundamentally different from its attitude towards all other Ohurches of the world, as the Confessional Evangelical Church in Germany dis claims and wholly contradicts the Reich Church to accept our Lord Jesus Christ as God and Saviour. There may be single representatives of the Reich Church (and possible Bischof Heckel among those) who propound a theology which is to be called a Christiau theology and seems to be more biblical and falling in with the teachings of the Confessional Church than the doctrines of several other churches. But the teaching as well as the action of the responsible leaders of the Reich Church has clearly proved that this church does no longer serve Christ but that it serves the Antichrist. Obedience to the only heavenly Lord Jesus Christ continues to be coordinated, nay, subordinated to obedience towards worldly masters and powers." "The Reich Church govemment has dissociated from the Church of Christ. This solemn declaration has been given in full power and in obedience to the Word of Jesus Christ" 7. Die Reichskirche ist nicht ein Teil der Kirche Christi in Deutschland 8. 7 "Denn es kann nicht als von letzter Wichtigkeit betrachtet werden, daß ein Mann oder eine Kirche ihre Ansichten und Lehren verfechten sollte, indem man auf seiner ,richtigen' Stellung verharrt. Unser Herr Jesus Christus allein ist von Bedeutung, daß Er herrsche und sein Anspruch unverletzt trotz aller menschlichl;ln Weisheit bestehen bleibe." "Ich schreibe dies als ein Glied der Bekennenden Kirche in Deutschland. Gleichzeitig muß ich feststellen, daß in bezug auf die deutsche Reichskirche die Stellung meiner Kirche zu ihr grundsätzlich verschieden ist von der zu allen anderen Kirchen der Welt, da die bekennende evangelische Kirche in Deutschland in Abrede stellt und bestreitet, daß die Reichskirche unseren Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland anerkennt. Es mag einzelne Vertreter der Reichskirche geben (möglicherweise ist Bischof Hed<:el unter diesen), die eine Theologie vorschlagen, die als christlich bezeichnet werden muß und mehr biblisch und mit der Lehre der Bekennenden Kirche in Einklang zu sein scheint, als die Lehren einiger anderer Kirchen. Aber das Lehren und Handeln der verantwortlichen Führer der Reichskirche hat klar erwiesen, daß diese Kirche nicht mehr Christus sondern dem Antichristen dient. Der Gehorsam zum himmlischen Herrn Jesus Christus bleibt neben, ja sogar untergeordnet dem Gehorsam gegenüber weltlichen Herren und Mächten. Die Reichskirchenregierung hat sich von der Kirche Christi getrennt. Diese feierliche Erklärung wurde im Gehorsam gegen das Wort Jesu Christi gegeben." 8 Vgl. Synode der B. K. in Dahlem 19.-20. 10. 1934.
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Ein Diener der B. K. muß "rather beseech God, that He may eonfound the Reich Church government as an instrument of Antichrist" 9. Als Diener der B. K. kann er nicht an einer ökumenischen Konferenz teilnehmen, "unless it either excludes the Reich Church or ventures openly to charge both the Reich Church and the Confessional Church with responsibility. This, however, means aetually to interfere in their eonfliet and effeetively to pronounee a judgment based upon allegianee to the Ward of God and duly estabHshed in the name of God's whole Communion" 10. Nach Bonhoeffers Auffassung ist das auf Fanö geschehen. 11 Es geht im Streit nicht um "subtile reasonings nor opinions of parti'.cular groups which might beeome reeoneiled through a eertain amount of good-will" 12. Es geht im Streit um das "Prüfe die Geister", "drawing the Hne between Life and death, between obedienee and disobedienee to our very Lord Jesus Christ" 13. Die Losgerissenheit von der Reichskirche wäre falsch und gottlos, wenn der Streit nicht derselbe wie einst Martin Luthers wäre: Kampf für die Sache der wahren Kirche Jesu Christi gegen die falsche Kirche des Antichrist. "Fighting in this faith we derive no small power from eonsidering the fact that we are fighting for Christianity not only with regard to the Church in Germany but in the whole world." 14 Dieselben heidnischen und anti-christlichen Kräfte Bind überall auf der Erde zu finden. "All churches may be attacked by the very same power one day or another." "The weapons of the Gospel whiCh have been sharpened anew through ,our fighting and suffering are to all Christendom the only safeguard. So the decision having been found in Germany is a call of ultimate warning to all the ChurChes - all over the world" 15. Wenn die ökumenisChe Bewegung, und besonders Faith and Order, siCh damit einverstanden er9 "Gott anflehen, daß er die Reichskirchenregierung als ein Werkzeug des Antichrist zunichte machen möge." 10 "es sei denn, sie schließt entweder die Reichskirche aus oder sie wagt öffentlich, beide, Reichskirche und Bekennende Kirche, mit Verantwortung zu belasten. Das bedeutet jedoch, daß man in ihren Konflikt eingreift und ein Urteil ausspricht, das auf die Gebundenheit an Gottes Wort gegründet ist und im Namen der ganzen Gemeinde Gottes ausgesprochen wird." 11 Ev. Theologie, 1935, H. 7, S. 252. 12 "scharfsinniges Urteilen noch um Meinungen besonderer Gruppen, die durch .guten Willen ausgesöhnt werden könnten." 13 "indem man eine Grenze zieht zwischen Leben und Tod, zwischen Gehorsam und Ungehorsam zu unserem wahren Herrn Jesus Christus." 14 "Indem wir in diesem Glauben kämpfen, wird uns keine geringe Kraft zuteil im Bewußtsein der Tatsache, daß wir für die Christenheit kämpfen, nicht nur in bezug auf die Kirche in Deutschland, sondern in der ganzen Welt." 15 "Alle Kirchen können eines Tages durch dieselbe Macht angegriffen werden. Die Waffen des Evangeliums, die durch unser Kämpfen und Leiden neu gellchärft wurden, sind für die ganze Christenheit der einzige Schutz. So ist die Entscheidung, die in Deutschland gefunden wurde, der Ruf einer letzten Warnung an alle Kirchen der ganzen Welt."
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klären wollte, "an inward regeneration and a new unification might weIl be bestowed upon all Christendom - however great the difficulties are and however painful the way of obedience appears to be". Wenn nicht, "it might bring in its own verdict and lose the power of speaking and acting in the name of Jesus Christ" 16.
Auf diesem Hintergrund versteht man, daß Bonhoeffer in der Ev. Theologie erklärt: "Der deutsche Kirchenkampf ist nach den Anfängen der ökumenischen Bewegung die zweite große Etappe ihrer Geschichte und wird in entscheidender Weise mitbestimmend sein für ihre Zukunft." 17 Er meinte selbst, daß man es im Weltbund und Life and Work verstanden habe. Die B. K. hatte ja eigene verantwortliche Repräsentanten. Die ganze Arbeit innerhalb des Weltbundes und Life and Work stand in diesen Jahren im Zeichen des deutschen Kirchenkampfes. Bonhoeffer meinte nicht ohne Grund, daß man da als Weltkirche im Namen Jesu Christi sowohl reden als handeln wollte. Deshalb konnte er das Zögern in diesen Bewegungen tragen. Er konnte auch innerhalb dieser Bewegungen solidarisch dafür kämpfen, daß man bewußt als Kirche reden und handeln sollte. Es gehörte nämlich lebenslang zum Kirchenverständnis Bonhoeffers, daß die Kirche nicht Kirche sei, ohne vollmächtig das Wort Jesu Christi reden zu können, ohne es darauf im Leben zu wagen. Die Substanz der Kirche ist gefährdet, wenn nicht Glaube und Gehorsam konkret sind. Deshalb hat er schon in Sanctorum Communio seine Bedenken gegen das viele Reden von der Einigung der Kirche erhoben. Die Kirche ist nicht nur Glaubenseinheit, sondern auch Liebesgemeinschaft. "Der große Gedanke Augustins, daß die caritas das Band der Einheit der Kirche sei, darf bei uns nicht verloren gehen." 18 1932 hat er direkt die Arbeit von Faith and Order als fraglich dargestellt, weil diese Bewegung nicht ein Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses der Kirche sein wollte, sondern nur "eine Zweckorganisation zur besseren gegenseitigen Verständigung differierender theologischer Terminologien" 19, ohne die Wahrheitsfrage zu erheben, ohne konkret zu reden. Was Bonhoeffer hier an Faith and Order schreibt, ist also nicht als neuer Gedanke anzusehen, der durch den Kirchenkampf aufgekommen sei. Er verfolgt nur seine eigene Linie. Dasselbe hat ihn zur Opposition gegen die Reichskirche geführt. Und - dasselbe hat er 16 "eine innere Wiedergeburt und ein neues Einswerden kann der gesamten Christenheit geschenkt werden, wie groß die Schwierigkeiten auch sind und wie schmerzlich der Weg des Gehorsams zu sein scheint.... so fällt sie ihr eigenes Urteil und verliert die Vollmacht, im Namen Jesu Christi zu sprechen und zu handeln." 17 Ev. Theologie, 1935, H. 7, S. 245. 18 SC, S. 148. 19 Zur theol. Begründung, Die Eiche, IV, S. 334, 1932.
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von Anfang an der Bekennenden Kirche gesagt. 20 Was er kritisch über die B. K. in "Widerstand und Ergebung" sagt, ist von demselben theologischen Ort her gesagt. Das ist einfach die Grundfrage der Bonhoefferschen Theologie, daß die Kirche nicht vollrnächtig reden kann ohne das "Für-andere-dasein". Nur die Terminologie hat gewechselt. Als er den Brief an Hodgson schrieb, hatte er noch auf ein ökumenisches Konzil gehofft und daran geglaubt. Diese Hoffnung ist in .. Widerstand und Ergebung" scheinbar nicht mehr da, obwohl die ökumenische Gemeinschaft konkret in Sicht kommt. Das ist vielleicht der Unterschied. Was hatte nun Canon L. Hodgson zu antworten? Er schreibt am 26. 7. 1935 nocli ausführlicher, aber zunächst wie an einen Novizen in der ökumenischen Arbeit! Das ganze raison d'etre der Bewegung sei, den verschiedenen Kirchen aus ihrer Isolation heraus- und zu gegenseitigem Gespräch zu verhelfen, nicht aber im Auftrage der Kirchen zu sprechen, sonst würden die Kirchen sich wieder zurückziehen - in die Isolation. "The Movement has never taken upon itself to decide which churches conform to this definition and which do not." 21 Die Kirchen müssen selbst entscheiden, ob sie "accept our Lord Jesus Christ as God and Saviour". Die B. K. bestreitet, daß die Reichskirche das Recht habe, als eine Kirche, die "accepts our Lord Jesus Christ as God and Saviour" , angesehen zu werden. Aus einem Pamphlet von Dr. Wobbermin (I) gehe aber hervor, daß die Reichskirche dem widersprechen~würde. Faith and Order hat nun nicht die Pflicht, dies zu entscheiden. Sollten Repräsentanten aus Australien, Neu Zealand, Japan, China, nachdem sie beide Seiten gehört haben, "sit in judgment upon one another" 22, wenn sie nicht eingeladen sind, dies zu tun? Oder sollten europäische Kirchen unter Kirchen in Amerika richten, wenn eine Kirche eine andere Kirche anklagen würde, so von Humanismus beeinflußt zu sein, daß sie nicht mehr einen wirklichen (effective) Glauben an Jesus Christus als Gott und Heiland besitze? Außerdem habe Bonhoeffer nicht verstanden, daß das Teilnehmen an Faith and Order-Arbeit mit Gliedern aus der Reichskirche zusammen keineswegs bedeuten würde, daß man nicht loyal der B. K. gegenüber sein würde. Ein Delegierter aus der Reichs-
2" ",Tue deinen Mund auf für die Stummen' - wer weiß denn das heute nom in der Kirme, daß dies die mindeste Forderung der Bibel in solmen Zeiten ist?" Brief an E. Sutz vom 11. 9. 1934 aus London. - "Wie oft meinten wir, wir könnten unsern Frieden mit Gott wohl bewahren und dom dem Leiden, dem Verzimt, der Gehässigkeit, der Gefährdung unserer Existenz aus dem Wege geheni" Predigt über Römer 5, 1-5 in einem Rundsmreiben an die Finkenwaldebrüder vom 14. 3. 1938. - WE, S. 206 f. 21 "Die Bewegung hat es niemals auf sim genommen, zu entsmeiden, welme Kirmen dieser Definition entspremen und welme nimt." 22 "zu Gerimt sitzen übereinander"
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kirche könnte auf einer Tagung darstellen, wie er das "J esus Christus als Gott und Heiland anerkennen" versteht. Aber auch ein Delegierter aus der B. K. wäre mit der Darstellung willkommen, daß und inwiefern jenes seiner Auffassung nach nicht genügend sei. Und keine der Kirchen würde deswegen exdudiert; aber "it would have been made dear that progress towards unity between the two of them was improbable in the near future". Faith and Order will keine Kompromisse und kein Wegdeuten der Differenzen, sondern "truth in love". Und das wurde geschrieben zu einer Zeit, da man wissen konnte, daß ein solches Gespräch im Auslande vielleicht vor dem Volksgerichtshof zu Hause weitergehen würde! 23 Warum schreibt man so? Alte persönliche Verbindungen zwischen deutschen und britischen Kirchenmännern steckten dahinter. Die Archive werden delikate Sachen den zukünftigen Forschern erzählen können. Mit Bischof Temple als Vorsitzendem im "Vorläufigen Ausschuß" wurde es anders, aber erst nachdem Bonhoeffer noch einen kurzen Briefwechsel mit Hodgson 4 Jahre später gehabt hatte. 2. Die Bekennende Kirche und die ökumene
Der schon erwähnte Aufsatz: "Die Bekennende Kirche und die ökumene" 24 ist Anfang August erschienen. Er ist also sozusagen Bonhoeffers Beitrag in absentia zu den Edinburgh-Vorbereitungen. Dieser Aufsatz ist zugleich der zweite große Versuch, irgendwie einen Status der ökumenischen Arbeit festzustellen. Dieser Aufsatz gehört zum bleibenden Erbgut der ökumenischen Bewegung. Weil eben diese Phase ihrer Geschichte noch nicht zu ihrem Recht gekommen ist, müssen wir sie ziemlich eingehend behandeln. Noch nie war die evangelische ökumene so sichtbar und ihre Stellungnahme in einer Glaubensfrage so eindeutig und einmütig gewesen, wie in den zwei Jahren des deutschen Kirchenkampfes. Aber "es ist nur ein Ausdruck der echten Kraft des ökumenischen Gedankens, wenn aller Scheu, aller inneren Abwehr, ja allen lauteren und unlauteren Versuchen, die ökumene zu desinteressieren, zum Trotz die ökumene an Kampf und Leiden des Deutschen Protestantismus teilgenommen hat, wenn sie immer wieder ihre Stimme erhob" 25. Die Sprecher der ökumene sind von zwei Erkenntnissen ausgegangen: ,,1. es geht im Kampf der B. K. um die Verkündigung des Evangeliums überhaupt, 2. der Kampf wird von der B. K. stellvertretend für 23 Vgl. ökum. Jahrbuch 1936/37, S. 237. 2. Ev. Theologie, 1935, H. 7, S. 245. 25 Besonders Bischof BeIls Himmelfahrtsbotschaft 1934, The Times 12. 5. 1934, S. 7, 6.
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die gesamte Christenheit, insbesondere die abendländische, ausgetragen und erlitten" 26. "Die ökumene hat bei dem Entstehen der B. K. fürbittend und verpflichtend Pate gestanden." Das ist aber eine merkwürdige Tatsache, weil die beiden Kreise von Haus aus das geringste Verständnis für das Anliegen der Anderen hatten. Die B. K. stellt jedem Gesprächspartner die Bekenntnisfrage. "Es gibt keinen Zugang zur B. K. als die Bekenntnisfrage. "27 "Das Bekenntnis erfüllt ihren ganzen Raum" "von der Verkündigung des Evangeliums' bis zu den Kirchensteuern". "Zu diesem Bekenntnis, wie es in den Barmer und Dahlemer Synodalbeschlüssen bindend ausgelegt ist, gibt es nur ein Ja oder ein Nein." Die B. K. muß darauf bestehen, daß der ökumenische Gesprächspartner dort das Gespräch nicht aufnimmt, wo die B. K. es in kirchlicher Verantwortung für abgebrochen erklärt hat. Das muß man wissen, "um ihre Sprache recht zu interpretieren", sonst wäre der Kirchenkampf schon gegen sie entschieden 28. Die B. K., aber auch die jüngeren theologischen Generationen, stellen die Frage: "Ist die ökumene in ihrer sichtbaren Vertretung Kirche? Oder umgekehrt: Hat die reale neutestamentlich bezeugte ökumenizität der KirChe in den ökumenischen Organisationen sichtbaren und angemessenen Ausdruck gefunden?" "In welcher Vollmacht tust du das?" Die Frage nach der Vollmacht kann nicht ohne tiefsten inneren Schaden der Arbeit unbeantwortet bleiben. Sie ist mit dieser Frage vor dieselbe Alternative gestellt, vor der jede Kirche steht: die Einheit ist "entweder Gehorsam gegen die Verheißung Jesu Christi, daß eine Herde und ein Hirt sein solle, oder sie ist das auf der Lüge des Teufels in Engelsgestalt erbaute Reich des falschen Friedens und der falschen Einheit. Kann man diese Frage nicht beantworten, ist es frömmer, dieses Nichtwissen zu bekennen, als ein falsches Wort zu sagen". Nun bedroht diese Frage "jedes Wort und jede Tat der ökumene, und darin besteht der erste Dienst der B. K. an der ökumene" 29. Das ist ein Fortschritt, daß die ökumenische Arbeit "jetzt weitgehend im Zeichen des theologischen Gespräches" steht. Bonhoeffer lehnt aber ab, daß die ökumenische Arbeit nur einen bekenntnisneutralen, diskutierenden, informatorischen Charakter haben solle. "Will man nun, wie es von verantwortlichster ökumenischer Seite geschieht" (nämlich von Faith and Order durch Hodgson), "die Unverbindlichkeit dieses Gespräches noch stärker betonen, indem nun nicht einmal mehr dill christliche Persönlichkeit, sondern allein das gegenseitige Interesse und
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Ev. Theologie, 1935, H. 7, S. 246. ebd., S. 247. ebd., S. 248. ebd., S. 249.
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die Fähigkeit, etwas zur Debatte beizutragen, als begründend angesehen werden, so ist damit dem Nichtchristen in Fragen der Kirche Christi grundsätzlich dasselbe Recht eingeräumt wie dem Christen, und es bleibt dann fraglich, inwiefern hier überhaupt noch der Name der ökumene mit Recht gebraucht wird, wieweit es sich noch um eine kirchlich relevante Sache handelt" 30.
Das unverbindliche theologische Gespräch wird dazu benutzt, die wahre Lage zu verschleiern. "Durch die (Autoritäts-) Frage der B. K. sind wir über die an sich notwendige Etappe des theologischen Gesprächs bereits hinaus. Die B. K. weiß um die gefährliche Zweideutigkeit jedes theologischen Gespräches und drängt auf die eindeutige kirchliche Entscheidung. Das ist die wahre Situation." Entweder wird die Notwendigkeit einer Scheidung der Geister Voraussetzung der ökumenischen Arbeit oder der Begriff der ökumene im Sinne des N. T. und der reformatorischen Bekenntnisse ist von vornherein aufgelöst. "Die Gruppe, gegen die sich dieser Teil der Auseinandersetzung richtet, hat ihre Vertreter in einem großen Teil deutscher, englischer und amerikanischer Theologen der Ökumene und findet weithin in ökumenisch arbeitenden Kreisen Zustimmung." Das stärkste Argument dieser Gruppe ist, daß die Arbeit sofort auseinanderbrechen würde, wenn die Frage nach ihrem kirchlichen Charakter ernsthaft gestellt würde. Aber "wer will denn wissen, ob nicht gerade an dieser friedensstörenden Aufgabe die Ökumene gestärkt und vollmächtiger aus diesem Kampfe herauskommt? - Und selbst wenn es durch einen schweren Bruch hindurch gehen muß; ist nicht das Gebot und die Verheißung Gottes stark genug, um die Kirche hindurchzuführen, und ist nicht dieses Gebot gewisser als falsche Ruhe und illusorische Einheit, die doch einmal zusammenbrechen muß? An dem Gebot Gottes haben die Geschichtsspekulationen ein Ende" 31. Seit August 1931 32 sind auf sämtlichen Konferenzen gerade die grundsätzlichen theologischen Fragen aufgebrochen, und besonders durch das Eintreten der B. K. "Mit der Konferenz in Fanö ist die ökumene in eine neue Epoche eingetreten." Die Frage wartet der Beantwortung! nicht heute oder morgen, aber sie wartet: "Ist die Ökumene Kirche oder ist sie es nicht?" "Wie kann die Ökumene Kirche sein?" "Bekenntnislose oder bekenntnisfreie Kirche ist nicht Kirche, sondern Schwärmerei und macht sich zum Herrn über Bibel und Wort Gottes." 33 "Zur wahren Einheit der Kirche aber gehört die Einheit im Bekenntnis." So scheint nur die
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ebd., S. 250-251. ebd., S. 252. Cambridge-Konferenz, vgl. Anm. Ir, 6. wie Anm. 26 dieses Kapitels, ebd., S. 253.
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Bekenntniseinheit etwa des Weltluthertums diese Möglichkeit zu eröffnen. Das "Dogma" der ökumenischen Bewegung in dieser Frage sei: Wie aus Wurzel und Stamm des Baumes die Zweige hervorgehen, und wie sie erst mit diesen den ganzen Baum ausmachen, wie erst der Leib mit allen seinen Gliedern ein ganzer Leib ist, so ist erst die Gemeinschaft aller Kirchen der Welt die eine wahre ökumenische Kirche; "erst in der Einheit liegt die Wahrheit". So wahr und biblisch der Satz sein mag, so wahr und biblisch ist auch der andere Satz, "daß nur in der Wahrheit Einheit möglich sei". "Die romantisch-ästhetisch-liberale Idee der ökumene nimmt die Wahrheits frage nicht ernst, bietet also keine Möglichkeit, die ökumene als Kirche verständlich zu machen." 34 Die Wahrheitsfrage bedeutet die Frage nach dem confitemur und dem damnamus. "Es wäre klug, wenn die christlichen Kirchen des Abendlandes nicht übersehen wollten, daß ,eine Kirche ohne Bekenntnis eine wehrlose und verlorene Kirche ist, und daß eine Kirche im Bekenntnis die einzige Waffe hat, die nicht zerbricht'." Und es ist nachdrücklichst zu sagen, daß das Gespräch zwischen der deutsch-christlichen Kirche und der Bekennenden Kirche schon endgültig abgebrochen sei. Sie sind auch nicht Gesprächspartner bei einer ökumenischen Konferenz. Das hat die ökumene in Fanö verstanden 35. "Es handelt sich hier ja nicht um Persönlichkeiten, sondern um Kirchen, es geht um Christus und Antichrist, da gibt es keinen neutralen Boden." "Es ist nun aber purer Doktrinarismus, der hieraus folgern wollte, es sei von solcher Haltung aus ebenso unmöglich, etwa mit Vertretern des Anglikanismus oder einer semipelagianischen freikirchlichen Theologie zusammenzusitzen. Solche Rede weiß nichts von dem Sinn des lebendigen Bekenntnisses." Diese Wendung kommt nur überraschend. wenn man die Grundhaltung Bonhoeffers nicht verstanden hat. In dem ebd., S. 254. Die Antwort Bischof V. Ammundsens an Professor Titius, der sich leidenschaftlich gegen "Einmischung" in innerdeutsme Kirchenverhältnisse von ausländischen Kirchenmännern äußerte, lautet in Rüd<:übersetzung aus einer dänischen Zeitung: "Ja, laßt uns eine Einheit sein, aber - es ist nur möglim auf dem Boden der Wahrheit. Wir, die etwas von der deutschen Opposition wissen, wissen, daß viele von denen gern ein Ja zum neuen Regime sagen möchten; aber so, wie es ist, stehen sie in einem furmtbaren Gewissenskonflikt durch das Eingreifen des Staates. Es würde nicht Wahrheit sein, wenn wir hier schweigen würden. Wir wollen uns nimt in Einzelheiten einmischen, sondern wir wollen unsere Gemeinschaft mit der Opposition bestätigen. Wir haben hier eine Verantwortung, und wir dürfen sie nimt leicht nehmen; wenn es aum Zersplitterung unter uns mit sich bringen würde, es würde unsere Verpflichtung nimt aufheben, zu sagen, was wir für die Wahrheit ansehen. Nur auf dieser Grundlage kann eine wahre Gemeinschaft erreicht werden." Freds-Varden, 1934, Nr. 4, S. 61, Bericht von G. Sparring-Petersen. Das ist, was Bonhoeffer eine "bischöfliche Stimme" nennt. Ev. Theologie, 1935, H. 7, S. 255. 34
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hier erwähnten Aufsatz haben wir bis jetzt gesehen, daß er auf demselben Ort steht wie vorher: Eine Christus-praesens-Ekklesiologie, die die Vollmacht der Verkündigung des Evangeliums und des Gebotes begründet und fordert. Die Vollmachtsfrage und die Wahrheitsfrage sind nicht nur ein Fragen nach der ökumenischen Einheit der Kirche Jesu Christi, sondern auch ein Fragen nach dem konkreten Wort der Kirche Jesu Christi. Bonhoeffer mußte immer konkret fragen, weil er immer konkrete Ausgangspunkte seiner Theologie hatte. Bekenntnistreue bei Bonhoeffer ist zugleich notwendig ein Kampf gegen Bekenntnisdoktrinarismus. Es ist außerordentlich wichtig sich dessen zu erinnern, weil "der orthodoxe Bonhoeffer" leicht gegen den "liberalen Bonhoeffer" oder gegen einen anderen beliebigen Bonhoeffer ausgespielt wird! So finden wir auch, daß Bonhoeffer hier in seinem· Status von 1935 vom Sinn des lebendigen Bekenntnisses ähnlich spricht wie in seinem ersten von 1932 von der bewegten Beziehung des evangelischen Friedensbegriffs zum Wahrheits- und Gerechtigkeitsbegriff. Hier, 1935, spricht er von dem "lebendigen Bekenntnis", das kein "totes System" ist, "das man jeweils als Maßstab den anderen Kirchen anlegt" . "Die B. K. bekennt nicht in abstracto, sie bekennt nicht gegen die Anglikaner oder FreikirchIer, im Augenblick nicht einmal gegen Rom, geschweige denn bekennt der Lutheraner heute gegen den Reformierten, sondern sie bekennt in concretissimo gegen die deutsch-christliche Kirche und gegen ~ neue heidnische Kreaturvergötzung; der Antichrist sitzt für die B. K. nicht in Rom oder gar in Genf, sondern er sitzt in der Reichskirchenregierung in Berlin. Gegen ihn wird bekannt ... weil hier der Vernichtungswille am Werk ist." "Die Gesänge des Psalters gegen die Gottlosen und die Gebete, daß Gott selbst den Krieg gegen seine Feinde führen möge, werden hier lebendig. Unsere Waffe bleibt allein das lebendige Bekenntnis." "Lebendiges Bekenntnis heißt nicht dogmatische These gegen These stellen, sondern es heißt Bekenntnis, bei dem es ganz wirklich um Tod und Leben geht. Selbstverständlich formuliertes, klares, theologisch begründetes, wahres Bekenntnis. Aber die Theologie ist hier nicht selbst der kämpfende Teil, sondern steht ganz im Dienst der lebendig bekennenden und kämpfenden Kirche." 36
Trotz aller Analogien unterscheidet sich die ökumenische Situation grundsätzlich hiervon. "Die B. K. tritt den bekenntnisfremden Kirchen nicht gegenüber als ihren Todfeinden, die ihr nach dem Leben stehen, sondern sie trägt in ihrer Begegnung mit an der Schuld der Zerrissenheit der Christenheit, stellt sich in diese Schuld mit hinein und erkennt in aller falschen Theologie, die ihr begegnen mag, hier zuerst eigene Schuld, mangelnde Kraft ihrer eigenen Verkündigung. Sie anerkennt Gottes unbegreifliche Wege mit seiner Kirche, sie erschrickt vor dem Ernst einer Kirchenspaltung und vor der Last, die 30
ebd., S. 256.
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sie den nachfolgenden Geschlechtern auferlegt, sie hört hier den Ruf und die Mahnung zur Verantwortung und zur Buße." "Ihr Bekenntnis wird an diesem Ort als erstes ein Sündenbekenntnis sein."
Im zweiten Abschnitt wird nun behandelt, wie die Ökumene dieselbe Frage zurückgibt an die B. K, wie dieselbe Waffe gegen die B. K gerichtet wird. Die Vollmachtsfrage wird zurückgegeben: "Weiß die B. K. darum, daß das Bekenntnis der Väter und das Bekenntnis gegen die Feinde J esu Christi nur dort glaubwürdig wird, wo das Bekenntnis gegen sich selbst vorangegangen ist, wo das damnamus zuerst gegen die eigene Front gerichtet ist? Wird die B. K. von dieser Voraussetzung aus in die ökumenische Gemeinschaft eintreten?" 37 Oder kurz vorher: "Das Bekenntnis der B. K wird ernst nur in actu, d. h. hier im Bekenntnis der Sünde, in der Buße." Die Ökumene stellt diese Fragen durch ihre Existenz, durch die Tatsache, daß "eine zerrissene Christenheit zusammentritt im einmütigen Bekenntnis ihrer Not und im einmütigen Gebet um die verheißene Einheit der Kirche Jesu Christi". Ist angesichts dieser Tatsache nur ein pathetisches "Unmöglich" das zuerst und allein Gebotene? "Gibt es überhaupt noch ein aufrichtiges Gebet um die Einheit der Kirche, wo man sich von vornherein aus dieser Gemeinschaft ausschließt?" Sollte eine Kirche im eingeengten Deutschland, die in einem Kampf um ihre Existenz steht, hier nicht dankbar und hellhörig werden für diesen Hinweis auf die Gottesverheißung, der die ökumenische Arbeit ist? Nicht nur eine tatsächliche Notwendigkeit aber, sondern eine theologische Notwendigkeit liegt vor. Der Bekenntnisanspruch hat seine Grenzen, darf nicht so absolut gesetzt werden, daß das Gespräch mit jeder bekenntnisfremden 'Kirche apriori abgebrochen sei. Die Orthodoxie darf nicht zu blindem Eifer und zu unbegrenzter Selbstherrlichkeit werden, sonst ist "an die Stelle der Gnade Gottes die Menschensatzung, an die Stelle des Christus der Antichristus getreten" 38. Die Kirche erkennt in der einen Taufe der zerrissenen Kirche die Gnade und die Verheißung der einen Kirche. Die B. K lebt nicht "aus ihrer Reinheit, sondern in ihrer Unreinheit" 39 allein durch die Gnade. Sie existiert nur als hörende Kirche, frei für das Hören auf den anderen, der sie zur Buße ruft. "So liegt in ihrer Erkenntnis des Evangeliums als der alleinigen Gnade Gottes durch Jesus Christus, den Bruder und Herrn, die Notwendigkeit und die Möglichkeit des Hörens und der ökumenischen Begegnung. Weil diese Kirche nicht aus sich selbst, sondern von außen her ihr Leben empfängt, darum existiert sie immer schon in jedem Wort, das sie sagt, von der ökumene her. Das ist ihre 37 38 39
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ebd., S. 257. ebd., S. 258. ebd., S. 260.
innerste Nötigung zur ökumenischen Arbeit." Die der B. K. neu geschenkte Erkenntnis des Evangeliums ruft nicht zum Herrschen, sondern zum Dienen und Hören in der ökumene mit dieser Wahrheit. "Die Bekennende Kirche nimmt an der ökumenischen Arbeit als Kirche teil. Ihr Wort will als kirchliches Wort gehört sein, eben weil sie nicht eigenes Wort, sondern bindendes Wort Gottes bezeugen will. Sie will als Kirche zu Kirchen reden. Somit zwingt sie durch ihr Wort in die Entscheidung." Umgekehrt gilt es: "Die Bekennende Kirche wird der ökumene das Recht zu brüderlicher Hilfe, brüderlicher Warnung und brüderlichem Einspruch jederzeit zuerkennen und wird damit bezeugen, daß die Einheit der Christenheit alle Grenzen durchbricht. Sie wird sich der Stimme der Brüder nicht schämen." Es ist in diesem Bericht zu bemerken, daß Bonhoeffer von der evangelischen ökumene spricht, auf ein ökumenisches Konzil hofft, das mit Vollmacht die Wahrheit und die Einheit gegen die Feinde des Christentums in aller WeIt bezeugen kann, und zugleich ein richtendes Wort gegen Krieg, Rassenhaß und soziale Ausbeutung sprechen kann 40. Die B. K. fragt als Kirche die ökumene, ob sie Kirche sei; das ist aber alles nicht neu. Sie zwingt die ökumenische Arbeit in eine letzte Krise, weil sie fragt nach der Einheit in der Wahrheit und das Gespräch mit der antichristlichen Reichskirche auch in der ökumene nicht aufnehmen kann und von jedem ökumenischen Gesprächspartner dasselbe auch fordern muß. Das ist neu in der Geschichte der evangelischen, ökumenischen Bewegung. Faith and Order hat diese Frage nicht ernst genommen. Die Frage nach der Wirklichkeit der Kirche und dem lebendigen Bekenntnis ist nicht aufgenommen. Das Problem der antichristlichen Kirche hat man da auch nicht aufnehmen wollen. Man konnte eben nicht über einen kirchlich-ökumenischen Positivismus hinauskommen und hat darum die echte kirchliche denkerische Arbeit nicht angefangen. Zur Rechtfertigung hat man die Antwort gegeben: Unsere tiefste Differenz: liegt in der Differenz zwischen "protestantischen" und "katholischen" Auffassungen der Kirche 41. So kann man höchstens beklagen, daß "There was a lacking also of spiritual contribution which the experience of the German ,Confessing Church' under the Hitler regime could have made to other Churches" 42. Man hat nicht verstanden, daß wenigstens, ebd., S. 261. A History of the Ecum. Movement 1517-1948, London 1954, S. 720, über Section I in Amsterdam 1948. Vgl. Oliver Tomkins: The Church in the Purpose of God, SCM Press 1950, S. 25 ff., u. L. Hodgsons Appendix in 1'he Church, SCM Press, London 1951, S. 67, wo versucht wird, die beiden Gesichtspunkte zur Einheit zu bringen. 42 "auch ein Mangel an geistlichem Beitrag vorhanden war. der die Erfahrung der deutschen Bekennenden Kirche unter dem Hitlerregime den anderen Kirchen klargemacht hätte." A History of the Ecum. Movement, S. 431. 40
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Bonhoeffer eben durch seine Weigerung, an der Hindsgavl-Konferenz teilzunehmen, seinen Beitrag gegeben hatte. Tissington Tatlow schreibt weiter: "But the loss was great to the German Churches also; they suffered both spiritually and intellectually through their isolation from the Edinburgh Conference and from the marked development which took place in the whole Faith and Order." 43 Das ist wahr, aber es ist auch wahr, daß Faith and Order nicht das Mögliche getan hatte. Faith and Order hat, wie wir später sehen sollen, diese Isolation direkt gefördert. 3. Rechte Lehre kann Irrlehre sein
Inzwischen müssen wir feststellen, daß im Aufsatz über die B. K. und die ökumene ein Gedankenkomplex aus dem Brief an Hodgson fehlt: die Erkenntnis, daß in der Reichskirche einzelne Personen sein mögen, die eine Theologie vorführen können, die mehr biblisch und in größerer übereinstimmung mit der B. K. sei als die Lehre vieler anderer Kirchen. Daß es solche Personen gibt, spielt aber hier keine Rolle, weil sowohl die Lehre wie das Handeln der Reichskirche dem Antichrist dient. Diese Erkenntnis finden wir nun abgehandelt im Aufsatz von 1936: Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft 44. "Die rechte Lehre wird in dem Augenblick Irrlehre, da sie im Kampf gegen die wahre Kirche gebraucht wird." 45 "In solchem Falle desertieren die Offiziere mit ihren Waffen und Mannschaften und gehen ins feindliche Lager über. Sie haben nun dieselben Waffen wie die von ihnen verratene Armee, aber sie richten sie jetzt gegen ihre einstmaligen Freunde. Es ist ein entscheidender Unterschied, ob die Irrlehre der wahren Kirche mit offenem Vernichtungswillen gegenübertritt, oder ob sie kampflos neben ihr steht." Im letzten Fall stehen sie im gemeinsamen Schuldbekenntnis und Tragen der Zerrissenheit der Kirche. "Dies etwa ist die Lage der ökumenischen Arbeit." Weil aber die Grenze zwischen schulspaltenden und kirchenspaltenden Gegensätzen· grundsätzlich nicht festzulegen ist, deshalb muß das "fremde Werk" der Kirche den Kampf der Kirche begleiten: "Die Entscheidung über ihre Grenze ist zuletzt ein barmherziger Akt der Kirche, sowohl an ihren Gliedern, wie an denen draußen. Es ist die letzte, die ,fremde' Möglichkeit, den Heilsruf vernehmlich zu machen." 46 Noch in diesem Aufsatz von 1936 hebt Bonhoeffer hervor, daß "die ökumene in Anwesenheit von Vertretern der B. K. in Fanö 1934 die 43 "Aber der Verlust war auch für die deutschen Kirchen groß; sie litten sowohl ,geistlich als auch geistig durch ihre Absonderung von der Edinburgh-Konferenz und an der deutlichen Entwicklung, die sich im ganzen Faith and Order anbahnte." 44 Evangelische Theologie 3, 1936, S, 214-233 und 405--410; vgl. MW, S. 123-144. 45 MW, S. 130. 46 ebd., S. 131.
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Prinzipien und Methoden des deutsch-christlichen Kirchenregiments als mit dem Wesen der Kirche Christi unvereinbar erklärt hat 47, und daß ~an sich die Mitarbeit der B. K erbeten hat durch die Wahl eines Vertreters der B. K" Er stellt auch fest, daß die B. K. "noch auf keine ökumenische Konferenz offizielle Vertretungen entsandt hat". "Der Grund hierfür muß in der Anwesenheit von Vertretern der Reichskirchenregierung liegen." Bonhoeffer hat an einem Beitrag zur Weltkonferenz in Oxford 1937 von seiten der B. K mitgearbeitet 48. Aber die Entwicklung ist doch eine Enttäuschung gewesen. Weder Life and Work noch Faith and Order noch Weltbund haben mit der Reichskirchenregierung die Verbindung nicht nur nicht abbrechen wollen, sondern man hat, wiewohl im Einverständnis mit der B. K, diese mehr leise als laut verteidigt 49. Die Tagung von Life and Work in Chamby vom 18. bis 22. Aug. 1935 hat sich wohl hinter die Entschließung von Fanö zur Aufrechterhaltung enger Gemeinschaft mit der Bekenntnissynode gestellt und ließ die Leitung der B. K wissen, daß man auch ihre Mitarbeit an allen ökumenischen Tagungen, "insonderheit auch an der Vorbereitung der Weltkonferenz in Oxford wünsche". Aber "auf eine öffentliche Erklärung verzichtete man, und Bischof Heckel, der erneut betonte, daß das Kirchliche Außenamt den Anspruch erhebe, die ganze DEK rechtmäßig und unparteiisch zu vertreten, konnte unwidersprochen feststellen, daß der Beschluß des Vollzugsausschusses den unveränderten Wunsch zum Ausdruck bringe, mit allen christlichen Brüdern in Deutschland freundliche Beziehungen aufrechtzuerhalten" 50. So hat die Frage der B. K an die ökumene bewirkt, daß Bonhoeffer sich aus der organisatorischen Arbeit zurückgezogen hat. So ist auch sein Aufgeben der Sekretärarbeit im Weltbund, im Sommer 1937, wie schon erwähnt, zu verstehen. Die B. K. wurde nie im vollen Sinne von der ökumene als Kirche anerkannt, sondern nur als ein Teil der Deutschen Evangelischen Kirche.
47 ebd., S. 134. Eine offizielle Delegation aus der B. K. ist erst in Chamby 1936 gewesen. Siehe die folgende Anm. 4S Bekennende Kirche Martin Niemöller zum 60. Geburtstag, München 1952,
S. 193. 49 ebd., S. 193: wegen der indiskreten Veröffentlichung der Denkschrift der Vorläufigen Kirchenleitung an Hitler haben die Vertreter der B. K. eine Erklärung über die Rassenfrage in Deutschland "gegenwärtig für nicht tunlich" gehalten. 50 Kirchliches Jahrbuch 1945-1948, Gütersloh 1950, S. 267-268. Wie schwierig es für die ökumene war, die Lage recht zu beurteilen, zeigt eine Aussage, die V. Ammundsen mitgeteilt hat: Der alte Bischof Zoellner, der der Delegation der Reichskirche angehörte, habe in Chamby August 1936 dem damaligen Pfarrer Hans Böhm die Hand zum Abschied mit folgenden Worten gegeben: "Wir treffen uns in den KZ-Lagern." Vgl. Fr. Torm: Kirkekampen i Tyskland 1933-1939, Hirschsprung, Kopenhagen 1939, S. 106.
171
IV.
Entziehung der Lehrbefugnis Bevor wir aber das Nachspiel im zweiten Briefwechsel zwischen Bonhoeffer und Hodgson näher erklären, müssen noch zwei Dinge erwähnt werden. Am 18. 11. 1935 schreibt Bonhoeffer einen Brief 1 an Bischof V. Ammundsen, in dem er einen jungen Pfarrer der B. K, Barthschüler, empfiehlt. Er versieht seit Sommer 1935 "verschiedene kirchliche und außerkirchliche Instanzen des Auslandes mit knappen Informationen aus erster Hand und erläuternden Artikeln". "Außerdem scheint es mir von besonderer Wichtigkeit, daß die übliche Zeitungsberichterstattung von jemandem ergänzt und unter Umständen berichtigt wird, der von Anfang an am Kirchenkampf aktiv beteiligt war und ein wohlbegründetes theologisches und christliches Urteil besitzt." Dieser Brief zeigt nicht nur, daß Bonhoeffer auch für die Informationsarbeit im Auslande, d. h. in der ökumene gearbeitet hat. sondern es ist auch von großem Interesse für die Kirchengeschichtler, in der Zukunft zu wissen, in welchen Zeitungen und durch welche Büros man vertrauliche Informationen von seiten der B. K finden kann 2. Das zweite, was erwähnt werden muß, ist, daß Bonhoeffers ökumenische Tätigkeit die akute Ursache des Verlustes seiner Lehrbefugnis an der Universität Berlin war. In einem Schreiben vom 5. Aug. 1936 beantwortet der Reichs- und Preußische Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bonhoeffers Gesuch vom 18. April um Beurlaubung aus seiner Stellung als Dozent 3: Dies Gesuch ist dem Minister nicht zugeleitet worden, weil er kurz vorher schon grundsätzliche Bedenken hatte, weil Bonhoeffer neben seiner Dozententätigkeit die Leitung des Predigerseminars in Finkenwalde übernommen hatte. Dies Seminar besteht im Widerspruch zur Verordnung vom 2. Dez. 1935 noch immer als eigene Einrichtung der "Bekennenden Kirche". "Außerdem haben Sie im März d. }s. eine Studienreise nach Schweden unternommen. Wenn diese Einladung auch auf Einladung des Ökumenischen, Ausschusses in Schweden erfolgt ist, so hätten Sie als Dozent der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Berlin auf Grund meines KgI. Bibliothek Kopenhagen. Bonhoeffer erwähnt im Brief: Schweizer Evangelischer Pressedienst Zürich, Neue Zürcher Zeitung, Basler Nachrichten, Gazette de Lausanne, Pester Lloyd, Allgemeen Handelsblad, Manchester Guardian, Berlingske Tidende. - Der Umfang dieser Tätigkeit wäre noch zu untersuchen. 3 Personalakten Nr. I Bd. 1 des VerwaItungsdirektors Berlin, sowie Personalakten des Rektors der Universität. Berlin, geschlossen 1. 9. 1936. i
2
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Erlasses vom 22. Juni 1935 - Z UI b 471 M. W. - hierzu meine Genehmigung einholen müssen. über diese Anordnung haben Sie sich ohne weiteres hinweggesetzt. Aus diesen Gründen sehe ich mich gezwungen, Ihnen die Lehrbefugnis zu entziehen."
Komisch ist es, hinterher zu lesen, mit welcher Scheinheiligkeit der Vernichtungswille gegen die B. K. sich zu verhüllen "gezwungen" sah. Man versteht aber zugleich, daß das illegale Bruderhaus in dieser Situation nicht als ein Refugium einer geschlagenen Kirche anzusehen ist. Das war die innere Konzentration einer in statu confessionis kämpfenden Kirche. Es gehört zur Größe des Buches "Gemeinsames Leben", daß die innere Konzentration so unberührt blieb von der augenblicklichen Situation, daß ein klassisches Buch geschrieben werden konnte. Ein ausführlicher Bericht von der Reise nach Schweden mit den 24 Vikaren vom 29. 2. bis 11. 3. 1936 ist in "Junge Kirche" zu lesen 4. Die Reise ging via Kopenhagen über Lund nach Stockholm, Upsala Sigtuna. überall waren sie mit Professoren und Kirchenmännern zusammen. "Ein bleibender Gewinn war die Erkenntnis, mit welcher Klarheit man die Haltung der Bekennenden Kirche von Schrift und Bekenntnis aus verstand. Die Gewißheit, daß die lutherischen Kirchen des Nordens den Weg der .Bekennenden Kirche keineswegs als unlutherisch verurteilen, sondern ganz im Gegenteil verstehen und weithin billigen, bedeutete für die deutschen Besucher eine wesentliche Stärkung in ihrem eigenen Ringen um die Kirche." 5
Der schwedische Bischof und Lutherkenner Gustaf Ljunggren von Skara sagte zur Begrüßung beinahe wörtlich dasselbe, was Bonhoeffer in der "Evangelischen Theologie" ein Jahr vorher gesagt hatte: "Die Deutsche Evangelische Kirche werde in dieser Zeit von Gott gewürdigt, stellvertretend für Europa, ja den ganzen Erdkreis zu kämpfen; von ihrer Treue hinge vieles für die ganze Christenheit ab." 6 - Am 3. 3. sprach Bonhoeffer im praktisch-theologischen Institut der Universität Upsala über die Arbeit im Finkenwalder Seminar, am Abend im theologischen Verein über das Thema "Sichtbare und unsichtbare Kirche". Dieser Vortrag löste wie auch am 9. 3. im Pfarrerverein in Stockholm eine lebhafte Aussprache aus. In diesem Bericht steht aber nicht, daß Bonhoeffer am 4. 3. noch einen Vortrag gehalten oder wenigstens geplant hatte. Auch steht nicht da, was aus einer schwedischen Zeitung hervorgeht, daß "alle Zusammenkünfte und Vorlesungen streng privat waren, weil Lic. Bonhoeffer die Genehmigung der deutschen Behörden, öffentlich in Schweden zu reden, fehle". Die schwedischen Zeitungen haben sich aber nicht gescheut, dies zu veröffent4 5 6
Junge Kirche, 4. Jhrg., 1936, S. 420-426. ebd., S. 421. ebd., S. 422.
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lichen! - Bei der Ankunft in Stockholm wollte Bonhoeffer den Journalisten nichts sagen. Später vor der Abreise hat er es doch getan. Unter anderen dankbaren Worten heißt es: "Nie wollen wir die einfache Feierlichkeit am Grabe des Erzbischofs Söderblom vergessen." "Das größte Erlebnis für uns war, daß wir so viele Freunde unserer Kirche und unseres Landes getroffen haben." 7
V. Die tragende Stimme Seit 1937 war Bonhoeffer nicht mehr Jugendsekretär des Weltbundes und Life and Work, aber die aktive Verbindung mit der ökumenischen Arbeit wurde dadurch nicht abgebrochen. Im Frühjahr 1939 war er in Landon. Dr. Visser't Hooft erzählt in "Zeugnis eines Boten" 1, wie er Bonhoeffer im Bahnhof Paddington traf. In wenigen Linien gibt Visser't Hooft hier ein Bild Bonhoeffers aus der Zeit zwischen "München" und "Warschau " . "Wir hatten viel voneinander gehört, aber es war nun doch eine überraschung, daß wir so schnell durch die Zone der ersten Fühlungnahme hindurch. in die tieferen Zonen des wirklichen Gesprächs vorstoßen konnten, ja daß er mich bald wie einen alten Freund behandelte. Es war bei ihm zu spüren, daß er im Kampfe der letzten Jahre eine Freiheit gefunden hatte, die es ihm erlaubte, direkt auf die Menschen loszugehen. Wir spazierten dann lange hin und her auf dem Bahnsteig. Er beschrieb die Lage seiner Kirche und seines Landes. Merkwürdig illusionslos und manchmal fast hellseherisch sprach er von dem kommenden Krieg, der bald, wohl im Sommer, losgehen werde. Die Bekennende Kirche würde damit in eine noch größere Not hineingetrieben werden. Der Sieg des Nationalsozialismus würde das Ende des christlichen Abendlandes bedeuten, aber der verlorene Krieg das Ende Deutschlands." Visser't Hooft paraphrasiert seine Fragen angesichts dieser Situation und fährt fort: "Ich erinnere mich seiner scharfen Fragen besser als seiner Antworten. Ich glaube aber, daß ich mehr von seinen Fragen gelernt habe, als er von meinen Antworten. In der undurchsichtigen Welt zwischen ,München' und ,Warschau', worin fast keiner die wirklichen Probleme klar zu formulieren wagte, war diese fragende Stimme wie eine Befreiung." Besser ist Bonhoeffer nicht charakterisiert als hier: eine fragende Stimme, die in einer undurchsichtigen Welt, worin fast keiner die wirklichen Probleme klar zu formulieren wagt, wie eine Befreiung ist. Kein 7 Nya Dagligt Allehanda vom 3. 3. 1936 und Tidningen Upsala vom 6. 3. 1936 (auf Schwedisch: "Vi skola aldrig glömma den enkla högtidligheten vid ärkebiskop Söderbloms grav." "Den största upplevelsen för oss var att träffa sä mänga verkliga venner till vor kyrka och vort land."). 1 Zeugnis eines Boten, Genf 1945, S. 6 f. Der von Visser't Hooft S. 6 zitierte Brief muß aus dem Juli stammen. Vgl. R. Niebuhr, Death of a Martyr, vgl. Anm. I, 17.
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Wunder aber, daß Bonhoeffer die Probleme so scharf formulieren konnte. Es war nicht nur seine Natur, immer rücksichtslos zu fragen. Er hatte seit Jahren im Zentrum der ökumenischen Arbeit, im Zentrum des Kirchenkampfes und seit der Fritsch-Affäre 1938 durch seinen Schwager H. von Dohnanyi auch im Zentrum der politischen Opposition gelebt. Aber welche Fragen haben ihn bewegt? Dieselben Fragen wie immer! Die Frage nach dem konkret Gebotenen. "War nun die Stunde nicht gekommen, um einer bewußt auf Krieg lossteuernden Regierung, die' alle Gebote übertritt, den Dienst zu verweigern? Aber welche Konsequenzen würde eine solche Haltung für die Bekennende Kirche haben?"
VI.
Der zweite Briefwechsel mit Faith and Order Warum Bonhoeffer eigentlich in London war, geht aus diesem Ge-spräch nicht hervor. Aber daß er in England auch für die ökumenische' Arbeit tätig war, geht aus dem schon mehrmals erwähnten zweiten Briefwechsel mit Canon L. Hodgson hervor 1. Bonhoeffer hat Hodgson persönlich in Oxford aufgesucht. Er hatte sich im voraus eine Einladung verschafft, die für Mittwoch, den 29. 3. 1939, galt. Vorher schreibt er einen undatierten Brief aus London. Es ist in diesem Brief ein eindringlicher, fast bittender Ton. Seltsam muß dieser Ton dem vorkommen._ der von dem Briefwechsel von 1935 weiß. "I have been looking forward to an oeeasion of seeing you ever sinee we had a short eorrespondenee on the eonferenee in Denmark two years aga 2, and I am very happy that I shall have the opportunity of a diseussion with you in a few days. The question which I should most of all like to diseuss with you is eoneerning the regular and close eontaet between tihe eonfessional Church and the ,Faith and Order' movement. The more we arebeeoming cut off from our foreign friends the more we feel it to be neeessary to find a way of a permanent representation in the eeumenieal movement and partieularly in the department eoneerning ,Faith and Order'. We need the theologieal help of other churches in order to be able to bear the burden of responsibilities which God has laid upon us, and we wish. to give you a witness of the christian insights, which God has given to us anew during the last years. I feel strongly that something has to be done quick praetieally and effeetively in order to establish new relations between you and uso Would it, for instanee, not be possible to have a permanent German seeretary of the Confessional Church in Geneva or in London, and if not permanent then perhaps for one year or two? Those are the questions which I should like to diseuss with you from the theo-
1
2
Vgl. Anm. III, 2. Soll wohl vier Jahre heißen.
17S
logical and practical point of view. The main difficulty might be the finan-Dial side of the matter. Hut I lleel, there must be something wrong, if a thing which is spiritually necessary, should become impossible for financial reasons. Please excuse this long letter. I thought it to be better to let you know our questions and hopes before we meet."
Es ist augenscheinlich, daß der bevorstehende Krieg und die immer .schmerzlicher empfundene Isolierung der B. K. ihn zu diesem Schritt .getrieben haben. Man darf aber vermuten, daß auch etwas anderes diesen Schritt möglich gemacht hat. Faith and Order und Life and Work waren noch nicht im Weltrat der Kirchen zusammengeschlossen; sie waren aber bewußt auf dem Wege dazu. In Oxford und Edinburgh war beschlossen worden, darauf hin zu arbeiten. Dazu kam noch, daß mit dem "Vorläufigen Ausschuß" oder "Provisional Comittee", dessen Auf.gabe die Bildung eines "Ökumenischen Rates der Kirchen" und dessen Generalsekretär Dr. Visser't Hooft war, eine neue Epoche in der ökumenischen Bewegung angebrochen war. Mit Bischof Temple als Vorsitzendem wäre eine veränderte Haltung der B. K. gegenüber zu erwarten. Das wurde bestätigt wenige Tage nachher, als von diesem "Vorläufigen Ausschuß" eine ganz eindeutige Antwort zur sogenannten "ElfLandeskirchenleiter-Erklärung" vom 4. April 1939 4 herausgegeben wurde. Man darf vermuten, daß diese neue Haltung schon am Paddingion-Bahnhof unterwegs war. Bonhoeffer schlägt also vor, daß ein Sekretär aus der B. K. in Genf oder London die Verbindung zwischen :Faith and Order und der B. K. vermitteln sollte. 3 "Ich habe mich immer nach einer Gelegenheit, Sie zu sehen, gesehnt, seit 'wir vor zwei Jahren eine kurze Unterredung auf der Konferenz in Dänemark hatten. Und im bin sehr glüCklich, daß ich in wenigen Tagen die Gelegenneit zu einer Diskussion mit Ihnen haben werde. Die Frage, die ich vor allem mit Ihnen besprechen mömte, betrifft den regelmäßigen und engen Kontakt :zwismen der Bekennenden Kirche und der Faith-and-Order-Bewegung. Je mehr wir von unseren ausländischen Freunden abgesmnitten werden, desto nötiger empfinden wir es, den Weg für eine dauernde Abordnung zur ökumenismen Bewegung und besonders zur Abteilung Faith and Order zu finden. Wir brauchen die theologische Hilfe anderer Kirchen, um fähig zu sein, die Last der Verantwortung, die Gott auf uns gelegt hat, tragen zu können; und wir möchten Ihnen Zeugnis von der christlimen Einsicht geben, die Gott uns in den letzten Jahren neu geschenkt hat. Ich empfinde stark, daß schnell etwas unternommen werden muß, um neue Beziehungen zwischen Ihnen und uns herzustellen. Würde es nicht :z. B. möglich sein, für dauernd einen deutsmen Sekretär der Bekennenden Kirche in Genf oder London zu haben; und falls nicht für dauernd, so doch für ein oder .zwei Jahre? Dies sind die Fragen, die im mit Ihnen in theologischer und praktischer Hinsicht besprechen mömte. Die Hauptschwierigkeit wird wohl die finanzielle Seite der Sache sein. Aber ich glaube, da würde einiges verkehrt sein, 'wenn eine Sache, die geistlim nötig ist, aus finanziellen Gründen unmöglich werden würde. Entschuldigen Sie bitte diesen langen Brief. Ich damte, es würde besser sein, Sie vor unserem Zusa=entreffen unsere Fragen und Hoffnungen wissen zu lassen." 4 A History of the Ecum. Movement, London 1954, S. 707. - Wilh. Niemöller, .Kampf und Zeugnis der B. K., Bielefeld 1948, S. 469.
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Was hatte nun der Sekretär und praktische Leiter der Faith and Order dazu zu antworten? Ein seltsames, durch reine Formalroabrheiten begründetes Nein! Diese Antwort hat er nach dem mündlichen Gespräch selbst in einem Brief an Bonhoeffer vom 30. März 1939 schriftlich zusammengefaßt. Am Anfang heißt es: .. I now feel that I appreciate your situation in a manner which have been impossible without our conversation." 5 Trotzdem schreibt er unerschüttert weiter: I. Im Augenblick können offizielle Verbindungen mit der Deutschen Evangelischen Kirche nicht aufgerichtet werden, weil 1. "the Comittee derives its authority mediately from the churches throught he Conference" 6. - 2. "The German Evangelical Church itself unable to be represented at the Edinburgh Conference" 7. Keine Repräsentanten dieser Kirche konnten in das Fortsetzungskomitee gewählt werden. Die Konferenz hat dann das Komitee instruiert .. to coopt eight representatives of that Church when such action should become possible" 8. - 3. "For this purpose it is necessary to be able to have communication in each case with a central body having full confidence of the whole church, and able to nominate representatives in its name. We are advised that at the present time there is no such body which can speak in the name of the whole German Evangelical Church, and that we must not attempt to treat the different groups within that Church independently as if they were separate clmrches. Hence for the time being the filling of these places has to be left in abeyance." 9 Ein Kommentar zu diesem Abschnitt der Antwort ist nötig. - 1. Die Deutsche Evangelische Kirche bedeutet hier die Reichskirche und die B. K. in einem. Das Fortsetzungskomitee hat sich also zum Richter aufgeworfen, wieweit die B. K. eine Kirche neben der Reichskirche seil 2. Die Deutsche Evangelische Kirche habe sich außerstande gesehen, in Edinburgh teilzunehmen! Das ist wirklich eine Wahrheit mit Modifikationen! D. Heckel hat dafür gekämpft, daß Teilnehmer an der Oxford5 "Ich glaube jetzt, daß ich Ihre Lage in einer Weise einschätzen kann, die ohne unsere Unterhaltung unmöglich gewesen wäre." 6 "das Komitee seine Autorität mittelbar von den Kirchen durch die Konferenz bekommt." 1 "Die deutsche evangelische Kirche hat sich nicht in der Lage gesehn, an der Edinburgh-Konferenz vertreten zu sein." 8 "acht Vertreter dieser Kirche hinzuzuwählen, wenn ein solches Vorgehen möglich werden sollte." 9 "Aus diesem Grunde ist es notwendig, in jedem Fall die Möglichkeit der Verbindung mit einer zentralen Stelle (body) zu haben, die das volle Vertrauen der Kirche genießt und fähig ist, Vertreter in ihrem Namen zu nominieren. Wir wurden unterrichtet, daß es gegenwärtig keine derartige Stelle (body) gibt, die im Namen der gesamten deutschen evangelischen Kirche sprechen kann und daß wir nicht versuchen sollten, die verschiedenen Gruppen innerhalb dieser Kirche unabhängig voneinander zu behandeln als ob sie getrennte Kirchen seien. Deshalb muß die Besetzung dieser Stellen für die nächste Zeit unentschieden bleiben."
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Konferenz nur durch das Kirchliche Außenamt bestimmt werden sollten. Es ist nicht gelungen; Life and Work wollte die Bekennende Kirche repräsentiert haben 10; schließlich hat man auf Teilnahme von beiden deutschen Seiten "verzichtet", d. h. die Pässe einiger B. K-Repräsentanten wurden von der Polizei eingezogen. Man hat dann der Welt gegenüber sich "solidarisch" erklärt und auf eine Teilnahme "verzichtet". "Passports having been refused by the German Government" 11 heißt es in "History of the Ecumenical Movement" 12. Ein Delegierter (Niemöller) für die Oxford Konferenz saß seit dem 1. Juli 1937 im Gefängnis. So stand es auch mit der Repräsentation für Edinburgh. Natürlich ist sich Hodgson über die faktische Sachlage klar gewesen. Bonhoeffer aber hat sich einmal nicht im Stande gesehen, in Hindsgavl teilzunehmen. Warum aber nicht? Weil er die B. K nicht als eine selbständige Kirche repräsentieren sollte. Faith and Order und nicht die B. K hat sich nicht im Stande gesehen, die B. K als Kirche repräsentiert zu sehen! - 4. Das Fortsetzungskomitee wollte entweder eine Repräsentation von allen Seiten oder keine aus Deutschland, da es nur eine Seite zum Freund haben konnte. n. Offiziell konnte also keine Verbindung mit "der Deutschen Evangelischen Kirche" aufgerichtet werden. Man sollte aber Beobachter herzlich willkommen heißen. So heißt es im zweiten Abschnitt, daß Dr. Krummacher und Dr. Gerstenmaier vom Kirchlichen Außenamt an der Tagung des Fortsetzungskomitees 1938 als "visitors " teilgenommen hätten 13. "The both came, were welcomed by the Committee, and took a full part in its proceedings, except that they had no responsibility for any of its decisions." 14 Bei dieser Gelegenheit wurde in der Aussprache die Befürchtung laut, "die Kirchen könnten für politische Kundgebungen des neuen Ökumenischen Rates haftbar gemacht werden"! Man spürt in Hodgsons Haltung eben diese Befürchtung; nur kann eine solche Befürchtung sich sehr leicht politisch auswirken. So ist auch Faith and Order früh davor gewarnt worden, sich von der Reichskirche gegen Life and Work ausspielen zu lassen 15. Eine solche Politik würde nur bedeuten, daß die B. K. indirekt durch die ökumenische Arbeit getroffen werden sollte. Man sieht: Die Neutralitätspolitik in der ökumenischen Arbeit ist gar nicht notwendigerweise neutral. Das ist eine sehr wichtige Lehre für die ökumenische Arbeit zu aller Zeit!
11
Vgl. Anm. UI, 50. "Die Pässe wurden von der deutschen Regierung verweigert."
12
S. 431.
10
Clarens 29. 8. - 1. 9. 1938. "Beide kamen, wurden durch das Komitee begrüßt und hatten vollen Anteil an seinen Verhandlungen, lediglich daß sie eben nicht ,für die Beschlüsse verantwortlich waren." 15 Bericht ohne Datum im Life-and-Work-Archiv, Genf. 13
H
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Im Abschnitt III werden konsequent zwei Repräsentanten für den Fortsetzungsausschuß in Clarens am 21. 8. 1939 eingeladen. Im Abschnitt IV wird erwähnt, daß Hodgson vorgeschlagen habe, daß ein oder zwei junge Männer als "visitors" in die Jugendgruppe kommen sollten. Und im Abschnitt V, daß Faith and Order für die vorgeschlagenen Teilnehmer finanziell verantwortlich sein würde, wenn sie nach Montreux kommen könnten. Als Antwort auf Bonhoeffers Vorschlag, einen Sekretär in Genf oder in London einzusetzen, ist Hodgsons Vorschlag nur eine Geste! Die Frage war ja nicht nur, das Geld zu kriegen, sondern die Genehmigung für die Pässe. Außerdem konnte dieser Vorschlag nur bedeuten, daß die B. K. ihre exclusive Stellung revidieren sollte. So machte Hodgson auch im VI. Abschnitt darauf aufmerksam, daß die Entwicklung in den nächsten Jahren eine Verlagerung der Arbeit auf die Kommissionen bringen würde; und er drückt seine Hoffnung aus, "that we should be ableto have the collaboration of members of the Confessional Church in that work" 16. Die Haltung Hodgsons war nicht die Haltung der Kirchen, die in Faith and Order repräsentiert waren. Auch nicht die Haltung vieler Mitglieder; aber es fragt sich, ob nicht die Kritik, die Bonhoeffer schon vor dem Kirchenkampf an Faith and Order geübt hat, durch die Entwicklung bestätigt worden ist, daß nämlich die Achillesferse von Faith and Order die Betonung der Unverbindlichkeit des Gespräches sei, so daß dies alles gar nicht anders laufen konnte. Es fragt sich, ob Faith and Order nicht erst durch gewisse Persönlichkeiten, sondern schon durch die Betonung der Unverbindlichkeit des Gespräches gelähmt war. Und es muß weiter gefragt werden, ob es nicht bedenklich ist, daß Faith and Order im Weltrat der Kirchen seit 1948 einen eigenen Status aufrechterhalten hat; bedenklich nicht nur im Blick auf die praktische Haltung, sondern auch bedenklich in dem Sinne, daß dies eine Lähmung der echten theologischen Fragen bedeuten könnte. Die fragende Stimme Bonhoeffers hat uns vielleicht hier noch etwas zu lehren: Die Kirche ist der Christus praesens. Darum allein hat ihr Wort Vollmacht. "Ist die ökumene in ihrer sichtbaren Vertretung Kirche? Oder umgekehrt: Hat die neutestamentlich bezeugte Ökumenizität der Kirche in den ökumenischen Organisationen sichtbaren und angemessenen Ausdruck gefunden?" 17 16 "daß es möglich sein sollte, die Mitarbeit von Mitgliedern der B. K. in dieser Arbeit zu haben." 17 Die Bekennende Kirche und die Ökumene, Ev. Theologie, 1935, S. 248.
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VII.
Das amerikanische Intermezzo 1. Im Gebet mit Brüdern den Weg gefunden Bonhoeffer war im Juli 1939 wieder in London. Er hat dort wie schon im Frühjahr Bischof Bell und dann auch Professor Niebuhr getroffen 1. Bekannt ist, daß er inzwischen in USA war. Eberhard Bethge hat erzählt 2, wie und warum die Reise zustande kam und warum Bonhoeffer so schnell zurückgekehrt ist. "Es lagen Einladungen vor vom Federal Council of Churches und vom Union Theological Seminary, wo Bonhoeffer 1930 studiert hatte. Niebuhr, der die Sache betrieb, hatte nicht ohne Grund gemeint, diesen Mann aus der kommenden Entscheidung heraushalten zu müssen, wenn es an ihn komme, den Dienst mit der Waffe zu tun. Bonhoeffer war tatsächlich in den Jahren seiner Beschäftigung mit dem christlichen Pazifismus so weit gekommen, daß er zu dieser Zeit die Kriegsdienstverweigerung für seine eigene Person in Betracht zog. Der Bruderrat der Bekennenden Kirche hatte nach langen überlegungen endlich eingewilligt, den brennend benötigten Lehrer im Namen der wenigen noch existierenden ökumenischen Verbindungen gehen zu lassen. Kaum in USA, begann Bonhoeffer aber schon wieder, mit den Einladenden darüber zu verhandeln, wie er den Weg zurück offen halten könne."
Die wunderschönen Worte aus seinem Tagebuch gehören auch in einen Bericht über seine ökumenische Tätigkeit. "Ich begreife nicht, warum ich hier bin ... Das kurze Gebet, in dem wir an die deutschen Brüder dachten, hat mich fast überwältigt ... Wenn es jetzt unruhig wird, fahre ich bestimmt nach Deutschland ... Ich will für den Kriegsfall nicht hier sein ... " Und wenig später heißt es: "Seit ich auf dem Schiff bin, hat die innere Entzweiung über die Zukunft aufgehört." Paul Lehmann, Professor für Ethik in Princeton, ist zum Schiff mitgegangen, um ihn zurückzuhalten s. - Er hat wirklich seinen Weg im Gebet mit Brüdern zusammen gefunden. 2. Protestantismus ohne Reformation Unmittelbar nach seiner Rückkehr von Amerika verfaßt Bonhoeffer seinen Bericht: "Protestantismus ohne Reformation" 4. Der amerikanische Bonhoeffer-Forscher John Godsey hat mir gesagt, daß er die kirchVgl. hierzu Anm. I, 19 sowie Gedenkheft, S. 7. MW, S. 10/11. a Mitgeteilt durch John Godsey. 4 Unterwegs, Berlin 1948, H. 1, S. 3-17. Die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf diesen Bericht. 1
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liche und politische Situation in USA und ihren Hintergrund viel besser aus diesem Bericht verstanden habe als aus dem, was er sonst las. Wir haben hier ein eigenartiges Stück praktischer ökumenischer Arbeit. Der Bericht ist nicht von einem unverbindlichen Beobachter geschrieben. Während es in der ersten Bestandsaufnahme von 1932 auf Grund seiner Christus-praesens-Ekklesiologie im Gegensatz zum Angelsachsentum um das Finden des konkreten Gebotes ging, und in der zweiten von 1935 darum, mit der wahren Kirche des praesenten Jesus Christus gegen die Kirche des Antichrist ökumenische Gemeinschaft zu haben, geht es hier in der dritten darum, im Lichte der Geschichte zu erkennen: "Was tut Gott an und mit seiner Kirche in Amerika, was tut er durch sie an uns und durch uns an ihr?" 5 Dieser Bericht ist nicht nur eine Bestandsaufnahme der amerikanischen Christenheit, sondern eine Bestandsaufnahme der ökumenischen Situation innerhalb des Protestantismus. Bonhoeffer versucht in diesem Bericht "zu einer verbindlichen Auseinandersetzung" zu kommen. "Die entscheidende Aufgabe ist heute das Gespräch zwischen dem Protestantismus ohne Reformation und den Kirchen der Reformation." 6 Dieser Bericht geht also über den ersten Amerika-Bericht hinaus, aber auch über die erste und zweite ökumenische Bestandsaufnahme, sofern die Erkenntnis hier auftaucht, daß Verständigung zwischen den Kirchen der Reformation und den amerikanischen Denominationen "nicht ohne weiteres auf der Ebene der Bekenntnisfrage" relevant ist. Aber weil die gemeinsame Ebene fehlt, "wird der Blick frei für die einzige Ebene, auf der Christen einander begegnen können, für die Heilige Schrift" 7. Bonhoeffer war ganz besonders fähig, dieses Gespräch aufzunehmen. Er war ja nach Amerika gegangen mit derselben christlichen Problematik in sich wie die Väter der meisten amerikanischen Denominationen: der Problematik des "Ausharren oder Fliehen in Zeiten der Verfolgung". "Ausharren bis zum letzten Widerstand kann geboten, Fliehen erlaubt, vielleicht auch geboten sein. Die Flucht des Christen in der Verfolgung bedeutet an sich noch nicht Abfall und Schande; denn Gott ruft nicht jeden in das Martyrium. Nicht fliehen, sondern verleugnen ist Sünde, wobei zu sagen ist, daß es eine Lage geben kann, in der die Flucht der Verleugnung gleichkommt, wie umgekehrt die Flucht selbst ein Stück des Martyriums sein kann." 8 Aber für Bonhoeffer wäre die Flucht kein Stück des Martyriums gewesen, wenn er nur im amerikanischen Komfort während des Krieges. Asyl gesucht hätte. "Die protestantischen Flüchtlinge, die in das unbekannte Amerika fuhren, kamen nicht in ein Paradies, sondern in härteste Arbeit." Dazu kommt noch, was R. Niebuhr (aus der Erinnerung an einen Brief Bonhoeffers an ihn) ~
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paraphrasiert 9; "I have come to the conclusion that 1 must live through this difficult period of our national history with the Christian people of Germany. 1 will have no right to participate in the reconstruction of Christi an life in Germany after the war if 1 do not share the trials of this time with my people." 10 Durch sein eigenes Schicksal erkennt er auch hier seinen Weg, wie es charakteristisch für ihn war. Er konnte nur konkret denken und erkennen. Und in seinem eigenen Schicksal entdeckt er Perspektiven in der amerikanisch~n Situation, die den Amerikanern verborgen sind. So macht er uns auf diesem Hintergrund den Asylcharakter Amerikas, den Begriff der Toleranz, das Lob der Freiheit, das Verhältnis zwischen Kirche und Staat und das merkwürdig einheitliche Bild der amerikanischen Theologie verständlich in ganz neuer Weise. "Protestantismus ohne Reformation" heißt es zusammenfassend. Der Negerkirche widmet er natürlich einen besonderen, erschütternden und ergreifenden Abschnitt. Was für das ökumenische Gespräch von besonderer Bedeutung ist, ist die Konfrontation der Frage nach der Einheit der Kirche mit den Denominationen. "Die Denominationen sind die sichtbaren Gliedschaften der unsichtbaren Kirche." 11 Sie sind keine "Bekenntniskirchen". "Die Lehrdifferenzen innerhalb der Denominationen (z. B. Baptisten, Presbyterianer) sind häufig bedeutend stärker als diejenigen zwischen verschiedenen Denominationen." "Aus dieser Lage der Dinge könnte man schließen, daß in der amerikanischen Chrtstenheit besonders günstige Vorbedingungen für ein echtes Verständnis der Einheit der Kirche Jesu Christi vorhanden sein müßten. Wo nicht der Kampf um die Wahrheit die Kirchen scheidet, dort sollte die Einheit der Kirche schon gewonnen sein." 12 "Das tatsächliche Bild ist nun genau umgekehrt", behauptet Bonhoeffer. Warum? "Die Kirchen der Reformation gehen aus von der Einheit der Kirche Christi. Es kann nur eine Kirche auf Erden sein." "Kirchenspaltung bedeutet Kirchenabfall, Untreue gegen die wahre Kirche Christi. Die in der Reformation erfolgte Kirchenspaltung kann nur als ein Kampf um die rechte Einheit der Kirche verstanden werden. Darum verstehen sich die Reformationskirchen selbst als die Eine Kirche auf Erden, nicht aber als Absplitterungen einzelner, von ihrem persönlichen Gewissen getriebener Christen von der einen Kirche, auch nicht als individuelle Ausprägungen der einen Kirche."
Es gehört aber in den Denominationen zur christlichen Demut. diesen Anspruch, die Eine Kirche zu sein, nicht zu erheben. Die Einheit der Vgl. Anm. V, 1 und I, 17. "Ich bin zu dem Entschluß gekommen, daß ich während dieser schweren Zeit unserer Geschichte mit dem christlichen Volk in Deutschland zusammenbleiben muß. Ich würde kein Recht haben, nach dem Kriege beim Wiederaufbau des christlichen Lebens in Deutschland mitzuarbeiten, wenn ich nicht auch das Gericht dieser Zeit mit meinem Volke teile." (Vgl. auch die übersetzte Mitteilung R. Niebuhrs in Unterwegs 1954, H. 5/6, Berlin, S. 292.) 9
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Kirche ist weniger Ursprung als Ziel. Sie gehört in den Bereich der Heiligung. Man darf darauf hinweisen (aber man kann sich mit diesem Hinweis nicht begnügen), daß im angelsächsischen Denken der Nominalismus, im deutsch-kontinentalen Denken der Realismus und der Idealismus die Tradition geprägt hat. Bonhoeffer geht in der Analyse hier 1939 einen Schritt weiter als in den Berichten von 1932. "Es ist allein die in der Heiligen Schrift ge offenbarte Wahrheit selbst, die zwischen den vorhandenen Unterschieden entscheiden muß und kann." 13 Das bedeutet aber nicht, daß Bonhoeffer nun die eine Wahrheit hinter den verschiedenen Traditionen zu finden meine. Die Unterschiede liegen auch nicht nur in den Denkformen. "Auf Grund der Heiligen Schrift müssen sich die Kirchen voneinander befragen lassen. Die Kirche in Deutschland wird von den Denominationen in Amerika vor die Frage der Vielheit der Kirchen gestellt." "Umgekehrt stellt die Kirche Jesu Christi in Deutschland die amerikanischen Denominationen vor die Frage nach der Einheit der KirChe auf Erden." "Ist nicht die Einheit der Kirche eben doch zu allererst Ursprung und erst dann Ziel?" "Man ruft uns von drüben zu: Ihr überschätzt das Denken, die Theologie, das Dogma!" 14 "Wir antworten: Es geht nicht um das Denken, sondern um die Wahrheit des Wortes Gottes, auf das wir leben und sterben wollen. Es geht um das Heil. Die Einheit der Kirche liegt gewiß nicht im menschlichen Denken, aber sie liegt auch nicht im menschlichen "Leben und Werk" (Life and Work!), sondern allein im Leben und Werk Jesu Christi, an dem wir glaube11d teilbekommen. Einheit im Denken ist der Einheit im Werk nicht überlegen, aber Einheit im Glauben, der Bekenntnis ist, bricht durch beides hindurch und schafft erst die Voraussetzung gemeinsamen Denkens und Ha11delns. "
In vier Punkten faßt Bonhoeffer diese Erwägungen zusammen: 1. "Die Einheit der Kirche ist sowohl Ursprung wie Ziel, sowohl Erfüllung wie Verheißung, sie gehört in den Glauben wie in die Heiligung." Wo beides ins Auge gefaßt wird, "dort wächst auf dem Grunde des Lebens und Werkes Jesu Christi, in dem alle Einheit der Kirche erfüllt ist, das Leben und Werk der Christenheit, das die Einheit der zersplitterten Kirche sucht und findet." 2. "Der Anspruch, Kirche Jesu Christi zu sein, hat nichts mit pharisäischem Dünkel zu tun; er ist vielmehr eine Erkenntnis, die demütigt, weil sie in die Buße treibt. Kirche ist die Kirche der Sünder und nicht die der Gerechten. Es kann in dem Verzicht auf den kirchlichen Anspruch mehr Selbstgerechtigkeit liegen als in dem Anspruch selbst." "Es bleibt immerhin eine Tatsache, daß nicht der Begriff der Denomination, sondern der der Kirche neutestamentliche Legitimität besitzt." 3. Die Einheit der Kirche als Verheißung, als Zukunft, als Frucht der Heiligung ist ein Werk des Heiligen Geistes. "Es gibt keine Methoden, zur Einheit der Kirche zu gelangen, sondern nur den ganzen Gehorsam gegen den Heiligen Geist, der uns zu gemeinsamem Erkennen, Bekennen, Tun und Leiden führt." 13
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4. Die Verständigung zwischen den Kirchen der Reformation und den amerikanischen Denominationen ist schwierig, "eben weil das Bekenntnis nicht das konstitutive Moment der Denomination ist, während umgekehrt das ökumenisch allein relevante Moment der Reformationskirchen ihr Bekenntnis ist. Der Kultus, die Liturgie, das Gemeindeleben, die Verfassung stehen dort an derselben Stelle, an der für uns das Bekenntnis steht. Aus eben diesem Grunde aber ist diese Begegnung so fruchtbar, weil durch sie die ganze kirchliche, bzw. die ganze denominationelle Existenz in Frage gestellt wird" 15. "Aber gerade meil hier die gemeinsame Ebene für eine Begegnung zu fehlen scheint, mird der Blick frei für die einzige Ebene, auf der Christen einander begegnen können, für die Heilige Schrift."
Die Christus-praesens-Ekklesiologie ist dieselbe; das Bekenntnis als das einzig ökumenisch relevante Moment der Reformationskirchen ist festgehalten. Nur indirekt durch die Frage des Martyriums spüren wir den Kampf der Kirche Jesu Christi gegen die Kirche des Antichrist. Die Unterscheidung von Theologie und Kirche, die gar nicht neu bei Bonhoeffer ist, macht es ihm möglich, auf einmal eine Bereicherung von dem Gespräch zu erwarten und zugleich die Theologie und Kirche als ganze (die beiden Niebuhrs, Pauel< und Miller sind Ausnahmen) sehr scharf zu kritisieren: "Daß Gottes ,Kritik' auch die Religion, auch die Christlichkeit der Kirchen, auch die Heiligung des Christen trifft, daß Gott seine Kirche jenseits von Religion und Ethik begründet hat, das bleibt zuletzt unverstanden. Ein Zeichen dafür ist das allgemeine Festhalten an der natürlichen Theologie. Christentum ist in der amerikanischen Theologie noch wesentlich Religion und Ethik. Darum aber muß Person und Werk Jesu Christi für die Theologie in den Hintergrund treten und schließlich unverstanden bleiben." 16 Aber: "Die entscheidende Aufgabe ist heute das Gespräch zwischen dem Protestantismus ohne Reformation und den Kirchen der Reformation."
Man spürt in diesen letzten Worten ein Festhalten der Hauptaufgabe : die wahre ökumenische Einheit aller evangelischen Christen zu verwirklichen. Von einem ökumenischen Konzil ist hier keine Rede. Einen Monat später war der Krieg da. Bonhoeffer schrieb diesen Bericht im Wissen darum, daß das Gespräch bald von den Kanonen unterbrochen werden sollte. VIII. Im Warten auf den jüngsten Tag der geschichtlichen Zukunft verpflichtet 1. Genf 1941 Die Frage der Kriegsdienstverweigerung war ein Hauptanliegen Bonhoeffers, als er nach Amerika fuhr. Bei Beginn des Krieges war Bon15
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hoeffer u.k.-gestellt 1. Ein seltsames Doppelspiel: Ein Mann mit mehreren Verboten von seiten der politischen Polizei fährt während des Krieges mehrmals nach dem Auslande mit Paß und Devisen ebenderselben Polizei! Bonhoeffer arbeitete in der Abwehr unter Admiral Canaris für den Frieden Deutschlands und Europas. Bonhoeffers "politische" Arbeit hatte im Blick, daß das Schicksal Deutschlands mit dem des Abendlandes verbunden sei. Was bei Bonhoeffer als politischem Verschwörer dilettantisch genannt worden ist, ist viel mehr ein Zeichen für das Verständnis dieses Zusammenhanges. Die "Ethik" ist eine Arbeit für die Erneuerung Deutschlands und Europas. Bonhoeffer hat sie in Vorarbeiten für Vorlesungen in Edinburgh angefangen; er hat daran weitergearbeitet bis in die Gefängniszeit hinein. Seine "politischen" Reisen nach der Schweiz (Aug./Sept. 1941) und Schweden (Ende Mai 1942) sind auf diesem Hintergrund zu verstehen. Er benutzt nicht nur ökumenische Verbindungen für patriotische Zwecke. Er spielt auch nicht sein Vaterland in die Hände der Feinde. "Der Sieg des Nationalsozialismus würde das Ende des christlichen Abendlandes bedeuten; aber der verlorene Krieg das Ende Deutschlands", hatte er zu Visser't Hooft im Frühjahr 1939 gesagt. Er konnte während des Krieges nicht für den Sieg des Nationalsozialismus beten; er mußte als echter Patriot für die Niederlage Deutschlands beten, und für ein neues Deutschland arbeiten. Die Reise nach der Schweiz galt offiziell ihr gegenüber für drei Wochen Studien 2. So hat er sowohl Barth als auch Brunner besucht. Zweimal war er bei Barth. Das erste Mal hat er die wirklichen Gründe seiner Reise nicht gesagt. Aber als man Bonhoeffer von verschiedenen Seiten verdächtigt hatte und Barth selber unsicher wurde, hat er das zweite Mal am Ende seines Aufenthaltes direkt gefragt: "Lieber Bonhoeffer, ich will Sie offen fragen: Warum sind Sie eigentlich hier in der Schweiz?" Darauf erzählte Bonhoeffer offen von den Plänen zur Beseitigung Hitlers und von den Versuchen, eine neue Regierung zu bilden und eine Friedensordnung zu erkämpfen. Karl Barth hat mitgeteilt, daß Bonhoeffer zu dieser Zeit der Meinung war, wie auch andere innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung, daß eine Generalsregierung, die die Truppen hinter die Grenzen von 1939 zurückziehen wollte, Zutrauen bei den Alliierten finden könnte. Barth hat das bezweifelt; aber es wurde ihm doch wieder gewiß, daß Bonhoeffer kein Nationalist war, sondern ein Theologe mit echt europäisch gesinnter Vaterlandstreue. Dr. Visser't Hooft erzählt von seinem Besuch in Genf im September
Unabkömmlich, d. h. als Soldat nicht einzuziehen. Mitgeteilt, wie auch das Folgende, von Kar! Barth und seiner Sekretärin Fräulein eh. von Kirschbaum, Febr. 1955. 1
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"Die deutsche Armee machte unglaubliche Fortschritte in Rußland und es war nicht einzusehen, warum sie nicht quer durch Asien marschieren sollte. Da trat er in mein Zimmer und sagte nur: ,Nun, es ist aus, nicht wahr?' Ich konnte meinen Ohren nicht glauben. Begrüßte Bonhoeffer mich mit einer Ankündigung des deutschen Sieges? Er sah meine Bestürzung. ,Nein', sagte er, ,ich meine, daß wir am Anfang vom Bnde stehen. Denn da kommt Hitler niemals mehr heraus.' Es war noch ganz der gleiche Bonhoeffer. Aber er hatte sein Problem gelöst, indem er als Christ nun den ganzen Kampf gegen den Nationalsozialismus aufgenommen hatte. Er sah, daß gerade auf Grund der kirchlichen Entscheidung ein totaler Widerstand auch auf politischem Gebiet geleistet werden mußte. Als wir in kleinem Kreis einmal von diesen Dingen sprachen, fragte <einer plötzlich: ,Bonhoeffer, wofür beten Sie eigentlich in dieser heutigen Lage?' Seine Antwort kam sofort: ,Wenn Sie es wissen wollen, ich bete für die Niederlage meines Landes, denn ich glaube, daß das die €inzige Möglichkeit ist, um für das ganze Leiden zu bezahlen, das mein Land in der Welt verursacht hat.' War er denn ein schlechter Patriot? Gewiß nicht." So kommentiert Visser't Hooft diese Aussage Bonhoeffers. Natürlich, diese Äußerung zu erfahren ist hart für Deutsche gewesen, . und ist es noch. So etwas tut man vielleicht, man sagt es aber den Ausländern nicht! Man vergesse aber nicht, daß viele Christen in Deutschland genau so gehandelt haben. Man vergesse auch nicht, daß wir in den besetzten Ländern uns auch oft aus Vaterlandstreue unseren eigenen Regierungen widersetzt haben. Es fehlt bei Bonhoeffer auch nicht an den schönsten Äußerungen der Vaterlandsliebe. Man denke nur an ,den schönen Vers im Munde Moses 4: "1941
3•
"Der die Sünde straft und gern vergibt, Gott, ich habe dieses Volk geliebt." 2. Das Memorandum Während des Besuches in Genf hat Bonhoeffer ein Memorandum verfaßt, das als die vierte Bestandsaufnahme zu nennen ist. Dieses Memorandum liegt in zwei Formen vor: Eine deutsch geschriebene Fassung, von Bonhoeffer allein, und eine englische Fassung, von Bonhoeffer in Zusammenarbeit mit Dr. W. A. Visser't Hooft geschrieben. Diese beiden Fassungen waren eine Antwort, bestimmt für Freunde in der Englischen Kirche, d. h. eine Antwort auf das Buch, das von dem damaligen Gene3 Zeugnis eines Boten, Genf 1945, S. 7. • Auf dem Wege zur Freiheit, Haus und Schule, Berlin 1946: Der Tod Moses.
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ralsekretär des "International Missionary Council" Dr. William Paton zusammengestellt war. Dieser war sehr tätig für die Bildung des Weltrates der Kirchen und besonders schon vor dem Kriege für die Verbindung zwischen den Kirchen während des erwarteten Krieges und hatte auf Grund der Arbeit der britischen "Peace Aims Group" sein Buch "The Church and the new Order" geschrieben. Dieses Buch war vervielfältigt auch in Deutschland verbreitet worden. Diese Antwort ist nicht ein bevollmächtigter Versuch, Verbindung zwischen der deutschen Opposition und der britischen Regierung direkt herzustellen. Er stellt eine typisch ökumenische Arbeit dar, die allerdings von größter politischer Bedeutung hätte sein können. Die englische Fassung unterscheidet sich von der deutschen hauptsächlich darin, daß sie breiter und in angelsächsischen Terminologien ausgeführt hat, was in der deutschen Fassung steht. Die englische Fassung ist also das eigentliche Memorandum, die deutsche eine Vorarbeit. Die deutsche Fassung hat für uns den Wert, daß Bonhoeffer hier seine eigenen ersten Gedanken zur Sache in seiner eigenen Terminologie formuliert hat. Es ist hier ganz deutlich, daß er die Sache Deutschlands vertritt. Die englische Fassung hat ihren Wert darin, daß sie "represents the thinking of two Continental Christians from two nations which are on opposite sides in this war" 5. Sie erklären beide, daß das Patonsche Buch "in truly ecumenical spirit" 6 geschrieben sei. Zum Kapitell - "Some basic Considerations"- heißt es in den "Gedanken" 7, daß es kein Zufall sei, daß ein solches Buch nicht aus Deutschland kommt. "Die absolute UngesiChertheit des mensChliChen Existierens führt dort auCh bei den Christen fast überall zum völligen VerziCht auf jeden Gedanken an die Zukunft, was wiederum eine stark apokalyptisChe Haltung zur Folge hat. Unter dem Eindruck der Nähe des Jüngsten Tages geht der Blick für die gesChiChtliChe Zukunft leiCht verloren. Wiederum könnte der deutsChe Leser des PatonsChen BuChes das völlige Fehlen einer esChatologisChen AusriChtung vermissen." Sonst spürt man hinter Patons BuCh die drei Vorbehalte, unter denen "jede Besinnung des Christen auf die Zukunft steht": 1. "Die conditio Jakobea [Jacobus 4, 15), d. h. das Ernstnehmen des,sen, daß die Zukunft ganz in Gottes Hand steht, 2. Jeder Tag hat seine eigene Plage (Matth. 6, 34), d. h. der Glaube an Christus will täg5 "das Denken zweier kontinentaler Christen von Nationen, die in diesem Krieg auf der Gegenseite stehen, darstellt". 6 "in wahrhaft ökumenischem Geiste". 7 Im folgenden wird die deutsche Fassung: Gedanken zu Paton's: The Church and the new Order als "Gedanken" zitiert, die englische Fassung: The Church and the new Order in Europe als "Memorandum" zitiert. Das Originalmanuskript der "Gedanken", S. 1 und 4, liegt bei Visser't Hooft, Genf, wie das vollständige "Memorandum". S. 2 und 3 der "Gedanken" sind zum größten Teil im "Zeugnis eines Boten", Genf 1945, gedrud
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lich neu gewonnen und im Leben bewährt werden, und 3. Die Besinnung auf die Zukunft darf nicht zur Flucht in die Phantasie werden, sondern muß ein konkreter Dienst am Nächsten sein."
Das "Memorandum" fährt fort: Die Kirche hat in den letzten Jahren gelernt, daß "the discarding of God's commandments me ans death for nations as weIl as individuals" 8. "Church is to remind the world of these limits (Gebote). For a long time it has not exercised this ministry, but more recently it has again begun to do so, as in different countries it has taken a strang stand against the violation of God's commandments in political life." 9 Diese Aufgabe der Kirche wird jetzt von einer kleinen Gemeinschaft verschiedener Nationen übernommen, "which can undertake this task as a common task". "We have good reasons to hope that that community will come out of this war as an even more united body than it was before the war." 10 Eine kleine Gruppe, aber nicht unbedeutend, weil "they are practically the only international community which remains united in spite of war and conflict" 11. - Bischof Eivind Berggrav, den Bonhoeffer während seiner Haft vergeblich zu besuchen versuchte, hat dies in klassischen Worten nach dem Kriege bestätigt: "In these last years we have lived more intimitely with each other than in times when we could communicate with each other. We prayed tagether more, we listened tagether more to the Ward of God, our hearts were together more." 12 Zum Kapitel 2 - "Why Peace - Aims?" - heißt es in den "Gedanken", "daß die in letzter Zeit von der englischen Radiopropaganda be8 "das Verwerfen der Gebote Gottes den Tod sowohl für Nationen als auch für den Einzelnen bedeutet". 9 "Die Kirche hat die Welt an diese Schranken (=Gebotel) zu erinnern. Lange Zeit hat sie dieses Amt nicht ausgeübt; aber vor kurzem hat sie wieder damit begonnen, da sie in verschiedenen Ländern in starker Weise gegen die Verletzung der Gebote Gottes im politischen Leben Stellung nimmt." - An derselben Stelle heißt es weiter: "The Church cannot and should not elaborate detailed plans of post-war reconstruction, but it should remind the nations of the abiding commandments and realities which must be taken seriously if the new order is to be a true order, and if we are to avoid another judgment of God sum as this present war." D. h.: "Die Kirche kann und soll nicht detaillierte Pläne einer Wiederherstellung in der Nachkriegszeit ausarbeiten, aber sie soll die Nationen an die bleibenden Gebote und Tatsachen erinnern, die ernst genommen werden müssen, wenn die neue Ordnung eine echte Ordnung sein soll und wenn wir einem andern Gericht Gottes als diesem Krieg entrinnen wollen." 10 "die diese Pflicht als eine allgemeine Pflicht auf sich nehmen kann". "Wir haben guten Grund, zu hoffen, daß diese Gemeinschaft aus diesem Krieg als eine enger verbundene Einheit hervorgehen wird als sie vor dem Kriege war." 11 "sie praktisch die einzige internationale Gemeinschaft darstellt, die trotz Krieg und Konflikt vereinigt bleibt." 12 "In diesen letzten Jahren lebten wir vertrauter miteinander als in den Zeiten, da wir uns begegnen konnten. Wir haben mehr zusammen gebetet, mehr zusammen auf Gottes Wort gehört, unsre Herzen waren stärker verbunden." (A History of the Ecum. Movement, S. 709.)
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sonders stark betonte Forderung der einseitigen Entwaffnung Deutschlands sich auf die innenpolitische Situation ungünstig auswirkt". "Jeder Arbeiteraufstand würde von der SS blutig niedergeschlagen werden", nur das Militär ist fähig zur Beseitigung des Regimes. Die Haltung großer Gruppen in Deutschland, die gegen das Regime, aber gleichzeitig "good-patriots" sind, ist davon abhängig, wie man die Frage beantwortet: Wie wird Deutschland im Fall eines verlorenen Krieges behandelt werden? "A positive statement of peace-aims" 13 würde die Hände dieser Gruppe stärken. Man (besonders der Rundfunk) sollte wenigstens der Opposition "some basis of action" 14 geben; und das heißt "a prospect of a more or less tolerable peace" 15. Die Entwaffnung sollte lieber als ein Teil eines umfassenden Programmes stehen, das einem entwaffneten Deutschland politische und ökonomische Sicherheit geben würde. "Das Wenige, das bisher von der großen kirchlichen Diskussion über die ,new order' nach Deutschland gedrungen ist, hat in den wichtigen Kreisen der politischen Opposition einen sehr günstigen und starken Eindruck gemacht. Warum schweigt die englische Radiopropaganda in ihren deutschen Sendungen darüber?" Zum Kapitel 3 - "The Chaos behind the War" - lesen wir eine interessante Erkenntnis, die nicht nur in Patons Buch fehlte, sondern überhaupt in der Beurteilung des Nazismus weithin fehlt. Man kann diese Erkenntnis die zentrale Erfahrung des zweiten Weltkrieges nennen und sie sollte in die Elementarlehre der Außenpolitiker eingehen: "Das Chaos der ethischen Begriffe in Deutschland ist nicht so sehr durch die offen erklärte Feindschaft gegen die christliche Ethik entstanden diese ist vielmehr klärend und insofern zu begrüßen -; der tiefste Grund der ethischen Verwirrung liegt vielmehr in der Tatsache, daß die höchste Ungerechtigkeit, wie sie im NS-Regime verkörpert ist, sich in das Gewand relativer historischer und sozialer Gerechtigkeit kleiden konnte. Der Wagen Don Compü3gne ist geradezu das Symbol dafür, roie sich das Böse Don einer Scheingerechtigkeit nährt. Für den, der die Dämonie des Bösen, das in der Gestalt des Gerechten erscheint, nicht durchschaut, liegt hier die Giftquelle aller ethischen Zersetzung." 16 England hat seit 1933 Hitler die Konzessionen gegeben, die es der Weimarer Republik verweigert hätte. "Damit stand England - gewiß bestärkt durch die Loyalität weiter kirchlicher Kreise Deutschlands gegenüber Hitler - auf der Seite Hitlers gegen seine innerpolitische Opposition. Hitler empfing so von außen wie von innen die moralische Unterstützung für seinen Anspruch, der gottgesandte VollstreCker historischer Gerechtigkeit zu sein, und es konnte nur noch eine kleine Schar sein, die gerade hier den Satan in der Gestalt des Engels des Lichtes erkannte." "Eine positive Darlegung der Friedensziele" "irgendwie eine Grundlage zum Handeln" 15 "eine Aussicht auf einen mehr oder weniger annehmbaren Frieden". 16 Der Text in Zeugnis eines Boten ist hier völlig korrumpiert. "Geheimgerechtigkeit" soll "Scheingerechtigkeit" heißen! Vgl.: "Die große Maskerade des Bösen hat alle ethischen Begriffe durcheinander gewirbelt", WE, S. 10. 13
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Man fragt sich, ob hier nicht etwas gesagt ist, was eine Mitschulderklärung zusammen mit der Stuttgarter Erklärung in der ökumene hätte hervorrufen sollen. Zum Kapitel 4 - "Guiding Principles" - heißt es: Es ist wichtig, daß Paton die neue Ordnung nicht in einer bestimmten Regierungsform begründet, sondern in gewissen fundamentalen Prinzipien. Mit großem Nachdruck ist zu betonen, daß "in a number of European countries an immediate return to full-fledged democracy and parlamentarism would create even greater disorder than that which obtained before the era of authoritarianism" (Germany, France, Italy). "Democracy can only grow in a saH which has been prepared by a lang spiritual tradition (Scandinavia, Holland, Switzerland)." 17 In den "Gedanken" treffen wir wieder die schon seit 1932 bekannte Theologie der Erhaltungsordnungen, aber in positiver Richtung weitergeführt. Hier soll ja nicht nur ein Staat begrenzt und gebändigt werden, hier soll eine neue Ordnung der Welt begründet werden. "Die Begründung einer neuen Ordnung der Welt kann nur in dem in Christus offenbarten W.illen Gottes gesucht werden. Weil die Welt nur ,in Christus' und ,auf Christus hin' (KoI. 1) ihren Bestand hat, darum ist jede Betrachtung des Menschen ,an sich' oder der Welt und ihrer Ordnung ,an sich' eine Abstraktion. Alles steht nach Gottes Willen in bezug auf Christus, ob es darum weiß oder nicht." Das sind alte, bekannte Gedanken vom Verhältnis zwischen Kirche und Welt. Das neue Positive ist die Bedeutung der 10 Gebote. "Eine weltliche Ordnung, die sich innerhalb des Dekalogs hält, wird offen sein für Christus, d. h. für die Verkündigung der Kirche und für das Leben nach seinem Wort. Eine solche Ordnung ist zwar nicht ,christlich', aber sie ist rechte illdische Ordnung nach Gottes Willen. Um die Aufrichtung einer solchen Ordnung geht es." "Gott hat in den 10 Geboten die Grenzen offenbart, die nicht überschritten werden dürfen, wenn Christus in der Welt Herr sein soll. Der Dekalog ist negativ gefaßt. Die positiven Gestalten werden durch die lebendige Geschichte hervorgebracht und erfahren ihre Begrenzung und Kritik durch den Dekalog."
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Wie die Ordnung früher durch eine liberale Anarchie bedroht war, so 1941 durch die Staats-Omnipotenz, demnächst vielleicht durch die Wirtschaftsomnipotenz. "Diese Staats-Omnipotenz muß gebrochen werden im Namen einer Ordnung, die sich dem Gebot Gottes unterwirft." Bonhoeffer wollte keineswegs die blinde Revolution. Ein neuer Staat muß internationale Garantie haben. "We now know that political regimes are not merely the affair of the nation concerned!" 18 17 "in einer Anzahl europäischer Länder eine unmittelbare Rückkehr zur vollen Demokratie und zum Parlamentarismus sogar eine größere Unordnung schaffen würde als die, die vor der ,autoritären Ära' herrschte" (Deutschland, Frankreich; Italien). "Demokratie kann nur auf einem Boden wachsen, der durch eine lange geistige Tradition vorbereitet wurde (Skandinavien, Holland, Schweiz)." 18 "Wir wissen jetzt, daß politische Regime nicht allein die Angelegenheit der betreffenden Nationen sind."
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Aber wo die angelsächsische Welt ihren Kampf gegen Staats-Omnipotenz unter dem Begriff der Freiheit (Menschenrechte) zusammenfaßt, da kämpft der Deutsche für die Aufrichtung echter Bindungen an. Stelle der willkürlichen Auflösung (Familie, Freundschaft, Heimat, Volk, Obrigkeit, Menschheit, Wissenschaft, Arbeit ete.). "Der Sache nach geht es beiden Seiten um dasselbe, nämlich um die Wiederherstellung einer echten weltlichen Ordnung unter Gottes Gebot." Aber das Wort Freiheit bedarf für den Deutschen einer "näheren inhaltlichen Bestimmung". "Das Freisein von etwas erfährt seine Erfüllung erst in dem Freisein für' etwas. Freisein um des Freiseins willen aber führt nur zur Anarchie" 19. "Freiheit bedeutet biblisch: Freisein für den Dienst an Gott und am Nächsten, Freisein für den Gehorsam gegen die Gebote Gottes. Das setzt vor-aus: Freisein von jedem inneren und äußeren Zwang, der uns an diesem Dienst hindert. Freiheit bedeutet also nicht Auflösung aller Autorität, sondern es bedeutet: leben innerhalb der durch Gottes Wort geordneten und begrenzten Autoritäten und Bindungen." -
Hochinteressant ist, daß die beiden Verfasser mit Paton einig sind,daß man nicht alle Formen für demokratische Freiheiten in einem Land wie Deutschland sofort einführen kann. "Es kommt darauf an, wieweit diese Freiheiten notwendig und geeignet sind, die Freiheit des Lebens nach den Geboten Gottes zu fördern und sicherzustellen. Freiheit ist eben nicht in erster Linie ein individuelles Recht, sondern eine Verantwortung, Freiheit ist nicht in erster Linie ausgerichtet am Individuum, sondern am Nächsten." -
Wichtig ist es aber, daß man nicht die Sprache der individuellen Rechte' benutzt, sondern daß man "in terms of norms which the State must reeognize in all its aetions" 20 spricht, sonst wird es in Deutschland mißverstanden. Wir haben hier vor uns ein Denken, in dem die Freiheit und die Menschenrechte nicht der Autorität und der Verantwortung oppositionell gegenüberstehen. Es wird eine große Aufgabe für die ökumene' sein, den Boden des Völkerlebens zu bearbeiten; nicht aber durch solche Gedanken und Memoranda, sondern dadurch, daß solche Gedanken und Memoranda ein Ausdrud< für das Gelebte sind, und dadurch, daß es Menschen gibt, die ihr Leben dafür aufs Spiel setzen, so wie es Bonhoeffer getan hat. Zum Kapitel 5 - "The Ideal and the next Steps" - wird ganz konkret von der Nach-Kriegs-Ordnung gesprochen. Zuerst wird festgestellt, daß man nicht einfach zur Vorkriegssituation zurückkehren kann. "In the "Zeugnis eines Boten", S. 9; vgl. SChF, S. 41. "in Ausdrücken von Normen, die der Staat in allen seinen Handlungen anerkennen muß" 19 20
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political domain there must be effective limitation of national sovereignity. In the economic domain there must be limitation of economic individualism, in other words, planning for economic security of the masses." 21 Die Verfasser sind natürlich mit Paton darin einig, daß England das Recht habe, Sicherheit gegen ein Wiederaufkommen des Nationalsozialismus (vielleicht durch "farreaching military measures" 22) zu erhalten. Solche Maßnahmen müssen aber von einer positiven Politik ,ausbalanciert werden. Man versteht in England und Amerika, daß eine Wiederholung der ökonomischen Maßnahmen der Versailler Verträge nicht geschehen darf. Das ist wichtig, aber nicht genug. Sie warnen, es ,dürfe nicht dahin kommen, daß eine neue Regierung von anti-nazistischen Leuten von innen als eine reine Quisling-affaire angesehen wird, weil sie von vornherein durch die draußen mißliebig gemacht wird. Umgekehrt: Man muß klar ins Auge fassen, daß, wenn eine neue Regierung gebildet würde, die mit Hitler völlig bricht und dann ein wirkliches Friedensangebot macht (Zurückziehen der Truppen aus allen be.setzten Territorien, Beseitigung aller leitenden Nazis, Bereitwilligkeit zur Entwaffnung) und dieses ihr Angebot verworfen würde, dann die Gefahr da sei, "that Germans of all seetions and groups would be thrown into the nationalist opposition, and that for a very time to come no German government worthy of that name can be formed". "The attitude of the opposition groups in Germany depends upon the answer given." 23 Weiter heißt es: Wir müssen uns auch vor einer Wiederholung des psychologischen Prozesses, der in Deutschland zwischen 1918 und 1933 stattgefunden habe, sichern. "Die ganze Frage ist, ob man in England und Amerika bereit sein wird, mit einer Regierung zu verhandeln, die auf dieser Grundlage steht, auch,
wenn sie zunächst nicht im angelsächsischen Sinne des Wortes demokratisch aussieht. Eine solche Regierung könnte sich plötzlich bilden. Es käme viel darauf an, ob sie dann mit der sofortigen Unterstützung der Alliierten Technen könnte."
Auch in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob nicht in der ökumene eine Erklärung der Mitschuld an der Verlängerung des Krieges wohl angebracht gewesen wäre. Wenn man die Entwicklung nach 21 "Auf politischem Gebiet muß es eine wirkliche Abgrenzung nationaler Souveränität geben. Auf wirtschaftlichem Gebiet muß es eine Abgrenzung des wirt:schaftlichen Individualismus geben, mit andern Worten: eine Planung für die wirtschaftliche Sicherheit der Massen." 22 "weitreichende militärische Maßnahmen" 23 "daß Deutsche aller Kreise und Gruppen in eine nationalistische Opposition getrieben würden und daß für lange Zeit keine deutsche Regierung, die dieses Namens würdig ist. gebildet werden kann." "Die Haltung der oppositionellen 'Gruppen in Deutschland hängt von der Antwort ab. die ihnen gegeben wird."
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dem Kriege ansieht, darf man wohl auch annehmen, daß man wenigstens im Westen gesehen hat, daß eine andere Politik dem berühmten "unconditional surrender" aus Casablanca (Januar 1943) vorzuziehen gewesen wäre. Bekannt ist, daß auch General Eisenhower am 21. November 1944 eine Modifikation dieses Satzes forderte, aber daß man es für zu spät hielt 24. Eine gewisse Neigung für den Osten entstand bei vielen Antinazis durch diese Politik, die Widerstand nutzlos machte. Außerdem hatte man den Eindruck, daß die Westmächte zu viel einflußreiche Leute mit Bourgois-Vorurteilen und pharisäischen Theorien hatten. Diese Neigung hatte Bonhoeffer 1941 nicht. Zum Kapitel 6 - "The Russian Problem" - erklären die Verfasser sich mit der britisch-russischen Allianz als einer politisch notwendigen einverstanden; es sei so ungewiß, welche Kräfte dort im Gang sind, daß man nichts voraussagen könne. "But as Christi ans we dare not let ourselves be carried away by momentary reactions." "We must not minimize the danger which Russia still represents for all that we hold dear." 25 Wenn der Krieg keine fundamentalen Veränderungen in der Struktur des russischen Staates hervorrufen wird, wird der Bolschewismus eine furchtbare Drohung für all die Länder bedeuten, "who have been betting on the wrong horse". "This is another very strong confirmation of the necessity for authoritarian, though anti-Fascist, regimes in the post-war era, and also oI the necessity of strengthening the hands of those non-Nazi elements in Germany which would be able to form a new government in that country." "There is, furthermore, the very difficult question as to whether the Baltic States, the Bukovina, Karelia, Bessarabia shall go back to a Russia which recognizes civil and religious liberties just as Httle as do the Nazis." 26 "Nicht der Pangermanismus, sondern der Panslawismus ist die kommende Gefahr. Da ein neues Deutschland ganz von selbst - schon aus wirtschaftlichen Gründen den Wunsch haben wird, abzurüsten, ist es 21 Man vergleiche hierzu den Kommentar des dänischen Professors Hartvig Frisch, Tragediens anden deI, Fremad, Kopenhagen 1950, S. 279 und 326. 25 "Aber als Christen dürfen wir uns nicht von momentanen Reaktionen überrumpeln lassen." "Wir dürfen die Gefahr nicht für gering achten, die Rußland noch für alles, was uns wert ist, darstellt." 26 "die auf das falsche Pferd gewettet haben." "Dies ist eine weitere starke Bestätigung der Notwendigkeit für autoritative, allerdings antifaschistische Regime in der Nachkriegszeit, und auch der Notwendigkeit, die Hände jener nichtnazistischen Elemente in Deutschland zu stärken, die fähig sein würden, eine neue Regierung in diesem Lande zu bilden." - "Da ist weiterhin die sehr schwierige Frage, ob die baltischen Staaten, die Bukowina, Karelien und Bessarabien zu einem Rußland zurückkehren sollen, das die bürgerliche und religiöse Freiheit ebensowenig achtet wie die Nazis."
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nicht geschickt - besonders im jetzigen Zeitpunkt - dieses immer wieder als Hauptforderung herauszustellen", heißt es zum Schluß in den "Gedanken" Bonhoeffers zu Patons Buch. Man sage nicht, daß hier ein Dilettant spreche. So spricht nur der, der die Situation überblickt. Man vergesse auch nicht, daß dies 1941, vor der Niederlage bei Stalingrad, geschrieben ist. Man rufe sich auch in Erinnerung. daß solche Fragen im Weltbund und in Life and Work vom ersten Tag an immer wieder behandelt worden sind. Die Probleme der Minderheiten nach dem ersten Weltkriege wurden in einer besonderen Kommission intensiv bearbeitet; zahlreiche Resolutionen sind in jener Frage ergangen. Im Zusammenhang damit hat auch die Arbeit für die Religionsfreiheit eine große Rolle gespielt. Hier nun ist der Blick ganz auf die nach dem zweiten Weltkriege zu erwartenden Probleme gerichtet, so wie sie eben 1941 ins Auge gefaßt werden konnten. - Das "Dilettantische" besteht darin, daß Bonhoeffernicht taktische Diplomatie getrieben hat. Aber eben dieses Moment ließ ihn Zutrauen im Westen finden. Eben dieses Moment läßt ihn nach seinem Tode Zutrauen finden: Seine unbestechliche, dringliche Sachlichkeit. 3. Sigtuna Taktische Diplomatie findet man dagegen eher in dem Memorandum, das Hans Schönfeld in Stockholm dem Lordbischof George Bell übergab. Da finden wir nicht nur ähnliche Richtlinien für eine übergangsregierung wie im Genfer-Memorandum, allerdings diese nun konkret bevollmächtigt formuliert, sondern auch den Versuch, eine angebliche Verständigung mit der Sowjetunion als Trumpf auszuspielen um einen status quo zu erzielen. Gewiß, dieses Memorandum ist nicht ohne Wirkung gewesen. Aber welche Wirkung? Das Zutrauen im Westen ist bestimmt nicht größer geworden! 27 Studiert man den Bericht von Lordbischof George Bell in "Contemporary Review" 28 über die Gespräche in Stocl
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kirche für die Kriegsgefangenen und für die Auslandsarbeiter in Deutschland schien vielleicht "coloured by his wishes" zu sein 29. "About Bonhoeffer there would be no two opinions." 30 Bonhoeffer hatte in Sigtuna kein Memorandum mit. Er konnte aber unabhängig von Hans Schönfeld bestätigen, was jener erzählt hatte. Unter vier Augen nach den Namen der Hauptverschwörer gefragt, hat Bonhoeffer sofort die Namen von Generaloberst Beck, Gewerkschaftspräsident W. Leuschner und des katholischen Gewerkschaftsleiters Jakob Kaiser angegeben. "If a movement under their leadership were to come up, it would, in Bonhoeffers judgment, be relied upon as trustworthy." 31 Bell faßt die Fragen zusammen, die er der britischen Regierung vermitteln sollte: ,,1. Would the Allied Governments, onee the whole Hitler regime were overthrown, be willing to treat with a bona fide German Government, for such a peaee ,settlement as that de,seribed above, inc1uding the withdraw.al of all German forees from oeeupied eountries, an reparation for damage, and to say so privately to an authorised representative of the opposition? or 2. Could the Allies make a publie announeement, in the c1earest terms, to a similar effeet?" 32
Man sieht: Genf 1941 und Sigtuna 1942 liegen auf der gleichen Linie! Die Antwort der britischen Regierung sollte durch Adam von Trott zu Solz über Genf bzw. durch J. Müller über Rom vermittelt werden. Bell war bei Eden am 30. Juni und am 17. Juli schrieb Eden an Bell, "that no action could be taken" 33. Diese Antwort - es war vor Casablanca - hat lähmend auf die Widerstandsbewegung gewirkt. Aber die Basis des Widerstandes war Bonhoeffer dennoch nicht genommen. Den "durch seine Wünsche beschönigt" "über Bonhoeffer würde es nicht zwei Meinungen geben." - Lehrreich im Hinblick auf die theologischen Gegensätze sind auch die Aufsätze von E. Gerstenmaier und E. Brunner in der Neuen Zürcher Zeitung v. 23. und 24. 6. 45 und 22. 7. 45 sowie von K. Barth im Kirchenblatt für die reformierte Schweiz vom 12. 7. 1945 und E. Brunner am 27. 9. 1945. (S. a. "Karl Barth zum Kirchenkampf". München 1956, S. 84 ff.). 3i ebd., S. 206. "Wenn eine Bewegung unter ihrer Führung hochkommen würde, so würde sie, nach Bonhoeffers Urteil, als vertrauenswürdig anzusehen sein,u 32 ,,1. Würden die alliierten Regierungen, wenn das ganze Hitlerregime beseitigt wäre, bereit sein, mit einer deutschen bona-fide-Regierung zu verhandeln um eine solche Friedensordnung, wie oben beschrieben, aufzurichten, eine Ordnung, die den Rückzug aller deutschen Streitkräfte aus den besetzten Gebieten und Wiedergutmachung der Zerstörungen einschließen sollte, und würde man bereit sein, das einem bevollmächtigten Repräsentanten der Opposition privat zu sagen? oder 2. Könnten die Alliierten eine öffentliche Kundmachung in klarsten Wendungen mit einer ähnlichen Wirkung geben?" 33 "daß nichts unternommen werden könne". 29
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Boden, den er unter den Füßen hatte, finden wir in seiner "Ethik". Er hat ursprünglich dieses Werk konzipiert, weil er von dem bekannten ökumenisch tätigen Professor John Baillie im Juni 1939 im Auftrag des Croall Lectureship Trust zu Vorlesungen in Edinburgh eingeladen war 34. Er hat an diesem Buch bis zuletzt im Gefängnis gearbeitet. Wollen wir die von Bischof Bell zitierten Aussagen Bonhoeffers in Sigtuna verstehen, müssen wir sie in Zusammenhang mit der Ethik hören, sonst werden sie theologisch mißverstanden und politisch falsch ausgenutzt. Bell zitiert eine Aussage aus dem Juli oder August 1940, als die Opposition beschlossen hatte, daß jede Aktion verschoben werden sollte, um Hitler nicht den Schein eines Märtyrers zu geben. Bonhoeffer soll dann gesagt haben: "If we claim to be Christians, there is no room for expedience. Hitler is the Anti-Christ. Therefore we must go on with our work and eliminate him whether he be successfull or not". 35 In Sigtuna hat Bonhoeffer mehrmals betont: "There must be punishment by God". "We do not want to escape repentance." "The elimination itself, he urged, must be understood as an act of repentance." "Oh, we have to be punished. Christians do not wish to escape repentance or chaos, if God will to bring it upon uso We must endure this judgment as Christians. "36 Ganz besonders ist die zitierte Aussage Bonhoeffers gegen Hans Schönfeld leicht mißzuverstehen. Schönfeld war der Hoffnung, daß Stalin sich zufriedenstelIen ließe "on the boundary question" 37, wie auch deutsche hochstehende Offiziere an eine Verständigung mit den Sowjets glaubten. Bonhoeffer hat dann gegen Schönfeld opponiert: "The Christian conscience, he said, was not at ease with Schönfeld's ideas. ,There must be punishment by God. We should not be worthy of such a solution. We do not want to escape repentance. Our action must be understood as an act of repentance'." 38 Diese Aussagen werden hier zitiert, weil sie einmal der ökumenischen E, S.4. Contemporary Review, Oct. 1945, S. 208. - "Wenn wir beanspruchen, Christen zu sein, so gibt es keinen Platz für Selbstsucht. Hitler ist der Antichrist. Deshalb müssen wir unser Werk fortsetzen und ihn ausstoßen, er sei erfolgreich oder nicht." 36 "Es muß eine Strafe durch Gott geben." "Wir wollen der Buße nicht entfliehen." "Die Beseitigung selbst, betonte er, muß als ein Akt der Buße verstanden werden." "Oh, wir haben es verdient, bestraft zu werden. Christen wollen der Buße oder dem Chaos nicht entfliehen, wenn es Gott über uns bringen will. Wir müssen sein Gericht als Christen tragen." 37 "mit der Grenzfrage" 38 "Das christliche Gewissen, sagte er, bequeme sich nicht mit Schönfelds Ideen. ,Es muß eine Strafe durch Gott sein. Wir wären einer ,solchen Lösung nicht würdig. Wir wollen der Buße nicht entfliehen. Unser Handeln muß als ein Akt der Buße verstanden werden.'" 34
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Tätigkeit Bonhoeffers angehören, zum andern aber weil sie zeigen, in welchem konkreten Zusammenhang bestimmte Abschnitte seiner "Ethik" zu verstehen sind, und schließlich weil es scheint, als ob Bonhoeffer - besonders nach BeIls Bericht - eher die Strafe über Deutschland herbeirufen als Deutschland hindurchhelfen wollte. Völlig falsch wird es, wenn man - wie in der deutschen übersetzung der Ansprache des Bischofs von Chichester, Dr. Bell, im Bonhoeffer-Gedenkheft - das Wort "repentance" mit "Sühne" und nicht mit "Buße" wiedergibt 39. Bonhoeffer wollte nicht radikale Maßnahmen gegen Deutschland theologisch motivieren. Diese Aussagen sind nicht "politische" Aussagen. Allein zusammengehalten mit der "Ethik" bekommen sie ihren theologischen Ort. So heißt es in der "Ethik": "Wegbereitung heißt (Mat. 3, 1 ff.) Buße. Buße aber heißt konkrete Umkehr, Buße fordert die Tat. So hat allerdings die Wegbereitung auch ganz bestimmte Zustände im Auge, die herzustellen sind." 40 Die Buße ist also nicht Sühne, die von außen herbeizurufen sei; sondern der Akt der Beseitigung des Ritlerregimes muß als Buße getan werden, welches Resultat immer ein solcher Akt auch haben mag. Wer Buße tut, soll nicht auf einen status quo spekulieren, sondern soll es dem Weltregiment Gottes überlassen, ob er es den Ordnungsrnächten gelingen läßt, oder ob er das Chaos über sie bringen will 41. Entweder müssen diejenigen, die Buße tun, freiwillig und stellvertretend die Buße tragen, oder die Strafe wird (nicht moralistisch-politisch: soll) von Gott kommen. Politisch hat Bonhoeffer scharf gesehen, daß eine Regierung, die nur auf einen status quo spekulierte, keine bona-fide-Regierung werden konnte, aber das hinderte ihn nicht, dafür zu kämpfen, daß die Alliierten eine Alternative zu RitleI' im Widerstandskreis um Generaloberst Bed< fänden. Daß Ritler als Antichrist von Bonhoeffer erklärt worden ist, ist so zu verstehen: "Ein völliger Abfall von ihrem (der Obrigkeit) Auftrag würde ihr Sein in Frage stellen." 42 Bonhoeffer hat sagen wollen, daß Ritler zu beseitigen sei, auch wenn er sich in eine Scheingerechtigkeit zu verkleiden vermochte, weil ein völliger Abfall von seinem Auftrag als Obrigkeit tatsächlich im Gange war.
IX. Die letzte Frucht seines Ringens Bonhoeffer hat einmal als einen möglichen Titel der Ethik erwogen: "Grundlagen und Aufbau eines geeinten Abendlandes" 1, Darum ging 39 40
Gedenkheft 1946, S. 8. E, S.89.
41 42
ebd., S.46. e bd., S. 265.
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E, S. 5.
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es ihm von Anfang bis zum Ende. Er sieht das Ergebnis der grauenhaftesten Dinge des Krieges als "die notwendige Erziehungsgrundlage dafür, daß uns auf dem Boden des Christentums ein Wiederaufbau des Lebens der Völker im Inneren und Äußeren möglich ist. Darum müssen wir das, was wir erleben, wirklich in uns bewahren, verarbeiten, fruchtbar werden lassen und es nicht von uns abschütteln." 2 Ringend um den Weg der Kirche in die Zukunft, ringend um ein neues Deutschland und Europa, trägt sein Leben die letzte Frucht: die Gefängnisbriefe. Die letzte, die fünfte Bestandsaufnahme ist uns leider verlorengegangen 3; nur Andeutungen davon hat er uns gegeben. Diese Bestandsaufnahme war aus der Erkenntnis entsprungen: "Vielleicht wird hier gerade uns in der Mitte zwischen Osten und Westen eine wichtige Aufgabe zufallen" 4. Theologie und Kirche sind jetzt vor diese Aufgabe gestellt; sie sind von der fragenden Stimme Bonhoeffers tief angeregt. Er hat uns nur seine Fragen hinterlassen. Aber um seine Fragen recht zu verstehen ist es wichtig, sie in ihren rechten Perspektiven zu vernehmen. Wir haben gesehen, daß die Problematik von Schöpfung und Fall von Anfang an Bonhoeffers Hauptfrage war. Scheint es aber nicht am Ende seines Lebens so, daß er sich selbst grundsätzlich und radikal revidiert? Liegt der Optimismus seiner letzten Zeit auf derselben Linie wie der Pessimismus seiner ersten Zeit? Eine eingehende Exegese von" Widerstand und Ergebung" soll hier nicht versucht werden. Nur die Hauptperspektive muß hervorgehoben werden. "Im Warten auf den jüngsten Tag der geschichtlichen Zukunft verpflichtet" 5, das ist das Motto seiner letzten Jahre. Daraus entspringt die optimistische Wendung bei Bonhoeffer. Allein diese eschatologische Orientierung macht seine Gedanken und Taten der letzten umstrittenen Jahre verständlich. Der jüngste Tag bedeutet für Bonhoeffer das Reich Gottes auf Erden. Diese Hoffnung ist klar vorhanden in allen seinen Schriften. Am schönsten ist sie aber ausgedrückt in dem letzten Wortwechsel mit Karl Barth in Basel 1941 6: Bonhoeffer fragt: Glauben Sie, daß alles wiederkommen wird? Wird es sein - so wie der Genfer See? Karl Barth: Ja, so wie der Genfer See! - Aus diesem kleinen Wortwechsel versteht man, daß "die christliche Weltlichkeit" 7 eben aus 2 WE, S. 108 - vgl. dazu auch die Auslegung der Sprachwundergeschichte: die Sprachenverwirrung wird durch die Sprache Gottes überwunden, die jeder Mensch versteht und durch die allein die Menschen sich auch wieder untereinander verstehen können, und die Kirche soll der Ort sein, an dem es geschieht. -
A. a. 0., S. 51. 3 WE, S. 257. • e bd., S. 182. 5 6
7
E, S. 46. Mitgeteilt von Karl Barth und Fräulein eh. von Kirschbaum. WE, S. 157.
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dieser Hoffnung entsprungen, von ihr inhaltlich bestimmt ist. So wird es auch verständlich, daß Bonhoeffer eben die Anakephaleiosis betont 8. Wiederkunft Christi bedeutet "Wiederbringung aller Dinge". In dem Mund des Christuskindes ist das Wort allein wahr: "Ich bring alles wieder". "Der Begriff des Reiches Gottes freilich umfaßt nicht nur die Vollendung der Kirche, sondern zugleich die Probleme der ,neuen Welt', d. h. die Eschatologie von Kultur und Natur. Wir behandeln nur einen Ausschnitt aus dem Gesamtproblem, wenn wir nur von der Vollendung der Kirche und der Gemeinschaften reden", so heißt es in seiner ersten Schrift 9. Diese weiteren Abschnitte zu schreiben hat er in seinen letzten Jahren nur noch anfangen dürfen. Gottes Reich bedeutet: Gottes Ruhe ist die Ruhe der Welt geworden. "Darum heiligt Gott den Tag seiner Ruhe auch für Adam und für uns, deren Herz unruhig ist, bis es Ruhe findet in Gottes Ruhe", so schrieb Bonhoeffer im Winter 1932/33 10. Im Sommer 1944 schrieb er eine Auslegung der drei ersten Gebote, die uns wichtig ist, weil sie gleichzeitig mit seinen Erwägungen über die nichtreligiöse Interpretation der biblischen Begriffe geschrieben ist. "Gott will sein Volk zu seiner Ruhe führen, zum Ausruhen vom irdischen Werktag. ,Herz, freu dich, du sollst werden vom Elend dieser Erden und von der Sündenarbeit frei.' Vom menschlichen unvollkommenen Wirken befreit, soll das Volk Gottes das vollendete reine Werk Gottes anschauen und an ihm teilhaben. Als Abglanz und Verheißung dieser ewigen Ruhe beim Schöpfer und Erlöser und Vollender der Welt darf der Christ, der den Sonntag heiligt, die Sonntagsruhe erfahren. Vor den Augen der Welt ist der Sonntag der Hinweis auf das Leben der Kinder Gottes aus der Gnade Gottes und auf die Berufung der Menschen in Gottes Reich. So beten wir: ,Dein Reich komme!'." 11 Als Eingang zur Ruhe Gottes ist auch der Tod "höchstes Fest" 12. Aber aus dieser Verheißung dieser Ruhe durch Jesus Christus ist sein ganzes Werk getan für die Kirche und für die Völker. "Mag sein, daß der jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht." 13 Ein solcher Inkarnations- und Anakephaleiosis-Glaube muß notwendigerweise die Verkündigung und Existenz der Kirche zur Revision fordern. Die Jenseitsbezogenheit des religiösen Gepräges der letzten 1900 Jahre 14 muß eine Betonung der Diesseitigkeit des Christentums 8 9 10 11
12
ebd., S. 124 H. SC, S. 213. SchF, S. 48. Vgl. WE, S. 225. ebd., S. 251.
13 14
ebd., S. 30. ebd., S. 178.
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nicht nur als Korrelat, sondern als Charakteristikum hervorrufen 15. Vor diesem Glauben muß auch jede klerikale und religiöse Bevormundung weichen 16. Christus muß nicht nur als Herr der Welt 17, sondern als für-die-Welt-da verkündigt werden 18. Die kirchlich-christliche Existenz muß als ein Für-andere-da-sein ganz konkret proklamiert werden. Nicht nur um der Wahrheit willen, sondern auch um der echten Vollmacht der Verkündigung willen. Die Anklage auf Offenbarungspositivismus gegen Karl Barth(und auch die Bekennende Kirche) ist gar kein Neuansatz, sondern ganz konsequent die Vollmachtsfrage der Verkündigung an die Welt innerhalb der Offenbarungstheologie und innerhalb der Bekennenden Kirche. Diese Anklage ist nur terminologisch neu. Schon 1932/33 haben wir eine Aussage, die diese Kritik angefangen hat: "Barth kommt nicht aus dem Schützengraben, sondern von einer kleinen Schweizer Dorfkanzel. " 19 Die Vollmachtsfrage bei Bonhoeffer ist "die liberale Frage" innerhalb der Offenbarungstheologie. Durch die Inkarnations- und Anakephaleiosistheologie Bonhoeffers wurde "die liberale Frage" relevant. "Die liberale Frage" ist ja letzten Endes die Frage nach der Wirklichkeit der christlichen Existenz, aber nicht nur das, sondern ganz schlicht die Frage nach der Wirklichkeit ganz konkret heute. So kann Bonhoeffer den Ansatz Bultmanns ernstnehmen 20, muß aber seine Frage ganz anders beantworten, weil das Geheimnis der Kirche der Christus praesens ist 21. Was Christus praesens ist, hat Bonhoeffer wie kein anderer durch die Lehre von der Stellvertretung zum Ausdruck gebracht. Die Stellvertretung Christi bedeutet eine unbegreifliche Umkehrung alles gerechten und frommen Denkens 22. Sie bedeutet eine "Metanoia". "Nicht der religiöse Akt macht den Christen, sondern das Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben. Das ist ,Metonia', nicht zuerst an die eigenen Nöte, Fragen, Sünden, Ängste denken, sondern sich in den Weg Jesu Christi mithineinreißen lassen, in das messianische Ereignis, daß Jesaja 53 nun erfüllt wird!" 23 Aus dieser Erkenntnis heraus erhebt Bonhoeffer nun die Forderung einer Interpretation der biblischen Be-
15 ebd., S. 247 f. Vgl. einen Brief von D. B. an Prof. Litt (Verfasser von "Protestantisches Geschichtsbewußtsein", Leipzig 1939) vom 22.1.1929. 16 WE, S. 216 ff. 17 ebd., S. 180 und 265. 18 ebd., S. 184 und 246 f. "Christen und Heiden", und 259. 19 aus den Nachschriften J. Wintherhagers, Berlin. 20 WE, S; 220. 21 ebd., S. 265. 22 E, S. 16. 23 WE 1951, S. 244 f. und 249.
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griffe, die er "nicht-religiös" oder "weltlich" 24 nennt, d. h. die biblischen Begriffe müssen aus dieser Umkehrung alles religiösen und ethischen Denkens heraus verstanden und ausgelegt werden. Die "nicht-religiöse" Interpretation der biblischen Begriffe ist ein Teil von dem, was die Ver-kündigung der Kirche in der heutigen religionslosen mündiggewordenen. Welt befreiend und erlösend machen wird. "Die Mündigkeit der' Welt . . . wird nun wirklich besser verstanden, als sie sich selbst versteht, nämlich vom Evangelium, von Christus her." 25 Bonhoeffermeinte, dadurch der Kirche aus ihrer Stagnation heraushelfen und sie" in die freie Luft der geistigen Auseinandersetzung mit der Welt bringen zu können 26. "Nicht von der ars moriendi, sondern von der Auferstehung Christi her kann ein neuer, reinigender Wind in die gegenwärtige Welt wehen." 27 Aber dieser Wind muß erst durch die Kirche' wehen, ehe sie fähig wird, "Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein". "Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muß neugeboren werden aus diesem Beten und aus diesem Tun." "Es ist nicht unsere Sache, den Tag vorauszusagen - aber der Tag wird kommen, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, daß sich die Welt darunter verändert und erneuert." 28 Fast symbolisch ist es, daß er seine letzte Zeit unter Leidenden und' Kämpfenden des zerrissenen Europa hat leben müssen. Am Weißen Sonntag, am 8. April 1945, im Zimmer 3 der Dorfschule in Schönberg hielt er seine letzte Andacht 29. Zuerst "wollte er gar nicht recht heran, zumal auch Nichtchristen in unserm Kreise waren. So z. B. der andere' Bettnachbar von Dietrich Bonhoeffer, der Neffe von Molotow, Fliegerleutnant Kokorin". "Kokorin war nun auch für die Morgenandacht, und so fand sie statt." 30 Er sprach über das Losungswort der Herrnhuter: "Durch seine Wunden sind wir geheilt" (Jes. 53, 5) und "Gelobet sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns nach seinergroßen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten" (1. Petr. 1,3),. las den Bibeltext des Tages und sprach einige Gebete 31. ebd., S. 183 und ö. ebd., S. 221. 26 ebd., S. 257. 27 ebd., S. 168; vgl. E, S. 45 f., über Auferstehung und Erneuerung Europas. 28 WE 1951, S. 206 f. 29 Vorgeschlagen von dem Staatssekretär a. D. Dr. H. pünder. 30 Aus einem Brief von Dr. H. Pünder an E. Bethge vom 9. 9. 1945. 31 Der mitgefangene britische Intelligence Officer Payne Best erzählt (The VenIa· Incident, London 1950, S. 200): "The following day, Sunday 8th April 1945, Pa24
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Bekannt sind seine letzten Worte an seinen englischen Mitgefangenen 32, als er kurz nachher von zwei Zivilisten abgeholt wurde: .,Gefangener Bonhoeffer, fertigmachen und mitkommen". "This is the end, for me the beginning of life." 33 Dann ist er am nächsten Morgen früh, kn'iend im Gebet, von einem SS-Mann mit rohen Worten besudelt 34, im KZ-Flossenbürg zum letztenmal gesehen worden 35. "But their witness remains." 36
x. Die Stimme eines Boten Von den verschiedensten Seiten hat man versucht, die Stimme Diet:rich BOhhoeffers zum Schweigen zu bringen. 1933: Die Theologie der Erhaltungsordnungen hat ein anderer sich zugeschrieben und prohitlerisch ausgenutzt 1, 1934: Man hat seine Unterschrift gefordert, daß 'Elr sich .. jeglicher ökumenischen Betätigung enthalten" solle 2. 1935: Faith and Order hat die Stimme Bonhoeffers übertönt 3. 1936: Seine Lehrbefugnis wurde ihm genommen 4. 1937: Den Vertretern der Bekennenden Kirche wurden die Pässe entzogen, daß sie ihre Stimmen in Oxford und Edinburgh nicht erheben sollten 5. 1938 konnte man ein Kapitel über Akt und Sein schreiben ohne den Namen Bonhoeffers :zu nennen 6. 1939: Faith and Order hört eine dringliche Bitte von Bonhoeffer mit tauben Ohren an 7. 1940 kamen Verbote des Seminars, ,stor Bonhoeffer held a little service and spoke to us in a manner which reamed the hearts of all, finding just the right words to express the spirit of our imprisonment and the thoughts and resolutions which it had brought." ("Am fol:genden Tag, es war Sonntag, der 8. April 1945, hielt Pastor Bonhoeffer einen kurzen Gottesdienst und sprach zu uns in einer Weise, die allen zu Herzen ,ging, da er gerade die remten Worte fand, um das Wesen unserer Gefangen,schaft und die Gedanken und Entsmlüsse, die sie mit sim gebramt hatte, aus:zudrücken. ") 32 außer einem Gruß für Bismof Bell von Chimester. 33 "Das ist das Ende, für mich der Anfang des Lebens." Payne Best, The Venlo Incident, London 1950. •, Aus einem Zeitungs bericht über den letzten Huppenkothen-Prozeß das Zeug:nis des Lagerarztes Dr. Hermann Fismer. - Frederiksborg Amts Avis vom 6. 1. 1955. 35 9. April 1945 etwa 7 Uhr. 36 "Aber ihr Zeugnis bleibt." Bischof George Bell von Chimester, The Back.ground of the Hitler Plot, Contemporary Review 1945, S. 208. 1 VgI. Anm. 11 28 und 29. 2 Brief an E. Sutz. VgI. Anm. 11 77 und 83. 3 VgI. ersten Briefwechsel mit L. Hodgs.on, Anm. 111 2. • VgI. Anm. IV 3. 5 VgI. Anm. VI11. 6 Lic. E. Gerstenmaier: "Die Kirche und die Schöpfung", Berlin 1938. 7 VgI. zweiten Briefwechsel mit L. Hodgson, sowie Anm. 111, 3 ff. und VI, 3 ff.
Rede- und Schreibverbot und Aufenthaltsverbot für Berlin 8. Schließlich hat man versucht, ihn im Gefängnis das Schweigen zu lehren; nie hat er aber so laut gesprochen. Und endlich hat man durch seine Ermordung einen Zeugen zum Schweigen gebracht; man hat uns aber einen Blutzeugen gegeben, der jetzt dringlicher als je redet. Sein Vaterland und seine Kirche hat lange den dankbaren Nachruf sehr leise gesprochen. Aber in der ökumene hat seine deutsche Stimme viele tiefe Wunden gelindert und viel Haß zum Schweigen gebracht 9. Einer jungen Generation ist diese Stimme wieder ein Wegbereiter in die Welt und in die Zukunft geworden. S. 4 und Gedenkheft, Haus und Schule, Berlin 1947, S. 21. D. B. unter den "pioneers and leaders of the Ecumenical Movement" auf der Weltkonferenz in Amsterdam 1948 feierlich erwähnt. Zum Biographischen verweise ich noch auf die Aufsätze in: Gendenkheft, Haus und Schule, 1947, Berlin; Das Gebetbuch der Bibel, MBK-Verlag Bad Salzuflen, 1953, S. 19 f., von E. Bethge; B. H. Forck: Und folget ihrem Glauben nach, Gedenkbuch der Blutzeugen der Bekennenden Kirche, Stuttgart 1949, S. 112-125; Dietrich Bonhoeffer, Einführung in seine Botschaft, Kirdle in der Zeit-Verlag, 1955. 8
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BIBLIOGRAPHIE DIETRICH BONHOEFFER
1927 1. Theologische Thesen, welche mit Genehmigung des Herrn Dekans der Hochwürdigen Theologischen Fakultät an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin zur Erwerbung des Grades eines Lizentiaten der Theologie am 17. Dezember 1927, 12 Uhr mittags, in der alten Aula öffentlich verteidigen wird Dietrich Bonhoeffer - Opponenten: Herr cand. theol. Robert Stupperich, Herr Lic. Walter Dress, Herr Vikar Helmuth Roessler - Berlin, Buchdruckerei Emil Ebering, Mittelstr.29; [11 Thesen auf 2 Blättern] 1930 2. Sanctorum Communio, Eine dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche (Neue Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche, 26. Stück) Trowitzsch und Sohn, Berlin u. Frankfurt/Oder, 1930; VIII, 180 S. ( a) Privatdruck mit und ohne Thesen; b) Druck in der Reihe "Neue Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche".) [Dissertationsschrift, 17. 12. 1927] 2. Auflage: Theologische Bücherei, Band III, München (Kaiser), 1954; [mit Vorwort von Ernst Wolf] 3. Ansprache bei der Gedächtnisfeier für Adolf von Harnack am 15. Juni 1930, in: Adolf von Harnack zum Gedächtnis, (Berlin, 1930, Reichsdruckerei), p.15-16; "Rede bei der Trauerfeier", in: Protestantenblatt, 63. Jhg. (1930) Nr. 26, Spalte 402-403; Theol. Literaturzeitung, 76. Jhg. 1951, Nr.4, Spalte 250; 4. Rezension: Friedrich Parpert, Das Mönchtum und die evangelische Kirche, in: Deutsche Literaturzeitung, 13.12.1930, Heft 50, p.2356-58; 1931 5. Akt und Sein, Transzendentalphilosophie und Ontologie in der systematischen Theologie, Beiträge zur Förderung christlicher Theologie, 34. Bd., Heft 2, Gütersloh, 1931, 158 S.; [Habilitationsschrift, 31. 7.1930] 2. Auflage: Theologische Bücherei, Band V, München (Kaiser), 1956; 6. Die internationale Tagung des Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen in Cambridge, (1.-5.9.1931), in: Theol. Blätter, 10. Jhg. 1931, Sp.299-300;
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1932 7. Evangelische Studentenseelsorge an der Technischen Hochschule, in: Die Technische Hochschule, Berlin-Charlottenburg, Jhg.l0, Heft 9 (Februar 1932), p.200; 8. Concerning the Christian Idea of God, in: The Journal of Religion, Chicago, III., vol. XII, no. 2 (April 1932), p.177-185; [Studienarbeit am Union Seminary New York] 9. Rezension: Cordes, Der Gemeinschaftsbegriff im deutschen Katholizismus und Protestantismus der Gegenwart, Leipzig, 1931, in: Theol. Literaturzeitung, 57. Jhg. 1932, Nr. 10, Sp. 235-236; 10. Glaubst Du, so hast Du. Versuch eines Lutherischen Katechismus (Bonhoeffer, Dietrich und Hildebrandt, Franz), in: Monatsschrift für Pastoraltheologie, 28. Jhg. (1932), Heft 5/6, p.167-172; 11. ökumenische Jugendarbeit. Englisch-französische Jugendkonferenz des Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen, in: Die Eiche, Vierteljahrsschrift für soziale und internationale Arbeitsgemeinschaft, hrsg. von F. Siegmund-Schultze, Leopold Klotz Verlagl Gotha, 20. Jhg. Nr. 3, 1932, p. 260; 12. Theologische Konferenz der MittelsteIle für ökumenische Jugendbewegung, in: Die Eiche, 20. Jhg. Nr. 3, 1932, p.260-261; 13. Zur theologischen Begründung der Weltbundsarbeit, in: Die Eiche, 20. Jhg. Nr.4, 1932, p. 334-344; (Vortrag, gehalten auf der Jugendfriedenskonferenz in Cernohorske Kupele, Tschechoslowakei, am 26. Juli 1932); 14. Bericht über die theologische Konferenz der MittelsteIle für ökumenische Jugendarbeit am 29. und 30. 4. 32 in Berlin, in: Die Eiche, 20. Jhg. Nr. 4, 1932, p.361-365; [ohne Unterschrift; die Thesen von Zoellner und Staehlin sind in derselben Nummer abgedruckt: Zoellner, p. 328-332; Staehlin, p. 332 f.] 15. Jugendkonferenz des Weltbundes, in: Die Eiche, 20. Jhg. Nr. 4, 1932, p.365-367; 16. Kirche, Jugend, Friede; Zu den Jugendtagungen des Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen; in: Tägliche Rundschau, Tageszeitung für Staatsgesinnung und Reichsgesundung, November 1932; [Genauere Angaben sind nicht möglich. Das Manuskript B.s ist abgeschlossen am 29. 10. 1932] 17. Rezension: "Zu Karl Heim's: Glaube und Denken", in: Christentum und Wissenschaft, 8. Jhg. 12. Heft, (Dezember 1932), p.441-454; 18. Rezension: Jelke, Vernunft und Offenbarung, Gütersloh, 1932, in: Theol. Literaturzeitung, 57. Jhg.1932, Nr.24, Sp.563-565; 1933 19. Was ist Kirche?, in: Der Vormarsch, Ev. Monatsschrift für Politik und Kultur, hrsg. von Gerhard Kunze und Fritz Söhlmann, Voigtländer, Leipzig, Jhg.3, Heft 1 [Jan.1933), p.8-10;
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20. a) Vorschau für die Rundfunksendung: Die junge Generation, Wandlungen im Führerbegriff innerhalb der deutschen Jugend, in: FunkStunde, Berlin, 10. Jhg. Nr. 5 (27.1.1933), p.181; b) Drei Führertypen in der jungen Generation, in: Kreuzzeitung, Neue Preuß. Zeitung, Sonntag, 26. Februar 1933, 86. Jhg. Nr. 57, p. 4; [Die Rundfunksendung wurde am Mittwoch, den 1. Februar 1933, 17.45 Uhr, gegeben. Gegen Ende des Vortrages wurde die Sendung abgebrochen. Die Kreuzzeitung hat den Vortrag dann in seinen Hauptabschnitten (2 Vollspalten und 2 halbe Spalten) abgedruckt. Auf Bitte von Prof. Heuß wurde der Vortrag stark erweiterf im März 1933 in der Deutschen Hochschule für Politik, Berlin, noch einmal gehalten.] 21. Dein Reich komme! Das Gebet der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden, in: Stimmen aus der deutschen christlichen Studentenbewegung, Heft 78, Berlin (Furche Verlag), 1933, p.29-42; 22. Die Kirche vor der Judenfrage, in: Der Vormarsch, 3. Jhg. Heft 6 (Juni 1933), p.171-176; (Manuskript fertiggestellt am 15. 4. 1933) 23. Schöpfung und Fall, Theologische Auslegung von Genesis 1-3, München (Kaiser), 1933, 87 S.; (Vorlesung Wintersemester 1932/33, Universität Berlin) 3. Auflage: München (Kaiser), 1955; 24. An die Nationalsynode der Deutschen Evangelischen Kirche zu Wittenberg, Flugblatt v. 27. 9. 33; [Mitarbeiter und Mitunterzeichner] Junge Kirche, Nr.15 (1933), p.204-205; 25. Was soll der Student der Theologie heute tun?, in: Literaturverzeichnis für die Vorlesungen an der Universität Berlin und an der Hochschule für Politik/Berlin, Wintersemester 1933/34, herausgegeben von der Buchhandlung Collignon, ohne Angabe von Seitenzahlen; [2 Vollspalten und 4 halbe Spalten] 1934 26. Betheler Bekenntnis, November 1933, München (Kaiser), 1934; Beteiligt P. D. Fr. von Bodelschwingh-Bethel u. a. [Mitarbeiter] Das Bekenntnis der Väter und die bekennende Gemeinde. (Das sog. Betheler Bekenntnis.) Zur Besinnung dargeboten von einem Kreis evangelischer Theologen und in ihrem Namen herausgegeben von Martin Niemöller, in: Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahre's 1933, gesammelt und eingeleitet von K. D. Schmidt, Göttingen (Vandenhoeck und Ruprecht), 1934, p. 105-131; 27. Jahresbericht 1933/34, in: Bericht über das 59. Jahr der Deutschen Evangelischen Gemeinde zu Sydenham, London, S. E. (The Finsbury Press), 1934, p. 3-6;
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1935 28. Jahresbericht 1934/35, in: Bericht über das 60. Jahr der Deutschen Evangelischen Gemeinde zu Sydenham, London, S. E. (The Finsbury Press),. 1935, p. 3-6; 29. Die Bekennende Kirche und die Oekumene, in: Evangelische Theologie,. 1935 (August), Heft 7, p.245-261; 1936 30. Trauerfeier für Frau Julie Bonhoeffer, 15.1.1936, Privatdruck, Berlin, 7 S.; 31. Brief des Pfarrernotbundes v. 30. 7.1935, in: Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage, Band 3: Das Jahr 1935, gesammelt und eingeleitet von K. D. Schmidt, Göttingen (Vandenhoed<. und Ruprecht), 1936, p.177-178; [Mitunterzeichner] 32. König David, Drei Stunden Bibelarbeit (gehalten mit der Bruderschaft Pommerscher Vikare), in: Junge Kirche, 4. Jhg. (1936) Heft 2, p. 64-69, Heft 4, p.157-161, Heft 5, p.197-203; 33. Der Wiederaufbau Jerusalems nach Esra und Nehemia (eine Bibelarbeit mit Vikaren der BK in Finkenwalde), in: Junge Kirche, 4. Jhg. (1936} Heft 14, p. 653-661; 34. Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft, in: Evangelische· Theologie. 3. Jhg. (1936), p.214-233; 11. Fragen, in: Ev. Theol. 3. Jhg. (1936), p.405-410; [Antwort an Gollwitzer, Künneth und Sasse] 2. Auflage, in: Die mündige Welt, Dem Andenken Dietrich Bonhoeffers. München (Kaiser) 1955, p.123-144; 1937 35. Nachfolge, München (Kaiser), 1937, 229 S.; Folgende Auflagen: Nachdruck auf Veranlassung der Kriegsgefangenenhilfe des Weltbundes der christlichen Vereine Junger Männer, Genf, Printed in USA,. o. J. (~945); 5. Auflage, München (Kaiser), 1955; Lizenzausgabe DDR, Evangelische Verlagsanstalt, 1954, 288 S.; übersetzungen: The Cost of Discipleship, Transl. by R. H. Fuller, Foreword hy the Bishop of Chichester, Memoir by Prof. G. Leibholz, SCM, London, o. J. (1948); 3. Neuauflage, 1955; Macmillan, New York, 1949; [Die Seiten 33-38, 133-148, 149-152, 171-192, 193-217 wurden in der übersetzung ausgelassen; die übersetzung von zwei Gedichten wurde· beigefügt: Who am I? New Year 1945, p. 15-17.] [Arabische und norwegische übersetzung in Vorbereitung]
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1939 .36. Gemeinsames Leben, in: Theologische Existenz heute, Heft 61, München (Kaiser), 1939, 84 S.; Folgende Auflagen: 8. Auflage: München (Kaiser), 1955; Lizenzausgabe DDR, Evangelische Verlagsanstalt, Berlin, 1954, 83 S.; übersetzungen: De la vie communitaire, Traduction de F. Ryser, Delachaux et NiestIe, Neuchätel, 1947; [Beigefügt übersetzung von fünf Gediditen: "Cinq poemes" (Qui Isuis-je? Voix nocturnes, Nouvel-an 1945, Chretiens et paiens, La mort de Moise) p.125-141.] . Leven met elkander, übers. von J. Hulsebosch, Boekencentrum, N. V., 1952; Life together, trans!. by J. W. Doberstein, Harper and Brothers, New York,1954; desg!. SCM, London, 1955; 1940 :37. Das Gebetbuch der Bibel, Eine Einführung in die Psalmen, Salzuflen (MBK-Verlag), 1940, 16 S.; 5. Auflage: Salzuflen (MBK-Verlag), 1956; [mit kurzer Biographie von E. Bethge] übersetzung im Auszug: "Herre, laer os at bede!", '" i Jesu navn, übers. von J0rgen Glenth0j; in: Under Guds Ord, Nyt og gammelt til vejledning i evangeliet, no. 86, 1954, p.1-2; :38. Sonntag nach Neujahr: Matth. 2, 13-23, Predigt, in: Meine Worte werden nicht vergehen, Predigtbuch, hrsg. von J. Beckmann und F. Linz, Gütersloh (Bertelsmann), 1940, p.42-46; 1941 :39. Meditationen, in: Herr, tue meine Lippen auf, Eine Predigthilfe, hrsg. von G. Eichholz, Bd. 1, Die altkirchlichen Evangelien, Emil Müller (Evangelischer Verlag), Wuppertal-Barmen, 1941 (in Lieferungen erschienen von 1939 bis 1941) 2. Auf!. 1. Auf!. 2. überarbeitete Auflage: 1954; Joh. 20, 19-31 p.120-124 p.145-149, 1. Quasimodogeniti 2. Mi:sericordias Dom. Joh.l0,11-16 p.124-127 p.149-153, 3.1. Pfingsttag Joh. 14, 23-31 p.141-145 p.184-189, Joh. 3,16-21 p.145-150 p.189-194; 4. 2. Pfingsttag [geschrieben 1939?] 1945 40. Auszug aus einem Brief an R. Niebuhr, Juni 1939, in: The Death of a Martyr, by R. Niebuhr, in: Christianity and Crisis, N.11, June 25, 1945, p.6;
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41. Gott, zu Dir rufe ich, Gebete von Dietrich Bonhoeffer, Evangelische Buchund Kunsthandlung Zwickau, o. J. (1945), 5 S.; desgl. in: Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hI'sg, von E. Bethge, München (Kaiser), 1951, p.96-101; übersetzung: Morgenbon, Aftenbon, Bon i srerlig stor nod; übers. von Jorgen Glenthoj, in: Under Guds Ord, Nyt og gammelt til vejledning i evangeliet, no. 86, 1954, p. 3-4; 42. Das Zeugnis eines Boten, Zum Gedächtnis von Dietrich Bonhoeffer, Genf (Oikumene), 1945, 58 S.; [Berichte von W. A. Visser't Hooft, F. v. Schlabrendorff, Memorandum für englische Freunde 1941, und Auszüge aus: Nachfolge, Bekennende Kirche und Oekumene, Gemeinsames Leben und Gedichte, Nach zehn Jahren, Gedanken zur Taufe, Diesseitigkeit des Christentums (Brief v. 21. 8. 1944). Z. T. viele, auch entstellende Druckfehler] 1946 43. Auf dem Wege zur Freiheit, Gedichte und Briefe aus der Haft, Berlin (Haus und Schule) 1946, 47 S.; [Mit Abschiedsbriefen von Klaus Bonhoeffer] 5. Auflage: Berlin (Lettner Verlag), 1954; [Die Gedichte sind bis auf "Nächtliche Stimmen" und "Tod des Mose" noch einmal in Widerstand und Ergebung abgedruckt. Die "Stationen auf dem Wege zur Freiheit" sind auch noch einmal in der Ethik widergegeben.] übersetzungen: a) "Nächtliche Stimmen" englisch: "Prison", übers. von J. B. Leishman, in Theology, vol. XLIX, no. 309, (March 1946) p. 74-78; französisch: Voix nocturnes, vgl. Bibliographie Nr.36; b) "Glück und Unglück" englisch: "Sorrow and Joy", übers. von Geoffrey Winthrop Young, in: Letters and Papers from Prison, SCM Press, p.151-152; c) "Wer bin ich?" englisch: "Who am I?", übers. von J. B. Leishman, in: Christianity and Crisis, vol. VI, no. 3, March 1946, p.5; Christian Fellowship in War-Time, no. 24, November 1945, p.l; Time and Tide, vol XXVII, no. 6, 1946, p. 130; vgl. Bibliographie Nr. 35; "What am I?", übers. von Geoffrey Winthrop Young, in: The Fortnightly, July to December 1946, vol. CLX (New Series), p.53; französisch: "Qui suis-je?", übers. v. Georges Casalis, in: Reforme, 2e annee, no. 81, 5. Octobre 1946, p.2; vgl. Bibliographie Nr.36; dänisch: "Hvem er jeg?", übers. von K. F. Brondbjerg, in: Kristeligt Dagblad, 18.5.1955, im Aufsatz: "Til erindring om den dyre sejr".
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d) "Stationen auf dem Wege zur Freiheit" englisch: "Stations on the road to freedom", übers. von J. B. Leishman, in: Time and Tide, vol. XXVII, no. 2. January 1946, p. 32: "Steps on the way to freedom", übers. von o. Theodor Benfey and Elizabeth F. Farman, in: Union Seminary Quarterly Review, vol. VI, no. 4, June 1951, p.15; "Station on Freedom's Way", übers. von Geoffrey Winthrop Young, in: New English Review, vol. XIV, no. 3, March 1947, p. 243: "Stations on the way to freedom", übers. von Neville Horton Smith, in: Ethics, SCM Press, p. XV: französisch: "Stations sur le chemin de la liberte", übers. von Georges Casalis, in: Riiforme, 2e annee, no. 81, 5.0ctobre 1946, p.2: dänisch: "Stadier pa frihedens vej", übers. von H. N. Blauenfeldt, in: E. Thestrup Pedersen: "Eksistentialisme og Kristendom", Nyt Nordisk Forlag, K0benhavn, 1956, p. 157-159: e) "Der Freund" englism: "The friend", übers. von o. Theodor Benfey, in: Union Seminary Quarterly Review, vol. VI, no. 1, November 1950, p.16-18; f) "Der Tod des Mose"
französism: "La mort de Moise", vgl. Bibliographie Nr. 36; g) "Christen und Heiden" englism: "Christians and Unbelievers", übers. von Geoffrey Winthrop Young, in: Time and Tide, vol. XXVII, no. 15, 1946, p.343: dänism: "Kristne og Hedninge", übers. von J0rgen Glenth0j, in: Under Guds Ord, Nyt og gammelt til vejledning i evangeliet, no. 86, 1954, p.4: französism: "Chretiens et paiens", vgl. Bibliographie Nr. 36: h) "Von guten Mämten" englisch: "New Year 1945", übers. von Geoffrey Winthrop Young, in: The New English Review, August 1946, vol. XIlI, no. 2, p.122; The Cost of Discipleship, SCM, 1948, p.16-17; französism: "Nouvel-an 1945", vgl. Bibliographie Nr. 36; dänism: "Af gode magter", übers. von Poul Pedersen, in: Bagsvrerd Kirkeblad, 4. Jhg. 1953, Nr. 9, p.l; 1947 44. Was heißt die Wahrheit sagen?, in: Unterwegs, 1947, Heft 6, p.11-15 (gesmrieben Winter 1943/44); Noch einmal gedruckt: Ethik, p.283-290; 1948 45. Protestantismus ohne Reformation, in: Unterwegs, 1948, Heft 1, p. 3-17: [Berimt über die Amerikareise 1939, gesmrieben August 1939] 46. Kirme, Volk und Staat, Berimt des Ökumenismen Ausschusses der Vorläufigen Leitung der Deutsmen Evangelismen Kirme, Schriftenreihe der Bekennenden Kirche, Heft 2, Stuttgart (Quell-Verlag), 1948; [Mitarbeiter]
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47. Zur Tauffrage, in: Unterwegs, 1948, Heft 6, p. 3-13; [GutaChten für den Bruderrat der AltpreußisChen Union, gesChrieben 1942 anläßliCh einer ausführlichen Arbeit des sChlesisChen Pfarrers Arnold Hitzer, der sChwere Bedenken gegen die Kindertaufe entwickelte. Vgl. die Vorbemerkung zum GutaChten Bonhoeffers, die E. Bethge verfaßt hat.] 48. Der NaChbar, letzte Szene aus Dramenfragment, in: Die SChöpfung, Folge 2, Berlin, 1948, p.43-47; [gesChrieben Herbst 1943] NoCh einmal unter dem Titel: "Boden unter den Füßen", aus dem Dramenfragment, in: Die KirChe in Hamburg, WoChenzeitung, Jhg. 2, Nr.40, 2.10.1955, p.4; 1949 49. Geheimnis der MensChwerdung, in: Unterwegs, 1949, Heft 6, p.325-331; [Meditation über WeihnaChten und Epiphanias, gesChrieben Dezember 1939] 50. Ethik, Zusammengestellt und herausgegeben von E. Bethge, MünChen (Kaiser), 1949, 300 S.; [gesChrieben 1940-43] 3. Auflage: MünChen (Kaiser) 1956; übersetzungen: Ethics, transl. by N. Horton Smith, SCM, London, 1955; desgl. Macmillan, New York, 1955; übersetzung im Auszug: finnisCh: Etiikka ja TodelIisuus (Ethik und WirkliChkeit), übers. von Erkki Niinivaara, in: Vartija, 68. Jhg. no. 5, Helsingfors, 1955, p. 102-105; 51. Aus einem Brief an seine ehemaligen Kandidaten im Felde, in: Und folget ihrem Glauben naCh, GedenkbuCh für die Blutzeugen der Bekennenden KirChe, hrsg. von B. Forck, Stuttgart, Ev. Verlagswerk, 1949, p.114-115; 1950 52. Von der Dankbarkeit (gesChrieben Juli 1940), in: Unterwegs, 1950, Heft 1, p.2-3; 53. Die Erhöhung Jesu Christi, in: Unterwegs, 1950, Heft 2, p. 66-71; [Meditation für Ostern und Himmelfahrt, gesChrieben 1940 oder 1941] 54. Wer hält stand?, in: Unterwegs, Heft 5, p.275-279; [gesChrieben zu WeihnaChten 1942] desgl. in: Widerstand und Ergebung, p.10-16, 22-24, 28-31; übersetzung im Auszug: Who stands his ground?, in: Theology to-day, vol. XI, 1954, no. 3, p.310-311; 1951 55. Freund und Verräter, Predigt über Matth. 26, 45-50, in: Unterwegs, 1951, Heft 1, p.2-5;
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desgl. unter dem Titel: Predigt am Sonntag Judika 1937, in: Zeichen der Zeit, 5. Jhg., 1951, p.l09-112; Freund und Verräter, in: Dietrich Bonhoeffer, Einführung in seine Botschaft, Verlag "Kirche in der Zeit", Düsseldorf, o. J. (1955), p.53-57; 56. Auf dem Wege in die Zukunft (Aus Briefen von Dietrich Bonhoeffer [17.11.41 und 18.6.42]), in: Unterwegs, 1951, Heft 3, p.151-152; 57. Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hrsg. von E. Bethge. München (Kaiser), 1951, 278 S.; 6. Auflage: München (Kaiser), 1955; [erweitert durch das Gedicht "Vergangenheit", einen Brief und die Schilderung der letzten Tage Bonhoeffers, sowie ein Schlagwortverzeichnis ] übersetzungen: Letters and Papers from Prison, transl. by R. H. Fuller, SCM, London, 1953; 3. erweiterte Auflage, 1956; desgl. unter dem Titel: Prisoner for God, Macmillan, New York, 1954; Verzet en Overgave, Brieven en aantekeningen uit de gevangenschap, übers. von Mej. Dr. M. A. H. Stomps, H. J. Paris, Amsterdam, 1956; übersetzung in Auszügen: God in an irreligious World, A selection of letters, in: The Ecumenical Review, vol. IV, no. 2 (January 1952), p.131-138; Aus: Ten Years Later und Prayers for Fellow Prisoners. Brief vom 23. August 1944, übers. von Reinhold C. Kuhn, in: Dying We Live, Pantheon, New York, 1956, p. 213-218; finnisch:. Kirjeita Vankilasta (Briefe aus dem Gefängnis: 30.4.44, 8.6.44, 30.6.44, 8.7.44), übers. von Erkki Niinivaara, in: Vartija, 69. Jhg. no. 1, Helsingfors, 1956, p.4-10; 1953 58. Versuchung, München (Kaiser), 1953, 64 S.; Bibelarbeit bei einer Freizeit illegaler Pfarrer vom 12.-17. April 1937; bearbeitet und herausgegeben von E. Bethge 2. Auflage: München (Kaiser), 1954; übersetzungen: Temptation, transl. by Kathleen Downharn, SCM, London, 1955; desgI.: Macmillan, New York, 1955; Verzoeking, übers. von C. C. Addink, Verlag T. Wever-Franeker, o. J. (1955); 1954 59. Die Kirche und die Völker der Welt, in: Unterwegs, 1954, Heft 3, p.129-131; Rede auf der Konferenz von "Life and Work" , Fanö, 24. August 1934 desgl. unter dem Titel: Der Friede muß gewagt werden, in: Dietrich Bonhoeffer, Einführung in seine Botschaft, p. 35-37;
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60. Glück und Macht, Ge,spräche aus Romanfragment, in: Unterwegs, 1954, Heft 4, p.196-205; desgi. in: Dietrich Bonhoeffer, Einführung in seine Botschaft, p.19-29; übersetzung: Happiness and Power, transl. by Miss H. M. Bishop, in: The Bridge, April 1955, p. 4-15; 1955 61. "Wenn einer von Euch bekümmert schreibt ... ", Briefe aus dem Nachlaß, in: Zeitwende, die Neue Furche, XXVI. Jhg. Nr. 4, April 1955, p.223-231; Brief aus dem Jahr 1936 oder 1937, Rundbrief an die "Finkenwalder" Mai 1940, 28. 8. 41, Im D-Zug Berlin-München 25. 6. 42, In der Tegeler Zelle 4.2.44; 62. D. Bonhoeffer und K. Barth, Ein Briefwechsel, in: Die mündige Welt, Dem Andenken Dietrich Bonhoeffers, Vorträge und Briefe, München (Kaiser), 1955, p. 106-122; 63. Briefe an einen Freund, Drei Briefe (7.8.28; 18.10.31; 25.12.32) an Helmut Rößl er, in: Dietrich Bonhoeffer, Einführung in seine Botschaft, p.58-63; 64. Siehe, ich verkündige euch große Freude, Ein Weihnachtsbrief aus dem Jahr 1940, in: Zeitwende, Die Neue Furche, XXVI. Jhg. Nr. 12, Dezember 1955, p.801-803; Die Bibliographie wurde mit dem Rat und der Hilfe von Pfr. John D. Godsey, Basel, Gotthelfstr. 36, und Pfr. J0rgen Glenth0j, Hassing, Thy, Dänemark, zusammengestellt. Die Verantwortung tragen der Unterzeichner und P. E. Bethge, 23, Manor Mount, Forest HilI, London S. E. 23. Etwaige Verbesserungen und sonstige Hinweise, die Bonhoeffer betreffen, möge man an P. Bethge schicken. Berlin-Zehlendorf, Clayallee 313
P. Gustav Roth
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Erste Ankündigung: Wir bereiten die Veröffentlichung des Nachlasses von Dietrich Bonhoeffer vor. Eberhard Bethge, der Herausgeber, ist seit langem mit dem Zusammentragen und Sammeln des zum Teil an unbekannten Orten Vorhandenen befaßt. So wie sich der Plan jetzt abzeichnet, ist mit etwa vier Bänden in äußerer Form und Art wie "Widerstand und Ergebung" zu rechnen. Also:
Dietrich Bonhoeffer
Gesammelte Schriften Band I: Ökumene und Kirchenkampf Etwa 350 Seiten Er enthält Berichte über die ökumenischen Tagungen seit Anfang der 30er Jahre, Ansprachen, Predigten, Briefe, Tagebucheintragungen u. a. Band 11: Theologie und Gemeinde Band 111: Auslegungen, Predigten, Ansprachen Band IV: Allgemeines, Briefe. Fragmente
Mit dem Erscheinen des ersten Bandes rechnen wir im Laufe des Frühjahrs 1957. Die übrigen sollen in etwa jährlichen Abständen veröffentlicht werden. Nähere Angaben können erst später gemacht werden.
CHR.
KAISER
VERLAG
MüNCHEN
Eugen Rosenstock-Huessy
Des Christen Zukunft oder Wir überholen die Moderne 352 Seiten. Ganzleinen DM 15.80
.Des Christen Zukunft" - das denkt er nicht wie der üblich trainierte Theologe, er denkt, nein er denkt es zu!, wie ein Weiser, der geheimnisvolle Verknüpfungen zu-mutet. Ein Weiser - freilich würde Rosenstock-Huessy nie einen leidenschaftslos gewordenen Menschen darunter verstehen. Es geht einem bei der Lektüre zuweilen, wie wenn man die Sprüche Salomonis hintereinander zu lesen versucht. Man stockt, weil an der Oberfläche die sofort in die Augen springende Logik zu fehlen scheint -
aber
man liest wieder und wieder und man erweitert seinen Zugang von dieser und dann von einer ganz anderen Stelle aus. Rosenstock-Huessys Stimme wird es nicht leicht haben, durchzudringen. Er pflegt ja auch nicht die biblizistische Begründung, mit der man uns "kommen" darf. Er weigert sich irgend etwas zu tun, wie wir es gewohnt sind. Aber man darf sich ihm wohl ausliefern. Hinter allem steckt die gebundene Verantwortlichkeit eines großen Lehrers, der die Augen öffnet.
CHR.
KAISER
VERLAG
Eberhard Bethge
MüNCHEN
Jean Lasserre
Der Krieg und das Evangelium 320 Seiten. Ganzleinen DM 14.80
Ausgehend von der Mißachtung und Bedrohung .des menschlichen Lebens in der Neuzeit, weist der Verfasser auf die uneinheitliche Haltung der Kirche gegenüber dem Kriege hin. In dem für den einzelnen Christen dadurch entstehenden Zwiespalt zwischen dem Gehorsam als Christ und als Staatsbürger will Lasserre eine Wegweisung geben. Bedeutsam an dem Buch ist, daß der hier vertretene Pazifismus nicht humanitär oder politisch, sondern allein von der Hl. Schrift her begründet wird. Niemand wird in dem der ökumenischen Bewegung aufgegebenen Gespräch über Krieg und Frieden an diesem Buch vorbeigehen können. Und niemand. wird sich der leidenschaftlichen Entschlossenheit und dem bedingungslosen Ernst entziehen können, mit denen der Verfasser sich für die totale Herrschaft Christi über Kirche und Welt einsetzt. Ökumenische Rundschau, Stuttgart
CHR.
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