Maddrax – Band 79
Die Kristallfestung
Von Bernd Frenz
Bei der größten Strahlungskonzentration am Ufer des Kraterse...
19 downloads
503 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Maddrax – Band 79
Die Kristallfestung
Von Bernd Frenz
Bei der größten Strahlungskonzentration am Ufer des Kratersees sollte das Treffen zwischen Matts Gruppe und der Hilfsexpedition aus London stattfinden. Der Ort war zweckmäßig gewählt. Nun dort anzukommen, lässt die Menschen erschaudern: Der Treffpunkt entpuppt sich als gigantische Festung, erbaut aus zerbrochenen grünen Kristallen und angefüllt mit verbrannten Leichen. Welche schrecklichen Geheimnisse mögen hier verborgen liegen? Ebenso unvorhergesehen verläuft das Zusammentreffen der beiden Gruppen - als alte Feindschaften wieder ausbrechen und neue entstehen...
Maddrax Band 79
Die Kristallfestung von Bernd Frenz
Glühend heiß! Wie Feuer brannte die Empfindung durch Okajas Nervenbahnen, als er von seiner Liege hochschreckte. Verschlafen wälzte er sich herum und ließ den Blick durch die spärlich beleuchtete Kammer gleiten. Zu sehen gab es nichts, aber aus irgendeinem Grund war es in dem kleinen Raum heiß und stickig geworden. Fiebrige Wellen schüttelten seinen hageren Körper, während er nach Atem rang. Jeder Luftzug bereitete ihm entsetzliche Qualen. Doch seltsam: Obwohl sich der Woiin’metcha wie ein gebackener Teigfladen im Ofen fühlte, glitzerte kein Tropfen Schweiß auf seiner rauen Haut. Beinahe so, als wäre er völlig ausgedorrt... * WAS BISHER GESCHAH Am 8. Februar 2012 trifft der Komet »Christopher-Floyd« die Erde. Die Folgen sind verheerend. Die Erdachse verschiebt sich, weite Teile Russlands und Chinas werden ausradiert, ein Leichentuch aus Staub legt sich um den Planeten... für Jahrhunderte. Als die Eiszeit endet, hat sich das Antlitz der Erde gewandelt: Mutationen bevölkern die Länder und die Menschheit ist unter dem Einfluss grüner Kristalle aus dem Kometen auf rätselhafte Weise degeneriert.
In dieses Szenario verschlagt es den US-Piloten Matthew Drax, dessen Jet-Staffel beim Kometeneinschlag durch einen Zeitriss ins Jahr 2516 gerät. Beim Absturz wird er von seinen Kameraden getrennt und von Barbaren gerettet, die ihn als Gott »Maddrax« verehren. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula wandert er über eine dunkle, postapokalyptische Erde... Beim Wettlauf zum Kratersee, wo das Geheimnis um die Veränderungen auf der Erde seit dem Kometeneinschlag verborgen liegt, haben Matt Drax, Aruula und der Cyborg Aiko, sowie Mr. Black und Miss Hardy von den Running Men Konkurrenz: General Crows Tochter Lynne leitet eine WeltratExpedition, begleitet vom irren Professor Dr. Jacob Smythe. Bevor sie das russische Festland betreten, fordert Matthew über die Hydriten, eine im Verborgenen lebende Untersee-Rasse, Unterstützung aus der Londoner Community an, wo sich Matts alter Kamerad Dave McKenzie und der Neo-Barbar Rulfan mit seinem Lupa Wulf auf den Weg machen. Geführt werden sie von dem Hydriten Quart’ol, der Matthew einst als »Seelenträger« benutzte und ihm seitdem verbunden ist, und dessen Assistent Mer’ol. Matt & Co. begegnen unterdessen dem russischen Techno Boris, der von einer Kristallfestung berichtet und von einem Panzer, der dort zurückgelassen wurde. Beide Gruppen haben erste Kontakte mit fliegenden Rochen, die offenbar den Kratersee bewachen. Dann trifft die Expedition auf Jed, Stuart, Majela Ncombe und den Barbaren Pieroo, drei Mitglieder des WCA-Trupps, die sich nach einer Revolte abgesetzt haben und sich nun Matt Drax anschließen. Smythe ist also ganz in der Nähe! Schließlich kommt es zur Begegnung mit dem irren Professor, der sich an seinem Todfeind rächen will. Er hetzt das Volk der Geistmeister auf Matts Expedition, doch die Mutanten erkennen die böse Absicht und wenden sich gegen
Smythe, der mit seinen Leuten und Majela als Geisel zu den Schwertkriegern flieht. Das hätte er besser nicht getan, denn dieses Volk lebt nach strengen Regeln, für deren Nichtbeachtung es drastische Strafen gibt. Nur Matt und Stuart, der Majela retten will, ist es zu verdanken, dass sie wieder freikommen. Die WCA-Leute und ein gedemütigter Jacob Smythe setzen sich ab... * Eine unerklärliche Trockenheit erfüllte den Raum. Von der klammen Feuchtigkeit, die sonst des Nachts vom See herüber zog, fehlte jede Spur. Die Festung brennt, schloss er instinktiv, doch ein flüchtiger Blick auf die schimmernden Kristallwände genügte, um den Gedanken sofort wieder beiseite zu schieben. Unsinn. Innerhalb des massiven Bauwerks konnte sich gar kein Brand entwickeln, der groß genug war, um solche Hitze zu verströmen. Die unzerstörbaren Mauern schützten nicht nur zuverlässig gegen Angriffe, sondern auch vor Feuer, Sturm und Unwettern aller Art. Qualm oder Rauch ließen sich ebenfalls nicht auszumachen. Nein, Brand schied aus. Der krasse Temperaturanstieg musste eine andere Ursache haben. Womöglich eine viel schlimmere! »Bru’ban!« Okaja spuckte die beiden Silben aus wie einen Bissen verdorbenen Fleisches. Verachtung lag in ihnen, aber auch tief empfundene Furcht vor dem Unbegreiflichen. Im offenen Kampf, Mann gegen Mann, verspürte der Schwertkrieger keine Angst, doch nun, da sich vor seinem geistigen Auge ein verschwommenes Bild dessen formte, was die Ursache der Hitze sein mochte, lief ein Zittern durch seine Glieder.
Rasselnd schöpfte er nach Atem. Die einströmende Luft reizte seine trockene Kehle, als würden glühende Aschepartikel bis in die Lungenflügel vordringen. Immer mehr Hitze staute sich an und erzeugte dabei einen Überdruck, der seinen Brustkorb schier zu sprengen drohte. Verbissen ignorierte er den Schmerz und stemmte sich in die Höhe. Er musste rasch Gewissheit erlangen, bevor ihm die unmenschlichen Qualen das Bewusstsein raubten. Das dünne Laken, das er sich im Schlaf bis ans Kinn gezogen hatte, klebte fest auf seiner Haut, ganz so, als ob es erst von Schweiß durchnässt und dann getrocknet wäre. Ein weiterer Beweis dafür, dass sein Körper schon länger überhitzte. Die Decke löste sich mit leisem Knistern, als er sie zur Seite zerrte, doch die erhoffte Abkühlung blieb aus. Okaja strich über seine Unterarme, die sich so rau anfühlten wie der weißkörnige Sand am Ufer des Sees. Alle Poren waren weit geöffnet, doch von den Schweißtropfen, die austreten sollten, um seine Körpertemperatur zu regulieren, fehlte weiterhin jede Spur. Sein hagerer Leib war tatsächlich völlig ausgetrocknet. Hastig sprang er von der Liege. Als seine Füße den polierten Boden berührten, stellte er beruhigt fest, dass die gegen Hitze und Kälte unempfindlichen Kristallblöcke genauso temperiert waren wie immer. Mit dem Bettpfosten, auf den er sich abstützte, sah es allerdings ganz anders aus. Das Holz fühlte sich an, als würde es kurz vor der Entzündung stehen. Einzelne Fasern platzten bereits in die Höhe. Verwirrt berührte Okaja weitere Möbelstücke wie Truhe, Tisch und Schemel. Jedes Mal mit dem gleichen Ergebnis. Es war also nicht nur ein inneres Fieber, das er spürte, nein, auch die Umgebung heizte sich auf. Bei der Macht im See! Sie hatten die Gefahr für ihren Stamm gewaltig unterschätzt!
Okaja ballte seine Hände zu Fäusten. Als Höchster Krieger war er für die Sicherheit der Festung verantwortlich. Vermutlich wurde er deshalb von der unsichtbaren Kraft attackiert. Anders konnte es gar nicht sein. »Bru’ban!« Die gleichen Silben wie zuvor, diesmal voller Grimm gesprochen. Aufkeimender Zorn verdrängte Okajas Übelkeit und verlieh ihm neue Kräfte. Mit drei Schritten stürzte er zum Waschzuber, riss ihn - entgegen aller Regeln - von der Holzkommode und kippte sich das darin schwappende Wasser über den Körper. Der feuchtwarme Schwall verschaffte ihm einen Moment der Erleichterung. Lange genug, um die dunkle Kutte überzustreifen, die fein säuberlich auf dem Hocker drapiert lag. Der grob gewobene Stoff lastete unnatürlich schwer auf seinen Schultern, doch die Festung nackt zu durchqueren wäre ein Sakrileg gewesen, die einen Krieger seine frei schwingende Männlichkeit kosten konnte. Die strengen Regeln der Woiin’metcha kannten kein Pardon, nicht einmal in gefährlichen Zeiten wie diesen. Hastig stillte Okaja seinen Durst aus dem tönernen Wasserkrug. Der anschließende Schweißausbruch, den er erwartet hatte, blieb aus. Sein ausgedörrter Leib saugte die Flüssigkeit förmlich in sich auf, wie einer der Naturschwämme, die von den Rriba’low aus dem See gefischt und an die übrigen Stämme verkauft wurden. Der Hohe Krieger griff nach seinem Schwert, das am Bettpfosten lehnte. Er nahm sich nicht einmal Zeit, die Waffe anzulegen, sondern umklammerte einfach die lederne Scheide und stürmte los. Der geflochtene Vorhang flog rasselnd zur Seite, als er die Kammer verließ. In seiner Eile vergaß Okaja sogar, mit dem rechten Fuß voran in den Flur zu treten. Bei der Macht im See! Was für ein Frevel! Zum Glück befand sich niemand in der Nähe, der seine Verfehlung bezeugen konnte. Die Götter
mussten ihm wohlgesonnen sein. Hastig wandte er sich nach links und eilte den engen Gang hinab, der zu beiden Seiten von schmalen Türen gesäumt wurde, die in kleine Kammern wie die seine führten. In diesem Trakt lebten die ehelos gebliebenen Krieger, doch außer ihm schien keiner erwacht zu sein. War er etwa der Einzige, der die ansteigende Temperatur bemerkt hatte? Brennende Duftölschalen beleuchteten seinen Weg. Zielsicher strebte er eine Treppe an, die zu einem Wehrgang führte, der um den Innenhof lief. Kalter Mondschein drang durch die Rundbögen herein und überzog die aneinander gefügten Kristallblöcke mit einem grünen, seltsam lebendig wirkenden Glanz. Die frische Nachtluft brachte etwas Linderung für seinen gepeinigten Körper. Noch war nicht alles verloren. Aus der Tiefe drangen aufgeregte Stimmen empor. Genaues war dem Raunen nicht zu entnehmen, aber Okaja benötigte keine große Phantasie, um sich auszumalen, dass dort weitere Stammesmitglieder nach Abkühlung suchten. Einige irrten völlig unbekleidet durch die Nacht. Zum Glück war die allgemeine Aufregung zu groß, als dass die Wachen sie deshalb belangt hätten. Okajas Hoffnungen gerieten ins Wanken, während er dem Wehrgang folgte. Täuschte er sich, oder lag plötzlich ein heißes Flimmern in der Luft, wie es sonst nur über offenem Feuer zu beobachten war? Die Zeit drängte. Er musste sich sputen. Zwei klägliche Schweißtropfen traten auf seine Stirn und flossen, stetig an Volumen verlierend, den geriffelten Nasenrücken hinab, ohne die Spitze zu erreichen. In einer fahrigen Bewegung strich Okaja über seinen kantigen, mit dunklen Altersflecken übersäten Schädel. Kaum dass er die fahle Haut berührte, zuckten seine Finger auch schon wieder zurück. Ihre Kuppen schmerzten wie nach einer Verbrennung.
Kein Wunder. Das Blut, das in seinen Schläfenadern pochte, begann langsam zu sieden. Seine rechte Hand erfasste den Schwertgriff. Scharrend fuhr die Klinge aus dem Leder. »Es muss ein Ende haben!«, entfuhr es ihm, ohne zu realisieren, dass er laut gesprochen hatte. »Wir hätten nicht auf die Abordnung der Mastr’ducha warten dürfen.« Seine Haut spannte bei jedem Schritt wie trockenes Pergament, als er den Gemeinschaftssaal ansteuerte. Schon aus der Ferne war zu hören, dass dort weitere Stammesmitglieder zusammenströmten. Ob jung oder alt, jeder von ihnen litt an dem gleichen anschwellenden Fieber, das sie aufgeregt, nervös und aggressiv machte. Keiner fragte, worauf dieses Phänomen zurückzuführen war, denn alle kannten die Antwort. Bru’ban! Ihr Stamm hatte die lauernde Gefahr lange unterschätzt. Zu lange, um genau zu sein. Und nun, da das trügerische Gefühl der Sicherheit von ihnen abgefallen war, brach sich ihre Furcht in zornigen Worten Bahn. »Wir müssen etwas unternehmen!«, erscholl es aus mehreren Kehlen. »Sonst werden wir noch bei lebendigem Leib verdorren!« Die Worte hallten als vielfaches Echo von den polierten Wänden wider, bis ein wahrer Kanon an Verwünschungen zur offenen Tür hinaus scholl, Okaja schnaubte verächtlich. Heilige Einfalt. Als wenn Vertrocknen das Schlimmste wäre, was ihnen bevorstehen mochte! Er passierte den Rundbogen, der in den Kristallsaal führte, bereit, die versammelte Menge aufzufordern, ihren hohlen Phrasen Taten folgen zu lassen. Doch als er mit dem rechten Fuß voran eintrat, war es schon zu spät. Drinnen breitete sich gerade ein flirrender Hitzeschwall aus, der ringförmig auseinander lief. In der Mitte des Saals, genau dort, wo eben noch eine Gruppe Woiin’metcha wild gestikulierend beisammen gestanden hatte, schossen acht
Flammensäulen in die Höhe. Unartikulierte Laute begleiteten die lebenden Fackeln, die einen irren Veitstanz aufführten. Ihre schrillen Schmerzensschreie fanden draußen auf dem Hof ein vielfaches Echo. Auch dort musste sich Grausames abspielen. Schlagartig dehnte sich die Woge weiter aus, bis auch Okaja überrollt wurde. Er versuchte noch sich abzuwenden, doch für eine Flucht war es längst zu spät. In immer schnelleren Intervallen pulsierten die heißen Wellen durch seinen hageren Leib. Von Schüttellähmung befallen, spürte er mit jeder Faser seines Körpers, wie Muskeln und Organe zu schrumpfen begannen. Plötzlich waren all die Lehren von Selbstbeherrschung und innerer Kraft, die er ein Leben lang beherzigt hatte, vergessen. Panik brach sich Bahn. Wir sind verloren! Das war der letzte klare Gedanke, bevor sich seine Kutte entzündete. Gelborange leckten die heißen Zungen an ihm empor und bissen schmerzhaft in das aufgeheizte Fleisch, das auf seinen Knochen verkohlte wie an einem zu tief hängenden Bratspieß. Der Schwertkrieger warf sich verzweifelt zu Boden und versuchte die Flammen zu ersticken, indem er um die eigene Körperachse rollte. Sinnlos. Die Hitze, die in seinem Inneren tobte, ließ den Stoff stets aufs Neue entflammen. Unerbittlich brachen sich die angestauten Temperaturen Bahn. An Brust, Rücken, Armen und Beinen platzten weitere Feuerherde hervor, wie süßer Saft aus einer überreifen Frucht, die zu Boden schlug. Doch das war nicht alles. Hölzerne Tische, Schemel und Truhen, praktisch das gesamte Mobiliar zerbarst unter der heißen Woge, die durch den Saal rollte. Myriaden glühender Späne zogen leuchtende Spuren in der Dunkelheit, bevor sie an den Kristallwänden zerschellten.
Selbst von einer lodernden Brunst umgeben, die ihn mit Blindheit schlug, konnte Okaja nur hören, wie sich die Hitzewelle durch die ganze Festung fortpflanzte. Kristallwände und Entfernungen bedeuteten kein Hindernis. Das Geschrei der Verbrennenden hallte noch in Okajas Ohren, als seine Trommelfelle längst den Flammen zum Opfer gefallen waren. Grenzenloser Schmerz folterte seine Sinne, bis ihm die Agonie das Bewusstsein raubte. So spürte er wenigstens nicht mehr, wie sein Leib in den lodernden Flammen restlos verging. * Einige Tage später, neunzehn Kilometer entfernt. Aruula schlang beide Arme um ihre angezogenen Beine und starrte gedankenverloren in die knisternden Flammen, die vor ihr in die Höhe schlugen. Ein bedrückendes Schweigen lag über den Männern und Frauen, die sich um das Lagerfeuer versammelt hatten. Obwohl- oder gerade weil - ihre Notgemeinschaft erneut angewachsen war, mochte niemand so recht etwas sagen. Jed und Majela, die beiden abtrünnigen Weltrat-Agenten, schienen sich in der Runde besonders unwohl zu fühlen. Vermutlich lag das an Mr. Black, der sie unablässig aus finster dreinblickenden Augen fixierte. Jede Geste, die der Rebell vollführte, jedes Wort, das er zu ihnen sprach, ließ keinen Zweifel daran, dass er sie schon beim geringsten Vorfall des Verrats bezichtigen würde. Aruula wusste nicht, auf wessen Seite sie sich in diesem schwelenden Konflikt stellen sollte. Einerseits spürte sie mit ihrem Lauschsinn, dass Jed und Majela froh waren, Smythe und seinen Spießgesellen entkommen zu sein. Andererseits wusste sie aus der gleichen Quelle, dass Black sich von ganzem Herzen um die Sicherheit ihrer Gruppe sorgte. Und das aus gutem Grund. Niemand von ihnen hatte schlimmere
Erfahrungen mit der WCA gemacht als der blonde Hüne. Pieroo, der dritte Neuzugang, den die Barbarin noch aus Doyzland kannte, sprach ebenfalls kein Wort. Mit fahlem, von dicken Schweißperlen bedeckten Gesicht lag er ermattet neben dem Feuer und hatte sichtlich Mühe, seine gerade verspeiste Mahlzeit bei sich zu behalten. Die Magenverstimmung, über die er schon seit Tagen klagte, hielt sich ungewöhnlich hartnäckig. Angesichts der gedrückten Atmosphäre übten sich auch Maddrax, Aiko und Honeybutt in Zurückhaltung. Aruula war das nur Recht. Sie konnte Ruhe gebrauchen. Völlig in sich selbst versunken, richtete sie den Lauschsinn nach innen und horchte in ihren Körper hinein. Immer tiefer drang sie vor, bis sie den gleichmäßigen Rhythmus ihres Pulses zu hören glaubte. Den rauschenden Blutströmen der Adern folgend, näherte sie sich ihrem Herzen, das plötzlich so laut wie ein Hammerwerk dröhnte. Die Barbarin verhielt in der mentalen Reise. Unter höchster Konzentration versuchte sie neben dem gleichmäßigen Pumpen einen Missklang auszumachen, doch wie es schien, war alles in bester Ordnung. Bis... ja, bis ein verzögertes Echo hörbar wurde. Leise nur, wie durch eine Hülle abgeschirmt, aber doch vorhanden. Ein feines Netz kalter Schweißperlen trat auf Aruulas Stirn, während sie ihre Sinne nochmals schärfte. Doch so sehr sie auch einen Irrtum herbeisehnte: Einmal aufgespürt, ließ sich der leise Herzschlag, der im Wechsel zu ihrem eigenen erklang, nicht mehr ignorieren. Der Mastr’ducha hatte also die Wahrheit gesagt! Ich verneige mich vor dir und dem Kind, das du in dir trägst! Ohne dass Aruula es wollte, drangen die Worte in ihr Gedächtnis zurück. Bestürzt schrak sie aus der Trance auf und sah zu Maddrax hinüber. »Da ist tatsächlich etwas«, flüsterte sie in die Stille hinein.
»Ich weiß nicht was, aber es wächst in meinem Bauch heran.« Ihr Gefährte zeigte sich keineswegs alarmiert, sondern blieb die Ruhe selbst. Ein Wesenszug, der Aruulas Temperament völlig entgegenstand und den sie gerade deshalb so sehr an ihm schätzte. Warum Maddrax ihre Warnung mit einem stolzen Lächeln quittierte, blieb Aruula allerdings ein Rätsel. »Nur keine Panik«, sagte der blonde Mann mit dem fein geschnittenen Gesicht, bevor er sanft über ihren Nacken strich. »Das ist doch in einer Beziehung vollkommen normal. Ich freue mich darauf, Vater zu werden.« Aruulas Augen weiteten sich vor Überraschung. Wie bitte? Verstand Maddrax denn nicht, was sie gerade gesagt hatte? Gehetzt sah die Barbarin von einem zum anderen. Jed und Majela wichen dem wilden Blick betreten aus. Das angeschlagene Thema schienen ihnen peinlich zu sein. In Pieroos wild wucherndem Bartgestrüpp entstand dagegen eine Schneise, die ein aufmunterndes Lächeln freilegte. Honeybutt und Mr. Black folgten seinem Beispiel, und Aiko fügte dem breiten Grinsen noch ein verschwörerisches Augenzwinkern hinzu. Lauter freundschaftlich gemeinte, warmherzige Gesten, das war Aruula schon klar, trotzdem brodelte Ärger in ihr auf, und zwar so rasch, dass er sich umgehend ein Ventil suchte. »Hört mir denn keiner von euch Taratzenhirnen richtig zu?«, platzte es aus der Barbarin heraus. »Dieses Kind kann unmöglich von Maddrax sein! Das weiß ich genau!« Ihrer Ankündigung folgte ein Schweigen, das mehr war als nur die Abwesenheit von Worten. Eine geradezu schmerzhafte Stille breitete sich aus, die lediglich vom Knacken der Feuerscheite gestört wurde. Worte waren auch nicht nötig, um die Überraschung der Weggefährten auszudrücken. Allen anderen voran, starrte Maddrax sie mit großen Augen an. Seine Lippen bewegten sich tonlos, als ob die Kehle nicht aussprechen mochte, was auf
seiner Seele brannte. Stumm vor Überraschung blickte er zu Aiko hinüber, der durch heftiges Kopfschütteln jede Schuld von sich wies, bevor der Cyborg seinerseits Mr. Black anstarrte. Die Wangen des Rebellen röteten sich daraufhin wie eine reife Brabeele. »Das ist doch wohl unerhört!«, entrüstete sich Black eilig. »Hier glaubt doch wohl niemand ernsthaft, dass ich etwas mit der Schwangerschaft zu tun habe?« Nervös klappte sein Mund mehrmals auf und zu, bevor er an Maddrax gewandt versicherte: »Mr. Drax, ich gebe Ihnen mein Wort als Ehrenmann, dass ich Ihrer Gefährtin niemals zu nahe...« Aruula vollführte eine ärgerliche Handbewegung, die den Rebellen umgehend verstummen ließ. »Kein Mann kann dieses Kind gezeugt haben«, wischte sie alle weiteren Verdächtigungen zur Seite. »Ich stamme vom Volk der Dreizehn Inseln. Bei uns treffen die Frauen gewisse Vorkehrungen, solange sie auf Wanderschaft sind.« Black atmete erleichtert auf, doch die allgemeine Verwirrung blieb. »Aber können deine täglichen Meditationen nicht auch mal versagen?«, fand Maddrax endlich die Stimme wieder. »Nichts auf dieser Welt ist hundert Prozent sicher, mentale Verhütung schon gar nicht. Was ist mit der Zeit, in der dein Lauschsinn verschwunden war? Könnte es da nicht zur Empfängnis gekommen sein?« Sein stolzes Lächeln kehrte auf die Lippen zurück. »Glaub mir, Aruula, mit dir und dem Kind ist bestimmt alles in Ordnung.« Um seine Worte zu unterstreichen, rückte Maddrax näher heran und schloss sie in die Arme. Die Barbarin ließ es gerne geschehen, denn so kämpferisch sie sonst auch war, dieses Problem ließ sich nicht mit blanker Klinge lösen. Und das bereitete Aruula Angst. Große Angst sogar.
Dazu gab es noch zwei, drei Ungereimtheiten, die sie nicht in großer Runde verkünden mochte. Zum ersten lag die Zeit, in der Aruula den Lauschsinn verloren hatte, schon ein knappes halbes Jahr zurück. Hätte sie damals ein Kind empfangen, müsste ihr Bauch schon stark gewölbt sein. Zweitens kam die Schwangerschaft völlig überraschend, weil ihr rituelles Blutopfer weiterhin zu jeder vollen Mondphase eintrat. Was Aruula aber am meisten erschreckte, war, dass das, was sie da unter ihrem Herzen trug, ihrem Lauschsinn die ganze Zeit verborgen geblieben war. Beinahe so, als hätte es sich eingekapselt, um jeder mütterlichen Wahrnehmung zu entrinnen. Eingekapselt - allein dieses Wort nährte einen monströsen Verdacht in ihr, der zu erschreckend war, um ihn bis zum Ende zu verfolgen. »Etwas Fremdes wächst in mir heran«, beharrte Aruula, wenn auch deutlich ruhiger als zuvor. Der Trost, den sie aus der Nähe des Gefährten zog, half ihr, die Furcht vor dem Unbekannten zu dämpfen. Was auch geschah, sie stand wenigstens nicht alleine da. Das spürte sie deutlich, als sie in die Runde schaute. Ihr Blick blieb schließlich an Aiko hängen, dem Cyborg, der Maddrax und ihr längst zu einem guten Freund geworden war, und den sie nicht mehr missen mochte. »Deine Verwirrung ist vollkommen normal«, versicherte der kleine, aber kräftige Mann mit den langen schwarzen Haaren, die er zu einem Zopf gebunden trug. »Glaub mir, Aruula. Während der Schwangerschaft haben viele Frauen mit Angstgefühlen zu kämpfen. Ich mache dir einen Vorschlag: Sobald wir das Expeditionsfahrzeug der russischen Technos gefunden haben, steht uns ein modernes Labor zur Verfügung. Dann führen wir eine Untersuchung durch, die sicherstellt, dass alles mit dir in Ordnung ist. Wie findest du das?«
Aruula nickte dankbar. Sie wusste, dass Aiko - ähnlich wie Maddrax- über Fähigkeiten verfügte, die manchmal wie Magie anmuteten. Mit seiner Hilfe ließ sich der böse Zauber, der ihren Bauch belegt hatte, sicher brechen. Ihre Muskeln entspannten sich wieder, gleichzeitig kehrte der alte Kampfgeist zurück. »Du hast Recht«, bestätigte sie entschlossen. »Was auch immer vorgehen mag, wir werden es herausfinden.« * Die Kristallfestung, zwei Tage später Hoch und mächtig ragte das grün schimmernde Bauwerk in den Himmel. Eine bizarre, wie von Natur aus gewachsene Konstruktion, die allen Regeln der geometrischen Architektur widersprach und eher einem monströsen Stalagmiten als einem bewohnten Gebäude ähnelte. Tropfenförmige Vorsprünge, die, vom Mauerwerk abzweigend, sinnlos in die Höhe wucherten, unterstützten noch den grotesken Eindruck. Nur ein von kristallenen Stäben verdeckter Balkon und mehrere Fensterbögen ließen so etwas wie menschlichen Einfluss ahnen. Von den Bewohnern fehlte jede Spur, und das schon den dritten Tag in Folge. Grund genug für Rulfan, sich im Schutz des Morgennebels näher heran zu wagen. Einige Sträucher als Deckung nutzend, arbeitete er sich zu einer Bodensenke vor, die eine optimale Aussicht bot. Ein schneeweißer Schatten, der jeden seiner Schritte begleitete, tauchte gemeinsam mit ihm ab und blieb ruhig liegen. In dem wattierten Dunst, der vom Kratersee herüber zog, verschmolz das Fell des Lupas beinahe mit der Umgebung. Wäre nicht das leise Knurren aus seiner Kehle gewesen, ein flüchtiger Beobachter hätte ihn glatt übersehen können. »Ruhig, Wulf«, mahnte Rulfan das treue Tier. »Ich weiß, dass dir die Kometenkristalle nicht gefallen, aber wir müssen
herausbekommen, was es mit der hohen Strahlenkonzentration auf sich hat. Und zwar möglichst bevor Aruula und die anderen hier eintreffen.« Als der Name der Barbarin fiel, verstummte das wolfartige Tier wie auf Kommando. Einen kurzen Moment lang sah es seinen Herrn noch mit feucht glänzenden Augen an, dann spähte es lautlos über die Senke hinweg und hielt seine Nase in den Wind. Welche Witterung es auch immer dabei aufnehmen mochte, sein gesträubtes Fell und die gefletschten Zahnreihen ließen nichts Gutes ahnen. »Schade, dass du nicht sprechen kannst«, scherzte Rulfan. »Das würde vieles einfacher machen.« Bis es so weit war, musste er seine Informationen auf herkömmlichen Wege erlangen. Deshalb strich er eine störende Strähne seines langen hellgrauen Haares aus dem Gesicht, robbte ein Stück vor und setzte den digitalen Feldstecher an die Augen. Die Ellenbogen auf dem feuchten Sand gestützt, zoomte er die Festung, die sich in den von Gummi ummantelten Okularen abzeichnete, näher heran. Was der Albino dabei zu sehen bekam, bestätigte seinen bisherigen Verdacht. Von weitem mochte das Mauerwerk natürlich gewachsen aussehen, doch in der Vergrößerung zeichneten sich meterlange Kristallblöcke, - bruchstücke und - splitter ab, die allesamt ohne erkennbare Zwischenräume aneinander gefügt waren. Schwarz angesengte Fensterläden unterstützten den Eindruck, dass es sich nicht um einen gigantischen Insektenbau, sondern eine menschliche Behausung handelte, die Platz für gut und gerne ein bis zweihundert Bewohner bot. Doch warum ließ sich keiner von ihnen blicken? Noch während Rulfan über diese Frage nachgrübelte, löste sich eine Gestalt aus dem Schatten der Festung und winkte mit weit ausgreifenden Armbewegungen zu ihm herüber. Rulfan stöhnte leise auf, als er im Feldstecher Dave McKenzie erkannte. Als ob das Verhalten des Professors nicht schon
auffällig genug gewesen wäre, begann er auch noch laut zu rufen. »Schnell, komm her!«, hallte es über die ganze Lichtung. »Auf der anderen Festungsseite steht ein Panzer! Ein Riesending! Scheint sogar völlig intakt zu sein!« Über so viel Unvernunft konnte Rulfan nur den Kopf schütteln. Seufzend ließ er seinen Feldstecher am Hals herabbaumeln und nahm das Lasergewehr in Anschlag. Mit geübtem Blick suchte er die Fensterbögen der Festung nach verdächtigen Bewegungen ab, nur für den Fall, dass dort jemand das morgendliche Geschrei nicht zu schätzen wusste. Obwohl McKenzie weiter unverdrossen auf sich aufmerksam machte, ohne von Pfeilen, Speeren oder herabgeworfenen Felsbrocken zum Schweigen gebracht zu werden, wartete Rulfan geschlagene zwei Minuten ab, bevor er die Deckung verließ. Erst danach war er einigermaßen sicher, dass sich hinter den Kristallmauern wirklich niemanden um ihre Anwesenheit scherte. Irgendetwas musste aber da drinnen sein, sonst würde Wulf nicht laufend knurren. Rulfan schlug vorsichtshalber einen weitläufigen Bogen um die Festung, so dass er jederzeit gegen einen Ausfall gewappnet war. Mit McKenzie, der ihm völlig sorglos entgegentrottete, traf er sich auf dem Scheitelpunkt seiner Route. Die beiden Männer unterschieden sich nicht nur in ihrer Vorgehensweise, auch äußerlich hätten sie kaum gegensätzlicher sein können. Während der hellhaarige Albino wadenhohe Stiefel und eine weiche Ledertunika mit Fellbesatz trug, war McKenzie immer noch mit dem olivgrünen Overall der Community London bekleidet. Sein einziges Zugeständnis an die warme Witterung bestand darin, dass er auf Sommer umgestellt, also Ärmel und Hosenbeine mittels Reißverschlüssen auf halbe Länge gekürzt
hatte. Der Kratersee musste über heiße Quellen verfügen, denn obwohl es Mitte Februar war und jenseits der Gebirgszüge klirrender Frost regierte, war das Klima in seinem Einzugsgebiet gemäßigt bis warm. Der Nebei, der vom See heraufzog, war ein deutliches Indiz dafür. »Bist du eigentlich noch ganz dicht, so herumzuschreien?«, tadelte Rulfan den schlaksigen Astrophysiker. »Wir waren doch überein gekommen, uns unauffällig zu verhalten. Schon vergessen?« Irritiert über diesen Rüffel, blieb Dave McKenzie stehen. Seine Augenlider zwinkerten nervös hinter den mit feinen Dunsttropfen benetzten Gläsern. Um etwas Zeit für die Antwort zu gewinnen, nahm er die Brille ab und putzte sie mit einem weichen Lappen, erreichte damit aber nur, dass die Feuchtigkeit gleichmäßig über beide Gläser verschmiert wurde. Verdrossen auf das traurige Ergebnis blickend, antwortete er gereizt: »Meine Erinnerung sieht ganz anders aus. Darin hast du beschlossen, dass wir durch den Dreck kriechen sollen, während ich gleich gesagt habe, dass hier seit Tagen tote Hose herrscht.« McKenzies Laune besserte sich erst wieder, als er auf den hoch aufragenden Kristallbau deutete. »Sieh doch selbst. Keine Menschenseele weit und breit. Wir können in Ruhe mit unseren Forschungen beginnen. Am besten fangen wir damit auf der anderen Seite an, dort steht nämlich ein...« »... Riesending von Panzer«, vollendete Rulfan, um daran zu erinnern, dass McKenzie seine Entdeckung längst herausposaunt hatte. »Ahn, ja, richtig.« Der Astrophysiker schlenkerte die Brille am Bügel hin und her, um seine erneute Irritation zu überspielen. »Aber nicht irgendein Riesenpanzer, sondern ein sowjetischer!« Mit einem nervösen Kichern setzte er das Gestell wieder auf und blickte zwinkernd durch die runden Gläser. »Verstehst du? Das Teil war schon veraltet, als ich noch studiert habe. Damals, im 21. Jahrhundert.«
Rulfan ließ sich nicht anmerken, ob er die Anspielung auf den Zusammenbruch der Sowjetunion verstand oder nicht. Er bedeutete seinem Lupa lediglich mit einem kurzen Handzeichen, dass es weiter ging. In ausreichendem Abstand umrundeten sie die Festung, in der auf halber Strecke ein großer Rundbogen klaffte, der wohl als Hauptportal diente. Im Schwellenbereich türmten sich hohe Aschenberge auf, während an den Scharnieren noch verkohlte Überreste eines einstmals schweren Holztores hingen. Drinnen schien es gebrannt zu haben. Das mochte Wulfs Knurren erklären, aber nicht, warum die Bewohner das ansonsten intakte Bauwerk völlig aufgegeben hatten. Ob sie einem Überfall zum Opfer gefallen waren? Ausgeführt durch den Radpanzer, der in einiger Entfernung sichtbar wurde? Andererseits gab es keinerlei Spuren von äußerer Gewalteinwirkung. Mysteriös, das Ganze. Äußerst mysteriös. Rulfan schulterte sein Lasergewehr und vermaß das fremde Fahrzeug mittels seines Feldstechers. Eine rot blinkende Zahlenleiste zeigte an, dass der stählerne Kastenaufbau, der auf zwölf mannshohen Plastiflexreifen durch die Landschaft rollte, genau fünfzehn Meter lang war. Angesichts der Schlingpflanzen, die an den drei Doppelachsen empor rankten, musste die letzte Fahrt aber schon einige Zeit zurückliegen. Der braune, etwas düster aussehende Tarnanstrich wurde nur von einem roten Viereck unterbrochen, auf dem sich stilisierte Abbildungen von Hammer und Sichel kreuzten. Ein Kanonenrohr suchte Rulfan Vergeblich. Dafür lag ein zusammengeklappter Funkmast auf dem Dach. Gleich dahinter stand in einer Halterung ein vierrädriges Kleinfahrzeug mit hohem Überrollbügel, das wohl als Dingi fungierte. Ziemlich viel Technik für eine Gegend, die sonst eher rückständig wirkte.
»Glaubst du wirklich, dass dieses Fahrzeug aus dem 21. Jahrhundert stammt?«, fragte Rulfan seinen Nebenmann. »Dafür scheint es mir doch ein wenig zu gut erhalten zu sein.« McKenzie, der ebenso wie Matthew Drax, Professor Smythe und drei weitere Kameraden fünfhundert Jahre Entwicklungsgeschichte übersprungen hatte, zuckte mit den Schultern. »Vermutlich hast du Recht«, gab er zu. »Hammer und Sichel müssen nicht zwangsläufig für die alte Sowjetunion stehen. Heutzutage mögen diese Symbole eine ganz andere Bedeutung haben, so wie die US-Flagge und der stilisierte Komet zum Emblem der WCA verschmolzen sind.« Rulfan wusste, worüber McKenzie sprach. Schließlich hatte er Aruula seinerzeit nach Washington begleitet und dabei geholfen, den Professor aus den Fängen der Running Men, den Gegenspielern der WCA zu befreien. Aruula! Allein der Gedanke an die telepathisch begabte Kriegerin brachte in ihm eine Saite zum Schwingen, die noch immer nicht verstummt war. »Ich glaube, wir sollten uns näher heran wagen«, schlug Rulfan vor, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Dave war sofort einverstanden. Die Mündungen der Laserwaffen auf ein Boden gerichtet, strebten beide Manier auseinander, bis knapp zwanzig Meter Distanz zwischen ihnen lag. Erst danach schwenkten sie um und gingen gemeinsam auf das gepanzerte Fahrzeug zu. Obwohl alles ruhig blieb, spürte Rulan ein kaltes Prickeln im Nacken. Jeder weitere Schritt erhöhte auch die Gefahr, lass sie von einer verdeckten Waffe unter Beschuss genommen wurden. Aus der Nähe betrachtet wirkte das riesige Gefährt noch viel imposanter. Drinnen musste es mehr Platz geben als auf manchem Fischerboot. Eine Besatzung von vier bis sechs Personen konnte dort Bequem Wochen oder gar Monate leben.
Rulfan warf einen Blick durch die Frontscheibe aus Panzerglas, konnte aber licht mehr als zwei Sitze, Armaturen und ein Lenkrad entdecken. An der Rückseite der Kabine schloss sich ein Kriechgang an, der mit einem luftdichten Schott verschlossen war. Überhaupt schien das ranze Fahrzeug hermetisch abgedichtet zu sein, was auf eine Bunkerbesatzung schließen ließ, die nicht mit ungefilterter Luft in Berührung kommen durfte. In den englischen Communitys war die Entwicklung ähnlich verlaufen. Auch dort hatten Jahrhunderte der Abschottung zu einer Immunschwäche geführt, die selbst harmlose Oberflächenkeime zu einer Gefahr für Leib und Leben machten. Die Fahrzeuge der britischen Technos, die EWATs, waren deshalb mit Doppelschleusen versehen. Hier schien es sich ähnlich zu verhalten. Rulfan strich mit einer Hand über eine Außenluke am Heck, die beinahe nahtlos mit dem Rumpf abschloss. Trotz intensiver Suche konnte er keinen Mechanismus entdecken, mit dem sich der Zugang öffnen ließ. Schade, er hätte gerne den Innenraum des Fahrzeugs erkundet. Einem Beschuss mit dem LP-Gewehr würde die Panzerung zwar nicht lange standhalten, aber... »Gewaltsames Eindringen wäre wohl nicht ratsam«, mahnte McKenzie, der sich wieder zu ihm gesellte. »Falls noch irgendwo ein paar Russen herumhängen, könnte das als feindlicher Akt interpretiert werden.« Der Albino lächelte. Wenn es darauf ankam, war McKenzie also doch nicht so naiv und unvorsichtig, wie er sich manchmal benahm. »Der Radpanzer hat noch Zeit«, stimmte Rulfan zu. »Zuerst müssen wir die Lage in der Kristallfestung sondieren.« Wulf ließ ein leises Knurren hören, ganz so, als würde der Vorschlag sein Missfallen erregen. Rulfan kraulte ihm den Nacken. »Ganz ruhig, Alter«, sagte er zu dem Tier. »Du bist doch sonst nicht so ängstlich. Außerdem bleibt uns gar nichts anderes übrig.«
Rulfan klopfte auf den breiten Ledergürtel, der seine Körpermitte mehrmals umschlang. Die Geste galt natürlich nicht dem Lupa, sondern Dave, der ebenfalls ein skeptisches Gesicht machte. »Glaubst du wirklich, dass es innerhalb der Mauern gefährlich werden könnte?«, fragte der Professor mit leiser Nervosität in seiner Stimme. »Nur weil sich bislang keiner blicken lässt, bedeutet das nicht, dass alles friedlich ist«, gab Rulfan zu bedenken. »Besonders wenn es sich um die größte Zusammenballung von Kometenkristallen handelt, die bisher entdeckt wurde.« Mit spitzen Fingern langte der Albino hinter den Gürtel und zog eine dünne Plastikfolie hervor, die er dort aufbewahrte. Es handelte sich um eine radiologische Satelliten-Aufnahme des Kratersees, die Matthew Drax an die Community London gesandt hatte, um die Queen um Unterstützung für seine Expedition zu bitten. Dave und Rulfan waren diese Unterstützung. In einer schnellen Bewegung tippte Rulfan auf einen hellen Fleck, der sich am Rand des Seeufers abzeichnete. »Das ist unser Treffpunkt mit Commander Drax und den anderen Mitgliedern seiner Expedition. Die hohe Konzentration an CFStrahlung hat ihr Interesse geweckt, doch wie es scheint, sind wir nicht die Einzigen, die hier Forschung betreiben.« Rulfan deutete auf das gepanzerte Fahrzeug in ihrem Rücken. »Irgendwas scheint bei den Russen schief gelaufen zu sein. Wenn wir es besser machen wollen, müssen wir erst mal für die nötige Sicherheit sorgen.« »Schon gut, schon gut, du hast mich überzeugt.« McKenzie drückte auf den Mittelsteg seiner verrutschten Brille, um sie neu auf der Nase zu justieren. »Aber sollten wir dann nicht lieber die Hydriten zur Hilfe holen?« Mit einer Kopibewegung deutete Dave zum nahen Flusslauf, auf dessen Grund die Transportqualle mit Quart’ol und Mer’ol verankert lag.
»Nein«, wehrte Rulfan ab. »Für den Fall, dass unsere Aktivitäten beobachtet werden, ist es besser, wenn die beiden außer Sicht bleiben. Dann haben wir eine stille Eingreiftruppe in der Hinterhand.« »Du meinst, falls bei uns etwas schief läuft?« McKenzie zwinkerte nervös mit den Augen. »Vielen Dank, du verstehst es wirklich, einem Kameraden Mut zu machen.« Ein fröhliches Schnaufen zeigte, dass Daves Worte nicht böse gemeint waren, doch Rulfan schloss sich dem Heiterkeitsausbruch nicht an. Die Lage war zu ernst, um sie auf die leichte Schulter zu nehmen. Mit ernster Miene verstaute er die Folie wieder im Gürtel und nahm das Lasergewehr in Vorhaltestellung. Danach gingen beide auf die Festung zu. * Lautes Donnern rollte über die spiegelglatte Wasserfläche, als die Yakks in Sichtweite des Kratersees entlang galoppierten. Die Ausdauer, mit der sich die großen Tiere in ebenem Gelände bewegten, war bemerkenswert. Unablässig hämmerten ihre Hufe über den spärlich bewachsenen Boden und schleuderten Brocken feuchter Erde in die Höhe, die manchmal einender hinteren Reiter trafen. Das war einer der Gründe, warum sich die Formation immer mehr zu einer breiten Linie auflöste, obwohl sie damit eine weithin sichtbare Schneise in der Landschaft hinterließen. Falls sich Smythe auf ihre Spur setzte, sollte das Matt aber nur Recht sein. Ab einem bestimmten Punkt war es besser zu kämpfen, als mit einer Klinge zu leben, die ständig am seidenen Faden hängend über seinem Kopf schwebte. Vor allem, wenn dieses Damoklesschwert Professor Dr. Jacob Smythe hieß und den Zeitsprung in diese postapokalyptische Welt geistig nicht verkraftet hatte - vorsichtig ausgedrückt.
Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sie dem Ziel entgegen galoppierten, waren alle Unterhaltungen verstummt. Die meisten Reiter hatten genug damit zu tun, sich aufrecht im Sattel zu halten. Da fehlte die Zeit für ein Schwätzchen. Die Einzige in der Truppe, die den Ritt sichtlich genoss, war Aruula. Die baumfreie Ebene verleitete sie sogar dazu, sich in den Sattel zu stellen und eine Weile - wenn auch mit durchgedrückten Knien und nach vornüber gebeugt - im Stehen durch die Landschaft zu jagen. Matt blieb bei diesem Anblick fast das Herz stehen, doch auf das natürliche Geschick der Barbarin vertrauend, hielt er sich mit Ermahnungen zurück. Insgeheim war er sogar froh darüber, dass Aruula den Schwermut der letzten Tage abgeschüttelt hatte und wieder mehr von ihrem alten Draufgängertum präsentierte. Im Lichte der Schwangerschaft betrachtet, musste Matt zugeben, dass sie schon seit Monaten zu einer Ruhe und Vorsicht neigte, die man nicht unbedingt von einer Barbarin erwarten durfte. Es handelte sich dabei natürlich nur um Nuancen, die für sich betrachtet nicht viel aussagten, aber auf lange Sicht durchaus einen Trend ergaben. Und zwar einen so deutlichen, dass sich der Zeitpunkt ihrer Veränderung ziemlich genau auf den Tag festlegen ließ, an dem das mysteriöse Pflanzenwesen, das sie einige Zeit okkupiert hatte, aus ihrem Körper gewichen war. Sollte die grün schimmernde Entität damals wirklich Einfluss auf eine Befruchtung durch Matthew genommen haben? Schließlich hatte der »Pflanzengott« Aruulas Libido verstärkt und gleichzeitig ihre geistigen Kräfte unterdrückt, mit denen sie eine Schwangerschaft hätte verhindern können. War das Kind also vielleicht tatsächlich von Matt - aber verändert durch den Einfluss der Entität in Aruula? Zwar mochte das ihre fortlaufenden Monatsblutungen und die nur langsam voranschreitende Schwangerschaft erklären,
doch Matts Gefühle sträubten sich einfach gegen die Vorstellung, dass etwas in Aruula heranwuchs, das nur zum Teil von ihm war und zum anderen Teil... ja, was? Eine menschliche Pflanze? Aruula konnte es ihm nicht sagen. Der Kontakt zu ihrem Kind - wenn es denn eines war - blieb entgegen der Natur der Frauen vom Volk der Dreizehn Inseln kaum spürbar. Es kapselte sich regelrecht ab. Wie eine Schote... Trotz der wieder aufgeflammten Wildheit zeigte sich die Barbarin auch weiterhin vernünftig. Als niedrige Sträucher auftauchten, die ein Yakk durchaus zum Stolpern bringen konnten, kehrte sie sofort wieder in den Sattel zurück. Lachend schüttelte sie das lange blauschwarze Haar und winkte Matt zu. Hast du das gesehen?, schien ihr leuchtender Blick zu sagen. Das bringt kein anderer von euch fertig. Matt freute sich mit ihr. Durch sanften Schenkeldruck lenkte er sein Yakk näher an Aruula heran, um ihr etwas Nettes zuzurufen. Er wusste zwar noch nicht was, aber ihm würde schon etwas einfallen. Doch ehe er den Mund öffnen konnte, wurde das allgemeine Schweigen von einer quäkenden Stimme zerrissen. »Expedition an HQ Washington!«, übertönte es den trommelnden Hufschlag. »Dringende Meldung an General Crow. Dad, hier spricht Lynne. Wir haben einen schweren Rückschlag erlitten. Es gab eine Revolte, an der Angehörige unserer Einheit beteiligt waren.« Überrascht blickten die Reiter umher, ohne das es jemanden gelang, die Sprecherin zu entdecken. Weit und breit keine Spur von Lynne Crow. Die Stimme ging vielmehr von Jed Stuart aus. »Folgende Personen werden des Hochverrats beschuldigt: Dr. Jed Stuart, Staff Sergeant Majela Ncombe, Sergeant Brian Laramy...«
Während die Frauenstimme eine schier endlose Namensliste herunter leierte, brachten die Reiter ihre Yakks zum Stehen. Sobald der Hufschlag verstummte; konnte die Herkunft der Stimme zweifelsfrei bei Stuart lokalisiert werden. Genauer: in seiner linken Brusttasche. Mr. Black reagierte als Erster. Mit einem mächtigen Satz sprang er aus dem Sattel und stürmte auf den ungeliebten Stuart zu. »Was haben Sie da?«, blaffte er. »Ein Sender, mit dem Sie Kontakt zum Weltrat halten?« Der WCA-Linguist zuckte unter der Anschuldigung zusammen, behielt aber sonst die Nerven. »Ganz ruhig«, forderte er, die Handflächen besänftigend nach außen gestreckt. »Der Funkspruch ist für alle interessant.« Black verstummte tatsächlich, wenn auch nur, weil er weitere Beweise gegen das WCA-Pärchen zu sammeln erhoffte. Stuart nutzte die Zeit, um den Klettverschluss seiner Brusttasche zu lösen und daraus einen fünf mal acht Zentimeter großen Apparat hervor zu holen. »Ich erwarte deine Vorschläge morgen zur vereinbarten Zeit«, tönte es gerade aus dem Lautsprecher, der hinter einer mit dünnen Schlitzen versehenen Abdeckung verborgen lag. »Mach’s gut, Dad. Ende der Mitteilung.« Ein letztes atmosphärisches Rauschen, dann verstummte das Gerät. Stuart hielt es trotzdem in die Höhe, damit es alle se-, hen konnten. »Das ist eines der... äh, Mobilfunkgeräte, welche die ISS im Orbit als Relaisstation nutzen«, verkündete er. »Captain Lynne Crow benutzt sie, um, ähem, Kontakt zum Regierungsbunker in Washington zu halten. Wie sie alle hören konnten, wurden Majela und meine Wenigkeit als Hochverräter bezeichnet. Vielleicht dämpft das ein wenig die, ahm, Feindseligkeit, mit der uns hier von einigen. Seiten begegnet wird.«
Stuart sah bei diesen Worten niemanden direkt an, doch auch so war jedem klar, das er vor allem Mr. Black meinte. Der so Getadelte stemmte seine Hände in die Hüften und sah Stuart mit gefurchter Stirn an. Dank seiner Körpergröße musste Black nicht groß aufschauen, obwohl er vor dem Yakk stand. Für die meisten der Gruppe ein imposanter Auftritt, für Matt dagegen eines von zahlreichen Dejä-vus, die ihn an die DVDAbende seiner Jugend erinnerten. Wie oft schon hatte Arnold Schwarzenegger in dieser Haltung vor seinen Gegnern gestanden, bevor er zum finalen Rundumschlag ausholte? Eins war jedenfalls sicher: Mr. Black, den man aus den Genen des einstigen Actionfilmhelden und US-Präsidenten geklont hatte, besaß die gleiche Körpersprache wie sein genetisches Original. Immer wieder nahm er Posen und Gebärden ein, die Matt von Bildschirm und Leinwand kannte. Zum Glück orientierte sich der Charakter des Rebellen nur am Staatsmann Schwarzenegger und nicht an den von ihm dargestellten Filmfiguren. Statt das Lasergewehr in Anschlag zu bringen, feuerte er lieber eine Salve von Fragen auf Stuart ab: Wie kann die störende GF-Strahlung auf so große Entfernung überbrückt werden? Seit wann existiert das Relais in der ISS? Und warum hatte Stuart nicht schon zuvor den Besitz dieses mobilen Transmitters eingestanden? »Nur weil es bislang keine Notwendigkeit dafür gab«, beantwortete Stuart die letzte Frage zuerst. »Was die technischen Aspekte angeht, kann ich selbst nur spekulieren. Ich bin Linguist, kein Funkoffizier. Außerdem verfährt man beim Weltrat mit Untergebenen nach dem alten Grundsatz: So viel Wissen wie nötig, aber so wenig wie möglich.« »Ach je«, höhnte Black sarkastisch. »Der arme Befehlsempfänger, der gar nicht wusste, was seine bösen Vorgesetzten angestellt haben. Das ist ja was ganz Neues.« »Wie? Was?« Stuart zeigte sich irritiert.
»Hey, lassma den Doc in Ruhe«, sprang ihm Pieroo zur Seite. »Der is okee!« Ein kurzes Husten verhinderte, dass der bärtige Barbar seine Einschätzung weiter ausführen konnte. »Die CF-Strahlung wirkt nur bis in eine bestimmte Höhe«, nutzte Majela die Pause, um das Gespräch in sinnvollere Bahnen zu lenken. »Deshalb ist es möglich, in den Orbit zu funken, auch wenn man hier unten nur fünf Kilometer weit kommt. In der ISS werden die empfangenen Signale dann verstärkt und zur Erde zurück gesendet.« »Danke, so schlau bin ich auch«, unterbrach Stuart gereizt. Einmal mehr zeigte sich, dass es in der Beziehung zwischen den beiden- laut Pieroo waren der Doc und Majela ein Pärchen - nicht gerade zum Besten stand. Der aufwallende Zorn half Stuart offensichtlich, seine nervösen Schluckbeschwerden zu unterdrücken und mit den Antworten fortzufahren: »Den Kantinengerüchten zufolge wurde das Relais während des ISS-Aufenthalts von Commander Drax und der von ihm geführten WCA-Crew installiert.« Triumphierend sah er zu Matt herüber, als hätte er damit den schwarzen Peter weiter gereicht. Der Pilot zuckte mit den Schultern. »Ich wusste von einer stationären Funkverbindung zwischen Washington und der ISS«, sagte er. »Dass es mobile Sender gibt, war mir bis jetzt nicht bekannt. Wie viele davon haben Sie, Stuart?« Der Linguist grinste schwach. »Bei der Revolte fielen uns zwei Geräte in die Hände. Ich dachte eigentlich, das wären alle gewesen, aber... äh, offensichtlich war auch in einem der beiden Tauchpanzer noch mindestens eines versteckt.« »Wir wollten uns keine Vorteile verschaffen«, bekräftigte Majela. »Im Gegenteil, wir teilen gern, was wir haben.« Um ihre Worte zu unterstreichen, zog sie den zweiten Transmitter aus ihrer Uniform hervor. Black streckte ihr sofort die Hand entgegen, doch diesem Triumph gönnte ihm Majela
nicht. Ein ratloser Ausdruck huschte über ihr dunkelhäutiges Gesicht, während sie darüber nachdachte, wer das Gerät bekommen sollte. Black und Honeybutt, die beiden Rebellen, schieden für sie aus. Aiko ebenfalls, da er mit Honeybutt liiert war. Pieroo gehörte zu ihnen, und Aruula... nun ja, sie war eine Barbarin, die mit einem Funkgerät wenig anfangen konnte. Nach kurzem Zögern warf sie das Gerät schließlich der einzig verbliebenen Person entgegen - Matthew Drax. Der überraschte Commander griff mit beiden Händen zu, damit der kostbare Apparat nicht in den Dreck fiel. Es war eine instinktive Reaktion. Seine Finger umschlossen den flachen Metallkasten, der nicht mehr als zweihundert Gramm wog. Eine schmale Stummelantenne zeigte die Oberseite an. Einschalten, Frequenzwahl sowie Senden und Empfangen lief über ein sensitives Touchdisplay. »In Ordnung.« Matts Kehle war plötzlich belegt, darum räusperte er sie frei. »Ich verwahre das vorläufig für den Rest der Gruppe.« Damit schienen alle einverstanden zu sein, nur Mr. Black zog eine unwillige Miene. Matt hoffte, dass er sich nicht von ihm übergangen fühlte. Das Letzte, was sie derzeit gebrauchen konnten, war ein unsinniges Kompetenzgerangel. »Wie hoch soll eigentlich diese Kristallfestung sein?«, fragte Aiko plötzlich. Matt wusste nicht, ob der Cyborg absichtlich die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, doch er war ihm dankbar dafür. »So genau hat sich Boris darüber nicht ausgelassen«, antwortete er. »Ziemlich hoch vermutlich. Warum fragst du?« Obwohl alle Augen auf ihn gerichtet waren, blickte Aiko angestrengt in die Ferne, um einen für alle anderen unsichtbaren Punkt zu fixieren. Wer ihn gut genug kannte, wusste, dass er seine optischen Verstärker zugeschaltet haben musste. »Weil ich nahe des Seeufers ein grünes Funkeln
ausmachen kann, das von einer Art Turmspitze stammt«, sagte er. »Noch verdeckt ein Wald die Sicht, aber wenn wir uns nicht länger aufhalten, können wir gegen Mittag dort sein.« Die Aussicht, das erhoffte Ziel bald zu erreichen, hob umgehend die Stimmung. Matt nutzte den Moment, um allen Streit beiseite zu wischen. »Also los«, forderte er. »Weiter geht’s. Mit etwas Glück kommen wir rechtzeitig zum Essen.« Die anderen sahen keinen Grund, seinem Vorschlag zu widersprechen. Selbst Mr. Black schien zufrieden, als er Jed und Majela den Rücken kehrte. Auf seinem Weg zum Yakk deutete er auf das Funkgerät in Matts Händen und reckte den rechten Daumen in die Höhe. Wir bilden ein Team!, sollte das heißen. Matt war erleichtert. Sobald Black im Sattel saß, treiben sie die Yakks erneut an. Unter lautem Getrampel ging es der Kristallfestung entgegen... * Wulf eilte mit weiten Sprüngen voraus, hielt aber am Hauptportal inne und sah sich wartend um. Sein gesträubtes Nackenfell zeigte deutlich, dass etwas nicht stimmte. Um eine akute Bedrohung konnte es sich aber nicht handeln, sonst wäre die Reaktion heftiger ausgefallen. Als Dave und Rulfan nahe genug waren, um einen Blick ins Innere zu werfen, wurde ihnen klar, was den Lupa so aufbrachte. Ein bizarres Muster aus verwehter Asche und erstarrten Eisenpfützen bedeckte den glatten Kristallboden, nur unterbrochen von länglichen Schlackehaufen, die entfernt menschliche Formen aufwiesen. Erst auf dem zweiten Blick wurde deutlich, dass es sich wirklich um verkohlte Leichen handelte. Einige sahen so aus, als hätten sie sich vor dem Tod schlafen gelegt, anderen standen die Arme und Beine in unmöglichen Winkeln vom Körper ab, als ob sie bis zuletzt
ums Überleben gekämpft hätten. Das Feuer, dem sie zum Opfer gefallen waren, musste mit großer Geschwindigkeit über sie gekommen sein. Sonst hätten sie nicht mitten in der Bewegung erstarren können. Brandgeruch lag in der Luft, wenn auch nicht besonders intensiv. Die Katastrophe musste schon länger zurückliegen. Nach allen Seiten absichernd, traten McKenzie und Rulfan in den Hof, um die Angelegenheit näher zu untersuchen. Außer einigen mit Ruß geschwärzten Flecken, die sich durch einfaches Darüberwischen entfernen ließen, hatten weder Kristallmauern noch Fundamente Schaden genommen. Alles Brennbare hingegen - ob nun Pflanzen, Türen oder Einrichtung - hatte sich vollständig in Asche aufgelöst. Was mochte nur die Ursache für diese verheerende Feuersbrunst gewesen sein? »Sieht nach thermalem Beschuss aus«, flüsterte McKenzie, als ob er unliebsame Zuhörer fürchtete. »Glaube ich nicht.« Rulfan ließ seinen Blick über den umlaufenden Bogengang wandern, konnte aber keine verdächtigen Bewegungen ausmachen. »Einzelne Feuerstöße hätten nicht alles so umfassend verbrannt. Für mich wirkt es eher, als wäre die ganze Halle gleichzeitig in Flammen aufgegangen wie bei einem thermalen Sprengsatz. Je nach Zündtemperatur der Kristalle können so Tausende von Grad durch die Festung jagen, ohne das Gemäuer zu beschädigen.« »Und alles, was dabei im Weg steht, zerfällt auf der Stelle zu Asche«, baute McKenzie die Theorie aus. »Gut möglich, aber in diesem Fall müsste doch ein Brandherd zu finden sein.« Ohne sich weiter abzusprechen, setzten die Männer den Weg fort. Es war keine Sensationslust, die sie vorwärts trieb, sondern wissenschaftliche Neugier. Den schaurigen Anblick der umliegenden Leichen bewusst ignorierend, suchten sie nach Spuren, die das Rätsel der Tragödie zu lösen halfen.
Wulf folgte erst nach einigem Zögern. Für seine empfindliche Nase hing ein unerträglicher Hauch des Todes zwischen den Mauern. McKenzie und Rulfan hatten es da leichter. Flach durch den Mund atmend, suchten sie die weiträumige Halle ab, konnten den Ursprung der Hitzewelle aber nicht entdecken. Dafür fanden sie rußgeschwärzte Rundbögen, hinter denen sich das Grauen fortsetzte. In dem bizarren Gebäude wimmelte es von Toten. McKenzie erschauerte. »Das reinste Massaker«, ächzte er. »Wer kann nur dafür verantwortlich sein?« Rulfan ging eben an einer leeren Fensteröffnung vorbei, als ihn ein flüchtiger Schatten streifte. Was auch immer die Sonne für den Bruchteil einer Sekunde verdunkelt hatte, es musste über ihm sein. Neugierig lehnte er sich hinaus und blickte in die Höhe. Er musste seine Augen mit der Hand gegen die grellen Strahlen abschirmen, um etwas sehen zu können, denn der Nebel lichtete sich bereits. Nach kurzem Zwinkern machte er drei flache Körper aus, die elegant durch die Luft segelten. Ihre weiße Bauchseite verschmolz beinahe vollkommen mit dem gräulichen Himmel, doch der grüne Kristall, der in der Stirnseite ihrer keilförmigen Schädel gloste, war so charakteristisch, dass es keinen Zweifel gab. »Todes-Man’tane«, stieß Rulfan hervor, »dort oben!« Diese Rochen ähnlichen Kreaturen hatte Rulfan schon einmal gesehen: unter Wasser, in der Hydritenstadt Torkur. Dass sie auch fliegen konnten, war ihm allerdings neu. Mit einer fast widerwilligen Faszination beobachtete er die perfekt aufeinander abgestimmten Bewegungen, mit denen die Todesrochen ihre Schwingen auf und nieder schlugen, um sich in der Luft zu halten. Ein mehrere Meter langer Schweif diente zur Steuerung. Der Luftraum schien ihnen genauso vertraut zu
sein wie die Weiten des Meeres. In exakten Manövern, die einer Jagdstaffel in nichts nachstanden, pflügte die Dreierformation durch die Wolken. Inzwischen hatte sie der Professor auch entdeckt. Alarmiert hob er das auf ihn geeichte Laser-Phasen-Gewehr und nahm sie ins Visier. Bei der letzten Begegnung hatten die Biester zwar einen gefährlichen Organismus attackiert, der ganz Torkur zu verschlingen drohte. Dass sie ihn und Rulfan verschont hatten, schien McKenzie aber eher ein Zufall gewesen zu sein. Das Motiv für das Eingreifen der Rochen lag im Dunkeln. Die Chroniken der Hydriten wussten aber davon zu berichten, dass die Todesrochen ihr Revier - den Kratersee- gnadenlos gegen alle Eindringlinge verteidigten. Rulf an sah zu den verkohlten Leichen, welche die Halle füllten. Waren sie gar den Rochen zum Opfer gefallen? Um den Gedanken fortzuspinnen, fehlte ihm jedoch die Zeit, denn in diesem Augenblick spitzte sich die Lage dramatisch zu. Die Rochen hatten wohl erspäht, was unter ihnen vorging. Von einer Sekunde auf die andere kippten sie über die rechte Schwinge ab und jagten pfeilschnell in die Tiefe. Direkt auf die Festung zu. * Der Lesh’iye Thgäan war Kommandeur über Myriaden. Als Mittelpunkt eines gigantischen Informationsgeflechts zog er seine Kreise über einem Kontinent, dessen unwägbare Entwicklungssprünge ständige Patrouillen und Korrekturen verlangten. Er hatte den Befehl über Hunderttausende von Lesh’iye, die weite Gebiete des Kontinents sicherten. Diese Aufgaben mit der größtmöglichen Effizienz zu verrichten, war seine unerschütterliche Pflicht. Rastlos kreiste er in großer Höhe und koordinierte die Aktionen der in mehrere Legionen eingeteilten Armada.
Äußerlich unterschied sich Thgäan kaum von den anderen Rochen, seinem Gesicht fehlten nur die Tentakel und mehrere sensorische Organe. Sein sorgsam gezüchtetes Gehirn war für die simultane Verarbeitung hochdichter Informationsmengen geschaffen worden. Aus dem nie versiegenden Strom von Meldungen, Bildern und Eindrücken wählte er jene aus, die eine übergeordnete Reaktion erforderten. Umgekehrt erreichten seine telepathischen Weisungen die Armada jederzeit und allerorts. Vorfall am Ufer, lautete ein Rapport, dem er sofort Vorrang einräumte. Eine bislang noch unbekannte Zahl von Modellen wurde neutralisiert. Ursache unbekannt. Zwei Primärrassenvertreter lokalisiert. Einer von ihnen weist keine Spuren der Synapsenblockade auf! Der letzte Punkt besaß hohe Priorität für die Herren! Thgäan strahlte umgehend eine telepathische Botschaft ab. Nachdem er die Daten der Patrouille übermittelt hatte, folgte eine Zeit des Schweigens. Thgäan arbeitete synchron über zweihundert weitere Routinemeldungen ab, bevor die Stimme eines seiner Herren wie Donnerhall in ihm erschallte. Unterscheidet sich die Signatur des Primärrassenvertreters mit der fehlenden Synapsenblockade zweifelsfrei von der Signatur der beiden bekannten? Eine unnötige Frage, doch der Lesh’iye zeigte weder Unmut noch Furcht. Solche Gefühle standen ihm nicht zu. Seine Existenz hatte ausschließlich einen Sinn: Pflichterfüllung. Deshalb bestätigte der die übermittelten Daten und wartete auf neue Befehle. Erneutes Schweigen. Nur ein sphärisches Flüstern bewies, dass die Verbindung weiter bestand. Dann der Befehl: Den Vorfall protokollieren. Die Primärrassenvertreter vorläufig schonen, aber beobachten. Herausfinden, was am Ufer vorgefallen ist. Aggressivem Verhalten wird jedoch durch Neutralisation begegnet.
Die Frequenz verstummte. Der Herr wandte sich wieder anderen Dingen zu. Mehr Informationen waren auch gar nicht nötig. Thgäan übernahm alles Weitere in eigener Verantwortung. Er leitete die Befehle weiter und räumte den Meldungen dieser Patrouille oberste Priorität ein. Was von nun an geschah, lag einzig und allein in der Hand der Primärrassenvertreter... * In perfekter Keilformation umrundeten die Rochen den Spitzkegel der Festung und setzten kopfüber zum Sturzflug an. Sekundenlang sah es so aus, als ob sie den Kristallbau rammen wollten, aber dann zogen sie die Schnauze ruckartig nach oben und glitten mit ausgebreiteten Schwingen wieder hinauf. Wie ein gezielter Angriff sah das nicht aus, trotzdem verfolgte Rulfan jede Bewegung mit dem Lasergewehr. »Noch nicht schießen«, mahnte McKenzie. »Vielleicht wollen sie gar nichts von uns.« Als hätte er die Worte verstanden, kippte der vordere Rochen abermals nach unten weg und segelte auf McKenzie und Rulfan zu. Sein langer, am Ende platt auslaufender und mit Dornen bewehrter Schwanz schleifte hinter ihm über der Erde. An der Unterseite seines Leibes blähten und schlossen sich zwei Reihen von5 parallel zu einander verlaufenden Atmungsschlitzen. Rulfan konnte bereits das eigene Spiegelbild in den vier kaltglänzenden Knopfaugen erkennen, als das Biest endlich auf der Stelle verharrte. Nur eine geringe Schlagfrequenz der vier Meter breiten Spannweite war nötig, um den Rochen in der Luft zu halten. Was anfangs wie ein Wunder der Schwerkraft wirkte, fand schnell seine logische Erklärung. Mit dem zu einem langen »Z« geschwungenen Schwanz drückte sich das Tier einfach in
die Höhe. Ein Hinweis, wie viel Kraft in dem muskulösen Anhang steckte. Sein mit glatter Delfinhaut überzogener Leib schien außerdem leichter zu sein, als es nach außen den Anschein hatte. Anders waren so wendige Flugmanöver, wie sie die Rochen vollführten, auch gar nicht denkbar. Rulf ans Herzschlag beschleunigte sich, als ihm das gefährliche Tier derart auf die Pelle rückte. Sein Zeigefinger krampfte sich um den Abzug des Lasergewehrs, so dass es nur einer kleinen Bewegung bedurfte, um den Strahl auszulösen. Trotz der durchschlagenden Schusskraft scheute er aber, einfach drauflos zu feuern. Noch zu gut waren ihm die Myriaden von Rochen in Erinnerung, die über Torkur drei Wechselwesen zerfetzt hatten. Die beiden anderen Rochen warteten in sicherer Entfernung, und Rulfan zweifelte nicht daran, dass sie in Sekunden Verstärkung herbeirufen konnten. Diese Viecher waren intelligent, das hatte er schon beim ersten Zusammentreffen erkannt. Die kritische Situation währte nicht lange. Offenbar zufrieden mit der Musterung und der Reaktion der Menschen, erhob sich das bizarre Wesen und präsentierte die Unterseite seinen platten Leibes, bevor es sich mit einer kräftigen Schweifbewegung in die Höhe schnellte. Ein harter Windstoß schlug den Männern ins Gesicht, während sich der aufsteigende Todesrochen zu seinen Artgenossen gesellte. Gemeinsam drehten sie ab und flogen davon. Dave McKenzie stieß die Luft aus, die er anscheinend die ganze Zeit über angehalten hatte. »Freue dich nicht zu früh«, knurrte Rulfan. »Noch sind sie nicht weg.« Die Todesrochen zeigten aber nicht die geringste Neigung, noch einmal umzukehren. Schnurstracks tauchten sie in die auseinander reißenden Nebenschwaden ein, der immer stärker werdenden Sonne und dem Kratersee entgegen.
»Das ist noch mal gut gegangen«, sagte Rulfan erleichtert. Noch während der Schrecken verklang, gingen die Männer und der Lupa daran, die Festung nach weiteren Brandspuren zu durchsuchen. Alle Sinne angespannt, stiegen sie ins nächste Stockwerk hinauf. Wie befürchtet, folgte eine Fortsetzung des Grauens. Alles, was nicht aus dem grünen, äußerst widerstandsfähigen Kristall bestand, war zu schwarzer Asche zerfallen. Menschen, Tiere, Mobiliar, alles zerstört. Zum Glück leiteten die Kristalle genügend Tageslicht weiter, um die Räume zu erhellen. Überall zeigte sich ihnen das gleiche Bild. Nur von der Brandursache - keine Spur. Sie folgten engen Treppen und Wandelgängen. Einmal, als sie auf Fußspuren in der Asche stießen, herrschte große Aufregung, aber nur so lange, bis Dave und Rulfan merkten, dass es ihre eigenen waren. Da sich die leeren Räume stark ähnelten, bewegten sie sich öfters im Kreis. Für ein planvolles Vorgehen waren die verschiedenen Trakte einfach zu unübersichtlich angeordnet. Es hätte Tage gedauert, die weitläufige und wolkenhohe Festung abzusuchen, und am Ende könnten sie nicht einmal sicher sein, alles entdeckt zu haben. Deshalb brachen sie nach drei Stunden die Suche ab und kehrten ins Erdgeschoss zurück. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Zeit fürs Mittagessen, das unterstrich auch ihr dreifaches Magenknurren. »Fürs erste reicht es«, sprach McKenzie aus, was beide dachten. »In diesem Bau lebt keiner mehr, so viel ist sicher.« Rulfan wollte schon zustimmen, doch im Hinausgehen entdeckte er neben dem Hauptportal noch einen Torbogen, der augenscheinlich an der inneren Festungswand endete. Da sie keinen Durchbruch auf wies, konnte es eigentlich nur einen vernünftigen Grund dafür geben: Dort ging es nicht geradeaus, sondern in die Tiefe hinab.
»Lass uns einen Blick in die Kellerräume werfen«, schlug Rulfan vor. »Nur damit wir völlig sicher sind.« McKenzie und Wulf murrten, noch dazu im gleichen Tonfall, doch der Albino setzte sich trotzdem durch. Sein Lasergewehr im Anschlag, schritt Rulfan voran, in dem sicheren Wissen, dass ihm seine Begleiter schon folgen würden. Über eine schmale Treppe ging es zwanzig Stufen hinab, in ein unterirdisches, mit Kristallblöcken verkleidetes Gewölbe, in dem es mit jedem Meter dunkler wurde. Die Leitfähigkeit der Kometenkristalle stieß so weit unten an ihre Grenzen, doch zum Glück hatte McKenzies in seinen aufgenähten Beintaschen eine Taschenlampe deponiert, die mit kräftigem Strahl durch die Dunkelheit schnitt. Der fahle Lichtfinger tastete über zwei verkohlte Leichen hinweg, die es mitten auf der Treppe erwischt hatte. Kopfüber nach unten ausgestreckt lagen sie da. Gewellter Stahl wuchs aus ihren Händen. Das Schwert schien die gebräuchlichste Waffe dieses Stammes gewesen zu sein. Viele der Toten waren mit der blanken Klinge in der Faust gestorben. Unten angekommen, fanden sich McKenzie und Rulfan in einem langen Gang wieder, von dem mehrere Kammern abgingen. Zerlaufene Eisenklumpen, die auf den Türschwellen emporwuchsen, zeugten von geschmolzenen Gittern. Ein Zellentrakt, kein Zweifel. Falls jemand hier unten eingesessen hatte, war er der Hitze hilflos ausgeliefert gewesen. Die beiden Männer wollten schon auf dem Absatz kehrt machen, als Wulfs Knurren sie in der Drehung verharren ließ. Sollte es ausgerechnet hier unten mehr als nur ein paar Aschehaufen geben? Ein leises Scharren am Ende des Ganges schien die Witterung des Lupas zu bestätigen. Dave und Rulfan wechselten einen kurzen Blick miteinander, um ihr weiteres Vorgehen abzustimmen. Während
der bärtige Professor die Lampe hielt, nahm Rulfan sein Gewehr in Schulteranschlag. Schritt für Schritt tasteten sie sich voran. Leuchteten erst die linke, dann die rechte Zelle aus, bevor es weiter zu den nächsten beiden ging. Erst beim dritten Mal zahlte sich die umständliche Prozedur aus. Rulfan zuckte zurück, als ein heller Widerschein unverhofft aus der Dunkelheit gerissen wurde. Obwohl McKenzie die Bewegung mit dem Lichtkegel erfasste, dauerte es einen Moment, bis er erkannte, dass dort eine nackte Person auf dem Boden kauerte. Die Arme fest um die angezogenen Beine geschlungen, wiegte sich der Mann, den Kopf zur Seite gewandt, auf den Fußballen vor und zurück. Den Kotspuren nach zur urteilen hatte er die Zelle seit Tagen nicht verlassen, obwohl sein Gitter genauso geschmolzen war wie bei den anderen Zellen. Rulfan senkte den Gewehrlauf. Von diesem Gefangenen ging keine Gefahr mehr aus, so viel war sicher. Seine Kleidung musste während des Angriffs auf seiner Haut verbrannt sein. Großflächige Brandwunden bedeckten den Rücken. Wegen der mangelnden Hygiene hatten sich einige davon entzündet. »Du brauchst keine Angst zu haben«, versicherte Rulfan in beruhigendem Tonfall. »Wir wollen dir helfen.« Der Mann zeigte durch keine Geste oder sonstige Reaktion an, ob er die Worte gehört, geschweige denn verstanden hatte. Nur ein unverständliches Brummeln drang über seine Lippen, während er die psychotische Schaukelbewegung fortführte. »Steht vermutlich unter Schock«, diagnostizierte McKenzie. »Ach, tatsächlich?« Rulfan gab sich keine Mühe, den ätzenden Spott in seiner Stimme zu verbergen. »Darauf wäre ich nicht von allein gekommen, Herr Professor.« Npch während er die Worte aussprach, taten sie ihm schon wieder Leid. Es war ungerecht, Dave so anzuschnauzen.
Um den folgenden Moment des Schweigens zu überspielen, hockte sich Rulfan nieder. Auf gleicher Augenhöhe mochte es einfacher sein, die Apathie des Verletzten zu durchzudringen. Als ihn Rulfan an der Schulter berührte, jaulte der Mann jedoch auf und hob die Arme abwehrend in die Höhe. Immerhin - eine Reaktion. Der Verletzte nahm also wahr, was in seiner Umgebung geschah. »Nur die Ruhe, niemand will dir etwas tun.« Rulfan berührte ihn erneut, und zwar mit Erfolg. Diesmal schreckte der Nackte nicht zurück, sondern wandte seinen seltsam kantigen Kopf in ihre Richtung. Es war ein überraschend junges Gesicht, das ihnen da furchtsam entgegen starrte, beherrscht von einer mehrfach abgestuften Nase, aus der frische Schleimfäden trieften. Auch fehlende Ohrläppchen und knorpelige Wucherungen an den Ellenbogen zeugten von der starken Kometenstrahlung, die Jahrhunderte lang am Kratersee für Mutationen gesorgt hatte, bevor sie - wie Messdaten aus der ISS belegten - plötzlich ihre Aggressivität verloren hatte, als wäre irgendwo ein Hebel umgelegt worden. Von derartigen Schönheitsfehlern abgesehen hatten sie es aber eindeutig mit einem Humanoiden zu tun. Seine schwarzen Pupillen, durch das plötzliche Licht auf Stecknadelkopfgröße geschrumpft, hatten sich noch nicht an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt, doch als McKenzie den Lampenkegel senkte, blickte der Gefangene zu ihnen auf. Die Reaktion auf das Licht zeigte, dass seine Netzhaut intakt war, doch was er zu sehen bekam, schien den Mutanten nicht sonderlich zu interessieren. Völlig teilnahmslos ließ er sich in die Höhe ziehen und aus der Zelle dirigieren. Wulf wich zur Seite, um Platz zu machen. Ein mitleidiges Jaulen drang aus seiner Kehle. »Komm mit«, bat Rulfan mit weicher Stimme. »Hier unten ist es zu dunkel, um deine Wunden zu versorgen.«
Die ledrige Haut unter Rulfans Händen fühlte sich unangenehm rau an. Am liebsten hätte er den Griff um die knochige Schulter gelöst. Aber so apathisch, wie der Mutant war, stand zu befürchten, dass er dann auf der Stelle zusammenklappen würde. Erst als McKenzie auf der anderen Seite mit anpackte, ging es schneller voran. Während Wulf mit langen Sätzen nach oben eilte, um die Lage zu sichern, schulterten sie die Arme des Mannes und trugen ihn die Treppe hinauf. In der Eingangshalle angekommen, konnten sie endlich seine Wunden versorgen. Mit Wasser aus einer Kristallzisterne wuschen sie den gröbsten Dreck ab. Danach zog McKenzie zwei Sanitätspäckchen mit sterilen Tüchern hervor, die sie auf die Brandstellen legten. Insgesamt eine schmerzhafte Prozedur, die dem Mutanten aber nicht den geringsten Laut entlockte. Erst als sie Wasser für ihn schöpften und mit bloßen Händen in seinen Mund träufelten, gewannen seine stumpfen Augen etwas an Glanz. Gierig trank er, so viel sie ihm brachten. Mochte auch sein Verstand durch den Schock paralysiert sein, der instinktive Lebenswille war noch vorhanden. »Ein Wunder, dass er überlebt hat«, sprach McKenzie endlich aus, was auch Rulfan die ganze Zeit über schon dachte. »Die Hitzewelle muss auf dem Weg in die Tiefe an Kraft verloren haben«, vermutete der Albino. »Sie war immerhin noch stark genug, um die Gitter zu schmelzen«, widersprach Dave. »Richtig.« Rulfan runzelte die Stirn, winkte dann aber ab. »Das klären wir später, wenn wir uns mit ihm verständigen können. Schon skurril, dass ausgerechnet ein Gefangener die Katastrophe überlebt hat, oder?« Während sie noch überlegten, ob sie dem Verletzten einen Raum in der Festung herrichten oder ihn mit zur Transportqualle der Hydriten nehmen sollten, federte Wulf
plötzlich in die Höhe und lief knurrend zum Hauptportal. Dort angekommen, streckte er den Kopf vorsichtig zum Tor hinaus. Sein steil aufgerichteter Schweif signalisierte höchste Alarmbereitschaft. »Da kommt jemand«, warnte Rulfan. Das Lasergewehr am langen Arm, eilte er dem Lupa nach. Am Eingang angekommen, musste er das muskulöse Fellknäuel beinahe mit Gewalt zur Seite schieben, um selbst einen vorsichtigen Blick nach draußen werfen zu können. Was er dabei zu sehen bekam, ließ ihn gleich wieder zurückzucken. Rund um den Radpanzer standen Männer und Frauen in Uniform, die sich aufgeregt unterhielten. Sie trugen zwar keine Schutzanzüge, wie Rulfan vermutet hatte, doch das machte sie nur um so gefährlicher. Die Hände fest um die Laserwaffe gelegt, warf der Albino einen Blick über die Schulter. »Das Desaster ist perfekt«, begrüßte er McKenzie, der im gleichen Moment zu ihm aufschloss. »Die Russen sind zurück!« * Zehn Minuten zuvor. Himmelhoch und erhaben lag das Gebäude vor ihnen, grün wie ein Smaragd und irgendwie unheimlich. Sie ließen die Yakks langsam zwischen den verwachsenen Bäumen hervor trotten, in der Hoffnung, dass die Bewohner nicht feindlich gesinnt waren. Trotz der Mittagszeit fand sich kein Anzeichen von Leben in der Festung. Weder spielten irgendwo Kinder, noch standen Wachen am großen offenen Tor oder wehten Essensgerüche zu ihnen herüber. Es herrschte Grabesstille. »Seltsam«, wunderte sich Matt. »Wenn ich Boris richtig verstanden habe, müsste hier ein Stamm der Woiin’metcha leben. Auf jeden Fall ist Vorsicht
geboten. Ihr wißt ja alle, wie leicht diese Kerle zu verärgern sind.« Mit dem Volk der Woiin’metcha, das nach äußerst strengen, aber auch sehr verwirrenden Regeln lebte, hatten sie tatsächlich schon unliebsame Erfahrungen gemacht - bei dem Unternehmen, die Mitglieder der WCA-Expedition zu retten, die bei den Schwertkriegern untergekrochen waren, nicht ahnend, in welch riesigen Fettnapf sie sich begaben. Dass Matt Drax und Mr. Black sich überhaupt für die Weltrat-Agenten eingesetzt und viele gerettet hatten, war nur Majela zu verdanken. Als Geisel hatten Lynne Crow und Jacob Smythe sie mit zu den Woiin’metcha verschleppt, und Jed Stuart hatte natürlich alles darangesetzt, sie zu retten. Tatsächlich war Majela in seine Obhut entlassen worden, während Smythe mit den beiden Tauchpanzern und dem kläglichen Rest seiner Truppe zähneknirschend und gedemütigt abgezogen war. Die russischen Technos, die mit einem Expeditions-Panzer ebenfalls in eine Woiin’metcha-Siedlung gekommen waren, hatten weniger Glück gehabt: Nach einem unabsichtlichen Fauxpas waren zwei getötet und die anderen beiden umgehend in die Sklavenminen der Narod’kratow befördert worden. Matts Gruppe musste also mit viel Fingerspitzengefühl ans Werk gehen, um die Einheimischen nicht gegen sich aufzubringen. Dabei bauten sie vor allem auf den russischen Translator und die bisher gesammelten Erfahrungen. Irgendwie wird es schon klappen, dachte Matthew zuversichtlich. Schließlich müssen wir hier auf den Nachschub aus London warten - falls meine Nachricht dort angekommen ist. »Da vorn steht der ARET.« Aiko deutete auf einen wuchtigen Radpanzer. »Den sollten wir uns zuerst ansehen. Er könnte sich als äußerst nützlich erweisen.« In breit gefächerter Linie, um einem Pfeilhagel möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, ritten sie auf den
Avtarkitsheskji Russkji Ekspeditionnji Tank zu. Obwohl sich die Yakks ungedeckt bewegten, blieb in der Festung alles ruhig. »Seltsam«, wunderte sich Aruula. »Das Haupttor steht offen, aber keine Mutantenseele ist zu sehen. Die Festung scheint verlassen zu sein.« »Umso besser«, merkte Matthew an. »Das würde vieles erleichtern.« Sie pflockten die Yakks an und machten sich daran, den in drei Segmente unterteilten ARET näher zu untersuchen. Anfangs achteten sie penibel darauf, den Schutz des stählernen Kolosses auszunutzen, doch je länger sich niemand blicken ließ, desto großzügiger schöpften sie den Spielraum aus. Pieroo, Jed und Majela waren die Ersten, die auf die andere Seite wechselten. Mr. Black kroch auf dem vorgezogenen Cockpit des Gefährts herum und sah durch das Panzerglas in die Kabine, während Matt und Aiko sich an der Heckschleuse zu schaffen machten. »Mist«, fluchte der Asiate, »alles hermetisch verriegelt.« »Weder Türgriff noch Schlüsselloch zu sehen«, ergänzte Matt scherzhaft. »Wie kommen wir da rein?« »Durch ein Funksignal?« Aiko strich nachdenklich über sein Kinn. »Falls ein bestimmter Code fällig ist, stehen wir natürlich dumm da.« Seufzend kauerten beide nieder, um den Unterboden des wannenförmigen Aufbaus, der auf Schwimmfähigkeit hinwies, nach etwas Brauchbarem abzusuchen. Vergeblich. »Seht es positiv«, versuchte Honeybutt sie aufzumuntern. »Wenigstens konnten die Woiin’metcha in der Zwischenzeit nicht alles leer räumen.« »Ja, sicher.« Aiko lächelte schräg und hämmerte mit der Faust gegen das Außenschott. »Nur nutzt uns das wenig, wenn wir ebenso vor verschlossener Luke stehen.«
Der Asiate machte sich daran, die gesamte Wandung abzutasten. Als er mit den Fingern am Rande des Schotts entlang fuhr, das sich fast nahtlos ins Heck einfügte, hellte sich sein Gesicht schlagartig auf. »He, was ist denn das?« Immer wieder strich er über eine Stelle, die ihm merkwürdig rau erschien. Von Jagdfieber, gepackt, rückte Aiko der darüber liegenden Dreckschicht zu Leibe. Sekunden später legte er einen kreisrunden Knopf frei, der verdächtige Ähnlichkeit mit einem Außenmikrofon besaß. Triumphierend sah er zu Matt auf. »Kein Funk, sondern ein einfacher Sprachcode!« »Na, ich weiß nicht«, gab Honeybutt zu bedenken. »Erstens kennen wir den Code nicht, und zweitens...« Aiko scherte sich nicht um den Einwand und beugte sich vor. »Hallo, da drinnen, die Ablösung ist hier! Aufmachen!«, sprach er ins Mikro. Als das nichts half, probierte er: »Sesam öffne dich! Möge die Macht mit dir sein! Sprich, Freund und tritt ein! Simsalabim!« Angesichts der skurrilen Parolen musste Matt lachen. Wenig wahrscheinlich, dass russische Technos dieselbe Filmauswahl verinnerlicht hatten wie ein Cyborg aus Amarillo. Sie würden mit »Star Wars« oder dem »Herrn der Ringe« wenig anfangen können. Aiko sah seinen Freund mit schalkhaftem Grinsen an. »Was meinst du, sollen wir das Ganze auf Russisch wiederholen?« Matt verstand sofort, was der Cyborg meinte. Er griff nach dem Lederband um seinen Hals, an dem der Spikkar-Schädel mit dem Translator aus Boris’ Schutzanzug hing. Mit geübtem Griff stellte er die Übersetzung vom Englischen ins Russische ein, hielt den bleichen Schädel an seine Lippen und verlangte: »Tür aufmachen!« Das in der linken Augenhöhlung untergebrachte Mikrofon nahm die Worte auf und übermittelte sie an den
Sprachprozessor. Kaum war Matts Eingabe beendet, tönte auch schon die russische Übersetzung aus dem Lautsprecher. Gebannt starrten beide auf das Außenschott, doch nichts geschah. Das Kommando war offensichtlich falsch. »Sag ich doch«, ließ sich Honeybutt vernehmen. »Es kann sonst was sein.« »Tür öffnen!«, schlug Aiko vor. Die Übersetzung ertönte, doch im Rumpf des Panzers regte sich nichts. »Schott öffnen!«, versuchte es Matt als nächstes. Und gleich darauf: »Schleuse öffnen! Schleuse aufmachen! Schott öffnen!« Die russischen Übersetzungen knatterten wie MG-Salven aus dem Lautsprecher, ohne eine Wirkung zu erzielen. Still und verschlossen stand der ARET vor ihnen, uneinnehmbar wie eine Büchse Ölsardinen ohne Öffner. Matt kratzte sich hilflos am Kopf. So kamen sie nicht weiter. Er hielt Aiko den Spikkar-Schädel entgegen, doch der Asiate feilte noch an neuen Formulierungen. Von dem quakenden Lautsprecher angelockt, schlenderte Jed Stuart heran und blieb, die Hände lässig in den Hosentaschen, zwei Meter entfernt stehen. Ein mildes, von heimlichem Wissen geprägtes Lächeln umspielte seine dünnen Lippen, während er das fruchtloses Treiben beobachtete. »Was ist?«, fuhr ihn Aiko an. »Haben Sie eine bessere Idee?« Statt zu antworten, trat der Linguist einen langen Schritt vor, beugte sich über den Translator und sagte betont deutlich: »Computer, Schleuse öffnen!« Das übliche Prozedere folgte. Der Sprachcomputer dolmetschte, die Worte verpufften. Alles blieb beim Alten. Aiko klatschte höhnisch Beifall. »Na, das war ja ausgesprochen originell!«
Stuart begegnete dem Spott mit unbewegter Miene. Erst als ein hydraulisches Zischen erklang, ruckten seine Mundwinkel nach oben. Sekunden später schälte sich die Schleusenklappe aus dem Rumpf hervor und stieg, von zwei Teleskoparmen geschoben, so weit auf, dass sie wie ein schmales Sonnendach in die Landschaft ragte. Hinter der frei gewordenen Öffnung wurde eine zwei mal zwei Meter große, weiß gestrichene Kammer sichtbar, die an einer Innenschleuse endete. Erst dahinter begannen die sterilen Räume des Großfahrzeugs. Matts Blick pendelte mehrfach zwischen Jed Stuart und der offenen Heckschleuse hin und her, bevor er die Sprache wiederfand. »Das ist ja unglaublich«, sagte er verdutzt. »Woher wussten Sie...?« Falls Stuart seinen Triumph zu verbergen suchte, gab er sich nicht sonderlich viel Mühe. »Keine Lobeshymnen, bitte«, verlangte er, betont gelangweilt auf seine Fingernägel starrend, als Majela und die anderen herbei eilten. »Ich habe den militärischen Sprachgebrauch lange genug studiert, um zu wissen, dass vor den Befehl ein Schlüsselwort gesetzt werden muss, um eine zufällige Aktivierung auszuschließen. ›Computer‹ war nur das naheliegendste.« Mr. Blacks Gesicht verfinsterte sich bei diesen Worten. »Sieh einer an«, giftete er. »Sie kennen sich ja bestens in militärischen Belangen aus. Ich dachte, Sie wären Linguist.« Stuarts Lächeln gefror auf seinen Lippen. Erst sah es so aus, als ob er dem Rebellenführer eine scharfe Antwort entgegenschleudern wollte, dann zuckte er nur resigniert mit den Schultern. So viel war klar: Egal was er tat oder sagte, Black würde immer misstrauisch darauf reagieren. Da sonst niemand einschritt, war es wieder an Matt, vermittelnd einzugreifen. »Nur die Ruhe«, verlangte er von den Streithähnen. Und direkt an Black gewandt: »Mr. Stuart hat
sich bereits mehrfach zum Wohle der Gruppe eingebracht. Es wäre schön, wenn Sie das honorieren könnten. Wenn wir die nächsten Tage und Wochen überleben wollen, müssen alle zusammenhalten.« Bei diesen Worten verwandelten sich die Lippen des Rebellenchefs zu einem dünnen Strich. Wut glomm in seinen Augen auf, wohl mehr auf sich selbst denn auf andere. Matthew hatte völlig Recht, das war einem intelligenten Kopf wie Mr. Black natürlich klar. Dass er trotzdem nicht aus seiner Haut konnte, erwies sich als Schwäche, die seinen eigenen Idealen widersprach. Das machte Black zornig, aber nicht uneinsichtig. Mit einem trotzigen Nicken signalisierte er, dass er verstanden hatte. Matt nahm die Geste nur noch am Rande war, als ihn ein heiserer Warnschrei herumfahren ließ. »Wir werden angegriffen!«, präzisierte Majela ihren Alarm, während sie mit der rechten Hand aufgeregt in Richtung Kristallfestung deutete - wo eine monströse Bestie aufgetaucht war. »Ein Ungeheuer! Es kommt direkt auf uns zu!« * Wie es begann... Die Kälte stach wie mit Nadeln in Bru’bans Haut, während er bei jedem Schritt bis zur Hüfte im Pulverschnee versank. Sie waren längst vom Weg abgekommen, so viel stand fest, doch angesichts des dichten Flockenvorhangs, der sich lautlos über die Landschaft senkte, war es nahezu unmöglich, die Orientierung zurückzugewinnen. Seine dünne Kutte, die dem milden Seeklima entsprach, nutzte bei diesen Temperaturen wenig. Feucht und klamm klebte sie auf der Haut. Genauso gut hätte er nackt herumlaufen können. Angst machte sich in dem Jungen breit. Sein Brustkorb erzitterte nicht nur vor Kälte, sondern auch unter dem harten
Trommeln seines aufgeregten Herzens. Mühsam um Ruhe bemüht, versuchte er die Lehren Okajas, ihres Höchsten Kriegers zu beherzigen, indem er die Atmung unter Kontrolle brachte und jeden Gedanken an Kälte ausblendete. Mir ist so heiß wie nach einem langen Sonnenbad, hämmerte sich Bru’ban ein. Ich verbrenne fast vor innerer Hitze. Es half nichts. Ihm war weiterhin arschkalt. Seine Lunge fühlte sich an, als würde er Eissplitter atmen, und ein Blick auf die Finger zeigte, dass sich die Spitzen langsam blau färbten. Dem Jungen war zum Heulen zumute. Nur das grenzenlose Vertrauen in seinen Vater, der sich wenige Schritte entfernt durch die weiße Hölle kämpfte, ließ ihn weiter auf eine glückliche Rückkehr hoffen. »Tschort, wir haben uns verirrt!« Bru’ban konnte kaum glauben, dass der Fluch von seinem Vater stammte, doch als die dunkle, von Flocken umtoste Gestalt näher trat, gab es keinen Zweifel mehr: Obeysa, der große Schwertkrieger, bekannt für seine Finten, sein Geschick und seine Ausdauer, wusste nicht mehr weiter. Die dunklen Kriegeraugen schwammen vor Feuchtigkeit, als er sich herab beugte und mit zitternder Stimme sagte: »Es tut mir Leid, mein Sohn, aber in diesem Schneegestöber kann ich unsere Hütte beim besten Willen nicht finden.« Den eigenen Vater derart hilflos zu sehen, versetzte Bru’ban einen Stich, der schlimmer schmerzte als der Frost zwischen seinen Zehen. Obwohl an der Schwelle zum Mann, war er eben doch noch ein Kind, das in seinem Erzeuger eine allmächtige, allwissende Instanz sah, die nur noch von der Macht im See übertroffen wurde. Was der große Obeysa sagte, anordnete oder versprach, hatte immer Gültigkeit für ihn gehabt. So auch vor einigen Tagen, als sie zur Jagd in die Berge aufgebrochen waren. Fleisch für die heimischen Töpfe wollten sie holen, und
Bru’ban dabei auf einen Ritus vorbereiten, der ihn zum Hatakma, der ersten Vorstufe des erwachsenen Kriegers erheben sollte. Mit Pfeil und Bogen bewaffnet, hatten sie die Berge höher erklommen, als es die meisten Woiin’metcha wagten. Irgendwo dort oben, wo die Gipfel zu ewigem Eis erstarrt waren, sollte das Ende der Welt liegen, hinter dem man in einen tiefen, lichtlosen Abgrund stürzte, ohne je auf festen Grund zu prallen. Bis dorthin hatte sie das Jagdfieber, ausgelöst durch ein fliehendes Goozka, nicht geführt, doch hoch genug, um von einem Wetterschlag überrascht zu werden. Dort, wo eben noch Laub unter ihren Füßen geraschelt hatte, türmten sich auf einmal Schneewehen, die jeden Schritt der nur von Sandalen geschützten Füße zur Tortur machten. Es waren aber nicht nur die wehenden Flocken, die ihre Sicht begrenzten. Bäume, Wipfel, Steine, Sträucher - alles was der Orientierung diente, verschwand plötzlich unter einem weißen Tuch, das die ganze Landschaft gleich machte. Bru’ban wusste längst nicht mehr, wo es lang ging, doch er hatte die ganze Zeit auf die Allmacht seines Vaters vertraut. Nun, da diese Hoffnung zerstört war, schossen ihm Tränen in die Augen. Eisige Bahnen hinter sich lassend, kullerten sie die Wangen herunter. »Hör auf zu heulen«, herrschte Obeysa den Jungen an. »Noch ist nicht alles verloren. Wir müssen nur einen trocknen Flecken finden, an dem wir ein Feuer entzünden und auf das Ende des Schneefalls warten können. Danach finde ich den Weg ins Tal, versprochen.« Bru’ban unterdrückte das nächste Schluchzen und nickte tapfer. Sein Vater kniff ihn dafür schmerzhaft in die Schulter. Ein Gunstbeweis, der Bru’ban warm ums Herz werden ließ, ohne dabei die Kälte aus dem übrigen Körper zu vertreiben. Weiter ging es durch eisig glitzernde Wehen, diesmal in Richtung eines hoch aufragenden Schemens, der sich beim
Näherkommen als Bergwand entpuppte. Sie mussten sich eine Weile am rauhen Fels entlang tasten, bis ein Überhang endlich Schutz vor Nässe und Wind bot. »Hock dich dort hin«, verlangte Obeysa, der Krieger. »Ich besorge uns Holz zum Feuer machen.« Mit dem Rücken zum Hang, die feuchte Kutte über alle unbedeckten Körperstellen gezogen, beobachtete Bru’ban bibbernd, wie sein Vater erneut ins Schneegestöber stürzte, um das Bruchholz unter einigen Bäumen mit bloßen Händen freizulegen. Die Äste und Zweige, die er anschleppte, waren zu feucht, um rasch zu entflammen, doch Vater und Sohn mussten nehmen, was sie bekommen konnten. Bru’ban brach alles mit hektischen Bewegungen klein und schichtete die Stücke zu einem Holzhaufen auf, der rettende Wärme spenden mochte, sofern sie ihn irgendwie zum Brennen brachten. Bru’ban hatte weder Reibhölzer noch Glut dabei. Sein Vater auch nicht. Wozu auch; sie hatten nie damit gerechnet, ein Feuer entzünden zu müssen. »Dann muss es eben so gehen«, stieß Obeysa wider besseren Wissens hervor, packte zwei fingerdicke Äste und rieb die frischen, noch vor Saft triefenden Rinden aneinander. Dass das nichts werden konnte, war selbst Bru’ban klar. Sein Vater reagierte von Panik getrieben, ohne über den Sinn seiner Handlungen nachzudenken. Wir sind verloren, dachte der Junge und verbarg sein Gesicht in den Händen. Erneut benetzten Tränen seine Augen, und diesmal ließ er sich das Weinen nicht verbieten. Bru’ban wollte noch nicht sterben, sondern leben. Wollte seine Mutter Wiedersehen, seine Freunde, und natürlich vor allem Ri’bana! »Tschort!« In einem unkontrollierten Wutanfall schleuderte sein Vater die Hölzer gegen den Fels und stürmte in den weißen Vorhang hinaus. »Es muss hier doch irgendwo trockenes Holz geben!« Mit seinen vor Kälte ganz klammen Fingern wühlte er noch eine Weile im Schnee herum, brach
dann aber unvermittelt in die Knie und begann laut zu schluchzen. Bru’ban wäre lieber gestorben, ohne den Zusammenbruch seines Vaters mit ansehen zu müssen, aber die Macht im See hatte anders entschieden. Traurig starrte er auf die nutzlosen Holzschichten vor seinen Knien, die ihnen ein Überleben verweigerten. Brennt doch, bat er. Brennt, damit wir leben können. Ein unsinniger Wunsch, natürlich, aber immer noch besser, als sich vor Verzweiflung im Schnee zu wälzen wie sein Vater. Das fiebernde Gesicht in den Händen geborgen, steigerte sich der Junge immer stärker in seinen Wunsch hinein. Ihr Mächte im See, rief er die Götter an. Schenkt uns ein Feuer, damit wir leben können. Und dann dachte er nur noch: »Brennt, brennt, brennt...« Wie in einer Endlosschleife jagte der Wunsch stets aufs Neue durch seinen Kopf, solange, bis ihn ein leises Knistern aus dem Mantra riss. Verwundert sah Bru’ban auf und mochte erst gar nicht glauben, was sich da vor seinen Augen abspielte. Qualm stieg von den nassen Ästen auf, als würde ihre Feuchtigkeit mit Gewalt aus dem Inneren getrieben. Und weiter unten im Stapel - kein Zweifel - schlugen richtige Flammen in die Höhe. Sein Wunsch hatte sich tatsächlich erfüllt. »Weiter«, forderte er leise. »Lodern sollt ihr, hoch, hell und heiß.« Bru’ban merkte gar nicht, dass sich seine Muskeln wie zu einer großen Kraftanstrengung spannten und ein Zittern durch seinen Körper lief. Was er da auslöste, war keine bewusste Handlung, sondern eine natürliche Reaktion, wie nach einem Wasserbecher zu greifen, wenn einen der Durst plagt. Einige Herzschläge lang schien alle Anstrengung umsonst zu sein, dann plötzlich schlug eine gleißende Stichflamme in die Höhe und der Holzstapel loderte hell auf.
Prasselnd verbrannten die Äste unter dem verzehrenden Flammen. Die freigesetzte Wärme breitete sich ringförmig aus, um Leben in dieser feindlichen, vor Kälte starren Welt zu spenden. »Es brennt!«, rief Bru’ban freudig aus, doch als er sich nach seinem Vater umsah, zuckte er zurück, als hätte man nach ihm geschlagen. Angelockt von dem flackernden Schein, stand der Vater direkt vor ihm, doch sein altes Gesicht zeigte nicht Stolz oder Freude, sondern grenzenlose Abscheu, die sich nur langsam in Trauer und Mitleid wandelte. »Nein, nicht du! Nicht du...« Es waren die schmerzhaftesten Worte, die Bru’ban je aus dem Munde seines Vaters vernehmen musste. Erst in diesem Augenblick wurde dem Jungen bewusst, dass sein prasselndes Feuer kein Geschenk der Götter war, sondern ein Geburtsfehler, für den das Volk der Woiin’metcha kein Verständnis aufbrachte. Er war also auch einer jener aus der Art Geschlagenen, die mit dem Eintritt des Mannesalters Fähigkeiten entwickelten, die von allen gefürchtet wurden. Obeysa hockte sich ans Feuer, streckte die Hände aus, um sie an den emporleckenden Flammen zu wärmen, und sah seinen Jungen an. »Es ist gut«, sagte er, kurz und knapp, wie es seine Art war. »Du trägst keine Schuld daran. Ich stehe zu dir, egal was die anderen im Stamm sagen. Deine Mutter wird genauso denken. Schließlich bist du unser Kind.« Das wiederum waren die liebevollsten Worte, die ihm sein Vater je sagen sollte. So dicht lagen Schönheit und Schrecken manchmal beieinander. »Eins ist wichtig«, riss ihn Obeysa aus den Gedanken, »und zwar zu deinem eigenen Besten. Du darfst diese Kraft nie wieder anwenden. Auch keine andere, wenn sie sich zeigen sollte. Kein Gedankenlesen, keine Dinge ohne Hände bewegen. Gar nichts. Versprichst du mir das?«
Bru’ban sah seinen Vater einen Moment lang mit glänzenden Augen an, dann nickte er feierlich. Ohne in seiner kindlichen Naivität daran zu denken, dass sich solch ein Versprechen niemals halten ließ. * Der große Lupa, der mit langen Sätzen über den festgestampften Boden hetzte, wirkte mehr als nur furchteinflößend. Seine kompakten Muskeln, die sich bei jeder Bewegung unter dem weißen Fell abzeichneten, zeugten von wilder, unbändiger Kraft. Im Nahkampf war dieses Tier jedem Menschen überlegen. Das zeigte sich spätestens, als es die Lefzen zurückzog und eine Doppelreihe messerscharfer Zähne präsentierte. Solch ein Gebiss vermochte nicht nur das Fleisch eines Gegner bis auf den Knochen bloßzulegen, sondern auch ganze Gliedmaßen vom Körper zu trennen. Um den Angriff dieser Kampfmaschine zu überleben, durfte man sie erst gar nicht an sich herankommen lassen. Aiko, der Majela am nächsten stand, reagierte entsprechend. Sein Armbrust-Blaster sprang wie von allein in die Höhe. Routiniert visierte er den schneeweißen Blitz über Kimme und Korn an. Doch ehe er Gelegenheit zum Schuss bekam, sprang ihm Aruula in den Weg. »Nicht schießen!«, forderte sie vehement. »Das ist Wulf!« Wulf? Verwundert ließ der Asiate die Waffe sinken. Aruula kennt die Bestie beim Namen? Sekunden später tänzelte der Lupa um sie herum und ließ freudige Laute hören, die irgendwo zwischen Knurren und Jaulen lagen. Die Barbarin lachte auf, weil sie das struppige Fell kitzelte, das Wulf gegen ihre nackten Beine rieb. »Erkennst du mich also wieder?«, begrüßte sie ihn und revanchierte sich für die wilde Liebkosung, indem sie Wulf
hinter den Ohren kraulte. »Kein Wunder, wir haben ja auch gemeinsam viel Zeit auf dem Donnerboot verbracht, oder?« »Donnerboot?«, echote Aiko. »Ein Schiff, das auf dem Wasser ebenso gut fährt wie auf Land. Damit haben wir die eisige See zwischen Britana und Meeraka bezwungen - Rulfan, Wulf und ich -, als Maddrax als Sklave dorthin verschleppt wurde.« »Ah.« Von Rulfan hatte Aiko schon gehört, wenn auch nicht viel mehr als den Namen. Matt Drax schien das Thema zu meiden. Auch jetzt machte der blonde Commander bei Aruulas Worten nicht unbedingt das glücklichste Gesicht. Der Grund dafür kam wenig später heran geeilt. Rulfan. Ein hochgewachsener, muskulöser Mann im Barbaren-Outfit, dessen hellgraues Haar und eine pigmentlose, unnatürlich helle Haut schon von weitem verkündeten, was die roten Pupillen erst von nahem bewiesen. Er war ein Albino. Statt eines Schwertes trug der Neo-Barbar ein modernes Lasergewehr, das wesentlich klobiger wirkte als die WeltratVariante, die Mr. Black mit sich führte. An seiner Seite ging ein schlaksiger Mann, der ihn noch um einige Zentimeter überragte. Kurze Drillichhosen, Koppel und Brille wiesen auf eine zivilisierte Herkunft hin. Der gestutzte Bart und das halblange Haar harmonierten perfekt mit dem Braun der Augen. Das musste Dave McKenzie sein, der Astrophysiker aus der Vergangenheit, den Matthew zur Festung bestellt hatte. Dass sein alter Kamerad ausgerechnet Rulfan mit anschleppte, war vermutlich nicht geplant gewesen, trotzdem ließ sich der Commander keine Antipathie anmerken, als er die Männern empfing. Der Versuch, McKenzie die Hand zu reichen, schlug allerdings fehl. Der Professor rannte glatt an ihm vorbei, denn er hatte nur Augen für eine andere Person: Mr. Black!
»Schwarzenegger!«, donnerte es über die Lichtung. »Deine miese Fresse wollte ich sehen!« Black zog ein unschuldiges Gesicht - eine Spur zu unschuldig, um nicht gestellt zu wirken - und tat, als ob er sich nicht angesprochen fühlte. Erst als nicht mehr zu übersehen war, dass McKenzie auf ihn zustürmte, bequemte er sich, nach dem Grund des Wutausbruchs zu fragen. »Das weißt du ganz genau, du Ratte!« Die geballten Hände in einer aggressiven Geste erhoben, trat der Professor näher. Obwohl er in den Schultern wesentlich schmaler war, zeigte er keine Angst vor seinem Gegenüber. Seine braunen Augen sprühten vor Zorn, als er fortfuhr: »Hast du schon vergessen, dass du mich Monate lang in einen Wassertank gesperrt und mir das Hirn sondiert hast?« Hoppla, da kommen ja hübsche Geheimnisse ans Tageslicht. Aiko trat näher heran, um nicht das geringste Stirnrunzeln von Blacks Reaktion zu verpassen. Dass McKenzies Vorwürfe Hand und Fuß besaßen, erkannte er schon daran, dass Honeybutt den Kopf zwischen die Schultern zog und sich heimlich in den Hintergrund verdrückte. Na prima. Meine Freundin, die Rebellin, trifft auf ein altes Entführungsopfer, Hattest du eigentlich jemals in deinem Leben eine ganz normale Beziehung, Tsuyoshi? Im Gegensatz zur reuigen Honeybutt zeigte ihr Vorgesetzter kein großes Schuldbewusstsein. »Der Freiheitsentzug, dem Sie unterworfen wurden, tut mir zwar Leid«, räumte der Running Man ein, fügte dann aber rasch hinzu, dass der Zweck damals die Mittel geheiligt hätte. So viel Dreistigkeit verschlug McKenzie glatt die Sprache. Black nutzte die Zeit, um wieder einmal über das - aus seiner Sicht - Grundübel dieser Welt zu dozieren: die WCA. »Ich kann Ihren Zorn verstehen, Mr. McKenzie, doch im Kampf gegen einen diktatorischen Kraken, der alle Freiheit im Keim erstickt, muss man auch zu Mitteln greifen, die denen des Gegners ebenbürtig sind.«
Der Astrophysiker machte ein Gesicht, als müsste er sich gleich übergeben. Seine Wangen glühten rot vor Zorn, die Arme zitterten vor unterdrückter Wut. Es war wohl nur seine gute Erziehung, die ihn davon abhielt, auf den blonden Hünen einzuschlagen. »Meine Güte, mir kommen gleich die Tränen.« McKenzie spuckte die Worte fast aus, um das Zittern in seiner Stimme zu überspielen. »Als ob es eine Entschuldigung dafür gäbe, zwei intelligente Wesen wie Nag’or und mich derart zu schinden. Sie haben ihn gezwungen, meine Erinnerungen auf einen Ihrer Männer zu übertragen!« Matthew Drax zuckte bei der Erwähnung des Namens sichtlich zusammen. Vermutlich, weil Nag’or ein Hydrit war und die Existenz dieses Unterwasservolkes geheim bleiben sollte. Abgesehen von Pieroo, Jed und Majela schienen aber bereits alle mehr oder minder Bescheid zu wissen. Mr. Black ging zum Glück nicht weiter auf die damaligen Geschehnisse ein, sondern konterte, nun ebenfalls erregt: »Was heißt hier geschunden? Ihre körperliche Unversehrtheit stand nie zur Diskussion, im Gegensatz zu meinem Stellvertreter, Mr. White, der von Weltratagenten ermordet wurde. Fragen Sie Mr. Drax, der war dabei. Und was glauben Sie eigentlich, wie ich in den Zellen des Pentagons behandelt wurde? Folter war dort an der Tagesordnung, während Sie friedlich in einem Tank mit Nährlösung schlummern durften.« Die Stimme des Rebellen schraubte sich mit jedem Wort höher. Sein massiger Brustkorb hob und senkte sich in schnellem Takt, als hätte er einen harten Marathon hinter sich. Zum ersten Mal, seit Aiko ihn kannte, zeigte der kühle und beherrschte Mann Nerven. Für Sekunden fiel Blacks Maske so weit, dass die inneren Dämonen sichtbar wurden, die ihn zu dem trieben und machten, was er war. Ein erschreckender und zugleich sehr menschlicher Anblick, der einige von den
Vorbehalten zum Einsturz brachte, die Aiko bisher gegen ihn gepflegt hatte. »Unsere Gruppe hat vielleicht Ihr Recht auf Freiheit für einige Monate eingeschränkt«, ereiferte sich Mr. Black inzwischen weiter, »aber was ist das schon im Vergleich zu dem, was die tun, die wir bekämpfen? Die Nordmänner in Europa und die Ostmänner in Asien - ihre Feldzüge haben schon Tausende das Leben gekostet!« Abrupt hielt der Rebell inne, unfähig, noch weiter zu reden. Seine Atemfrequenz hatte sich deutlich erhöht, feuchter Glanz schimmerte in seinen Augen. Auch wenn es absurd klang, plötzlich machte er einen ebenso abgekämpften Eindruck wie Dave McKenzie. Ehe der erregte Streit zwischen den beiden erneut aufflammen konnte, trat Matthew Drax dazwischen. »Mr. Black hat Recht«, sagte er zu seinem alten Staffelkameraden. »Dir wurde sicher Unrecht getan, aber der Feind steht woanders. Jacob Smythe und Lynne Crow sind irgendwo am See. Wir müssen alle zusammenstehen und uns gegen ihren Wahnsinn zur Wehr zu setzen.« McKenzies leerer Blick füllte sich augenblicklich mit Leben. »Professor Smythe ist am Leben?«, fragte er überrascht. Matt bestätigte mit grimmigen Gesicht. Bevor er zu einer Erklärung ansetzen konnte, mischte sich Rulfan in das Gespräch ein. »Vielleicht können wir die große Diskussionsrunde auf später verschieben«, bat er. »In der Festung gibt es nämlich einen Verletzten, der dringend ärztlicher Hilfe bedarf.« Mit knappen Sätzen berichtete der Albino, was McKenzie und er in der Zitadelle vorgefunden hatten, bevor er fragte: »Besitzt einer von Ihnen vielleicht Medikamente gegen Brandwunden?« »Da lässt sich was machen«, versprach Aiko eingedenk des Regenerationsgels in seiner Tasche. »Schafft den Mann her, ich bin sicher, wir finden im ARET eine sterile Umgebung vor.«
Die knisternde Spannung, die sich zwischen den einzelnen Mitgliedern der Gruppe aufgebaut hatte, wurde rasch von allgemeiner Geschäftigkeit abgelöst. Jeder suchte plötzlich nach einer Aufgabe, um nicht mit dem ungeliebten Nebenmann sprechen zu müssen. Selbst McKenzie zeigte sich bereit, zurückzustecken. Matt klopfte dem Professor dankbar auf die Schulter. »Wirst schon sehen, Dave, das klärt sich alles in den nächsten Tagen. Im Dienst der Sache müssen wir eben unsere Gefühle im Zaum halten.« Matts Blick blieb ein wenig länger an dem davoneilenden Rulfan hängen, bevor er bitter hinzufügte: »Auch wenn es manchmal schwer fällt.« * Wie es weiter ging... Als das grollende Ungetüm auf der Lichtung erschien, liefen alle Hatakma vom Übungsplatz, um sich hinter den sicheren Mauern der Festung zu verstecken. Nur Bru’ban blieb zurück, denn er verspürte keine Furcht vor dem Unbekannten. Seit der wundersamen Rettung in den Bergen waren zwei milde Winter vergangen, in denen er die täglichen Waffenübungen mehr schlecht als recht hinter sich gebracht hatte. Während sein Umgang mit dem Schwert stets zu wünschen ubng ließ, entwickelten sich Bru’bans inneren Kräfte zu einer feurigen Macht, die fordernd durch alle Adern pulsierte. Des Nachts schlich er manchmal davon, um im nahen Waldhain morsche Baumstümpfe, Aste oder Früchte gezielt zu entzünden. Diese Heimlichkeit war nötig, damit weder seine Eltern noch der Lehrmeister von seinen Übungen erfuhren. Eine Tracht Prügel wäre noch das Wenigste, was ihn erwartete, falls sein Geheimnis entdeckt wurde. »Du musst den Dämon in dir bezwingen«, hatte ihm sein Vater stets aufs Neue eingeschärft, obwohl Bru’ban in der
Feuerkraft längst einen Freund sah, der sie immerhin vor dem Erfrieren bewahrt hatte. Das Selbstvertrauen, das der Junge aus seinem Geheimnis schöpfte, konnte ihm keiner mehr nehmen. Und obwohl einige Rivalen nicht müde wurden, ihn bei Ri’bana als Schwertkämpfer zweiter Güte zu denunzieren, blieb ihm die Liebste stets treu verbunden. Vielleicht weil sie spürte, dass es mehr im Leben gab, als einen Gegner mit einem gezielten Schwertstreich in zwei Hälften zu zerteilen. Alle Tiere furchten das Feuer, dachte Bru’ban, während das grollende Ungetüm langsam naher kam. Selbst wenn sie so groß sind wie dieses. Mit diesem Wissen gestärkt, beobachtete er seelenruhig, wie die Bestie naher rumpelte und nur wenige Schritte von ihm entfernt verharrte. Solch runde Beine, wie sie dieses Tier besaß, hatte kein Woiin’metcha zuvor gesehen. Das von einer hornigen Hülle umgebene Ungetüm musste wirklich eine weite Wanderung hinter sich haben. Unter den Männer und Frauen seines Stammes hob ein lautes Raunen an, als sie sahen, dass Bru’ban das unbekannte Wesen zu bezähmen vermochte. Seine Eltern waren die Ersten, die zu ihm aufschlossen. Erst danach wagten sich Lehrmeister Okaja und der Stammesrat näher. Die Lichtung leerte sich allerdings sofort wieder, als das Ungetüms ein silbern gekleidetes Pärchen ausschied, das gefrorene Eishauben über den kahlen Schädeln trug. Bru’ban war erneut der Einzige, der sich nicht von der Stelle rührte. Die Fremden, die in dem großen Tier lebten, verneigten sich deshalb vor ihm, als wäre er der Häuptling des Stammes. Aus den silbernen Gewändern drang eine fremde Sprache, die Bru’ban nicht verstand, doch bereits während der restliche Stamm laut palavernd näher rückte, schnappten die Kahlköpfigen genügend Gesprächsbrocken auf, um einen abgehackten Dialog zu beginnen.
Bru’bans Körper begann zu zittern, weil die Aufregung seinen Körper zu entflammen drohte, doch zum Glück zeigten die täglichen Übungen im Wald Fruchte. Er bezähmte den dämonischen Freund und hielt ihn in den Tiefen seines Körpers unter Verschluss. Um seine Aufregung zu lindern, sprach Bru’ban unablässig auf die Fremden ein. Auch wenn sie ihn anfangs nicht verstanden, schien ihnen doch jeder neue Satz dabei zu helfen, die Sprache der Woiin’metcha zu erlernen. Obwohl nur Dolmetschern der Erstkontakt zu Fremden erlaubt war, brachte ihm sein furchtloses Auftreten viel Respekt bei den Stammesbrüdern und Schwestern ein. Wie viel, entdeckte Bru’ban, als er Madri’gals wütendes Gesicht zwischen den anderen Hatakma ausmachte. Der Rivale sah tatsächlich seine Felle bei Ri’bana davonschwimmen. Allein das machte schon die Schläge wett, die Bru’ban später für seinen Regelverstoß erhalten sollte. Einem vollwertigen Krieger hätte die gleiche Verfehlung wohl die Stimmbänder gekostet, doch den Hatakma gestand man noch Fehler zu, ohne sie mit der vollen Härte des Rechts zu strafen. Auch in den folgenden Tagen suchte Bru’ban immer wieder die Nähe der Fremden, die sich selbst als Bürger der russischen Bunkerliga bezeichneten. Wann immer seine knappe Zeit zwischen Übungsstunden, häuslichen Pflichten und Händchenhalten mit Ri’bana es erlaubte, unterhielt sich der Junge mit Boris, Oldriska, Nikolai und Walerie. Insgesamt vier Burger lebten in dem Ungetüm, das in Wirklichkeit kein Tier, sondern ein großer Karren war. Das Leben dieser Burger gefiel Bru’ban ausnehmend gut, denn es wurde nicht von so vielen Regeln behindert wie das seine. Boris und die anderen störte es nicht, wenn sie zuerst mit dem linken Fuß aus dem Karren stiegen oder wenn ihnen ein Jüngerer in die Augen sah.
Schwertkampf spielte in ihrem Volk ebenfalls keine große Rolle. Die vier Bürger besaßen nicht einmal Waffen. Eine Gemeinschaft, wie man sie sich wohl nicht schöner wünschen konnte; doch Bru’bans Einschätzung besaß unter den Woiin’metcha nicht viele Freunde. Nach einigen Tagen, als der Junge genügend Vertrauen gefasst hatte, zeigte er Boris und Oldriska, dass er ein Feuer mit reiner Gedankenkraft entzünden konnte. Seine bange Hoffnung, dafür weder Furcht noch Ablehnung zu ernten, wurde sogar festungshoch übertroffen. Die Bürger bezeichneten ihn als die größte Entdeckung der bisherigen Forschungsreise und riefen sofort die anderen beiden herbei, damit er sein Kunststuck vor ihnen wiederholte. Und das nicht nur einmal. Eilig schaffte die vier einige seltsame Geräte herbei, die piepten, summten oder hektische Bewegungen unter gewölbten Eisscheiben vollführten. Jedes Mal, wenn Bru’ban nun etwas entzündete, schauten sie sofort auf ihre Piepser und schrien vor Begeisterung auf. Sie nannten Bru’ban einen hochbegabten Mutanten, der ein besonderes Talent besäße, das ihn all seinen Mitbürgern in der Kristallfestung überlegen machte. Dem Jungen wurde bei diesen Worten warm ums Herz. Bürger der russischen Bunkerliga hätte er sein mögen. Als er Böris und den anderen erzählte, dass er sein Talent vor den anderen Woiin’metcha verbergen musste, wollten sie es zuerst nicht glauben. Trotzdem willigten die neuen Freunde ein, sein Geheimnis zu wahren. So schön und voller Erfahrung diese Tage aber auch waren, das gute Verhältnis zu den Bürgern rief auch Neider auf den Plan. Okaja, der Lehrmeister aller Hatakma, ließ Bru’ban den Unwillen am stärksten spüren. Immer neue Aufgaben bürdete er dem Schüler auf, um seine Zeit für Zusammenkünfte zu beschränken. Und als ob das nicht reichen würde, drängte er den Stammesrat dazu, ein Festessen zu Ehren der Silbernen
(wie Okaja sie verächtlich nannte) auszurichten. Als Bru’ban von der Einladung hörte, durchfuhr ihn eisiger Schrecken. Solche Bankette waren schon manchem Fremden zum Verhängnis geworden, der ohne Dolmetscher der Mastr’ducha zu Besuch kam. Denn sobald ein Gast die Türschwelle eines Woiin’metcha übertrat, galten für ihn die gleichen strengen Regeln wie für die Hausherren. Bru’ban versuchte noch, die vier Bürger zu warnen. Doch sie schenkten seinen hastig gestammelten Worten keinen rechten Glauben, ja warfen ihm sogar vor, eifersüchtig zu sein, weil sie sich auch mit den Übrigen seines Stammes gut verstanden. Ob dieser gemeinen Vorwürfe brodelten die Gefühle so stark in dem Jungen empor, dass Bru’ban alle Kraft darauf verwenden musste, seinen feurigen Leib unter Kontrolle zu halten. Das zitternde Schweigen wurde von den Bürgern als betretene Zustimmung gewertet, worauf sie Richtung Festung fortgingen und so direkt ins Verderben liefen. Es kam, wie es kommen musste. Oldriska, die barhäuptige Frau, setzte sich links neben den Häuptling und sprach ihn während der Mahlzeit mehrmals an. Das angebotene Essen lehnten alle vier ab, weil sie ihre Eishauben nicht abnehmen wollten oder konnten. Außerdem sah Nikolai mehreren älteren Männern direkt in die Augen. Diese Beleidigungen reichten aus, um Oldriska und Nikolai zum Tod durch rituellen Schwertkampf zu verurteilen. Boris und Walerie, denen Mittäterschaft vorgeworfen wurde, schaffte Okaja zu den Bergwerken der Narod’kratow, wo sie den Rest ihres Lebens unter Tage schuften mussten. Als Bru’ban das Blut der Erschlagenen auf dem Übungsplatz versickern sah, brodelten in ihm erneut die Gefühle hoch. Heißer, fordernder als je zuvor. Diesmal war es nur dem Eingreifen seines Vaters zu verdanken, dass der Feuerdämon nicht aus ihm hervorbrach.
»Ganz ruhig bleiben«, mahnte Obeysa, während er die Schulter seines Sohnes mit festem Griff umklammerte. »Du bist ein Woiin’metcha und kein Silberner, vergiss das nicht. Das bist du deiner Mutter und mir schuldig.« Brennend heiße Tränen schossen Bru’ban in die Augen, als er Boris und Walerie am Horizont verschwinden sah. Die schönen Tage, in denen der Junge andere - und aus seiner Sicht bessere - Werte als Schwertkampf und regelgerechtes Verhalten kennen gelernt hatte, waren unwiederbringlich vorbei. Was ihm jedoch blieb, war das Wissen, dass er keinen Dämon, sondern ein Talent in sich trug. Eines, das ihn mächtiger als alle anderen Woiin’metcha machte. * Während der Verletzte aus der Festung geholt wurde, enterten Matt und Aiko die Heckschleuse des ARET. Abgesehen von dem scharf umrissenen Lichtquadrat, das von außen einfiel, war es recht dunkel in der Kammer. Sobald sie aber den ersten Fuß auf den Boden setzten, flammte eine schwache Glühbirne auf. In ihrem Licht orientierten sie sich kurz an einem einfachen Schaltpult, um den Einschleusungsvorgang zu starten. Summend fuhr die äußere Klappe zurück und schloss den Rumpf mit Hilfe beidseitiger Dichtungswülste hermetisch ab. Die Notbeleuchtung erlosch. Dafür sprangen fünf UV-Röhren an, die den Raum in ein blaues Lichtmeer tauchten. Gleichzeitig öffneten sich feine Düsen in den Wänden, die ein scharf riechendes Desinfektionsmittel versprühten. Matt und Aiko schlossen die Augen und hielten den Atem an. Niemand wusste, wie der feine Nebel auf Netzhaut und Luftwege wirkte, denn die Technos ließen den Reinigungsprozess für gewöhnlich in Schutzanzügen über sich
ergehen. Der ganze Vorgang dauerte nur fünfzehn Sekunden, dann sprang eine Umwälzpumpe an, die die vorhandene Luft absaugte und durch gefilterte ersetzte. Matt ließ neuen Atem in seine Lungen strömen. Die Luft schmeckte nicht anders als sonst. Die UV-Lampen verloschen wieder, das Notlicht kehrte zurück. Danach ertönte ein leises Zischen. Das innere Schott fuhr in die Höhe und gab den Weg frei. Durch eine achtzig mal achtzig Zentimeter große Öffnung gelangten sie in einen Schlafraum, der mit übereinander liegenden Klappbetten ausgestattet war, zwei an jeder Seite. Ein Dachfenster aus Panzerglas spendete natürliches Licht, Bilder an den Wänden und eine blaue Decke auf dem festgeschraubten Tisch schafften wohnliche Atmosphäre. Zwar im billigen Camping-Stil, aber immerhin. Zwei benutzte Gläser und ein mitten im Spiel befindliches Schachbrett (Weiß stand kurz vor der Niederlage) erweckten den Eindruck, als ob die Bewohner nur kurz aus dem Raum gegangen wären. Der Überfall durch die Woiin’metcha musste völlig überraschend gekommen sein. Matt gönnte dem Ruheraum nur ein paar flüchtige Blicke, bevor er durch einen Kriechgang in das nächste Panzersegment kroch. Der Mittelteil des ARET bestand aus einem voll eingerichteten Laboratorium. Auch hier fiel Licht ein, sogar durch zwei Dachfenster. Technische Apparaturen und Monitore säumten die Wände, alle außer Betrieb. Eine unheimliche Stille lastete auf dem Panzer, der genauso tot wirkte wie seine Besatzung. Die Mitte des Labors dominierte ein rechteckiger Arbeitstisch, auf dem ein kreatives Chaos aus offenem Laptop, Werkzeug, Oszillator, Voltmesser, gläsernen Versuchsaufbauten und einem Bunsenbrenner herrschte. Hier fand sich alles, was das Wissenschaftlerherz begehrte.
Unter einer schweren Stahlabdeckung schlummerte die Kraftquelle des riesigen Fahrzeugs, ein atomarer Fusionskern. Nicht gerade der umweltfreundlichste Antrieb, aber für Beschwerdebriefe an den Hersteller war es wohl zu spät. Aiko ließ sich mit hörbarem Schnaufen in einen drehbaren Konturensessel fallen und fingerte am nächstbesten Computer herum. Der Einschaltknopf war auch ohne Fremdsprachenkenntnisse nicht zu übersehen. Summend fuhr das System hoch und ein Flachbildmonitor erwachte zu farbigem Leben. Bereits dieses Anzeichen von Geschäftigkeit reichte, um die beklemmende Stille zu verscheuchen. Plötzlich war der Raum ein Labor wie jedes andere auf der Welt. Ein wenig steril vielleicht, aber nicht der schlechteste Platz, an dem man sich aufhalten konnte. Vor dem Hintergrund einer Sowjetfahne bauten sich kleine Symbole auf, über die auf das System zugegriffen werden konnte. Eines von ihnen war eine schematische Zeichnung des ARET. Aiko drückte mit dem Zeigefinger auf die sensitive Oberfläche, worauf das Symbol hochgezoomt wurde. Durch weiteres Anklicken konnten Detailausschnitte, Grundrisse und 3-D-Animationen aufgerufen werden, bis hinab zur kleinsten Schraube. Ein Füllhorn an kyrillisch beschrifteten Informationen. Zu viele, um innerhalb von Minuten das Wichtigste herauszufiltern. Aiko verschränkte die Hände hinterm Kopf und schwenkte in dem Drehstuhl herum. Seine vor Wissbegier glänzenden Augen ruhten auf Matt. »Gib mal den Translator rüber«, forderte er. »Das muss doch einfacher gehen.« Matt nahm den Spikkar-Schädel vom Hals und reichte ihn am Band weiter. Er war nicht weiter überrascht, als unter Aikos rechtem Handballen plötzlich ein zwanzig Zentimeter langer
Dorn hervorsprang, ohne auch nur einen Blutstropfen zu verursachen. Auch wenn die Arme des Asiaten äußerlich ganz normal aussahen, so waren sie doch mechanisch und bestanden aus einer mit Laborhaut überzogenen Plysterox-Legierung. Den silberner Interface-Dorn hatte Aiko schon mehrfach benutzt, um sich in andere Computer einzuklinken. Diesmal suchte er einen Zugang zum Translator. Während er die offene Unterseite des Schädels betrachtete, verfiel er in eine Art Selbstgespräch, so wie viele Menschen, die jahrelang alleine vor sich hin bastelten. »Irgendwo war doch ein Zugangsport... Ah ja, hier... hm... wieso geht das jetzt nicht?... Ach so, ich bin ja schon drin!« Triumphierend sah er in die Höhe. »Download lauf t.« Matt wusste, dass der Cyborg gewisse Datenmengen in seine neuralen Speichererweiterungen laden konnte. Auf diese Weise hatte er beispielsweise während der Schlacht um El’ay den spanischen Grundwortschatz aufgespielt, damit er Kontakt zu den Mechicos aufnehmen konnte. »Sind die russischen Daten kompatibel zu deinem System?«, fragte Matthew hoffnungsvoll. »Kein Problem«, behauptete Aiko. »Wozu gibt es Hilfsprogramme? Ich muss allerdings mein Spanisch und Japanisch überspielen. Macht aber nichts. Russisch und Woiin’metcha ist zur Zeit wichtiger.« Eine Minute später war der Kopiervorgang beendet und Matt erhielt den Translator zurück. Mit neuem Wissen versorgt, wandte sich Aiko wieder dem ARET-System zu. Statt das Menü manuell zu durchforsten, setzte er erneut den Interface-Dorn ein, diesmal am Hauptrechner. Mittels seiner internen Suchprogramme kam er so viel schneller zum Ziel. »Ein Hoch auf Boris!«, rief der Cyborg kurz darauf aus. »Der Rechner lässt sich auf englische Schrift und Sprachausgabe umstellen. Das macht den täglichen Betrieb
wesentlich einfacher für uns. Jetzt muss ich nur noch ein paar Sicherheitsprotokolle umschreiben, dann können wir beide Schleusentore gleichzeitig öffnen. Von uns ist ja keiner auf eine sterile Umgebung angewiesen.« »Sehr gut«, lobte Matt, von plötzlicher Müdigkeit erfüllt. Mit der Schulter gegen die Wand gelehnt, starrte er auf den vorderen Kriechgang, der in die leere Fahrerkabine führte. Aikos Augen weiteten sich leicht. Er kannte Matt mittlerweile lange genug, um eine Stimmungsschwankung zu registrieren. Während seine künstlichen Komponenten selbstständig weiter arbeiteten, drehte sich der Cyborg so weit im Sessel, wie es der implantierte Dorn zuließ. Sein fragender Blick lastete eine Weile schweigend auf Matt, und als das nicht reichte, half er mit Worten nach. »Ist alles in Ordnung?« Matt zuckte mit den Schultern. »Ja, sicher. Was soll schon sein?« Die Lüge kam ihm sicher über die Lippen, doch er vermochte Aiko dabei nicht in die Augen zu sehen. Ein unverständliches Brummen von sich gebend, blickte er zur Decke. Deutlicher ging es gar nicht. Genauso gut hätte er mit »Nein« antworten können. Aiko nickte verstehend. »Rulfan und du, ihr seid nicht gerade die besten Freunde, was?« Matt stieß einen Zischlaut aus. »So kann man es auch nennen.« Sein Blick wanderte im Labor umher, das ihm plötzlich unentrinnbar wie eine Gefängniszelle vorkam. Während er überlegte, wie viel er preisgeben sollte, bohrte Aiko nicht weiter nach, sagte aber auch nichts, was vom Thema ablenken könnte. Matt schaute durch den schmalen Durchstieg zum Heckschott. Solange es geschlossen war, konnten sie gefahrlos über alles reden. Unerwünschte Mithörer hatten angesichts der Panzerung keine Chance.
»Er hat mit Aruula geschlafen«, platzte es dann mit einer Heftigkeit heraus, die Matt selbst überraschte. »Auf der Fahrt mit dem Luftkissenboot, als sie nach Meeraka unterwegs waren, um mich zu suchen. So ein Dreck. Und jetzt scharwenzelt der Kerl auch noch vor meiner Nase um Aruula herum.« »Oha.« Auch wenn Aiko sich schon etwas Ähnliches gedacht haben musste, schien er überrascht. »Das hätte ich Aruula gar nicht zugetraut. Sonst bist du doch immer ihr ein und alles.« Bei den letzten Worten klangen Zweifel an Aruulas Ehrbarkeit durch, das durfte Matt natürlich nicht so stehen lassen. »Eigentlich darf ich ihr keine Vorwürfe machen«, stellte er richtig. »Wir waren Monate lang getrennt, ohne zu wissen, ob der andere noch lebt oder wir uns jemals Wiedersehen.« »Trotzdem«, beharrte Aiko. »Ich kann deinen Ärger gut verstehen. Du übst dich die ganze Zeit in Enthaltsamkeit, und dann erfährst du...« Der Cyborg war keineswegs so naiv, wie es den Anschein machte. Matt hörte den lauernden Unterton deutlich heraus. Mit aufwallendem Zorn fasste er sein Gegenüber ins Auge. »Du kommst dir wohl sehr schlau vor, was?« Aiko gelang es nicht ganz, ein Grinsen zu unterdrücken. »Da schau her«, neckte er. »Wie hieß denn die Kleine? Und wo kam sie her? Sah sie gut aus? Komm schon, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.« »Sie hieß Rhian«, brauste Matt auf, »und es war in Philadelphia! Aber nur ein einziges verdammtes Mal... mit ihr.« »Mit ihr?«, echote Aiko, und Matt hätte sich ohrfeigen können, dass es ihm herausgerutscht war. »Nun, es gab da noch Dayna... Major Dayna DeLano, im Pentagon-Bunker in Washington. Aber das war mehr Mittel zum Zweck, um an eine Codekarte zu kommen.«
Damit konnte er bei Aiko keine Ehrfurcht erringen. »Tatsächlich? Und beide Male hat es dir wohl nicht mal Spaß gemacht, was?« »Idiot!« Matt sprang wütend einen Schritt vor und straffte seine Gestalt. »Rhian ist tot, und Dayna wurde vom Weltrat das Gehirn umgekrempelt! Das ist der große Unterschied, verdammt noch mal! Rulfan läuft dagegen draußen herum.« Seine Augen bohrten sich in die stählerne Außenwand des ARET, als könnte er den Rivalen auf der gegenüberliegenden Seite ausmachen. »Und er begehrt Aruula immer noch, das spüre ich genau.« Als Aiko merkte, das er zu weit gegangen war, versuchte er Matts Gefühlsausbruch zu dämpfen. »Ganz ruhig, was soll die Aufregung? Jetzt, wo Aruula schwanger ist, ist er sowieso abgemeldet.« »Ja, sicher«, bestätigte der Pilot ironisch, »Aruulas Schwangerschaft verbindet uns natürlich. Vor allem, weil sie vor aller Welt bestreitet, dass das Kind von mir ist.« Matts Widerspruch forderte Aiko nur zu weiteren Analysen heraus. »Du musst Aruula eben deine Liebe beweisen«, schlug er vor, ganz wie ein Radio-Onkel aus längst vergessener Zeit. »Ach ja?« Matts Glaube an Aikos amouröse Fähigkeiten hielten sich in Grenzen. »Wie denn? Blumenläden sind hier dünn gesät.« »Ganz einfach«, gab Aiko trocken zurück. »Schlag dich mit Rulf an.« »Wie bitte?« Matt war schockiert. »Primitiver geht’s doch wohl nicht.« »Absolut richtig.« Der Überraschung, dass Aiko sofort zustimmte, folgte umgehend die Erklärung: »Willkommen im 26. Jahrhundert, Matthew Drax. Deine Angebetete ist eine Barbarin, schon vergessen? Die steht auf Kerle, die um sie kämpfen. Wenn du sie behalten willst, musst du es ihr auch zeigen. Überleg mal - falls du es nicht tust, fordert dich
vielleicht Rulfan eines Tages heraus. Dann bist du im Hintertreffen.« Während Matt noch über die Richtigkeit dieser Theorie nachgrübelte, klappten die Schleusentüren mit einem doppelten Zischen auf. Aiko zog den Interface-Dorn aus dem Hauptrechner und ließ ihn im Arm verschwinden. Nur ein winziger Schnitt zeigte die Stelle an, unter der er verborgen lag. Stimmen am Eingang kündeten vom Eintreten mehrerer Männer und Frauen. Aiko eilte nach hinten, um den verletzten Woiin’metcha entgegenzunehmen. Im Vorbeigehen schlug er Matt aufmunternd auf die Schulter. »Denk an meine Worte!«, forderte er. Und ließ den Piloten mit seinen Sorgen allein. * Wie es eskalierte... Bru’ban sah zwar noch einen verräterischen Reflex in der Luft glitzern, doch zum Reagieren war es bereits zu spät. Mit einem dumpfen Knall hämmerte das Schwert so hart gegen seinen Kopf, das ihm schwarz vor Augen wurde. Obwohl Okaja nur mit der flachen Klingenseite zugeschlagen hatte, verlor er das Gleichgewicht. Als sich sein Blick wieder klärte, kniete Bru’ban bereits im Staub. Lautes Pochen erfüllte den Schädel, doch das hämische Gelächter der übrigen Schüler war weitaus schlimmer als der körperliche Schmerz. In den Übungsstunden kannte Meister Okaja keine Gnade mit jenen, die nicht zu seinen Lieblingen zählten. Und von allen Ungeliebten, die er auf dem Kieker hatte, nahm er Bru’ban besonders eng an die Kandare. Mit tränenden Augen stemmte sich der geschlagene Hatakma in die Höhe und nahm erneut Grundstellung ein.
Oberhalb seiner rechten Schläfe gewann das heiße Pochen weiter an Intensität. Dort würde bald eine riesige Beule heranwachsen, doch sein Lehrmeister schien nicht gewillt, die Übung abzubrechen, damit er die Stelle am Brunnen kühlen konnte. Okajas Klinge kam nicht einen Augenblick zur Ruhe. Unablässig von einer Hand in die andere wechselnd, wob sie ein flirrendes Silbergeflecht, aus dem sie jederzeit ausbrechen und erneut zuschlagen konnte. Bru’ban versuchte die Waffenbahn im Auge zu behalten, denn er wusste, dass weitere Attacken folgen würden, um seine Deckungsschwächen unbarmherzig offenzulegen. »Steif wie ein Silberner«, höhnte Okaja kopfschüttelnd. »Hast du denn nichts gelernt in den letzten zwei Sommern?« Unter das Gelächter der Hatakma, die rechts der Kampfbahn standen, mischte sich plötzlich auch ein helles Kichern, wie es nur aus jungen weiblichen Kehlen stammen konnte. Eisiger Schrecken durchdrang Bru’ban bis ins Knochenmark. Ihr Mächte im See, bat er, bitte lasst nicht Ri’bana dabei sein. Sein Wunsch wurde nicht erhört. Als Bru’ban einen schnellen Seitenblick nach links warf, machte er eine Mädchengruppe aus, unter der sich auch die Liebste befand. Wenigstens war Ri’bana die Einzige, die nicht über ihn lachte. Die Hände vor den Mund geschlagen, wie um einen Schrei zu unterdrücken, stand ihr blankes Entsetzen in den Augen. Sie sorgte sich um ihn, das tat Bru’ban gut. Gerne hätte er seine Lippen zu einem lockeren Lächeln entspannt, doch bevor er so tun konnte, als wäre alles halb so schlimm, traf ihn ein lähmender Schlag am linken Oberarm. »Hier steht dein Gegner!«, herrschte ihn Meister Okaja an. »Wenn das ein echter Kampf wäre, hättest du jetzt einen Arm weniger. Und jetzt...«, die stumpfe Spitze des Übungsschwertes bohrte sich in Bru’bans Rippen, »wärst du tot!«
Bru’ban knickte vornüber, mühsam darum bemüht, auf den Beinen zu bleiben. Sein gesamter Oberkörper stand in Flammen. Das Schwert konnte er nur mehr mit der Rechten halten, während sein linker Arm taub in die Tiefe baumelte. Der Meister hatte einen Nerv geprellt, wohlüberlegt und zielgenau. Überheblich tänzelte er um seinen Schüler herum und ließ weiter Finte auf Finte folgen, die Bru’ban nur andeutungsweise abfangen konnten. Okaja liebte solche Vorstellungen, die seine Übermacht bewiesen. Sie dienten zur Einschüchterung all derer, die nicht seinen Ansprüchen genügten. Dass Talent unterschiedlich verteilt sein mochte, ließ er nicht gelten. Wer es unter seiner Anleitung nicht zur Perfektion im Schwertkampf brachte, war seiner Meinung nach einfach nur faul. Der Jubel der Zuschauer entsprach ziemlich genau dem jeweiligen Leistungsstand der einzelnen Hatakma. Die Gruppe um Madri’gal und Kookk johlte am lautesten, andere wie Kenklak, Lut’or oder VilTsma verhielten sich auffallend ruhig. Sie wussten nur zu genau, dass ihnen die gleiche demütigende Prozedur bevorstand. Wenn nicht heute, dann an einem anderen Tag. »Steif wie ein Silberner!«, höhnte Okaja so laut, dass es bis zur Festung zu hören sein musste. »Wir hätten dich mit in die Minen schaffen sollen! Dort wärst du wenigstens zu etwas nütze!« Die Freundschaft zu den Bürgern trug Okaja seinem Schüler immer noch nach, dabei war doch die Lebensweise der Fremden dem Regelwahn der Woiin’met-cha weit überlegen. Ja, Bru’ban hatte lange darüber nachgedacht und sich seine eigene Meinung zu den unsinnigen Regeln gebildet, die sein Volk von anderen Stämmen isolierte. Unsinnige Regeln wie die, dass es jeder Woiin’metcha zur Meisterschaft im Schwertkampf bringen musste, ob er nun Talent dafür aufwies oder nicht. Mitleidlose Regeln, die jedem
mit Tod oder Ausschluss aus der Gemeinschaft drohten, wenn er nicht konform ging, oder gar aus der Art schlug. So wie Bru’ban. Wut stieg in dem Jungen auf. Erst leise, kaum merklich züngelnd, doch mit jedem weiteren Schlag, der ihn traf, loderte sie höher, wie durch einen Blasebalg angefacht. Bru’ban kümmerte sich nicht mehr um die Hiebe, die auf ihn niederprasselten. Er war voll und ganz damit beschäftigt, den inneren Dämon zu bezwingen. Ein Zittern lief durch seinen Körper, seine Muskeln verkrampften sich. Nicht jetzt, dachte er entsetzt. Die Schwertspitze zu Boden gerichtet, stand er hilflos da, die Oberarme in einer unnatürlichen Stellung fest an den Körper gedrängt. Unartikulierte Laute drangen über seine Lippen. Okaja, der nichts von dem inneren Kampf ahnte, spuckte verächtlich aus. »Was soll das?«, brüllte er über den Kampfplatz hinweg. »Glaubst du vielleicht, deine Gegner lassen sich mit solch einer Taktik bezwingen?« Das Übungsschwert schien dem Lehrmeister plötzlich zu schade für weitere Lektionen. Unversehens kreiselte er auf der linken Ferse herum und trat aus der Drehung heraus mit dem rechten Fuß gegen Bru’bans Brustkorb. Der wie gelähmt torkelnde Schüler landete der Länge nach im Staub und schürfte sich die Haut an mehreren Stellen auf, doch im Konzert der summenden Schmerzen fielen ein paar Blessuren mehr nicht weiter auf. Ehe Bru’ban sich herumwälzen konnte, nagelte ihn Okajas Fuß schon auf der Stelle fest. Die raue hornige Ferse, die genau zwischen Ohr und Schulter saß, drückte ihn erbarmungslos in die Tiefe. »Was für ein Schlappschwanz du doch bist«, sagte der Meister überraschend leise. Das passte nicht richtig zu ihm. Sonst konnte er seine Demütigungen gar nicht laut genug in die
Welt hinaus posaunen. »Und da wagst du es, um eine der Schönsten der Festung zu freien? Lass gefälligst deine Finger von Ri’bana. Ihre Aufgabe ist es, starke Krieger für den Stamm zu gebären, und die kann ein Schwächling wie du nicht zeugen. Hast du verstanden?« Den Staub aus seinen Augen zwinkernd, sah Bru’ban zu der Mädchengruppe hinüber, inmitten der Ri’bana alles verfolgte. Ihre Anwesenheit im Augenblick seiner größten Demütigung war also kein Zufall. Plötzlich sah Bru’ban vollkommen klar. Auf der Schwelle zur Frau wurde Ri’bana natürlich von vielen Hatakma begehrt, unter anderem auch von Mad-ri’gal, Okajas erklärten Liebling. Dem hohlen Muskelprotz zuliebe wurde also dieses Schauspiel inszeniert! Damit Ri’bana mit eigenen Augen sehen konnte, was für einem jämmerlicher Versager ihr Liebster doch war. »Ob du mich verstanden hast?«, wiederholte Okaja. Gleichzeitig verstärkte er den Druck seiner Ferse, bis das Blut in Bru’bans Kopf zu rauschen begann. Ein gefährliches Knacken wurde hörbar, ohne dass sich der Druck lockerte. Der Schwertkrieger schien tatsächlich bereit, den Tod seines Schülers zu riskieren. Warum auch nicht? Bru’ban wäre nicht der erste Hatakma, der sein Leben auf dem Übungsplatz verlor. Doch die brutale Folter konnte den Jungen weder brechen, noch Ri’banas Gefühle beeinträchtigen. Während sie den Liebsten voller Mitleid ansah, breitete sich Bru’bans Zorn aus wie ein Flächenbrand. Jede Faser seines Körpers wurde von dem unheiligen Feuer erfasst, das durch seine starken Gefühle neue Nahrung fand. »Was mischt Ihr euch da ein?«, presste er unter großer Anstrengung hervor. »Mit wem Ri’bana oder ich einen Bund eingehen, ist alleine unsere Sache.« »Da irrst du dich gewaltig, kleiner Freund der Silbernen.« Okaja lüftete den Fuß, allerdings nur, um Bru’ban in den
Rücken zu treten. »Du musst noch viel über die Regeln der Woiin’metcha lernen. Und jetzt auf, damit ich dir die Prügel deines Lebens verpassen kann.« Der Schwertkrieger trat auf doppelte Klingenlänge zurück und winkte Bru’ban mit der linken Hand heran. Ein arrogantes Lächeln umspielte seine Lippen, während er die Bewegungen des Schülers mit Rochenaugen beobachtete. Okaja wusste genau, dass er im Schwertkampf gegen einen Hatakma unmöglich unterliegen konnte. Bru’ban besaß nicht die geringste Chance gegen ihn. Das machte den Lehrmeister so überheblich. Dabei war er nur in dem gut, was die Regeln der Woiin’metcha als höchste Tugend erachteten. Einen Kampf nach meinen Regeln würde er verlieren. Dieser Gedanke ließ die letzten Hemmschwellen in Bru’ban bersten. Aufwallende Hitze überzog seine braune Haut mit einem roten Schimmer. Okaja mochte das für schamvolles Erröten halten, in Wirklichkeit nahm das Unheil bereits seinen Lauf. »Komm schon«, forderte der Lehrmeister lauthals. »Versuch mich anzugreifen, oder ist dir das Schwert plötzlich zu schwer geworden?« Bru’ban ließ die Waffe tatsächlich in den Staub fallen und riss beide Arme empor, die Handteller nach vorne gereckt. Dabei konnte er förmlich spüren, wie die Hitze durch seinen Körper rollte und sich in den Handflächen manifestierte. Okajas Gesicht verwandelte sich in eine zornige Maske. »Dieser Unfug wird dir nichts nützen«, sagte er gefährlich leise. »Ich verprügle dich trotzdem so lange, bis dich deine eigene Mutter nicht wiedererkennt.« Die Klinge in seiner Rechten zuckte vor, um Bru’ban im Gesicht zu verletzen, doch mitten in der Attacke sprang er wieder zurück, ließ das Übungsschwert fallen und begann an seiner Kleidung zu zerren. Dünne Rauchsäulen stiegen von dem dünnen Stoff auf.
»Was... was ist das denn?«, rief Okaja verwirrt. Augenblicke später gingen seine Wort in einen entsetzten Schrei über, als der Umhang zu brennen begann. Lange Flammenfinger leckten an ihm empor und bissen in sein Gesicht. Geistesgegenwärtig warf sich Okaja zu Boden und rollte auf dem Bauch hin und her, um die Flammen zu ersticken. Ein unfreiwillig komischer Anblick, der viel von der Erhabenheit eines Hohen Kriegers vermissen ließ. Bru’bans Wut verrauchte augenblicklich, stattdessen breitete sich eine diebische Freude in ihm aus. Das Feuer verging darauf so schnell, wie es gekommen war, doch nach diesem Vorfall sollte nichts mehr so wie vorher sein. Auf dem gesamten Übungsplatz herrschte Totenstille, als Okaja wankend in die Höhe kam. Die Rauflust hatte den Lehrmeister verlassen, sogar sein Schwert ließ er auf dem Boden liegen. Ein schwarz angesengter Kreis markierte die Stelle, an der die Kleidung entflammt war. Verbrannte Haut schimmerte unter dem Stoff hervor, doch es war eine Verletzung, die heilen würde. Nur die Schmach, ängstlich wimmernd am Boden gelegen zu haben, würde ewig bleiben. »Wie hast du das gemacht?«, fragte Okaja entsetzt. Bru’ban zuckte nur mit den Schulten, als hätte er nichts mit dem Vorfall zu tun. »Keine Ahnung, wie das passieren konnte. Vielleicht habt Ihr zu lange in der Sonne gestanden.« Natürlich ahnten alle, was wirklich hinter der Entzündung steckte. Schließlich hatte es in der Festung schon andere Woiin’metcha gegeben, die aus der Art geschlagen waren. Bisher hatte es sich allerdings immer um Gedankenleser oder Dingebeweger gehandelt. Feuer aus dem Nichts entstehen zu lassen, dieses Talent war etwas Neues. Da musste ihm der Stamm erst mal einen Zusammenhang beweisen.
Okaja eilte davon, angeblich um dem Häuptling Meldung zu machen; trotzdem wirkte sein Abgang wie eine überstürzte Flucht. Bru’ban grinste zufrieden in die Runde. Keiner der Speichellecker, nicht einmal der starke Madri’gal wagte noch über ihn zu lachen. Im Gegenteil. Blanke Furcht schlug ihm aus den Reihen der Hatakma entgegen. Sicher spürten sie seine Macht, die ihn allen überlegen machte. Ein schönes Gefühl, fand Bru’ban... bis sein Blick Ri’bana erreichte. Wenn er bis dahin wirklich geglaubt hatte, dass die Liebste den Triumph mit ihm teilen würde, so sah er sich nun getäuscht. Ri’banas eben noch mitleidiges Gesicht wies plötzlich die gleiche Mischung aus Ekel und Furcht auf wie das ihrer Freundinnen. Bru’ban verstand die Welt nicht mehr. Er hatte doch alles nur für Ri’bana getan. Sein Talent offengelegt, um ihre Liebe vor der brutalen Einmischung des Lehrmeisters zu schützen, auch wenn er damit gegen die Stammesregeln verstieß. Ri’bana wusste seinen Kampf aber nicht zu schätzen. Dicke Tränen rollten über ihre geröteten Wangen. Als sie den durchdringenden Blick des Liebsten bemerkte, wandte sie sich abrupt ab und rannte weinend davon. Da begann Bru’ban erstmals zu ahnen, wie groß der Fehler war, den er gerade gemacht hatte. * Mit vereinten Kräften bugsierten sie den verletzten Woiin’metcha durch die enge Heckschleuse und betteten ihn auf eine Klappliege. Pieroo war dabei allerdings keine große Hilfe. Ständig neue Hustenanfälle brachten ihn so sehr ins Schwanken, dass er sich in einen Konturensessel fallen lassen
musste. »So, Schluss mit dem Gekrächze«, wies ihn Aiko zurecht. »Hiermit erkläre ich diesen Raum zu unserem vorläufigen Lazarett. Du bleibst gleich für eine Blutentnahme hier. Das gilt auch für Aruula, wegen des Babys. Das ARET-Labor hält alles bereit, was ich für eine vernünftige Analyse eurer Proben brauche.« Während der Asiate zuerst die Brandwunden des Woiin’metcha mit Regenerationsgel behandelte und beim Verbinden von Aruula unterstützt wurde, sahen sich die übrigen Männer und Frauen in dem geräumigen Fahrzeug um. Die gesamte Besichtigung verlief recht schweigsam, denn die meisten, die sich da gegenseitig über die Füße stolperten, waren sich mehr oder minder fremd. Nachdem alle wieder im Ruheraum versammelt waren, breitete sich lähmendes Schweigen aus. Was sie jetzt dringend brauchten, war eine Aufgabe, die sie beschäftigte. Matt ergriff das Wort. »Um den Geheimnissen des Kometen auf die Spur zu kommen, sollten wir unser Hauptquartier direkt an der Quelle des Wissens aufschlagen. Dazu muss ein Lagerplatz angelegt und die Umgebung gesichert werden. Gibt es Freiwillige für einen Erkundungstrupp?« Jed und Majela meldeten sich umgehend, offensichtlich froh, dadurch dem allgemeinen Trubel zu entgehen. »Miss Hardy und ich bilden eine zweite Gruppe«, ließ sich Mr. Black vernehmen. Honeybutt runzelte anfangs die Stirn, weil er ohne Rücksprache über sie verfügte, doch nach einem kurzen Blickkontakt mit Aiko schwand ihr Widerstand. Vermutlich ging ihr gerade auf, dass es für alle besser war, wenn sich einige alte Bekannte erst mal in aller Ruhe aussprachen. »Rulfan und ich kümmern uns inzwischen um die Wasserversorgung in der Festung«, erklärte Dave McKenzie.
Nach kurzer Diskussion, in der sich alle darauf einigten, dass sie vor Anbruch der Dämmerung wieder zusammenkommen wollten, traten die verschiedenen Gruppen ins Freie hinaus. Während Jed und Majela auf ihre Yakks stiegen und nach rechts abbogen, schlenderten Mr. Black und Miss Hardy zu Fuß in die entgegengesetzte Richtung davon. Matthew nahm zwei weitere Yakks am Zügel und heftete sich an die Fersen von Rulfan und McKenzie. Wulf sorgte dafür, dass auch die übrigen Reittiere folgten. »Ihr habt also meine Nachricht erhalten«, versuchte Matt ein Gespräch in Gang zu bringen. »Quart’ol und Mer’ol haben uns mit einer Transportqualle aus London abgeholt und hierher gebracht«, sagte Dave McKenzie. »Nur so war es möglich, die Entfernungen so kurzer Zeit zu bewältigen.« »Und wo sind die beiden jetzt?« »Ihre Transportqualle - in der auch die ganze Ausrüstung liegt, die wir für euch mitgebracht haben - ist noch auf dem Grund des Flusses verankert«, erklärte Rulfan. »Wie hielten es für das Beste, sie erst mal außer Sicht zu halten. Sozusagen als Eingreiftruppe im Hintergrund. Außerdem soll ihre Existenz ja möglichst geheim bleiben.« Alle drei umrundeten einen vorstehenden Erker, hinter dem der angesprochene Wasserlauf sichtbar wurde. »Das sehen wir anders«, tönte Quart’ol, der plötzlich wie aus dem Boden gewachsen vor ihnen stand. »Dieses ständige Versteckspiel schlägt ja aufs Gemüt. Und euch immer nur aus der Ferne zu beobachten ist auch nicht das Wahre.« »Ich freue mich auch, dich zu sehen«, schmunzelte Matt. Wieder einmal kam ihm der Hydrit allzu menschlich vor - kein Wunder, nachdem Quart’ol für sechs Monate mit seinem Bewusstsein verschmolzen gewesen war. Das hatte abgefärbt. »Oh, entschuldige«, sagte der knapp anderthalb Meter große Fischmensch und reichte ihm die Flossenhand. »Möge Ei’don
dein Wasser stets frisch halten, Maddrax.« Und während Matt noch grübelte, ob das tatsächlich eine Begrüßungsformel war oder der Hydrit ihn schlicht verarschte, fuhr Quart’ol fort: »Sag mal, war das nicht der Terminator persönlich, der da eben abmarschiert ist? Ich glaubte, das wäre eine Filmfigur?« Zu den Erinnerungen, die er mit dem Piloten teilte, gehörte auch das Wissen um die vielen Filme, die Matt in seinem Leben gesehen hatte. Folgerichtig hatte der Hydrit Mr. Blacks Gesichtszüge als die des T-800 erkannt. »Deine Begeisterung für diesen Kerl ist völlig fehl am Platz«, bremste Dave seine Begeisterung. »Mr. Black ist dafür verantwortlich, dass Nag’or und ich damals in Waashton in Nährstofftanks gefangen gehalten wurden.« Quart’ols jugendlich wirkendes Gesicht trübte sich bei diesen Worten so sehr, dass plötzlich ein Hauch seines wahren Alters durchschimmerte. Nur wer ihn und seine Geschichte genauer kannte, wusste, dass er ein Quan’rill war, ein Seelenwanderer, der bereits die Erfahrung und Weisheit von zwei erfüllten Leben besaß. Durch widrige Umstände, an denen Matt nicht ganz unschuldig war, steckte Quart’ols Geist nun in einem besonders jungen Klon, dessen sprühende Hormone manchmal zu übermütigem Verhalten führten. In diesem Moment spiegelte aber jede Schuppe seines platten Gesichts den weisen Wissenschaftler wider, der er in Wirklichkeit auch war. Seine Kiemenlappen blähten sich, als er würdevoll klackte: »Das ist eine sehr menschliche Betrachtungsweise, Dave. Wenn wir Hydriten uns von ähnlichen Vorbehalten leiten ließen, dürften wir auch nicht mit deinesgleichen zusammenarbeiten. Vergiss das nicht.« Dave McKenzie wollte zu einer empörten Antwort ansetzen, doch Quart’ol war mit seiner Ansprache noch nicht fertig. An Matt gewandt, fuhr er fort: »Dein gutes Beispiel, aber auch das Pilotprojekt in Sub’Sisco führen langsam zu einem Umdenken in den Tribunalen der Städte-Bünde. Der Tag, an dem
Menschen und Hydriten miteinander kooperieren, liegt vielleicht gar nicht mehr so fern. Sehen wir diese Expedition als Pilotprojekt für eine neue Zukunft zwischen unseren Völkern an.« Neben ihm blähte Mer’ol die Kiemenlappen auf und erzeugte dabei ein Geräusch, das einem Schnauben ähnelte. Er sah die Angelegenheit wohl nicht ganz so optimistisch, schien aber keine ernsthaften Einwände zu haben. Offensichtlich war die begrenzte Zusammenarbeit mit den Menschen von höherer Stelle abgesegnet. Vermutlich von dem Tribunal des NeunStädte-Bundes, der sich auf dem europäischen Kontinentalschelf entlang zog. »Angesichts dieses höheren Ziels bin ich bereit, Vergangenes auf sich beruhen zu lassen«, fuhr Quart’ol an Dave gerichtet fort. »Von einem Wissenschaftler deines Formates erwarte ich eigentlich dasselbe.« McKenzie schmeckte es gar nicht, von einem mit unförmigen Hand- und Fußflossen bewehrten Fischwesen abgekanzelt zu werden. Wütend funkelte er Quart’ol durch seine runden Brillengläser an und verschränkte die Arme in einer trotzigen Haltung. Nach einem schweigsamen Moment, der sich wie zähfließender Sirup in die Länge zog, rang er sich jedoch ein kurzes Nicken ab. »In Ordnung«, sagte er mit verhaltenem Missmut. »Aber deshalb bin ich noch lange nicht mit dem Kerl befreundet.« »Niemand erwartet, dass du mit Black kuschelst«, versicherte Matthew grinsend. »So weit kommt es noch!«, grummelte Dave und entzog sich weiterer Kränkungen, indem er die Yakks zum Flusslauf führte, wo sie ihren Durst löschen konnten. Er pflockte sie in der Nähe eines Wasserrades an, das die Kristallfestung über eine grün schimmernde Rinne mit Frischwasser versorgte. Während Dave und Rulfan die Zisternen überprüften und sich danach an erste Aufräumarbeiten in ihrem neuen Domizil
machten, begleiteten die beiden Hydriten Matt zum ARET. Unterwegs tauschen alle drei aus, was sie seit ihrer letzten Begegnung erlebt hatten. Matthew warnte sie außerdem gleich vor, weil es mit Jed, Majela und Pieroo einige Expeditionsteilnehmer gab, die noch nichts von der Existenz der Hydriten ahnten. »Das ist halb so wild«, beruhigte ihn Mer’ol. »Wir sind hier weit entfernt von eurer sogenannten Zivilisation. Und selbst wenn die Drei später dorthin zurückkehren, wer wird ihnen schon glauben? Denkt nur an die zahllosen Begegnungen zwischen unseren Völkern, bei denen wir als furchtbare Fishman-ta’kann auftreten. Alles was davon bleibt, sind Legenden.« Matt zwängte sich als Erster durch die Heckluke des Radpanzers, damit Pieroo nicht gleich aus allen Wolken fiel, wenn er seiner Freunde ansichtig wurde. Die Augen des Barbaren weiteten sich trotzdem vor ungläubigem Staunen, als die gedrungenen Meereswesen eintraten. »Gibts Fisch zum Abendessen?«, ächzte er. Mer’ol zog sein Lendentuch glatt, wischte ein imaginäres Staubkorn vom rechten Schulterpanzer und fixierte den stark behaarten Barbaren mit stechendem Blick, als er warnte: »Vorsicht, Fusselgesicht. Solche Scherze kommen bei mir nicht gut an.« Pieroo fasste sich umgehend an die Brust, um einen aufkommenden Hustenanfall zu dämpfen. »Shiit«, krächzte er, als er wieder Luft bekam. »Mir gehts noch schlechter, als ich dachte. Jetzt hör ich schon die Fische reden.« Matt griff erklärend ein. Nachdem er Quart’ol und Mer’ol als gute Freunde vorgestellt hatte, nickte Pieroo nur pragmatisch. »Tja, wenns so is, willkommen an Bord. Hier laufen ja noch mehr komische Gestalten rum.« Die unbekannte Krankheit, die den Barbaren quälte, schien doch gewaltig an seiner Substanz zu zerren. Mit bleichem
Gesicht kehrte er in den Konturensessel zurück und ließ nichts mehr von sich hören. Aruula musste den beiden Hydriten nicht vorgestellt werden, sie kannten sie noch von der britanischen Küste. Gemeinsam ging es ins Laborsegment des ARET, wo Aiko eine konzentrierte Geschäftigkeit an den Tag legte. In einem der Wandschränke hatte er zwei Ersatzanzüge der Technos gefunden, aus denen er gerade die Universal-Translatoren herauslöste, um sie in handliche Kästen einzubauen. »Ah, der Cyborg mit den künstlichen Armen«, begrüßte ihn Quart’ol. »Freut mich, Sie endlich persönlich kennen zu lernen, Mr. Tsuyoshi. Seit eurem Besuch in Sub’Sisco sind auch Sie Gesprächsthema auf jedem Beobachtertreffen.« »Ich hoffe, man spricht gut über mich«, gab Aiko zurück. »So gut man über einen Menschen sprechen kann«, sagte Mer’ol mit unbewegter Miene. Aiko überging die Provokation, wenn es denn eine war. »Das Bordsystem funktioniert inzwischen mit englischer Sprachausgabe«, klärte er Matt über seine Fortschritte auf. »Außerdem laufen die Analysen der beiden Blutproben. Dabei leistet uns dieser Apparat hier gute Dienste...« Er klopfte auf ein halb in der Wand versunkenes Pult, in dem mehrere durch transparente Klappen verschließbare Fächer eingelassen waren. In zweien von ihnen drehte sich ein mit gelblichem Licht angestrahltes Glasschälchen, in dem eine geringe Blutmenge glattgestrichen war. »Ein Analysepult vom Typ, Leonid’«, erklärte Aiko. »Es verfügt über eine Reihe von Messeinheiten für biologische und chemische Analysen und kann bis zu zwanzig Stoffe gleichzeitig auswerten. Ermittelte Substanzen werden mit einer umfassenden Datenbank abgeglichen, die das Ergebnis auf dem Bildschirm präsentiert. Es sollte mit Orguudoo zugehen, wenn wir damit nicht herausfinden, was Pieroo und Aruula fehlt.«
»Gute Arbeit«, nickte Matt. Ehe er sich aber tiefer mit der Materie befassen konnte, rief Aruula im Ruheraum um Hilfe. Matthew war der Erste, der durch das enge Zwischenschott nach hinten stürzte. Unterdrücktes Keuchen und Schlaggeräusche ließen ihn schon das Schlimmste ahnen, doch als er wieder aufrecht stand, sah er, dass es sich nur um einen Anfall des Woiin’metcha handelte. Aruula musste ihre ganze Kraft aufwenden, um zu verhindern, dass er sich selbst die Infusionskanüle herausriss, die Aiko gelegt hatte. Matt packte sofort mit beiden Händen zu, um den Mann auf die Liege zu drücken. Schon wenige Sekunden später klang der Anfall wieder ab. Nur die Bewegungen der Augäpfel, die sich unter den Lidern des Bewusstlosen abzeichneten, wiesen darauf hin, dass es weiter in ihm gärte. »Er träumt vermutlich«, erklärte Matt seiner Gefährtin, die mitleidig auf den Verletzten hinab sah. »Kannst du etwas davon erlauschen?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, seine Gedanken sind zu fremdartig und wirr, um sie klar zu erkennen. Was ihn wohl so beschäftigt, dass er im Schlaf um sich schlägt?« Matt zuckte mit den Schultern. »Schwer zu sagen. Vermutlich erinnert er sich an das Unglück in der Festung. Der arme Kerl...« * Wie es zur Katastrophe kam... »Warte doch, Ri’bana. Ich muss mit dir reden.« Bru’ban überholte die Liebste auf der engen Wendeltreppe und stellte sich ihr in den Weg. Als sie ihm trotzdem entschlüpfen wollte, packte er das Mädchen am Arm und zog es zurück. »Au, du tust mir weh«, entrüstete sich Ri’bana, stellte aber den Widerstand ein. Der junge Hatakma drängte sie auf den nächsttieferen
Treppenabsatz und legte einen Finger auf die Lippen, damit sie still war. Wenn man Ri’bana und ihn zu nächtlicher Stunde erwischte, würden sie einen Haufen unangenehmer Fragen beantworten müssen. Grün schimmernde Kristallsplitterwände umgaben beide mit kühler Härte. Ri’banas schlanker Körper zitterte vor Kälte oder Angst, so genau ließ sich das im Halbdunkel nicht feststellen. Gelbliches Mondlicht ergoss sich über ihr fein geschnittenes Gesicht, das plötzlich wie aus Stein gehauen wirkte. Ihre ebenmäßig geschwungenen Nasenhöcker waren von makelloser Schönheit. »Wo kommst du so spät noch her?«, fragte Bru’ban vorwurfsvoll. »Und warum weichst du mir seit Tagen aus?« »Das fragst du noch?« Ri’banas Gesicht spiegelte echte Überraschung wider. »Glaubst du vielleicht, ich will meinen Ruf ruinieren? Jeder weiß doch inzwischen, dass du aus der Art geschlagen bist.« »Mit dem Feuer hatte ich nichts zu tun«, log er halbherzig. Ri’bana quittierte die Worte mit einem verächtlichen Zischen. »Soll das ein Witz sein? Ich hab doch mit eigenen Augen gesehen, was passiert ist. Meister Okaja wäre fast verbrannt.« »Blödsinn!« Bru’ban presste beide Handteller gegen die schmerzenden Schläfen und trat zurück. »Ich wollte ihn bloß erschrecken, damit er mich in Ruhe lässt. Du hast doch auch gesehen, wie er mit mir umgesprungen ist. Nur weil er will, dass du Madri’gals Liebste wirst.« Ri’bana sah ihn aus schreckgeweiteten Augen an. »Du gibst also zu«, hauchte sie, von plötzlichem Unglauben erfüllt, »dass du den Meister...« »Ja, ja, ja«, fuhr Bru’ban sie an, lauter als beabsichtigt. »Aber ich wollte ihn doch nicht verletzten. Ich könnte niemanden aus unserem Stamm etwas antun, schon gar nicht dir, Ri’bana. Weißt du das denn nicht?«
Sie wich seinem hilfesuchenden Blick aus und biss sich auf die Lippen. »Weißt du das nicht?«, wiederholte er, diesmal merklich sanfter. Seine Hände streichelten über Ri’banas Gesicht und zogen die Konturen bis zum Hals hinab nach, wie sie es schon so oft getan hatten. Die junge Frau erschauderte unter der Berührung. Ob aus Angst oder Erregung konnte Bru’ban nicht sagen. Wohl aber doch Ersteres, denn plötzlich drängte sie seine Finger zur Seite und bat: »Lass mich. Wir können keinen Bund fürs Leben eingehen. Es hat sich zu viel geändert. Ich bin nun einem anderen versprochen.« »Einem... anderen?« Seine anfängliche Überraschung mündete in einen geradezu monströsen Verdacht. »Du meinst doch nicht etwa Madri’gal, diesen hohlen Kraftprotz?« Als sie seinem Blick auswich, wusste Bru’ban, dass er richtig lag. »Aber warum?«, fragte er verzweifelt. »Früher konntest du ihn doch nie leiden. Hast immer gesagt, dass er dir zu grob und zu dumm ist.« Jedes seiner Worte fachte ihre Qual weiter an. Ri’bana wand sich wie unter einem festen Griff, dabei berührte er sie nicht einmal. Einen Moment lang glaubte Bru’ban schon, sie würde sich ihm in die Arme werfen, doch dann presste sie den Rücken fest gegen die Wand und fauchte: »Wenigstens ist Madri’gal normal, und kein Feuerteufel wie du!« Ihre Worte trafen Bru’ban schlimmer als Faustschläge. Genauso gut hätte sie ihm ein Messer zwischen die Rippen rammen und in der Wunde herumdrehen können. Aber durfte er ihr diese Einstellung wirklich übel nehmen? Schließlich folgte Ri’bana nur den Regeln, die in ihrem Volk seit Generationen galten. Trotzdem, etwas mehr Verständnis hätte er schon von seiner Liebsten erwartet. Gerade von ihr. Schließlich hatte ihm Ri’bana immer ihre unverbrüchliche Liebe versichert, auch wenn aus ihm nie ein guter Schwertkrieger werden würde.
Und außerdem hatte er alles nur für sie getan. »Ich bin gar nicht so viel anders«, versuchte Bru’ban zu erklären. »Ich besitze nur besondere Talente, die uns allen sehr nützlich sein können. Stell dir vor, als ich einmal mit meinem Vater auf der Jagd war, wurden wir in den Bergen von einem Schneesturm überrascht. Es wurde so kalt, dass wir beinahe erfroren wären, aber dann habe ich...« Er kam nicht mehr dazu, Ri’bana die Geschichte von dem rettenden Lagerfeuer zu erzählen, denn auf der Wendeltreppe wurden leise plätschernde Geräusche laut. Zuerst konnte er die herabfallenden Tropfen nicht richtig einordnen, doch als sich die Umrisse von Madri’gal und Ko-okk aus der Dunkelheit schälten, wusste er Bescheid. Die beiden Jungen hatten ihre Umhänge in Wasser getaucht, um sie vor einer Entzündung zu schützen. Vor Nässe triefend, blockierten sie den Treppenabsatz. Blanker Stahl blitzte unheilvoll in ihren Händen. »Scher dich weg von meiner Liebsten«, stieß Madri’gal neiderfüllt hervor. »Sie soll nicht länger durch deine unreinen Hände besudelt werden.« Bru’ban blieb einen Moment fast das Herz stehen, denn er traute den brutalen Kameraden durchaus einen Mord im Schütze der Nacht zu. Angst schoss ihm durch alle Glieder, so stark und schnell, dass seine Knie zu zittern begannen. Die stärken Gefühle weckten aber auch das Feuer, das stets in ihm schlummerte. Wärme spülte seine Angst fort, gefolgt von heißem Zorn. Bru’ban machte sich nicht die Mühe, nach dem Schwert an seiner Seite zu greifen. Mit blanker Klinge war er den beiden Meisterschülern hoffnungslos unterlegen. Nein, er setzte auf seine innere Stärke und ihre Furcht vor dem Unbekannten. »Schön vorsichtig«, warnte er, ohne das geringste Zittern in der Stimme. »Ihr wisst doch, was Meister Okaja passiert ist.«
Er sah, dass sie bei dieser Drohung zusammenzuckten, und das gefiel ihm. Ansatzlos riss er beide Hände in die Höhe, in genau derselben Geste, wie er sie gegenüber Okaja angewandt hatte. Innerlich war Bru’ban gar nicht darauf vorbereitet, ein Feuer zu entfachen, aber das konnten die beiden Idioten ihm gegenüber nicht wissen. Niemand in der Festung wusste, wie seine Kräfte funktionierten, außer Bru’ban selbst. »Runter mit den Waffen«, befahl er, »oder ich zerschmelze sie in eurer Hand. Glaubt ihr wirklich, die nassen Kleider können euch vor meinem Zorn schützen?« Kookk war der Erste, der die Nerven verlor. Klappernd prallte sein Schwert auf den harten Kristallboden. Er machte auf dem Absatz kehrt und lief über die höher gelegenen Stufen davon. Madri’gal sah dem Freund, der ihn so schmählich im Stich ließ, mit weinerlichem Gesicht nach, bevor sein Blick unentschlossen zu Bru’ban zurück pendelte. Jede seiner Bewegungen wirkte plötzlich unnatürlich langsam, als ob ihm die Muskeln nicht mehr richtig gehorchen wollten. Es war die blanke Furcht, die ihn lahmte. Anscheinend zum ersten Mal im Leben, denn auf seinem Gesicht zeichnete sich pures Entsetzen ab. Es bedurfte nur einer weiteren Aufforderung, damit er die Waffe ebenfalls fortwarf. »So ist es gut.« Bru’ban trat einen Schritt vor und schlug dem Rivalen mit der offenen Hand ins Gesicht. »Und jetzt mach, dass du wegkommst.« Madri’gal stand wie angewurzelt da und wagte nicht, die Arme zum Gegenschlag zu erheben. Bru’ban verpasste dem Rivalen noch einige Backpfeifen, bis der sich endlich umwandte und über die Treppen davon wankte. »Komm mir nicht noch mal in die Quere!«, warnte Bru’ban, »Meine Liebste gehört zu mir!« In seinem Triumph, den er mit einem abschließenden Tritt in Madri’gals Hintern krönte, hörte er nicht das schleifende
Geräusch in seinem Rücken. Erst der heftige Schlag auf seinen Hinterkopf ließ ihn den Fehler erkennen. Zwei Dutzend Lichtblitze explodierten vor Bru’bans Augen, während er haltlos nach vorn stolperte. Die Brüstung stoppte zwar seinen Sturz, doch die Kraft wich im gleichen Maße aus seinen Beinen, wie die Dunkelheit um ihn herum zunahm. Bru’ban versuchte noch über die Schulter zu sehen, während er auf den Stufen zusammenbrach, doch es gelang ihm nicht. Kurz bevor er endgültig in die Bewusstlosigkeit abtauchte, bestätigte Madri’gal seinen schlimmen Verdacht. »Gut gemacht, Ri’bana«, lobte der Rivale. »Jetzt ist der miese Feuerteufel endgültig erledigt.« Als Bru’ban aus der Bewusstlosigkeit erwachte, fand er sich im tiefsten Verließ der Festung wieder. Obwohl er sofort versuchte, seine Unschuld zu beteuern, gingen ihm die Worte nur schwer über die Zunge. Ein ständiges Gefühl der Benommenheit wollte einfach nicht von ihm weichen. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Junge merkte, dass man ihm in regelmäßigen Abständen lähmende Essenzen einflößte, die ihn daran hindern sollten, seine zerstörerischen Fähigkeiten zu entfalten. Wie im Fieberwahn verfolgte er mit, wie ihn die Schergen aus der Zelle holten und vor den Stammesrat schafften, wo über sein weiteres Schicksal entschieden werden sollte. Obwohl selbst von dem Fall betroffen, klagte ihn Okaja mit theatralischen Gesten an, aus der Art geschlagen zu sein und damit die Sicherheit des Stammes zu gefährden. Zum Beweis legte er zwei angesengte Umhänge vor, die Madri’gal und Kookk gehören sollten. Bru’ban wurde beschuldigt, die beiden Hatakma aus Eifersucht angegriffen und mit dem Feuertod bedroht zu haben. Nur Ri’banas beherztem Eingreifen wäre es zu verdanken gewesen, dass niemand in den Flammen zu Schaden kam. Alle drei traten dann auch vor den Stammesrat, um den Vorfall zu
bestätigen. »Lüge!«, wollte Bru’ban rufen. »Alles Lüge! So ist es nicht gewesen!« Allein, die Betäubungsmittel lahmten seine Zunge. Außerdem war niemand geneigt, den Worten eines aus der Art Geschlagenen zu glauben. Einzig sein Vater stand zu seiner Verteidigung auf und hielt eine leidenschaftliche Rede, in der er um Gnade für seinen einzigen Sohn bat. Obeysa erzählte von dem schicksalhaften Tag, da sie die Feuerkraft vor dem Erfrieren gerettet hatte. Er verwies auf Bru’bans Jugend und darauf, dass der Junge zwei Winterwenden lang alle inneren Dämonen bezwungen hätte. Einen Ausschluss aus der Gemeinschaft konnte Obeysa damit nicht verhindern, doch zumindest erreichen, dass kein Todesurteil ausgesprochen wurde. Fünf Tagesmärsche östlich von ihnen lebten Mastr’ducha, denen aus der Art Geschlagene willkommen waren. Sie hatten schon des Öfteren Ausgestoßene anderer Völkern bei sich aufgenommen. Obeysa erhielt die Erlaubnis, sie einzuladen, auch Bru’ban in ihre Obhut zu nehmen. Die Verhandlung an sich, aber vor allem Ri’banas Verrat regten Bru’ban so sehr auf, dass er über Gebühr schwitzte. Die Wirkung der Essenzen verflog schneller als gewöhnlich, und als man ihn durch strömenden Regen zurück ins Verließ schleppte, kehrte sein freier Verstand in schnellen Schritten zu ihm zurück. Brennender Durst quälte seine raue Kehle, als er in die feuchte Zelle geworfen wurde. Feucht? Wie kam das? Als er sie verlassen hatte, war noch alles trocken gewesen. Es dauerte nicht lange, bis Bru’ban den Riss in der Wand entdeckte, aus dem der Regen zu ihm hindurch sickerte. Vermutlich war es eine gezielte Gemeinheit gewesen, ihn ausgerechnet hier einzusperren, doch Bru’ban nutzte den Umstand, seinen Durst mit unvergiftetem Nass zu stillen.
Endlich wieder halbwegs bei Verstand, überfiel ihn eine melancholische Stimmung. Wie sollte sein Leben weitergehen, nun da ihn der ganze Stamm, ja selbst Ri’bana anfeindete? In einer trockenen Ecke zusammengekauert, sann er über seine Zukunft nach und kam schließlich zu dem traurigen Schluss, dass es wirklich das Beste sein mochte, zu den Mastr’ducha zu gehen. Dort würde man ihn wenigstens nicht ob seiner Talente verachten. Die Töchter der Mastr’ducha waren zwar abgrundtief hässlich, aber vielleicht, so redete sich der Junge ein, fand er ja eines Tages eine aus der Art geschlagene Woiin’metcha, die ihn so liebte, wie er war. Obwohl, wenn Bru’ban ehrlich sein sollte, eine andere als Ri’bana wollte er gar nicht haben, auch jetzt nicht, da sie seine Gefühle mit Füßen getreten hatte. So entschloss er sich in einem Anflug von theatralischem Schwermut, nie mehr nach Liebe und körperlicher Erfüllung zu streben. Und weil es gerade so gut passte, schwor Bru’ban obendrein noch feierlich, seine feurigen Kräfte niemals wieder einzusetzen. Wie naiv von ihm. Wo es doch nirgendwo auf der Welt einen heranreifenden Mann gibt, der seine Gefühle auf Dauer im Zaum zu halten vermag. * Matt und Aiko saßen gemeinsam vor dem Bildschirm der russischen Bunkerliga. Die beiden Hydriten hatten sich in den Fluss zurückgezogen; zu lange an der Oberfläche zu sein trocknete ihre Haut und Lungen aus. Forschungsprotokolle scrollten über das AktivmatrixDisplay. Kometenkristalle als Ursprung der CF-Strahlung, hieß eine der Überschriften, eine andere: Waa’steiner - die legendären Erbauer der Kristallfestifagl Unter
»Anthropologie« fanden sie dann: - Woiin’metcha-das Volk am Kratersee - Empirische Studie zur Mutationsrate bei verstärkter CFStrahlung - Pyrokinese durch hohes Strahlungsniveau - Das Festbankett - rituelle Speisung oder speisender Ritus? Die Sätze sprangen so schnell vorüber, dass es einen Moment dauerte, bis Matt aus seiner Lethargie empor schreckte. »Geh noch mal zurück«, forderte er Aiko auf, »und sieh nach, was es mit der Pyrokinese auf sich hat.« »Selbstentzündung?«, fragte der Cyborg ungläubig. »Geht es da nicht um Heuhaufen, die nicht häufig genug gewendet werden?« »Irgendwo sonst auf der Welt vielleicht, aber nicht hier am Kratersee.« Diesem Argument vermochte sich Aiko nicht zu entziehen. Per sensitivem Druck wählte er die Datei an, worauf der betreffende Text mit einem melodischen Laut auf dem Monitor erschien. Gemeinsam überflogen sie die Beschreibung einer jugendlichen Testperson, die durch reine Geisteskraft Papier und Holz entflammen konnte. Messreihen hatten ergeben, dass der Woiin’metcha die Luftmoleküle rund um feste Materie so weit zum Schwingen brachte, dass die Reibungshitze zu einer Entzündung führte. »Das klingt aber nicht gerade nach einem Großfeuer, wie es für die Festung nötig war«, stemmte sich Aiko gegen die Wahrheit. Der Blick auf ein von Außenkameras geschossenes Bild ließ ihn Sekunden später erstarren. »Ist das nicht...?« Auch Matt lief es kalt den Rücken hinunter. »Das ist unser Patient!«, bestätigte er. »Der zufällig als Einziger die Katastrophe überlebt hat«, führte Aiko unheilvoll weiter. »Da hat uns Rulfan ja ein schönes Ei ins Nest gelegt.«
Besonders viel gab das Protokoll nicht mehr her, doch wie es schien, hatten sich die Russen ausgesprochen gut mit dem Probanden, den sie Bru’ban nannten, verstanden. Aggressionen konnten bei ihm nicht beobachtet werden, im Gegenteil. Der Umgang mit dem Schwert war ihm - nach eigenen Angaben verhasst. Aruula, die den Kopf durch den Kriechgang steckte, beendete ihre Studien abrupt, als sie verkündete: »Der Woiin’metcha ist aufgewacht.« Matt und Aiko warfen sich schweigende Blicke zu: Ausgerechnet jetzt Beunruhigt wechselten sie in den Ruheraum hinüber, in dem sich nur noch der schlummernde Pieroo aufhielt. Der erwachte Patient zeigte sich zum Glück vollkommen friedlich. Noch ein wenig benommen, saß er auf der Liege und betrachtete neugierig den Infusionsschlauch, der in seinen Arm führte. »Der ist zu deinem Besten«, erklärte Matthew, »damit du wieder zu Kräften kommst.« Der Translator im SpikkarSchädel übersetzte seine Worte ins Idiom der Woiin’metcha, auch die anschließende Frage: »Heißt du Bru’ban?« Der Verletzte sah überrascht auf. »Ja«, gestand er. »Aber...«, er wies auf den Übersetzer, »das ist ein Gerät, wie es Boris und die anderen besaßen. Seid ihr etwa auch Bürger der Bunkerliga?« »Von etwas ganz Ähnlichem«, wich Matt vorsichtig aus. »Wir sind mit der Bunkerliga befreundet und haben die Erlaubnis, dieses Gefährt zu benutzen.« Ein freudiger Ausdruck huschte auf das Gesicht des Jungen. »Wenn ihr Freunde der Bürger seid, dann müsst ihr unbedingt Boris und Walerie helfen. Sie wurden in ein Bergwerk der Narod’kra-tow verschleppt und...« Er brach ab, als er den Ausdruck auf ihren Gesichtern sah.
»Tut mir Leid«, versicherte Matt. »Genau von dort kommen wir. Boris und Walerie sind nicht mehr am Leben.« Das Lächeln auf Bru’bans Lippen verwandelte sich in einen gequälten Ausdruck, der gleich darauf in unkontrolliertes Zittern überging. Tränen netzten seine Augen, gefolgt von einem leisen Schluchzen. »Alle tot«, jammerte er. »Alle die mir etwas bedeutet haben. Das ist die Strafe der Götter, weil ich aus der Art geschlagen bin und mich an ihrer Schöpfung versündigt habe.« »Unsinn«, versuchte ihn Matt zu beruhigen. »Du bist nicht allein. Wir kümmern uns um dich!« Bru’ban ignorierte die aufmunternden Worte. Sein Gesicht wirkte plötzlich völlig emotionslos und leer. Mit einem Ruck schwang er sich von der Liege und strebte völlig unbekleidet die Heckschleuse an. Er reagierte nicht einmal, als sein Infusionsschlauch von der Nadel sprang und die transparente Flüssigkeit in hohem Bogen durch den Raum spritzte. Aruula wollte den Jungen am Arm zurückhalten, doch Matt verbot es ihr in scharfem Ton. »Wir dürfen nichts tun, was er als Aggression auffassen könnte«, erklärte er anschließend. »Obwohl er harmlos scheint, hat er offenbar einen ganzen Stamm auf einen Schlag ausgerottet.« Der Translator übersetzte seinen Vorwurf, doch Bru’ban reagierte nicht. Stur zwängte er sich durch die Schleuse nach draußen, taumelte einige Schritte in Richtung Festung und brach anschließend in die Knie. Es war keinesfalls die Schwäche, die ihn von den Beinen holte, sondern sein freier Wille. Das wurde spätestens klar, als er die Arme in die Höhe riss und brüllte: »Ihr Diener der Macht, hier ist der, den ihr sucht! So tötet mich doch, um die Schuld von mir zu nehmen!« Sein Blick suchte den Himmel ab, an dem sich tatsächlich einige Rochen abzeichneten. Einer von ihnen kippte über den
rechten Flügel ab, schoss herab und fing sich erst knapp zehn Meter über dem Boden wieder. Matt und den anderen gefror das Blut in den Adern, und instinktiv blieben sie reglos stehen, obwohl das im Ernstfall wenig nutzen würde. Der Todesrochen blieb schwingenschlagend in der Luft stehen und beobachtete den Woiin’metcha. Atemlos warteten Matt, Aiko und Aruula darauf, dass er dessen Wunsch entsprechen und ihn mit einem Hieb seines Schweifs töten würde. Stattdessen beschleunigten sich die Schläge der schwarzweißen Schwingen, und der Rochen stieg um einige Meter empor. Plötzlich schien er seine Aufmerksamkeit auf die drei Menschen zu konzentrieren. Matt brach der Schweiß aus. Zentimeterweise kroch seine Hand zur Uniformtasche, in der er den Driller trug. Falls der Bote der Götter angriff, musste er gedankenschnell handeln. Und tatsächlich kam das Biest näher, flog ein Stück auf Aruula zu - und schoss dann mit einem Mal senkrecht nach oben, den anderen Rochen entgegen. Matt ließ die angehaltene Luft aus seinen Lungen strömen. Seine rechte Hand zitterte, als er sie hochnahm und mit der Linken massierte. Misstrauisch blickte er dem Todesrochen hinterher, doch auch nachdem der sich in zu den anderen gesellt hatte, startete kein weiterer Angriff. Was für die Menschen eine Erleichterung war, bedeutete für Bru’ban das Ende der Hoffnung auf einen gnädigen Tod. Schluchzend sank er in den Staub und blieb in einer demutsvollen Haltung liegen. Matt und die anderen warteten noch einige Minuten ab, bis sie sich näher wagten. Aruula, die am wenigsten fassen konnte, dass von dem geschwächten Jungen eine Gefahr ausgehen sollte, strich ihm tröstend übers kahle Haupt.
»Bei Wudan«, flüsterte sie. »Wie kannst du nur deinen Tod herbeiwünschen. Einem Jungen, der noch sein ganzes Leben vor sich hat, wird alles verziehen.« Bru’ban drehte den Kopf und starrte sie aus dreckverschmierten Zügen an. Staub rieselte ihm von Wangen und Nase, als er sagte: »Nein, nicht mir. Ich habe unschuldiges Leben vernichtet... hundertfach.« * Wie alles endete... Niemand wusste, was die sagenumwobenen Erbauer der Festung dahingerafft hatte. Viel mehr als ihr Name Waa’steiner - war nicht überliefert worden. Die Woiin’metcha betrachteten das Gemäuer einfach als Geschenk der Götter, die ihrer Lebensweise wohlgesonnen waren. Schon seit Generationen schützten die grünen Kristallmauern vor Sturm, Regen und feindlichen Angriffen. Auch Bru’ban war es hier stets gut gegangen, und so schmerzte ihn der Abschied mehr, als er sich eingestehen mochte. Wie sehr, das merkte er, als auf der Treppe Schritte laut wurden. Sein Herz schlug sofort schneller. Draußen musste längst wieder Nacht sein, trotzdem kam ihn jemand besuchen. Vielleicht seine Eltern, die ihm Mut zusprechen wollten, oder sogar - er mochte den Gedanken kaum zu Ende spinnen Ri’bana, die sich für alles entschuldigen wollte. Ganz gegen seinen Willen formte er Wunschbilder einer Ri’bana, die ihn auf Knien anflehte, sie doch mit zu den Mastr’ducha zu nehmen. Ja, zusammen mit ihr würde die Verbannung kaum noch schmerzen. Von neuer Hoffnung durchströmt, kroch Bru’ban ans Gitter, um der Liebsten entgegenzusehen. Entsprechend groß war seine Enttäuschung, als im Schein der näherrückenden Fackeln die Gestalten von Madri’gal und
Kookk sichtbar wurden. Bru’ban sank zurück auf den Boden und stellte sich schlafend, in der Hoffnung, dass die Hatakma so das Interesse an ihm schnell wieder verloren. Ein Tritt gegen das geschmiedete Gitter sollte ihn wohl wecken, und das eiserne Scheppern hallte tatsächlich wie ein Glockenschlag durch das Gewölbe. »Na, du kleiner Jammerlappen! Weinst dich wohl gerade in den Schlaf, was?« Madri’gals Stimme schwankte bedenklich, als hätte er von den vergorenen Früchten gekostet, die den Kriegern vorbehalten waren. »Hast auch allen Grund dazu, kleiner Feuerteufel. Schließlich hast du nicht nur dich, sondern deine ganze Familie ins Unglück gestürzt.« Ein eisiger Hauch, der nichts mit einem Luftzug zu tun hatte, ließ Bru’ban erzittern. Aus irgendeinem Grund spürte er sofort, dass Madri’gals Worte mehr waren als nur eine Provokation, die ihn quälen sollte. Verwirrt schlug er die Augen auf, um seinen Widersachern ins Gesicht zu sehen. Ein neuer Tritt gegen das Gitter. »Bist also doch nicht ganz weggetreten, was?« Der Hass ließ Madri’gals Augen heller leuchten, als es durch bloßen Fackelschein möglich war. »Das ist gut, du Stück Scheiße. Dann können wir dir nämlich gleich die frohe Neuigkeit mitteilen.« Unter trunkenem Grinsen wühlte er in den Falten seines Umhangs herum, bis er einen dunklen, glitschigen Klumpen hervorzog, der wie von einem Eigenleben beseelt zwischen seinen Fingern zitterte. Kookk tat es seinem Freund gleich und hielt plötzlich einen ähnlichen Gegenstand in Händen. Beide Hatakma winkten sich mit der flexiblen Masse zu und brachen in dreckiges Gelächter aus, das sich rasch zur Hysterie steigerte. Bru’ban wusste nicht recht, was er von diesem Auftritt halten sollte, doch das unangenehme Gefühl in seinen Eingeweiden schwoll weiter an.
»Dein dämlicher Vater«, stieß Kookk zwischen mehreren Lachern hervor, »hätte dich lieber... eigenhändig... erschlagen sollen.« »Aber nein«, stimmte Madri’gal japsend zu, »Obeysa musste ja allen erzählen, dass er schon seit zwei Winterwenden Bescheid weiß.« Bru’ban schreckte in die Höhe. Die Andeutungen dieser Kerle gefielen ihm nicht. Ganz und gar nicht. Einen Moment lang schienen die Hatakma von seinem geschmeidigen Bewegungsablauf überrascht, doch auf die Wirkung der lähmenden Essenzen vertrauend, brachen sie erneut in Gelächter aus. »Da wirst du hellhörig, was?« Madri’gal trat erneut gegen das Gitter. Noch ins Scheppern hinein fuhr er fort: »Unsere Gesetze gelten für alle, auch für einen respektierten Krieger vom Schlage deines Vaters! Wer seinem Stamm eine Missgeburt wie dich verschweigt, hat es auch nicht verdient, bei anderer Gelegenheit zu sprechen. So schreiben es die Regeln vor!« Madri’gal wedelte so stark mit der Masse herum, dass sich einige rote Tropfen lösten und gegen das Gitter spritzten. Plötzlich verstand Bru’ban, was die beiden da triumphierend herumschwenkten. Zwei abgeschnittene Zungen! Mit einem mächtigen Satz war er auf den Beinen. Wut und Entsetzen kämpften in seinen verzerren Gesichtszügen um die Vorherrschaft, doch er spürte bereits, wie die innere Balance zu kippen drohte. Seine Hände rüttelten an den Eisenstäben, während er schrie: »Wo habt ihr das her? Was ist mit meinen Eltern geschehen?« Die beiden Hatakma prallten erschrocken zurück. Ernüchterung trat auf ihre Gesichter. Ihr dreckiges Lachen, das als Echo weiter durchs Gewölbe hallte, schien plötzlich ihnen
selbst zu gelten. Hastig ließen sie die Zungen fallen, griffen nach ihren Schwertern und fuchtelten damit drohend vor dem Gitter herum. »Stumm sind sie, deine Mutter und dein Vater, und zwar für alle Zeiten«, antwortete Madri’gal, nachdem er sich wieder gefangen hatte. »Die Schnitte haben sie zu viel Blut gekostet. Sie sind beide tot, hörst du? Tot! Und du bist der Nächste aus der Sippe.« Der Hatakma wollte zu einem Stich durchs Gitter ansetzten, doch ein jäher Hitzeschwall ließ ihn zurücktaumeln. Entsetzt starrte er Bru’ban an, der sich nicht einen Schritt von der Stelle bewegt hatte. Zwischen denFingern des Feuerteuf eis, die immer noch die Eisenstreben umklammerten, stiegen plötzlich feine Dampfschleier auf. Trauer, Schmerz und Wut vereinigten sich in Bru’ban zu einer explosiven Mischung, die gewaltsam nach außen drang. Der Schock über das Schicksal seiner Eltern blockierte sein Gehirn, sodass alle weiteren Handlungen nur noch von Instinkten bestimmt wurden. Sämtlicher Hemmschwellen beraubt, brodelte das innere Feuer so heftig empor, dass ihn die anschließende Reaktion völlig übermannte. Aus jeder einzelnen Körperpore schoss unsichtbare Glut hervor, die alles verbrannte, was ihren Weg kreuzte. Bru’bans Umhang war das Erste, das zu grauer Asche zerfiel. Von unermesslichen Schmerzen gepeinigt, drehte er sich im Kreis und riss die verkohlten Stoffreste von seiner Haut. Keuchend ging er in die Knie, zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Und selbst wenn er noch versucht hätte, die Feuerstürme aufzuhalten, es wäre nicht mehr möglich gewesen. Einmal entfesselt, brach es so heiß aus ihm hervor, dass sogar das Zellengitter schmolz. Die göttlichen Kristallmauern hielten zwar den Temperaturen stand, kanalisierten aber auch den sonnenheißen Strom, der nun mit geballter Macht durch das Gewölbe schoss.
Bru’ban hörte wohl, wie Madri’gal und Kookk über die Treppe ins Freie fliehen wollten, doch er erlebte geradezu, wie sie es nicht mehr schafften. Plötzlich waren seine Sinne nach außen gekehrt. So wie die Haut eines Woiin’metcha an jeder beliebigen Stelle auf äußere Reize reagiert, so fühlte Bru’ban nun, was an jedem Punkt der auseinander walzenden Hitzefront geschah. Die Todesschreie der Hatakma drangen wie aus weiter Ferne an sein Ohr, doch die Feuersbrunst, die sie verschlang, empfand er ganz und gar. Panik, Entsetzen und Schmerz peitschten durch Bru’ban hindurch, als würde er selbst vor Hitze vergehen. Und dann, als er schon dachte, dass es nicht mehr schlimmer kommen könnte, spürte er, wie in Madri’gal und Kookk etwas Wertvolles zerbrach. Ab diesem Moment wusste er, das der Tod mehr war als nur das Ende des Lebens. Er war ein Eingriff in den göttlichen Plan der Schöpfung. Die Macht im See wird mich strafen, war der letzte klare Gedanke, den Bru’ban fassen konnte, während die entfesselten Kräfte durch die Festung rollten und dabei alles verbrannten, was nicht aus Kristall bestand. Doch das Verderben schlug auf ihn zurück. Hundertfacher Tod, miterlebt, als ob es der eigene wäre, stürzte auf den Jungen ein. Geballte Agonie, die mehr war als ein denkender Verstand ertragen konnte. Bru’ban presste die Handballen fest gegen seine Schläfen, aber das mochte die einströmenden Empfindungen auch nicht fernzuhalten. Sein Hirn weigerten sich schließlich, den Schmerz länger zu verarbeiten. Instinktiv gaben seine Nerven nach und nach ihre Funktion auf. Eine fatale Entwicklung, an deren Ende völlige Leere stand, die Bru’ban kraftlos zu Boden schlagen ließ.
*
Der Lesh’iye Thgäan erhielt eine Meldung, für die er alle anderen Vorgänge sofort zurückstellte. Neue Ortung am Ufer, lautete der Rapport einer Patrouille, die derzeit höchste Priorität genoss. Heranwachsendes Leben mit Spuren unbekannter daa’murischer Signatur! Hätte Thgäan über Gefühle verfügt, wäre er angesichts dieser Nachricht wohl in Hektik verfallen. So aber reagierte er kühl und berechnend, wie es der Lage angemessen war. Unbekannte Lebensform näher erforschen und unter allen Umständen schützen, befahl er. Eigensicherheit dabei außer Acht lassen, Daten laufend übermitteln. Sphärisches Rauschen erfüllte den Äther, während Thgäan weite Teile seiner Armada an den neuralgischen Punkt heranführte. Es war kein Instinkt, der ihn zu dieser Vorgehens weise trieb, sondern eine Routine, die ihm angemessen erschien. Und doch, auch wenn es seiner biologischen Konzeption widersprach, auf irgendeine Weise witterte er, dass die Verstärkung noch dringend benötigt wurde... * Matt und Aiko schleppten Bru’ban gerade zurück in den ARET, als sie die kreisenden Schatten zu ihren Füßen bemerkten. Alarmiert sahen sie zu den Rochen auf. Es schien, als hätten sie abermals das Interesse der Wächter des Kratersees geweckt. Lautlos sanken die Rochen herab, bis der Staub unter dem Schlag ihrer wogenden Schwingen über die Lichtung trieb. Der Einzige, den dieser Anblick mit Freude erfüllte, war Bru’ban. »Sie haben meinen Ruf doch erhört«, frohlockte er, plötzlich von neuer Kraft erfüllt. »Sie kommen, um mich zu strafen!«
Ehe Matt es verhindern konnte, hatte sich der Junge schon von seinen Helfern gelöst und sprang über den Platz davon. Der lässig ausgeführte Schlag mit einer platt auslaufenden Schwanzspitze ließ ihn jedoch sofort wieder zurücktaumeln. Dort, wo ihn die Dornen getroffen hatten, quoll Blut aus den Wunden hervor. Bru’ban blieb verwirrt stehen. Statt ihn zu töten, schwenkten die Rochen auf Aruula zu. Es ging blitzschnell. Die Barbarin langte nach dem Schwertgriff über ihrer rechten Schulter, doch ehe sie die Waffe aus der Arretierung ziehen konnte, packten die Tentakel zweier Rochen ihre Handgelenke. Matt, der seinen Driller schon halb aus der Beintasche heraus hatte, verharrte erschrocken. Wenn er jetzt schoss, gefährdete er auch Aruula. Und es genügte nur ein Ruck der beiden unheimlichen Wesen, um die Barbarin in Stücke zu reißen. Er sah zu Aiko hinüber, der die Fäuste ballte. Auch der Cyborg sah sich nicht in der Lage, einzugreifen. Aruula musste hilflos über sich ergehen lassen, dass ein weiterer Fangarm über ihr Gesicht strich. Der ganze Vorgang dauerte nur Sekunden und wirkte dabei nicht mal bedrohlich. Im Gegenteil; angesichts der Zerstörungskraft, die den Rochen innewohnte, gingen sie sogar äußerst behutsam vor. Die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst, verfolgte Matthew, wie sie sich auf ihren geschwungenen Schweifen niederließen und Aruula dabei weiter in Schach hielten. Jetzt lösten sich sogar die Fesseln um ihre Hände, und die Tentakel streckten sich, um durch flüchtige Berührungen Aruulas ganzen Körper zu sondieren. »Nicht zum Schwert greifen«, warnte Matt seine Gefährtin. »Wenn sie uns töten wollten, hätten sie es längst getan.« Ruhig Blut bewahren war in diesem Moment die einzige Alternative - doch einer von ihnen war zu dieser Taktik nicht fähig. Alarmiert beobachtete Matt, wie sich Bru’bans
Atemfrequenz immer weiter steigerte. Schweißperlen quollen auf seinem nackten Rücken auf, sein Leib begann zu zittern. »Lasst sie in Ruhe!«, stieß der Junge plötzlich hervor. »Ich habe euch doch gerufen!« Tatsächlich wandten sich zwei der Rochen zu ihm um. Die Tentakelstummel über den vier schwarzen Augen zuckten aufgeregt umher, als würde sie der Woiin’metcha in plötzliche Aufregung versetzen. Einen Moment lang stimmten sich die beiden vorderen mit dem dritten der Formation ab, der daraufhin von Aruula abließ und ebenfalls herumkreiselte. Das alles ging in einer Geschwindigkeit vonstatten, die Matt und Aiko schlicht zu Statisten degradierte. Ehe sie recht begriffen, was da vorging, fielen bereits zwei Rochen zurück. Sie bauten sich mit ihren Leibern vor Aruula auf, während der dritte nach vorne schoss, direkt auf Bru’ban zu. Zwei Tentakelstummel dehnten sich dem Jungen entgegen, um ihn zu packen. Sie erreichten ihr Ziel nie, sondern lösten sich in Rauch auf, bevor sie ihm gefährlich werden konnten. Hitze wallte über den Platz, so stark, dass sie Matt und Aiko zurücktaumeln ließ. Das Zentrum der Temperatur lag eindeutig vor Bru’ban, der sich plötzlich wie unter Krämpfen wand. »Verschwindet!«, brüllte er den Menschen zu. »Ich kann mich nicht mehr im Zaum halten!« Plötzlich begann die Luft vor Bru’ban zu flirren. Zwei weitere Tentakel, die seinen unsichtbaren Schutzschild durchstoßen wollten, zerfielen darin zu Asche. Der Rochen zeigte jedoch keine Anzeichen von Schmerz und schien auch nicht gewillt, den Kampf aufzugeben. Eine weitere Gelegenheit zum Angriff erhielt er allerdings nicht. Schon in der nächsten Sekunde umhüllte ihn flirrende Hitze, die seinen flachen Körper zur Explosion brachte. Seine brennenden Überreste segelten noch durch die Luft, als die anderen beiden Rochen reagierten und auf Bru’ban zuschnellten.
Das war die Gelegenheit! »Jetzt!«, brüllte Matt. »In den ARET, schnell!« Aruula startete sofort durch, umrundete die heiße Kampfzone mit schnellen Schritten und kam kurz nach Matt und Aiko bei der Heckschleuse an. Matt hielt ihr die Hand entgegen. Dabei konnte er über Aruulas Schulter hinweg sehen, wie auch die beiden anderen Rochen in Flammen aufgingen. Ohne einen einzigen Laut versuchten sie noch Höhe zu gewinnen, schmierten aber bereits nach wenigen Schwingenschlägen ab und zerstoben beim Aufschlag zu rieselnder Asche. Aruula flog mehr durch die Schleuse, als dass sie kroch, denn draußen stiegen die Temperaturen in unerträgliche Höhen. Matt schlug mit dem rechten Handballen auf den Knopf für die Notabschottung. Es dauerte nur Sekunden, bis sich die Klappe schloss. Trotzdem konnte er durch den kleiner werdenden Spalt sehen, wie sich der Himmel über der Festung verdunkelte. Eine ganze Rochenarmada rückte an. Draußen würde es bald heiß hergehen, und das im wahrsten Sinne des Wortes. * Die Meldungen der Patrouille überschlugen sich, selbst für das auf Hochgeschwindigkeit ausgelegte Gehirn von Thgäam Feinortung positiv, erklang es zuerst. Bestätigen aufkeimende daa’murische Signatur in Leib der Primärrassenvertreterin. Thgäan wollte schon einen Ruf an seine Herren senden, als sich die Lage dramatisch verschärfte und plötzlich seine gesamte Aufmerksamkeit erforderte. Gefahr!, dröhnte es warnend durch den Äther. Pyrokinetische Aktivität in unmittelbarer Nähe der daa’murischen Signatur. Ergreifen Schutzmaßnahmen unter
Vernachlässigung der Eigensicherung. Daten werden laufend übermittelt. Während der größte Teil von Thgäans Gehirn damit beschäftigt war, alle zur Verfügung stehenden Kräfte in Richtung der Kristallanhäufung zu senden, verfolgte ein separierter Bereich, wie die Patrouille in Flammen aufging. Nüchtern analysierte er dabei, dass das pyrokinetische Modell für die Neutralisation seiner Artgenossen verantwortlich war. Dies widersprach der Effizienz der Experimente, weshalb der Pyrokinet seinerseits neutralisiert werden musste. Den Daten der sterbenden Lesh’iye zufolge gelang der daa’murischen Signatur die Flucht vor der alles verzehrenden Hitze. Thgäan verspürte deshalb keine Erleichterung; sein Denken war allein auf Pflichterfüllung ausgelegt. Aus dem gleichen Grund befahl er seinen Legionen völlig leidenschaftslos, das pyrokinetische Modell zu zerstören. * Während Aiko am Kampfstand hantierte, um den Schockstrahler des ARET auszufahren, durchquerte Matt das Labor. Sein Ziel war die Fahrerkabine, in die er mit den Füßen voran hineinschwang. Er landete direkt im Sitz. Über eine Sensortaste aktivierte er den Fusionskern. Die Bedienung des Panzers unterschied sich kaum von der anderer Fahrzeuge, auf denen er während seiner Militärzeit ausgebildet worden war. Matt legte den Schalthebel um und trat das Gaspedal durch. Die Kraftübertragung auf die zwölf Plastiflexräder setzte sofort ein. Mit ihrem groben Stollenprofil radierten sie über den Boden der Lichtung. Sekunden später rumpelte der Koloss überraschend leicht über die Lichtung. Das Lenkrad fest umklammert, konnte Matt über Frontscheibe und Heckkamera alles sehen, was sich draußen abspielte.
Der Himmel verdunkelte sich bereits vor fliegenden Rochen, und in der Ferne rückten noch viel mehr an. Obwohl sie in gut dreißig Metern Höhe schwebten, gingen einzelne von ihnen immer wieder in Flammen auf. Ein Blick auf das Außenthermometer zeigte 58° Grad Celsius, stetig steigend. Auf dem Boden wurde es ebenfalls ungemütlich. Matt konnte nur hoffen, dass die Arbeitsgruppen nicht gerade jetzt zum Lager zurückkehrten, Dave und Rulfan im Inneren der Festung blieben und auch die Hydriten ihre Flossenkämme nicht aus dem Wasser hoben. Er hatte keine Möglichkeit, sie zu warnen. Die flirrenden Luftschichten zwischen sich und Bru’ban missachtend, stürzten die Rochen zu Dutzenden in die Tiefe. Ihr Sturzflug endete in einem flammenden Fiasko, doch das hielt weitere Angriffswellen nicht zurück. Immer mehr brennende Tiere prallten rund um Bru’ban, der längst nicht mehr zielgenau zuschlagen konnte, sondern sich nur noch unter Qualen wand, zu Boden. Die Wächter des Kratersees setzten auf ihre pure Übermacht. In immer dichteren Wellen stürzten die Rochen herab, drängten ganz einfach schneller nach, als sie verbrennen konnten. Als sie Bru’ban erreichten, bildete sich über dem Woiin’metcha in Sekunden ein regelrechter Fleischberg, der die Hitze zurückwarf und bündelte. Sekunden später erschütterte eine gewaltige Explosion die ganze Lichtung. Eine Feuerwalze schlug nach allen Seiten gleichzeitig, weit schneller als der ARET fahren konnte. Brüllend hüllte eine orangerote Wolke sie ein, doch die Hitze strich über die Panzerung hinweg, ohne das Gefährt ernsthaft gefährden zu können. Gleich darauf war der Spuk vorbei. Ascheflocken schwebten noch durch die Luft, doch der schwarz verbrannte Boden lag völlig plan. Weder von Bru’ban noch den Rochen blieb etwas übrig. Nur die Wächter, die weiter oben in der Luft schwebten, hatten
überlebt. Nach einigen prüfenden Runden zogen die meisten von ihnen wieder ab. Ein Zeichen dafür, dass es keinen Feind mehr gab, den es zu bekämpfen galt. Matthew brachte den ARET zum Stehen. Seine Sorge galt Dave und Rulfan in der Festung. Hoffentlich hatten die Kristallwände die Hitzewoge abgehalten. Er schaltete die hinteren Achsenpaare in die Lenkung und kurbelte wild am Lenkrad, um auf der Stelle zu drehen. Als die Front der Festung zugewandt war, gab er Gas und donnerte zurück. »Alles klar bei euch?«, rief er nach hinten ins Labor hinein. Aruula und Aiko bestätigen, doch erleichtert war Matt erst, als er Dave, Rulfan und Wulf auf die Lichtung treten sah. Er parkte den ARET nicht weit entfernt von der alten Stelle, öffnete die neben ihm liegende Notausstiegsluke und sprang nach draußen. »Wir konnten alles durch ein Fenster beobachten«, sagte Dave McKenzie, noch immer benommen. »Unglaublich, welche Energien plötzlich frei wurden. Wir haben es gerade noch in Deckung geschafft.« Matt berichtete, was Aiko und er über Bru’ban herausgefunden hatten. Doch warum es zu dem Massaker in der Festung gekommen war, blieb ihnen ein Rätsel. »So viel steht fest«, fasste Rulfan zusammen. »Die Rochen scheinen sich an allem zu vergreifen, was hier die Ordnung stört - wessen Ordnung das auch immer sein mag. Hoffen wir, dass sie eines Tages nicht auch uns als Gegner einstufen.« Man sagt ja, dass solche Reden das Unglück nur heraufbeschwören. Rulfan hatte wissen müssen, dass in alten Sprichworten, auch immer ein Teil Wahrheit steckt... EPILOG Mit einem leisen Pling endete die Rotation der beiden
Glasschälchen in dem Analysegerät. Das Licht in den Spektralkammern erlosch; auf dem Leonid-Monitor liefen die letzten Zahlenkolonnen durch. Einen weißen Kunststoffbecher dampfenden russischen Tees in der Hand, trat Aiko näher. Sein Gesicht, das nach der Auseinandersetzung mit den Rochen ohnehin wie aus Stein gemeißelt wirkte, verlor weiter an Farbe, während sich verschiedene Grafiken und Balkendiagramme aufbauten. Der Becher in seiner Hand begann zu zittern. Aiko merkte es erst, als der heiße Inhalt auf seine Finger schwappte. Die bio-kybernetischen Hautrezeptoren schlugen Alarm, doch er verzog keine Miene. Mit einer beiläufigen Bewegung stellte er die Tasse auf dem Pult ab und ließ sich in einen der Konturensessel gleiten. Den Blick fest auf den Monitor geheftet, formten seine Lippen lautlos die aufgeführten Ergebnisse nach. »Was ist los?«, fragte Matthew Drax von der Schleuse her. »Schlechte Neuigkeiten?« Mit ausgreifenden Schritten durcheilte er den Raum, um die Unterhaltung in gedämpfterem Ton fortzuführen. Aiko sah ihn mit fahlem Gesicht an, deutete auf den Bildschirm und sagte: »Sieh selbst.« Matt folgte der Anweisung, doch obwohl alles in englischer Sprache beschriftet war, ergaben die Tortengrafiken für ihn keinen Sinn. »Klär mich auf«, forderte er. »Ich bin Pilot, kein Mediziner.« Das leise Seufzen, das Aikos Brust entstieg, sprach Bände. In der Rolle des Hiob fühlte sich der Cyborg nicht sonderlich wohl, doch nach ein paar tiefen Atemzügen nahm er die Aufgabe in Angriff. »Okay, die schlechtere Nachricht zuerst«, erklärte er mit fester Stimme. »Pieroos Blut weist Spuren von radioaktiven Isotopen auf. Ein klassischer Fall von Verstrahlung. Frag mich
nicht, wie er sich das eingefangen hat. Vielleicht war er in der Nähe eines zerstörten Kernreaktors...« »O Gott.« Matt spürte, wie ihm die Knie weich wurden. Hastig nahm er auf einem zweiten Drehsessel Platz. Nachdem er durch einen Blick über die Schulter sichergestellt hatte, dass niemand die Unterhaltung belauschte, beugte er sich vor und flüsterte: »Es gab eine Atombombenexplosion! In New York, kurz nach meiner Ankunft in Meeraka! Dabei müssen wir alle verstrahlt worden sein: Pieroo, Samtha, Yuli, Kapitaan Colomb und seine Mannschaft - und ich selbst auch!« Aiko fuhr in seinem Sessel auf, doch Matt winkte ihm beruhigend zu. »Die WCA hat mich beim Eintritt in den Bunker dekontaminiert«, erklärte er dem Asiaten. »Pieroo, Samtha und Yuli sind allerdings einen anderen Weg gegangen und deshalb niemals behandelt worden.« »Ich werde Pieroo weiter untersuchen«, versprach Aiko. »Vermutlich leidet er an Leukämie oder einer anderen Art von Krebs. Mit den Medikamenten aus dem ARET können wir seinen Zustand sicher verbessern. Um ihn allerdings zu heilen...«, er hob die Schultern, »... dazu bedarf es Mittel, die uns hier nicht zur Verfügung stehen. Langfristig hat er nur dann eine Chance, wenn wir ihn zu einer Techno-Enklave bringen. Zur russischen Bunkerliga zum Beispiel,« Matt nickte nachdenklich. Dann sah er zu Aiko auf. »Und Aruula?«, presste er hervor. »Was hat ihre Blutprobe ergeben?« »Bei ihr sieht es nicht ganz so dramatisch aus.« Aiko gestattete sich die Andeutung eines Lächelns, das allerdings eine Spur zu gequält ausfiel, um wirklich beruhigend zu wirken. »Hätte ich nicht die Herztöne des Kindes mit dem Stethoskop gehört, würde ich gar nicht glauben, dass sie schwanger ist. Ihr Blutbild ist vollkommen normal, nicht die Spur einer hormonellen Veränderung. Aber etwas anderes...«
»Was?« Matt richtete sich ruckartig im Sessel auf. Seine Hände öffneten und schlossen sich unstet. »Leonid hat Spuren von pflanzlicher DNS in ihrem Blut gefunden«, fuhr Aiko fort. »Ich kann es nicht erklären, aber zumindest scheint es ihr nicht zu schaden.« »Pflanzlich?« Matt spuckte das Wort geradezu aus. »Soll das etwa heißen, da wächst ein... Grünzeug in ihr heran?« »Nein, ganz und gar nicht!«, beeilte sich Aiko zu sagen. »Es ist definitiv ein menschlicher Organismus. Aber er scheint umgeben von etwas Pflanzlichem, einer Art Schote. Das Kind hat sich sozusagen... eingekapselt.« Matthew faltete die Hände in einer verzweifelten Geste, als er an seine Gefährtin dachte. Was war mit Aruula los, und was musste sie noch über sich ergehen lassen? War es sein Kind, das sie unter dem Herzen trug, und was war damit geschehen? Hatte die pflanzliche Entität, die Aruula für Monate als Transportgefäß missbraucht hatte, ihr unheilvolles Erbe in ihr hinterlassen? Er stützte seine Stirn auf die gefalteten Hände, um die Tränen, die ihm in die Augen schossen, vor Aiko zu verbergen, doch die Erschütterungen seiner Schultern entlarvten seinen Zustand. »Schon gut, Alter.« Aiko berührte ihn in einer vertraulichen Geste an der Schulter. »Aruula und du, ihr steht nicht alleine da. Gemeinsam finden wir heraus, was los ist. Bisher hat es noch immer einen Ausweg gegeben.« Matt sah auf und nickte bereitwillig. Innerlich dachte er jedoch: Bisher, ja. Was aber, wenn wir unsere Ration an Glück längst aufgebraucht haben? ENDE
Vorstoß zum Kometen von Ronald M. Hahn Professor Dr. Jacob Smythe rast vor Wut. Nicht nur, dass sein Erzfeind Commander Matthew Drax unbeschadet am Kratersee angekommen ist und als Konkurrent das Geheimnis des Kometen zu ergründen droht. Nun verdankt er ihm - nach dem Zwischenfall mit den Schwertkriegern - auch noch sein Leben! Für diese Demütigung gibt es für Smythe nur eine Antwort: Er wird unverzüglich zum Kometen vorstoßen, ein Bündnis mit der geheimnisvollen Macht im See schließen und sich damit zum Herrn der Welt aufschwingen. Und dann gnade Gott allen, die gegen ihn sind! So irre der Professor auch sein mag, eines ist Fakt: Der Erstkontakt mit einer fremden Spezies steht bevor. Und niemand kann sagen, wie er verlaufen wird...