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Seewölfe 216 1
Davis J.Harbord 1.
Juli 1590 — Java-See. Der Nordostpassat hatte allerlei drauf, wehte aber stetig und ohne Tücken. Die „Isabella VIII.“ pflügte mit Westkurs über Backbordbug liegend durchs Wasser. Java — die Insel der Feuerberge — erstreckte sich in Sichtweite an Backbord, soweit das Auge reichte. „Hört überhaupt nicht auf“, brummte Ed Carberry, der bullige Profos der „Isabella“. Er schaute Ferris Tucker zu, der damit beschäftigt war, eine Segeltuchplane am Backbordsüll des geöffneten Laderaums auf der Kuhl festzuzurren. „Was hört nicht auf?“ fragte Ferris Tucker abwesend und hielt die Plane probeweise hoch. „Diese verdammte Insel“, erwiderte Carberry. „Ach so.“ Ferris Tucker blickte nur kurz über das Backbordschanzkleid und wandte sich wieder dem Segeltuch zu. „Halt mal“, sagte er zu Ed Carberry und hielt ihm die eine Segeltuchecke hin. Die andere obere Ecke behielt er in der Hand. Der Profos mit dem zernarbten Rammkinn packte das Segeltuch und runzelte die Stirn. „Kannst du mir mal verraten, was diese Fummelei soll?“ Ferris Tucker, der riesige Schiffszimmermann, warf ihm einen schiefen Blick zu. „Das ist keine Fummelei, sondern ein“, er räusperte sich, „ein Windmacher, klar?“ „Nein.“ Ferris Tucker seufzte, schickte einen ergebenen Blick in den blauen Himmel und fixierte dann einen Punkt an, der bei den Leewanten des Hauptmastes liegen mußte. Ed Carberry starrte auch dorthin, konnte aber nichts Interessantes entdecken. Die rechte obere Ecke der Plane hatte er immer noch in den Pranken. „Hm, müßte gehen“, murmelte Ferris Tucker, fuhr eine Leine aus, die er an die linke obere Ecke der Plane angesteckt hatte, stieg mit der Leine ein Stück in die
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Leewanten hoch und schlug die Leine dort an. Carberry stand mit offenem Mund da und hatte Glotzaugen. „Mach's Maul zu, Ed“, sagte Ferris Tucker freundlich. Dann deutete er mit dem Kopf zum Luvwant des Hauptmastes und fügte hinzu: „Schlag dort die Leine von deiner Ecke an, etwa in gleicher Höhe wie hier bei mir.“ „Soll das 'ne neue Art von Quersegel sein?“ fragte Carberry bissig, tat aber, was Ferris Tucker gesagt hatte. „Hörst du nicht zu?“ erwiderte Ferris Tucker. „Ich hab gesagt, daß das 'n Windmacher ist.“ Mit diesen Worten zurrte er seine Leine fester, nachdem Carberry die Leine seiner Ecke am Luvwant angeschlagen hatte. Jetzt hing die Plane schräg aufrecht nach Luv geneigt über dem Backbordsüll des Kuhlladeraums. Ihre untere Karte war mit mehreren Stropps am Süll befestigt. Der Nordost t stieß auf die Plane und wölbte sie etwas - fast wie ein Segel. Ferris Tucker grinste zufrieden, als er aus den Wanten stieg und zur Kuhl ging. „Heiß heute, was, Ed? sagte er zu Carberry. „Wußte ich noch gar nichts erwiderte Carberry grollend. Dabei hatte er vor zwei Tagen noch in seiner fluchenden Art erklärt, in dieser Ecke der Erde brauche der Kutscher kein Feuer in der Kombüse, denn hier könne man Eier auf den Decksplanken braten oder den Suppentopf in der Sonne zum Kochen bringen, wenn man zweimal tief durchgeatmet hätte - in der Zeit: von zwei Atemzügen „koche die Pampe über.“ Genau das war's. Und darüber hatte Ferris Tucker in sei: mündlichen Art als Schiffzimmermann nachgedacht. Fest stand. daß es unter Deck nicht mehr auszuhalten war. Da konnte man die Luft in Scheiben schneiden - vom Mief gar nicht zu reden. Und die Feuchtigkeit! Erste Maßnahme Ferris Tuckers war gewesen, sämtliche Luken offen zu fahren. Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, dem er das vorgetragen hatte, war skeptisch gewesen und hatte gemeint, das
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sei eine gefährliche Maßnahme, weil es den Verschlußzustand der „Isabella“ gefährde. Da brauche nur eine harte Bö kräftig zuzulangen und die Galeone zu krängen, und schon würde das Wasser durch die geöffneten Luken in den Schiffsbauch gurgeln. Je länger, je mehr. Schneller könne man die „Isabella“ gar nicht versenken. Schon richtig, hatte Ferris Tucker gemeint, aber mit der „harten Bö“ sei das wohl nicht so wild, denn der Nordost habe sich bisher als keineswegs unbeständiger Geselle präsentiert, im Gegenteil. Gut. Hasard war einverstanden gewesen. Außerdem hatten die Räume unter Deck wirklich mal durchlüftet werden müssen. Etwas Erleichterung hatte diese Maßnahme gebracht, aber nicht genug für Ferris Tucker. Darum hatte er den „Windmacher“ erfunden. „Hör zu, Mister Carberry“, sage er und deutete auf die Plane. „Dieses Ding fängt den Nordost auf und leitet ihn nach unten in den Laderaum, klar? Und wenn ich jetzt die Schot vom Laderaum unter der Kuhl öffne, strömt der Wind weiter in die anderen Laderäume und sorgt dafür, daß der Mief rausgejagt wird. Muß ja, nicht wahr? Denn überall haben wir die Luken geöffnet. Kannst du mir folgen. Mister Carberry?“ „Ich hab ja kein Spill vorm Schädel“, brummte Carberry, „Mister Tucker.“ Dieser „Mister Tucker“ sagte er so richtig biestig. „Macht das Ding jetzt Wind unter Deck oder nicht, Mister Carberry?“ fragte Ferris Tucker ein bisschen tückisch. Bei Carberry klickte es endlich. „Sag das doch gleich, du Enkel eines vergammelten Holzwurms“, knurrte er. „Aber ein Windmacher ist das nicht - eher ein Windchenmacher, ein Säuselchen, wie ihn Babys in die Windeln entlassen, wenn du stehst, was ich meine – Mister Tucker!“ Die „Kerle auf der Kuhl, die Ferris Tuckers Aktivitäten mit der Plane verfolgt und seinem Dialog mit dem Profos gelauscht hatten, begannen zu grinsen. Da
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bahnte sich mal wieder etwas Ergötzliches an. Wenn der Profos und der Schiffszimmermann, sonst dicke Freunde, sich gegenseitig mit „Mister“ anredeten, dann wurde es meist recht heiter. So reckte denn auch der Schiffszimmermann das Kreuz, das breit wie ein Rahsegel war, zog den Kopf etwas ein und peilte Carberrys Rammkinn an. „Sagtest du was von vergammeltem Holzwurm, Mister Carberry'?“ fragte er mit jenem Ton in der Stimme. der verriet. daß nunmehr Gefahr im Verzug war. „Und sagtest du, mein Windmacher sei ein gewisses Säuselchen, du Urenkel eines bestußten Wasserbüffels und einer verlausten Seekuh?“ Carberry schnappte nach Luft. Aber Ferris Tucker war in Rage und nicht zu bremsen. Der Profos hatte seinen „Windmacher“ verniedlicht, und das ging ihm gegen seinen Stolz als Erfinder. „Hast du vielleicht darüber nachgedacht, was man anstellen könne, um die Decks zu durchlüften?“ blaffte er Carberry an. „Nein, hast du nicht! Aber herumstehen, das Maul aufreißen und große Sprüche klopfen, das kannst du.“ Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Hier oben muß man's haben. Aber da ist bei dir nicht viel, da ist noch weniger als gar nichts ...“ „Ha!“ Carberry knirschte mit den Zähnen, und das klang, als zersplittere eine Eichenplanke. „Ha! Noch weniger als gar nichts gibt's überhaupt nicht! Du redest Stuß, Mister Tucker! Und wenn so ein verdammter Windmacher wirksam sein soll, dann ist es nicht mit einem getan, Himmel, Arsch und Ziegenkäse! Nein, da muß am Leesüll jeder Oberdecksluke so 'n Dingsmacher gespannt werden, jawohl!“ Carberrys Augen funkelten triumphierend. „Nein so was“, sagte Ferris Tucker höhnisch, „was du doch für tolle Ideen hast, Mister Carberry! Allein wäre ich nie darauf gekommen.“ Carberry klopfte grinsend an seinen Schädel. „Ja, Mister Tucker, man muß es eben hier oben haben. Der eine hat's, der andere hat's nicht ...“
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„Eben, eben!“ zischte Ferris Tucker. „Und was liegt dort gestapelt, Mister Carberry?“ Er deutete auf zusammengelegte Segeltuchplanen neben dem Schott zum Vordeck. „Weitere Windmacher, Mister Klugscheißer! Woraus logisch folgert, daß es meine Idee war, nicht nur einen solchen Windmacher aufzuspannen. Schließlich hab ich mir die Planen aus der Segellast geholt und dort deponiert. Oder hast du sie da hingelegt, he? Nein, hast du nicht. Du mußt früher aufstehen, Mister Carberry, weil bei dir das Nachdenken so lange dauert.“ Carberry pumpte gerade Luft in seinen gewaltigen Brustkasten, um zur Gegenrede anzusetzen, da ertönte eine helle Stimme aus dem Laderaum unter der Kuhl. Es war die Stimme von Hasard junior. „Mister Tucker, Sir! Hier unten zieht's mächtig! Richtig windig ist es. Und miefig riecht's auch nicht mehr!“ „Na also“, sagte Ferris Tucker befriedigt. „Von wegen Säuselchen!“ Carberry beugte sich über das Süll und starrte hinunter in den Laderaum. Sein Groll fand eine neue Zielrichtung. „Könnt ihr mir mal verraten, was ihr da unten zu suchen habt, ihr Hüpfer?“ dröhnte seine Stimme. Dieses Mal ertönte die Stimme von Philip junior. „Wir sind auf der Jagd, Mister Carberry, Sir!“ „Nach den Fässern mit dem kandierten Ingwer, was, wie?“ „Aber Mister Carberry, Sir!“ rief Hasard junior. „Die stehen doch in der achteren Last! Wußten Sie das nicht?“ „Ich weiß nur, daß ich irgendwo einen schönen, dicken Tampen liegen habe, der geeignet ist, auf kleinen Affenärschen herumzutanzen!“ donnerte der Profos. „Rübenschweine, die in Laderäumen herumstrolchen, wo sie nichts zu suchen haben, kriegen was achtern drauf. verstanden?“ „Aye, aye, Sir!“ rief Hasard Junior nach oben. „Sollen wir die Jagd abbrechen, Sir? Philip hat schon 'ne Ratte erlegt. Wir haben ein neues Verfahren entwickelt und sind mitten in der Erprobung. Sir…
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„Was für ein Verfahren?“ knurrte Ed Carberry. „Na, um die Biester zu fangen. Sir!“ rief Philip junior. „Und wie funktioniert das“ „Ganz einfach, Sir!“ rief Hasard junior. „Wir haben eine von den Feuerwerksraketen gezündet und unter die Bilgegräting geschoben. Und dann ist das Ding losgeflitzt - unter der Gräting. Das hättest du sehen sollen, Sir! Da hat's geblitzt und gezischt und geraucht: die Ratten sind losgesaust und vor lauter Schreck. Eine hat 'n explodierenden Stern verschluckt... „Jawohl, 'n roten!“ schrie Philip. „Und der hab ich's mit 'nem Belegnagel gegeben. Schau sie dir mal an, Sir!“ Und schon flog eine tote Ratte aus dem Laderaum nach oben und klatschte auf die Kuhl. Eindeutig wies sie versengte Barthaare auf, ganz abgesehen davon, daß ihr der Belegnagel das Kreuz gebrochen hatte. Auf der Kuhl herrschte Schweigen. Carberry hatte Stielaugen. Nicht nur er. Nur um Ferris Tuckers Mundwinkel zuckte es verdächtig. „Sind die wahnsinnig?” flüsterte der Profos. Jetzt grinste Ferris Tucker ganz offen. „Genial“, sagte er, „einfach genial.“ Carberry meinte, sich verhört zu haben. „Was sagst du? Genial? Bist du verrückt? Diese Lümmel können den ganzen Kasten in die Luft sprengen! Geklaut haben sie die Raketen! Und was ist, wenn sie die Dinger mit dem unlöschbaren Feuer nehmen, he? Was ist dann?“ Carberrys Stimme war immer lauter geworden. „Genial? Hast du noch alle Töpfe im Schapp?“ „Sie haben aber nicht die Dinger mit dem unlöschbaren Feuer genommen“, sagte Ferris Tucker und grinste noch breiter. „Und bitte sehr, was soll denn schön in der Bilge groß in die Luft fliegen bei den harmlosen Krachern? Eine Bilge ist feucht, ganz abgesehen davon, daß sie bis zu einem bestimmten Pegelstand Wasser führt. Ich dachte, das wüßtest du, Mister Carberry. Und die Pulverkammer befindet
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sich nicht in der Bilge - nicht daß ich wüßte. Sonst noch was, Mister Carberry?“ Es war dies einer der ganz seltenen Fälle, die dem eisernen Profos die Sprache verschlugen. Er hatte sowieso seinen schlechten Tag. aus dem Laderaum unter der drang verhaltenes Kichern hoch. Diese Situation veränderte sich allerdings schlagartig. Ein neuer, fremder Laut wurde vernehmbar, vorn am Bug der „Isabella“. Dem Klang nach hörte es sich an, als bumse jemand mit einem Riesenhammer unter der Wasserlinie gegen den Vorsteven. Carberry ächzte. „Was ist denn jetzt wieder los?“ fragte er verstört. Niemand antwortete. Alle lauschte Ferris Tuckers Miene wirkte verkniffen. Etwas schurrte unter dem Kiel entlang. Die Köpfe der Männer wanderten mit, als könnten sie durchs Deck bis zum Kiel schauen. Es war unheimlich. Old O'Flynn bewegte den Mund wie ein Karpfen beim Luftholen und murmelte: „Da hat der Wassermann angeklopft ...“ „Idiot!“ zischte Ferris Tucker. Das Schurren wanderte nach achtern. Die Männer stürzten nach Backbord und Steuerbord ans Schanzkleid und starrten hinunter aufs Wasser. Old O'Flynn stampfte mit dem Holzbein auf die Planken und sagte wütend: „Und es ist doch ein Wassermann ...“ Und dann passierte es. Unter dem Heck knirschte es vernehmlich. Es war ein häßlicher Laut, der den Männern durch Mark und Bein ging. Mehrere Dinge passierten gleichzeitig. Pete Ballie. der am Ruder stand, brüllte: „Ruder klemmt, verflucht noch mal!“ Ein Ruck lief durch die „Isabella“. Old O'Flynn verlor die Balance und stürzte fast in den Laderaum der Kuhl. Smoky, der ihm am nächsten stand, erwischte ihn gerade noch am Hosenbund. Carberry, der sich neben Ferris Tucker über das Schanzkleid gebeugt, aber nicht breitbeinig gestanden hatte, verlor ebenfalls den Halt
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und umarmte den riesigen Schiffszimmermann. „Laß mich los!“ knurrte Ferris Tucker wild, befreite sich und stürmte den Niedergang zum Achterdeck hoch. Die „Isabella“ luvte unkontrolliert an, die Rahen ächzten gequält, die Segel knatterten wie Pistolenschüsse. „Geit die Segel auf!“ peitschte Philip Hasard Killigrews scharfe Stimme über Deck. Die Männer lösten sich aus ihrer Erstarrung und gerieten in Bewegung, zumal die dröhnende Stimme des Profos über die Kuhl grollte. Die „Isabella“ luvte immer noch an. Neben Hasard tauchte Ferris Tucker auf. „Wir sind über was weggemangelt!“ keuchte er - und dann riß er die Augen auf, als er achtern über das Steuerbordschanzkleid starrte. Hasard sah es auch und fluchte. Die „Isabella“ schleppte ein Monster von Urwaldriesen mit und verlangsamte jetzt ihre Fahrt, denn das Riesending hing achtern quer zur Kielrichtung, und zwar nach Steuerbord hinaus bestimmt mit Dreivierteln der Gesamtlänge des Stammes, der einen Durchmesser von mindestens sechs Fuß hatte. Darum auch hatte die „Isabella“ angeluvt. Dieses Monstrum wirkte, als habe Pete Ballie mit einem riesigen Ruderblatt nach Steuerbord Hartruder gelegt. Und sein Ruder war verklemmt, weil sich irgendein Ast von diesem Riesen von unten in den Zwischenraum von Achtersteven und Vorkante Ruderblatt geschoben hatte und jetzt wie eingekeilt festsaß. Anders konnte es nicht sein. Ferris Tuckers Verstand arbeitete wie rasend. Sekundenschnell formte sich ein Bild. Diese Stelle dort unten zwischen Ruderblatt und Achtersteven - unter Wasser! - war immer kritisch gewesen, weil sich etwas festsetzen konnte. Am Ruderblatt waren die Beschläge mit den Fingerlingen befestigt und ihnen gegenüber am Achtersteven die Ruderösen, in welche die Fingerlinge eingeschoben
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wurden, damit das Ruderblatt drehbar gelagert war. Diese beiden Beschläge Ösen und Fingerlinge, insgesamt sechs Paar - überbrückten den Leerraum zwischen Achtersteven und Ruderblatt. Dieser Leerraum mußte sein, damit das Ruderblatt genügend Spielraum nach beiden Seiten hatte. Dazwischen konnte man gut und gern einen Männerschenkel schieben - und so dick mußte der Ast sein, der sich dort unten verklemmt hatte. Wie gesagt, das überdachte Ferris Tucker innerhalb von Sekunden, und schon passierte das, was er in der Konsequenz seiner Gedanken befürchtete. Ast samt Riesenstamm wirkten wie ein gewaltiger Hebelarm - solange die „Isabella“ noch Fahrt lief. Es knirschte und splitterte, und damit war klar, daß dieser monströse Hebelarm mindestens die drei untersten Beschlägepaare aus Achtersteven und Ruderblatt gebrochen hatte. Ferris Tucker hängte sich weit über das Steuerbordschanzkleid - und da sah er es auch. Das Ruderblatt hing schief und nur noch in den beiden oberen Beschlägen. Also waren vier „im Eimer“. „Scheiße“, sagte Ferris Tucker erbittert, ...dreimal verdammte Scheiße. Und auf der Kuhl brüllte Edwin Carberry zum Mars hoch und stellte die höfliche Frage, ob der verdammte Affenarsch von Ausguck den verdammten Stamm nicht verdammt noch mal hätte sichten und melden können. Der „verdammte Affenarsch“, im Ausguck war der blonde Schwede Stenmark, und der brüllte zurück, daß er verdammt noch eins nicht unter, sondern über Wasser Ausguck ginge. „Ruhe an Deck!“ schnitt Hasards Stimme dazwischen, und sie hatte jenen Klang, der verriet, daß es jetzt besser sei, von weiteren Disputen abzusehen. „Sechs Mann nach achtern, Ed! Bringt Stangen mit, damit wir das Ding von oben wegstemmen können!“ „Aye, aye, Sir!“ röhrte Carberry und wurde wieder betriebsam. Aus Versehen trat er auf die tote Ratte, die immer noch an Deck
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neben der Ladeluke lag, und beförderte sie mit einem wüsten Tritt neben das Schott zum Vordeck. Na, mit den beiden Lümmeln würde er noch ein Hühnchen rupfen, aber das war jetzt zweitrangig.“ Aber dann standen ihm nahezu die Haare zu Berge, denn die beiden „Lümmel“ waren irgendwie ungesehen nach achtern gelangt, hatten sich bereits am Ruderblatt nach unten gehangelt und gingen auf dem Urwaldriesen „spazieren“! Auf dem wippten sie! Das Wasser ging ihnen bis zum Bauchnabel, aber sie balancierten auf dem Ding - und dann gingen sie baden, als sich der Stamm plötzlich drehte und aus der Verhakung löste. Die sechs Männer mit den Stangen standen da wie bestellt und nicht abgeholt und grinsten breit. Die „Rübenschweinchen“ hatten das Problem bereits gelöst. Durch ihr Gewippe war der Stamm losgekommen. Hasard und Philip planschten zum Achtersteven zurück und enterten Katzen auf. Quietschnaß erschienen sie auf dem Achterdeck. Hasard junior wischte sich das Haar aus dem Gesicht und meldete sachlich: „Das Ruder ist im Arsch, Sir!“ „Sir“ - das war Philip Hasard Killigrew der die Fäuste in die Seiten gestemmt hatte und seine Sprößlinge musterte, als sei er sich nicht so recht klar, ob er ihnen die Ohren lang ziehen oder sie loben solle. Er entschied sich, die Ausdrucksweise des älteren Juniors zu rügen — Hasard junior war um etwa fünf Minuten älter als sein Zwillingsbruder Philip. „Was ist das Ruder?“ fragte er mit dem genügenden Frost in der Stimme. „Im“, sagte Hasard junior und räusperte sich, „im Schlechtestzustand, Sir. Ich hab den Ruderbeschlag direkt unter der Wasserlinie befingert. Da hat's alle Bolzen herausgerissen.“ „Jawohl“. sagte Philip, „alle Bolzen. Ich hab den Beschlag darunter befingert. Da ist der gleiche Mist. Das Ruderblatt ist wuppdi!“
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„Was heißt wuppdi?“ fragte der Seewolf. „Wuppdi heißt, daß der Kutscher das Ruderblatt im Kombüsenherd verfeuern kann“, erwiderte Philip. „Aha.“ Vater Hasard peilte zu Ferris Tucker hinüber. „Schätze, wir brauchen ein Notruder, Ferris.“ Der Schiffszimmermann nickte stumm, wie es schien, etwas verbissen. Die „Isabella“ dümpelte ohne Fahrt im Wind. Vorbei war die rauschende Fahrt mit der Backstagsbrise des Nordostpassats. Gewissermaßen war die schlanke Galeone mit den langen Masten flügellahm und der Rudergänger arbeitslos. Flügellahm bedeutete eine gewisse Nichtmanövrierbarkeit. Zwar konnten sie die „Isabella“ durchaus mit den Segeln steuern, und zwar durch Fieren oder Dichtholen der Schoten und Brassen, aber wenn ihnen jetzt jemand ans Leder wollte, dann waren sie nur bedingt gefechtsklar. Schnelle, blitzartige Manöver, um die Luvseite eines eventuellen Gegners zu gewinnen, konnten sie nicht durchführen. Aber die See ringsum, auch zur Landseite hin, war frei von Segeln oder Mastspitzen. Die Sonne hatte den Zenit überschritten, wie Hasard mit einem kurzen Blick feststellte: „Wie lange brauchst du für das Notruder, Ferris?“ fragte Hasard. „Eine Stunde.“ Hasard nickte. „Gut, dann laufen wir Bantam an. Dort verpassen wir der Lady ein neues Ruderblatt.“ Ben Brighton, Bootsmann und Erster Offizier auf der „Isabella“, räusperte sich. Hasard wandte sich ihm zu und grinste. „Weiß ich, Ben. Du wolltest sagen, daß dort die Portugiesen sitzen, nicht wahr?“ „Genau. Wir segeln ihnen mitten ins Maul — sie brauchen nur zuzuschnappen.“ „Wir müssen die Tante aufdocken, Ben“, sagte Hasard sanft, „was bedeutet, daß wir mit den Wölfen heulen müssen. Wir werden also jedem Streit aus dem Wege gehen und im übrigen einen irischen Handelsfahrer markieren. Wenn es sein muß, werden wir eben ein paar Perlen oder Diamanten als Köder anbieten. Wir
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kriegen den Ruderschaden anders nicht geregelt. Oder wär's dir lieber, die ,Isabella` auf einen einsamen Strand zu setzen, nachdem wir sie vorher angetakelt und mühsam entladen haben?“ Hasard lächelte. „Und dann noch bei dieser Hitze!“ Ben Brighton schüttelte den Kopf, und Old O'Flynn, der aufs Achterdeck gestiegen war, zitierte: „Der Meergott schütze uns vor fremden Küsten — und Kannibalen, die zum Schlachtfest rüsten.“ „An deinem Holzbein hätten die nicht viel Geschmack“, brummte Ferris Tucker. „Das ist der Vorteil des Holzbeins“, sagte Old O'Flynn. „Das wandert nie in den Suppentopf eines Menschenfressers.“ „Ha“, sagte Ferris Tucker, „aber du kannst 'n paar Holzlöffel draus schnitzen, und für wuppdi ist das Ding auch geeignet.“ Die Männer auf dem Achterdeck begannen zu grinsen. Sie wußten ja bereits, was „wuppdi“ bedeutete. Old O'Flynn wußte es noch nicht. und fragte prompt, was das wieder für Unsinn sei. „Brennholz“, sagte Ferris Tucker lakonisch. So waren sie eben, die Seewölfe. Den Ruderschaden nahmen sie gelassen hin. Der war nun mal passiert — und er war reparabel Außerdem hatten sie ja ihren Ferris Tucker. Und Big Old Shane. der ehemalige Schmied und Waffenmeister auf der Feste Arwenack, würde die Beschläge wieder hinbiegen oder neue herstellen. Aber aufdocken mußten sie, wenn sie sich viel Arbeit ersparen wollten. Und da war Hasards Lösung die beste. Stenmark erhielt keinen Rüffel. Baumstämme, die unter Wasser trieben, konnte der beste Ausguck nicht sichten. 2. Bantam — zu dieser Zeit bedeutendster Handelsplatz Javas und der Sundainseln, an der Nordwestecke der Insel der Feuerberge im Schutz der weiträumigen Bantambai gelegen — bot sich den Seewölfen als eine Stadt mit dunkelroten
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Ziegelmauern, weißen Minaretts und goldgelben Reisstrohdächern dar. Eine Unzahl von Schiffen ankerte auf der Reede oder lag an den Bollwerken im Hafen vertäut. Da waren jene eigenartigen Doppelrumpffahrzeuge mit den wie Krebsscheren aussehenden Segeln neben arabischen Daus, chinesischen Dschunken und indonesischen Praus. Dazwischen wimmelten Sampans, Einbäume und Flöße. Und da fehlten vor allem nicht die Galeonen, Galeeren und Karacken aus Spanien, Portugal, den Niederlanden, ja sogar Frankreich und Dänemark. Kaufleute aller seefahrenden Nationen schienen sich hier ein lukratives Stelldichein zu geben: Chinesen, Inder, Japaner, Portugiesen, Spanier, Niederländer, Araber, Franzosen, Türken, Griechen... Denn es ging ja um handfeste Handelsinteressen: Hier, dicht an der Sundastraße zwischen Sumatra und Java, bildete Bantam eine Art Angelpunkt oder Drehscheibe zwischen Ost und West. Hier war der Umschlagplatz für Gewürze, Edelhölzer, Seidenballen, Silberbarren, Porzellan, Elfenbein und was der Dinge mehr waren. Aber den Vorrang hatte der Gewürzhandel. Und wer das Gewürzmonopol an sich riß, hatte ausgesorgt. Die Portugiesen waren die ersten gewesen, die regelmäßige Handelsfahrten hierher unternommen und mit den Sultanaten der Inselreiche Verträge abgeschlossen hatten, die es ihnen ermöglichten, den Gewürzhandel an sich zu reißen. Mit Pfeffer, Muskat und Nelken erzielten sie in Europa Riesengewinne und konnten sich die Taschen stopfen. Aber schon standen die Zeichen auf Sturm, denn was der eine hat, möchte auch der andere gern haben, was man allgemein mit dem Begriff des Neides oder Futterneides gleichgesetzt. Den Briten war das noch nicht so aufgegangen, wohl aber den Niederländern, und die hatten recht der Ellenbogen, was ihren Eifer betrat Handelsintrigen zu spinnen und den Portugiesen den bisher so sprudelnden
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Gewürzhahn abzudrehen. Was die Orang blanda, wie die Insulaner die Europäer nannten, für Schlitzohren waren, sprach sich sehrschnell herum. Das waren die asiatischen Händler zwar auch, aber sie hatten nicht die lärmende Rücksichtslosigkeit der Orang blanda und erklärten auch nicht, die Heiden bekehren zu müssen. * Vorsichtig steuerte Pete Ballie die „Isabella“ mit dem Notrüder über die Reede. Es ging auf den Abend zu. Im Windschatten von Kap Pontang verlor die „Isabella“ an Fahrt und glitt auslaufend und mit aufgegeiten Segeln auf eine freie Stelle der Pier zu. Dort wurde sie vertäut. An einem Bohlensteg quer hinter ihr lag eine niederländische Galeone. Auf der Reede hatte Hasard noch vier weitere niederländische Handelsfahrer registriert bemerkenswert gut bestückt. Wie zum gerechten Ausgleich lagen fünf portugiesische Galeonen an den Bollwerken der weiteren Pier - je zwei im Päckchen nebeneinander und eine allein hinter den beiden Päckchen. Über die Pier wehte ein Geruch von Moder, faulender Kopra und vergammeltem Fisch; vermischt mit den Düften irgendwelcher tropischer Gewürze. Neben dem Niederländer hinter der „Isabella“ stapelten sich auf der Pier Fässer und Ballen. Das alles hatte Hasard mit einem Blick überflogen und auch festgestellt, daß sich hafeneinwärts in Höhe der fünf portugiesischen Galeonen eine Faktorei befand - vermutlich die der Portugiesen. Dahinter, westwärts, war eine Helling. Aufatmend bemerkte Hasard, daß dort kein Schiff aufgeslipt war. Wenn sie zu den Portugiesen gehörte, würde er wohl oder übel in der Faktorei anklopfen und sein Sprüchlein beten müssen. Oder hatten die Niederländer die Helling gebaut? In seine Gedanken hinein räusperte sich Ben Brighton. Hasard wandte sich zu ihm
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um, während er gleichzeitig den Kutscher im Auge behielt, der bereits auf der Pier stand und gestikulierend mit zwei Chinesen feilschte, die ihm offensichtlich Fisch, Geflügel, Fleisch und Früchte zum Verkauf anboten. Sie hatten einen großen Karren dabei, auf dem ihr Angebot, in Kästen sortiert, ausgebreitet war. „Ja, Ben?“ fragte er. „Landgang, Sir?“ Ben Brightons graue Augen funkelten unternehmungslustig. „Ich hab den Männern bereits gesagt, daß wir Iren seien, aus Dublin. Und Carberry meinte, als echter Ire müsse er mal ausprobieren, ob der Reiswein besser als der irische Schnaps sei.“ „So, meinte er!“ Hasards Blick flog zur Kuhl, wo die Männer standen und erwartungsvoll zu ihm hochgrinsten. Nur Carberry nicht. Der tat, als betrachte er voller Entzücken die Rauchfahnen, die weit im Süden aus den Bergkegeln aufstiegen und träge westwärts zogen, der untergehenden Sonne entgegen. Insel der Feuerberge, dachte Hasard. Vulkane, die sie von See her bereits gesehen hatten. Einige hatten nachts geleuchtet - wie Leuchtfeuer entlang der Südküste der Insel, faszinierend, auch etwas unheimlich. Tagsüber milderte sich dieser Eindruck. Da wirkten diese vulkanischen Bergkegel wie riesige Herde, auf denen Mahlzeiten für Giganten gekocht wurden. „Hm“, äußerte sich Hasard. „Landgang, hm.“ Er trat an die Querbalustrade zur Kuhl und sagte sanft: „Ed?“ „Sir?“ Carberry drehte sich zu ihm um. Die rechte Seite seines wilden, zernarbten Gesichts wurde von der untergehenden Sonne rotgolden beleuchtet. „Mit dem Reiswein, das geht klar“, sagte Hasard, weiterhin sanft. „Nur melde ich Bedenken an, was die Rauflust an Land gehender irischer Seeleute betrifft. Was meinst du dazu?“ Carberrys Blick wurde treuherzig. „Wir sind nur fromme Pilger, Sir“, sagte er, „durstig von langer Fahrt, aber abhold jeder Gewalttat. In aller Demut werden wir uns beugen, wenn uns jemand auf die
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Zehen tritt, und um Vergebung bitten, daß unser nichtsnutziger Fuß jemandem im Wege stand. Ich werde auch meine Wange hinhalten und sagen: Bruder im Herrn, hau mir was aufs Maul, weil ich voller Sünde bin ...Hasard wurde mißtrauisch und unterbrach den Profos hast du schon was getrunken. Ed? „Nur die Muck Rum von der Abendration, Sir“, sagte Carberry und wedelte mit seiner rechten Pranke. „Und weil da zwei Kakerlaken drin 'rumschwammen, gestorben im Suff, händigte mir der Kutscher noch eine Muck aus. ohne Kakerlaken, weil mir nämlich so schlecht war von den Kakerlaken.“ „Hattest du sie denn verschluckt?“ „Das nicht, Sir, aber man weiß ja nie, ob Kakerlaken. wenn sie Rum getrunken haben, was von sich ausscheiden, vielleicht Durchfall oder so. Der Kutscher, der sonst alles weiß, konnte mir das auch nicht sagen. Und so bestand durchaus die Möglichkeit, daß der Rum verunreinigt war, Sir.“ „Sicher“, sagte Hasard tiefernst, trotz der grinsenden Männer, die dem Dialog lauschten. „Es ist ja auch so viel, was diese großen Tierchen ausscheiden. Hoffentlich hält dein Magen das aus, Mister Carberry. Oder soll ich mal mit dem Kutscher sprechen, ob es besser sei, dir Bettruhe zu verordnen? Kakerlakendurchfall im Magen eines Menschen soll nervöse Zuckungen, Sichttrübungen und Sprachschwierigkeiten auslösen. Hat dir der Kutscher das nicht gesagt?“ Carberry hatte etwas den Kopf eingezogen. Langsam drehte er ihn nach rechts zur Pier, wo der Kutscher immer noch mit den beiden Chinesen verhandelte. „Das hat er mir nicht gesagt, der verlauste Mehlwurm“, knurrte er. Dann zuckte er zusammen, aber nicht, weil ihm Hasard nervöse Zuckungen angekündigt hatte, sondern weil ein behaarter Arm hinter dem Karren der beiden Chinesen auftauchte, in einen der Kästen langte und eine Kokosnuß entwendete.
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Die beiden Chinesen konnten das nicht sehen, weil sie dem behaarten Arm den Rücken zuwandten. Aber der Kutscher bemerkte den behaarten Arm und kriegte seinerseits ebenfalls nervöse Zuckungen, die sich verstärkten, weil noch weitere drei Kokosnüsse verschwanden. „Oh, verdammt“, murmelte Carberry, und die Kakerlaken waren vergessen. Denn wem der behaarte Arm gehörte, war jedem der Seewölfe klar. Arwenack, der Bordschimpanse, war auf der Pirsch, und wenn er erwischt wurde, konnten die Seewölfe nur so tun, als gehöre Arwenack nicht zur „Isabella“. Zu allem Unglück segelte nun auch noch Sir John, der Aracanga-Papagei im eleganten Gleitflug vom Großmasttopp zur Pier und landete auf dem Wagen, plusterte sich auf und bedachte die beiden Chinesen mit den ordinärsten Flüchen aus Carberrys Sprachschatz. Und da zuckten jetzt die Chinesen zusammen. Sie verstanden zwar Sir Johns Sprache nicht, der ihnen empfahl, den Anker aufzuhieven, die Segel zu brassen und die Affenärsche zu kalfatern, was noch ziemlich harmlos war, aber sie begriffen, daß der schimpfende Papagei ihr Geschäft mit dem weißen Mann störte. Sir John war nahe daran, daß ihm von dem einen Chinesen der Hals umgedreht wurde. Schließlich konnte der nicht wissen, daß der Aracanga zur „Isabella“ gehörte. Im letzten Moment entwischte Sir John den zupackenden Händen. Arwenack, bestückt mit vier Kokosnüssen, hatte das Durcheinander benutzt, um ebenfalls das Weite zu suchen — unbemerkt von den beiden Chinesen. Aber ihnen fiel auf, daß plötzlich vier Kokosnüsse fehlten. Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Eben noch. war das Fach mit den Kokosnüssen voll gewesen, jetzt klaffte dort eine Lücke. Erregt begannen sie zu schnattern. Hatte vielleicht der weiße Teufel die Kokosnüsse weggezaubert? Mißtrauische, dunkle Augen tasteten den Kutscher von oben bis unten ab. Aber bei dem beulte sich nichts, viel zu hager war seine Figur,
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seine Hände waren ebenfalls leer, genauso wie die beiden Segeltuchbeutel, die ihm als Marktkörbe dienen sollten. Aber verlegen war er, weil er wußte, wer der Übeltäter war. Der klaute ja auch bei ihm alles Freßbare aus der Kombüse, aber dagegen konnte er in den meisten Fällen etwas mit dem Kochlöffel tun, indem er Arwenack was auf den Affenarsch klatschte, falls der nicht schnell genug war. Hier nun lag der Fall anders — den Bordkameraden denunzieren, das fiel flach, das ging nicht, das wäre gegen die Bordehre. Und ein bißchen schämte sich der Kutscher auch. Kein Seewolf hatte es nötig, jemandem Kokosnüsse zu klauen, einem Zopfmann schon gar nicht. Arwenack war zwar kein Seewolf, sondern ein Affe, aber er gehörte zur Crew der „Isabella“. Und es war eine Schande, wenn einer aus der Crew an Land lange Finger machte. Um sich aus der Affäre zu ziehen und dem weiteren Lamentieren der beiden Chinesen zu entgehen, kaufte der Kutscher den Vorrat an Schlachthühnern auf. Es waren zwölf Stück, wie er gezählt hatte. Da würde jeder ein halbes Brathuhn verspeisen können. Zum Entzücken der beiden Zopfträger bezahlte er mit einer kleinen Perle, die ausgereicht hätte, einen Hühnerhof zu gründen. Damit standen natürlich auch die vier verschwundenen Kokosnüsse nicht mehr zur Debatte. Die beiden Zopfmänner waren hingerissen, kicherten, schnatterten, zelebrierten unzählige Verbeugungen und schienen bereit zu sein, den Kutscher mindestens in den Rang eines Kaisers einzustufen, was dem nun wieder peinlich war. Er begann sich seinerseits zu verbeugen und zu versichern, daß er hocherfreut sei, im Fleische so hochvorzügliches Federvieh kaufen zu dürfen, und das löste nun wiederum allgemeine Heiterkeit auf der „Isabella“ aus, denn die Kratzfüße des Kutschers sahen zum Totlachen aus, zumal er dabei die bereits gerupften Eierleger in die beiden Segeltuchbeutel stopfte, daß da
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noch ein nackter Hals und dort zwei Hühnerbeine herausschauten. Immerhin konnten sich die beiden Zopfmänner nun nicht mehr beschweren oder unter den anderen Chinesen das Gerücht verbreiten, sich vor dem fremden Segler zu hüten, denn da passierten unheimliche Dinge. Nein, die Bordehre war gerettet, auch wenn der Seewolf-Affe ein Spitzbube war. Dem Kutscher stand der Schweiß auf der Stirn, als er über die Stelling an Bord marschierte, links und rechts einen Segeltuchbeutel mit dem gerupften Federvieh in der Hand. Grinsende Gesichter empfingen ihn. Carberry rieb sich schmatzend den Magen. „Mhm“, sagte er, „gibt's die Piephähne heute abend, Kutscher? Lecker gebraten und so?“ Der Kutscher musterte ihn mit einem vernichtenden Blick. „Mister Carberry“. sagte er mit Würde, „dürfte ich dich sehr höflich darum bitten, künftig die Bordtiere in einen Käfig zu sperren, bevor ich an Land gehe, um Einkäufe zu tätigen. Dieser Sir John hat sich geradezu unflätig benommen und die beiden Chinesen in übelster Form beschimpft, und dieser Affe Arwenack hat sich wieder einmal an fremdem Eigentum vergriffen, was kein sehr gutes Licht auf die Moral. das Benehmen und die Disziplin an Bord eines englischen Schiffes wirft ...“ „Irischen“, sagte Carberry. „Wie bitte?“ „Auf die Moral, das Benehmen und die Disziplin an Bord eines irischen Schiffes“, sagte Ed Carberry. „Und auf einem irischen Schiff darf ein Papagei ruhig schimpfen und ein Affe klauen, das ist bei irischen Schiffen so, klar?“ „Nein, mir auch egal, was auf irischen Schiffen ist. Ich stelle nur fest, daß mich dein verdammter Sir John und der Spitzbube Arwenack in Teufels Küche hätten bringen können, wenn die beiden Zopfmänner den Diebstahl bemerkt oder Sir Johns Aufforderung verstanden hätten, sie mögen sich die Affenärsche kalfatern – von den anderen Unanständigkeiten ganz
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abgesehen. Das geht mir wirklich zu weit, Mister Carberry. Und ich frage mich, wer hier an Bord eigentlich der Profos ist.“ „So? Fragst du dich?“ Der Profos stemmte die Fäuste in die Hüften. _Ich will's dir verraten, Mister Kutscher!“ Er reckte sein Rammkinn. ..Ich bin's. Aber leider kann ich nicht hinter Papageien herfliegen, weil ich keine Flügel habe. Und daß Affen Kokosnüsse klauen, ist ihr gutes Recht. Das haben bereits ihre Urahnen getan, sonst gäb's nämlich keinen Arwenack mehr. Die leben von so was, verstehst du? Und jetzt wird ein Zopf daraus, da wir gerade von Zopfmännern sprechen. Deine Chinesen haben die Kokosnüsse geklaut, und Arwenack hat sich nur geholt, was ihm von Rechts wegen zusteht! So ist das nämlich, und das hat überhaupt nichts mit Moral, Benehmen oder Disziplin zu tun. Außerdem kann ich mich erinnern, daß Arwenack des öfteren mit Kokosnüssen erfolgreich irgendwelche Rübenschweine bombardiert hat, die uns an den Kragen wollten. Kokosnüsse sind seine Munition. Auch das hat er von seinen Urahnen gelernt, jawohl ...“ Und so hielt der eiserne Profos eine flammende Verteidigungsrede für Papageien und Affen, insbesondere für Sir John und Arwenack, die mit der höhnischen Frage endete, ob er, der Kutscher, vielleicht Schiß vor den beiden Zopfmännern gehabt habe, nur weil Sir John „ein bißchen“ geplaudert und Arwenack „ein bißchen“ zugelangt habe. Der Kutscher blieb ihm die Antwort schuldig, weil Smoky, der ganz achtern Trossen klariert hatte, einen Mann meldete, der soeben die niederländische Galeone hinter der „Isabella“ verlassen und Kurs auf die „Isabella“ genommen habe. Offenbar wollte der was. * Der Mann war groß und stiernackig, hatte ein Gesicht wie ein Hauklotz und ein Benehmen wie die Axt im Walde. Außerdem schwitzte er.
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„Kapitän an Bord?“ raunzte er Matt Davies an, der an der Stelling Posten bezogen hatte. Matt konnte ihn verstehen, weil die Frage auf englisch gestellt wurde. Es war ein etwas kehliges und unsauberes Englisch, aber durchaus verständlich. Getreu seiner Rolle als irischer Seemann stellte sich Matt ein bißchen dämlich und erwiderte: „Hä?“ „Kapitän an Bord?“ brüllte ihn der Stiernackige an. Matt Davies hauchte auf seinen Prothesenhaken, der ihm die rechte Hand ersetzte, und begann ihn aufmerksam zu polieren, obwohl es da kaum etwas zu polieren gab. Der scharfgeschliffene Haken war immer blitzblank, genau wie bei Jeff Bowie, dem anderen Prothesenträger der Crew. Beide waren furchtbare Nahkämpfer. „Ich habe etwas gefragt!“ brüllte der Stiernackige, sein Hauklotzgesicht war inzwischen hochrot angelaufen. Ruhig und in brüchigem Englisch erwiderte Matt: „Wer hat was gefragt?“ „Pieter de Jonge, Kapitän der ,Zwarte Leeuw', Kommodore der hier versammelten niederländischen Schiffe!“ brüllte der Stiernackige. Matt Davies wurde mit Blicken aus blaßblauen Augen erdolcht, was ihn aber keineswegs erschütterte. „Und ich habe gefragt“, brüllte de Jonge, „ob der Kapitän an Bord sei!“ „Kannst du nicht etwas leiser sprechen, Kapitän?“ fragte Matt Davies höflich. „Wir Iren sind nämlich nicht schwerhörig.“ „Iren? Wieso Iren?“ schnauzte der Kapitän. „Ihr seid doch Engländer!“ „Nicht daß ich wüßte. Seh ich vielleicht so aus?“ Matt drehte sich um und deutete auf Batuti, der grinsend am Steuerbordschanzkleid lehnte, die Ellenbogen aufgestützt. „Sieht der schwarze Mann dort vielleicht wie ein Engländer aus?“ fragte er. Kapitän de Jonge musterte Batuti verächtlich. „Das ist ein dreckiger Nigger, aber kein verdammter Ire!“ Plötzlich grinste er gemein. „Ihr handelt mit den
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Niggern, wie? Also seid ihr doch Engländer.“ Und dann wurde ihm wieder bewußt, daß er sich schon viel zu lange von einem Kerl aus dem gemeinen Schiffsvolk aufhalten ließ, der ihm im übrigen nicht den geringsten Respekt zollte, und darum schnäuzte' er: „Ich will den Kapitän sprechen, verdammt noch mal. Wird's bald, Mann? Beweg dich, sonst laß ich dich mal an diesem Ding hier riechen!“ Er hielt Matt die rechte Faust unter die Nase. Das hätte er nicht tun sollen. Matts Haken schlang sich plötzlich um sein Handgelenk und zog die Hand mit unheimlicher Kraft nach unten, obwohl de Jonge sich gegen den Zug stemmte. „Hör zu, du Käsefresser“, knurrte Matt, „wenn du dich hier aufpusten willst, bist du bei mir genau richtig. Ich könnte dich zum Beispiel an diesem Eisenhaken riechen lassen, aber wenn deine Nase Bruch ist, riechst du nichts mehr. Also sei friedlich. Bei uns meldet man sich höflich an Bord und bittet, den Kapitän sprechen zu dürfen. Hier wird nicht herumgebrüllt, und mir hast du schon gar nichts zu befehlen, ich gehör nicht zu deinem Schiffsvolk. Wenn du als Kapitän angesprochen werden willst, dann benimm dich auch so. Ist das klar?“ Dieser stiernackige Niederländer sah aus, als platze er im nächsten Moment. Dazu brauchte er ein paar Atemzüge, um nach Luft zu schnappen. Inzwischen stand Hasard an der Stelling und sagte kühl: „Ich bin der Kapitän. Mein Name ist Killigrew. Was wünschen Sie, Kapitän de Jonge?“ „Ich will Sie sprechen“. sagte de Jonge keuchend. „Bitte sehr — ich höre.“ „Hier etwa?“ „Wo sonst?“ fragte Hasard knapp. Das war natürlich ein Affront. Kapitäne unterhielten sich nicht im Beisein des Schiffsvolks, aber auf der „Isabella“ war das eben anders, denn die Seewölfe waren als Schiffsvolk zugleich auch Eigner der Galeone und hatten von daher durchaus das Recht, zuzuhören.
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Natürlich konnte de Jonge das nicht wissen, und es ging ihn auch gar nichts an, aber Hasard hatte keine Lust, darüber lange Erklärungen abzugeben, abgesehen davon, daß ihm dieser niederländische Kapitän in keiner Weise gefiel. Der Wortwechsel mit Matt sagte genug. „Was ich mit Ihnen zu besprechen habe, geht den Pöbel nichts an“, schnarrte de Jonge. „Führen Sie mich also in Ihre Kapitänskammer, Killigrew!“ Hasard verschränkte die Arme vor der Brust und sagte sehr betont und sehr ruhig: „Ich denke nicht daran, de Jonge. Wer von den Männern dieses Schiffes als ,Pöbel' spricht, muß es sich gefallen lassen, selbst als Pöbel behandelt zu werden. Mit Pöbel habe ich nichts zu besprechen, schon gar nicht in meiner Kammer.“ „Das werden Sie noch bereuen!“ Der stiernackige Kapitän kochte vor Wut. „Wenn das eine Drohung sein sollte, dann warne ich Sie“, sagte Hasard immer noch beherrscht, aber in seinen eisblauen Augen lag ein Ausdruck, der den niederländischen Kapitän einen Schritt zurücktreten ließ. Sein Blick irrte von Hasard weg und glitt über die Männer, die stumm auf der Kuhl oder dem Achterdeck standen. Ja, sie standen einfach nur so da, etwas lässig, aber dennoch sprungbereit. Da waren Kerle dazwischen, die aussahen, als hätten sie mit des Teufels Großmutter bereits ein paar Tänzchen gehabt. Das waren keine Duckmäuser. Die drückten das Kreuz durch, und wenn ihnen jemand auf die Zehen trat, dann fackelten sie nicht lange. So oder ähnlich verliefen die Gedanken des Kapitäns, das war seinem Gesicht deutlich anzusehen. Zuletzt war es sehr wachsam, wechselte dann aber jäh in ölige Freundlichkeit. „So war es doch nicht gemeint, mein lieber Kapitän Killigrew“, sagte er und zwang sich zu einem vertraulichen Grinsen. „Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich ein bißchen auf den Busch geklopft habe, aber in diesem lausigen Hafen muß man sehr aufpassen, mit wem man an einer Pier zusammenliegt. Einem Posten von mir, der an der Stelling Wache ging, wurde nachts
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die Kehle durchgeschnitten - vermutlich von einem dieser dreckigen Portugiesen, die sich hier aufführen, als gehöre ihnen Java. Darum lasse ich auch meine vier anderen Schiffe draußen auf der Reede ankern.“ Er räusperte sich. „Sie sind Ire, Kapitän Killigrew?“ Hasard nickte stumm. De Jonge zwinkerte ihm zu. „Ich hätte gewettet, daß Sie Engländer sind. Na?“ Er zwinkerte wieder. Vielleicht sind Sie's doch?“ „Was veranlaßt Sie zu dieser Annahme?“ Der Kapitän grinste dreckig. Ganz einfach. Sie geben sich als Iren aus um bei den Dons und Portugiesen nicht anzuecken, die sich in diesen Winkel der Erde - wie überall - ja aufspielen, als seien sie die Herren. Wird Zeit, daß diese Brüder mal zurechtgestutzt werden, und da sollten Niederländer und Engländer eigentlich zusammenhalten.“ „Wir sind friedliche Handelsfahrer, Kapitän de Jonge“, sagte Hasard kühl. „Na, na!“ Der Kapitän lachte scheppernd und drohte mit dem Finger. „Ich glaube eher, daß Sie ein ganz Pfiffiger sind. Getarnt als Ire können Sie bei den verdammten Portugiesen Gewürze einkaufen, . stimmt's? Darum haben Sie Bantam angelaufen. Meine Hochachtung, Respekt, Respekt, mein lieber Kapitän Killigrew. Sie haben Schneid ...“ „Schneid nicht, aber Ruderbruch“, sagte Hasard lakonisch. „Darum sind wir hier.“ „Na so was!“ Der Kapitän staunte. „Das ist mir gar nicht aufgefallen, als Sie hier so elegant in den Hafen segelten.“ „Ich habe einen ausgezeichneten Rudergänger.“ „Das wird es wohl sein.“ Der Kapitän betrachtete nachdenklich die „Isabella“. „Ein schönes Schiff`, sagte er. „Schätze, Sie sind sehr schnell, wie?“ „Zum Ausreißen reicht's, immer“, sagte Hasard. Der Kapitän lachte wieder, dieses Mal dröhnend. „Ein köstlicher Witz! Sie sehen nicht so aus, als würden Sie vor etwas ausreißen, mein Lieber!“ Seine Augen
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verengten sich plötzlich. „Hören wir auf, Katze und Maus zu spielen ...“ „Sind Sie die Maus?“ unterbrach ihn Hasard. „Ich weiß nur, wer Sie sind, mein Freund“, erwiderte de Jonge ziemlich scharf, „und darum kann ich Sie zwingen, sich auf meine Seite zu stellen. Oder wäre es Ihnen lieber, wenn ich der portugiesischen Faktorei eine Nachricht zuspiele, daß soeben ein gewisser Sir Philip Hasard Killigrew, genannt der Seewolf, mit seiner berühmt-berüchtigten ,Isabella` in den Hafen von Bantam eingelaufen sei?“ Hasard lächelte. „Angenommen, ich sei jener Seewolf, von dem Sie sprechen. Weiter angenommen, Sie verraten das den Portugiesen. Was ist dann?“ „Sie wandern hinter Gitter. Einen solchen Fang lassen sich die Portugiesen und die Dons nicht entgehen. Und dann sind Sie reif für den Galgen!“ „Und was haben Sie davon, de Jonge?“ „Ich reiß mir Ihr Schiff unter den Nagel samt Mannschaft natürlich. Dann habe ich sechs Schiffe unter meinem Kommando und mit Ihrer ,Isabella' ein verdammt gutes Schiff. Und dann jage ich die Portugiesen, die sich hier festgesetzt haben, zum Teufel, daß es nur so raucht - und Bantam wird niederländisch.“ „Und Sie der Gouverneur, nicht wahr?“ „Natürlich.“ „Na. das ist aber fein“, meinte Hasard gelassen. „Nur taugt die ,Isabella' zur Zeit nicht zum Kriegspielen - wegen des Ruderschadens. Sie muß aufgedockt werden, weil sie ein neues Ruder braucht. Für Gefechte ist sie mit dem Notruder ungeeignet, es sei denn, Sie haben die Absicht, dieses schöne Schiff - wie Sie vorhin selbst sagten - sinnlos zum Wrack werden zu lassen.“ „Aber nicht doch, mein Lieber. Beheben Sie den Schäden, und dann schlagen wir gemeinsam gegen die Portugiesen los.“ „Und was hab ich davon?“ fragte Hasard freundlich. Brutal sagte de Jonge: „Ich bewahre Sie vorm Galgen.“
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Hasard verbeugte sich leicht. „Zu gütig. Ich werde Ihnen ewig zu Dank verpflichtet sein, Kapitän de Jonge.“ Die Ironie in Hasards Stimme war kaum bemerkbar. Aber de Jonge hatte sie wohl doch herausgehört. Mit der Arroganz, die er bereits Matt Davies gegenüber gezeigt hatte, sagte er: „Ich warne Sie, Killigrew! Wenn Sie Zicken versuchen, erfährt der Portugiese in der nächsten Stunde, wer Sie sind. Glauben Sie ja nicht, Ihr Schiff bliebe unbeobachtet. Jeder Ihrer Schritte wird überwacht. Meine Spitzel - auch unter diesen Inselkanaken - sind überall.“ „Gut, daß ich das weiß“, sagte Hasard ungerührt. „Im übrigen müssen Sie erst mal beweisen, daß ich kein Ire bin. Wie wär's denn, wenn ich den Spieß umdrehe? Ich brauche nur zur portugiesischen Faktorei zu gehen und den lieben Leuten dort zu erzählen, daß Sie die Absicht haben, Bantam für sich zu vereinnahmen. Wird mir dann der Ire geglaubt oder nicht?“ „Das werden Sie nicht tun!“ fauchte der Kapitän. „Und warum nicht?“ „Weil ich es verhindern werde.“ Hasard lachte. „Sie sind ein Idiot, de Jonge! Ich muß zu den Portugiesen gehen, um sie sehr höflich darum zu bitten, ihr Dock benutzen zu dürfen. Ohne Dock keine Reparatur, ohne neues Ruder kein Gefecht auf Ihrer Seite. Und noch etwas: Falls Sie mich daran hindern sollten, die Faktorei aufzusuchen, garantiere ich Ihnen eine Schlacht hier auf der Pier, daß sich die Portugiesen die Hände reiben werden. Weder ich noch die Männer dieses Schiffes sind erpreßbar. Merken Sie sich das! Und jetzt hauen Sie ab, Sie Gouverneur, oder ich lasse Sie als gemeingefährlichen Verrückten hier an Ort und Stelle in Ketten legen!“ Der niederländische Kapitän duckte sich, als habe er die Absicht, Hasard anzuspringen. Nur war da Matt Davies, der immer noch vor ihm stand und die Stelling versperrte. Und Matt Davies begann, liebevoll seinen Prothesenhaken zu streicheln. Ganz sachte
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fuhr seine linke Hand über den Haken hin und her. Und er sagte: „Verschwinde, du Käsefurz, oder ich raspele mir von dir ein paar Scheiben ab. Bestell das auch deiner KäseCrew. Uns Iren droht man nicht. Wer es dennoch tut, muß lebensmüde sein.“ Der Kapitän Pieter de Jonge marschierte ab - wutschnaubend, explosiv geladen. Niemand konnte es verhindern, daß er stolperte. Das war Arwenacks Werk. Der war nämlich über die Achterleinen aufs Achterdeck geturnt, hatte irgendwo seine geklauten Kokosnüsse deponiert, eine aber behalten. Hinter der Steuerbordgalerie hatte er sich hingehockt und dem Wortwechsel gelauscht. Zwischendurch hatte er mit einem Nagel zwei Augen eben in der Nuß ausgestochen und die Milch getrunken. Vielleicht paßte ihm die Stimme des niederländischen Kapitäns nicht, vielleicht auch spürte er, daß von diesem Mann etwas Bedrohliches ausging. Jedenfalls verzichtete er auf das Fleisch der Kokosnuß und warf sie dem Kapitän geschickt zwischen die Füße, als der achtern vorbeimarschierte. Peter de Jonge stolperte und schlug der Länge nach hin. Die Kokosnuß rollte über die Pier und klatschte zwischen Kai und Schiff ins Wasser. Und Arwenack hüpfte keckernd auf der Galerie auf und ab und betrommelte seinen Bauch. Sir John fehlte auch nicht. Der turnte auf der Achterleine herum und verriet, daß er englischen Kraftausdrücke beherrschte - von der irischen Sprache hatte er noch nichtsmitgekriegt. Von wem auch! Dem Kapitän de Jonge wurde von Sir John mitgeteilt, daß er eine algerische Wanderhure sei. Zu diesem Zeitpunkt mußte der niederländische Kapitän gedacht haben, daß diese „Isabella“ Verrückte beherbergte. Als er sich wieder aufgerappelt hatte und zu seinem Schiff eilte, sah es wie eine Flucht aus. 3.
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Als das Grinsen an Bord der „Isabella“ vorbei war, fragte Ed Carberry: „Trotzdem - Landgang, Sir?“ „In Ordnung, Ed. Und wenn ihr den Niederländern begegnet, vergeßt nicht, daß ihr echte Iren seid.“ Ed Carberry strich sich über das Rammkinn. „In dem Fall brauchen wir nicht den frommen Pilger zu mimen?“ „Nein, braucht ihr nicht. Aber ich möchte darum bitten, die Niederländer nicht zu provozieren. Verhaltet euch friedlich. Wenn sie euch allerdings reizen, dann habt ihr keinen Grund, euch in aller Demut zu beugen. Und kämpft sauber. Die Kerle sollen merken, daß ihr scharfe Äxte seid, denen man besser aus dem Weg geht. Wenn ihr mit ihnen spielt, reicht das vollauf. Wir sind keine Totschläger, verstanden?“ „Aye, aye, Sir“, erwiderte Carberry strahlend, und wenn dieser Kerl mit seinem zernarbten Gesicht strahlte, dann sah es aus, als fletsche ein Wolf die Zähne. „Wie viele von diesen frommen Pilgern dürfen an Land, Sir?“ „Hm.“ Hasard überlegte. „Wenn ihr zu sechst seid, sollte das reichen, denn wir müssen auch damit rechnen, daß dieser de Jonge versucht, etwas gegen die ,Isabella` zu unternehmen. Sollte das der Fall sein, lasse ich drei Böller mit den Drehbassen abfeuern. Dann ist für die ,Isabella` Ge. fahr im Verzug, und ihr brecht sofort euren Landgang ab.“ „In Ordnung, Sir. Du gehst nicht mit?“ „Ben wollte auch mal an Land“, erwiderte Hasard und drehte sich zu Ben Brighton um. „Oder?“ „Genau.“ Der ruhige, breitschultrige Mann lächelte. „Ich muß mir mal die Füße vertreten. Außerdem muß einer aufpassen, daß unser Ed es nicht zu wild treibt.“ „Mister Brighton“, sagte der Profos mit gesalbter Stimme, „ich bin ein durch und durch friedlicher Mensch, wie jeder hier an Bord weiß. Und noch nie habe ich es wild getrieben, das liegt mir nicht ...“ Schallendes Gelächter dröhnte über das Mitteldeck.
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Als es verebbte, schüttelte Carberry den Kopf. „Ich weiß gar nicht, was es da zu lachen gibt, was, wie? Euch juckt wohl das Fell, ihr verlausten, irischen Plattfüße?“ Er stach den Zeigefinger vor, der den Umfang eines Belegnagels hatte. „Mister Ballie, du gehst mit.“ Der Belegnagel richtete sich auf den schwarzen Mann aus Gambia. „Du, Mister Batuti, du, Mister Stenmark. und du. Mister Roskill. Oder möchte einer der vier Gentlemen an Bord bleiben?“ „Nein!“ donnerten die vier Männer. „Dann zieht saubere Klamotten an, ihr Fürsten der Hölle, wascht euch den Hals und die Pfoten, wie es sich geziemt, wenn man an Land geht. Mister Roskill, du brauchst gar nicht so dämlich zu grinsen, deine schwarze Mähne solltest du mit einer Wurzelbürste entstauben, außerdem wachsen dir Haare aus der Nase, lang genug, um dreikardeelige Zöpfe daraus zu spleißen!“ Und dann donnerte der Profos: „Wird überhaupt mal Zeit, euch daran zu erinnern, daß der Kapitän im Himmel das Wasser erfunden hat, damit solche Kanalratten wie ihr nicht verstauben. Wer sich ab heute nicht jeden Morgen eine Pütz Seewasser über den Schädel gießt, wird von mir persönlich gereinigt. Und anschließend wringe ich einen solchen Kerl aus, daß er meint, von zehn Waschweibern gemangelt zu werden, jawohl! Mister Ballie, Mister Batuti, Mister Stenmark, Mister Roskill – in fünf Minuten ist Abmarsch!“ Sie brauchten weniger als fünf Minuten, und Sam Roskill hatte sogar seine Nasenhaare gestutzt, was den Profos zu einem zufriedenen Grunzen veranlaßte. Manierlich meldete Carberry sechs Männer von Bord, und dann zogen sie los, in einer Reihe nebeneinander, Ben Brighton und der Profos am rechten Flügel. In dieser Phalanx marschierten sie im Gleichschritt an der „Zwarte Leeuw“ vorbei, von der sich etwa zehn Minuten später eine Gruppe von Männern löste und die Richtung der sechs Seewölfe einschlug. Es dunkelte bereits, aber Dan O'Flynns scharfe Augen zählten fünfzehn Kerle, was Hasard den Kopf wiegen ließ.
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„Fünfzehn gegen sechs“, sagte er mit leichter Besorgnis in der Stimme. „Unsere zählen doppelt“, sagte Dan O'Flynn. „Bleiben immer noch drei“, meinte Hasard. „Die nimmt Ed zur Brust“, erwiderte Dan unbekümmert. „Wenn sie die Kampfesweise der Mönche von Formosa anwenden, hat's bei den de Jonges sowieso gerappelt.“ „Dan“, sagte Hasard mahnend, „tu mir einen Gefallen und sei nicht so großkotzig. Wer seinen Gegner unterschätzt, kann eine böse Überraschung erleben. Draußen auf der Reede liegen noch vier Niederländer, mit der ,Zwarte Leeuw` sind es fünf und alle beachtlich gut bestückt. Wenn Ferris unserer Tante ein neues Ruderblatt verpaßt hat, werden wir darüber nachdenken müssen, wie wir ungerupft verschwinden können. Ich habe keine Lust, mich mit den Niederländern herumzuprügeln, nur weil dieser de Jonge scharf auf unser Schiff ist.“ „Weiß ich“, sagte Dan ungerührt und grinste. „Wir können uns zur Abwechslung ja mal auf die Seite der Portugiesen schlagen. Laut de Jonge scheinen sie mit denen bereits Stunk zu haben. Aus gebotener Klugheit sollte man es mit denen halten, die hier über die älteren Rechte verfügen. Und das sind nun mal die Portugiesen. Die haben mit den Sultanaten hier Verträge geschlossen, genießen also zumindest deren Wohlwollen, daher wäre es von uns unklug, die Portugiesen zu verärgern, ganz abgesehen davon, daß wir ihr Dock brauchen.“ Alles richtig. Und wenn die Portugiesen auch noch was gegen uns haben, sitzen wir zwischen zwei Stühlen — von Land her Zunder und — von der See her Zunder, denn die Niederländer können diese Bucht abriegeln.“ Hasard blickte sinnend zu den vier Schiffen hinüber. „De Jonge, so vermute ich, scheint darauf versessen zu sein, das Gewürzmonopol der Portugiesen zu brechen oder zumindest hier in Java festzusetzen. Wenn er ein anständiger Kerl wäre, hätte er in uns einen Bundesgenossen. Aber in dem Mann steckt zuviel Brutalität — der geht über Leichen
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um seine Ziele zu erreichen. Wo er hintrampelt, läßt er Zerstörung zurück, ein niederländischer Konquistador. Er ist um nichts besser als die Dons, die in die Neue Welt eingebrochen sind.“ „Wahrscheinlich hast du recht.“ O'Flynn nickte. „Meinst du, dass er dich an die Portugiesen verrät?“ „Er will mich und uns auf seiner Seite haben. Wenn er endgültig Weiß, daß wir nicht mitspielen, wird er nicht zögern und den Portugiesen sagen, wer wir sind. So lange wird eine Art Burgfrieden herrschen.“ „Schonzeit“, murmelte Dan O'Flynn, „wie das Wild, das ein guter Jäger nicht jagt, wenn es dabei ist, seinen Nachwuchs zu kriegen.“. Hasard lächelte. „Unser Nachwuchs ist das Ruderblatt. Morgen früh werde ich der portugiesischen Faktorei einen Besuch abstatten und um die Erlaubnis bitten, das Dock benutzen zu dürfen. Wer löst dich ab, Dan?“ „Gary“, erwiderte Dan O'Flynn. „Smoky hat die Wachen bereits eingeteilt.“ „In Ordnung. Paßt vor allem auf die ,Zwarte Leeuw` auf. Auch unsere Seeseite muß unter Kontrolle bleiben.“ Hasard wandte sich zu Al Conroy um, dem Stückmeister der „Isabella“. „Sind die Drehbassen klar, Al?“ „Aye, aye, Sir, alles klar.“ „Danke, Al.“ Hasard blickte sich um. „Wo stecken denn meine beiden Bürschchen?“ Aus dem Großmars ertönte eine helle Stimme — Hasard junior: „Hier oben, Sir!“ Und Philip junior meldete: „Mister Smoky hat uns als Ausguck Großmars eingeteilt, Sir.“ „Mit Spektiv“, erklärte Hasard junior. „Der dicke Kapitän, der vorhin das Maul so weit aufgerissen hat, sitzt in einer Achterdeckskammer seines Potts und würfelt mit drei anderen Kerlen. Ich kann genau in die Kammer sehen, Sir. Und sie saufen aus großen Humpen.“ Hasard lächelte verstohlen. „Im Auge behalten“, befahl er. „Aye, aye, Sir!“ riefen die beiden Bürschchen im Duett.
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Noch hausten die Fremden in den ihnen zugewiesenen Quartieren an den westlichen Stadtmauern. Dort standen die Hütten der Chinesen oder die festen Häuser der Orang blanda. Da waren Pfahlbauten an den zahlreichen Nebenarmen des Tji Serang, der die Stadt mit drei breiten Armen durchfloß, und da waren Gebäude aus Stein oder Lehm. Das alles wucherte westwärts und ins Hinterland — Hölle und Paradies zugleich. Hölle durch den stinkenden Morast, durch den Modder verstopfter Nebenarme, die im Laufe der Zeiten zu Kloaken geworden waren. Paradies durch das kräftige Grün der Waringin- und Datibäume, das brennende Rot der Hibiskusblüten, die anmutigen Kokospalmen, das Zirpen der Zikaden, das Gurren von Tauben. Schwankende Stege führten über die Arme und Rinnsale des Serang. Carberry lehnte es ab, sie zu betreten. Mit sicherem Instinkt. blieb er mehr am Ufer der Bantambai, wo die See weite Tangstreifen abgelagert hatte. Dann steuerte er ein ziemliches Stück hinter der Faktorei einen Steinbau an, dessen Eingang Lampions verzierten. Aber nicht das Licht war es, das ihn anzog, sondern der Krach, der aus dem Bau drang. Unverkennbar waren in diesem Krach helle Stimmen, girrende, kieksende Stimmen. „Oho, oho“, sagte der Profos und hielt die Mannen zurück, „lauschet, ihr irischen Pilger, die ihr gelobt habt, der Sünde zu entsagen. Was höret ihr dort so lockend?“ Sam Roskill sagte: „Liebliche Stimmen weiblichen Geschlechts.“ „Packen wir's an, Mister Brighton?“ fragte Carberry grinsend. „Mir nach“, erwiderte Ben Brighton entschlossen. Auf diese Weise gelangten die sechs Seewölfe an einen Ort, der zwar portugiesisch geführt wurde, aber eindeutig europäischen Zuschnitt hatte. Dort zechten die Seefahrer spanischer, portugiesischer. französischer, dänischer
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und niederländischer Schiffe, die Bantam angelaufen hatten. Sie zechten nicht nur. Sogar ein paar weiße Ladys hatten sich nach Bantam verirrt Sie wirkten merkwürdig fremd zwischen den zierlichen Chinesinnen. den anmutigen Grazien der Insel und den Sirenen des Orients. Und da lachte sogar ein bildhübsches Wesen aus Batutis Heimat. Ja, lustig waren sie alle — lustig, sorglos, angeheitert. Wie in europäischen Hafenkneipen gab es massive Tische. Bänke, Stühle und Hocker. Ein breiter Tresen, aus Stein gemauert. zog sich rechts des Raumes entlang. Öllampen und Kerzen brannten überall_ Hinter dem Tresen hantierte ein dicker, schwitzender und kahlköpfiger Mann mit Bechern, Flaschen und Humpen. Ein schwarzes Bärtchen zierte seine Oberlippe, eine Narbe seine linke Wange, eine wüste Narbe. wie sie ein Säbelhieb hinterließ. Am Ende des Tresens führte eine Holztreppe zu den oberen Gemächern, wie Sam Roskill mit sicherem Blick feststellte und den Profos darauf hinwies. „Das hat Zeit“, brummte der Profos, „erst wird die Lage gepeilt.“ Das Peilen der „Lage“ ergab, daß ein Tisch an Backbord der Schenke, in der Ecke, unbesetzt war. „Kurs hart Backbord“, bestimmte der Profos, während Ben Brighton den Tresen ansteuerte und auf spanisch einen Korb verlangte. In diesen Korb, so verhandelte der Bootsmann und Erste Offizier der ..Isabella“, versenkte der portugiesische Wirt sechs Flaschen, von denen zwei roten, zwei gelblichen und zwei nahezu weißen Inhalts waren. Dazu gehörten sechs Becher. Ben bezahlte großzügig mit einem Silberbarren, den der Glatzkopf verzückt unter dem Tresen verschwinden ließ. „Auch Täubchen?“ fragte er Ben und küßte die Fingerspitzen seiner linken Hand, was andeuten sollte, daß diese Täubchen sehr lecker seien.
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„Später“, sagte Ben Brighton etwas irritiert. Ihm ging das hier reichlich schnell, aber so war er nun einmal. Er brauchte immer erst einen Anlauf, um voll einsteigen zu können. Und seit er mit Philip Hasard Killigrew fuhr, hatte er stets die Führung des Schiffes übernommen, wenn der Seewolf „an Land schoß“. Ben war bescheiden, zurückhaltend und ein Kaltblüter. „Orientalisch?“ fragte der schnurrbärtige Glatzkopf. „Suleika ist ein Stern unter dem Baldachin des Bettes, den selbst Sultan Maulana Muhamad, auch Seda ning Rana genannt, als erlesenst bezeichnet hat.“ Und wieder küßte der Glatzkopf seine Fingerspitzen. „Wer ist das denn?“ fragte Ben. „Ich meine, dieser Sultan:“ „Der Herrscher des Banten-Reiches“, sagte der Portugiese. Und hinter der vorgehaltenen Hand flüsterte er: „Sein Thron wackelt ein bißchen, Senor, aber was bedeutet das! Heute ist heute, nicht wahr?“ Stimmt“, sagte Ben. „Und wer ist Suleika?“ Der Glatzkopf deutete mit der rechten Hand. Suleika saß auf dem Schoß eines dürren Menschen, der schwitzte, schielte und offenbar zuviel getrunken hatte. Er streichelte ständig die Tischkante, die er wohl für den Popo von Suleika hielt. Suleika selbst hatte nichts dagegen, daß ihr Popo verwechselt wurde. Sie warf Ben glutäugige Blicke zu. „Hm“, meinte Ben, „mal sehen.“ Mit dem Korb marschierte er zu den fünf Männern der „Isabella“, die bereits Blickgefechte geführt hatten und erklärten, durstige Kehlen zu haben. Sie köpften eine Flasche des weißen Inhalts, Ben schenkte ein, Carberry probierte und erklärte, in diesem Stoff seien mächtig gute Geister verborgen. Sie tranken mehrere Geister, und es war die Lady aus dem schwarzen Kontinent, die sich zu Batuti setzte und die Männerrunde sprengte. Batuti war total weg.
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Eine Chinesin eroberte im Sturm den blonden Stenmark. Und .als Ben sich entschloß, den künftigen Abend und die Nacht Suleika zu widmen, trampelten fünfzehn Kerle in die Kneipe, die Mienen hatten, als seien sie scharf darauf, die erste Geige zu spielen. Nein, sie wollten die erste Geige spielen, und darum kriegte der Glatzkopf hinter dem Tresen als erster eine gewischt, aber er war hart im Nehmen, und der bullige Kerl, der die Bande anführte, langte noch einmal zu - mit einem Humpen. Der Glatzkopf sank auf einen Hocker und war vorerst nicht mehr da. Der Bulle lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen und betrachtete die Runde in der Kneipe. Er hatte eine niedrige Stirn, sehr eng zusammenstehende Augen, eine gebrochene Nase, zernarbte Lippen und ein Kinn, das Ed Carberry hätte gehören können. Das war aber auch die einzige Ähnlichkeit, denn Ed hatte keine verkrüppelten Ohren, und er sah auch nicht aus wie ein Urwaldaffe. „Männer“, sagte Ed Carberry voller Fröhlichkeit und krempelte sich die Hemdsärmel hoch, „ich glaube, jetzt geht's los.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte der Bulle einem schlanken, schwarzhaarigen Mann, der gerade am Tresen vorbeiging, ein Bein gestellt. Der Mann stolperte, konnte sich aber fangen und wirbelte herum. Der Bulle sagte: „Bisst du 'n Don?“ Der schlanke Mann nickte irritiert. Sekunden später beförderte ihn ein Hieb zur Tür. „Alle Dons und sonstigen Sardinenfresser raus!“ befahl der Bulle. „Hier stinkt's sonst zu sehr.“ Carberry wollte schon vom Stuhl hoch, aber Ben bremste ihn. „Abwarten!“ zischte er. „Wenn die Bude leer ist, können wir uns besser entfalten, Ed!“ Der Profos grinste und fletschte die Zähne. Drei Kerle des Bullen schlenderten durch die Kneipe und stießen mit blitzschnellen Fußtritten Stühle und Hocker um, auf denen Spanier und Portugiesen saßen. Sie
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packten die Männer an den Kragen und beförderten sie Richtung Ausgang, unterstützt von den anderen Kerlen der Gruppe. Das wickelte sich ziemlich schnell ab. Es dauerte knapp vier Minuten, da war die Kneipe fast leer. Da saßen .noch drei Franzosen und einige Dänen — und die sechs Seewölfe. Der Bulle trank inzwischen aus einem Humpen, deutete mit ihm zu dem Tisch mit den Franzosen und sagte: „Ihr dürft auch verschwinden.“ Einer der drei stand auf, zog ein Messer — und das war auch alles. Der Humpen flog ihm ins Gesicht, und schon waren vier Kerle über ihm. Sekunden später flog er wie ein Geschoß durch die Tür nach draußen, die einer geöffnet hatte. Die beiden anderen Franzosen verzogen sich freiwillig. Die Niederländer waren ihnen wähl zu ruppig. Zu den Dänen sagte der Bulle: „Ihr dürft bleiben und zusehen.“ Die Grazien verschiedener Hautfarben hasteten die Treppe hoch, der Bulle beobachtete sie grinsend und ziemlich lüstern. Hinter ihm rappelte sich der Glatzkopf vom Hocker hoch, griff nach einer Flasche und schlug zu. Die Flasche zersplitterte auf dem Tresen, denn der Bulle war einen Schritt zur Seite getreten. Er mußte Augen im Hinterkopf haben. Vielleicht war es auch Instinkt. Ansatzlos ruckte er herum, den rechten Arm ausgestreckt. Mit dem fegte er den Glatzkopf von den Füßen. Es war eine beachtliche Leistung. Der Glatzkopf sauste in ein Schapp am Anfang des Tresens. Dort schepperte und klirrte es. Jetzt richteten sich alle Augen auf die sechs Seewölfe. „Was seid ihr für welche?“ fragte der Bulle lässig. „Fromme irische Pilger“, sagte Carberry. „Verrückt, wie?“ „Nein, voller Demut, wie es sich für fromme irische Pilger gehört.“ Der Bulle grunzte. „Du spinnst wohl, Gevatter?“
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„Kann sein, manchmal“, erwiderte Carberry, faltete die Pranken und drehte Däumchen. „Du lebst in Sünde, Bruder, weil du an diesem Ort Böses getan hast. Alles hier war friedlich, aber ihr habt diese heilige Stätte entweiht. Der Zorn des Allmächtigen wird euch treffen. Du solltest beten und in dich gehen, Bruder. Es steht geschrieben, daß man seine Feinde lieben solle.“ „Amen“, sagte Ben Brighton. „Hosianna“, sagte Pete Ballie. „Halleluja“, sagte Stenmark. „Tuet Buße“, sagte Sam Roskill. Und jetzt fehlte nur noch Batuti. Der sagte: „Gehet hin in Frieden.“ Eine Weile herrschte Stille. Dieser fünfzehnköpfige Schlägerhaufen wirkte ziemlich verdattert. Dann sagte einer zu dem Bullen: ..Die nehmen uns auf den Arm, Profos.“ Carberrys grauen Augen blitzten auf. Siehe da, ein Kollege! Aber was für einer! Der war weiß Gott keine Glanzleuchte für die Profosgilde. Das war einer von der tückischen und gemeinen Sorte, einer, der seinen Spaß daran hatte, andere zu piesacken, ein skrupelloser Raufbold und Menschenschinder. In Edwin Carberry begann es zu gären. „He, der Nigger da!“ sagte der Bulle. „Komm mal her und laß dich anfassen, ob du auch fest im Fleisch bist. So einen wie dich brauchen wir, um mit dir die Bilge und den Abtritt unserer Offiziere auszuwischen.“ Carberry fuhr wieder hoch, aber dieses Mal drückte ihn Batuti zurück. „Das ist meine Sache, Profos“, sagte leise und sehr sanft. Die dunkle Gazelle brachte er zur Treppe, die Chinesin trippelte hinterher. Batuti wandte sich um und ging zu dem Bullen — ein Bild des Jammers, krummrückig, mit eingezogenem Kopf, hängenden Armen, ängstlich rollenden Augen. „Nicht hauen, lieber weißer Mann“, sagte er und zitterte sogar. Aber der Bulle haute doch, und sein Gesicht war dabei nichts weiter als gemein. Schwarze waren ja keine Menschen,
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sondern Putzlappen, gut genug, um die Abtritte von Offizieren auszuwischen. Nur traf der Bulle nicht, und er hatte auch keine Zeit mehr, verdutzt zu sein, daß der Schwärze, der eben noch gewinselt hatte, plötzlich ein ganz anderer war. Die Faust Batutis war schneller und schlug wie ein Blitz ein. Es war ein ungeheuerlicher Schlag, wie ihn der Bulle wohl noch nie in seinem gewalttätigen Leben empfangen hatte. Er flog nahezu waagerecht am Tresen entlang, riß vier, fünf seiner Kerle von den Füßen, fegte zwei Stühle beiseite, stieß einen Tisch um und sauste zwischen zwei Stufen der Treppe, zwischen denen er eingeklemmt hängen blieb. Die ganze Treppe wackelte und ächzte. Der Bulle ächzte nicht, denn er war bewußtlos. Und seine vierzehn Mann waren zu Salzsäulen erstarrt. Situationen richtig zu erkennen, das hatten die Seewölfe in unzähligen harten Kämpfen gelernt, und sie nutzten die Gunst des Augenblicks. Der Sturm brach los, ausgelöst von sechs entfesselten Seewölfen. Noch bevor sich die vierzehn Niederländer aus ihrer Erstarrung gelöst hatten, sanken zwölf auf die Holzdielen, und zwar jeweils paarweise, weil harte Fäuste ihre Köpfe gegeneinander gedonnert hatten. Das war eine erprobte Methode, wenn man es mit zu vielen Gegnern zu tun hatte. Außerdem hatten sie wie die Ölgötzen dagestanden und sich angeboten. Der dreizehnte Mann sprang Carberry ins Kreuz, weil der ihm den Rücken zudrehte, aber Carberry wanderte mit ihm an eine freie Wand, drehte sich bedächtig um und klemmte den Kerl zwischen der Wand und seinem breiten Kreuz ein. „Paß auf, daß die Wand nicht einfällt“, sagte Ben Brighton besorgt, während Batuti gerade dem vierzehnten Mann die Faust aufs Haupt schlug. Da der Kerl die Knie versteift hatte, brach er durch die Dielen und verschwand bis zur Brust. Carberry trat einen Schritt vor, und der Mann, der wie ein Affe auf seinem Rücken
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gehockt hatte, klatschte zu Boden. Er rang arg nach Luft. „Springt mich von hinten an, dieses Rübenschwein“, tadelte der Profos und verabfolgte dem Mann eine mächtige Ohrfeige. Für einige Zeit waren sie sehr ernsthaft damit beschäftigt, weitere Ohrfeigen zu verteilen. Wer von den Kerlen hochkam, empfing ein oder zwei Maulschellen. Batuti kümmerte sich um den Bullen. der immer noch zwischen den beiden Treppenstufen steckte. Der glatzköpfige Wirt, inzwischen wieder auf den Füßen. half ihm dabei. Abwechselnd badeten sie den Bullen, indem sie Pützen mit Wasser über ihm auskippten. Die Dänen sahen mit staunenden Augen zu. So etwas hatten sie noch nicht erlebt – sechs gegen fünfzehn! Carberry besah sich kopfschüttelnd den Kerl. der bis zur Brust weg war und wie ein auf den Rücken gefallener Käfer herumhampelte. Er hockte sich vor den Kerl hin, grinste freundlich und sagte: „Soll ich dich rausziehen, Bruder?“ Der „Bruder“ spie ihm eine Flut unflätiger Schimpfnamen entgegen, was den Profos veranlaßte, von seinem freundlichen Angebot Abstand zu nehmen. Dafür wiederholte er Batutis Hammerschlag und versenkte den Mann, der in den Keller sauste. Carberry spähte durch das Loch nach unten und sagte: „Jetzt ist er in ein Faß gefallen. Was da wohl drin sein mag?“ Der Glatzkopf hatte sich zu ihm gesellt, spähte auch in den Keller und sagte lakonisch: „Sirup.“ „Ach, du meine Güte“, murmelte der Profos erschüttert. Der Bulle war in die rauhe Wirklichkeit zurückgekehrt und versuchte sich in Schwimmbewegungen, die aber nichts brachten, weil er gewissermaßen nur in der Luft herumruderte. Batuti packte seine Beine und zerrte. Dann griff Pete Ballie mit zu, weil der Bulle arg festgeklemmt war. Mit „Hauruck“ schafften sie es. Die untere Stufe brach allerdings aus den
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hochführenden Wangen. Batuti langte zu und hievte den Bullen hoch. Dann schob er ihn vor sich her bis zu einer Wand und lehnte ihn dagegen. Der Kerl stierte ihn aus glasigen Augen an, kriegte weiche Knie und kippte wieder um. Batuti hätte ihm gern noch eine gefeuert, aber das war witzlos. Der Profos der Niederländer war total groggy, seinen Mannen erging es nicht anders. Auch Maulschellen können einen Kerl zermürben, und die hatte es ununterbrochen gehagelt. Sie stierten ebenfalls mit glasigen Augen um sich und verstanden die Welt nicht mehr. „Das sind vielleicht müde Braten“, murrte Carberry und war sehr verdrossen. Dann grinste er plötzlich und sagte zu Ben Brighton: „Wir sollten feststellen, ob sie wenigstens im Saufen ihren Mann stehen.“ „Wie das?“ fragte Ben Brighton. „Wir saufen sie unter den Tisch.“ „Die liegen oder sitzen doch schon unter den Tischen, Ed“, erwiderte Ben skeptisch. „Macht nichts“, sagte Carberry. „Die Kerle haben uns um unseren Spaß gebracht, aber Spaß muß sein, und Hasard hat gesagt, wir dürften mit ihnen spielen, also spielen wir Besaufen.“ „Auf unsere Kosten?“ „Soweit kommt's noch“, sagte Carberry, walzte zu dem Bullen, packte ihn bei den Füßen, zog ihn hoch und schüttelte ihn wie einen abgeschossenen Hasen. Die Taschen des Bullen entleerten sich, Münzen rollten über die Dielen. Pete Ballie schnappte sich einen Besen und kehrte sie zusammen. Dann wurden die vierzehn anderen Kerle auf die Köpfe gestellt und durchgeschüttelt. „Ist das was?“ fragte Carberry strahlend und beäugte den Berg Münzen, den Pete Ballie und Sam Roskill auf dem Tresen häuften, daß dem glatzköpfigen Wirt die Augen übergingen. „Für mich?“ fragte er den Profos der „Isabella“. „Für dich, Bruder“, sagte Carberry, „weil es hier ein bißchen Kleinholz gegeben hat. Dafür darfst du jetzt ordentlich einen
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ausschenken, damit Betrieb in die Bude kommt.“ „Sie sind ein echter Caballero, Senor“, sagte der Glatzkopf. „Und herzlichen Dank auch, daß Sie alle es diesen Kerlen gegeben haben. Die hätten mir das ganze Geschäft zerschlagen und die Täubchen belästigt. Ich kenne diese Halunken. Spielen sich auf als wären sie die Herren von Java. Wer sich ihnen widersetzt, wird zusammengeschlagen. Nennen sich Schwarzen Löwen' – dreckige Ratten würde besser passen.“ Ben Brighton hatte aufgehorcht. ,,Sind die Kerle von der niederländischen Galeone ,Zwarte Leeuw`?“ Der Glatzkopf nickte und deutete auf den Bullen. „Das ist der Profos von dem Schiff. Vor zwei Wochen hat er eine junge Javanerin vergewaltigt, dieser Schweinehund. Daraufhin wurde einem Posten, der Ähnlichkeit mit dem Kerl hatte, nachts die Kehle durchgeschnitten, vermutlich von Familienangehörigen der Javanerin. Jetzt sollen wir Portugiesen die Mörder sein.“ Der Glatzkopf seufzte. „Sieht so aus, als stehen uns schlimme Zeiten bevor, wenn das so weitergeht.“ „Jetzt lassen wir diese Rübenschweine erst einmal vollaufen“, grollte der Profos, „und das hat seinen Grund. Wenn wir sie volltrunken auf ihrem ‚Löwen' abliefern, gibt's dort Rabatz, verstehst du, Ben? Die waren auf uns angesetzt, da gehe ich jede Wette ein. Was meinst du, was dieser aufgeblasene Kapitän tobt, daß diese Kerle gesoffen haben, statt uns zusammenzuschlagen? Der läßt diesen Affenarsch von Profos glatt in Ketten legen.“ „Dann mal los“, sagte Ben Brighton grinsend. 4. Sie kriegten wie Säuglinge die Flasche, immer reihum. Die sechs Seewölfe waren sehr besorgt um die fünfzehn angeschlagenen „Löwen“. Der Kanalratte, die in Sirup getaucht war, reichte der Profos die Flaschen in den Keller hinunter
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– mit der Maßgabe, ihn erst aus dem Keller zu lassen, wenn die Flaschen leer getrunken seien. Die Seewölfe tranken auch zwischendurch, aber mit Maßen, weil sie nichts überstürzen wollten. Zuerst fing der Sirupkerl im Keller an zu singen. Er hatte auch zu hastig getrunken in der Erwartung, sein Verlies nach jeder geleerten Flasche verlassen zu können. Aber Carberry verlängerte nach jeder Flasche und paßte auch auf, daß der Kerl die Flaschen nicht auskippte. Für den Fall drohte er ihm an, ihn im Sirupfaß zu ersäufen. Aber von Sirup hatte dieser Kerl die Nase voll, da trank er lieber. Auch um zu vergessen, daß alles an ihm klebte. Bis zum Hals war er im Faß gewesen, und das Zeug war zäh, das floß nicht ab, sondern saß wie Kleister an ihm dran. Er sang also, dann grölte er, und später ging das Grölen in Lallen über. Zu diesem Zeitpunkt kroch der Profos der „Zwarte Leeuw“ auf allen vieren durch den Schankraum und bellte. Carberry meinte, dieses Warzenschwein mime jetzt einen schwarzen Löwen, aber Pete Ballie war der Ansicht, dieser Clown stelle eher einen Kettenhund dar, das sei auch profosgemäßer, was wiederum Carberry erboste, der sich in seiner Profosehre angegriffen fühlte. Aber das hatte Pete nicht so gemeint, und zur Versöhnung tranken sie eine Flasche Rotwein bis zur Neige aus. Den zum Suff verurteilten Löwen reichten sie Flaschen wechselnden Inhalts, was deren geistige Trübung unerhört beschleunigte. Rum war auch dabei. Der Teufel mochte wissen, wie der nach Bantam gelangt war. Rum auf Reiswein, Reisschnaps, diverse andere Weine von Rot über Rose bis Weiß und schließlich Arrak – das waren Hammerschläge, die jeden Löwen zähmten. Und wenn sie krakeelten. setzte es Maulschellen nach bewährter Seewölfe-Art. Die Ladys und Gazellen kicherten. Die Dänen waren auch blau. Nach knapp zwei Stunden wußten die Löwen nicht mehr,
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wer sie waren. Sie grinsten blöde, lallten, wackelten, rülpsten, hatten Schluckauf. schiel-, ten, glucksten, und keiner schaffte es mehr, allein aufzustehen. Dabei hatten sie Gesichter wie überreife Tomaten und geschwollene Wangen, diverse Beulen am Kopf oder Veilchen um die Augen. Der Bulle von Profos begann als erster zu schnarchen, und da halfen auch Maulschellen nichts mehr. Als die zwei nächsten Löwen umsanken und ihr Schnarchkonzert eröffneten, ließ sich der Profos der „Isabella“ von dem Glatzkopf ein Seil geben, schlang es durch die Leibriemen der drei Kerle, legte sich das Seil über die Schulter und marschierte nach draußen. Er zog die Kerle einfach hinter sich her. In der Tür gab es ein bißchen Gedränge, aber Carberry regelte das mit seinen urigen Kräften. „Die Rübenschweine auch noch an Bord tragen, was, wie?“ brummte er. „Nein, die schleifen wir an Tampen hinter uns her, zu zweit oder dritt zusammengebündelt.” „Und ein bißchen am Strand entlang durchs Wasser“, empfahl Ben Brighton. „Aye, aye, Sir“, sagte Carberry und küßte noch schnell eine Chinesin, die auf ihn einschnatterte und zur Treppe zeigte. Carberry wurde es ganz schwach in den Knien, auch weil die Chinesin hübsch und frisch und gut bestückt war. Etwas hilflos blickte er zu Ben hinüber. Dem fiel der Abschied genauso schwer, weil sich die Orientalin an ihn kuschelte. „Morgen ist auch noch eine Nacht“, sagte er. „Oh, oh, oh!“ sagte die Glutäugige namens Suleika und war den Tränen nahe. „Ganzen Tag warten auf Ben Breitohn?“ Sam Roskill, Pete Ballie, Stenmark und Batuti grinsten mit breiten Mündern. „Beißt euch nur nicht die Ohrläppchen ab!“ sagte Ben wütend. „Wir können ja noch bleiben, Bän!“ sagte Pete Ballie und peilte eine Javanerin an, die ein geschlitztes Gewand trug. „Schluß jetzt, ihr lausigen Böcke“, knurrte Ed Carberry. „Helft mir mal, den Sirupmolch aus dem Keller zu hieven.“
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Er hatte das Seil, an dem er die drei Kerle aus dem Schankraum gezogen hatte, zur Hälfte gekappt und einen laufenden Pahlstek geknüpft. Aber der „Sirupmolch” weilte auch im Reich der Träume und schnarchte, daß der Keller dröhnte. „Mann, Mann!“ fluchte der Profos. „Muß der Idiot ausgerechnet durch die Bretter sausen!“ „Du hast ihn ungespitzt durchgeschlagen“, sagte Sam Roskill. „Mitten ins Sirupfaß“, sagte Pete Ballie. „Das ist es ja!“ brüllte ihn Carberry an. „Willst du den klebrigen Molch vielleicht anfassen und ihm das Seil unter die Achsel knüpfen?“ „Wieso ich?“ „Und wieso ich?“ fauchte Carberry.¬ „Weil du ihn runterbefördert hast, logisch.“ Pete Ballie grinste wieder. „Hol Pützen mit Wasser“, befahl Carberry, „und halt hier keine Volksreden. Ich hab's nämlich!“ „Was hast du?“ Carberry stand breitbeinig über dem Loch und peilte in den Keller. „Er liegt auf dem Rücken und schnarcht mit offenem Maul. Da gieß ich ihm Wasser rein, klarer Fall, was, wie?“ Sie e holten Pützen. Carberry nahm sie in Empfang, zielte vorsichtig und entleerte eine Pütz nach unten. Der Sirupmolch im Keller begann zu gurgeln, dann verschluckte er sich und hustete röhrend. Fix goß Carberry mehrere Pützen hinunter. „Wassereinbruch!“ brüllte der Sirupmolch. „Schließt Schotten und Luken! Alle Mann an die Pumpen!“ Carberry lachte röhrend und wäre fast durch das Loch gefallen, so schüttelte es ihn. Ben Brighton hielt ihn fest, obwohl er selbst vor Lachen platzte. „Komm hoch, Seemann!“ brüllte Carberry nach unten. „Klar Schiff zum Gefecht!“ Der Kerl raffte sich tatsächlich auf, wenn auch taumelnd, und blickte sich wild um. „Backbord, zweites Geschütz klar!“ meldete er.
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Alle sechs Seewölfe waren jetzt um das Loch versammelt und starrten hinunter in den Keller. Sie hätten brüllen können vor Lachen. „Auf die feindliche Galeone Backbord querab!“ befahl Carberry hustend, weil er Luft in die verkehrte Kehle gekriegt hatte. Außerdem tränten ihm die Augen. „Ziel aufgefaßt!“ lallte der Sirupmolch und steuerte auf das Sirupfaß los. „O Himmel!“ stöhnte Carberry. „Hart Steuerbord, Seemann!“ Der Sirupmolch schwenkte nach rechts und prallte gegen eine Wand. Carberry fierte das Seil mit dem laufenden Pahlstek in den Keller hinunter und knurrte: „Verflucht, wie krieg ich den Kerl jetzt in die Schlinge?“ „Fier das Seil bis eine Handbreit über den Boden, Ed“, flüsterte Ben Brighton. Ed Carberry tat es. Der Sirupmolch torkelte umeinander und starrte wild auf das Seil mit der Pahlstekschlinge. „In die Wanten, Seemann!“ befahl Ben Brighton scharf. „Enter auf!“ Und Ed flüsterte er hastig zu: „Wenn er in die Schlinge tritt, zieh sie zu und hoch!“ „Jawohl, Kapitän“, lallte der Sirupmolch, stierte auf das Seil, das etwa drei Schritte vor ihm hin und her baumelte, rülpste laut und torkelte los. Er trat durch die Schlinge. Carberry zog schnell dicht. Die Schlinge rutschte an dem Kerl hoch und unter die Achseln. „Wie beim Angeln“, knurrte Carberry, „nur daß ich noch nie nach Affenärschen geangelt habe.“ „Nach sirupverklebten Affenärschen“, verbesserte Ben Brighton, packte mit zu, und schon schwebte der Kerl nach oben. Er zappelte und brüllte und verkündete, die „Zwarte Leeuw“ saufe ab. Und als ihn Carberry und Ben Brighton durch das Loch ruckten, brüllte er: „Alle Mann von Bord!“ Dann sackte er in sich zusammen. Carberry langte sich eine Flasche vom Tresen und gurgelte ihren Inhalt hinunter. Es war Arrak. „O Mann“, sagte er ächzend, „so was hast du noch nicht erlebt. Kämpft im Keller
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gegen feindliche Galeonen an Backbord. Dieser Molch wäre glatt wieder ins Sirupfaß gestürzt. Alle Mann von Bord!“ Carberry gluckste, und dann lachte er wieder dröhnend. Alle lachten, auch die Dänen, aber sie lachten nur mit, weil die anderen lachten. Sie hatten sowieso keinen. Durchblick mehr. * Ben Brighton. Carberry und Batuti hatten je drei Kerle am Seil, Pete Ballie, Stenmark und Sam Roskill zogen je zwei Kerle hinter sich her. In Batutis Bündel hing der Sirupmolch. Da die sechs Seewölfe geraden Kurs auf den Strand nahmen, schleiften sie die fünfzehn Schnaps- und Weinleichen über Stock und Stein, über Gras, Sand und durch Dreck. Der Sirupmolch sah entsprechend aus. Seine Kleidung verschwand unter Blättern, Gräsern, Sand, Lianen, Blüten und was alles noch an dem Sirup haften blieb. Später gesellten sich noch Tang, Algen und kleine Muscheln hinzu. So zogen sie am Strand entlang ostwärts. Manchmal wechselten sie den Kurs ins Wasser, und wenn sie die fünfzehn Kerle gut getränkt hatten, schleppten sie ihre Bündel wieder am Strand entlang, quer über die Tangstreifen. Ab und an wachte einer auf, gurgelte oder lallte und versank wieder in einem Alptraum, den zu begreifen mit alkoholumnebeltem Gehirn unmöglich war. Wahrscheinlich dachten sie, in der Hölle gelandet zu sein. Hasard junior erspähte den Zug zuerst und meldete ihn. „Sechs Gestalten im Anmarsch!“ rief er zum Deck hinunter. „Sie schleppen was hinter sich her! Dicke Bündel oder so!“ Smoky, der Decksälteste, wach und unruhig, weil er meinte, die Kakerlaken husten zu hören, und an Deck geblieben war, wirbelte herum und fauchte zum Mars hoch: „Du spinnst wohl?“ Ungerührt meldete Hasard junior: „Die vorderste Gestalt ist Mister Carberry, schräg hinter ihm befindet sich Mister
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Brighton. Sie haben Seile über den Schultern ...“ „An den Seilen hängen Kerle!“ schrie Philip junior dazwischen. „Halt's Maul, hier melde ich!“ erklärte Hasard junior. „An den Seilen hängen Kerle, bei Mister Carberry und bei Mister Brighton — eins, zwei, drei! Bei Mister Batuti auch eins, zwei, drei ...“ Hasards Stimme brach ab, und der Mars wackelte, weil er sich mit Philip um das Spektiv rangelte. „Wahnsinn!“ ächzte Smoky. Vom Achterdeck meldete Gary Andrews: „Stimmt alles, sie kehren zurück und haben Kerle im Schlepp!“ Der Kutscher tauchte neben Smoky auf und sagte: „Der Tee ist heiß, Smoky. Wollt ihr eine Muck?“ „Melde Hasard, daß unsere Leute zurückkehren!“ fuhr ihn Smoky an. „Ich seh nichts“, sagte der Kutscher verdattert. „Bin schon da!“ erklang Hasards Stimme hinter ihnen. „Alle Mann wecken, Smoky, vielleicht gibt's Krach!“ Und so erlebten die Männer, die auf der „Isabella“ zurückgeblieben waren, die Rückkehr ihrer sechs Leute, die, gewaschen und schicklich im Zeug, als fromme irische Pilger ausgezogen waren, aber keineswegs als ebensolche frommen Pilger zurückkehrten. „Ich hab's doch 'gesagt“, erklärte Dan O'Flynn, der neben Hasard auf der Pier stand und alles beobachtete. Der Seewolf lächelte nur verhalten. Und sie schauten zu. Denn Carberry und Ben Brighton hatten in Höhe des Pierzugangs zur „Zwarte Leeuw“ angehalten, sich umgedreht und ihre jeweiligen Seile Hand über Hand herangeholt. Carberry nestelte in seinem Haufen herum und hievte einen Mann hoch, den er mit einer Faust im Genick festDieser Mann schien sehr weiche Knie zu haben, denn er sackte dauernd zusammen. Außerdem lallte er unverständliches Zeug und bewegte die Arme wie eine flügellahme Krähe.
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Bei ihm und Ben Brighton tauchten nacheinander Batuti, Stenmark, Pete Ballie und Sam Roskill auf. Auch sie lösten die Seile von ihren S Schultern und holten sie Hand über Hand zu sich heran. Bei den sechs Seewölfen sammelte sich ein Berg von Menschenleibern, von denen die sechs die Seile losknüpften. Da marschierte Carberry los, vor sich die Gestalt des Mannes mit den weichen Knien. Der latschte mit, aber das sah irgendwie marionettenhaft aus, weil Carberry ihn am Kragen festhielt. Vor der Stelling der niederländischen Galeone hatten sich mehrere Männer versammelt, unter ihnen Pieter de Jonge, der Kapitän. Vier Schritte vor de Jonge verhielt Carberry. „Hat nicht geklappt, Kapitän!“ röhrte seine Stimme über die Pier. „Deine Affenärsche haben sich die Hucke voll gesoffen- dein Profos allen voran - und wissen nicht mehr, ob sie Männchen oder Weibchen sind, falls sie das überhaupt je gewußt haben. Wir bringen sie dir zurück, diese Scheißkerle. Und wenn du mich fragst, hätte ich sie lieber im Sumpf hinter der portugiesischen Kneipe versenkt. Dreck gehört nämlich zu Dreck, wenn du verstehst, was ich meine. Und dein Profos ist mehr als Dreck. Dein Profos ist eine Beleidigung für alle ehrlichen Profosen, die auf guten, ehrlichen Schiffen über die Meere fahren. Und wenn du diesen Mistkerl noch einmal auf uns losläßt, Kapitän, dann verspreche ich - der Profos der ehrlichen ,Isabella' -, daß ich dir diese räudige Wildsau mit in Streifen geschnittenem Affenarsch auf einem Tablett zurückschicke, so wahr ich Edwin Carberry heiße.“ Und damit gab der Profos der „Isabella“ dem Profos der „Zwarte Leeuw“ einen Stoß, sehr sanft, wohlgemerkt. Der Bulle schwankte auf seinen Kapitän zu, als wolle er ihn umarmen, aber dann kurvte er plötzlich mit einknickenden Knien nach rechts, tat noch zwei Schritte und stieg von der Pier ins Wasser. Und weg war er.
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Unten klatschte es. „Habe die Ehre“, sagte Carberry, drehte sich um und marschierte zurück. Über die Schulter rief er: „Laß den anderen Misthaufen abholen, Kapitän, wir sind nicht deine Lastenträger. Besser wäre, diese Rübenschweine in der Bantambai zu versenken!“ „Festhalten, den Kerl!“ brüllte der Kapitän mit überschnappender Stimme. Carberry drehte sich gelassen um. „Versucht's mal“, sagte er, stellte sich breitbeinig hin und stemmte die Pranken in die Hüften. Sein Rammkinn war unternehmungslustig vorgereckt. Er wußte, daß er Rückendeckung hatte, denn noch während des Umdrehens hatte er gesehen, daß die Seewölfe aufmarschiert waren, Musketen lässig unter den Arm geklemmt. Hasard stand zwischen ihnen. Carberry lockte. „Na, kommt schon, ihr triefäugigen Enkel einer verlausten schwarzen Löwin! Laßt euch ein bißchen das Fell streicheln.“ Unter der Holzpier planschte gurgelnd und spuckend der bullige Profos im Wasser herum und plärrte, daß er nicht schwimmen könne. „Klettere an den Pfosten hoch, du dämlicher Hund!'' knurrte Carberry erbittert. Das war ja wohl das letzte, daß sich dieses Zerrbild eines Profos' nicht selbst zu helfen wußte. Und der Kapitän schrie einen Mann an, wohl einen Bootsmann, er möge jetzt endlich, verdammt noch mal, diesen renitenten Burschen auf der Pier überwältigen und in Ketten legen. Sie schlichen zu dritt auf Carberry zu, noch zwei folgten zögernd. Neben Carberry tauchte Hasard auf, groß, schlank, geschmeidig. Binnen Sekunden war die Situation bereinigt – fünf Niederländer leisteten ihrem Profos unten im Wasser Gesellschaft und brüllten um die Wette. Dann entdeckte einer die Sprossen zwischen den Stützpfosten, planschte dorthin und kletterte hoch. Wie Hammel dem Leitbock folgten die anderen, und jeder versuchte, als erster auf die Sprossen zu gelangen. Einer hängte
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sich an die Füße des Leithammels, der wutentbrannt nach ihm stieß. Dann brach die Sprosse, auf der er stand, und die ganze Menschentraube sauste zurück ins Wasser. De Jonge erlitt einen Tobsuchtsanfall. Außerdem hatte er die Situation nicht mehr im Griff. Plötzlich stand er allein, denn die Kerle um ihn herum wichen zurück, als Hasard auf die Gruppe zuging. Es sah aus, als hätten sie Angst vor ihm. Wenn sechs von diesen verdammten „Iren“ fünfzehn ihrer härtesten Schläger samt Profos gezähmt hatten, was mußte dann erst dieser schwarzhaarige Riese, der ihr Kapitän war, für ein Kämpfer sein! Und dann wurde gemunkelt, dieser Mann sei der Seewolf. Die wildesten Geschichten kursierten über ihn. In der Schlacht gegen die Armada habe er in einem tollkühnen Branderangriff „die Unbezwingbare“ zersprengt und zum Teufel gejagt. Nein, mit einem solchen Kerl legte man sich nicht an. Lächelnd sagte Hasard: „Lassen Sie's gut sein, Kapitän de Jonge. Keiner Ihrer Leute hat ernsthaften Schaden genommen – abgesehen von einem erfrischenden Bad ...“ „Ich verlange Genugtuung!“ brüllte der Kapitän. „Für was?“ fragte Hasard ruhig. „Dieser Kerl da hat mich beleidigt!“ De Jonge stieß den Arm gegen Carberry vor. „Mich, einen niederländischen Kapitän und Kommodore!“ Er klopfte sich an die Brust. „Wollen Sie sich mit ihm duellieren?“ fragte Hasard höflich. „Ich duelliere mich nicht mit niederem Schiffsvolk.“ „Ah ja“, sagte Hasard mit leichtem Spott in der Stimme, „zum Kämpfen sind Ihre Leute da, nicht wahr? Das niedere Schiffsvolk, wie Sie es zu nennen belieben. Und Sie selbst bleiben in Deckung, wie? Feine Sache. Andere tragen ihre Haut zu Markte, und Sie bleiben aus der Schußlinie. Das ist für mich sehr interessant, denn schließlich wünschten Sie ja, ich sollte an Ihrer Seite gegen die Portugiesen kämpfen. Wissen Sie, viel
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Lust habe ich nicht dazu. Suchen Sie sich einen anderen Bundesgenossen, einen, der so dumm ist, sich für Sie oder Ihre merkwürdigen Ziele totschießen zu lassen. Meine Sache ist das jedenfalls nicht.“ „Ich habe Sie in der Hand, das wissen Sie!“ fauchte der Kapitän. „Nichts haben Sie in der Hand, Sie mieser, kleiner Erpresser.“ Jetzt war auch Hasards Stimme scharf geworden. „Begreifen Sie endlich, daß Sie mit Drohungen bei mir nichts erreichen.“ Aber dieser niederländische Kapitän begriff nichts. Er wollte wohl auch nicht begreifen. Seine Vernunft war soviel wert wie ein durchlöcherter Blasebalg. Mit überkippender Stimme schrie er: „Schießt ihn nieder, diesen Halunken! Ich will sein Schiff haben! Weg mit dem Kerl ...“ Er verstummte und riß die Augen auf, denn Hasard hatte nur die rechte Hand gehoben und gewinkt, ohne sich umzudrehen. Und hinter ihm rückten sechs Seewölfe an, die Musketen an den Hüften angeschlagen. „Lassen Sie ruhig schießen, de Jonge“, sagte Hasard verächtlich, „aber dann sind Sie auch dran. Sechs Musketenläufe sind auf Sie gerichtet, und ich weiß, daß keiner meiner Männer danebenschießt.“ Er drehte etwas den Kopf nach rechts. „Mister Conroy?“ „Sir?“ tönte es vom Achterkastell der „Isabella“ zurück. „Sind die beiden achteren Drehbassen feuerbereit?“ rief Hasard hinüber. „Aye, aye, Sir, feuerbereit!“ „Welche Zielpunkte?“ „Steuerbord achtern, Wasserlinie, Sir! Gibt zwei saubere Löcher!“ Hasard richtete den Blick seiner eisblauen Augen auf den niederländischen Kapitän, der bleich geworden war. „Pech für Sie, de Jonge“, sagte er kühl. „Ihr wertes Leben ist in Gefahr, und Ihrer ,Zwarte Leeuw` drohen zwei Löcher in der Wasserlinie. Wenn Sie auf mich schießen lassen wollen — bitte sehr.“ „Sie — Sie Teufel!“ Hasard verbeugte sich leicht. „Eine Anrede, die mich ehrt, weil sie erkennen
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läßt, daß Sie offenbar begriffen haben, wie die Partie zur Zeit steht — nämlich nicht gut für Sie. Sie ist sogar tödlich, und davor haben Sie Angst. Kerle, die Angst haben, sind für mich schlechte Bündnispartner. Wenn es nämlich hart auf hart geht, kneifen sie und lassen den anderen sitzen. Vielen Dank, de Jonge, Sie haben sich demaskiert.“ Der Kapitän hatte wieder einmal Atembeschwerden, und dann verstieg er sich dazu, seine Pistole aus dem Gürtel zu reißen. Hasard wartete, bis er sie heraus hatte. Dann schnellte sein rechtes Bein hoch, krachte unter des Kapitäns Handgelenk, und die Pistole segelte in hohem Bogen ins Wasser. Noch bevor er wieder reagieren konnte, wischte Hasard ihn mit einem rechten Haken von der Pier. Er flog seiner Pistole hinterher. Rechts von Carberry erschien der Kopf des Bullen an der Oberkante der Pier. Er hatte lange gebraucht, um sich an einem Pfosten hochzuarbeiten. Quer im Mund hatte er ein Messer. „Verschluck dich nicht“, sagte Carberry und trat zu. Der Bulle klatschte zurück ins Wasser. Alle Mühe war umsonst gewesen. „Das war eben nicht sehr fein, Ed“, tadelte Hasard. „Er konnte sich nicht wehren.“ „Das konnte die Javanerin auch nicht, die er vergewaltigt hat“, knurrte Carberry, „mit Verlaub, Sir.“ „Hat er das?“ „Jawohl, das hat er, und deswegen wurde hier ein Posten mit durchschnittener Kehle gefunden, der mit diesem Rübenschwein Ähnlichkeit gehabt haben soll. Und dieser Mistkerl von Kapitän hat behauptet, die Portugiesen hätten den Posten ermordet. „Sauber, sauber“, murmelte Hasard. Sein Blick flog über die Männer, die sich an der Stelling und auf der Kuhl drängelten. Da schien keiner mehr geneigt zu sein, Gewaltmaßnahmen zu ergreifen. Er blickte in ziemlich geschockte Gesichter. Sehr deutlich sagte Hasard: „Zu meiner Crew gehörten einmal zwei Niederländer. Es
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waren gute Männer, und ich habe die Niederländer nach ihnen beurteilt. Jetzt lautet mein Urteil anders. Wer von euch noch Ehre im Leib hat, sollte sich schämen, unter einem Kapitän de Jonge und seinem Profos zu fahren. Für euer Land sind sie eine Schande. Und noch etwas: Solltet ihr gezwungen werden, gegen uns zu kämpfen, dann tut es mir leid, daß ihr es ausbaden müßt, denn unsere Breitseiten kennen keine Rangunterschiede. Das ist eine Warnung!“ Hasard wollte sich abwenden, aber ein Mann rief: „Sollen wir etwa meutern?“ Hasard drehte sich zu ihm um. „Was ihr sollt, kann ich nicht beantworten. Jeder trägt den Schuh, der ihm paßt. Ich kann nur für mich antworten, und da lautet meine Antwort: Unter einem größenwahnsinnigen Feigling und Erpresser sowie unter einem Frauenschänder würde ich nicht fahren. Aber wie gesagt, das ist euer Schuh, nicht meiner.“ Zusammen mit Carberry und den sechs Männern verließ er die Pier. Daß der Kapitän vom Wasser aus hinter ihm herfluchte, ignorierte er. Bei den vierzehn schnarchenden Weinund Schnapsleichen blieb er noch einmal stehen und schüttelte den Kopf. „Was habt ihr mit denen nur angestellt, Ed?“ fragte er. „Ein bißchen gespielt“, erwiderte der Profos grinsend. „Und das Rübenschwein dort ist in ein Sirupfaß gefallen.“ Er deutete mit der Rechten zu dem Kerl, der in alles mögliche eingehüllt war und wie eine Mumie wirkte. „Da hast du ihn reingeworfen, wie?“ „Aber nicht doch, Sir“, sagte Carberry treuherzig. „Ich hab ihm nur ein bißchen aufs Haupt geschlagen, und da sauste er durch die Dielenbretter in einen Keller. Allerdings hatte Batuti schon etwas vorgearbeitet und diesen Kerl bis zur Brust versenkt. Konnte ich wissen, daß im Keller ein Sirupfaß stand?“ „Natürlich nicht.“ Hasard verbiß sich ein Lächeln. . „Siehst du, Sir. Außerdem haben wir diesen Stinten immer nur Maulschellen
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verpaßt, weil du gesagt hattest, wir sollten sauber kämpfen. Wir sind keine Totschläger, hast du gesagt. Nur Batuti hat diesem Abschaum von Profos ein Ding unter das Kinn gedonnert, weil der ihn beleidigt hatte. Der hatte zu Batuti gesagt, so einen wie ihn brauchten sie bei sich an Bord, um mit ihm die Bilge und den Abtritt ihrer Offiziere auszuwischen. Und das war eine Beleidigung, Sir, der wir uns nicht in aller Demut beugen konnten, obwohl wir's versucht haben. Dann haben wir ihnen ein bißchen die Köpfe aneinandergebumst und unsere Maulschellen verteilt. Anschließend haben wir sie auf die Köpfe gestellt und ihnen ihre Münzen aus den Taschen geschüttelt. Das hat den glatzköpfigen Wirt sehr gefröhlicht ...“ „Gefröhlicht?“' „Gefreut, mein ich“, verbesserte sich Carberry und fuhr fort: „Und darum gab's Freitrinken. Weil die Stinte von den Maulschellen und so noch so beduselt waren, erbarmten wir uns ihrer und ließen sie an den Flaschen nuckeln wie — wie ...“ „Wie Babys an der Mutterbrust“, sagte Hasard. „Genau, Sir, du hast es erfaßt!“ Carberry strahlte und sah wieder aus wie ein verhungerter, zähnefletschender Wolf. „Und die Flaschen waren wechselnden Inhalts?“ fragte Hasard, aber es war mehr eine Feststellung. „Natürlich, Sir“, sagte Carberry fröhlich, nickte und fügte sehr wichtig hinzu: „Rum war auch dabei. Und Arrak natürlich. Der Reisschnaps. der Zopfmänner natürlich auch, ja und Wein war auch dabei, damit ich das nicht vergesse. Und da war eine Chinesin, die wollte mir doch glatt meine Brusthaare kraulen. Was sagst du jetzt, Sir?“ „Hat sie nur die Brusthaare gekrault, Ed?“ „Wo denkst du hin. Sir!“ Carberry kratzte über sein Rammkinn. „Wir mußten doch diese besoffenen Bäckerburschen in die Heia bringen. Und darum lösten wir uns von den taubenden Turteln ...“ „… turtelnden Tauben“, sagte Hasard, und jetzt hatte er wirklich ernsthafte
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Schwierigkeiten, den gemessenen Ernst zu wahren. „Natürlich.“ Carberry nickte gewichtig und fuhr fort: „Uns von den getäubten Turtlern zu lösen, sagte ich. Aber da war Suleika, die schon das Bett von dem Dingsda gehimmelt hatte, und die wickelte sich um unseren Ersten, der meinte, morgen sei auch noch eine Nacht ...“ „Stimmt ja auch“, sagte Hasard. „Richtig, Sir, vergiß das nicht!“ Carberry räusperte sich. „Und jetzt paß auf.“ Carberry verdrehte sich, schlang die Arme um jemanden, den er sich vorstellte, und sagte: „Das ist Suleika, Sir, eine glutäugige Blume, versteht du?“ „Verstehe.“ „Gut. Sie umrankt also unseren Ersten und flötet: „Oh, oh, oh! Ganzen Tag warten auf Bän Breitohn?“ Carberry dehnte das „Bän“ so ordentlich in die Länge und umarmte dabei die Luft. Nun war der eiserne Profos der ,.Isabella“ eben ein Profos — und was für einer! —, aber gewiß kein Schauspieler. Und darum waren seine Gesten und die Mimik die Clownsnummer aus dem reisenden Volk der Seiltänzer, Feuerschlucker, Zauberer und Wahrsagerinnen. Es sah aus, als steige ein Bulle an einer Bohnenstange hoch. Und sein Gesicht, das Suleika, die orientalische Blume, darstellen sollte, war so ausdrucksvoll wie ein vergammelter Kohlkopf. „Dieser Profos neigt zu maßlosen Übertreibungen!“ empörte sich Ben Brighton. Das Gelächter, das folgte, ließ die Männer auf der „Zwarte Leeuw“ zusammenzucken. Denn auf diesen: Schiff war seit Monaten nicht mehr gelacht worden, genauer gesagt, seit dem Ankeraufgehen auf der grauer Reede von Texel. Grau war alles geblieben, grau und trüb. Wer lachte drückte damit sein Wohlbefinden aus, und das war verdächtig. Das war jedenfalls Pieter de Jonges Ansicht. Kuschen und schuften, nur das galt für das Schiffsvolk. Und wer aus der Reihe tanzte, durfte die Neunschwänzige des Profos' spüren.
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Sie wußten gar nicht mehr, daß es Menschen gab, die lachen konnten. Als sie ihren Kapitän aus dem Wasser zogen, hätten sie gern gelacht, aber ein Blick in dessen verzerrtes Gesicht ließ sie ahnen, daß die lausigen Zeiten jetzt erst richtig anfangen würden. Im übrigen hatte Carberry richtig getippt. Der Profos der ,Zwarte Leeuw“ wurde in Ketten gelegt. Allerdings war das eine völlig sinnlose Maßnahme; dieser Mann würde sich nie ändern - genauso wenig wie der Kapitän selbst. 5. Der Mann, dem die portugiesische Niederlassung in Bantam unterstand hieß Gaspar de Ribeiro. Hasard suchte ihn zusammen mit Dan O'Flynn am nächsten Morgen auf und traf ihn in der portugiesischen Faktorei an. Sie wurden beide überraschend freundlich empfangen, ja nahezu liebenswürdig. Dieser de Ribeiro war ein schlanker, kleiner, weißhaariger Mann mit einem schmalen, mahagonifarbenen Gesicht, zu dem das feste, weiße Haar einen scharfen Kontrast bildete. Lebhafte Augen musterten die beiden Besucher. Es waren Augen, die sich nicht versteckten. Und darum entschloß sich Hasard, kein Versteck zu spielen - schon um Drohungen de Jonges vorzubeugen, seine Identität an die Portugiesen zu verraten. Er stellte Dan und sich vor und sagte rundheraus: „Wir sind Engländer, Senor de Ribeiro, und auf Ihre Hilfe angewiesen. Unser Schiff hat einen Ruderbruch, darum liefen wir Bantam an. Die Reparatur ist nur auf einer Helling möglich.“ „Kein Problem“, erwiderte der Portugiese lächelnd. „Ich hatte mir schon gedacht, daß Sie mich aufsuchen würden. Hier spricht sich alles sehr schnell herum - auch jene Dinge, die heute nacht passierten, ganz abgesehen davon, daß Kapitän de Jonge ja sehr laut brüllte, als er Ihrem Schiff einen Besuch abstattete, um Sie auf seine Seite zu ziehen. Nun, Sie haben ihn abblitzen lassen, und ich bin ehrlich genug, Ihnen zu
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sagen. daß ich darüber sehr erleichtert bin.“ Wieder lächelte de Ribeiro. „Die Legenden über Sie stimmen, Kapitän Killigrew.“ Hasard runzelte die Stirn. „Welche Legenden?“ „Daß Sie ein fairer Mann seien. Zufällig kenne ich einen portugiesischen Kapitän, der seinerzeit in der Armada mitsegelte, die Kämpfe miterlebte und zu jenen gehört, denen die Rückkehr um England und Irland gelang. Von ihm weiß ich, was Sie alles für meine Landsleute taten, nachdem die Schlacht geschlagen war. Sie kümmerten sich um die Schiffbrüchigen ganz im Gegensatz zu einem gewissen Francis Drake. Da ist es eine Selbstverständlichkeit, daß ich auch Ihnen jetzt helfe. Sie können Ihr Schiff sofort zur Helling verholen. Ich werde veranlassen, daß der Hellingmeister genügend Leute bereitstellt, um Ihr Schiff aufzuslippen. Brauchen Sie Schiffszimmerleute?“ „Ich habe den besten, den es gibt.“ Hasard lächelte. „Aber herzlichen Dank für Ihre Hilfsbereitschaft. Die Reparatur können wir selbst durchführen.“ „Gut. Wie steht es mit Proviant, Trinkwasser und so weiter? Sie können in der Faktorei alles kaufen, auch Gewürze, schließlich sind wir eine Handelsniederlassung und leben davon. Damit möchte ich ausdrücken, daß wir einen friedlichen Handel und Wandel für fruchtbarer halten als kriegerische Auseinandersetzungen. Der Portugiese seufzte. „Seit wir dieses Paradies entdeckt haben, mehren sich über die Jahrzehnte die Anzeichen, daß wir uns von ihm immer weiter entfernen. Zuerst hatten wir keine Schwierigkeiten. Jetzt werden die Menschen auf allen diesen Inseln uns gegenüber feindlicher. Die Weißen stören uns, sagen sie. Erst haben wir ihnen freiwillig gegeben, was sie haben wollten, jetzt fordern und verlangen sie und wenden Gewalt an. Sogar ihren Gott wollen sie uns aufzwingen und behaupten, es gäbe nur diesen einen, dabei wissen wir, daß dies nicht wahr sein kann. Ja, so sagen sie — und sie haben recht. Jetzt sind die
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Niederländer hier aufgetaucht und benehmen sich in einer Weise, die den Haß herausfordert. Seit eine Javanerin von dem Profos des Flaggschiffs vergewaltigt wurde, brodelt es in Bantam. Und wir Portugiesen kriegen es ebenfalls zu spüren. Man wirft uns mit den Niederländern in einen Topf.“ Hasard nickte. „De Jonge würde sich hier gern festsetzen.“ „Ich weiß. Er war nicht damit zufrieden, seine Laderäume mit Gewürzen voll zu stopfen. Das genügt ihm nicht. Er will den ganzen Handel an sich reißen, und wir sind ihm dabei im Weg. Noch zögert er, gegen uns loszuschlagen — aus Respekt vor unseren fünf Galeonen, von denen drei längst die Rückreise hätten antreten sollen. Ich mußte sie zurückhalten, um Macht zu demonstrieren, die ich sonst keineswegs demonstrieren möchte, zumal ein solches Verhalten dem Ansehen des weißen Mannes keineswegs nutzt. Nun gut, lägen hier nur zwei portugiesische Galeonen, wäre de Jonge längst über uns hergefallen. Jetzt wartet und lauert er. Außerdem versucht er, sich bei dem Sultan des Banten-Reiches einzuschmeicheln, mit dem wir einen Vertrag für den Gewürzhandel abgeschlossen haben. Auf gut europäisch gesagt: Er intrigiert und verspricht dem Sultan das Blaue vom Himmel herunter. Natürlich sind wir Portugiesen Blutsauger, Halsabschneider, Erpresser und Lumpen. Wir sollen die Javanerin gedungen haben, den Profos zu verführen. Stellen Sie sich das vor!“ „Wie verhält sich der Sultan?“ fragte Hasard nachdenklich. „Korrekt. Er mag den niederländischen Kapitän nicht, wie er mir vertraulich mitteilen ließ.“ De Ribeiros Augen waren umschattet. „Angenommen, der Sultan wird ermordet. Dann entsteht eine völlig neue Situation, denn unser Vertrag mit ihm wäre hinfällig, ganz abgesehen davon, daß sein Sohn noch ein Kind ist. Er wäre der rechtmäßige Thronfolger. Das BantenReich müßte, solange der Sohn noch nicht regieren kann, von einem Reichsverweser verwaltet werden. Die Frage stellt sich,
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was wird dieser Reichsverweser für ein Mann sein? Ist er bereit, Verträge, die vom Sultan abgeschlossen wurden, zu verlängern? Oder erliegt er den Versprechungen, den Schmeicheleien, den Lügen eines de Jonge? Und um auch das noch zu sagen: Ich bin durchaus der Meinung, daß ein Land, das bestimmte Handelsgüter im Überschuß hat und sie verkaufen möchte, mit mehreren Ländern Handel treiben kann. Es sollte keiner bevorzugt werden, vorausgesetzt, es handelt sich um ehrbare Leute, die den Handel betreiben. Aber bei Männern wie de Jonge kann einen das Grausen packen. Sie sind es, die das Paradies zerstören. Verstehen Sie jetzt, warum ich so erleichtert bin, daß Sie ihm eine Abfuhr erteilt haben?“ Hasard bejahte und sagte: „Er versuchte es erst mit Arroganz, dann mit Drohung und Erpressung - ein schlechter Diplomat. Im übrigen ist er ein Feigling, ein Mann mit einem großen Maul, das er sofort zuklappt, wenn es ihm selbst an den Kragen geht. Ich habe die Niederländer als tapfere und vor allem faire Kämpfer kennen gelernt und kann nur hoffen, daß Kerle wie de Jonge und sein Profos die Ausnahme sind. Im übrigen habe ich das Gefühl, daß die Crew der ‚Zwarte Leeuw` keineswegs glücklich über ihren Kapitän ist. Sie steht nicht voll hinter ihm. Vielleicht weiß er das und wagt deshalb nicht, Sie anzugreifen, solange das Gleichgewicht der Schiffseinheiten besteht. Mit meiner Beteiligung wollte er es zu seinen Gunsten verändern.“ Gaspar de Ribeiro blickte Hasard aufmerksam an. „Darf ich mir die Frage erlauben, wie Sie sich verhalten werden, wenn er unsere fünf Schiffe angreifen sollte?“ Hasard lächelte. „Darf ich die Frage von Mister O'Flynn beantworten lassen? Ich möchte wissen, ob er genauso antwortet, wie ich es tun würde.“ „Ah!“ Jetzt lächelte auch de Ribeiro. „Eine Art Probe, wie?“ „So ist es“, erwiderte Hasard. „Wir wechseln bei uns an Bord häufig die Rollen. Mister O'Flynn könnte die Rolle
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des Stückmeisters, des Segelmachers, des Schiffszimmermanns oder auch die des Kapitäns übernehmen - und umgekehrt. Jeder lernt die Rolle des anderen kennen – bis zur Perfektion. Bei Ausfällen könnte es sein, daß er selbständig handeln und auch entscheiden muß, um das Schiff zu erhalten. Auf der ,Isabella` fahren freie Männer. Sie haben Narben davongetragen, sie halten zusammen wie Pech und Schwefel. Darum haben sie bisher überlebt.“ „Jetzt verstehe ich“, sagte der Portugiese, und Bewunderung klang in seiner Stimme mit. „Das ist aber noch nicht alles, Senor de Ribeiro“, sagte Hasard. „Ich muß es erwähnen, weil es wichtig ist. Alle Männer der ,Isabella` sind auch ihre Miteigner oder Reeder, wenn Sie so wollen. Sie beteiligten sich am Kauf des Schiffes.“ „Das gibt es doch gar nicht“, sagte der Portugiese verblüfft, ja nahezu betroffen. Hasards Lächeln war fein und verhalten. „Warum nicht?“ „Das Geld!“ platzte de Ribeiro heraus. „Woher hatten sie denn das Geld, um sich an dem Kauf eines solchen Schiffes beteiligen zu können?“ Er betonte das „eines solchen“ und verriet damit, daß er wohl erkannt hatte, was die „Isabella“ von anderen Galeonen unterschied. Ganz offen erwiderte Hasard: „Sie knöpften es den Spaniern ab - jenen Spaniern, die drüben die Neue Welt ausplünderten. Wenn ich ,sie' sagte, so zähle ich natürlich auch dazu. Darf Ihnen Mister O'Flynn jetzt antworten?“ „Jawohl, Sir“, sagte de Ribeiro. Er sagte „Sir“! Dan O'Flynn hob den Kopf mit den hellen, scharfen Augen, lächelte leicht und sagte: „Ich glaube, daß ich richtig liege, wenn ich erkläre, daß Kapitän Killigrew ein Mann ist, der zwischen zwei Parteien den Standpunkt der Neutralität vertritt, vorausgesetzt, beide Parteien sind gleichwertig. Diese Gleichwertigkeit bezieht sich auf die Kampfkraft dieser beiden Parteien. Sollte jedoch die eine oder andere Partei zu Mitteln greifen, die
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unmenschlich, grausam, tückisch, gemein nach christlicher Auffassung teuflisch sind, dann wird sich Kapitän Killigrew auf Biegen und Brechen für jene Partei einsetzen und schlagen, die einen solchen Weg nicht geht. Das ist eine Frage des Rechtsstandpunktes. Es gibt ein Kriegsrecht, ein moralisches Recht, ein Recht des Schwächeren —vielleicht. Nur ist Recht unteilbar. Das Recht eines Stärkeren — weil er die Macht hat — haben wir Männer der „Isabella` nie anerkannt. Ich fasse zusammen, um Ihre Frage, Senor de Ribeiro, zu beantworten — anstelle meines Kapitäns: Kapitän de Jonge versuchte, uns zu erpressen. Die Antwort werden wir ihm nicht schuldig bleiben, falls er versuchen sollte, Sie anzugreifen.“ Gaspar de Ribeiro starrte Dan O'Flynn sprachlos an, dann wechselte sein Blick zu Hasard. Hasard sagte: „Kein Kommentar.“ Jetzt war der weißhaarige Mann fast verstört. „Mein Gott“, murmelte er, „das gibt es doch nicht, das kann es nicht geben. so etwas habe ich noch nicht erlebt. Sollte die Welt anders sein, als ich meinte erkannt zu haben — und ich habe über ein halbes Jahrhundert hinter mir!“ „Die Welt“, sagte Hasard, „ist weder gut noch schlecht. Sie ist nur so, wie wir Menschen sie gestalten. Es gibt das Gute, und es gibt das Böse. Vielleicht muß das so sein, damit das Gute nie einschläft. Nur — was ist gut?“ Und damit verließen sie Gaspar de Ribeiro. Als sie zur „Isabella“ zurückgingen, sagte Hasard: „Deine Antwort war gut, Dan. Sie entspricht genau meiner Auffassung. Seit wann denkst du über Recht nach?“ Sehr ernst sagte Dan O'Flynn: „Seit ich zum ersten Male begriff, auf welche Weise dein Pflegevater, Sir John Killigrew, Herr auf Arwenack, über die Leute von Falmouth herrschte, ohne irgendwelche Rücksichten zu nehmen. Da war ein besonderer Punkt, der mich zuerst irritierte und dann empörte. Er nahm sich das Recht heraus, für seine Mannen auf Arwenack Ehen zu schließen und in der ersten Nacht
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nach der Hochzeit mit der Braut zu schlafen — ob das dem Bräutigam und der Braut paßte oder nicht. Und war dann auch noch ein Kind die Folge, dann durfte der auf diese Weise gehörnte Ehemann für den Bastard sorgen. Sir John hielt es nicht für nötig, sich darum zu kümmern. Ich gebe ohne weiteres zu, daß ich damals fest entschlossen war, Sir John umzubringen, falls mir so etwas widerfahren sollte. Vielleicht war auch das einer der Gründe, warum ich von zu Hause ausrückte. Was Sir John in burgherrlicher Weise tat, verletzte die Würde des Menschen. Das ist jedenfalls meine Meinung.“ „Sie ist richtig“, sagte Hasard. * Eine Stunde später verholten sie die „Isabella“ zu der Helling, scheel beäugt vom Kapitän der „Zwarte Leeuw“, der wie ein gereizter Bulle auf der Kampanje seines Schiffes hin und her marschierte. Aus dem Verholen der „Isabella“ mußte er schließen, daß sich Hasard mit den Portugiesen geeinigt hatte. Die Männer der „Isabella“ leisteten Schwerarbeit. Sie hatten die beiden Beiboote ausgesetzt, lange Leinen zu den Pollern auf dem Galionsdeck ausgefahren und schleppten die Galeone mit Muskelkraft zur Helling. Je acht Männer pullten in den beiden Beibooten. Und wenn einige Kerle auf der „Zwarte Leeuw“ zuerst höhnisch gegrinst hatten, dann war denen das Grinsen sehr schnell vergangen, denn die Seewölfe hatten einen Schlag drauf, mit dem sie ihr Schiff glatt bis Sumatra hätten verholen können — quer über die Sundastraße. Der breitschultrige Bootsmann, der in einem der beiden Beiboote das Verholmanöver leitete, tat das mit einer Lässigkeit, als jongliere er tagtäglich mit Galeonen über irgendwelche Reeden. Das wickelte sich alles ohne viel Tamtam, Brüllerei oder Hektik ab. Einige der Niederländer verstiegen sich zu der Ansicht, auf diese Weise könnten die „Isabella“-Kerle glatt ein Gefecht führen,
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woran sogar ein Fünkchen Wahrheit war, was die Manövrierbarkeit betraf. Der Wind stand in die Bai, was diese Kerle dazu ausnutzten, die Galeone bis etwa sechzig, siebzig Yards quer vor die Helling zu schleppen und sie dann vom Wind mit dem Heck zur Slipanlage herumschwojen zu lassen. Der Bug blieb seewärts gerichtet, gehalten von den sanft anpullenden Männern in den beiden Beibooten. Der Wind trieb die Galeone jetzt — mit dem Heck voran — auf die Slipanlage zu. Die beiden Beiboote, schräg vom Bug weg herausgestaffelt, wirkten jetzt wie Ruder oder auch bremsend, je nachdem, was notwendig war. Es sah fast spielerisch aus, wie die schlanke Galeone mit den überlangen Masten und den niedrigen Aufbauten in die richtige Position dirigiert wurde — und dennoch war es ein irres Manöver, das sich kaum einer der Niederländer zugetraut hätte. Und weil ein großer Teil der niederländischen Crew dieses Manöver lautstark bewunderte, platzte Pieter de Jonge mal wieder vor Wut und brüllte seine Leute an. ob sie nichts Besseres zu tun hätten, als Maulaffen feilzuhalten. Damit der Schlendrian nicht einriß, ließ er seine Kerle die Decks schrubben, was reine Schikane war, weil das morgendliche Reinschiff vor drei Stunden beendet worden war. Später ließ er sich von einer Pinasse zu den vier ankernden Galeonen pullen und schien auch dort Kapitäne und Mannschaften auf Trab zu bringen, denn als er zurückkehrte, gingen die vier Galeonen ankerauf und übten vor dem Baiausgang das Segeln im Verband. Vielleicht wollte er auch demonstrieren, daß er es in der Hand habe, die Bantambai abzuriegeln oder zu blockieren. Die „Isabella“ wurde mit dem Heck voran auf die Slipanlage bugsiert und über mehrere Winschen, an denen Portugiesen und Eingeborene unter der Leitung des Hellingmeisters arbeiteten. so weit aus
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dem Wasser gezogen, daß das Heck freikam. Dann ging Ferris Tucker, unterstützt von Big Old Shane, Al Conroy und einigen anderen Helfern, an die Arbeit. Gegen Mittag fielen die Seewölfe über die vom Kutscher gebratenen „Piephähne“ her, wie Carberry sie nannte. Zu diesem Zeitpunkt hatte de Jonge ein Schauspiel besonderer Art zu bieten. Die vierzehn Mannen, die in der Nacht von den sechs Seewölfen als Wein- und Schnapsleichen auf der Pier abgeliefert worden waren, wurden nacheinander auf der Kuhl ausgepeitscht. Das besorgte der Bulle von Profos. der aus der Vorpiek geholt worden war. Dann wurde die Prozedur umgekehrt. Da wurde der Profos an die Wanten gespannt, und die vierzehn von ihm ausgepeitschten Männer durften ihm das Fell gerben. Sie taten es mit Wonne und der entsprechenden Wut. Das Gebrüll des Profos' dröhnte über Hafen und Reede. Auf den Piers versammelten sich Zuschauer - Chinesen, Inder, Araber, Portugiesen, Eingeborene, Indonesier, Dänen, Franzosen, Spanier. Da gab es schadenfrohe, höhnische, entsetzte, aber auch ausdruckslose Gesichter. Den Seewölfen war der Appetit vergangen. „Ist dieser Affenarsch von Kapitän wahnsinnig?“ grollte Edwin Carberry zittert. „Erst schlägt der Profos den Kerlen die Haut in Fetzen und dann wird umgekehrt verfahren! Wo soll da der Sinn liegen?“ Luke Morgan, frech wie eh und je, nahm es mehr von der grimmigheiteren Seite und sagte: „Einem Profos muß eben auch mal die Haut in Streifen von seinem Affen ...“ „Halt's Maul, Mister Morgan!“ blaffte ihn Carberry an. „Was dort passiert, ist nicht mehr normal. Und das vor aller Augen! Dieses Rübenschwein von Profos hat eine Strafe verdient, aber nicht so.“ „Wie denn?“ erkundigte sich Luke Morgan. „Weiß ich auch nicht“, knurrte Carberry verstimmt. „Ich weiß nur, dass ich nichts dagegen hätte, wenn die Macker dort
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drüben auch ihrem verdammten Kapitän die Neunschwänzige überziehen würden, der hätte es nötiger als alle anderen.“ „Abgesehen von dem Profos“, ergänzte Luke Morgan. „Ach laß mich zufrieden“, sagte Carberry brummig. Der Profos drüben brüllte nicht Er hing in den Wanten, offenbar ohnmächtig. Sein Rücken sah übel aus. Einer, der ohnmächtig ist. spürt nichts mehr. Also wurde das Auspeitschen eingestellt. Aber der Profos blieb weiter in den Wanten hängen - wie ein aufgespanntes Hemd an der Wäscheleine. Viertelstunde später meldete Bill, der Moses, den Anmarsch Kapitän de Jonges. „Was will der denn nun wieder“, murrte Carberry und ließ Hasard wahrschauen. Am Heck waren Leitern angebracht worden, verbunden mit Querbrettern, damit Ferris Tucker bequem arbeiten konnte. Eine weitere Leiter stand auf der Steuerbordseite der „Isabella“, um von und an Bord gelangen zu können. Dort schob Batuti Wache mit der Order, keinen Fremden an Bord zu lassen. De Jonge, stiernackig, rot und schwitzend. walzte heran, als gehöre ihm das Werftgelände. Er steuerte das Heck an, sah zu, wie dort gearbeitet wurde, und pumpte sich schon wieder auf, weil ihn niemand beachtete. Dann ließ Ferris Tucker ein Stemmeisen fallen, das sich genau vor der rechten Stiefelspitze des Kapitäns in den Boden bohrte. Ferris Tucker tat erstaunt, als er den tomatenroten Kapitän unter sich erblickte, und sagte: „Verzeihung. Aber Glück muß man haben, wie? Das Stemmeisen hätte ja auch Ihre Rübe treffen können.“ „Das war Absicht!“ schrie der Kapitän. _Das war ein Anschlag auf mein Leben!“ Ferris Tucker grinste hinunter. „Alte Seemannsregel: man stellt sich weder unter schwebende Lasten noch unter Plätze, an denen gearbeitet wird. Müssen Sie sich merken, Freundchen.“ „Unverschämtheit! Was erlauben Sie sich? Wer sind Sie überhaupt?“
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„Der Schiffszimmermann“, erwiderte Ferris Tucker trocken, „oder sieht man das nicht? Wird bei Ihnen ein Ruder vom Segelmacher genäht, wenn es gebrochen ist?“ Er spielte mit dem schweren Hammer, der in seinen mächtigen Fäusten dennoch wie ein Spielzeug aussah. „Sonst noch Fragen, Freundchen? Ich hab nämlich zu arbeiten und keine Zeit — wie andere Leute —, die nichts Besseres zu tun haben, als herumzubrüllen und sich für den Nabel der Welt zu halten. Könnten Sie mir mal das Stemmeisen nach oben werfen?“ De Jonge drehte sich abrupt um und marschierte auf Batuti los. „Weg da, Nigger!“ herrschte er den riesigen Mann an. Batuti stand wie ein Baum und versperrte die Leiter. An ihm ging kein Weg vorbei. „Sagtest du Nigger, weißer Mann?“ fragte er höflich. „Wenn ja, dann laß es besser, sonst geht's dir wie deinem Profos, dem ich was aufs große Maul geschlagen habe, als er meinte, mich beleidigen zu dürfen.“ Kapitän de Jonge wich zwei Schritte zurück. Sein Gesicht war fahl geworden, bis auf zwei rote Flecken, die auf seinen Jochbeinen prangten. „Ich will den Kapitän sprechen“, sagte er und betastete sein Kinn. Batuti begutachtete es und verkniff sich ein Grinsen. Da hatte sein Kapitän auch ganz schön zugehauen — in der Nacht, als de Jonge ins Wasser geflogen war. Hasard enterte nach unten ab und wandte sich de Jonge zu. „Was wollen Sie?“ fragte er kalt. De Jonges Augen wurden lauernd. „Sie haben sich mit de Ribeiro arrangiert?' „Geht Sie das was an?“ „Allerdings. Denn wenn Sie sich mit ihm arrangiert haben, werde ich jetzt dafür sorgen, daß er erfährt, welche Laus er sich in den Pelz gesetzt hat — nämlich den berüchtigten Seewolf!“ Hasard lachte lauthals. „Das weiß er schon“, sagte er. „Wieso?“ Das Hauklotzgesicht wirkte ziemlich dumm. „Oh!“ Hasard verbeugte sich ironisch. „Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen vorgegriffen habe, aber ich hielt es für
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richtiger, mich selbst vorzustellen und ihm zu sagen, wer ich bin.“ „Was denn—Sie haben es ihm selbst gesagt?“ fragte der Kapitän entgeistert. „Warum nicht?“ „Sie lügen!“ Hasards eisblauer Blick wurde dolchscharf. „Mäßigen Sie sich, Mann. Sie haben ein seltenes Talent, die üblichen Höflichkeiten zu mißachten und andere zu provozieren. Bleiben Sie auf dem Boden, oder wollen Sie noch einmal ins Wasser fliegen, um sich abzukühlen?“ „De Ribeiro hat Sie nicht in Ketten legen lassen?“ „Warum sollte er? Er hatte bereits von mir gehört und rechnete es mir hoch an, daß ich mich damals nach der Schlacht gegen die Armada um die Schiffbrüchigen gekümmert hatte. Sie sehen, auch unter vermutlichen Feinden kann man Freunde haben, echte Freunde, wohlbemerkt.“ „Sie ziehen es vor, mit den Feinden Ihres Landes zu paktieren? Sie sind ein Verräter!“ Hasards Geduldsfaden wurde arg strapaziert. „Mir neu, daß Senor de Ribeiro ein Feind meines Landes ist. Er war höflich, sehr freundlich und hilfsbereit. Im übrigen hält er es mehr mit einem friedlichen Nebeneinanderleben als mit kriegerischen Auseinandersetzungen. Das ist ein Standpunkt, den ich respektiere und achte. Vielleicht sollten gerade Sie einmal darüber nachdenken, falls Ihnen das nicht zu anstrengend ist. Daß Sie mich einen Verräter nannten, möchte ich überhört haben. Dieser Vorwurf erscheint mir auch unlogisch.“ „Wieso?“ „Weil zwischen Portugal und England kein Krieg herrscht.“ „Portugal und Spanien wollen die Welt erobern, und das muß verhindert werden!“ brauste der Kapitän auf. „Und Sie wollen im großen Kuchenteig mit herumrühren, nicht wahr?“ „Natürlich!“ „Na, dann Prost. Die Welt wird beglückt sein, wenn Sie auftauchen - ein Vollidiot, der es fertig bringt, ganz Bantam zusehen
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zu lassen, wie sich ihre Leute gegenseitig die Rücken blutig peitschen müssen. Da weiß jeder gleich, was ihn erwartet, wenn Sie hier das Zepter schwingen sollten.“ „Jawohl!” Der Kapitän warf sich in die Brust. „Alle Welt sollte zusehen, Jawohl! Damit diese Strolche, Kanaren, Spitzbuben und Faulenzer gleich wissen, daß bei uns Niederländern Zucht und Ordnung herrschen. Das kann diesem Pack nicht eindeutig genug demonstriert werden. Mein Gott“, sagte Hasard erschüttert, „jetzt erzählen Sie nur noch, Sie fühlen sich als Werkzeug Gottes dazu ausersehen, die dummen Heiden zu bekehren!“ „Ich bin ein Werkzeug Gottes, jawohl! „ Jetzt hämmerte sich dieser Mann die Faust an die Brust. „Dazu auserkoren, die Heiden mit Stumpf und Stiel auszurotten!“ Ferris Tucker fing als erster an zulachen und fiel fast von der Leiter. Das Lachen pflanzte sich fort. „Huch!“ brüllte Carberry mit seiner Donnerstimme. „Dieser Affenarsch ein Werkzeug Gottes! Habt ihr das gehört, Männer?“ Er beugte über das Schanzkleid der Steuerbordseite und schrie nach unten: „Du lausiger Schinder, du stinkender Käse aus den Niederlanden, du angegammelte Schellfischleiche – weißt du, was du bist? Ein armer Irrer bist du! Ein Irrer, über den man sich totlachen kann! Sir, dürfte ich dich bitten, einige Schritte zur Seite zu treten? Ich habe hier 'ne Abfallpütz vom Kutscher. Die würd ich dem Gotteswerkzeug gern über den Schädel kippen. Sind auch ein paar abgeknabberte Hühnerbeinchen dabei!“ „Mister Carberry!“ sagte Hasard streng. „Ich möchte doch sehr bitten.“ „Schade“, sagte Ed Carberry' enttäuscht. „Sie lehnen es ab, an meiner Seite zu kämpfen?“ zischte der Kapitän. „Erraten. Mein Profos nannte Sie einen armen Irren. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen, allerdings würde ich das Eigenschaftswort ,arm' mit ‚gemeingefährlich` austauschen. Ein armer Irrer ist harmlos. Aber Irre wie Sie rotten Völker aus und fühlen sich noch dazu von Gott aufgerufen. wobei ich den Verdacht
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hege. daß Sie den Gottesauftrag nur als Tarnmäntelchen für Ihre habgierigen Ziele benutzen. Meine Männer haben über Sie gelacht, und es ist auch lachhaft, wenn es nicht so traurig wäre. Aber ich sehe schon, Sie verstehen kein Wort. Sie wollen andere Ansichten gar nicht verstehen. Trotzdem gebe ich Ihnen den Rat: Segeln Sie ab! Suchen Sie sich eine unbewohnte Insel - es gibt genug hier -, und gründen Sie dort Ihr Reich, wo Zucht und Ordnung herrschen. Vielleicht finden sich ein paar Verrückte, die Ihre Gegenwart ertragen. Aber lassen Sie die Menschen dieser Insel und jene, die sich aus anderen Ländern hier niedergelassen haben, zufrieden. Das wäre im Sinne Gottes, so wie ich ihn verstehe.“ „Menschen dieser Insel?“ Der Kapitän lachte verächtlich. „Das sind Affen! Sparen Sie sich Ihre Belehrungen!“ Und von oben herab setzte er hinzu: „Entweder, Sie kämpfen auf meiner Seite ...“ „Oder?“ „Oder meine Schiffe schießen Sie zusammen, wenn Sie feige Fahnenflucht begehen wollen. Noch gewähre ich Ihnen eine Gnadenfrist, sich zu besinnen. Wenn Ihr Ruderbruch repariert ist, erwarte ich Ihre Meldung, daß Sie bereit sind, gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen ...“ „Sir!“ rief Ben Brighton nach unten. Er stand auf. dem Achterdeck. „Ich schlage vor, diesen Burschen bei uns in die Vorpiek zu sperren. Dann ist endlich Ruhe!“ Wie in der Nacht zuckte die Rechte des Kapitäns zur Pistole. Batuti tippte ihm auf die Schulter. Als de Jonge sich zu ihm umdrehte, etwas irritiert, sauste Batutis Handkante nach unten und prellte ihm die Pistole aus der Hand. Lässig stieß sie der riesige Gambia-Neger mit dem Fuß weg. Er blickte Hasard an: „Vorpiek, Sir?“ Hasard schüttelte den Kopf. „Bring ihn aus dem Werftgelände. Der Kerl beschmutzt nur unsere Vorpiek.“ Batuti fletschte die weißen Zähne, schnappte sich den Kapitän am Kragen, hievte ihn etwas hoch und trug ihn am ausgestreckten Arm zum Werfttor. De Jonge zappelte und brüllte.
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Hinter dem Werfttor stellte ihn Batuti auf den Boden und trat ihm kräftig in den Hintern. Der Kapitän schoß. Kopf voraus, durch die Luft, schrammte über die Katzenköpfe und landete nach zehn Yards. „Das war für den Nigger!“ rief ihm Batuti hinterher. 6. De Jonge schäumte über vor Wut und Haß. Der Feldscher der „Zwarte Leeuw“, hatte seine aufgeschrammten Knie verbinden und sein lädiertes Kinn einsalben müssen. Der Kapitän ruhte in seiner Koje und trank Genever - der war nur für ihn reserviert. Die Flaschen standen auch in der Kapitänslast. Die Offiziere tranken Dünnbier. Die Mannschaften erhielten brackiges Wasser, es sei denn, sie durften an Land gehen und sich in den Kneipen betrinken. Stunden brütete de Jonge vor sich hin, ab und an von Wut und Haß geschüttelt. Nach fünf Stunden, es ging bereits auf den Abend zu. befahl er den Profos zu sich. Die vier Galeonen draußen auf Reede waren wieder vor Anker gegangen. Der Bulle wurde von den Wanten losgebunden und war mehr tot als lebendig. Drei Männer mußten ihn zu de Jonge schleppen, vor dem er kaum gerade stehen konnte. „Reiß dich zusammen, Kerl!“ herrschte ihn de Jonge an und winkte die drei Männer hinaus. Sie verschwanden. Genüßlich trank der Kapitän, in der Koje ruhend. seinen Genever und betrachtete aus schmalen Augen den schwankenden Profos, dem das Hemd in Fetzen und blutverkrustet vom Leibe hing. „Jan Swammerdam“, sagte er nach einer Weile. „Ich habe beschlossen, dich zum Tode durch den Strang zu verurteilen. Du bist ein Tier. Ungeziefer bist du. Wiederhole: ich bin Ungeziefer!“ Der Bulle blickte ihn stumpf an und bewegte die Lippen. Undeutlich sagte er: „Ich bin Ungeziefer.“
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„Kapitän“, sagte de Jonge. „Oder hast du das vergessen?“ „Kapitän“, wiederholte der Bulle. „Sage den ganzen Satz, Jan Swammerdam.“ „Ich bin Ungeziefer, Kapitän.“ Der Bulle schwankte. „Setz dich, mein Guter“, sagte de Jonge und deutete auf einen Hocker. Wieder trank er einen Schluck Genever. „Danke, Kapitän“, murmelte der Bulle und sackte auf den Hocker. Er stierte den Kapitän an und leckte sich über die Lippen. „Magst du einen Genever, Jan Swammerdam?“ fragte de Jonge. „Sehr gern, Kapitän. Sie sind sehr gut zu mir.” Der Profos durfte sich einen Genever einschenken. Der Kapitän hob sein Glas. „Wir trinken auf deinen Tod, Jan Swammerdam“, sagte er. Sie tranken. Der Bulle goß den Genever wie Wasser in die Kehle. Dann schnappte er nach Luft. Etwas später verlor sich der stumpfe Ausdruck in seinen Augen. „Du hast noch eine Chance, Jan Swammerdam“, sagte de Jonge. Deine letzte, allerletzte Chance, um dich zu bewähren. Vielleicht rettet dich das vor dem Strang. Vielleicht habe ich auch die Güte, dich dann wieder als Profos einzusetzen und Gnade walten zu lassen. Du hast gesündigt, Jan Swammerdam. Wiederhole: ich habe gesündigt!“ „Ich habe gesündigt, Kapitän.“ „Schenke uns noch von dem Genever, Jan Swammerdam.“ Der Bulle stand von dem Hocker nahm die Flasche von dem Bord n der Kapitänskoje, schenkte Kapitän ein, dann sich und ging zurück zu dem Hocker. Mühsam er sich. Hat sie sich gewehrt, Jan Swammerdam?“ fragte der Kapitän. In seinen Augen war ein Glitzern. „Du hast es mir schon einmal erzählt. Aber erzähle mir mehr. Wie war es?“ Der Bulle duckte sich etwas und stierte in eine Ecke. „Sie ging an dir vorbei?“ fragte der Kapitän. Seine Stimme war plötzlich heiser.
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Kapitän. Sie ging an mir vorbei.“ „Wie ging sie vorbei? Zeig es mir!“ Der Bulle stand auf. Er atmete heftig. Auch seine Augen glitzerten jetzt. „So, Kapitän.“ Er ging an dem Hocker vorbei, bewegte stöhnend die Schultern, dann die Hüften. „Und dann?“ Der Kapitän keuchte. „Ich riß sie zu Boden.“ „Und dann?“ „Wälzte ich mich über sie.“ „Und dann?“ Der Bulle stürzte den Genever hinunter. „Ich weiß nicht mehr. Sie schrie, sie schlug mir ihre Nägel ins Gesicht. sie kratzte und biß ...“ „War das schön?“ „Ich wurde rasend.“ Jetzt trank der Kapitän. Seine Hand zitterte, als er das Glas zum Mund führte. Genever tropfte über sein Kinn und lief an seinem Hals entlang in den Hemdausschnitt. „Du mußt mir mehr darüber erzählen, Jan Swammerdam“, sagte er. „Jede Einzelheit. Nur so kann ich entscheiden, in welchen Sumpf der Sünde du dich verirrt hast. Du bist tief gesunken, Jan Swammerdam, und ich habe dich zum Tode durch den Strang verurteilt. Du weißt, nur meine Gnade kann dich noch retten.“ „Was soll ich tun, Kapitän?“ „Du wirst heute nacht das Schiff dieser englischen Hunde überfallen und den Kapitän töten!“ „Ich allein?“ „Unsinn. Die vierzehn Dummköpfe, mit denen du in der letzten Nacht die sechs Engländer überwältigen und hier an Bord bringen solltest, werden dich begleiten. Es ist auch deren letzte Chance.“ „Fünfzehn Männer sind zu wenig, Kapitän“, sagte der Profos. „Die Engländer kämpfen wie die Teufel.“ „Hast du Angst, Jan Swammerdam? Als du das Weib überfielst, hattest du auch keine Angst. Du mußt wieder rasend sein — wie zu dem Zeitpunkt, als dich deine Lüste übermannten. Verstehst du das?“ Der Bulle grunzte und schien nicht sehr begeistert zu sein. Vieles begriff er auch
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nicht. Warum wollte der Kapitän so viele Einzelheiten wissen? Als die Untat bekannt geworden war, hatte der Kapitän bereits gierig nach den Details gefragt. Warum fragte er immer wieder? Die Stimme des Kapitäns war scharf wie ein Messer. „Hast du verstanden, Jan Swammerdam? Warum antwortest du nicht? Soli ich dich wieder auspeitschen lassen?“ „Nein, Kapitän. Ich meinte nur, daß es schwer sein wird, mit nur vierzehn Männern das Schiff zu besetzen und den Kapitän zu töten. Sollen wir auch seine Leute töten?“ „So wenig wie möglich. Sie sollen die Peitsche spüren — deine Peitsche, Jan Swammerdam. Du peitschst doch gerne, nicht wahr?“ Der Bulle keuchte. „Jawohl, Kapitän.“ „Na also.“ Der Kapitän legte sich in die Kissen seiner Koje zurück. „Gut, ich werde dir noch fünf Männer zusätzlich mitgeben. Dann seid ihr zwanzig. Schenke uns noch einen Genever ein, Jan Swammerdam.“ Der Bulle gehorchte. Wie zuvor hob der Kapitän sein Glas. „Ich trinke auf deinen Tod, Jan Swammerdam“, sagte er. Der Profos trank mit verbissenem Gesicht. „Es sei denn“, sagte der Kapitän, „du meldest mir den Tod des englischen Kapitäns. Dann, Jan Swammerdam, trinke ich auf dein Leben. Sage, daß ich gütig bin.“ „Sie sind gütig, Kapitän.“ „Wir wollen beten“, sagte Pieter de Jonge, „wie es sich für Christenmenschen geziemt. Knie nieder, Jan Swammerdam, und bete mir nach!“ Es wurde ein sehr schauriges Gebet, denn Kapitän Pieter de Jonge erging sich in endlosen Tiraden über die Sünden der Fleischeslust, deren verschiedene Einzelheiten von ihm mit donnernder Stimme angeprangert, aber von dem Profos kaum noch verstanden wurden. Es war ihm auch völlig gleichgültig, ob ein Gebot bestand, er möge keine Hand anlegen an seines Bruders Weib. Er hatte keinen, Bruder, soweit er sich erinnern
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konnte, und wenn er einen gehabt hätte und dessen Weib wäre begehrenswert gewesen, na dann... Er murmelte nach, was der Kapitän salbaderte. Und er dachte an die sechs harten Männer des englischen Schiffes. Teufel, dachte er, das kann nicht gut gehen. * „Landgang, Sir?“ fragte Ben Brighton an diesem Abend genauso, wie er es einen Tag zuvor getan hatte. Und in seinen grauen Augen blitzte es wieder unternehmungslustig — wie am Vorabend. „Suleika“, sagte Hasard lächelnd. „Suleika“, bestätigte Ben Brighton, „die Blume des Orients.“ Hasard strich sich über das glatte Kinn und starrte zu der „Zwarte Leeuw“ hinüber. Ben Brighton folgte dem Blick. Er sagte: „Ich hatte geraten, daß wir den Kerl in die Vorpiek sperren. Dann hätten wir Ruhe gehabt.“ „Ich weiß, Ben.“ Hasard hob unbehaglich die Schultern. ,“Vielleicht hätten wir es tun sollen: Aber irgendwie war mir das nicht recht.” Selten geschah das, fast nie, aber Ben Brighton sagte scharf und hart: „Irgendwann gehen wir einmal mit fliegenden Fahnen unter — wegen deiner Fairneß.“ „Besser so als mit dem Gedanken, unfair gewesen zu sein.“ Ben Brighton seufzte, und das war Antwort genug. „Schieß ab an Land“, sagte Hasard, „aber Ed bleibt dieses Mal an Bord, vielleicht rappelt's bei denen da drüben, und sie versuchen was. Da hätte ich Ed gern hier an Bord. Wie viele Männer nimmst du mit?“ Ben Brighton starrte auf seine Stiefel und sagte nichts. „He, Ben, ich habe dich was gefragt!“ sagte Hasard. Ben Brighton hob den Kopf. „Ich bleibe“, sagte er knapp.
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„Was ist mit dir los, Ben?“ fragte Hasard verblüfft. „Soll ich dich vielleicht an Land prügeln?“ „Ich habe eben nachgedacht“, erwiderte Ben. „Ich weiß, daß sie es heute nacht versuchen werden. Da brauchen wir jeden Mann.“ „Schwarzseher?“ „Es ist so, ich weiß es eben.“ Ben Brighton reckte die Schultern. „Frag mich nicht, warum ich das weiß. Sie werden vom Wasser und von der Landseite her angreifen. Danach sollten wir unsere Verteidigung aufbauen.“ „Ben“, sagte Hasard, „du bist an diesem Abend ziemlich verbissen. Vielleicht solltest du doch in Erwägung ziehen, daß Suleika auf dich wartet. Was meinst du?“ „In Ordnung, Sir.“ Ben Brighton richtete sich kerzengerade auf. „Dann möchte ich Matt Davies, Dan O'Flynn, Jeff Bowie und Gary Andrews mit an Land nehmen.“ „In Ordnung. Ben. Wir verfahren wie gestern. Drei Böller mit den Drehbassen — und hier ist was los, klar?“ „Alles klar, Sir.“ Zehn Minuten später stieg Ben Brighton mit den Männern, die er genannt hatte, über die Leiter von Bord. Es war bereits dunkel. Hasard starrte ihnen nach. Irgendetwas irritierte ihn, aber er wußte nicht, was es war. Er vergaß es wieder, weil er mit Big Old Shane und Smoky darüber beratschlagte, welche Posten an welchen Stellen aufgestellt werden sollten. Carberry gesellte sich hinzu. Ferris Tucker, der den ganzen Tag wie ein Berserker geschuftet hatte, war wachfrei. Er lag bereits in der Koje. Lächelnd sagte Hasard: „Ben meinte, die Kerle könnten in dieser Nacht vom Wasser und von der Landseite her etwas gegen uns unternehmen. Er war sich sogar ziemlich sicher, hatte ich den Eindruck.“ „Der spielt wohl jetzt Old O'Flynn“, sagte Smoky und grinste. „Ich weiß nicht so recht“, meinte Hasard, „Aber irgendwie hat er mich angesteckt. De Jonge hat von uns eine Abfuhr erhalten, wird also nicht mehr mit uns rechnen. Aber
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ich könnte mir vorstellen, daß er auf unsere ,Isabella' scharf ist. Bisher hat er nicht gewagt, etwas gegen die Portugiesen zu unternehmen, weil die Kampfkraft mit fünf Schiffen gegen fünf Schiffe der Portugiesen gleich verteilt war. Mit der ,Isabella' würde er diese Kampfkraft zu seinen Gunsten verändern. Bemannen könnte er die ,Isabella`, indem er Mannschaften von seinen fünf Schiffen abzieht.“ „Noch ist die ,Isabella' manövrierunfähig“, sagte Big Old Shane nachdenklich. „Wäre es nicht logischer daß er erst dann zupackt, wenn das Ruder wieder in Ordnung ist?“ Hasard schüttelte den Kopf. „Mit Logik hapert's bei de Jonge. Aber egal, ob er in dieser Nacht oder später angreift, wir müssen uns darauf einstellen. Das bedeutet verstärktes Postengehen, und zwar rund um die ,Isabella`. Ich will die Kerle gar nicht erst an unser Schiff heranlassen. Darum schlage ich vor, daß du, Shane, mit zehn Männern um die ,Isabella` herum Posten beziehst. Der Rest bleibt mit mir hier oben an Bord. Die Leiter wird eingeholt. Suche dir die zehn Männer aus, nur möchte ich Al Conroy hier behalten. Bewaffnet euch mit Musketen, Pistolen und den Hieb- und Stichwaffen. Losung und Alarmruf wie immer ,Arwenack'. Unter Umständen lassen wir von hier oben aus ein paar Raketen steigen, damit es heller wird, sobald der Zauber losgeht. Alles klar?“ „Keine Schonung?“ fragte Big Old Shane knapp. „Kampfunfähig genügt“, erwiderte Hasard. „Ich will kein Gemetzel. Die Burschen da drüben können nichts dafür, daß sie einen übergeschnappten Kapitän haben. Im übrigen schätze ich, daß er nicht dabei sein wird. Der fühlt sich zu Höherem geboren.“ „Alles klar“, sagte Big Old Shane. Wenig später verließ er mit zehn Männern schwerbewaffnet die „Isabella“. Carberry war bei ihm. Sie verteilten sich um die Galeone. Als Hasard einen Rundgang oben auf der .,Isabella“ unternahm und nach allen Seiten hinunterspähte, konnte er
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niemanden mehr entdecken. Das Werftgelände lag still und verlassen Stenmark, der an Bord geblieben war, und Al Conroy, den Stückmeister der „Isabella“, postierte Hasard auf der Back vor dem Fockmast, wo sie zwei der Gestelle aufbauten, mit denen sie die von Ferris Tucker und Al Conroy selbst gebastelten Höllenflaschen auf die Reise schicken konnten. „Beobachtet scharf die Reede“, sagte Hasard. „Wenn sie mit Booten kommen, müßtet ihr sie bei dem Mondlicht sehen. Laßt sie soweit heran, bis ihr sicher seid, mit den Flaschen zu treffen. Das wird ihnen den Spaß verderben, noch landen zu wollen.“ e, aye, Sir“, sagte Al Conroy. Mittschiffs, auf der Kuhl, sicherten Old O'Flynn und der Kutscher nach beiden Seiten. Hasard selbst übernahm das Achterschiff - mit seinen beiden Söhnen. Sir John saß auf der Großrah und hatte den Kopf im Gefieder versteckt. Arwenack strolchte über Deck und blieb schließlich achtern bei Hasard und seinen Söhnen. Das Warten begann. Von der Stadt her wurden die Geräusche von Stunde zu Sunde leiser. Aus dem Bambusdschungel weiter im Westen drangen die Laute streifender Tiere herüber. Hinter Palmen, beim Kampong der Fischer westlich der Werft, glühten Feuer. Zikaden zirpten. Weiße Gischt schäumte von der See her heran, brach zusammen und verebbte rauschend. Die vier Schiffe draußen auf der Reede wirkten mit dem Filigran der Masten und Rahen wie feine, hingetupfte Schwarzzeichnungen. Mitternacht verging. Eine Stunde später wurde Arwenack unruhig und fauchte leise. Gleichzeitig huschte der Kutscher heran und flüsterte: „Al und Sten haben ein Boot gesichtet, Sir, von Norden.“ „Danke, Kutscher.“ Hasard lächelte. „Scheint loszugehen. Ben hatte also doch recht. Sag Al, er soll die drei Böller abfeuern.“ Er lächelte noch breiter. „Ben
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wird betrübt sein, sich von Suleika trennen zu ...“ Weiter gelangte er nicht. Al Conroy brauchte keine drei Böller zu lösen, und Ben Brighton brauchte sich nicht von Suleika zu trennen - er war gar nicht bei ihr gewesen. Denn es war seine Stimme, die draußen vor der Werft wie eine Fanfare den alten Schlachtruf der Seewölfe schmetterte. „Ar-we-nack! Ar-we-nack ...“ Jetzt brüllten seine vier Männer mit. Schüsse krachten, dann klirrten Blankwaffen, Schreie gellten, da und dort huschten aus der Werft Schatten zum Werfttor — Seewölfe, bereit, ihren fünf Kameraden beizustehen, die sich als erste auf die anrückenden Niederländer gestürzt hatten. Hasard biß die Zähne zusammen. Jetzt kämpften sie dort — und er stand auf der „Burg“ und schaute zu. Dieser Ben Brighton! Jäh fiel Hasard ein, was ihn irritiert hatte. Sie waren so merkwürdig steif auf der Leiter nach unten geklettert. Deswegen steif, weil sie unter ihrer Kleidung Waffen verborgen hatten. Diese verdammte Bande! Waren gar nicht an Land geschossen, sondern hatten vor der Werft Stellung bezogen, um die Kerle rechtzeitig abzufangen und die „Isabella“ zu warnen. Carberrys donnernde Stimme schallte herüber. Er verteilte Hiebe und Flüche. Wo seine breite Gestalt auftauchte, purzelten die Figuren. „Aufpassen hier achtern!“ rief Hasard seinen beiden Söhnen zu. „Ich schau auf der Back nach!“ „Aye, aye. Sir!` riefen die Bürschchen. Hasard eilte nach vorn. Aber auch dort konnte er nur Däumchen drehen und zusehen. Gerade zerplatzten am Himmel vier Raketen und beleuchteten Reede und Werftgelände mit magischem Licht. Und zwei Flaschen torkelten auf das Boot zu, das hastig in Richtung der „Isabella“ gepullt wurde. Die Männer auf den Duchten duckten sich, als es Sterne in allen Farben niederregnete.
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Nur waren die harmlos. Die beiden Flaschen waren es nicht. Eine explodierte am Bug und zerfetzte ihn wie morsches Holz. Die andere tauchte an der Backbordseite ins Wasser, es dauerte ein paar Sekunden, dann detonierte sie dumpf, eine Fontäne schoß hoch und kippte das Boot um. Die Männer quirlten im Wasser durcheinander und brüllten, als würden sie geröstet. „Der Bootsführer war der Profos der ,Zwarte Leeuw' „, sagte Stenmark zu Hasard. „Ich habe ihn deutlich genug erkannt.“ „Habt ihr die Kerle gezählt?“ fragte Hasard. „Zehn mit dem Profos“, erwiderte Al Conroy. Das Feuerwerk am Himmel erlosch. Für Momente waren ihre Augen wie blind. Dann sahen sie, wie Big Old Shane an der Spitze von vier Männern zum Strand stürmte. Sie warfen sich ins Wasser und schienen nicht lange zu fackeln. wobei sie im Vorteil waren, weil die Niederländer die Übersicht verloren hatten. Für sie mußte die Welt untergegangen sein. Und jetzt fielen diese wilden Kerle von dem Teufelschiff noch im Wasser über sie her. Wer es bis zum Ufer schaffte, ergriff die Flucht. Da und dort wurden sie noch im Werftgelände abgefangen und steckten weitere Prügel ein. Nach fast zehn Minuten war alles vorbei — meinte Hasard, der wieder auf dem Achterdeck stand. Weil Arwenack so laut herumkeckerte und Sir John, inzwischen wach geworden. auf der Großrah lamentierte, hörte er nicht den pochenden Laut mittschiffs auf der Steuerbordseite. Aber dort befand sich Old O'Flynn. und der hörte nicht nur den pochenden Laut, sondern sah auch, als er herumfuhr, was ihn verursacht hatte: ein krallenartiger Haken, an dem ein Seil hing. Mit diesen Dingern wurde geentert, wenn man mit Booten ein größeres Schiff kapern wollte. Man warf sie von unten hoch, und ihr Haken verfing sich im Schanzkleid.
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Old O'Flynn grinste und schlich zum Schanzkleid. Unten ruckte jemand am Seil, um festzustellen, ob der Haken festsaß. Er saß fest. Old O'Flynn wahrschaute niemanden. Kinkerlitzchen! Solche Sachen regelte er selbst. Offenbar hatte es einer von den Kerlen geschafft, sich ungesehen an die „Isabella“ heranzuarbeiten. Na warte, mein Bürschchen, dachte Old O'Flynn, du wirst dein blaues Wunder erleben. Er baute sich vor dem Haken auf, seine Krücke schwungbereit. Plötzlich sagte hinter ihm der Kutscher: „Spielst du Denkmal, Old Donegal?“ „Schsch!“ zischte Old O'Flynn. Jetzt entdeckte der Kutscher den Haken und sah, wie sich das Seil bewegte. Er riß die Augen auf, fasste sich aber schnell und nahm ebenfalls Aufstellung – mit einer Riesenbratpfanne in den Fäusten. Jetzt spielten sie beide Denkmal, geduckt, lauernd, stumm, unbeweglich - der eine mit zur Seite geschwungener Krücke, als gelte es, mit einer Sense eine Wiese abzumähen, der andere mit erhobenen Armen und der Bratpfanne über sich, die aussah, als habe er einen Schirm aufgespannt. In dieser Haltung wurden sie von den Zwillingen entdeckt, die gerade zur Kuhl abenterten. Prompt begannen die beiden Lümmel zu kichern. „Schscht!“ zischte Old O'Flynn. „Pssst!“ zischte der Kutscher. Und da tauchte der Kopf am Schanzkleid auf, zwei Hände griffen das Schanzkleid. Erst die rechte, dann die linke Hand. Jan Swammerdam, der Profos der arte Leeuw“. Daß er erwartet wurde, war das letzt was er in seinem bösen Leben begriff. Die Bratpfanne krachte auf seinen Schädel. Die Krücke wischte ihn vom Schanzkleid weg wie eine lästige Fliege. Im Sturz brüllte er noch. Das war sein letztes Lebenszeichen. Batuti, der sich gerade genähert hatte. sah den Körper durch die Luft fliegen und
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unten aufschlagen. Als er den Mann umdrehte, erkannte er den Profos. „Nix mehr schwarzen Mann beleidigen-, murmelte er, beugte sich hinunter und drückte dem Toten die Augen zu. Die Schlacht war geschlagen. Nur Blessierte kehrten zur „Zwarte Leeuw“ zurück — den Profos brachten Batuti, Carberry, Smoky und Matt Davies auf einer Bahre zu der niederländischen Galeone. Sie stellten sie auf der Pier ab, und Carberry rief: „Hier ist euer Profos, Männer! Wenn er es auf unseren Kapitän abgesehen hatte, dann hat er es mit seinem Leben gebüßt. Wenn nicht, dann war er sowieso ein Sünder, aber das wird der Kapitän dort oben im Himmel entscheiden. Er möge seiner armen Seele gnädig sein.“ „Ha-ha-ha!“ gellte eine Stimme vom Achterdeck her. Es war die Stimme des Kapitäns. Matt Davies sah einen Musketenlauf blitzen und brüllte: „Deckung!“ Er warf sich hin und riß Carberry mit um. Batuti und Smoky warfen sich nach links und rechts. Der Schuß krachte, und die Kugel fauchte über die vier Männer weg. Sie feuerten noch im Liegen aus ihren Pistolen zurück. Aber de Jonge war bereits in Deckung gegangen. „Dieser Schweinehund!“ keuchte Carberry. „Los, weg hier, Männer, die schießen uns ab wie die Hasen!“ Sie sprangen auf und liefen irr Zickzack über die Pier. „Knallt sie ab!“ schrie de Jonge. „Sie haben euren Profos ermordet! Knallt sie ab! Vorwärts ...“ Aber kein Schuß fiel. „Meuterei!“ brüllte der Kapitän. Einer auf der Kuhl sagte laut: „Wir schießen niemandem in den Rücken, Kapitän!“ „Wer war das? Wer hat das gesagt?“ Der Kapitän erfuhr es nicht. Und die vier Seewölfe hörten den Wortwechsel nicht mehr. Sie hatten bereits das Werfttor erreicht und waren in Sicherheit.
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Kapitän de Jonge ließ sich nicht mehr bei der „Isabella“ blicken. Jetzt hatte er sich wohl aufs Warten verlegt. Allerdings war er am nächsten Tag mehrere Male an Deck erschienen, hatte durch ein Spektiv die „Isabella“ beobachtet und hatte sich gegen Mittag zu den vier Schiffen auf Reede hinüberpullen lassen. Dann war er wieder zurückgekehrt, und die vier Galeonen waren wie am Vortag ankerauf gegangen und hatten vor der Bai gekreuzt - wie um zu demonstrieren, daß sie nicht mal eine Maus aus der Bai lassen würden. Ferris Tucker und seine Helfer arbeiteten unverdrossen an dem Ruder. Inzwischen kaufte der Kutscher in der portugiesischen Faktorei ein, die „Isabella“ wurde verproviantiert, Säcke, Kisten und Fässer wurden an Bord gemannt. Und Ben Brighton verbrachte seinen Landgang bei Suleika. Im Laufe des nächsten Tages wurde das neue Ruder fertig. Am späten Nachmittag hätte die „Isabella“ die Helling verlassen können, aber ein harter Nord bis Nordwest fegte in die Bantambai, und da war gar nicht daran zu denken, die Galeone von der Slipanlage ins Wasser zu lassen. Das war bei aller guter Seemannschaft nicht zu schaffen. Auflandiger Wind von dieser Stärke war. immer problematisch. Hasard hielt Kriegsrat auf dem Achterdeck ab und sagte: „Wir müssen sehen, was morgen für Windverhältnisse sind. Allerdings sollten wir dann in der Nacht auslaufen, da sind alle Katzen grau. Oder ist einer der Gentlemen dafür, daß wir es bei Tage versuchen? „Gegen vier gut bestückte Galeonen?“ meinte Ben Brighton. Er schüttelte den Kopf. „Das geht ins Auge.“ „Vielleicht wollen sie gar nicht kämpfen“, sagte Big Old Shane. „Schließlich müssen sie kapiert haben, daß dann auch bei ihnen die Fetzen fliegen, das heißt, daß es für sie riskant ist, sich mit uns anzulegen.“
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„Könnte sein, könnte auch nicht sein“, sagte Hasard, „verlassen würde ich mich nicht darauf. Sicherer ist auf jeden Fall, wenn wir uns nachts verdrücken. Und auch das hat den Haken, daß wir nicht unbemerkt von der Helling herunter können. Wir werden ständig beobachtet. Sobald die Winschen an Land besetzt werden, weiß de Jonge, daß wir die Ab sieht haben, diesem schönen Hafer Lebewohl zu sagen. Er wird die vier Galeonen draußen alarmieren und selbst seeklar machen.“ „Abwarten“, sagte Ferris Tucker. „kommt Zeit, kommt Rat. Vielleicht ergibt sich plötzlich eine Situation. die für uns günstig ist. Außerdem läuft uns nichts weg.“ Er grinste. „Im Hafen ist gut schlafen, was, Bän Breitohn?“ Der Bootsmann und Erste Offizier der „Isabella“ brachte es tatsächlich fertig, rote Ohren zu kriegen. „Du mußt es ja wissen“, sagte er gallig. „Nein, ich muß es erst noch ausprobieren.” „Hast du dir auch verdient, Ferris“, sagte Hasard. Also ging an diesem Abend Ferris Tucker mit fünf Männern an Land. ohne zu ahnen, daß die günstige Situation, von der er gesprochen hatte, um die Zeit nach Mitternacht Wahrheit werden würde, Wenn er es geahnt hätte, wären ihm die Haare zu Berge gestanden. Aber nicht nur ihm, sondern jedem Mann auf der „Isabella“, vor allem dem Kapitän Philip Hasard Killigrew ew. Dem begannen sie sich zu sträuben, als er nach einer Ronde etwa zwei Stunden vor Mitternacht feststellte, daß seine beiden Söhne nicht in ihren Kojen lagen. In der Kapitänskammer waren sie nicht, wo sie sich manchmal die Seekarten anschauten. Bei Ben Brighton waren sie auch nicht. Ben Brighton weckte Smoky. Hasard schaute in der Kombüse nach. Sie war blitzsauber und leer. Fünf Minuten später wurde das ganze Schiff umgekrempelt. Alle Männer, die an Bord waren, suchten. Blacky, der die Abendwache an der Leiter ging, hatte die beiden Lümmel auch nicht gesehen.
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Hasard begann es zu kochen. Old O'Flynn begann mal wieder zu orakeln und meinte, die Lausebengel seien sicherlich fischen gegangen. ,,Bei dem Scheißwetter?“ fuhr ihn Hasard an. „Und was heißt hier ,fischen gegangen'? Zu der Zeit wird nicht gefischt, sondern geschlafen!“ „Weiß man's?“ meinte Old O'Flynn unbeeindruckt. „Als ich noch auf der 'Empreß of Sea` fuhr, haben wir oft des Nachts geangelt. Mit Licht! Da beißen sie besser an, verstehst du? Hasard stöhnte und rief die Männer zusammen. „Wer hat die Lümmel zuletzt gesehen?“ fragte er. Der Kutscher kratzte sich hinter dem Ohr und sagte: „So gegen acht waren sie bei mir in der Kombüse, um sich einen Nachschlag zu holen.“ „Und dann? Wohin haben sie sich gewandt?“ Der Kutscher zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, Sir. Ich habe nicht darauf geachtet, weil ich nach meinem Schlachtermesser suchte. Das war verschwunden vielmehr ist verschwunden, weil ich's noch nicht wieder gefunden habe.“ „Klarer Fall“, sagte Old O'Flynn. ..Die Lümmel haben's geklaut. Das Messer brauchen sie zum Ausnehmen der Fische, die sie angeln.“ „Quatsch! Hör mit deinem Unsinn auf. Old Donegal“, sagte Hasard wütend. „Auch gut. Dann sage ich überhaupt nichts mehr“, brummte Old O'Flynn.. ..Auf mich hört ja keiner. Außerdem fehlt das kleine Beiboot, das wir vorn an der Helling vertäut hatten.“ Hasard wirbelte herum. „Wie bitte? Was sagst du da?“ „Das kleine Beiboot fehlt.“ „Woher weißt du das?“ „Ich war vorhin auf dem Galionsdeck. Da hab ich's gesehen.“ „Und das sagst du jetzt erst?“ „Ich sollte ja mit meinem Quatsch aufhören, nicht wahr?“ sagte Old O'Flynn
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pikiert. „Wenn man angeln geht, braucht man ein Boot, oder?“ „Bei dem Wind?“ fauchte Hasard. „Du spinnst doch wohl, Mister O'Flynn!“ „Ach nein!“ Jetzt wurde auch Old O'Flynn rabiat. „Was heißt hier ,bei dem Wind'? Wer war denn der Lauselümmel, der im gleichen Alter wie seine Lauselümmelsöhne mit einer Nußschale von Boot bei Sturm in der Falmouth Bai segelte, he? Und wem hat dann Sir John den Arsch versohlt, wie? Weißt du das noch, Mister Killigrew, Sir? Und der Teufel soll mich holen, wenn ich hier in Wehgeschrei ausbreche! Entweder haben diese verdammten Lümmel gelernt, wie man bei solchem Wetter zur See fährt, oder sie haben es nicht gelernt, verflucht und zugenagelt. Ha! Meine Enkel sind aus hartem O'Flynn-Holz geschnitzt, damit auch das mal klar ist. Und ich verwette mein Holzbein, daß diese Knilche heiter und munter zurückkehren. Sonst noch was?“ „Das Schlachtermesser“, murmelte Ben Brighton. Er starrte den Kutscher an. „Das Ding ist doch scharf, oder?“ „Wie ein Rasiermesser oder Skalpell“, sagte der Kutscher stolz. „Sie saßen im Ruderhaus, als wir am Spätnachmittag die Lage besprachen“, sagte Ben Brighton. „Sie haben zugehört.“ „Na und?“ sagte Hasard unruhig. „Sie haben einen Plan ausgeheckt, der mir übrigens auch durch den Kopf gegangen war.“ „Was für einen Plan?“ Bedächtig, wie es seine Art war, erwiderte Ben Brighton: „Diese Nacht ist schwarz, kein Mondlicht, kein Sternenlicht. Genug Dunkelheit, um sich an die vier Galeonen draußen auf der Reede zu pirschen und die Ankertrossen zu kappen. Ehe die Kerle an Bord kapieren, was sich abspielt, treiben ihre Schiffe hier auf Land zu. Und da gibt's dann Kleinholz, möchte ich meinen.“ Hasard und die Männer starrten Ben Brighton an, als sei er der Mann vom Mond oder eine Kuh mit drei Köpfen. „Ach du meine Fresse“, murmelte Edwin Carberry erschüttert, „wer mit chinesischen
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Raketen Ratten jagt, der bringt noch ganz was anderes fertig.“ Und dann grinste er. „Wie bitte?“ fragte Hasard irritiert. „Was ist mit den chinesischen Raketen?“ „Ach, nichts“, sagte Carberry, „ich hab nur so gedacht, Sir.“ „Was war das, Mister Carberry?“ fragte Hasard scharf. „Heraus mit der Sprache!“ „Ja, Sir, äh, das war so“, Carberry trampelte von einem Fuß auf den anderen, „also ganz harmlos, Sir. Wie soll ich sagen, na, die Rübenschweinchen haben eine neue Methode erfunden, Ratten zu jagen. Ja, genau so ist es.“ Carberry versuchte ein Grinsen, das aber danebenging, als er in Hasards eisblaue Augen schaute. „Weiter!“ forderte Hasard. „Was ist das für eine Methode?“ Carberry räusperte sich die Kehle frei. „Nun, wie war das doch gleich, hm, hm.“ Er kratzte sich im Genick, dann war die Brust dran. „Ferris, weißt du noch, wie die Methode funktionierte? Du fandest das doch genial, oder?“ Carberry blickte sich um, aber da war kein Ferris Tucker, denn der hatte ja Landgang. Dann bemerkte er die grinsenden Gesichter, natürlich verstohlen grinsend, und brummte: „Da gibt's wieder was zu lachen, was, wie?“ Mister Carberry!“ mahnte Hasard. „Ich wollte die Geschichte gern zu Ende hören.“ „Die Geschichte, ja so, die Geschichte!“ Erneutes Räuspern. „Ja, die Rübenschweinchen haben also unter der Bilgegräting eine chinesische Rakete gezündet. Genial, was, wie? Und wenn das Ding unter der Gräting hin und her faucht und Sternchen verspritzt, dann kriegten es die Ratten, die ja bekanntlich gern in der Bilge herumturnen, mit der Angst zu tun und reißen. aus. Schwuppdiwupp können jetzt die Rübenschweinchen zuschlagen.“ Wider versuchte der Profos, ein fröhliches Gesicht zu zeigen, und wieder erstarrte er, als er in Hasards Augen blickte. „Und das erfahre ich jetzt erst?“ Carberry blickte sich unbehaglich um. „Also, Sir, ich hätte dir das schon noch mitgeteilt, aber da passierte die Sache mit dem verdammten Baumstamm, der unser
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Ruder demolierte. ja und dann hab ich diese Geschichte doch glatt vergessen, weil der Ereignisse so viele waren.“ Unwillkürlich ahmte Carberry den gestelzten Stil des Kutschers nach, weil er das immer für sehr beeindruckend hielt. „Ja, der Ereignisse waren so viele, daß die Zeit dahinfloh und ein Tag dem anderen folgte, ohne daß der Gelegenheiten eine sich ergab, dir die Geschichte ...“ Carberry brach ab als Hasard nur sanft den Kopf schüttelte. „Schon gut, Ed“, sagte Hasard. und Carberry atmete auf. Ben Brighton sagte: „Sollten wir mit dem großen Beiboot auf die Reede pullen, Sir? Falls etwas schief geht.“ Hasard nickte. „Du bleibst an Bord, Ben. Ich gehe selbst mit.“ * Sie hatten gegen den- Nord aufkreuzen müssen und sich Schlag um Schlag auf die Höhe der vier ankernden Galeonen gekämpft. Wie Affen hockten sie auf der Luvkante des Bootes und geigten durch die zischende See. Hasard bediente die Pinne, Philip die Schot zu dem trapezförmigen Segel, das an einer Gaffel ausgespreizt wurde. Natürlich waren sie bereits klatschnaß, aber das kümmerte sie nicht weiter. Außerdem war das Wasser warm. „Wie packen wir's?“ brüllte Philip seinem Bruder ins Ohr. „Wir können bei dem Wind unmöglich bei jeder Trosse in den Wind schießen, das haut uns die Gaffel kaputt und den Großbaum um die Ohren!“ „Wir segeln an den Trossen vorbei!“ rief Hasard. „Oder vielmehr drüber weg! Ich nehme dann noch die Schot. Und du haust mit dem Messer vorn Kutscher auf die Trosse. Da brauchen nur zwei Kardeele zu brechen, dann reißen die anderen auch. Wenn nicht, kehren wir um, und du haust wieder drauf. Klar?“ „Klar!' Sie hatten sich im Westen hochgekreuzt. Als sie die Umrisse der ersten Galeone undeutlich querab erkannten. liefen sie
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noch ein Stück über Backbordbug nach Nordwesten, wendeten dann auf den Steuerbordbug und segelten mit einer Braßfahrt bei halbem Wind ostwärts auf den Bug der ersten Galeone zu. Hasard übernahm die Schot und hing weit draußen nach Luv, um die Schräglage des Bootes zu vermindern. Philip lauerte in Lee neben dem Mast. Hasard peilte voraus und sah die Galeone größer und größer werden. Und dann entdeckte er die Ankertrosse. die schräg aus dem Wasser ragte und zu der Bugklüse hochführte. Die Trosse wirkte so straff gespannt wie die Saite eines Lauteninstruments. „Achtung!“ rief er Philip zu. Philip zeigte mit der Linken klar. In der Rechten hatte er das Schlachtermesser scharf „wie ein Skalpell“. Rittlings saß er auf der Mastducht und hatte die Unterschenkel ineinander verhakt, um einen festen Halt zu haben. Er wußte, daß er nur einen einzigen Schlag hatte, und der mußte sitzen. Die Galeone wurde riesig. Das Boot zischte auf die Trosse zu. Hasard luvte etwas an, dann noch mehr, um sie nicht zu unterlaufen. Das wäre das Ende gewesen - zumindest für den Mast. Als er Philips Arm nach unten sausen sah, preßte er die Zähne zusammen. Und schon waren sie vorbei. Er blickte zurück. Genau in diesem Moment sprang die Kerbe auf, die das Messer geschlagen hatte - und dann brach die Trosse. Wie eine Schlange züngelte sie hoch in die Luft. Einen peitschenartigen Knall hatte es dabei gegeben. Und schon schien die Galeone auf Fahrt zu gehen, so schnell verschwand sie nach Lee. Philip grinste zu Hasard zurück. Hasard erwiderte das Grinsen. Die zweite Galeone schälte sich aus der Dunkelheit. Vier Minuten später trieb sie ebenfalls landwärts. Die dritte Galeone folgte. Bei der vierten Galeone brauchten sie drei Anläufe und waren inzwischen auch schweißgebadet. Hasard konnte die Schot
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kaum noch halten, die Innenflächen seiner Hände waren aufgerissen. Aber sie brüllten Hurra und „Arwenack“, was natürlich keiner hörte, weil der Wind orgelte und pfiff. Die vier Galeonen befanden sich „auf großer Fahrt“, wie Philip brüllte. Sie segelten jetzt mit Backstagswind über Backbordbug wieder westwärts und kreuzten das Kielwasser der treibenden Galeonen. Warum sich da überhaupt nichts tat, war ihnen schleierhaft, zumal die Galeonen zwar zuerst mit dem Heck voran nach Süden trieben - wie sich das gehörte -, aber dann doch allmählich herumtörnten, dem Wind die Breitseite boten und demzufolge völlig anders schlingerten und schaukelten als zuvor, als sie im Wind liegend an der Ankertrosse gehangen hatten. „Die pennen!“ rief Hasard. Philip, der die Schot wieder übernommen hatte, nickte. Und dann tönte über die Reede ein donnernder Krach, weil sich zwei der Galeonen gerammt und ineinander verbissen hatten. Die beiden Lümmel brüllten sich vor Begeisterung die Kehlen heiser. Und als sie an dem Beiboot vorbeifegten, in dem kräftige Seewölfe an den Riemen rucksten, lachten sie sich halbtot, weil sie schneller waren. „Da war Dad an der Pinne!“ rief Hasard. „Hab's gesehen!“ Philip feixte. „Sah aus, als hätte er Sir John verschluckt!“ Sie lachten und kicherten. Und als ihnen das Segel wegflog, kicherten sie immer noch, weil das zu ulkig aussah. Dieses verdammte Ding hing jetzt nur noch mit einem Schäkel und Reihleine an der Gaffelnock, wehte ihnen voraus wie eine riesige Fahne, aber zog sie auch weiter auf das Ufer zu. „Hu-hu!“ brüllte Hasard. „Das ist die neue Kunst, 'ne Jolle zu segeln! So was habt ihr noch nicht gesehen, Leute!“ Sie wurden gesehen - von den Seewölfen, die zurückgeblieben waren und zum Ufer stürzten, als diese merkwürdige Jolle heranraste - mit einem vorausflatternden
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Segel, das sich allmählich in Fetzen auflöste. „Du meine Fresse, du meine Fresse“, murmelte Carberry ein ums andere und hieb Smoky die Pranke auf die Schulter. „Sind das verteufelte Kerlchen, diese Rübenschweinchen? Jagen 'ne ganze Flotte zum Teufel!“ „Vier“, sagte Smoky. „Vier sind 'ne ganze Flotte, du Plattfisch!“ brüllte ihn Carberry an. In diesem Moment fegte die Jolle quer durch den Tangstreifen auf der. Sand - und der Mast brach. „Mahlzeit“, sagte Hasard junior und hielt sich den Bauch vor Lachen. Und Philip krümmte sich und stöhnte: „O Mann, ich kann nicht mehr, mein ganzer Bauch tut weh! Ich mach mir gleich in die Hosen!“ Und er kicherte und kicherte. Kräftige Fäuste hoben sie aus dem Boot und trugen sie im Triumphmarsch zur ..Isabella“. Zu diesem Zeitpunkt brummte die eine Galeone östlich der Pier auf. Und die letzte Galeone, bei der sich das Ruder aus irgendwelchen Gründen verklemmt hatte, trieb auf die ?warte Leeuw“ zu. Einen Notanker zu werfen, um die Fahrt zu stoppen, schafften sie nicht mehr. Und die Segel kriegten sie auch nicht schnell genug hoch, um sich noch frei zu segeln. So passierte, was passieren mußte, während die Männer der „Zwarte Leeuw“ schreiend von Bord stürzten und auf die Pier flüchteten. Mit dem Bugspriet voran fraß sich die vierte Galeone in die „Zwarte Leeuw“. Kapitän de Jonge starb einen seltenen Tod. Der Bug der vierten Galeone klemmte ihn ein, als er auf die achtere Galerie sprang. Er verendete kläglich und wurde später mit Äxten aus seiner Lage befreit. Aber davon hatte er nichts mehr. * Am nächsten Tag wehte der Wind sanft aus Südost, und die „Isabella“, wieder in ihrem Element, nahm Kurs auf den Ausgang der Bantambai. Gaspar de
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Ribeiro stand auf der Pier und winkte der englischen Galeone nach. Und noch einmal hörte er den Schlachtruf der Seewölfe, aber es war ein Abschiedgruß, der über die Reede donnerte und auch gegen vier gestrandete Galeonen prallte. Das fünfte Schiff. die „Zwarte
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Leeuw“, das Flaggschiff des „Kommodore“, hing halb abgesoffen an der Pier. „Ar-we-nack – Ar-we-nack ...“ „Gute Fahrt, ihr Seewölfe“, murmelte de Ribeiro.
ENDE