GORDON BLACK Band 11
Die Gruft der Ungeheuer von Bryan Danger
Macht einen Bogen um den Wald von Blackhead! Dort ist e...
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GORDON BLACK Band 11
Die Gruft der Ungeheuer von Bryan Danger
Macht einen Bogen um den Wald von Blackhead! Dort ist es nicht geheuer, dort verschwinden Menschen und Tiere, als hätte der Boden sie verschluckt. Der Wald von Blackhead birgt ein grausiges Geheimnis. Man kann dort zuzeiten Ungeheuer sehen. Halb Mensch, halb Spinne. Mit schrecklichen Greifwerkzeugen, die nichts mehr loslassen, was sie einmal gepackt haben. Jedes Opfer zerren die Ungeheuer hinab in die Gruft. Darum macht einen Umweg um den Wald von Blackhead!
Es war gespenstisch still im Blackhead Forest, obwohl in anderen Teilen des Waldgebietes die Stimmen der Natur nicht zur Ruhe kamen. Kein Vogelgezwitscher, kein Rascheln im Unterholz. Sogar der Wind schien den Atem anzuhalten. Es war, als wäre jegliches Leben abgestorben. Ted Hally störte das nicht. Der vierzehnjährige Junge mit den lustigen, blanken Augen und der spitzbübischen Stupsnase hütete sich ohnehin, dieses Waldstück zu betreten. Dabei hätte er dadurch seinen Heimweg ganz erheblich abkürzen können. Ted war mit Mary unterwegs. Mary zählte erst acht Lenze.
Sie war starkknochig und manchmal etwas störrisch. Immer wieder versuchte sie, ihren eigenen Kopf durchzusetzen, was Ted regelmäßig zur Verzweiflung brachte. Er liebte Mary, aber er hatte sich in den Kopf gesetzt, ihr ihren Starrsinn auszutreiben. Erzieherische Maßnahmen nannte er es, wenn er sie zwang, einen Umweg zu gehen, obwohl ihr angeborener Instinkt sie schnurstracks heimwärts treiben wollte. Mary war eine Kuh, die einzige Kuh, die die Hallys besaßen, und in den Ferien trieb Ted sie jeden Tag auf die Weide und am Abend wieder in den Stall. Zwischen der Weide, einer billigen, sauren Rieselwiese, und dem Stall erstreckte sich unglücklicherweise der Blackhead Forest. Ein bequemer Weg führte hindurch, ausreichend für einen Jungen mit seiner Kuh. Doch rechts und links dieses einladenden Weges war es nicht geheuer. Es spukte. Etwas ging nicht mit rechten Dingen zu. Davon jedenfalls war Ted Hally überzeugt, und er wußte, daß er mit dieser Ansicht nicht allein dastand. Er hatte sich angewöhnt, Mary am Strick zu führen, wenn sie an dem unheimlichen Wald vorbeimarschierten. Sicher war sicher. Schließlich wußte ein Rindvieh nichts von gespenstischen Aktionen und verschloß seine Ohren vor dem Gerede der Leute. An diesem Tag benahm sich Mary ausgesprochen brav. Sie war satt und zufrieden, was die behaglichen Laute, die sie von sich gab, dokumentierten. Sie ließ sich den Willen ihres halbwüchsigen Herrn geduldig aufdiktieren, und wenn sie ihn auch mal kurz mit dem Schwanz erwischte, so galt das nicht Ted, sondern den lästigen Fliegen, die nur darauf gewartet zu haben schienen, daß die beiden hier vorüber kamen. »Laß dir nichts gefallen, Mary«, rief der Junge teilnahmsvoll. Auch ihn ärgerten die kleinen schwarzen Biester, deren er sich kaum erwehren konnte. Er bückte sich nach ein paar kräftigen Huflattichblättern, die
er als Abwehrwaffe benutzen wollte. Da passierte es. Mary mußte gespürt haben, daß sich der Griff am Strick geringfügig lockerte. Sie stellte den Schwanz auf, ließ ein angriffslustiges Gebrüll hören und rannte los. Ted packte instinktiv zu, doch es war zu spät. Der grobe Strick glitt durch seine Hand und fetzte ihm die Haut herunter. Danach sprang er zuckend über den staubigen Feldweg, schlug einen scharfen Haken und verschwand zwischen den Büschen des Blackhead Forest. Ted stand sekundenlang wie erstarrt. »Mary!« schrie er dann. »Mary!!!« Mary ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Sie rannte weiter. Geradewegs zwischen den Bäumen hindurch. Sie witterte den vertrauten Stall. »Verdammte Höllenkuh!« fluchte der Junge. »Wirst du wohl stehenbleiben? Meinst du, ich habe Lust, dir hinterherzulaufen?« Das Tier zeigte keine Bereitschaft, mit ihm über diese Frage zu diskutieren. Längst war es seinen Blicken entschwunden, und wenn ihm auch schon der Gedanke allein eine Gänsehaut auf den Rücken zauberte, so blieb ihm doch nichts anderes übrig, er mußte die Suche aufnehmen. Zögernd lief er hinterher. Dabei rief er unentwegt nach der Flüchtenden. Er erwartete zwar keine Antwort, aber das Geschrei erfüllte den gleichen Zweck wie lautstarker Gesang im dunklen Keller. Es bannte ein wenig die Furcht. Es gelang ihm nicht, Mary einzuholen. Er bekam sie auch nicht wieder zu Gesicht. Einmal ließ das Tier ein markerschütterndes Brüllen hören. Da war Ted, als würde sich sein Herz zusammenkrampfen. Ihn fröstelte. Der Junge ahnte, daß Mary ein grauenvolles Schicksal ereilt hatte. Er wagte nicht, ohne die Kuh nach Hause zu gehen. Er fürchtete sich vor Vorwürfen und Schlägen. Deshalb biß er
tapfer die Zähne zusammen und suchte weiter. Die Spuren, die das Tier hinterlassen hatte, waren nicht zu übersehen, wenn es auch immer dunkler wurde, je tiefer Ted in den Wald eindrang. Plötzlich hörte die Spur auf, aber das Tier war trotzdem nicht zu sehen. Unwillkürlich blickte der Junge nach oben, doch das war natürlich Unsinn. Eine Kuh konnte schließlich nicht fliegen. Unschlüssig verharrte der Junge. Was sollte er tun? Noch einmal rief er zaghaft Marys Namen, aber es blieb alles still. Da begann er zu weinen. Es sah ihn ja niemand, der ihn auslachen konnte. Er war allein, erschreckend einsam. Auf einmal spürte er unter seinen Füßen ein eigenartiges Pochen. Es fühlte sich an, als wollte die Erde zu beben anfangen. Ted hatte von Erdbeben in anderen Ländern gehört und auch schon auf dem Bildschirm die verheerenden Folgen gesehen. Zwar hatte es seines Wissens in seinem Heimatdorf noch nie eine solche Katastrophe gegeben und auch von der Nachbarschaft war ihm nichts Derartiges bekannt, das hinderte ihn nicht, einen Mordsschreck zu bekommen. Er wollte nicht in einen plötzlich aufklaffenden Erdspalt stürzen und darin auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Er dachte nicht mehr an die Kuh. In seinem Kopf spukten Vulkane und andere vernichtende Naturgewalten. Er nahm seine Beine in die Hand und lief, so schnell er konnte, in die alte Richtung zurück. Er blieb erst schweratmend stehen, als er das Gehölz hinter sich gebracht hatte. Das rettete ihm das Leben. *** Daniel Cool lachte meckernd, als er die betretenen Gesichter auf sich gerichtet sah.
»Was habt ihr?« fragte er heiter. »Glaubt ihr etwa an Gespenster?« Tom Hally blickte ihn ernst an. Margret, seine Frau, und sein Sohn Ted wechselten verstohlene Blicke und schwiegen. »Du weißt, daß man mich nicht so leicht für dumm verkaufen kann, Dan«, sagte der Kleinbauer zu seinem Freund. »Unsereins muß einen wachen Verstand besitzen, wenn man in diesen schweren Zeiten überleben will. Trotzdem sage ich dir, daß im Blackhead Forest Dinge geschehen, die sich keines Menschen Geist erklären kann. Wenn du nicht töricht bist, suchst du deine Pilze woanders.« »Unsinn!« begehrte der andere auf. Er war von mittelgroßer Gestalt und ging etwas vornübergebeugt. »Gerade dort kenne ich die besten Plätze. Ich lasse mich nicht ins Bockshorn jagen. Das Gerede von den verschwundenen Tieren halte ich für baren Unsinn.« »Ist es auch Unsinn, daß unsere Mary nicht mehr im Stall steht?« fragte Tom Hally. Sein Gesichtsausdruck wurde bitter. »Es ist für uns ein schwerer Verlust. Damit treibe ich keinen Spaß.« Daniel Cool grinste den jungen Ted an und zwinkerte ihm verständnisvoll zu. »Vielleicht fragst du mal deinen Sprößling, was wirklich geschehen ist, Tom. Diese jungen Burschen haben doch nichts als Flausen im Kopf. Ich schätze, Ted hat auf der Weide geschlafen und jemand hat ihm eure Mary geklaut. Ich an seiner Stelle würde das auch nicht zugeben.« Der Junge schnappte nach Luft. Noch nie hatte ihm jemand Pflichtvergessenheit nachgesagt. Dieser Vorwurf kratzte an seinem Ehrgeiz. »Das ist nicht wahr«, schrie er, und Tränen traten in seine Augen. »Ich schlafe nicht während der Arbeit. Ich habe die Spuren verfolgt bis zu der Stelle, an der sie plötzlich aufhörten.« »Du meinst, dort, wo eurer Mary Flügel gewachsen sind und
sie sich in die Lüfte erhoben hat«, sagte Daniel Cool mit unüberhörbarem Spott. »Das wäre die erste Fliegende Untertasse mit einem Schwanz und prallem Euter. Eine einmalige Erklärung für unsere Milchstraße, nicht wahr?« Er lachte und hieb sich vor Vergnügen über seinen Witz auf die Schenkel, daß es nur so klatschte. Die Hallys stimmten in sein Gelächter nicht mit ein. »Du weißt sehr gut, Dan«, meinte die Frau ernst, »daß es keineswegs nur um unsere Mary geht. Vor einer Woche ist nicht nur Coopers Schafherde verschwunden, sondern der alte Cooper selbst. Man fand seinen verbeulten Hut am Rande des Blackhead Forest. Das war die einzige Spur, die er hinterlassen hatte. Willst du allen Ernstes behaupten, er sei mit den Tieren durchgebrannt?« Daniel Cool winkte überheblich ab. »Cooper ist ein Säufer und Spinner. Wenn du drüben in Camington eine Schnapsflasche entkorkst, riecht er sie und macht sich unverzüglich auf den Weg, um sie sich zu holen. Ich wette, daß er in den nächsten Tagen genauso unerwartet wieder auftaucht, wie er verschwunden ist.« »Und das Wild das früher den Wald bevölkert hat?« erkundigte sich Margret Hally angriffslustig. »Die Vögel und alle anderen Tiere? Sind die ebenfalls nach Camington gelaufen? Vor dem alten Cooper wurden bereits das Ehepaar Tuffy und die Hushing-Brüder vermißt. Die Colmans erwarteten Besuch aus Cheltenham. Am Bahnhof sind die Leute nach Zeugenaussagen ausgestiegen, doch sie kamen nie bei den Colmans an. Mit größter Wahrscheinlichkeit nahmen sie den Weg durch den Wald, der von jedem vernünftigen Menschen gemieden wird.« Daniel Cool ließ sich durch diesen Bericht nicht beeindrucken, auch nicht, als Tom Hally an andere Beispiele erinnerte, die die umliegende Bewohnerschaft beunruhigt hatte. »Ihr könnt erzählen, was ihr wollt«, beharrte er, »ich hole mir
meine Morcheln und bringe sie auf den Markt. Wenn ich Glück habe, bringen sie mir fünfzig Pfund ein. Die Leute aus der Stadt zahlen gut dafür.« »Und wenn du Pech hast, brauchst du einen Sarg«, ergänzte Tom Hally. »Der ist nicht für fünfzig Pfund zu haben. Ich bitte dich wirklich sehr, überlege es dir noch mal.« Daniel Cool lachte auf. »Ich überlege mir, ob ich euch Doc Fellow schicken soll. Organisch seid ihr ja wahrscheinlich gesund, aber hier oben«, er deutete unmißverständlich auf seine Stirn, »scheint es beträchtlich zu fehlen.« Er erhob sich und bückte sich nach seinem Korb, den er neben dem Stuhl abgestellt hatte. »Ich muß mich beeilen. Jetzt ist die beste Zeit. Auf dem Rückweg schaue ich wieder bei euch herein, damit ich euch tüchtig auslachen kann. Vielleicht ist Ted bis dahin auch eingefallen, wo er eure Mary gelassen hat. Mich würde nicht wundern, wenn der Bengel sie verkauft hätte.« Der Beschuldigte wollte den Mann anspringen, doch seine Mutter hielt ihn zurück. »Bleib ruhig, Ted«, besänftigte sie ihn. »Kein Mensch traut dir ernstlich eine solche Spitzbüberei zu. Wollen wir hoffen, daß Mister Cool das Lachen im Blackhead Forest nicht verlernt.« Sie wandte sich rasch ab und schlug heimlich ein Kreuz. Ihr verhärmtes Gesicht war totenblaß. *** Daniel Cool war ein Mann, den nichts so leicht aus der Ruhe bringen konnte. Mit seinen über sechzig Jahren hatte er schon eine Menge erlebt. Zweimal wäre er fast ertrunken, ein andermal hatte er sich nur im allerletzten Moment aus seiner brennenden Hütte retten können. Vor Jahren hatten drei Wildschweine Jagd auf ihn gemacht. Während des Pilzsuchens, das nicht nur einen ansehnlichen Verdienst darstellte, sondern vor allem seine Leidenschaft war, war er von einem Wilderer
um ein Haar versehentlich erschossen worden, und seine Kriegserlebnisse hätten Bücher gefüllt. Warum also sollte er sich vor einem Waldflecken fürchten, in dem es angeblich nicht geheuer war? Er war nicht dumm, und abergläubisch schon gar nicht. Die Zeit der Hexen und bösen Geister lag lange zurück. Sie war vorbei, und Daniel Cool war überzeugt, daß sich die Leute damals auch nur alles eingebildet hatten. Eine Erfindung der Inquisition sozusagen. Man brauchte einen Vorwand, um seine Gegner hochoffiziell töten zu können, ohne deswegen als Mörder zu gelten. Während er jene Plätze aufsuchte, an denen er erfahrungsgemäß die größten Pilze fand, lachte er still vor sich hin. Wie konnten vernünftige Männer wie Tom Hally nur an solchen Unfug glauben? Als ob eine ausgewachsene Kuh verschwinden könnte. Und Menschen tauchten erst recht nicht spurlos unter. Einmal hatte er das auch geglaubt. Das war schon über vierzig Jahre her. Belinda, das Mädchen, das ihm versprochen gewesen war, hatte sich anscheinend in Luft aufgelöst. Sie war unauffindbar, dabei war der Termin für die Hochzeit schon festgelegt. Man hatte das Schlimmste befürchtet. Eine Gruppe Zigeuner war tags zuvor durch das Dorf gezogen. Windy, der einzige Polizist, hatte hinterherradeln müssen, um die Gaukler zur Rede zu stellen. Ohne Erfolg. Belinda tauchte nicht wieder auf. Erst über ein Jahr später erfuhr er, daß die Treulose mit einem anderen durchgebrannt war. Sie schrieb einer Freundin, daß sie sich in der Bretagne aufhielte und wieder allein sei. Wie es ihm, Daniel Cool, ginge und ob er schon verheiratet sei. Nein, er hatte sich keine andere Frau gesucht, aber von Belinda hatte er auch nichts mehr wissen wollen. Sie hatte ihn gründlich kuriert, und er war fortan allein geblieben. Seitdem wußte er, daß es nichts Unerklärliches auf dieser hinterhältigen Welt gab. Wenn etwas verschwand, dann hatte
es jemand genommen oder es war von selbst davongelaufen. Spuren, die im Nichts endeten, existierten nicht. Manchmal fand man sie in der Bretagne wieder, manchmal in noch größerer Entfernung oder aber in unvermuteter Nähe. Daniel Cool bückte sich und scharrte vorsichtig das Laub zur Seite. Er wußte genau, daß er nicht umsonst hergekommen war. Es war ideales Pilzwetter. Feucht und warm. Da brauchte man nicht lange nach den Köstlichkeiten des Waldes zu suchen. Sie wuchsen einem beinahe in den Korb hinein. Als er den Boden freigelegt hatte, wurde sein erwartungsvolles Gesicht länger. Er rieb sich das Kinn, und die sprießenden Stoppeln verursachten ein Geräusch, das ihn zusammenfahren ließ. Erst jetzt merkte er die Stille um sich her. Sie war ihm zuvor nicht bewußt geworden. Der Platz war leer. Nicht eine einzige Morchel wuchs hier, dabei hätte er geschworen, daß er mindestens ein Pfund würde abschneiden können. Nichts! Er biß sich ärgerlich auf die Unterlippe und richtete sich auf. Wütend stieß er mit dem Schuh gegen das aufgehäufte Laub, aber das änderte nichts an der Tatsache, daß schon jemand vor ihm hiergewesen sein mußte. Er hätte sich nicht so lange von dem Geschwätz der Hallys aufhalten lassen dürfen. Nun gut! Dann suchte er eben den nächsten Platz auf. Es war kaum anzunehmen, daß sie alle abgeräumt waren. Er hielt sie streng geheim, und niemand im weiten Umkreis roch die Pilze mit solcher Sicherheit wie er. Daniel Cool nahm seinen Korb, der noch leer war, und zwängte sich durch das Buschwerk. Drüben bei der kleinen Lichtung wurde er bestimmt fündig. In den vergangenen Jahren hatte er dort wahre Prachtexemplare entdeckt. Der Mann wurde vom Sammelfieber gepackt. In solchen Augenblicken vergaß er alles um sich her. Mehr als einmal war es ihm schon passiert, daß von ihm unbemerkt ein Gewitter aufgezogen war und ihn völlig überrascht hatte.
Auch diesmal klang ein dumpfes Grollen auf, aber es hatte wenig Ähnlichkeit mit herannahendem Donner. Es hörte sich an, als käme es direkt aus der Erde. Daniel Cool achtete nicht darauf. Mit schnellen Schritten erreichte er die Lichtung und steuerte auf die bemoosten Baumstümpfe zu, die ihm reiche Beute versprachen. Doch auch hier wurde er enttäuscht. »Verdammt!« murmelte er. »Das kann doch nicht möglich sein. Irgendein Halunke muß mich im letzten Jahr beobachtet und sich meine Plätze gemerkt haben. Aber wer?« Er hockte sich auf einen Baumstumpf und stützte den Kopf auf beide Hände. Er war maßlos enttäuscht. Der ganze Tag war ihm verdorben, und er dachte daran, daß Tom Hally wohl seinen Grund gehabt hatte, daß er ihn hindern wollte, in den Wald zu gehen. Bestimmt steckte er hinter dieser Schweinerei. Man konnte sich nicht mal mehr auf seine Freunde verlassen. Daniel Cool stierte vor sich hin. Er überlegte, ob es Sinn hatte weiterzusuchen. Vermutlich kam er auch an den anderen Plätzen zu spät. Ein anderer hatte sich längst die fünfzig Pfund verdient. Der finanzielle Verlust ärgerte ihn weniger als die Tatsache, daß er hereingelegt worden war. Er nahm sich vor, sich bei nächster Gelegenheit zu rächen, und vor allem würde er seine Niederlage nicht zugeben. Plötzlich lauschte er. Da war ein Geräusch, das Knacken eines Astes. Er zwang sich, ruhig zu bleiben, obwohl er am liebsten aufgesprungen wäre. Kein Zweifel, dort im Dickicht lag der Kerl verborgen, der ihm die Morcheln vor der Nase weggeschnappt hatte und sich nun vermutlich über ihn amüsierte. Na warte, du Kanaille! Dir wird das Lachen gleich vergehen. Mal sehen, wieviel Prügel dein Buckel aushält. Den alten Dan legt man nicht auf eine so linke Tour herein. Du
glaubst wohl, ich führe dich auch noch zu meinen anderen Plätzen, damit du die auch noch abernten kannst. Der Mann grinste böse in sich hinein. Seine Augen tasteten suchend den Waldboden ab und blieben an einem Wurzelstück hängen, das ihm für seine Zwecke brauchbar erschien. Es war fest und knorrig und lag bestimmt gut in der Hand. Gleich würde es das Tanzen lernen. Daniel Cool gähnte übertrieben und richtete sich auf. Mit schleppenden Schritten schlurfte er zu der Wurzel, bückte sich und verstaute den Prügel in seinem Korb. Dabei stellte er sich so, daß der heimliche Lauscher annehmen konnte, er habe doch noch einen Pilz entdeckt. Nun näherte er sich dem Dickicht und setzte dabei sein harmlosestes Gesicht auf. Wieder dieses Knacken. Aha! Der Schuft zog sich eilig zurück, um nicht von ihm entdeckt zu werden. Sehr geschickt benahm er sich aber nicht dabei. Daniel Cool beschleunigte seine Schritte. Sein Widersacher sollte ihm nicht entwischen. Er wollte ihn grün und blau prügeln, und wenn der Kerl die Pilze noch bei sich hatte, würden sie ihren Besitzer wechseln. Das stand für ihn fest. Er drang in das Dickicht ein, aber dort war nun alles still. Der Bursche kauerte vermutlich hinter einem Busch und hielt den Atem an. »Ich sehe dich genau!« rief der Alte, obwohl das nicht stimmte. »Komm nur hervor. Du bist lange nicht so geschickt, wie du dir einbildest.« Tatsächlich erhielt er eine Antwort. Sie bestand aus einem Geräusch, das er nicht zu definieren vermochte. Dabei vibrierte der Boden unter seinen Füßen, als würde eine Elefantenherde darüber hinwegstampfen. Daniel Cool stellten sich die Nackenhaare auf. Das hatte er noch nie erlebt. Er dachte an die drei Wildschweine von
damals und bereitete sich auf eine unangenehme Überraschung vor. Seinen Korb stellte er ab. Den Knüppel nahm er in die rechte Faust, sein Messer, das für das Abschneiden der Pilze gedacht war, in die linke. So bewaffnet, fühlte er sich schon bedeutend wohler, wenn er auch immer noch drei Keilern unterlegen war. Das Rumpeln und Grollen ging weiter. Es war nun deutlich hinter ihm. Daniel Cool fuhr herum. Seine Augen weiteten sich. Höchstens fünf Yards von ihm entfernt, bewegte sich die Erde. Es konnte ein harmloser Maulwurf sein, aber Maulwürfen war er hier noch nie begegnet. Außerdem verursachten sie nicht solchen Lärm. Der Erdhügel wölbte sich stärker empor. Er brach auseinander, und etwas Weißes schimmerte darunter. Ein fetter Wurm vielleicht. Was sollte es sonst sein? Der Mann wich ein Stück zurück. Der Erdhaufen fiel in sich zusammen, und es wurde wieder still. Totenstill. Daniel Cool faßte sich ein Herz. Er wollte der Sache auf den Grund gehen. Zögernd näherte er sich und kniff die Augen zusammen. Es war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Mit der Wurzel stocherte er ein bißchen in der krümeligen Erde herum, aber nichts geschah. Schon wollte er die Sache auf sich beruhen lassen. Er war schließlich nicht hier, um Erdwürmer zu sammeln, sondern um seinen Korb mit Pilzen zu füllen. Da versteifte sich sein Körper. Er fühlte, wie etwas von hinten sein linkes Fußgelenk berührte. Sein Blick wanderte an sich herab. Ein entsetzter Schrei löste sich aus seiner Kehle. Er vollführte einen Satz nach vorn, stolperte über den Erdhaufen und stürzte nieder. Schwer atmend raffte er sich auf. Seine Augen zeigten einen irren Glanz, seine Mundwinkel zuckten. Eisige Schauer jagten durch seinen Körper, der Schlimmes gewöhnt war.
Er wollte davonlaufen, aber seine Beine waren wie Blei. Sie rührten sich nicht von der Stelle. Sekunden später wußte er, woran das lag. Eine Hand hielt ihn fest. Eine bleiche, ekelhafte Hand, die aus dem Boden gewachsen war, und die nun an ihm zerrte. Sein Herzschlag drohte auszusetzen. Gehetzt blickte er sich um. Voll panischen Entsetzens sah er, wie unweit von ihm die Erde erneut in Bewegung geriet und eine zweite Hand daraus hervorkroch. Auch sie versuchte ihn zu packen. Daniel Cool versuchte, sich loszureißen. Es ging nicht. Die weiße Geisterfaust hielt unerbittlich fest. Da entsann er sich seiner Waffen. Er hob den Wurzelknüppel und drosch mit aller Macht zu. Das Holz, dessen Stabilität er erst kurz zuvor geprüft hatte, zerbröckelte wie ein morscher, fauler Ast. Die Hand zuckte nicht mal zurück. Der Alte sah sich seiner einen Waffe beraubt, aber das Messer bestand aus gutem, solidem Stahl. Kein noch so winziges Rostfleckchen war darauf zu sehen. Damit würde er sich schon Respekt verschaffen. Während nun auch die zweite Hand bei ihm angelangt war und sich seines zweiten Beins bemächtigte, stieß er wie wild zu. Er grub die Klinge in das weiche Fleisch, zog sie wieder heraus und vollführte den nächsten Stich. Der Stahl drang durch das Leder seines Stiefels. Er schrie vor Schmerz auf. Die beiden Hände dagegen bluteten nicht, und sie gaben ihn auch nicht frei. Wie eiserne, tödliche Klammern waren ihre Griffe. Sie zerrten an ihm, und Daniel Cool stellte voller Schrecken fest, daß sie begannen, ihn in die Tiefe zu ziehen. Bis zu den Knöcheln war er bereits im Waldboden versunken. Todesangst packte ihn. Blitzschnell wurde ihm bewußt, daß die Hallys mit ihrer Warnung recht gehabt hatten. Etwas Entsetzliches ging im Blackhead Forest vor. Etwas, was er sich
auch jetzt noch nicht erklären konnte, obwohl er die Ursache dicht vor sich mit eigenen Augen sah. Menschenhände griffen aus der unergründlichen Tiefe nach ihm. Sie hatten keine Fingernägel. Ihre Haut war glatt und weich. Doch in ihnen steckte eine mörderische Kraft, eine Kraft, die sein Ende bedeuten würde, falls es ihm nicht gelang, sich doch noch zu befreien. Er schrie um Hilfe, aber der undurchdringliche Wald verschluckte seine verzweifelten Rufe. Niemand im Dorf würde ihn hören, niemand würde herbeieilen, um ihn zu retten. Inzwischen tauchten weitere Hände auf. Er zählte insgesamt acht Stück. Sie bildeten einen Kreis um ihn, der sich immer enger zusammenzog. Es gab kein Entrinnen. Der Boden unter ihm war wie ein Sumpf. Er sank immer tiefer. Schon steckte er bis zu den Knien darin, und die grausige Höllenfahrt hatte noch kein Ende. »Laßt mich los, ihr verfluchten Biester!« kreischte Daniel Cool. Er schlug um sich, zertrümmerte seinen Korb, nachdem er mit seinem Messer nichts hatte ausrichten können. Was waren das nur für Wesen? Er hatte nie an Geister geglaubt, aber gab es eine andere Erklärung, als daß er sich über einem längst vergessenen Friedhof befand und daß die Toten aus ihrer Ruhe aufgeschreckt worden waren? Gegen Tote hatte er keine Chance. Sie würden ihn mit sich schleppen, so wie sie alles an sich gerissen hatten: Hallys Kuh, das Wild und die Vögel des Waldes, den alten Cooper mit seiner Schafherde, die Tuffys, die Hushing-Brüder und den Besuch der Colmans. Aber warum? Die meisten Hände verschwanden allmählich, doch unter der Erde zogen sie nach wie vor an ihm. Irgend etwas umschlang seine Hüfte und übte einen furchtbaren Druck aus. Er konnte kaum noch atmen. Seinen Kampf hatte er lange aufgegeben. Die bleichen Hände hatten sich seinem Zugriff entzogen. Er konnte
allenfalls noch versuchen, sich mit den Armen festzuklammern, damit wenigstens der Kopf über der Erde blieb. Doch er wußte schon jetzt, daß er das nicht schaffen konnte. Die Unheimlichen waren zu stark. Wenn sie in der Lage waren, eine ausgewachsene Kuh zu überwältigen, hatten sie mit einem alternden Mann erst recht keine Mühe. Sein Widerstand erlahmte. Seine Kräfte waren in der sinnlosen Auseinandersetzung aufgebraucht worden. Mit einem letzten, energischen Ruck rissen die greifenden Hände ihn endgültig ins bodenlose Dunkel. Ein verwehender Schrei war das Letzte, was von ihm blieb. *** Die Nachricht vom Verschwinden Daniel Cools sprach sich nicht nur im Dorf, sondern auch in der benachbarten Kleinstadt Camington wie ein Lauffeuer herum. Tom Hally hatte den Pfarrer der Gemeinde verständigt, als sein alter, streitbarer Freund nicht, wie versprochen, nach seiner Pilzsuche bei ihm vorbeigekommen war, und der Geistliche, der schon seit einigen Wochen von der Kanzel gepredigt hatte, daß im Blackhead Forest der Böse sein Unwesen trieb, war schleunigst zum Bürgermeister gelaufen, um von ihm zu fordern, daß den dämonischen Umtrieben Einhalt geboten würde. Joel Warren, der Bürgermeister, hatte zweierlei getan. Zuerst war selbstverständlich Brad Wooley informiert worden. Wooley war nicht nur Sargtischler, sondern übte auch die Funktion des Rechtshüters aus. Da es in dem verträumten Dorf Sunplace kaum etwas zu hüten gab, war er naturgemäß völlig aus der Übung geraten und stand dem Ansinnen des Bürgermeisters, im Wald für Ordnung zu sorgen, ausgesprochen hilflos gegenüber.
»Ich werde die Kollegen in Camington um Rat fragen«, sagte er verlegen. »Sergeant Ross ist ein guter Freund von mir. Der kennt sich mit solchen Dingen aus. Er hat sogar schon mal einen Dieb zur Strecke gebracht, der einer Witwe siebenhundertundsechzig Pfund aus ihrer Matratze gestohlen hatte.« Wooley blähte sich auf, als hätte er selbst diese Glanztat vollbracht. Das Ergreifen eines Diebes war für den biederen Mann die Krone allen kriminalistischen Tuns. Joel Warren ließ ihm freie Hand. Er war froh, daß er die Verantwortung hatte weitergeben können. Daß die Polizei von Camington die Sunplaceschen Kastanien aus dem Feuer holen sollte, störte ihn dabei nicht. Brad Wooley sonnte sich in seiner Wichtigkeit, bevor er den Telefonhörer in die Hand nahm und sich in ein längeres Gespräch mit Sergeant Ross, dem Meisterspürhund, vertiefte. Der Bürgermeister hörte schweigend zu. Er fand die Unterhaltung reichlich verworren, aber das lag wohl nur daran, weil er lediglich die eine Hälfte mitbekam. Wooley jedenfalls zeigte ein durchaus zufriedenes Gesicht, als er den Hörer wieder auflegte. Er dachte aber nicht daran zuzugeben, daß seine Zufriedenheit lediglich daher rührte, weil er nun seinerseits die Verantwortung los war. Sergeant Ross in Camington war alles andere als ein eiskalter, ausgefuchster Gangsterjäger. Schon von der Statur her wirkte er eher unscheinbar und kläglich. Ein Menschlein, das sich hinterm Schreibtisch wohler fühlte als in den düsteren Gefilden der Unterwelt. Er selbst schätzte sich auch durchaus richtig ein. Er kannte seine Grenzen und entwickelte nicht den Ehrgeiz, in seiner Laufbahn noch eine Stufe höher zu klettern. Er wußte ja, wieviel Ärger Inspektor Hammerbrook, sein Vorgesetzter, am Hals hatte. An ihm lag es nicht, daß sich das Gerücht so hartnäckig
hielt, er habe einen gerissenen Dieb gestellt. Die Leute redeten viel, und jeder dichtete noch etwas dazu. So war aus dem ehrlichen Finder, der ihm die verlorene Geldtasche der zerstreuten Mistreß Hobson gebracht hatte, ein schuftiger Gesetzesübertreter geworden, und alle Dementis hatten nichts daran ändern können. Die Menschen wollten ihren Helden. Ross erstattete Inspektor Hammerbrook getreulich Bericht. Er bemühte sich, nicht mehr zu sagen, als er von Wooley erfahren hatte. Er enthielt sich jeden eigenen Kommentars, da der Inspektor ohnehin alles besser wußte. Insgeheim drängte es ihn aber, seine Meinung zu dem Fall zu äußern, der ihn schon beschäftigte, seit die Tuffys drüben in Sunplace verschwunden waren. Inspektor Hammerbrook sah keinen Grund zum Eingreifen. »In unserer Gegend verschwinden keine Menschen, Ross«, belehrte er den Sergeant. »Dieser Cool taucht bestimmt schon bald wieder von selbst auf. Sie wissen selbst daß wir nicht genügend Männer haben, um einen ganzen Wald zu durchforschen. Wooley soll sich gefälligst selbst etwas einfallen lassen. Wir haben genug eigene Probleme.« »Aber es geht um Menschenleben, Sir«, wagte Ross einen Einwand. »Nach allem, was mir Brad Wooley erzählt hat, liegt der Verdacht nahe, daß…« Er stockte und drehte verlegen seinen Kugelschreiber zwischen den wurstigen Fingern. »Daß was?« half Hammerbrook geringschätzig nach. Sein Untergebener, den er für etwas beschränkt hielt, ging ihm auf die Nerven. »Daß es im Blackhead Forest spukt«, ergänzte der Sergeant und war froh, das es heraus war. Der Inspektor sah ihn ungläubig an. Seine Augen erinnerten an einen Frosch, der eine besonders fette Fliege fixierte. »Wollen Sie sich über mich lustig machen, Ross?« brüllte er. Er war ein cholerischer Typ. Dumme Bemerkungen brachten ihn leicht in Harnisch. Solche seines Sergeants
besonders. »N-nein, Sir«, stotterte Ross. Er nahm allen Mut zusammen, denn er war von seiner Idee überzeugt. »Ich finde genau wie Sie, daß wir für diesen Fall nicht zuständig sind. Ich habe von einem Mann gehört, der von diesen Dingen mehr versteht. Ihn sollten wir bitten, uns zu helfen.« Hammerbrooks Augen wurden noch größer, obwohl das kaum noch möglich war. Er holte tief Luft, bevor er loslegte: »Von welchen Dingen reden Sie, Mann? Von welchem Fall, verdammt noch mal? Geben Sie etwa etwas auf das Geschwätz dieser Dorftrottel? Für die ist doch das Mittelalter immer noch nicht vorbei. Ich wette, daß mancher von ihnen ein paar Knoblauchzehen um den Hals trägt, weil er sich vor Vampiren fürchtet.« Er lachte scheppernd und wollte sich gar nicht wieder beruhigen. »Es gibt Vampire, Sir. Mister Black hat mehr als einen besiegt. Und nicht nur Vampire, sondern auch andere Scheusale und Monster. Er ist der richtige Mann.« »Wer, zum Teufel, ist dieser Black?« schnaubte der Inspektor. »Auch so ein Irrer, der nicht weiß, wovon er redet?« »Mister Black ist Dämonenjäger«, wußte Ross. »Der beste, der zur Zeit existieren soll. Meines Wissens unterhält er in New York eine Anwaltskanzlei, aber vor allem schlägt er sich mit Untoten, Magiern und anderen unerklärlichen Wesen herum.« Inspektor Hammerbrook schnappte nach Luft. »Sie müssen verrückt sein, Ross. Ja, es gibt keine andere Erklärung. Sie sind total wahnsinnig. In Camington und Sunplace drehen ein paar Narren durch, weil sie nicht in der Lage sind, ihre Augen aufzumachen, und Sie verlangen von mir, daß ich einen Kerl aus den Staaten herüberholen soll, der offensichtlich sein Brot durch Taschenspielertricks verdient.« »Ich verlange nichts, Sir«, sagte Ross nervös. »Ich glaube lediglich, daß wir diesen Mann um Rat fragen sollten.«
»Den Teufel werde ich tun«, brüllte der Inspektor. Er zog ein grobes Taschentuch aus seiner Hose und wischte sich den Zornschweiß von der Stirn. »Sagen Sie Wooley, daß wir uns nicht veralbern lassen. Wenn er zu feige ist, in einen Wald zu gehen, dann soll er gefälligst seine Großmutter schicken.« »Aber…« »Kein Wort mehr, oder ich zeige Ihnen, wozu ein Sergeant taugt, der nicht ganz richtig im Kopf zu sein scheint.« Ross verschluckte die Bemerkung, die ihm auf den Lippen lag. Es hatte keinen Zweck. Hammerbrook gehörte zu jenen Männern, die nur glaubten, was sie mit eigenen Augen gesehen hatten oder wofür es zumindest glaubwürdige Zeugen gab. Er würde es nie schaffen, ihn zu überzeugen. Auf der Polizeistation von Camington war damit dieses Thema vom Tisch. Ross rief seinen Freund Wooley an und richtete ihm aus, daß er mit keiner Hilfe rechnen könne, worüber dieser nicht gerade glücklich war, aber er mußte sich damit abfinden, daß die Verantwortung nun wieder auf seinen Schultern ruhte. Aus Trotz entwickelte er mehr Entschlossenheit, als ihm mancher zugetraut hätte. Er hielt im einzigen Gasthof des Dorfes eine leidenschaftliche Ansprache, die weniger gegen den Spuk im Blackhead Forest als gegen die Feiglinge in Camington gerichtet war. Damit erreichte er, daß die Männer an ihrem Ehrgeiz gekitzelt wurden und sich eine Bürgerinitiative bildete. Ein Suchtrupp wurde zusammengestellt, der noch am gleichen Tag den unerklärlichen Dingen auf den Grund gehen sollte. Vier Männer erklärten sich nach einigem Zureden und etlichen Krügen Bier bereit, dieses Kommando zu bilden. Brad Wooley befand sich nicht darunter. Als Polizist und Ordnungshüter war er schließlich im Dorf unabkömmlich. Vielleicht schon bald auch als Sargtischler.
*** Sergeant Ross ließ die Angelegenheit keine Ruhe. Er ärgerte sich über Hammerbrook, aber vor allem fürchtete er, daß schreckliche Dinge passieren könnten, falls er nicht etwas unternahm. Doch was sollte er tun? Der Inspektor deckte ihn mit klaren Aufgaben ein. Er hatte keine Möglichkeit und, das wollte er nicht leugnen, auch nicht den Mut, selbst zum Blackhead Forest zu fahren, um dort auf eigene Faust nach dem Rechten zu sehen. Er erstickte förmlich im Papierkram, und alle halbe Stunde brachte ihm Hammerbrook einen neuen Vorgang, den er bearbeiten sollte. Ross grübelte hin und her. Er zermarterte sich das Gehirn, doch ihm wollte nicht die Erleuchtung kommen. Hätte er die Adresse dieses Dämonenjägers, von dem er berichtet hatte, gekannt, hätte er sich mit ihm in Verbindung setzen können. Doch New York war riesig groß. Fast acht Millionen Menschen wohnten dort. Außerdem würde ein so erfolgreicher Mann wie Black kaum reagieren, wenn er von einem kleinen Sergeant um Hilfe gebeten wurde. Dazu hätte er schon Inspektor sein müssen. Besser noch Chefinspektor wie der Schwager seines verstorbenen Freundes, der in Cheltenham tätig war. Wie ein Blitz durchzuckte Ross die Erkenntnis: Chefinspektor Burns war der richtige Mann. An den mußte er sich wenden. Hammerbrook brauchte ja zunächst nichts davon zu erfahren. Dieser Einfall fesselte den kleinen Sergeant derart, daß er sich sofort ans Telefon hängte und sich mit der entsprechenden Dienststelle in Cheltenham verbinden ließ. Er hatte Glück. Chefinspektor Burns war zu sprechen, und der Mann, den er noch nie gesehen hatte, hörte ihm sogar
geduldig zu. »Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese erstaunliche Information, Sergeant«, erklärte er schließlich. »Ich werde mit Inspektor Hammerbrook reden. Vor allem aber mit Gordon Black. Auch mir scheint dieser Mann der Richtige für die vorliegende Aufgabe zu sein.« Ross war stolz, erleichtert und glücklich. Das änderte sich schlagartig, als der Inspektor wie ein Taifun in sein Büro brauste und ihn zusammenteufelte. »Was fällt Ihnen ein, hinter meinem Rücken mit Burns Verbindung aufzunehmen?« brüllte er. »Wer ist hier eigentlich der Boß?« In dieser Gangart ging es minutenlang weiter, und Ross wurde zusehends kleiner und bekümmerter. Ihn quälte allerdings weniger die Strafpredigt als die Frage, ob es Hammerbrook etwa gelungen war, den Chefinspektor von seinem Vorhaben abzubringen. Fragen mochte er ihn nicht danach. Das hätte zweifellos eine neue Schimpfkanonade ausgelöst. So blieb er im Ungewissen und beruhigte sich erst wieder ein wenig, als er von Brad Wooley erfuhr, daß er die Sache jetzt selbst in die Hand genommen habe. *** Während der Suchtrupp der Männer von Sunplace mit gemischten Gefühlen auf den Blackhead Forest zurückte, lauschte Gordon Black jenseits des Atlantik in die Telefonmuschel und machte sich von Zeit zu Zeit eine kurze Notiz auf einem Block, der vor ihm lag. Er unterbrach den Anrufer nicht, obwohl er eine Menge Fragen hatte. Erst als Chefinspektor Burns aus Cheltenham mit seinem Anliegen zu Ende gekommen war, ließ er sich einige Punkte erläutern, die ihm noch nicht restlos klar waren. »Sie stützen sich also nur auf den Bericht dieses Sergeants
und dieser auf den Hilferuf eines Dorfpolizisten, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Chefinspektor.« Burns räusperte sich. »Ganz so ist es nicht, Mister Black. Mir ist schon vor einiger Zeit zu Ohren gekommen, daß in der Nähe von Sunplace merkwürdige Dinge geschehen, nur gab es nie etwas Konkretes, etwas, weswegen man hätte einschreiten können. Inzwischen aber haben sich die ähnlichen Vorkommnisse derart gehäuft, und eine natürliche Erklärung ist nicht in Sicht, daß ich es für das beste hielt, Sie einzuschalten. Sie müssen wissen, daß ich einer Ihrer heimlichen Bewunderer bin. Leider darf man das nicht zu laut sagen, weil man sonst sehr leicht für verrückt erklärt wird. Doch ich gestehe, daß ich die Berichte von Ihren Erfolgen in aller Welt mit großem Interesse gelesen habe.« Gordon Black gab nichts auf derlei Redensarten. Zwar war er froh, wenn er mit einem Menschen sprechen konnte, der seine Theorien nicht dem Bereich der Fabel zuordnete und seinen Geisteszustand mit großer Skepsis beurteilte, andererseits fiel ihm nicht ein, wegen eines blinden Verdachts, der bisher in keiner Weise untersucht worden war, alles stehen und liegen zu lassen und den Atlantik zu überqueren. Schon zu oft hatten angebliche Poltergeister und Stimmen aus dem Jenseits ganz natürliche Erklärungen gefunden. Er ließ sich den Blackhead Forest genauer schildern, ebenso die Menschen die darin verschwunden sein sollten. »Angefangen hat es mit Tieren«, berichtete der Chefinspektor, dem himmelangst wurde, wenn er an die Telefonrechnung in diesem Monat dachte. »Erst später wurden Menschen vermißt, alles Leute, denen ein Abenteuer oder gar ein makabrer Streich nur schwer zuzutrauen ist. Ich gehe zwar mit Inspektor Hammerbrook in Camington nicht einig, doch ich flehe Sie an, Mister Gordon. Kommen Sie her und stellen Sie fest, was in dem Wald gespielt wird, bevor es noch mehr Opfer gibt.«
Diese Befürchtung war das einzige Argument, das Gordon Black überzeugen konnte. Wenn es um ein Menschenleben ging, wies er alle Bedenken von sich. Er nahm sogar in Kauf, sich zu blamieren oder ein paar hundert Dollar falsch zu investieren. Ein Mann, der Chefinspektor geworden war, so sagte er sich, konnte kein ausgesprochener Dummkopf sein. Zumindest zeigte er sich jenen Wissenschaften gegenüber aufgeschlossen, die andere Leute verächtlich leugneten. Das sprach für ihn. Gordon Black warf der zierlichen Asiatin, die an der Mithörmuschel hing, einen fragenden Blick zu. In Hanako Kamaras dunklen Mandelaugen blitzte es unternehmungslustig auf. Für sie gab es keine Zweifel mehr, und sie war davon überzeugt, daß ihr Boß nicht allen Ernstes einen Rat von ihr erwartete. Der Dämonenjäger grinste. »Erwarten Sie uns morgen«, sagte er ruhig. »Wenn sich das machen läßt, sperren Sie am besten das fragliche Waldstück ab. Halten Sie jede Beobachtung fest, aber setzen Sie Ihre Männer keiner unnötigen Gefahr aus. Ich will Sie nicht unnötig beunruhigen, aber ich kenne Fälle, bei denen Werwölfe für das Verschwinden von Tieren und Menschen verantwortlich waren.« »Werwölfe?« fragte Burns entsetzt. »Wie kann man denen beikommen?« »Sie mit Ihren Waffen gar nicht«, entgegnete Gordon Black, ohne überheblich zu wirken. »Zum Glück bin ich entsprechend ausgerüstet, daß ich mir zutraue, gegebenenfalls mit diesen Biestern fertig zu werden. Warten wir’s ab!« Der Chefinspektor bedankte sich bei dem Dämonenjäger und beendete das teure Gespräch. Er rief danach Inspektor Hammerbrook an und veranlaßte diesen, keinesfalls etwas zu unternehmen, da sich ein Spezialist um alles kümmern würde.
Zwar hatte Hammerbrook ohnehin jegliche Hilfe abgelehnt, daß Burns nun aber einen Fremden zu Rate gezogen hatte und allem Aschein nach ausgerechnet diesen ominösen Black, ärgerte ihn gewaltig, und er zögerte nicht, seine Wut weiterhin Sergeant Ross zu spüren zu geben. *** Der Suchtrupp von Sunplace meldete sich bis zum Abend weder bei Brad Wooley noch beim Bürgermeister. Die Sorge um die vier Männer wuchs, und die einzige Hoffnung war, daß sie es vielleicht mit der Angst zu tun gekriegt und sich irgendwo versteckt hatten, um am nächsten Tag Freude auszulösen, daß sie überhaupt noch am Leben waren. So recht glauben wollte an diese Möglichkeit allerdings niemand, denn es handelte sich um die unerschrockensten Burschen, denen man zudem noch eine ansehnliche Prämie in Aussicht gestellt hatte, falls sie das Rätsel lösten. Die Dunkelheit brach bereits herein, als sich fast alle erwachsenen Männer im Dorfgasthof versammelt hatten und auf die Rückkehr der Verschollenen warteten. »Die sind hin«, meinte einer mit wenig Zartgefühl. »Die sehen wir nie wieder. Es war verrückt, sie loszuschicken.« »Das sagst du jetzt«, ereiferte sich ein anderer. »Hättest du eine bessere Lösung gewußt?« »Das sage ich ja gar nicht.« »Dann halt gefälligst dein Maul, und mach nicht die Pferde scheu. Vielleicht verfolgen sie eine Spur.« Brad Wooley hielt sich zurück. Aber mit sicherem Instinkt griff ihn sich ein rothaariger Bursche heraus. »He, Wooley! Warum bist du eigentlich nicht mitgegangen? Wer ist denn unser Polizist?« »Ich – ich hatte zu tun«, verteidigte sich der Angegriffene. Ein paar lachten gehässig.
»Zu tun?« äffte ein fetter Mann nach und wischte sich den Bierschaum aus dem Bart. »Das kann ich mir gut vorstellen. Sicher machen vier Särge eine Menge Arbeit. Du würdest nicht schlecht daran verdienen, wenn Ken und die anderen nicht zurückkommen.« Brad Wooley stieg wie eine Rakete in die Höhe. Krachend fiel der Stuhl hinter ihm um. »Was willst du damit andeuten?« fauchte er angriffslustig. »Daß du Sargtischler bist und daß jede Leiche einen Sarg braucht, den die Hinterbliebenen bezahlen müssen. Weiter nichts, Brad Wooley.« Atemlose Stille herrschte plötzlich in dem nach Bier und Tabaksrauch stinkenden Gastzimmer. Die Männer starrten die beiden Kampfhähne fasziniert an. Endlich gab es mal wieder eine handfeste Schlägerei, so hofften sie. Das lenkte ein wenig von der Frage ab, die sie alle beunruhigte. Doch der Polizist tat ihnen nicht den Gefallen. Er hatte sich wieder in der Gewalt. »Das vergesse ich dir nicht, Burt Tucker«, erklärte er haßerfüllt. »Noch nie hat mir jemand vorwerfen können, aus dem Tod eines Mitbürgers einen Nutzen zu ziehen.« »Aber herschenken tust du die Särge jedenfalls nicht«, beharrte Tucker störrisch. Ihn juckte es offensichtlich in den Fäusten. »Gib endlich Frieden«, meldete sich ein Greis, der sich die ganze Zeit zurückgehalten hatte. »Ist bisher auch nur eine einzige Leiche gefunden worden, Burt? An den Verschwundenen des Blackhead Forest hat noch kein Sargtischler auch nur einen Penny verdient. Du solltest dich was schämen.« Burt Tucker maulte noch etwas in sich hinein, verfolgte seine Behauptung aber nicht weiter. Draußen im Hof wurde es laut. Alle Männer hoben die Köpfe.
»Das sind sie!« jubelte Brad Wooley. Er stürzte zur Tür, doch andere waren schon vor ihm dort und behinderten sich gegenseitig. Schließlich schafften sie es doch, die Tür nach außen aufzustoßen, und durchdrangen die nun fast vollständige Finsternis mit ihren Augen. »He, Ken! Seid ihr’s?« Im düsteren Schatten eines Schuppens bewegte sich etwas, aber es antwortete nicht. Die Männer sahen sich betreten an. Jeder erwartete vom anderen, daß er hinausging, um nachzuschauen, doch niemand wollte der andere sein. Endlich richteten sich aller Augen auf Brad Wooley Der Ärmste konnte sich nicht drücken. Er war Polizist, und als solcher war sein Job bis jetzt ohnehin einfach genug gewesen. In seiner Jackentasche trug er eine Stablampe. Diese zerrte er hervor und schaltete sie ein. Ein dünner Lichtfinger stach ins Dunkle, kaum ausreichend, einem Glühwürmchen Konkurrenz zu machen. Die Batterien waren altersschwach. Wooley setzte sich in Bewegung. »Ken!« rief er wieder. Er glaubte, dessen karierte Jacke zu erkennen, doch er war seiner Sache keineswegs sicher. Warum antwortete der Halunke nicht? Hinter seinem Rücken hörte er aufmunternde Zurufe. Die hatten gut reden. Sie waren ja nicht an seiner Stelle. Brad Wooley hätte gern mit jedem einzelnen getauscht, dabei bildete er sich ein, kein Feigling zu sein. »Bist du’s, Ken? Wo sind die anderen? Was habt ihr entdeckt?« Keine Antwort. Da nahm sich der Polizist ein Herz und stapfte mit festem Schritt auf den Mann zu, den er für Ken Craig hielt.
Sein Herzschlag setzte aus. Sein Magen revoltierte, und ein säuerlicher Schwall ergoß sich in den Hof. Brad Wooley wandte sich voll Grauen ab. Er hatte sich nicht getäuscht. Es handelte sich tatsächlich um Ken, einen jener vier Männer, die den Suchtrupp gebildet hatten. Aber Ken sah entsetzlich aus. Im Grunde war er nur noch an seiner auffallenden großkarierten Jacke zu identifizieren. Sein Gesicht war nur noch eine blutige Masse, und auch sonst war er gräßlich zugerichtet. Anscheinend hatte er sich mit letzter Kraft hergeschleppt, bevor er sein Leben ausgehaucht hatte. Brad Wooley kehrte mit grünem Gesicht zu den anderen zurück. Sein Bericht war stockend, und er unterbrach ihn, weil er sich zum zweiten Male übergeben mußte. »Ich mache ihm seinen Sarg umsonst«, flüsterte er schließlich und warf Burt Tucker einen Blick zu, der ausdrücken sollte: an diesem Unglücklichen will ich nichts verdienen. Scheu drängten die Männer zu dem Toten. Doc Flake, der sich unter ihnen befand, kannte sich zwar hauptsächlich mit den körperlichen Leiden von Rindern und Pferden aus, doch daß Ken Craig nicht mehr zu helfen war, erkannte auch er sofort. Es mutete wie ein Wunder an, daß er es in seinem Zustand überhaupt noch bis zum Gasthof geschaffte hatte. Der zerfleischte Leichnam wurde fortgeschafft, und nun begannen die Spekulationen über den mutmaßlichen Täter. Daß es sich um ein reißendes Tier gehandelt haben mußte, stand außer Frage. Man schwankte nur noch zwischen einem Bären oder einem Wolf. Vermutlich hatte man es sogar mit einem ganzen Rudel zu tun, obwohl seit Jahrzehnten keines dieser Tiere mehr in der Gegend gesichtet worden war. Die Männer brachen auf, um nach den drei anderen zu suchen. Sie nahmen Laternen mit. Manche besaßen auch starke
Taschenlampen. Sie stießen bis zum Blackhead Forest vor. In das Gehölz drangen sie nicht ein. Wenn man sich bei Tage vor den Bestien nicht schützen konnte, dann war das im Dunkeln erst recht ausgeschlossen. Die Polizei mußte her. Nicht etwa Brad Wooley. Der Ärmste war überfordert. Er übernahm es lediglich, einen Bericht zu verfassen und nach Camington zu schicken. Diesmal konnte Inspektor Hammerbrook seine Unterstützung nicht wieder versagen. Wenn er schon nicht an Geister glaubte, so würde ihn der Anblick des armen Ken von der Notwendigkeit überzeugen, die Killerbestie zu jagen und zu erlegen. *** Hammerbrook kaute noch an dem Rüffel, den er von Chefinspektor Burns erhalten hatte. Zwar hatte dieser ihm ans Herz gelegt, nichts auf eigene Faust in dieser Sache zu unternehmen, aber in gewisser Weise fühlte sich der Polizeibeamte mitschuldig an dem Tod Ken Craigs. Vielleicht hätte er Brad Wooley doch seine Hilfe nicht versagen dürfen. Immerhin waren seine Männer viel besser ausgerüstet als die biederen Bauern, die allenfalls mit Mistgabeln und Dreschflegeln losziehen konnten. »Ross!« brüllte er, daß das ganze Dienstgebäude erzitterte. Als der Sergeant erschien, eröffnete er ihm, daß er zusammen mit Sergeant Duffy zum Blackhead Forest zu fahren habe, um das wilde Tier, das dort auf Raub ging, zu erschießen. Sergeant Ross war alles andere als erfreut. Dafür zeigte sich Duffy von der in Aussicht gestellten Jagd um so begeisterter. Er konnte es kaum noch erwarten, bis er das Wild vor dem Lauf hatte. Ross wußte, daß er seinen Boß nicht schon wieder erzürnen durfte. Er hatte in dessen Blick gelesen, daß er etwas
wiedergutzumachen hatte, sonst konnte es ihm passieren, daß er eines Tages nach Sunplace oder in ein anderes Dorf versetzt wurde, und bei aller Abneigung gegen Gewalt und Gefahr war das nicht gerade seine Zielvorstellung. Sunplace befand sich nur ungefähr drei Meilen von Camington entfernt, und genau zwischen beiden Orten erstreckte sich der Blackhead Forest. Die Polizisten waren mit modernen automatischen Gewehren ausgerüstet. Außerdem verfügten sie über eine großkalibrige Büchse, mit der sie auch einem Bären von ungewöhnlicher Größe und Zähigkeit zu Leibe rücken konnten. Schließlich besaßen sie ein leichtes Betäubungsgewehr für alle Fälle und natürlich ihre Dienstpistolen, die sie normalerweise nur für Schießübungen benutzten. Ihnen konnte also kaum etwas passieren. Trotzdem wurde Ross das Gefühl nicht los, daß er keine Gelegenheit mehr haben würde, die unerledigten Akten auf seinem Schreibtisch zu bearbeiten, und Duffy sah ihm diese Befürchtung an. »Was ist los mit dir?« spottete der um ein Jahr Jüngere. »Hast du die Hosen voll? Endlich ist mal was los in dieser langweiligen Tretmühle. Ich bin froh, daß der Alte mich ausgesucht hat und nicht Connell, der sich immer vordrängt.« »Connell hat Familie«, erinnerte Ross. »Ich glaube gar, du hast wirklich Schiß.« Duffy schüttelte amüsiert den Kopf. Zwanzig Minuten später verging ihm das Lachen. *** Als Gordon Black von dem toten Ken Craig und den drei neuerlichen Vermißten erfuhr, war er betroffen. Das wäre nicht nötig gewesen, hätte man sich an seine ausdrückliche Anweisung gehalten, nichts zu unternehmen, bis er eintraf. Richtig wütend wurde er aber erst, als er hörte, daß
Inspektor Hammerbrook schon in aller Frühe ein Zweimannaufgebot losgeschickt hatte, um das mordernde Ungeheuer zu jagen. »Wozu holt man mich extra her«, fragte er verständnislos, »wenn dann doch jeder macht, was er für richtig hält?« Auch Chef Inspektor Burns war ungehalten. Er hatte Blacks Wunsch ordnungsgemäß weitergegeben, mußte nun aber ebenfalls erkennen, daß seine Befehle nichts mehr zu gelten schienen. Hammerbrook wurde kleinlaut, als er dem breitschultrigen Dämonenjäger mit dem unerbittlichen Blick gegenüberstand. Diesen Mann, der seine Zeit mit Geisterspielchen vergeudete, hatte er sich ganz anders vorgestellt. Eine Karikatur, ein vertrottelter Spinner, mit dem man kein ernsthaftes Wort reden konnte. Er sah sich eines Besseren belehrt. »Die Wunden, die der Tote aufwies«, verteidigte er sich, »deuteten ganz klar auf ein Raubtier hin. Mit einer gezielten Kugel kann man diesem Spuk ein für allemal ein Ende bereiten.« »Sind Sie davon wirklich überzeugt?« erkundigte sich Gordon. »Aber natürlich«, versicherte der Inspektor eifrig. »Hätte man dann nicht schon früher Überreste von den Opfern finden müssen? Oder sind Sie immer noch der Ansicht, die übrigen Verschwundenen haben sich nur einen Spaß erlaubt?« Hammerbrook schwieg betreten. Zu gern hätte er dem Amerikaner, der angeblich aus Schottland stammte, eine scharfe Antwort erteilt. Ein windiger Rechtsanwalt hatte nicht das Recht, ihn zu maßregeln. Doch etwas hielt ihn zurück. Dieser Gordon Black kam ihm so vor, als würde er eher tiefstapeln. Bei dem mußte man mit Überraschungen rechnen. Außerdem machte seine niedliche Begleiterin einen gewaltigen Eindruck auf ihn. Sie bot einen ausgesprochen
erfreulichen Anblick. Zu gern hätte er gewußt, ob sie mit Black nur eine berufliche Beziehung verband. Er versuchte es mit einem Blick, der bei Frauen bisher meistens Erfolg gezeigt hatte, die Halbjapanerin schenkte ihm aber nicht das geringste Lächeln. Der Inspektor wurde noch mißmutiger und verfluchte im stillen Sergeant Ross, der ihm mit seiner Voreiligkeit dies alles eingebrockt hatte. »Ich brauche einen möglichst genauen Plan des Blackhead Forest«, verlangte Gordon Black. Hammerbrook holte die Karte und breitete sie vor dem Dämonenjäger aus. Der Wald besaß eine langgestreckte Form und verlief schräg zwischen Sunplace und Camington. An seiner schmalsten Stelle war er ungefähr eine Meile breit, in der anderen Richtung mindestens fünf. »Früher war er ein beliebtes Jagdgebiet«, berichtete Chefinspektor Burns. »Der Earl of Chromwood veranstaltete dort seine beliebten Jagdfeste, die manchmal zu wahren Orgien ausgeartet sein sollen. Das ist aber schon lange her. So an die dreihundert Jahre. Wild gibt es dort kaum noch. Besonders in der letzten Zeit haben sich die Tiere von dort verzogen. Aus irgendeinem Grund gefällt es ihnen in ihrem Heimatwald nicht mehr.« »Oder sie sind ebenfalls gerissen worden«, vermutete Gordon Black. »Alle?« Hammerbrook unterdrückte seinen Spott nicht. Dieser Amerikaner trug ein bißchen dick auf. Merkte er gar nicht, daß er sich mit seiner absurden Idee lächerlich machte? Gordon Black antwortete nicht Er war wegen des Suchtrupps beunruhigt und wollte ihm so schnell wie möglich folgen, um die Männer zurückzuschicken. Falls er Hilfe benötigte, konnten sie immer noch eingesetzt werden. »Können Sie die Stellen markieren, an denen offensichtlich Lebewesen verschwunden sind?« wandte er sich an Burns, der
ihm der deutlich Vernünftigere zu sein schien. Der Chefinspektor hob bedauernd die Schultern. »Ich stecke leider zu wenig in dem Fall«, bekannte er »Da muß uns Inspektor Hammerbrook helfen.« »Woher soll ich das wissen? Ich bin nach wie vor der Meinung, daß sich das Rätsel auf ganz natürliche Weise aufklären wird.« »Zumindest Ken Craig würde Ihre Auffassung nicht teilen«, entgegnete Gordon Black kalt. »Ich nehme an, der kleine Ted Hally hat angegeben, wo sich die Spur der Kuh verlor. Außerdem sind möglicherweise die Pilzplätze Daniel Cools bekannt. Auch dürfte festliegen, welchen Weg der Besuch der Colmans vom Bahnhof aus durch den Wald genommen hat.« Hammerbrook bog die Mundwinkel nach unten. Dieser Kaugummifresser hatte vielleicht eine Ahnung. »Ich habe mir sagen lassen«, meinte er herablassend, »daß der alte Cool seine Fundstellen so geheimgehalten hat, daß die CIA von ihm noch etwas hätte lernen können. Der Hally-Bengel war so verwirrt, daß er nur lauter Unsinn redete, und vom Bahnhof aus führen drei Wege durch den Blackhead Forest nach Sunplace. Sie können alle benutzt worden sein, sofern die Browns überhaupt jemals in Camington eingetroffen sind, was ich bezweifle.« Gordon Black sah ein, daß der Inspektor keine große Hilfe war. Er erlebte es leider oft, daß sein Eintreffen als persönlicher Angriff von den Behörden gewertet wurde. Es war noch ein weiter Weg, bis sich endlich überall die Erkenntnis durchgesetzt hatte, daß sein Wirken allen Menschen Nutzen brachte und daß ihm keineswegs daran lag, recht zu behalten oder den Ruhm einer Verbrechensaufklärung für sich zu beanspruchen. Sein einziger Trost war, daß er in aller Regel auch die Zweifler irgendwann überzeugen konnte. Viele hatten allerdings ihren Unglauben auch schon teuer bezahlen müssen.
Gordon Black gab Anweisung, einen Wagen für ihn bereitzustellen und Ross und Duffy über Funk zurückzurufen. Inspektor Hammerbrook schüttelte verwundert den Kopf. Er enthielt sich aber eines Kommentars, bis Gordon Black und seine Begleiterin das Büro verlassen hatten. Dann meinte er belustigt: »So gefährlich, wie der Amerikaner mir weismachen will, kann die Angelegenheit nicht sein, sonst würde er das zerbrechliche Püppchen nicht mitnehmen. Ich wette, daß ihm meine Männer vorführen, was gute, solide Polizeiarbeit ist. Der Kerl hat längst einen Dämpfer verdient.« *** Sergeant Ross und Sergeant Duffy waren weit davon entfernt, gute Polizeiarbeit zu leisten. Das lag aber nicht an den Männern, sondern an den ungewöhnlichen Umständen. Ross, der neben Duffy im Wagen saß und immer wieder die Waffen überprüfte, war sehr still. Dafür redete sein Kollege pausenlos. Ihm machte der Einsatz mächtigen Spaß. »Endlich mal was anderes, als immer nur in der muffigen Schreibstube zu hocken und den Kopf für die Launen des Alten hinzuhalten«, sagte er. »Paß auf, Ross, wir machen uns einen vergnügten Tag. Keiner kann uns kontrollieren. Wir müssen sehr gewissenhaft nach dem blutrünstigen Vieh suchen. Das erfordert Zeit. Vor heute abend sind wir keinesfalls zurück.« »Hoffentlich kommen wir überhaupt jemals wieder zurück«, warf Ross ein. Duffy blickte ihn von der Seite an, während er den Wagen langsam über einen der etwas verwilderten Wege steuerte. »Du hast doch nicht etwa Angst?« »Hast du den Leichnam von Ken Craig gesehen?« fragte Ross zurück. »Sah scheußlich aus«, gab der andere zu, »aber der Bursche hat auch nicht mit einem Bären oder etwas Ähnlichem
gerechnet. Wir sind bewaffnet wie ein halbes Regiment. Wir können ein regelrechtes Scheibenschießen veranstalten. Dabei brauchen wir wahrscheinlich noch nicht mal den Wagen zu verlassen. Wo soll da das Risiko sein?« Ross schwieg. Erklären konnte er seine Furcht auch nicht, aber sie war nun mal vorhanden und zwar mit solcher Intensität, daß ihm richtig schlecht war. Er verfluchte seinen Job und den Umstand, daß er sich an Chefinspektor Burns gewandt hatte. Dadurch war die Sache erst richtig ins Rollen gekommen. Er zuckte zusammen und lauschte. »Hast du nichts gehört?« Duffy lachte rauh. »Na klar! Ich höre ganz deutlich, wie du dir in die Hosen machst.« »Idiot! Halte mal an! Da ist irgend so ein Geräusch.« Duffy trat auf die Bremse und kuppelte aus. Den Motor ließ er laufen. »Ich höre nichts«, stellte er fest. »Mußt du mal hintern Baum?« »Stell den Motor ab! Es ist ganz in der Nähe. Ein Knacken, als liefe jemand über dürre Äste.« Duffy seufzte, drehte aber den Zündschlüssel und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. Die plötzliche Stille war fast körperlich. Sie wurde lediglich durch ein Geräusch unterbrochen, daß sich genauso anhörte, wie Ross es beschrieben hatte. »Ob er das ist?« fragte Duffy und langte nach der schweren Büchse. »Wer?« »Der Wolf oder der Bär. Was weiß ich? Kannst du was erkennen?« Sergeant Ross besaß von ihnen die besseren Augen, aber so sehr er sie auch anstrengte, es war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Aber das Knacken blieb. Es wurde sogar stärker. Es mußte
ganz in der Nähe verursacht werden. Seltsam, daß nichts zu sehen war! Auch Sergeant Ross zog ein Gewehr heran. Er blickte sich um. Dort lag nur der Weg, den sie benutzt hatten. Alles schien völlig normal zu sein. Bis auf das Knacken. Ross begann zu schwitzen. »Ich werde noch verrückt«, murmelte er. »Im Wald knackt es immer irgendwo«, verkündete Duffy unbeeindruckt. »Wahrscheinlich ist es ein Fuchs oder etwas anderes Harmloses.« Man sah ihm die Enttäuschung an, daß er noch nicht durch die Gegend ballern durfte. Wann hatte er schon mal Gelegenheit dazu? »Fahren wir weiter«, schlug Ross vor. Duffy nickte. Er ließ den Motor an, doch nichts rührte sich. »Verdammt! Was hat denn das zu bedeuten? Eben ist er doch noch gelaufen.« Auf der Stirn von Sergeant Ross bildeten sich feine Schweißperlen. »Das habe ich befürchtet«, wisperte er kläglich. »Wir müssen von hier fort.« »Fort? Und der Wagen? Willst du ihn hier stehenlassen?« »Du siehst doch, daß er nicht funktioniert«, fauchte Ross, der ungeduldig wurde. Unsicher blickte er sich nach allen Seiten um. »Dann sehen wir eben nach und bringen ihn wieder auf Trab. Vermutlich sind es nur die Zündkerzen. Das werden wir gleich haben.« Er sprang aus dem Wagen und öffnete die Motorhaube. »Nimm das Gewehr mit«, riet Ross und reichte dem Kollegen die Waffe heraus. »Was soll ich jetzt damit?« erkundigte sich Sergeant Duffy wütend. »Gib mir lieber einen Schraubenschlüssel. Das Werkzeug liegt im Kofferraum.« Ross schluckte. Der Gedanke, den halbwegs sicheren Wagen verlassen zu müssen, schmeckte ihm ganz und gar
nicht. Er sah aber ein, daß kein Grund zur Panik vorhanden war. Er mußte sich wirklich zusammenreißen. Er holte das Werkzeug und brachte es nach vorn. Dabei legte er sein Gewehr nicht aus der Hand. »Hilf mir gefälligst!« schimpfte Duffy, der den Fehler nicht gleich fand. An den Zündkerzen lag es entgegen seiner Vermutung nicht. »Ein Mechaniker sollte sich darum kümmern«, fand Ross. »Der versteht mehr davon.« »Blödsinn!« schnauzte Duffy. »Die Mühle kriegen wir selber flott. Was soll der Quatsch? Schaukle nicht so herum! Wie soll ich denn dabei den Schraubenschlüssel ansetzen?« »Ich schaukle nicht«, verteidigte sich Ross. »Warum sollte ich…?« Seine Augen weiteten sich. Der Wagen wippte deutlich auf und ab. Dabei befand sich niemand mehr darin. Nun sah auch Sergeant Duffy ein, daß der Kollege keine Schuld daran trug. Er kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. »Versteh ich nicht«, sagte er. »Wieso…?« Weiter kam er nicht. In unmittelbarer Nähe verstärkte sich das eigenartige Knacken. Es krachte und barst. Eine riesige Kiefer schwankte hin und her und neigte sich schließlich vornüber. »Sie stürzt«, schrie Ross und riß Duffy mit sich fort. »Verdammt! Wie konnte das geschehen?« Sie rannten los und brachten sich in Sicherheit, während hinter ihnen der Baum immer schneller umstürzte und schließlich genau auf den Wagen donnerte. Das Geräusch von sich faltendem Blech klang unangenehm in ihren Ohren. Beide Polizisten dachten in diesem Augenblick dasselbe: Wenn wir da noch dringesessen hätten! Der Wagen wurde regelrecht zermalmt. Aus dem Motor schoß eine grelle Stichflamme, die wie eine Fackel emporzüngelte. Aber noch immer war keine Ursache für das Unglück zu erkennen.
Duffy hob sein Gewehr zur Hüfte und näherte sich vorsichtig dem Autowrack, das dabei war auszubrennen. Er schob sich leicht geduckt vorwärts und wirkte wie ein Jäger, der sich an das Wild heranpirschte. Doch der Wagen konnte unmöglich sein Gegner sein, und die Kiefer, die quer über ihm lag, hatte ebenfalls ihre Gefährlichkeit verloren. Sie war mitsamt ihren Wurzeln aus der Erde gebrochen, und diese Wurzeln sahen durchaus nicht morsch aus. Sie waren stark und kernig. Trotzdem hatten sie den Baum nicht halten können. Sergeant Ross wurde blitzartig bewußt, daß sie ihres einzigen Schutzes, den der Wagen gebildet hatte, beraubt worden waren. Er glaubte nicht an einen Zufall und mußte sich zwingen, nicht davonzulaufen und Duffy im Stich zu lassen. »W-wir müssen den Vorfall melden«, sagte er hoffnungsvoll. Er wünschte, daß der andere sich einverstanden erklärte, den Rückweg anzutreten. Aber Duffy schüttelte erwartungsgemäß den Kopf. »Willst du, daß der Alte uns zur Sau macht, wenn wir ohne Ergebnis zurückkommen? Das Auto ist hin. Die Waffen, die sich noch darin befunden haben, kann man auch nicht mehr gebrauchen, und von unserem geheimnisvollen Wolf haben wir noch nicht mal die Rutenspitze zu sehen bekommen.« »Der Baum«, keuchte Ross, »das hat doch etwas zu bedeuten, Duffy. Der Anschlag galt uns. Wir haben nur unverschämtes Glück gehabt.« »Glück!« sagte Duffy wütend. »Glück stelle ich mir anders vor. Wenn du mich mit deinem dämlichen Knacken nicht genervt hättest, würden wir jetzt intelligenter aus der Wäsche gucken. Nein, wir haben allen Grund, diese Scharte wieder auszuwetzen.« Ross starrte das gewaltige Wurzelwerk an. Es wollte ihm nicht in den Kopf, was diesen Baumriesen zu Fall gebracht haben mochte.
Zögernd näherte er sich dem Krater, der sich gebildet hatte, und warf einen Blick hinein. Entsetzt zuckte er zurück. Er verfärbte sich, und sein Unterkiefer geriet in heftige Auf- und Abbewegung. Ein vernünftiges Wort brachte er allerdings nicht hervor. Duffy sah mißbilligend, wie lächerlich sich der Kollege benahm. Und das wollte ein Polizist sein. Er schämte sich, daß sie beide den gleichen Dienstgrad innehatten. »Siehst du Gespenster?« forschte er. Im nächsten Augenblick verstummte auch er, und seine Gesichtsfarbe erinnerte ebenfalls nicht an einen Helden. Über den Rand des Erdkraters kroch eine bleiche, menschliche Hand. Eine zweite folgte. Beide krallten sich in den Waldboden und arbeiteten sich weiter vor. Genau auf die Männer zu, die zu keiner Bewegung, zu keinem Laut fähig waren. Beide dachten das gleiche. Ein Toter steigt aus seinem Grab. Er hat die Kiefer entwurzelt. Er muß unvorstellbare Kraft besitzen. Aber es war kein Toter, keiner, der zu den Lebenden zurückgekehrt war. Die Hände schoben sich weiter. Andere folgten. Sie hatten die unwahrscheinlichsten Formen. Einige ähnelten Klauen, dann gab es Krallen, Zangen und Scheren. Ein schmatzendes Geräusch hinter ihrem Rücken riß die beiden Polizisten aus ihrer Erstarrung. Sie wirbelten herum und versteiften sich erneut. Unter dem demolierten Auto krochen ebenfalls weiße Greifwerkzeuge hervor, und auch von der Seite näherten sie sich. »Der Himmel sei uns gnädig!« flüsterte Ross. Er dachte an Ken Craig und wußte im selben Moment, daß sie weder nach einem Wolf noch nach einem Bären zu suchen brauchten. Sie hatten die Übeltäter vor sich. Die Erdschollen brachen auseinander. Dicke, bleiche Leiber
quollen hervor. Und immer mehr Greifglieder erschienen. Hände und Zangen und Scheren, die nach ihnen griffen, sie aber nicht erreichten. Noch nicht. Duffy fing sich als erster. Er fühlte die Waffe zwischen seinen Fäusten und wurde bedeutend ruhiger. Er wollte sich schon Respekt verschaffen, wenn die Erscheinungen auch noch so grausig aussahen. Er riß das Gewehr hoch und zielte auf eine der Kreaturen, die ihm am nächsten war. Nun erwachte auch Ross aus seiner Lähmung. »Nicht schießen!« schrie er entsetzt. »Es sind doch Menschen. Wir müssen mit ihnen reden.« »Menschen?« Duffy lachte hysterisch auf. »Spinnen sind es. Ekelhafte Spinnen. Siehst du nicht ihren plumpen Körper und die vielen Gliedmaßen?« »Aber sie tragen menschliche Köpfe. O Gott! Das glaubt uns kein Mensch.« »Sie werden uns glauben müssen.« Duffy zog den Drücker durch. Der Rückstoß der schweren Waffe war so stark, daß der Sergeant den Kolben der Waffe hart an der Schulter spürte und wütend fluchte. Die Kugel konnte aus dieser kurzen Distanz unmöglich ihr Ziel verfehlt haben, aber das Ungeheuer, das er sich aufs Korn genommen hatte, krümmte sich nicht und trat auch nicht wenigstens den Rückzug an. Die Kugel schien durch es hindurchgegangen zu sein, ohne den geringsten Schaden anzurichten. »Verteufelte Spinnenbrut!« kreischte Duffy, während er den nächsten Schuß abfeuerte. Ross sah, daß sein Gefährte wieder gefehlt hatte. Eine düstere Ahnung beschlich ihn. Diese riesigen Spinnen mit den Menschenköpfen, deren Gesichter gräßlich verzerrt waren, konnte man nicht mit einer Kugel töten. Sie kamen wahrscheinlich direkt aus der Hölle.
Die unheimlichen Lebewesen sahen in der Tat schrecklich aus, und sie ließen sich durch Duffys wilde Knallerei nicht beeindrucken. Sie rückten immer dichter heran. Ihre Münder waren zum Teil geöffnet. Auch ihre Lippen waren weiß, doch an einigen klebten rote Krusten. Zweifellos Blut. Das Blut von Ken Craig? Ross zweifelte nicht mehr daran. Ihre roten Augen schienen zu glühen. Ein diabolisches Feuer loderte in ihnen. Duffy fluchte und tobte unentwegt. Dabei gab er Schuß um Schuß ab. Er erreichte damit aber nur, daß sich stinkender Pulverdampf ausbreitete. Ein verletztes Scheusal gab es bislang nicht. Die Brut wurde kühner. Eines der spinnenartigen Ungeheuer schob sich in beängstigendem Tempo vorwärts, und die Biester unter dem Autowrack kamen nun auch vollends hervorgekrochen und zeigten sich in ihrer vollständigen Abscheulichkeit. Duffy hatte das Magazin leergeschossen. Er griff nach seiner Pistole, aber die hatte er irgendwo verloren. Wahrscheinlich lag sie noch im Wagen. Er blickte sich gehetzt um. Die vielen greifenden Glieder befanden sich knapp vor ihm. Gleich würden sie ihn packen, und die gräßlichen Mäuler konnten in Aktion treten. Er hob das Gewehr und schlug damit um sich. Dabei war es ihm egal, daß er versehentlich Sergeant Ross traf, der daraufhin ein paar Schritte zurücktaumelte. Die weißen Bestien stürzten sich auf den Gestrauchelten. Ross langte nach dem Automatikgewehr, das er bei dem Sturz verloren hatte. Ein derber Schuh trat auf seine Hand. Er schrie auf, denn er glaubte, daß es sich um eines dieser abstoßenden Kreaturen handelte. Es war aber Sergeant Duffy, der sich mit irrem Geschrei auf die Waffe warf und sie an sich riß.
»Sie gehört mir«, kreischte er. »Ich brauche sie. Ich muß sie alle erschießen, sonst bringen sie mich um.« Das Flackern in seinen Augen verriet, daß er auf dem besten Wege war, den Verstand zu verlieren. Ross dachte nicht daran, sich seiner einzigen Waffe berauben zu lassen. Obwohl er nicht damit rechnete, daß sie ihm etwas nützte, so wollte er sich doch daran festklammern. Vor allem aber loderte ein wilder Haß gegen Duffy auf, der sich nicht scheute, ihn den Ungeheuern auszuliefern. Es war zu spät. Sergeant Duffy hatte den Karabiner bereits an sich gebracht und begann zu schießen. Gegen das großkalibrige Gewehr hörte sich diese Waffe harmlos an. Das war sie auch. Jedenfalls für die bleichen Monster, die inzwischen einen engen Kreis um die beiden Polizisten gebildet hatten und ihre Mäuler gierig aufrissen. Jetzt sah auch Sergeant Duffy ein, daß ihn nichts mehr retten konnte. Die Biester stellten sich als unverwundbar heraus. Sie waren zwar nicht übermäßig schnell, aber zum Davonlaufen war es längst zu spät. Er hatte zuviel Zeit vergeudet. Ablenken, dachte er gehetzt. Ich muß sie von mir ablenken. Wenn sie ein Opfer haben, werden sie mich für eine Weile in Ruhe lassen. Diese Sekunden benutze ich dann, um mich durchzuschlagen. Er sah Ross auf dem Boden knien. Der Kollege war gerade dabei, sich vollends aufzurichten. Die Menschtiere, die absolut nackt und unbehaart waren, schienen noch nicht schlüssig zu sein, wen sie zuerst töten sollten. Duffy lachte böse auf. Er wollte ihnen die Entscheidung abnehmen. Er richtete den Karabiner auf seinen Gefährten, und dieser blickte ungläubig in die tödliche Mündung. »Das darfst du nicht tun, Duffy«, kreischte er. »Du kannst mich nicht ermorden. Wir sitzen doch im selben Boot. Nein!« Der Schuß löste sich, das Mündungsfeuer blitzte auf.
Ross schwankte, aber er fiel nicht. Er spürte auch keinen Schmerz. Nur Entsetzen und namenloses Grauen. Duffy schrie auf. Sein Schuß hätte unweigerlich getroffen und seinen Gefährten getötet, wären nicht in diesem Moment die weißen Scheusale über ihn hergefallen. Sie bedeckten ihn mit ihren plumpen Leibern. Ekelhafte, schlürfende Laute füllten die Stille. Das Wimmern des Ärmsten erstarb. *** Gordon Black trat das Gaspedal bis zum Bodenblech durch. »Weißt du die ungefähre Stelle?« erkundigte er sich. Die Asiatin nickte. »Wenn wir den mittleren Weg benutzen, müßten wir mit größter Wahrscheinlichkeit einen der Tatorte erkennen, oder den Suchtrupp finden.« »Hoffentlich kommen wir noch zurecht. Dieser Hammerbrook scheint einer von den besonders sturen Typen zu sein. Anweisungen oder Belehrungen entgegenzunehmen, ist für den eine Schande.« »Wenn es sich wirklich um einen Werwolf handelt, wird er sich tagsüber verkriechen«, vermutete die Frau. »Diese Bestien werden erst nachts aktiv.« »Hoffen wir es, sonst sehe ich für Sergeant Ross und Sergeant Duffy schwarz.« Wie zur Bestätigung wehte der Klang eines Schusses zu ihnen herüber. Gordon Blacks Gesicht verhärtete sich. Tiefe Falten bildeten sich an seinen Mundwinkeln. Die Wangenknochen traten so stark hervor, daß sie fast die Haut sprengten. »Da haben wir die Bescherung«, zischte er. »Der Tanz geht schon los.« Weitere Schüsse waren zu hören. Es waren tiefe, durchdringende Laute. Vermutlich benutzten sie das Großwildgewehr, von dem der Inspektor gesprochen hatte.
Dann handelte es sich mindestens um einen Bären. Gordon Black konnte aus dem klapprigen Auto, das man ihm zur Verfügung gestellt hatte, kein höheres Tempo herausholen. Aber es war nicht mehr weit, und die Schüsse, die noch immer nicht verstummten, ermöglichten eine genaue Orientierung, selbst wenn man die Verzerrung des Schalls durch die Bäume berücksichtigte. Hanako Kamara behielt recht. Er mußte den mittleren Weg befahren. Dort war die Schießerei im Gange. Es war nur ein einziges Gewehr zu hören. Lebte der andere Polizist schon nicht mehr? Jetzt keifte ein Karabiner. Ganz schwache Schreie waren zu vernehmen. Es waren menschliche Schreie, wenn sie auch im höchsten Diskant ausgestoßen wurden. Sie erreichten den Weg. Hanako kontrollierte ein letztes Mal die Waffen, die sie mitgenommen hatten. Es hatte alles sehr schnell gehen müssen. Deshalb hatten sie auf die wirksamsten Gegenstände verzichtet. Sie hoffte nur, daß sich das nicht rächte. Ein gellender Hilferuf ließ beide zusammenzucken. Ähnliches hatten sie schon häufig hören müssen. Es war der letzte Laut, den ein Mensch von sich gab. Danach folgte allenfalls noch ein Röcheln. Gordon Black blickte nach vorn. Noch war außer dichtem Buschwerk und stolzen Baumstämmen nichts zu erkennen. Ein aufgeschreckter Hase lief ihnen genau vor den Kühler. Gordon bremste und riß den Wagen an dem unschuldigen Tier vorbei. Ganz ausgestorben war der Wald also doch noch nicht. Es gab noch zumindest vereinzelte Tiere. Weiter vorn war jetzt alles still. Die Schüsse hatten aufgehört. Auch das Schreien war verstummt. Das war kein gutes Zeichen. Gordon Black schaltete die Scheinwerfer ein. Wenn das Untier sie entdeckte, ließ es möglicherweise von seinen
augenblicklichen Opfern ab. Viel Hoffnung bestand allerdings nicht. »Da!« Hanako Kamara fuchtelte aufgeregt mit ihrem Zeigefinger vor Gordons Nase. Sie deutete nach rechts, wo sie eine Bewegung wahrgenommen hatte. Beide machten sich auf einen Angriff gefaßt. Ihr noch unbekannter Gegner hatte sie angenommen. Jetzt sah auch der Dämonenjäger, daß sich in dem Buschwerk etwas verbarg. Mit dem Wagen konnten sie nicht hinfahren. Zu Fuß war es zu gefährlich, solange sich ihr Widersacher nicht blicken ließ. »Soll ich einen Warnschuß abgeben?« fragte Hanako. Ihre weiblichen Züge zeigten erstaunliche Entschlossenheit. »Warte noch! Erst müssen wir wissen, mit wem wir es zu tun haben. Vielleicht sind es auch mehrere.« Er stoppte den Wagen und gab Hanako einen Wink. »Übernimm du! Fahre möglichst dicht an den Halunken heran. Ich will versuchen, ob ich ihn überrumpeln kann.« Die Asiatin kannte ihren Boß. Sie wußte um seine kämpferischen Fähigkeiten. Dennoch könnte sie sich eine Bemerkung nicht verkneifen: »Wenn das nur gutgeht!« Gordon Black tauschte mit ihr den Platz. Dann griff er an seine Taille, um die er eine rote Schnur befestigt hatte. An ihr hing sein Hexenmesser, von dem er sich nur im äußersten Notfall trennte. »Ich bin bereit«, raunte er seiner Mitarbeiterin zu, Der Wagen fuhr an, stoppte aber sofort wieder. Aus dem Gebüsch brach eine Gestalt hervor, die mit allen Anzeichen der Feindseligkeit auf den Wagen zurannte. Das Wesen war total mit Dreck und Blut verschmiert. Das Gesicht war kaum zu erkennen, trotzdem wußte Gordon Black, wen er vor sich hatte. Er sah es an der Uniform, die der Mann trug. Es war einer der beiden Polizeibeamten, die Inspektor Hammerbrook losgeschickt hatte, um das Rätsel des Blackhead
Forest aufzuspüren. Der Mann schrie auf, warf sich auf die Knie, kratzte mit den bloßen Händen Erde und Steine zusammen und schleuderte das Zeug gegen die Insassen des Autos. Dabei verursachte er einen Spektakel, als wollte er sämtliche bösen Geister vertreiben. Gordon Black sprang aus dem Wagen und lief auf den offensichtlich Verwirrten zu. »Beruhigen Sie sich, Mann!« rief er, »Sie haben von uns nichts zu befürchten. Wir kommen von Inspektor Hammerbrook. Sind Sie Ross oder Duffy?« »Spinnen!« heulte der Ärmste. »Lauter Spinnen. So groß wie Kühe und ganz weiß.« Er stieß ein irres Lachen aus und schlenkerte mit den Armen. »Bumm, bumm! Er wollte mich abknallen. Haha! Jetzt hat es ihn selbst erwischt. Sie haben rote Augen, so rot wie zermatschte Tomaten.« Wieder warf er sich auf die Erde und wühlte im Dreck. Durch seinen Körper ging ein Zucken. Dann richtete er sich auf, und der Dämonenjäger sah, daß sein Gesicht tränenüberströmt war. »Kommen Sie zu sich! Was ist passiert? Wo ist Ihr Kollege?« »BIut!« röchelte der Sergeant. Sein Blick war leer. »Überall Blut. Und Spinnen. Gräßliche Spinnen mit großen Köpfen. Du bist auch eine Spinne. Warte, ich zertrete dich.« Er stampfte mit dem Fuß auf, aber die Bewegung war lächerlich schwach und ohne Energie. Der Mann war zerbrochen. Am Körper, aber vor allem am Geist. »Der Beschreibung nach müßte es Ross sein«, flüsterte Hanako Kamara, die die Umgebung im Auge behielt. »Er muß Fürchterliches durchgemacht haben.« »Aber er lebt. Vielleicht kann ich Duffy auch noch retten.« »Die Hände!« wimmerte Ross. »Sie greifen nach mir. Es sind so viele. Schlagt sie tot! Schlagt die Biester doch endlich tot!« Er schluchzte wie ein Kind. Die Erinnerung ließ ihn nicht los.
Gordon Black mußte schnell handeln. Er wandte sich zu seiner Assistentin um. »Du bringst ihn nach Camington«, befahl er. »Ich suche Duffy.« »Allein?« »Natürlich allein! Hole den Koffer mit den übrigen Waffen, aber bleibe auf jeden Fall außerhalb des Waldes. Wir treffen uns dort, wo dieser Weg beginnt. Warte dort auf mich! Und erkläre Chefinspektor Burns, was hier geschehen ist.« Die Halbjapanerin blickte ihren Boß besorgt an. »Sei vorsichtig, Gordon!« bat sie mit weicher Stimme. »Worauf du dich verlassen kannst«, versicherte der Dämonenjäger. »Diesem grausamen Spuk werde ich ein Ende bereiten.« Er führte Ross zum Wagen, und der Sergeant setzte sich nicht zur Wehr. Er wimmerte nur ständig etwas von riesigen Weißlingen mit gierigen Mäulern, die Blut soffen und doch Spinnen waren. »Beeile dich, daß du ihn bei Inspektor Hammerbrook ablieferst«, mahnte Gordon Black. »Ich glaube nicht, daß er unterwegs aggressiv wird, aber wissen kann man das nie. Vorläufig steht er unter einem mächtigen Schock, und da ist er unberechenbar.« Sie trennten sich. Hanako wendete den Wagen und brauste davon, während Gordon auf dem Weg weiterlief und gespannt war, was er vorfinden würde. *** Er konnte die Stelle nicht verfehlen. Der zerquetschte Polizeiwagen, über dem die Kiefer lag, war eine eindeutige Markierung. Gordon Black fand auch den riesigen Erdkrater, in dem noch vor kurzem die Wurzeln des gestürzten Riesen verankert
gewesen waren. Sonst entdeckte er nichts, weder Sergeant Duffy, noch die rätselhaften Wesen, von denen Ross phantasiert hatte. Spinnen? Das mußten schon erstaunliche Exemplare sein, wenn sie diese uralte Kiefer ausgegraben hatten. Er suchte nach Kampfspuren. Diese waren in der Tat reichlich vorhanden. Jedenfalls war der belaubte Boden an etlichen Stellen aufgewühlt, hier und dort lagen gewaltsam abgerissene Äste herum, und unter einem Haufen welker Blätter sichtete er eine leergeschossene Donnerbüchse. »Junge, Junge!« murmelte er. »Der hätte kein Nashorn widerstanden. Entweder hat der Unglückliche in der Aufregung danebengeschossen, oder die Angreifer waren nicht Bewohner des irdischen Daseins. Denen kann man freilich nicht mit gewöhnlichen Geschossen beikommen.« Aber wo war Duffy? War ihm ebenfalls die Flucht gelungen? Hielt er sich in der Nähe versteckt, weil er möglicherweise verletzt war? Blut war nicht zu entdecken. Nicht ein einziger Tropfen. Gordon Black rief sich die gestammelten Worte Sergeant Ross’ ins Gedächtnis: Er wollte mich abknallen. Jetzt hat es ihn selbst erwischt. Demnach hatten beide den klaren Verstand verloren, aber Duffy war den Spinnen – Weißlinge hatte Ross sie genannt – zum Opfer gefallen. Es würde schwierig sein, das zu beweisen, denn die Biester hatten sich offenbar in Luft aufgelöst. Gordon Black überlegte, wie die beiden schwerbewaffneten und motorisierten Polizisten derart in eine Falle gelockt werden konnten. Als der Baum umstürzte, hatten sie beide nicht mehr im Wagen gesessen, sonst wäre keiner mit dem Leben davongekommen. Sie hatten also einen Grund auszusteigen, und zwar beide.
Existierten wirklich derart überdimensionale Spinnen, hätten sie diese zweifellos vom Auto aus unter Beschuß genommen, falls sie nicht überhaupt vor Schreck davongerast wären. Der Dämonenjäger nahm den Wagen näher in Augenschein. Er war überzeugt, hier einen Hinweis zu finden. Tatsächlich entdeckte er zu seiner Überraschung auf der Rückbank weitere Schußwaffen und eine beträchtliche Menge Munition. Er versuchte, ob das Funkgerät noch funktionstüchtig war. Damit hätte er sich mit Inspektor Hammerbrook in Verbindung setzen können. Leider wurde seine Hoffnung nicht erfüllt. Das Gerät war erheblich zu Schaden gekommen. Es war schrottreif. Als Gordon Black die unmittelbare Gefahr witterte, war es bereits zu spät. Instinktiv vollführte er einen Sprung zur Seite, um sich dem nur geahnten Angreifer zu entziehen. Dabei landete er jedoch genau vor zwei bleichen Händen, die augenblicklich nach seinen Füßen griffen und sie nicht mehr freigaben. Er hat nicht phantasiert, schoß es ihm durch den Kopf. Ross hat die Wahrheit gesagt. Alles stimmt, wahrscheinlich auch das mit den riesigen Spinnen. Auf die Bestätigung brauchte er nicht zu warten. Hinter dem Autowrack kroch ein gräßliches Monstrum hervor, dessen kugeliger Spinnenleib wie ein Panzer wirkte. Es besaß zwar einen menschenähnlichen Kopf, aber der Haß darin mußte eher satanisch genannt werden. Gordon Black griff nach seinem Hexenmesser und löste es in Windeseile von der roten Schnur. Er fühlte, wie ihn eine Zentnerlast in die Tiefe zu ziehen drohte. Der Boden unter ihm gab nach. Er versank und konnte nichts dagegen tun. Die Spinne griff ihn an. Ihr Maul war weit aufgerissen. Winzige, aber bedrohlich scharfe Zähne blitzten ihm entgegen. Die vorderen Beine, die in Menschenhänden endeten, griffen nach ihm.
Er stieß mit dem Athame zu, hatte auch einen bescheidenen Erfolg, denn der Spinnenarm zuckte reflexartig zurück. Aus dem Maul drang ein wütendes Zischen. Gordon Black schöpfte Hoffnung. Das Messer funktionierte also offensichtlich. Damit konnte er sich aus dem bedrohlichen Griff befreien. Er wollte auf die Hände einstechen, die ihn mehr und mehr in die Erde zogen, aber sie waren verschwunden. Voller Entsetzen erkannte er, daß sich der Griff um seine Fußgelenke zwar noch nicht gelockert hatte, daß er aber längst bis zu den Knien fest im Waldboden steckte. Sein Gegner hatte sich geschickt seinem Zugriff entzogen. Ihm blieb keine Zeit, über die Konsequenzen nachzugrübeln. Die Spinne vor ihm drehte sich gerade um, und aus einer häßlichen Warze im Hinterteil schoß sie einen klebrigen Faden gegen ihn, den er in letzter Sekunde mit dem Dolch abwehrte. Als die Klinge auf den Spinnfaden traf, zuckte heller Feuerschein über den Weg. Das Monsterinsekt röchelte vor Wut. Es schickte ihm eine zweite, wesentlich ergiebigere Ladung, und sie hätte ihn voll am Kopf getroffen, wäre er nicht in diesem Moment mit einem energischen Ruck weiter nach unten gezerrt worden. Ein zweifelhafter Triumph! Nun steckte er bis zur Hüfte fest. Er konnte mit dem Oberkörper noch eventuellen Angriffen ausweichen, doch dazu war er auch nicht mehr lange fähig. Der nächste Ruck machte ihn endgültig zum Gefangenen der greifenden Hände. Gordon Black verlor trotz dieser bedenklichen Situation nicht die Nerven. Noch lebte er, noch war er demzufolge nicht verloren. Schon öfter hatte er sich in einer Lage befunden, in der andere sich längst aufgegeben hätten. Er war entschlossen, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. Die Spinne vor ihm erkannte, daß er ihr mehr oder weniger hilflos ausgeliefert war. Sie kroch näher und schlug so
unvermittelt nach ihm, daß er das Hexenmesser nicht festhalten konnte. Es entglitt ihm, und bevor er erneut danach greifen konnte, war das gefräßig aufgerissene Maul mit den furchteinflößenden Kauwerkzeugen über ihm und schickte sich an, ihn auszusaugen. Ekelhaft stinkender Atem schlug ihm entgegen. Er roch nach fauligem Blut, zweifellos nach dem Blut der Opfer, das dieses Monstrum vor ihm getötet hatte. Gnade hatte er nicht zu erwarten. Er wehrte die Bestie mit der bloßen linken Faust ab, während die rechte verzweifelt nach dem Athame tastete. Ein freudiger Schreck durchzuckte ihn, als er mit den Fingerspitzen gegen die Klinge stieß. Er reckte sich, so gut es nur eben ging, schlug auf den häßlichen Kopf ein und wollte den Dolch fassen. Da glaubte er, in Stücke gerissen zu werden. Höllischer Schmerz durchflutete ihn von den Zehenspitzen bis zu den Haarwurzeln. Sein Unterkiefer schlug auf etwas Hartem auf. Er biß sich auf die Zunge und hätte am liebsten aufgeschrien. Das Ungeheuer schnappte nach ihm, verfehlte ihn aber, denn er versank nun endgültig in der Erde. Es wurde dunkel um ihn. Das Hexenmesser das er schon erneut in seinem Besitz geglaubt hatte, war für immer für ihn verloren. *** Für Augenblicke verlor Gordon Black die Besinnung. Als er wieder zu sich kam, hatte er keine Ahnung, wie lange die Höllenfahrt gedauert hatte. Lediglich Bruchteile von Sekunden oder aber eine Ewigkeit? Nur soviel wußte er: er lebte noch, und er war in der Lage, sich zu bewegen. Mit einem raschen Blick versuchte er sich zu orientieren. Er entsann sich der Hände, denen er diese unfreiwillige Reise zu
verdanken hatte, und war sofort hellwach. Zu diesen Händen gehörte zweifellos eine Spinne mit einem nimmersatten Maul, das ihn verspeisen wollte. Er kauerte sich zusammen und rollte sich blitzschnell zur Seite. Da sah er sie. Fett und lüstern kauerte sie vor ihm. Sie freute sich sichtlich auf die ergiebige Mahlzeit, die er ihr bieten sollte. Unwillkürlich griff er nach dem Gürtel, doch das Hexenmesser hatte er verloren. Das wurde ihm schmerzlich bewußt. Der Angriff der Bestie erfolgte spontan. Zum Überlegen blieb keine Zeit. Für Experimente auch nicht. Er riß eine glänzende Pistole aus seiner Schulterhalfter, wartete, bis das Scheusal mit aufgesperrtem Rachen unmittelbar vor ihm war, und drückte dann ab. Was der großkalibrige Elefantentöter nicht vermocht hatte, die kleine, silberne Kugel, von denen er einen bescheidenen Vorrat bei sich trug, schaffte es auf Anhieb. Der ekelhafte Weißling blieb wie vom Donner gerührt stehen, die roten Augen glühten kurz auf, dann drang Qualm aus ihnen, das Scheusal seufzte markerschütternd und verendete. Jetzt endlich hatte Gordon Black Gelegenheit zum Luftholen. Die unmittelbarste Gefahr war überstanden. Außerdem wußte er, daß die Biester seinen Silberkugeln nicht standhielten. Er würde sie der Reihe nach abschießen und konnte nur hoffen, daß es nicht zu viele waren. Sonst kam er doch noch in Bedrängnis. Zunächst war wichtig, seinen Standort festzustellen. Danach konnte er sich um die Strategie kümmern. Er befand steh in einer höhlenartigen Gruft die möglicherweise die Spinnen selbst angelegt hatten. Er konnte aufrecht gehen, nur den Schacht, durch den er nach unten gezogen worden war, entdeckte er nirgends.
Schaudernd betrachtete er seinen toten Gegner. Er sah abscheulich aus. Dazu trug vor allem der menschliche Kopf bei, der glatt und haarlos war und sogar noch im Tod unversöhnlichen Haß ausdrückte. Wie mochten diese Ungeheuer entstanden sein? War es eine fürchterliche Laune der Natur? Waren sie die Produkte fehlgeschlagener Experimente eines besessenen Forschers? Oder steckten dämonische Kräfte hinter ihnen? Da sie mit herkömmlichen Waffen anscheinend nicht einzuschüchtern waren, bot sich die dritte Möglichkeit an. Diese war gleichzeitig die schwierigste und unbequemste für ihn, zumal er mehr als dürftig ausgerüstet war. Gordon Black dachte an Hanako Kamara, die schon bald am Waldrand mit dem Koffer voller Dämonenwaffen auf ihn warten würde. Es war ihm unmöglich, sie zu treffen, und Hanako mußte, wenn er die Verabredung nicht einhielt, das Schlimmste befürchten. Schlimm genug war es auch. Wenn ihm auch Luft zum Atmen zur Verfügung stand, so brauchte er doch auch Nahrung. Abgesehen davon, lauerten hier unten überall unbekannte Gefahren. Er war ein Fremder, Unwissender in einem unbekannten, feindlichen Reich. Wenn er nicht einen schnellen Sieg davontrug, war es nur eine Frage der Zeit, bis er unterlag. Mit viel Glück war er bis jetzt zwei Spinnen entgangen. Eine davon lebte nicht mehr. Waren sie die einzigen? Hatten sie noch weitere Gefährten? Spinnen! hatte Ross geschrien. Lauter Spinnen! Er mußte mehr als nur zwei gesehen haben. Hätte er gleich geschossen, solange er sich noch über der Erde befand, hätte er vielleicht schon alles überstanden. Doch sein erster Griff galt für gewöhnlich dem Hexenmesser. Es war überaus wirksam und konnte immer wieder verwendet werden. Mit den schwer zu beschaffenden Silberkugeln mußte er dagegen sparsam umgehen. Das allein war der Grund gewesen.
Gordon Black erkannte, daß sich hier unten ein weitläufiges Gelände befand. Weiter hinten türmten sich eigenartige Gebilde auf. Sie wirkten wie gewaltige Ameisenhügel, nur besaßen sie an manchen Stellen Öffnungen. Waren es primitive Behausungen? Er mußte sich unbedingt orientieren. Es war nötig, sich zu vergewissern, auf welche Weise ein Rückzug möglich war. Je mehr er von dieser Gruft in Erfahrung brachte, um so besser war das für seinen späteren Kampf. Der Geisterjäger prägte sich den Ort, an dem er sich augenblicklich befand, sehr genau ein. Hier irgendwo mußte sich der Aufstieg befinden, falls man ihn nicht noch nach der Talfahrt verschleppt hatte, was er aber nicht glaubte, denn dann würde er kaum noch am Leben sein. Mit den bloßen Händen brachte er auf dem Boden Markierungen an. Er wählte hierfür magische Symbole, von denen er hoffte, daß sie seine Gegner stoppen und somit seinen Fluchtweg freihalten würden. Er ging sehr sorgfältig zu Werke. Jede noch so geringe Nachlässigkeit konnte bereits seinen Tod bedeuten. Während er noch arbeitete, spürte Gordon Black plötzlich, daß er nicht mehr allein war. Behutsam griff er nach seiner Pistole. Er wollte es nicht wieder zum Äußersten kommen lassen. Falls sich der Weißling, der ihn bereits über der Erdoberfläche um ein Haar vertilgt hätte, hinter ihm befand, wollte er ihm sofort die Silberkugel zu schmecken geben und damit möglicherweise bereits dem dämonischen Treiben ein Ende bereiten. Alle Sinne waren auf dies eine Ziel konzentriert, als er sich umwandte. Sein Herz setzte für ein paar Schläge aus. Vor ihm wimmelte es buchstäblich vor Spinnen. Sie ähnelten alle dem Scheusal, das er kurz zuvor erschossen hatte. Sie waren weiß und glatt. Mit entsetzlichen Greifwerkzeugen griffen sie nach ihm, obwohl sie noch zu weit entfernt waren, ihn zu erreichen.
Ihre Köpfe besaßen menschenähnliche Gesichter, in denen lediglich die roten Augen absonderlich anmuteten. Wegen der fehlenden Haare und des mordlüsternen Ausdrucks war es zwar schwierig, besondere Merkmale festzustellen, doch der Geisterjäger glaubte zu erkennen, daß er weibliche und männliche Tiere vor sich hatte. Mit einem einzigen Blick umriß er, daß für diese Meute seine Munition niemals ausreichte, und vermutlich würde er noch auf weitere Ungeheuer stoßen. Es war unglaublich, wie viele dieser Scheusale sich unter dem friedlichen Blackhead Forest befanden. Einen Anführer gab es anscheinend nicht, jedenfalls hatte Gordon Black nicht den Eindruck, daß einer der Weißlinge ein Kommando gab, als sich die Meute in Bewegung setzte und schnaufend und zischend auf ihn zuhielt. Wie sollte er sich jemals gegen diese Übermacht behaupten? Ein Schauer durchlief ihn, als er die gierigen, roten Augen auf sich gerichtet sah. In Anbetracht der Menschenköpfe kam ihm der Gedanke, sich möglicherweise mit ihnen verständigen zu können. Er richtete die Pistole auf die Schar und rief schneidend: »Ihr habt gesehen, daß ich euch hiermit töten kann. Falls ihr eure Feindseligkeiten nicht einstellt, werde ich euch alle vernichten. Seid ihr jedoch vernünftig, können wir miteinander reden. Eure Probleme sind bestimmt auch auf andere Weise zu lösen, als Menschen und Tiere zu töten.« Diese Ansprache hätte er sich sparen können, denn als einzige Reaktion erfolgte eine Erhöhung ihres Tempos. Das Hecheln wurde stärker, und hier und da entrang sich ihren Mäulern ein schreiähnlicher Laut, der eher ein giftiges Fauchen war. Das hörte sich nicht so an, als wären sie zum Verhandeln bereit. Gordon Black durfte nicht mehr lange zögern. Vielleicht hatten sie nicht mit angesehen, wie er einen der Ihren erledigt
hatte. Ein Exempel würde sie möglicherweise am ehesten zur Besinnung bringen. Allerdings mußte er dazu schon wieder eine Kugel opfern. »Zurück!« donnerte er und richtete die Waffe auf das vorderste Scheusal, das besonders kräftig zu sein schien. Sie stutzten nicht mal. Unbeirrt krochen sie näher und waren nun höchstens noch zehn menschliche Schritte von ihm entfernt. Diese Distanz vermochten sie in wenigen Sekunden zu überbrücken. Da schoß er. Die Detonation hörte sich seltsam dumpf und unwirklich an. Eine grellblaue Flamme verließ den kurzen Lauf der Pistole und begleitete die geweihte Kugel, auf die er seine ganze Hoffnung setzte. Die Wirkung war eindrucksvoll. Das Geschoß schlug in den Kopf des ausgewählten Weißlings. Er stoppte so abrupt, als wäre er gegen eine Mauer gerannt. Mit den vorderen Beinen ruderte er durch die Luft, wobei sich die fünffingrigen Hände zu drohenden Fäusten ballten. Der verzerrte Mund öffnete sich halb. Ein dicker, schwärzlicher Blutstrom quoll draus hervor und verbreitete im Nu einen bestialischen Gestank, der dem Geisterjäger den Atem verschlug. Die folgenden Ungeheuer drängten nach und wurden zum Teil von dem sich aufbäumenden Körper des Getroffenen niedergerissen. Ein Durcheinander entstand, das Gordon Black mühelos für seine Flucht hätte ausnutzen können. Doch er durfte in diesem Augenblick weder Furcht noch Schwäche zeigen. Sie mußten sehen, daß er ihnen gewachsen war und daß sie ihm nichts anhaben konnten – auch wenn das leider nicht den Tatsachen entsprach. Er ließ die Pistole nicht sinken und beobachtete genau, wie sie sich verhalten würden. Sein Sieg über den Erschossenen war unbestreitbar. Die Silberkugel hatte ihre erhoffte Wirkung nicht verfehlt. Sein unglücklicher Gegner stieß ein markerschütterndes
Grunzen aus. Wie das Klagen eines verendenden Wasserbüffels klang es durch die unterirdischen Gänge. Die Augen seines Opfers glühten erst grellrot und anschließend weiß auf. Sie verpufften, und zurück blieb lediglich ein stickiger Qualm, der sich lähmend auf die Lungen legte. Gordon Black unterdrückte seinen Hustenreiz. Er hatte jetzt andere Sorgen. Nach der vorübergehenden Verwirrung formierten sich die Angreifer rasch wieder. Sie nahmen den Tod ihres Gefährten zwar zur Kenntnis, die erhofften Konsequenzen zogen sie jedoch nicht daraus. Unvermindert heftig stürmten sie gegen ihn an. Dieses Stürmen glich zwar einem trägen, unbeholfenen Dahinkriechen, doch bei der enormen Größe dieser Spinnen entwickelte sich daraus doch ein beachtliches Tempo. Sie schlugen seine Warnung in den Wind, ja, es schien sogar, als hätte sie der erfolgreiche Schuß erst recht in Wut gebracht. Die vordersten Tiere waren nur noch drei Schritte von Gordon Black entfernt. Da er bei weitem nicht Kugeln, für alle zur Verfügung hatte, blieb ihm nur die Flucht, und zwar auf dem schnellsten Wege. Der Geisterjäger wirbelte auf dem Absatz herum und rannte los. Die Pistole behielt er dabei in der Hand. Für alle Fälle. Man konnte ja nie wissen, wozu er noch gezwungen wurde. Flüchtig dachte er daran, daß die magischen Symbole die rachelüsterne Schar nicht aufgehalten hatten. Die ekelhaften Bestien waren einfach darüber hinweggekrochen, ohne auch nur im geringsten von ihnen beeindruckt gewesen zu sein. Also konnte er sich auch nicht auf seine Dämonenabwehrformeln und magischen Sprüche verlassen. Hier waren handfestere Waffen erforderlich, und außer der Pistole mit den Silberkugeln standen diese ihm nicht zur Verfügung.
Gordon Black schaute sich um. Erschrocken stellte er fest, daß sie noch immer dicht hinter ihm waren. Durch Schnelligkeit ließen sie sich nicht abschütteln. Auch Tricks würden kaum etwas fruchten. Sie kannten diese Region wesentlich besser als er. Sie wußten genau um etwa vorhandene Schlupfwinkel oder Sackgassen, die ihn ihnen ausliefern mußten. Er konnte sich dagegen nur auf sein Glück und auf sein Gespür verlassen. Für einen, der von zigfachem Tod verfolgt wurde, war das herzlich wenig. Er verfluchte den winzigen Augenblick seiner Unaufmerksamkeit, der ihn das Hexenmesser gekostet hatte. Mit dem Athame hätte er sich wahrscheinlich eher zur Wehr setzen können. Die Gefahr im Kampf gegen diese Monstren wäre zwar trotzdem nicht zu unterschätzen gewesen, aber er hätte wenigstens seine Chance gehabt. Keuchend lief er weiter. Licht gab es hier unten genügend. Das war erstaunlich, aber es half ihm nicht. Er vernahm das Zischen und Hecheln hinter sich. Er brauchte sich nicht mehr umzudrehen und dadurch weitere Yards zu verschenken. Auf Grund des Lärms konnte er die Entfernung zu seinen Verfolgern abschätzen. Er fühlte sich bei weitem nicht wie ein Held. Nur selten hatte er bisher in dieser Weise fliehen müssen. Irgendeinen Weg zum Widerstand hatte er immer gefunden. Doch sich in diesem Falle einem Kampf zu stellen, wäre glattem Selbstmord gleichgekommen. Damit würde er weder sich noch anderen nützen. Er entfernte sich immer weiter von jener Stelle, von der aus er die Erdoberfläche wieder zu erreichen hoffte. Würde er sie jemals wiederfinden? Waren nicht seine Markierungen längst verwischt und unkenntlich gemacht? Der Gedanke, bis zum bitteren Ende hier unten ausharren zu müssen, hatte wenig Ermunterndes. Dennoch reichte er nicht aus, daß Gordon Black verzweifelte. In den Jahren, in denen er
sich fast immer erfolgreich mit den finstersten Mächten aller Zwischenreiche angelegt hatte, hatte er gelernt, sich niemals aufzugeben. Noch mehr als die Hoffnung, sein eigenes Leben zu erhalten, hielt ihn jedoch der Wille aufrecht, die Menschen von Sunplace und dessen Umgebung von diesen Killerspinnen zu befreien. Während des Laufes legte er sich einen Plan zurecht, und dabei spielte die rote Schnur eine Rolle, an der das Hexenmesser befestigt gewesen war, und die er zum Glück noch immer an seinem Körper trug. Natürlich war es sinnlos, im Augenblick darauf zu bauen. Das Gleichgewicht der Kräfte war einfach zu unausgewogen. Das konnte unmöglich gutgehen. Er mußte einen günstigeren Moment abwarten. Die Weißlinge würden hoffentlich nicht immer in Horden auftreten. Der Dämonenjäger murmelte starke Beschwörungsformeln. Er rief den mächtigen Gervasius um Hilfe und Stärkung an, aber nichts von alledem stimmte ihn zuversichtlicher. Auch konnte er damit die Weißlinge nicht bannen. Er verlor jegliches Zeitgefühl, merkte aber, daß seine Kräfte zu schwinden begannen. Die Verfolgungsjagd nahm ihn ziemlich mit. Plötzlich sah er wieder die Ameisenhügel vor sich, die ihm bereits vorher aufgefallen waren. Es handelte sich um primitive Bauten aus Erde und Lehm, wobei Wurzeln und Pflanzen als Verstärkung verwendet worden waren. Anscheinend waren dies die Behausungen der weißen Spinnen, eine Ansammlung von Höhlen, in denen sie ihren Unterschlupf fanden. Es war eine regelrechte Siedlung, in der keine bestimmte Ordnung zu erkennen war. Gordon Black warf einen hastigen Blick zurück. Die Biester waren geringfügig zurückgefallen, doch sie hatten ihn noch längst nicht aus den Augen verloren, und ihre Ausdauer war erstaunlich.
Er hielt auf die Erdhügel zu und hielt nach einem Ausschau, der ihm als Versteck geeignet erschien. Natürlich durften die Verfolger ihn dabei nicht beobachten. Er ließ die ersten Höhlen hinter sich und verschärfte sein Tempo. Er holte das Letzte aus sich heraus. Sein Herz schlug Kapriolen. Lange machte es diese Strapazen nicht mehr mit. Der Dämonenjäger fand sich nun in einem Gewimmel von Hügeln. Er verschwand hinter einem und entzog sich dadurch vorübergehend den Blicken der unermüdlichen Angreifer. In Sekundenschnelle entschied er sich für eine nicht zu große Höhle, die rückwärtig einen mannshohen Eingang besaß. Es war dunkel darin, und der modrige Geruch, der ihm entgegenschlug, verursachte einen Brechreiz. Er kämpfte ihn zurück und tastete sich tiefer in das Versteck hinein. Dabei vermied er jegliches Geräusch. Sekunden später waren seine Verfolger heran. Er hörte deutlich ihre Erregung, als ihr Opfer plötzlich nicht mehr zu sehen war. Er stellte sich vor, daß sie nun nach ihm suchen würden. Möglicherweise würden sie sämtliche Höhlen untersuchen. Sie mußten ihn also früher oder später entdecken, falls er nicht durch einen zweiten Ausgang rechtzeitig entweichen konnte. Einen zweiten Ausgang gab es aber nicht. Dafür hoffte er, daß sich allenfalls eins oder zwei Tiere in den Bau drängen würden. Wie gut sie in der Dunkelheit sahen, mußte sich erst noch herausstellen. Soviel stand jedoch fest: er mußte mit ihnen fertig werden, und zwar ohne Lärm. Draußen hob ein wütendes Zischen und Fauchen an. Der Lärm war bedrohlich nahe. Lange konnte er sich hier nicht mehr halten. Behutsam schlich er zum Eingang. Es war notwendig, die Scheusale zu beobachten, damit er sich rechtzeitig auf ihre Aktionen einstellen konnte. Blitzartig zog er sich wieder zurück, weil eben in diesem
Moment ein paar der widerlichen Leiber vor der Öffnung auftauchten und diese verdunkelten. Ihre Köpfe steckten sie zwar nicht herein, aber das würde nicht mehr lange dauern. Während Gordon Black noch fieberhaft überlegte, was er tun sollte, vernahm er neben sich ein gefährliches Zischen. Er fuhr entsetzt herum, und da entdeckte er auch die beiden rotglühenden Punkte, von denen er wußte, daß es sich um die Augen eines jener Ungeheuer handelte. Flucht war ausgeschlossen. Der Ausgang war versperrt, sobald er sich draußen blicken ließ, fielen sie über ihn her. Seine Pistole durfte er auch nicht benutzen. Ein Schuß hätte seinen Aufenthaltsort verraten. Aber irgend etwas mußte geschehen, denn schon näherten sich die roten Augen, und das Zischen wurde unheimlicher und drohender… *** Hanako Kamara hatte mit Sergeant Ross keinerlei Probleme. Der Polizist lallte lediglich während der ganzen Fahrt nach Camington unverständliches Zeug vor sich hin. Nur ab und zu waren einige Wortfetzen zu verstehen. Immer wieder tauchten dabei diese rätselhaften Spinnen auf, die ganz weiß sein und Köpfe wie Menschen haben sollten. Inspektor Hammerbrook empfing sie mit der ihm eigenen Überheblichkeit. Als er allerdings seinen verstörten Untergebenen in Empfang nahm und erfuhr, daß Sergeant Duffy aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr lebte, wurde er merklich stiller und betroffener. Er erkundigte sich nach dem Verbleib Gordon Blacks. Hanako berichtete, daß der Dämonenjäger den Weg allein fortgesetzt habe und daß sie unverzüglich mit einer Anzahl von Instrumenten zum Blackhead Forest zurückkehren müsse. Hammerbrook räusperte sich verlegen. Mancherlei ging ihm
durch den Kopf. Vor allem fand er, daß dies der günstigste Zeitpunkt war, der niedlichen Japanerin gegenüber Ritterlichkeit zu beweisen und dadurch Eindruck zu schinden. Solange Black nicht in der Nähe weilte, würde sie zweifellos für seinen männlichen Schutz dankbar sein. »Ich begleite Sie selbstverständlich, Miß Kamara«, stellte er fest. »Nach allem, was Sie mir erzählt und was Ross hervorgebracht hat, ist es für eine Frau allein viel zu gefährlich, sich in der Nähe dieses seltsamen Waldes aufzuhalten. Sie können sich ganz auf mich verlassen.« Hanako unterdrückte ein Lächeln. Das gebot die Höflichkeit. Immerhin befand sie sich in einem fremden Land und war hier nur geduldet. Trotzdem dachte sie gar nicht daran, sich ausgerechnet von dem Inspektor begleiten zu lassen. Ein Mann, der ihrer Tätigkeit allenfalls Spott schenkte, konnte ihr und Gordon nicht nützen. Er würde sie höchstens behindern und womöglich zusätzlich gefährden. Sie erklärte ihm das sinngemäß, wenn auch in völlig anderen Worten, die ihm seine Unentbehrlichkeit in Camington glauben machen lassen sollten. Ganz schmeckte Hammerbrook die Abfuhr nicht, aber sobald er einen Blick auf den Sergeant warf, sagte er sich, daß die Autofahrt in trauter Zweisamkeit vielleicht doch nicht so romantisch verlaufen würde, wie er das gern gehabt hätte. Also fügte er sich in sein Schicksal und hoffte, die widerborstige Kleine doch noch von seinen Qualitäten überzeugen zu können. Telefonisch erstattete er Chefinspektor Burns Meldung, und dieser überschüttete ihn nicht gerade mit Lob. »Sollte Duffy tatsächlich tot sein«, brüllte er, »dann geht er auf Ihr Konto. Ich komme sofort zu Ihnen. Halten Sie sich bis dahin strikt an die Anweisungen Mister Blacks und Miß Kamaras. Über alles andere reden wir noch.« Er drosch den Hörer auf die Gabel, und Inspektor
Hammerbrook ahnte, daß sich noch weitere Gewitter über seinem Haupt zusammenbrauten. Hanako holte unterdessen aus dem Hotelsafe den kleinen Lederkoffer, den Gordon Black dort deponiert hatte. Er enthielt das Instrumentarium des Dämonenjägers, aus dem er jeweils die geeigneten Waffen und Mittel auszuwählen pflegte. Sie kehrte damit zum Blackhead Forest zurück und erwartete, ihren Boß dort bereits vorzufinden, doch sie sah sich enttäuscht. Sie wartete annähernd zwei Stunden. Dann war sie überzeugt, daß etwas Ernstes Gordon Black von der Einhaltung ihrer Verabredung abgehalten hatte. Dabei konnte es sich nur um die Weißlinge handeln. Sie wollte ihrem ersten Impuls folgen und in den Wald eindringen, um dem Mann zu Hilfe zu eilen. Doch sie entsann sich seiner strikten Anweisung, dies auf jeden Fall zu unterlassen. Gordon Black pflegte sich bei derartigen Befehlen etwas zu denken. Abgesehen, daß er nach Möglichkeit vermied, sie übergroßer Gefahr auszusetzen, wenn er ihr auch eine ganze Menge zutraute, so war wohl in diesem Fall der Grund, daß er nicht den unnötigen Verlust des Koffers riskieren wollte. Sie sah nur zwei Möglichkeiten. Entweder verfolgte er seinen Gegner und wollte ihn nicht aus den Augen lassen, oder aber er war nicht mehr in der Lage, seine Dämonenwaffen abzuholen. Ersteres würde bedeuten, daß sie weiterhin auf ihn warten mußte, um zur Stelle zu sein, sobald er sie brauchte, im andern Fall war die Auseinandersetzung bereits entschieden. Zu seinen Ungunsten. Er war tot, und ihre Anwesenheit hier wurde überflüssig. Hanako Kamara wollte an diese schreckliche Möglichkeit nicht glauben. Sie hätte bestimmt gespürt, wenn Gordon seinen Bezwinger gefunden hätte. Ihr war klar, daß sie nicht Tag und Nacht an der
vereinbarten Stelle ausharren konnte. Irgendwann würde sie schlafen müssen, und das war am Rande des Blackhead Forest nicht ungefährlich. Die Gefahr, daß Gordon auftauchte, während sie gerade nicht da war, war also groß. Natürlich durfte sie auch den Koffer mit den unersetzlichen Geräten nicht unbeaufsichtigt zurücklassen. Sie mußte ihn hüten wie ihren Augapfel. Von ihm hing unter Umständen alles ab. Gordon trug zwar die Pistole und das Athame bei sich, aber das allein konnte zu wenig sein. Hätte Hanako geahnt, daß das Hexenmesser irgendwo im Wald herumlag und dem Dämonenjäger längst nicht mehr zur Verfügung stand, wäre ihre Sorge um den Mann beträchtlich gewachsen. Wahrscheinlich hätte sie sich in diesem Fall sogar über seine Anweisung hinweggesetzt und wäre doch dem Weg gefolgt, der so harmlos und einladend wirkte, und in dessen Mitte das Verhängnis seinen Anfang genommen hatte. Sie wartete eine weitere halbe Stunde. Dann wurde sie vorübergehend von ihren trüben Gedanken abgelenkt, denn unerwartet erhielt sie Besuch. Es handelte sich um ein Pärchen, das anscheinend von Camington herüberkam und den Wald zum Ziel hatte. Zu welchem Zweck, war nicht schwer zu erraten. Die beiden machten einen äußerst verliebten Eindruck. Er, ein baumlanger Bursche mit schlaksigen Bewegungen, mochte ungefähr dreiundzwanzig Jahre alt sein, sie mindestens ein Jahr jünger. Das Mädchen tippelte neben dem Burschen her und himmelte ihn verzückt an. Es trug ein einfaches, geblümtes Sommerkleid und darüber eine saubere Schürze. Es war blond, und an manchen Stellen war der Babyspeck noch nicht verschwunden, was dem jungen Mann besonders gut zu gefallen schien, denn ausgerechnet diese Partien streichelte er immer wieder, während sie sich beide der Asiatin näherten.
Die Umwelt existierte für sie nicht. Sie waren völlig mit sich beschäftigt. Deshalb erschraken sie auch, als sie unvermittelt vor Hanako standen, die einer Wächterin glich, was sie im Grunde auch war. »Sie haben doch nicht etwa vor, in den Wald zu gehen?« fragte sie. Der Schlaksige machte große Augen. Eine Halbjapanerin hatte er vermutlich noch nie gesehen. Er schien sie mit seinem Mädchen zu vergleichen, was ihm nicht leichtfiel. Schließlich aber siegte doch die Liebe, und er entschied sich für seine Begleiterin. »Geht Sie das was an?« maulte er. »Der Wald ist groß genug, und wenn man Sie versetzt hat, klappt es vielleicht ein andermal.« Er wollte mit der Blondine an Hanako vorbeigehen, doch diese hielt ihn sanft, aber bestimmt zurück. »Wissen Sie nicht, daß im Blackhead Forest. schreckliche Dinge geschehen?« erkundigte sie sich mahnend. Das blonde Mädchen kicherte. »Hören Sie auf!« bat es. »Davon hat mir Dick schon erzählt, aber die Zeiten des Earl of Chromwood sind längst vorbei. Kein Mensch feiert heute hier mehr Orgien. Das ist Hunderte von Jahren her.« »Ich meine nicht die anrüchigen Feiern des Earl«, stellte die Asiatin richtig, »sondern das Verschwinden von Menschen und Tieren in heutigen Tagen. Sie müssen doch davon gehört haben.« »Das haben wir«, bestätigte Dick, »aber wir geben nichts auf das alberne Gerede. Das ist was für alte Weiber, die den Jungen nicht ihr bißchen Vergnügen gönnen.« »Selbst auf die Gefahr hin, daß Sie mich für ein altes Weib halten«, sagte Hanako eindringlich, »muß ich die Erzählungen bestätigen. Erst vor wenigen Stunden wurde ein Sergeant von riesigen Spinnen beinahe zu Tode erschreckt.« »Spinnen?« Der Bursche amüsierte sich. »Der Hut ist alt.
Schon der Earl soll ja mit seinem Gefolge Spinnen gegessen und Blut getrunken haben. Vielleicht bildete er sich ein, dadurch ein besserer, schnellerer Jäger zu werden und von den Spinnen die raffinierte Jagdtechnik übernehmen zu können. Damals waren ja die Leute noch verrückter als heutzutage.« Hanako hörte aufmerksam zu. Diese Version hatte sie noch nie gehört. Vielleicht war sie von Bedeutung, wenn man nach den Ursachen der heutigen Ereignisse forschte. »Wissen Sie noch mehr darüber?« bohrte sie. Der Schlaksige wehrte ab. »Da müssen Sie den alten Hammond fragen. Der interessiert sich für solche alten Schauergeschichten. Aber so, wie Sie aussehen, Miß, sollten Sie eigentlich etwas Erfreulicheres im Kopf haben.« »Dick!« fauchte die Blondine entrüstet. Der Junge tätschelte ihr das rundliche Kinn, und sie war wieder versöhnt. »Ich lasse Sie hier nicht durch«, verkündete Hanako. »Der Wald darf vorläufig nicht betreten werden.« Die beiden sahen sie ungläubig an. »Das ist doch nicht Ihr Ernst«, meinte der Junge. »Mein völliger Ernst. Ich besitze Vollmachten des Chefinspektors von Cheltenham«, log die Asiatin. Das machte sicher Eindruck, vermutete sie, und sie behielt recht. »Um was der sich alles kümmert«, murmelte Dick verdrossen. Er wandte sich seiner Begleiterin zu und fragte: »Was machen wir jetzt?« Die Blondine blickte ihn verschmitzt an. »Es gibt noch andere hübsche Plätzchen«, erklärte sie, und ihre blauen Augen strahlten. Man sah ihr an, daß sie in diesen Burschen schrecklich verliebt war. »Wir gehen zu Thunders alter Scheune.« Dick nickte zustimmend. Ein letztes Mal wandte er sich an Hanako: »Was treiben Sie eigentlich hier, wenn es nach Ihrer Meinung so gefährlich ist?«
»Mein Partner und ich sind dabei, dem höllischen Treiben im Blackhead Forest ein Ende zu bereiten«, verriet die Japanerin. Die beiden warfen ihr einen Blick zu, der genau ausdrückte, was sie von dieser Spinnerei hielten. Sie schlenderten weiter, und Hanako blickte ihnen noch eine Weile nach. Ein ungutes Gefühl beschlich sie. Plötzlich war sie sicher, daß die zwei keineswegs Thunders alte Scheune aufsuchen würden, sondern einfach zum nächsten Waldweg gingen, bei dem kein Hüter aufgestellt war. *** Für Gordon Black stand fest, daß der Weißling im Dunkel der Höhle ihn entdeckt hatte. Der Teufel mochte wissen, warum er sich nicht draußen bei den anderen befunden hatte. Vielleicht waren sogar sämtliche Bauten besetzt. Hastig vergewisserte er sich am Ausgang über seine Chancen zum Rückzug. Nein! Da draußen zwischen den Erdhügeln wimmelte es von diesen Scheusalen, die hin und her krochen und nach ihm suchten. Ihre Wut steigerte sich, je länger diese Fahndung erfolglos blieb. Sobald er in ihre menschlich anmutenden Hände fiel, war es um ihn geschehen. Es handelte sich um mindestens zwanzig Tiere, deren er sich vermutlich nicht mal mit seiner Dämonenpeitsche, die sich im Koffer befand, den Hanako ihm hatte bringen sollen, hätte erwehren können. Er zog seinen Kopf wieder zurück und biß die Zähne aufeinander. Er würde schießen müssen, sobald das gefräßige Ungeheuer ihn angriff. Was sich daraus entwickelte, war nicht schwer zu erraten. Die roten Augen wurden größer. Das unheilvolle Zischen verstärkte sich. Es füllte die gesamte Höhle, und Gordon Black fürchtete, daß es auch draußen zu hören war, und daß die
übrigen Spinnen den richtigen Schluß daraus zogen. Lautlos verließ er seinen Platz und schlich an der erdigen Wand entlang. Vielleicht gelang es ihm, das Monstrum zu täuschen. Möglicherweise wollte es lediglich den Bau verlassen und sich den Gefährten anschließen. Diese Hoffnung wurde rasch zerstört. Die glühenden Punkte änderten ihre Richtung und nahmen erneut Kurs auf ihn. Die Bestie sah ihn genau. Er konnte ihr nicht entrinnen. Also blieb nur der Kampf. Gordon Blacks Körper straffte sich. Er mußte sich konzentrieren, durfte sich nicht von dem Geschehen vor der Höhle ablenken lassen. Das würde seinen unweigerlichen Tod bedeuten. Er löste die rote Schnur von seinem Körper. In ihr wohnte eine bedeutsame Kraft, aber ob sie hier wirksam war, wo alle magischen Sprüche versagten, mußte sich erst noch zeigen. Übler Gestank schlug ihm entgegen. Er nahm ihm den Atem und drohte, sein Nervensystem zu lähmen. Es war notwendig, sich in Halbtrance zu versetzen. Nur so konnte er sich den äußeren Einflüssen entziehen, ohne seine Bewegungsfreiheit einzubüßen. Doch das Ungeheuer ließ ihm keine Zeit mehr für weitere Vorbereitungen. Es warf seine vorderen Beine vor, und der Dämonenjäger empfing zwei fürchterliche Hiebe, die ihn gegen die Wand schleuderten. Das folgende Zischen drückte Triumph und den bereits sicheren Sieg aus. Der Weißling kroch weiter vor und griff nach dem Bedrängten. Gordon Black handelte eiskalt. Mit beiden Händen hielt er die Schnur, als wollte er einen Gegner damit erdrosseln. Seine Augen hatten sich nur mäßig an das absolute Dunkel gewöhnt. Auch in diesem Punkt war ihm die Spinne fraglos überlegen. Als ihn eines der Glieder an der Brust berührte, warf er die
Schnur und zog sie gleich darauf mit beiden Fäusten fest an. Sein vielbeiniger Gegner heulte gequält auf. Gordon Black spürte das gewaltige Zucken, und um ein Haar wäre ihm die Schnur entrissen worden. Doch er hielt sie bombenfest. Er erkannte, daß ihre Wirkung zwar nicht unbedingt tödlich war, daß er seinen Widersachern jedoch damit zumindest Schaden und Schmerzen zufügen konnte. Das war bereits ein Erfolg. Er strangulierte ein weiteres Greifwerkzeug, und sofort löste sich der Druck an seiner Brust. Er konnte wieder frei atmen, was lediglich durch die bestialischen Dämpfe, die dem gierigen Maul entströmten, beeinträchtigt wurde. Allmählich gewann er die Oberhand. Das Spinnenmonster versuchte zwar, ihn in den Würgegriff zu bekommen, doch er arbeitete schnell und präzise mit seiner roten Schnur, und jedesmal, wenn er die Schlinge um ein Gliedmaß zusammenzog, wurde dieses schlaff und leblos. An den Kopf kam er allerdings nicht heran. Die Glieder waren fast zwei Yards lang. Diese Distanz schützte den wichtigsten Teil der Killerin, die immer rasender wurde. Gordon Black spürte, daß seine Kräfte erlahmten. Der Kampf strengte ihn an. Er mußte sein Letztes geben. Lange hielt er das nicht mehr durch. Der Weißling schien das zu spüren. Er bekam Auftrieb, und es gelang ihm, den Geistervernichter zu packen. Blitzschnell, ohne daß Gordon Black es verhindern konnte, riß er ihn zu sich heran, und der heiße Atem drohte ihn zu verbrennen. Eine Klammer aus kleinen, spitzen Zähnen legte sich um den Hals des Mannes. Ein einziger Biß, und er hatte alles überstanden. Eine unbändige Wut stieg in Gordon Black auf. Die Bilder der Verschwundenen und mit Sicherheit Getöteten erschienen vor ihm. Er sah wehrlose Opfer, über die diese mitleidlosen
Kreaturen hergefallen waren. Mit letzter Energie schlang er die Schnur um den mordbereiten Kopf, und mit erlahmender Kraft zog er an. Ein Heulen, das ihm nahezu die Trommelfelle zerfetzte, schlug ihm entgegen. Augenblicklich lösten sich die Kiefer. Der Weißling taumelte auf seinen verbliebenen funktionstüchtigen Gliedmaßen zurück und wollte sich in Sicherheit bringen. Gordon Black setzte nach. Blut rann ihm den Hals hinunter. Selten war er seinem Ende so nahe gewesen. Jetzt durfte er dem Monstrum keine Chance zur Erholung lassen. Wieder flog die Schlinge. Ein Aufbäumen, ein letztes Röcheln, der ekelhafte Leib zuckte und wurde dann still. Schweißüberströmt richtete sich Gordon Black auf. Er wollte noch nicht so recht glauben, daß er die Gefahr für diesmal überstanden hatte. Aber es erfolgte kein heimtückischer Angriff mehr. Er hatte gesiegt. Sicherheitshalber nahm er das silberne Kruzifix, das an seinem Hals hing, und strich damit über den Kadaver. Bläuliche Funken knisterten. Eine bleibende Spur fraß sich in die höllische Abnormität, deren Ursprung noch zu ergründen war. Erst jetzt atmete der Dämonenjäger auf. Durch den Erfolg fühlte er sich gestärkt. Wie voreilig war seine Zuversicht! Als er den Blick hob, sah er, wie weitere Weißlinge dabei waren, in die Höhle zu kriechen. Der Kampf war ihnen nicht verborgen geblieben, und nun kamen sie, um ihn zu holen. Gordon Black machte sich nichts vor. Mit seinen stärksten Waffen hätte er vielleicht eine winzige Chance gegen diese blutrünstige Übermacht besessen, doch die Schnur allein rettete ihn keinesfalls.
Bereits die Auseinandersetzung mit dem einzelnen Tier hatte ihn an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gebracht. Schon mit zweien würde er nicht fertig werden. Dort aber drängten mindestens fünf Weißlinge gleichzeitig in den Bau. Noch behinderten sie sich gegenseitig. Noch wollte jeder der erste sein, bedeutete das doch, daß ihm die Beute gehörte und die anderen sich mit den Überresten zufriedengeben mußten. So sehr sich auch sein Inneres dagegen sträubte, so klar forderte Gordon Blacks Verstand, diese Verwirrung auszunutzen. Zwar mußte er der Gefahr entgegengehen und konnte sehr leicht darin umkommen, aber wenn er den Ungeheuern mit den Menschenköpfen die Initiative überließ, war sein Schicksal ohnehin besiegelt. Mit einem umfassenden Blick suchte er, ob er nicht doch noch einen unbesetzten Fluchtweg fand. Nichts! Keine Öffnung, kein noch so schmaler Spalt, durch den er sich hätte zwängen können. Es gab nur den einen Eingang, und vor dem lauerten die Killer. Gordon Black holte tief Luft und marschierte vorwärts. Vor dem Eingang herrschte ein heilloses Durcheinander. Die Bestien fauchten und dröhnten und bemühten sich, ihre Rivalen zurückzudrängen. Während sich die vorderen den Rang ablaufen wollten, hatte es eine Riesenspinne geschafft, über den Rücken der anderen hinwegzukriechen, und war eben dabei, sich von oben in die Höhle gleiten zu lassen. Der Dämonenjäger war rechtzeitig zur Stelle. In höchster Eile setzte er mit der roten, magischen Schnur die in den Raum tastenden Greifer außer Gefecht. Das Untier zuckte vor Schmerzen zurück und schlug wie rasend um sich. Die anderen hatten inzwischen begriffen, auf welche Weise sie betrogen werden sollten. Wütend schüttelten sie den Listigen ab und warfen ihn zurück.
Dabei entstand ein wenig Luft vor dem Eingang, die einer nutzte, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Er stand Gordon Black Auge in Auge gegenüber, und sein Schlund mit den scharfen Zahnreihen hing bedrohlich über dem Geistertöter. Eine weiße Hand griff nach der gefährlichen Schnur, riß daran, zog sich aber schleunigst wieder zurück. Die Berührung war äußerst unangenehm verlaufen. Aber da waren sieben andere Klauen, Scheren oder Zangen, die unverletzt waren. Sie griffen an allen Stellen zur gleichen Zeit an. Zwei umschlangen Gordon Blacks Taille und preßten die Luft heraus. Zwei weitere tasteten sich zu seinem Hals vor, der gerade erst einen Angriff mit viel Glück überstanden hatte. Wieder zwei rissen ihm die Beine unter dem Leib weg, daß er auf den Boden stürzte und Dreck schluckte. Die letzte drosch ihm mit santanischer Gewalt ins Gesicht, und der Dämonenjäger war nahe dran, die Besinnung zu verlieren. Mit äußerster Energie schluckte er den Hieb und schüttelte die Benommenheit ab. Aber welcher Angreifer sollte er sich zuerst erwehren? Er besaß nur zwei Arme und nur eine Schnur. Der Druck wurde mörderisch. Das Spinnengebiß schlug in seine Schulter. Er hieb mit der Faust zu, verschaffte sich dadurch aber nur geringe Erleichterung. Aus den Augenwinkeln sah er, daß inzwischen zwei weitere Monster den Weg durch den Eingang geschafft hatten. Nun war er verloren. Mit Windeseile arbeitete er mit der Schnur. Er warf Schlingen, zog sie zu und löste sie wieder, um das nächste Spinnenbein abzuwehren. Dabei waren es so viele, als wäre er in die Gewalt eines Kraken geraten. Er mußte verlieren, das war schon jetzt abzusehen. Er konnte allenfalls sein Ende etwas hinauszögern. »Verdammte Höllenbrut!« schrie er, aber es war eher ein Gurgeln. Ein bleicher, glatter Arm lag quer über seiner Kehle
und erwürgte ihn fast. Hastig zog er die Schlinge zu. Der Druck ließ nach. Wieder hatte er einen winzigen Erfolg verbucht, doch was half das? Immer mehr Scheusale quollen durch die Öffnung, die er noch vor Minuten als seine Rettung angesehen hatte und die sich nun als teuflische Falle erwies. Fürchterliche Schläge prasselten auf ihn herab. Er wurde von allen Seiten bedrängt. Es war ihm unmöglich, die Schnur noch einzusetzen. Die Bestien hatten ihn jeglicher Bewegungsfreiheit beraubt. Sie wußten nur noch nicht, daß er besiegt war, sonst hätten sie sich längst die köstliche Mahlzeit gegönnt, die er für sie darstellte. Pausenlos murmelte Gordon Black Zauberformeln, obwohl er sich von deren Wirkungslosigkeit hatte überzeugen müssen. Was sollte er sonst tun? Vielleicht war doch ein Wort dabei, auf das die Kreaturen ansprachen. Es konnte doch noch nicht aus sein! Sie versuchten, ihn auseinanderzureißen. Keiner wollte seine Beute freiwillig hergeben. Gordon Black dachte an zwei Vögel, die sich um einen fetten Wurm stritten. Die Erkenntnis, daß er der Wurm war, behagte ihm ganz und gar nicht. Sein Atem ging scheppernd. Zu ihm gesellte sich das Fauchen und Zischen, das Heulen und Pfeifen der Monster. Als sich der Griff an seinem linken Bein lockerte, trat er instinktiv zu. Der Tritt ging ins Leere, aber sein Bein blieb zunächst frei. Er versuchte es erneut, traf auch und verschaffte sich mehr Luft und bäumte sich auf. Auch das wirkte. Weitere Weißlinge ließen von ihm ab. Er wunderte sich darüber, war aber natürlich froh. Jetzt hatte er es nur noch mit zwei Biestern zu tun, von denen eines sich gleichfalls zurückzog und schleunigst durch die Öffnung kroch. Gordon Black konnte sich das beim besten Willen nicht erklären.
Dazu hatte er auch keine Muße, denn sein erster und als einziger übriggebliebener Angreifer blieb anhänglich. Jetzt endlich machte ihm keiner der Genossen mehr die Beute streitig. Er konnte die Zähne in sie hineinschlagen und ihr Blut schlürfen. Gordon Black kam ihm zuvor. Zwar konnte er sich kaum noch rühren und fühlte sich am ganzen Körper wie gerädert und gevierteilt, aber seine Bewegungen liefen automatisch ab, als hätte er sein ganzes Leben nichts anderes getan, als magische Schnüre um Hände und Köpfe von Superspinnen zu werfen und sie damit zu erdrosseln. Er schaffte es. Er schaffte es tatsächlich, seinen Gegner zu überwinden. Am liebsten wäre er anschließend liegengeblieben, um sich endlich auszuruhen. Doch das durfte er nicht. Sie würden zurückkommen. Irgend etwas mußte sie von ihm abgelenkt haben. Vielleicht ein lohnenderer Brocken. Diese Aussicht elektrisierte den Dämonenjäger. Irgendwoher nahm er neue Kräfte, die es ihm ermöglichten, sich an den Rand des Ausgangs zu schieben und hinauszuspähen. Was er entdeckte, ließ sein Blut förmlich erstarren. Er hatte sich nicht getäuscht! Die Weißlinge hatten wirklich einen fetteren Brocken erwischt. Genaugenommen zwei Brocken. Sie zerrten sie gerade mit vereinten Kräften zu sich in die Tiefe, gerade so, wie sie es mit ihm getan hatten. Es handelte sich um einen jungen Mann und ein blutjunges Mädchen. Beide wehrten sich verzweifelt, doch das änderte nichts an ihrem gräßlichen Schicksal. Gordon Black war auf einmal wieder hellwach. Jedenfalls geistig. Körperlich konnte er noch immer nicht so, wie er gerne wollte. Immerhin gelang es ihm, mit einem Sprung die Höhle zu verlassen und ein wildes Geschrei anzustimmen. Er hoffte,
die Blutsäufer von ihren Opfern ablenken zu können. Daß es ihm dafür an den Kragen gehen würde, war ihm momentan egal. Vielleicht war ihm das Glück erneut hold. Ein paar der Spinnen drehten sich tatsächlich nach ihm um. Die Mehrzahl aber ließ nicht von dem Pärchen ab, dessen Abwehrbewegungen immer schwächer wurden. Das Mädchen schrie entsetzlich, doch damit konnte es die Blutbestien nicht verjagen. Der Mann, ein baumlanger, schlaksiger Typ, brüllte ebenfalls. Bei ihm lag es nicht nur an der Angst, sondern vor allem an den Schmerzen, die er auszuhalten hatte. In seinem Oberschenkel klaffte bereits eine tiefe Wunde, aus der ein Schwall warmen Blutes schoß, den die Ungeheuer begeistert mit ihren Mäulern auffingen. Es war ein gräßlicher Anblick, wie die Menschenköpfe verzückt und doch unglaublich brutal den kostbaren Lebenssaft in ihre unersättlichen Leiber pumpten. Gordon Black kämpfte einen momentanen Schwächeanfall nieder. Mit dem Rücken stemmte er sich gegen den Erdbau, während er die Pistole aus der Tasche zerrte. Hier gab es keine andere Möglichkeit. Wenn er sich damit auch seines Munitionsvorrats beraubte und seine Überlebenschancen auf ein Minimum reduzierte, konnte er bei diesen bestialischen Morden niemals untätig zusehen. Mit seiner magischen Schnur richtete er in diesem extremen Notfall nichts aus. Er zielte sorgfältig und schoß. Die Kugel schleuderte eines der Unwesen auf den Rücken. Aus seinem Maul troff Blut. Die acht Beine mit den weißen, makabren Greifern zuckten und streckten sich hilflos in die Höhe. Das Monstrum verendete. Aber die anderen waren lebendig, und der Blutgenuß schien sie ganz erheblich zu stärken. Sie wurden immer wilder. Der Dämonenjäger feuerte erneut. Er schoß das ganze Magazin leer und fingerte das Ersatzmagazin aus der Tasche. Es enthielt gleichfalls sieben Kugeln. Die letzten, die er besaß.
*** Hanako Kamara dachte an den alten Hammond, von dem der junge Bursche gesprochen hatte. Sie nahm sich vor, den Mann noch heute aufzusuchen, um von ihm Genaueres über die lange zurückliegenden Feste des Earl of Cromwood zu erfahren. Die Erwähnung der Spinnen ließ sie nicht mehr los. Vorläufig aber hielt sie noch am Rande des Blackhead Forest die Stellung. Noch immer hoffte sie, daß Gordon Black auftauchte, aber die Überzeugung, daß er dazu nicht mehr in der Lage war, wurde von Minute zu Minute stärker. Konnte sie gar nichts tun? Sollte sie nicht wenigstens versuchen, ihn zu finden und ihm möglicherweise die dringend benötigte Hilfe zu bringen? Doch sie sagte sich, daß sie dazu nicht in der Lage war, sofern Gordon Black trotz des Hexenmessers sich nicht hatte behaupten können. Dieser Verdacht raubte ihr fast den Verstand. Unruhig ging sie auf und ab. Nichts war zu hören. Alles war still. Auf einem Friedhof konnte es nicht gespenstischer sein. Bis zum Einbruch der Dunkelheit würde sie noch ausharren. Danach wollte sie Gordon Black an dieser Stelle eine schriftliche Nachricht hinterlassen, auf der sie ihm mitteilte, was sie vorhatte und wann sie wieder zurück sein würde. Sie würde Schreibzeug dazulegen, damit er seinerseits irgendwelche Anweisungen fixieren konnte. Auf jeden Fall nahm sie sich vor, nicht länger, als erforderlich, auszubleiben. Das Köfferchen mit den wichtigen Instrumenten ließ sie keine Sekunde aus den Augen. Es stellte einen unbeschreiblichen Wert dar. Allerdings waren die zahlreichen Gegenstände nur in kundiger Hand wirksam. Diese Hand besaß Gordon Black, der Mann, der sich einen Namen im Kampf gegen die Geisterwelt erworben hatte und dennoch bescheiden
und natürlich geblieben war. Sollte sie ihn nie wiedersehen? Nie mehr zusammen mit ihm arbeiten? Die Dämmerung brach zögernd herein. Die Schatten wurden blasser und unwirklicher. Von ferne tönte das dünne Gebimmel einer Kirchenglocke. Dieser klagende Ton wurde durch einen schrillen Laut zerrissen. Hanako Kamara fuhr herum. Dort hatte ein Mensch in höchster Not geschrien. Ein Mann. Gordon Black? Es hielt sie nicht länger an ihrem Platz. Allen Warnungen zum Trotz stürmte sie den Weg entlang und drang tiefer in den Wald ein. Gordon brauchte Hilfe. Aber da war noch eine weibliche Stimme. Auch sie schrie, als ginge es um ihr Leben. Hanako dachte an das junge, verliebte, aber eigensinnige Pärchen, das sie ausdrücklich vor dem Wald gewarnt hatte. Wie befürchtet, hatten sich die beiden für klüger gehalten und mußten einen der anderen Wege benutzt haben. Jetzt befanden sie sich offensichtlich auf der Flucht, denn ihre Stimmen schwollen immer mehr an. Dann sah die Asiatin sie. Ihr Fuß stockte. Ihr Herz revoltierte bei dem grauenvollen Anblick. Riesige Greifzeuge hielten das Liebespaar gepackt und zerrten es in den Boden hinein. Der Schlaksige schaute nur noch mit dem Kopf heraus. Von dem Mädchen war noch der Oberkörper sichtbar, aber auch dieser versank mit rapider Geschwindigkeit. Hier und dort tauchte ein gräßlich langer Arm auf, zog sich aber gleich wieder zurück. Eine Hand riß einen Strauch aus der Erde, an dem schwarze Beeren hingen. Das Gewächs wurde ebenfalls in die Tiefe gerissen, während der junge Mann im gleichen Moment endgültig verschwand.
Hanako Kamara verfügte über eine Pistole, aber sie konnte sie unmöglich einsetzen, wollte sie das schluchzende Mädchen nicht gefährden. Ein gezielter Schuß aus dieser Entfernung und bei dem mäßigen Licht kam einem russischen Roulette gleich. Während die Blondine im Erdboden verschwand, erschienen weiter vorn weitere Arme. Bleiche, nackte, aalglatte Arme, die ein neues Ziel hatten: Hanako. Sie wühlten sich durch die Erde wie ein Boot durch stürmisches Wasser. Schon bald mußten sie sie erreicht haben. Der Halbjapanerin blieb nichts anderes übrig, als schleunigst den Rückzug anzutreten. Sie konnte nur hoffen, daß außerhalb des Waldes der Machtbereich der Spinnen endete. Sicher war das durchaus nicht. Hanako wurde Zeuge, wie so ganz nebenbei ein Eichhörnchen und eine ganze Igelfamilie dem Schoß der Erde einverleibt wurden. Diese Bestien schienen wahre Allesfresser zu sein. Sie schreckten nicht mal vor Menschen zurück. Vielleicht besaßen sie sogar eine besondere Vorliebe für diese. Außer Atem erreichte Hanako Kamara das Freie. Sie lief aber trotzdem noch ein Stück weiter und blieb erst stehen, als sie sich sicher glaubte. Erschöpft drehte sie sich um. Schwarz und drohend stand der Blackhead Forest und blickte zu ihr herüber. Er wirkte wie ein mächtiges Grabmal, über dem der Hauch des Todes schwebte. »O Gott!« flüsterte die Frau. »Sie hatten das Leben noch vor sich und waren so voller Freude. Jetzt mußten sie dieses schreckliche Ende erleiden, und ich konnte ihnen nicht helfen.« Ihr nächster Gedanke galt Gordon Black. Es war wohl ausgeschlossen, daß er noch lebte. Die Weißlinge hatten zweifellos auch ihn geholt. Wilder Haß flammte in ihr auf. Haß gegen diese Monster, die alles vernichteten, dessen sie habhaft wurden. Wollte sie weiteres Unheil verhindern, mußte sie sich
schleunigst mit Hammond in Verbindung setzen. Zuvor aber mußte diese Gegend abgeriegelt werden. Dafür hatte die Polizei von Cheltenham und Camington zu sorgen, und wenn das einen noch so großen Aufwand bedeutete. Hanako Kamara setzte sich in den Wagen, den sie in einiger Entfernung abgestellt hatte, und fuhr zurück. In ihr pochte ein tiefer Schmerz, der ihr ihre Ohmacht in erschreckender Deutlichkeit vor Augen führte. *** Wild aufjammernde Wesen klatschten zu Boden. Die Silberkugeln machten einem Weißling nach dem anderen den Garaus. Die Spinnen waren gezwungen, das Mädchen freizugeben, und Gordon Black jagte mit weiten Sprüngen auf es zu, warf es sich kurzerhand über die Schulter und hetzte mit ihm davon. Ein paar Gliedmaßen schlugen nach ihm und trafen ihn auch zum Teil, doch sie entrissen ihm seine ohnmächtige Beute nicht. Mäuler verzerrten sich und spien das eben getrunkene Blut nach ihm. Er wurde von Grauen und Ekel geschüttelt. Fort! Nur fort von dieser Stätte! Den jungen Mann hatte er nicht mehr retten können. Der Ärmste war bereits tot und wurde von den Killern entsetzlich zugerichtet. Der größte Teil der Spinnen fiel über den Leichnam her, um sich zu sättigen, einige aber erkannten auch, daß ihnen ein weiterer Leckerbissen vor der Nase weggeschnappt werden sollte. Sie begannen mit der Verfolgung, und Gordon Black konnte nicht eine Sekunde lang seine Kräfte erneuern. Natürlich kam er mit seiner Last wesentlich langsamer voran als zuvor. Das mußte ihm zum Verhängnis werden. Das Erwartete traf prompt ein. Die monströsen Gestalten holten ihn ein, bevor er Zuflucht in einem Gewirr von Bauten und Hügeln suchen konnte. Sie versperrten ihm den Weg und
stellten ihn zum Kampf. Gordon Black war fest entschlossen, Widerstand bis zum Letzten zu leisten. Jetzt erst recht, da er Verantwortung für ein fremdes Menschenleben trug. Er versuchte einen seitlichen Ausfall, der ihm auch beinahe gelang. Ein einziges Spinnenmonstrum stellte sich ihm in den Weg. Ihm blieb keine Wahl. Die Pistole hielt er noch in der Faust. Er schoß und wartete gar nicht erst auf das Ergebnis. Er wußte inzwischen, daß die Bestien diese Wunden nicht überlebten. Die Lücke war geschlagen. Er verschwand in einem der Gänge, dem er bereits von außen angesehen hatte, daß es sich nicht wieder um eine Sackgasse handelte. Das Mädchen auf seiner Schulter wurde durch das Rütteln und Schaukeln wach. Es schrie entsetzt auf, denn es glaubte sich fraglos noch immer in der Gewalt der Spinnen. Gordon Black achtete nicht auf die harmlosen Schläge, in denen keinerlei Kraft wohnte. Er ignorierte sie einfach, hielt es aber für nötig, die Blondine mit ein paar Worten über ihre tatsächliche Lage in Kenntnis zu setzen. »Verhalten Sie sich ganz ruhig, Miß«, mahnte er, »irgendwie schaffen wir es schon.« »Wo – wo ist Dick?« Dick mußte der junge Mann geheißen haben, der ein Opfer der gefräßigen Spinnen geworden war. Konnte er ihr in diesem Augenblick die fürchterliche Wahrheit zumuten? »Dick ist schneller als wir«, behauptete er mit belegter Stimme. »Können Sie laufen?« »Ich will es versuchen.« Gordon Black war ein bißchen im Zickzack gelaufen. Er hatte sich im Gang sofort nach links gewandt und war dort auf eine Vertiefung gestoßen, die treppenartig angelegt war. Ohne zu zögern, war er die halsbrecherischen Stufen hinuntergeeilt und hatte zu seiner nicht geringen Überraschung festgestellt,
daß sich ihm dort ein völlig neues Gelände eröffnete. Auch hier gab es primitive Bauwerke, aber sie machten einen verlassenen, unbenutzten Eindruck. Keines dieser gräßlichen Geschöpfe war zu sehen. Gordon Black setzte das Mädchen ab, mußte es aber noch stützen, weil es sehr schwach war. Zum Glück wurden sie nicht angegriffen. Anscheinend hatten sie ihre Verfolger abgeschüttelt, oder die Spinnen hatten eine Abneigung gegen diese tiefere Gruft, die ihnen zweifellos vor einiger Zeit noch als Lebensraum gedient hatte. »Wir müssen weiter«, drängte er. »Wir brauchen ein Versteck, in dem wir einigermaßen sicher vor Entdeckung sind und das uns gegebenenfalls eine unbeobachtete Flucht ermöglicht.« Das Mädchen nickte stumm und folgte ihm. Sie entdeckten nach kurzer Suche einen weiteren Terrassenbau, der abermals in die Tiefe führte. Dort unten sah alles ganz ähnlich aus, nur waren hier die Bauten schon ziemlich zerfallen und in einem miserablen Zustand. Sie sind aus der Tiefe allmählich immer weiter nach oben gekommen, schoß es Gordon Black durch den Kopf. Inzwischen haben sie die Erdoberfläche erreicht. Aus diesem Grund kommt es plötzlich zu den Übergriffen, die früher nicht bekannt waren. Welches würde die nächste Station sein? Hatten die Spinnen die Absicht, die menschlichen Siedlungen zu besetzen? Sie wählten eine Ruine, die dem Geisterjäger für seine Zwecke am geeignetsten erschien. Eine halbhohe Öffnung ermöglichte die Beobachtung der entfernten Terrasse. Rückwärtig konnten sie sich rechtzeitig entfernen, falls dies erforderlich wurde. Das Mädchen hieß Claire Smith. Es hatte sich soweit erholt, daß es wieder klar denken konnte. »Er ist tot«, sagte es unvermittelt. »Dick lebt nicht mehr.
Warum haben wir nur nicht auf die Frau gehört? Wir haben sie ausgelacht, das hat sich bitter gerächt.« Es war sinnlos, Claire den Tod ihres Freundes noch verheimlichen zu wollen. Gordon Black versicherte ihr aber, daß er nicht gelitten habe. Überzeugt war er davon jedoch nicht. Das Mädchen weinte still vor sich hin. Richtig begreifen würde es diese Nachricht wahrscheinlich erst, wenn es den Schock überwunden hatte. Die Gefahr, in der es selbst noch immer schwebte, half, die Trauer zu dämpfen. Gordon Black erfuhr von der Frau, und nach der Beschreibung wußte er sofort, daß es sich um Hanako gehandelt haben mußte. Sie wartete also noch immer auf ihn. »Ich glaube, sie wurde Zeugin des Überfalls auf uns«, flüsterte Ciaire. »Sie lief uns entgegen, aber sie konnte das Grauenhafte nicht verhindern.« Diese Botschaft war für Gordon Black, der sich ebenfalls vorgestellt hatte, sehr wichtig, wußte er doch jetzt ungefähr, wo sich die Halbjapanerin aufhielt. Allerdings konnte er vorläufig nicht riskieren, zu jener Stelle, an der Claire und Dick in die Tiefe gezogen wurden, zurückzukehren, denn dort lauerten die Spinnen. Er überlegte sich, ob Hanako ihn angesichts ihrer schaurigen Beobachtung aufgeben würde. Er kam nach reiflicher Überlegung zu dem Schluß, daß sie möglicherweise von seinem Tod überzeugt war, daß sie aber niemals diese Niederlage auf sich beruhen lassen würde. Sie würde weiterkämpfen. Mit allen Mitteln. Und wenn sie dabei selbst zugrunde ging. In groben Zügen erklärte er Claire, worum es ging: »Diese Bestien, von denen ich nicht weiß, woher sie kommen und wodurch sie entstanden sind, ernähren sich von den Menschen, die sie in ihre Gewalt bringen. Wenn sie uns entdecken, und ich rechne fest damit, daß sie uns suchen werden, jagen sie uns,
bis sie uns erwischen.« »Aber Sie haben doch eine Pistole, Mister Black«, meinte Claire Smith hoffnungsvoll. »Ich habe gesehen, daß Sie damit diese Biester getötet haben.« »Leider besitze ich nicht mehr eine einzige Kugel dafür«, gestand der Dämonenjäger zerknirscht. »Meine ganze Munition habe ich aufgebraucht, als ich Sie den Scheusalen entriß.« »Wir können uns also gar nicht wehren?« Gordon Black versuchte, ihr Mut zuzusprechen. »Ganz so ist es nicht, denn noch bin ich nicht völlig wehrlos.« Er dachte an seine rote Schnur. »Leider kann ich es nur immer mit einem einzigen Gegner aufnehmen. Bei einer Überzahl muß ich mich auf meine Füße verlassen.« »Vielleicht ist uns mit einem Messer geholfen?« Das Mädchen sah den Mann voller Hoffnung an. Der schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Claire. Mit Messern, Äxten, normalen Schußwaffen, ja, vermutlich sogar mit Kanonen kann man gegen diese Wesen nichts ausrichten. Sie gehören einem anderen Reich an. In ihnen wohnen Kräfte, bei denen bloßer Stahl versagt. Sie verfügen nicht nur über immense Kraft, sondern auch über eine Widerstandsfähigkeit, die allen menschlichen Wollens spottet. Dazu kommt ein Haß als Motor, der auch nicht mit Dynamit aufzuhalten ist.« »Aber wie sollen wir dann jemals überleben?« fragte das Mädchen verzweifelt. »Dann war Ihr Einsatz völlig umsonst.« »Das dürfen Sie niemals glauben. Die Zuversicht hält uns aufrecht, und die Klugheit wird einen Weg finden, der ins Leben zurückführt. Wenn uns das gelingt, werde ich den Kampf weiterführen, und ich werde Dicks Tod rächen, das schwöre ich Ihnen.« Ganz so zuversichtlich, wie er sich den Anschein gab, war er jedoch bei weitem nicht. Immer mehr bohrte die Frage in ihm, wie sie sich ernähren sollten und wie es durchführbar war,
durch die Erdoberfläche zu stoßen. Auf jeden Fall mußten sie zurück in die obere Gruft. Dort aber hausten die Weißlinge und würden sie gebührend in Empfang nehmen. Gab es keinen Ausweg? Er mußte auf Erkundungsgang gehen. Vielleicht machte er doch noch eine Entdeckung, die ihnen von Nutzen war. Bisher hatte er keine Zeit dafür gefunden. Er teilte ihr seinen Entschluß mit und riet ihr, sich absolut ruhig in dem Versteck zu verhalten. Claire lehnte entgeistert ab. »Auf keinen Fall dürfen Sie mich allein lassen«, bat sie. »Ich komme mit, wohin Sie auch gehen. Wenn Sie nicht bei mir sind, bleibt mir doch nur der Tod.« Gordon Black wollte sie überreden, doch dann sagte er sich, daß es vielleicht wirklich besser war, wenn sie sich nicht trennten. Er hatte ja keine Ahnung, ob er jemals hierher zurückkehren konnte. Falls er schnell reagieren mußte, fand er keine Zeit, sie zu holen. Hemmend war, daß er besonders gut aufpassen mußte und im Falle einer Gefahr stark behindert war. Er sah den flehenden Blick aus ihren blauen Augen, und ihm wurde klar, daß sie allein vor Angst sterben würde. Dafür hatte er sie nicht gerettet. »Sie müssen mir versprechen, sich absolut ruhig zu verhalten, nur zu sprechen, wenn ich Sie etwas frage, und auch das nur ganz leise, und sich bedingungslos an meine Anweisungen zu halten, auch wenn Sie Ihnen unverständlich erscheinen.« Claire Smith nickte heftig. Die Vorstellung, in diesen düsteren Gefilden alleingelassen zu werden, erfüllte sie mit Grauen. Gordon Black vergewisserte sich, daß nichts Feindliches in der Nähe war. Sie verließen lautlos ihr Versteck und behielten ständig den Terrassenbau im Auge. Falls Gefahr drohte, kam
sie aller Wahrscheinlichkeit nach von dort. Sie untersuchten systematisch die Erdbauten in der Hoffnung, etwas Eßbares zu finden, wurden jedoch enttäuscht. »Hier unten haben die Biester alles aufgefressen, was sie nur erwischten«, vermutete Gordon Black. »Danach sind sie dann eine Region höher gezogen. Wahrscheinlich haben sie das Interesse an dieser Gruft verloren. Wir sind demzufolge hier verhältnismäßig sicher. Andererseits ist auch für uns das Überleben ohne Nahrung ausgeschlossen.« »Ich habe keinen Hunger«, versicherte Claire. »Der wird sich aber einstellen. Bis dahin müssen wir uns unbedingt versorgt haben. Hungrige Menschen lassen jede Vorsicht vermissen. In unserem Fall würde das den Tod bedeuten.« Sie schlichen weiter und entdeckten einen weiteren Abstieg. Der Dämonenjäger konnte sich lebhaft vorstellen, wie es dort unten aussah. Zweifellos noch lebloser und verkommener als in den höheren Bereichen. Er vermochte nicht zu schätzen, wie lange sich die Monster jeweils an einem Ort aufgehalten hatten. Vielleicht waren es wenige Wochen, genausogut konnten es aber auch Jahrhunderte gewesen sein. Gordon Blacks Uhr funktionierte nicht mehr. Er schrieb das den zweifellos existierenden dämonischen Einflüssen zu. »Wie spät war es, als Sie von den Spinnen gefangen wurden?« fragte er. »Es wurde gerade dunkel«, gab Claire flüsternd zurück. »Dann ist es jetzt mitten in der Nacht. Es ist nicht zu erwarten, daß um diese Zeit die Bestien weniger aktiv sind als bei Tage. Trotzdem müssen wir den Ausbruch riskieren. Je länger wir uns hier unten aufhalten, um so schwächer werden wir und um so schwieriger wird es demzufolge für uns.« »Miß Kamara wird sicher für Hilfe sorgen«, meinte das Mädchen hoffnungsvoll. »Das wird sie«, bestätigte Gordon Black. Er durfte Claire
nicht völlig entmutigen. Insgeheim aber überlegte er, daß Hanako eigentlich kaum etwas tun konnte. Sie stiegen in die nächsthöhere Gruft zurück und setzten hier ihre Suche fort. Ständig waren sie bedacht, kein Geräusch zu verursachen, das oben gehört werden konnte. Nach einiger Zeit stießen sie auf einen verhältnismäßig gut erhaltenen Bau, der fast zylindrisch angelegt war. Er hatte einen Durchmesser von ungefähr fünf Yards und war genauso hoch. In der Form unterschied er sich auffallend von den übrigen Bauten, die eher kegel- oder kuppelförmig waren. Gordon Black legte seinen Zeigefinger auf die Lippen, aber das wäre nicht nötig gewesen, denn Claire Smith verhielt sich absolut ruhig. Sie hatte längst volles Vertrauen zu dem Dämonenjäger. Sie schlichen näher, und Gordon Black hielt sicherheitshalber seine magische Schnur bereit. Er wollte keine böse Überraschung erleben. Der Eingang war niedriger als bei den anderen Bauwerken. Sie mußten sich bücken. Drinnen war es finster, aber ein süßlicher Geruch schlug ihnen entgegen. Gordon Black wurde von einem warnenden Gefühl erfaßt. Wurden sie beobachtet? Er suchte nach den rotglühenden Augen, konnte aber keine entdecken. Er faßte Claires Hand und tastete sich vorwärts. Unvermittelt wechselte der Untergrund, den er mit der Handfläche berührte. Das war nicht mehr die rauhe, trockene Erde, aus der der Bau zusammengetragen worden war. Es fühlte sich eher seidig und glatt an, darunter aber fest. »Sie haben nicht zufällig eine Taschenlampe bei sich?« fragte er leise. »Nein, aber ein Gasfeuerzeug. Vielleicht funktioniert es noch.« Sie reichte es ihm. »Es gehörte Dick«, sagte sie, und aufsteigende Tränen erstickten ihre Stimme.
Gordon Black entfachte die winzige Flamme und hielt sie dicht an das eigenartige Paket, von dem er sich irgendwelchen Nutzen erhoffte. Er prallte zurück, und Claire, die ihm über die Schulter blickte, konnte einen Entsetzensschrei nicht unterdrücken. Unter einer kokonartigen, durchscheinenden Hülle starrten sie die toten Augen eines Mannes an. *** Der alte Hammond hörte ihr ruhig zu. Fast schien es, als schliefe er, denn er hielt die Augen geschlossen. Als Hanako Kamara ihren Schreckensbericht jedoch beendet hatte, seufzte er tief und erklärte mit eigentümlich hohler Stimme: »Ich habe etwas Ähnliches erwartet, Miß. Früher oder später mußten sie Rache nehmen.« »Rache? Von wem reden Sie, Mister Hammond?« »Von den Spinnen«, klang es unheilvoll. »Wissen Sie nicht, was damals geschah, als der Earl of Cromwood im Blackhead Forest seine Jagdgelage gab?« »Ich habe nur flüchtig davon gehört. Es soll ziemlich wild dabei zugegangen sein.« Der Alte lachte rauh. »Wild? Das ist ein bißchen zu sanft ausgedrückt. Damals sind Scheußlichkeiten geschehen, die ihresgleichen suchen. Der Earl hielt sich für einen bedeutenden Magier, und angeblich gelang es ihm auch hin und wieder, böse Geister zu beschwören und Gefälligkeiten von ihnen zu erflehen. Dafür, so sagt man, mußte er bezahlen. Er tat das mit seinen Orgien, bei denen Blutopfer gebracht wurden. Hunderte junger Menschen verschwanden zu jener Zeit spurlos. Man hörte nur manchmal nachts entsetzliche Schreie aus dem Wald, doch es blieb bei Vermutungen. Ein einziges Mal gelang es einem Jüngling zu entfliehen. Er schilderte seine Erlebnisse auf grauenvolle Weise. Man hatte ihn und viele andere gezwungen,
lebendige Spinnen und deren Brut zu essen. Die Spinnenfüßer wurden regelrecht ausgerottet. Danach wurde ein Mädchen, das er liebte, über einer Opferschale getötet, und alle Teilnehmer des fürchterlichen Festes tranken ihr heißes Blut. Der Earl tat sich dabei besonders hervor.« »Entsetzlich.« »Das war es wohl«, bestätigte der alte Hammond, dessen Haar so weiß war, als hätte er das alles noch selbst erlebt. »Aber viel entsetzlicher war, was danach kam. Der Earl war ein mächtiger Mann. Er ließ nicht zu, daß man ihn in aller Öffentlichkeit beschuldigte. Er ließ den Jüngling gewaltsam verschleppen und sperrte ihn in einen engen Raum, in dem sich Hunderte giftiger Spinnen befanden. Sie töteten ihn und saugten ihn bis zum letzten Blutstropfen aus. Anschließend wurde er im Blackhead Forest verscharrt und darüber veranstaltete der Earl eine neue wilde Orgie.« Hanako Kamara hatte schon viel Abscheuliches vernommen, die Erzählung des Alten ließ aber auch sie frösteln, zumal sie nun die Gedankengänge des Mannes ahnte. »Sie glauben also, daß sich die Spinnen für ihre damalige Ausrottung rächen?« fragte sie. »Nicht nur das. Jener Jüngling hat sich zweifellos mit ihnen verbündet. Er hat Rache geschworen und wurde selbst zum Spinnentier. Er und andere Opfer, die er wohl auf seine Seite zog. Sie mußten lange warten, bis sie ihren Feldzug gegen alles Lebende beginnen konnten, doch nun ist es soweit. Sie werden nicht ruhen, als bis sie alles Leben in weitem Umkreis vernichtet haben.« »Aber dagegen muß man doch etwas tun können.« Die Asiatin wollte nicht glauben, daß sie zur Untätigkeit verdammt war. Der Greis schüttelte bedächtig den Kopf. »Haben Sie nicht selbst gesagt, daß sogar ein Dämonenjäger den Kampf gegen die rachedurstigen Kreaturen verloren hat? Sie fressen alles
und werden dadurch immer stärker. Wenn die Polizei jetzt auch den Wald absperrt, damit sich ihm niemand mehr nähert, so kann sie doch den Vögeln nicht verbieten, sich dort niederzulassen, und auch das Wild wird durch ihre Reihen schlüpfen. Von den Pflanzen ganz zu schweigen. Auch diese bringen den Bestien Nahrung, wenn die Spinnen auch zweifellos die Menschen, denen ihr ganzer Haß gilt, bevorzugen.« »Trotzdem!« sagte Hanako entschlossen. »Wir müssen es versuchen. Wenn man sie aushungert, werden sie zugrunde gehen.« Der alte Hammond sah der zierlichen, aber überaus energischen Frau mit wehmütigem Lächeln nach. »Du wirst nichts erreichen«, flüsterte er bekümmert. »Sobald die Spinnen in Not geraten, werden sie ausbrechen und unsere Dörfer und Städte heimsuchen. Dann wirst du die erste sein, die sie sich holen.« *** »Das ist Sergeant Duffy«, sagte Claire Smith, nachdem sie sich halbwegs beruhigt hatte. »Ich erkenne ihn genau. O Gott! Was haben sie mit ihm getan?« »Sie haben ihn getötet und hierher verschleppt«, erklärte Gordon Black, der inzwischen weitersuchte und ähnliche Kokons entdeckte, in denen Tote steckten. »Sie töten also nicht nur, um ihre Opfer zu vertilgen, sondern offenbar aus Lust am Morden.« Gordon Black schüttelte den Kopf. »Das sieht eher wie ein Nahrungsmitteldepot aus«, fand er. »Sie stapeln hier ihre Vorräte für schlechtere Zeiten. Auf diese Weise sind sie in der Lage, auch Perioden zu überstehen, in denen sie nichts Vertilgbares finden.« »Es würde also zum Beispiel gar nichts nützen, wenn die
Polizei oder die Armee versuchte, die Scheusale auszuhungern.« »Das befürchte ich. Diese Bestien sind umsichtiger, als ich gedacht habe. Sie werden nicht nur von ihrem Freßinstinkt geleitet. Sie sind entschlossen zu überleben, und ich weiß noch nicht, wie ich sie daran hindern soll.« Sie spürten noch weitere Depots auf. Alle besaßen eine zylindrische Form, waren also verhältnismäßig leicht zu erkennen. Die Vorräte der Weißlinge waren beachtlich. Gordon Black entdeckte eine ganze Reihe von eingesponnenen Schafen und sogar eine ausgewachsene Kuh. Für ihn bestand kein Zweifel, daß es sich um die Mary der Hallys handelte, von der ihm berichtet worden war. Er überlegte, ob die Tiere nicht auch für sie genießbar waren. Mit Hilfe des Feuerzeugs gelang es ihm sicher, ein Feuer zu entzünden und darauf Fleisch zu braten. Das mußte natürlich in einer tieferen Region geschehen, damit die Spinnen nicht durch den Geruch aufmerksam wurden. Ein ganzes Schaf den weiten Weg mitzuschleppen, war zu mühsam, aber Claire besaß ja ein Messer. Mit dem ließ sich ein Stück Fleisch herauslösen. Zumindest war es einen Versuch wert. Er teilte ihr seinen Vorschlag mit, und sie schüttelte sich vor Ekel. Der Gedanke, sich an einem Braten zu stärken, der von den gräßlichen Menschtieren gerissen worden war, erschreckte sie zutiefst. Gordon Blacks ernster Blick erinnerte sie jedoch an ihr Versprechen, sich seinen Anweisungen unterzuordnen. Sie wußte, daß sie sich auf diesen Mann verlassen mußte, wollte sie nicht doch noch Dicks Schicksal teilen. Während ihr erneut Tränen in die Augen traten, holte sie aus der Tasche ihrer Schürze das Messer hervor, um es dem Dämonenjäger zu reichen.
Doch Gordon Black dachte nicht mehr daran, wie er den aufkeimenden Hunger verdrängen konnte. Voller Entsetzen sah er hinter Claire ein paar riesige Spinnen auftauchen. Sie hatten sie entdeckt, und für eine Flucht war es zu spät. Er zählte fünf Weißlinge, und ihre Fratzen drückten Tötungswillen aus. Sie waren über die Entdeckung ihrer Depots wütend. Anscheinend hatten sie sich gerade aus einem versorgen wollen. Fünf Spinnen, und er besaß lediglich seine magische Schnur. Das konnte nicht gutgehen. Er riß Claire zu sich heran und brachte sie dadurch vorübergehend aus der unmittelbaren Gefahrenzone. Er deckte sie mit seinem Körper und wartete mit der Schnur in beiden Händen auf den ersten Angriff. Er hoffte, daß die Biester sie nicht einkreisten, doch kaum hatte er das gedacht, als sie es auch schon taten. Todesmutig stürzte er sich auf eine der Bestien und versuchte, gleich mit dem ersten Schlingenwurf ihren Kopf zu treffen. Doch die Spinnen waren reaktionsschnell, wenn sie auch plump und unbeweglich wirkten. Der Kopf zuckte zurück. Dafür schlugen ein paar Gliedmaßen nach dem Dämonenjäger. Eine davon traf ihn und fegte ihn zur Seite. Er sah, als er sich aufraffte, daß sich zwei Spinnen dem Mädchen zuwandten, das aus Leibeskräften schrie. »Laufen Sie!« schrie er, aber dazu war Claire nicht mehr fähig. Sie stand wie eine Wachspuppe, und sie war auch so bleich. Gordon Black wehrte einen Angreifer ab. Ihn konnte er mit der Schnur vernichten, doch es blieben noch die anderen, und schon bald würde vermutlich Nachschub eintreffen. Er schlug sich mit äußerster Willenskraft zu der Schreienden durch, die in arge Bedrängnis geriet. Etwas blitzte sekundenlang auf, und Gordon Black traute
seinen Augen nicht. »Werfen Sie mir das Messer zu!« schrie er aufgeregt. »Woher haben Sie es?« »Ich – ich habe es gefunden. Oben im Wald.« Sie wollte das Messer werfen, das Gordon Black zu seiner grenzenlosen Überraschung als seinen Hexendolch erkannt hatte, doch die Scheusale witterten die Gefahr. Sie schirmten sie mit ihren mächtigen Leibern ab und trennten sie so von dem Dämonenjäger. Gordon Black hatte nicht mehr mit einer derartigen Chance gerechnet. Das Athame war weitaus wirksamer als die Schnur. Er mußte es haben. Ohne Rücksicht auf sich selbst warf er sich auf den Rücken einer Spinne und schlang ihr die Schnur um den Kopf. Das ging blitzschnell, und das Ungeheuer wurde von dem Angriff überrumpelt. Es war nicht in der Lage, seinen Reiter abzuschütteln oder ihm gar mit seinen Greifern gefährlich zu werden. Das Ende der Bestie kam schnell. Im Todeskampf bäumte es sich allerdings steil auf und fiel anschließend auf den Rücken. Gordon Black mußte geistesgegenwärtig zur Seite springen, um nicht zermalmt zu werden. Es gelang ihm mit äußerster Mühe. Er sah, wie Claire Smith den Hexendolch warf. Er flog nicht in seine Richtung, und die Weißlinge reagierten spontan. Zwar hüteten sie sich, die für sie so gefährliche Waffe zu berühren, doch sie setzten alles daran, daß auch der Geistervernichter sie nicht erreichte. In seiner Hand wurde sie erst voll wirksam. Einen Erfolg zeigte das Manöver. Die Blutsäufer ließen vorübergehend von dem Mädchen ab, um sich ihrem ärgeren Feind zuzuwenden. Gordon Black schlug mit der roten Schnur um sich und setzte auch das silberne Kruzifix ein, das er an einer Kette um den Hals trug. Diese Angriffe verschafften ihm ein wenig
Bewegungsfreiheit, wenn er auch sorgfältig darauf achten mußte, daß er den gierigen Händen der Monster nicht in Greifnähe kam. Sie bedrängten ihn von mehreren Seiten. Er atmete ihren lähmenden Atem und sah die blutigroten Augen dicht vor sich. Mäuler wurden aufgerissen. Zähne schnappten nach seinem Hals und rissen ihm Hautfetzen herunter. Er fühlte brennende Schmerzen und erhielt einen anschaulichen Vorgeschmack von der Hölle. Endlich aber glückte es ihm doch durch eine Finte, sich in den Besitz des Hexendolches zu bringen. Als er den Griff in der Hand spürte, durchströmte ihn die Kraft der Dämonenwaffe. Er fühlte sich gestärkt, obwohl ihn die bisherigen Strapazen enorm gefordert hatten. Er gönnte sich keine Pause, sondern ging unmittelbar zum Gegenangriff über. Seine größte Sorge war, daß weitere Spinnen auftauchten, bevor er diese hier besiegt hatte. Sein unmittelbares Gegenüber wich zurück, als er sich todesmutig auf ihn stürzte. Von der Seite schlug eine Klaue nach ihm und versuchte, seinen bewaffneten Arm zu zerschmettern. Der Hieb sauste knapp vorbei, doch der Schlag hinterließ im Erdreich eine fürchterliche Spur, die die Wirkung deutlich werden ließ. Diese Biester konnten einem Menschen mit einem einzigen Hieb das Rückgrat brechen. Verbissen stellte sich Gordon Black seiner Aufgabe. Seit er sich hier unten in der Gruft befand, war seine Lage noch nie so hoffnungsvoll gewesen. Das Bewußtsein, es schaffen zu können, erfüllte ihn mit neuer Energie. Er führte einen Streich mit der Klinge und brachte damit einen der Weißlinge zu Fall. Weiter konnte er sich nicht um ihn kümmern, denn von zwei Seiten wurden klebrige Fäden auf ihn abgeschossen. Die Absicht der Spinnen war klar. Er sollte bei lebendigem Leib eingesponnen und bewegungsunfähig gemacht werden. Wenn ihnen das gelang, konnte er auch das Athame nicht mehr
einsetzen. Er wäre verloren und würde vermutlich als Kokon in eines der Nahrungsmitteldepots wandern. Er duckte sich und wich dadurch einem heimtückischen Faden aus. Im gleichen Moment legte sich eine Fessel auf seinen rechten Arm und riß ihn an seinen Körper heran. Er vermochte nicht mehr, ihn zu rühren. War das das Ende? Zwei Bestien zischten triumphierend und stürzten sich auf ihn. Rasch wechselte er den Dolch in die linke Hand, die noch frei war. Ein blitzschneller Schnitt, und der Spinnenfaden zersprang wie eine gläserne Fessel. Im nächsten Moment stieß er zu. Die Klinge trennte eine Greifzange vom Arm und sauste weiter. Das getroffene Tier schrie gequält auf. Es versuchte noch einen letzten verzweifelten Angriff, aber die Wunde war zu fürchterlich. Die andere Spinne ließ sich dadurch nicht abschrecken. Sie wirbelte mit einer Geschwindigkeit herum, die man ihr bei der scheinbaren Plumpheit nicht zugetraut hätte. Ein paar Hiebe trafen Gordon Black und ließen ihn durch die Luft segeln. Dabei krampfte sich seine Hand um den Griff des Hexendolches. Ein zweites Mal wollte er ihn nicht verlieren. Der Aufschlag nahm ihm fast die Besinnung. Der ganze Körper wurde durchgeschüttelt, und irgendwo krachte es verdächtig. Der Weißling raste wie ein Nashorn heran. Er war entschlossen, den Kampf endlich zu beenden. Noch nie hatte es mit einem Opfer solche Schwierigkeiten gegeben. Gordon Blacks Arm zuckte vor. Er zielte auf ein Auge, das sich förmlich in ihn hineinfraß. Als die Klinge darin verschwand schien der Boden unter seinen Füßen zu beben. Das Geschrei der verendenden Spinne war ungeheuerlich. Durch ihren Leib ging ein konvulsivisches Zucken. Ihre Hände peitschten den Untergrund und warfen
riesige Staubwolken auf, die einen gefährlichen Nebel bildeten, durch den der Dämonenjäger nicht hindurchblicken konnte. Er sprang zwei Schritte zurück, da er mit einem neuerlichen Angriff rechnete, doch nichts geschah. Alles blieb ruhig, wenn man von dem ersterbenden Röcheln der Besiegten absah. Gordon Black blickte sich nach den restlichen Gegnern um. Er hatte erst drei besiegt, zwei waren noch übrig. Doch so gewissenhaft er auch suchte, sie waren nicht mehr da. Und mit ihnen war Claire Smith verschwunden. Er wußte nur zu gut, was das bedeutete, und heißer Zorn bemächtigte sich seiner. *** Über eine Stunde hatte Hanako Kamara mit Chefinspektor Burns und Inspektor Hammerbrook gesprochen. Ihre Worte hatten an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriggelassen. Die Männer, sogar Hammerbrook, waren äußerst beeindruckt von dieser energischen Frau, die so sanft wirkte, als wollte sie ständig beschützt werden. »Die Frage kann nicht lauten«, erklärte sie gerade, »ob Hammond mit seiner Theorie recht hat oder nicht. Tatsache ist, daß die Scheusale existieren und, wie ich fürchte, in beträchtlicher Zahl. Wir müssen also lediglich festlegen, auf welche Weise wir ihnen beikommen können.« »Und vermutlich haben Sie auch bereits eine Idee«, meinte Hammerbrook, den die Ereignisse überrannt hatten und der seine abfällige Meinung über den Dämonenjäger und dessen Mitarbeiterin heimlich revidiert hatte. Er war heilfroh, daß die Asiatin da war. Sie kannte sich offensichtlich mit diesen Dingen aus, was allerdings keine Erfolgsgarantie war, denn Gordon Black hatte sich trotz seines Wissens nicht gegen die Weißlinge behaupten können. Zweifellos lebte er längst nicht mehr.
Die Frau nickte. »Wir müssen die Bestien aushungern. Notfalls müssen wir den ganzen Wald opfern.« »Sie meinen, wir sollen ihn niederbrennen?« fragte Burns. »Zu diesem Mittel greife ich nur ungern«, gab Hanako zu, »zumal ich nicht mit Sicherheit weiß, wen wir damit gefährden. Zunächst sollten wir versuchen, sämtliche noch verbliebenen Tiere aus dem Blackhead Forest zu vertreiben. Dazu benötigen wir gepanzerte Fahrzeuge.« »Die müßten wir erst anfordern.« »Dann tun Sie das, Chefinspektor. Die Armee muß uns helfen.« »Das dauert Tage. Sie haben ja keine Ahnung, wie träge der Apparat ist. Zudem traue ich mir, ehrlich gesagt, nicht zu, die zuständigen Herren von der Existenz riesiger Killerspinnen zu überzeugen, die sich nicht mal von den Gewehren der Polizei haben einschüchtern lassen.« Hanako biß sich auf die Lippen. Sie wußte, daß Burns recht hatte. Bei der Armee würde sich niemand der Lächerlichkeit preisgeben wollen. Bis ein Mann gefunden wurde, der die Verantwortung übernahm, konnte es schon zu spät sein. »Versuchen Sie es trotzdem«, beharrte sie. »Bis dahin müssen wir uns mit Planierraupen und ähnlichen schweren Baufahrzeugen behelfen.« Inspektor Hammerbrook meldete seine Bedenken an. »Die Fahrzeuge sind kein Problem«, sagte er. »Eine ganze Baukolonne arbeitet zur Zeit an einer neuen Kanalisation im westlichen Camington. Doch ich fürchte, daß wir nicht genug Männer finden werden, die bereit sind, damit in den Blackhead Forest zu fahren. Die letzten Ereignisse haben sich schnell herumgesprochen. Die Leute sind verstört und wollen nichts riskieren.« »Das kann ich ihnen auch nicht verdenken. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe gesehen, wie zwei Menschen von den grausigen Tieren in den Erdboden gezerrt wurden. Die Gefahr
ist groß. Aber wenn die Männer erfahren, daß eine Frau ihren Zug anführen wird, lassen sie sich vielleicht doch von der Notwendigkeit überzeugen.« »Sie wollen sich selbst dieser Gefahr aussetzen, Miß Kamara?« »Bevor ich nicht Mister Blacks Leichnam gefunden habe, werde ich nicht ruhen, bis ich ihn dort herausgeholt habe.« Die dunklen Augen der Asiatin blitzten entschlossen auf, und die beiden Männer mußten die mutige Frau einfach bewundern. *** Mit dem Hexendolch in der Hand begann er zu laufen. Er hatte ein Geräusch gehört, das wie unterdrücktes Wimmern klang. Dazwischen war ein Schnaufen und leises Poltern. Gordon Black holte das Letzte aus sich heraus. Seine Beine bewegten sich mechanisch wie die Hebel einer Maschine. Erschöpfung konnte er sich in dieser bedrängten Situation nicht erlauben. Claire schwebte in höchster Gefahr. Er hoffte inständig, daß er nicht zu spät kam. Die Laute drangen aus der hinteren Region. Und dann entdeckte er sie. Für Sekunden drohte sein Herzschlag auszusetzen. Das Mädchen lag am Boden und schluchzte. Eines der Spinnentiere stand über ihr und drohte, es zu erdrücken. Das andere zerrte an dem Opfer und wollte es fortschleppen. Früher oder später mußten sie Claire in Stücke reißen. Er mußte schleunigst eingreifen. Falls er aber den Weißling tötete, der über dem Mädchen stand, würde der stürzende Körper es unweigerlich zerquetschen. Er rannte, so schnell er nur konnte, doch er wußte im voraus, daß er es nicht mehr schaffen konnte. Die Distanz war zu groß. Claire schrie auf. Die Bestien fügten ihr Schmerzen zu.
Keine wollte auf den Leckerbissen verzichten. Futterneid beherrschte sie, obwohl ihre Depots gefüllt waren. Anscheinend waren sie wählerisch und zogen frische Nahrung, noch dazu so junge, appetitliche, ihren Konserven vor. Sie wurden immer wilder und wütender. Der eine Weißling zog sich zwar zurück, aber nur, um mit einem Anlauf gegen den anderen anzustürmen. Sie krachten gegeneinander, und Gordon Black schloß die Augen. Claire Smith rührte sich nicht. Wenn sie über sie hinwegtrampelten, war es um sie geschehen. Die bleichen Greifer, die gerade noch an dem Mädchen gezerrt hatten, schlugen aufeinander ein. Platschende Geräusche waren zu hören. Der Kampf sah grotesk aus, doch zum Lachen bestand kein Grund. Der Sieger würde über Claire herfallen. Das mußte er verhindern. Möglichst lautlos pirschte er sich näher. Er durfte die Kämpfenden nicht reizen. Womöglich hätten sie zu früh ihr Interesse aneinander verloren. Falls sie sich gegenseitig schwächten, vielleicht sogar ein paar Wunden zufügten, konnte ihm das nur recht sein. Claire hätte jetzt fortlaufen können, doch sie tat es nicht. Entweder war sie bewußtlos – oder tot. Die Weißlinge fochten einen erbitterten Kampf. Ihre Spinnenbeine umschlangen den Gegner. Ihre Mäuler schnappten nach dem anderen. Dabei grunzten und hechelten sie widerlich. Gordon Black schlug einen Bogen. Er verschwand hinter einem der Bauten und hoffte, sich unbemerkt anschleichen und das Mädchen in Sicherheit bringen zu können. Allerdings verlor auch er dadurch die Monster für kurze Zeit aus den Augen. Als sich ihr Gebrüll verstärkte und gleichzeitig vom Niedergang her weitere Scheusale auftauchten, die allerdings noch eine erhebliche Strecke zurückzulegen hatten, befürchtete
er das Schlimmste. Jetzt durfte er nicht mehr zögern. Er warf sich vor und wollte sich auf die Ungeheuer stürzen, um ihnen das Athame zu kosten zu geben. Überrascht und angeekelt prallte er zurück. Der Zweikampf war zu Ende. Die etwas gedrungenere Spinne hatte die Oberhand behalten, und sie war nun dabei, den Unterlegenen genüßlich zu verspeisen. Der Gedanke, daß sich die riesigen Tiere auch selbst fressen könnten, war Gordon Black noch nie gekommen. Jetzt wurde er Zeuge dieses widerlichen Schauspiels, das ihn nur deshalb mit Genugtuung erfüllte, weil er ohne sein Zutun einen Angreifer verlor. Mit drei mächtigen Sätzen sprang er auf den Sieger zu. Dieser spürte ihn zwar, war aber nicht mehr schnell genug. Der Hexendolch vergrub sich in ihm. Der Todeskampf währte nur Sekunden. Völlig ausgelaugt wandte sich der Dämonenjäger der Bewußtlosen zu. Sie kam eben wieder zu sich und lächelte ihn an. Erst als sie die beiden toten Monster sah, von denen das angefressene einen besonders scheußlichen Anblick bot, schrie sie entsetzt auf. Gordon Black steckte den Hexendolch zu sich und lief mit Claire davon. Er mußte sie tragen. Sie war zu erschöpft. Seine Verfolger, deren Zahl er kaum schätzen konnte, so viele waren es, trieben ihn weiter. An der Kampfstelle verharrten sie jedoch, und Gordon Black sah von weitem, daß sie das Mahl beendeten, das ihr Artgenosse begonnen hatte. Binnen weniger Augenblicke war von dem einen Weißling nichts mehr zu sehen, An dem anderen vergriffen sie sich allerdings nicht. Sie machten einen respektvollen Bogen um ihn, obwohl er sich als Nahrung geradezu anbot. Woran mochte das liegen? Es konnte nur die Berührung durch den Hexendolch sein. Diese Waffe hatte die tote Bestie für die anderen ungenießbar
werden lassen. Ein faszinierender Gedanke schoß dem Dämonenjäger durch den Kopf. Plötzlich sah er einen Weg, wie er der zahlenmäßig so riesigen Übermacht Herr werden konnte. Ob seine Idee funktionierte, wußte er allerdings noch nicht. Lediglich die Hoffnung bestand. Doch zunächst galt es, die gefräßige Meute abzuschütteln, die ihren Hunger durch die Mahlzeit noch keineswegs gestillt sah. Inzwischen kannte er sich schon leidlich in dem Gewirr von halb zerfallenen und intakten Gebäuden aus. Er hatte sich ihre Eigenarten genau eingeprägt und mied jetzt solche, die für Claire und ihn eine Falle darstellten. Er zog in Erwägung, erneut die nächst tiefere Gruft aufzusuchen, in die sie ihm möglicherweise nicht folgen würden, diesen Gedanken verwarf er jedoch wieder, denn er hatte dort unten keine Chance, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Eine weitere Verzögerung konnte er sich aber nicht erlauben. Seine Kräfte würden nicht ewig anhalten. Früher oder später war er vor Schwäche aktionsunfähig. Er lief auf eines der zylinderförmigen Depots zu, obwohl Claire ihn bat, einen anderen Unterschlupf zu wählen, denn ihr graute vor den eingesponnenen Leichen. Auch Gordon Black konnte sich eine erfreulichere Gesellschaft vorstellen, doch er hatte die Absicht, sofort in Erfahrung zu bringen, ob sein Plan Erfolg versprach. Nach seiner Schätzung hatte er höchstens eineinhalb Minuten Zeit, dann waren die Verfolger zur Stelle. Er zerrte einen der Toten von dem Stapel, der sich im Inneren des dunklen Raumes befand, und schleifte ihn vor den Bau. Unter Anrufung Adonays stieß er das Hexenmesser in die Brust des Leichnams und ritzte ein Kreuz hinein. Anschließend drückte er sein Kruzifix auf die nicht blutende Wunde und wandte sich dem nächsten Kokon zu.
Mit diesem verfuhr er ebenso, während Claire schluchzend ihr Gesicht in den Händen verbarg. Sie war nicht fähig, dem grausigen Schauspiel zu folgen. Dann waren sie heran. Zweifellos waren es mehr als zwanzig Tiere, die genau wußten, wo das Mädchen und er steckten. Wenn sich seine Hoffnungen nicht erfüllten, mußte Gordon Black versuchen, Claire durch die kleine Öffnung im Dach des Silos zu schieben und hinterherzuklettern. Von dort aus mußten sie weiter fliehen, bis sich die Verfolger zerstreuten und ein Kampf wieder sinnvoll wurde. Gegen zwanzig Weißlinge gleichzeitig konnte er auch mit dem Hexendolch nicht antreten. Die Monstren prallten zurück und fauchten aufgeregt. Sie sahen einen Teil ihrer Vorräte mundgerecht vor sich liegen, aber da war etwas, was sie zurückhielt, eine Kraft, die ihnen Übelkeit bereitete. Gordon Black hatte den zweiten Leichnam quer vor den Eingang gelegt. Durch die Bearbeitung mit dem Athame bildete er eine Bannsperre, die die Weißlinge nicht überwinden konnten, jedenfalls unternahmen sie keinen Versuch. Die ekelhaften, bleichen Tiere bildeten ein verstörtes Durcheinander. Doch das durfte nicht über ihre Gefährlichkeit hinwegtäuschen. Gerade weil sie sich einem Angriff ausgesetzt sahen, gegen den sie noch keine Abwehr wußten, wurden sie unberechenbar. Der Dämonenjäger vergaß auch nicht, daß Claire und ihm ebenfalls Nahrung fehlte. Wenn er nicht schnell zum Erfolg kam, hielten sie die Belagerung nicht durch. Draußen steigerte sich die Erregung. Ein paar der Tiere machten kehrt und krochen zu einem der anderen Depots. Es existierten mindestens sieben Stück. So viele hatte Gordon Black bis jetzt entdeckt. Vielleicht war aber ihre Zahl noch erheblich größer. Nur wenn er bei allen den Inhalt für die Scheusale
ungenießbar machen konnte, konnte die zweite Stufe seines Plans klappen. Vorläufig aber saß er hier fest. Sobald er sich zeigte, würden sie über ihn herfallen und umbringen. Eine Spinne versuchte das unmöglich Scheinende. Mit zwei weißen Händen griff sie zögernd nach dem Kokon vor dem Eingang und wollte ihn beiseiteschieben. Die Folge war ein langgezogenes Geheul, das sich wie das eines hungrigen Coyoten anhörte. An den greifenden Händen bildeten sich Brandblasen, die offensichtlich furchtbar schmerzten. Die Spinne zog sich schleunigst zurück, wurde aber sofort von ihren Artgenossen angefallen, die die augenblickliche Schwäche der anderen zu ihrem Vorteil nutzten. Es war gräßlich anzusehen, wie sie einen der ihren vertilgten. Sie brauchten Nahrung, und sie nahmen sie sich, wo sie sie bekommen konnten. Gordon Black hätte sich am liebsten übergeben, doch er frohlockte. Genauso hatte er es sich vorgestellt. Niemand konnte die Weißlinge besser vernichten als sie selbst. Er hoffte, daß sie sich schnell dezimierten und ihm den Kampf gegen die Überlebenden vereinfachten. Aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Als die Unglückliche aufgefressen war, blieben sie friedlich. Sie folgten denen, die sich schon vorher auf eines der übrigen Depots zubewegt hatten. In diesen Bauten lagerten Vorräte, die ihnen genügend Kraft für lange Zeit schenken würden. Mehr Zeit als sie benötigten, um ihren einzigen wirklichen Feind zu bezwingen. »Ich muß Sie jetzt hier lassen, Claire«, sagte Gordon Black zu dem wimmernden Mädchen. »Sie brauchen keine Angst zu haben. Der Eingang ist gesichert. Sie dürfen den Bau nur nicht ohne mich verlassen.« »Was haben Sie vor?« »Ich will die Freßlinge auf Diät setzen«, meinte der Dämonenjäger mit einem vorsichtigen Lächeln, obwohl noch
kein Anlaß zu Frohsinn bestand. »Ich würde Ihnen so gerne helfen.« »Das können Sie, indem Sie sich ganz ruhig verhalten und auf meine Rückkehr warten. Versprochen?« »Versprochen.« Gordon Black hatte keine Mühe, über den präparierten Kokon, in dem sich, ohne daß er es wußte, einer der vermißten Hushing-Brüder befand, zu steigen. Auf ihn hatte der Dämonenbann keine Wirkung. Die Biester hatten sich alle verzogen und waren nun dabei, eines ihrer Depots zu plündern. Dorthin konnte er also nicht gehen. Er mußte sich die anderen fünf vornehmen. Das tat er systematisch. Aus jedem Lager holte er so viele Kokons, wie Eingänge vorhanden waren. Meistens genügte ein einziger. Er beschwor sie und ritzte das Kreuzeszeichen in sie hinein. Nach der Berührung mit dem silbernen Kruzifix versperrte er mit ihnen die Eingänge. Dadurch erübrigte sich, auch die restlichen Vorräte ungenießbar zu machen, was einen enormen Zeitaufwand bedeutet hätte. Auf diese Weise präparierte er vier Depots, ehe die Weißlinge auf ihn aufmerksam wurden. Sie unterbrachen ihre Mahlzeit und stürmten los. Einige nahmen Kurs auf ihn, die anderen untersuchten die Depots und wurden ausnahmslos enttäuscht. Wie erwartet, fielen sie nun über ihresgleichen her. Eine regelrechte Panik brach aus. Diesen Zustand benutzte Gordon Black, zwei von ihnen mit dem Hexendolch zu töten. Außerdem gelang es ihm, auch das nächste Depot abzuschirmen. Blieb nur noch eins, und das war ohnehin fast ausgeräumt. Trotzdem rannte er auch dort hinüber und zog eine gefräßige Verfolgerschar nach sich. Sie waren zu dicht hinter ihm, so daß er nicht wagen konnte, den Bau zu betreten, denn er besaß lediglich den einen Zugang.
Freiwillig begab er sich nicht wieder in eine Falle. Was sollte er tun? Vor Schwäche konnte er sich kaum noch aufrecht halten. Ein leichter Hieb mußte ihn bereits von den Füßen reißen. Dennoch blieb ihm keine Wahl. Er mußte einen der Weißlinge vor dem Eingang töten und mit ihm die Vorratskammer versperren. Das war der einzige Weg. Aber es kam nicht ein Einzelgänger. Sie waren zu acht. Mehr waren anscheinend nicht übriggeblieben. Doch diese schienen stärker zu sein als alle, mit denen er zuvor zu tun gehabt hatte. Das war auch kein Wunder, denn sie waren vollgefressen uns strotzten daher vor Kraft. Gordon Black konzentrierte sich. Noch einmal rief er alle guten Geister um Beistand an. Dies war möglicherweise sein entscheidender Kampf. Er mußte ihn gewinnen. Der Angriff raste wie ein Sturm über ihn hinweg. Der Bau erzitterte, als die Weißlinge gegen ihn krachten. Falls sie die Wände zum Einsturz brachten, kamen sie an die restlichen Vorräte heran. Allem Anschein nach aber hatten die Biester ihre Behausungen solide errichtet. Sie hielten den Ansturm aus. Gordon Black stand dicht neben dem Eingang. Er wartete, bis eines der Ungeheuer auf der richtigen Stelle stand. Dann stach er blitzschnell zu. Der Weißling taumelte und riß das Athame mit sich fort. Der Dämonenjäger war wieder seiner wichtigsten Waffe beraubt. Er holte die rote Schnur hervor, wußte jedoch, daß sie ihm nicht helfen würde. Die Monster waren stärker und mächtiger geworden. Sie hatten aus ihren Opfern und ihren Artgenossen Kraft getankt. Die Kordel mußte versagen. Immerhin war nun der Eingang versperrt. Sämtliche Vorräte waren dem Zugriff der Killerbestien entzogen. Nur Claire und er selbst waren noch verfügbar. Gordon Black keuchte schwer. »Claire!« schrie er aus
Leibeskräften. »Kommen Sie heraus!« Das Mädchen gehorchte auf Kommando. Die Weißlinge sahen sie und wandten sich ihr augenblicklich zu. Das hatte der Dämonenjäger beabsichtigt. Mit kühnem Sprung holte er sich sein Hexenmesser zurück und fegte hinter den Untieren her. Eins tötete er mit dem ersten Stich, zwei andere verletzte er nur geringfügig. Sie wurden sofort von den vier anderen vertilgt. Weiter kümmerte sich Gordon Black nicht mehr um die Bestien. Er eilte zu Claire Smith und zog sie mit sich fort. »Wohin?« fragte das Mädchen kläglich. »Nach oben. Zur obersten Gruft. Von dort aus müssen wir den Weg ins Freie suchen.« Die Monster folgten ihnen nicht sofort. Mit einem Blick zurück erkannten die Flüchtenden, daß die vier in einen heftigen Überlebenskampf verstrickt waren. Nur der Stärkste würde ihn als Sieger verlassen. Sie hetzten die Stufen der Terrasse empor. Zu ihrer Erleichterung stellten sich ihnen keine neuen Gegner in den Weg. Anscheinend existierten weiter keine. Sie mußten sich erst wieder vermehren. Gordon Black hatte vor, die Stelle aufzusuchen, an der Claire und Dick in die Tiefe gezogen worden waren. Dort hoffte er, den Aufstieg zu schaffen. Während er noch nach einer günstigen Möglichkeit suchte, wurde er durch das Schnaufen hinter sich herumgerissen. Der Anblick, der sich ihm bot, ließ sein Blut gerinnen. Ein Weißling jagte heran. Er war riesig. Mindestens doppelt so groß wie die bisherigen. Vermutlich war er der Überlebende, der seine drei Konkurrenten vertilgt hatte. Dieser Nahrungsüberfluß hatte ihn nicht nur groß und stark, sondern auch beängstigend schnell gemacht. In wenigen Sekunden hatte
er sie erreicht, und dann gab es kein Pardon mehr. Sollte alles umsonst gewesen sein? Gordon Black betrachtete das Athame in seiner Hand. Gegen die tobende Naturgewalt nahm es sich lächerlich aus. Die Erde erzitterte. Erdbrocken stürzten auf Claire Smith und Gordon Black herab und schlugen sie nieder. Bevor der Dämonenjäger dem Mädchen auf die Füße helfen konnte, war das Untier bei ihnen und schlug sein gewaltiges Gebiß in sie hinein. Claire schrie gellend auf, und auch Gordon Black spürte schmerzhaft die unerbittlichen Zähne, die ihn an der Schulter erwischten und nicht mehr losließen. Wie wild stach er mit dem Hexendolch um sich. Vergebens. Er wurde in die Höhe gerissen und merkte gar nicht, daß sein linker Arm noch immer schützend das Mädchen umklammert hielt. Überall waren die weißen Hände und schlugen das Leben aus ihm heraus. Und währenddessen biß sich das Monstrum an ihm fest. Er hatte verspielt. *** »Mein Gott, das ist Gordon!« schrie Hanako Kamara, die den Bagger bediente. Mit geweiteten Augen erkannte sie, was sie mit der eisernen Kralle aus dem Waldboden herausgewühlt hatte. Auch der Dämonenjäger begriff im selben Moment, daß er nicht von den Zähnen des Weißlings gehalten wurde. Nur vage konnte er sich zusammenreimen, was seine Mitarbeiterin inzwischen hier oben auf die Beine gestellt hatte. Zu Begeisterungsrufen bestand auch noch kein Anlaß, denn schon quoll die Killerspinne aus dem Erdreich hervor, und sie war fast so groß wie eines der Baufahrzeuge, deren Rattern einen Höllenlärm veranstaltete.
Sie stürzte sich augenblicklich auf Gordon Black, den die Baggerschaufel inzwischen freigegeben hatte. Claire lag benommen zwischen aufgebrochenen Erdschollen. Sie atmete noch schwach. »Die Peitsche!« schrie Hanako. In ihrer Hand hielt sie einen stockähnlichen Gegenstand, den sie dem Mann geschickt zuwarf. Die Dämonenpeitsche! Es war Gordon Blacks furchtbarste Waffe, die er nur mit Bedacht und im äußersten Notfall einsetzte. Zu leicht konnten auch gute Geister oder gar Menschen durch ihre unvorstellbare Kraft in Mitleidenschaft gezogen werden. Jetzt hatte er keine andere Wahl. Mit entschlossenem Ruck schleuderte er die fünf verderbenbringenden Schnüre aus dem hohlen Griff. Er schwang die Waffe und führte einen gezielten Schlag, der die Luft mit einem singenden Diskant erfüllte. Die Wirkung war entsetzlich. Das gräßliche Scheusal wurde voll getroffen. Es verendete auf der Stelle und zerfiel zu braunem Staub, kaum vom Waldboden zu unterscheiden. Gleich darauf bebte die Erde. Ringsum zuckten Flammen auf. Im Nu brannte der Wald lichterloh. »Raus hier!« brüllte Gordon Black. Er hob Claire zu Hanako in die Kabine des Baggers und schwang sich hinterher. Die Asiatin donnerte mit dem ungewohnten Gefährt bereits los, und auch alle übrigen Baufahrzeuge, die von Polizeibeamten und anderen unerschrockenen Männern gelenkt wurden, schafften den Durchbruch aus dem flammenden Inferno. In sicherem Abstand kamen die Maschinen zum Stehen. Erschüttert blickten alle Beteiligten auf das alles zerstörende Meer wabernder Flammen, das eine immense Hitze ausstrahlte. Der Blackhead Forest wurde bis auf den letzten Strauch vernichtet. Nie wieder würden aus einer Gruft mordende Ungeheuer aufsteigen.
Gordon Black merkte erst nach einer Weile, daß er beide Arme um die Frauen neben sich gelegt hatte. Claire Smith weinte leise vor sich hin. Langsam fand sie Zeit zu begreifen, wie Furchtbares ihr widerfahren war und welch schmerzlichen Verlust durch Dicks Tod sie erlitten hatte. Hanako Kamara sah den Dämonenjäger mit tapferem Lächeln an. Sie wirkte erleichtert. Auch in ihren Augen glänzte es feucht, und das lag sicher nicht nur an dem beißenden Qualm, der von der Schreckensstätte herüberwehte. ENDE
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