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Dumpf rollte Kanonendonner über das Wasser. Stimmen schrien durcheinander. Schwere Eisen...
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Seewölfe 112 1
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Dumpf rollte Kanonendonner über das Wasser. Stimmen schrien durcheinander. Schwere Eisenkugeln klatschten in die Klippen, rissen Felsbrocken los und ließen einen Steinschlag auf den schmalen Sandstreifen prasseln. Brüllend ging ein Spanier zu Boden. Immer noch peitschte in Abständen eine Muskete auf, doch der Schütze mußte den Verstand verloren haben, er konnte gar nicht treffen. Weit draußen vor der Insel, die die Spanier „Sala-y-Gomez“ nannten, lagen drei Galeonen wie schwarze, unheilvolle Schatten. Fahl leuchteten die Segel, blähten sich im Ostwind und trugen die drei Schiffe näher. Jetzt war es die mittlere Galeone, an deren Bordwand eine Reihe strahlender Feuerblumen aufzublühen schien. Wieder rollte der Kanonendonner, wieder krachten die Einschläge, und die Luft schien zu erzittern vom Dröhnen der Breitseite und den Schreien der Spanier. Einer der Männer wurde voll von einer Kugel getroffen und gegen die Felsen geschmettert. Fünf, sechs andere warfen sich verzweifelt zu Boden, sprangen Sekunden später wieder auf und hasteten blindlings am Strand entlang. Eine sich überschlagende Stimme kreischte Befehle. Schon im nächsten Augenblick wurde sie von neuerlichem Krachen verschlungen. „Ach, du meine Fresse!“ flüsterte Edwin Carberry, der Profos der „Isabella“. Philip Hasard Killigrew, Seewolf genannt, kniff die Augen zusammen. Gemeinsam mit dem Großteil seiner Männer kauerte er oberhalb des Steilhangs, den die drei spanischen Galeonen beschossen - in sicherer Deckung, wie sich von selbst verstand. Unter ihnen am Strand war die Hölle los. Für die spanischen Meuterer kam diese Wendung der Dinge genauso überraschend wie für die Seewölfe: ein Verband von Kriegsgaleonen, der wie aus. dem Nichts aufgetaucht war! Er war an der Ostseite der
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Insel entlang gesegelt, bis er die Männer dort gesichtet hatte. Jetzt war er drauf und dran, Sala-y-Gomez kurz und klein zu schießen. „Dan?“ rief der Seewolf leise. „Aye, aye, Sir“, ertönte die aufgeregte Stimme des jungen O’Flynn aus dem Halbdunkel. „Bist du sicher, daß die Waschzuber da drüben Spanier sind?“ „Ganz sicher, Sir“, sagte Dan. Und wenn der Junge mit den Luchsaugen „ganz sicher“ sagte, konnte man sich im allgemeinen darauf verlassen. Hasard zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Ben Brighton schob. sich neben ihn, einer der fünf Männer, die in die Hände der Meuterer gefallen und zusammen mit Luana, der polynesischen Häuptlingstochter, für eine Weile auf der Insel gefangen gehalten worden waren. bis Hasard und der Rest der Crew sie herausgehauen hatten. Nicht viel länger als eine halbe Stunde war das jetzt her. Als die Spanier die Flucht ihrer Gefangenen bemerkten, hatten sich die Seewölfe bereits in eine Höhle zurückgezogen, in die die Meuterer ihnen nicht zufolgen wagten. Dort nämlich spukte - angeblich - der Geist des toten Kapitäns, der nach der Meuterei mit zwei anderen Offizieren ohne Wasser und Proviant in einem winzigen Boot ausgesetzt worden war. Tatsächlich war dieser Kapitän zwar wahnsinnig, aber höchst lebendig gewesen. Jedenfalls bis zu dem Augenblick, in dem er sich selbst und den Großteil der Höhle mit Schwarzpulver in die Luft sprengte und die Seewölfe zur Umkehr zwang. Zu diesem Zeitpunkt war bei den Spaniern die Panik abgeklungen. Sie hatten sich wieder gesammelt und waren aufgebrochen, um die Boote zu finden und zu zerstören, mit denen die verhaßten Engländer an Land gekommen waren. Vermutlich hätten sie es sogar geschafft, da den Seewölfen der Weg durch das unterirdische Labyrinth versperrt war. Hasard und die Seinen hatten sich bereits darauf vorbereitet, die Meuterer ins
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Meer zu jagen und sich in den Besitz ihres Schiffes zu setzen, der „Maria Mercedes-. doch dann hatte sich alles ganz anders entwickelt. Ben Brighton wartete, bis der rollende Nachhall der nächsten Breitseite verebbt war. „Ich glaube. ich weiß, wer das ist, Hasard“. sagte er leise. „Während wir an den verdammten Felsblock gekettet waren, hatten wir ziemlich oft Gelegenheit. die Gespräche der Spanier mitzuhören. Sie waren erregt und am Ende ihrer Nerven ...“ „Weiter, zum Teufel!” In Hasards Stimme vibrierte Ungeduld wie sooft. wenn Ben Brighton in seiner ruhigen, zuweilen etwas bedächtigen Art an die Dinge heranging. Der Bootsmann lächelte. „Sie fürchteten sich nicht nur vor dem vermeintlichen Geist“, fuhr er ungerührt fort. „Sie fürchteten sich auch vor der Rache ihrer Landsleute. Je mehr sie darüber nachgrübelten, desto wahrscheinlicher erschien es ihnen, daß vielleicht doch einer der ausgesetzten Männer am Leben geblieben sei. Carlos Ingarra tat das alles. als Unsinn ab. Aber die anderen stritten sich oft über die Frage herum, ob man wohl schon nach ihnen suchte und sie eines Tages alle am Galgen enden würden.“ „Und du glaubst, die drei Galeonen da drüben haben den Auftrag, Ingarras Meuterer-Bande aufzuspüren?“ Ben zuckte mit den Schultern. „Hast du eine andere Erklärung?“ Nein, Hasard hatte keine andere Erklärung für die unerwarteten Ereignisse. Niemand konnte wissen, daß er und seine Männer auf der Nachbarinsel, der „Insel der Steinernen Riesen“, bei den Polynesiern zu Gast waren. Genauso wenig, wie jemand wissen konnte, daß es auch den schwarzen Segler mit Siri-Tong und Thorfin Njal bei einem endlosen, knüppelharten Sturm weit nach Westen in diese abgelegene Gegend verschlagen hatte. Jedenfalls nahm Hasard an, daß sich die Rote Korsarin und der Wikinger irgendwo
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in der Nähe aufhielten. Nicht zuletzt deshalb waren sie auf der „Insel der Steinernen Riesen“ geblieben. Auch noch, nachdem sie den Schatz bereits gefunden hatten, der dort vor zehn Jahren von Bills Vater vergraben worden war. Hasard lächelte unwillkürlich, als sein Blick zu dem fünfzehnjährigen Schiffsjungen hinüberwanderte. Für den Jungen waren die letzten Tage aufregend gewesen. Sie hatten wohl auch Erinnerungen aufgerührt und alte Wunden wieder aufgerissen. Bills Vater war. auf Jamaika gestorben, in der Karibik, auf der anderen Seite des riesigen südamerikanischen Kontinents. Er hatte Philip Hasard Killigrew seinen Sohn anvertraut, und er hatte ihm die Schatzkarte gegeben, die die geheimnisvolle „Insel der Steinernen Riesen“ zeigte. Ernsthaft rechnete damals wohl keiner der Seewölfe damit, diese Insel jemals zu finden. Und als sie dann nach dem Sturm vor ihnen auftauchte, erschien sie ihnen zuerst wie eine trügerische Vision. Sie war keine Vision. Sie war durchaus real gewesen, und sie hatte ein gerütteltes Maß an Abenteuern und heißen Kämpfen bereitgehalten. Kämpfen, die noch längst nicht vorbei waren, wie sich Hasard klarmachte. Die drei spanischen Galeonen fielen jetzt ab, segelten vor dem Wind auf die Insel zu, und für die Meuterer unten in der Bucht wurde die Lage kritisch. „Zurück!“ peitschte Carlos Ingarras Stimme. „Wir gehen an Bord, wir müssen auslaufen!“ Seine Leute tauchten aus ihren Deckungen auf und setzten sich hastig in Bewegung. Der mörderische Beschuß hatte aufgehört, aber die Meuterer wußten, daß das nur eine Galgenfrist war und ihre Gegner jetzt zur Sache kommen würden. Die Galeonen dort draußen hatten die Festung sturmreif geschossen, der Sturm würde nicht auf sich warten lassen. Für Carlos Ingarra und seine Kerle bestand die einzige Chance darin, die „Maria Mercedes“ zu erreichen und auf und davon
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zu segeln. Aber sie mußten sich beeilen und sich etwas einfallen lassen, um einem Seegefecht mit dem überlegenen Gegner zu entgehen. Hasard hielt das ganze Fluchtunternehmen für sinnlos. Er richtete sich vorsichtig auf und zog sich ein Stück vom Klippenrand zurück. Luana lächelte ihm zu. Sie lehnte an einem Felsen, in eine viel zu große Männerjacke gewickelt. Auch sie hatte die Explosion in der Höhle nicht ohne Schrammen überstanden, aber sie war schön wie eh und je. Flüchtig dachte Hasard daran, wie er ihr zum erstenmal begegnet war, bei ihrer Flucht von Sala-y-Gomez, wo sie Carlos Ingarras jüngeren Bruder erstochen hatte, als er sie vergewaltigen wollte. Damals war Luanas Boot von einem riesigen Menschenhai angegriffen worden. Der Seewolf hatte sie gerettet. Und später, bei dem Fest, das die Polynesier auf der „Insel der Steinernen Riesen“ gaben, war er nach allen Regeln der Kunst verführt worden. Der Engländer Jack Henry, der seit zehn Jahren bei den Polynesiern lebte, hatte ihm gerade noch zuflüstern können, daß es eine tödliche Beleidigung und eine unentschuldbare Verletzung des Gastrechts sein würde, die schöne Häuptlingstochter zurückzuweisen. Es wäre ohnehin sehr schwer gewesen, ihr zu widerstehen. Hasard lächelte in der Erinnerung an jene Nacht. Aber nur für einen Augenblick, dann konzentrierte sich seine Aufmerksamkeit wieder voll auf die reichlich verworrene Lage. Er atmete tief durch. „Schauen wir uns mal an, was die Burschen treiben“, sagte er. „Ben, Ed, Dan, Ferris, ihr kommt mit! Die anderen warten hier. Bleibt mit den Köpfen unten! Die Kerle auf den Galeonen brauchen uns nicht unbedingt zu entdecken.“ „Aye, aye“, klang es zurück. Ben Brighton, Ed Carberry und Dan O’Flynn setzten sich bereits in Bewegung: sie hatten am meisten unter Carlos Ingarras Brutalität gelitten und genossen es, daß die Meuterer jetzt Zunder kriegten. Hasard und
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Ferris Tucker folgten ihnen. Im Schutz der Felsen schlichen sie quer über die vorgeschobene Landzunge. Ein paar Minuten später konnten sie die Bucht auf der Nordseite der Insel überblicken. Das Lager der Spanier lag geschützt hinter einer Felsenbarriere. Ein Weg führte zum Strand hinunter, die „Maria Mercedes“ schwoite friedlich um die Ankerkette. Ein paar Steine polterten in der Nähe. Schritte näherten sich, eilige, überhastete Schritte. Als sich Hasard ein Stück vorwärtsschob, sah er die ersten Spanier hinter einer vorspringenden Felsennase auftauchen. Sie liefen zu den Booten, die hoch auf dem Strand lagen. Oder vielmehr: sie wollten es. „Da!“ zischte Dan O’Flynn. Als Hasard den Kopf drehte, sah er das Flaggschiff des spanischen Verbandes wie eine Geistererscheinung aus dem Halbdunkel tauchen. Fahl schimmerten die Segel im Mondlicht. Die zweite Galeone tauchte auf, dann die dritte. Sie waren raumschots an der Insel entlang gesegelt, jetzt gingen sie mit dem Heck durch den Wind und rauschten über Steuerbordbug auf die Bucht zu wie zornige Schwäne. Unmittelbar vor der Einfahrt fiel die erste Galeone ab und zeigte der „Maria Mercedes“ die Backbordseite. Wie hungrige Mäuler klafften die Stückpforten auf. Aus den Mündungen der schwarzen Rohre leckten Feuerzungen. Pulverdampf wölkte auf, das Rollen des Kanonendonners ließ die Luft zittern. In das Prasseln der Treffer mischte sich ein vielstimmiger Aufschrei. Die „Maria Mercedes“ wurde wie von einer Gigantenfaust durchgerüttelt. Der Besanmast knickte weg, die Großrah krachte an Deck, zerrissene Wanten und Pardunen verwirrten sich zu Knäueln. Unter der Wucht der Einschläge krängte das Schiff nach Backbord über. Nur langsam richtete es sich wieder auf, doch da war schon die zweite Galeone abgefallen, um an der Einfahrt der Bucht vorbeizulaufen.
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Die Backbordkanonen des Schiffes brüllten auf. Der „Maria Mercedes“ wurde das Ruder weggeschossen, Teile des Schanzkleides zersplitterten, Bugspriet und Blindenrah wirbelten ins Wasser. Ein paar von den Kugeln hatten die Bordwand zerschlagen, und eine davon mußte unter Deck die Verbände des Fockmastes getroffen haben. Der Mast neigte sich, als wolle er sich verbeugen, bevor er auf das Backbordschanzkleid krachte, halb ins Wasser tauchte und das Schiff schwer überholen ließ. Wilde Flüche erklangen. Die spanischen Meuterer hatten sich am Strand versammelt. Hilflos mußten sie zusehen, wie ihr Schiff vor ihren Augen in Fetzen geschossen wurde. Die nächste Breitseite erwischte die „Maria Mercedes“ voll unter der Wasserlinie. Die Bordwand splitterte, die Kugeln rissen riesige Lecks, durch die das Wasser in hellen Strömen in den Bauch der Galeone eindrang. Die „Maria Mercedes“ sackte weg und neigte sich nach Backbord, vom Gewicht des immer noch festhängenden Fockmasts gezogen. Nur Sekunden später kenterte das Schiff, der Großmast klatschte ins Wasser, und nach vier, fünf weiteren Sekunden ließ der gewaltige Sog die Wellen über dem sinkenden Schiff zusammenschlagen. Nur das Zischen und Brodeln des Wassers war noch zu hören. Pulverdampf schwebte über der Bucht gleich Nebelfetzen. Die Spanier am Strand standen starr, schweigend, wie versteinert. Die „Maria Mercedes“ war ihre letzte Hoffnung gewesen. Jetzt gab es keine Chance mehr für sie, von der Insel zu entkommen. Daß ihre Gegner es damit nicht genug sein lassen würden, zeigten die nächsten Minuten. Die erste Galeone des spanischen Verbandes hatte gehalst und lief hart am Wind über Backbordbug auf die Bucht zu. Die beiden anderen staffelten sich hinter ihr und drehten in derselben Sekunde bei, in der auf dem Flaggschiff die Rahen gegengebraßt und Segel weggenommen
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wurden. Das Kommando „Fallen Anker“ schallte laut und deutlich über die Bucht. Wenig später wurden auf allen drei Galeonen die ersten Boote außenbords geschwenkt und abgefiert. Männer enterten an den Jakobsleitern ab bis an die Zähne bewaffnete Männer. Die vorderste Galeone schwenkte leicht herum. Die Spanier am Strand konnten sehen, wie die achteren Drehbassen bemannt wurden. Carlos Ingarra stieß einen ellenlangen spanischen Fluch aus. Wut. Haß und aufkeimende Verzweiflung zitterten in seiner Stimme. Er schrie irgendetwas von „kämpfen“, „verschanzen“ und „zusammenschießen“. Aber angesichts von schußbereiten Drehbassen und der Übermacht der Gegner in den Booten dachten die Meuterer nicht mehr daran, den Befehlen ihres Anführers zu folgen. In panischem Entsetzen wandten sie sich zur Flucht. Ingarra schrie sich die Kehle heiser — vergeblich. Es dauerte nur Minuten, bis der selbsternannte Capitan allein am Strand stand, während seine Leute in alle Richtungen auseinanderliefen. Dann, als der erste Musketenschuß peitschte und die Kugel dicht vor Ingarras Zehen den Sand aufspritzen ließ, warf auch er sich herum und floh. „Hoffentlich erwischen sie diesen Affenarsch und ziehen ihm die Haut ab“, brummte Ed Carberry oben zwischen den Klippen grimmig. „Ich glaube eher, daß sie ihm den Hals langziehen werden“, sagte Hasard trocken. Sein Blick hing an dem Mann im Bug des vordersten Bootes: einem großen, hageren Mann mit einem schmalen Raubvogelgesicht, in dem die dunklen Augen fanatisch glühten. Der Bursche sah ganz so aus, als werde er eine regelrechte Treibjagd auf seine Landsleute veranstalten. Wenn Carlos Ingarra diesem Kerl in die Hände fiel, hatte er nichts mehr zu lachen.
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„Und was tun wir inzwischen?“ fragte Dan O’Flynn begierig. „Zuschauen oder mitspielen?“ „Mitspielen?“ fragte Carberry. „Dir hat wohl die Sonne zu lange auf deinen blöden Schädel geschienen. Sollen wir die verdammten Dons vielleicht daran hindern, sich gegenseitig abzumurksen?“ „Nein! Beim Abmurksen mithelfen“, sagte Dan. „Gegen eine dreifache Übermacht?“ fragte Ben Brighton mit hochgezogenen Brauen. „Und dann auch noch ohne jede Notwendigkeit?“ „Als ob wir zum erstenmal gegen eine Übermacht ...“ „Wenn sie uns entdecken, brauchen sie nur noch unsere Boote zu Kleinholz zu verarbeiten und können in aller Ruhe die .Isabella’ kapern. Wir müssen entweder heimlich verschwinden oder abwarten, bis die Spanier abziehen — geht das nicht in deinen Schädel?“ „Wobei es im Augenblick ziemlich ausgeschlossen sein dürfte, heimlich zu verschwinden“, setzte Hasard hinzu. „Und was. zum Teufel, tun wir dann?“ Der Seewolf lächelte leicht. Dans Hitzköpfigkeit hatte während der Gefangenschaft bei den Meuterern offenbar nicht den leisesten Dämpfer erhalten. „Ob du’s glaubst oder nicht, wir verstecken uns“, sagte der Seewolf trocken. „Und zwar in der Höhle über dem Lager der Spanier. Dort können wir uns dann immer noch überlegen, was wir unternehmen.“ 2. Der schwarze Segler hatte auch den zweiten knüppelharten Sturm ohne größere Schäden überstanden. Nach Meinung Thorfin Njals und der Roten Korsarin war er dabei allerdings so weit nach Westen geraten, daß er die beiden geheimnisvollen Inseln längst passiert haben mußte. In der pechschwarzen Sturmnacht hatten sie kaum die Hand vor Augen sehen können. aber sie waren überzeugt, daß die Inseln
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achteraus geblieben waren und sie sie jetzt im Osten suchen mußten. Mit halbem Wind segelte das schwarze Schiff südwärts. Im Ausguck beobachtete Hilo die Kimm für den Fall, daß sich noch einmal die verlotterte spanische Galeone mit dem Namen „Maria Mercedes“ zeigen sollte. Der Wikinger grinste, als er über die Kuhl zum Achterkastell stampfte. Er war von Anfang an in dieses Schiff vernarrt gewesen, und es befriedigte ihn immer wieder von neuem, zu sehen, wie ausgezeichnet es sich bewährte. Nicht umsonst hatten es die Chinesen „Eiliger Drache über den Wassern“ genannt. Der schwarze Segler war schnell und stark, und er würde sie sicher in jenes geheimnisvolle Land bringen, das Siri-Tongs Heimat war und das den Seewolf mit geradezu magischer Anziehungskraft lockte. Thorfin Njal klopfte an die Tür der Kapitänskammer, bevor er eintrat. Siri-Tong hob den Kopf und lächelte flüchtig. Ihre dunklen Mandelaugen waren zusammengekniffen. im Licht der blakenden Öllampe saß sie über eine Karte gebeugt, eine ganz bestimmte, vom Alter vergilbte Karte. die sie sonst nicht benutzten, da sie mehr Schnörkel und Verzierungen aufwies als genaue Angaben. Jetzt tippte Siri-Tong auf eine bestimmte Stelle. Verhaltene Erregung lag auf ihren Zügen. „Schau dir das an, Thorfin!“ Der Wikinger runzelte die Stirn, schloß die Tür hinter sich und beugte sich über den Tisch. Siri-Tongs Finger zeigte auf eine der beiden Inseln, die sie bereits auf den anderen Karten entdeckt hatten. Aber hier auf dem vergilbten Pergament war die Insel nicht einfach als Punkt in der endlosen Weite des Meeres eingetragen. Eine kleine, kunstvoll ausgeführte Zeichnung markierte ihre Lage. Eine Zeichnung, die die Linien von Buchten und Landzungen zeigte — und daraus hervorwachsend ein halbes Dutzend eigentümlich unproportioniert wirkender menschlicher Figuren, von denen nur Köpfe und Oberkörper abgebildet waren.
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„Hmm“, brummte der Wikinger. „Für was hältst du es?“ fragte Siri-Tong. „Vielleicht für Steinfiguren?“ „Möglich. Auf was willst du hinaus?“ „Steinfiguren, Thorfin! Wenn die Zeichnungen auch nur halbwegs der Wirklichkeit entsprechen, müssen es sehr große Figuren sein. Steinerne Riesen! Erinnerst du dich nicht an das, was uns Hasard über das Abenteuer auf Jamaika erzählt hat?“ Der Wikinger erinnerte sich vor allem an den Bericht über den Kampf mit der spanischen Galeone, an den Capitan Raffael Virgil, der vor den Augen der Seewölfe tot zusammengebrochen war, Opfer eines geheimnisvollen Zaubers. Aber auch von der Schatzkarte hatte Hasard erzählt, von jener geheimnisvollen Insel, auf der der Vater des Schiffsjungen Bill vor Jahren eine Kiste mit Gold und Edelsteinen vergraben hatte. Thorfin Njal runzelte die Stirn. „Du meinst, das könnte diese merkwürdige ,Insel der Steinernen Riesen’ sein?“ „Warum nicht? Die Chinesen haben die Dinger ja nicht umsonst eingezeichnet.. Auf der zweiten Insel gibt es allem Anschein nach nur nackte Felsen.“ Der Wikinger kratzte ausgiebig an seinem Kupferhelm. Ein paar Sekunden starrte er auf die Karte, dann nickte er. „Stimmt“, sagte er. „Und wenn das da wirklich diese Steinernen Riesen sein sollen, dann wissen wir jetzt wenigstens, wo wir die ‚Isabella’ suchen müssen.“ Siri-Tong nickte nur. Genau das war es. Solange unter Umständen beide Schiffe auf der Suche nach dem jeweils anderen im Pazifik herumkreuzten, konnte es lange dauern, bis sie wieder aufeinander stießen. Aber wenn Sturm und Abdrift sie tatsächlich in die Nähe der „Insel der Steinernen Riesen“ verschlagen hatte, würde nichts die Seewölfe daran hindern, dort vor Anker zu gehen und nach Bills Schatz zu suchen. „Versuchen wir’s“, sagte die Rote Korsarin ruhig. „Wenn die Karten auch nur halbwegs stimmen, müßten wir die Insel eigentlich bis morgen gefunden haben.“
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Kanonendonner! Zwei der drei spanischen Galeonen umsegelten die Insel und schossen systematisch auf alles, was sich bewegte. Immer wieder donnerten Steinschläge nieder, polterten größere Felsbrocken, die sich gelöst hatten. Morgen bei Tageslicht würde man die Insel Sala-y-Gomez vermutlich nicht wiedererkennen. „Hoffentlich lassen die unsere Boote heil“, brummte Ed Carberry, während er sich vorsichtig um eine scharfkantige Felsennase herumschob. „Diese Idioten scheinen die ganze Insel in Stücke schießen zu wollen“, sagte Matt Davies pessimistisch. „Verdammt noch mal, haben die denn gar keine Angst, ihre eigenen Leute zu treffen?“ „Wahrscheinlich wissen sie, daß ihre eigenen Leute hier auf der Nordseite am Strand bleiben, bis das Geballer aufhört. Ich denke ...“ Ben Brighton kam nicht mehr dazu, den anderen zu erklären, was er dachte. Zufällig war sein Blick nach rechts über das verlassene Lager der Meuterer gewandert, jetzt ließ sein leiser Warnruf auch Hasard, Big Old Shane und Ferris Tucker die Köpfe wenden. Ein Spanier raste über den freien Platz zwischen den Hütten. Er stolperte, fing sich wieder und hetzte weiter, als sei der Teufel selber hinter ihm her. Sein Blick hing an einer Stelle auf halber Höhe des Hangs. Ganz offensichtlich plante er, sich in die Höhle hinter dem zerzausten Rankenvorhang zu retten – doch dieses Versteck hatten die Seewölfe schon für sich reserviert. „Batuti schickt Spanier schlafen“, gab der riesige Gambia-Neger bekannt. Dabei bückte er sich bereits, hob einen handlichen Stein auf, holte aus und zielte. Der Stein wirbelte durch die Luft. Präzise traf er den Kopf des Spaniers. Der Mann brach ohne einen Laut zusammen und legte sich schlafen.
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„Rumms!“ sagte Batuti zufrieden. Ein paar von den anderen Männern kicherten vergnügt. Zwischen ihnen und der Höhle lag nur noch der steile Hang, auf dem Gebüsch und Dornenranken zwischen verstreuten Felsblöcken wucherten. Im fahlen Mondlicht konnten sie genug sehen, um nicht zu stolpern oder allzu viel Lärm zu veranstalten. Hasard übernahm die Spitze, und Dan O’Flynn blieb zurück, um mit seinen scharfen Augen die Steinbarriere zu beobachten, die das Lager vom Strand trennte. Immer noch dröhnte dumpf der Kanonendonner. Der Seewolf begriff durchaus den Zweck dieser mörderischen Ballerei. Der Führer des spanischen Verbandes war offenbar entschlossen, das Unternehmen ohne größere Verluste durchzuziehen. Die beiden Galeonen zwangen mit ihrem Beschuß die Meuterer, sich ins Innere der Insel zurückzuziehen, auf das Hochplateau. Mindestens drei Dutzend Spanier waren mit ihren Booten bereits in der Bucht jenseits der Felsenbarrieren gelandet. Sobald die Kanonade aufhörte, würden sie sich verteilen, ihre Opfer einkreisen, zusammentreiben und dann entweder gefangen nehmen oder sofort massakrieren. Die Meuterer hatten nicht die Spur einer Chance. Sie kämpften mit dem Mut der Verzweiflung, kämpften weil sie gar keine andere Wahl hatten. Wenn sie sich ergaben, wartete der Galgen auf sie. Ein paar mochten auf die naheliegende Idee verfallen, sich in der Höhle zu verbergen, aber auch dort würde eine böse Überraschung auf sie warten. Hasard blieb neben dem Loch im Felsen stehen, während seine Männer durch den Rankenvorhang schlüpften. Ben Brighton stützte die zitternde, zu Tode erschöpfte Luana. Dan O’Flynn bildete den Schluß. Nach einem letzten Blick. über die Ansammlung primitiver Hütten zog sich auch der Seewolf in die Dunkelheit der Grotte zurück.
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Sorgfältig ordnete er den Rankenvorhang wieder so, daß er das Loch im Felsen völlig verdeckte. Dabei spähte er nach draußen, zu der Steinbarriere hinüber — und lächelte matt, als er die beiden Gestalten bemerkte, die dort drüben fast die Felsen hinunterrollten. „Wir erhalten Besuch“, sagte er trocken. „Verteilt euch ein bißchen an den Wänden, damit die Kerle uns nicht auf den ersten Blick entdecken.“ Die Männer gehorchten. Viel war in dem schwachen Lichtschimmer, der durch die Ranken fiel, ohnehin nicht zu sehen. Immer noch rollte Kanonendonner, aber jetzt klang er fern und gedämpft. Draußen polterten Steine und hörten sie das Knacken von Zweigen, als die beiden fliehenden Spanier durch das Gebüsch brachen. Ihr Keuchen war fast noch lauter als das Geräusch ihrer Schritte. Helles Entsetzen hielt sie in den Klauen. Sie fegten ohne jede Vorsicht die herabhängenden Ranken zur Seite. Der erste Mann stolperte einfach in die Höhle und ließ sich völlig ausgepumpt auf den Bauch fallen. Der zweite fiel ebenfalls, aber nicht freiwillig, sondern unter der Wirkung des Nackenschlags, mit dem ihn Ferris Tucker bediente. „Krrrch“, gurgelte der Bursche. Sein Kumpan hob den Kopf und riß entsetzt die Augen auf, als eine Faust vom Format einer Ankerklüse auf ihn zuflog. Seine Zähne klickten aufeinander, die aufgerissenen Augen verdrehten sich. Der Mann klatschte auf den Bauch zurück, und Pete Ballie blies sich grinsend über die Knöchel. „Raus mit ihnen“, sagte Hasard knapp. Big Old Shane war es, der die beiden Kerle am Kragen packte, aus der Höhle schleifte und den Hang hinunterbeförderte. Dort fielen sie einem ihrer Kumpane vor die Füße. Der Bursche stieß einen schrillen Schrei aus, warf sich herum und setzte seine Flucht in eine andere Richtung fort. Big Old Shane kroch in die Höhle zurück und brachte hinter sich den Rankenvorhang in Ordnung.
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„So“, brummte er. „Und nun? Wollen wir in diesem Mauseloch bleiben, bis wir schwarz werden?“ Hasard schüttelte den Kopf. „Bestimmt nicht! Wir müssen zur ‚Isabella’ zurück. Und zwar schleunigst, bevor Old O’Flynn und die anderen auf den Gedanken verfallen, irgendetwas auf eigene Faust zu unternehmen.“ „Also zu den Booten“, sagte Carberry. „Das hätten wir auch gleich tun können, ohne uns erst hier zu verkriechen.“ Der Seewolf grinste. „Hätten wir nicht! Weil wir nämlich den Teufel tun werden und quer über die Insel marschieren. Die Spanier sollen sich getrost in aller Ruhe gegenseitig die Köpfe einschlagen. Wir benutzen die Höhlen. Von dem verdammten Labyrinth ist höchstens ein kleiner Teil eingestürzt. Wir werden versuchen, einen anderen Ausgang zu finden, einen, der so nah wie möglich an der’ Stelle liegt, wo wir die Boote zurückgelassen haben.“ „Hm“, brummte Carberry. Man sah ihm an, wie wenig ihm der Gedanke behagte, in dem Gewirr der unterirdischen Gänge herumkriechen zu müssen. Aber er kam nicht dazu, seine Bedenken in Worte zu fassen. Denn im selben Augenblick polterten draußen in der Senke schon wieder eilige Schritte. Diesmal war es ein ganzer Trupp von Meuterern, der in panischem Entsetzen durch das Lager floh und der Höhle zustrebte. Es waren fünf oder sechs Männer. Sie keuchten, bewegten sich unsicher und stolperten immer wieder. Einer von ihnen wimmerte vor sich hin, er war offenbar verletzt: Hasard schob sich zum Höhleneingang hinüber und spähte vorsichtig durch eine Lücke im Rankenvorhang. Fast taten ihm die Kerle leid, die sich da keuchend und mit schweißbedeckten Gesichtern wie gejagte Tiere den Hang heraufkämpften. Hinter ihnen, jenseits der Felsenbarriere, peitschten jetzt Musketen-Schüsse. Nur noch auf der anderen Seite der Insel
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krachten in Abständen die schweren Geschütze der Galeonen. Der Führer des Verbands hatte offenbar zum Halali geblasen. Nach allem, was bereits über Carlos Ingarra und seine Leute hereingebrochen war, konnte es nicht mehr schwer sein, den entnervten Rest zusammenzutreiben. Der erste Spanier hatte es so eilig, in der Höhle unterzutauchen, daß er sich in dem Rankenvorhang verhedderte. Er fluchte, zerrte und dabei erkannte er im schwachen Widerschein des Mondlichts, daß die Grotte schon besetzt war. Ein gurgelnder Laut drang über seine Lippen. Seine Augen wurden weit und verdrehten sich in der nächsten Sekunde, als Hasards Rechte punktgenau unter sein Kinn krachte. „Diablo!“ kreischte einer der Spanier draußen, packte seinen bewußtlosen Kumpan am Kragen und zerrte ihn kurzerhand zurück. Daß der Bursche ohnmächtig war, schienen die anderen nicht zu bemerken. Immerhin gingen sie jetzt systematisch vor. Einer hielt die Dornenranken zur Seite, die anderen drängten keuchend und fluchend durch den engen Höhleneingang. Zweimal hintereinander klatschte es dumpf. Der dritte Mann sah seine Kumpane zusammenbrechen, und er sah auch die dunklen Gestalten, die dafür verantwortlich waren. Vielleicht dachte er, der Geist des toten Kapitäns habe inzwischen Junge gekriegt. Jedenfalls schrie er gellend auf, zuckte zurück und prallte gegen den Burschen, der von. hinten nachdrängte. Genau eine Sekunde lang glichen Druck und Gegendruck sich aus. Die beiden Spanier standen da wie ein Ringerdenkmal. Dann gewann der Bursche, der nach draußen drängte, die Oberhand. Nicht weil er stärker war als sein Kumpan, sondern Weil der rothaarige Ferris Tucker mit einem wuchtigen Fausthieb nachhalf. Die beiden Kerle wurden nach draußen katapultiert und überschlugen sich am Boden.
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Der letzte Spanier ließ die Dornen-ranken fahren und wandte sich zur Flucht. Die beiden anderen rappel- ten sich stöhnend auf. Auch sie dachten nur noch daran, so schnell wie möglich zu verschwinden. Im nächsten Augenblick erhielten sie unerwartete Starthilfe. Zwei Schatten wuchsen hinter ihnen hoch. Ed Carberry und Ferris Tucker. Sie wechselten einen Blick, grinsten sich an und hoben wie auf Kommando die Füße. Die beiden Spanier lernten das Je ein mächtiger Tritt in den Achtersteven lüftete sie an. Mit weit ausgebreiteten, rudernden Armen segelten sie den Hang hinunter und hinterließen eine Schneise im Gebüsch, bevor sie endgültig liegenblieben. „Mußte das sein?“ fragte Hasard, der ebenfalls aus der Höhle auftauchte. „Wieso?“ fragten Ed und Ferris wie aus einem Munde zurück. Kopfschüttelnd blickte der Seewolf auf die Verwüstung. „Weil ihr genauso gut einen Wegweiser hättet aufstellen können“, sagte er trocken. „Na ja, jetzt ist es auch schon egal. Die nächsten, bitte.“ Die drei bewußtlosen Spanier flogen ihren Kumpanen hinterher. Der sechste Mann, der als einziger rechtzeitig Fersengeld. gegeben hatte, wühlte sich in einiger Entfernung durch die Büsche. Wenn er auf die versprengten Reste seiner Kameraden traf, würde er vermutlich wahre Schauermärchen erzählen. Aber deswegen waren die Seewölfe in dem Höhlenversteck trotzdem nicht mehr sicher. „Abmarsch“, sagte Hasard mit ruhiger Stimme. „Das Labyrinth hat Mehr Ausgänge als ein Fuchsbau. Einen davon werden wir ganz sicher finden.“ 3. Während die beiden Galeonen wieder zur Nordseite der Insel zurückkehrten und hinter der „Valparaiso“ Anker warfen, hatten sich drei Dutzend Spanier in Gruppen aufgeteilt und rückten von allen
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Seiten durch die Klippen auf das Hochplateau vor. Der Mann, den sie „Hai“ nannten, stand hoch aufgerichtet am Strand und wartete. Nur die Bootswache war bei ihm und Jorge Delgado, jener Offizier, der die Meuterei auf der „Maria Mercedes“ als einziger überlebt hatte. Knapp überlebt! Ein Hai hatte ihm die rechte Hand abgerissen, und als ein Handelsschiff ihn auffischte, konnte er nicht mehr sprechen. Er war immer noch stumm. Reglos wie ein Schatten stand er neben dem „Hai“ Jose da Vasco, das Gesicht bleich und ausgemergelt, aber was er empfand, ließ sich deutlich an seinen tiefliegenden, düster glühenden Augen ablesen. Für ihn war die Stunde der Rache gekommen. Jedesmal, wenn Musketen peitschten und Schreie gellten, geisterte ein Ausdruck grausamer Genugtuung über seine Züge. Mit der Linken strich er unablässig über seinen Armstumpf. Manchmal bewegten sich seine dünnen, blutleeren Lippen. Der „Hai“ war sicher, daß Jorge Delgado in Gedanken alles, was er durchlitten hatte, gegen das Strafgericht aufrechnete. das nun über die Meuterer hereinbrach. Zufrieden würde er erst sein, wenn der letzte von Ingarras Männern tot zu seinen Füßen lag. In diesem Punkt brauchte er sich ganz sicher keine Sorgen zu bereiten. Denn auch der „Hai“ war entschlossen, erbarmungslos Gericht zu halten. Über ihnen zwischen den Felsen tauchte eine Gruppe von Männern auf, schwankende. stolpernde Gestalten, denen die Hände auf den Rücken gefesselt waren. Das Weiß ihrer aufgerissenen Augen schimmerte im Mondlicht. Die Männer des „Hais“ trieben sie mit Tritten und Schlägen vorwärts. Drei, vier von den Gefangenen verloren auf dem steilen Weg das Gleichgewicht und rollten das letzte Stück zum Strand hinunter. Auch hier wurden sie mit Tritten empfangen.
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Mit stummer Wut stieß Jorge Delgado seine Stiefelspitzen in Gesichter, Leiber. Rippen. Die Männer schrien, stöhnten und krümmten sich vor Schmerzen. Erst als ihr Peiniger von ihnen abließ, klärte sich ihr Blick wieder so weit, daß sie die Gestalten am Strand erkennen konnten. „Delgado!“ stöhnte einer der Gefangenen auf. „Gnade!“ wimmerte ein anderer. „Gnade, Senor! Ich konnte nichts dafür, ich bin gezwungen worden, ich ...“ Ein brutaler Tritt ließ ihn verstummen. Die anderen versuchten gar nicht erst, um Erbarmen zu betteln, sie wußten, daß sie nichts dergleichen zu erwarten hatten. Ein Blick in die haßglühenden Augen des Stummen genügte. Das kalte, maskenhaft starre Gesicht des anderen Mannes war fast noch schlimmer. „Ins Boot mit den Verbrechern“, sagte er mit seltsam leidenschaftsloser Stimme. „Bringt sie an Bord und laßt sie bewachen.“ Die Gefangenen wurden in eins der Boote geworfen, das sofort ablegte. Die Spanier pullten es zur „Valparaiso“ hinüber. Dort wurde es mitsamt seiner Last an Bord gehievt. Jose da Vasco wartete und lauschte gespannt auf das Peitschen der Schüsse, das Trampeln der Schritte und die Zeichen der Unruhe, die die ganze Insel überzogen. Drei weitere Meuterer wurden den Felsenhang hinuntergetrieben. Der schweigsame Juan war dabei. Auch er landete im Sand, aber er stand schwankend wieder auf, weil er nicht vor seinen Gegnern auf dem Bauch liegen wollte. Der Stumme trat auf ihn zu, holte aus und schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht. Juans Lippen platzten auf. Blut schoß aus seiner Nase, sein Kopf flog hin und her, aber kein Laut drang über seine Lippen. Als Jorge Delgado zurücktrat, spuckte der Mißhandelte ihm mit einer Geste voller Verachtung einen Zahn vor die Füße. Der Stumme wollte erneut zuschlagen, aber José da Vasco hielt ihn zurück.
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„Laß ihn“, sagte er ruhig. Und in Juans Richtung: „Wie viele seid ihr?“ Der Gefangene spuckte den zweiten Zahn aus. Vor die Füße des „Hais“. Da Vascos Lippen zuckten. Aber er sagte nichts, er schlug auch nicht zu, denn Mut war eine Eigenschaft, die er achtete. Winselnde Feiglinge dagegen waren ihm zuwider, und in einen winselnden Feigling hatte sich Carlos Ingarra verwandelt, als er wenig später mit ein paar anderen über den Strand geschleift wurde. An allen Gliedern zitternd warf er sich vor dem „Hai“ auf die Knie. Mit schriller Stimme flehte er um Gnade, bettelte um sein Leben und war nahe daran, da Vasco die Stiefel zu lecken. Ohne Zögern beantwortete er jede Frage. Er überschlug sich fast vor Eifer, als hoffe er, sich durch diese Bereitwilligkeit Milde erkaufen zu können. Es dauerte nur wenige Minuten, bis „El Tiburon“ alles wußte, was er wissen wollte. Ein Fußtritt schleuderte den winselnden Carlos Ingarra in den Sand zurück. Auch er wurde zusammen mit den anderen an Bord der „Valparaiso“ gebracht. Die beiden Boote kehrten zurück. Die -Männer des „Hais“ schwärmten aus, um auch noch die restlichen Meuterer aus ihren Löchern zu treiben. Die Nacht war noch nicht zu Ende, als der letzte Mann auf die Decksplanken der „Valparaiso“ fiel. Der „Hai“ enterte über die Jakobsleiter auf. Seine Lippen bildeten einen blutleeren Strich, ein kalter, erbarmungsloser Glanz lag in seinen dunklen Augen. Für die Meuterer um Carlos Ingarra hatte die Stunde des Gerichts begonnen. * „Himmel, Arsch und Kabelgarn!“ fluchte Ed Carberry wild. „Der Profos ist zu dick“, stellte Dan O’Flynn fest. „Wir sollten dem Kutscher vorschlagen, ihn auf halbe Rationen zu setzen.“ „Halt den Schnabel, du Wanze!“
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Das war Ferris Tucker. Er kämpfte gegen die gleichen Schwierigkeiten wie Carberry und ein Teil der restlichen Crew. Der unterirdische Gang, an dessen Ende Mondlicht schimmerte, war nicht viel mehr als eine Röhre, verdammt eng für Männer mit der Schulterbreite des rothaarigen Schiffszimmermanns. Der schlanke, drahtige Dan O’Flynn hatte es da entschieden leichter. „Schon mal ‘ne Wanze mit ‘nem Schnabel gesehen, du rothaariger Riesenaffe?“ erkundigte er sich patzig. „Ha! Laß uns nur erst hier heraussein, dann tätowier ich dir den Hintern mit dem Marlspieker!“ „Na klar! Nur mußt du dann vorher zur ,Isabella’ schwimmen und das Ding herholen, du Optimist!“ Der Seewolf grinste vor sich hin. Auch für ihn war es eine höllische Schinderei, aber solange die Männer fluchten, waren sie noch bei Atem. Hasard hatte die Spitze übernommen und schob sich mit ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen vorwärts. Sein Blick hing an dem Loch, durch das der Mondschein einfiel. Ein verdammt enges Loch - aber dafür würde es sie auch in unmittelbare Nähe der Bucht bringen, wo ihre Boote lagen. Nur wenn ein Spanier auf die Idee verfiel, in die Röhre hineinzusehen, würde es kritisch werden. Oder auch nicht, dachte Hasard, während er zum hundertsten Mal die Beine anzog, die Arme ausstreckte und seinen Körper mit Händen und Zehenspitzen ein Stück nach vorn brachte. In dem Loch herrschte totale Schwärze. Die Gesichter der Männer waren inzwischen sicher so schmutzig, daß sie mit der Finsternis verschmolzen. Batuti hatte ohnehin von der Natur eine Tarnfarbe für solche Gelegenheiten. Genau wie Luana, die schöne Häuptlingstochter, die sich in der engen Röhre geschmeidig wie eine Schlange bewegte. Noch drei, vier Yards bis zum Ausgang. Hasards Muskeln schmerzten, die Kleider klebten ihm wie eine zweite, etwas
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faltenreichere Haut am Körper, aber er hatte schon ganz andere Plackereien überstanden. Trotzdem war er froh, als er endlich den Ausgang erreichte. Aufatmend schob er den Oberkörper aus dem Loch, warf einen raschen, prüfenden Blick in die Runde und stand auf. „Maßarbeit“, sagte Ben Brighton neben ihm lakonisch. Der Seewolf nickte. Maßarbeit konnte man es tatsächlich nennen: ihre Berechnungen waren genau aufgegangen. Der stetige Ostwind und der Stand der Sterne zeigten ihnen, daß sie sich auf der Südseite der Insel befanden. Die Bucht mit ihren Booten mußte linkerhand liegen, unmittelbar hinter dem Felsenbuckel. der sich gegen den Himmel vorschob wie eine gigantische Raubtierpranke. Einer nach dem anderen kletterten die Seewölfe aus dem engen Loch. Big Old Shane schüttelte Staub aus seinem grauen Bart. Ed Carberry verwandelte bei dem Versuch, sich Dreck und Schweiß aus dem Gesicht zu wischen, seine zernarbte Haut in eine Art Landkarte. Al Conroy, der Stückmeister, half Luana aus dem engen Loch, und Dan O’Flynn, vorwitzig wie immer, begann sofort, auf den Felsblock zu entern, der ihnen die Sicht versperrte. Drei Sekunden später fiel er rückwärts wieder herunter. Ein erschrockener Schrei begleitete seinen Sturz. Dort, wo er eben noch etwas zu voreilig seine Nase hingesteckt hatte, erklang eine schrille, krächzende Stimme: „Diablo! Bastardo! Hijo de Puta! Rübenschwein ...“ Etwas löste sich von dem Felsen, ein flatternder Schatten, der sich im nächsten Moment auf Ferris Tuckers breiter Schulter niederließ. Ärgerlich sträubte der Papagei sein Gefieder und gab ein paar anklagende Krächzlaute von sich, die wohl ausdrücken sollten, wie wenig es ihm auf dieser im Vergleich zum Amazonas-Delta wahrlich öden Insel gefallen hatte. „Sir John! Da ist er ja wieder! Und Spanisch hat er auch gelernt, ha ...“ „Blödes Mistvogel hat kleines Dan erschreckt“, grollte Batuti. Der schwarze
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Herkules war bereits neben seinem besonderen Schützling in die Hocke gegangen. „Kleines Dan okay? Sonst hauen Batuti großmäuliges Mistvogel in Pfanne!“ Der junge O’Flynn verzog das Gesicht und rappelte sich hoch. Jedem anderen, der ihn „kleines Dan“ genannt hätte, wäre er ins Gesicht gesprungen, aber bei Batuti hatte er das längst aufgegeben. Für den hünenhaften Neger würde er das Bürschlein bleiben, und wenn er hundert Jahre alt, wurde und. einen Bart bis zu den Zehenspitzen hatte. „Verdammter Satansbraten!“ fauchte Dan den Vogel an. „Affenarsch“, gab Sir John prompt zurück, und für einen Moment löste sich die Spannung in gedämpftem, aber befreiendem Gelächter. „Weiter!“ befahl Hasard. „Hopp-hopp, ihr Rübenschweine!“ legte der Profos wie üblich los. „Wollt ihr wohl eure Knochen bewegen? Ihr denkt wohl, heute sei Weihnachten, was, wie?“ Die Männer grinsten nur. Sie kannten Carberrys Sprüche und wußten, wie sie gemeint waren. Genau wie der Profos seinerseits wußte, daß die Männer ihre Arbeit auch taten, wenn er ihnen nicht ständig damit drohte, ihnen die Haut von gewissen Körperteilen zu ziehen. Aber das Fluchen gehörte nun einmal dazu. Die Seewölfe grinsten noch breiter. Denn sie alle dachten in diesem Moment daran, daß ihnen in den letzten Tagen auf der „Isabella“ direkt etwas gefehlt hatte. als kein Carberry dagewesen war, um sie mit sämtlichen Höllenstrafen zu bedrohen und finstere Mutmaßungen über ihre Abstammung anzustellen. Ein paar Minuten später allerdings verging ihnen das Grinsen. Da nämlich hatten sie die Klippen oberhalb der Bucht erreicht und konnten sehen, was die Kanonade der drei spanischen Galeonen von ihren Booten übriggelassen hatte. „Kleinholz“. stellte Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, fachmännisch fest. Und Ed Carberry faßte die allgemeine Lage in kurzen Worten zusammen: „Jetzt
können wir zu marschieren.“
Die Galgenbucht Fuß
zur
‚Isabella’
4. Axthiebe und Hammerschläge hallten vom Strand her über das Wasser. Ein paar Fackeln waren in Felsspalten geschoben worden, rötliche Reflexe mischten sich mit dem fahlen Mondlicht und beleuchteten die Szene. Eine makabere Szene! Fast zwei Dutzend Spanier bewegten sich in der Bucht, kletterten in die Felsen zum Lager der Meuterer hinauf und kehrten zurück, bepackt mit Latten, Brettern und Balken. Dicht am Wasser ragte bereits der untere Teil eines Gerüstes auf. Über den Verwendungszweck des provisorischen Bauwerks bestand kein Zweifel. Es war ein Galgen, den Jose da Vasco zimmern ließ. Ein Galgen für die Meuterer von Sala-yGomez. Denn dem „Hai“ genügte es nicht, die Delinquenten einfach umzubringen. Er wollte Gericht über sie halten, und er wollte sie exekutieren — wie das Gesetz es befahl. Auch die Verhandlung gegen die Meuterer hatte sich streng nach Recht und Gesetz gerichtet: ein Bordgericht auf der „Valparaiso“. Die Meuterer waren gehört worden, einer nach dem anderen. Die meisten hatten versucht, alle Schuld auf Carlos Ingarra abzuwälzen. Ingarra, halb wahnsinnig vor Angst, raffte sich noch einmal auf und beteuerte, nur das Schiff und die Mannschaft gerettet zu haben. Auch Juan und ein paar andere Männer versicherten, daß Capitan Trujillo drauf und dran gewesen sei, sie ins Verderben zu führen, doch das alles nutzte nichts. Jorge Delgado, der einzige von den drei Ausgesetzten, der überlebt hatte, konnte nicht mehr sprechen. Er stand nur da und starrte die gefesselten Männer an, die unter seinem Blick klein und häßlich wurden. Nein, die Meuterer hatten sich nicht darauf beschränkt, sich selbst und das Schiff zu retten. Sie hatten drei Männer ohne Wasser
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und Proviant der See überlassen, was einem eiskalten Mord gleichzusetzen war. Jorge Delgados stumme, ausgemergelte Gestalt war die lebendig gewordene Anklage, der sie nicht ausweichen konnten. Ein dumpfer, unheilverkündender Trommelwirbel zitterte über die Decks der „Valparaiso“, als an der abgefierten Großrah eine Schlinge festgeknüpft wurde, eine Schlinge, die für Carlos Ingarra bestimmt war, den Anführer der Meuterer. Er wußte es, und sein Gesicht nahm die Farbe von ausgebleichten Algen an. Der Trommelwirbel wurde lauter, als El Tiburon, der „Hai“, aus dem Achterkastell auf den Niedergang trat. Jorge Delgado und die beiden anderen Kapitäne folgten ihm. Die Meuterer standen zusammengedrängt auf der Kuhl, mit gefesselten Händen und hängenden Köpfen. Sie waren am Ende. Das Schicksal hatte sie erreicht. Sie brauchten nur in die erbarmungslosen Augen Jose da Vascos zu blicken, um zu wissen, daß sie diesem Schicksal nicht mehr entrinnen konnten. Der „Hai“ hielt eine Pergamentrolle in der Hand. Auf seinen Wink hin verstummte der Trommelwirbel. Tiefe Stille legte sich über die „Valparaiso“, eine Stille, die von der Stimme des „Hais“ wie von einem Peitschenhieb zerschnitten wurde. „Juan Lopez!“ rief da Vasco. „Tritt vor!“ Der schweigsame Juan warf den Kopf in den Nacken. Aufrecht trat er in die Mitte der Kuhl. Er jedenfalls würde wie ein Mann sterben, nicht wie diese feige Ratte Carlos Ingarra, der seinen Gegnern mit tausend Freuden den Staub von den Stiefeln geleckt hätte, wenn er in der Lage gewesen wäre, dadurch sein schäbiges Leben zu retten. „Juan Lopez!“ dröhnte da Vascos Stimme. „Du bist der Meuterei für schuldig befunden. Im Namen Seiner allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, verurteile ich dich hiermit dazu, am Hals aufgehängt zu werden, bis du tot bist. Hast du noch etwas zu sagen?“ Juan schüttelte den Kopf.
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Seine Kehle war wie zugeschnürt, er glaubte bereits, die Henkersschlinge zu spüren. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Er hörte nicht mehr, was der „Hai“ noch sagte, und als er wieder zurück in die Reihen der anderen gestoßen wurde, hatte er Mühe, sich aufrecht zu halten. „Pedro Nandez!“ peitschte da Vascos Stimme. Und wenig später: „Du bist der Meuterei für schuldig befunden worden. Im Namen Seiner allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien ...“ Einer nach dem anderen kamen sie an die Reihe. Mit verzerrten oder steinernen Gesichtern nahmen sie den Urteilsspruch entgegen, zitternd und schlotternd die einen, andere mühsam beherrscht, in wildem Trotz mit den Zähnen knirschend oder stumpf und apathisch, als gehe das alles sie nichts mehr an. Niemand versuchte noch, sich zu verteidigen. Nur Jose da Vascos Stimme schnitt durch die Stille. „Tritt vor!“ „ ...verurteile ich dich hiermit dazu, am Hals aufgehängt zu werden, bis du tot bist!“ „...der Meuterei für schuldig befunden ...“ „Der Meuterei schuldig …“ „Schuldig! - Schuldig! - –Schuldig ...“ Dann, als er die Pergamentrolle in seinen Händen völlig auseinandergezogen hatte: „Carlos Ingarra! Du bist vom Bordgericht dieses Schiffes der Meuterei für schuldig befunden worden. Im Namen Seiner allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, verurteile ich dich hiermit dazu, am Hals aufgehängt zu werden, bis du tot bist. Hast du noch etwas zu sagen?“ „Gnade!“ jammerte Ingarra. „Ich bin unschuldig! Gnade! Gnade .. .“ „Ein Meuterer hat auf diesem Schiff keine Gnade zu erwarten“, sagte Jose da Vasco eisig. Für einen Moment verzerrte sich sein Mund, voller Verachtung starrte er den winselnden Mann an. „Du Verbrecher hast mehr Schuld auf dich geladen als deine Kumpane“, stieß er durch die Zähne. „In Spanien würde man dich aufs Rad flechten
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und deine Knochen mit Eisenstangen zerschlagen. Bevor du gehängt wirst, erhältst du dreißig Hiebe mit der neunschwänzigen Katze. Senor Delgado wird das Urteil vollstrecken. Trommler!“ Carlos Ingarras Schrei mischte sich mit dem dumpf aufklingenden Trommelwirbel. Sekunden später war der zitternde, winselnde Meuterer an die Kuhlgräting gefesselt. Mit wenigen Griffen wurde ihm das Hemd vom Rücken gefetzt. In den Augen Jorge Delgados gleißte es auf, als ihm jemand die Peitsche reichte. Er konnte sie nur mit der Linken schwingen. Aber er tat es mit dem ganzen Haß, der ihn erfüllte, tat es wie in einem Rausch, der sein Gesicht verzerrte und ihm eine Kraft verlieh, die er selbst’ nicht in sich geahnt hatte. Carlos Ingarras tierische Schreie hallten weit über das Wasser. Sie verstummten erst, als nach dem zwanzigsten Hieb die gnädige Schwärze der Bewußtlosigkeit die Schmerzen auslöschte. * „Verdammter Mist“, wiederholte Ed Carberry. Er wiederholte es jetzt schon zum fünften oder sechsten Male. Zwischendurch hatte er Hölle, Teufel, Himmel, Arsch, Wolkenbruch und Gewittersturm zitiert und sich über die Vorfahren der Spanier ausgelassen, was in der Vermutung gipfelte, diese „Affenärsche“ und „Rübenschweine“ seien garantiert nicht einmal von des Teufels Großmutter geboren, sondern allenfalls von einer triefäugigen Gewitterziege im Linksgalopp an die Wand geschissen worden. Ausnahmsweise fand der Profos die volle Zustimmung der Crew, aber an den harten Tatsachen änderte das überhaupt nichts. Die Boote waren zerstört und blieben zerstört. Und damit saßen die Seewölfe auf Sala-yGomez rettungslos in der Falle. „Verdammter Mist!“ grollte Carberry. „Verdammter, elender, lausiger …“
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„Das hatten wir schon“, sagte Hasard trocken. „Strapazier lieber mal deinen Verstand, statt deine Stimme. Wir müssen hier weg, klar?“ „Klar.“ Der Profos nickte erbittert. ..Wir können ja schwimmen, was, wie?“ „Die Haie würden sich freuen.“ Hasard preßte die Lippen zusammen und sah von einem zum anderen. An dem braunhäutigen Mädchen, das zusammengekauert auf einem Felsen saß, blieb sein Blick schließlich hängen. „Luana, du bist damals mit einem Auslegerboot von der Insel geflohen. Davon müßte es doch noch mehr geben.“ Luana lächelte schmerzlich. Sie verstand nicht. Hasard biß sich auf die Lippen, überlegte kurz, dann griff er nach dem Arm des Mädchens und zog sie zu einer Stelle, wo der Wind etwas Sand zwischen die kahlen Felsen geweht hatte. „Licht!“ befahl er leise. Es war zwar riskant, hier mit einer Fackel zu hantieren, aber im Augenblick hatten sie keine Wahl. Sam Roskill entzündete die Fackel, und die anderen stellten sich Schulter an Schulter so auf, daß sie mit ihren Körper so weit wie möglich das Licht verdeckten. Hasard zeichnete die Umrisse eines Katamarans in den Sand. Er zeigte auf die Männer ringsum, auf das Mädchen und sich selbst, dann wieder auf das gezeichnete Boot. Schließlich wies er aufs Meer hinaus, dorthin, wo im Süden zwischen Sala-y-Gomez und der „Insel der Steinernen Riesen“ die „Isabella“ wartete —und diesmal verstand Luana, was er meinte. „Boote!“ Sie nickte. „Bucht— Luana weiß ...“ Leichtfüßig sprang sie auf, griff nach Hasards Hand und zog ihn hinter sich her. Die anderen folgten voll jäh erwachter Hoffnung. Zehn Minuten später platzte ihre Hoffnung wie eine Seifenblase. Tatsächlich hatte in einer winzigen Bucht ein halbes Dutzend Katamarane gelegen. Die wenigen überlebenden Eingeborenen der Insel mußten sie dort versteckt haben. Die leichten Auslegerboote waren hoch auf
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den Strand gezogen und unterhalb des Kliffs in die Brandungskehle geschoben worden. Und dort hatte der Beschuß durch die spanischen Galeonen eine riesige Steinlawine ausgelöst. „Kleinholz“, gab der Schiffszimmermann zum zweiten Male in dieser Nacht sein fachkundiges Urteil ab. Ed Carberry sparte sich den Kommentar. Es gab eben Situationen, für die die passenden Flüche noch nicht erfunden waren. Hasard knirschte mit den Zähnen, starrte auf den Wust aus Felsbrocken und zersplitterten Bootstrümmern und wurde sich erst mit Verspätung bewußt, daß Luana aufgeregt seinen Arm preßte. „Boot“, sagte sie nachdrücklich, als er ihr den Kopf zuwandte. „Luana weiß! Schau!“ Sie bückte sich rasch, glättete den Sand vor ihren Füßen mit den Händen, und jetzt war sie es, die langsam und sorgfältig etwas mit dem Finger auf den Strand zu zeichnen begann. Eine unregelmäßige Linie, drei Punkte davor. „Schiff“, sagte Luana. Dabei hielt sie drei Finger der Rechten hoch, und Hasard wußte, daß sie die spanischen Galeonen meinte. Kein Zweifel:“ die geschwungene Linie sollte die Bucht darstellen, vor der der spanische Verband ankerte. Luana zeichnete weiter: Felsen, das Lager der Spanier, wieder Felsen, eine ganz bestimmte Klippenformation, an die sich Hasard erinnerte. Luanas Finger bohrte sich in den Sand. Sie lächelte, als sie aufsah. „Boot“, wiederholte sie. „Luana weiß ...“ Der Seewolf dachte nach. Auch die anderen erinnerten sich ungefähr, wie die Stelle aussah. die das Mädchen markiert hatte. Ben Brighton atmete hörbar aus. „Das heißt, daß wir den Spaniern die Boote praktisch unter der Nase wegklauen müssen“, sagte er. „Na und?“ Dan O’Flynn grinste. „Denen haben wir doch schon ganze Schiffe unter dem Hintern weggeklaut, oder?“
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„Klar!“ stimmte Batuti zu. „Profos wird ziehen Haut von spanisches Hintern, was auf Boot sitzt und ...“ „Was heißt überhaupt Boot?“ unterbrach ihn Big Old Shane mit seinem rollenden Baß. „Ich habe bei diesen luftigen Dingern sowieso immer das Gefühl, zu Fuß über das Wasser zu laufen und das auch noch auf Stützen. Hasard, frag doch mal nach, wie viele von den Kähnen da überhaupt liegen.“ Der Seewolf sah Luana an. „Ein Boot?“ fragte er, wobei er den Daumen hob. Das Mädchen nickte. „Ein“, wiederholte sie. Und hob ebenfalls einen Finger. „Verdammter Mist“, sagte Carberry mal wieder. „Besser als nichts“, erklärte Hasard: Der Profos starrte ihn an, als habe er vorgeschlagen, auf einem Korken über den Pazifik zu reiten. Auch die anderen schnitten zweifelnde Gesichter. Matt Davies kratzte sich mit seinem Haken am Kopf. „So’n Ding trägt aber höchstens sechs Mann“, sagte er. „Tatsächlich?“ knurrte Hasard. _Und ich dachte, man könnte ein Bataillon Seesoldaten darauf einschiffen, du Held.“ „Aber — aber verdammt ...“ Matt Davies verschluckte sich. Big Old Shane kratzte nachdenklich seinen grauen Bart. „Die sechs Mann könnten immerhin die ‚Isabella’ erreichen“, sagte er. -.Zusammen mit Old O’Flynn, Will Thorne und dem Kutscher wären sie dann genug, um hierher zu segeln und uns abzuholen, eh?“ „Stimmt“, sagte Hasard. „Nur daß die ,Isabella’ gar nicht an die Insel herankommen würde, ohne total unterbemannt in ein Gefecht mit drei Kriegsgaleonen zu geraten. Das ist mir zu riskant— jedenfalls solange es noch einen besseren Weg gibt.“ Für einen Moment blieb es still. Die Seewölfe starrten ihren Kapitän an. Ziemlich entgeistert zuerst, dann mit einem Ausdruck jäh erwachender Spannung. Sie kannten ihren Kapitän. Und sie wußten,
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wenn so wie jetzt diese tausend Teufel in Hasards Augen tanzten, dann war etwas fällig. „Und — und wie soll das aussehen?“ fragte Matt Davies zögernd. Hasard grinste breit. Seine weißen Zähne blitzten. „Ganz einfach“, sagte er trocken. „Der eine Katamaran reicht gerade für ein Enterkommando. Wir klauen den Dons nicht nur das Boot, sondern eine ganze Galeone unter dem Hintern weg. Und dann segeln wir gemütlich zurück zu unserer guten alten ‚Isabella’.“ * Reglos stand der alte Jack Henry im Schatten einer riesigen Steinfigur und spähte nach Norden. Das Mondlicht lag in fahlen Schleiern über dem Wasser. Wie Brillanten auf schwarzem Samt glitzerten die Sterne am Himmel und spiegelten sich verschwimmend in den Wellen. Es war eine klare, schöne Nacht, eine Nacht, die den ganzen Zauber des Südens entfaltete, aber dem alten Mann erschien sie voller versteckter Drohungen. Seine Gedanken wanderten zurück in. die Vergangenheit, die sä plötzlich wieder für ihn lebendig geworden war. Er dachte an „London-Joe“, seinen besten Freund, mit dem er vor mehr als zehn Jahren als Schiffbrüchiger auf die „Insel der Steinernen Riesen“ verschlagen worden war. Damals hatten sie nur den Schatz gerettet, ihren rechtmäßigen Anteil an der Beute eines englischen Freibeuterschiffs, den „London-Joe“ dann auf der Insel vergraben hatte. Er war von spanischen Piraten gefangengenommen worden — und Jack Henry hatte nie wieder etwas von ihm gehört. Bis vor wenigen Tagen nach einem Sturm die Engländer aufgetaucht waren! „London-Joe“ lebte nicht mehr, aber sein Sohn Bill fuhr auf der „Isabella“ als Schiffsjunge. Die Seewölfe hatten Bills Schatz suchen wollen. Und nachdem Philip Hasard Killigrew die Tochter des
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Häuptlings nach ihrer Flucht von Sala-yGomez vor einem Menschenhai gerettet hatte, waren die polynesischen Eingeborenen sogar bereit gewesen, die Suche nach dem Schatz zu gestatten. Die Engländer hatten ihn gefunden diesen Schatz. Aber während sie noch suchten, hatten die spanischen Meuterer die Insel überfallen, Luana verschleppt und fünf Männer des Seewolfs gefangengenommen. Jetzt war die Crew der „Isabella“ unterwegs, um lauf Sala-y-Gomez ihre Kameraden und das Mädchen zu befreien. Jack Henry glaubte, daß sie es schaffen würden. Er wollte daran glauben. Aber allmählich begann er zu zweifeln, schlich sich Furcht in sein Hirn und fühlte er, daß etwas nicht stimmte. Die „Isabella“ hätte längst zurück sein müssen. Aber sie war nicht zurück. Die See lag leer im Mondlicht: ein silberner, wogender Teppich, vom stetig wehenden Ostwind bewegt. Jack Henry preßte die Lippen zusammen und fragte sich, ob es irgendetwas gäbe, das er tun könne. Hinter ihm, im Innern der Insel, dröhnten immer noch die dumpfen Wirbel der Tomtoms. Die Männer tanzten, sangen und peitschten sich auf für den großen Kriegszug — einen Kriegszug, bei dem sie nicht den Schimmer einer Chance hatten. Und doch: wenn es überhaupt eine Möglichkeit gab, sich der blutgierigen Spanier zu entledigen, war dann nicht jetzt die Gelegenheit günstig? Was immer dort drüben auf Sala-y-Gomez geschah, es mußte etwas sein, das die Aufmerksamkeit der Spanier fesselte Und den Polynesiern vielleicht die Chance gab, ihre Gegner zu überraschen. Jack Henry hatte versprochen, seine Freunde zurückzuhalten, damit sie den Seewölfen nicht in die Quere gerieten. Jetzt jedoch begann er zu glauben, daß die Seewölfe Hilfe brauchten. Schmerzlich wurde er sich bewußt, wie gering die Hilfe war, die er ihnen — wenn überhaupt — mit seinen begrenzten Mitteln zu bringen vermochte.
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Sie konnten mit den Auslegerbooten nach Sala-y-Gomez hinübersegeln. Sie konnten vielleicht heimlich an Land gehen. Vielleicht! Und wenn dort gekämpft wurde, konnten sie eingreifen, dann mochte es sogar möglich sein, daß sie es waren, die die Entscheidung brachten. Sie mußten es versuchen. Jetzt! Sofort! Jack Henry zog noch einmal sein altes Spektiv auseinander und suchte den Horizont ab. Er wollte es schon sinken lassen, da fuhr er plötzlich wie unter einem Hieb zusammen. Seine Haltung versteifte sich. Bei dem unwillkürlichen Zucken seines Körpers war das Spektiv aus der Richtung geschwenkt und zeigte nur noch silberne Wellenkämme. Vorsichtig bewegte Jack Henry es wieder aufwärts, bis er die dünne Linie im Blickfeld hatte, die den klaren, funkelnden Sternenhimmel von seinem verschwimmenden Spiegelbild trennte. Der alte Mann hielt den Atem an. Langsam und konzentriert schwenkte er von neuem den Horizont ab, von Westen nach Osten, und es dauerte nur Sekunden, bis er von neuem wahrnahm, was er eben nur ganz kurz gesehen hatte. Mastspitzen! Ein Schiff am Horizont! Die „Isabella“! Jack Henry wollte aufatmen, aber tief in ihm waren immer noch Zweifel, nagte eine Unruhe, die er sich selbst nicht erklären konnte. Segelte dort draußen wirklich die „Isabella“ heran? Konnte es nicht genauso gut die „Maria Mercedes“ sein, die die „Isabella“ in die Tiefe geschickt hatte und nun auf die „Insel der Steinernen Riesen“ zurauschte wie das Verhängnis selber? Jack Henry spürte sein Herz in schweren Schlägen gegen die Rippen pochen. Reglos blieb er stehen, das Spektiv starr auf einen Punkt in der unendlichen Weite des Meeres gerichtet, und beobachtete gebannt, wie das unbekannte Schiff unendlich langsam heranglitt. Fast eine halbe Stunde dauerte es, bis sich die Mastspitzen so weit genähert hatten,
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daß der alte Mann etwas besser sehen konnte. Vier Mastspitzen! Vier! Das war nicht die „Isabella“, durchzuckte es Jack Henry. Die „Isabella“ nicht und auch nicht die „Maria Mercedes“, die ebenfalls nur drei Masten hatte. Aber wer sonst? Wer konnte es sein, der sich in diese abgelegenen Gewässer verirrt hatte? Ein großer Viermaster, der von Westen heransegelte, hoch am Wind lag und schräg auf die „Insel der Steinernen Riesen“ zuglitt. Er begriff das nicht, er hatte keine Erklärung. Aber er wußte eins oder glaubte es zu wissen: daß dieses fremde Schiff ihnen nichts Gutes bringen würde. Mit einer raschen Bewegung schob er das Spektiv zusammen. Seine hellen Augen flackerten. Er sah eine neue Gefahr und neue Schwierigkeiten zu all denen, die ohnehin schon auf ihnen lasteten. Und er wußte, daß er sich beeilen mußte, wenn er seine polynesischen Freunde noch rechtzeitig warnen wollte. Hastig stieß sich der alte Jack Henry von der riesigen schwarzen Steinfigur ab, wandte sich um und „war Sekunden später in der Finsternis verschwunden. 5. Auf der Insel Sala-y-Gomez war die Treibjagd zu Ende. Um die Eingeborenen, die die Meuterer am Leben gelassen hatten, kümmerten sich die Männer des „Hais“ nicht. Die wenigen übriggebliebenen Polynesier hatten sich in panischer Angst versteckt, waren wie vom Erdboden verschwunden und wagten sich auch nicht hervor, als Kanonendonner und Kampflärm wieder der Stille der Nacht gewichen waren. Die Seewölfe jedenfalls begegneten keinem menschlichen Wesen, als sie sich quer über die Insel zurück zu der Bucht an der Nordseite pirschten. Nach einem kurzen Erkundungsgang hatten sie darauf verzichtet, wieder den
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schwierigen, kräftezehrenden Weg durch das unterirdische Labyrinth zu nehmen. Es war nicht mehr notwendig. Den Spaniern von den drei Galeonen war es gelungen, auch die letzten Meuterer aus ihren Schlupf winkeln zusammenzutreiben. Jetzt hatten sie sich alle an die Nordseite der Insel zurückgezogen. Der ferne, unheimliche Trommelwirbel, der in regelmäßigen Abständen die Luft durchzitterte, ließ darauf schließen, daß sie sich zu irgendeiner Art von pathetischem Schauspiel versammelt hatten. „Scheint so, als würden sie ein regelrechtes Bordgericht veranstalten“, sagte Ben Brighton leise. Hasard nickte nur. Genau das hatte er von Anfang an vermutet, und darauf basierte sein Plan. Nichts konnte ihnen im Augenblick weniger in den Kram passen, als daß die Spanier sang- und klanglos mit ihren Gefangenen davonsegelten — und dann vielleicht doch noch auf die völlig unterbemannte und hilflose „Isabella“ stießen. Die Seewölfe brauchten nicht lange, bis sie wieder das Lager der Meuterer erreichten, ein Lager, das sich verändert hatte, verblüffend verändert. Sämtliche Hütten lagen in Trümmern. Nicht einmal diese Trümmer hatten die Spanier in Ruhe gelassen: alle größeren Stützbalken fehlten, nur ein paar Latten und kleinere Bretter waren übriggeblieben. Hasard kniff die Augen zusammen und ließ nachdenklich den Blick über das Bild der Verwüstung wandern. Hier hatte keine sinnlose Zerstörungswut getobt, wurde ihm klar. Die Spanier hatten die Hütten auseinandergenommen, weil sie die Balken brauchten, und wozu sie die brauchten, unterlag kaum einem Zweifel. „Die spinnen“, behauptete Smoky aus dem Hintergrund. „Die spinnen bestimmt nicht“, widersprach Ferris Tucker trocken. „Wahrscheinlich sind ihnen ihre Rahen zu schade, um eine Bande von Meuterern daran aufzuknüpfen. Oder sie wollen es ganz besonders feierlich machen.“
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„Ho!“ knurrte Carberry. „Du glaubst, diese Rübenschweine bauen ein paar hübsche Galgen?“ „Warum nicht? Ist doch kein Problem, oder? Was denkst du, was ich dir für ein Prachtstück von Galgen hinzaubern würde, wenn wir dir eines Tages deinen großen Hals zudrehen, damit du endlich das ewige Fluchen vergißt?“ „Das Fluchen vergißt der Profos doch nicht mal in der Hölle“, behauptete Blacky. „Klar“, sagte Stenmark. „Der würde dem Teufel persönlich die Haut von seinem verdammten Affenarsch abziehen und das Höllenfeuer auspusten. Das können wir dem Höllenfürsten wirklich nicht antun.“ Die anderen kicherten gedämpft. Hasard stoppte sie mit einer Handbewegung, bevor sie darangehen konnten, sich weiter auszumalen, was ein aufgebaumelter Profos aus der guten alten Hölle machen würde. Edwin Carberry grinste nur. Er faßte das Gerede als Kompliment auf. Daß er dereinst mit dem Teufel genauso umspringen würde, wie mit irgendeinem lausigen Don, stand sowieso fest. „Weiter, ihr Rübenschweine!“ knurrte er jetzt. „Hopp-hopp, aber ein bißchen plötzlich. Wenn wir uns nicht beeilen, segeln die Kastanienesser doch noch mit unserem Pott davon!“ Beifälliges Nicken. Daß der Profos eine der spanischen Galeonen bereits als „ihr“ Schiff betrachtete, fiel niemandem besonders auf. Der Seewolf hatte gesagt, daß sie es kapern würden, also würden sie es auch kapern. Das verstand sich von selbst, das war gar keine Frage. Die paar Kleinigkeiten, die noch zwischen ihnen und ihrem Ziel standen, die würden sie diesmal eben mit der linken Hand erledigen. Als sie, immer im Schutz des Buschwerks, die Felsenbarriere jenseits des Lagers erreicht hatten, herrschte schon wieder jener Optimismus, der in dem unerschütterlichen Vertrauen der Männer zu ihm Kapitän wurzelte. Zwischen den Felsen hielten sie an. an O’Flynn und der schlanke, geschmeidige
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Sam Roskill bildeten einen Aufklärungstrupp und überzeugten sich davon, daß die Spanier er oben keine Wachtposten rückgelassen hatten. Die Luft war in. Dan schlich ein Stück zurück, b den anderen ein Zeichen, und wenig später drängten sie sich in einer flachen Gesteinsmulde zusammen. die freie Sicht zum Strand hinunter und über die Bucht bot. Es war ein makaberer Anblick, der sie erwartete. Fackeln beleuchteten die Szene am Strand, Fackeln, die in Felsspalten oder einfach im Sand steckten und ihren unruhigen Schein über das Gerüst warfen, das die Spanier errichtet hatten. Es war tatsächlich ein Galgen: provisorisch zusammengezimmert, aber ganz sicher funktionstüchtig. Von dem Querholz baumelten die Schlingen herunter, sechs an der Zahl. Unter jeder stand ein einfaches Faß, das der Henker dem Delinquenten nur noch unter den Füßen wegzutreten brauchte. Aber die Männer würden nicht tief genug fallen, als daß die Henkersknoten ihnen das Genick brechen konnten. Sie würden qualvoll sterben, und für diejenigen, die zuletzt dran waren, würde das Zuschauen eine zusätzliche Tortur sein. Schwankend, gefesselt, mit hängenden Köpfen standen die Meuterer am Strand. Fünf oder sechs nur, stellte Hasard fest. Ein zweites Boot mit weiteren Delinquenten wurde gerade von der „Valparaiso“ herübergepullt. Auf der Kuhl der Galeone wartete der Rest der Meuterer. Als Hasard den Blick hob, konnte er die einzelne Schlinge an der Nock der Großrah erkennen. Der Seewolf begriff sofort. Die Schlinge dort war für Carlos Ingarra bestimmt: ihn würde man zuletzt hängen und schon vorher tausend Tode sterben lassen. Hasard prellte die Zähne zusammen, griff nach dem Spektiv und zog es auseinander. Langsam schwenkte er die Kuhl der „Valparaiso“ ab. Sein Blick glitt über die letzte Gruppe der Meuterer, die
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darauf wartete, ebenfalls zum Strand gebracht zu werden: erschöpfte, in ihr Schicksal ergebene Gestalten ohne Hoffnung. Carlos Ingarra kniete etwas abseits von den anderen. Auch er stierte dumpf vor sich hin. Sein Oberkörper war nackt. Hasard erkannte die Spuren, die die Peitsche hinterlassen hatte. Das Spektiv schwenkte hoch und erfaßte die Gestalten auf dem Achterkastell. Vier Männer. Zwei davon sahen blaß aus und erweckten nicht gerade den Eindruck, als bereite ihnen das makabere Schauspiel Vergnügen. Blaß war auch der dritte, ein großer, hagerer Bursche, aber sein Gesicht glich einer kalten, tödlich entschlossenen Marmormaske ohne eine Spur von Gefühl. Der vierte neben ihm bot einen erschreckenden Anblick mit seinem fahlen, ausgemergelten Gesicht, den zuckenden Lippen und den tiefliegenden, fanatisch glühenden Augen. Die rechte Hand fehlte ihm, der Armstumpf war mit einem Lederlappen umwickelt. In seinen Augen konnte der Seewolf einen mörderischen, unstillbaren, verzehrenden Haß lesen. Er hätte diesen Mann für den Anführer des Verbandes und die Triebfeder des ganzen Unternehmens gehalten, wenn es nicht so eindeutig und unübersehbar gewesen wäre, daß er körperlich und vermutlich auch seelisch ein Wrack war. Nein, der Kommandant mußte der Hagere sein, jener Mann mit dem maskenhaften Gesicht und den kalten, ausdruckslosen Augen. Noch einmal kehrte Hasards Blick zu den starren Zügen zurück. Der Seewolf ahnte, daß er mit diesem Mann noch Schwierigkeiten kriegen würde. Der spanische Kommandant sah nicht so aus, als werde er den Verlust eines seiner Schiffe auf sich beruhen lassen. Er würde die Jagd aufnehmen und kämpfen. Und daß er ein zäher, unermüdlicher Jäger war, hatte er ja schon bewiesen, als er die Meuterer selbst hier in dieser abgelegenen Gegend aufspürte. Mit einem tiefen Atemzug ließ Hasard das Spektiv weiterwandern.
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Die Bucht war eng, die drei Schiffe lagen fast in Kiellinie gestaffelt. Hinter der „Valparaiso“ hatte die, „Valdivia“ Anker geworfen. Die dritte Galeone trug den Namen „Escudo de Navarra“ und lag fast unmittelbar in der Einfahrt zwischen den beiden vorspringenden Landzungen. Etwas weniger als ein Dutzend Männer standen an Deck. Keiner von ihnen schien gesonnen, den Blick auch nur für einen Moment von dem makaberen Schauspiel am Strand abzuwenden. Wenn später der Henker in Aktion trat, würden die Kerle erst recht nicht mehr auf ihre Umgebung achten. Sie drängten sich am Backbordschanzkleid. Wenn es soweit war, konnten die Seewölfe in aller Ruhe an Steuerbord über die Jakobsleiter aufentern. Mit etwas Glück würde es ihnen sogar gelingen, die Besatzung der „Escudo de Navarra“ völlig lautlos zu überwältigen. Mit etwas Glück, wiederholte Hasard in Gedanken. Aber dazu brauchten sie zunächst einmal das Auslegerboot, und das lag praktisch unter den Augen der Spanier zwischen den Felsen auf der Landzunge. „Wir schlagen einen Bogen zur Westseite der Bucht’, sagte der Seewolf ruhig. „Dann holen wir das Boot, bringen es auf der anderen Seite der Landzunge ins Wasser und schlagen einen weiten Bogen. Die Eingeborenen haben die Segel braun gefärbt, also ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß wir entdeckt werden.“ Die anderen nickten. Es klang einfach, aber sie wussten nur zu gut, daß es eine verdammt heikle Angelegenheit werden würde. Schweigend wandten sie sich ab, zogen sich wieder ein Stück zwischen die Felsen zurück und begannen, sich in westlicher Richtung vorzuarbeiten. Ein paar Minuten später hatten sie die flache, langgezogene Nachbarbuchterreicht. Noch schützten sie die Felsen der Landzunge. Allenfalls von Bord der „Escudo de Navarra“ aus hätten sie gesehen werden können, doch die Männer am Schanzkleie hatten nur Augen für das,
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was sich in diesem Moment unter dem, Galgen abspielte. Wieder begann der unheimliche Trommelwirbel. Ein paar knappe Kommandos erklangen, dann waren Flüche zu hören, klatschende Geräusche und das Poltern, als die ersten Meuterer auf das hölzerne Gerüst getrieben wurden. „Boot dort ...“ Luanas Stimme war nur ein Hauch. Sie wollte vorangehen, aber Hasard schüttelte den Kopf und hielt sie an der Schulter zurück. Er hatte sich die Bucht vorher gründlich angesehen. Seiner Meinung nach gab es nur eine einzige Stelle, wo ein Katamaran versteckt sein konnte. „Ed, Ferris, Batuti, Shane, Dan“, sagte er leise. „Die anderen bleiben hier als Rückendeckung.“ „Und wenn sie euch entdecken?“ „Auf sie mit Gebrüll, was sonst?“ Der Seewolf grinste, während er sich bereits abwandte und über den Strand huschte. Sekunden später duckten sich die sechs Männer in den Schatten des langgezogenen Felsenbuckels. Dan hatte bereits begriffen, daß er nicht zum Schleppen mitgenommen worden war, sondern zum Augen aufhalten. Fragend hob er die Brauen, während er mit dem Daumen auf einen etwas erhöht liegenden Platz wies, wo er sehen konnte, ohne gesehen zu werden. Hasard nickte, lächelte anerkennend, und Dan O’Flynn war wieder Blitz zwischen den Felsen verschwunden. Der Seewolf schob sich vorsichtig hoch und spähte über den Felsbuckel. Ein Dutzend Spanier wandte ihm den Rücken zu. Auf der anderen Seite des Galgens, mit den Gesichtern zur Landzunge, standen nur die Trommler, aber die wurden von den Fackeln geblendet. Ganz abgesehen davon, daß sie ihre Aufmerksamkeit ohnehin teilen mußten zwischen den Instrumenten, die sie bearbeiteten, und dem unheimlichen Gerüst, wo jetzt sechs Männer unter den baumelnden Hanfstricken standen. Von den Delinquenten würde sich ganz sicher niemand um seine Umgebung kümmern,
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die hatten alle genug mit ihrer Todesangst zu tun. Hasard schauerte unwillkürlich, als er die verzerrten Gesichter sah. Er hatte selbst schon einmal vor einem Exekutionskommando gestanden, und er kannte das Gefühl der Wehrlosigkeit, das anders war als alles, was man empfand, wenn man im Kampf dem Tod ins Auge sah. Unwillig schüttelte er die Erinnerung ab, hob den Kopf noch etwas höher und ließ den Blick, über .die Felsen gleiten. Unmittelbar vor ihm gab es eine große, ziemlich tiefe Mulde, die von den überhängenden Felsen des Kliffs geschützt wurde und mit Sand und losem Geröll ausgefüllt war. Mit Sand, losem Geröll - und mit einem Boot, wie Hasard als sicher annahm:. Er grinste, als er sich umsah und Batuti ein Zeichen gab. Der riesige Neger nickte, schob sich ein Stück höher und glitt wie eine Schlange über die Felsenkante in die Mulde. Hasard folgte ihm. Noch wäre die Möglichkeit, daß die Spanier sie entdeckten, auch ohne das Schauspiel der Hinrichtung gering gewesen. Aber später, wenn sie das schwere Boot über die Kante wuchten mußten, würde sich das ändern. Jetzt mußten sie zunächst einmal den Sand und das Geröll beiseiteräumen. Sie gingen systematisch vor. Hasard und Batuti lockerten die Felsbrocken, zerrten sie hoch und schoben sie über die Kante. Ed Carberry, Ferris Tucker und Big Old Shane nahmen die Steine auf der anderen Seite entgegen. Dan behielt unterdessen die Spanier im Auge. Falls einer der Kerle den Kopf drehen sollte, würde er die Seewölfe rechtzeitig warnen. Aber die Spanier dachten nicht daran, die Köpfe zu wenden. Fasziniert hörten sie zu, wie einer der Offiziere von der „Valparaiso“ noch einmal feierlich das Urteil für jeden der sechs Delinquenten verlas. Die Trommeln dröhnten, Spannung schien fast greifbar in der Luft zu hängen. Hasard und Batuti konnten ungestört den Katamaran freilegen. Als letztes scharrten sie den losen Sand beiseite. Danach gab Hasard den anderen
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ein Zeichen, und auch Tucker, Carberry und Big Old Shane schwangen sich über die Felskante in die tiefe Mulde. Je zwei packten die Ausleger des Bootes, der fünfte Mann stützte den klappbaren Mast ab. Drüben am Strand steigerte sich der Trommelwirbel. Hasard nahm an, daß der Henker den Verurteilten jetzt die Schlingen um den Hals legte. Der Seewolf sah zu Dan hinüber. Dessen Gestalt verschmolz fast mit den schwarzen Felsen. Seine Augen hingen an der Szene am Strand, die Rechte hatte er leicht erhoben. Er würde sie genau in dem Augenblick senken, in dem der spanische Offizier das Zeichen für die erste Exekution gab. Fünf Sekunden später war es soweit. Etwas polterte: das Faß, das dem Verurteilten unter den Füßen weggestoßen wurde. Der Trommelwirbel steigerte sich zum unheilvollen Stakkato, und die fünf Männer in der Mulde hievten gleichzeitig das Boot an. Philip Hasard Killigrew, der hünenhafte Schiffszimmermann, der eiserne Profos, der schwarze Herkules und der ehemalige Schmied von Arwenack hatten jeder für sich schon Bärenkräfte. Gemeinsam war es für sie ein Kinderspiel, den Katamaran über die Felsenkante zu schleppen. Kein Geräusch entstand, das nicht von dem Trommelwirbel verschluckt worden wäre, kein Spanier wandte den Blick von dem Galgen ab, und als Dan O’Flynn vorsichtig von seinem erhöhten Beobachtungsposten herunterglitt, lag das Auslegerboot bereits auf dem Wasser. Ferris Tucker und Ed Carberry beeilten sich, den Mast aufzurichten. Viel Zeit hatten sie nicht mehr. Sie mußten in weitem Bogen zur Einfahrt der Bucht segeln und lautlos die „Escudo de Navarra“ entern. Sie mußten die anderen nachholen und dann, nach Möglichkeit immer noch lautlos, mit der Galeone verschwinden. Das alles mußten sie schaffen, solange sich die Aufmerksamkeit der Spanier auf das Schauspiel der Exekution richtete: Denn wenn sie vor der Zeit entdeckt wurden, war es angesichts
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der erdrückenden Übermacht zumindest sehr fraglich, ob sie es schaffen würden, die Insel mit der „Escudo de Navarra“ zu verlassen. Minuten später entfaltete sich auf dem Katamaran das mit Pflanzensaft gefärbte, in der Dunkelheit fast unsichtbare Segel. Die Seewölfe konnten auch mit dieser Art Boot umgehen. Sie waren zu sechst: Hasard und Ed Carberry, Ferris Tucker und Batuti, Dan O’Flynn mit seinen Luchsaugen und schließlich Bob Grey — letzterer vor allen Wegen seines Talents, einen Gegner blitzschnell und lautlos mit dem Wurfmesser auszuschalten. Wahrscheinlich, dachte Hasard, waren sie so ungefähr das kleinste Enterkommando, das jemals eine spanische Galeone gekapert hatte. Aber sie hatten keine Wahl. Und im Grunde zweifelte keiner der sechs ernsthaft daran, daß sie es schaffen würden. * „Madre de Dios!“ Der kleine, schlanke Spanier bekreuzigte sich. Die Männer, die links und rechts von ihm am Backbordschanzkleid der Kuhl standen, warfen ihm überraschte und dann verächtliche Blicke zu. Sie konnten ja nicht ahnen, daß der kleine, drahtige Mann selbst einmal auf der „Maria Mercedes“ gefahren war und die meisten Männer persönlich kannte, die dort drüben am Strand jetzt gnadenlos vom Leben zum Tode befördert wurden. Es interessierte auch niemanden. Gebannt starrten die zehn Männer, die auf der „Escudo de Navarra“ zurückgeblieben waren, zum Strand hinüber. Dort dröhnten jetzt wieder die Trommeln. Der vermummte Henker schritt von einer Seite des Gerüsts zur anderen, um die sechs Gehenkten abzuschneiden. Die Männer wußten, wer unter der scharlachroten Kapuze steckte: entweder der Profos der „Valparaiso“ oder der von der „Valdivia“. Der Henker tat seine Arbeit rasch, und seine Gehilfen schafften die Toten beiseite. Die restlichen Meuterer, die
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gefesselt zwischen ihren Bewachern standen, waren fahl vor Angst und hielten sich nur noch mühsam auf den Beinen, aber das konnten die Männer der „Escudo de Navarra“ aus der Entfernung nicht erkennen. „Dreck!“ fauchte einer von ihnen. „Wenn es nachher diesem Bastard Carlos Ingarra an den Kragen geht, werden wir nichts sehen können.“ „Deine eigene Schuld, Manos!“ Jemand kicherte im Halbdunkel. „Hättest du den verklemmten Block an der verdammten Talje schneller klargekriegt, wären wir jetzt dort, wo die ,Valdivia’ liegt, und hätten einen prächtigen Ausblick.“ „Du kannst wohl die Nase nicht vollkriegen!“ fauchte der schlanke Mann, der .sich vorhin bekreuzigt hatte. „Was willst du? Hast du mit verdammten Meuterern Mitleid?“ Der Schlanke zog die Schultern hoch. Er hielt nicht viel von der Gerechtigkeit Seiner allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien. Es war eine Gerechtigkeit, die die Angehörigen fremder Rassen als Tiere und die Angehörigen anderer Religionen als Teufel einstufte. Da der Schlanke ein gottesfürchtiger Mann war, der die Bibel ernst’ nahm, glaubte er auch nicht recht daran, daß Seine allerkatholischste Majestät das Christentum gepachtet hatte. Aber seit es ihm gelungen war, in letzter Sekunde vor dem Zugriff der Inquisition unter falschem Namen auf ein Schiff zu entwischen, hütete er sich wohlweislich, solche Gedanken laut werden zu lassen. „Jetzt!“ zischte einer der Männer neben ihm. Am Strand verstärkte sich der Trommelwirbel. Die nächsten sechs Meuterer wurden auf das Galgengerüst getrieben, und die Leute der „Escudo de Navarra“ starrten angestrengt über das dunkle Wasser. Keiner von ihnen achtete auf das, was hinter ihnen geschah. Selbst wenn sie es getan hätten, wäre es ihnen sehr schwergefallen, das kleine
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* Wie ein schwarzer, massiger Schatten wuchs die Bordwand der „Escudo de Navarra“ aus der Dunkelheit hoch. Das leise Glucksen und Gurgeln der Wellen an den Auslegern war das einzige Geräusch, das der Katamaran verursachte. Die Seewölfe hatten einen weiten Bogen geschlagen, jetzt holten sie das dunkel gefärbte Segel ein, um sich von Wind und Strömung vollends an das spanische Schiff herantragen zu lassen. Die Jakobsleiter hing außenbords: die Männer, die zum Strand gepullt waren, hatten sie benutzt und würden sie wieder brauchen, wenn sie an Bord zurückkehrten. Oder wenn sie an Bord zurückkehren wollten, verbesserte sich Hasard in Gedanken. Denn wenn sich die Spanier auf der Insel wieder nach ihrer Galeone umsahen, würde sie hoffentlich bereits spurlos verschwunden sein. Dan O’Flynn schien sich bereits die Gesichter auszumalen, die die Dons schneiden würden, denn er grinste bis zu den Ohrläppchen, während er die Vorleine des Boots vertäute. Das war ein Unternehmen ganz nach seinem Geschmack, ein Husarenstück, von dem die Spanier noch lange sprechen würden. Mochte Dan auch längst erwachsen geworden sein und voll seinen Mann stehen – er neigte immer noch dazu, die Nase manchmal ein bißchen zu weit vorn zu haben. Aber der Seewolf wußte, daß er sich darum nicht zu kümmern brauchte. Das würde schon Batuti erledigen, der jedesmal zum reißenden Tiger wurde, wenn „kleines O’Flynn“ in Gefahr geriet. Im allgemeinen allerdings konnte „kleines O’Flynn“ durchaus auf sich selbst aufpassen. Er war mutig, geschickt und verwegen, ein Kämpfer von Format, ein Wirbelwind, der überall zugleich sein konnte. Einen unbesonnenen Jungen hätte Hasard ausgerechnet bei diesem
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Unternehmen ganz bestimmt nicht mitgenommen. Der Seewolf enterte als erster auf. Vorsichtig schob er den Kopf über das Steuerbordschanzkleid und ließ den Blick über die Kuhl gleiten. Zehn Männer standen drüben an der Backbordseite und beobachteten fasziniert das Schauspiel am Strand. Die Takelage der „Escudo de Navarra“ knarrte leise, die Wellen glucksten gegen die Bordwand - die vertraute Geräuschkulisse, die schleichende Schritte übertönen würde. Geschmeidig schwang sich Hasard über das Schanzkleid, glitt nach rechts in den tiefen Schlagschatten Achterkastells und arbeitete sich lautlos bis zur Backbordseite vor. Aus den Augenwinkeln sah er Bob Freys geduckt an der Nagelbank des Großmastes. Dort würde er stehenbleiben und den ersten Teil des Unternehmens absichern. Denn wenn sie vorzeitig entdeckt wurden, konnte Bob die Situation mit seinen lautlos fliegenden Messern am besten bereinigen. Als nächster schwang sich Ferris Tucker über das Schanzkleid. Er glitt zu Hasard herüber und wog spielerisch die mächtige Axt in der Hand. Ed Carberry huschte an Bob Grey vorbei und nahm auf der Backbordseite der Nagelbank Aufstellung. Batuti und Dan O’Flynn folgten. Dan warf Hasard einen fragenden Blick zu. Der Seewolf nickte knapp. Was jetzt folgte, war der schwierigste Teil des Unternehmens: zu sechst eine Übermacht von zehn Männer völlig lautlos zu überwältigen. Nur Bob Grey blieb an seinem Platz stehen, in jeder Hand ein Messer. Sein blondes Haar leuchtete schwach im Mondlicht, und als er lächelte, blitzten seine Zähne in dem braunverbrannten Gesicht. Dan O’Flynn und Batuti schlichen quer über die Kuhl, auch Hasard, Ferris Tucker und Carberry lösten sich aus ihren Deckungen. Die Männer der „Escudo de Navarra“ richteten immer noch ihre Aufmerksamkeit auf den Strand und starrten sich die Augen aus.
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Hasards Blick glitt über die Hinterköpfe und Schultern. Mit einer Handbewegung teilte er Tucker seinen Mann zu. Er selbst würde versuchen, zwei von den Kerlen mit den Köpfen gegeneinander zu donnern. Neben den beiden, die er sich ausgesucht hatte, stand ein kleiner, auffallend schlanker Bursche in der Reihe, und der war der einzige, der die Gefahr zu wittern schien. Seine Nackenmuskeln spannten sich. Er ließ das Schanzkleid los, gleichsam zögernd, als versuche er, der Wahrheit auszuweichen. Dann explodierten seine Muskeln, er wirbelte geschmeidig herum und im selben Augenblick schien etwas wie ein flirrender Lichtreflex auf ihn zuzufliegen. Bis zum Heft bohrte sich das Wurfmesser in seine Brust. Der Schaft zitterte. Weit riß der Schlanke die Augen auf, brach mit einem gurgelnden Laut zusammen, und im nächsten Moment überstürzten sich die Ereignisse. Mit einem letzten Sprung war Hasard am Schanzkleid, packte zwei der Spanier und knallte ihre Köpfe so wuchtig aneinander, daß die Kerle augenblicklich erschlafften. Neben ihm schwang Ferris Tucker die Axt und schlug seinem Mann die flache Klinge auf den Schädel. Batutis Faust donnerte auf einen weiteren Kopf, der das nicht verkraftete. An der rechten Flanke der Spanier hatte Ed Carberry nach der gleichen Methode wie Hasard zwei Gegner auf einmal erledigt. Dan O’Flynn sprang einem der Kerle ins Genick und drückte ihm die Luft ab. Bob Grey war wie ein Schatten von der Nagelbank herangehuscht, donnerte einem herumwirbelnden Spanier einen Belegnagel genau auf die Stirn — und der zehnte Mann, der ebenfalls erschrocken herumfuhr, blieb für den Seewolf übrig. Hasard sprang ihn an und knallte ihm die Faust unters Kinn, ehe der Bursche sich auch nur halbwegs von seiner Überraschung erholt hatte. Mit verdrehten Augen kippte er hintenüber und krachte auf die Kuhl. Danach war
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Stille. Die Seewölfe sahen sich an, betrachteten das Schlachtfeld und grinsten. „Himmelarsch“, flüsterte Ed Carberry. „Das ging ja wie geschmiert, das ...“ Er stockte abrupt. Ein leises Geräusch vom Achterkastell hatte ihn unterbrochen. Hasard zuckte herum und sah die hohe Gestalt, die dort oben an der Schmuckbalustrade stand und fassungslos auf die Kuhl hinunterstarrte. Der Offizier hielt eine Pistole in der Faust. aber was sich da vor seinen Augen abspielte, war einfach zu gespenstisch, zu unwirklich, als daß er schnell genug hätte reagieren können. Noch einmal blitzte Bob Greys Messer auf, zischte durch die Luft und bohrte sich in den Hals des Spaniers. Er schwankte. Ein Blutsturz schoß aus seiner Kehle, die weit aufgerissenen Augen verdrehten sich. Zuerst polterte seine Waffe auf die Planken, dann brach er selbst mit einem gurgelnden Laut zusammen. Während Hasard und Batuti darangingen, die noch lebenden Spanier zu fesseln und zu knebeln, durchsuchten Bob Grey und Ferris Tucker hastig das Achterkastell und das Vorschiff. Ed Carberry schwang sich schon wieder über das Schanzkleid und enterte ab, um mit dem Katamaran zurückzusegeln. Die Pinasse der „Escudo de Navarra“ lag drüben am Strand, aber eins der anderen Beiboote ließ Hasard jetzt abfieren. Der hünenhafte Batuti pullte hinter dem wesentlich schnelleren Auslegerboot her. Der Katamaran würde mindestens dreimal hin- und hersegeln müssen, um den Rest der Seewölfe und das Mädchen an Bord zu holen, und wenigstens eine dieser Fahrten konnte das Beiboot ihm abnehmen. Hasard zog das Spektiv auseinander und ließ den Blick über die Bucht und die beiden anderen Galeonen gleiten. Das Schwierigste war geschafft. Wenn sie jetzt entdeckt wurden, verfügten sie immerhin über ein gut bestücktes Kriegsschiff und hatten gegenüber den beiden anderen Galeonen in der Bucht außer dem Überraschungseffekt auch noch
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den Vorteil, besser manövrieren zu können. Aber Hasard wußte auch, daß seine Männer erschöpft und zum Teil schlimmer angekratzt waren, als sie zugeben wollten. Er war immer noch entschlossen, sich mit der „Escudo de Navarra“ nach Möglichkeit lautlos zu verholen, und im Augenblick sah es ohnehin nicht so aus, als ob sie entdeckt werden würden. Hasard reichte das Spektiv an Dan O’Flynn weiter und schickte ihn in den Großmars hinauf. Er selbst machte sich rasch und gründlich daran, die „Escudo de Navarra“ zu inspizieren, um im Falle eines Falles keine bösen Überraschungen zu erleben. 6. Thorfin Njal, der Wikinger, ließ das Spektiv sinken. „Das ist sie“, grollte er mit seinem tiefen Baß. „Das muß sie sein.“ „Die ‚Insel der Steinernen Riesen’“, sagte die Rote Korsarin nachdenklich. Der Wikinger nickte. Schon vor einer halben Stunde hatte Hilo im Großmars die Insel Steuerbord voraus gemeldet, aber zuerst war sie nicht mehr gewesen als eine unregelmäßige schwarze Zackenlinie im Halbdunkel. Jetzt hoben sich die gewaltigen Steinfiguren deutlich vom blasser werdenden Sternenhimmel ab. Figuren aus schwarzem Tuff, gleich Wachtposten am Rande des Hochplateaus aufgereiht, wo mehr oder weniger schroffe Steilhänge zum Strand hin abfielen. Die Insel war groß, zwei hohe Vulkankegel an beiden Enden bestimmten ihre Form. Je näher der schwarze Segler heranglitt, desto mehr traten die unheimlichen Steinfiguren aus dem fahlen Schleier des Mondlichts. „Wir laufen vorbei und gehen auf Südkurs“, entschied die Rote Korsarin. „Ich möchte zunächst einmal um die Insel herumsegeln. Vielleicht entdecken wir dabei die ‚Isabella.“ „Hoffentlich“, brummte der Wikinger in seinen Vollbart..
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Er zweifelte daran. Wenn sich die Seewölfe auf der Insel aufhielten, dann bestimmt nicht, ohne Posten aufzustellen, die nach dem schwarzen Segler Ausschau hielten. Einer dieser Posten hätte sie inzwischen sichten und ihnen Zeichen geben müssen. Aber das wußte auch SiriTong, das brauchte man ihr nicht erst zu sagen. Der Segler lag immer noch hart am Wind. Er blieb auf dem Kurs, um an der Landzunge im Nordosten der Insel vorbeizuscheren. Thorfin Njal blickte wieder durch das Spektiv und suchte die Küstenlinie der Insel ab. Fahl schimmerte der breite, geschwungene Strandstreifen im Mondlicht, nur ab und zu unterbrochen von felsigen Landzungen und Klippen, die unbekannte Naturgewalten durcheinander gewürfelt hatten. In den Mulden und Gesteinsfalten der Steilhänge ballte sich die Dunkelheit dicht und undurchdringlich, als bestehe sie aus einem festeren Material als Luft. Ab und zu glaubte Thorfin Njal, huschende Bewegungen zu erkennen. Das konnten Tiere sein, Seevögel, die sich im Schlaf bewegten, vielleicht auch nur Reflexe von dem silberüberglänzten Wasser, aber der Wikinger rollte trotzdem unbehaglich die mächtigen Schultern. Auch Siri-Tong empfand die eigentümliche Drohung, die von der Insel ausging. Sie starrte auf die riesigen schwarzen Figuren, die hochmütig über das Schiff hinwegzublicken schienen. Vermutlich ging das Gefühl der Drohung nur von diesen unheimlichen Gesellen aus, die so wenig auf ein winziges Eiland in der Weite des Pazifik paßten. Sie bestehen aus Stein, dachte Siri-Tong, es sind harmlose, unbelebte Statuen, sonst gar nichts. Mit einer heftigen Bewegung warf die Korsarin ihre schwarze Mähne zurück, schwang herum und ging mit kurzen, festen Schritten über das Achterkastell zur Schmuckbalustrade. „Klar zum Abfallen!“ klang ihre Stimme über die Kuhl. „An die Brassen!“
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Blitzschnell wurden die Kommandos befolgt. Der Boston-Mann legte Ruder, die Großrahen wurden vierkant gebraßt und wieder dichter geholt, als der Viermaster auf den neuen Kurs herumschwang. Mit halbem Wind segelte er an der Ostseite der Insel vorbei. Thorfin Njal beobachtete immer noch aufmerksam die schwarzen Felsen. Dicht unter Land umrundete das Schiff die Insel, bis es auf der Nordseite wieder hart am Wind lag. Nichts hatte sich gerührt. Jedenfalls nichts, was dem Wikinger aufgefallen wäre. Siri-Tong kniff die Augen zusammen und zeigte auf die tief eingeschnittene Bucht, die jetzt achteraus blieb. „Klar zum Wenden! Hart über das Ruder! Großtopp rund!“ Der schwarze Segler ging über Stag und nahm wieder Fahrt auf, als der Wind über den anderen Bug einfiel. Von neuem ließ die Korsarin abfallen. Mit halbem Wind lief das Schiff auf die breite Einfahrt zu. Der Wikinger zog die Brauen so dicht zusammen, daß sie nur noch von der steilen Falte über der Nasenwurzel getrennt wurden. Ehe er seine Bedenken anmelden konnte, hatte Siri-Tong die Entscheidung, die er ihr vorschlagen wollte, bereits getroffen. „Klar Schiff zum Gefecht! Geschütze besetzen! Klar bei Brandsätzen!“ Die Brandsätze waren nur eine Sicherheitsreserve, das letzte Mittel, aber sie mußten feuerbereit sein. Ohne sie wäre der schwarze Segler, der keine Drehbassen hatte, hilflos jedem Angriff auf Bug oder Heck ausgeliefert gewesen, wenn durch irgendeinen Umstand seine Manövrierfähigkeit eingeschränkt wurde. Der kleine Spezialtrupp, den Siri-Tong ausgebildet hatte, verteilte sich an den schwenkbaren Bronzegestellen, mit denen die Raketen durch verschließbare Luken in Achter- und Vorkastell abgeschossen wurden. Der Wikinger scheuchte Männer an die Geschütze, kontrollierte Brooktaue, prüfte Kugeln und Kartuschen. Noch blieben die Stückpforten geschlossen, aber
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wenn das Schiff in die Bucht lief, würde es gefechtsklar sein. Eike, Arne und Olig mannten Kettenkugeln, während der Stör Schwarzpulver auf Zündpfannen schüttete. Cookie, der Koch, rumorte in der Kombüse, löschte das Feuer im Herd und fluchte, weil er sich dabei die Finger verbrannte. Mike Kaibuk, der dunkelhaarige Engländer, überschlug sich fast auf der Kuhl und arbeitete doppelt so schnell wie sonst. Seine Schuld war es gewesen, daß beim letzten Sturm eins der Geschütze aus den nicht richtig durchgeholten Brooktauen gerissen war. Dafür hatte er stundenlang an der Lenzpumpe geschwitzt. Jetzt wollte er seinen Fehler wieder ausgleichen. Er legte sich mächtig ins Zeug, riß die anderen mit, und auf dem Achterkastell nickte Siri-Tong zufrieden vor sich hin. Vielleicht, dachte sie, wurde aus diesem wilden Haufen doch noch mal eine Crew, auf die man sich in jeder Situation verlassen konnte. Eine Crew wie die des Seewolfs, das war es, was sich die Rote Korsarin gewünscht hätte. Aber diese verschworene Gemeinschaft von Teufelskerlen, die sich jeder für den anderen und alle zusammen für ihren Kapitän hätten in Stücke hacken rasen, gab es wohl überhaupt nur Siri-Tong wußte, daß sie keine Wunder erwarten durfte. Und so schlecht hatte sie es ja schließlich auch nicht getroffen. Da war Thorfin Njal, der beste, verläßlichste Partner der fähigste Steuermann, den sie sich wünschen konnte. Da waren die vier anderen Wikinger, rauhbeinig und kampferprobt, da war der schweigsame, grundehrliche Boston-Mann, da war der Bootsmann ebenfalls ein ganzer Kerl, da waren Bill the Deadhead, Barry Winston, der flinke, fleißige Jonny…. Mit einem tiefen Atemzug schüttelte SiriTong die Gedanken ab und spähte wieder aufmerksam zu den Klippen hinüber. Der schwarze Segler lief langsam in die Bucht und verlor an Fahrt, als die Rahen
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gegengebraßt wurden. Die Ankertrosse rauschte aus, der Anker faßte Grund. Sicher lag der schwarze Segler auf dem leicht bewegten Wasser. Siri-Tong warf ihre schwarze Mähne in den Nacken. „Beiboot klarmachen! Wir gehen an Land! Thorfin, Arne, Eike, Boston-Mann ...“ Sie zögerte sekundenlang und ließ den Blick über die Kuhl wandern. „Bill und Mike“, vollendete sie und stellte zufrieden fest, daß es in Mike Kaibuks Augen flüchtig aufleuchtete. „Der wird noch“, brummelte der Wikinger in seinen rötlich-grauen Bart. „Eben -darum“, sagte die Korsarin trocken. Und im nächsten Moment peitschte ihre Stimme scharf über die Decks: „Himmel noch mal, wollt ihr die Vorleine nicht belegen, oder soll sich Eike hinterher stundenlang in die Talje hängen, während ihr da herumbosselt?“ Die Vorleine wurde belegt, das Boot außenbords geschwenkt und abgefiert. SiriTong war die erste, die über die Jakobsleiter abenterte. Die anderen folgten ihr. Juan, der Bootsmann, beobachtete aus zusammengekniffenen Augen den schmalen Sandstreifen und die steil aufragenden Klippen. Ein paar Minuten später knirschte Sand unter dem Kiel des Beiboots. Siri-Tong sprang ins seichte Wasser und watete als erste an Land. Die anderen folgten ihr, während Thorfin Njal das Boot mit einem einzigen Schwung seiner kräftigen, muskelbepackten Arme auf den Sand zog. Die Wellen glucksten leise, der Wind strich über das Plateau und erzeugte in Felsspalten und Einschnitten ein eigentümliches Singen. Jetzt, vom Strand aus, wirkten die Steinfiguren am Klippenrand noch gigantischer. Hochmütig starrten sie mit ihren toten Augen über die Eindringlinge hinweg aufs Meer hinaus. Selbst der riesige Wikinger fühlte sich plötzlich klein und hilflos angesichts dieser steinernen Gleichgültigkeit, die nichts erschüttern konnte, erst recht nicht die winzigen Menschlein, die tief unten am Strand herumwimmelten wie Ameisen.
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„Ich klettere in die Klippen und erkunde den Weg“, erbot sich der Boston-Mann. „Ich komme mit!“ sagte Mike Kaibuk wie aus der Pistole geschossen. Aber Siri-Tong schüttelte den Kopf. „Nein, wir bleiben zusammen.“ „Rauf müssen wir aber“, sagte der Wikinger. „Verdammt riskant, die Kletterei im Dunkeln! Vielleicht sollten wir bis zum Morgen warten und ...“ Er verstummte abrupt. Auch die anderen blieben starr stehen. Über ihnen am Rand des Hochplateaus hatte es eine eigentümliche Bewegung gegeben, fast so, als spüle eine Welle über den Klippenrand, und dann standen zwischen den steinernen Riesen zwei Dutzend dunkler, hochgereckter Gestalten, die sich alle zugleich mit gespenstischer Lautlosigkeit aus ihren Deckungen aufgerichtet hatten. Siri-Tongs Herz übersprang einen Schlag und trommelte dann mit verdoppelter Schnelligkeit gegen die Rippen. Sie hörte den Boston-Mann scharf die Luft durch die Zähne ziehen, sie hörte, wie Thorfin Njal und die beiden anderen Wikinger heftig ausatmeten. Genau wie die anderen starrten sie zu dieser bedrohlichen Menschenmauer hinauf, und irgend jemand seufzte unbewußt, als die Kerle dort oben jetzt wie ein Mann ihre langen, muschelgeschmückten Speere hoben. Eingeborene! Eingeborene, wie sie weder Thorfin Njal noch einer der anderen Männer je gesehen hatten. Aber die Rote Korsarin stammte aus dem geheimnisvollen Land westlich des großen Ozeans. Sie kannte diese hochgewachsenen, kräftigen Krieger mit ihrem glatten dunklen Haar, den bunten Lendentüchern und den braunen, muskulösen Leibern, die im ungewissen Mondlicht wie dunkles, poliertes Holz glänzten. „Polynesier“, sagte sie leise. Als sie den fragenden Blick des Wikingers spürte. fügte sie hinzu: „Ein kriegerisches Volk. Das sind keine Wilden, Thorfin. Es sind gute Seefahrer und gute Kämpfer, und sie haben eine alte Kultur.
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Der Wikinger schluckte. „Verdammt!“ knirschte er. „Was glaubst du, wie egal es mir ist, ob ich von einem Wilden oder ‘nem Kerl mit Kultur aufgespießt werde? Die Speere sind die gleichen, oder? Kriegerisch, sagst du?“ „Siehst du das nicht, du nordischer Büffel?“ kürzte Siri-Tong die Diskussion um die Wesensart der polynesischen Eingeborenen ab, Thorfin Njal hätte ihr erzählen können, daß es in seiner Heimat keine Büffel gab, aber er ließ es bleiben. Seine zusammengekniffenen Augen tasteten die Reihe der Krieger ab. Stumm standen sie dort oben, genauso stumm und reglos wie die schwarzen Statuen. Aber das konnte sich schnell ändern, und für die kleine Gruppe der Korsarin gab es keinerlei Deckung, die schnell genug erreichbar gewesen wäre, um den Speeren auszuweichen, wenn sie erst einmal flogen. Die einzige wirkliche Chance bestand darin, den Eingeborenen einen Brandsatz hinüberzuschicken. Die unbekannte Waffe würde sie zweifellos erst mal in Panik versetzen, und für eine Weile beschäftigen, jedenfalls lange genug, um Siri-Tongs Leuten den raschen Rückzug mit dem Boot zu gestatten. Die Rote Korsarin war jetzt völlig sicher, daß sich die „Isabella“-Crew nicht auf der „Insel der Steinernen Riesen“ aufhielt. Thorfin Njal teilte diese Meinung. Wie ein gereizter Stier senkte er den Schädel mit dem zerbeulten Kupferhelm und ballte die mächtigen Pranken. „Zwecklos“, brummte er. „Wir müssen zurück! Am besten geben wir ihnen ein bißchen Zunder, damit sie gar nicht erst auf die Idee verfallen, uns anzugreifen.“ Siri-Tong nickte langsam. Mit zusammengepreßten Lippen wandte sie den Kopf und blickte zu dem schwarzen Segler zurück, der sacht um die Ankerkette schwoite. Die Rote Korsarin atmete tief, ihre Haltung straffte sich, und sie war drauf und dran, das Zeichen zu geben. das „Feuer frei“ bedeutete.
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Buchstäblich in letzter Sekunde stockte sie. Denn da nahmen die Ereignisse von einem Moment zum anderen eine neue, überraschende Wendung. * Schon eine geraume Weile hatten die Eingeborenen das herannahende Schiff nicht mehr aus den Augen gelassen. Ein Schiff, das sie nicht kannten, das fremdartig war, das mit seinem schwarzen Rumpf und den schwarzen, fast mit der Nacht verschmelzenden Segeln ausgesprochen unheimlich auf sie wirkte. Und nicht nur auf sie! Auch dem alten Jack Henry war beim Anblick des schwarzen Seglers ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen. Er wußte nicht, was er davon halten sollte. Daß die Engländer mit der „Isabella“ nicht allein unterwegs gewesen waren, hatte er zwar gehört, aber er kam einfach nicht auf den Gedanken, zwischen den Seewölfen und dem fremdartigen schwarzen Schiff eine Verbindung herzustellen. Er war kein furchtsamer Mann, doch in ihm steckte der tief verwurzelte Aberglaube vieler Seeleute. Der unheimliche Segler dort war des Teufels – so ungefähr jedenfalls sahen Jack Henrys Vermutungen aus. Als das Schiff durch den Wind ging, eine exakte Wende und später in der Bucht ein ganz normales Ankermanöver vollführte, schalt er sich selbst einen Narren. Aber so ganz konnte er das Gefühl des Unheimlichen nicht abschütteln. Wenn die Männer auf dem schwarzen Segler schon keine Teufel sein mochten, dann zumindest Spanier. Und für die Eingeborenen auf der „Insel der Steinernen Riesen“ kam das ohnehin ungefähr auf das gleiche heraus. Sie würden kämpfen. Jack Henry hatte vorausgesehen, wohin sich das Schiff nach der Umsegelung der Insel wenden würde, und er hatte in Windeseile die Fälle in der Bucht aufgebaut. Seine Taktik war einfach und klar und vom Mut der Verzweiflung diktiert. Sie hatten keine wirkliche Chance
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gegen die Übermacht, sie mußten abwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Was ihnen blieb, war allenfalls der Überraschungseffekt. Den mußten sie nutzen, um den Gegner möglichst zu schwächen. Das ließ sich am besten dadurch bewerkstelligen, daß man den oder die Anführer außer Gefecht setzte. Trotzdem setzten die Eingeborenen ihre Speere nicht aus dem Hinterhalt ein. Es widersprach ihrem Wesen, und es hätte auch Jack Henry widerstrebt. Bevor gekämpft wurde, mußte geredet werden. Jack Henry sprach ein paar Brocken Spanisch. Als sich das Boot von der Bordwand des schwarzen Seglers löste, hatte sich der alte Mann schon zurechtgelegt, was er sagen wollte. Und dann kam alles ganz anders. Fassungslos starrte Jack Henry zu der kleinen Gruppe am Strand hinunter. Mike Kaibuk, der schmächtige Bursche mit dem schwarzen Haar und den dunklen Augen, war außer dem Boston-Mann der einzige, der wie ein Spanier aussah. Allenfalls auch noch Bill the Deadhead, dessen dunkelblondes Haar in der Finsternis nicht so genau zu sehen war, aber ganz bestimmt nicht Thorfin Njal, dieser Berg von einem Mann, der mit seinem schimmernden Kupferhelm, dem wirren rötlichen Bart und der struppigen Fellkleidung an einen urzeitlichen Riesen erinnerte. Die beiden Kerle, die neben ihm standen, waren vom gleichen Kaliber: bärtige, helläugige Riesen, in Felle gekleidet, mit seltsamen, um die Waden geschnürten Riemensandalen angetan. Nein; das waren keine Spanier, und als Jack Henry die Augen weiterwandern ließ, zuckte er zusammen, als habe ihn ein Peitschenhieb getroffen. Wie sie dort unten stand, aufrecht, vom silbernen Mondlicht umflossen, wirkte Siri-Tong wie eine Erscheinung, die aus einem Traum stammen mußte. Ihr Gesicht schimmerte hell wie Marmor in der ungewissen Beleuchtung. Die schrägen Mandelaugen funkelten im Licht, der schwarzen Mähne verlieh der Mondschein einen Glanz wie von blauem Stahl.
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Vielleicht war es dieses Spiel von silbernen, blauen oder fahlweißen Lichtreflexen. das die rote Bluse umso intensiver leuchten ließ — ein brennendes Rot, das durch das Halbdunkel glomm und die Blicke anzog. Jack Henry starrte die Frau an. Irgendein Zufall der Beleuchtung 3 es ihm so erscheinen, als verbreitete sie eine Aura um sich, eine Aura von glimmendem Karmesin, und fast automatisch knüpften die Gedanken des alten Mannes die richtige Verbindung: die Rote Korsarin. Siri-Tong — so hieß sie! Und die Engländer der „Isabella“ hatten von einem Wikinger gesprochen, von Thorfin Njal! Jack Henry atmete tief. Er begriff. Als er seinen Freunden hastig das Zeichen gab, die Speere wieder zu senken, wußte er zwar, daß sie ihn nicht verstanden, war aber zugleich sicher, daß sie wenigstens für den Augenblick nichts unternehmen würden. * Siri-Tong ließ die schon erhobene Hand wieder sinken, als sie die Gestalt sah, die sich aus der tiefen Schwärze zwischen den Felsen löste. Zuerst war es nur ein Schatten. Ein Schatten, der behände über ein paar Felsbrocken turnte, abwärts glitt, kurz in einem tiefen Einschnitt verschwand und dann wieder auftauchte. Weißes Haar glänzte im Mondlicht. Weißes Haar, ein weißer Bart — und die Rote Korsarin begriff, daß diese hagere, sehnige Gestalt ganz sicher nicht zu den polynesischen Eingeborenen gehörte. Siri-Tong wartete. Neben ihr kratzte sich Thorfin Njal ausgiebig an seinem zerbeulten Helm, was er immer tat, wenn er mit einer Situation nicht auf Anhieb klarkam. Mit dieser Situation kam er absolut nicht klar. Genauso wenig wie die anderen, denen es am liebsten gewesen wäre, wenn eine volle Breitseite oder einer der unheimlichen,
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immer wieder höchst wirkungsvollen Brandsätze die Lage bereinigt hätte. Aber sie alle kannten die Polynesier nicht. SiriTong kannte sie und wußte, daß es unter ihnen auf keinen Fall einen sehnigen alten Mann mit schlohweißem Bart geben konnte. Ruhig sah die Rote Korsarin Jack Henry entgegen. Er landete geschmeidig im Sand. Als er sich aufrichtete, hob er unwillkürlich die Arme und zeigte seine leeren Handflächen — eine uralte Geste des Friedens. Langsam trat er näher, der Blick seiner hellen, grünlich glitzernden Augen glitt von einem zum anderen. „Ingles?“ Seine Stimme klang leise und zögernd, und er wurde sich nicht bewußt, daß er unwillkürlich das spanische Wort gewählt hatte. Siri-Tong schüttelte den Kopf. Sie stammte aus China, ein Teil ihrer Besatzung aus der Karibik, Thorfin Njal und die anderen Wikinger waren Söhne des Nordens — als Engländer konnte man diese bunt zusammengewürfelte Crew wahrlich nicht bezeichnen. „Espanol?“ „Nein“, sagte die Rote Korsarin auf Englisch. „Wir sind keine Spanier.“ Jack Henry atmete auf. Sein Gesicht legte sich in hundert Falten, und in den grünlichen Augen lag in diesen Sekunden ein ungemein intensiver Glänz. Noch einmal sah er von einem zum anderen, dann kehrte er die Handflächen nach oben. „Ich wußte es“, sagte er ruhig. „Keine Engländer, keine Spanier! Aber Freunde der Engländer, nicht wahr? Freunde des Engländers mit dem langen Schwarzen Haar und den Augen, die wie Eis sind ...“ Siri-Tong hielt den Atem an. Auch der Wikinger straffte sich. Für seine Ohren klang Jack Henrys Englisch etwas blumig, aber das spielte jetzt keine Rolle. „Bei Thors Hammer und dem Blut der Götter!“ Thorfin Njals Stimme erinnerte an fernes Donnerrollen, und die Flüche seiner Vorfahren hatten selten so fremd geklungen wie in dieser südlichen Nacht. „Spricht der Kerl vom Seewolf, oder was
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ist? Kann er sich nicht klar ausdrücken, dieser nachgemachte Poly-Poly....“ „Polynesier“, sagte Siri-Tong sanft. Ihre Mandelaugen leuchteten verhalten. „Wer bist du?“ fragte sie ruhig. „Was weißt du von Philip Hasard Killigrew und der ,Isabella’?“ Jack Henry lächelte. „Die ,Isabella war hier“, sagte er. „Die Männer waren unsere Gäste.“ Und mit einem tiefen Atemzug: „Seid uns willkommen! Die Freunde des Mannes, den sie Seewolf nennen, sind auch unsere Freunde ...“ * Am Strand von Sala-y-Gomez wurden die letzten sechs Meuterer auf das Galgengerüst getrieben, als der Katamaran endgültig an der Steuerbordseite der „Escudo de Navarra“ anlegte. Vor wenigen Minuten war das Beiboot wieder an Bord gehievt worden. Die Seewölfe bewegten sich lautlos an Deck und begannen, sich mit dem fremden Schiff vertraut zu machen. Hasard half Luana, die vor Erschöpfung schwankte, über das Schanzkleid und sah zu, wie Matt Davies, Stenmark, Blacky, Al Conroy und als letzter Ed Carberry über die Jakobsleiter aufenterten. Das Mädchen wurde in die Kapitänskammer im Achterkastell gebracht. Hasard wartete, bis sich seine Männer auf der Kuhl versammelt hatten. Sie sahen alle reichlich lädiert aus, aber in ihren Augen funkelte das pure Vergnügen über diesen gelungenen Coup. Fast schon gelungen, verbesserte Hasard in Gedanken. Mit einem Blick überzeugte er sich, daß Dan im Großmars immer noch den Strand und die beiden anderen Galeonen beobachtete. Die Stimme des Seewolfs klang leise und scharf. „Hört zu! Wir werden diesen Waschzuber völlig lautlos flottmachen. Die Ankertrosse wird inchweise eingeholt. Wir setzen zuerst hur die Blinde, damit der Wind den Kahn schön langsam herumdrückt, dann
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laufen wir unter Fock und Besan mit Backstagbrise an der Landzunge vorbei. Wenn alles gut geht, sind wir schneller verschwunden, als die Dons denken können. Noch Fragen?“ Niemand sagte etwas. Hasard grinste. „Kein Siegesgeheul!“ warnte er. „Und auch keine Flüche, wenn ich bitten darf. Ed, wenn du herumbrüllst, ziehe ich dir persönlich die Haut vom Hintern.“ „Bin ich vielleicht blöd?“ Der Profos blähte grimmig die Nasenflügel. „Klar bei Blinde, ihr Hornochsen!“ flüsterte er. „Blacky, Smoky, Stenmark, seid ihr Schlafmützen noch auf der Back? Hoch mit dem Anker, ihr lahmarschigen Decksaffen. Aber langsam, langsam ...“ Die Männer mußten sich anstrengen, um nicht in brüllendes Gelächter auszubrechen. Dan O’Flynn im Großmars kicherte und hielt sich den Mund zu. Neben ihm hockte Sir John auf einer Webleine. Hasard warf dem Vogel einen mißtrauischen Blick zu, aber mehr Lärm, als es bei dem Versuch geben würde, Sir John einzufangen und auf Nummer sicher zu bringen, konnte der Papagei so oder so nicht veranstalten. Im Augenblick sah der Papagei friedlich aus. Ein paarmal reckte er den Kopf, peilte aufs Deck hinunter und wunderte sich vielleicht, daß die eifrige Geschäftigkeit dort unten nicht von den donnernden Flüchen begleitet wurde, die ihm so gut gefielen. Auf der Back legten sich Blacky, Smoky und Stenmark sehr behutsam ins Ankerspill. Pete Ballie stand am Kolderstock, Bob Grey und Sam Roskill klarierten Brassen und Fallen der Blindenrah. Al Conroy, der Stückmeister, kontrollierte die Geschütze und ließ Kugeln und Kartuschen mannen. Denn wenn sie es nicht schafften, unbemerkt von der Insel zu verschwinden, mußte die „Escudo de Navarra“ gefechtsklar sein. Ed Carberry beobachtete den Stand der Ankertrosse. „Aus dem Grund!“ gab er ein paar Sekunden später durch Zeichen zu verstehen. Hasard nickte. Auch für die
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Männer an der Blinde genügte ein Zeichen. Vorsichtig gaben sie lose in die Geitaue, sehr langsam entfaltete sich das Tuch und während inchweise die Ankerkette aufgeholt wurde, blähte der Wind die Blinde und ließ den Bug der „Escudo de Navarra“ sacht herumschwingen. Die Galeone lag vor dem Wind und lief bereits mit der Blinde etwas Fahrt, eine Fahrt, die sich beschleunigte, als erst die Fock und dann der dreieckige Lateinerbesan geheißt wurden. Hasard ließ die Rahen etwas dichter holen, bis die „Escudo de Navarra“ mit Backstagbrise über Backbordbug lag. Immer schneller glitt die Galeone jetzt nach Nordwest, schor unmittelbar an der Spitze der Landzunge vorbei, und wenig später entzogen sie die hochgetürmten Klippen jeder Sicht. Ed Carberry grinste über sein ganzes zernarbtes Gesicht, als er zum Achterkastell hochblickte. „Und jetzt?“ fragte er. „Was machen wir mit den verdammten Kastanienfressern? Über Bord schmeißen, die Hurensöhne?“ Hasard schüttelte den Kopf. Er wußte, daß der Profos nicht einmal halb so blutrünstig war, wie er gern erscheinen wollte. Sie hatten noch nie einen wehrlosen Gegner umgebracht, und sie würden es auch jetzt nicht tun. Nicht umsonst hatten sie vorhin den Katamaran an Bord gehievt. Jetzt fierten sie ihn wieder ab, zusammen mit den gefesselten und geknebelten Spaniern. Hasard wartete, bis eine der zahlreichen Landzungen vor ihnen auftauchte, luvte etwas an und ließ die Leine kappen. Der Ostwind würde das Auslegerboot gegen die Felsen treiben. Die Spanier waren sämtlich wieder bei Bewußtsein. Sie würden sich trotz der Fesseln an Land retten können, aber bevor sie es schafften, sich von den Stricken zu befreien und Alarm zu schlagen, würde ganz sicher eine geraume Zeit vergehen. Der Seewolf atmete tief durch, als die „Isabella“ wieder abfiel.
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Immer noch klang seine Stimme gedämpft, aber sie war dennoch bis in den letzten Winkel der Decks zu verstehen. „Heiß Großsegel und Marssegel! Vor den Wind mit dem Kahn! Wir gehen auf Westkurs, bis die verdammte Insel außer Sicht ist!“ 7. Immer noch standen die polynesischen Eingeborenen zwischen den riesigen schwarzen Tuff-Figuren. wie eine schweigende Mauer. Am Strand war es so still, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören. Siri-Tong, Thorfin Njal und die anderen starrten den weißbärtigen alten Mann an. Jack Henry hatte berichtet, was in den letzten Tagen geschehen war: von der erfolgreichen Schatzsuche über den Angriff der Spanier und die Entführung Luanas und der fünf Seewölfe bis zu Hasards Befreiungsplan. Schon am Nachmittag war die „Isabella“ aufgebrochen. Der Seewolf hatte das Schiff außer Sichtweite von Sala-y-Gomez liegenlassen und versuchen wollen, die Insel im Schutz der Dunkelheit mit den Booten zu erreichen. Nach Jack Henrys Berechnungen hätten die Männer jetzt, gegen Ende der Nacht, längst zurück sein müssen. Daß sie immer noch verschwunden waren, hielt der weißbärtige Alte für ein äußerst bedrohliches Zeichen. „Wir hatten schon beschlossen, mit den Auslegerbooten nach Sala-y-Gomez hinüberzusegeln“, beendete Jack Henry seinen Bericht. „Aber jetzt ...“ Er brach ab und kehrte die Handflächen nach oben. „Jetzt sind wir da“, sagte Siri-Tong hart. „Und wir werden diesen verdammten Spaniern schon zeigen, woher der Wind in die Hölle weht. Die ‚Isabella’ liegt also genau nördlich von hier?“ „Nordöstlich“, verbesserte Jack Henry. „Ich nehme an, Ihre Karten sind nicht genau.“ „Mag sein! Also gehen wir auf Nordostkurs.“ Die Rote Korsarin straffte sich, ihre schwarzen Mandelaugen funkelten. „Und zwar sofort’, setzte sie
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hinzu. „Wir haben keine Sekunde zu verlieren.“ Jack Henry sah zu, wie die kleine Gruppe wieder in das Boot ging. Siri-Tong stand im Bug und sah zu dem schwarzen Segler hinüber. Im Vorkastell waren die Luken geöffnet, die bronzenen Rohre ragten heraus, mit denen die Brandsätze auf die Reise geschickt werden konnten. Unverwandt zielten sie auf das Hochplateau. Denn an Bord konnte niemand die Situation genau beurteilen, und Juan, der Bootsmann, rechnete immer noch mit der Möglichkeit, einen Angriff der Eingeborenen mit einem vernichtenden Feuerregen beantworten zu müssen. Jetzt allerdings ertönte ein kurzes Kommando, und auf dem schwarzen Segler wurde der Besan gesetzt. Das Tuch füllte sich. Juan ließ es sofort wieder aufgeien, doch der Winddruck hatte ausgereicht, um das Heck des Schiffs herumschwingen zu lassen. Der schwarze Segler zeigte der Insel jetzt die Breitseite. Juan dachte zwar etwas langsam, aber er war nicht dumm. Er hatte erkannt, daß das Boot aus dem Bereich der Speere heraus war und von jetzt an eine Salve aus den Steuerbordkanonen genügen würde, um jeden Angriff der Eingeborenen zuverlässig zu stoppen. Siri-Tong lächelte zufrieden. Auch der Wikinger grinste. Als er sich wenig später über das Schanzkleid schwang, schlug er Juan krachend seine mächtige Pranke auf die Schulter. Worauf selbst der große, vierschrötige Bootsmann leicht in die Knie ging und im übrigen ob des unausgesprochenen Lobes wie ein Weihnachtsbaum strahlte. Der schwarze Segler ging ankerauf und lief am Wind nach Nordosten. Die Korsarin ließ Hilo im Großmars ablösen. Diego Valeras enterte auf und schwang sich über die Segeltuchverkleidung der Plattform. Mit dem Spektiv suchte er die Kimm ab –und die Nacht war noch nicht zu Ende, als seine Stimme die anderen die Köpfe heben ließ.
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„Deck ho! Mastspitzen Steuerbord voraus!“ „Wie viele, du portugiesischer Hammel?“ brüllte Thorfin Njal, der fast so schön fluchen konnte wie der Profos der „Isabella“. „Dreimaster!“ gab Diego Valeras bekannt. Und wenig später: „Das Schiff liegt: mit aufgegeiten Segeln vor Treibanker!“ Die „Isabella“! Sie war es, kein Zweifel. Allmählich traten ihre Umrisse deutlicher aus den bleichen Schleiern des Mondlichts und waren auch mit bloßem Auge zu erkennen. Für einen Moment glaubte die Rote Korsarin, an den achteren Drehbassen undeutliche Bewegungen zu sehen, doch dann hatten auch die Männer auf der „Isabella“ erkannt, was da wie eine Geistererscheinung aus der Dunkelheit auf sie zusegelte. „Arwenack!“ klang sehr fern das Reibeisen-Organ des alten O’Flynn herüber. Und noch einmal, dreistimmig: „Ar-wenack!“ „Ho, Isabella!“ Der Wikinger wölbte seinen mächtigen Brustkasten. „Sehe ich Gespenster, oder wolltet ihr Himmelhunde uns tatsächlich eins mit der Drehbasse verplätten? Na wartet! Euch ramme ich ungespitzt durch die Decksplanken, ihr Satansbraten!“ Grinsende Gesichter erschienen am Steuerbordschanzkleid der „Isabella“. Old O’Flynn schwenkte seine Krücke, Will Thorne und der Kutscher winkten, der Affe Arwenack führte im Großmars eine Art Veitstanz auf. Der schwarze Segler ging längsseits, und wenig später sprangen SiriTong, Thorfin Njal und der Boston-Mann auf die Kuhl der „Isabella“. Die stürmische Begrüßung dauerte nicht lange. Nur für ein paar Minuten vergaßen die drei Seewölfe über der Erleichterung, mit der sie das Auftauchen des schwarzen Seglers erfüllte, daß die Lage absolut keinen Anlaß zur Heiterkeit bot. Hasard und der Rest der Crew waren seit Stunden überfällig. Und mehrmals hatten die drei Männer an Bord
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schon hin und her überlegt, ob sie nicht einfach versuchen sollten, unter Fock und Besan in Richtung Sala-y-Gomez zu segeln, um nach dem Rechten zu sehen. Aber da war die Möglichkeit, daß ihre Kameraden vielleicht gezwungen waren, die Spanier erst stundenlang zu beobachten und auf eine Chance zu warten, bevor sie etwas unternehmen konnten. Und da war Hasards ausdrücklicher Befehl, auf der „Isabella“ abzuwarten. Zwar hätten weder Old O’Flynn noch Will Thorne oder der Kutscher auch nur eine Sekunde gezögert, sich über den Befehl hinwegzusetzen, wenn sie sicher gewesen wären, daß sich ihre Kameraden in Gefahr befanden, aber mit dieser Sicherheit haperte es eben. „Wir können hier nicht weg“, schloß Will Thorne den kurzen Bericht, den er SiriTong und dem Wikinger gegeben hatte. „Wenn Hasard und die anderen inzwischen mit den Booten auf dem Rückweg sind, müssen sie uns da wiederfinden, wo sie uns verlassen haben.“ „Ganz davon abgesehen, daß ihr die ,Isabella’ nicht mit drei Mann zu der Insel segeln könnt“, sagte Siri-Tong leicht belustigt. „Wenn wir unter Fock und Besan laufen würden ...“ „Ha!“ sagte Thorfin Njal. „Ihr habt ja Salzwasser im Hirn! Ein Mann an die Fock, einer an den Besan, einer ans Ruder. Und wenn es dann ernst wird, schießen die Kanonen ganz allein, was, wie?“ Die Seewölfe lachten. Es war ein befreiendes Gelächter. Denn jetzt, da sie wieder auf ihre Verbündeten getroffen waren, würden sich die drängenden Probleme von selbst erledigen. Der Viermaster mit dem schwarzen Rumpf und den dunklen Segeln hatte eine gute Chance, sich Sala-y-Gomez unbemerkt zu nähern. Thorfin Njal und die Rote Korsarin würden schon herausfinden, was auf der Insel los war. Nach Meinung von Will Thorne gab es ohnehin nur zwei Möglichkeiten. Entweder steckten Hasard Und seine Männer bis zum Hals in der Patsche, dann konnte die Crew des schwarzen Seglers sie
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heraushauen. Oder aber die Seewölfe warteten tatsächlich noch auf ihre Chance, und dann war ihnen ein Ablenkungsmanöver, das die Spanier durcheinanderbrachte, sicher hoch willkommen. Siri-Tong, Thorfin Njal und der BostonMann kehrten an Bord ihres Schiffes zurück. Die Korsarin ließ Segel setzen, und der schwarze, fremdartige Viermaster löste sich von der Steuerbordseite der ranken Galeone. Hoch am Wind glitt der schwarze Segler weiter. Thorfin Njal und die Rote Korsarin standen an der Schmuckbalustrade des Achterkastells. Die „Isabella“ blieb achteraus, und vor ihnen verwandelte sich die nächtliche Schwärze allmählich in ein düsteres, nebliges Grau, das bereits den ersten Schimmer der Morgendämmerung ahnen ließ. * Auch auf Sala-y-Gomez ahnte man den herauf dämmernden Morgen. Jose da Vasco, der „Hai“, hatte das Werk der Vergeltung fast beendet. Am Strand waren die dumpfen Trommelwirbel verstummt, die letzten sechs Meuterer hatten sich in den Hanfschlingen zu Tode gezappelt. Nur noch Carlos Ingarra lebte, aber er war in den letzten Stunden tausend Tode gestorben. Immer noch kniete er gefesselt auf der Kuhl. An der Nock der Großrah baumelte die Schlinge, die für ihn bestimmt war. Sein zerschlagener Rücken brannte wie die Hölle, aber. Carlos Ingarra spürte den Schmerz kaum. Jedesmal, wenn der vermummte Henker drüben am Strand einem der Verurteilten das Faß unter den Füßen weggestoßen hatte, war es Ingarra fast schwarz vor Augen geworden. In seinem Magen lastete Übelkeit wie ein Bleiklumpen, Angst flutete durch seinen Körper gleichlangen Fieberwellen. Er wollte nicht sterben. Es musste einen Ausweg geben, mußte, mußte! Ingarra
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hätte gewinselt, gebettelt, um Gnade gewimmert, er wäre auf dem Bauch zu Jose da Vasco gekrochen, um ihm die Stiefel zu küssen, aber daß er von dem „Hai“ höchstens einen Tritt erhalten würde wie ein räudiger Hund, zog nicht einmal Ingarras siedendes Hirn in Zweifel. Nein, er hatte keine Gnade zu erwarten. Niemals würde El Tiburon ihn schonen. Warum. sollte er auch? Für ihn war Ingarra nur ein lästiges Insekt, ein feiger, winselnder Köter, der ihm keinerlei Nutzen brachte, der ihm ... Ingarra hielt den Atem an. Die rettende Idee kam ihm ganz plötzlich, von einer Sekunde zur anderen. Er kannte den Ruf des „Hais“. Und er wußte, was man sich erzählte: daß dessen Erbarmungslosigkeit nur noch von einem anderen Wesenszug übertroffen wurde, von seiner Gier nämlich. „Capitan!“ flüsterte Ingarra tonlos. Und lauter: „Capitan da Vasco!“ Der „Hai“ wandte sich um. Verachtung lag in seinen harten Augen. Er hatte von Anfang an gewußt, daß der Anführer der Meuterer bis zum letzten Augenblick um sein schäbiges Leben betteln würde. Er wunderte sich nur über den verschwörerischen Tonfall in Ingarras Stimme. „Was willst du, Bastard?“ fragte da Vasco kalt. „Um Gnade winseln? Für dich gibt es keine Gnade. Und wenn du es nicht fertigbringst, wie ein Mann zu sterben, werden wir eben eine winselnde Ratte aufhängen.“ Ingarras Lippen zuckten. „Nein!“ rief er. „Ihr werdet mich nicht hängen. Ich kann euch reich machen, Capitan! Ich kann euch Gold verschaffen! Viel Gold ...“ „Lüge“, sagte El Tiburon verächtlich. „Du versuchst, deinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, aber das wird dir nicht gelingen.“ „Es ist keine Lüge!“ Ingarras Stimme klang heiser, seine Augen flackerten fiebrig. „Auf der ,Insel der Steinernen Riesen’ gibt es einen vergrabenen Schatz. Ich kenne die Insel! Und ich kenne die Schlupflöcher, in denen sich die
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Eingeborenen verkriechen. Ohne mich würden euch die Polynesier nacheinander aus dem _ Hinterhalt massakrieren. Sie sind Teufel, wahre Bestien, sie sind ...“ Carlos Ingarra holte das letzte an Phantasie aus sich heraus, um die Polynesier der Nachbarinsel als blutrünstige Wilde zu schildern, die man nur besiegen konnte, wenn man ihre Eigenarten kannte. Jose da Vasco hörte mit zusammengekniffenen Augen zu. Daß er überhaupt zuhörte, erfüllte den Todeskandidaten bereits mit wilder Hoffnung. Hastig sprudelte er hervor, was er über den Schatz auf der „Insel der Steinernen Riesen“ wußte. Aber er hütete sich, zu behaupten, daß er selbst das Versteck kenne. Denn er wußte, daß der „Hai“ ihn sonst gnadenlos solange foltern lassen würde, bis er alles preisgab. „Wir müssen den Häuptling in unsere Hände kriegen“, schloß Ingarra erschöpft. „Er kann uns zu dem Schatz führen. Aber ihr werdet ihn nicht erwischen - nicht ohne meine Hilfe!“ Für einen Moment blieb es still. El Tiburons Blick schien durch alles hindurchzugehen. In dem hageren, asketischen Gesicht arbeitete es. Carlos Ingarra wartete bebend vor Angst auf die Entscheidung. Er sah, wie sich ganz langsam ein gieriger Glanz in die Augen des „Hais“ stahl. Da Vascos Lippen preßten sich zu einem Strich zusammen. Er atmete tief durch. Der Blick, den er seinem Opfer zuwarf, schien dem gefesselten Mann die Haut zu versengen. „Also gut“, sagte El Tiburon leise. „Du behältst dein schäbiges Leben, wenn du uns zu diesem Schatz führst. Aber gnade dir Gott, wenn du uns belogen hast! Dann wirst du die Hölle schon auf Erden kennenlernen. Dann wirst du am Ende nicht mehr um dein Leben, sondern um den Tod winseln, du Ratte!“ Carlos Ingarra schloß erschöpft die Augen. Da Vasco warf ihm noch einen verächtlichen Blick zu, dann wandte er sich ab. Mit scharfer Stimme gab er ein halbes Dutzend Befehle. Während er quer
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über die Kuhl zum Achterkastell marschierte, glitt sein Blick zufällig über die Bucht, über der die Morgendämmerung gleich grauem Nebel lag. Wie vom Donner gerührt blieb Jose da Vasco stehen. Eine Sekunde lang glaubte er daran, einer trügerischen Vision zu erliegen. Doch es war keine Vision. Die „Valdivia“ lag immer noch hinter der „Valparaiso“ in der langen Dünung der Bucht. Aber die „Escudo de Navarra“ war verschwunden, als habe das Meer sie verschlungen. 8. Die „Escudo de Navarra“ lief mit raumem Wind Südwest-Kurs. Dan hockte im Großmars. Er war hundemüde, und im Grunde hielt ihn nur noch die diebische Freude über das gelungene Bravourstück wach. Seiner Meinung nach — und nicht nur seiner — würden die Spanier aus allen Wolken fallen, vor Wut den Veitstanz kriegen und sich selbst in den Hintern beißen, wenn sie das Verschwinden ihrer dritten Galeone entdeckten. Dan malte sich die Gesichter der Dons aus und feixte, bis ihn die Kiefermuskeln schmerzten. Aber dabei vergaß er durchaus nicht, daß die Spanier, wenn sie sich genug gefuchst hatten, alles Zeug setzen und dem Teufel notfalls ein Ohr absegeln würden, um die „Escudo de Navarra“ zurückzuholen. Dan O’Flynn spähte angestrengt dorthin, wo die Insel Sala-y-Gomez achteraus geblieben war. Nur aus dieser Richtung erwartete er Gefahr — daß er damit einen Fehler beging, konnte er nicht ahnen. Im Großmars des schwarzen Seglers sichtete Diego Valeras mit dem Spektiv die „Escudo de Navarra“ bereits zu einem Zeitpunkt, als die Seewölfe noch nicht einmal den Schimmer einer Chance hatten, den Viermaster mit bloßem Auge zu erkennen. Dan O’Flynn peilte stur nach Nordosten.
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Diego Valeras auf dem schwarzen Segler ließ die „Escudo de Navarra“ nicht mehr aus dem Spektiv. Längst hatte er das fremde Schiff gemeldet. Siri-Tong und der Wikinger zogen ihre Schlüsse daraus. Von den drei spanischen Kriegsgaleonen des „Hais“ konnten sie nichts ahnen —aber sie hatten von Jack Henry gehört, daß die Meuterer auf Sala-y-Gomez über ein Schiff verfügten. Für die Crew des schwarzen Seglers gab es keinen Zweifel daran, daß es die „Maria Mercedes“ war, die da auf sie zusegelte. Als Diego wenig später bestätigte, daß es sich eindeutig um eine spanische Galeone mit dem üblichen Holzkreuz am Bugspriet handelte, war der „Eilige Drache über den Wassern“ bereits gefechtsklar. Siri-Tongs Augen funkelten. Sie sah den Wikinger an. „Denen werden wir zeigen, woher der Wind weht!“ zischte sie. „Wir lassen sie glauben, daß wir an ihrer Backbordseite vorbeilaufen wollen. Und kurz .vorher fallen wir ab, scheren an ihrem Bug vorbei, verpassen ihr an Steuerbord eine volle Breitseite ...“ ...und entern, bevor diese Affen überhaupt richtig wach werden“, vollendete Thorfin Njal zufrieden. „Haargenau!“ Die Rote Korsarin lächelte. dann hob sie die Stimme: „Stückpforten an Backbord auf! Steuerbordkanonen klarmachen! Haltet auf die Wasserlinie! Aber erst auf Kommando feuern!“ Auf dem schwarzen Segler entfaltete sich fieberhafte Tätigkeit. Der Wikinger sprang auf die Kuhl hinunter. Siri-Tong blieb an der Schmuckbalustrade des Achterkastells stehen. Sie blickte nach vorn und wartete voller Spannung auf den Moment, in dem die spanische Galeone aus dem Grau der Dämmerung tauchen würde. Auf der „Escudo de Navarra“ peilte Dan O’Flynn immer noch nach Nordwesten. Es fiel ihm schwer, gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Die Gefangenschaft bei den Meuterern, die Nacht, die sie hilflos angekettet einem knüppelharten Sturm ausgesetzt gewesen waren, die brutalen
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Mißhandlungen - das alles steckte ihm noch in den Knochen. Der Seewolf wußte es. Ihm wäre es lieber gewesen, dem Jungen Ruhe zu gönnen, aber gerade jetzt konnte er auf Dans scharfe Augen nicht verzichten. Auch er selbst richtete seine Aufmerksamkeit mehr nach achtern als nach vorn. Die „Isabella“ wiederzufinden, würde nicht schwierig sein. Die beiden spanischen Galeonen bereiteten ihm - wesentlich mehr Sorgen. Der Kommandant des Verbandes war ein ernstzunehmender Gegner, das wußte er. Immer wieder bohrte er seine Augen in den ungewissen grauen Dunst über dem Wasser, und so war es schließlich Al Conroy an der Bugdrehbasse, der als erster entdeckte, was Dan mit dem Spektiv schon eine ganze Weile hätte sehen müssen. „Schiff ho! Genau Backbord voraus! Himmel, Arsch und Wolkenbruch, das ist doch ...“ Für einen Moment verschlug es Hasard die Sprache. Er wußte, daß sie die „Isabella“ noch nicht erreicht haben konnten. Und er wußte auch, daß das Schiff ihnen nicht entgegengesegelt war, denn das wäre gegen seinen ausdrücklichen Befehl gewesen, ganz davon abgesehen, daß es ohnehin nur hätte möglich sein können, wenn Old O’Flynn, Will Thorne und der Kutscher alle gleichzeitig mit irgendeiner Geisteskrankheit geschlagen worden wären. Hasard sog scharf die Luft durch die Zähne. Unten auf der Kuhl sperrte Ed Carberry Mund und Nase auf, dann holte auch er tief Atem. „Du karierter Decksaffe!“ brüllte er. „Dir blase ich ein Halleluja, Wenn du nicht sofort eine anständige Meldung ...“ „Halt die Luft an, du wildgewordener Hering!“ brüllte Conroy zurück. „Es ist der schwarze Segler, Leute! Es sind Thorfin und Siri-Tong!“ Der schwarze Segler! Endlich!
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Hasard entspannte sich. Seine Zähne blitzten. „Donegal Daniel O’Flynn!“ schrie er zum Großmars hinauf. „Pennst du da oben oder ...“ „Wahrschau!“ schrie Dan in diesem Augenblick mit überschnappender Stimme. „Schiff hat die Backbord-Stückpforten geöffnet! Die wollen uns angreifen!“ „Du bist ja vom wilden Affen gebiss ...“ Carberry stockte mitten im Wort. Und in derselben Sekunde durchzuckte Hasard die Erkenntnis, die ihm sofort hätte kommen müssen: daß Siri-Tong und der Wikinger sie für Spanier hielten. „Thorfin!“ brüllte Hasard. „Siri-Tong! Verdammt nochmal, wir sind ...“ Zu spät! Der schwarze Segler war zwar auf Rufweite heran, aber die Donnerstimme des Wikingers, der seine Leute anlüftete, ließ jede Verständigung unmöglich werden. Hasard knirschte mit den Zähnen und ballte in ohnmächtigem Zorn die Hände. Er wußte, daß sich das Verhängnis nicht mehr aufhalten ließ - und dann ging alles so schnell, daß die Seewölfe kaum noch Atem holen konnten. Jeder Mann an Bord rechnete damit, daß der schwarze Segler an ihrer Backbordseite vorbeischeren würde, um ihnen entweder eine volle Breitseite zu verpassen oder zu entern. Ferris Tucker, Batuti, Ed Carberry und ein halbes Dutzend anderer Männer stürzten ans Backbordschanzkleid, winkten, brüllten und fuchtelten mit den Armen, um sich bemerkbar zu machen. Hasard tat das einzige, was jetzt noch helfen konnte: er befahl, die Flagge zu streichen. Doch auch dieses Kommando erfolgte zu spät. Denn im selben Augenblick wurden auf dem angreifenden Schiff der Besan aufgegeit, die Rahen von Groß- und Hauptmast vierkant gebraßt, und der Winddruck in Focksegeln und Blinde ließ den schwarzen Segler blitzartig abfallen. Unmittelbar vor dem Bug der „Escudo de Navarra“ schnitt er vorbei.
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Jedem anderen Angreifer hätte Al Conroy in diesen Sekunden mit dem gehackten Blei aus der Drehbasse die Takelage zerfetzt, jetzt schränkte er sich darauf, verzweifelt die Arme zu schwenken. Niemand auf dem schwarzen Segler sah es. Das Schiff luvte wieder an und ging hoch in den Wind. Krachend flogen die Stückpforten an der Steuerbordseite auf — und Ferris Tucker, Carberry und die anderen, die quer über die Kuhl rasten, prallten zurück wie vom Donner gerührt. „Himmelarsch!“ brüllte der Profos inbrünstig. „Scheiße!“ stieß Ben Brighton durch die zusammengebissenen Zähne. Und dann brach von einer Sekunde zur anderen die Hölle los. Die Steuerbordgeschütze des schwarzen Seglers brüllten. Auf die kurze Distanz war es einfach unmöglich, vorbeizuschießen. Krachend bohrten sich die schweren Kugeln in die Wasserlinie der „Escudo de Navarra“. Hasard dankte dem Himmel dafür, daß die Lage es nicht erlaubt hatte, einen Teil seiner Männer zum Ausruhen unter Deck zu schicken. Luana, durchzückte es ihn. Noch war das Mädchen sicher in der Kapitänskammer. Hasard starrte zu dem schwarzen Segler hinüber, von dessen Kuhl ein donnerndes Siegesgeheul aufstieg. Das Schiff ging längsseits. Enterhaken flogen, bohrten sich ins Schanzkleid der Galeone und wurden drüben auf dem schwarzen Segler in aller Eile belegt. Thorfin Njal, die vier anderen Wikinger, der Boston-Mann und Bill the Deadhead hingen in den Wanten, um zu entern — und spätestens jetzt mußte es ihnen eigentlich merkwürdig erscheinen, daß der vermeintliche Spanier nicht die geringsten Anstalten zeigte, sich zu wehren. „Ihr Rübenschweine!“ brüllte Ed Carberry, vor Wut hochrot im Gesicht. „Ihr verlausten, hirnkastrierten Nachkommen einer triefäugigen Gewitterziege! Die Haut sollte man euch in Streifen von euren verdammten Affenärschen ziehen! Habt ihr
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Pflaumenpudding auf den Klüsen? Habt ihr Bilgewasser im Hirn, ihr dämlichen Vollidioten, ihr gottverdammten Bastarde, ihr verwanzten Hurensöhne, ihr... Er stockte abrupt. Denn auch ihm fiel auf, daß es von einer Sekunde zur anderen still geworden war. So still, wie es auf einem schwer krängenden Schiff, in dessen Bauch rauschend und gurgelnd das Wasser strömte, überhaupt nur werden konnte. „Carberry“, röhrte Thorfin Njal. „Mich laust der Affe ...“ „Du bist der Affe! Ein dreimal verdammter, behelmter Nordpolaffe, der ein Schiff nicht von einem Pißpott unterscheiden kann! Besser, du segelst demnächst im Spülstein, statt die See zu verunsichern, du hirnrissiger ...“ „Ed“, sagte Hasard sanft. So sanft, daß der Profos sofort verstummte. „Wie lange willst du noch faseln? Bis dir das Wasser in deine große Klappe läuft?“ „Verdammt, der Kahn säuft ab!“ „Schnellmerker“, knurrte Hasard. Und lauter: „Himmelarsch, holt das Mädchen aus der Kammer und setzt auf den schwarzen Segler über! Und mannt die Boote hinüber! Oder habt ihr schon vergessen, daß unsere eigenen Kleinholz sind?“ Die Seewölfe flitzten. Drüben auf dem schwarzen Segler entschlossen sich die Männer jetzt doch zum Entern, aber erst, nachdem der Wikinger sie angebrüllt hatte, gefälligst mit anzupacken und den Saustall wieder in Ordnung zu bringen, den sie angerichtet hätten. Thorfin Njal schrie herum wie ein Irrer, um zu verbergen, daß er sich am liebsten selber ungespitzt durch die Decksplanken gerammt hätte. Die Rote Korsarin hatte eine ganze Weile sprachlos auf dem Achterkastell gestanden, jetzt sprang sie mit einem geschmeidigen Satz auf die Kuhl herunter. Im grauen Morgenlicht leuchtete ihre rote Bluse noch intensiver als sonst. Als sie zu Hasard hinaufsah, lag ein ungemein lebhafter Glanz in ihren dunklen Mandelaugen.
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Ihre Blicke kreuzten sich, fraßen sich ineinander. Nach allem, was passiert war, fühlte Hasard den heftigen Wunsch. die schöne schwarzhaarige Frau in die Arme zu schließen. In Siri-Tongs Mandelaugen las er das gleiche Verlangen. Für einen Moment schienen zwischen ihnen Funken in der Luft zu knistern, aber sie hatten gelernt, ihre Gefühle zu zügeln, denn alles andere hätte auf die Dauer die Disziplin gestört und ihre Autorität untergraben. Die Rote Korsarin atmete tief, so tief, daß die Knöpfe ihrer Bluse in ernsthafte Gefahr gerieten. „Tut mir leid!“ rief sie. „Wir haben euch für einen verdammten Spanier gehalten.“ Und mit einem jähen Aufblitzen in den Augen: „Das ist ja nicht einmal die ,Maria Mercedes`! Wem, um alles in der Welt, habt ihr dieses Schiff geklaut?“ Hasard fand keine Zeit mehr, die Frage zu beantworten. Die „Escudo de Navarra“ sackte jetzt ziemlich schnell weg. Wenn sie nicht mit in die Tiefe fahren wollten, mußten sie sich beeilen. Minuten später sprang Hasard als letzter auf die Kuhl des schwarzen Seglers. Der Wikinger knallte ihm die Faust auf die Schulter, daß er glaubte, er werde nicht nur durch die Decksplanken, sondern gleich durch den Schiffsboden gerammt. Hasard revanchierte sich mit einem freundschaftlichen Rippenstoß, der dem nordischen Riesen die Lüft aus den Lungen trieb - und dann hatten sie genug damit zu tun, den schwarzen Segler schnell genug aus dem Bereich der sinkenden Galeone zu bringen. * Vor der Insel Sala-y-Gomez suchten die Spanier verzweifelt und vergeblich nach ihrer dritten Galeone. Der „Hai“ war einem Tobsuchtsanfall nahe. Er begriff das alles nicht. Es konnte und durfte nicht wahr sein, daß ein Kriegsschiff so einfach verschwand. Irgendetwas stimmte hier nicht. Der eiskalte, nüchterne Jose da Vasco verlor
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zum erstenmal in seinem Leben völlig die Beherrschung. Seine ganze hilflose Wut richtete sich gegen Carlos Ingarra. Wie ein Wahnsinniger schlug er auf den Anführer der Meuterer ein, trat ihn mit Füßen und bespuckte ihn. Erst als der Mann in greller Todesangst etwas von einem Geist und einem toten Kapitän brüllte, ließ der „Hai“ von ihm ab, um ihn anzuhören. Carlos Ingarra war kaum noch Herr seiner Sinne. Verzweifelt sprudelte er alles hervor, was in den letzten Tagen geschehen war. Der Geist des toten Kapitäns müsse die Galeone geholt haben, behauptete er. Und wenn sie nicht sofort ankerauf gingen, werde sie alle der Teufel holen. Jose da Vasco glaubte nicht an Geister. Aber von einem schwarzhaarigen Engländer mit eisblauen Augen hatte er schon gehört — und dem traute er es eher als einem toten Kapitän zu, eine ganze Galeone verschwinden zu lassen. Die Spanier verteilten sich auf den beiden verbliebenen Schiffen. Dicht unter Land umsegelten die „Valparaiso“ und die „Valdivia“ die Insel, und dabei entdeckten sie im ersten Licht der Morgendämmerung einen zerschellten Katamaran und ein halbes Dutzend gefesselter, geknebelter. Gestalten auf einer der Landzungen. Aus naheliegenden Gründen gingen die Männer Von der „Escudo de Navarra“ recht großzügig mit der Wahrheit um. In ihrer Schilderung verdreifachte sich das Enterkommando der Seewölfe, und die „Isabella“-Crew wurde mit diversen übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet. Begreiflicherweise hätten sich die bedauernswerten Männer eher die Zunge abgebissen, als zuzugeben, daß sie von lumpigen sechs Mann im Handstreich Und noch dazu völlig lautlos überwältigt worden waren. Trotzdem hätte der „Hai“ die Überlebenden Von der „Escudo de Navarra“ gnadenlos aufhängen, kielholen oder zumindest auf der nächsten. Gräting auspeitschen lassen, aber dafür blieb jetzt keine Zeit mehr.
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Jose da Vasco wollte seine Galeone wiederhaben, Und er wollte den Seewolf fangen. Ihn und seine ganze verdammte Crew, die den Spaniern schon so viel Ärger bereitet hatte. An das Gold auf der „Insel der Steinernen Riesen“ dachte der „Hai“ nicht mehr. Und Carlo Ingarra verdankte sein Leben nur der Tatsache, daß El Tiburon ihn für den Augenblick völlig vergessen hatte. 9. Die Seewölfe waren froh, als sie endlich wieder die Planken ihres eigenen Schiffs unter den Füßen hatten. Ein Teil ihrer Boote lag als Kleinholz am Strand von Sala-y-Gomez herum, doch das spielte keine Rolle mehr, nachdem sie sich Ersatz Von der „Escudo de Navarra“ beschafft hatten, die jetzt auf dem Meeresgrund ruhte. An Bord der „Isabella“ entsprach die Stimmung der strahlenden Morgensonne, die den Dunst aufgelöst hatte. Die Männer waren erschöpft, aber niemand dachte daran, sich jetzt auszuruhen. Sie wußten, daß die Spanier immer noch hinter ihnen her waren. Und sie freuten sich wie Kinder auf Weihnachten. Denn jetzt hatten sie es durchaus nicht mehr mit einer Übermacht zu tun, jetzt würden die Dons ihr himmelblaues Wunder erleben. Auf der „Isabella“ häufte Dan O’Flynn Asche auf sein Haupt, weil er den schwarzen Segler nicht früh genug entdeckt hatte. Da er finster entschlossen schien, sich schuldig zu fühlen, verdonnerte ihn Hasard zu einer doppelten Wache im Großmars. Aber das hätte Dan so oder so geblüht, denn gerade jetzt brauchte der Seewolf seine scharfen Augen. Auch auf dem schwarzen Segler gab es jemanden, dessen Stimmung sich unaufhaltsam dem Gefrierpunkt näherte: Siri-Tong, die Rote Korsarin. Der Dorn in ihrem Auge hieß Luana, und sie himmelte Hasard auf eine Art an, die keine Fragen offenließ. Das war jedenfalls Siri-Tongs Meinung. Sie hatte gehört, was
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auf derb Weg zur „Isabella“ so alles erzählt Worden war. In erster Linie hatten die Seewölfe natürlich von den Abenteuern und Kämpfen auf Sala-y-Gomez berichtet. Aber es gab auch einige, die der Crew des schwarzen Seglers von der „Insel der Steinernen Riesen“, dem Fest der Eingeborenen und den Qualitäten der schönen Polynesierinnen vorschwärmten — und die Rote Korsarin empfand jedes Wort als einen Nadelstich, der ihre schwelende Eifersucht zu einem wilden Feuer entfachte. Sie hatte gute Lust, Luana den Hals umzudrehen und Hasard die Augen auszukratzen, vor allem, da in diesen Augen jedesmal tausend Teufel zu tanzen schienen, wenn sie einen von Siri-Tongs Dolch-Blicken auffingen. Thorfin Njal beobachtete das Spiel mit einem stillen Grinsen. Der Seewolf dagegen grinste breit und ungeniert. Denn er fand, daß die Rote Korsarin hinreißend aussah, wenn sie sich derart ärgerte. Auf der „Insel der Steinernen Riesen“ gingen sie an Land. Diesmal schüttelten die Eingeborenen nicht ihre Speere, sondern versammelten sich am Strand, um die Gäste feierlich zu begrüßen. Schalen mit Kawa wurden gereicht, sanftäugige Mädchen hängten den Männern bunte Muschelketten um den Hals, und Siri-Tongs rauhe Kerle kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Allmählich begannen sie zu glauben, daß ihnen die Seewölfe doch kein Garn vorgesponnen hatten, als sie in der Erinnerung an die Südsee-Schönen schwelgten. Vor allem Thorfin Njal und die vier anderen Wikinger wurden von bezaubernder Weiblichkeit förmlich eingekreist. Und ein verhalten grinsender Jack Henry übersetzte Hasard Häuptling Kualamas Vorschlag, ihm doch im Tausch gegen diverse Perlen, Boote und sonstige nützlichen Dinge die Rote Korsarin als Ehefrau zu überlassen. Siri-Tong kriegte dieses Ansinnen nicht mit — glücklicherweise, denn sonst wäre sie wohl in die Luft gegangen. Ihr reichte
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schon die Art, wie Luana den Seewolf anhimmelte. Entsprechend energisch drängte sie dann zum Aufbruch, da man schließlich noch ein paar Kleinigkeiten zu erledigen habe. Genau gesagt zwei Kleinigkeiten in Gestalt von spanischen Kriegsgaleonen —und dieses Argument drang durch, da auch dem letzten Mann einleuchtete, daß sie nicht riskieren durften, von den Spaniern in der Bucht überrascht zu werden. Es wurde ein herzlicher Abschied. Hasard sprach noch einmal mit Jack Henry, aber der weißhaarige alte Mann war immer noch entschlossen, bei den Eingeborenen auf der Insel zu bleiben. Luana lächelte unter Tränen, als sie dem Seewolf zum Abschied um den Hals fiel. Siri-Tongs Augen schleuderten Blitze. Um sie herum schien die Luft zu knistern, und als sie wenig später mit den Booten über die Bucht pullten, gab sie sich alle Mühe, Hasard mit eisiger Verachtung zu strafen. Die „Isabella“ und der schwarze Segler gingen ankerauf. Sie wußten, daß sie an dem Gefecht mit den Spaniern nicht vorbeikamen — allenfalls, wenn sie unter Vollzeug vor dem Wind nach Westen abliefen. Aber den Gedanken an Flucht gab es bei ihnen nicht, und dazu bestand auch nicht der geringste Anlaß. Sie gingen auf Nordwest-Kurs. Ihr Gegner würde nicht lange auf sich warten lassen und eine böse Überraschung erleben. * Um dieselbe Zeit starrte Jose da Vasco mit zusammengekniffenen Augen auf die Planken und Trümmerstücke, die immer noch die Stelle anzeigten, wo sich das Meer die „Escudo de Navarra“ geholt hatte. Auch dem „Hai“ war klar, daß er seine dritte Galeone nun nicht mehr finden würde. Er hätte gern geglaubt, daß die Engländer jetzt hilflos in den Booten auf dem Pazifik trieben. Genau genommen war das auch die einzige logische
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Schlußfolgerung, aber irgendwie schaffte El Tiburon es nicht, sich mit diesem Gedanken anzufreunden. Der „Hai“ hatte Instinkt. Er spürte, daß etwas in der Luft lag. Dieser legendäre Seewolf hockte garantiert nicht in einem Boot, in dem man ihn auffischen und gefangen nehmen oder in Fetzen schießen konnte. Das wäre zu einfach gewesen. Da Vasco wußte es. Und er war auf der Hut, obwohl er dafür nicht den geringsten konkreten Grund hätte angeben können. Die „Valparaiso“ und die „Valdivia“ hatten beigedreht, um sich die treibenden Trümmer näher ansehen zu können. Jetzt segelten sie weiter. Zwanzig Minuten später meldete der Ausguck Mastspitzen über der Kimm. Jose da Vasco überlegte blitzartig und gelangte zu dem Ergebnis, daß es den Engländern nach dem Untergang der „Escudo de Navarra“ gelungen sein mußte, ihr eigenes Schiff zu erreichen. Der „Hai“ lächelte schmal, aber Minuten später gefror dieses Lächeln, als der Ausguck meldete, daß es zwei Schiffe wären die sich von Südwesten näherten. Ein Dreimaster und ein Viermaster! Es dauerte nicht lange, bis Jose da Vasco sie auch mit bloßem Auge erkennen konnte. Und noch etwas erkannte er: daß diese beiden Schiffe sehr hoch am Wind segelten, ungewöhnlich schnell und ganz sicher keine leichten Gegner waren. El Tiburon straffte sich.. Er hatte schon viele Schlachten geschlagen. In einem Seegefecht fühlte er sich unbesiegbar, jedenfalls, solange es nicht -gegen eine allzu erdrückende Übermacht ging - und davon war in diesem Fall keine Rede. „Klar Schiff zum Gefecht!“ ertönte die Stimme des „Hais“ über die Decks. „Klar Schiff zum Gefecht!“ erklang es wie ein dünnes Echo von der „Valdivia“, die jetzt auf Rufweite herandrehte. Binnen Sekunden wurden auf beiden Galeonen die Kanonen bemannt, rasselten die Stückpforten auf, gellten die Bootsmannspfeifen. Rumpelnd wurden die
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Kanonen ausgefahren, schwarz und drohend starrten die Rohre aus den Luken die „Valparaiso“ und die „Valdivia“ zeigten die Zähne. Beachtliche Zähne! Der „Hai“ lächelte, als er nach vorn starrte, wo sich die Gegner näherten. Jose da Vasco zweifelte keine Sekunde am Ausgang dieses Gefechts. Seine schwarzen, schmalen Augen funkelten triumphierend. * „Mastspitzen genau voraus!” Diesmal hatte Dan O’Flynn die beiden Galeonen zu einem Zeitpunkt gesichtet, als die Spanier von der „Isabella“ und dem schwarzen Segler noch keinen Schimmer wahrnahmen. Gefechtsklar waren die Schiffe des Seewolfs und der Roten Korsarin ohnehin. Sie liefen nebeneinander. Die Spanier hatten raumen Wind und näherten sich rasch. Es dauerte nicht lange, bis die geöffneten Stückpforten und die drohenden schwarzen Rohre der Geschütze zu erkennen waren. Auf der „Isabella“ herrschte die Ruhe vor dem Sturm. Die Geschütze waren besetzt, genügend Kartuschen und Kugeln gemannt, Al Conroy kontrollierte noch einmal die Drehbassen. Jedes offene Feuer auf dem Schiff war gelöscht worden, mit Ausnahme von zwei Kesseln mit glühenden Kohlen. Batuti kauerte auf der Back, Big Old Shane auf dem Achterkastell, und beide hielten genügend Brandpfeile bereit, die in der Takelage des Gegners Verheerungen anrichten würden. Auf der Kuhl klarierte Ferris Tucker eine ganze Batterie seiner Spezialbomben: einfache Flaschen, die mit Nägeln, Pulver und gehacktem Blei gefüllt waren und mit einem Korken verschlossen, durch den eine kurze Lunte führte. Wenn man die Lunten anzündete und die Flaschen schleuderte, explodierten sie in der Luft oder spätestens beim Aufprall. Und bei denjenigen, die sich in der Nähe dieser
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Teufelsdinger befanden, blieb dann im allgemeinen kein Auge trocken. „Die Dons sind um einen Viertelstrich abgefallen!“ meldete Dan aus seiner luftigen Höhe. „Sie segeln in Kiellinie. Scheint so, als wollten sie genau zwischen uns und dem schwarzen Segler durchlaufen.“ Und Backbord- und Steuerbordkanonen gleichzeitig einsetzen, vollendete Hasard in Gedanken. Das hieß, daß die „Isabella“ und der schwarze Segler an zwei Breitseiten vorbeilaufen mußten, während sie selbst jeweils nur mit Steuerbord- oder Backbordkanonen zum Schuß gelangten. Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder die „Isabella“ mußte abfallen und hinter den „Eiligen Drachen“ drehen oder „Runter vom Mars, Dan!“ rief der Seewolf. Während der junge O’Flynn widerspruchslos abenterte, war Hasard mit zwei Schritten am Backbordschanzkleid und winkte zu Siri-Tong hinüber. Thorfin Njal stand neben ihr und legte die Hände als Schalltrichter an den Mund. Er hatte sich bereits mit der Roten Korsarin abgesprochen, und sie waren offenbar zu dem gleichen Ergebnis gelangt wie Hasard. „Vorschlag!“ ertönte die dröhnende Stimme des Wikingers. „Wir zeigen der ersten Galeone das Heck, schießen die zweite in Klump und gehen auf Gegenkurs.“ „Klar!“ schrie Hasard zurück, und damit erübrigten sich alle weiteren Fragen. In Kiellinie gestaffelt segelten die beiden Galeonen heran. Für ein paar Minuten wirkte die Art, wie sich die vier Schiffe stur aufeinander zubewegten, fast gespenstisch. Die Spanier mußten damit rechnen, daß zumindest einer ihrer Gegner ausweichen würde, um in eine strategisch günstigere Position zu gelangen. Sie rechneten auch damit. Und die fieberhafte Tätigkeit an den Bugdrehbassen der „Valparaiso“ zeigte, was der „Hai“ erwartete: daß die „Isabella“ oder der schwarze Segler versuchen würden, in allerletzter Sekunde an seinem Bug vorbeizuscheren.
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Es kam anders. Die Spanier begriffen es in der Sekunde, als es für beide feindlichen Schiffe für das erwartete Manöver zu spät war. Die „Valparaiso“ schob sich zwischen den schwarzen Segler und die „Isabella“, und Jose da Vascos Gesicht verzerrte sich in wildem Triumph. „Steuerbordkanonen Feuer!“ schrie er. „Backbordkanonen Feuer!“ Der schwarze Segler fiel in einem blitzartigen Manöver ab. Die „Isabella“ drehte so hoch, wie es eben noch ging, ohne in den Wind zu schießen. Es war eine kitzlige Sache, die Männer hielten den Atem an, aber der ranke Segler schaffte es, dem Spanier das Heck zuzukehren, als die Breitseite krachte. Die Kanoniere der „Valparaiso“, darauf vorbereitet, den Gegnern die Wasserlinie zu zertrümmern, setzten ihre Kugeln ins nasse Element. Fontänen spritzten. Wilde Flüche erklangen. Der schwarze Segler luvte schon wieder an, und vom Achterkastell der „Isabella“ stieg zischend der erste Brandpfeil hoch und bohrte sich ins Großmarssegel der „Valparaiso“. Der zweite Brandpfeil traf die Bordwand, der dritte fiel wirkungslos ins Wasser, weil Hasard abfallen ließ. Raumschots lief die „Isabella“ auf die zweite Galeone zu. Der schwarze Segler rückte hoch am Wind an, etwas langsamer, aber bedrohlich genug für die Männer der „Valdivia“, die davon überzeugt gewesen waren, daß sie den Engländern allenfalls noch den Fangschuß würden verpassen müssen. Jetzt sah der Capitan in fassungslosem Schrecken, daß ein Segel der „Valparaiso“ brannte, daß die beiden feindlichen Schiffe keinen einzigen Treffer erhalten hatten und daß sie ihn in der nächsten Minute in die Zange nehmen würden. „Feuer!“ kreischte er außer sich, und dieser überhastete Befehl nahm ihm auch noch den Rest seiner Chancen. Die Backbord- und Steuerbordkanonen der „Valdivia“ brüllten auf. Zu früh! Das Gros der Kugeln klatschte ins Wasser. Dem schwarzen Segler wurde die Blinde
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zerfetzt. Auf der Back der „Isabella“ zog Batuti den Kopf ein und blickte der Kugel nach, die an Steuerbord haarscharf über das Schanzkleid hinwegstrich. Die „Isabella“ luvte wieder etwas an, der schwarze Segler fiel um eine Kleinigkeit ab, und die Spanier, die jetzt genau zwischen den beiden feindlichen Schiffen lagen, hatten nicht die leiseste Chance, ihre Kanonen schnell genug nachzuladen. Zwei volle Breitseiten trafen die Wasserlinie der „Valdivia“. Der schwarze Segler und die „Isabella“ liefen an dem unglücklichen Schiff vorbei, und Batuti und Big Old Shane sparten ihre Brandpfeile, weil sie es sinnlos fanden, ein Feuer zu entfachen, das ohnehin binnen Minuten vom Meerwasser gelöscht werden würde. Sie hatten der „Valdivia“ buchstäblich den Kiel weggeschossen. Das Schiff sackte wie ein Stein ab. Als die „Isabella“ und der „Eilige Drache“ in einem fast spielerisch anmutenden Manöver halsten, war nur noch ein Hexenkessel aus wirbelnden Trümmern und schreienden, verzweifelt im Wasser strampelnden Männern übrig. Auf der .“Valparaiso“ bewies José da Vasco, aus welchem Holz er geschnitzt war. Sein Weltbild war zusammengebrochen. der Schock saß ihm tief in den Knochen, aber er brachte immer noch genug Kaltblütigkeit auf, um seine Chancen zu sehen. In einem weiten Bogen wendete er, um halben Wind zu haben, wenn er von neuem angriff. Die „Isabella“ und der schwarze Segler lagen jetzt in Kiellinie gestaffelt. Hasard spähte zu dem Spanier hinüber, schätzte die Entfernung, rechnete - und ließ energisch anluven, während der schwarze Segler auf seinem Kurs blieb. Der „Hai- begriff, daß er in eine tödliche Klammer hineinlief. Er reagierte blitzartig, fiel ab und wollte am Bug des schwarzen Seglers vorbeischneiden. Es war die einzige Chance, die ihm noch blieb, aber Hasard hatte sein Manöver sehr genau berechnet.
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„Steuerbordkanonen Feuer!“ gellte seine Stimme. Die achteren Drehbassen des Spaniers ratterten, gehacktes Blei fetzte in den Besan der „Isabella“, doch dann dröhnten acht Siebzehnpfünder-Culverinen und verarbeiteten die spanischen Drehbassen zu Klump. Im nächsten Augenblick lag die „Isabella“ noch höher am Wind, setzte die eigenen achteren Drehbassen ein und gab Batuti Gelegenheit, ein halbes Dutzend Brandpfeile auf die Reise zu schicken. Der schwarze Segler legte sich vor den Wind, um keinen Angriff über den Bug zu riskieren und am Ende gezwungen zu sein, einen der kostbaren Brandsätze zu verschwenden. Wieder trafen die Kanonen der raumschots vorwärtsjagenden „Valparaiso“ nur Wasser - und gleich darauf krachten die Backbordgeschütze des schwarzen Seglers. Die „Isabella“ ging über Stag, um sich von neuem auf den Gegner zu stürzen. Die spanische Galeone war schwer angeschlagen. Mehrere Treffer hatten die Bordwand aufgerissen, der Besanmast hing wie ein gebrochener Arm an Deck. Die Spanier schufteten, um den Mast loszuhacken, der die „Valparaiso“ schwer nach Backbord krängen ließ. Sie schafften es schließlich, aber jetzt hatten sie nicht mehr die geringste Chance, ihren Gegnern zu entwischen. Der schwarze Segler schob sich an Steuerbord heran. Auch die „Isabella“ segelte auf, aber Hasard hielt sich zurück, er wußte, was die Rote Korsarin vorhatte. Jetzt, dachte er. Der schwarze Segler drehte nach Backbord, schor am Heck der „Valparaiso“ vorbei, und da die Drehbassen der Spanier nur noch Schrott waren, konnte nichts sie vor den zwölf einzeln feuernden Geschützen retten. Vom Ruder der „Valparaiso“ blieben nur noch Splitter übrig. Hilflos und manövrierunfähig trieb die Galeone im Wasser. Die „Isabella“ brauchte gar nicht erst in den Bereich der feindlichen Breitseiten zu laufen, um den
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Spaniern mit den beiden Bugdrehbassen in aller Ruhe die Takelage zu zerfetzen. Der Wind trieb die Galeone nach Westen. Sie konnte nicht mehr angreifen. Eigentlich blieb ihr nichts anderes mehr übrig, als die Flagge zu streichen. Der schwarze Segler war noch dabei, zu wenden, Hasard ließ etwas Fahrt wegnehmen, um dem Spanier die Chance zu geben, zur Besinnung zu gelangen. Aber Jose da Vasco, der „Hai“, dachte nicht daran aufzugeben. Er zog es vor, mit fliegenden Fahnen unterzugehen, und dabei kümmerte es ihn nicht im mindesten, ob seine Leute genauso dachten. Sein Großsegel brannte, einen Besanmast hatte er auch nicht mehr, er brauchte nur die Fockrahen dichter zu holen, damit der Wind den Bug des Schiffs herumdrückte. Danach ließ er gegenbrassen und zeigte den Angreifern die Backbordkanonen. Ein Verrückter, dachte Hasard .kopfschüttelnd. Fast widerstrebte es ihm, diesem wehrlosen Gegner den Fangschuß zu geben. Aber Siri-Tong und der Wikinger hatten da weniger Bedenken. Zum zweiten Male schnitten sie am Heck der Galeone vorbei - und diesmal saßen sämtliche Treffer unter der Wasserlinie. Die „Valparaiso“ begann wegzusacken. In wilder Wut ließ der „Hai“ feuern, doch die „Isabella“ befand sich noch außer Reichweite. Auf der Galeone herrschte Zustand. Auch der letzte Mann wußte, daß das Schiff nicht mehr zu halten war, und überall sprangen verzweifelte, von Entsetzen gepeitschte Gestalten über die Schanzkleider. Die Geschütze der „Valparaiso“ wurden nutzlos, weil niemand sie mehr bediente. Nutzlos waren sie allerdings schon vorher gewesen, da das Schiff nicht mehr manövrieren konnte. Hasard ließ die „Isabella“ langsam auf den Gegner zulaufen, und die Spanier im Wasser erhielten Zeit, so viel Raum wie
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möglich zwischen sich und die sinkende Galeone zu bringen. Capitan da Vasco stand auf dem Achterkastell wie ein Baum. Er wollte sich nicht retten. Er wollte auch nicht die Flagge streichen. Und Hasard hatte keine Wahl. Er wünschte kein Massaker, das mehr Todesopfer als unbedingt nötig kostete, und er würde die Überlebenden auffischen und nach Sala-yGomez bringen. Aber auf keinen Fall würde er von der „Valparaiso“ etwas übriglassen, das sich auch nur entfernt als Bauholz für irgendeine Art von Wasserfahrzeug eignete und die Spanier in die Lage versetzte, noch einmal über die friedlichen Eingeborenen auf der „Insel der Steinernen Riesen“ herzufallen. Jose da Vasco fuhr mit seinem Schiff in die Tiefe. Kurz bevor die „Valparaiso“ über das Heck abkippte, schoß er sich eine Kugel durch den Kopf. Die gleiche Entscheidung traf der stumme Jorge Delgado in seiner Kammer, aber das konnten die Seewölfe nicht sehen. Fast eine Stunde waren die „Isabella“ und der schwarze Segler damit beschäftigt, Überlebende aufzufischen. Einer von ihnen war Carlos Ingarra. Er redete wirres Zeug, stierte mit wilden Blicken um sich und war offensichtlich nicht mehr in der Lage, zu begreifen, was ihm passierte. Die Spanier wurden auf Sala-y-Gomez an Land gesetzt, wo sie zumindest nicht verhungern und verdursten würden. Die Schäden, die die „Isabella“ und der schwarze Segler davongetragen hatten, waren mit Bordmitteln zu beheben. Gegen Mittag gingen die beiden Schiffe ankerauf. Die Insel versank hinter ihnen in sonnendurchglühten, opalisierenden Schleiern. Im stetig wehenden Ostwind pflügten sie unter Vollzeug durch die schimmernde See, neuen Abenteuern entgegen...
ENDE