Geister-
Krimi � Nr. 57 � 57
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Geister-
Krimi � Nr. 57 � 57
Francis Rock �
Die Fratze �
2 �
Ein berstendes Krachen erfüllte die Luft, mehrere Blitze überfluteten die kleine Schlafkammer mit grellem Licht, und von der nahen zerklüfteten Steilküste drang das Donnern der Brandung herüber. Mit einem spitzen Schrei fuhr Eileen Douglas hoch. Sie sprang aus dem Bett und näherte sich vorsichtig dem Fenster. »Ach, nur ein Gewitter«, seufzte sie erleichtert, während sie das Fenster schloß. An Schlaf war bei diesem Lärm natürlich nicht zu denken, weshalb sie ihren Morgenrock anzog und die Deckenleuchte einschaltete. Dann setzte sie sich in den Sessel und begann in einem Buch zu lesen. Aber bald zuckte sie erschrocken zusammen. Das Licht flackerte, es wurde immer trüber, bis es schließlich ganz erlosch. Das Gewitter? fragte sich Eileen Douglas. Hat ein Blitz eingeschlagen? Doch nein, das Haus ist ja vom Stromnetz unabhängig. Hm, vielleicht ist eine Sicherung defekt, oder der Generator ist ausgefallen. Eileen Douglas entschloß sich nachzusehen, Sie warf das Buch aufs Bett, schlüpfte in ihre Pantoffeln und trat hinaus auf den Flur. Es war völlig dunkel. Sie hatte keine Taschenlampe, so daß sie sich Schritt für Schritt vortasten mußte. Als sie die Treppe erreicht hatte, ging sie vorsichtig nach unten, bis sie schließlich im Parterre stand. Manchmal wurde die Umgebung mit wahren Lichtschauern überflutet, die durch die Glastüren der Veranda drangen, so daß Eileen Douglas leicht den Sicherungskasten fand. Sie öffnete ihn, doch weil das Innere des Kastens im Schatten lag, konnte sie nichts erkennen. Es schien ihr zu gefährlich, sich auf den Tastsinn zu verlassen. Enttäuscht schloß sie den Kasten wieder, dann 3 �
wandte sie sich um und… Plötzlich schrie sie gellend auf. Vor ihr hatte sich ein weißlicher Nebel gebildet, der sich rasch verdichtete. Wie ein Astralleib schwebte er mitten im Raum. Die Umrisse einer weiblichen Gestalt waren zu sehen. »Mrs. Southey«, hauchte Eileen Douglas tonlos, immer noch voller Entsetzen. Die weißliche, durchscheinende Gestalt hob bittend, flehend die Hände, dann deutete sie nach unten. Eileen Douglas vermochte sich nicht zu bewegen. Die unheimliche weiße Gestalt lähmte ihre Gedanken und ihre Entschlusskraft. Doch plötzlich zuckte die Gestalt wie unter einen heftigen Schlag zusammen. Dann löste sie sich auf, als wäre sie nie gewesen. Der Bann wich von Eileen Douglas. Wie hysterisch begann sie zu schreien. Sie rannte zur Tür und lief hinaus. Sie hörte nicht das Rauschen der Brandung und das Donnern der Blitze. Sie spürte auch nicht den Regen, der ihren Morgenrock innerhalb weniger Sekunden durchnässte. Ihr Erlebnis hatte sie auf eine Weise schockiert, daß sie nur immer laufen mußte, bis irgendwann die Erschöpfung ihre Panik besiegte. Sie stolperte und schlug hart zu Boden, wo sie ohnmächtig liegen blieb. * Es war misslungen! Eileen Douglas, ihre Gesellschafterin, hatte anders reagiert, als sie gehofft hatte. Sie hatte sich bemüht, möglichst natürlich zu wirken, um Eileen nicht unnötig zu erschrecken, doch es war vergebens gewesen. 4 �
Anne Southey konnte Eileens Reaktion verstehen. Sie selbst hätte wahrscheinlich nicht anders reagiert. Aber was sollte nun aus ihr werden? Mußte sie denn für immer in dieser unheimlichen Welt bleiben? Dabei hatte alles so harmlos begonnen. Vor mehreren Monaten war Lord Bourne an ihren Mann herangetreten und hatte ihm angeboten, gegen ein gutes Honorar für ihn zu arbeiten. Peter, ihr Mann, der ständigen Reibereien mit seinen Vorgesetzten an der Wissenschaftlichen Akademie überdrüssig geworden, hatte sofort zugesagt. Sie waren nach Bourne Castle umgesiedelt, wo Peter von Lord Bourne ein Labor errichtet wurde. Bereits wenige Wochen später war Peter eine wie er sagte »entscheidende Erfindung« gelungen. Anne Southey hatte nie herausfinden können, worum es sich handelte. Ihr Mann schwieg sich ihr gegenüber aus. Sein Misstrauen war sogar soweit gegangen, daß er das gesamte Hauspersonal entlassen hatte. Nur mit Mühe war es Anne gelungen, ihn davon abzuhalten, auch ihre junge Gesellschafterin zu entlassen. Sie brauchte wenigstens einen Menschen, mit dem sie sich unterhalten konnte. Mit Peter war, seit er seine Erfindung gemacht hatte, nicht mehr zu reden. Er lebte nur noch für seine Arbeit, er war geradezu fanatisch. Anne Southey war keine Frau, die wochenlang in Ungewissheit leben konnte, lieber ging sie ein Risiko ein. Eines Nachts war sie in das Labor geschlichen… * Peter stand mit dem Rücken zu ihr über ein Schaltpult gebeugt und blickte gespannt auf eine in der Mitte des Raumes stehende große Kabine. 5 �
Plötzlich veränderte sich die Kabine. Sie flimmerte, schien zu glühen und löste sich auf. Einen Augenblick später war sie wieder da. Anne Southey schrie erschrocken auf. Peter Southey wirbelte herum. »Du?« fragte er überrascht. Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Warum musstest du mir das antun, Anne? Ich muß mich absichern.« Anne Southey wich entsetzt zurück. »Was hast du vor?« stammelte sie. Er kam schnell auf sie zu und packte sie am Arm. »Ich will dir nichts tun, Anne«, sagte er beruhigend, »aber ich muß verhindern, daß du plauderst. Ich werde dich in die ›neue Welt‹ bringen.« »Wohin?« Sie sah seinen fanatischen Blick und glaubte, er wäre wahnsinnig geworden. »In die ›neue Weit‹«, wiederholte er. »Keine Angst, ich war schon selbst dort und habe für alle Fälle Lebensmittel und Wasser hingebracht. In spätestens vier Tagen wird alles vorbei sein, dann werde ich dich zurückholen.« Die Frau wehrte sich verzweifelt, aber er war stärker als sie. Sie mit der einen Hand festhaltend, öffnete er mit der anderen Hand die Tür der Kabine. »Tut mir leid«, sagte er, während er seine Frau in die Kabine schob. Anne Southey sah sich auf allen Seiten von Metallwänden umgeben. Nur auf der dem Schaltpult zugewandten Seite befand sich ein Bullauge, durch das sie ihren Mann sehen konnte. Er drehte sich noch einmal um, zuckte bedauernd die Schultern und hantierte dann an dem Schaltpult. »Du Schuft!« schrie die Frau, mehr zornig als ängstlich. »Du 6 �
gemeiner Kerl! Warum tust du das? Was habe ich dir angetan…« Sie unterbrach sich. Irgend etwas zerrte an ihr, sie glaubte fast, sie sollte zerrissen werden. Gequält schrie sie auf und… Es war vorbei. Ein gedämpftes Licht, das von überall zu kommen schien, ließ sie gut ihre Umgebung erkennen. Aber was war das für eine Umgebung? Es war ein Nichts, ein absolutes Nichts. Der Boden bestand aus einem undefinierbaren durchsichtigen Material, man konnte jedoch nicht darunter sehen. Es gab weder Wände noch Decke. Anne Southey befand sich in der Unendlichkeit. Nein, überlegte sie, das ist nicht möglich. Ich kann atmen, also gibt es Luft. Außerdem gibt es Gravitation, ich kann mich normal bewegen. Das war also die »neue Welt«. War das Peters Erfindung? Was könnte er damit anfangen? fragte sich Anne Southey. Nein, es muß sich um etwas anderes, viel Wichtigeres handeln. Mit dieser merkwürdigen künstlichen Welt wird auch Lord Bourne nichts beginnen können. Anne Southey sah ein, daß es zwecklos war, darüber nachzugrübeln. Sie mußte das Beste aus ihrer Situation machen. In einigen Metern Entfernung sah sie einige Pakete und mehrere Wasserkanister stehen. »Die Lebensmittel, von denen Peter sprach«, murmelte sie niedergeschlagen. Einen Tag lebte sie nun schon in dieser Welt, und so manches Mal stand sie kurz vor dem Irrsinn. Doch immer wieder gab die Hoffnung ihr neuen Auftrieb. Sie wußte, Peter war zwar ein fanatischer Wissenschaftler, er würde sie so bald wie möglich wieder zurückholen. Es gab in der »neuen Welt« irgend etwas, was sie nicht begriff, irgend etwas Fremdes, Unheimliches. 7 �
Ein Lebewesen? Anne Southey schauderte. Sie durfte nicht daran denken, wenn sie ihren Verstand nicht verlieren wollte. Um sich abzulenken, konzentrierte sie sich auf Bourne Castle. Erschrocken zuckte sie zusammen. Es war ihr, als würden ihre Sinne bis ins Unendliche geschärft. Sie fand Bourne Castle, sah und hörte ihren Mann. Sie wußte, daß sie von ihrem Mann keine Hilfe zu erwarten hatte. Also konzentrierte sie sich auf Eileen Douglas. Und tatsächlich, das Mädchen nahm sie wahr. Doch Eileen reagierte nicht, wie sie gehofft hatte. Plötzlich erhielt sie einen heftigen Schlag, der ihr fast die Besinnung raubte. * Etwa um die gleiche Zeit fuhr ein anthrazitfarbener Mercedes über die alte Landstraße in Richtung Wymouth. Wegen des starken Regens bewegte sich der Wagen nur langsam vorwärts. Am Lenkrad saß Bob Hogarth, ein hochgewachsener, gutaussehender Mann von vierunddreißig Jahren. Seine scharfgeschnittenen Gesichtszüge wurden von einem gepflegten Vollbart noch hervorgehoben. Seine grauen Augen starrten angestrengt durch die Windschutzscheibe. Neben Bob Hogarth saß sein um einige Jahre jüngerer Cousin Andrew Bradley, der geradezu das Gegenteil des Fahrers zu verkörpern schien. Er war bedeutend kleiner als er und von schmächtiger Gestalt. Bob Hogarth war selbständiger Rundfunk- und Fernsehtechniker, er hatte eine kleine Reparaturwerkstatt in Wymouth. Andrew Bradley war bei ihm als Hilfsarbeiter beschäftigt. Er hatte wegen seines mangelnden Ehrgeizes keine andere Arbeits8 �
stelle finden können, weshalb das Angebot seines Cousins, bei ihm zu arbeiten, gerade recht gekommen war. Sie befanden sich auf der Rückfahrt von Coleridge, wo sie einen Farbfernseher hatten reparieren müssen. Das schlechte Wetter hatte einen pünktlichen Feierabend nicht zugelassen. Bereits in einer Stunde war Mitternacht. Früher hatten die beiden Männer Sympathie füreinander empfunden, doch seit sie eine Vortragsreihe über deutsche Philosophen besucht hatten, war das Verhältnis merklich abgekühlt. Bob Hogarth war von Nietzsches Ansichten so beeindruckt, daß er sie zu seinen eigenen Ansichten gemacht hatte. Er ließ keine Gelegenheit aus, um seine Schlüsse, die er aus Nietzsches Philosophie gezogen hatte, Andrew Bradley darzulegen. Andrew hatte zunächst belustigt reagiert, erst als er merkte, wie ernst es Bob war, wurde er vorsichtiger. Dennoch gelang es ihm manchmal nicht, die eigenwilligen Ansichten seines Cousins widerspruchslos anzuhören. »Jetzt müßte bald die Kreuzung kommen«, sagte Andrew. »Dort!« Bob wies mit dem Kinn nach vorn. In einiger Entfernung waren die Umrisse eines Verkehrsschildes zu sehen. »Dort schon?« zweifelte Andrew. »Ja, dort schon«, knurrte Bob gereizt. »Ich bin diese Strecke schon öfter als du gefahren, ich muß es also wissen.« Andrew Bradley lehnte sich schweigend zurück. Er wußte, es war zwecklos, Bob zu widersprechen. Als sie näher kamen, konnte Andrew das Verkehrsschild deutlich sehen. Es zeigte eine Vorfahrtsstraße an, was bedeutete, daß die vor ihnen liegende Straße, nicht die sein konnte, in die sie einbiegen mußten. Andrew schwieg, als der Mercedes abbog. Er schwieg auch noch, als die Schlaglöcher der schlechten Straße den Wagen zum 9 �
Schlingern brachten, so daß die Insassen immer wieder hochgeschleudert wurden. Erst als Bob brummte: »Hm, merkwürdig!« wagte Andrew grinsend zu sagen: »Na bitte, aber du musstest es ja wissen. Und was jetzt? Wenden können wir nicht, die Straße ist zu schmal, und um zurückzustoßen, sind wir schon zu weit gefahren.« »Wir fahren weiter«, entschied Bob Hogarth. »Irgendwann muß die Straße ja zu Ende sein.« »Und wenn es eine Sackgasse ist?« Auf diese Bemerkung reagierte Bob nur mit einem unwilligen Knurren. Doch bald bestätigte sich Andrews Befürchtung. Die Straße war zu Ende. Sie mündete in einen kleinen Parkplatz, und unmittelbar dahinter türmte sich ein altes, mächtiges Landhaus auf. Die Scheinwerfer des Mercedes konnten nur einen Teil der Vorderfront des Hauses erfassen, aber was die beiden Männer zu sehen bekamen, genügte. »Donnerwetter«, seufzte Bob neidvoll. »Wenn ich dieses Häuschen besäße, würde ich mich bedeutend wohler fühlen.« Was nicht ist, kann noch werden, dachte Andrew mit einem schiefen Blick auf seinen Cousin. Seit Bob sich von Nietzsches Philosophie beeinflussen ließ, war ihm alles zuzutrauen. »Warten wir im Wagen, bis das Wetter sich gebessert hat?« »Nein«, antwortete Bob, der mit zusammengekniffenen Augen das Landhaus musterte. »Wir werden hier um Aufnahme bitten.« »Du glaubst, man läßt uns ein?« »Aber gewiß!« Bob deutete durch die Windschutzscheibe. »Die Tür steht offen.« Sie verließen den Wagen und rannten zum Haus hinüber. Völlig durchnäßt erreichten sie den Eingang, wo sie schnaufend stehen blieben. Weil es hereinregnete, schloß Bob die Tür. Es wurde 10 �
völlig dunkel. Aber es gab da etwas, was Andrew Bradley wahrscheinlich entgangen wäre, wenn er sich nicht so sehr auf seine Ohren konzentriert hätte: ein tiefes Brummen. »Hörst du das Brummen?« fragte Bob Hogarth. »Hier scheint irgendwo ein Transformator in Betrieb zu sein.« »Dieses Haus liegt zu weit abseits, der Anschluss an das Netz wäre sicherlich zu kostspielig«, vermutete Andrew. »Ich nehme an…« Er unterbrach sich erschrocken. Spielten seine Augen ihm einen Streich? Er mochte die Dunkelheit nicht und glaubte deshalb zunächst, eine Halluzination zu haben. Vor ihm hatte sich ein weißlicher Nebel gebildet, der sich rasch verdichtete und… In diesem Augenblick wurde das Licht eingeschaltet. Der merkwürdige Nebel verschwand. »Hast du dieses Ding gesehen?« flüsterte Andrew verstört. »Ja, aber sei jetzt still«, antwortete Bob. Sie standen in einer geräumigen Vorhalle, deren Größe selbst für ein Schloß geeignet schien. An der der Eingangstür gegenüberliegenden Wand hingen mehrere alte, gut erhaltene Gobelins. Rechts führte eine Treppe nach oben, links befanden sich drei Türen, deren linke gerade geöffnet wurde. Herein trat ein älterer, stämmiger Mann, dessen weißes Haar bis auf die Schultern herabreichte. Er trug einen weißen Kittel, der fast über den Boden schleifte. Als er näher kam, sah Andrew in seinen schwarzen Augen ein fanatisches Feuer. Vorsicht, ging es ihm durch den Kopf, dieser Mann ist gefährlich! Der Fremde verbeugte sich knapp und reichte den Besuchern freundlich lächelnd die Rechte. Dann erst fragte er: »Darf ich vielleicht erfahren, was Sie um diese Zeit nach 11 �
Bourne Castle führt?« »Bourne Castle?« echote Bob erstaunt. »Der Besitz Lord Arthur Bournes?« »Was denn«, platzte Andrew heraus, »dieses Haus gehört dem Bandwurm?« Er hatte schon einiges von Lord Arthur Bourne gehört. Noch vor wenigen Jahren war kaum ein Tag vergangen, an dem nicht ein Artikel über ihn in den wichtigsten Zeitungen gestanden hatte. Lord Bourne war berühmt-berüchtigt für seine politischen Vorstellungen. Er hatte stets mit allen Mitteln gegen die »Beschneidung der Machtbefugnisse des Oberhauses« gekämpft, doch hatte er sich dadurch bei den meisten seiner Mitmenschen unbeliebt gemacht. Früher war er einer der führenden Köpfe des Oberhauses gewesen, bis er wegen seiner Ansichten untragbar geworden war, so daß man ihm hatte nahelegen müssen, sein Amt zur Verfügung zu stellen. In der letzten Zeit hörte man nichts mehr von ihm, offenbar war er vernünftiger geworden. Weil er kaum anders sprechen konnte als in überlangen Sätzen, wurde er in ganz Großbritannien »Bandwurm« genannt. Nicht zuletzt deshalb war er so bekannt geworden. »So wird er genannt.« Der Weißbekittelte lächelte, doch seine Augen lächelten nicht mit. »Ich bin Southey«, stellte er sich vor, »Dr. Peter Southey, Wissenschaftler. Sir Arthur hat mir sein Landhaus für meine Forschungen zur Verfügung gestellt.« Bob Hogarth stellte seinen Cousin und sich vor und sagte dann. »Wir wären nicht hereingekommen, aber wir haben uns verfahren. Außerdem ist bei diesem Wetter das Autofahren lebensgefährlich.« »Die Tür stand also offen?« wunderte sich Dr. Southey. »Das ist merkwürdig. Doch kommen Sie bitte in den Salon!« Er deu12 �
tete auf die rechte der drei Türen. »Ich werde Miss Douglas rufen, sie kann Ihnen einen heißen Tee bereiten.« Er entfernte sich und stieg die Treppe hinauf. Als Bob und Andrew den Salon betraten, pfiffen sie durch die Zähne. So teure Möbel und Teppiche hatten sie noch nie gesehen. Andrew wollte seinen Cousin darauf ansprechen, doch Bob war schon mit etwas anderem beschäftigt. »Ich hoffe, diese Miss Douglas ist jung und hübsch. Dann steht mir heute noch etwas Gutes bevor.« Andrew verzog das Gesicht. Manchmal widerte ihn der Lebenswandel seines Cousins, an. Er war gewiß nicht prüde, aber was Bob trieb, war nach seiner Auffassung fast verbrecherisch. Daß er keine Gelegenheit versäumte, mit einer Frau anzubändeln, fand er noch weniger schlimm, doch daß er anschließend stets für immer verschwand, war seiner Meinung nach gemein. Deshalb brachte er es nicht fertig, zu schweigen. »Ich finde es nicht richtig, daß du eine Frau nach der anderen vernascht und sie dann sitzenläßt.« »Ah, du findest es nicht richtig?« Bob schüttelte verärgert den Kopf. »Es wird höchste Zeit, daß diese veralteten Moralbegriffe abgeschafft werden. Was ist gut, was ist böse? Diese beiden Begriffe erhielten doch erst durch das ohnmächtige, niedrige, gemeine Volk ihre heutige Bedeutung. Der Pöbel wollte sich an den Herren rächen, indem er seine Moralbegriffe als die alleingültigen proklamierte. Aber ich gehöre nicht zum Pöbel, auch wenn keiner meiner Ahnen ein Adliger war. Gut ist, was mir nutzt, und danach lebe ich.« »Das finde ich rücksichtslos«, entgegnete Andrew empört. »Was wird aus den Menschen, die du durch dein Verhalten schädigst?« Bob zuckte die Schultern. 13 �
»Das ist nicht mein Problem. Mir geht es in erster Linie um mich, um mein Wohlbefinden. Wenn sich jemand nicht fügt, so nehme ich mir das Recht, mit Gewalt vorzugehen.« Andrew wollte heftig entgegnen, doch Dr. Southey kam herein. Er wirkte verwirrt. »Zu meinem Bedauern ist Miss Gordon unpässlich«, erklärte er. »Leider erwarte ich in wenigen Minuten Besuch, so daß ich mich nicht länger um sie kümmern kann. Vielleicht nehmen sie mit der Hausbar vorlieb. Kaum waren Andrew und Bob wieder allein, als sie ihre unterbrochene Diskussion fortsetzten. »Und was die so genannten guten Menschen betrifft«, knurrte Bob verächtlich, »so bin ich fest überzeugt, daß sie nur aus Feigheit gut sind. Sie haben Angst vor einem schlechten Gewissen, sie haben Angst, und deshalb versuchen sie es erst gar nicht. Glaube mir, gerade die Menschen, die so oft die Worte Moral, Recht, Gerechtigkeit und so weiter in den Mund nehmen, wären die ersten, die auf diese Begriffe pfiffen, wenn sie straflos gegen alle Gesetze handeln könnten vorausgesetzt natürlich, ihr weichliches Gewissen würde sie nicht quälen.« »Ich möchte bloß wissen, was für einen Besuch Dr. Southey erwartet«, versuchte Andrew das unerquicklich gewordene Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen. »Es ist ja schon nach elf Uhr.« »Du willst mich ja nur ablenken.« Bob lachte überlegen. »Aber ich will dir deinen Willen lassen. Du hast also auch diese seltsame Erscheinung gesehen?« Andrew nickte eifrig. »Wenn ich nicht genau wüsste, daß es so etwas nicht gibt, würde ich behaupten, ein Gespenst gesehen zu haben.« Die Haustür wurde betätigt. »Aha, das wird der Besuch sein.« Bob schlich zur Tür und öff14 �
nete sie einen Spalt. Nach einer Weile war Stimmengemurmel zu hören. Bob drehte sich grinsend um. »Der Bandwurm!« sagte er. Auch Andrew schlich nun herbei. Das Licht innerhalb der Vorhalle war recht trübe, doch es genügte, einen hochgewachsenen, vornehm gekleideten Mann erkennen zu lassen, der mit Dr. Southey redete. »… also immer noch nicht einsatzbereit, was ich und das möchte ich mit allem Nachdruck betonen – höchst ärgerlich finde, daß die Zeit drängt, und ich nicht gewillt bin… Doch das hat Sie nicht zu interessieren. Sie haben Ihre Arbeit zu tun, für die Sie gut bezahlt werden, nach meiner Meinung viel zu gut, denn die bisherigen Leistungen Ihrerseits zeigten nicht gerade die besten Ergebnisse, weshalb ich annehmen muß, daß meine finanziellen…« Andrew hörte kaum noch hin. Ja, das war Lord Arthur Bourne, seine Bandwurmsätze waren unverkennbar. Aber was wollte er zu dieser späten Zeit bei Dr. Southey? Dieser arbeitete für ihn, soviel hatte Andrew herausfinden können. Southey war es gelungen, Lord Bourne zu unterbrechen. »Im Salon habe ich Besuch, Sir Arthur, zwei Männer, die sich in dem Unwetter verfahren haben. Es ist wohl besser, wenn wir ins Labor gehen. Ich habe einige Fortschritte gemacht, die Sie interessieren werden.« »Wo ist eigentlich Ihre Frau?« Lord Bourne blickte sich suchend um. »Sie ist verschwunden.« »Verschwunden?« »Sie schlich mir nach, weshalb ich sie in die ›neue Welt‹ bringen mußte.« »Es freut mich, daß Sie überlegt gehandelt haben, was ja bei guten Wissenschaftlern nicht immer der Fall ist. Was wiederum zu verstehen ist, da diese Menschen sich voll und ganz auf ihre 15 �
Arbeit konzentrieren, wovon die Menschheit natürlich am meisten profitiert, und das, obwohl sie für so genannte zerstreute Professoren nur schmähende Witze vorzuweisen hat, was uns zeigt, wie sehr die Wissenschaft auch heute noch verkannt wird auch bei jungen Menschen, die doch die Menschheit von morgen bilden sollen.« »Darf ich Sie noch auf etwas anderes aufmerksam machen, Sir Arthur? Miss Douglas hat unbemerkt das Haus verlassen. Mein Detektor hat festgestellt, daß Anne ihrer Gesellschafterin als eine Art Astralleib erscheinen konnte. Fragen Sie mich bitte nicht, wie so etwas möglich ist, ich verstehe es selbst nicht. Miß Douglas ist offenbar so erschrocken, daß sie in voller Panik davongelaufen ist. Doch sie ist nicht informiert. Niemand wird ihr glauben.« »Dann bin ich beruhigt. Suchen wir also das Labor auf, wo wir ungestört weitersprechen können, denn ich möchte mich informieren, wie weit Ihre Arbeit gediehen ist und ob es meinerseits überhaupt noch zu verantworten ist, Sie weiterhin finanziell zu unterstützen…« Mehr konnte Andrew Bradley nicht verstehen, denn die beiden Männer kamen in ihre Nähe, weshalb Bob Hogarth gezwungen war, die Tür zu schließen. »Ich verstehe das nicht«, murmelte Andrew verwirrt. »Wir werden alles herausfinden«, erwiderte Bob entschlossen. »Southey arbeitet für Lord Bourne, und natürlich handelt es sich um eine krumme Sache. Wie könnte es bei Lord Bourne auch anders sein.« »Er ist also so etwas wie dein Gesinnungsgenosse«, spottete Andrew. »Ich habe andere Ziele«, entgegnete Bob, ohne sich verärgert zu zeigen. »Ich will nicht dem Adel zu mehr Einfluß verhelfen, der hat sich unfähig gezeigt, seiner historischen Verpflichtung nachzukommen. Doch genug davon. Wir werden den beiden 16 �
folgen.« Andrew machte ein bedenkliches Gesicht. »Und wenn wir entdeckt werden?« »Dann machen wir uns aus dem Staub. Ich gehe nicht davon ab: ich will wissen, was es mit diesem Labor auf sich hat. »Wenn du Angst hast, kannst du ja hier bleiben.« Andrew gab sich einen Ruck. »Also gut, ich komme mit.« Bob öffnete wieder die Tür. In der Vorhalle war alles ruhig, weshalb er seinem Cousin winkte, ihm zu folgen. Wenig später standen sie vor der Tür, durch die Dr. Southey gekommen war. Ohne zu zögern, drückte Bob die Klinke herab. »Wenn die beiden immer so leichtsinnig sind, werden wir ein leichtes Spiel haben«, murmelte er, denn die Tür war nicht verschlossen. Die beiden Männer sahen eine Treppe vor sich liegen, die tief hinabzuführen schien. Unten mündete sie auf ein Podest und führte dann in die entgegengesetzte Richtung weiter. Bob ging die Treppe hinab, Andrew zögerte zunächst noch etwas, bis er sich endlich entschloß, ihm zu folgen. Bald standen sie in einem kleinen Raum. Rechts gab es eine Holztür, gegenüber der Treppe befand sich eine Metalltür, die allerdings verschlossen war. »Und jetzt?« wollte Andrew wissen. »Still!« zischte Bob. »Hörst du denn nicht?« Andrew lauschte. Ja, jetzt konnte auch er die Stimme hören. »… immer wieder zu kleinen rätselhaften Pannen, deren Ursache sich meinem Verständnis entzieht. Offenbar sind sie unvermeidlich bei den zur Anwendung kommenden Energiemengen.« »Solange die Erscheinungen sich auf Bourne Castle beschränken, dürfte das belanglos sein, doch alles nach außen Drängende kann meine Pläne, für deren Verwirklichung ich nun schon seit 17 �
Jahrzehnten mit den verschiedensten Mitteln kämpfte oft am Rande der Legalität, wie ich gestehen muß –, zunichte machen, was sowohl mein endgültiges Ende bedeuten würde, als auch das Ihre, Dr. Southey, weil es Ihnen schwerfallen dürfte, sich vor Polizei und Gericht reinzuwaschen, was mich wiederum beruhigt, da Sie somit auf mich angewiesen sind.« »Ich weiß, Sir Arthur, wir beide sitzen im selben Boot. Doch darf ich nun mit der Vorführung beginnen?« »Ich bitte darum, Dr. Southey.« Andrew Bradley sah seinen Cousin fragend an, doch dieser reagierte nicht darauf. Fast schien es, als warte er auf etwas. Andrew fühlte sich nicht wohl. Am liebsten hätte er sofort das unheimliche Haus verlassen. Doch Bob war kein Selbstmörder. Wenn es gefährlich wurde, würde er sicherlich keinen Augenblick länger hier verweilen. Andrew zuckte erschrocken zusammen, als das Licht zu flackern begann. Es wurde immer trüber und erlosch schließlich. »Das hatte ich befürchtet«, konnte er die durch die Metalltür gedämpfte Stimme Dr. Southeys hören. Aber dann achtete er nicht mehr auf die Stimme. Ein weißlicher Nebel füllte den Raum aus, drang in jeden Winkel. Er verdichtete sich immer mehr, so daß Andrew ihn schon bald körperlich zu fühlen glaubte. Und dann entwickelten sich aus dem Nebel Gesichter. Alle diese Gesichter sahen gleich aus, sie gehörten zu einer älteren Frau, die gequält aufzuschreien schien. Andrew kniff die Augen zusammen, aber er sah die Gesichter auch durch die geschlossenen Lider. Immer mehr dieser Gesichter entstanden. Sie schienen in höchster Not um Hilfe zu flehen. Da hielt Andrew es nicht mehr länger aus. Mit aller Kraft begann er zu brüllen. »Halt's Maul, du verdammter Idiot!« rief Bob Hogarth zornig. 18 �
Plötzlich schienen die Gesichter wie unter einem heftigen Schlag zusammenzuzucken. Sie lösten sich auf, als hätten sie nie existiert. * Anne Southey schöpfte wieder Hoffnung. Als sie das erste Mal die beiden Besucher hatte um Hilfe bitten wollen, war sie durch das Auftreten ihres Mannes unterbrochen worden. Doch gerade hatte Peter wieder mit einem Experiment begonnen, und zu ihrer Überraschung hatte sie feststellen können, daß ihr dadurch die Verbindung mit der normalen Welt erleichtert wurde. Der Schlag, den sie diesmal erhielt, war so heftig, daß es ihr schwarz vor den Augen wurde. * Als das Licht wieder aufflammte, fühlte Andrew Bradley sich einer Ohnmacht nahe. Zitternd lehnte er sich an die Wand. Bob Hogarth starrte ihm mit einer Mischung aus Zorn und Verachtung entgegen. »Memme!« zischte er. Andrew fühlte sich nicht beleidigt. Bob hatte recht. Er war leider etwas empfindlich. Es war nicht das Unheimliche des Geschehens gewesen, was ihn so sehr entsetzt hatte, sondern der hilflose, flehende Ausdruck der Gesichter. Er fragte sich, ob er auf einen billigen Trick hereingefallen war, oder ob sich hinter diesen Spuk-Gesichtern etwas Reales verbarg, das vielleicht wirklich Hilfe benötigte. Nach Bobs Miene zu urteilen, war jedenfalls überhaupt nichts Außergewöhnliches vorgefallen. Von Entsetzen war seinem Cousin nichts anzumerken, doch das war ohne Bedeutung, denn Bob war infolge seines 19 �
Lebenswandels gegenüber allem abgestumpft, und seit einiger Zeit schien er eines menschlichen Gefühls überhaupt nicht mehr fähig zu sein. Er nahm Nietzsches Philosophie wortwörtlich für sich in Anspruch, Mitleid war für ihn ein Fremdwort geworden. Ihn hatte das Flehen der Gesichter nicht beeindrucken können. Andrew wußte auch, weshalb Bob ihn jetzt so voller Zorn anstarrte: durch sein Gebrüll hatte er sie verraten. Sicherlich hatte Bob gehofft, etwas in diesem unheimlichen Haus zu erfahren oder zu erleben, aus dem er einen Vorteil ziehen konnte. Natürlich sah er sich jetzt aller Hoffnungen beraubt. Und das nicht ohne Grund, denn kaum hatte Andrew sich etwas beruhigt, als die Metalltür geöffnet wurde. Andrew war vor Schreck zu keiner Bewegung fähig, aber auch Bob hatte mit einem so schnellen Eingreifen des Wissenschaftlers nicht gerechnet. Dr. Southey stand im Türrahmen und hielt eine Pistole auf die beiden unerwünschten Eindringlinge gerichtet. »Ich muß mich tadeln«, sagte er. »Ich hätte mir doch denken können, daß Sie nicht so lange im Salon bleiben können, ohne ungeduldig und neugierig zu werden.« »Und was haben Sie jetzt mit uns vor?« Bob ließ sich keine Regung anmerken. »Ich werde Sie für eine Weile in der ›neuen Welt‹ verschwinden lassen. Unsere Arbeit darf nicht publik werden. Lord Bourne benötigt Anonymität, wenn die Ausführung seiner Pläne erfolgreich verlaufen soll. Kommen Sie!« Er winkte auffordernd mit der Waffe. »Und was tun Sie, wenn wir nicht kommen?« fragte Bob. »Dann schieße ich Ihnen in die Beine«, lautete die Antwort. Bob zuckte die Schultern. »Dann wollen wir mal.« Sie passierten einen kurzen Tunnel und blieben dann vor einer 20 �
weiteren Metalltür stehen, die Bob auf Geheiß des Wissenschaftlers öffnete. Sie betraten einen von mehreren Neonröhren erhellten größeren Raum, in dem eine ganze Reihe der verschiedensten Apparate und Aggregate untergebracht war. Andrew konnte mehrere große Transformatoren und einige Verstärker erkennen. Die anderen Geräte waren ihm unbekannt. In der Mitte des Raumes stand eine große metallene Kabine, die auf allen Seiten von Spulen und Drähten umgeben war. Auf einem Arbeitstisch in der Nähe stand ein metallener Kästen, der von ähnlichen Spulen und Drähten umgeben war. Andrew konnte einige Maschinen laufen hören. Das Geräusch mußte aus einem der angrenzenden Räume stammen, offenbar standen dort die Generatoren. Seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Lord Bourne war hinter einem der Transformatoren hervorgetreten und kam ihnen entgegen. »Sind das Ihre beiden Besucher, Doktor?« fragte er. Dr. Southey bejahte und fügte hinzu. »Wir lassen sie am besten in der ›neuen Welt‹ verschwinden.« »Damit sie uns ständig gefährden, so wie Ihre Frau?« Lord Bourne schüttelte den Kopf. »Nein, dieses Risiko können wir nicht eingehen, zumal wir kaum noch Zeit zu verlieren haben, da bereits morgen früh die Abstimmung stattfinden soll, die unbedingt zu meinen Gunsten ausfallen muß, weil andernfalls unsere Arbeit – in die ich so viel investiert habe umsonst wäre und…« »Aber was soll ich mit den beiden tun, Sir Arthur?« »Ihnen einen gut dotierten Arbeitsplatz anbieten«, lautete, die Antwort. »Was für einen Beruf üben Sie aus, Gentlemen?« Bob sagte es ihm, worauf Dr. Southey befriedigt nickte. »Das trifft sich nun allerdings bestens. Tüchtige Techniker kann ich gebrauchen. Verstehen Sie etwas von Elektronik?« 21 �
»Gewiß«, antwortete Bob, und auch Andrew nickte eifrig. Er beabsichtigte jedoch, so bald wie möglich zu fliehen. »Was das Finanzielle betrifft, werde ich die zufrieden stellen«, ergriff nun Lord Bourne wieder das Wort, »da nur zufriedene Menschen zufrieden stellende Arbeit verrichten können, doch werden Sie sicherlich verstehen, daß wir Sie bis zur Beendigung unserer Arbeit hier behalten müssen, weil wir jedes Risiko vermeiden und uns gegen Erpressungen jeder Art schützen wollen. Aber nun soll Dr. Southey Ihnen zeigen, worum es sich handelt, damit Sie mit Ihrer Arbeit Vertraut werden.« Der Wissenschaftler führte sie zum Arbeitstisch, auf dem der würfelförmige Kasten stand. Andrew sah, daß er an der Oberseite offen war. Bob Hogarth blickte neugierig in den Kasten. »Was ist das?« »Das werden Sie gleich selbst herausfinden.« Southey trat zu einem neben dem Tisch stehenden Terrarium und nahm eine weiße Maus heraus, die er in den metallenen Kasten setzte. Nachdem er eine Glasplatte draufgelegt hatte, ging er zur Wand und legte einen Schalter um. Neben dem Kasten befand sich ein kleines Schaltpult, dessen Zweck Andrew nur erahnen konnte. Wurden damit Vorgänge gesteuert, die mit dem Kasten in Zusammenhang standen? Er hatte richtig vermutet. Der Wissenschaftler kam nämlich wieder an den Tisch und sagte: »Achten Sie jetzt bitte auf die Maus!« Dann drückte er einige Knöpfe. Die Transformatoren begannen stärker zu brummen. Noch war dem Tier nichts anzumerken. Verstört rannte es hin und her, manchmal verharrte es auch regungslos. Doch dann geschah es. Immer schneller begann die Maus zu 22 �
rennen. Bald war sie nur noch verschwommen zu sehen. »Das gibt es doch nicht!« ächzte Bob Hogarth. »Was hat das zu bedeuten?« »Wir benötigen ein tragbares Gerät dieser Art«, erklärte Dr. Southey, »doch leider habe ich noch keine Möglichkeit gefunden, seine Größe und sein Gewicht zu reduzieren, ohne die Leistung zu beeinträchtigen. Ich benötige Kondensatoren und Transistoren einer ganz bestimmten Art, weiß sie jedoch leider nicht zu bekommen.« Während mehrerer Sekunden war die Maus gar nicht zu sehen gewesen. Jetzt tauchte sie wieder auf, sie blieb in einer Ecke des Kastens bewegungslos liegen, »Was ist mit ihr?« fragte Andrew Bradley verwirrt. »Sie ist erstickt«, antwortete Southey. »Erstickt?« Bob Hogarth lachte überlegen. »Wie kann sie denn in diesem großen Kasten innerhalb so kurzer Zeit ersticken?« »In dem Kasten sind mittlerweile bereits einige Stunden vergangen«, behauptete der Wissenschaftler. »Sie sind ja verrückt!« stieß Andrew hervor. »Mit meiner Erfindung kann ich innerhalb eines bestimmten Feldes die Zeit bis auf das Millionenfache beschleunigen. Sehen Sie selbst!« Southey drehte an einem Knopf des kleinen Schaltpults. Mit der Maus ging eine Veränderung vor. Ihr Fell wurde grau und unansehnlich, die Maus sank sichtlich in sich zusammen. Sie vermoderte. Andrew wandte sich angewidert ab. Er begann zu ahnen, was alles mit dieser Erfindung angestellt werden konnte. Er wagte nicht, an die Konsequenzen zu denken. Er wußte nur, daß er so schnell wie möglich die Polizei benachrichtigen mußte, wenn er Unheil abwenden wollte. Doch er konnte das Labor nicht verlassen. Noch immer hielt 23 �
Dr. Southey die Pistole in der rechten Hand. Er mußte versuchen, ihn abzulenken. Die Tür des Labors war offen geblieben. Eine Sekunde würde ihm genügen, um das Labor zu verlassen. Dann würde er die Tür hinter sich zuwerfen, die Treppe hinaufhasten und… Ja, so mußte er vorgehen, es blieb ihm keine andere Wahl. Aber wie konnte er Southey ablenken? Natürlich mit etwas, was in diesem Haus gang und gebe war: mit einer Gespenstererscheinung. Zumindest würde er so tun, als sähe er eine. Dr. Southey hob die Glasplatte von dem Metallkasten, was mit einer Hand nur mühsam geschehen konnte. Deshalb nahm er die rechte Hand zu Hilfe und… »Da!« brüllte Andrew Bradley wie in höchster Not und deutete auf die der Tür gegenüberliegenden Wand. Peter Southey wirbelte herum. Andrew rannte um sein Leben. Er hatte die Tür bereits erreicht, als er Southey rufen hörte: »Halt, oder ich schieße!« Doch Andrew wollte nicht aufgeben, jetzt nicht mehr. Er warf die Tür hinter sich zu und rannte weiter. Als der erste Schuß krachte, lief er bereits durch die Vorhalle. Er öffnete die schwere eichene Außentür und stürmte hinaus. * Lord Bourne hielt den Wissenschaftler am Arm fest. »Lassen Sie ihn laufen, Doktor!« »Aber er kann uns verraten, Sir Arthur«, wandte Southey ein. »Sollte der junge Mann es tatsächlich fertig bringen, die Polizei zu überzeugen – was ich allerdings nicht glauben kann, denn für einen nüchternen Menschen wird die Schilderung des in diesem 24 �
Hause Geschehenen zu phantastisch klingen –, so werden wir schon genügend Möglichkeiten finden, ein Polizeiaufgebot unschädlich zu machen.« Seufzend ließ Peter Southey die Pistole sinken. Bob Hogarth war wütend. Durch seine Flucht hatte Andrew ihn in eine unangenehme Situation gebracht. Unter Umständen würden Dr. Southey und Lord Bourne ihn für die Folgen verantwortlich machen. Er mußte versuchen, sich abzusichern. »Ich glaube, ich kann Ihnen helfen«, sagte er. »Sie haben Schwierigkeiten, mit einem solchen Gerät« er deutete auf den metallenen Kasten »eine Person auszurüsten, so daß für diese ebenfalls die Zeit schneller vergeht.« »Woher wissen Sie das?« fragte der Wissenschaftler erstaunt. »Ich denke nach«, antwortete Bob überlegen lächelnd. * Um Bob machte Andrew sich keine Sorgen. Sein Cousin hatte bisher noch immer einen Kopf aus der Schlinge ziehen können. Es hatte aufgehört zu regnen, und der Himmel war kaum noch bewölkt. Zwar war Neumond, doch das Sternenlicht genügte, um Andrew seine Umgebung deutlich erkennen zu lassen. Die ersten zweihundert Meter war er gelaufen, doch er war diese Anstrengung nicht gewohnt, sein Zwerchfell schmerzte ihn, weshalb er zur noch langsam gehen konnte. Wenn er gelaufen wäre, hätte er es sicher übersehen, einige Meter neben dem Straßenrand lag ein weißes Bündel. Andrew blieb stehen. Er überlegte, ob sich vielleicht nur um einen Trick hängte, mit dem man ihn aufhalten wollte, doch dann verwarf er diesen Gedanken. Seinen Gegnern standen gewiß andere Mittel zur Verfügung. Er trat also auf das Bündel zu, beugte sich vorsichtig nieder. Es war ein Mensch, genauer: eine junge, hübsche Frau mit langem blon25 �
dem Haar, das sah Andrew trotz der Dunkelheit sofort. Sie war mit einem Pyjama bekleidet, und darüber trug sie nur einen dünnen Morgenmantel, der völlig durchnäßt an dem Körper klebte. »Ist sie tot?« murmelte Andrew erschrocken. Nein, sie war nicht tot, merkte der junge Mann mit Erleichterung, all er sich über sie beugte. Sie öffnete die Augen und starrte ihn verwirrt an. »Hatten Sie einen Unfall, Miss?« fragte Andrew. Die hat einen Schock, überlegte Andrew. Wie kann ich ihr helfen? Wer ist diese Frau, wie kommt sie hierher? Er zuckte zusammen, als er an seine Erlebnisse in Bourne Castle dachte. Wurde er verfolgt? Er sprang auf, doch es war nicht hell genug, um weit zu sehen. Jedenfalls kann ich nicht weiterlaufen und die Frau hier liegenlassen, dachte Andrew und bückte sich wieder. Er erinnerte sich des Gesprächs, das Dr. Southey mit Lord Bourne geführt hatte: »Miss Douglas hat unbemerkt das Haus verlassen… Miss Douglas ist offenbar so, erschrocken, daß sie in voller Panik davongelaufen ist.« Wie nun, wenn die vor ihm liegende Frau Miss Douglas war? »Miss Douglas«, sagte er leise. Die Frau schrak zusammen. »Ja?« hauchte sie. Ich bin auf dem richtigen Weg. Bei diesem Gedanken konnte Andrew einen gewissen Triumph nicht unterdrücken. »Miss Douglas, hören Sie mich? Ich will Ihnen helfen.« »Es war entsetzlich«, murmelte sie. »Wir müssen sofort zur Polizei«, sagte er, während er ihr aufhalf. »Zur Polizei?« fragte sie, ihn verwundert anblickend. »Warum?« 26 �
Er seufzte schwer, doch es blieb ihm keine andere Wahl, als ihr mit wenigen Worten seine Erlebnisse zu berichten. »Das glaube ich Ihnen nicht«, rief sie überzeugt, als er geendet hatte. »Dr. Southey ist kein Verbrecher.« »Das habe ich auch gar nicht behauptet«, versuchte Andrew zu vermitteln, weil er einsah, daß er die Frau nicht so leicht überzeugen konnte. »Er hat eine Erfindung – vielleicht auch mehrere – gemacht und will sie möglichst nutzbringend verwenden. Aber daß er mit Lord Bourne in Verbindung steht, sollte Ihnen zu denken geben. Lord Bourne ist bekanntlich kein Ehrenmann.« Sie ging nicht darauf ein, statt dessen fragte sie: � »Wer sind Sie überhaupt?« � Er nannte seinen Namen und fügte hinzu: � »Ich bin in der Firma meines Cousins beschäftigt – als ganz � gewöhnlicher Hilfsarbeiter.« Sie musterte ihn überlegen. »So sehen Sie auch aus!« * Lieutenant Vincent Leigh, der diensthabende Offizier der Polizeiwache Coleridge, war ein noch junger Mann mit athletischen Körperformen. Es war schon nach Mitternacht, als er aus seiner Routinearbeit geschreckt wurde. Sergeant Ben Corner, ein leicht rundlicher, schon stark angegrauter Mann, meldete seinem Vorgesetzten einen jungen Mann und ein junges Mädchen. Dabei grinste der Sergeant über sein ganzes Gesicht, so daß Leigh sich genötigt sah zu fragen: »Was gibt es denn zu grinsen, Sergeant?« »Schlecht zu erklären, Sir, müssen Sie selbst sehen, Sir«, läutete die Antwort. Und dann mußte auch Lieutenant Leigh grinsen. Herein traten 27 �
ein junger Mann mit zerknitterten Hosen und schmutzigem Oberhemd und ein junges blondes Mädchen, das mit der Jacke des Mannes bekleidet war. Darunter trug das Mädchen einen völlig verschmutzten Morgenmantel und einen Pyjama. Die Pantoffeln waren braun von Lehm. Leigh riß sich zusammen, sein Grinsen verlor sich. »Ein freundlicher Autofahrer hat uns mitgenommen«, murmelte der junge Mann. »Hatten Sie einen Unfall?« fragte Leigh. Der junge Mann schüttelte den Kopf und begann mit seinem Bericht. Der Lieutenant hörte zunächst ruhig zu, doch je mehr er vernahm, um so stärker wuchs in ihm die Überzeugung, einen Verrückten vor sich zu haben. * »Wenn ich mich nicht irre, hat mein Großhändler die benötigten Teile auf Lager«, sagte Bob Hogarth. »Man könnte ihm einen Besuch abstatten.« Southey starrte sein Gegenüber an wie ein Wunder. »Sie scheinen noch mehr Interesse an der Erfindung zu haben als Lord Bourne und ich zusammen. Man könnte direkt Angst vor Ihnen bekommen.« Bob lächelte selbstbewusst. »Ich versuche nur, das Beste aus meiner Situation zu machen.« Natürlich sagte er nicht, was er hierunter verstand. Dr. Southey war ein Genie, doch waren seine Kenntnisse mehr theoretischer Natur, während er Bob Hogarth im Praktischen besser bewandert und auch ein Experte der Improvisation war. Gemeinsam würden sie versuchen, den Zeitbeschleuniger auf die Größe eines Tornisters zu reduzieren. Hatte das Gerät dann seine Bewährungsprobe bestanden, wollte Bob handeln. Mit ein wenig 28 �
Glück würde er Southey und Lord Bourne ausschalten können, und dann gehörte die Erfindung ihm. Doch noch war es nicht soweit. Die beiden Männer hatten sich bislang geweigert, ihn über die »neue Welt« aufzuklären, von der sie manchmal flüsternd sprachen. Handelte es sich dabei um eine weitere Erfindung? Bob hoffte, es herauszufinden. »Ich möchte Ihnen den Vorschlag machen«, sagte Lord Bourne, »so schnell wie möglich den betreffenden Großhandel aufzusuchen und die benötigten Teile zu beschaffen, wobei ich allerdings darauf dringen muß, daß keine illegalen Mittel angewendet werden, denn ich möchte zumindest vorerst Konflikte vermeiden. Doktor, Sie werden Hogarth begleiten, während ich mich hier aufhalten werde, um eventuell auftauchende Polizei abwimmeln zu können.« »Sollte Ihnen das nicht gelingen, so wissen Sie ja…«, deutete Dr. Southey an. »Durch die eine Tür herein und durch die andere hinaus, und die Polizisten bleiben in der Kabine. Berühren Sie aber auf keinen Fall die Schalter!« * »Also noch einmal!« Lieutenant Vincent Leigh gähnte herzhaft. »Mr. Bradley, Sie behaupten, Lord Bourne plane mit Hilfe einer Erfindung eines gewissen Dr. Southey eine krumme Sache. Sie erzählen von Gespenstererscheinungen und sind der Meinung, auch Ihr Cousin, Ihr Arbeitgeber, habe sich in diese Geschichte hineinziehen lassen. Sie, Miss Douglas, Gesellschafterin von Mrs. Southey, geben an, die Erscheinung ihrer Chefin gesehen zu haben und deshalb erschrocken weggelaufen zu sein. Sie behaupten, Dr. Southey habe Ihnen gegenüber seine Frau als krank ausgegeben und Ihnen verboten, nach ihr zu sehen. Miss Douglas, hatten Sie selbst zu irgendeiner Zeit einen Verdacht 29 �
gegen Dr. Southey?« »Nein, nie«, antwortete Eileen Douglas fröstelnd. In der Wache war nicht geheizt, und ihr Pyjama war noch immer nass. »Dr. Southey hat sich mir gegenüber immer korrekt benommen. Deshalb wurde ich auch nicht mißtrauisch, als er mir verbot, meine Chefin aufzusuchen. Ich kann auch jetzt noch nicht das von ihm glauben, was Mr. Bradley behauptet.« Der Lieutenant seufzte. »Reichlich phantastisch, die ganze Geschichte. Aber ich will mir nichts nachsagen lassen. Sergeant!« »Sir?« Ben Corner stand stramm, aber so lässig, daß Andrew Bradley sofort betriff, weshalb er in seinem Alter noch immer Sergeant war. Er schien nicht viel von Respekt gegenüber Vorgesetzten zu halten. Lieutenant Leigh reagierte nicht auf das benehmen seines Untergebenen. »Sergeant Corner«, sagte er, »schicken sie zwei Männer nach Bourne Castle! Informieren Sie sie über alles, was Sie hier gehört haben! Sie sollen sich ein wenig umsehen.« »Und wenn Sie nicht eingelassen werden, Sir?« fragte Corner. »Dann sollen sie mit einem Hausdurchsuchungsbefehl drohen, und wenn auch das nichts nutzt, sollen sie zurückkommen. Klar?« »Klar, Sir. Wird sofort erledigt, Sir.« Sergeant Corner schlug die Hacken zusammen, machte dabei allerdings eine eher klägliche Figur, und verließ den Raum. Vincent Leigh entging nicht das Grinsen Andrew Bradleys. Doch als er ihn darauf ansprach, sagte Andrew nur: »Ich wußte gar nicht, daß unsere Polizei so viel preußischen Geist ihr eigen nennen kann.« Der Lieutenant geriet durch diese Antwort etwas aus dem Konzept. Er hatte dem jungen Mann gar nicht angesehen, daß er 30 �
über ironischen Humor verfügte. Er wechselte das Thema. »Miss Douglas, ich glaube, es wird höchste Zeit, daß Sie Ihre Kleidung wechseln. Ich werde mich sofort darum kümmern.« * Etwa eine Viertelstunde später hielt ein Streifenwagen vor Bourne Castle. Sergeant Bill Rivers, ein breitgebauter, bullig wirkender Mann mit blondem Haar und der fast dürre Konstabler George Denver verließen den Wagen und begaben sich zum Eingang des Landhauses. Bill Rivers leuchtete mit seiner Lampe über den Parkplatz. In einer Ecke stand ein schwerer Rolls Royce. »Das ist Lord Bournes Wagen«, sagte Konstabler Denver. »Ich vermisse aber den Mercedes Bob Hogarths«, erwiderte Rivers. »Vielleicht ist diesem Hogarth ebenfalls die Flucht gelungen«, vermutete der Konstabler. Der Sergeant drückte auf den Klingelknopf. Bald waren feste Schritte zu hören. »Wer ist draußen?« fragte eine dumpfe Stimme hinter der schweren eichenen Tür. »Polizei«, antwortete Rivers. »Wir möchten Ihnen gern einige Fragen stellen, Sir Arthur.« Er hatte nämlich die Stimme Lord Bournes erkannt. Die Tür wurde geöffnet, und Lord Bourne ließ die beiden Polizisten in die nur spärlich erhellte Vorhalle treten. Rivers und Denver stellten sich vor, worauf Lord Bourne die Tür schloß und sagte: »Gentlemen, offen gestanden bin ich etwas befremdet über Ihren Besuch, den ich nicht erwartet habe, denn ich bin noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten.« Nein, Sie haben es immer verstanden, sich vorbeizumogeln, 31 �
dachte Sergeant Rivers grimmig. Laut sagte er: »Wir sind in erster Linie nicht Ihretwegen gekommen, sondern wegen Dr. Southey.« Lord Bourne hob bedauernd die Brauen und erklärte, Dr. Southey sei zur Zeit unterwegs. Als der Sergeant fragte, ob sie sich etwas umsehen könnten, verlangte Lord Bourne den Hausdurchsuchungsbefehl zu sehen. Aha, dachte der Sergeant, also doch! Er sagte: »Wenn Sie darauf bestehen, Sir Arthur, können wir ihn innerhalb dreißig Minuten besorgen. Dann haben wir auch die Möglichkeit, alles im Haus auf den Kopf zu stellen, während wir uns jetzt nur etwas umsehen möchten. Konstabler Denver, benachrichtigen Sie unsere Dienststelle!« »Halt, warten Sie!« rief Lord Bourne beschwörend. »Ich habe nichts zu verbergen. Was möchten Sie sehen?« »Wir wollen mit dem Keller beginnen.« Lord Bourne beherrschte sich meisterhaft. Nur seine Augenlider zuckten etwas, als er den Wunsch des Sergeanten vernahm. Lord Bourne ging voraus, und die beiden Polizisten folgten ihm. Es war alles so, wie Andrew Bradley angegeben hatte. Als sie endlich unten standen, trat Lord Bourne auf die Holztür zu. »Nein, daran besteht kein Interesse«, wehrte Sergeant Rivers ab. »Wir interessieren uns mehr für die Metalltür.« »Die Metalltür ist leider abgeschlossen«, bemerkte Lord Bourne. »Dann schließen Sie bitte auf!« Sergeant Rivers lächelte freundlich. Dann wechselte er einen Blick mit Denver und stellte fest, daß dieser der gleichen Meinung war wie er: Lord Bourne hatte mehr zu verbergen, als er glauben machen wollte. Lord Bourne nahm seufzend einen Schlüssel aus der Innentasche seiner Jacke und öffnete die Tür. »Bitte, nach Ihnen!« 32 �
»Nein danke.« Rivers winkte lachend ab. »Bitte nach Ihnen!« Sie passierten den Tunnel und eine weitere Metalltür. Dann betraten sie das Labor. Rivers nickte anerkennend. Er verstand einiges von Technik und Physik, wenn auch nicht genug, um sich in diesem Wirrwarr von Transformatoren, Spulen, Elektromagneten und für ihn undefinierbaren Geräten zurechtzufinden. Er ahnte, daß alles viel Geld gekostet hatte, und daß man einiges er wußte allerdings nicht, was damit anfangen konnte. »Mr. Bradley sagte uns, Dr. Southey habe ein Gerät entwickelt, mit dem er die Zeit beschleunigen könne. Wir möchten gern Näheres erfahren.« »Leider muß ich Ihnen mitteilen, daß ich von der Materie nur wenig verstehe«, erwiderte Lord Bourne, »so daß ich Ihnen leider keine Auskunft geben kann, was ich sehr bedaure. Wenn Sie jedoch Unterlagen sichten wollen, so darf ich Sie zur Kabine dort…«, er deutete auf eine Kabine in der Mitte des Labors, die auf allen Seiten von dicken Drähten umgeben etwa doppelt so breit wie ein Telefonhäuschen war, »… bitten, wo die Unterlagen aufbewahrt werden.« Der Sergeant stutzte, der plötzliche Eifer Lord Bournes machte ihn mißtrauisch. Er mußte achtgeben, wenn sie nicht in eine Falle laufen wollten. Als Lord Bourne ihnen wieder den Vortritt lassen wollte, wedelte er nur mit der Hand. Sie betraten die Kabine, die innen völlig leer war. Nicht mal eine Lampe war vorhanden. Das wenige Licht, das durch die Türöffnung hereindrang, genügte gerade, um die kahlen, glatten Metallwände erkennen zu lassen. »Wo sind denn nun die Unterlagen?« wollte Bill Rivers wissen. »Dort.« Lord Bourne deutete auf die der Tür gegenüberliegende Wand. Er trat darauf zu. 33 �
Plötzlich öffnete sich in der Wand eine Tür. Lord Bourne sprang aus der Kabine. »Halt!« schrie Sergeant Rivers, aber da wurde die Tür auch schon zugeschlagen. »Verdammt!« Rivers wirbelte herum. Er lief zur Tür, durch die sie die Kabine betreten hatten… Rums! fiel auch diese Tür zu. Es wurde dunkel in der Kabine. »Wir sitzen in der Falle!« seufzte Konstabler Denver. * Lord Bourne lehnte sich aufatmend gegen das neben der Kabine stehende Schaltpult. Es war also gelungen, die Polizisten waren vorerst außer Gefecht. Die Luft in der Kabine würde genügen, bis Dr. Southey und Bob Hogarth aus Wymouth zurückkamen. Dann konnte man weitersehen. Lord Bourne schrak zusammen, als die Transformatoren zu brummen begannen. Die beiden Zusatzgeneratoren im Raum nebenan heulten. Er trat einige Schritte zur Seite. Und da sah er, was er angerichtet hatte. Als er sich gegen das Pult gelehnt hatte, war irgendein Schalter bewegt worden. Das bedeutete, daß die die Kabine umgebenden Spulen und Drähte Energie bekamen. Lord Bourne wurde nervös, als er das Pult betrachtete. Die Schalter befanden sich in den unterschiedlichsten Stellungen. Er kannte sich nicht aus, wußte nicht, welchen Schalter er bewegt hatte. Als er daran dachte, was sich in der Kabine jetzt abspielte, fühlte er Panik. Man würde ihn wegen Mordes verurteilen, dabei handelte es sich doch nur um einen bedauerlichen Unfall, um menschliches Versagen. Lord Arthur Bourne verließ das Labor.
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Erst nach einer Weile hatten sich Sergeant Rivers und Konstabler Denver soweit beruhigt, daß sie wieder klar denken konnten. War es möglich, die Kabine mit eigener Kraft zu verlassen? Auf der einen Seite gab es ein kleines Bullauge, durch das die beiden Männer einen Teil des Labors sehen konnten. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf das dem Bullauge gegenüberstehende Schaltpult und auf Lord Bourne, der sich an das Pult lehnte. Aber was war das? Sergeant Rivers spürte ein seltsames Kribbeln in seinem Körper, und einen Blick auf George Denver zeigte ihm, daß es diesem ebenso erging. Die Kabine begann kaum merklich zu vibrieren. Wenig später waren diese merkwürdigen Erscheinungen vorbei. Dafür aber geschah etwas, was Konstabler Denver ein Kichern entlockte, den Sergeant jedoch entsetzte. Lord Bourne hatte sich vom Pult gelöst und ging zur Seite. Aber seine Bewegungen waren unnatürlich langsam und wurden immer langsamer. »Das ist ein Phänomen«, sagte der Konstabler kichernd. »Lord Bourne steht auf einem Bein, völlig aus dem Gleichgewicht, und er fällt trotzdem nicht um. Und wie langsam er sich bewegt. Das ist wirklich komisch. Er wird immer langsamer. Ich glaube, noch ein paar Minuten, und er bewegt sich überhaupt nicht mehr. Ich möchte bloß wissen, warum Lord Bourne die Zeit außerhalb unserer Kabine verlangsamt hat.« »Sie müssen das relativ betrachten, Konstabler«, sagte der Sergeant, dem es nicht leicht fiel, sich zu beherrschen. »Relativ, sagen Sie?« Denver riß erschrocken die Augen auf. »Wollen Sie damit sagen, die Zeit in unserer Kabine hätte sich beschleunigt?« 35 �
»Genau das.« Der Sergeant ballte die Hände zu Fäuste. »Ich könnte mich ohrfeigen, daß ich in diese Falle gestolpert bin. Zunächst hatte ich geglaubt, es handele sich bei dieser Kabine um einen Faradayschen Käfig. Ich hätte wegen der Spulen doch mißtrauisch werden müssen. Aber ich war der Meinung, es handele sich um eine verbesserte Konstruktion.« »Es wird uns schon etwas einfallen«, murmelte Konstabler Denver. Bill Rivers deutete durch das Bullauge. Lord Bourne schien endgültig erstarrt zu sein, eine Bewegung war ihm nicht mehr anzumerken. »Die Türen können wir nicht aufbrechen, die sind aus massivem Stahl. Es gibt für uns nur einen Angriffspunkt: das Bullauge. Wenn wir es durchdringen können, haben wir erst mal Luft. Gehen Sie ganz in die Ecke, Konstabler! Am besten wird es sein, wenn Sie sich auf den Boden legen.« George Denver kam der Aufforderung nach. Rivers zog seine Pistole, trat etwas zur Seite und zielte auf das Bullauge. Der Schuß krachte, und fast gleichzeitig pfiff ein Querschläger durch die Kabine. Er prallte mehrmals an den Wänden ab und blieb dann auf dem Boden liegen. Rivers nahm ihn fluchend auf und betrachtete ihn. Das Geschoß war völlig deformiert. »Panzerglas«, stellte der Konstabler fest, der unterdessen aufgestanden war und das Bullauge überprüft hatte. »Es ist kaum ein Kratzer zu sehen.« »Wissen Sie, was das bedeutet?« fragte Bill Rivers, indem er enttäuscht zu Boden blickte. »Ja, Sir.« Der Konstabler schluckte schwer. »Das Ende.« *
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Als die Drähte und Spulen zu heiß wurden, brannte eine Sicherung durch. Das Aggregat schaltete sich daraufhin selbsttätig ab. Die produzierte Energie wurde nicht mehr benötigt. Erst als sie eine bestimmte Kapazität überschritten hatte, floss sie ab in die »neue Welt«. * War es ein Traum? Inmitten eines undefinierbaren Dunkels schwebte eine seltsame Gestalt. Langsam näherte sie sich. Unantastbare Autorität schien von ihr auszugehen, aber auch absolute Gefühllosigkeit. Diese Gestalt, dieses fremde Wesen, kannte keine menschlichen Regungen. Doch: sie empfand Neugierde, und sie hatte Schmerzen. Die Gestalt drohte. Als Anne Southey wieder das Bewußtsein erlangte, fühlte sie sofort, daß sich etwas verändert hatte. Sie öffnete die Augen. Und da sah sie es. Es war ganz in ihrer Nähe. Aus dem Boden stieg etwas auf. Es sah aus wie das Wasser eines Springbrunnens, schien jedoch viel zäher zu sein. An den Rändern floss es wieder herab und glitt über den Boden. Der Boden veränderte sich. Er nahm eine Färbung an, zunächst gelb, dann braun, fast schwarz. Immer weiter dehnte sich dieses unheimliche Geschehen aus. Anne Southey wollte aufspringen und fortlaufen, doch es war bereits zu spät. Die Verwandlung hatte die Stelle erreicht, auf der sie saß. Sie atmete auf, als sie feststellte, daß sie sich umsonst geängstigt hatte. Sie wurde lediglich sanft emporgehoben und wie auf kleinen Wellen davongetragen. In einiger Entfernung folgten die Pakete und Wasserbehälter, sie brauchte also nichts zu befürch37 �
ten. Irgendwann hielt die Bewegung inne. Anne Southey erhob sich und sah sich um. Ihre Welt hatte sich verändert. Zwar schien sie noch immer unendlich zu sein, aber der durchsichtige, harte Boden hatte sich in dunkle Humuserde verwandelt. Über ihr hatte sich ein Firmament gebildet. Es entstanden Wolken und eine Sonne. Anne Southey verstand nicht, was das alles bedeuten sollte. Hatte Peter diese Welt gebaut? Nein, das war nicht möglich, auch mit der besten Erfindung konnte man so etwas nicht bewerkstelligen. Also irgend etwas anderes. Sie dachte nicht länger darüber nach. Aus dem Nichts entstanden Wiesen, Bäume und Sträucher. Und dann war auch Vogelgezwitscher zu hören. »Das ist ja das reinste Paradies«, murmelte die Frau. Doch es war kein Paradies, das sollte sie nur zu bald feststellen. Zwischen dem entstandenen Gestrüpp lugte etwas hervor, sie bemerkte es sofort. Ein Tier? Oder vielleicht sogar ein Mensch? Es war ein kleines Tier, aber eins, wie Anne Southey es nie zuvor gesehen hatte. Ein Fabelwesen kroch langsam auf sie zu. Immer wieder schnappte sein breites Maul in die Luft. Die kleinen schwarzen Augen blitzten tückisch. Das Tier war nur noch wenige Meter von Anne Southey entfernt. Die Frau konnte deutlich den Schuppenpanzer sehen. Ein langer, kräftiger Schwanz peitschte durch die Luft. Wo er hintraf, wurden Gras und Teile des Gestrüpps hinweggefegt. Anne Southey zuckte zusammen, als ihr bewußt wurde, daß dieses merkwürdige Wesen es auf sie abgesehen hatte. Ich muß weg! dachte sie. Sie lief zu der Stelle, wo die Lebensmittel lagerten, doch kaum 38 �
hatte sie eines der Pakete und einen Wasserkanister aufgenommen, als von allen Seiten Tiere auf sie zusprangen. Eines sah aus wie das andere, alle waren gleichgroß. Die Tiere schnappten nach ihr. Sie konnte die kleinen spitzen Zähne blinken sehen. »Nein!« schrie sie voller Panik. »Nein!« Sie wollte weglaufen, doch nirgends gab es ein Durchkommen. Überall hockten oder schlichen die scheußlichen Tiere. Einige kamen ganz dicht heran. Sie schnappten nach ihren Beinen und… Wie auf einen Befehl ließen sie plötzlich von ihr ab. Sie verschwanden im Gestrüpp, aus dem sie gekommen waren. Anne Southey sank weinend zu Boden. Sie wußte, noch einmal würde sie das nicht ertragen. Außerdem: wer sagte denn, daß die nächste Begegnung mit den Tieren ebenso harmlos verlief? »Ich brauche Hilfe«, seufzte sie, »ich brauche endlich Hilfe!« * Andrew Bradley war enttäuscht. Zunächst hatte er geglaubt, endlich die Richtige gefunden zu haben, aber als sie sich dann auf der Polizeiwache hatten genauer sehen können, war ihm nicht entgangen, wie Eileen den Blick enttäuscht von ihm abgewendet hatte. Er sah eben nicht gut aus, das war seine Misere. Bestimmt würde Eileen auf Bob fliegen, sobald sie ihn sah. Sollte sie. Eines Tages würde sie merken, daß sie einen Fehler gemacht hatte. Lieutenant Leigh hatte sie persönlich in ein nahe gelegenes Hotel gebracht und ihnen zwei Zimmer zugewiesen. Die Bitte Andrews, wenigstens einen Polizisten als Wache im Gang zu postieren, war allerdings abgeschlagen worden, und Eileen hatte sich sogar verächtlich umgedreht. Dabei ging es Andrew gar nicht in erster Linie um sich, sondern um Eileen. Er befürchtete, 39 �
daß Dr. Southey alles daransetzen würde, sie zum Schweigen zu bringen – und natürlich auch ihn selbst. Trotz seiner Erlebnisse schlief Andrew Bradley schon bald ein. Er träumte von Ungeheuern und Gespenstern, die Eileen und ihm nachstellten. Gerade hatte eines der Ungeheuer Eileen gepackt. Das Mädchen schrie gellend auf. Andrew fuhr erschrocken hoch. Dieser Schrei… War es wirklich ein Traum gewesen? Nein, es war kein Traum, denn wieder hörte er Eileen schreien. Andrew sprang aus dem Bett, rannte zur Tür, lief auf den Gang und blieb dann vor Eileens Tür stehen. »Eileen«, rief er, »was ist geschehen? Kann ich Ihnen helfen?« Er hatte kaum gesprochen, als die Tür geöffnet wurde. Eileen stand im Eingang und starrte ihn verstört an. »Sie war hier«, murmelte sie tonlos. »Wer war hier?« fragte Andrew besorgt. »Mrs. Southey ihre Erscheinung. Sie stand riesengroß im Zimmer.« »Sie haben geträumt«, versuchte er das Mädchen zu beruhigen. »Nein, ich habe nicht geträumt«, entgegnete Eileen, diesmal mit fester Stimme. »Sie erschien vor meinem Bett, und nach ihrem Gesicht zu urteilen, braucht sie dringend Hilfe.« Andrew versuchte zu lächeln. »Verstehen Sie nun, weshalb ich einen Polizisten verlangt habe?« Doch Eileen winkte verächtlich ab. »Sie immer mit Ihrer Polizei. Die hätte mir auch nicht helfen können. Gute Nacht!« Sie warf die Tür zu und legte sich ins Bett. Andrew tat ihr leid. Sein, Äußeres war nicht dazu angetan, Interesse bei den Frauen zu wecken. Sicherlich war er ein guter Junge, doch Eileen vermißte bei ihm jeden Ehrgeiz, schließlich war er Hilfsarbeiter. 40 �
Bob Hogarth war bestimmt ein anderer Kerl. Andrew hatte ihr von ihm erzählt, und er hatte kein gutes Haar an ihm gelassen. Eileen war überzeugt, daß er nur aus Neid seinen Cousin in diesem schlechten Licht geschildert hatte. Vielleicht lernte sie ihn kennen, dann konnte sie sich eine eigene Meinung bilden. Später wußte sie nicht mehr zu sagen, wann sie eingeschlafen war. Irgendwann wachte sie durch etwas auf, das sie nicht zu definieren vermochte. Sie öffnete die Augen. Vor ihrem Bett schwebte eine große weiße Gestalt. Eileen gelang es, sich zu beherrschen, sie wollte nicht wieder schreien. Bislang hatte die Erscheinung ihr nichts getan, vielleicht blieb es so. Ja, es war Mrs. Southey. Sie flehte wieder um Hilfe. Doch es war eine Veränderung mit ihr vorgegangen. Nie zuvor hatte die Gestalt eine größere Angst ausgestrahlt, die Augen blickten fast irre. Eileen konnte es nicht mehr länger ertragen, Sie wußte, daß sie etwas tun mußte, wenn sie endlich Ruhe haben wollte. Sie mußte nach Bourne Castle zurückkehren! * Andrew Bradley war zu aufgeregt und auch zu enttäuscht, um wieder einschlafen zu können. Bald war es ihm, als hörte er nebenan ein Geräusch. Da, noch einmal! Ja, es gab keinen Zweifel, Eileen war aufgestanden. Die Tür des Nachbarzimmers wurde geöffnet, und dann hörte er Schritte. Wollte Eileen das Hotel verlassen? Andrew sprang aus dem Bett und rannte zur Tür. Da erst wurde ihm bewußt, daß er nur mit der Unterhose bekleidet war. 41 �
»Verdammt«, knurrte er, »bis ich fertig bin, ist Eileen auf und davon.« Aber er wußte – zumindest glaubte er zu wissen –, daß Eileen nach Bourne Castle unterwegs war. Er würde ihr folgen. * Sie waren schon fast am Ziel, als Eileen Douglas daran dachte, daß sie kein Geld dabei hatte. »Na, ich habe wohl andere Sorgen«, murmelte sie. »Halten Sie bitte an«, sagte Eileen wenig später zum Taxifahrer. Sie waren noch etwa zweihundert Meter von Bourne Castle entfernt. Eileen wollte das Haus heimlich betreten, denn falls Andrew nicht gelogen hatte, mußte sie vorsichtig sein. Als der Fahrer ihr den Preis nannte, mußte sie ihn vertrösten. »Ich habe meinen Geldbeutel in meinem Zimmer«, sagte sie zu dem verblüfften Mann. »Ich bin gleich wieder hier.« Sie stieg aus und lief dem Eingang von Bourne Castle entgegen. Erst unterwegs dämmerte ihr, daß sie keinen Schlüssel hatte. Sollte sie einfach klingeln? Sie mußte ihren Rock festhalten, der andernfalls sofort gerutscht wäre. Doch sie war froh, daß man ihr diese Kleidung zur Verfügung gestellt hatte, denn sonst hätte sie nicht hierher fahren können. Als sie näher kam, sah sie auf dem Parkplatz einen schweren Rolls Royce, den sie sofort erkannte. Also ist dieser zwielichtige Lord Bourne tatsächlich hier, überlegte sie. Andrew hat nicht gelogen. Wenn Sir Arthur wirklich der Auftraggeber Dr. Southeys ist, so habe ich mich in meinem Brötchengeber gründlich getäuscht. Dann sah sie auch einen Bereitschaftswagen. »Oh, Polizei ist da«, seufzte sie erleichtert. »Aber wer weiß, 42 �
was inzwischen geschehen ist. Sie vermißte Bob Hogarths Mercedes, von dem Andrew ihr erzählt hatte. Ist Mr. Hogarth ebenfalls die Flucht gelungen? fragte sie sich. Sie hütete sich, auch nur in die Nähe des Haupteingangs zu kommen. Vielleicht beobachtete man die Umgebung, dann war sie verloren natürlich immer vorausgesetzt, Andrew hatte nicht phantasiert. Wenig später konnte sie feststellen, daß ein Fenster des Salons weit offen stand. Wahrscheinlich hatte Dr. Southey es zu schließen vergessen. Eileen turnte empor, schwang sich über die Brüstung und stand dann im Salon. Sie beabsichtigte, zuerst nach oben zu gehen und sich umzuziehen, doch als sie den Salon verließ, sah sie die Kellertür offen stehen und das Treppenlicht eingeschaltet. Neugierig trat Eileen näher. Sie überlegte, ob sie nach unten gehen und nachsehen sollte. Zwar hatte Dr. Southey sie immer wieder davor gewarnt, sein Labor zu betreten wegen der starken elektromagnetischen Strahlung, wie er behauptete –, aber gerade das Verbotene reizt besonders, und deshalb zögerte Eileen nicht länger. Vorsichtig schlich sie die Stufen hinab. Als sie unten war, konnte sie eine Metalltür offen stehen sehen. Sie passierte einen kurzen Tunnel, der hinter einer weiteren Metalltür in einen größeren Raum mündete. Eileen betrat das Labor, und ihre Aufmerksamkeit wurde auf eine große Kabine in der Mitte des Raumes gelenkt. Fast magisch zog die Kabine sie an. Was wohl darin verborgen war? Sie schaute sich noch einmal um, doch in dem Labor hielt sich außer ihr niemand auf. Sie konnte es also wagen. Sie legte den Hebel des Öffnungsmechanismus um und drehte das Rad. Dann konnte sie die schwere Metalltür aufziehen. Ein widerlicher Gestank drang ihr entgegen. Sie wandte sich 43 �
würgend ab und trat einige Schritte zurück. Als ob etwas verfault wäre! durchfuhr es ihr Hirn. Die Tür war weiter aufgeschwungen. Als Eileen sich wieder der Kabine zuwandte, konnte sie in das Innere blicken. Was sie zu sehen bekam, war so entsetzlich, so widerwärtig, daß sie gellend aufschrie. * Als Andrew Bradley das fremde Taxi sah, bat er seinen Fahrer, zu halten. Der andere Fahrer stand neben seinem Wagen und erklärte, er warte auf Geld. Nach einem kurzen Gespräch fand Andrew seine Vermutung bestätigt: er hatte Eileen gefahren. Andrew bezahlte auch die Fahrt des Mädchens, dann bat er die Fahrer, Lieutenant Leigh zu verständigen, was die beiden nach anfänglichem Sträuben zu tun versprachen. So schnell wie möglich lief Andrew dem Landhaus entgegen. Als er näher kam, erblickte er Lord Bournes Rolls Royce, aber er vermißte Bobs Wagen. War sein Cousin geflohen? Das wunderte ihn, denn er hatte sich ganz so gegeben, als wäre er an einer Mitarbeit an Dr. Southeys Projekt interessiert. Neben dem Rolls Royce stand ein Streifenwagen. Seltsam, überlegte Andrew, der Lieutenant hat doch seine Leute sofort hierher geschickt, und sie sind immer noch hier. Er lief die Treppe hinauf und stand dann vor der verschlossenen Tür. Ich Trottel, schalt er sich, das hätte ich mir doch denken können! Aber wie soll ich nun hineinkommen? Er umrundete das Haus, und schon bald stieß er auf das offene Fenster des Salons. Andrew rümpfte die Nase. Er war kein guter Kletterer. Doch es ging besser, als er befürchtet hatte, wenn er auch ziemlich hart im Salon auf dem Boden landete. Wütend richtete er sich auf. Es war dunkel, doch nach kurzem Tasten 44 �
hatte er die Tür gefunden. Er öffnete sie vorsichtig einen Spalt und blickte hinaus. In der Vorhalle war das Licht eingeschaltet. Andrew verließ den Salon und sah die Kellertür offen stehen. Vorsichtig schlich er näher. Ein gellender Schrei ließ ihn zusammenzucken. Das war Eileen, ging es ihm durch den Kopf. So schnell er konnte, rannte er die Treppe hinab. Er passierte den Tunnel und betrat das Labor. Eileen stand vor der Kabine, deren Tür geöffnet war. Ein widerwärtiger Geruch verursachte Andrew Übelkeit. Eileen starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Kabine und konnte sich nicht bewegen. Sie schien völlig erstarrt zu sein. Als Andrew in das Innere der Kabine blickte, begriff er die Reaktion des Mädchens. In der Kabine lagen zwei verweste Leichname zwei Leichname in Polizeiuniform. Andrew würgte. Er riß Eileen zurück und warf die Tür zu. »Was bedeutet das?« fragte er das Mädchen. Doch Eileen blickte ihn nur kopfschüttelnd an und begann zu weinen. Andrew stand schon im Begriff, sie in seine Arme zu nehmen, als er Schritte hörte. »Sieh da!« vernahm er die Stimme seines Cousins. »Die beiden Ausreißer sind zurückgekehrt!« * Bob Hogarth war es gelungen, die benötigten Teile zu beschaffen. Der Großhandel war bis nach Mitternacht geöffnet, weil die Kundendienste oft noch am späten Abend benötigt wurden, und niemand wollte seine Kundschaft verlieren. Obwohl Dr. Southey seine Pistole in der Tasche hatte, wäre es Bob einige Male nicht schwer gefallen, ihn zu überrumpeln, 45 �
doch noch wollte er ungefährlich erscheinen, denn er brauchte Dr. Southey. Sobald die Erfindung einige Male erprobt war, würde er eine Möglichkeit finden, sich selbständig zu machen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als Southey und Sir Arthur auszuschalten. Hogarth war überzeugt, daß sie dasselbe auch mit ihm tun wollten, wenn sie ihn nicht mehr brauchten. Und nun diese Überraschung. Andrew war zurückgekehrt, und das Mädchen konnte niemand anders sein als Eileen Douglas, Mrs. Southeys Gesellschafterin, die, nachdem sie eine Erscheinung gesehen hatte, voller Panik davongelaufen war. Das Mädchen gefiel ihm. Zwar schien, Eileen etwas ängstlich zu sein, denn sie starrte ihn entsetzt an, aber das hatte nichts zu sagen. Wenn sie erst einmal mit ihm zusammen war, würde sich ihre Angst bestimmt legen. Doch seltsam: auch Andrew zeigte dieses Entsetzen in seinen Zügen. Gewiß, er war nicht gerade mit Mut gesegnet, aber man konnte ihn auch nicht einen Feigling nennen. Warum also zeigte er sich so entsetzt? War er wirklich über ihr plötzliches Auftauchen in diesem Maße erschrocken? Nein, das war nicht der Grund. Bob Hogarth nahm einen ekelhaften Gestank wahr. Ahnungsvoll trat er zur Kabine. Er öffnete sie und dann sah er die Ursache: in ihrem Innern lagen zwei halbverweste Leichen. Sie trugen Polizeiuniform. Bob war nicht so empfindlich wie sein Cousin. Noch bevor Dr. Southey reagieren konnte, fauchte er Andrew an: »Du hirnverbrannter Idiot, was hast du denn da angestellt?« Andrew starrte ihn mit offenem Mund an. Nur allmählich wurde ihm bewußt, was eigentlich geschehen war. »Das hat uns gerade noch gefehlt«, knurrte Peter Southey. »Ausgerechnet Polizisten! Das kann uns den Kopf kosten.« »Ich habe nichts angestellt«, konnte Andrew endlich antworten. »Als ich kam, war es schon geschehen.« 46 �
Eileen weinte nicht mehr. Sie blickte den Wissenschaftler zweifelnd an. »Als ich die Kabine öffnete…« Sie unterbrach sich. »Haben Sie das getan, Dr. Southey?« »Unsinn!« brauste er auf. »Ich gebe mir alle Mühe, möglichst ohne Leichen auszukommen und…« »Warum haben Sie dann auf mich geschossen?« unterbrach Andrew ihn barsch. Bob blickte seinen Cousin verwundert an. So viel Mut hatte er ihm gar nicht zugetraut. Der Wissenschaftler winkte ab. »Das hat sich inzwischen erledigt. Wie Sie sehen, können wir auch mit der Polizei fertig werden. Trotzdem gefällt mir die Sache nicht.« »Lord Bourne hat offensichtlich einen Fehler gemacht«, behauptete Bob Hogarth. »Lord Bourne?« Southey zuckte zusammen. »Wo ist er überhaupt?« Er wandte sich an Eileen, die verstört vor sich hin starrte. »Miss Douglas, suchen Sie Lord Bourne! Wenn Sie jedoch fliehen sollten, wird Ihr Freund sofort erschossen.« »Mein Freund?« fragte sie erstaunt, wobei sie Andrew gleichgültig musterte. »Ich habe hier keinen Freund. Doch seien Sie ohne Sorge, ich werde nicht fliehen. Ich weiß, daß ich hier benötigt werde.« Sie verließ das Labor. Bob bezog das »ich weiß, daß ich hier benötigt werde« auf sich. Ihm war nicht der Blick entgangen, mit dem Eileen ihn betrachtet hatte. Kein Zweifel, er gefiel dem Mädchen. Es wäre auch das erste Mal gewesen, daß er auf eine Frau keinen guten Eindruck gemacht hätte. Währenddessen war der Wissenschaftler an das Schaltpult getreten. Plötzlich fuhr er herum. »Es ist, wie ich befürchtet habe«, rief er. »Jemand hat mit den 47 �
Schaltern gespielt. Wäre nicht die Sicherung durchgebrannt, wäre davon« er deutete auf die Leichen in der Kabine »gar nichts mehr übrig. Aber ich habe ein unangenehmes Gefühl. Irgend etwas stimmt nicht. Ich muß schnellstens herausfinden, worum es sich handelt. Wer weiß…« Er wurde durch Lord Bourne unterbrochen, der, noch während er mit Eileen den Tunnel durchschritt, sagte: »Jeder Mensch kann einmal die Nerven verlieren, das ist ganz normal, und auch ich bleibe davon nicht verschont, denn auch wenn ich ein Angehöriger des Adels bin, reagiere ich menschlich und kann daher…« »Ah, da sind Sie ja endlich«, sagte Dr. Southey unfreundlich. »Sie haben sich wohl verkrochen? Das leibhaftige schlechte Gewissen.« »Was erlauben Sie sich?« brauste Lord Bourne auf. »Daß ich einen Fehler gemacht habe, ist für Sie noch lange kein Grund, mir Vorhaltungen zu machen, sind Sie es doch, der nunmehr schon wochenlang von meinem Geld lebt, ohne eine sinnvolle Gegenleistung zu erbringen.« »Jedenfalls haben Sie der Gegenleistung einen Sinn gegeben.« Frech grinsend deutete Bob Hogarth in die Kabine. »Glauben Sie vielleicht, es geschah absichtlich?« rief Lord Bourne. »Ich ließ die beiden Polizisten in die Falle laufen und schloß beide Türen, wie mir aufgetragen, doch dann beging ich den Fehler, mich an das Schaltpult zu lehnen, und als ich merkte, was geschehen war, verlor ich die Nerven, was ich sehr bedaure, jedoch müssen Sie bedenken, daß ich nicht wußte, welche Schalter bewegt worden waren, und ich also keine Ahnung hatte, was zu tun war.« »Wissen Sie, was ein Hauptschalter ist, Sir Arthur?« fragte Dr. Southey, diesmal schon merklich ruhiger. »Meine Panik ließ keine klare Überlegung zu«, entschuldigte 48 �
sich nun Lord Bourne. Dr. Southey ging zur Wand neben den Transformatoren, wo sich die E-Zähler befanden. »Was ist denn das?« rief er erschrocken. »Die Sicherung der Kombi-Kabine ist durch, und trotzdem dieser hohe Verbrauch? Das ist ja die gleiche Menge, die die Kabine benötigt.« Andrew Bradley nutzte die Gelegenheit. Niemand beachtete ihn, es mußte gelingen. Mit wenigen Sätzen hatte er die Tür erreicht und… Plötzlich fühlte er sich am Arm gepackt und festgehalten. Erschrocken wandte er sich, um. Bob stand hinter ihm, er war wütend. »Hier geblieben!« zischte er. »Also doch«, brummte Andrew enttäuscht. »Du hast dich also tatsächlich auf die Seite dieser Verbrecher geschlagen.« »Was heißt denn hier Verbrechen?« erwiderte Bob leise. »Das ist alles Ansichtssache. Oder ist es vielleicht kein Verbrechen, wenn die Gemeinschaft schwächer Menschen, Gesellschaft genannt, starke, zum Herrschen geborene Menschen unterdrückt?« »Ah, du bist wohl einer dieser verkappten Herrscher?« spottete Andrew. Bobs Augen blitzten drohend. »Spotte nur! Ich werde dir noch zeigen, wozu ich fähig bin.« Er zog Andrew am Arm zurück. Diese Szene war natürlich nicht unbeachtet geblieben. Während Dr. Southey sich jedoch wieder seiner Arbeit zuwandte und Lord Bourne nur mit Kopfschütteln reagierte, blickte Eileen verächtlich zur Seite. »Sie wären also einfach davongelaufen, ohne danach zu fragen, was aus mir wird.« »Sie fragen ja auch nicht danach, was aus mir wird«, entgeg49 �
nete Andrew gereizt. »Aber das kann ich gut verstehen, schließlich haben Sie sich in Bob verknallt. Oder glauben Sie, ich würde nicht die Blicke sehen, mit denen Sie ihn geradezu verschlingen? Ich habe Sie so oft genug vor ihm gewarnt. Sie werden noch an mich denken!« Bob lächelte spöttisch. »So idiotisch reagiert nicht mal ein eifersüchtiger Gockel«, stellte er genüßlich fest. Die Wut verlieh Andrew doppelte Kräfte. Er riß sich los und schlug zu. Doch Bob steckte den Schlag ein, ohne die Miene zu verziehen. Er lächelte noch immer. Lord Bourne kam herbei und sagte missbilligend: »Mr. Bradley, Sie sind offensichtlich ein Reibungspunkt, ein Stein des Anstoßes was sich in Ihren Reaktionen klar widerspiegelt weshalb uns leider nichts anderes übrig bleibt, als Sie vorübergehend und zwar nur so lange wie unbedingt nötig – von uns zu entfernen.« »Was haben Sie mit mir vor?« rief Andrew erschrocken. »Sie werden meiner Frau Gesellschaft leisten«, antwortete Dr. Southey, der das neben der Kabine stehende Schaltpult geöffnet hatte und in seinem Innern hantierte. »So, das wäre geschafft. Gehen Sie in die Kabine!« Andrew schauderte. »Zu den Leichen?« »Nein, das ist widerlich«, ergriff Eileen zu seiner Überraschung seine Partei. »Das können Sie ihm nicht zumuten.« Dr. Southey zückte nur die Schultern und winkte Bob, der daraufhin seinen sich heftig sträubenden Cousin in die Kabine schob. »Du wirst es überleben«, sagte er. »Auf wessen Seite sind Sie eigentlich?« fragte Eileen befremdet. »Was soll ich tun?« verteidigte sich Bob. »Wenn ich Southeys 50 �
Befehlen nicht nachkomme, werde ich erschossen, und damit ist Andrew nicht gedient.« Hinter Andrew Bradley fiel die Tür zu, und es wurde dunkel in der Kabine. Nur durch das Bullauge drang etwas Licht. Der junge Mann riß sein Taschentuch aus der Hosentasche und preßte es vor Mund und Nase. Er wußte nicht, warum und auf welche Weise die beiden Polizisten ums Leben gekommen waren, doch nach allem, was er gesehen hatte, mußten sie schon mehrere Monate tot sein. Mehrere Monate? Und man hatte sie einfach in der Kabine liegen lassen? Nein, da stimmte etwas nicht. Andrew entsann sich, was Lord Bourne gesagt hatte: ›Ich ließ die Polizisten in die Falle laufen und schloß beide Türen…‹ Aber das bedeutet ja, daß die Polizisten noch vor wenigen Stunden gelebt haben, dachte Andrew verwirrt. Dann erst begriff er. Es handelte sich um die Männer, die Lieutenant Leigh nach Bourne Castle geschickt hatte. Die Kabine hatte dieselbe Funktion wie der würfelförmige Kasten, in dem die Maus binnen weniger Sekunden verwest war. Als ihm das bewußt wurde, überfiel ihn Panik. Er glaubte ersticken zu müssen. Mit beiden Fäusten schlug er gegen die Tür. »Ich will hier raus!« brüllte er, »Laßt mich raus, laßt mich raus!« Aber was war das? Irgend etwas schien ihn zerreißen zu wollen. Andrew schrie gequält auf und sank zu Boden. * Lieutenant Vincent Leigh nippte gerade an einer Tasse Bohnenkaffee, als Sergeant Ben Corner ohne anzuklopfen aufgeregt in sein Büro stürmte. 51 �
»Was gibt's denn, Sergeant?« fragte der Lieutenant verwundert. »Haben Rivers und Denver sich gemeldet?« »Nein, Sir, leider nicht«, antwortete der Sergeant kurzatmig. »Was es gibt? Nachricht von Mr. Bradley, Sir.« »Andrew Bradley?« Leigh hob die Brauen. »Kann der junge Mann in einem Hotelbett nicht einschlafen? Will er mich deshalb belästigen?« Über das Gesicht Ben Corners huschte ein Grinsen. »Nein, Sir. Wir erhielten Nachricht über die Taxizentrale, Sir. Mr. Bradley läßt uns über einen Taxifahrer mitteilen, Miss Douglas habe ihr Hotel verlassen, sie sei nach Bourne Castle gefahren, und er sei ihr gefolgt.« »Sind die beiden denn verrückt geworden?« Der Lieutenant schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ohne mich zu benachrichtigen. Und unsere Leute haben sich noch nicht gemeldet. Da ist etwas faul. Ich habe einen Fehler gemacht.« »Ja, Sir.« »Sergeant!« rief Leigh scharf. Corner lächelte treuherzig. »Sir?« Leigh winkte ab. »Schon gut. Ich wollte sagen: ich habe einen Fehler gemacht. Ich hätte tatsächlich einen Posten ins Hotel schicken sollen. Sergeant, holen Sie zwei Männer, auf die man sich verlassen kann, und machen Sie den Wagen klar! Ich werde inzwischen Inspektor Wood benachrichtigen. Ihm wird nichts anderes übrig bleiben, als seine Schicht etwas früher zu beginnen.« * Eileen Douglas fand ihre kühnsten Erwartungen noch übertroffen. Ja, Bob Hogarth war der Mann, von dem sie immer geträumt hatte, einer, der wußte, was er wollte. Er war gut gebaut, sah großartig aus, war intelligent und vermochte etwas 52 �
zu leisten. Er war selbstbewusst und hart, dennoch lag in seinem Blick eine fast liebevolle Zärtlichkeit, wenn er sie ansah. Natürlich, er war kein Mann, der zurücksteckte. Ein einmal anvisiertes Ziel versuchte er mit allen Mitteln zu erreichen. Das fand Eileen weniger sympathisch an ihm, aber man konnte schließlich nicht alles haben, und den idealen Mann gab es ohnehin nicht. Vielleicht hätten ihm einige Charakterzüge seines Cousins gut getan, Verständnis und Mitgefühl zum Beispiel, doch noch kannte sie ihn kaum. Vielleicht verbarg er diese Züge, um nicht als weich zu gelten. Jedenfalls nahm sie sich vor, mit diesem Mann näher bekannt zu werden. Aber zur Zeit war er mit etwas anderem beschäftigt. Gemeinsam mit Dr. Southey baute er an zwei tornistergroßen Geräten. Die beiden waren so intensiv mit ihrer Arbeit beschäftigt, daß sie alles ringsum vergaßen. Deshalb reagierten sie auch kaum, als Lord Bourne sagte: »Ich bin der festen Überzeugung, daß früher oder später ein größeres Polizeiaufgebot hier eintreffen wird, denn sobald die beiden Polizisten als überfällig gelten, wird man Verdacht schöpfen. Wir sollten uns daher unsere weiteren Schritte genau überlegen, weshalb ich raten möchte…« »Wir sind gleich soweit«, unterbrach Dr. Southey ungeduldig. »Mit ein wenig Glück wird es uns gelingen, eine ganze Armee unschädlich zu machen.« * War es ein Traum. Inmitten eines undefinierbaren Dunkels schwebte eine seltsame Gestalt: Langsam näherte sie sich. Unantastbare Autorität schien von ihr auszugehen, aber auch absolute Gefühllosigkeit. Diese Gestalt, dieses fremde Wesen, kannte keine menschlichen 53 �
Regungen. Doch: sie empfand Neugierde, und sie hatte Schmerzen. Die Gestalt drohte. Andrew Bradley erwachte schweißgebadet und fand sich im Paradies wieder. Das Firmament war fast wolkenlos, die Sonne spendete angenehme Wärme. Die Luft war frisch und hatte ein würziges Aroma. Auf dem Boden wuchs hohes, saftiges Gras, und in der Umgebung standen seltsam aussehende Sträucher und Plumpe, nur wenige Meter hohe Laubbäume. In etwas weiterer Entfernung war ein Wald mit bedeutend höheren Bäumen zu sehen. Einige Vögel zwitscherten und verliehen dadurch der Szene etwas Idyllisches. Andrew Bradley richtete sich zögernd auf. Er konnte das Geschehene immer noch nicht begreifen. Gerade hatte er noch in der Kabine gestanden, und jetzt befand er sich hier. Die beiden Leichen waren verschwunden. Ist das die »neue Welt«, von der Dr. Southey gesprochen hat? fragte er sich. Na, ich glaube, es ist auszuhalten, jedenfalls ist es mir so lieber, als wenn man mich erschossen hätte. Plötzlich drang ein gellender Schrei aus dem Wald. Andrew zuckte unwillkürlich zusammen. »Also doch nicht so paradiesisch«, murmelte er. Doch sein Galgenhumor verließ ihn sofort, als er erneut einen Schrei vernahm. Einen Hilfeschrei! Er dachte nicht darüber nach, ob die Welt und alles, was sich darin befand, real war, oder ob es sich um einen Spuk handelte. Es blieb ihm keine Zeit zum Überlegen, sie schien völlig erstarrt zu sein, wobei er manchmal Mühe hatte, nicht über die Sträucher und das Gestrüpp zu stolpern. Auch das hohe Gras behinderte ihn beim Laufen. Was er kurz zuvor noch als paradiesisch schön empfunden hatte, verfluchte er jetzt als lästig. 54 �
Ein weiterer Schrei zeigte ihm, daß er etwas von der Richtung abgekommen war. Für einen Augenblick achtete er nicht auf den Boden, und schon stolperte er. Das dichte Gras dämpfte jedoch seinen Fall, so daß er sofort wieder aufspringen und weiterlaufen konnte. Wieder drang ein Schrei zu ihm herüber. Er klang schon merklich abgeschwächt, fast erstickt. Endlich erreichte er den Wald. Doch je tiefer er eindrang, um so beschwerlicher wurde der Weg. Von den Bäumen herabhängende lianenähnliche Gewächse mußte er mit beiden Händen zur Seite drücken, und auf dem Boden wuchs ein dornenähnliches Gestrüpp. Aber dann hatte er es geschafft. Er gelangte zu einer kleinen Lichtung, auf der ein einzelner Baumriese stand, von dem ebenfalls die merkwürdigen Lianen herabhingen. In der Nähe des Baumes stand ein größeres Paket und daneben ein Wasserbehälter. Ein heftiges Stöhnen ließ Andrew Bradley nach oben blicken. Und da sah er sie. Es war eine ältere Frau. Mehrere Lianen hatten sie emporgehoben und hielten sie fest umschlungen, so daß sie sich kaum bewegen konnte. Röchelnd schnappte sie nach Luft. Andrew wußte, daß er sich beeilen mußte, wenn er der Frau noch rechtzeitig zu Hilfe kommen wollte. Aber was konnte er tun? Zwar hingen in unmittelbarer Nähe noch weitere Lianen herab, aber er war kein guter Kletterer. Und außerdem: wer sagte denn, ob die Lianen nicht mit ihm dasselbe tun würden wie mit der Frau? Doch er mußte der Frau helfen, er konnte ihr Stöhnen nicht mehr länger ertragen. Andrew Bradley trat zu einer der dicksten Lianen und zog fest daran, um zu prüfen, ob sie ihn auch tragen würde. Dann klet55 �
terte er daran hoch, was schneller ging, als er gehofft hatte. Schon bald war er in gleicher Höhe wie die Frau. Doch auch mit ausgestrecktem Arm konnte er sie nicht erreichen, weshalb er hin und her schaukelte und so die Liane ins Pendeln brachte. Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es ihm endlich, sich an den Lianen; die die Frau umklammert hielten, festzuhalten. Nachdem er sich kurz ausgeruht hatte, versuchte er, die Lianen von der kaum noch atmenden Frau wegzureißen, doch sie erwiesen sich als zu fest und starr. Trotz größter Anstrengung gelang es ihm nicht, auch nur eine Liane von der Frau zu lösen. »Verdammt!« ächzte er verzweifelt. »Es muß doch irgendeine Möglichkeit geben.« Da erinnerte er sich an das kleine Taschenmesser, das er stets in seiner Hosentasche trug. Er nahm es heraus und begann die erste Liane durchzuschneiden, was nur mühsam ging, denn die Schneide des Messers war kurz. Eine rote Flüssigkeit tropfte aus dem Schnitt, und je weiter die Klinge vordrang, um so mehr rann heraus und über Andrews Hände. »Wie Blut«, murmelte der junge Mann erschauernd. Die Liane begann wie unter Krämpfen zu zucken, doch als Andrew sie durchtrennt hatte, löste sie sich von der Frau und fiel zu Boden. Plötzlich drangen klagende Laute von den Lianen herüber. Ja, Andrew hörte es ganz deutlich: die Lianen wimmerten. Er bekam eine Gänsehaut, und seine Hand, die schon die nächste Liane ergriffen hatte, um sie durchzuschneiden, zögerte. Es fiel ihm unsäglich schwer, diese wimmernden Pflanzen zu verletzen, doch das Leben der Frau ging vor. Gerade hatte er eine weitere Liane durchtrennt, als auch die übrigen sich von dem Körper der Frau lösten. Andrew ließ erschrocken das Messer fallen und griff nach der Frau, damit sie nicht zu Boden stürzte. Aber er verlor das Gleichgewicht und 56 �
fiel herab. Irgend etwas Schweres prallte auf ihn, dann war nichts mehr. * Konstabler Emery Blish parkte auf Geheiß von Lieutenant Leigh den Polizeiwagen bereits vor der Straßenbiegung, so daß sie von Bourne Castle aus nicht bemerkt werden konnten. Blish blieb im Wagen, Leigh, Sergeant Corner und Konstabler Fred Withe, ein junger dunkelhaariger Mann, der erst vor wenigen Wochen in Coleridge seinen Dienst angetreten hatte, begaben sich zu Fuß nach Bourne Castle. Unterwegs schärfte der Lieutenant seinen Männern noch einmal ein, wie sie sich zu verhalten hatten. Sergeant Corner sollte draußen an geschützter Stelle warten. Erst wenn Leigh ihn nicht nach spätestens fünf Minuten hereinwinken würde, sollte er Sergeant Blish benachrichtigen. Sodann mußte Inspektor Wood informiert werden, und erst dann sollten Corner und Blish in das Haus nachkommen. Sergeant Corner verbarg sich in den Büschen in der Nähe des Haupteingangs. Lieutenant Leigh und Konstabler Withe bestiegen die Treppe. Leigh drückte auf den Klingelknopf und wartete. Doch niemand öffnete, auch der laute Ruf: »Aufmachen, Polizei!« konnte daran nichts ändern. »Mal sehen, vielleicht finden wir ein offenes Fenster«, raunte Leigh dem Konstabler zu. Tatsächlich hatten sie wenig später ein offenes Fenster gefunden, durch das sie ohne Schwierigkeiten in den Salon gelangten. Durch das Fenster drang kaum Licht in den Raum, weshalb der Lieutenant seine Lampe einschaltete und umherleuchtete. »Lehmige Fußspuren, Sir«, stellte der Konstabler fest, als der Schein den Boden traf. »Vor uns haben schon andere diesen Weg 57 �
benutzt.« »Wahrscheinlich Mr. Bradley und Miß Douglas«, vermutete der Lieutenant. Die beiden Männer traten zur Tür und öffneten sie vorsichtig. Sie blickten in eine Vorhalle, in der das Licht eingeschaltet war. »Niemand hier.« Leigh schaltete seine Lampe aus und verließ den Salon. Withe folgte ihm. »Da!« Leigh deutete auf eine offen stehende Tür. »Das scheint die Kellertür zu sein. Unten liegt das Labor, von dem Mr. Bradley uns erzählte.« Sie schlichen die Treppe hinab. Unten befahl Leigh dem Konstabler, sich neben die Tür zu stellen. »Wenn jemand fliehen sollte, nehmen Sie ihn fest! Sollte ich mich in zwei Minuten noch nicht bei Ihnen gemeldet haben, so kommen Sie mit gezogener Waffe nach.« Leigh passierte einen kurzen Tunnel, betrat das Labor und blieb erstaunt stehen. Auf einem Stuhl saß Eileen Douglas, die ihn mit einer Mischung aus Angst und Überraschung musterte. Neben ihr stand Lord Bourne, dessen Erscheinung eine fast dünkelhafte Überlegenheit ausstrahlte. Der Lieutenant gewann die Fassung rasch zurück. Er grüßte, stellte sich vor und sagte dann: »Lord Bourne, ich möchte Sie bitten, mir einige Fragen zu beantworten! Vor einigen Stunden schickte ich zwei meiner Leute…« Plötzlich wurde er von etwas Unsichtbarem gepackt. Mit unheimlicher Geschwindigkeit wurde er hochgehoben und fortgetragen. Es ging alles so schnell, daß er es kaum mitbekam. Er fand sich in einer metallenen Kabine wieder. Die Tür wurde zugeschlagen, wieder geöffnet und erneut geschlossen. In der Kabine war es dunkel. Neben Leigh lag Konstabler Withe. 58 �
»Konstabler Withe!« rief der Lieutenant scharf. »Ich habe Ihnen ausdrücklich befohlen, erst nach zwei Minuten nachzukommen.« Der Konstabler richtete sich ächzend auf. »Ich war wie befohlen draußen stehen geblieben, Sir. Es waren erst wenige Sekunden vergangen, als ich plötzlich gepackt und blitzschnell zu dieser Kabine gebracht wurde. So schnell kann kein Mensch laufen, Sir.« »Also doch«, murmelte Lieutenant Leigh. »Andrew Bradley hat kein Wort erfunden, aber diese Gewissheit hilft uns jetzt auch nicht mehr.« * Dr. Peter Southey und Bob Hogarth entstanden wie aus dem Nichts. Der Wissenschaftler lächelte siegessicher und nickte Bob Hogarth zu. »Ich denke, die Geräte haben ihre Bewährungsprobe bestanden.« »Dafür wurde es auch höchste Zeit«, ließ Lord Bourne sich vernehmen, »denn bereits morgen früh findet in London die Abstimmung statt, aus der ich als Sieger hervorgehen muß, womit die erste Hürde meines erneuten Aufstiegs zum Mitglied des Oberhauses genommen wäre, was für mich viel bedeuten würde, denn ich bin der Überzeugung, nur ich vermag dem Oberhaus die Rechte zurückzugewinnen, die es nicht zuletzt aufgrund der Historie haben muß. Doktor, Sie werden mich nach London begleiten und im entscheidenden Augenblick in Erscheinung treten – beziehungsweise nicht in Erscheinung treten, denn Sie werden sich mit Hilfe des Gerätes für die außerhalb des Wirkungsfeldes Befindlichen so schnell bewegen, daß Sie nicht gesehen werden können.« 59 �
Der Wissenschaftler fragte, was mit Bob Hogarth und dem Mädchen geschehen sollte, worauf Lord Bourne mit einem feinen Lächeln antwortete: »Sie bleiben hier. Ich werde zwei meiner Leute hierher beordern, die dafür sorgen werden, daß keine Dummheiten gemacht werden.« Eileen Douglas wurde zwar nicht rot, aber sie rutschte unruhig auf dem Stuhl herum. Bob Hogarth sah ihr an, daß sie sich nicht wohl fühlte. Die Gesellschaft von Menschen mit kriminellen Ambitionen behagte ihr offensichtlich nicht. Bob fand es richtig, daß er sich bislang zurückgehalten hatte. Noch wirkte er auf das Mädchen so, als würde er zu seiner Verhaltensweise durch die Pistole des Wissenschaftlers gezwungen. Das mußte vorerst so bleiben. Eileen, die moralische Hemmungen gegen ungesetzliche Handlungen hatte, würde ihn sicherlich unterstützen. Natürlich wäre es Bob jetzt möglich gewesen, seinen Tornister einzuschalten und die beiden Männer außer Gefecht zu setzen. Doch die Batterien seines Gerätes hatten für höchstens zwanzig Minuten Energie. Und was dann? Nein, er mußte abwarten. Sobald er über alle Erfindungen Dr. Southeys und ihre Anwendungsmöglichkeiten Bescheid wußte, konnte er weitersehen. »Ich nehme an, es wird nicht bei den vier bis jetzt unschädlich gemachten Polizisten bleiben«, warnte der Wissenschaftler. »Wir müssen auf der Hut sein. Jeden Augenblick können…« Er brach ab. Dr. Southey nickte Bob zu, dann schalteten sie ihre Geräte ein. Es war ein unheimliches Gefühl. Alles ringsum war erstarrt, kein Laut war zu hören, denn außer den beiden Männern gab es nichts, was sich so schnell bewegte, um ein Geräusch verursachen zu können. Dr. Southey und Bob begaben sich zum Tunnel. Ihre Schritte klangen seltsam dumpf, als liefen sie über einen Teppich. Bob 60 �
fühlte sein Herz übermäßig laut schlagen, und das Blut pochte in seinen Schläfen. Er hatte Angst, aber es war eine Angst, die er nicht definieren konnte. War es die Angst vor dem Unbekannten? Wohl in erster Linie, aber nicht allein. Fast schien es ihm, als würde die Angst ihm von irgend jemand eingeflüstert. Eingeflüstert? dachte er belustigt. Unsinn! Sie passierten den Tunnel und erblickten zwei Polizisten, die erstarrt vor ihnen standen. Southey winkte Bob Hogarth zu sich heran. Unbewußt vermieden beide, miteinander zu sprechen, während ihre Geräte eingeschaltet waren. Als ob wir Ehrfurcht hätten, überlegte Bob. Er half dem Wissenschaftler, den ersten Polizisten zur Kabine zu tragen. Sie öffneten die Tür und legten ihn vor die beiden anderen auf den Boden. Das gleiche geschah mit dem zweiten Polizisten. Trotz der fast komisch wirkenden Situation brachte Bob kein Grinsen zustande. Ein unheimliches Gefühl lähmte jeden Humor, eine unergründliche Angst hielt ihn in ihrem Bann. Southey schloß die Tür, dann erst schalteten sie ihre Geräte ab. Die Geräusche innerhalb des Labors drangen wie Donner auf sie ein. Sie benötigten einige Zeit, bis sie sich daran gewöhnt hatten. Lord Bourne nickte anerkennend. »Nunmehr bin ich restlos überzeugt von Ihrer Erfindung, mit deren Hilfe ich meine ganz Großbritannien zugute kommenden Pläne verwirklichen kann, und ich freue mich, daß die beiden ersten Einsätze so viel versprechend verlaufen sind, denn ich bin der Meinung, damit meinen Fauxpas, infolgedessen zwei Polizisten sterben mußten eine Tatsache, die uns gefährlich werden kann –, wenigstens zum Teil wiedergutgemacht zu haben.« Diesmal konnte Bob sich ein Grinsen nicht verkneifen. Lord Bournes Bandwurmsätze fand er geradezu lächerlich. »Sir Arthur«, sagte Eileen Douglas, »ich habe mich zurückgehalten, weil ich meine Lage nicht verschlimmern wollte, aber 61 �
nun hätte ich doch gern erfahren, was Sie eigentlich beabsichtigen.« Lord Bourne lächelte nachsichtig. »Sobald meine Pläne verwirklicht sind, werde ich Sie genauestens unterrichten.« Seine Aufmerksamkeit wurde auf Dr. Southey gelenkt, der einen Schalter an dem Pult gegenüber der Kabine bewegte. »Gute Reise in die ›neue Welt‹!« sagte er. Als Andrew Bradley wieder das Bewußtsein erlangte, war seine erste Wahrnehmung ein stechender Schmerz in seinem rechten Bein. Wenn er nicht stöhnen wollte, mußte er ganz ruhig liegen bleiben. »Ich war auf Sie gefallen«, hörte er eine Frauenstimme. »Haben Sie Schmerzen?« Andrew öffnete verwundert die Augen. Er lag unter einem hohen Baum, auf der kleinen Lichtung, die er in Erinnerung hatte. Die Lianen? Er konnte sehen, sie schienen spurlos verschwunden zu sein. Andrew erblickte neben sich eine ältere Frau. Sie hockte auf dem Boden und musterte ihn besorgt. Das mußte Anne Southey sein. Eileen hatte ihm von ihr erzählt und ihm auch ihr Äußeres geschildert. Sie mochte etwa so alt sein wie ihr Mann. Sicherlich hatte sie früher gut ausgesehen, aber jetzt wirkte sie verhärmt. Ihre Augen waren gerötet, und sie machte insgesamt einen übermüdeten Eindruck. Die Frau trug ein zerschlissenes Kleid, ihre Strümpfe waren zerrissen, ihre Pantoffeln zerfetzt. Andrew Bradley richtete sich auf, und der stechende Schmerz zwang ihn zu einem Stöhnen. »Ja, ich habe Schmerzen im rechten Bein«, beantwortete er die Frage der Frau, »besonders wenn ich mich bewege. Sind Sie Mrs. Southey?« Sie nickte verwundert. 62 �
»Sie kennen mich?« »Eileen – ich meine Miß Douglas hat mir von Ihnen erzählt. Ihr Mann hat…« Andrew schwieg abrupt. In größerer Entfernung, zwischen den Bäumen, hatte er eine Bewegung wahrgenommen. »Gibt es in dieser merkwürdigen Welt außer Vögeln noch andere Tiere?« Die Frau zuckte zusammen. »Tiere?« Wie gehetzt blickte sie umher. »Diese kleinen Biester werden doch nicht wieder…« Andrew sah sich besorgt um. »Haben Sie schon Tiere gesehen?« Und dann kamen sie. Aber es waren keine kleinen Tiere, sie waren größer als ausgewachsene Schäferhunde. Solche Tiere hatte Andrew noch nie gesehen. Sie hatten kurze, dicke Beine, auf denen der übrige Körper wie eine Säule ruhte. Der Kopf hatte die Form einer Halbkugel. An seinem vorderen Ende, zwischen großen glotzenden Augen, unter großen, spitz hoch stehenden Ohren, ragte ein langer Rüssel hervor. »Sie sehen fast aus wie Mini-Elefanten«, stellte Andrew belustigt fest. Doch schlagartig wich das Grinsen aus seinem Gesicht, als die Tiere zum Angriff übergingen. Das vorderste hob den Rüssel und ein trompetenähnlicher Laut ertönte. Dann stürmte das Tier vor. Andrew versuchte erschrocken hochzukommen, doch der Schmerz in seinem Bein ließ ihn innehalten. »Ich kann nicht!« stöhnte er verzweifelt. »Laufen Sie weg!« rief er der Frau zu. »Bringen Sie sich in Sicherheit! Es genügt, wenn ich niedergestampft werde.« Anne Southey schüttelte energisch den Kopf. »Ich war in meiner Verzweiflung in den Wald gelaufen und von den Lianen gepackt worden. Sie haben mir geholfen, jetzt helfe ich Ihnen. Kommen Sie, beißen Sie die Zähne zusammen!« 63 �
Sie half dem jungen Mann hoch. Andrew merkte jetzt, daß er auf dem rechten Bein nicht stehen konnte. Wenn er sich fortbewegen wollte, mußte er mit dem linken Bein hüpfen. Anne Southey gab sich viel Mühe, dennoch kamen sie nur langsam voran. Obwohl die fremdartigen Tiere hin und wieder zu zögern schienen, als wenn sie überlegten, ob sie den Angriff fortsetzen sollten, kamen sie doch immer näher. Nur noch wenige Sekunden und dann »Wir schaffen es nicht«, ächzte Andrew. Die Schmerzen ließen seine Augen tränen. In diesem Augenblick hatte das vorderste Tier die beiden Flüchtenden erreicht. Ein kräftiger Ruck Anne Southey stürzte mit einem Aufschrei zu Boden. Andrew, der sich auf sie gestützt hatte, verlor das Gleichgewicht und kippte hintenüber. Plötzlich krachten mehrere Schüsse. Einige der Tiere erstarrten inmitten der Bewegung. Ein vielstimmiger klagender Trompetenton erschallte, und die scheußlichen Wesen lösten sich auf. Das niedergestampfte Gras war die einzige zurückbleibende Spur dieser unheimlichen Tiere. Anne Southey richtete sich seufzend auf. »Das war äußerst knapp, Sir«, konnte Andrew eine ihm bekannt vorkommende Stimme hören. Sergeant Corner? Ja, es war der Sergeant. Mit drei weiteren Polizisten kam er herbeigelaufen. Andrew konnte auch Lieutenant Leigh erkennen. Die Freude, von ihnen gerettet worden zu sein, mischte sich mit dem Ärger darüber, daß sie in eine Falle Dr. Southeys gelaufen waren. Lieutenant Leigh stellte seine Leute und sich vor, dann fragte er die Frau: »Sie sind Mrs. Southey?« Als die Frau bejahte, fuhr er fort: »Sie werden uns sicherlich sagen können, was Ihr Mann mit seinen merkwürdigen Erfindungen…« 64 �
Anne Southey schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich weiß noch weniger als Sie. Mein Mann hat mit mir nie über seine Arbeit gesprochen und auf meine Fragen stets ausweichend geantwortet. Als ich in der vergangenen Nacht meine Neugierde nicht mehr bezähmen konnte, ging ich in sein Labor. Er entdeckte mich, zwang mich, eine Kabine zu betreten, und dann…« »Ja«, sagte Lieutenant Leigh, »und dann tauchten Sie in dieser merkwürdigen Welt auf. Als wir hier ankamen, dachten wir wunders, in welcher Idylle wir gelandet wären, aber nach dem Erlebnis mit diesen Zwergelefanten…« »Wenn das alles wäre… Mr. Bradley hat mich mit viel Mühe vor dem Ersticken gerettet. Beinahe wäre ich von Lianen erdrückt worden, und einige Stunden zuvor mußte ich schon vor kleinen Biestern mit scharfen Zähnen davonlaufen. Aber seltsam ist, daß die Tiere und die Lianen spurlos verschwanden.« »Das ist allerdings merkwürdig«, sagte der Lieutenant. »Also keine normalen Tiere, Sir«, bemerkte Sergeant Corner. »Ebenso auch keine normale Welt, Sir.« Leighs Blick fiel auf Andrew Bradley, der noch immer auf dem Boden lag. Nach dem Grund befragt, antwortete der junge Mann, er habe sich das rechte Bein verstaucht oder gar gebrochen. Leigh forderte den Sergeant auf, Andrew zu helfen. Er selbst schaute sich unterdessen suchend um. »Wenn ich nur wüsste, wo Sergeant Rivers und Konstabler Denver sich aufhalten. Sie müßten doch ebenfalls hier sein!« Andrew glaubte zu wissen, wen der Lieutenant vermißte, und er bedauerte, ihm sagen zu müssen: »Ich fürchte, die beiden sind tot.« Andrew berichtete, was er in der Kabine gesehen hatte, und daß er mit den beiden Leichen in die »neue Welt« gebracht wor65 �
den war. Als er geendet hatte, sah er, daß Konstabler Withe bleich geworden war. Er konnte ihn gut verstehen. »Sechs Leute – mich eingerechnet – sind in eine raffinierte Falle gelaufen«, sagte Leigh, »und ich glaube nicht, daß es dabei bleiben wird. Inspektor Wood kann mit einer ganzen Armee anrücken, aber wenn Dr. Southey seine Zeit beschleunigt, kann er seine Gegner unschädlich machen und braucht sich nicht einmal besonders zu beeilen.« »Die Zeit beschleunigen?« echote Anne Southey erstaunt. »Was meinen Sie damit?« Andrew berichtete ihr seine Erlebnisse und fügte hinzu: »Zweifellos ist es Ihrem Mann inzwischen mit Hilfe meines Cousins gelungen, die Größe des Gerätes zu reduzieren.« Er wandte sich an den Lieutenant;. »Ich nehme an, inzwischen sind tragbare Geräte entwickelt worden.« »Gibt es für uns keine Möglichkeit, diese Welt zu verlassen?« Anne Southey verneinte. »Ich habe schon alles versucht. Ursprünglich war diese Welt nur ein Nichts mit festem Boden und Luft. Nach meiner Uhr vergingen fast vierundzwanzig Stunden, bis eine Veränderung eintrat, die zu der jetzigen Welt führte.« Andrew wunderte sich, weshalb er nicht schon lange drüber nachgedacht hatte, wie diese Welt entstanden war und was sie am Leben erhielt. Er konnte sich zwar vorstellen, daß die »neue Welt« in ihrem ursprünglichen Zustand von einem Computer aufrechterhalten werden konnte, aber die jetzige mit ihrem erdähnlichen Aussehen und den seltsamen Tieren und Pflanzen… Auch der beste Computer konnte so etwas nicht erhalten, geschweige denn erschaffen. Nein, es mußte etwas anderes sein. Ein natürliches Phänomen? Oder gar ein Lebewesen, ein übermächtiger Geist? Jener unheimliche Traum… Andrew fröstelte plötzlich. Gern hätte er die anderen mit sei66 �
nen Überlegungen vertraut gemacht, aber er fürchtete, daß es ihm so ergehen würde wie stets: man würde ihn als Phantasten und Feigling betrachten. Er wollte also abwarten, bis er ganz sicher war. Er war in seinen Überlegungen so versunken gewesen, daß er das Gespräch der anderen nicht hatte verfolgen können. Jetzt erst konnte er den Lieutenant sagen hören: »Wenn es doch nur eine Möglichkeit gäbe, Wood zu warnen, damit er mit seinen Leuten nicht in dieselbe Falle rennt.« »Es gibt eine Möglichkeit«, erwiderte Anne Southey unvermittelt. »Stimmt!« rief Andrew. »Sie können ja in der normalen Welt als Gespenst erscheinen.« »Allerdings erhalte ich jedes Mal einen heftigen Schlag«, dämpfte die Frau den Optimismus des jungen Mannes, »und seit die ›neue Welt‹ sich verändert hat, ist er besonders heftig.« »Ist es…« Andrew zögerte, er wagte fast nicht, es auszusprechen: »Ist es gefährlich?« Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, Mr. Bradley, nur unangenehm, vielleicht auch schmerzhaft. Aber wie soll ich diesen Inspektor Wood finden? Ist er zur Zeit in der Polizeistation Coleridge?« Der Lieutenant bejahte. »Kennen Sie das Morsealphabet?« Sie nickte überrascht. »Mein Mann hat es mir vor vielen Jahren beigebracht. Warum?« »Ich habe eine Idee«, murmelte Vincent Leigh. * »Um es klipp und klar zu sagen: ich glaube diesen Blödsinn � 67 �
nicht«, krächzte es aus dem Telefon. »Wenn Sie sich von Leigh diese Geschichte aufbinden lassen, ist das Ihre Sache, aber Sie können mich nicht dazu zwingen, ebenfalls daran zu glauben. Sie sollten sich in Ihrem Dienst wirklich mit ernsthafteren Problemen beschäftigen.« »Aber Lieutenant Smith, es ist wirklich…« Inspektor Wood zuckte zusammen, als er das Knacken in der Muschel hörte. Wütend knallte er den Hörer auf die Gabel. »Und es ist kein Blödsinn!« rief er. »Leigh ist kein Spinner!« Die Tür wurde aufgerissen, und ein Konstabler kam mit festen Schritten herein. »Sie haben gerufen, Sir?« »Nein, aber bleiben Sie trotzdem hier. Lieutenant Smith glaubt uns die Geschichte nicht. Jetzt möchte ich bloß wissen…« »Sir!« Der Konstabler deutete entsetzt in die Mitte des Raumes, wo plötzlich ein diffuser Nebel wallte, der sich rasch verdichtete und die Umrisse einer Frau annahm. Die beiden Männer waren so erschrocken, daß sie sich nicht zu rühren vermochten. Erst als die Gestalt ihren Arm zu bewegen begann, löste sich die Lähmung. »Was – was bedeutet das?« stammelte der Konstabler. »Ist das ein Gespenst? Und warum bewegt es den Arm so seltsam? Mal kurz, mal lang!« »Papier und Bleistift!« rief Inspektor Wood, dem eine gewisse Gesetzmäßigkeit in den Bewegungen der Gestalt nicht entgangen war. »Ich glaube, das sind Morsezeichen.« Nur mit Mühe gelang es dem Konstabler, sich von dem unheimlichen Anblick loszureißen. Dann aber brachte er das Geforderte. Bald jedoch zuckte die Gestalt wie unter einem heftigen Schlag zusammen. Sie löste sich auf, als wäre sie nie gewesen. 68 �
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»Es ist gelungen!« hauchte Anne Southey, während sie zu Boden sank. »Mrs. Southey, was ist mit Ihnen?« rief Leigh erschrocken. Sergeant Corner wandte sich sofort der Frau zu, die wie leblos mit verdrehten Gliedern dalag. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten ins Leere. »Das ist doch nicht möglich!« rief der Sergeant nach einer Weile. »Die Frau ist tot!« * Chief Superintendent Sir Lawrence Carlyle, ein geschmackvoll, aber unauffällig gekleideter Herr in den sechziger Jahren, legte nachdenklich den Hörer auf die Gabel. Inspektor Wood, den er in früheren gemeinsamen Einsätzen als einen tüchtigen, nüchternen Mitarbeiter kennen gelernt hatte, hatte ihn, seinen ranghöchsten Vorgesetzten, über ein Phänomen in Kenntnis gesetzt, das ihm von einem seiner direkten Vorgesetzten, Lieutenant Smith, nicht geglaubt wurde. Sir Lawrence wunderte sich nicht darüber, Woods Bericht mußte für jeden halbwegs intelligenten, nüchternen Menschen nicht nur phantastisch, sondern idiotisch klingen. Eine künstliche Welt… Ein Gerät, mit dem man den Zeitablauf beschleunigen konnte… Ein Gespenst, das mit einem Arm Morsezeichen gab… »… sind in künstlicher Welt. Nichts unternehmen, weil zwecklos; Dr. Peter Southey hat Zeitbeschleuniger erfunden; arbeitet für Lord Bourne, der…« So hatte die Nachricht des Gespenstes gelautet. Es war ebenso 69 �
plötzlich verschwunden wie es aufgetaucht war. Sir Lawrence hätte das Ganze für einen üblen Scherz gehalten, wäre nicht der Name Lord Bourne gefallen. Er kannte Arthur schon seit frühester Kindheit, wenn auch stets aus gebührender Entfernung, was bei Arthur allerdings angebracht war. Er hatte die These bestätigt gefunden, daß aus einem Kind mit üblem Charakter kein Erwachsener mit gutem Charakter werden konnte. Arthur war und blieb ein zwielichtiger Geschäftsmann und Politiker, dem jedes Mittel recht war, um seine Pläne zu verwirklichen, der sich dabei jedoch bemühte, sich zumindest den Anschein des Seriösen zu geben. Arthur war alles zuzutrauen, Sir Lawrence zweifelte kaum noch an Inspektor Woods Bericht. Er hatte ihm aufgetragen, vorerst nichts zu unternehmen. In wenigen Minuten würde er mit Arthur zusammentreffen, im feudalen »Club of Lords«, dessen neuer Vorsitzender gewählt werden sollte. Merkwürdig war, daß auch Arthur sich als Kandidat hatte aufstellen lassen, obwohl von vornherein klar war, daß er kaum mehr als zwanzig Prozent der Stimmen auf sich würde vereinigen können. Immerhin ein Achtungserfolg für einen Mann, der wegen seiner politischen Aktivitäten geradezu berüchtigt war. Jedenfalls beabsichtigte Sir Lawrence nicht, seine Stimme für Lord Bourne abzugeben. Für ihn kam nur eine Wiederwahl des bisherigen Vorsitzenden Sir Roger Sinclair in Frage. Ein Wirrkopf wie Arthur würde jede Gemeinsamkeit der Clubmitglieder innerhalb kurzer Zeit zunichte machen. Sir Lawrence verließ die Telefonkabine und trat zum Geländer, wo er Jumper, seinen Schäferhund, angebunden hatte. »Komm, Jumper«, sagte er und schnalzte mit der Zunge. Doch auf dem Weg zum Fahrstuhl schlug der Hund plötzlich an. Es war ein dumpfes Knurren, das nur Sir Lawrence als Warnung begriff. Nichteingeweihte hätten es mißverstanden. 70 �
»Still, Jumper!« mahnte er, als er den Grund für das Knurren des Hundes erkannte: Sir Arthur Bourne, der gerade die Treppe heraufkam. Als er seinen alten Bekannten sah, zögerte er zunächst, doch dann schien er sich einen Ruck zu geben. Er trat auf Sir Lawrence zu und drückte ihm mit einem undefinierbaren Lächeln die Hand. »Guten Morgen, Lawrence. Ich freue mich, dich zu sehen. Als Chef von Scotland Yard kannst du ja zu unser aller Bedauern nur selten den Club besuchen, denn unsere gesamte Polizei, dich nicht ausgeschlossen, ist einfach überlastet, und das Innenministerium scheint noch immer nicht daran zu denken, das Budget merklich zu erhöhen.« Falscher Hund! dachte Sir Lawrence grimmig. Dir wäre es doch nur recht, wenn die Polizei völlig aufs trockene gesetzt würde. Doch ich kann genauso falsch sein wie du. Sir Lawrence erwiderte freundlich lächelnd: »Guten Morgen, Arthur. Wir haben lange nicht mehr miteinander gesprochen. Wie fühlst du dich? Womit beschäftigst du dich zur Zeit? Bist du noch immer in der Politik tätig?« Lord Bourne lachte humorlos. »Man merkt eben doch, daß du ein Kriminalist bist, denn fast jede Unterhaltung mit dir läuft auf ein verkapptes Verhör hinaus. Wie ich mich fühle? Prächtig! Womit ich mich beschäftige? Die Antwort darauf ist zugleich auch die Antwort auf deine dritte Frage: ich beschäftige mich nach wie vor mit der Politik, was du schon daran erkennst, daß ich mich zur VorsitzendenWahl unseres Clubs gestellt habe, denn ohne politische Ambitionen wird man nicht zum Club-Vorsitzenden gewählt, und niemand wird mir politische Ambitionen absprechen können.« »Du glaubst also, bei der Wahl eine Chance zu haben?« »Mit Einschränkungen, obwohl ich feststellen konnte, daß meine Thesen keineswegs so sehr im Verborgenen blühen, wie 71 �
ich bislang befürchtet, hatte, so daß ich annehme, mit etwa fünfundfünfzig Prozent als klarer Sieger hervorgehen zu können. Doch jetzt entschuldige mich bitte, ich möchte mich vor der Abstimmung noch etwas erfrischen.« Lord Bourne hob grüßend die Hand und entfernte sich. Sir Lawrence war völlig verwirrt. Was hatte Arthur gesagt? Seine Thesen blühten keineswegs so sehr im Verborgenen? Seltsam, er selbst Sir Lawrence – hatte bei seinen Unterredungen mit anderen Clubmitgliedern eher die gegenteilige Überzeugung gewonnen, nicht zuletzt deshalb hatte er mit kaum mehr als zwanzig Prozent für Arthur gerechnet. Und jetzt das! Hatten seine Bekannten und Freunde innerhalb des Clubs so sehr geheuchelt? Nein, das hätte er gemerkt. Er glaubte, ein guter Menschenkenner zu sein eine unabdingbare Voraussetzung, wenn man Chef von Scotland Yard sein wollte. Machte Arthur sich also ungerechtfertigte Illusionen? Kaum. Er war zwar Fanatiker mit reichlich verschrobenen, gemeingefährlichen Ansichten, aber kein Phantast. »Paradox«, murmelte Sir Lawrence. »Einerseits glaube ich sicher zu sein, daß er bei der Abstimmung keine Chance hat, andererseits scheint er überzeugt, als klarer Sieger hervorgehen zu können. Ob er krank ist? Nein, diese Erklärung wäre zu einfach.« Er erinnerte sich des Gespräches mit Inspektor Wood. Wenn er alle seine Bedenken beiseite ließ und ganz einfach akzeptierte, was ihm berichtet worden war… Ja, so mußte es sein. Arthur hoffte, mit irgendwelchen faulen Tricks die Wahl zu gewinnen. Und ich kann nichts dagegen unternehmen, dachte Sir Lawrence. Hier im Club habe ich keinerlei Möglichkeiten, und selbst wenn… Dann würde wieder einmal von der allmächtigen 72 �
Polizei geredet werden, die selbst vor dem exklusiven »Club of Lords« nicht haltmache. Nein, ich muß anders vorgehen, zumal ich wer der Beweise noch Anhaltspunkte habe. Er trat zu einem seiner Leute, der unauffällig-auffällig zeitungslesend in einer Ecke stand. »Higgins, ich brauche einige Informationen über einen gewissen Dr. Peter Southey. Er ist Wissenschaftler. Außerdem: wünsche ich, daß Lord Bourne ab sofort beschattet wird, aber unauffällig. Wenn er etwas merkt, mache ich Sie verantwortlich. Und passen Sie, auf Jumper auf, während ich im Clubraum bin.« »Okay«, antwortete Higgins nur und entfernte sich mit dem Hund. Sir Lawrence begab sich auf den Weg zum Clubraum. Dieser war ein kleiner Saal mit halbkreisförmigem Grundriss. Auf der geraden Seite auf einem Podium hatten der amtierende Vorsitzende, der Wahlleiter und dessen Helfer Platz genommen. Bald waren die Clubmitglieder vollzählig versammelt. Ein großer Teil des britischen Adels war hier anwesend. Im »Club of Lords« wurden nicht selten schwerwiegende politische Entscheidungen getroffen, allerdings nur inoffiziell. Sir Lawrence setzte sich in die letzte Sesselreihe, unmittelbar neben die Tür. Es war sein Stammplatz, von hier aus konnte er den Saal gut überblicken. In eine Ecke des Saales wurde ein Pult getragen und eine spanische Wand davor gestellt. Die geheime Wahl begann. In alphabetischer Reihenfolge erhielten die Männer vom Wahlleiter einen Stimmzettel, mit dem sie hinter die spanische Wand traten und den ihnen genehmen Kandidaten ankreuzten. Die Stimmzettel wurden zusammengefaltet dem Wahlleiter übergeben, der sie in die Urne warf, nachdem er die Clubausweise der Wähler überprüft hatte. Als auch Sir Lawrence gewählt hatte, ließ er sich wieder in sei73 �
nem Sessel nieder und behielt den Clubraum scharf im Auge. Als das letzte Clubmitglied seine Stimme abgegeben hatte, wurde die spanische Wand abgebaut und das Pult entfernt. Dann hielt der Wahlleiter, Lord Norfolk, eine längere Rede, in deren Verlauf er auf die Stellung des »Club of Lords« innerhalb des britischen Adels zu sprechen kam. Sir Lawrence hörte gelangweilt zu. Jedes Jahr mußte er eine solche Rede über sich ergehen lassen, er kannte den Inhalt fast auswendig. Wenn der Kerl doch nur bald den Mund hielte! dachte er ungehalten. Ich möchte endlich das Ergebnis erfahren, und ich glaube, nicht nur mir geht es so. Sein Blick war nämlich auf den zwei Sesselreihen vor ihm sitzenden Lord Bourne gefallen, der mit siegessicherem Lächeln zu ihm herübersah. Plötzlich hörte er draußen seinen Hund drohend bellen. Gleichzeitig glaubte er, viermal kurz hintereinander einen Luftzug zu fühlen und ein helles Klacken zu hören – von der Stelle, wo sich die Tür befand. Doch die Tür war geschlossen, er hatte sich also getäuscht. Oder? Sir Lawrence überlegte. Insgesamt viermal hatte er den Luftzug verspürt, viermal hatte er das Klacken gehört, und außerdem hatte sein Hund gebellt. Hatten seine angespannten Sinne ihm einen Streich gespielt? Es wäre das erste Mal gewesen, bislang hatte er sich immer auf sein Wahrnehmungsvermögen verlassen können. Der Wahlleiter hatte seine Rede beendet. Unterstützt von zwei Wahlhelfern entleerte er die Urne und begann die Stimmen auszuzählen. Sir Lawrence beobachtete gespannt dessen Miene. Ihm entging nicht die Überraschung, die sich immer stärker in den Zügen des Wahlleiters abzeichnete. Als die Auszählung beendet war, gab der Wahlleiter mit erregter Stimme das Ergebnis bekannt. 74 �
»Von den einhundertsieben abgegebenen Stimmen sind zwei ungültig und neun Enthaltungen. Auf unseren langjährigen Vorsitzenden Lord Sinclair entfielen 41 Stimmen. Lord Arthur Bourne konnte die Mehrheit von 55 Stimmen auf sich vereinigen und ist damit neuer Vorsitzender des ›Club of Lords‹. Herzlichen Glückwunsch, Sir Arthur.« Schon als die Stimmen für Lord Sinclair bekannt gegeben wurden, war ein erregtes Flüstern zu hören gewesen, jetzt aber brandete ein wahrer Schwall unwilligen Gemurmels durch den Clubraum. Nur der guten Erziehung der Adligen war es zu verdanken, daß keine Buhrufe und Pfiffe ertönten. Lord Bourne konnte seinen Triumph offenbar nicht verkraften. Er wandte sich nämlich wieder nach Sir Lawrence um und blickte ihm mit einer Mischung aus Überlegenheit, übersteigertem Selbstbewußtsein und Herablassung entgegen. Er erhob sich und ging nach vorn, wo er auf die Frage des Wahlleiters, ob er die Wahl annehme, mit einem klaren »Ja!« antwortete. Sir Lawrence Carlyle verstand die Welt nicht mehr. Waren denn die Clubmitglieder verrückt geworden? Wußten sie nicht, welchen Einfluß der Vorsitzende indirekt auf die britische Innen- und Außenpolitik ausüben konnte? Warum hatten sie Arthur gewählt? Das war doch der Gipfel der Dummheit. In den Augen der meisten Briten – auch der dem Club nicht angehörenden Adligen mußte der »Club of Lords« unter dem Vorsitz eines so durchtriebenen, rücksichtslosen Karrieremenschen wie Lord Arthur Bourne wie ein Machtinstrument aus der Zeit der Feudalherrschaft erscheinen. Innerhalb kurzer Zeit würde er der Verfassung zuwiderhandeln und deshalb aufgelöst werden müssen. Sir Lawrence hatte sich noch immer nicht beruhigt, als Lord Sinclair, der Verlierer der Wahl, herbeikam und ihn fragte, ob er neben ihm Platz nehmen könne, worauf Sir Lawrence ihm den 75 �
neben ihm stehenden Sessel anbot. Lord Sinclair seufzte tief. Er machte auf Sir Lawrence zum ersten Mal seit er ihn kannte den Eindruck eines vom Leben und von den Menschen enttäuschten alten Mannes. »Ist es denn möglich, daß innerhalb kurzer Zeit die besten, aufrichtigsten Freunde zu Feinden und Heuchlern werden?« »Wie darf ich diese Frage verstehen?« wunderte sich Sir Lawrence. Lord Sinclair erklärte, die meisten der Clubmitglieder seien seine Freunde – zumindest habe er das immer geglaubt –, sie hätten ihm versichert, nur er käme als neuer Vorsitzender in Frage. »Aber das Wahlergebnis stimmt damit nicht überein«, zürnte er. »Meine besten Freunde sind zu Lügnern und Heuchlern geworden. Was ist das für eine Zeit, in der wir leben? Jetzt haben sie diesen Gockel« er wies unauffällig zum Podium, wo Lord Bourne gerade mit seiner Antrittsrede begann »zu unserem Vorsitzenden gemacht. Wie soll das enden?« Sir Carlyles Misstrauen wurde noch verstärkt. Er sah seinen Verdacht, bei der Wahl sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen, bestätigt. Aber was war geschehen? Er dachte zurück an den viermaligen Luftzug, an das viermalige Klacken und an das Bellen seines Hundes. Das konnte kein Zufall sein. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte er zu Lord Sinclair. Er erhob sich und trat hinaus, wo auf jeder Seite der Tür ein Saaldiener stand. Sir Lawrence Carlyle kannte die beiden Männer, er wußte, daß man sich auf sie verlassen konnte. »Konnten Sie meinen Hund bellen hören?« fragte er sie, worauf die beiden bejahten. »Haben Sie vielleicht irgend etwas ungewöhnliches bemerkt?« Als die Saaldiener sich bedeutsam anblickten, wußte Sir Lawrence, daß er richtig vermutet hatte. 76 �
»Offen gestanden«, begann der jüngere der beiden, »wir fürchten, daß Sie uns für verrückt halten werden, wenn wir Ihnen unsere Beobachtung mitteilen.« Er blickte seinen Kollegen fragend an, und als dieser nickte, berichtete er, insgesamt viermal hätten sie gesehen, wie die Tür blitzschnell geöffnet und geschlossen worden sei, doch es sei so schnell gegangen, daß es kaum zu bemerken gewesen sei. Das genügte. Sir Lawrence betrat wieder den Club Raum und stieß auf den Wahlleiter, der in diesem Moment mit seinen Helfern den Saal verlassen wollte. Der Wahlleiter, Lord Norfolk, hob erstaunt die Brauen, als er gefragt wurde: »Konnten Sie während Ihrer Rede etwas Ungewöhnliches bemerken? Sie können es ruhig zugeben, ich werde Sie nicht als verrückt betrachten, da ich selbst ein merkwürdiges Geschehen beobachten konnte.« Der Wahlleiter und seine beiden Helfer zögerten. Sie hatten etwas bemerkt, ohne Zweifel. Erst als Sir Lawrence seine Frage wiederholte, antwortete Lord Norfolk: »Zweimal war mir so, als wäre die Urne ein wenig zur Seite gerückt, aber ich glaube, es war eine Sinnestäuschung.« »Ich glaube, es war keine Sinnestäuschung«, entgegnete Sir Lawrence. »Noch eine Frage: Wie werden eigentlich die Stimmzettel gehandhabt? Werden immer nur so viel gedruckt, wie benötigt werden?« »Diesmal ließen wir zweihundert drucken«, antwortete der Wahlleiter, »doch wurden nur drei Bündel zu je fünfzig in den Clubraum gebracht. Das vierte befindet sich im Magazin.« »Würden Sie bitte mit mir das Magazin aufsuchen?« »Was ist denn geschehen, daß Sie…?« Sir Lawrence machte eine bedauernde Geste. 77 �
»Vorerst darf ich nichts sagen, leider fehlen mir noch die Beweise. Doch ich werde Sie so bald wie möglich unterrichten.« Die vier Männer verließen den Clubraum. Im Magazin bestätigte sich dann, was Sir Lawrence geahnt hatte: das vierte Bündel Wahlzettel fehlte. »Das verstehe ich nicht«, entfuhr es Lord Norfolk. »Wer sollte denn ein Interesse an den Wahlzetteln haben? Damit ist doch nichts anzufangen.« Sir Lawrence war zwar anderer Meinung, aber er enthielt sich jeden Kommentars. Nach wie vor fehlten ihm die Beweise. Um wenigstens sich selbst Gewissheit zu verschaffen, mußte er es mit einem Bluff versuchen. Sir Arthur war ein recht impulsiver Mann, sicherlich würde er wie gewünscht reagieren. »Wenn nicht, bin ich die längste Zeit Chef von Scotland Yard gewesen«, murmelte Sir Lawrence kaum hörbar. Er kam zu der Überzeugung, daß er handeln mußte, denn es ging nicht nur um den Club. Wenn Arthur seine Stellung ausbauen konnte… Die Konsequenzen würden katastrophal sein. Als sie wieder den Clubraum betraten, entging ihnen nicht die angespannte Atmosphäre. Die meisten Clubmitglieder saßen in ihren Sesseln und starrten geradeaus. Wenn hin und wieder ein Blick gewechselt wurde, war er meist argwöhnisch oder gar feindlich, was Sir Lawrence, der nunmehr kaum noch an seiner Theorie zweifelte, nicht wunderte. Viele, die Lord Sinclair gewählt hatten und der Überzeugung gewesen waren, die meisten anderen würden ihm ebenfalls ihre Stimme geben, glaubten nun, eben diese anderen hätten geheuchelt und für Lord Bourne votiert. Sir Lawrence ging nach vorn zum Podium, wo Lord Bourne gerade seine Rede, die nur mit mäßigem Beifall bedacht wurde, beendet hatte. Er fragte ihn: »Arthur, könnte ich auch eine Rede halten.« 78 �
Arthur befand sich offenbar im Siegesrausch, jedenfalls kam ihm Sir Carlyles plötzlicher Eifer nicht verdächtig vor. »Aber bitte«, sagte er. »Ich freue mich, daß auch der Chef von Scotland Yard etwas zu meiner Wahl zu sagen hat.« Du oder ich, dachte Sir Lawrence, einer von uns beiden hat sich die längste Zeit gefreut. Sir Lawrence sagte: »Gentlemen, unmittelbar nach der Wahl konnten einige merkwürdige Phänomene beobachtet werden. Während Ihrer Rede, Lord Norfolk, wurde viermal die Tür blitzschnell geöffnet und geschlossen. Die beiden Saaldiener können diese Angaben bestätigen. Sodann wurde während dieser Zeit die Wahlurne zweimal wie von unsichtbarer Hand bewegt. Außerdem wurde das vierte Bündel Wahlzettel aus dem Magazin gestohlen…« Lord Bourne starrte den Sprecher feindselig an. Zweifellos ahnte er, daß Sir Lawrence mehr wußte, als er sagte. »… Sie werden sich natürlich fragen, was dieser Unsinn soll. Aber es ist die Wahrheit, ich werde es Ihnen erklären. Einen gewissen Dr. Southey« Lord Bourne zuckte zusammen »ist eine interessante Erfindung gelungen. Er hat ein Gerät entwickelt, mit dem er die Zeit beschleunigen kann. Ich bin der Überzeugung, der besagte Dr. Southey hat mit Hilfe dieses Gerätes die Wahl manipuliert, und zwar nicht in eigener Regie, sondern im Auftrag eines Mannes, der uns allen…« Lord Bourne sprang wutentbrannt auf. »Das ist eine unverschämte Behauptung, für die keinerlei Beweise vorliegen und die nur aufgestellt wurde, um einen vielen der hier Anwesenden missliebigen Mann – nämlich mich – aus dem Club zu entfernen. Die Wahl war korrekt, doch ich verlasse diesen Club auf der Stelle, da mein Stolz es nicht zulässt, daß ich auf diese Weise verdächtigt werde.« Demonstrativ zerriss er seinen Clubausweis, dann rannte er 79 �
aus dem Saal und warf die Tür hinter sich zu. »Also tatsächlich«, murmelte Sir Lawrence. »Ich habe ihn nicht erwähnt, er fühlte sich aber trotzdem angegriffen und hat falsch reagiert. Seine Nerven sind eben doch nicht mehr die besten.« Als Sir Lawrence wenig später zum Parkplatz ging, begegnete er Lord Sinclair, der zu ihm sagte: »Ich muß mich bei Ihnen bedanken. Ohne Ihr mutiges Eingreifen… Der Wahlleiter hat bei der Überprüfung der Stimmzettel festgestellt, daß eine kriminelle Manipulation vorliegt. Ein großer Teil der Stimmzettel wurde von unbekannter Hand auseinander und erneut zusammengefaltet, bei dem anderen Teil sind die Kreuze mit einem feiner gespitzten Bleistift gemacht worden. Was bedeutet das?« »Ich muß noch einige Ermittlungen anstellen.« Sir Lawrence ging weiter und traf bald auf Higgins, der mit Jumper bereits auf ihn wartete. Der Hund wirkte nervös, weshalb Sir Lawrence zu dem Schluß gelangte, daß das Tier mit seinem Instinkt etwas bemerkt hatte, was den Menschen in ihrem rationalen Denken entgangen war. Auf Sir Carlyles Aufforderung berichtete Higgins, ein Dr. Southey habe bis vor drei Monaten an der wissenschaftlichen Akademie gearbeitet und sei dann wegen Differenzen mit seinen Vorgesetzten aus ihrem Dienst ausgetreten. Er lebe seitdem auf Bourne Castle und scheine auch für Lord Bourne zu arbeiten. »Gut, sehr gut«, sagte Sir Lawrence, befriedigt darüber, daß er die Richtigkeit seiner Überlegungen bestätigt fand. Konnten Sie auch in Erfahrung bringen, womit Dr. Southey sich beschäftigt?« »Damit rückte mein Informant nicht heraus. Er sagte nur etwas von ›Phantastereien‹« »Das genügt mir schon. Weiter!« »Ich gab Ihren Auftrag, Lord Bourne zu beschatten, weiter. Soeben erhielt ich die Nachricht, er habe am Hyde Park einen 80 �
Mann einsteigen lassen, der laut Beschreibung Dr. Southey sein könnte. Im Kofferraum wurde ein tornisterähnlicher Gegenstand verstaut. Der Wagen fährt weiter in Richtung Coleridge.« »Und in der Nähe von Coleridge liegt Bourne Castle. Wir werden einige Leute um Bourne Castle postieren, zunächst nur zur Beobachtung. Dann werden wir weitersehen.« * Einige Minuten zuvor hatte Lord Bourne seinen Rolls Royce bestiegen und war mit quietschenden Reifen davongefahren. Er wußte, daß er verloren hatte. Dieser verdammte Lawrence! Er hatte mit seiner Spürnase alle seine Pläne durchkreuzt. Irgend etwas war mit Seinem Gerät nicht in Ordnung, sonst hätte man sich so schnell bewegen können, daß niemand auch Lawrence nicht etwas bemerkt hätte. Aber auch er selbst hatte einen Fehler gemacht. Vielleicht verfügte Lawrence nicht über die Spur eines Beweises, vielleicht hatte er nur geblufft, um ihn zu einer falschen Reaktion zu verleiten. Der Wissenschaftler wartete am Rande des Hyde Park. Seinen Tornister hatte er bereits abgenommen, als der Rolls Royce neben ihm hielt. Lord Bourne öffnete den Kofferraum, wartete schweigend, bis der Tornister verstaut war, und ließ dann Dr. Southey einsteigen. Peter Southey starrte mit verkniffenem Gesicht durch die Windschutzscheibe. Erst nach einer Weile, als sie London bereits hinter sich gelassen hatten und Lord Bourne eben mit einer Strafpredigt beginnen wollte, sagte er: »Ihre Miene sagt alles, Sir Arthur. Es ist misslungen. Aber ich versichere Ihnen: es war nicht meine Schuld.« »So, nicht Ihre Schuld«, brauste Lord Bourne auf. »Ihre Erfin81 �
dung hat versagt, das können Sie nicht bestreiten. Außerdem: warum sind Sie zweimal in den Clubraum gekommen?« »Ich wiederhole: es war nicht meine Schuld. Zunächst funktionierte mein Gerät einwandfrei, aber plötzlich ließ die Leistung nach. Auch bei höchstem Energieverbrauch leistete es nicht mehr als Faktor zehntausend. Ein Fehler am Gerät scheidet aus. Es waren Fremdeinflüsse.« »Fremdeinflüsse?« echote Lord Bourne ungläubig. »Was soll das bedeuten?« »Ich weiß es nicht, es ist schwer zu sagen. Ich muß das Gerät völlig demontieren und die einzelnen Teile untersuchen. Wenn ich den Angriffspunkt für die Einflüsse kenne, werde ich auch die Einflüsse selbst definieren können. Vorerst aber stehe ich vor einem Rätsel. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: die geringe Leistung meines Gerätes zwang mich, zweimal den Clubraum zu betreten, denn ich durfte nicht zu lange auf einem Platz verweilen. Also mußte ich die Urne öffnen, die Wahlzettel entnehmen und nach draußen gehen, wo ich an einer geschützten Stelle das tat, was Sie mir befohlen hatten: Ich überprüfte die Zettel und ersetzte dreißig Stimmen für Lord Sinclair durch dreißig für Sie, wofür ich dreißig Stimmzettel dem Bündel entnahm, das ich – wie von Ihnen angegeben im Magazin fand. Ich machte die Kreuze neben Ihrem Namen mit demselben Bleistift-Typ, der auch bei der Abstimmung im Clubraum verwendet wurde. Anschließend brachte ich die Zettel in den Clubraum zurück. Wie Sie sagten, war die Urne weder verschlossen noch verplombt. Deshalb verstehe ich nicht, wie meine Arbeit bemerkt werden konnte. Ich habe mich so schnell wie nur irgend möglich bewegt und mich gehütet, lange an einem Platz zu verweilen.« »Das glaube ich Ihnen«, antwortete Lord Bourne, nun schon etwas ruhiger, »und es wäre auch alles gut gelaufen, wenn nicht Lawrence Verdacht geschöpft hätte, wobei ich annehmen muß, 82 �
daß dieser alte Fuchs informiert war, sonst hätte auch er an eine Sinnestäuschung geglaubt.« »Falls Sie mich verdächtigen sollten, ihn informiert zu haben«, erwiderte Dr. Southey beleidigt, »so darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich durch einen solchen Verrat nichts gewinnen, sondern alles verlieren würde.« »Auch Ihr Leben!« knurrte Lord Bourne. * Bob Hogarth war ein wunderbarer Mann. Er war nicht nur ein feuriger Liebhaber, sondern auch ein intelligenter Mensch, mit dem man sich unterhalten konnte. Eileen Douglas liebte ihn. Ja, zum ersten Mal in ihrem Leben war sie wirklich verliebt. Sam und Ted, die von Lord Bourne nach Bourne Castle beorderten Männer, hatten die beiden in Eileens Schlafzimmer eingeschlossen und sich dann diskret zurückgezogen. Sam hielt unten in der Vorhalle Wache, während Ted nach draußen getreten war, um Bob und Eileen an der Flucht durch das Fenster zu hindern. »Und später?« fragte Eileen. »Was – später?« »Wenn wir das alles hinter uns haben.« »Dann heiraten wir natürlich, das ist doch selbstverständlich.« Eileen seufzte tief. Ja, Bob liebte auch sie, sie war fest davon überzeugt. »Ich verstehe nicht, warum Andrew dich so schlechtgemacht hat. Du bist doch ganz nett.« »Andrew ist natürlich neidisch, kein Wunder bei seinem Aussehen. Er hat eben nie Glück gehabt und deshalb…« Bob zuckte bedauernd die Schultern. Dann gab er sich einen Ruck. »So, nach 83 �
dem Vergnügen folgt die Arbeit. Wir werden jetzt versuchen, unsere Wachhunde unschädlich zu machen.« Eileen mußte nackt auf dem Bett liegen bleiben, während Bob sich ankleidete und sich dann neben die Tür stellte. »Und nun schreist du ganz laut um Hilfe, als ob du am Spieß gebraten würdest.« Sie schrie gellend auf. »Das machst du prima«, lobte Bob. »Weiter so!« Bald glaubte Eileen, auf der Treppe rasche Schritte zu hören. Sie schwieg und richtete ihren Blick wie gebannt auf die Tür. Dann war es soweit. Die Tür wurde geöffnet, und Sam stürmte herein mit einer Pistole in der Hand. Verwundert riß er die Augen auf, als er das Mädchen nackt auf dem Bett liegen sah. Da war Bob auch schon hinter ihm. Ein kräftiger Schlag ins Genick, und Sam sank ächzend zu Boden. Bob schloß die Tür. Eileen richtete sich auf und blickte bewundernd zu Bob hinüber. Einfach großartig, wie er Sam aufs Kreuz gelegt hatte. »Und jetzt der andere«, sagte Bob, nachdem er den Bewußtlosen in eine Ecke geschleift hatte. »Los, schreie!« Eileen tat wie befohlen. Tatsächlich vergingen nur wenige Sekunden, bis erneut Schritte auf der Treppe zu hören waren. Eileen schwieg. »Sam, kommst du klar?« rief von der Treppe her eine Stimme. »He, Sam, warum antwortest du nicht?« Offenbar hatte Ted Verdacht geschöpft. Doch Eileen hatte einen guten Einfall. »Nein, Sam«, schrie sie, »nein, bitte nicht! Sie tun mir weh!« »Sam, das geht zu weit«, rief Ted von draußen. »Du sollst das Mädchen bewachen, nicht vergewaltigen.« Wieder wurde die Tür aufgerissen, und Ted kam herein, ebenfalls mit der Pistole im Anschlag. Einen Augenblick später lag auch er ohnmächtig auf dem Boden. 84 �
»Das hast du gut gemacht. Du hast genau richtig reagiert.« Bob Hogarth lachte. »Ich werde die beiden nach unten bringen, und dann können sie sich die ›neue Welt‹ ansehen.« »Und was wird mit Andrew, Mrs. Southey und den Polizisten, die sich bereits in der ›neuen Welt‹ befinden?« fragte Eileen verwundert. Doch Bob wußte sie zu beruhigen. »Ich weiß zwar, wie man in die ›neue Welt‹ gelangt, aber nicht, wie man aus ihr zurückkehrt. Um das herauszufinden, muß ich mich einige Zeit gründlich mit den Erfindungen Dr. Southeys befassen. Unsere Wachhunde würden uns aber dabei stören.« Bob Hogarth war kräftig genug, um ohne größere Anstrengung die beiden Männer nebeneinander nach unten tragen zu können. Eileen kleidete sich unterdessen an. Als sie wenig später das Labor betrat, war Bob gerade damit beschäftigt, die beiden »Wachhunde« in die Kabine zu legen. »Bob, gibst du mir eine Pistole?« fragte Eileen. »Wofür brauchst du denn eine Pistole?« Bob schloß die Tür der Kabine und wandte sich Eileen zu. »Um mich zu schützen«, antwortete sie. »Wenn Lord Bourne und Dr. Southey zurückkommen, möchte ich nicht hilflos dastehen.« »Ich werde dich schützen.« Bob umarmte Eileen und küsste sie zärtlich. »Außerdem wird auf einen Bewaffneten immer zuerst geschossen. Wenn es hart auf hart kommt, und du bist unbewaffnet, kannst du vielleicht mit einem blauen Auge davonkommen. Andernfalls…« Er sprach nicht weiter, aber Eileen wußte auch so, was er meinte. Ja, er hatte wohl recht. Außerdem glaubte sie, daß sie es ohnehin nicht fertig gebracht hätte, auf einen Menschen zu schießen. Bob bat Eileen, einige Schritte zurückzutreten. Er ging zum 85 �
Schaltpult und legte einen Hebel um. Obwohl Eileen es schon zweimal gesehen hatte, wurde sie von dem nun folgenden Schauspiel aufs neue fasziniert. Die Kabine veränderte sich. Sie flimmerte, schien zu glühen und löste sich auf. Einen Augenblick später war sie wieder da. Bob blickte auf seine Uhr, überlegte kurz und sagte: »Es wird nicht mehr lange dauern, bis Lord Bourne und Dr. Southey zurückkehren. Hoffentlich hat Southey kein Gerät auf dem Rücken, wenn ich ihn ausschalten will, sonst war unsere ganze bisherige Arbeit umsonst.« * Die unheimliche Gestalt… Warum ließ sie ihn nicht in Ruhe? Sie kam näher und näher, ihre Augen drohten. Andrew Bradley erwachte, und sofort wurde ihm das vergangene Geschehen mit schmerzhafter Deutlichkeit bewußt. Anne Southey lebte nicht mehr. Sie war von etwas Undefinierbarem getötet worden, von etwas, was man noch nicht kannte. Daß er wegen der vorangegangenen Ereignisse und nicht zuletzt wegen des Schlafmangels während der vergangenen Nacht trotz allem vor Erschöpfung eingeschlafen war, empfand Andrew beinahe als Segen. Doch jetzt wurde er sofort wieder mit der Realität konfrontiert. Lieutenant Leigh blickte ihn nämlich missbilligend an und sagte: »Daß Sie schlafen, während wir anderen uns verzweifelt um eine Lösung bemühen, finde ich nicht gerade…« »Lassen Sie mich in Ruhe«, unterbrach Andrew, noch etwas schlaftrunken. »Hätten Sie meinen Bericht nicht als Phantasterei abgetan, wäre es nicht soweit gekommen. Sie sind genau wie alle Menschen in höherer Position: Sie suchen den Fehler immer bei anderen.« 86 �
»Oho!« machte der Lieutenant befremdet. »Das hat mir bis jetzt noch niemand vorgeworfen. Wie kommen Sie dazu, mich…« »Nicht aufregen, Sir«, mahnte Sergeant Ben Corner. »Mr. Bradley ist ja noch halb benebelt, Sir.« »So ist es, Sir«, spottete Andrew. Es fiel ihm schwer, wieder sachlich zu werden, was er in erster Linie auf seine Angst zurückführte. Er war wieder von jenem merkwürdigen Traum gequält worden, und auch diesmal wußte er nicht, wie er sich verhalten sollte. Wenn er den anderen über seinen Traum berichtete und auch seine Vermutungen darlegte… Würde man ihm glauben? Er mußte es versuchen. Anne Southey war auf rätselhafte Weise gestorben. Wenn er weiterhin zögerte, würde es vielleicht bei einem Toten bleiben. Er legte also den anderen seine Vermutungen dar, vergaß auch nicht, von seinem Traum zu berichten. Als er jedoch die skeptische Miene des Lieutenants gewahrte, konnte er sich nicht enthalten zu sagen. »Schon einmal hatten Sie geglaubt, ich phantasiere, und die Folge ist, daß wir uns in dieser verdammten künstlichen Welt aufhalten müssen. Aber bitte, vielleicht haben Sie eine bessere Erklärung.« »Ich nehme an, es handelt sich um ein natürliches Phänomen«, sagte der Lieutenant, ohne sich von Andrews Zornesausbruch beeindruckt zu zeigen. »Wir dürfen nicht vergessen, daß die Naturwissenschaft erst am Anfang steht.« »Sie machen es sich zu einfach«, entgegnete Andrew, nun schon etwas ruhiger. »Ich habe noch nie zweimal denselben Traum geträumt. Nein, im Gegensatz zu Ihnen glaube ich, daß es sich um ein fremdartiges Lebewesen handelt, das uns kennenlernen will. Es hat uns die Tiere auf den Hals geschickt, um unsere Reaktionen zu testen. Warum es allerdings Mrs. Southey 87 �
getötet hat… Vielleicht will es verhindern, daß wir seine Welt verlassen.« »Da!« Konstabler Withe deutete nach außerhalb des Waldes. Zwei jüngere Männer waren zusehen. Plötzlich wandten sie sich zur Flucht. »Was soll das, Sir?« Sergeant Corner strich über sein angegrautes Haar. »Warum laufen sie weg, Sir?« »Ihnen werden die Polizeiuniformen nicht gefallen haben«, vermutete der Lieutenant, »Kommen Sie, und Sie auch, Konstabler Blish. Wir werden uns die beiden etwas näher ansehen. Sie bleiben hier, Konstabler Withe. Mr. Bradley können wir nicht allein lassen, mit seinem verstauchten Bein kann er schlecht fortlaufen.« Die Männer waren etwa zwei Minuten unterwegs, als Andrew glaubte, zwischen den Büschen etwas rascheln zu hören. Auch Konstabler Fred Withe lauschte. »Hören Sie es auch?« fragte Andrew. »Ich werde nachsehen«, entschloß sich Withe. »Bleiben Sie besser hier«, warnte Andrew. »Allein haben Sie bestimmt keine Chance, was immer es auch ist.« »Ich bin kein Feigling«, entgegnete Withe. Andrew schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich verstehe nicht, warum die Menschen immer Dummheit mit Mut verwechseln.« Konstabler Fred Withe wandte sich demonstrativ ab, und während er in die Richtung schritt, aus der das Rascheln zu hören war, zog er seine Pistole und entsicherte sie. »Bleiben Sie hier!« warnte Andrew noch einmal. Er hatte kaum ausgesprochen, als zwischen den Büschen etwas hervordrang. Der Konstabler schrie erschrocken auf. Er wollte noch zurückspringen, aber da wurde er auch schon von dem Etwas gepackt und zu Boden gerissen. Zwei, drei Schüsse krach88 �
ten, dann waren Schmerzensschreie zu hören, die aber bald verstummten. »Verdammt!« zischte Andrew, während er verzweifelt versuchte, auf die Beine zu kommen. Als er es endlich geschafft hatte, zwangen ihn die Schmerzen in seinem rechten Bein zu einem gepressten Stöhnen. Doch der Konstabler benötigte Hilfe. Andrew hinkte zu der Stelle, wo er Withe zuletzt gesehen hatte. Entsetzt schnappte er nach Luft. Auf dem Boden lag ein Mensch. Aber war es überhaupt noch ein Mensch? Andrew wandte sich würgend ab, er konnte den Anblick nicht länger ertragen. Ein längliches, blutiges Etwas war alles, was von Konstabler Withe übrig geblieben war und es wurde immer weniger. Andrew, überwand das Entsetzen. Sich dem unheimlichen Geschehen wieder zuwendend, gewahrte er ein raschelndes, flimmerndes Ding. Wie eine glühende Zunge glitt es über die Leiche des Konstablers und löste sie nach und nach auf. Plötzlich hörte Andrew rasche Schritte. Es war Lieutenant Leigh. »Zu spät!« brüllte Andrew. »Sie kommen zu spät!« Dann verließen ihn die Kräfte. Sein schmerzendes Bein knickte ein, und er sank zu Boden, wo er hemmungslos weinte. »Ich hörte Schüsse«, begann der Lieutenant, als er näher gekommen war, »und da dachte ich…« Geschockt hielt er inne, als er das grausige Geschehen bemerkte. »Was – ist – das?« dehnte er entsetzt. »Ist das…?« »Ja«, seufzte Andrew, »das ist Konstabler Withe.« Leigh wurde bleich. Erst nach einer Weile konnte er fragen: »Ein natürliches Phänomen«, murmelte Andrew. Der Lieutenant nahm diesen ätzenden Spott nicht wahr. Nach wie vor starrte er mit aufgerissenen Augen auf den Boden, wo 89 �
das raschelnde, flimmernde Ding unbeirrbar seine grausige Tätigkeit fortsetzte. Lediglich das Skelett und der Rückenteil der Uniform waren zu sehen, doch hur noch wenige Sekunden würden vergehen, bis auch davon nichts mehr übrig war. Selbst Pistole und Dienstmütze lösten sich unter der glühenden Zunge auf. Dann war es vorbei. Das niedergedrückte Gras war die einzige zurückbleibende Spur. »Warum?« fragte Vincent Leigh tonlos. Andrew schluckte schwer. Nur mit Mühe gelang es ihm, verständlich zu sprechen. »Ich nehme an, das Wesen wollte uns noch besser kennenlernen und hat deshalb einen von uns – hat deshalb einen von uns seziert.« »Sie, Sie glauben…?« stammelte der Lieutenant. »Wir haben sie eingefangen, Sir«, konnte Andrew Sergeant Corner rufen hören. »Eine Überraschung, Sir.« Die beiden Polizisten kamen schnell herbei. Sie führten zwei junge Männer in Handschellen mit. Sie sehen aus wie Galgenvögel, dachte Andrew Bradley, als er sie näher betrachten konnte. Er versuchte, an das soeben Geschehene möglichst nicht mehr zu denken, was ihm allerdings nicht gelang. »Wirklich eine Überraschung, Sir«, wiederholte Sergeant Corner. »Das sind Ted Miller und Sam Taylor, Sir, Lord Bournes Gorillas. Vor vier Jahren zu je drei Monaten verurteilt wegen schwerer Körperverletzung, begangen an einem politischen Gegner Lord Bournes, Sir. Wo ist Konstabler Withe, Sir?« »Hier!« Der Lieutenant deutete auf den Boden. Seine Hand zitterte. »Wo, Sir?« Andrew hatte sich wieder etwas beruhigt. Er fand es an der 90 �
Zeit, die anderen über das Geschehen aufzuklären. Als er die beiden Gorillas ungläubig und überheblich grinsen sah, fauchte er sie an: »Sie werden mir wahrscheinlich auch erst dann glauben, wenn es zu spät ist.« * Lord Arthur Bournes war nicht schnell gefahren, so daß es Sir Lawrence Carlyle nicht schwer gefallen war, ihn zu überholen. Er wußte nicht, ob er erkannt worden war, hoffte es aber, denn wenn Arthur die Polizei auf seinen Fersen wußte, enthielt er sich vielleicht weiterer Dummheiten. Sir Lawrence gelangte einige Minuten vor Lord Bourne nach Coleridge, es war ihm also möglich, mit einigen Leuten ein Versteck in der Nähe von Bourne Castle aufzusuchen, von wo man die Umgebung gut überblicken konnte. Und dann war es endlich soweit: der Rolls Royce Lord Bournes fuhr vor. Außer Lord Bourne stieg noch ein Mann aus, der nach der Beschreibung Dr. Southey sein mußte. »Sollen wir uns die beiden schnappen?« wurde Sir Lawrence gefragt. »Nein«, wehrte er ab. »Wir warten ab. Vielleicht werden einige Leute als Geiseln im Haus festgehalten. Wenn wir jetzt eingreifen, könnten sie getötet werden. In einer Viertelstunde, wenn die beiden Verfolgten sich wieder sicher fühlen, werden wir Bourne Castle mit Tränengas einnebeln und massiv vorrücken.« * »Ich begreife das nicht.« Lord Bourne blickte sich suchend um. »Ich habe Ted doch nach draußen beordert.« 91 �
»Vielleicht ist ihm die Zeit zu lang geworden«, sagte Southey. »Dann wäre er die längste Zeit mein Leibwächter gewesen, da ich Leute brauche, auf die ich mich…« Lord Bourne brach überrascht ab. Er hatte auf den Klingelknopf drücken wollen und zu seiner Überraschung festgestellt, daß die Tür nicht geschlossen war. »Ich werde mich sowohl von Sam als auch von Ted trennen müssen«, bemerkte er hierauf. »Ich hatte ausdrücklich befohlen, die Tür verschlossen zu halten.« Am Tage wurde die Vorhalle nur von zwei kleinen Fenstern notdürftig erhellt. Deshalb bemerkten die Männer die Falle erst, als sie sich bereits in ihr befanden. Vor ihnen stand Bob Hogarth, er hielt eine Pistole auf sie gerichtet. »Ich dachte, Sie stünden auf unserer Seite«, rief Dr. Southey, nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte. »Bob ist kein Verbrecher«, entgegnete Eileen Douglas, aus dem Salon tretend. »Er machte lediglich gute Miene zum bösen Spiel, um Sie zu täuschen.« Auf die Frage Lord Bournes, wo Sam und Ted seien, antwortete Bob: »Ich brachte sie in die ›neue Welt‹, wohin ich auch Sie bringe! Vorwärts!« Er winkte mit der Pistole in Richtung Keller. Dann deutete er auf die beiden Tornister in den Händen des Wissenschaftlers. »Die Geräte können Sie hier lassen.« »Hören Sie, Hogarth«, sagte Dr. Southey eindringlich, »mit den Geräten stimmt etwas nicht. Mein Tornister schaffte nur den Faktor zehntausend. Irgend etwas Fremdes…« »Erzählen Sie mir bitte keine Märchen!« wehrte Bob ab. »Hören Sie, Hogarth«, versuchte Southey es noch einmal, »es ist kein Märchen, Sir Arthur wird es Ihnen bestätigen können.« »Ja, das kann ich«, sagte Lord Bourne. »Mein Plan ist zu meinem Bedauern infolge der Fehlfunktion des Zeitbeschleunigers 92 �
fehlgeschlagen, so daß ich nunmehr nicht mehr damit rechnen kann und das sage ich ganz offen meine weiteren Pläne auf legalem Wege auszuführen.« »Sie werden überhaupt keine Pläne mehr ausführen«, erwiderte Bob. »Zuvor aber werden Sie, Dr. Southey, mir sagen, wie ich einen Menschen aus der ›neuen Welt‹ zurückholen kann.« »Nein, das werde ich nicht«, entgegnete Southey energisch, ohne sich von der auf ihn gerichteten Waffe eingeschüchtert zu zeigen. »Sie sehen also, Sie sind auf mich angewiesen.« »Das glauben Sie doch selbst nicht.« Bob lachte überlegen. »Sie waren so dumm, mich in Ihre Erfindung einzuweihen – ich meine den Zeitbeschleuniger. Da ich die Wirkungsweise in groben Zügen kenne, wird es mir nicht schwerfallen, auch Ihre ›neue Welt‹ kennen zu lernen. Gehen wir also.« Dr. Southey sah ein, daß er alle Trümpfe verspielt hatte, deshalb folgte er Bobs Aufforderung. Für Lord Bourne war Bob Luft, er beachtete ihn nicht. Auf dem Weg zum Labor raunte Dr. Southey der Gesellschafterin seiner Frau zu: »Miß Douglas, warum helfen Sie mir nicht? Habe ich Sie nicht immer korrekt behandelt?« »Doch, das haben Sie«, antwortete Eileen. »Aber die Beweise gegen Sie reichen aus, mich zu der Überzeugung kommen zu lassen, in Ihnen einen Wissenschaftler vor mir zu haben, der rücksichtslos seine Forschungen betreibt.« »Das ist nicht wahr«, entgegnete Dr. Southey heftig. »Ich habe stets darauf geachtet, daß keine Menschen zu Schaden kommen.« »Immerhin haben Sie sie in die ›neue Welt‹ gebracht, und das ist zumindest Freiheitsberaubung«, gab Eileen nicht nach. »Und Sie, Sir Arthur, haben durch Fahrlässigkeit den Tod zweier Menschen verursacht. Ohne Ihre hochfliegenden Pläne wäre es nie 93 �
soweit gekommen.« Lord Bourne beachtete das Mädchen gar nicht. Bob Hogarth hatte die Tür der Kabine geöffnet und winkte mit der Waffe. Lord Bourne und Dr. Southey befolgten die Aufforderung. Sich unbewaffnet gegen eine Pistole zur Wehr zu setzen, war aussichtslos. Die Tür wurde hinter ihnen zugeworfen, und es wurde dunkel in der Kabine. »Wir sind in unserer eigenen Falle gefangen.« Dr. Southey fand die Situation so komisch, daß er ein Grinsen nicht unterdrücken konnte. »Ich finde Ihren Humor keineswegs angebracht«, zürnte Lord Bourne, »waren Sie es doch, der diese Kabine für meine Zwecke konstruierte, und der mir versicherte, sie sei absolut narrensicher, ein Uneingeweihter könne sie nicht bedienen, was zutreffen mag, doch Sie weihten Hogarth ein, obwohl auch Ihnen sein zwielichtiges Gehabe hätte auffallen müssen, aber letztlich mußten Sie ihn einweihen, da Sie andernfalls mit Ihrer Konstruktion nicht weitergekommen wären, denn Sie allein waren nicht imstande, das Volumen des Zeitbeschleunigers auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.« »Ich bin in erster Linie Physiker und habe keine technischpraktische Ausbildung genossen«, verteidigte sich Dr. Southey, der die Bandwurmsätze Lord Bournes über sich ergehen ließ, ohne die Miene zu verziehen. »Das Einweihen Bobs in meine Erfindung wäre für uns ohne nachteilige Folgen geblieben, wenn Ihre beiden Gorillas nicht versagt hätten. Machen Sie also nicht mich verantwortlich für Ihre eigenen Fehler.« Lord Bourne wollte heftig entgegnen, aber plötzlich zerrte etwas an den beiden Männern, daß sie glaubten, zerrissen zu werden. Dann war es vorbei. Sie waren in der »neuen Welt«. 94 �
»Aber, das das…«, stammelte Dr. Southey, »das kann doch nicht sein, das ist nicht die ›neue Welt‹. Wo sind wir hier?« Auch Lord Bourne war überrascht. Southey hatte ihm die »neue Welt« als eine triste Unendlichkeit geschildert, in der es außer einem festen Boden, Luft und einer matten Helligkeit nichts gäbe. Und jetzt dies hier! Die Umgebung ähnelte eher einem Naturpark als einer von Menschen geschaffenen künstlichen Welt. »Es ist die ›neue Welt‹«, rief der Wissenschaftler, »es muß sie sein, eine andere Möglichkeit gibt es nicht.« Er überlegte kurz. »Als ich nach unserer Rückkehr aus London die Geräte untersuchte«, murmelte er, »wunderte ich mich über den hohen Energieverbrauch. Ich glaube, jetzt weiß ich, wofür sie benötigt wurde. Allerdings reichte die Energie nicht aus, um das alles aufzubauen. Sie kann höchstens den Anstoß dazu gegeben haben. Aber wieso hat diese Welt sich so entwickelt, wie wir sie sehen? Mein Computer ist dafür weder programmiert noch konstruiert.« »Vielleicht eine natürliche Erscheinung?« »Ich kann mir kaum vorstellen, daß…« Dr. Southey brach erschrocken ab. Irgend etwas krabbelte über den Boden. »Würmer!« rief Lord Bourne angewidert. Ja, es waren Würmer. Wo eben noch der Boden mit seinem frischen Gras anheimelnd auf die beiden Männer gewirkt hatte, krochen jetzt bräunliche, fingerdicke, klebrige Würmer. Dr. Southey fühlte Übelkeit, als ersah, wie diese ekelerregenden Tiere an seiner Hose emporkrochen. Er versuchte sie abzuschütteln, doch sie klebten fest. Jeden einzelnen Wurm mußte er mit den Fingern lösen, und für jeden entfernten kamen einige neue hinzu. »Wir müssen weg«, ächzte der Lord, der mit den gleichen 95 �
Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. »Was ist das? Meine Finger schmerzen. Ist das eine Säure?« Auch Dr. Southey fühlte Schmerzen an den Fingern. Als er sie näher betrachtete, sah er, daß sie bluteten. »Ja, Sie haben recht«, rief er erschrocken, »es ist eine Säure. Wir dürfen nicht länger hier verweilen. Vorwärts!« »Aber die Würmer…«, versuchte Lord Bourne einzuwenden. »Lassen Sie sie weiterkriechen, bis wir in Sicherheit sind.« Die Männer begannen zu laufen. Hohes Gras und manchmal auch Gestrüpp behinderte sie oft, so daß sie längere Zeit brauchten, bis sie den Waldrand erreichten, wo sie schnaufend stehen blieben. Dr. Southey zuckte angewidert zusammen, als er einige Würmer bereits über sein Hemd kriechen sah. »Wir müssen sie mit Laub abstreifen und darauf achten, daß sie nicht mit unserer Haut in Berührung kommen.« Doch plötzlich waren die Würmer verschwunden. Nur die schleimigen Spuren auf der Kleidung und die noch blutenden Finger deuteten darauf hin, daß widerwärtige Tiere die beiden Männer fast zum Wahnsinn getrieben hatten. »Nein«, murmelte Dr. Southey, »das ist keine natürliche Erscheinung, so etwas gibt es nicht in der Natur.« »Sie meinen irgendein Lebewesen?« Lord Bourne blickte den Wissenschaftler ungläubig an. Dr. Southey seufzte. »Ich finde keine andere Erklärung. Diese Welt hat ein Lebewesen geschaffen. Zunächst war ich der Meinung, alles würde uns nur vorgegaukelt, doch die blutenden Finger belehren mich eines anderen. Wir haben es mit einem Wesen zu tun, das uns wahrscheinlich in jeder Beziehung überlegen ist. Wenn ich nur wüsste… Hoppla!« Er war über etwas gestolpert. Als er sich umwandte, sah er 96 �
Lord Bourne mit schreckgeweiteten Augen auf den Boden starren. »Das sind das sind…«, ächzte er. »Ist Ihnen nicht wohl?« fragte der Wissenschaftler besorgt. Doch dann erkannte er den Grund für das Entsetzen seines Begleiters. Auf dem Boden lagen die fast verwesten Leichen zweier Polizisten. Dr. Southey wandte sich schaudernd ab. Mehrere Schritte mußte er abseits gehen, bis der Gestank nicht mehr wahrzunehmen war. Lord Bourne konnte sich endlich von dem Anblick losreißen. Er folgte dem Wissenschaftler und sagte: »Es sind die Leichen der beiden infolge meines Fehlers ums Leben gekommenen Polizisten. Doch wo sind die anderen?« Dr. Southey blickte sich suchend um. »Mich würde vor allen Dingen interessieren, wo sich meine Frau aufhält. Ich habe ihr vieles zu erklären.« »Dafür ist es leider zu spät«, konnte er eine Stimme aus dem Wald hören. »Kommen Sie her, Dr. Southey, wenn Sie Ihre Frau sehen wollen!« Zwischen den Büschen raschelte es, und dann trat ein Mann in Polizeiuniform hervor. Southey erkannte ihn als den Lieutenant wieder, den sie in die »neue Welt« gebracht hatten. »Wo ist sie?« Dr. Southey sah ein, daß Flucht sinnlos war. Langsam ging er dem Lieutenant entgegen. »Ich werde sie Ihnen zeigen.« Der Lieutenant ging voran und führte den Wissenschaftler tiefer in den Wald. Dr. Southey war es gleich, ob Lord Bourne ihnen folgte. Er wollte seine Frau sehen. Bald kamen sie zu einer Lichtung, wo eine kleine Gruppe Menschen lagerte. Aber Anne war nicht dabei. Wo war sie? 97 �
Der Lieutenant führte ihn weiter. Dann sah er sie. Sie lag unbeweglich auf dem Boden. »Sie schläft?« wunderte er sich. »Aber warum so weit abseits? Anne, wach auf!« Er kniete neben ihr nieder. »Anne, warum antwortest du nicht?« Er strich ihr über die Stirn. Und dann malte sich Entsetzen in seinen Zügen. »Aber, aber sie ist ja ganz kalt. Sie ist tot! Anne!« Wie ein Hilfeschrei brandete der Name durch den Wald. Er wurde als vielfaches Echo zurückgeworfen und verlor sich dann. Dr. Southey brach zusammen. * Andrew Bradley fühlte Mitleid mit dem Wissenschaftler, der völlig gebrochen neben der Leiche seiner Frau lag und hemmungslos weinte. Doch bald gewann in Andrew ein anderes Gefühl wieder die Oberhand: die Eifersucht. Sam und Ted hatten von ihrer »Arbeit« berichtet, und Andrew hatte erfahren müssen, daß Bob und Eileen sich schon näher gekommen waren, als er befürchtet hatte. Wäre es nun ein anderer Mann als Bob gewesen, hätte Andrew mit einem Seufzer verzichtet, er war daran gewöhnt. Doch er wußte, daß Bob auch mit Eileen so verfahren würde wie mit seinen bisherigen Eroberungen. Er würde sie in jeder Beziehung ausbeuten und dann einfach verlassen. Andrew war überzeugt, daß auch Eileen früher oder später in der »neuen Welt« auftauchen würde von Bob hineingezwungen, wenn er sie nicht mehr brauchte. Dem verständnisvollen Zureden des Lieutenants war es zu verdanken, daß Dr. Southey sich bald beruhigte. Sicherlich ahnte er, daß er selbst der eigentliche Schuldige war. Gebeugt, als trüge er eine schwere Last, kam er herbei und setzt sich auf den Boden. 98 �
»Wieso?« hauchte er. Leigh berichtete ausführlich. Der Wissenschaftler hörte schweigend zu. Erst als der Lieutenant geendet hatte, sagte er: »Anne wurde also getötet, als sie Ihnen helfen wollte. Ich weiß nicht, was für ein Wesen das ist. Ich werde über meine eigenen Erfindungen nicht mehr Herr.« »Wir wollen endlich zurück in die normale Welt!« rief Ted Miller anklagend. »Sie haben hier gar nichts zu wollen!« wies Sergeant Corner ihn zurecht. Dann wandte er sich an den Lieutenant: »Aber eigentlich hat er recht, Sir.« Leigh nickte. »Dr. Southey!« Das klang wie ein Befehl. »Es gibt keine Rückkehr«, behauptete der Wissenschaftler. »Sie sind wohl verrückt geworden!« rief Sam Taylor. »Ihnen haben wir unser Hier sein zu verdanken, also müssen Sie auch einen Rückweg…« »Wenn man sich auf einen bestimmten Hebel am KabinenSchaltpult konzentriert«, erklärte der Wissenschaftler, »werden die Hirnströme verstärkt, und der Hebel bewegt sich von selbst. Dann bricht die ›neue Welt‹ sofort zusammen, und wir kehren zurück.« Andrew verstand jetzt, weshalb es keine Rückkehr gab. Wenn man sich auf die irdische Welt konzentrierte, erhielt man von dem fremden Wesen einen Schlag, der vielleicht tödlich sein konnte. »Dann konzentrieren Sie sich doch endlich, Doktor!« rief Ted Miller. Doch der Wissenschaftler saß unbeweglich auf dem Boden, seine Augen starrten abwesend in die Ferne. Andrew begriff als erster, was Southey beabsichtigte. 99 �
»Nicht, Doktor!« rief er erschrocken. »Das dürfen Sie nicht tun! Wir sind doch auf Sie angewiesen!« Aber es war schon zu spät. Wie unter einem heftigen Schlag zuckte der Wissenschaftler zusammen. Er kippte zur Seite und blieb bewegungslos liegen. »Was soll denn das bedeuten?« rief Sam Taylor erstaunt. »Lassen Sie diese Faxen, Doktor!« Aber Dr. Southey bewegte sich nicht mehr. »Er hat sich umgebracht«, erklärte Andrew, der sich wunderte, warum er nicht in ein hysterisches Schreien ausbrach, denn er war der Verzweiflung nahe. »Es gibt für uns keine Rückkehr.« * Eileen Douglas blickte besorgt auf Bob Hogarth, der mit einer wahren Besessenheit einen der Tornister untersuchte. Er schien alles ringsum vergessen zu haben – auch sie. »Ich kann den Fehler nicht finden«, knurrte er wütend. »Das Gerät leistet aber nur den Faktor zehntausend. Gibt es wirklich etwas Fremdes?« »Was meinst du damit?« Eileen kam erstaunt näher. »Unbedeutend«, wehrte Bob ab. »Jedenfalls brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Auch wenn die Geräte nur den Faktor zehntausend leisten, sind wir allen Menschen überlegen.« »Ich verstehe nicht«, murmelte Eileen verwirrt. Bob schraubte die Abdeckplatte auf den Tornister und wandte sich dann dem Mädchen zu. »Du liebst mich doch?« fragte er leise. Als Eileen nickte, nahm er sie in seine Arme und küsste sie. »Wir beide werden reich und mächtig werden«, flüsterte er. »Wir werden unser Leben nach unserem Geschmack einrichten können. Niemand wird uns etwas anhaben können.« 100 �
»Was hast du vor?« fragte sie lächelnd, in der Meinung, es handelte sich um einen Scherz. »Überlege doch mal, Liebling«, forderte er sie auf. »Mit den Tornistern können wir tun und lassen, was wir wollen. Wenn wir uns zehntausendmal schneller bewegen als die anderen Menschen, wird man uns nicht einmal sehen können. Ich schlage vor, zunächst machen wir uns ein paar schöne Tage, und dann begeben wir uns nach London und übernehmen nach und nach die Macht.« Eileen lief es kalt über den Rücken. War Bob verrückt geworden? Er blickte sie forschend an. »Was hast du, Liebling?« Eileen erkannte erschrocken, daß er es ernst meinte. »Aber das kann doch nicht sein«, hauchte sie tonlos. »Das ist doch nicht dein Ernst. Du willst doch nur Andrew und die anderen aus der ›neuen Welt‹ holen, und dann haben wir endlich diesen Alptraum hinter uns. Du bist doch kein Verbrecher, Bob.« »Verbrecher, Unsinn!« knurrte er unwillig. »Ein paar Leutchen machen Gesetze und zwingen die anderen, sich daran zu halten, und wer es nicht tut, wird als Verbrecher verschrien. Ich pfeife auf diese Gesetze. Ich habe die Macht, und ich wäre blöde, wenn ich sie nicht nutze.« Eileen fühlte Schmerzen in ihrer Brust. War es die Enttäuschung? Sie schluckte schwer. »Selbst wenn du recht hättest, müsstest du an die Menschen denken, die durch dein Verhalten geschädigt würden. Dir wäre es doch auch nicht recht, wenn man dich als Material behandeln und einfach zur Seite fegen würde.« »Mache bitte nicht den Versuch, in mir Mitleid für andere Menschen zu wecken«, wehrte er ab. »Mitleid ist ein anerzogenes Gefühl, das ein zum Herrschen geborener Mensch nicht kennen 101 �
darf. Gib dir also keine Mühe, mich von meinen Plänen abzubringen.« »Aber das kann doch nicht sein!« Sie blickte ihm verzweifelt in die Augen. »Hatte Andrew also recht?« »Natürlich hatte er recht.« Bob grinste verächtlich. »Hör auf mit deiner Gefühlsduselei!« »Bob«, beschwor sie ihn, »wenn du auch nur das geringste für mich empfindest, so…« »Wer sagt denn, daß ich etwas für dich empfinde?« Er schüttelte spöttisch den Kopf. »Wie kann man nur so dumm, so einfältig sein. Hast du denn noch nicht gemerkt, daß ich dich nur benutzt habe, daß ich lediglich eine Helferin brauchte – und eine Spielkameradin?« »Das ist unglaublich, so hundsgemein!« flüsterte sie. Ich kann mich doch nicht so sehr getäuscht haben.« »Beruhige dich, Liebling, du bist nicht die erste, die auf mich hereingefallen ist!« Er blickte sie verächtlich an. »Vielleicht hätte ich weiterhin mit dir zusammengelebt, wenn du nicht diese veralteten Rechtsbegriffe hättest. Aber da du dich nicht meinen Wünschen fügst, müssen wir uns trennen. Ich brauche dich nicht mehr, du kannst gehen.« Die Enttäuschung traf sie so niederschmetternd, daß es ihr richtig übel wurde. Alle ihre Hoffnungen wurden mit einem Schlag zerstört. Ihre Liebe zu Bob hatte sie gegenüber der Realität blind gemacht. Bob hatte ihr brutal die Augen geöffnet. »Stell dich doch nicht an wie ein Schulmädchen«, fuhr Bob sie roh an. »Was willst du denn? Liebe? Vertrauen? Lass mich mit diesem Quatsch in Ruhe, wende dich damit besser an Andrew, dieser Trottel hat noch so genannte Ideale. Nun ja, wenn man so aussieht wie er, nimmt man sogar mit einem Freudenmädchen vorlieb.« Die letzte Bemerkung verwandelte Eileens Enttäuschung in 102 �
Wut. Sie schlug Bob ins Gesicht. Er packte sie an beiden Armen und zerrte sie zur Kabine. »Ich sagte, ich brauch dich nicht mehr, das hast du offenbar vergessen.« Er schob sie in die Kabine. Eileen konnte noch »dumme Gans« verstehen, dann wurde die Tür hinter ihr zugeworfen. Wenig später glaubte sie, zerrissen zu werden. Gequält stöhnte sie auf. Und dann war es vorbei. Eileen wußte: sie befand sich in der ›neuen Welt‹. Sie kam jedoch nicht dazu, ihre Umgebung genauer zu betrachten. Ein unerklärliches Gefühl der Angst lähmte plötzlich Ihre Entschlusskraft. Es war ihr, als würde sie von etwas Unheimlichem umgeben, von etwas, wofür sie keine Erklärung hatte. Dieses Etwas schien sich zu verdichten, und das Angstgefühl verstärkte sich. Da entstand etwas vor ihr. Zunächst war es nur ein formloser, flimmernder Klumpen, aber er nahm rasch Gestalt an. Eileen brachte es nicht fertig, weiterzulaufen, das Ding vor ihr zwang sie zum Stehen bleiben. Dann schwebte eine menschenähnliche Gestalt vor ihr. Unantastbare Autorität schien von ihr auszugehen, aber auch absolute Gefühllosigkeit. Diese Gestalt, dieses fremde Wesen, kannte keine menschlichen Regungen. Doch: sie empfand Neugierde, und sie hatte Schmerzen. »Wer – wer bist du?« stammelte Eileen. Die Gestalt antwortete nicht. Sie schwebte über dem Boden. In dem Blick ihrer Augen glaubte Eileen die Bitte um Hilfe zu erkennen – und die Angst vor Schmerzen, unter denen sie immer wieder zusammenzuzucken schien. Und dann drang etwas Fremdes in Eileens Hirn. In diesem Augenblick löste sich der Bann. Wie gehetzt begann 103 �
Eileen zu laufen. Es war ihr, als würde sich das Fremde enttäuscht aus ihrem Hirn zurückziehen. Aber was war das? Glühte der Boden? Ringsum begann das eben noch frische Gras zu welken. Es wurde braun und unansehnlich, und dann begann es zu brennen. Eileen rannte, weiter, dem Wald entgegen, und ihrer Kehle entrang sich ein verzweifelter Aufschrei. Sie achtete nicht mehr darauf, wohin sie lief. Irgendwann stolperte sie. Hilflos ruderte sie mit den Armen, dann schlug sie hart auf den Boden. Als sie wieder das Bewußtsein erlangte, sagte eine Stimme, die sie schon einmal gehört hatte: »… jedenfalls im letzten Augenblick, Sir. Ah, sie kommt jetzt zu sich, Sir!« »Schön, Sergeant«, erwiderte eine andere, ebenfalls bekannte Stimme. »Ich glaube, sie braucht jetzt jemanden, der sie tröstet. Nach den Blicken Mr. Bradleys zu urteilen, hat er ein Auge auf Miß Douglas geworfen. »Sogar beide«, antwortete eine dritte Stimme. Eileen erkannte sie sofort, sie gehörte Andrew. »Allerdings mag sie mich nicht, sie hat sich in Bob verknallt.« Eileen öffnete die Augen, setzte zum Sprechen an und… »Vorsicht, Konstabler Blish!« rief Lieutenant Leigh. Doch seine Warnung kam zu spät. Zwischen ihm und dem Konstabler entstand im Boden ein Spalt, der mit unheimlicher Geschwindigkeit breiter wurde. Als der Konstabler endlich seinen Schrecken überwunden hatte und aufsprang, maß der Spalt schon mehrere Meter. Das knirschende, berstende Geräusch des auseinander brechenden Bodens ließ keine Verständigung zu. Nach wenigen Sekunden war Konstabler Blish schon außer Rufweite. Die Erde war gespalten. Wo gerade noch der Konstabler 104 �
gestanden hatte, gähnte nun ein Abgrund. Sergeant Corner stand ihm am nächsten. Er meldete: »Unten ist Wasser, Sir, in etwa dreißig Meter Tiefe, Sir.« Ein knisterndes Geräusch ließ die Menschen erneut zusammenschrecken. Innerhalb weniger Sekunden lösten sich die Bäume und Sträucher auf. Nur ein kahler, harter Boden blieb zurück. Die Sonne begann verstärkt zu scheinen, die Menschen begannen zu schwitzen. Eileen stellte fest, daß sie und Andrew etwas abseits saßen. Eben wollte sie Andrew den Vorschlag machen, näher zu den anderen zu rücken, als es auch schon geschah. Ihre Beine gaben nach, und als sie nach der Ursache schaute, sah sie vor sich einen Spalt entstehen. Vor Schreck verlor sie das Gleichgewicht und kippte vornüber. Da legte sich wie eine Klammer eine Hand um ihren rechten Arm. Ein Ruck ging durch ihren Körper, dann schwebte sie über dem Abgrund. Hochblickend gewahrte sie Andrew, der sie verzweifelt zu halten versuchte, doch seine Anstrengung würde vergebens sein. So sehr er sich auch sträubte, langsam zog ihn das Gewicht ihres Körpers über den Abgrund. Sie hatten beide keine Hilfe zu erwarten. Der Spalt zwischen ihnen und der Gruppe war bereits über dreißig Meter breit und wurde zusehends größer. »Lass mich los!« rief Eileen Andrew zu. »Es genügt, wenn ich draufgehe. Du hast überhaupt keinen Grund, mir zu helfen.« »Von wegen!« ächzte Andrew. »Ein zweites Mal gehst du mir nicht durch die Lappen, und wenn ich dabei krepieren muß.« Kaum hatte er ausgesprochen, als er auch schon über den Rand schlitterte. Zusammen rasten sie in die Tiefe. Eileen schrie gellend auf, dann wurde ihr schwarz vor Augen. * 105 �
Etwa um dieselbe Zeit gab Sir Lawrence Carlyle den Befehl zum Angriff. Er wußte, daß er ein Risiko einging, denn er hatte keine Möglichkeit, zu erfahren, was in Bourne Castle vorging. Wenn dort wirklich Geiseln gehalten wurden und Lord Bourne aufs Ganze ging, so war ihr Leben nichts mehr wert. Andererseits konnte er Sir Lawrence die Entscheidung nicht mehr länger hinausschieben, denn vielleicht plante Arthur ein neues Gaunerstück. Mit Hilfe des Zeitbeschleunigers konnte er straflos jedes Verbrechen begehen. Es war nicht möglich, heimlich in das Haus zu gelangen. Sobald der Gegner sein Gerät einschaltete, war er jedem noch so gut ausgerüsteten Polizisten überlegen. Nein, hier half nur Tränengas. Sowohl die Umgebung Bourne Castles als auch das Landhaus selbst mußte völlig eingeräuchert werden, dann hatte der Gegner keine Chance. Sir Lawrence setzte eine Gasmaske auf, dann folgte er den vorstürmenden Polizisten. Schon bald war die Umgebung so verräuchert, daß auch der Zeitbeschleuniger dem Gegner nicht würde helfen können. Er würde aufgeben müssen. Doch von einem Gegner war vorerst nichts festzustellen. Einige Leute drangen durch ein offen stehendes Fenster ein. Wenig später wurde die eichene Eingangstür geöffnet, und die anderen konnten vorrücken. Sir Lawrence war mitten unter ihnen. Er ließ es sich nicht nehmen, persönlich an diesem Einsatz teilzunehmen. Er wartete in der Vorhalle auf die ersten Meldungen, die auch nicht lange auf sich warten ließen. Als das Tränengas abgezogen war und die Männer ihre Masken abnehmen konnten, faßte Higgins das Ergebnis zusammen: »Wir haben das Haus vom Dach bis zum Keller durchsucht und dabei Ketten gebildet, so daß also auch jemand mit einem so 106 �
genannten Zeitbeschleuniger nicht durchschlüpfen konnte.« »Und?« fragte Sir Lawrence gespannt. »Nichts, Sir. Außer uns hält sich kein Mensch in diesem Haus auf.« »Aber sie können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben«, wunderte sich Sir Lawrence. Da erst erinnerte er sich der »neuen Welt«, von der Inspektor Wood ihm berichtet hatte. Er wollte eine diesbezügliche Frage an Higgins richten, als dieser sagte: »Unten im Keller befindet sich ein Labor, Sir. In den Nebenräumen laufen mehrere Generatoren, und im Labor selbst sind einige größere Transformatoren in Betrieb.« »Das möchte ich mir näher ansehen«, sagte Sir Lawrence. * Einige Minuten zuvor hatte Bob Hogarth sich einen der Tornister auf den Rücken geschnallt. Er beabsichtigte, nach Coleridge zu fahren und dort das Gerät auszuprobieren. Je nachdem wie die Menschen reagieren würden, wollte er sein weiteres Vorhaben planen. Als er jedoch das Labor verlassen wollte, hörte er von der Treppe her Stimmen. Fast im gleichen Augenblick fiel etwas vor ihm auf den Boden. Es war eine längliche Hülse, der etwas Weißes entquoll. »Tränengas!« zischte Bob. Er wollte die Patrone aufnehmen und zurückschleudern, doch als er sie berührte, verbrannte er sich sofort die Finger. Fluchend ließ er die Patrone fallen. Was nun? Der beizende Qualm drang immer weiter vor. Ich habe doch meinen Tornister! Er schaltete das Gerät ein, und sofort verstummte jedes Geräusch. Die Gaswolke schien zu einem festen Gebilde erstarrt zu sein. 107 �
Aber als er den Tunnel betrat, wußte er, daß ihm der Weg nach oben versperrt war. Vorraum und Treppe waren mit Tränengas vernebelt, nach wenigen Schritten würde er es nicht mehr aushalten können. Es blieb ihm also nur der Rückzug. »So eine Pleite!« fauchte Bob. Er warf die Metalltür hinter sich zu und überlegte kurz. Mir bleibt nur ein Ausweg, wußte er nach einer Weile, ich muß in die »neue Welt«. Mit meinem Tornister bin ich den anderen überlegen, ich brauche mich also weder vor Dr. Southey noch vor den Bullen zu fürchten. Ein Glück, daß ich inzwischen Gelegenheit hatte, die Geräte kennen zu lernen. Er ging zum Schaltpult und drückte den Knopf für den Selbstauslöser. Dreißig Sekunden, das würde genügen. Nachdem er seinen Tornister ausgeschaltet hatte, betrat er die Kabine und zog die Tür hinter sich zu. »Jetzt bin ich doch mal gespannt, wie es in der ›neuen Welt‹ aussieht«, murmelte er. * Durch den harten Aufschlag auf das Wasser wich die Ohnmacht von Eileen Douglas. Sie sank einige Meter, bevor sie endlich richtig reagieren konnte. Als sie die Oberfläche erreichte, bemerkte sie in einiger Entfernung ein strampelndes, nach Luft schnappendes Etwas. Andrew Bradley! Nicht einmal schwimmen kann der Kerl, dachte sie, während sie auf ihn zukraulte. »Beweg dich nicht!« rief sie ihm zu, als sie ihn erreicht hatte. Doch er wußte in seiner Todesangst nicht, was er tat. Er schlug weiterhin um sich und brachte Eileen dadurch in Bedrängnis. Es 108 �
dauerte längere Zeit, bis er sie endlich wahrnahm. »Ich kann nicht schwimmen«, ächzte er. »Das sehe ich«, erwiderte sie. Sie drehte sich auf den Rücken und schob sich unter Andrew, so daß er auf sie zu liegen kam. »Lange wirst du das nicht aushalten«, schnaufte er. Aber lange durchzuhalten war nicht nötig, denn obwohl Eileen sich kaum fortbewegt hatte, fühlte sie plötzlich Boden unter den Füßen. Nur wenige Augenblicke vergingen, und ein größerer Felsbrocken tauchte aus dem Wasser. Bald lagen Eileen und Andrew auf dem Trockenen. Der junge Mann hustete noch etwas, dann sagte er: »Ehrlich gesagt, ich verstehe überhaupt nichts mehr. Zuerst bringt man uns in eine gefährliche Lage, und dann erlöst man uns wieder womit ich dein Verdienst natürlich nicht schmälern will.« »Ich denke, wir sind quitt.« Eileen schaute sich um. Die über das Wasser ragende Fläche des Felsbrockens war rund und hatte einen Durchmesser von etwa zehn Metern. Aber sonst war alles ringsum Wasser. »Wenn ich nur wüsste, wo die anderen sind«, sagte Andrew. »Sie können doch unmöglich alle ertrunken sein. Aber jetzt, wo wir etwas Zeit haben, hätte ich gern von dir erfahren, warum du dich in der ›neuen Welt‹ aufhältst.« Sie war modern erzogen worden, deshalb konnte sie ihm ihre Erlebnisse ohne zu zögern berichten. »Du hattest also recht mit deinen Angaben über Bob«, sagte sie abschließend. »Und wie ist es dir ergangen?« Er erzählte es ihr, und als er geendet hatte, seufzte sie: »Dann sind also bis jetzt mindestens fünf Menschen ums Leben gekommen, und ich habe mich mitschuldig gemacht.« Andrew schüttelte energisch den Kopf und wollte etwas entgegnen, aber sie ließ sich nicht unterbrechen. »Doch, Andrew. Wenn ich mich 109 �
nicht wie ein Schulmädchen in Bob verknallt hätte, wäre mir sein Verhalten mehr als merkwürdig vorgekommen. Jetzt weiß ich, daß es ihm leicht gefallen wäre, Dr. Southey und Lord Bourne unschädlich zu machen und euch aus der ›neuen Welt‹ zu holen. Er war von Anfang an darauf aus, durch die Erfindungen Southeys zu Macht und Geld zu kommen, und ich hatte es nicht gemerkt.« »Liebe macht blind«, erwiderte Andrew lächelnd. »Es ist nett von dir, daß du mein Verhalten auf diese Weise entschuldigst, aber…« »Da!« Andrew deutete aufs Wasser. Dann sah es auch Eileen. Das Wasser verwandelte sich in festes Land, und der Boden trocknete schnell ab. Aber nicht nur die Umgebung hatte sich verändert, Eileen fühlte auch in ihrem Innern eine Veränderung. »Etwas Fremdes bittet um Einlass in meinen Kopf«, murmelte sie. Andrew blickte sie besorgt an. »Was hast du?« »Da will etwas in meinen Kopf. So etwas habe ich schon einmal erlebt, als ich in der ›neuen Welt‹ ankam.« »Es ist das Wesen, das mit uns seine Spielchen treibt«, vermutete Andrew. Eileen schwieg. Zunächst hatte das Wesen sie gebeten, jetzt forderte es schon. Eileen wußte nicht, wie sie reagieren sollte. Durfte sie dem fremden Druck nachgeben? »Was soll ich tun?« hauchte sie. »Ich weiß es nicht«, antwortete Andrew. »Wenn ich bedenke, daß das Ding schon drei Menschen auf dem Gewissen hat… Aber vielleicht hat es gar kein Gewissen. Andererseits… Bei deiner ersten Begegnung mit ihm flehte es um Hilfe. Wenn wir ihm helfen, läßt es uns vielleicht endlich in Ruhe, und wir können die 110 �
›neue Welt‹ verlassen.« Eileen hörte kaum noch hin. Das Fordern des fremden Wesens wurde immer drängender. Da gab sie endlich nach. Sofort drang das Fremde mit aller Kraft in sie ein. Eileen wußte, daß jeder Widerstand zwecklos geworden, war. Das Fremde war stärker als sie. Und dann nahm sie plötzlich das fremde Bewußtsein in sich wahr. Ja, es war wirklich fremd, so fremd, daß es kaum Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Eileen gab. Hier würde es nie eine Brücke geben, Eileen war davon überzeugt. Was bist du? dachte Eileen intensiv. Das Ding in ihrem Kopf antwortete nicht, aber Eileen glaubte dennoch eine Antwort zu registrieren. Durch die Erfindungen Dr. Southeys war das fremde Wesen in seiner Existenz bedroht. Die Experimente mit dem Zeitbeschleuniger bereiteten ihm solche Schmerzen, daß es immer mehr von seinem Ich verlor. Irgendwann floss dann Energie aus der anderen Welt in die seine, und seine Neugierde erwachte. Es entdeckte eine künstliche Welt, in der sich ein Mensch aufhielt. Es wollte ihn näher kennenlernen, die in seine Welt-Eindringende Energie brachte es auf die Idee, die künstliche Welt für seine Zwecke herzurichten. Dann begann es damit, den Menschen zu testen. Nach und nach kamen noch andere Menschen hinzu, die ebenfalls getestet wurden, aber ihre Reaktionen waren oft so unlogisch, daß es auf diese Weise nicht weiterkam. Es mußte einen dieser Menschen gründlich untersuchen. Es begriff nicht, warum die anderen; über den Tod Konstabler Withes so bestürzt waren. Es gab noch genug andere Menschen, auf einen kam es doch nicht an. Nun kannte das Wesen zwar genau die Anatomie des Menschen, aber mehr hatte es nicht erfahren können. Also mußte es 111 �
die Menschen auch weiterhin testen. Währenddessen aber hatten sich seine Schmerzen noch verstärkt. Bereits mehrmals waren die Zeitbeschleuniger benutzt worden, und es hatte nichts dagegen unternehmen können. Erst als es fast zu spät war, hatte es feststellen können, daß es die Leistung der Zeitbeschleuniger herabsetzen und dadurch seine Schmerzen vermindern konnte. Aber dann begab Bob Hogarth sich in die »neue Welt«. Er trug einen Tornister auf dem Rücken, und obwohl das Gerät nicht eingeschaltet war, bereitete allein seine Existenz dem Wesen solche Schmerzen, daß es sofort seine Tests auf die Entfernung des Störenfrieds verlegte. Doch der Tornister war ebenso wie sein Träger unangreifbar, es brauchte also Hilfe. Eileen atmete erleichtert auf, als das Fremde sich zurückzog. Sie hatte es überstanden. Das fremde Wesen hatte sie nicht geschädigt, es hatte ihr nur mitgeteilt, was geschehen war und daß es Hilfe brauchte. Und noch etwas hatte sie erfahren: Bob Hogarth befand sich in der »neuen Welt«. War er freiwillig hierher gekommen? Weshalb hätte er das tun sollen? In der »neuen Welt« gab es für ihn nichts zu holen, und wegen Eileen war er bestimmt nicht gekommen. Er hatte sie nie geliebt, ja, sie war sogar überzeugt, daß er für sie nicht einmal Sympathie empfunden hatte. Sie selbst hatte geglaubt, ihn zu lieben, aber jetzt wußte sie, daß es nur Leidenschaft gewesen war, die schnell wieder erloschen war. Bob war für sie in seinem Denken und Fühlen ein Fremder. Eileen berichtete Andrew, was sie von dem fremden Wesen erfahren hatte. »Wir sollten also den Tornister unschädlich machen«, überlegte Andrew laut. »Dabei wissen wir nicht einmal, wo Bob sich auf112 �
hält. Und selbst wenn wir in seine Nähe kämen; könnten wir nichts gegen ihn unternehmen, denn er ist uns mit seinen zwei Pistolen und seinem Tornister überlegen. Wenn ich nur wüsste, wie wir…« Plötzlich grinste er. »Wie wäre es, wenn du Bob wieder um den Hals fallen würdest?« »Du bist gemein!« rief Eileen aufgebracht. »Jeder Mensch macht mal einen Fehler.« »Nein, ich meine es ernst. Er hat dich hereingelegt, und jetzt legst du ihn herein. Während du dich mit ihm beschäftigst und ihn so ablenkst, gelingt es mir vielleicht, an seinen Tornister zu kommen.« »Ich weiß nicht, ob ich so gut schauspielern kann«, wandte sie ein. »Außerdem kannst du dich nirgendwo verbergen.« Sie deutete ringsum. »Hier ist alles eine ebene Fläche und…« Sie brach erschrocken ab. Der felsige Boden verwandelte sich in Humuserde. Aus dem Nichts entstanden Wiesen, Sträucher, Büsche und Bäume. »Jetzt sieht alles wieder so aus wie zu Beginn«, wunderte sich Andrew. Er versuchte, sich aufzurichten. Und tatsächlich, es gelang. »Meine Schmerzen sind wie weggeblasen, wahrscheinlich weil du in meiner Nähe bist. Na, jetzt kann Bob kommen.« * Bob Hogarth schüttelte ratlos den Kopf. Was war das nur für eine Welt, in die er geraten war? Gerade hatte noch eine unendlich weite, völlig kahle Ebene vor ihm gelegen, und nun befand er sich auf einer Wiese. Einige Sträucher und Büsche standen in der Nähe, etwas weiter weg war ein Wald zu sehen. Was hatte das zu bedeuten? Wie war es Dr. Southey gelungen, eine solche Welt zu 113 �
schaffen? »Nein«, murmelte Bob. »Also etwas anderes. Aber was? Irgend etwas Fremdes.« Bob war sich nicht schlüssig, wohin er sich wenden sollte. Wenn Eileen mit den Polizisten zusammengetroffen war und sie über seine Pläne unterrichtet hatte, würden sie ihn bei der ersten sich bietenden Gelegenheit festnehmen. Er mußte sich also vorsehen. Am besten verbarg er sich im Wald, dort würde man ihn nicht so leicht ausmachen können. Eine Weile später, er hatte sich gerade im Wald niedergelassen und mit dem Rücken an einen Baum gelehnt – der Tornister bereitete ihm hierbei einige Schwierigkeiten –, hörte er plötzlich ein Rascheln im Gestrüpp zwischen den Bäumen. Sofort sprang er hinter den Baum in Deckung. Nachdem er eine Pistole aus der Tasche gezogen hatte, lugte er hervor. »Halt, stehen bleiben!« rief er. »Ich bin es, Eileen!« wurde aus dem Gestrüpp geantwortet. »Du?« rief Bob verwundert. Aber er blieb vorsichtig. Auch als Eileen hervorkam und ihm langsam entgegenging, behielt er die Pistole im Anschlag. »Du kannst deine Pistole wieder einstecken.« Eileen lächelte. »Ich bin allein.« »Das hoffe ich in deinem Interesse.« Bob trat vor. »Wo sind die anderen?« Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Seit ich hier bin, habe ich noch niemanden zu Gesicht bekommen.« Da erst sah er, daß ihre Kleidung nass war. »Bist du ins Wasser gefallen?« fragte er spöttisch. »So kann man es nennen. Ich war ausgerutscht und in einen kleinen Teich gestürzt hinten im Wald.« Sie blickte ihn lächelnd an. 114 �
Nanu, dachte Bob, hat sie immer noch nicht genug von mir? Nun ja, vielleicht kann ich sie noch brauchen. Hier in der »neuen Welt« ist es ziemlich einsam. Mal sehen, was noch zu retten ist. »Ich muß mich bei dir entschuldigen«, sagte er, wobei er versuchte, seiner Stimme einen zärtlichen Klang zu geben. »Ich hatte es nicht so gemeint. Ich war nur verärgert, weil du für meine Pläne kein Verständnis zeigtest.« »Und ich habe dir unrecht getan.« Zu seiner Überraschung schmiegte sie sich an ihn. Ich bin eben ein richtiger Mann, dachte er. »Ich habe inzwischen nachgedacht und muß dir in vielem recht geben«, fuhr Eileen fort. »Du bist eben nicht geschaffen für eine untergeordnete Stellung. Du hast ganz recht, wenn du deine Macht nutzt.« Bob steckte seine Pistole ein. Von Eileen droht mir bestimmt keine Gefahr, dachte er. Sie ist nach wie vor in mich verknallt. Er umarmte und küsste sie. Eileen schlang die Arme um seinen Nacken und schloß die Augen. Da! Raschelte es nicht zwischen den Bäumen? Nein, er hatte sich offenbar getäuscht. Eileen hatte jedenfalls nichts gehört, sie drängte sich noch dichter an ihn und preßte ihren Mund auf den seinen. Und doch, irgend etwas raschelte, es gab keinen Zweifel. Bob schöpfte Verdacht. Mit einem brutalen Griff befreite er sich aus Eileens Umklammerung. Das Mädchen öffnete erschrocken die Augen. Bob wirbelte herum. Andrew Bradley! Als er merkte, daß er von Bob gesehen wurde, näherte er sich mit Riesenschritten. »Schwachkopf!« knurrte Bob verächtlich, und er meinte damit 115 �
sowohl Eileen als auch Andrew. Er griff nach der kleinen Schalttafel seines Tornisters. »Um Gottes willen, nicht einschalten!« brüllte Andrew voller Angst. »Du bringst uns alle um!« Aber Bob drückte den Knopf. Im gleichen Augenblick begann die Welt vor Schmerzen zu brüllen. Der Boden, das Firmament alles schrie, alles jammerte vor Qual, Bob wollte nach der Schalttafel greifen, um sein Gerät auszuschalten, aber der Tornister war völlig deformiert. Er trug einen Klumpen aus Metall und Kunststoff auf dem Rücken. Und dann stürzte die »neue Welt« zusammen. Alles löste sich auf. * Ein mächtiger Blitz zuckte aus dem Schaltpult zu den Transformatoren hinüber. Die Aggregate begannen zu glühen, sie schienen zu pulsieren. Eine fürchterliche Hitze breitete sich im Labor aus. Aber zwei Konstabler hatten die im Nebenraum stehenden Generatoren besichtigt und die Gefahr nicht rechtzeitig erkannt. Als sie den Raum verlassen wollten, mußten sie feststellen, daß der Rückweg versperrt war. Die Generatoren strahlten eine solche Hitze aus, daß es den beiden Polizisten unmöglich war, an ihnen vorbei zur Tür zu gelangen. Doch die Angst, in der Glut umzukommen, ließ sie das unmöglich Scheinende versuchen: sie nahmen einen Anlauf, rannten an den Generatoren vorbei und passierten die Tür. Als sie endlich ihre Kollegen erreichten, waren ihre Haare versengt, und auf ihren Gesichtern hatten sich Brandblasen gebildet. Sir Lawrence Carlyle sah ein, daß es unmöglich war, vom 116 �
Labor aus den in der »neuen Welt« Befindlichen zu helfen. Die Hitze wurde immer unerträglicher. »Zurück!« rief er deshalb. »Wir müssen das Labor verlassen.« Inspektor Wood hatte trotz allem Mühe, ein Gähnen zu unterdrücken. Seit Lieutenant Leigh ihn aus dem Bett geklingelt hatte, war er nicht mehr zum Schlafen gekommen. Trotzdem war er aufmerksam genug, um fragen zu können: »Und was wird aus den Verschollenen, Sir?« Sir Lawrence ergriff den Inspektor am Arm und zog ihn mit zum Tunnel. »Wir können uns hier nicht verschmoren lassen, damit wäre den anderen nicht gedient. Zurück!« wiederholte er, als die weißglühenden Streben das Gewicht eines der Transformatoren nicht mehr tragen konnten. Der Transformator kippte zur Seite und versperrte den Eingang zum Labor. Sir Lawrence gab den Befehl zum Aufbruch. Bourne Castle sollte so schnell wie möglich verlassen werden. Schon jetzt brannten mehrere Kabelummantelungen und Kunststoffverkleidungen. Es war nur noch eine Frage von wenigen Minuten, bis ein größeres Feuer das Labor verwüsten würde. Natürlich war Sir Lawrence enttäuscht. Er hatte sich einiges von den Erfindungen Dr. Southeys versprochen. Nicht zuletzt für die Verbrechensbekämpfung wäre der Zeitbeschleuniger ideal gewesen. Aber er hatte erlebt, daß die Erfindung auch für kriminelle Zwecke missbraucht werden konnte, und Arthur war noch vergleichsweise human vorgegangen. Sir Lawrence wagte nicht daran zu denken, was geschehen wäre, wenn das Gerät Gangstern oder skrupellosen und kompromisslosen Extremisten in die Hände gefallen wäre. Die Polizei wäre jedenfalls machtlos gewesen. Nachdem sie Bourne Castle verlassen hatten, wurde als erstes die Feuerwehr benachrichtigt. Doch als sie endlich anrückte, 117 �
drang bereits ein dunkler, ätzender Qualm aus dem Haupteingang. Die Feuerwehrmänner zogen Gummianzüge über, um geschützt zu sein, falls das Löschwasser mit stromführenden Leitern in Verbindung kam. »Glauben Sie, daß wir Lieutenant Leigh und die anderen jemals wieder sehen?« fragte Inspektor Wood. Sir Lawrence schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube es nicht. Aber«, fügte er lächelnd hinzu, »ich hoffe es.« * Andrew Bradley war Eileen Douglas, Bob Hogarth, Lord Bourne, Sam und Ted, Lieutenant Leigh, Sergeant Corner, Konstabler Blish und das Fremde. Sie alle bildeten zusammen ein Kollektiv, sie dachten gemeinsam, sie handelten gemeinsam. Sie befanden sich im Nichts. Das Fremde fühlte sich hier wohl, hier war seine Heimat. Seit Bobs Gerät zerstört war, hatte es keine Schmerzen mehr, es verhielt sich ruhig, abwartend. Andrew merkte bald, daß dem Kollektiv eine stabile Grundlage fehlte. Im Gegensatz zu elektrischen und magnetischen Kräften, wo Gegenpole sich anziehen, war es hier umgekehrt: die einzelnen Teile des Kollektivs strebten auseinander. Noch hielt das Fremde sie zusammen, es wollte, daß sie für immer bei ihm blieben, aber es war durch die Ereignisse ebenso schockiert worden wie die anderen. Weil es sich nicht von Anfang an auf das Kollektiv hatte konzentrieren können, war der Zeitpunkt abzusehen, da seine Kraft erlahmen würde. Dann würde das Kollektiv auseinander brechen. Andrew fühlte das Tasten des Fremden in seinem Hirn, falls er in diesem Nichts überhaupt ein Hirn hatte. Das Fremde wollte seine Einstellung kennenlernen. Andrew wehrte sich nicht, es 118 �
wäre zwecklos gewesen. Nach kurzer Zeit was war überhaupt Zeit in diesem Nichts? – wandte sich das Fremde enttäuscht von ihm ab und dem nächsten Teil des Kollektivs zu. Während es jedoch so einen Teil nach dem anderen sondierte, lockerte sich das Gefüge immer mehr. Was war eigentlich mit Eileen? Andrew suchte das Mädchen. Längere Zeit dauerte es, bis er endlich das Bewußtsein gefunden hatte, aber dann konnte er mühelos darin eindringen. Eileen erschrak heftig. »Was willst du?« konnte Andrew in seinem Innern verstehen. »Dich kennenlernen«, antwortete er. »Du solltest besser…« Ihr Gedanke brach jäh ab. Doch auch Andrew wurde durch das nun folgende Geschehen abgelenkt. Bob Hogarth war aktiv geworden. Nachdem er die erste Panik überwunden hatte, war es ihm nicht schwer gefallen, eine dominierende Rolle innerhalb des Kollektivs zu übernehmen. Er wußte jetzt, daß es ihm nicht mehr möglich sein würde, seine Pläne zu verwirklichen, aber er wollte auch nicht aufgeben. Als dann das fremde Wesen in ihn drang, um ihn kennen zu lernen, stellte Bob zu seiner Freude fest, daß sie einige Gemeinsamkeiten verband. Sowohl das Fremde als auch er hatten ein starkes Ich-Bewusstsein, das neben sich nichts Gleichberechtigtes anerkannte. Jedes Mittel war recht, um zum Ziel zu gelangen. Wenig später nahm Andrew eine Zweiteilung des Kollektivs wahr. Das Fremde hatte Bob, Sam Taylor und Ted Miller um sich geschart. Lord Bourne schwankte noch, Andrew fühlte deutlich seinen inneren Konflikt. Sir Arthur hat also doch ein Gewissen, überlegte er. Vielleicht kann ich ihn von seinen »guten Freunden« abbringen. Andrew konzentrierte sich auf Lord Bourne, aber es war überflüssig. Lord Bourne fühlte sich von den Bewusstseinsinhalten 119 �
der anderen Hälfte des Kollektivs abgestoßen. Sie waren nun zwei selbständige Teile das heißt – fast selbständig, denn noch immer hielt das Fremde sie zusammen. Aber Bob versuchte mit aller Kraft, die endgültige Trennung herbeizuführen, und als Andrew in sein Bewußtsein hineinlauschte, mußte er zu seinem Entsetzen feststellen, daß es gar nicht mehr Bobs Bewußtsein war. Ein neues Kollektiv war entstanden, kleiner zwar als das ursprüngliche, aber bedeutend fester gefügt, denn die es bildenden Bewußtseine hatten vieles gemeinsam. Andrew fühlte, daß Bob nie wieder er selbst sein würde. Ein unheimliches Wesen war entstanden – mit der Macht des Fremden, der Skrupellosigkeit Bobs und der Gewalttätigkeit Sam Taylors und Ted Millers. Und dann begann das Kollektiv mit der Ausübung seiner Macht. Andrew fühlte plötzlich einen stechenden Schmerz in seinem Kopf. Er glaubte, sein Schädel solle ihm gespalten werden. Er wußte, diesmal würde er nicht nachgeben, wenn er sein Ich behalten und nicht in das Kollektiv gezwungen werden wollte. Doch je mehr er sich wehrte, desto unerträglicher wurden die Schmerzen. »Wir müssen uns wehren, Sir«, nahm er einen Gedanken wahr, »sofort, Sir!« Sergeant Corner! Und als wären seine Gedanken das Stichwort gewesen, begannen alle dem Einfluß des feindlichen Kollektivs zu widerstehen. Aber das Kollektiv gab nicht auf. Bob peitschte das fremde Wesen geradezu zum Angriff. Doch auch der Widerstand wuchs, denn alle wußten, daß sie nicht aufgeben durften. Irgendwann war dann der Punkt erreicht, wo das fremde Wesen überfordert wurde. Es gelang ihm nicht mehr, genügend Energie zu produzieren, um sowohl den Angriff fortzusetzen als auch die Gruppe zusammenzuhalten. 120 �
Andrew glaubte plötzlich, mehrere Blitze hin und her zucken zu sehen. Er erhielt einen heftigen Schlag, dann war alles vorbei. Das Nichts verschwand. Andrew fand sich in einem Waldgelände wieder. Bin ich wieder in der ›neuen Welt‹? fragte er sich. Soll alles wieder von vorn beginnen? Doch dann stellte er mit Erleichterung fest, daß er sich in einem richtigen, in einem irdischen Wald befand. Ganz in der Nähe konnte er einen vielbegangenen Pfad sehen. Da! Zwischen den Bäumen bewegte sich etwas! Andrew wich erschrocken zurück und verbarg sich hinter einem Baum. Nahmen die Alpträume denn kein Ende? Sollte hier auf der Erde das fortgesetzt werden, was in der »neuen Welt« nicht zu Ende geführt worden war: die Tests? Hatte das fremde Wesen sein Vorhaben nicht aufgegeben? Hatte es sich von Bob, Sam Taylor und Ted Miller lösen können? Das Ding bewegte sich wieder und begab sich zum Pfad. Dann konnte er Andrew sehen. Es war… »Eileen!« rief er überrascht. Das Mädchen wirbelte herum, erkannte ihn und lief ihm freudestrahlend entgegen. Andrew verstand die Welt nicht mehr, als Eileen ihre Arme um seinen Nacken schlang und ihn zärtlich küsste. Aber als er endlich wieder etwas Luft hatte, konnte er sich nicht enthalten zu sagen: »Aha, dir ist wohl der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach!« Sie aber blickte starr an ihm vorbei. Andrew glaubte sie beleidigt zu haben und wollte sich schon entschuldigen, aber plötz121 �
lich entrang sich ihrer Kehle ein gellender Schrei. Andrew drehte sich erschrocken um. Und da sah er es. Ein gewaltiges Monstrum türmte sich vor Andrew auf. Es war nur entfernt menschenähnlich und von einer solchen Hässlichkeit, daß Andrew Eileens Reaktion nur zu gut verstehen konnte. Er selbst war durch seine Erlebnisse in der »neuen Welt« etwas abgestumpft, so daß er zwar auch erschrak, aber keine Panik empfand. Das Monstrum war über vier Meter hoch und hatte einen spitz zulaufenden haarlosen Kopf. Die großen rötlichen Augen blitzten tückisch. Andrew hatte ein solches Ungeheuer noch nie gesehen, und doch gab es etwas, was ihn zu der Überzeugung kommen ließ, hier das feindliche Kollektiv in verkörperter Form vor sich zu haben. In seinem Innern fühlte er plötzlich die widersprüchlichsten Gedanken: Töten leben lassen – zerstören – aufbauen… Das Wesen war völlig nackt und wirkte dadurch nur noch abstoßender. Eileen hatte sich abgewendet und wagte nicht, es anzublicken. Und dann begann es zu sprechen. Seine dröhnende Stimme klang hart, fast brutal, als es sagte: »Ich habe gewonnen. Endlich habe ich sie unter Kontrolle. Nun, was sagst du jetzt, Andrew?« »Bob?« fragte Andrew zögernd. »Ja, Bob«, antwortete das hässliche Wesen. »Dank meiner geistigen Überlegenheit ist es mir gelungen, das fremde Wesen und Lord Bournes Gorillas unter meine Kontrolle zu bringen. Letztere nenne ich nur der Vollständigkeit halber. Sam und Ted gehören zu jenen Primitivlingen, die ich schon immer verabscheut habe, ihre Übernahme bereitete mir keine Schwierigkeiten. Ich habe jetzt alle Macht, die ich mir wünschen kann.« Andrew begriff seinen Cousin nicht. Was hatte er von seiner 122 �
Macht, wenn er mit diesem monströsen Körper leben mußte? Er würde überall nur auf Abscheu stoßen. Eileen schien trotz ihrer Angst zu dem gleichen Schluß gekommen sein, denn sie sagte: »Was hast du von deiner Macht, wenn du sie nicht genießen kannst?« »Ich werde sie genießen, denn sobald ich meine Ziele erreicht habe, werde ich unser Kollektiv auflösen.« »Ob das fremde Wesen sich das gefallen läßt?« zweifelte Andrew. »Es wird ihm nichts anderes…« Der Koloss brach ab. Seine Augen blitzten drohend, als er sich mit Riesensätzen entfernte. Eileen und Andrew zuckten erschrocken zusammen, denn es war ein erstickter Schrei zu hören. Wenig später kam das Ungeheuer wieder zwischen den Bäumen hervor. Seine rechte Pranke hatte einen Menschen am Kragen gepackt. Es war Lord Bourne. Das unheimliche Wesen hob ihn hoch bis in Augenhöhe. Lord Bourne starrte mit schreckgeweiteten Augen seinen riesenhaften Gegner an. »Nun, mein kleiner Lord«, spottete der Koloss, »wie gefällst du dir in deiner Rolle als Hampelmann? Und eine so armselige Kreatur wie du wollte dem britischen Adel wieder zu seinem Recht verhelfen. So viel bodenlose Dummheit hat gar keine Existenzberechtigung.« Das Monstrum öffnete seine Pranke, und Lord Bourne stürzte zu Boden. Und dann mußte Andrew erfahren, daß Bob doch nicht so sehr über die anderen Mitglieder des Kollektivs dominierte, wie er behauptet hatte. Bob hatte zwar für sich selbst eine gemeingefährliche Weltanschauung entwickelt, doch gewalttätig war er nie gewesen. 123 �
Aber jetzt stampfte das Monstrum mit beiden Füßen auf Lord Bourne. Ein ersterbendes Röcheln war zu hören. Als Andrew Lord Bourne wieder sehen konnte… Aber nein, das war kein Mensch mehr, das war nur noch ein blutiges Etwas. Lord Bourne war tot! »Du hast ihn umgebracht!« schrie Eileen. »Und wenn schon«, wehrte der Koloss ab, »was ist schon dabei? Willst du mir etwa Vorschriften machen?« Er wollte noch weitersprechen, aber plötzlich lauschte er. Und wieder begannen seine Augen drohend zu blitzen. Mit gewaltigen Sätzen rannte er davon. Ein erschreckter Schrei war zu hören, dann krachten mehrere Schüsse. »Wir müssen fort!« zeterte Eileen hysterisch. »Ich kann den Anblick dieses Monstrums nicht mehr länger ertragen.« Sie packte Andrew am Arm, um ihn auf diese Weise zur Flucht zu bewegen. »Wir können doch jetzt nicht einfach weglaufen.« Andrew machte sich mit Gewalt los. »Hast du denn nicht die Schüsse gehört? Das war bestimmt einer der Polizisten.« Er hatte sich nicht getäuscht, denn kaum hatte er ausgeredet, als das Ungeheuer wieder auf sie zukam. Diesmal hielt es in seiner Pranke einen Mann in Polizeiuniform. Andrew erkannte ihn sofort. »Konstabler Blish!« rief er. Aber Blish antwortete nicht. Da wußte Andrew, daß Blish tot war. Der Riese hatte ihm das Genick gebrochen. Er warf ihn auf die Leiche Lord Bournes und sagte: »Dieser dumme Kerl glaubte, mich mit seiner lächerlichen Pistole erschießen zu können. Aber ich bin unverwundbar. Alle Macht der Welt kann mir nichts anhaben.« Andrew begriff, daß er endlich handeln mußte, wenn er 124 �
Schlimmeres verhüten wollte. Nein, nicht Bob hatte die beiden Männer getötet. Ted und Sam beeinflussten ihn mehr, als er ahnte. »Bob, du bist nicht mehr du selbst«, sagte Andrew. »Wenn du beeinflusst wärst, hättest du Lord Bourne und Konstabler Blish nicht umgebracht. Ihr Tod ist für dich ohne Nutzen. Sam und Ted haben deine Handlungsweise weitgehend unter ihrer Kontrolle.« »Das ist nicht wahr«, dröhnte der Koloss, und es klang fast, als wäre er beleidigt. »Ich habe sie voll unter meiner Kontrolle und…« Er schwieg und stand ruhig, wie abwartend, als lausche er in sich hinein. »Nein«, brüllte er plötzlich, »nein! Ich bin stärker als ihr!« Dann schlug er wild und unkontrolliert um sich. Andrew und Eileen sprangen entsetzt zurück. Aber das unheimliche Wesen hatte es gar nicht auf sie abgesehen. Es rannte davon, und bald war sein Gebrüll nicht mehr zu hören. »Ich muß ihm nach und versuchen, es abzulenken, bevor es weitere Morde begeht. Ich weiß zwar nicht, wie ich gegen das Monstrum vorgehen soll, aber es wird mir schon etwas einfallen.« »Es wird dich umbringen.« »Na, wenn schon«, knurrte Andrew. »Was habe ich schon zu verlieren.« »Aber ich liebe dich doch und will…« Diese Antwort hatte Andrew erhofft, aber er kam nicht zu seiner Entgegnung, denn plötzlich raschelte es zwischen den Bäumen. »Das Monstrum!« Eileen klammerte sich hilfesuchend an Andrew. »Es ist zurückgekommen.« »Das glaube ich nicht«, versuchte er sie zu beruhigen. »Ich bin eher der Meinung…« 125 �
»Sehen Sie, Sir«, war eine Stimme zu hören, »da sind wir, Sir, wie ich sagte, Sir.« »Sergeant Corner!« seufzte Eileen erleichtert. »Endlich!« Erneut raschelte es zwischen den Bäumen, dann traten Sergeant Corner und Lieutenant Leigh hervor. »So etwas möchte ich nicht noch einmal erleben.« Leigh schüttelte sich. »Zuerst in der künstlichen Welt… uns erging es ähnlich wie Ihnen. Wir fielen ins Wasser, und kaum hatten wir uns von unserem ersten Schrecken erholt, als wir schon wieder auf dem Trockenen lagen. Dann baute sich die Welt wieder so auf, wie sie ursprünglich war, aber plötzlich löste sich alles auf. Was dann kam, war einfach furchtbar. Aber Sie haben sicherlich etwas Ähnliches erlebt. – Wo sind eigentlich die anderen?« Andrew winkte den beiden Polizisten, ihm zu folgen, und führte sie zu den Leichen. »Nimmt es denn gar kein Ende?« flüsterte Leigh erschüttert. »Wie konnte das geschehen?« Andrew berichtete, was er und Eileen erlebt hatten. Die Polizisten zweifelten nicht an seinen Worten, hatten sie doch immer wieder seine Angaben bestätigt gefunden. »Sir«, rief der Sergeant, »ich weiß jetzt, wo wir uns befinden, Sir. Wir sind in der Nähe von Bourne Castle, Sir. Hier kenne ich mich aus, Sir.« »Dann wird sich das Monstrum nach Bourne Castle begeben«, vermutete Andrew. * »Die Feuerwehr ist jetzt fertig, Sir«, teilte Inspektor Wood Sir Lawrence Carlyle mit. »Die Männer sagen, es sei leichter gegangen, als sie befürchtet hätten. Und was soll nun geschehen, Sir?« »Sie sollen das Wasser aus den Kellerräumen pumpen, dann 126 �
werden wir weitersehen.« Nachdem Wood gegangen war, wandte Sir Lawrence sich an Higgins: »Bitte, schärfen Sie unseren Leuten ein, sie sollen die Umgebung auch weiterhin gut im Auge behalten! Ich habe das unangenehme Gefühl, als ob bald etwas geschehen würde. Wenn ich nur wüsste…« Er brach erschrocken ab. Ein unheimliches, urweltliches Gebrüll war zu hören. Und dann brach etwas aus dem Wald hervor. Ein Monstrum! »In Deckung!« rief Sir Lawrence, als er das Ungeheuer auf sich zurennen sah. * Bob Hogarth mußte zu seinem Entsetzen feststellen, daß Andrew mit seiner Behauptung recht hatte: er dominierte nicht mehr über die anderen Mitglieder des Kollektivs. Ted Miller und Sam Taylor hatten die Oberhand gewonnen. Sie hatten den gemeinsamen Körper zu einer reißenden Bestie gemacht, die keine Hemmungen kannte. Nur mit Mühe gelang es Bob, sich eine gewisse Eigenständigkeit zu bewahren. Die Aktivität der anderen drohte sein Bewußtsein wegzuschwemmen. Er durfte nicht unterliegen, er mußte kämpfen, wenn er nicht alles verlieren wollte. Was war mit dem fremden Wesen? Bob forschte nach ihm. Es war nahezu passiv geworden. Es schützte den gemeinsamen Körper vor den Angriffen der Polizisten, sonst tat es nichts. Es fühlte sich hier nicht wohl. Es wollte zurück in seine Welt, aber solange keines der anderen Mitglieder es unterstützte, war ihm die Flucht nicht möglich. Sam Taylor und Ted Miller hatten die Bildung des Kollektivs 127 �
geistig nicht verkraftet, sie liefen nun Amok und zwangen dadurch dem fremden Wesen immer neue Kräfte, immer mehr Energie ab. Das Wesen bäumte sich auf, es hatte Schmerzen und die Schmerzen, strahlten zu Bob herüber. Die Verzweiflung ließ ihn einen. Plan fassen. Zwar kannte Bob kaum Skrupel, wenn es um seinen Vorteil ging, aber die Morde dienten nicht seinem Interesse. Er mußte endlich etwas unternehmen. Vielleicht gelang es ihm, das Fremde zum Auflösen des Kollektivs zu bewegen. Was dann allerdings aus ihm selbst wurde… Er mußte das Risiko eingehen. * Schon von weitem hörten sie das Gebrüll des Ungeheuers. Als sie dann vorsichtig näherschlichen, sahen sie das Chaos. »Um Gottes willen«, rief Lieutenant Leigh, während die anderen vor Schreck kein Wort herausbrachten, »das ist ja furchtbar! Gibt es denn keine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen?« Sie sahen den Koloss einen Polizisten nach dem anderen ergreifen und mit seinen Pranken erdrücken. Zwar wurde er von den noch unbehelligten Kollegen unter Beschuss genommen, aber nicht die kleinste Verletzung war zu sehen. »Ich fürchte, wir haben keine Chance«, murmelte Andrew, doch seine Worte gingen in dem Gebrüll unter. Aber dann wurden die Bewegungen des Monstrums unkontrolliert. Es begann zu torkeln, seine Pranken glitten hilflos durch die Luft. Plötzlich knickten seine Knie ein, und es sank hintenüber zu Boden. Noch einmal brüllte es auf, dann lag es still. Der Koloss begann zu pulsieren. Wie in Wellen stieg ein licht128 �
ähnlicher Stoff von dem riesigen Körper auf und formte sich zu einer Spirale. Die Polizisten schossen weiter, Sie wagten sich jetzt näher heran, weil das Monstrum offensichtlich nicht mehr in der Lage war, sich zu wehren. »Feuer einstellen!« schrie Andrew, als er Blut aus mehreren Wunden hervorrinnen sah. »Das Monstrum ist jetzt wehrlos.« »Was fällt Ihnen ein?« rief Lieutenant Leigh unbeherrscht. »Sie können doch, hier keine Befehle geben.« Andrew konnte Leighs Reaktion gut verstehen. Er hatte mit ansehen müssen, wie das Monstrum auf bestialische Weise seine Kameraden getötet hatte. Noch immer stieg der lichtähnliche Stoff vom Körper des Kolosses auf, während dieser immer stärker blutete. Die Polizisten stellten den Beschuss ein. Die Spirale, die aus reiner Energie zu bestehen schien, löste sich endgültig von dem Monstrum und verharrte reglos über dem Boden. Geräuschlos begann sie sich zu drehen. Sie pulsierte im gleichen Rhythmus wie der Koloss und wurde immer kleiner und dichter. Dann stürzte sie zu einem Punkt zusammen und war nicht mehr zu sehen. »Das war das fremde Wesen«, flüsterte Andrew. »Es ist in seine Welt zurückgekehrt. Offenbar hat Bob gemerkt, daß er die anderen Mitglieder nicht mehr unter Kontrolle hatte, und deshalb zwang er das Wesen…« »Da! Seht doch!« Eileen deutete mit ausgestrecktem Arm auf den wie leblos daliegenden Koloss. Er pulsierte stärker, seine Formen zerflossen, es bildeten sich drei längliche Körper. Als das Pulsieren verebbte, waren die Körper deutlich als Menschen zu erkennen. Sie bluteten aus mehreren Wunden, und auch ein Laie erkannte auf den ersten Blick, daß hier nichts mehr 129 �
zu retten war. Sam Taylor und Ted Miller lagen still, Bobs Körper wand sich wie unter Krämpfen. * Andrew und Eileen stürmten trotz Leighs Protest vor und knieten neben Bob Hogarth nieder. Andrew wußte sofort, daß seinem Cousin nicht mehr geholfen werden konnte. Bob hielt die Augen geschlossen, er atmete heftig. Dann lag er still. Er öffnete die Augen, und obwohl er starke Schmerzen haben mußte, grinste er verächtlich. »Würdet ihr nur alle krepieren!« zischelte er. Er hob den Kopf an, um noch etwas zu sagen, aber plötzlich lief ein Zucken durch seinen Körper. Der Kopf fiel zurück, und die Augen blickten ins Leere. »Das Monstrum hat sieben unserer Leute umgebracht«, hörte Andrew Lieutenant Leigh sagen. »Man darf sich nicht wundern, daß den anderen der Zeigefinger zuckte.« Andrew achtete kaum darauf. Sein Blick fiel auf Eileen, es gelang ihm nicht, ihren Gesichtsausdruck richtig zu deuten. »Hast du hast du ihn geliebt?« fragte er zögernd. Sie schüttelte leicht den Kopf. »Nein, ich weiß es jetzt. Er war mir in seinem Wesen und in seinen Anschauungen völlig fremd.« Sergeant Corner bat sie, sich zu entfernen, damit sie die Leichen nicht länger sehen müßten. Sie folgten gern seinem Rat. Als sie wieder allein waren, fragte Andrew flüsternd: »Wärst du mit einem Mann zweiter Garnitur zufrieden?« »Rede doch keinen Unsinn!« Sie küsste ihn zärtlich. In diesem Augenblick gingen Leigh und Corner vorüber. Der Sergeant deutete auf Andrew und Eileen und sagte: 130 �
»Wir haben schwere Verluste, Sir, und doch gibt es zwei Menschen, Sir, die bei dieser Geschichte noch profitieren, Sir.« ENDE
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