Klaus Sollert
Die Fährte der Bestie Version: v1.0
Wohin er auch blickte. Er sah nur Ruinen. Ver brannte, zerstörte B...
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Klaus Sollert
Die Fährte der Bestie Version: v1.0
Wohin er auch blickte. Er sah nur Ruinen. Ver brannte, zerstörte Bauwerke einer längst vergangenen Welt. Tom Hunter umklammerte das Plasma-Gewehr fester, um nicht den Verstand zu verlieren. Er hatte gewusst, was ihn an der Oberfläche erwarten würde. Die grausame Realität raubte ihm dennoch schier den Atem. New York war einst eine blühende Metropole ge wesen. Davon war nichts übrig geblieben. Die Stadt war zu einer grausamen Karikatur ihrer selbst ge worden …
Ein Teil von ihm war dankbar dafür, dass er sein Nachtsichtgerät nicht benutzen konnte. Seine nächtlichen Feinde waren in dem Dis play sowieso nicht auszumachen – und er sah auch so schon mehr, als er eigentlich verkraften konnte. So hatte er es sich nicht vorgestellt. Nicht wirklich. Seit dreißig Jahren tobte nun schon der Krieg zwischen Menschen und Vampiren. Dreißig Jahre – eine unvorstellbare Zeitspanne! Aber der Konflikt näherte sich dem Ende. Leider … Ihre unerbittlichen Gegner hatten so gut wie gewonnen. Er, Tom Hunter, war das letzte Aufgebot der Menschheit. Sollte auch seine Mission scheitern, würde die Welt schon bald seelenlos dahinvege tieren. Alles Menschliche würde aus ihr verschwunden sein. Radikal und gnadenlos. Nein!, durchfuhr es Hunter. Dazu würde es nicht kommen. Nicht, solange er noch einen Funken Leben in sich hatte. Wachsam ließ er ein letztes Mal den Blick in die Runde schweifen. Er musste vorsichtig sein. Noch durften ihn die Geschöpfe der Nacht nicht entdecken. Das Gewehr war zwar eine effektive Waffe, aber sein Auftrag bestand nicht darin, einige Blutsauger zu vernichten. Zudem traten sie häufig in Gruppen auf. Und gegen mehrere Vampire würde er nicht den Hauch einer Chance haben. Eigentlich waren es keine Vampire im herkömmlichen Sinne. Sie raubten den Menschen nicht nur den notwendigen Lebenssaft. Sie entzogen ihm auch seine Lebensenergie, bis von ihm nur noch eine leere, leblose Hülle übrig blieb. Es waren abscheuliche Kreaturen. Ohne Seele und ohne Gnade. Monster! Und sie waren der Feind. Nur das war von Bedeutung. Alles ande
re war ohne Belang. Jedenfalls für Hunter … Er nutzte jede Deckungsmöglichkeit, die sich ihm bot. Die Angst blieb dennoch sein unsichtbarer Begleiter. Sein Ziel war der Central Park. Dort würde er ihn finden. Ihn, den Anführer der Bestien. Ihren Gott. Vyparo! Die Menschen hatten Jahre gebraucht, um auf seine Spur zu stoßen. Jahre, in denen unzählige von ihnen diese Suche mit dem Leben bezahlt hatten. Jahre der Qual und des Schmerzes. Doch letztendlich war es ihnen gelungen, eines der Nachtwesen zu fangen und die benötigten Informationen aus der Kreatur her auszupressen. Es war ein barbarisches Verhör gewesen, aber die Menschheit hatte keine andere Wahl gehabt. Ihre endgültige Ver nichtung stand dicht bevor. Man hatte ein künstliches Gift verwendet, das den Vampir inner lich zersetzt hatte. Aber er hatte vor seiner Vernichtung geredet und nur das war von Bedeutung. Noch jetzt glaubte Hunter, die lauten Schreie der Kreatur zu hö ren. Aber in diesem Krieg gab es keine Regeln – und Mitleid schon gar nicht. Anschließend hatte man einen Plan entwickelt, um die Kata strophe doch noch abzuwenden – einen mörderischen Plan – und Hunter sollte ihn ausführen! Rasch warf er einen Blick auf seinen Timer. Es war genau 23 Uhr. Er hatte nur noch vier Stunden Zeit, um seinen Auftrag zu erfüllen. Danach würde die Zeit für ihn bedeutungslos sein. Ein hartes Lächeln kerbte sich in sein Gesicht. Er hatte mit seinem Leben schon längst abgeschlossen. Doch kampflos wollte er das Feld nicht räumen. Die Vampire hatten ihm alles genommen. Nun sollten sie den Preis dafür bezah
len – wenn er Erfolg hatte … Erneut warf er einen Blick in die Runde. Eine akute Gefahr konnte er nicht ausmachen. Alles wirkte friedlich. Bisher hatte er Glück gehabt. Seit er durch die City Hall Station an die Oberfläche getreten war, war ihm noch kein Blutsauger be gegnet. Aber das bedeutete rein gar nichts. New York war nur noch ein riesiger Friedhof, in dem die Toten umherwanderten. Mühsam versuchte Tom Hunter, seinen Standort zu lokalisieren. Es war in der Schwärze der Nacht kaum möglich, besonders weil die meisten Gebäude nur noch skelettierte Abbilder ihrer selbst waren. Mit einem GPS-Gerät wäre es kinderleicht gewesen. Aber dazu be nötigte man funktionierende Satelliten und die gab es schon lange nicht mehr. Der Krieg hatte fast alle Errungenschaften der Technik in ein tiefes Grab gestoßen, aus dem es keine Wiederkehr gab. Zaghaft ging er einige Schritte weiter. Sein Blick glitt dabei über die zerstörten Fassaden der Gebäude. Er musste in Erfahrung bringen, wo genau er sich befand, sonst würde er sein Ziel nie errei chen. Der Big Apple war trotz allem noch immer ein Moloch, der je den verschlang, auch wenn kein wirkliches Leben mehr in ihm steckte. Abrupt blieb Hunter stehen. Er wusste jetzt, wo er sich befand. Er stand vor einem riesigen Gebäudekomplex, der anklagend auf ihn herabstarrte. Er konnte ihn nur schemenhaft erkennen, aber der Anblick erschütterte ihn zutiefst. Er kannte das Bauwerk aus einem früheren Leben, als die Erde noch den Menschen gehörte. Er stand vor dem United-Nations-Hauptquartier! Stumm starrte Hunter auf die Ruine. Sie stand für das Scheitern der menschlichen Rasse. Ein monumentaler Grabstein, der die Idee einer besseren Welt verhöhnte. »Mein Gott!«, stieß Tom Hunter zischend aus und erschrak über
den Klang seiner eigenen Stimme. Gewaltsam riss er sich von dem makaberen Anblick los. Seine Ge danken schweiften jedoch in seine Kindheit. Als Fünfjähriger hatte er schon einmal vor dem riesigen Komplex gestanden und zu sammen mit seinen Eltern die Willenskraft der Menschen be wundert. Wie unbezwingbar war ihm die Menschheit vorgekommen. Wesen, die so etwas erschaffen konnten, waren durch nichts aufzu halten. Sie waren die Herren der Welt. Damals war alles noch in Ordnung gewesen. Wenige Monate später hatte der Albtraum seinen Anfang genom men. Die Hölle hatte sprichwörtlich ihre Pforten geöffnet und ihre blutgierigen Geschöpfe entlassen. Es war eine teuflische Brut, die vor nichts Halt machte. Es waren schlimme Zeiten gewesen – sehr schlimme Zeiten –, doch verhindern konnte sie keiner. Die ganze Welt hatte sich in ein Schlachtfeld verwandelt. Und die blutgierigen Angreifer waren überall, es schien für sie keine Grenzen zu geben. Stück um Stück waren die Menschen zurückgedrängt worden. Und je verzweifelter ihr Widerstand wurde, desto grausamer schlugen ihre unheimlichen Feinde zu. Sie waren erbarmungslos und ohne Reue. Tom Hunters Eltern waren unter den ersten Opfern gewesen. Nur er war den Bestien entkommen. Er hatte überlebt in einer Welt, in der es keine Regeln mehr gab, sondern nur noch den nackten Kampf um die eigene Existenz. Er hatte gehungert und gefroren. Doch am schlimmsten war die permanente Angst gewesen. Die Angst vor den Geschöpfen der Nacht, deren Hunger niemals gestillt zu sein schien. Schließlich hatten sich die verbliebenen Menschen in den Un tergrund zurückgezogen. Sie hatten keine andere Wahl. Doch auch dort ging der Kampf weiter.
In den finsteren Gängen der U-Bahn-Schächte hatten sie um ihr Überleben gekämpft. Waren erbarmungslos gejagt und getötet worden. Ein immerwährendes Gemetzel, das zu keinem Ende führte, denn die neuen Herren der Welt kannten keinen Frieden. Hör auf!, fuhr Hunter sich selbst in Gedanken an und konzentrierte sich wieder auf das Jetzt und Hier. Die Vergangenheit war tot und die Zukunft war nur eine Illusion. Nur die Gegenwart spielte eine Rolle. Ohne dem halb verfallenen UN-Gebäude einen weiteren Blick zu würdigen, setzte sich Hunter wieder in Bewegung. Er würde die First Avenue bis zur 58th Street benutzen, um sein Ziel zu erreichen. Sie war genauso gut und sicher wie jede andere Straße. Schließlich gab es in New York keinen einzigen Fleck mehr, der wirklich sicher war. Dreck und Gesteinsreste knirschten unter seinen Schritten. Die Ge räusche machten ihn ganz nervös. Daran ändern konnte er allerdings nichts. Er würde sich auf seinen sechsten Sinn verlassen müssen, wollte er am Leben bleiben, bis er seinen Auftrag erfüllt hatte. Wie tote Augen glotzten die eingeschlagenen Fensterzeilen auf ihn herab. Es war ein unheimliches Gefühl, direkt beängstigend. Dabei war es nur ein weiteres Zeichen dafür, dass die Welt der Menschen wirklich nicht mehr existierte. Wachsam huschte Hunter weiter. Dabei versuchte er, seinen Blick überall zu haben. Das war ein hoffnungsloses Unterfangen, aber sein Überlebensinstinkt ließ ihm keine andere Wahl. Der Mensch war trotz all seiner Schwächen ein zähes Wesen und überlebte trotz aller Gefahren. Irgendwie … Selbst die Blutsauger hatten dies akzeptieren müssen, doch der Krieg ging weiter. Jede Nacht …
Unvermittelt zerriss ein greller Schrei die Stille! Laut hallte er durch die Straßenschlucht. Wurde von den Gebäu den zurückgeworfen, bis er sich irgendwann verlor. Hunter zuckte zusammen. Beinahe hätte er ebenfalls geschrieen. Dumpf pochte sein Herz in der Brust Schlag um Schlag. Wie von selbst fuhr die Mündung seines Gewehrs in die Runde, wies immer dort hin, wohin er blickte. Nichts … Gespannt wie eine angezogene Feder verharrte er auf der Stelle. Pures Adrenalin jagte durch seinen Körper. Mobilisierte sämtliche Kraftreserven, über die er verfügte. Er glich nun einer Maschine. Einem feindlichen Organismus, der sich jeder Gefahr stellte. Erneut gellte ein Schrei auf! Gleich einer Klapperschlange fuhr Hunters Kopf in die entspre chende Richtung. Der Schrei war direkt vor ihm ausgestoßen worden, irgendwo in der tiefen Schwärze, die er mit Blicken nicht durchdringen konnte. Hunter setzte sich in Bewegung. Für Überlegungen war keine Zeit. Er folgte nur noch seinen In stinkten, verdrängte sein bewusstes Denken. Kurz darauf hatte ihn die Dunkelheit verschluckt …
* Geschmeidig wie eine Katze bewegte er sich voran und nutzte jede Deckung, die sich ihm bot. Sicher fühlte er sich trotzdem nicht. Seine Feinde waren gute Jäger – die besten, wenn man bedachte, dass sie die bisherigen Herren der Erde beinahe ausgerottet hatten. Er durfte das nicht vergessen, keinen einzigen Moment, sonst war
seine Mission schon so gut wie gescheitert. Rasch erreichte er die nächste Querstraße. Es war die 46th Street East. Verdammt!, dachte er. Weiter war bisher noch nicht gekommen. Suchend ließ er den Blick über die Umgebung schweifen. Viel konnte er nicht erkennen. Die Nacht verschluckte fast jeden Umriss und ließ alles wie eine graue, undurchdringliche Wand erscheinen. Hunter wünschte, der Menschheit wäre es gelungen, ein Nachtsichtgerät zu entwickeln, mit dem man auch einen Blutsauger ausmachen konnte. Plötzlich vernahm er ein gedämpftes Keuchen, dem ein gequältes Stöhnen folgte. Ruckartig fuhr Hunters Kopf nach links. Gleich darauf glaubte er, eine huschende Bewegung zu bemerken. Zwei menschliche Körper, die auf dem Gehweg lagen und miteinander rangen. Hunter zögerte keine weitere Sekunde. Drei schnelle Schritte brachten ihn in die Nähe der Kämpfenden. Jetzt konnte er die beiden Personen deutlich ausmachen. Der An blick, der sich ihm bot, fuhr wie eine glühende Klinge in seine Ein geweide. Es waren ein Mann und eine junge Frau – und der Kerl war dabei, das Mädchen zu vergewaltigen. Brutal und rücksichtslos. Hektisch sprang der Mann auf die Füße, als er Hunters Gegenwart spürte. Eine Messerklinge blitzte im kalten Licht der Sterne auf. Kampflos wollte der Vergewaltiger seine Beute offenbar nicht hergeben. Die Augen des Mistkerls zuckten hektisch hin und her. Ein erfah rener Kämpfer war er nicht. Hunter konnte die Angst des anderen fast körperlich fühlen. Tom warf einen raschen Blick auf die Frau. Ihr zerrissenen T-Shirt bedeckte nur noch notdürftig ihren Körper. Sie war wirklich noch
sehr jung. Aber das war zu erwarten gewesen, denn nur junge Leute wagten sich an die Oberfläche, um nach Nahrung und anderen Dingen zu suchen. Es war ein gefährliches Unterfangen, besonders Nachts. Hunter wandte sich seinem Gegner zu und hob das Gewehr. Angst stahl sich in dessen Blick, aufgeben wollte er trotzdem nicht. Die Frau war seine Beute und er wollte sie behalten. Menschlichkeit spielte in dieser perversen Welt schon lange keine Rolle mehr. Es gab keine Regeln, nur das eigene, nackte Überleben zählte – egal wie … »Verschwinde!«, forderte Tom Hunter. Dabei wollte er den Kerl nicht töten – so tief war er noch nicht gesunken –, aber er würde auch kein Risiko eingehen, sollte die Si tuation tatsächlich eskalieren. »Die Puppe reicht für uns beide, Mann!«, erwiderte er keuchend. Er war ein Searcher. Hunter erkannte es an dem Ring, den der Typ am Ohr trug. Es handelte sich um einen Totenkopf, der verächtlich grinste. Searcher, oder Sucher, jagten an der Oberfläche nach Wert gegenständen, die sie verkaufen konnte. Sie waren Aasfresser, die sich über die Reste einer Welt hermachten, die nicht mehr vor handen war. Die meisten von ihnen hatten sowieso nichts mehr zu verlieren und vegetierten einfach dahin. Sie waren – auch ohne den Vampiren in die Hände zu fallen – lebende Tote, die auf ihr eigenes Ende warteten. »Ich sage es kein zweites Mal!« Um seine Worte zu unterstreichen, hob Hunter den kurzen Lauf des Plasma-Gewehrs ein wenig. Noch immer reagierte sein Gegner nicht. Er war es wohl nicht ge wohnt Befehl zu befolgen. Vielleicht rechnete er sich auch nur trotz der Waffe eine Chance aus. Hunter wartete nicht länger. Ruckartig fuhr das Gewehr nach un
ten, dann drückte er auch schon ab. Ein dumpfer Knall ertönte, als ein gleißender Laserstrahl aus dem Lauf schoss und in den Boden jagte. Sofort darauf spritzten Ge steinssplitter in die Höhe. Einige von ihnen erwischten sogar den Searcher. In Panik wich der zurück, starrte dabei unverwandt auf das faust große Loch, das die Waffe in den Asphalt gesprengt hatte. Seine Coolness war vollkommen verschwunden. »Das … das wirst du … bereuen!«, stieß er gedemütigt aus, wäh rend er weiter zurückwich. Tom Hunter ließen die Worte kalt. Es war nur eine leere Drohung. Im Grunde war der Kerl ein Feigling, der sich stets dem Stärkeren beugen würde. Lässig richtete er seine Waffe auf den jungen Mann. Die Bewegung reichte. Blitzschnell wirbelte der Searcher herum und gab Fersengeld. Er kam nur wenige Schritte weit. Aus dem Nichts schwebte ein glitzerndes Etwas direkt auf ihn zu. Es hatte die Konturen eines menschlichen Körpers, obwohl es fast durchsichtig war. Eine schimmernde Hülle, die wie ein Fangnetz auf den jungen Mann zuraste. Der erste Vampir hatte sie entdeckt! Hunter riss das Plasma-Gewehr hoch. Doch es war bereits zu spät. Der Searcher hatte keine Chance. Sein Tod war beschlossene Sache. Ein heiserer Schrei verließ seine Kehle, während er noch versuch te, seinem Schicksal zu entgehen. Hastig wirbelte er herum, aber sei ne Reaktion war trotzdem zu langsam und der Blutsauger schlug mit erbarmungsloser Härte zu. Sein Opfer sollte ihm nicht entkommen. Wie eine klebrige Flüssigkeit floss die Kreatur über den Körper ih
res Opfers und schloss ihn ein. Verzweifelt bäumte sich der Searcher ein letztes Mal auf, aber die elastische Haut des Vampirs gab ihn nicht mehr frei. Selbst das scharfe Messer des jungen Mannes konnte sie nicht durchdringen. Der Searcher stieß dennoch zu, immer und immer wieder … Hunter vernahm die saugenden Geräusche, während gleichzeitig die Schreie des Opfers seine Ohren erreichten. Sie klangen jedoch gedämpft und abgehackt, so als würden Welten zwischen ihnen liegen. Dennoch waren sie schrecklich. Kurz spielte Hunter mit dem Gedanken, das Feuer zu eröffnen. Er ließ es schließlich doch bleiben. Es hätte nichts verändert. Der junge Mann war dem Tode geweiht. Zudem konnte ihm und der Frau die Flucht gelingen, solange der Vampir seinen Durst stillte. »Kommen Sie!«, schrie er sie an Sie starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das grausame Schauspiel, das sich ihr darbot. »Los!«, herrschte Hunter die Frau an, als sie nicht reagierte und riss sie in die Höhe. Endlich fiel die Starre von ihr ab. Wie von Furien gehetzt, rannten sie los. Keiner von beiden warf einen Blick zurück. Sie wollten nur diesen Ort des Grauens so schnell wie möglich hinter sich lassen. Tom Hunter jagte aus der Nebenstraße und lief die First Avenue entlang. Seine unfreiwillige Partnerin folgte ihm dicht auf den Fersen. Sie hatte allerdings Mühe, sein mörderisches Tempo mitzu halten. Rücksicht konnte er darauf nicht nehmen. Sie mussten von hier weg. Ein einzelner Vampir war so selten wie eine Schildkröte ohne Panzer. Irgendwo lauerten weitere dieser Bestien. Und sie würden sie gna denlos vernichten – sie aussaugen, bis nichts mehr von ihnen übrig
war. Geschickt wichen beide den Fahrzeugen aus, die kreuz und quer auf der Fahrbahn standen. Sie waren verrostet, die Armaturen und Sitze schon halb verrottet. Nur ein weiterer Beweis, dass diese Welt schon lange nicht mehr den Menschen gehört, schoss es Hunter durch den Sinn. »Ich … ich kann nicht mehr!«, keuchte die junge Frau hinter ihm erschöpft. Tom Hunter wollte erst nicht darauf reagieren. Sie waren noch lange nicht in Sicherheit. Aber dann stoppte er doch. Er war für die junge Frau verantwort lich, ob er nun wollte oder nicht. Ansonsten hätte er sie gleich dem Searcher überlassen können. Sie war etliche Yards zurückgefallen. Ihr schmerzverzerrtes Gesicht zeugte deutlich von ihrer Erschöpfung. Dennoch versuchte sie weiterhin, mit ihm Schritt zu halten. Hunter bewunderte sie dafür. Das Mädchen war wirklich zäh. Es hatte eine Überlebenschance verdient. Die Vampire sollten sie nicht bekommen. Sie hatte schließlich noch ihr ganzes Leben vor sich. Selbst in dieser höllischen Welt war das von Bedeutung. Hastig blickte er sich um. Sie benötigten ein Versteck. Das weitere würde sich finden. »Hier rein!«, zischte er, als sie ihn erreichte und trieb sie in eines der Gebäude, die die First Avenue säumten. Auf offener Straße war ein Pause zu gefährlich. Die Blutsauger wussten nun, wo ihre Beute steckte. Und sie würden gnadenlos Jagd auf sie machen, um ihre mörderische Gier zu stillen. Der Albtraum hatte gerade erst begonnen …
*
Hastig passierten sie die aus ihren Angeln gerissene Tür. Ein schmaler Flur nahm sie auf, den sie nur schemenhaft ausma chen konnte. Die fast undurchdringliche Schwärze in dem Gebäude ließ die Konturen verschwimmen. Doch ihre Augen würden sich nach und nach an die spärlichen Lichtverhältnisse gewöhnen. Vorsichtig drangen sie weiter vor. Hunter wagte es nicht, seine Taschenlampe einzuschalten. Jede helle Lichtquelle barg ein zu hohes Risiko. Vampire brauchten kein Licht, um sich in der Finsternis zurechtzufinden. Sie waren darin zu Hause. Selbst das Nachtsichtgerät ließ er unbenutzt. Es erschien ihm zu riskant. Er würde sich voll und ganz auf seine Instinkte verlassen müssen. Wie erwartet konnten sie schon bald ihre Umgebung besser aus machen. Der Flur war mit Müll übersät. Doch das machte den beiden wenig aus. In den U-Bahn-Schächten sah es nicht besser aus. Oftmals sogar schlimmer. Aber das spielte im Moment keine Rolle. Sie achteten nur darauf, keine unnötigen Geräusche zu verursa chen. Jeder Laut konnte sie verraten. So sah die brutale Wahrheit aus. Schussbereit hielt Hunter seine Waffe in den Händen. Er war ge wappnet. Sollte es notwendig sein, würde er sein Leben so teuer wie möglich verkaufen. »Ich habe Angst«, wisperte das Mädchen. »Ich auch«, gab er unumwunden zu. Helden gab es schon lange nicht mehr. Sie waren alle einen grau samen Tod gestorben. In dieser Welt zählte das Überleben und keine ausgestorbenen Ideale. Normalerweise wäre er jetzt tief unter der Erde gewesen, bei den letzten Überlebenden diesen höllischen Krieges. Dort wäre er in re
lativer Sicherheit gewesen. Aber die Realität sah leider anders aus … Schrittweise bewegten sie sich voran. Die junge Frau wich keine Sekunde von Hunters Seite. Sie spürte wohl, dass sie nur in seiner Nähe in Sicherheit war. Sie kamen an einer Treppe vorbei, doch Tom Hunter mied die obe ren Stockwerke. Im Notfall mussten sie das Gebäude so schnell wie möglich verlassen können. Für ihre Gegner war Höhe dagegen kein Problem. Von dem Flur zweigten einige Türen ab, die in verschiedene Wohnungen führten. Die meisten ließ Hunter außer Acht. Er suchte etwas, das für ihre Zwecke geeignet war. Endlich entdeckte er einen Raum, den sie nutzen konnten. Er hatte keine Fenster, sondern nur einen schmalen Durchgang, der in den nächsten Raum führte. Besser ging es nicht. Er schaltete die Taschenlampe ein. Das Licht konnte sie nicht mehr verraten. Sie waren vorerst in Sicherheit. Erschöpft hockte er sich hin und lehnte sich gegen eine der Wände. Das Girl folgte seinem Beispiel. Sie war genauso erledigt wie er. Schweigend genossen sie die Verschnaufpause. Gejagt zu werden war eine höllische Tortur. Der Körper wurde ständig aufgeputscht, bis jede Bewegung und jeder Gedanke zur reinsten Qual wurde. Angst war wirklich der grausamste Feind. »Haste mal ‘ne Kippe?« Die Frage des Mädchens amüsierte Hunter. Die Kleine war hart im Nehmen. Nicht jeder hätte die letzten Mi nuten so gut überstanden. Doch anders war diese Welt wohl nicht zu ertragen. Ohne ein Wort warf er ihr seine Zigaretten und sein altes, silbernes Sturmfeuerzeug zu. Der Rauch würde sie kaum verraten.
Hastig zündete sich die junge Frau einen Glimmstängel an, fast gierig inhalierte sie. Das Grauen hatte sie doch nicht vollkommen kalt gelassen. Hunter musterte sie. Das Mädchen war hübsch. Sehr hübsch sogar. Eine richtige Augenweide. Sie trug das hellblonde Haar kurz geschnitten. In einem Krieg lernte man schnell, praktisch zu denken. Doch es stand ihr gut. Hinzu kamen schräg geschnittene Augen und hohe Wangen knochen, die dem Mädchen einen slawischen Touch gaben. Sie gefiel Hunter. »Wollen Sie auch eine?«, fragte sie unvermittelt. Hunter schüttelte den Kopf. »Was habe Sie hier oben eigentlich zu suchen?« Beschämt blickte sie zur Seite. Anscheinend gefiel ihr dieses The ma nicht. Doch schließlich gab sie sich einen Ruck und sah ihren Retter offen mit in die Augen. »Ich hab es unten nicht mehr ausgehalten«, entgegnete sie. Es klang aufrichtig. »Und Stuart meinte, dass es gar nicht so gefährlich wäre.« »War Stuart der Typ, der …« Hunter sprach nicht weiter. Es war auch nicht notwendig. Das Mädchen wusste auch so, was er hatte sagen wollen. Stumm nickte sie. Hunter verstand ihre Beweggründe nur zu gut. Der Mensch war nicht dafür geschaffen, in alten U-Bahn-Schäch ten oder anderen unterirdischen Komplexen zu hausen. Er brauchte Licht, Luft und die Weite der Erde. Doch seit die Vampire ihre schö ne Welt heimgesucht hatten, waren sie alle zu einem Leben ver dammt, das jenseits aller Menschlichkeit war. »Und was machen Sie hier?«, erkundigte sie sich jetzt im
Gegenzug. Die Frage hatte er befürchtet. Nur wenige Eingeweihte wussten von seiner Mission. Die letzten Führer, die ihnen noch geblieben waren. »Frauen wie Sie retten«, entgegnete er lakonisch und erntete ein müdes Lächeln. »Ich heiße übrigens Jill. Jill Trent.« »Tom Hunter.« Fast zaghaft reichten sie sich die Hände. Die ganze Situation wirkte vollkommen grotesk. Aber normal war das Leben auf der Erde schon lange nicht mehr. »Danke, dass Sie mir das Leben gerettet haben«, sagte sie. Hunter zuckte nur mit den Schultern. Es war keine bewusste Ent scheidung gewesen. Er hatte einfach nur reagiert. Allerdings stand er nun vor einem unlösbaren Problem. Er wusste nicht, was er mit ihr anfangen sollte. Mitnehmen konnte er sie nicht, denn sein Weg war schon so gut wie zu Ende. Und zurückbringen konnte er sie auch nicht, weil ihm die Zeit davonlief. Es war eine ausweglose Situation. Als er an sein Ende dachte, umspielte ein hartes Grinsen seine Mundwinkel. Sein Tod würde den Menschen die Freiheit bringen – wenn der Plan funktionierte … Das Mädchen bemerkte seinen Stimmungsumschwung. Alle Frauen hatten ein Gespür für die Launen von Männern. Uralte In stinkte ließen sich nur schwer vertreiben. »Sie wissen nicht, was Sie mit mir anstellen sollen, stimmt’s?«, fragte sie ängstlich. »Richtig«, räumte Hunter ohne Umschweife ein. »Kann ich nicht mit Ihnen gehen?« »Wollen Sie sterben?«
Schockiert starrte ihn Jill Trent an. Mit dieser Antwort hatte sie nicht gerechnet. »Sie denn?«, stellte sie eine Gegenfrage. »Manchmal ist der Tod eine Erlösung«, antwortete Hunter orakel haft. Die junge Frau wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch sie kam nicht mehr dazu. Das Grauen hatte sie eingeholt und schlug mit erbarmungsloser Härte zu. Nicht einmal einen Schrei konnte das Mädchen noch ausstoßen. Zwei gleißende Vampire jagten in den Raum hinein! Selbst Hunter wurde überrascht. Er hatte sich zu sehr ablenken lassen und das rächte sich nun bitter – vor allem für Jill Trent … Gleich einem wütenden Irrlicht fuhr der erste Blutsauger auf die Frau zu, während der zweite direkt auf Hunter zuhielt. Und sie waren schnell. Verdammt schnell. Tom Hunter reagierte instinktiv. Hektisch riss er die Waffe in die Höhe und drückte ab. Fauchend jagte der Plasmastrahl auf den Vampir zu und erwischte ihn voll. Dagegen konnte selbst diese teuflische Kreatur nicht bestehen. Der Blutsauger wurde regelrecht zerrissen. Gazeartige Fetzen spritzten gegen die Zimmerwände und blieben daran hängen. Sofort darauf zersetzten sie sich. Zurück blieb nur ein schmieriger, stin kender Film, der langsam zu Boden floss. Abrupt wirbelte Hunter herum, um auch den zweiten Gegner zu erledigen. Doch es war schon zu spät. Der Vampir hatte sich wie eine dünne Latexhaut über den Körper der jungen Frau gelegt. Sie war verloren. Hunter konnte sie klar und deutlich erkennen. Die glitzernde Haut des Blutsaugers verbarg den Schrecken nicht. Sie war nur eine helle durchsichtige Schicht, die ihr Opfer erbarmungslos umklammert
hielt. Jill Trents Gesicht war nur noch eine angstverzerrte Fratze. Sie litt Höllenqualen. Es war ein schauriger Anblick. Das Saugen begann und mit ihm Jills Todesschreie! Hunter sah das Blut aus den Poren des Mädchens quellen. Sofort wurde es von der Haut des Vampirs aufgesogen. Unkontrolliert und gierig. Tom Hunter reagierte wie eine Maschine. Ohne jede Regung visierte er die junge Frau und den Vampir an – und drückte ab. Wie die erste Bestie wurde auch dieser Blutsauger in Stücke gerissen. Jill dagegen traf Hunter mitten in die Brust, so dass sie gegen die Wand geschleudert wurde. Erstaunt starrte sie ihn an, dann sackte sie zu Boden und blieb ver renkt liegen. Schleimige Reste der Kreatur bedeckten ihren Körper. Selbst das Gesicht war davon nicht verschont worden. Doch es gab weitaus Schlimmeres. Die Plasma-Ladung hatte Jills Brustkorb in eine blutige Masse verwandelt. Hinzu kamen die weit aufgerissenen Augen der Toten, die Hunter anklagend anstarrten. Ihr gebrochener Blick ging ihm durch und durch. Angewidert wandte er sich ab. Er hatte das Mädchen getötet. Schnell und ohne jedes Zögern. Dass er ihr ein qualvolles Ende erspart hatte, spielte dabei keine Rolle. Tief sog Tom Hunter die schale Luft in seine Lungen, die in dem Gebäude vorherrschte. Nun haftete ihr allerdings noch ein weiterer Geruch an – der Odem des Todes. Vergiss das Girl!, befahl er sich selbst in Gedanken. Sie war tot. Daran konnte er nichts mehr ändern. Gar nichts. Aber er lebte – und er hatte eine Mission, die er um jeden Preis
erfüllen musste. Entschlossen griff er nach der brennenden Taschenlampe und ver ließ den Raum. Bewusst vermied er es dabei, in Richtung der Leiche zu blicken. Er wollte den leblosen Körper nicht noch einmal sehen. Es gab schon zu viele Tote, die vor seinem inneren Auge her umspukten. Mit raschen Schritten strebte er voran. Der starke Schein der Lampe wies ihm den Weg. Sie auszuschalten machte keinen Sinn. Die Blutsauger hatten seine Fährte aufgenommen und jagten ihn nun. In dem Gebäude war er nicht mehr sicher. Draußen zwar auch nicht, aber dort konnte er sich wenigstens frei bewegen. Und außerdem wartete der Central Park auf ihn … Rasch warf Hunter einen Blick auf seinen Timer. 28 Minuten nach Mitternacht. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Sollte er eine weitere Pille schlucken? Hunter entschied sich dagegen. Noch spürte er keinerlei Beein trächtigungen. Sein Körper funktionierte einwandfrei. Außerdem hatte man ihn gewarnt, zu viele der Pillen zu nehmen. Ohne auf einen Gegner zu treffen, durcheilte er zwei weitere Räu me. Seine Waffe beschrieb jedes mal einen Halbkreis, bevor er abrupt weiterhetzte. Noch einmal wollte er nicht in eine Falle tappen. Wieder nahm ihn ein Zimmer auf. Es glich den anderen. Die vor herigen Bewohner hatten fast alles mitgenommen, was sie gebrau chen konnten. Nur einige klobige Möbelstücke und viel Müll waren zurückgelassen worden. Hunter sah eine verstaubte Sitzgarnitur, eine halb zerstörte, braune Schrankwand und ein altes TV-Gerät, dessen Bildröhre ihm stumm und leer entgegenstarrte. Mehr war von der menschlichen Zivilisation nicht übrig geblieben. Nur ein paar Artefakte, die Zeuge
eines abrupten Endes geworden waren. Rasch fuhr sein Blick durch den Raum. Eine Tür konnte er nicht ausmachen. Das Zimmer war eine Sackgasse. Hunter wirbelte herum. Hier konnte er nichts ausrichten. Er muss te einen anderen Weg finden. Im gleichen Augenblick hörte er das Geräusch. Ein verstohlenes Fauchen, fast lautlos. Er zuckte heftig zusammen. Er spürte instinktiv, was das bedeute te – was das bedeuten musste … Die Blutsauger kamen! Erneut wirbelte er herum und sprintete auf die beiden Fenster zu. Mit einem Fußtritt beförderte er einen Hocker zur Seite, der ihm im Weg stand. Jetzt war Eile wichtiger als Verstohlenheit. Er musste hier weg. Sofort. Es ging jetzt ums nackte Überleben! Schnell löschte er die Lampe und steckte sie ein. Dann riss er eines der Fenster auf. Kreischend bewegten sich die Scharniere. Das Ge räusch ging Hunter durch und durch. Es schien laut und endlos in seinen Ohren zu tönen. Kühle Nachtluft umflorte sein Gesicht. Es war kein unangenehmes Gefühl. Hunter registrierte es jedoch nur am Rande. Er musste hier raus. Wuchtig stieß er sich ab und sprang ins Freie. Hart hämmerten sei ne Kampfstiefel auf nackten Beton. Der Aufprall jagte als greller Schmerz durch seinen Körper, aber auch das ignorierte Hunter voll kommen. Er war nur froh, dass er die oberen Stockwerke gemieden hatte. Ansonsten wäre er jetzt wahrscheinlich tot gewesen. Doch darüber wollte er lieber nicht nachdenken. Sein Ende würde noch früh genug kommen … Blitzschnell kreiselte Hunter herum und visierte das offene Fenster an.
Das dunkle Rechteck blieb jedoch leer. Seine Feinde warteten an scheinend noch ab. Hunter war das nur recht. Je größer sein Vorsprung war desto besser. Langsam wich er zurück, ohne das Fenster aus den Augen zu lassen. Er traute dem Frieden nicht. Dafür kannte er seine Gegner zu gut. Ihre Gier nach menschlicher Lebensenergie war unersättlich! Yard um Yard ging Hunter rückwärts weiter. Und noch immer konnte er keine akute Gefahr ausmachen. Doch eine hämische inne re Stimme warnte ihn unablässig vor einem unsichtbaren Feind. Durch einen raschen Seitenblick stellte er fest, dass er sich in einem Innenhof befand. Seltsamerweise wies er kaum Müllspuren auf. Jedenfalls soweit Hunter es in der Dunkelheit feststellen konnte. Aber das interessierte ihn kaum. Er suchte immer noch nach einem Feind, den er erledigen konnte. Aber keiner der Vampire ließ sich blicken. Sie schienen ihn be wusst zu meiden. Aber warum? Hunter hatte keinen blassen Schimmer. Man konnte die Re aktionen der verdammten Blutsauger nicht voraussagen. Sie agierten auf eine Art und Weise, die jedem Menschen auf ewig fremd bleiben würde. Als er den Hinterhof halb durchquert hatte, wandte er sich von dem Fenster ab und lief auf die Einfahrt zu. Er war seinen tödlichen Jägern tatsächlich entkommen. Er konnte es selbst kaum glauben. Mit langen Sätzen hetzte er voran. Er wollte diesen Ort so schnell wie möglich hinter sich lassen. Ihn und den Gedanken, dass er ein Mörder war – auch wenn er keine andere Wahl gehabt hatte. Das verschmierte Gesicht von Jill Trent tauchte vor seinem inneren Auge auf.
Gewaltsam verdrängte Hunter es. Er durfte seinen Gefühlen nicht nachgeben. Nur er konnte den Rest der Menschheit vor dem endgül tigen Ende bewahren. Als er den dunklen Schatten bemerkte, war es schon zu spät. Ein brutaler Hieb traf Hunter, der ihn glatt von den Beinen fegte. Mit unverminderter Wucht schlug er auf dem harten Boden auf. Aber Tom Hunter war zäh. Gekonnt rollte er herum, sprang auf die Füße, während der Lauf seines Gewehrs nach oben jagte. Dennoch war seine Reaktion zu langsam. Wuchtig sprang der Schatten auf ihn zu und rammte ihn wie ein vorpreschender Güterzug. Abrupt wurde Hunter die Luft aus den Lungen gepresst, als er gegen eine Hauswand krachte. Bunte Sterne zerplatzten vor seinen Augen. Sein unbekannter Gegner hatte ihn voll erwischt. Ohne Warnung schossen zwei riesige Klauen auf Hunter zu und entrissen ihm das Gewehr. Achtlos wurde die Waffe weggeschleu dert. Sein Feind brauchte sie nicht, um ihn zu erledigen. Nackte Panik flammte in Tom auf! Dieser Gegner schien übermächtig zu sein. Eine Killermaschine auf zwei Beinen. Und noch immer konnte er ihn nicht deutlich aus machen. Plötzlich wurde ihm die Luft geraubt. Gnadenlos drückten die mächtigen Pranken seines Gegners zu. Hunter glaubte, in einem Schraubstock zu stecken, der erbarmungslos seinen ungeschützten Hals zusammenquetschte. Ein heiseres Röcheln verließ seine zugeschnürte Kehle. Zu mehr war er nicht fähig. Und der unmenschliche Druck nahm noch zu. Da tauchte das Gesicht seines Feindes vor ihm auf. Nun wurde Hunter alles klar. Die abstoßende Fratze eines körperlichen Vampirs starrte ihn an. Es musste sich um den Blutsauger handeln, der den Searcher leer
gesaugt hatte. Die frische Lebensenergie und das Blut des jungen Mannes hatten seine geisterhafte Erscheinung in feste Materie verwandelt. Das war einer der Gründe, warum sie Menschen jagten. Sie woll ten körperliche Wesen sein. Doch lange hielt dieser Zustand nicht an, sofern sich die Kreatur nicht weitere Energie zuführte. Verzweifelt versuchte Hunter, den unnachgiebigen Griff zu sprengen, doch es war ein hoffnungsloses Unterfangen. Die Kräfte des Blutsaugers waren zu groß. In dem Vampir steckte die Kraft des Bösen. Eine höllische Kraft, gegen die es kaum ein Gegenmittel gab. Schon gar nicht für einen Menschen. Mehr und mehr erlahmte sein Widerstand. Er konnte kaum noch klar denken. Alles zerfloss zu einem grauen, undurchdringlichen Nebel. Hunter sehnte den Tod fast herbei. Er würde die Qual beenden. Doch ein Teil von ihm wollte nicht aufgeben. Er durfte nicht ver sagen. Er war die letzte Hoffnung der Menschheit, doch noch über die Dämonen zu siegen. Weit riss der Vampir das Maul auf. Seine Gier ließ ihm keine ande re Wahl. Er musste sein nächstes Opfer haben. Hunter sah die spitzen, Furcht einflößenden Hauer, die der Blut sauger in ihn rammen würde. In seiner jetzigen Gestalt würde er ihm tatsächlich auf die klassische Art und Weise das Blut aussaugen – und damit gleichzeitig auch seine Lebensenergie. Nein!, schrie alles in Hunter auf und seine Hände fuhren suchend über seinen Körper. Er benötigte eine Waffe. Irgendetwas, womit er den tödlichen Gegner aufhalten konnte. Kurz streifte seine rechte Hand über den Griff seines Kampf messers. Hunter zögerte keine Sekunde und packte zu, zog es mit
einem Ruck aus der Scheide. Diesmal reagierte der Blutsauger zu langsam. Er versuchte zwar noch, sein vermeintliches Opfer aufzuhalten, aber Hunter war schneller. Und er reagierte mit der traumwandlerischen Sicherheit unzähliger Trainingsstunden. Bis zum Heft drang die Klinge in den Körper der Kreatur ein. Durchbohrte ihr Herz wie ein Speer, so dass sich schwarzes Blut über Hunters Hand ergoss. Es war ein kalter, dickflüssiger Strahl, der ihn zusammenzucken ließ. Ein spitzer Schrei verließ die Kehle des Blutsaugers – laut gellte er in Hunters Ohren – aber die würgenden Klauen ließen nicht locker. Erst einen unendlich lange andauernden Moment später sackte das höllische Wesen in sich zusammen und gab Hunters Kehle frei. Luft! Gierig saugte er den lebensnotwendigen Sauerstoff in die Lungen, während er ebenfalls zu Boden sackte. Alles drehte sich um ihn. Die Welt bestand nur noch aus einem großen Wirbel, der alles mit sich zu reißen schien. Wie Feuer brannte sich der Sauerstoff durch seinen Körper. Doch mit jedem weiteren Atemzug klärten sich seine Sinne. Hunter hatte gelernt zu kämpfen, wenn es sein musste. Und in dieser Nacht musste es sein. Nicht für sich selbst, sondern für alle Menschen, die noch am Leben waren. Sie hatten eine Chance verdient. Voller Ekel starrte er auf die Reste des Vampirs. Sie zerflossen zu einer stinkenden, öligen Masse. Doch selbst sie würde nach und nach verschwinden. Sobald die Nachtwesen zu fester Materie geworden waren, konnte man sie mit normalen Mitteln vernichten. Das war der Preis für eine körperliche Gestalt. Gegen dieses Naturgesetz konnte sich selbst die Kreaturen der Hölle nicht auflehnen.
Gefährliche Gegner blieben sie trotzdem. Wenn der Blutsauger ein wenig schneller reagiert hätte, wäre Hunter ein toter Mann gewesen. Eine Vorstellung, die diesen frösteln ließ. Selbst nach all den Jahren des Grauens waren seine ur eigenen menschlichen Empfindungen noch nicht gänzlich verschwunden. Im Prinzip war er dankbar dafür. Er wollte kein seelenloses Wesen sein, so wie seine unheimlichen Gegner. Da würde er den Tod vor ziehen. Aber so weit war es noch nicht. Mühsam kam Hunter auf die Füße, blieb schwankend stehen. Ganz fit war er noch nicht. Eine Verschnaufpause gönnte er sich dennoch nicht. Er musste den Central Park erreichen. Nur dort würde er den An führer der Monster finden. Das entscheidende Glied in der Kette, das zu ihrer totalen Vernichtung führen würde. Vyparo! Der Name machte Hunter Angst. Er klang irgendwie schaurig und wie nicht von dieser Welt. Aber aufgeben würde er trotzdem nicht. Mehr als sterben konnte er nicht – und sterben würde er so oder so … Mit Hilfe der Taschenlampe suchte er nach seinem Gewehr. Es dauerte nicht allzu lange und er hatte es gefunden. Es war noch vollkommen intakt. Erleichtert hielt er es in den Händen und verließ den Hinterhof. Eine nie geahnte Zuversicht erfüllte ihn. Der Kampf hatte ihm noch einmal deutlich gemacht, das er sterblich war. Aber Hunter hatte überlebt. Er wusste nun, dass er es schaffen würde. Er würde die teuflische Brut zurück in die Hölle schicken. Der Central Park wartete …
* Nach allen Seiten sichernd, strebte Hunter weiter vor. Er befand sich nun auf der Second Avenue. Ein Problem war das nicht, denn auch diese Straße würde ihn ans Ziel führen. Einen weiteren Blutsauger hatte er nicht zu Gesicht bekommen. Sie schienen seine Spur verloren zu haben. Er hoffte es jedenfalls, denn allzu viele Kämpfe konnte er nicht mehr bestreiten. Sein Kör per war mittlerweile bei den letzten Kraftreserven angelangt. Und außerdem hatten sich die ersten Symptome eingestellt. Ein seltsames Taubheitsgefühl in den Beinen hatte ihn erfasst. Noch behinderte es ihn nicht, aber es beunruhigte ihn. Schließlich stand ihm der schwerste Fight noch bevor. Die verfluchten Blutsauger würden es ihm bestimmt nicht leicht machen, an ihren König heranzukommen. Er würde kämpfen müssen, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Doch wenn die Symptome schlimmer werden sollten, würde er kaum noch die benötigte Kraft aufbringen können. So sah leider die brutale Wahrheit aus, ob sie ihm nun gefiel oder nicht. Er musste sie einfach akzeptieren und das Beste hoffen. Die Ärzte hatten ihm jede Auswirkung genau erklärt. Aber in der relativen Sicherheit des unterirdischen Komplexes waren ihm die Worte bedeutungslos erschienen. Nun sah die Sache allerdings anders aus. Die Angst machte ihm mehr und mehr zu schaffen. Als er die 56th Street passierte, schlug sein Herz unwillkürlich schneller. Es war nicht mehr weit. Er musste nur noch ein wenig durchhalten, bis sich sein Schicksal erfüllen konnte. Sofort kehrte seine Zuversicht zurück. Er war noch nicht am Ende. Noch lange nicht. Seine Feinde würden nicht gewinnen, solange er es verhindern konnte. Und er
würde dafür alles einsetzen, was er hatte. 1 Uhr 13. Die blutroten Ziffern des Timers verschwammen kurz vor seinen Augen. Gleich darauf klärte sich sein Blick wieder. Ohne darüber nachzudenken, holte er eine der weißen Pillen her vor und schluckte sie trocken. Ihre glatte Härte spendete ihm ein wenig Trost. Sie würde den Prozess des Verfalls ein wenig verlang samen. Zudem war es die letzte, die er nehmen würde. Entschlossen ging er weiter. Nach einigen Minuten erreichte er die 58th Street und bog links in sie ein. Automatisch beschleunigten sich seine Schritte. Er wollte die Sache endlich hinter sich bringen, so lange er noch halbwegs klar denken konnte. Wie überdimensionale Grabsteine säumten die halb verfallenen Gebäude New Yorks seinen Weg. Hunter nahm sie kaum noch wahr. Selbst an das namenlose Grauen konnte man sich nach einer Weile gewöhnen. Irgendwann konnte er das fast noch intakte GM-Building ausma chen. Er war fast am Ziel und konnte es selbst kaum glauben. Die verdammten Blutsauger hatten ihn nicht aufhalten können. Eine Welle der Erregung durchlief ihn. Bald würde er wissen, ob die Menschheit überleben würde oder nicht. Alles hing nur noch von ihm und seinem Schicksal ab. Kurz blickte er zum Himmel. Die Pracht der schimmernden Sterne war ihm noch nie so überwältigend erschienen. Selbst in der tiefsten Finsternis gab es immer noch einen Lichtschein der Hoffnung. Gleich darauf wandte er sich wieder der Straße zu. Wachsam betrat er die Fifth Avenue und ging in nördlicher Rich tung weiter. Ab jetzt musste er noch vorsichtiger sein. Er hatte ihren Sammelplatz schon fast erreicht. Früher war der Central Park ein Ort des Friedens und der Erho lung gewesen – jedenfalls am Tag – doch nun barg er den absoluten
Schrecken in sich. Noch immer konnte Tom Hunter keinen Vampir entdecken. Sie schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. Aber daran glaubte er nicht. Dafür kannte er diese dämonischen Wesen schon viel zu lange. Sie waren in der Nähe. Irgendwo. Und sie lauerten nur auf einen günstige Gelegenheit, um ihn zu vernichten. Hunters Gedanken schweiften zu dem Blutsauger, den er mit sei nem Messer erledigt hatte. Dessen unglaubliche Stärke machte dem einsamen Kämpfer noch jetzt zu schaffen. Er hatte mehr als Glück gehabt, diesem Monster entwischt zu sein. Doch die Eigenschaft der Blutsauger, körperlich zu werden, sobald sie ein Opfer gefunden hatten, hatte auch ihr Gutes. Nur so war es ihnen letztendlich gelungen, eines der Nachtwesen zum Sprechen zu bringen. In ihrer geisterhaften Ursprungsform konnte man sie nur vernichten. Aber wenn man einen Trick anwandte … Einen Trick, der ein Menschenleben kostete. Das war der Preis, den die Menschheit für ihr Überleben zahlen musste. Viele hielten ihn für zu hoch, aber manchmal musste man das Unausweichliche einfach hinnehmen. Die Welt war oft ein harter Ort. Niemand wusste das besser als Hunter. Er hatte diese Härte schließlich am eigenen Leibe erfahren … Ein heulender Windstoß riss ihn in die Wirklichkeit zurück. Sofort suchte er mit seinem Blick die nähere Umgebung ab. Alles war je doch wie vorher. Entspannt ging er weiter. Die Nachtwesen hielten sich noch immer zurück. Ob es so bleiben würde, hielt er allerdings für fraglich. Nach einer kleinen Ewigkeit erreichte er endlich den Park und blieb erschöpft stehen. Seine Odyssee durch eine tote Stadt war zu Ende. Er hatte sein Ziel fast erreicht.
»Vyparo, ich komme!«, stieß er zischend hervor und ging los. Ruhig und friedlich empfing ihn die einstmals grüne Lunge der riesigen Metropole. Sanft wiegten sich die wild wachsenden Bäume und Sträucher im Wind, so als würden sie seine Ankunft begrüßen. Oder als würden sie wissend nicken. Hunter war das egal. Gleich einer Maschine setzte er einen Fuß vor dem anderen. Die al ten Sehenswürdigkeiten, die ab und an in dem verwilderten Park zu erkennen waren, nahm er kaum wahr. Er folgte stur dem fast gänz lich zugewachsenen Weg, der ihn zum Ziel führen würde. Der letzte Akt stand dicht bevor …
* Unbehelligt durchwanderte er den Park. Kein einziger Blutsauger hinderte ihn daran. Das war fast noch unheimlicher, als ihnen gegenübertreten zu müssen. Wo steckten die verdammten Bestien? Hunter konnte es nicht sagen. Er hoffte nur, dass seine Informa tionen richtig waren. Ansonsten würde er jämmerlich krepieren, ohne etwas erreicht zu haben. Noch war es allerdings nicht so weit. Plötzlich stockte er. Er hatte etwas entdeckt, das er lieber niemals zu Gesicht bekom men hätte. Etwas Grausames. Entsetzliches. Menschliche Hüllen. Unzählige, menschliche Hüllen. Ausgesaugte Männer, Frauen und Kinder, deren Körper die Bestien einfach an Ort und Stelle hatte liegen lassen. Übelkeit wallte in Hunter hoch. Der Wahnsinn kannte keine Gren zen mehr und er musste sich ihm stellen, ob er wollte oder nicht.
Zaghaft ging er auf die menschlichen Überreste zu und an ihnen vorbei. Ein Ekel erregender Gestank wehte ihm entgegen. Es war der Geruch von Fäulnis und Tod. Er hatte ihn schon oft gerochen, aber daran gewöhnen würde sich Hunter trotzdem nicht. Nur flüchtig warf er einen Blick auf die Toten. Dennoch zuckte er mehrfach zusammen. Selbst er konnte nicht alles ertragen. Erschüttert wandte er sich von seinem grausigen Fund ab. Er war auf der richtigen Fährte, das wusste er nun. Dennoch hätte er gerne auf diesen Anblick verzichtet. So etwas sollte niemand zu sehen bekommen. Rasch schritt er weiter und schon bald waren die menschlichen Überreste nicht mehr auszumachen. Hunter war mehr als dankbar dafür. Er hatte genug von dem Grauen, das ihn umgab. Er wollte endlich, dass das alles ein Ende fand. Hunter warf einen weiteren Blick auf den Timer. Die glühenden Ziffern fuhren wie spitze Pfeile in seinen Kopf. 2 Uhr 09. Die Zeit rannte nur so davon. Wo befand sich das Versteck dieser teuflischen Kreaturen? Wo? Er hatte die Mitte des Parks doch schon längst erreicht. Da geschah es! Urplötzlich schossen unzählige Vampire auf ihn zu. Umkreisten ihn wie eine undurchdringliche Wand aus schimmernden, wabbern den Schatten. Zwischen den Bäumen huschten sie hervor, jagten aus dem wei ten, nachtschwarzen Himmel auf ihn herab, glitten aus versteckten Untiefen in die Höhe. Und es wurden immer mehr und mehr. Die Blutsauger waren überall. Wohin er auch blickte, er konnte ih nen nicht entkommen. Sie umschlossen ihn wie eine lebende Wand. Hunter riss seine Waffe hoch, obwohl er wusste, dass es zwecklos war. Es mussten Hunderte, vielleicht sogar Tausende Blutsauger
sein. Eine todbringende Armee, die ihn gnadenlos niedermachen würde. Näher und näher walzte das Heer der höllischen Wesen auf ihn zu. Fast konnte er ihre unmenschliche Gier spüren, die alles über stieg, was er jemals gefühlt hatte. Noch immer zögerte er, das Feuer zu eröffnen. Er war nicht an diesen Ort gekommen, um gegen einfache Vampire zu kämpfen. Dafür hatte er nicht all diese Strapazen aufgenommen. Hunters Gedanken rasten. Was sollte er jetzt tun? Was konnte er tun? Hunter setzte alles auf eine Karte. »Vyparo!« Laut durchriss sein Schrei die Stille der Nacht. Doch aufhalten konnte er die blutgierigen Geschöpfe damit nicht. Sie wollten ihr auserwähltes Opfer gemeinsam zur Strecke bringen. »Vyparo!«, brüllte er erneut. »Zeig dich, verfluchte Bestie!« Die Blutsauger hatten ihn schon fast erreicht. Es war seine allerletzte Chance. Hunter wusste dies nur zu gut. Fest umschlossen seine Hände das Plasma-Gewehr. Kampflos würde er nicht abtreten. Er würde einige von diesen Wesen mit sich nehmen … Und der Herrscher der finsteren Kreaturen erhörte ihn tatsächlich! Ein tiefes, unheimliches Brausen ertönte, das Hunter durch Mark und Bein fuhr. Plötzlich wurde die Mauer aus schimmernden Leibern auseinander gerissen und ein riesiger, dunkler Schatten jag te auf ihn zu. Ein schwarzes Etwas, das vor böser Energie pulsierte. Vyparo war erschienen! Hunter wimmerte vor Furcht. Mit diesem Grauen hatte er nicht gerechnet. Es überstieg seine schlimmsten Befürchtungen, raubte ihm beinahe den Verstand. Der Meister der Vampire glich einem fliegenden Rochen. Er war ein grauenvolles Wesen, das jenseits von allem stand. Ein direkter
Sendbote des Satan. Hunter handelte reflexartig. Blitzschnell visierte er das teuflische Wesen an und feuerte, jagte mehrere Feuerstöße in seinen Gegner hinein. Seine Reaktion kam ganz automatisch. Er konnte sie nicht steuern. Die Angst in ihm hatte die Kontrolle übernommen. Sengend fuhren die Plasma-Strahlen in den riesigen Blutsauger – und verpufften ohne die geringste Wirkung. Der König der Vampire absorbierte die tödlichen Ladungen einfach. Zu einer weiteren Gegenwehr kam Hunter nicht mehr. Hart traf er mit Vyparos Körper zusammen und wurde zu Boden geschmettert. Noch bevor er sich von dem Schock erholt hatte, wurde ihm das Gewehr aus den Händen gerissen und ein weiterer Schlag traf ihn. Der war noch härter als der erste und schleuderte ihn wie ein leblose Puppe zur Seite. Hunter schmeckte Blut. Der kupferne Geschmack ließ ihn würgen. Aber noch war er am Leben! Vyparo spielte mit ihm und genoss seine Machtdemonstration in vollen Zügen. Tom Hunter hatte den Herrscher der Vampire herausgefordert und musste nun den Preis dafür bezahlen. Wieder wurde Hunter von einem mörderischen Hieb getroffen. Wehren konnte er sich schon längst nicht mehr. Er hatte wahrlich seinen Meister gefunden. »Du Narr!«, vernahm er eine grollende Stimme, die direkt in sei ner Nähe aufklang. »Hast du wirklich geglaubt, es mit mir auf nehmen zu können?« Die Worte drangen wie glühende Messerstiche in Hunters bewuss tes Denken vor. Sie traktierten ihn unbarmherzig, raubten ihm jede Hoffnung.
Mühsam wälzte sich Hunter herum und starrte gen Himmel. Tröstend blickten die Sterne auf ihn herab. Im nächsten Moment kroch die alles verschlingende Schwärze auf ihn zu. Der mächtige Blutsauger wollte ihm den Rest geben. Hunter fühlte dies mit absoluter Gewissheit. Das Ende war endlich gekom men. Grell schoss Furcht in ihm empor, eine alles verschlingende Todes angst. »Jetzt werde ich meinen Durst an dir stillen!«, vernahm Hunter ein letztes Mal die unmenschliche Stimme, bevor ihn die ewige Dunkel heit umschloss. Hunter glaubte, ledrige Haut zu spüren, die seinen Körper mehr und mehr zusammenpresste. Sie war gnadenlos. Grell und stechend durchfuhren ihn die Schmerzen. Es war uner träglich. Hunter schrie, brüllte seine ganze Pein dem All entgegen. Dabei fühlte er, wie der Vampir sein Blut trank, sich an seinem Lebenssaft labte. Das Saugen wurde immer rasender. Hunter Sinne schwanden. Aber er verspürte Triumph. Fühlte ihn, bis sein Leben endgültig erlosch. Er hatte gewonnen!
* Gesättigt erhob sich Vyparo und nahm Gestalt an. Er mutierte zu einem riesigen Ungetüm, das alle seine Diener überragte. Hauer wie Stahlstifte ragten aus dem oberen Kiefer her vor. Es waren tödliche Waffen, die jeden Feind in Stücke reißen konnten, die Waffen des mächtigsten Vampirs der Welt. Verächtlich blickte der König der Blutsauger auf die Reste seines Gegners.
Kein Mensch würde es jemals mit ihm aufnehmen können. Dazu waren sie einfach zu schwach. Sie würden immer nur seine Beute sein und sonst nichts. Diese Welt gehörte ihm und seinen Dienern. Er würde über sie herrschen – jetzt und für alle Zeiten. Triumphierend brüllte der mächtige Blutsauger seinen Sieg hin aus. »Ich bin der König dieser Welt! Ich wer …« Vyparo stockte. Es geschah vollkommen abrupt und ohne erkennbaren Grund für seine Diener. Unruhe erfasste die anderen Vampire. Sie spürten, dass etwas nicht stimmte. Etwas, das ihren Herrn und Meister betraf. Ein heftiges Zittern durchlief die riesigen Gestalt ihres Königs. »Was …? Was geschieht mit mir?«, stieß Vyparo hervor. Unruhig fuhren die mörderischen Klauen des Blutsaugers durch die Luft. Sie suchten nach Halt. Doch diesen Halt gab es nicht. Da wusste er es. Wusste alles. »Vergiftet!«, presste der Dämonenkönig mühsam hervor. »Sein Blut war vergiftet!« Verzweifelt riss Vyparo die Arme in die Höhe, so als wollte er die Hölle um Hilfe erflehen. Es war zu spät. Die Mächte der Finsternis kannten kein Pardon. Sie standen nur dem Sieger bei. So waren die Gesetze der dunklen Mächte. Unbarmherzig entfaltete das tödliche Gift seine Wirkung. Zer störte den Blutsauger von innen heraus, vernichtete ihn. Vyparo zerfloss! »Nein!«, schrie er unter Qualen, aber sein Ende war eine beschlossene Sache.
Der Vampir zerfiel. Weiter und weiter. Unaufhaltsam. Seine lederartige Haut platzte auf und schwarzes Blut ergoss sich über den Boden. Die Wunden vergrößerten sich und rissen seine Gestalt mehr und mehr in Stücke. Vyparo kämpfte dennoch weiter. Er bäumte sich ein letztes Mal gegen sein unabwendbares Schicksal auf. Doch das Gift vollendete sein Werk unerbittlich. Noch einmal gellte ein Schrei auf. Es war der Todesschrei. Im nächsten Augenblick brach der Herrscher der Blutsauger zu sammen und zerfloss zu einer undefinierbaren Masse. Es war vorbei …
* Stumm hockten die beiden Beobachter auf ihrem Posten. Ihre Plas ma-Gewehre hielten sie feuerbereit in den Händen. Sie hofften je doch, sie nicht einsetzen zu müssen. Vampire waren mörderische Gegner und sie waren so verdammt schnell. Dennoch hatten sie sich freiwillig zu diesem Einsatz gemeldet. Sie wollten kämpfen. Es ging schließlich um ihr aller Überleben. Keiner der beiden Männer konnte sich an eine Welt erinnern, in der es noch keine Blutsauger gegeben hatte. Sie waren dafür zu jung. Der Krieg gegen die Kreaturen der Nacht wurde schon seit einer Ewigkeit ausgefochten. Und ein glückliches Ende für die Menschheit schien es nicht zu ge ben. »Glaubst du, dass er es schafft?«, fragte der linke Beobachter sei nen Partner plötzlich. Man hatte sie eingeweiht. Sie wussten von der letzten,
verzweifelten Aktion, die ihre Führer gestartet hatten, wenn auch nicht in allen Einzelheiten. Aber das war auch gar nicht nötig. »Wenn es einer schaffen kann, dann er!«, entgegnete der andere im Brustton der Überzeugung. Beide wussten, dass Tom Hunter der beste Mann war, den sie hatten. Ein Kämpfer, der bis zum bitteren Ende nicht aufgeben würde. Da vernahmen sie plötzlich den Schrei. Verschreckt starrten sie sich an. Man hatte ihnen gesagt, dass et was Unheimliches geschehen würde, sollte Hunter Erfolg haben. Aber darauf waren sie nicht gefasst gewesen. Unwillkürlich richteten sie ihre Waffen in die nächtliche Finsternis und warteten auf einen gezielten Angriff. Irgendetwas würde passieren … Sekunden wurden zu Minuten. Außerdem Schrei geschah jedoch nichts. Zaghaft blickten sich die beiden Soldaten an. Jeder sah die gren zenlose Angst in den Augen des anderen. »Mein Gott!«, stieß einer von ihnen verzweifelt aus. Der andere schwieg nur. Der Schrei hatte etwas Entscheidendes zu bedeuten. Sollte er das Zeichen gewesen sein, von dem die Führung gespro chen hatte? Der junge Soldat war davon überzeugt. Der Plan war aufgegangen. Hunter hatte seine Mission erfüllt. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Ihr bester Kämpfer hatte nicht versagt. Er hatte seinen letzten Auftrag angetreten – und er hatte gesiegt! »Er hat es geschafft!« Begeistert stieß der Soldat die Worte aus. »Ja, das hat er!«, stimmte der andere Beobachter zu.
Er griff zum Funkgerät und informierte die Führung. Der Befehl zum Angriff würde sie nun bald erreichen. Es war so weit. Endlich. Der Tag der Menschheit war gekommen … ENDE