Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 691
Die Bio-Brüter In den Händen der Gen-Experimentatoren
von Peter Terrid
Im ...
8 downloads
260 Views
358KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 691
Die Bio-Brüter In den Händen der Gen-Experimentatoren
von Peter Terrid
Im Jahr 3818 wird Atlan aus seinem Dasein als Orakel von Krandhor herausgerissen. Sein neuer Einsatzort ist die Galaxis Alkordoom, wo eine Entwicklung im Gang ist, die das weitere Bestehen der Mächte der Ordnung in Frage stellt. Bereits die ersten Stunden von Atlans Aufenthalt in Alkordoom zeigen auf, wie gefährlich die Situation ist. Der bestandene Todestest und der Einsatz im Kristallkommando beweisen jedoch längst Atlans hohes Überlegenheitspotential. Dennoch hätte der Arkonide längst seine geistige Gesundheit oder gar sein Leben verloren, hätten die Celester, nach Alkordoom entführte TerraAbkömmlinge, oder ANIMA, das von den Kosmokraten ausgesandte Raumschiff, nicht zugunsten Atlans eingegriffen. In seinem Bestreben, mehr über die Zusammenhänge in Alkordoom zu erfahren, speziell im Hinblick auf die sogenannten Facetten und deren Lenker, den sogenannten Erleuchteten, ist unser Herr bereits große Risiken eingegangen, wie beispielsweise die gewagten Unternehmungen in der Sonnensteppe beweisen. Gegenwärtig ist Atlan in den Sektor Janzonborr verschlagen worden, der von der geheimnisvollen Facette Yog-Mann-Yog beherrscht wird. Eine der Welten dieses Sektors ist Zuynam. Dort herrschen DIE BIO-BRÜTER…
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan – Der Arkonide auf dem Planeten Zuynam. ANIMA – Atlans lebendes Raumschiff. Sitortode, Olavv und Detomee – Bio-Experimentatoren von Zuynam. Hunkle-Bha -Ein Raumfahrer macht einen wertvollen Fang. Kjaer – Ein unvollkommenes Wesen.
1. Haxxan wußte, daß er dem Tod verfallen war, wenn man ihn erwischen sollte, aber er ängstigte sich nicht davor. Da zu seinem Vorhaben äußerste Kaltblütigkeit erforderlich war, hatte sein Schöpfer ihn vorsichtshalber gar nicht erst mit Gefühlen ausgestattet. Auch das erkannte Haxxan nicht als Mangel. In respektvoller Haltung kauerte er vor seinem Herrn und wartete auf die genaue Beschreibung der Aufgabe, die er zu bewältigen hatte. »Du wirst warten, bis es ganz dunkel geworden ist«, sagte Sitortode ruhig. Auch er wußte, daß Haxxan bei diesem Unternehmen sehr leicht zu Tode kommen konnte, aber der Gewinn, den Sitortode sich von dem Coup versprach, war so hoch, daß Sitortode ohne zu zögern ein Dutzend Geschöpfe von Haxxans Art geopfert hätte. »Dann schleichst du dich ein. Du hast dir die Unterlagen eingeprägt?« »Ganz genau, Herr. Ich habe keine Einzelheit vergessen.« »Es ist wichtig, daß du das richtige Material stiehlst. Mit schlechter Beute kann ich nichts anfangen. Und Detomee wird ihr Labor sicher sehr wirkungsvoll zu schützen wissen. Du hast daher von mir die ausdrückliche Erlaubnis, jeden Widerstand zu brechen.« »Gilt das auch für Detomee selbst?« fragte Haxxan interessiert. Sitortode zögerte einen Augenblick lang. Daß sein Vorhaben gegen geschriebene und ungeschriebene Regeln Zuynams verstieß, war ihm sehr wohl bewußt. Er war bereit dazu, weil er in seiner Notlage keinen anderen Ausweg mehr sah. Seine Forschungen waren so weit gediehen, daß er einfach weitermachen mußte, und dazu brauchte er das Material, das Detomee unter Verschluß hielt. »Detomee ist zu schonen, auch die anderen wissenschaftlichen Mitarbeiter. Gewaltsam vorgehen darfst du gegen Handlanger und Material, aber nicht gegen Zuynamer.« »Ich habe verstanden und werde mich daran halten«, versprach Haxxan. Unterwürfig, wie es sich für einen Handlanger schickte, verabschiedete er sich von seinem Herrn und Schöpfer. Zuyster, einziger großer Mond des Planeten Zuynam war bereits aufgegangen und goß sein milchiges Licht über die Stadt. In Bolerc, der größten Stadt des Planeten, war es ruhig geworden. Nur in wenigen Gaststätten waren noch Besucher anzutreffen. Haxxan bewegte sich nahezu geräuschlos durch die Straßen der Stadt. Sein Ziel kannte er genau. Detomees Haus mit angegliedertem Labor lag am Rand der Stadt in einer Mulde, umgeben von einem der prächtigsten Parks, die der Planet aufzuweisen hatte. Jede einzelne Pflanzenart, die dort wuchs und blühte, verdankte ihre besonderen Eigenschaften der Forscherin Detomee. Haxxan blieb auf der Anhöhe stehen und sah auf das Gebäude hinab. Sämtliche Lichter waren erloschen, mit Ausnahme der beiden großen Laborfenster am Kopfteil des Schlangenhauses. Großflächig gewölbt wirkten sie wie zwei riesige, helle Augen, die ins Nirgendwo starrten. Passenderweise befand sich der Zugang zu den Labors dort, wo bei einer echten Schlange das Maul zu finden gewesen wäre. Haxxan wußte, daß er mit allerlei Fallen zu rechnen hatte. Materialdiebstähle waren unter eifersüchtigen Forschern in letzter Zeit geradezu Mode geworden. Forschungsmaterial hoher Güte war knapp, und der ständige Wettstreit der Forscher um Ruhm, Anerkennung und materiellen Gewinn zwang die weniger Bemittelten geradezu zum Diebstahl. Das war allgemein bekannt, und die Forscher, die kostbares Material in ihren Labors verwahrten, trafen entsprechende Sicherheitsvorkehrungen. Haxxan erreichte das Haus und blieb stehen. Aufregung und Angst waren ihm fremd, dennoch war
er auf der Hut. Es war nichts zu sehen, und an Geräuschen gab es nur das leise Klingeln der metallischen Blätter gegeneinander, wenn der Wind über den Bewuchs des Hauses strich. Ein leises Vibrieren des Bodens verriet, daß im Innern des Hauses noch schwere Maschinen liefen. Haxxan hätte gerne gewußt, um was für Maschinen es sich handelte, denn bis zu diesem Augenblick hatte er von irgendwelchen Sicherungsmaßnahmen nichts entdeckt. Es sah so aus, als sei Detomee überhaupt nicht daran gelegen, ihr Hab und Gut vor unerlaubtem Zugriff zu schützen. Haxxan erreichte die Eingangstür. Langsam stellte er sich auf die Zehenspitzen und lugte ins Innere des Labors. Der Anblick, der sich ihm bot, war ihm wohlvertraut. Die üblichen Gerätschaften waren zu sehen. Brutschränke, Zuchtkammern, ein erstklassiges Hochleistungsmikroskop mit angeschlossener Positronik und einem überdimensionalen Farbmonitor als Darstellungsgerät. Allein die Apparaturen zur Gen-Analyse waren zwei Vermögen wert. Haxxan überprüfte Fenster und Türen, aber er fand keine Alarmanlage. Vorsichtig öffnete Haxxan die Tür. Sie war nicht verschlossen, und Haxxans Zweifel an diesem Unternehmen wuchsen noch mehr. Die Leichtigkeit, mit der er in Detomees Haus eindringen konnte, war mehr als verblüffend, sie stank geradezu nach einer Falle. Ein anderes Wesen als Haxxan hätte in dieser Lage Reißaus genommen, aber das Geschöpf des BioBrüters Sitortode hatte keine andere Wahl, als den Auftrag fortzusetzen. Das Labor war hell erleuchtet, und Haxxan hatte auch keine großen Schwierigkeiten, den Schrank zu finden, der die erhoffte Beute enthielt – Bioplasma, das Sitortode für seine Forschung so dringend benötigte. Immerhin, der Schrank wenigstens war versperrt. Ein kompliziertes Impulsschloß verhinderte, daß jemand unbefugt die schwere Stahltür bewegte. Für diesen Fall war Haxxan bestens ausgerüstet. Vorsichtig fuhr er aus seinem kugeligen Plasmakörper, der im Licht der Laborbeleuchtung leicht grünlich schillerte, ein Pseudoglied aus, mit dem er an den Rändern der Tür herumzutasten begann. Nach schneller Suche hatte er gefunden, was er benötigte, eine mikroskopisch kleine Lücke zwischen der Tür und der Zarge. Ein Haar wäre zu dick gewesen, in diese Ritze hineinzupassen, aber Haxxan brauchte nur eine Öffnung, die drei Zehntausendstel Millimeter dick war, und dieser Spalt war erheblich breiter. Haxxan ließ einen Teil seines Körpers in den Tresor hineinwachsen. Langsam ließ er ein Kettenmolekül seines hochspezialisierten Leibes in den Tresor hineingleiten, bis er fast zwei Drittel seiner Körpermasse eingeschleust hatte. Der Tresor war sehr geräumig. Eine entsprechend große Menge Plasma war dort gelagert. Haxxan suchte im Innern nach dem Lichtschalter und fand ihn auch. Außerdem formte er ein Auge aus, mit dem er den Inhalt des Panzerschranks begutachten konnte. Die ersten Proben, die er fand, waren ziemlich wertlos. Was Sitortode benötigte, war erstklassiges Material, das noch einen gewissen Anteil an Psi-Potential enthielt. Nur daraus ließen sich biotechnische Meisterleistungen entwickeln. Nach kurzer Suche hatte Haxxan etwas gefunden, das seinem Herrn das Herz schneller schlagen lassen würde. Erstklassiges Material; das Siegel bewies, daß es sich um Ware von Purtupf handelte. Haxxan streckte seine Hände nach dem Behälter aus. Er wog schwer, es mußten mindestens zehn Kilo Plasma sein, die darin enthalten waren, genug um ein Dutzend hochwertiger Züchtungen zu beleben. Jetzt galt es, mit dieser kostbaren Beute aus dem Panzerschrank wieder herauszukommen. Da Forscher, mitunter zur Zerstreutheit neigten und sich gelegentlich mitsamt ihren Kostbarkeiten in den Tresoren einsperrten, gab es eine ziemlich primitive Vorrichtung, den Tresor von innen zu öffnen. Für ein so hochspezialisiertes Geschöpf wie Haxxan war es nicht weiter schwierig, in das Zahlenschloß einzudringen und die Mechanik abzutasten. Haxxan brauchte nur eine halbe Minute, dann hatte er den Kode gefunden und die Tür des Tresors geöffnet. Er überlegte einen Augenblick lang, ob er irgend etwas mit dem restlichen Inhalt des Panzerschranks anfangen sollte, entschloß
sich dann aber, das übrige Plasma unangetastet zu lassen. Am besten war es, den Schrank wieder zu schließen und alle Spuren zu verwischen. Haxxan stieß einen Seufzer aus, als er wieder im Freien war. Noch immer schien niemand etwas von dem Einbruch bemerkt zu haben. * »Gut gemacht«, lobte Sitortode sein Geschöpf. Mit einer gnädigen Handbewegung wurde Haxxan entlassen. Mit Gier betrachtete Sitortode die Beute. Es war tatsächlich das Siegel von Purtupf, das auf dem Behälter prangte, ein reichlich seltsames Siegel, denn es zeigte einen Planeten, der von einer Art energetischer Kugelschale eingeschlossen war und ansonsten völlig leblos wirkte. Sitortode wußte, daß der geheimnisvolle Purtupf auf einer Welt namens Tauwerk lebte, die noch niemand zu Gesicht bekommen hatte. War das Siegelbild eine Darstellung dieser Welt? »Gleichgültig«, murmelte Sitortode. Seine Hände zitterten ein wenig, als er den Behälter nach Entfernung des Siegels öffnete. Das Siegel und die Siegelschnüre mit ihren seltsamen Kodierungen überließ er dem Abfallvernichter. Das gleiche tat Sitortode mit dem Behälter selbst, nachdem er das hellgrün strahlende Plasma in ein anderes Gefäß gepackt hatte. Nun mochte Detomee nach ihrem kostbaren Plasma forschen und behaupten, Sitortode habe es in seinem Besitz. Nichts würde sie beweisen können. Das einzige Verbindungsglied war Haxxan, und den gedachte Sitortode noch in dieser Nacht einzuschmelzen. Danach gab es dann überhaupt keine Spuren mehr. Mit Behagen sog Sitortode den Duft des frischen Plasmas ein. Es roch geradezu nach den PsiPotentialen, die darin enthalten waren. »Das wird dein Ruin sein, alte Plasmahexe«, stieß Sitortode gehässig hervor. Niemals konnte Detomee diesen Verlust wieder ersetzen. Zehn Kilo des besten Plasmas, das Purtupf zu bieten hatte, mußten ihre Finanzen so angespannt haben, daß sie sich bald nicht einmal mehr einen Liter primitivster Nährlösung würde leisten können. »Haxxan, komm her!« Obwohl Haxxan sich ausrechnen konnte, was ihm bevorstand, zögerte er keinen Augenblick. Willig bequemte er sich in den großen Brutbehälter und breitete sich darin aus. Sitortode übergoß den Leib des Kunstgeschöpfs mit einem flüssigen Strukturknacker, der nur ein paar Minuten brauchte, um aus Haxxan wieder einen beliebig veränderbaren Plasmabrei zu machen. Eine Kultur Implantationsviren stand ebenfalls bereit, außerdem verfügte Sitortode über eine erkleckliche Sammlung jederzeit einsatzbereiter Wandlungsgene, die er in Ermangelung von wirklich gutem Plasma bisher nicht hatte einsetzen können. Darunter war ein Kode für eine Pflanze, von der Sitortode seit langem träumte. Sein Meisterwerk sollte Frohsinn und Heiterkeit stiften, ab und zu auch zu Verhörzwecken verwendbar sein und ihm mindestens eine Medaille eintragen, vielleicht sogar einen hohen Rang im Forschungsrat von Zuynam. In bester Stimmung machte sich Sitortode an die Arbeit. Er verknüpfte die Genkodes miteinander, danach nahm er einen Teil des Haxxan-Plasmas und vermischte es mit einer sehr kleinen Probe des gestohlenen Materials. Mehr würde nach seiner Schätzung nicht nötig sein. Diese Rohmasse mit dem gewünschten Formgen zu infizieren war eine Arbeit, die zur Routine eines Bio-Brüters gehörte. Tausendfach durchgespielt waren auch die nächsten Handgriffe, mit denen Sitortode das vorbereitete Plasma in den Brutschrank packte. Sorgfältig zusammengestellte Nährlösungen, Schnellwuchspräparate und ideale Klimavoraussetzungen taten ein Übriges.
Sitortode konnte sogar sehen, wie sich der Zellbrei veränderte. »Unglaublich«, murmelte er. Dieses neue Plasma von Purtupf war das beste Material, das jemals ein Forscher auf dem Planeten Zuynam in die Hände bekommen hatte. Das Plasma begann sich zu strukturieren. Individuelle Zellgruppen bildeten sich und begannen damit, ihre speziellen Funktionen zu entwickeln. Wurzeln wurden ausgebildet und fanden auf dem sich entsprechend verändernden Untergrund der Brutschale einen Halt. Ein Keimling entstand und sproß mit unerhörter Geschwindigkeit in die Höhe. Die Blätter wuchsen so rasch, daß es aussah, als würden sie von einem Sturmwind bewegt. Und im gleichen Tempo bildete sich die Blüte aus, ein Wunder an Farbenpracht, genau wie es Sitortode gewollt hatte. Langsam entfaltete sich die Blüte, und nie zuvor hatte sich Sitortode so frohgemut gefühlt. Bis zu dem Augenblick, an dem er erkennen müßt, daß die Pflanze Sporenkapseln auszubilden begann, die in Sitortodes Programm nicht enthalten waren. Hastig schaltete Sitortode den Brutschrank aus, aber die Reaktion kam zu spät. Es waren zwei Meisterleistungen, die hier aufeinandertrafen. Da war zum einen Sitortodes Prachtgewächs, das seine Wirkung auf den Forscher nicht verfehlte, denn Sitortode fand das, was sich in den nächste Minuten abspielte, ungemein erheiternd. Dieses Schauspiel war ohne Zweifel Detomee zu verdanken. Durch Sitortodes Gehirn schoß die Einsicht, daß er ein betrogener Betrüger war, dem Detomee in genau berechneter Absicht ein längst von ihr vorprogrammiertes Material in die Hände gespielt hatte. Mit rasender Geschwindigkeit wuchs die Pflanze weiter, dann platzte die Sporenkapsel auf und verstreute explosionsartig ihren Inhalt im Labor. Wo die Sporen auf Nährboden trafen, begannen sie sofort damit, neue Pflanzen wachsen zu lassen, noch schneller als bei dem ersten Exemplar, das inzwischen einen Meter in die Höhe geschossen war und fortlaufend neue Sporenkapseln entwickelte. Die Sporen landeten auf dem Rest des Haxxan-Plasmas, sie befielen das gestohlene Material, setzten sich auf Erdboden und in Staubwinkeln ab, verunreinigten andre Kulturen und begannen mit atemberaubendem Tempo, Sitortodes Labor förmlich zu erobern. Und in diesem explodierenden Dschungel stand Sitortode, der nicht anders konnte und lachte…
2. Detomee machte eine wütende Handbewegung und ließ das Reagenzglas in den Abfallkonverter fliegen. Seit zehn Stunden arbeitete sie an dieser Versuchsreihe, und die Ergebnisse waren nur kümmerlich zu nennen. »Es fehlt das Plasma«, stellte Detomee seufzend fest, ein Satz, der in diesen Tagen vielen Wissenschaftlern Zuynams über die Lippen kam. Detomee sank in einen bequemen Sessel. Die erste Stunde des Tages war ein reines Vergnügen gewesen. Kurz nach dem Erwachen hatte Detomee den Diebstahl bemerkt, den sie schon seit geraumer Zeit erwartet hatte. Irgendeiner ihrer Kollegen war so dreist gewesen, sie bestehlen zu lassen. Und der Dieb war auch prompt auf Detomees Trick hereingefallen und hatte das sorgfältig vorbereitete Plasma mitgehen lassen. Es war ein übler Schabernack, und Detomee wußte das sehr gut. Aber es erheiterte sie, sich vorzustellen, wie ihr Produkt das Labor eines eifersüchtigen Kollegen in ein Tollhaus verwandelte. Mehr Grund zur Freude hatte die Forscherin nicht, denn ihre Experimente stockten. Olavv war am anderen Ende der Leitung, und er machte ein sehr vergnügtes Gesicht. »Hast du es schon gehört? Sitortode, hat mit einem Experiment Pech gehabt. Sein Haus ist unter irgendeinem euphorisierenden Unkraut förmlich verschwunden.« »Ach«, machte Detomee interessiert. Also Sitortode war der Halunke gewesen. »Man hat ihn in eine Klinik bringen müssen, weil er derart überdreht gewesen ist, daß er pausenlos gelacht hat, auch als das ganze Zeug binnen weniger Minuten zerfallen ist. Jetzt sieht sein Labor aus wie ein Komposthaufen, und es stinkt ganz erbärmlich.« »Jeder macht ab und zu Fehler«, meinte Detomee philosophisch. »Wenn man nichts Besseres zur Hand hat…« Olavv stieß einen Seufzer aus. Bei fast jeder Zusammenkunft von Wissenschaftlern aller Disziplinen kam früher oder später dieses Thema auf, es schien bei einigen Bio-Brütern zu einer fixen Idee geworden zu sein. Alles hing vom Plasma ab. Frisch mußte es sein, und Psi-Potentiale mußte es enthalten, wenn es für die Forschung taugen sollte. Früher hatte man Plasma von Tauwerk bezogen, aber seit dort ein gewisser Purtupf das Kommando führte, waren die Preise für Plasma förmlich explodiert. Keiner konnte die Summen bezahlen, die Purtupf forderte. »Ich habe gehört, die Landree-Expedition soll sich gemeldet haben«, wußte Olavv zu berichten. »Und?« »Angeblich haben sie Tauwerk vor drei Tagen entdeckt, aber seither fehlt jede Nachricht von der Expedition. Das wäre dann das siebzehnte Unternehmen dieser Art, das mit einem Fehlschlag endet. Allmählich wüßte ich wirklich gern einmal, was es mit diesem Planeten auf sich hat.« »Purtupf weiß seine Geheimnisse zu schützen«, antwortete Detomee. »Woran arbeitest du zur Zeit?« wollte Olavv wissen. Detomee zögerte einen Augenblick lang. Sie hatte selbstverständlich keine Lust, einen Rivalen über den letzten Stand ihrer Forschungen zu unterrichten, auf der anderen Seite wäre es unhöflich gewesen nicht zu antworten. Sie nahm Zuflucht zu einer Ausrede, die sie seit längerer Zeit in Gebrauch hatte. »Ich arbeite weiter an Mobikopf«, antwortete sie. Olavv verzog das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. »Immer noch nicht gut genug für deine Ansprüche?« fragte er.
»Selbst etwas Gutes läßt sich noch verbessern«, gab Detomee philosophisch zurück. »Und wie geht es dir?« Olavv stieß einen Seufzer aus. »Ich warte, daß sich Hunkle-Bha endlich wieder bei mir meldet. Sollte er genügend Plasma mitbringen, kannst du etwas von mir kaufen.« »Das werde ich mir überlegen«, antwortete Detomee. Sie glaubte nicht daran, daß es dem Raumfahrer Hunkle-Bha gelingen würde, irgendwo brauchbares Plasma aufzutreiben, und selbst wenn es ihm gelingen sollte, würden Detomee die Mittel fehlen, Material von Olavv zu erwerben. Olavv winkte Detomee noch einmal zu, dann trennte er die Verbindung. Nachdenklich kehrte Detomee in ihr Labor zurück. Sie hätte jetzt tatsächlich gern an Mobikopf weitergearbeitet, aber das ließ sich aus zwei Gründen nicht machen. Der erste Grund war der Plasmamangel, der andere Grund war noch schwerwiegender: Mobikopf war verschwunden. Schon vor geraumer Zeit war das Kunstwesen, aus Detomees Labor geflüchtet, und bisher hatte sich keine Spur von ihm finden lassen. Ihr bestes Geschöpf verfügte über einige Para-Eigenschaften, die bei falschem Gebrauch großen Schaden anrichten konnten. Wie fast alle Forscher auf Zuynam hatte Detomee gehofft, ihr fertiges Produkt eines Tages im sogenannten Adlerhorst vorstellen zu dürfen. Hätte Mobikopf das Wohlwollen von Yog-Mann-Yog gefunden, wäre Detomees Zukunft strahlend und hell geworden. Es war lange her, daß ein Bio-Produkt von Zuynam bei Yog-Mann-Yog hoch in Ansehen gestanden hatte. In letzter Zeit hatten andere Welten stets den Erfolg eingeheimst, und langsam wurde die Lage auf Zuynam wirklich kritisch. »Es hilft nichts«, murmelte Detomee. »Ich muß weiterarbeiten.« Eine Schar ihrer Handlanger war damit beschäftigt, das Labor aufzuräumen und zu säubern. Es war eine buntgemischte Schar, importiert von einer ganzen Reihe von Planeten des Sektors. Wie üblich auf Zuynam war jeder der Handlanger ein erhebliches Stück kürzer als sein Herr; die Bewohner Zuynams schätzten es nicht, wenn ihr Personal sie überragte. Versonnen betrachtete Detomee die Handlanger. Sie wußte, daß es einige Kollegen gab, die wegen der allgemeinen Plasmanot nicht einmal davor zurückschreckten, ihre Handlanger für Versuche einzusetzen. Vor allem Sitortode stand in dem Ruf, in der Wahl seiner Mittel nicht zimperlich zu sein, was ihm den boshaften Spitznamen »Plasmakoch« eingetragen hatte. Auch Olavv, von Insidern »Biostürmer« genannt, galt als ziemlich skrupellos. Wieder meldete sich der Kommunikator, und diesmal war es Sitortode, der am andren Ende der Leitung zu finden war. Er, machte einen sehr ärgerlichen Eindruck. Die Wirkung von Detomees Streichs schien nachgelassen zu haben. »Ich schlage vor, daß wir den Vorfall vergessen«, sagte er ohne Umschweife. »Meinetwegen«, gab Detomee zurück. »Immerhin hat er ein Gutes«, fuhr Sitortode fort. »Er zeigt, wie weit Purtupf uns bereits gebracht hat. Wenn es so weitergeht, werden wir uns noch gegenseitig umbringen müssen, um weiterarbeiten zu können.« »Von Müssen kann keine Rede sein«, widersprach Detomee kalt. »So wenig wie vom Stehlen. Es war deine Entscheidung.« »Meinetwegen«, räumte Sitortode ein. Er hatte offenkundig keine Lust, in moralische Erörterungen verwickelt zu werden. »Ich schlage vor, daß wir noch eine Expedition nach Tauwerk ausrüsten.« »Die achtzehnte dann«, rechnete Detomee vor. »Glaubst du, es wird sich noch jemand finden, der bereit ist, in dieser Sache sein Leben zu riskieren?« »Haben wir eine andere Wahl?« fragte Sitortode scharf. »Wenn wir nicht sehr bald im Adlerhorst
ein Wesen vorstellen können, das Yog-Mann-Yog gefällt, wird Zuynam in Vergessenheit geraten. Nicht einmal Gebrauchszüchtungen wird man von uns noch annehmen.« »Schwarzmalerei«, entgegnete Detomee, die sehr wohl wußte, daß Sitortode grundsätzlich recht hatte. »Du brauchst dich nicht daran zu beteiligen«, versetzte Sitortode grimmig. »Notfalls werde ich diese Expedition allein führen. Aber ich werde einige hochqualifizierte Wissenschaftler mitnehmen, nicht das Räubergesindel, das sich normalerweise nach Tauwerk auf den Weg macht.« »Und du hoffst, daß du es schaffen wirst?« »Tauwerk wird, so heißt es, von einem Etwas umgeben, das sich ›Ring der Hölle‹ nennt. Gleichgültig, um was es sich dabei handelt, ein fähiges Team sollte in der Lage sein, das Geheimnis zu lüften und den Weg zu Purtupf zu öffnen.« »Was du sagst, klingt einigermaßen richtig«, gestand Detomee zu. »Aber ein Problem werden wir schwerlich lösen können. Dafür brauchen wir Leute, die mit einem Raumschiff umgehen können. Und das ist, wie du weißt, nicht gerade die Stärke von uns Zuynamern.« »Ich habe an Hunkle-Bha gedacht«, sagte Sitortode sofort. »Allerdings wird er sehr teuer sein. Wie sieht es aus, willst du dich an der Aktion beteiligen?« Detomee zögerte. Mit Sitortode zusammenzuarbeiten war eine zweischneidige Angelegenheit. Es ließ sich nicht bestreiten, daß er einer der besten Bio-Brüter war, die Zuynam jemals hervorgebracht hatte. Ebenso klar allerdings war die Tatsache, daß er im Zusammenleben ein Scheusal war, aufgeblasen, eitel und intrigant. Es ließ sich auch nicht verkennen, daß er deutlich paranoide Züge aufwies. Ein paar Tage, womöglich Wochen, mit Sitortode in der Enge eines Raumschiffs verbringen zu müssen, war keine Vorstellung, mit der man Detomee locken konnte. Auf der anderen Seite war Sitortode zweifellos im Recht, wenn er behauptete, daß dringend etwas getan werden mußte. »Ich werde mich beteiligen«, versprach Detomee schließlich. »Ich werde zusehen, daß ich brauchbare Raumfahrer auftreiben kann«, fuhr Sitortode fort. »Sobald sich Hunkle-Bha bei mir gemeldet hatte, nehme ich Kontakt zu dir auf. Einverstanden?« Detomee machte eine zustimmende Geste, dann trennte sie die Verbindung. * »Eine weiße Sonne«, stellte Dhonat trocken fest. »Acht Planeten.« Vor wenigen Augenblicken war ANIMA in diesem Sonnensystem angekommen, mit letzter Kraft, wie nicht zu übersehen war. Die Ereignisse der jüngsten Zeit hatten die Reserven ANIMAS stark angeschlagen, das Raumschiff brauchte dringend eine Ruhepause, um seine Kräfte wiederherstellen zu können. War dieses System dazu geeignet? »Sektor Janzonborr«, setzte Dhonat seine Erklärung fort. »Kontrolliert von Facette Yog-Mann-Yog«, ergänzte Wasterjajn Kaz. »Was ist über diese Facette bekannt?« wollte ich wissen. Wasterjajn Kaz wiegte die Köpfe. »Wenig bis nichts«, antwortete er. Yog-Mann-Yog hält sich im Hintergrund, läßt andere für sich arbeiten, je schmutziger, um so mehr. ANIMA schlug eine Parkbahn ein, außerhalb der Bahn des sonnenfernsten Planeten. Ihre Bewegungen waren langsam geworden, und als die Parkbahn erreicht war, verfiel sie in eine Art
Starre. Als Hilfe bei künftigen Abenteuer war sie so vorläufig nicht zu gebrauchen. »Kannst du uns wenigstens eine Schleuse öffnen, damit wir die KORALLE für einen Erkundungsflug einsetzen können?« fragte ich bei ANIMA nach. »Das ist möglich«, gab ANIMA mit leiser Stimme zurück. »Aber mehr kann ich im Augenblick nicht tun.« »Es genügt uns«, antwortete ich. »Wer will mich begleiten?« »Ich bleibe lieber an Bord«, sagte Dhonat sofort. »Mit einem tragbaren Hyperfunkgerät können wir ja Verbindung halten.« »Einverstanden«, sagte ich. Damit war das Erkundungsteam perfekt. Sowohl Wasterjajn Kaz als auch die beiden Kjokerinnen Kjok-Almergund und Kjok-Duun würden mich an Bord der KORALLE begleiten. Das Beiboot war nach kurzer Zeit startklar und entfernte sich langsam von ANIMA, deren Körper nun wie zu Kristall erstarrt schien. Eine Verständigungsprobe mit Dhonat verlief zufriedenstellend. Kjok-Almergund kümmerte sich um die Ortungseinrichtungen der KORALLE. Die Meßwerte kamen schnell und zügig. Acht Planeten hatte die weißgelbe Sonne, die dem Heimatgestirn der Terraner sehr ähnlich war. Die äußeren Planeten waren für unsere Lebensformen ungeeignet, klein und überaus kalt, oder riesengroß mit einer sturmgepeitschten Atmosphäre aus Giftgasen. Lebensfeindlich mußte auch der innerste Planet genannt werden, ein glühheißer Einseitendreher. »Nummer zwei scheint bewohnbar zu sein«, erklärte Kjok-Almergund. Kjok-Duun machte eine Geste der Zustimmung. »Er wird auch bewohnt«, erklärte sie. »Ich kann Funksprüche auffangen. Hyperwellen, also ist man dort unten technisch schon recht fortgeschritten.« Ich preßte die Lippen aufeinander. Natürlich war es nicht schlecht, einen Planeten mit einer intelligenten Spezies zu finden. Auf der anderen Seite gab es das Risiko, daß jemand mit entsprechender technischer Ausrüstung die KORALLE oder ANIMA entdeckte und angriff. Langsam stieß die KORALLE auf den Planeten herab. Wir ließen uns Zeit, um keinen Argwohn zu erregen. Der Raumschiffsverkehr in der näheren Umgebung des Planeten war außerordentlich schwach entwickelt. Ein einziges Schiff sahen wir starten, ansonsten gab es nur ein paar Relaissatelliten, die den Planeten auf stabilen Parkbahnen umflogen. Der zweite Planet der gelbweißen Sonne hatte zwei Monde, die ihn auf einfachen Umlaufbahnen umkreisten. Alles in allem ein harmlos aussehendes Sonnensystem. Einen erfreulichen Anblick bot auch der Planet selbst. Die Oberfläche wies viele blaue Meeresflächen auf, darüber die weißen Streifen der Bewölkung. Es gab ausgedehnte Landflächen, und wie die Infrarotauswertung ergab, war der Planet dicht besiedelt. »Mehr als zehn Städte mit jeweils drei Millionen vermuteten Einwohnern«, verkündete KjokAlmergund. »Unmittelbar auf unserem Kurs liegt die größte sichtbare Stadt. Wollen wir dort landen?« Ich nickte. »In der Nähe der Stadt«, schlug ich vor. »Nach Möglichkeit an einem Ort, an dem wir die KORALLE verstecken können.«
Niemand schien uns zu bemerken. Die KORALLE sank tiefer und tiefer, durchdrang die obersten Schichten der Atmosphäre und wurde noch langsamer. Der Boden schien näher zu kommen, und wenig später setzte das Beiboot sicher auf dem Boden des Planeten auf. In der Ferne waren die Häuser der Stadt zu sehen, die in einem Tal lag, ringsum von Wäldern und weitgedehnten Rasenflächen umgeben. Es sah nach einem Idyll aus, aber aus langer Erfahrung wußte ich, daß ein solcher Anblick nicht selten trügerisch war. Wir verließen die KORALLE. Die Luftaufbereitungsanlagen ANIMAS waren hervorragend, aber mit der Frischluft, die uns nun um die Nasen wehte, ließ sich selbst die beste Bordluft nicht vergleichen. Seltsame Düfte schwangen darin mit, von der Stadt her trug uns der Wind eine ganze Skala von Gerüchen herüber. Es war eine Komponente darin, die mir auf wenig angenehme Weise vertraut vorkam, aber ich vermochte den Geruch im ersten Augenblick nicht zu identifizieren. Dann aber fiel es mir wieder ein… Krankenhaus, schoß es mir durch den Kopf. Von der Stadt her kam ein schwaches Aroma nach Desinfektionsmitteln, die anscheinend im ganzen Universum den gleichen wenig angenehmen Geruch hatten. »Sehen wir uns die Stadt an«, schlug ich vor. Wir machten uns auf den Weg und sammelten dabei fleißig Informationen. Ab und zu wandte ich den Kopf und sah nach unserem Boot; es war sicher zwischen Felsen und Bäumen versteckt, und das dichte Gehölz, durch das wir unseren Weg bahnen mußten, würde das Schiff wohl für einige Zeit vor Entdeckung schützen. Die einzelnen Städte des Planeten waren durch Gleiterkorridore miteinander verbunden. An einem dieser energetischen Korridore spazierten wir entlang, und aus den Hinweisschildern in alkordischer Sprache konnten wir entnehmen, daß unser Ziel Bolerc hieß und allem Anschein nach die Hauptstadt des Planeten war. In den an uns vorbeijagenden Gleitern saßen die Einwohner des Planeten, auf die wir ab und zu einen flüchtigen Blick werfen konnten. Die vorherrschende Lebensform auf dieser Welt war annähernd hominid mit zwei Armen, zwei Beinen, Rumpf und Kopf. Charakteristisch schien zu sein, daß sie in der Regel sehr schlank und hochgewachsen waren, der Durchschnitt schien knapp unter zwei Metern Körpergröße zu liegen. Typisch auch die Hautfarbe, ein seltsames Grau. Als wir den Stadtrand von Bolerc erreichten und endlich begehbare Straßen vorfanden, auf denen wir unseren Marsch fortsetzen konnten, wurden diese ersten Eindrücke bestätigt. Vorherrschende Lebensform auf dem Planeten war tatsächlich das grauhäutige Volk, aber daneben gab es eine Unmenge anderer Lebensformen, insektoide, reptilienhafte und andere mehr. Mir fiel sofort auf, daß in diesem Völkergewimmel ein Merkmal charakteristisch war – die Fremdgeschöpfe waren ausnahmslos kleiner als die durchschnittlichen Grauhäutigen. So viele unterschiedliche Lebensformen waren in der Stadt vertreten, daß wir vier entschieden weniger Aufsehen erregten, als ich angenommen hatte. Offenbar war man in Bolerc an allerlei seltsame Geschöpfe gewohnt, das konnte unsere Arbeit nur erleichtern. Während ich noch die Auslagen in einem Schaufenster ansah und herauszufinden versuchte, was hier angeboten oder hergestellt wurde, hielt neben uns ein Gleiter. »He du,«, rief mich eine energische Stimme an. Ich drehte mich herum und sah in das Gesicht eines Hominiden, der mich einen Augenblick lang verwundert anstarrte. »Wo ist deine Handlangermarkierung«, fragte mein Gegenüber. Er musterte mich von oben bis unten. »Du bist kein Handlanger«, murmelte er dann. In die dunklen Augen trat ein Ausdruck, der mir gar
nicht gefallen wollte. »Und du bist auch kein Bewohner von Zuynam. Bei Doomhirns Schein, du kommst von einer anderen Welt des Sektors, nicht wahr, und das sind deine Handlanger. Wirklich tolle Kreationen. Ich kann das Psi-Potential förmlich schnuppern. Komm, du wirst mein Gast sein, steig ein…« Und so begann mein Kontakt mit Sitortode, dem Plasmakoch.
3. Hunkle-Bha war ganz und gar nicht zufrieden mit seiner Arbeit. Seit sieben Wochen kreuzte er mit seinem Schiff durch den Sektor Janzonborr, und es war nichts dabei herausgekommen, was er seinen Geschäftspartnern guten Gewissens hätte anbieten können. Zwar war einer von den Laderäumen recht gut gefüllt, aber die zähflüssige Algenpaste, die Hunkle-Bha besorgt hatte, konnte man wohl kaum hochklassigen Forschern wie Olavv als Arbeitsmaterial anbieten. Aber mehr hatte sich beim besten Willen nicht auftreiben lassen, und irgendwann waren auch Hunkle-Bhas Belastungsgrenzen erreicht. Er war des ewigen Suchens und Feilschens müde, und seine Tage in einem nur von Robotern bevölkerten Raumschiff zuzubringen, war nichts, womit man den Urthener hätte reizen können. Sein Schiff, die ZAHRRAG, war ein alter Kahn, selbst im letzten Winkel waren die entnervenden Arbeitsgeräusche des Antriebs zu hören. In den Leitungen knisterte und krachte es mitunter, und seit eine der Zuführungen des Sanitärsystems gebrochen war, herrschte ein übler Gestank in den Räumen der ZAHRRAG. Er stieß einen Seufzer aus, als mit Ächzen und Krachen die ZAHRRAG aus dem Hyperraum in das Normaluniversum zurückkehrte. Natürlich hatte der marode Antrieb die Befehle der Steuerpositronik nicht exakt befolgt, mit dem Ergebnis, daß die ZAHRRAG weitab vom eigentlichen Rückkehrpunkt rematerialisiert war. »Elender Kasten«, schimpfte der Urthener und versetzte dem Schaltpult vor ihm einen heftigen Fußtritt. Fast sieben Stunden brauchte man vom gegenwärtigen Standort der ZAHRRAG bis nach Zuynam, wenn man so schnell reiste wie ein Lichtstrahl. Die ZAHRRAG war unter günstigen Bedingungen vielleicht in der Lage, die Strecke in einem Tag zurückzulegen. Hunkle-Bha erwog seine Möglichkeiten. Wenn sich, was nicht auszuschließen war, das Triebwerk bei der Ausführung der positronischen Steuerbefehle ein weiteres Mal irrte, konnte aus einem kurzen Hyperraummanöver leicht eine Katastrophe werden. Hunkle-Bha blieb daher nichts anderes übrig, als sich für den langweiligen Anflug mit Unterlichtgeschwindigkeit zu entscheiden. Danach hatte er Zeit, sich um sich selbst zu kümmern. Zu tun gab es nicht sehr viel an Bord der ZAHRRAG, eine gründliche Werftinspektion war es, was das Schiff dringend brauchte, und das Innere für diese Prozedur aufzuräumen widersprach dem Sinn für Faulheit der für Hunkle-Bha typisch war. Gelangweilt beschäftigte er sich daher damit, die Funkfrequenzen abzuhören und die Raumortung das System erkunden zu lassen. Auf den üblichen Frequenzen war nichts anderes zu hören als die nüchterne Unterhaltung von Bordfunkern und Bodenstellen. Bei der Raumortung sah es nicht anders aus. Die einzige Neuigkeit war das Auftauchen eines Meteoriten, der eine sehr weite und bemerkenswert schnelle Reise durch den Leeraum gemacht haben mußte, denn Hunkle-Bha konnte sich nicht entsinnen, diesen kosmischen Kleinkörper bei seinem letzten Anflug auf Zuynam gesehen zu haben. Außerdem pflegten Himmelskörper von solch geringer Größe auf so weiten Umlaufbahnen in aller Regel in Schwärmen aufzutauchen. Dieser aber war offenkundig allein. Gewohnheitsmäßig ließ Hunkle-Bha seine Ortung eine Fernanalyse des Meteors vornehmen. Vielleicht fand sich konzentriertes Nickel oder ein anderer Rohstoff, der sich verkaufen ließ. Hunkle-Bha stieß einen Laut der Verwunderung aus. Der Himmelskörper war höchst seltsam. Zum einen schien er die Meßwerte des Orters zu verfälschen – sie kamen nicht so klar und deutlich, wie man es hätte erwarten sollen. Zum anderen waren sie alles andere als eindeutig. Woraus auch immer der seltsame Meteor bestehen mochte, aus taubem Gestein und Nickel allein jedenfalls nicht. »Die entscheidende Frage«, murmelte Hunkle-Bha. »Hinfliegen oder nicht?«
Der Meteor war ein beträchtliches Stück entfernt, und Hunkle-Bha hätte seinen Kurs erheblich ändern müssen, um nahe genug an ihn herankommen zu können. Lohnte das Objekt diesen Aufwand? Hunkle-Bha verließ sich in solchen Fällen nicht nur auf die Ortungs- und Analysegeräte an Bord seines Schiffes. Er richtete sich auch nach dem, was er sein Gefühl für Umstände nannte. Und dieser Riecher verriet ihm immer deutlicher, daß der geheimnisvolle Meteor ein außer’ ordentlich interessantes Objekt zu sein schien. Hunkle-Bha änderte den Kurs und richtete die Nase seines Schiffes auf den Kurs des Meteors, der langsam durch den Raum driftete. Hunkle-Bha machte sich auch die Mühe, anhand der Kursdaten des Meteors dessen Bahnverlauf zu rekonstruieren. Die Auswertung der Positronik ergab eine weitere Überraschung. Nach dem rekonstruierten Bahnverlauf hätte das Objekt schon vor vielen Jahren im Meßbereich der Ortungssysteme aufgetaucht sein müssen. Hunkle-Bha hätte es kennen müssen. »Seltsam«, murmelte der Urthener. Die ZAHRRAG näherte sich dem fraglichen Objekt. Die Fernanalyse wurde dennoch nicht deutlicher. Es war, als sei das Objekt hinter einem schwachen Anti-Ortungsfeld verborgen. Einer der Meßwerte ließ Hunkle-Bha aufmerken. Selbst aus der verfälschten Analyse ging ziemlich eindeutig hervor, daß dieser geheimnisvolle Meteor lebte. Jetzt gab es nach Hunkle-Bhas Kenntnisstand zwei Möglichkeiten, aus denen sich unterschiedliche Konsequenzen ergaben. Die erste Möglichkeit sah auf den ersten Blick harmlos aus. Es war möglich, daß sich irgendeine besonders zähe Kleinlebeform auf dem Meteor befand. Bakterien, Pilze oder andere Lebewesen dieser Art, die Weltraumbedingungen aushalten konnte, waren für die Forscher auf Zuynam sicher von großem Interesse, wenn auch vielleicht gefährlich. Weltraumfeste Krankheitserreger waren das letzte, was Hunkle-Bha nach Zuynam einfliegen wollte. Anders sah die Sache aus, wenn es sich um höhere Lebensformen handelte. Hunkle-Bha hatte von einer Spezies dieser Art noch nie etwas gehört, und er war sicher, daß auch kein anderer jemals ein solches Volk entdeckt hatte. Infolgedessen mußte es in großem Umfang etwas besitzen, was nicht nur im Sektor Janzonborr knapp geworden war, sondern rar in der ganzen Galaxis Alkordoom: PsiPotentiale. Gleichgültig, welche dieser Möglichkeiten zutraf, der Meteor war in jedem Fall ein hochwichtiges Forschungsobjekt für die Wissenschaftler auf Zuynam. Um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, überschüttete Hunkle-Bha den Meteor, den er inzwischen mit bloßen Augen auf dem Schirm erkennen konnte, mit einer betäubenden Strahlung, die an anderen Orten zum Ruhigstellen von Beuteplasma oder zum Einfangen von Sklaven verwendet wurde. Das Leben in oder auf dem Meteor überstand dieses Feuer offenbar ohne Schaden. An der deutlich meßbaren Lebensausstrahlung des Meteors änderte sich nichts. »Endlich einmal ein Fund«, murmelte Hunkle-Bha zufrieden, als er mit Traktorstrahlen den Meteor zu fassen bekam. Im Näherkommen unterzog Hunkle-Bha seinen Fang einer weiteren Analyse, und was er zu sehen bekam, versetzte ihn förmlich in Entzücken. Was er da im Schlepptau hatte, war das schönste und beste Bioplasma, das man sich nur denken konnte, allerdings in einer völlig neuen, fast kristallinen Form. Hunkle-Bha lachte laut. Dieser Fang würde ihn zum reichen Mann machen. Es sah ganz danach aus, als sollte dies HunkleBhas Glückstag werden. *
»Bioplasma, sagst du? Hochwertiges Plasma, nicht den Schund, den du sonst immer ablieferst?« Hunkle-Bha nahm Olavv die Frage offenbar nicht einmal übel. Auf dem kleinen Schirm des Kommunikators konnte Olavv sein Gegenüber verwegen grinsen sehen. »Das beste, was es jemals gegeben hat«, beteuerte Hunkle-Bha. »Noch besser als die Ware von Purtupf.« »Aha«, machte Olavv. Er konnte sich ausrechnen, was mit dieser Bemerkung gemeint war: das Plasma würde teuer sein, entsetzlich teuer sogar. Auf der anderen Seite war zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder wirklich gutes Plasma im Handel, und diese Tatsache wog alle anderen Bedenken auf. »Ich werde dir die Ware abkaufen«, sagte Olavv eilig. »Wieviel?« fragte Hunkle-Bha zurück. Olavv riß die Augen weit auf. Was Hunkle-Bha mit dieser Frage zum Ausdruck brachte, war eine Ungeheuerlichkeit ersten Ranges. »Ist es denn soviel?« wollte Olavv wissen. Die Stimme des Raumfahrers hatte einen überheblichen Ton, wie ihn Olavv nie zuvor bei HunkleBha wahrgenommen hatte. »Mehr als genug, um drei Dutzend Labors damit für lange Zeit zu versorgen«, beteuerte HunkleBha. »Dann nehme ich alles«, entfuhr es Olavv. Er wußte, daß er seine Möglichkeiten bis zum äußersten würde anspannen müssen, um diese Transaktion finanziell verkraften zu können. Wenn er sich verkalkulierte, war er nicht nur ruiniert, sondern er würde sich als Sklave verkaufen müssen. »Das wird nicht billig sein«, gab Hunkle-Bha zurück. »Obwohl ich dir als altem Kunden natürlich einen Sonderpreis machen werde. Schließlich ersparst du mir eine Menge Arbeit mit deinem Angebot.« Olavv unterdrückte ein Lächeln. Wenn die Angaben von Hunkle-Bha stimmten, dann konnte Olavv bei dieser Transaktion nicht nur endlich genug Plasma für seine Forschung bekommen. Dank der allgemeinen Knappheit konnte er für den Rest auch außerordentliche Preise herausschlagen und zu einem steinreichen Mann werden. Allein das Gerücht, es sei endlich wieder hochwertiges Bio-Plasma im Handel, würde die Preise noch ein Stück höhertreiben als sie jetzt schon standen. Nur einen Haken gab es bei der Sache. In der Zwischenzeit durfte selbstverständlich kein übliches Plasma von Tauwerk hereinkommen, das die Preise gedrückt hätte. Aber damit war nicht zu rechnen. Ein Robotsender der letzten Expedition nach Tauwerk hatte das Scheitern auch dieses Unternehmens bekannt gemacht; wieder einmal hatte es keinen einzigen Überlebenden gegeben. Die Umstände arbeiteten für Olavv, jetzt galt es, die Gunst der Stunde zu nutzen. »Nenne deinen Preis«, forderte er Hunkle-Bha auf. Der Raumfahrer zögerte ein wenig, dann nannte er eine, Summe, die Olavv ein ungläubiges Ächzen entlockte. »Bist du übergeschnappt?« entfuhr es dem Forscher. »Niemals zuvor ist eine solche Summe für Plasma bezahlt worden.« »Das mag sein, der Kilopreis ist enorm«, gab Hunkle-Bha zu. »Aber wenn du eine Probe des Materials siehst, wirst du bereit sein, noch höherzugehen. Glaube mir, das Zeug trieft geradezu vor Psi-Potentialen.
Es ist unglaublich, ich habe so etwas noch nie zuvor erlebt, und du weißt, daß ich in diesem Gewerbe keine Grünkralle bin.« Olavv schluckte. Selbst wenn er sich als Sicherheit anbot, Haus und sonstiges Eigentum verkaufte und belieh, was es nur zu beleihen gab, diese Summe konnte er allein niemals aufbringen. Olavv überlegte. Er kannte Hunkle-Bha, und er wußte, daß der Raumfahrer eine Schlitznase war. Aber er war weder ein Betrüger noch ein Hochstapler. Im Preis mochte er noch ein wenig heruntergehen, aber mehr würde nicht zu erreichen sein. »Wann und wo kann ich das Material besichtigen?« »Ich werde dir einen Ort und eine Zeit nennen. Ich habe meine Beute sicher versteckt.« »Auf Zuynam?« »Auf Gaukler, dem dritten Planeten«, entgegnet Hunkle-Bha. »Ich kenne dort ein paar absolut sichere Verstecke aus früheren Zeiten, weißt du.« Olavv erinnerte sich. Hunkle-Bha hatte eine bewegte Vergangenheit hinter sich, mal geschmuggelt, mal ein wenig herumgeraubt, und die eine oder andere gewinnbringende Entführung ging wohl auch auf sein Konto. Aber da er niemals genügend Härte und Skrupellosigkeit aufgebracht hatte, um ein wirklich erfolgreicher Weltraumbandit zu sein, hatte er sich auf andere Geschäfte verlegt, die mit weniger Risiko verbunden waren. »Also wann?« »Sobald die Finanzierung klar ist. Ich weiß, daß es dich einige Mühe kosten wird, das Geschäft zu machen, aber ich traue dir, und ich möchte am liebsten mit dir abschließen«, antwortete HunkleBha. »Ich gebe dir Zeit, das Geld zu besorgen. Ich nehme auch saubere Wertgegenstände, wenn dir das hilft. Und wir müssen uns beeilen. Wenn die Sache herumposaunt wird, haben wir bald den Ordnungsdienst auf dem Hals, und dann bekommst du von dem Plasma nur ein kleines Glas, mehr nicht.« Der Ordnungsdienst war eingerichtet worden, um die knappen Vorräte an Forschungsmaterial gerechter zu verteilen und kriminelle Handlungen zu unterbinden. In Wirklichkeit sah die Sache so aus, daß der Rat der Ordnungsdienste das beste Material für sich behielt. »Einverstanden«, sagte Olavv. »Du meldest dich wieder bei mir?« »In zwei bis drei Tagen«, antwortete Hunkle-Bha, dann trennte er die Verbindung. Während des ganzen Gesprächs hatte er nicht die geringste Andeutung gemacht, wo er sich aufhielt, aber anhand der geringfügigen Lautstärkewechsel und Farbänderungen hatte Olavv unschwer herausfinden können, daß sich Hunkle-Bha im freien Weltraum aufhielt und damit für Olavv unerreichbar war. »Was nun?« murmelte Olavv. Ruhelos ging er in seinem Wohnraum auf und ab. »Wen will ich beteiligen?« Es gab zwei Namen, die sich geradezu aufdrängten, die einzigen Forscher, die Olavv kannte, die annähernd finanzkräftig genug waren, dieses Abenteuer geldlich durchzustehen: Detomee und Sitortode. Auf der anderen Seite waren eben diese beiden die größten Rivalen von Olavv. Als Teilhaber an dem Geschäft konnten sie erwarten, von der Beute einen beachtlichen Batzen abzubekommen, und das würde auch ihren Forschungen neuen Auftrieb geben. Was hatte Olavv davon, wenn er mit ungeheurem Aufwand neues Plasma besorgte und am Ende von dem wenig loyalen Sitortode oder der hochbegabten Detomee bei der Herstellung eines neuen Supergeschöpfs geschlagen wurde. »Es hilft nichts«, stieß Olavv schließlich hervor. »Wenigstens einen von den beiden muß ich in das Geschäft mit hereinnehmen.« Lieber den weniger guten Forscher und Halunken Sitortode oder die erheblich ehrlichere aber auch
wissenschaftlich bessere Detomee? Das war jetzt die alles entscheidende Frage. Es war die Angst vor einem vollständigen Fehlschlag, die Olavv dazu bewog, Detomee anzurufen. Er fand die Kollegin in einer gereizten Stimmung. »Du schon wieder. Hast du neue schlechte Nachrichten?« »Gute, ausnahmsweise. Es wird davon abhängen, wie weit du bereit bist, dich finanziell zu engagieren.« Detomee setzte ein säuerliches Lächeln auf. »Was hast du anzubieten?« fragte sie lauernd. »Ich glaube langsam nicht mehr an das große Wunder, das uns aus der Patsche helfen wird.« »Und doch ist es geschehen«, meinte Olavv lächelnd. Er bemerkte, daß es ihn tatsächlich freute, bei Detomee als Überbringer guter Nachrichten aufzutreten. Sollte er sich am Ende gar in sie verliebt haben? »Drücke dich deutlicher aus«, sagte Detomee gereizt. »Ich liebe das Herumrätseln nicht, wenn es sich vermeiden läßt.« Ohne auf Einzelheiten einzugehen berichtete Olavv, was er mit Hunkle-Bha besprochen hatte. Detomee zeigte sich ungläubig. »Das meinst du nicht im Ernst«, entfuhr es ihr, als er Hunkle-Bhas Preis nannte. »Er sagt es, und ich weiß, daß die Ware diese Summe wert ist«, erklärte Olavv. »Ich habe zusammengerechnet, was ich allein aufbringen kann, aber es wird nicht reichen, selbst wenn ich bis an die Sklavereigrenze herangehe.« »Das willst du wirklich riskieren?« wollte Detomee wissen. »Haben wir eine andere Wahl?« fragte Olavv zurück. »Es sieht nicht danach aus«, gab Detomee zu. »Aber selbst zu zweit wird es noch sehr gewagt bleiben. Sollten wir nicht…« »Sitortode? Unter keinen Umständen. Ich will ihn nicht dabeihaben. Er ist ein Gauner.« Gegen dieses Argument hatte Detomee nichts vorzubringen. »Überlege es dir«, drängte Olavv. »Dir brauche ich wohl nicht zu sagen, wie wichtig das für unsere Zukunft und für die Lage von Zuynam ist. Und später werden wir Hunkle-Bha dazu anheuern, dem Ursprung des Materials nachzugehen. Vielleicht finden wir dann endlich eine Quelle, die uns von Tau werk und diesem Scheusal Purtupf unabhängig macht. Und noch eines – vergiß bei deinen Überlegungen Majbel nicht.« Detomee nickte. Natürlich kannte sie den Namen, nur die Person, die dahintersteckte, war ein Geheimnis. Majbel, von dem es hieß, er werde noch in diesem Jahr 5000 d.E. ein Geschöpf vorstellen, das alle bisherigen Kreationen der Bio-Brüter von Zuynam und anderer einschlägiger Welten übertreffen würde. Dieses sagenumwobene Geschöpf hatte noch niemand gesehen, aber die Spekulationen darüber hatten Sensationscharakter. Für Zuynam wäre es eine Katastrophe gewesen, hätten sie sich bewahrheitet. »Vielleicht ist die Quelle, die Hunkle-Bha gefunden hat, die gleiche, aus der auch Majbel sein Material schöpft.« Olavv stieß ein Lachen aus. »Wenn das wahr wäre…«, murmelte Detomee. »Dann wäre Majbel erledigt, und wir hätten endlich den Erfolg, den wir brauchen. Und Yog-MannYog wäre zufrieden mit uns…«
Detomee stimmte in sein Lachen ein. Es wäre zu schön, der Facette zu gefallen, die über Janzonborr herrschte.
4. »Wir müssen einfach ins Geschäft kommen. Du weißt doch selbst, wie kritisch die Lage ist.« Mein Gastgeber redete auf mich ein, als habe er es mit einem Schwachsinnigen zu tun. Er schien mich für den Abgesandten oder Beauftragten eines geheimnisvoll-mächtigen Wesens zu halten, das Purtupf hieß und etwas mit dem Leben auf Zuynam zu tun hatte. Wenn ich Sitortode, so hieß mein Gastgeber, richtig verstand, ging es um Plasma, das unbedingt gebraucht wurde. Dank des Extrasinns hatte ich auch herausfinden können, daß es sich dabei nicht um Material für irgendwelche Reaktoren handelte, sondern um biologisches Zuchtmaterial, das auf Zuynam in riesigen Mengen für wissenschaftliche Forschung verbraucht wurde. Sitortode war, wie er prahlerisch behauptete, der führende Wissenschaftler des Planeten, und ganz besonders ihm hätte ich Plasma anbieten sollen, nicht seinen unsauber arbeitenden Kollegen, die ihn ständig mit Anschlägen und Intrigen am Arbeiten zu hindern suchten. »Ewig kann Purtupf doch so nicht weitermachen«, sagte er. »Er weiß doch, daß wir sein Plasma brauchen, und bisher haben wir seine Preise ja auch bezahlt, auch wenn sie in letzter Zeit ein wenig arg angestiegen sind. Aber immerhin, sein Material ist das Geld wert, darum verstehe ich nicht, daß er nicht mehr liefert. Oder will er uns etwa erpressen? Hat er sich mit anderen Welten zusammengetan, die er lieber beliefern will? Oder steckt Yog-Mann-Yog dahinter? Ich weiß, daß wir ihm seit langer Zeit kein wirklich gutes Geschöpf mehr haben präsentieren können, aber das lag nicht an uns. Ohne Material können wir einfach nicht arbeiten. Und wie sollen wir Geschöpfe mit herausragenden Psi-Potentialen züchten, wenn man uns das Material dazu verweigert.« »Ich weiß von dieser Sache nichts«, behauptete ich wahrheitsgemäß. Sitortode lächelte überlegen. »Nicht doch«, sagte er. »Ich weiß genau, wen ich vor mir habe. Ich habe dich gesehen, und ich habe deine Handlanger gesehen, das hat mir genügt. Drei Handlanger von diesem Format, das kann nur einem überaus bedeutenden Mann zugestanden werden.« Meinen Begleitern wäre es sicher nicht recht gewesen, als meine Handlanger bezeichnet zu werden und damit auf den Status eines besseren Haustiers herabgestuft zu werden. Aber im Augenblick konnte das zu unserem Vorteil sein. Sitortode hatte sie, ohne mich auch nur zu fragen, zu irgendwelchen Arbeiten eingeteilt, zusammen mit seinen eigenen Handlangern, und damit bot sich den dreien die Möglichkeit, das Personal dieses exzentrischen Wissenschaftlers ein wenig unter die Lupe zu nehmen und weitere Details über die Struktur und die Charakteristika von Zuynam zu erfahren. Was Sitortode als seine Arbeit bezeichnete, hatte ich sehen können. Zu seinen Meisterschöpfungen, wie er sie nannte, gehörte ein Fratzenschneider, ein Wesen, das praktisch aus nichts anderem bestand als aus einem Gesicht, dessen Ausdruck unablässig wechselte und dabei Stimmungen in jeder nur denkbaren Nuance ausdrückte. »Du mußt ein Beauftragter von Purtupf sein, es gibt einfach keine andere Möglichkeit. Ich kenne alle anderen einflußreichen Leute auf Zuynam. Schließlich bin ich, bei aller Bescheidenheit, jemand von Rang und Ruf.« »Daran gibt es keinen Zweifel«, antwortete ich. Inzwischen wüßte ich, daß die Zuynamer tatsächlich so aussahen, wie ich sie aus bruchstückhaften Informationen dank des Extrahirns zusammengesetzt hatte. Grauhäutig, hochgewachsen, annähernd humanoid und seltsam greisenhaft wirkend. Selbst die wenigen Kinder, die ich auf dem Weg zu Sitortodes Haus gesehen hatte, hatten diese vergreisten Gesichter gezeigt. »Wann also können wir mit der nächsten Lieferung von Purtupf rechnen?« wollte Sitortode wissen. Seine Stimme klang drängend.
»Das hängt von vielerlei Umständen ab«, antwortete ich ausweichend. »Manches muß bedacht werden.« »Versuche nicht, mir auszuweichen. Ich kenne diese Taktik, und bei mir verfängt sie nicht.« Der Zuynamer hatte also meinen Trick durchschaut. In seinem Gesicht stand Mißtrauen zu lesen. »Will er den Preis noch weiter in die Höhe treiben?« »Möglich«, antwortete ich. Sitortode sprang auf und marschierte erregt im Zimmer auf und ab. Ausgesprochen unpassend fand ich, daß sein Gesichtsgeschöpf zu diesem Bild einen verträumten Ausdruck zeigte, der überhaupt nicht zur Stimmung paßte. »Wir werden uns das nicht mehr lange gefallen lassen«, drohte der Wissenschaftler. »Du kannst Purtupf ausrichten, daß wir schon Mittel und Wege finden werden, Tauwerk zu besuchen. Schließlich ist der Planet ja nicht weit entfernt, und mit seinem geheimnisvollen Höllenring werden wir auch fertig.« Ohne es zu wollen, lieferte er mir eine Information nach der anderen. Das Mosaik war zwar noch lange nicht so komplett, daß ich darin einen Sinn hätte erblicken können, aber nach und nach bekam ich einen immer tieferen Einblick in die wesentlichen Strukturelemente der Galaxis Alkordoom, zu deren Herrschern die Facette Yog-Mann-Yog gehörte, in deren Sektor Janzonborr ich mich aufhielt. In Janzonborr, wie anscheinend überall, veranstaltete man eine wahre Treibjagd auf Psi-Potentiale. Was genau darunter zu verstehen war, war noch immer nicht vollständig geklärt. Es konnte sich dabei sowohl um psionische Kräfte ganz allgemein handeln, als auch um spezielle ParaBegabungen, vielleicht sogar um jene geheimnisvollen Persönlichkeitsfelder, die ab und zu auch als Vitalkraft oder Lebensenergie bezeichnet wurden. Was es auch war, die Facetten gierten danach. Der Verdacht lag nahe, daß die verbrecherische Struktur, die für Alkordoom charakteristisch zu sein schien, nicht zuletzt auf die Sucht oder den unbedingten Bedarf der Facetten nach Psi-Potentialen zurückzuführen war. Natürlich drängten sich mir Vergleiche auf, beispielsweise mit den Herrschern der Magellanschen Wolken oder den Blues. Auch an den plophosischen Obmann Iratio Hondro mußte ich denken. In all diesen und etlichen anderen Fällen war eine ganze Machtstruktur auf dem Vorhandensein einer Chemikalie oder einer Droge aufgebaut gewesen. Bei den Herren von Magellan war sie zur Unsterblichkeit der Machthaber erforderlich gewesen, die Blues hatten das sogenannte Baby-Hormon gebraucht, um die Riesenmengen Molkex verarbeiten zu können, aus denen sie die schier unüberwindlichen Panzerungen ihrer Schiffe gefertigt hatten. Und Iratio Hondro hatte sich seine Untergebenen dienstbar gemacht, indem er ihnen ein Gift verabreicht hatte, dessen tödliche Wirkung nur durch regelmäßige Injektionen eines Gegenmittels verhindert werden konnte. Und ich selbst, war ich in gewissem Sinn nicht auch von der Droge Zellaktivator abhängig? Der wesentliche Unterschied bestand allerdings darin, daß für meinen Zellaktivator niemand zu leiden oder gar zu sterben brauchte. Immerhin konnte ich mir aber sehr gut vorstellen, mit welcher Besessenheit Machthaber nach dem Mittel fahndeten, das sie zur Durchsetzung ihrer Ziele brauchten, vor allem dann, wenn sie vital davon abhängig waren. Lag der Fall in dieser Galaxis ähnlich? Ich wußte es nicht, und ich ahnte, daß es auch wenig Sinn haben mochte, Sitortode danach zu befragen. Mochte er auch ein hervorragender Wissenschaftler sein, ich war sicher, daß er nicht über entscheidende Informationen verfügte. Im Gesamtrahmen Alkordooms war er viel zu unbedeutend, um über solche Dinge informiert zu sein. Sitortode hatte mir viel Zeit zum ’ Nachdenken gelassen. Vermutlich nahm er an, daß ich über sein Angebot nachdachte. Er räusperte sich vernehmlich. »Nun, wie sieht es aus?« fragte er hartnäckig. »Bekomme ich wieder Ware von Purtupf?« Ich schüttelte den Kopf. Offenbar hatte Sitortode bei aller Intelligenz noch immer nicht begriffen, daß ich nicht Purtupfs Unterhändler war.
»Nein also«, stieß Sitortode hervor. Geräuschvoll zog er den Atem durch die Zähne. »Ich bin nicht Purtupfs Gesandter«, erklärte ich. »Ich habe mit ihm nicht das geringste zu schaffen. Wenn du unbedingt Plasma von Purtupf haben willst, dann redest du mit dem falschen Mann.« Sitortode machte eine wegwerfende Handbewegung. Er war von der Idee, über mich an Plasma heranzukommen, derart besessen, daß er zu keiner klaren logischen Analyse der Lage mehr imstande schien. »Dann bist du Vertreter einer anderen Plasmaquelle«, behauptete Sitortode. Ich hatte die Wahl. Ich konnte ihm nun aufrichtig erzählen, wer ich war und was ich auf Zuynam suchte. Ratsam war das nicht. Nach Sitortodes Auskünften arbeiteten die Forscher auf Zuynam hauptsächlich auf das Ziel hin, der Facette Yog-Mann-Yog irgendwelche Züchtungen vorzustellen; sie schienen sehr von ihr abhängig zu sein. Sich in dieser Lage als Kämpfer gegen die Tyrannei der Facetten erkennen zu geben, wäre einem Selbstmord gleichgekommen. Setzte ich das verdeckte Spiel hingegen fort, mußte Sitortode früher oder später sehr wütend auf mich werden. »Was kostet euer Plasma, wie gut ist es, und wann kannst du wieviel davon liefern? Es interessiert mich nicht, für wen du arbeitest. Ich brauche Plasma, alles andere ist mir gleichgültig.« Einer von Sitortodes Handlangern tauchte auf und machte eine Unterwerfungsgeste. »Besuch für dich, Herr«, sagte der Handlanger, ein unterarmlanges Spinnengeschöpf mit siebzehn Beinen und einer schrillen Stimme. »Wer ist es?« »Die ehrenwerte Detomee«, verkündete das Spinnengeschöpf. Sitortode zog die Stirn in Falten und warf mir einen scheelen Blick zu. »Was hat sie hier zu suchen?« fragte er lauernd. »Hast du dich etwa auch schon mit ihr in Verbindung gesetzt? Willst du uns gegeneinander ausspielen?« Ich schüttelte den Kopf. »Frage sie«, schlug ich vor. »Ich kenne Detomee nicht, und sie wird mich nicht kennen.« Sitortode machte eine herrische Geste, und das Spinnentier hastete aus dem Raum. Wenig später trat eine Frau ein. Auf den ersten Blick hätte ich auf eine bemerkenswert attraktive Großmutter getippt, eine jener Frauen, die ihre Ausstrahlung auch im hohen Alter nicht verloren. Erst auf den zweiten Blick entdeckte ich, daß Detomee eine junge Frau war. Rechnete man den greisenhaften Anstrich der Zuynamer weg, war sie auffällig hübsch. »Es muß etwas Wichtiges sein, das dich herführt«, bemerkte Sitortode bei der Begrüßung. Detomee sah sich eher amüsiert um. »Wie ich sehe, hast du die Spuren des kleinen Zwischenfalls restlos beseitigen können«, sagte sie freundlich. Der spöttische Unterton war nicht zu überhören. » Atlan, ein Gast von mir. Seine Handlanger hast du wahrscheinlich draußen im Garten gesehen.« »Ich habe nicht darauf geachtet«, antwortete die Frau. Sie begrüßte mich freundlich. Ihr Blick hatte aber auch eine sehr neugierig forschende Komponente, ungefähr die eines Tierfängers, der sich schon überlegt, an welchen Zoo er seine Beute veräußern will. »Was führt dich her?« wollte Sitortode wissen. »Wolltest du dich bei mir entschuldigen, Chromosomenmanipulateurin?« »Ich mich entschuldigen? Ich wüßte nicht, wofür. Ich wollte nur wissen, wie es dir geht. Ich habe womöglich…« Sie unterbrach sich und sah mich an.
»Was versteht er von unserem Beruf?« fragte sie und deutete auf mich. »Ein Kollege von einer anderen Welt?« »Wir betreiben ein wenig Meinungsaustausch«, behauptete Sitortode lächelnd. »Mehr nicht.« Detomee lächelte und stellte mir ein paar Fragen. Es war offenkundig, daß sie mich aushorchen wollte. Ich antwortete, so gut ich konnte. Zwar hatte ich nie eine Ausbildung in Genforschung genossen, aber dank des fotografischen Gedächtnisses und des Logiksektors brachte ich Antworten zuwege, die wohl recht überzeugend ausfielen. Sitortode wirkte jedenfalls ein wenig verblüfft. Detomees Blick wirkte sehr nachdenklich. »Ich habe dir ein Angebot zu machen«, sagte die Genforscherin schließlich. Ich konnte ihr ansehen, daß sie nach geeigneten Formulierungen suchte, um das Angebot vortragen zu können. Ich sollte nicht erfahren, worum es ging, obwohl ich es längst wußte. Natürlich um Plasma, wahrscheinlich um Purtupf, für den ich mich immer stärker zu interessieren begann. »Laß hören«, meinte Sitortode freundlich, er lehnte sich in seinem Sessel ein wenig zurück. Das Signal kam an, Detomee runzelte die Stirn. »Sehr begierig scheinst du nicht zu sein«, bemerkte sie spitz. »Um zur Sache zu kommen. Ich sehe eine Möglichkeit, den leidigen Engpaß wenigstens ein wenig abzumildern. Das Unternehmen ist allerdings mit erheblichem finanziellem Risiko verbunden.« »Das glaube ich gern«, meinte Sitortode freundlich. Sein Desinteresse war entweder echt oder hervorragend gespielt. Detomee jedenfalls zeigte sich von seinen Antworten unangenehm überrascht. »Du hast doch nicht etwa schon selbst…«, begann sie. Sitortode lächelte vielsagend. »Ein Forscher meines Formats hat viele Möglichkeiten«, antwortete er mit hörbarer Überheblichkeit. »Ich bin nicht gezwungen, auf jedes Wagnis einzugehen, wenn ich meine Verbindungen spielen lassen kann.« Detomee warf mir einen abschätzigen Blick zu. »Du willst dich also nicht beteiligen«, fragte sie nach. »Nein«, antwortete Sitortode. »Ich gehe andere Wege als ihr.« »Dann brauchen wir uns ja wohl nicht länger zu unterhalten«, sagte Detomee und stand auf. Sie wirkte ziemlich ratlos, als sie uns verließ. Sitortode sah ihr mit höhnischem Gesichtsausdruck nach, bevor er sich wieder zu mir umdrehte. »Du scheinst sie wirklich nicht zu kennen«, meinte er nachdenklich. »Und du hast gehört, was ich ihr geantwortet habe. Wie also kommen wir ins Geschäft? Du hast gesehen, daß ich es ernst mit dir meine.« »Ich habe kein Plasma zu verkaufen«, antwortete ich, um endlich Ruhe zu haben. Die inneren Querelen dieses Planeten gingen mich nichts an, ich hatte auch keine Lust, mich in irgendwelche Intrigenspiele hineinziehen zu lassen. Bei solchen Aktionen zahlte man in der Regel drauf. Sitortode stieß eine zuynamische Verwünschung aus. »Hör auf, mich hereinlegen zu wollen«, rief er. »Ich habe dich mit Detomee reden hören, du verstehst etwas von unserem Gewerbe, das ist ganz offenkundig. Und dann mußt du auch wissen, wie man an Plasma herankommt. Ich habe mich umgehört, angeblich hat Purtupf seit einiger Zeit auch nichts mehr an andere Forschungswelten geliefert. Was also hat dein Besuch auf Zuynam zu bedeuten? Willst du uns aushorchen?« Ich beschloß, bei dieser Ausrede zu bleiben. »So ist es«, gab ich nach verlegenem Zögern zu. »Auch bei uns ist das Grundmaterial aufgezehrt,
wir können einfach nicht mehr weiterarbeiten. Und da hat man sich bei uns überlegt, ob nicht vielleicht auf Zuynam etwas zu finden wäre. Schließlich genießt Zuynam einen gewissen Ruf in unseren Kreisen.« Sitortode sah mich lauernd an. »Dann war es also kein Zufall, daß du meinen Weg gekreuzt hast«, stellte er fest. »Du hast vorher schon gewußt, wer ich bin, und dich nach deiner Landung sofort mit dem bedeutendsten Forscher Zuynams in Verbindung gesetzt.« Wenn man von der Summe seiner Fähigkeiten und Begabungen die Selbstüberschätzung abzog, blieb am Ende ein Minus übrig. Ein derart aufgeblasener Hohlkopf war mir selten über den Weg gelaufen. Aber das hieß nicht, daß man ihn nicht ernst zu nehmen brauchte. Wahrscheinlich war er ein unerbittlicher Gegner, wenn er Grund dazu hatte. »Es ist spät geworden«, sagte Sitortode nach einigen Zögern. »Überlege es dir, ob wir nicht zusammenarbeiten wollen. Es wird dein Schaden nicht sein.« Sitortode stand auf. Er hatte mir einen großen Raum in seinem weitläufigen Haus als Gästezimmer zur Verfügung gestellt. Meine sogenannten Handlanger waren inzwischen mit den ihnen übertragenen Arbeiten fertig geworden und warteten auf mich, um mich bedienen zu können. Ich wartete, bis Sitortode das Zimmer verlassen hatte. Noch während ich seine Schritte auf dem Gang verhallen hören konnte, fragte ich Wasterjajn Kaz nach seinen Erkenntnissen. Was er sagte, deckte sich weitgehend mit dem, was ich bereits wußte. Interessant war vor allem, daß sich die Nachricht von meinem Auftauchen bei Sitortode herumgesprochen hatte, vor allem unter den Handlangern, die erheblich intensivere Kontakte untereinander hatten, als ihre Herren wohl annahmen. »Das Wichtigste zuletzt«, sagte Wasterjajn Kaz langsam. »Mit dem tragbaren Hyperfunkgerät habe ich kurz Kontakt zu ANIMA aufgenommen. Dhonat hat sich gemeldet. Die Verbindung war sehr schlecht, ich habe ihn kaum verstehen können. Es sieht so aus, als wäre ANIMA angegriffen worden. Dhonat hat von einer Gefahr gesprochen, aber er konnte nicht genau sagen, wie diese Gefahr beschaffen war.« »Und?« fragte ich. Wasterjajn Kaz wiegte die Köpfe. »Danach ist die Verbindung zusammengebrochen«, sagte er ziemlich kläglich. »Mehr kann ich nicht berichten, ich hatte auch keine Gelegenheit, ANIMA ein weiteres Mal anzufunken.« Ich preßte die Lippen aufeinander. Diese Nachricht paßte mir gar nicht ins Konzept. Das Material, das ich hatte sammeln können, wies nach, daß die Bewohner Zuynams nicht gerade Kämpfertypen waren, daher hatte ich mich in Sicherheit gewiegt. Aber während ich mit Sitortode völlig zwecklose Redestunden verbracht hatte, war ANIMA angegriffen worden. Und im Augenblick konnte ich nichts tun, um ihr zu helfen.
5. »Ich bin ganz sicher, daß er es ist«, behauptete Detomee energisch. »Ich habe ihn getestet, er ist zweifelsfrei vom Fach, aber er arbeitet nicht auf Zuynam. Er kennt nicht einmal die einschlägige Standardfachliteratur unseres Planeten.« »Und woher willst du wissen, daß er ausgerechnet Majbel ist?« wollte Olavv wissen. Er war ein wenig verwirrt, denn selbst in seinen kühnsten Träumen hatte er nicht damit gerechnet, daß eines Tages die vielumschwärmte Detomee auf der Kante seines Bettes sitzen würde. Olavv fühlte sich ausgesprochen unbehaglich in dieser Situation. Er hatte fast den ganzen Abend damit verbracht, über Hunkle-Bha und dessen Angebot nachzudenken, und um endlich einschlafen zu können, hatte er sich einen kräftigen Schlummertrunk genehmigt. Jetzt war er leicht angeschlagen und wußte nicht, wie er dem Zusammentreffen die Peinlichkeit nehmen konnte. »Überlege«, sagte Detomee. Sie nahm die Finger zu Hilfe. »Punkt eins: Hunkle-Bha meldet sich bei dir und hat ein sensationelles Angebot an Plasma, verbunden mit dem Risiko, daß einige der besten Forscher Zuynams sich bei diesem Handel völlig ruinieren. Praktisch zur gleichen Zeit taucht ein Planetenfremder auf, ein Forscher wie wir, ich habe da keine Zweifel. Es muß Majbel sein.« Olavv richtete sich langsam auf und zog die Bettdecke enger um sich. Detomee hatte ein Fenster geöffnet, und von draußen blies es ziemlich kühl herein. »Von Majbel berichtet man sich geradezu Wunderdinge«, sagte er fröstelnd. Immerhin half ihm der kalte Wind allmählich wieder etwas klarer zu werden. »Es heißt, daß Majbel an Geschöpfen arbeiten soll, die alles übertreffen, was man bisher gesehen hat.« Detomee nickte. »Ich habe eine Probe seiner Arbeit gesehen«, verkündete sie. »Zuerst habe ich meinen Augen nicht getraut, aber dann ließ es sich nicht mehr bezweifeln. Er hat ein Lebewesen mit Intelligenz erschaffen.« »Das können andere auch«, behauptete Olavv. »Ich zum Beispiel…« Detomee winkte ab. »Ist auch eines mit zwei intelligenten Köpfen dabei?« fragte sie. »Ich habe so etwas noch nicht fertiggebracht, nicht einmal ansatzweise. Und dieser Fremde, er nennt sich Atlan, wahrscheinlich ein Pseudonym, nimmt eine solche Kreation als Handlanger mit auf Reisen, ganz nebenbei, als sei das völlig normal. Kannst du dir vorstellen, was dieser Forscher noch in der Hinterhand haben muß? Glaube mir, so einer hat es nicht nötig, bei Purtupf um Plasma zu schnorren, der bekommt, was er braucht.« Olavv schluckte. »Das meinst du nicht im Ernst«, stieß er erschüttert hervor. »Was erschreckt dich daran so sehr?« wollte sie wissen. Olavv stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich habe bereits abgeschlossen mit Hunkle-Bha«, offenbarte er, nun hellwach. »Die Verträge mit meinen Banken sind unterschrieben, ich kann nicht mehr zurück. Das ist mein Ende. Wenn Sitortode über diesen Majbel an Plasma herankommt, dann ist unser Geschäft mit Hunkle-Bha nichts mehr wert. Wir sind dann erledigt.« Detomee wurde blaß. Daran hatte sie nicht gedacht. »Du hast recht«, sagte sie nach kurzem Zögern. »Los steh auf!« »Was hast du vor?« wollte Olavv wissen. »Wir müssen etwas unternehmen, bevor es zu spät ist«, sagte Detomee entschlossen. »Jetzt stecken
wir derartig in Schwierigkeiten, daß wir alles wagen müssen, wenn wir nicht jämmerlich enden wollen.« »Das ist mir durchaus klar!« behauptete Olavv. »Aber was genau willst du tun?« Detomee setzte ein verwegenes Lächeln auf. »Wir werden ihn entführen.« » Du meinst doch nicht etwa…« »Doch«, sagte Detomee. »Wir werden uns diesen Atlan oder Majbel schnappen. Und nun mach zu, wir haben keine Zeit zu verlieren.« Seufzend kroch Olavv aus dem Bett und zog sich an. Detomee hatte sich unterdessen mit ihrer Wohnung in Verbindung gesetzt und ihre Handlanger alarmiert. In weniger als einer Stunde würden sie gesammelt bei Olavvs Haus eintreffen. Auch Olavv weckte seine Handlanger auf. Zusammen mit Detomees Personal kamen die beiden auf eine recht ansehnliche Einsatztruppe, insgesamt fast fünfzig Handlanger der unterschiedlichsten Erscheinungsform. »Für Geheimniskrämerei ist jetzt nicht die richtige Zeit«, sagte Detomee. »Also, was hast du noch zu bieten an einsatzfertigen Produkten? Irgendein Bakterium, Würgepflanzen oder etwas, das wir brauchen können?« »Ich muß erst nachsehen«, beeilte sich Olavv zu beteuern, der große Schwierigkeiten hatte, mit Detomees Tempo fertig zu werden. Eine Probe im Labor ergab, daß Olavv noch das eine oder andere Mittel hatte, das er in die Waagschale werfen konnte, wenn es hart auf hart ging. Seine Gesichtszüge verfärbten sich, als Detomee ihn nach Waffen fragte. »Nichts dergleichen«, sagte er heftig. »Ich bin Forscher, kein Kämpfer. Mit solchem Zeug habe ich mich nie abgegeben. Es ist mir entschieden zu gefährlich. Man kann nie wissen, was aus’ einem wird, wenn man mit solchen Mitteln arbeitet.« »Du hast die freie Wahl«, gab Detomee hart zurück. »Einsatz aller Mittel oder Sklavenmarkt. Ich bin dafür, mich zu wehren. Vor allem, wenn es um einen Erzhalunken wie Sitortode geht, der vor nichts zurückschreckt, wenn es um seine Ziele geht.« »Ich habe eine Betäubungswaffe«, gab Olavv schließlich zu. »Für den Fall, daß eines meiner Versuchsgeschöpfe renitent werden sollte. Aber bisher habe ich das Ding nie gebraucht.« »Dann wird heute vermutlich der Tag sein«, meinte Detomee und nahm die Waffe an sich. Im Garten hatten sich inzwischen die Handlanger versammelt. Detomee winkte sie heran. »Ich brauche ein paar Freiwillige für einen sehr gefährlichen Auftrag«, gab sie bekannt. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Für Einsatzbereitschaft und Verschwiegenheit werde ich mich erkenntlich zeigen.« Sie kannte ihre Handlanger, und diese kannten ihre Arbeitgeberin. Detomee war noch nie knauserig gewesen. Vor allem die als Sklaven angekauften Handlanger drängten sich nach vorn. Sie hofften darauf, daß Detomee sie freigab, wenn der Einsatz abgeschlossen war. »Habt ihr mitgebracht, was ich angefordert habe?« fragte Detomee. Einer der Handlanger, ein stämmiger Farther, trat vor und hielt das Glasbehältnis hoch. Eine goldfarbene Staubwolke wehte um die Blüte, die darin zu sehen war. »Sehr gut«, meinte Detomee. »Damit kommen wir schon weiter. Ihr anderen geht nach Hause zurück und paßt auf, daß niemand kommt.« Gehorsam trollten sich die Handlanger. Olavvs Leute blieben achtungsvoll stehen. Detomee suchte drei kräftige Gestalten heraus und gab ihnen Anweisungen, einen Transporter fertig zu machen.
Auch das geschah mit großer Schnelligkeit. »Und das Zeug willst du wirklich mitnehmen?« fragte Olavv und sah auf den Glaskolben, den er in Detomees Auftrag aus seinem Labor geholt hatte. »Es wird uns gute Dienste leisten«, antwortete Detomee. »Und nun kommt.« Der Transporter war startklar. Ein wenig verwundert stellte Olavv fest, daß Detomee die gesamte Ladefläche hatte abdichten lassen. Fast einen Meter hoch schwappte in dem Laderaum das Wasser. Am Arbeitsgeräusch des Gleitermotors ließ sich ablesen, daß das Fahrzeug für solche Aufgaben eigentlich nicht gedacht war. »Was, bei allen Göttern, hast du vor?« fragte Olavv. Nach dem ersten Schock kehrte nun die Wirkung des Schlummertrunks zurück. Auch Olavvs Gang war nicht mehr der sicherste. »Warte es ab«, sagte Detomee kurz angebunden. Sie hatte begriffen, daß sie den eigentlichen Teil der Arbeit selbst würde erledigen müssen. Auf Olavv war in dieser Lage kein Verlaß. Mit nicht geringer Verwunderung stellte sie fest, daß es für sie bei weitem nicht so schwerwiegende Gründe für dieses Unternehmen gab wie für Olavv. Während Detomee sich auf den Sitz des Fahrers setzte, begann sie sich verwundert zu fragen, warum sie das für Olavv tat. Der Gedanke, in Olavv verliebt zu sein, war naheliegend, erschien ihr aber seltsam absurd. Olavv machte gerade an diesem Abend keinen sonderlich anziehenden Eindruck, eher einen reichlich hilflosen. Detomee beschloß, die Lösung dieser Frage auf spätere Zeiten zu vertagen. Der Gleiter ruckte an. Heftig klatschte das Wasser im Laderaum gegen die Trennwand zwischen Lastraum und Fahrerkabine. Der ganze Gleiter wurde von dieser Bewegung ergriffen und schwankte heftig. Detomee war noch nie eine gute Gleiterpilotin gewesen; an diesem Abend übertraf sie sich selbst. Olavv kam aus dem Schwitzen nicht mehr heraus. Mit verglastem Blick sah er zu, wie Detomee mit höchster Geschwindigkeit durch die nächtlichen Straßen raste, alle Verkehrsregeln mißachtete und dem Gleiter alles abverlangte, was die Maschinen nur hergaben. »Du scheinst es sehr eilig zu haben«, wagte er einmal einzuwenden, als das Fahrzeug Anstalten machte, sich auf die Seite zu legen und von der Fahrbahn zu stürzen. Detomee bedachte ihn mit einem verweisenden Blick, danach hielt Olavv vorsichtshalber den Atem an, wenn eine Kurve erreicht war. Normalerweise brauchte man eine… Stunde von Olavvs Behausung bis zu Sitortodes aufwendiger Unterkunft. Detomee schaffte es in einem Drittel der Zeit. Sie stellte den Gleiter ein paar hundert Schritt von Sitortode Haus entfernt ab. »Komm«, sagte sie und stieg aus. »Muß das wirklich sein?« erkundigte sich Olavv, der einen auffällig käsigen Eindruck machte. »Wenn du lieber Sklave werden willst, dann nur zu. Ich kenne jemanden, der fast jeden Preis bezahlen würde, um dich zu kaufen. Und was dieser Jemand mit dir anstellen wird, wenn er erst freie Verfügungsgewalt über dich hat, und dazu noch bei dieser Plasmanot… muß ich ins Detail gehen?« Die Vorstellung, ausgerechnet von Sitortode für irgendwelche Bio-Experimente verwendet zu werden, entsetzte Olavv so sehr, daß er zum zweiten Mal an diesem Abend mit einem Schlag wieder nüchtern wurde. »Ich komme«, sagte er hastig. Detomee schlich mit einer Gewandtheit auf das Haus zu, daß Olavv sich zu fragen begann, ob Detomee nicht entschieden zuviel Übung in dieser Kunst hatte. Augenscheinlich war sie nicht zum ersten Mal in dieser Art unterwegs.
»Sie schlafen alle«, sagte Detomee leise. Keines der Fenster war erleuchtet, nur ein paar Leuchtkörper im Garten brannten noch. Das war kein Zufall, Detomee entdeckte sofort den Käferkäfig in der Nähe der Lampe. Sitortode lockte mit dem Licht Insekten an, mit denen er später herumexperimentieren konnte, ein Zeichen, wie tief er schon gesunken war, wenn er sich damit zufriedengeben mußte. »Hm«, machte Detomee. Der Anblick der Insektenfalle brachte sie auf einen Gedanken. In ihrer Ausrüstung befand sich ein hochwirksames Schnellwuchspräparat. Sitortode hatte dessen Wirkung schon einmal studieren dürfen. Detomee zupfte ein paar wilde Beeren vom nächstbesten Strauch, tauchte sie kurz in die Flüssigkeit und ließ sie dann in die Falle kullern. Wie sie nicht anders erwartet hatte, fielen die Insekten sofort darüber her. Detomee lächelte zufrieden. Sitortodes Beschäftigung war für die nächsten Stunden gesichert. Auf weichen Sohlen tappte sie weiter. Sie schlich einmal um das Haus herum, den verängstigten Olavv hinter sich wie einen Schatten. Im Innern war es ruhig. »Dort muß Majbel schlafen«, stellte Detomee fest und deutete auf ein Fenster. »Woher weißt du das?« wollte Olavv wissen. Detomee gab keine Antwort. Sie wußte es, weil sie Sitortodes Abneigung gegen Frischluft kannte, und dieses Fenster stand weit offen. Die Antwort auf Olavvs Frage hätte folgerichtig die nächste Frage nach sich gezogen, woher Detomee diese Lebensgewohnheit von Sitortode kannte, und dann hätte Detomee entweder lügen müssen oder eingestehen, daß sie vor langer Zeit einmal ein Verhältnis mit Sitortode gehabt hatte. Der Vorfall lag lange zurück, und nicht zuletzt das Tohuwabohu des Auseinandergehens war Ursache für den Zwist zwischen Detomee und Sitortode, der es nie verwunden hatte, daß es Detomee und nicht er gewesen war, der die Beziehung hatte enden lassen. Detomee griff zu der Betäubungswaffe, die in ihrem Gürtel steckte. Olavv riß die Augen weit auf und wollte danach greifen, aber eine energische Körperdrehung Detomees und ein warnender Blick ließen ihn zurückprallen. Detomee schlich sich an das Fenster heran. Vorsichtig spähte sie ins Innere. Da war der Fremde und schlief friedlich. Detomee hob die Waffe und drückte ab. Der Fremde bäumte sich einmal kurz auf und sackte dann zusammen. Detomee winkte ein paar ihrer Handlanger zu sich. »Seid leise. Niemand darf euch hören!« warnte Detomee. »Schafft ihn heraus.« »Das ist verboten, Herrin«, wagte einer der Handlanger zu bemerken. »Wenn man uns erwischt…« »Wenn nicht, seid ihr frei«, meinte Detomee. Es dauerte nicht lange, bis der ziemlich kurz gewachsene Fremde auf dem Rasen neben dem Haus lag. Er gefiel Detomee überhaupt nicht, aber auf das Aussehen kam es jetzt nicht an. »Schafft ihn zum Gleiter«, bestimmte sie. Die Handlanger nahmen den reglosen Körper auf und trugen ihn fort. Detomee folgte ihnen, nicht ohne ein paar ihrer Mitbringsel in Sitortodes Garten ausgestreut zu haben. Die Pflanze mit dem goldfarbenen Blütenstaub bekam einen Standort, bei dem der Wind die feinen Staubfahnen langsam zum Haus hinüberwehte. Zum Abschied beträufelte Detomee ihr Gastgeschenk noch mit dem Schnellwuchsmittel, dann machte sie sich davon. Sitortode würde ein paar Überraschungen erleben, wenn er aufwachte – und das würde so bald nicht der Fall sein. Der goldfarbene Blütenstaub von Detomees Kreation hatte eine stark betäubende Wirkung. Wer ihn einatmete, verfiel in tiefen, traumreichen Schlaf. Die Träume dieses Schlafes waren
außergewöhnlich farbenprächtig und berauschend, und so war es nicht verwunderlich, daß Detomee ihre Versuche mit dieser Pflanze mit größter Vorsicht betrieben hatte. Das Schnellwuchsmittel würde dafür sorgen, daß Sitortode mindestens einen Tag lang nicht erwachte, und da die Pflanze für solche rabiate Kuren nicht gedacht war, würde er beim Erwachen nur ein paar verdorrte Blätter mehr in seinem Garten finden. »Und nun?« fragte Olavv. Detomee kniete neben Majbel nieder und nahm den Kolben zur Hand, den Olavv die ganze Zeit über wie seinen Augapfel gehütet hatte. »Tu das nicht!« warnte Olavv, aber Detomee hatte bereits ein paar Tropfen der irisierenden Flüssigkeit in den Mund des Bewußtlosen geschüttet. Erneut wurde der Körper von Zuckungen durchlaufen und erstarrte dann wieder. »Ins Wasser mit ihm«, ordnete Detomee an. Majbels Körper versank im Wasser des Laderaums und verschwand völlig darin. »Die Wirkung wird aber nicht lange anhalten«, warnte Olavv eindringlich. »Lange genug«, gab Detomee zurück. Wasserpflanzen, mit dem Schnellwuchsmittel bearbeitet, brauchten nur eine knappe halbe Stunde, um die Oberfläche des transportablen Beckens mit einer dicken Schicht prächtiger Blüten zu bedecken. Detomee konnte sie während der Fahrt wachsen sehen. Danach war von dem Fremden nicht mehr das geringste zu erkennen. »Nun zu Akt zwei«, ordnete Detomee an. »Hast du eine Ahnung, wo in der Nähe deines Hauses die nächste Streife des Ordnungsdiensts Patrouille macht?« Glavvs Augen schienen bei dieser Frage hervorquellen zu wollen. Er streckte beide Arme weit von sich. »Du mußt völlig verrückt geworden sein«, stieß er hervor. »Das letzte, was wir uns jetzt erlauben dürfen, ist eine Kontrolle durch den Ordnungsdienst.« »Es ist das Wichtigste überhaupt«, entgegnete Detomee. Auf dem Rückweg fuhr sie erheblich disziplinierter, aber das änderte sich, je weiter sich der Gleiter von Sitortodes Haus entfernte. In der Nähe von Olavvs Unterkunft verlangsamte Detomee die Fahrt. Schließlich hielt sie sogar an, ein paar tausend Schritte von Olavvs Haus entfernt. »Beim Erleuchteten«, stieß Olavv schreckweiß hervor, »das hat uns noch gefehlt, eine Streife. Und sie kommen genau auf uns zu.« »Ruhe bewahren, nur keine Panik«, sagte Detomee beschwörend. »Sie werden uns kontrollieren. Sie werden den Körper finden, und dann…« »Keine Panik«, sagte Detomee abermals. Sie drehte sich um, und dann wurden Olavvs Augen noch größer, als Detomee sanft ihre Nase an der seinen zu reiben begann. Mit derlei Intimitäten in einem solchen Augenblick hatte er nicht gerechnet. Zu ihrer Verwunderung bemerkte Detomee, daß sie über ihrer Beschäftigung die näher kommende Streife völlig vergaß und tatsächlich ein wenig erschrak, als sie angesprochen wurde. »Was macht ihr hier«, erklang eine befehlsgewohnte Stimme. Detomee trennte sich von Olavv, der wie hypnotisiert dreinsah. »Ähem«, machte Detomee verlegen. Es waren zwei Ordnungsdienstler, die die Lage sofort erkannt hatten und anzüglich grinsten. »Wir, also wir…« »Stell keine dummen Fragen, Artaff«, mischte sich der zweite Ordnungsdienstler ein. »Du hast schließlich Augen im Kopf. Die Dokumente, wenn ich bitten darf.« Immer noch verlegen, nestelte Detomee ihre Identitätskarte hervor und gab sie dem
Ordnungsdienstler, der sie routinemäßig in seiner Kontrollpositronik verschwinden ließ. Nach kurzer Zeit leuchte eine orangefarbene Lampe auf und signalisierte, daß gegen Detomee kein Haftbefehl vorlag. Olavvs Identitätsprüfung dauerte etwas länger, weil er in seiner Verlegenheit mehrere Minuten brauchte, bis er die Karte gefunden hatte. Das Ergebnis war identisch. »Steht nicht hier herum. Schließlich gibt es auch Häuser«, meinte Artaff mürrisch und winkte Detomee von der Straße. Detomee ließ den Gleiter langsam anfahren, und die Streife blieb zurück. »Wie bist du nur auf diese Idee gekommen«, wollte Olavv wissen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Natürlich werden die Daten von dieser Kontrolle ein paar Wochen lang gespeichert bleiben«, antwortete Detomee. »Und ebenso selbstverständlich wird Sitortode seine Verbindungen spielen lassen. Wenn er das Verschwinden seines Gastes bemerkt, wird er zuerst an uns beide denken. Und dank seiner hervorragenden Verbindungen wird er dann feststellen, daß wir beide hier gesehen worden sind, weitab von seinem Haus. So bekommen wir unser Alibi.« »Ach so, darum«, murmelte Olavv enttäuscht. Detomee lachte. »Vorwärts«, sagte sie. »Wir haben noch allerhand zu tun.«
6. Einen Kater wie diesen hatte ich seit sehr langer Zeit nicht mehr gehabt. In meinem Schädel schienen Impulstriebwerke zu toben. Ich wollte einen Seufzer ausstoßen, aber meine Stimmbänder versagten. Statt dessen spürte ich, wie mir ein Schwall Wasser durch den Mund spülte. Unwillkürlich versuchte ich den Atem anzuhalten, aber das ging nicht. »Du kannst unter Wasser atmen, kein Grund zur Panik«, gab das Extrahirn durch. Ich begriff gar nichts mehr. Vorsichtig öffnete ich die Augen. Unmittelbar über meinem Gesicht schwankten weiße Fäden langsam hin und her, dazwischen waren grüne Flächen zu sehen, und ich erkannte, daß ich mir irgendwelche Wasserpflanzen von unten ansah. Die Schmerzen in meinen Gliedern und die knappe Zusatzinformation des Extrahirns ließen mich begreifen. Ich war mit einer Betäubungswaffe ausgeschaltet und dann in einen Teich geworfen worden. Und ganz offenkundig konnte ich unter Wasser tatsächlich leben. Ich wußte, daß dergleichen möglich war. Auf der Erde – wie lange lag das schon zurück? – - hatten Forscher es fertiggebracht, durch bestimmte Medikamente Mäuse dazu zu befähigen, unter Wasser leben zu können. In entsprechend Sauerstoff reichem Wasser konnten die Lungen aus dem Wasser ebensoviel Sauerstoff aufnehmen wie aus Atemluft. Aber niemals war meines Wissens versucht worden, ein solches Experiment mit einem Menschen zu wagen. Am eigenen Leib mußte ich erfahren, daß es durchaus möglich war, einen Menschen zum Unterwasserwesen umzugestalten. Nachdem sich mein erster Schrecken gelegt hatte, fand ich den Aufenthalt im Wasser gar nicht einmal unangenehm. Ich drehte den Kopf zur Seite und sah grünliche Kacheln. Offenbar hatte man mich in einem Becken untergebracht. Aber wer war »man«? Unwillkürlich dachte ich an die junge Zuynamerin, die ich bei Sitortode gesehen hatte. Außer ihr… Ich verbesserte mich. Von Wasterjajn Kaz wußte ich, daß mein Auftauchen bei Sitortode sich herumgesprochen hatte. Nicht nur Detomee wußte, daß ich Sitortodes Gast war, auch andere BioBrüter waren darüber informiert. Jeder kam in Frage; und das machte mein Los keineswegs besser. Es sah ganz danach aus, als hätte ich die Kontrolle über mein Handeln längst verloren und wäre zum hilflosen Spielball fremder Interessen geworden. Langsam richtete ich mich auf. Ich wollte die Wasserpflanzen ein Stück zur Seite schieben und mir die Umgebung ansehen. Außerdem wollte ich herausfinden, ob es mir möglich war, meinen Status als Unterwassermensch aus eigener Kraft zu ändern. Meine Hände fanden den Rand des Beckens, ich zog mich in die Höhe. Die Wurzeln der Pflanzen bedeckten meinen Kopf, den ich sehr vorsichtig in die Höhe streckte. Fehlschlag. Ein wütender Hustenanfall ließ mich in mein Gefängnis zurücksinken. Meine Lungen vertrugen die Normalluft nicht mehr. Vorerst war ich gezwungen, mein Amphibienleben weiterzuführen. Immerhin hatte ich sehen können, daß ich in einem Labor gelandet war. Die Fensteröffnungen hoch unter der Decke verrieten, daß es im Keller lag. An den Wänden hatte ich unheilverkündende Gerätschaften sehen können: Skalpelle, Scheren, Sägen und dergleichen mehr, und die sterile Atmosphäre des Raumes ließ mich noch mehr an einen Leichenkeller denken. Noch einmal versuchte ich mich selbst zu befreien, aber nach einem neuerlichen Erstickungsanfall gab ich auf. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten und die Nachwirkungen des Betäubungsschusses zu durchleiden. Nach meiner Schätzung hatte ich so zwei Stunden verbracht, und mein Schädel fühlte sich allmählich wieder einigermaßen normal an, als das Geräusch einer Tür erklang, die geöffnet und geschlossen wurde. Schritte näherten sich mir. Es waren zwei Personen, die sich über das Becken
beugten. Trotz der Verzerrung durch das optisch andere Medium Wasser erkannte ich Detomee, die durch eine Lücke im Pflanzenbewuchs auf mich herabsah. »Wir werden uns nun unterhalten«, erklang es aus einem kleinen Lautsprecher im Becken. Auch die Stimme klang ganz anders, als ich sie in Erinnerung hatte. »Du kannst mit Handzeichen antworten, mit Ja oder Nein. Bist du bereit?« Ich verneinte sofort. Detomees Gesichtszüge wurden von den leichten Bewegungen des Wassers stark verzerrt. »Wir haben auch andere Mittel«, sagte Detomee. »Wir können beispielsweise das Wasser allmählich ablassen.« »Ich bin sicher, du hast schon ausprobiert, wie es ist, wenn du den Kopf aus dem Wasser steckst.« Mit Handzeichen versuchte ich Detomee verständlich zu machen, daß bei dieser Befragung herzlich wenig herauskam, wenn als Antworten nur Ja oder Nein möglich waren. Sie schien das zu begreifen. Die beiden Köpfe verschwanden. Von dem Dialog über mir bekam ich nur verschwommene Fetzen mit. Es klang, als wären die beiden Zuynamer in Streit geraten. Wenig später erschien Detomee wieder. Sie ließ eine Schreibtafel ins Wasser gleiten, dazu einen Spezialstift, mit dem ich auf dieser Tafel schreiben konnte. So ließ sich eine Unterhaltung schon leichter führen. Das Ergebnis sah so aus, wie ich es befürchtet hatte. Die beiden Zuynamer waren so fixiert auf das Thema Bio-Plasma, daß sie jede abweichende Auskunft von mir schlichtweg als Lüge abtaten. Und ich hatte keine Lust, meine Karten aufzudecken und den beiden zu verraten, was ich in ihrem Sonnensystem zu suchen hatte. Meine anfängliche Besorgnis wich sehr bald. Detomee und ihr Partner hatten sich ein solches Verhör wohl ganz anders vorgestellt, und sie kamen mit meinen Antworten nicht zurecht. Nach drei Stunden ergebnisloser Fragerei gaben die beiden auf. »Ich habe Hunger«, teilte ich mit. »Wenn ich nicht bald etwas zu essen bekomme, werde ich das Bewußtsein verlieren.« Ich lieferte dieser Lüge noch eine hochwissenschaftlich klingende Begründung nach, und sie schluckten die Informationen. Trotz aller Kommunikationshindernisse war nicht zu übersehen, daß ihnen das ganze Abenteuer über den Kopf zu wachsen begann. Wieder hörte ich sie erregt diskutieren. »Wir werden dich wieder in die normale Umgebung zurückbefördern«, versprach Detomee schließlich. »Wenn du uns versprichst, keinen Fluchtversuch zu unternehmen.« Ich hatte keine Lust, auf solche Erpressungen einzugehen. Statt dessen beschäftigte ich mich damit, den beiden Krämpfe und Ohnmachtsanfälle vorzutäuschen. Wasser spritzte hoch auf, als ich in dem Becken zu rasen und zu toben begann, dann schlaff zusammensackte und mich wieder aufbäumte. Ohne eine Antwort auf ihre Forderung abzuwarten, machten die beiden sich an die Arbeit. Eine bestimmte Droge sollte meine Atmung ein zweites Mal umstellen. Die Krämpfe und Anfälle der nächsten Stunde brauchte ich nicht zu simulieren. Es war eine Tortur höchsten Grades, der ich mich unterziehen mußte. Mein Körper revoltierte gegen die biochemische Mißhandlung, die ihm angetan wurde, und hätte ich nicht einige Entspannungs- und Konzentrationstechniken angewandt, die ich auf der Erde gelernt hatte, wäre die Prozedur noch schmerzlicher verlaufen. Als ich endlich wieder zur Ruhe kam, war ich völlig erschöpft. Dennoch gönnte ich mir keine Ruhe.
Ich mußte etwas unternehmen, um wieder Kontakt zu meinen Gefährten aufnehmen zu können. Sie waren noch in Sitortodes Hand, und dort wollte ich sie keinesfalls lassen. * Sitortode mußte sich an der Türzarge festhalten, um nicht umzufallen. Seine Knie zitterten, sein Herz schlug rasend schnell. Nur mit äußerster Willensanstrengung vermochte er sich gegen die Traumbilder zu wehren, die durch seinen Schädel wogten. Mit aller Kraft kämpfte er gegen die Versuchung an, sich irgendwo zusammenzurollen und zu schlafen. Vor zehn Minuten war er erwacht, und ein Blick auf seine Uhr hatte ihm verraten, daß etwas mit ihm geschehen sein mußte. Der Schock hatte ausgereicht, ihn mit einem Schlag hellwach werden zu lassen, wenn auch nur für kurze Zeit. Sitortode brach in die Knie. Er zog sich wieder in die Höhe. Er mußte schnellstens ins Labor. Nur dort gab es vielleicht eine Möglichkeit, die Wirkung der Droge abzumildern oder gar aufzuheben. Sitortode bemühte sich, möglichst flach zu atmen. Überall in seinem Haus hing goldfarbener Staub in der Luft, und Sitortode war Wissenschaftler genug, ihn sofort als gefährlich einzustufen. Die Tür zum Labor schwang auf. Sitortode machte einen Schritt und fiel fast in den Raum hinein. Mit letzter Kraft schaffte er es, die Tür wieder zufallen zu lassen und die Lufterneuerung einzuschalten, dann brach er zusammen. Vier Stunden später kehrte er aus dem Reich der Träume zurück. Das hermetisch abgeriegelte Labor war nahezu frei von Blütenstaub gewesen, und die wenigen Schwaden des Traumpulvers waren von den Filtern der Lufterneuerung abgesaugt worden. »Detomee«, stieß Sitortode wütend hervor. Es gab nur diese eine Erklärung für seinen Zustand. Zur Ausrüstung des Labors gehörten selbstverständlich Atemschutzvorrichtungen. Ab und zu arbeitete Sitortode bei seinen Experimenten mit giftigen Dämpfen und anderen riskanten Stoffen. Der kleinste Fehler konnte verhängnisvoll werden. Sitortode hatte da einschlägige Erfahrungen. Er nahm eine Schutzmaske und zog sie über, dann erst verließ er das Labor und sah sich in seinem Haus um. Es sah dort aus, wie er es erwartet hatte – seine Handlanger lagen in tiefem Schlaf, auch die Gefährten Atlans schliefen. Das Gästezimmer aber war leer. »Das wirst du büßen, Detomee«, stieß Sitortode wütend hervor. Er warf einen Blick aus dem Fenster, und was er dort zu sehen bekam, reizte ihn noch mehr. Wütend ballte er die Fäuste. Detomee verstand ihr Handwerk, das mußte Sitortode neidvoll anerkennen. Sein Garten war eine Ruine, der Erfolg jahrelanger Bemühungen war in einer Nacht vernichtet worden. Von den Ziersträuchern waren gerade noch Strünke zu erkennen, die Bäume hatten weder Blätter noch Nadeln. Statt dessen tummelten sich Hunderte von faustgroßen Insekten auf dem Boden, unterarmlange Raupen krochen über alles hinweg, was freßbar war, und das einzige Grünzeug, das diese lästigen Krabbler verschont hatten, war eine rankenreiche Dornenpflanze, die zwei Drittel von Sitortodes Grundstück bereits überwuchert hatte. Es würde Tage kosten, das Zeug zu entfernen, und Monate würden vergehen müssen, bis das Gelände wieder einen einigermaßen vorzeigbaren Eindruck machte. Sitortode löste Alarm aus. Es gab diesen Spezialalarm in jedem Labor, in zwei verschiedenen Versionen. Die eine betraf den Forscher und sein Labor selbst, der zweite Alarm rief außerdem den Ordnungsdienst zu Hilfe. Sitortode hatte sich für die erste Variante entschieden. Automatisch wurden alle Ausgänge des Hauses luftdicht verriegelt. Gleichzeitig sprang eine spezielle Lüftung an, die aus der umlaufenden Luft jeden Fremdkörper herausfilterte und sofort dem
Konverter zuführte. Auf diese Weise sollte im Notfall erreicht werden, daß ein zufällig freigesetztes gefährliches Bakterium keine Chance hatte, in die Außenwelt zu entweichen. Außerdem wurden von der Automatik alle Räume mit einer ionisierenden Strahlung geflutet, die sämtliche Kleinlebewesen tötete, einschließlich der normalen Bakterienflora, die beispielsweise auf Sitortodes Haut zu finden war. Sitortode biß die Zähne aufeinander. Obwohl die Strahlung unsichtbar war, griff sie den Körper doch erheblich an. Es war ein feiner, sehr lästiger Schmerz, aber er gehörte unausweichlich zu dem Programm. Der Alarm dauerte eine halbe Stunde lang, dann konnte Sitortode sicher sein, daß von dem hypnotisierenden Blütenstaub kein Molekül mehr in der Luft herumschwirrte. Sitortode benutzte die Wartezeit, um einen Plan zu schmieden. Diese Schmach würde er nicht auf sich sitzen lassen. Daß Detomee den Kollegen von einer anderen Welt einfach entführt hatte, war eine Ungeheuerlichkeit. »Aber warum?« fragte sich Sitortode. Welche Informationen hatte Detomee besessen, die Sitortode verborgen geblieben waren? Atlan hatte doch immer wieder beteuert, an der Plasmanot nichts ändern zu können. Was hatte er dann für einen Wert für Detomee? »Majbel«, murmelte Sitortode schließlich. Es war die einzig denkbare Erklärung für Detomees Anschlag. Und es gab auch nur einen einzigen Grund, warum Detomee zu solchen Mitteln griff. Alles drehte sich um Plasma, und wenn Detomee solche Aktionen durchführte, dann mußte sie schon sehr sicher sein, ihr Ziel erreichen zu können. Das Risiko, das Detomee dabei einging, war abenteuerlich hoch. Sitortode wußte, daß er ebenfalls keine andere Wahl mehr hatte als die, aktiv einzugreifen. Der infame Bio-Angriff von Detomee hatte Sitortodes Ruf angeschlagen und einen Teil seines Vermögens vernichtet. Wenn Detomee jetzt auch noch an Plasma herankam…es war nicht auszudenken. Der Bio-Brüter erwog seine Möglichkeiten. Obwohl ihn der Gedanke überhaupt nicht erfreute, kam er zu dem Schluß, daß es nur noch einen Ort gab, an dem er seine Pläne verwirklichen konnte. Auf der Oberfläche von Zuynam, wo es von Ordnungsdienstlern wimmelte, gab es dafür keine Chance, nur im Weltraum. Allmählich kamen auch die Handlanger in Sitortodes Haushalt wieder zu sich. Zwei hatten die Desinfektion nur mit viel Glück lebend überstanden und fielen als Hilfskräfte aus. Den anderen gab Sitortode seine Anweisungen. Die Begleiter von Atlan hatte Sitortode eingesperrt. Mit einem Betäubungsgas setzte er sie außer Gefecht. Handlanger brachten die drei an den vereinbarten Treffpunkt. Der erste Teil von Sitortodes Plan war damit in die Wirklichkeit umgesetzt. Der zweite Abschnitt war erheblich riskanter. Sitortode mußte alles aufs Spiel setzen. Entweder gewann er dieses Spiel, dann war ihm der Rang als führender Forscher Zuynams nicht mehr zu nehmen, oder er verlor alles, vielleicht sogar das Leben. * »Ich kann es einfach nicht glauben«, stieß Detomee hervor. Ihr Gesicht drückte Fassungslosigkeit aus. »Es ist so«, antwortete ich ruhig. Im Augenblick taten mir die beiden fast leid, sie waren völlig erschüttert. Der riskante Einsatz war vergeblich gewesen. Es gab bei mir kein Plasma zu holen.
»Sitortode hat mir nicht glauben wollen«, fuhr ich fort. »Und seine falsche Zuversicht hat euch geblendet.« »Er wird alles daran setzen, dich wieder in seine Gewalt zu bringen«, sagte Olavv bedrückt. »Ich kenne Sitortode. Wenn er gereizt ist, bringt er alles fertig.« »Es wird doch wohl eine Ordnungsmacht auf Zuynam geben, die ihm das Handwerk legen kann«, sagte ich. Dank des Zellaktivators hatte ich mich von dem nächtlichen Abenteuer recht gut erholt, allerdings machte ich’ mir jetzt Sorgen um Wasterjajn Kaz und die beiden Kjokerinnen. Sie waren noch bei Sitortode, und es bedurfte nur geringer Mühe, sie als Faustpfänder gegen mich einzusetzen. Die Lage, in der wir uns befanden, war geradezu aberwitzig, eine einzige Kette von Mißverständnissen und Fehlspekulationen. Leider hatte dieses Mißverständnis inzwischen das Ausmaß einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung erreicht und war daher nicht mehr so leicht aus der Welt zu schaffen. Allein hätte ich es vielleicht noch geschafft, Sitortode von meiner Wertlosigkeit für ihn zu überzeugen, aber nach den Aktionen von Detomee und Olavv war damit nicht mehr zu rechnen. »Wir könnten ihn über den Kommunikator anrufen und ihm das Mißverständnis erklären«, meinte Olavv. Detomee sah ihn an und machte eine Geste der Verneinung. »Er wird uns niemals glauben«, sagte sie matt. »Unsere Lage ist hoffnungslos.« »Uns bleibt immer noch Hunkle-Bha«, warf Olavv ein. Detomee richtete sich auf. Sie nickte langsam. »Das stimmt«, sagte sie leise und nachdenklich. »Du hast recht, noch ist nicht alles verloren. Und wenn wir Sitortode zum Ausgleich für den Schaden etwas von dem Material überlassen…? Ob er sich damit zufriedengeben wird?« »Bestimmt«, behauptete Olavv zuversichtlich. Ich hörte nur mit halber Aufmerksamkeit hin, weil ich zugleich an meine Freunde in Sitortodes Hand denken mußte und an das noch immer ungeklärte Schicksal von Dhonat und ANIMA. Hätte ich an dieser Stelle aufmerksamer hingehört, wäre mir wahrscheinlich mancher nachfolgende Ärger erspart geblieben. So aber geriet ich in einen Strudel von Ereignissen, die mich mehr als einmal in Gefahr bringen sollten. »Ich rufe Sitortode an«, sagte Detomee entschlossen. Sie stand auf und ging zum Kommunikator hinüber. Der Blick, mit dem Olavv ihren Bewegungen folgte, war bezeichnend. In dem allgemeinen Getümmel gab es offensichtlich auch eine zarte Romanze. Olavvs Gesichtsausdruck hatte etwas Verklärtes. »Er meldet sich nicht«, sagte Detomee nach etlichen Versuchen. Sie furchte die Stirn. »Vielleicht liegt er noch schlafend in seinem Labor herum«, vermutete Olavv. Detomee sah auf die Uhr und schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht«, murmelte sie. »Aber ausgeschlossen ist es nicht. Wollen wir hinfahren?« Die Lösung war einfach und naheliegend. Ich stimmte ihr zu. Es war der eleganteste Weg, aus der Sache wieder herauszukommen, ohne weiteren Schaden anzurichten. Ich hatte auch längst eingesehen, daß ich auf diesem Planeten keine grundlegend neuen Erkenntnisse über Janzonborr und Yog-Mann-Yog würde gewinnen können. Die Bio-Brüter von Zuynam waren ausgesprochene Fachidioten, die sich nur für das interessierten, was unmittelbar mit ihrer Forschung zusammenhing. Für übergreifende Zusammenhänge hatten sie keine Zeit. Das Phänomen war mir nicht neu. Ich hatte es auf Arkon, auf der Erde und an vielen anderen Orten
kennengelernt. Wissenschaftler dieser Art waren Überzeugungstäter; sie hingen mit jeder Faser an ihrer Arbeit. Ihre Forschungsergebnisse aus anderen Gründen in Frage zu stellen, dazu waren sie nicht fähig, es hätte die Arbeit eines ganzen Lebens völlig entwertet. Hinzu kam, daß Spitzenforschung in fast allen Gesellschaftssystemen, die ich kannte, mit einer Gloriole umgeben war. Es war das Bild des einsamen Genies, das an vorderster Front der Forschung den Kenntnisstand des Volkes erweitert. Von da aus zu der entsetzlichen Einsicht zu kommen, als nützlicher Idiot irgendwelcher skrupelloser Machthaber entscheidend am Unglück ganzer Völker beteiligt zu sein, war ein zu weiter Weg für die meisten Betroffenen. Und das galt insbesondere dann, wenn der Forschungsgegenstand auf den ersten Blick lebensfreundlich und fortschrittlich aussah, wie zum Beispiel bei Forschungen, wie sie die Bio-Brüter von Zuynam betrieben. Es gab aber auch Forscher, die all das kannten und dennoch keine Skrupel kannten, wenn es um ihre Arbeit ging – beispielsweise Sitortode.
7. Wir traten aus dem Haus. Es dämmerte schon, und in der Ferne konnte man die gelbweiße Scheibe der Sonne den Horizont berühren sehen. Über Bolerc strich ein kühler Wind. Detomees Gleiter, nun ohne Transportbecken für mich, stand vor dem Haus. »Ein bemerkenswert schönes Haus«, lobte ich. Das Schlangengebäude gefiel mir, vor allem die glitzernden Reflexe, die Licht und Wind über die Oberfläche des Hauses zittern ließen. »Ein herrliches Gebäude«, lobte auch Olavv. Unser Ziel war Sitortodes Haus. Noch zweimal hatte Detomee versucht, ihren Kollegen zu erreichen, aber Sitortode war nicht an den Apparat gegangen. Allmählich begann sich Detomee Sorgen zu machen, ob sie mit ihren Züchtungen in Sitortodes Garten nicht zu weit gegangen war und dem Forscher womöglich geschadet hatte. In diesem Bezirk von Bolerc war es ruhig. Verkehrslärm war nicht zu hören. Als privilegierte Forscherin wohnte Detomee in einer Region, die sehr dünn besiedelt war. Die einzelnen Gebäude, meist Kombinationen von Wohnhaus und Labor, waren in der Regel mindestens einen Kilometer voneinander entfernt. Weniger bedeutende Forscher wohnten in anderen Bezirken enger aneinander, und die wissenschaftliche Unterschicht war in den Stadtzentren zusammengepfercht, in denen sich Wohnsilos und Forschungskasernen aneinanderreihten. Ich hatte es kaum glauben wollen, aber Detomee und Olavv hatten es mir eindringlich erklärt: Fast ganz Zuynam arbeitete nur für diesen einen Zweck. Überall in den Labors wurde experimentiert und geforscht. Immer neue Entwürfe wurden ausgebrütet, durchdiskutiert und dann in komplizierten Versuchsreihen experimentell überprüft. Zuynam war ein planetenumspannender Riesenkonzern, der alles herstellte, was sich aus biologischem Material nur erstellen ließ. In einigen Städten hatte man sich auf Mikrobiologie konzentriert. Dort wurden Nutzpilze verbessert, Mikroben gezüchtet, die Schwermetalle aus den Meeren herausfilterten und in ihren Körpern anreicherten. Andere Lebewesen hatten keine andere Aufgabe als die, genau jene blei- oder goldhaltigen Mikroben zu fressen und deren Metallgehalt zu akkumulieren. In einer Nahrungskette, die insgesamt siebzehn verschiedene Lebensformen umfaßte, wurde so das Metall angereichert, bis es sich im Endprodukt wirtschaftlich nutzen ließ. Das Endprodukt war ein seltsames Reptil, das dank einer gezielten genetischen Manipulation große Mengen metallener Eier legte, die dann nur noch eingesammelt und weiterverarbeitet werden mußten. Andere Forschungsabteilungen, meist weniger berühmt, stellten Blumen und Blüten her, verbesserten die Fruchtbarkeit von Erntepflanzen, oder bastelten buchstäblich aus genetischen Einzelteilen Schädlingsbekämpfer mit gezielt entwickelten Eigenschaften zusammen: schädlich für eine ganz bestimmte Getreidekrankheit, aber ungefährlich für alle anderen Lebewesen. In sogenannten Genbanken waren Genkodes gesammelt, deren Wirkung genau bekannt war. Sie konnten wie Mosaiksteine abgerufen und in ein Konzept eingepaßt werden. Detomees Schnellwuchsmittel war ein solches Produkt, das ihr großen Ruhm eingetragen hatte. Mit seiner Hilfe konnten lange Forschungsreihen erheblich schneller abgeschlossen werden. Kern der Forschung auf Zuynam aber waren intelligente Kunstgeschöpfe, und auch dort gab es eine Vielzahl von Züchtungen. Offenbar waren auf einigen Welten im Sektor Janzonborr Spiele üblich, die sich in nichts von den altrömischen Gladiatorenkämpfen unterschieden. Kandidaten suchten regelmäßig Zuynam auf, ließen sich die Muskulatur verbessern, Blutkörperchen entwickeln, die mehr und schneller Sauerstoff und Nahrung an die Muskelzellen liefern oder durch gezielte Eingriffe das Lungenvolumen vergrößern konnten. Schwerreiche Spielfanatiker gaben künstliche Modellathleten in Auftrag, Läufer, Springer, Faustkämpfer. In langwierigen und überaus blutigen Testkämpfen wurden die besten Exemplare ausgewählt und die Ergebnisse dieser Tests weiter entwickelt und noch einmal verbessert. Ich
schauderte, wenn ich daran dachte. »Du bekommst Besuch, Detomee«, sagte Olavv und deutete mit der Hand auf einen Punkt am Rand des Gesichtskreises. Er kam mit einer Schnelligkeit näher, die auf einen Gleiter schließen ließ. Detomee wölbte die buschigen Brauen. Ein weiterer Gleiter tauchte auf. Er kam von der anderen Seite. Beide Fahrzeuge kamen über Land, sie benutzten nicht die offiziellen Straßen. Ich sah, wie sich Detomee verfärbte. »Sitortode«, sagte sie hastig. »Ich bin mir ganz sicher.« »Zurück ins Haus!« bestimmte ich. Die beiden Forscher standen wie angewurzelt. Ich mußte sie anbrüllen, um sie wieder zur Besinnung zu bringen. Sitortode griff uns an, und das allein reichte aus, die beiden völlig aus der Fassung zu bringen. Wir stürzten zurück ins Haus. Die beiden Gleiter kamen rasch näher. Drei andere Fahrzeuge gesellten sich zu ihnen. Offenbar bot Sitortode auf, was immer er zu bieten hatte. »Was können wir ihm entgegensetzen?« wollte ich wissen. »Was für Waffen habt ihr im Haus?« »Waffen?« fragte Olavv entgeistert. »Du meinst richtige Waffe, die töten können?« Detomee sah mich ähnlich entgeistert an. Hilflos schüttelte ich den Kopf. Die beiden waren imstande, mit Leben herumzumanipulieren, wie es ihnen gefiel, und dabei nahmen sie sehr wenig Rücksicht auf ihre Geschöpfe. Aber einen Strahler in die Hand zu nehmen, wäre ihnen niemals eingefallen. »Wir haben nur die Betäubungswaffe, die… du weißt schon.« Ich wußte gar nichts, reimte mir aber einiges zusammen. »Dann müssen wir uns mit anderen Mitteln verteidigen«, bestimmte ich. »Überlegt einmal, was für Mittel ihr noch in euren Labors zur Verfügung habt.« Olavv rollte mit den Augen. »Das kann ich nicht verantworten«, stieß er hervor. »Außerdem wären Jahre der Arbeit damit zerstört.« Detomee hatte Alarm ausgelöst und ihr Haus in eine luftdichte Festung verwandelt. Kameras zeigten uns, was sich draußen abspielte. Sitortode war gekommen, und er hatte eine beachtliche Streitmacht aufgeboten. »Sieh nur«, rief Olavv schreckensbleich aus. »Er hat Roboter.« Es waren die ersten Maschinen dieser Art, die ich auf Zuynam zu sehen bekam. Normalerweise zogen die Forscher dieser Welt der Hexenküchen andere dienstbare Geister vor. Die Art Roboter allerdings, die Sitortode ins Gefecht führte, waren Kampfmaschinen – nicht gerade die neuesten Modelle, aber sicher noch genügend funktionstüchtig, um uns ordentlich zu schaffen zu machen. »Woher mag er die nur haben«, rätselte Detomee. »Wenn wir seine Quelle kennen, hilft uns das nicht weiter«, sagte ich. Es waren fünf Robots, jeder mit einer modernen Hochenergiewaffe ausgerüstet. Auf schmalen Panzerketten kamen sie näher gerollt. Begleitet wurden sie von knapp fünfzig Handlangern, von denen ich einen Teil bereits bei Sitortode gesehen hatte. Sie waren bewaffnet, zwar nur mit Betäubungswaffen, Knüppeln und Messern, aber für uns Eingeschlossene war es eine entschieden zu große Streitmacht. Von meinen Begleitern fehlte jede Spur. Vermutlich hatte Sitortode sie zurückgelassen.
Rücksichtslos walzten die Robots die Zierhecke nieder, die den näheren Bereich des Hauses von dem Rest des Grundstücks abgrenzte. Detomee stieß einen Seufzer aus. »Ergebt euch!« war Sitortodes Stimme zu hören. »Kommt heraus, und es wird euch nichts geschehen. Und vergeßt nicht, meinen Gast Majbel mitzubringen, den ihr mir entführt habt.« In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. »Er hält mich noch für Majbel«, sagte ich leise. »Und er ist noch interessiert an mir. Das kann uns eine Chance einräumen.« »Was für’ eine? Ich kann keine sehen«, murmelte Olavv niedergeschlagen. »Sitortodes Roboter und seine Handlanger werden Befehl haben, mich zu schonen. Bis sie begriffen haben, daß ich mit euch zusammenarbeite, wird viel Zeit vergehen, mindestens ein paar Zehntelsekunden.« Sich der eigenen Haut zu wehren, war wirklich nicht Sache der Bio-Brüter. Die beiden sahen mich an, als hätte ich einen Kalauer zum Besten gegeben. Auf ihre Hilfe in diesem Kampf konnte ich nur sehr begrenzt rechnen, wahrscheinlich würde ich den größten Teil der Arbeit allein erledigen müssen. »Fordere Bedenkzeit«, sagte ich zu Olavv. »Und dann zeigt mir, was ihr in euren Labors noch zur Verfügung habt.« Olavv verschwand aus dem Wohnraum und Detomee führte mich in ihr Labor. »Ich weiß nicht, wonach du suchst«, sagte Detomee ratlos. »Wir haben unsere Produkte niemals auf solche Möglichkeiten hin untersucht.« Olavv kehrte zurück. »Er läßt uns eine Viertelstunde Zeit«, berichtete er niedergeschlagen. Ich deutete auf den Panzerschrank im Laborraum. »Was ist da drin?« wollte ich wissen. »Meine letzten Arbeiten«, antwortete Detomee. »Sie sind noch geheim, teilweise noch nicht ganz fertig. Ich glaube nicht, daß etwas dabei ist, was du gebrauchen könntest.« »Das zu entscheiden überlaß mir«, gab ich zurück. »Los, mach auf!« Ich führte mich auf, als wäre ich Herr im Haus, aber anders waren die beiden verschreckten Forscher nicht in Bewegung zu bringen. Folgsam öffnete Detomee die Tür. Dahinter stapelten sich Dokumente, aber im oberen Fach des mannshohen Panzerschranks entdeckte ich eine Reihe kleiner Flaschen, sorgfältig verschlossen und mit peinlicher Genauigkeit etikettiert. »Detomees Verbesserung«, las ich auf einem der kleinen Schilder. »Was verbirgt sich hinter diesem Namen?« Olavv hüstelte verlegen. »Ich habe versucht, das Schnellwuchsmittel zu verbessern«, gestand er dann ein. »Ich habe es gestern in Detomees Schrank eingeschlossen. Ich wollte es ihr schenken…« Seine Verlegenheit wurde noch größer. Weltfremder Forscher, verliebt bis über beide Ohren, einen seltsamen, herumkommandierenden Fremden im Haus, Roboter und kampflüsterne Handlanger im Garten – das alles war wohl entschieden zuviel für den Zuynamer. »Ist das Präparat wirksam?« wollte ich wissen. Olavv nickte heftig. »Zu wirksam«, sagte er. »Das Potenzierungsgen arbeitet viel zu stark. Testpflanzen wuchsen in Minuten in die Höhe, haben sich aber nur ein paar Stunden gehalten und waren danach
unbrauchbar. Außerdem sind damit behandelte Pflanzen unfruchtbar. Ich habe daran gearbeitet…« »Eisenfresser«, las ich weiter. »Was ist das?« »Ein Insekt von Ohhgras«, antwortete Detomee. »Es nimmt Eisen in jeder beliebigen Form auf und gibt es als pures Ferro-Granulat wieder von sich. Ich habe gehofft, auf diese Weise ein Mittel zu finden, Eisenerzvorkommen von geringer Qualität abbaubar zu machen.« »Genau passend für unsere Zwecke«, entschied ich. Ich nahm noch zwei anderen Phiolen aus dem Fach. »Was hast du vor?« fragte Detomee erschüttert. Olavv sah mich verzweifelt an, als sei ich damit beschäftigt, ihm das Haus über dem Kopf anzuzünden. »Ich werde Sitortode ein wenig beschäftigen. Ihr könnt in der Zwischenzeit den Ordnungsdienst zu Hilfe rufen.« »Das wird eine Hilfe sein«, stieß Detomee hervor. »Wir werden uns etwas anderes einfallen lassen müssen.« Während die beiden beratschlagten, fütterte ich die Ergebnisse von Detomees Forschungsarbeit mit Olavvs verbessertem Schnellwuchsmittel. Das Zeug wirkte hervorragend. Ich konnte förmlich sehen, wie sich die Proben veränderten. »Ich komme heraus!« rief ich in den Garten. Detomee hatte die Beleuchtung eingeschaltet. In dem Licht der Lampen waren Sitortode und seine Privatarmee deutlich zu erkennen. Als wolle er mir helfen, hatte Sitortode seine fünf Robots in seiner Nähe versammelt. »Unsinn, er will damit nur Eindruck schinden«, gab des Extrahirn durch. Ich öffnete das Tor zum Garten und trat langsam hinaus. Die Waffenarme der Robots ruckten nach oben und suchten ihr Ziel. Einen Sekundenbruchteil später hatten sie mich erkannt und identifiziert. Sitortodes Befehle wurden sichtbar, die Waffenarme kehrten in die Sicherheitsstellung zurück. Das war es, was ich erreichen wollte. »Ich bedaure, daß meine Freunde Detomee und Olavv so mit dir verfahren sind«, sagte Sitortode mit scheinheiliger Freundlichkeit. »Sei mir willkommen und kehre in mein gastfreundliches Haus zurück. Und diesen beiden werde ich eine Lektion erteilen. Was trägst du da?« »Gastgeschenke, sozusagen«, antwortete ich grinsend. »Während du das Haus belagert hast, habe ich mich ein wenig bei den beiden umgesehen und ein paar Andenken eingesteckt.« Sitortode, der sofort den Inhalt dieser Bemerkung begriff, begann laut zu lachen – der Streich schien ihm zu gefallen. Ich lachte ebenfalls, lauter und lauter, bis mir die Tränen über das Gesicht liefen. Sehr anzustrengen brauchte ich mich dabei nicht; es war ein typisches Merkmal von Arkoniden, daß ihnen bei solchen Gelegenheiten schnell die Augen feucht wurden, ein Zeichen größter seelischer Anspannung. Ich machte eine Geste, als wollte ich mir die salzige Feuchtigkeit aus den Augenwinkeln wischen, und bei dieser Gelegenheit verlor ich meine Mitbringsel. Wunschgemäß sprangen die Flaschen auf den steinernen Platten des Gartenweges entzwei. Ich stieß eine Verwünschung aus. Ratlos oder erschreckt machte ich zwei Schritte zurück. »So ein Mißgeschick«, entfuhr es mir. Unmittelbar vor Sitortode begannen die Chemikalien ihre Wirkung zu tun. Es war ein faszinierender Anblick. Zuckend bewegten sich die Keimlinge über den Boden. Weiße Fäden schossen aus den dunkelgrünen Körpern hervor, krallten sich im Boden fest und gruben sich darin ein. In rasender Geschwindigkeit schoß das Rankengewächs in die Höhe, breitete handtellergroße Blätter aus und arbeitete sich an den Robots hoch.
Ich begann zu laufen, zurück zum Haus. Hinter mir erklang ein bösartiges Summen. Ein Schwarm Insekten machte sich an die Arbeit. Ich hörte das Knirschen, mit dem sich die Waffenarme der Robots zu bewegen begannen. Die ersten Ranken vermochten sie noch mit der Kraft ihrer Hydraulik zu zerreißen, aber dann erwies sich das Pflanzenwerk als stärker. Als würden sie von einer unsichtbaren Spinne in Kokons eingewoben, so schnell wucherte um die fünf Robots herum ein Gespinst aus Ranken und klebrigen Blättern, die ihnen jede Bewegungsmöglichkeit nahmen. Derweil machten sich die Eisenfresser an die Arbeit und bohrten sich in die Stahlleiber der Robots. Sitortodes Flüche klangen mir in den Ohren, als ich schnellstens die Tür von Detomees Haus hinter mir schloß. Keinen Augenblick zu früh, denn im nächsten Augenblick flog mit lautem Getöse der erste der fünf Robots in die Luft. Die Eisenfresser mußten sich in Windeseile bis zum Reaktor durchgefressen haben. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis auch die anderen vier zerstört waren. Ich drehte mich um. Brennende Teile flogen durch die Luft. Die Explosion hatte auch die Kleberanken zerfetzt, und deren Einzelstücke suchten sich, sobald sie auf dem Boden gelandet waren, neuen Halt und wucherten erneut in die Höhe. Von Detomees Garten würde nach diesen Stunden nicht mehr viel übrigbleiben. »Bei Doomhirns Licht, was hast du getan?« rief Detomee beim Anblick des Brandes. Krachend detonierte der zweite Robot. Eine der Maschinen begann wild um sich zu schießen. Schüsse trafen Detomees Haus, ließen Scheiben zerbersten und setzten einen der Räume in Brand. Sofort setzte die Sprinkleranlage ein und löschte das Feuer. Sitortode tobte. Jetzt wußte er, daß ich nicht mit ihm zusammenarbeitete. Und ich wußte, daß der Kampf noch nicht entschieden war. Ich mußte den Mann stellen und fangen. In keinem Fall durfte ich ihn nach Hause zurückkehren lassen, wo er sich an Wasterjajn Kaz, Kjok-Duun und KjokAlmergund sein Mütchen kühlen konnte. Seine Rache an meinen Gefährten durfte ich unter keinen Umständen zulassen. »Her mit der Betäubungswaffe«, bestimmte ich. »Ich werde Sitortode fangen.« »Bist du sicher, daß dir das gelingen wird?« fragte Olavv, der mich wie ein Wundertier anstarrte. »Daß es mir gelingen wird nicht, aber wohl, daß ich es versuchen werde.« Das Magazin der Betäubungswaffe war geladen. Durch einen Seitenausgang schlich ich mich ins Freie. Detomees Garten hatte sich völlig verändert. Überall zuckten die Ranken des Klebegewächses, und ich mußte höllisch aufpassen, daß ich nicht von einer dieser Ranken getroffen wurde. An den Robots hatte ich sehen können, welche Klebekraft das Zeug entwickelte. Einer der Handlanger von Sitortode war in die Falle geraten, von ihm waren nur noch ein paar wild herumwirbelnde Arme und Beine zu sehen. Der Handlanger schrie jämmerlich. Mit einem Schuß betäubte ich ihn, und dadurch hörte der Griff der Würgepflanze schlagartig auf. Zwei andere stellten sich mir in den Weg, aber sie waren zu langsam, um mich behindern zu können. Mit zwei Schüssen schaltete ich sie aus. Wo war Sitortode? Vermutlich bei einem seiner Gleiter, der ihn in Sicherheit bringen sollte. Ich setzte mit weiten Sprüngen über die gefährlichen Abschnitte des Gartens hinweg. Erhellt wurde mein Weg von den brennenden Robots. Inzwischen waren alle fünf aus dem Kampf ausgeschieden, von ihnen war nur noch lichterloh brennender Schrott übriggeblieben. Die verbrennende Hydraulikflüssigkeit ließ
Wolken ätzenden Qualm über den Garten wehen. Hustend und spuckend traten etliche von Sitortodes Handlangern den Rückzug an. Ich schlug einen weiten Bogen, da ich Sitortode von hinten angreifen wollte. Ich erreichte einen der Gleiter, die ihn und seine Kumpane hergebracht hatten. Es kostete nicht viel Mühe, das Gefährt fahruntauglich zu machen. Auch der zweite Gleiter war verlassen. Endlich entdeckte ich Sitortode. Er stand schwankend am Rand des Gartens und knirschte mit den Zähnen. Offenbar hatte er das Geräusch meiner Schritte gehört. Er fuhr herum. Ich sah blankes Entsetzen in seinen Zügen, als ich die Betäubungswaffe auf ihn richtete. Dann sah ich in seiner Hand eine kleine grünlich schimmernde Flasche. »Fallen lassen!« rief ich. Sitortode stieß ein höhnisches Gelächter aus. Auf seiner Stirn stand großperliger Schweiß. Er holte zum Wurf aus. Meine Hand ruckte nach oben. Ich drückte ab. Hemmungen hatte ich nicht, denn ich wußte, daß ich nur eine betäubende Waffe besaß, aber Sitortode reagierte, als stünde er vor einem Desintegrator. Er warf sich zur Seite. Mein Schuß verfehlte ihn, aber Sitortode stolperte und stürzte. Ich hörte das Splittergeräusch von Glas, dann einen gräßlichen Schrei. Ich erstarrte. Langsam richtete sich Sitortode wieder auf. Seine Hände waren blutig, offenbar war ihm das Glas in der Hand zersplittert, aber es waren nicht diese kleinen Wunden, die ihn dazu brachten, mich haßerfüllt und von panischer Furcht zugleich besessen anzustarren. Ich ahnte, was geschehen war. Mit einem besonders abscheulichen Produkt seiner Forschung hatte uns Sitortode den Garaus machen wollen. Und nun war er Opfer seiner eigenen Machenschaften geworden, er hatte die Waffe ungewollt gegen sich selbst gerichtet.
8. Er wurde Kjaer genannt. Einen wirklichen Namen hatte er nicht, denn er verdankte seine Entstehung einer Laune des BioBrüters, der ihn einmal geschaffen hatte. Das Ergebnis dieses Schöpfungsprozesses war eher kümmerlich geraten. Kjaer hatte einen weichen verformbaren Leib von auffallend heller Farbe. Betrachter erinnerte er nicht selten an ein Stück Teig, das weiterer Verarbeitung bedurfte. Ähnlich kümmerlich und unfertig wie seine äußere Gestalt schien auch Kjaers Innenleben ausgefallen zu sein. Er besaß eine Stimme, auch wenn kein Mund an seinem Körper zu sehen war. Hoch und piepsig erklang dieses Organ, manchmal sackte es um zwei bis drei Oktaven ab, was sehr lustig klang und mit dazu beigetragen hatte, daß Kjaers Erzeuger sein Produkt nicht einfach wieder eingeschmolzen hatte. Kjaer plapperte recht viel, meist dummes oder albernes Zeug, er war an den unmöglichsten Stellen zu finden und ganz offenkundig völlig nutzlos. Versuche, ihn mit irgendwelchen Arbeiten zu beschäftigen, waren stets fehlgeschlagen. Kjaer stiftete bei solchen Versuchen nur Schaden, man konnte ihn nicht einmal dazu verwenden, ein Labor aufzuräumen. Nur als Versuchsobjekt erwies er sich ab und an als nützlich. Kjaers Erzeuger hatte eine paar Tinkturen und Chemikalien an ihm erprobt, aber außer Färb Veränderungen hatte Kjaer keinerlei Reaktion gezeigt, so daß der Forscher nach relativ kurzer Zeit auf weitere Versuche dieser Art verzichtet hatte. Auf der Suche nach dem biochemischen Grund für Kjaers Immunität gegenüber. Drogen und biochemischen oder genetischen Manipulationen war nichts herausgekommen. Kjaer galt als primitiv, roh, unfertig und nutzlos. Ab und zu hatte er seinen Herrn und Erzeuger zum Lachen gebracht, und einmal hatte sein Schöpfer ihn bei einem Glücksspiel als Einsatz riskiert und verloren. Von dieser Nacht an hatte Kjaer des öfteren den Besitzer gewechselt. Im Freundeskreis des KjaerErschaffers hatte es bald als Ulk gegolten, Kjaer als Geschenk weiterzureichen, stets verbunden mit der Aufforderung, dieses Geschöpf entscheidend zu verbessern. Natürlich war bei solchen Versuchen nichts herausgekommen, niemand hatte sich auch nur die Mühe gemacht. Kjaer hatte das alles mit dem ihm eigenen Gleichmut hingenommen. Er vertrug die gröbsten Späße, und die offene Mißachtung anderer Kunstgeschöpfe nahm er ungerührt hin. Versuche, ihn zum Spaß ein wenig zu quälen, wie es unter Handlangern nicht selten üblich war, waren von vornherein zum Scheitern verurteilt. Kjaer schien weder über körperliches noch über seelisches Schmerzempfinden zu verfügen. Die Besitzerwechsel fanden in der Regel nachts statt, und meistens waren die Beteiligten an solchen Geschäften stark angetrunken. So hatte es Kjaer nicht allzu schwer gehabt, sich selbständig zumachen. Es gab in Bolerc eine ganze Reihe von Forscherinnen und Forschern, die fest davon überzeugt waren, daß Kjaer gerade ihnen gehörte, aber da niemand auf den Besitz eines solchen Geschöpfs sonderlichen Wert legte, konnte Kjaer innerhalb gewisser Grenzen tun und lassen, was er wollte. Wenn er Futter brauchte, tauchte er irgendwo auf und gab sich mit allem zufrieden, was man ihm vorsetzte. Kjaer war die personifizierte Anspruchslosigkeit. Nach solchen Mahlzeiten pflegte er ein wenig in der Gegend herumzuliegen, sich malerisch um irgendwelche Möbel zu kringeln oder flach an der Decke zu kleben. Das war seine Art, sich für die Mahlzeiten zu bedanken. Oder er watschelte unbeholfen eine lange Treppe hinunter, ein Anblick, der Kinder und Erwachsene gleichermaßen zum Lachen reizte. Hätte sich jemand näher mit Kjaer beschäftigt, so hätte er möglicherweise einige recht verblüffende Entdeckungen machen können, beispielsweise die, daß Kjaer intelligent war, so intelligent, daß sein erster Entschluß nach seiner Schöpfung gewesen war, diese Intelligenz niemals offen zu zeigen.
Seinem Schöpfer geistig weit überlegen, hatte Kjaer sofort erkannt, daß er in diesem unförmigen Körper keine Möglichkeiten hatte, seine Fähigkeiten auszuspielen. Also blieb für Kjaer nur eine Rolle als Überlebenschance übrig, die des Clowns, und diese Rolle hatte er lange Zeit hindurch hervorragend gespielt. Vergessen hatte Kjaer nichts, kein Schimpfwort, keine abfällige Bemerkung. Sein Körper war elastisch und widerstandsfähig, sein Geist nicht minder. Aber jeder Hohn, jede Mißachtung war in diesem Geist gespeichert und wartete darauf, gerächt zu werden. Er ließ seinen Haß niemanden merken. Aber insgeheim verfolgte Kjaer seine Pläne, und er wußte sie auf seine besondere Art auch in die Wirklichkeit umzusetzen. Die schlimmsten Peiniger, die es in seinem Leben gegeben hatte, waren bereits tot. Kjaers Haß machte weder vor Handlangern noch vor Forschern Halt. Seinen Schöpfer hatte er dazu gebracht, sich mit einem seiner Gifte zufällig selbst umzubringen. Ein paar Handlanger, die ihn wochenlang gequält hatten, hatte Kjaer mit einer heimtückischen Krankheit angesteckt. Einer der übelsten Leuteschinder, die Kjaer jemals begegnet waren, war der berühmte Sitortode, zur Zeit der angebliche Besitzer von Kjaer. Kjaer lag flach auf dem Boden und betrachtete die Lage. Sie gefiel ihm. Er hatte alles genau gesehen. Wie Sitortode sein Bakteriengift aus dem Panzerschrank geholt hatte, wie er nach dem ersten fehlgeschlagenen Angriff auf Detomees Haus Anstalten gemacht hatte, dieses Bakteriengift gegen Detomee und deren Freunde anzuwenden. Kjaer hatte den Fremden auftauchen sehen, eine Waffe in der Hand, leider nur eine Betäubungswaffe. Und mit großem Vergnügen hatte Kjaer verfolgt, wie Sitortode dem Schuß auszuweichen versucht hatte, wie er gestürzt war. Der Schrei des Entsetzens, den Sitortode ausgestoßen hatte, war für Kjaer eindeutig gewesen. Sitortode hatte sich selbst infiziert, er mußte nun das Opfer seiner eigenen Tücke werden, und Kjaer fand, daß das nur eine gerechte Strafe war. Teile des Gartens standen in Flammen, außerdem hatte Detomee die Außenbeleuchtung eingeschaltet. Schwankend stand Sitortode vor dem Fremden, der Atlan hieß und mit Sicherheit nicht das war, was zu sein er vorgab. In einem Winkel von Sitortodes Haus verborgen, hatte Kjaer die Unterhaltung der beiden belauscht, und anders als Sitortode hatte Kjaer sofort gewittert, daß diesen Fremden ein Geheimnis umgab. Und für Geheimnisse aller Art hatte Kjaer schon immer eine Schwäche gehabt. »Ihr müßt mir helfen«, stieß Sitortode hervor. Er hielt sich die blutende Hand. »Ein seltsames Ansinnen von einem Mann, der gerade versucht hat, uns zu überfallen«, sagte Atlan kalt. Er hielt die Waffe auf Sitortode gerichtet. Die anderen Handlanger des Forschers drückten sich furchtsam im hinteren Teil des Gartens herum. Als Detomee und Olavv mit ihren Handlangern den Garten betraten, suchten sie eilig das Weite. Da sie die Gleiter nicht benutzen konnten, die sie hergebracht hatten, würden sie geraume Zeit zu Fuß laufen müssen. Kjaer duckte sich tiefer in den Graben, der ihm als Versteck diente. Aufmerksam hörte er der Unterhaltung zu. »Wir müssen ihn in jedem Fall erst einmal verbinden. Die Scherben scheinen ein größeres Blutgefäß verletzt zu haben«, sagte Atlan. Detomee sah ihren Rivalen aus zusammengekniffenen Augen an. »Schurke«, stieß sie hervor. »Für moralische Wertungen haben wir jetzt keine Zeit«, entgegnete Atlan. In der Stimme dieses Mannes schwang etwas mit, das Kjaer faszinierte. Atlan trat freundlich und ruhig auf, aber alles an ihm wirkte so entschieden und selbstsicher, wie es Kjaer bei keinem anderen je zuvor kennengelernt hatte. Hätte Kjaer es nicht besser gewußt, hätte er darauf getippt, eine der Facetten oder gar den Erleuchteten selbst vor sich zu haben. Vorsichtig folgte Kjaer den Forschern, die in Detomees Haus zurückkehrten. Durch eines der
zerschossenen Fenster gelangte Kjaer in das Innere des Hauses. Im Zweifelsfall hätte er es auch geschafft, sich durch eine Mauerritze hineinzuzwängen. Sein unscheinbarer, schlaffer Körper war zu Leistungen fähig, die niemand bei ihm vermutet hätte. Nach kurzer Zeit hatte Kjaer in Detomees Haus einen Winkel gefunden, in dem er sich hervorragend verstecken und alles belauschen konnte. In das Gebälk des Wohnzimmers geschmiegt, hörte er zu und sah von oben auf die drei Forscher und Atlan herab. Sitortode ächzte ab und zu. Noch immer war seine Stirn von dicken Schweißperlen bedeckt. Olavv legte ihm gerade einen Verband an. »Ich muß so schnell wie möglich in mein Haus zurück«, sagte Sitortode. »Nur dort kann ich wirksame Hilfe finden.« »Ein Fallensteller in der eigenen Falle«, bemerkte Detomee spitz. »Wir haben Zeit. Wir werden warten, bis der Ordnungsdienst kommt, und dann werden wir dich den Behörden übergeben. Das kann natürlich ein wenig dauern.« Sitortode knirschte mit den Zähnen. »Dem Ordnungsdienst habe ich auch einiges zu erzählen«, zischte er grimmig. »So oder so, wir sitzen in derselben Falle.« Kjaer betrachtete das Gesicht von Atlan. Er prägte sich die Züge genau ein. Vielleicht fand sich später eine Verwendung für diesen Mann. Olavv hielt Kjaer für wenig geeignet, er war zu nervös. Lediglich Detomee behielt einigermaßen die Nerven. Sitortode stand auf. »Ich werde jetzt heimkehren«, verkündete er. »Ihr könnt ja versuchen, mich daran zu hindern.« Er sah Atlan an. »Vergiß nicht, daß deine Handlanger in meiner Gewalt sind. Wenn ich nicht rechtzeitig meinen Leuten gewisse Befehle gebe…« Er versuchte einen Trick, das war offenkundig, jedenfalls für Kjaer. Das Kunstwesen sah aber auch, daß Atlan unmerklich zusammengezuckt war. Für ihn schienen seine Handlanger nicht nur lebendes Inventar zu sein, über das man nach Belieben verfügen konnte. Kjaer hatte sogar die Ahnung, daß Atlan sich um seine Handlanger ernstlich Sorgen machte. »Pah«, machte Atlan, begleitet von einer wegwerfenden Handbewegung. »Ich kann mir ja neue Handlanger suchen.« Er log, das spürte Kjaer ganz genau. Die Entwicklung der Dinge begann ihn zu interessieren. »Wie du meinst«, sagte Sitortode. Er wandte sich zum Gehen, aber Atlan war mit einem Satz bei ihm und packte ihn am Genick. Hart stieß er Sitortode zurück in den Sessel. »Nicht so schnell«, sagte Atlan scharf. Sitortode wirkte wie erstarrt. Mit einem körperlichen Angriff hatte er nicht gerechnet. Dergleichen war auf Zuynam unüblich. »Wo sind meine Fr… Handlanger?« Kjaer war von Heiterkeit erfüllt. So ruhig und selbstsicher Atlan auch sein mochte, an diesem Punkt war er offensichtlich empfindlich. Es war gut, das für die Zukunft zu wissen. »Ich bringe dich zu ihnen, aber nur, wenn wir als erstes zu meinem Haus fahren. Ich brauche das Gegenmittel…« Zum ersten Mal sprach Sitortode die Tatsache an, daß er seinem eigenen heimtückischen Anschlag zum Opfer gefallen war. Atlan sah Olavv und Detomee an. »Was meint ihr?«
Olavv hatte einen Vorschlag zu machen. »Ich werde hierbleiben und dafür sorgen, daß das Haus wieder hergerichtet wird. Ihr könnt zu Sitortode fahren. Wenn ihr nach einer gewissen Zeit nicht wieder hier seid, oder euch bei mir gemeldet habt, werde ich den Ordnungsdienst rufen und Sitortodes Haus stürmen lassen.« »Einverstanden«, erklärte Detomee. Sie lächelte boshaft. »Ich bin sehr gespannt darauf zu erfahren, womit sich Sitortode vergiftet hat. Es wird sicher etwas ganz Besonderes sein, nicht wahr, Kollege?« Kjaer schaffte es, schnell genug aus dem Haus zu sein, und er hatte Glück. Atlan und seine Begleiter bestiegen den Gleiter, den sich Kjaer als Versteck ausgesucht hatte. Die Fahrt zu Sitortodes Haus verlief nahezu schweigend. Nur ab und zu stieß Sitortode ein leises Ächzen aus. Er schien zu leiden, wurde immer unruhiger. »Fahr schneller«, sagte er, und der fast flehentliche Unterton seiner Stimme war ein akustischer Hochgenuß für den versteckten Kjaer. * Sitortodes Hände zitterten, als er die Ampulle in die Injektionspistole einlegte. Seine Zähne klapperten hörbar. Seine Haut war fahl, an einigen Stellen wies sie grünliche Verfärbungen auf. Mit leisem Zischen injizierte sich Sitortode das Mittel in die Blutbahn, dann sank er erschöpft in einen Sessel. »Was war das für ein Präparat?« fragte Detomee mit der Neugierde der Forscherin. »Flechtmoos«, antwortete Sitortode leise. »Leicht modifiziert.« Detomee stieß einen Laut des Erschreckens aus. »Was hat es mit diesem Flechtmoos auf sich?« wollte Atlan wissen. Detomee schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich habe dir vieles zugetraut, Sitortode, aber das nicht«, sagte sie leise. An Atlan gewandt, fuhr sie fort: »Flechtmoos ist eine Krankheit, die zuerst die Haut befällt und dann immer tiefer in den Leib eindringt. Sie frißt den Körper langsam, aber sicher auf. Die Krankheit ist begleitet von ungeheuren Schmerzen, aber sie beeinträchtigt nicht das Denken und Fühlen des Kranken. Wir haben den Erreger vor vielen Jahren isoliert und unschädlich gemacht, jetzt gilt Flechtmoos als praktisch ausgerottet.« »Nicht in dieser Variante«, erklärte Sitortode. »Ich habe den Erreger so abgewandelt, daß er praktisch nur ein paar Minuten lang lebensfähig ist, danach stirbt er ab. Und die Heilung ist ebenfalls fraglich.« »Du bist sehr offen«, meinte Detomee befremdet. Sitortode stieß ein höhnisches Lachen aus. »Es wird euch jetzt gar nichts anders mehr übrigbleiben, als mit mir zusammenzuarbeiten«, sagte er giftig. Er fixierte Atlan. »Du bist in jedem Fall infiziert worden, die anderen wahrscheinlich nicht. Wenn dir also etwas am Leben dieses Mannes Atlan oder Majbel liegt, dann wird uns nichts anderes übrigbleiben, als schnellstens hochwertiges Plasma zu besorgen, und zwar nicht irgendeines, sondern das aus der Quelle Purtupf. Ich habe meine letzten Reserven dieses Plasmas dazu gebraucht, das Gegenmittel zu entwickeln, und dieses Plasma war alles andere als frisch. Vielleicht
hat die Injektion mir geholfen, aber Atlan wird nur zu retten sein, wenn wir nach Tauwerk fliegen und Purtupf um eine Portion seines Plasmas erleichtern.« Kjaer war auf die Reaktion Atlans gespannt. Sie fiel für ihn überraschend aus. »Wer sagt dir, daß mein Metabolismus auf den Erreger überhaupt reagiert«, antwortete er gelassen. »Ich habe jedenfalls keine Angst vor dem Flechtmoos.« »Rede keinen Unsinn«, mischte sich Detomee ein. »Ich gebe ihm nur ungern recht, aber in diesem Fall gibt es wirklich keinen anderen Weg, vorausgesetzt, er hat uns die Wahrheit erzählt.« Sitortode lachte wieder. »Ihr könnt es ja abwarten«, schlug er vor. »Ohne mein Fachwissen und meine speziellen Kenntnisse werdet ihr jedenfalls kein Präparat gegen das Flechtmoos entwickeln können. Du weißt besser als jeder andere, wie lange es dauern kann, ein solches Medikament ohne Voraussetzungen zu entwickeln. Habt ihr die Zeit, Detomee?« Die Forscherin stieß eine Verwünschung aus. Sitortode stand auf. Sein Atem ging nun ruhiger, und die Flecken auf seiner Haut waren verschwunden. Kjaer fand das sehr bedauerlich. »Ich habe ein Raumschiff startklar«, sagte Sitortode. »Die GENSTRUKTUR wartet auf uns. Ich habe mich übrigens erkundigt, Atlan oder Majbel, in der Zeit vor deinem Auftauchen auf Zuynam ist kein normales Schiff gelandet. Ich folgere daraus, daß du mit einem eigenen Schiff gekommen bist. Richtig?« Sitortode schien wieder Oberwasser zu bekommen. Atlan nickte nur kurz. »Kannst du ein modernes Raumschiff lenken?« fragte Sitortode. Atlan nickte. Die Aussicht, sich mit einer mörderischen Krankheit angesteckt zu haben, schien ihn nicht im geringsten zu beeindrucken. Entweder hatte er die Gefahr in ihrer ganzen Größe nicht begriffen, oder er war sich seiner Sache überaus sicher, und das fand Kjaer ganz besonders interessant. »Dann wirst du die GENSTRUKTUR fliegen. Deine Handlanger sind übrigens an Bord, und sehr viel Zeit haben wir nicht mehr.« Atlan rieb sich gemächlich das Kinn, während Detomee aufgeregt im Raum auf und ab wanderte. »Ich werde mit Olavv beraten«, sagte sie schließlich und verließ den Raum. Sitortode sah ihr spöttisch nach. »Nun, Atlan, wie gefällt dir mein Angebot? Dein Leben und das deiner Handlanger gegen einen Flug nach Tau werk.« »Es ist nicht meine Art, mich Erpressungen zu beugen«, antwortete der Weißhaarige. Die Ruhe seiner Stimme hätte Sitortode warnen sollen, fand Kjaer, aber der Bio-Brüter schien dafür keinerlei Empfinden zu haben. Einmal mehr wurde ihm der Blick auf die Realität von seiner Eitelkeit gründlich verstellt. Detomee kam in den Raum gestürzt. Sie wirkte verzweifelt. »Der Ordnungsdienst«, rief sie. »Sie müssen etwas bemerkt haben, wahrscheinlich die Explosionen. Gerade wollte ich mit Olavv reden, da sind sie gekommen. Sie haben ihn verhaftet. Es heißt, er habe den berühmten Forscher Majbel entführt.« Sitortode murmelte einen Fluch. »Hat man dich gesehen?« fragte er hastig. Detomee nickte.
»Und am Hintergrund hat man dein Haus erkannt«, fügte sie hinzu. »Der Offizier hat gesagt, daß ich bei dir bin, bevor ich die Verbindung trennen konnte.« »Dann sind sie in Kürze hier«, murmelte Sitortode. Gehetzt sah er sich um. »Was wollen wir jetzt tun?« fragte Detomee ratlos. Hilfesuchend blickte sie Atlan an. »Der Ordnungsdienst wird uns festnehmen, und dann gibt es für uns keine Hoffnung mehr. Sie werden dir ebensowenig glauben, wie es Sitortode getan hat.« Sitortode hatte unterdessen seinen Panzerschrank wieder geöffnet. Sein Vorrat an Elixieren schien bemerkenswert groß zu sein. Für Kjaer, den heimlichen Lauscher, wurde die Angelegenheit immer aufregender. In der Ferne war das Heulen von Sirenen zu hören. »Hier, schluckt das«, rief Sitortode und drückte Atlan und Detomee eine Pille in die Hand. Eine schluckte er selbst. »Wozu soll das gut sein?« fragte Detomee. »Es wird unsere Flucht erleichtern, vielleicht erst möglich machen«, antwortete Sitortode. Er hielt eine grellblau markierte Stahlflasche in der Hand. »Eigentlich wollte ich das Yog-Mann-Yog einmal vorstellen, er hätte es sicher gebrauchen können«, sagte Sitortode grimmig. »Nun, früher oder später wird er ohnehin davon erfahren. Die Wirkung wird ihm gefallen.« Er ging zum nächsten Fenster hinüber und öffnete es. Bevor Atlan oder Detomee ihn hindern konnten, hatte er das Ventil der Stahlflasche geöffnet. Ein weißer Nebel sprühte hinaus ins Freie. »Jetzt brauchen wir nur abzuwarten«, erklärte Sitortode zufrieden.
9. Mindestens eine Hundertschaft Ordnungsdienstler hatte Sitortodes Haus umstellt. Sogar eine Gruppe Roboter war in Stellung gegangen. »Nur eine Zeitfrage«, behauptete Sitortode. »Wir müssen sie hinhalten, dann haben wir gewonnen.« »Was hast du getan, ich will es wissen«, schrie Detomee ihren Kollegen an. »Nur ein gewisses Virus in die Luft gesprüht«, sagte Sitortode kalt. »Ein Virus mit ganz besonderen Eigenschaften. Ihr werdet euch bald davon überzeugen können.« »Du bist ein Scheusal«, zischte Detomee. »Ein widerlicher Verbrecher, der seine Fähigkeiten nur dazu nutzt, Unheil zu stiften.« »Ach was, ich wehre mich nur meiner Haut, das ist alles. Ich habe große Pläne, die wichtig sind für unsere ganze Zunft, für Zuynam und alle Forscher auf diesem Planeten. Wenn ich endlich das Plasma bekomme, das ich brauche, dann werde ich eine Kreation vorstellen können, die Yog-MannYog die Sprache verschlagen wird. Dein legendärer Mobikopf ist nichts dagegen, selbst wenn alles wahr wäre, was du von ihm zusammengefabelt hast. Und beim Erreichen dieses Zieles sind mir alle Mittel recht! Außerdem, du wirst es später erfahren, hat das Virus, das ich gerade ausgestreut habe, keine besonders gefährliche Wirkung. Nützlich ist es trotzdem, sogar sehr nützlich.« Kjaer in seinem Versteck hatte genug gehört. Es war an der Zeit, etwas zu unternehmen, und Kjaer wußte auch ganz genau, was er zu tun hatte. Geräuschlos entfernte er sich aus dem Versteck, kroch am Boden entlang und schlüpfte aus dem Raum. Durch seinen privaten Ausgang, von dessen Existenz Sitortode nichts wußte, verließ Kjaer das Haus. Die Umgebung war taghell erleuchtet. Die Ordnungsdienstler hatten Scheinwerfer aufgestellt, die das Haus und den Garten bestrahlten. Kjaer konnte sehen, daß mindestens dreißig Hochenergiewaffen auf Sitortodes Haus gerichtet waren. Die Eingeschlossenen saßen in einer Falle, aus der ein Entrinnen völlig ausgeschlossen schien. Kjaer war sehr gespannt darauf zu erfahren, mit welchem Trick Sitortode dennoch zu seinem Schiff GENSTRUKTUR kommen wollte. Langsam arbeitete sich Kjaer weiter. Er wollte nach Möglichkeit nicht entdeckt werden, aber bei der Beleuchtung ließ es sich nicht vermeiden, daß man ihn dennoch fand. »He, hier ist etwas«, rief einer der Ordnungsdienstler. Grobe Fäuste packten Kjaer und zerrten ihn die die Höhe. Schlaff hing der Körper des Kunstwesens in den Händen des Ordnungsdienstlers. »Herbringen!« befahl einer der Offiziere. Kjaer war nur wenig um seine Sicherheit besorgt. Im Zweifelsfall gab es für ihn einige Möglichkeiten, von deren Existenz niemand außer ihm etwas wußte. »Das Ding kenne ich«, konnte Kjaer hören. Vorsichtshalber hatte Kjaer seine Sehorgane eingefahren. »Kjaer, dieser Nichtsnutz. Gehört er jetzt Sitortode?« »Es sieht so aus«, antwortete eine andere Stimme. »Was machen wir mit ihm«, fragte der Ordnungsdienstler. Die Antwort des Offiziers erschreckte Kjaer bis ins Mark. »Es wird Zeit, daß dieses sinnlose Geschöpf verschwindet. Wenn einer von einer anderen Welt Kjaer sieht, könnte er glauben, wir brächten nichts Besseres fertig als diesen biologischen Schrott. Töte ihn.« Bevor Kjaer auch nur reagieren konnte, antwortete der Ordnungsdienstler: »Nein.« »Was soll das heißen? Du wirst dieses Vieh töten, auf der Stelle.«
»Nein, das werde ich nicht tun«, gab der Gemeine ’zurück – Kjaer wußte, daß den Ordnungsdienstler diese Widersetzlichkeit den Kopf kosten konnte. Auf diesem Gebiet war man im Ordnungsdienst von Zuynam alles andere als zimperlich. »Urag, komm her. Ihr beide auch. Nehmt diesen Mann fest. Er hat den Befehl verweigert.« »Wir denken nicht daran«, antwortete der Angesprochene. »Wir führen keine Befehle mehr aus.« Kjaer spürte, daß er fallen gelassen wurde. Auf dem Boden öffnete er wieder die Augen. Er sah den Offizier und drei offenbar meuternde Ordnungsdienstler. Das Gesicht des Offiziers drückte Wut aus. »Das wird euch den Kopf kosten«, schrie er. Er machte eine herrische Geste. »Ich brauche einen Kommunikator.« »Hol dir einen, wenn du ihn brauchst«, erklang es als Antwort. Dem Offizier quollen fast die Augen aus dem Kopf. »Überall Meuterer? Seid ihr völlig verrückt geworden?« schrie er mit sich überschlagender Stimme. Kjaer setzte ihm nach, als der Offizier zu seinem Gleiter hinüberrannte und selbst eine Verbindung mit dem Hauptquartier herstellte. »Meine Truppen meutern, sie verweigern den Befehl«, erklärte der Offizier seinem Vorgesetzten. »Was soll ich tun?« »Die gehorsamen Männer zusammenfassen und die Meuterer festnehmen.« »Ich denke nicht daran«, antwortete der Offizier zu Kjaers Verwunderung. »Das ist ein Befehl!« erklang es aus dem Lautsprecher. »Ich nehme keine Befehle mehr an«, gab der Offizier zurück. »Von niemandem mehr. Mit dem Gehorchen ist jetzt Schluß.« Langsam dämmerte Kjaer, welche Wirkung das Mittel hatte, das Sitortode so großzügig versprüht hatte. Ganz offensichtlich hatte es vor allem eine psychotrophe Wirkung. Vermutlich putschte es die Willenskraft des Infizierten auf und hinderte ihn daran, sich irgendwelchen Anweisungen zu fügen. Die Fähigkeit Befehle zu geben, wurde dadurch allerdings nicht beeinträchtigt. Das Durcheinander war bald komplett. Eine Vielzahl von Ordnungsdienstlern erteilte sich wechselseitig Befehle und verweigerte ebenso hartnäckig deren Ausführung. Die Stimmung verschlechterte sich rapide, es kam zu ersten Raufhändeln. Kjaer hatte genug gesehen. Ihm konnte das Mittel nichts anhaben, so hoffte er jedenfalls. Er schloß sich einem Ordnungsdienstler an, der sich ungefragt einen Gleiter der Truppe nahm und zum Rückflug ansetzte. Kjaer kroch auf die Ladefläche und versteckte sich dort. Dem Planeten standen chaotische Zeiten bevor. Auf den ersten Blick mochte die Wirkung des Virus ja recht spaßig sein, aber bei näherem Hinsehen entpuppte sie sich als lebensgefährlich. Verbotsschilder entlang der Gleiterrouten waren für den Fahrer ebenso unannehmbar wie mündliche Befehle. Infolgedessen fuhr er in einem Stil nach Bolerc, der selbst dem abgebrühten Kjaer an den Nerven zerrte. Wenn der Ordnungsdienstler in einen Unfall verwickelt wurde, bei dem der Reaktor beschädigt wurde, dann war auch Kjaer in Gefahr. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich Kjaer versucht, sein Geheimnis zu lüften, aber er sagte sich, daß er damit seine Lage nicht verbessern konnte. Der erkrankte Ordnungsdienstler würde seine Befehle ebenso konsequent verweigern wie alle anderen auch. Kjaer sah sich auf der Straße um. Es war geschehen, was er befürchtet hatte. Der Wind hatte Sitortodes Gebräu nach Bolerc hineingeweht, und ein Kranker steckte den anderen an. Chaos herrschte in der Stadt. Zuynamer rannten durcheinander, beschimpften und verfluchten sich.
Schlägereien brachen aus. Männer und Frauen verließen ihre Posten, um sich mit anderen anzulegen. Vermutlich würde es nicht lange dauern, bis die Seuche auf andere Städte übergriff und damit das Leben auf Zuynam praktisch zum Erliegen brachte. Vor einer Gaststätte hielt der Ordnungsdienstler endlich an, und Kjaer sah zu, daß er so schnell wie möglich das Fahrzeug verließ. Kjaer war mit Sitortode zufrieden. Diese Krankheit paßte sehr gut zu Yog-Mann-Yogs Plänen. Auf einem unruhigen, widerborstigen Planeten ausgestreut, würde die Seuche das öffentliche Leben des Planeten binnen weniger Tage völlig zusammenbrechen lassen. Erst wenn die Wirkung sich allmählich verlor und die Betroffenen gesundeten, würden sie wieder die Vorteile einer straffen und energischen Führung zu schätzen lernen, und wer im Sektor Janzonborr war besser geeignet, Planeten zu beherrschen als Yog-Mann-Yog? Bei der Facette würde Sitortode mit dieser Kreation sicherlich auf Wohlwollen stoßen. Einstweilen aber hinderte Sitortodes Gebräu Kjaer daran, seine Ziele zu verfolgen. Allmählich schälte sich heraus, daß die Krankheit sehr verschiedene Abläufe hatte. Während sie bei vielen Zuynamern lediglich dazu führte, daß sie alle Befehle verweigerten, heizte sie bei vielen Handlangern aller nur denkbaren Erscheinungsformen Haß und Wut über die lange Unterduckung durch die Zuynamer an. Es zeichnete sich ab, daß die Handlanger in kurzer Zeit zu einer Art Rachefeldzug aufbrechen würden. Auch das konnte den Planeten ruinieren. Kjaer schlängelte sich in ein Dienstgebäude hinein. In den Büros war es leer, die Angestellten hatten ihre Arbeit im Stich gelassen. Zufrieden musterte Kjaer das Durcheinander. Schließlich entdeckte er, was er benötigte. Einen Anschluß, der zu einem Hyperfunksender führte. Kjaer fuhr ein Pseudoglied aus und begann einen ganz bestimmten Anschluß zu wählen. Er mußte einige Zeit warten, bis sich sein Gesprächspartner meldete. »Hier Kjaer«, meldete sich das Kunstwesen. »Ich rufe den Diamanten des Zwillings.« »Kontakt«, lautete die knappe Antwort. Sehr gesprächig war dieser Kontaktmann Kjaers nie gewesen, das Kunstwesen störte es nicht. »Nachrichten von Zuynam?« fragte der Diamant. Kjaer hatte dieses Wesen noch nie gesehen, und die Stimme wurde während des Hyperfunkkontakts deutlich erkennbar verfremdet. Kjaer wußte nur eines, er sprach mit einem Vertrauensmann der Facette Yog-Mann-Yog. Seit geraumer Zeit unterhielt Kjaer diese Kontakte. Er war ein überaus fleißiger Datensammler, und in unregelmäßigen Abständen gab er seine Informationen über verschiedene Kanäle an Yog-MannYog oder einen seiner Beauftragten weiter. Selbstverständlich sorgte Kjaer bei diesen Gelegenheiten dafür, alle Personen, die ihn gequält und mißhandelt hatten, in ein möglichst schlechtes Licht zu setzen, und der Erfolg hatte in den seltensten Fällen lange auf sich warten lassen. »Auf Zuynam bahnen sich Entwicklungen an, die für die Facette von Bedeutung sind«, antwortete Kjaer. »In diesem Augenblick versucht eine Gruppe entschlossener Wissenschaftler, mit einem Privatschiff nach Tauwerk zu fliegen. Sie wollen den ›Ring der Hölle‹ aufbrechen oder irgendwie durchqueren.« »Das wäre nicht das schlechteste«, ließ sich der Diamant vernehmen. »Dieser Purtupf wird zusehends dreister. Er glaubt sich über andere erhaben. Aber Unternehmungen dieser Art sind schon oft gestartet worden. Das ist kein Grund, mich unmittelbar anzusprechen.« »Dieses Mal kann die Sache anders ausgehen. An Bord des Schiffes, es heißt GENSTRUKTUR, befinden sich außer zweien der fähigsten Wissenschaftlern Zuynams auch noch andere Wesen, darunter eine Person, die sich Atlan nennt, aber ebensogut der legendäre Majbel sein könnte.«
Die Reaktion, auf der anderen Seite war zunächst einmal Schweigen. »Information sicher?« fragte der Diamant des Zwillings dann knapp. »Wahrscheinlich«, gab Kjaer zurück. »Mein Gefühl sagt mir, daß Atlan oder Majbel es schaffen wird, Purtupfs Abwehrwall zu durchdringen. Ich schlage vor, daß man sich dieses Mannes versichert.« Wieder bekam Kjaer eine Zeitlang nichts zu hören. Der Diamant des Zwillings hatte offenbar damit zu tun, die Informationen zu verarbeiten und entsprechende Befehle zu geben. Währenddessen konnte Kjaer auf den Straßen Bolercs das Chaos sich ausbreiten sehen. In einer weiteren Erkrankungsphase wurden die Infizierten plötzlich träge und lustlos, waren zu nichts mehr zu bewegen und schlichen mit matten Bewegungen auf den Straßen herum. Andere rollten sich in der nächstbesten Ecke zusammen und begannen zu schlafen. »Einverstanden«, meldete sich der Diamant wieder bei Kjaer. »Ich habe den Ehernen angewiesen, drei Aufklärer vom Typ CHARON startklar zu machen. Er wird begleitet von fünf Stählernen, Zuynam anfliegen und dich dort auflesen. Du wirst von Zuynam abberufen.« Kjaer wußte nicht, ob er sich über diese Information freuen sollte. Den Ruf der Stählernen Horde kannte er wie jeder Bewohner von Janzonborr. Hart, kompromißlos, unerbittlich in ihrem Vorgehen, nur Yog-Mann-Yog Untertan oder einem von ihm Beauftragten, waren sie der Schrecken aller, die mit ihnen zu tun bekamen. Für eine Welt wie Zuynam, auf der es kaum Roboter gab, war das Aufgebot, das sich in diesen Minuten in Marsch setzte, schon sehr beachtlich zu nennen. Kjaer konnte daraus folgern, welchen Stellenwert man seinen Informationen beimaß. Indirekt war es auch ein Vertrauensbeweis, daß der Diamant nur auf Kjaers Informationen hin eine solche Maßnahme ergriff. »Es muß ein Treffpunkt vereinbart werden«, fuhr der Diamant fort. »Erwarte die Aufklärer auf dem Raumhafen von Bolerc. Dort werden sie dich an Bord nehmen. Du bist sicher, daß das Ziel der GENSTRUKTUR Tauwerk ist?« »Völlig sicher«, antwortete Kjaer. »Was für weitere Befehle bekomme ich? Wie soll ich mit den Aufklärern verfahren, wer hat dort Befehle zu geben?« »Du wirst die Anordnungen des Ehernen ausführen. Er hat Anweisung, deine Informationen zu berücksichtigen. Wir sind mit deiner Arbeit zufrieden.« Kjaer freute sich über das Lob. Worte wie diese bekam man als geheimer Mitarbeiter der Facette Yog-Mann-Yog so gut wie nie zu hören, und in Kjaers Fall bedeutete es obendrein, daß man ihn als den vollwertigen Mitarbeiter begriff, der er auch war. »Ich werde bereit sein«, sagte Kjaer zum Abschluß. Er trennte die Verbindung und verließ das Gebäude. Totenstill war es draußen geworden. Überall lagen schlafende oder gar bewußtlose Zuynamer herum. Es regnete heftig, und die Schläfer wurden kräftig durchnäßt. Die Ärzte und Kliniken würden in den nächsten Tagen allerhand zu tun bekommen, ihnen stand viel Arbeit bevor. In der Ferne sah Kjaer Flammen zum Himmel schlagen. Die Revolte’ der Handlanger wurde offenkundig fortgesetzt, und die Sklaven aus den Hexenküchen schienen gewillt zu sein, sich niemals wieder derart unterdrücken zu lassen. Kjaer als Kenner der Verhältnisse wußte, daß dieser Aufstand nach kurzer Zeit niedergeschlagen werden würde, auch wenn die Handlanger ihren Herren teilweise im Verhältnis eins zu zehn an Zahl überlegen waren. Die Handlanger verfügten nicht über die Mittel, ihre Ansprüche auch durchsetzen zu können, und den mitunter niederträchtigen Möglichkeiten der Bio-Brüter hatten sie nichts entgegenzusetzen. Bis die Aufklärer auf Zuynam eintreffen konnten, mußte noch einige Zeit vergehen. Kjaer beschloß, diese Frist nach seiner Laune zu nutzen. Mühevoll bewegte er sich durch die nächtlichen Straßen,
auf den unförmigen Kasten zu, in dem der Ordnungsdienst sein Hauptquartier hatte. Schon einige Male hatte Kjaer versucht, dort einzudringen, aber es war ihm nicht gelungen. Für die ausgeklügelten Sicherheitsmaßnahmen reichten seine Fähigkeiten nicht aus. An diesem Abend hatte er mehr Glück. Die Wachen am Eingang lagen schnarchend in ihren Zimmern. Vorsichtig schlich sich Kjaer weiter. In der untersten Etage fand er einen Lageplan des ganzen Gebäudes, der ihm zeigte, wo es Besprechungszimmer gab. Kjaer war sich sicher: Irgendwo in diesem Haus gab es noch ein paar Bio-Brüter, die der Krankheit aus dem einen oder anderen Grund nicht erlegen waren. Sie würden Gegenmaßnahmen planen, und darüber wollte Kjaer etwas in Erfahrung bringen. Er benutzte die Lüftungsschächte, um sich vorwärtszuarbeiten. Die harte Ionenstrahlung zur Abwehr von Mikroorganismen war zwar auch für seinen Metabolismus eine Tortur, aber er nahm die Quälerei auf sich. Nach einiger Zeit war er am Ziel. Verborgen in einer Lüftungsbox konnte er den Rat des Ordnungsdiensts bei seiner Besprechung belauschen. Was er zu hören bekam, war erschreckend. »Die Handlanger revoltieren, überall auf Zuynam.« »Das ist nicht die erste Handlangerrevolte«, wurde dem Sprecher entgegengehalten. Kjaer erkannte Fadranse, den Sprecher des Rates, einen Mann, dem der Ruf unbeugsamer Härte und skrupelloser Eigensucht vorausging. »Aber es ist die erste planetenweite Revolte, und wenn diese Kreaturen erst einmal spüren, daß so etwas möglich ist, werden wir nie wieder völlig sicher leben und arbeiten können. Ich schlage vor, die Handlanger auszutauschen.« Kjaer konnte mit diesen Worten eine Zeitlang nichts anfangen, aber dann begriff er. Was der Rat da plante, war nicht mehr und nicht weniger als ein Todesurteil für alle auf Zuynam lebenden Handlanger. »Und wie wollen wir das mit unseren beschränkten Mitteln machen?« Fadranse wußte auch auf diese Frage eine Antwort. »Wir halten die entsprechenden Mittel bereit«, verkündete er. »Schon vor langer Zeit wurden sie entwickelt, sie können jederzeit eingesetzt werden. Ihre Wirkung ist absolut sicher.« Jetzt begriff Kjaer auch, warum es so wenige Roboter auf Zuynam gab. Sie waren mit so breitgestreuten Mitteln nicht zu beeinflussen, wenn es aus irgendeinem Grund zu einem Konflikt kommen sollte. »Das wird den Planeten ruinieren«, bekam Kjaer zu hören. »Die Revolte ebenfalls«, entgegnete Fadranse kalt. »Ich schlage vor, diesen Ultimaten Plan durchzuführen.« Es gab eine Abstimmung unter den Mitgliedern des Rates. Fadranse mit seinem mörderischen Vorhaben unterlag, nur eines der achtzehn Mitglieder stimmte mit ihm. Kjaer konnte das Gesicht des Zuynamers sehen, als das, Abstimmungsergebnis verkündet wurde. Es zeigte für Kjaer offen, daß Fadranse nicht willens war, sich an die Abstimmung zu halten. Er würde auf eigene Faust handeln. Kjaer schlängelte sich durch die Lüftungsschächte. Fadranse hatte gerade den Besprechungsraum verlassen. Wahrscheinlich war er jetzt auf dem Weg zu irgendeinem Versteck, von dem aus er seine mörderische Aktion einleiten wollte. Kjaer wartete seine Chance ab. Er wußte, es war die einzige, die er hatte. Flach an der Decke klebend, hielt er aus, bis Fadranses massige Gestalt genau unter ihm war, dann ließ sich Kjaer fallen. Er schlang seinen Körper um den Hals des Zuynamers…
Als Kjaer sich einige Minuten später aus dem Gebäude entfernte, fühlte er sich sehr seltsam. Ein Glücksgefühl durchströmte ihn. Zum ersten Mal hatte er es gewagt, seine Möglichkeiten einzusetzen. Er war nicht so wehrlos, wie er selbst immer geglaubt hatte. Der tote Fadranse auf dem Flur war ein deutlicher Beweis dafür. Ein wenig betroffen war Kjaer nur von einer Tatsache. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er etwas getan, das man mit Abstrichen als gute Tat bezeichnen konnte. Er hatte den Mord an zahllosen Handlangern verhindert, auch an solchen, deren Tod er sich sehnsüchtig gewünscht hatte. Verwirrt mußte Kjaer zu der Einsicht kommen, daß sein Charakter nicht von Grund auf gefühllos und schlecht war, wie er immer geglaubt hatte. Sein Weltbild geriet dadurch erheblich ins Wanken. Vorher aber war noch eines zu tun. Kjaer wollte um jeden Preis das Ende von Sitortode erleben. Er machte sich auf den Weg zum Raumhafen.
10. Das Schiff sah nicht übel aus, eine schlanke, elegante Konstruktion aus schimmerndem Stahl. An der hoch aufragenden Bordwand war der Name des Schiffes zu lesen. GENSTRUKTUR war zwar nicht gerade ein üblicher Name für ein Raumschiff, aber die Forscher von Zuynam dachten offenbar nur in den Kategorien ihrer Arbeit. Es war in unserer unmittelbaren Umgebung ruhig. In der Ferne konnten wir Bolerc sehen, erleuchtet von einigen Großfeuern. Ich konnte nur hoffen, daß Sitortodes biochemische Waffe keine allzugroßen Verwüstungen anrichtete. Auf dem Weg hatten wir einen Vorgeschmack von dem bekommen, was sich in der Stadt abspielte. Fast die ganze Bevölkerung gebärdete sich wie wahnsinnig. Nach einem Anfall von Befehlsverweigerung war Apathie gefolgt, jetzt verfielen die Zuynamer in eine hektische Betriebsamkeit. Was mich besonders erschreckte, war die Reaktion der Handlanger. Sie mußten zu Millionen auf diesem Planeten leben, und selbst die Glücklichen unter ihnen führten ein ausgesprochenes Sklavendasein. Ich konnte hur hoffen, daß sie nicht versuchten, die Gunst dieser Stunden zu nutzen und sich für die Unterdrückung an ihren Herren zu rächen. »Gräßlich«, flüsterte Detomee neben mir. Der Fahrtwind des Gleiters hatte ihr Haar verwirbelt, und in der schwachen Innenbeleuchtung von Sitortodes Gleiter war der greisenhafte Anstrich ihres Gesichts nicht mehr recht zu bemerken. So sah sie recht hübsch aus. Sitortode hielt an. »Ich hoffe, du kommst mit dem Schiff zurecht«, sagte er. Ich nickte. Zwar gab es sehr unterschiedliche Technologien, was Raumschiffsantriebe anging, aber nach meinen Erfahrungen setzte sich in einer Galaxis in der Regel das eine oder andere Modell als Standard durch. Und mit den Standardtypen der Galaxis Alkordoom war ich bereits vertraut gemacht worden. Unwillkürlich blickte ich hinauf zum Sternenhimmel. Irgendwo dort oben war ANIMA, für mich ebenso unerreichbar wie einer der Sterne. Im Augenblick sah ich keine Möglichkeit, etwas für sie zu tun. Noch hatte Sitortode meine Freunde als Geiseln, und nach den Kostproben seines Charakters war das Schlimmste zu befürchten, wenn ich mich nicht Sitortodes Willen beugte. Mit einem Impulsgeber ließ Sitortode die Schleuse auffahren. Ein Transportband schob sich ins Freie. Wir stiegen auf und wurden ins Innere befördert. Ein Antigravlift brachte uns in die Zentrale. »Wo sind meine Handlanger?« fragte ich. »Bevor wir starten, will ich sie sehen.« »Ich bin es, der hier Bedingungen stellt«, antwortete Sitortode, »nicht du. Starte erst.« Ich fügte mich. Noch spielte ich die Rolle so, wie Sitortode es sich vorstellte. Daß ich dank meines Zellaktivators die heimtückische Krankheit nicht zu fürchten brauchte, die Sitortode als Waffe gegen Detomees Haus eingesetzt hatte, brauchte ich ihm nicht auf die Nase zu binden. Sich einstweilen unerschütterlich ruhig zu geben, paßte zu dem Bild, das ich bisher geliefert hatte, aber irgendwann mußte ich wohl oder übel melodramatisch zusammenbrechen und meine Furcht vor dem Flechtmoos äußern. Dann konnte Sitortode getrost glauben, mich in der Hand zu haben. Er würde eine Überraschung erleben. Vorher aber durfte ich nicht kapitulieren. Bei aller Selbstüberschätzung war Sitortode nicht dumm genug, einen vorzeitigen Zusammenbruch zu glauben. Ich nahm auf dem Sitz des Piloten Platz. Ein paar glitzernde Schuppen auf der Polsterung zeigten mir, daß das Schiff früher einmal von einem Reptilienwesen gesteuert worden sein mußte. Die Art und Weise, wie sich Sitortode im Innern bewegte, ließ den Schluß zu, daß er selbst mit der GENSTRUKTUR noch nicht allzu vertraut war. Auch das konnte sich als nützlich erweisen. In diesem lautlosen Duell mußte ich den kleinsten Vorteil nutzen, zumal ich an mehreren Fronten gleichzeitig anzutreten hatte.
Die Aufgabe, die sich mir stellte, war gewaltig. Ich mußte Wasterjajn Kaz und die beiden Kjokerinnen aus Sitortodes Gewalt befreien, danach hatte ich mich um Dhonat und ANIMA zu kümmern. Und erst danach konnte ich weiter dem Auftrag der Kosmokraten folgen und meinen Kampf gegen die Macht der Facetten und des Erleuchteten aufnehmen. Von der Gefahr EVOLO war überhaupt noch nicht die Rede gewesen. Diesen Gegner hatte ich wohl erst noch zu suchen, bevor ich gegen ihn antreten konnte. In dieser Lage blieb mir nur zu hoffen, daß die Kosmokraten mich nicht maßlos überschätzten, wenn sie allen Ernstes glaubten, daß ich all das zu bewältigen imstande war. Zu meinem Ärgernis unterschied sich die GENSTRUKTUR in einigen Punkten von den Typen, die ich kannte. Ich beschloß, das zu meinem Vorteil zu nutzen. Noch war ich sicher, daß sich ANIMA im System aufhielt, und solange wir das Muttergestirn von Zuynam nicht verlassen, hatten, besaß ich noch einige Möglichkeiten, etwas für ANIMA zu unternehmen. Wurde ich hingegen um Lichtjahre von ihr entfernt, wurden die Aussichten zunehmend schlechter. Ich ließ die Maschinen der GENSTRUKTUR anlaufen und machte dabei absichtlich ein paar Fehler. Das Kreischen und Dröhnen aus den Tiefen des Schiffes machte Sitortode sichtlich nervös. Lag es an der Beleuchtung in der Zentrale, oder verfärbte sich Sitortodes Haut ein zweites Mal? Sie schien mir schon wieder jenen grünlichen Schimmer zu haben, den ich zum ersten Mal gesehen hatte, unmittelbar nachdem er sich selbst mit dem Flechtmoos angesteckt hatte. Auf beiden Seiten schien der Einsatz immer größer werden zu wollen. »Wenn du Hilfe brauchst, dann sage es«, bemerkte Sitortode scharf. »Meine Handlanger werden jeden deiner Befehle ausführen.« »Das wird einstweilen nicht nötig sein«, antwortete ich. »Ich werde sie dennoch rufen«, erklärte Sitortode. Während er sich darum kümmerte, nahm Detomee in einem der hintersten Winkel der Zentrale Platz. Sie wirkte gebrochen. Ich ahnte, daß es vor allem die Verhaftung ihres Freundes Olavv war, die sie schockiert hatte. Nun, in dem allgemeinen Durcheinander auf Zuynam sollte es Olavv wohl möglich sein, zu entkommen, und danach würde man auf Zuynam anderes zu tun haben, als sich darum zu kümmern. Ein paar von Sitortodes Handlangern strömten in die Zentrale. Ich sah, wie Detomee aufschrak. »Glyff!« rief sie verwundert. Sitortode lachte hämisch. »Du siehst, ich bin gut informiert«, sagte er boshaft. »Glyff, von dem du geglaubt hast, er sei dir treu ergeben, arbeitet seit einigen Jahren für mich, und er hat mir gerade etwas sehr Schönes berichtet. Wenn diese Panne mit dem Flechtmoos nicht passiert wäre, würde ich mich sofort darum kümmern, so werde ich die Angelegenheit später in Angriff nehmen. Du weißt, wovon ich spreche, nicht wahr? Olavvs Freund, dieser Raumfahrer Hunkle-Bha, hat im Weltraum einen Plasmaklumpen entdeckt und nach Gaukler gebracht. Dort hält er ihn versteckt, eine Riesenmenge hervorragenden Materials.« Sitortode stockte. Alles Training und alle Selbstbeherrschung half nichts. Als Sitortode von dem Plasmaklumpen geredet hatte, war mir ANIMA sofort in den Sinn gekommen, und meine unwillkürlich heftige Reaktion war Sitortode nicht entgangen. Er starrte mich eine Zeitlang intensiv an. Ich spürte, wie Wut und ein Gefühl der Ohnmacht in mir aufstiegen. Nun war auch noch ANIMA in die Fänge dieses gewissenlosen Schurken gelangt. Sitortode leckte sich die Lippen. »Wir reden später darüber«, sagte er mit scheinheiliger Freundlichkeit. »Bringe erst einmal das
Schiff in den Raum.« . Ich hatte keine andere Wahl. Die Maschinen der GENSTRUKTUR nahmen die Arbeit auf und ließen das Schiff in den Himmel steigen. Die Beschleunigungswerte waren nicht schlecht, aber das Schiff wirkte ein bißchen seitenlastig. Ich unterstützte diesen Trend durch behutsame Steuerkommandos, und so schlingerte die GENSTRUKTUR auf einem recht wackligen Kurs hinauf in den Himmel. Sitortode preßte die Lippen aufeinander. Das Schiff so zu steuern, daß es gerade richtig aussah, war eine schwierige Arbeit, zumal mit einer fremden Technik. Kein Wunder, daß mir bald der Schweiß auf der Stirn stand. Sitortode sah es und zog daraus die Schlußfolgerungen, die ich erhoffte. Er traute mir zu, mit der GENSTRUKTUR umzugehen, aber nicht ohne Hilfe. Nach kurzer Zeit erreichten wir den freien Raum, und ich ließ die GENSTRUKTUR mit höchsten Beschleunigungswerten durch das System rasen. »Jetzt brauche ich die Koordinaten von Tauwerk«, erklärte ich. Sitortode hielt sie bereit. Zu meinem Erstaunen war Tauwerk, dieser geheimnisvolle Planet, gar nicht einmal weit von Zuynam entfernt. Nur knapp viereinhalb Lichtjahre trennten die beiden Welten voneinander. Und bei dieser Gelegenheit bekam ich auch heraus, wo der geheimnisvolle Adlerhorst lag, mitten im Sektor Janzonborr, 5977 Lichtjahre von Zuynam entfernt. Mein fotografisches Gedächtnis speicherte die Daten. »Jetzt wollen wir miteinander reden«, schlug Sitortode vor. Er setzte sich bequem hin, seine Haltung hatte etwas Herausforderndes. »Du kennst diesen Plasmaklumpen«, begann Sitortode. »Ich vermute, daß du ihn sogar sehr gut kennst. Damit du siehst, daß wir miteinander arbeiten können, mache ich dir einen Vorschlag. Du kannst ablehnen, wenn du willst.« Sitortode grinste. Ich war sicher, daß er sein Angebot so formulieren würde, daß ich es nicht ablehnen konnte. Auch im Umgang mit solchen Vorschlägen hatte ich meine Erfahrungen. »Du wirst mir helfen, Tauwerk zu finden und zu Purtupf vorzudringen. Ich mache kein Hehl daraus, ich will mit Purtupf keinen Handel abschließen.« Wieder grinste er. Es bereitete ihm offensichtlich Behagen, uns in seine Pläne einzuweihen, und ich kannte mich mit Gangstermethoden genügend aus, um zu wissen, was das für uns zu bedeuten hatte. Nach einem Erfolg würde Sitortode jeden Mitwisser seiner Pläne ausschalten. »Ich will ihm Tauwerk abnehmen«, erklärte Sitortode. »Wenn er uns kein Plasma mehr liefern will, dann werde ich es eben in Besitz nehmen, danach habe ich genügend Material zum Arbeiten. Auf deinen Plasmaklumpen bin ich dann nicht mehr angewiesen. Ich werde dir sogar dabei helfen, ihn für dich zurückzuerobern.« »Olavv hat den Klumpen bereits von Hunkle-Bha gekauft«, mischte sich Detomee ein. Sitortode grinste nur, er zwinkerte mir zu. Von einem Schurken zum anderen, sollte das Zwinkern wohl ausdrücken. Ich reagierte nicht darauf. »Auch das werden wir erledigen«, versprach Sitortode. Ich kalkulierte durch, wie der Plan in seinem Kopf wohl aussehen mochte. Zunächst wollte er mit Detomees und meiner Hilfe Tauwerk erreichen, Purtupf umbringen und die Macht auf diesem Planeten an sich reißen. Damit hatte er nach den bisherigen Umständen auch ganz Zuynam in der Hand. Danach würde ich ihm höchstwahrscheinlich dabei helfen dürfen, den Raumfahrer HunkleBha und Olavv auszuschalten und Sitortode in den Besitz von ANIMA zu bringen. War das erst gelungen, war ich an der Reihe zu sterben. Dieser Sitortode war ein Halunke durch und durch, ich mußte in jedem Augenblick auf der Hut sein vor ihm. Ich tat, als müßte ich darüber nachdenken. Bis zu diesem Augenblick hatte ich mich geheimnisvoll
gegeben, aber nicht verbrecherisch. Ich durfte nicht zu rasch auf Sitortodes Pläne eingehen, wenn ich ihn nicht mißtrauisch stimmen wolle. »Hört sich nicht schlecht an«, murmelte ich. Ich leckte mir scheinbar nervös die Lippen. »Wie sieht es aus mit…« Ich stockte. Sitortode begriff sofort, worauf ich anspielte. »Mit Purtupfs Plasma kein Problem«, verkündete er großsprecherisch. »Ein Tag höchstens, dann habe ich genug von dem Gegenmittel.« »Das wird auch nötig sein«, bemerkte ich. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Sitortodes Haut hatte sich an einigen Stellen verfärbt. Dunkelgrüne Flecken waren auf seinem Gesicht erschienen. Sitortode stutzte, dann stand er auf und ging zum nächstbesten Gegenstand hinüber, in dem er sich spiegeln konnte. Ich sah, daß er blaß wurde. »Laß mich darüber nachdenken«, bat ich. Ich drehte mich mitsamt dem Pilotensitz herum, so daß Sitortode mein Gesicht nicht sehen konnte. Es war eine schwierige Aufgabe, aber grundsätzlich zu lösen. Man hätte das Verfahren als autosuggestive Psychosomatik bezeichnen können. Von jeher hatten es Hypnotiseure verstanden, auch auf die Körper ihrer Klienten einzuwirken. Ein völlig harmloses Pflaster auf die Haut geklebt, dazu die Suggestion, es handele sich um ein Senfpflaster, und nach kurzer Zeit zeigte sich die Haut an der betreffenden Stelle gerötet. War der Hypnotiseur wirklich gut, konnte er auf diese Weise Verbrennungen bis zur Entwicklung regelrechter Brandblasen hervorrufen. Auf die gleiche Art und Weise mußte es möglich sein, daß ich mir ein paar hübsche rote Flecken auf den Körper zauberte, die Sitortode davon überzeugen sollten, daß ich tatsächlich von dem Flechtmoos befallen war. Ich war gespannt, ob der Zellaktivator dieses Psychospielchen mitmachen würde. Es gehörte sehr viel Geduld und Konzentrationsvermögen dazu. Ich brauche von außen sichtbare, überprüfbare körperliche Reaktionen. Der alte Pennälertrick, sich selbst Magenschmerzen vor Prüfungen zu verschaffen, reichte dafür nicht aus. Es gelang. Nach fünf Minuten zeigten sich die ersten zarten Rötungen. In den nächsten Tagen würde es mir sicher gelingen, diese Verfärbungen auszubreiten. »Ich nehme an«, sagte ich und drehte mich um. Sitortode machte ein zufriedenes Gesicht. Er sah mich an, und an dem boshaften Lächeln, das für einen kurzen Augenblick über sein Gesicht flog, erkannte ich, daß er die Flecken gesehen und sich seinen Reim darauf gemacht hatte. »Als Verbündete sollten wir Vertrauen zueinander haben«, fuhr ich fort. »Meine Handlanger haben mir bei der Steuerung meines Schiffes geholfen. Es wäre nützlich, sie auch jetzt einzusetzen.« »Hmm«, machte Sitortode zögernd. Der Vorschlag gefiel ihm nicht. »Ich kann es auch allein schaffen«, beteuerte ich. Ohne Schwierigkeiten gelang es mir, meine Stimme vibrieren zu lassen. »Aber es wird dann langsamer gehen, du verstehst?« Sitortode grinste verächtlich. Er glaubte mich durchschaut zu haben. Endlich war er hinter meine Maske gestiegen. Ein großer Sprüchemacher, aber in wirklicher Not genauso feige und verzagt wie andere, aber immer noch bemüht, die Maske des Unerschütterlichen aufrechtzuerhalten. Es war das Spiel, das er selbst in einer solchen Lage gespielt hätte. Um es zu durchschauen, hätte es einer Portion an Selbstkritik bedurft, deren ich Sitortode nicht für fähig hielt. »Einverstanden«, sagte er. »Ich lasse sie frei, sie können dir helfen. Aber glaube nicht, daß du mich hereinlegen kannst. Ich bin auf der Hut.« Er verschwand aus der Zentrale. Detomee kam zu mir geeilt.
»Trau ihm nicht«, beschwor sie mich mit leiser Stimme. »Er will dich betrügen, er will Olavv hintergehen. Und den Plasmaklumpen will er für sich selbst haben.« Ich nickte. Die Blicke, die Sitortode während unserer Unterhaltung ab und zu in Detomees Richtung geworfen hatte, hatten mir gezeigt, daß er noch mehr haben wollte. Er wollte Detomee für sich, weniger aus Gründen der Zuneigung als vielmehr aus Rachsucht. Er vertrug keine Niederlagen, Sitortode war gerissen und wendig, dazu skrupellos. Ich ahnte, daß ich alles würde aufbieten müssen, um diesen Gegner zu bezwingen. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, daß dies noch die geringste Aufgabe der nächsten Tage werden würde. Noch ahnte ich nicht, was es mit dem »Ring der Hölle« auf sich hatte. ENDE
Der Arkonide segelte sozusagen unter falscher Flagge, als er die Welt der Bio-Brüter betrat. Nun muß er in der gleichen Art und Weise weitermachen, als er gezwungenermaßen den Planeten Tauwerk anfliegt, der von Purtupf beherrscht wird. Was anschließend geschieht, das interessiert die stählerne Horde… DIE STÄHLERNE HORDE – so lautet auch der Titel des nächsten Atlan-Bandes, der ebenfalls von Peter Terrid geschrieben wurde.