Terra Astra 611
Der Zeit-Zirkel von Peter Terrid
Die Hauptpersonen des Romans: Charriba, Maipo, Shandrak, Tovar Bista...
60 downloads
612 Views
292KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Terra Astra 611
Der Zeit-Zirkel von Peter Terrid
Die Hauptpersonen des Romans: Charriba, Maipo, Shandrak, Tovar Bistarc und D. C. Washington - Vier Mitglieder der Time-
Squad und ihre Chefin in tödlicher Gefahr.
Jashemyn - Ein Spezialist für Götterdiebstahl.
Badhur-Ein Mädchenräuber.
Jungar vbi Khassan - Ein grausamer Herrscher.
Merodar, Utteppin, Iddan und Ongra -Vier vom Weißen Symposium.
1. „Sie bleiben uns auf den Fersen“, stieß Imhotep grimmig hervor. Auf den Schirmen der Energietaster zeigte sich der Pulk der Verfolger deutlich ab. Es waren mehr als zwei Dutzend, und die glyssaanischen Raumschiffe trugen schwere Energiegeschütze. Die Jacht, die Imhotep gekauft hatte, war nahezu unbewaffnet. Ganze vierundzwanzig Stunden hatten die Obrigkeiten auf Glyssaan uns gelassen; waren wir nach Ablauf dieser Frist nicht von glyssaanischem Gebiet verschwunden, ging es uns an den Kragen - und es gab etliche hohe Militärs in glyssaanischen Diensten, die förmlich danach lechzten, uns die Köpfe vor die Füße zu legen. Zwanzig von diesen kostbaren Stunden hatte Imhotep gebraucht, um gegen den hartnäckigen Widerstand der Bürokratie sein Vermögen wenigstens zum Teil wieder flüssigzumachen. Eine weitere Stunde war drauf gegangen für den Ankauf eines Raumschiffes, eine halbe Stunde hatten wir gebraucht, um an Bord gehen und starten zu können. Und jetzt jagte uns die Meute quer durch den Kosmos. Die Frist war abgelaufen. Das Schiff, das Imhotep um einen Wahnsinnspreis gekauft hatte, besaß nur den einen Vorzug, schnell zu sein; geräumig war es nicht. Wir paßten gerade noch einigermaßen bequem hinein. Der abgefeimte Händler, mit dem Imhotep gefeilscht hatte, hatte natürlich von unserer Notlage gewußt und diesen Umstand weidlich ausgenutzt. Von Imhoteps liquiden Finanzmitteln war dann nur noch genug übriggeblieben, um die nötigsten Vorräte einkaufen zu können. „Wir brauchen uns nicht vor ihnen zu fürchten“, sagte Demeter. Sie saß auf dem Platz neben Imhotep. „Sie wollen schließlich nicht nur uns, sondern auch den Rest der Time-Squad einfangen.“ „Glaubst du wirklich, daß sie annehmen, wir würden auf geradem Kurs nach Shyftan fliegen?“ fragte ich. „Früher oder später wird uns nichts anderes übrigbleiben“, antwortete Demeter. „Es sei denn,
es gelingt uns, sie abzuhängen.“ Sie sah Imhotep herausfordernd an. Der grinste breit. „Sie haben längst bemerkt, daß dieser Kurs nicht aus dem Imperium heraus, sondern immer tiefer hineinführt, nicht wahr, Chefin?“ Demeter nickte. „Ich kenne da einen Schleichweg“, erklärte Imhotep zufrieden. „Und wenn wir die Meute losgeworden sind, können wir ungestört nach Shyftan fliegen.“ „Und was ist das für ein Schleichweg?“ fragte ich neugierig. Das Wort allein erschien mir absurd im freien Raum, selbst hier, wo die Sterne weitaus dichter beieinander standen als in dem Spiralarm, in dem unsere heimatliche Sonne angesiedelt war. Die Triebwerke unseres Schiffes schafften es gerade, den Vorsprung zu halten, den man uns zähneknirschend hatte zubilligen müssen. Allerdings mußten wir unsere Anlagen bis zur Grenze belasten, während die Verfolger ihre Maschinen schonen konnten. Imhotep sah auf die Uhr. „In drei Stunden erreichen wir einen Nebel“, erklärte er uns. „Der glyssaanische Name dafür ist Zunamay, was soviel bedeutet wie Höllenschlund. Er gilt als völlig unpassierbar.“ „Aber er ist es nicht“, vermutete ich. „Nicht, wenn man den Schleichweg kennt“, antwortete Imhotep selbstsicher. „Ich habe ihn selbst vor langen Jahren erkundet. Erst mit robotgesteuerten Sonden, dann mit kleinen Schiffen, die neben den Robots auch Tiere. an Bord hatten.“ „Auf diese Idee könnten andere auch gekommen sein“, gab ich zu bedenken. „Natürlich hat die Flotte auch versucht, den Nebel zu erkunden“, antwortete Imhotep. „Ebenfalls mit Robotsonden. Danach haben sie aber vollbemannte Schiffe losgeschickt und drei davon verloren. Danach hatte der Befehlshaber nur zwei Möglichkeiten - entweder den Nebel für unpassierbar zu erklären oder einzugestehen, daß er leichtfertig drei Besatzungen verloren hatte. Und natürlich hat die Eitelkeit über die Ehrlichkeit gesiegt - das Experiment ist nie wiederholt worden.“ „Und deine Versuche?“ „Es gibt eine ganze Reihe von Wegen durch den Nebel, die technisch passierbar sind, aber nur zwei, die von Tieren und Menschen überstanden werden können - einen dieser Wege werden wir nehmen.“ „Wenn man uns läßt“, murmelte ich; Demeter schüttelte leicht den Kopf. Ihr gefiel meine ständige Schwarzseherei nicht besonders, mir auch nicht, aber ich konnte nichts daran ändern. Hätte ich mich nicht in Demeter verliebt, hätte ich längst den Dienst bei der Time-Squad quittiert gehabt. Allerdings hätte ich mich unter diesen Umständen jetzt mit den Nokthern herumraufen dürfen, die die Erde überfallen hatten und die Menschen in einen erbarmungslosen Verschleißkrieg verwickelten. Dann lieber mit Demeter von einer Gefahr zur anderen. Die nächsten zwei Stunden verliefen ereignislos. Sonnen strichen an uns vorbei wie ein Mückenschwarm, und unsere Jäger klebten uns an den Fersen. Es war ungemütlich, auf den Schirm zu blicken, auf dem die Echos ihrer Schiffe blinkten. Einzig Demeter zeigte sich von dem Anblick völlig unbeeindruckt. Dann kam langsam der Nebel in Sicht, von dem Imhotep gesprochen hatte, und von Minute zu Minute wurde deutlicher, daß dieses kosmische Gebilde seinen Namen zu Recht trug. In normaloptischer Darstellung sah er ziemlich harmlos aus - ein rotweiß leuchtendes Nebelgebilde, das friedlich und harmlos im All stand und sich nicht rührte. Die Energieortung lieferte uns ganz andere Ansichten - danach war dieser Sektor ein einziges energetisches Chaos, ein fünfdimensionaler Orkan, in dem alles wild durcheinanderwogte. Ab und zu maßen wir Entladungen an, die ein Sonnensystem hätten vernichten können. Und dahinein wollte uns Imhotep manövrieren - bei dem bloßen Gedanken wurden mir die Hände feucht. „Der eigentliche Nebel ist knapp sieben Lichtjahre groß“, klärte uns Imhotep auf. „Aber die
Zone der Störungen und Turbulenzen ist fast zehnmal so groß. Ihr werdet es bald merken.“
„Ich kann es kaum erwarten“, murmelte ich. Demeter gab mir mit einem Blick zu verstehen,
daß sie meine Sprüche nicht sehr schätzte.
Imhotep behielt natürlich recht.Über die Schirme der Energieortung flirrten die ersten
Schleier, die Echos der Verfolgerschiffe wurden undeutlich, einige verschwanden sogar für
kurze Zeit von den Schirmen.
„Für sie sind wir jetzt schon nicht mehr anmeßbar“, behauptete Imhotep. „Sie werden jetzt
ihre Maschinen auf Vollast bringen und uns nachsetzen. Wenn sie dichter heran sind,
bekommen sie uns wieder zu fassen. Außerdem müssen wir jetzt unsere Geschwindigkeit
erheblich drosseln.“
Das war auch bitter nötig.
Unsere Jacht schlängelte sich durch ein Chaos entfesselter Hyperenergien. Unwillkürlich
formte sich in meinem Geist das Bild eines Einbaums, der versucht, ein sturmumtostes Riff zu
durchqueren - eine Vorstellung, die mir sofort auf den Magen schlug.
„Ich schlage vor, daß jeder sich einen festen Halt sucht. Es könnte ungemütlich werden.“
Wenn ein Mann von Imhoteps Nervenstärke so etwas sagte, war es ratsam, sich an einem
stabilen Gegenstand festzuschmieden. Noch bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte,
traf die Jacht ein erster Stoß. Die Andruckneutralisatoren konnten den Ruck nicht ganz
abfangen, außerdem hatte ich den Fehler gemacht, sehr intensiv auf den Bildschirm zu starren
- und jetzt hatte ich ungeachtet der künstlichen Schwerkraft das Gefühl, kopfunter zu hängen. Ich krallte mich am erstbesten Griff fest. Für die Bordschwerkraft war es völlig gleichgültig, wie wir flogen, aber das Tanzen der Sterne auf dem Panoramaschirm ließ mich nicht los. Die Sterne wirbelten durcheinander, und Immer wieder jagten grelle Entladungen über den Bildschirm. Ich schielte hinüber zu unseren Verfolgern. Sie waren wie durch Nebelschleier zu erkennen. Es war eine Verfolgungsjagd, bei der man die Nebelscheinwerfer ab und zu durch den Dunst blitzen sieht und daher noch weiß, daß man gejagt wird. Die Messung ergab, daß sie ihre Geschwindigkeit ebenfalls gedrosselt hatten - allerdings waren sie uns jetzt dichter auf den Fersen als je zuvor. Als ich zur Seite blickte, sah ich Joshua Slocum, der das Auf und Ab der Sterne zu genießen schien; wahrscheinlich schwelgte er in Seefahrererinnerungen. „Keine Panik!“ rief Imhotep. „Das gehört dazu.“ Erst beim zweiten Hinsehen erkannte ich, was er meinte. Ein gelbliches Gas schien aus den Wänden zu quellen und wallte durch die Zentrale der Jacht. Ein paar meiner Freunde stöhnten unwillkürlich auf, und hätte ich einen Spiegel vor der Nase gehabt, hätte ich wahrscheinlich ein Gesicht mit ähnlicher Farbe gesehen. Aus den Lautsprechern erklang das Orgeln des Energiesturms, ein dumpfes Brausen und Grollen, ab und zu von feinem Knistern durchsetzt. Die Schwerkraft zuckte im Bruchteil einer Sekunde auf den doppelten Wert hoch, hielt sich dort eine halbe Minute lang und blieb dann für ein paar Sekunden völlig weg. „Verfolger halten Abstand!“ Charriba White Cloud hatte die Meldung abgegeben. Ich sah, daß er das Stirnband gewechselt hatte - es war der Lederstreifen, der Gefahr und Kampf symbolisierte, mit dem er sein blauschwarzes Haar nun bändigte. Inky stieß eine Reihe von Verwünschungen aus, die ich nicht verstand, weil er in der Aufregung in einen Dialekt seiner Heimat verfiel. „Woran sind die Besatzungen der glyssaanischen Forschungsschiffe gestorben?“ fragte ich in das Durcheinander hinein. „Unklar“, antwortete Imhotep vom Pilotensessel aus, ohne den Blick von den Instrumenten zu heben. „Schock oder Wahnsinn, vermutlich.“ „Reizende Auswahl“, murmelte ich so leise, daß Demeter mich nicht verstehen konnte. „Ich weiß nicht, wofür ich mich entscheiden sollte bei diesem Angebot.“
Die gelben Schwaden verschwanden so geheimnisvoll, wie sie gekommen waren. Dafür tanzten jetzt glitzernde Punkte in der Luft herum und versprühten rote Funken. Ich haschte nach einem dieser Punkte und handelte mir dabei eine Frostbeule ein. „Langsam dringen wir in die Gefahrenzone ein!“ rief Imhotep. Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufstellten. Wieder einmal machte mir die Angst zu schaffen, es war zum Verrücktwerden. Ich hätte ein erheblich leichteres Leben haben können, hätte ich nur einmal den Mut aufgebracht, öffentlich zu gestehen, daß ich ein Hasenfuß war. Aber wenn alles ruhig und glatt verlief, traute ich mich nicht, und wenn es heiß herging, hatte ich in aller Regel viel zuviel damit zu tun, mein Fell zu retten, um mich fürchten zu können. Dank meiner Feigheit hatte ich mir so den Ruf eines unerschrockenen, kaltblütigen und besonnenen Kämpen eingehandelt, der ich überhaupt nicht war. Das Schiff bebte und zitterte ununterbrochen. Etwas knirschte bedrohlich und jagte mir eine Gänsehaut über den Leib. Demeter lächelte und zeigte ihre makellosen Zähne, auch Slocum grinste, die Pfeife zwischen die Zähne geklemmt. Aus dem rückwärtigen Teil des Schiffes erklang das Kreischen von Metall. Imhoteps Sitz ruckte hin und her. „Was machen die Verfolger?“ fragte die ruhige Stimme des Glyssaaners. „Bleiben zurück“, antwortete Charriba gelassen; der Indianer schien Glasfaserkabel statt Nerven im Leib zu haben. „Ein Schiff driftet aus dem Kurs, wahrscheinlich beschädigt.“ Ich dachte an die Schiffe, die wir beim Start gesehen hatten und von denen wir wußten, daß sie die Verfolgung aufnehmen würden - zweitausend Meter lange Doppelpyramiden, die nur aus massivem Stahl, mächtigen Maschinen und fürchterlichen Geschützen zu bestehen schienen. Wenn ein solcher Koloß in diesem Wirbel havarierte, was mochte dann aus unserer Nußschale werden? Die künstliche Schwerkraft spielte wieder einmal verrückt und preßte mich auf den Metallboden der Zentrale. Ich lag mit dem Oberschenkel genau auf der Tasche mit dem Schlüsselbund, der sich schmerzhaft in mein Fleisch preßte. Mit beiden Händen versuchte ich, den Kopf zu heben, um auf den Energietasterschirm zu sehen. Die Verfolger waren jetzt gänzlich verschwunden, aber das, was ich statt dessen zu sehen bekam, war nicht minder furchterregend. Daß es in diesem Durcheinander von Energiestrudeln, Blitzen und Entladungen überhaupt ein Durchschlüpfen gab, wollte mir nicht in den Sinn. Dieser Bursche Imhotep steuerte uns geradewegs in den Vorhof der Hölle hinein. In diesem Augenblick schrillte ein Geräusch durch das Schiff, als rücke jemand der Hülle mit einer Kreissäge zu Leibe; das Geräusch ging durch Mark und Bein und wollte kein Ende nehmen. Ich sah, wie Imhotep zusammenzuckte. Jetzt hat es uns erwischt, schoß es mir durch den Kopf. Das kannte der Glyssaaner wohl noch nicht. Eine Sekunde später ging in der Zentrale das Hauptlicht aus, die Notbeleuchtung sprang an und tauchte die Szenerie in ein rötliches Licht, das bestens zu meinen Höllenphantasien paßte. „Hauptenergieversorgung ausgefallen“, meldete Demeter an Imhotep weiter. Der Glyssaaner stieß eine Verwünschung aus. Der Druck der künstlichen Schwerkraft ließ etwas nach. Ein Mann kam in die Zentrale gestürzt, das Gesicht geschwärzt, die Haare verklebt. „Antrieb defekt“, sagte er mit gepreßter Stimme. „Wir können die Maschinen noch zehn Minuten laufen lassen, danach haben wir nur noch Schrott.“ Demeter sah Imhotep an. „Können wir ins Normalkontinuum zurückkehren, wenigstens für die Zeit der Reparatur?“ Imhotep schüttelte den Kopf. Eine Antwort erübrigte sich, denn im gleichen Augenblick fiel
der Hyperantrieb endgültig aus. Vor Imhotep begann ein Feuerwerk von Notsignalen
aufzuleuchten.
Demeter wandte den Kopf.
Auf dem Hauptbildschirm war jetzt nur noch der Nebel zu erkennen, sehr schwach und
verwaschen.
Von außen sahen diese kosmischen Gebilde in der Regel erheblich massiger und kompakter
aus als von innen. Nur ein Teil des Zunamay-Nebels war klar und deutlich zu erkennen, und
das schien mir ausgerechnet der widerwärtigste Teil dieses Gebildes zu sein.
Genau in Flugrichtung lag eine kompakte weißliche Masse. Hätte der Hintergrund blau und
braun geschimmert, hätte man an eine Satellitenaufnahme von einem Tiefdruckwirbel denken
können.
Die normale Beleuchtung flammte wieder auf. Demeter sah den Techniker an.
„Können wir den Antrieb reparieren?“ fragte sie.
Der Mann zuckte mit den Schultern und sah seinerseits Imhotep an. Er war der einzige an
Bord, der mit der glyssaanischen Technik umgehen konnte. Was wir Erdmenschen zuwege
brachten, beschränkte sich aufs Knöpfchendrücken, wir wären nicht einmal in der Lage
gewesen, einen dieser Knöpfe auszutauschen.
„Wenn wir einen Platz fänden, auf dem man landen könnte...“, stieß Imhotep hervor.
Der Platz, auf den unsere Jacht zusteuerte, wirkte aus der Ferne außerordentlich kompakt. Im
Näherkommen erwies er sich als rotierendes Etwas aus kosmischem Staub, das uns
unbarmherzig heranzog.
„Was liegt hinter diesem Ding?“ fragte Demeter und deutete auf das Zentrum des Nebels.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Imhotep. In seiner Stimme schwang Verzweiflung mit,
wahrscheinlich machte er sich Vorwürfe, daß er uns in diese Misere hineingesteuert hatte.
Schließlich war es sein Vorschlag gewesen, diesen Schleichweg zu wählen.
„Nun“, meinte Demeter gedehnt.“ „Ich glaube, bald werden wir es wissen.“
Beim Wiedereintritt in den Normalraum waren wir fast lichtschnell gewesen; die
Fahrtverzögerung durch unsere Normaltriebwerke wurden durch den Sog des Nebels fast zur
Gänze ausgeglichen. Mit hoher Fahrt rasten wir auf den Nebelschlund zu.
Im Näherkommen begann er sich aufzulösen, wehte an uns vorbei und machte einem Anblick
Platz, der uns minutenlang in staunendem Schweigen verharren ließ.
Es gab eine Sonne in diesem Nebel, einen gemütlich gelb leuchtenden Stern, und die
Fernortung zeigte sehr schnell auf, daß er Planeten besaß, von denen einer den richtigen
Abstand vom Zentralgestirn hatte. Demeter deutete auf diesen Planeten, es war der vierte des
Systems.
„Dort werden wir landen!“ bestimmte sie.
* Jashemyn drückte sich tiefer in den Torbogen hinein. Die Geräusche der Wachsoldaten verklirrten im Nachtdunkel. „Oshana sei Dank“, murmelte Jäshemyn und spähte hinauf zum Nachthimmel. Eine Wolke hatte sich vor den gelben Mond gelegt, sonst hätten die Wachen Jashemyn sicher bemerkt. Ebenso sicher hätten sie nachgefragt, was er da unter seiner braunen Kutte verbarg, und hatten sie erst das Götterbild gefunden, war Jashemyns Leben keinen Kupferling mehr wert. „Puh“, stieß Jashemyn hervor. Er kratzte sich am Nacken. Als der Mond wieder auftauchte und sein helles Licht über das nächtliche Gahran goß, betrachtete Jashemyn zum erstenmal seine Beute. Die Statue war aus rotem Holz geschnitzt und zeigte eine nackte Frau, deren Figur für Jashemyns Geschmack zu mager und deren Gesichtsausdruck für sein Empfinden zu lüstern war. Was sich ausgerechnet die Eremiten von Askal davon versprachen, diese Sinnesgöttin in ihre kärgliche Klostereinsamkeit zu entführen,
war Jashemyn unverständlich. Nun, es war seine Sache nicht, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er war Spezialist für Götterdiebstahl, und er wußte, daß er der Beste seines Faches war. Allerdings prahlte er nicht damit. Eitelkeit, das wußte er, hatte schon manchen zu einem ebenso intensiven wie langandauernden Kontakt mit dem Trockenpfahl verholfen, und Jashemyn spürte keinerlei Lust, wie die anderen Narren jämmerlich zu verschmachten, ganz besonders nicht in der Regenzeit, wenn die Prozedur sich noch erheblich in die Länge ziehen konnte. Bis zu seiner Herberge war es nicht weit. Ufan, der einäugige Wirt, erwartete Jashemyn bereits. Er grinste zufrieden. Wer den ungeschlachten Fettwanst sah, der fast so übel roch, wie sein Essen schmeckte, hielt es kaum für möglich, daß er sein linkes Auge verloren hatte, als ihn ein Ehemann mit seiner Frau erwischt und buchstäblich aus dem Fenster geworfen hatte. „Erfolg gehabt?“ fragte Ufan. „Zeig her!“ Jashemyn schlüpfte in die Küche. Das Herdfeuer brannte noch. Anderes Licht gab es nicht. Gewohnheitsmäßig sah Jashemyn sich um. Aus den Tonnen roch es entsetzlich, die Messer waren schartig und stumpf, die kupfernen Geschirre waren seit Äonen nicht mehr gescheuert worden. Jashemyn stellte die Statue auf den großen Tisch, in dessen zerschrammter Platte noch das Hackbeil stak, mit dem Ufan Tiere zu Braten verarbeitete, die es an Zähigkeit und Ungenießbarkeit mit einem Steuereinnehmer des Thalos aufnehmen konnten. Ufan betrachtete die Statue grinsend. „Hilft sie?“ fragte er und deutete auf die Göttin. „Dir nicht mehr“, antwortete Jashemyn. „Hast du einen Kanten Brot für mich?“ „Du kannst haben, was du begehrst“, beeilte sich Ufan zu versichern. Er warf der Göttin einen traurigen Blick zu und kratzte sich das Kinn. „Brot genügt mir“, gab Jashemyn zurück. Ufans Kochkünsten traute er nicht über den Weg, zumal er wußte, daß Ufan sich nicht scheute, seine gräßlichen Speisen mit allerlei Zauberkräutern anzureichern, die seinen nicht minder unappetitlichen Töchtern zu ihren Einkünften verhalfen. Auch der gelbe Wein war entsprechend gepanscht. „Du mußt heute noch weg“, erklärte Ufan und gab das Brot an Jashemyn weiter. „Bei der nächsten Runde werden sie den Diebstahl bemerken, und du weißt, was dann los ist.“ Jashemyn nickte. Er kannte die Spähechsen der Wachen bestens. Etliche Male war er ihren Pranken und Mäulern nur mit Mühe entkommen, und nach einer neuerlichen Hatz über Stock und Stein stand ihm nicht der Sinn. Das Leben eines Götterdiebes war auch ohne solche Einlagen hart genug. Jashemyn deutete mit einer Kopfbewegung auf den Schankraum. „Noch jemand da?“ „Ein Fremder aus Ogagathur“, flüsterte er. „Sieht gefährlich aus. Er trägt zwei Dolche im Gürtel und eine Kanayka an der Hüfte.“ Jashemyn stieß einen leisen Pfiff aus. Eine Kanayka war eine entsetzliche Waffe - wenn man sie zu handhaben wußte. Wer nicht damit umgehen konnte, schlitzte nur sich selbst das Fleisch von den Knochen, bevor es ihm gelang, einen Fremden mit der mannslangen Peitschenschnur zu treffen. Jashemyn musterte Ufans Vorräte. „Du wirst Fleisch brauchen“, stellte er fest. „Mache einen Wagen fertig, lege ein paar Fetzen von dem Zeug in eine Tonne, und verstecke die Göttin darunter. Ich verlasse die Stadt im Morgengrauen.“ „Was hast du vor?“ Jashemyn grinste und zeigte seine spitz zugefeilten Zähne, die ihn sofort als Untertanen des Ghradan von Ghran auswiesen. „Ich werde behaupten, für dich Fleisch zu kaufen“, erklärte er. „Die Wache möchte ich sehen,
die es wagt, in der Tonne herumzuwühlen.“ „Du beleidigst mich“, stieß Ufan hervor. Jashemyn sah ihn aus seinen schmalen Augen an. „Beeile dich“, sagte er ruhig. „Hier ist dein Lohn.“ Er ließ den Goldfuchs über den Tisch klingeln. Ufan schnappte mit einer Beweglichkeit danach, die man ihm bei seiner Fettleibigkeit kaum zugetraut hätte. Mit dem einzigen Zahn, der ihm geblieben war, prüfte er die Münze. „Wo das ist, dürfte noch mehr zu holen sein!“ Jashemyn fuhr herum. Blitzschnell faßte seine Hand an den Gürtel und zog das Schwert aus der lederbeschlagenen Scheide, aber bevor er die Klinge in die Höhe bringen konnte, pfiff das Ende der Kanayka heran und schlang sich um Jashemyns Handgelenk. Die Spitzen, die schärfer waren als manches Barbiermesser, zogen drei feine Linien über den Unterarm. „Keine Aufregung“, sagte der Mann aus Ogagathur ruhig. Er war fast einen Fuß größer als Jashemyn und hatte eine Figur, die einem Arenakämpfer gehören konnte. Breite, muskelbepackte Schultern, schmale bewegliche Hüften, lange Beine, die in weichen Stiefeln steckten. Im rechten Schaft erkannte Jashemyn ein Messer. Der Blick des Fremden fiel auf die Göttin, die unübersehbar auf dem schmierigen Tisch stand und dazu passend lächelte. „Für meinen Geschmack zu mager“, sagte der Fremde. „Ich höre, du willst die Stadt verlassen?“ Behutsam wickelte Jashemyn seine Hand frei. Der Fremde hielt die Kanayka in der Hand, und Jashemyn ahnte, daß er hervorragend damit umgehen konnte. Gegen diese Waffe half ein Schwert nur wenig. „Ich werde“, sagte Jashemyn herausfordernd. Er schlug die Kapuze zurück. In seinem rechten Ohr schimmerte eine der schwarzen Perlen, die es nur an Luranhas Küsten gab; wenn der Fremde herumgekommen war, mußte er wissen, was das Zeichen zu bedeuten hatte. „Ich werde dich begleiten“, sagte der Fremde. „Auch ich habe Ware, die aus der Stadt geschafft werden muß. Zu zweit werden wir den Wachen noch mehr in die Augen springen um so weniger werden sie uns durchwühlen wollen.“ „Was für Ware?“ wollte Jashemyn wissen. Der Fremde grinste. Er hatte die Zähne bemalt, wie es Sitte war bei den Absashiten und anderen Stämmen, die dem Hunaxar huldigten - und Jashemyn erinnerte sich, daß er ein besonders berühmtes Bildnis des Hunaxar vor zwei Umläufen gestohlen hatte. Möglicherweise war ihm der Fremde von Ogagathur hierher gefolgt. „Etwas Ähnliches“, sagte der Fremde und schnippte einen Goldfuchs über den Tisch. „Wenn dir das den Mund nicht stopft, Wirt, weiß ich Besseres.“ Während Ufan zwischen Furcht und Gier schwankte, verließ der große Fremde die Küche. Er kehrte nach kurzer Zeit zurück. Auf den Schultern trug er einen Sack, in dessen Innerem es zappelte. Der Fremde stellte den Sack auf den Boden, löste die Kordel und ließ die Hülle zu Boden gleiten. Das Mädchen hatte eine ähnliche Figur wie die Göttin. Sie war klein, zierlich, aber einigermaßen wohlproportioniert. Das Haar war flachsfarben und reichlich wirr, und die Zähne, zwischen denen das Knebelband steckte, stand wie eine Palisadenwand nach einem Sturmangriff. Gekleidet war das Mädchen nach der Mode der Irthaner. „Nicht, daß du glaubst, ich wollte sie“, sagte der Fremde nach einem abschätzigen Blick auf das Mädchen, das ihn haßerfüllt anstarrte. Jetzt wußte Jashemyn, wen er vor sich hatte. Von Badhur, dem Mädchenräuber, hatte er schon gehört. Der Ghraner lächelte breit. „Einverstanden“, sagte er und grüßte Badhur. Ufan riß die Augen weit auf und wurde wachsgelb, als er den Griff sah, mit dem die beiden sich begrüßten. Offenbar hatte er nicht geahnt, daß beide seiner Gäste zur Zunft der Enthoryden gehörten, über deren Sitten und
Gebräuche viel gemunkelt wurde. Als sicher bekannt galt, daß man einen Enthoryden besser nicht hinterging oder gar verriet - wer das tat, lebte nicht mehr lange, und seine letzten Stunden waren mit Sicherheit nicht kurzweilig zu nennen. „Verschwinde“, sagte Jashemyn. „Mache den Wagen fertig.“ Er überlegte, ob er sich seinen Goldfuchs nicht zurückholen sollte. Ufans Schweigen wäre er nun auch ohne klingende Münze sicher gewesen. Indessen war Filzigkeit nicht Jashemyns Sache. „Wohin willst du das Gör bringen?“ „Zu einem Burschen, der den Körper eines Stieres mit dem Gemüt eines Karnickels verbindet“, sagte Badhur. „Auf der Suche nach diesem Luder habe ich mehr Betten durchwühlt, als ich in meinem ganzen Leben bisher gesehen hatte, aber der Tropf will sie unbedingt wiederhaben. Er wird wissen, was er an ihr findet.“ „Du willst also nach Irthan?“ Badhur nickte. „So bald wie möglich“, antwortete er. „Ich will das Weib loswerden, ihr Geplapper ist schlimmer als Zahnweh.“ „Zusammen mit der da wird sie sich in der Tonne prächtig ausnehmen“, sagte Jashemyn und deutete auf die Göttin der Sinneslust. Die beiden Enthoryden lachten, und das Mädchen blähte die Nüstern. Der Mann, der mit ihr zusammenleben wollte, hatte eine genußvolle Zukunft vor sich. Jashemyn wäre lieber unter die Geißelbrüder gegangen, die sich mit Peitschen von Sünden reinigen wollten - das war sicherlich auf Dauer leichter zu ertragen. „Der Wagen ist bereit“, stieß Ufan hervor, als er in die Küche zurückkehrte. Er schluckte heftig, dann fuhr er in den Beutel an seiner blutbekrusteten Schürze. Er brachte die beiden Goldmünzen zum Vorschein und sah die Enthoryden ratlos an. Jashemyn winkte ab. „Vielleicht brauche ich deine Dienste noch einmal“, sagte er nachlässig. Der Karren stand auf dem Hof, ein zweirädriges Gefährt, plump und wacklig. Der Vauther im Geschirr war eine magere, grünliche Kreatur, die gute Aussichten hatte, in Bälde auf Ufans Küchentisch zu landen. Auf der Ladefläche des Karrens stand die Tonne. Badhur packte sein Opfer, verschnürte es wieder in dem Sack, nachdem Jashemyn seine Beute hineingeworfen hatte, dann wurde die Frau in die Tonne gestopft. Ufan übernahm eilfertig die Arbeit, eine Lage seines besten Bratens darüberzuschichten. Ein paar Häuser weiter wurde wenig später mit wüsten Flüchen ein Fenster geschlossen; offenbar war das Aroma von Ufans Kost hinübergeweht. „Du weißt...“, sagte Jashemyn freundlich und lächelte Ufan an, auf dessen Stirn dicke Perlen standen. Die leise Drohung wirkte, Ufan wurde aschgrau im Gesicht und hastete in die Küche zurück. Die beiden Männer machten sich auf den Weg zum Stadttor. Lahran schickte gerade die ersten Strahlen über die schädelgekrönten Zinnen der Stadtmauer, als die beiden das Tor erreichten. Ein Haüptmann der Wache stapfte aus dem Schildhaus, als er das Quietschen und Stoßen des Karrens hörte. „Wo wollt ihr hin?“ fragte er wichtigtuerisch und strich sich über den Bart. „Auf die Ebene, Fleisch besorgen“, antwortete Jashemyn. „Für Ufan.“ Der Hauptmann verzog angewidert das Gesicht. „Und was ist in der Tonne?“ wollte er wissen. Badhur öffnete den Deckel. „Sollen wir das in der Stadt lassen?“ „Öffnet das Tor“, rief der Hauptmann, als ihm der Geruch entgegenschlug. „Und ihr beide seht zu, daß ihr euch schnell entfernt.“ Er prüfte den Wind, er wehte in die Ebene hinaus, dann winkte er den beiden zu. Die Posten hielten sich die Nasen zu, als Jashemyn und Badhur die Stadt verließen. Polternd und rasselnd senkte sich hinter ihnen das metallene Gitter. „Schnell außer Sichtweite“, schlug Jashemyn vor. „Ich möchte das Zeug loswerden.“ „Wir sollten es noch ein Stück Weges mitnehmen“, meinte Badhur lachend. „Dann sind wir sowohl vor Raubtieren als auch vor Straßenräubern sicher.“
Nach drei Stunden Weges, als die Stadt kaum mehr zu erkennen war, erreichten sie einen klarsprudelnden Bach. Das Fleisch aus der Tonne verschwand im Wasser, und Badhur nutzte die Gelegenheit, seine Beute abzuspülen. „Niederträchtiger Schurke, elender Halunke!“ keifte das Mädchen los, als Badhur ihr den Knebel abnahm. Jashemyn stellte dank der völlig durchnäßten Kleidung fest, daß die Kleine eine bessere Figur hatte, als er angenommen hatte, aber das flinke Mundwerk reichte aus, ihm jeden denkbaren Appetit zu nehmen. Badhur hörte sich die Tiraden kurze Zeit an, dann packte er das Weib am Genick und tauchte es noch einmal ins kalte Wasser. Die Behandlung half. Nur einmal brachte sie die Zähne noch auseinander. „Mein Vater wird euch speeren lassen“, zischte sie, als Jashemyn sie wieder in die sorgfältig gereinigte Tonne beförderte. Jashemyn zögerte einen Herzschlag lang, dann zog er sie wieder hervor. Er strich ihr das Haar hinter dem Ohr weg. Auf der weißen Haut hinter dem Ohr war deutlich eine blaue Zeichnung zu sehen - ein Greif, der die Schwingen ausgebreitet hatte. Wortlos ließ Jashemyn das Mädchen in der Tonne verschwinden. „Du weißt, wen du eingefangen hast?“ fragte er Stunden später seinen Begleiter. „Einen Bettenfloh“, sagte Badhur knapp. „Hast du dir ihre Ohren angesehen?“ Badhur schüttelte den Kopf. „Sie trägt das Mal der Bäshterreffs“, sagte Jashemyn gelassen. „Wenn ihr Vater Mitglied des Clans ist, hast du dir Ärger eingehandelt, mehr als du verkraften kannst.“ Badhur ließ den Vauther anhalten und überprüfte das Mädchen, das nun triumphierend grinste. Badhur stopfte sie trotzdem in die Tonne zurück. „Du hast recht“, sagte er dann. „Sie gehört zum Clan. Und ich bin sicher, daß ihr Vater das Heil seiner Seele verpfändet hat, um ihr Verschwinden zu rächen.“ Jashemyn nickte. Sämtliche Angehörige des Clans, Männer wie Weiber, standen in dem Ruf, in Ehrensachen unerbittlich zu sein. Der Hausaltar des Clans war aus den Gebeinen Erschlagener geschnitzt, und er war sehr prunkvoll und groß. „Und wer ist der Bursche, der dich bezahlt hat?“ wollte Jashemyn wissen. „Ein ungeschlachter Tölpel, groß, stark und von einer Gutmütigkeit, daß einem die Tränen ankommen“, knirschte Badhur. „Ich bin auf seine treuherzige Verliebtheit hereingefallen. Wie konnte ich auch annehmen, daß er es wagen würde, die Augen zu einer Clanfrau zu erheben, selbst wenn sie von dieser Art ist.“ „Das macht mindestens... laß mich zählen: du, ich, weil ich dir geholfen habe, der verliebte Tölpel und vermutlich auch Ufan - mindestens vier Tote.“ Badhur stieß eine Verwünschung aus. Jashemyn begriff die Klemme, in der Badhur steckte. Der Mann aus Ogagathur war Mädchenräuber, kein Mörder. Es war ausgeschlossen für ihn, eine Beute einfach verschwinden zu lassen. Für Jashemyn galt das gleiche - der Ehrenkodex der Enthoryden ließ es nicht zu, daß er die Regeln seines Gewerbes durchbrach, es sei denn in offenem Kampf. „Wie heißt die Frau?“ „Thegeda“, antwortete Badhur ahnungslos. Jashemyn schlug die Hände vor das Gesicht. „Heiliges Mondlicht“, stöhnte er auf. „Du alberner Narr - es ist die einzige Tochter von Scalargo, dem Oberhaupt des Clans. Wenn sie wirklich will, daß wir gespeert werden, können wir von Glück sagen.“ Unwillkürlich wandte Badhur den Kopf, als halte er nach den ersten Reitern des Clans Ausschau. Aber wahrscheinlich würden sie von vorn kommen, aus dem Gebirge - und genau dahin waren die beiden Enthoryden mit ihrem Karren unterwegs. „Kennst du dich mit Magie aus?“ fragte Badhur. Jashemyn spitzte die Ohren. Diese Frage lief auf eine Frage nach Hilfe hinaus - nach den Regeln der Zunft hatte Jashemyn Anspruch darauf, daß Badhur ihm einen
Umlauf dienstbar war in jeder Sache, wenn es um Hilfe aus Todesnot ging.
„Einigermaßen“, antwortete er zögernd.
„Kennst du einen Magier, der uns helfen könnte?“
„Uns?“
Badhur grinste.
„Versuche nicht, mich hereinzulegen“, sagte er freundlich. „Ich kenne die Regeln. Denke
daran, dein Kopf sitzt jetzt ebenso locker wie meiner.“
Jashemyn bedachte die Lage. Er kannte ein paar gute Zauberer, die wirklich etwas von der
Sache verstanden. Aber die wollten bezahlt sein - und zwar nach ihren eigenen Vorstellungen.
„Man müßte die Lüsternheit dieses Weibes auf die Statue der Göttin übertragen können“,
murmelte Badhur. „Dann wäre das Lämmchen sanft und freundlich, und wir hätten bessere
Aussichten.“
„Ich vielleicht, du nicht“, antwortete Jashemyn. „Du weißt, daß es selbst in diesem Fall für
dich nur eine Rettung gibt - du mußt sie zum Weib nehmen, wenn sie nicht schon vermählt
ist.“
Badhur rollte mit den Augen. Wieder ließ er den Vauther anhalten und hob den Deckel von
der Tonne.
„Bist du Thegeda?“ fragte er hinunter.
„Hast du es endlich begriffen, du Einfaltspinsel? Ich schwöre dir, daß ich dafür sorgen werde,
daß man dir...“
Badhur langte kurz in die Tonne, danach wurde es ruhig.
„Hast du einen Mann?“ fragte er dann knapp.
Die Antwort kam leise, und Jashemyn konnte sehen, daß Badhur erschrak. Der Mann aus
Ogagathur schloß die Tonne wieder und kehrte an die Spitze des Karrens zurück. , „Sie ist
unvermählt“, sagte er gefaßt.
„Dann hast du zwei Möglichkeiten, wenn du sie zum Weib nimmst“, erklärte Jashemyn
grinsend. „Entweder lassen wir sie, wie sie ist...“
„Was mir den Ruf des größten Hahnreis weit und breit eintragen wird, wenn ich sie nicht nach
der Zeremonie erwürge...“ ‘
„... oder wir suchen uns einen Zauberer, der ihre Sinnenlust auf die Göttin überträgt.“
„Ganz und gar?“
„Ganz und gar nicht.“
Badhur stieß einen Seufzer aus, während sich Jashemyn vorzustellen versuchte, was die
Statue der Göttin nach dieser Übertragung unter den Eremiten von Askal anrichten würde.
„Komm“, sagte Badhur. „Ich habe einen Entschluß gefaßt.“
„Welchen?“
Badhur sah ihn an.
„Lassen wir uns speeren“, sagte er.
3. Der Wind pfiff durch das Tal und ließ die Baumwipfel schwanken. Es war entsetzlich kalt, und auch das Feuer, das Jashemyn entfacht hatte, half gegen die schneidende Kälte wenig. Während die eine Seite des Körpers anfing zu schmoren, erstarrte die andere dafür zu Eis. Über dem Gebirge standen die drei Monde. Sie sahen unheilverkündend aus. Jashemyn wußte, daß es nicht mehr lange dauern konnte, bis die Vereinigung der Mondgötter eintrat ein Tag, von dem gesagt wurde, daß er Unheil und Verderben über alle Völker Taccanthas bringen würde. Jashemyn, der gegen mehr Götter, Götzen und Dämonen gefrevelt hatte als je einer vor ihm, fühlte leises Unbehagen, wenn er an diesen Tag dachte.
„Ich will etwas zu essen haben!“ ließ sich Thegeda vernehmen. „Ich habe Hunger!“
Der Blick, mit dem sie Jashemyn bedachte, war zweifelsfrei hungrig und verriet Gier auf
Fleisch, aber Jashemyn dachte nicht daran, auf das Angebot einzugehen.
„Wir haben nichts“, sagte er. Ein paar Schritte entfernt lag Badhur, eingehüllt in eine Decke
und schlief. Er bewegte sich im Schlaf, ächzte und stöhnte - wahrscheinlich träumte er von
seiner Vermählung mit Thegeda. Dem Speertod hätte er sicherlich gefaßter
entgegengeschlummert.
„Du gefällst mir“, erklärte Thegeda unmißverständlich. „Und es ist kalt.“ „Es wird dich
abkühlen“, gab Jashemyn ungerührt zurück. Der Vauther schnaubte leise.
Wieder sah Jashemyn hinauf zum Himmel, der wie immer in sanftem Weiß strahlte. Eine
leuchtende Spur zog sich über dieses Weiß. Jashemyn dachte an eine Sternschnuppe, aber
dafür war die Bewegung zu langsam. Der Strich, den die angebliche Sternschnuppe über den
Nachthimmel zog, wurde länger und länger, an der Spitze war ein kleines Feuer zu sehen.
Feuer am Himmel? Jashemyn stand auf und stieß Badhur mit dem Fuß an.
„Nein!“ schrie Badhur auf. „Das nicht! Erbarmen!“
„Komm zu dir, du brauchst sie nicht zu nehmen“, sagte Jashemyn ärgerlich. Badhur zwinkerte
schlaftrunken. Jashemyn kniete neben ihm und deutete auf die Spur.
„Hast du eine Ahnung, was das sein kann?“
„Bei Xaron!“ flüsterte Badhur und griff gewohnheitsmäßig zur Waffe.
Der gleißende Faden wurde heller und heller, das Feuer an seiner Spitze mit jedem
Herzschlag deutlicher.
„Was immer es ist“, knurrte Jashemyn. „Es sieht aus, als wollte es uns auf den Kopf fallen.“
„Helft mir!“ kreischte Thegeda los. „Es wird mich verschlingen.“
Die beiden Männer warfen sich einen einmütigen Blick zu. Wenn Feuer vom Himmel das
kleine Luder verzehrte, waren die beiden außer Gefahr.
„Los, wir haben nicht viel Zeit“, stieß Jashemyn hervor. „Was immer es sein mag, wir sollten
es uns ansehen.“
Die beiden überließen Thegeda sich selbst; wenn sie nicht erfrieren wollte, blieb ihr nichts
anderes übrig, als sich um das Feuer zu kümmern. Sie tat es mürrisch.
Aufmerksam verfolgten die beiden Männer die Bewegung des Feuerscheins am Himmel. Das
Licht senkte sich langsam herab, und es schien in der Nähe der Feuerstelle den Boden
berühren zu wollen.
„Beim Barte Anadas!“ stieß Jashemyn hervor. „Kannst du das hören?“
Badhur nickte. Es klang wie das Fauchen einer wutentbrannten Drachenherde, nur sehr viel
lauter. Jashemyn sah, daß Badhur ein wenig bleich geworden war - es konnte aber auch am
Mondlicht liegen. Die beiden Männer nahmen die Schwerter zur Hand.
Dann verschwand der Feuerball, und wenig später wurde es auch still Im Gebirge. Das Tosen
und Grollen verstummte.
„Es hat sich hingesetzt“, murmelte Badhur. „Wenn wir schnell genug sind, können wir es
erwischen, bevor es seine Schwingen noch einmal ausbreiten kann.“
„Du denkst an den Lavavogel?“ fragte Jashemyn betroffen. „Ernsthaft?“
„Kennst du sonst noch ein Lebewesen, das in der Nacht solche Helligkeit verbreiten könnte?“
fragte Badhur zurück.
Jashemyn hatte keinerlei Lust, sich mit einem Lavavogel anzulegen. Diese Biester hausten in
der Nähe von Vulkanen, und wenn sie längere Zeit an einem Ort gesessen hatten, war unter
ihnen das Gestein blasig geschmolzen, daher der Name.
Fangen konnte man dieses Tier nicht, es hätte jede Bronze geschmolzen und jeden Strick
während eines Lidschlags verkohlt. Wenn Lavavögel allerdings starben, verwandelten sich
ihre Leiber in funkelnde Kristalle, denen wundersame Wirkung auf altersschwache Männer
nachgesagt wurde. Wer einen toten Lavavogel fand, hatte für die nächsten Umläufe
ausgesorgt - wenn ihm die Beute nicht von einem Dieb gemaust wurde.
Aber dieser Lavavogel schien noch zu leben, und ihn zu reizen, erschien Jashemyn nicht
ratsam. Dennoch folgte er Badhur klopfenden Herzens.
„Er steht in voller Glut“, flüsterte Badhur. „Sieh nur!“
Jenseits der Felsen war heller Schein zu erkennen. Das konnte kein Mondlicht se. in, die
Schatten hätten dann anders laufen müssen. Jashemyn schluckte.
„Sehen wir nach“, schlug er vor.
Sie krochen langsam weiter und schoben die Köpfe vor.
„Bei Ghaxas scharzem Barte“, entfuhr es Jashemyn. Badhur war starr vor Staunen. Mit weit
geöffneten Augen starrten die beiden Enthoryden in das Tal hinab.
Irgendein Verrückter hatte sich dort unten ein Haus gebaut, aus Teilen von Rüstungen
zusammengebastelt. Jedenfalls sah das Haus ziemlich seltsam aus und bestand außen aus
Metall. Magisches Leuchten umgab dieses Haus, außerdem war der Boden in seiner Nähe
pechschwarz verbrannt.
Aber das war es nicht, was Badhur die Augen aus dem Kopf quellen ließ.
„Was für ein Weib!“ entfuhr es ihm.
Ein Haufen Leute stand in der Nähe des Hauses, die meisten recht wunderlich angezogen, und
Jashemyn fragte sich, aus welcher Himmelsgegend dieses Volk wohl kommen mochte. Kein
Wunder, daß sie sich in diesem Tal angesiedelt hatten.
Zwei der Leute hatten sich von den anderen entfernt, ein Mann und eine Frau.
Während Badhur, wie sein entrückter Blick verriet, nur Augen für die Frau hatte, musterte
Jashemyn gewohnheitsmäßig den Mann. Eines Tages konnte er zum Feind werden, und dann
war es wichtig, ihn nicht zu unterschätzen.
Ein Kopf größer als Jashemyn, breitschultrig und muskulös, aber das besagte noch nicht viel.
Das Gesicht war scharfgeschnitten und drückte Tatkraft und Entschlossenheit aus. Ein Mann,
vor dem man sich in acht zu nehmen hatte.
Jashemyn ließ den Blick hinüberwandern zu der Frau.
Fast ebenso hochgewachsen wie der Mann, trug sie Beinkleider und einen Umhang, der ihre
Figur gut erkennen ließ. Das Haar in der Farbe frischen Kupfers wehte leicht im Wind
niemals zuvor hatte Jashemyn solches Haar gesehen. Und die Gesichtshaut war auffallend
weiß. Badhur stieß Jashemyn an. „Was meinst du?“ fragte er leise. „Was hast du vor?“ fragte
der Götterdieb zurück.
„Wir schnappen uns die Frau“, stieß Badhur hervor. „Die kostbarste Beute, die ich als
Mädchenräuber jemals gesehen habe.“
„Und wem willst du sie verkaufen?“
Badhur zeigte ein verschmitztes Grinsen.
„Du weißt doch, bald treffen sich die Mondgötter. Unheil wird über unsere Welt
hereinbrechen, und um das abzuwenden, muß den Mondgöttern das Kostbarste als Opfer
dargebracht werden.“
„Und wem willst du sie anbieten? Dem Herrscher der Herrscher?“ , „Warum nicht?“ Badhur
deutete nach oben, wo die drei Monde nahe beieinander am Himmel standen.
„Wir nehmen sie mit“, sagte er leise. „Und wir sagen, sie sei gerade heute vom Himmel
gefallen. Sieht sie nicht aus, als käme sie von dort oben - mit diesem Haar und dieser weißen
Haut? Hast du jemals solche Haare gesehen? Können die gefärbt sein?“ „Ausgeschlossen“,
sagte Jashemyn sofort. „Ich bin in diesen Häusern gewesen, und ich kenne alle Tricks, die die
Mädchen anwenden - aber diese Farbe habe ich noch nie gesehen.“
„Worauf warten wir dann?“ fragte Badhur.
„Glaubst du wirklich, der Herrscher der Herrscher wäre bereit, diese Frau zu opfern?“
„Und wenn nicht, was schert es uns. Jedenfalls ist er der einzige, dem wir sie anbieten
können.“
Jashemyn lehnte sich zurück.
„Freund und Zunftbruder“, sagte er langsam. „Du weißt nicht, was du sagst. Ich will deinem
Hirn auf die Sprünge helfen. Inzwischen sind uns die Häscher der Stadt auf den Fersen, meinetwegen, wie ich zugebe. Auch wenn die Göttin der Sinnenfreude weder sinnlich noch sonderlich wirksam ist, werden sie sich maßlos darüber ärgern, daß ich sie ihnen gestohlen habe.“ „Sie haben sie selbst erst vor drei Umläufen durch Raub gewonnen“, antwortete Badhur. „Außerdem ist wahrscheinlich der ganze elende Clan der Bäshterreffs. unterwegs, um das miserable Gör zu ihrem Bräutigam zu schaffen und uns den Hals durchzuschneiden wenn sie es gut mit uns meinen. Das geht auf deinen Buckel.“ „Ich stehe dazu“, antwortete Badhur ärgerlich. „Jetzt willst du das Weib stehlen. Ich kann dich verstehen, wahrhaftig. Aber diese Leute werden uns dann jagen - ich zähle von hier aus fast fünf Zehntschaften, und wenn sie auch keine Schwerter und Dolche tragen, so heißt das nicht, daß sie uns nicht ein Stück kalte Bronze in den Leib jagen könnten.“ „Bist du feige?“ fragte Badhur verwundert. „Ich verliere ungern den Kopf, ich habe nur den einen, und mir tut er gute Dienste. Aber lassen wir die da unten einmal aus dem Spiel. Als nächstes müssen wir das Gebirge durchqueren und die irryasischen Sümpfe. An der Küste von Thanda brauchen wir dann ein Schiff, und Leuten unseres Schlages wird nichts anderes übrigbleiben, als mit den Piraten zu reisen. Glaubst du, daß die uns diese Beute lassen werden? Und selbst wenn wir das schaffen...“ Badhur legte ihm eine Hand auf die Schultern. „Wenn wir noch länger reden, fallen ihr die Zähne aus“, sagte er. „Wir haben nicht ewig Zeit. Also, bist du dabei?“ Jashemyn zuckte mit den Schultern. Badhur war entschlossen - was gab es da zu bereden. „Also gut“, murmelte Jashemyn. „Wer kümmert sich um den Mann?“ „Du, ich schnappe mir die Frau. Vorwärts!“ Geduckt schlichen die beiden Enthoryden zwischen den Felsen auf die Ahnungslosen zu, die sich zu streiten schienen. Plötzlich lachte der Mann, schlang die Arme um die Frau und gab ihr einen Kuß. Jashemyn spürte heiß den Neid in sich aufbranden. Einen Augenblick lang zögerte er. Dann machte er zwei, drei weite Sätze. Die weichen Sohlen seiner Schuhe dämpften jeden Schritt. Er tauchte unmittelbar vor dem Mann auf und schlug zu. Der Mann wurde von dem Angriff völlig überrascht und knickte zusammen. Jashemyn wollte zufrieden grinsen, aber da traf ihn ein Fußtritt der Frau, und nun war er es, der zusammengekrümmt zurücktaumelte. Bei allen Erdgeistern, was war das für ein Weib, dachte er, während der Schmerz in seinem Unterleib wühlte. Dann war Badhur heran. Er mußte gesehen haben, wie die Kupferhaarige seinen Freund bekämpft hatte, und er machte kurzen Prozeß. Bevor die Frau auch nur einen Laut ausstoßen konnte, hatte er ihr die Hände um den Hals geschlungen und zugedrückt. Wieder wollte Jashemyn grinsen, diesmal ein wenig säuerlich, aber er kam nicht dazu. Die Kupferfrau machte ein paar schnelle Bewegungen, und im nächsten Augenblick flogen Badhurs Beine durch die Luft, und einen Herzschlag danach krachte der Hüne aus dem Lande Ogagathur auf den steinernen Boden, wo er atemlos liegenblieb. Jashemyn war wieder bei Kräften, er kam auf die Füße, zog das Schwert und setzte es der Frau an die Kehle. Der Blick, mit dem sie ihn musterte, ließ ihm die Knie weich werden, aber er blieb stehen und machte die finsterste Miene, deren er fähig war. Die Frau erstarrte, dann verzog sie das Gesicht. Na also, dachte Jashemyn, wenn man sie nur richtig anpackt, fangen sie alle an, zu heulen. Der Gedanke war noch nicht abgeschlossen, da flog sein Schwert auch schon zur Seite, das Weib machte einen Schritt auf ihn zu, und dann droschen ihm ihre zarten Fäuste gegen den Leib, daß Jashemyn meinte, ein Vauther habe ausgekeilt. Luftschnappend taumelte er zurück.
Badhur kam ächzend hoch, schubste mit den Schultern den Mann zur Seite und griff an den Gürtel. Gegen die Kanayka hatte die Frau keine Chance, die Schlinge legte sich um ihren Hals, und in der Linken hielt Badhur den Dolch auf sie gerichtet. „Los, weg!“ stieß Badhur hervor. Jashemyn taumelte auf den Mann zu und setzte ihn mit einem Fußtritt endgültig außer Gefecht. Der Blick der Frau hätte einen Feuergötzen einfrieren lassen können. Die beiden verschwanden im Felsgewirr und zerrten die Frau mit sich. Badhur hielt ihr den Dolch an die Kehle und sorgte so dafür, daß sie keinen Laut von sich gab. Im Lager der Metallhausbewohner wurde es laut. Obwohl sich der Überfall am Rande ihres Gesichtskreises abgespielt haben mußte, hatte jemand den Vorfall gesehen und schlug Alarm. Mochten sie, am Himmel zogen Wolken auf und deckten die Monde zu. Wer sich im Gebirge nicht auskannte, brach sich bei der Verfolgung den Hals. „Vorwärts!“ zischte Badhur der Frau ins Ohr. Jashemyn taumelte hinter den beiden her. Die drei hasteten durch die Dunkelheit, so schnell es ging. „Wo kommt ihr her, wo habt ihr euch herumgetrieben, ihr Lumpengesindel? Ist das eine Art, eine ehrbare Frau allein in der Wildnis... Wer ist das?“ Das Feuer brannte hoch genug, um Thegedas Gesichtsausdruck erkennen zu lassen - es war tödlicher Haß, den ihre Augen versprühten. Auf den ersten Blick mußte sie gesehen haben, daß sie gegen ihre Leidensgefährtin nicht aufkommen konnte. Ihre Miene war eitel Gift. Jashemyn nahm ein paar Stricke vom Wagen und begann die Kupferhaarige zu fesseln. Den Dolch Badhurs an der Kehle, wagte sie keinen Widerstand, dafür huschten ihre Augen flink umher und schienen jede Kleinigkeit in sich aufzusaugen. Jashemyn zog der Frau ein Messer aus den Stiefeln, eine sehr seltsame Waffe, die aussah, als bestünde sie aus poliertem Silber. Was sie mit dem unnützen Ding wollte, blieb ihr Geheimnis, ein Bronzedolch wäre besser gewesen. Dann entdeckte er an der Hüfte der Frau ein ledernes Futteral mit einem geschwärzten Metallteil darin. Man konnte das Ding in die Hand nehmen, es gab ein Loch, durch das man den Finger stecken konnte, und wenn man den Finger bewegte und mit der Spitze zufällig auf die zeternde Thegeda zielte, fiel die zeternde Thegeda einfach um. „Bei Jhardos“, stieß Jashemyn hervor und ließ das Zauberding fallen. Er eilte zu Thegeda hinüber. Sie schlief nur, aber selbst ein Guß mit kaltem Wasser konnte sie nicht aufwecken. „Hm“, meinte Badhur und betrachtete den Zaubergriff. „Vielleicht kann uns das Ding noch nützen. Nimm es mit.“ Jashemyn steckte das Ding in den Gürtel, dann verstaute er die sehr friedfertige, weil bewußtlose Thegeda in ihrer Tonne. „So können wir sie nicht mitnehmen“, sagte er und deutete auf die Mondfrau, wie er sie insgeheim wegen ihres hellen Gesichts getauft hatte. Sie fällt überall auf.“ „Das läßt sich schnell ändern“, stieß Badhur hervor. Schweigend, aber sehr aufmerksam ließ es die Frau zu, daß Badhur ihr mit Ruß aus der Feuerstelle das Haar einfärbte. Sie sah erheblich schäbiger aus als vorher, aber immer noch viel zu gut. Erst als Badhur sich von seinem Mantel trennte und ihn ihr um die Schultern legte, wirkte sie unansehnlich genug. „Steig auf!“ befahl Badhur und deutete auf den Karren. Gehorsam zog die Frau sich auf den Karren und setzte sich auf die Ladefläche, den Rücken gegen die Tonne gelehnt. „Es kann losgehen“, sagte Jashemyn grinsend. Badhur schnalzte mit der Zunge, und der Vauther setzte sich in Bewegung, auf die Gebirgspässe zu. *
„Es ist nicht deine Schuld, Tovar“, versuchte mich Marlee de Vries zu trösten. „Ach was“, stieß ich hervor. „Seit Jahren bin ich bei der Time-Squad. Ich habe Karate gelernt und Tai-kwon-do, Aikido und Kung-Fu und einige Gemeinheiten aus anderen Kampfsportarten. Und trotzdem bringen es zwei verlauste Bergräuber fertig, mir Demeter vor der Nase zu entführen. Die Burschen haben Schwerter getragen, wißt ihr, was das heißt?“ „Primitive Waffen und rauhe Sitten, vor allem im Umgang mit Frauen“, sagte Joshua Slocum gedehnt. Wie er es fertigbrachte, in Ruhe seine Pfeife zu rauchen, war mir ein Rätsel und ärgerte mich obendrein. „Wir werden sie zurückholen“, versprach Imhotep. „Oder, Freunde?“ Wenn ich in die Gesichter der anderen sah, erkannte ich dort keine vorwurfsvollen Mienen, nur Betroffenheit und Mitgefühl. „Wie sah dein ursprünglicher Plan aus, Imhotep?“ fragte Joshua Slocum nachdenklich. „Was sollte geschehen?“ „Die Glyssaaner hätten hier unsere Spur verloren. Wir wären an einer ganz bestimmten Stelle des Nebels wieder zum Vorschein gekommen, und bis sie unsere Spur wieder hätten aufnehmen können, wären wir schon weit genug entfernt gewesen, um sie endgültig abzuschütteln.“ „Wenn unser Schiff hier zerstört worden wäre wie die früheren, hätte man das von außen feststellen können?“ „Eine Explosion wäre sicherlich anmeßbar gewesen“, antwortete Imhotep ohne Zögern. „Worauf willst du hinaus?“ „Die Glyssaaner wissen, daß wir in diesem Nebelgebilde stecken“, erklärte Joshua und zog an seiner Pfeife. „Außerdem wissen sie, daß unser Schiff nicht zerstört worden ist. Sie können sich weiter ausrechnen, daß wir keine Selbstmordbrigade darstellen.“ „Unser Manöver hat nur dann einen Sinn, wenn es einen Weg hinein und auch einen hinaus gibt“, ergänzte ich. „Das werden sich auch die Glyssaaner sagen.“ Joshua nickte. „Infolgedessen werden sie wahrscheinlich zweierlei tun - erstens ihre Bemühungen verstärken, den Schleichweg zu finden, von dem sie jetzt wissen, daß er existieren muß. Zum anderen werden sie genügend Verstärkung anfordern, um den Rand des Nebels vollständig überwachen zu können - gleichgültig, wo wir wieder zum Vorschein kommen. Es fragt sich nun, was wie lange dauern wird.“ Imhotep wiegte den Kopf. „Bis sie uns auf diesem Planeten finden können, werden Monate vergehen“, sagte er. „Und bis sie genügend Schiffe zusammengezogen haben, um den Nebel komplett abzuriegeln, vergehen zwei Wochen.“ „Das sollte genügen, Demeter wieder aufzufinden“, sagte Joshua. „Zwei Wochen?“ fragte ich entgeistert. „Habt ihr noch alle Positronen beieinander? Zwei Wochen? Wir steigen in unsere Gleiter, jagen den Räubern hinterher und schnappen uns die beiden. In zwei bis drei Stunden, wenn die Sonne aufgegangen ist, haben wir Demeter wieder.“ „Du bist mit einem Schwert angegriffen worden“, erinnerte mich Imhotep. „Die Bewohner dieses Planeten stehen auf einer sehr niedrigen technischen Stufe - wenn wir jetzt mit modernem Gerät herumfahren, können wir einen Schock auslösen.“ „Mich interessiert nicht, was dieses Räubergesindel für Schocks erleidet“, fuhr ich auf. „Sie haben mir meine Frau gestohlen.“ Inky sah mich an. „Wie, glaubst du, würde Demeter in dieser Lage entscheiden?“ Ich zeigte ihm wütend die Zähne und ballte die Fäuste. Ich hätte ihn erwürgen mögen. Natürlich hatte er recht, Demeter hätte den Einsatz der Gleiter nicht zugelassen, wenn es nicht
durch extreme Umstände nötig geworden wäre. Kaltblütig, wie sie war, würde sie ihre Verschleppung niemals als extremen Zustand bezeichnen. „Demeter ist Frau genug, sich selbst zu helfen“, sagte Imhotep. „Kalkuliere die Möglichkeit durch. Umbringen wollen die Räuber Demeter nicht, das hätten sie an Ort und Stelle bereits besorgen können. Es sind zwar reichlich primitive Männer, aber es sind zwei - einer ausgefuchsten Psychologin wie Demeter dürfte es nicht schwerfallen, die Absichten der beiden gegeneinander auszuspielen. Außerdem stellen in primitiven Kulturen Frauen eine Art Handelsware dar - und mit einer Kostbarkeit wie unserer Chefin werden sie wohl behutsam umgehen.“ „Müßige Spekulationen“, stieß ich hervor. „Ich sehe ein, daß wir die Gleiter nicht benutzen werden. Außerdem begreife ich, daß wir aus Zeitgründen den größten Teil des Teams beim Schiff lassen müssen, damit die Reparaturen abgeschlossen werden können. Bleibt die Frage wer begleitet mich?“ Charriba sah mich kurz an, ich nickte. Der Indianer war unter diesen Umständen ein besonders nützlicher Begleiter. Shandrak zeigte, daß er mich begleiten wollte, desgleichen Maipo Rueda. „Vier genügen“, entschied ich. „Ich schlage vor, daß wir in zehn Minuten aufbrechen.“ * Wir fanden den Lagerplatz der Räuber zwei Stunden später. Charriba, der sich auf solche Künste bestens verstand, fachte das fast erloschene Feuer wieder an und untersuchte die Spuren. Darin war er Meister. „Zwei Männer“, stellte er fest. „Die beiden haben auf eigene Faust gehandelt. Sie sind zufällig vorbeigekommen, wahrscheinlich haben sie unsere Landung gesehen. Sie haben einen zweirädrigen Karren bei sich, gezogen von einem Tier, das ein Pferd sein müßte. Außerdem ist noch eine Frau dabei.“ „Noch eine Frau?“ „Sie muß klein und zierlich sein“, erklärte Charriba bestimmt. „Und sie sind in diese Richtung weitergezogen. Die beiden Frauen sind auf dem Karren, sonst wären ihre Spuren zu sehen.“ „Dann hinterher!“ bestimmte ich. Die Räuber hatten den Holzvorrat für ihr Nachtlager nicht aufgebraucht, wahrscheinlich hatte Charriba daraus gefolgert, daß sie uns eher zufällig entdeckt hatten. Aus dem Holz besorgten wir uns ein paar harzreiche Äste, die uns als Fackeln dienen konnten. Dann machten wir uns auf den Weg, den Räubern hinterher. Wegen des Karrens kamen sie in diesem unwegsamen Gelände langsamer voran als wir, das half uns bei der Verfolgung. Charriba führte uns. Der Indianer bewegte sich mit einer Sicherheit, als sei er in diesem karstigen Gebirge zu Hause. Er fand den Weg mit einer beinahe nachtwandlerischen Sicherheit. Dabei entgingen ihm auch nicht die kleinsten Spuren - nicht nur die mitunter recht deutlichen Zeichen, die der Karren hinterlassen hatte. Am frühen Morgen erreichten wir den Kamm, von da an ging es wieder abwärts. Wir konnten einen beträchtlichen Teil des Landes vor uns überblicken und studierten die Szenerie. Tief unter uns sahen wir am Rand des Gebirges einen breiten Waldstreifen, der sich weit in die Ebene hinein erstreckte. Es folgte ein Gebiet, das an eine Savanne erinnerte. Vom Gebirge aus waren an den Rauchfäden zahlreiche kleinere Ansiedlungen zu erkennen. Und in der Ferne, mit dem Fernglas gerade noch erkennbar, verlief eine Küste. Ich erinnerte mich, daß wir beim Landeanflug mondüberglänztes Wasser erkannt hatten. „Jetzt wissen wir, wohin sie Demeter bringen werden“, stellte Charriba fest. „Das dahinten ist ein Meer, kein See. Wahrscheinlich gibt es dort eine Hafenstadt, und wenn die Bewohner dieses Planeten ähnlich sind wie Menschen, dann gibt es in den Hafenstädten auch Mädchenhändler und ähnliches Gelichter. Spätestens dort werden wir Demeter finden.“ Wir setzten unseren Marsch fort. Der Weg schlängelte sich in vielen Windungen hinab.
Zweimal kamen wir an klaren Bächen vorbei, an denen wir unseren Durst stillen konnten.
Bei der zweiten Rast hob Charriba plötzlich den Kopf.
„Reiter hinter uns“, sagte er ruhig. „Ein ganzer Trupp.“
Freund oder Feind, das war die entscheidende Frage. Zwar brauchten wir uns nicht zu
fürchten - unsere Narkonadler waren unter diesen Bedingungen nahezu unüberwindliche
Waffen -, aber uns lag wenig daran, die Zahl unserer Feinde zu vermehren.
„Vielleicht jagen sie die Räuber?“ meinte Shandrak.
Maipo Rueda nickte bedächtig.
„Ich schlage vor, daß wir warten und mit diesen Reitern reden. Wenn wir Demeters Spur
tatsächlich bis zur Küste verfolgen müssen, dann brauchen wir vor allem eines
Sprachkenntnisse.“
„Dafür schleppen wir unsere Übersetzungspositronik herum“, entgegnete ich.
„Wir werden sie nicht immer verwenden können“, sagte Maipo ernst. „Außerdem kann immer
nur einer sie verwenden. Sollten wir einmal getrennt werden...“
„Sie kommen“, murmelte Charriba. Er griff in die Tasche und wechselte das Stirnband.
Auf die Reiter mußten wir sehr exotisch wirken. Da war Charriba, dessen moderne Kleidung
starke Anklänge an indianische Mode verriet. Shandrak wie immer gehüllt in schwarzes
Leder, das den Körper und den größten Teil des Gesichts eng umschloß. In der rechten Hand
wog er seine fürchterliche Harpune. Maipo Rueda, der hünenhafte Schwarze mit der Figur
eines Preisboxers, als letzter ich, wahrscheinlich am normalsten aussehend - jedenfalls für
meine Begriffe.
Über Charribas Gesicht flog ein Lächeln, als die Reiter in Sicht kamen. Ich wußte, was ihn an
diesem Anblick erfreute.
Der Körperbau erinnerte an Pferde, wie wir sie von der Erde und von Shyftan her kannten.
Die Köpfe allerdings waren ein wenig anders - sie hätten gut zu einem Pudel gepaßt, von dem
elfenbeinernen Stirnhorn einmal abgesehen.
Die Männer darauf trugen dunkle Umhänge, die im Wind flatterten, darunter waren
Kettenpanzer und Lederbeschläge zu sehen. Schienbeine und Unterarme wurden von
Bronzeschienen geschützt. Drei der zehn Reiter trugen Bögen und Köcher auf den Rücken,
fünf führten langschäftige Lanzen, und jeder besaß ein langes Schwert, das an die Flanken der
Reittiere klopfte.
Ich steckte die faustgroße Übersetzungspositronik an den Gürtel und schaltete sie ein.
Unmittelbar vor uns hielten die Reiter an. Unter den Bronzehelmen starrten uns bärtige
Gesichter finster an.
Es schienen rauhe Gesellen zu sein, die schon manchen Kampf durchgefochten hatten, der
Anführer mit dem Helmbusch hatte eine breite Narbe auf der linken Seite des Gesichts, das
dadurch einen besonders grimmigen Ausdruck bekam.
Er gab ein Zeichen, und ein paar Sekunden später waren wir von den Reitern umstellt, soweit
das der schmale Weg überhaupt zuließ. Die Lanzenspitzen waren auf uns gerichtet.
Die Sprache der Reiter gehörte zu keiner mir bekannten Sprache.
„Wer seid ihr?“ erklang es von meinem Gürtel.
„Wanderer“, gab ich zurück.
Es dauerte zehn Minuten, bis die Positronik genügend Informationen gesammelt hatte, um
eine einigermaßen verständliche Unterhaltung möglich zu machen.
Ziemlich bald stellte sich heraus, daß die Reiter nichts Rechtes mit uns anzufangen wußten.
Sie schienen hinter zwei Männern her zu sein, die sie Jashemyn und Badhur nannten; die
Beschreibung paßte bestens auf die Halunken, die Demeter überfallen hatten, und ich war sehr
erleichtert zu hören, daß die Schandtaten der beiden darin bestanden, Götterbilder und Frauen
zu stehlen und zu verkaufen. Wenigstens drohte Demeter keine unmittelbare Gefahr.
Die Reiter hatten den Auftrag, die beiden zu fangen. Daß wir nicht die Gesuchten waren,
wurde ihnen sehr bald klar.
Auf der anderen Seite - das ging vor allem aus den erstaunten Mienen hervor - hatten sie Menschen wie uns noch nie gesehen. Die Bewohner dieses Landes hatten ausnahmslos dunkle Haare und einen bronzenen Hautton. Charriba paßte noch am ehesten in ihr Vorstellungsbild. Einer der Reiter beugte sich zu seinem Anführer vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr; daß die empfindlichen Mikrophone unseres Translators auch dieses Geflüster übersetzen konnten, konnte der Soldat nicht ahnen. „Wir könnten sie einfangen und als Arenakämpfer verkaufen“, schlug der freundliche Reiter vor, und dem beifälligen Grinsen des Anführers war zu entnehmen, daß er den Vorschlag billigte. Langsam fuhr meine Rechte zum Gürtel, wo der Nadler steckte. Es sah danach aus, als müßten wir uns den Weg freikämpfen. Mit den Nadlern mußte das eine leichte Sache sein. „Mit dem Arenakämpfer wird es nichts werden“, sagte ich laut. Der Flüsterer fuhr erschrocken zurück, auch der Anführer der Truppe erbleichte ein wenig, fing sich aber rasch.Über sein Gesicht glitt ein höhnisches Grinsen. „Wie wollt ihr uns hindern, ohne Waffen?“ fragte er und griff nach seinem Schwert. Er sah sich kurz nach seinen Männern um. „Packt sie!“ Im nächsten Augenblick flog mein Nadler aus dem Holster. Ich brauchte nur zu zielen und abzudrücken. Der Hauptmann brach wie vom Blitz gefällt zusammen und kippte aus dem Sattel, mein nächster Schuß galt dem Burschen, der so freundliche Pläne mit uns im Sinn hatte. Als er aus dem Sattel gleitend den Boden berührte, war er bereits bewußtlos. Es war ein ungleicher Kampf, der nach einer halben Minute entschieden war. Nur zehn Meter weit kam der reaktionsschnellste der Reiter, bevor ihn unsere Nadler von seinem Pferd holten. „Jetzt können wir uns wenigstens landesüblich kleiden“, sagte ich zufrieden. Der Hauptmann hatte ungefähr meine Statur. Charriba und Shandrak schüttelten sofort die Köpfe, für sie kam nur ihre gewohnte Kleidung in Frage. Während sie sich daranmachten, die Pferde - Vauther wurden sie von den Eingeborenen genannt - zusammenzutreiben, zog ich den Hauptmann aus. Unter Mantel und Kettenhemd entdeckte ich ein Obergewand aus einer scheußlich kratzenden Wolle. Von Waschmittelchemie hatte man hierzulande noch nichts gehört, außerdem hatte ich den Eindruck, daß es in der Kleidung allerlei Getier gab, das dabei ebenfalls den Besitzer wechselte. Zur Kleidung gehörte noch ein knielanger Rock und ein Gürtel. Ich kam mir ziemlich seltsam vor, als ich diese Montur anlegte. Auf meine Beine war ich noch nie sonderlich stolz gewesen, und an die Vorstellung, einen Rock zu tragen, konnte ich mich auch nur schwer gewöhnen. Daran änderte sich auch nichts, als ich das schwere Kettenhemd überstreifte. Aus bemerkenswert feinen Bronzeringen geschmiedet, fiel es lang herab bis zum Saum des Rocks, auf dem unteren Drittel mit daumendicken Lederstreifen besetzt, die Schwertschlägen die Wirkung nehmen sollten. Maipo Rueda zog sich eine ähnliche Rüstung an, und er sah sehr beeindruckend darin aus. Charriba und Shandrak kehrten zu uns zurück. Sie hatten die besten Tiere für uns ausgesucht, eines zum Reiten, das andere zur Reserve. Auf diesen Vauthern, deren Fell matt gelbgrün schimmerte, mußten wir die Räuber und Demeter bald erreichen können. Vorsichtshalber jagte ich jedem der Soldaten noch eine Narkose in den Körper; das würde sie für ein paar Stunden festhalten. Mein Vauther war ein sanftes, ruhiges Tier, genau das richtige für jemanden wie mich. Charriba hatte sich ein Tier herausgesucht, das mir besonders feurig erschien, und es machte dem Indianer sichtlich Freude, endlich einmal wieder zu reiten, selbst wenn das Pferd gelbgrün war, einen Pudelkopf hatte und ein Einhorn trug. Er ritt voran. Die Tiere waren gut dressiert, sie gehorchten der leisesten Lenkhilfe, und sie schienen sich in
dem Gelände recht gut aüszukennen. Während des Rittes gab uns der positronische Übersetzer Sprachunterricht. Wir erfuhren daraus unter anderem, daß die Wachsoldaten aus einer Stadt namens Gahran stammten, daß eine weitere Stadt namens Irthan ein wenig zur rechten Hand von uns zu suchen war, daß die Sonne Lahran genannt wurde und vietes andere mehr, das ich mir einzuprägen versuchte. Es fiel mir erstaunlich leicht. Als wir den Fuß des Gebirges erreichten, war ich zuversichtlich, daß es mir gelingen würde, einen sprachbehinderten Blöden zu spielen, der zwar das meiste verstand, aber sich nicht richtig ausdrücken konnte der aber nicht auf den ersten Blick als Fremdling entlarvt werden konnte. „Das muß das Sumpfgebiet sein, von dem gesprochen worden ist“, sagte Shandrak. Der Mann im schwarzen Leder machte ein mürrisches Gesicht, soweit seine Maske das erkennen ließ. Das Land um uns schien bretteben zu sein, die Bäume standen dicht an dicht. Aber es gab genügend Raum für feuchtschimmernde Stellen, deren Grün keinen sehr einladenden Eindruck machte. Charriba trieb vorsichtig seinen Vauther voran. Das Tier zögerte, dann stakste es langsam und bedächtig in den Morast, der bereits nach wenigen Schritten bis halb zum Knie hinauf gluckste. Von den Leuten, die wir suchten, war nun keine Fährte mehr zu erkennen, der Morast ebnete alle Spuren nach kurzer Zeit wieder ein. Aber Charriba fand die Fährte dennoch ohne große Mühe - er orientierte sich an den Zweigen und Ästen, an denen der Karren entlanggestreift war. Herabgerissene Blätter trieben auf der Oberfläche des Sumpfes, Zweige waren geknickt, an einem Baum gab es eine kaum erkennbare Kerbe - ich sah das alles erst, als Charriba es mir zeigte. So bahnten wir uns unseren Weg durch die irryasischen Sümpfe, langsam und vorsichtig. Auf diesem Boden konnte ein Fehltritt buchstäblich lebensgefährlich werden. Und sehr bald sollten wir entdecken, daß dies nicht die einzigen Gefahren waren, die auf uns lauerten.
5. „Es wird Abend“, stieß Shandrak hervor.
Ich nickte. Die Nebel, die aus dem Sumpf krochen und sich wie ein Tuch aus Watte über das
Land legten, gefielen mir überhaupt nicht. Der Sumpf, bei Tageslicht scheußlich genug,
bekam dadurch einen Anstrich des Geheimnisvollen, genau der richtige Schauplatz, um
Gespenster und Walddämonen darauf auftreten zu lassen.
Obwohl ich natürlich wußte, daß solcher Spuk nur in den Hirnen phantasievoller Köpfe
existierte, machte mich der Anblick mißtrauisch. Es war sehr still, die wenigen Geräusche, die
wir hören konnten, wurden durch die feuchten Schwaden stark gedämpft.
„Charriba, kannst du einen Platz finden, wo wir einigermaßen trocken übernachten können?“
„Ich werde danach Ausschau halten“, versprach der Indianer. Von uns vieren zeigte er die
geringsten Spuren von Müdigkeit.
Wir anderen waren mehr oder minder ausgepumpt. Immer wieder hatten wir von den
Vauthern steigen müssen, mal weil der Weg zu schwankend geworden war, mal zur Schonung
der Tiere. Der Marsch durch den zähen Schlick kostete ungeheure Kraft, auch die Vauther
hatten eine Ruhe bitter nötig.
„In ein paar Minuten!“ rief Charriba über die Schulter hinweg.
Seine Vorhersage traf zu. Wir fanden eine feste Insel im Sumpf, groß
genug, um einen Zeltplatz darauf anzulegen. Wie die Spuren bewiesen, machten viele Wanderer durch den Sumpf an dieser Stelle Rast. Es gab schwarze Stellen am Boden, wo Feuerstellen gebrannt hatten, und neben einem dieser verkohlten Plätze fanden wir die Spuren des Karrens, die wir gesucht hatten. „Sie sind weitergezogen“, stellte ich erbittert fest. „Wie lange sind sie schon von hier weg?“ „Vier Stunden“, schätzte Charriba, nachdem er die Feuerstelle untersucht hatte. Wir banden unsere Vauther an, machten Feuer und aßen. Auf die Vorräte der Soldaten, die wir in den Satteltaschen gefunden hatten, verzichteten wir - das Brot war von unglaublicher Härte, das Fleisch viel zu salzig und obendrein zu zäh. „Können wir sie morgen erwischen?“ fragte ich Charriba. Er sah mich kurz an, nickte und rollte sich dann in eine Decke. Einen Augenblick später war er eingeschlafen. Ich übernahm die erste Wache. Der Nebel wurde immer dichter. Nach meiner Uhr hatten wir beinahe Mitternacht erreicht nach der astronomischen Rechnung des Planeten, auf den wir unsere Uhren bei Aufbruch eingestellt hatten -, als der Nebel so dicht wurde, daß ich nur noch den Rand der Sumpfinsel sehen konnte. Dahinter verschwand alles in einem undurchdringlichen Grau. Aber dieses Grau war nicht undurchdringlich. Zunächst hielt ich es für Sterne, doch dann wurde mir klar, daß diese Leuchterscheinungen viel zu niedrig schimmerten, als daß sie vom Nachthimmel stammen konnten. Es mußten Fackeln sein, und wo Fackeln leuchteten, waren Lebewesen nicht fern. Ich begann zu zählen es waren mindestens zwanzig. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich die Freunde wecken sollte, aber da die Fackeln sich nicht zu nähern schienen, ließ ich sie schlafen. Ich stand auf und ging ein paar Schritte auf den Rand der Insel zu. Es war ein atemberaubender Anblick - eine grauweiße Masse, die uns umschlossen hielt, darin hellgelb leuchtende Punkte. Der Lichtschein wurde vom Nebel getrübt und gesteuert, die Fackeln sahen eher aus wie Irrlichter. Ich drehte mich herum - und kam gerade zurecht, um den ersten durchs Gebüsch brechen zu sehen. Ein Blick genügte, um mir klar zu machen, daß es uns an den Kragen ging. Der Bursche war von Kopf bis Fuß mit Lehm beschmiert, auch das Gesicht, in dem zwei weiße Augen gefährlich blitzten. In der rechten Hand hielt der Fremde ein blitzendes Bronzebeil, und in seinem hochgetürmten Haarschopf waren zwei weiße Knochen über Kreuz eingearbeitet worden. Menschenknochen, durchfuhr es mich. Ich wollte an den Gürtel greifen, bekam die Waffe auch zu fassen, aber im gleichen Augenblick mußte ich mich ducken, um das Beil an meinem Kopf vorbeifliegen zu lassen. Eine Meute von mindestens fünfzig Mann stürmte auf uns los. Ihr Gebrüll weckte die Schläfer, und meine drei Freunde reagierten mit der Schnelligkeit, die man von Agenten der Time-Squad erwarten durfte. Es reichte dennoch nicht. Von irgendwoher kam eine Wurfschlinge herangesaust und fesselte mir die Oberarme an den Brustkorb. Ich bekam dennoch den Nadler in die Hand, hob den Arm und gab einen Feuerstoß ab. Vier der Menschenfresser brachen betäubt zusammen, aber dann waren zwei bei mir, und sie waren nicht zimperlich. Der eine traktierte meinen Bauch, der andere bearbeitete mit einer Holzkeule meinen Schädel. Ich spürte nur noch einen heftigen Schmerz, dann brach ich zusammen - zum zweitenmal binnen weniger Stunden, wie mir als letzter Gedanke durchs Hirn zuckte. *
Ich zog es vor, weiter den Bewußtlosen zu spielen, obwohl ich am liebsten schmerzlich gestöhnt hätte. Mein Schädel brummte wie eine mißhandelte Baßgeige, außerdem war mir speiübel. Das kam von dem Geschaukel. Ich war mit Händen und Füßen an einen schenkeldicken Baumstamm gebunden, der von vier der Menschenfresser getragen wurde. Mein Kopf hing schlaff nach unten, und wenn ich die Augen öffnete, sah ich vier schmutzige Knie, dann ein blasses Männergesicht hinter einer schwarzen Ledermaske und ein paar weitere Menschenfresserbeine. Sie hatten uns also erwischt. Es kam mir entsetzlich lächerlich vor -Tausende von Lichtjahren gereist, Energiestürme überstanden, eine planetengroße Falle überlistet - und das alles nur, um in den Mägen irgendwelcher Wilden zu enden? Über mir tönte ein monotoner Singsang. Die Menschenfresser schienen gute Laune zu haben, wie der Tonfall verriet. Kein Wunder, dachte ich, sie haben reichlich Beute gemacht. Die Fesseln schmerzten, und als ich mich ein wenig bewegte, um den Schmerz zu vertreiben, entdeckten sie, daß ich wieder bei Besinnung war. Primitiv waren sie möglicherweise, aber dumm waren sie nicht, es erschien ihnen angemessen, daß ich den Weg zu den Fleischtöpfen auf eigenen Füßen zurücklegte. „Geh!“ herrschte einer mich an. Unwillkürlich sah ich nach meinem Gürtel. Der Übersetzer war verschwunden, der Nadler fehlte und alle sonstigen Geräteschaften, auch das kleine Funkgerät, mit dem ich das Schiff hätte erreichen können. Dolch und Schwert hatte man mir natürlich auch abgenommen. Ich schüttelte den Kopf. Der Häuptling der Bande, erkenntlich an einem ins Haar geflochtenen Schrumpfkopf, grinste. Dabei zeigte er ein sehr lückenhaftes Gebiß und eine beeindruckend große Keule. Ich begriff. Wenn ich Wert darauf legte, geschleppt zu werden, dann nur nach einem neuen Niederschlag. Ich hatte vom ersten genug und setzte mich in Bewegung. So ging der Marsch weiter. Der Boden war fest, auch der Nebel hatte sich gelichtet. Knisternde Fackeln erhellten den Weg, und diese Beleuchtung ließ die Mienen meiner Wärter noch grausiger erscheinen, als sie ohnehin auf mich wirkten. Vorsichtig sah ich mich um. Auch meine Gefährten waren ausgeplündert worden. Unsere Waffen wurden jetzt von den Eingeborenen getragen - aber darunter war keines unserer modernen Ausrüstungsstücke. Am liebsten hätte ich laut und lästerlich geflucht. Nicht nur, daß uns die Mädchenräuber mit Demeter einen immer größeren Vorsprung abgewannen, jetzt waren wir auch noch all unserer Hilfsmittel beraubt und konnten keinen Kontakt zu den Freunden aufnehmen. Daß sie uns ohne solche Hilfe in dem urtümlichen Waldgebiet finden würden, hielt ich für ausgeschlossen. Trommelschlag, der immer lauter wurde, verkündete, daß wir uns dem Dorf der Menschenfresser näherten. Am Eingang der Siedlung, die aus geschickt zusammengeflochtenen Baumhütten bestand, sah ich etwas, was mir den Atem stocken ließ. Ein Wagen, ohne Vauther, aber mit einer Holztonne auf der Ladefläche. Der Karren der beiden Räuber? War Demeter etwa auch diesen Wilden in die Hände gefallen? Die ganze Einwohnerschaft des Dorfes war auf den Beinen, um uns zu begrüßen. Männer, Frauen und Kinder in allen Altersstufen. In ihrem Dorf schienen sie mehr auf Reinlichkeit zu achten als im Sumpf, und so konnte ich erkennen, daß es sich um wohlgestaltete Menschen handelte, teilweise auffallend gutgewachsene. Unwillkürlich hielt ich Ausschau. Nach dem Klischee mußte irgendwo ein großer Metallkessel für uns bereitstehen, aber nichts dergleichen war zu sehen. Die Krieger stießen und zerrten uns vorwärts. Vor einem Haus mit massiver Holzfront hielten wir an. Die Front war prachtvoll mit Schnitzereien und bunten Farben verziert, aber dafür hatte ich kein Auge mehr, als der Häuptling die Szenerie betrat - ein Bursche, der es an Größe
und Muskelkraft mit Maipo aufnehmen konnte, mit einem Gesicht, das mehr echtes Selbstbewußtsein ausstrahlte, als es ein schlechter Schauspieler jemals hätte imitieren können. Arme und Beine des Mannes, auch der Brustkorb, wiesen eine Reihe kleinerer Narben auf; als er sich zur Seite drehte, um mit dem Anführer der Krieger zu sprechen, sah ich, daß sein Rücken keine Narben zeigte. Er sah mich an. In seinem Blick stand kein Haß, aber dafür die kalte Entschlossenheit, uns zu töten, ich war mir da völlig sicher. „Ihr kommt aus Gahran“, sagte er rauh. Ich hatte einige Mühe, ihn zu verstehen, aber es gelang einigermaßen. Ich schüttelte den Kopf. Das Zeichen wurde verstanden. „Feigling“, zischte der Häuptling verächtlich. Er nahm einem seiner Krieger ein Bündel aus der Hand und warf es vor mir auf den Boden. Der Waffenrock des Hauptmanns. Ich schluckte. Die Sumpfbewohner waren offenbar mit den Bewohnern Gahrans verfeindet, ganz besonders mit deren Soldaten. Wir sollten jetzt für diese Feindschaft büßen. „Pah“, machte ich und spuckte aus. Es war ganz etwas anderes, eine großartige Szene auszudenken, als sie durchzuspielen. Wie ich erwartet hatte, wurde der Häuptling sehr wütend, und er griff auch, genau nach Plan, zum Beil, hob es und wollte es auf meinen Schädel sausen lassen. Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil - eine Zeitspanne, die mir wie eine Stunde erschien, so schrecklich war sie. Ich durfte angesichts des drohenden Todes nicht mit der Wimper zucken, nur dann konnte ihm meine todverachtende Tapferkeit imponieren, nur dann hatten wir eine Chance, die nächsten Stunden zu überleben. Ich schaffe es, aber gewiß nicht, weil ich so nervenstark gewesen wäre. Ich bekam nach dem Ausspucken einen solchen Schrecken vor meiner leichtsinnigen Tollkühnheit, daß ich wie hypnotisiert stehenblieb und aus lauter Furcht nicht mit der Wimper zuckte. Das Beil blieb genau über meinem Schädel hängen. Der Häuptling sah mir ins Gesicht. Ich hätte jetzt selbstsicher grinsen müssen, statt dessen wurden mir altem Feigling die Knie weich. Ich merkte, wie mein Gesicht eiskalt wurde, dann knickte ich ein, fiel vornüber aufs Gesicht und übergab mich. Eine Faust, die einem Robot Ehre gemacht hätte, zerrte mich wieder hoch. Fassungslos, wie es schien, starrte mich der Häuptling an, dann ließ er mich los und begann schallend zu lachen. Die ganze Knochenträgermeute fiel in das Gelächter ein. Als ich wieder auf die Knie kam, standen sie da und hielten sich die Bäuche vor Lachen. Ich fand das gar nicht spaßig. War es schon ausgesprochen närrisch von mir gewesen, den Unerschrockenen zu mimen - Charriba hätte das Experiment durchgehalten, ohne dabei zu schauspielern -, so war es völlig entlarvend, wenn ich danach vor Angst einfach zusammenbrach. Der Häuptling zerrte mich auf die Füße. „Du hast sehr viel Angst gehabt und sehr viel Mut, sie zu überwinden“, war ungefähr der Sinn seiner Worte, die wie aus weiter Ferne zu mir drängen. Ich schielte nach meinen Gefährten. Charriba zeigte sein Steingesicht, wie Inky die stoische Miene des Indianers zu nennen pflegte. Shandrak lächelte verhalten, und Maipos Gesichtsausdruck konnte man nur mit Bewunderung umschreiben. Wenn wir eine Chance gehabt hätten, zur Time-Squad zurückzukehren, hätten Shandrak und Maipo diese Szene sicherlich erzählt, vermutlich ohne das peinliche Nachspiel. Und wieder einmal hätte ich mir unverdient den Ruf eines todeskühnen Helden eingehandelt - mit dem Ergebnis, daß mir auch in Zukunft die gefährlichsten Sachen zugemutet werden würden. Offenbar hatte der Häuptling ein Einsehen. Er ging mit dem Messer auf mich los. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern. Ich hielt die Luft an... Er schnitt mir einfach die Fesseln durch...
*
Das Zeug brannte in der Kehle wie ein Flammenwerfer; Tränen stiegen mir in die Augen, und die Meute lachte schon wieder. Seit Menschengedenken schien es bei den Irryasi keinen so begabten Possenreißer und Hofnarren mehr gegeben zu haben wie mich - was immer ich tat, es rief Lachstürme hervor. Immerhin - besser ausgelacht als ausgekocht, obwohl auch diese Gefahr nur in meiner wüsten Einbildungskraft bestanden hatte. Die Irryasi waren ein Stamm sumpfbewohnender Jäger und Räuber, die dem Wild und den Wanderern nachstellten. Der Knochenschmuck stammte hauptsächlich von erlegtem Wild und diente dazu, die Wanderer in Todesangst zu versetzen was ihnen in meinem Fall auch recht gründlich gelungen war. Schon wieder hielt mir der Häuptling einen hölzernen Becher mit Schnaps hin; ich nippte vorsichtshalber nur daran. Das Zeug war höllisch stark. Endlich kam ich auch dazu; die Fragen zu stellen, die mir auf der Zunge lagen. Gestenreich versuchte ich mich verständlich zu machen, und es dauerte sehr lange, bis die Irryasi begriffen, daß ich nicht versuchte, ihnen einen unanständigen Witz zu erzählen, sondern nach dem Wagen und Demeter fragte. In die Augen des Häuptlings trat ein Ausdruck grausamer Wut. Er rief ein paar knurrende Befehle. Ein paar seiner Krieger verschwanden und kehrten wenig später mit zwei Gefangenen zurück. Rüde stießen sie sie auf den freien Platz vor dem Häuptling. Zwei Männer, auf die die Beschreibung zutraf, die wir von dem Hauptmann der GahranWachen bekommen hatten. Jashemyn, der Götterdieb, ein schlanker, flinker Mann mit sehr beweglichen Augen, und Badhur, ein Hüne mit stoischem Gesichtsausdruck. Der Häuptling machte eine Handbewegung. Die Krieger stießen die beiden auf die Knie. „Frage!“ sagte der Häuptling rauh. Die beiden Gefangenen begriffen, daß sie es mit mir zu tun hatten, wandten die Köpfe - und erkannten mich. Ich sah, daß sie erschraken. „Wo habt ihr Demeter gelassen?“ fragte ich. „Die Frau, wo ist sie?“ Der Hüne sah mich ruhig an. „Frage ihn“, antwortete er und deutete auf den Irryasi-Häuptling. Ich sah den Irryasi an. Er grinste breit, dann begann er wieder zu lachen. Seine Leute stimmten in das Gelächter ein und amüsierten sich königlich. Kichernd klatschte der Häuptling in die Hände. Zwei der Dienerinnen, die uns unterwürfig bedienten und sich dafür von den Kriegern kneifen lassen mußten, huschten davon. Als sie zurückkehrten, führten sie Demeter mit sich und ein junges Mädchen, beide nur mit einem roten Lendenschurz und der bei den Irryasi üblichen Körperbemalung bekleidet. Ich merkte, daß ich rot wurde. Aber jetzt war nicht die Zeit, über Kleidung zu moralisieren. Ich wandte mich zu dem IrryasiHäuptling. „Das ist meine Frau“, sagte ich laut und deutete auf Demeter. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, daß sie lächelte. Die Antwort des Häuptlings bestand aus einem verächtlichen Grinsen. Er winkte - und prompt huschte die kleine Blonde zu ihm hinüber und schmiegte sich an ihn. Ich hätte ein Frauenzimmer mit einem so abgefeimt hungrigen Blick niemals so nahe an mich herangelassen. Demeter blieb stehen. Der Irryasi knurrte ein paar Befehle. Demeter blieb noch immer stehen. Schließlich stand der Häuptling auf, machte einen Schritt auf sie zu und wollte nach ihr greifen. Mit einem Satz war ich auf den Beinen und riß ihn zurück. Sein Gesicht verriet tödliche Feindschaft, als er den Kopf wandte. „Deine Frau? Dann kämpfen!“ stieß er hervor. Er sprach vor Wut so undeutlich, daß ich mehr aus seiner Gestik als aus seinen Worten erfuhr, was er meinte. Ich erwiderte den Blick.
Die Irryasi hatten den Streit mitbekommen, erwartungsvoll umstanden sie uns. Wir brauchten nicht weit zu gehen, um den Kampf austragen zu können. Das Fest, das nun in einem Kampf enden sollte, hatte auf dem freien Platz zwischen den Hütten stattgefunden. Die Irryasi brauchten nur zurückzuweichen, und wir hatten. genug Platz. Der Häuptling griff nach seinem Schwert. Er scheuchte seine Gefährten zurück. Ich nahm das Schwert des Hauptmanns der Wache auf, es lag schwer in der Hand. Demeter stand unbewegt neben dem flackernden Feuer. Hinter ihr sah ich den Morgen grauen. Ich blickte auf den Irryasi-Häuptling, dann auf Demeter. Sie lächelte nur. Ich lächelte zurück, und in diesem Augenblick wußte ich, daß ich den Kampf gewinnen würde. So ruhig und kaltblütig war ich noch nie in meinem Leben gewesen, und ich spürte Energien in mir, die ich bisher nicht geahnt hatte. Mein Atem ging tief und schnell. Ich spürte, wie ich mich förmlich auflud. Diesem Burschen meine Demeter überlassen? Nicht, wenn ich es verhindern konnte. Der Häuptling grinste, dann sprang er vor. Seine Klinge pfiff durch die Luft. Ich sprang zur Seite, parierte den Schlag. Es gab einen glockenähnlichen Ton, dann fuhr das Schwert des Irryasi in den Sand. Er zog es wieder hervor und trat die verbogene Bronze mit dem Fuß gerade. Wieder griff er an, mit der ganzen ungestümen Wut eines sieggewohnten Kriegers. Ich wehrte auch diesen Angriff ab. Immer wieder prallten die Klingen aufeinander. Er schlug wild und ohne Regel, ich versuchte, kaltblütig zu bleiben und mich der Schulung in der Trainingshalle der Time-Squad zu erinnern. Es fiel mir schwer. Ich spürte eine unglaubliche Wut auf diesen Mann, eine mörderische Wut. Ich wußte, daß ich ihn töten wollte, weil er mir Demeter nehmen wollte. Als er wieder einmal einen Schritt zurücktrat, um seine Klinge geradezubiegen, ließ ich meine Waffe fallen und machte einen Satz. „Nicht!“ schrie Demeter. Sie bremste mich im letzten Augenblick. Der Handkantenschlag, zu dem ich angesetzt hatte, war unbedingt tödlich, wenn er richtig traf, und ich hatte alle Kraft und Schnelligkeit hineingelegt. Mein eigener Schwung riß mich von den Keinen, ich stürzte auf den Boden. Höhnisch grinsend hob der Irryasi sein Schwert. Dann sah ich nur noch etwas Helles durch die Luft fliegen. Der Häuptling wurde am Rumpf getroffen, und so hart hatte Demeter ihren Flugstoß angesetzt, daß der Mann wie eine Gliederpuppe über den Boden kollerte. Demeter schlug auf, rollte ab und war sofort wieder auf den Füßen. Aus den Reihen der Irryasi kamen wütende Rufe. Die Krieger schwangen ihre Speere und Keulen. Der Häuptling rappelte sich hoch und scheuchte sie mit einer Handbewegung zurück. Auch er ließ das Schwert fallen und zeigte uns seine Fäuste. Er hatte keine Chance, er wußte es nur noch nicht. Mit aller Wildheit und Kraft, die er besaß, selbst mit seiner Kampferfahrung konnte er es nicht mit mir aufnehmen; die Muskelschinderei im Training war zu hart und ausdauernd gewesen, als daß ich ihm nicht überlegen gewesen wäre. Und selbst wenn es ihm gelungen wäre, mich auszuschalten - die Person, die es mit Demeter im waffenlosen Kampf aufnahm, wollte ich sehen. Mit einem heiseren Schrei stürzte der Irryasi auf mich los. Ich fing seinen Hieb ab, unterstützte seinen Schwung und schleuderte ihn in hohem Bogen durch die Luft. Er flog mitten hinein in seine Krieger und riß ein halbes Dutzend von ihnen von den Beinen. An ihren Waffen hatte er sich wohl verletzt, denn als er wieder in die Höhe kam, blutete er aus einer Wunde am linken Arm. An Regeln hielt er sich nicht. Ein Griff, und er hatte einen Speer in der Hand, beugte den rechten Arm zurück und schnellte ihn nach vorn.
Mitten im Flug wurde das Geschoß getroffen und fiel in zwei Teilen auf den Boden. Ein paar
Schritte entfernt grub sich Charribas Tomahawk in den Boden.
Der Indianer sah den Irryasi an und spuckte aus. Das Gesicht des Häuptlings wurde weiß vor
Zorn.
„Her zu mir!“ rief Demeter.
Es dauerte nur eine halbe Minute, dann waren die Fronten geklärt.
Dort die Irryasi, angeführt von einem racheschnaubenden Häuptling. Hier wir fünf, zu unserer
Überraschung ergänzt um zwei Räuber, die die Gunst des Augenblicks genutzt und sich
befreiend auf unsere Seite geschlagen hatten.
Der Kampf konnte beginnen.
6. „Ruhe bewahren“, sagte Demeter.
Ich begann zu lachen.
„Was gibt es da zu lachen?“ fragte sie empört.
„Engelchen“, sagte ich kichernd. „Ich hätte mir nie vorstellen können, daß du noch im
Lendenschurz so viel Autorität ausstrahlen kannst.“
Demeter lächelte nur, die anderen grinsten. Es war eine verrückte Situation. Lendenschurz
hin, Lendenschurz her - sie war die Chefin der Time-Squad, ihre Stimme klang ruhig und
besonnen wie immer, und ebenso selbstverständlich war, daß wir uns ihren Anweisungen
fügten.
„Wir haben einen Vorteil“, sagte Demeter und spähte durch die Ritze der Hütte auf den Platz.
„Sie wollen uns um jeden Preis lebend haben, damit sie sich gründlich an uns rächen können.
Vor allem der Häuptling.“
„Ist der Kerl frech zu dir geworden?“ fragte ich wütend.
„Er hat es versucht“, antwortete Demeter, ohne den Kopf zu wenden. „Ich habe ihn überzeugt,
daß es besser für ihn ist, mich in Ruhe zu lassen. Außerdem hat sich ihm diese Thegeda mit
einer solchen Unersättlichkeit an den Hals geworfen, daß er fürs erste von Frauen genug
haben dürfte.“
Sie hatten uns umstellt. Von allen Seiten blinkten die Speere im Morgenlicht. Es waren
mindestens einhundert, dazu kam eine kaum übersehbare Schar von Knaben, die darauf
brannten, sich mit uns zu messen - in gebührender Überzahl, verstand sich.
Ich warf einen Seitenblick auf die beiden Räuber. Sie sahen wie erprobte Kämpfer aus; mich
wunderte, wie schnell sie sich damit abgefunden hatten, daß wir von einer Frau Befehle
annahmen. Für uns mochte das selbstverständlich sein - für die Bewohner dieses Planeten war
es vermutlich ein Bruch jahrtausendealter Tradition.
„Was haben wir aufzubieten?“ fragte Demeter.
Unsere moderne Bewaffnung war verschwunden. Da sie damit nichts hatten anfangen können,
hatten die Irryasi alles, was ihnen unverständlich war, im Sumpf verschwinden lassen.
Ein halbes Dutzend Schwerter ergab die Musterung, dazu eine größere Anzahl Messer.
Charriba hatte seinen Bogen mit dem gut gefüllten Köcher, dazu seinen Tomahawk.
Shandrak hatte sich seine mörderische Harpune zurückgeholt; neben ihm stand Badhur, seine
Peitsche in der Hand.
Wie ich - neiderfüllt, wie ich zugeben mußte - feststellte, hatte Demeter auch ohne
positronischen Übersetzer in den Stunden ihrer Gefangenschaft die Sprache der Eingeborenen
besser gelernt als wir. Sie konnte sich recht gut mit den beiden Räubern verständigen.
„Wir brechen durch“, entschied sie. „Die Irryasi sind in der Überzahl, und das wissen sie. Ein
Frontalangriff auf ihre stärkste Stelle, vermutlich der Häuptling mit seinen besten Kriegern,
wird sie überraschen, „Und selbst wenn, wie kommen wir durch die Sümpfe?“
„Das Sumpfgebiet endet hier“, erklärte Demeter. „Wenn wir uns in diese Richtung wenden“
sie deutete mit dem Arm darauf -, „kommen wir auf normales Land.“
„Aber damit entfernen wir uns vom Schiff“, wandte ich ein.
„Erst einen Ausweg finden, dann einen Rückweg“, sagte Demeter knapp. „Sie kommen.“
Daß sie recht hatte, zeigte der Pfeil, der ein paar Sekunden später ins Dach einschlug.
Flammen züngelten auf. Man wollte uns die Hütte über dem Kopf abbrennen.
Demeter sah sich kurz um und nickte.
„Vorwärts“, sagte sie. Zu zweit stürmten wir aus der Hütte. Shandrak und Charriba vorneweg.
Sie sprangen sofort zur Seite, als sie das Freie erreichten. Charriba spannte den Bogen und
verschoß seinen ersten Pfeil. Er hatte sein Ziel noch nicht getroffen, da schwirrte die Sehne
schon ein zweites Mal. Shandrak schickte seine Harpune los, und auch er traf präzise ins Ziel.
Wir stürmten nach vorn, dem Häuptling und zwei Zehntschaften seiner vermutlich besten
Krieger entgegen. Pfeile und Steine flogen durch die Luft, aber sie zischten ausnahmslos ins
Leere - wir rannten viel zu schnell und in eine Richtung, die keiner der Irryasi erwartet hatte.
Der Häuptling hob sein Schwert. „Den überlaß mir!“ schrie ich und sprang ihn an. Ich traf ihn
mit der linken Schulter unter dem rechten Schultergelenk. Etwas knackte, und mit einem
Schmerzensschrei ließ der Irryasi die Waffe fallen. Ein Handkantenschlag ließ ihn umfallen
und betäubt liegenbleiben.
Badhurs Peitsche pfiff durch die Luft, und wo sie traf, hinterließ sie tiefe Wunden. Der Mann
kämpfte mit steinernem Gesicht, aber was er tat, verriet seine Wut. Er schonte seine Gegner
nicht.
Jashemyn, der flinke Götterdieb, hatte eine Reihe Messer im Gürtel, die er zielsicher zu
werfen wußte. Die Reihen der Irryasi lichteten sich. Die Knaben suchten kreischend das
Weite, während die Männer mit Wut in den Gesichtern heranstürmten.
Sie waren entschlossen, uns nicht mehr zu schonen. Ein Pfeil ritzte mich am Oberschenkel,
fast wäre ich gestürzt. Die Wunde war nicht gefährlich, blutete kaum, aber behinderte stark.
„Nach rechts!“ rief Demeter.
Das, was sie vollführte, hatte auch ich geprobt - und nur für zwei Minuten durchgehalten,
dann war ich zusammengesackt. Es war ein Kampf mit Händen und Füßen, bei dem jede
Bewegung ein Angriff war. Wie Windmühlenflügel wirbelten ihre Arme und Beine durch die
Luft, und wo sie hintraf, taumelte jemand mehr oder minder betäubt zurück.
Demeter war es, die uns die Gasse schuf, durch die wir stürmten. Die Irryasi heulten vor Wut
auf, als sie bemerkten, daß wir ihnen zu entkommen drohten.
Dann aber - von einem Augenblick auf den anderen - wurde es totenstill.
Die Irryasi standen wie erstarrt.
Dann hörten wir es. Flappen wie von Hubschrauberrotoren oder wie das Zusammenklatschen
von Scheuertüchern. Es kam näher und näher, und dann sahen wir die Quelle dieser
Geräusche.
Zwölf bis zwanzig Meter lang, groß und plump, die Haut schuppig und glänzend, die riesigen
Schädel an langen Hälsen vorgestreckt, jeder mit drei bis vier Kriegern auf dem Rücken.
„Drachen!“ schrie Maipo auf. „Um Himmels willen, richtige Drachen!“
Es waren dreißig oder mehr, die sich flügelschlägend auf das Irryasidorf stürzten. Sobald sie
in Bodennähe waren, sprangen die Bewaffneten von ihren Rücken, erzklirrende Krieger, die
ungestüm auf die Irryasi einstürmten und dabei sofort exakte militärische Formationen
bildeten. Die Drachen spien meterlange Flammenzungen und setzten die Hütten in Brand.
Kreischend stoben die Irryasi auseinander.
„Ordanu-Krieger!“ schrie Jashemyn. „Wehe uns, wenn sie uns fangen.“
Demeter zögerte einen Augenblick lang.
„Tovar, Maipo, Badhur, Jashemyn - schnappt euch einen der Drachen. Charriba und Shandrak
kommen mit mir!“
„Was hast du vor?“ schrie ich. „Demeter!“ „Weg von hier!“ rief sie im Laufen. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie sich der Häuptling der Irryasi in Sicherheit zu bringen versuchte. Er schaffte es nicht - ein heimtückischer Dolch streckte ihn nieder. Und die Täterin zwinkerte einem der Erzgeschienten kokett zu. Der Gepanzerte starrte einen Augenblick lang Thegeda an, dann streckte er sie mit einem Schwerthieb nieder. „Macht schnell!“ rief Demeter. Es war ein wüstes Durcheinander, das wir durchquerten. Irryasi und Drachenkrieger rannten umher und bekämpften sich ohne Plan und Ziel. Schwerterklirren war zu hören, heisere Rufe und lautes Wehgeschrei. „Vorwärts!“ rief Demeter. Wir rannten auf die Drachen zu, die uns ihre häßlichen Köpfe entgegenstreckten und züngelten. Jedes der Tiere wurde von einem Panzerreiter am Zügel gehalten, wahrscheinlich um ein Durchgehen der Drachen zu verhindern. Die Männer steckten in der Klemme - entweder verteidigten sie sich gegen uns und verloren dabei ihre Drachen, oder sie behielten die Zügel in der Hand und konnten sich nicht verteidigen. Wir nutzten diese Zwickmühle rücksichtslos aus. Es dauerte nur eine halbe Minute, dann lagen zwei der Drachenführer betäubt am Boden. „Los, klettert auf die Drachen!“ Einen Augenblick lang zögerte ich, aber dann sah ich, wie Demeter an der Flanke eines Drachen hochturnte und sich auf den Sitz des Drachenführers schwang, die langen Zügel fest in der Hand. Das Tier war mehr als zwei Meter hoch und nicht einfach zu besteigen. Ich schaffte es dennoch, neben mir kletterte Badhur hinauf. „Fertig?“ fragte Demeter. „Dann los!“ Jetzt erst bemerkten die Panzerreiter, daß sich Fremde ihrer Reittiere bemächtigt hatten. Wie auf Kommando ließen sie von den Irryasi ab, die durch diese Maßnahme wahrscheinlich vor einer entscheidenden Niederlage bewahrt wurden. Ich versuchte, meinen Drachen anzuspornen. Langsam setzte sich das geschuppte Flügelwesen in Bewegung. In seinem Innern brodelte und blubberte es. Die ersten Speere und Pfeile kamen herangeflogen. Einer der Pfeile traf mich hart an der Schulter, konnte das Kettenhemd aber nicht durchschlagen. Charriba, der seinen Bogen zur Hand hatte, setzte einen der Speerschleuderer außer Gefecht; die anderen sahen zu, daß sie in Deckung kamen. Langsam gewannen die beiden Drachen Höhe. Sie stiegen auf wie Fesselballons, reichlich langsam und behäbig. Erst als sie ein Dutzend Meter über dem Boden schwebten, breiteten sie ihre Flügel aus. „Na also“, stieß ich hervor. Demeter flog voran. Sie schien mit ihrem Drachen recht gut umgehen zu können, während mein Geselle ab und zu den Kopf nach mir wandte und mich beäugte. Der Blick sah ziemlich hungrig aus, und ich dachte daran, daß im Innern des fliegenden Kolosses Platz genug für unsere ganze Gruppe war. Ein Blick über die Schulter zeigte mir, daß die Erzgepanzerten nun endgültig von den Irryasi abließen und sich um ihre Drachen kümmerten. Das gab den Sumpfbewohnern Gelegenheit zum Gegenangriff, obwohl sie entschieden schlechter ausgerüstet waren als die Drachenreiter. Obwohl sie uns beinahe umgebracht hätten, mußte ich die Irryasi bewundern, so vehement griffen sie die Schwarzgepanzerten an. Die Drachenreiter steckten in einer neuen Zwickmühle. Wir hatten ihnen zwei ihrer Drachen entführt, und nun gab es nicht genügend Plätze, um alle in Sicherheit zu bringen. Wahrscheinlich zähneknirschend, verzichteten sie darauf, uns in geschlossener Formation zu verfolgen. Nur ein Drache stieg auf, die anderen Mannschaften nahmen den Kampf mit den Irryasi wieder auf.
Einzelheiten waren bald nicht mehr erkennbar - nur die hoch aufschießenden Flammen mitten im Wald verrieten uns, wo der Kampf tobte. „Demeter! Zurück zum Schiff!“ schrie ich zu ihr hinüber. „Versuche es selbst!“ lautete die Antwort, die zu mir herüberwehte. Ich versuchte, dem Drachen den Kopf zu wenden, aber das Biest dachte nicht daran, meinen Befehlen zu folgen. Das Monstrum flog stur geradeaus. Ich stieß eine Reihe von Flüchen aus. „Ich kann dir sagen, wohin sie uns bringen werden“, sagte Badhur, der unmittelbar hinter mir hockte. „Laß hören“, munterte ich ihn auf. „Zum Horst von Khassan“, sagte der Mädchenräuber, während er gleichzeitig versuchte, eine Schramme am linken Arm zu verbinden. „Dort sind die Drachenreiter stationiert, und vorher werden sie den Boden nicht berühren.“ „Was erwartet uns da?“ fragte ich weiter. „Der Tod“, antwortete Badhur in einem Tonfall, als ginge ihn das nicht das geringste an. „Von dort ist noch keiner lebend zurückgekommen.“ Noch einmal versuchte ich, meinen Drachen zu einer Kursänderung zu bewegen, aber ich scheiterte so kläglich wie beim ersten Mal. „Wo liegt der Horst von Khassan?“ fragte ich nervös. „Auf dieser Seite des Meeres?“ Badhur schüttelte den Kopf. „Auf der anderen Seite, aber dies ist nur eine große Bucht. Aufs offene Meer hinaus fliegen Drachen nur sehr ungern.“ „Wie erfreulich“, murmelte ich. Einstweilen gab es für uns nichts zu tun. Wir mußten alles den Drachen überlassen. Weit hinter uns erkannte ich den dritten Drachen, und wenn meine Augen mich nicht im Stich ließen, formierte sich am Dorf der Irryasi das ganze Geschwader, um die Verfolgung aufzunehmen. Wenn die Drachen tatsächlich so stur blieben und schnurstracks zu ihrem Horst flogen, konnten sich die Panzerreiter diese Mühe sparen. Wir würden ihren Kameraden genau vor die Speere fliegen. „Wer kommandiert über den Horst von Khassan?“ wollte ich wissen. Mit dem Wort kommandieren konnte Badhur nichts anfangen, ich mußte ihm den Begriff erklären. „Ah, du fragst nach dem Herrscher. Jungrar vin Khassan gebietet über dieses Land. Er wird sich riesig freuen, wenn er euch zu fassen bekommt - vor allem, wenn ihr erzählt, daß ihr von den Sternen kommt.“ Badhur sprach mit ruhiger Stimme, aber ich hatte nicht den Eindruck, als meinte er seine Worte ehrlich. Er schien vielmehr einen grausigen Scherz machen zu wollen. „Und warum das?“ fragte ich ahnungsvoll. „In wenigen Tagen werden sich die Mondgötter vereinigen“, erklärte er mir. Ich versuchte, das Ganze in astronomische Begriffe zu übersetzen. Die Monde hatten unterschiedliche Umlaufbahnen. Wahrscheinlich war mit dieser Vereinigung der Mondgötter gemeint, daß die drei Monde am Himmel sehr eng beieinander zu stehen schienen - vermutlich kam dieses Ereignis nur alle Jahrhunderte einmal vor und wirkte auf die Bewohner des Planeten entsprechend eindrucksvoll. „Viele Menschen haben Angst vor diesem Tag, weil sie fürchten, daß die Mondgötter alle Untaten gesehen haben und an diesem Tag bestrafen werden.“ Wahrscheinlich war es so, daß die Konjuktion der drei Monde auf dem Planeten Sturmfluten oder Erdbeben auslösten; daß die Menschen davor Angst hatten, war verständlich. „Weiter“, drängte ich. „Aus allen Ländern und von allen Völkern werden sich dann Abordnungen treffen, am Stein von Xaxakhan. Dort werden sie das Kostbarste, was sie haben, den Mondgöttern zum Oper bringen, damit sie von deren Zorn verschont bleiben. Zwei Tage und Nächte lang darf geopfert werden, und der Herrscher, der das kostbarste Opfer darbringt und damit die
Mondgötter besänftigt, wird dann Herrscher der Herrscher sein, König über alle Könige.“
Ich versuchte mir vorzustellen, wie diese Zeremonie aussah - sobald die Monde dicht genug
beieinander standen und sich die ersten Zeichen auf dem Planeten bemerkbar machten,
begannen die Eingeborenen mit ihrem Opferritus. Hörten Erdbeben und andere Zeichen auf,
wurde der, der gerade geopfert hatte, zum neuen Oberhaupt des Planeten - wer über einen
gescheiten Astronomen verfügte und ein bißchen Glück hatte, konnte auf diese Weise recht
billig an die Macht kommen.
„Und du meinst, daß wir die kostbarsten Opfer sein werden?“ fragte ich ohne Umschweife.
Badhur nickte grinsend.
„Mit Sicherheit“, sagte er. „Jungar vin Khassan ist ein sehr gerissener Mann, er wird bestimmt
das Rennen machen.“
Es dauerte geraume Zeit, bis ich aus dem beiderseitigen Kauderwelsch den Sinn
zusammengebastelt hatte; jedes zweite Wort mußte umständlich hin und her erklärt werden.
Aber schließlich begriff ich die Wahrheit. Wütend sah ich zu dem Mond hinauf, der schwach
erkennbar am Himmel stand. Die beiden anderen wurden erst abends sichtbar.
„So leicht bekommt ihr uns nicht“, sagte ich grimmig, und Badhur begann leise zu lachen.
7. Es konnte wirklich nur ein paar Tage dauern, schon jetzt standen die drei Monde ziemlich
dicht beieinander. Ich hatte den Verdacht, daß sie im Idealfall am Himmel ein gleichseitiges
Dreieck bilden würden - für die ahnungslosen Eingeborenen sicherlich ein beeindruckendes
Schauspiel.
Unentwegt flogen die Drachen weiter.
Ich fröstelte. Der Wind war kalt und biß ins Fleisch, außerdem wühlte der Hunger in meinen
Eingeweiden.
Dank des hellen Mondlichts konnte ich Demeters Drachen gerade noch erkennen. Er flog
immer noch voran, stets in der gleichen Entfernung.
Unter uns glänzte die See im Licht der drei Monde. Sie sah scheußlich naß und tief aus und
schien mich tückisch anzublinzeln, wenn die Wogenkämme im Mondlicht silberweiß blitzten.
Zu meinem Entsetzen begannen die beiden Drachen zu sinken. Ich stieß Badhur an, der an
mich gelehnt schlief und dabei furchterregend schnarchte.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte ich. „Ist das schon Khassan?“
„Es bedeutet, daß wir sinken“, sagte Badhur. „Mehr weiß ich auch nicht.“
Das widerliche Meereswasser kam immer näher. Wollten die Drachen etwa wassern, uns gar
abschütteln und elend ertrinken lassen?
„Aha, da wollen sie hin“, murmelte Badhur und deutete mit der rechten Hand nach vorn. Eine
schwärzliche Masse hob sich aus dem Silberflirren des Meeres hervor und wurde langsam
deutlicher und größer.
„Was ist das?“
„Hm“, machte Badhur. „Es wird doch nicht die Pechinsel sein?“
„Pech?“ Ich dachte an Unglücksfälle, Katastrophen und Mißgeschicke, aber der allmählich
stärker werdende Geruch informierte mich, daß wir es mit irgendeiner erdölähnlichen
Substanz zu tun hatten, die es in riesiger Menge auf der Insel zu geben schien.
„Was hat es mit der Insel auf sich?“ fragte ich. Ich hielt mir die Nase zu, der Gestank war
kaum auszuhalten.
„Die Drachen leben dort“, erklärte Badhur. „Ich scheine mich geirrt zu haben - die Drachen
wollen nicht zum Horst zurück, sondern zu ihrer Heimat.“
Unser Drache flog jetzt so dicht über dem Meer, daß ab und zu Spritzer zu uns heraufflogen
und uns gründlich durchnäßten. In dem eisigen Wind war das besonders unangenehm, bald
schnatterte ich und klapperte mit den Zähnen.
Dann rauschte es gewaltig, Wasser schäumte hoch, und ich hätte ums Haar den Halt verloren.
Der Drache hatte tatsächlich gewassert. Mit den Füßen paddelte er weiter, genau auf die
schwärzlichen Fladen zu, die auf der Oberfläche der See trieben. Gierig schlang der Drache
das zusammengeklumpte Erdöl in sich hinein.
Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Der Drache wollte nur tanken, sollte er.
Durch das Schmatzen und Schlürfen des Drachen erklang wenig später ein anderes Geräusch.
Es hörte sich nach Holz an, das auf Holz gerieben wurde, ein gräßlicher Laut, der rasch
anschwoll.
„Bei Ghaxas schwarzem Bart“, stieß Badhur hervor.
Das Klirren von Waffen mischte sich in das Ächzen und Kreischen des Holzes.
Mein Drache hob den Kopf und begann zu knurren.
„Drachen Jäger“, sagte Badhur. „Gleich werden sie hier sein.“
Demeters Drache spie eine lange Feuerzunge aus, die mit einem Schlag die Szenerie erhellte.
In dem strahlend hellen Schein sah ich ein hölzernes Schiff näher kommen, von einer Reihe
von Rudern vorangetrieben. Sie hatten das Kreischen und Schleifen verursacht.
Auch mein Drache schickte den Jägern einen feurigen Gruß als Warnung hinüber. Es waren
drei Schiffe, und an Deck erkannte ich mindestens einhundert schwerbewaffnete Männer.
Brandpfeile schossen von den Schiffen in die Höhe, beschrieben funkensprühende Bahnen
durch die Nacht und landeten im Wasser. Ein paar der Geschosse fanden ihr Ziel, einzelne der
Erdölinseln begannen zu brennen. Jetzt hatten die Drachenjäger genügend Licht, um ihrem
Beruf nachzugehen.
„Können wir uns mit ihnen anfreunden?“ fragte ich Badhur. Vor Kälte waren meine Glieder
viel zu steif, als daß ich noch hätte kämpfen können.
„Wenn wir uns ergeben, werden sie uns nicht umbringen“, sagte Badhur gemütlich.
Ich stieß einen Fluch aus.
„Heda!“ klang eine kräftige Männerstimme über das Wasser. „Ergebt euch, sonst schießen
wir euch von dem Drachen herunter.“
Ich sah Badhur an. Im Gesicht des Mädchenräubers zuckte kein Muskel. Als ich den Kopf zur
Seite wandte, sah ich, daß ein zweites Schiff Kurs auf Demeters Drachen nahm.
Ich ließ das Schwert in der Scheide. Der Drache war unruhig geworden. Wenn jetzt noch
Kampfgetümmel dazukam, warf er uns womöglich ab, und mit der schweren Rüstung am
Leib hatte ich in dem kalten Wasser keine zwei Minuten, um mich zu retten.
Das Schiff schoß heran und legte sich längsseits.
„Her mit den Zügeln!“ rief die Männerstimme.
Was blieb mir anderes übrig. Ich fügte mich in mein Schicksal.
* Wir standen an den Mast gebunden und lauschten den Gesängen, wie weiland Odysseus. Dabei war die Fesselung weitaus leichter zu ertragen als das Singen, die Drachenjäger sangen scheußlich falsch und mißtönend. Die Sonne war aufgegangen und kletterte am Himmel in die Höhe. Ihr Licht fiel auf eine Flotte von dreißig Schiffen, die sich der Küste entgegenbewegten. Hinter jedem Schiff hingen drei bis vier Drachen in der Luft; die langen Zügel waren an Bord festgeknotet worden. Die Jäger hatten reiche Beute gemacht, und offensichtlich rechneten sie auch uns zu den Schätzen, die sie zu verkaufen gedachten. Wenn ich an meine Zukunft dachte, überkam mich das Grausen. Selbst mit modernen Hilfsmitteln, wie sie unseren Freunden zur Verfügung standen, war es fast ausgeschlossen, uns fünf auf dem Planeten aufzustöbern. Und um den vermaledeiten Sternennebel schwirrten die Schiffe der Glyssaaner.
Träge krochen die Boote in den Hafen. Ein farbenfrohes und auffallend gutgelauntes Völkchen hatte sich am Hafen versammelt, um die Drachen Jäger und ihre Beute zu bestaunen. Neugierige Blicke trafen uns, als wir von Bord geschafft wurden. Ich suchte Demeter. Sie wurde von zwei Drachenjägern geführt, ziemlich behutsam, wie mir schien. Sie lächelte sogar zuversichtlich. Hoffentlich hatte sich unter ihren kupferfarbenen Locken bereits ein Plan geformt, wie wir aus dieser Misere herauskamen. - Ich für meinen Teil, hatte keine Vorstellung. Eine wesentlich präzisere Vorstellung von unserer Zukunft hatte der Mann, dem wir drei Stunden nach unserer Ankunft vorgeführt wurden. Die Drachenjäger lieferten ihre Beute bei niemand anderem ab als bei Jungar vin Khassan, und sie genierten sich auch nicht, ihm die beiden Drachen anzudrehen, die wir Khassans Soldaten abgenommen hatten. Als wir den Palast Khassans betraten, rief er recht angenehme Empfindungen bei uns hervor. Er war zum größten Teil aus funkelnd weißem Marmor gebaut; zierliche Säulen und prachtvoll geschwungene Fenster waren zu sehen, umgeben war der Palast von einem herrlichen Garten, in dem alle Blüten des Landes dufteten. Jungar vin Khassan allerdings korrigierte diesen Eindruck sofort. Der Mann war schätzungsweise fünfzig Jahre alt und hatte offenbar ein turbulentes Leben hinter sich. Er wirkte feist und aufgeschwemmt, aber das völlig vernarbte rechte Auge zeigte, daß er früher Gefahren nicht aus dem Weg gegangen war. Als wir vor ihn geführt wurden, in einen weiträumigen Marmorsaal mit durchbrochener Kuppeldecke, saß er zurückgelehnt in einem breiten Sessel, der üppig gepolstert war. Neben ihm stand ein ockerfarbener Riese mit blankrasiertem Schädel und nacktem Oberkörper, der sich auf ein riesiges Breitschwert stützte und uns finster musterte. Inzwischen beherrschte ich die Sprache gut genug, um das meiste verstehen zu können. „Das sind die Männer, hoher Herr“, versicherte der Anführer der Drachenjäger. „Die Frau wird noch umgezogen.“ Der Blick des Herrschers richtete sich auf mich. Den Mann durfte ich nicht unterschätzen. Mochte er auch ein Schlemmer und Trunkenbold sein - dieser Blick verriet Intelligenz und die Absicht, sich nicht übers Ohr hauen zu lassen. Ich hatte nicht vor, damit zu protzen, daß ich von den Sternen kam, daher gab ich mich meiner Kleidung gemäß als Wachsoldat aus, der nach Verbrechern gejagt hatte. Den Rest der Geschichte erzählte ich wahrheitsgemäß. Allerdings gab ich Jashemyn und Badhur nicht als die Gesuchten zu erkennen. Schweigend hörte sich Jungar meine Geschichte an. Ab und zu nippte er an einem Silberpokal. „Du lügst“, sagte er schließlich. „Und du lügst schlecht. Dein blödes Gestammel verrät, daß du nicht weißt, wovon du redest. Diese beiden Halunken sind überall bekannt.“ Er lachte schallend. „Sie haben mit mir manches gute Geschäft gemacht, nicht wahr?“ Jashemyn und Badhur erlaubten sich ein Lächeln. „Der Götze, den du mir beschafft hast, Jashemyn, war zwar das Gold nicht wert, das ich dir dafür gezahlt habe. Aber das Lösegeld, das ich bei der Rückgabe eingestrichen habe, entschädigte mich dafür. Und diese Lhusanderin...“ Badhur erwiderte das anzügliche Grinsen des Herrschers. Eine halbe Minute lang sah Jungar recht vergnügt aus, dann blickte er mich an und wurde wieder ernst. „Daß du ein Lügner bist, verrät deine Sprache. Der Bursche im schwarzen Leder sieht mich zu wütend an, um von dieser Welt zu stammen. Und Menschen mit solcher Haut wie die beiden anderen hat noch nie jemand gesehen.“ „Ich...“, begann ich, aber Jungar schnitt mir mit einer energischen Bewegung die Rede ab. „Ich weiß, woher ihr kommt. Aus dem Asyl der Nacht. Ihr seid Dämonen.“ „Was?“
Ich war so entgeistert, daß mir diese Frage entschlüpfte, und mein Gesicht mußte in diesem
Augenblick alles andere als dämonisch gewirkt haben.
„Mich werdet ihr nicht täuschen“, stieß Jungar hervor. Er stand auf und kam auf mich zu. „Ich
werde es dir beweisen, Ausgeburt der Finsternis.“
Er wandte sich an den ockerfarbenen Riesen.
„Rufe meinen Zauberer. Er soll sein Handwerkszeug mitbringen.“
Ich spürte, wie mich eine leise Beklemmung überfiel; mir war gar nicht wohl in meiner Haut.
Als aufgeklärter Erdenbürger glaubte ich natürlich kein Wort von dem Unfug, der über
Hexen, Dämonen, Zauberer und ähnliche Erscheinungen zusammenerzählt wurde.
Als Agent der Time-Squad hatte ich allerdings mehr als einmal Erfahrungen gemacht, die
meiner wissenschaftlichen Bildung glattweg Hohn sprachen. Vor allem unsere Erzfeinde, die
Oberen, hatten uns mehr als einmal mit Phänomenen konfrontiert, für die unsere
Wissenschaftler nicht die geringste brauchbare Erklärung gefunden hatten.
Aber das hatte sich Lichtjahre entfernt abgespielt. Hier konnte es sich nur um abergläubischen
Unfug handeln.
Ich atmete erleichtert auf, als der Zauberer den Raum betrat. Ein magerer, kurzgewachsener
Greis, außerordentlich kurzsichtig, mit einem verträumten Gelehrtengesicht.
„Prüfe sie“, bestimmte Jungar.
„Was geschieht, wenn sich herausstellt, daß wir keine Dämonen sind?“ wollte ich wissen.
Jungar lachte, und der Zauberer machte ein niedergeschlagenes Gesicht. Mit brüchiger
Stimme redete er den Herrscher an.
„Du weißt, daß die Dämonenprobe tödlich ist für jeden Sterblichen, Herr?“ erkundigte er sich.
„Ich weiß es - fange an.“
Er klatschte in die Hände. Ein Dutzend Krieger erschien, klirrend vor Erz, und schaffte die
beiden Räuber zur Seite. Ich sah, daß Jashemyn und Badhur uns mit einem Ausdruck des
Bedauerns ansahen.
„Wie du verlangst, Herr“, sagte der Zauberer. Er sah eher nach einem freundlichverkalkten
Hausarzt aus als nach einem Geistesbeschwörer und Dämonenkiller, aber der Humbug, den er
nun zu veranstalten begann, war beeindruckend.
Er verbrannte in einem der Feuerbecken, die den Raum erhellten, ein betäubend riechendes
Harz und murmelte dazu allerlei unverständliches Zeug. Dann förderte er einen Leinenbeutel
zutage und begann den Inhalt auszustreuen. Es war ein rötliches Pulver, mit dem er eine Linie
auf dem Steinfußboden zog.
Mit steigendem Unbehagen sah ich, daß der Boden an einigen Stellen Brandspuren aufwies,
und jetzt erst erkannte ich auch das Muster dieser Brandspuren.
Es war ein Pentagramm, auch Drudenfuß genannt - ein magischer Bezirk, der Dämonen und
Geister zugleich beschwor und bannte, wenn man den entsprechenden Schriften Glauben
schenken wollte.
„Sieh an.“ Jungar lachte auf. „Er wird blaß.“
Umständlich zog der Zauberer mit seinem Pulver die Linien nach, und mir wurde immer übler
zumute. Was, wenn an diesem Dämonenspuk wirklich etwas dran war?
„Nun, wie fühlt ihr euch?“ fragte Jungar. „Spürt ihr, wie euch der Atem ausgeht?“
Ich sah meine Gefährten an. Shandrak betrachtete das Ganze mit ausdruckslosem Gesicht,
desgleichen Charriba. Maipo allerdings atmete etwas schneller, und ich wußte, woran er
dachte - an Valcarcel.
Endlich war das Pentagramm vollständig, und ich fühlte mich von diesem magischen Zeichen
tatsächlich beengt.
„Versucht, das Zeichen zu verlassen“, sagte der Zauberer freundlich. Ich hob den rechten Fuß
und machte einen Schritt nach vorn.
Es war ein Gefühl wie bei einem heftigen Stromstoß. Ich stöhnte unwillkürlich auf, dann
setzte ich alle Kraft in die Bewegung. Der Schmerz war kaum zu ertragen, aber ich schaffte
es. Eine Sekunde später stand ich neben dem Drudenfuß, aber mein Atem verriet überdeutlich, wie schwer mir dieser eine Schritt gefallen war. Ich sah, daß Jungar die Zähne zusammenpreßte. Er war ein wenig bleich geworden. „Was hat das zu bedeuten?“ fragte er unwirsch den Zauberer. Der starrte mich fassungslos an. „Ich verstehe das nicht“, sagte der Hexenmeister stotternd. Auf ein Zeichen Jungars stießen mich die Krieger in das Pentagramm zurück. Wieder zuckte der Schmerz durch meinen Körper. „Nun die wirkliche Probe“, forderte Jungar. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt. „Herr, es wird sie töten!“ wagte der Zauberer zu sagen. Jungar sah ihn grimmig an, dann sagte er langsam: „Ich glaube nicht. Sie werden die Probe bestehen.“ Dem Zauberer wollten die Augen aus dem Kopf quellen. „Bestehen Herr?“ „Fang an!“ schrie Jungar. „Wachen, die Lanzen bereit!“ Langsam ging der Zauberer zu einer der Glutschalen hinüber, holte mit einer Zange ein Stück Holzkohle heraus und trug es zum Pentagramm hinüber. Als er das Pulver mit dem hellglühenden Kohlestück berührte, begann das Pulver zu zischen. Es fraß sich vorwärts wie eine Lunte, und mit jedem Schritt, den die sprühende Glut zurücklegte, spürte ich eine immer stärker werdende Beklemmung. Ein betäubender Geruch schlug mir entgegen und benebelte mir die Sinne. Die Umwelt verschwamm vor meinen Augen. Jungar schien sich aufzulösen und in einzelne Teile zu zerfallen. Ich sah, wie sich seine Hand von seinem Körper löste, riesenhaft anschwoll und dann zerplatzte. Eine Wolke roter Blüten regnete auf den Boden herab. Die Furcht, die ich empfand, schlug rasend schnell ins Gegenteil über. Ich fühlte mich prächtig, im Vollbesitz meiner Kräfte. Ich reckte und dehnte mich, streckte die Arme aus. Gelbe Mauern umstanden mich, und ich drückte sie einfach auseinander. Mein Kopf schoß in die Höhe, drang ohne Widerstand oder Schmerz durch die Decke der Halle. Ich sah den Himmel, und als ich den Blick senkte, sah ich auf den Palast herab und erfreute mich an den Blumenbeeten zwischen den Mauern und Gebäuden. Aus immer größer werdender Höhe sah ich auf die Stadt herab, immer kleiner schienen die Häuser zu werden. Ganze Landschaften tauchten in meinem Blickfeld auf, Länder und Meere, und immer noch wuchs ich. Ich sah die Kugel des Planeten, die drei Monde, die langsam ihre Bahn zogen. Das Licht der Sonne tat mir gut, es ließ mich wachsen und stärker werden. Fahle Schleier tanzten vor meinem Gesicht, ich versuchte, nach ihnen zu greifen, aber sie entzogen sich meinem Griff, verwehten und verschwanden. Eine ungeheure Wärme drang von allen Seiten auf mich ein, ich spürte Ströme ungeheurer Kraft durch meinen Körper rasen. Längst war das System nicht mehr zu sehen, ich war darüber hinausgewachsen, übersah den Höllenschlund und bemerkte das Gewimmel von Schiffen, das ihn umschwirrte. Was konnte dieser Mückenschwarm mir anhaben, mir, der ich die Grenzen des Vorstellbaren sprengte? Wie konnten mir diese Flotten gefährlich werden, ich konnte jedes einzelne Schiff mit einer Fingerbewegung vernichten. Nichts konnte sich mir mehr in den Weg stellen... In diesem Augenblick dachte ich an Demeter, und im gleichen Sekundenbruchteil wurde aus der maßlosen Euphorie eine mörderische Angst. In rasender Geschwindigkeit stürzte ich in mich zusammen. Die Massen des Sternennebels rückten auf mich zu und wollten mich erdrücken, Sonnen und Planeten kamen auf mich zu und drohten mich zu zerschmettern, dann stürzte ich aus riesiger Höhe auf die Oberfläche des Planeten herab, fiel auf das Land zu, auf die Häuser der Stadt. Immer näher kam das weißschimmernde Kuppeldach des Palasts... Den Aufschlag auf den Boden der Halle spürte ich deutlich, ein scharfer Schmerz zuckte von den Knien in meinen Körper. Ich fühlte den kalten Boden, und langsam fand ich wieder zu mir. Ich richtete mich auf.
Fassungsloses Erstaunen spiegelte sich im Blick des Hofzauberers, und das Gesicht Jungars vin Khassan drückte Abscheu und Triumph zugleich aus. „Ich verstehe das nicht“, stieß der Zauberer hervor. Er starrte abwechselnd auf mich und auf die schwarze Spur am Boden. Das Zauberpulver war ausgebrannt. „Ich verstehe es einfach nicht.“ „Aber ich“, sagte Jungar vin Khassan mit häßlichem Lachen. „Es sind echte Dämonen, wie geschaffen dafür, den Mondgöttern geopfert zu werden. Schafft sie fort!“
8. Wir konnten sie hämmern und klopfen hören, und wir wußten, woran sie arbeiteten - die letzten Vorbereitungen für den großen Abend wurden getroffen, die Stunde der Vereinigung der Mondgötter. Höhepunkt der Zeremonie würde die feierliche Vernichtung einer Gruppe scheußlicher Dämonen sein, mit höhnischem Respekt hatte man uns darüber aufgeklärt. Die Wunde unseres Kerkers waren feucht und kalt, das Stroh auf dem Boden roch faulig, und ab und zu huschten Ratten aus ihren Löchern. Unter der Decke hatten sich zwei Dutzend abscheulich große Spinnen angesiedelt. Ich spähte aus dem schmalen Fenster ins Freie. Es begann zu dämmern. Nach dem Willen unserer Wärter würde unser Leben nur noch wenige Stunden währen. Auf dem Weg zu diesem Ort des Schreckens waren wir Tausenden von Menschen begegnet; aus allen Himmelsrichtungen strebten sie heran, von allen Küsten, aus entlegenen Gebirgstälern. Teilweise waren die Karawanen länger als ein Jahr unterwegs gewesen. Schauplatz des gräßlichen Ritus war ein Talkessel; die Form ließ vermuten, daß ein gewaltiger Meteorit ihn in das Gebirge gestanzt hatte. Herausgekommen war ein riesiges Amphitheater, das von den Bewohnern des Planeten ausgebaut worden war. Der gesamte Ringwall war mit Gängen und Kammern durchsetzt, es gab Vorratsspeicher, Kerkerzellen, Tierkäfige, Unterkünfte für Krieger und geräumige Wohnanlagen für die Vornehmen des Planeten. Einen Tag lang hatten wir das Getümmel verfolgen können, eine Versammlung von Kriegern und Zauberern, Herrschern und Untertanen, Händlern und Marketendern - und einer großen Zahl von Menschen und Tieren, die in einer langen Zeremonie den Mondgöttern geopfert werden sollten. Zu diesen Opfern zählten auch wir vier - Charriba, Maipo, Shandrak und ich. Jashemyn und Badhur waren von Jungar vin Khassan freigelassen worden, als Dank dafür, daß sie uns dem Fürsten in die Hände gespielt hatten. Demeter hatte man von uns getrennt, eine besondere Leibwache schirmte sie ab. Wir hatten allerdings feststellen können, daß sie mit größter Höflichkeit behandelt worden war. „Es wird bald losgehen“, sagte ich und räumte den Platz an dem schmalen Fenster. Die nächste Stunde verbrachten wir mit düsterem Brüten; es gab nichts, was wir hätten tun können, um unsere Lage zu verbessern. Die Wände bestanden aus dickem Felsgestein, und wir hatten keinerlei Hilfsmittel. Die Tür aus handbreitem Holz war zwar primitiv verriegelt, aber die Riegel saßen außen, wir konnten sie nicht erreichen. Dann hörten wir Schrittgeräusche und Klirren von Waffen. Wenig später wurden die Riegel hart zur Seite geschoben. Auf der Schwelle erschien einer der Krieger des Jungar vin Khassan. „Kommt!“ sagte er und winkte uns aus der Zelle. Offensichtlich hielt man uns für sehr gefährlich; zwanzig Mann waren aufmarschiert, um uns in die Arena zu führen. Routiniert fesselte man uns die Hände, dann ging der Marsch los.
Unterwegs sahen wir, wie andere Gefangene in unseren Zug eingereiht wurden. Die Zahl der verängstigten Gesichter wuchs beständig. Die Sonne war bereits untergegangen, als wir ins Freie traten. Es war still in der Arena. Einige zehntausend Menschen hatten Platz darin gefunden. Zwischen den Zuschauerblöcken standen große Metallschalen, in denen Feuer brannten. Rings um die Arena zog sich ein doppelreihiger Kranz von Fackeln, der die Szenerie in ein gespenstisches Licht tauchte. Zu meiner Rechten erkannte ich die Ehrentribüne, eine Reihe schlanker Säulen trug einen großen Balkon, auf dem die Herrscher Platz genommen hatten. Auf einem vergoldeten Thronsessel in der Mitte saß der Herrscher der Herrscher, ein rundlicher Mann mit freundlichverschmitztem Gesichtsausdruck. Der Platz zu seiner Rechten war frei, links neben dem Herrscher erkannte ich Jungar vin Khassan, der ein sehr zufriedenes Gesicht machte. Ich warf einen Blick zum Himmel. Die beiden größeren Monde, die weiter vom Zentralplaneten entfernt waren, standen nahe beieinander. Der dritte, kleinere Mond stieg gerade über dem Berg auf. „Eindrucksvoll“, murmelte Maipo. Die unterste Reihe der Zuschauer bestand aus einer geschlossenen Formation von Kriegern - hauptsächlich Bogenschützen und Speerschleuderer -, die knapp fünf Meter über dem Sand der Arena saßen und wohl die Aufgabe hatten, jeden Fluchtversuch zu vereiteln. Eine Hundertschaft von Lanzenträgern hatte uns zu bewachen - eine Gruppe von ungefähr fünfzig Menschen, die dazu bestimmt waren, den Mondgöttern geopfert zu werden. Ein Raunen ging durch die Menge, als der Herrscher der Herrscher aufstand, seine Krone absetzte und auf den Thron legte. Danach nahm er auf dem freien Platz rechts neben dem Thronsessel Platz. Damit war die Zeremonie eröffnet, das Ritual konnte beginnen. Einer der Zauberer trat vor, stellte sich zwischen zwei blakende Feuerbecken und breitete die Arme aus. Was er sagte, konnte ich nicht verstehen, aber die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. Aus dem Sandboden der Arena quoll weißer Nebel hervor, der sich rasch verbreitete und den Boden einhüllte. „Los, vorwärts mit euch“, sagte der Anführer der Garde. „Ihr werdet dort Waffen finden, vielleicht helfen sie euch!“ Er stieß ein höhnisches Lachen aus. Die Krieger drängten uns vorwärts, in den Nebel hinein, der mannshoch an der Umfassung entlangwallte und sich auf uns zuschob. Einige der Opfer begannen zu ächzen und zu stöhnen. Ich überlegte ein paar Sekunden lang. Daß man uns Waffen anbot, deutete auf einen Kampf hin - wir sollten nicht nur umgebracht werden, sondern vorher auch noch ein blutiges Spektakel liefern. Ich hatte keine Lust, in diesem widerwärtigen Schauspiel mitzuspielen; tat ich es nicht, bekam ich wahrscheinlich sehr bald einen Pfeil oder einen Speer in den Rücken. Ich entschloß mich, mein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen, allerdings nicht um den Preis, einen meiner Leidensgenossen zu töten. Ich marschierte in den Nebel hinein, und schon nach ein paar Schritten hatte ich meine Gefährten aus den Augen verloren. Ich ging einfach geradeaus, und nach knapp dreißig Schritten stolperte ich über etwas. Ich griff nach unten und bekam die Klinge eines Schwertes zu fassen. Ich klemmte mir die Waffe zwischen die Knie und säbelte damit meine Handfesseln auf. Dann suchte ich weiter, fand noch zwei Dolche, die ich in den Gürtel stockte, und eine Wurfkeule. Ebenso rasch, wie er gekommen war, löste sich der Nebel auf, er versank einfach im Boden. Als der Blick wieder klarer wurde, konnte ich meine Gefährten erkennen. Shandrak hatte sich ein Schwert und einen Speer besorgt, Charriba hatte drei leichte Wurfbeile im Gürtel stecken und ein viertes in der Hand. Maipo war noch damit beschäftigt, seine Fesseln aufzuschneiden.
Auf den ersten Blick war klar, daß dem Publikum ein blutiges Schauspiel geboten werden sollte - die Waffen reichten nicht aus, um jeden der Unglücklichen zu bewaffnen. Ein paar liefen verstört umher, noch immer gefesselt. Ich ging auf einen der Männer zu, schnitt ihm die Fessel auf und drückte ihm einen Dolch in die Hand. „Bleibe in der Nähe“, sagte ich beschwörend. Der Mann hielt den Dolch in der Hand, stierte auf mein Schwert. Offenbar rechnete er sich aus, daß er mit dieser Waffe eine erheblich größere Lebenserwartung hatte. In seiner Verzweiflung versuchte er es. Die Klinge stieß auf mich zu. Ich schlug ihm den Arm zur Seite und stellte ihm ein Bein. Der Länge nach schlug er auf den Boden und stieß einen Entsetzensschrei aus, wohl in der Erwartung, daß ich ihm zur Belohnung für seinen Mordanschlag mein Schwert in den Rücken stoßen würde. Ich ließ ihn liegen und eilte zu Charriba hinüber, der sich mitten in der Arena aufgestellt hatte und seine Blicke schweifen ließ. Auch Maipo und Shandrak fanden sich dort ein. „Ich bin gespannt, was sie sich haben einfallen lassen“, sagte Maipo leise. Wieder trat einer der Zauberer vor. Jeder der Planetenfürsten hatte offenbar seinen Hofzauberer mitgebracht und setzte ihn ein, um das Schauspiel anzureichern. Nicht nur in der Arena fand ein Kampf statt es gab ebenso ein erbittertes Ringen um den nun freien Thron des Herrschers über die Stadtfürsten. „Sie wollen uns ersäufen!“ stieß Shandrak hervor, als er das Wasser aus dem Boden quellen sah. Es stieg rasch an, schon nach kurzer Zeit spülte es uns um die Knöchel. Das kalte Wasser brachte einige der Verstörten offenbar zur Besinnung, sie streckten ihren Leidensgefährten die gefesselten Hände hin ohne Ergebnis. Die oberste Regel, die allen bekannt zu sein schien, besagte wohl, daß jeder in erster Linie für sich selbst zu sorgen hatte. Die einzigen, die sich erbarmten, waren meine Freunde und ich - es würde sich zeigen, ob wir uns damit einen Gefallen taten. Das Wasser spülte uns um die Bäuche. Große Blasen stiegen auf und zerplatzten an der Oberfläche. Wieder legte sich ein Nebel über das Arenagelände. Während das Wasser an uns in die Höhe kroch, ballte sich dierser Nebel mitten auf der Wasserfläche zusammen und wurde von Herzschlag zu Herzschlag kompakter. Konturen begannen sich herauszuschälen. Was da sehr rasch Gestalt annahm, war ein Schiff, fast zwanzig Meter lang, von Rudern getrieben und mit Kriegern bemannt. „Sind die echt?“ stieß Maipo hervor. Die Krieger trugen Waffenröcke, aber keine Helme. Ihre Köpfe erinnerten an Katzen, grauschwarz getigert, mit schräggestellten grünen Augen. Ihr Fauchen schallte zu uns herüber. „Warum willst du das wissen?“ fragte ich. „Es wird mir leichterfallen, mit Spukgestalten herumzukämpfen“, antwortete Maipo. „Ich halte es für Spuk“, sagte ich. „Aber für einen sehr handfesten!“ Ich sah mich rasch um, auf der Suche nach einer Möglichkeit, wie man dieser Gefahr begegnen konnte. Die Katzenköpfigen hatten es nicht eilig - sie wollten die Opfer noch ein wenig scheuchen und quälen, bevor sie sie umbrachten. „Wir müssen näher heran!“ bestimmte ich. „So nahe wie möglich!“ Das Wasser reichte uns nun bis zur Brust und stieg noch immer, wenn auch erheblich langsamer. Mit gemächlichen Ruderbewegungen strich das Schiff durchs Wasser. Ich steckte das Schwert in den Gürtel und begann zu schwimmen. Neben mir erkannte ich Charriba, der ein türkisfarbenes Stirnband trug. In seinen Augen blitzte wütende Entschlossenheit. Unsere Leidensgenossen versuchten, sich an den Arenawänden in Sicherheit zu bringen und liefen dabei Gefahr, sich selbst einzukeilen. Aus den Reihen des Publikums kam Beifall auf, als sie erkannten, daß vier der Todgeweihten es wagten, auf das Schiff zuzuschwimmen.
Der Bug schwenkte langsam herum, genau auf uns zu.
„Wir müssen das Heck erreichen!“ rief ich. Charriba grinste mich an. Er hatte begriffen, was
ich ausgebrütet hatte.
Das Schiff nahm Fahrt auf und glitt auf uns zu. Auf dem Deck tauchten Bogenschützen auf
und ließen die Sehnen schwirren. Charriba stieß ein verächtliches Knurren aus, als die erste
Pfeilsalve uns weit verfehlte. Auch die Speerschleuderer zielten nicht besser.
Dann war das Schiff heran. Ich holte tief Luft und tauchte weg. Nach ein paar Augenblicken
berührte ich den Boden. Ich hörte das Schlagen der Ruderblätter über mir, das Rauschen des
Schiffsrumpfes durch das Wasser. So flach wie möglich drückte ich mich auf den Boden.
Der Kiel strich sanft über meinen Rücken, aber mir blieb vor Schreck fast das Herz stehen.
Endlos lange schien dieses Schleifen zu dauern, und in meinen Lungen breitete sich ein
furchtbarer Schmerz aus.
Ich zog mich mit den Händen über den Boden, zog die Beine an den Leib und stieß mich in
die Höhe.
Um eine Handbreit verfehlte das letzte Ruder meinen Kopf. Ich schnappte gierig nach Luft.
Neben mir schoß Charriba aus dem Wasser.
„Rasch, ziel auf das Ruder!“ stieß ich hervor.
Charriba brauchte nur einen Blick, um das Ziel zu finden. Das Ruder am Heck wurde über
Stricke bewegt. Charriba holte Luft und tauchte wieder unter.
Ein paar Sekunden danach schnellte er wie ein fliegender Fisch aus dem Wasser, den rechten
Arm zum Wurf erhoben. Ein Schrei ging durch die Menge, als das Beil seine Hand verließ
und durch die Luft sauste. Das Geschoß schien hin und her zu torkeln - aber es traf sein Ziel.
Mit einem häßlichen Geräusch schlug es am Ruder ein, das Lenkseil riß, und im nächsten
Augenblick änderte das Schiff den Kurs.
Es allein mit den langschäftigen Rudern zu steuern, mußte außerordentlich schwierig sein
und darauf hatte ich gehofft.
Das Wutgeheul der Katzenköpfigen schallte zu uns herüber.
„Wir brauchen eine von den Fackeln“, rief ich. Das Wasser stand jetzt so hoch, daß wir
ständig schwimmen mußten.
So schnell wie möglich schwammen wir zur Arenawand hinüber. Die unterste Fackelreihe
war knapp zwei Meter vom Wasserspiegel entfernt.
„Charriba und Maipo, ihr stützt mich - und Shandrak klettert an mir hoch!“
Die Freunde begriffen sofort, was ich meinte. Eng an die Wand gepreßt, tauchten Maipo und
Charriba weg.
Ich versuchte, auf ihren Schultern Halt zu finden, glitt ab und landete im Wasser. Das Schiff
schwang langsam herum und trieb in einer Schlängelbewegung auf uns zu.
Der nächste Versuch. Diesmal fand ich Halt und richtete mich an der Wand auf. Shandrak
packte mein rechtes Bein und turnte mit katzenhafter Gewandtheit an mir in die Höhe. Ich
versuchte ihn nach Kräften zu unterstützen.
Auch dieser Versuch schlug fehl, begleitet vom höhnischen Lachen der Zuschauer.
Maipo und Charriba schnappten keuchend nach Luft.
„Ich versuche es mit dem Rücken zur Wand“, stieß ich hervor. „Dann kann ich Shandrak den
nötigen Schwung geben!“
Wieder tauchten Maipo und Charriba weg. Ich stieg auf ihre Schultern, sie drückten in die
Höhe, und ich scheuerte mit dem Rücken über das scharfkantige Gestein. Shandrak turnte
wieder an mir hoch, stellte den rechten Fuß in die Höhlung meiner Hände.
„Jetzt!“ keuchte ich.
Mit aller Kraft wuchtete ich ihn in die Höhe. Im gleichen Augenblick brach die
Menschenpyramide zusammen, ich stürzte ins Wasser. So schnell wie möglich tauchte ich
wieder auf.
Shandrak hatte die Halterung der Fackel erreicht. Hoch über ihm erschienen die Gesichter der
Krieger. Speerspitzen wurden sichtbar.
Während Shandrak die Fackel zu ergreifen versuchte, wurde er von Bogenschützen des
Schiffes unter Beschüß genommen. Die ersten beiden Pfeile verfehlten ihn, der dritte streifte
seinen linken Arm. Shandrak stöhnte leise auf und ließ los. Mit der Rechten zog er sich ein
Stück hoch, packte mit der Linken wieder zu und stemmte die Füße gegen die Wand.
Hinter mir ertönte ein Schrei -Charriba hatte mit einem Wurfbeil den Bogenschützen auf dem
Bug des Schiffes außer Gefecht gesetzt.
Wir mußten zur Seite schwimmen, um nicht unter den Bug des Schiffes zu geraten.
Verzweifelt spähte ich hinauf zu Shandrak. Der zerrte gerade die Fackel aus der
Bronzehalterung. Die Flammen versengten seine Haare, Harz tropfte brennend herab, aber der
Shyftaner ließ nicht los.
Der Bug des Schiffes war nur noch zwei Meter von der Arenawand entfernt, und drei
Speerschleuderer holten gerade zum Wurf aus. Auf diese Entfernung mußten sie treffen.
Shandrak hatte nur dann noch eine Chance, wenn er sich sofort zur Seite fallen ließ.
Ich sah, wie er die Beine anzog und den Körper zusammenkrümmte, dann schnellte er sich
mit aller Kraft nach hinten, die Fackel in der Linken fest umkrallt.
Die Speere sausten an ihm vorbei, als er in einem weiten Bogen rückwärts auf das Schiff
herabfiel. Er beschrieb in der Luft eine Rolle; wie er auf dem Deck des Schiffes landete,
konnte ich nicht sehen.
Im nächsten Augenblick sprühten Funken auf. Das Schiff begann zu zischen wie eine
Wunderkerze. In rasender Eile breitete sich das Feuer aus, das Schiff verschwand in einem
grell feuchtenden Glutball, aus dem farbige Funkenbündel nach allen Seiten sprühten. Einen
Augenblick lang sah ich einen dunklen Körper sich unscharf gegen diese Glut abzeichnen,
dann mußte ich die Augen schließen, um nicht geblendet zu werden. Mit heftigen
Schwimmstößen versuchte ich, mich von dem Schiff zu entfernen.
Ohrenbetäubendes Schreien erklang aus der Höhe, das Publikum raste.
In sicherer Entfernung drehte ich mich wieder um. Das Schiff platzte auseinander wie ein
Bündel Feuerwerkskörper, das Wasser zischte und brodelte.
Neben mir erschien Maipo, dann Charriba - und ein paar Augenblicke später ein keuchender,
aber breit grinsender Shandrak.
„Das war reichlich knapp“, sagte er schnaufend.
Ich sah hinüber zur Ehrentribüne dort kippte gerade eine Gestalt vornüber, der Zauberer,
dessen Spukgebilde wir zerstört hatten. Im Rücken des fallenden Körpers sah ich den Griff
eines Dolches.
Ein paar Augenblicke später war das Schiff endgültig verschwunden, gleichzeitig strömte das
Wasser aus der Arena. Wir bekamen wieder festen Boden unter die Füße, und als das Wasser
endgültig abgelaufen war, konnten wir sehen, daß der Sandboden der Arena völlig trocken
war. Ich schluckte heftig.
Offenbar hatten in dieser Arena die Naturgesetze wenig oder gar keine Gültigkeit.
Und ich kannte nur eine Macht, die sich immer wieder mit schreckerregender Souveränität
über die Naturgesetze hinwegzuheben vermochte die Oberen.
Zu langen Überlegungen hatte ich keine Zeit. Das Tor, durch das wir die Arena betreten
hatten, flog auf. Ein paar Zehntschaften Krieger stürzten herein.
Die meisten beschäftigten sich damit, die Überlebenden des Spektakels einzusammeln. Die
Leute ließen sich willig entwaffnen und zusammentreiben, und ich sah in ihren Gesichtern
Fassungslosigkeit, als sie feststellten, daß sie nicht getötet wurden. Die Krieger zerrten sie
zurück in ihre Kerker.
Zwei Dutzend Bewaffnete hielten uns in Schach, mit Bögen und Speeren. Sie warteten, bis
alle anderen die Arena verlassen hatten, dann zogen sie sich zum Eingang zurück. Ich ahnte,
daß nun der letzte Akt des Dramas begann.
9.
In ängstlichem Schweigen verharrte die Menge, als der Boden zu zittern begann. Es fühlte
sich an, als kröche eine riesige Schildkröte unter uns durch - wir wurden langsam, aber
unwiderstehlich in die Höhe gedrückt, verloren den Halt und kippten um, dann sackte der
Boden wieder unter uns weg. Die Umgebung verschwamm vor meinen Augen, ich sah nur
noch zuckende und wogende Lichter.
Durchgeschüttelt und zitternd wand ich den Kopf und sah zum Himmel hinauf.
Die Dreieckskonstellation war nahezu erreicht; in ein paar Minuten mußten die drei Monde
am Himmel das Bild eines gleichseitigen Dreiecks formen.
Die Stimme Jungars hallte über den Platz.
„Nur Dämonen können solches bewirken“, schrie er mit lauter Stimme. „Und nur das Opfer
dieser Dämonen kann uns vor dem Zorn der Mondgötter retten!“
Wie zur Bestätigung seiner Worte zitterte der Boden erneut. Wieviel davon ließ sich mit
Naturereignissen erklären, wieviel mochte auf das Konto magischer Manipulation gehen?
„Und dieses Mal werden wir die Mondgötter in ganz besonderem Maße günstig stimmen
können. Nicht nur, daß wir ihnen diese vier dämonischen Kreaturen opfern werden, wir
werden ihnen auch die Königin dieser Dämonen darbringen.“
Demeter, schoß es mir durch den Kopf.
Sie war es, flankiert von sechs Kriegern in schwarzem Erzpanzer wurde sie in die Arena
geführt; ein Raunen ging durch die Reihen der Zuschauer, als sie Demeters Haar im Licht der
Fackeln sahen. Demeter trug einen weißen Umhang, sie war nicht gefesselt.
Langsam kam sie auf uns zu. Ihr Gesicht wirkte sehr ernst.
Die Krieger zogen sich zurück. Wir waren allein in der Arena. Ich ging auf Demeter zu und
nahm sie in die Arme.
Ich spürte, daß sie schnell und stoßweise atmete, sie zitterte leicht. Sonst war von Angst
nichts zu bemerken, neugierig blickte sie in die Runde.
„Hast du eine Ahnung, was sie mit uns vorhaben?“ fragte ich halblaut.
„Nein“, antwortete sie knapp.
Wieder wurde der Boden von Erdstößen durchgeschüttelt, diesmal schwächer als bei den
ersten Erschütterungen. Ich blickte zum Himmel hinauf.
Die Konstellation war nahezu perfekt; es sah beeindruckend aus.
Auf der Ehrentribüne war Jungar vin Khassan nach vorn getreten. Er stellte sich vor den
leeren Thron, nahm die Krone und setzte sie sich auf. Die Menge erhob sich. Das Gesicht des
ehemaligen Oberherrschers war eine Grimasse mühsam beherrschter Wut.
Jungar gab seinem Magier einen Wink, der trat mit linkischen Bewegungen nach vorn und
breitete die Arme aus.
Rasch sah ich mich um. Welchen Spuk hatte man jetzt für uns vorbereitet?
Am Rande der Arena, dort, wo der dunkle Fels den hellen Sand des Bodens berührte, wurde
ein gelbliches Leuchten sichtbar. Wie ein Bündel gelber Schlangen züngelten Energielinien in
die Höhe und verbanden sich zu einem Netz, das die gesamte Arena umgürtete.
Ich ballte die Fäuste. Was hatte das zu bedeuten?
„Pentagramme“, sagte Demeter leise. Jetzt erst erkannte ich das Muster, das die Linien
bildeten. Es waren tatsächlich Drudenfüße. Ich erinnerte mich an die Szene in Jungars Palast,
und mir brach der Schweiß aus. Zu Frisch war die Erinnerung, als daß ich sie hätte
unterdrücken können.
Das Energienetz wuchs in die Höhe und begann sich über unseren Köpfen zu wölben. Die
Lücken in dem Netz wurden dabei größer, groß genug, um jemanden durchschlüpfen zu
lassen, aber ich ahnte, daß uns das nicht gelingen würde.
„Seltsam“, murmelte Demeter. „Sollten sie uns mit den Waffen vernichten wollen, die wir gegen sie einsetzen?“ Es kam auch mir rätselhaft vor, aber zum Nachdenken blieb keine Zeit mehr. Das Gewölbe zog sich zusammen, die energetischen Strukturen näherten sich uns. Ging es von den Linien aus, oder kam es aus meinem Innern - ich spürte, daß ich mich immer unbehaglicher fühlte. Meine Nackenhaare sträubten sich. Ich sah Demeter an, auch auf ihrer glatten Stirn erschienen feine Schweißtropfen. Durch die Lücken blickte ich zur Ehrenloge hinüber. Jungar vin Khassar hatte sich vorgebeugt und betrachtete gierig das Schauspiel. Auch die meisten Zuschauer hatten sich erhoben und starrten gebannt auf das Geschehen in der Arena. Der Boden zitterte leicht. Dann ging ein Aufschrei durch die Zehntausende. Unsere Köpfe flogen herum. Zwischen den drei Monden begann es ebenfalls zu leuchten. Für jeden erkennbar, bildete sich auch dort der Drudenfuß, das magische Pentagramm. Es wurde mit jedem Augenblick größer, bis es den ganzen Raum zwischen den drei Monden ausfüllte. Die Linien strahlten immer heller. Ich sah, daß Demeter einen raschen Blick auf das Energiegatter warf, das uns bedrängte. „Was überlegst du?“ fragte ich. „Das Gebilde am Himmel muß unseren Freunden auffallen“, sagte Demeter leise. „Ich hoffe, daß sie bei diesem Anblick alles stehen und liegen lassen werden. Mit dem Schiff können sie in sieben bis zehn Minuten hier sein.“ „Haben wir noch soviel Zeit?“ fragte ich. Ein Blick auf unser energetisches Gefängnis zeigte mir, daß wir nicht mehr genug Zeit haben würden. Die Zahl der energetischen Pentagramme hatte sich vermindert, die freien Räume zwischen den Linien hätten für Elefanten ausgereicht. „Charriba, versuche es mit einem Beil“, sagte Demeter leise. Der Indianer gehorchte sofort. Das Beil flog schwirrend durch die Luft, erreichte das Gatter und verging in einem grell leuchtenden Blitz, als es die Linien erreichte. Ich sah, daß Charriba die Lippen zusammenpreßte. Jäh zuckte eine Idee durch meinen Kopf. Ich zögerte keinen Augenblick und rannte los. Es war ein Vorgeschmack auf die Hölle - mit jedem Schritt, den ich tat, wurde die Panik in mir größer. Mit aller Gewalt mußte ich gegen die Sturzflut von Ängsten ankämpfen. Ich spürte, wie sich mir förmlich der Magen umdrehte. Je näher ich dem Gatter kam, um so stärker wurde dieses Gefühl. Was mich quälte, war nicht Todesfurcht - die war in der Lage, die letzten Kraftreserven zu mobilisieren - es war Todesangst, die nur aus meinem Innern aufstieg und mich zu lahmen drohte. Was ich in diesen Augenblicken durchzufechten hatte, war ein Kampf zwischen Furcht und Angst, zwischen dem Willen, alles zu wagen und einzusetzen, um die mörderische Bedrohung abzuwenden, und der immer stärker werdenden inneren Lähmung, die meinen Geist kurzzuschließen schien. Ich warf mein Schwert auf den Boden. Es überschlug sich ein paarmal und blieb dann liegen. Zehn Schritte war ich von dem magischen Gatter entfernt. Ich wußte, daß meine Angst von dem magischen Feld der Pentagramme ausgelöst wurde; ich spürte, wie mich diese Angst immer mehr innerlich verhärtete und lahmte, mich zusammendrückte und drohte, mich implodieren zu lassen und so zu töten. Und gleichzeitig spürte ich die ungeheure Kraft, die mich anspornte und vorwärtsstieß, die alle Energien sammelte, um sie mit explosiver Wucht gegen das mörderische Hindernis zu wenden. Ich wich einen Schritt zurück, um den Druck ein wenig zu lindern. Ich spürte, daß ich dieses innere Zerreißspiel nicht lange würde durchhalten können. Meine Augen zitterten, mein Blick wurde unklar. Aber ich sah, wie das Feld über die Waffe hinwegglitt und ich sah sie unversehrt auf der anderen Seite des Gatters liegen. Sofort rannte
ich zurück. Der Druck wich ein wenig, was übrigblieb, reichte völlig aus, mich zu zermürben.
Ich mußte mich sehr anstrengen, um unter diesem Druck noch handeln zu können.
Die Wirklichkeit um mich herum verschwand weitgehend. Alles, was ich noch genau
erkennen konnte, war die Gestalt in dem langen weißen Umhang mit den kupferroten Haaren.
Demeter.
Sie sah mich verwundert an, als ich auf sie losstürmte. Ihr Blick ging an mir vorbei...
Ich brauchte nur einen Schritt zu machen, um sie zu erreichen. Demeter war schneller als ich,
sie wich mir aus. Ich stolperte mit ausgestreckten Armen an ihr vorbei, stürzte und schlug auf
dem Boden auf. Wie aus weiter Ferne hörte ich das Toben des mordlüsternen Publikums, das
sich an dem Spektakel weidete.
Der Haß auf diese Meute riß mich hoch. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie Demeter
mit einem Satz bei Charriba war und den Indianer mit einem Handkantenschlag betäubte.
Ich kam wieder auf die Füße. „Was soll das?“ schrie Shandrak, als ich ihn erreichte. Das
letzte Wort erstarb ihm auf den Lippen, als ich ihn betäubte. Er würde Prellungen
davontragen, aber das kümmerte mich nicht. Mit heftigen Bewegungen schob ich seinen
reglosen Körper auf das herangleitende Energiegatter zu, bis ich den geistigen Druck nicht
mehr ertragen konnte und zurücktaumelte.
Das Gitter aus Pentagrammen erreichte Shandrak. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann
war die energetische Struktur über ihn hinweggeglitten. Sein Leib löste sich nicht auf, verging
nicht in einem Lichtblitz - das Energiegitter überrollte ihn ebenso, wie es meine Waffe
überrollt hatte.
Ich wich zurück, der Druck wurde unerträglich stark.
Demeter hatte auf die gleiche Weise Charriba in Sicherheit gebracht. Ich sah, wie sie auf den
reglos stehenden Maipo zusprang und auch ihn betäubte.
„Hilf mir!“ rief sie.
Mit vereinten Kräften rollten wir den schwarzen Hünen auf das Gatter zu. Wir kamen nicht
weit, der Energiekäfig wurde immer enger.
Wir wankten zurück.
Ich sah, daß sich die Pentagramme - nun langsamer bewegten, wer immer auch dafür
verantwortlich war, er wollte uns quälen und die Tortur in die Länge ziehen.
Wir torkelten zurück in den Mittelpunkt des Käfigs, der uns einschloß. Ich sah, wie Demeter
die Hände flach machte.
„Laß den Unsinn“, sagte ich matt. „Ich versuche es auch nicht.“
Ob Maipo, Shandrak und Charriba davonkommen würden, wußten wir nicht; es war nur klar,
daß wir beide es nicht schaffen würden.
Ohne es zu wollen, schaute ich zu dem johlenden Mob auf den Rängen, und ich spürte, wie
ich unsicher wurde. Es war Zeit, Abschied zu nehmen. Ich spürte das Verlangen, Demeter in
den Arm zu nehmen - und ich spürte, daß ich keine Lust hatte, diesem blutgierigen,
sensationslüsternen Mob ein rührseliges Gefühlsschauspiel zu bieten. Ich sah Demeter an.
Sie starrte an mir vorbei ins Leere. Ihr Mund bewegte sich... Sie begann zu lächeln. Einen
Augenblick lang stand ich wie erstarrt, dann wandte ich langsam den Kopf.
Sie standen da wie herbeigezaubert, die ganze verdammte, geliebte Meute der Time-Squad,
einer neben dem anderen, und sie hatten Waffen in den Händen, und sie taten, was ich jetzt
gern getan hätte - sie hoben diese Waffen, und sie schössen auf diesen widerlichen Mob. Ich
wußte, daß sie die Nadler einsetzten, die nur betäubten, und einen heißen Augenblick lang
spürte ich in mir den gierigen Wunsch, es möchten Laser sein, die die mordlüsterne Menge
dafür bestraften, daß sie sich an dem Schauspiel unseres Todes weiden wollten. Dann stieg
mir ins Bewußtsein, daß ich mich in diesem Augenblick in keiner Weise von diesem Mob
unterschied - ich holte tief Luft.
Ein Hagel von Nadlergeschossen testrich die Ehrentribüne, und es machte mir Spaß, die
Fürsten des Planeten durcheinanderlaufen und einen nach dem anderen zusammenbrechen zu
sehen.
Von einem Augenblick zum anderen verschwand das Energiegatter, auch das Pentagramm
zwischen den drei Monden löste sich auf. Die Dreierkonstellation verschwand.
Ich ging hinüber zu Demeter und schloß sie in die Arme; es war mir völlig gleichgültig, ob
irgend jemand mitbekam, daß wir beide weinten.
* Sie lebten noch. Ich hatte die Finger an Shandraks Hals und spürte seinen Puls. Imhotep kam langsam näher, den Nadler in der Hand. Er grinste zufrieden. „Das war Rettung in letzter Sekunde“, sagte er heiter. „Wir haben eure Botschaft viel zu spät bekommen.“ „Botschaft?“ fragte Demeter. „Die Boten, die ihr zu uns geschickt habt“, sagte Imhotep und sah Demeter verwundert an. „Wir haben keine Boten geschickt“, antwortete Demeter verwundert. Hinter tmhotep tauchten zwei Gestalten auf. Auch sie trugen Nadlergewehre in den Händen. Jashemyn und Badhur, und sie grinsten uns spitzbübisch an, diese Halunken. Ich begann zu lachen. Ausgerechnet diese beiden. „Sobald Jungar uns freigelassen hatte, sind wir aufgebrochen“, sagte Jashemyn heiter. „Es war nicht einfach, eure Freunde rechtzeitig zu erreichen, und anfangs wollten sie uns einfach nicht glauben. Aber dann sind sie doch mitgekommen.“ Er lächelte, aber dann sah ich, wie jähes Erschrecken über sein Gesicht huschte. Er riß die Waffe hoch. Ich drehte mich um. Auf der Ehrentribüne regte sich etwas. Nach allem, was wir über die Wirkung der Nadlergeschosse wußten, durfte das einfach nicht sein nach einem Treffenvon einer Narkonadel schlief ein Opfer etliche Stunden lang tief und fest. Und noch etwas sah ich, was mir Schauder über den Rücken rieseln ließ - die auf den Zuschauerrängen liegenden Körper begannen sich allmählich aufzulösen. Die Konturen verschwammen, dann wurden die Körper immer transparenter, und nach kurzer Zeit war nichts mehr zu sehen. „Was mag das zu bedeuten haben?“ fragte ich Demeter. Sie zuckte mit den Schultern. Die ganze Szenerie änderte sich. Das Barbarische des Amphitheaters verschwand, der dunkle Fels wurde heller und glatter. Ich sah mich nach Jashemyn und Badhur um. Sie waren verschwunden, als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Die Time-Squad sammelte sich um Demeter und mich. Wir hielten die Waffen schußfertig in den Händen. Was am Ende eines zehnminütigen Wandlungsprozesses zu sehen war, erinnerte mich stark an die Tempelanlage der Pharaonin Hatschepsut in Deir-el-Bahari - ein breit hingelagerter Bau in drei Ebenen, zu denen breite Treppen hinaufführten. Die Vorderfronten bestanden hauptsächlich aus Säulenreihen. Auf der obersten dieser Plattformen standen vier Gestalten in hellen Umhängen, langsam begannen sie die Treppen hinabzusteigen. „Gehen wir ihnen entgegen“, sagte Demeter. Ich sah, daß sie sich von Imhotep einen Waffengurt geben ließ und ihren Nadler hineinsteckte. „Almansur“, sagte Demeter halblaut. „Kennst du diese vier?“ Der Fern schüttelte den Kopf. Demeter wölbte die Brauen, sagte aber nichts. Außer diesen vier Gestalten war niemand zu sehen. Als sie näher kamen, konnte ich sie genauer erkennen - vier Männer, die Almansur sehr ähnlich sahen. Schlank und hochgewachsen, greisenhaft alt mit haarlosen Schädeln. „Fern oder Obere“, sagte Demeter leise. „Wahrscheinlich Fern.“ Wir gingen auf die vier zu. Sie blieben am oberen Ende der letzten Treppe stehen, und wir
stiegen langsam hinauf. Ich sah, daß sie die Hände hoben, die Handflächen wiesen auf uns.
Demeter erwiderte den Gruß.
Kein Wort fiel, bis wir die vier erreicht hatten. Aufmerksam sahen sie uns an.
„Willkommen auf Taccantha“, sagte einer der vier. „Mein Name ist Merodar, dies sind meine
Gefährten Ulteppin, Iddan und Ongra.“
„Ich bin...“
„Wir kennen dich, Demeter“, sagte Merodar lächelnd. „Wir haben dich erwartet.“
Mit einer weit ausholenden Gebärde wies Demeter auf die Szenerie. „Wozu das Schauspiel?“
fragte sie. „Kommt mit, wir werden es euch erklären“, antwortete Merodar freundlich.
„Unsere Roboter werden für euch sorgen.“
Ein Bad und eine warme Mahlzeit, danach stand mir jetzt der Sinn, aber noch mehr gierte ich
danach, endlich zu erfahren, was unsere Abenteuer auf diesem Planeten für einen Sinn hatten.
Es wartete eine Überraschung auf mich.
10. Gedämpftes Licht fiel in den Saal, der schmucklos nüchtern war. Es war angenehm kühl in dieser Halle, die an einen alten Tempel erinnerte. In der Mitte des Raumes erkannte ich fünf bequeme Sessel, angeordnet in einem regelmäßigen Fünfeck. Die Konstellation gefiel mir gar nicht. Unsere Gastgeber schritten hinüber zu den Sesseln und setzten sich. Mit einer Handbewegung forderte Merodar Demeter auf, den freien Sessel zu nehmen. Demeter zögerte einen Augenblick, dann ließ sie sich auf den Polstern nieder. „Was du jetzt hier siehst, ist das Weiße Symposium“, sagte Merodar feierlich. „Ihr vier?“ Merodar schüttelte den Kopf. „Wir fünf“, sagte er, als sei das ganz selbstverständlich. Ich stand hinter Demeter und schluckte. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? „Einiges aus der Geschichte der Fern wirst du erfahren haben“, begann Merodar zu erklären. „Anderes wird dir bisher unbekannt sein. Dieser Planet, Taccantha, ist der Zufluchtsort der letzten Fern in diesem Universum. Seit Jahrtausenden halten wir uns hier versteckt.“ „Vor den Oberen?“ „Vor ihnen und ihren Geschöpfen“, antwortete Merodar. „Ihr wißt, daß die Oberen unser und euer Universum vollständig und auf ewig beherrschen wollen, damit sie ihre persönliche Unsterblichkeit für alle Zeiten sichern können. Dieses Ziel zu erreichen, haben sie keine Mühen gescheut. Sie haben sogar sich selbst geändert, um sich völlig sicher fühlen zu können. Früher einmal waren sie wie wir.“ „Menschen?“ fragte ich ungläubig. Daß es in unserer Milchstraße von humanoiden Völkern wimmelte, hatte ich schon mit ziemlichem Erstaunen zur Kenntnis genommen. Aber daß in einem ganz anderen Universum, unabhängig von uns, eine völlig gleiche Lebensform entstanden sein sollte, erschien mir ausgeschlossen. „Die ist die Gestalt, die wir angenommen haben, um mit euch zu reden“, erklärte Merodar. „Unsere wirkliche Gestalt ist ganz anders, aber das tut nichts zur Sache. Die Oberen aber haben sich durch genetische Manipulation zu dem gemacht, was sie sind - Lebewesen, die in die Körper anderer Wesen hineinschlüpfen können.“ Einmal hatten wir ein solches Geschöpf tatsächlich sehen können - eine schwärzliche, zuckende Masse im Herzen eines Blausonnenmannes. Beim Kontakt mit einer Chemikalie war diese unheimliche Masse zu einem gelbgrünen Kristall erstarrt. „Sind die Oberen fortpflanzungsfähig?“ fragte Demeter.
„In unserem Universum ja, in eurem nicht. Das liegt an den entgegengesetzten Zeitvektoren in den beiden Universen. Die Macht der Oberen in eurem Kontinuum ist daher räumlich wie zeitlich begrenzt - und sie haben sehr viel Angst, wenn es um ihr persönliches Überleben geht. Hütet euch also vor diesem Gegner.“ „Das werden wir“, versprach Demeter. „Und was ist unsere Rolle in diesem Kampf?“ Merodar lächelte. „Schon bei unseren ersten Vorstößen in euer Universum haben wir das gleiche festgestellt wie die Oberen - daß die Schicksalsfäden eures Kontinuums an einigen Brennpunkten zusammenlaufen. Einer der wichtigsten Schauplätze, an denen sich Vergangenheit und Zukunft entscheiden, ist euer Heimatplanet. Es ist ein seltsamer Zirkelschluß aufgrund dieser Informationen haben sowohl die Oberen als auch wir unsere Aktivitäten auf die Erde und ihre Bewohner konzentriert, und genau diese Tatsache führt folgerichtig dazu, daß die Erde und ihre Bewohner Mittelpunkt des Kampfes wurden. Je mehr sich die Aufmerksamkeit darauf richtete, um so wichtiger wurde die Rolle der Erdmenschen in diesem Kampf - und um so mehr konzentrierten sich alle Aktivitäten auf sie.“ „Und auf die gleiche Weise gerate ich in den Brennpunkt?“ fragte Demeter. „So ist es“, bestätigte Merodar. „Bedenkt dabei, daß in Vergangenheit und Zukunft nichts wirklich festgeschrieben ist. Alle Ereignisse sind im Fluß, verändern sich ständig. Was wir erfassen können, ist nur das Gegenwärtige. In der Welt, wie sie in diesem Augenblick beschaffen ist, spielt ein Mensch eine ungeheuer wichtige Rolle - du.“ Ich sah, daß Demeter erschrak. „Ich habe das nicht gewollt“, sagte sie. „Und es macht mir angst.“ Merodar lächelte. „Du hast darauf wenig Einfluß“, sagte er. „Was hat das Geschehen der letzten Tage damit zu tun?“ fragte Imhotep. „Dieser Ort und dieser Augenblick sind einer der Schnittpunkte, an denen sich Fern und Menschen begegnen. Die Informationen, die wir gesammelt haben, sind wichtig für Entscheidungen in Vergangenheit und Zukunft. Was wir veranstaltet haben, war ein Test - wir wollten wissen, mit wem wir es zu tun haben. Ein Spiel, nicht mehr. Was ihr gesehen und erlebt habt, war nur eine Illusion.“ Demeter holte tief Luft. „Wie macht ihr das?“ fragte sie. „Immer wieder, wenn wir mit Fern oder Oberen zusammentreffen, kommt es zu Vorgängen, die sich mit den Naturgesetzen unseres Kosmos nicht erklären lassen, ihnen manchmal sogar widersprechen.“ „Die Gesetze in unserem Universum sind anders als die euren. Es hat keinen Sinn, es euch erklären zu wollen, wie diese Unterschiede aussehen, ihr könntet es nicht begreifen, weil euer Denken sich nach den Regeln eures Universums vollzieht. Jeder von uns Fern, aber auch jeder Obere, trägt in sich einen Teil der natürlichen Bedingungen seiner kosmischen Heimat, und er kann damit auf seine Umgebung einwirken.“ Merodar lächelte. „In unserem Universum wärt ihr die Zuschauer und Hexenmeister, und eure Möglichkeiten würden die Gesetze unseres Kosmos durchbrechen. Vielleicht werdet ihr es eines Tages erleben.“ Demeter schüttelte den Kopf. „Ich bin völlig verwirrt“, sagte sie leise. „Ich begreife nicht mehr, wo Anfang und Ende dieser Geschichte ist.“ „Du kannst es auch nicht begreifen - so wenig wie wir in der Lage sind, die entsprechenden Vorgänge in unserem Universum zu begreifen.“ „Und wie geht die Geschichte jetzt weiter?“ fragte Demeter. „Das wissen wir nicht“, antwortete Merodar. „Von der ungeheuren Zahl der Ereignisse in Vergangenheit und Zukunft kennen wir nur wenige, und nur auf die können wir einwirken.“ Ich versuchte zu begreifen, was er erklärte. In unserem Weltbild hatte es bis jetzt eine Kraft gegeben, die die Ereignisse miteinander zur Struktur des Wirklichen verband - die Logik, die Kausalität, wie immer man es nennen wollte. Und bisher Hatten wir diese Kraft als etwas betrachtet, das absolut unzerstörbar war - nun aber mußten wir einsehen, daß dem nicht so war. Die Struktur des Kosmos war veränderbar, durch uns und durch andere. Mit Hilfe der Zeitmaschine konnten wir in eine Dimension vorstoßen, die geistig nur äußerst schwer zu erfassen war, eine Meta-Ebene, von der aus die Wirklichkeit geändert werden
konnte.
Während die Oberen ihre Mittel dazu nutzen wollten, ihr Universum und unseres mit einer
festen Struktur des Unabänderlichen zu versehen, mußte unser Ziel sein, sie daran zu hindern.
„Die Oberen mit ihren Machenschaften sind gleichsam ein Kristallisationskeim, um den
herum Vergangenheit und Zukunft zu unabänderlichen Größen auskristallisieren“, sagte
Merodar. „Im Grunde ist ihr Plan aberwitzig - sie wollen durch ständige Änderung der
kosmischen Ablaufe erreichen, daß diese Abläufe unveränderlich werden. Das erscheint nach
den herkömmlichen Denkkategorien völlig ausgeschlossen. Auf der Ebene der
Wirklichkeitsänderungen aber ist es möglich.“
Demeter nickte langsam.
„Lassen wir die Zeit-Philosophie einmal beiseite“, sagte sie. „Wir haben auch andere
Probleme. Wie kommen wir aus diesem Nebel wieder heraus? Die Flotte der Glyssaaner jagt
uns.“
Merodar lächelte überlegen.
„Wir werden ihnen mit unseren Mitteln ein Schiff vorgaukeln, das sie nach Belieben
abschießen können. Und wir werden euch helfen, unsere Zuflucht ungesehen zu verlassen.“
„Dann können wir ungefährdet nach Shyftan zurückkehren“, sagte ich aufatmend.
Demeter schloß die Augen und dachte nach.
„Es gibt noch einen Schnittpunkt der Entwicklungslinien“, sagte sie leise.
„Welchen?“ fragte ich. Demeters Stimme hatte mich alarmiert.
„Jenen Augenblick, in dem die Zeitmaschine erfunden worden ist“, sagte sie. „Es wäre das
größte Paradoxon, das ich mir vorstellen kann wenn jemand mit Hilfe einer Zeitmaschine
versucht, die Erfindung der Zeitmaschine zu verhindern.“
„Auf dem Niveau der Meta-Wirklichkeit ist es kein Paradoxon“, sagte Merodar
bedeutungsvoll. „Und es gibt noch mehr zu tun. Vor euch liegen gewaltige Aufgaben.“
„Aufgaben?“
Merodar beantwortete Demeters Frage mit einer Geste. Er ließ eine Hand in den Falten seines
Gewandes verschwinden. Als er sie wieder zum Vorschein brachte, lag auf der offenen Fläche
ein Ring, ein schmaler Reif aus poliertem Stahl. Ich sah, daß Imhotep kreideweiß im Gesicht
wurde.
„Der Ring von Glyssaan!“ stieß er hervor. „Wie habt ihr ihn bekommen? Wem habt ihr ihn
abgenommen?“
„Diese Frage ist nebensächlich“, antwortete Merodar. Er sah Demeter mit einem Lächeln an,
das alle Geheimnisse des Kosmos einzuschließen schien. „Weit wichtiger ist die Frage, wie
dieser Ring nach Glyssaan kommt.“
„Es ist Manhaars Ring“, stieß Imhötep hervor.
Merodar schüttelte den Kopf. „Es wird Manhaars Ring sein“, sagte er ruhig. „In diesem
Augenblick öffnet sich ein weiterer Zeit-Zirkel - dieser Ring muß nach Glyssaan gebracht
werden.
„Dort gibt es einen solchen Ring“, beharrte Imhotep. „Und ich weiß, daß es kein Duplikat
gibt.“
„Das ist richtig“, stimmte Merodar zu. „Es ist der einzige Ring seiner Art. Er weist seinen
Träger als Mitglied des Weißen Symposiums aus, als das einzig berechtigte menschliche
Mitglied dieses Symposiums.“
Merodar griff nach Demeters Hand. Sie war blaß, überließ ihm ihre Rechte aber ohne
Widerstand. Ich hielt den Atem an, als Merodar den Reif über ihren Finger schob.
„Für dich ist er bestimmt“, sagte Merodar. „Benutze ihn, erforsche seine Fähigkeiten - und
bringe ihn nach Glyssaan, wenn du seiner Hilfe nicht mehr bedarfst.“ Demeter sah ihn an.
„Welches Glyssaan meinst du?“ fragte sie ruhig.
„Jenes der Vergangenheit“, antwortete Merodar. „Eine deiner Aufgaben wird darin bestehen,
das Imperium von Glyssaan zu begründen.“ Mir wurde schwindlig. Wenn diese
Aufgabenstellung richtig war, dann mußten wir jetzt an die Arbeit gehen, um die
Voraussetzungen erst zu schaffen, von denen wir jetzt ausgingen.
„Wieviel Zeit habe ich dazu?“ fragte Demeter.
Merodar stieß ein freundliches Lachen aus, seine Gefährten stimmten ein.
„Alle Zeit des Universums“, sagte er leise.
* „Eine Welt der Rätsel“, sagte ich, als Taccantha unter unserem Schiff wegsackte. „Eines Tages werden wir hierher zurückkehren“, antwortete Demeter. „Ich habe hier mehr Fragen als Antworten bekommen, und ich spüre, daß es mir widerstrebt, den geheimnisvollen Fern ebenso zu trauen, wie ich die Oberen verabscheue.“ Ich konnte dem nur zustimmen. Ich verstand langsam und baute es in mein Denken ein, daß wir von der Time-Squad und allen voran Demeter Schlüsselfiguren waren in dem gigantischen Kampf um die Ewigkeit. Auf der anderen Seite hatte ich mich niemals so schwach und ohnmächtig gefühlt wie im Umgang mit den vier Fern. Sie hatten keine weiteren Fragen mehr beantwortet, nur ihre Roboter angewiesen, uns bei der Reparatur des Schiffes zu helfen. Wir kannten ihre Absichten und Motive nicht, wir wußten nicht, was für Pläne sie hatten - und wir hatten nicht das geringste Mittel in der Hand, die Glaubwürdigkeit der Fern zu überprüfen. In dem überbrodelnden Wirrwarr der Ereignisse schien es nirgendwo einen festen Punkt zu geben, von dem man ausgehen konnte. Was heute noch stimmte, konnte morgen schon ins Gegenteil umschlagen. Wir mußten uns daran gewöhnen, daß wir keinen Boden unter den Füßen hatten - und das schloß Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ein. Während wir das System verließen, konnten in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort die Oberen bereits damit beschäftigt sein, ein Paradoxon heraufzubeschwören, das uns mit einem Schlag aus der Wirklichkeit entfernen sollte. Einer unserer Wissenschaftler hatte einmal die These aufgestellt, daß es eine Art Meta-Zeit gäbe, ein Kontinuum, in dem sich Zeit fortplanzt wie Lichtwellen im Vakuum. Beim Eintritt eines Paradoxons mußte dann eine gewisse Spanne Meta-Zeit vergehen, bevor die Änderung der Vergangenheit in der Zukunft wirksam wurde - was dem Opfer des Paradoxons Gelegenheit gab, das Paradoxon durch einen weiteren paradoxen Eingriff unwirksam zu machen. Das wiederum gab dem Urheber des ersten Paradoxons Gelegenheit, weitere Manipulationen auszubrüten... und so fort. „Das ist unser Schiff!“ sagte Imhotep. Er deutete auf einen der Monitoren. Deutlich war dort der Zwilling unseres Schiffes zu erkennen. „Sie halten Wort“, sagte Demeter gelassen. Ab und zu sah sie auf den Ring von Glyssaan. Mich reizte die Vorstellung, was passieren würde, wenn die Glyssaaner uns aufbrachten, zu Manhaar schleppten und dort ein Träger des Ringes den anderen traf... Imhotep war sehr schweigsam. Ich wußte, daß er Demeter schätzte, aber er hatte sichtlich daran zu knabbern, daß Demeter als ursprüngliche Trägerin des Ringes in gewisser Weise auch als Nachfolger Manhaars feststand. Imhotep sah mich an, er schien zu ahnen, welche Gedanken ich mir machte. „Wirst du es verkraften können?“ fragte ich. Er wiegte den Kopf. „Wir werden sehen“, sagte er leise. „Es kommt alles ein bißchen rasch für meinen Geschmack.“ Die Fern des Weißen Symposiums mußten über unvorstellbare Machtmittel verfügen - sie waren offenkundig auch in der Lage, die energetischen Wirbel des Höllenschlundes zu beeinflussen.
Auf unseren Bildschirmen erschien wie herbeigezaubert eine rote Linie, die uns unseren Kurs vorschrieb. Sie führte mitten hinein in die gefährlichsten Wirbel und Turbulenzen, die dieses kosmische Gebilde aufzuweisen hatte. Die Fern schufen auch vor unserem Bug eine störungsfreie Zone, in der unser Schiff sicher und ruhig fliegen konnte. Der Zwilling verschwand wenig später von unseren Schirmen, seine Ortung wurde durch die Turbulenzen unmöglich gemacht. Als wir den Nebel verließen, war von der Flotte der Glyssaaner nichts zu sehen, sie hatten sich wohl an anderer Stelle versammelt. „Mit höchster Fahrt weg von hier“, bestimmte Demeter. Imhotep führte die Anweisungen kommentarlos aus. Unser Schiff - wir hatten es nach diesem Abenteuer TACCANTHA getauft - ließ den Nebel der Geheimnisse hinter sich. Wenig später konnten wir mit den Energietastern eine heftige Detonation anmessen. Die Glyssaaner hatten programmgemäß den Schiffszwilling entdeckt, ihn gestellt und vernichtet. „Können sie uns noch finden?“ fragte ich Imhotep. „Nicht auf diesem Kurs“, antwortete der Glyssaaner. „Unsere Spur verliert sich in den anderen Energieechos, diese Region wird von vielen Schiffen durchflogen, und wenn sie nicht genau wissen, wen sie jagen sollen, verlieren die Glyssaaner den Überblick.“ Demeter sah Imhotep an. „Wohin geht die Reise?“ fragte er. „Nach Shyftan“, antwortete Demeter. Ich sah, daß Imhotep die Lippen aufeinanderpreßte. „Und mein Vater?“ wollte er wissen. „Ich habe ihn nicht vergessen“, antwortete Demeter lächelnd. „Wir werden ihn aus seinem Exil reiten und nach Shyftan bringen - aber nicht in allernächster Zukunft.“ „Das sehe ich ein“, gab Imhotep zurück. Ich bemerkte, daß er einen Blick auf Demeters Ring warf. „Danke, Chefin!“ Demeter lächelte. „Ich bin und bleibe Chefin der Time-Squad“, sagte sie freundlich. „Ich lege keinen Wert darauf, das Sternenimperium von Glyssaan zu regieren. Ich habe mit diesem verrückten Haufen mehr als genug zu tun.“ „Sind wir so schwierig?“ wollte ich wissen. Demeter sah mich prüfend an. „Manchmal ja“, antwortete sie. „Wer hat eigentlich die Anweisung gegeben, meine Rettung aus Badhurs und Jashemyns Händen nur mit den auf Taccantha üblichen Mitteln zu betreiben?“ „Imhotep“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Ich wollte Gleiter einsetzen und moderne Waffen, aber seine Argumente haben mich überzeugt.“ „Welche Argumente?“ „Vor allem eines - daß du es so gewollt hättest“, antwortete ich unsicher. Worauf wollte Demeter hinaus? Sie lächelte. „Ich finde diese Entscheidung richtig“, sagte sie freundlich. „Und es freut mich, daß meine Mitarbeiter meine Einstellung so gut kennen.“ Auf den Schirmen war der gefährliche Nebel jetzt nur noch als verwaschenes Gebilde zu sehen. So wirkte er ziemlich harmlos. Der Flug nach Shyftan verlief ohne Komplikationen und Störungen, und ich genoß dabei den Anblick der vorbeiziehenden Sterne. Eines Tages, so träumte ich vor mich hin, war der Kampf der Time-Squad vielleicht erledigt, und dann konnte ich mit Demeter Streif züge durch den Kosmos unternehmen. Es mußte Spaß machen, aufs Geratewohl durchs All zu sausen, sich Sterne und Planeten anzusehen, fremde Wesen kennenzulernen und Freundschaften zu schließen. Unter der Herrschaft der Oberen würde es so etwas nicht geben; sie würden diese Milchstraße in einen emsigen Ameisenhaufen verwandeln, in dem die Lebewesen so austauschbar waren wie Maschinen, in dem es nur eine gnadenlose Sklaverei gab, auch wenn sich einige ihrer Sklaven vorkommen mochten wie Könige.
Und was hatten die Fern vor? Ihre Zielsetzung, soweit wir sie kannten, schien edel zu sein
aber ich hatte schon immer Mißtrauen empfunden, wenn jemand allzu idealistisch aufgetreten
war. Die übelsten Tyranneien der Menschheitsgeschichte waren auch im Mantel einer
weltverändernden menschenfreundlichen Ideologie aufgetreten, je edler um so schlimmer.
Aus diesen Gedanken wurde ich erst gerissen, als Shyftan in Sicht kam, unser neues Zuhause
im Sternendschungel der Milchstraße.
„Es ist schön, zurückzukommen nach Hause“, sagte ich leise. Demeter stand neben mir.
„Eines Tages“, sagte sie kaum hörbar, „werden wir wirklich zurückkommen. Dann werden
wir auf der Erde landen...“
„Wann wird das sein?“ fragte ich.
Demeter runzelte die Stirn, sie stieß einen Seufzer aus.
„Wenn wir unsere Arbeit getan haben“, sagte sie und atmete tief ein. „Am besten, wir fangen
gleich damit an...“
ENDE