Terra Astra 425
Der Zeit-Architekt von PETER TERRID
Die Hauptpersonen des Romans: Tovar Bistarc, Inky, Joshua Slocum, ...
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Terra Astra 425
Der Zeit-Architekt von PETER TERRID
Die Hauptpersonen des Romans: Tovar Bistarc, Inky, Joshua Slocum, Charriba und Marleen de Vries
Die Agenten der Time-Squad in einem tödlichen Kampf.
Imhotep - Der Zeit-Architekt wird wiedererweckt.
Sen’cher - Militärchef vom. Gau der Weißen Mauer“.
D. C. Washington - Chefin der Time-Squad.
1. Das Zeug stank widerlich, aber es wirkte. Obendrein hatte ich den Trost, daß es einigen meiner Freunde nicht besser erging als mir. Daher verrieb ich die schwärzliche Paste zwar ungern, aber folgsam in die Haare. Unsere Chemiker behaupteten, das Färbemittel sei zum einen völlig unschädlich und zum anderen ausgesprochen langfristig wirksam. Auf diese zweite Eigenschaft kam es besonders an - das hatte Demeter Carol Washington gesagt, mehr allerdings nicht verraten. Ursprünglich waren meine Haare von einem sehr durchschnittlichen Mittelblond gewesen. Jetzt färbten sie sich allmählich tiefschwarz. Ich betrachtete mich im Spiegel. Die Haut war tief braun - teils rührte das von ausgiebigen Sonnenbädern her, teils von Chemikalien. Zusammen mit den tiefschwarzen Haaren war das eine ausgesprochen wirkungsvolle Maskierung fast erkannte ich mich selbst nicht mehr wieder. Ich trocknete mir die Haare, nachdem ich sie durchgespült hatte, dann schlüpfte ich in eine bequeme Jacke. Meine Uhr zeigte mir, daß ich noch ein paar Minuten Zeit hatte, wenn ich pünktlich zur Konferenz erscheinen wollte. Ich verließ meine Kabine. Kabine war genaugenommen eine Untertreibung. Jedem Mitarbeiter der TimeSquad standen in der Festung mehrere Räume zu, und das lag weniger an der geringeren Kopfzahl der Time-Squad, sondern vielmehr an der Größe dieser Festungsanlage. Früher einmal hatte dieser gigantische Bau einer Gruppe von
Robotern gehört, die sich selbst die Goldenen Sieben genannt hatten und der Schrecken ihrer Zeitgenossen gewesen waren. Was es mit den Goldenen Sieben wirklich auf sich hatte, das hatten wir noch nicht herausfinden können. Überhaupt glichen unsere Aktionen der letzten Zeit mehr einem Herumtappen in düsteren Räumlichkeiten. Für jede Frage, die wir hatten klären können, waren zehn neue Probleme wie Pilze aus dem Boden geschossen. Ich nahm mir vor, Demeter auf dieses Problem anzusprechen. Es war höchste Zeit, daß eine Art Struktur in die Ereignisse hineinkam, daß wir endlich wußten, auf welchem Schachbrett wir standen und welches Spiel mit - oder gegen uns gespielt wurde. Fest stand, daß wir auf der Flucht waren. Uns im Nacken saß ein ganzes Bündel von Gegnern, eingehüllt in Geheimnisse, die wir bisher nicht hatten aufklären können. Was suchten die sogenannten Oberen auf der Erde? Wie sahen diese Oberen überhaupt aus? Warum schickten sie ein ihnen untertanes Volk, die sogenannten Nokther, auf die Erde, um beide Völker - Erdbewohner wie Nokther - in einen erbarmungslosen Abnutzungskrieg zu verwickeln? Inky begegnete mir auf dem Gang. Er hatte sich ebenfalls in einen Südländer verwandelt. „Hast du eine Ahnung, was Demeter von uns will?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ein neuer Einsatz“, vermutete ich. „Demeter wird uns schon aufklären, nehme ich an.“ „Ich weiß nicht recht“, murme lte Inky. „Weißt du, wie ich mir vorkomme?“ „Nein“, antwortete ich. „Aber du wirst es mir sicher erklären.“ „Laß mich ein Bild gebrauchen. Stell dir vor, Kolumbus wäre irgendwo in Nordamerika gelandet und dann, ohne lange die Küste zu erforschen, zu einer Durchquerung des Kontinents aufgebrochen - um anschließend eine Durchquerung des Pazifiks in Angriff zu nehmen.“ Ich nickte. Ich verstand, was er sagen wollte. Wir stürmten immerzu vorwärts, ohne die genaue Richtung zu kennen. Statt, daß wir sicheren Boden unter die Füße bekamen, wurden wir immer weiter abgetrieben. Unsere Aktionen hatten den Bezug zur Wirklichkeit fast völlig verloren - wir wußten nicht einmal, wo wir uns in diesem Augenblick überhaupt befanden. Gewiß, wir standen auf einem Planeten. Wir hatten ihn Monsalvasch getauft, die Eingeborenen nannten ihn Shyftan. Bei diesen Eingeborenen handelte es sich zweifelsfrei um Menschen, die man - wer war man? vor fünf Jahrtausenden hier angesiedelt hatte. Dabei wußten wir nicht einmal, ob diese Besiedlung aus unserer Warte Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft stammte - zeitlich hatten wir die Übersicht nahezu komplett verloren. Auch was die räumlichen Koordinaten betraf, hatten wir keine Ahnung, wo wir steckten. Nur eines stand fest, wir hatten uns sehr weit von der Erde entfernt - am Himmel war bislang keine der bekannten Sternenkonstellationen aufgetaucht, die auf der Erde zu sehen gewesen wären. „Wie geht es Diversion“, fragte Inky. Ich preßte die Lippen aufeinander. „Schlecht“, sagte ich dann. „Es gibt kaum noch Hoffnung.“
Unser Freund, der Jaynum, lag im Sterben, aber es war dies ein Koma, das seinesgleichen suchte. Der Jaynum würde, wenn nichts diesen Prozeß stoppen konnte, nicht sterben, weil er zu alt wurde - er würde vielmehr aus dieser Welt verschwinden, Weil er sich immer mehr verjüngte. Im Augenblick entsprach seine geistige Verfassung der eines Kleinkindes, und das schloß die automatisch ablaufenden geistigen Regulierungen der Körperfunktionen ein, er war psychisch einfach zu jung, um den Erwachsenenkörper unter Kontrolle halten zu können. In den letzten Tagen waren wiederholt Herzrhythmusstörungen aufgetreten. Inky und ich erreichten den Konferenzraum, eine kreisrunde Halle, in deren Mittelpunkt Demeter Carol Washington stand. Sie hatte ihr prachtvolles rotes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, das gab ihrem Gesicht einen leicht strengen Ausdruck. Inky und ich waren die letzten, die zur Konferenz erschienen. Außer uns hielten sich knapp zwei Dutzend Mitarbeiter der Time-Squad im Raum auf, der für ein wesentlich größeres Auditorium gedacht war. Irgendwie kam ich mir verloren vor, und die Stimmung paßte ziemlich gut zum Stand der Dinge. „Setzen Sie sich“, bat Demeter. Sie trug, wie fast immer, Jeans und Baumwollhemden. „Ich möchte die Lage kurz zusammenfassen, damit es keine Mißverständnisse gibt, wenn wir unsere weiteren Pläne erörtern. Ich darf chronologisch vorgehen. Vor etwas mehr als einem Jahr irdischer Zeitrechnung, im Sommer 2377, mußten wir entdecken, daß fremde, außerirdische Mächte nach der Erde und ihren Bewohnern griffen. In Aktionen, die ich nicht im Detail zu schildern brauche, wurde von uns festgestellt, daß eine bislang völlig unbekannte Machtgruppe die Menschheit dazu ausersehen hat, ein galaktisches Reich zu erobern. Wir wissen aus einem Vorstoß in die Zukunft, daß die Terraner - also die Bewohner der Erde und ihre Nachkommen - der Schrecken des 80. Jahrtausends irdischer Zeitrechnung sein werden. Erreicht wird dies durch einen jahrtausendelangen Abnutzungs- und Verschleißkrieg, den die Menschheit mit einem Echsenvolk auszufechten hat. Der Angriff dieser Nokther auf die Erde hat im Spätsommer 2378 begonnen. Während wir hier sitzen, tobt auf der Erde ein Krieg mit unvorstellbarer Härte.“ Demeter legte eine kleine Pause ein. „Wir wissen inzwischen aus den Unterlagen dieser Station, um welchen Preis gekämpft wird. Es geht um die biologische Unsterblichkeit. Die Zeitvektoren unseres Universums sind denen eines anderen Universums entgegengesetzt. Einer Macht, der es gelingt, beide Räume vollkommen zu kontrollieren, ist daher zeitlich keine Grenze mehr gesetzt. Die Oberen, wie unsere unsichtbaren Gegner genannt werden, brauchen nur zwischen beiden Kontinua hin und her zu pendeln, um unsterblich zu sein. Dieses Geheimnis erklärt die unglaubliche Härte und Grausamkeit, mit der die Oberen ihre Machtbereiche etablieren.“ „Wenn die Oberen ebenfalls über Zeitmaschinen verfügen, warum ist ihre
Herrschaft noch nicht komplett?“ „Wir vermuten, daß die Invasion aus einem anderen Universum gerade erst beginnt. Es muß, so vermuten unsere Wissenschaftler, eine Verbindungsstelle zwischen unserem Universum und dem Kontinuum der Oberen geben. In unserem Universum liegt diese Verbindungsstelle räumlich und zeitlich in der Nähe der Erde des Jahres 2378. Nur so ist erklärlich, warum ausgerechnet wir Erdmenschen im Brennpunkt der Ereignisse stehen.“ „Damit ist meine Frage beantwortet“, sagte Joshua Slocum und setzte sich wieder. „Unser Gegner ist also im Jahre 2378 Erdzeit damit beschäftigt, seine Herrschaft einzurichten und gleichzeitig in der Vergangenheit der Erde herumzufingern. In einigen Fällen haben wir ihn stören können, in anderen wahrscheinlich nicht.“ „Man müßte wissen, mit wem man es zu tun hat“, murmelte Inky neben mir. „Die sogenannten Oberen sind das große Geheimnis“, setzte D. C. ihren Vortrag fort. „Wir wissen von ihnen, daß sie offenbar ihre Gestalt nach Belieben wechseln können. Andere Hinweise sprechen dafür, daß es sich um jene Wesen handelt, die auf der Erde als Vampire bezeichne t werden. Ich fürchte, wir werden auf diesem Gebiet noch einige sehr üble Überraschungen erleben.“ Niemand reagierte auf diese Bemerkung. Jeder von uns hatte seine Erinnerungen an die Abenteuer der letzten Monate, und die Vorstellung, daß es dazu noch eine Steigerung geben sollte, war mehr als beängstigend. Ich dachte vor allem an den ganz speziellen Freund der Time-Squad, den ZeitZauberer Valcarcel. Valcarcel gehörte zum Volk der Fern, und von diesem Volk wußten wir nicht viel mehr als dieses eine. Außerdem hatte es den Anschein, als ob die Fern teilweise auf der Seite der Time-Squad stünden. Nun, der größte Teil dieser Informationen war müßige Spekulation. Demeter setzte ihren Vortrag fort. „Jeder von Ihnen weiß, auf welch verschlungenen Bahnen wir an dem Ort gelandet sind, an dem wir uns zur Zeit aufhalten. Auch auf diesem Gebiet wird noch sehr viel Forschungsarbeit zu leisten sein. Ich habe Sie zusammengerufen, um mit Ihnen den Fortgang der Arbeit zu besprechen. Ich bitte Sie, das Ergebnis dieser Diskussion Ihren Freunden und Mitarbeitern vorzutragen, damit wir später auf einer Vollversammlung der gesamten Mitarbeiterschaft der Time-Squad zügig arbeiten und entscheiden können. Hat nun jemand Vorschläge zu machen, wie wir in Zukunft verfahren sollen?“ Als erstes stand eine junge Frau auf. Ich kannte sie nicht. „Wir sind hier einstweilen sicher“, begann sie mit ruhiger Stimme. „Ich bin dafür, daß wir diese Zeit der Ruhe und Sicherheit dazu nutzen sollten, die Geheimnisse von Shyftan zu lüften. Das ist genug Arbeit für uns alle. Ich bin gegen jeden weiteren Vorstoß in unbekannte Gebiete. Ich lehne weitere Vorstöße nicht etwa aus Feigheit ab. Ich habe aber Gründe für diese Vorsicht. Zum einen bin ich schwanger und das beleibe nicht als einzige Frau im Team. Zum anderen würde ich mein Kind gern in eine
einigermaßen funktionierende Gesellschaft hineingebären - nicht in einen Haufen flüchtiger Sternenzigeuner.“ Die Frau setzte sich wieder. Demeter nickte. „Die Argumente sind angekommen“, sagte sie. „Hat jemand Einwände oder andere Vorschläge?“ Es war der Leiter der Time-Squad in San Francisco, der nun aufstand, Don Slayter, unser ehemaliger Vorgesetzter. Nun, diese Zeit war vorüber - die Abteilung der Time-Squad, die Slayter einmal geleitet hatte, exis tierte in dieser Form nicht mehr. „Ich stimme unserer Kollegin zu“, sagte Slayter. „Ich meine aber, daß wir genügend kopfstark sind, um mehrgleisig arbeiten zu können. Vorrang hat, da stimme ich mit der Kollegin überein, daß wir für uns alle eine neue Heimat erschaffen. Dazu eignet sich Monsalvasch in ganz besonderem Maße. Wir haben Platz genug, es gibt Menschen hier, die uns helfen werden, es gibt technische Materialien in ausreichender Menge. Von ungeheurer Wichtigkeit ist vor allem, daß uns in dieser Festung ein Großreaktor zur Verfügung steht, der uns für Jahrzehnte aller Energiesorgen entheben wird. Gleichzeitig sollten wir erforschen, was es mit dieser Festung überhaupt auf sich hat. Auch das wird viel Arbeit kosten und Zeit beanspruchen. Ich bin aber auch der Meinung, daß wir uns nicht selbst zu völliger Untätigkeit verdammen sollten. Zwar fehlen uns zu wirklichen Aktionen alle Mittel, wir sollten aber wenigstens ab und zu Erkundungsvorstöße unternehmen.“ „Einspruch!“ Demeter erteilte dem Mann das Wort, der den Einspruch erhoben hatte. Ich kannte ihn, es war Maipo Rueda, der hünenhafte Schwarze. „Grundsätzlich stimme ich mit Don überein“, sagte Maipo. „Ich schlage aber vor, daß wir bei allen Aktionen der Zukunft einen Gesichtspunkt in den Vordergrund rücken. Dieses Versteck, in das wir uns mühsam genug geflüchtet haben, muß unter allen Umständen geheim bleiben. Jeder Einsatz muß vorher daraufhin überprüft werden. Unter diesen Voraussetzungen bin auch ich dafür, daß wir beispielsweise einen Erkundungstrupp zur Erde schicken.“ Die Diskussion biß sich für kurze Zeit an diesem Punkt fest. Die Abstimmung ergab dann eine breite Mehrheit für Maipos Vorschlag - Vorstoß ja, aber nur sehr behutsam und vorsichtig. Zwei weitere Stunden vergingen, in denen Randprobleme diskutiert wurden. Eine Gruppe von Mitarbeitern wollte die Festung verlassen und sich in der Nähe auf freiem Land ansiedeln. Als Demeter endlich die Versammlung auflöste, waren wir ein erhebliches Stück weitergekommen. Shyftan würde künftig das Heim der freien Menschheit sein. Die Wahl war nicht schlecht, selbst wenn man bedachte, daß wir praktisch keine Alternative hatten. Der Planet Shyftan war schön; das lag hauptsächlich daran, daß er nur dünn besiedelt war und keine Industrie kannte. Und wenn es nach mir ging, würde es dabei bleiben. Mit Handzeichen gab Demeter mir zu verstehen, daß sie mich noch sprechen
wollte. An Inky, Marleen de Vries und einige andere aktive Mitglieder der
Time-Squad ergingen ähnliche Befehle.
Wir versammelten uns in Demeters Nähe.
„Zufrieden?“ fragte D. C. Sie wirkte ein wenig erschöpft. Ich nickte.
„Ich eigne mich weder für Landwirtschaft noch für knifflige
Forschungsarbeit“, erklärte ich. „Sie haben einen Plan ausgebrütet?“
„Falsch“, sagte Demeter lächelnd. „Der Plan hat sich gleichsam von selbst
ausgebrütet. Ich bin allerdings glücklich, daß sich die Meinung der
Versammlung mit meinen eigenen Vorstellungen weitgehend deckt.“
„Was sollen wir tun?“ fragte Inky. „Wohin soll die Reise gehen?“
„Später“, vertröstete uns Demeter. „Wir treffen uns in meinem Büro. Vorher
muß ich noch meinem Sprößling eine wahrhaft niederschmetternde Neuigkeit
überbringen - wir werden bald eine Schule haben.“
„Auweh“, sagte Inky unwillkürlich. „Dieses Abenteuer fängt gut an.“
* „Es gibt Berge von Daten in dieser Festung“, erklärte Demeter. Sie setzte die Teetasse auf dem Schreibtisch ab. „Bis wir diese Daten verarbeitet haben, werden Generationen vergehen. Wir sind allerdings recht schnell einem sehr erstaunlichen Geheimnis auf die Spur gekommen.“ Wir sahen Demeter erwartungsvoll an. „Schon bei oberflächlicher Suche sind wir auf die Namen der sieben Wesen gestoßen, die vor mehr als fünf Jahrtausenden diese Festung erbauen ließen.“ „Oh nein“, sagte ich unwillkürlich. „Nicht Valcarcel... !“ „Sie können beruhigt sein, Tovar“, sagte Demeter. „Nein, unser spezieller Freund. Valcarcel hat mit der Sache nichts zu tun. Uns ist aber bei der Auswertung der Dokumente ein Name untergekommen, der Ihnen bekannt vorkommen wird. Es ist dies der Name eines Mannes, der über Jahrtausende hinweg nichts von seinem geheimnisvollen Zauber verloren hat, ein Name, der stellvertretend stehen kann für eine ganze Kultur.“ „Jahrtausende?“ fragte Inky skeptisch. „Ja, Jahrtausende“, sagte Demeter. „Die Griechen machten fast einen Gott aus diesem Mann.“ Es war Marleen de Vries, die den Namen fand. „Imhotep“, rief sie aus. „Der Pyramidenbaumeister, den die Griechen Asklepeios nannten, Gott der Heilkunde.“ Demeter nickte. „Wir haben den Namen Dutzende von Malen gefund en. Einer der sieben, die die Siedlung auf Shyftan begründet haben, hieß Imhotep, und ich bin nicht gewillt, darin einen Zufall zu sehen. Die Verbindung zwischen der Festung und unserer Geschichte scheint mir eindeutig zu sein.“ „Pyramidenbaumeister“, wiederholte Inky. „Hat er die Cheopspyramide bauen lassen?“
„Nein“, wußte Marleen de Vries zu berichten. Auch sie hatte ihre Haare schwarz gefärbt. Es sah nicht schlecht aus, verwirrte aber ein wenig. „Imhotep hat mit den Pyramiden von Gizeh nichts zu tun. Die se Werke sind später entstanden. Imhotep lebte zu Zeiten des Pharao Djoser, nach neueren Schätzungen also im achtundzwanzigsten Jahrhundert vor Beginn unserer Zeitrechnung.“ In rascher Folge kamen mir die Erinnerungen. In Schulungskursen der TimeSquad wurde Wert auf eine fundierte historische Bildung gelegt, und unter diesen Begriff fiel auch die Vorgeschichte. „König Djoser“, erinnerte ich mich, „ließ die Stufenpyramide von Sackara bauen, die erste ihrer Art.“ „Und sein Architekt war Imhotep“, warf Marleen ein. Sie war unsere Spezialistin für Geschichte des Orients. „Aber Imhotep ist tot“, bemerkte Inky. „Oder?“ D. C. lächelte. „Das Grab des Imhotep wurde nie gefunden“, erklärte sie bedeutungsvoll.
„Und es ranken sich zahlreiche Legenden um dieses Grab.“
„Dann steht also fest, was auf uns wartet“, faßte ich das Ergebnis der
Besprechung zusammen. „Es geht nach Ägypten!“
„Deshalb mußten wir uns die Haare färben“, rief Inky aus.
„Richtig“, bestätigte D. C. „Sie werden als Eingeborene auftreten, daher ließ
sich diese Maßnahme nicht umgehen.“
Es sollte sich erweisen, daß in diesem Fall weit mehr als nur unser Haar
bedroht war. Es ging auch um die Köpfe darunter.
2. Es war entsetzlich kalt. Das Land wurde tagsüber von der Sonne gebraten, die ungehindert niederbrennen konnte. Zum Ausgleich strahlte das Land nachts die tagsüber empfangene Hitze ebenfalls ungehindert zurück. Temperaturstürze von sechzig, siebzig Grad Celsius und mehr waren in der Wüste normal. In zwei Stunden mußte es hell werden. Dann begann die Sonnenscheibe ihre Bahn am Himmel zu ziehen. Die Ägypter gehörten zu den Völkern, die. Naturereignisse und Götter zusammenfaßten. Ihr Sonnengott hieß Ra, war aber seltsamerweise nicht der Hauptgott dieser Religion. Vor einer Stunde war ich wach geworden. Mein Körper lebte noch nach dem Zeitablauf der Time-Squad-Festung. Dort war es jetzt früher Morgen, Zeit zum Aufstehen. Fünfzehn Personen umfaßte unser Expeditionskorps. Das war viel, vor allem, wenn man bedachte, daß jeder dieser fünfzehn Fehler machen konnte, die das Geheimnis der Time-Squad lüften konnten. Unser Auftrag war gefährlich. Wir sollten Imhotep finden, und wenn nicht ihn selbst, so doch wenigstens sein Grab. Es mußte sich zeigen, ob diese Aufgabe
lösbar war. Jetzt lagen die Männer und Frauen der Time-Squad im Sand und schliefen. Neben ihnen, in Ballen und Schläuchen verpackt, stapelte sich unser Reichtum, Felle, seltene Holze, Edelsteine, sogar ein wenig Gold. Was dort im Sand lag, reichte aus, jeden von uns zum wohlhabenden Mann zu machen. Offiziell gehörte dieser Reichtum mir, und sogar der größte Teil der Schläfer galt als mein persönliches Eigentum. Die Vorstellung war irgendwie absurd, aber es gehörte zu den Eigentümlichkeiten der Zeit, daß hierzulande Menschen mit Waren gleichgesetzt wurden. Dieses Problem war ganz allgemein das wichtigste bei solchen Expeditionen. Daß unser Ägyptisch stark zu wünschen übrig ließ, würde die Bewohner des Landes sicherlich weniger irritieren als gewisse Gewohnheiten und Verhaltensformen, die sie nicht kannten. Wir konnten nur hoffen, daß wir keinen Ärger bekamen. Unsere Expedition war gefährlich genug. Wir waren nämlich tatsächlich in Ägypten, mit dem ganzen Körper, nicht nur geistig. Das bedeutete aber, daß wir irgendwann diesen Körper auch wieder in unsere Realzeit zurücktransportieren mußten dazu aber brauchten wir eine funktionierende Zeitmaschine. Zerlegt und auf mehrere Gepäckstücke verteilt, schleppten wir eine kleine Zeitmaschine mit. Ihr Feld reichte nicht aus, auch nur eine Streichholzschachtel ans Ziel zu transportieren. Es war aber über Lichtjahre und Tausende von Jahren hinweg sehr präzise zu orten. Sobald wir dieses Feld erscheinen ließen, würde Demeter die Zeitmaschine in der Zeit-Festung auf dem Planeten Shyftan aktivieren. Deren Transportfeld sollte uns dann in die Realzeit zurückholen. Die ganze Angelegenheit wimmelte von Haken und Fallgruben. Unsere größte Sorge war, daß Demeter uns womöglich nicht fand - wohl aber der Gegner, der nicht viel mehr Mühe haben würde, unsere Zeitmaschine anzupeilen. Inky schnarchte leise neben mir. Unser Freund aus dem zwanzigsten Jahrhundert war von stabiler Gemütsart. Er konnte unter nahezu allen Bedingungen schlafen, wenn es nötig war. Ich verließ das Lager und stieg die Dünen hinauf. Es wurde langsam hell über der Wüste. Wir näherten uns der bewohnten Welt von Westen her. Wir hatten inzwischen feststellen können, daß die Landschaft bei weitem nicht so karg war, wie man vermutet hatte - ein großer Teil des Prozesses der Wüstenbildung auf der Erde ging auf das Konto des Menschen, der in dieser Zeit gerade erst damit begonnen hatte, seine Umwelt einschneidend zu verändern. Einer dieser Eingriffe in das Bild der Erde war im Osten zu suchen. Wir mußten nach unseren Berechnungen in einigen Stunden Sakkara erreicht haben. Dort hatte Pharao Djoser seine Stufenpyramide erbauen lassen - wir hatten unsere Ankunftszeit so gewählt, daß wir mitten im Bau ankamen. Wir konnten also das Entstehen dieser gigantischen Pyramide - der ersten ihrer Art in Ägypten - mit eigenen Augen verfolgen. Und wir würden, das war das eigentliche Ziel dieser Expedition, mit dem Baumeister dieser Pyramide
sprechen können, mit jenem geheimnisvollen Mann, der Imhotep genannt wurde und dessen Name Jahrtausende später noch bekannt sein würde. Ich hörte das feine Knirschen von Sand und wandte den Kopf. Marleen de Vries näherte sich. „Ich kann einfach nicht schlafen“, sagte sie gleichsam entschuldigend. „Die Vorstellung, bald einem berühmten Pharao entgegengehe n zu können, ist überwältigend.“ „Hoffentlich wird sich Djoser überhaupt um uns kümmern“, warf ich ein. „Und wenn er von uns Kenntnis nimmt, dann hoffentlich nicht dergestalt, daß er uns ins Gefängnis werfen läßt.“ Marleen zuckte mit den Schultern. Sie stammte aus den Niederlanden und war Archäologin. Spezialgebiet Ägypten. Sie war für unsere Expedition der wichtigste Fachmann, eine ziemlich zweischneidige Angelegenheit, wenn man an die Rolle der Frau in dieser Zeit dachte. Hoffentlich erregten wir nicht zuviel Anstoß. „Man wird sehen“, murmelte Marleen. Dank der Hexenkünste unserer Chemiker hatte sie sich derart verändert, daß ihr eigener Vater sie vermutlich nicht wiedererkannt hätte das Gesicht dunkel gefärbt, die Haare tiefschwarz, dazu das wallende Gewand aus grobem Leinen. Nun, die anderen Mitglieder unseres Expeditionskorps sahen ähnlich aus. Noch wirkten wir fast kostümiert, die Zeit würde uns hoffentlich helfen, die Vermummungen als normal zu empfinden. „Was weiß man eigentlich von Pharao Djoser?“ Marleen dachte kurz nach. „Viel und wenig, je nachdem. Es gibt eine Fülle von Detaildaten, aber wenig von dem, was uns nützen würde. Bekannt ist dieser Pharao vor allem, weil er als erster Pharao das Grundmodell des Mastaba-Grabes in eine große Stufenpyramide abwandeln ließ.“ Mit dem Begriff Mastaba konnte ich etwas anfangen. Das Wort bezeichnete ursprünglich die Sitzbänke vor den Haustüren der Ägypter, später hatte man die sitzbankhohen steinernen Grabplatten so genannt, mit denen die Schachtgräber verschlossen worden waren. Djosers Stufenpyramide stellt in gewisser Weise eine überdimensionale Mehrschichtmastaba dar - eine riesengroße, gemauerte Grabplatte, darüber eine zweite, nicht ganz so große, eine dritte, wieder um ein Stück kleiner und so fort. Erst später waren die Ägypter dazu übergegangen, diese Stufenpyramiden so zu verkleiden, daß ein regelmäßiger geometrischer Körper entstand - eben eine Pyramide. „Von Djoser sind einige Bauwerke seiner Grabanlage erhalten“, fuhr Marleen fort. „Als erstes natürlich die sechsstufige Pyramide, aber es sind auch noch Teile der Tempelmauer erhalten - und außerdem das berühmte Südgrab.“ Das Grab mochte berühmt sein, ich kannte es jedenfalls nicht. „Man fand dort einen dreißig Meter tiefen Schacht unter einer sehr großen Mastaba, das dem eigentlichen Grab unter der Stufenpyramide sehr stark ähnelt. Das verblüffende an diesem Grab ist die Tatsache, daß es erwiesenermaßen in der Vergangenheit nicht von Grabräubern geplündert
wurde, dennoch ist es leer. Obendrein ist es gar nicht groß genug, um einen ausgestreckten menschlichen Leichnam aufzunehmen, den man durch eine nur achtzig mal vierzig Zentimeter große Öffnung hätte zwängen müssen.“ Marleen lachte, als sie mein entgeistertes Gesicht sah. Was sollte ich mit diesen Offenbarungen auch anfangen? „Entschuldige“, sagte sie. „Der fachliche Eifer hat mich fortgerissen. Aber Djoser ist tatsächlich eine faszinierende Figur. Seine Stufenpyramide lehnt sich zwar an die heute schon klassische Mastaba an, geht aber in den Proportionen geradezu aberwitzig über sie hinaus. Es ist, um einen Vergleich zu gebrauchen, als ob ein Architekt, der bisher nur Blockhütten entworfen hat, plötzlich und ohne Vorbild einen Wolkenkratzer in Angriff nimmt - und ihn auch tatsächlich baut.“ „Das hat es doch später noch einmal gegeben...“ „Richtig“, bestätigte Marleen. „Die gotischen Dome des Mittelalters, umgeben von schäbigen Häusern und viel zu groß für die Gemeinden, die sie in jahrzehntelanger Arbeit errichteten.“ „Ob Djoser überhaupt in Sakkara ist?“ Marleen zuckte mit den Schultern. „Unsere Zielzeit ist identisch mit einer Periode der Nilüberschwemmung“, sagte sie. „In diesen Perioden, in denen das halbe Land unter Wasser steht, wurden die Pyramiden gebaut, da die Männer nicht für die Feldbestellung gebraucht wurden. Und ich nehme an, daß Djoser den Fortgang des Baues verfolgen will immerhin ist es seine Pyramide.“ Ich sah über die Dünen hinweg nach Osten. Irgendwo dort lag Sakkara. Im Norden davon war jene Stadt zu suchen, die von späteren Eroberern „Al Kahira“ genannt werden würde, Kairo, die Siegreiche. Dort, auf der Ebene von Gizeh, in unmittelbarer Nähe der Stadt, würden in den nächsten zwei Jahrhunderten die gewaltigen Pyramiden entstehen, an die man zuerst dachte, wenn man das Wort hörte - die Pyramiden des Chephren, des Mykerinos und die größte von allen, die des Cheops. Ich hatte die Großen Pyramiden bereits betreten, sogar zweimal. Das erste Mal hatte dieser Besuch in meiner Normalzeit stattgefunden, ich hatte Gizeh als Tourist besucht. Das zweite Mal hatte ich die Pyramide des Cheops bei einem Einsatz der Time-Squad betreten, zusammen mit Charriba Whita Cloud und anderen Mitarbeitern. Das gespenstische Gefühl im Innern der Grabkammer war mir lebhaft im Gedächtnis geblieben. Wir hatten den Sarkophag leer vorgefunden. Von Cheops, der angeblich in diesem Steingebirge beigesetzt worden war, fehlte jede Spur. Wohl aber hatten wir im Innern des Sarkophags ein rötlich leuchtendes Feld vorgefunden, und für einen Mitarbeiter der Time-Squad konnte es keine Zweifel geben, um was für ein Feld es sich da gehandelt hatte. Mit einem ähnlichen Gebilde, einem großen, rötlich leuchtenden Energiefeld, waren wir alle vor wenigen Stunden in die Vergangenheit versetzt worden. Ich hatte damals in das Feld hineingegriffen, und noch heute fühlte ich den
Schauder, der mich dabei befallen hatte. Eingebettet in das Zeitfeld, hatte ich einen Geist gespürt, den Bewußtseinsinhalt eines Wesens, das völlig den Verstand verloren und mich mit seinen tobsüchtigen, haßerfüllten Ausbrüchen beinahe umgebracht hatte. Würde es uns bei diesem zweiten Einsatz im alten Ägypten gelingen, dieses Geheimnis zu lüften? Die nächsten Tage und Wochen würden darauf die Antwort geben. Ich sah nach dem Stand der Sonne. Ihre ersten Strahlen waren am Horizont erschienen. „Es wird Zeit“, sagte Marleen und zog den weiten Mantel fester um sich. „Machen wir uns auf den Weg.“ Langsam kehrten wir ins Lager zurück. Unsere Tiere waren ebenfalls erwacht, die Pferde und Esel, die unser Gepäck zu transportieren hatten. Eigentlich hätten wir Kamele verwenden sollen, wie es sich gehörte, aber dem standen zwei Gesichtspunkte entgegen. Zum einen verfügte die Time-Squad über keine Kamele, und zum zweiten war in der Zeit, in der wir uns aufhielten, die Züchtung des Wildkamels noch nicht gelungen. Auch die Erfindung des pferdegezogenen leichten Streitwagens war noch nicht gemacht woräen. Dafür gab es aber andere Erfindungen. Ich spürte einen harten Schlag an der linken Schulter, dann einen brennenden Schmerz. Marleen schrie laut auf. Ich fuhr herum. Auf dem Dünenkamm, den wir gerade erst verlassen hatten, waren Gestalten aufgetaucht, vermummt, lautlos und bewaffnet. In meiner Schulter stak ein Pfeil. „Aufstehen!“ brüllte ich mit höchster Stimmkraft. „Wir werden überfallen!“ Gleichzeitig griff ich nach meinem Schwert. Die Waffe bestand aus hochwertiger Bronze, der besten, die wir hatten herstellen können. Den Schwertern der Räuber waren unsere Waffen klar überlegen. Aber was half diese waffentechnische.Überlegenheit, wenn wir die Schwerter nicht rechtzeitig in die Hand bekamen oder nicht wirkungsvoll gebrauchen konnten? Der Pfeil in meiner Schulter brannte wie das Höllenfeuer, und bei jeder Bewegung zuckte ein neuer Schmerz durch meinen Körper. „Macht sie nieder!“ hörte ich eine kehlige Stimme rufen. Eine schwarzvermummte Gestalt war auf dem Kamm aufgetaucht. Kein Filmregisseur hätte den Mann bildwirksamer dort postieren können. Zu sehen war eine schwärzliche Silhouette vor dem Hintergrund eines blutrot gefärbten Himmels. Zu langen Betrachtungen über diesen gelungenen Bildaufbau hatte ich keine Zeit. Zwei der Räuber drangen auf mich ein, in den rechten Händen Schwerter, in den linken bronzene Dolche. Ich machte einen Schritt zur Seite, fintierte und schlug zu. Der Hieb ging ins Leere, mein Gegner hatte sich rechtzeitig abgewandt. Dafür lief mir der zweite in die Parade, die Waffen klirrten aufeinander, und mit einem häßlichen Geräusch brach das Schwert des Räubers. Bevor ich ihm den Garaus machen konnte, hatte er sich verzogen, und sein Kumpan drang wieder auf mich ein.
Hinter mir wurde es laut. Einige unserer Tiere spielten verrückt und versuchten, sich loszureißen. Unsere Lage war verzweifelt. Die meisten Mitarbeiter der Time-Squad waren noch schlaftrunken, und gegen die mörderische Überraschung eines solchen Überfalls half keine Schulung. Die Räuber hatten das Lager erreicht, bevor noch der erste aufgestanden war. Mit vielem hatten wir gerechnet, damit nicht. Zu allem Überfluß tauchten auf den Dünen weitere Bögenschützen auf, die alles mit ihren Pfeilen beschossen, was sie zu sehen bekamen. Nur mit einem hatten die Wüstenbanditen nicht gerechnet, und dieser Umstand wurde unsere Rettung. Ihrem männlichen Selbstverständnis entsprechend hatten sie in ihrer Blutrechnung unsere Frauen ausgeklammert. Diese Fehlkalkulation bekamen sie nun zu spüren. Gurgelnd brach ein Angreifer neben mir zusammen. Marleen hatte ihn ausgeschaltet, und nun hielt die Frau nach einem weiteren Gegner Ausschau. Vorsichtshalber machte sie einen weiten Satz, rollte auf dem Sandboden ab und kam sofort wieder auf die Füße. „Schießt auf die Weiber!“ brüllte der Anführer der Räuber. Sein Umhang wehte im Wind. Bislang hatten die Pfeilschützen die Frauen verschont, wohl um die erhoffte Handelsware nicht zu beschädigen, jetzt flogen auch den Frauen die Pfeile um die Ohren. Einer der Bogenschützen fiel rückwärts von der Düne, in der Brust einen Pfeil in den Farben der Time-Squad, schwarz und gold. Unser Freund Charriba hatte endlich seinen Bogen gefunden. Beinahe sofort wendete sich das Blatt. Der Räuberhauptmann stieß einen wütenden Schrei aus, dann sah er zu, daß er aus der Reichweite von Charribas Geschossen kam. Einer seiner Nachbarn schaffte den Sprung nicht mehr rechtzeitig. Jetzt erst fand ich Zeit, mich herumzudrehen. Unsere Leute hatten sich in der Mitte des Lagers verschanzt, hinter Tierkadavern und umgeworfenen Gepäckballen. Auf halber Höhe der Düne stand Charriba und verschoß seine Pfeile. Der Indianer im Dienste der TimeSquad bewegte sich mit der Ruhe und Gelassenheit eines Wettkämpfers; daß es hier ums nackte Leben ging, schien er nicht zu wissen. Ich ging langsam zu unseren Leuten hinüber. Charriba deckte mir den Rücken, von dort drohte einstweilen keine Gefahr. Bevor ich die Kistenstapel erreichen konnte, war der Kampf entschieden. Ich sah, wie die Horde auf dem gegenüberliegenden Kamm auftauchte, ihren Tieren die Sporen gab und dann auf das Lager losgaloppierte. Der Häuptling der Wüstenbanditen war ein vorsichtiger Mann, der sich einen gefährlichen Trumpf vorbehalten hatte. Ungefähr dreißig Reiter stürmten auf uns los, und sie schonten weder sich noch uns. Zwei, drei konnten die Freunde von den Pferden holen, dann hatte die Horde das Lager erreicht. Keulenschwingend brachen sie über unsere Expedition herein. Marleen, die
sich an meiner Seite aufhielt, versuchte, davonzulaufen, um nicht unter die
Hufe zu geraten. Ich sah noch, wie eine Schlinge nach ihr geworfen wurde,
dann waren die Reiter heran.
Schreiend wie die Höllenteufel rasten sie durch das kleine Tal und machten
alles nieder, was in den Bereich ihrer Waffen geriet. Ich sah, wie Charriba
einen Keulenhieb auf den Kopf bekam und langsam zur Seite kippte.
Dann sauste ein Etwas auf mich zu und traf mich am Kopf. In einer Explosion
irrlichternder Feuer sank mein Verstand hinab, bis mich Schwärze umfing.
Durch schier undurchdringlichen Nebel hörte ich Schreien und Rufen, mit
seltsamer Klarheit sah ich den Sand des Wüstenbodens auf mich zukommen,
ein heller, körniger Fleck, der in der Mitte meines Gesichtsfelds erschien und
langsam abgeblendet wurde.
Dann war der Sand heran, das Gesichtsfeld wurde noch kleiner und schwärzer
und war dann ganz verschwunden.
Schlagartig verlor ich das Bewußtsein.
* Als ich wieder zu mir kam, war der Überfall der Wüstenräuber noch nicht vorüber. Ich schaffte es mit aller Selbstbeherrschung, ein schmerzliches Stöhnen zu unterdrücken, als der tobende Schmerz in meinem Schädel und das infame Brennen in meiner linken Schulter mir verrieten, daß ich ins Bewußtsein zurückgekehrt war. Ich hörte fremde Stimmen, heisere Zurufe, Waffenklirren. „Laßt sie liegen“, rief jemand. „Sollen wir nicht... ?“ fragte einer. „Ich sagte, ihr sollt sie liegenlassen“, rief der Anführer der Räuber. Ich konzentrierte mich trotz meiner Kopfschmerzen auf die Stimme, und ich war mir sicher, dieses Organ unter Tausenden herauszuhören. Angesichts der Geräusche aber, die ich zu hören bekam, war mehr als zweifelhaft, ob ich dem Räuber jemals wieder begegnen würde. Das Waffenklirren, das an mein Ohr drang, stammte nicht von Kämpfen. Es entstand dadurch, daß die Schwerter und Teile unserer Ladung gegeneinanderklirrten. Ich mußte mich beherrschen, aber ich blieb liegen. Helfen konnte ich in meiner Verfassung niemand, nicht einmal mir selbst. Ich lag so reglos wie möglich auf dem Boden, das Gesicht auf den nässen Sand gedrückt, und ich wußte auch, was den Sand der Wüste durchtränkt hatte. Die Schulterwunde blutete entsetzlich. Unsere Sache schien verloren. Kein Geräusch von Widerstand war zu vernehmen, und mit immer größer werdenden Entsetzensschauern stellte ich fest, daß auch keine einzige Frauenstimme zu hören war. Wir waren geschlagen, und es sah fast so aus, als hätte ich als einziger das Gemetzel überlebt. Instinktiv regte sich in mir der Wunsch, davonzukriechen. Einen Herzschlag
später wollte ich aufspringen, nach einer Waffe greifen und - wenn schon kämpfend untergehen. Ich riß mich zusammen. Was ich tat, war feige. Ich blieb liegen und rührte mich nicht, ich ließ die Wüstenräuber gewähren in ihrem blutigen Handwerk. Wenn es überhaupt noch eine Chance gab, diese Katastrophe abzumildern, dann nur, wenn ich sie überlebte. Sehr schwer fiel es mir nicht, den Toten zu markieren. Ich war halbtot. Die Stimmen, die ich hörte, wurden leiser und lauter, wie bei einem altmodischen Kurzwellenradio, und ab und zu mischten sich Klänge hinein, die aus meinem gequälten Hirn zu stammen schienen und schmerzhaft in den Ohren dröhnten. Vor meinen Augen wallten farbige Schleier. „Wir ziehen ab“, hörte ich den Räuberhauptmann sagen. „Beeilt euch, Leute!“ Ich vernahm das Trappeln vieler Füße, das Hufgeräusch der Reittiere. Die Räuber stiegen auf die Rücken ihrer Tiere, dann zogen sie ab. Ich wartete, bis ich sicher sein konnte, daß keiner mehr in der Nähe unseres Lagerplatzes stand. Dann erhob ich mich langsam.
3. Das erste, was ich zu sehen bekam, war Sand, dunkelbrauner, blutgetränkter Sand. Ich stemmte mich mit den Armen hoch, ließ me ine Augen höher steigen. Als nächstes sah ich einen Körper reglos im Sand liegen. Das Gesicht war verzerrt, aber gut zu erkennen. Einer der Räuber. Ich schämte mich nicht, daß ich mich darüber freute wenigstens keiner von unseren Leuten, durchfuhr es mich. Ich hatte die wahnwitzige Hoffnung, die Sache sei glimpflich verlaufen. Ich hatte den Überfall überlebt, warum nicht auch die anderen? Ich kippte vornüber. Die linke Schulter versagte den Dienst, der linke Arm war fast taub. Ich rollte mich auf die Seite und konnte in die Höhe sehen. Sie warteten schon, die schwarzen Gestalten im strahlenden Blau des Himmels. Die biologische Polizei der Wüste versah ihren Dienst mit gewohnter Gründlichkeit. Die Geier kreisten bereits über dem Schlachtfeld. Ich versuchte, irgend etwas zu sagen, eine spöttische Bemerkung, die mir selbst zeigen sollte, daß mein Mut unverwüstlich war. Ich brachte nur ein wehleidiges Krächzen über die Lippen. Es war - kein anderes Wort hätte gepaßt - totenstill. Ein feiner Wind strich über die Dünen und wirbelte etwas Sand in die Höhe. Ich schaffte es nach einigen vergeblichen Versuchen, mich aufzusetzen. Die Schwäche, die mich befallen hatte, wurde immer stärker. Und wenn ich nach oben blickte, konnte ich sehen, daß sich die Geier langsam herunterschraubten. Ich tastete nach meinem Gürtel. Mit einem Seufzer der Erleichterung umklammerte ich den Griff meines Dolches.
Dann sah ich den nächsten Körper, diesmal eines unserer Tiere. Die Dramaturgie ;des Zufalls wollte es, daß ich mich bei diesem Anblick noch einmal in die aberwitzige Hoffnung hineinsteigerte, daß vielleicht doch... mit etwas Glück. ,. Die Hoffnung war trügerisch. Sie hatten keinen verschont. Ich fand Charriba, das Gesicht zu einem grimmigen Lächeln verzogen, in der Brust einen Speer. Seine rechte Hand umklammerte seinen Tomahawk, den er meisterlich zu handhaben wußte... gewußt hatte, verbesserte ich mich. Ich kroch weiter. Josh Slocum fand ich, den Seemann. Seine linke Gesichtshälfte war eine einzige Wunde, sandüberkrustet. Zwei Schritte weiter lag Inky im Sand. Ich konnte sehen, daß sich seine Brust noch bewegte, obwohl er aus einem halben Dutzend Wunden blutete. Vielleicht hatte er Glück gehabt, obwohl es wahrhaftig nicht danach aussah. Von den Frauen fand ich keine. Sie waren ganz offenkundig den Wüstenräubern lebend in die Hand gefallen. Ein besseres Schicksal als das unsere? Ich wußte keine Antwort darauf. Die Geier schraubten sich herab, ein halbes Dutzend landete im Sand und hockte sich dort nieder. Ich fiel wieder auf den Boden. Die Sonne brannte auf uns herab. Sie würde das Ende beschleunigen. Ich verlor erneut das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam, waren vermutlich nur ein paar Augenblicke vergangen. Noch immer hockten die Geier auf den Dünen und schielten zu uns herunter. Plötzlich kam Bewegung in die Tiere. Ich zog den Dolch aus der Scheide. Es war an der Zeit, den Tieren einen Teil der Arbeit abzunehmen. Zu meiner Verwunderung fielen sie nicht über uns her. Im Gegenteil, mit mißtönendem Krächzen stiegen sie auf und sahen zu, daß sie Höhe gewannen. Dann hörte ich Schritte. Ich versuchte, mich aufzurichten und fiel zurück. Wieder versank ich in Bewußtlosigkeit. Ich kam wieder zu mir und sah ein sonnenverbranntes Gesicht, das mich finster anstarrte, und dann sah ich die Spitze des bronzenen Speeres, der auf meine Kehle zielte. „Mach ein Ende“, murmelte ich. Mein Kopf fiel haltlos zurück. * Es war angenehm kühl. Ich lag im Schatten, stellte ich fest, und in der Nähe plätscherte etwas. Mein Kopf schmerzte, aber ich lebte noch. Wie lange war ich bewußtlos gewesen? Offenbar einige Stunden, es war dunkel geworden. Langsam wurde mein Blick klarer. Es war nicht dunkel, ich lag im Innern eines Raumes. Eine leichte Decke bedeckte meinen Körper, und mein linker Arm war bandagiert. Der Verband war nicht gerade perfekt, aber er tat seinen
Dienst. Der Schmerz in der Schulter jedenfalls ließ sich ertragen. Ich räusperte mich. Von irgendwoher kam ein Geräusch, dann näherten sich Schritte meinem Lager, nackte Füße auf lehmgestampftem Boden. Sekunden später beugte sich eine Frau über mich. Sie lächelte mich an. Engel waren für gewöhnlich blond und überaus geflügelt. Mit leisem Sarkasmus stellte ich fest, daß ich offenbar nicht gestorben war - die Frau war für eine Teufelin eine Spur zu jung und zu attraktiv, ganz abgesehen davon, daß der Service in diesem Fall wohl ein wenig anders ausgesehen hätte. „Wasser!“ bat ich. Ich wiederholte meine Bitte, diesmal auf Ägyptisch. Die Frau nickte und hastete davon. Sie kehrte mit einem Tonkrug wieder, den sie neben meinem Lager absetzte. Dann half sie mir, mich aufzurichten. Ich trank sehr langsam, um nichts zu verschütten. Außerdem brauchte ich Zeit. Ich mußte mich erst mit dem Gedanken vertraut machen, daß ich das Massaker in der Wüste überlebt hatte, als einziger. Was war aus den Leichen meiner Gefährten geworden? Hatte der ewig wandernde Sand sie bedeckt, waren sie dem Hunger der Geier zum Opfer gefallen? Und was wurde aus mir? Abgeschnitten in Raum und Zeit, gestrandet, ohne die geringste Hoffnung auf Rückkehr. Ich setzte den Krug ab. „Danke“, sagte ich. Das Mädchen lächelte und verschwand dann. Nach kurzer Zeit kehrte sie wieder, in den Händen eine Schale mit Obst. „Iß“, sagte sie freundlich. „Das wird dich kräftigen.“ Ich verspürte plötzlich einen wahren Heißhunger und griff wacker zu. „Wie lange habe ich so gelegen?“ fragte ich das Mädchen. Sie hielt drei Finger in die Höhe, also drei Tage. Ich setzte die Schale auf den Boden und tastete nach der Wunde an meiner Schulter. Es schmerzte, wenn ich drückte, aber der Schmerz ließ sich ertragen. Ich wußte, daß damit nichts gewonnen war. An der Wunde selbst würde ich so schnell nicht sterben, wohl aber sehr leicht an deren Folgen. Ich löste, während mir die junge Frau zusah, den Verband. Ich zog prüfend die Luft durch die Nase. Mit einem Seufzer der Erleichterung steilte ich fest, daß die Wunde gut roch - das Gegenteil hätte ein qualvolles Ende für mich bedeutet. Selbst eine kleine Verletzung konnte in diesen Zeiten zu einer Blutvergiftung führen, „Wir haben Spinnweben gesammelt und auf die Wunde gelegt“, verriet mir das Mädchen. Das Verfahren hörte sich sehr seltsam an, klang geradezu unappetitlich, aber ich wußte aus meinen Studien, daß solche Praktiken im alten Ägypten gang und gäbe gewesen waren. Die Spinnweben - ich brauchte fast fünf Minuten, bis ich das Wort verstanden hatte - bestanden zum größten Teil aus biologisch hochwertigem Eiweiß, dazu kamen nicht selten Kleinstlebewesen, die an den Netzen hängengeblieben waren. Beides zusammen ergab ein durchaus nützliches Präparat. „Du kommst nicht aus Ägypten?“ erkundigte sich die junge Frau. „Aus dem Gebiet jenseits des Gaus der Weißen Mauer“, erklärte ich. „Ich spreche eure Sprache nicht sehr gut, verzeiht mir.“
Auf eine präzisere Ortsbestimmung wollte ich mich einstweilen nicht einlassen. „Wo habt ihr mich gefunden?“ fragte ich, während ich meine Mahlzeit fortsetzte. Ich aß langsam und kaute gründlich. Wenn ich seit drei Tagen in einem Wundschlaf gelegen hatte, war es ratsam, den Magen nicht sofort zu überlasten. „Im Westen“, sagte das Mädchen. „Mein Herr, der große Sen’cher, dessen Tage ungezählt sein mögen, hat dich dort gefunden. Er führte eine Schar Soldaten, weil dieser Bereich von Räubern unsicher gemacht wird.“ „Wir haben es gemerkt“, sagte ich bitter. „Die Kameraden erschlagen, die Frauen verschleppt, die Waren geraubt...“ „Wir haben deine Gefährten im Sand der Wüste begraben, und was von deinen Waren noch zu finden war, lagert im Hause. Deine drei Freunde sind in benachbarten Häusern untergebracht worden.“ Meine Augen weiteten sich. Das Mädchen lächelte. „Sie waren verletzt“, sagte sie. „Noch schwerer als du, aber sie leben - unsere Heilkundigen verstehen ihre Kunst. Der große Mann mit den breiten Schultern konnte gerettet werden, trotz der schweren Speerwunde.“ Das mußte Charriba sein. Ich holte tief Luft und begann wieder zu hoffen wenigstens war ich nicht allein. „Er schläft noch, aber der Priester sagt, daß er leben wird. Auch der hagere Mann mit dem wirren Haar“ damit konnte nur Inky gemeint sein - „wird am Leben bleiben.“ „Und der Bärtige? Der Mann mit der Kopfverletzung?“ Das Gesicht des Mädchens verriet, daß es um Joshua Slocum nicht so gut stand. „Wir geben die Hoffnung nicht auf“, sagte das Mädchen. „Möchtest du noch etwas essen oder trinken?“ Ich verneinte. „Wie heißt du?“ wollte ich wissen. „Nefer“, antwortete die junge Frau. „Man nennt mich Tovar“, stellte ich mich meinerseits vor. „Ich heiße dich in meinem Hause willkommen, Tovar“, ließ sich eine dunkle Männerstimme vernehmen. Ich sah auf, während Nefer sich erhob, zur Seite trat und sich respektvoll verbeugte. Mit einer Handbewegung scheuchte der Mann sie aus dem Raum. „Euch danke ich mein Leben“, sagte ich und versuchte, im Bett sitzend, eine Art Verbeugung auszuführen. „Auch im Namen meiner Freunde danke ich Euch.“ Sen’cher schnippte mit den Fingern. Nefer kam herein und schob ihm einen Sessel heran. Sen’cher war ganz offenkundig kein armer Mann, das verriet sowohl die golddurchwirkte Kleidung als auch die kostbare Handwerksarbeit des mit Blattgold überzogenen Sessels. Sen’cher ging es auch sonst recht gut - er war unheimlich dick, ja,
ausgesprochen fett. Sein Schädel war. völlig kahl, um so üppiger allerdings
war der dunkle Vollbart ausgefallen. Ich wußte sofort, daß man diesen Mann
nicht unterschätzen durfte seine Bewegungen verrieten die selbstsichere Ruhe
eines Mannes, der gewohnt war, seine Wünsche durchzusetzen.
„Diese Räuber sind eine rechte Plage“, sagte Sen’cher. „Kaum eine Karawane,
die nicht von ihnen behelligt wird. Manch eine Karawane wird derart von
ihnen geplündert, daß praktisch nichts mehr davon übrig bleibt.“
Sollte das eine behutsame Anspielung sein?
„Ist von unserer Ware nichts übriggeblieben?“ fragte ich, obwohl ich ja bereits
von Nefer wußte, daß die Räuber uns doch noch etwas übriggelassen hatten.
Sen’cher lächelte zurückhaltend.
„Genug“, sagte er freundlich. „Ihr werdet nicht hungern müssen.“
„Das Leben meiner erschlagenen Freunde bedeutet mir mehr“, wehrte ich ab.
„Außerdem wurden die Frauen verschleppt.“
Ihr werdet sie zurückkaufen können, vielleicht“, sagte Sen’cher.
„Normalerweise bieten die Räuber solche Ware nicht so rasch an, aber
vielleicht machen sie eine Ausnahme. Ihr kommt aus dem Westen?“
Ich bestätigte, ohne mich zu weiteren Erklärungen hinreißen zu lassen.
„Man sagte“, erklärte ich, „daß die Geschäfte gutgehen im Lande des Pharaos.
Sein Name sei gepriesen.“
„Ihr habt recht“, sagte Sen’cher. „Aber auch die Macht des Pharaos hat
Grenzen. Snofru kann seine erhabenen Augen... Was ist Euch?“
Ich schnappte nach Luft.
Snofru?
„Sagtet Ihr Snofru?“ fragte ich erschüttert.
„Welchen anderen Namen hätte ich nennen sollen?“ fragte Sen’cher, plötzlich
mit Schärfe in seiner Stimme.
Ich machte eine abwehrende Handbewegung.
„Ich bin verwirrt“, stotterte ich. „Meine Gedanken sind durcheinander,
wahrscheinlich rührt das von dem Schlag her, den ich bekommen habe.“
Ich hatte Mühe, meine Erschütterung zu verbergen.
Wir hatten uns geirrt, verrechnet, verschaltet, vermessen, man konnte es
nennen, wie man wollte. Egal, wer den Fehler auf dem Gewissen hatte wir
waren in jedem Fall in der falschen Zeit herausgekommen.
Unser Pharao hatte Djoser heißen sollen, und zu seinen Lebzeiten hatte auch
Imhotep gelebt. Nun war Djoser längst tot, und seine Nachfolger waren
unterdessen auch längst gestorben, Sechemchet, Cha-Ba, Nebkara und auch
Pharao Huni, Snofrus Vorgänger.
Snofru gehörte nach der Einteilung der Ägyptologie nicht einmal mehr zur
Dritten Dynastie des Alten Reiches, deren wichtigster Pharao Djoser gewesen
war. Mit Snofru begann die Vierte Dynastie, er war der erste Pharao dieser
Dynastie, sein Nachfolger würde Chufu heißen - Cheops.
Ich griff wieder nach dem Krug und nahm einen langen Zug. Ich hatte
keineswegs Durst, ich wollte nur meine Schwäche überspielen.
Unsere Expedition war so gründlich gescheitert, wie das nur denkbar war.
Nicht nur, daß wir von Räubern dezimiert und ausgeplündert worden waren, nicht nur, daß wir mit dem Verlust unserer Peil-Zeitmaschine jeder Möglichkeit beraubt waren, Kontakt mit der Zentrale aufzunehmen - zu allem Überfluß waren wir auch noch in der falschen Zeit gelandet. Selbst wenn sich die Time-Squad auf unsere Fährte setzte, half uns das nicht weiter - wir hatten uns um mindestens ein ha lbes Jahrhundert in der Zeit geirrt. Die Aussicht, daß Demeter uns bei dieser Abweichung fand, war so gut wie Null. „Was wollt Ihr unternehmen nach diesem Raub?“ Ich brauchte nicht lange nachzudenken. Für uns gab es drei Dinge, die zu tun waren, sobald wir von unseren Wunden genesen waren. Wir mußten die Frauen finden, die von den Räubern verschleppt worden waren. Viel Zeit hatten wir dafür nicht - die Räuber waren nicht zimperlich und die Frauen nicht fügsam. Daraus folgte, daß es zwischen beiden Gruppen sehr bald zu einer erbitterten Konfrontation kommen mußte, bei der es sehr leicht Tote geben konnte. Das zweite Problem war fast noch dringender, dafür aber ließ es sich hinausschieben - wir mußten die Bauteile der kleinen Zeitmaschine heranschaffen und zusammenbauen. Vielleicht fand die Time-Squad uns doch noch, es gab noch eine winzige Hoffnung. Das dritte Problem hieß Imhotep. Wenn wir schon ihn selbst nicht fanden, wollten wir wenigstens sein Grab aufstöbern. Uns genügte ja... Ich verwarf den Gedanken, sobald er mir gekommen war. Uns genügte ja, hatte ich denken wollen, die genaue Position des Grabes festzustellen nachgraben konnten wir ja in unserer Zeit, ohne uns um aufmerksame Grabwächter kümmern zu müssen. Leider war dieser Gedankengang fals ch. In unserer Zeit nämlich wurde das Grab fast noch besser bewacht als zur Zeit der Pharaonen. Wir konnten nicht zur Erde, um dort nachzusuchen - dort tobte ein grauenvoller Krieg zwischen Menschen und Nokthern. „Wenn es meine Kräfte zulassen“, sagte ich nach kurzem Zögern, „möchte ich den Rest meiner Waren tauschen.“ „Ich werde Euch dabei behilflich sein“, versprach Sen’cher. „Dann möchte ich eine Reise unternehmen“, gab ich bekannt. „Ich möchte am Grab des größten Heilkundigen aller Zeiten ein Opfer darbringen.“ Sen’cher kniff die Augen zusammen. „Wen meint Ihr?“ „Den großen Baumeister und Heilkundigen, den Berater des großen Pharao Djoser, der das gewaltige Bauwerk errichtet hat, das wir schon von weitem haben sehen können.“ „Imhotep?“ „Wer sonst?“ Die kurze Wechselrede irritierte mich. Was gab es Seltsames an meinem Wunsch? Galt Imhotep nicht schon seinen Zeitgenossen beinahe als Halbgott? „Ich weiß allerdings nicht, wo Imhotep zu suchen ist, wo er seinen Leib für die
Ewigkeit beigesetzt hat.“
„Ich werde Euch den Ort nennen“, versprach Sen’cher. Nefer näherte sich
langsam.
„Was willst du?“
„Einer der Begleiter des Herrn...“, sagte Nefer. „Er steht vor der Tür.“
„Laß ihn herein“, bestimmte Sen’cher. Der Mann stand auf. „Ich werde Euch
allein lassen. Eines Mannes Tränen, auch wenn es Freudentränen sind beim
Wiedersehen mit einem totgeglaubten Freund, vertragen keine Zuschauer.“
Er deutete eine Verneigung an und zog sich leise zurück.
Ich nutzte die kurze Zeit, mich umzusehen.
Ich lag in einem richtigen Bett, einer gekonnten Konstruktion aus Latten und
einem bambusähnlichen Material. Ich lag auf bequemen Polstern, war völlig
nackt und zugedeckt mit einem dünnen Laken aus bedrucktem Leinen. Der
Raum war nicht sehr hoch, und nach prunkvollem Mobiliar sah ic h mich
vergeblich um. Zu sehen waren noch eine Kiste mit schönen Schnitzereien,
zwei Tongefäße, in denen Wasser verdunstete, und der Sessel, auf dem es sich
Sen’cher bequem gemacht hatte.
Licht bekam der Raum durch ein Fenster, das auf den Innenhof führte. Dort
gab es einen kleinen Garten, sorgfältig gepflegt und gewässert, wie ich bei
einem raschen Blick feststellen konnte.
„Mensch“, sagte Inky, während er über die Schwelle trat. „Mensch, Tovar!“
Ich lächelte schwach.
Inky, ohnehin mager von Statur, sah aus wie sein eigener Leichnam, dürr und
entsetzlich blaß. Seine Wangen waren eingefallen, seine Augen verrieten, daß
er noch lange nicht völlig gesund war.
Ich richtete mich langsam auf, ging auf Inky zu und nahm ihn in die Arme.
Nefer zog sich, sanft lächelnd, höflich zurück.
Nachdem wir uns ausgeweint hatten, setzten wir uns wieder, um unsere Kräfte
zu schonen.
„Du hast von Josh und Charriba gehört?“ fragte ich Inky. Der hagere Mann
nickte.
„Ich habe erfahren, daß Josh in großer Lebensgefahr schwebt“, sagte er ruhig.
„Und daß Charriba noch lebt, wundert mich überhaupt nicht. Ich weiß nämlich
zufällig ganz genau, wie Charribas Tod vonstatten gehen wird.“
Ich runzelte die Stirn. Litt Inky noch an Fieberträumen?
Der hagere Mann aus dem zwanzigsten Jahrhundert grinste breit.
„Er wird sein langmähniges Haupt in meinen Schoß legen, über uns wird ein
Chor singen, und dann wird Charriba hauchen: Inky, Charriba ist ein Christ.
Der Himmel allein mochte wissen, was Inky dazu bewegte, sich über diesen
sehr merkwürdigen Witz halbtot zu lachen.
Wenigstens unseren Humor hatten wir noch. Wir würden ihn, das ahnte ich
schon in diesem Augenblick, bitter nötig brauchen.
4. „Ich werde euch begleiten.“ Sen’chers Stimme ließ keinen Zweifel aufkommen, er meinte seinen Wunsch ernst, und er würde seinen Willen durchzusetzen wissen. „Ich habe selbst noch dem großen Imhotep ein Opfer darzubringen“, erklärte Sen’cher. Wir wußten inzwischen, daß er der militärische Befehlshaber der Regio n um Sakkara war, die den Namen Gau der Weißen Mauer trug. Angesichts der Bevölkerungsdichte in dieser Region hieß das einiges. Zu Sen’chers Einflußbereich gehörten immerhin so wichtige Städte wie Abusir, Memphis, Gizeh und der Bezirk des späteren Kairo. Er brachte im Notfall einige Tausend gut ausgerüstete Krieger auf die Beine, und das war in dieser Zeit eine beachtliche Streitmacht. Sich gegen seinen Willen aufzulehnen, wäre völlig sinnlos gewesen. Mir paßte dieses Arrangement überhaupt nicht, aber was blieb uns anderes übrig, als gute Miene zum Spiel zu machen. „Unter Eurem Schutz zu reisen, ist eine Ehre für uns“, erklärte ich. „Wir werden ein Boot nehmen“, verkündete Sen’cher. „Auf dem Nil werden wir sicher fahren können.“ Unwillkürlich wechselten wir rasche Blicke. Bei dem Wort Boot mußte jeder von uns sofort an Joshua Slocum denken, der in der Time-Squad als Seefahrtexperte galt. Josh war noch immer bewußtlos, sein Zustand hatte sich zwar gebessert, war aber nach wie vor kritisch. Wir wußten jedoch, daß er die beste Pflege bekam, die in diesem Zeitalter zur Verfügung stand. „Ist der Nil nicht über die Ufer getreten?“ fragte Inky. Sen’cher nickte. „Es ist die Zeit der Nilüberschwemmung“, erklärte er, „aber das soll uns nicht stören. Unsere Reise wird das Hochwasser eher fördern als hindern.“ „Und wohin geht die Fahrt?“ wollte Charriba wissen. Er sprach sehr langsam, sein Ägyptisch war nicht das beste. Überhaupt vermißten wir an allen Ecken und Enden unsere Expertin, Marleen de Vries. Bislang hatten wir von ihr keinerlei Spuren finden können. „Nach Süden“, verkündete Sen’cher. „In den unteren Naru-Baumgau, nach Meidum.“ In meinem Hinterkopf klingelte ein Glöckchen, aber ich wußte damit nichts anzufangen. Es gab eine wichtige Information, die irgendwo in me inem Gedächtnis schlummerte, zu der mir aber der Schlüssel fehlte. Nun, vielleicht kam ich noch darauf, was es mit dem unteren Naru-Baumgau auf sich hatte. „Ich bleibe hier“, verkündete Charriba mit steinernem Gesicht. „Während ihr nach... Wie hieß der Ort?“ „Meidum“, half ich aus. „Nun gut, ich werde unterdessen nach den Räubern Ausschau halten. Und ich schwöre euch, ich werde sie finden!“ Mir war diese Arbeitsteilung lieb.
In Spurenlesen war Charriba unübertroffen. Wenn es eine Möglichkeit gab, den Räubern auf die Fährte zu kommen, dann konnte das nur Charriba schaffen. Zwar würde Charriba einige Schwierigkeiten haben, sich in dieser Kultur allein zurechtzufinden, aber ich war sicher, daß er auch dieses Problem lösen konnte. Immerhin hatte er auch unsere erste Expedition nach Ägypten mitgemacht. Damals waren wir in Alexandria auf den Leichnam des Alexander gestoßen und durften später feststellen, daß es sich bei dieser Leiche um einen Eingeschläferten handelte, dessen Persönlichkeit auf seltsame Weise gespalten gewesen war. Der eine Teil war ein trinkfreudiger Raufbold gewesen, der hinter allem hergejagt war, was Röcke trug. Bei diesem Rüpel hatte es sich um den großen Alexander gehandelt. Der andere Teil dieser Doppelpersönlichkeit war unser Freund Diversion, der Jaynum, den es auf seltsame Weise in unsere Region verschlagen hatte. Während Alexander noch immer die Time-Squad unsicher machte, hatte Diversion einen weiteren Körper übernommen - und jetzt lag er im Sterben, dazu verurteilt, den Lebensweg zurückzugehen bis vor den Zeitpunkt seiner Entstehung. Ein merkwürdiger Gedanke. „Nefer kann helfen“, sagte Sen’cher. Die junge Frau und Charriba wechselten einen raschen Blick. Während Charribas Gesicht wie immer unbewegt schien, überzog sich das Gesicht der jungen Frau mit leiser Röte. „Einverstanden“, sagte Charriba. „Komm!“ Er und Nefer verließen den Raum. Ich wußte inzwischen, daß Nefer eine Sklavin war. „Wann brechen wir auf?“ Sen’cher beantwortete meine Frage mit einem breiten Läche ln. „Sofort“, sagte er. „Die Barke liegt abfahrbereit am Ufer.“ Viel Gepäck hatten wir nicht zu transportieren, ein wenig Kleidung, ein paar Halbedelsteine, ein wenig Gold, das wir für unsere verbliebenen Waren eingetauscht hatten. Wir waren daher nach wenigen Minuten bereits reisefertig. Unser wertvollstes Gepäck stellten einstweilen unsere Waffen dar. Zusammen mit Sen’cher schritten wir durch die Straßen von Sakkara. , Hinter uns ragte, groß und gewaltig, das Bauwerk in die klare Luft, das diesen Ort berühmt gemacht hatte die Stufenpyramide des Djoser. Ich hätte zu gerne nachgeforscht, ob in diesem künstlichen Berg von Stein tatsächlich der tote Pharao beigesetzt worden war, und die Antwort hätte die Ägyptologen sicherlich sehr interessiert. In keinem einzigen Fall hatte man nämlich später die Leiche des Pharaos gefunden, der angeblich in der Pyramide beigesetzt worden war. Die Pyramiden von Gizeh waren ebenso leer wie die des Djoser und die anderen. Ich hatte allerdings inzwischen gelernt, solche Fragen zu unterdrücken. Sen’cher traute uns nicht ganz, dafür sprach auch die Tatsache, daß er unsere Reise nach Meidum begleiten wollte. Er hatte auch auf Fragen, die die Pyramiden betrafen, stets sehr ausweichend geantwortet. Als militärischer Oberbefehlshaber war er offiziell auch für den Schutz der Pyramide
verantwortlich, daher war seine Schweigsamkeit erklärlich. Sakkara brütete unter der Mittagssonne. Bei jedem Schritt wirbelten, unsere Füße den Staub der Hauptstraße auf, die fast menschenleer war. In schattigen Winkeln lagen Hunde mit heraushängender Zunge und hechelten. Die Menschen hatten sich in die Kühle der Häuser geflüchtet. Wir hatten nicht weit zu gehen. Der Nil, Segen und Fluch des Landes, war uns entgegengekommen. Die Nilflut reichte bis an den Stadtrand von Sakkara. In diesen Monaten lagerte der Nil Millionen Tonnen fruchtbaren Schlammes auf den überfluteten Feldern ab, auf denen später, nach dem Rückgang des Hochwassers, gesät und geerntet wurde. Diese Besonderheit des Landes hatte mit dazu beigetragen, daß die Ägypter schon früh in der Menschheitsgeschichte hervorragende Kenntnisse in der Vermessungskunde entwickelt hatten, und auch ihr Kalendersystem war erstklassig - das Abendland nannte diesen Kalender den Julianischen, weil ein gewisser Gaius Julius Caesar ihn aus Ägypten importiert und im Imperium Romanum eingeführt hatte. Am Ufer festgemacht war eine große Barke, ein Schiff von knapp dreißig Metern Länge, das in der Form einem zusammengebundenen Papyrusbündel ähnelte. Charakteristisch für die ägyptische Schiffsbaukunst war das dicke Sprengtau. Es zog sich der Länge nach über das Schiff hin und sorgte dafür, daß Bug und Heck nicht zu tief in das Wasser tauchten. An diesem Sprengtau waren Sonnensegel befestigt. Auf ein Zeichen des Besitzers hin stiegen wir an Bord. Uns waren Plätze unter dem Segel reserviert worden - die Besatzung saß im Freien. Ich schätzte, daß die Barke von knapp fünfzig Ruderern vorwärts bewegt wurde. Auch dies galt als Zeichen für den Einfluß und die Macht des Sen’cher. Unter den Sonnensegeln war es einigermaßen kühl, zudem wehte über dem Nil ein erfrischender Wind. Sen’cher gab ein Handzeichen. Die Leinen wurden gelöst, die Reise konnte beginnen. Ein Trommler schlug den Takt, nachdem die Ruderknechte die Riemen bewegten. Der Takt war nicht sehr flott, Sen’cher hatte es nicht eilig oder wollte seine Rudersklaven nicht überanstrengen. Ich ließ mich in die Polster zurücksinken und sah nach oben. Das hatte nichts mit Faulheit zu tun, es war eine reine Reflexhandlung, die es mir ersparte, die Rudersklaven bei der Arbeit sehen zu müssen. Für einen Mann wie Sen’cher, der in diesem Zeitalter geboren und aufgewachsen war und niemals etwas anderes kennengelernt hatte, war der Anblick der schweißüberglänzten Rücken normal. Der stete Takt der Trommel gehörte zu den alltäglichen Geräuschen, ebenso wir das Pfeifen der Peitschen in der Luft und das Klatschen, mit denen die Peitschen auf nackten Rücken landeten. Sen’cher war ein freundlicher, gebildeter und intelligenter Mann, der wußte, was er wollte. Ich hatte mich vielleicht mit ihm anfreunden können. Auf der anderen Seite aber war Sen’cher ein Sklavenhalter, daran ließ sich
nicht rütteln. Es war ein Glück - für uns -, da wir es uns in unserer Lage gar nicht erlauben durften, unangenehm aufzufallen. Wir mußten mit den Wölfen heulen, weil wir einfach keine andere Wahl hatten, wenn wir überleben wollten. Das enthob uns der Beantwortung der Frage, ob wir überhaupt mit einem Sklavenhalter befreundet sein durften. Am Himmel tauchte eine vereinzelte Wolke auf und trieb langsam über das Blau. Wenn man nur nach oben blickte, war diese Fahrt das reinste Idyll. Ich bemühte mich, die trüben Gedanken zu verscheuchen. Es wollte mir nicht gelingen. Vieles von dem, was ich zu sehen bekommen hatte, ließ sich mit den Moralvorstellungen nicht vereinbaren, mit denen ich zu leben gewohnt war. Das bezog sich nicht allein auf die Sklaverei, das galt auch für die allgemeine Menschenverachtung, die für dieses Zeitalter charakteristisch war. „Kennt man das Grab des Imhotep?“ wollte Inky wissen. „Selbstverständlich“, erklärte Sen’cher. „Ich jedenfalls kenne es.“ Ich richtete mich auf. Neben mir tauchten, von Sen’cher per Handzeichen herandirigiert, zwei Sklavinnen auf, die uns mit nachgeahmten Papyruswedeln kühlende Luft zufächelten. Auf dieser Seite der Sklavenpeitsche war das Leben sehr wohl zu ertragen, stellte ich einmal mehr fest. „Ist denn die Position nicht allgemein bekannt?“ Sen’cher nahm sich Zeit zum Nachdenken, bevor er meine Frage beantwortete. „Es gibt Legenden“, sagte er dann, „Gerüchte, Weissagungen und derlei Dinge, daß das Grab des Imhotep von ganz besonderer Art sei. Es heißt, es sei verflucht, und der Tod sei jedem sicher, der sich der Gruft in ungebührlicher Absicht nähere.“ „Hmm“, machte ich. Daher also wehte der Wind. Ich nahm diese Weissagungen ernst, wenigstens in diesem speziellen Fall. Diesmal steckte hinter dem Geheimnis eine Macht, von der wir eine grobe Vorstellung hatten. Es gab allerdings auch andere Geheimnisse des alten Ägypten, aber in diesen Fällen handelte es sich erwiesenermaßen um Humbug. Bekanntestes Beispiel für solche Mystik war die große Pyramide von Gizeh, die zu allerlei Rechenkünsten herhalten mußte. Angesichts des Zustands der Pyramide, an der der Zahn der Zeit recht erfolgreich genagt hatte, erübrigte sich jede Diskussion von Zahlenspielereien, die beispielsweise mit zentimetergenauen Grundmaßen der Pyramide operierten, wie es häufig genug der Fall war. „Wer war Imhotep?“ fragte ich Sen’cher. „Ich habe gehört, daß er für Djoser die große Pyramide in Sakkara erbauen ließ; ich habe des weiteren gehört, daß er ein unvergleichlicher Meister der Heilkunst gewesen sein soll; ich habe sogar gehört, daß er den Göttern ähnlicher gewesen sei als den Menschen.“ „All dies ist wahr“, sagte Sen’cher. „Er war den Göttern ähnlicher als den Menschen, obwohl bekannt ist, daß sein Vater Direktor des königlichen Bauamts gewesen ist, sowohl für Ober- als auch für Unterägypten. Imhotep war Wesir des Königs von Unterägypten, Erster nach dem König von
Oberägypten, Großer Haushofmeister, Inhaber der erblichen Adelswürde,
Hoherpriester von Heliopolis, Baumeister, Bildhauer und Oberster
Vasenhersteller...“
„Du bist erstaunlich gut über Imhotep informiert“, sagte ich. Sen’cher lächelte.
„Wundert euch das?“
Ich sah Sen’cher genauer an. Mir dämmerte etwas.
„Laß mich raten, Mann des Speeres und der bronzenen Klinge. Imhotep ist
einer der Ahnen deines Hauses.“
„Dein Scharfsinn ist bewunderswert“, erwiderte Sen’cher. „Ja, ich stamme von
Imhotep ab, wenn auch auf einigen Umwegen.“
Er war zweifelsfrei ein Mensch.
Konnte man daraus folgern, daß
auch Imhotep menschlich gewesen war? Das Rätsel um den Architekten der
Pharaonen wurde immer größer.
Ich erinnerte mich, daß der Archäologe Emery bei dem Versuch, das Grab des
Imhotep zu finden, auf recht geheimnisvolle Weise ums Leben gekommen sein
sollte - er hatte es allerdings in der Nähe von Sakkara gesucht. Wenn Sen’cher
recht hatte, daß Imhotep in Meidum - mir wollte und wollte nicht einfallen,
was es damit auf sich hatte - bestattet war, dann hätte Emery lange suchen
können.
„Was weißt du noch von deinen erlauchten Ahnen?“ fragte ich. Sen’cher
zuckte mit den Schultern.
„Nicht viel“, gab er zu. „Das ist auch der Grund, weshalb ich das Grab
besuchen will.“
Ich hatte das sichere Gefühl, daß er weit mehr wußte, als er zugab, aber ich sah
ein, daß vorläufig aus dem Mann nichts herauszuholen war. Die Zukunft
mußte zeigen, wieviel wir in Erfahrung bringen konnten.
* Schon von weitem war die Pyramide zu sehen. Sie überragte das flache Land noch weit beeindruckender als der Bau von Sakkara. Das lag nicht zuletzt daran, daß sie - anders als die Pyramide des Djoser - verkleidet war. Ich wußte, daß alle Pyramiden nach dem Modell von Sakkara gebaut worden waren, also im Innern eine Stufenpyramide darstellten. „Sie ist erst vor kurzer Zeit fertiggestellt worden“, sagte Sen’cher, und seine Stimme verriet einen Stolz, als habe er den Koloß eigenhändig erbaut. Er hatte auch ohnedies genügend Grund, stolz zu sein. Die Pyramide war ein überwältigendes Bauwerk. Ich kannte nur die arg von Erosion befallenen Pyramiden von Gizeh, und als wir damals in die Cheopspyramide geklettert waren, war es stockfinster gewesen. Zum ersten Mal hatte ich Muße, ein solches Bauwerk in Ruhe zu betrachten, und der gewaltige Anblick wurde noch gesteigert durch die Tatsache, daß ich in einem Boot saß, dessen Primitivität mit der Perfektion der Pyramide auf seltsame Weise kontrastierte. Es war ein befremdlicher Gedanke - ich war
umgeben von Menschen, die nicht pfiffig genug gewesen waren, Segelschiffe zu bauen, wohl aber imstande, mehr als eine Million Tonnen Gestein zu bewegen und zu einer Pyramide aufzurichten. Dies dazu mit einer höchst erstaunlichen Gena uigkeit - kein Wunder also, daß schon vor langer Zeit der Verdacht aufkommen mußte, beim Bau dieser Pyramiden sei etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen. Wer dann noch wußte, daß es - Tausende von Kilometern entfernt - ein anderes Volk gab, daß ähnliche Bauwerke errichtete, die Azteken und ihre Sonnenpyramiden, der mußte fast zwangsläufig eine Verbindung der beiden so verschiedenen Kulturen annehmen. Die Wirklichkeit sah, wie so oft in diesen Fällen, einfacher aus. Eine Pyramide war nämlich unter den gegebenen Umständen das einzige Bauwerk, das man mit hinreichender Sicherheit vor Einsturz bis in solche Höhen führen konnte. Jedes Kleinkind, das einen möglichst hohen Turm zu errichten versuchte, griff beinahe automatisch auf das Modell der Stufenpyramide zurück. Der nächste Schritt war dann naheliegend - die Pyramide mit einer Verkleidung gleichsam perfekt zu machen. Auch über den Böschungswinkel hatte man Vermutungen angestellt, obwohl sich auch diese Proportionen ganz natürlich ergaben. Mein Blick fiel auf etwas, das in der Sonne glänzte, hoch über der Pyramide. Ich deutete darauf. „Was ist das?“ Sen’cher preßte die Lippen aufeinander. „Eine Kugel“, sagte er dann sehr zurückhaltend. Das Boot wurde von den Schlägen der Ruderer langsam an das westliche Ufer des Nils getrieben. „Die Kugel besteht aus reinem, poliertem Gold.“ Ich pfiff leise durch die Zähne. „Wie groß ist die Kugel?“ „Ungefähr zehn Meter“, wußte Sen’cher zu berichten. „Durchmesser oder Radius?“ Es ergab sich, daß die Kugel zehn Meter Durchmesser hatte - wenn sie tatsächlich massiv war, dann schwebte dort an der Spitze der Pyramide ein Schatz von einem halben Kubikmeter Gold. Das kostbare Stück wog, wenn es tatsächlich massiv und lauter war, etwas mehr als zehn Tonnen - eine schier unglaubliche Menge Gold, wenn man bedachte, auf welche Fördermethoden die Ägypter zurückgreifen mußten. An der Spitze der Pyramide zu Meidum schwebte ein mittlerer Staatshaushalt. „Wer hatte diese Idee?“ wollte ich wissen. „Imhotep?“ „Wahrscheinlich“, sagte Sen’cher. „Heda, aufgepaßt!“ Das galt den Ruderern, die das Boot zu schnell auf den Landesteg zutrieben. „Und warum gibt es auf der Pyramide von Sakkara keine Kugel dieser Art?“ Sen’cher beantwortete Inkys Frage mit einem Schulterzucken. Mit einem heftigen Ruck stieß das Boot an den Landungssteg. Sklaven fingen die Seile auf und machten die Barke fest. Mühsam kletterten wir an Land. Wir waren etliche Tage unterwegs gewesen, hatten Kontakte mit Krokodilen und Flußpferden hinter uns, und die ganze Zeit über hatte das Boot sanft auf den Wellen des Nils geschaukelt. Ich brauchte daher einige Minuten, bis ich mich daran gewöhnt hatte, daß das Land stillstand. „Das ist die Kugel von Sakkara“, erklärte Sen’cher. „Es hat unserem mächtigen und gnadenreichen Herrn, dem Pharao Sno fru, gefallen, diese
Kugel von der Pyramide des Djoser zu entfernen und hierherzuschaffen.“ „Das ist also Snof rus Pyramide?“ „Eine seiner Pyramiden“, versetzte Sen’cher, und ich hatte den Eindruck, als sei er erbittert. „In Daschur wird eine weitere Pyramide für Snofru gebaut.“ „Darf man die Pyramide aus der Nähe betrachten?“ wollte ich wissen. „Den Heiligen Bezirk darf man betreten, noch... denn Snofru lebt. Wenn die Pyramide seinen Leib aufgenommen hat, wird das Bauwerk für alle Zeiten versiegelt.“ Nun, der Begriff für alle Zeiten war dehnbar. In einem Jahrtausend würde es kein ungeöffnetes Pyramidengrab mehr geben, und seit dem zwanzigsten Jahrhundert rückten Myriaden von Touristen den Steingebirgen mit Fotoapparaten und Taschenmessern zu Leibe. Die erste Art, die Erinnerung an den Besuch festzuhalten, war einigermaßen unschädlich - die zweite Technik aber ging inzwischen an die Substanz der Pyramiden. Ich wußte, daß im Jahre 2300 die Pyramide des Cheops mehr als eintausend Tonnen Material allein durch To uristensouvenirs eingebüßt hatte. Das einzige Menschenwerk, das tatsächlich die Zeit überdauert hatte, waren die Atomkraftwerke des späten zwanzigsten Jahrhunderts. Die Strahlenruinen würden der Menschheit noch ein paar Jahrzehntausende erhalten bleiben. Sen’cher ging voraus. Inky schob sich an meine Seite. „Ich habe noch nie etwas von einer solchen Goldkugel gehört“, sagte er, „und wenn es um solche Dinge ging, habe ich im Unterricht immer aufgepaßt.“ Ich lächelte säuerlich. Ich hatte nämlich nicht so gut aufgepaßt. Ich erinnerte mich dumpf an den Namen Meidum, aber mir wollte um keinen Preis einfallen, mit welchem Ereignis dieser Name verbunden war. Ich sollte daran erinnert werden.
5. Die Nacht war sternenklar. Es schien meine Bestimmung zu sein, Pyramiden vorwiegend nachts zu besuchen. Im Hause war es ruhig. Sen’cher schlief, sein Personal schlief, und mit dem Haushund hatte ich mich angefreundet. Er leckte mir dankbar die Hand, als ich ihm beim Verlassen des Hauses ein Stück Fleisch mitbrachte. Inky hielt sich an meiner Seite, als wir beinahe geräuschlos durch das nächtliche Meidum schlichen. Es gab patrouillierende Wachen, aber es war nicht schwer, ihnen auszuweichen. Wir hielten uns westlich. Im Westen lag die Pyramide, und sie war auch bei Dunkelheit mühelos zu erkennen. Die Goldkugel an ihrer Spitze leuchtete. Ich war kein Physiker oder Astronom, aber eines wußte ich - das Mondlicht allein war nicht in der Lage, den Strahlenglanz der Kugel zu erklären. Das Ding an der Spitze der Pyramide leuchtete wie ein Fotoscheinwerfer, der Schein mußte kilometerweit zu sehen sein.
„Ich möchte wissen, wieso das Ding derart leuchtet“, murmelte Inky. „Sieht aus wie ein Leuchtturm mit defektem Motor.“ Wir kamen nicht sehr schnell voran. Der Boden war aufgeweicht vom Nilwasser, und wir mußten aufpassen, daß wir keine Spuren hinterließen. Wir näherten uns der Pyramide von Osten, vom Nil her. Von dort aus sah das gewaltige Bauwerk noch eindrucksvoller aus - im Sommer mußte man den Eindruck eines fast weißen Berges haben, der ohne jeden Übergang aus dem Grün des bebauten Landes in die Höhe stieg. Die Pyramide war mit poliertem Kalkstein belegt. Ich konnte mir keine Räuberbande vorstellen, die in der Lage gewesen wäre, eine fugenlose, glatte, ja sogar polierte Wand im Winkel von mehr als 50 Grad hinaufzuklettern. Ganz abgesehen davon, war es wohl praktisch ausgeschlossen, an einer solchen Wand eine zehn Tonnen schwere Goldkugel sicher hinabzulassen. „Unglaublich“, murmelte Inky und blieb stehen. „Das geht niemals mit rechten Dingen zu. Man könnte glauben, in der Kugel säße ein moderner Scheinwerfer.“ Ich traute meinen unfreiwilligen Zeitgenossen allerlei zu, aber elektrischen Strom hatten sie mit Sicherheit noch nicht gekannt. Es gab allerdings eine recht plausible Erklärung für Phänomene dieser Art Imhotep. Er gehörte zu einem Volk, das auch den modernen Menschen unserer Zeit einiges voraus hatte. Imhotep hatte die Festung auf Shyftan erbauen lassen, und dort gab es nicht nur hochmoderne Energieerzeuger, wir hatten auch eine Zeitmaschine gefunden - die Maschine nämlich, mit der wir zur Erde gereist waren. Offenbar war die Zeitmaschine defekt, das konnte die Zielabweichung erklären, unter der wir nun zu leiden hatten, aber das nahm der technischen Leistung ihrer Erbauer wenig von ihrem Glanz. Und einem Mann, der den Umgang mit einer Zeitmaschine gewohnt war, konnte man sehr wohl eine von innen heraus leuchtende Kugel aus angeblich purem Gold zutrauen. „Wir sollten uns von der Pyramide entfernen“, schlug ich vor. „Imhoteps Grab soll weiter südlich liegen.“ Wir änderten die Richtung. Die leuchtende Kugel an der Spitze der Pyramide gab uns dabei eine hervorragende Orientierungshilfe. Wir wußten von Sen’cher, wo wir nach dem Grab des Imhotep zu suchen hatten. Wir wußten auch, daß uns mit Sicherheit niemand begegnen würde die Ägypter waren abergläubische Leute, die sich des Nachts in ihren Hütten verkrochen, weil sie sich da vor Nachtgeistern, Dämonen und allerlei Spuk sicher glaubten. Das gleiche galt sinngemäß auch für die Wachen, die eifrig darauf bedacht waren, daß es in der Nähe ihrer Standorte große, weithin lodernde Feuer gab. Wir konnten uns an diesen Wachfeuern und der leuchtenden Kugel orientieren, daher fanden wir die Stelle, die uns Sen’cher beschrieben hatte, sehr leicht. Das Grab lag im Südwesten der Stadt Meidum, in Richtung Medinet elFayum. In der Senke zwischen den Felsen brannte ein Wachfeuer, davor standen vier Soldaten mit Speeren.
Die Krieger waren offensichtlich müde und hatten ersichtlich Angst vor dem, was sich im Dunkel der Nacht abspielen konnte. Sie standen in der Nähe des Feuers, und ihre Gesichter verrieten, daß sie sich recht unwohl fühlten in ihrer Haut. Einige Schritte von dem Feuer entfernt lag ein fünfter Mann und schlief - vermutlich der Offizier. Im Hintergrund war das Grab zu erkennen. Zu sehen war ein schlichtes Portal, bestehend aus zwei Säulen und zwei Torflügeln dazwischen. Sowohl die Säulen als auch das Portal waren sehr schmucklos - wenn man einmal davon absah, daß ich auf dem rechten Türflügel eine Abbildung fand, die in dieser Zeit und an diesem Ort überhaupt nichts zu suchen hatte. Es handelte sich, stilisiert, aber dennoch gut zu erkennen, um das wichtigste und typischste Sternbild, das am Nachthimmel von Shyftan zu erkennen war. Wenn wir noch einen Beweis für die Verbindung zwischen der Zeitfestung und Imhotep gebraucht hätten, wir hätten keinen deutlicheren finden können. „Also doch“, murmelte Inky. „Und was nun?“ Ich leckte mir die Lippen. Jetzt war guter Rat teuer. Wir konnten uns darauf beschränken, das Grab zu beobachten, aber das brachte uns keinen Schritt weiter. Im Schein des Feuers war zu sehen, daß das Portal versiegelt war. Meine Kenntnis der Hieroglyphen reichte aus, mich erkennen zu lassen, daß das Siegel in einer dafür typischen Kartusche den Namen des Imhotep trug - ein Zeichen, daß das Grab unberührt war. Wenn wir tatsächlich zu Imhotep vordringen wollten, mußten wir das Siegel zerstören. Das aber bedeutete, daß ganz Meidum sich zu einer Hetzjagd auf die Grabschänder aufmachen würde, und angesichts des Interesses, daß Inky und ich bereits für das Grab gezeigt hatten, würden die Einwohner wahrscheinlich nicht viel Zeit brauchen, um herauszufinden, wer sich am Grab des Imhotep vergriffen hatte. Vorausberechnen ließ sich in diesem Fall nur eines nicht - wie man uns umbringen würde. Daß man uns umbringen würde, stand außer Zweifel. Ich flüsterte Inky diese Überlegungen ins Ohr. „Nun, dann verschwinden wir einfach“, schlug er vor. „So weit ist es nicht von Meidum nach Sakkara. Wenn wir uns ins Zeug legen, können wir den Marsch in vier bis fünf Tagen hinter uns gebracht haben.“ „Und Sen’cher?“ Inky winkte ab. „Man wird sehen“, sagte er. „Jedenfalls sind wir hergekommen, um das Grab des Imhotep auszuspionieren. Hier sind wir, dort ist das Grab, und eine Besuchserlaubnis wird man uns schwerlich geben.“ „Hmm“, machte ich. Wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, die TimeSquad zu erreichen... Demeter hätte uns die Entscheidung abnehmen können, „Wir versuchen es“, sagte ich schließlich. „Mehr als den Kopf kann uns das Unternehmen nicht kosten.“ Wir schlichen uns näher.
Vier ägyptische Wachtposten auszuschalten, war keine leichte Aufgabe, aber auch kein unlösbares Problem. Immerhin wurden wir in der Time-Squad fleißig in Kampfsportarten unterwiesen. Die Posten kamen unseren Absichten entgegen. Zwei der Männer trennten sich von ihren Gefährten, um einen Rundgang zu machen. Wir sahen, wie sie Fackeln aufnahmen und den Feuerplatz verließen. Als sie genügend weit entfernt waren, brauchten wir nur mit weiten Sätzen zum Feuer zu springen. Zwar konnten die beiden verbliebenen Posten den letzten Schritt deutlich hören, aber sie waren so dumm gewesen, lange in die Flammen des Feuers zu starren. Bevor sich ihre Augen an das Dunkel der Umgebung gewöhnen konnten, hatten die beiden bereits unsere Fäuste an ihren Kehlen. Die Manner röchelten noch einmal kurz dann wurden ihre Körper schlaff. Vorsichtig ließen wir die Betäubten auf den Boden gleiten. Ich machte ein paar Schritte auf den Offizier zu und betäubte auch ihn. Danach brauchten wir nur zu warten. Die beiden restlichen Posten vollendeten ihren Rundgang und liefen uns genau in die Arme. Einer fand. noch Zeit zu einem gellenden Entsetzensschrei, der aber niemand mehr warnen konnte. Danach war es ruhig. Wir verzichteten darauf, die Posten zu fesseln. Vielleicht hatten wir Glück. „Unter Umständen wissen die Burschen morgen früh gar nichts mehr von der Sache - oder sie wollen nichts wissen. Wenn wir es schaffen, die Siegel wieder halbwegs anzukleben, haben wir gewonnen.“ Ich nickte, als Inky mit diesem Vorschlag herausrückte. Er war also auf den gleichen Gedanken wie ich gekommen. „Untersuchen wir die Siegel“, bestimmte ich. Die Siegel - es waren drei - bestanden aus einer rötlichen Masse und golddurchwirkten Stricken. Im Schein der Fackel sah ich mir die Konstruktion genau an. „Es könnte gutgehen“, sagte ich schließlich. „Zwar können wir nicht völlig spurlos arbeiten, aber mit ein wenig Glück vergehen ein paar Tage, bis der Schaden bemerkt wird.“ „Worauf warten wir dann noch“, antwortete Inky zuversichtlich. „Ich leuchte dir.“ Er hielt die Fackel in die Höhe. Ich ließ die Spitze meines Dolches in der Flamme heiß werden, dann schälte ich möglichst behutsam ein Stück der Schnur aus der Lackumhüllung. Erst danach durchtrennte ich das Seil. Mit den drei anderen Seilenden verfuhr ich auf gleiche Weise. Später, wenn wir unsere Untersuchung abgeschlossen hatten, brauchte ich nur noch das zerschnittene Ende der Schnur in die Vertiefung im Siegel zu legen. Wenn ich mit der heißen Dolchspitze dann das Siegelmaterial wieder verformbar machte und glattstrich, war die Schnittfläche im Seil vom Siegellack bedeckt. Wer nahe genug heranging, mußte die Schmelzstellen natürlich entdecken. Ich rechnete aber damit, daß die Ägypter - abergläubisch wie sie waren - die unmittelbare Nähe eines Grabes meiden würden. Aus zwei bis drei Metern Entfernung aber konnte man meinen Eingriff kaum bemerken.
„Ich entdecke seltsame Fähigkeiten an dir“, murmelte Inky. „Die Time-Squad
ist doch eine Sonderabteilung der Polizei, nicht wahr.“
Ich lachte unterdrückt.
„Das liegt lange zurück“, antwortete ich leise. „Aber du hast recht,
genaugenommen siehst du einem Polizeibeamten bei einem Einbruch zu,
verbunden mit den erschwerenden Umständen der Nachtzeit und der
gewaltsamen Öffnung eines verschlossenen Behältnisses. Außerdem kannst du
noch Störung der Totenruhe berechnen - es werden ein paar Jahre dabei
herauskommen.“
Inky schielte zu den Ägyptern hinüber, die besinnungslos am Boden lagen.
„Ob die Sache mit ein paar Jahren abgemacht wäre...“, sagte er zweifelnd.
Ich hatte unterdessen das zweite Siegel entfernt und machte mich an das dritte.
Inky leuchtete mir das Arbeitsfeld aus.
Langsam begann die Sache Spaß zu machen. Vielleicht lag es daran, daß wir
etwas zweifelsfrei Verbotenes taten, vielleicht an der romantischen Staffage.
Ich holte tief Luft. Die Siegel waren entfernt. Der Weg ins Innere des Grabes
war offen.
Ich sah Inky an. Er grinste freudlos. Wir brauchten gar nicht zu sprechen, wir
wußten beide auch ohne Worte, welche Gefühle den anderen bewegten. Das
Gefühl war einfach. Wir hatten Angst.
Die Angst war unser steter Gefährte seit jenem Tag, an dem sich der Zeit-
Zauberer Valcarcel zum ersten Mal der Time-Squad vorgestellt hatte.
Diesmal war sie nicht mit Grauen gepaart, sondern, mit einem Gefühl der
Scheu.
Auf seltsame Weise spürten Inky und ich, daß wir frevelten. Es war, als gebe
es ein verbindliches Gesetz einer höheren Instanz, die es jedem Menschen
schwer machte, die Ruhe eines Toten zu stören.
„Also vorwärts“, sagte ich schließlich, etwas lauter, als nötig gewesen wäre.
Ich drückte gegen das Holz des Tores. Die beiden Flügel schwangen zurück,
kreischend drehten sich die hölzernen Angeln. Ich war gespannt. Gab es
irgendwelche Geheimnisse in dem Grab, Sicherungsmaßnahmen, Fallen?
Sen’cher hatte von einer Verwünschung gesprochen, von einem todbringenden
Fluch, der jeden treffen sollte, der das Grab des großen Imhotep entweihte.
Nun, wir hatten das Grab entweiht, und wir wußten auch, daß Imhotep über
beachtliche Fähigkeiten verfügt hatte. Es war durchaus denkbar, daß er sich
einige Überraschungen für Grabschänder hatte einf allen lassen.
Ich rannte zum Feuer und holte mir eine Fackel. Dann traten wir zusammen
über die Schwelle. Der Anblick war gespenstisch. Bereits im Vorraum,
unmittelbar hinter dem Portal, standen Votivgaben. Wir erkannten eine Galerie
von Figuren, teilweise mannshoch. Es waren die Göttergestalten des alten
Ägypten, Horus der Falkenköpfige, Chnum mit dem Haupt des Widders,
Thoeris, das Nilpferd, Sobek, der Gott mit dem Krokodilkopf.
„Was die Leute so alles verehrt haben...“, murmelte Inky kopfschüttelnd.
Ich hielt die Fackel dicht über den Boden. Er bestand aus Stein, offenbar
sorgsam zurechtgesägten Platten. Ich traute der Sache nicht.
Der weitere Verlauf des Ganges war genau zu erkennen. Gleichsam als Schildwache standen zwei goldlackierte Speerträgerinnen rechts und links. Sie lächelten freundlich und präsentierten die Speere. Lächelnde Gestalten in einem Grab... ? Inky zweifelte - sein Gesichtsausdruck war eindeutig - an meinem Verstand, als ich mich auf alle viere niederließ und sehr langsam auf die beiden hölzernen Figuren zu krabbelte. „Suchst du Murmeln?“ Ich schüttelte den Kopf. In diesem Augenblick spürte ich, wie der Boden unter meinen Fingern nachgab nicht viel, aber doch deutlich zu fühlen. Und im gleichen Augenblick fällten die beiden noch immer lächelnden Damen ihre Speere. Inky stieß einen leisen Pfiff aus, während sic h mir die Nackenhaare aufstellten. Die vorderste Speerspitze zitterte einen knappen Zentimeter vor meiner Nase in der Luft, und erst jetzt erkannte ich, daß die sonst fleckenlose Bronze der Speerspitze ein wenig verschmutzt war. Irgendeine Paste klebte daran, und man brauchte nicht viel Phantasie, um zu wissen, was diese Paste für einen Sinn hatte. „Gift“, diagnostizierte ich. „Vermutlich reicht der kleinste Kratzer aus, um einen Mann binnen weniger Sekunden hinter Imhotep her zu schicken,“ Inky schien ein wenig bleich im Gesicht. „Weiter?“ fragte er. „Was bleibt uns übrig?“ beantwortete ich seine Frage. „Krieche hinter mir her und ziehe den Kopf ein. Mit diesen Damen ist nicht zu spaßen.“ Nachdrücklich gewarnt, setzten wir unseren Weg fort. Der Gang, ein rechteckiger Stollen, dessen Wände reich mit Reliefs und Malereien verziert waren, führte sanft in die Tiefe. Nach knapp dreißig Metern gabelte er sich. An dieser Stelle blieben wir stehen - auf allen vieren, vorsichtshalber. „Und nun? Rechts oder links?“ Dieser Imhotep, gleichgültig, woher er kommen mochte, war ein ausgemachtes Schlitzohr gewesen, und ich war mir sicher, daß auch diese Weggabelung eine gehörige Portion jener mörderischen Niedertracht enthielt, von der wir bereits eine Kostprobe erlebt hatten. „Faß mit an“, sagte ich schließlich. Ich ging zwei Schritte nach rechts, und dann warf ich mich mit dem ganzen Körpergewicht gegen die Spitze der Weggabelung. „Hilf mir!“ Inky rollte mit den Augen, aber er folgte meiner Aufforderung. Mit vereinten Kräften versuchten wir, die Spitze, die auf uns zeigte, zur Seite zu drücken. Nach kurzer Zeit gaben wir auf, der Stein bewegte sich nicht um einen Millimeter. „Sehr originell“, höhnte Inky und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Wie bist du auf die Idee gekommen?“ „Angewandte Psychologie“, antwortete ich einigermaßen kläglich. „Ich habe versucht, mich in Imhoteps Lage zu versetzen. Hier an dieser Gabelung muß sich jeder Besucher entscheiden, welchen Weg er nehmen soll. Durch die Konstruktion des Ganges wird man quasi gezwungen, nur noch in diesen
beiden Alternativen zu denken - während, so habe ich überlegt, die richtige Möglichkeit in einer dritten Variante liegt.“ „Laterales Denken, wie?“ Ich schwieg. Offenbar hatte ich mich gründlich blamiert, wenn auch vor denkbar wenig Publikum. „Tritt zur Seite, Freund“, forderte mich Inky auf. Er machte zwei Schritte in die linke Abzweigung hinein, drückte gegen den Fels... „Schöne Grüße von Galilei“, sagte Inky grinsend. „Und sie bewegt sich doch!“ Die Spitze des Felsens war tatsächlich zur Seite gewichen. Das Felsstück hatte als Deckel einen Gang bedeckt, der in Stufen tief in den Untergrund führte. Wir griffen nach unseren Fackeln und stiegen die Stufen hinab. Ich war ein wenig in Sorge - womöglich schloß sich der Deckel wieder über unseren Köpfen, und wir saßen gefangen. Aber nichts geschah. In diesem Bereich des Grabes war kein Schmuck, kein Zierat zu sehen. Wir erkannten nur die Spuren der Meißel an den roh behauenen Wänden. Inky deutete auf die Spuren. „Wo mö gen die Handwerker sein, die das gebaut haben?“ fragte er leise. Ich gab ihm keine Antwort - sie lag auf der Hand. Es gab Dinge, die man sich besser nicht im Detail vorstellte. Trotzdem versuchte ich für einen kurzen Augenblick, mich in die Lage eines dieser Männer zu versetzen, der sich mit jedem Hammerschlag, den er tat, dem Tod entgegenarbeitete. Denn eines verstand sich von selbst - das Geheimnis dieser Anlage mußte gewahrt bleiben. Niemand durfte aus der Schule plaudern. Das hieß, daß man irgendwann, kurz nach Abschluß der Arbeiten, die Handwerker zusammengetrieben und getötet hatte. Und wenn der Pharao gründlich gewesen war - die meisten waren es gewesen -, dann mußten wenig später auch die Wachsoldaten das gleiche Schicksal erleiden. Wahrscheinlich ha tten Hunderte von Menschen sterben müssen damit ein Leichnam sicher in der Erde ruhen konnte. Das Ende der Treppe war erreicht. Der Gang, der sich anschloß, war kurz. Er endete blind, vor einer undurchdringlichen Felswand, auf der als einziger Schmuck ein Relief zu sehen war - der Kopf eines Mannes. Inky und ich wechselten einen raschen Blick. Diesen Kopf kannten wir - ein ärmliches Relief hatte den Verschluß der Zeitmaschine auf Delta Rebecca geziert. Ich tat, was Demeter damals mit dem Rebecca-Relief getan hatte. Ich drückte auf eines der beiden Augen. Der Fels drehte sich um seine Achse und gab zwei schmale Durchlässe frei. Wir zögerten noch einen Augenblick lang, dann hoben wir die Fackeln und gingen weiter. Der Raum maß knapp zehn zu zehn Meter, war aus dem massiven Fels geschlagen worden und enthielt lediglich den Sarg, ein Gebilde aus dem gleichen Fels, aus dem die ganze Grabanlage bestand. Auf dem schmucklosen Sarkophag lag ein Deckel, aus einem Stück Fels herausgemeißelt. Wieder zögerten wir. Dann packten wir zu. Es knirschte, als der Sargdeckel
zur Seite glitt. Im Sarg lag Imhotep.
6. Ein Mann von höchstens vierzig Jahren, schlank und hochgewachsen, der
Schädel kahl. Er war bekleidet mit einem weißen Hemd, das an den
halblangen, weiten Ärmeln goldgesäumt war.
Inky sah nachdenklich auf den Toten herab.
„Sollte der Bursche nicht eigentlich ein bißchen verwest sein?“ meinte er
nachdenklich. „Immerhin liegt er schon ein paar Jahrzehnte hier. Mumifiziert
ist er ebenfalls nicht, und obendrein...“
Er griff beherzt in den Sarg, berührte Imhoteps Leiche und zuckte zurück, als
habe er einen elektrischen Schlag erhalten. Sein Gesicht wurde fahl.
„Was ist?“
„Und für einen Toten fühlt er sich auch entschieden zu warm an. Faß ihn an.
Tovar, faß ihn an, berühre ihn.“
Ich streckte die Hand nach dem Toten aus.
Die Haut war trocken und warm.
„Der Mann lebt“, kommentierte Inky.
Wir standen wie erstarrt.
Was wurde hier gespielt? Was hatte man mit Imhotep gemacht?
Wer war dieser Mann?
Mehr noch...
Was war dieser Mann?
Ein Mensch? Ich fand keine Antwort auf diese Frage. Ich spürte nur, daß
wieder die Angst in mir hochstieg. Der Anblick war ungeheuerlich, das Gehirn
weigerte sich, von dieser Ungeheuerlichkeit Kenntnis zu nehmen.
Gewiß, wir hatten scho n einmal einen Totgeglaubten in einem Sarg gefunden,
den Großen Alexander. Aber dieser Körper war an ein zwar improvisiertes
aber unzweifelhaft arbeitendes Lebenserhaltungssystem angeschlossen
gewesen.
Davon fehlte hier jede Spur. Imhotep war seit vielen Jahrzehnten tot und doch
lebte er.
„Mir dämmert etwas“, murmelte Inky. „Eine entsetzliche Ahnung. Die
Pyramiden des Alten Reiches... das große Rätsel der Geschichte. Nicht die
Ägypter haben diese Pyramiden für sich gebaut - Imhotep hat sie bauen lassen.
Für sich selbst!“ „Und warum? Wozu?“ „Erinnere dich an die Pyramide des
Cheops“, sagte Inky beschwörend. „Erinnere dich ganz genau. Die
Grabkammer, der Sarkophag... du hast hineingefaßt.“ Ich erinnerte mich... Es
hatte etwas in dem Sarkophag geleuchtet, ein Feld, dessen Farbe mich sofort
an das Arbeitsfeld einer Zeitmaschine erinnert hatte. Und tatsächlich hatte ich,
als ich in dieses Feld hineingegriffen hatte, auch genau die Erscheinungen
gespürt, die bei Zeittransporten gewöhnlich auftraten - und ich hatte, durch das Feld seltsam verzerrt und fast nicht mehr erkennbar, die Anwesenheit eines menschlichen Geistes gespürt, allerdings den eines hoffnungslos Wahnsinnigen. „Die Ägypter haben einfach nachgebaut, was Imhotep ihnen mit der Stufenpyramide vorgemacht hat“, murmelte ich. „Und Imhotep hat die Pyramide bauen lassen, um auf diese Weise... ja, was wollte er mit dem Bauwerk? Zurück zu seinen Leuten?“ „Möglich“, antwortete Inky. Es war beklemmend still in dieser Gruft. Nur das leise Knistern der Fackeln war zu hören. „Woran mag er gestorben sein, wenn überhaupt?“ fragte Inky. Wir beugten uns über den Körper. Verletzungen oder Wunden waren nicht zu erkennen, und der ruhige, friedliche Gesichtsausdruck deutete auch nicht auf eine Vergiftung hin. Der Mann sah weit eher aus, als schliefe er nur. „Laß uns nachrechnen“, sagte Inky. „Alexandria und die Cheopspyramide haben wir zu Lebzeiten Cäsars besucht. Damals war Cheops schon mehr als zweieinhalb Jahrtausende tot. Wenn du ihn damals in dem Zeitfeld erspürt hast, dann muß er dort Jahrtausende verbracht haben - aber wie? Ich denke, er wurde als Leiche dort bestattet.“ Rätsel über Rätsel, aber keine Antwort in Sicht. Ich versuchte mir vorzustellen, was Imhotep sich ausgedacht haben mochte. Besaß er eine Möglichkeit, sich in einen Winterschlaf zu versetzen, der Jahrtausende dauern konnte? Wenn ja, wie kam er wieder aus diesem Zustand heraus? Was hatte die Pyramide damit zu tun? Doch damit nicht genug. Wie war Imhotep überhaupt zur Erde gekommen? Was suchte er hier? „Was machen wir mit ihm?“ Ich zuckte mit den Schultern. Und mit jeder Minute, die verstrich, wurde die Gefahr größer, daß die Wachen wieder zu sich kamen. Was uns dann blühte, stellte man sich besser nicht in Einzelheiten vor. Mein Blick fiel auf den Gürtel an Imhoteps Körper. Es war eine handtellergroße Platte aus einem goldfarbenen Material. Die Schnalle wies unzweifelhaft auf Imhotep hin. Die Verschnörkelung darauf war so geschickt angelegt, daß nur einer, der Bescheid wußte, darin die bereits bekannte Sternenkonstellation erkennen konnte. Allerdings hatte sich Imhotep ein wenig geirrt... „Augenblick“, murmelte ich. Geirrt? Imhotep? Ein Mann, der Pyramiden konstruieren konnte? Es gab in dieser Gruft nichts, was man in unmittelbaren Bezug zu Imhotep bringen konnte. Nur der Gürtel war eindeutig - er mußte aus Imhoteps Besitz stammen. Nur er, der Fremde von einem anderen Stern, konnte diese Konstellation kennen. Und ausgerechnet bei diesem einzigen privaten Besitz, den er mit ins Grab genommen hatte, ausgerechnet da sollte dieser Mann einen Fehler begangen haben?
Ich griff nach dem Gürtel und öffnete ihn. Die Schnalle war fingerdick und
sehr schwer. Es war sehr wohl möglich, einen kleinen Gegenstand darin zu
verbergen. Einen Sender vielleicht... ?
Die Sternenkonstellation auf der Vorderseite war beinahe richtig. Nur bei
einem Stern hatte sich Imhotep „geirrt“.
Die Sterne wurden von Perlen dargestellt, die in das Metall der Platte
eingelassen waren. Ich griff nach der falschen Perle. Sie bewegte sich nicht,
als ich daran zog. Dann versuchte ich, sie in die astronomisch korrekte
Position zu schieben.
Das gelang. Und als ich den Punkt der Darstellung erreicht hatte, an dem der
Stern hätte stehen sollen, versuchte ich ein zweites Mal, die Perle
herauszuziehen. Sie bewegte sich erst, als ich sie hinabdrückte.
„Donnerwetter!“ staunte Inky.
Die Gürtelschnalle ließ sich öffnen. Ich klappte sie vorsichtig auseinander.
Es gab einen kleinen Hohlraum im Innern, gerade groß genug, eine kleine
Flasche aufzunehmen. Eine fingerlange und entsprechend dicke Flasche,
gefüllt mit einer rötlich schillernden Flüssigkeit.
Ich sah Inky an.
„Wir können es versuchen“, sagte ich. „Wenn wir einen Fehler machen, ist es
vielleicht um uns geschehen vielleicht auch um Imhotep. Es wird in jedem Fall
riskant sein.“
Inky breitete die Arme aus.
„Lieber Freund“, sagte er mit bitterem Unterton. „Unsere Chancen sind
ohnehin minimal - was soll es also. Versuch’s“.
Ich nahm die Flasche aus dem Hohlraum und zog den Stöpsel ab. Ein Geruch
nach Orangenschalen breitete sich im Raum aus, stark und beinahe betäubend.
„Der Saft hat es in sich“, murmelte Inky.
Ich beugte mich über Imhotep. Mit aller Vorsicht ließ ich einen Tropfen der
Flüssigkeit auf die Lippen des Mannes fallen. Sofort verfärbten sich die
Lippen, wurden röter und voller.
Ich nahm meinen Dolch zur Hand - Inky hielt derweil die Fackel - und schob
ihn behutsam zwischen die Zähne des Mannes Imhotep. Die Kiefer ließen sich
leicht auseinanderbiegen - auch dies ein Zeichen, daß Imhotep keineswegs auf
natürliche, erklärbare Weise mumifiziert war.
Ich goß die Hälfte der Flüssigkeit in die Kehle Imhoteps.
Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten.
Es war, als habe ein elektrischer Stromstoß den Körper getroffen. Ein Zucken
ging durch alle Glieder.
Ich sah meine Hand zittern, sah Inky kreideweiß werden.
„Gib ihm den Rest“, flüsterte Inky, heiser vor Erregung.
Mit einer Handbewegung schüttete ich die gesamte Flüssigkeit in die Kehle
des Mannes, der sofort noch einmal zuckte, sich streckte, wieder zuckte. Und
dann sah ich, wie sich etwas am Hals des Mannes bewegte. Und die Bewegung
wurde stärker und gleichmäßiger, der Herzschlag Imhoteps wurde fester und
ruhiger, und dann hob und senkte sich die Brust, und nach einer Zeitspanne,
die uns nach Ewigkeiten bemessen schien, öffnete Imhotep die Augen. * „Willkommen“, sagte ich. Ich hatte in jener vertrauten Sprache gesprochen, die wir auf Shyftan angetroffen. hatten. Von dort war Imhotep - so sagten es die Unterlagen aufgebrochen. Wenn er der Mann war, den wir suchten, mußte er die Begrüßung verstehen. Imhotep sah mich drohend an. „Wer bist du?“ Das fing ja heiter an. Hatten wir uns einen zweiten Widerling vom Schlage Alexanders auf den Hals geladen? „Ein Bewohner jener Welt, auf der Eure Festung steht“, erklärte ich. „Wir kommen von Shyftan.“ „Ihr habt lange gebraucht, bis ihr mich gefunden habt“, herrschte er uns an. „Nun, ihr seid endlich gekommen, also will ich euch verzeihen. Warum ist keiner meiner Gefährten bei euc h?“ „Später“, wehrte ich ab. Nach einem fürchterlichen Blick verbesserte ich mich. „Herr!“ „Also gut. Geht voran.“ Wir nahmen, gehorsam wie Schulbuben, die Fackeln auf und gingen den Weg zurück. Imhotep folgte uns, hoheitsvoll und gelassen. Er reagierte erst, als wir das Freie erreicht hatten. „Was denn“, sagte Imhotep erstaunt. „Wo sind wir? Und wann sind wir?“ „Es hat ein paar kleinere Pannen gegeben“, erklärte ich. „Laßt uns nur machen, Herr. Wenn wir verhindern wollen, daß uns Snofrus Truppen jagen, werden wir das Grab wieder schließen müssen. Ihr gestattet?“ „Snofrus Truppen? Nicht Djosers?“ „Pharao Djoser ist schon recht lange tot“, klärte ich ihn auf. Ich gab Inky mit dem Kopf ein Zeichen. Unsere Wachen kamen langsam wieder zu sich. Während ich mich um die Siegel kümmerte, sorgte Inky dafür, daß die Wachen wieder betäubt wurden. Imhotep rührte sich nicht. Er dachte auch nicht daran, uns Fragen zu stellen. Wir hatten es mit einem überaus vornehmen Herrn zu tun. Ich brauchte eine Dreiviertelstunde, dann hatte ich die Spuren unseres Eindringens notdürftig verschwinden lassen. „Folgt uns, Herr!“ Ich ging voran, Imhotep folgte, den Abschluß bildete Inky. Wir waren noch keine hundert Meter weit gegangen, als Imhotep einen Schrei ausstieß. „Dieser Schurke!“ rief er empört. „Dieser elende Hund.“ „Was erregt Euch so, Herr?“ Imhotep deutete auf die Pyramide. Es würde bald dämmern. Das Bauwerk war schon deutlich zu sehen, nicht zuletzt dank der Beleuchtung durch die Kugel. „Wo sind wir? Rede, ich will Antwort haben!“
„In Meidum. Dies ist die Pyramide des Snofru.“
„Er hat mich betrogen, der Lump“, murmelte Imhotep. „Nun, er hat seine
Strafe bekommen. Und ihr beide, woher kommt ihr? Wie seid ihr von Shyftan
hergekommen? Wo ist euer Schiff? Ich will schnellstens von dieser
Barbarenwelt verschwinden.“
Ich lächelte ihn freundlich an.
„Wir sind nicht mit einem Raumschiff gekommen“, erklärte ich. „Wir haben
uns der Zeitmaschine in der Festung bedient.“
„Es ist Dienstpersonal untersagt, den Transmitter zu benutzen“, herrschte
Imhotep uns an.
„Wir haben ihn nicht als Transmitter benutzt“, erklärte ich. „Wir haben ihn in
seiner Eigenschaft als Zeitmaschine verwendet. Wir kommen aus der
Zukunft.“
„Wieviel?“
Der Mann hatte Nerven. Die Nachricht schien ihn nicht im mindesten zu
erschüttern.
„Schätzungsweise fünftausend Jahre.“
Er holte nur sehr tief Luft. Auch diese Botschaft schluckte er mit erstaunlicher
Selbstbeherrschung.
„Ich nehme an, daß ich alles erklärt bekommen werde, wenn die Zeit dazu
geeignet ist“, sagte Imhotep nach kurzer Pause. „Des weiteren unterstelle ich
mich euren Anordnungen.“
„Wir müssen von hier verschwinden, bevor uns die Eingeborenen finden“,
erklärte ich. „Eine Frage noch wißt ihr, was das für eine Kugel an der Spitze
der Pyramide ist?“
„Das Wrack meines Raumschiffs“, sagte Imhotep. Zum ersten Mal zeigte er
Freundlichkeit. Er lächelte. „Es funktioniert praktisch nur noch die
Beleuchtung.“
„Und welche Funktion hat die Pyramide noch?“
„Das wißt ihr nicht?“
„Nein“, sagte ich. „Aber wir werden es herausbekommen.“
Imhotep machte ein paar Schritte zur Seite, prüfte den Boden und ließ Sand
durch seine Finger rieseln.
„Ich bin nie in Meidum gewesen, immer nur in Sakkara“, sagte er
nachdenklich. „Ist der Boden hier überall so beschaffen?“
„Wir wissen es nicht“, mußte ich zugeben. „Wir sind selbst erst vor kurzer Zeit
hier angekommen.“
Imhotep nickte langsam.
„Schlechter Boden“, murmelte er. „Und schlechte Steine. Haben wir Zeit, uns
die Pyramide anzusehen?“
„Warum nicht?“
* Es war äußerst seltsam, Imhotep und wir wurden durch Jahrtausende
voneinander getrennt. Wir lebten in verschiedenen Welten. Seit kurzer Zeit
erst kannten wir uns, aber bereits jetzt war ein sehr merkwürdiges Verhältnis
zwischen uns hergestellt - als ob wir uns schon seit langer Zeit aneinander
gewöhnt hätten.
„Entsetzlich“, murmelte Imhotep. „Ich erkenne meinen Bauplan kaum
wieder.“
„Ihr habt die Pyramide entworfen?“
„Die in Sakkara“, räumte er ein. „Danach war es dann wohl nicht schwierig,
die Dinger in großer Stückzahl zu bauen.“
„Dies ist die dritte jemals gebaute Pyramide - oder die vierte. Ganz genau weiß
ich es nicht. In jedem Fall ist es die erste ganz große nach der Stufenpyramide
von Sakkara.“ Imhotep lachte böse. „Also hat es der Halunke nicht geschafft,
eine Verkleidung für die Stufenmastaba bauen zu lassen. Nun, er wird
inzwischen bemerkt haben, was es mit der Pyramide auf sich hat.“
Das klang nicht sehr freundlich. „Und hier wurde ebenfalls gestümpert“,
kommentierte Imhotep den Bau der Pyramide. „Seht ihr? Hier, die
Bodenverankerung. Diese Narren. Sie haben einfach ein paar Kalksteinplatten
in den Wüstenboden verlegt und dann die Verkleidung hochgezogen.“
Ich sah nach oben, hinauf zur Spitze der Pyramide.
Und in diesem Augenblick erinnerte ich mich.
„Lauft“, sagte ich. Meine Stimme klang zu meiner eigenen Überraschung sehr
leise und ruhig. „Lauft, so schnell ihr könnt.“
Ich wartete nicht länger. Ich setzte mich sofort in Bewegung, Wir standen am
Fuß der Pyramide, in der Nähe der Umwallungsmauer. Es war unser Glück,
daß wir gute Kletterer waren. Wir brauchten nur wenige Augenblicke, dann
hatten wir die Mauer überwunden.
„Was, zum Teufel, ist los?“ rief Inky.
Ich hatte es so eilig, von der Pyramide wegzukommen, daß ich gar nicht mehr
darauf geachtet hatte, daß es zum einen Tag geworden war und zum anderen
die Wachen an den Pyramiden uns sehen mußten.
„Lauft“, brüllte ich. „Das Ding kann jeden Augenblick einstürzen!“
Ich rannte, was meine Lungen hergaben, ohne mich um das Schreien und
Rufen der Wachen zu kümmern, die wild brüllend hinter uns her jagten. Wir
hatten es so eilig, daß sie von ihren Waffen keinerlei Gebrauch machen
konnten.
„Zum Nil!“ rief ich mit letzter Kraft. Ein Blick über die Schulter...
... Ich hatte mich nicht geirrt.
Ich blieb wie angewurzelt stehen. Inky stoppte, als sei er gegen eine Mauer
gerannt.
„Was ist los?“ rief er außer Atem. „Erst rennst du wie von Furien gehetzt, und
jetzt bleibst du einfach stehen?“
Wortlos deutete ich auf die Pyramide des Snofru zu Meidum.
In der Wandung, uns genau gegenüber, wurden Risse sichtbar, die sich
langsam verbreiterten. Von der Pyramide her kamen Geräusche, die an
gedämpftes Kanonenschießen erinnerten.
„Allmächtiger!“ rief Inky aus. Auch Imhotep war stehengeblieben, und der immer größer werdende Lärm von der Pyramide hatte auch die Ägypter anhalten lassen. Es war früher Morgen, die Sonne war gerade aufgegangen. Vielleicht lag es an dem raschem Temperaturumschwung, vielleicht an anderen Dingen. In jedem Fall war die Pyramide von Meidum in entscheidenden Punkten grundfalsch konstruiert und erbaut worden. Die Risse wurden länger und breiter. Der ganze Bau schien von innen heraus zu beben. Und dann, im Bruchteil einer Sekunde, war die Katastrophe da. Die Pyramide brach zusammen. Mit einem Schlag gerieten die großen, polierten Kalksteinplatten der Umhüllung ins Rutschen, und im Fallen rissen sie Teile der Pyramide mit in die Tiefe. Eine riesige Staubwolke fegte in die Höhe, umwirbelte die Pyramide, die im Bruchteil einer Sekunde hinter dem Staub verschwunden war. Der Boden unter unseren Füßen zitterte, und von der Pyramide her erklang ein Donnern, das jede Verständigung unmöglich machte. Ich sah, wie die Pyramidenwachen sich auf den Boden warfen. Sekunden später war der Luftdruck des Zusammenbruchs bei uns angelangt und zerrte an unseren Körpern. Durch eine lehmfarbene, gigantische Staubwolke schimmerte, fahl und gerade noch zu erkennen, die aufgehende Sonne. Immer höher stieg die Wolke aus Gesteinsstaub, umhüllte die Pyramide und bildete über dem Bauplatz menschlicher Größe das entsetzliche Symbol der Vernichtung und des Untergangs - einen gewaltigen Pilz. Die größte Baukatastrophe der bekannten Menschheitsgeschichte war vollendet. Die Pyramide von Meidum war eingestürzt.
7. „Woher wußtest du, daß es eine Katastrophe geben würde?“ Ich seufzte leise. „Erinnerung“, sagte ich. „Gerade noch rechtzeitig. Jetzt, da der Groschen gefallen ist, kommen die Informationen in Mengen.“ Wir saßen im Haus des Sen’cher, dem wir - für den Fall des Erfolgs Reichtum, langes Leben und andere schöne Dinge versprochen hatten, wenn er uns nicht verriet. Die Tatsache, daß sein Urahn von den Toten auferstanden war, hatte den Mann überzeugt - zumal Imhotep mit der ihm eigenen Liebenswürdigkeit seinem Nachfahren Höllenqualen in Fülle verheißen hatte, wenn er ein unvorsichtiges Wort wagte. Seit der Katastrophe waren zwei Stunden vergangen. In Meidum herrschte Ausgehverbot - über der ganzen Stadt lagerte eine undurchdringliche
Staubwolke. „Die Pyramide von Meidum galt lange Zeit als unvollendet, dann wieder hieß es, sie sei von Arabern ihrer Steine beraubt worden. In Zukunft wird der Stummel, der die Katastrophe überdauern wird, gleichsam auf einem Hügel stehen - dem Trümmerhaufen dieser Katastrophe. Man wird ihn bis in unsere Zeit als Hügel ansehen und so die eigentlichen Zusammenhänge nicht erkennen.“. „Aber wieso kann eine Pyramide einstürzen? Das Ding war doch nicht hohl?“ Ich versuchte, die Zusammenhänge zu erklären, so gut ich sie im Gedächtnis hatte. „Es wird vermutet, daß die Ägypter zunächst einmal, nach dem Vorbild von Sakkara, eine Stufenmastaba erbaut haben. Danach haben sie die Treppenstufen gleichsam aufgefüllt, bis die reine Pyramidenform erreicht war. Und dann wurde sie so entstandene Pyramide mit Kalkstein verkleidet. Dabei aber haben die Baumeister des Pharaos Snofru drei verhängnisvolle Fehler gemacht.“ „Erstens“, zählte Imhotep auf. „Sie haben die Zahl der inneren Strebmauern gegen meinen Plan verringert. Zweitens sind die Treppenstufen weder exakt horizontal, noch sind sie ein wenig einwärts geneigt. Das hätte zur Folge gehabt, daß jeder durch Bauunregelmäßigkeiten aufgetretene Druck ins Pyramideninnere abgeleitet worden wäre. Der dritte Fehler war der größte und dümmste. Die Kalksteinplatten der Verkleidung haben an der Pyramide überhaupt keinen Halt gehabt. Man hat sie einfach auf die Oberfläche aufgelegt. Dabei wurden die untersten Platten, die den ganzen gigantischen Druck aufzufangen hatten, nicht sorgsam in Fels, sondern nur in Sand gebettet.“ „Und jetzt ist diese Verkleidung ins Rutschen gekommen“, fuhr Inky fort. „Dabei ist auch noch das Füllmaterial der Treppen in die Tiefe gesaust...“ „Und von den Stufen der ursprünglichen Mastaba wurden auch einige abgebrochen. Die Spuren kann man in unserer Zeit noch sehen.“ „Und woher weiß man das alles?“ wollte Inky wissen. „Durch Rückschlüsse“, erinnerte ich mich. „Zu diesem Zeitpunkt ist gerade eine zweite Pyramide des Snofru im Bau. Sie ist genauso steil angelegt wie das zerstörte Ba uwerk in Meidum. Sobald die Nachricht von der heutigen Katastrophe in Dahschur angekommen ist, wird man dort den Böschungswinkel der Pyramide drastisch verkleinern. Diese Pyramide wird als Knickpyramide von Dahschur in die Geschichte eingehen. Und eine dritte Pyramide des Snofru, die einstweilen erst geplant ist, wird man von Anfang an in dem flacheren Stil erbauen - die sogenannte Rote Pyramide, die in ihrer Art ebenfalls einzig ist. Erst zu Zeiten des Cheops werden die Ägypter aus ihren Fehlern so viel ge lernt haben, daß sie eine perfekte allseits glatte Pyramide errichten konnten.“ Inky nickte, er hatte begriffen. Imhotep verstand vom Pyramidenbau mehr als ich, ihm brauchte ich das alles eigentlich nicht zu erklären. Und Sen’cher hatte Mühe genug, die Existenz seines Urahnen zu verkraften ihm hätte ich Alice im
Wunderland als Tatsachenbericht verkaufen können. „Und jetzt würde ich gerne wissen, welchem Zweck die Pyramiden überhaupt dienen.“ Ich wandte mich an Imhotep und sah ihn an. Der Mann lächelte schwach. „Ohne auf Einzelheiten eingehen zu wollen“, sagte der Zeit-Architekt, „will ich versuchen, die Zusammenhänge zu erklären. Eine Pyramide von einer ganz genau berechneten Konstruktion erzeugt ein unendlich schwaches, aber anpeilbares Transmitterfeld. Ich hoffte, durch den Bau dieser Pyramide meine Freunde auf meine Notlage aufmerksam machen zu können. Sie sollten das Feld anmessen, den Planeten anfliegen und mich abholen.“ „Und wozu die Gruft?“ „Ich hatte keine Lust, auf dieser Barbarenwelt alt und grau zu werden. Also nahm ich von dem Scheintotpräparat, das ich bei mir führte. Das Gegenmittel hatte ich so versteckt, daß es Eingeweihte leicht finden konnten. Ich habe gewartet, bis meine Pyramide beinahe fertig war, dann habe ich mich selbst eingeschläfert. Ich konnte allerdings nicht damit rechnen, daß Djoser die Pyramide gar nicht vollendet hat. Die Botschaft ist also niemals am Ziel angekommen. Und die Nachfolgepyramiden weichen in entscheidenden Daten von meiner Konstruktion ab. Wenn ihr nicht gekommen wärt, läge ich vermutlich heute noch in meiner Gruft.“ „Wie lange wirkt das Mittel?“ „Jahrtausende“, sagte Imhotep lächelnd. „Manchmal auch länger.“ Inky und ich sahen uns an. Zu gern hätten wir Imhotep befragt, woher er kam, aus welcher Kultur, von welchem Planeten. Wir wagten nicht, diese Fragen zu stellen. Gut, Imhotep war uns zur Dankbarkeit verpflichtet. Aber zum einen war es so eine Sache mit der Dankbarkeit, wenn Großmachtpolitik ins Spiel kam - und zum anderen war es auch nicht gerade erstrebenswert, als Zwerg mit einem Riesen befreundet zu sein. Als Speerspitze der freien Menschheit gegen die Machtgelüste der Oberen konnten wir uns einigermaßen bedeutsam fühlen jetzt aber stand zu befürchten, daß wir zu Statisten auf galaktischer Bühne degradiert wurden. Wir waren in unserem Bemühen, die Erde vor der Versklavung zu retten, offenbar in etwas hineingeraten, das wir nicht länger kontrollieren und beherrschen konnten. „Ich gehe nach draußen“, erklärte Sen’cher. „Vielleicht gibt es Neuigkeiten.“ Er erhob sich und verließ den Raum. Imhotep fixierte mich. Ich ahnte, daß er seinerseits gerne Fragen gestellt hätte, aber er beherrschte sich. Er verdankte uns sein Leben, und diese Verpflichtung erlegte ihm Höflichkeit auf. Nach kurzer Zeit kehrte Sen’cher wieder. Sein Gesicht wirkte verstört. „Sie haben Leute an der Pyramide gesehen, und jetzt suchen sie nach diesen Leuten.“ Inky nickte betroffen. „Das heißt, daß wir schnellstens von hier verschwinden müssen. Ist dein Boot startklar, Sen’cher?“
„Die Ruderer sind an ihren Plätzen“, berichtete der Ägypter. „Und unser
Gepäck können wir schnell verladen.“
Mir kam ein Gedanke.
„Nimm alles mit, was sich transportieren läßt und auf das Boot paßt, alles,
hörst du. Vergiß nichts.“
„Tovar“, protestierte Ink y. „Bist du verrückt? Wir sind auf der Flucht.
Niemand, der auf der Flucht ist, schleppt sich mit überflüssigem Krempel ab.“
„Richtig“, sagte ich und stand auf. „Und aus genau diesem Grund werden wir
uns abschleppen - um zu beweisen, daß wir nicht auf der Flucht sind.“
* Meine Vorsichtsmaßnahme erwies sich als bitter nötig. Meidum glich einer Kaserne, auf allen Straßen waren Bewaffnete zu sehen, und die meisten von ihnen hatten ganz offenkundig große Angst.Über der Stadt lag eine Wolke aus gelblichem Staub, der sich auf die Lungen legte und die Sicht stark einschränkte. Während die Soldaten unentschlossen mit ihren Spießen herumfuchtelten, überboten sich die Offiziere darin, Befehle zu brüllen, die sich widersprachen oder völlig unsinnig waren und das allgemeine Chaos nur vergrößern konnten. Immerhin hatten einige Offiziere ihre Männer noch so unter Kontrolle, daß sie in der Lage waren, Straßensperren aufzurichten und Passanten zu kontrollieren. Auch wir wurden zweimal angehalten, und dabei erwies sich die Pseudobeweisführung mit dem Gerumpel, das wir transportierten, als außerordentlich erfolgreich. Obendrein hatten wir unsere Kleider gewechselt. Während Inky und ich nur mit Lendenschurzen bekleidet waren, hatte sich Imhotep eine kostbare Perücke über den kahlen Schädel gestülpt. Inky und ich hatten grobgewirkte Säcke aus Jute über den Schultern, die Mehl enthielten und uns nach ein paar Schritten derart eingestäubt hatten, daß uns niemand mehr erkennen konnte. Nach kurzem Palaver wurden wir entlassen und durften uns den Weg zum Nil suchen. Wir brauchten eine halbe Stunde, bis wir die Anlegestelle von Sen’chers Barke erreicht hatten. Ich achtete darauf, daß auch tatsächlich das gesamte Material an Bord des Bootes verstaut wurde. Ich war mir sicher: Früher oder später würden die Ägypter herausfinden, was geschehen war und nach uns suchen. Wenn wir unsere Rolle beibehielten, hatten wir die besten Aussichten, davonzukommen. Eine Flucht wäre ein klares Geständnis gewesen, das garantiert ein Todesurteil nach sich gezogen hätte. Auf dem Nil war die Sicht knapp einhundert Meter weit. Wir konnten erkennen, daß es eine Reihe anderer Fahrzeuge gab, die sich auf dem Wasser bewegten. Offenbar suchten alle Bewohner der Umgebung eine möglichst große Strecke Weges zwischen sich und den Schauplatz der Katastrophe zu legen.
„Abstoßen!“ befahl Sen’cher, als Menschen und Material an Bord gebracht worden waren. Die Sklaven legten sich in die Riemen, der Antreiber ließ wieder den Klang seiner Pauke hören. Langsam begann sich das Boot zu bewegen. Diese Fahrt mußte leichter werden als die Hinfahrt. Jetzt bewegten wir uns mit der Strömung. Zwar war der Nil noch immer weit über seine normalen Ufer getreten und floß daher breit und behäbig, aber dank der Ruderunterstützung kamen wir erheblich rascher vorwärts als auf der Hinfahrt. Wir mußten eine halbe Stunde warten, bis wir Meidum erkennen konnten. Langsam schälte sich das Bild aus dem Staub. „Heilige Götter!“ entfuhr es Sen’cher. Der Anblick war tatsächlich bestürzend. Von der großen Pyramide zu Meidum war nur noch eine Ruine übriggeblieben. Jetzt erkannte ich das Bauwerk wieder, ich hatte es auf einigen Fotos gesehen. Nur noch drei der Stufen der ursprünglichen inneren Stufenpyramide waren zu sehen, der Rest war herabgestürzt oder unter der Schuttlawine begraben. Von der imposanten Verkleidung der Pyramiden war nichts mehr zu sehen, auch die goldene Kugel war verschwunden, wahrscheinlich herabgestürzt und in Stücke zerschlagen. Zwei der früheren Baustufen waren jetzt noch auszumachen - sie zeichneten sich auf dem unteren Teil des Pyramidenstumpfes als rauhe Bänder ab. Unsere Barke trieb mit gleichbleibender Geschwindigkeit auf den Fluten des Nils, der in dieser Jahreszeit den kostbaren Schlamm aus den äthiopischen Gebirgen an den Ufern verteilte. Am westlichen Ufer des Nils, das zum Unteren Naru-Baumgau gehörte, tauchte in Fahrtrichtung Lisch auf. Am östlichen Ufer, es gehörte zum Messergau, waren kleine Siedlungen zu erkennen, dahinter, weiß in der Mittagssonne glänzend, ein Höhenzug. Seltsame Namen hatten die Bezirke des Ägypterreichs. Es gab einen Gau des gezählten Stieres, einen Gau des unversehrten Zepters, einen Gau des göttlichen Kalbes und, ausgerechnet im brettebenen Delta des Nils, einen Bergstiergau. Am Abend dieses Tages, im Licht der untergehenden Sonne, erreichten wir Daschur. Die Beleuchtung reichte aus, die Baustelle in der Nähe des Nils zu erkennen. Die Pyramide von Daschur war bis fast zur halben Höhe gediehen, von da an würde man den Rest wesentlich flacher bauen - was auf eine recht merkwürdig aussehende Pyramide hinauslief. Noch knapp zweihundert Jahre lang würden die Ägypter solche Pyramiden bauen, eine großer und gewaltiger als die andere. Am Ende des Pyramidenzeitalters mußte dann den Pharaonen klargeworden sein, daß sie unter diesen steingewordenen Ausrufezeichen niemals eine ungestörte Grabruhe finden konnten. Von da an versuchten sie ihre sterblichen Leiber nicht mehr mit künstlichen Gebirgen zu schützen vor fremdem Zugriff, sie ve rsuchten es auf dem Weg des Versteckens: Auch diese
Vorsichtsmaßnahme hatte nichts gefruchtet - nach und nach waren alle Pharaonengräber gefunden worden, teils von Grabräubern, teils von Forschern. Beide Gruppen hatten die Gräber jeweils gründlich geleert; aus der Sicht des toten Pharaos war es gleichgültig, ob sich Halunken oder Forscher an seinem Leib vergriffen und alle Vorbereitungen für die Ewigkeit, die der Pharao hatte treffen lassen, zunichte machten. Wir lagerten an diesem Abend in der Nähe von Daschur, ein Stück stromabwärts. Zwar hätten wir auch in der Nacht reisen können, der Mond war deutlich zu sehen und der Himmel über Ägypten klar. Aber das Hochwasser des Nils führte auch abgerissene Bäume mit sich, und damit zu kollidieren, war nicht ratsam auf einem Fluß, der viele Krokodile aufzuweisen hatte. Wir hatten den ganzen Tag über die reglosen Leiber der Echsen sehen können, wie sie am Ufer lagen und in der Sonne dösten. In der Nacht konnten wir ab und zu hören, daß Boote an uns vorbeifuhren, darunter einige, die es sehr eilig zu haben schienen. Am nächsten Morgen ging die Reise weiter, nilabwärts. Der Nil hatte an dieser Stelle einige Nebenarme ausgebildet, die mit dichtem Papyrusgestrüpp bewachsen waren. Wir verirrten uns in einem dieser Arme und verloren einige Stunden. Als wir endlich den Hauptarm des Nils wieder erreicht hatten, waren wir überglücklich. In dem Gestrüpp waren wir irgendwelchem summenden, stechenden Viehzeug ausgeliefert gewesen. Unsere Arme und Beine waren von roten Pusteln übersät und unsere Gesichter so verquollen, daß wir uns selbst im Spiegel nicht wiedererkannt hätten, hätten wir ihn zur Hand gehabt. Es gab übrigens schon Spiegel in dieser Zeit auf Hochglanz polierte Metallflächen, die durchaus brauchbare Dienste leisteten. Auch die Damen der Ägypter waren eitel und schönheitsversessen gewesen - zum Glück für die Archäologie. Es gab da die berühmte Schminkpalette des Königs Narmer, der auch Menes genannt wurde und mit dem die Geschichte der ägyptischen Dynastien begann. Und in einem Frauengrab hatten Wissenschaftler Reste von Schminke gefunden, die Antimon enthielt, ein Metall, das zur gleichen Gruppe von chemischen Elementen gehörte wie Wismut. Große Lagerstätten davon gab es in Kleinasien und Nordafrika - aber beide Fundorte waren den Ägyptern nachweislich nicht bekannt gewesen. Die nächste Fundstelle für Antimon aber lag in Simbabwe im südlichen Afrika, am Unterlauf des Sambesi. Dieser Ort aber war von Nordägypten 8000 km Küstenfahrt entfernt - auch dies ein Hinweis auf die Fähigkeiten, die bereits in dieser Zeit entwickelt worden waren. Genaugenommen durchreisten wir bei dieser Fahrt den Nil hinunter keine primitive Kultur, sondern eine Zivilisation, die sich mit der unseren sehr wohl messen konnte - aber so anders war, daß man praktisch keinen wirklichen Vergleich herstellen konnte. Die Ägypter hatten Maler, wir hatten Rennfahrer - wie wollte man das gegeneinander aufrechnen. Eine seltsam friedliche Stimmung lag über unserer Fahrt.
Am Nachmittag kam langsam Sakkara in Sicht.
„Anhalten!“ befahl ich plötzlich.
Sen’cher sah mich verwundert an.
„Was denn? Mitten auf dem Fluß?“
„Haltet auf das Ufer zu“, kommandierte ich. „Wir legen bereits hier an.“
Meine Begleiter sahen mich entgeistert an, aber Sen’cher gab den Befehl
gehorsam an seine Ruderer weiter, die ihn kommentarlos ausführten.
Ich deutete derweil auf das Ufer.
Jemand brannte dort ein Feuer ab, kein ungewöhnlicher Vorgang. Daß dieser
Jemand aber in unregelmäßigen Abständen das stark qualmende Feuer mit
einer Plane abdeckte, war in dieser Zeit und diesem Land äußerst
ungewöhnlich.
„Jetzt verstehe ich“, rief Inky. „Charriba! Er gibt Rauchzeichen nach
Indianerart.“
Unsere Barke trieb langsam dem Ufer zu. Als das Boot leise knirschend auflief
und zur Ruhe kam, stand Charriba bereits am Ufer und wartete.
„Gut, daß ihr kommt“, begrüßte er uns. „In Sakkara ist die Hölle los man sucht
bereits nach euch.“
Er grinste breit.
„Und außerdem habe ich eine gute Nachricht. Ich habe die Frauen gefunden!“
8. Mir fiel ein Stein vom Herzen. „Wie geht es ihnen?“ „Leidlich gut“, wußte Charriba zu berichten. „Diese Wüstenräuber haben sich einen Stützpunkt eingerichtet, mitten in der Wüste. Ich habe sie dort aufgespürt. Die Frauen sind gefangen, aber gesund, und nachdem einige der Räuber offenbar Prügel von den Mädchen bezogen haben, werden sie auch nicht belästigt. Und noch etwas konnte ich beobachten die Einzelteile unserer Zeitmaschine sind ebenfalls im Stützpunkt, und es sieht fast so aus, als seien die Bauteile unbeschädigt.“ Eine bessere Nachricht konnte Charriba kaum überbringen. Der Tod einiger Begleiter wog schwer, aber jetzt hatten wir wenigstens eine Chance, die ganz große Katastrophe zu vermeiden. Wenn es uns gelang, den Räubern die Frauen und die Zeitmaschine abzunehmen, hatten wir eine reelle Chance, zur TimeSquad zurückkehren zu können. Ich sah Sen’cher und Imhotep an. „Wir müssen uns entscheiden“, sagte ich. „Nach Sakkara zurück können wir nicht, dort wartet man bereits auf uns. Offenbar ist in der Nacht ein Boot mit den Nachrichten aus Meidum an uns vorbeigefahren.“ „Die Garnison ist vollzählig auf den Beinen“, ergänzte Charriba. „Und dein Haus, Sen’cher, ist längst besetzt worden.“ Der Ägypter preßte die Lippen aufeinander.Über die Schulter hinweg blickte
er auf seine Barke. Die Ruderer saßen still auf den Bänken. „Was bleibt mir anderes übrig“, meinte Sen’cher. „Ich folge euch, wohin ihr auch gehen mögt.“ Imhotep stimmte ihm zu. „Nur fort von dieser Barbarenwelt“, sagte er heftig. Er wußte noch nicht, daß wir ebenfalls auf dieser Ba rbarenwelt geboren waren. „Und die Bootsbesatzung?“ Ich überschlug schnell die Chancen. Die Leute waren ungebildet und noch abergläubischer, als es Ägypter ohnehin schon waren. Es war ausgeschlossen, daß sie die Zeitmaschine benutzen würden wahrscheinlich würden sie schreiend die Flucht ergreifen und jedem erzählen, sie wären dem Teufel selbst über den Weg gelaufen. Wir konnten sie an dieser Stelle zurücklassen. Früher oder später würden Hunger und Durst sie dazu bringen, Sakkara auch ohne Befehl Sen’chers anzulaufen. Dort aber warteten bereits Truppen auf die Ankömmlinge, und ich wußte nicht, was die Soldaten mit den Sklaven veranstalten würden. „Am besten läßt du die Männer frei“, schlug ich Sen’cher vor. Der rollte entsetzt mit den Augen. „Weißt du, wieviel ich dafür gezahlt habe?“ empörte er sich. „Die Männer kommen mit, sie gehören mir!“ „Bei uns gibt es keine Sklaverei“, klärte ich ihn auf. „Wenn du die Leute mitnehmen willst, werden sie nachher ohnehin frei sein.“ „Dann bleibe ich hier“, entschied sich Sen’cher. „Unter diesen Umständen bleibe ich im Lande.“ Wir sahen uns an. Unsere Lage war ohnedies kritisch genüg. Länger als höchstens vierundzwanzig Stunden konnten wir uns im Raum um Sakkara nicht verbergen. Wenn wir es in dieser Zeit nicht schafften, die Time-Squad zu erreichen, fielen wir entweder den Ägyptern in die Hände - oder wir mußten Ägypten verlassen. In diesem Fall waren wir unwiderruflich von der TimeSquad abgeschnitten. ob Sen’cher herumlief und aus der Schule plauderte oder nicht, konnte uns gleichgültig sein - auf unser Schicksal hatte das keinen entscheidenden Einfluß mehr. Demeter war obendrein nicht sonderlich glücklich, wenn wir aus allen Zeiten irgendwelche Besucher mit in die Zukunft schleppten, wo sie sic h nur sehr schwer an die völlig andere Kultur gewöhnen konnten. „Dann trennen wir uns an dieser Stelle“, entschied ich. „Sen’cher, wir danken für die Gastfreundschaft. Ich hoffe, Ihr werdet Eure Großzügigkeit nicht zu büßen haben.“ „Die Richter des Großen Herrschers sind weise, und ihr Spruch ist immer gerecht“, sagte Sen’cher selbstbewußt. „Zieht in Frieden!“ Er drehte sich auf dem Absatz herum und ging zu seinem Boot, ohne sich noch einmal nach uns umzuschauen. Er gönnte nicht einmal seinem Ahnen Imhotep einen Blick. Der Zeit-Architekt, wie ich ihn insgeheim getauft hatte, sah seinem Nachkommen skeptisch hinterdrein. „Wir müssen vorsichtig sein“, sagte Imhotep zögernd. Dann drehte er sich um und lächelte Charriba an, aber der zuckte mit keinem Muskel seines Gesichts.
Mir fiel auf, daß Charriba ein Stirnband trug und einen ungewöhnlich
verschlossenen Eindruck machte.
„Also?“ fragte Inky launig. „Wo ist es, das Verbrechernest?“
Charriba drehte sich um und deutete auf die Wüste.
„Kommt“, sagte er. „Ich werde euch hinführen.“
* Wir erreichten das Lager der Wüstenräuber gegen Abend, ungesehen. Die Banditen hatten darauf verzichtet, Wachen aufzustellen. Sie waren überhaupt außerordentlich leichtsinnig. Schon von weitem konnten wir Singen und Lärmen hören. Wir schoben uns auf dem Boden langsam an das Lager heran. Hundert Meter vor einer großen Sanddüne trafen wir auf Nefer, die Charriba als Posten bei den Räubern gelassen hatte. „Sie haben mehrere Schläuche Dattelschnaps geleert“, wußte Nefer zu berichten. „Es ist eine wüste Feier an einem unheimlichen Ort.“ Als wir den Kamm der Düne erreichten, wußten wir, was Nefer gemeint hatte. Unter uns war das Lager zu sehen, eine Mulde im Sand, von drei Seiten von Dünen umgeben. Die vierte Seite wurde von einem Fels gebildet, der eine sehr fatale Ähnlichkeit mit einem Totenschädel hatte. Kein Wunder, daß brave Bürger diesen Platz mieden - die Atmosphäre war für Räuber gerade recht. Es waren fünfzehn Männer, die wir zählen konnten, allesamt mit Waffen behangen. Von dem, was die Räuber sangen, verstanden wir kein Wort. Sie sprachen ein geradezu barbarisches Ägyptisch. „Wenn wir alle zugleich angreifen, könnten wir es schaffen“, murmelte Inky. „Die Burschen sehen zwar gefährlich aus, aber sonderlich tapfer scheinen sie nicht zu sein.“ „Das kann täuschen“, sagte Charriba leise. „Diese Männer wissen, daß sie sofort getötet werden, wenn man sie erwischt.“ Im Hintergrund des kleinen Tales, in der Nähe des gespenstisch aussehenden Felsens, sahen wir die Frauen. Sie lebten und waren offenbar auch gesund. Ihre Gesichter verrieten Müdigkeit und Erschöpfung, aber auch unbeugsamen Willen, und es tat mir gut, das zu sehen. In der Nähe des Feuers saß, uns den Rücken zukehrend, der Hauptmann der Banditen. Er war vermummt wie bei unserer ersten Begegnung. „Der Anführer ist gerade erst gekommen“, wußte Nefer zu berichten. Mir fiel auf, daß sich Charriba immer an ihrer Seite hielt. Der Hauptmann winkte eine der Frauen zu sich. Ich erkannte Marleen de Vries. Sie war von den Frauen am meisten gefährdet - sie war als Fachwissenschaftlerin zur Time-Squad gekommen und nur unzureichend in Kampftechniken ausgebildet worden. Susan Gilmore, die ich ebenfalls unter den Gefangenen entdeckt hatte, war Polizistin und eine Meisterin in allen Kampfsportarten.
„Worauf warten wir noch“, stieß Inky hervor. „Tovar, gib das Zeichen - auf sie.“ Ich sah mich um. Da waren Inky und Charriba, des weiteren Imhotep, der ein sehr grimmiges Gesicht machte, und Josh Slocum, blaß aber bei Bewußtsein. Charriba hatte ihn gerade noch rechtzeitig aus Sakkara herausschleusen können. Als Kämpfer fiel er aus. Es blieben Nefer, die zwar Mut hatte, aber ungeschult war, und ich. Keine sehr eindrucksvolle Streitmacht - aber was half es? Wir hatten keine andere Wahl. „Vorwärts!“ stieß ich hervor. „Auf Sie!“ * Wir rannten geduckt los, die Düne hinab. Noch waren wir still. Die Räuber saßen um das Feuer herum, und wenn sie sich herumdrehten, sahen sie einstweilen nur Schwärze. Der erste hörte das Knirschen des Sandes unter unseren Tritten und fuhr herum. Er erschrak überhaupt nicht, sondern riß sofort seinen Speer in die Höhe. Ich konnte ihn gerade noch unterlaufen und den Burschen mit einem Handkantenschlag außer Gefecht setzen. „Vorsicht!“ gellte eine Stimme. „Eine Falle!“ Ich erkannte die Stimme von Marleen, aber der Hinweis kam entschieden zu spät. Die Räuber, die gerade noch volltrunken ihre wilden Gesänge herausgegrölt hatten, wurden plötzlich erschreckend nüchtern. Von einem Überraschungseffekt konnte bei unserem Angriff keine Rede sein – im Gegenteil. Die Tatsache, daß unser feiner Plan schon im Ansatz gescheitert war, wirkte als lähmende Überraschung auf uns selbst. Die Banditen formierten sich auf der anderen Seite des Feuers und fällten ihre Speere. Ich hörte hinter mir ein Geräusch, und als ich mich umsah, erkannte ich, daß plötzlich zwei Dutzend weitere Banditen auf dem gleichen Dünenkamm aufgetaucht waren, den wir gerade erst herabgestürmt waren. Sie hielten Speere in den Händen und marschierten langsam den Abhang hinunter. Unser Kampf war verloren, bevor er recht begonnen hatte. Wir ließen die Waffen sinken. Gegen diese Übermacht war Widerstand sinnlos. Langsam wichen wir zurück. Die Phalanx der Speerträger rückte vor und drängte uns auf den Anführer zu, jenen Mann mit dem weiten Umhang und der Kapuze, die seine Gesichtszüge verbargen. Ich hörte den Mann höhnisch lachen, dann zog er mit einer raschen Bewegung die Kapuze zurück. Sen’cher. *
Ich hätte es wissen sollen. Das plötzliche Auftauchen des Ägypters war in gewisser Weise zu erwarten gewesen. Unablässig, seit dem Überfall, war er an unserer Seite gewesen, und ob wir wollten oder nicht, wir hatten ihm vieles verraten müssen. „Herzlich willkommen, liebe Freunde“, sagte Sen’cher und grinste uns boshaft an. „Und nun, da ihr wieder meine Gäste seid, werdet ihr mir verraten, was all die seltsamen Dinge zu bedeuten haben, die ihr in eurem Gepäck hattet.“ Deshalb also hatten wir den Überfall überlebt. Sen’cher hatte herausbekommen wollen, was mit der Beute anzufangen war. Auf die naheliegende Idee, die Frauen danach zu fragen, war er natürlich nicht gekommen - zu unserem Glück und dem der Frauen. Ob uns das allerdings viel helfen würde in unserer augenblicklichen Lage, war mehr als zweifelhaft. „Ein sauberer Nachfahre“, sagte Imhotep und spie aus. Einen Augenblick lang mußte sich Sen’cher mühsam beherrschen. Er wollte sich auf Imhotep stürzen, seine Hand umklammerte den Griff des Bronzeschwertes. Dann glätteten sich die Gesichtszüge des Ägypters wieder. „Ihr werdet mir alles erzä hlen, was ich wissen will - und noch viel mehr. Und glaubt ja nicht, ihr könntet mich mit dem Gewäsch vom wiedererstandenen Imhotep täuschen. Keiner, der gestorben ist, ist jemals wieder aufgewacht.“ Unwillkürlich sah ich mich um, als ob Hilfe zu erwarten wäre. Die Räuber waren in der Überzahl, aber trotzdem... Ich hatte keine Lust, mich von diesem Gesindel langsam zu Tode quälen zu lassen. Unser Schicksal war besiegelt. „Freunde“, sagte ich langsam und griff nach meinem Schwert. „Ich glaube, wir haben unsere Thermopylen erreicht.“ Sie verstanden mich, Imhotep natürlich nicht, aber er war intelligent und reaktionsschnell, und wahrscheinlich hatte er sich das gleiche gedacht wie ich. Diesmal war die Überraschung auf unserer Seite. Mit vielem mochte Sen’cher gerechnet haben, aber nicht mit einem selbstmörderischen Widerstand. Das Getümmel dauerte nicht sehr lange. Die Räuber, von unserem plötzlichen Anfall völlig überrascht, wichen zurück, hatten erste Verluste. Sen’cher, noch einer der reaktionsschnellsten aus der Bande, machte sich in weiten Sätzen davon. Er kam aber nicht sehr weit. Susan Gilmore hatte blitzschnell ein Messer ergriffen, das Sen’cher in der Schulter traf und von den Beinen riß. Der Ägypter heulte vor Wut und Schmerz auf. „Macht sie nieder, alle, auch die Frauen!“ Das war nicht so einfach, wie sich Sen’cher das vorgestellt hatte. Unsere Gefährtinnen, die längst begriffen hatten, was die Stunde geschlagen hatte, machten von ihren Fähigkeiten gebrauch. Marleen de Vries, wohl die schwächste unter den Frauen, erhielt einen sicher sehr schmerzhaften Stich in die Wange, aber das hinderte sie nicht daran, den Angreifer niederzumachen und zu entwaffnen. Susan Gilmor kreischte wie tausend Teufel und trieb allein
durch ihren Anblick einigen Räubern das Blut aus den Gesichtern. Sie sah aus wie eine wildgewordene Höllenfurie, und ihre Freundinnen stimmten in den gräßlichen Chor ein. Natürlich hatten wir nicht die mindeste Chance, diesen Kampf als Sieger zu überstehen. Früher oder später mußten wir unterliegen, aber vorher wollten wir soviele der Räuber unschädlich machen wie nur irgend möglich. Es war dies eine Geisteshaltung, die uns. normalerweise fremd war. Wir waren darauf gedrillt, Menschenleben zu schonen, wo immer das möglich war. Aber in diesem Fall, mit dem Sensenmann als Mitkämpfer, brachen sich andere Gefühle ihre Bahn. Ich griff nach einem Speer, machte ein paar Schritte, holte aus und ließ die Waffe nach vorn schnellen. Sie traf, und mit einem lauten Schrei kippte der Räuber hintenüber und stürzte die Düne hinab, allerdings auf der uns abgewandten Seite. Wir standen wie auf einem Schießplatz. Das Feuer beleuchtete uns, während unsere Gegner im Dunkeln standen. Ein Speer kam herangesaust und nagelte den Fuß des wütend kämpfenden Imhotep an den Sand. Der Mann knirschte laut mit den Zähnen, schrie aber nicht. Er griff zu, riß sich den Speer aus der Wunde, dann schleuderte er ihn mit aller Wut zurück, und auch er traf. Messer sausten durch die Luft, und auch sie fanden ihre Ziele. Wir waren besser ausgebildet, gewandter, vor allem aber wußten wir, worum wir kämpften. Einen Augenblick lang sah ich, wie Josh Slocum über den Boden kroch, und in mir stieg der böse Gedanke auf, daß er wahrscheinlich als erster würde dran glauben müssen. Dann verlor ich den Mann aus den Augen. Ich hatte mehr als genug damit zu tun, Wurfgeschossen auszuweichen, Schwerthiebe abzufangen, selbst zuzuschlagen und mich mit Wut und Erbitterung meiner Haut zu wehren. Irgendwann - der Kampf dauerte schon Stunden, so kam es mir vor stieß Charriba einen gellenden Wutschrei aus und rannte blindlings auf die Reihen der Räuber zu, in der Linken einen Speer, in der Rechten seinen fürchterlichen Tomahawk. Was er machte, konnte ich nicht sehen. Er war im Nu von der Dunkelheit verschlungen, aber ich hörte sein Heulen und Toben und dann das Schreien von Verwundeten. Noch immer hielten wir dem Druck stand, obwohl unsere Arme langsam müde wurden vom Schlagen. Ich blutete aus einem halben Dutzend kleiner Fleischwunden, jede für sich unbedeutend, aber alle zusammen allmählich Blut und Kraft aufzehrend. Fast jeder von uns hatte kleinere Verletzungen abbekommen, die nicht versorgt werden konnten. „Schüttet den Schnaps ins Feuer!“ schrie Inky plötzlich. Ich wußte nicht, was er damit bezweckte, aber ich hatte genug Vertrauen zu dem Mann aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Imhotep schloß sich unserer Aktion an. Die Räuber waren so dumm, uns die Chance zu diesem Experiment zu lassen, wahrscheinlich, weil sie sich nicht vorstellen konnten, was wir planten.
Nacheinander flogen die schweren, schnapsgefüllten Schläuche in das Feuer. Dann platzte der erste Behälter auf, und sofort explodierte der leicht entzündbare Alkohol. Eine riesige Stichflamme stieg auf und blendete für einen kurzen Augenb lick Angreifer und Verteidiger. Dann sank die Flamme ebenso schnell zusammen, wie sie aufgestiegen war. Der nächste Schlauch explodierte mit dem gleichen Resultat. „Aushalten“, hörte ich eine schwache Männerstimme sagen. „Ihr müßt sie aufhalten.“ Ich fand die kurze Zeit eines Augenblicks, in der ich mich nach dem Sprecher umdrehen konnte. Ich sah Joshua Slocum, unseren unverwüstlichen Seebären, der Kopfverband war blutdurchtränkt, das Gesicht fast blutleer. Aber mit unerschütterlicher Ruhe war Josh damit beschäftigt, die Einzelteile des Peilsenders zusammenzubauen. „Hier ist Salz!“ rief Susan Gilmore. „Ins Feuer damit!“ Jetzt begriff ich, was sich Inky hatte einfallen lassen. In einer so klaren Nacht wie dieser mußte der Schein dieser Feuer kilometerweit zu sehen sein, ganz besonders dann, wenn irgendeine Natrium- Verbindung in das Feuer geworfen wurde und das unverwechselbare Leuchten eines Na-Emissionsspektrums erzeugte, jenes leuchtende Gelb, das für das Metall Natrium charakteristisch war. „Bei allen Sternenteufeln!“ schrie Imhotep und verzog das blutverschmierte Gesicht zu einem breiten Grinsen. „In diesem Chaos noch angewandte Chemie zu betreiben... Donnerwetter!“ Die nächste Alkohol-Explosion ließ eine mindestens zehn Meter hohe, strahlend gelbe Feuersäule in den Himmel steigen. Das Fanal mußte man in Kairo sehen können, so grell war das Licht. „Durchhalten!“ rief Joshua Slocum. Er mußte sich gegen den Fels lehnen, um nicht im Sitzen umzufallen. Wir hatten allesamt die Grenzen des körperlich überhaupt Möglichen erreicht. Lange konnte der Kampf nicht mehr dauern. Das Schwert in meiner Hand wurde in jeder Minute um ein Kilo schwerer, so fühlte es sich an. Dann gab es eine kleine, aber lebenswichtige Atempause. „Geschafft!“ schrie Josh mit verzerrter Stimme. Die kleine Zeitmaschine, praktisch nichts weiter als eine massive Batterie und ein paar justierbare Projektoren, lief an. Zwischen den Projektorspitzen bildete sich das geheimnisvolle grünlich leuchtende Feld. Es war viel zu energieschwach, um auch nur ein Insekt transportieren zu können. Aber es war, wenn man wußte, wonach man zu suchen hatte, anpeilbar. Und wenn es erst einmal angepeilt war, dann konnte die Zentrale mühelos ein präzise justiertes Zeitfeld schaffen, das Menschen und Material transportieren konnte. „Feld steht“, rief Josh. Ich sah seine Augen glänzen, dann verdrehte er sie und fiel besinnungslos hintenüber. Wir konnten uns nicht um ihn kümmern. Die Räuber hatten eine Zeitlang mit höchster Verwunderung auf das Zeitfeld gestarrt, das für sie wahrhaft schreckerregend sein mußte. Aber bei den Banditen bandelte es sich um eine
Sorte Menschen, denen nichts heilig war. Ich hatte sie offenkundig unterschätzt. Diese Bande kannte tatsächlich keine Furcht. Jetzt kam es nur noch darauf an, Zeit zu gewinnen. Jede Minute zählte, jeder Augenblick, den wir uns verteidigen konnten, konnte unsere Rettung sein. Wieder begann der Kampf, und diesmal griffen die Räuber mit doppelter Wut an. Die Minuten verstrichen, aber nichts rührte sich. Ich wußte, daß das Zeitfeld unglaublich schwach war. Es zu finden, war ein Kunststück für sich. Immerhin wußte Demeter ungefähr, wo sie uns zu suchen hatte und wann. Aber selbst dann brauchten die Spezialisten in der Zentrale etwas, was sonst im Übermaß zur Verfügung zu stehen schien - Zeit. Ausgerechnet uns, die wir über die Zeit geboten hatten, fehlte die Zeit. Jahrtausende hatten wir durchreist, und jetzt kämpften wir buchstäblich um Sekunden. Wir warteten auf die Freunde der Time-Squad. Sie mußten kommen, sie mußten bald kommen - aber sie kamen nicht.
9. Noch immer war das Feld zu sehen. Es glühte schwach. Die Batterie lieferte genügend Energie für ein paar Stunden, danach war sie erschöpft. Die ganze Konstruktion war von Anfang an ein Notbehelf gewesen. Niema nd hatte an eine Dauerfunktion gedacht. Unser Aktionsradius war immer kleiner geworden. Es war nur noch eine Frage weniger Minuten, dann war der Kampf beendet - verloren. Besinnungslos lagen Inky und Marleen auf dem Boden. Nefer hatte sich an Charribas Seite geflüchtet. Am Gürtel des Indianers erkannte ich vier frische Skalpe. Josh Slocum lag bewußtlos, sterbend, am Boden. Imhotep hatte einen Pfeil im Oberschenkel stecken und blutete entsetzlich aus einer Wunde an der Stirn. Wir alle sahen furchtbar aus, fast alle hatten Kopfverletzungen davongetragen. Die Wunden waren nicht schwer, aber sie bluteten unaufhörlich. „Ergebt euch!“ rief Sen’cher, Der Ägypter stand in sicherer Entfernung. Ein Tomahawkwurf von Charriba hatte seinen Nachbarn ausgeschaltet, seither achtete Sen’cher auf Distanz. Wir gaben keine Antwort. Sen’cher hatte seinen Plan geändert. Er wollte uns wieder lebend fangen, und die Übermacht seiner Meute reichte für diese Aufgabe aus. Das gab uns eine neue Hoffnung -Sen’cher hatte seinen Leuten verboten, uns mit Speeren oder Pfeilen zu überschütten. Sie mußten mit den Schwertern vorrücken. Da sie uns nicht aus sicherer Entfernung erledigen konnten, ließen sich die Räuber Zeit. Das Warten wurde immer qualvoller. Wäre das nicht unser unwiderrufliches Ende gewesen, ich hätte die Bewußtlosen fast um ihre Besinnungslosigkeit beneidet.
Und keine Reaktion von der Time-Squad.
„Legt die Waffen nieder!“ ließ sich wieder Sen’cher vernehmen.
Ich wollte den Mund öffnen, um ihm eine Ant wort zu geben, aber ich brachte
keinen Laut über die Lippen.
Aus der Ferne war Lärm zu hören, ganz deutlich.
„Soldaten!“ schrie einer der Räuber auf. „Soldaten des Pharaos. Wir müssen
fliehen!“
Sen’cher stieß eine Reihe von Flüchen aus. Seine Leute schielten erst auf uns,
dann nach unseren Kostbarkeiten.
„Schnappt euch, was ihr haben wollt“, sagte ich. „Und dann laßt uns in Ruhe.“
Einer der Banditen löste sich zögernd aus der Reihe der Angreifer und ging
hinüber zu den Säcken mit unseren Handelsgütern. Es konnte uns egal sein,
was aus dem Zeug wurde. Hauptsache war, daß wir schleunigst verschwanden.
Noch immer leuchtete das Zeitfeld, und noch immer reagierte die Time-Squad
nicht.
Die Räuber merkten, daß wir unser Angebot ernst meinten. Sie steckten die
Waffe n weg und begannen zu plündern. Wir hinderten sie nicht. In der Ferne
wurde es immer lauter. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Soldaten
die Mulde erreicht hatten.
Sen’cher tobte vor Wut. Er griff nach seinem Schwert und ging auf uns zu.
„Überlaßt ihn mir“, sagte Imhotep.
Er griff nach seiner Waffe und schritt seinem Nachfahren entgegen. Die
beiden Männer sahen sich an, dann hoben sie die Waffen. Bronze klirrte auf
Bronze, Funken sprühten.
Sen’cher war außer sich vor Zorn, und die Wut ließ ihn den Schmerz seiner
Verletzung vergessen. Imhotep war müde - wie wir alle -, aber er war
geschickter und zweifelsfrei auch intelligenter.
Der Kampf dauerte nur wenige Minuten, dann war Sen’cher geschlagen. Mit
einer blitzschnellen, kaum sichtbaren Handbewegung traf Imhotep seinen
Gegner an der Handwurzel und verletzte ihn dort. Mit einem Aufschrei, der
Wut und Entsetzen gleichermaßen ausdrückte, ließ Sen’cher die Waffe fallen.
Imhotep grinste ihn boshaft an und hielt ihm die Spitze seines Schwertes an
die Kehle.
„Laß ihn laufen“, rief ich Imhotep zu.
„Einen Räuber und dutzendfachen Mörder?“
„Er wird nicht weit kommen“, prophezeite ich. Viel Phantasie gehörte nicht
dazu. Der Lärm, den die anrückenden Soldaten machten, verriet mir, daß der
Offizier der Truppe offenbar alles aufgeboten hatte, was in Sakkara an
Waffenträgern zu finden war.
Sen’cher zögerte noch einen Augenblick, dann rannte er davon. Imhotep
steckte das Schwert in die Scheide zurück. „Kontakt!“
Charriba rief das Wort, und zum ersten Mal glaub te ich so etwas wie
Überschwang in der Stimme diese Mannes zu hören.
Charriba hatte recht. Das Zeitfeld, das eigentlich von Stunde zu Stunde fahler
und schwächer werden mußte, verstärkte sich plötzlich, leuchtete hell auf.
Dann fiel mit einem herrlichen Geräusch ein Gegenstand auf den Sandboden,
kurz danach ein zweiter. Ich erkannte eine Nachrichtenrolle und einen Nadler,
beides unendlich kostbar in unserer Lage.
Ich warf Charriba den Nadler zu. Der Indianer war der treffsicherste Schütze,
über den die Time-Squad verfügte. Dann öffnete ich die Rolle. „Wir haben
euch angepeilt“, las ich laut vor. „Schicken zuerst Waffen, damit ihr euch
verteidigen könnt. Sind fieberhaft bemüht, Zeitfeld zu stabilisieren.
Unter dem Text stand das Kürzel D. C. Demeters Paraphe. Es tat gut, die
Buchstaben wieder zu sehen.
In rascher Folge kamen die Waffen bei uns an. Es handelte sich um ein halbes
Dutzend Nadler, dazu zwei langläufige Laser - für den absoluten Notfall. Eine
zweite Sendung bescherte uns eine Reihe gefüllter Nadlermagazine.
Wir waren also auf den Ansturm der Ägypter vorbereitet.
Sie kamen wenig später heranmarschiert, ein ziemlich regellos heranrückender
Haufen wildverwegen dreinblickender Männer mit Fackeln.
Trotzdem konnte uns dieser Haufen gefährlich werden. Wir durften keinesfalls
ein Zeit-Paradoxon heraufbeschwören, etwa dergestalt, daß wir den Ägyptern
genau vorführten, wie unsere Waffen funktionierten.
„Charriba und Susan, kommt mit. Wir werden die Ägypter empfangen. Die
anderen sorgen dafür, daß die Verletzten zuerst gerettet werden. Vor allem
Josh braucht sofort einen Arzt.“
Imhotep schloß sich uns wortlos an. Er nutzte die Gelegenheit, sich einen
unserer Nadler etwas näher anzusehen.
Zwischen uns wurde ein rascher Blick gewechselt. Routiniert, als habe er nie
etwas anderes getan, setzte Imhotep ein neues Magazin in seinen Nadler ein.
Deutlicher konnte er nicht demonstrieren, daß er den Umgang mit solchen
Waffen gewohnt war.
„Keine schlechte Konstruktion“, sagte Imhotep liebenswürdig. „Ein wenig
klobig, aber sehr durchdacht.“
Wir postierten uns auf dem Hügelkamm.
In knapp zweihundert Metern Entfernung rückten die Truppen heran, Fackeln
in den Händen. Es gab drüben einige Verwirrung, Stimmengewirr und
Aufregung, als den Truppen die ersten Gefangenen in die Hände fielen. Dann
rückten sie wieder vor.
Ich sah über die Schulter.
Die Time-Squad brauchte noch Zeit, so seltsam sich das auch anhören mochte.
Das Zeitfeld war stärker geworden, aber längst nicht dicht genug, einen
Menschen zu transportieren.
„Es wird Zeit, daß wir uns die wackeren Truppen des Gottkönigs vom Leibe
halten“, murmelte Charriba.
Gleichzeitig feuerten ,wir unsere Laser ab, über die Köpfe der Ägypter hinweg
in das Dunkel der Nacht.
Danach eröffneten Susan und Imhotep das Feuer mit den Nadlern.
Der Erfolg stellte sich beinahe augenblicklich ein.
Zunächst waren die Angreifer völlig geblendet, von den Blitzen unserer Laser
überrascht. Wer von den feinen Nadeln unserer Waffen getroffen wurde, war meist schon besinnungslos, bevor er den Boden berührte. Charriba und ich ließen wieder unsere Laser sprechen. Eine Serie von grell leuchtenden Entladungen zuckte über die Köpfe der Ägypter hinweg. Die wackeren Krieger schrien laut vor Angst und Entsetzen. Mich dauerten die Männer. Wahrscheinlich glaubten sie, sich mit dem Teufel höchstpersönlich angelegt zu haben. Das Trommelfeuer der Laserblitze über ihren Köpfen mußte die unwissenden Krieger in Angst und Schrecken versetzen, und da sie nichts von Betäubungsmitteln wußten, mußten sie zwangsläufig ihre betäub ten Gefährten für tot halten -. obwohl diese Gefährten nicht die geringsten Verletzungen aufwiesen. Imhotep legte die Hände als Trichter vor den Mund. „Fluch den Frevlern!“ rief er mit höchster Stimmkraft, noch dazu in möglichst tiefer Stimmlage. In dieser Umgebung verschaffte seine Stimme sogar mir fast eine Gänsehaut. Drüben, bei den Ägyptern, verstärkte sich das Angstgeheul. „Ewige Verdammnis den Sündern“, gab Imhotep bekannt. Fast glaubte ich, das Zähneklappern der Soldaten hören zu können. Sie waren so verängstigt, daß sie sich weder vor noch zurück trauten. Imhotep setzte seine Psychokampagne fort. Er verhieß den Geschockten alle Qualen der Unterwelt, wenn sie es wagen sollten, sich vor Ablauf der nächsten Stunden von ihren Plätzen zu rühren. Ich sah nach hinten. Das Transportfeld war aufgebaut. Unsere Freunde waren damit beschäftigt, Joshua Slocum zur Time-Squad zurückzuschicken. Unser Ausflug schien noch einmal glimpflich davongekommen zu sein - ich durfte dabei allerdings nicht an die ermordeten Kollegen denken. Nach und nach verschwanden unsere Freunde aus dieser Zeit. Schließlich blieben nur noch Susan, Charriba, Imhotep und ich zurück. Es wurde Zeit, daß auch wir uns absetzten. Wir stimmten noch einmal ein fürchterliches Grabesgeheul an, dann zogen wir uns zurück. Neben der kleinen Zeitmaschine lag ein silbriger Behälter. Ich wußte, was darin steckte - eine Brandmasse, die die Zeitmaschine eine halbe Minute nach der Zündung zu einer weißglühenden Metallmasse zusammenschmelzen würde. Danach ließ sich aus den Resten beim besten Willen nichts mehr analysieren. „Susan, du bist an der Reihe.“ Susan Gilmore nickte und ging auf die Reise. Imhotep sah dem Vorgang aufmerksam zu. „Charriba!“ Als nächster legte sich der Indianer auf den Boden, das Zeitfeld umhüllte ihn und löste ihn auf. Nach ein paar Sekunden war er verschwunden. Imhotep machte eine einladende Handbewegung. Ich schüttelte den Kopf. Der Mann blickte mich an. Erst jetzt sah ich, daß die Mündung seines Nadlers genau auf meinen Bauch zeigte. Imhotep lächelte verhalten.
„Es würde nichts nützen“, sagte ich ruhig. Ich steckte den Nadler in den Gürtel
und sah mich um, nach irgendwelchen Hinterlassenschaften, die unsere
Anwesenheit verraten konnten. Ich fand nichts.
„Außerdem“, sagte ich und deutete auf das Feld, „warten dort Freunde.“
Imhotep runzelte die Stirn, dann lächelte er wieder.
Eine halbe Minute später machte ich mich auf den Weg zur Time-Squad.
Das Ägypten-Abenteuer war beendet. Es hatte einen hohen Preis gefordert.
* Das erste, was ich sah, als ich wieder zu mir kam, war Demeters Lächeln, und das war mit weitem Abstand der erfreulichste Anblick, der einem Mitarbeiter der Time-Squad zuteil werden konnte. „Wo steckt Imhotep?“ fragte ich sofort. Der Kahlkopf des Mannes tauchte in meinem Blickfeld auf. Das Zeitfeld erlosch, ich richtete mich auf der Transportplatte auf. Ich war erleichtert, Imhotep zu sehen. Wir hatten schon einmal einen Gast auf dem Weg durch die Zeit verloren. Damals hatte sich der Zeit-Zauberer während des Zeit-Transport-Vorgangs davongemacht, wie, wußten wir heute noch nicht. „Es tut mir leid“, sagte Demeter. Ihr Lächeln verschwand. „Es war ein Bedienungsfehler, den wir nicht haben rekonstruieren können. Daher konnten wir auch nicht feststellen, wo ihr herausgekommen wart.“ „Nun, wir haben uns allen Fährnissen zum Trotz dennoch wiedergefunden“, versuchte ich, sie zu beruhigen. „Aber ich habe eine traurige Meldung zu machen.“ „Ich weiß“, sagte Demeter leise. Ich schwieg. Unwillkürlich lastete ich den Tod dieser Mitarbeiter hauptsächlich mir selbst auf. Wenn wir - wenn ich vor allem - besser aufgepaßt hätten... die Kollegen könnten noch leben. „Wir werden dafür sorgen, daß ihr Tod nicht sinnlos sein wird“, sagte Demeter. Jetzt war die Reihe an ihr, mich zu trösten. Mit bewundernswertem Feingefühl hatte Demeter genau gespürt, welche Gedanken mich bewegten. „Und nun zu Ihnen. Ich darf Sie auf Shyftan willkommen heißen, Imhotep. Natürlich gehört diese Festung von jetzt an wieder Ihnen. Verzeihen Sie unser Eindringen - es wurde durch extreme Notstände unausweichlich.“ Imhotep sah Demeter schweigend an. Er war der erste Mann, der sich völlig unbeeindruckt von Demeter zeigte, und das besagte einiges. Selbst Steingesicht Charriba White Cloud hatte Demeters erstes Lächeln mit einem höchst idiotisch wirkenden Grinsen beantwortet. D. C. war, wie irgend jemand zum wiederholten Male festgestellt hatte, eine der schönsten Frauen, die je geboren worden waren. „Welches Jahr schreiben wir heute?“ Demeter lächelte und zuckte mit den Schultern. Imhotep runzelte die Stirn. „Folgen Sie mir“, sagte er dann. Er war hier zu Hause, und das merkte man jeder seiner Bewegungen an. Der Mann mußte nicht lange überlegen, er wußte
genau, wohin er zu gehen hatte. Zielstrebig marschierte er durch die Gänge der Festung, dabei musterte er die Männer und Frauen, die ihm unterwegs begegneten. Als er eine Schar bewegungsloser Roboter entdeckte, runzelte er die Stirn, sagte aber nichts. Nach zehn Minuten Marsch erreichten wir den großen Kuppelsaal, vo n dem aus alle Vorgänge der Festung gesteuert werden konnten. Vor kurzer Zeit erst hatten in diesen Räumen wütende Kämpfe getobt. Noch jetzt waren die Spuren der Schlacht um die Festung deutlich zu erkennen. Die großen Bildschirme waren geborsten, man hatte lediglich die Scherben weggeräumt. Auch die zerschossenen oder verschmorten Roboter waren fortgeschafft worden. Im Zentrum des Saales stand der große Rechner der Festung, ein Computer von einer Leistungsfähigkeit, von der wir Erdmenschen nur träumen konnten. Der Rechner war desaktiviert. Ich hatte ihn vor Tagen nach stundenlangem, erbittertem Kampf ausgeschaltet. Imhotep ging zielsicher auf den ominösen Hebel zu. Drei Stellungen hatte dieser Hebel, eine davon war mit einem Sollbruchstift gesichert. An, aus, Selbstzerstörung. Der Hebel stand auf aus. Imhotep blieb vor dem Hebel stehen. Er brauchte nur die Hand auszustrecken, um den Rechner wieder aktiv werden zu lassen. Ihm mußte die Maschine gehorchen, und das galt auch für die Hunderte von Robotern aller Art, die wir gefunden hatten, darunter Spezialmaschinen, die nur für Kampfeinsätze gedacht waren zehn solcher Maschinen waren in der Lage, es mit der gesamten Time-Squad aufzunehmen. Eine atemlose Stille legte sich über den Raum. Imhotep sah uns an, einen nach dem anderen. Inky, Charriba, Nefer an dessen Seite. Die Ägypterin fühlte sich in dieser Welt nicht sehr wohl. Demeter, die den Blick mit ruhiger Festigkeit erwiderte. Imhotep musterte mich, dann wanderte sein Blick weiter, glitt über die Reihen der Mitarbeiter, die sich in diesem Raum versammelt hatten. Die Zahl vergrößerte sich mit jeder Minute. Die Nachricht, daß einer der Herren dieser Festungsanlage gekommen war, hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Das Schweigen war fast unerträglich. Der Hebel stand auf der Stellung AUS. Ein Handgriff genügte. Er entschied alles. Ließ Demeter Imhotep gewähren, erlaubte sie ihm den Handgriff, dann war Imhotep der Gebieter über die Festung, ihre Bewohner und den Planeten. Danach mußten wir dem geheimnisvollen Ze it-Architekten gehorchen - wenn es ihm einfiel, uns zu kommandieren. Ich erinnerte mich an sein erstes Auftreten, das hoheitsvolle Gehabe. Hätten wir die Diktatur der Oberen bekämpft, um uns jetzt diesem Mann zu unterwerfen? War die Geschichte der Time-Squad an diesem Tag beendet? Imhotep sah sich weiter um. Er sah die Männer und Frauen der Time-Squad an, ruhig und gelassen, und die Mitarbeiter beantworteten diesen Blick. Wir hatten alles zu verlieren, Leben und Freiheit. Ein rascher Griff an den
Gürtel hätte genügt. Imhotep war unbewaffnet, hätte sich nicht wehren können. Aber diesem Mann gehörte die Festung. War Imhotep unser Feind oder ein Freund. Die nächsten Augenblicke mußten darauf die Antwort geben. Imhotep drehte sich um. Er griff nach der Lehne eines Rollsessels, zog ihn zu sich heran und setzte sich. Mit einer fast beiläufigen Bewegung schaltete er den Rechner ein. Im Bruchteil einer Sekunde gellten die Sirenen durch die Räume, kam wieder Bewegung in die Kampfmaschinen. Imhotep griff nach den Tasten und Hebeln vor ihm. Ein weiterer Handgriff. Die Sirenen verstummten. Ein Bildschirm vor Imhoteps Sitzplatz flammte auf, zeigte die Kolonnen der Roboter. Die schrecklichen Maschinen standen still. Wieder tippte Imhotep Befehle in den Rechner. Er tat dies mit einer Geschwindigkeit, die es uns unmöglich machte, zu erkennen, was er da programmierte. Zahlenkolonnen tauchten auf dem Bildschirm auf. Buchstabengruppen und ganze Sätze. Auch sie waren für uns unverständlich, flammten auf und erloschen wieder, bevor wir sie verstanden hatten. Eine Zahl tauchte auf dem Bildschirm auf und blieb stehen. Ich sah, wie Imhotep zusammenzuckte. In bedrückendem Schweigen, das über dem Saal lag, sah Imhotep die Zahl auf dem Bildschirm an. Der Mann bewegte sich nicht. Seine Augen blieben auf den Schirm gerichtet, beide Hände lagen ruhig auf der Tastatur. Unverwandt starrte Imhotep die Zahl an. Sie war vierstellig, und ich ahnte, daß sie dem Mann verriet, in welcher Zeit er sich befand - und daß sie ihm verriet, wie weit er von seinem Volk, seinem Zuhause entfernt war. Imhotep bewegte die rechte Hand. Das Bild wechselte. Es zeigte nun einen großen Raum. Kabel und Leitungen waren zu sehen, Rohre und Klammern. Der größte Teil des Raumes war völlig leer. Eine neue Bewegung, das Bild flackerte und zeigte dann ein fast identisches Bild. Zehnmal vollführte Imhotep die Bewegung, zehnmal erschien das Bild einer leeren Halle auf dem Schirm. Ich ahnte, was das zu bedeuten hatte, ich folgerte es aus der einzigen Reaktion, die Imhotep zeigte er zog, kaum merklich, den Mund zusammen. Die Räume, die er sich angesehen hatte, waren vermutlich für Raumschiffe. Die Hangars waren leer. Es gab keine Möglichkeit für Imhotep, zu seinem Volk auf diesem Weg zurückzukehren. Imhotep bewegte wieder die Hand. Er schaltete den Bildschirm aus, dann drehte er sich auf dem Sessel herum. In das Schweigen hinein klangen seine ruhigen Worte: „Ich heiße euch alle auf Shyftan und in dieser Festung willkommen. Mein Name ist Imhotep, meine Freunde haben dieses Bauwerk errichtet.“
Er zögerte einen Augenblick lang.
Dann stand er auf und ging auf Demeter zu.
Er streckte ihr die Hand entgegen.
„Ich bin sicher“, sagte er und lächelte, „daß wir gut zusammenarbeiten werden
- Chefin!“ Demeter Carol Washington lächelte.
ENDE