Mac Kinsey � Band 16 �
Jake Ross �
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Mac Kinsey � Band 16 �
Jake Ross �
Der Unheimliche von � der Themse �
Er hielt sich für den besten Magier aller Zeiten. Es schmeichelte seiner Eitelkeit, daß er mächtige Freunde aus dem Reich der Finsternis hatte – einen Mann wie Dracula, einen Untoten, der einmal Inspektor bei Scotland Yard war. Aber das genügte ihm nicht. Er wollte auch Dämonen um sich scharen. Darum erprobte er mächtige Zaubersprüche. Er beschwörte versehentlich Dagon, den schlimmsten Dämon der jenseitigen Welten. Und da gerieten ihm die Dinge außer Kontrolle. Zu spät merkte er, daß er lediglich das Werkzeug der dunklen Mächte war. Jemand wollte mir an den Kragen. Ich spürte einen heftigen Stoß zwischen den Schulterblättern, segelte aus der Warteschlange an der Haltestelle nahe der Portobello Road und stürzte trotz rudernder Armbewegungen vor einen roten Doppeldeckerbus der 41. Linie. Jetzt ist es aus mit dir! war mein einziger Gedanke. Doch so schnell stirbt es sich nicht mal mittags um zwölf im Londoner Verkehrsgewimmel. Ich fiel auf Knie und Hände, hörte Menschen entsetzt schreien und mechanische Bremsen und radierende Gummiräder durchdringend kreischen, und wie eine gigantische rote Wand sah ich die Front des Busses über mir auftauchen. Dann kriegte ich was an die Birne und tauchte butterweich in schwarze Watte. Aber tot war ich nicht. Ich hörte nämlich immer noch Lärm. In einem eigenartigen Zustand aus Benommenheit, Schreck, Schmerz und Ergebenheit ins Unabänderliche erwartete ich den letzten harten Anprall. Den durch die Busreifen nämlich, die mich plattwalzten. Der Stoß kam nicht. Dafür hörte ich heftiges Trappeln genau über meinem Kopf. 3
So langsam kriegte ich meine fünf Sinne wieder zusammen. Ächzend rollte ich mich herum. Das seltsame Dämmerlicht rührte davon her, daß ich unter dem Bus lag. Nicht sehr weit, aber es reichte. Der dicke linke Vorderreifen war weniger als eine Armlänge von meinem Brustkorb entfernt. Immerhin rollte der Reifen nicht mehr. Das war schon eine Menge wert. Dafür roch es durchdringend nach verbranntem Gummi. Ein sagenhaftes Gefühl der Erleichterung überkam mich. Wie es aussah, hatte der Fahrer das Kunststück geschafft, im allerletzten Moment den Bus zu stoppen. Darum auch das wilde Trappeln über meinem Kopf. Das jähe Abbremsen hatte die Fahrgäste durch den Bus purzeln lassen, sie kämpften immer noch ums Gleichgewicht. In meinem begrenzten Blickfeld zwischen Busunterkante und Straße sah ich eine Parade der unterschiedlichsten Beine. Einige noch auf dem Gehsteig, die meisten aber schon dicht beim Bus. Und dann tauchten in dem Spalt zwischen Bus und Straße Gesichter auf. Etliche Leute schauten nach, was aus mir geworden war. Ich rollte unter dem Bus hervor. Gerade jumpte der Fahrer heraus und landete um ein Haar auf mir. Er war ziemlich mit den Nerven herunter und brüllte auf mich ein. Ich schätzte, er hatte einen mindestens ebenso großen Schreck erlitten wie ich. »Wohl besoffen, was?« schrie er, und es sah so aus, als wollte er handgreiflich gegen mich werden. Ich zog mich am Trittbrett und an der offenen Bustür hoch, Vor meinen Augen drehte sich alles. Mir ging es nicht gut. Und zu viele Leute redeten gleichzeitig auf mich ein. Mir lief es warm aus den Haaren und über das Gesicht. Als ich hinfaßte und dann die Hand betrachtete, hatte ich Blut an den Fingern. Ziemlich benommen sagte ich zu dem Fahrer; »Wir haben beide wohl mächtig Glück gehabt. Es war nicht Ihre Schuld.« 4
»Das wäre auch noch schöner!« Er hatte noch die Fäuste oben und war weit davon entfernt, sich abzuregen. Ich fingerte ein Taschentuch heraus und preßte es auf den Kopf. Vor mir sagte eine Frau in der rasch anwachsenden Menge der Neugierigen: »Das ist bestimmt ein Selbstmörder! Er ist einfach vor den Bus gesprungen, ich habe es genau gesehen, ich stand doch hinter ihm.« Sie sprach mit Bestimmtheit. Aber ich hielt nicht viel von solchen Aussagen. Denn ich hatte unmittelbar vor meinem fast katastrophalen Sturz den Stoß zwischen den Schulterblättern gespürt. Jemand hatte mich unter den heranrollenden Bus befördert. Um mich umzubringen! Und es sollte nach einem bedauerlichen Unfall aussehen. Das verriet Taktik und Überlegung. Außerdem eine bemerkenswerte Kaltblütigkeit. Es gehört schon eine Menge Abgebrühtheit dazu, jemand unter einen heranrollenden Bus zu stoßen. Der Busfahrer war noch immer aus dem Häuschen. Vielleicht sah er Ansprüche von meiner Seite auf sich zukommen oder Ärger von seiner Gesellschaft, wenn sich Fahrgäste über ihn beschwerten. »Wenn es Ihnen hilft, dann rufen Sie eben einen Bobby«, riet ich dem Mann. Mein bereitwilliges Angebot stimmte ihn zugänglicher. »Zeigen Sie mal her!« Er wollte meinen Kopf untersuchen. Ich wehrte seine tätige Nächstenliebe ab. »Der Kopf ist noch drauf, und das ist mehr, als bei der Sache wohl herauskommen sollte.« Er guckte mich an, als hätte ich doch beträchtlichen Schaden genommen. Innen im Kopf nämlich. Und auch die Umstehenden schienen davon überzeugt zu sein, daß ich einen Sprung in der Scheibe hatte. Was konnten sie von einem vermeintlichen Selbstmörder auch anderes erwarten? Ich wußte es besser. Ich hatte den bösartigen Stoß verdammt gut gespürt. Und ich sah jetzt auch gewisse Zusammenhänge. 5
Vor einer Stunde hatte ich nämlich einen Anruf bekommen. Aus einem Bestattungsunternehmen hier in der Gegend sollte eine männliche Leiche aus dem Sarg verschwunden sein. Unter reichlich mysteriösen Umständen. Was mich natürlich sofort an Woods, den untoten Inspektor von Scotland Yard hatte denken lassen. Auch an seinen Herrn und Meister Dracula. Die beiden zogen nämlich immer noch unerkannt in der Gegend herum, und wie ich sie einschätzte, waren sie mit teuflischer Emsigkeit bemüht, die drei letzten Monstersteinköpfe, die ihnen geblieben waren, unter die Toten zu bringen. Bisher hatten sie sich bei solchen Unternehmungen immer auf Leichenhallen der Londoner Friedhöfe beschränkt. Aber dort war ich ihnen durch glückliche Umstände dauernd in die Quere gekommen. Glückliche Umstände für mich, wohlgemerkt. Woods und Dracula dachten bestimmt anders darüber. Warum sollten sie ihre Aktivitäten nicht auf Bestattungsunternehmen ausdehnen? Jedenfalls hatte ich mich nach dem Anruf sofort in meinen MG geklemmt und war hergebraust. Noch verblüffter als ich waren allerdings der Bestattungsunternehmer und seine Angestellten. Erstens hatte mich niemand von diesen Leuten angerufen, und zweitens vermißten sie auch keinen Toten. Ich sah mich genötigt, ein paar haarsträubende Argumente aus dem Ärmel zu schütteln, um den Leuten meinen Besuch einigermaßen plausibel zu machen. Den Fehler hatte ich gemacht. Ich hätte sofort einen Rückruf machen müssen. Dann hätte sich sofort gezeigt, daß sich jemand einen üblen Scherz ausgedacht hatte und mich leimen wollte. Aber die Stimme des Anrufers hatte mächtig aufgeregt und dadurch äußerst glaubwürdig geklungen. Erst als ich das Bestattungsunternehmen verließ, war mir der Verdacht gekommen, daß man mich geködert hatte. Mit dem richtigen Speck. Ein verschwundener Toter, ein verlassener Sarg – auf so etwas 6
sprang ich sofort an. Also mußte der Anrufer jemand sein, der haargenau wußte, womit ich mich befaßte und was mich derzeit am meisten beschäftigte. Ich hatte die Stimme des Anrufers noch im Ohr. Ich konnte reinen Herzens schwören, daß es weder die von Woods noch die von Dracula gewesen war. Wie oberfaul die ganze seltsame Geschichte war, hatte ich vollends begriffen, als ich mit meinem Sportwägelchen nach Whitehall zurückfahren wollte. Der MG war noch da – vor dem Bestattungsunternehmen. Aber ein böser Zeitgenosse hatte die Motorhaube aufgehebelt und die Batterie und auch noch die Zündkabel geklaut. So war ich überhaupt erst in die Verlegenheit gekommen, mit einem Bus fahren zu müssen. Ich hatte das Werkstattunternehmen angerufen, bei dem ich meinen MG betreuen ließ. Es war auch sofort ein Abschleppwagen geschickt worden. Ich hatte dabeigestanden, wie mein Sportwagen verladen wurde. Während er zur Instandsetzung transportiert wurde, war ich zur Bushaltestelle gepilgert. Und da war es fast aus mit mir gewesen. Diese tödliche Falle war raffiniert vorbereitet und aufgebaut worden, alles was recht ist. Die Arbeit verriet eine geübte Hand. Davon hatten der Busfahrer und die Zuschauer natürlich keinen blassen Schimmer. Die Frau aus der Menge hatte einfach die Behauptung in die Welt gesetzt, ich sei ein Selbstmörder und freiwillig vor den Bus gesprungen. Wenigstens ein Mann aus der Menge meldete Zweifel an. Mit skeptischer Miene sagte er: »Eigentlich sah es nicht so aus, als ob Sie gesprungen waren, Mister!« Sofort regte sich der Fahrer wieder auf. »Geht das gegen mich?« Ich hob beschwichtigend die linke Hand. »Absolut nicht, aber der Mann hat recht. Jemand hat mir einen Stoß verpaßt. Ich wüßte verdammt gern, wer es war.« 7
Dabei musterte ich die Leute. Ich suchte die Frau, die so leichtfertig wilde Behauptungen aufstellte. Bei mir klingelten sämtliche Alarmglocken, als ich sie nirgends entdeckte. Ihr Aussehen hatte ich mir nicht besonders eingeprägt. Eine mittelalterliche Frau eben, mit einem Hut auf dem Kopf und ein paar Stoffblumen auf dem Hut. »He, hat jemand die Frau gesehen, die eben gesagt hat, ich sei mit Absicht vor den Bus gesprungen?« fragte ich. Mehr als zwei Dutzend Leute hatten die Frau gehört. Jetzt guckten sie verdutzt und schauten in die Runde. Die Dame mit dem Blumenhut hatte sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Das gefiel den Leuten nicht und mir noch weniger. Ich wollte nicht beschwören, daß sie sich unsichtbar gemacht hatte, aber eigenartig war die Sache jedenfalls schon. Ich drückte das Taschentuch fest auf den Kopf, stieß mich vom Bus ab und trat in die Menge. Ich hielt Ausschau nach der Frau, ich wollte ja nicht gleich das Schlimmste annehmen. Seit ich unter den Bus gesaust war, waren nicht mehr als drei Minuten vergangen. Und eben noch hatte die Frau inmitten der Leute gestanden. Rechts und links sah ich nirgendwo den Blumenhut davonschweben. Die Neugierigen um mich herum machten auch keine auf fällige Entdeckung. Mein Blick blieb auf dem nahen Eingang der Untergrundbahn hängen. Auf den hatte ich bisher überhaupt nicht geachtet. Aber wenn ich mir's richtig überlegte, konnte die Frau dort untergetaucht sein. Es waren höchstens fünfzig Schritte dahin. Der Busfahrer folgte mir in die Menge, und zupfte mich am Ärmel. »Sir, wie wollen wir es nun halten?« erkundigte er sich. »Ich werde wahrscheinlich Ärger kriegen, und ich muß in jedem Fall einen Bericht machen.« »Rufen Sie mich an.« Ich fischte die Brieftasche heraus und ent8
nahm ihr eine Visitenkarte. Auf der stand nur mein Name nebst einer Telefonnummer. Aber nicht meine private Nummer, sondern die meines Büros in Whitehall. Der Busfahrer beguckte das Kärtchen und drehte es unentschlossen zwischen den Fingern. »Ein bißchen, Wenig«, befand er. »Besser als nichts«, gab ich zur Antwort. »Falls Ihnen Ärger blüht, sage ich für Sie aus.« »Hoffentlich«, meinte er düster. Aber er begnügte sich mit dem Visitenkärtchen, steckte es ein und enterte seinen Bus, in dem seine Fahrgäste ihrem Unmut entrüstet Luft machten. Ich kehrte der Bushaltestelle den Rücken und eilte dem Eingang zur Untergrundbahn zu. Ich wollte herausfinden, welches Spiel gegen mich gespielt wurde. Wenn ich die Frau mit dem Blumenhut fand, bekam ich vielleicht einen Faden in die Hand, an dem ich das verworrene Knäuel aufspulen konnte. Mein Kopf brummte beachtlich, und gut ging es mir überhaupt nicht. Dazu kam ein flaues Gefühl in der Magengegend und in den Kniekehlen. Kunststück, wenn man eben erst fast totgefahren wurde! Die Rolltreppe zur Untergrundstation war abgeschaltet. Ich hastete die ausgetretenen Steinstufen hinab, die linke Hand fest am Handlauf, um nicht noch einen bösen Sturz zu tun. Ein paar Leute schauten mich leicht befremdet an. Unten in der Halle mit den Kartenautomaten warf ich einen Blick in einen beschrifteten Spiegel, der für eine Whiskysorte warb. Blut war mir über den Nasenrücken gelaufen. Es sah schlimmer aus, als es war. Ich brachte mich in eine weniger aufsehenerregende Verfassung und strebte durch die Halle. Von hier aus ging es über sechs Treppen zu den Bahnsteigrampen hinab. Das dumpfe Rollen eines einfahrenden Zuges drang herauf. Hier in der Automatenhalle sah ich zwar ein paar gewagte Damenhüte, auch mit Blumen, aber die Kopfbedeckung, die ich samt 9
der zugehörigen Frau suchte, befand sich nicht darunter. Ein Kontrollbeamter, der auf Sitte und Ordnung achtete, begann mich argwöhnisch zu beäugen. Nebenbei gab er auch noch Auskünfte und wechselte größere Scheine, wie seine umgehängte Geldkasse verriet. Das Rollen aus der Tiefe wirkte wie ein Signal auf mich. Irgendwohin mußte die Frau doch verschwunden sein! Wenn ich mich noch langen Vermutungen hingab, verschwand sie vielleicht mit gerade dem Zug, der in die Station eingelaufen war! Ohne Fahrkarte, aber mit mächtig viel Eifer sprang ich über das Drehgitter, das einen Fahrgast eigentlich erst passieren ließ, wenn er zuvor seinen Fahrausweis in einen Entwertungsautomaten gesteckt hat. Ich überlistete die Technik, ohne einen Penny zu investieren. Aus den Augenwinkeln sah ich den Kontrollbeamten herbeistürzen. Der Mann war zu langsam, ich sauste schon zu den Bahnsteigen hinunter. Und erwischte natürlich den falschen. Der eingefahrene Zug stand drüben in Fahrtrichtung stadtauswärts. Ein solides Gitter hielt Leute wie mich und andere sparsame Zeitgenossen davon ab, über die Gleise zu turnen. Mit wachsendem Grimm hörte, ich das typische Zischen der sich schließenden Drucklufttüren, dann knarrte eine Ansage aus den Lautsprechern, und sofort setzte sich der Zug in Bewegung. Er beschleunigte ganz erstaunlich; mir war das früher nie aufgefallen, als ich noch regelmäßig mit der Untergrundbahn fuhr. Es gab mir einen Stich, als ich den verdammten Blumenhut hinter einem der Fenster in einem hellerleuchteten Wagen entdeckte. Der Hut war's, darauf wollte ich fast meine Seligkeit wetten! Von der Frau sah ich nur den Rücken. Erst dachte ich, daß sie eine Verfolgung wohlweislich einkalkuliert hatte und darum bemüht war, das Gesicht zu verbergen. Aber wie zum Teufel hätte sie ahnen können, daß ich ausgerechnet den falschen Bahnsteig erwischte? 10
Zu viele Zufälle mit zu vielen Ungereimtheiten. Ich überlegte fieberhaft, wie ich den Zug drüben stoppen könnte – nein theoretisch natürlich. Wenn überhaupt, dann ging es nur noch in der Röhre bevor der Zug die nächste Station erreichte. Aber welche einleuchtenden Gründe hätte ich dafür anführen können? Einen vagen Verdacht – mehr nicht. Und das war zu wenig. Abgesehen davon kam ich an den Zug gar nicht heran. Ich schaute böse hinüber und wünschte, ich könnte mit Gedankenkräften die Ausfahrt verhindern. Unwillkürlich zuckte ich zusammen. Jetzt sah ich nämlich, daß die verdächtige Frau mit jemand redete. Mit einem Mann. Und den kannte ich! Es war Perry Hill, einer unserer ›Skalpjäger‹. Wenigstens war er mir unter diesem Namen bekannt, was nicht unbedingt heißen muß, daß dies sein richtiger Name war. Die ›Skalpjäger‹ sind eine Einrichtung, die offiziell nicht existiert. Die Burschen werden auf feindliche Agenten und Überläufer angesetzt, auf Leute also, die gefährlich sind oder es werden können und die man zweckmäßigerweise am Reden hindert. Auf unwiderrufliche Art. Das ist die ganz schmutzige Seite des Geheimdienstes, und von dieser Seite hatte ich mich immer ferngehalten. Aber jeder Geheimdienst hatte seine ›Skalpjäger‹, ohne die kam keiner aus. Auch unserer nicht. Ich starrte immer noch verblüfft hinüber, als der Zug schon in der dunklen Röhre verschwunden war und das dumpfe Rollen immer leiser wurde. Litt ich an Halluzinationen? Oder hatte Hill einen Doppelgänger? Oder bestand da nur eine Ähnlichkeit? Wenn der Mann wirklich Hill war, dann hieß das doch, daß mir der eigene Secret Service einen ›Skalpjäger‹ auf den Hals gehetzt hatte! Das war ausgeschlossen. Das gab es einfach nicht. 11
Aber die ganzen Umstände waren seltsam, angefangen mit dem falschen Lockanruf aus dem Bestattungsunternehmen. Wie mein MG ausgeschlachtet worden war, verriet eine kundige und entschlossene Hand. Und der Stoß in meinen Rücken war ebenfalls nicht von schlechten Eltern gewesen. Hatte Hill aus mir unerfindlichen Gründen die Aktion eingefädelt und aus dem Hintergrund geleitet und die Frau speziell zu dem Zweck angeheuert, mich unter den Bus zu schubsen? Es sah so aus, aber es ergab keinen Sinn. Mir kochte es langsam das Blut hoch. Um den heißen Brei herumzuschleichen ist nicht meine Art. Sir Horatio, mein Chef, sollte mir umgehend erklären, was der Quatsch zu bedeuten hatte, der mich fast das Leben gekostet hatte. Ich stand gerade auf dem richtigen Bahnsteig. Für die stadteinwärts fahrenden Züge nämlich. Und aus der dunklen Röhre hörte ich auch schon einen Zug nahen. Aber noch eher war der Kontrollbeamte zur Stelle. Der gute Mann war mir nachgeeilt, ich hatte ihn schon ganz vergessen. Er brachte sich jedoch nachdrücklich in Erinnerung und packte mich grob am Arm. »Sir, Ihr Turnkunststück war wirklich sehenswert«, meinte er trocken, »noch besser hätte es mir gefallen, wenn Sie sich zuvor eine Fahrkarte gekauft hätten.« Ich wandte mich zu ihm um. Sein Blick verriet Unsicherheit. Ich hatte den Verdacht, er vermutete, ich käme geradewegs aus einer Schlägerei und sei vielleicht ein rabiater und unberechenbarer Bursche. »Na, dann verkaufen Sie mir eben eine Karte«, sagte ich versöhnlich. »Bis Charing Cross, wenn's recht ist.« Damit er meinen guten Willen anerkannte, langte ich eine Pfundnote aus der Tasche. Seine Zweifel waren immer noch nicht ausgeräumt. »Ist es Ihr Hobby? Schwarzfahren, meine ich.« »Üblicherweise nicht. Heute lagen besondere Umstände vor.« 12
Er seufzte, als hätte ich ihm den Witz mit dem längsten Bart der Welt erzählt. »Jaja, es scheint immer an besonderen Umständen zu liegen, wenn Kunden wie Sie nicht bezahlen wollen. Ich muß Ihnen den doppelten Betrag abnehmen.« »Meinetwegen auch das, aber beeilen Sie sich, da kommt mein Zug!« Er gab mir einen bescheidenen Rest Kleingeld zurück Und händigte mir ein Papierkärtchen aus. Eine Minute später hielt der Zug, und ich stieg ein. Zum Teufel, was ging vor? Warum hatte Hill versucht, mich aus dem Weg zu räumen? * Nach Whitehall zurückgekehrt, hielt ich mich gar nicht erst damit auf, Hills Abteilung zu konsultieren. Ich war in der Stimmung, Nägel mit Köpfen zu machen. Beim Chef nämlich. Sheila Green, der schwarzhaarige Superbomber im Vorzimmer von Sir Horatio, hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund, als sie mich in ramponierter Aufmachung hereinstürmen sah. Sogar Barbara Hicks, die knöcherne Jungfer, schaute eine Spur entsetzt. Aber das gab sich schnell. Mit einer gewissen Genugtuung betrachtete sie meinen Kopf, auf den ich immer noch das vollgeblutete Taschentuch drückte. Die Blutung wollte einfach nicht zum Stillstand kommen. »Hat ein mißtrauisch gewordener Ehemann Sie endlich erwischt?« erkundigte sich Barbara, und ihre Stimme klang wahrhaftig erwartungsvoll. Ich winkte gelassen ab. »Man kann auch anders unter die Räder kommen. Hat der Chef Besuch?« »Noch nicht.« Barbara griff zum Telefon, um mich anzumelden. Sie liebte das große Zeremoniell. Ich haßte es. Und ich kam Barbara zuvor. Ich langte eher bei Sir Horatio an als 13
ihr Telefonruf. Der Chef blickte reichlich verdutzt von einer Akte auf. »Mac, wie sehen Sie schon wieder aus?« »Wie ein dem Leben Wiedergeschenkter, Sir!« Er wies auf einen Besucherstuhl. »Fassen Sie sich bitte etwas deutlicher, Mac!« »Das ist auch meine Absicht. Jemand stellt eine Menge auf die Beine, um mich bei meiner eigenen Beerdigung die Hauptrolle spielen zu lassen. Jemand aus dem Service, Sir!« Er wurde ganz starr. Was ich ihm da an den Kopf warf, war eine ungeheure Anschuldigung. Sir Horatio war indes nicht der Mann, der sich lange wunderte. »Was verhilft Ihnen zu der Sicherheit, mit der Sie diese Verdächtigung aussprechen?« Er legte bedächtig die Fingerspitzen gegeneinander. Na, ich klärte ihn auf. »Erst lockt man mich mit einem fingierten Anruf zu einem Bestattungsunternehmen nach Notting Hill rüber, dann stellt sich raus, daß da überhaupt keine Leiche aus dem Sarg geklettert und davonspaziert ist, aber dafür baut man mir fast den MG vor der Tür auseinander, und schließlich stößt mich eine hilfreiche Dame unter einen Doppeldeckerbus und verdrückt sich in die Untergrundbahn.« Ich machte eine Pause, um meine Worte wirken zu lassen. »Und wo bleiben Ihre Beweise, Mac?« Beeindruckt war der Chef nicht. »Na, ich denke, die reichen schon, aber ich bin durchaus in der Lage, Ihnen noch ein ganz besonderes Bonbon zu offerieren. Besagte Dame fuhr mit einem Untergrundbahnzug stadtauswärts, leider bin ich auf den falschen Bahnsteig gesaust, aber ich sah sie noch mit einem Mann im Abteil sprechen – mit Perry Hill. Und der gehört zu unserem Laden, verdammt noch mal! Erzählen Sie mir bloß nichts anderes!« Ich war jetzt richtig in Fahrt. Der Chef regte sich immer noch nicht auf. Er schüttelte auch noch den Kopf. »Ausgeschlossen, Mac! Sie haben sich geirrt. Hill ist…« 14
»Ein Skalpjäger!« unterbrach ich Sir Horatio. »Ich bin ja nicht von gestern. Wie kommt eine wildfremde Frau dazu, mich vor einen Bus zu schubsen? Ich denke, Hill hat sie dazu angestiftet.« »Hill ist in Irland«, fuhr der Chef unbeirrt fort, »und ich erwarte von Ihnen, daß Sie das auf der Stelle wieder vergessen.« »Irland? Ist das sicher?« »Vor zwei Tagen hat er sich auf der ›Lebensleitung‹ gemeldet.« Diese sogenannte Lebensleitung ist eine Telefonverbindung, die ein Agent nur im äußersten Notfall benutzen soll – wenn es ihm an den Kragen geht oder wenn er eine Nachricht von allergrößter Wichtigkeit absetzen muß. Und wenn diese Situation eingetreten ist, dann ist der Agent im Untergrund verschwunden und nur für wenige Minuten aufgetaucht, um eben seinen Anruf über die spezielle Telefonleitung abzusetzen. Irland konnte bedeuten, daß Hill hinter einem wichtigen Kopf der illegalen IRA her war. Hinter einem Bombenleger vermutlich. Mich ging das nichts an. Nicht mehr. »Hat er einen Zwillingsbruder?« fragte ich. »Nein, Mac. Sie haben sich da in etwas verrannt. Eine täuschende Ähnlichkeit.« Ich war immer noch uneinsichtig. »Tomaten habe ich wirklich nicht auf den Augen, Sir, und was ich gesehen habe, habe ich gesehen. Wenn ich vor ein paar Jahren immer nur nach eventuellen Ähnlichkeiten gearbeitet hätte, wären schöne Pleiten herausgekommen. Das war Hill, ich fresse einen Besen und Barbara Hicks noch dazu, auch wenn mir die wahrscheinlich schwer im Magen liegen wird.« Sir Horatio seufzte abgrundtief. »Wann haben Sie Hill zuletzt gesehen, Mac?« Da brauchte ich nicht lange nachzudenken. Es war ungefähr ein halbes Jahr her, und der Anlaß war der denkwürdige Zwischenfall mit Woods gewesen, als der mit einem klapprigen Leichenwagen bei uns im Hof erschienen war, um mich abzuholen. Bei dieser Ge15
legenheit hatte mir Woods auch noch ein gräßliches Geschöpf auf den Hals gehetzt, das er Nobal genannt hatte. Mit einem Flammenwerfer hatte ich Nobal vernichtet, nachdem mich dieses Wesen fast umgebracht hatte. Mit vielen anderen Kollegen war Hill aus dem Gebäude in den Hof hinausgestürzt. Ich hatte nämlich mit der Automatic hinter dem flüchtenden Woods hergeballert, und es ist ja nicht gerade üblich, daß bei uns in Whitehall am hellen Tag herumgeschossen wird. Die Knallerei hatte den ganzen Service alarmiert. Woods war mir entwischt, leider. Perry Hill war unter den Neugierigen gewesen, das wußte ich genau. »Vor einem halben Jahr, Sir!« sagte ich mit Bestimmtheit und nicht gerade sanftmütig. »Na, dann gehen Sie mal zum nächsten Bildschirmgerät und lassen sich Hills Aussehen überspielen«, empfahl der Chef. Diese Idee hatte ich ohnehin, weil Sir Horatio sich so bockbeinig anstellte. Ich brauchte dazu allerdings seine Erlaubnis, denn ohne die lief nichts. Da bekam ich nicht mal Hills Schuhgröße oder seine Zigarettenmarke. Er drückte eine Taste. »Mac Kinsey ist befugt, sich Perry Hills letztes Porträt überspielen zu lassen«, sprach er in sein Tischmikrofon. Kein Wort mehr und keines weniger. Damit war ich schon zufrieden. Soweit es die Überprüfung der Identität von Hill betraf. Ich hatte aber noch viel mehr auf dem Herzen. Deshalb ignorierte ich Sir Horatios Handbewegung, mit der er mich entlassen wollte. Hartnäckig blieb ich auf dem Besucherstuhl kleben. Ich genoß es, die Brauen des Chefs über dem Brillenrand in die Höhe klettern zu sehen. »Sind Sie denn damit immer noch nicht zufrieden, Mac?« »Ich hätte auch gern den Krif wieder, Sir«, sagte ich. »Und ich will nicht hoffen, daß die Heinis vom Labor die Waffe ruiniert haben. 16
Zwei haarsträubende Abenteuer habe ich ohne den Krif durchgestanden, aber fragen Sie mich nicht, wie. Sie können es nachlesen, sobald ich meine Berichte abgeschlossen habe.« »Richtig, Mac, Ihre fabelhafte Waffe.« Er lächelte mich an, als hätte ich ihn an seine Lieblingszeitung erinnert. Ich fand das gar nicht so spaßig. Denn die Sache mit dem Magier Cioffi und Guinn Rankin, der nach zehn Jahren aus seinem Grab hervorgekrochen war, hatte mich ganz schön mitgenommen. Und mein nicht ganz freiwilliger Aufenthalt in jenem Dorf im Totenland war auch nicht von Pappe gewesen. Außerdem hatten die Eierköpfe vom Labor den Krif lange genug zur Verfügung, gehabt. Zu lange für meinen Geschmack. Am Ende verräumten sie das wundersame Drei-Klingen-Beil auch noch. Wie sollte ich den Verlust dann bloß Miriam erklären? Ich hatte das düstere Empfinden, sie würde mir auf der Stelle die Freundschaft kündigen. An der lag mir jedoch eine ganze Menge. Niemand soll mir unehrenwerte Motive unterstellen, denn was das betrifft, bin ich bestens versorgt – mit meiner Freundin Kathleen nämlich. Die hat es nicht gern, wenn ich in fremden Revieren wildere. Kathleen ist eine Menge – ein Schatz, eine Geschäftsfrau, ein Vulkan, ein prima Kumpel, bloß eine Hexe ist sie nicht. Eine richtige, meine ich. Dagegen ist Miriam eine. Und nach ihren eigenen Worten so an die tausend Jahre alt obendrein. Wer will es schon mit einer so bemerkenswerten Hexe verderben? Ich nicht. Deshalb blickte ich auch finster entschlossen meinen Chef an, damit er merkte, daß ich ohne den Krif nicht ging. Er hatte ihn mir abgeschwatzt – für eine kurze Untersuchung. Die Burschen im Labor schienen ein wesentlich anderes Zeitgefühl als ich zu haben. Jetzt hockten sie schon drei Wochen auf meiner Waffe. Wenn sie bis jetzt nichts herausgefunden hatten, dann schafften sie das auch nicht in den kommenden drei Wochen oder drei Jahren. 17
Sir Horatio kräuselte leicht die Lippen. Dann legte er bedächtig die Fingerspitzen zusammen. Das tut er immer, wenn er eine bedeutsame Eröffnung zu machen hat. »Irgendwelche meßbaren Energien wohnen der Waffe nicht inne, Mac«, erklärte er und fügte die Einschränkung hinzu: »Soweit sich das im Laborversuch feststellen ließ, aber Sie berichten mir ja andere Dinge. Unsere Wissenschaftler haben sich darum auf die reine Altersbestimmung der Materialien beschränkt. »Da bin ich aber gespannt, Sir«, sagte ich aus ehrlicher Überzeugung, denn auch mit viel Phantasie hatte ich die Zeit nicht errechnen können, in der der Krif in einer mächtigen Schlacht mitgewirkt hatte – als das Gute gegen das Böse gesiegt hatte. »Das Eisen ist nichtrostend, das steht einwandfrei fest, sein Alter wurde mit viertausend Jahren ermittelt, wobei ein Unsicherheitsfaktor von fünfhundert Jahren zu berücksichtigen wäre. Verwirrend daran ist natürlich, daß vor viertausend Jahren überhaupt kein nichtrostendes Eisen hergestellt werden konnte.« »Eben«, meinte ich. »Das behauptet die Wissenschaft, aber wie der Krif beweist, war es doch möglich.« Sir Horatio schaute mich leicht gequält an. Für Wunder war er nicht empfänglich, aber seit er mir meine eigene Abteilung gegeben hatte, überraschte ich ihn dauernd mit wunderbaren Sachen. Meist waren sie wunderbar gruselig und selten amüsant, und eine Waffe aus nichtrostendem Eisen aus einer Zeit, in der es angeblich dieses Eisen noch gar nicht gegeben hatte, fand er nicht sehr erheiternd. »Die Spezialisten wollen nicht ausschließen, daß das Material einem künstlichen Alterungsprozeß ausgesetzt war«, meinte Sir Horatio. »Damit wäre es dann natürlich jünger.« »Natürlich!« sagte ich böse. »Was nicht sein kann, darf eben nicht sein. Wenn den von der Wissenschaft verdorbenen Eierköpfen nichts mehr einfällt, erfinden sie solche windigen Formulierungen und lassen sich damit das berühmte Hintertürchen offen. Abgesehen davon pfeife ich auf die Erkenntnisse dieser Burschen, ich weiß nämlich, was der Krif leistet. Magie ist nicht meßbar.« 18
»Der Stiel«, fuhr der Chef unbeirrt fort, »der Stiel ist jedoch mit Sicherheit dreitausend Jahre alt, und dieses schwarze Holz ist völlig unbekannt.« Gereizt erwiderte ich: »Na, vielleicht unterstellen sie auch, es sei künstlich nachgealtert!« »Das wiederum geht nicht, Mac«, sagte Dir Horatio voller Sanftmut. »Es wurde eine ausreichende Probe aus dem Stiel entnommen und diese nach vier unterschiedlichen Methoden untersucht. Dafür konnte ich mir überhaupt nichts kaufen. Es interessierte mich auch nicht die Bohne. Und daß die Burschen das Holz nicht klassifizieren konnten, lag ja nicht an mir. Wie ich die Sitten und Gebräuche aber einschätzte, fiel ihnen dafür sicher auch noch eine schlitzohrige Erklärung ein, die sie zu nichts verpflichtete. »Hoffentlich ist vom Krif überhaupt noch etwas übrig geblieben«, meinte ich düster. »Er ist wie neu – fast«, sagte der Chef. »Da bin ich aber gespannt!« Seine Worte dienten keineswegs meiner Beruhigung. Im Geiste sah ich den Krif schon ruiniert oder sonstwie verunstaltet. Sir Horatio griff zum Telefon und sprach mit Hagerty, das ist unser Obereierkopf, der aussieht wie ein Geier nach der Fastenkur – nur Haut und Knochen und sonst kaum was dran. Ich spitzte die Ohren und kriegte mit, daß Hagerty den wunderbaren Krif gerne noch eine Weile in die Mangel genommen hätte. An meinen durchdringenden Blicken merkte der Chef jedoch, daß meine Geduld nur noch an einem winzigen und schon sehr straff gespannten Faden hing. Er redete Hagerty alle noch geplanten Tests an dem Drei-Klingen-Beil aus und verlangte in ungewöhnlich scharfer Form, daß die Waffe unverzüglich zu ihm herausgebracht wurde. Ich war zufrieden, aber noch, längst nicht beruhigt. Hagerty mußte den richtigen Riecher haben – für dicke Luft nämlich. Er brachte den Krif nicht selber, er schickte einen Boten. Der Mann handhabte die Waffe wie einen Regenschirm, von dem er 19
vermutete, daß jemand damit erstochen worden war. Jedenfalls war ihm die ganze Sache nicht geheuer, und seine Abneigung drückte er durch Schaudern aus. Er legte das Drei-Klingen-Beil auf Sir Horatios Schreibtisch, als könnte es sich unversehens in ein giftiges Tier verwandeln oder zu glühen beginnen und ihm die Hand verbrennen. Richtig froh war er, als er die Waffe los war. Ich stand natürlich sofort am Schreibtisch und erwischte den Krif vor Sir Horatio, der auch zupackte. Für Hagerty hatte ich mir schon allerlei Todesarten ausgedacht, aber wie es aussah, kam er diesmal noch davon. Vom schwarzen Holzstiel hatte er eine dünne Scheibe abschneiden lassen, nicht stärker als der Rücken einer Messerklinge. Das Holz war wirklich durch und durch schwarz – und bestimmt nicht vom Alter. In meinem Kopf entstand die Vorstellung, daß dieses Holz vielleicht in einer lichtlosen Welt gewachsen war, unendlich langsam, dafür hart wie Stein. Dafür sprach einiges. Vor allem die Tatsache, daß Hagertys Leute das Holz nicht hatten zuordnen können. Kunststück, wo doch niemand genau wußte, wer jene Vorfahren der Druiden gewesen waren, von denen der Krif stammte. Außer Miriam vielleicht. Schon möglich, daß jene alten Magier und Hexer Zugang zu einer lichtlosen Welt hatten, dort vielleicht ein und aus gingen wie ich bei Sir Horatio. Weit mehr als der Stiel interessierte mich der Zustand der drei Klingen. An einer sah ich, daß man sie geglüht hatte. Das Metall besaß noch den typischen blauen Schimmer, der beim Abkühlen entsteht. Ich wollte schwören, daß Hagerty auch Versuche mit diversen Säuren hatte anstellen lassen. Spuren entdeckte ich keine. Nur ein kleines Loch. Da hatten die Burschen einen Bohrer hineingetrieben, um etwas Material für die metallurgischen Untersuchungen zu gewinnen. 20
Alles in allem war ich versöhnt, denn ich hatte meine beste Waffe wieder. Zu irgendwelchen weiteren Experimenten gab ich sie nicht mehr aus der Hand, das schwor ich mir in diesem Augenblick. Ich steckte sie in den Hosenbund und deckte das Jackett darüber, damit Barbara nicht wieder Zustände beim Anblick des Beils bekam. Das Thema Krif war abgehakt, jetzt war Perry Hill an der Reihe. »Tja, dann will ich nicht länger stören«, sagte ich zum Chef und sah zu, daß ich fort kam. Im Vorzimmer warf mir Sheila einen heißen, aber vergeblichen Blick zu. Ich hatte anderes im Sinn als sie. Barbara schaute nicht mal von der Büroarbeit hoch. Heute wußte ich ihren Eifer ganz besonders zu schätzen. Zu meinem Büro benötigte ich im Normalfall drei Minuten. Jetzt schaffte ich das in der halben Zeit. Ich aktivierte das Bildschirmgerät und rief Perry Hills Daten ab. Der Knabe war emsig, alles was recht ist. Seine großen und kleinen Sünden im Dienste des Vereins waren säuberlich zusammengetragen. Was mir nicht schmeckte, war eine Tätigkeitslücke vor etwa drei Monaten, die sich über ziemlich genau vier Wochen erstreckte. Als hätte der Bursche mal Urlaub gemacht oder sei vorübergehend aus dem Verkehr gezogen gewesen. Und dann glänzte er erneut durch Untätigkeit während der letzten zwei Wochen. Das verstand ich ja noch, denn da war er wohl schon in Irland im Einsatz. Sein Anruf auf der Lebensleitung war natürlich nicht registriert. Ein solcher Vorgang ist eine streng geheime Angelegenheit. Ich verlangte sein Porträt. Es war gut, daß ich saß. Und trotzdem wäre ich fast mitsamt dem Stuhl umgekippt. Ein total fremder Kerl schaute mich vom Bildschirm her an. Im ersten Schrecken dachte ich, daß das Personalarchiv das Konterfei einer falschen Person erwischt hatte. Bis ich mir sagte, daß sich vielleicht die Queen irren konnte, aber nicht unsere pingeligen 21
Jungens vom Archiv. Jedenfalls hatte der Knabe verdammt wenig Ähnlichkeit mit dem Burschen in der Untergrundbahn und schon gar nicht mit dem Perry Hill, den ich kannte. Ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen, also verlangte ich ein älteres Bild von Hill. Älter als ein halbes Jahr jedenfalls. Es dauerte. Ich wußte sofort, daß das Archiv Rücksprache beim Chef hielt. Aber der entschied zu meinen Gunsten, denn nach fünf Minuten, als ich schon kribbelig wurde, tauchte Hills Gesicht auf, wie ich es kannte. Das war der Bursche, den die Frau mit dem Blumenhut angequatscht hatte! Ich starrte den Bildschirm an. Und dann klickte es in meinen Gehirnwindungen. Hill war nicht ausgetauscht worden, wofür ja der Augenschein sprach. Es war derselbe Mann. Er hatte allerdings ein neues Gesicht bekommen! Das war es. Ein neues Gesicht. In den vier Wochen, in denen er untätig gewesen war, hatte ihm ein geschickter Chirurg ein neues Gesicht geschneidert. Von wegen Urlaub, in dem er den Bauch in die Sonne gelegt hatte! Ohne Frage stand die totale Änderung seines Aussehens in direktem Zusammenhang mit seinem heißen Job in Irland. Es mußte schon um eine verdammt dicket Sache gehen, daß der Service die Kosten für den Chirurgen getragen hatte und überhaupt auf diese Idee gekommen war. Mein Bier war das nicht. Ich schaltete das Gerät ab und überlegte. Doppelgänger kamen ja vor, das will ich nicht abstreiten. Aber ein Doppelgänger, der eine Frau dazu anstiftet, mich vor einen Doppeldeckerbus zu stoßen, der ging mir gegen den Strich. Ganz gewaltig sogar. An der Sache war etwas faul. Ich meinte sogar, den Gestank riechen zu können. 22
Etwas war da im Gange. Gegen mich. * Ziemlich lustlos brachte ich erst einmal den Cioffi-Bericht zu Ende und rief dann in der Werkstatt an, um zu erfahren, wie weit sie mit dem MG waren. Der Sportflitzer war fertig, ich brauchte ihn nur noch abzuholen. Und fünfundzwanzig Pfund mitzubringen. Soviel nämlich kosteten Abschleppen und Reparatur. Ein Begräbnis, rechnete ich nach, ist wesentlich teurer. Ich zählte mein Barvermögen nach und verließ das Gebäude. Da mein Mißtrauen nun einmal geweckt war, schaute ich häufig hinter mich, blieb vor spiegelnden Fenstern in Whitehall stehen und sondierte, was sich hinter meinem Rücken in der Umgebung tat. Größere Menschenansammlungen mied ich, und an Fußgängerüberwegen sprintete ich erst los, wenn der dicke Schwung der Passanten schon auf der anderen Seite war und die Ampel umzuspringen drohte. Ich wollte niemand mehr dazu verlocken, mir einen Stoß in den Rücken zu geben. Schön, der Kerl, den ich für Hill angesehen hatte, war mitsamt der Frau unter dem Blumenhut stadtauswärts gefahren. Das war jedoch Stunden her, und inzwischen konnten die beiden zurück sein. Über mich schienen sie Bescheid zu wissen. Vielleicht beobachteten sie mich aus der Entfernung. Oder sie hatten mir eine dritte Person auf die Fersen gesetzt. In diesem Geschäft bin ich kein Neuling. Darum prägte ich mir das Aussehen der Gesichter ein und kontrollierte zwei Straßen weiter, welche Gesichter immer noch da waren. Ich machte drei aus – einen jungen Mann mit einem funkelnden Klunker im rechten Ohrläppchen und ausgebeulter Kleidung am Leib, eine Frau mit aschblondem Haar und einem Einkaufsnetz in der Hand, und einen Bank- oder Börsenangestellten. 23
Gerade Bankleute erkennt man zweifelsfrei am stockkonservativen Salz-und-Pfeffer-Anzug, an der Melone und am gerollten Regenschirm über dem Arm – sofern es nicht gerade regnet. Dann spannen die Burschen den Schirm natürlich auf. Vor einem Schaufenster blieb ich wieder stehen und beobachtete, was meine drei Verdächtigen trieben. Der junge Mann schlenderte heran, hielt neben mir, blickte in die Auslage, in der duftige Damenwäsche zur Schau gestellt war, grinste mich dann an, als hätte er einen Lustmolch auf frischer Tat ertappt, und rollte sich mit unglaublicher Geschicklichkeit eine Zigarette. In die Tabakmischung mußte er asiatischen Knaster getan haben – dem Duft nach zu urteilen. Aus der Nähe erkannte ich in seinen Augen einen ganz bestimmten Ausdruck – als sei er nicht ganz da. Ich hatte mich wohl doch geirrt, was eine Verfolgung betraf. Denn als ich weiterging, blieb der Bursche zurück. Die Frau mit dem Einkaufsnetz betrat einen Supermarkt, und der Mann mit der Melone und dem Schirm verschwand in einem Pub. Mir war es recht so. Ich hatte es auch lieber, wenn sich die Dinge nicht noch zusätzlich komplizierten. Der heimtückische Anschlag genügte mir vollauf. Zu meiner eigenen Sicherheit strolchte ich noch durch ein Kaufhaus und verließ es durch den Seiteneingang. Ein Stück weiter stellte ich mich hinter einen Lieferwagen und beobachtete aus reiner Gewohnheit, wer so alles hinter mir aus der Tür kam. Ich gratulierte mir zu meinem Einfall. Der Kerl mit der Melone und dem gerollten Regenschirm sauste heraus und guckte wild um sich, als hätte ihm wer die Brieftasche geklaut. Na, das war vielleicht eine Überraschung! Er kam in meine Richtung, war aber ziemlich unsicher, ob ich auch in dieser Straße untergetaucht war. Er blieb stehen, reckte den Hals, kehrte um und trabte in die andere Richtung. Jetzt war ich natürlich erst recht neugierig und kehrte den Spieß 24
um. Bevor ich mich jedoch an die Verfolgung machen konnte, enterte der Melonenmann eine Telefonzelle. Viel war's nicht, was er zu berichten hatte. Er hängte schon wieder auf und bezog vor dem roten Gehäuse Posten wie für eine Verabredung. Ich blieb hinter dem Lieferwagen, peilte durch die Scheiben und hoffte nur, daß der Fahrer noch recht lange aufgehalten wurde. Falls er vor der Zeit zurückkam und wegfuhr, stand ich im Freien gewissermaßen. Dann mußte mich der Melonenmann zwangsläufig entdecken. Daß ich mich hinter dem Fahrzeug herumdrückte, fiel natürlich einigen Leuten auf, und es behagte ihnen nicht. Sie musterten mich böse, und einem Mann konnte ich die Gedanken von der Stirn ablesen. Außerdem empfing ich seine unfreundlichen spirituellen Ausstrahlungen. Er war bereit, die Polizei anzurufen, wenn ich nicht innerhalb der nächsten fünf Minuten die Platte putzte. Das Rendezvous des Melonenmannes kam der Alarmierung der Polizei zuvor. Bei der roten Telefonzelle stoppte plötzlich ein schwarzer Wagen, und mein Mann schlüpfte hinein. Ein Taxi war's nicht. Ich sah meinen abgehängten Verfolger gestikulieren, während der Wagen anrückte und rasch näherrollte. Und dann dachte ich, ich kriege einen Schlag mit einem Hammer auf den Kopf! Am Steuer saß mein alter Feind Peter Woods. Der ehemalige Scotland Yard-Inspektor, seit fast einem Jahr in einem neuen Beruf als Untoter und Blutsauger für Graf Dracula tätig, redete ziemlich erbost auf den Melonenmann ein, das konnte ich erkennen. Auch seine auffällige bleiche Hautfarbe, als sei er frisch aus dem Sarg geklettert und eben nur mal zu einer Spritztour durch London aufgebrochen. Auf weniger als fünf Schritte fuhr Woods an mir vorbei. Eine Verwechslung war ausgeschlossen. Dieses Gesicht konnte 25
ich nicht vergessen, und wenn ich hundert Jahre alt wurde – oder tausend wie die Hexe Miriam, was ich aber bei meinem Job für ziemlich unwahrscheinlich Hielt. Wenigstens wußte ich jetzt, wer der Drahtzieher war. Ich konnte nicht beweisen, daß Woods meinen beinahe tödlich ausgegangenen Unfall eingefädelt hatte, aber ich war ziemlich sicher, daß der Plan auf seinem Mist gewachsen war. Oder daß er seinen Senf dazugegeben hatte. Er war also nicht tot. Das anzunehmen war auch zuviel verlangt. Als ich ihn hinter dem Haus von Inspektor Gallinger auf dem alten Friedhof mit einem Holzpflock angestochen hatte, wäre es mir beinahe geglückt, ihn für alle Zeiten aus dem Verkehr zu ziehen. Aber im allerletzten Augenblick hatte Dracula eingegriffen und Woods, seinen treuesten Diener, mit den Krallen gepackt und durch die Lüfte entführt. Die Verwundung hatte Woods also weggesteckt wie einen Mückenstich im Sommer. Allerhand, was der Bursche aushielt. Mich freute das aber gar nicht. Denn jetzt war er wieder da und verdammt aktiv, wie die heutigen Zwischenfälle zeigten. Ich spähte nach einem Taxi, denn ich wollte unbedingt herausfinden, wohin Woods fuhr. Am Ziel konnte Dracula nicht weit sein. Vielleicht befand sich dort sogar der Unterschlupf der beiden. Aber wenn man ein Taxi dringend nötig hat, ist so eine Klappermühle natürlich nicht aufzutreiben. Diese bittere Erfahrung machte ich auch jetzt wieder. Woods entwischte mir im abendlichen Verkehrsgewühl und entführte den Melonenmann, mit dem ich gerne ein paar deutliche Takte geredet hätte. Mochte der Teufel wissen, was Woods ihm versprochen hatte, wenn er sich an meine Fersen heftete! Jedenfalls hatte er's getan. Ich schätzte, daß er schon in Whitehall hinter mir gewesen war. Das sah mir verdächtig nach einer Überwachung aus. Was bezweckte Woods damit? Wollte er meine Gewohnheiten ausspionieren, damit er mir eine besser funktionierende Falle stel26
len konnte als einen Doppeldeckerbus, der im letzten Moment vom Fahrer noch gestoppt werden konnte? Ich wollte mich nicht festlegen, aber es braute sich wieder mal was gegen mich zusammen. Deshalb zögerte ich auch keine Sekunde, trabte los, was die mißtrauischen Leute in der Umgebung mit großer Erleichterung zur Kenntnis nahmen, und quetschte mich in die Telefonzelle. Ich kam einem schwitzenden Mann mit rotem Borstenhaar und kantigem Kinn zuvor, der mich ziemlich gewalttätig anstarrte und unfreundliche Worte gegen mich gebrauchte. Er mußte warten, er hatte ja keine ganz besonderen Freunde wie ich – Woods zum Beispiel oder Dracula. Jedenfalls wollte ich das in seinem Interesse nicht hoffen. Ich rief meine Freundin Kathleen an. Ich mußte Sie warnen, denn wenn gegen mich etwas lief, rollte gleichzeitig auch etwas gegen Joan Masters, die ja sozusagen mit Dracula, dem unsterblichen gräßlichen Kerl, immer noch verlobt war. Jedenfalls war bisher immer etwas in dieser Richtung passiert. Kathleen war nicht in ihrer Boutique, aber Joan Masters bekam ich an den Apparat. Beide Mädchen hatte ich drei Wochen an einem Streifen in meiner Junggesellenklause beherbergt, weil ich für ihr Leben fürchtete. Gottlob war nichts passiert, und schließlich waren Kathleen und Joan wieder ausgezogen. Was einige meiner Hausnachbarn mit Wohlgefallen erfüllte. Aber gegrüßt wurde ich von denen immer noch nicht. Weil sie mich für einen durch und durch verdorbenen Kerl hielten. »Joan, es sieht so aus, als ginge das Theater von vorne los«, sagte ich kurz und schmerzlos. »Bleiben Sie im Geschäft, ich komme vorbei und hole Sie ab…« »Nicht schon wieder!« hauchte sie. »Was haben Sie gegen mich?« witzelte ich, um Joan aufzumuntern. »So übel bin ich nun auch wieder nicht.« »Hören Sie doch auf, Mac!« flehte sie. »Sie wissen schon, was ich 27
meine.« »Ja, leider. Rühren Sie sich nicht vom Fleck, egal, wer Ihnen was auch immer erzählt. Wo ist Kathleen?« »In Luton oben. In einer Weberei. Wegen der neuen Stoffe. Sie will vor Geschäftsschluß aber zurück sein.« »Das trifft sich fabelhaft. Halten Sie sie fest, Joan. Irgendwelche Verabredungen soll sie sausenlassen.« Damit hängte ich auf. Ich wollte Joan nicht noch mehr ängstigen. Was ihr blühen konnte, war schlimm genug. Und sie wußte es. Sie hatte zugesehen, wie Dracula Hochzeit zu halten pflegt. Zusammen mit Kathleen. Der Schock hatte lange vorgehalten. »So, jetzt sind Sie an der Reihe, Mister!« teilte ich dem rotborstigen schwitzenden Menschen mit, der die Telefonzelle umkreiste wie der hungrige Tiger den Käfig, weil er den Dompteur darin wußte und nur darauf wartete, bis er herauskam. Der Mann nahm Maß. Ich spürte seine Gedankenströme. »Tun Sie's nicht!« warnte ich ihn lächelnd. »Vorgestern hat's einer versucht, der war noch einen Kopf größer als Sie und zwanzig Pfund schwerer. Wenn Sie zufällig ins Victoria-Hospital kommen, grüßen Sie ihn von mir.« Kein Wort davon stimmte, aber das ging ihn ja nichts an. Er bekam den vorsichtigen Blick, taxierte mich und quetschte sich mit einem zweifelnden Knurren an mir vorbei zum Telefon. Hauptsache, er fing keinen Streit an und sorgte für einen Menschenauflauf mit Polizeibeteiligung. Jeder Aufenthalt wäre mir jetzt sehr gegen den Strich gegangen. Ich trabte los in Richtung Werkstatt. Die Busse, die jetzt an mir vorbeirollten, waren gestopft voll. Und das einzige Taxi, das ich zu sehen kriegte, war mit einer alten Lady und mindestens fünf langhaarigen Hunden besetzt. Die Dame wäre besser beraten gewesen, ihre Vierbeiner im Hyde Park spazieren zu führen, statt sie durch London kutschieren zu lassen. Aber so ungerecht geht's nun mal zu auf der Welt. Ich habe eigentlich eine ganz ordentliche Kondition, ich prustete 28
allerdings wie ein defekter Blasebalg, als ich endlich die Werkstatt erreichte. Sozusagen auf den allerletzten Drücker, denn die Leute wollten gerade Feierabend machen. Der Werkstattinhaber, dessen Leute mir schon manche Beule aus dem MG geklopft hatten, schob mir die Rechnung hin und fragte: »Haben Sie derzeit Krach mit jemand, Mister Kinsey?« Ich war in Gedanken schon beim schmerzlichen Hinscheiden meiner fünfundzwanzig Pfund, die ich aus der Brieftasche gegriffen hatte. Aber auf dem Ohr hörte ich. Außerdem wußte der Mann, für welchen Laden ich arbeite. Überhaupt läßt der Service gerne bei ihm arbeiten und Wagen wieder hinbügeln, die nicht unbedingt lobend in einem polizeilichen Unfallprotokoll erwähnt zu werden brauchen. »Haben Sie auch noch 'ne Bombe in meinem Wägelchen gefunden?« fragte ich düster. »Das fehlte noch!« Sein Schnurrbart sträubte sich. »Nein, ein Souvenir besonderer Art war nicht eingebaut, ich habe den Wagen gewissenhaft durchchecken lassen, und wir haben nichts übersehen. Ich frage nur, weil sich da so ein komischer Vogel in der Werkstatt rumgedrückt hat. Der MG hat ihm besonders gefallen. Und Fragen hat er auch gestellt. Zu viele Fragen.« »Aha!« machte ich und spürte, wie sich mein Magen ein wenig hob. »Und was wollte der Knilch alles wissen?« »Wann der Wagen fertig wird, zum Beispiel. Dann quakte er davon, der MG gehöre einem Freund von ihm, zufällig hätte er ihn von der Straße aus gesehen. Dann meinte er, er hätte sich wohl doch getäuscht, der Wagen seines Freundes habe eine ganz andere Nummer. Ich habe ihm zu verstehen gegeben, daß der MG frühestens morgen fertig wird, und dann habe ich ihn rausgeschmissen.« »Bravo! Wie sah denn der neugierige Vogel aus?« »Mann, das war's ja eben! So einer fährt 'nen Oldtimer oder läßt sich vom Chauffeur im Bentley oder Rolls herumkutschieren, aber er war zu Fuß. Ein fetter – Mensch, sah aus wie ein Banker, und hat 'ne anständige Glatze unter der Melone versteckt.« 29
»Melone?« Ich guckte den Mann an, als hätte er den Stein der Weisen in der Hosentasche. »Meinen Sie mit Banker, daß er einen Salz-und-Pfeffer-Anzug trug?« »So heißt man das wohl.« Er nickte. Dann grinste er sparsam. »Die Melone flog ihm vom Kopf, als ich ihn hinausbefördert habe. Der Kerl hat 'ne spiegelblanke Birne. Wie poliert. Und Kraft auch die Muskeln unterm Anzug waren hart wie Eisen.« Ich hatte einen bösen Verdacht, aber ich wollte ganz sicher sein. »Wann war er denn hier?« »Kann zwei Stunden her sein.« »Den kenne ich«, sagte ich flach und blätterte das Geld hin. Der Werkstattinhaber hoffte wohl, ich würde noch etwas hinzufügen. Doch ich hielt den Mund. Da zählte er das Geld nach, quittierte die Rechnung und gab mir den Autoschlüssel. Ich hatte es mächtig eilig, aus der Gegend fort und nach Covent Garden zu Kathleens Geschäft zu kommen. Denn der neugierige Mensch mit der Melone war kein anderer als der Bursche, den ich beim Kaufhaus abgehängt hatte und der dann von Woods abgeholt worden war. Ich war in Alarmstimmung. Und nicht zu knapp. * Gerade fuhr Kathleen vor. Mit ihr stieg ein unverschämt gutaussehender junger Mann aus. Ich guckte vielleicht dämlich. Einen Stich gab's mir obendrein. Und das schlechte Gewissen meldete sich auch noch. Klar, ich hatte Kathleen in letzter Zeit grob vernachlässigt, aber das Pack, das zur Schwarzen Familie gehörte, hielt mich unentwegt in Trab. Und mein Job war es nun mal, gegen die Gestalten des Bösen und der Finsternis zu kämpfen. Ich konnte mir's nicht aussuchen. Wenn sich Kathleen einen anderen munteren Knaben an Land gezogen hatte, konnte ich ihr das nicht einmal verdenken. Aber wenigstens sagen hätte sie es mir können. 30
»Hallo!« sagte ich denn auch ziemlich frostig. »Sieht man dich auch noch mal?« erkundigte sich meine Freundin ziemlich schnippisch und zerrte einen Ballen Stoff aus ihrem Fünfzigtausend-Pfund-Rolls-Royce. Ihr Begleiter stand dabei, beguckte mich sanftmütig und versuchte irgendwie noch besser zu wirken, als dies schon der Fall war. Er ging tipptopp in Schale, für meinen Geschmack drei Nummern zu aufdringlich. Aber er mußte ja so unter die Leute, nicht ich. Trotzdem schaute ich ihn ziemlich giftig an. Was ja wohl jedermann verstehen wird. Wer guckt schon fromm, wenn er unverhofft auf seinen Rivalen trifft und bis dahin nicht den Schimmer einer blassen Ahnung hatte, daß es einen solchen Kerl gibt? »Wollen Sie Kathleen nicht helfen?« knurrte ich ihn an, als meine Freundin den zweiten Stoffballen aus dem Wagen wuchtete. »Oder haben Sie Angst, sich die Finger zu verbiegen? – Gib mal her!« Ich nahm Kathleen beide Ballen ab. Sie hatte noch ein ganzes Sortiment im Auto. Der Bursche zog ein Gesicht, als hätte ich verlangt, er soll einen Kopfstand oder sonstwas zeigen. Ganz tief beleidigt war er. »Was ist denn mit dir los?« fragte mich Kathleen verwundert. »Heute schlechte Laune?« Sie nahm einen Ballen in den Arm und steuerte auf die Tür ihrer Modeboutique zu, die sich zu einer wahren Goldquelle gemausert hatte. Inzwischen war natürlich Feierabend und die Verkäuferinnen waren abgeschwirrt. Nur Joan Masters hielt die Stellung, wie ich es ihr aufgetragen hatte. Sie sah uns kommen und schloß auf. Ihre Augen waren schreckhaft weit geöffnet. Blaß war sie auch. Kathleen blieb wie vom Donner gerührt stehen. »Ist was?« rutschte es ihr heraus. Ihre Brauen runzelten sich, ein sehr nachdenklicher Ausdruck erschien in ihren Augen, als sie mich anschaute. »Oh, ich verstehe!« meinte sie dann. »Nicht die Liebe hat dich hergetrieben, sondern dein Dämonenjob. Es ist also wieder mal soweit!« »Sieht so aus!« brummte ich und schob mich an Joan und ihrer 31
lieblichen Oberweite vorbei. Auf dem Kassentisch deponierte ich die Stoffballen und machte eine Kopfbewegung gegen die Tür und den aufgedonnerten Burschen, der zwischen Geschäft und Rolls stand wie bestellt und nicht abgeholt. »Man macht überhaupt allerlei interessante Entdeckungen. Wann hast du dir denn den Affen zugelegt?« »Was?« fauchte Kathleen. »Das ist Gilliom, mein Designer. Er war mit mir in Luton in der Weberei.« »Und was ist der Sälzknabe noch?« Ich hatte den Eindruck, wir redeten aneinander vorbei. Jedenfalls schaute Kathleen ziemlich verständnislos. Aber dann begriff sie. »Spinnst du, oder was? Gilliom ist Künstler, und unsere gemeinsamen Interessen sind rein geschäftlicher Natur.« »Das sind die schlimmsten Brüder«, knurrte ich. Kathleen hob die Achseln. »Dir müssen sie was in den Tee gerührt haben! Gilliom steht doch nicht auf mich. Was du aber auch denkst! Ich schätze eher, daß du es ihm angetan hast.« Sie lächelte amüsiert und eine Spur boshaft. Jetzt ging bei mir endlich das Licht an. Drum diese etwas affektierte Art dieses Gilliom! Das fehlte mir noch, daß er mit mir liebäugelte! An einer Affäre, wie sie ihm vorschwebte, war mir nicht gelegen. Meine Interessen gehörten einem anderen Gebiet. Ich bin nun mal ein glühender Verehrer der Weiblichkeit. »Sag das doch gleich«, brummelte ich und verbarg meine Erleichterung nicht. »Ich dachte schon, der Kerl hätte sich in deinem Herzen und anderswo eingenistet.« »Eigentlich gar keine schlechte Idee«, meinte Kathleen und fuhr mit der Zungenspitze über die vollen Lippen. »Vielleicht finde ich einen Typ, der häuslicher ist als du.« »Probier's mal mit dem Künstler Gilliom«, empfahl ich. »Das sollen die besten Hausmänner sein. Und herumkommandieren lassen sie sich auch.« Ich spürte schon wieder Oberwasser und ließ mein Mundwerk gehen. 32
Aber Kathleen konnte ich nichts vormachen, sie kannte mich zu gut. Meine Geschwätzigkeit deutete sie richtig. Denn die war lediglich Ausdruck meiner Erleichterung. »Dann fange ich mit dir an – du – du Hausmann!« sagte Kathleen schalkhaft drohend und wies zur Tür. »Im Wagen sind mindestens noch zehn Ballen Stoff. Bring das Zeug rein, ich habe ein Vermögen dafür hinblättern müssen.« »Was willst du eigentlich mit dem Zeug? Neue Fummel daraus schneidern lassen?« »Ich habe in einem Monat eine Modenschau. Mit eigenen Stoffen, eigenen Entwürfen, eigenen Farbkompositionen.« »Tja, du bist schon eine Supergeschäftsfrau«, versetzte ich seufzend. »Wenn du's nur endlich einsiehst. Räum jetzt den Wagen aus, bevor es andere tun.« Wenn Kathleen so schön mit den Augen bettelte wie bei diesen Worten, kann ihr kein Mensch widerstehen. Ausgenommen Gilliom. Der hatte natürlich alles mitbekommen, denn er stand mit ausgefahrenen und gespitzten Ohren in der Tür. Er rührte aber keinen Finger, um beim Entladen zu helfen. Als ich mit den letzten Stoffballen zurückkehrte, bedachte er mich mit einem schmachtenden Blick und meinte in einem unverwechselbaren Tonfall: »Schade, mein Freund.« Der Teufel sollte ihn holen! Ich war nicht sein Freund und hatte auch nicht die Absicht, es zu werden. Deshalb schaute ich ihn grimmig an. »Danke, kein Bedarf, in meiner Wohnung habe ich schon eine Heizung.« Er blickte mächtig sauer und beleidigt. Dann kam er herein. Mir paßte das gar nicht. Denn was ich mit Kathleen und Joan zu besprechen hatte, war für seine Ohren nicht bestimmt. Irgendwie gewann ich aber den Eindruck, daß er trotz seiner Feinfühligkeit ein ganz schön dickes Fell herauskehren konnte. Er wankte und wich nämlich nicht, obgleich ich ihn spüren ließ, daß er überflüssig war. 33
»Wenn ihr noch was zu besprechen habt, dann erledigt das jetzt«, sagte ich zu Kathleen. »Das dauert aber!« »Mir auch egal!« Gilliom faßte das als Ermunterung auf, denn er griff sich einen mächtigen Skizzenblock und begann darauf herumzukritzeln. Soweit ich etwas davon verstand, brachte er Entwürfe zu Papier. Ich bat Joan, mir einen Tee zu machen, und hörte mit einem Ohr zu, wie Kathleen mit dem künstlerischen Genie debattierte. Sie hatte andere Vorstellungen, und malte in seinen Entwürfen herum. Darüber kriegten sie sich ganz schön in die Wolle. Andere Meinungen schien er nicht gelten zu lassen. Sympathischer wurde der Knabe mir dadurch nicht. Nach drei Tassen Tee und einer Stunde hatte Kathleen schließlich ihre eigenen Vorstellungen durchgesetzt. Gilliom war verschnupft. Mich holten sie als Schiedsrichter. Ich beguckte mir seine und Kathleens Entwürfe und das, was schließlich draus geworden war. »Sieht fast so aus, als könnte man das Zeug wirklich anziehen«, erklärte ich, weil das meine ehrliche Überzeugung war. Das hätte ich besser für mich behalten, denn jetzt fielen sie zu zweit über mich her und sprachen mir jeden künstlerischen Sinn ab. Aus Gillioms Mund hörte ich sogar etwas, das wie ›Banause‹ Klang. »Ihr könnt euch ja morgen darüber einigen«, knurrte ich. »Zum Teufel, es gibt im Augenblick wichtigere Dinge als euer blöden Modefummel!« Für Gilliom war ich damit erledigt. Er blickte mich voller Verachtung an, packte seine Skizzen zusammen, als sei es der Kronschatz aus dem Tower, und rauschte wie eine beleidigte Hofdame davon. Genauso schwenkte er auch die Hüften. Oder das, was er dafür hielt. »Mein lieber Mann«»sagte ich, als die Ladentür zugefallen war, 34
»der sorgt vielleicht für ein schwüles Klima.« »Daß du ihn aber auch ärgern mußt!« beschwerte sich Kathleen. »Er ist empfindsam.« »Bin ich auch, der Kerl soll in den einschlägigen Lokalen auf Anreiße gehen. – So, ihr zwei Schätzchen, jetzt hört mir mal gut zu. Woods ist wieder auf Achse.« Joan krampfte die Hände ineinander. Ich verstand, was in ihr vorging. Sie erlebte all die Schrecken noch einmal, die sie in Draculas Katakombenversteck in Finsbury durchgestanden hatte. Woods hatte sie mit einem lausigen Trick dahin entführt. Samt Kathleen. Meine Freundin ist in der Hinsicht etwas robuster. Vielleicht darum, weil sie Geschäftsfrau ist. Etliche Konkurrenten hatten ihr ja schon das nicht sehr schmeichelhafte Attribut ›hartgesottenes Weib‹ verliehen. »Und er kommt hierher?« fragte sie. Kathleen dachte auch jetzt praktisch. »Hierher oder anderswo hin, jeder Ort ist schlecht. Wenn Woods in Erscheinung tritt, ist Dracula nicht weit, das brauche ich euch erst gar nicht näher zu verklickern. Die zwei haben wieder eine Suppe eingebrockt, und einer von uns soll sie auslöffeln.« Nach dieser pauschalen Behauptung erzählte ich mit dürren Worten, was mir heute zugestoßen war. Joan und Kathleen schauten sich an, und mir war, als wollten sie etwas sagen. Sie ließen mich aber erst mal meinen knappen Bericht zu Ende bringen. Kathleen schaute mich ganz mitfühlend an. »Und du glaubst, dahinter steckt Dracula?« »Glauben heißt nicht wissen. Aber ich spüre, daß er wieder etwas angeleiert hat. Wozu sonst der Aufwand? Er will mich aus dem Weg räumen, ihm ist jedes schäbige Mittel recht. Und Woods sowieso. Der hat mich gefressen wie zehn Pfund Schmierseife. Aber an mir haben sich die zwei schon wiederholt ergebnislos versucht, und seit heute wissen sie, daß ich nicht mal mit einem Bus totgefahren werden kann. Also liegt doch nahe, daß sie sich euch schnap35
pen oder eine von euch und mich damit ködern. Ich will's lieber gar nicht erst soweit kommen lassen.« Kathleens Blick wurde scharf. »Willst du uns wieder bei dir einquartieren?« Ich grinste. »Nachdem bei Scotland Yard und bei meinen Nachbarn herum ist, daß ich mir zwei Betthexen halte, kann meinen schlechten Ruf eigentlich nichts mehr erschüttern. Ein sicherer Platz außerhalb von London wäre allerdings auch nicht schlecht.« Mit dem Vorschlag kam ich bei Kathleen aber schön an! »Und meine Modenschau? Die ganze Vorarbeit?« Sie nagte an der Unterlippe. »Dann ziehen wir schon lieber wieder zu dir. Aber diesmal nehme ich einen Revolver mit.« »Willst du ein Eifersuchtsdrama inszenieren?« »Quatsch! Die Waffe ist für den Fall, daß der gräßliche Kerl wieder auftaucht.« »Welcher gräßliche Kerl?« Ich war ziemlich verdutzt. »Na, der dicke Glatzkopf im Salz-und-Pfeffer-Anzug. Habe ich dir von dem nicht erzählt? Der ist zwei Abende lang vor dem Haus auf- und abmarschiert, hat dauernd zu den Fenstern raufgesehen, und am dritten Abend hat er dann geklingelt. Der hat vielleicht dumm geschaut, als er uns zwei sah!« Bei mir klingelten schon wieder die Alarmglocken. »Du hast den Kerl mit keiner Silbe erwähnt. Wann war denn das?« »Vor zwei Wochen.« Ich rechnete nach. Das war demnach zu dem Zeitpunkt gewesen, als ich mich um den Magier Cioffi und seine dunklen Machenschaften gekümmert hatte. Da waren Kathleen und Joan auch wieder bei mir ausgezogen, nachdem nichts passiert war und sie annehmen konnten, Dracula und Konsorten würden sie in Ruhe lassen. Der Friede war trügerisch, Woods neuerliches Auftauchen bewies es. Ich dachte scharf über den fetten Glatzkopf nach. Ich schätzte, er hatte meine Wohnung nicht zufällig ausspioniert, sondern war von Woods auf die Adresse angesetzt worden. Der 36
untote Inspektor kannte sie, er hatte ja bei mir schon eingebrochen. Der Glatzkopf behagte mir überhaupt nicht. Er war offensichtlich ein neuer Gegner im Krieg der dunklen Mächte gegen mich. Vielleicht hatten ihn Dracula und Woods angeheuert. Dafür sprach sein aufdringliches Interesse für meinen MG in der Werkstatt, seine Anhänglichkeit, daß er mir von Whitehall aus in die Stadt gefolgt war, und seine emsige, aber erfolglose Suche, als ich ihn im Kaufhaus abgehängt hatte. Ganz in dieses Bild paßte sein aufgeregter Anruf und daß er sich von Woods hatte abholen lassen. Er steckte mit der Bande der Finsternis unter einer Decke, daran gab es nichts zu löten! Auch die Frau mit dem Blumenhut gehörte dazu. Wie der Kerl, der haargenau so aussah wie Perry Hill. Ich fragte mich ernsthaft, ob Dracula und Woods schon die Fähigkeit erlangt hatten, irgendeinem beliebigen Menschen das Aussehen eines anderen zu geben. Wenn ich die Tatsachen wertete, konnte ich dies nur bejahen. In meine Gedanken hinein sagte Kathleen: »Das ist ja schon seltsam. Joan hat den Kerl übrigens noch mal gesehen.« Das drang bei mir durch. »Was?« »Sie hat den Glatzkopf noch einmal gesehen«, wiederholte meine Freundin. »Ich lasse doch für Kundinnen mit Übergrößen Modelle bei Farmington nähen. Die haben ihr Atelier drunten an der Themse.« Es interessierte mich eigentlich nicht, wo Kathleens beleibte Kundinnen ihre Kleider zusammengenäht bekamen, aber Joans Beobachtung konnte ein hilfreicher Fingerzeig sein. »Ja, und?« Ich kannte das Atelier Farmington nicht, ich habe keine Übergröße. Und Damenkleider trage ich auch nicht, auch wenn das dem entschwundenen Gilliom vielleicht ganz gut in seine hinterlistigen Absichten gepaßt hätte. »Manchmal macht eine Kundin die Anlieferung dringend, weil ihr einfällt, daß sie das neue Kleid zu einem gesellschaftlichen Er37
eignis haben will. Dann rufen wir bei Farmington an, und jemand fährt hin und holt das Kleid oder den Hosenanzug ab. Joan war mit dem Taxi dorthin unterwegs. Da hat sie den Mann gesehen.« Ich wandte mich Joan zu, die noch immer mächtig blaß war. »Und Sie irren sich auch nicht, Joan?« Sie schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht. In Ihrer Wohnung habe ich ihn doch ganz aus der Nähe gesehen. Da war ich noch näher an ihm dran als Sie jetzt an Kathleen, Mac. Und in der Mill Street ging er ganz dicht am Taxi vorbei. Er hat mich nicht entdeckt, aber ich ihn. Vor dem Postamt war die Straße aufgerissen, wir mußten anhalten.« Sie redete jetzt von ihrer Fahrt zu Farmington. Die Mill Street kenne ich. Die zweigt von der Jamaica Road ab und führt an einem alten Seitenbecken der Themse entlang. Drüben im Stadtteil Bermondsey. Dort ist Sanierungsgebiet. Gerade entlang der Themse. Dort wird ständig irgendwo die Straße aufgerissen. Außerdem gibt's eine Menge baufällige Häuser und andere Elendsquartiere. Es wunderte mich etwas, daß Farmington gerade dort das Atelier unterhielt. Aber mit Sicherheit waren dort geschickte Näherinnen zu haben. Und vor allem billig. »War er allein?« fragte ich Joan. »Das schon. Er ist in einem uralten Haus verschwunden. Eine richtige Bruchbude. Die sah nicht so aus, als ob man darin noch wohnen könnte. Er ist aber trotzdem vor der Tür stehen geblieben und hat sich umgesehen, als fürchte er, jemand sei hinter ihm her. In das Haus ist er dann rein.« »Würden Sie es wiederfinden?« fragte ich. So allmählich wurde mir der Bursche unheimlich. Er interessierte sich in einer Weise für mich, die mir nicht gefiel. »Ich denke schon«, meinte Joan. Ihrem Gesicht sah ich jedoch an, daß sie sich alles andere wünschte, als zu diesem Haus hingehen zu müssen. Ersparen konnte ich ihr den Weg nicht. Ich brauchte Klarheit. Jetzt sah ich endlich den Punkt, an dem ich den Hebel ansetzen 38
konnte. Joan brauchte ja gar nicht mit in das Haus zu kommen. Es genügte schon, wenn sie es mir zeigte. Ungewöhnlich ist es nicht, wenn Bruchbuden in der Mill Street und drumherum noch bewohnt werden. Solange den Leuten nicht Dach und Decke auf den Kopf fallen, nützen sie jedes Zimmer. Ganz und gar aus der Reihe aber tanzte ein Mann, der sich einen Salz-und-Pfeffer-Anzug und eine Melone leisten konnte. Üblicherweise wohnte so einer nicht in einer derart heruntergekommenen Gegend, wie es die Mill Street und die umliegenden Straßenzüge sind. Der Bursche paßte schon eher nach Mayfair oder Pimlico oder Belgravia – ob mit oder ohne Glatze. »Macht hier alles dicht«, sagte ich zu Kathleen und Joan und machte eine Handbewegung ringsum. »Ich habe aber zu arbeiten«, sagte Kathleen und wies auf die Entwürfe. »Kannst du auch in meiner Wohnung – später. Da wird dir auch noch etwas einfallen«, entgegnete ich. Zehn Minuten später hatte meine Freundin zusammengepackt, was sie benötigte. Ich verstand ja, daß sie ihre Modenschau unbedingt abhalten wollte und daß sie davor eine Menge Termine einhalten mußte. Ich wollte ihr da nicht dazwischenfunken. Andererseits war mit Gestalten wie Woods nicht zu spaßen, und wer tot ist, hält bekanntlich keine Modenschau mehr ab. Das wußte Kathleen auch. Darum fügte sie sich erstaunlich friedfertig. Ich bat sie, mit dem Rolls meinem MG zu folgen, und lud Joan in meinen Sportflitzer. Argwöhnisch beobachtete ich die Umgebung des Geschäftes und fixierte Passanten so durchdringend, daß die Leute ganz irritiert waren. Einige griffen sich bezeichnend an die Stirn. Sollten sie. Ich hatte jedenfalls meine guten Gründe, vorsichtig zu sein. 39
Und als wir dann endlich am abendlichen Londoner Verkehr teilnahmen, kontrollierte ich laufend im Außenspiegel die nachfolgenden Fahrzeuge. Es konnte ja sein, daß mir ein weiterer Schatten angehängt war, den ich bisher noch gar nicht wahrgenommen hatte. Kathleens Rolls versperrte mir zeitweise den rückwärtigen Ausblick. Darum kurvte ich zweimal um die ehemaligen Markthallen von Covent Garden, um einen etwaigen Verfolger zu verwirren oder abzuhängen. Im Spiegel sah ich Kathleens Gesicht. Sie schnitt Grimassen, sie verstand nicht, was ich wollte. Dafür bekam ich die Gewißheit, daß kein Fahrzeug versuchte, Anschluß an unseren Mini-Konvoi zu finden. Ich nahm jetzt die östliche Richtung durch die City und steuerte die Tower-Brücke an. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich Joan. Sie war wieder blaß. »Keine Sorge«, sagte ich, »die Burschen kriegen Sie nicht noch mal in die Finger. Vorher zerhacke ich sie in tausend Stücke und stelle sie in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett aus.« Ich nahm den Mund ziemlich voll. Aber das konnte ich. Denn jetzt hatte ich ja den Krif wieder. Und mit dem fühlte ich mich stark genug, um es mit Dracula und Woods und dem fetten Glatzkopf und noch ein paar anderen schrägen Gestalten aufzunehmen. Es war an der Zeit, daß sie auf die Finger geklopft bekamen. Gleich hinter der Tower-Brücke bog ich links in die Tooley Street ein. Von da waren es bestenfalls noch drei Minuten bis zur Mill Street. Joan spielte Mäuschen und versuchte sich im Beifahrersitz zu verkriechen. »Sie brauchen mir ja nur das Haus zu zeigen«, beruhigte ich das Mädchen. »Dann haben Sie mit der Sache nichts mehr zu tun. Wenn es Ihnen eine Beruhigung ist, dann steigen Sie gleich bei Kathleen zu und fahren schon voraus in meine Wohnung.« »Ich wäre sehr froh darum«, hauchte Joan. Die Angst hatte sie gepackt. Das verstand ich. Ich sichtete die aufgerissene Straße. Wie mir schien, machten die 40
Bauarbeiten keine nennenswerten Fortschritte. Wir fuhren am Postamt vorbei. »Da habe ich ihn entdeckt.« Joan machte eine Kopfbewegung zum rechten Bürgersteig hinüber. Jetzt war ich gespannt wie ein alter Regenschirm im Sturm. Und ich wurde nicht enttäuscht. Aber anders als ich mir das dachte. Ich sah nämlich einen Wagen, der mir verdammt bekannt vorkam. Er war in einer Seitengasse geparkt. Vor kurzem hatte ich Woods am Steuer des Autos entdeckt und auf den zugestiegenen Glatzkopf einreden sehen. Fast hätte ich auf die Bremse getreten. Soweit ich erkennen konnte, war niemand in der Seitengasse. Sollte das heißen, daß der Glatzkopf in der Bruchbude steckte und Woods ihm dabei Gesellschaft leistete? Meine Gedanken gingen noch viel weiter. Konnte sich hier der Schlupfwinkel von Dracula befinden, den ich seit Wochen suchte? Hatte er hier sein neues Hauptquartier gegründet? Ich hielt nichts mehr für ausgeschlossen. »Da ist es!« Joan zeigte auf ein heruntergekommenes Haus, das einen total unbewohnbaren Eindruck machte. Das Dach fehlte bereits, im dritten Stockwerk gähnten leere Fensterhöhlen. Und mit den Scheiben darunter war es nicht mehr weit her. Aber die Haustür war intakt. Sie machte sogar einen ungewöhnlich soliden Eindruck. Als ob sie erst vor einiger Zeit eingesetzt worden wäre. Klar, das leuchtete mir ein. Um Neugierige fernzuhalten. Dieses Haus wollte ich mir genauer ansehen, das stand fest. Aber die Mädchen mußten erst einmal verschwinden. Ich konnte nicht gleichzeitig auf sie und auf mich aufpassen. Deshalb fuhr ich zwei Quergassen weiter auf einen schäbigen Hof, vor dem noch ein verwittertes Schild verkündete, daß hier eine Spedition beheimatet war. Die Spedition war längst weitergezogen oder eingegangen. Was ich unter dürftigen Plastikplanen sah, waren Gebrauchtmöbel. Offensichtlich gab es dafür hier einen Markt. 41
Sofort wieselte auch ein schnauzbärtiger kleiner Mann aus einer elenden Bretterhütte am Ende des Hofes, rieb sich die Hände und beguckte meinen MG und den nachfolgenden Rolls erwartungsfroh. Irgendwie tat er mir leid. Aber was sollte ich mit abgewohnten Möbeln? Ich hatte keinen Bedarf dafür. Vielleicht glaubte er, es sei die neueste Marotte der Schickeria, sich mit altem Plunder wohnlich einzurichten. Als ich ausstieg, pries er mir seine dreibeinigen Tische und eingeballerten Schränke warm an. Ich stoppte seinen Redeschwall. »Heute nicht, guter Mann, wir brauchen nichts.« Da wurde er böse. »Warum kommen Sie dann her?« Ich lächelte ihn milde an. »Ja, das frage ich mich auch.« Damit half ich Joan aus dem Sportflitzer und geleitete sie zu Kathleens Rolls. Der schnauzbärtige Mann blieb mir auf den Fersen. »Ich habe vornehmste Kundschaft. Meine Antiquitäten sind überall geschätzt.« Er hegte immer noch die Hoffnung, mir eines seiner unaussprechlichen Stücke andrehen zu können. Ich setzte Joan in den Rolls und gab Kathleen meinen Wohnungsschlüssel. »Fahr auf dem kürzesten Weg nach Stanmore raus«, schärfte ich ihr ein. »Und falls sich jemand beim Haus rumtreibt, der dir nicht geheuer vorkommt, dann verbarrikadiert ihr euch in der Wohnung und macht nicht eher auf, als bis ich vor der Tür stehe.« Und weil ich immer noch nicht wußte, wie jemand wie Perry Hill aussehen konnte, ohne er zu sein, fügte ich hinzu: »Seid nicht leichtsinnig, wenn ein Kerl auftaucht, der so wie ich aussieht.« Joan fuhr mächtig zusammen. Kathleen zog die Brauen hoch. »Mach keine Witze!« »Heute nicht. Das Kennwort ist Miriam. Wer das nicht aufsagt, den darfst du mit dem Staubsauger erschießen, Mädchen.« Mir war es ernst damit. Das merkte Kathleen auch. Sie sagte nichts mehr, sondern legte gefühlvoll den Rückwärtsgang ein und fuhr vom Hof herunter. 42
Ich atmete auf, als ich den Wagen in Richtung Jamaica Road verschwinden sah. Als ich mich umwandte, stand der schnauzbärtige kleine Mann keine fünf Schritte entfernt und hatte die Hände in die Hosentaschen gerammt. »Ist das Auto geklaut?« In seinen Augen begann es zu blitzen. »Vielleicht sollte ich die Polizei anrufen. Ist mir zwar neu, daß jetzt auch schon Weiber in diesem Gewerbe mitmachen, aber man lernt ja nie aus. Unter Umständen könnte ich vergessen, was ich gesehen habe.« Die letzten Worte betonte er besonders. Ich verstand, ich bin ja, nicht auf den Kopf gefallen. »Wie teuer wären denn die Umstände?« Es interessierte mich, wie der gängige Tarif war. »Zehn Prozent vom Neupreis«, meinte der Bursche schlagfertig. Ich nickte und schaute bekümmert. »Ja, die hätte ich auch gern, Mann. Aus dem Geschäft wird bloß nichts. Der Dame gehört nämlich das Auto wirklich. Ich werde Sie trotzdem in guter Erinnerung behalten.« Als ich einstieg, bewarf er mich mit bösen Verwünschungen. Im Rückspiegel sah ich, daß er sich etwas notierte. Wahrscheinlich mein Kennzeichen. Der Bursche schien ziemlich findig zu sein, was das Anzapfen von vermeintlichen Geldquellen betraf. Vielleicht hatte er mit dieser Masche sogar schon einmal Glück gehabt. Ich hatte ein reines Gewissen und fuhr darum zurück bis zu jener Quergasse. Verdutzt rieb ich mir die Augen. Der Wagen war fort! Ich konnte wirklich nicht behaupten, daß heute mein Glückstag war. Hatte Woods irgendwo auf der Lauer gelegen und sowohl meinen MG als auch den Rolls von Kathleen erkannt? War er meiner Freundin gefolgt? Ich schaute auf die Uhr. Bis Stanmore raus brauchte Kathleen um 43
diese Tageszeit wenigstens eine Stunde. Vorher bei mir anzurufen hatte keinen Sinn. Aber ich mußte Kathleen und Joan warnen. Für alle Fälle. Es konnte durchaus sein, daß Woods sich an den Rolls drangehängt hatte und gemütlich hinter ihm hergondelte. Eine Stunde Zeit hatte ich jedenfalls. Die zu nutzen war ich finster entschlossen. Ich stellte den MG ab, schob den Krif unter der Jacke zurecht, langte Hilfswerkzeug aus dem Handschuhfach, ohne das gewisse Gewerbetreibende nicht auskommen, und spielte Passant. Vor der Haustür, die mich so sehr interessierte, zündete ich mir eine Zigarette an, musterte das Schloß und suchte aus dem Hilfswerkzeug den richtigen Haken heraus. Ich hoffte jetzt nur, daß niemand Anstoß an meinem Treiben nahm. Im Handumdrehen hatte ich das Schloß überlistet, und glitt in einen dunklen Hausflur, in dem es moderig und muffig roch. Aufatmend drückte ich die Tür hinter mir zu und lauschte- nach draußen, ob jemand Alarm schlug, und ins Haus, ob da Geräusche vernehmbar waren. Ich spürte eine seltsame Beklemmung aufsteigen. Sofort setzte ich meine ›Gabe‹ ein und sondierte nach fremden Gedankenströmen. Aber da waren keine – oder ich konnte sie nicht empfangen. Das kam vor, darum verließ ich mich besser nicht darauf, daß das Haus verlassen war. In so einer alten Bruchbude hatte ich schon einmal den Fehler gemacht, mich zuerst in den oberen Räumen umzusehen, und dabei waren mir ein paar erlesene Exemplare von Untoten, auf den Hals gekommen, die im Keller ihr Hauptquartier gehabt halten. Mit Woods war ich obendrein zusammengerasselt. In einem Sarg war er die Treppen herabgesaust, und erst im allerletzten Augenblick war mir aufgegangen, daß er ebenfalls ein Untoter war und mir ans Hemd wollte. Damals war ich davongekommen. Mein Glück wollte ich jetzt nicht erneut auf die Probe stellen. Wo doch heute sowieso mein Pechtag war. 44
Darum begann ich mit dem Keller. Das war leichter gesagt als getan. Ich durchstöberte zweimal erfolglos das Erdgeschoß, ohne den Zugang zum Keller zu finden. Bis mir dämmerte, daß er vielleicht außerhalb des Hauses liegen könnte. Etwas umständlich zwar für die ehemaligen Bewohner, aber ich konnte mir nicht denken, daß dieses Haus überhaupt keinen Keller haben sollte. Jedenfalls war schon mal eine Hintertür da. Abgeschlossen war sie auch. Mich hielt sie nicht länger als zwanzig Sekunden auf. Tatsächlich gab es an der Rückseite des Gebäudes einen Treppenschacht. Eine Menge Unrat lag darin. Es sah nicht so aus, als sei da in letzter Zeit jemand mit heilen Knochen hinabgekommen. Ich stieg über das liederliche Gerümpel hinweg, hielt mich am verrosteten Geländer fest, das außerdem aus dem mürben Mauerwerk zu brechen drohte, und landete vor einer blechbeschlagenen Tür. Leise war ich bei meiner Klettertour nicht gerade gewesen. Falls jemand im Keller war, hatte er mich gehört. Ich preßte ein Ohr gegen das Blech und lauschte. Nichts. Mit dem passenden Haken aus dem Hilfswerkzeug öffnete ich und schaute einigermaßen verdutzt in einen Raum, der mal als Kohlenlager gedient hatte. Die Spuren waren noch an den Wänden erkennbar. Der Raum besaß keinen zweiten Ausgang. Und das wunderte mich einigermaßen. Deshalb schritt ich die Wände ab und klopfte mit dem Krif dort gegen das Mauerwerk, wo mit einiger Sicherheit eine Tür hätte sein müssen. Eine zugemauerte natürlich. Meine sondierenden Schläge klangen alle gleich hart und fest. Ich sah auch nirgendwo eine Stelle, die nachträglich überputzt worden war. Dieser Kohlenkeller schien demnach nie vom Hausinneren her einen Zugang gehabt zu haben. Die Gründe interessierten mich 45
nicht. Ich wußte nur, daß es dann auch weitere Kellerräume geben mußte. Ich trat den Rückzug an und schloß die Türen hinter mir ab, um keinen Argwohn aufkommen zu lassen. Zu meiner eigenen Sicherheit stieg ich in den ersten Stock hinauf und stöberte dort herum. Es gab keine Möbel und kein Versteck, nur unübersehbare Spuren eingedrungenen Regenwassers und rapide fortschreitenden Verfalles. Weiter hinauf brauchte ich gar nicht erst. Die Treppe war fort. Und oben sah ich den Londoner Abendhimmel durchs Gebälk schimmern. Ich mußte mich dranhalten, solange es noch etwas hell war. Deshalb knöpfte ich mir noch einmal das Erdgeschoß vor und hämmerte mit dem Krif gegen die Wände. Ich vermutete, daß es eine Tapetentür oder so etwas gab. Meine Klopferei war bestimmt auf der Straße zu hören. Darauf konnte ich jedoch keine Rücksicht nehmen. Nachdem ich alle Wände der einstigen Wohn- und Schlafräume durch hatte, wollte ich schon aufgeben. Ich konnte kaum noch etwas sehen, so dunkel war's schon. Aber der Ehrgeiz ließ mich nicht los. Ich hackte auf den Gängen am Mauerwerk und schließlich im Schein meiner, Feuerzeugflamme sogar in der ehemaligen Küche. Plötzlich spürte ich, wie unter meinen Füßen ein Bodenbrett nachgab. Geistesgegenwärtig sprang ich zurück, weil ich eine funktionierende Falltür vermutete. Aber es tat sich kein Loch im Fußboden auf. Genau vor mir schwang statt dessen ein Stück Wand mit ein paar gesprungenen Fliesen zur Seite und gab ein düsteres Loch frei. »Na also!« brummte ich zufrieden. Das lose Bodenbrett war nichts anderes als der Mechanismus, der die geschickt getarnte Drehtür in der Wand in Betrieb setzte. Aus dem dunklen Eingang roch es streng. Nach Kräutern und Es46
senzen und anderem Zeug. Hören konnte ich nichts. Nicht einmal ein Knarren. Das bewies mir, daß die Lagerzapfen der Drehtür gut geschmiert waren. Ich knipste wieder das Feuerzeug an, stieg über das lose Brett hinweg und schob mich vorsichtig durch die Öffnung. Weit reichte mein Licht nicht. Ich konnte jedoch ausgetretene Steinstufen erkennen, die in die Tiefe führten, und einen Eisenring am Ende einer Stange. Mit dieser simplen Konstruktion wurde die Drehtür also von dieser Seite aus in Bewegung gesetzt. Man mußte das nur wissen. Ich zog an dem Ring. Lautlos schloß sich hinter mir die Wand. Wenigstens konnte ich jetzt nicht überrascht werden. Vorsichtig tappte ich die Stufen hinab und war mächtig erleichtert, als ich an der Wand elektrische Leitungen und einen Schalter entdeckte. Ich drehte daran. Eine elende Birne flammte auf. Aber besser als meine Feuerzeugfunzel war sie allemal. Besorgt warf ich einen Blick auf die Uhr und erschrak. Ich hatte mich mit dem Herumhämmern länger aufgehalten, als ich eigentlich durfte. Die Zeit war wie im Flug vergangen. Die Stunde, die ich mir gestattet hatte, war um. Kathleen konnte bereits in meiner Wohnung angekommen sein. Aber sollte ich jetzt meine Entdeckungspirsch abbrechen? Ein paar Minuten nur, sagte ich mir. Ich will ja nur wissen, was hier los ist und warum der Zugang zum Keller so raffiniert verborgen wird! Ich beguckte mir erst mal den Kellerflur und ordnete seine Richtung ein. An seinem anderen Ende mußte hinter der Mauer der Kohlenkeller liegen. Auch von dieser Seite sah ich nichts von einer vermauerten Tür. Dafür gab's andere Türen genug. Ich öffnete die erste. Sie war unverschlossen. In dem Raum befanden sich die Reste der Heizungsanlage. Dazu der Ascheschacht der Kamine oben im Haus. 47
Ich hielt mich nicht auf und nahm mir den nächsten Raum vor. Der war vollgestellt mit Gerümpel und gebündelten alten Zeitungen. Wenigstens wollte ich wissen, woran ich war, und warf einen Blick auf ein Tagesblatt. Die Zeitung war vor zwanzig Jahren erschienen. So ungefähr war auch der Zustand des Hauses. Der dritte Raum war absolut leer. Verdammt, ich hatte wirklich einen schwarzen Tag erwischt. Aber da war noch eine vierte Tür. Wenigstens einen Blick wollte ich hinter sie werfen. Eine Art Jagdfieber packte mich, als ich sie verschlossen fand. Durch die Ritzen roch es besonders stark und deutlich nach diesem Gemisch von Kräutern und Essenzen. Ich äugte vorsichtshalber durchs Schlüsselloch. Drinnen war es finster. Es war niemand zuhause. Den Krach, den ich bisher vollführt hatte, hätte auch nur ein schlafender Schwerhöriger ignorieren können. Ich öffnete Schloß und Tür und prallte zurück. Denn was ich noch roch, ließ mir fast das Mark in den Knochen gefrieren. So stanken die Hexenblumen, die Likkat, der Bote aus der Schwarzwelt, als bösartiges Geschenk mitgebracht hatte, als er gekommen war, um Miriam von dieser Welt wegzuholen. Mit einer blitzschnellen Bewegung hob ich den Krif und war bereit, jedem Angreifer den Schädel zu spalten. * Kathleen benützte den Rückspiegel und merkte schnell, daß ihr ein schwarzer Wagen beharrlich folgte. Sie bewahrte einen kühlen Kopf und sagte vor allem Joan Masters nichts von ihrer Beobachtung. Statt dessen wechselte sie plötzlich die Fahrspur und zwängte sich zwischen zwei Stadtbusse. Ein wü48
tendes Hupen war das Ergebnis. Der Fahrer des schwarzen Wagens war ausgetrickst und hatte eine Schlange ungeduldiger Fahrer hinter sich. Wohl oder übel mußte er an dem Rolls Royce von Kathleen vorbeiziehen. Die schaute angestrengt hinüber. Und sie zuckte heftig zusammen, als sie Woods erkannte. Unter tausend Männern hätte sie ihn entdeckt! Der Kerl hatte sie und Joan einmal mit seinem Scotland YardAusweis getäuscht und in einem alten Wagen zu Dracula verfrachtet. Nur in allerletzter Sekunde waren sie beide einem schrecklichen Los entgangen. Kathleen geriet nicht in Panik. Sie überlegte, fädelte sich zwischen den beiden Bussen heraus und entwischte in die nächste Straße, während Woods vom Verkehrsstrom geradeaus gespült wurde. Der Gedanke, daß der Untote vor Wut vielleicht platzte, vermochte ihr Herz richtig zu wärmen. Aber wahrscheinlich tat ihr Woods nicht den Gefallen. Und auf sonstige Zufälle verließ sie sich lieber auch nicht. Sie durchquerte die Stadt auf einer unüblichen Route, mied die Hauptverkehrsadern, weil sie überzeugt war, daß Woods irgendwo an die Bordsteinkante herangefahren war und auf einen Glückstreffer hoffte, und gelangte auf Umwegen nach Stanmore. Zur Vorsicht fuhr sie erst einmal durch die Straße und beobachtete die Umgebung des Hauses, in dem Mac seine Wohnung hatte. Ein schwarzer Wagen parkte nirgendwo, und auch sonst sah sie nichts Verdächtiges. Also hielt sie auf dem Rückweg genau vor der Tür, griff sich ihre Entwürfe und den Zeichenkram und stieg aus. Joan wartete schon auf dem Bürgersteig. Eine Straßenlampe spendete ausreichend Helligkeit. Zudem fiel aus etlichen Fenstern des Hauses Licht. Das sah alles sehr unverdächtig aus. Auch Joan empfand das so, denn sie sagte mit einem tiefen Aufatmen: »Wenn wir Mac nicht hätten, ich glaube, uns gäbe es dann 49
schon gar nicht mehr.« Kathleen wollte ihr nicht widersprechen, aber daß Joan so vertraut von Mac sprach, ging ihr etwas gegen den Strich. Sie verschloß den Rolls und folgte Joan auf dem Plattenweg zur Haustür. Den Schlüssel hatte sie schon in der Hand, als sie aus den Augenwinkeln rechts eine Bewegung im schattenerfüllten Vorgarten wahrnahm. Instinktiv drehte sie sich herum. Zwei Gestalten hatten sich aus dem Schutz eines Busches gelöst und sprangen herzu. Wortlos. Eine düstere Bedrohung ging von ihnen aus. Und dann gerieten sie ins Licht der Straßenlaterne. Zwei Männer. Und Kathleen kannte sie beide. Der eine war Woods! Der andere, der feiste Glatzkopf, der sogar schon bis zu Macs Wohnungstür vorgedrungen war! Woods hatte sich nicht damit aufgehalten, irgendwo in der Stadt Posten zu beziehen und darauf zu warten, daß vielleicht der richtige Rolls-Royce an ihm vorbeizischte. Er war gleich zur richtigen Adresse gefahren. Jetzt sah auch Joan, wer ihnen da auflauerte. Sie stieß einen gellenden Schrei aus. Kathleen war zwar auch fast zu Tode erschrocken, aber sie handelte. Bis ihnen hier jemand zu Hilfe kam, konnte der untote YardInspektor sie schon überwältigt haben. Sie ließ ihre Entwürfe und Skizzenblocks samt Handtasche fallen, zog gedankenschnell den rechten Schuh aus und nahm ihn als Schlagwaffe. Der spitze Absatz war bestimmt geeignet, wenigstens den Glatzkopf auf Distanz zu halten. Aber gerade dieser Bursche hatte es besonders eilig. Er machte einen unglaublichen Sprung und packte Joan, die schreckensstarr an der Tür lehnte. Kathleen schlug zu und traf den Kerl an der Achsel. Er knurrte gereizt, ließ Joan aber nicht los. 50
Kathleen fuhr halb herum und sah Woods springen. Der Untote grinste siegessicher. Lange Vampirzähne schnellten zwischen seinen Lippen heraus. In höchster Not schlug Kathleen mitten hinein in dieses gräßliche Gesicht. Sie wunderte sich, wie kräftig sie zuhieb. Ihr war, als würde eine unbekannte Macht ihre Hand führen und ihr mehr Kraft und Schwung verleihen, als sie zustande brachte. Woods zuckte zurück. Er brüllte auf, riß einen Unterarm vor das Gesicht und duckte sich. Dann schnellte er wieder vorwärts. Kathleen durchschaute seine Absicht. Er wollte ihre Beine packen und sie umreißen. Sie holte mit aller Macht aus und knallte ihm den spitzen Absatz auf den Schädel. Es klang schauderhaft, als sie traf. Wie von einer Faust gefällt stürzte Woods aufs Gesicht und blieb halb auf den Stufen liegen. Sein rechter Arm bewegte sich noch, er kroch auf Kathleens rechten Knöchel zu. Die Finger machten zupackende Bewegungen. Als Kathleen die langen Fingernägel sah, dachte sie zwangsläufig an teuflische Krallen. Wenn Woods sie damit packte, konnte sie ihm bestimmt nicht mehr auskommen. Deshalb hob sie blitzschnell den Fuß und stieß den Untoten mit einem Ruck von den Stufen. Der Kerl war schwer wie Blei. Und doch flog er durch den halben Vorgarten und blieb mit ausgebreiteten Armen in einem Beet liegen. Kathleen verstand es nicht. Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Und wenn sie alles richtig behalten hatte, was Mac ihr über Untote erzählt hatte, dann konnte Woods von dem Schlag an den Schädel auch nicht betäubt sein. Außerdem hatte sie gar nicht soviel Kraft, um einen Burschen wie ihn mit einem Tritt zehn Schritt weit fliegen zu lassen. Sie bekam es mit der Angst zu tun. Da war etwas, das sie nicht verstand und das ihr so unheimlich war wie Woods selber. Joan gurgelte und wehrte sich. Die Haustür rumpelte, weil der Glatzkopf das Mädchen in den Winkel drückte und versuchte, es 51
besser zu packen. Kathleen wirbelte herum und langte mit dem Schuh zu. Der Glatzkopf schrie spitz und gellend, griff sich an den Kopf und warf sich gegen Kathleen. Er rannte ins Leere und purzelte die Stufen hinunter, weil Kathleen blitzschnell auswich. Noch mehr wunderte sich Kathleen selber, daß der Kerl sie verfehlte. Sein Angriff hatte sie überrumpelt, und im Geiste sah sie sich schon von ihm fortgerissen. Doch plötzlich spürte sie, wie sie zur Seite geschoben wurde. Weich und sanft irgendwie, aber ungeheuer schnell. Und jetzt sah sie, wie aus dem Nichts blaue feine Blitze auf den Glatzkopf niederzuckten und in seinen Körper schlugen. Der Kerl sprang hoch und versuchte, den geisterhaften Blitzen zu entkommen. Sie setzten ihm erkennbar zu, denn er griff hierhin und dorthin. Immer dann, wenn so ein feiner bläulicher Blitz wieder in seinen Körper gefahren war. Er blubberte etwas. Irgendwie schwang Panik mit. Und etwas schien zu verhindern, daß er laut und gellend schrie und noch mehr Aufruhr auslöste. Jetzt prasselten auch auf Woods diese unheimlichen Blitze nieder. Es schien sich um ungeheuere Entladungen zu handeln, denn Kathleen hörte das Knistern. Sie sah auch, wie es den Untoten herumwarf und wie sein Körper unter jedem neuen Einschlag zuckte. Oben im Haus wurden Fenster aufgerissen. Auch gegenüber schauten jetzt Leute auf die Straße. Der geisterhafte Blitzzauber hörte schlagartig auf. Wie von Furien gehetzt rannte der Glatzkopf davon. Woods erwachte aus seiner rätselhaften Betäubung, schwang sich behender als ein Affe über den Eisenzaun und lief hinter dem Glatzkopf her. Aus einem Fenster über Kathleen schimpfte eine Frau und sagte etwas von verkommenem Gesindel und Handtaschenräubern und 52
daß es schade sei, daß man solche Tagediebe nicht mehr auf Galeeren schaffen könne, wo ihnen die Flausen schon vergehen würden. Dankbar griff Kathleen nach diesem Strohhalm. »Wir hatten Glück!« rief sie am Haus hinauf. »Die Halunken haben meine Handtasche nicht bekommen.« »Wenigstens etwas!« meinte ein Mann von gegenüber. Die Frau im Haus beugte sich aus dem Fenster. »Ach, Sie sind das?« meinte sie mit einem ganz eigenartigen Unterton. »Mister Kinsey ist aber nicht daheim, falls Sie das meinen.« Die Neugierde sprach aus jedem Wort. Kathleen konnte jetzt ermessen, wie die Hausnachbarn sich den Mund über Mac und sie und Joan zerrissen hatten und dies jetzt wohl wieder taten. Aber es ging niemand etwas an, was Mac tat und was nicht. Sie las die Entwürfe und Skizzenblocks zusammen, schloß die Haustür auf und schob Joan hinein. »Reiß dich zusammen!« raunte sie. »Es hat schon genug Aufsehen gegeben. Die zwei Burschen sind wir los.« »Die kommen wieder!« Joan war drauf und dran, durchzudrehen. Kathleen schlüpfte in den Schuh. »Bis dahin ist Mac zur Stelle.« »Es war Woods. Und der dicke Glatzkopf, ich habe sie erkannt!« »Meinst du, ich hätte die Augen zugekniffen? Sie haben uns aufgelauert, und es hat nicht geklappt. Das ist doch schon was.« Im Gegensatz zu ihren forschen Worten hatte Kathleen ein mächtig flaues Gefühl im Magen. Sie und Joan hatten gewaltiges Glück, gehabt. Und etwas hatte ihnen geholfen. Etwas, das da war und das doch unsichtbar blieb. Jemand hatte die Treppenhausbeleuchtung angeknipst. Im ersten Stockwerk stand ein Ehepaar in der Wohnungstür und musterte schweigend und verkniffen die beiden Mädchen. Kathleen und Joan hielten sich nicht damit auf, irgendwelche Erklärungen abzugeben. Sie sahen zu, daß sie die richtige Wohnung erreichten. Erst als sie die Tür hinter sich zudrückten und absperrten, atmeten sie auf. Hier waren sie in Sicherheit. Vorläufig jedenfalls. 53
Kathleen hängte ihre Jacke an die Garderobe, Joan ging voraus ins Wohnzimmer. Plötzlich hörte Kathleen einen unterdrückten Schrei und eilte in den Wohnraum. Joan stand stocksteif und hatte noch die Hand am Lichtschalter. Gegenüber am Fenster stand eine wildfremde Frau mit einer etwas eigentümlichen schlichten Frisur und in Kleidern, die mächtig gebraucht aussahen. Das Gesicht wirkte angestrengt, die Lippen waren schmal, und die Augen blickten durchdringend, wie Kathleen noch niemand hatte schauen sehen. Dennoch ging von der Frau eine seltsame Ruhe aus. Bevor Kathleen fragen konnte, wer sie war und was sie in Macs Wohnung zu suchen hatte, sagte sie: »Ich wußte, daß Sie kommen und daß man Ihnen auflauert. Ich bin Miriam.« »Die Hexe?« rutschte es Kathleen heraus. Mac hatte ihr von seiner seltsamen Freundschaft mit der Frau genug erzählt, die angeblich tausend Jahre alt war. Ein nachsichtiges Lächeln glitt über Miriams Gesicht. Das war auch eine Antwort. »Aber die Tür war doch verschlossen!« wunderte sich Kathleen. Und dann schalt sie sich selbst dumm und phantasielos. Für eine Hexe stellte eine verschlossene Wohnungstür mit Sicherheit kein ernsthaftes Hindernis dar. Und nun begann ihr auch zu dämmern, was die eigentümlichen bläulichen Blitze verursacht hatte und warum sie den untoten Inspektor Woods mit einem einzigen Tritt durch den halben Vorgarten katapultiert hatte. Das war Miriams Werk gewesen. Die Hexe hatte Woods und den Glatzkopf in die Flucht geschlagen. Mit einem mächtigen Zauber. * Der Gestank der Hexenblumen legte sich beklemmend auf meine 54
Lungen. Ein Angriff aus dem dunklen Raum heraus erfolgte jedoch nicht. Dabei bot ich ein gutes Ziel vor dem hellen Rechteck der Tür. Hinter mir brannte die klägliche Beleuchtung. Ich gewann die Überzeugung, daß sich niemand in dem Raum aufhielt. Also griff ich zum Feuerzeug, entdeckte einen Lichtschalter an der Wand und sorgte für besseres Licht. Eine nackte Birne hing von der Decke herab. Das Licht war nicht berühmt, aber mir genügte es. Ich war in eine Art Hexenküche geraten. Diverse getrocknete Kräuter hingen gebündelt an der Wand. Mit roter und schwarzer Kreide war an eine andere Wand ein Symbol gemalt, das ich aus den Schriften der Mystiker kannte. Es spielte bei der Beschwörung von Geistern eine wichtige Rolle. Dieses Symbol, ein Mittelding von Druiden- und Hexenstern, entdeckte ich auch noch auf dem Fußboden. Dort war es allerdings aus Steinen gelegt und in den Beton eingelassen. Und um den Stern herum zog sich der magische Kreis. Der erschreckte mich nicht. Ich hatte schon selber mit dem magischen Kreis gearbeitet, besonders beim Feuerzauber. Aber ich hütete mich, diesen Kreis zu betreten. Ich wußte nicht, zu welchem Zweck er geschaffen war. Deshalb sah ich mich lieber im Raum um. Und dabei machte ich eine Entdeckung, die mich zusammenfahren ließ. Auf einem Tisch an der Längswand standen schwarze Kerzen und ein verkehrt herum aufgestelltes Kruzifix. Es war außerdem mit einem hauchzarten schwarzen Gewebe abgedeckt. Neugierig trat ich näher und machte einen Bogen um den magischen Kreis samt Stern. Auf dem Tisch lagen uralte Pergamente, manche mit gotischen Schriftzeichen bedeckt, andere mit eigenartigen Symbolen und Zeichnungen. 55
Sogar ein sogenannter Pakt war dabei, ein Vertrag mit dem Teufel, mit drei Blutstropfen besiegelt. Allerdings vermißte ich die Gegenzeichnung des Teufels. Wie es aussah, war dieser vorbereitete Vertrag nur einseitig geschlossen und nie zustande gekommen. Besonders wohl fühlte ich mich nicht in meiner Haut, das will ich gern zugeben. Was da ausgebreitet lag, diente eindeutig dem Zweck, schwarze Magie zu betreiben. Woods hatte so etwas nicht nötig, er war bereits eine Kreatur des Bösen. Und Dracula hielt sich mit solchen Sachen erst recht nicht auf. Da blieb also nur der feiste Glatzkopf. Er experimentierte hier. Wichtige Indizien dafür waren, daß er sich, wie Joan beobachtet hatte, unter allergrößter Vorsicht in dieses Haus geschlichen hatte und daß der Zugang zu den Kellerräumen raffiniert getarnt war. Der Bursche schien sich von seinen Anstrengungen etwas zu versprechen. Und er betrieb sein Geschäft heimlich. Das tun sie übrigens alle – die Magier, Hexer und Zauberer. Bei gewissen Zeremonien durfte man keine Zuhörer und Zuschauer haben. Ich weiß, wovon ich rede. Wenn ich den Feuerzauber zelebriere, muß ich auch allein sein. Sonst kann es mir blühen, daß sich die gewaltige Kraft des Zaubers gegen mich wendet und mich in eine lebende Fackel verwandelt. Als Aschehäufchen in einer Zigarrenschachtel wollte ich nicht Sir Horatio überbracht werden, deshalb schloß auch ich jede Art von Publikum aus. Aber der Feuerzauber ist weiße Magie, und hier wurde schwarze Magie gemacht. Die ist viel schrecklicher. Da kann erst recht unversehens etwas ins Auge gehen. Seitlich hinter dem Tisch standen vier mächtige Truhen auf dem Boden. Ich vermutete, daß sie weitere Zauberschriften enthielten. Der Glatzkopf hatte sich wahrlich gut eingedeckt und eine Menge Geld in seine schwarzmagische Werkstatt gebuttert. Das traf auch auf die Glaskolben und Destillierapparate zu, die 56
ein ganzes Regal beanspruchten. Ein wenig wurde ich an Doktor Vilion in Balmoral erinnert, den alten knorrigen schottischen Kauz, der sich auf das Heilen von Gebrechen so gut verstand wie auf die Herstellung eines fabelhaften Zauberelixiers. Als ich kürzlich bei ihm oben war und die schreckliche Begegnung mit dem widergekehrten Feuerdämon und den in Prozessionen herumwandelnden Skeletten hatte, war für mich ein Fläschchen von diesem Elixier herausgesprungen. Vilion hatte es für mich abgezweigt. In seinem Labor sah es so ähnlich aus wie hier, nur war er natürlich moderner eingerichtet. Vor allem stank es in seinem Labor nicht so gotterbärmlich. Aber Tinkturen und andere Sachen hatte er auch hergestellt. Mit dem Zeug im Regal war ziemlich nachlässig hantiert worden. Ich entdeckte Tropfen auf dem Boden und sogar auf dem Tisch bei den schwarzen Kerzen. Offensichtlich war aber nichts dabei herausgekommen. Wenigstens wußte ich jetzt, woher der scharfe Essenzgeruch stammte. Die trockenen Kräuter dufteten auch ganz tüchtig. Woher stammte dann der pestilenzartige Gestank der Hexenblumen? Ich sah keine solchen Blumen. Spielten mir nur meine Geruchsnerven einen Streich? Jetzt war ich schon einmal da, und ich wollte die Chance nützen. Deshalb öffnete ich die erste Truhe. Auf den Anblick war ich nicht vorbereitet. Ich hatte das Gefühl, der Betonboden würde unter meinen Füßen weggleiten. Die Truhe war nichts anderes als eine Totenkiste, und darin lag die Frau mit dem Blumenhut, die mich unter den Doppeldeckerbus gestoßen hatte. Die altertümliche Kopfbedeckung hatte sie sogar noch auf. Sie hielt die Augen geschlossen und die Arme gekreuzt. Meine Schrecksekunde dauerte verdammt lange. Von Sekunde 57
war keine Rede. Vorsichtshalber nahm ich den Krif zur Hand, bevor ich mich zu der Frau hinabbeugte und sie anfaßte. Sie war eiskalt, wie es Tote nun mal zu sein pflegen. Aber noch wollte ich nicht so recht daran glauben, daß sie tot war, wenn auch die Umstände keine andere Möglichkeit zuließen. Darum knipste ich das Feuerzeug an, stellte die Flamme hoch und hielt sie der Frau vor die Nasenlöcher. Falls sie atmete, mußte die Gasflamme flackern oder aus der Richtung geraten. Nichts. Ich hatte das fast erwartet. Aber ich fühlte ihr auch noch die Pulse. Und ich setzte meine ›Gabe‹ ein, um eventuelle mediale Ausstrahlungen wahrzunehmen. Ich bin zwar kein Mediziner, es gehörte allerdings auch kein Studium dazu, um festzustellen, daß diese Frau wirklich tot war. Nur traute ich der Sache nicht. Was Tote anbetrifft, habe ich schon die erstaunlichsten Überraschungen erlebt. Und was mich in diesem Fall störte, war die Leichenstarre. Sie konnte schon eingetreten sein, kalt genug war es im Keller. Für gewöhnlich tritt sie ja erst nach sechzehn bis zweiundzwanzig Stunden ein, je nachdem, wie die Umgebungstemperatur ist. Probehalber hob ich einen Arm der Toten an und ließ ihn los. Er fiel mühelos zurück. Sichtbare Verletzungen entdeckte ich nicht. Das besagte nicht viel. Aber die Umgebung behagte mir nicht. Diese Frau gehörte in ein Leichenhaus und nicht in eine Truhe in einem alten Keller. Offensichtlich wurde sie noch benötigt. Darum bewahrte man sie hier auf. Ich klappte den Truhendeckel zu und war natürlich mächtig gespannt, was ich noch entdecken würde. Die nächste Truhe war leer. Aber sie war gemütlich eingerichtet, bei meiner Seligkeit! Eine komfortablere Totenkiste habe ich nie gesehen. Die Innenwände waren mit reiner Seide ausgeschlagen. Das 58
Kopfkissen war aus blutrotem Samt. Und es war eingedellt! Mir richtete es die Haare einzeln auf. Diese Luxustotenkiste war die Behausung eines Wiedergängers! Und er war im Augenblick ausgeflogen. Falls er zur Unzeit zurückkehrte und mich hier überraschte, konnte es brenzlig für mich werden. Interessiert beugte ich mich vor, als ich Haare auf dem Samtkissen erspähte. Der Länge nach waren es Männerhaare. Ich pflückte sie vom Samt und barg sie in einem Umschlag. Die Eierköpfe von unserem Labor hatten bei mir noch was im Salz liegen – des Krifs wegen, an dem sie so lange herumgemurkst hatten. Da wollte ich mich keinesfalls lumpen lassen. Sollten sie zusehen, was sie aus den Haaren herausbrachten. Ich wollte ihnen gerne noch ein paar Details dazu liefern und sie richtig schön nerven. Auch die dritte Truhe war leer, oder mit anderen Worten – der zeitweilige Bewohner war ausgeflogen. Denn klar erkennbar hatte hier jemand geruht. Wie es aussah, hatte ich ein gutgehendes Asyl für Wiedergänger und Untote entdeckt. Bei dem Gedanken wurde mir abwechselnd warm und kalt. Dann war die Frau vielleicht gar nicht tot? In dem Sinne, daß ihre Existenz beendet war? So einen vagen Verdacht hatte ich ja gleich gehabt! Ich hatte ja nicht nur zum bloßen Zeitvertreib die Körperfunktionen überprüft. Da die Frau auf geheimnisvollen Wegen in den Keller und in die zur Totenkiste umfunktionierte Truhe gekommen war, konnte ich mit einiger Berechtigung vermuten, daß auch Perry Hills Doppelgänger nicht weit war. Ich tippte auf die vierte Truhe und klappte sie ungehemmt auf. Wie erwartet lag er darin, sozusagen taufrisch, ohne allerdings einen Schnaufer zu tun. Wenn mich Sir Horatio nicht aufgeklärt hätte, wäre ich mit Sicherheit auf die Ähnlichkeit hereingefallen: Genau so kannte ich 59
Perry Hill. Mit einem leicht arroganten Gesichtsausdruck. Mit den hochgewischten Brauen. Und mit den Falten in den Mundwinkeln, als würde er sich unentwegt über sich und die Welt mokieren. Diese Übereinstimmung mit dem Perry Hill, wie er vor der einschneidenden Gesichtsoperation ausgesehen hatte, wirkte wie ein Schock auf mich. Jemand hatte ein Double von Hill hergestellt, davon ließ ich mich jetzt nicht mehr abbringen. Und zwar jemand, der keine Ahnung davon hatte, daß der Junge inzwischen anders aussah. Ein verständlicher Irrtum und ein nützlicher Hinweis für mich. Auf Woods nämlich. Der kannte Hill in seiner ursprünglichen Beschaffenheit. Vielleicht hatten sie sogar im einen oder anderen Fall zusammengearbeitet – als Woods noch regulärer und beliebter Inspektor beim Yard war. Oder Woods hatte ein Foto von Hill in die Finger bekommen. Nachdenklich starrte ich auf das Gesicht mit den geschlossenen Augen und den gekreuzten Armen nieder. Und je länger ich starrte, desto deutlicher fielen mir gewisse Abweichungen auf. Insgesamt wirkte das Gesicht etwas grob. Die Nasenlöcher sahen aus wie selber gebohrt. Nachlässigkeit wollte ich mir nicht vorwerfen lassen. Diese zweite Ausgabe von Hill mußte ich ebenso untersuchen wie die Frau. Denn auch hier konnte ich keine äußeren Verletzungen feststellen. Der Krif war mir hinderlich, darum legte ich ihn über eine Ecke der offenen Totentruhe. Dann kauerte ich mich neben die Truhe und fühlte Hills zweiter Ausgabe den Puls. Weiß der Teufel, was mich dazu brachte, das Gesicht im Blick zu behalten. Jedenfalls tat ich's, und das war gut so. Denn plötzlich sah ich den Toten blinzeln. Mir blieb fast das Herz stehen. Nun ist es ja sehr ungewöhnlich und allgemein auch nicht an der Tagesordnung, daß Tote noch blinzeln. Also sagte ich mir, ich hätte mich geirrt. 60
Aber als der Tote die Augen ganz weit öffnete und mich nun auch noch freundlich angrinste, wobei er den Mund verzog, redete ich mir nicht länger einen Irrtum ein. Ich sah erst mal zu, daß ich von der Truhe weg kam. Lieber Himmel, Hills Doppelgänger war also zwar tot, aber auch wieder nicht. Also ein Untoter. Bei der Frau verhielt es sich mit Sicherheit ebenso. Die beiden hatten offensichtlich den Auftrag gehabt, mich in der Stadt um die Ecke zu bringen. Fast hätte das geklappt. Dann waren sie auf mir unbekannte Weise hierhergekommen und ruhten sich aus. Möglich, daß sie für den unheimlichen Glatzkopf arbeiteten. Ich tippte aber eher auf Woods, denn der hatte seine Hände im Spiel. Es war nur noch eine Fortführung der Gedanken, daß ich zu dem Schluß kam, die beiden verlassenen Truhen könnten die Ruheplätze von Woods und Dracula sein. Da bei den dunklen Mächten scharf auf die Beachtung der Hierarchie gesehen wurde – wie bei uns auch – schätzte ich, daß die mit Seide ausgeschlagene und mit dem Samtkissen dekorierte Totentruhe dem Fürsten aller Blutsauger vorbehalten war und Woods sich mit der schlichteren Ausführung begnügen mußte. Und wenn das alles stimmte, dann hatte ich das langgesuchte Versteck des teuflischen Gesindels gefunden! Bloß war mir völlig rätselhaft, wie der Glatzkopf in diesen Reigen geraten war. Ein warnendes Gefühl sagte mir, daß er nicht nur der Herbergsvater des Vampirpacks war. Der Bursche entwickelte Initiative. Schnüffelte um meine Wohnung herum. Lauerte mir in Whitehall auf und folgte mir durch die halbe Stadt. Und unterhielt hier eine erstklassige Giftküche. An dem Kerl war mehr dran, als es auf den ersten Blick scheinen mochte. Ich kenne eine Menge Leute, die sich mit Magie beschäftigen und auch versuchen, ein wenig zu zaubern. In diesen Kreisen hat jeder 61
schon vom anderen gehört, wenn er ihn schon nicht gesehen hat. Irgendwelche Hinweise auf einen Glatzkopf waren mir nie zu Ohren gekommen. Ein Poltern und nachfolgendes Klirren verlangte meine ganze Aufmerksamkeit. Ich sah gerade noch die Arme von Hills Doppelgänger niedersinken. Der Krif lag am Boden. Er hatte das Gepolter verursacht. Ich begriff sofort. Hills Doppelgänger hatte sich durch die Nähe des Drei-Klingen-Beiles in seiner Ruhe beeinträchtigt gefühlt und hatte es von der Truhenecke heruntergestoßen. Ich machte die Probe aufs Exempel und legte den Krif noch einmal auf die Truhe, knapp über den Kopf des Untoten. Sofort schnellten die Arme hoch und stießen den Krif weg. Die Augen des Untoten waren weit aufgerissen und zeigten Wut und Angst gleichermaßen, und aus dem Mund drangen bedrohliche Töne. Aber aus seiner Behausung stieg Hills Doppelgänger nicht, um mir auf den Hals zu kommen. Vielleicht war er dazu zu schwach, nachdem er in der Stadt im Einsatz gewesen war. Ich wiederholte die Probe mit dem Krif auch bei der Frau. Ihr hielt ich den Krif vor das Gesicht. Sofort öffnete sie die Augen, und aus dem Mund drangen Laute, die ich kannte. So klingt eine Totenstimme – greinend irgendwie, aber keineswegs freundlich oder hilflos. Bei der Bushaltestelle hatte die Frau jedoch ganz normal gesprochen. Ich schätzte, daß sie in ihrem jetzigen Zustand nur diese Totentöne hervorbringen konnte. Sie war wie Hills Doppelgänger hierhergekommen, um eine Ruhephase einzulegen. * Aber ich täuschte mich. Ihre blassen kalten Finger klammerten sich 62
um den Rand der Truhe, und mit einem Ruck richtete sie den Oberkörper auf. Dann kletterte sie heraus. Weiß der Teufel, wie es passiert war, jedenfalls war der Bann gebrochen. Vielleicht durch mein Eindringen. Oder durch den Krif. Hinter mir knackte es. Ich wandte den Kopf. Hills zweite Ausgabe stieg gerade aus der Truhe und kam schnurstracks auf mich zu. In ziemlich unmißverständlicher Absicht. Er verfügte über Bärenkräfte. Woods vermutliche Behausung stand ihm im Wege. Er gab der Truhe einen Tritt, daß es nur so rumpelte. Die Truhe sauste bis hinter den Tisch mit den zahllosen Zauberpergamenten und magischen Schriften. Jetzt hatte der Kerl freie Bahn. Ich wußte, daß ich schon längst über die Zeit war. Der Anruf in meiner Wohnung war überfällig, ich mußte Kathleen unbedingt warnen. Denn Woods und Dracula waren unterwegs, und das beruhigte mich keineswegs. Langsam zog ich mich in Richtung Tür zurück. Die untote Frau rannte plötzlich los und erreichte die Tür vor mir. Das war eindeutig. Die zwei wollten mich in die Zange nehmen. Ich habe wiederholt mit Untoten gekämpft und weiß, daß sie den geringsten Fehler nützen, den man macht. Sie besitzen einen teuflischen Sinn dafür. Auch mit friedfertigen Untoten war ich schon zusammengekommen. Wie kürzlich in dem Dorf, das es gar nicht gab. Ich konnte also freundliche und bösartige Absichten sehr wohl auseinanderhalten. Diese zwei hier wollten mir an den Kragen. Jetzt stand kein Bus zur Verfügung, sie mußten das selber besorgen. Hills Doppelgänger sprang mich aus gut fünf Schritt Entfernung mit einem gewaltigen Satz an. Gleichzeitig hörte ich hinter mir die Kleider der Frau rascheln. Was nur bedeuten konnte, daß sie mich 63
hinterrücks angriff. Ich schnellte mich zur Seite und schlug mit dem Krif nach Hills Doppelgänger. Die Sturheit, die ich bisher an Untoten beobachtet hatte, besaß er nicht. Er zuckte beiseite und brachte sich mit einem blitzschnellen Schritt aus dem Gefahrenbereich. Er hatte seinen Körper ausgezeichnet unter Kontrolle und besaß erstaunliches Reaktionsvermögen. Das wollte ich neidlos anerkennen. Aber ein Grund für Begeisterungsrufe war es nicht. Mein Hieb ging jedenfalls fehl. Ich zog mich an eine Wand zurück, weil mir die Frau unangenehm nahe kam. Ich beobachtete sie und Hills Doppelgänger. Sie atmeten nicht. Genau wie erwartet. Zu meiner nicht geringen Verblüffung begannen sie sich zu unterhalten. In der Totensprache. Leider verstand ich die nicht. Es hörte sich schauderhaft an. Ich hoffte, aus dem Mienenspiel etwas über ihre Absichten zu erfahren. Aber damit war's Essig. Die Gesichter blieben starr und eigentlich auch ziemlich ausdruckslos. Als würden die Frau und der Mann gar nichts empfinden. Ich versuchte, mit meiner ›Gabe‹ an die geistigen Ausstrahlungen der beiden heranzukommen – sofern sie überhaupt welche hatten. Zu diesem Zweck mußte ich mich voll konzentrieren. In ein dämonisches Wesen gewissermaßen hineinzuhorchen ist ungleich schwieriger, als einen lebenden Menschen anzuzapfen. Und selbst da gelingt es mir in den wenigsten Fällen. Schön, ich spüre, daß da was ist, aber ich kann nicht bis in die Gedanken vordringen und eine Art Gehirnspionage betreiben. Und abgesehen davon gibt es Grenzen des Anstandes, der Moral und der Vernunft. Ich wäre ja auch nicht entzückt, wenn ein wildfremder Mensch in meinen intimsten Gedanken herumstöberte. Und was ich nicht will, kann ich auch keinem anderen zumuten. Eine Ausnahme ist natürlich, wenn ich in der Klemme stecke. So 64
wie jetzt gerade. Und obendrein waren meine Gegner Untote. Da ist es nicht angebracht, Skrupel zu zeigen. Außerdem gehörten die zwei offensichtlich zur Gefolgschaft von Woods. Das hieß mit anderen Worten, daß sie jedem lebenden Wesen gegenüber feindlich eingestellt waren. Ich spürte sofort Stiche, die mir das Gehirn zu zerreißen drohten. Das hatte ich in der Form noch nicht erlebt. Entweder schirmten sich die zwei bewußt oder unbewußt ab, oder sie wurden von einer geistigen Kraft geleitet, die ich nicht durchdringen konnte, die sogar so mächtig war, daß sie meine tastenden Versuche mit einem Angriff erwiderte. Ich schaltete ab, konzentrierte mich aufs neue und wagte noch einmal mein Glück. Es war wie verhext, ich kam einfach nicht durch. Meine sondierenden Energien prallten wie an einem unsichtbaren Kraftfeld ab. Hills zweite Ausgabe und die Frau schienen etwas ausgeknobelt zu haben. Der Mann kam auf mich zu, die Frau folgte schräg dahinter. Es sah so aus, als wollten sie mich endgültig von der Tür abschneiden, die der einzige Ausgang aus dem Raum war. Ich faßte den Krif fester und trat ihnen entgegen. Daß in der Waffe gewaltige Energien schlummerten und daß diese ihnen feindlich waren, hatten sie ja wohl schon gespürt. Darum baute ich darauf, daß sie zur Seite wichen und mir Gelegenheit gaben, aus dem Raum zu entkommen. Das waren alles nur fromme Wünsche. Hills Doppelgänger griff mich wie ein Schattenboxer an. Er wirbelte die Arme, warf sich nach vorn und schnellte sich ein Augenzwinkern später zurück. Seine Wendigkeit machte mir Angst. Darum führte ich einen sausenden Hieb nach ihm. Vorbei! Im Gegenzug täuschte er einen Schlag nach meinem Gesicht vor und säbelte mir die Beine unter dem Körper weg. Ich setzte mich 65
ziemlich hart und war nun richtig gewarnt. Der Bursche konnte kämpfen, alles was recht ist. Wie der richtige Perry Hill. Ich schwang das Drei-Klingen-Beil und hielt den untoten Burschen auf Distanz. Mit einiger Mühe stemmte ich mich an der Wand hoch und sah, daß die Frau zu den Truhen geeilt war. Ich hatte kein gutes Gefühl. Holte sie eine Waffe? Oder ein Zaubermittel? Die beiden hatten wohl begriffen, daß sie mit meinem Krif nicht in Berührung kommen durften. Die Frau riß mit grober Gewalt den Deckel ihrer Totentruhe ab und eilte herbei. Und sie holte aus. Mit dem Ding konnte sie mich breitklopfen wie eine Fliege unter der gefalteten Zeitung. In ihrem Eifer berechnete sie zu meinem Glück nicht die knappe Höhe der Kellerdecke. Ihr sausender Schlag wurde jäh gebremst, als der stabile Holzdeckel oben anprallte. Hills Doppelgänger kam der Frau zu Hilfe. Aber er blieb auf dem Sprung, er behielt mich und die Tür im Auge. Ich wagte es dennoch und zischte los. Wie ein Irrwisch wirbelte er mit dem Deckel in Händen herum und schmetterte mir das Ding so halb ins Kreuz. Flach, Gott sei Dank. Trotzdem dachte ich, ich würde in mehrere Stücke zerbrechen. Der Schmerz raste wie Feuer zu meinen Schultern hoch, das linke Bein war wie taub. Ich spürte es gar nicht, als ich auftrat. Aber es ließ sich noch gebrauchen. Der Untote holte schon zum nächsten Schlag aus. Ich schmetterte den Krif in den Holzdeckel. Die Waffe ging hindurch wie durch weiche Butter. Ein paar Holzstücke wirbelten davon. Sofort rief die Frau etwas in ihrer Untotensprache. Es hörte sich anfeuernd an. Der Mann schlug sofort wieder zu. Diesmal ließ er den Truhende66
ckel flach kommen. Ich schnellte mich mit zusammengebissenen Zähnen zwei Schritte zurück und spürte durch die Kleidung hindurch, den scharfen Luftzug des knapp vorbeigehenden Deckels. Aber diesmal hatte der Bursche seiner Waffe zu viel Schwung gegeben. Es drehte ihn halb herum. Ich sah meine Chance. Eigentlich hatte ich ja beabsichtigt, ohne großes Aufheben aus dem Kellerraum zu verschwinden und wiederzukommen, wenn ich annehmen durfte, daß meine alten Wiedersacher Woods und Dracula hier weilten. Damit ich endlich mit ihnen abrechnen konnte. Wenn ich die beiden untoten Kreaturen vernichtete, würden Woods und Dracula natürlich sofort merken, daß der Schlupfwinkel entdeckt war. Sie würden gewarnt sein. Aber es ging nicht anders. Sonst blieb ich auf der Strecke. Darum war ich mit blitzschnellen Schritten bei dem Mann und schlug ihm den Krif auf den Kopf. Das war die beste Methode, das hatte ich herausgefunden. Bei einem Treffer in den Körper oder in die Gliedmaßen bestand die Gefahr, daß ich von herausspritzendem schwarzem Blut getroffen wurde. Und das war eine Sache, die ich wohl nicht überstand. Mir rieselte es eiskalt durch die Adern, als ich sah, wie der Kopf platzte. Zumindest sah es so aus. Wie zwei Schalen klappte der Schädel auseinander. Bis ich begriff, daß darunter ein ganz anderer Kopf steckte, dessen Gesicht nicht die mindeste Ähnlichkeit mit Perry Hill hatte. Jetzt zündete es bei mir richtig. Woods und Dracula hatten doch noch zwei Monsterköpfe aus ihrem versteinerten Schreckenskabinett übrig gehabt. Mit den anderen Köpfen hatten sie in den zurückliegenden Wochen allerhand finsteren Spuk auf diversen Londoner Friedhöfen veranstaltet und mich ganz schön in Trab gehalten. Und wie dort hatten sie auch hier einem Toten so einen Monsterkopf übergehext und den armen Teufel nicht nur zu untotem Leben 67
erweckt, sondern ihn noch obendrein das Aussehen von Hill gegeben. So eben, wie Woods meinen Kollegen vom Service in Erinnerung hatte. Klar, jetzt war alles verständlich. Woods hatte ja keinen blassen Schimmer, daß Hill sich inzwischen ein anderes Aussehen zugelegt hatte. Das war mir ein Trost und machte mir auch deutlich, daß selbst dämonische Wesen ganz schön irren können. Die übergehexten Schädelhälften knallten auf den Boden und zersprangen. Und vor meinen Augen sackte der Mann zusammen wie vom Blitz gefällt. Das war die Wirkung des Krif. Die alte Magie der Druiden und ihrer Vorfahren war noch immer höchst wirksam. Die untote Frau versuchte den Truhendeckel zu packen. Ich stellte mich darauf, so daß sie ihn nicht mehr vom Boden hochbrachte. Da ging sie mit Krallen und Zähnen und viel Haß auf mich los. Neben mir lag der Tote, der jetzt kein Untoter mehr war. Sein Gesicht wirkte irgendwie friedlich und war spitz und eingefallen. Das machte es mir leicht, auch die Frau aus ihrem untoten Zustand zu erlösen. Ich ließ sie in den Krif laufen. Auch bei ihr fielen die Teile eines aufgehexten Schädels ab und gaben ein schmales und nicht einmal altes Gesicht frei. Die Augen, die mich eben noch in unversöhnlichem Haß angeschaut hatten, waren schlagartig erloschen und trüb. Angenehm war es nicht für mich, aber die Arbeit mußte getan werden. In meinem Interesse und zur Sicherheit vieler Menschen, die sonst vielleicht noch Woods und seinem Meister zum Opfer fielen. Ich schaffte den Toten zurück in seine Truhe und bettete ihn hinein, damit es ganz unverdächtig aussah. Auch die Arme kreuzte ich ihm. Sollte sich Woods den Kopf darüber zerbrechen, wieso der Tote 68
jetzt wieder sein richtiges Aussehen hatte. Ich drückte den Truhendeckel zu und trug die Frau in ihr ungewöhnliches Gehäuse. Vor dem Tisch lag ihr Blumenhut. Den holte ich und setzte ihn ihr auf. Und ich schwöre, daß mir dabei jeder makabre Gedanke fern war. Ich durfte einfach keine Spuren hinterlassen. Der Truhendeckel zeigte die Spuren meines Krif. Das konnte ich nicht ändern. Ich paßte den Deckel auf die Kiste, suchte die Holzsplitter zusammen und fügte sie in den Riß ein, so gut es ging. Dann fegte ich die Trümmer der Monsterschädel mit dem Fuß zusammen und legte den Krif flach mit allen drei Klingen darauf. Ich wußte, daß sich die Trümmer von selbst auflösten. Nur dauerte das seine Zeit. Und die hatte ich nicht. Deshalb beschleunigte ich den Vorgang mit der magischen alten Waffe. So ganz verstand ich die Wirkungsweise des Drei-Klingen-Beils ja noch immer nicht. Manchmal rechnete ich damit, daß es krachte und knallte und rauchte, wenn der Krif als Verkörperung des Guten mit Relikten des Bösen zusammenkam. Hier tat die Waffe ihr Vernichtungswerk still und unauffällig. Die Schädeltrümmer zerbröselten buchstäblich zu Staub. Ich blies das Zeug auseinander, warf, einen forschenden Blick rundum, ob ich auch alles wieder in den alten Zustand gebracht hatte – und da sah ich die Blumen! Also hatte ich mir mit dem widerlichen Gestank doch nichts eingebildet. Ich hatte die Kräuterbündel an der Wand nicht einzeln gemustert, sonst wären mir die Hexenblumen sofort aufgefallen. Sie hingen unverfänglich zwischen den verschiedenen Kräutern. Eine angenehme Entdeckung war das nicht. Denn Hexenblumen gedeihen nur in der Schwarzwelt – wenn ich seinerzeit Miriam richtig verstanden hatte. Und wenn diese schwarzen und abenteuerlich aussehenden Blumen bei uns auftauchen, dann ist das ein schlimmes Zeichen. Weil 69
jemand aus der Schwarzwelt sie mitgebracht hat. Wesen, die von dort kommen, machen keine Höflichkeitsbesuche wie ein Kavalier der alten Schule, der sich einen soliden Blumenstrauß unter den Arm oder sonstwohin klemmt und nur gute Absichten hat. Ich hatte bisher nur einmal Gelegenheit gehabt, ein Wesen aus der Schwarzwelt kennenzulernen. Das war ein Bote von dort gewesen, ein Kurier namens Likkat, und die eine Begegnung hatte mir vollauf gereicht und vor allem den Wunsch unterdrückt, auch andere Kreaturen aus jener Welt der absoluten Finsternis zu treffen. Jener Likkat war erschienen, um die Hexe Miriam von unserer Erde wegzuholen. Angeblich, weil sie mir ein paarmal geholfen hätte. Das war nichts als ein windiger Vorwand, denn Miriam hatte mir noch in keinem Kampf bis dahin beigestanden. Dies war erst geschehen, als ich eben mit jenem Likkat auf einer Wiese in Wales am frühen Morgen zusammenprasselte. Damals hatte ich noch keine Ahnung von dem Krif. Ich hatte mich gewehrt, so gut ich konnte. Aber meine Kugeln aus der Automatic, die ich in Likkat hineinpumpte, spuckte der Dämonenkerl glattweg aus wie Kirschsteine. Ich war dann auf die allerletzte Idee verfallen, ihm mit meinem blind und unwirksam gewordenen König-Salomon-Spiegel wenigstens den Schädel einzuschlagen oder die Birne kräftig zu polieren. Und erst da hatte Miriam eingegriffen. Als ich ungefähr aus dem letzten Loch zu pfeifen begonnen hatte. Ihr war es gelungen, den Spiegel wieder mit magischen Kräften zu beleben. Sie hatte ihn Likkat vorgehalten, als der seine tödlichen Augenblitze auf sie und mich schleudern wollte. Der Spiegel hatte die Blitze auf Likkat zurückgeworfen. Und damit war er bedient. In einer unheimlichen schwarzen Wolke, die aus dem Nichts entstanden war, hatte sich der Kerl verflüchtigt. Auf Nimmerwiedersehen, wie ich hoffte. Den Zahn hatte mir Miriam indes schnell gezogen. Sie hatte klipp 70
und klar gesagt, Likkat könne jederzeit wiederkehren, heute, morgen, in ein paar Monaten oder erst in Jahren. Ein beklemmendes Gefühl sagte mir, daß sich der Kerl mächtig beeilt hatte und schon wieder aufgetaucht war. Und er hatte Blumen mitgebracht. Eben diese höllisch stinkenden Hexenblumen! Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie ein Mitbringsel für den unheimlichen Glatzkopf oder für Dracula oder Woods waren. Zumindest die letzten beiden hatten ja mit der Schwarzwelt einen Pakt geschlossen, in dem sie mich an eben diese Schwarzwelt verhökerten. Wenigstens hatte mir Miriam das berichtet. Sie war Zeugin geworden, wie Dracula und Likkat diesen schändlichen Handel beschlossen hatten. Ich vermutete, der Schwarzweltler hatte seine schwarzen Blumen vorübergehend hier geparkt, bis der Zeitpunkt gekommen war, sie dem ausersehenen Opfer zu überreichen. Eine seltsame Sitte übrigens. Aber jeder spinnt eben, so gut er kann. Wem wollte der Bote von drüben die Blumen überbringen? Mir? Dafür sprach einiges. Miriam? Auch das war möglich. Dem Glatzkopf? Dann hätte der unheimliche Bursche die Blumen nicht an die Wand gehängt. Wer sie berührte, war der Schwarzwelt und der Vernichtung verfallen. Und danach sah es nicht aus, soweit es den Glatzkopf betraf. Der war heute ja munter hinter mir hergewesen. Und ich schätzte, er hatte vor kurzem noch in diesem Raum geweilt. Diese verdammten Blumen wären ihm gewiß nicht entgangen, schon des Gestankes wegen. Also schloß ich haarscharf, daß der Kerl ganz genau wußte, was diese Blumen waren und daß sie hier nur deponiert waren. Er spielte also in diesem teuflischen Reigen mit. Er hing mit Woods und Dracula zusammen, und er paktierte auch mit der 71
Schwarzwelt. Himmel noch mal, das konnte was geben! Der Kerl wurde mir immer unheimlicher. Denn er schien eine Menge auf dem Kasten zu haben. Ich war fast sicher, daß Likkat selber diese Blumen gebracht hatte. Die Verlockung war groß, das verderbenbringende Gebinde mit dem Krif zu vernichten. Aber dann hatte ich Spuren hinterlassen. Dann wußten der Glatzkopf und wer sonst hier noch verkehrte, daß jemand in den Kellerraum eingedrungen war und daß dieser Unterschlupf entdeckt war. Also ließ ich die Blumen in Ruhe. Vielleicht waren sie noch da, wenn ich wiederkam. Dann konnte ich sie ja zerstören. Es mußte dann ohnehin ein einziges großes Aufräumen werden. Ich stahl mich davon und knipste die Lichter aus. * Kathleen schaute noch immer die Hexe an. Wie tausend Jahre alt sah sie wirklich nicht aus. Und wie eine Hexe auch nicht. Die Stille drohte peinlich zu werden. »Wollen Sie sich nicht setzen?« fragte Kathleen schließlich und wies auf die Sessel. Miriam schüttelte den Kopf. »Dazu ist wenig Zeit. Ich mußte aus meiner Wohnung flüchten, ich kam her, um Mac zu warnen. – Sie haben doch sicher nichts dagegen, daß ich ihn Mac nenne? – Er ist in großer Gefahr, wie wir alle.« »Ich hab's gewußt!« regte sich Joan auf und begann wieder zu zittern. »Wir sind verloren!« »Noch nicht«, sagte Miriam. »Sie müssen die Nerven bewahren. Sie sind Joan Masters, nicht wahr?« »Woher…?« Joan verschlug es die Sprache. 72
Miriam lächelte fein. »Ich weiß es. Versuchen Sie nicht zu ergründen, warum.« Damit wandte sie sich Kathleen zu. »Und Sie sind Macs Freundin.« Kathleen war nicht weniger verblüfft als Joan. »Hat er von mir erzählt?« fragte sie und spürte so etwas wie Eifersucht. Miriam schüttelte den Kopf. »Wir sprechen nicht über ganz persönliche Dinge. Und da ist nichts, was Sie Mac vorzuwerfen hätten. Er war stets ein Gentleman. Was man in dieser Stadt nicht von jedem Mann behaupten kann.« Die Hexe schloß die Augen, ihr Gesicht nahm einen Ausdruck an, als lauschte sie in sich hinein. Dann zeigte sie eine besorgte Miene. »Wir müssen weg.« »Wohin?« rutschte es Kathleen heraus. Sie entsann sich der Warnung von Mac. Die betraf zwar nur Leute, die ums Haus schlichen und vielleicht vor der Wohnungstür auftauchten, aber sicher war es in Macs Sinn, wenn sie auch dieser Hexe gegenüber skeptisch blieb. »Mac hat gesagt, daß…« »Er konnte die Entwicklung nicht voraussehen, Kathleen. Die Ereignisse haben sich überschlagen. Ich darf Sie doch Kathleen nennen?« »Sicher, ja. Welche Ereignisse?« »Hat Mac nie von seinem Abenteuer in Wales gesprochen? Als er die kleine Ginny Baker und mich dort gesucht hat?« »Nur wenig. Er ist in diesen Dingen nie sehr mitteilsam.« »Ein gemeinsamer Bekannter von Mac und mir ist wieder erschienen. Ein – ein Geschöpf aus einer anderen Welt. Es will uns den Tod bringen. Ich habe seine Ausstrahlung gespürt. Seit Stunden schon. Darum habe ich überstürzt meine Wohnung verlassen.« »Mac wird bald hier sein«, behauptete Kathleen. »Vielleicht ja, vielleicht nein«, sagte Miriam. »Ich versuche, ihn zu erreichen, aber ich dringe nicht zu ihm durch.« Joan hatte den Mund offen, und Kathleen fragte verwundert: »Bitte?« War diese Hexe vielleicht nicht ganz geistig auf der Höhe? Sie redete reichlich seltsam. 73
»Geistige Energie«, sagte Miriam. »Mac verfügt ebenfalls darüber.« »Ach, das meinen Sie? Warum können Sie ihn nicht erreichen? Ist ihm etwas zugestoßen?« »Das weiß ich nicht. Ich komme nicht durch. Es ist wie ein undurchdringlicher Wall.« »Dann fahren wir hin!« bestimmte Kathleen resolut. »Ich weiß, wo er ist.« »Es wird gefährlich. Da draußen sind die Feinde – irgendwo!« warnte Miriam. »Beschreiben Sie mir, wo er ist, und bleiben Sie hier.« »Wir fahren hin. Mein Wagen steht vor der Tür.« Miriam spürte, daß Kathleen eisern entschlossen war. Und daß sie sich um Mac sorgte. Zögernd willigte sie ein. Kathleen griff zu einem Notizblock und schrieb für Mac ein paar Zeilen hin – für den Fall, daß er heil aus der unklaren Situation herauskam, die Miriam nicht beschreiben konnte, und daß er vor ihnen heimkam. * Ich ließ den MG in der Seitengasse und rannte erst einmal zum Postamt zurück. Dort hatte ich zwei rote Telefonhäuschen gesehen. Zum Teufel, heute schien sich alles gegen mich verschworen zu haben. Die eine Kabine war abgeschlossen. Ein vorgepapptes Schild verkündete, daß die Telefonanlage mutwillig zerstört, worden war. Ich wünschte dem unbekannten Täter die Pest an den Hals. Der andere Apparat war mit Blechscheiben verstopft, die einem feinfühligen Witzbold das Geld hatten ersetzen sollen. Die Post hatte diesen Unfug noch nicht bemerkt. Ich jagte zurück zum MG, überzeugte mich davon, daß er nicht aufgebrochen und ein weiteres Mal fahruntüchtig gemacht war, 74
und raste in Richtung Brücke. Von der Themse her zogen dicke Nebelschwaden in die Straße. Das konnte eine liebliche Nacht werden. Wenn sich der Nebel erst mal auf London legte, blieb kein Auge trocken. Kurz vor der Brückenauffahrt entdeckte ich ein Telefonhäuschen. Es war intakt. Ich rief daheim an. Der Ruf ging ab, aber niemand hob den Hörer ab. Mir ging der Magen rauf und runter. Etwas war passiert. Kathleen und Joan waren nicht bis nach Stanmore in meine Wohnung gekommen. Vielleicht hatte Woods sie unterwegs abgefangen. Und der unheimliche Glatzkopf hatte ihm dabei tapfer geholfen. Ich war einer Panik verdammt nahe. Ich mag nämlich Kathleen. Auch wenn sie zuzeiten ganz schön Haare auf den Zähnen hat. In dem Keller des verkommenen Hauses hatte ich mich viel zu lange aufgehalten. Aber was hätte ein früherer Anruf gebracht, wo doch niemand bei mir daheim war? Gar nichts. Ich quetschte mich wieder hinter das Lenkrad und drehte auf. Mitten auf der Tower-Brücke fiel mir ein, daß ich auch über Soho fahren konnte. Es war gehüpft wie gesprungen. Ich mußte unbedingt Miriam warnen. Das kostete mich drei oder vier Minuten extra. Sie mußte aber wissen, daß ein Schwarzweltler aufgetaucht war und seine Hexenblumen mitgebracht hatte. Vielleicht erschien ihr diese Situation ernst genug, daß sie mir beistand. Bisher hatte sie das immer abgelehnt. Kleine Hinweise ja, die gab sie. Mehr nicht. Aber den Krif hatte sie mir mehr oder weniger geschenkt, obgleich sie berechtigten Anspruch auf die uralte Waffe gehabt hätte. Ein Freundschaftsdienst ist den anderen wert. Darum mußte ich ihr von meiner Entdeckung berichten. Ich knüppelte den Sportflitzer durch die Stadt und langte fünfzehn Minuten später an der Ecke Berwick und Peter Street an. Ein Blick hoch zu Miriams Wohnung! Die Fenster waren dunkel. Aber das besagte nichts. Ich sandte einen Impuls aus, um sie von meinem Kommen zu un75
terrichten. Die Straße herab schwankte eine Gestalt. Soho ist nun mal das Armenhaus von London, und nicht wenige Leute versuchen, mit dem Suff darüber hinwegzukommen, daß sie stets auf der Schattenseite des Lebens stehen. Der Bursche schwenkte ein und prallte fast vor dem Haus mit mir zusammen. Jetzt erkannte ich ihn. Das war der Vater von Ginny Baker und wieder voll bis zum Kragenknöpfchen. Er stierte mich an. Er war auf mich und Miriam wegen der notwendigen Entführung der kleinen Ginny nicht gut zu sprechen. Das heißt, die Entführung hatte Miriam allein in Szene gesetzt. Damit Likkat die Kleine nicht in die Finger bekam. Ich hatte Baker das Mädchen dann zurückgebracht. Zusammen mit Miriam. Aber seine Frau, eine Schlampe und ein rechtschaffener Drachen obendrein, hatte uns beide hochkant vor die Tür gesetzt. Es hatte mich die ganze Zeit gewundert, daß Baker oder seine Alte nicht versuchten, klingende Münzen aus der Sache zu ziehen. In seinem Schädel arbeitete es, ich empfing seine Ströme. Aber die waren wirr und kraus. Er erkannte mich nicht. Dafür wollte er mit mir losziehen und noch einen oder zwei zur Brust nehmen. Vertraulich hakte er sich bei mir ein. Ich redete ihm gütlich zu und schaffte ihn die Stufen hinauf. Wenigstens war die Haustür offen. Vor seiner Wohnung lehnte ich ihn an die Wand und hastete die Treppen hinauf. Er brüllte hinter mir her und nannte mich einen Spielverderber. Energisch pochte ich gegen Miriams Tür. Drinnen in der Wohnung blieb es still. War Miriam ausgegangen? Das konnte sein, und sie war mir ja keine Rechenschaft schuldig. Ich klopfte noch einmal. Es war noch nicht die Zeit, im Bett zu liegen und zu schlafen. 76
Hinter der Tür rührte sich immer noch nichts. Ich sandte einen spirituellen Ruf aus. Er blieb unbeantwortet. Dafür wurde in mir plötzlich der Wunsch übermächtig, die Tür zu öffnen und einfach einzutreten. Ich streckte schon die Hand aus. Irgendwo ganz tief drinnen sträubte sich etwas in mir. Was ich tat, war nicht richtig. Aber da bewegte sich schon der Türknauf in meiner Hand, und die Tür schwang lautlos auf. Genau in dem Augenblick begriff ich mit dem letzten Funken klaren Verstandes, daß etwas Gewalt über mich gewonnen hatte und daß ich unter fremdem Zwang handelte. Dieses Fremde gab mir ein, in die Wohnung zu treten. Ich blockte meinen Geist ab, so gut ich konnte. Und sofort verging der Wunsch, in Miriams dunkler Wohnung herumzustöbern. Benommen schüttelte ich den Kopf. Ich kannte mich selber kaum wieder. Teufel, wie kam ich dazu, die Wohnung der Hexe zu öffnen? Aber jetzt war die Tür schon einmal auf. »Miriam?« rief ich leise. Eine undeutliche Bewegung ahnte ich mehr, als daß ich sie wirklich sah. In der Wohnung war jemand. Eine Gestalt. Groß und dunkel. Ich sah ihre Umrisse vor einem Fenster und vor der matten Helligkeit draußen in der Straße. Und dann roch ich es. Mir zog es die Haut zwischen den Schulterblättern mit einem Ruck zusammen. Diesen bestialischen Gestank vergaß ich so wenig wie den höllischen Duft der Hexenblumen. Ein Schwarzweltler lauerte in der Wohnung. So hatte Likkat gerochen, als ich mit ihm in Wales auf den morgendlichen Wiesen gerauft hatte. Sein stinkender Atem hatte mich fast erstickt. 77
Genau so roch es hier. Schlimme Gedanken gingen mir durch den Kopf. War Miriam diesem Wesen aus der Welt der ewigen Finsternis bereits zum Opfer gefallen? Kam ich jetzt noch als zufälliges, aber erwünschtes zweites Opfer daher? Deshalb war wie ein Blitz aus heiterem Himmel der Wunsch über mich gekommen, die Tür zu öffnen und die Wohnung zu betreten. Ich handelte instinktiv und blitzschnell. Jetzt ging es um mein Leben. Mit der linken Hand angelte ich nach dem Lichtschalter, der irgendwo drinnen seitlich der Tür sein mußte, mit der rechten riß ich den Krif unter dem Jackett hervor. Ich fand den Schalter und knipste das Licht an. So einigermaßen war ich auf den Anblick vorbereitet. Dennoch war mir, als würde ich den Tritt eines Pferdes in den Magen bekommen. Ich weiß nicht, wie die Geschöpfe der Schwarzwelt im einzelnen aussehen. Miriam hatte nur von schrecklichen Ungeheuern gesprochen. Ich schätzte aber, daß es diese Rübennase in der ganzen Schwarzwelt nur ein einziges Mal gab. Likkat! Genau so hatte das Wesen in Wales ausgesehen. Und wie dort blähte sich jetzt diese unförmige, das ganze Gesicht beherrschende Nase, daß ich dachte, sie würde gleich platzen. Sie begann zu glühen. Und der Bote aus jener dunklen Welt hatte auch noch dieselben zerrupften Kleider am, Leib, die wie Fetzen seine Gestalt um wedelten. »Likkat, du Mißgeburt des Teufels!« rief ich keuchend. Ein dunkles gemeines Lachen schallte mir entgegen. Das räumte die letzten Zweifel aus. Dieses Wesen war der Kurier aus der Schwarzwelt. Die Hexenblumen im Keller jenes Hauses nahe der Themse bekamen jetzt einen Sinn, wenn auch keinen guten. 78
Mit einem Blick sah ich, daß Likkat vergeblich nach Miriam gesucht hatte. Die Wohnung war um- und umgekrempelt, die vermeintlichen Standfigürchen, die in Wahrheit Gottheiten der Hexenwelt wären, lagen zerstampft oder verbogen am Himmel. Selbst die magischen Bildsymbole an den Wänden waren zerkratzt. Ich verstand. Likkat hatte sie mit seinen schrecklichen Krallen ruiniert. Und er hatte alles Greifbare vernichtet, damit Miriam keinen Zauber gegen ihn sprechen konnte, bei dem sie Hilfsmittel nötig hatte. Er hatte sich dafür gerächt, daß Miriam mit Hilfe des König-Salomon-Spiegels seine für Menschen tödlichen Augenblitze auf ihn selber zurückgelenkt hatte. Nur die Hexe selber hatte er nicht erwischt. Wie ich die Situation deutete, war es Miriam gelungen, vor dem schrecklichen Wesen aus der Wohnung zu entkommen. Wenigstens darüber brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Um mich um so mehr. Denn Likkat griff an. Sein stinkender Atem füllte die Wohnung und vernebelte mir fast die Sinne. Außerdem versuchte er wieder, mich auf medialem Wege zu beeinflussen, so wie er mich eben schon dazu verleitet hatte, die Wohnungstür zu öffnen. Ich verspürte plötzlich den Drang, die Hände in die Hosentaschen zu stecken und den Krif aus der Rechten fallen zu lassen. Eine Wurstigkeit gegen alles um mich herum überkam mich. Aber mein Alarmsystem funktionierte noch. Ich schüttelte den Bann ab, der mich zu einem hilflosen Idioten gemacht hätte. Likkat hatte irgendwie höhnisch-erwartungsfroh das scheußliche Gesicht verzogen und schien auf den Moment zu lauern, wo ich das Drei-Klingen-Beil fallen ließ. Er merkte verdammt schnell, daß sein spiritueller Angriff nicht das gewünschte Ergebnis brachte. Seine lächerliche Rübennase begann sich erneut aufzublähen. 79
Ohne Likkats Zutun begann ich aus eigenem Antrieb zwanghafte Vorstellungen zu entwickeln. In bezug auf seine Nase nämlich. Ich malte mir aus, wie sich der Krif auf dieser Nase ausmachen würde. Oder ob ich es schaffte, dem Kerl die Nase überhaupt abzuhacken? Er stöberte in meinen Gedanken. Ich spürte es nicht, aber ich sah, wie er zurückprallte. Vor dem Drei-Klingen-Beil schien er gewaltigen Respekt zu haben. Das machte mich kühn. Ich rückte Likkat auf den Hals. Oder das, was bei ihm der Hals sein sollte. Der Kopf saß nämlich übergangslos auf einem tonnenförmigen Brustkasten. So gesehen machte der Kerl wirklich nicht viel her. Dafür hatte er eine Menge los. Er erkannte meine Absicht, ihn im Wohnzimmer in eine Ecke zu treiben. Ehe ich mich's versah, schwebte er schon vom Boden hoch und kurvte unter der Decke herum. Er suchte eine günstige Position, um sich von oben auf mich zu stürzen. Daß er fliegen konnte, wußte ich. Damit hatte er mich in Wales verblüfft. Also paßte ich auf. Und als er heruntersauste wie ein Sack voller Steine, wich ich nach der Seite aus und schlug mit dem Krif nach ihm. Schneller als ein Gedanke zuckte er hinauf. Ich traf nicht. Ich verlor sogar fast das Gleichgewicht, weil ich allen Körperschwung in den Schlag gepackt hatte. Die Zimmerdecke war unverschämt hoch, wie das in alten Häusern meist der Fall ist. Aber wenn ich hochsprang und den Arm richtig streckte, mußte ich Likkat kriegen wie einen reifen Apfel am Baum. Er hustete mir was, er ließ sich nicht erwischen. Er setzte seine schwarzmagischen Kräfte ein und verschaffte mir Betätigung. Denn plötzlich begannen Möbelstücke auf mich loszu80
fliegen. Einem Stuhl konnte ich gerade noch entgehen. Als aber das schwere alte Sideboard angesegelt kam, wurde mir doch anders. Halb kam ich noch aus der Flugbahn heraus. Aber eben nicht ganz. Das schwere Stück traf mich noch an der linken Körperseite und fegte mich halb zur Tür hinaus. Likkat schwebte mit atemberaubender Geschwindigkeit herbei und stürzte sich wie ein Aasgeier auf mich. Wenn er mich in die Finger kriegte, war ich verloren. Illusionen machte ich mir, nicht. Der Kerl besaß zu viele Fähigkeiten und verfügte über mehr dämonische und magische Kräfte als Dracula und Woods und Miriam zusammen. Dagegen war ich der reinste Waisenknabe. Deshalb hackte ich mit dem Krif zu und hatte die Genugtuung, daß ihm die Schärfe einer Beilklinge wenigstens ein paar Kleiderfetzen vom Leib trennte. Ich hatte mit mehr gerechnet. Aber ich wollte nicht undankbar sein, denn Likkat fauchte böse. Er merkte nun, daß er mich nicht einfach überrumpeln oder wie ein Rummelplatzhypnotiseur einlullen konnte. Er schwebte zurück und bombardierte mich mittels seiner spirituellen Kräfte mit weiteren Einrichtungsgegenständen, Eine Lampe knallte mir schmerzhaft an den Kopf, eine Vase kam angezischt. Das machte alles einen mörderischen Krach. Im Haus wurden Türen aufgerissen, ich hörte Stimmen. Ich konnte mir denken, daß gerade das Sideboard eine Erschütterung ausgelöst hatte, die die Leute glauben ließ, das Haus werde gleich einstürzen. Das Möbelstück klemmte verkantet in der Türöffnung. Und so halb lag ich drunter. Likkat hatte sich in die Wohnung zurückgezogen. Deshalb krabbelte ich erst einmal unter dem Sideboard hervor, bevor er es auf mich quetschte und mich zu Brei verarbeitete. Ächzend und schief zog ich mich am Türrahmen hoch. Das Ge81
fecht stand unentschieden. Er kam mir nicht bei und ich ihm nicht. Falls wir beide Kondition hatten, konnte sich der Kampf noch lange hinziehen. Oder bis einer einen Fehler machte. Mit dem Krif hatte ich gelegentlich schon Wurfübungen gemacht, und ich traute mir zu, die Waffe auch auf engem Raum nutzbringend einzusetzen. Den Wurf mußte ich nur so ansetzen, daß der Krif zu mir zurückkehrte, falls es Likkat verfehlte. Das Drei-Klingen-Beil wollte ich nicht in die Hand dieses schrecklichen Wesens fallen lassen. Ich maß die ungefähre Entfernung, spannte die Muskeln, konzentrierte mich – und da kniff Likkat. Er mußte dauernd in meinen Gedanken gestöbert haben. Jedenfalls handelte er, als wüßte er genau Bescheid. Bevor ich den Arm zum Wurf hob, schwebte er auf die Wand zu – und verschwand einfach darin. Ich will ja nicht leugnen, daß ich schon eine Menge erlebt habe in dieser Beziehung, aber so glatt und sauber habe ich noch nie ein dämonisches Wesen in irgendwelchem Mauerwerk verduften sehen. Likkat führte mir eine neue Variante vor. An der Stelle, an der er eingetaucht war, glühte die Mauer, ohne daß die Tapete verbrannte. Es stieg weder Rauch auf, noch roch es brenzlig. Das erinnerte mich unangenehm an die glühenden Fußtritte, die er in Wales auf der Wiese hinterlassen hatte. Bei dem Gerangel damals war er sogar gestürzt, und die Vertiefung, die sein mißgestalteter Körper gedrückt hatte, glühte ebenfalls in einem unwirklichen Feuer. Bloß hatte diese Glut sehr unangenehme Hitze verströmt, ich hatte das zu spüren bekommen. In der Wand gab es eine Tür. Ich überlegte gar nicht lange, sondern kletterte über das Sideboard hinweg. Likkat war auf der anderen Seite ja aus der Mauer gekommen, im Mauerwerk konnte er sich schlecht verstecken. 82
Vielleicht trieb er sich jetzt in Miriams Küche oder im Schlafzimmer herum. Ich wußte ja nicht, was sich hinter dieser Tür befand. Mit drei gewaltigen Sprüngen war ich dort und stieß die Tür auf. Es war die Küche – ein winziger Raum. Sparsam eingerichtet, aber blitzsauber. Likkat war nicht da. Aber ich sah, wo er aus der Wand gekommen war. Die Stelle glühte noch. Und ihr genau gegenüber entdeckte ich den Ort, wo sich der Bursche aus der Schwarzwelt weiter fortgemacht hatte. Er war einfach durch die altertümlichen Wandfliesen gegangen. Es gab noch eine Tür. Ich sprintete los, sah nur einen dunklen Raum, aber zwei glühende Flecke. Nämlich einen in der Wand zur Küche und den anderen in der Außenwand. Likkat war aus der Wohnung getürmt, nichts anderes. Er hatte die Entscheidung verschoben. Ich sah ein Fenster und dahinter die Nachthelligkeit von Soho. Unbesonnen rannte ich auf das Fenster los, prallte gegen ein Hindernis und purzelte kopfüber in etwas Weiches, das meinen Sturz gnädig milderte. Ich war kopfüber in Miriams Bett gesaust. Nur gut, daß mich Kathleen in dieser Situation nicht sah. Sie hätte leicht was Falsches von mir denken können. Mühsam kroch ich aus dem Bett und drückte mir die Nase an der Fensterscheibe platt. Ein ganzes Stück entfernt sah ich eine schwarze Wolke davonschweben. Sie verdeckte die knallige Lichtreklame eines Amüsierschuppens, an denen Soho ja wirklich nicht arm ist. Dann entschwand sie aus meinem Blickfeld, und ich konnte nur noch die stilisierten Umrisse einer nackten Frau bewundern, die drüben an der Hausfassade aufleuchteten. Ich konnte mir schon denken, was das für ein Laden war. Da hatten die Mädchen nur 'ne Halskette oder Ohrclips an, und der Kellner rechnete zum Getränkepreis noch flott das Datum hinzu, damit er auf seine Kosten kam. 83
Meine Gedanken kehrten sehr schnell in die Realität zurück, und die hieß – ich war in Miriams Wohnung, es hatte einen Mordskrach gegeben, und etliche Möbel waren zum Teufel. Außerdem sammelten sich Nachbarn vor der offenen Tür. Ich sah Verwicklungen heraufziehen, denn was ich an Stimmen so hörte, klang gar nicht freundlich. Aus dem Abstecher, der nur wenige Minuten dauern sollte, konnte ein sehr langer Aufenthalt werden. Je nachdem, wofür mich die Leute einschätzten. Ich war bisher nicht oft in diesem Haus gewesen. Wer mich einwandfrei identifizieren konnte, waren die Bakers. Aber die kleine Ginny schlief bestimmt schon, Vater Baker war vorhin hochvoll heimgekommen und würde die Dinge ohnehin nicht sortiert bekommen, und Mutter Baker war nicht gut auf mich zu sprechen. Vielleicht nutzte sie die Gelegenheit, mir eins auszuwischen, und erzählte den Leuten eine haarsträubende Geschichte. Dann hing ich hier fest, bis die Polizei kam. Falls sie überhaupt gerufen wurde. Soho ist eine Gegend, wo man die Dinge noch ganz gerne auf die alte verläßliche Art selbst regelt. Mit anderen Worten konnte ich eine so gewaltige Tracht Prügel erwischen, daß ich sie auf meinem Buckel gar nicht wegtragen konnte. Flugs steckte ich den Krif unter das Jackett, riß das Fenster auf und brüllte lauthals hinaus: »Bleib bloß hier, verdammter Kerl!« Und nach ein paar Atemzügen: »Haltet ihn fest, den Strolch, er rutscht an der Regenrinne hinunter!« Da rutschte niemand am Haus hinab. Natürlich nicht. Hauptsache aber, die Nachbarn vor Miriams Wohnungstür hörten es und glaubten mir. Auf der Straße blieben Bummler stehen und staunten zu mir herauf. Einer griff sich bezeichnend an den Kopf. »Verdammt, und keine Polizei zu sehen!« schimpfte ich lauthals und schloß das Fenster. Frechheit, steh mir bei! dachte ich. Hoffentlich wirkt der Trick! 84
Ich kehrte ins Wohnzimmer zurück und begann die Möbel zurechtzurücken, als sei ich hier zu Hause. So beiläufig nahm ich wahr, daß Neugierige vor der offenen Tür standen. »Fassen Sie doch bitte mal mit an!« sagte ich und deutete auf das Sideboard. Die Leute waren fassungslos. Nur ein Mann packte mit an, fragte aber: »Was soll das werden, wenn's fertig ist, Mister?« »Ich bin im richtigen Moment gekommen, scheint's«, brummte ich so daher und lupfte das Sideboard an. Der Mann wuchtete das andere Ende hoch. Wir stellten das Möbelstück ah seinen angestammten Platz zurück. Und schnaufend fuhr ich fort: »Ich wollte Miriam besuchen und hörte seltsame Geräusche hinter der Tür. Wie ich die Hand auf den Knopf lege, geht die Tür von alleine auf. Und was sehe ich? Einen Einbrecher! Der Kerl war geistesgegenwärtig genug und hat mir allerlei an den Kopf geworfen. Dann hat er auch noch das Sideboard vor die Tür gerückt. Der Kerl besitzt Bärenkräfte. Und schwindelfrei muß er auch sein. Ist hinten aus dem Fenster und am Regenrohr abwärts. Haben Sie eine Ahnung, wo Miriam ist?« Ich redete so daher. Mit einer Spur Aufregung, denn man ertappt ja nicht alle Tage einen Einbrecher bei der Arbeit. Die düsteren Mienen der Leute hellten sich allmählich auf. Meine Worte und das Hörspiel am offenen Fenster zeigten Wirkung. Mein Helfer kratzte sich hinter dem Ohr. »Ich hab' sie den ganzen Tag noch nicht gesehen. Eigentlich geht sie abends nie aus. – O Mann, was wird sie sauer sein, wenn sie die Bescherung sieht!« Er schaute bedrückt auf das heillose Durcheinander in der Wohnung. »Das denke ich auch. Ich lasse ihr eine Nachricht hier!« Mit diesen Worten kramte ich einen Zettel aus der Brieftasche und kritzelte ein paar Worte für die Hexe hin. Das Papier legte ich auf den Boden, damit sie es sofort sah, wenn sie heimkam. Der Text war unverfänglich, falls die Nachbarn ihn lasen. Aber Miriam würde damit etwas anzufangen wissen. 85
Ich zog die Tür hinter mir zu, rückte das Jackett zurecht und sagte freundlich: »Es wäre nachbarlich von Ihnen, wenn Sie ein Auge, auf die Wohnung haben würden. Ich weiß nicht, was der Kerl stehlen wollte, aber er könnte zurückkommen.« »Der soll das nur wagen!« drohte mein Helfer und ließ seine Muskeln unter dem Hemd spielen. Ich atmete auf, ich hatte das Mißtrauen der Leute beseitigt. Was mich betraf jedenfalls. Die Zeit war mir inzwischen davongelaufen. Ich sprintete die Treppen hinab, hastete in den nächsten Pub und angelte mir das Telefon. Mit fliegenden Fingern drehte ich meine Nummer und lauschte mit klopfendem Herzen dem eintönigen Summen. Niemand hob ab. Da war etwas passiert. Kathleen und Joan benötigten schließlich keine Ewigkeit nach Stanmore hinaus. Ich sauste aus dem Pub und klemmte mich in den MG. Hoffentlich kam ich nicht zu spät. * Er löste den Kontakt aus, der mit dem losen Bodenbrett verbunden war. Die Wand schwang auf und gab den Durchgang zum Keller frei. Gerade als er eintrat, zuckte er schmerzhaft zusammen. Er war auf geheimnisvolle Weise mit Woods, seinem treuesten Vasallen, verbunden und spürte, daß Woods angegriffen wurde und höllische Schmerzen erduldete. Gewaltige magische Kräfte prasselten auf seinen treuen Diener ein. Dracula neigte den Kopf zur Seite, als würde er in die Ferne lauschen. Fast körperlich verspürte er die Kräfte, die Woods peinigten. Er 86
versuchte sie zu analysieren. Weißmagisch waren sie nicht, aber sie hatten Elemente der weißen Magie. Er erzitterte, als er begriff, daß irgendwo dort draußen in der Millionenstadt die alten Kräfte der Druiden wirksam wurden. Es gab schon lange keine Druiden mehr. Und höchstens noch drei oder vier Menschen, die ein wenig von den gigantischen Hexenkünsten jener keltischen Priester wußten und den einen oder anderen Zauber machen konnten. Ein schwacher Abglanz dessen, was die Druiden einst hatten leisten können. Aber jemand, der die alte Kunst beherrschte, setzte Woods schlimm zu. Dracula kannte in London nur einen Menschen, dem er dies zutraute. Die Hexe Miriam. Aber die war doch schon unterwegs zur Schwarzwelt. Likkat, der Bote aus jener Welt, war doch wiedergekommen, um die Hexe diesmal für immer zu holen. Vor ein paar Stunden hatte er feierlich gelobt, sie nicht noch einmal entkommen zu lassen. Dieser Einfaltspinsel! dachte Dracula. Er hat es wieder nicht geschafft, dieses Weib hat ihn schon wieder überlistet! Sie ist auf und davon und hat sich Woods vorgeknöpft! Dracula spürte, daß die Kräfte, die auf Woods einwirkten, schwächer wurden. Sein untoter Diener konnte sich offensichtlich in Sicherheit bringen. Jetzt nahm er eine Art Hilferuf auf. Beagle, dachte er zornig! Was hat der dabei zu suchen? Er nimmt sich allerlei Rechte heraus, dieser dumme, eitle Tropf! Hält sich für den größten Magier aller Zeiten! Ein höhnisches Lächeln glitt über Draculas südländisch angehauchtes Gesicht. Dieser Beagle war eine Flasche. Konnte ein wenig Hokuspokus machen, studierte alte Pergamente und sammelte Hexenbücher und Zauberschriften, murmelte, sobald er hier im Keller war, tö87
richte Formeln und experimentierte mit Kräutern und Essenzen und verpestete die Luft. Mehr als ein nützlicher Idiot war der Kerl nicht. Die einzige gute Sache an ihm war dieser Keller, den er sich als Hexenküche und Zauberlabor hergerichtet hatte. Der Ort war ein gut gewähltes Versteck. Eben darum hatte sich Dracula dem Burschen, als der wieder mal auf der Jagd nach Zauberrezepten und Beschwörungsformeln war, zu erkennen gegeben. Beagle hatte einen Mordsschrecken erlitten. Er hatte nie geglaubt, daß seine Experimente Erfolg haben könnten. In schöner Einfalt bildete er sich ein, es sei ihm nun irgendwie gelungen, Dracula herbeizuzaubern. Der Fürst der Vampire hatte ihn mehr oder weniger in diesem Glauben bestärkt, und voller Stolz hatte Beagle sein Zauberlabor vorgeführt. Dracula hatte sofort die einmalige Chance erkannt, hier Unterschlupf zu nehmen. Der Keller lag wohlverborgen, Beagle hielt sowieso den Mund, weil er von seiner neuen Freundschaft Hilfe bei seinem Treiben erwartete. Der Kerl hatte sich anfangs nur gesträubt, als auch Woods aufgetaucht war und sich einlogierte. Aber mit einem Bannspruch hatte Dracula ihm das Zugeständnis abgekauft, hier ruhen zu dürfen. Beagle gelobte, sich in nichts einzumischen. So war eine recht eigenartige Wohn- und Interessengemeinschaft entstanden. Dracula und Woods arbeiteten an ihren Plänen, sich eine Gefolgschaft zusammenzusuchen. Diese Pläne waren immer wieder durch diesen Teufelsbraten Kinsey gestört worden. Der Dämonenjäger vom Secret Service hatte sogar alle bisher ausgelegten Monsterköpfe aufgespürt und die daraus aufgegangene Zombie-Saat vernichtet. Bei dem Gedanken knurrte Dracula wild und erbost. Dieser Kinsey war ein Störenfried allererster Güte. Sobald Likkat mit der 88
Hexe Miriam fertig war, mußte er sich um den Dämonenjäger kümmern. Der Kerl mußte ebenfalls verschwinden. Und zwar bis in alle Ewigkeit. Und dann war auch ein geheimer Unterschlupf nicht mehr erforderlich. Dann hatte Beagle ausgedient. Dracula hatte längst bei sich beschlossen, den verhinderten Großmagier zu einem Untoten zu machen und seiner immer wieder arg zusammengeschmolzenen Gefolgschaft einzuverleiben. Allerdings war ihm aufgefallen, daß Beagle in letzter Zeit neugierig die Ohren aufsperrte, wenn er sich mit Woods über diesen Kinsey unterhielt. Der Mann hatte auch begonnen, Eigeninitiative zu entwickeln. Und an gewissen Vorbereitungen hatte Dracula gemerkt, daß Beagle eine große Beschwörung plante. Wen oder was er beschwören wollte, hatte er nicht verraten, sondern ein großes Geheimnis daraus gemacht. Wie überhaupt seine Geschwätzigkeit sehr abgenommen hatte. Dafür hatte er sich eine plumpe Vertraulichkeit zugelegt und nannte Dracula und Woods ›meine Freunde‹ und ›hilfreiche Lehrmeister‹ und tischte auch anderen Schmus auf. Und nachdem er sich bei der Ankunft von Woods aufgeführt und eine Menge Einwände gemacht hatte, waren ihm erstaunlicherweise keinerlei Bedenken eingefallen, als Woods vor einigen Tagen die beiden Toten hergeschleppt hatte – eine Frau und einen Mann. Sehr interessiert hatte er im Gegenteil zugesehen, wie Woods den toten Opfern die beiden letzten steinernen Monsterköpfe auf magische Weise übergestreift hatte und mittels schrecklicher Beschwörungen dem Mann das Aussehen eines Agenten gab, der wie dieser Kinsey beim Secret Service arbeitete. Dracula hatte die Erweckung der Toten zu Untoten vorgenommen. Weil es bei ihm am schnellsten ging. Und weil er die Gründe von Woods kannte und befürwortete. Diese Imitation des Service-Agenten sollte Kinsey in eine Falle locken und beseitigen. Ohne viel Aufhebens. Am besten in Form eines Unfalles, weil jede andere Todesart eine Menge Staub aufwir89
belte. Die Frau sollte dem Mann helfen, dessen Aussehen Woods aus dem Gedächtnis kopiert hatte. Das untote Paar war schon dreimal ausgeschickt worden, um Kinsey aus dem Weg zu räumen. Der Dämonenjäger, den Dracula aus der ganzen Tiefe seiner schwarzen Seele haßte, war allen drei Anschlägen entkommen, und Woods, der aus der Entfernung zugesehen hatte, wußte zu berichten, daß der lästige Kerl nicht einmal etwas gemerkt hatte. »Dilettanten!« sagte Dracula gereizt. »Woods hat auch schon so seltsame Ideen wie Beagle. Ich muß ihm die austreiben, er gefährdet alle meine Pläne.« Damit trat er durch den Durchlaß und ließ die Wandtür hinter sich zuschwingen. Mit sicheren Schritten strebte er dem Hexenkabinett von Beagle zu. Er war erschöpft, er mußte unbedingt eine Ruhepause haben. Seine fürstlich ausgestattete Truhe wartete schon. Woods hat es auch heute wieder nicht geschafft, dachte er. Warum sonst ist er von den magischen Druidenkräften angegriffen worden? Am Morgen hatte ihm Woods eröffnet, er hätte sich nun eine todsicher funktionierende Falle für Kinsey ausgedacht. Der Plan sei minutiös ausgearbeitet, nichts könne schiefgehen. Danach war Woods mit dem untoten Paar fortgegangen. Auf die Einwände, Likkat würde Kinsey schon erledigen, war Woods gar nicht eingegangen. Es sei eine persönliche Sache zwischen ihm und Kinsey, hatte er geknurrt. Er wolle seine Rache haben. Damit hatte er die Tür von außen zugemacht. Lachhaft, dachte Dracula, In unserem Geschäft dürfen persönliche Gründe gar keine Rolle spielen! Das hat er nun davon! Kommt selber in Bedrängnis! Er spürte keine Strömungen mehr und schloß daraus, daß Woods samt diesem Tropf Beagle dem Angriff der magischen Druidenkräfte entkommen war. 90
Aufgeregt schnupperte Dracula den Gestank der Hexenblumen ein. Er stimulierte ihn. Er befeuerte seine Gedanken. Wie wäre es, wenn er Likkat zu längerem Verweilen nötigte und ihn vor seinen Karren spannte? Die Mißgeburt aus der Schwarzwelt war ein unbezahlbarer Verbündeter, gar keine Frage. Ich werde ihm ein Angebot machen, beschloß er bei sich. Ein Angebot, das er nicht ausschlagen wird. Ich werde ihm Leute liefern, die sich mit Magie und Hexerei befassen. Die sind für meine Zwecke ohnehin nicht zu gebrauchen! Mehr aus Neugierde öffnete er die Truhen, in denen zeitweise der Mann und die Frau ruhten – wenn sie von Woods, nicht gebraucht wurden. Vielleicht waren die beiden Untoten schon verlorengegangen. Woods war ja mit ihnen fortgegangen, und da er nicht zurück war, waren sie es bestimmt auch nicht. Er war angenehm überrascht, als er die Gestalten erblickte. Starr und steif ruhten sie in ihrem Gehäuse. Aber dann zuckte er zusammen. Bei der siebenmaligen Verdammnis, was war denn mit ihnen geschehen? Sie sahen jetzt ganz anders aus als am Morgen! So, wie Woods sie damals hergebracht hatte! Von den Übergehexten Monsterköpfen, die ihnen überhaupt erst das untote Leben gegeben hatten, keine Spur! Und bei dem Mann war eine Ähnlichkeit mit jenem Burschen vom Secret Service auch nicht mehr gegeben! Dracula witterte Unrat und griff erst einmal in die Totentruhen. Vielleicht waren aus irgendwelchen Gründen die Monsterfratzen abgefallen. Vielleicht hatte Beagle, dieser Tropf, unwissentlich einen mächtigen Zauber zustande gebracht, und davon waren die Fratzenmasken abgelöst worden! In den Truhen befand sich nichts dergleichen. Kopfschüttelnd starrte der Fürst aller Vampire und Blutsauger auf den Blumenhut der Frau. Er verstand überhaupt nichts mehr. 91
War jemand in den Keller eingedrungen? Mißtrauisch sah er sich um. Er fand keine Anhaltspunkte für seinen düsteren Verdacht. Likkat war auch noch nicht zur Stelle, seine stinkenden Blumen hingen noch an der Wand. Und die Essenzen und Tinkturen, mit denen Beagle seine Experimente ausführte, standen ebenso unberührt im Regal wie seine Hexenschriften und schwarzen Kerzen unangetastet auf dem Tisch verteilt waren. Dracula dachte scharf nach. Fremdes Verschulden schied also aus. Da kam nur noch Beagle in Betracht, dieser Narr. Der unwiederbringliche Verlust der beiden letzten Monsterköpfe fuchste Dracula mächtig. Was wie eine erfolgversprechende Kampagne begonnen hatte, zeigte sich als Fehlschlag. Nicht ein Monsterkopf war ihm geblieben. Und nicht ein Untoter. Er mußte wieder von vorne beginnen. Und vor allem mußte er Beagle davon abbringen, in seinen idiotischen Beschwörungen fortzufahren. Der Kerl richtete nur Unheil an. »Wenn ich ihn nicht mehr brauche, wird er der erste Untote meiner neuen Gefolgschaft sein«, sagte Dracula erbost und klappte den Deckel seiner Totentruhe auf. Er schwang sich hinein, bettete sich bequem und zog den Deckel herab. * Kathleen hatte Bedenken, denn sie wußte, daß mit den Mächten des Bösen nicht gut Kirschen essen war. Aber andererseits spürte sie ein gewisses Kribbeln, wie es Jäger befällt, wenn sie dem lange gesuchten Wild hart auf der Spur sind. Sie fühlte sich schon als Detektivin. Und was konnte schon passieren? Die Hexe Miriam war doch dabei. Die hatte mit einem unbegreiflichen Zauber Woods und den widerlichen Glatzkopf in die Flucht geschlagen. Auf Distanz auch 92
noch. Darum übernahm sie bereitwillig das Steuer ihres Rolls und hoffte, daß sie Mac fanden und daß ihm nichts zugestoßen war. Miriam war auch dabei sicher eine gute Hilfe. Vielleicht gelang es der Hexe, wenn sie erst näher an jenem vergammelten Haus dran waren, einen gedanklichen Kontakt mit Mac aufzunehmen. Oder sie half ihm ebenfalls durch einen wunderbaren Zauber aus der Klemme. Bestimmt steckte Mac noch in jener unheimlichen Bruchbude. Er mußte dort etwas entdeckt haben, das ihn aufhielt. Anders konnte sie sein langes Ausbleiben nicht erklären. Kathleen fuhr so, wie sie es gerade noch verantworten konnte. Blaß und ängstlich kauerte Joan im rückwärtigen Wagenteil. Im Schein der Straßenlampen sah ihr Gesicht geisterhaft aus. Miriam fühlte sich auf dem Beifahrersitz der noblen Karosse sichtlich unwohl. Als gehörte sie irgendwie nicht hinein. Ein paar Straßen weiter setzte sich die Hexe plötzlich steil auf und verharrte sekundenlang in dieser Haltung. »Ist etwas?« fragte Kathleen und behielt die Hexe im Auge, soweit der Straßenverkehr das zuließ. »Da war etwas«, sagte Miriam leise. »Ich konnte es nicht fassen. Es war erschreckend böse. Aber jetzt ist es vorbei.« »Na, vielleicht die beiden Helden, die uns vor der Haustür aufgelauert haben«, sagte Kathleen so daher. »Sie sind zu Fuß getürmt, und so, wie sie beieinander waren, sind sie bestimmt noch nicht weit gekommen.« Miriam hob die Achseln. Je weiter sie sich von Stanmore entfernten, desto größer wurde ihre innere Unruhe. Es hatte wenig mit diesem Schrecklichen zu tun, das sie eben gestreift hatte wie ein Eishauch. Es hing mit dem Ziel zusammen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, daß sie alle drei ins Verderben fuhren. * 93
Der Rolls-Royce war noch nicht in der Ferne verschwunden, als an eben jener Stelle, an der Miriam die Nähe des Bösen so deutlich gespürt hatte, zwei Gestalten aus einer dunklen Hofeinfahrt traten und den roten Rücklichtern nachstarrten. »Na also!« kicherte Beagle und rieb sich die Hände. »Sie sind fort, und sogar die Hexe saß im Wagen.« »Sie sind ein Idiot!« fauchte Woods, und in der Wut wuchsen ihm die langen Vampirzähne aus dem Mund. Darum geriet seine Aussprache auch etwas undeutlich. »Mir wäre lieber, die Hexe wäre nicht dabei. So erwische ich die Frauen nie.« »Ihr Problem«, meinte Beagle; seine fette Stimme gluckste. »Meine Interessen sind andere.« »Was heißt das?« Die Zähne schoben sich noch weiter aus dem Mund von Woods. »Ich bin an den Frauen nicht interessiert«, gab Beagle zurück. »Ich befasse mich mit dem Beschwören von Geistern und nicht mit Rachefeldzügen.« »Wer behauptet, daß ich einen Rachefeldzug führe?« Woods geriet immer mehr in Rage. Zugleich wurde das Verlangen in ihm mächtig, diesem glatzköpfigen Fettkloß in seinem traurigen Anzug die Zähne in den Hals zu schlagen und das Blut auszusaugen. Der Durst meldete sich. Beagle lächelte geringschätzig in der Dunkelheit, er wußte, daß Woods es nicht sehen konnte. »Glauben Sie, ich hätte nicht gemerkt, was Dracula und Sie planen? Ich habe Ihnen und Ihren Untoten Unterschlupf gewährt, ich wollte lernen. Und ich habe gelernt. Ich konnte auch gar nicht überhören, was Sie ständig zu besprechen hatten.« »Hüten Sie Ihre Zunge!« »Sie wollen mich umbringen, nicht wahr?« meinte Beagle mit einer Bombenruhe. »Es würde Ihnen leid tun. Sie brauchen mich, und Sie brauchen das Versteck. Denn Sie haben Angst vor diesem Kinsey. Er beunruhigt Sie ständig, er durchkreuzt alle Ihre Pläne.« 94
»Nicht mehr lange!« knurrte Woods und kam einen Schritt näher. Beagle lachte. Der Mann hatte wahrhaftig den Nerv dazu. »Denken Sie erst nach, bevor Sie einen voreiligen Schritt tun«, warnte er. »Meinen Sie nicht, ich hätte gewisse Vorkehrungen zu meiner Sicherheit getroffen? Ich wußte, auf was ich mich einließ, als ich Ihnen und Dracula Quartier gewährte. Ich weiß genug über Sie. Abmachungen sind für Sie Schall und Rauch, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben oder wenn Sie keinen weiteren Nutzen aus einem Menschen ziehen können. Darum habe ich mich abgesichert.« »So?« meinte Woods zweifelnd. Dieser verdammte Beagle zeigte ja plötzlich Rückgrat und unbekannte Qualitäten. Beagle lachte glucksend. »Zu gewissen Zeiten ist meine Anwesenheit in meinem Keller, der Ihnen so willkommen war, dringend erforderlich. Andernfalls wird ein Mechanismus ausgelöst, der von der nahen Themse ungeheuere Wassermengen in den Keller fluten läßt.« Er machte eine sehr wirkungsvolle Pause und fuhr dann genüßlich fort: »Sie wissen doch, was fließendes Wasser für Sie und Geschöpfe Ihres Schlages bedeutet?« »Satan soll Sie holen!« sagte Woods erschrocken und guckte den fetten Menschen in der Dunkelheit neben sich besorgt an. Klar wußte er, was fließendes Wasser bedeutete – den sicheren Tod. Denn er war nicht nur ein Untoter, sondern auch noch Vampir. Einer von der ganz modernen Art. Tageslicht fügte ihm keinen Schaden mehr zu. Aber Wasser. Dieses uralte Gesetz galt immer noch. Ein Vampir, der gänzlich von fließendem Wasser umspült wurde, war der sofortigen Vernichtung geweiht. Davor rettete ihn nichts. Irgendwie hatte Beagle dieses Gesetz entdeckt. Er hatte eine Vorrichtung geschaffen, mit der er den Keller überschwemmen konnte. Damit hatte er ein Druckmittel in der Hand. Nicht auszudenken, wenn sich der Mechanismus auslöste, während er und Dracula eine Ruhepause einlegten. Dann war es aus mit ihnen. 95
Und sie brauchten diese Phasen so dringend wie in gewissen Abständen frisches Blut. Im Keller dieses unverschämten Glatzkopfes hatten sie bequeme Truhen aufgestellt, die ihnen als Ruhestätte dienten. Beagle war sogar behilflich gewesen, die Truhen zu dem Haus zu schaffen. In einer Nebelnacht, die so unheimlich war, daß es selbst Woods ganz anders wurde. Alles eiskalte Berechnung von dem Kerl, dachte der untote ehemalige Yard-Inspektor. Er hat uns mit seinem sicheren Keller gelockt, er hat unsere Notlage ausgenutzt, jetzt hat er uns in der Hand! Es kam ihm nicht nur darauf an, gut Freund mit uns zu werden, wie er immer behauptet hat. Er hat uns wie einen goldenen Vogel in den Käfig gelockt, und er hat uns auf die Finger gesehen! Wo nimmt er überhaupt die Nerven her? Als dieser widerliche Likkat aufgetaucht ist, ist er nicht mal erschrocken. Augen und Ohren hat er aufgesperrt und eine Menge Papier vollgekritzelt mit seltsamen Zeichen und Symbolen! Der Bursche weiß mehr, als gut ist! Ich muß mit Dracula dringend darüber reden! Als könnte Beagle seine Gedanken lesen, empfahl er: »Wenn Sie die Frauen nicht aus den Augen verlieren wollen, sollten Sie ihnen jetzt auf Ihre bewährte Art folgen.« Die Lichter des Rolls verschwanden jetzt in der Ferne. »Und was ist mit Ihnen?« forschte Woods mißtrauisch. Beagle fing an, mächtig selbständig zu werden. »Mir gefällt diese Gegend eigentlich recht gut. Ich sehe mich noch etwas um.« »Kinsey, was? Ich warne Sie – machen Sie keinen Unsinn!« »Sie auch nicht!« Beagle schob die Hände in die Taschen und trat aus dem Nachtschatten. Pfeifend schlenderte er in Richtung des Hauses davon, in dem Kinsey wohnte. Woods zögerte. Dann folgte er Beagle, streckte die Hand aus, packte den unheimlichen Mann an der Schulter und riß ihn zu sich herum. Noch schneller ließ er ihn los. 96
Beagle hatte blitzschnell die Hände aus den Taschen genommen. Und er hatte etwas aus der rechten Tasche mitgebracht. Sein Arm schoß vor, die Hand verharrte nur fingerbreit vor Woods Gesicht. In der Hand hielt Beagle ein kleines Kruzifix. Woods spürte die Kräfte und krümmte sich. Seine Vampirzähne zogen sich augenblicklich zurück. »Schleichen Sie sich nie mehr in meinem Rücken an, es könnte Ihr Ende sein!« sagte Beagle, und jetzt klang seine Stimme sehr unangenehm. Er nahm das Kruzifix fort und lachte. »Es ist viele hundert Jahre alt, es hat mich ein Vermögen gekostet, aber es ist aus Holz gemacht, das auf dem Grab eines christlichen Heiligen gewachsen ist.« Woods zog sich Schritt für Schritt zurück, verwünschte Beagle und bereute, den Kerl je kennengelernt zu haben. Dann konzentrierte er seine dämonischen Geisteskräfte für die Umwandlung. Er mußte den Frauen und der Hexe folgen, in diesem Punkt sah Beagle die Dinge völlig klar. Die Frauen waren ohne Kinsey gekommen, aber zu seiner Wohnung. Fast hätte der Überrumpelungsangriff auch geklappt – wenn nicht diese siebenmal verdammte Hexe eingegriffen hätte. Sie mußte schon in Kinseys Wohnung gewartet haben, denn sie war eben mit den beiden Frauen herausgekommen, nachdem oben das Licht ausgegangen war. Es sprach einiges dafür, daß die drei Frauenzimmer auf dem Weg zu Kinsey waren. Das war eine gute Chance, dem Dämonenjäger endlich das Handwerk zu legen. Darum mußte er den Frauen folgen. Die führten ihn mit Sicherheit geradewegs zu seinem Gegner. Er spürte es. Woods war soweit. Die Kräfte, die Dracula in ihn gepflanzt hatte, wurden wirksam. Seine Gestalt veränderte sich, der Kopf wurde spitz und dreieckig, aus seinen Armen wurden mächtige Flügel, die mit der Flug97
haut am Körper verwachsen waren. Ein paar Augenblicke bot Woods das Bild einer gewaltigen Fledermaus. Die Umwandlung war vollzogen, jetzt begann die Schrumpfung. Der Körper verkleinerte sich zusehends, bis er die Größe einer Eule hatte. Beagle hatte diesen Vorgang schon zweimal miterlebt. Auch jetzt verfolgte er ihn höchst interessiert. Es reizte ihn, diese Kunst selber zu beherrschen. Vielleicht kam er hinter den Dreh, wenn er Dracula und Woods lange genug beherbergte und ihnen möglichst viel ablauschte. Sollten sie ihn für einen besessenen Trottel halten, der den Geheimnissen der Magie nachlief. Er beherrschte bereits mehr Zauberformeln, als die zwei sich träumen ließen. Zufrieden gab er sich damit nicht. Er wollte die letzten Geheimnisse der schwarzen Magie enträtseln, wollte sie beherrschen und so mächtig werden wie die größten Dämonen der jenseitigen Welt. Woods hatte endgültig die gewünschte Gestalt angenommen. Er schwang sich in den Nachthimmel hinauf und jagte mit rasendem Flügelschlag davon. Beagle zuckte die Achseln und ging weiter. Minuten später stand er wieder vor dem Haus, in dem Kinsey sein Domizil hatte. Die Wohnung übte magische Anziehung auf ihn aus. Dieser Kinsey mußte etwas besitzen, das ihn unüberwindlich machte. Aus den aufgeschnappten Gesprächen wußte Beagle, wie sehr Dracula und Woods den Mann fürchteten und wie gründlich und oft er bisher all ihre Pläne durchkreuzt hatte. Das ging nicht mit rechten Dingen zu, denn Dracula stand im Ruf, unüberwindlich zu sein. Mit einiger Logik ließ sich daraus der Schluß herleiten, daß Kinsey über eine Waffe oder ein Mittel verfügte, das ihn stärker machte als Dracula. Auf dieses Mittel hatte es Beagle abgesehen. Darauf war sein gan98
zes Denken ausgerichtet. Mit dem geheimnisvollen Mittel in der Hand war er Dracula über und brauchte nicht mehr um dessen Gunst buhlen, wie er es bisher getan hatte. Um zu lernen selbstverständlich, um tiefer in die Geheimnisse der schwarzen Magie einzudringen. Beagle schaute sich vorsichtig um. Bei diesem Kinsey war man seines Lebens nicht sicher. Der Kerl konnte unverhofft, auftauchen. Er war überhaupt für jede Überraschung gut. Kürzlich hatte er zwei Frauen in seiner Wohnung einquartiert. Dieselben, die eben mit der Hexe abgefahren waren. Schön, er hatte Woods geholfen, die beiden Frauenzimmer einzufangen. Aber es war mißlungen. Alles, was sich im Umfeld dieses Kinsey abspielte, schien mit einem Fiasko zu enden. Auf der Straße führte eine Frau einen vollgefressenen Hund aus. Sonst war niemand unterwegs. Zwischen der nächsten und der übernächsten Straßenlaterne war der Wagen geparkt, mit dem Woods und er hergekommen waren. Woods würde das Fahrzeug holen müssen. In der Nacht noch. Es war gestohlen. Der Polizei war bestimmt schon das Kennzeichen gemeldet. Sein Problem war das nicht. Mit so niederen Arbeiten wie dem Stehlen von Autos gab sich Beagle nicht ab. Er griff nach dem Türknauf. Natürlich war die Tür zu. Aber das focht ihn nicht an. Er fingerte einen blinkenden Gegenstand aus der Tasche, murmelte einen magischen Spruch und hörte mit Zufriedenheit die Zuhaltung des Schlosses zurückschnappen. Ein leichter Druck mit der Hand, und die Tür war auf. Beagle glitt ins Haus, lauschte und hastete zu Kinseys Wohnung hoch. Wieder ließ er den blinkenden Gegenstand in Aktion treten. Er hatte ihn selber hergestellt. Aus einem Silbergefäß und einem Knochen, den er aus einem Grab genommen hatte. Unter düsteren Beschwörungen, umschwebt vom Rauch ver99
schmorender Zauberkräuter, benebelt vom Dampf kochender Essenzen, hatte er in seinem Hexenkeller das Silber geschmolzen und auf .den Menschenknochen geträufelt. So hatte er diesen nützlichen Gegenstand geschaffen, der ihm jedes Schloß öffnete. Aber er wollte mehr. Er war besessen von der Idee, der mächtigste Magier aller Zeiten zu werden. Darum empfand er auch keine Skrupel, daß er in eine fremde Wohnung einbrach. Er spannte alle Sinne. Dieser gerissene Fuchs Kinsey hatte vielleicht seine Wohnung gesichert. Möglich, daß eine Sirene losjaulte. Oder daß eine versteckte Kamera Aufzeichnungen machte. Oder ein Schießinstrument begann zu ballern. Als Mitarbeiter des Secret Service kannte Kinsey gewiß eine Menge Tricks, um Fremde aus seiner Wohnung fernzuhalten. Beagle entdeckte sofort eine Lichtschranke. Aber sie war abgeschaltet. Das konnten auch die Frauenzimmer besorgt haben. Die schienen überhaupt ziemlich familiär mit Kinsey zu sein und gingen bei ihm ein und aus. Vorsichtig knipste Beagle das Licht an. Er sondierte mit wachen Sinnen, bevor er sich ganz in die Wohnung getraute. Geschmack hatte dieser Kinsey. Beagle betrachtete die Einrichtung. Auf einem Wandbrett gewahrte er eine kleine Statuette. Um die machte er einen respektvollen Bogen. Es war das Abbild eines Götzen, der in der weißen Magie einen wichtige Rolle spielte. Beagle wollte nicht herausfinden, ob die Statuette aktiviert war. Das konnte böse für ihn enden. Er musterte die Möbel auf die Wahrscheinlichkeit hin, welche von ihnen ein geeignetes Versteck enthalten mochten. Das Fach im Schrank, das ihm denkbar erschien, enthielt eine Menge wohlgefüllter Flaschen. Ein Kind von Traurigkeit und Enthaltsamkeit schien Kinsey nicht zu sein. 100
Beagle suchte weiter. Er wurde nervös und begann zu schwitzen. Schließlich blieb er vor einem hüfthohen Schrank stehen, der mit einem komplizierten Schloß gesichert war. Er öffnete ihn problemlos mit seinem magischen Knochenschlüssel. Der Schrank war lediglich in zwei Fächer unterteilt. Das obere enthielt Zeitschriften diverser okkulter Gesellschaften. Diese Blätter las Beagle auch. Er fand sie nicht sehr aufschlußreich. Vor allem verrieten sie ihm keine Geheimnisse. Das untere Fach war vollgestopft mit Papierkram und Büchern. Er zog sie ans Licht und hätte fast aufgeschrien vor Freude. Dieser Kinsey hatte einen wahren Schatz zusammengetragen. Da gab es Schriften der Mystiker, kaum zu entziffern und nur erkenntlich am Siegel auf dem Pergament. Beagle legte sie sofort auf die Seite und betrachtete sie bereits als sein Eigentum. Dann entdeckte er eine Hunderte Jahre alte Ausgabe vom Buch des Todes. Das besaß er selber. Er legte es ins Fach zurück. Auch die nächsten Schriften und Bücher waren ihm bekannt. Er räumte sie ebenfalls zurück. Da blieben nur noch ein paar alte zerrissene und angeschmutzte Pergamentstücke zurück und drei Bücher, deren Einbanddeckel vom Wurm schon arg zerfressen waren. Beagle studierte die Pergamente. Seine Haare richteten sich auf, als er die haarsträubenden Bannformeln mühsam entzifferte, aber sein Herz frohlockte. Darum also war diesem Kinsey nicht beizukommen. Das war sein Geheimnis! Er besaß das Wissen um uralte Zaubersprüche und Beschwörungen. Kein Wunder, daß sich Dracula und Woods buchstäblich an ihm die Zähne ausgebissen hatten! Beagle rollte die Pergamente zusammen und steckte sie vorsorglich ein. Falls er überstürzt fliehen mußte, wollte er sie in keinem Fall zurücklassen. Dann machte er sich über die Bücher her. 101
Zwei fielen ihm fast in der Hand auseinander. Beagle erschauerte, als er entdeckte, welchen Fund er gemacht hatte. Das waren Hexenbücher. Richtige schlimme Bücher mit allerlei gräßlichem Zauberwerk. Er wunderte sich sanft, daß sie überhaupt noch existierten. Meist hatte man sie zusammen mit den Hexen, die daraus ihre Rezepte genommen hatten, öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Manche waren auch in einem Kloster heimlich kopiert worden. Die Mönche waren ja häufig genug die einzigen, die lesen und schreiben konnten. Doch diese Bücher hier waren keine klösterlichen Abschriften. Das waren Originale. Beagle blätterte sie hastig durch. Er fand Einstiche in Symbole, die ihm das Erdolchen eines Gegners mittels hexerischer Kraft signalisierten. Dann wieder fand er Seiten, die mit Blut beschmiert waren. Die Flecke waren bräunlich geworden vom Alter, und das Blut blätterte ab. Mit den Büchern waren große Beschwörungen vorgenommen worden. Beagle kannte viele der verwendeten Symbole. Sie hatten sich bis auf den heutigen Tag nicht verändert. Zwanzig Blätter waren den Dämonen der dunklen Welt gewidmet und den Zaubersprüchen, mit denen man sie rufen konnte. Er vergaß alles um sich herum und begann gierig zu lesen. Nur kurz darauf zuckte er zusammen. Und dann verzog sich sein fettes Gesicht zu einem breiten und niederträchtigen Grinsen. Das war es – das Rezept, das ihn auf einen Schlag mächtiger machte als Dracula und dessen Gefolge zusammen! In diesem Buch war der gräßliche Schwur niedergeschrieben, der den schlimmsten Dämon des Jenseits zwang, auf der Erde zu erscheinen. Von ihm hatte Beagle schon viel gehört und nie etwas Gutes. Dagon, das war der Dämon, war sogar bei seinesgleichen gefürchtet. 102
Als Beagle die Hand auf das betreffende Blatt legte und mit bebenden Lippen den Namen des Gefürchteten sprach, meinte er ein Knacken zu hören und geisterhafte Bewegung zu spüren. Mit einem Schrei fuhr er in der Hocke herum. Da war niemand. Keine Bewegung. Kein Dagon. Das Knacken wiederholte sich auch nicht. Aber Beagle war aus seinen Träumen von der grenzenlosen Macht gerissen. Hastig raffte er die Hexenbücher an sich, drückte die Tür zu, verschloß sie mit seinem Knochenschlüssel und beseitigte alle Spuren seines Einbruchs. Er hörte auf der Straße einen Wagen heranröhren und nach zwei Fehlzündungen verstummen. Das konnte Kinsey sein. Er rannte los, ließ das Licht brennen und sah im Hinauseilen einen Zettel auf dem Tisch liegen. Den Text zu lesen hatte er nicht mehr die Zeit. Das Entzücken über die unverhoffte Beute brachte ihn fast um den Verstand, doch so viel klare Überlegung hatte er noch, daß er sich sagte, er würde Kinsey genau in die Arme laufen, wenn er den Weg nach unten nahm. Er hörte schon dumpfe Schritte und das Klirren eines Schlüssels. Mit seinem magischen Knocheninstrument verschloß er Kinseys Wohnungstür und glitt auf leisen Sohlen die Treppe zum nächsthöheren Stockwerk hinauf. Oben auf dem Absatz kauerte er sich hin. Schritte hasteten von unten heran. Und richtig, sie verstummten vor Kinseys Tür. Beagle hörte ein Murmeln, dann schnappte das Schloß, und ein verwehter Ruf klang zu ihm: »He, wo steckt ihr Hübschen? Warum seid ihr nicht ans Telefon gegangen?« Jetzt klappte die Tür zu. Beagle verstand logisch zu denken. Kinsey rechnete also damit, die Frauenzimmer in seiner Wohnung anzutreffen. Da er sie nicht fand, würde er wohl sogleich wieder losstürmen. Auf der Treppe 103
wollte er dem Mann vom Secret Service lieber nicht begegnen. Darum blieb Beagle, wo er war. Und richtig – es dauerte keine fünf Minuten, bis er Kinsey aus der Wohnung laufen hörte. Im Sturmschritt sauste der Mann hinab. Mit einem Krach flog die Haustür zu. Beagle drückte die Bücher an sich und grinste. Die Gefahr war vorüber. Jetzt konnte er verschwinden und die niedergeschriebenen Zaubersprüche und Bannformeln ausprobieren. Vor allem der Bannspruch, mit dem er Dagon herbeizitieren konnte, hatte es ihm angetan. * Wo sich anatomisch gesehen mein Magen befindet, spürte ich einen Eisklumpen. Die Mädchen waren fort. Und wenn ich Kathleens Gezittere richtig entzifferte, war sogar Miriam hier gewesen. Jetzt waren sie gemeinsam zur Mill Street unterwegs, um mich zu suchen. Auf einen dümmeren Einfall hätten sie nicht kommen können! Ich sammelte alle gedanklichen Kräfte und sandte einen Ruf an Miriam aus. Doch er blieb unbeantwortet. Ich hatte keine Zeit zu verlieren. Die Mädchen und Miriam konnten buchstäblich in Teufels Küche kommen, wenn sie sich in dem verkommenen Haus umsahen. Vielleicht war Likkat dort inzwischen eingetroffen. Oder dazu noch Dracula. Von Woods ganz zu schweigen. Mit der Bande war ständig zu rechnen. Ich hatte nur den Krif bei mir. Der ersetzte gewissermaßen eine ganze Armee. Aber Likkat hatte soviel auf dem Kasten, daß ich den Krif wahrscheinlich ganz allein für ihn benötigte. Und wenn mir dann Woods in den Rücken kam? 104
Das Risiko war mir zu groß. Die Fahrt zurück zur Mill Street, in den dunkelsten Winkel an der Themse mußte ich über Whitehall legen. Ich hoffe, daß ich nicht wieder soviel Zeit verlor wie bei dem unliebsamen Aufenthalt in Miriams Haus. Aus meinem Büro mußte ich unbedingt meine Tasche holen, die meine ganze Aussteuer zur Dämonen- und Vampirjagd enthielt. Ganz besonders dachte ich da an das famose Elixier von Doktor Vilion. Er hatte mir ja wieder ein Fläschchen davon abgezapft. Und schaden konnte es nicht, wenn ich die Toten in dem Kellerraum zusätzlich mit einem Pflock aus Mistelholz pfählte. Für alle Fälle. Dracula brachte am Ende noch das Kunststück fertig, die Frau und den Mann erneut zu erwecken. Wie ich herumwirbelte, um meine Wohnung zu verlassen, entdeckte ich ein Eckchen Papier vor dem Schrank, in dem ich die Schriften und Bücher verwahre, die man zum Hexen braucht. Manchmal studiere ich darin. Das ist sehr zeitraubend, denn erstens ist die alte Schrift schwer zu entziffern, und zweitens werden Redewendungen und Bezeichnungen verwendet, die längst nicht mehr geläufig sind. Ich hatte allerdings Routine gewonnen. Aber sehr viel Zeit zum Studium blieb mir letztendlich doch nicht. Vielleicht schaffte ich es erst nach meiner Pensionierung, alle Bücher und Schriften zu lesen. Falls ich die Pensionierung erlebte. Ich wußte genau, daß dieses Eckchen Papier dort nicht auf den Boden gehörte. Das hatte ich nämlich geschickt in die Schranktür geklemmt. Um zu sehen, ob sich jemand in meiner Wohnung zu schaffen machte. Woods hatte ja schon einmal einen Einbruch unternommen. Mir lief es heiß und kalt den Rücken runter. Mit einem Sprung stand ich vor dem Schrank, fingerte den Schlüssel aus der Tasche und öffnete. Mich traf fast der Schlag in der Hocke. 105
Die Hexenbücher der Laurina waren verschwunden! Gestern abend waren sie noch im Schrank gewesen. Ich hatte sie kürzlich aus Balmoral mitgebracht. Sie waren mir in die Hände gefallen, als ich Doktor Vilion gegen den Feuerdämon zu Hilfe gekommen war. Einst hatte die Hexe Laurina sie versteckt, als die Häscher schon vor ihrem Haus standen, um sie zur Folter und zum Feuertod abzuholen. Laglen, der Postmeister von Balmoral, hatte diese Bücher entdeckt und dazu benützt, einen Anschlag gegen unsere Queen vorzubereiten. Das hatte ich zwar verhindern können, aber die Bücher waren unauffindbar geblieben. Bis mich jetzt der Feuerdämon zum Versteck geführt hatte. Himmel, wer hatte mir Laurinas Bücher geklaut? Wieder Woods, der untote Halunke? Ich machte eine weitere niederschmetternde Entdeckung. Auch etliche unersetzliche Pergamente waren verschwunden. Wer immer sich an meinen Schätzen vergriffen hatte, er hatte einen fetten Fischzug gelandet. Es mußte jemand sein, der ein Faible fürs Hexen und Zaubern hatte. Denn sonst waren die Bücher und Schriften wertlos. Und er war ein Profi. Er hatte den Schrank nicht mit brutaler Gewalt aufgebrochen. Er hatte das Schloß fein säuberlich geöffnet und nach dem dreisten Diebstahl auch wieder geschlossen. Allerhand! Mir kam die Galle hoch. Mit den Büchern in unrechten Händen konnte eine Menge Unheil über die Menschen gebracht werden. Ich sprintete los, haute die Wohnungstür hinter mir zu und jagte die Treppen hinab. Denn mir fiel siedendheiß ein, daß ich Kathleen doch meinen zweiten Schlüsselsatz gegeben hatte. Den dritten bewahrte sie daheim auf. Ich reimte mir zusammen, daß sie samt Joan und Miriam in eine 106
Falle geraten war, daß man ihr den Schlüssel abgenommen und damit seelenruhig meine Wohnung aufgemacht hatte. Wie sonst hätte jemand eindringen können, ohne Spuren am Schloß zu hinterlassen? Ich drehte auf, als ich den Schalensitz des MG unter dem Hintern und den Fuß auf dem Gaspedal hatte. Mein vorläufiges Ziel war Whitehall. Ich benötigte zwanzig Minuten, was neuer Weltrekord war und für das Guiness-Buch geeignet. In unserem Laden brannte da und dort Licht. Eine Stallwache war ja immer zugegen, falls irgendwo die Suppe anbrannte und die Jungs vom Verein ran mußten. Natürlich waren die Posten da und begannen, dumme Fragen zu stellen. Es fehlte nicht viel, und ich hätte mit der Faust zugelangt. Aber das brachte ja auch nichts außer einem Mordskrach. »Ich bin mal wieder im Einsatz«, knurrte ich, und daran merkten die Burschen, daß es mit meiner Geduld heute nicht weit her war. »Ja, schon gut, wir tun auch nur unsere Pflicht!« »Aber manche tun sie schneller, das ist der kleine Unterschied!« sagte ich. »Wer ist vom Labor da?« »Stobey mit seiner ganzen Besetzung«, hörte ich. Ich kramte den Umschlag mit den Haaren aus der Brieftasche. »Gebt ihm das, er soll auch seine Freude haben. Ich brauche alles. Geschlecht, Alter, ob gefärbt oder nicht.« Einer der Wächter griff sich den Umschlag und trabte von dannen, und ich enterte den Aufzug und zischte zu meinem Büro hinauf. Mit einem flauen Gefühl dachte ich an die Möglichkeit, daß der Stahlschrank hinter meinem Schreibtisch vielleicht auch geöffnet worden war und meine Aussteuer nun fehlte. Theoretisch kam an den Wachen im Gebäude ja niemand vorbei. Aber eine Ausnahme gab es doch – Likkat. Der Kerl konnte von draußen glattweg durch die Mauern gekom107
men sein. Ich öffnete mit zitternden Fingern das feuersichere Stahlgehäuse. Gott sei Dank, es war alles da. Niemand hatte die Hände danach ausgestreckt. Ich zog die Tasche heraus, schaute nach, ob ich mir etwas aus dem Labor oder aus der Entwicklungsabteilung besorgen mußte, und kam zu dem Schluß, daß ich gut gerüstet war. Das Fläschchen mit Vilions Zauberelixier steckte ich in die Brusttasche, nachdem ich es mit einem Taschentuch bruchsicher umwickelt hatte. Die anderen Artikel ließ ich in der Tasche und schleppte sie so mit. Der Service-Wachmann war aus dem Labor zurück und guckte mich magenleidend an. »Stobey sagt, der Teufel soll Sie holen, Mister Kinsey.« »Der Tag wird gewiß kommen«, ulkte ich. »Aber bevor es soweit ist, hätte ich gern das Untersuchungsergebnis. Wann wird Stobey soweit sein?« »In sechs bis acht Stunden, sagte er.« Na, das war doch schon was! Sonst dauerte eine Untersuchung dieser Art zwei Tage – wenn man Glück hatte. Nicht, daß die Jungens im Labor sich solange damit aufhielten, nein. Sie ließen Aufträge manchmal liegen, um vermeintlich wichtigere Dinge vorzuziehen. Der Ordnung halber und weil die Regeln es vorschrieben, ließ ich die Wachen einen Blick in meine Tasche tun. Wie üblich erntete ich ein Grinsen. »Gehen Sie wieder hexen?« fragte mich einer der Burschen auch noch. »Bei dem Wetter?« »Einer muß ja arbeiten!« gab ich unfroh zurück. Der verdammte Ruf haftete mir an, ein Hexenmeister zu sein. Selbst die wohlabgewogenen Dementis von Sir Horatio räumten nicht mit dem dummen Geschwätz auf. Ich trat hinaus in den Nebel, der hier in Whitehall besonders dick geworden war. Die Nähe der Themse machte sich eben bemerkbar. 108
Ich sauste los, ich hatte kein gutes Gefühl. Und es trog mich nicht. Als ich die Westminster-Brücke schon fast überquert hatte, weil das der kürzeste Weg zur Mill Street war, sah ich die Bescherung. Im Nebel waren drei Autos zusammengestoßen, der spärliche Verkehr hatte sich gestaut, und die Polizei war auch schon da. Bevor ich mich versah, war ich von nachfolgenden Wagen schon eingeklemmt. Nichts ging mehr. Ich fluchte lästerlich und jumpte aus dem Sportflitzer, um mit den Polizisten zu verhandeln, daß sie mir eine Passage freiräumten. Die Bobbies hatten ein besonderes Gemüt. »Sicher, Sir, sicher wird geräumt, die Abschleppwagen sind schon unterwegs. Aber Sie müssen warten wie alle Fahrer auch.« Ich sah, warum. Das eine Auto lag auf dem Dach, und mit Muskelkraft war es nicht zu bewegen. Ich war drauf und dran, den MG stehen zu lassen, zu Fuß über die Brücke zu spurten und drüben nach einem Taxi Ausschau zu halten. Aber ich kannte die Londoner Nebelnächte aus trüben Erfahrungen. Bei so einer Suppe kriegte man kein Taxi. Und wenn man eines vorbeirollen sah, war es besetzt bis unters Dach. Zähneknirschend fügte ich mich. Nach zehn Minuten traf der erste Schleppwagen ein. * Kathleen fuhr immer vorsichtiger und verwünschte längst ihre Idee, mit dem Rolls unterwegs zu sein. Sie hätte ein Taxi rufen müssen. Der Nebel wurde dicker und schwerer. Es wurde problematisch, überhaupt die Orientierung zu behalten. Joan kauerte immer noch ängstlich hinten im Fond. Miriam hatte sich vorgebeugt und starrte durch die Windschutzscheibe. Ihre Augen glänzten in einem sonderbaren Feuer. Als würden sie innwen109
dig glühen. Kathleen fand die Hexe nicht unsympathisch, aber jetzt wurde ihr doch anders. »Ist etwas?« fragte sie. Miriam zog die Achseln hoch. »Es ist wieder da«, sagte sie langsam, »es kommt immer näher.« »Was denn?« »Das Böse, das ich vor einer Weile in Stanmore schon gespürt habe. Als würde es uns folgen.« Sofort fuhr Kathleen links heran und wartete darauf, daß ein Scheinwerferpaar hinter ihr aus dem Nebel auftauchte. Doch da kam nichts. Sie schaute die Hexe von der Seite an. Wie zuverlässig war Miriam? Das war die Frage. »Sind Sie ganz sicher? Es kommt kein Auto.« Miriam schloß leicht die Augen, als lauschte sie angestrengt. »Es ist immer noch da, ganz nah.« Und dann zeigte sie in die Höhe zum Wagenhimmel. Kathleen stieg aus und empfand den feuchten Nebel wie nasse Watte. Auf dem Wagendach war nichts und niemand. Die Hexe war vielleicht etwas überdreht und irrte sich. Gerade als Kathleen wieder einsteigen wollte, flatterte eine Fledermaus durch den grellen Lichtkegel ihres linken Scheinwerfers. Ein erstaunlich großes Exemplar. Es schien sich in diesem Nebel ebenfalls nicht zurechtzufinden. Normalerweise kamen Fledermäuse nicht so tief herunter. Mit einem Husch verschwand das Tier in den dicken Nebelschwaden. Kathleen stieg ein und wischte sich über das feuchte Gesicht. Bevor sie das Wort an die Hexe richten konnte, sagte Miriam: »Es ist fort, ich spüre es nicht mehr.« »Und was ist mit Mac? Haben Sie Kontakt bekommen?« Die Hexe schüttelte den Kopf. »Nein, ich versuche es die ganze 110
Zeit. Es ist, als wäre etwas zwischen uns, das alle Botschaften abfängt.« Kathleen fuhr weiter, immer vorsichtiger. Endlich erreichte sie die Mill Street und bald darauf das betreffende Haus. Sie fuhr ringsum die Straßen und Gassen ab. Macs MG war nicht da. »Wir kehren besser wieder um«, sagte Joan heiser. Ihr war die Gegend unheimlich. Miriam schüttelte wieder den Kopf. »Wenn Mac hier wäre, würde ich das spüren. »Ich warte!« sagte Kathleen bockbeinig. Und es sah so aus, als würde es sich lohnen. Denn nur ein paar Minuten später bog ziemlich forsch ein Auto ein und hielt genau vor dem geheimnisvollen Haus, in dem Joan den Glatzkopf hatte verschwinden sehen. Es handelte sich um ein Taxi. Eine Gestalt stieg aus, die Tür klappte. Gebannt schauten die Frauen hinüber. Kathleen hoffte, daß es Mac war. Der Fahrgast hatte keine Ähnlichkeit. Er war zu breit und zu unbeholfen. Aber eindeutig verschwand er in dem bewußten Haus. »Ob das der Glatzkopf war?« wunderte sich Kathleen. »Ich will es gar nicht wissen«, erwiderte Joan. »Fahr fort hier. Es ist unheimlich.« Kathleen war unentschlossen. »Ich drehe noch mal eine Runde«, sagte sie dann. »Haltet die Augen auf. Vielleicht steht Macs Wagen auch in einer Einfahrt.« Genau in dem Augenblick schrie Joan auf. Neben dem Wagen tauchte wie aus dem nebelverhangenen Himmel gefallen ein Mann auf. Er riß die hintere Tür auf und zerrte mit brutalen Griffen Joan Masters auf die Straße. Miriam murmelte Worte in einer unverständlichen Sprache. Es 111
hörte sich irgendwie nach einem Gebet an. »Lassen Sie die Frau los!« rief Kathleen nach hinten. Sie klinkte die Tür auf und sprang hinaus. Aus dem Nebel wankte ihr eine grauenhafte Gestalt entgegen. Eine richtige Mißgeburt. Am entsetzlichsten war die Nase anzusehen. Die glühte und war dick und geschwollen. Wie eine leuchtende Rübe sah sie aus. Dort, wo die grausige Gestalt die Füße auf den nassen Asphalt gesetzt hatte, prangten glühende Tritte. Kathleen glaubte, eine Halluzination zu erleben. Aber da spürte sie Hitze. Sie strahlte von der schrecklichen Gestalt aus. Und dann konnte sie im Scheinwerferlicht pelzige Pranken mit spitzen Krallen sehen. Sie schrie gellend auf. Ihr Schrei mischte sich in den von Joan. Drinnen im Wagen saß Miriam mit weit aufgerissenen Augen. »Likkat – also doch!« murmelte sie. »Ich habe ihn gespürt. Er ist wiedergekommen.« Ihr Wille bäumte sich auf. »Krötengift – es brenne dich! Schlangenblut – es fresse dich!« sagte sie beschwörend und machte verzweifelt Zeichen in die Luft. Die Kräfte, die sie aussandte, wurden von Likkat zurückgeschleudert. Der Bote aus der Schwarzwelt war nicht nur gestärkt zurückgekehrt, er schien auch mit besseren Gaben ausgestattet zu sein. Miriam sah eine Art feurigen Teppich heranschweben. Vor dem Wagen löste er sich in viele Fäden auf. Diese drangen in den Rolls ein und umhüllten sie, daß sie zu keiner eigenmächtigen Bewegung mehr fähig war. Eine fremde Kraft packte sie und riß sie aus dem Auto. Neben Kathleen kam sie zum Stehen. Von der anderen Seite schleppte der Mann Joan Masters ins diesige Scheinwerferlicht. Woods war der Kerl! Er hatte dem Mädchen die Arme auf den Rücken gedreht und zeigte voller Gier die langen Vampirzähne. 112
»Sieh an, wen haben wir denn da?« höhnte er. »Nicht zu glauben, die Braut des Fürsten! Da kommt er doch noch zu seinem Recht!« Er ließ seinen Worten ein böses Lachen folgen. Mit einem letzten Rest ihrer gewaltigen Zauberkraft brach ihm Miriam die Vampirzähne aus. Woods brüllte auf, ließ Joan los und hielt sich eine Hand vor den Mund. Dazu stieß er jammernde Laute aus. Miriam wünschte, Joan würde sich aufraffen und davonlaufen. Aber das Mädchen hatte offensichtlich die Besinnung verloren und lag auf dem Asphalt. »Likkat, laß diese Menschenkinder in Frieden«, sagte Miriam nach einem kurzen heftigen Seelenkampf, »ich komme mit dir.« Der grausige Bote aus der Schwarzwelt lachte schaurig. »Du hast keine Bedingungen mehr zu stellen. Ich nehme mit, wen und was ich will.« »Was – was ist das, mein Gott?« hauchte Kathleen und spürte, wie ihr die Knie weich wurden. »Das ist der grausame Likkat«, sagte Miriam gefaßt. »Ein Wesen aus einem Reich, das Schwarzwelt heißt. Jenseits aller Vorstellungen.« »Und er will uns dahin verschleppen?« »In die tiefsten Abgründe!« dröhnte Likkat. Woods hörte es. Den plötzlichen Verlust seiner Vampirzähne hatte er leidlich überstanden, was die Schmerzen betraf. Mit einer wutgeladenen Stimme rief er: »Das hier ist die Braut von Dracula! Hüte dich, sie ihm wegzunehmen. Und bevor du verduftest, nimmst du besser deine stinkenden Blumen mit.« Das entsetzliche Wesen verneigte sich ironisch. »Ich werde mich vom Fürsten der Vampire verabschieden, wie es sich gehört. Richtig – die Blumen! Hexe – hörst du? Ich habe sogar an die Blumen gedacht.« Likkat tappte bedächtig näher und hinterließ glühende Tritte. Blitzschnell schleuderte er die pelzigen Arme nach vorn und packte die von den glühenden Fäden gefesselte Miriam und Kath113
leen und riß sie mit sich über die Straße auf das heruntergekommene Haus zu, das wie eine düstere Drohung im Nebel aufragte. Woods zog Joan Masters vom Boden hoch, legte sie über die Achsel und folgte dem Boten aus der Schwarzwelt. Und dabei dachte er, daß es ein schlechter Tag war, als sein Fürst den Handel mit der Schwarzwelt abgeschlossen hatte. Likkat würde mit Sicherheit auch die beiden Mädchen beanspruchen. Die Hexe sowieso. An der war Woods nichts gelegen. Aber an einem der Mädchen schon. Ihn verlangte nach warmem Blut. Ohne die langen Zähne würde es mächtig schwierig sein, es aus dem Körper der Frau zu saugen. Er hoffte, daß dem Fürsten etwas einfiel, wie er Likkat die Beute abjagen konnte. * Ich stand auf der Lauer, und kaum war das auf dem Dach liegende Auto aus dem Weg geräumt, zischte ich mit dem MG durch die Lücke. Ein Gefühl sagte mir, ich müßte mich beeilen wie noch nie im Leben. Ich passierte den Waterloo-Bahnhof und durchquerte Borough, und die ganze Zeit war ich das reinste Nervenbündel. Ich zwang mich, einen klaren Kopf zu behalten. Wenn ich mit dem MG irgendwo draufknallte, wofür die Chancen günstig standen, dann war ich arm dran. Zu Fuß zur Mill Street zu hetzen, das hielten meine Lungen kaum aus. Deshalb biß ich auf die Zähne und sagte mir, daß jede gefahrene Minute einen eventuellen Fußmarsch verkürzte. Es passierte nichts, das Rennen zu Fuß blieb mir erspart. Schräg gegenüber dem Haus mit seinem inhaltsschweren Keller entdeckte ich einen Wagen, dessen Motor lief und dessen Lichter eingeschaltet waren. 114
Ich dachte natürlich erst mal an meinen ganz besonderen Freund Woods und zog den Krif aus dem Hosenbund. Griffbereit legte ich die Waffe auf den Beifahrersitz. Aber dann bewegte sich der Wagen drüben nicht von der Stelle. Ich bin nun mal von Natur aus ein neugieriger Mensch, darum stieg ich aus. Mir zog es den Magen bis zum Hals hoch, als ich die aufstehenden Türen bemerkte. Und dann machte ich die Umrisse eines Rolls aus. Mit gewaltigen Sätzen war ich über der Straße. Es war der Wagen meiner Freundin Kathleen. Um die Lage zu deuten brauchte ich kein Hellseher zu sein. Die Mädchen und Miriam waren offensichtlich aus dem Rolls heraus gekidnappt worden. Die Nähe zu dem verdammten Haus ließ nur den Schluß zu, daß man sie dorthin geschafft hatte. Ich sprintete zum MG zurück, zerrte meine Tasche und den Krif heraus, schlich mich an das Haus heran und knackte das Schloß. Allmählich kam ich wider in Übung. Den Weg zum versteckten Keller kannte ich auch. In der Küche brannte sogar Licht. Ich setzte alles auf eine Karte, löste den Kontakt unter dem Bodenbrett aus und erwartete mit erhobenem Krif irgendeine Gestalt, die aus dem Durchlaß auf mich losstürzte. Aber da kam niemand. Dafür hörte ich Lärm. Streitende Stimmen. Und Schluchzen, bei dem es mir fast das Herz abdrückte. Ich war drauf und dran, rot zu sehen. Verderbe nichts, Junge, sagte ich mir, sie sind gerade so schön beschäftigt, wie es klingt, das ist deine Chance. Eine andere bekommst du nie wieder! Ich schlich mich hinunter und landete vor der richtigen Tür. Sie hatten sich in der Wolle. Ich konnte Stimmen unterscheiden. 115
Die von Woods kannte ich. Die hörte ich zuzeiten schon im Traum. Na, und die von Dracula war mir auch geläufig. Da war noch eine. Sie rollte und grollte, und der Boden schien dabei zu zittern. Wem die gehörte, war mir auch sofort klar. Likkat, diese Ausgeburt der Schwarzwelt, hatte sich richtig hierher verfügt. Da paßte der Bursche auch hin. In all den Gestank. Likkat beanspruchte Beute. Ich nahm mir nicht die Zeit, in ihren Streit hineinzuhorchen. Ich nahm aber an, daß er mit Beute Kathleen und Joan meinte und wahrscheinlich auch Miriam. Dracula nannte ihn einen schäbigen Betrüger. Aber für diesen Vorwurf hatte Likkat nur ein Lachen übrig. Ich fand es nicht einmal zum Grinsen, denn jetzt warf der Schwarzweltler dem Fürsten der Vampire vor, er sei sogar zu dumm, um den Dämonenjäger zur Strecke zu bringen. Ich kannte nur einen Dämonenjäger, der Dracula und Woods mit Eifer zusetzte – der war ich selber. Ich wünschte, sie würden sich gegenseitig an die Gurgel fahren. Wobei Dracula wohl die schlechtere Partie erwischen mochte. Denn Likkat hatte gar keinen Hals. Oder sie zauberten sich gegenseitig in die Hölle. An den Fleck, wo sie am heißesten ist. Ich verließ mich aber besser nicht darauf. Ich setzte meine Tasche ab, steckte ein paar Mistelholzpfähle so in die äußere Jackettasche, daß ich die Stäbe mit einem Griff packen konnte, langte das Fläschchen mit Vilions Zauberelixier aus der Brusttasche, löste das Taschentuch, zog mit den Zähnen den Stöpsel heraus und packte den Krif fester. Ich war bereit. Von mir aus konnte der Tanz losgehen. So schön auf einem Haufen beisammen hatte ich das Pack noch nie gehabt. Gerade wollte ich die Türe aufreißen, als ich Dracula wütend sagen hörte: »Halten Sie endlich den Mund, sie elender Narr! Wie 116
können Sie damit beginnen, den schrecklichen Dagon zu beschwören? Sie wissen ja nicht, auf was Sie sich einlassen!« Mir war ein undeutliches Gemurmel während des handfesten Streites aufgefallen, aber ich hatte ihm keine Beachtung geschenkt. Ich lauschte zu sehr auf andere Nebengeräusche – auf das leise Weinen. »Das ist mein Keller, und es ist meine Chance!« sagte eine giftige Stimme. »Ich warne Sie!« Woods sagte mit aufkommender Panik: »Er hat eine Teufelei vorbereitet. Er kann das Themse-Wasser hier hereinleiten.« Die angriffslustige Stimme lachte. »Hoffentlich hat das jetzt auch jeder begriffen. Ich lasse mir nicht länger auf den Kopf spucken. Ich beschwöre, wen und was ich will, niemand macht mir Vorschriften. – O großer Dagon, ich habe deinen Eintritt vorbereitet, nun erscheine! Mir blieb die Spucke weg. Das mußte der Glatzkopf sein. Und er war bereit, den schlimmsten aller Dämonen erscheinen zu lassen. Teufel, woher hatte er die Formel? Ich kannte sie, und ich hatte mir bisher eingebildet, der einzige zu sein. Ich hatte sie in einem von Laurinas Hexenbüchern gefunden. Der Glatzkopf schien die aufwendige Vorbereitung während des Streites vorgenommen zu haben. Nerven hatte er, alle Achtung! He, sagte ich mir, dann hat am Ende dieser Lump deine Wohnung heimgesucht und dir die Hexenbücher geklaut? Ich wollte ihm ja nichts unterstellen, aber ganz dicht konnte er nicht sein. Ich riß die Tür auf. Und ich sah drei Dinge gleichzeitig. Kathleen, Joan und Miriam kauerten, von seltsamen roten Fäden umschlungen, links am Boden. Joan schluchzte, und auch Kathleen rannen die Tränen herab. Miriams Gesicht war grau und wirkte wie versteinert. Sie sah fast so alt aus, wie sie war – tausend Jahre nämlich. 117
Die nächste Gruppe umfaßte Woods, Dracula und Likkat, den höllischen Stinker. Sie standen sich wutentbrannt gegenüber, als wollten sie gleich die erste Runde beginnen. Und dann war da noch der Glatzkopf, der Unheimliche, der sich so aufdringlich für mich und mein Treiben interessiert hatte. Und offensichtlich auch für meine Wohnung. Nur sah er jetzt ganz anders aus als bei der Verfolgung, die er im Salz-und-Pfeffer-Anzug und mit Melone vollbracht hatte. Er hatte seine Leibesfülle in ein seltsames Gewand gezwängt, das mich an einen ägyptischen Priester oder so denken ließ. Um den Hals hatte er eine bemerkenswerte Kette gelegt; sie bestand aus verschiedenfarbigen Platten. Das Licht spiegelte sich auf seiner Glatze. Er hatte einen Glaskolben mit einer roten Essenz auf dem Tisch stehen und den Finger in ein aufgeklapptes Buch gebohrt, als wollte er eine Textstelle markieren. Das Buch kannte ich, auch die anderen, die er vor sich liegen hatte. Es waren Laurinas Hexenbücher, die inzwischen mir gehörten. Rechtmäßig. Nach dem Gesetz des Finders. Aber der Strolch hatte sie mir schon geklaut. Und da nützt es nichts, ob man einen legalen Anspruch hat oder nicht. Ich hatte die Tür ziemlich gewalttätig geöffnet. Das war mit Krach verbunden. Die Köpfe zuckten herum. Sogar die Mädchen Verdrehten die Augen. In einer Art, die mich glauben ließ, daß die seltsamen roten Fäden ihre Köpfe festhielten und an der Drehung hinderten. Woods erschrak bis ins Mark. Falls er noch eines hatte. Draculas Südländergesicht wurde noch spitzer. Seine Fürstennase sah wie ein Geierschnabel aus. Likkat hatte keine Schrecksekunde. Sofort blähte sich seine Rübennase auf. Jetzt sah ich den Kerl überhaupt erst mal in voller Scheußlichkeit. 118
Er kam mir vor wie ein Mittelding aus Hamster, Faß, Mensch und ein paar Monstern vom Abfallhaufen. Sogar der fette Glatzkopf hatte sich aufgerichtet und starrte mich an wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Was sie alle nicht sahen – ich entdeckte es. Hinter dem Glatzkopf. Der Wahnsinnsknabe hatte die Beschwörung gesprochen, und wie es aussah, hatte er keinen Fehler gemacht. Denn Dagon erschien wahrhaftig. Ich sah erst nur ein seltsames Flimmern. Dann nahm etwas Gestalt an, das mir riesengroß erschien. Hinter dem Glatzkopf schälten sich die Konturen eines gigantischen Scheusals aus dem Nichts. Ein Ding, halb Mensch und halb Flugechse. Es schaute böse. Auf mich und auf den ahnungslosen Glatzkopf. Unter dem Dämon Dagon hatte ich mir ein anderes Wesen vorgestellt. Aber so kann man sich irren. Das Ding sah irgendwie unfertig aus. Als sei es heruntergefallen und hätte tausend Sprünge und Risse bekommen. Vom Kopf bis zu den Krallenspitzen der Flughäute schimmerte es grün. »Welcher Wicht hat mich gerufen?« donnerte eine Stimme, daß die Lampe schwankte und mir fast die Ohren wegflogen. Der Glatzkopf schnellte hoch wie vom Affen gebissen und wirbelte herum. In seiner Haut wollte ich nicht stecken. Er stand Dagon höchstens auf zwei Schritt Distanz gegenüber. Likkat, Dracula und Woods schnellten herum, als Dagons Donnerstimme ertönte. Woods machte eine Bewegung unter die Jacke. Vielleicht ein erhaltener Reflex, denn als er noch Inspektor beim Yard war, hatte er unter der Achsel sicher seine Pistole spazieren getragen. »Ich – nein, nein, nein!« kreischte der Glatzkopf auf. Ich hatte es kommen sehen. Er kam über den Schock nicht hinweg. Er hatte Dagon sehen wollen, und jetzt wurde er mit dem, was vor ihm stand, verstandesmäßig nicht fertig. Statt Dagon einen Befehl zu geben, und wenn es der größte Blöd119
sinn war, drehte er durch. Wenn man schon einen Dämon beschwört, muß man ihn auch beschäftigen, sonst fühlt sich der Dämon gefoppt. Das war bei Dagon der Fall. »Du sterblicher Wicht sollst keinen Scherz mit mir treiben!« grollte er, und bevor ich auch nur zwinkern konnte, klappte er seine mächtigen Flughäute zusammen und schloß den Glatzkopf dazwischen ein. Im nächsten Moment war das grüne Ungeheuer samt dem Mann verschwunden. Diesmal war ich es, der keine Schrecksekunde hatte. Ich sah die Hexenblumen hängen und schnellte wie ein losgelassener Panther durch den Kellerraum. Mit dem Krif angelte ich das bestialisch stinkende Gebilde vom Wandhaken und schleuderte es, als es unter der Berührung mit dem Drei-Klingen-Beil zu rauchen begann, gegen Woods. Gleichzeitig schleuderte ich den Krif mit einer wahnsinnigen Drehbewegung auf Likkat. Und dann hatte ich nur noch das Elixier und die Mistelhölzer in Händen. Die Dinge liefen, ich konnte sie nicht mehr aufhalten. Mein Pechtag war noch nicht zu Ende. Dracula zeigte, aus welchem Holz er gemacht war. Er reagierte fabelhaft schnell, aber irrtümlich. Er dachte wohl, der Krif sei auf ihn geschleudert. Er sprang zur Seite, genau vor Woods. Und kriegte die Hexenblumen an die Birne. Den Schrei werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Dracula war selber eine Kreatur des Bösen und Mitglied der finsteren Welten. Aber die Kräfte, die den Hexenblumen innewohnten, waren stärker als das, was er zur Abwehr aufbieten konnte. Es zerriß ihm förmlich das Gesicht. Knochen kamen darunter zum Vorschein. Aber selbst mit dieser grauenhaften Verletzung schaffte er es noch, der Vernichtung zu entgehen. Ich sah ihn gegen Likkat taumeln. Der Schwarzweltbote tappte 120
nach hinten, und mein Krif schwirrte haarscharf an beiden vorbei und traf Peter Woods mitten in die Brust. Was ich in diesem Moment empfand, kann ich heute noch nicht genau sagen – Freude vielleicht, aber auch Bedauern und etwas Trauer. Denn einst war Woods ein prima Mensch gewesen und ein fabelhafter Kriminalist. Bis er in die Welt der Untoten übergewechselt war. Er hatte einen Ausdruck endlosen Staunens und größten Zweifels im Gesicht und in den Augen, als ihn das Druiden-Eisen und die geballte Kraft des Guten traf. Ich glaube, er hatte nie damit gerechnet, daß ihn das wirkliche Ende vor mir ereilen würde. Wie es nun aussah, stand ich an seinem Grab und sah zu, wie man Erde auf ihn häufte. Er brach wie vom Blitz gefällt zusammen. Und dann lag er da – tot und hilflos. Ich schluckte, ich mußte etwas niederkämpfen. Himmel, ich hätte nie gedacht, daß es mir derart an die Nieren ging. Likkat rief mir schnell ins Bewußtsein, daß nicht die Zeit zum trauern war. Er schleuderte den entstellten Dracula von sich und griff mich an. Ich empfing ihn mit einem genau gezielten und dosierten Strahl des Elixiers in seine Augen, aus denen er tödliche Strahlen schleudern konnte. Er zuckte zurück, brüllte grauenhaft und griff sich mit seinen krallenbewehrten Pelzpranken ins Gesicht. Ich sprang zu Woods und riß mit einem Ruck den Krif aus der Leiche. Genau das schien Likkat entweder zu spüren oder zu ahnen. Mit dem Krif war ich ihm über. Er überblickte die Situation nicht mehr und tat das, was anscheinend eine Spezialität von ihm war und was Dagon ihm vorgemacht hatte – er entzog sich durch Flucht. Denn plötzlich breitete sich eine schwarze Wolke aus, die noch er121
bärmlicher stank als die Hexenblumen. Dann ballte sie sich zusammen und schoß zur offenen Tür hinaus. Entweder war Likkat diese Wolke, oder die Wolke hatte ihn eingehüllt und trug ihn davon. Fort, in Sicherheit. Zurück in die Schwarzwelt. Ich war drauf und dran, einen Fluch auszustoßen. Mit Likkat war auch Dracula verschwunden. Weiß der Himmel, wie er es geschafft hatte. Jedenfalls war er fort, und es lag keine Asche und kein Staub am Boden. Nur Peter Woods war noch da. Und die Mädchen samt der Hexe Miriam.. Die roten Fäden waren von ihnen abgefallen, sie hatten ihre Bewegungsfreiheit zurückerlangt. Viel sprechen konnten sie nicht. Mir war das lieb so. Denn erst jetzt ging mir auf, daß ich eigentlich gar keine Chance gehabt hatte gegen dieses Bündnis des Bösen. Es war schon grimmige Ironie, daß mir ausgerechnet der gefürchtetste Dämon von allen die Chance verschafft hatte, die ich haben mußte. »Kommt hier raus, hier ist nichts mehr zu tun«, sagte ich mit belegter Stimme und führte Kathleen und Joan und danach Miriam aus dem Keller. Ich holte mir meine Bücher und Schriften vom Tisch des unheimlichen Glatzkopfes. »Und Woods?« fragte Kathleen, machte eine Kopfbewegung. »Das Wasser wird bald kommen«, sagte ich. »Der Glatzkopf hat das ausgeheckt. Die Themse wird hereinströmen und wahrscheinlich das Haus unterspülen und zusammenbrechen lassen. Später wird man drei Gerippe finden – vielleicht. Und nur wir vier werden wissen, daß eines davon Peter Woods war. Wollt ihr mir das versprechen?« Sie nickten wie auf Kommando. Joan fing sich wieder, aus Kathleens Augen kamen liebevolle Bli122
cke für mich, na, und was ich da auf medialem Wege von Miriam auffing, war auch nicht zu verachten. Jedenfalls war's mehr als höfliche Dankbarkeit. Aber mit drei Hexen wollte ich besser nichts anfangen. Mir genügt Kathleen vollauf, was das betrifft. ENDE
Freunde, Fans – soeben ereilt uns aus der Verlagsleitung die Nachricht, daß Mac Kinsey nicht den gewünschten Erfolg vorweisen kann. Die Serie wird hiermit eingestellt. Wir sind tief betrübt. Aber wir trösten uns damit, daß Sie und wir doch viele schön gruselige Stunden mit Mac Kinsey und seinen Freunden und Freundinnen verbringen durften. Gleichzeitig bedanken wir uns bei allen Lesern, die uns so treu geschrieben haben, die Anregungen und Tips gaben. Die Redaktion
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