Bastei
Wildwest-Roman Band 912
Der Todeskampf des Einsamen Ein faszinierender Western von U. H. Wilken
Fernab in den...
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Bastei
Wildwest-Roman Band 912
Der Todeskampf des Einsamen Ein faszinierender Western von U. H. Wilken
Fernab in den Camps der Silberminen dröhnten die Sprengungen. Hier, am staubigen Weg durch das heiße öde San Pedro Valley, herrschte Totenstille. Reglos kauerten Männer im Hinterhalt. Heimtückisch glitzerten die Augen. Dunkle Tücher verbargen die Gesichter. Sehnige Hände hielten weitreichende Winchestergewehre. Die Läufe schimmerten in der Sonne. Eine tödliche Falle am hellichten Tag. Am zerklüfteten Talrand wallte Staub auf. Sechs schweißnasse Pferde zerrten die Kutsche den Weg hinunter. Die Männer hinter den Felsen hoben die Gewehre an. Kein Wort fiel. Unter den Atemzügen bewegten sich die Tücher vor den Gesichtern. Der Tod lauerte in den Gewehrläufen. Rasselnd und schwankend rollte die Kutsche durch das Tal. Dumpf schlugen die Hufe, hell klirrte das Geschirr. Zwei Männer lagen auf dem Dach der Kutsche. Vorn auf dem Bock saßen der Fahrer und ein weiterer Begleitposten. Sie alle waren schwer bewaffnet... Suchend schweiften ihre Blicke ständig umher. Mit verkniffenen Augen stierten sie nach den roten bizarren
Felsen hinüber. Einer der Männer auf dem Wagendach rückte einen der Sandsäcke zurecht, die sie als Deckung benutzten. Die Pferde trappelten über den steinigen Weg. Der Fahrer hatte das Gewehr zwischen die Beine geklemmt und hielt die Zügelenden. Am offenen Türfenster der Kutsche erschien das Gesicht eines weiteren Bewachers. Hinter den Felsen sprach ein maskierter Mann ein paar Worte. Die anderen nickten. Sie alle waren von einer zynischen Gleichgültigkeit erfüllt, von einer Sicherheit, als wäre alles bereits geschehen. Gelassen beobachteten sie die Kutsche.
Auf dem Titelbild sehen Sie im Vordergrund einen der Hauptdarsteller aus dem spannenden Farbwestern »Sie verkauften den Tod« (Adria-Film). Die Hintergrundszenerie stammt aus dem packenden Farbwestern »Mackanna’s Gold« (Columbia-Film).
Knirschend zerbrach Gestein unter den Rädern. Eine schwere Last drückte die Wagenfedern auseinander. Die zerschlissenen Gardinenfetzen an den Fenstern der Kutsche schlugen träge im Fahrtwind. Jäh zerrissen peitschende Schüsse die Stille im Tal. Blei traf die Dynamitstangen, die auf dem Weg lagen. Mit bösartigem Knall krepierten sie vor den Pferden, unter der Kutsche und dahinter. Schrill wiehernd richteten die Pferde sich auf. Die Räder der Kutsche zersprangen, die Deichsel brach. Krachend fiel die Kutsche auf die Seite, schlug um. Die Männer wurden zur Seite geschleudert, knallten hart auf dem Boden auf. In Panik rissen die Pferde sich los und rasten davon. Mörderische Schüsse peitschten aus dem Hinterhalt hervor und trafen die Männer. Blei riß das Holz der Kutsche auf. Verzweifelt versuchte ein Mann, den Schüssen zu entkommen, kroch hinter die Kutsche, hielt sein Gewehr. Die anderen Männer konnten ihm schon nicht mehr beistehen. Er schoß wie irre nach den Felsen hinüber, über denen die grauen Pulverrauchschwaden emporzogen, und er sah nicht, daß noch mehrere Dynamitstangen in seiner Nähe lagen, erreichbar für die skrupellosen Banditen... Sie zögerten auch nicht eine einzige Sekunde lang, zielten auf die Stangen und jagten die Schüsse aus den Läufen. Das Dynamit explodierte – und leblos sank der letzte Mann zu Boden. Starr blickte er in den blaßblauen Himmel. Er hörte nicht den trommelnden Hufschlag, sah nicht die heranjagenden Reiter, bemerkte nicht den Schatten eines Mannes, der auf ihn fiel. Die Banditen sprachen nicht. Jeder schien genau zu wissen, was er zu tun hatte. Sie sprangen auf die umgeschlagene Kutsche, rissen die Tür auf und glitten hinein. Zwischen den Kisten und kleinen Säcken lag leblos der Mann. Sie blickten nur kurz auf ihn, dann zerrten sie die Kisten und Säcke hoch und warfen sie aus der Kutsche.
Schon kam ein Reiter mit mehreren Maultieren heran, auf denen Tragegestelle befestigt worden waren. Keuchend trugen die Banditen die Lasten über den Weg und wuchteten sie auf diese Gestelle. Wie eine Hyäne glitt einer der Banditen von einem Toten zum anderen und nahm ihnen selbst den letzten Cent noch ab. Dann schwangen sie sich auf die Pferde. Jeder zog ein Maultier hinter sich her. Erbarmungslos trieben sie die Tiere an. Wie ein Spuk verschwanden sie zwischen den Felsen und ließen die ausgeraubte Kutsche und die leblosen Männer zurück. Ihnen schlug kein Gewissen. Sie waren ohne Skrupel, und sie nahmen sich auch die Zeit, ihre Spuren zu verwischen. Auf stillen, einsamen Wegen zogen sie durch die Bergwelt und in ein zerklüftetes Tal. Ihre Spuren verwehten... *** »Was hast du mir zu bieten, großer fremder Mann? Du siehst nicht aus wie ein Mann, der eine Silbermine besitzt...« Klein war das Zimmer. Eine Gardine verbarg das Fenster. Auf dem runden Tisch blakte eine Fransenlampe. Der ewige Lärm angetrunkener Männer tönte aus dem Saloon herauf. Groß und hager stand ein Mann im Zimmer. Der alte Poncho hing verstaubt und zerschlissen von seinen Schultern. Ein breiter Waffengurt lag um die Hüften. Tief hingen die Halfter an den Schenkeln fest. In der linken Hand hielt der Mann eine Winchester. »He, Großer, sag doch was...« Vor ihm auf dem Bett verharrte halb sitzend und halb liegend eine schwarzhaarige Frau in einem engen Flitterkleid und lächelte weich und sinnlich. »Was soll ich sagen...?« Die Stimme des Mannes klang
dunkel und sanft. »Du hast mich aus dem Saloon raufgeschleppt.« »Ja, das weiß ich. Du gefällst mir irgendwie. Weiß der Teufel, was ich an dir finde... Ich hatte einmal einen Wolf gesehen, einen richtigen, struppigen und gefährlichen Wolf. Du erinnerst mich an ihn. Auch Wölfe können zärtlich sein, nicht wahr?« »Wer weiß.« Der Mann kam näher und legte die Winchester neben der Fransenlampe auf den Tisch. Staub fiel aus dem Poncho. In seinen steingrauen Augen schimmerte es seltsam. Flüchtiges Lächeln entspannte das harte, zerfurchte Gesicht. »Wie heißt du eigentlich?« »Doreen. Gefällt dir der Name?« »Mir gefällt jeder Name, nur oftmals nicht der Mensch, der ihn trägt...« Der Fremde streifte den Poncho ab und trat an das verhangene Fenster heran, riß die Gardine zur Seite und öffnete das Fenster. »He, Großer, willst du, daß ich einen Schnupfen bekomme?« »Nein – aber in diesem Mief hier wirst du eines Tages ersticken, Doreen. Da nützt auch kein Parfüm.« Sie betrachtete ihn, während sie das lange schwarze Haar über die bloßen Schultern strich. »Du bist so ganz anders als die anderen Kerle, Großer«, meinte sie leise und nachdenklich. »Wer bist du? Ich kenne dich nicht. Ich habe dich hier in Tombstone noch niemals gesehen.« Der Mann öffnete das Fenster und blickte auf die Straße hinunter, wo die Menschen hin und her wogten, wo Reiter durch die Lichtbahn des Saloons zogen und Frachtwagen knarrend durch den Staub rollten. »Ich bin ein Fremder hier«, murmelte er dumpf. »Ich habe nichts als meine Colts, die Winchester... und mein Leben.« »Willst du auch nach Silber suchen... wie alle anderen?«
Doreen legte sich zurück und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Die Lidschatten lagen auf ihrem geschminkten Gesicht. »Dieser Redakteur vom ›Territorial Expositor‹ hat mir gesagt, daß es hier die reichsten Silbervorkommen der Vereinigten Staaten gäbe...« »Nur wenige werden reich«, sagte der Fremde. »Ja, ich will auch nach Silber suchen. Das ist nur ein Versuch.« »Ich verstehe mich selber nicht mehr«, seufzte die schöne Animierlady des Saloons. »Warum habe ich ausgerechnet dir schöne Augen gemacht? Du bist arm wie ein Hund. Ich sollte dich einfach vergessen wie einen toten Hund, aber ich kann es nicht. Du bist in den Saloon gekommen, ich hab’ dich gesehen – und da hat es auch schon bei mir gesessen.« Der Mann blickte über die Straße und zum Sheriff’s Office. Dort standen drei Männer mit einem Stern an der Weste und mit Gewehren bewaffnet. »Die Sheriffs sehen ziemlich grimmig aus...« »Ach, hör mir auf von diesen Kerlen! Jeder giert nach dem Stern! Das sind keine Männer des Gesetzes. Sie wollen nur die Steuer- und Schmiergelder einkassieren. Diese Mistkerle lassen sich kaufen, Fremder. Verstehst du? Tombstone ist wirklich ein dreckiger, elender Grabstein, ein schmutziges Loch voller Ratten und Coyoten.« »Du lebst hier, Doreen...« »Ja, zum Henker! Hier verdiene ich mein Geld. Ich muß doch auch leben!« Er wandte sich ihr zu und lächelte auf einmal, kam zurück und verharrte vor dem Bett. Die abgegriffenen Kolben der Colts glänzten im Lichtschein. Heisere Stimmen grölender Männer tönten herauf. Die Gardine bewegte sich am Fenster. Am Stadtrand peitschten Schüsse. Irgendwo zerbrach klirrend Glas. Harte Stiefel polterten über die ausgedörrten Gehsteige. »Du lebst nicht schlecht, Doreen.«
»Hör auf davon,« Sie streckte ihm die Hände entgegen.
»Komm zu mir, großer fremder Mann – und sag mir endlich deinen Namen.« Er nahm ihre Hände und setzte sich auf die Bettkante. Ihr Lächeln war weich und dennoch traurig. »Ich weiß nicht, warum ich dich bei mir haben möchte, Großer. Wer bist du? Woher kommst du? Hast du eine Frau irgendwo?« »Nein. Du kannst Conchos zu mir sagen. Ich warte hier auf meinen Bruder und auf einen Freund. Wir wollen zu dritt neu anfangen. Mein Bruder hat einen Job bei einer Zeitung. Er ist ein sehr guter Zeichner, und er will hier alles zeichnen und damit sein Geld verdienen.« »Conchos...«, flüsterte sie liebevoll. »Was für ein seltsamer Name. Er klingt so geheimnisvoll, so fremdartig...« Ihre Hände berührten sein rauhes Gesicht und glitten über die Bartstoppeln, strichen durch das sandfarbene Haar und schoben den alten, durchschwitzten Stetson von den Haaren. »Unten wird man mich vermissen. Es ist mir egal.« Langsam beugte er sich über sie und küßte ihren Mund. Sie seufzte und schloß die Augen, zog ihn zu sich heran und schlang die Arme um seinen Rücken. In der verstaubten Kleidung lag er neben ihr und lächelte still. Unten lärmten die Betrunkenen. Die leichten Schritte eines Animiermädchens und die stampfenden Schritte eines Mannes kamen die Treppe herauf und über den Gang. Eine Zimmertür quietschte. Das Mädchen stieß ein helles Lachen aus. Krachend fiel die Tür zu. Er löste den Waffengurt, legte ihn auf den Hocker und blickte in Doreens dunkle Augen. »Du gefällst mir auch, Doreen«, murmelte er mit spröder, belegter Stimme, »und ich weiß nicht, warum. Es ist eben so.« Seine Stiefel rutschten vom Bett. Die alte, mürbe Lederjacke fiel zu Boden. Das Flitterkleid flog auf den Hocker. In der Stadt Tombstone wurde es nicht ruhig. Das bleiche Licht der Sterne fiel kalt auf die Stadt und auf die Hügel. In der Ferne
rummsten die Detonationen. Es gab keinen Frieden und keine Stille. Die Coyoten kläfften nicht – sie waren längst verjagt worden... *** Räder rollten durch den Staub des weiten Landes. Die Postkutsche folgte der alten Route der Butterfield Overland Mail. »Wann endlich werden sich die Politiker dazu entschließen, eine Bahnstrecke nach Tombstone bauen zu lassen«, ächzte ein fülliger Mann. »Diese verdammte Schaukelei bringt mich noch um.« »Sie haben recht«, pflichtete der dürre Mann auf dem Nebensitz ihm bei. »Ich spüre schon alle Knochen im Leib.« Ihnen gegenüber saß ein etwas blaßgesichtiger Mann, hielt einen Zeichenblock in der Hand und blickte aus dem Fenster der gewölbten Wagentür. Mit schnellen Strichen skizzierte er die malerische wilde Landschaft. Plötzlich versteifte er sich, verengte die Augen und starrte zu jenen zwei Reitern hinüber, die zwischen den Felsen am Wegrand hervorgekommen waren. Er wollte irgend etwas zu den Mitreisenden sagen, als mörderische Schüsse fielen und das monotone Geräusch der rollenden Kutsche unterbrachen. Blei durchschlug die Wagentüren. Von beiden Seiten hetzten maskierte Männer heran und schossen erbarmungslos vom Sattel aus auf den Fahrer der Kutsche. Schlaff stürzte er vom Bock und geriet zwischen die Pferde. Wieder krachten Schüsse, und die beiden vorderen Pferde brachen zusammen. Die Kutsche schlug heftig hin und her, raste gegen die Felsen und zerschellte. Die Reisenden wurden hinausgeschleudert. Selbst jetzt noch hielt der bläßliche Mann den Zeichenblock und die Kohle in den Händen.
Er stürzte zwischen die Felsen und in eine Sandmulde hinein. Gewehre entluden sich, und tödliches Blei traf die Mitreisenden. Hufe dröhnten heran, Eisen klirrten über felsigen Boden. Noch drehten sich die Räder der Kutsche, die zerbrochen am Wegrand lag, als die Reiter ihre keuchenden Pferde zügelten. Halstücher flatterten vor den Gesichtern. Wiehernd drehten sich die Pferde. Die Reiter fluchten dumpf, warfen sich aus dem Sattel, zerrten die Pferde hinter sich her und leinten sie an der zertrümmerten Kutsche an. Nacheinander rissen sie sich die Halstücher vom Gesicht, hielten noch immer die Waffen feuerbereit und beugten sich über die leblosen Reisenden. Der blaßgesichtige Mann konnte sich vor Schmerzen kaum bewegen. Sand haftete am grauen Gesicht, Schweiß rann durch den Staub. Seine Hände zitterten furchtbar. Sein Leben lang hatte er gezeichnet. Landschaften, Gesichtszüge von interessanten Menschen, Häuser und Tiere. Er war ein begnadeter Zeichner. An diesem Tag war der Tod zu ihm gekommen. Er hatte nichts – nur ein paar Dollar, den Zeichenstift aus Kohle und seinen Zeichenblock. Und er stierte aus der Mulde hervor und sah die Gesichter der Halunken, die gnadenlos Menschenleben ausgelöscht hatten und nun die Taschen der Reisenden durchwühlten. Mit verhaltenem Stöhnen schob er den Zeichenblock vor sich hin und skizzierte jene zynischen Gesichter. Er konnte nicht verschwinden, das rechte Bein war gebrochen, aus Platzwunden rann Blut. Vor seinen Augen verschwammen die Konturen der Mörder. Er sah alles wie durch einen blutroten lichten Nebel hindurch. Im Kopf dröhnte es. Er konnte kaum noch schlucken und atmen. Die rechte Hand wurde immer schwerer und müder, und die Kohle rieb über das Papier. Verzweifelt kämpfte er gegen die Ohnmacht an. Er wollte sein letztes Werk beenden. Lautlos flehte er um Zeit. Jeden Moment mußten die Banditen ihn entdeckt haben. In seinen Augen
erlosch der Glanz. Er stierte auf die Skizze und schrieb seinen Namen darunter. Der Stift rutschte aus seiner Hand. Mit letzter Kraft warf er den Zeichenblock aus der Mulde und zwischen die trockenen Sträucher... Stiefel wühlten sich durch den Sand. Stählerne Sporenräder drehten sich klirrend. Der Schatten eines Banditen fiel auf den stöhnenden Mann. Langsam senkte der Bandit die Hand mit dem Colt und drückte ab. Der Knall hallte durch das Tal und verlor sich mit einem geisterhaften Geflüster in der heißen Umgebung. »Da war noch einer«, sagte der Bandit kalt, wandte sich ab und ging zu den anderen zurück, stieß den rauchenden Colt in die Halfter und beobachtete, wie die Komplicen das Geld der Reisenden untereinander aufteilten. Völlig gelassen drehte er sich um, ging zum Zeichner und holte die paar Dollar hervor, steckte sie ein und zuckte die Achseln. »Armer Hund.« Sie waren kaltschnäuzig und ohne jede Menschlichkeit. Sie handelten gemein und gnadenlos. Im weiten San Pedro Tal herrschte der Terror und lauerte der Tod. Der Hufschlag der Pferde unterbrach noch einmal die lastende Stille, dann waren die Banditen verschwunden. Der heiße Wind trieb durch das Tal und zwischen die Felsen und Sträucher. Er bewegte die raschelnden Blätter und den Zeichenblock im Geäst... *** »Conchos!« Doreens Stimme ließ den Mann Conchos das Glas mit Wasser absetzen. Gemächlich drehte er sich an der Theke des Saloons um und blickte der schwarzhaarigen Frau entgegen, die im langen rauschenden Kleid durch den verräucherten Raum glitt. Sie lächelte und blieb dicht vor ihm stehen. In ihren dunklen
Augen war ein weicher Ausdruck, der nichts mit ihrem Animierberuf zu tun hatte. »Möchtest du einen Whisky, Conchos?« erkundigte sie sich leise und gab dem Keeper ein Zeichen. »Ich lass’ mich nicht gern aushalten, Doreen«, murmelte er. »Das mit dem Whisky ist nicht nötig.« »Ich hab’ heute Spendierhosen an, Conchos. Tu mir den Gefallen, trink mit – es ist doch nur ein Whisky.« Er war ärmer als ein Hund. Doch er wollte nicht, daß Doreen ihn so umsorgte. Während er noch zögerte, ergriff sie seinen Arm. Er folgte ihr an den Tisch und setzte sich. Schlaff fiel der Poncho über den Stuhl. Der Keeper brachte die Gläser mit Whisky und entfernte sich. »Dein Bruder ist noch immer nicht hier, Conchos? Du wartest schon ziemlich lange auf ihn.« Er lächelte. »Irgendwann wird er plötzlich hiersein und mich um ein paar Cent anbetteln. Das ist so seine Art. Er könnte ein Vermögen mit sich herumschleppen, aber er würde sich immer wieder von mir, dem älteren Bruder, ein paar Cent leihen.« Doreen stieß mit ihm an. Sie verhehlte ihm nicht ihre Zuneigung. Für sie war er etwas Besonderes, doch sie wußte es sich nicht zu erklären. Vielleicht was es der Hauch des Fremdartigen und der Wildnis, der ihn umgab, seine Ruhe und Bedächtigkeit, seine völlige Nüchternheit zu all den Dingen und zu sich selber. »Machmal träume ich schon von großen Schlössern und Kristalleuchtern, Conchos«, gestand sie, »von großen Parks und schönen Kleidern, vom Leben im Luxus. Ich möchte nur ein einziges Mal auf einem der Dampfer des Mississippi reisen und wie eine Königin bedient werden.« »Es ist ein Traum, Doreen, nicht die Wirklichkeit. Der Missouri ist ein dreckiger Fluß, und der Mississippi stinkt nach
Morast und verfaultem Holz. Ich bin im Bürgerkrieg dort gewesen.« Doreen sah ihn weich an. Ihr Blick schweifte an ihm vorbei und zur Tür. Dort stand ein großer blonder Mann mit einem braungebrannten Gesicht. Er war wie ein Cowboy gekleidet und trug selbst jetzt in der Hitze Lederhandschuhe. »Da ist ein Fremder, Conchos... Ist das dein Bruder?« Conchos drehte sich auf dem Stuhl halb herum. Als er den blonden jungen Mann erblickte, leuchtete es in seinen Augen kurz auf. Es war die Freude über das Wiedersehen mit dem Freund. Er rief und winkte. Mit offenem und lächelndem Gesicht kam der Cowboy heran, schob sich um die besetzten Tische und blieb dicht vor Conchos stehen, der sich erhoben hatte. Sie umarmten sich, klopften einander auf die Schultern und lachten – und es war das erstemal, daß Doreen den Mann Conchos lachen sah. »Das ist Jimmy Hadley, Doreen«, sagte Conchos zu ihr, »der Freund, auf den ich gewartet habe.« Er zog Hadley näher an den Tisch heran. »Gib Doreen schon deinen Vorderfuß, Jimmy!« Der blonde Jimmy war offensichtlich verlegen; sein Gesicht rötete sich, und er fuhr mit dem Handrücken über den Mund. Dann streckte er ihr die Hand zu. »Tag, Ma’am, freut mich.« »Der typische Texaner«, meinte Conchos und nahm Platz. »Setz dich, Jimmy, Doreen beißt nicht. Hier, nimm einen Schluck Whisky.« Jimmy ächzte und trank, stöhnte in großem Wohlbehagen und entspannte sich. »Ja, ich bin mit einem Gaul nach Tombstone gekommen, Conchos. Dein Bruder wollte unbedingt die Postkutsche nehmen. Du kennst ihn ja. Mit seinen wenigen Cent wollte er wenigstens wie ein Fürst mit der Kutsche in diese Stadt fahren und den großen Mann herauskehren. Wo ist er denn, unser Künstler?«
»Er ist noch nicht hier, Jimmy.« »Seltsam, die Kutsche müßte längst schon hiersein. Sie ist zwei Tage vor meinem Aufbruch losgefahren. Weißt du, ich war ein wenig betrunken... Wirklich, er müßte hiersein, Conchos.« »Die Postkutsche ist noch nicht eingetroffen, das weiß ich genau«, sagte Doreen leise. »Hoffentlich kommt sie heil durch das San Pedro Valley. Im Tal lauern hinter jedem Felsen Banditen und Wegelagerer. Seitdem in dieser Gegend das Silber entdeckt worden ist, sind Zigtausende von Halunken in das Land gekommen, und alle wollen zu Dollars kommen. Es gibt fast täglich Überfälle, Messerstechereien und Schießereien. Das widert mich an.« »In Texas würden wir damit kurzerhand aufräumen«, knurrte Jimmy, und in seinen blauen Augen funkelte es hell. »Soviel Bäume gäbe es gar nicht, um sie alle gleichzeitig aufknüpfen zu können.« »Wir sind in Arizona, und die Grenze ist nicht weit entfernt. Wenn heute ein Halunke hier erschossen wird, dann kommen morgen für ihn zehn hierher...« Doreen erhob sich und lächelte. »Ich muß mich um die anderen Gäste kümmern. Wir sehen uns ja noch. Bis später also...« Sie ließ die beiden Freunde allein. *** Alte Stiefel polterten über knarrende Bretter. Der Poncho rutschte von den Schultern. Ein glühender Zigarillostummel flog durch das geöffnete obere Zimmerfenster in hohem Bogen auf die Straße. Tabakglut sprühte über den staubigen Boden der nächtlichen Straße. Oben erlosch das Licht. Der große, hagere Mann warf sich auf das Bett und blickte starr zur Decke empor. Die Stimmen lärmender Männer
drangen verworren und leise aus dem Saloon empor. Auch die schwarzhaarige Doreen lag lange still, lauschte den Stimmen und Conchos Atemzügen. »Du denkst an deinen Bruder, Großer?« »Yeah«, murmelte er. »Er ist ein netter Bursche. Wenn ihm was zugestoßen ist, dann drehe ich durch – verstehst du das, Kleine? Dann kannst du mit mir nicht mehr vernünftig reden.« Sie lächelte und schmiegte sich an ihn. »Es wird schon alles gutgehen, Conchos. Denk jetzt an andere und bessere Dinge.« »Du hast recht.« Er wälzte sich auf die Seite und betrachtete ihr geschminktes Gesicht, zog einen Zipfel der Decke heran und wischte ihr die Schminke vom Gesicht. »Laß die Kriegsfarben aus dem Gesicht, Doreen – ich küsse keinen Indsman.« Seine sehnigen Hände wurden weich, und die Härte und der metallische Glanz in seinen Augen verlor sich. Sie spürte seinen Mund und nahm seinen Atem in sich auf, und sie wollte vergessen, mit ihm glücklich sein, spürte seinen Körper und schlang die Arme um seinen narbigen Rücken – da knarrte unten eine Tür; Schritte kamen näher. Irgendwer klopfte an die Tür. Sofort langte Conchos zum Coltrevolver und richtete die schwere Waffe auf die Tür. »Was ist?« rief er mit bissig klingender Stimme. »Wer, zum Teufel, ist hinter der Tür?« »Ich bin es – Jimmy Hadley«, antwortete der große blonde Texaner. »Kommst du mal, Amigo?« Conchos lauschte dem Klang seiner gepreßten Stimme, atmete tief ein und glitt vom Lager. Der Wind bewegte die Gardine. Mondlicht lag auf den Dächern der Häuser. Abseits des Saloons kläffte ein Kettenhund wie verrückt. Hufe stampften hart über einen Hinterhof. Langsam öffnete Conchos die Tür.
Jimmy Hadley stand vor ihm mit dem durchgeschwitzten Stetson in der Hand und schluckte so schwer, als würde ihn eine unsichtbare Hand würgen. Schweißperlen glänzten auf der Stirn. »Was ist denn los, Jimmy?« dehnte Conchos. »Sprich schon!« Der blonde Texaner warf einen schnellen Blick in das Zimmer. Die schöne Saloonlady saß auf dem Bett, hatte die Decke unters Kinn gezogen und rührte sich kaum. »Nicht hier, Conchos.« Jimmys Stimme zersprang fast. »Ich muß dich allein sprechen.« Conchos stieß den Atem geräuschvoll aus und griff nach Jimmys Arm. Der Handgriff war sehr hart. »Ist was mit meinem Bruder, Jimmy?« flüsterte er. Jimmys blaue Augen flackerten. Er entzog Conchos den Arm und wandte sich ab, folgte dem Gang und stieg die Treppe hinunter, dem wallenden Tabakrauch entgegen. Sein Schatten wischte über das Geländer hinweg. Wieder knarrte die Tür. Steif drehte Conchos sich um und blickte in das Zimmer zurück. In seinen Augen war es leer. Schweigend ging er zum Hocker und nahm Poncho und Winchester auf. »Soll ich nicht mitkommen?« hauchte Doreen. »Kann ich nicht irgend etwas für dich tun, Conchos?« Er schüttelte den Kopf, während die Gesichtsmuskeln hart hervorsprangen. Der Poncho hing auf den Schultern. Die Winchester war gesenkt. Wortlos verließ er das Zimmer und folgte dem Texaner. Jimmy Hadley lehnte am Tresen. Angetrunkene Männer griffen nach kreischenden Animiermädchen. Dicker Tabaksqualm wallte um die Lampen. Überall roch es nach Bier und Whisky, Schweiß und Parfüm. Vor Jimmy stand ein halbvolles Glas Whisky. Er trug seine Handschuhe und trank wie geistesabwesend. Neben ihm lehnte ein Mädchen und machte ihm schöne Augen. Er reagierte nicht darauf und starrte
in das Glas. Conchos erreichte ihn. Schweigend gingen sie durch den Saloon. Oben an der Treppe verharrte Doreen im langen Kleid und beobachtete die beiden Freunde mit unruhig flackernden Augen. Die Türflügel schlugen hinter ihnen zusammen. Draußen blieben sie stehen und sahen sich an. »Ich geh’ nicht gleich in die Knie, Jimmy... Ich kann verdammt viel vertragen...« »Ja, ich weiß – und du wirst sehr hart sein müssen, Conchos. Komm, gehen wir.« Sie schritten langsam über den Gehsteig. »Die Postkutsche wird niemals Tombstone erreichen, Conchos«, sprach Jimmy leise und bedrückt. »Sie ist überfallen worden – draußen im San Pedro Valley. Fahrer und Reisende wurden erschossen und ausgeraubt... Auch dein Bruder, Conchos.« Er hatte es bereits geahnt, und doch blieb er stehen, wie von einem eisigen Windstoß berührt. Sein zerfurchtes Gesicht wurde aschgrau. Die Augen verengten sich. Er atmete ganz tief ein, und dann ging er weiter. »Hatte er es leicht gehabt, Jimmy?« »Nein, Conchos... Nein, ganz und gar nicht. Er mußte sich noch sehr gequält haben. Die Männer, die ihn gefunden haben, haben auch seinen Zeichenblock entdeckt. Er hat vor seinem Tode die Gesichter seiner Mörder gezeichnet. Diese Skizzen sind jetzt beim Sheriff. Seine Hand war schon sehr schwach, Conchos. Die Zeichnungen sind nicht allzu deutlich geworden...« »Wo ist mein Bruder?« »Auf einem Wagen hinter dem Sheriff’s Office.« Sie überquerten die Straße und erreichten den Hinterhof. Zwei Fackeln loderten an der Hauswand. Kaltes Sternlicht fiel auf den flachen Wagen. Die Plane war zur Seite gezogen
worden. Der Sheriff und seine Deputies verharrten neben dem Wagen und blickten Conchos und Jimmy Hadley entgegen. Sheriff Buck Olsen war ein vierschrötig aussehender Mann, grobknochig und breit. »Sie sind Conchos?« empfing er Conchos mit unpersönlich klingender Stimme. »Ihr Partner, der Texaner, hat es mir bereits gesagt. Zeigen Sie mir, wer Ihr Bruder ist.« Conchos’ Gesicht war völlig ausdruckslos. Mit flachen Schritten und klirrenden Radsporen ging er an Buck Olsen vorbei und an den Wagen heran. Mondlicht erhellte sein Gesicht. Ganz schwach zuckte es, als er in das bleiche Gesicht des Bruders blickte. »Ja«, kam es klanglos über die spröden Lippen, »das ist er.« Buck Olsen nickte dem Deputy zu, und der zerrte die Plane wieder über die Toten. »Wir wollen hier keine große Aufregung haben«, knurrte Olsen. »Darum sprechen Sie nicht über den Tod Ihres Bruders, Conchos.« Langsam wandte Conchos sich ihm zu. In den Augen war alles Leben erloschen. »Was werden Sie tun, Sheriff?« »Alles, was in meiner Macht steht, Conchos. Meine Deputies werden das San Pedro Valley absuchen. Das ist nicht die erste Postkutsche, die überfallen worden ist. Es gibt zuviel Gesindel im Tal. Suchen Sie mal unter zigtausend Kerlen nach den dreckigen Mördern!« »Mein Bruder hat von diesen Halunken Skizzen gemacht. Ich will sie sehen.« »Wissen Sie, Conchos – Sie mögen jetzt einen Höllenhaß auf die Halunken haben, aber kommen Sie mir nicht mit Forderungen. Ich trage hier den Stern, ich bestimme, was geschieht. Sorgen Sie erst einmal für die Beerdigung Ihres Bruders, dann reden wir weiter...«
***
Der Wind trieb den Staub über den Friedhof der Stadt hinweg. Zwischen all den Kreuzen und Grabsteinen stand breitbeinig und gebeugt der Mann Conchos. Er rührte sich nicht. Der Poncho flatterte im Wind. Staubwirbel umtanzten seine Beine. Am alten Lattenzaun stand sein Pferd; die Winchester steckte im Scabbard. Vor ihm lag sein Bruder begraben. Noch war er nicht lange in Tombstone, doch schon verdammte er diese Stadt. Sie gefiel ihm nicht. Hier hatte nur derjenige viel zu sagen, der Geld und Silber besaß. Auf das Wort eines Silberminenbesitzers wurde gehört – nicht aber auf einen einfachen Mann. Als Conchos sich umdrehte, sah er Jimmy Hadley am Rande des Friedhofes stehen. Der blonde Texaner wartete still und schweigend. Sein Haar glänzte wie Stroh im Mondlicht. Mit flüchtiger Geste strich Conchos über die Augen, dann ging er gebeugt um die Gräber und folgte dem staubigen schmalen Weg zum hölzernen Gatter. Fragend blickte Jimmy Hadley ihn an. »Bleibt es bei unserem alten Plan, nach Silber zu suchen, Conchos?« »Nein.« Conchos starrte nach der erleuchteten Straße hinüber, nach den Adobe- und Holzhäusern, Korrals und Höfen nach dem Licht des Crystal Palace, Hotels, und Opernhauses, nach all den Fassaden, hinter denen sich Reichtum und Armut verbargen. »Nein, ich hab’ was anderes zu tun.« »Wo willst du zu suchen anfangen, Conchos? Ich möchte dir helfen.« Conchos nickte kaum merklich, nahm den Zügel seines Pferdes und näherte sich dem Sheriff’s Office. Jimmy folgte ihm. Drüben stand Doreen am Fenster ihres Zimmers, in einen
wärmenden Mantel gehüllt, und blickte auf die Straße hinunter. Sie rief nicht nach Conchos. Ihr Gesicht war bläßlich. Jimmy Hadley sah zu ihr hinauf und hob die Hand zu einem flüchtigen Gruß an. Sie rührte sich auch jetzt nicht. Im Sheriff’s Office blakte die Lampe. Am Tisch saß ein schwarzhaariger junger Deputy, der selbst mit einem Lächeln nicht seinen Zynismus verbergen konnte. Vor ihm lag der Zeichenblock. Die Zellentüren waren geöffnet; Betrunkene schliefen ihren Rausch aus. Auf dem Röhrenofen stand eine Blechkanne mit Kaffee. Mehrere Gewehre fehlten im Ständer. »Der Sheriff ist unterwegs«, erklärte der Deputy gelassen. »Sie müssen schon warten. Er macht seinen Kontrollgang.« »Ich frage mich, wann er Sie und die anderen Deputies auf die Suche schickt«, knurrte Conchos düster und näherte sich dem Tisch. Als er nach dem Zeichenblock des Bruders greifen wollte, zog der Deputy ihn weg. »Nicht ohne Erlaubnis des Sheriffs, Conchos!« Blitzschnell packte Conchos das Handgelenk des Deputies, drehte die Hand gewaltsam herum und nahm ihm den Zeichenblock ab. Ohne sich um den Deputy zu kümmern, hielt er den Zeichenblock in den Lichtschein der Lampe und betrachtete die Skizzen. »Das sind sie also«, murmelte er, warf den Block zurück und sah den Deputy kalt an. »Ich lass’ mich, nicht auf den Arm nehmen, savvy? Diese Zeichnungen sind von meinem Bruder. Sie sind das einzige, was er zurückgelassen hat – und vielleicht hat er dabei an mich gedacht!« »Sie nehmen sich verdammt viel heraus, Conchos!« zischte der junge Deputy drohend. »Sie tragen nicht den Stern in Tombstone! Verlassen Sie das Office!« Conchos verzog den Mund und ging hinaus. Draußen warnte Jimmy Hadley ihn: »Das ist Jack Reeves, Conchos – ehrgeizig und skrupellos. Der Kerl will mal Sheriff von Tombstone werden. Mach ihn dir nicht zum Feind.«
Langsam drehte Conchos das Gesicht herum. Es war grau wie Stein – eine Landschaft der Empfindungen, zerwühlt und zerfurcht. »Ich geh’ meinen Weg, Jimmy, wohin ist meine Sache. Und wenn ich vor die Hunde gehe, ich werde die Mörder meines Bruders finden und zur Strecke bringen. Überleg dir gut, ob du mitkommen willst.« Jimmy Hadley blickte ihm dunkel nach und rieb mit dem Handrücken über den Mund, straffte die Schultern und folgte ihm über die Straße. Vor dem Saloon leinte Conchos das Pferd an. Beide Männer gingen hinein. Am verschmutzten Boden lagen mehrere Männer und schnarchten. Die Animiermädchen waren verschwunden. Der letzte Keeper wischte gerade die Theke ab. »Wir machen erst zum Mittag wieder auf.« »Fällt dir nichts Besseres ein, du Hampelmann?« knurrte Jimmy verärgert. »Wir wollen unseren Drink, und dann verschwinden wir aus der Stadt, klar?« »Beruhigt euch. Nur keine Panik, Amigos. Zwei Drinks?« Während der Keeper die Gläser füllte, kam Doreen die Treppe herunter und gesellte sich zu den beiden Männern. »Ihr wollt wegreiten?« »Yeah, Kleine«, murmelte Conchos. »Das hätten wir sowieso getan. Aber wir werden uns wiedersehen.« Sie nickte und sah hinaus. Draußen dämmerte der Morgen. In Tombstone war es erdrückend ruhig geworden. Überall sah es trostlos aus. Im Frühlicht verwischten die Konturen. »Wiedersehen«, flüsterte Doreen. »Immer wird das gesagt – und dann wartet man und hofft, blickt immer wieder zur Tür und wartet jeden Abend; aber alle, die mir versprochen haben, zurückzukommen, sind niemals gekommen... Vorbei und vergessen, so schnell geht das. Und deshalb will ich nicht mehr an euch beide denken. Ich will mich nicht verrückt machen.« Sie sah die Freunde seltsam dunkel an, als wollte sie sich
von ihnen für immer verabschieden, ließ ihr Glas stehen und ging die Treppe empor. Draußen rannte der Telegrafist vorbei und in das Sheriff’s Office. Wenig später hastete Jack Reeves, der Deputy, mit ihm zurück. An diesem Vormittag, als Conchos und der Texaner Jimmy Hadley ihre Pferde bestiegen, stand ein anderer Deputy vor dem Office und nagelte eine Bekanntmachung an das große Brett. In dicken schwarzen Buchstaben stand darauf zu lesen: Fünfhundert Dollar Belohnung für jeden Skalp eines Postkutschenräubers! Der Gouverneur von Arizona. »Damit«, flüsterte Jimmy Hadley, »ist die Jagd auf alles freigegeben worden, was nach einem Postkutschenräuber aussieht oder auch nur danach stinkt. Jetzt holen sich diese Halbaffen gegenseitig vom Baum!« Conchos antwortete nicht. Sein Schweigen bedeutete sehr viel – und Jimmy spürte einen kalten Schauer im Rücken... Sie verließen Tombstone und ritten in das San Pedro Valley. Hinter ihnen in Tombstone scharten sich die Männer vor der Bekanntmachung des Gouverneurs zusammen und sprachen wild durcheinander. Die Deputies verließen die Stadt, um nach Banditen zu suchen. In der Tür seines Office stand Buck Olsen, gleichgültig wie immer – ein Mann, der kein Leben liebte, vielleicht noch nicht einmal sein eigenes. *** Krachend entlud sich das Gewehr. Das Mündungsfeuer zuckte über den Hinterhof. Aufkreischend fiel ein Mann gegen
das Gatter des Korrals, drückte es mit taumelnder Bewegung auf und stolperte wie angetrunken über den Hof. »Nicht schießen!« keuchte er. »Seid ihr... denn alle verrückt geworden? Ich bin es doch!« »Verdammter Mist!« tönte eine Stimme aus dem Dunkel. »Was schleichst du hier herum, alte Saufziege! Ich hätte dich fast nicht erkannt!« »Du hättest mich beinahe umgelegt!« stöhnte der angeschossene Mann und schleppte sich zum Licht der Straße, schwankte auf den Gehsteig und torkelte in den Saloon. Sofort verstummte die Musik. Doreens Lied war vorbei; sie stand reglos auf der kleinen Bühne und sah erschrocken auf den Mann, dessen Rücken von einem Streifschuß aufgerissen worden war. »Ich bin doch... kein Postkutschenbandit!« stöhnte der Mann und hielt sich an einem Tisch fest. »Er hat mir ein Stück Blei über den Rücken gefegt! Verflucht, wollt ihr alle euch gegenseitig umlegen?« In der Tür tauchte ein Mann mit einem Gewehr auf. »Tut mir leid, Alter. Schleich nicht mehr in der Dunkelheit durch deinen Korral.« Von Schmerzen geschüttelt, sackte der Angeschossene auf einen Stuhl und stierte ins Leere. Ein Mädchen reichte ihm ein Glas Whisky, und er trank es leer. Der Arzt kam herein, und Sekunden später erschien Sheriff Buck Olsen und betrachtete den Rücken. »Sieht halb so schlimm aus. Du hast Glück gehabt.« »Das ist alles, was Sie dazu zu sagen haben, Sheriff?« ächzte der Verwundete. »Ich werde fast zum Krüppel geschossen, und Sie...« »Beschwere dich beim Gouverneur, Alter, falls du was dagegen zu sagen hast, verstanden?« fuhr Buck Olsen ihn grob an. »Das ist nicht mein Bier! Der Gouverneur hat das einzig Richtige getan! Sonst werden wir diese verfluchten Banditen
niemals bekommen!« »Leg dich mit dem Bauch auf den Tisch, Matt«, knurrte der Arzt. »Ich muß den Rücken verarzten. Und halt die Klappe. Das ganze Reden bringt nichts ein.« Langsam verließ Doreen die Bühne und stieg die Treppe empor. In ihrem Zimmer angekommen, setzte sie sich auf das Bett und strich gedankenversunken darüber hinweg, wo Conchos gelegen hatte. »Es müssen auch wieder bessere Tage kommen«, flüsterte sie vor sich hin. *** Spuren im Staub. Düster betrachtete Conchos die Hufeindrücke von zwei Pferden, während die Hitze des Tages die Lungen wie mit Feuer füllte und die grelle Sonne erbarmungslos das Gras ausdörrte und verbrannte. Der Wind trug das dumpfe Geräusch der Explosionen herüber. »Zwei Männer wie wir«, murmelte Jimmy Hadley und legte die Hände auf das Sattelhorn. »Was ist schon dabei.« Conchos antwortete nicht, sah nur sekundenlang auf – dann ritt er weiter und folgte den Spuren. »Glaubst du im Ernst, daß hier zwei Halunken entlanggeritten sein könnten, Conchos? So einfach machen die es uns nicht!« Forschend schweifte Conchos’ Blick über stein- und staubgefüllte Senken. Dunkel lagen die Hügel vor ihm. Das Gestrüpp war zundertrocken und verstaubt. Die Kakteen ragten empor wie unförmige menschenähnliche Gestalten. Nur die Explosionen und der raunende Wind war zu hören. »Wer weiß, Jimmy...« Sie ritten auf den Spuren weiter und in die Hügelwelt hinein. Bizarre Felsen nahmen ihnen immer wieder den Blick.
Plötzlich riß Conchos am Zügel, und Jimmy Hadley verhielt schräg hinter ihm. »Was ist?« ächzte er. »Siehst du was?« »Yeah, eine Hütte.« »Und diese Spuren führen genau dorthin, he?« »Ja. Bleib hinter mir. Ich werde mir die Hütte aus der Nähe ansehen.« »Conchos, das sind keine Postkutschenräuber! Die würden sich doch niemals in so eine Hütte setzen! Die Hütte ist eine Mausefalle, aus der sie kaum herauskommen können!« »Was weißt schon du davon?« entgegnete Conchos kühl. »Halt mir den Rücken frei.« »Aber das ist doch Wahnsinn, Conchos! Laß mich hinunterreiten! Ich werde mit den beiden Kerlen reden.« Doch Conchos hörte nicht auf ihn, trieb das Pferd an und ritt um die Felsen und Kakteen. Am Rande des kleinen öden Tals saß er ab und zog die Winchester hervor, lud durch und blickte kalt umher. Ein paar alte verkrüppelte Bäume streckten ihre knorrigen Äste zum blaßblauen Himmel empor. Kein Vogel war zu sehen, noch nicht einmal einer der ewig fraßsuchenden Aasgeier. Hier könnte das Ende der Welt sein – doch es war der Anfang eines unerbittlichen und harten Weges in Conchos’ Leben... Als er aus dem Sattel glitt, stieß jemand unten die Tür der Hütte auf und feuerte sofort auf ihn. Die Kugeln fauchten bösartig vorbei und klatschten gegen die Felsen, jaulten um die Kakteen, durchschlugen sie und knickten die Zweige der Bäume. Im Nu hatte Conchos sich zu Boden geworfen und kroch jetzt auf allen vieren zwischen die Felsen, hielt seine Winchester gepackt und starrte mit verengten Augen zur Hütte hinunter. Zwei Männer duckten sich in der Tür. Sie hielten Gewehre und sprangen plötzlich los, wollten ihre
Sattelpferde neben der Hütte erreichen – doch Conchos schoß schon. Seine Kugeln jagten die Pferde davon. Heftig schlugen die leeren Steigbügel gegen die Tierleiber. Beschlagene Hufe klirrten über Gestein hinweg. Die Pferde verschwanden hinter den Felsen am Talrand – und die beiden Männer kauerten wieder in der Hütte. Langsam zerflatterte das Echo der Schüsse in den anderen Tälern und erstarb mit einem geisterhaften Geflüster. Conchos war unterwegs. Wie ein Raubtier bewegte er sich abwärts und nutzte jede Deckung. An einen Felsen gepreßt, wartete Jimmy Hadley und beobachtete die beiden Männer und Conchos. Im wallenden Poncho glitt Conchos in das Tal hinunter und auf die Hütte zu. Nicht weit davon entfernt, ging er hinter Gestrüpp und Felsen in Deckung und hob die Winchester an. Die beiden Männer waren nicht zu sehen; sie knieten neben der Tür im Schutz der Hüttenwände und spähten hinaus, wagten sich nur für Bruchteile einer Sekunde aus der Deckung hervor. Die Läufe ihrer Gewehre aber verrieten ihren Standpunkt, denn sie ragten hervor und reflektierten das Sonnenlicht. Der Tod war im Tal. Und Jimmy Hadley fluchte unterdrückt. Es war nicht sein Bruder, der von viehischen Banditen umgebracht worden war, und es war auch nicht sein Wunsch, die Skalpe der Postkutschenräuber zu sammeln. Er wäre suchend nach Silber umhergeritten – und das würde er wohl auch noch tun. Langsam setzte Conchos die Winchester an die Schulter und feuerte dann mehrere Schüsse in die Hütte hinein, sah die schattenhafte Gestalt eines Mannes und drückte sofort wieder ab. Er konnte das Poltern in der Hütte nicht hören, nicht das Krachen des zusammenbrechenden Tisches und nicht den leisen, erstickten Aufschrei des anderen Mannes, den die
nackte Angst gepackt hatte. Alle Geräusche wurden vom peitschenden Knall seiner Schüsse übertönt. Während Pulverrauch über seiner Deckung emporstieg, kniete einer der Männer in der Hütte nieder und stöhnte dumpf auf. »Dieser verfluchte Halunke!« Der Mann in der Hütte stierte entsetzt auf den Toten. Er zitterte am ganzen Körper und löste nur mühsam den Blick vom eingefallenen grauen Gesicht. »Warum?« flüsterte er. »Mein Gott, warum?« Draußen rasselten Sporen, Das Gefühl, nun völlig allein zu sein, trieb den Mann in panische Angst hinein. Die Erkenntnis, in einer Falle zu sein und gejagt zu werden, machte ihn verrückt. Er schrie gurgelnd auf, riß das Gewehr hoch und schoß wie irre hinaus. Blei klatschte gegen die Felsen. Staub stiebte hoch. Geduckt hetzte er aus der Hütte hervor und feuerte dorthin, woher die Schüsse gekommen waren und wo Conchos gesessen hatte. Zu spät erkannte er die Gefahr. Rechts von ihm, nur drei Schritte von der Hütte entfernt, brüllte eine Winchester auf. Der Schuß riß ihn von den Beinen. Er stürzte schwer hin, verlor sein Gewehr und rutschte in einen Strauch hinein... Reglos blieb er halb im Geäst hängen. Conchos richtete sich auf und senkte die Winchester. Mit großen Schritten ging er zu dem Unbekannten, zerrte ihn aus dem Geäst hervor und zog ihn an den Beinen zur Hütte zurück. Unter der glühenden Sonne ließ er ihn liegen, kniete nieder und durchsuchte die Taschen. Dabei blickte er einmal düster in die Hütte hinein und sah den anderen Gegner tot in der Hütte liegen. Langsam kam Jimmy Hadley herangeritten und hielt Conchos’ Pferd am Zügel. Vor der Hütte saß er ab und blickte auf Conchos’ Rücken, dann ging er in die Hütte hinein und beugte sich über den Toten. »Du hast ihn erwischt, Conchos!« tönte seine heisere,
belegte Stimme aus der Hütte hervor. »Ich weiß.« Conchos warf den Tascheninhalt des Unbekannten in den Staub und richtete sich steif auf. Jimmy kam heraus und sah ihn fragend an. »Ist er tot?« »Nein – bewußtlos. Ich habe ihm mit einer Kugel eins über den Schädel gezogen.« »Warum hast du ihn erschossen, Conchos? Warum das alles?« »Sollte ich mich abknallen lassen, Jimmy? Nein! Die beiden Halunken haben auf mich geschossen. Sie wollten davonkommen, und das muß einen Grund haben.« »Ja, sie hatten Angst, Conchos – ganz einfach Angst.« »Das sind keine Kinder mehr, Jimmy. Die Kerle wußten genau, was sie taten.« »Aber es können keine Banditen sein, die deinen Bruder umgebracht haben. Diese Gesichter habe ich noch nie gesehen, auch nicht auf dem Zeichenblock.« Conchos’ Augen wurden schmal, der Blick wurde stechend. Er starrte Jimmy Hadley durchdringend an. »Mein Bruder war schon halbtot, als er die Halunken sah und zeichnete, Jimmy! Ein Sterbender kann nicht mehr so deutlich sehen und zeichnen!« »Damit hast du recht, Conchos – doch diese beiden Männer sind nicht jene Banditen gewesen! Mach mir nichts vor. Ich weiß, was in dir vorgeht. Du willst die Mörder deines Bruders finden, und es ist dir völlig gleich, wen du dabei umlegst.« »Halt die Luft an, Junge!« knurrte Conchos grimmig. »Wenn es dir nicht paßt, dann verschwinde, und laß mich allein!« »Das werde ich auch tun, verdammt noch mal!« schrie Jimmy. »Ich kann nicht mit ansehen, wie du auf Menschen schießt! Ich verschwinde, aber erst dann, wenn du diesen Kerl hast laufenlassen. Eher gehe ich hier nicht weg!«
Conchos senkte das Kinn. Die Gesichtsmuskeln erschlafften. Er machte auf einmal einen müden, alten Eindruck. »In Ordnung, Jimmy – dann geh.« Jimmy schluckte bitter. »Tut mir leid, Conchos – ich wollte dich nicht verlassen. Ich war nur verflucht durcheinander. Laß diesen Kerl laufen. Wir suchen weiter. Komm schon, Conchos.« Doch der hagere, große Conchos bewegte sich nicht, starrte auf den Mann, der sich zu rühren begann, und verzog den Mund. Mit dem verstaubten alten Stiefel stieß er den Mann an. »Los, komm zu dir! Du hast dich lange genug ausgeruht!« Jimmy schüttelte schwach den Kopf und ging zu seinem Pferd. Er lehnte sich gegen das Tier und legte die Hand auf das Sattelhorn. Ernst und bitter blickte er zu Conchos hinüber. »Du gehst auf den falschen Weg, Conchos.« »Hör auf!« Conchos fauchte es hervor, beugte sich zum Mann hinunter und zerrte ihn hoch. Hart stieß er ihn gegen die Hüttenwand. »Mach das Maul auf!« grollte er. »Wo sind die anderen? Ich gebe dir nicht viel Zeit! Wo haben deine Komplicen sich verkrochen?« Der Mann glotzte ihn leer an und begriff nur langsam, was geschehen war. Das Gesicht zuckte und verriet die Schmerzen der Kopfwunde. Geronnenes Blut haftete an der Stirn und klebte auf dem Wangenknochen. Er würde mit dem Rücken an der Hüttenwand abwärts rutschen, wenn Conchos ihn nicht festhalten würde. Heiß strich es durch das Tal. Die Pferde schnaubten dumpf und stampften. Am Talrand standen die Pferde der unbekannten Männer. Im Wind schwang die Hüttentür leise knarrend hin und her. »Du... hast... meinen Freund... erschossen!« stöhnte der Mann anklagend. »Du Hund hast...«
Hart schlug Conchos zu. Der Mann fiel vornüber in den Staub. Gebeugt drehte Conchos sich halb herum und blickte Jimmy Hadley an. »Das gefällt dir nicht, wie?« »Nein, ganz und gar nicht, Conchos!« »Das konnte ich mir denken! Du bist noch immer im Kern weich wie eine Backpflaume, Jimmy. Silber wolltest du suchen. In Ordnung, dann such das verdammte Silber – aber wenn du es gefunden hast, dann wirst du nicht lange damit glücklich sein, weil es dir Halunken abjagen werden, weil du viel zu weich bist! Sieh dich um! Was siehst du? Ein ödes, heißes und dreckiges Land! Hügel, Berge und Felsen, Sand und Kakteen – mehr nicht. Und in diesem Land strolchen Halunken umher, die nur darauf lauern, daß irgendein Dummkopf Silbervorkommen entdeckt hat. Dann werden sie ihn umlegen und noch nicht einmal verscharren wie einen toten Hund. Gefällt dir das besser, Jimmy?« »Nein, Conchos – doch du wirst ungerecht! Du hast keine Beweise für die Schuld dieser Männer!« »Sie haben auf mich geschossen.« »Das hätte ich auch getan!« »Du bist ein Narr, Junge. Keiner darf auf mich schießen. Dann frag’ ich nicht mehr nach dem Grund – dann schieße ich zurück! Und wenn ich schieße, dann deshalb, um zu töten. Sonst würden sie mich töten. Yeah, es ist wohl wirklich besser, wenn du verschwindest.« Er kehrte Jimmy Hadley den Rücken und verharrte dicht vor dem Mann, der sich stöhnend bewegte und dem die Augenlider wie im Fieber flatterten. Jimmy Hadley fühlte sich irgendwie speiübel. Er wollte nicht, daß ihre alte Freundschaft zerbrach, doch er konnte Conchos nicht verstehen und ihm nicht beipflichten, was auch geschehen war. »Hör auf mich, Conchos...«
»Laß mich in Ruhe, zum Teufel!« Conchos hielt in der Rechten die Winchester. Mit der linken Hand packte er das Haar des Mannes und riß den Kopf etwas an, knallte ihn gegen die Hüttenwand und schrie ihn an – doch der Mann stöhnte nur und stierte ins Leere. »Hör auf, Conchos!« schrie Jimmy heiser. »Das, was du tust, ist verdammt schlecht! So wird dein Bruder auch nicht wieder lebendig, so bekommst du nicht die Wahrheit heraus!« Doch Conchos hörte nicht auf ihn. Zum letztenmal versuchte Jimmy, ihn umzustimmen. »Conchos, vielleicht haben sie geglaubt, daß wir zwei Postkutschenräuber wären! Überleg dir das doch mal! Denk doch an die Bekanntmachung des Gouverneurs!« Er bekam keine Antwort. Conchos beugte sich wieder einmal über den Bewußtlosen. Sein Gesicht war grau, aufgewühlt und schweißnaß, mit Staub verdreckt. Er keuchte dumpf und atmete scharf ein. Steif kam Jimmy naher. »Mach Schluß, Conchos! Laß den Mann in Frieden. Er hätte schon gesprochen, wenn er was gewußt hätte.« »Hau ab!« brüllte Conchos. »Dein Gewimmer geht mir auf die Nerven! Scher dich zum Teufel mit deinem Altweibergeheule!« Da konnte Jimmy Hadley sich nicht länger beherrschen – er stürzte sich nach vorn und versuchte, Conchos von dem bewußtlosen Mann wegzureißen. Es war Verzweiflung... und auch Menschlichkeit. Doch Conchos war härter. Er schlug Jimmy Hadley den Kolben der Winchester in den Bauch, und als Hadley zurücktaumelte, holte Conchos mit knüppelharter Faust aus und traf ihn voll am Kinn. Ohnmächtig klappte Hadley zusammen... Wie aus weiter Ferne hörte Jimmy Conchos’ Stimme, doch er verstand die Worte nicht. Er hörte auch das schrille
Aufwiehern eines Pferdes und das Rasseln der Sporen, Hufgetrappel und dumpfes Keuchen. Die Geräusche versickerten. Tiefe Stille herrschte. Er hatte das Gefühl, in immer dunklere Tiefen hinabzustürzen, und kurze Alpträume überfielen ihn. Als er zu sich kam, war alles vorbei. Er öffnete die Augen und sah dicht vor sich die verstaubten Stiefel seines Coltgefährten, die stählernen Radsporen, das aufgeplatzte Leder. Mühsam hob er den Blick an, sah den alten, mürben Poncho, die Winchester und Conchos’ steinernes Gesicht. »Überleg dir alles gut, Jimmy«, sprach Conchos mit dumpfer Stimme. »Ich werde die Mörder meines Bruders erwischen – sie alle! Ich lass’ mich dabei von keinem Menschen aufhalten. Auch nicht von dir. Überleg dir, was die Freundschaft für dich wert ist.« Dann drehte er sich auf dem Absatz herum, und Jimmy sah, wie er davonging, auf das Pferd stieg und durch das Tal ritt. Stöhnend wälzte er sich, herum, starrte umher und schwankte dann in die Hütte. Der Tote lag noch hier. Stöhnend fuhr Jimmy sich über das schmerzende Kinn und drehte sich um, stapfte über die Türschwelle und blickte zum Talrand. Der Anblick ließ ihn erstarren. Dort unter den alten, abgestorbenen Bäumen am Talrand hing leblos der unbekannte Mann... »Conchos!« schrie Jimmy ihm nach. »Du hast ihn aufgeknüpft! Warum, Conchos?« Der große, hagere Mann antwortete nicht, verließ das Tal und verschwand hinter den bizarren Felsen. »Großer Gott«, stöhnte Jimmy, »das darf nicht wahr sein!« Es war wahr. Und Jimmy blieb nichts anderes übrig, als die beiden Männer zu begraben. Er mußte den anderen vom Baum holen und flüsterte dabei immer wieder vor sich hin. Als er davonritt, hinterließ er eine leere Hütte, zwei Gräber und eine begrabene Freundschaft...
***
Überall zogen bewaffnete Reiter über das Gebiet der Bantock-Ranch. Sie hielten die Gewehre bereit und waren entschlossen, auf jeden zu schießen, der es wagen sollte, auch auf dem Bantock-Land nach Silber zu suchen. An diesem Tag kam der junge Chris Bantock auf die väterliche Ranch. Er glitt aus dem Sattel, als er auch schon zu seinem Vater gerufen wurde. Auf langen Beinen schritt er über den sonnenheißen Hof und schob sich schlank und verstaubt durch die Tür. Sein schwarzes Haar glänzte wie Gefieder und hatte einen bläulichen Schimmer wie Metall in der Nacht. »Du willst mich sprechen, Dad?« Hinter dem breiten Sessel in der Wohnhalle der Ranch wuchtete Nathan Bantock hoch. Unter buschigen eisgrauen Augenbrauen blickten blaßblaue Augen. Düster musterte er den Sohn. »Wo bist du gewesen?« tönte seine grollende Stimme durch die Wohnhalle. »Zum Teufel, mach das Maul auf! Die Jungs sind ständig im Sattel, aber du hast es nicht nötig, für diese Ranch zu reiten, die du einmal erben sollst.« Unsicher kaute der junge Chris Bantock auf der Unterlippe und leckte sich den Staub davon weg. »Ich war in der Stadt, Dad – und bei den Silberminen.« »Da hast du nichts zu suchen, verstanden?« »Ja, Dad.« »Alle Miner werde ich in die Hölle jagen, wenn sie es wagen sollten, mein Land zu betreten. Du nimmst sofort ein Ersatzpferd und reitest zu den Cowboys. Dort ist dein Platz! Los, verschwinde!« Ergeben senkte der Sohn den Kopf, nickte und verschwand. Nathan Bantock drehte sich um und schob die breiten Schultern nach vorn. Er war ein Herrscher und ein Mann der
Gewalt. Alles mußte ihm zu Füßen liegen. Erst jetzt bemerkte er seine Tochter Maggie im Hintergrund. »Sei doch nicht immer so streng zu Chris, Daddy«, flüsterte sie und kam näher. »Chris ist dein Sohn, aber du kannst aus ihm nicht einen wilden Schießer und knochenharten Cowboy machen. Er ist wie unsere selige Mutter.« »Er kann nicht wie eine Frau sein, Maggie! Das lasse ich nicht zu! Ich mach aus ihm einen Kerl!« »Das wirst du niemals schaffen, Dad, sei dir doch klar darüber. Chris ist nun einmal so. Ich bin eine Frau. Ich weiß, daß Frauen so einen Mann wie Chris vielleicht lieber haben als einen wilden Draufgänger.« »Du bist keine Frau, du bist meine Tochter, Maggie!« In Maggies braunen Augen schimmerte es weich. Ihr blondes Haar glänzte selbst hier in der Wohnhalle, wohin kaum das Sonnenlicht drang. »Vor drei Tagen habe ich Chris weinen gesehen, Dad. Er stand ganz abseits am Korral und glaubte sich unbeobachtet. Ja, er hat geweint, weil du mit ihm immer so hart umgehst, weil du ihm niemals ein Recht gibst und immer alles das, was er macht, zerstörst. Du läßt doch nichts Gutes an ihm. So machst du ihn immer mehr fertig. Chris tut mir wirklich leid.« »Fang nicht damit an, Maggie! Das fehlt mir noch! Reit ihm doch nach und halte Händchen! Soll er sich bei dir ausweinen!« »O Dad«, flüsterte sie todernst, »du machst alles kaputt. Ja, ich werde ihm nachreiten – und sollte er weinen, dann werde ich nicht über ihn lachen!« Sie verließ hastig und zornig das Ranchhaus. Nathan Bantock fluchte und schleuderte ein Glas Whisky gegen die Wand. »Kinder habe ich! Alle jammern um mich herum! Zum Kotzen!« Draußen ritt seine Tochter vom Hof und trieb das Pferd zum
Galopp an, jagte über das weite Land und suchte nach dem Bruder. Vergebens blickte sie umher. Sie sah nur die Cowboys und die vielen Rinder ihres Vaters. Erst nach längerer Zeit entdeckte sie seine Spur. Sie führte vom Weideland und zwischen die Hügel. »Mein armer Bruder«, sagte sie weich in den raunenden Wind. »Er kann sich ja gar nicht zum Mann entwickeln, wenn Dad ihn immer wieder zurechtstutzt...« Chris Bantock war schon mehrere Meilen vor seiner Schwester. Sein auf der Ranch gezeigtes weiches Gesicht hatte sich völlig verändert und verriet Zynismus und Wut. Er lenkte das Pferd durch die hohen trockenen Sträucher und erreichte eine tiefe Hügelfalte Am staubigen Weg zur Hütte, die von hier aus kaum zu erkennen war, wurde er scharf angerufen und gab sich zu erkennen. »Du bist es, Chris? Dann komm schon. Wir warten bereits auf dich.« Er folgte dem Weg, stieß auf den Mann, der ihn angerufen hatte, und ritt gemeinsam mit ihm zur Hütte. Sie saßen ab und betraten die Hütte. Hier hockten mehrere Männer und betrachteten Chris Bantock. Lässig und mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze richtete sich ein völlig schwarzgekleideter junger Mann auf. Das schmale Gesicht wirkte knochig. Die dunklen Augen hatten einen weichen Schimmer. Um das linke Handgelenk war eine Kette geschlungen, deren Ende rasselnd hinunterhing. Die schwarze Kleidung war aus Leder und saß ihm wie angegossen am Körper. Schwaches Lächeln huschte über das Gesicht, das er schon eine ganze Zeitlang nicht mehr rasiert hatte. »Tag, Chris.« »Tag, Shacco«, antwortete Chris Bantock leise und blickte die anderen der Reihe nach an. »Soll’s wieder losgehen?« Sie nickten. Shacco legte den Arm um den jungen Bantock. »Du hast
wieder Ärger mit deinem Alten gehabt, Chris? Vergiß ihn. Eines Tages wirst du reicher sein als er. Mach dir keine Gedanken um ihn.« Chris Bantock suchte anderswo die Gewalt. Er fühlte sich dem Vater unterlegen und brauchte dennoch die Gewalt für sich und gegen andere. Der Pakt mit diesen Männern war ein Ersatz für ihn. Shacco grinste und gab allen einen Wink. Sie verließen die Hütte und stiegen auf die Pferde. »Morgen treffen wir uns. Eine Ladung Silber wird unterwegs sein.« Sie trennten sich, und Chris Bantock ritt aus der Hügelfalte und verhielt zwischen den Felsen oben auf dem Hügel. Hier saß er ab und setzte sich in den Schatten. Sein Pferd brauchte etwas Ruhe. Die Komplicen waren davongeritten. Lange saß er und grübelte. Plötzlich hörte er den Hufschlag eines Pferdes, sprang auf und zerrte sein Pferd hinter die Felsen. Wenig später sah er seine Schwester herangeritten kommen. Sie folgte seiner Spur, die auf dem sandigen Boden deutlich zu erkennen war, und zügelte das Pferd ganz in seiner Nähe. Forschend blickte sie in die Hügelfalte hinunter. Dort unten wanderte ein Mexikaner entlang und bewachte offensichtlich die sechs Maultiere in der Nähe der Hütte. In diesem Moment schnaubte Chris Bantocks Pferd. Erschrocken fuhr Maggie Bantock im Sattel herum und sah ihren Bruder mit dem Pferd hervorkommen. »Himmel, hab’ ich mich verjagt! Was machst du hier, Chris?« Er lächelte weich und wieder einmal traurig. »Nichts, Maggie. Ich wollte nur etwas herumreiten.« »Wem gehört diese Hütte, Chris? Ich habe noch nie etwas über diese Hütte gehört.« »Das weiß ich auch nicht. Du siehst ja, daß ein Mexikaner
da unten lebt. Erzähl nichts Dad davon. Sonst würde er den Mexikaner auch noch verjagen oder zu Tode hetzen.« Sein Hemd war schweißnaß und geöffnet. Eine Silberkette glänzte auf der Brust. »Du trägst ja eine Kette, Chris. Hast du sie geschenkt bekommen?« Die blonde Maggie lächelte. »Von einer Freundin in Tombstone?« Chris Bantock war unsicher. Ihm fiel nichts Besseres ein, als die Kette vom Hals zu nehmen und sie seiner Schwester zu reichen. »Nimm sie, ich schenk’ sie dir – und nun laß uns zurückreiten, ja?« Sie betrachtete die Kette. »Sie ist sehr schon, Chris. Ich danke dir. Ich werde sie immer tragen. Vielen Dank, Chris.« »Schon gut, Maggie. Komm jetzt.« *** Abend in Tombstone. Aus dem tiefen Schlagschatten eines Hauses löste sich die Gestalt des großen, hageren Mannes Conchos. Der Poncho verbarg die Coltrevolver. Zwischen zwei dunklen Fenstern verharrte er und blickte forschend über die Main Street. Drüben neben dem Sheriff’s Office, außerhalb der Lichtbahn, standen der Deputy Sheriff Reeves und ein in Schwarz gekleideter junger Mann, der eine Eisenkette am Handgelenk trug. Beide trennten sich. Der Deputy Reeves schritt mit der Winchester über den Gehsteig. Am hellerleuchteten Fenster des Office tauchte sekundenlang der Schatten des bulligen Sheriffs Buck Olsen auf. Während Jack Reeves seinen Rundgang machte, Wagen die Straßen heraufrollten und Reiter kamen und wieder verschwanden, stapfte Conchos zum Saloon. Verstaubt betrat er den Saloon, und alle Blicke richteten sich
auf ihn. Seine bloße Erscheinung ließ die Menschen frösteln... Er ging zur Theke und verlangte nach einem Whisky. Die Saloonlady Doreen war nicht im Raum. Verlassen war die Bühne. Die Musiker tranken mit den Gästen. Spieler saßen im Hintergrund an den Samttischen und machten Pokergesichter. »Wo ist sie?« erkundigte er sich beim Keeper. »Das weiß ich nicht.« »Also oben.« Er trank das Glas leer, zahlte lässig und schritt zur Treppe. Langsam stieg er hoch und folgte dem Gang, klopfte an die Tür und öffnete sie sofort. Im Zimmer brannte die Fransenlampe. Auf dem Bett saß Doreen. Am Fenster stand Jimmy Hadley. Beide fuhren zusammen und strafften sich. »Conchos!« flüsterte Doreen, während es in ihren Augen aufleuchtete. »Du bist zurückgekommen...« Er verharrte an der Tür und sah Jimmy Hadley und Doreen ausdruckslos an. »Hier also bist du, Jimmy«, dehnte er. »Ich habe es geahnt. Du kannst sie kriegen. Wenn sie schon jetzt allein mit dir in ihrem Zimmer ist, dann ist sie keine Frau für mich.« »Conchos!« Doreen erhob sich. »So darfst du nicht sprechen! Ich bin kein Flittchen, ich arbeite nicht im Bordell! Du darfst nicht so reden, als wäre ich eine Hure! Ich habe hier auf dich gewartet.« »Das ist wahr, Conchos!« bestätigte Jimmy leise. »Doreen hat nur von dir gesprochen – und nur Gutes.« »Ihr haltet schon zusammen, wie?« Seine Stimme klang bitter und verächtlich. »Dann bleibt auch zusammen!« Er wandte sich ab und verließ das Zimmer. Doreen lief ihm nach und umfaßte seine Arme. Sie versuchte, ihn zu halten. Sie sah ihn flehentlich an und wollte sprechen, doch er schob sie einfach zur Seite und ging weiter. »Ich liebe dich, Conchos!« stöhnte sie. »Warum willst du
das nicht wahrhaben? Warum verachtest du alle Menschen und wirfst sie alle in denselben Topf? Hast du vergessen, wie wir uns geliebt haben, was ich dir gesagt habe, was du geantwortet hast? Jetzt stößt du mich beiseite wie ein Stück Dreck – aber ich bin kein Dreck! Ich suche die Liebe, ich brauche dich, Conchos – und selbst wenn du mich wie eine Hündin schlägst, werde ich dir treu bleiben.« Vor der Treppe verharrte er. Der Tabakrauch zog in dicken Schwaden herauf. Unten schwiegen die Gäste und starrten zu ihm empor. Er verzog das harte Gesicht, doch er lächelte nicht. Langsam wandte er sich Doreen zu. Sein Blick ging durch sie hindurch. »Nicht soviel reden, verstehst du?« murmelte er – dann stieg er abwärts. Der Poncho schlug gegen die Colthalfter. Die Winchester schimmerte im Lichtschein. Die Rauchschwaden schlugen über ihm zusammen. »Conchos!« schrie sie wie gequält auf. »Bleib bei mir!« Er antwortete nicht, erreichte die Theke und blieb davor stehen. Langsam legte er die Winchester auf den Tresen und verlangte einen zweiten Whisky. Tränen liefen über Doreens geschminktes Gesicht. Sie tastete sich an der Bretterwand entlang und fiel fast in ihr Zimmer hinein, setzte sich aufs Bett und barg das Gesicht in beiden Händen. Jimmy schluckte trocken. Er wollte sprechen, Doreen trösten und Mut machen, doch ihm fehlten einfach die Worte. Doreen weinte. »Nicht weinen«, sagte er mit belegter Stimme. »Er ist es nicht wert – glaube ich.« »Doch Jimmy!« hauchte sie. »Für mich ist er alles wert! Ich liebe ihn doch! Wenn er einen Mann erschossen und einen anderen aufgehängt hat, dann ist er für mich noch lange nicht ein Killer! Er ist der Mann Conchos für mich geblieben! Himmel, er hat doch Sorgen, er will die Mörder seines Bruders
finden, Jimmy!« Jimmy atmete schwer ein und zerrte die Gardine vors Fenster. Langsam ging er durch das Zimmer und blieb dicht vor Doreen stehen. Behutsam legte er die Hand auf ihr schwarzes Haar. »Vergiß ihn – je eher, um so besser. Er macht dich unglücklich und krank.« »Aber er ist doch dein Freund!« stöhnte sie dumpf. »Er war es – und vielleicht wird er es auch wieder sein, Doreen. Aber die Zeit dazwischen gehört ihm allein. Er muß selber den richtigen Weg finden. Ich war bereit, mit ihm nach den Halunken zu suchen, aber ich will nicht, daß er auf jeden Mann schießt, den er für einen Banditen hält!« *** »Sheriff, dieser Conchos ist im Saloon drüben...« Der junge schwarzhaarige Deputy Jack Reeves stand in der Tür des Sheriff’s Office und blickte Buck Olsen starr an. Olsen saß hinter dem Schreibtisch und atmete rasselnd aus. »Conchos? Das kommt mir genau richtig!« »Wir können ihm den Zeichenblock seines Bruders wieder abnehmen, Sheriff. Er will auf eigene Faust nach den Banditen suchen. Das gibt nur Verdruß für uns. Ich gehe schon mal rüber und stell’ mich neben der Tür auf.« Bevor Buck Olsen antworten konnte, war sein Deputy bereits aus dem Office gelaufen und hatte die Tür hinter sich geschlossen. Mit einem Fluch erhob sich Buck Olsen und langte nach der Jacke. Gedankenversunken blickte er in das Licht, während er sich ankleidete und den Waffengurt anlegte. Dann verließ er das Office und verharrte unter dem schadhaften Vordach. Drüben stand Jack Reeves mit dem Gewehr bereit und
machte eine Handbewegung: Der Sheriff sollte stehenbleiben, Conchos käme... Die Straße war noch belebt. In Tombstone wurde es in jeder Nacht erst sehr spät ruhig. Im Saloon setzte Conchos das Glas ab. Das Stimmengemurmel und die Blicke störten ihn nicht. Er nahm die Winchester und kehrte der Theke den Rücken. Was draußen geschehen war, ahnte er nicht. Und er ahnte auch nicht, daß der Deputy Sheriff Jack Reeves in seinem blindwütigen Ehrgeiz ihm eine tödliche Falle gestellt hatte, daß dieser junge Reeves Buck Olsen belogen hatte und entschlossen war, den Stern des Sheriffs an sich zu reißen. Es waren nur Sekunden. Buck Olsen mißtraute seinem Deputy überhaupt nicht. Nur dieser übertriebene Eifer und der Zynismus, der manchmal in Reeves durchbrach, störten ihn. Jack Reeves zog sich noch mehr in das Dunkel zurück und hob jetzt das Gewehr an. Der Lauf zeigte zum Vordach empor... Im Saloon klirrten die Radsporen an den brüchigen Stiefeln des Mannes mit dem Poncho. Conchos näherte sich der Tür. Oben im Zimmer hatte Jimmy Hadley sich neben Doreen gesetzt und strich beruhigend über ihren Arm. Vor Conchos fiel die Lichtbahn über den Gehsteig und auf die Straße. Er hatte dicht vor sich die Türflügel und erkannte die Konturen des bulligen Sheriffs Olsen vor dem Licht im Office. Langsam drückte er die Türflügel auf. Sein Schatten fiel auf den Brettersteg. Er trat hinaus, sah Olsen und kniff die Augen zusammen. Hinter ihm schlugen quietschend die Türflügel. In diesem Moment setzte Buck Olsen sich in Bewegung. Conchos konnte den Deputy nicht sehen und nicht erkennen. Jack Reeves senkte den Gewehrlauf und richtete ihn auf seinen Sheriff...
»Bleiben Sie stehen, wo Sie sind, Conchos!« rief Buck Olsen mit dröhnender Stimme herüber. »Geben Sie sofort den Zeichenblock heraus und...!« Der scharfe Knall des Schusses zerriß seine Stimme. Mit flatternden Händen griff er an die Brust – dann stürzte er zurück und gegen die Außenwand des Office. Conchos lag bereits am Boden und rollte sich aus dem Lichtschein, als links von ihm unter dem Vordach Mündungsfeuer aufflammten. Kugeln fauchten über ihn hinweg. Er riß die Winchester hoch und schoß, doch der Deputy hatte sich bereits vom Gehsteig geworfen und war in die Hofeinfahrt gesprungen. Hinter Conchos schrien die Animiermädchen schrill und gellend auf. Hocker und Tische fielen um. Männer brüllten. Drüben rutschte Sheriff Buck Olsen langsam abwärts. Der schwere Körper des vierschrötigen Mannes sackte zur Seite und polterte auf die Planken des Gehsteiges. Überall waren die Menschen stehengeblieben. Sie sahen, wie Conchos über den Gehsteig rannte, wie er in die Hofeinfahrt sprang und verschwand – und sie alle brüllten voller Wut und Haß auf, schrien nach seinem Leben und Kopf, rannten näher und rissen die Waffen hervor. Geduckt hetzte Conchos über den Hof. Schüsse peitschten aus dem Spalt der Hintertür hervor. Mit wilden Sprüngen entging er den Kugeln des Deputy Sheriff, den er noch immer nicht erkennen konnte, warf sich hinter den Pferdestall und kroch weg. Er mußte fliehen. Die Meute war hinter ihm. So hetzte er hinter den Häusern und Ställen entlang, sprang über die Zäune hinweg, fluchte zum Steinerweichen und erreichte sein Sattelpferd, schwang sich hinauf und jagte im Galopp in die Nacht hinaus. Der Hufschlag verlor sich. Menschen rotteten sich vor dem Sheriff’s Office zusammen. Fackeln wurden über die Straße getragen. Alle Leute schrien durcheinander. Der Arzt kniete
neben dem toten Sheriff nieder... Durch die Hintertür kam der Deputy Sheriff Jack Reeves in den Saloon. Sein Gesicht glühte, und Pulverrauch hatte es geschwärzt. Atemlos stieß er hervor: »Es war dieser Conchos! Er hat unseren Sheriff erschossen! Er hat ihn einfach so abgeknallt wie einen tollwütigen Hund!« Sie glaubten ihm. Und sie alle folgten ihm auf die Straße. An der Treppe stand Doreen und hielt sich am Geländer fest. Immer wieder schüttelte sie den Kopf. Ihr Gesicht war unter der Schminke bleich wie der Tod. Hinter ihr verharrte Jimmy Hadley. Sie griff haltsuchend nach seiner Hand und weinte. »Hast du das gehört, Jimmy?« stöhnte sie. »Sheriff Olsen ist tot! Ich will jetzt nicht schlecht über ihn sprechen, aber er war kein guter Sheriff. Doch niemand wird danach fragen! Alle werden Conchos jagen!« Im Saloon war es totenstill. Whisky tropfte vom Tresen und von den Tischen. Hocker lagen am Boden. Der Rauch zog um die Lampen. Die Türflügel standen still. Draußen ertönten heisere Stimmen. »Ich kann es nicht glauben«, flüsterte Jimmy. »Ich will nicht glauben, daß Conchos den Sheriff niedergeschossen hat. Das tut er nicht. Er handelt in Notwehr, er schießt, wenn jemand ihm zu nahe kommt, aber er knallt nicht einfach einen Sheriff ab!« »Alle haben es gesehen, Jimmy!« Doreen fiel kraftlos gegen das Treppengeländer. »Bring mich rauf, Jimmy – bitte. Ich will nichts mehr sehen und hören...« Draußen stampften Pferde. Reiter jagten am Saloon vorbei. Die Deputy Sheriffs und aufgebrachte Männer der Stadt nahmen die Verfolgung eines einsamen Mannes auf. Jimmy brachte Doreen in ihr Zimmer zurück... ***
Conchos mußte sich im öden Hügelland verbergen wie eine gejagte Ratte. Vom Höhenzug aus sah er die Verfolger – ein lang auseinandergezogenes Reiterrudel im kalten Sternenlicht. Er wußte, daß nicht er den Sheriff erschossen hatte. Den wahren Mörder aber kannte er nicht, hatte ihn nicht gesehen. Jack Reeves würde den Sheriffstern bekommen. Er hatte den Zeichenblock verschwinden lassen, hatte Olsen erschossen und eine blutgierige Meute auf Conchos gehetzt, um ihn loszuwerden... Heftig riß Conchos das keuchende Pferd herum und ritt weiter. Das Dröhnen der Explosionen in den Silberminen wurde lauter. Er lenkte das abgetriebene Pferd über die Geröllhänge und entdeckte die dunklen Löcher von Mineneingängen in der Felswand. Sofort ritt er hinunter und saß vor einem Eingang ab, zog das Pferd in den verlassenen Stollen und beruhigte es. Draußen hatte der Staub sich längst gelegt. Tiefe Stille herrschte im verlassenen Tal. Alles sah öde aus. Hier war das Gesicht der Natur durch das Dynamit zerrissen worden, hier gab es nichts Schönes mehr. Dann sah er sie kommen. Sie rissen drüben am Talrand die Pferde zurück und rotteten sich zusammen. Dunkel hoben sie sich vor dem Sternenhimmel ab. Er beobachtete sie völlig kalt. Nichts von Angst war in ihm. Die Winchester war geladen und feuerbereit. Sein Blick war kalt und ruhig. Er hielt das Pferd am kurzen Zügel und sah, wie die Reiter langsam herunterkamen. Andere jagten am Talrand entlang und suchten drüben weiter nach ihm. Vorsichtig zog er das Pferd tiefer in den Stollen hinein. Manchmal stieß er mit dem Kopf gegen die rauhen Steinwände. Dort, wo die schmale Schienenspur endete,
verharrte er erneut und horchte. Im Tal klapperten Hufe. Reiter zogen im bleichen Licht vorbei. Er setzte sich hin, legte die Winchester auf die angezogenen Knie und wartete mit der eiskalten Gelassenheit eines selbstsicheren und entschlossenen Mannes, der sich seines Wertes bewußt war. Irgendwo in dieser verlassenen Mine tropfte es monoton. Es war kühl hier, und er machte sich daran, sein Pferd abzureiben. Immer wieder kamen Verfolger vorbei. Endlich wurde es still im Tal. Er glitt nach vorn und duckte sich tief. Sein Gesicht war schwarz vom Schmutz. Er spähte durch das Tal und erkannte drei Reiter, die hinter den Felsen verschwanden. Wahrscheinlich sollten sie die Mineneingänge beobachten und auf Verstärkung warten. Conchos rechnete damit, das Dynamit geholt werden würde. Schon rannte er zu seinem Pferd zurück, zerrte es dann ins Freie und saß auf, noch bevor die drei Männer ihre Beobachtungsposten hatten beziehen können. Sie sahen ihn auch nicht, als er langsam durch das Tal ritt und immer wieder hinter Felsen wartete. Im Morgengrauen gelang es ihm, unbemerkt das Tal zu verlassen. Kaum war er zwischen den Felsklippen, als die Verfolger auch schon wieder auftauchten. Nur schemenhaft waren sie zu erkennen. Und schon nach Minuten hallten die Worte des Deputy Sheriffs Jack Reeves durch das Tal, schrie dieser Mann, daß er, Conchos, aus den Stollen herauskommen sollte, sonst würden sie die alten Minen sprengen... Kalt und beherrscht wartete Conchos. Bei Sonnenaufgang dröhnten die Explosionen und stürzten die Stollen in sich zusammen. Riesige Wolken von Staub und Gestein füllten das Tal aus... Langsam ritt er dorthin, woher die Verfolger im
Morgengrauen gekommen waren. Er blieb immer in Deckung und entdeckte schließlich zwischen den Hügeln das Camp der Silberminers. Hier hatten die Verfolger das Dynamit bekommen. Wieder war er unterwegs wie ein einsamer Wolf, gehetzt und gejagt von vielen Reitern. Er suchte die Stille der Landschaft und näherte sich daher dem Weideland der Bantock-Ranch. Hier dröhnten keine Explosionen, hier wurde nicht gesprengt – hier weideten viele Rinder, bewacht von Cowboys. Im Schutze der Strauchgruppen auf einem Hügel rastete er und grübelte. Stundenlang ruhte er, während die Sonne ihre Hitze auf das Land herniederschleuderte. Am Nachmittag entdeckte er einen einzelnen Reiter, der in die Hügelwelt hineinritt – und schon eine Viertelstunde später bemerkte er einen weiteren Reiter, der offensichtlich nicht vom Vorausreitenden gesehen werden wollte... *** Pferde waren über den heißen Boden der Hügelfalte getrieben worden. Der Staub hatte sich auf die Spuren gelegt. Maultiere hatten ihre Hufeindrücke überall hinterlassen. Die Tür der Hütte stand weit auf. In den Bäumen wisperte der Wind. Das Rascheln der vielen trockenen Blätter wirkte beruhigend. Sonnenschein stach flirrend durch das Geäst der Bäume und Sträucher. Ganz langsam kam Maggie Bantock heruntergeritten. Sie lenkte das Pferd mit der linken Hand und hatte die rechte auf dem Oberschenkel liegen. Die Reitkleidung verriet ihre gute Figur. Das blonde Haar flatterte im Wind. Ahnungslos näherte sie sich der Hütte. Sie glaubte an nichts Böses. Von den Banditen, die ständig Postkutschen überfielen und Männer töteten, hatte sie schon gehört, doch niemals kam
ihr der Gedanke, daß sie hier auf den Schlupfwinkel dieser Banditen gestoßen war. Es war ganz einfach nur Neugierde, die sie gezwungen hatte, dem Bruder zu folgen – und jetzt glaubte sie, daß Chris hier bei diesem Mexikaner wäre. Sie fragte sich, wo die Maultiere geblieben waren. Die Eindrücke der vielen beschlagenen Pferdehufe machten sie nicht mißtrauisch. Die Reiter ihres Vaters könnten schließlich hier gewesen sein... Ihr Schatten wanderte über den Boden. Sie kam der Hütte immer näher. Die Tür knarrte leise. Der Mexikaner war nirgendwo zu sehen. Im Schatten eines Baumes verhielt sie, und als sie kein Geräusch hörte, saß sie ab. Neugierig ging sie zur Hütte und blieb auf der abgetretenen Türschwelle stehen. »He, ist da jemand?« rief sie mit heller Stimme. Niemand antwortete – doch dunkle Augen beobachteten sie heimtückisch und lauernd. Zögernd betrat sie die Hütte. Ein paar harte Schlaflager standen an den rauhen Wänden. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch mit mehreren Hockern. Reste von Tabak und etwas Dynamit lagen auf dem Tisch, Überbleibsel eines Essens und eine liegengebliebene Karte über bereits entdeckte Silbervorkommen. Auf einem Lager bemerkte Maggie Bantock ein Halstuch. Im Hintergrund war eine schmale Tür. Als sie diese Tür öffnete, sah sie nicht, wie erwartet, ins Freie, sondern in eine Höhle an der Flanke des Hügels, die nur von dieser Hütte aus zu betreten war. In dieser Höhle lag Silber, unter ausgebreiteten Decken verborgen. Maggie Bantock hörte ein leises Geräusch hinter sich und fuhr herum. In der Tür stand der Mexikaner. Sein Gesicht war nicht zu erkennen. Schwarz hob er sich vor dem grellen Tageslicht ab. »Hallo«, seufzte die junge Bantock und entspannte sich. »Ist
mein Bruder nicht hier?« »Ihr Bruder, Senorita?« Der Mexikaner kam näher. »Sie sprechen von...?« »Ja, von Chris«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich bin ihm gefolgt. Er ist schon einmal hierhergeritten, ich weiß es genau. Ich bin schon einmal hiergewesen, oben auf dem Hügel.« »Chris Bantock?« murmelte der Mexikaner und schüttelte den Kopf. »No, Senorita, er ist nicht hier.« Maggie Bantock lächelte. »Sie wollen mich verkohlen, Senor. Chris ist hier! Vielleicht haben Sie ihn nicht gesehen... Aber im Grunde genommen ist es ja auch egal, nicht wahr? Ich kann hier ja auf ihn warten.« »Ich glaube nicht, daß er nach hier zurückkommen wird, Muchacha«, entgegnete der Mann leise, »aber Sie können sich ruhig setzen...« »Es ist sehr heiß in der Hütte, Senor«, seufzte das Mädchen und ließ sich auf einem Lager nieder. Der Mexikaner zuckte die Achseln. Er tat harmlos und freundlich, begann aufzuräumen und geriet dabei neben Maggie Bantock. Urplötzlich spürte sie seine Hände am Hals. Sie riß den Mund auf, wollte schreien – doch er drückte erbarmungslos zu, würgte sie und ließ nicht locker. Mit der Kraft, die ihr noch verblieben war, schlug sie um sich, trat gegen seine Beine, stöhnte und röchelte. Ihre Augen traten aus den Höhlen hervor. Sie konnte kaum noch einen Laut hervorbringen. Er wollte sie nicht bewußtlos machen, er wollte sie umbringen! Ihr Blick hetzte zur Tür, zum hellen Licht der Freiheit und des Lebens. Sie konnte die Bäume schon nicht mehr deutlich erkennen; alles verschwamm vor ihren Augen. Ein furchtbares Dröhnen war in ihrem Kopf. Sie bemerkte noch, wie irgend etwas an der Tür erschien – was Großes und Hageres, umgeben von einem Poncho, wie die Mexikaner ihn gern trugen. Dann
vernahm sie einen fernen dünnen Knall. Plötzlich bekam sie wieder Luft. Die Hände des Mexikaners rutschten von ihrem Hals ab. Röchelnd kippte der Halunke gegen den Tisch und plumpste zu Boden, fiel auf den Rücken und lag still. Zitternd sackte Maggie Bantock zurück. In der Hütte wallte Pulverrauch. Es roch stark nach verbranntem Pulverschleim. Langsam kam Conchos näher und starrte auf den Mexikaner, packte ihn jäh und warf ihn aus der Hütte. Mit ausdruckslosem Gesicht schöpfte er Wasser aus der kleinen Tonne und gab Maggie Bantock etwas zu trinken. Sie erholte sich schnell. Ihr Lächeln war gequält. »Gracias«, hauchte sie, »vielen Dank, Senor.« »Ich bin Amerikaner«, hörte sie seine dunkle Stimme. Ein Mexikaner will ich nie sein.« Es klang nach innerer Abwehr, nach etwas Selbstgefälligkeit, doch es klang auch nur so. Er ließ sie wieder trinken, blickte umher und starrte plötzlich auf Maggie Bantocks Hals. »Sie haben Glück gehabt. Der Hals wird anschwellen, doch das geht vorbei...« Seine rechte Hand glitt leicht über ihren Hals und berührte die Silberkette. Kein Muskel bewegte sich in seinem Gesicht. »Eine schöne Kette haben Sie da...« »Mein Bruder Chris... hat sie mir... geschenkt«, flüsterte das Mädchen. »Er ist hier zu der Hütte geritten, aber nicht da! Vielleicht hat dieser Mexikaner... ihn umgebracht!« »Das werden wir gleich wissen.« Conchos ging hinaus, zog den Colt des Mexikaners hervor und roch am Lauf, schritt dann umher und kam wieder herein. Wortlos ging er in die Höhle und zerrte alles auseinander. Sein Gesicht wurde steinern, als er das Silber entdeckte. Er fand auch Gegenstände, die nur von Überfällen herstammen konnten; Brieftaschen und Schmuck, Jagdmesser, Minenausrüstung, Waffen und anderes. Maggie Bantock sah, wie er zurückkam und die Tür
verschloß. Er setzte sich ihr gegenüber auf einen Hocker und legte die Winchester auf den Tisch. »Was wissen Sie von dieser Hütte, Miß?« Seine Stimme klang rauh, doch nicht feindselig. »Ich bin fremd hier, ich weiß nichts. Wer sind Sie, Miß?« »Mein Vater hat eine Ranch in diesem County. Die Hütte hatte ich nur zufällig beim letztenmal entdeckt, als ich meinem Bruder gefolgt war. Ich kenne den Mexikaner nicht.« »Wann hatte Ihr Bruder Ihnen die Silberkette geschenkt?« »Sie ist schön, nicht wahr? – Am Tag, als ich die Hütte zum erstenmal sah. Warum fragen Sie?« »Nur so. Wird Ihr Bruder zurückkommen? Hierher? Ich habe ihn nirgendwo gefunden.« »Ich weiß nicht. Mein Gott, alles ist so schrecklich! Chris ist nirgendwo? Dann – dann bringen Sie mich bitte nach Hause, Mister. Ich möchte nicht hierbleiben...« Er nickte und verließ mit ihr die Hütte. Wenig später ritten sie beide aus der Hügelfalte und auf die Ebene hinaus. Weiße Wolken türmten sich am fernen Horizont. Es war ein schöner Tag. Conchos sah die Cowboys bei der Rinderherde und zügelte sein Pferd. Er war noch immer ernst. »Ich muß jetzt zurück.« »Bitte, kommen Sie mit!« bat die Rancherstochter. »Sie haben mir das Leben gerettet. Ich möchte Sie meinem Vater vorstellen. Er wird Ihnen ewig dankbar sein. Bitte, kommen Sie mit. Suchen Sie vielleicht einen Job? Mein Vater wird Ihnen den Job geben.« Conchos zögerte. Noch immer wurde nach ihm gesucht. Vielleicht wäre es wirklich besser, zunächst auf der Ranch zu bleiben. Er nickte und sah die Freude in Maggie Bantocks Gesicht. Sie war ein nettes Mädchen. Gemeinsam ritten sie zur Ranch. Unterwegs sprachen sie wenig. In der Stunde der Dämmerung erreichten sie die Ranch. Nathan Bantock begrüßte Conchos mit hartem Handschlag.
»Von der Existenz der Hütte habe ich nichts gewußt«, sagte er. »Wie bist du dort hingekommen, Maggie?« »Durch Zufall, Daddy«, log sie und sah schnell zu Conchos hinüber. »Es ist eine ganz gewöhnliche Hütte, und alles war Zufall. Wäre Mr. Conchos nicht gekommen, wäre ich jetzt schon tot.« Bantock atmete schwer ein und bot Conchos an, Platz zu nehmen. »Ich könnte niemals meine Kinder verlieren«, gestand er. »Maggie soll einmal einen guten Mann heiraten, und mein Sohn Chris soll die Ranch übernehmen.« *** »Es war deine Idee, den Silbertransport bei Nacht durchführen zu lassen, Arthur. Ich hoffe, daß du recht behältst. Aber ich lasse es mir nicht nehmen, den Transport zu begleiten.« Licht fiel aus den Fenstern der Baracke im Camp der Miners. Die Arbeiter waren von der Schicht zurückgekommen, und im Campzelt wurde getrunken. Nur die Männer des heutigen Transportes warteten nüchtern neben den Sattelpferden und Wagen. »Du solltest hierbleiben, Joe«, meinte der dickleibige Arthur Jason beruhigend. »Bring dich nicht in Gefahr. Es ist nicht dein Job, das Silber zu bewachen. Wir könnten hier pokern und uns bei Whisky unterhalten.« »Das kann ich immer noch, Arthur. Also, mach’s gut, Kompagnon. In vier Tagen werde ich zurück sein.« Die Männer trennten sich vor der Baracke. Arthur Jason sah zu, wie sein Kompagnon Joe Miller mit den anderen bewaffneten Männern losritt und wie die Wagen angefahren wurden. Langsam rollte der kleine Treck aus dem Camp und verließ
das Tal der Silbermine. Keuchend zerrten die Pferde die Wagen bergan. Ächzend bogen sich die Wagenachsen. Die Männer peitschten die Wagenpferde an und fluchten. Sterne leuchteten über den Bergen. Die Reiter hielten die Gewehre bereit. Hinter jedem Felsen konnten Banditen lauern. Zwei Männer ritten immer voraus. Wieder einmal verschwanden sie hinter den bizarren Felsen, und Joe Miller konnte sie nicht mehr sehen. Aus dem Dunkel zwischen den Felsen schnellten jäh zwei Gestalten hervor. Sie sprangen die beiden Reiter an und rissen sie von den Pferden. Gleich darauf zogen sie die leblosen Männer zwischen die Felsen. Zwei andere Männer, die genauso gekleidet waren wie die Toten, betraten den Weg, zerrten sich auf die Pferde und ritten langsam weiter... Als die Wagen um die Felsen bogen, sahen Joe Miller und die anderen die vorausreitenden Männer wieder, doch niemand erkannte, daß es andere waren... Nach einer Stunde Marsch geschah es dann. Gnadenlos wurden Schüsse abgefeuert. Ein Bleihagel traf die Männer, die den Silbertransport zu bewachen hatten, und riß sie von den Pferden und Wagen. Joe Miller zog noch seine Waffe hervor, als mehrere Schüsse ihn trafen. Er wurde vom Wagen gerissen und fiel leblos in den kalten Staub. Acht Männer kamen herangeritten. Sie schleppten die Toten vom Weg herunter. In fieberhafter Eile wurden die Wagen entladen. Die Last kam auf die Maultiere. Die Wagenpferde wurden ausgespannt und auseinandergejagt. Anschließend wurden die Wagen in die Schlucht gestürzt. Langsam trotteten die Maultiere mit den schweren Lasten auf schmalen Pfaden durch die nächtliche Bergwelt. Männer zu Pferde zogen die Maultiere hinter sich her. Keiner der Männer sprach. Stundenlang waren sie schweigend unterwegs. Der letzte Mann verwischte sorgfältig die Spuren.
Im fernen Camp wußte wohl niemand von diesem gnadenlosen und unmenschlichen Überfall. Vorsichtig zogen die Banditen mit ihrer Silberbeute durch Täler und Canyons. Im Morgengrauen jagte der schwarzgekleidete Shacco voraus und beobachtete wenig später die Hütte. Er vermißte den Herdrauch und wurde mißtrauisch, kehrte um und ritt dem Maultiertreck entgegen. Die Banditen ließen die Maultiere zurück und bewegten sich lautlos und mit feuerbereiten Gewehren an die Hütte heran. Tot lag der Mexikaner vor ihnen. »Verdammter Mist!« flüsterte Shacco. »Wir müssen sofort verschwinden! Holt das Silber aus der Höhle und legt es auf die Pferde. Wir treffen uns später wieder. Ich muß erst nach Tombstone.« Gemeinsam schleppten sie das Silber aus der Höhle, durch die Hütte und zu den Pferden. Drei Komplicen standen abwehrbereit umher. Immer wieder blickte der junge Chris Bantock auf den leblosen Mexikaner. Er dachte an die Cowboys seines Vaters – aber sie hätten das Silber nicht liegenlassen. Er dachte auch an seine Schwester Maggie, doch sie konnte nur auf der Ranch geblieben sein, sie hätte diesen Mexikaner niemals erschießen können. Über den Hügeln wurde es heller. Die Banditen trennten sich. »Los, auseinander!« krächzte Shacco. »Denkt an die Kopfprämie des Gouverneurs. Ich will meinen Skalp noch behalten!« Chris Bantock war allein. Langsam ritt er nach der väterlichen Ranch. Unterwegs grübelte er ständig. Er hatte es nicht gewagt, den Komplicen zu sagen, daß seine Schwester von dieser Hütte wußte. Er hatte Angst vor den Komplicen, denn er kannte sie gut – sie würden ihn gnadenlos niederschießen. Hinter ihm brannte die Hütte ab. Er sah noch den roten Flammenschein über den Hügeln und wußte, daß der
Mexikaner in den Flammen zu Asche werden würde. Unzähligemal fragte er sich, ob er nicht Schluß machen sollte. Aber er hatte seinen Vater hassen gelernt – er wollte noch mehr erreichen und seinen Vater überragen. Ein neuer Tag hatte begonnen. Sein letzter Tag... *** »Ich habe gehört, daß dieser Conchos dein Freund wäre, Doreen – sogar ein guter Freund.« Der junge Sheriff Jack Reeves stand lässig an der Theke und blickte die Saloonlady mit verkniffenen Augen lauernd an. Sein zynisches Lächeln verriet die Gedanken, die ihn bewegten. Doreen war an diesem Morgen in den Saloon heruntergekommen und hatte an Jimmy Hadleys Tisch Platz genommen. Die Worte des ehemaligen Deputy, den der Town Mayor als Sheriff vereidigt hatte, verletzten sie und machten sie zugleich angriffsbereit. »Ich suche mir meine Freunde selber aus, Reeves«, erwiderte sie kühl. »Ja, Conchos war ein Freund – das leugne ich gar nicht. Ich habe ihn kennengelernt, ich weiß, daß er kein schlechter Kerl ist, auch wenn du ihn jetzt verteufeln willst.« Jack Reeves verzog den Mund und griff zum Glas, trank und starrte dabei die schwarzhaarige Frau forschend an. »Hast du es nicht gehört?« dehnte er, während alle anderen Gäste schwiegen. »Wir haben diesen krummen Hund erwischt – in irgendeinem der verlassenen Stollen. Er ist mit dem Dynamit in die Luft geflogen. Jetzt ist er schon in der Hölle. Ich brauche ihn nicht mehr zu verteufeln.« Der blonde Texaner Jimmy Hadley saß etwas gebeugt am Tisch. Er sah mit den blauen Augen ausdruckslos in das grinsende Gesicht des jungen Sheriffs. Neben sich hörte er
Doreen heftig atmen. Die Worte des Sheriffs quälten sie. »Vielleicht lebt er doch noch, Reeves«, entgegnete sie, »und dann wird er kommen und dich in die Hölle jagen. Der Sheriffstern an deiner Weste wird dir nichts nützen und Conchos nicht zurückhalten. Er weiß längst, daß so ein Blechstern keinen Menschen veredelt. Du bist nicht besser durch diesen Stern geworden, Reeves. Ich weiß, daß du gerne und oft schießt. Es macht dir Spaß, Menschen umzulegen. Du ödest mich an, Jack Reeves.« »Was für Worte!« Er grinste zynisch und verächtlich. »Ein Saloonweib sagt mir so was! Du bist in einen Toten verknallt, Doreen! Von mir aus kannst du in den Stollen kriechen und ihn einscharren!« Doreen beherrschte sich mühsam und wandte sich halb ab. Sie trank etwas Kaffee aus der Tasse und blickte schnell in Jimmy Hadleys Gesicht. An der Theke lachte Jack Reeves leise und gehässig auf und stieß dann mit den Männern des Aufgebots an. »Es ist furchtbar«, flüsterte sie. »Ich kann und will es nicht glauben, daß Conchos tot ist! Für mich lebt er! Nun sag doch was, Jimmy!« Jimmy zerrte an den Fingern seines Handschuhs und starrte auf die Tischplatte. Ihm gefiel Jack Reeves nicht. Dieser junge Sheriff hatte zu sehr ein persönliches Interesse, Conchos in die Hölle zu jagen. »Beruhige dich, Doreen«, murmelte er ernst, »es hat keinen Sinn, mit diesem – Kerl zu streiten. Ich werde nach den verlassenen Stollen der alten Mine reiten und mich dort umsehen.« In ihren Augen erschien der Schimmer einer Hoffnung. »Du hältst zu ihm, Jimmy?« Er lächelte flüchtig und schwach. »Yeah, Doreen, was auch geschehen ist. Eine alte Freundschaft kann man nicht einfach von heute auf morgen
zertrümmern. Ich glaube auch nicht, daß Conchos den Sheriff Olsen so einfach ohne Grund über den Haufen geschossen hat. Und ich frage mich, warum Jack Reeves immer wieder davon spricht, daß Conchos die Skizzen seines Bruders genommen hätte. Conchos hat sich diese Skizzen genau angesehen. Er hat ein sehr gutes Gedächtnis. Er brauchte den Zeichenblock gar nicht. Aber vielleicht werden wir schon bald alles wissen, Doreen.« Er erhob sich und legte flüchtig die Hand auf ihre Schulter, nahm sein Gewehr hoch und wollte gehen, als Jack Reeves ihn ansprach. »Du bist mit ihm zusammen geritten, stimmt’s? Auch ein Freund von dir, Texaner?« Jimmy blieb zwischen den Tischen stehen und sah Jack Reeves kalt an. »Ja, noch was, Sheriff?« »Das muß eine seltsame Freundschaft gewesen sein«, sagte Reeves streitsüchtig. »Vergißt man so schnell einen guten Freund, Texaner?« »Ich habe ihn nicht vergessen«, entgegnete Jimmy gefaßt und frostig. »Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe. Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Scheißkram.« Sporenklirrend ging er auf seinen langen Beinen hinaus, und die Chaps schlugen klatschend gegeneinander. Conchos war nicht allein... Der junge Texaner war ein eigentlich wortkarger Bursche und von bewunderungswürdiger Ruhe. Doch wer die Texaner gut kannte, wußte, daß sie auch verteufelt ungemütlich werden konnten. Es dauerte eben seine Zeit. Im Stall sattelte er sein Pferd, schob das Gewehr in den Scabbard und saß auf. Ohne Eile verließ er Tombstone. Sein Blick fiel auf den alten Friedhof. Hinter ihm strömten unzählige Männer durch die Stadt. In zerschlissenen Zelten hausten enttäuschte Silbersucher – Männer, die ihr ganzes und
letztes Geld in die Ausrüstung gesteckt und kein Silber gefunden hatten. Farbige und auch ein paar Chinesen machten Handlangerdienste. Der Rauch der Lagerfeuer zog über die Dächer der Stadt. Vor Jimmy dehnte sich das zerklüftete öde Land aus. Er trieb das Pferd an und verschwand hinter den Hügeln. Doreen war am Tisch sitzen geblieben, sah gedankenversunken aus dem Fenster und war nicht mehr anzusprechen. Schließlich verließ auch Jack Reeves den Saloon. Wenig später ritt er aus – Tombstone. Seine Deputies machten die Runde. Schweigend stand Doreen auf und ging die Treppe empor. In ihrem Zimmer warf sie sich auf das Bett und starrte ins Leere... *** »Besuchen Sie uns mal wieder, Conchos. Mein Haus steht Ihnen jederzeit offen. Und wenn Sie wirklich einen guten Job brauchen sollten, dann kommen Sie zu mir.« Conchos stand dem Rancher Nathan Bantock auf dem Ranchhof gegenüber. Er schüttelte den Kopf. Sein Gesichtsausdruck blieb ernst. »Das wird wohl niemals sein, Bantock. Passen Sie auf Ihre Tocher auf – und auf Ihren Sohn.« »Das werde ich tun. Nochmals meinen Dank, daß Sie meine Tochter gerettet haben.« Wortlos ging Conchos über den Hof und zog sich auf sein Pferd. Schon ritt er an und verließ die Ranch. Nathan Bantock und seine Tochter Maggie sahen ihm nach. Maggie winkte noch... Langsam ritt Conchos über das Weideland und nach den Hügeln hinüber. Bäume warfen Schatten auf ihn. Heiße Winde
fächerten über das Land. Vor ihm glänzte das Wasser eines kleinen Flusses. Erlen, Espen und Sagebüsche säumten die steinigen flachen Ufer. Er stieg vom Pferd und ließ sein Pferd saufen. Die Stille wurde vom Hufschlag eines einzelnen Pferdes unterbrochen. Conchos rührte sich kaum. Dicht neben ihm stand das Pferd. Er brauchte nur aufzuspringen und zur Winchester zu greifen, doch er blieb sitzen, lauschte und machte den Rücken krumm. Der Reiter lenkte sein Pferd am Fluß entlang. Unter den Hufen zerbrachen Zweige. Sträucher raschelten und knackten. Jäh verhielt der Reiter, als er den am Fluß sitzenden Conchos erblickt hatte. Er sah auf Conchos’ Rücken, auf den alten Poncho, der die Colts verbarg, und auf den alten Stetson, unter dem das sandfarbene Haar hervorquoll. Langsam ritt er weiter und legte die Rechte auf den Coltkolben. In diesem Moment richtete Conchos sich auf, drehte sich um und stand hager und breitbeinig im seichten Wasser. Ihre Blicke trafen sich – und Conchos wußte sofort, daß er den Rancherssohn Chris Bantock vor sich hatte. Auf den Wassern spiegelte sich die Sonne. Die hellen Reflexe zuckten über die Gesichter hinweg. Steif saß Chris Bantock im Sattel. Der Fremde war ihm unheimlich. »Tag, Chris Bantock.« Conchos’ Stimme klang wie brechendes Eis. Er kam langsam aus dem Wasser hervor und blieb zwanzig Yard vor dem Pferd des Rancherssohnes stehen. »Tag«, dehnte Chris Bantock, und es klang mehr fragend. »Yeah«, murmelte Conchos düster, »ich kenne dich – und ich weiß, daß du bei der Hütte zwischen den Hügeln gewesen bist, daß du deiner Schwester eine Silberkette geschenkt hast, die einem jungen Mann gehört hat. Er trug sie zum Gedenken an seine Mutter.«
Chris Bantock verfärbte sich. Graue Flecken erschienen auf dem Gesicht. Die dunklen Augen flackerten auf wie Talglichter im Wind. »Wer... sind Sie?« flüsterte er mit zersprungener Stimme. »Conchos. Der Bruder des Mannes, der die silberne Kette getragen hat und umgebracht worden ist.« Der junge Bantock begriff plötzlich alles. Er wußte, daß dieser Mann bei der Hütte gewesen war, daß er den Mexikaner erschossen hatte. »Meine Schwester?« krächzte er. »Was ist mit ihr?« »Sie war bei der Hütte. Der dreckige Mexikaner wollte sie erwürgen. Sie war dir gefolgt, Bantock... Nimm die Hand vom Eisen!« Conchos’ Stimme klang fauchend und scharf. In den Augen schwelte es furchtbar kalt. Die sehnigen Hände kamen unter dem Poncho hervor. Er schob sich einen Zigarillostummel in den Mundwinkel und rauchte ihn an, und dabei ließ er Chris Bantock nicht eine einzige Sekunde lang aus den Augen. »Was... wissen Sie?« flüsterte Bantock. »Alles über dich. Du paktierst mit hundsgemeinen Halunken, die Silbertransporte und Postkutschen überfallen. Wer steckt dahinter, Mann? Wer alles gehört zu euch? Antworte!« Conchos’ Hände verschwanden wieder unter dem Poncho. Der Zigarillo qualmte im Mundwinkel. Der Rauch trieb an seinem knochigen Gesicht vorbei. »Alles?« Chris Bantock machte noch immer den verstörten Eindruck eines Jungen, der bei irgendeinem Streich ertappt wurde. Sein Hang zur Grausamkeit verbarg sich hinter dem jungenhaften Gesichtsausdruck. »Ich hab’ damit nichts zu tun, Conchos. Was Sie da sagen, ist Wahnsinn!« »Der Wahnsinn wird gleich erst noch beginnen«, erwiderte Conchos kalt. »Wenn du mir alles sagst, lass’ ich dich laufen. Von welchem Kerl in welcher Silbermine bekommt ihr immer
Dynamit? Wer deckt euch, wer gibt euch Tips, he? Der Deputy Jack Reeves?« »Nein!« antwortete Chris Bantock – und das kam viel zu schnell, um wahr zu sein; das verriet Conchos auch, daß Jack Reeves wirklich dahintersteckte... Grimmiges Lächeln faltete sein hartes Gesicht. »Wirklich nicht, Hombre? Ich frage dich nicht zum Spaß. Mach das verdammte Maul auf und rede jetzt! Es geht um dein dreckiges Leben!« Der junge Bantock krümmte sich im Sattel. Die rechte Hand hing über dem Coltrevolver. Er mußte fieberhaft nachdenken und nach einer Chance suchen, obwohl er sich bemühte, ein ausdrucksloses Gesicht zu machen. »Ich war in der Hütte«, flüsterte er dumpf, »und dort habe ich die Silberkette gefunden. Das ist die Wahrheit!« »Du lügst.« Conchos stieß den Tabakrauch aus und schüttelte den Kopf. Die Furchen im Gesicht vertieften sich. »Wie willst du deinen Kopf retten, Hombre, wenn du lügst?« Seine Stimme klirrte plötzlich. »Mein Bruder wurde abgeknallt wie ein Hund! Er hatte vorher von euch allen die Gesichter gezeichnet! Du bist dabeigewesen!« Chris Bantock wußte, daß es keinen Ausweg mehr gab. Er stöhnte auf und sah Conchos wie verzweifelt an. »Lassen Sie mit sich reden, Conchos!« bat er krächzend. »Ich will alles sagen. Die Halunken haben mich gezwungen, mitzumachen! Sonst würden sie sich um meine Schwester kümmern, sagten sie. Ich hatte Angst! Mein Vater darf niemals etwas davon erfahren. Ich flehe Sie an, Conchos!« »Komm runter vom Gaul. Reden wir miteinander. Du bist noch zu jung zum Sterben.« »Ja«, flüsterte Chris Bantock und nickte, zog den rechten Fuß aus dem Steigbügel und hob das rechte Bein über den Pferderücken hinweg. Er tat, als wollte er wirklich aufgeben – doch kaum stand er neben dem Pferd, als er zum Revolver
griff, um zu schießen und Conchos zu töten... Schon hatte er den Colt in der Hand, schon hob er die schwere Waffe an und zielte auf Conchos, der im wallenden mürben Poncho am seichten Ufer stand und ein Zigarillo rauchte – da schoß eine Mündungsflamme durch den Poncho. Das Blei durchschlug den Umhang. Chris Bantock taumelte, schwankte um eine Erle herum und versuchte im Todeskampf, die Waffe noch einmal auf Conchos zu richten. Doch ihm knickten die Knie ein, er stieß einen röchelnden Laut aus und ließ die Waffe fallen. Zuckend schwankte er in das seichte Wasser hinein und klappte jäh zusammen. Das Gesicht lag halb im Wasser. Der peitschende Knall des Schusses hallte durch die Niederung. Abseits stiegen schreiend Vögel aus den Bäumen empor. Die Pferde stampften unruhig. Mit großen flachen Schritten ging Conchos zum Rancherssohn und verharrte vor ihm, packte ihn dann und zog ihn ans Ufer. Sonnenschein flirrte durch die Baumkronen und in das blasse Gesicht des jungen Mannes. »Du Dummkopf«, sagte Conchos rauh und bitter. »Ich hab’ es wirklich ehrlich gemeint gehabt. Du solltest leben, du Narr.« Es war ein Augenblick der Menschlichkeit und der stillen Reue und Bitterkeit des Mannes Conchos. Er kniete neben dem Rancherssohn nieder und sah ihn sterben. Tot lag Chris Bantock vor ihm. Er nahm das Zigarillo aus dem Mundwinkel und warf es hin, erhob sich und ging zu seinem Pferd. Noch einmal blickte er zum Toten hinüber, dann stieg er in den Sattel und ritt durch den seichten Fluß davon. *** Auf der Hügelkette verhielt hinter Gestrüpp Jack Reeves und beobachtete den Mann, der zwischen den Hügeln
verschwand. »Conchos!« flüsterte er. »Der Hund lebt noch!« Er riß das Gewehr aus dem Scabbard und trieb das Pferd vom Hügel. Im Galopp fegte er auf Conchos’ Spur dahin, erreichte einen Schotterhang und verhielt fluchend. Wie ein Bluthund suchte er weiter, doch er fand Conchos’ Spur nicht mehr – Conchos war verschwunden. Da zog er das Pferd herum und ritt zurück, denn er hatte den Schuß gehört. Am Fluß ritt er suchend umher. Als er Chris Bantock fand, wußte er, daß Conchos ihnen auf der Spur war. Er zerrte den Toten hoch und warf ihn bäuchlings über den Sattel, schnürte ihn fest und nahm das Pferd des Rancherssohnes am Zügel. Schon ritt er weiter und näherte sich der Ranch. Vor dem Haus stand Nathan Bantock. Neben ihm verharrte seine Tochter Maggie. Mehrere Cowboys flankierten den jungen Sheriff. Auf dem Hof blieben die Ranchhelfer stehen. Totenstille herrschte. »Daddy!« stöhnte Maggie. »Das ist – Chris!« Bantock antwortete nicht. Er ging auf den Hof und den Reitern entgegen. Sein Gesicht war verwüstet. Er machte kleine Schritte, als kostete es ihn Kraft und Willen, weiterzugehen. Die Schultern sackten immer mehr ein. Sie verhielten vor ihm. Jack Reeves rutschte vom Pferd und löste die Stricke, mit denen er Chris Bantock festgebunden hatte, trat etwas zurück und blickte in Bantocks graues Gesicht. »Wo?« flüsterte Bantock. »Am Fluß.« »Wer hat meinen Jungen erschossen, Reeves?« Bantocks Stimme klang furchtbar ruhig, als ginge ihn der Tod des Sohnes, gar nichts an. »Hast du es gesehen?« »Ich sah einen Mann wegreiten. Er trug einen Poncho.
Conchos heißt er. Ich suche ihn schon länger. Er hat Sheriff Buck Olsen erschossen.« »Nein!« schrie Maggie Bantock auf. »Das darf nicht wahr sein!« Sie schrie wieder, schlug die Hände ans Gesicht und lief in das Haus. »Conchos...« Bantock schloß einen Atemzug lang die Augen. Alles in ihm bäumte sich auf und erzitterte unter den wilden Gefühlen des Hasses. »Er hat mich getäuscht – und Maggie.« »Ja, auch mich hat er täuschen können«, murmelte Reeves. »Es ist ein Wunder, daß er Ihren Sohn nicht skalpiert hat, denn er ist ein Skalpjäger! Er will sich schnell fünfhundert Dollar verdienen.« »Hör auf, Reeves!« stöhnte Bantock, trat näher und streichelte das herunterhängende schwarze Haar seines Sohnes. »Er sollte alles erben. Manchmal hab’ ich geglaubt, daß er mit dieser Welt nicht fertig werden würde. Er kann es nicht mehr beweisen.« »Er hat es bewiesen. Ich fand seinen Colt am Fluß. Er hat versucht, diesen Conchos niederzuschießen. Er war bereit gewesen, sein Leben zu verteidigen – aber dieser Halunke war schneller, wahrscheinlich wieder durch irgendeine Hinterlist. Er weiß, daß ich hinter ihm her bin, und er wird alles versuchen, um auch mich umzulegen!« »Schon gut«, flüsterte Bantock, »wir reden später darüber...« Er zog seinen leblosen Sohn vom Pferd und, trug ihn in das Haus, legte ihn auf dessen Bett und verharrte gebeugt. Niemand hörte seine Worte. Im Haus schluchzte seine Tochter Maggie. Draußen wartete Jack Reeves. Er wollte Bantock auf seiner Seite haben. Schon die Stadt hielt zu ihm. Seine Macht war gewachsen... Bantock kam aus dem Haus, und Reeves ging ihm entgegen,
sprach auf ihn ein und schürte den Haß des Ranchers. Eines Tages sollte dieser Haß wie eine Saat des Bösen aufgehen... *** Im Cochise County krachten Schüsse. Männer starben. Es war Nacht, und ein kleines Lagerfeuer glühte in der Wildnis. Conchos saß am Feuer und aß. Plötzlich vernahm er ein dumpfes Geräusch. Sofort warf er sich herum, packte die Winchester und schnellte hinter die Felsen, duckte sich und wartete. Das Geräusch kam nicht wieder. Der Wind raunte kühl, und Sternenlicht fiel in die Täler und Canyons. Neben dem Feuer lag Conchos’ Decke. Er zog sein Messer und schnitt mehrere Zweige von einem Strauch ab, schlich zurück und stieß sie in den Boden, breitete die Decke darüber aus und legte den Stetson am Kopfende hin. Sofort verschwand er wieder, kauerte sich nieder und horchte. Sein Pferd schnaubte leise und warnend. Vielleicht strichen Coyoten durch die Nacht. Conchos aber dachte an zweibeinige Coyoten. Er wußte, daß viele Männer nach ihm suchten. Völlig reglos harrte er aus. Schatten glitten näher. Eine dünne Rauchspirale zog über dem Feuer empor und zwischen die Bäume und Felsen. In der Ferne detonierte Dynamit. Conchos lauschte in den Wind. Er spürte die Nähe von Menschen, obwohl er sie noch nicht sehen konnte. Witternd richtete er sich halb auf und starrte suchen umher. Wer immer in der Nähe war, er war vorsichtig und lautlos wie die Nacht. Auf einmal glaubte Conchos, wispernde Stimmen zu hören, doch es konnten auch die Blätter sein, die sich im Wind
bewegten, oder das harte Gras, das in Büscheln den sandigen Boden bedeckte. Stiefel tasteten sich über den Boden. Tücher waren um die Sporen geschlungen. Colts schimmerten matt in Männerhänden. Dumpf schnaubte das Pferd und blickte zwischen die Felsen. Rot leuchtete die Glut des Feuers. Es sah aus, als schliefe jemand unter der Decke. Conchos war bereit. Plötzlich entdeckte er zwei schemenhafte Gestalten unter den Bäumen. Sie standen geduckt in der Nähe seines Rastplatzes. Die Colts waren schon auf die Schlafdecke gerichtet. Er konnte die Gesichter nicht erkennen. Sie befanden sich im Schatten der Stetsons. Lauernd schlichen sie näher, hatten den Platz erreicht und feuerten plötzlich wie verrückt. Kugeln durchschlugen die Schlafdecke, zerfetzten das Tuch. Schrill wieherte das Pferd und zerrte am Zügel, mit dem es festgebunden war. Bläulicher Pulverrauch zog in Schwaden über den Lagerplatz hinweg. Grollend hallte das Echo. Die heimtückischen Männer hasteten heran und rissen die durchlöcherte und etwas qualmende Decke weg. Sie sahen die Zweige und begriffen, daß sie getäuscht worden waren. Fauchend schnellten sie herum. Groß und reglos stand Conchos im Halbdunkel. Sie wollten auf ihn schießen, doch er gab ihnen keine Chance. Sie sahen noch die grellen Mündungsblitze, dann fielen sie zu Boden und lagen still. Conchos wich zurück. Er wartete wieder, doch niemand kam. Nach längerer Zeit verließ er die Deckung der Felsen und erreichte die beiden Männer.
Er starrte in die eingefallenen Gesichter und sah die Skalpe an den Gürteln. Vor ihm lagen Skalpjäger. Die unmenschliche Aufforderung des skrupellosen Gouverneurs hatte sie auf Menschenjagd getrieben. Er hatte kein Mitleid mit ihnen. Er kannte sie noch nicht einmal. Erbarmungslos hätten sie ihn getötet und skalpiert, um dann fünfhundert Dollar für seinen Skalp zu kassieren... Er wollte sie wegziehen, bückte sich – da peitschte ein Schuß herüber. Die Kugel traf. Er fiel auf die Toten und lag still. Die Colts steckten in seinen Halftern. Flammender Schmerz lähmte ihn. Er hatte die Augen halb geöffnet und hörte das Echo, und er wußte, daß noch ein dritter Skalpjäger gekommen war, ein Mann, der sich klug im Hinterhalt verborgen gehabt hatte. Wenn er jetzt nach seinen Colts greifen würde, wäre er ein toter Mann. Trotz der Schmerzen überlegte er fieberhaft. Unendlich langsam glitt seine Rechte tiefer... Hinter ihm brachen Zweige. Der Mann kam näher, durchquerte das Mondlicht, verharrte hinter Conchos. Seine Worte verrieten Unmenschlichkeit. »Ich knall’ jeden ab. Ich will reich werden. Du wirst deinen Skalp los, und auch meine Freunde. Gleich drei Skalpe mehr, das ist doch was, das lohnt sich!« Conchos hörte die Worte. Der heimtückische Schütze krallte die Linke in Conchos’ Poncho und Lederjacke und riß ihn halb herum. Dicht vor dem Gesicht des Mannes blitzte ein Flammenbündel auf. Tot stürzte er zurück. Stöhnend wälzte Conchos sich herum und ließ den Colt los, der zwischen den beiden Toten gelegen hatte und der seine letzte Rettung gewesen war. Er spürte die Schmerzen immer schlimmer und heftiger. Blut sickerte aus der Wunde. Er wollte weg von hier, sich in Sicherheit bringen, doch der Wille allein genügte nicht. Bleierne Schwäche breitete sich mit den Schmerzen im ganzen
Körper aus. Er kam halb hoch und kippte wieder zurück, rollte herum und faßte nach der Winchester, kroch stöhnend über den Rastplatz zu seinem Pferd. Unterwegs verließen ihn die Kräfte. Er erschlaffte und lag wie tot in der Senke. Doch das Schicksal wollte nicht, daß er starb. Suchend ritt ein Mann umher, der die Schüsse gehört hatte. Düstere Träume quälten Conchos. Unaufhaltsam floß das Blut. Wie ein zusammengeschossener Wolf lag er neben dem Pferd. Das Feuer verglühte. Irgendwo wieherte ein Pferd. Conchos hörte es nicht. Er hörte auch nicht, wie ein Reiter näher kam, absaß und heranlief. Das Wasser aus einer Blechflasche rann über sein Gesicht. Er kam zu sich und stierte empor. »Jimmy«, flüsterte er klanglos. »Yeah«, sagte der blonde Jimmy und schluckte trocken, »ich bin es, und du brauchst einen Arzt, sonst gehst du vor die Hunde.« Conchos wollte sprechen. Er bewegte die Lippen, doch er brachte kein Wort hervor. »Laß mich nur machen, alter Junge«, meinte Jimmy entschlossen. »Ich krieg’ dich schon irgendwie nach Tombstone – und das unauffällig.« Mit trüben Augen stierte Conchos in Jimmys Gesicht. Er verlor das Bewußtsein und erschlaffte wieder. Jimmy stopfte ihm ein sauberes Tuch auf die Wunde und zog ihn hoch, zerrte ihn an das Pferd heran und hob ihn mühsam in den Sattel. Sofort kippte Conchos nach vorn, und Jimmy mußte ihn festhalten. Er schnürte ihn an Sattel und Pferd fest und holte dann sein eigenes Pferd heran. Gleich darauf ritt er los und zog Conchos’ Pferd am Zügel hinter sich. Er verwischte die Spuren, so gut es ging, und
suchte die öden Täler auf. Nur der Doc konnte Conchos helfen. Jimmy mußte mit ihm nach Tombstone. Noch im Morgengrauen wollte er den gefährlichen Weg riskieren. Darum schonte er nicht sich, nicht Conchos und nicht die Pferde... *** Tombstone lag wie ausgestorben vor ihm. Abgestellte Frachtwagen standen an den Straßenrändern. Ein Feuer glimmte zwischen den Zelten vor der Stadt. Planwagen ragten hinter Ställen hervor. Die dreckigen Straßen waren wie leergefegt. Im Morgengrauen war alles verwischt und verschwommen, grau und stumpf. Lastende Stille lag über Tombstone. Niemand war unterwegs. In den Häusern, Saloons, Bars und im Sheriff’s Office war es dunkel. Kalter Staub trieb in Wirbeln über die Hofe. Wie Skelettstangen ragten die Korrallatten aus dem Dunst hervor. Auch oben hinter dem Zimmerfenster über dem Saloon war es dunkel. Dort lag Doreen und hatte einen unruhigen Schlaf. Vorsichtig ritt Jimmy Hadley hinter den Häusern entlang und verhielt hinter dem Arzthaus, sprang vom Pferd und horchte, hielt seine Winchester bereit und spähte umher. Wenig später wurde der Doc durch leises Klopfen geweckt und öffnete die Hintertür. Er sah Conchos und kniff den Mund zusammen. »Kein Wort, Doc«, raunte Jimmy warnend. »Sie müssen ihm helfen.« »Ich muß jedem helfen, das ist meine Pflicht«, erwiderte der Doc. »Bring ihn rein.« Jimmy schleppte Conchos ins Haus und legte ihn auf ein Lager. Der Arzt kümmerte sich sofort um ihn. Leise ging Jimmy hinaus und brachte die Pferde in den Stall. Die kühlen Morgennebel befeuchteten sein abgespanntes Gesicht. Ein paar
Häuser weiter schlug kurz ein Hund an. Niemand war in der Nähe. Als er in das Haus zurückkam, hatte der Doc Conchos bereits verbunden. Ernst blickte er Jimmy an. »Der Schuß wurde aus ziemlicher Nähe abgefeuert, zum Glück kein Gewehrschuß, sonst wäre er nicht mehr am Leben. Er hat eine Bärennatur, er ist zäh wie ein Wolf. Vielleicht hilft ihm das. Jetzt braucht er seine Ruhe. Hier ist er sicher, aber es wäre besser, wenn man ihn nicht allzulange hierließe. Er wird wegen Mordes gesucht.« »Glauben denn alle wirklich daran, Doc? Conchos hat es noch niemals nötig gehabt, einen Mann heimtückisch und niederträchtig zu erschießen. Er hat immer offen gekämpft.« »Trotzdem«, knurrte der Doc. »Die Leute hier sind schnell auf den Beinen, wenn es ums Lynchen geht.« Conchos hörte von all dem nichts. Er kam erst nach Stunden zu sich. »Doreen!« flüsterte er. Sie saß an seinem Lager und lächelte schmerzlich. Die Augen waren gerötet vom Weinen. Sie beugte sich behutsam vor und küßte ihn. »Du mußt wieder gesund werden, Conchos«, hauchte sie. »Mein Gott, ich habe immer nur an dich denken müssen – und auch an Jimmy. Er ist drüben im Saloon. Du darfst dich nicht bewegen, hat der Doc gesagt. Keine Sorge, Conchos – hier findet dich niemand.« »Tombstone?« »Ja, du bist in Tombstone, Conchos.« »Jimmy ist verrückt! Ich muß weg von hier!« »Du bist nirgendwo so sicher wie hier, Conchos. Sie suchen dich überall, nur hier nicht.« Die Hintertür klappte. Jimmy kam hereingestelzt und zog einen Hocker heran. Er war ernst und blickte Doreen unruhig an.
»Wenn man sieht, daß wir beide in das Haus vom Doc gehen, dann kann man sich alles zusammenreimen, Doreen. Wir müssen Conchos anderswo unterbringen. Dieser verdammte Reeves ist wieder in der Stadt. Er erzählt jedem, daß Conchos den Rancherssohn Chris Bantock erschossen hatte.« »Er ist ein Lump!« flüsterte Doreen verbittert. »Solche Kerle sind widerlich!« Langsam drehte Conchos den Kopf auf die Seite. Seine Stimme klang rasselnd und leise, »Ich hab’ ihn erschossen, es ist wahr. Er wollte nicht auf mich hören und mich abknallen... Ich muß... mit dir reden, Jimmy...« Seine letzten Worte waren ganz leise. Jetzt lag er wieder bewußtlos im Bett. Die Atemzüge waren schwach. »So ein starker Mann«, flüsterte Doreen. »Jetzt liegt er wie ein kleines Kind da... Ich weiß, wo wir ihn sicher unterbringen können. Der alte Matt Denver hat seine Verwundung noch nicht überstanden. Wir werden Conchos in seine Hütte bringen. Wenn dann der Doc dorthin geht, dann wird es nicht auffallen.« Im Schutze der Abenddämmerung brachten sie Conchos auf einer Trage in die Hütte des alten Denver, der von einem Bewohner angeschossen worden war... Als Conchos in dieser Nacht zu sich kam, war Jimmy bei ihm. Seine erste Frage galt Doreen, und Jimmy antwortete leise: »Sie singt im Saloon. Sie hält sich großartig und tapfer. Nichts läßt sie sich anmerken. Jack Reeves hat die Stadt wieder verlassen. Du wolltest mir was sagen, Conchos...« *** »Wenn das schiefgeht, dann können wir alle uns selber den
Skalp abziehen! Dann ist es aus!« Die Männer hockten in einem stillgelegten Stollen. Die Lampen blakten und flackerten. Weit vorn schimmerte Tageslicht. Immer wieder krachten die Sprengungen im Nachbartal. Der beleibte Mann atmete schnaufend und rauchte an der Zigarre. Die Blicke der anderen Männer hafteten an seinem schweißnassen Gesicht. Unruhig wischte er den Schweiß weg. »Machen Sie sich keine Sorgen, Jason«, entgegnete Sheriff Jack Reeves kalt. »Um diesen Conchos kümmern wir uns – Bantock und ich. Shacco und die anderen Jungs können weitermachen. Das alles war doch Ihre Idee, Jason. Shacco und die anderen sollten die Kutschen und dann die Silbertransporte überfallen, damit jeglicher Verdacht von Ihnen abfiele. Buck Olsen hatte irgend etwas gewittert. Darum habe ich ihn erschossen. Sie sind Ihren Kompagnon los, streichen alle Minen ein, die Versicherungssummen dazu, und haben auch noch das ganze Silber, aber vergessen Sie nicht unsere Abmachung. Von dem geraubten Silber gehört uns genau die Hälfte.« »Schon gut«, sagte Arthur Jason abwinkend, »ich halte mein Wort. Aber wenn Chris Bantock zuviel gesagt hat, wenn dieser Conchos uns echte Schwierigkeiten machen sollte, dann...« »Das wird er nicht«, unterbrach Jack Reeves ruhig und kalt. »Er wird mir in die Falle gehen. Er will mich umlegen, das weiß ich. Also wird er nach Tombstone kommen. Dort aber wird er abgeknallt werden wie ein tollwütiger Hund. Es läuft alles so ab, wie ich es sage. Wann werden Sie den nächsten Transport abgehen lassen?« »Vorerst nicht.« Arthur Jason schwitzte ständig. »Macht ihr erst einmal weiter mit den Kutschenüberfällen. Aber diesmal gründlicher, damit nicht wieder so ein verrückter Zeichner eure Gesichter malen kann!« »Die Zeichnungen habe ich vernichtet«, sagte Reeves
grinsend, »und solche Zeichner kommen ja nicht alle Tage durch das San Pedro Valley.« »Sie sind gut, Sheriff Reeves.« Zum erstenmal lächelte Jason. »Auf euch alle kann ich mich verlassen. Macht so weiter, Jungs! Das Silber bleibt in diesem Stollen. Denkt immer daran, eure Spuren zu verwischen. Und schießt auch auf umherreitende Kerle. Der Gouverneur hat uns einen riesengroßen Gefallen getan!« »Das kann man wohl sagen.« Der schwarzhaarige junge Shacco verzog das dunkle Gesicht zynisch, rasselte mit der Schlagkette am Handgelenk und erhob sich. »Wir machen weiter.« »Komm nicht nach Tombstone, Shacco«, dehnte Reeves. »Man braucht uns nicht zusammen zu sehen.« »In Ordnung, mach ich. Los, Jungs, kommt!« Sechs bewaffnete Männer folgten ihm – skrupellose Männer, die das Leben anderer nicht achteten und gnadenlos auslöschten. Sie alle verließen den Stollen, stiegen auf die Pferde und ritten davon. Niemand sah sie. Etwas später kamen auch Jack Reeves und Arthur Jason aus dem Stollen hervor. Sie reichten sich die Hände und trennten sich. Jason stieg auf seinen Buggy und fuhr in das Nebental, und Reeves machte sich wieder auf den Weg nach Tombstone. Oben zwischen den Felsklippen verhielten Shacco und die anderen Banditen. Gemeines Grinsen zog sich über Shaccos Gesicht. Er, der Typ eines Totschlägers, vertraute selten anderen Menschen. »Ich lass’ mich nicht aufs Kreuz legen!« sagte er kalt. »Wir sollen die dreckige Arbeit tun, aber darüber wird noch gesprochen werden!« Sie rissen die Pferde herum, lachten laut und hemmungslos auf und jagten durch die heißen staubgefüllten Senken...
*** Die letzten Stunden... Nicht allein der Wille eines Mannes genügt; Zufall und Schicksal mischten die Karten im Poker um das Leben. An diesem frühen Abend kam die schöne Doreen die Treppe herunter. Sie trug ein langes Kleid, das im Lichtschein funkelte und flirrte. Eine Blume steckte in ihrem schwarzen Haar. Die schmale rechte Hand glitt am Treppengeländer abwärts. Die Männer im Saloon klatschten und johlten. Durchschwitzte Minenarbeiter, Spieler, Tagediebe, Einwohner und... Cowboys der Bantock-Ranch. Dichter Tabakqualm wallte wie an jedem Abend. Die Lampen und Talglichter verbreiteten ihren trüben Schein im Saloon. An der Theke lehnten mehrere Männer – auch Jimmy Hadley, der nicht zu oft und zu lange in der Hütte des alten Matt Denver sein wollte. Die Musik erklang, und Doreen bewegte sich auf die kleine Bühne hinauf. Einen Augenblick lang vergaß Jimmy den Gefährten Conchos, als er Doreen betrachtete und sie singen hörte. Er mochte sie gern. Die Freundschaft zu Conchos stand zwischen ihnen. Draußen vor dem Saloon hielten wieder Reiter, saßen ab und leinten die Pferde an. Nacheinander kamen sie herein, drängten zur Seite, blieben stehen. Drüben im Sheriff’s Office saß Jack Reeves und grinste. Wieder füllte er einen Blechbecher mit Kaffee und trank. Immer mehr Bantock-Cowboys kamen an diesem Abend in die Stadt. Sie verteilten sich überall, hielten sich zurück und lungerten scheinbar herum, und niemand beachtete sie sonderlich. Am Stadtrand verhielt Nathan Bantock auf seinem großen starken Pferd und blickte mit blaßblauen Augen die Straße
hinauf. Die buschigen Augenbrauen waren zusammengezogen. Der Blick war eisig und wie in weite Fernen gerichtet. Zwei Reiter, die hinter ihm verhielten, riefen ihn an und zeigten zurück. Mit im Reitwind heftig flatternden blonden Haaren jagte Bantocks Tochter näher. Sie peitschte auf das Pferd ein und hatte den Mund wie zum Schrei geöffnet. Bantock fluchte dumpf, zog das Pferd herum und gab den Cowboys einen herrischen Wink. Zu dritt ritten sie dem Mädchen entgegen. Auf dem keuchenden und schweißnassen Pferd verhielt es vor ihnen. Das Gesicht glühte vor Anstrengung. Angst war in den braunen Augen. »Dad«, rief sie atemlos, »tu es nicht! Er ist kein Mörder, kein Kopfgeldjäger!« »Reit zurück!« »Nein, Dad, nein! Ich will nicht, daß du ihm eine Falle stellst, du mit deinen ganzen Reitern! Dann hat er doch keine Chance! Hast du vergessen, was er für mich getan hat, Dad?« Er beugte sich im Sattel vor und blickte Maggie bitter an. »Das verstehst du nicht, Maggie. Kehr um, reite zurück. Das ist hier Männersache.« »Das ist Mord, Dad! Das ist eine Hasenjagd auf einen Menschen, der mich vor dem Tod gerettet hat! Du darfst nicht alles glauben, was andere dir sagen!« »Schluß jetzt!« herrschte Bantock seine Tochter an. »Du wirst sofort ruhig sein! Jungs, holt sie vom Gaul und haltet sie fest! Ich will nichts mehr von ihr hören!« Maggie versuchte, den Cowboys zu entkommen; sie trieb das Pferd an, doch die Männer waren schneller und härter, packten sie und zogen sie vom Pferd. Bevor sie aufschreien konnte, hatte ein Cowboy ihr die Hand auf den Mund gepreßt. »Tut mir leid, Miß«, sagte er. Nathan Bantock knurrte dumpf, ritt zurück und drängte das
Pferd an das erste Haus heran. Seine beiden Cowboys brachten Maggie auf den Hinterhof. Dort hielten sie das Mädchen fest. Erst jetzt ritt Nathan Bantock an und folgte der Hauptstraße. Zwei Häuser vor dem Saloon zügelte er abermals das Pferd. Männer zu Fuß und zu Pferde kamen vorbei. Wagen rollten in die Seitenstraßen. Angetrunkene lärmten und lachten. Auf den Frachtwagenhöfen wurde gehandelt und gefeilscht. Im Saloon hatte Doreen ihren Song beendet. Die Gäste johlten beifällig. Sie lächelte und winkte, blickte zu Jimmy Hadley hinüber und ging über die Bühne. Seit sie wußte, daß Conchos wieder in der Stadt war und daß es ihm besserging, daß er die schwere Verletzung überleben würde, konnte sie wieder lächeln und singen. Im Office saß noch immer Jack Reeves allein. Die Tür war geöffnet. Er konnte jeden sehen, der vorbeiging. Die ersten Lichtbahnen fielen auf die Fahrbahn. Er lächelte. Wenn Conchos nach Tombstone kommen sollte, dann würde er alles versuchen, um bis zum Sheriff’s Office vorzudringen... Die Musik tönte aus dem Saloon herüber. Doreen hatte die Theke erreicht und ließ sich einen Drink geben. »Du bist wieder großartig gewesen, Doreen«, meinte Jimmy anerkennend und ehrlich. »Wirklich, die schönste und beste Sängerin des Westens!« Ihr Lächeln verwischte. »Danke, Jimmy«, sagte sie ernst. »Du mußt raus. Siehst du Bantocks Cowboys? Noch niemals zuvor sind so viele Cowboys in Tombstone gewesen. Irgend etwas stimmt hier nicht!« »Das bildest du dir hoffentlich nur ein, Doreen. Mir ist es auch schon aufgefallen...« Er sprach nicht weiter. Vor der Schwingtür war Nathan
Bantock aufgetaucht, stand breit, knochig und düster und starrte umher, kam dann langsam herein und stapfte durch den Saloon. Die Spieler machten laute Musik, überall wurde getrunken und gesprochen. Nur Bantocks Cowboys ließen sich nicht wie sonst aus... »Geh, Jimmy!« flüsterte Doreen besorgt. »Geh zu Conchos!« Er ließ sich von ihrer Unruhe anstecken. Langsam drückte er sich vom Tresen ab und ging zur Tür. Nathan Bantocks starrer Blick aus eisigen Augen traf ihn. Sie sprachen sich nicht an. Jimmy erreichte die Tür und wollte den Saloon verlassen. Zwei Bantock-Cowboys versperrten ihm den Weg hinaus, und draußen verharrten plötzlich zwei weitere Cowboys. »Bleib hier«, knurrte einer der Männer, »draußen ist es kalt. Trink noch einen Whisky und frag nicht. Los, geh schon!« Sie waren entschlossen, ihn nicht seiner Wege gehen zu lassen. Er verengte die Augen, atmete schwer ein und ging zurück. »Was ist denn?« hauchte Doreen. »Wollen sie dich nicht hinauslassen, Jimmy? Mein Gott, das hat was zu bedeuten! Ich werde hinausgehen. Mich halten sie bestimmt nicht auf.« Schon ging sie zur Tür und blickte die Cowboys lächelnd an. »Hallo, ihr Süßen, laßt mich mal raus. Mir ist hier zu dicke Luft.« »Ja, es staubt hier«, meinte ein Cowboy. »Trink einen Whisky dagegen, Doreen, das hilft.« »He, Jungs, laßt mich hier raus. Ihr seid heute zu liebenswürdig!« »Pech, Doreen. Du kommst nicht raus. Keiner kommt raus.« »Was soll das heißen, Jungs? Habt ihr nicht mehr alle beisammen, oder wollt ihr Streit mit mir haben?« »Du mußt schon den Boß fragen, Lady. Wir können nichts
machen.« »Verdammt, ihr seid verrückt!« grollte sie, warf sich herum und näherte sich dem Tisch, an dem Bantock allein saß. Zorn rötete ihr Gesicht. In ihren Augen aber keimte die Angst. Sie blickte Bantock starr an. »Warum läßt man mich nicht hinaus, Mr. Bantock? Gehört Ihnen schon ganz Tombstone? Nein, denke ich!« Bantock betrachtete sie kühl, ausdruckslos. Er antwortete nicht, langte zum Glas und trank, blickte weg. »Ich habe Sie was gefragt, Bantock!« Wieder sah er sie an, diesmal verächtlich und geringschätzig. Tiefe Schatten lagen unter seinen Augen. »Ich rede nicht mit einer Hure.« »Das ist doch...« Doreen wollte heftig aufbegehren, sie hatte sogar den Wunsch, dem Rancher an den Hals zu fahren, doch sie ließ es sein, wandte sich steif ab und blickte hilfesuchend zu Jimmy Hadley hinüber, bewegte sich wie unter einem Zwang zur Theke und hielt sich daran fest. »Sie lassen jeden rein, aber keinen raus! Jimmy, um Himmels willen, was hat das zu bedeuten?« Sie wartete seine Antwort nicht ab, verließ den Saloon durch die Hintertür und öffnete die Tür zum Hof. Zwei Bantock-Cowboys standen dort im roten Schein der untergehenden Sonne... »He, Baby!« rief einer grinsend. »Hast du dich in der Tür geirrt?« Sie trat ins Freie und schritt langsam über den Hof, als hätte sie viel Zeit und Langeweile. Dabei blickte sie unauffällig umher. Auch auf dem Nachbarhof stand ein Cowboy – und alle hielten bereits ihre Gewehre in den Händen, als wollten sie auf Menschenjagd gehen... Doreen hatte es schwer, sich zu beherrschen und einen gleichgültigen und freundlichen Gesichtsausdruck zu machen. »Sagt mal, Jungs, was ist hier überhaupt los, he?«
erkundigte sie sich und blieb vor den beiden Männern hüftenwiegend stehen. »Wollt ihr Mücken schießen, oder was soll dieser Aufstand?« Sie betrachteten sie mit fast schon verletzenden Blicken, als hätte sie nichts an. »Das wirst du schon früh genug erfahren, Baby. Wohin willst du?« , »In den Pferdestall.« »Heute nicht, vielleicht auch morgen nicht, Baby, Komm, dreh dich um, zeig uns deinen Po und schmeiß die Hufe, geh zurück – hier ist nichts zu sehen für dich.« »Ihr seid alle verrückt. He, was wollt ihr überhaupt in Tombstone? Ihr steht nur herum und gafft.« »Frag unseren Boß, Amiga.« »Das habe ich bereits getan. Verfluchter Mist!« Doreen schimpfte wie ein Kutscher und ging zur Hintertür zurück. Sie verschwand im Haus und lehnte sich im halbdunklen Gang an die Wand. Die Angst wuchs. Irgend etwas Schlimmes sollte geschehen, darüber konnten die lässigen Worte der BantockCowboys nicht hinwegtäuschen. Doreen grübelte, und immer wieder kehrten ihre Gedanken zu Conchos zurück, der Nathan Bantocks Sohn Chris erschossen hatte. Doch niemand wußte, wo Conchos war – nur sie, Jimmy, der Doc und der alte Matthew Denver. Alle würden schweigen wie ein Grab. Als sie daran dachte, wurde sie ruhiger. Sie zwang sich zur äußerlichen Gelassenheit und kehrte in den Saloon zurück, lächelte wie sonst und stieg auf die Bühne. Die Musiker spielten, und sie sang mit lauter rauchiger Stimme das alte Banditenlied von Verrat und Fluch. Ihre Stimme tönte zur Straße hinaus. Im Sheriff’s Office horchte Jack Reeves auf, erhob sich und trat vor die Tür. Nichts auf der Straße war seltsam und außergewöhnlich – bis auf die wartenden Cowboys, die
zwischen den Adobe- und Holzhäusern verharrten und ihre Gewehre bereithielten. Ein paar Häuser weiter gingen zwei Bantock-Cowboys etwas unsicher auf ihren hochhackigen Stiefeln durch den Staub der Straße und verschwanden in einer dunklen Einfahrt. Doreen sang. Sie hoffte, daß Conchos dieses Lied hörte – doch der große, hagere Mann lag in der Hütte und schlief, und der alte Matt Denver fluchte über die Schmerzen in seinem Rücken. Jack Reeves lehnte sich an die Außenwand, rauchte hinter der vorgehaltenen Hand und sah, wie die Nacht über Tombstone hereinbrach. Die Sängerin schwieg, und Beifall schallte aus dem Saloon. Lässig stieg Doreen von der Bühne und blieb neben Jimmy Hadley stehen, trank ihren Whisky und sah zu Jimmy auf. »Ich weiß nicht, was sie wollen, Jimmy. Hinten stehen sie auch – und überall am Straßenrand!« »Sie können nichts von Conchos wissen, Doreen. Vielleicht wartet Bantock auf ein paar Miner, die er aus den Hügeln getrieben hat, um hier mit ihnen abzurechnen.« »Nein, Jimmy, o nein – das glaube ich nicht! Es ist was anderes. Es betrifft uns hier in Tombstone. Bantock hält uns alle fest. Seine Männer stehen auch vor den anderen Saloons und Bars. Sie sind überall! Er hat die ganze Stadt in seiner Hand. Auf seinem Land befindet sich bestimmt kein einziger Cowboy mehr!« »Und wo ist der Sheriff, dieser verdammte Reeves?« »Im Office – oder davor. Er kommt nicht rüber. Das ist doch seltsam, nicht wahr? Er scheint sich nicht darum zu kümmern, was in der Stadt geschieht. Die Deputys lassen sich auch nicht sehen. Nein, ich verstehe das alles nicht!« »Dann müssen wir uns auf eine lange Nacht gefaßt machen, Doreen. Setzen wir uns an einen Tisch.« Er preßte den Mund zusammen, nahm sein Glas mit und
folgte Doreen in den halbdunklen Hintergrund. Sie nahmen Platz und beobachteten das Geschehen. Immer wieder wurden Männer, die den Saloon verlassen wollten, zurückgedrängt und abgewiesen. Angetrunkene, die zu lärmen begannen, wurden mit Waffen bedroht, bis sie nachgaben. Reglos, wie geistesabwesend, saß Nathan Bantock am Tisch, nippte manchmal am Whisky und schien in Gedanken weit weg zu sein. Tiefe Furchen kerbten sein altes verkniffenes Gesicht. Er legte die Hände auf den Tisch und blickte in den wallenden Rauch. Im Saloon wurde es immer ruhiger, bis schließlich alle schwiegen. In die Stille hinein fielen Bantocks Worte wie ein Peitschenhieb: »Für jeden einen Whisky. Colman soll nach den anderen Saloons gehen. Ich will, daß hier keiner durchdreht. Sag den Leuten, daß dies alles nötig ist – mehr nicht, verstanden?« »Ja, Boß«, antwortete der Cowboy Colman und verließ den Saloon. Doreen griff nach Jimmys Hand, und er spürte, daß sie zitterte. Während die Männer zur Theke drängten, um ihren Whisky zu bekommen, blickte Jimmy Doreen ernst und gefaßt an. »Zeig nicht, daß du Angst hast. Sonst könntest du verraten, daß Conchos in der Stadt ist, Doreen.« Sie nickte und blieb tapfer. Am Stadtrand wurde Maggie Bantock von einem Cowboy bewacht und in der Hütte gefangengehalten. Auf alle ihre Fragen bekam sie keine Antwort. Im Sheriff’s Office überprüfte Jack Reeves seine Colts und das Gewehr. Die Zeit verging. Mit jeder Minute wurde sie unerträglicher. Im Saloon begann Doreen zu singen. Sie mußte singen, um die Anspannung ertragen zu können.
Hell und kalt leuchteten die Sterne über Tombstone. In der Ferne erschütterten Detonationen die Bergwelt, wühlten Arbeiter mit Schaufeln und Hacken im Gestein und loderten die Feuer im Camp. Es war eine helle und dennoch dunkle Nacht. Die Straßen von Tombstone waren leergefegt. Jeder wußte, daß Schlimmes geschehen würde. *** Conchos lag auf der Seite und blickte zum kleinen Hüttenfenster empor, durch das hell das Sternenlicht fiel. Auf dem anderen Lager ruhte der alte Matthew Denver und ächzte vor sich hin. »Das sind Schweine, sag ich! Dieser verdammte Kerl brummt mir doch glattweg ein Stück Blei über den Pelz! Natürlich wollte er meinen alten zotteligen Skalp haben, der Sauhund...« Er drehte sich herum, als Conchos schwieg, und sah zu ihm hinüber. Dabei verzog er das faltige Gesicht. »Du sagst nichts dazu? Hast du schlimme Schmerzen?« Conchos atmete flach ein und nahm den Blick vom Fenster, betrachtete den Alten und murmelte: »Nein, es geht schon. Sprich weiter.« Conchos hörte gar nicht so genau hin. In Gedanken war er woanders. Die Gedanken quälten ihn. Er konnte keinen inneren Frieden finden. »Du denkst an Bantocks Sohn, he?« Matt Denver schwang die Beine vom Lager und setzte sich auf die Kante. »Mach dir keine Sorgen. Hier findet dich kein Schwein.« »Nein«, widersprach Conchos dumpf, »ich denke nicht an Bantock und an seinen Jungen. Ich denke an die Halunken, die meinen Bruder und die anderen Reisenden umgebracht haben. Einer von ihnen ist in dieser Stadt, das ist sicher.«
»Du bist noch viel zu klapprig, mein Junge«, meinte Matt Denver leise. »Es ist besser für dich, wenn du nicht an diese Halunken denkst.« »Wer weiß, Alter...« Conchos quälte sich hoch und setzte sich auf. Die Schmerzen entstellten sein graues Gesicht. »Ich kann nicht hierbleiben. Ich muß weg von hier. Wo ist mein Pferd?« »Hinter der Hütte im Verschlag... Du willst doch wohl nicht im Ernst in den Sattel steigen? Das wäre Wahnsinn! Du fällst nach einer Meile vom Gaul!« Conchos starrte durch den kleinen Raum und verzog den Mund. Es sah aus, als lächelte er. In den Augen war ein Ausdruck weltlicher Entrücktheit. »Ich werde in dieser Stadt krank, Alter. Ich brauche die Wildnis, den Wind. Ich muß weg! Sofort.« »Verdammt, du bist stur und verrückt! Sprich erst mit deinem Freund, dem Texaner, und mit dem Mädel Doreen!« »Nein. Sie würden mich nicht reiten lassen, aber ich muß weg, sonst bringe ich euch alle in Gefahr.« »Unsinn! Kein Aas kommt hierher! Hör mir lieber zu. Ich will dir eine Geschichte erzählen...« »Später, Alter – später.« Conchos richtete sich schwankend auf. Der Schmerz ließ ihn stöhnen. Unter der Schulter war alles aufgerissen und zerfetzt. Straff lag der Verband um den Oberkörper und gab ihm etwas Halt. Er ging mit flachen, schlurfenden Schritten zum Tisch und stützte sich darauf. Schweiß rann über das verzerrte Gesicht. Er stierte Matt Denver an und flüsterte mit dumpfer Stimme: »Sag dem Texaner, daß er für Doreen sorgen soll, wenn ich nicht wiederkomme, Alter.« Matt Denver stand auf und machte den Rücken hohl. Voller Sorge betrachtete er Conchos. »Du solltest verdammt froh sein, daß du hier in der Hütte bist. Draußen wartet nur der Tod auf dich! Du hast einfach zu
viele Feinde, Conchos! Sie warten nur auf die Gelegenheit, dir eins überzubraten. Und da willst du ihnen genau vor die Gewehre reiten? Verrückt!« Conchos biß die Zähne zusammen. Mühsam legte er den schweren Waffengurt um. Matt Denver kam heran und wollte ihn stützen, doch er lehnte ab. »Gib mir den Poncho, Alter.« Denver legte den Poncho über Conchos’ Schultern und trat zwei Schritte zurück. »Ich werde den Texaner holen! Weiß der Teufel, wo er bleibt. Er müßte doch schon längst hiersein.« »Das tust du nicht, Alter!« Conchos’ Stimme klang scharf. »Es war nicht sein Bruder, der niedergeschossen wurde. Du hältst dich heraus, verstanden? Du bleibst auch in der Hütte, savvy?« »Du verlangst verdammt viel, großer Mann!« »Yeah«, knurrte Conchos und packte die Winchester. »Alles, wird so kommen, wie es kommen muß... Sag dem Texaner, daß ich bei der alten Silbermine sein werde.« Denver knautschte den Mund zusammen und machte ein bedrücktes Gesicht. Er schüttelte immer wieder den Kopf, doch er konnte Conchos nicht halten. Langsam ging Conchos zur Tür und öffnete sie. Vor ihm lag verlassen der Hof im Mondlicht. Er hörte auf einmal Doreens Gesang und lächelte wie verloren vor sich hin. Wortlos verließ er die Hütte und ging nach hinten, stieß die Winchester in den Scabbard und nahm das Pferd am Zügel. »Komm. Wir verschwinden.« Dumpf schlugen die Hufe über den Hof. Der alte Matt Denver stand vor seiner Hütte und seufzte schwer. Conchos ging langsam, als wären die Beine mit Blei gefüllt. Der Poncho hing schlaff herunter. Schmerzen trieben den Schweiß auf Conchos’ Gesicht. Immer wieder lauschte er Doreens Stimme. Sie sang mit rauchiger Stimme weich und sehnsuchtsvoll. Leise tönte es aus dem Saloon.
Er sah die verlassene Main Street, die leeren Gehsteige und die Staubwirbel, die über die Fahrbahn tanzten, erblickte die Feuer am Stadtrand und die Lichter der Saloons und Bars. Stimmengemurmel drang herüber. Alles schien so wie sonst zu sein. Vielleicht war es Zufall, daß ausgerechnet jetzt die Hauptstraße menschenleer war. Er machte sich keine Gedanken darum. Langsam bewegte er sich hinter den Häusern entlang. Das Pferd trottete hinter ihm her... Auf einmal blieb er stehen. Er stand auf dem Hof hinter dem Sheriff’s Office... Kühl wehte es über den Hof. Stimmen verloren sich in der Stadt. Im Saloon lärmten die Männer beifällig. Düstere Gedanken kamen Conchos! Sein Gesicht, grau wie Stein, wurde leer. Er dachte an Jack Reeves und an die Worte des jungen Chris Bantock, an den Schuß auf Sheriff Buck Olsen und an Nathan Bantock. Und er dachte an seinen Bruder... Gebeugt ging er an das Haus heran und ließ die Zügel los. Lautlos trat er an die Haustür heran und versuchte, sie zu öffnen, doch sie war verschlossen. Grübelnd verharrte er und horchte. Niemand würde jemals erfahren, was er in diesen Sekunden und Minuten dachte und empfand. Er ließ das Pferd allein und bewegte sich langsam durch die Hofeinfahrt zur Straße hin. An der Ecke des Hauses blieb er wieder stehen und spähte mit verkniffenen Augen über die leere Straße. Vor den Saloons standen ein paar Sattelpferde. Abgestellte Wagen säumten die Straße. Kein Mensch war unterwegs. Sein Blick richtete sich auf die Front des Sheriff’s Office. Licht fiel durch die aufstehende Tür. Drüben im Saloon standen Männer mit dem Rücken an den Fenstern. Tabakrauch wallte hervor und wehte unter dem Vordach davon. Gläser klirrten. Die Musiker spielten... Er trat
hervor. Einsam stand er im Poncho vor dem Gehsteig. Wie ein Wolf witterte er umher und in den Wind, doch nichts warnte ihn. Er wußte nicht, daß Bantock ganz Tombstone besetzt hatte, und er sah auch nicht die Männer, die überall warteten. Langsam betrat er den Gehsteig. Leise klingelten die Sporen. Knarrend bogen sich die ausgedörrten Planken unter seinem Gewicht. Unter dem Vordach war es dunkel. Vor ihm war das Licht des Sheriff’s Office. Conchos ging seinen Weg... *** Am Stadtrand wurde die Rancherstochter Maggie Bantock noch immer festgehalten, doch der Cowboy, der sie zu bewachen hatte, war schläfrig und nachlässig geworden. So gelang es Maggie plötzlich, die Hütte zu verlassen. »Kommen Sie zurück, Miß!« rief der Cowboy ihr nach. »Machen Sie keinen Unsinn!« Sie winkte heftig zurück und gab keine Antwort, hastete über den verwahrlosten und staubigen Hof und erreichte den Straßenrand... Gewehre wurden bewegt. Harte Hände hielten die Waffen feuerbereit. Augen beobachteten. Keiner der Männer sprach ein Wort. Im Saloon verließ Doreen wieder einmal die Bühne. Mit zitternder Hand griff sie nach Jimmy Hadleys Arm. »Ich halte es nicht durch, Jimmy!« hauchte sie. »Das ist zuviel für mich! Dieses Warten, diese Stille!« »Wir müssen durchhalten, Doreen, sonst verraten wir Conchos«, antwortete Jimmy ernst und gefaßt. Sie sahen, wie einer der Cowboys an der Tür sich plötzlich bewegte, wie er durch den verräucherten Saloon ging und sich zu Nathan Bantock hinunterbeugte. Er sagte irgend etwas.
Nathan Bantock blickte auf, und in seinen blaßblauen Augen schimmerte es wie Eis. Langsam richtete er sich auf und stapfte zur Tür, blieb stehen und sah zur Straße hinaus... »Was hat das zu bedeuten, Jimmy?« flüsterte Doreen unruhig. Bantock drehte sich um und blickte Doreen kalt an. »Sing!« Doreen zuckte zusammen. »Schon wieder, Bantock? Warum soll ich wieder singen? Was hat das zu bedeuten? Ich singe nur dann, wenn es mir paßt.« Er verzog das rauhe Gesicht. »Sing, hab’ ich gesagt! Los, geh auf die Bühne! Musik!« Im Sheriff’s Office stand Jack Reeves neben dem Tisch und hörte, wie die Gitarren erklangen und wie Doreen wieder sang. Starres, zynisches Lächeln lag auf seinem Gesicht. In kalter Ruhe legte er einen Colt auf den Tisch und deckte die Waffe mit seinem dunklen Stetson zu. Draußen ging Conchos über den Plankenweg und kam dem Office immer näher. Er war ein erfahrener Mann, doch er merkte nicht die Falle, erkannte nicht die tödliche Gefahr zwischen den Häusern. Wenn es Gefahr gäbe, so hatte er sich gesagt, dann wäre Jimmy oder Doreen längst zu ihm gekommen... Hart neben der Saloontür lehnte Bantock und starrte hinaus. Haß entstellte sein Gesicht. Conchos verharrte plötzlich. Der Wind drückte den Poncho gegen seinen Körper. Er roch in den Wind und blickte nach dem Friedhof hinüber, wo sein Bruder begraben lag. Bleich schimmerten die Grabsteine im Mondlicht. Doreen sang... Conchos verließ den Gehsteig. Das Knarren der Planken sollte ihn nicht verraten. Er trat in das helle Sternenlicht hinaus. Mit eisernem Willen schritt er weiter und zwang den geschwächten Körper vorwärts.
Nur noch ein paar Schritte bis zum Sheriff’s Office... Drüben quietschten leise die Türflügel des Saloons. Nathan Bantock trat hervor und blieb als schwarze Silhouette in der Lichtbahn stehen. Er wollte Conchos anbrüllen, wollte ihn vor sich auf den Knien liegen sehen. Da tönte die gellende Stimme der Rancherstochter über die Straße: »Conchos! Eine Falle...!« Conchos stand wie erstarrt. Er riß den Kopf halb herum und sah, wie Maggie Bantock mit wehenden Haaren die Straße heraufgelaufen kam. Sie schrie wieder, winkte und gestikulierte heftig. Im Saloon erstickte Doreens Stimme. Im Sheriff’s Office griff Jack Reeves zum Coltrevolver... In diesen Sekunden begriff Conchos, daß er am Ende war. Er machte keinen Versuch zur Flucht. Deutlich war er zu sehen. »Das für meinen Jungen, Conchos!« brüllte Nathan Bantock mit lauter, sich überschlagender Stimme. Seine Tochter Maggie stürzte heran. Sie rannte wie blindlings quer über die Straße, um den Mann zu erreichen, der ihr das Leben gerettet hatte und den sie liebte... In diesen Sekunden fielen die Schüsse. Von allen Seiten flammte das Mündungsfeuer herüber. Bösartig peitschte es über die Straße. Der Aufschrei des Ranchers und seine Worte, das Feuer einzustellen, gingen im Krachen der Gewehre unter. Conchos schwankte und zuckte. Er krümmte sich, kippte nach vorn. Alles geschah in zwei, drei Sekunden. Als die Schüsse jäh verstummten, brach Conchos zusammen, rollte auf den Rücken und blickte mit gebrochenen Augen in den Sternenhimmel über Tombstone. Der Einsame war tot... Laut stieß das Echo der vielen Schüsse zwischen den Häusern hin und her, stieß über die Dächer hinweg und zerflatterte in der Nacht. Patronenhülsen lagen in den dunklen Einfahrten und
Häusernischen. Pulverrauchschwaden trieben über die Straße. Maggie Bantock machte noch zwei Schritte – dann kippte sie nach vorn und fiel, lag still und leblos im kalten Straßenstaub. Blindwütig abgefeuerte Schüsse hatten sie getroffen... Sie lag nur einen einzigen Schritt von Conchos entfernt. Nathan Bantock brüllte auf und lief auf die Straße hinaus, warf sich neben seiner Tochter auf die Knie und griff mit zitternden Händen nach dem blassen Gesicht. Die Cowboys traten aus den Einfahrten und Nischen hervor und blieben stehen, senkten die noch rauchenden Waffen und wußten nicht, was sie tun sollten. Ächzend kam der alte Matthew Denver zum Straßenrand und starrte zu Conchos hinüber. »Mein Gott!« stöhnte er. »Er wollte nicht meine Geschichte hören – und jetzt ist er tot.« Lässig trat der junge schwarzgelockte Jack Reeves aus dem Sheriff’s Office hervor. Der Blechstern funkelte im Sternenlicht. Er lächelte kalt und sah, wie die Cowboys die Leute von Tombstone in Schach hielten. Auch Jimmy Hadley durfte nicht auf die Straße hinaus. Gewehre waren auf ihn und die anderen gerichtet. Im Saloon kreischten die Animiermädchen und weinten hysterisch. Was eigentlich geschehen war, wußten sie nicht. Jimmy war totenblaß. In seinen blauen Augen war gähnende Leere. Er schloß die Augen und lehnte sich an die Wand. Verzweifelt schlug Doreen sich den Weg frei und hastete zu Conchos hinaus, warf sich bei ihm hin und küßte sein Gesicht. Ihre Tränen liefen über sein eingefallenes Gesicht. Sie weinte herzzerreißend um den Mann, der bereit gewesen war, sie aus diesem Saloon zu holen und sie als seine Frau mit in ein anderes Land zu nehmen. Zuckend hob sie den Kopf an und stierte zu Bantock hinüber.
»Mörder!« keuchte sie mühsam. »Verfluchter Mörder...!« Nathan Bantock hörte ihre Worte nicht. Er schob die Hände unter den Körper seiner Tochter und hob sie langsam an, richtete sich schwankend auf und preßte sie an sich. Tränen sickerten durch die Staubschicht auf seinem harten Gesicht. Er ging mit der Tochter auf den Armen zu Conchos hin und blickte leer in die gebrochenen Augen. Schweigend wandte er sich ab und trug seine Tochter über die Straße. Doreen brach neben Conchos schluchzend zusammen. Immer wieder streichelte sie sein Gesicht. Jimmy öffnete die Augen. Er sah Jack Reeves ganz deutlich – und er sah diesen jungen Sheriff grinsen. Reeves machte kehrt und ging in das Office zurück... Ein furchtbares Gefühl erfaßte Jimmy. Er biß die Zähne zusammen und fuhr mit flatternder Hand über das Gesicht hinweg. Die Cowboys entfernten sich. Zu Pferde kamen sie auf die Straße zurück. Langsam ritten sie Nathan Bantock nach, der seine Tochter vor sich auf dem Sattel festhielt. Das Reiterrudel verließ Tombstone. Erst jetzt konnten Jimmy und die anderen auf die Straße, erst jetzt konnte Jimmy zu Doreen laufen und die Hände um ihre zuckenden Schultern legen. »Doreen!« Seine Stimme war heiser und klang kratzend. »Komm, Doreen, komm.« Sie hatte keine Kraft, sich aufzurichten. Sie antwortete nicht, blickte auf Conchos und sank zurück in den Staub. Als Jimmy sie hochzog, rutschten ihre Hände über Conchos hinweg und wurden blutig. Jimmy schlang den Arm um sie und brachte sie von der Straße. Er ließ sie erst in der Hütte des alten Matt Denver los. Schlaff sank sie auf das Lager und starrte auf die Hände... ***
Der Morgen graute. Die letzte Schaufel Erde fiel. Conchos lag begraben auf dem alten Friedhof von Tombstone. An diesem Morgen war es kühl, und die Bodennebel krochen vom weiten Land herüber und über die Gräber, näßten die Steine und Kreuze. Der schwache Wind bewegte die Gräser. Tief zogen graue Wolken am Horizont herauf und hüllten die fernen Bergkuppen ein. Alles war grau und trostlos. Es gab keine Grabrede. Jimmy wußte nicht, was er sagen sollte. Was konnten auch Worte sagen! Er hatte einen Freund verloren. Gebeugt stand er vor Conchos’ Grab. Der Wind spielte in seinem blonden verstaubten Haar. Sein schmales, sonst so braunes Texanergesicht war aschgrau. Neben ihm kniete Doreen in einem langen schwarzen Kleid. Der schwarze Schleier verbarg ihr Gesicht. Sie legte einen Strauß Blumen auf Conchos’ Grab. Schräg hinter ihnen verharrte der alte Matthew Denver, gebeugt von der Last seiner Lebensjahre. Sonst war niemand hier. Nathan Bantock und seine Reiter mußten die Ranch bereits erreicht haben. Durch Tombstone gingen die Deputys. Das alltägliche Leben begann wieder. Jimmy berührte Doreens Schulter und zog sie hoch. Sie drehten sich um und gingen langsam über den Friedhof. Der alte Denver blickte noch einmal auf die Gräber seiner Brüder, dann folgte er. Am Rand des Friedhofes stand Jack Reeves und beobachtete Jimmy Hadley und die Sängerin. Seine Augen waren verengt. Das Grinsen war eingefroren. Etwas Lauerndes und Hinterhältiges war in seinen Augen. Er trug den Stern des Sheriffs nicht deshalb, um für Recht und Gesetz, Ordnung und Frieden zu kämpfen. Dieser Blechstern brachte ihm Vorteile,
die er brauchte, um nach oben zu kommen. Jimmy sah nur kurz zu Reeves hinüber, doch in diesen drei Sekunden war ein furchtbarer Ausdruck in seinen Augen, der schnell erlosch. Er geleitete Doreen vom Friedhof und zur Straße. Jack Reeves folgte ihnen lässig und langsam. Er beobachtete sie ständig. Er wollte wissen, wie der Texaner sich verhielt. Doch Jimmy war ruhig, fast teilnahmslos, als ginge ihn das alles gar nichts an. Er brachte Doreen auf ihr Zimmer, trat ans Fenster heran und beobachtete, wie Reeves mit den Deputys im Office verschwand. Vor seinem Tode hatte Conchos zum alten Denver gesagt, daß Jimmy ihn bei der alten Silbermine finden könnte. Jimmy fragte sich, was Conchos zur Mine getrieben hätte, wenn er nicht hier unter den Schüssen sein Leben ausgehaucht hätte. Er konnte Bantock nicht hassen. Der Rancher hatte grausam hart zurückgeschlagen, um den Tod seines Sohnes zu rächen. Das war das ungeschriebene Gesetz des Westens, doch hinter diesem Gewaltakt standen andere Männer – Halunken, die auch Conchos’ Bruder auf dem Gewissen hatten. Jimmy wandte sich vom Fenster ab und setzte sich zu Doreen. »Conchos hat es immer geahnt, Doreen«, murmelte er. »Darum hat er so getan, als ob er mit dir nichts mehr zu tun haben wollte. Er ahnte, daß er draufgehen würde. Er wollte nicht, daß du um ihn weinst.« Sie nahm den Schleier ab und schüttelte den Kopf. »Ich will auch nicht weinen, Jimmy. Ich werde mich dazu zwingen. Und in den nächsten Tagen werde ich diese Stadt verlassen und fortgehen, irgendwohin, wo es keine Gräber gibt.« Er schluckte schwer. »Du sollst wissen, Doreen, daß ich dich sehr gern habe. Ich hab’ gegenüber einer Frau das noch
niemals empfunden. Du könntest bei uns in Texas alles vergessen.« Sie sah ihn an, und Tränen verschleierten ihren Blick. »Jetzt weine ich doch wieder, Jimmy... Du bist ein feiner Kerl. Laß mir Zeit. Ich brauche viel Zeit, Jimmy...« »Ja, Doreen, das geht in Ordnung.« Er stand auf und ging zur Tür. »Wohin willst du, Jimmy?« Unruhig sah sie ihn an. »Ich bin bald zurück, Doreen.« Dann verließ er ihr Zimmer und ging hinunter, durchquerte den besetzten Saloon und gab dem alten Matt Denver einen Wink. Draußen verharrte er. Der Alte kam nach und sah in fragend an. »Kümmer dich um Doreen, Matt – und sag diesem Sheriff, daß ich Tombstone für immer verlassen habe.« Schon schritt er weiter und verschwand von der Straße. Matt Denver schluckte trocken und starrte zum Office hinüber. Dort in der Tür stand Jack Reeves, abwartend und lauernd. Wenig später ritt Jimmy Hadley die Straße hinauf und vorbei. Er sah nicht herüber. Hinter abgestellten Wagen und grauen Häusern verschwand er. Mit lässigen Bewegungen kam Jack Reeves über die Straße und starrte den Alten durchdringend an. »Was will er tun, Alter?« »Er reitet weg... für immer«, brummte Matt, »und jetzt hab’ ich einen verdammt großen Durst.« Lange starrte Reeves auf die Türflügel, die hinter dem Alten auf und zu schlugen. Grinsend drehte er sich schließlich um und ging in das Office zurück. Die Sonne schien trübe. Die grauen Wolken zogen immer näher. Es war kein schöner Tag. In der Ferne grollte das Gewitter. Der Wind wurde heftiger und trieb Staub durch Tombstone. Draußen vor der Stadt hielt Jimmy Hadley an.
Wolken schoben sich vor die Sonne. Blitze zuckten über den Hügeln und Camps der Minenarbeiter. *** Regen prasselte auf Zelte und Hütten. Dunst zog durch das Tal wie dichter Rauch. Die bizarren Felsen schienen zu dampfen. Verdreckte Männer wühlten im Gestein, schlugen mit Hacken zu, gruben mit Schaufeln. Auf schmalen Schienen wurde das wertlose Gestein weggeschafft. Flüche tönten durch das Grollen des Unwetters. Blitze zuckten fahl über der Silbermine, tauchten verkrüppelte Bäume am Talrand in bleiches unwirkliches Licht, rissen die Felsentürme aus dem grauen Halbdunkel hervor. In der Hütte tickte monoton die Uhr. Die Lampe leuchtete. Der dickleibige Arthur Jason machte Eintragungen in einem Buch. Vorarbeiter kamen herein, fragten, bekamen Antwort und gingen wieder. Dreckklumpen und Wasserpfützen blieben auf dem Bretterboden zurück. Jason schob das Buch weg und blickte auf den Dreck am Boden. »Bald sehe ich das alles nicht mehr«, murmelte er vor sich hin, »diesen Dreck und Schmutz, dieses Gestein, diese Menschen. Bald rieche ich nicht mehr ihren Gestank, ihren Schweiß. Ich kann das Dröhnen schon nicht mehr hören, die Detonationen, das Gebrüll der Kerle abends, ihre Tänze miteinander, ihre dreckigen Witze. Der Teufel soll sie alle holen. Bald habe ich es geschafft.« Das Gewitter tobte. Berstender Donner ließ die Erde erzittern. Das Glas des Lampenzylinders klirrte. Regen schlug gegen die Fensterscheiben. Fluchend stand er auf und ging zum Fenster, stierte hinaus. Große Wasserlachen breiteten sich zwischen den Hütten und Zelten aus. Bretterstege führten von einer Behausung zur
anderen. Herdrauch kam aus Blechrohren. Frachtwagen standen herum. Männer wühlten sich durch den Schlamm und Erdbrei. Heftig zerrte Jason die Gardine vor das Fenster. Er setzte sich wieder an den Tisch und begann zu rauchen, drehte die Zigarre in der Hand und grübelte. Fast alles hatte er erreicht. Um das größte Geschäft seines Lebens zu machen, war er gnadenlos seinen Weg gegangen, hatte seine Silbertransporte und die seines Kompagnons überfallen lassen, hatte skrupellose Banditen auf Postkutschen losgehetzt, um die Menschen im County zu täuschen, um sie glauben zu lassen, daß es mehrere Banden gäbe. Und er hatte Jack Reeves gekauft... Lächeln zog über sein feistes, ein wenig gerötetes Gesicht. Im Ofen röhrte es. Der Regen klatschte auf das Dach und gegen das Fenster. Stimmen tönten, vom Wind zerfetzt, herüber. Wieder wurde drüben an der Talwand gesprengt. Der Donner krachte. Wasser kam über die Geröllhalden und sammelte sich im Tal. Oben zwischen den bizarren Felsen verhielten sieben Reiter. Die Wettermäntel hingen naß und schwer von den Schultern. Regen tropfte von den Stetsons. Dumpf prusteten die Pferde. »Nolan, komm mit«, tönte eine Stimme durch Regen und Wind. Zwei Reiter lösten sich aus dem kleinen Rudel und lenkten die Pferde abwärts. Die anderen saßen ab und zerrten die Pferde in den Windschatten der Felsen, verharrten beinahe reglos und starrten den Reitern nach. Grelle Blitze zuckten. Sekundenlang wurden die Reiter in bleiches Licht getaucht. Dann waren auch die Kolonnen der schuftenden Arbeiter zu erkennen, die Hütten und Zelte, die großen Wasserpfützen, abgestellten Wagen und der Stangenkorral mit den Pferden und Maultieren. Wetterplanen
bewegten sich träge im Wind. Feuer glühten dahinter. Männer hockten im Schutz der Planen an den Feuern und hielten in schwieligen Händen Blechbecher mit Kaffee, fluchten und verdammten ihr dreckiges Dasein. Arthur Jason glaubte sich sicher. Er war aufgestanden und an den Tresor getreten, hatte ihn geöffnet und wühlte im Geld. Langsam zogen die beiden Reiter um die Hütten. Niemand achtete auf sie, niemand sah sie. Die Wettermäntel umhüllten sie. Nur wenn das fahle Licht der Blitze aufflammte, waren die Gesichter zu erkennen – ein dunkelhäutiges, brutal verkniffenes Gesicht und ein bläßliches, ausdruckslos kaltes Gesicht, in dem die wasserhellen Augen wie Katzenaugen leuchteten. Sie ritten gemächlich um die Zelte, trieben die Pferde durch den Erdbrei, durch Pfützen und Schlamm, durch den Lichtschein, der aus den Hütten fiel. Zwischen den Hütten stiegen sie von den Pferden, blieben dicht beieinander stehen und starrten lauernd umher. Dann zogen sie die Pferde hart an eine Hütte heran und leinten sie an. Tief sackten sie im Dreck ein. Ohne Eile näherten sie sich Jasons Hütte. Die Umhänge schlugen naß gegen die Beine. Dreck verklebte die Sporen. Jason kehrte der Tür den Rücken, als es plötzlich naßkalt hereinpfiff. Er drehte sich um und starrte zur Tür. Dort erschienen die beiden Männer. Sie kamen herein, zerrten die Tür zu und verriegelten sie. Grinsen lag auf den regennassen Gesichtern. Erdklumpen fielen von den Beinen und Stiefeln. Arthur Jason rührte sich nicht. Eine schreckliche Ahnung kam ihm. Seine Stimme klang nicht mehr ölig, sie war unruhig und zerrissen: »Was ist los? Was wollt ihr?« Shacco verzog den Mund. Am linken Handgelenk hing die Eisenkette. Die rechte Hand war unter dem Wetterumhang. »Sag du es ihm, Nolan...«
Nolan Bishop nickte. Kalt starrte er Jason an. Nur sekundenlang traf sein Blick den geöffneten Tresor. »Wir haben es uns anders überlegt, Jason«, dehnte er furchtbar kalt. »Wir wollen uns nicht aufs Kreuz legen lassen, verstehst du? Das machen wir nicht mit.« Unruhig zuckte es in Jasons feistem Gesicht. »Was heißt das, Bishop? Ihr solltet auf mich im alten Stollen warten! Seid ihr verrückt, hierherzukommen? Wenn man euch bei mir sieht, dann kann man sich alles zusammenreimen!« »Wir warten nicht im Stollen, Jason«, entgegnete Nolan Bishop gelassen. »Damit du uns eines Tages eine Ladung Dynamit vor die Füße werfen kannst, wie? Damit wir alle im Stollen draufgehen und du Geld und Silber in aller Ruhe einstecken kannst? Da machen wir nicht mit, Jason.« »Ihr seid ja verrückt! Nie im Leben habe ich daran gedacht. Wir sind doch Partner!« »Gewesen, Jason«, sagte Shacco mit frostig klingender Stimme. »Verstehst du – es ist aus zwischen uns. Wir machen die Sache allein.« Jason verfärbte sich und wich zurück, stieß gegen die Tresortür und verkrampfte sich. Der füllige Körper geriet ins Wabbeln und Zittern. »Macht keinen Unsinn, Jungs!« stöhnte er. »Ich war es, der an alles gedacht hatte! Ohne mich wärt ihr zu keinem Vermögen gekommen. Wir müssen miteinander reden.« Draußen brüllte der Donner. Unablässig rann der Regen. Jeden Augenblick konnte einer der Vorarbeiter in die Hütte kommen. Arthur Jason hoffte darauf und wollte Zeit gewinnen. Doch Shacco und Nolan Bishop erkannten es, grinsten bösartig und horchten nach draußen. »Ein Sauwetter ist das, Jason«, dehnte Shacco, »aber es hat auch was Gutes – es wird unsere Spuren verwischen.« Jason wußte seinen Derringer in der rechten Tasche seiner
Jacke. Er begriff, daß diese beiden jungen Banditen ihn umbringen wollten, und fieberhaft überlegte er, wie er sie täuschen und ablenken könnte, um dann nach dem Derringer greifen zu können. »Shacco?« Bishop starrte Jason ununterbrochen an. »Was ist, Nolan?« »Überlaß ihn mir.« »Du hast ihn, Nolan. Warte ab, bis es draußen wieder donnert...« »Seid ihr wahnsinnig geworden?« schrie Jason auf. »Ich gebe euch alles, was in dem Stollen ist! Und wir alle machen weiter und werden steinreich!« »Nein!« fauchte Shacco. In diesem Moment brüllte das Unwetter auf. Nolan Bishop feuerte durch den Wettermantel hindurch. Die Kugel traf Jason in die Brust und riß ihn von den Beinen; schwer stürzte er vor dem Tresor zu Boden. Im Todeskampf griff er noch nach dem Derringer. Doch schon war Shacco bei ihm und schlug mit der Eisenkette erbarmungslos zu, traf Jasons Handgelenk und zerschmetterte es. Der nächste Hieb traf Jasons Hals. Wie eine Bestie fiel Shacco über ihn her, schlug immer wieder zu, bis Jason sich nicht mehr rührte. Bishop raffte das Geld aus dem Tresor. Shacco rannte zum Fenster und spähte durch den Spalt der Gardine hinaus. »Fertig!« rief Bishop krächzend. Shacco lief zum Ofen und trat mit voller Wucht dagegen. Die Glut fiel aus dem umgestürzten Ofen, und der Bretterboden begann zu glühen. Qualm stieg hoch, Flammen zuckten. Beide Banditen hasteten zur Tür. Shacco öffnete sie vorsichtig und starrte hinaus. Dann glitten sie ins Freie und rannten durch den Erdschlamm um die Hütte. Schon zerrten sie sich in die nassen Sättel und trieben die Pferde an – und langsam ritten sie aus dem Camp, trieben die Pferde aus dem Tal und erreichten die Komplicen.
»Wir haben es!« rief Bishop triumphierend. »Jetzt gehört uns alles allein!« Die Komplicen lachten und stießen Schreie aus. Nur Shacco blieb ernst. Er ritt den Komplicen voraus. Der Wind schlug den Regen in ihre Gesichter. Wasser rann ihnen am Hals hinunter und unter die Kleidung. Sie fluchten und zogen fröstelnd die Schultern an. Das Unwetter trieb sie durch die Nacht. Auf keuchenden Pferden erreichten sie das öde, leere Tal mit den verlassenen Stollen. Hier auf der ausgebeuteten Silbermine arbeitete niemand mehr. Alles, was wertlos geworden war, hatte man einfach liegenlassen. Fluchend zerrten die Banditen die Pferde in den Stollen hinein. Wenig später flackerte ein Feuer auf und verbreitete Wärme im Stollen. Draußen zuckten Blitze, platschte der Regen auf die Felsen, geisterte fahles Licht durch das Tal. Sie hatten die Wettermäntel vom Körper gezerrt, rückten dicht an das Feuer heran und nahmen von Nolan Bishop das aufgeteilte Geld entgegen. Düster starrte Shacco in die Flammen. Bishop stieß ihn an. »Hier, dein Anteil.« Er nahm es, ohne hinzusehen, verstaute es und spielte gedankenversunken mit der Eisenkette. Die Banditen schwiegen, und Nolan Bishop betrachtete ihn aufmerksam und abwartend. »Bald wird man in Tombstone wissen, daß Jason tot ist«, murmelte Shacco düster. »Auch Reeves wird es erfahren und wissen, daß wir es getan haben. Wenn er uns eine Falle stellt, dann kann er auch noch die Skalpprämie einkassieren. Natürlich würde er uns nicht lebend haben wollen, weil wir dann das Maul aufmachen würden. Wir müssen schneller sein als er...« »Du meinst, wir sollten ihn umlegen.« »Ja. Das könnten Cassidy und Boyd erledigen. Sie brauchen
in Tombstone nur zu warten, bis Reeves seine Runden macht oder allein im Office sitzt. Ein paar gezielte Schüsse – und aus ist es mit ihm... Was meint ihr beide dazu?« Cassidy und Boyd waren nicht begeistert davon. »Bei diesem Scheißwetter?« knurrte Boyd. »Ja!« fauchte Shacco wütend. »Es gibt gar kein besseres Wetter dafür! Nolan und ich haben Jason erledigt. Jetzt könnt ihr auch mal was tun, verdammt noch mal! Los, reitet nach Tombstone und knallt ihn ab! Dann gibt es keinen einzigen Menschen mehr, der was von uns weiß! Ich kenne Reeves zu gut; er würde uns gnadenlos ans Messer liefern! Vielleicht hat er das schon jetzt vor!« »Verdammt!« maulte Cassidy. »Bei diesem Wetter ist es kein Vergnügen nach Tombstone zu reiten, aber wir tun es. Los, komm, Boyd, bringen wir es hinter uns.« Sie erhoben sich und griffen nach den Mänteln. »Seid vorsichtig!« warnte Shacco. »Reeves ist gefährlich! Und er ist hinterlistig. Ruft ihn erst gar nicht an. Knallt ihn ab, aber so, daß er das Maul nicht mehr aufmachen kann!« Sie nickten, zogen die Pferde aus dem Stollen und saßen auf. Langsam ritten sie davon. Shacco spielte mit der Eisenkette und starrte wieder in die zuckenden Flammen. Der Feuerschein geisterte über die Gesichter der Banditen, über die rissigen Felswände und über die nassen, dampfenden Sattelpferde hinweg. Über den Hügeln und Bergen zogen die dunklen Gewitterwolken wie schwarze Rauchschwaden dahin... *** Regen prasselte auf die Häuser und Vordächer von Tombstone. Windböen schleuderten den Regen gegen das Fenster des Sheriff’s Office. Mit hochgeschlagenem Kragen stapften die Deputy Sheriffs durch die Stadt und verschwanden
von der Straße, suchten die Saloons und Bars auf. Die Schilder vor den Häusern bewegten sich quietschend an rostigen Haken. Lichtschein sickerte aus den Häusern. Im Sheriff’s Office blakte die Lampe. Jack Reeves lag auf der Pritsche in der offenen Zelle und lauschte dem Grollen des Unwetters. Drüben im Saloon sang Doreen nicht. Sie stand oben an ihrem Zimmerfenster, hatte es geöffnet und sah traurig über die Dächer hinweg in die nächtliche Ferne, wo die Blitze über dunklen Hügeln und Bergen aufflammten. Regen sprühte in ihr ungeschminktes Gesicht. Sie sah, wie die Kreuze und Grabsteine auf dem alten Friedhof im zuckenden Blitzlicht lebendig zu werden schienen, wie Nebelschwaden sich zu gespenstischen Gestalten formten und umherschwebten, wie über dem weiten Land die Regenwolken hinwegzogen. Eine dunkle Gestalt bewegte sich plötzlich am Rande des Friedhofes entlang. Doreen strengte die Augen an. Sie glaubte auf einmal, Conchos zu sehen – doch es konnte nicht wahr sein, und als sie wieder hinsah, war die Gestalt verschwunden. Die hohen Sträucher bewegten sich wie unförmige Körper am Zaun des Friedhofes. Sie mußte sich geirrt haben – dort war kein Mann entlanggegangen... Schaudernd zog sie das Fenster zu, schloß die Gardine und verließ ihr Zimmer. Sie konnte auf einmal nicht mehr allein sein, sie mußte die Nähe der Menschen suchen – und sie schritt die Treppe hinunter und betrat den Saloon. Unter den Bäumen am Friedhof stand ein Sattelpferd. Regen tropfte von den Bäumen und auf das Pferd. Der Scabbard war leer, die Winchester fehlte. Auf dem Ofen im Sheriff’s Office begann das Wasser im Kessel zu summen. Jack Reeves wälzte sich herum, glitt geschmeidig vom Lager und verließ die Zelle. Er warf gemahlenen Kaffee in den Kessel, ließ das Wasser kurz
aufkochen und dann den Kaffee sieden. Anschließend füllte er den Blechbecher mit schwarzem Kaffee. Seine Bewegungen verrieten, daß er in Gedanken weit fort war. Jäh pfiff es herein. Er drehte sich um, erwartete einen der Deputys – doch er erblickte einen großen, langbeinigen und schlanken Mann mit blonden Haaren, die naß vom Regen waren. Eine Regenbö schlug herein. Der Wind zerrte am Wettermantel des Texaners. Die Regenfäden glitzerten im Lichtschein. Hart schloß Jimmy Hadley die Tür. Reglos verharrte er vor Jack Reeves. In seinen blauen Augen spiegelte sich das Licht. Das Gesicht war von einer völligen Ausdruckslosigkeit. Langsam stellte Reeves den Blechbecher auf den Tisch. Er wollte die Hände frei haben. Die schweren Coltrevolver ragten mit blanken Kolben aus den Halftern hervor. In den dunklen Augen flackerte es kurz auf, dann verengten sie sich – und ein bösartiger Ausdruck glimmte in ihnen. »Was willst du, Texaner?« Seine Stimme klang gepreßt und dumpf. Das ferne Grollen des Unwetters röhrte durch die Nacht. Im Office roch es nach Kaffee. Der Ofen verbreitete wohlige Wärme. Die Lampe blakte und flackerte etwas. Jimmy Hadley antwortete nicht. Reeves lächelte zynisch, und das Lächeln gefror. »Er war dein Freund, Texaner... Willst du mir das noch einmal sagen? Dann beeil dich, meine Deputys kommen bald zurück...« In Jimmy herrschte eine erschreckend eisige Kälte. Lange hatte er mit seinen Gefühlen gestritten, hatte immer wieder an Conchos und dessen Bruder gedacht, an ihre gemeinsame Zeit. »Ich weiß, Reeves, daß Sie mit den Banditen gemeinsame Sache machen«, murmelte er undeutlich. »Legen Sie den Stern ab.« Reeves neigte den Oberkörper etwas nach vorn, als hätte er
die Worte nicht genau verstanden. »Was soll das, Texaner? Warum soll ich den Stern abnehmen?« »Es ist der Stern eines Sheriffs, nicht eines Halunken«, antwortete Jimmy leise. Reeves lachte gepreßt auf. »Soviel Gefühle, Texaner? Rede endlich! Was willst du von mir?« In Jimmys Augen wurde es dunkel. Er hatte Mühe, sich zu beherrschen. Äußerlich blieb er ganz kalt. » Ich werde Sie erschießen, Reeves...« Die Worte kamen frostig und ruhig. Hinter diesen Worten stand die eiserne Entschlossenheit, dies auch wirklich zu tun. Jack Reeves lachte nicht mehr. Ganz plötzlich spürte er, daß der Tod zu ihm gekommen war, daß dieser Texaner den Weg der Rache und der Abrechnung ging, daß er nach dem Gesetz des Westens handeln wollte. »He«, dehnte Reeves, »ist das nicht etwas zuviel, Texaner? Du bist verdammt hitzig. Beruhige dich, trink erst einmal einen Kaffee.« Er wollte nach der Kanne greifen, doch er hielt in der Bewegung inne, als er sah, daß Jimmy Hadley die Winchester etwas anhob und den Kopf schüttelte. »Das ist kein Kaffeekränzchen, Reeves. Sie haben Sheriff Buck Olsen abgeknallt, Sie haben Bantock auf Conchos gehetzt, obwohl Sie genau wußten, daß der junge Bantock zur Bande gehörte.« »Donnerwetter«, flüsterte Reeves, »du weißt ja verflucht gut Bescheid... Wissen es noch andere, mein Freund?« Jimmy schwieg. Er empfand tiefe Abneigung und Verachtung gegenüber Reeves. Aber er unterschätzte diesen Mann nicht, der auf seinem Weg nach oben über Leichen ging. »Well«, dehnte Reeves, »dann wissen es andere also noch
nicht... Nur du allein. Und jetzt hältst du dich für verdammt mutig, wie? Du hast eine Winchester in der Hand – ich habe nichts in der Hand.« Schweigend stellte Jimmy die Winchester an die Wand. Darauf hatte Jack Reeves nur gewartet. Er griff sofort nach den Colts, um den Texaner zu erschießen. Doch Jimmy hatte ihn getäuscht. Er riß das Gewehr sofort hoch und feuerte. Reeves hatte die Waffen halb aus den Halftern herausgerissen, als Jimmys Schüsse ihn trafen. Die Kugeln stießen ihn weg vom Tisch und gegen den Ofen. Er stieß mit dem Rücken dagegen, doch er konnte schon nicht mehr vor Schmerz aufschreien. Sein Blick wurde starr. Mit einem verhaltenen Seufzer fiel er nach vorn und brach zusammen, rollte herum und blieb leblos liegen. Jimmy senkte die rauchende Winchester, repetierte und roch den Pulverrauch. Niemand in Tombstone hatte die Schüsse gehört. Das Unwetter tobte. Der Donner grollte. Blitze zerrissen die Schwärze des Himmels. Tote Augen stierten Jimmy an. Er konnte kein Gefühl des Triumphes aufbringen, nicht Freude, nicht Genugtuung. Er hatte für Conchos geschossen. Langsam trat er zu Reeves hin und riß ihm den Stern von der Weste, legte das Blechstück auf den Tisch und wandte sich der Tür zu. Licht fiel auf den Gehsteig, als er die Tür öffnete. In kalter Ruhe ging er hinaus und schloß die Tür, verharrte einen Atemzug lang unter dem Vordach, ging dann weiter und in die Einfahrt zum Hinterhof. Er wollte hinter den Häusern entlanggehen und zu seinem Pferd zurückkehren, das am Friedhof stand. Plötzlich, als er um die Hausecke bog, erkannte er zwei schemenhafte Schatten auf dem Hof. Im Nu hatte er sich zurückgeworfen, preßte die Winchester an den Körper und beugte sich vorsichtig nach vorn.
Zwei Männer in Wettermänteln bewegten sich über den Hof. Sekundenlang flammte ein Blitz auf – und Jimmy erkannte die Gesichter. Die beiden Banditen schlichen auf der anderen Seite, um das Haus und verschwanden. Sofort kehrte Jimmy um und duckte sich vorn am Straßenrand. Regen tropfte schwer von den Vordächern. Dunst lag dick über Tombstone. Die Banditen schlichen über den Gehsteig und näherten sich der Tür des Sheriff’s Office. Immer wieder blickten sie wie gehetzt umher, duckten sich wie Raubtiere zum Sprung, erreichten jetzt das verhangene helle Fenster des Office und versuchten, hineinzusehen. Jetzt konnte Jimmy schießen. Doch er rührte sich nicht und beobachtete, wie die Banditen sich Zeichen gaben, wie sie zur Tür glitten und sich bereit machten. Ein Donnerschlag traf ohrenbetäubend die Stadt. Die Banditen rissen die Tür auf und sprangen in das Office hinein, schnellten in den Raum und erstarrten, als sie Jack Reeves tot am Boden liegen sahen. Draußen hastete Jimmy lautlos heran. »Mann, der ist ja schon tot!« ächzte Cassidy. »Verfluchte Hölle, schnell weg von hier!« Sie wirbelten herum, hielten ihre Gewehre im Anschlag und wollten das Office fluchtartig verlassen – da stand Jimmy Hadley vor ihnen. Der Texaner zögerte keine einzige Sekunde. Er schoß sofort, und Cassidy bäumte sich auf, taumelte zurück und klappte zusammen. Schon schlug Jimmy den anderen Halunken mit dem Gewehr nieder. Röchelnd kippte Boyd nach hinten weg und ließ das Gewehr fallen. In kaltem Zorn entwaffnete Jimmy ihn, warf die Colts weg und riß ihn hoch, schleifte ihn hinaus und zerrte ihn hinter sich her über den Gehsteig. Hart riß er ihn vom Plankenweg in die Einfahrt, zog
ihn über den aufgeweichten nassen Boden und schleppte ihn schließlich über den Hof davon. Neben einem alten, windschiefen Stall standen die Pferde der Banditen. Er ließ Boyd los, und der Bandit sackte mit dem Gesicht in den Dreck hinein. Horchend verharrte Jimmy. Der Regen trommelte auf die Dächer. Irgendwo in der Stadt lärmte ein Betrunkener auf regengepeitschter Straße. Voller Kraft zerrte er den Halunken hoch und warf ihn bäuchlings über den Sattel. Dann zog er das Pferd hinter sich her, stapfte durch den Dreck und erreichte den Friedhof. Hier riß er den Halunken herum, setzte ihn in den Sattel und schnürte ihn an Pferd und Sattel fest. Boyd war noch nicht bei Besinnung. Jimmy konnte gnadenlos hart sein. Er stieg auf sein Pferd, nahm das Banditenpferd am Zügel und ritt in den Regendunst hinaus. *** Im Cochise County graute der Morgen. Es regnete nicht mehr, doch der Dunst hüllte Hügel und Täler ein. Unter tropfnassen Bäumen standen zwei Pferde. Gefesselt lag Boyd auf dem nassen Boden. Vor ihm verharrte reglos und mit steinernem Gesicht der blonde Texaner. »Du wirst mich zu deinen Komplicen bringen.« Er sagte die Worte ganz ruhig und bestimmt, als gäbe es daran nichts mehr zu deuteln, als wäre alles bereits eine abgemachte Sache. Boyd glotzte ihn an und zerrte an den Fesseln. »Niemals!« fauchte er. Jimmy Hadley wandte sich ab, sammelte trockenes Holz,
das unter hervorspringenden Felsen lag, und machte ein Feuer. Er schien auf einmal kein Gefühl mehr für Zeit zu haben. Ruhig setzte er die hochrandige Pfanne mit Wasser auf das Feuer und starrte in die Flammen. Der Tag begann. Das Wasser begann zu kochen. Langsam kam Jimmy hoch und ging zu Boyd zurück. »Ich hoffe, du hast es dir überlegt«, sprach er ernst. »Ihr Mordgesindel habt den Bruder meines Freundes auf dem Gewissen. Du bist beim Überfall auf die Kutsche dabeigewesen. Ich habe dich längst erkannt. Mach die Klappe auf! Wo sind deine Freunde?« »Verreck, du Dreckskerl!« »Nein.« Über Jimmys Gesicht zog ein düsterer Ausdruck hinweg. »Den Gefallen tu ich dir nicht. Was Conchos nicht mehr konnte, werde ich jetzt tun. Du wirst mich hinführen – oder deine Geburt verfluchen. Glaub nur nicht, daß du schweigen wirst.« Boyd spie aus und ruckte an den Fesseln; sie waren naß und schwer und lösten sich nicht. Jimmy ging in die Knie, hockte vor dem Banditen und betrachtete ihn ernst und ohne Haß, doch mit kalter Entschlossenheit. »Conchos war mein Freund. Ein Mann hat nur einmal im Leben so einen Freund. Er kommt nicht wieder, verstehst du das? Er liegt auf dem Totenacker von Tombstone neben seinem Bruder und neben den anderen Männern, die erschossen wurden. Er ist tot, aber für mich lebt er weiter – hier drin, was man Herz nennt.« Boyd grinste verzerrt und widerlich. »Du kannst so schön reden! Das ist wie ‘ne Predigt. Rede weiter. Gleich fängst du noch an und heulst wie ein altes Weib.« Jimmy schluckte. Die Stimme klang belegt.
»Eine Frau hat ihn geliebt, eine gute, ehrliche Frau. Sie ist jetzt allein.« »Wie schlimm...« »Ja, schlimm. Du wirst das nicht verstehen, weil du eine Ratte bist. Vielleicht hast du seinen Bruder erschossen, wer weiß.« »Das wirst du niemals erfahren, du Coyote!« fauchte Boyd haßerfüllt. »Von mir nicht! Von keinem von uns.« Jimmy blieb noch ruhig. Er versuchte nicht, den Halunken gewaltsam zum Reden zu bringen. »Ich werde dich laufenlassen, wenn du mich hinbringst«, versprach er. »Du sollst mir nur zeigen, wo sie sind – und dein Leben gehört dir. Das ist mein Ernst, darauf gebe ich dir mein Wort.« »Ich glaube dir nicht! Du willst mich hereinlegen, du Schwein. Was glaubst du, würden meine Freunde mit mir machen, wenn ich sie verraten würde, he? Sie würden mich abknallen wie einen Hund! Nein, ich verrate nichts.« »Mein Ehrenwort.« »Darauf scheiß ich! Ich bin doch nicht verrückt! Und außerdem kotzt du mich an mit deinem Gequatsche von Freundschaft und so.« Jimmy schüttelte den Kopf. »Du willst es nicht anders. In Ordnung. Ich bin kein Schwächling. Glaubst du, daß ich ein so kreuzbraver Kerl wäre, daß ich dich jetzt laufenließe? Nein, Halunke – ich will deine Freunde finden und mit ihnen abrechnen.« Boyd stieß ein heiseres irres Lachen aus und spie Jimmy ins Gesicht. »Niemals, du Schwein, niemals!« Wortlos richtete Jimmy sich auf und ging zum Feuer, nahm die Pfanne herunter und kam damit zurück. In seine blauen Augen flirrte es kalt und drohend. »Weiß Gott«, flüsterte er, »ihr Halunken macht es den Menschen schwer, die anständig bleiben wollen! Aber ich habe
keine Angst davor, dir die Wahrheit aus deinem verdammten Körper herauszuprügeln! Ich werde dich dazu bringen, daß du dir die Seele aus dem Hals schreist!« Boyd stöhnte, doch sein Haß auf Jimmy Hadley war größer als die Angst. Er schwieg und starrte Jimmy voller Feindschaft an. »Du zwingst mich dazu, weiterzumachen«, flüsterte Jimmy mit schwankender Stimme. »Du bringst mich dazu, wie ein Dreckskerl zu handeln. Warum redest du nicht, du gemeiner Hund?« Er zitterte sogar – denn er hatte noch niemals einen Menschen gequält. Alles in ihm bäumte sich dagegen auf – und doch mußte er es tun! Vor ihm lag ein Halunke, ein Mörder – und irgendwo in dieser gottverlassenen Gegend lauerten die anderen Banditen. »Mach das Maul auf!« schrie er Boyd an. »Mach mich nicht zum Tier!« Boyd erkannte, wie sehr Jimmy mit sich kämpfte, mit seinem Anstand, mit der Ehrlichkeit und Fairness – und er wollte Jimmy quälen und ihn seelisch fertigmachen... »Du quälst einen wehrlosen Mann?« krächzte er. »Du willst doch immer so edel sein, so hochanständig! Aber du machst mich fertig, und ich kann mich nicht wehren! Ja, das ist anständig von dir!« In Jimmys Ohren dröhnte es. Kalter Schweiß rann über das aschgraue Gesicht. »Hör auf!« stöhnte er. »Nein!« schrie Boyd. »Nein! Du willst ein feiner Kerl sein? Ein Ehrenmann, dem ich glauben soll? Du bist ein Schwein, ein gemeines, dreckiges Schwein!« Jimmy riß ein Grasbüschel aus dem Boden. »Die Indianer haben es auch manchmal getan«, flüsterte er wie geistesabwesend, »wenn, sie ihre Feinde zum Sprechen bringen wollten. Und die Indianer sind doch keine Teufel, sie
haben tapfer gekämpft... Ich muß es tun.« Als Boyd den Mund aufriß, stieß er ihm das Gras in die Mundhöhle hinein... »Du hast gemordet!« ächzte er. »Du kannst sterben!« Er richtete sich auf und drehte sich um, hörte Boyd röcheln und stöhnen. Verzweifelt versuchte Boyd, das Gras zu kauen, doch es quoll in seinem Mund immer mehr auf. Der Bandit sah nicht, wie Jimmy zitterte und sich immer mehr verkrampfte. Plötzlich riß Jimmy ein weiteres Büschel Gras heraus und kam damit heran, kniete nieder und hielt das Büschel bereit. »Friß und stirb!« Die Augen des Banditen quollen hervor. Er bekam kaum noch Luft. Todesangst entstellte sein Gesicht. Er bewegte mit letzter Kraft heftig den Kopf. Da riß Jimmy ihm die Grasbüschel aus dem Mund, und er konnte wieder atmen... Jimmy kehrte ihm den Rücken, saß neben ihm und wartete, hörte den pfeifenden Atem und fragte mit keinem Wort. »Ich... bring dich... hin!« stöhnte Boyd. »Du hast... mich geschafft! Ich will... leben!« Steif stand Jimmy auf, löste die Fußfesseln des Banditen, zerrte ihn hoch und zog ihn zum Pferd. »Sitz auf! Wir reiten! Gnade dir Gott, wenn du mich in eine Falle führen willst. Du würdest der erste sein, der stirbt.« Sie ritten weiter. Hinter ihnen verglühte das Feuer. *** An diesem Morgen kam Nathan Bantock nach langen Stunden des Alleinseins wieder ins Freie. Niemand hatte ihn weinen gesehen. Er war um Jahre gealtert, doch es schien, als wäre die alte Kraft in seinen Körper zurückgekehrt. Das, was er verloren hatte, konnte niemand ihm zurückgeben. Er mußte damit fertig werden.
Reglos blieb er vor dem Haus stehen und sah über den Hof hinaus auf sein Weideland, wo die Cowboys die Rinderherden bewachten, wo das Leben weiterging. Neben dem Ranchhaus auf dem kleinen umzäunten Friedhof buckelten sich die Gräber. Er ging dorthin und verweilte gebeugt vor den Gräbern, hielt den Stetson in beiden Händen und gedachte der Zeit, die anders und besser gewesen war – doch damals und auch in den letzten Tagen hatte er kaum Zeit für seine Kinder gehabt. Er hatte sein Leben verschenkt, seine Zeit verkannt, hatte nicht geliebt und nicht mit den erwachsenen Kindern gesprochen. Jetzt war er nur sich selber geblieben. Er hatte leere Hände, und die Ranch würde nach seinem Tode zerfallen, wenn er nicht einen Menschen fand, der seine Arbeit weiterführen würde. Jenseits der fernen Bergzüge lebten arme Mexikaner. Und eine Mexikanerin, die er immer abgewiesen hatte, die ihn aber liebte. Sie war ihm in den ganzen Jahren immer treu geblieben. Er setzte den Stetson auf, verließ den kleinen Friedhof und ließ sich sein Pferd bringen, schwang sich in den Sattel und jagte von der Ranch. Er hatte in dieses Leben zurückgefunden. Er dachte nicht mehr an Jack Reeves und an den großen, hageren Mann Conchos. In diesem Land gehörte das Sterben mit zum Leben... Die Bantock-Ranch sollte nicht untergehen... *** Hufeisen klapperten durch das Tal. Im alten Stollen horchten Shacco, Nolan Bishop und die anderen Banditen auf, starrten sich an, griffen nach den Waffen und hasteten nach vorn, wo helles Tageslicht in den Stollen fiel. Draußen im Tal ritt ein Mann entlang. Ob er bewaffnet war,
war, nicht zu erkennen. Seine Hände ruhten auf dem Sattelhorn. Jetzt verhielt er plötzlich, als hätte er den richtigen Weg verloren und wüßte nicht, wohin er reiten sollte. Die Banditen standen geduckt vorn vor dem Stolleneingang und beobachteten den Reiter wachsam. Er blieb zwischen den Gesteinshalden und blickte umher, auch einmal zurück. Das Gesicht befand sich im Schatten des Stetsons. »Das ist doch Boyd!« stieß Nolan Bishop hervor. »Ich will geteert und gefedert werden, wenn er das nicht ist.« Die anderen verengten die Augen, starrten in das grellflimmernde Tal, wo die Minenarbeiter überall ihre Spuren hinterlassen hatten, und atmeten gepreßt. »Wenn das Boyd ist«, dehnte ein Bandit, »dann frag’ ich mich, warum er nicht herkommt!« »Es ist Boyd«, murmelte Shacco und rasselte mit der Eisenkette. »Er tut so, als wüßte er nicht, wo wir sind... Das hat was zu bedeuten, Amigos! Hier stimmt was nicht!« Er hob die Rechte und winkte. Boyd stierte hinüber, doch er winkte nicht zurück – seine Hände waren an das Sattelhorn gefesselt... »Und wo ist Cassidy?« krächzte ein anderer Bandit, »Wir sollten höllisch schnell verschwinden!« Shacco zögerte, nickte dann – und sie rannten in den Stollen zurück, packten die Pferde am Zügel und zerrten sie ans Tageslicht. In diesem Moment ritt Boyd weiter, quer durch das Tal – langsam, wie unter einem Zwang. Fluchend warfen die Banditen sich auf die Pferde und gaben ihnen die Sporen. Sie ließen das Silber im Stollen zurück, hatten jeder ihren Anteil an den Dollars in der Tasche und folgten Boyd. Sie wollten ihn einholen, brüllten ihm nach – doch er hielt nicht an. Shacco fluchte und zog die Winchester
aus dem Scabbard, legte an und schoß. Fauchend schlugen die Kugeln dicht an Boyd vorbei. Aufbrüllend trieb Boyd das Pferd an, trat dem Tier in die Flanken und blickte gehetzt zurück. Im Galopp jagte er zum zerklüfteten Talrand und quälte das Pferd bergan. Hinter ihm schrien die Komplicen. Er hörte ihre heiseren Stimmen, den scharfen Knall der Schüsse und das grollende Echo. Angst entstellte sein Gesicht mehr und mehr. Das Pferd polterte höher. Steine lösten sich unter den Hufen und rollten abwärts. Immer näher kam er den bizarren Felsklippen am Talrand. Ein Schrei brach über seine Lippen. Nur er konnte Jimmy Hadley sehen. Der blonde Texaner kauerte zwischen den Felsen und hielt die Winchester bereit. Boyd war ein gebrochener Mann. Hündische Angst selbst vor den Komplicen jagte ihn nach den rettenden Felsen... Jimmy war bereit. In seinem ganzen Leben war er noch niemals so entschlossen und kaltblütig gewesen wie jetzt. Die Winchester war feuerbereit. Er spähte über die roten Felsen hinweg. Das Reiterrudel tobte den Hang empor. Boyd war nur dreißig Yard von den rettenden Felsen entfernt, als die Komplicen das Pferd unter ihm zusammenschossen. Das tödlich getroffene Pferd brach vorn zusammen und überschlug sich, und der schwere Körper knallte auf den Banditen Boyd... Laut hallten die Schüsse durch das Tal. Im Wind drehte sich unten das Windrad eines Brunnens. Drüben flatterten Vögel über die Felsentürme davon. Schrill wieherte ein Pferd. Sporen rissen die Tierleiber auf. Das Reiterrudel donnerte heran... Sie alle sahen nur Boyd, der tot und verrenkt unter dem Pferd lag und sie alle mit gebrochenen Augen anstarrte. Und sie zügelten die Pferde und blickten auf ihn, senkten die Waffen und atmeten keuchend. In Jimmys Gesicht zuckte es schmerzlich. »Conchos«, flüsterte er, »ich tu’s für dich.«
Er setzte die Winchester an die Schulter und zielte, und er atmete auf einmal ganz ruhig. Dann begann er zu schießen – so schnell, so gnadenlos, so genau, daß der Tod über alle Banditen kam. Sie starben im Sattel. Sie stürzten von den Pferden. Sie rollten sterbend über den Felsboden abwärts. Sie schrien und röchelten und wurden still. Nolan Bishop griff mit flatternden Händen zum Himmel empor und kippte vom Pferd. Zwei Banditen versuchten zu entkommen – sie wurden von den Pferden geschossen. Shacco zuckte heftig zusammen und griff hoch. Die Eisenkette am Handgelenk traf sein Gesicht und ließ die Haut platzen, doch er verspürte schon keinen Schmerz mehr, sank ganz langsam vom Pferd und fiel auf die Knie, rollte herum und rutschte abwärts. Reiterlose Pferde liefen davon. Das Peitschen der Winchester verstummte. Noch tobte das Echo, wurde leiser und verebbte schließlich. Jimmy blickte auf die Banditen und lud durch, horchte in die tiefe Stille hinein und senkte die Winchester. Die Gesichtsmuskeln erschlafften. Hinter ihm am Talrand wieherte sein Pferd. Am hohen Himmel zogen die Totenvögel ihre weiten Kreise. Jimmy drehte sich um und ging... *** Nach vielen Jahren kamen vier Menschen nach Tombstone. Sie entstiegen der Postkutsche, die durch das San Pedro Valley gerollt war, und schritten zum alten Friedhof, wo staubige Blumen zwischen den Gräbern, Steinen und Kreuzen in der Sonne leuchteten, wo die Umzäunung in sich zusammengefallen war und wo Staubwirbel über verwelkte Blumensträuße tanzten. Sie blieben vor zwei Gräbern stehen.
»Ist es hier, Daddy?« fragte der Junge mit heller Stimme und sah den ernsten Mann an. »Sind das die Gräber?« Und Jimmy nickte, sah Doreen an und nahm den Stetson ab. Stilles Lächeln legte sich um seinen Mund, als er den Jungen anblickte, der Conchos so ähnlich geworden war. »Ja, mein Junge.« Doreen hielt ihre kleine Tochter an der Hand und löste den Blick von den Gräbern. Langsam ging sie mit ihrer Tochter über den Friedhof zurück und sah den alten Matthew Denver am zerfallenen Zaun stehen, und es war nicht der Wind, der ihre Augen tränen ließ. Der Junge griff nach der Hand seines Vaters. Er wußte nicht, daß sein wirklicher Vater unter dieser staubigen Erde auf dem alten Friedhof von Tombstone ruhte. »Wer liegt denn hier, Daddy?« Jimmy setzte den Stetson auf und legte den Arm um seinen Jungen. Und während sie über den stillen Friedhof gingen, sagte Jimmy: »Ein Freund.« ENDE