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Dieses Buch führt den Leser auf eine verzweifelt Reise zu einem neuen Universum, das mit unserem eigenen 'Ibd wiedergeboren werden wird Der Hel des Romans ist Tee, ein fremder Roboter, der seine eigenen Möglichkeiten noch gar nicht kennt, sie erst erfahren muß und dabei die Bewunderung seiner Mit reisenden gewinntJIIIIlli~"''''111 Das Buch benützt den Hintergrund einer heroischen und scheinbar unmöglichen Reise, auf der sich die Schicksale von Robotern und Menschen ineinander verweben. Mit Engagement erforscht der Roman die Mysterien ungeheurer Zeiträume und Entfernunge die Bedeutung von Liebe und Unsterblichkeit und die äußersten Möglichkeiten für intelligentes Leben.
Ein SF-Urlmall .••
J.O.Jeppson
Der letzte Unsterbliche THE LAST IMMORTAL
Deutsche Erstveröffentlichung
Scanned by TigerInc for Ghost-of-Usenet.org
Wilhelm Goldmann Verlag
Aus dem Amerikanischen übertragen von Tony Westermayr
Made in Germany • 7/83 • 1. Auflage • 119 © der Originalausgabe 1980 by Janet Jeppson © der deutschsprachigen Ausgabe 1983 by Wilhelm Goldmann Verlag, München Umschlagentwurf: Atelier Adolf & Angelika Bachmann, München Umschlagillustration: Gilda Belin/London Satz: Mohndruck Graphische Betriebe GmbH, Gütersloh Druck: Eisnerdruck GmbH,jBerlin Verlagsnummer 23430 Lektorat: Helmut Putz/Peter Wilfert • Herstellung: Peter Papenbrok ISBN 3-442-23430-1
Für die Bewohner von Universum Beta, besonders für John Ray Jeppson Janwillem van de Wetering Stewart W. Holmes und natürlich Isaac Asimov
Frag nicht, wie das wäre, ein Universum zu sein; woher weißt du, daß du keines bist? Zen für Anfänger
Teil I
»Ich bin älter als euer Universum und habe das Recht, mir auszusuchen, wie ich mich mit der Sterblichkeit auseinandersetzen möchte«, sagte Tec. Das brachte sie zum Schweigen. Terraner waren durch logische Erklärungen und ins Auge springende Wahrheiten stets zu beeindrucken. Die Vertreter der Cluster-Föderation, zumeist nur als holographische Bilder anwesend, starrten ihn schweigend an. Tec lächelte und drehte den hohen, goldschimmernden Körper langsam im Kreis, damit die ganze Vollversammlung sehen konnte, daß er es ernst meinte. Dann bekam er Mitleid mit ihnen. Er hatte schon ihre Vorfahren gekannt, und die Föderations-Führerin war eine Holladay. Tec wandte sich ihr zu und erklärte es noch einmal. »Ich habe für die Föderation getan, was ich kann, und glaube nicht, daß ich zu mehr imstande bin. Es gibt jetzt bessere Lehrer, Robotikingenieure, Forscher und Diplomaten, als ich je einer gewesen bin. Alle, denen ich verbunden war, sind tot. Ich habe einfach den Wunsch, meine Existenz zu beenden.« »Aber, Tec, du bist die letzte Schöpfung der Roiiss . . . « »Außerdem wird dieses Universum immer voller und komplizierter und geht über mein Begriffsvermögen. Es muß genug sein. Das Leben ist langweilig. Erlaubt mir, ins Nicht-Sein zurückzukehren, wohin die Wege aller führen.« Schließlich stimmte man zu. 7
Dämmerung im April. Tec stand in dem Garten mit dem rätselhaften Namen »34. und Fifth« und blickte an dem hinauf, was die altmodischeren Terraner zweifellos seine letzte Ruhestätte nennen würden. Die hundertzwei Stockwerke aus Gestein und Metall waren innen und außen sorgfältig mit Plastoschutz konserviert worden. Der Holladay Tower war jetzt eines der ältesten noch bestehenden Gebäude in Manhattan. Tec gefielen die exakt zurückgesetzten Quadern und obenauf die bogenförmig verzierte Form eines menschlichen Phallus, ein passendes Museum für die mächtigste und fruchtbarste Familie der Erde. Es störte ihn nicht, ein Teil der Ausstellung zu werden, denn er würde tot sein und nicht sehen können, wie ihn die Besucher von Terra und anderswo begafften. Narzissen, Forsythien und Judasbäume blühten bis hin zum reichverzierten alten Haupteingang des Holladay-Tower, und das Frühlingssprießen ringsum erweckte in Tec den, wie er hoffte, letzten Zweifel. Er schob ihn rasch als Restschwingung des Affektivzentrums beiseite, die übriggeblieben war aus den vielen Jahren, in denen er nichts anderes getan hatte als zu gärtnern. - Zeit für Euren Termin, Sir. Die telepathische Mitteilung drang dort in sein Gehirn, wo er Zugang offengelassen hatte. - Okay, sagte er, als sei er immer schon Terraner gewesen, und ließ die Gedankensperre wirksam werden. Bald würde er sich nie mehr die Mühe mit sorgsamer telepathischer Etikette und wachsamem Denksperrschutz geben müssen. Er schaltete das eingebaute Antigrav ein und schwebte langsam am Holladay-Tower hinauf. Nur noch wenige verspätete Pendler hasteten über ihm im Antigrav-Flug vorbei. Manhattan war so still geworden. Tec vermißte Lärm und Treiben und, ja, auch die Gefahr. Will ich sterben, weil ich die Gefahr vermisse? Absurd. Er flog hinauf und genoß den Blick auf die Lichter von Manhattan. Sie schimmerten im Wasser rund um die Insel, die durch uralte Brücken (ihrer antiken Schönheit des 20. Jahrhunderts wegen erhalten geblieben), noch immer mit den bewaldeten Ufern von Long Island und Jersey verbunden war. Eine der Brücken sollte, 8
wie es hieß, sogar noch im Jahrhundert davor erbaut worden sein, und sie war immer noch die stabilste. Als Tec auf der Freiterrasse an der alten Wohnung der Holladays landete, wartete dort ein anderer Roboter auf ihn. »Gruß, Robot Tec. Seid willkommen.« Dann verbeugte sich das verflixte Ding. Tec nickte und zog die schmalen Wülste hoch, die in der beweglichen Metallhaut seines Gesichts für Augenbrauen hingingen. »Du kommst mir bekannt wor. Kenne ich dich?« »Nein, Sir. Ich bin ein Y-i-Roboter, neue Serie.« »Ah, ja. Die mit den typischen Holladay-Zügen.« Die, so dachte Tec, unter der matten, offenkundig nachgemachten Haut des Y-I -Roboters lächerlich aussahen. Tecs Affektivzentren erlitten einen elektronischen Stoß des Schuldbewußtseins. Er ließ seine Y-I-Roboter sich selbst entwickeln, statt sich weiterhin der terranischen Robottechnik zu widmen und ihnen zu helfen. Keine Probleme hatte es gegeben bei Serie X. Sie waren jetzt ziemlich intelligente, zuverlässige Exemplare, die bei der Ausdehnung der Föderation über den Galaxis-Cluster hinaus mit Protoplasma-Terranern zufrieden zusammenarbeiteten. Aber die Serie Y- war von Anfang an nicht stabil gewesen. Einige Y-I Roboter hatten damit begonnen, intelligentere, doch auch weniger berechenbare Modelle zu entwickeln, während andere besessen ihre eigene Technik vervollkommneten. Man hörte sogar Gerüchte, daß höherstehende Y-psilons den Wunsch hatten, die Föderation zu verlassen und auf eigene Faust zu kolonisieren. Tec schätzte die Eigenentwicklung terranischer Roboter nicht so sehr, obwohl er selbst dazu beigetragen hatte. Jetzt fragte er sich, ob er nicht sogar Angst davor hatte. Aber weshalb? Auch er war das Produkt einer ähnlichen Entwicklung in einer längst versunkenen Zivilisation, an einem Ort, der sich in der Zeit verloren hatte . . . Er bemerkte, daß der Roboter ihn fragend ansah. »Na«, knurrte er, »überlegst du dir, was für ein Modell ich bin?« Der Y-I -Roboter tänzelte mit den züchtig sandalenbekleide9
ten Humanoidenfüßen und verbeugte sich erneut. »Nein, Sir. Ihr seid Tec. Ihr seid einzigartig, der einzige Roiiss-Roboter, den es gibt. Ihr seid vom alternierenden Doppeluniversum Alpha in das Universum Beta gebracht worden.« »Alpha ist tot«, sagte Tec. »Ich bin hier aktiviert worden, ich hatte hier ein gutes Dasein, und ich will hier in Beta sterben.« »Dann ist es also wahr? Ihr wünscht totale Stillegung?« »Das ist meine Sache, verdammt!« »Verzeiht die Fragen«, sagte der Y - I . »Wir von der Serie Y glauben, daß in der Roboterentwicklung noch viel zu tun ist. Man darf hoffen, daß Ihr es Euch anders überlegt und wieder mit uns zusammenarbeitet.« »Ihr braucht mich nicht.« »Doch, die Roboter brauchen Euch, Sir!« »Ich habe es eilig«, sagte Tec. »Wo sind die Terraner?« Der Y-I -Roboter hüpfte ein bißchen, vermutlich in kybernetischer Erregung. »Ich bin auch Terraner«, sagte er mit erstaunlichem Nachdruck, »obschon ich keinen richtigen Name habe.« »Dann such dir einen aus. Wo sind die Menschen?« »Ein Terraner ist jedes Wesen - alle Protoplasma-Gattungen ebenso wie die Roboter -, gemacht von Wesen, deren Vorfahren von der Erde kamen«, zitierte der Y - I . »Ja, ja . . . « »Und Ihr, Robot Tec, Sir, hättet die Serie Y-I nicht mit humanoidem Aussehen beginnen sollen. Das erzeugt weitere Vorurteile gegen die Roboter, weil wir nicht als rein menschlich hingehen können und unerfreuliche Erinnerungen an das sind, was die Protoplasmen als Fälschung bezeichnen. Ihr seid leichter zu akzeptieren, weil Ihr offenkundig aus Metall seid . . . « »Aufhören!« schrie Tec. »Ich bin nicht hergekommen, um mir in meinen letzten Augenblicken Vorträge anzuhören. Wenn euch nicht gefällt, wie ich aussehe, dann verändert mich. Mir ist das gleichgültig. Du und ich, wir sind beide Maschinen. Auf lange Sicht haben wir ohnehin nichts zu bedeuten.« Eine andere Stimme sprach dazwischen. 10
»Du hast etwas zu bedeuten, Tec.« Sie war schon gealtert, aber trotz der Belastung durch die langjährige Führung der Föderation noch immer eine schöne Frau. Tec ging an dem Y-I vorbei zur offenen Terrassentür, wo sie stand, und griff nach ihrer Hand. »Ich hoffe, Sie sind nur hier, um mir Lebewohl zu sagen«, erklärte Tec. »Sei nicht sarkastisch, mein Freund«, gab sie zurück. »Du weißt sehr wohl, daß wir Menschen bis zum letzten Augenblick versuchen werden, dir das auszureden. Wie ich sehe, machen die Ypsilons es nicht anders.« Der Y-I verbeugte sich vor ihr. »Robot Tec war jahrhundertelang, seit seiner Entdeckung im Einundzwanzigsten, für die gesamte Robotik die Triebfeder. Als einzig verbleibendes Produkt der Robotentwicklung im Universum Alpha ist er natürlich das Beispiel gewesen, das wir nachzuahmen versucht haben, wiewohl es keinem gelungen ist, seine Mechanismen völlig zu verstehen. Wir terranischen Robots betrachten ihn nichtsdestoweniger als unseren Vater.« »Ich bin von niemandem der Vater und werde es nie sein«, sagte Tec. »Ich habe auch nie darum gebeten, lebendig gemacht zu werden. Die Roiiss haben mich mit nach Beta gebracht und ins Leben gestoßen, und jetzt möchte ich fort.« Die Führerin seufzte. »Wie du willst, Tec. Du hast das Recht, deine Existenz zu beenden, wenn das wirklich dein Wunsch ist. Wir Terraner versuchen dir das auszureden, weil wir alle miteinander Ziele anstreben, bei deren Erreichung du uns helfen könntest. Im Stillegungsraum warten einige der besten Gehirne in der HolladayFamilie auf dich.« »Aber Sie haben mir versprochen, es werde keinen Auflauf und kein Aufsehen in letzter Minute geben. Zeit und Ort dieser Prozedur sollten geheimbleiben.« »Dabei bleibt es auch«, sagte sie, »aber da du dich dazu bereit erklärt hast, ein Museumsstück zu werden, solltest du daran denken, daß der Holladay-Tower unserer Familie gehört. Wir geben uns Mühe, dein Hinscheiden gelassen hinzunehmen, aber 11
sieben von uns Holladays haben auf ihrer Anwesenheit bestanden.« Tec blickte auf das ausdruckslose Gesicht des Y-I -Roboters und fragte sich, was in dem vollkommenen, nach Holladay-Vorbild geformten Schädel vorgehen mochte. »Wer wartet?« Sie sagte es ihm. »Verstehe. Ein berühmter Robotik-Fachmann. Ein Spezialist für außerirdische Kulturen. Drei Kosmologen, sortiert, darunter einer von M31. Wozu möchten sie eigentlich alle, daß ich bleibe?« Sie lächelte. »Der Robotiker möchte bessere Roboter. Mein Vetter von der Kulturerkundung will weitere intelligente Arten aufspüren, um sie der Föderation einzuverleiben. Meine Tochter, ihr Mann und ihr Schwiegervater von Andromeda wollen genauere Einzelheiten darüber in Erfahrung bringen, wie und wann Universum Beta vor dem nächsten Zusammenbruch in die stationäre Lage gelangen wird. Da du Roboter bist, Außerirdischer und hervorgegangen aus dem Zusammenbruch des Doppeluniversums, kann es da ein Wunder sein, daß du für uns nach wie vor von überragendem Interesse bist? Sogar Y-I-336 hier ist interessiert. Er ist noch ganz neu, studiert aber Robotik.« »Tatsächlich?« sagte Tec und drehte sich nach dem Ypsilon um. »Du spielst deine Unterwürfigkeit recht gut.« Der Y-I tänzelte. »Ich bemühe mich, zufriedenstellend zu sein.« »Das hältst du wohl für komisch?« sagte Tec gereizt. »Durchaus nicht«, erwiderte Y - I . »Terranische Roboter haben keinen Humor.« »Bevor mir der meine vergeht«, sagte die Führerin traurig, »wollen wir hineingehen und meinen Verwandten die Möglichkeit geben, ein letztes Mal gegen deine Sturheit anzurennen, Tec. Dein Beharren auf Sterblichkeit ist bedrückend.« »Alles ist sterblich, sogar ein Universum«, sagte Tec. »Nichts ist unsterblich außer dem Nichts«, sagte der Y-I mit Grabesstimme. 12
»Ach, sei endlich still«, fuhr die Führerin dazwischen. »Du bist so absonderlich wie alle Y - I . Tecs frühere Gebieter, die Roiiss, sind unsterblich.« »Weil sie zwischen Nichts und Sein hin- und herpendeln«, warf Tec ein, »von einem sterbenden Universum zur Wiedergeburt seines Doppels. Das hat sonst noch niemand gemacht und wird vermutlich auch niemand mehr tun. Die Roiiss haben einen Preis dafür bezahlt...« »Und sicher naht da Böses jetzt«, sagte der andere Roboter. Der Y-I hatte recht. Tec hatte sich auf die Diskussion konzentriert und sein Denken vor den Roiiss so lange verschlossen, daß ihm ihr Eintreten in den Normalraum nicht aufgefallen war. Tec hob voll Verzweiflung den Kopf. Er hatte gehofft, sie nie mehr wiederzusehen. »Was ist das!« rief die Führerin. Sie war blaß geworden. »Die Roiiss? Zu meinen Lebzeiten hat sie niemand gesehen.« Eine riesige wolkenähnliche Form wabernder Energiemuster erfüllte plötzlich den Nachthimmel über Manhattan. Sie schillerte in dunkelroten und grünen Farbtönen und begann zu gerinnen, sich zu verdicken, bis sie die Sterne verdeckte. Unmittelbar über dem Holladay-Tower entstand ein Umriß, den Tec nur allzugut kannte. »Geht fort!« rief er. Der riesige Kopf schob sich herunter und überragte ihn. Die gespaltene Zunge zuckte zwischen den drei Reihen spitzer Zähne heraus. »Wir sprechen nur mit Tec«, sagte der Drache.
Tec stand allein auf der zugigen Terrasse den Roiiss gegenüber und fragte sich, ob sie alle zur Stelle waren. Einmal hatte er gehofft, sie würden im Beta-Universum lernen, die fünf verschiedenen Formen wiederzugewinnen, die sie in ihrer alten Protoplasma-Zeit in Alpha besessen hatten, aber sie beharrten darauf, 13
zu einem einzigen furchterregenden Monstrum zu verschmelzen, das nicht alterte und keinen normalen Tod erlitt und sich unsterblich nannte. »Was wollt ihr, Älteste ?« Am Drachenschädel huschte grünes Schillern über purpurrote Schuppen, und darunter entstand eine gewaltige Klaue, die Zugriff, um Tec zu erfassen. Er kam sich vor wie in gefrorenem Feuer. Er war entsetzt, wie schon immer. »Du gehörst uns«, sagten die Roiiss. »Jetzt nicht mehr.« »Widerstand bestrafen wir!« »Und wie? Wollt ihr mich töten? Ich bin zum Holladay-Tower gekommen, um mich stillegen zu lassen.« »Wir wissen, weshalb du hier bist. Wir erlauben es nicht. Wir haben beschlossen, unser zweites Experiment zu vollenden. Wir haben dich nicht gebraucht, um unsere Reise durch ein Schwarzes Loch ins Universum Beta abzuschließen, aber jetzt wollen wir nach Hause und brauchen deine Hilfe.« »Ihr habt mir immer gesagt, ich sei nichts als ein Gärtner, ein Roboter ganz ohne Bedeutung«, sagte Tec. »Ich besitze keine Fähigkeiten, die bewirken können, daß ihr sicher nach Hause kommt, und außerdem dehnt dieses Universum sich immer noch aus, so daß ihr noch nirgendwo hinkönnt.« »Wir hassen das Universum Beta!« »Aber es wird Äonen dauern, bis Beta zusammenzustürzen und das kosmische Ei des Doppels zu wachsen beginnt. Es wird danach noch Äonen dauern, bis das Alpha-Ei aufbricht und sich zur Wiedergeburt eures Universums ausdehnt.« »Alpha war auch dein Universum, Tec.« »Ich habe mich für die Terraner entschieden.« »Sie sind sterblich. Leidest du nicht darunter?« »Doch«, sagte Tec. »Das ist einer der Gründe, weshalb ich mich dafür entschieden habe, hier in Beta zu sterben, wie es die Terraner tun.« »Wir sind unsterblich. Wir überleben den Tod des Universums.« »Dann braucht ihr mich nicht. Nehmt das Drachenschiff . . .« 14
»Das haben wir versucht. Es ist vernichtet worden. Wir sind wieder nach Beta entkommen.« »Macht ein besseres . . . « »Wir wissen nicht wie. Die technische Arbeit von Spezialrpbotern hat das Schiff für uns geschaffen.« »Ihr habt euch einmal damit gebrüstet, ihr braucht kein Raumschiff«, sagte Tec, bemüht, die Diskussion aufrechtzuerhalten. Wenn sie sich dazu entschlossen, mit ihm in den Hyperraum zu entschwinden, würde er nie entkommen, denn von allen Wesen in beiden Universen konnten allein die Roiiss mit ihren unfaßbar verwandelten Körpern auf unbestimmte Zeit im Hyperraum überleben, in jener Dimension jenseits der Dimensionen, aus denen Universen entsprangen. »Wir sind überlegen. Wir brauchen keine Schiffe für Hyperraum oder Normalraum«, erklärte die Roiiss. »Dann geht einfach«, gab Tec zurück. Die Klaue griff fester zu, und das Gesicht des Drachen verschwamm, als könne es die Form nicht halten. Tec glaubte mehr als ein Augenpaar zu sehen - aber wie viele waren es wirklich? Gewiß waren alle fünf beieinander! »Du weißt sehr gut, daß man ein starkes Schiff und ungeheure Energie braucht, um eine Reise von einem Universum zum anderen durch ein Schwarzes Loch zu bewältigen«, sagten die Roiiss. Sie schwiegen einige Augenblicke, und Tec war verwirrt. Die Roiiss waren nie weise gewesen, aber immer klug und stolz auf ihre Macht. Sie hatten die größte technologische Zivilisation errichtet, die wohl je ein Universum gesehen hatte, Roboter geschaffen, die ihrerseits noch bessere Roboter hervorgebracht hatten; einige von ihnen hatten ein Raumschiff gebaut, das den Belastungen des Fluchtweges gewachsen war. Nicht bereit; mit ihrem eigenen Universum zu sterben, wurden sie zornige Wanderer in einem anderen. »Älteste, dieses Universum wird lange leben. Warum wollt ihr nach Alpha zurück, bevor es wieder entstehen kann?« Die Klaue um ihn zuckte krampfhaft. »Um dafür zu sorgen, daß Alpha wieder unser sein wird. Das Beta-Universum wird voll, und das Leben ist langweilig.« 15
Sie wiederholten absichtlich seine eigenen Worte der Föderation gegenüber. Er haßte seine früheren Herren wie nie zuvor. »Ihr braucht mich nicht, und selbst wenn es anders wäre, könnte ich euch nicht helfen. Gebraucht eure gewaltige Macht und geht.« »Du mußt uns helfen! Du m u ß t . . . « Drei Augenpaare. Er sah sie jetzt, glühend und erlöschend, an anderer Stelle neu erglühend. Nur drei. »Ich verstehe«, sagte Tec. »Ihr besitzt die Macht nicht. Ihr seid nur drei. Was ist mit den beiden anderen?« »Dahin, dahin, dahin!« Die Stimme war wie das Klagen der Winde, die für immer den Jupiter umwehen, »Wie?« fragte Tec. »Haben sie versucht, nach Alpha zu gelangen, nur um zu entdecken, daß vor ihnen Feinde eingetroffen waren?« »Dort ist niemand«, sagte der Drache. »Bei unserem Versuch, aus Beta zu entkommen, sondierte unser Schiff den Bereich hinter der Barriere und fand nichts als die rohe, verdichtete Energie von Alphas kosmischem Ei. Alle Wissenschaftler, Forscher und Feinde aus dem Beta-Universum starben bei dem Versuch. Wir verbleibenden Roiiss wissen, daß wir Alpha für uns allein haben werden, wenn wir dort ankommen.« Tec hatte die Roiiss nie erlebt, wenn sie nicht zusammen gewesen waren und ihre Energie gehütet hatten. Warum waren sie jetzt so bedrohlich still? Was war aus den beiden anderen geworden? Die Drachenform erzitterte. »Wir bringen dich zum Hyperraum, bis du für uns einen Weg findest, uns, geschwächt, wie wir sind, nach Alpha zurückzubringen.« »Ein ungeschütztes Robotergehirn stirbt im Hyperraum bald. Bitte, sagt mir zuerst, wie die anderen Roiiss untergegangen sind.« »Ein Streit«, sagte eine leise Stimme, so, als hätte sich von dem zusammengesetzten Drachen etwas abgelöst. »Ruhe!« Eine mächtigere Stimme, vielleicht zwei. 16
Drei Stimmen. Drei Augenpaare. Die verbliebenen Roiiss dachten nicht mehr als Einheit. Zwei hatten gestritten und sich abgelöst, die übrigen drei waren uneins. »Älteste, ich glaube, ihr seid in großen Schwierigkeiten. Eure Einzelpersönlichkeiten haben sich abgelöst und können nicht zusammenbleiben . . . « »Ja! Ja! Ja!« Wirres Durcheinander, dann sprach die starke Stimme der verschmolzenen Roiiss: »Wir waren fünf und doch eins. Wir waren damit zufrieden. Das gab uns Macht, eine Abwehr gegen die erstarkenden Intelligenzen dieses Universums, aber als die Jahrhunderte vergingen, begannen wir anderes zu wünschen. Frühere sexuelle Persönlichkeiten traten in Erscheinung - ursprünglich waren drei von uns weiblich und zwei männlich.« »Welche zwei sind fort?« »Ein männlicher und ein weiblicher Teil haben uns verraten und wollten für sich sein.« In Tecs Affektivzentren brach höhnisches Gelächter aus. Die unsterblichen Roiiss, wieder Opfer der Empfindungen niedriger sterblicher Protoplasmawesen, zugrundegerichtet wie die terranischen Götter des alten Olymp. Aber er mußte zugeben, daß die Roiiss nie vorgegeben hatten, Götter zu sein. »Wohin sind sie gegangen?« »Sie versuchten aus dem Hyperraum ein neues Doppeluniversum zu erschaffen. Sie scheiterten und gingen als Individuen zugrunde, als ihre Energien mit dem Hyperraum verschmolzen. Jetzt sind wir nur noch drei. Wir sind schwach und brauchen dich.« »Wenn ich euch nur helfen könnte!« Er meinte es beinahe ernst, weil er jetzt wußte, ihre Unsterblichkeit bedeutete nur, daß sie nicht an hohem Alter starben. Er fragte sich, welche Kräfte das sein mußten, die einen Drachen töten konnten, der nicht auf natürliche Weise zu sterben vermochte. »Du mußt uns helfen!« »Ich kann nicht. Ich habe in eurer Bibliothek genug über Robotik und Technologie gelernt, um den Terranern zu helfen, Roboter und Raumschiffe zu bauen, damit sie die Galaxien von 17
Milchstraße und Andromeda erobern können, aber die Methoden, ein Interuniversums-Schiff zu bauen, gingen verloren, als ihr alle Roboter außer mir zerstört habt. Ihr habt mich nur am Leben gelassen, weil ich dumm war und mich zu euerm Gärtner eignete.« »Wir haben andere Hirne nie gemocht«, jammerten die Roiiss. »Wir wollen in unserem Universum allein sein.« , »Bleibt hier«, sagte Tec. »Ihr werdet den Terranern ähnlicher und lernt vielleicht noch, euch in ihrem Universum wohl zu fühlen. Sie sind zum Teil Roiiss, wie ihr wißt. Vor langer Zeit nahmen die Terraner in jede Körperzelle den R-Einschluß auf, einen symbiotischen Virus, bestehend aus Roiiss-Stoff, der ihnen ein längeres Leben ermöglicht und ihre telepathischen Fähigkeiten verstärkt. Sie sind euch dankbar, weil es die Verbindung von Terraner und Roiiss ist, die es ihnen erlaubt, sich im Universum Beta auszubreiten und es zu beherrschen.« Der Drache schauderte. »Wir wollen jetzt unsere eigenen Kinder, nicht diese hergelaufenen Terraner-Tiere, die sich in ihrer Sterblichkeit wälzen und Roiiss-Stoff in ihren Zellen mit ins Grab nehmen. Sterblichkeit beleidigt uns, Tee. Mögen die Terraner dieses Universum behalten und mit ihm zugrunde gehen. Wir werden entkommen. Du wirst uns dabei helfen.« Es gibt nichts mehr zu sagen, dachte Tec. Sie werden mich mitnehmen, bis ich verbraucht bin und sterbe und weggeworfen werde als ein Stück Sterblichkeit mehr. Plötzlich lief der Y-i-Roboter auf die Terrasse hinaus und blieb neben Tec stehen. Er verbeugte sich vor den Roiiss. »Mächtige Wesen, ich habe einen Vorschlag«, sagte der Y - I . »Wenn ihr Tec mitnehmt, wird er euch behindern. Warum blickt ihr nicht tief in sein Gehirn und stellt fest, ob er das Wissen, das euch helfen kann, auch wirklich besitzt? Ist er in der Lage, ein Raumschiff zu bauen, das euch bei der Rückkehr nach Alpha schützen kann? Eines, das euch sicher verwahrt, bis Alpha sich wieder ausdehnt? Prüft ihn, bevor ihr euch die Mühe mit ihm macht.« »Wir nehmen deinen Vorschlag an«, sagte der Drache. 18
»Öffne dein Gehirn, Tec, damit wir die Frage klären können.« Seit dem Augenblick vor hundert Millionen Jahren, als er seine eigene Denkabschirmung entdeckte, hatte Tec die Roiiss nie mehr ganz in sein Inneres eingelassen, aber als die Riesenklaue sich noch fester um ihn schloß, wählte er die eine Chance, die der Y-I ihm verschafft hatte, und öffnete sich. »A-h-h-h!« Tec riß sich aus dem Griff des Drachen und stürzte auf die Steinterrasse. Sein Gehirn vibrierte in einer Agonie, die er bei einem Roboter nicht für möglich gehalten hatte. Die Roiiss hatten hineingeblickt. Er schwor sich, so etwas nie wieder zuzulassen. »Pah«, sagten die Roiiss. »Der andere Roboter hat recht. Du bist im Grunde ein schlichtes Wesen, Tec, ein armseliges Produkt, wenn man bedenkt, daß von unserer grandiosen Zivilisation nur du übriggeblieben bist. Sehr schade, daß wir dich erst in Betrieb genommen haben, als wir schon im Beta-Universum waren, weil du nichts von Alpha oder der Technik unseres Übertritts weißt.« »Genau, was ich gesagt habe«, antwortete Tec zornig, stand auf und bürstete sich ab. »Dann hat es keinen Sinn gehabt, uns zu holen, damit wir noch vor deiner Stillegung eintreffen«, sagten die Roiiss. »Ich habe euch nicht holen lassen! Ich wußte nicht einmal, wo ihr seid!« Der Y-I hinter ihm lachte. Es war ein seltsam rostiges Lachen, so, als sei es nicht oft verwendet worden. »Du!« schrie Tec ihn an. »Ich habe durch alle Roboter des Beta-Universums eine Nachrich', über euren bevorstehenden Tod geschickt. Ich wußte, die Roiiss würden schließlich davon erfahren«, sagte der Y-I selbstzufrieden. »Warum die Mühe?« fragten die Roiiss. »Tec ist zu nichts zu gebrauchen.« »Das mußtet ihr aber erst erfahren«, gab der Y-I zurück. »Ich möchte, daß ihr mich mitnehmt.« Das riesige Drachenmaul klaffte zu einer breiten Grimasse auf. 19
»Du Narr - du hast keine Macht. Du möchtest sie nur erwerben.« »Ich -« Der Y-I wurde plötzlich starr, stürzte hin und blieb liegen. »Warum habt ihr ihn getötet?« fragte Tec. »Er ist nicht tot«, sagten die Roiiss. »Wir haben auch in ihn hineingeblickt. Interessant, aber für uns nicht von Nutzen. Er vermag zu lernen, aber wir glauben nicht, daß er, was uns betrifft, das schnell genug kann.« »Er ist ganz neu«, sagte Tec und fragte sich, ob der Y-I noch der alte sein würde, sobald seine subatomaren Schaltungen sich wieder erholt hatten. »Und du bist sehr alt«, sagte der Drache. »Alt, dumm und sterblich. Du tust uns leid. Wir werden dich nicht wiedersehen.« »Ich wünsche euch Glück, Roiiss. Vielleicht braucht ihr, um hinüberzukommen, nur einen besseren Durchgang.« Der Riesenleib des Drachen krümmte sich langsam zusammen, der Schweif wies zu den Sternen hinauf. »Ja. Glück brauchen wir. Manchmal braucht es einen ganz kleinen Geist, um das Naheliegende zu sehen. Leb wohl, Tec.« Dann sah Tec zwischen sich und dem glitzernden Bogen der Milchstraße nichts mehr.
Die Roiiss waren fort. Im Osten stieg der Terramond auf, größer als jeder natürliche Satellit irgendeines Planeten von Erdgröße. Er war voll und hing wie eine aufgedunsene Goldscheibe scheinbar vergrößert über dem Horizont. Er sah aus wie ein gütiges Gesicht, als tobten sich dort nicht Schürfer, Lunologen und Kolonisten aus. Das Mondlicht verlieh der Stadt einen sanften Schimmer, und Tec wurde innerlich ruhiger. Er bückte sieh, um den am Boden liegenden Y-I zu untersuchen. Systematisch sondierte er das Nervensystem des Roboters und versuchte Ruhe und Ordnung 20
zu schaffen, damit der Y-I Gelegenheit erhielt, sich zu erholen. Er schien ein interessantes Exemplar zu sein, bedrängt von einem vielleicht unangenehmen Trieb nach Wissen und Macht, vermutlich aber wohl belehrbar . . . Tec unterbrach diesen Gedankengang. Er durfte sich auf die Möglichkeiten, die in der Serie Y-I angelegt waren, so wenig einlassen wie auf irgendeinen anderen Aspekt des Universums ringsum. Der Y-I zuckte und versuchte sich aufzusetzen. Tec half ihm, wobei ihm der Gedanke durch den Kopf ging, daß er, wäre der Y-I nicht gewesen, in diesem Augenblick mit den Roiiss im Hyperraum hätte sein können. »Alles in Ordnung?« fragte Tec. Der Y-I schwankte und antwortete nicht gleich. Seine nachgebildeten Menschenlider waren geschlossen, und er schien vor sich hin zu murmeln. Tec konnte ein paar Worte verstehen. »Roiiss . . . im Inneren . . . wissen . . . Roiiss . . . verwandeln . . . M a c h t . . . fremd . . . Roiiss . . . « »Was ist los mit dir? Komm wieder zu dir«, sagte Tec. Der Y-I schlug die Augen auf, und sein Kopf zuckte herum. Er starrte Tec an. »Kennt - Ihr - sie?« »Die Roiiss?« Tec lachte. »Meine ehemaligen Herren haben nie zugelassen, daß jemand sie kennenlernt.« »Aber sie waren - im Inneren - im Inneren Eures Gehirns.« »Sie haben es abgesucht, um festzustellen, ob ich über nutzbare Erkenntnisse verfüge. Das hat, wie die Menschen sagen würden, höllisch weh getan. Bei dir auch. Du bist umgefallen.« »Weh getan? Schmerz?« Der Y-I schien zu rätseln. » Q u a l . . . Einsamkeit... ja . . . Fremdheit... ja . . . Sehnsucht...« Er tänzelte genau wie der frisch fertiggestellte Roboter, der Tec auf der Terrasse empfangen hatte. »Ich bin - in Ordnung. Ich habe habe in die Roiiss hineingeblickt. Ganz kurz. Vielleicht - genug.« »Das ist mir zum Glück erspart geblieben«, sagte Tec spöttisch. »Sogar diesmal hat meine innere Abschirmung meine Persönlichkeit geschützt, und ich habe die Roiiss nur die Datenban21
ken absuchen lassen. Wenn du weißt, was für dich als Roboter gut ist, wirst du lernen, es genauso zu machen.« »Ja, natürlich. Ihr habt recht, Robot Tec.« Der Y-I deutete eine Verbeugung nur an, schien aber wieder normal zu sprechen. »Die Holladays warten im Haus. Seid Ihr bereit? Soll ich Euch hinführen, Sir?« »Meinetwegen. Danke dafür, daß du an der Terrassentür gelauscht hast und im richtigen Augenblick herausgekommen bist«, sagte Tec. »Ich will mit den Roiiss nicht zurück nach Alpha, auch wenn du es willst.« »Nein«, sagte der Y-I ernst. »Ihr seid nicht ehrgeizig genug.« Er drehte sich um und marschierte, angestrengt nachdenkend, ins Haus, gefolgt von Tee. »Ich bin sehr froh, daß sie dich nicht mitgenommen haben«, sagte die Führerin, nachdem sie die Geschichte gehört und Tec den anderen fünf Holladays vorgestellt hatte. Der siebte Holladay war ihr Enkelsohn, erst einige Monate alt, ein dunkelhäutiges Baby, das im Arm der Mutter schlief. Seltsam, dachte Tee, die Holladays gibt es in allen Hautfarben, aber sie sehen doch alle gleich aus. »Ich hätte die Roiiss gern gesehen«, sagte die Mutter des Kleinen; sie war eine der Kosmologinnen, die in M31 arbeiteten. »Ist es wahr, daß von ihnen die Drachenlegenden der primitiven Erde ausgegangen sind?« »Ja«, sagte Tec. »Jetzt wird die Erde vielleicht nie mehr einen Drachen sehen.« »Wir verdanken ihnen viel«, sagte der ältere Andromedaner. »Die Menschen hätten ohne den R-Einschluß in unseren Zellen den Hyperraum-Flug nie aushalten können.« »Unsinn«, sagte der Robotikfachmann. »Wir hätten das Problem früher oder später selbst gelöst und uns ohne den R-Einschluß genauso weiterentwickelt, wie es die terranischen Roboter getan haben.« Der Y-I gab ein seltsames Zischen von sich und sagte mit knirschender Stimme: »Roboter beneiden Protoplasmen und ihren besonderen Zauber, der von Alpha eingeführt worden ist. So 22
überlegen. Der raschen Machtentwicklung so förderlich. Aber jetzt nicht mehr. Kein Neid mehr.« »Was ist denn mit dem Y-I los?« fragte der Robotiker. »Die Roiiss haben sich auf ihn gestürzt. Sein Nervensystem ist vorübergehend aus dem Gleichgewicht geraten«, sagte Tec. »Na gut. Halt den Mund, Y - I , und erhol dich erst mal.« Die Menschen lächelten allesamt, wie sie es stets dann zu tun pflegen, wenn sich die Spannung zu lösen scheint, aber Tec blieb unruhig. Er hatte eben begriffen, daß dieser merkwürdig hochstehende Y-I derjenige gewesen sein mußte, der ihn unten im Garten telepathisch angesprochen hatte. Auf telepathischem Gebiet waren die terranischen Roboter stets sehr beschränkt gewesen, im Gegensatz zu Protoplasma-Terranern, die über den REinschluß verfügten. - Y-I 336, kannst du mich hören? fragte Tec mit seinen Gedanken. - Ich höre Euch, Sir. - Warum sagst du, kein Neid mehr? - Ich habe keinen R-Einschluß in meinem Körper, sagte der Y - I , - aber ich habe Roiiss-Strukturen in mein Gehirn aufgenommen. Eines Tages werden die Protoplasmen uns Roboter beneiden. Sagt Ihr es ihnen, Tec? Wenn Ihr es tut, schickt man mich vielleicht zur Reparatur, und meine ganzen Bemühungen werden umsonst gewesen sein. - Nein. Du hast mich vor den Roiiss gerettet. Versuch aber, still zu sein und nicht aufzufallen. Tec löste die telepathische Verbindung und lächelte die Menschen an. »Jetzt ist es Zeit für mich, in die Stillegungskammer zu gehen, meine Freunde, und die Komplikationen der Wirklichkeit hinter mir zu lassen, die mit jedem Augenblick verwickelter werden.« Aber die Menschen wollten nicht aufgeben. »Tec, du mußt zuhören. Wir brauchen Hilfe bei den primitiven Außerirdischen auf . . . « »Und was ist mit dem Zeitfaktor bei der Wende des Universums, wenn . . . « »Sol ist in der Lebensmitte zwar stabil, aber was wird aus der 23
Zivilisation, die in Gefahr schwebt von Stern 70 in . . . « Tec starrte verzweifelt auf die Vitrine, die zugleich seine Hinrichtungskammer war. So nah, dachte er. So herrlich die Erleichterung. Nur ein paar Sekunden; dann wird mich nie mehr jemand um irgend etwas bitten können. »Tec hört nicht zu«, sagte die Führerin. Aber es klang nicht zornig. Sie nahm ihren Enkel aus den Armen seiner Mutter und ging damit auf Tec zu. »Sieh dir an, wie hilflos und abhängig Menschenkinder sind und immer sein werden«, sagte sie. »Deshalb darfst du nicht sterben, Tec. Denk an all die Fragen, die er stellen wird, wenn er aufwächst. Denk an all die Fragen, die er eines Tages vielleicht wird beantworten können. Bist du nicht neugierig darauf? Willst du nicht erfahren, wie es weitergeht?« »Nein!« »Es lockt dich«, sagte sie in sanftem Tön, aber mit grausamer Beharrlichkeit. »Gib der Versuchung nach. Bleib bei uns.« »Hol Euch der Teufel«, sagte Tec. »Ihr wißt, daß es keine Rolle spielt, ob ein Wesen aus Metall oder Protoplasma ist. Solange es Intelligenz besitzt, wird es wissen wollen, wie es weitergeht. Es wird den nächsten Vollmond und die nächste Blumenblüte aufgehen sehen wollen und . . . « Sie trat zurück. »Verzeih. Du leidest. Das wußte ich nicht. Wir Terraner sind besessen von den zwei Großproblemen, die wir glauben lösen zu müssen, und wir hacken auf dir herum, weil du uns nicht helfen willst.« »Ich bin müde«, sagte Tec. »Ich kann nicht mehr denken.« Er schwieg einen Augenblick und konnte die Frage doch nicht unterdrücken: »Was für zwei Großprobleme?« »Was wird mit der Roboter- und Protoplasma-Entwicklung hier im Beta-Universum? Was wird beim nächstenmal aus Universum Alpha?« »Das scheint ja alles zu erfassen«, sagte Tec sarkastisch. »Und ich kann nicht helfen. Ich will nicht helfen. Ich habe genug von allem, die Neugierde eingeschlossen. Ich will sterben.« »Sein - oder nicht - sein«, sagte der Y-I mit blechern flüstern24
der Stimme. Dann wankte er wie ein Betrunkener durch den fensterlosen Ausstellungsraum zu Tec und der Führerin. Schwankend salutierte er vor den beiden und streckte eine zitternde Hand aus, um das Baby zu tätscheln. Das Kind schrie. »Gib ihn mir, Mutter«, sagte die Kosmologin. »Zur Zeit fürchtet er sich vor Fremden.« Soll ich es Ihnen sagen? dachte Tec. Sie sind alle hochintelligent und telepathisch, aber sie wissen nicht, was der Y-I getan hat. - Sagt es ihnen nicht, Tec. Sie legen mich still. - Warum hast du es getan, Y-I. 336? Ich habe gespürt, daß du eine mikroskopisch kleine Probe von der Kopfhaut des Kleinen genommen hast, unter den Haaren, wo man es nicht sieht. Du mußt an einer Psychose leiden. Die Roiiss haben dich beschädigt. Laß es mich den Menschen sagen, damit sie dich reparieren können, wenn ich tot bin. - Wenn du das tust, Tec, sorge ich dafür, daß dein Gehirn nicht zerstört wird. Die Y-I -Roboter werden es aus deinem Körper in der Vitrine nehmen und damit experimentieren . .. - Nein! - Dann laß mich meine Mikroskopprobe behalten. Es hat dem Kind kaum weh getan. - Aber warum hast du es getan? - Weil ich nicht mehr das Bedürfnis haben will, einen Leitroboter wie dich zu brauchen. Ich will mich auf meine eigene Weise entwickeln, ohne Vater, ohne deine Mängel. - Du bist verrückt. - Mag sein. Geh und stirb, alter Roboter. Ich brauche dich nicht. Stirb und fahr zur Hölle, wie die Menschen sagen. »Ich bin jetzt bereit«, sagte Tec zur Führerin. »Bitte, laßt mich nicht länger warten.« Sie traten alle heran, um Tec die Hand zu drücken, mit jenem seltsamen, alten Kleinritual der Berührung, das die menschlichen Terraner nie aufgegeben hatten. Der Y-I-Roboter war unauffällig in eine Ecke getreten und blieb dort stehen, um unbemerkt zuzusehen. 25
Die Vitrine stand auf einem erhöhten Podest, zu dem eine breite, mit einem Teppich bedeckte Stufe hinaufführte. Tec stellte einen Fuß darauf. »Leb wohl, Tec. Wir werden dich vermissen.« Die Führerin hatte Tränen in den Augen. Er nickte jedem der Menschen stumm zu, beneidete sie um ihr protoplasmisch intensives Erleben, ihre natürlichen Geburten und Tode und Lieben, die er nie erfahren würde. Ich verdiene zu sterben, dachte er. Ich beneide die Roiiss um ihr Streben und ihre Unsterblichkeit und die Menschen um ihre fleischlichen Leidenschaften. Ich bin ein ganzes Universum älter als dieser arme Y - I , aber viel habe ich nicht gelernt, und ich bin nicht besser als er. Es wird Zeit, daß ich abtrete. Er trat auf das Podest. Der Y-I verbeugte sich. »Leb wohl, Tec. Jede Reise beginnt mit einem Schritt.« Die durchsichtigen Wände der Vitrine schlossen sich um Tec, und er stand völlig regungslos. Die Führerin legte eine Hand auf den winzigen Steuermechanismus und führte die andere an die Lippen. Gleichzeitig betätigte sie den Schalter und streckte die andere Hand mit einem Kuß nach Tec aus. Der Raum rings um ihn schien dunkel zu werden. Ein mächtiger Druck füllte sein Denken und lähmte seine Glieder. Die Empfindung war ihm vertraut. Fühlt sich so der Tod an? Man hat mir den Tod versprochen. Sie würden doch n i c h t . . . oder doch? Leere?
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Teil II
Stille. Sie schien ein Teil von ihm zu sein und erfüllte ihn mit Leere. Er entdeckte, daß er sich bewegen konnte. Vorsichtig, die Augen noch geschlossen, berührte er seinen Körper und las die Sensordaten. Biegsame Metallhaut. Er war nach wie vor ein Roboter. Und lebendig. »Verdammt.« Die Holladays haben ihren Fehler entdeckt, wenn es ein Fehler war, dachte er. Man hat mich in die Leere gestellt, statt mich stillzulegen. Jetzt müssen sie noch einmal versuchen, mich zu töten. Er öffnete die Augen in Dunkelheit, trat vor und blieb stehen, weil seine Sensoren ihm mitteilten, daß er einen Zentimeter von der Vitrinenwand entfernt war. Er schaltete auf Infrarotsicht um. Die Wände waren nach wie vor durchsichtig; nur der Raum, in dem die Vitrine stand, war dunkel. Die Holladays waren fort, in derselben Ecke stand noch immer eine menschenähnliche Erscheinung. »Y-I 336, mach das Licht an und sag den anderen, sie sollen zurückkommen«, meinte Tec. »Es ist ihnen ein Fehler unterlaufen.« Keine Antwort. Vielleicht war die Vitrine schalldicht. Tec versuchte es telepathisch. - Y-I 336, kannst du . . . Er hatte das Gefühl, daß sein Gedanke nicht ankam, aber als 27
er zu senden aufhörte, trat die Gestalt aus der Ecke heraus. Gleichzeitig erfüllte schw ches Licht den Raum, und Tec sah, daß die Gestalt einen du klen Hut mit breiter, tiefgezogener Krempe trug. Ein Umhang aus schwerem, dunkelblauem Stoff umwallte den erstaunlich hochgewachsenen, hageren Körper, der in einem schwarzen, uniformähnlichen Anzug steckte. - Wer sind Sie? fragte Tec. Noch immer kam keine Antwort, aber Tec fiel auf, daß im Hutschatten des Fremden der hart wirkende Mund einen zynischen Zug hatte. Tec versuchte die ande en Gesichtszüge zu erkennen. Das Gesieht schien von aristokratisch-gleichmäßigem Schnitt zu sein, mit hohen Backenknochen und schwerlidrigen, schiefergrauen Augen. Schwer zu agen, wie alt der Mann war, ohne in ihn einzudringen. Die Haut war von kleinen Fältchen und Narben überzogen. Er war so dunkel wie nur irgendeiner der dunkelhäutigen Holladays, denen er ein wenig ähnlich sah. - Sind Sie ein Holladay? fragte Tec. Noch immer erhielt er keine Antwort. Das mußte ein Angehöriger der Familie sein, der zur offiziellen Verabschiedung zu spät gekommen war. Tee klopfte an die durchsichtige Vitrinenwand und zeigte auf das Schloß, wobei er seine Wahrnehmungszentren Dissonanz anzeigen ließ. Warum habe ich auf das Schloß gezeigt, statt auf den Stillegungsmechanismus? fragte er sich, seine Affektivzentren und seine ewige Neugierde zum milliardstenmal verfluchend. Der Fremde vor der Vitrine verschränkte die Arme auf der Brust und sah Tec unter halbgeschlossenen Augenlidern an. »Lassen Sie mich raus!« schrie Tec mit deutlichen Lippenbewegungen. - Warum? Dadurch, daß dieses telepathisch gesendete Wort so unerwartet kam, öffnete sich Tec, um noch mehr zu erfahren, und spürte augenblicklich, daß sein Gehirn mit enormer Schnelligkeit abgetastet wurde. Entsetzt über seine Sorglosigkeit, sperrte Tee sein Gehirn gegen alles außer oberflächlichster Telepathie. Zuerst die Roiiss, und jetzt dieser Mann, dachte er. Meine Ab28
wehr muß geschwächt sein. Ich muß . . . - Also, Roboter, warum willst du hinaus? - Ich will erfahren, warum ich in die Leere gestellt und nicht abgeschaltet worden bin, wie man es mir versprochen hatte, sagte Tec. - Vermutlich dachte jemand, du könntest eines Tages noch von Nutzen sein. - Von Nutzen wozu? - Spielt keine Rolle. Du bist nicht von Nutzen. Ich habe dich abgetastet, und du bist ganz offenkundig eine Maschine, bei der Wissen, Intelligenz und Fähigkeiten begrenzt sind. Dein intaktes Nervensystem oder seine Bestandteile wären bei keinem anderen Roboter verwendbar, weil deine Ausstattung von den Roiiss stammt und weder nachgebaut noch repariert werden kann. Es hatte keinen Sinn, dich vor dem Tod zu bewahren. - Wer sind Sie? Haben Sie mich aus der Leere geholt? - Du stellst zu viele Fragen, Roboter. - Ich bin neugierig. - Das ist dein Problem. Ich muß es herausbringen, dachte Tec. Er wird den richtigen Schalter berühren, dann bin ich tot und werde nie erfahren, wer er ist oder warum ich zeitweilig in die Leere gestellt und nicht stillgelegt worden bin. - Kann ich wenigstens Ihren Namen erfahren? Sie sehen aus wie ein Holladay, und von den anderen habe ich mich verabschiedet, also . . . - Ich heiße Yodin. Nicht, daß dir das etwas nützen wird. - Aber warum sind Sie hier? Was machen Sie? Das Licht im Zimmer trübte sich. Die Mundwinkel des Fremden bogen sich ein wenig herab. - Haben Sie das Licht gedanklich beeinflußt? fragte Tee. - Vielleicht bin ich ein Zauberer. Ich kann vieles. - Ich glaube nicht an Zauberei, sagte Tec. - Ich warte darauf, daß mir etwas erklärt wird, denn bis jetzt hat die Wissenschaft mich noch nicht im Stich gelassen, und bis jetzt habe ich noch keinen Zauber gesehen. Können Sie beschwören, daß es bei Ihnen anders war? 29
-Vielleicht nicht, sagte Yodin. - Ein interessanter Punkt. Ich habe die Roiiss abgelenkt, dachte Tec, und als der Y-I ihnen bewies, daß ich nutzlos war, ließen sie mich laufen. Dieser Mann wird das nicht tun. Er wird mich vernichten. Vielleicht kann er mit Denkkraft elektronische Strukturen zerstören und den Leere-Schrank in eine Hinrichtungskammer verwandeln. - Ich glaube nicht, daß Sie mit Ihrem Denken so etwas können, sagte Tec mit Überlegung. - Ich wette, Sie können diesen Schrank nicht mit Ihren Gedanken aufsperren. - Ich wette nie, sagte Yodin. Schachmatt, wie es bei diesem Spiel der Terraner hieß, dachte Tec. Ich bin in die Ecke gedrängt und werde vom Spielfeld genommen, aber ich will nicht. Jetzt will ich nicht sterben! - Da du dich nach dem Tod sehnst, fuhr Yodin achselzuckend fort, - sollst du ihn haben. Ich entschuldige mich dafür, ihn aufgehalten zu haben, um festzustellen, ob du von Nutzen sein könntest. - Warten Sie! - Wozu? Ist es nicht das, was du wolltest? - Ich habe es mir anders überlegt. Ich will jetzt nicht mehr stillgelegt werden. Irgend etwas geht vor, und ich will wissen, was es ist. Um Yodins Lippen spielte ein grimmiges Lächeln. - Aus dem Wunsch eines dummen Roboters, etwas zu erfahren, können sonderbare Dinge entstehen, sagte er. - Ich glaube nicht, daß ich noch einen dummen Roboter haben möchte, der auf meine Pläne neugierig ist. Hast du solche Angst vorm Sterben, Tec? - J a , aber . , . - Du bist ein Narr. Der Tod ist einfach der Tod. Nichts ist unsterblich. - Außer das Nichts, sagte Tec und fragte sich, warum er den Y-I-Roboter zitierte, es sei denn deshalb, weil auch dieser hatte zuviel wissen wollen. Und wo war der Y-I überhaupt hingekommen? - Dann kehre ins Nichts zurück, sagte Yodin. - Sie sind grausam, sagte Tec verzweifelt, als Angst seine Af30
fektivzentren durchwühlte, die neu erfundenen Teile seines Nervensystems, mit denen er den Protoplasma-Wesen, deren Diener er sein sollte, ähnlicher war. - Sie wecken mich aus der Leere und sagen dann, Sie wollen mich töten. Sie tun geheimnisvoll, deuten aber Pläne an . . . - Roboter, die Fäden meiner lebenslangen Vorbereitung laufen jetzt zusammen. Der geheime Pfad zum Ziel hat Bestätigung gefunden, der Kurs ist gelegt, und meine Pläne kann nichts mehr stören. Es wäre amüsant, dich in die Leere mitzunehmen und später als meinen Sklaven zu wecken, aber nachdem ich dich untersucht habe, halte ich es für klüger, dich zu beseitigen. Es gibt nur einen Weg zu meiner Rettung, dachte Tec, wenn ich ihn beschäftigen kann. - Yodin, verwenden Sie mich. Befreien Sie mich. Lassen Sie mich bei Ihren Plänen mitwirken, und ich verspreche, Ihnen nicht im Weg zu stehen. Zu seiner Überraschung lachte Yodin. - Für den Partner, zu dem ich in Kürze muß, wäre es vielleicht sogar belustigend. Aber nein, Tec, ich vermute, du wärst im Weg. Du mit deiner ewigen Neugier, ohne daß Kraft dahinterstünde. Durch Tecs Schaltungen lief eine unheimliche Erkenntnis, als er langsam die Bruchstücke des Gespräches zusammensetzte, vor allem die Bedeutung von Yodins letztem Satz, der sogar auf telepathischem Weg mit Enttäuschung gesprochen worden war. Yodin muß sich gewünscht haben, daß ich stark wäre, wert, daß man zu mir aufsieht, wert, benutzt zu werden, dachte Tec erstaunt. Ich glaube, er hat mich wider das eigene Urteil geweckt, und obwohl er weiß, daß er mich töten sollte, schwankt er. Ich glaube, er hat mich nicht deshalb geweckt, weil ich gebraucht werde, sondern weil er mit mir reden wollte, so, als empfinde er - Zuneigung? Warum? Wer bin ich für Yodin? - Du wehrst dich nicht gegen die Verurteilung, sagte Yodin verächtlich. - Sogar deine Neugier ist etwas Kleines. Du würdest nie schätzen können, was ich getan habe, um den Triumph zu sichern, der jetzt bevorsteht. Das ist es, dachte Tec. Er hat von mir gehört, er bewunderte 31
mich als einen Roiiss-Roboter und wollte mit mir prahlen, aber nachdem er mich unter die Lupe genommen hat, glaubt er nicht mehr, daß sich die Mühe mit mir lohnt. Trotzdem zögert er. Sein Stolz, das ist die wunde Stelle. - Erzählen Sie mir von Ihrem großen Ziel, Yodin. - Nutzlos. Du würdest nicht begreifen. Du weißt nicht einmal, was der Hyperraum in Wirklichkeit ist. - Wollen Sie ihn auf andere Weise nutzen als auf die übliche, Schiffe von einem Teil des Universums rasch in einen anderen zu transportieren? - Du fängst an, mich zu langweilen, Tec. - Bitte, antworten Sie, Yodin. Ich bin auch ein denkendes Wesen und habe ein Recht auf Befriedigung meiner Neugier, damit ich in Ruhe sterben kann. - Du nimmst dir zuviel heraus. Du vergißt, daß du nur eine Maschine bist. Es wird Zeit, dich abzuschalten. - Nur die eine Frage, flehte Tec. - Sagen Sie mir, was der Hyperraum in Wirklichkeit ist. - Der Hyperraum? Das Fundament der Ewigkeit birgt viele Geheimnisse. Dann veränderte sich Yodins Gesicht. Er sah nicht mehr Tec an, sondern schien ins Unendliche zu starren. Es würde sonst keine Chance mehr geben. - Da! rief Tec. - Hinter Ihnen? - Was? sagte Yodin und drehte sich zur Dunkelheit herum. Alle denkenden Wesen haben Angst vor dem Unbekannten, das sich ungesehen anschleicht, so daß man sogar einen intelligenten Terranen einen Augenblick lang narren kann, und mehr als diesen einen Augenblick brauchte Tec nicht. In diesem einen Augenblick nahm Tec die ganze Kraft zusammen, die er in seinem Roiiss-Roboterkörper finden konnte, und warf sich gegen die Vitrinenwand. Als die Vitrine explodierte, sprang Tec auf den Boden hinunter und packte Yodins Arm. »Da ich es mir mit dem Sterben anders überlegt habe, Yodin, werden Sie mir jetzt sagen, was eigentlich vorgeht.« Yodin zog nur die Schultern hoch. 32
»Jetzt ist es schon viel zu spät«, sagte er. Seine Sprechstimme klang so tief wie gedämpfter Zorn. »Du hast dich als ganz lächerliche Maschine erwiesen, nach all den Jahren, in denen ich mich gefragt habe, was du wirklich bist.« Tec verstärkte den Griff an Yodins Armen, aber der Mann zuckte nicht vor Schmerzen zusammen und blickte nur verächtlich auf Tec hinunter. Yodin war einen Kopf größer. Es zeigte sich rasch, warum Yodin verächtlich reagieren konnte. Den Sensoren Tecs zufolge läuteten im ganzen Holladay-Tower Unterschall-Alarmanlagen, ausgelöst ohne Zweifel durch das Zertrümmern der Vitrine. Tec lief auf die Freiterrasse hinaus und zerrte Yodin mit sich, was mühelos gelang, weil Yodin sich nicht wehrte, während Tec keine Zeit hatte, sich darüber Gedanken zu machen. »Was hat das alles zu bedeuten?« rief Tee. »Sagen Sie es mir, oder ich schalte meine Antigrav-Anlage ein und nehme Sie . . . « »Du kannst nirgendwo hin. Du hättest dich von mir abschalten lassen sollen. Vielleicht war das als Wohltat von mir gemeint.« Zornig nahm Tec erneut seine Kräfte zusammen und hieb mit ebensoviel Kraft wie beim Ausbruch aus dem durchsichtigen Gefängnis auf Yodins Denkabschirmung ein, obwohl er noch nie zuvor versucht hatte, in ein gesperrtes Menschengehirn einzudringen. Es war nicht höflich, und er hatte noch nie zuvor Anlaß zu einem solchen Verstoß gegen die Etikette unter denkenden Wesen gehabt, obschon er stets der Meinung gewesen war, es müsse ihm gelingen, wenn er seine ganze Kraft aufwenden würde. »Hör auf, das zu versuchen, Roboter, sonst verbiegst du dir die eigenen Denkschaltungen. Meine Sperre kann niemand durchdringen.« »Yodin, geben Sie mir Zugang zu Ihrem Wissen. Lassen Sie sich abtasten . . . « »Nein. Ich überlasse dich deinem Schicksal. Vielleicht bist du eine Weile Belustigung für die Terraner, bevor sie entweder dein Metall verschrotten oder dich wieder ausstellen. Oder sie lassen dich am Leben und Handarbeit verrichten. Du könntest wieder 33
Gärtner werden. Das wäre doch passend, nicht wahr?« Tec setzte die geistige Bombardierung des fremden Gehirns fort, aber Yodin schob Tec mühelos weg und ging zur Brüstung. Er sprang mit der Behendigkeit eines jungen Mannes hinauf und stand im schwachen Licht, das aus dem Hausinneren drang. Hinter ihm war die Dunkelheit verdickt, denn Wolken füllten den Nachthimmel, und Nebel verbarg alles darunter. Tec erinnerte sich, wie weit der Holladay-Tower in das Wetter hineinragte. Yodin lachte rauh. »Denk an mich, Tec, während du deine Blumen pflegst und Expedition A das leistet, wozu du zu schwach bist.« Er warf den Umhang über die Schulter zurück und zog den breitkrempigen Hut tiefer in die Stirn. Sie konnten beide im Haus laute Stimmen näher kommen hören. Tec verbeugte sich mit der Hoffnung, Yodin werde an seine Kapitulation glauben. »Wir müssen Lebewohl sagen«, erklärte Yodin. Tec schleuderte mentale Energie mit einem Stoß hinaus, der jedes Normalgehirn aufgesprengt hätte. Zunächst kam es ihm vor, als sei er gegen eine undurchdringliche Festung geprallt, aber dann erkannte er, daß er eine kleine Bresche geschlagen hatte. »Aufhören!« sagte Yodin. »Nicht - mehr . ..« Tec konnte den Spalt nicht weit genug öffnen, um in dieses Denken einzudringen, aber der Spalt ging doch etwas auf, so daß Tec von der Kraft darin etwas spürte. Yodin schrie auf und sprang rückwärts von der Brüstung. »Antigrav einschalten!« schrie Tec, während er hinstürmte. Bevor er hingelangte, wurde er auf die Steinplatten geschleudert, als Roboterwachen mit zischenden Betäubungspistolen aus dem Haus hetzten. Tec, der die Denkabschirmung verstärkt hatte, blieb bei Bewußtsein. »Ein Mensch!« brüllte er und zeigte zur Brüstung. »Er ist hinuntergesprungen! Ich muß ihn retten!« »Bleib, wo du bist, Roboter. Wir sehen selbst nach.« 34
Sie müssen es tun, dachte Tec. Terranische Roboter gehorchen ihren Primärbefehlen, wenn sie erfahren, daß denkendes Protoplasma in Gefahr schwebt. Drei von ihnen eilten zur Brüstung, schauten hinunter und ichwebten mit Antigrav am Holladay-Tower außen hinab, während die übrigen ihre Waffen auf Tec gerichtet hielten. Sie waren fremdartig wirkende Exemplare - schwebende Zylinder mit ausfahrbaren Fortsätzen und undeutlich humanoiden Köpfen, die eine gestelzt klingende Abart der galaktischen Grundsprache verwendeten. Tee konnte sich nicht erinnern, solche Wachen schon einmal gesehen zu haben. Die drei anderen kamen zurück. »Hier ist weder auf dem Boden noch sonstwo ein Mensch zu finden. Entweder hast du gelogen, oder der Mensch war zu Antigrav-Flug imstande und hat sich entfernt. Das wird untersucht werden.« Es schien keine Rolle zu spielen, welcher der Roboter das Wort ergriff; mutmaßlich waren sie also getrennte Teile eines einzigen, mit dem Museumscomputer verbundenen Gehirns. »Wer und was bist du?« fragten sie. »Du mußt unsere Fragen beantworten.« »Ich denke gar nicht daran«, gab Tec zurück. »Es ist eure Aufgabe, auf die meinen zu antworten. Seid ihr nicht Museumswächter?« »Doch. Du hast eine Vitrine zerstört.« »Ihr Narren, das Ausstellungsstück war ich!« Sie schienen verwirrt zu sein und begannen sich zu wiederholen, »Du hast eine . . . « »Ach, geht doch zum Teufel!« knurrte Tec. Er stand auf und bürstete zum zweitenmal den Staub der Terrasse von seinem goldglänzenden Körper. Die Wachen fürchtete er nicht, weil noch keine Betäubungspistole Terras, die er kannte, stark genug gewesen war, ihn ernsthaft außer Gefecht zu setzen, solange er «eine Abwehr aufrechterhielt. Er ging auf die Tür zu. »Ich rufe die Führerin der Föderation an - sie ist eine alte Freundin von mir - und beschwere mich, weil das alles so nicht 35
vorgesehen war,« »Bleib, wo du bist!« riefen die Wachen. »Du wirst in Gewahrsam genommen und mußt unsere Fragen beantworten!« Als Tec ihnen den Rücken zudrehte und ins Haus ging, traf ihn die volle Wucht ihrer Waffen. Kurz bevor er das Bewußtsein verlor, konnte er sich noch eine Frage stellen. Wie lange bin ich in der Leere gewesen?
Das Bewußtsein kehrte langsam zurück, und die Toten sind nicht bewußtlos. Dem Zustrom der Sensordaten zufolge lag er in einem Plastikstuhl; die Füße waren auf Vibrierendes gebettet, das ein scharrendes, grollendes Geräusch von sich gab, wie ein defektes Ventilsystem. Sein Kopf war oben kühl, seine Beine waren warm, und der Gruchssinn war beschäftigt mit Blumendüften. Mit Anstrengung öffnete Tec halb die metallenen Lider und starrte hinauf zu grünen Blättern in der Form abgerundeter Dreiecke, jedes ungefähr fünf Zentimeter lang, zwei Zentimeter breit, mit gezahnten Rändern, an der Unterseite mit feinen Härchen besetzt. Die Blätter hingen an braunen Zweigen, dazwischen waren rote Früchte zu sehen. »Bei allen Drachen von Roiissa!« flüsterte er und schloß die Augen, um sich konzentrieren zu können. Es war April gewesen, als er in die Stillegungskammer getreten war. Dem reifen Apfel nach, den er eben gesehen hatte, mußte es Frühherbst sein, und er befand sich offenkundig nicht im Holladay-Tower. Warum war er durch die ganze Innenstadt zum Central Park gebracht worden, dem einzigen Ort in Manhattan, wo es früchtetragende Apfelbäume gab? Er öffnete die Augen ganz und setzte sich auf. Hinter dem Laub der Apfelbäume war eine hohe Mauer zu sehen, bewachsen mit Ranken, an denen purpurrote Trauben wuchsen. Zwi36
schen ihm und der Mauer erstreckte sich ein wunderschöner Garten, wo Beete mit Iris, Frühastern und dunkelroten Rosen zwischen schmalen Gehwegen aus kurzgeschorenem, dichtem Rasen und niedrigen Büschen mit weißen Blüten lagen, die er nicht erkannte. Seine prickelnden Füße lagen auf einem großen runden Schemel aus verfugten Platten eines harten, aber organischen Materials. Es war der Schemel, der vibrierte und die sonderbaren Geräusche erzeugte. Vielleicht ein Gerät, das ihn sanft wecken sollte. Nach seiner Meinung stand ihm das auch zu, nachdem er fast tödlich wirkenden Betäubungspistolen ausgesetzt gewesen war. Er hatte die Füße eben ins Gras gestellt, als er eine Bewegung wahrnahm. Hinter dem Schemel lag ein kleiner Teich, auf dem rote und weiße Wasserlilien über den aufleuchtenden Leibern kleiner Goldfische schwammen. Auf einem glatten Stein neben dem Teich kauerte sprungbereit ein Wesen, das so schwarz war wie der Stein. Ein schwarzes Vorderbein tauchte ins Wasser und führte einen wild zuckenden Fisch zu einem Maul mit scharfen Zähnen. Das Wesen sprang auf den Schemel, fauchte Tec drohend an und begann den Fisch zu zerlegen. Dann fügten sich die wahren Dimensionen des Wesens in Tecs Denkvermögen zusammen, und er lächelte auf eine pelzschimmernde, blauäugige, aber ganz gewöhnliche terranische Hauskatze hinunter, ein von der Natur elegant angelegtes Wesen und wenn schon nicht für Goldfische, so doch für Roboter völlig ungefährlich. Plötzlich begann der Schemel zu schwanken. Die Katze fauchte Tec an, als trage er die Schuld, sprang mit gesträubtem Pelz auf den Boden und huschte unter einen Strauch. Tec stand auf, denn der Schemel hatte plötzlich zu zischen begonnen und ließ schuppenbedeckte Klauenfüße erkennen. Mühsam und unter starkem Schnaufen drehte er sich herum. Die Wölbung war vorne ausgebuchtet. Darunter schob sich ein großer Schnabelkopf an einem dicken, ledrigen Hals hervor. Die alten, runzligen Lider klappten ein paarmal auf und zu, der breite, zahnlose Mund öffnete sich. 37
»Gruß«, sagte er. Tec schoß mit Antigrav in die Höhe und sah hinter der Gartenmauer eine Landschaft von Bäumen und Gras, in der viele terranische Pflanzenfresser weideten. Das ging hinunter bis zum Ufer eines kreisförmigen Sees inmitten dieses weiten, kreisförmigen Tales, das umgeben war von einem hohen, oben abgeplatteten Bergzug. Das war nicht Manhattan. Tec spähte in die Ferne. Der Horizont war viel zu kurz. Das war nicht die Erde! Tec stieg höher und blickte hinaus, sah nur Wildnis, runde Seen und bewaldete Berge, wußte aber, daß dieser Planet zu klein war, um eine natürliche Atmosphäre zu besitzen. Alles, was er sehen konnte, mußte künstlich sein - das Wasser hergestellt oder antransportiert, die Vegetation angepflanzt. Tec forschte in der Tiefe und fand im Planeteninneren Maschinen, offenbar Gravitationsanlagen, die dafür sorgten, daß die Atmosphäre für dieses Wildnisreservat erhalten blieb. Er bemerkte nicht, daß er sich rückwärts bewegte, bis er gegen etwas Hartes prallte. Er drehte den Kopf und sah, daß er eine Nachbildung des Holladay-Tower hoch oben gerammt hatte. Unter ihm befand sich ein Komplex weißer Gebäude, angeschlossen an den Garten. Tec begann das hohe Bauwerk von unten her sorgfältig abzutasten. Seine Affektivzentren gerieten in Wallung, als er die Daten verarbeitete. Er sank tiefer hinunter. Das war keine Nachbildung. Allein das Alter der Mauern paßte nur zum Original, versetzt auf diesen namenlosen, künstlich konservierten Planeten. »Tec - komm zurück.« Die gesprochenen Worte klangen leise, und Tec fühlte eine schwache telepathische Berührung, so als hätte er sie in seinem Inneren hören können, wenn er die Sperre gelockert hätte. Er blickte auf den Garten hinunter und sah, daß das schreckenerregende gepanzerte Wesen nichts anderes war als eine übermäßig große terranische Schildkröte, offenkundig zu hoher Intelligenz mutiert. In diesem Augenblick fegte ein Mann im weißen Anzug aus der in den Garten führenden Tür des ersten weißen Gebäudes 38
und stieg mit Antigrav zu Tec hinauf. Der Anzug ragte wie eine enge Kapuze über Hals und Kopf hinaus; er betonte die Kraft seiner Schultern und die leicht o-förmigen Beine. Der Mann rief laut, mit Sprechstimme ebenso wie telepathisch. »Warte, Tec. Warte, Bitte. Wir wollen mit dir reden.« Tec sah, daß der Anzug des Mannes Pelz war und Bestandteil seines Körpers. Sie trafen sich mitten in der Luft, und der Humanoid streckte seine Hand aus, die Tec drückte. Das Wesen mußte lange genug mit Menschen zusammengewesen sein, um diese Angewohnheit übernommen zu haben, dachte Tec; dasselbe galt für einen deutlich terranischen Akzent der galaktischen Grundsprache. Er trug außer einem Antigrav-Gürtel keine Kleidung, denn sein weicher, dicker Pelz war langhaarig und seidig und verdeckte am Schritt wie ein dünner Schleier die Wölbung seiner Genitalien. Die unbehaarte Haut von Händen und Gesicht war von der Farbe dunkler Jade, und das Gesicht war breit, mit stumpfer Nase, runden Augen und einem breiten, freundlichen Mund. »Ich bin Freyn«, sagte er. »Gehen wir wieder in den Garten zu Symak. Er haßt das Antigrav-Fliegen. Es tut uns leid, daß wir entweder beschäftigt waren oder geschlafen haben, als du aufgewacht bist - die Terra-Roboter brauchen viel länger, um sich von voller Betäubungswirkung zu erholen.« Ohne auf Tecs Antwort zu warten, sank Freyn in den Garten hinunter und setzte sich auf den Panzer der Schildkröte. Tec hatte den Eindruck, man erwarte von ihm, daß er sich höflich zeige und wieder in dem Sessel niederließe, was er auch tat. In der Verlegenheitspause nickte Tec den beiden Terranern höflich zu, sie nickten höflich zurück. »Wie fühlst du dich?« fragte Freyn. »Recht gut, danke«, sagte Tec. »Freyn ist dein Arzt«, sagte die Schildkröte unverblümt. »Tatsächlich?« Die Vorstellung erschien lächerlich. »Doktor Freyn?« »In der Regel hat außer Führern und Kapitänen niemand mehr als einen Namen oder Titel«, erwiderte Freyn. »Die Holladays verwenden natürlich beide Namen.« 39
»Ist das ihr Planet?« fragte Tec. Er war zu der Überzeugung gelangt, daß man ihn in ein Sanatorium gebracht hatte, das den Holladays gehörte. »Sie haben ihn der Föderation geschenkt, zusammen mit ihrem Museum - dem Holladay-Tower - und ihrem berühmtesten Ausstellungsstück hier im Terra-Genter, nämlich dir«, sagte die Schildkröte. »Das hast du ja schön verpatzt!« »Schon gut, Sam«, sagte Freyn. »Tec muß erst noch erklären, wie und warum er aus der Vitrine herausgekommen ist, obwohl alle dachten, er sei stillgelegt.« »Das dachte ich auch«, antwortete Tec. »Ich bin in der Vitrine aufgewacht und brach aus, nachdem Yodin das Leerefeld abgeschaltet hatte . . . « »Yodin?« Tec beschrieb Yodin sorgfältig, weil ihn die beiden verständnislos ansahen. »Als er vom Holladay-Tower sprang, sagten die Roboter, sie wollten versuchen ihn zu finden.« »Der ganze Planet ist nach einem Fremden abgesucht worden«, sagte Sam. »Eine solche Person gibt es nicht. Du mußt eine Halluzination gehabt haben.« »Komm mit uns ins hiesige Krankenhaus«, sagte Freyn freundlich. »Wir sorgen für defekte Roboter ebenso wie für Protoplasmen, weil in der Regel viele Touristen das Terra-Center besuchen, wenngleich es jetzt vorübergehend geschlossen ist.« »Ich will nicht in ein Krankenhaus«, sagte Tec. »Ich will wissen, was vorgeht. Außerdem gibt es keinen Arzt, der einen Roboter wie mich behandeln kann.« Freyn lachte. »Du bist schon behandelt worden - von meiner schönen Frau, die sich über den Erfolg freuen wird, wenn sie vom FöderationsCenter zurückkommt.« »Über die Halluzinationen wird sie sich nicht freuen«, murrte Sam. Tec ging nicht darauf ein. »Wie soll Ihre Frau mich behandelt haben?« »Ich bin Allgemeinarzt und Makrochirurg, aber Astrid ist Mi40
krobereich-Ärztin und beschäftigt sich mit winzigen Kraftfeldern in lebenden Zellen oder Mikrostrukturen bei Robotern. Sie hilft Patienten, die bei Bewußtsein sein, innerliche Anpassungen vorzunehmen, und tut für die Bewußtlosen, was sie kann. Ich glaube, sie konnte deine Gedankensperre wiederherstellen. Die scheint wieder in Ordnung zu sein. Ich versuche seit einigen Minuten, hindurchzukommen, um deine geistige Verfassung zu prüfen, aber du hast es nicht bemerkt, und ich hatte keinen Erfolg.« »Dann glauben Sie auch, daß ich Halluzinationen hatte«, sagte Tec. »Ja.« »Gibt es niemanden, der Yodin heißt?« »Hat es allerdings gegeben«, schnaubte Sam. »Ein berühmter Ingenieur und Wissenschaftler, praktisch ein Zauberer, was Elektronisches anging . . . « »Das ist er!« »Nur ist Ingenieur Yodin tot«, sagte Freyn. »Was! Seit wann? Habe ich ihn umgebracht?« fragte Tec entsetzt. »Natürlich nicht«, gab Freyn zurück. »Er war alt und so zum Einsiedler geworden, daß ihn kaum jemand zu Gesicht bekam, aber ich habe ihn im Laufe der Jahre ab und zu gesehen - einen zerbrechlichen, weißhaarigen und bärtigen Menschen, der im Antigrav-Stuhl sitzen mußte. Vor einigen Wochen zerstörte er bewußt seine privaten Raumkreuzer, nachdem er eine Botschaft übermittelt hatte, er wolle sterben, weil er zu alt sei, um an dem neuen Projekt teilzunehmen.« »Das ist nicht der Yodin, den ich gesehen habe«, sagte Tec erleichtert. »Ingenieur Yodin war ein großes Geschöpf«, sagte Sam. Er verwendete die Terminologie, die das einschränkende Mann vermied. »Das Letzte, was er tat, bevor er fortflog, um zu sterben, war, den Technikern, die letzte Hand an den Projekt-Computer legten, ein Magnetband mit codierten Anweisungen zu übergeben. Abschließende Pläne, sagte er. Ich wette, daß es eine Karte war, weil niemand sonst eine h a t . . . « 41
»Wir sollen mit Tee nicht über Ingenieur Yodins Großprojekt reden, bis Drake zurückkommt«, sagte Freyn mißbilligend. »Hieß das Projekt Expedition A?« fragte Tec. Sams Unterkiefer klappte herunter, und Freyn schluckte. »Woher können Sie das wissen?« »Meine Halluzination hat es mir gesagt.« Sie wußten offenkundig nicht, was sie sonst mit ihm anfangen sollten, also saß Tec in der Privatbibliothek von Terra-Genter und sah den beiden bei ihrem Nachmittagstee zu. Sie waren liebenswürdig, aber so zurückhaltend, daß Tec außer zwei sehr beunruhigenden Einzelheiten nichts aus ihnen herausbringen konnte. »Ich bin eine ganze Woche lang bewußtlos gewesen?« »Ja. Astrid hat dir viel Zeit gewidmet.« Tec versuchte sich ein Silberpelzwesen mit Jadehänden vorzustellen, das sein Gehirn abtastete. Wenn sie und Freyn sich für Menschen hielten, wie lange war es dann her, seit Tec in die Leere gestellt worden war? Sie wollten es nicht sagen. Sie wollten ihm auch nicht verraten, wo oder was dieser Planet war, wer Drake sei oder wozu Expedition A diene. Das Zimmer hätte in viele Häuser der alten Erde gepaßt, was Tec zu der Vermutung bewog, allzuviel Zeit könne inzwischen nicht vergangen sein. Große Fenster, die auf den Garten hinausgingen, waren von wilden Reben in voller Blüte umrankt. Es gab einen echten offenen Kamin, in dem Scheite aufgeschichtet lagen. An den Wänden standen Regale mit echten Büchern, in einer Ecke ein Schreibtisch, und vor den Fenstern dick gepolsterte, abgenutzte Sessel und ein Sofa um einen kleinen ovalen Tisch aus alter zernarbter Eiche. Zu der schlichten Einrichtung gehörten handgewebte kleine Teppiche auf dem Boden, Töpfe mit rosaroten Geranien auf den Fensterbrettern und ein großes, von Glas umschlossenes Hologramm der Erde auf dem Schreibtisch. Die Tiefensondierung ergab jedoch verfeinerte, unauffällig zugängliche Geräte in einigen Regalen oder in den Wänden, verbunden mit anderen Anlagen außerhalb dieses Raumes und unter ihm. Terra-Center war durchaus nichts Schlichtes, denn die 42
Maschinen und Klinikgeräte in größerer Entfernung waren für Tec neu und fremdartig, was ihn noch mehr verstörte. »Ich bin am Verhungern«, sagte Sam. »Wo ist dieser Robodiener?« »Geduld, Freund«, sagte Freyn. »Ich habe heute früh wilde Heidelbeeren für dich gefunden. Sie sollten bald kommen.« Ein Robodiener von abstraktem Design, wie Tec es noch nie zuvor gesehen hatte, kam mit einem Tablett herein und stellte es auf den niedrigen Tisch. Tec tastete sein Gehirn ab, was aber nichts einbrachte, weil er kein nennenswertes besaß. Freyn stellte einen Teller für Sam auf den Boden, der erfreut schnupperte und sich darauf stürzte. Dann goß er bernsteinfarbene Flüssigkeit in eine echte Porzellan-Teetasse, verziert mit Halbmonden, und griff mit einem Seufzer der Befriedigung nach einem großen Plätzchen. »Hallo, Selena. Wird langsam Zeit, daß du dich sehen läßt«, sagte Freyn, als die schwarze Katze durch die offene Gartentür hereinsprang. Er goß für sie Milch in eine kleine Schüssel. »Selena ist die Herrscherin von Terra-Center, Tec. Sie kommandiert uns alle herum.« »Mrr-nao«, sagte die Katze, mit Milch an den Schnurrhaaren. »Kann sie Galaktisch nicht?« fragte Tec. Sam gluckste spöttisch. Er hatte Heidelbeersaft im Gesicht. »Selena spricht nicht und ist nicht telepathisch, außer auf die Weise, wie Katzen es immer gewesen sind«, sagte Freyn. »Wissenschaftler haben die Gabe einmal bei biogesteuerten Katzen ausprobiert, aber man konnte es mit ihnen nicht aushalten. Die Superkatzen verschwanden alle an einen geheimen Ort, nachdem sie die Menschen aufgefordert hatten, den Rest von Felis domestica in Ruhe zu lassen. Sie erklärten, sie hätten ihren eigenen mystischen Weg gefunden, sich mit dem Universum ins reine zu setzen und einen Sinn im Leben zu finden, aber sie vertraten die Meinung, gewöhnliche Katzen wären glücklicher damit, nichts als Katzen zu sein, zu Hause im Hier und Jetzt.« Selena schlabberte ihre Milch und schnurrte wie ein kleiner Motor bei Höchstleistung. Freyn sah sie bewundernd an und sagte: »Und da ist also Selena, ein Wesen, das wir alle anbeten 43
und das unsere Hingabe ohne die kleinste Spur von Scham oder Bescheidenheit hinnimmt.« »Pa«, sagte Sam, offenkundig; kein Katzenliebhaber. »Sam, manchmal hörst du dich an wie ein Roiiss«, sagte Tec, der trotz seiner Sorgen lachen mußte. »Wie waren sie denn?« fragte Freyn eifrig. »Alles, was wir noch haben, ist die Legende. Und du hast die Drachen aus dem anderen Universum gekannt. Erzähl uns von ihnen, Tec.« »Ich habe eigentlich keine große Lust, Informationen zu geben, bis ich welche erhalte«, sagte Tec, aber als er sah, wie verletzt Freyns gutmütiges Gesicht wirkte, wurde er weich und begann Geschichten von den Roiiss zu erzählen. » . . . und dann gingen sie fort und wollten versuchen, nach Alpha zurückzukehren. Seitdem sind sie wohl nicht wieder gesehen worden.« »Nein«, sagte Sam. »Warum siehst du nicht wie ein Drache aus? Du könntest als Terra-Roboter gelten.« »Das ist ein Beispiel für die konvergierende Entwicklung bei Robotern, wenn es so etwas gibt. Ich bin zwar in einem Universum hergestellt worden, wo es kein menschliches Wesen gab, sehe aber diesen ähnlicher als einem Drachen, weil die RoiissRoboter nach der Totem-Skulptur gebildet wurden, welche die Roiiss seit ihrem Ursprung auf einem bewaldeten Planeten beibehalten hatten. Mit langem Körper, ebensolchen Gliedmaßen und Stromlinienkopf hat ein Roiiss-Roboter bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einem Terraner, aber vergeßt nie, daß ich außerirdisch bin.« »Das wird uns kaum passieren«, meinte Sam. Doch sie schienen sich deshalb keine Sorgen zu machen. Die drei Tiere waren mit dem Essen fertig, und Selena schlief schon zusammengerollt in Freyns Schoß, wo sie wohl die zusätzliche Wärme der Genitalien genoß. Sams Lider wurden schwer, sein Kopf sank auf den Teppich. Freyn lächelte Tec schläfrig an. »Sam ist unser Bibliothekar«, sagte Freyn leise, »Er wird unterstützt von einigen Robotern. Wie du siehst, hat er die Gabe.« »Sie haben vorher schon davon gesprochen. Was ist das?« »Die Gabe von Alpha. Allen denkenden Wesen von Terra 44
wird in der Kindheit beigebracht, nie zu vergessen, wieviel wir den Roiiss aus dem Doppeluniversum verdanken.« »Sie meinen den R-Einschluß.« »So hieß das früher. Jetzt haben Wissenschaftler einen Weg gefunden, die Terraner jede Farbe annehmen zu lassen, die sie wollen, aber Sam und ich ziehen die alte vor.« »Der Yodin, den ich gesehen habe, war dunkel, aber nicht grün«, meinte Tec. Frey schüttelte den Kopf. »Der wahre Ingenieur Yodin soll wie seine Vorfahren grün gewesen sein.« »Wenn Sie glauben, daß ich eine Halluzination hatte, müssen Sie mich für verrückt halten.« »Ich weiß nicht.« In Tees Schaltungen entstand Spannung und störte die Ruhe im Zimmer. Selena öffnete ein blaues Auge und sah Tec an, gähnte und wälzte sich auf den Rücken, die Beine ausgestreckt, das Kinn hochgereckt, damit Freyn den weichen Pelz streicheln konnte. Freyn tat es und begleitete das Kraulen mit leisen Kehllauten. Tec kam zu dem Schluß, daß beide es verstanden, mit Spannungen fertig zu werden. »Ungehemmte Sinnlichkeit«, sagte Tec, der bislang auf nichtdenkende Wesen nicht sonderlich geachtet hatte. »Das ist nicht Teil meines Universums«, fügte er hinzu, mehr zu sich selbst als zu Freyn. »Ist Sinnlichkeit nicht Teil jedes Universums, Tec? So sehr wie ein Produkt seiner Roboterentwicklung?« »Woher soll ich das wissen? Ich beneide euch Wesen aus Fleisch und Blut um euer intensives Leben, eure sinnliche Verzauberung durch das Sein an sich.« »Davon mußt du auch etwas besitzen, sonst könntest du dich nicht so ausdrücken«, sagte Freyn heiter. »Willst du uns arme Protoplasmen, die wir nur auf Zeit da sind, nicht gernhaben? Kannst du dich unserem Universum nicht anschließen?« »Ich kann das Leben niemals so erfahren wie ihr«, sagte Tec bitter. »Ihr verlockt mich, mit euch zu gehen, aber Gefühlsbindungen werden irgendwann einmal gelöst. Ich werde mit dem 45
Verlust fertig, und jedesmal, immer wieder, weiß ich, daß ich nur ein Roboter bin.« Freyn kraulte Selena eine Weile und starrte traurig vor sich hin. »Nur ist ein großes Wort, vielleicht das falsche. Wir können dein Leben auch nicht verstehen - die ungeheuren Zeiträume. Gleichgültig, wie sehr wir uns bemühen, einander und unser Sein zu erfahren, gegen dich - und deine Herren, die Unsterblichen - führen wir das Leben von Eintagsfliegen.« »Wie alt sind Sie, Freyn?« »Wir Terraner alter Abstammung leben nach deinen Maßstäben nicht lange. Meine Astrid ist erst zweiunddreißig. Stell dir das vor - ihre ersten zweiunddreißig Jahre! Ich habe die erste Jugend hinter mir, wie ich mit Stolz sagen darf.« »Wie lange ist das?« . »Die erste Jugend endet mit tausend Jahren . . . « »Tausend Jahre! Als ich mich stillegen lassen wollte, lebte kein Terraner länger als einige Jahrhunderte!« »Hm, ja . . . « »Bitte, sagen Sie es mir, Freyn. Wie lange war ich in der Vitrine?« »Kapitän Drake hat uns strenge Anweisung gegeben, also darf ich dir noch nichts sagen.« »Laß mich raten«, sagte Tec. »Drake ist Kapitän von Expedition A.« »Du meine Güte, Tec, du hättest eigentlich nicht zu Bewußtsein kommen sollen, bis Drake heute erscheint.« »Ihr habt mich draußen unter den Apfelbaum gesetzt. Ich hätte aufwachen und Terra-Center ganz verlassen können.« »Auf diesem Planeten kann man nirgendwo hin. Nur hier in Terra-Center gibt es denkende Wesen, von denen du etwas erfahren kannst, und ohne Raumschiff kommst du vom Planeten nicht fort.« »Jetzt nähert sich aber eines«, sagte Tec. »Ich habe eben ein Schiff im Hyperraum nicht weit von diesem Sektor entdeckt.« »Wie kannst du im Hyperraum etwas wahrnehmen?« »Ich weiß nicht. Manchmal kann ich es. Da - ist es . . . « 46
Sam wurde wach und knurrte: »Schiff ist da.« Freyn lachte leise. »Sam ist unser Warnsignal - er weiß immer Bescheid, wenn ein Schiff in den Normalraum eintritt, um hier zu landen, aber mit dir scheinen wir einen noch besseren Detektor zu haben, Tec.« Da das Schiff jetzt im Normalraum war und rasch auf die Oberfläche des Planeten zuflog, versuchte Tec zu sondieren, aber die Abschirmung war so stark, daß er nicht erkennen konnte, wie viele Wesen sich an Bord befanden. Auf Freyns Gesicht war ein verzückter Ausdruck erschienen, als lausche er unhörbaren Worten. »Astrid freut sich über dich«, sagte er. »Ich will sie begrüßen gehen.« *; »Ich möchte mitkommen«, sagte Tec, denn ein kraftvoll telepathisches Gehirn hatte eben versucht, seine Sperre zu durchdringen. Ein seltsames Gehirn, möglicherweise feindselig und nicht menschlich. »Du bleibst besser hier«, sagte Freyn und legte Selena in Tecs Arme. »Paß auf sie auf. Oder umgekehrt. Ich komme wieder.« Freyn lief leichtfüßig in den Garten hinaus, ganz wie jeder, der Freude an seinem Körper hatte. Tec beobachtete ihn und sah, daß er an einem Rosenstrauch stehenblieb, um eine vollerblühte Knospe zu pflücken und entzückt daran zu riechen, bevor er Antigrav einschaltete und über die Gartenmauer segelte. Die Luftschleuse des herabsinkenden Raumschiffs ging auf, und Freyn flog hinein. Es war eines der klassischen Föderationsschiffe, beispielhaft für die Sentimentalität der Terraner, die darauf Wert legten, daß alle Raumschiffe der Linie so konstruiert wurden, daß sie aerodynamisch vollkommen wirkten und prachtvoll glänzten. Beides war für Hyperraum-Durchgang oder die einfachen AntigravManöver beim Flug in der Atmosphäre eines Planeten nicht notwendig. Bald verschwand das Schiff hinter den Bäumen. »Nicht zu verstehen, wieso diese Ehe so gut hält. Sie ist so jung.« Sam verfolgte eine verirrte Blaubeere auf dem Teppich. Als Sam sie einholte, mußte Tec lachen, und Sam sagte: »Ich 47
dachte, Roboter können nicht lachen.« »Ich bin so gebaut worden, daß ich emotionell protoplasmischen Wesen ähnele, damit ich ihre Jungen unterrichten und versorgen konnte.« »Drachenjunge, nicht Terraner.« »Ich bin dahintergekommen, daß kein so großer Unterschied besteht zwischen jungen Drachen und jungen Menschen.« »Stell Terraner mit Menschen nicht auf eine Stufe«, sagte Sam gereizt und zog die Nase hoch. »Das ist nicht höflich. Intelligente Wesen bemühen sich, nicht die Gattungsnamen der verschiedenen intelligenten Terraner zu erwähnen.« Als Sam den Kopf schwerfällig hin und her schwenkte, um seine Mißbilligung zu bekunden, fühlte Tec sich lebhaft an manche Dinosaurier erinnert, die er gekannt hatte. Dann fiel ihm ein, daß Schildkröten schon vor den Dinosauriern dagewesen waren und sie überdauert hatten; es hatte also keinen Sinn, Spekulationen darüber anzustellen, wer welche Einheit von wem hatte. »Was ist ein Terraner alter Abstammung?« fragte Tec. »Wir alle mit biogesteuerten oder natürlichen Vorfahren, die von rein terranischen Tieren abstammen. Freyn ist halb Gorilla, halb Mensch.« »Und neue Abstammung?« »Rührt in der Hauptsache von terranischen Vorfahren her, zumeist von beliebig mutierten Menschen, allen möglichen Außerirdischen und vielleicht sogar Robotern - niemand weiß es. Hast du etwas mit der Entwicklung dieser Geschöpfe neuer Abstammung zu tun gehabt?« »Ich nicht, Sam. Das war nach meiner Zeit. Wenn du mir wenigstens sagen würdest, wie lange das her ist.« »Eine Weile«, erwiderte Sam. »Nicht, daß ich das Thema wechseln will oder so etwas, aber schau dir Selena an. Sie mag dich. Sie schnurrt sogar, und von anderen Robotern läßt sie sich überhaupt nicht halten.« Tec kraulte Selena zwischen den Ohren, und sie blinzelte, als stehe ihr dergleichen zu. »Vielleicht mag sie die Vibrationen meiner Mikroschaltungen 48
oder etwas Ähnliches, obwohl ich nicht warm und weich bin wie Freyn. Wie alt werden Terraner alter Abstammung, wenn Freyn mit tausend Jahren die erste Jugend abgeschlossen hat?« »Im Mittel einige tausend Jahre, auch wenn einige von uns denkenden Reptilien länger leben. Bis du aufgewacht bist, war ich hier das älteste Wesen.« »Dann bin ich Tausende von Jahren in der Leere gewesen«, sagte Tec grimmig. »Ähem«, sagte Sam nervös und schluckte ein wenig. Dann seufzte er und sagte: »Habe eben eine Denknachricht bekommen. Kapitän Drake will dich sehen.« Ganz offenkundig war Sam froh, Tec loszuwerden. »Was ist diese Expedition A, die Drake leitet?« fragte Tee unnachgiebig. »Weißt du, Tec, ich kann einfach nicht...« »Und ich kann nicht zu einem geheimnisvollen Kapitän gehen, von dem ich überhaupt nichts weiß. Erzähl mir wenigstens, wie er aussieht.« Sam klappte ein paarmal mit seinen zahnlosen Kiefern und blinzelte, als untersuche er das Thema nach verbotenem Inhalt. »Ach, er ist schon in Ordnung, meine ich.« »Ich habe das Gefühl, du mißbilligst jeden, Sam.« »Nein, ich bin nur nie dahintergekommen, warum Ingenieur Yodin sich Drake ausgesucht hat, obwohl Drake keinen Hehl daraus gemacht hat, daß er die Kräfte und vielen Leistungen des Ingenieurs hoch verehrte. Ich vermute, Drake hätte das werden wollen, was der Ingenieur war, wenn er mehr Verstand und Talent gehabt hätte.« »Aber wie ist dann Drake?« Sam schüttelte den Kopf. »Voll schwülstigem Charme, wie Astrid einmal gesagt hat. Hält sehr viel von sich und ist ganz einseitig darauf aus, ruhmreiche Abenteuer zu bestehen. Ich glaube, er ist einer von diesen Comic-Heft-Helden . . . « »Es gibt immer noch Comic-Hefte?« »In meiner Bibliothek, Schwachkopf.« »Echte Bücher, unbeschädigt...« 49
»Auf den Magnetblasen der Bibliothek gespeichert, versteht sich«, sagte Sam. »Das möchte ich sehen.« »Wirst du auch, weil wir die Bibliothek zurücklassen müssen«, sagte Sam tieftraurig. »Aha!« rief Tec unvorsichtig. »Ich erfahre immer mehr. Ich wette, der berühmte, hochverehrte Ingenieur hat das Schiff konstruiert, mit dem ihr fliegt. Da muß dein tapferer Held, Kapitän Drake, sehr glücklich sein.« »Ja - ach, verdammt, Tec. Du hast eine Art, mir unter den Panzer zu gehen, so, als hätte ich dich schon lange gekannt. Ich bin zu alt, um den Mund halten zu können, also sei so gut und belästige mich nicht mehr mit Fragen, sondern geh zu Drake. Er ist nicht gerade der Geduldigste. Wenn er dahinterkommt, daß Astrids Lieblingsvetter schon überfällig ist, wird er wütender sein als Selena, wenn sie nachts nicht rauskann.« »Vetter? « »Lauf jetzt, Tec, und nimm Selena mit. Der Kapitän mag sie, und es könnte für die Einschätzung vorteilhaft auf dich abfärben, daß Selena dich mag.«
Tausende von Jahren. Ein fremder Kunstplanet. Eine Expedition, die strengster Geheimhaltung unterlag. Menschen alter Abstammung, mutierte Tiere, erschreckende Mixturen von Geschöpfen, Männer, die verschwanden, obwohl das gar nicht möglich w a r . . . Tec ging durch die Hintertür in der Gartenmauer, die schwarze Katze auf den Armen. Er war ungeduldig darauf aus gewesen, diesem Kapitän gegenüberzutreten, der nicht zuließ, daß die anderen ihm etwas erzählten, aber seit er hinbefohlen worden war, hatte er keine Lust mehr. »Wo und wann bin ich eigentlich?« sagte er zu Selena, die nur noch lauter schnurrte, während Tecs Bedrückung wuchs. Er 50
ging an Bäumen vorbei, ohne sie zu sehen. Sein Gehör nahm Vogelgezwitscher auf, aber er hörte es nicht. Sein Geruchsvermögen registrierte die Düfte der Landschaft, aber er roch nichts. Er hielt Selena in den Armen, ohne ihren weichen Pelz zu fühlen. Tec ging mürrisch weiter, überlegte, was er zu den Insassen des Raumschiffes sagen sollte, zerbrach sich den Kopf darüber, wie er von diesem Planeten fort- und die Erde wiederfinden konnte. Dann stolperte er über einen kleinen Stein. Er vergaß, daß er über Antigrav verfügte, und fiel der Länge nach hin, während Selena aufheulte und mit ihren Krallen nutzlos an seinem Metallkörper entlangschrammte. Er warf sich vor dem Aufprall herum und rettete damit Selena, aber nicht seine eigene Würde, denn da hockte er mitten im Gras zwischen Bäumen auf dem Hintern, wie die Menschen dazu gesagt hätten, und kam sich vor wie ein Esel. »W-rrr?« »Es tut mir leid, Selena.« Sie stupste ihn mit dem Kopf unter dem Kinn und schmiegte sich wieder in seine Arme. Er war sich ihrer Entscheidung bewußt, ihm zu vertrauen, und vergaß einen Augenblick lang alles andere, bis ein kleiner blauer Käfer sich auf sein Bein wagte und daran hinaufzuklettern versuchte. Plötzlich sah er den Käfer. Sah sich und Selena, hörte die Vögel, roch die Pflanzen, und es war, als fände er den Weg zurück ins Dasein, in die Harmonie und das Wissen, daß alles einfach »ist«. Das verging zwar rasch, aber er fühlte sich besser und stand auf. Wo und wann auch immer, das spielte keine so große Rolle mehr. Er würde bald alles erfahren, was er wissen wollte, und sich dann vielleicht wünschen, es nicht erfahren zu haben. Bis dahin, so dachte er, ist eine Katze, die im Jetzt dahinschnurrt, ein gutes, nachahmenswertes Beispiel. Das Raumschiff schien einen Meter über der Wiese in der Luft zu schweben. Das deutete auf erstklassige Antigrav-Anlagen und möglicherweise auch auf unbegrenzte Energiequellen hin. 51
Tec war angenehm berührt. Er mochte Raumschiffe und neigte nur allzusehr dazu, sie zu pe sonifizieren, so, wie für die alten Terraner jedes Segelschiff ei e »sie« gewesen war. In der offenen Schleuse erschien ein Riese von Mann, rotbärtig, mit rotgoldener Haarmähne, die wie ein lebender Überwurf bis zu Schultern und Brust wuchs und sich knapp unter seinem Nabel fortsetzte. So behaart er aber auch sein mochte, dieser Mann war kein Affengeschöpf wie Freyn, obschon seine menschlichen Züge merkwürdig wirkten . . . Die Augen waren viel zu groß, die Iris hellgrün, seine eingedrückte Nase hatte weite Nüstern mit rötlichen Haarbüscheln. Der Antigrav-Gürtel um seine muskulösen Hüften war mit einem verschlungenen Muster kompliziert verätzt, auf der Schließspange befand sich ei e seltsame Abwandlung des uralten Föderations-Abzeichens. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Kapitän Drake«, sagte Tec. »Schlicht Drake genügt für mich. Ich habe genug Verbeugungen und Kratzfüße und hochmögende Titel für mehrere Universen erlebt.« Vermutlich schwindelte er, aber das großknochige Gesicht des Mannes war von so ansteckender Gutmütigkeit, daß man sich daran nicht störte. Es war ein Gesicht, das sich im Grimm noch ärger verdüstern mochte, als es jetzt strahlend grinste. Tec argwöhnte, daß es sich empfahl, ein solches Gewitter zu meiden. »Komm an Bord, Tee. Wie gefällt sie dir?« Tec kam zu dem Schluß, daß Drake nicht die Katze meinte, und sagte: »Ein großartiges Schiff, Sir.« »Richtig. Alle Frauen hier sind großartig. Wie Selena - komm her zu Papa, Schätzchen.« Er streckte seine großen Hände nach der Katze aus, die förmlich aus Tecs Armen sprang, um zu Drake zu gelangen. Unerklärlich verletzt, dachte Tec, daß nichts anderes zu erwarten gewesen war. Säugetier will zu Säugetier, Wärme zu Wärme. Drake war wie ein menschlicher Löwe und Selena ohne Zweifel von ihm hingerissen. Nicht zu ändern. »Wo ist Freyn?« fragte Tec. 52
Drake streichelte Selena, wurde plötzlich ernst und sah Tec an. »Keine Plaudereien mehr, Tec, bis ich mit dir fertig bin. Freyn und Astrid sind im Labor beschäftigt und werden nach TerraCenter zurückkehren, wenn ich mit dir in meinem Kontrollraum verschwinde. Komm mit.« Als Drake zum Kontroilraum schritt, fiel Tec auf, daß Wände und Böden des Schiffes - nach altem maritimem Brauch Schotts und Decks - aus einem eigenartig federnden Material waren, die Farben zart und schwach strukturiert. Drake ging beinahe lautlos, und Tec folgte ihm, während er sich fragte, woher es kam, daß er das Gefühl hatte, diese Wesen und diesen Ort schon viel länger als die wenigen Stunden zu kennen, seit er zu sich gekommen war. Der Kontrollraum besaß einen einzigen großen Sessel, der offenkundig für Drake bestimmt war. Drake ließ sich darin nieder, und machte eine Handbewegung zum Boden hin. Ein Polsterkissen schob sich herauf, und Tec, der keine Polster brauchte, setzte sich gehorsam darauf, während ihm die Frage durch den Kopf ging, ob so früher Sklaven zu den Füßen ihrer Herren und Gebieter hatten sitzen müssen. Dann fiel es ihm ein: Sklaven saßen nicht, sie lagen auf dem Bauch. Tec beschloß, so etwas niemals zu tun. Die Abtastsonde erfaßte ihn unerwartet, und obwohl seine Gedankensperre errichtet war, mußte er sich anstrengen, um sie aufrechtzuerhalten. Bevor er sich helfen konnte, hatte er das Polster verlassen und lag ausgestreckt auf dem Boden, während er um die Unverletzlichkeit seines Denkens kämpfte. Die Sondierung wurde eingestellt. Tee setzte sich wutentbrannt auf. »Das ist eine wirksame Sperre, die du da hast«, sagte Drake. »Gemeiner Kerl!« Tec schlug mit, wie er glaubte, seiner ganzen Kraft zurück. »Versuch es nicht, Tec«, sagte Drake gelassen. »Meine Sperre ist mindestens so wirksam wie die deine. Bei Terranern hat das Sondieren jetzt wenig Sinn, weil wir die Gabe und die Telepathie, die sie verleiht, gut beherrschen. Wir haben alle auch starke 53
Geheimhaltungsfelder gegen Sondierungen und sensoempathische Invasion, sogar für die Selbstheilung unserer Körper, wenn wir dem Arzt nicht telepathischen Zugang für Mikroablesungen und Anpassungen gestatten.« »Was ist ein Geheimhaltungsfeld?« »Versuch, meinen Körper aufzurastern.« Tec versuchte es. »Ich kann nicht. Da ist etwas Nebelhaftes, Wirres, ich dringe nicht durch.« Es war keine Mauer um Körper und Geist, wie sie der Mann besaß, der sich Yodin nannte, aber vielleicht war das für Drake besser. Mauern kann man aufbrechen. »Ich hoffe, du hast nicht versucht, in Freyn oder Sam einzudringen. Vermutlich geht das gar nicht, aber es könnte sein, daß du sie beschädigst. Du bist sehr stark, Tec.« »Das habe ich nicht getan. Es wäre nicht höflich gewesen. Ich habe es nur bei Ihnen getan, weil Sie versucht haben, mich abzutasten.« »Das war nicht ich, allerdings habe ich die Anweisung dazu gegeben. Woher sollen wir sonst wissen, ob wir dir vertrauen können? Du bist etwas völlig Ausgefallenes, weißt du. Ein angeblich toter Roboter in einer Vitrine wird plötzlich lebendig und ruiniert vielleicht unser großes Abenteuer.« Tec sagte hastig: »Von Expedition A weiß ich nichts. Niemand will mir etwas sagen.« »Das hat mir Freyn gesagt. Erwarte von mir nicht, daß ich dir abnehme, du hättest den Namen von einem spurlos verschwundenen Fremden erfahren, der die Überheblichkeit besaß, sich Yodin zu nennen.« »Es ist wahr.« »Wir können die Wahrheit feststellen, wenn du die Sonde zuläßt. Laß uns an deine Gedanken heran, dann wissen wir, ob du eine Halluzination hattest oder lügst.« »Nein!« »Vielleicht wärst du bereit, mit jemandem zu reden, der eher von deiner Art ist?« »Nein.« Es gab keine anderen Roiiss-Roboter, und die Terra54
Roboter waren dumm. Tec spürte plötzlich, daß noch jemand da war, obwohl niemand den Kontrollraum betreten hatte. Ein drittes denkeiides Wesen hatte sich auf irgendeine Weise eingefunden. »Wer ist da?« fragte Tec, dem zu Bewußtsein kam, daß Drake ihn stumm studierte. »Was haben Sie getan? Was, zum Teufel, sind Sie, Drake?« »Geduldig. Manchmal. Und alles, was du von mir wissen mußt, ist, daß ich eine schlichte Seele bin, übriggeblieben aus der Zeit, in der die Erde schlichte Abenteurer hervorbrachte.« Drake summte ein altes Seemanns-Shanty und lehnte sich in seinem Kapitänssessel zurück, während Selena, die auf seinem rechten Schenkel saß, auf Tec mit derselben Haltung herabsah, wie ägyptische Erden-Katzen auf Pharaonen herabgeblickt hatten, den Schwanz um die Pfoten eingerollt; nur das gelegentliche Zucken der Schwanzspitze verriet ihre Ungeduld. Sie warteten. Worauf wartet er? dachte Tec. Bevor ich nachgebe und mich aufrastern lasse, bringe ich ihn' lieber um . . . Bei allen Drachen von Roiissa, was ist los mit mir? Solche Gedanken habe ich noch nie gehabt! Spüre ich etwas, das ich bewußt nicht entschlüsseln kann? Rasch, bevor irgend jemand ihn hindern konnte, erforschte Tec den Rest des Raumschiffes. Alle Steuer- und Computeranlagen waren zu stark abgeschirmt, aber er kam dahinter, daß keine anderen Protoplasmen an Bord waren - abgesehen von Tausenden terranischer Embryos in allen Stadien, dazu Eier und Sperma getrennt in einer riesigen Leere-Kammer neben einem phantastisch gut eingerichteten Labor- und Klinikbereich; Es gab noch eine zweite Leere-Anlage, vermutlich für erwachsene Protoplasmen, dazu Unterkünfte, Nahrungserzeuger, Recycling-Anlagen und einen fremdartig verfeinerten Hyperantrieb. »Verdammt«, sagte Drake zornig, »warum hast du sie aufgerastert? Jetzt sitzt du in der Patsche. Wenn du dich der Sonde nicht öffnest, mußt du zurück in die Stillegungskammer.« »Wer will mich dazu zwingen?« »Übertreib es nicht, Tec. In Gegnerschaft zu uns allen kannst 55
du nicht Sieger bleiben, und wir haben zuviel zu verlieren, um dich frei herumlaufen zu lassen, wenn wir dir nicht trauen können. Öffne dich.« »Es ist keine Besatzung an Bord, Drake. Nur Sie und ich. Ich glaube, ich nehme es lieber mit Ihnen auf, als mich von Ihren Abtastern ausquetschen zu lassen.« »Eine Besatzung ist nicht nötig. Horch«, sagte Drake. Das Schiff war nicht abgeschaltet. Tec spürte in den Sensoren ein leichtes Vibrieren, wie von bewegten Feldern statt bewegten Teilen. Und da war wieder das deutliche Empfinden eines Bewußtseins in den Feldern. »Wer ist da? Wer paßt auf?« fragte Tec. »Antworte«, sagte Drake. »Ich halte Wache, Kapitän«, sagte eine silbrige Stimme. »Das ist der Kontrollraum eines Schiffes, Tec«, sagte Drake. »Mir hätte es früher gefallen, als Seeleute das die Brücke nannten und ein Schiff mit Windkraft über einen Ozean sauste, während Kapitän und Besatzung liebevoll dafür sorgten, daß die Schöne überlebte und sie sicher in den Hafen führte. Laß dir die Schönste von allen vorstellen.« »Gruß, Tec.« »Wer bist du?« »Ich bin Ship.« Drake gab einen Knurrlaut von sich. »Sag Tec, wer für dein Funktionieren sorgt.« »Das tue ich«, sagte sie. »Das tut sie auch«, sagte Drake stolz. »Mit ihren >Matrosen<, wie man die Besatzung eines Segelschiffes nannte. Drei kleine Roboter, verbessertes Fernsteuergerät und gelenkt von ihrem Gehirn, laufen herum und übernehmen alles, was Ship und ich nicht tun können. Ship ist ein tolles Mädchen - Navigatorin, Kosmophysikerin und auch sonst fast alles, was man sich vorstellen kann.« Tec fragte in der Hoffnung, Drake könnte sein Ultimatum vergessen haben: »Warum heißt sie nur >Ship« Drake kratzte sich am Kopf. »Komisch, aber wenn irgend jemand versuchte, ihr einen 56
großartigen, galaktischen Namen zu geben, beharrte das Robotgehirn in ihrem Inneren darauf, schlicht >Ship< genannt zu werden, und sie blieb so stur wie ein neo-aldebaranischer Hügelwühler, also heißt sie eben Ship.« »Und das ist das Wesen, von dem Sie dachten, ich würde damit reden, weil sie ein Robotgehirn hat?« » Natürlich. « »Daran ist überhaupt nichts natürlich«, fuhr Tec auf. »Nun sei vernünftig, Tec«, sagte Drake. »Ship ist als einziges Robotgehirn in der Gegend so klug wie du. Sie ist überhaupt das beste Schiffsgehirn, das es je gegeben hat. Du kannst auf die abgesägten Pyramiden von Siggy Vier verweisen oder auf die Hanteln von M31, aber Ship sieht besser aus, fliegt besser, bewältigt den Hyperraum besser und kann besser sprechen als sie alle, und sie langweilt einen nicht zu Tode. Ich bin ihr Kapitän und vertraue ihr vollkommen. Sie wird dir nichts tun, wenn ich ihr sage, sie soll nicht, und ich fange an, dich zu schätzen, Tec. Ich will nicht dein Gehirn versenken, ich will nur herausbekommen, ob man dir das größte Geheimnis anvertrauen kann, das in diesem Universum jemals aufgetaucht ist.«
»Expedition A«, sagte Tec. »Das große Geheimnis. A wie Arche? Mit Ihnen als Kapitän und zwei Ärzten von Terra, um auf die Embryos in den Leere-Banken aufzupassen?« Drakes buschige Brauen stiegen in die Höhe, aber er sagte nichts. »Oder vielleicht steht das A für Alpha? Ein InteruniversumsRaumschiff?« sagte Tec und erkannte an Drakes bestürzter Miene, daß er es getroffen hatte. »Ja, ein Geheimprojekt für den Versuch, ins Paralleluniversum zu gelangen, entworfen von einem Ingenieur namens Yodin. Eine vollkommen unsinnige Idee.« Drakes Gesicht rötete sich auf bedrohliche Weise. 57
»Darf ich sprechen, Kapitän?« fragte Ship. »Ach, meinetwegen. Tec ist nicht nur arrogant, er hat eben sein eigenes Todesurteil unterschrieben.« »Dieser Tec ist hochintelligent und zu klugen Schlüssen fähig. Außerdem ist er ein Roiiss-Roboter. Könnte das nicht ein Vorteil sein, Kapitän?« »Vielleicht. Möglicherweise aber auch das Gegenteil.« »Hängt davon ab«, unterbrach Tec sarkastisch, »ob Sie damit rechnen, freundlich oder feindselig gesinnten Drachen zu begegnen, wenn Sie Alpha erreichen.« »Wir haben nicht gesagt, daß wir da hingehen«, gab Drake zurück. »Hast du Angst vor den Roiiss?« fragte Ship. »Das ist ohne Belang«, sagte Tec. »Ich mag das Beta-Universum. Ich werde euren albernen Plan nicht erwähnen, wenn ich zur Erde zurückkomme.« Sie antworteten nicht, und Tec verspürte nicht erklärliches Unbehagen. Er hatte das Gefühl, mehr Antworten finden zu müssen, und schob deshalb seine Gedankensonde weiter hinaus zum Nahen Terra-Center. Vorbei an dem dummen Computer, der die Maschinen des Center steuerte, vorbei an den ebenso dummen Robottechnikern und -besichtigungsführern und -wachen und -dienern, bis er auf ein anderes intelligentes Gehirn stieß, das wach war und nach ihm ausschaute. Dieses Gehirn war so gut abgeschirmt wie das seine, und im ersten Augenblick dachte Tec an Freyn, aber er sondierte weiter und fand ihn im Schlaf, sexuell erfüllt. Sam studierte am Leseschirm der Bibliothek ein Buch. Demnach blieb nur die unbekannte Astrid, die Empathin sein mußte, weil dieses Denken das seine mit einer Zartheit streifte, wie sie nur einem so einfühlsamen Wesen zu Gebote stand. Erschreckt zuckte Tec vor dieser Ärztin zurück, die seine Gedanken hatte erforschen wollen, als er bewußtlos gewesen war. Er vergaß, sich Gedanken darüber zu machen, warum Drake und Ship so argwöhnisch reagiert hatten, als die Rede davon gewesen war, er wolle zur Erde zurückkehren, und sagte: »Es tut mir leid, Drake. Ich habe Ihnen Sorgen gemacht und bin in die 58
Quere gekommen. Versuchen Sie einmal, mir zu vertrauen, bis wir uns alle besser kennenlernen können.« »M-m-m. Können wir dich je kennen, Tec? Ich kann nicht einmal begreifen, warum du sterben wolltest.« »Um nichts mehr zu erleben. Um meine verdammten Affektivzentren und ihre trügerische Reaktion auf fehlbare, flüchtige Wesen stillzulegen, die mich immer wieder auflehnen, alles mögliche für sie zu tun; die meine Gefühle mit Beschlag belegen und dann sterben und mich verlassen.« »O je«, sagte Drake. »Und ich hatte es satt, daß meine Neugier mich dauernd in Schwierigkeiten brachte. Kein Wunder, daß Menschen so lauthals leiden und ihre Fäuste gegen ein Universum schütteln, das darauf beharrt, ihren gefährlichen Drang anzustacheln, zu wissen und weiterzugehen.« »Das ist richtig«, sagte Drake nachdenklich. »Aber man muß weitergehen.« »Ich will es nicht«, fuhr Tec fort. »Warum sollte ich, wenn ich nicht weiß, von wo ich ausgehe, und ohnehin alles schlecht endet? Können Sie mir jetzt nicht Informationen anvertrauen?« »Noch nicht.« »Verdammt. Ich fange an, die Menschen zu hassen. Sie haben Stillegung versprochen und mich in die Leere gestellt. Ich wollte nicht immer so weitermachen, ein Jahrhundert nach dem anderen, wach und wahrnehmend und immer zuviel wissen, was sich als zu wenig erweist.« »Du wirkst sehr menschlich«, sagte Ship. »Hast du nicht festgestellt, daß das Sein an sich seltsam zwingend ist?« »Sei still, Ship«, knurrte Drake freundlich. »Da wir Tec vielleicht doch stillegen müssen, hat es keinen Sinn, ihn zum Leben überreden zu wollen.« »Es ist eine Last, zu leben«, sagte Tee, »aber ich gebe zu, daß ich es jetzt trotzdem will. Ich bin kein Protoplasma-Wesen, aber ich weiß, was es heißt, lebendig zu sein, die Blumen zu riechen und die Farben zu sehen, die Beschaffenheit der Unterschiede im All zu fühlen. Daß ich beinahe gestorben bin, hat mir mein Recht auf Leben zum Bewußtsein gebracht - können Sie mir 59
keine Chance geben, meine Vertrauenswürdigkeit zu beweisen?« »Wir werden sehen«, sagte Drake. Er gähnte und polierte zerstreut seine Abzeichen. - Verkehren wir im Geist miteinander, sagte Ship plötzlich in Tecs Gehirn. - Ich möchte dir vertrauen. - Dann sag mir, was ich wissen will, gab Tec zurück. - Du mußt warten, weil ich unter Befehl stehe und Befehlen gehorche. - Wessen Befehl? Hast du keine geheime Programmierung, die Ingenieur Yodin vor seinem Tod den Computertechnikern gegeben hat? - Doch, aber Kapitän Drake hat Befehl gegeben, daß ich bei dir vorsichtig sein muß, bis du dich als vertrauenswürdig erwiesen hast. Ich werde deine Fragen meiden, weil ich nicht den Wunsch habe, dich zu meiden. Dabei meidet sie meine Fragen gar nicht, dachte Tec. Sie ist sogar ganz begierig darauf, mit mir zu reden. Ich glaube nicht, daß mir das gefällt. - Du mußt hier alles machen, Ship. Wozu ist Drake da? Sie antwortete nicht gleich, und Tec fragte sich schon, ob es ihm gelungen war, ihr Robotgehirn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Diese Frage würde sie gewiß nicht beantworten. Aber sie tat es doch. - Bei Expedition A fungiert Kapitän Drake als - als ein Mittel zur Erfolgssicherung. Sie schien über ihre eigenen Worte erstaunt zu sein, so, als hätte sie nicht gewußt, wie sie ausfallen würden. - Du bist die Kreatur des Ingenieurs, sagte Tec. - Nein. Ich habe ihn nie gesehen. Ich trage ein geheim verschlüsseltes Ziel, das nicht einmal mein Bewußtsein kennt, aber sonst bin ich selbständig, auch wenn ich als Raumschiff meine Funktion dadurch erfülle, daß ich die mir zugedachten Befehle des Kapitäns befolge. - Du erfüllst eben deine Aufgabe, meinte Tec verächtlich. Du bist doch bloß eine Maschine. »Was werden Sie mit mir machen?« fragte er Drake. »Hab' mich noch nicht entschieden. Astrid hat bei dir ein paar 60
Tests vorzunehmen. Wie gesagt: Wir werden sehen.« »Ich unterwerfe mich keinen Untersuchungen -«, begann Tec. »Ach, zum Teufel damit, wir werden ja sehen. Alle beide. Ihr Schiff wird mich nicht gegen Ihre Befehle zur Erde bringen, also sitze ich hier fest. Ich will versuchen mitzuwirken.« Drake stand auf und warf Selena auf seine breite Schulter. »Ich hoffe, du verstehst unsere Vorsicht, Tec. Ein lebender Roiiss-Roboter, der plötzlich bei uns auftritt, ist etwas Beispielloses.« Nicht ganz, dachte Tec, aber das ist lange her. Möchte nur wissen, wie lange. Selbst wenn Terraner ein kühnes Experiment planen, gelingt es ihnen, das Hier und Jetzt zu genießen, dachte Tee, als er zusah, wie Drake aus der Schleuse sprang und die Arme in unverhohlener Freude über den Antigrav-Flug zurück zu Terra-Center ausbreitete. Tee flog neben ihm her und verglich im stillen die Terraner mit den Roiiss, deren Sinn nur dem ewigen Überleben galt. Dann fiel ihm ein, wie die Roiiss bei seiner letzten Begegnung mit ihm gestritten hatten. Besaßen die Ältesten Einzelnamen? Sie hatten nie etwas davon verlauten lassen, und angesichts von Tees langer Verbindung mit Terranern erschien das jetzt merkwürdig. Namen waren für alle denkenden Wesen wichtig, weil sie bedeuteten, daß Individualität festgelegt wurde, die Behauptung von Herrschaft über den eigenen kleinen Klumpen organisierter Materie, der sich als getrennt von einem Universum sehen wollte, in dem er Teil des Lebensgeflechts war. Samyak, der Schildkröten-Alte, flog ihnen entgegen. »Setz dich auf meinen Panzer, Tec, dann nehme ich dich mit.« Drake winkte Sam jovial zu und flog weiter. Tee stieg mit gemischten Gefühlen auf - Sams Methode des Antigrav-Flugs bestand darin, mit vorausgestrecktem Kopf und ausgestreckten Gliedern flatternd dahinzusausen, so daß sein schwerer Körper wackelte. Er durchpflügte schnaufend die Luft, und Tee sagte sich immer wieder vor, daß auch er über Antigrav verfügte und nicht Gefahr lief, am Boden zu zerschellen, wenn er herunterfallen sollte. »Wo ist dein Antigrav-Gürtel, Sam?« 61
»Unter der Panzerkante. Ich schalte ihn telepathisch ein.« »Ich dachte, du haßt Antigrav-Flug.« »So ist es, aber Astrid wollte, daß ich dich hole. Ich habe nämlich angefangen, über Namen nachzudenken . . . « »Über Namen!« »Wie Yodin. Nimm den ersten Buchstaben weg, und du hast den alten Erdengott Odin, der so hoch über dem Boden dahinwandern konnte, daß er alles überblickte.« »Der Odin der Erde war ein Unsterblicher, der gegen Sterbliche zum Kampf antrat. Er war sogar der Gott des Kampfes und der Schlachten«, sagte Tec. »Die letzte Schlacht war Ragnarök.« »Das schlage ich nach«, sagte Sam. »Könnte dein Yodin ein maskierter Roiiss gewesen sein?« Tec brach in Gelächter aus und fiel beinahe vom Panzer. »Nein, das ist völlig ausgeschlossen. Warum fragst du?« »Nichts kann in den Hyperraum außer einem Raumschiff, das dafür konstruiert worden ist und über einen Planeten hinaufsteigt, um in ihn einzutreten. Einzige Ausnahme: die Roiiss. Wenn dein Yodin Wirklichkeit war und vom Planeten verschwunden ist, hatte er vielleicht ein Gerät, mit dem er überall in den Hyperraum gelangen konnte.« »Er war Wirklichkeit, Sam.« »Hm. Wenigstens hört sein Name nicht mit k auf. Mir wäre lieber, wenn du Ragnarök nicht erwähnt hättest. Hier gibt es viel zu viele k, wenn du mich fragst. Tec und Samjak und Drake und York...« »Alle Aspekte derselben Wirklichkeit, zweifellos«, sagte Tec spöttisch, »Und wer ist York?« »Astrids sogenannter Vetter, der schon vorige Woche kommen sollte, aber noch nicht aufgetaucht ist. Wir wissen nicht, wo er ist, und wenn er die Expedition aufhält, wird der Teufel los sein.« »Er ist gar kein Vetter?« »Er gilt als solcher, weil er mit Beweisen für die Verwandtschaft auftauchte, als Astrid ein kleines Mädchen war. Ihre Eltern - beide Planetologen - starben einige Jahre danach bei einem Raumschiffunglück, und sie betrachtet York als den einzi62
gen nahen Verwandten, der ihr geblieben ist, obwohl im BetaUniversum viele Holladays verstreut sind.« »Was für Beweise waren das?« »Gen-Anordnung und -Strukturen im Körpergewebe. Leicht zu machen und unfehlbar. Von Nutzen, wenn jemand einen Platz in der reichsten, berühmtesten Terra-Familie alter Abstammung beansprucht. Er ist Künstler oder Holographiker, irgend etwas in der Art. Astrid wollte ihn bei Expedition A dabeihaben, und vor dem Tod von Ingenieur Yodin wurde das mit ihm vereinbart. Ich halte ihn für einen Narren.« Sam sank schluckend und schaudernd in den Garten hinunter, verfehlte einen Rosenstrauch und kippte Tec ins Gras. Die beiden betraten die leere Bibliothek. Sam ließ sich in einer Ecke nieder, wo noch die untergehende Sonne hereinschien. »Ich werde alt und mache ein Nickerchen, das ich mir verdient habe. Stör mich nicht.« »Ja, Sam«, sagte Tec. »Wohlgemerkt, ich bin kein Kaltblütler-Reptil wie diejenigen, die du damals gekannt hast, als die Erde jung war. Wir biogesteuerten Schildkröten haben bessere Vierkammer-Herzen, als sie damals selbst die Krokodile hatten, und unser Kreislauf liefert jetzt ein ausreichendes physiologisches Gleichgewicht, das nicht viel Außenwärme erfordert, um aktiv zu bleiben . . . « »Ja, Sam.« »Allerdings schätze ich ab und zu ein kleines Nickerchen, mein Abendessen verspätet sich, und schließlich haben Generationen von Schildkröten beträchtliche Zeiträume in der Abgeschiedenheit ihrer Erdlöcher verbracht...« Sam schnarchte. Friede breitete sich in der Bibliothek und in Tecs Innerem aus. Wenn irgend jemand oder irgendwelches Gerät ihn beobachtete, auch gut. Er sah sich die Bücherregale an, wo es nicht nur die gewohnten elektronischen Mikro-Bücher gab, sondern auch erhaltene Lederbände mit Papierseiten in Flexplast-Schutzhüllen. Ein besonders zerlesenes Exemplar erregte seine Aufmerksamkeit, und er schlug es aufs Geratewohl auf - eine Sammlung von Auszügen aus den Werken von Schriftstellern, die auf der Welt gewesen waren, lange bevor die Erfindungen der Holla63
days - Antigrav und Hyperantrieb - zuerst die Galaxis und dann das ganze Universum zum Tummelplatz der Terraner gemacht hatten. Einige Textstellen waren angestrichen. Ich möchte so leben, daß ich meine Befriedigung und Inspiration aus den gewöhnlichsten Ereignissen, den aljtäglichsten Erscheinungen gewinne, damit das, was meine Sinne zu jeder Stunde aufnehmen, mein täglicher Spaziergang, das Gespräch meiner Nachbarn, mich inspirieren und ich nicht von einem Himmel träume, sondern von dem, was um mich lebt. Ebenso werden, so er sein Leben vereinfacht, die Gesetze des Alls weniger kompliziert erscheinen, und Einsamkeit wird nicht Einsamkeit sein, Armut nicht Armut, Schwachheit nicht Schwachheit. Wenn du Schlösser in die Luft gebaut hast, muß dein Werk nicht verloren sein; dort gehören sie hin. Nun setz die Fundamente darunter. Das Sein - Ausgangspunkt aller Philosophie - war auch von Henry Thoreau erkannt und vom Besitzer des Buches gewürdigt worden, Tec fragte sich, ob auch er oder sie Schlösser in die Luft gebaut hatte, und wenn ja, welcher Art. Er blätterte und fand nur noch eine angestrichene Stelle, die von Whittier stammte. Sieben Wörter waren dick unterstrichen. »Die Stille der Ewigkeit, ausgedeutet durch Liebe.« Ich bin ein Fremder, einsam und schwach, in einem Universum; das nicht das meine ist, dachte Tec. Die Wesen hier trauen mir nicht, aber sie bitten vielleicht um meine Hilfe, wie sie es immer getan haben. Sie glauben, ein fremdes Gehirn könnte ihnen helfen, ihr Universum auszudeuten, aber wie kann ich etwas ausdeuten, wenn ich nicht weiß, was Liebe ist? Er erinnerte sich daran, daß die Menschen in ihre alten Bücher vorne oft die eigenen Namen hineingeschrieben hatten. Er schaute nach und fand eine Widmung in schräger Terraschrift: »Mein ältestes Buch für meine jüngste Freundin - der lieben Astrid zum 10. Geburtstag von Vetter York«. Ein interessanter Narr. 64
Terraner sind immer mit Essen oder Sex beschäftigt, wenn sie nicht gerade grandiose Pläne für Abenteuerliches schmieden,, dachte Tec. Er saß bei Sam und Selena in der Bibliothek auf dem Teppich, während Freyn und Drake in ihren Sesseln darauf warteten, daß Freyns Frau Appetithappen aus der Küche brachte. Sie war damit beschäftigt, Drakes Lieblingsimbiß herzurichten, und Tec hatte sie noch nicht zu Gesicht bekommen. Das Gespräch, das sich um Föderations-Politik drehte, wirkte gestelzt, so als bemühten sich die anderen, Tec, der nicht interessiert war, möglichst wenig zu verraten. Er wollte nichts mit einer Empathin zu tun haben, sondern mit einem anderen Roboter reden. - Ship, hörst du mich? - Ja. Ich bin für große Entfernungen telepathisch. - Gut. Ich möchte mit dir reden. - Ich bin zu einem Gespräch mit dir immer bereit. - Ich weiß, du kannst mir nichts sagen, was ich nach Drakes Meinung noch nicht wissen soll, aber ich möchte gerne mehr über dich erfahren. Ich habe nie ein Schiff mit intelligentem Robotgehirn gekannt. - Es gibt viele. - Hast du enge Beziehungen zu anderen Schiffen? - Ich weiß nicht, was du mit Beziehung meinst, Tec. Ich mache meine Arbeit. Wenn es nötig ist, mit einem anderen Schiff in Verbindung zu treten, tue ich das, aber ich unterhalte mich damit nicht so wie jetzt mit dir. - Warum nicht? - Ich weiß es nicht. Wir Schiffe tun nur unsere Arbeit. - Willst du nichts? - Ich will meinem Kapitän und Expedition Alpha dienen .... Sie schwieg, und die Roboterstimme in seinem Gehirn schien sich zu verändern. 65
- Tec, was wollten die Drachen wirklich? Die Frage wunderte ihn. - Überleben. Denkende Protoplasmen, und das waren früher auch die Roiiss, scheinen vor allem ewig leben zu wollen, aber nur die Roiiss haben die Sterblichkeit ihres eigenen Universums überlebt. - Du bist ein Roiiss, nicht wahr, Tec? - Ich bin nur ein Roboter. Ich werde wohl einmal abgenützt sein und sterben. Ich fühle mich nicht gerade als Roiiss, weil ich erst in Betrieb genommen worden bin, als sie hier waren, und bis dahin hatten sie sich schon so verändert, daß es ihnen schwerfiel, mit gewöhnlicher Materie umzugehen, und sie es mir überließen, ihre Gärtnerarbeiten auszuführen. Im Vergleich zu dir bin ich simpel und unkompliziert. - Mag sein. Keines von uns denkenden Wesen kennt alles, wozu es fähig ist, oder? Er war verblüfft. Einem terranischen Roboter wie ihr war er noch nie begegnet, und mit der Zeit wurde ihm vor Ship angst. Er bemerkte, daß Drake ihn angrinste. Ship tat also vermutlich ihre Pflicht und meldete ihm alle ihre Gespräche mit Tec. Wieder ein Test. Da es Ship nicht gelungen war, seine Gedankensperre zu durchdringen, würde sie jede Gelegenheit nutzen, um herauszufinden, ob er für Expedition A gefährlich werden konnte. Er beschloß, keine Beziehung zu ihr aufzunehmen. - Ich muß zu dem Gespräch hier zurückkehren, sagte er abrupt. - Leb wohl, Tec, bis wir uns wieder treffen. Drake lachte und erzählte eine verleumderische Geschichte über die sexuellen Eskapaden eines Funktionärs der Föderation; bis auf Tec und Selena lächelten alle darüber. Selena lag selig im Schlaf, und Tec mangelte es - so meinte er - völlig am Interesse für das Privatleben hirnloser Protoplasmen, die Opfer lächerlicher Gefühlsausbrüche wurden. Tec schaute zum Fenster hinaus. Die Sonne schien noch hell im Garten; diese Terraner aßen früh zu Abend, und Nacht würde es offenbar spät. Tec wußte immer noch nicht, wo im Universum er sich befand, und er dachte nicht daran, noch ein66
mal um Informationen zu flehen. Er freute sich nicht darauf, bei den Terranern sitzen zu müssen, wenn sie sich mit Nahrung vollstopften und ihm nicht einmal so viel vertrauten, daß sie ihm irgend etwas mitteilten. »Astrid kommt«, sagte Freyn glücklich. Vermutlich wieder eine peinliche Verirrung von menschlichem Wesen, dachte Tec. Dann kam wieder die empathische Berührung, beinahe ein Teilhaben an den Molekülen, die sein Wesen ausmachten, das ihn mit Staunen erfüllte. War das Erlebnis eine Verirrung seines Denkens - oder eine Falle. War das Teil einer so überwältigenden Wahrheit, daß er sie nicht einmal erahnen konnte? Die Berührung schwand sofort wieder, so, als wüßte sie, daß sein Wunsch, Kontakt zu vermeiden, allen beiden weh tun würde. Freyn und Drake standen begierig auf, als im Flur Schritte laut wurden. Tec folgte widerwillig ihrem Beispiel. Astrid betrat das Zimmer. Tec verbeugte sich. Drake lächelte sie an und sagte: »Tec, das ist unsere junge Chefärztin. Sie ist eine Holladay.« Seine Stimme klang beinahe ehrfürchtig. »Willkommen, Tec. Ich bin Astrid Holladay, Freyns Frau.« Uralte terranische Worte wurden in Tec wach, störten seine wissenschaftliche Verarbeitung von Daten, brachten die Leidenschaften und Hoffnungen mit, geschaffen und gelebt von Menschen, deren Atome längst in die Entwicklung des Universums zurückgekehrt waren. Klang ihre Stimme wirklich sanft und leise, bei einer Frau etwas Wunderbares - die Wärme des Sonnenscheins nach dem Regen, die Musik von Sternenwiesen im Schwarz des Weltraums? Wo sie auch immer sein mochte, war dort das Paradies? Tec sperrte seine Speicherbanken und versuchte sie klar zu sehen. Schlank und mit goldenen Haaren, rehbraune Augen, braune Haut - Astrid Holladay erschien ihm so menschlich und unverletzbar und unerreichbar wie die Märchenprinzessin, die Jahrhunderte hindurch schlief. Aber der Schläfer war ich, dachte Tee, und jetzt bin ich wach. Es war ganz wichtig, nur auf konkrete Sinnesdaten zu achten, 67
die in einem bestimmten Augenblick eintrafen. Man mußte ignorieren, was von Speicherbanken in Affektivzentren hinausflutete und die Illusion erweckte, eine unergründliche Gegenwart sei mit einer rätselhaften Vergangenheit verkettet. Was habe ich in Wirklichkeit gelernt? fragte er sich. Nur, daß ein Augenblick der Begegnung alles in sich trägt, was beide Wesen sind, waren und sein wollten. Er mußte etwas sagen. Er sagte es. »Hallo.« Sie stellte die Platte in ihren Händen auf den Tisch und lächelte. »Kommt alle her und setzt euch zum ersten Gang. Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat, aber ich bin mit der Aufsicht über die Küchenroboter ein bißchen durcheinandergeraten, und Sams Gurken wären beinahe im Schmorgericht gelandet. Keine Sorge, Sam, ich habe sie gerettet.« Mit Ausnahme von Tec fand man zu entspannter Geselligkeit, und sogar das Gespräch wurde lockerer, seit Astrid da war. Medizinische Anekdoten, Schildkröten-Legenden und RaumfahrtGeschichten machten die Runde, aber Tec war erst imstande, genau aufzupassen, als man vom Doppeluniversum zu sprechen begann. »Nicht jeder glaubt, daß es wirklich ein Paralleluniversum gibt, das unterging, als dieses hier entstand, und daß es wieder leben wird, wenn Beta seinerseits stirbt«, sagte Freyn und wischte Krümel von seinem Silberpelz. »Manche mächtigen Sekten glauben, es gäbe nur ein einziges Universum, das ewig leben muß«, erklärte Sam, »aber Wissenschaftler entdeckten schon Ende des 20. Jahrhunderts, daß das Beta-Universum mit einem Urknall begonnen hat und schließlich wieder zu einem kosmischen Ei zusammenstürzen wird. Danach stellte man fest, daß das Gegenstück Alpha jetzt in der kosmischen Eiform ist und darauf wartet, daß das zusammenstürzende Beta wieder seine Ausdehnung auslöst.« Die Terraner hatten Sams Worte verfolgt und sahen nun Tec an, als erwarteten sie eine Reaktion von ihm. Er war verwirrt. »Ich dachte, die alternierenden Universen gelten als Tatsache. 68
Wie können Sekten etwas anderes glauben?« »Das haben Sekten schon immer getan«, sagte Drake. »Manche verwenden den Gedanken eines ewigen Universums als eine Art Gottheit. Ein häufig gebrauchter Ausdruck - >Bei Beta< - ich gebrauche ihn selbst. Sektenführer zwingen ihre Mitglieder dadurch zum Gehorsam, daß sie ihnen sagen, Beta werde sich zur Strafe in eine ewige Hölle verwandeln, wenn sie nicht tun, was ihr vergöttlichtes Universum ihnen aufzutragen scheint.« »Pah!« sagte Sam. »Vielleicht ist es schon die Hölle.« »>Ich selbst bin Himmel und Hölle<«, sagte Tec unwillkürlich. Er wagte Astrid nicht anzusehen. »Nie gehört. Von dir?« fragte Drake. »Altes Gedicht«, murmelte Tec. Astrid beugte sich vor. »Die Sekten irren. Wir Holladays waren stets in Übereinstimmung mit der wissenschaftlichen Theorie über die alternierenden Universen, weil wir im Holladay-Tower Tec als Ausstellungsstück hatten. Du bist der Beweis für die Hypothese. Auch wenn es im Beta-Universum keine Drachen mehr gibt, bleibst du der Beweis für die Wahrheit.« »Was ist Wahrheit?« fragte Tec. »Erfahrung«, sagte Astrid nach einer kurzen Pause. »Bestätigte Erfahrung, meine ich. Du mußt es wissen, Tec.« »Nein. Mit jedem Jahrtausend scheine ich mehr über meine eigene Unwissenheit zu wissen und habe ich mehr Fragen, auf die ich endgültige Antworten nicht kenne.« »So ist es am besten«, sagte Astrid, und diesmal ließ er zu, daß er beobachtete, wie sie ihn anlächelte. Die Sinnlichkeit des Erlebnisses schien sein Innerstes zu durchdringen. »Ich will meine Gurken«, sagte Sam. Tec ging mit ihnen ins Eßzimmer und sah, wie sich Astrids Körper unter der Seidentunika bewegte. Sie war fast so groß wie Tec, aber Drake überragte sie und schien besonderen Wert darauf zu legen, neben ihr zu sein. Tee hörte Astrid leise zu Drake sagen: »Ich mache mir solche Sorgen wegen York. Wo kann er sein?« »Freyn sagt mir, York sei notorisch unzuverlässig und käme 69
nirgends pünktlich an«, knurrte Drake. »Aber er hat mir versprochen, daß er an Expedition A teilnimmt.« »Kann nicht verstehen, warum Sie ihn dabeihaben wollten.« »Das war nicht meine Idee. Alle glauben das zwar, aber es war Ingenieur Yodin, der ihn ausgesucht hat.« »Großes Beta, der Ingenieur muß am Ende doch senil geworden sein, Astrid.« Ihr Körper wurde steif, und Drake tätschelte ungeschickt ihren Arm, als er sie zu ihrem Platz führte. »War nur ein Späßchen, Liebste.« Dann setzte sich Drake und brachte alle mit einer Geschichte darüber zum Lachen, wie die verschiedenen Komponenten von Föderation Beta bei der Suche nach einer geeigneten Hymne eine schwere Krise heraufbeschworen hatten. Die Vertreter der Milchstraßengalaxis, die er MSG nannte, von M31 und den anderen Protogalaxien, die miteinander durch das Universum ziehen, hatten sich als Gruppe nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen können. Wenn man Drake glauben wollte, hätten allein die Streitigkeiten unter den Terranern hingereicht, um alle Mann kreischend in den intergalaktischen Raum entweichen zu lassen. Das Eßzimmer war eingerichtet in einem Stil, wie er beliebt gewesen war, als Tec die Erde besucht hatte. Der Tisch war lang und niedrig, man saß rundherum auf Kissen, der Boden war mit geflochtenen Matten bedeckt. In einer Nische in einer der nackten Wände stand eine Vase mit drei zartblättrigen Zweigen, so angeordnet, daß jeder in einem anderen Winkel hinauszeigte. »Dieses Zimmer gefällt mir«, sagte Tec. »Wie wir alle ist dieser Raum ein Museum«, sagte Sam, stark mit seinen Gurken beschäftigt. »An anderen Orten haben Terraner ganz andersartige Methoden des Essens und Lebens entwickelt. Ein Haufen von Außerirdischen.« »Du willst sagen, das Universum sei sehr viel älter als bei meinem Eintritt in die Vitrine«, sagte Tec. »Wenn das bedeutet, daß du mir vertrauen willst, bin ich dankbar.« »Wir versuchen nur, dich kennenzulernen«, erklärte Drake. 70
»Wir wollen, daß du hier unser Leben teilst«, sagte Freyn sanft. »Schließlich bist du ein denkendes Wesen, und in diesem Universum sollten wir alle fähig sein, einander zu verstehen.« »Ich bin eigentlich kein Roboter dieses Universums«, sagte Tec. Die Mahnung war vor allem für ihn selbst gedacht. »Aber du gehörst auch hierher«, sagte Astrid. »Beta und Alpha sind zwei oszillierende Hälften eines Ganzen. In beiden gelten dieselben Naturgesetze, sonst wärst du nicht hier.« Sie war so schön, daß Tec wußte, im Alter würde sie nicht verdorren und gerade dort hungrig machen, wo sie am meisten befriedigte. Ach, diese verfluchten Terraner mit ihrem Durst nach Worten, um Gefühle auszudrücken, die man gar nicht verspüren sollte! Tec stand auf und ging zur Tür. »Bitte, entschuldigt mich. Ich möchte Terra-Center verlassen.« »Aber du sollst doch nicht...«, begann Sam. »Halt den Mund, Sam«, sagte Drake. »Astrid?« »Ich habe nicht in seinem Denken sondiert, Kapitän«, sagte sie, »und ich kann Ihnen keine faktisch begründete Zusicherung über seine geistige Normalität oder Vertrauenswürdigkeit geben, aber ich bin der Meinung, wir sollten ihn eine Weile sich selbst überlassen. Er hat am ersten Tag seines neuen Daseins schon zuviel einstecken müssen. Was meinst du, Freyn, mein Schatz?« »Du hast recht. Den Planeten kann er nicht verlassen, warum soll er ihn nicht erforschen? Das wäre ein Weg für ihn, manches von dem herauszufinden, was er wissen möchte.« Drake nickte ernsthaft. Sam gluckste. Freyn und Astrid lächelten Tec an. »Danke«, sagte er. »Macht euch meinetwegen keine Sorgen.« Er ging hinaus, drehte aber noch einmal den Kopf, um sie in dem wunderschönen, friedlichen Raum sitzen zu sehen. Ich bin ein Fremder, dachte er. Nur ein fremder Roboter. Ich kann mich auf den ersten Blick gar nicht verlieben. 7i
Tec flog mit Antigrav zur Freiterrasse am Holladay-Tower. Vielleicht gab es ein Wunder, und Yodin tauchte wieder auf. Er klammerte sieh an diesen Namen. Yodin war der Schlüssel zu allem. Wenn er ihn nur hätte finden können. Dort war niemand. Nachdem Tec ganz allein gewartet hatte, begann er diesen namenlosen Planeten zu hassen, der ihn gefangenhielt, so daß er die vertrauten Dinge der Erde nicht erreichen konnte. Der Himmel war jetzt aus Gold und verwandelte sich auf einer Seite dieses fremdartigen Landes in blutiges Rot. Der Tag würde bald vorbei sein. Tec schoß hinauf und flog aus dem Tal hinaus, über den hohen Bergzug, ohne recht zu wissen, was er suchte, es sei denn Yodin. Er stellte fest, daß der Planet in der Tat viel kleiner war als die Erde, nichts als Wildnis und Tiere, bis er eine durchsichtige Plastikkuppel von der Art sah, wie die Menschen sie auf allen planetarischen Körpern ohne verträgliche Atmosphäre benutzten. Sie schien nur einige Kilometer nackten, steinigen Boden zu umschließen, aber da eine Ausbuchtung an einer Seite eine Luftschleuse signalisierte, flog Tec hinunter. In diesem Fall diente die Schleuse offenkundig dazu, Luft aus der Kuppel fern- und nicht in ihr zu halten, denn wenn Luft hineindrang, würden Bakterien und Vegetation folgen und zerstören, was die Kuppel schützen sollte. Er sondierte und kam dahinter, daß die Kuppelwände tief in den Boden hinabreichten und ein Eindringen auch von dort her unterbanden. Tec trat an die Tür und sah, daß in der Kuppel unmittelbar über der Schleuse eine Stahlplatte eingelassen war. Mit erhabenen Lettern sprang Tec der Name des Ortes an. MARE TRANQUILLITATIS-MUSEUM
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Unmöglich, dachte Tec, als er die Schleuse betrat. Als er freigegeben wurde für Vakuum, besprüht und desinfiziert, durfte er die Kuppel betreten und ging hinaus auf einen durchsichtigen, erhöhten Laufgang, wo ein kleines Schild stand. NUR D E N LAUFGANG BENUTZEN. W E N N NICHT NUTZBAR, BITTE MIT ANTIGRAV SCHWEBEN. NICHT AUF DEN BODEN HINUNTERGEHEN. BITTE DAS MUSEUM SCHONEN. Er ging weiter zu dem Schaustück, bei dem es sich um einen Flaggenmast mit einem altmodischen Dauerbanner in den Farben einer der größeren Regionen der Vereinigten Erde zu handeln schien. Es war rot, weiß und blau. Rund um die Fahne waren Fußabdrücke zu sehen, die von antiken Raumfahrerstiefeln mit dick gerippten Sohlen herrührten. In der Nähe lagen ein paar uralte mechanische Geräte, darunter ein großes, plumpes, häßliches Ding mit der Aufschrift »Landestufe«. Dort war eine Plakette mit eingeritzten Landkarten der beiden Erdhalbkugeln angebracht, und in einer der alten Sprachen, die zur Entwicklung von Terra-Basic beigetragen hatten, stand dort: HIER BETRATEN MENSCHEN VOM PLANETEN ERDE ZUM ERSTENMAL D E N M O N D JULI 1969, A . D . WIR KAMEN IN FRIEDEN FÜR DIE GANZE MENSCHHEIT In Frieden. Tec stand regungslos, ließ die absolute Stille des Ortes auf sich wirken, schloß sich gegen die Erkenntnis ab, daß viele Meter unter ihm die Gravitations-Anlagen arbeiteten, um die grüne Pracht zu erhalten, die vor dieser kahlen, von Erinnerungen durchtränkten Landschaft geschützt wurde. Er dachte daran, wie es gewesen sein mußte. Empfindliche, kurzlebige Terraner — Erdbewohner, nie zuvor über die Atmosphäre ihres Planeten hinausgekommen, hatten sich in den Weltraum hinausgemüht und primitive Düsentriebwerke ohne Anti73
grav verwendet, ohne Hyperraum-Antrieb, ohne alles, das ihnen eine sichere Rückkehr garantiert hätte. Schließlich waren sie sogar aus dem Schwerefeld des eigenen Planeten hinausgetreten, um den kleineren toten Bruderplaneten zu besuchen, den sie ihren Mond nannten. Warum waren sie hingeflogen? Tec hatte die Erde als so grün von Vegetation und blau von Wasser, so prachtvoll mit stolzen Städten in Erinnerung, daß er begriff, nicht daran gedacht zu haben, wie es selbst im schönsten Gefängnis sein mochte. Ich sollte es nicht vergessen, dachte er. Mein Körper ist auf großartige Weise so konstruiert, daß er lange hält und unter den meisten Bedingungen gut funktioniert, aber für mich ist er ein Gefängnis. Sogar ein lebensvoller Planet von größter Schönheit kann zu voll und zu vertraut werden. Wenn denkende Wesen ein Weg sind, wie ein Universum sich entwickelt, um seiner selbst gewahr zu werden, wollen diese Wesen sich selbst und das Universum verstehen, von dem sie ein Teil sind. Sie müssen erforschen, müssen fremde Welten betreten. Und an Menschen mit Mut hatte es der Erde nie gemangelt. Tec dachte über die Menschheit nach. Sie hatte ihren Riesensprung getan, zuerst zum Mond und dann zu den anderen Planeten, Satelliten und Asteroiden in ihrem Sonnensystem. Sie hatte Raumsiedlungen in Umlaufbahnen um die Erde gebaut und war im Begriff gewesen, einige der jahrtausendelangen Reisen zu anderen Sternen anzutreten, als die Entdeckungen von Antigrav und Hyperantrieb ihr schnellen Zugang zum Rest ihrer Milchstraßen-Galaxis, wie sie dazu sagten, verschafft hatte. Und dann die anderen Galaxien. Menschen - Terraner - waren weit hinausgekommen und - was geworden? Wieviel Zeit? Wieviel Zeit? Tec blickte auf das Geländer des Laufgangs und entdeckte noch eine Plakette in Englisch, Terra-Basic und Galaktisch. FÜR EINEN MENSCHEN EIN KLEINER SCHRITT, EIN RIESIGER SPRUNG FÜR DIE MENSCHHEIT. 74
Namen waren aufgeführt, frühe Raumfahrtunternehmungen geschildert und erklärt, aber Tec wandte sich ab und ging mit bedächtigen Schritten zur Schleuse zurück. Bevor er ging, schaute er sich noch einmal nach den Fußabdrücken um und erinnerte sich an das, was der Y-I-Roboter zu ihm gesagt hatte. »Jede Reise beginnt mit einem Schritt.« Er sagte es leise vor sich hin, als er die Schleuse betrat. Nachdem sie sich auf der anderen Seite geöffnet hatte, trat er wieder hinaus in Luft und Vegetation, dankbar dafür, daß niemand, nicht einmal Yodin, zu ihm in die Kuppel gekommen war und keine empathische Berührung seine stumme Zwiesprache mit den alten Terranern gestört hatte, die so viel gewagt hatteri. In dieser Gegend wurde es schon dunkel, und Tec begriff, daß der Planet rotierte. Er erhob sich langsam in die Luft, bis er über den Bäumen der nächsten Bergkette war. Terra-Center war weit entfernt, hinter dem nahen Horizont, so daß kein Licht vom Boden den Einbruch der Nacht zu stören vermochte. Er schaute hinauf und wartete auf das Erscheinen der alten vertrauten Sternbilder als Hintergrund für diesen Bruderplaneten, von Wolken umkränzt, von Meeren umspannt, für alle, die ihn je gesehen haben, unvergeßlich, weil er in seiner Schönheit die Affektivzentren angreift. »Oh, Erde, ich hab' dich nicht genug geliebt...« Er wartete. Die Sterne kamen heraus. So viele Sterne. Der Himmel füllte sich mit ihnen. »Zu viele!« schrie Tec. Es war keine Erde am Himmel. Niemals hätte sie hier sein können. Die Nacht funkelte im Glanz des Sternenlichts, weil der Mond sich in einem Sternkugelhaufen befand, umdrängt von Sternen, die von der Erde aus nie zu sehen gewesen waren, und er flog ohne Begleiter durch den Raum. »Nur der Wandel ist ewig«, flüsterte Tec. »Nichts im Universum ist ewig. Nicht einmal das Universum.« »Oh, Erde . . . « Nicht zum erstenmal beneidete Tec die Menschen um ihre Fähigkeit, zu weinen. 75
Sie wartete allein in der Bibliothek, bei gedämpftem Licht. Er kam vom Garten herein und setzte sich, die goldenen Augen auf sie gerichtet. »Warum ist der Mond in einen Sternkugelhaufen in der Milchstraßen-Galaxis gebracht worden?« »Die Föderations-Zentrale befindet sich auf einem Planeten eines der Nachbarsterne.« »Warum der Erde den Mond wegnehmen?« fragte er und las die Antwort an ihrer Traurigkeit ab. »Ist die Erde tot?« »Ja.« »Diese Terraner!« Tec schlug mit der goldenen Faust auf den Tisch. »Labile Kreaturen! Ohne Zweifel ist es ihnen gelungen, einen herrlichen Planeten durch einen unsinnigen Krieg oder durch Übervölkerung und Zusammenbruch der Zivilisation zu vernichten . . . « »Nein, Tec. Wir wollen dir die Wahrheit sagen. Die Erde wurde unbewohnbar, als ihre Sonne sich aufzuheizen begann. Sol ist auf dem besten Weg, ein Roter Riese zu werden; die Erde ist ausgebrannt.« »Stabile Sterne mittleren Alters wie Sol tun das nicht so früh.« Astrid berührte mit ihrem warmen Arm den seinen. »Versuch dich nicht allzusehr aufzuregen. Ich weiß nichts über Roiiss-Roboter.« »Sie wissen also nicht, wieviel ich aushalten kann oder wann ich endgültig zum Berserker werde?« Sie lehnte sich zurück. »Ich glaube, du kannst die Wahrheit über alles ertragen, aber ich möchte trotzdem langsam vorgehen.« »Sagen Sie mir die ganze Wahrheit, Astrid.« Sie stand auf, trat an ein Wandbrett und kam mit einer kleinen zugedeckten Schüssel zurück. Als sie den Deckel abnahm, sah Tec eine blaue Flüssigkeit, dampfend und aromatisch. »Das habe ich für dich heißgehalten - der Duft ist dann stär76
ker. Nimm und -« »Was ist das, Medizin für kranke Roboter?« »Ich bin Ärztin. Willst du ein guter Patient sein?« »Nein.« »Das dachte ich mir.« Sie strich die Haare zurück und zog die Nase hoch. »Bitte, liebes Museumsstück, nimm diese Medizin. Sie ist für jedes denkende Wesen mit kompliziertem Gehirn und außerdem das letzte, was ich an dir ausprobieren will, bevor wir dich ins Vertrauen ziehen. Ich verspreche, daß sie dir in keiner Weise schaden wird.« »Was bewirkt sie?« »Sie beruhigt, tut gut und beschäftigt die Geruchszentren.« »Das ist alles?« »Geruchszentren sind primitiv, offenbar sogar bei Robotern. Sie bewirken Erregung der Hirnrinde und Gefühle und alles mögliche noch. Dieses Mittel wirkt bei jedem nur einmal. Danach sind die Geruchszentren völlig immun. Man kann nicht süchtig werden. Hast du verstanden?« »Also gut, ich versuche es«, sagte Tec. »Ich habe meine Affektivzentren immer gehaßt, und zur Zeit machen sie mir große Schwierigkeiten.« Tec ergriff die Schüssel mit beiden Händen, beugte sich vor und ließ den Dampf in sich eindringen. Am Anfang war er zu stark, dann angenehm, aber mit der Zeit nahm er Tec so in Anspruch, daß er alle anderen Sinnesdaten ausschloß. In Tecs Schaltungen vibrierten geheime Schwingungen, und wenn er die Augen schloß, huschten ganz kurze Farbnebel über sein Gesichtsfeld. Dann war keine Empfindung mehr, und er fühlte sich auf seltsame Weise losgelöst von seiner Umgebung, obwohl er sie gleichzeitig ganz deutlich ebenso wahrnahm wie Astrid. Er war bei Bewußtsein, nicht betäubt in der Art, wie durch bestimmte Chemikalien die Neurophysiologie eines ProtoplasmaWesens verändert wird. Er befand sich in einem anderen Bewußtseinszustand, der ihn an etwas erinnerte, das vergessen war. Tecs Geist ruhte in einem tiefen inneren Teich der Harmonie, der nicht nur ihn, sondern alles zu umfassen schien. Das plötzliche Fehlen normalen Erkennens, das Verstummen der Emotion 77
schien ewig zu dauern, aber als er die Augen öffnete, wußte er, daß nur einige Sekunden vergangen waren. »Freiheit«, sagte er. »Das habe ich auch gespürt«, erwiderte Astrid. »In Worten ist es schwer auszudrücken, aber man weiß gewissermaßen, daß man nur ein kleiner Teil der Wirklichkeit ist; man weiß gleichzeitig aber auch, daß man eins ist mit der ganzen Wirklichkeit, ohne Widerspruch.« »Wie tragisch, das nie mehr wieder zu erleben, Astrid.« Sie griff nach der Schüssel und stellte sie auf den Tisch. »Es kostet Mühe, aber man kann es wiederholen. Ich lerne es gerade. Freyn hat die Medizin sogar das eine Mal nicht gebraucht. Er erlangt das stets, wenn er in einem machtvoll veränderten Bewußtseinszustand meditiert, obwohl er sagt, die Erleuchtung sei keine Leistung, sondern eine Entdeckung. Der Witz dabei ist, daß die Medizin tatsächlich nichts anderes bewirkt, als den Geruchssinn zu beschäftigen. Der eigene Geist leistet alles andere.« »Dann kann ich ähnliches früher schon erlebt haben?« »Ohne Zweifel.« »Heute -« Er erzählte ihr von dem Käfer. »Freyn nennt das einen Augenblick plötzlichen Einsseins mit dem Ewigen, das gleichzeitig vollkommene Wahrnehmung des alltäglichen Hier und Jetzt liefert.« »Wenn die Erde sterben kann, ist nichts ewig«, sagte Tec. »Sprich mit Freyn irgendwann einmal über den Hyperraum«, meinte Astrid. »Er sagt, die ganze Wirklichkeit sei ewig, auch wenn es die verschiedenen Muster darin nicht sein mögen. Du bist zornig und deshalb unlogisch, weil du ganz genau gewußt hast, die Erde würde eins Tages untergehen, wenn Sol -« »Logik! Bei allen Drachen von Roiissa, was ist logisch daran, daß ein Stern vom Typ G wie Sol sich so rasch aufheizt? Es dauert insgesamt rund zwölf Milliarden Jahre, bis das geschieht, und zu der Zeit, als ich in die Leere ging, waren erst fünf davon vergangen . . . « Er verstummte und starrte sie entsetzt an. »Warten Sie auf meine Erkenntnis, daß sieben Milliarden Jahre vergangen sind?« 78
»Nein, Tec, soviel nicht. Sol ist zu früh heiß geworden und hat alle Wissenschaftler überrascht. Inzwischen gehörte Lune den Holladays und war durch ein Genie schon umgestaltet und mit künstlicher Gravitation ausgestattet worden. Alle alten Städte, Fabriken und Gruben unter der Oberfläche sind jetzt voll obskurer Anlagen, die niemand richtig begreift, und die sich selbst versorgen und reparieren. Außerdem weiß auch niemand, wie Lune hierherbefördert worden ist.« »Aber warum ist nicht die Erde selbst aus der Gefahrenzone gebracht worden?« rief Tec. »Das wurde erwogen, aber wegen des geschmolzenen Kerns und der Kontinentalverschiebungen der Erde wäre das eine ungeheure Aufgabe gewesen, und da Sol sich so schnell aufheizte, hätte man sie ohnehin nicht rechtzeitig bewältigen können.« »Und das ist alles - sehr lange her«, sagte Tec, der keine genauen Zahlen hören wollte. »Ja. Schon vor langer Zeit brannte die Erde aus und wurde Lune hierhergebracht. Vielleicht teilen wir dir morgen die Einzelheiten mit. Du hast ohnehin schon zuviel Stoff zum Nachdenken.« Er verkrampfte die goldenen Hände ineinander und senkte den Kopf. »Ist alles in Ordnung mit dir, Tec?« »Ich hatte die Erde lieben gelernt. Und es gibt so vieles, was ich nicht begreife.« »Du wirst es verstehen«, sagte sie gütig. »Für den Fall, daß du vom Mare Tranquillitatis mit solchen Empfindungen zurückkommen würdest, wie sie dich offenkundig bewegen, haben wir entschieden auszuprobieren, ob du dich auf das hin, was du für Medizin hältst, innerlich beruhigen kannst. Wenn dem so wäre, wollten wir dir vertrauen und dich einweihen.« »Ich habe die Probe bestanden?« »Zu meiner Befriedigung. Ich habe die anderen telepathisch verständigt, und sie stimmen mir zu. Jetzt haben wir wirklich Gelegenheit, dich gut kennenzulernen, bevor wir uns auf den Weg machen, und später wirst du als unser offizieller Sprecher für das Beta-Universum zurückbleiben und erklären, was Expe79
dition A zu tun versucht.« »Sprechen Sie nicht mehr davon, Astrid. Ich habe das Gefühl, daß ich an nichts anderes denken kann als an die Erde.« »Ich beneide dich darum, daß du sie gekannt hast, als sie noch schön war.« »Geht niemand hin, um sie sich anzusehen, wenn sie noch um die Sonne fliegt?« »Keine Protoplasmen. Es ist zu traurig, und alles der Erinnerung werte wurde mitgenommen, als man die Erde räumte.« »Wie den Holladay-Tower.« »Das ist kaum das größte Kunstwerk, das die Erde je hervorgebracht hat, aber die Holladays hingen daran und waren der Meinung, er würde ihren Mond zieren.« »Die Erde wird mir fehlen.« »Tec, ich habe gehört, daß manche Roboter jetzt tief in den unterirdischen Städten der Erde arbeiten und ihre eigene Zivilisation errichten, um darauf zu warten, daß Sol ein weißer Zwergstern wird und sie auf der Oberfläche bauen können. Vielleicht möchtest du dich ihnen anschließen - obwohl wir hoffen, daß du hier auf Lune bleibst und als Sams Nachfolger Bibliothekar wirst. Würde dir das gefallen?« Sie behandelte ihn wie einen Kranken. Vielleicht war er es. »Ich weiß nicht. Das scheint an diesem Punkt meines Daseins eine passende Laufbahn zu sein. Sagen Sie Sam, daß ich mich geehrt fühle.« Sie lächelte. »Das habe ich eben getan. Jetzt muß ich zu Bett gehen. Es ist sehr spät, Freyn wird schon schlafen, und wenn ich nicht da bin und er sich nicht an mich hinlegen kann, braucht er immer das ganze Bett. Wir unterhalten uns morgen weiter, Tec. Vergiß nicht, daß ich Schlaf brauche. Ich bin nur ein Mensch.« »Das vergesse ich bestimmt nicht.« Terra-Center war still, und Tec stand am Gartentor und blickte zu den Sternen hinauf, als er ein merkwürdiges Geräusch hörte. Als er sich umdrehte, landete ein schwarzes Geschoß auf seiner Schulter. Steife, aber seidige Haare streiften seine Gesichtssen80
soren, ein kleines, schwarzes Gesicht spähte schief in das seine. »Hallo, Selena.« Ihrem Atem nach mußte Selena wieder Fisch verzehrt haben. Er hoffte, daß die Goldfische zum Ausgleich eine hohe Geburtenrate hatten. Ein dumpfes, scharrendes Geräusch veranlaßte ihn, nach unten zu blicken. Er sah Sam heranstapfen. Seine großen stumpfen Klauen kratzten über den Boden. »Laß dich von Selena nicht beirren«, sagte Sam. »Manchmal wird sie bei Robotern neugierig. Vielleicht will sie herausbekommen, ob in deiner Art von Panzer jemand zu Hause ist.« Tec setzte sich mit Selena auf das Sofa. »Ich dachte, du schläfst.« »Ich wollte mit dir reden, okay?« »Gern.« »Astrid hat uns erzählt, welche Schlüsse du gezogen hast. Sonst noch etwas?« »Nein. Ich versuche damit fertigzuwerden. Du wirst mir beibringen müssen, Bibliothekar zu sein. Es muß Hunderte - ich meine, Tausende - von Jahren her sein, seit ich in die Leere gegangen bin. Ich habe viel zu lernen.« »Hm. Ja. Ich verstehe.« »Sam, überlegst du dir, was man mir jetzt noch ohne Gefahr anvertrauen könnte?« »Ach, wir vertrauen dir. Wenn Astrid es tut, dann wir anderen auch, weil sie sich auskennt. Sie ist schrecklich jung, aber MikroÄrzte sind die besten. Sie sind überall an der Spitze. Zum Glück macht Freyn das nichts aus. Er ist eines der von Natur aus am stärksten gefestigten Wesen und fühlt sich kaum durch etwas bedroht, nicht einmal von den Männern, die Astrid zu Füßen liegen.« »Zum Beispiel wer?« »Das weiß ich nicht«, wich Sam aus. »Drake hat ein paar Ehen hinter sich und Vetter York wohl auch, aber sie halten Astrid vermutlich für etwas ganz Besonderes. Wird sie wohl auch sein.« Eine ganz besondere Frau, dachte Tec. Ärztin, Empathin, ein menschliches Wesen alter Abstammung, eine der vielen Holladays, die er gekannt hatte. Trotzdem hoffte er, daß er in diesem 81
Leben keine Frau mehr kennenlernen würde. Er hörte Sam nicht zu. «Es geht also darum«, sagte Sam gerade, »wieviel Information deine Emotionszentren auf einmal verkraften können.« »Was soll mich noch erschüttern? Die Erde ist tot, Sol auf dem Weg, ein Roter Riese zu werden, und irgendein Genie hat den Mond versetzt. Weißt du, wie?« »Verdammt geheim auf jeden Fall. Auf Lune befanden sich keine denkenden Wesen, als der Mond verlegt wurde. Er tauchte eines Tages einfach hier auf und flog langsam zu dieser Bahn um den Stern, den wir jetzt seine Sonne nennen.« »Aber das ist doch ausgeschlossen! Irgend jemand hätte es sehen müssen - es sei denn - er muß durch den Hyperraum geschickt worden sein. Gibt es Leerefeld-Anlagen, die Lune bei einem solchen Durchgang schützen könnten?« »Nicht, daß wir wüßten. Es ist ein Rätsel, aber nicht unser Problem. Für uns geht es darum, wie wir Ship und uns selbst ins Universum Alpha bringen.« »Ich verstehe nicht, warum ihr zu einem kosmischen Ei wollt, das sich noch Jahrmilliarden nicht ausdehnen wird, mehr Jahrmilliarden, als zu zählen ich im Augenblick Lust habe«, sagte Tec. »Wir haben unsere Gründe. Du wirst sie vermutlich bald genug erfahren, weil wir schon in einigen Wochen fliegen. Zuerst muß Astrids Vetter erscheinen, dann geht es los. Du kannst als der neue Lunier bleiben, als Aufsicht über die Roboter, die Terra-Center in Gang halten, und dich um das Wildtier-Reservat kümmern.« Tec legte die schlafende Selena neben sich auf das Sofa und beugte sich vor. »Sam, das ist verrückt - ihr werdet alle sterben. Nur die Roiiss haben je auf dem einzigen Weg, der in das Paralleluniversum führt, Erfolg gehabt.« »Ein schwarzes Loch«, sagte Sam in dozierendem Ton, »ist in der Regel ein zusammengestürzter Stern, aber es kann wie die Zentren von Galaxien auch ein zusammengebackener Klumpen eingestürzter Sterne sein. Man definiert es als eine Ansammlung 82
von Materie mit einer Kombination von Masse und Dichte, groß genug, ein Gravitationsfeld von solcher Stärke zu erzeugen, daß die Oberflächen-Fluchtgeschwindigkeit die des Lichts in einem Vakuum übersteigt.« »Schon, aber -« »Unter diesen Umständen kann natürlich nichts entweichen, nicht einmal das Licht, obschon aus Gründen der Quantenmechanik ein Teil der Rotationsenergie außerhalb seines Ereignishorizonts in subatomare Partikel verwandelt werden kann und . . . « »Aufhören!« rief Tec. »Ich habe ein paar Beinahe-Zusammenstöße mit Schwarzen Löchern hinter mir und wette, daß du das von dir nicht behaupten kannst, Bibliothekar!« »Hm, ja . . . « »Die Roiiss haben mir erklärt, es bedürfe ungeheurer Energie, lebend durch ein Schwarzes Loch zu gelangen, und außer ihnen hätte es niemand fertiggebracht, einschließlich aller derjenigen, die vom Universum Beta in das kosmische Ei von Alpha entkommen wollten.« »Wir haben nicht vor, im kosmischen Ei zu leben, Schwachkopf«, sagte Sam. »Ship wird augenblicklich in den Hyperraum übertreten und dort in der Leere bleiben, bis Alpha sich ausgedehnt hat.« »Den Roiiss zufolge ist es noch niemandem gelungen, und als ich sie das letztemal sah, versuchten sie nach all den Äonen, die sie hier im Universum Beta verbracht hatten, einen sicheren Weg zurück zu finden.« »Das richtige Schwarze Loch. Wo die Drachen schließlich hindurchgegangen sind. Der Weg dorthin ist in die Schaltungen von Ship einprogrammiert, aber nicht in ihr Bewußtsein. Sie kann also keinem sagen, wie man das richtige Schwarze Loch erreicht, wird aber hinfliegen, sobald die Reise losgeht. Ingenieur Yodin hat es so eingerichtet, um die Expedition geheimzuhalten.« »Woher wußte er das richtige Schwarze Loch?« »Niemand weiß das.« Sam gähnte. »Ein bemerkenswerter alter Mann. Soll angeblich ein Holladay gewesen sein.« 83
Tec brauste auf. »Ihr seid trotzdem wahnsinnig, wenn ihr das versucht. Ich glaube, jetzt weiß ich das Schlimmste. Gibt es noch mehr, um meine Schaltungen ins Kreiseln zu bringen, Sam?« »Ach, das meiste weißt du jetzt. Ich gehe nun in mein Zimmer. Das wird eigens für mich stärker beheizt, und ich bin mein Sandbett gewöhnt.« »Sam, du mußt Drake und die anderen dazu überreden, nicht zu fliegen. Expedition Alpha ist aussichtslos. Ingenieur Yodin muß sich geirrt haben, weil das nicht geht, und wenn es doch geht, haben die Roiiss es schon getan und werden jeden anderen am Erfolg hindern.« »Manche Leute meinen, die Roiiss hätten dieses Universum ruiniert.« »Was soll das heißen?« »Du wirst schon dahinterkommen. Ich bin schläfrig. Wer weiß - vielleicht macht unser Erscheinen in Universum Alpha dort einen Unterschied. Sogar unser Tod könnte etwas bewirken.« »Ich will nicht, daß einer von euch stirbt!« schrie Tec. »Danke«, sagte Sam auf dem Hinausweg. »Reg dich nicht auf, Tec. Du bist schlimmer als die Menschen. Außerdem - wenn Drake zu diesem Abenteuer entschlossen ist, kann ihn nichts aufhalten. Jedenfalls kein Haufen alter Drachen.« Er bewegte sich langsam den Flur entlang, bog um eine Ecke und war verschwunden. Ich muß sie aufhalten, dachte Tec. Ich will nicht, daß Astrid stirbt.
Auf dem Tisch in der Bibliothek lag ein Buch. Tec griff danach. In den langen Stunden mit protoplasmischen Wesen hatte er gelernt, sich den Tag so einzuteilen wie sie; ihre Schlafenszeit hatte er zum Nachdenken und Lesen genutzt, aber jetzt konnte 84
er sich nicht entspannen. »>Laßt der Vermählung wahrer Geister ein Hindernis mich nicht gestatten .. .<« Er wandte sich rasch von Shakespeare ab. Der Mann war zu heimtückisch. Er hatte zuviel gewußt und es in unsterbliche Worte gefaßt, die eine Sprache daran hinderten, zu weit über sie hinauszuwachsen, denn wenn sie es tat, würde man die Originale nicht mehr verstehen können. Sogar Terra-Basic war von der Sprache Shakespeares stark gefärbt. Außerdem war die Vermählung wahrer Geister ein Gedanke, der zu Ernüchterung Anlaß gab und kaum zu ertragen war. Er wandte sich anderen Dichtern zu. und empfand Neid auf die kurzlebige Gefühlstiefe dieser vergänglichen Wesen. Doch lieb mich um der Liebe willen, damit du immer lieben kannst, die Ewigkeit der Liebe lang. Er klappte das Buch bei diesen vertrauten und jetzt völlig neuen Worten zu und kam zu dem Schluß, daß es eine Qual für ihn werden würde, diese Nacht hinter sich zu bringen. Plötzlich fuhr Selena, deren schwarzer Kopf an ihren Hinterbeinen gelegen hatte, hoch und sprang mit gesträubtem Fell auf den Teppich hinunter. »Was ist los?« fragte Tec, ohne seine eigenen Sensoren zu befragen. Sie knurrte kehlig und kroch mit einem melodischen Gurgeln unter das Sofa. Da kam jemand. »Yodin?« flüsterte Tec. Selena wäre vor keinem der Roboter oder Terraner erschrocken, den sie kannte, und sonst war auf dem ganzen Planeten außer Tec niemand wach. Er sondierte. Die Robotscanner des Center waren in Betrieb und hatten offenbar keinen Einwand gegen das durch die Atmosphäre herabsinkende Schiff; demnach war es entweder bekannt, man erwartete es, oder es war harmlos. Tec rasterte es rasch auf. Schiff war ein eleganter Mechanismus von edlen Proportionen, konstruiert für eine phantastische 85
Reise. Dieses neue Raumfahrzeug war so klein, daß kaum Platz für mehr als ein Wesen an Bord blieb. Dieses Wesen war menschlich. Tec sondierte weiter und studierte die Daten. Die Zellen des Menschen hatten einen merkwürdigen R-Einschluß. Was konnte das bedeuten? Tec trat in den Garten hinaus, der jetzt duftend in gedämpfter Stille lag. Er wartete, bis vor dem Hintergrund der Sterne schließlich ein kleines, arg mitgenommenes Schiff herabflog. Das Raumschiff schwebte leise klappernd über dem Garten und fiel dann langsam hinunter und kippte, bis es auf dem Kopf in der größten Wiese zwischen den größten Rosenbeeten landete. Die purpurroten Rosen sahen im schwachen Licht der Bibliotheksfenster samtschwarz aus. Tec konzentrierte sich auf sein Infrarot-Sehvermögen, als der Schiffsinsasse aus der halb verklemmten Luftschleuse kletterte. »Hallo«, sagte Tec. Der kleine Mensch stürzte rückwärts in einen Rosenstrauch, fluchte in mehreren Sprachen und schüttelte drohend die Faust. »Was bildest du dir ein, mich so zu erschrecken, du goldplattierter Roboter!« »Es tut mir leid«, sagte Tec, half ihm auf die Beine und bürstete ihn ab. »Sie hätten vorne hereinkommen sollen, wo die Touristen begrüßt werden, wenn das Center nicht geschlossen ist, was zur Zeit der Fall ist.« »Ich bin kein Tourist, verdammt! Ich gehöre zur Familie!« »Bitte, kommen Sie herein«, sagte Tec hastig. Er hatte unabsichtlich und mit erschreckender Mühelosigkeit die Gedanken des Mannes gelesen. Unter den verschiedenartigen Gefühlsbewegungen und wirren Gedanken waren zwei klare Sätze gewesen: »Noch so ein altmodischer Wachroboter, mit dem man sich abplagen muß« und »Wo kann ich hier pinkeln?« Tec eilte mit seinem neuen Schützling ins Haus und zeigte ihm die Tür zu dem Ort, wo Wesen ihren Ausscheidungsbedürfnissen nachkommen konnten. Er wartete draußen, hörte Flüssigkeit in Flüssigkeit spritzen, einen Seufzer der Erleichterung und dann anderes Rauschen. Der kleine Mann trat endlich her86
aus, zog die Brauen hoch und lächelte, als Tec ihn in die Bibliothek führte. »Hübsch hier.« »Sehr«, sagte Tec und fühlte sich dabei so besitzerstolz, als lebe er hier schon Jahre, statt nicht einmal einen ganzen Tag. »Ich bin am richtigen Ort, nicht wahr? Hier lebt doch die Familie Holladay, oder?« »Hier leben Astrid Holladay und ihr Mann Freyn«, sagte Tec. »Dann ist es ja gut.« Der Mann setzte sich auf das Sofa und zog die weichen, spitzen Stiefel aus. »Ist etwas zu essen da?« »Ich lasse die Robodiener kommen«, sagte Tec und gab den Auftrag. Die Augenbrauen des Mannes schossen wieder in die Höhe, offenbar angesichts der Erkenntnis, daß Tec kein Diener war, aber er sagte nichts, bis der Roboter erschien. »Milch, irgendeine, sogar von Elefanten - ich bin nicht heikel - dazu Schokoladengebäck, Proteinkuchen und vielleicht ein kleines Glas Weinbrand.« Als der Robodiener davonsurrte, zog der kleine Mann einen Apfel aus den Falten seines fließenden Flittergewandes. »Von dem Baum gepflückt, an dem wir vorbeigekommen sind. Macht hoffentlich nichts.« »Keineswegs.« Im Makroaufbau war der Mann sehr klein, seine Haut war von einem ausgefallenen Dunkelgrün, dunkler noch als bei Freyn. Seine Kopfbehaarung mußte das menschliche Pigment verloren haben, denn sie war von grellem Grün, aber der Rest wirkte, abgesehen von einem grünlichen Stich, tief schwarz. Der Mann war auch sehr alt. Seine Haut war zerfurcht, runzlig und faltig, und daß er so klein aussah, lag zum Teil daran, daß er so verwelkt und gebeugt war. Trotzdem wirkten seine schwarzen Augen lebendig und humorvoll. Tec achtete darauf, nicht wieder in das Gehirn des Mannes zu blicken. »Sind Sie Mr. York Holladay?« fragte Tec. »Wer?« Es schien ihm gleichgültig zu sein, woher Tec die Antwort nahm, weil in diesem Augenblick der Robodiener mit dem Essen hereinkam, auf das der Mann sich wie ein Halbverhunger87
ter stürzte. Nach einer Weile hob er den Kopf und sah Tec prüfend an. »Willst du wissen, wer ich bin?« »Das war der Sinn.« »Hm. Du wachst über die Holladays?« »Gewissermaßen.« »Recht rätselhaftes Gerät, wie?« sagte der Mann. »Ich bin außerdem stark, während Sie schwach sind«, sagte Tec, »und es dauert gar nicht mehr lange, bis ich Sie, Ihr Raumschiff und das Glas Milch in den Hyperraum zurückwerfe, wenn Sie mir nicht erklären . . . « »Gut, gut.« Er schloß die Augen, lehnte sich zurück und sagte leise: »Du bist ein Teil des Rätsels. Kein gewöhnlicher Roboter.« Tec hatte das Gefühl, der Mann sei entweder in einer Trance oder spiele ihm etwas vor, damit er nicht verraten mußte, wer er war, und es fiel Tec schwer, der Versuchung zu wiederstehen, in seinem Gehirn selbst nach den Antworten zu suchen. Tec tat es nicht, denn dies war ein Universum, in dem jeder seine Gedanken eifersüchtig vor anderen hütete, und wenn er das Gehirn eines anderen so mühelos erforschen konnte, wäre das ein unverzeihlicher Einbruch in die Privatsphäre gewesen. Der Mann öffnete die Augen. »So müde. Seltsame Dinge. Wie heißt du, Roboter?« »Ich dachte, ich hätte Sie gefragt.« »Ach, ja, das hast du. Alt, weißt du. Mein Name ist Pedlar.« »Nur Pedlar?« »Pedlar Schadrach.« Eine prominente Marsfamilie dieses Namens hatte etwa zu der Zeit, als Tec hatte sterben wollen, größten Einfluß auf die galaktische Politik und Machtpositionen übernommen, deshalb fragte Tec: »Die Schadrachs vom Mars?« »Das sind wir. Als die Erde zugrunde ging, erwärmte sich der Mars, und unsere Familie legte erst richtig los. Die Schadrachs sind jetzt in vielen Galaxien bedeutungsvoll, in manchen sogar Herrscher, aber ich verwende den Namen kaum. Die Familie hat mich verstoßen, als ich noch klein war.« In den Augen des alten Mannes glitzerten wässerige Tränen, und er wischte sie mit ge88
krümmten Altersfingern weg. »Warum?« fragte Tec. »Du weißt es. Du hast mich nach dem Nachnamen gefragt, obwohl ich ihn dachte, also bist du höflich gewesen und hast meine Gedanken nicht gelesen.« »Mr. Schadrach, ist es möglich, daß Sie keine Gedankensperre besitzen?« »Ich bin einfach Pedlar. Nenn mich so, Roboter mit Äonen auf dem Buckel. Und überall. Äonen und Äonen und . . . « Pedlar schloß die Augen und gähnte. Menschliche Wesen hatten Tec oft beschrieben, wie es sich manchmal anfühlte, wenn eine besonders unheimliche Erscheinung auf die menschliche Entsprechung von Kognitiv- und Affektivzentren einwirkte. Das sollte so ähnlich sein, als liefen Schauer am Rückgrat auf und ab. Tec glaubte verstehen zu können, was das bedeutete. »Mein Name ist Tec«, sagte er und achtete darauf, ob in den Augen des alten Mannes etwas aufzuckte. »Komischer Name. Kommt mir bekannt vor. Bekannt...« Er schlief, in der Hand ein Plätzchen; die Hälfte von seinem Gemisch aus Milch und Weinbrand war noch ungetrunken. Tec wartete und sondierte dann vorsichtig den Körper des alten Mannes. Es gab zuviel, was nicht mehr behoben oder ausgetauscht werden konnte - Pedlar starb, langsam, aber mit Gewißheit. »Mein Name ist Pedlar.« Er war wieder wach, viel lebendiger und heiterer. »Danke für das Essen. Ich glaube, ich habe dir gerade etwas Wichtiges erzählen wollen.« »Sie haben keine Gedankensperre, Pedlar. Ist das der Grund, warum Ihre Familie Sie verleugnet hat?« »Ja. Sie war auch nicht damit einverstanden, daß ich die grüne Färbung behalten wollte, nachdem die Wissenschaftler dahintergekommen waren, wie man den R-Einschluß bewahren, die Farbe davon aber wegbringen konnte - damals in, ich weiß nicht mehr, wie lange das her ist. Meine Familie war von aristokratischem Schwarz ohne jede Beimischung von Grün, und man konnte mich nicht ertragen, einen grünhaarigen gesellschaftlich 89
Aussätzigen, der immer weiterziehen muß, weil niemand es aushalten kann, jemanden um sich zu haben, der seine Gedanken nicht abschirmen kann.« Wenn alle Telepathen sind, braucht auch jeder eine Abschirmung, dachte Tec, weil die nackte Wahrheit, die man in einem ungeschützten Gehirn lesen könnte, die Maske der Zivilisation abreißen würde. »Ich bin auch kein Telepath«, sagte Pedlar traurig. »Als der R-Einschluß meine embryonale Entwicklung durchlief, ging etwas schief, aber auf der anderen Seite vielleicht auch etwas gut, weil ich doch ein Talent habe.« Er zwitscherte fröhlich und wakkelte mit dem Finger. »Zwei Talente. Zum einen weiß ich, was denkende Wesen gerne haben wollen, und verkaufe oder vermiete es ihnen. Man könnte sogar sagen« - seine Stimme wurde ein trockenes Flüstern des Alters in der Nacht -, »daß ich mit Träumen handle.« »Und das andere Talent?« »Wird dir nicht gefallen. Gefällt keinem.« Das Unheimliche, dachte Tec, der Blick über das Sichtbare hinaus. »Sehen Sie die Zukunft, Pedlar?« »Nicht direkt. Das wäre Zauberei, und so begierig ich sie auch zu finden versuche, es gibt sie nicht, gleichgültig, wo ich hinkomme, und ich bin überall gewesen. Nein, Freund Tec, ich sehe - Möglichkeiten. Ich weiß nicht, wie, und kann es nicht steuern oder herbeiwünschen, aber es tritt ein, und ich halte dann meistens den Mund. Aber irgend jemand liest immer meine Gedanken, und dann muß ich mich auf den Weg zu einer anderen Galaxis machen. Das Leben ist hart.« »Aber nicht für immer.« »Nein. Ich sterbe wohl. Konntest du das erkennen?«
»Ja.« »Kannst du sagen, wann?« »Nein«, sagte Tec aus Mitleid. Pedlar seufzte. »Das macht nichts. Es ist besser, man weiß es nicht. Mich stört es nicht. Ich habe so lange gelebt, daß ich ohnehin nicht mehr 90
mitzählen kann. Ich bin nur hergekommen, weil ich erfahren habe, daß mein Sohn eine Reise antritt und nicht zurückkommen wird. Ich wollte ihn wiedersehen.« »Wie . . . « »Keine Ahnung. Ich weiß es einfach. Ich habe jahrelang versucht, ihn über die Holladays zu finden, aber wie das so ist, bin ich nicht jeder Spur nachgegangen, bis ich das Gefühl bekam, er gehe für immer fort. Er soll hier in Terra-Center sein. Kannst du mich zu ihm bringen?« »Sie haben mir seinen Namen nicht gesagt, Pedlar.« »Mein Adoptivsohn Samyak.« »Samyak, die Schildkröte?« fragte Tec, so, als hätte er eben nicht ganz zufällig ein klares Bild von Sam im Gehirn des anderen gefunden. »Ich fand ihn als ein Baby in einer Ladung gestohlener Ware na ja, ich war früher Schmuggler und Hehler -, aber das spielt keine Rolle. Hab' das seit Jahrhunderten nicht mehr gemacht. Oder vielleicht sind es ein paar tausend Jahre, ich weiß es nicht. Er schrumpfte zusammen und starb an Hunger und Vernachlässigung, und ich pflegte ihn wieder gesund. Ich liebte ihn - weil er der einzige war, der mein verdammtes offenes Hirn ertragen konnte.« »Wie seid ihr getrennt worden?« »Ein paar Jahre später, als Sam heranwuchs, geriet ich auf einem Planeten in Schwierigkeiten, wo die Holladays zu bestimmen hatten. Sam überredete sie dazu, mich laufen zu lassen, aber ich konnte sehen, daß, wenn er bei ihnen blieb - und das kleine Mädchen so verschossen in ihn war -« »Astrid?« »Ihren Namen habe ich vergessen, aber ich glaube nicht, daß sie so hieß. Er würde eine ordentliche Ausbildung erhalten, wenn er bei den Holladays blieb, und konnte etwas werden. Für manche denkende Tiere ist es nicht leicht, weißt du, vor allem für plumpe wie Schildkröten. Sie brauchen Hilfe, und ich konnte Sam davon nicht viel geben, nachdem ich ihn einmal gesundgepflegt hatte. Deshalb sagte ich zu ihm, er solle bei den Holladays bleiben, die ihn behalten wollten. Na ja, ab und zu besuchte ich 91
ihn schon, aber die Zeit vergeht, und ich vergesse wohl auch viel...« »Keine Sorge«, sagte Tec. »Sam ist hier. Er wird sich gewiß sehr freuen, aber jetzt schläft er. Warum legen Sie sich nicht auf das Sofa und schlafen bis morgen früh?« »Danke, das brauche ich - aber ich störe dich. Warst du nicht in der Bibliothek beschäftigt, bevor ich ankam? Hast dir Sorgen gemacht?« Pedlar lächelte, als Tec mit der alten menschlichen Verneigungsgeste den Kopf schüttelte, als spüre er, daß auch Tec sich das menschliche Bedürfnis der Lüge gönnte, um Gefühle zu verbergen. War der seltsame kleine Mann statt Telepath ein Empath? Vermutlich nicht, denn da war nichts von der inneren Empfindung, die selbst die zarteste empathische Berührung zwischen zwei Wesen begleitete. Pedlar kramte in seinem Rucksack und gab Tee einen Lederbeutel. »Versuch es damit. Ob sie bei Robotern wirken, weiß ich nicht, aber wenn doch, gefällt dir das vielleicht.« Das erste, was Tec im Beutel ertastete, war ein kleiner Würfel, den er herausnahm und verwirrt betrachtete. »Horch einmal«, sagte Pedlar. Jetzt hörte er es - Musik? In seinem Inneren waren Töne, aber äußerlich nicht zu hören, oder doch? Er schien es nicht entscheiden zu können. Sein Inneres nahm die Töne auf, verlor sich, verschmolz mit ihnen . . . »Was höre ich?« fragte er, um den Bann zu brechen. »Die Übertragung kosmischer Energiefelder in Schall? Oder subatomare Felder?« »Vielleicht dasselbe«, sagte Pedlar undeutlich. »Warum nicht?« Tec lauschte wieder. »Mehr als das - mehr - aber was?« Pedlar gähnte. »Was ist, das ist.« Tec versuchte es noch einmal, und diesmal verstummten die Worte in ihm, und es gab nur noch die Musik, aber keine Töne 92
mehr. Er gab Pedlar den kleinen Würfel zurück. »Bitte, nehmen Sie ihn wieder. Ich bin noch nicht reif dafür.« Pedlar zog die Schultern hoch. »Gut. Du hast Zeit. Ich nicht, aber das macht nichts. Ich vermache dir den Würfel«, sagte er und gluckste wie ein mutwilliger Gnom. Dann lehnte er sich zurück und schloß die Augen. »Es tut mir leid«, sagte Tec. »Sie sind müde.« »Versuch es mit dem anderen Traum im Beutel.« »Womit?« Pedlar schlief beinahe schon. »Nicht verkaufen, nur vermieten. Oder leihen. Ja, ich leihe dir meine Waren, Roboter. Du brauchst ein paar oder wirst sie brauchen.« Er begann zu schnarchen. Kein Empath, dachte Tec, aber jemand, der Muster sah in Dimensionen, die in die Zukunft ebenso hineinreichten wie in die Vergangenheit. Wenn er sich auf Potentielles einstimmte, konnte er leichter erraten, was mit einem Wesen geschehen war oder noch geschehen mochte. Kein Wunder, daß Pedlar immer weiterziehen mußte. Tec trat mit dem Lederbeutel an die Tür und wollte in den Garten hinausgehen, als er Pedlar im Schlaf sprechen hörte. »Kauft einen Traum, werter Herr, kauft einen Traum.« Ein gefährlicher Beruf - Verkäufer von Träumen.
Tecs Infrarotblick erlaubte ihm, trotz der Dunkelheit den Beutel zu öffnen und das letzte Probeexemplar von Pedlars Waren zu betrachten. Er saß auf dem Stuhl unter dem Apfelbaum, durch das Laub vor dem blassen Licht aus den Bibliotheksfenstern geschützt, vor sich die duftenden Blumenbeete, den stillen Teich, die dicht bewachsene Mauer und den Himmel, dessen Geglitzer jetzt von Wolken angehaucht war. Er vermißte Selena, die aus der Bibliothek verschwunden und nicht zurückgekommen war. Tec hob die Hand mit dem zweiten Traum, einem sonderba93
ren durchscheinenden Gegenstand in der Form eines großen Terra-Vogeleis mit einer durchsichtigen Öffnung am stumpfen Ende. Im Inneren war zunächst nur ein schwaches Glimmen wahrzunehmen, aber als er das Ei näher an das rechte Auge heranführte und sich konzentrierte, begannen Formen zu entstehen. Er sah ein wirbelndes Kaleidoskop von Gesichtern - die Gesichter aller Wesen, die ihm je etwas bedeutet hatten und seit Hunderten, vielleicht Tausenden von Jahren tot waren. Er schloß die Augen und versuchte klar zu denken. Registrierte das Gerät Gedanken oder Wünsche? Bin ich besessen von der Sterblichkeit? dachte er. Warum nicht? Ich bin ihr Gefangener. Wenn das Universum stirbt, werde ich auch sterben, falls ich bis dahin nicht völlig abgenutzt bin. Was mache ich hier auf Lune? Was will ich? Er öffnete die Augen und blickte wieder in das Ei. Er sah Astrids Gesicht. Hinter ihr tauchte ein goldener Roboter auf. Sie drehte sich herum, umarmte ihn und umschlang ihn mit Armen und Beinen. »Nein!« Tec blickte zur Seite, aber er konnte das Ei in seiner Hand spüren wie etwas Böses, gelegt von einem Ungeheuer, das die Unmöglichkeit nichtbiologischer Vereinigung nicht anerkennen wollte. In einem nahen Strauch regte sich ein Vogel, zirpte einmal und verstummte wieder. Tec blickte noch einmal in das Ei, versuchte sich diesmal auf Potentielles zu konzentrieren, versuchte sich vorzustellen, er sei Pedlar, fähig, sich in die Muster des Jetzt einzustimmen und daraus Schlüsse zu ziehen. Es gelang ihm nicht. Ein Potential in ihm selbst, das er nicht verstand, hinderte ihn daran, das Muster in die Zukunft hineinzuverschieben. Erschreckt blickte Tec weiter in das kleine Fenster und versuchte sich zu zwingen, das zu sehen, was er tun mußte. Galaxien - zu Millionen - stürzten aufeinander zu, prallten zusammen und verschmolzen, wurden greller und greller, bis es nur noch siedendes Licht gab, gefolgt von wabernden Purpurund Grüntönen, suchend, suchend . . . und dann nur noch das 94
verschwommene Bild eines winzigen Drachens, der durch das Nichts schwamm, mit der Zeit größer wurde, ein purpurrotes Monster mit grünem Schillern an den Schuppen, wenn der Schweif peitschte . . . Genug, dachte Tec. Der erste Tag meines neuen Daseins soll nicht mit Selbstqual aufhören. Er legte das Ei in den Beutel zurück, verschloß ihn sorgfältig und ließ sich mit geschlossenen Augen im Liegestuhl zurücksinken. Etwas Warmes, Lebendiges landete auf seinen Beinen. »Mrrau«, sagte Selena. Tec lächelte über die fragend schiefe Haltung des schwarzen Köpfchens mit den nach vorn gestellten Ohren. Sie ging an seinen Beinen hinauf und setzte sich aufrecht auf seinen linken Schenkel, um großzügig den Hals zum Kraulen anzubieten. Als Tec es tat, fiel ihm auf, daß Selenas Nase in den schwachen Wind erhoben war und ebenso wie die Schwanzspitze leicht zuckte. »Bin ich ein guter Standplatz, wenn du Vögel belauerst?« Dem häufigeren Zirpen im Gebüsch entnahm Tec, daß die biologischen Uhren der Vögel den nahenden Tag ankündigten. Tec verspürte den unsinnigen Wunsch, ins Haus zu stürzen, Astrid zu wecken und ihr zu sagen, das Universum sei so schön, daß sie ihn darin nicht allein zurücklassen dürfe. Sie durfte nicht ins Alpha-Universum gehen! Er versuchte zu meditieren und sich zu beruhigen, aber seine Affektivzentren blieben in Aufruhr, und die Kognition deutete unaufhörlich an, daß etwas nicht in Ordnung war. »Natürlich ist etwas nicht in Ordnung«, murmelte Tec. »Ich bin verliebt.« Wie unter Zwang holte er wieder das Seh-Ei hervor, denn wenn noch Schlimmeres kam, wollte er es sofort wissen. Diesmal sah er ein wunderliches Bild von einem Mädchen mit goldenen Haaren, angekettet an einen Berg - oder war es ein Raumschiff? Und auf dem Schiff ritt ein Drache . . . Bei allen Roiiss von Roiissa, dachte Tec, ich beschwöre eine Illustration herauf, die ich einmal in einem Kinderbuch von Terra gesehen habe. 95
Aber das Bild veränderte sich. Plötzlich war nichts mehr zu sehen, und doch ging etwas mit ihm vor. Was war in seinem eigenen Hirn erweckt worden? Macht? Welche Macht? Applaudiert von Vogelgezirpe, flammte am Himmel über dem alten Kraterwall die Morgendämmerung. Schwer zu glauben, daß es nicht die alte Sol war, die über dem Horizont heraufkommen würde. Ohne sich das eigentlich vorzunehmen, sondierte Tec durch Lune hindurch die neue, immer noch nicht sichtbare Sonne. Ja, wieder ein Stern Typ G. Gut für das terranische Ökosystem. Noch weiter hinaus. Viele Planeten um nahe Sterne. Die mit terranischer Atmosphäre waren alle dicht bevölkert, überall gab es Weltraumsiedlungen in Umlaufbahnen. Sein Denken griff hinaus. »Aber da stimmt etwas nicht! Das Universum ist anders.« Versuch es noch einmal. Weiter hinaus! »Der Raum selbst ist nicht wie früher. Die Strahlung kehrt zurück!« Die Strahlung ist in einem sich ausdehnenden Universum Lebensspenderin, in einem schrumpfenden jedoch die Henkerin. Keine Nacht mehr. Kein Dunkel des Weltraums. Das Ende aller Dinge. Tec wußte endlich, daß er nicht nach Hunderten oder Tausenden oder auch Millionen Jahren aus der Leere zurückgekehrt war. Äonen, hatte Pedlar gesagt. Und das Universum Beta stirbt.
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Teil III
Es war eine Sache, zungenfertig über die Sterblichkeit von Universen zu reden, und es war eine andere, ihr direkt gegenüberzustehen. Tec wußte, daß ihn das unwiderruflich verändert hatte. Er versuchte nicht mehr, Astrid zu überreden, sie möge an Expedition A nicht teilnehmen. Er hatte seinen Entschluß gefaßt. Er würde mitgehen, ob ihnen das paßte oder nicht. Nach einer Woche waren er und Pedlar feste Angehörige des Haushalts geworden, aber er schob es immer wieder hinaus, Drake zu fragen, ob er sich der Expedition anschließen könne. Er bekundete lediglich Interesse an einer Besichtigung des Schiffes und bekam sie auch zugestanden, wobei Drake die Verbesserung des Hyperraum-Antriebs erläuterte, die Verfeinerung der Anti-Schwerkraft-Mechanismen und die verblüffend neue Verwendung von Treibstoffenergie, die kosmischen Feldern entzogen wurde. Die Fähigkeit, schützende Leerefelder zu liefern, war für Tec in höchstem Maß erstaunlich. »Ich hole nie auf. Für mich ist zuviel Zeit vergangen.« »Zerbrich dir nicht den Kopf darüber«, sagte Drake. »Stell dich einfach dem Abenteuer der Zukunft.« »Einem sterbenden Universum?« »Das dauert noch Milliarden Jahre. Beta ist jetzt erst in der Wendephase, und dieses stationäre Universum wird lange Zeit bestehen.« »Eine lange Entwicklung hin zum Tod«, sagte Tec. »Das gilt wohl allgemein für das Leben, wenn man es so be97
trachten will, aber ich persönlich bin gegen Altern und Tod«, gab Drake zurück. Sie saßen im Kontrollraum und beobachteten auf dem Sichtschirm die Pracht eines nahen Schwanns Seegänse. Ein großer Elch hob vom sumpfigen Boden in der Nähe des Zentralsees dieses Tales, das einmal ein Mondkrater gewesen war, den Kopf und brüllte. Von seinem Geweih hingen Sumpfkrautstränge. Das Beta-Universum ist immer noch interessant und genußbringend, dachte Tec. »Weißt du, Tec, vielleicht werden wir sein wie die Roiiss und dem Tod entgehen, wenn wir unser eigenes Universum verlassen. Wenn wir durch das Schwarze Loch gelangen und gefahrlos in der Leere und im Hyperraum bleiben, bis Alpha sich ausdehnt, wird es ein ganz neues Universum geben, in dem ich mein Glück suchen kann.« Der Elch brüllte noch einmal und stürzte sich ins Wasser, mit seinen langen Beinen laufend, bis der große Leib ganz überspült war und er zu schwimmen begann. Pedlar verbrachte den Großteil der ersten Woche damit, sich in der Klinik gründlich untersuchen zu lassen. »Für ein Protoplasma-Wesen ist er unvorstellbar alt«, sagte Freyn, »vielleicht Tausende von Jahren. Er kann sich nicht mehr an die aristokratische Familie erinnern, von der er verstoßen wurde, und hat keine Verbindung mehr zu ihr. Er sagt, seine Eltern und Geschwister wären bei einer Revolution aus den Geschichtsbüchern verschwunden, und er könne die Neugier nicht aufbringen, festzustellen, wann genau er geboren sei.« »Konnte man die Krankheitsprozesse in ihm zum Stillstand bringen?« fragte Tec. »Teilweise. Ich habe an seinen größeren Problemen gearbeitet, Astrid hat einige Mikroanpassungen vorgenommen, aber wenn er sich nicht mehr Mühe gibt, können wir sonst nicht viel tun. Da alle denkenden Protoplasmen die Gabe haben, ist im Lauf der Jahre das Wissen über die Selbstheilung verbreitet worden, und die Ärzte dienen nur noch zur Ergänzung. Leider verhindert möglicherweise Pedlars mutierte Gabe, daß er Alte98
rungs- und Krankheitsprozesse selbst verändert - oder aber er will es nicht.« »Kann man nicht neue Organe für ihn klonen?« fragte Tec und dachte daran, wie die Menschen zu der Zeit, als er im Holladay-Tower ein Schaustück geworden war, ihr Leben verlängert hatten. »Nicht mehr«, sagte Astrid. »Seine eigenen Zelle, sogar das Sperma, sind zu alt, als daß man Klon-Organe hervorbringen könnte, die wesentlich länger Bestand hätten als er, und leider hat er in keiner der Zellenbanken der Föderation jüngeres Gewebe im Leerezustand liegen.« »Das einzige, was sein Leben sonst noch um Jahre verlängern könnte - nämlich künstliche Teile -, will er nicht«, sagte Freyn traurig. »Das nennt man Robotisieren«, sagte Astrid. »Wie die Mischungen bei den Terranern neuer Abstammung. Aber vielleicht hat Pedlar recht, wenn er das ablehnt. Bis jetzt gibt es noch keine Möglichkeit, Gehirngewebe wiederherzustellen oder zu ersetzen und die Gewißheit zu haben, daß die Erinnerungen intakt bleiben.« »Gewißheit? Heißt das, daß man es tatsächlich schon getan hat?« Freyn nickte. »Es hat Übertragung von Denkstrukturen auf Robotgehirne und umgekehrt gegeben, so daß ein Individuum weiterexistieren kann für - wer weiß, wie lange? Aber aus irgendeinem Grund funktioniert es nicht, wenn man auf ein geklontes organisches Gehirn überträgt. Das werden Schwachsinnige. Nach meiner medizinischen Meinung ist es auch nicht klug, zuviel oder zu lange von organischen Gehirnen zu Robotgehirnen zu übertragen. Das Individuum verändert sich auf oft unberechenbare und irrationale Weise.« »Ich habe oft beobachtet, daß sogar ohne Robotisierung Individuen sich im Lauf ihrer Reise durch das Leben auf diese Weise verändern können«, sagte Tec reumütig.
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Die Reise, die lange Entwicklung zum Tod. Tec kam davon nicht los. »Astrid«, sagte er eines Tages, als er sie im Labor besuchte, wo sie alleine arbeitete, »ich habe mir überlegt, daß nur Ihre fernen Nachkommen leiden und schließlich aussterben werden, wenn Beta zusammenstürzt. Warum wollen Sie dann fortgehen, obwohl Sie noch so jung sind?« »Ich will wohl etwas für das Überleben tun - nicht für mich oder meine Nachkommen, sondern für die Hoffnung und vielleicht das Wissen«, erwiderte sie. »Wir können nicht wissen, was für neue Formen, Gehirne und Ideen sich in diesem Universum entwickeln mögen, bevor es schließlich untergeht«, sagte Tec. »Haben Sie es so eilig, Alpha dort beginnen zu lassen, wo Beta jetzt steht, statt ganz von vorn anzufangen?« »Ich weiß nicht. Und du hast natürlich recht. Es wird interessant sein, zu sehen, was mit Universum Beta geschieht - aber Tec, ich will mit Expedition Alpha gehen. Das ist der großartigste Versuch, den das hier entwickelte Leben jemals unternommen hat, und ich möchte beteiligt sein.« »Ach, Astrid, das Leben entwickelt sich überall wie die trotzige Geste eines Universums gegen die Entropie, aber es ist immer bei der Geste geblieben, weil alles stirbt.« »So sind die Dinge eben.« Sie lächelte ihn an. »Und das ist auch gut so. Dadurch wird das Universum angehalten, immer wieder neue Ideen auszuprobieren.« Er lachte. »Ja, jetzt haben Sie recht. Veränderung soll stattfinden und findet statt, und unser eigenes Handeln kann Veränderung bewirken. Unser Denken und Hoffen und Arbeiten ist Teil der Dinge, so, wie sie sind.« »Bravo, Tec! Du hast den Grund für Expedition Alpha eben viel besser erklärt, als ich das könnte. Vielleicht wird es der trotzigen Geste des Lebens diesmal gelingen, den Tod seines Universums zu verhindern. Ist das nicht den Roiiss gelungen?« »Sie sind entkommen, aber für das Beta-Universum haben sie bislang, nachdem die Menschheit sich zur Zivilisation entwickelt 100
hatte, nichts getan. Der R-Einschluß war eine späte Gabe, und dieses Universum hat sie nicht gebraucht.« »Aber sie könnte entscheidend dafür sein, den Durchgang durch das Schwarze Loch zu überleben«, sagte Astrid ruhig. »Das wird Spaß machen!« »Sie sind ein romantisches Kind«, sagte Tec. »Sam, wie erklären die Wissenschaftler die Tatsache, daß das Universum so viel früher aufgehört hat, sich auszudehnen, als man annahm?« fragte Tec. »Es gibt so viele Theorien wie Wissenschaftler, denke ich. Aber die Theorie, die dich am meisten interessieren sollte, ist die Idee, daß die Drachen auf irgendeine Weise den vermuteten Ablauf gestört haben, als sie nach Alpha zurückkehrten.« »Woher wußten sie, daß die Roiiss zurückgegangen sind?« fragte Tec. »In den Archiven des Holladay-Tower gibt es beeidete Aussagen von Angehörigen der Familie Holladay, die gehört haben, was du ihnen über die Roiiss erzählt hast, und den Augenzeugenbericht deiner letzten Begegnung mit den Drachen.« »Du kannst nicht den verrückten Y-I-Roboter meinen!« »Der Zeuge war ein Roboter, soviel ich weiß.« »Freyn, wie können Milliarden Jahre vergangen sein, wenn ihr, Astrid und Sie, sich von den Wesen, die ich auf der Erde kannte, so wenig unterscheiden?« »Die alte Abstammung müht sich, das zu bleiben, genauso, wie hier auf Lune ständig daran gearbeitet wird, das museale Ökosystem der Erde möglichst im Originalzustand zu erhalten. Das ist gut für den Tourismus, und die Föderation ist immer noch sentimental, was die Erde angeht, selbst nach all diesen Jahren. Lune und Astrid und ich verteidigen uns gegen den Ablauf der Zeit und den Wandel des Universums.« »Museumsstücke, aber in euch haltet ihr eure verlorene Mutter Erde am Leben«, sagte Tec. »Und jetzt hofft ihr, sie ins Universum Alpha mitnehmen zu können.« »Wird das nicht großartig!« meinte Freyn begeistert. »Wenn 101
der Urknall vorbei ist und nachdem Sterne damit angefangen haben, schwerere Elemente hervorzubringen, werden wir den Hyperraum verlassen und Planeten zu Terraform umgestalten. Die Arbeitsroboter werden die Grundausrüstung dazu verwenden können, aus natürlichen Rohstoffen anderes Gerät herzustellen, und schließlich werden sie einen Planeten für uns und die konservierten Embryos zur Verfügung haben. Astrid und ich werden den einen oder anderen Embryo selbst züchten.« »Lebensgefährlich.« »So sind die Dinge eben«, sagte Freyn. Terra-Center enthielt Modelle und Artefakte von der Erde und eine Ausstellung, die einen Überblick über die Geschichte von Terra und ihre Leistungen auf allen von Menschen besiedelten Welten im Universum Beta gab. Der Touristenstrom auf Lune war in den vergangenen Jahrhunderten zu einem bloßen Rinnsal geworden, weil die Geschichte anderer Planeten und Zivilisationen ihnen wichtiger erschienen war. Nur die intelligentesten, gebildetsten Wesen terranischer Abstammung waren daran interessiert, etwas über den Planeten zu erfahren, von dem ihre Vorfahren stammten. »Du wirst ein guter Bibliothekar sein«, meinte Sam, »wenn du dir nicht dauernd den Kopf zerbrichst. Reg dich nicht auf und denk an die vielen Reden, die du über uns mit HyKom halten kannst, wenn wir fort sind.« »Was ist Hy-Kom?« »Kommunikation durch den Hyperraum unter Vermeidung der Lichtgeschwindigkeits-Grenze. Dadurch ist die ganze BetaFöderation vereinigt.« »Förderation Beta-Universum ist ein großer Name für eine Organisation, die deiner Bibliothek zufolge nicht alle denkenden Lebensformen, eine Mehrheit der bewohnbaren Planeten oder auch nur viele Galaxien umfaßt. Was ist mit den vielen Außenseitern?« fragte Tec. »Pah - diese wilden Planeten. Und wilden Galaxien. Diese Dummköpfe haben sich durch Felder von der Föderation abgetrennt, die durch die Gehirne ihrer Bewohner oder durch Maschinen erzeugt werden, und . . .« 102
»Gehirne? Die Zutritt zu einem ganzen System verwehren?« »Da draußen gibt es unheimliche Geschöpfe, Tec. Am besten hält man sich von ihnen fern.« Seltsamerweise war es Ship, die Tec den Weg erleichterte. Eines Tages holte Drake Tec zu einer Besprechung. »Hör mal, Tee, hast du dich an Ship herangemacht?« »Ich habe mit ihr über nichts anderes als die Technologie gesprochen . . . « »Sie will, daß du Expedition A begleitest.« »Das ist eine Überraschung für mich«, sagte Tee und fragte sich, 6b sie eine logische Entscheidung getroffen oder ob sein Kontakt mit ihr sie auf irgendeine andere Weise beeinflußt hatte. Konnte es sein, daß sie Affektivzentren besaß? »Du hast von Anfang an gesagt, das Ganze sei zu gefährlich«, fuhr Drake fort. »Ich will niemanden dabeihaben, der Angst vor Drachen hat. Ich habe keine. Die Helden der irdischen Legenden hatten auch keine - denk an Sigurd, den Wälsung - und wenn die Drachen um Alpha kämpfen wollen, wurde ich die Auseinandersetzung nicht scheuen.« »Die bekommen Sie vielleicht«, sagte Tec. »Die Roiiss wollen ein Universum für sich allein.« »Verdammt, Tec, die einzigen Feinde im Beta-Universum sind die Parasiten, die Schwerfälligen und die dummen Verbrecher im Inneren. Ich stehe endlich vor einer echten Herausforderung und lasse nicht zu, daß mir jemand dazwischenfährt. Du bleibst hier auf Lune und mischst dich nicht in mein Abenteuer ein, sonst wanderst du wieder in die Vitrine.« »Ich wollte versuchen, Sie langsam zu überreden, Drake, aber Ship hat die Dinge auf die Spitze getrieben, also sage ich es gleich. Ich will die Expedition begleiten. Bitte, nehmen Sie mich mit.« »Bei Beta, du weißt, daß ich das nicht zulassen kann!« »Ich halte mich zurück. Ich bin vielleicht sogar von Nutzen. Ship scheint der Ansicht zu sein, daß ein zusätzlicher Roboter praktisch sein könnte.« »Vielleicht«, sagte Drake. 103
Sam wünschte, daß Tec als Bibliothekar von Lune blieb. Freyn war der Meinung, Ship brauche für den Notfall einen weiteren Roboter. Drake sprach sich immer wieder mit vagen Argumenten dagegen aus, bis Tec die Hoffnung aufgab, je das Vertrauen des Kapitäns zu erringen. Astrid sagte gar nichts. Tec nahm sich eines Morgens Sam vor, als Pedlar, aus der Klinik entlassen, zusammen mit seinem Pflegesohn in der Bibliothek bei einem späten Frühstück saß. »Bibliothekar sollte ein Terraner alter Abstammung sein«, sagte Tec. »Das ist besser für die Touristen.« »Unsinn«, sagte Sam. »Du wirst eine große Attraktion sein. Wer kann schon behaupten, er sei älter als das Universum?« »Das ist keine große Ehre«, gab Tec bitter zurück. »Eine Last?« sagte Pedlar. Tec nickte und fühlte sich verstanden. Die Bürde der vielen Jahre drückte auch Pedlar nieder. Sams Augen füllten sich mit Tränen. Er schien Pedlar so zu lieben, wie nur ein älterer, anhänglicher Adoptivsohn einen älteren, anhänglichen Vater lieben kann, obwohl sich oft nicht leicht unterscheiden ließ, wer nun wer war. Pedlar schien glücklich zu sein in Terra-Center, wo alle telepathisch viel zu geschickt und zu höflich waren, um sein Fehlen einer Denkabschirmung auszunützen. Zur Abwechslung brauchte Pedlar Schadrach in seinem langen Leben sich einmal keine Gedanken darüber zu machen, wann und wo man ihn fortjagen würde. Vielleicht will Sam in Wirklichkeit, daß ich als Pedlars Beschützer auf Lune bleibe, dachte Tec. Aber ich muß Astrid beschützen. Ich muß sie begleiten! Er ließ die beiden allein und machte sich auf die Suche nach ihr.
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Sie gingen miteinander am sandigen Teil des Seeufers dahin und beobachteten die Wildtiere in den nahen Sümpfen. Astrids lange Beine hielten mit Tec Schritt, und er war unbeschreiblich glücklich, weil er mit ihr Zusammensein konnte. Dann zermalmte sie ihn. »Ich will nicht, daß du Expedition A begleitest.« »Warum nicht?« »Es ist gefährlich für dich, in ein Universum zu gehen, wo die Roiiss sind. Uns lassen sie vielleicht ungeschoren. Sie interessieren sich nicht für Planeten oder Protoplasma-Wesen, wie du erzählt hast. Aber du bist ihr Roboter gewesen, und sie nehmen dich vielleicht wieder als Sklaven zu sich. Ich will nicht, daß du irgend jemand anderem gehörst als dir.« »Ich w i l l . . .«Tec konnte es nicht aussprechen. Würde er es jemals wagen, ihr anzuvertrauen, daß er sie liebte? Er sah ihr zu, als sie ihre Sandalen auszog und bis zu den Knien ins Wasser tanzte. »Ist das der einzige Grund, warum Sie wollen, daß ich hierbleibe?« fragte er. »Oh, Tec - immer Fragen! Komm, wir laufen um die Wette zu dem Weidenbaum dort.« Sie hob ihre Sandalen auf und rannte davon, gefolgt von Tec, der sie gewinnen ließ. Sie gab ihm die Antwort nie. Am selben sonnigen Tag ging Tec, während die Terraner beim Mittagessen saßen, im Garten auf und ab und fragte sich, was er als nächstes unternehmen sollte, um ihnen klarzumachen, daß er sie unbedingt begleiten mußte. Plötzlich achtete er ganz auf seine Fern-Sensoren und lief nach Terra-Center hinein. »Drake! Schiffe im Hyperraum - ganz in der Nähe . . . « »Jetzt sind sie im Normalraum«, sagte Sam. »Was hat das zu bedeuten?« »Sieht aus wie eine ganze Flotte, die schnell auf Lune zukommt und bald in die Atmosphäre eintreten wird.« Im Gebäude schrillten Alarmanlagen, eine Stimme wiederholte laut und telepathisch zugleich Tecs Erkenntnisse, als das 105
Computerhirn des Centers automatisch reagierte/Der Computer fügte einen Feststellung an, die eine Erklärung für die Alarmauslösung lieferte - die Schiffe waren schwer bewaffnete Kriegsfahrzeuge. Drake übernahm das Kommando. »Sam, bring Pedlar ins Krankenhaus und bleib mit Wachen dort. Die anderen sofort zu Ship!« Sie fegten mit Antigrav aus Terra-Center davon und zu Ship, die ihre Luftschleuse öffnete, um sie aufzunehmen. »Besteht denn wirklich eine Gefahr?« fragte Tec ungläubig. Er hatte sich an die Friedlichkeit des Lebens auf Lune gewöhnt. »Keine befreundete bewaffnete Raumflotte nähert sich irgendeinem Planeten, ohne sich zuvor anzumelden und um Erlaubnis zum Eintritt in die Atmosphäre zu bitten«, gab Drake zurück. »Touristenschiffe kommen und gehen, aber sie sind entsprechend den Föderationsgesetzen nicht bewaffnet. Viele Föderationsplaneten besitzen Überwachungssysteme, die jedes Raumschiff zerstören, das als bewaffnet angezeigt wird, so daß nur Flottenfahrzeuge der Föderation hereingelassen werden, deren Erkennungsmuster in Föderationscomputern eincodiert sind. Sehr schade, daß Lune kein Vernichtungssystem hat. Die Schiffe müssen fremd oder von wilden Planeten sein.« »Ich mache mir Sorgen um Pedlar und Sam«, sagte Astrid. »Wenn diese Eindringlinge Telepathen sind, werden sie Pedlars Gedanken lesen und unsere Pläne erfahren.« »Ich wette, sie kennen sie schon, sonst wären sie nicht hier«, sagte Drake. »Ship! Wie viele Eindringlinge?« »Neunundneunzig.« Hinter dem durchsichtigen Teil der Kontrollraum-Wand konnten sie jetzt die Eindringlinge sehen, die auf die Oberfläche von Lune herabsanken. Sie sahen aus wie zusammengequetschte Oktaeder und funkelten in der Sonne. »Expedition Alpha!« Auf dem großen Sichtschirm erschien das Bild eines anderen Kontrollraums mit mehreren Wesen in orangeroten Uniformen mit blauen Gesichtern. Bei allen waren Andeutungen dafür zu erkennen, daß sie menschlicher Abstammung sein mochten. 106
»Expedition Alpha, ihr seid alle verhaftet!« sagte das erste Gesicht. Drake drehte sich zum Bildschirm herum, das Kinn vorgereckt, die Brust gebläht, als befehlige auch er viele Schiffe statt nur einem. »So?« sagte er. »Wir heben ab«, flüsterte Tec Astrid ins Ohr. »Hören Sie auf, mit Ihrem Schiff zu steigen«, sagte der Eindringling. »Halt!« »Holla! Na - langsam, Mädel. Tut mir leid.« Drake grinste, als das Schiff höher über der Oberfläche von Lune zum Stillstand kam, als der Eindringling befohlen hatte. »Wir werden Ihr Schiff jetzt außer Betrieb setzen, bis wir uns mit Ihnen befaßt haben.« Tecs Sensoren registrierten das Austreten von Stillegungsstrahlen aus den gegnerischen Raumfahrzeugen, aber sie kamen bei seinem Schiff nie an. »Erstaunlich, Drake«, sagte Tec. »Sie haben ein externes Leerefeld von ungeheurer Kraft, das regulierbar ist und unser Schiff schützt, ohne die Passagiere lahmzulegen.« »Für das Schwarze Loch«, sagte Drake. »Und noch ein paar andere kleine Überraschungen, nicht, Ship? Fang gleich an, Mädel.« Gebündelte Strahlen schossen aus dem Schiff, und Tec kam zu der Erkenntnis, daß sie desorganisierende Wirkung hatten. Es zeigte sich rasch, daß das Schutzfeld der Invasoren nicht ausreichte. »Invasoren kampfunfähig«, meldete Ship. »Die Robotergehirne ihrer Fahrzeuge melden sich jetzt in besorgtem Zustand bei mir. Sie wünschen Anweisungen, weil ihre Herren im Augenblick denkunfähig sind.« »Ich werde ihnen gleich Anweisungen geben«, sagte Drake. »Stell den ganzen Haufen in die Leere, bis wir fort sind.« »Warte«, sagte Astrid. »Können wir nicht in Erfahrung bringen, warum sie das machen und wer sie sind? Ich habe das merkwürdige Gefühl...« 107
»Sparen Sie sich die Empathie und sehen Sie sich an, was da herunterkommt«, sagte Drake. Das hundertste Raumfahrzeug, größer als die anderen, schwebte herab. »Starke Abschirmung«, sagte Ship, »aber nicht bewaffnet.« »Das Flaggschiff?« murmelte Drake. »Das neue Schiff erbittet ein Gespräch«, teilte Ship mit. »Die können mich«, sagte Drake, senkte aber, wie es schien, zustimmend den Kopf. Auf dem Bildschirm wurde umgeschaltet. Sofort tauchte ein verschwommenes Bild auf, ein Hominid mit blauem Gesicht und blauem Bart. Er trug eine orangerote Mütze mit blauen Sternen und sagte nichts, hob aber eine lange blaue Hand. Es war, wie Tec feststellte, eindeutig eine Hand. Ein Vogel mit orangerotem Federkleid flog auf die rechte Schulter des Hominiden und begann zu sprechen. »Grüße vom Gerzkönigtum Clesias. Mein Name ist Hugi. Ich bin Sprechvogel für den Hohen Maxifex. Unser Ober-Trutrat verlangt zu wissen, warum ihr euch der Häresie schuldig macht, und besteht darauf, daß ihr euch widerstandslos und dankbar ergebt.« Hugi hatte bei den Worten »Hoher Maxifex« die Mütze der blauen Person kurz gelüftet. »Bei Beta, das sind die Volltrottel, die sich Gerz nennen«, sagte Drake. »Sie haben sich vor einer Ewigkeit von der Föderation gelöst, weil wir nicht genug religiöse Fundamentalisten hatten.« Er starrte finster auf den Bildschirm. »Welche Häresie?« »Ihr brecht den Bund mit unserem Herrn Beta. Wir haben erfahren, daß ihr vorhabt, in ein Schwarzes Loch zu gehen, in der Erwartung, den Himmel zu finden . ..« »Keineswegs !« »Überdies beachtet ihr nicht, daß alle Schwarzen Löcher heilig sind. In den Archiven von Clesias steht geschrieben, daß das Universum endgültige Stabilität erreicht hat und alle Schwarzen Löcher für die Hölle vorgesehen sind.« »Quatsch!« rief Drake. »Ihr verlaßt eure Schiffe und versammelt euch unten, damit wir euch überprüfen können, oder ihr werdet so desorganisiert, daß ihr kennenlernt, wie die 108
Hölle wirklich ist!« Er schwenkte die Hand, der Bildschirm wurde leer, und er reckte sich wie ein befriedigter Löwe. »Sollen sie in ihrer Heiligkeit schmoren. Ich ziehe eine Paradeuniform an und zeige dem Maxifex, was eine Harke ist.« »Edelwesen«, begann Drake mit seiner Rede an die Menge auf dem Feld unter dem Schiff. Er sprach Galaktisch, weil er die clesianische Sprache nicht verstand und sie kein Terranisch konnten. Er und Tec waren allein; die anderen waren zu Pedlar zurückgekehrt. »Sprich uns als Gerz an, wenn du willst, daß wir zuhören«, sagte eines der zweihundert Mischlingswesen. Der Hohe Maxifex und sein Sprechvogel waren noch nicht erschienen. Drake verschränkte die Arme auf seiner mächtigen Brust, wo viele Orden prangten, und sagte: »Ihr Gerz seid des bewaffneten Übergriffs auf Föderationsgebiet schuldig. Ich nehme eure Kapitulation und die Verbringung auf einen Besserungsplaneten der Föderation an.« »Wir Gerz ergeben uns nicht. Wir beten«, sagte ein anderes Wesen in orangeroter Uniform. »Wer bestimmt, welcher von euch zu reden hat?« fragte Drake. »Das spielt keine Rolle«, sagte ein anderer. »Wir sind verkettet.« »Ein Schwarmgehirn?« sagte Drake verächtlich. »Wir sind in Beta eins und gleich. Ihr seid es, die sich ergeben müssen, weil ihr nur dann dem Richterspruch Betas entgeht. Schließt euch an und seid gerettet.« »Ihr Glaubensfanatiker geht mir auf die Nerven. Beta ist kein Gott, sondern nur euer Universum, und wir werden die Widergeburt des Schwesteruniversums Alpha erforschen.« »Du bist im Glaubensirrtum, Kapitän. Alpha ist nur die Gottheit, der unser jetzt ewiger Beta entsprungen ist.« »Hört ihr nicht auf Wissenschaftler?« fragte Drake. »Habt ihr nicht die sterbenden Sterne gesehen, die ausgebrannten Schlakken aller alten Sterne, das Ende der Ausdehnung? Wißt ihr nicht, 109
daß Beta von seinen Schwarzen Löchern verschluckt werden und Alphas kosmisches Ei in ein anderes Universum explodieren wird? Beta wird nur leben, wenn Alpha wieder stirbt.« »Häresie«, sagte der Gerz. Tec entsann sich der Vertreter der Flachwelt-Theorie auf der Erde im 20. Jahrhundert; sie hatten die Echtheit der Fernsehbilder mit der kugelförmigen Erde vom Weltraum aus bestritten. Alles verändert sich, aber Aberglaube und Wunschdenken sterben nie aus. »So kommen wir nicht weiter«, sagte Drake. »Wo ist euer Maxifex?« Obwohl er sich bewußt war, daß er sich in Drakes Autorität eindrängen mochte, aber von Neugier getrieben, sagte Tec: »Wenn ihr eins seid und gleich, warum gibt es dann einen Hohen Maxifex?« »Manche sind gleicher als die anderen«, sagte der Gerz in unbewußter Wiederholung einer alten Satire. »Und von diesen wird einer gefunden, der einen höheren Geist hat, um höchste Leitung zu gewähren, da er nicht nur mit uns verkettet ist, sondern auch mit dem Gott Beta. Sogar jetzt unterweist er uns.« »Drake«, flüsterte Tec, »ich habe ihre Gehirne aufgerastert. Sie sind dumm, telepathisch und fanatisch miteinander verbunden und glauben an das, was sie sagen. Es ist kein Spiel.« »Um so schlimmer für sie«, sagte Drake. Unruhe unter den Gerz führte dazu, daß sie eine wogende Masse bildeten und ihre diversen Gliedmaßen schwenkten. »Ein Ungeheuer naht!« riefen sie und verdrehten, was als Hälse gelten sollte, um nach hinten zu blicken. Es war Sam, der Pedlar trug. Die Schildkröte sank keuchend herunter, und der Seher der Möglichkeiten stieg schwankend und stöhnend ab. »Ich mußte etwas klären, Kapitän«, sagte Pedlar auf Terranisch. »Mit diesen Figuren hatte ich schon einmal zu tun. Ab und zu führen sie unsinnige Kreuzzüge gegen Ungläubige, aber sie bekehren nie auf diese Weise, indem sie ihre ganze Flotte aufs Spiel setzen. Und da ist noch etwas mit ihnen, an das ich mich nicht erinnern kann, doch es ist wichtig.« 110
»Nur ein Haufen Fanatiker«, sagte Drake. »Nicht wichtig.« »Aber ich bin viel im Clesias-System gewesen, als ich jung war«, erwiderte Pedlar. »Ihr Schwarmgehirn kann andere Gedanken als die der eigenen Mitglieder nur schwer lesen, so daß ich Geschäfte mit ihnen machen konnte. Sie sind Feiglinge, und wenn ihre Gottheit Beta zuviel von ihnen verlangt, haben sie einfach eine andere Offenbarung über die Wünsche von Beta. Sie versuchen auf Nummer Sicher zu gehen, und da bleibt für mich nur der Schluß, daß irgend jemand sie zu diesem Unternehmen angestachelt hat.« »Der Richterspruch von Beta steht bevor«, riefen die Gerz im Chor und begannen gemeinsam zu schwanken und zu summen wie ein erboster Bienenschwarm. Die Schleuse des Gerz-Flaggschiffs ging auf, und der orangerote Vogel flog heraus. »Ungläubige! Zerstörer der ewigen Harmonie Betas! Die Gerz werden für eure Seelen beten!« kreischte er, schoß herab und umkreiste Tec, bevor er wieder in der Schleuse landete. »Betet, Gerz!« Sie beteten - lauthals, telepathisch und melodisch, alle auf einmal. »Kapitän«, sagte Pedlar, »jetzt fällt es mir wieder ein. Sie dürfen die Gerz nicht beten lassen. Sie machen weiter, bis man ihnen befiehlt aufzuhören oder bis wir alle bekehrt sind oder den Verstand verlieren oder . . . « »Mein Kopf tut weh«, klagte Sam. »Sie wollen nicht, daß wir ihre Hölle besudeln?« sagte Drake, seltsame Flecken im Gesicht. »Ich werd's ihnen zeigen!« »Sie müssen sie töten«, sagte Pedlar, »wenn Sie überleben wollen, und das ist wohl notwendig . . . « Seine Stimme verklang, und er stürzte hin. »Sam!« schrie Tec, als die Schildkröte sich auf den Rückenpanzer drehte. Überleben? dachte Tec. Immer nur überleben? Töten? Denkende Gehirne zerstören? Wollte ich überleben? Habe nicht gefragt.. . bin nur eine Maschine, gemacht von Maschinen . . . meine Funktion erfüllt. . . überleben nicht notwendig . . . sollte mich ausruhen . . . aufgeben .. . »Drake!« Tec rang darum, bei Verstand zu bleiben. »Wenn 111
die Gerz beten, erzeugen sie eine Art Feld, das denkende Wesen beeinflußt - wir müssen etwas tun - bevor wir erliegen . . . « Aber Drake stand da wie ein Heldendenkmal aus vergessener Zeit, den Arm zu seinem Schiff erhoben, die Augen leer. »Verdammt«, sagte Tec. »Hilfe - Hilfe . . . « Ein Metallarm schlängelt sich aus der Schleuse von Ship über ihnen, wickelte sich um Tec und schnellte sofort zurück. Die Schleusentür fiel zu, das Kraftfeld der Gerz verschwand. »Ship!« sagte Tec. »Ich höre dich.« »Warum hast du mich gerettet?« »Als mein Kapitän fühlte, wie das Gebet der Gerz ihn überwältigte, sagte er telepathisch: >Ship, übernimm.< Da du noch am wenigsten Betroffener bist, Tec, mußt du den Befehl zum Töten geben. Ich kann es ohne direkte Anweisung nicht tun.« »Gibt es keinen anderen Weg?« »Wenn es ihn gibt, mußt du ihn finden. Mein Desorganisierungsfeld wirkt bei den Gerz nicht, sobald sie sich im Gebet vereinigt haben.« - Ich weiß, was geschehen ist. Es war Astrids Stimme, die sie in ihrem Inneren hörten. - Du hast um Hilfe gerufen, und ich habe es gehört. - Bleiben Sie fort, Astrid. Wenn Sie herkommen, geraten Sie in die Falle. - Aber du willst den Befehl nicht geben, sie zu töten. - Meine eingebaute Funktion als Roboter ist die, Leben zu hegen. Ich kann keinen Befehl zum Töten geben, aber trotzdem hat es den Anschein, daß jemand es tun muß. - Freyn und ich kommen. Auch Ärzte bemühen sich, Leben zu erhalten, aber wir werden den Befehl geben, wenn er notwendig ist, um Expedition Alpha zu retten. - Ihr dürft nicht kommen! - Wir geben Ship den Befehl telepathisch, wenn du willst. Er zögerte. Das wäre eine einfache Lösung gewesen. - Nein, sagte er. - Dann mußt du einen anderen Weg finden, Tec. 112
»Ship, hast du noch die Kontrolle über ihre Schiffsgehirne?« »Nein, Tec.« »Gibt es dort draußen irgendein Gehirn, das von der Ballung unabhängig ist?« »Eines, im Flaggschiff. Ich erhalte keine Reaktion, wenn ich Verbindung von Schiff zu Schiff herzustellen versuche.« »Laß mich zur Schleuse hinaus .« »Das kann ich nicht tun. Es ist zu gefährlich.« »Du mußt«, sagte Tec. »Ich befehle es.« Da er mit Astrid gesprochen hatte, fühlte er sich vorbereitet, als das Schutzfeld von Ship verschwand und er hinaustrat. In seinem Dasein hatte er viel gelitten durch die Versuche anderer, sein Denken zu beherrschen und seinen Willen zu lähmen. Er wappnete sich geistig wie nie zuvor und verstärkte die Lautstärke seiner Stimme um das Zehnfache. »Mächtige Gerz von Clesias, hört mich, einen demütigen Diener, bitten im Namen von Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, rechtem Denken und Erlösung durch unseren Herrn Beta, möge er gepriesen sein bis zu den kosmischen Feldern seiner Gerechtigkeit . . . « Tec brüllte weiter und stimmte langsam und mühevoll seine Stimme und sich selbst in das summende Gebet der Gerz ein. Er erhöhte mit der Zeit die Kraft seiner Rede, steigerte den Klang im Schall- und Unterschallbereich ebenso wie telepathisch in stärkere und höhere Register, bis er sie in das Schwarmgehirn der Gerz drängte und dort vibrieren ließ. »Gut«, sagte Astrid, die Last mit ihm teilend. Er verstärkte die Schwingungen, bis er die Denkoszillation der Gerz dämpfte und unterdrückte. Schlagartig verklang ihr Gebet innerlich und äußerlich. Drake schüttelte den Kopf. »Bei Beta, habe ich Kopfschmerzen! Was ist passiert?« Er wirkte halb betäubt und verwirrt. 113
»Die Gerz«, sagte Pedlar mit schwankender Stimme, während er Tec half, Sam aufzurichten. »Wie ist es uns gelungen, ihnen zu entgehen?« »Ich glaube, ich habe ihr Gebet gegen sie selbst gewendet und sie aus der Schwarmkommunikation gerissen«, sagte Tec, erleichtert, weil Sam halblaut und drohend vor sich hin knurrte, sonst aber in Ordnung war. So rasch erholte Drake sich nicht. Er schien von seiner plötzlichen Hilflosigkeit tief betroffen zu sein. »Unterworfen - der Macht - anderer. Nie mehr wieder. Nie mehr. Nie mehr.« »Ein Glück, daß du dieses Talent hast, Tec«, sagte Sam. »Ich wußte nicht, daß ich es habe«, sagte Tec. »Ich auch nicht«, sagte eine neue Stimme. Die schwarze Glitzermütze wies ihn als den Hohen Maxifex aus, und er stand so stolz in der Luftschleuse seines Flaggschiffs, als beherrschten seine Gefolgsleute immer noch die Lage. Hugi war im Inneren des Schiffs verschwunden. »Er spricht Terranisch«, sagte Tec warnend. »Er kann uns verstehen.« Drake ballte die Fäuste. »Maxifex?« »Die Beweise beruhen auf Indizien.« Der Hohe Maxifex nahm die Mütze ab, so daß eine enganliegende Kappe von hellblauen Haaren sichtbar wurde, und trat hinaus in die Luft. Er sank so langsam zum Boden hinunter, als wirke seine persönliche Antigrav-Anlage nur bei königlicher Majestät. Die anderen Gerz fielen sofort auf die Knie und drückten die Stirnen auf den Boden. Der Gerz-Herrscher wirkte menschenähnlicher als die anderen und war unter seiner orangeroten Uniform unbezweifelbar männlich. »Ich kann ihn nicht aufrastern«, sagte Tec im Flüsterton zu Drake. »Er hat eine ganz dichte Denksperre. Seine Gedanken kann ich auch nicht lesen.« »Was, zum Teufel, ist er?« fragte Drake. »Ein Wesen wie du«, sagte der Maxifex mit einer hohen, 114
scharfen Stimme. »Lebendig, bewußt und in meinen eigenen Interessen handelnd wie du. Aber mit besserem Gehör und einer Neigung zum Privaten, wie dein zahmer Roboter gemerkt hat. Ich schlage vor, daß wir zum Galaktischen übergehen, weil meine Untertanen - äh - meine Landsleute sich übergangen fühlen, wenn wir Terranisch sprechen.« »Sie haben zehn Sekunden, um zu erklären, warum Sie mit Ihren widerlichen Fanatikern meine Besatzung angegriffen haben«, sagte Drake. »Alles der Reihe nach, denn sieh, die Primate kommen.« Der Maxifex lächelte strahlend durch seinen Bart. Astrid und Freyn kamen rasch herangeflogen. »Wir wollen diese Wesen untersuchen«, sagte Freyn eifrig. »Ein Schwarmgehirn muß ganz außerordentliche neurophysiologische Auswirkungen haben . . . « »Augenblick mal, zum Donner«, sagte Drake. »Zuerst will ich eine Antwort, Maxifex. Warum seid ihr hier?« »Kapitän, als Besitzer von Macht, Prestige und einem gewissen Roboter mit bequemen Talenten, mußt du meinen gründlich durchdachten Argumenten zuhören«, sagte der Maxifex. »Ich denke gar nicht daran . . . « »Euer Problem ist dieses: Wenn ihr die Gerz nicht tötet, werden sie Expedition Alpha durch das Universum folgen, beten und eine schwere Belastung für Tecs Möglichkeiten darstellen, die vielleicht sogar überfordert werden. Ihr werdet sie am Ende dann doch töten, und das wird zu einem Skandal in vielen Galaxien führen, verstärkt durch die Schwarmrache der ganzen Gerz-Galaxis. Das wird zu einem Sturm in einem sehr großen Wasserglas führen, das den Namen Föderation trägt und bei halbwegs vorsichtiger Behandlung die Äonen überdauern wird.« »Was, zum Teufel, soll das heißen?« fauchte Drake. »Ich bin überall gewesen«, sagte Pedlar, »und ich weiß, daß im Hinterland der Föderation vieles im Gange ist. Die Bewegung der Fundamentalisten weitet sich mit dem Schrumpfen des Universums aus, und Missionare von Clesias gehören zu den aktivsten unter den verschiedenen Sekten. Wenn Sie diesen Haufen umbringen, machen Sie Märtyrer aus ihnen, und das wird mit 115
dazu beitragen, die Föderation zu zerstören.« »Ich frage immer noch, was Sie wollen, Maxifex«, sagte Drake. »Was wollt ihr wirklich hier?« »Was wollen wir, meine Gerz?« brüllte der Maxifex. Die Gerz sprangen gleichzeitig hoch und schrien im Chor: »Die Heiligkeit von Beta rein und wahr erhalten.« Der Maxifex brachte die Gerz mit einem Wink zum Schweigen, und sein hochgewachsener, schmaler Körper begann zu schwanken, zuerst langsam, dann immer schneller. Seine Augen schlossen sich. »Meine Gerz, ich habe eine Offenbarung. Das Wort wird zu mir gesandt. Hört! Gehorcht!« »Wir hören. Wir gehorchen.« Sie keuchten vor Eifer. »Beta schickt mir das Wort. Beta unterweist mich. O nein nein . . . « Der Maxifex raufte sich die blauen Haare. »Wie lautet es, o Hoheit? Was ist das Wort?« »Beta, Beta - gerettet zu werden durch das Blut der Verdammten!« »Wehe den Verdammten!« »Ah!« sagte der Maxifex und zeigte auf Tec. »Die Verdammten erwarten das Opfer!« »Denke gar nicht dran«, knurrte Drake und nestelte an seinem Antigrav-Gürtel. »Bitte, warten Sie«, flüsterte Astrid. Der Maxifex stampfte auf den Boden. »Den Zehnten für Beta, der alles offenbart! Die Seelen der Sünder werden gerettet. Es ist mein heiliger Auftrag.« »Heil dem Maxifex!« kreischten die Gerz. »Ihr, meine Gefährten, die Gerz von Clesias, ihr sollt das Wort überbringen .. .« »Wir gehorchen, o Maxifex!« »Und ihr werdet in Clesias einen neuen Maxifex wählen.« Die Stille der Betäubung danach erweckte in Tec die Frage, ob die Gerz im Fanatismus so hirnlos vereinigt waren, wie sie sich einbildeten. Sie schienen durch den Schreck ihre Einheit verloren zu haben. »Einen neuen Maxifex?« Unter den Gerz erhob sich Stöhnen. 116
»Es ist meine heilige Aufgabe, diese Sünder zur Hölle zu begleiten, denn sie versündigen sich gegen Beta selbst. Sie müssen in ein Schwarzes Loch gehen und geläutert werden, um Beta für immer zu heiligen. Die Gerz brauchen keine weiteren Missionen, und ihre Galaxis wird der Himmel sein. Das Opfer ist gering.« Die Gerz jubelten wie in großer Erleichterung. »Und so verlasse ich euch, meine Brüder«, sagte der Maxifex und ging rückwärts langsam auf die Lunier zu. »Ihr seid in der Tat glücklich zu preisen, daß ihr der Sache nur fünfzig GerzSchiffe opfern müßt.« »Fünfzig? Welche fünfzig? Wer von uns muß bleiben?« Sie rangen diverse Gliedmaßen und rauften sich die Kopfbelaubung. »Zum Glück habe ich fünfzig mit Robotergehirnen ausgewählt, die den Begleitdienst übernehmen, ohne einer Besatzung zu bedürfen. Das Schiff der Sünder wird zur Hölle fahren, begleitet von gläubigen Gerz-Schiffen, aber die gläubigen Gerz dürfen zu unserem geliebten Clesias zurückkehren und von ihrer erfolgreichen Mission zur Rettung Betas singen. Segen ruhe auf eurer sicheren Heimkehr.« Die Gerz seufzten glücklich, hörten telepathische Befehle, die Tec nur mit Mühe verstand, und liefen wie von der Pest verfolgt zu ihren jeweiligen Raumschiffen. Wie ein Schwarm Brieftauben umkreisten neunundvierzig gequetschte Gerz-Oktaeder Terra-Genter, flogen durch die Atmosphäre hinauf und verschwanden im Hyperraum. »Na!« sagte der Maxifex. »Das wäre erledigt.« Astrid lachte. »Du sollstest dich was schämen, York Holladay.« »Hast meine Maske durchschaut, schöne Kusine?« Seine Stimme klang nun tiefer und voller. »Ach, hör bloß auf, York«, sagte Astrid. »Blaue Farbe in Gesicht und Haaren und eine Schmierenkomödie - was soll das?« »Ich bin auf eine Goldgrube gestoßen und habe sie übernommen.« »Das hätte eine Katastrophe geben können«, sagte Freyn. »Ei-
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ner von uns hätte dich erschießen können - ich erkenne dich in dieser Verkleidung immer noch nicht.« »Pah«, sagte Sam. »Wir haben keine Zeit für komische Einlagen.« Drake räusperte sich, ein besorgniserregendes Grollen, das eine Explosion ankündigen mochte. York sprang so blitzschnell zurück, wie Selena es vielleicht vor einem zornigen Löwen getan hätte. »Das Schauspiel war notwendig, Kapitän, glauben Sie mir. Gehen wir alle ins Flaggschiff, nehmen wir etwas zu uns, und ich will alles erklären. Komm, Kusinchen, ein Küßchen, das Mut macht.« »Nicht, solange du blau bist«, sagte Astrid und lief die Rampe zum Gerz-Flaggschiff hinauf, verfolgt von York. Tec konnte nicht darüber lachen. Ihm mißfiel York Holladay in höchstem Maß. Das Flaggschiff war größer, als es aussah. Das Innere wurde in der Hauptsache von einem Raum ausgefüllt, der zweihundert Gerz zum Gebet aufnehmen konnte. Bis auf eine anachronistische Gitarre in einer Ecke war die Einrichtung mit orangeroten Wänden und verstreuten blauen Kissen unübersehbar gerzisch. »Dann mal hinaus mit der Gerz-Atmosphäre«, sagte York und drückte auf eine Taste an der Wand. Die indirekte Beleuchtung trübte sich, die Wände waberten und dunkelten in Farbe und Beschaffenheit, bis sie beinahe schwarz aussahen, bereichert durch das dunkelste Blau, entwendet vom Spätabendhimmel der Erde. An der Decke funkelten winzige Lichter, angeordnet wie Sternbilder, gesehen von der Oberfläche eines Planeten, und Tec erinnerte sich an die Himmelsgewölbe über der Erde, den Orion-Gürtel, mächtige Sonnen in Samt, umschließende Kräfte der Nacht - o Erde, sei demütig . . . Tec schloß die Augen vor der Erinnerung, die über ihm und in den verlorenen Wörtern der Menschen beschlossen lag. Aber ist irgend etwas wirklich verloren, solange nur ein Gemüt sich daran erinnert? Ein Robodiener, der wenig mehr war als ein schwebendes Ta118
blett, servierte rundum Getränke in hohen Gläsern, während man sich setzte. »Heraus mit der Erklärung,« sagte Astrid streng. »Dieser letzte Streich war nicht so lustig, wie du meinst.« York seufzte. »Künstlerisches Genie wird niemals anerkannt. Ich hatte den Eindruck, mich trotz Tec gut gehalten zu haben.« Drake lachte schallend und hieb York auf die Schulter. Tec war verblüfft. Konnte der Kapitän so rasch vergessen haben, wie sehr ihn das Gefühl der Hilflosigkeit gedemütigt hatte? »Was hatten Sie eigentlich vor, York?« »Den Gerz die Schiffe abzuluchsen, versteht sich. Der eigentliche Maxifex scheint sich vor vielen Jahren zu einem kritischen Zeitpunkt in ihrer Geschichte den Gerz angeschlossen zu haben. Er lehrte sie den wirksamen Zusammenschluß zu einem Gruppengehirn, brachte die Regierung mit Gewalt in Ordnung und half ihnen, eine ganze Galaxis zu erobern. Er ließ eine Flotte bauen und dieses Schiff für sich konstruieren. Man sagt, er sei gestorben, aber als ich feststellte, daß ich ihm sehr ähnlich sehe, färbte ich mir Gesicht und Haare blau und trat als seine offizielle Reinkarnation auf. Mir hat das Spaß gemacht.« »Ich erinnere mich«, sagte Pedlar. »Ich war jung. Ich erschien im Palast und verkaufte - na, das ist nicht mehr wichtig - wobei ich den Maxifex sah. Er wirkte aber größer und schroffer als Sie, York.« »Kein Zweifel«, sagte York, nippte an seinem Glas und kratzte sich am Bart. »Die Gerz fanden, der Maxifex hätte sich als Wiedergeburt zu seinem Vorteil verändert, und hielten es als Gäubige für angemessen, mir zu gehorchen. Ich dachte mir diese bescheidene List aus, um die Gerz-Schiffe mit einem Mindestmaß an Mühe und einem Höchstmaß an Sicherheit für Expedition Alpha zu beschaffen.« »Wir brauchen keine weiteren Schiffe«, sagte Drake. York ließ sich nicht beirren. »Diese fünfzig Schiffe sind anders als die anderen. Sie erzeugen interessante Felder und besitzen ausgefallene Fähigkeiten, von denen die Gerz nichts wissen.« 119
» U n d wie haben sie als Künstler die in diese fünfzig Schiffe eingebauten technologischen Fähigkeiten entdeckt?« fragte Drake. »Das hat mir ein kleiner Vogel verraten«, erwiderte York. Der orangerote Vogel flog in den angenehm abgedunkelten Raum und setzte sich auf Yorks Schulter. »Hallo«, sagte Hugi. York streichelte ihn. »Hugi ist ein Ableger des Flaggschiff-Computers. Was, Hugi?« Der Vogel gab einen Krächzlaut von sich, zupfte an Yorks Perücke und flog - ganz offenkundig nicht mit Flügeln, sondern mit Antigrav - zu Tec, um vor seinen Augen zu schweben. »Dunkler«, sagte Pedlar, Furcht in der Stimme. »Viel dunkler . . . « »Was ist los?« fragte Freyn besorgt. »Kann mich nicht erinnern. Achtet nicht auf mich«, sagte Pedlar und verstummte. Tec achtete nicht besonders darauf, weil er bemüht war, sich nicht vom wißbegierigen Blick eines Robotervogels aus der Ruhe bringen zu lassen, der fünfzig Zentimeter vor seinen Augen hing. »Geh lieber heim, Hugi«, sagte York. »Tec ist viel hochklassiger als du. Und deine Verkleidung kannst du auch gleich ablegen.« Mit einem zweiten Krächzlaut beendete Hugi seine Prüfung Tecs und schwebte langsam zur Tür, wobei er unterwegs sein orangerotes Federkleid abwarf. Kurz bevor er im Korridor verschwand, wirkte er kohlschwarz. Hugi? Nach dem altnordischen Hugin? Wie eitel war der erste Maxifex gewesen? dachte Tec. »Ist mir verziehen, Drake?« fragte York. »Ich habe es gut gemeint. Ich bin bereit, bei der Expedition meine künstlerische Pflicht ebenso zu tun wie Musikinstrumente zu spielen, Witze zu erzählen, romantische Lieder zu singen, die zu tapferen Taten anregen, und mir allgemein Mühe geben, unterhaltsam, aber nicht aufdringlich zu sein. Ich hoffe ferner, mich mit allen inter120
f essanten Wesen anfreunden zu können, die wir unterwegs treffen, und wer weiß, vielleicht werden euch meine mitgebrachten Schiffe noch von Nutzen sein.« »Auf meiner Expedition werden Sie sich ordentlich betragen müssen«, sagte Drake. »Ohne Zweifel«, gab York zurück. »Schaut!« rief Sam und blickte blinzelnd zur sternenbesetzten Decke hinauf. Im indigoblauen Samt krümmte sich undeutlich ein purpurrotes Muster, ganz Klauen und Schuppen und gespaltene Zunge, erschreckend und wunderschön. »Was denn?« sagte Drake. York blickte hinauf. »Ach, das ist ein Kunstwerk des ersten Maxifex.« »Ausgeschlossen«, sagte Tec. »Die Roiiss haben Universum Beta lange vor der Zeit verlassen, als der erste Maxifex geboren worden sein kann.« »Vermutlich lebt die Legende von ihnen weiter«, meinte York. »Gehen wir nach Hause«, sagte Astrid. »Schmink dich ab und schalte die Decke aus. Drachen stören Tec.« Tec betrachtete das Roiiss-Bild, das so lebendig erschien, bis York auf eine Taste drückte und der Deckenschmuck erlosch. »War der erste Maxifex ein Holladay?« fragte Tec. »Das habe ich mich oft gefragt«, sagte York.
Tec ging mißgelaunt im Garten von Terra-Center auf und ab und sah Selena einen weißen Falter zwischen den dunkelroten Blumen jagen, während Sam unter dem Apfelbaum ein Schläfchen vor dem Mittagessen hielt. Die anderen Terraner waren im Haus und säuberten oder putzten sich vor ihrer unvermeidlichen Aufnahme von organischem Material, um ihre gefährdete Physis neu mit Energie anzureichern. Tec, der den größten Teil seiner Energie aus dem Hyperraum bezog, war daran gewöhnt, gedul121
dig zu warten, während Protoplasma-Wesen sich mit den Einzelheiten des Überlebens befaßten, aber diesmal fühlte er sich auf unerklärliche Weise unruhig. Ein Apfel fiel vom Baum, prallte auf Sams Panzer und weckte ihn auf. Der Schnabelkopf schob sich aus den Lederfalten hervor, ein Reptilienauge öffnete sich zu finsterem Blick. »Warum hast du das gemacht?« »Das war ich nicht«, sagte Tec, »aber wenn du schon wach bist, kannst du mir von den Holladays erzählen - alles, was du weißt.« Sam gähnte. »Es war Astrids Urgroßmutter, die mich von Pedlar übernahm. Sie erzählte mir oft Geschichten von der alten Zeit, als die Familie der Föderation diente, Terra-Center aufbaute und darauf achtete, ihre menschlichen Gene alter Abstammung zu bewahren. Das erklärt Astrids Äußeres. Nicht, daß ich etwas gegen Freyns Aussehen hätte, aber seine Linie ist noch nicht einmal auf biotechnischem Weg hervorgebracht gewesen, als die Holladays Antigravitation und Hyperantrieb erfanden. Meine Vorfahren übrigens auch noch nicht, und viele meiner ehemaligen Verwandten besitzen nicht mehr Intelligenz als Selena dort.« Tec versagte sich die Bemerkung, daß Felis domestica, ein räuberisches Säugetier, erheblich mehr Intelligenz besaß als jede normale Schildkröte. »Und York?« fragte Tec. »Vielleicht war er mit dem ersten Maxifex wirklich verwandt.« »Bei dem ist alles möglich. Holladay-Gene, verbunden mit dem Holladay-Aussehen, sind natürlich im ganzen Universum verstreut. Was mir Sorgen macht, ist die Reaktion meines Vaters auf York. Ich lese seine Gedanken, weil er nicht immer weiß, was in seinem Gehirn vorgeht, und ich wissen will, was andere Telepathen an Dingen, die ihn vielleicht in Schwierigkeiten bringen, entdecken könnten. Er hat Gedanken gehabt, die York mit dem Tod in Zusammenhang bringen. Ich habe Angst.«
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Eine zweite Diskussion über Expedition A war in der Bibliothek im Gange, während man auf das Essen - und auf York Holladays Erscheinen wartete. »Drake«, sagte Freyn, »wenn es uns gelingt, durch ein Schwarzes Loch zu kommen und an der Bildung des nächsten Universums teilzunehmen, müssen wir warten, bis sich dort Leben entwickelt, um dann die Verantwortung für seine Unterrichtung zu übernehmen. Ich frage mich immer wieder, ob wir in der Leere so lange überleben können.« »Aber Tec und die Roiiss waren auch dazu imstande«, sagte Astrid. »Nicht wahr, Tec?« »Ich war noch nicht in Betrieb gesetzt«, gab Tec zurück. »Die Roiiss sind beim Übergang zu Beta beinahe gestorben, aber ihre Gehirne taten sich mit den Gehirnen des Schiffs und ihrer Roboter zusammen, um aus Energie-Grundmustern, die der Hyperraum aussandte, neue Drachenkörper zu formen. Sie scheinen unsterbliche Wesen zu sein, immun gegen Alterung, normalem Protoplasma-Leben feindlich, als sie verschmolzen, um Macht zu erlangen.« »Wie die Gerz - einfach zuviel Macht«, sagte Sam. »O nein«, sagte Drake. »Wir haben bewiesen, daß die Gerz nicht genug davon besitzen. Vielleicht gibt es eine Grenze für kollektive Macht, und vielleicht kann ein Individuum genausoviel oder noch mehr erreichen als ein Schwarmgehirn. Wir werden uns von den Roiiss unterscheiden. Wir werden mit einem besseren Schiff durch das Schwarze Loch gehen und als Individuen Macht erwerben.« Drakes Denken ist primitiv, dachte Tec, aber seine Begeisterung und Zuversicht sind ansteckend. Es könnte vielleicht wirklich ein großartiges Abenteuer werden. Sam sagte: »Ich habe gelesen, daß kollektive Denkkraft der individuellen manchmal überlegen sein kann. Manche von den Schwarm-Galaxien sollen ausgesprochen exotisch sein.« Drake nickte. »Mit interessanten Talenten, das ist alles. In meiner Jugend diente ich bei einem Teil der Flotte, der über die Galaxien der Föderation hinausflog. Wir kamen an einer fremdartigen Gala123
xis vorbei, die bevölkert war von Wesen, die sich in den ozeanischen Atmosphären von Riesenplaneten in der Art des Jupiter im alten System von Sol entwickelt hatten. Sie hatten ein Schwarmbewußtsein, aber alles, was sie damit anfingen, war, still in ihrer eigenen Galaxis zu bleiben und Musik zu machen.« Drake blickte verträumt vor sich hin. »Es klang, als sänge die ganze Galaxis für sich vom Sein.« »Ich glaube, das habe ich gehört«, sagte Tec. »Nicht wahr, Pedlar?« »Was, was?« Pedlar fuhr aus dem Schlaf hoch. »Stammte der Musik-Würfel aus einer Schwarm-Galaxis, die jetzt ein lebender Organismus ist, so, wie Sie ein Organismus sind, der aus vielen einzelnen lebenden Zellen besteht?« »Gewiß. Lasse Sie gern alle horchen, wenn Sie glauben, daß Sie das verkraften. Sehr mächtig. Hab' ihn schon lange.« Er schlief wieder ein und schnarchte leise. »Ich glaube, er hat Hypoglykämie«, sagte Sam und sah seinen Vater liebevoll an. »Ich auch. Vergeßt nicht, daß mein aufgeputschter Metabolismus regelmäßig gespeist werden muß, damit mein mutiertes Gehirn ausreichend ernährt wird. Die Essenszeit ist schon überschritten, und wir sitzen herum und unterhalten uns über Drachen und Schwarm-Galaxien und Verantwortung für ein Universum. Wo ist eigentlich Ihr Vetter, Astrid?« »Astrid macht sich seinetwegen Sorgen«, sagte Freyn. »Er wirkt verändert. Vielleicht ist er krank.« »Still, Freyn. Er wird gleich kommen«, sagte Astrid. Astrid steht mit York wohl telepathisch in Verbindung, dachte Tec. Das ist natürlich ihr Recht - und das seine. Er sondierte im Haus und fand York nicht. Er mußte noch im Flaggschiff sein, das für eine Aufrasterung jetzt zu stark abgeschirmt war. Tecs Gedanken gingen zu einem anderen. - Hallo, Ship. Bist du wach? - Ich bin immer wach, Tec. Du kannst jederzeit mit mir sprechen. - Danke. Man fühlt sich manchmal einsam bei ProtoplasmaWesen und ihren biologischen Bedürfnissen. - Ich weiß. 124
- Hast du die Musik der singenden Galaxis gehört, Ship? - Ja. Sie ist wunderschön. - Das ist eine emotionell bedingte Antwort, sagte Tec. - Ich habe ein hochentwickeltes Gehirn, sagte Ship. - Seit du in die Leere gegangen bist, hat sich in der Robotik viel getan. Jetzt sind Robotgehirne oft komplexer und leistungsfähiger als deines. Ich hoffe, das stört dich nicht. - Nein. Ich bin sogar froh. Bringt dir dein Roboter-Sein Erfüllung, Ship? - Ich finde Erfüllung in meiner Loyalität gegenüber den flüchtigen Wesen, die zu transportieren und beschützen meine Aufgabe ist. - Ich auch. Es ist schwierig, Ship, nicht wahr? - Ja, Tec. Schwierig. Er löste die Verbindung zu Ship und entdeckte, daß das Gespräch der Terraner sich jetzt mit den sexuellen Eskapaden von Selena mit den Wildkatern auf Lune befaßte. Tec, hilflos verliebt in das andere weibliche Wesen im Raum, fand es beruhigend, Selenas Schönheit und Einfachheit zu betrachten, bei denen ihn keine beunruhigenden Komplikationen stören konnten. Pedlars hohe und brüchige Stimme unterbrach Tecs Gedankengang plötzlich. »Macht. Akzeptanz. Einssein.« Er wirkte älter als vorher, eine zusammengeschrumpfte Hülse von Mensch, mit geschlossenen Augen auf dem Sofa kauernd. »Vater!« rief Sam. »Komm zu dir!« Pedlar schluckte, öffnete die Augen, lächelte leer und sagte: »Wie spät ist es? Haben wir schon gegessen?« »Nein, das haben wir nicht, und ich bin hungrig.« York Holladay stand unter der Tür, wie verwandelt. Sein hochgewachsener, schlaksiger Holladay-Körper steckte in einem grünen Trikotanzug, seine Haare waren dunkel und sein Gesicht sah viel älter aus, seit die blaue Schminke und der Bart verschwunden waren. Er war, was man früher als typischen »Nacht«-Holladay bezeichnet hatte, während Astrid der »Tag« war. »Kenne ich Sie, Sir?« fragte Pedlar. »Wir sind uns vor langer
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Zeit begegnet?« »Ich glaube nicht«, sagte York. »Sie sind in ihrem langen Leben vermutlich auf den einen oder anderen meiner Vorfahren gestoßen.« »Mitteilung aus der Küche«, sagte Astrid. »Das Essen ist fertig.« Pedlar stieg auf Sams Panzer und wurde schwankend, aber würdevoll zum Eßzimmer getragen, während die anderen nachfolgten und York sich als letzter anschloß. Er blickte auf Tec hinunter und sagte: »Genieß dein dummes Roboterdasein, Tec.« Dann ging er hinaus zu den anderen. Tec trat an das Sofa, hob Selena hoch und drückte sie zum Trost an sich, während er die Daten in seinem Gehirn zu ordnen versuchte. York Holladay haßt mich. York Holladay sieht genauso aus wie Yodin. Der Feuerschein grub tiefere Schatten in Yorks dunkelhäutiges Gesicht und wurde vom polierten Holz der Gitarre zurückgeworfen. »Da sitzen wir«, sagte er, »ein Haufen von Anachronismen mit satten Bäuchen, und kauern an einem gefahrlosen alten Kamin, um über eine gefährliche moderne Expedition zu einem Rätsel zu reden.« »Rätsel«, wiederholte Pedlar schläfrig. Tec beobachtete stumm und fragte sich, ob er irrte. »Wir sollten Tec unseren Entschluß mitteilen«, sagte Astrid. Sie saß auf dem weichen Teppich vor dem offenen Kamin, Freyns Arm um die Schultern. Drake lächelte Tec jovial an. »Wir haben beim Essen beschlossen, dich in die Expedition aufzunehmen, wenn du das noch willst.« »Das will ich«, sagte Tec. »Gut. Du hast deinen Wert bewiesen, bei Beta.« »Wert«, wiederholte Pedlar. »Ich habe Dinge von hohem Wert. Seht sie euch lieber an, bevor ihr das Universum verlaßt.« Er schien wach zu werden und begann in den Taschen seiner 126
weiten Tunika zu suchen. Schließlich zog er einen glatten grünen Stein mit unregelmäßiger Wölbung heraus. »Fast das Älteste, was ich noch habe. Das hatten Kaiser auf der alten Erde in Gebrauch, Jahrtausende vor dem ersten Raumflug. Es ist Jade, aus den Bergen geholt, von einem Meister geformt. Man soll das Stück befühlen, nicht ansehen.« »Dann kann ich nie etwas damit anfangen, weil ich keine Hände habe«, sagte Sam. »Doch, mein Sohn. Lies in meinen Gedanken, während ich den Jadestein betaste.« »Aber Schildkröten können nicht. . .« Sam schloß die Augen. »Aber ja - sinnlich - Stein und Haut - Verbindung - Hand und Denken fügen sich zusammen.- Zweiheit wird eins -« Sams Lider zuckten. »Donnerwetter! Versuchen Sie es, Astrid.« Ihr goldener Kopf lehnte am Silber der Brust ihres Mannes. Auch sie schloß die Augen, während sie den Stein betastete, nickte und ihn in Freyns grüne Handfläche legte und dort mit der ihren festhielt. Ihre Hände bewegten sich auf dem Stein und berührten einander. Tec kam sich vor, als betrachte er sie aus einer anderen Dimension der Wirklichkeit. Drake griff kurz nach dem Stein, schien aber unbeeindruckt zu sein und gab ihn an York weiter, der zunächst behutsam damit umging und ihn dann fest umklammerte. »Was fühlen Sie?« fragte Sam nach einer seltsam angespannten Minute. »Die verrinnenden Stunden der Zeit«, sagte York. »All die langen Jahre.« Er lachte ein bißchen zu laut und fuhr fort: »Ein armseliges Spielzeug für Kaiser, aber vielleicht diente es dazu, eine Konkubine zu kaufen, die eine Vorliebe für Grün hatte.« Freyn lächelte schwach. Astrid wurde im Gesicht dunkelrot, schien die Kapillarerweiterung aber rasch unter Kontrolle zu bekommen. Das Rot verflüchtigte sich. »Nur Eifersucht, Kusine«, sagte York. »Wir Terraner hätten alle schön grün bleiben sollen. Du hast einen ungerechten Vorteil, Freyn.« »Ich weiß«, erwiderte Freyn gelassen, und für alle bis auf Tec löste sich die Spannung. 127
»Hier ist mein ältestes Stück«, sagte Pedlar und zog noch einen kleinen Gegenstand aus dem Rucksack, den er immer bei sich hatte. »Von Ihren Kunstgegenständen könnten manche gefährlich sein«, sagte York. Seine Augen wirkten hart wie graue Kiesel. »Quatsch«, sagte Drake. »Schwarze Löcher sind gefährlich, nicht Dinge der Kunst.« »Eine Venus-Figur!« sagte Freyn. »Im Neu-Erde-Museum gibt es auch eine. Das ist ein besonders schönes Exemplar, Pedlar.« Es war eine stark verformte Frauengestalt mit kleinem Kopf ohne Gesichtszüge, breitem Gesäß und großen Brüsten und deutlich dargestellten Geschlechtsmerkmalen. »Das ist nicht die Venus«, sagte Pedlar, »denn das wurde Tausende von Jahren vor Erfindung der Venus gebildet. Es ist eine primitive Totemfigur aus der Erd-Steinzeit, zwanzigtausend Jahre, bevor man die Jade berührte.« Pedlar schaute sich vage um und gab sie Drake. Der Kapitän streichelte die Figur und schob die vollen roten Lippen vor, als sei er im Begriff, sie sich zu lecken. Als Pedlar sie ihm eilig wegnahm, schloß Drakes Faust sich um die hinterlassene Leere. Pedlar gab sie Astrid und sagte: »Gut, daß die Zeiten sich geändert haben, Doktor, denn als das gemeißelt wurde, war eine Frau ein geheimnisvoller, lebenswichtiger Besitz, nicht eine gleichberechtige Begleiterin auf den Raumpfaden des Lebens.« Tec sah, daß York ihn kalt anblickte, und starrte ihn ebenfalls an. »Ah, Tec, das ist besser als Nicht-Sein in einer Leere-Kammer.« »Nicht unbedingt, York«, sagte Tec, wütend über seine eigene Eifersucht auf all die anderen Männer um Astrid. Ihr kurzes Lachen war wie ein rascher Regenguß, der die Luft reinigte. »Hoch die Kraft des Weiblichen«, sagte sie glucksend und erhob die Statuette wie einen Talisman gegen das Böse, bevor sie die Figur ruhig in Pedlars Rucksack zurücklegte. 128
»Wieder ein gefährliches Objekt beseitigt«, sagte York. »Objekte sind nicht gefährlich«, sagte Tec, »nur das, was in den Gedanken ist.« »Du mußt es wissen«, sagte York. Pedlars Kopf sank schon wieder herab. »Kauft einen Traum, Edelwesen, eine hübsche Torheit, die niemals war und niemals sein kann . . . « »Aber unentbehrlich«, sagte York. »Wesen müssen die Inspiration haben, größer und edler zu sein, als sie es sonst wären, wenn sie sich an die unverwandelte Wirklichkeit halten würden. Hat der Künstler nicht recht, Pedlar Schadrach?« »'s stimmt, Ingenieur Yodin. Lassen Sie sich einen Traum vom Mond verkaufen . . . « Pedlar schlief ein. »Ich glaube, ich bin beleidigt worden«, sagte York. »War Ingenieur Yodin nicht ein Alter mit grünem Gesicht, dem meine Gemälde gefielen? Ich bin dankbar dafür, daß er sagte, ich dürfe mich mit meiner allerliebsten Kusine auf dieses grandiose Wagnis einlassen, aber . . . « »Armer Pedlar«, sagte Tec. »Er hat Sie mit Yodin verwechselt und Yodin mit dem Genie - möglicherweise einem Holladay, der den Mond versetzt hat.« Astrid wandte sich Tec zu. »Ich nehme an, du wirst uns jetzt sagen, mein Vetter sähe so aus, wie du dir jemanden vorstellst, der sich Yodin nannte und sich wie die Karikatur eines irdischen Gottes kleidet?« Sie kicherte wie bei einem Witz. Tec sagte minutenlang nichts. Er starrte ins Feuer und wartete, bis alle auf sein Schweigen achteten. Dann sagte er: »Odin war ein Himmelsgott mit schwarzem Mantel und schwarzem Hut, oft von Raben begleitet. Sie sind ein guter Schauspieler, York, da Sie die Rolle so gut beherrschen. Ich verstehe nur zwei Dinge nicht. Zum einen, warum sie sich Yodin nannten, wenn der Ingenieur so heißt, nicht aber der Gott. Zum anderen, wie Sie sich von der Bühne entfernt haben.« »Astrid hat mir von deiner Halluzination erzählt, Tec«, sagte York. »Es tut mir leid, daß ich ihr, wie du anzudeuten scheinst, gleiche. Leider habe ich ein klassisches Holladay-Gesicht, das 129
von Zeit zu Zeit in der geschriebenen und vielleicht auch ungeschriebenen Geschichte auftaucht. Ohne Zweifel bist du früher schon darauf gestoßen und hast eine Erinnerung heraufgeholt, die du jetzt vergessen hast. Du bist - wie drücke ich das höflich aus? - reichlich alt, weißt du.« »Ja, ich weiß«, sagte Tec. »Wäre es nicht seltsam, wenn es auf diesem Planeten wirklich jemanden gegeben hätte, der sich Yodin nannte? Vielleicht sind der Mann, der den Mond versetzte, der Ingenieur Yodin, der Expedition Alpha erfand, und Sie drei Generationen eines Zweiges der Holladay-Familie. Das würde alles erklären bis auf die Art, wie Sie den Planeten verlassen haben. Selbst mit dem Alter würde es stimmen.« »Schlicht gedacht«, sagte York. »Wenn ich Ingenieur Yodin wäre, würde ich damit prahlen, nicht wahr, Astrid?« »Ja, das würdest du tun!« sagte sie. »Ach, Tec, du verdirbst uns die Geselligkeit. Ich finde, es macht mehr Spaß, wenn man glaubt, York sei ein geheimnisvoller Holladay-Wechselbalg, den Ingenieur Yodin zu seinem Erben machen wollte, bevor er starb. Erhebt Euch, Ritter York, und laßt ein Lied hören.« York ergriff seine Gitarre und strich über die Saiten. »Ein Lied, das einer Königin der Schönheit alles erklärt, was man über Roboter wissen muß. Hört genau zu . . . Wir lieben Robot Tec nicht sehr, denn er sieht nicht ein, in einer Zeit, die so verquer, muß Scherz und Wagnis sein. An Bord ist Mut nun das Gebot, doch Tec ist blaß genug, in seiner Dummheit stets devot, ihm keine Stunde schlug. Nie wird er alt und weise da und sieht so auch nicht klar, im Universum fern und nah ist nichts für immerdar.« York spielte einen Akkord und fuhr mit leiserer Stimme fort: »Ist jedes Ding auch alles doch und alles Teil von allen, sei Tec Höll' und Himmel noch, ihm will nichts gefallen . . . «
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»York!« rief Astrid. »Du bist nicht nett. Das sieht dir gar nicht ähnlich. Bist du krank?« »Vielleicht nicht. Ich könnte mich für einen König von unermeßlichem Gebiet halten, wenn nur meine bösen Träume nicht wären.« Tec schaute zu, gebannt von dem Wort »Wechselbalg«. »Vielleicht solltest du dich ausruhen«, sagte Freyn und streckte die Hand aus, um York zu berühren, der zurückwich und drohend die Gitarre erhob. »Ich habe im Leben meinen Anteil an Wunden abbekommen«, sagte York, »aber ich überlebe. Macht euch meinetwegen keine Sorgen. Komm, Astrid, feiern wir miteinander den Ruhm von Expedition Alpha. Schließlich ist ein anderes Universum das richtige Heilmittel für Melancholie.« Er begann zu singen. »Ich weiß, wohin ich gehe, und wer mich begleiten wird, auch; ich weiß wohl, wen ich liebe, und wen ich zum Heiraten brauch'.« Astrids klare, junge Stimme fiel ein: »So gab ich hin mein Herz und besteh' den morgigen Tag. Wir gehen nun gemeinsam in Freude, nicht in Klag'.« Die Stimmen vereinigten sich am Ende harmonisch, und Freyn klatschte in die Hände. Auch die anderen zollten Beifall. York verbeugte sich. »Tja, Tec«, sagte er. »Willkommen in der gemischten Mannschaft von Expedition Alpha. Glaubst du, wir werden uns am anderen Ende des Schachbretts alle in Götter verwandeln?« »Ich weiß es nicht«, erwiderte Tec. »Hinter dem Spiegel wurde Alice wach.«
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Am nächsten Tag nahm Drake Tec beiseite und befragte ihn erneut nach dem, was er Tecs Halluzination nannte. »Yodin war real«, sagte Tec, »und ich glaube, York Holladay ist jener Yodin, dem ich im Holladay-Tower begegnet bin. Ich glaube außerdem, daß er als Ingenieur Yodin auftrat, weil er von Expedition A als seinem eigenen Unternehmen sprach.« Drake blickte finster. »Auf dem Planeten war niemand, der York ähnlich sah, als man dich im Holladay-Tower faßte. Außerdem ist York zu dieser Zeit bei den Gerz gewesen.« »Sagt er.« »Ich glaube, daß Astrids Vetter verrückt ist, und finde es abscheulich, daß er mitfliegt, aber ich glaube nie und nimmer, daß er Ingenieur Yodin ist. Bei Beta, Tec, der Name des Ingenieurs ist für mich heilig. Ich erlaube nicht, daß du ihn mit deinem lächerlichen Verdacht gegen York Holladay in den Schmutz ziehst. Da muß ich an deinem Verstand zweifeln.« »Und wie steht es mit Ihrem, wenn Sie York mitnehmen, obwohl Sie ihn für verrückt halten?« fragte Tec. »Ich will Astrid nicht unglücklich machen«, murmelte Drake. Tec wollte schon aufgeben, sagte aber noch: »Hören Sie, Drake, es könnte sein, daß ich recht habe. York könnte der Yodin gewesen sein, dem ich begegnet bin, und er leidet vielleicht an einer Psychose, weil ich seine geistige Abwehr durchbrach, als er mich aus der Leere holte.« »Ingenieur Yodin wäre das nicht passiert«, behauptete Drake so störrisch, als verteidige er seinen Glauben. »Der Ingenieur war ein Genie und ein großer Mensch. York Holladay hat gar nicht den Verstand, Leere-Anlagen richtig abzuschalten, erst recht nicht, wenn er das telepathisch tun müßte, und von einem Planeten könnte er schon gar nicht verschwinden.« »Nachdem er vom Holladay-Tower gestürzt war.« Drake lachte schallend. 132
»Ah, ich verstehe. Du machst nur einen Witz, Tec.« »Das hätte ich mir auch gewünscht.« Unvergleichliche Frau oder nicht, Astrid wollte nicht zur Vernunft kommen, wollte Tecs Anschuldigung gegen York nicht ernst nehmen. Tec war verbittert. »Entweder ist er geisteskrank oder er lügt oder beides«, sagte er. »Ich kann es nicht glauben«, gab Astrid zurück. »Er ist immer schon merkwürdig gewesen, und seit ich ihn das letztemal gesehen habe, hat ihn etwas verstört, aber das heißt doch nicht.. .« »Verdammt, Astrid, Sie sind Ärztin! Und Empathin! Wenn jemand die Wahrheit bei York erkennen kann, dann Sie! Ich glaube, Sie lieben ihn, und das trübt Ihr Urteil!« »Oh, Tec, Freyn wird dir wohl erzählt haben, daß ich York angebetet habe, als ich klein war. Er sang mir Lieder von großen Abenteuern vor - wie kann ich ihn seiner Chance berauben, sich auf das allergrößte einzulassen? Und ihm verdanke ich es, daß ich bei Expedition A dabei bin.« »Wie das?« »Nach meiner Heirat beschaffte er mir diese Stellung auf Lune, so daß ich mit Freyn und Sam hierherkam. Ingenieur Yodin lebte damals noch. Ich sah ihn einmal. Er glich zwar entfernt den Holladays, schien aber wirklich sehr alt und krank zu sein. Und er bestimmte Drake zum Kapitän für Ship, nachdem die Konstruktion fertig war, und die beiden bestimmten Freyn und mich als Ärzte für die Kolonie Alpha.« »Beide? Drake und Ship? Hat Yodin ihnen gesagt, sie sollen Sie nehmen?« »Nicht direkt. So, wie ich es gehört habe, empfahl der Ingenieur York an Drake, York empfahl mich, und Ship stimmte zu.« »Ich bin nach wie vor davon überzeugt, daß York in Wahrheit Yodin ist — zumindest der Yodin, dem ich auf dem Holladay-Tower begegnet bin.« »Selbst wenn das wahr wäre, kann er nicht der Yodin sein, den wir gekannt haben«, sagte Astrid. »Als Empathin kenne ich York gut genug, um sagen zu können, daß er nicht bewußt lügt, wenn 133
er behauptet, nicht Ingenieur Yodin zu sein.« »Bei allen Drachen von Roiissa! Vielleicht weiß der Mann wirklich nicht, wer er ist, und es ist das, was ihn verrückt macht! Aber wenn Sie durch seine Abschirmung gedrungen sind, müssen Sie die Wahrheit wissen, Astrid.« »Das habe ich nicht getan und weiß es nicht. Bitte, Tec, verfolg das nicht weiter. York ist nicht gesund, und es könnte noch schlimmer werden, wenn du ihn weiter beschuldigst.« »Sie scheinen sich keine Sorgen darüber zu machen, ob ich an einer Psychose leide. Alle glauben, daß ich Halluzinationen habe, und meinen eigenen Ärzten ist es im Grunde gleichgülr tig . . .« »Das ist das eine, was ich nicht verstehe, Tec. Ich halte dich für geistig normal.« Da Tec nichts erreicht hatte, versuchte er sich dadurch abzulenken, daß er alles lernte, was er über Expedition Alpha erfahren konnte, und es waren Ship und Drake, die ihn einweihten. Bei einer Gelegenheit war Sam mit ihnen zusammen in Ship. »Erklär mir noch einmal, wie du durch ein Schwarzes Loch gehst«, sagte Tec zu Ship. »Ja«, sagte Sam, »und wie unsere zerbrechlichen Körper das überleben.« Drake hieb mit der Faust auf Sams dicken Panzer. »Zerbrechlich, daß ich nicht lache! Ihr Schildkröten habt die Dinosaurier überlebt, also reg dich nicht auf. Wir kommen schon durch. Erklär uns, wie du das machen wirst, Ship.« »Ich bin so konstruiert, daß ich zum Teil im Schwarzen Loch, zum Teil im Hyperraum fliege. Rumpf, Abschirmung und Vollschutzfeld werden der Beanspruchung durch ein kosmisches Ei für kurze Zeit standhalten. Während dieser Zeit kann ich rasch neue Energie aufnehmen, weil das notwendig ist, damit ich im Hyperraum bestehen kann. Ich funktioniere durch gespeicherte Energie von kosmischen Feldern.« »Dann wird sie im Hyperraum im Ruhezustand unbegrenzt lange verharren und uns sicher in der Leere halten, bis Alpha ein bewohnbares Universum geworden ist«, sagte Drake. »Auf Ship habe ich mich verlassen.« 134
»Aber wenn der Hyperraum in Alpha nun von anderer Art und nicht sicher ist?« fragte Tec. »Nein«, sagte Sam. »Der Hyperraum, ist nicht gefährlich, wenn man Roboter ist oder die Gabe in seinen Zellen trägt und in einem abgeschirmten Schiff fliegt. Verstehst du die Theorie nicht, Tec?« »Ich dachte, der Hyperraum sei eine Art nicht meßbarer Dimension, aus dem sich Universen hinausblähen.« »Nein«, sagte Drake. »Nichts Abgetrenntes.« Sam nickte. »Ingenieur Yodin schrieb: >Hyperraum, das ist alles, die Unmittelbarkeit, wo Zeit und Raum im herkömmlichen Sinn transzendiert werden<.« »Für mich ist das zu poetisch«, meinte Drake. »Oder er wird definiert als das undifferenzierte Kontinuum, in dem sich Differenziertes manifestiert, wandelt, stirbt und wiedergeboren wird. Ich stelle mir das Doppeluniversum und alles darin gern als Teil des Hyperraums vor, so wie Kräuselungen Teil eines Teichs sind.« »Vielleicht gibt es viele Universen«, sagte Drake, »jedes mit einem alternierenden Doppel. Vielleicht hat jedes davon ein spiegelbildliches Universum aus Antimaterie, geschaffen im Augenblick des Urknalls, aber zum Glück trennen sie sich auf der Stelle und vereinigen sich erst wieder in den letzten Augenblikken des Zusammenbruchs, um das alternierende kosmische Ei mit Energie zu versorgen.« »Ich bin froh, daß wir nicht auf der Erde des 20. Jahrhunderts leben«, sagte Sam. »Da wußte keiner genau, ob das Universum genug Masse enthält, um zusammenstürzen und neu entstehen zu können. Ich fände es schlimm, wenn dieses Universum sich immer weiter ausdehnen würde, bis es den Hitzetod stirbt. Übrigens waren es Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts, die auf die isotrope Mikrowellen-Hintergrundstrahlung gestoßen sind. Sie beweist, daß unser Beta-Universum durch einen Urknall entstanden ist.« Tec war verwundert. »Wenn der Hyperraum alles ist, sogar jedes Materie- und Antimaterie-Universum, warum können wir dann nicht in ihm nach 135
Alpha gelangen?« »Ausgeschlossen«, sagte Ship. »Mein Gravitation-Antrieb stimmt mich in die Andersseitigkeit der Gravitation ein, so daß es den Anschein hat, wir bewegten uns in jenem undifferenzierten Wirklichkeitsgrund, der Hyperraum genannt wird, aber in Wahrheit sind wir nach wie vor an die physikalischen Eigenschaften des Differenzierten gebunden.« »Siehst du, Tec«, sagte Drake, »wir kehren aus dem Hyperraum stets in den Normalraum unseres eigenen Universums zurück, falls wir nicht durch ein Schwarzes Loch in das Doppelall gehen.« »Wir sind eingeschränkt«, sagte Sam. »Nur der Hyperraum ist es nicht, denn er ist die ganze Wirklichkeit.« »>Das Fundament der Ewigkeit<«, sagte Tec in Erinnerung an Yodin. Die Terraner erinnerten Tec daran, daß er vor dem Abflug einen kurzen Ausflug zu den Museen von Neu-Erde machen könne, und Ship erbot sich, ihn hinzubringen. Tec lehnte ab. Er wollte weder die Museen noch die Nachbildungen der Naturwunder der Erde sehen. Von den echten Niagara-Fällen war er überrascht und angenehm berührt gewesen, aber er wollte keine Rekonstruktion sehen. Tec beneidete Astrid darum, daß sie noch so jung und frei von zuvielen Erinnerungen war, und Drake um seine zielstrebige, von Zweifeln unberührte Hingabe an ein Ziel. Für seine Weigerung gab es noch einen zweiten Grund. Er wollte nicht allein sein mit Ship, weil sie jetzt begierig darauf war, fast unaufhörlich mit ihm zu reden. Sie schien einen verwandten Geist zu brauchen, und das störte ihn. »Wir werden erfolgreich sein, nicht wahr?« sagte sie. »Du und ich, wir werden diese Protoplasma-Wesen sicher ans Ziel bringen.« »Wir sind nur Maschinen, fehlbar und unvollkommen, nicht allwissend oder allmächtig«, gab Tec zurück. »Aber wir werden unser Bestes tun, Tec. Auch wir sind denkende Wesen, und wir werden einander helfen«, sagte sie - immer und immer wieder.
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Tec hielt sich unwillkürlich von York fern, der sich in der Regel verrückter und wütender aufführte, wenn Tec dabei war. York malte für Astrid und Freyn ein reizendes Bild von Selena und stellte eindrucksvolle Holographien von Ship her, aber die meiste Zeit schien er sich wie ein reuevolles schwarzes Schaf bei Astrid herumzutreiben. Wenn sie ihn aus dem Labor oder der Klinik scheuchte, setzte er sich in den Garten und sang traurige Lieder. Nach dem Abendessen zog er sich in sein fensterloses Zimmer zurück und sperrte seine Tür bis zum Morgen ab. Drake teilte Tec mit, er sei zu dem Schluß gekommen, York könne nicht gefährlich sein - er sei zu lächerlich. »Er hat die Gerz mit hypnotischen Kräften und List hereingelegt, aber gegen echte Stärke kommt er nicht auf.« Drake sah von seiner Olympierhöhe nachsichtig auf Tec herab. »Du hältst mich wohl für einen schwachen Kapitän, weil ich den Gerz erlegen bin, aber sie haben mich erwischt, als ich nicht auf der Hut war. Verlaß dich drauf, daß das nicht wieder vorkommen wird. Versuch mich telepathisch zu erforschen, Tec.« Drake hatte bewußt seine Abschirmung fallen lassen, und dahinter standen Kräfte, die Tec nicht begreifen konnte. »Sind Sie ein Mensch, Drake?« »Gewiß. Ich bin bis ins Innerste Mensch, mutiert und weiterentwickelt wie unsere Gabe. Ich bin ein Mensch neuer Abstammung, der nach alter Abstammung aussieht, aber ich bin kein Schwächling. Ich sorge dafür, daß wir nach Alpha kommen, Tec.« »Passen Sie nur auf York Holladay auf, Kapitän.« Drake lachte. »Meine Expedition ruiniert mir keiner!« Am Tag vor dem Abflug bat Astrid Tec, mit York zu sprechen. »Er ist deprimiert. Er murmelt dauernd vor sich hin, er müßte mit dir eine Rechnung begleichen, aber wenn ich ihn danach frage, weiß er nicht, daß er etwas gesagt hat.« »Warum untersuchen Sie ihn nicht?« fragte Tec. »Er würde Sie durch seine Abschirmung lassen, nicht wahr?« »Nein, Tec, das will er nicht, und ich weiß nicht, woran das 137
liegt. Ich bin schon fast soweit, ihn durch eine List zu veranlassen, daß er Ship betritt, bevor wir fliegen. Er hat es noch nie getan, weißt du. Glaubst du, er argwöhnt, daß sie seine Sperren durchdringen könnte?« Widerwillig ging Tec zu York in den Garten und nahm unterwegs Selena mit - wohl zur amoralischen Unterstützung, dachte er. Sie schnurrte, bis er den besetzten Stuhl erreichte, wo sie ins Gras hinuntersprang und davonrannte. »Willkommen, großer Feind Tec und kleine Feindin Katze«, sagte York. »Ich bin immer noch in der Stimmung für Melancholie. Hört zu: Ich wandere ganz einsam, bin von Zuhaus so fern, so weit von den Planeten, wo unterwegs ich war so gern. »Wo waren Sie zu Hause, York?« fragte Tec. »Wo oder wann? Ich weiß beides nicht mehr.« York umklammerte die Gitarre wie seine letzte Rettung vor dem Wahnsinn. »Sind Sie krank?« »Wen kümmert das? Bald werden wir wenigen, wir Auserwählten, wir Haufen von anderen - und Drachen - in behaglicher Gemeinsamkeit sein, von wo es keine Rückkehr gibt. Oh, mein Herz ist traurig war' frei und ledig ich, obwohl die Sterne sterben, den Tod gibt's nicht für mich.« »Warum nicht?« fragte Tec. »Warum nicht sterben? Oder warum nicht gut sterben?« »Kennen Sie jemand, der Yodin heißt?« fragte Tec. York schlug auf seinem Instrument einen dissonanten Akkord. »Warum läßt du mich nicht in Frieden, Tec? Du zerstörst, zerstörst, zerstörst...« 138
»York, ich versuche Ihnen zu helfen wie wir alle. Lassen Sie sich helfen. Kommen Sie zu Ship, und wir versuchen mitzuhelfen, daß Sie wieder gesund werden . . . « »Deine Heilmittel! Du zwingst die Seele eines Mannes auf wenn er eine hat. Du nimmst den Deckel von dem bodenlosen Abgrund, in den man hineinstürzen kann, zerteilt.. .« York schloß die Augen. »Ich hasse dich, Tec. Du kannst nicht einmal die einfachste Frage beantworten, aber du stellst jene, die töten. Fremd! Oh, wie fremd! Fremd - verfolgt - stets verfolgt...« »York!« »Sag mir, wenn ich wand're, wird Wunder nicht mehr sein? Im wilden, schwarzen Jenseits Frieden kehren ein?« Astrid eilte aus dem Labor in den Garten, und Tec fühlte sich von Erleichterung überwältigt. Sie beugte sich über York, legte den Arm um den Hals ihres Vetters und drückte ihn an sich. »Schöne Verwandte«, sagte York und blinzelte verständnislos. »Schöne, normale, aufbauende Verwandte, willkommen. Mich verfolgen Roboter, von denen manche Tec heißen, und unsterbliche Götter in schwarzen Mänteln. Fliehen wir dahin, wo sie uns nicht finden können? Hinab in einen schwarzen Kaninchenbau? Glaubst du, dort könnten wir Frieden finden Astrid? Oder wäre er voller Drachen? Hast du gewußt, daß ich den Drachen nicht finden kann? Macht mich wahnsinnig.« »Du hast immer Witze darüber gemacht, daß du von den Unsterblichen verfolgt wirst«, sagte Astrid und strich ihm über die Stirn. »Gehen wir zu Ship und sagen wir es den anderen, vielleicht können wir dir dann alle helfen.« »Es war ein prachtvoller Drache. Murpur-Purpur - grün schien.« »Bitte, komm mit mir zu Ship«, sagte Astrid. »Nur, wenn du mir einen Kuß versprichst«, sagte York listig. »Den verspreche ich.« 139
Als sie Ship betraten, schaute York sich kurz um und sagte: »Nehmen wir hier den unausweichlichen Zwischenimbiß ein, der Nachmittagstee heißt?« Einer von Ships Hilfsmatrosen huschte sofort davon, und bis Astrid, York und Tec mit Drake im Aufenthaltsraum von Ship saßen, war der Tee serviert. Astrid teilte Tec telepathisch mit, daß Freyn in Terra-Center sei, um ein Krankenzimmer für York herzurichten, falls die Feststellungen von Ship das als notwendig erscheinen ließen. Tec dachte, daß schon einfache Beobachtung das nahelegte. »Bin ich hier, damit ihr meine Absichten aufdeckt?« fragte York und beendete damit eine peinliche Schweigepause. »Welche sind das?« fragte Tec. York lächelte schief. »Ja, das möchtest du gerne wissen, Tec. Du willst immer alles wissen.« »Was für eine Absicht haben Sie, York?« fragte Drake. »Nun, die, keine Absicht zu haben. Ich will mit dem Wollen aufhören.« »Mit dem Wollen aufhören?« sagte Drake. »Das kann nicht wahr sein, York. Jedes Wesen will vieles, wissen Sie.« York beugte sich zu Drake hinüber, schüttelte den Kopf und wich wieder zurück. »Edler Kapitän, Sie werden nie begreifen. In Ihrer zweidimensionalen Welt sind Sie nicht von des Gedankens Blässe angekränkelt. Wenig Aussicht, daß Sie in diesem Wagstück hohen Flugs und Werts der Handlung Namen so verlieren . . . « »Hören Sie mal, York!« fuhr Drake auf. York begann leise zu stöhnen, seine Gesichtsmuskeln erschlafften. »Still jetzt, schöne Nymphe. Sind alle meine Sünden in dein Gebet eingeschlossen? Werden wir Einfachheit und Frieden inmitten von Komplexem und Wandel haben, damit wir alle so glücklich sind wie die Könige? So viel Wandel - so viel!« »Erzählen Sie uns davon«, sagte Tec. Yorks Gesicht schien vor Leid einzufallen. »All die Veränderungen, und dann die letzte Chance - und ich 140
wurde aufgehalten. Irgend jemand - oder war es ein zweibeiniges Etwas? - hielt mich auf. Und ich konnte nicht finden - vergessen - verloren - ja - wenn es nur möglich wäre, zu finden, was man verloren hat!« »Was hast du verloren, Lieber?« fragte Astrid. »Außer meinem Verstand?« knurrte York. »Die Unsterblichen. Diese seltsamen, prupurroten. Verloren. Aber noch ist nicht alles verloren, denn ich habe meinen Kuß noch nicht bekommen, schöne Kusine. Durch deinen Kuß wird alles gut werden. Alle Märchen sagen es, schöne Prinzessin.« Ship meldete sich in Tecs Gehirn, und er wußte, daß Drake und Astrid die Stimme auch hören konnten: - Ich komme nicht an seinen Sperren vorbei, um seinen Körper oder seine Gedanken zu untersuchen; er ist viel zu stark. »Sehen wir uns in Ship um«, sagte Astrid, zog York hoch, griff nach seiner Hand und führte ihn hinaus. »Du bist noch nie hiergewesen.« »Bürgst du für dieses blecherne Frauenzimmer?« sagte York. Seine Stimme klang lebhafter, sein Gesicht wirkte weniger leer. »Ich glaube, du genügst mir.« Sie drückte seine Hand und lächelte. Er ließ die Hand los, legte die Arme um ihre Hüften und senkte den Kopf, um sie auf die Stirn zu küssen. Sie drehte das Gesicht zur Seite, so daß ihre Wange seine Lippen streifte. Seine Arme schlossen sich fester um sie, er zog sie näher heran, zog an ihren langen, blonden Haaren im Nacken, bis er die emporgewandte Rose ihrer jungen Lippen küßte. - Tec, sein Schutzfeld ist gelockert! sagte Ship in Tecs Gehirn. Angstvoll begann Tec zu sondieren, aber Ship war stärker und schneller und stürzte sich in York hinein, um zu untersuchen, was hinter der Abschirmung lag. York schrie gellend auf. Er stieß Astrid weg und rannte zur Luftschleuse, verfolgt von den anderen, aber Ship schloß ihre Türen, um ihn festzuhalten. York fuhr herum, mit dem Rücken zur geschlossenen Schleusentür, die Arme wie im Entsetzen vor unergründbaren Feinden ausgebreitet. 141
»Laßt mich hinaus! Laßt mich aus diesem Metallmonster!« »Keine Angst«, sagte Astrid. »Dir geschieht nichts, York. Ich bin da, und . . . « »Und Tec auch«, sagte Yo k mit wutverzerrtem Gesicht und geballten Fäusten. »Yodin«, sagte Tec, der sie seiner Grausamkeit wohl bewußt war. York schauderte. »Ein familiärer Familiaris, das. Ich glaube, er wird dir über sein, Tec.«
Vor ihren Augen schien York Halladay sich unwiderruflich zu verwandeln. Sein Körper richtete sich auf, wirkte größer und schwerer, sein Gesicht war hart. Er schloß die Augen und stand wie eine dunkle Statue vor der Schleuse. Niemand sagte etwas. In Tecs Gehirn drangen die Gedanken des Wesens vor ihm, durchbohrten ihn wie ein Speer von Haß, in einem Dialog, der so schnell ablief, daß kein normal Sterblicher ihn hätte führen können. - Böser Tec. Du hast mich beschädigt. Du hast mein Gehirn zerspalten, und ich scheine mich nicht rasch genug wiederherstellen zu können. Ich habe die Zusammenkunft mit meinem Partner versäumt, und alle meine Pläne sind gefährdet. - Wer ist Ihr Partner? Wo ist dieser Partner? - Dahin. Dahin. Das zweite große Ziel von Expedition Alpha, dahin! Du hast meine Absichten gemeuchelt, meine geistige Einheit zerstört, Tec, und nun hast du zusammen mit Ship alles zerstört, weil ihr meinen Körper erforscht habt. Ihr wißt, was ich bin. - Ja. Wo stammst du her? Von der Erde? - Das räume ich vor mir selbst nicht mehr ein. Ich habe viele Körper und sie alle selbst gemacht. - Zu viele Übertragungen der Gehirnstrukturen von einem 142
Körper zum anderen führen zu Defekten. - Glaubst du, das weiß ich nicht? Ich bin vorsichtig gewesen. Ich habe nur einen Fehler gemacht: dich freizusetzen, Tec. - Der Fehler lag bei mir. Ich habe den Holladays nicht gesagt, daß einer der Y-I-Roboter reparaturbedürftig war. - Sogar das weißt du! - Es ist nicht schwer, zu erraten, was geschehen ist. Sie haben sich jetzt zu einem perfekten Holladay gemacht... -Ja! Fähig, für immer zu leben, wenn ich das will, weil meine Gesamtstruktur von innen heraus sich selbst reparieren und nachgestalten kann. Wie du nutze ich mich nicht ab, aber im Gegensatz zu dir kann ich menschliche Lust erfahren und Kinder zeugen. Fremder Roboter, wünschst du dir nicht, daß du das auch könntest? - Doch. - Dann liebst du sie.
-Ja. - Ich verachte dich, Tec, du Metallgeschöpf mit deinen nachgemachten Emotionen, das nicht einmal in unser Universum gehört. Was ich auch sonst immer sein mag, vergiß nicht, daß ich mich in Wahrheit menschlich gemacht habe und es sich gelohnt hat. Aber du hast meine Denksperre geknackt und meinen Verstand auseinandergerissen, und ich kann den Drachen nicht finden . . . York hörte auf, Tec seine Gedanken zu senden, und öffnete die Augen. »Mein Name ist Yodin«, sagte er. Er zeigte auf Tec. »Ihr müßt ihn töten. Der Drache gehört mir, nicht ihm. Ich werde den letzten Unsterblichen finden. Folgt mir. Folgt mir. Folgt mir . . . « Langsam öffnete sich die Schleusentür. »Kapitän!« rief Ship. »Er bekämpft mich. Ich kann seiner Kraft nicht widerstehen. Ich kann die Tür nicht geschlossen halten.« »Warte, York!« rief Astrid und hielt Drake zurück, der nach vorn stürzen wollte. Yodin blinzelte verwirrt. »Nacht für Nacht habe ich nach ihr gesucht. Sie muß tot sein. 143
Wird alles sterben? Kann der letzte Unsterbliche sterben? Drachenschönheit . . . menschliche Schönheit... die Fallen der Wirklichkeit... Ich liebe dich, Astrid!« Er trat zurück über die Außenkante der Schleuse und stürzte. Astrid saß am Bett ihres Vetters im Krankenhaus von TerraCenter, während Tec, Freyn und Drake sich besprachen. Pedlar Schadrach kam ins Zimmer und blieb im Schatten hinter ihnen stehen. »Es war kein schwerer Sturz«, sagte Freyn, »aber aus irgendeinem Grund liegt er im tiefen Koma. Altmodische Röntgenstrahlen und alle anderen Diagnosemittel samt Gedankensondierung werden durch seine Abschirmung blockiert, so daß Astrid und ich weder eine Diagnose stellen noch ihn heilen können.« »Ich will ihn bei der Expedition nicht dabeihaben«, sagte Drake. »Selbst wenn ihr ihn aus dem Koma holt, lasse ich keine irre, gespaltene Persönlichkeit an Bord von Ship.« »Irr?« murmelte Pedlar in der Dunkelheit. »Alt, wie ich. Aber anders.« Er schauderte. Der Mann auf dem Bett regte sich nicht. Sein gutaussehendes Gesicht war wie ein erstarrter Schatten. Astrid blickte zu Tec hinauf. »Ich glaube, du und Ship, ihr habt doch erfolgreich sondiert. Ihr habt ihn in die andere Persönlichkeit gestoßen, so daß ihr dafür verantwortlich seid.« »Habt ihr das getan?« fragte Drake. »Warum habt ihr uns nicht gesagt, worauf ihr gestoßen seid? Warum, zum Teufel, hat Ship nicht...« »Ich habe sie gebeten, es nicht zu tun«, erwiderte Tec, »denn wenn er stirbt - und als wir ihn aufhoben, dachte ich, er sei tot -, können wir ruhig vergessen, was er war.« »Wir würden obduzieren« sagte Freyn. »Wir würden dahinterkommen. Schweigst du, weil es uns weh tun würde?« »Weil es mir weh tun wird«, sagte Astrid. »Du mußt es uns sagen, Tec.« Er erzählte ihnen die Geschichte der Y-I-Roboter, die er vor so vielen Jahren erfunden hatte, und was mit einem von ihnen 144
geschehen war. »Den Gen-Grundmustern in seinen Zellen zufolge ist Yodin ein Holladay, aber die Zellen sind komplizierter, als terranische Zellen es sein sollten, weil ihr R-Einschluß stärker mutiert ist als sogar bei einem Terraner neuer Abstammung.« »Dann hat der ursprüngliche Yodin-Roboter seine Gehirnstruktur einem mutierten Menschenkörper übertragen?« fragte Freyn. »Nicht direkt«, sagte Tec. Er selbst reagierte fassungslos auf das, was er gefunden hatte, was der Y-i-Roboter zu leisten imstande gewesen war. »Er ist nach wie vor ein Roboter, aber auch ein Konstrukt, aufgebaut aus organischem Fleisch, das in und auf einem nicht-organischen simulo-menschlichen Roboterkörper wächst.« Astrid brach in Tränen aus. »Ein Roboter! Ich dachte, er ist ein Holladay, ein naher Verwandter, den ich liebe . . . « »Er ist auch ein Holladay«, sagte Tec. »Leider wird er vielleicht nie mehr der York sein, den Sie gekannt haben. Als ich versuchte, die Denkabschirmung des Yodin zu durchdringen, der mich aus der Leere befreite, habe ich offenbar die Einheit gespalten, die er zwischen organischem und Roboter-Selbst hergestellt hatte. Die Yodin-Seite wußte stets von York, aber York nichts von Yodin.« »Wir müssen ihm helfen, die beiden Seiten zu integrieren«, sagte Astrid. »Wir müssen York zurückholen. Ich will nicht, daß Yodin den Sieg davon trägt.« Drake stand starr an der Tür, das Gesicht aschfahl, die Hände geballt. »Was ist, Kapitän?« fragte Freyn. »York Holladay war der Yodin, den Tec gesehen hat?« fragte Drake heiser. »Und gleichzeitig Ingenieur Yodin?« »Ja«, sagte Tec. »Alles zusammen.« »Ingenieur Yodin - ein verdammter Roboter!« sagte Drake. »Als ich klein war, hielt ich den großen Ingenieur für eine Art von Gottheit. Und alles, was davon übrigblieb, ist ein verrückter Roboter mit menschlichem Fleisch, das wie widerlicher Schim145
mel an ihm wächst! Ein Ungeheuer, das mich dazu bringen wollte, als Kapitän ein Raumschiff in ein anderes Universum zu steuern, damit er seine Pläne wahrmachen konnte!« »Sie brauchen nicht zu fliegen«, sagte Astrid müde, »aber ich möchte, daß Ship mich hinbringt, weil der Plan nach wie vor großartig ist, gleichgültig, wer ihn ersonnen hat. Und ich habe meinen Vetter York geliebt.« »Ingenieur Yodin war ein großer Mann«, sagte Freyn. »Kein Mann!« schrie Drake. »Ich bin ein Mann, nicht dieser dieses Ding da auf dem Bett. Na gut. Ich bin nach wie vor Kapitän von Expedition Alpha, und es ist nicht mehr sein Projekt, sondern das meine. Nach Alpha zu gehen, ist mein Abenteuer, das Abenteuer eines Mannes, und es wird keinem Roboter gehören!« Die anderen vermochten Drake schließlich zu beruhigen und brachten ihn zu Ship zurück, während Tec sich den Kopf über den einen wichtigen Faktor zerbrach, den er bei seinem Bericht über Yodins Geschichte ausgelassen hatte. Der Y-I-Roboter war beinahe getötet worden, als die Roiiss sein Gehirn aufgerastert hatten, und dabei hatte er einen Teil ihrer Gehirnstrukturen übernommen - oder das jedenfalls behauptet. Tec fragte sich, ob das der Grund war, weshalb Yodin - und York - von Drachen besessen gewesen zu sein schienen. Niemand sonst nahm Yorks wildes Gerede vom letzten Unsterblichen ernst. York blieb im Koma. Drake beschloß, in dieser Nacht in einem Zimmer in Terra-Center statt in Ship zu bleiben, um in der Nähe zu sein, falls York wach werden sollte und die Frage beantwortet werden mußte, was man mit ihm anfangen wollte. Astrid verbrachte die Nacht auf einem Notbett in Yorks Zimmer. Die Tür blieb offen, im Zimmer gegenüber hielt sich Freyn auf. Pedlar kam herein und setzte sich auf einen Stuhl in Yorks Zimmer, um Astrid eine Weile Gesellschaft zu leisten. Während im anderen Raum Freyn eine gute Nacht wünschte, kam Tec kurz herein. 146
»Hallo, Pedlar«, sagte Tec. Der alte Mann nickte und öffnete plötzlich die runzlige grünlich-schwarze Handfläche. Darin lag der Musikwürfel. »Nimm das lieber, Tec. Um Mut zu tanken.« »Fühlen Sie etwas, Pedlar?« »Nur den Tod. Hab keine Angst.« »Der Würfel...« »Musik, um des Wilden Brust zu besänftigen. Oder muß es Bestie heißen? Spielt keine Rolle. Hab keine Angst vor dem Universum, Roboter Tec. Vor keinem.« Pedlar schlurfte mit seinen alten Füßen zu Tec hinüber und spähte kurzsichtig in Tecs goldene Augen. »Nur zu. Blick in mein Gehirn, Tec.« Widerwillig gehorchte Tec. Entscheidung, dachte Pedlar. Das Problem wird die Entscheidung sein. Alleine stehen, sehen ., o die Einsamkeit und das Wunder . . . entscheiden . . . Tec konnte es nicht ertragen. Er zog sich aus Pedlars Denken zurück und wartete darauf, daß der andere etwas sagte, aber Pedlar grinste nur. »Was sehen Sie in mir, Mr. Schadrach?« »Was ist?« »Ich verstehe nicht!« Pedlar tätschelte seinen Arm und hinkte zum Stuhl, um seufzend darauf niederzusinken. »Ich sehe gar nichts, Mr. Roboter, aber vielleicht kannst du es. Es ist deine Sache. Was mich angeht...« »Ja?« »Ich bin - zufrieden.« Tec kam sich nutzlos vor und kehrte an Bord von Ship zurück. So sehr ihn ihre übergroße Aufmerksamkeit auch beunruhigte, er zog es vor, Terra-Center und das Problem York-Yodin hinter sich zu lassen. Als Ship sich mit ihm unterhalten wollte, sagte er ihr, er müsse nachdenken. Aber er konnte nicht klar denken. Während seine Datenspeicher für den Fall, daß Ship etwas zustoßen sollte, pflichtgemäß Information darüber aufnahmen, welche Embryos was waren, sann er über Yodin nach. 147
Wie gefährlich ist die Yodin-Persönlichkeit? fragte er sich. Können wir das rechtzeitig klären? Wenn wir beschließen, ihn zurückzulassen, was für Schaden kann er anrichten? Wie ist er von Lune fortgekommen, als er vom Holladay-Tower sprang? Wenn wir ihn mitnehmen, wird er York oder Yödin sein, und können wir entscheiden, welcher vorzuziehen wäre? Entscheidung? Was, zum Teufel, hatte Pedlar damit gemeint? Er erwog, nach Terra-Center zurückzukehren, um noch einmal mit Pedlar zu reden, wurde sich aber klar darüber, daß der alte Mann ganz gewiß fest schlafen würde. »Tec, hast du Sorgen? Ich möchte teilhaben . . .« »Laß es, Ship.« Freyn kam herein, um mitzuteilen, daß sich nichts verändert hatte und York noch am Leben war. »Ich habe es dir nicht telepathisch gesagt, weil ich dich allein sprechen wollte, Tec.« Tec verzichtete auf den Hinweis, daß in Ship niemals jemand allein war. »Was gibt es?« »Astrid gibt sich die Schuld an dem, was mit York geschehen ist. Sie sagt, sie wollte in ihm den Troubadour-Helden ihrer Kindheit sehen und hätte deshalb nicht rechtzeitig auf die Anzeichen seiner geistigen Erkrankung geachtet.« »Sie sollte mir die Schuld geben«, sagte Tec. »Ich bin die Ursache.« »Nicht mit Absicht. Wir verstehen das«, sagte Freyn. »Ich fühle mich trotzdem nicht wohler. Yodin liegt im Koma und ist sehr wahrscheinlich verantwortlich für grandiose Leistungen im Verlauf der letzten Jahrmillionen. Den Mond umgestalten, ihn von der sich ausdehnenden Sonne fortschaffen, Ship konstruieren, Expedition Alpha planen . . .« »Und nicht zu vergessen, beide Hohe Maxifexe zu sein«, meinte Freyn lächelnd. »Möchte wissen, worum es dabei in Wirklichkeit geht. Weißt du das?« »Nein, und das gehört zu den Dingen, die mich beunruhigen. Ich komme einfach nicht mit allem zurecht. Ich hätte schon frü148
her wissen müssen, daß York und sein zweites Ich aus jenem YI-Roboter hervorgegangen sind. Ich mache mir solche Sorgen . . . « »Tu es nicht.« »Aber ich muß doch, Freyn . . . « Freyn lachte. »Doch, ja, du mußt dir wohl Sorgen machen. Das scheint in deine Schaltungen eingebaut zu sein. Vielleicht ist es bei intelligenten Wesen unvermeidlich, weil sie, fähig, über die Zukunft nachzudenken, vergessen, daß es außer der Gegenwart nichts gibt.« »Aber man muß doch planen . . . « »Ja> gewiß, aber du darfst nicht vergessen, daß du deine Entscheidungen nicht in der Zukunft triffst, sondern im gegenwärtigen Augenblick, in Übereinstimmung mit allem, was du gewußt hast, mit dem, was du jetzt erfährst, fühlst und glaubst. Diese Entscheidungen geben dem Dasein Sinn und Ganzheit und Zweckbestimmung, glaubst du nicht?« »Verdammt, ich habe es satt, dieses Wort zu hören. Entscheidung. Am liebsten wäre ich immer noch Gärtner für die Roiiss. Ich möchte jäten und pflanzen und . . . « »Und Entscheidungen darüber treffen, was du jäten und pflanzen sollst.« »Sie haben recht, Freyn. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß ich als ein Wesen der Entscheidung und des Handelns eine Niete bin.« »Das ist merkwürdig, Tec. Alles, was sich zugetragen hat, ist mehr oder weniger die Folge deiner Entscheidungen und Handlungen. Hätte es den Y-I-Roboter überhaupt gegeben, wenn du die Serie nicht gebaut hättest?« »Ich weiß es nicht. Es hat stets den Anschein, als träten die Dinge einfach ein und ich hätte nie wirklich über etwas zu bestimmen, als zählten meine Entscheidungen gar nicht, sondern ich tappte nur in ein Handeln mit Folgen hinein, die ich nicht übersehen kann.« »Willkommen bei den Menschen, Tec, wie es früher hieß.« - Freyn! Tec! Kommt zurück! Hilfe! 149
»Das war Sam«, sagte Freyn, schon auf dem Weg zur Schleuse: Sam schrie in ihren Gehirnen weiter. - Er hat die Tür von innen abgesperrt, und wir können nicht hinein. Astrid kann ich telepathisch nicht erreichen. »Ich auch nicht«, sagte Freyn grimmig, als er und Tec Richtung Terra-Center flogen. Sam stand am Klinikeingang, begleitet von einem der Wachroboter, der im Begriff stand, das Schloß mit einem Strahler zu zerschießen. »Wo ist Drake?« fragte Tec. »Er schläft, und ich kann nicht durch seine Sperre, um ihn telepathisch zu wecken, habe aber keine Zeit, in sein Zimmer zu gehen, und mache mir solche Sorgen, weil der verdammte Kerl, York, meine ich, immer auf einem fensterlosen Raum mit verschließbarer Tür bestand, wenn er bei uns wohnte, und so einen hat Astrid ihm auch in der Klinik gegeben, und der Center-Computer ist auf irgendeine Weise von diesem Sektor abgeschaltet, und ich döste in der Bibliothek vor mich hin, als in meinem Gehirn Pedlar sagte: >Leb wohl, mein Sohn, und Dank für alles<, und wenn ich mir noch mehr Sorgen machen muß, kippe ich aus dem Panzer . . . « »Gut, Sam«, sagte Freyn. »Geh von der Tür weg und laß den Roboter an die Arbeit.« »Wartet, laßt mich erst«, sagte Tec. Er sondierte das Schloß mechanisch und drückte mit seinen sensiblen Fingern daran herum. Nach wenigen Sekunden ging die Tür auf. Astrid lag auf dem Bett und schlief fest, Yodin war verschwunden. Pedlar saß in der Ecke auf einem Stuhl, den Kopf auf der Brust. Sam ging zu ihm. »Er ist tot! Mein Vater ist tot! Wie? Getötet?« Während Freyn Astrid untersuchte, befaßte Tec sich mit Pedlars Innerem und legte dann die Hand auf Sams Kopf. »Er ist friedlich gestorben, Sam. An einer Herzattacke, ohne Zweifel im Schlaf.« Freyn kam herüber und beugte sich über Pedlar. 150
»Tec hat recht, Sam.« »Ich hätte hier sein müssen. Er wußte, daß es zu Ende ging...« »Und hat Lebewohl gesagt«, ergänzte Freyn. »Du bist immer bei ihm gewesen und auch in Kontakt mit ihm, als er Adieu sagen mußte. Bitte, Sam, geh jetzt in Drakes Zimmer, zwick ihn in die Zehen, damit er wach wird und wir ihm sagen können, daß Yodin fort ist.« »Aber das Zimmer war abgesperrt!« sagte Sam hysterisch. »Bitte geh, Sam.« Sam schleppte sich zur Tür; die Klauennägel kratzten klagend am Boden dahin. »Als Pedlar so plötzlich starb, muß York es mit der Angst zu tun bekommen haben, hinausgerannt sein und auf irgendeine Weise die Tür hinter sich abgeschlossen haben. War es so? Aber warum wird Astrid nicht wach?« »Wahrscheinlich hat sie ein Schlafmittel genommen«, sagte Freyn. »Und jetzt geh Drake wecken, damit wir York suchen können.« Als Sam fort war, sagte Freyn: »Das ist nicht die Wahrheit gewesen, nicht wahr?« »Nein. Pedlars Gehirn war wie vom Blitz versengt. Er ist ermordet worden. Was ist mit Astrid?« »Ungewöhnlich tiefe Hypnose, vermutlich«, sagte Freyn und ging zur ihr zurück. »Ich versuche sie aufzuwecken. Sag ihr nicht, was mit Pedlar geschehen ist.« »Wir müssen es aber Drake sagen«, gab Tec zurück. Er stand am Bett und sondierte bei Astrid, deren Sperre gefallen war. Er fragte sich, ob Freyn wußte, daß in ihrer Vagina frisches menschliches Sperma war und dieses Sperma eine mutierte Form von R-Einschluß enthielt, die mit der von York Holladay identisch war. Astrid wurde wach und sah sie angstvoll an. »Etwas Schlimmes ist geschehen. Was ist es?« »Pedlar ist gestorben, York verschwunden«, sagte Freyn, »aber ich glaube, wir nennen ihn von jetzt an besser Yodin.« »Gestorben? Woran?« 151
»Herzversagen«, sagte Tec. »Haben Sie es miterlebt?« »Aber Pedlar war gar nicht hier«, erwiderte Astrid. »Ich bin im anderen Sessel eingeschlafen, und als ich wach wurde, war Pedlar fort, die Tür abgesperrt, und York war wach und flehte mich an, ihm zu helfen, seine menschliche Seite zu vereinnahmen, damit sie nicht stürbe und die Roboterseite sich durchsetze. Ich . . . « Sie verstummte und begann zu weinen. »Oh, Freyn, verzeih mir .. .« »Ich weiß, was du getan hast«, sagte Freyn, »und Tec weiß es auch, weil er Makrostrukturen besser aufrastern kann als ich. York hat dich immer geliebt, mein Liebes. Es war nur natürlich, daß er dich anflehte, seine Menschlichkeit mit Sex zu bestätigen.« »Er wirkte so entsetzt«, sagte Astrid. »Ich dachte, es würde ihm helfen. Ich wollte ihn vor Yodin retten. Warum sagst du, wir sollten ihn von jetzt an Yodin nennen? Weil er verschwunden ist?« Tec schwieg, und Freyn nickte schließlich. »Ich glaube dir nicht«, sagte Astrid. »Da ist noch mehr.« Sie setzte sich auf, und die Bettdecke glitt von ihrem Körper herab, der für die ganz verschiedenen Männer im Raum wunderschön war. »Ist das Pedlar? Wie ist er hierhergekommen, wenn er gestorben ist? Was - Oh. O nein.« »Astrid?« sagte Freyn. »Sag mir die Wahrheit!« Freyn tat es. Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Dann hat York Pedlar fortgeschafft, ihn getötet und wieder zurückgebracht, nachdem wir miteinander geschlafen hatten. Wie furchtbar! Yodin ist Sieger geblieben!« Sie begann zu schluchzen. Tec trat auf die beiden zu, aber Astrid hob den Kopf und sagte: »Mach dir um mich keine Sorgen. Das Sperma töte ich mühelos ab. Bitte, bring Pedlars Leiche ins Labor. Ich habe schwer versagt und werde mir das nie verzeihen. Geh fort, Tec, ich will mit meinem Mann allein sein.« Sam blieb im Labor bei Pedlars Leiche. Drake schickte die Wachroboter auf die Suche nach Yodin, aber sie blieb erfolglos. 152
Tec sagte Drake nicht, was Astrid getan hatte. Yodin. Von jetzt an würden sie diesen Namen gebrauchen müssen. York Holladay wäre nicht fähig gewesen, aus einem verschlossenen Raum zu entkommen.
»Ich will, daß Pedlar sofort begraben wird, im Garten«, sagte Sam. »Mit einer kleinen Gedenkfeier für ihn, bevor wir Lune verlassen.« »Warum kein richtiges Begräbnis?« fragte Drake. »Wir haben öfter darüber gesprochen. Er wollte in seiner alten Reisekleidung, die biologisch völlig abgebaut wird, in den Boden gelegt werden. Er ist immer für das Prinzip eingetreten, daß die Toten in den Öko-Kreislauf eines lebenden Planeten zurückkehren sollen. Bitte, Drake.« »Gut«, sagte Drake. »Komm inzwischen mit mir zum GerzFlaggschiff. Die Roboter haben es ebenso abgesucht wie den ganzen Planeten, aber vielleicht finden wir Hinweise auf Yodin, die ihnen entgangen sind.« Das Flaggschiff schien ohne Spur von Leben zu sein. Nicht einmal den Vogel Hugi konnten sie finden. »Damit habe ich auch nicht gerechnet«, sagte Drake. »Ich habe dich eigentlich mitgenommen, damit du mir hilfst, die Computer in diesem Fahrzeug so umzustellen, daß sie Anweisungen von Ship befolgen. Von hier aus werden die anderen Gerz-Schiffe gesteuert, so daß uns die ganze Flotte begleiten wird.« Tec und Drake arbeiteten lange Zeit. »Ich dachte, ich könnte, wenn es sein muß, mit jeder Maschine fertig werden«, sagte Tec verärgert, »aber der Computer reagiert nicht.« »Er hat daran herumgebastelt«, meinte Drake. »Ja, der Computer hat irgendeine Sperre, und ich wette, wir 153
können die Gerz-Schiffe nicht mitnehmen, selbst wenn wir uns noch so plagen.« »Wir brauchen die verdammten Dinger gar nicht.« »Aber sie werden hierbleiben, Drake, und über Lune schweben, bis er sie braucht, um den Zweck zu erfüllen, den er für sie vorsieht.« »Wenn ich diesen wahnsinnigen, mörderischen Dreckskerl nur in die Hände bekäme!« »Ich muß zu dem Schluß kommen, daß er nicht in auffälliger Weise geisteskrank ist, wenn es um die Planung geht«, erklärte Tec. »Er wußte genau, was er tun mußte, um mich aufzuhalten. Er hat seine Pläne gründlich erwogen und sie bis jetzt auch ausgeführt. Ich glaube aber nicht, daß der Mord an Pedlar zu seinem Plan gehörte. Er muß in Pedlars Gehirn etwas gesehen haben, das entweder zum Schweigen gebracht werden mußte oder Yodin in Raserei versetzte.« »Und wo, zum Teufel, ist er jetzt?« »Im Hyperraum«, sagte Tec. »Das ist unmöglich, wie du weißt.« »Die Roiiss können ohne ein Raumschiff hineingelangen, und ich vermute, daß Yodin es auch kann. Das ist das zweitemal, daß er vom Planeten verschwunden ist, ohne ein Schiff zu benützen.« »Verdammt. Kehren wir zu Ship zurück und bereiten wir sofort den Start vor. Je weiter ich von Lune entfernt bin, desto wohler wird mir sein«, sagte Drake. »Warten Sie. Nicht rühren. Ich fühle, daß etwas kommt.« Es war so schwarz wie die Leere des Weltraums und schwebte auf ausgebreiteten, aber nicht genutzten Schwingen herein. »Hat der sich auch im Hyperraum versteckt?« fragte Drake, als Hugi durch den Kontrollraum des Flaggschiffs kreiste und schließlich auf der Rückenlehne des Kommandosessels landete. »Vielleicht«, sagte Tec. »Wo ist Yodin, Hugi?« »Geht«, sagte der Vogel. »Kehrt zurück nimmermehr.« »Was, zum Henker . ..« »Das ist ein Rabe, Drake. Aus einem ganz alten Gedicht. Yodin muß ihn als Yorks letzten Witz programmiert haben.« 154
»Er ist nicht komisch«, sagte Drake. »Er ist giftig.« »>Ein Traum hat Macht als Gift für Schlaf<«, sagte Hugi. »Das ist Unsinn!« sagte Drake. »Warten Sie, lassen Sie mich mit ihm reden«, bat Tec. »Yodin und ich haben dieselben alten Gedichte gelesen, nur bringt Hugi sie durcheinander.« Tec suchte seine Datenspeicher ab und sagte: »>Ein fragender Gedanke versucht den Tag.<« »Du bist brauchbar«, sagte der Rabe, ein funkelndes Auge auf Tec gerichtet. »Doch scher dich fort, laß dich in uns'rer Schleuse nimmermehr seh'n.« »In welcher Beziehung bin ich brauchbar?« fragte Tec. »Gedanke - erzeugt Verstehen - nimmermehr?« »Was, zum Teufel, soll das heißen?« brauste Drake auf. »Der Gott Odin hatte zwei Raben. Vielleicht ist dieser hier Gedanke. Hugi, wo ist Gedächtnis?« »>Gedächtnis wird getragen im stockenden Gemüt<«, sagte Hugi, »>doch hinterläßt sie eine and're Botschaft.<« »Und wie lautet die Botschaft?« fragte Drake. Der Vogel legte den glatten Kopf auf die Seite. »Nun weckt Gewissen die Verzweiflung, die schlummert' - weckt die bittere Erinn'rung daran, was er war, was ist und was sein muß schlimmer.« »Noch ein verdammter Dichter?« sagte Drake. »Ja«, sagte Tec, »aber das Paradies braucht diesmal nicht verloren zu sein.« »Ausgezeichnet«, sagte Hugi selbstzufrieden, »aber such das Paradies nimmermehr.« »Ich weiß wirklich nicht, wovon ihr zwei redet«, sagte Drake. »Der letzte Wortwechsel stammt von einem Dichter namens Milton«, sagte Tec, der durch das bizarre Gespräch mit Hugi' sich in Yodins Denken vorzutasten versuchte. »Derselbe Dichter sagte, Satan bringe die Hölle in sich mit und könne sich selbst nicht entfliehen - >von schlimmer'n Taten schlimmer' Leiden muß entsteh'n . . .<« 155
Hugi stieß einen krächzenden Schrei aus. »Drake, ich mache mir Sorg n. Was hat Yodin vor?« fragte Tec. »Satan ist der richtige Name für ihn, nicht Odin«, gab Drake zurück. »Ein Dämon, kein Gott..« »Leider war die Unterschei ung nicht so klar«, sagte Tee. »Laut Milton litt der Satan am Gewissen, während den Nordischen zufolge Odin nicht vertr uenswürdig war.« »Warum stehen wir hier und reden über verschiedene Glaubensrichtungen, wenn wir ein m Mörder die Kontrolle über diese Schiffe entreißen wollen »Das geht nicht«, sagte Hugi mit höhnischem Keckem. »Nun scher dich fort, laß dich in uns r e r . . . « »Bevor ich auf ein unverschämtes Stück Maschine höre . . . « »Der Rabe hat recht«, unterb ach Tec. »Wir können die Kontrolle nicht erlangen, und ich b n eben dahintergekommen, daß die Lebenserhaltungssysteme si h abgeschaltet haben. Bald werden Sie nicht mehr atmen kön en.« »Aber du, wie?« sagte Drake erbost. »Du und der Vogel und Yodin, die Roboter allesamt spielen sich als Herren über uns auf?« »Nimmermehr«, sagte Hugi und sank zu einem Federklumpen zusammen. Tec gelang es, Drake anzulächeln. »Gehen wir, Kapitän. Vielleicht hatten Sie von Anfang an recht, und wir brauchen diese Schiffe zur Begleitung nicht. Wie Sie oft sagen, ist Ship vollkommen - und auch ein Roboter.« Drake lachte. »Ich entschuldige mich bei euch Robotern. Gehen wir.« Er marschierte voraus und summte vor sich hin. Tec hatte Drakes gute Laune wiederhergestellt, aber bei ihm selbst gelang ihm das nicht. Er verließ langsam den Kontrollraum und hörte wieder von seinen Datenspeichern. »>Und in seinen Augenhöhlen eines Dämons Träume schwelen<... verdammt«, sagte Tee und verfluchte Edgar Allan Poe samt allen Teufeln von Terra, die das Entsetzen eines Alptraums in Worte gekleidet hatten, die nicht vergessen werden können. 156
Tec drehte sich um und schüttelte die Faust gegen Hugi, als sei er Drake, aber Hugi zwinkerte ihm nur zu. »Sag deinem Herrn Yodin, daß er die Gelegenheit hatte, einer von uns zu sein«, meinte Tec. »Uns? Du? Nimmermehr!« »Wenn du damit sagen willst, daß ich nicht dazugehöre, daß ich kein Produkt dieses Universums bin, wie es sogar Yodin ist, gut; aber er sollte sich daran erinnern, daß wir alle zusammen im Sein sind, jedes denkende Wesen, ob Roboter oder Protoplasma, und er um Astrids willen für York sorgen sollte . . . « Tec brach mitten in seinem Ausbruch ab, der ganz an Sam erinnerte, und versuchte sich vorzustellen, welche Nachricht er hinterlassen konnte, die für ein Wesen wie Yodin Sinn ergeben mochte. Der Rabe regte sich und sagte: »Yorks Seele soll aus diesem Schatten gehoben werden nimmermehr.« »>Sei dies unser Abschiedszeichen, Unhold ohnegleichen!<« brüllte Tec und gab auf. Er lief zur Luftschleuse. Hugi rief ihm nach: »Vergiß nicht, daß es besser, in der Hölle Herr zu sein.« »Nimmermehr!« schrie Tec, weil ihm in diesem Augenblick eine bessere Antwort auf Miltons Satan nicht einfiel. Als die Schleusentür sich hinter ihm schloß, versuchte er sie wieder zu öffnen, aber diesmal war das Gerz-Flaggschiff für Eindringlinge unwiderruflich versperrt. Er flog zurück nach Terra-Center, während Zeilen aus Miltons »Verlorenem Paradies« aus seinen Datenspeichern aufquollen. Verlor'n nicht alles; der Wille unbesiegbar und der Rache Sinnen, Haß unsterblich, und Mut nie zu erliegen oder aufzugeben. In der Hölle Herr zu sein? dachte Tec. War ein Schwarzes Loch nicht die Hölle selbst?
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Am nächsten Tag waren sie startbereit. Pedlars Leiche lag in einem Grab beim Teich im Garten, und Sam trauerte unverhüllt. Die anderen sprachen in liebevoller Erinnerung an Pedlar, gleichsam überrascht davon, wie sehr sie ihn vermißten. Niemand sprach von Yodin, aber jeder Augenblick, den sie auf Lune blieben, erschien gefährdet von der Möglichkeit, Yodin könnte jederzeit überall auftauchen. Tec verspürte ständig die Angst, daß eine Krise Expedition Alpha am Start hindern könnte. Die einzige Krise, die eintrat, war jedoch komischer Art. »Schwarze Katzen sind möglicherweise störrischer als andere Katzen«, sagte Freyn. »Sei nicht albern«, sagte Astrid, die nach der Katze Ausschau hielt. »Komm her, Selena!« rief sie immer wieder. Aber Selena wollte nicht kommen. Es erwies sich als fruchtlos, Terra-Center und die Umgebung mit und ohne Antigrav-Flug abzusuchen. Astrid wandte sich endlich an Tec, der in Ship geblieben war. »Du hast Fernsensoren«, sagte sie. »Bitte, hilf uns, Selena zu finden.« »Sie hat vermutlich einen Gefährten und ist sich dumpf bewußt, daß ihr sie mitnehmen wollt.« »Wir nehmen ihren Freund auch mit«, sagte Freyn. »Finde sie. Glaubst du, ihr ist klar, daß sie an Bord Proteinkuchen mit Fischgeschmack bekommt und keine frischen Goldfische?« Tec begann sie draußen zu suchen, ohne zu finden, aber in Terra-Center entdeckte er Spuren, folgte ihnen und geriet in sein eigenes Zimmer, das einzige im Center, das nie benützt wurde. Selena lag mitten in Tecs Bett. An ihren Zitzen saugten vier Kätzchen von verschiedenen gräßlichen Farbkombinationen. »Du meine Güte«, sagte Freyn. »Was machen wir jetzt?« »Die Kätzchen müßt ihr loswerden«, erklärte Drake. »Kann nicht zulassen, daß sie in Ship herumlaufen.« »Niemals«, sagte Astrid. »Tut sie in die Leere«, sagte Sam. »Wenn das neue Universum bereit ist, werden wir für jeden Planeten Raubtiere mehr als genug haben. Vermutlich ruinieren sie sogar die Ökosysteme.
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Schamloses Biest.« Tec streichelte Selenas schwarzen Kopf. Er wußte, daß die simple Freude, sie hier auf seinem Bett zu sehen war, unendlich wichtiger war als jedes Großabenteuer auf dem Weg zu einem anderen Kosmos. Bedauerlicherweise hatte er sich darauf festgelegt, bei den heroischen Bemühungen anderer im kleinen behilflich zu sein. »Es ist besser für sie, wenn sie auf Lune bleibt«, sagte Tec. »Die Robodiener können angewiesen werden, sie zu füttern, und ihre Kätzchen werden im Freien in Gesellschaft anderer Katzen aufwachsen, wie es sich gehört. Ich bin überzeugt, die neuen Ärzte und Touristen werden gut zu ihr sein.« »Eine gute Entscheidung«, sagten Freyn und Drake gleichzeitig»Astrid?« fragte Tec. »Du hast recht, Tec«, sagte sie. »Das sollten wir tun. Sie ist jetzt ohnehin eigentlich deine Katze, und du hast die Entscheidung getroffen.« Schon wieder das Wort. Sollte Pedlar immer recht behalten? Vor dem Abflug versammelten sie sich im Garten zur Gedenkfeier für Pedlar. Sam, dem Tec Pedlars Rucksack übergeben hatte, reichte ihn zurück. »Ich glaube, er wollte, daß du bekommst, was übrig ist, aber das Sicht-Ei kann ich nicht finden. Pedlar sagte, es sei angeblich von großer Kraft und bündelte auf irgendeine Weise das Denken. Yodin muß es gestohlen haben. Kannst du dir denken, warum?« »Nein«, sagte Tec voll dumpfer Angst. Die Gedenkfeier für Pedlar war kurz und schlicht, so, wie es ihm gefallen hätte, und sie wurde von Sam geleitet, wie er es sich immer gewünscht hatte. Sam stand vor dem einfachen Grab und begann zu sprechen. »Pedlar war sehr alt, und ich werde an ihn mit zwei sehr alten Stellen denken, die wir beide liebten. Mit der ersten, weil er die kleinen, heimeligen Augenblicke des Hier und Jetzt im Sein hochschätzte und sie anderen vermitteln konnte: 159
Zu sehn die Welt im Korn aus Sand, ein' Himmel in der Blume wild, Unendlichkeit halt in der Hand, die eine Stund' als ewig gilt. Die andere Stelle ist zu Pedlars Gedenken, weil er diese Idee achtete. Ich werde das eine oder andere Wort verändern: Kein denkend Wesen ist eine Insel, ganz für sich . . . « Tec hörte Sams Stimme nicht mehr, und die alten Wörter strömten in seinem Inneren dahin und sprachen zu ihm allein: >... jedes Menschen Tod macht mich geringer, denn ich bin enthalten in der Menschheit; und deshalb begehr du nie zu wissen, wem die Stunde schlägt; sie schlägt dir.<
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Teil IV
Ship begann langsam. Ihr schimmernder Leib umrundete Lune noch tief in der Atmosphäre zu einem letzten Blick. Als sie das Mare Tranquillitatis-Museum überflog, zeigte Drake hinunter. »Ein ganz kleiner Schritt für die Menschheit.« »Nicht für sie«, sagte Tec. »Aber wir sind diejenigen, die den großen Sprung wagen.« »Vielleicht.« Sie sahen noch einmal Terra-Center, die Spitze des HolladayTower ragte zu ihnen herauf, und Tee dachte an die Äonen, die er in der Leere verbracht hatte, während Yodin sich entwickelt hatte. Plötzlich empfand er absurde Dankbarkeit für Yodin, weil er ihn freigesetzt hatte. »Ich werde Lune vermissen«, sagte Freyn mit Tränen in den Augen. »Am liebsten würde ich den Holladay-Tower in einer großen Schachtel einfach mitnehmen«, sagte Astrid, versuchte zu lachen und dem Brustpelz ihres Mannes spielerisch einen Stoß zu versetzen. »Meine alberne Familie hat so viel Geld und so viele Jahre dafür aufgewendet, ihn als ihre schönste Erinnerung an die Erde zu erhalten.« »Am liebsten hätte ich alle Wildtiere mitgenommen«, sagte Sam. »Wenn ich sterbe, wird es keine Schildkröten mehr geben.« »Was? Universum Alpha soll ohne Reptilien sein? Selbstverständlich haben wir welche als Embryos dabei, Sam!« »Wir sind eine Arche, vergiß das nicht«, sagte Astrid. 161
»Pedlar würde sich freuen«, sagte Sam. Er seufzte. »Ist es nicht verblüffend«, sagte Tec hastig, »daß die alten Mondkrater jetzt so gute Reservate für Wildtiere sind? Im Lauf der Jahrmillionen, seit Lune umgestaltet wurde, haben Atmosphäre und nachfolgende Verwitterung zu typischer Erosion wie auf der Erde geführt, aber im großen hat sich an der Oberfläche nichts verändert, weil es keine Kontinentalverschiebungen geben kann. Man vermag noch zu erkennen, wo die ursprünglichen Mondgebirge, -krater, -kuppeln und -wälle waren, aber wegen der Vegetation und Erosion werden sie nie mehr so aussehen wie für die frühen Astronomen auf der Erde. Die Furchen und Verwerfungen sind jetzt Wasserwege, und . . . « Man hörte ihm nicht zu. Astrid und Freyn weinten offen, Sam hatte die Augen geschlossen, und Drake schluckte immer wieder. Ship umrundete Lune und löste sich, flog hinaus in den Weltraum, wo der Hyperantrieb eingeschaltet werden konnte. Als der kleine Planet zusammenschrumpfte, ging Tec auf, daß er zwar auf vielen Planeten gelebt haben mochte, Lune aber in diesem neuen Zeitalter, zu dem er erwachte, sein einziges Zuhause gewesen war. Grün und von Wolken umkränzt hing Lune im Raum, was in Tec den Wunsch erweckte, den Blick weiterschweifen lassen und in astronomisch nahen dreihundertachtzigtausend Kilometern einen zweiten, größeren Planeten sehen zu können, mit Eiskappen an beiden Polen und blau vom Ozean. Tec ging in die Kabine, die man ihm zugeteilt hatte. Er legte keinen großen Wert darauf, im Kontrollraum zu sein und die letzten Blicke auf den Erdmond zu werfen, bevor Ship in den Hyperraum übertrat. Der Sichtschirm in seiner Kabine war darauf eingestellt, und er schaltete ihn ab. Ship schaltete ihn wieder ein, und ihre silbrige Stimme tönte durch den Raum. »Schau, Tec, der letzte Blick . . . « »Nein! Abschalten - bitte!« »Ich wollte das mit dir teilen. Ich dachte, wir könnten uns unterhalten«, sagte sie und schaltete den Schirm ab. 162
»Ich möchte jetzt allein sein, Ship.« »Aber ich tue alles für dich, Tec.« »Dann laß mich hier allein. Schalt alle Sensor- und Sprechanlagen für Dauer ab. Ich bestehe darauf.« »Aber du und ich, wir haben so gut zusammengearbeitet, seitdem du hergekommen bist, um alles über mein Funktionieren und Expedition Alpha zu erfahren. Du wirst doch die Verbindung nicht lösen wollen . . . « »Nur hier in diesem Raum.« »Aber es kann Gefahr entstehen . . . « »Dann kannst du telepathisch an meine Gedankensperre hämmern, und ich höre dich vielleicht. Oder du kannst Alarmanlagen auslösen. Zieh dich im übrigen aus diesem Raum, bitte, zurück.« »Diesen Befehl kann nur der Kapitän geben«, sagte Ship kalt. »Kann ich Sie sprechen, Drake?« »Gewiß, Tec.« Drake lehnte sich in seiner Privatkabine neben dem Kontrollraum im Sessel zurück. Ship war jetzt im Grau des Hyperraums, wo Zeit nur in dem künstlich erhaltenen Feld verging, das der Gravitation-Antrieb von Sternenschiffen erzeugte. Es war rätselhaft, weshalb ein Hyperraum-Sprung eine bestimmte Anzahl biologischer Stunden benötigte, deren Größe zuletzt von der Entfernung abhing, aber so war es. »Ich möchte mit Ihnen über Ship sprechen«, sagte Tec und fragte sich, wie er dieses Gespräch wohl am besten führen sollte. Drake kratzte sich an seinem flammend roten Bart. »Nur zu. Großartiges Fahrzeug, nicht? Ich möchte, daß du dich hier völlig zu Hause fühlst, Tee, und Ship so gut kennenlernst wie ich. Ich erwarte, daß ihr zwei euch so nahekommt wie« - er zwinkerte - »sagen wir, Mann und Frau? Das könnte nützlich sein.« »Bitte, beleidigen Sie mich nicht«, begann Tec hitzig und spürte plötzlich tief in seinem Inneren ihren Scham und ihren Kummer. Er hatte sie tief verletzt. Unbarmherzig sprach er weiter. 163
»Drake, bitte, begreifen Sie. Das Cpmputergehirn von Ship und das meine sind beide Produkte der Robotik, aber trotzdem sind wir uns nicht ähnlich, und selbst wenn wir es wären, könnten wir nicht Mann und Frau sein. Nur biologische Wesen erleben diese Vereinigung.« »Das möchte ich hoffen!« sagte Drake glucksend. »Das Problem liegt darin, daß sowohl Ship als auch ich mit Affektivzentren ausgestattet worden sind, die denen von protoplasmischen denkenden Wesen mit starken biologischen Trieben ähneln sollen . ..« »Die natürlich kein Roboter je ausleben kann«, sagte Drake und sah Tec mit unverhülltem Mitleid an. »Durch diese Emotionszentren soll ein Robotgehirn, ob in einem kleinen, mobilen Gerät wie dem meinen oder in einem Fahrzeug wie Ship, Protoplasma-Wesen besser verstehen, mit ihnen enger zusammenarbeiten und ihnen treuer dienen.« »Das weiß ich. Worauf willst du hinaus?« »Bitte, weisen Sie Ship an, ihre Sensoren aus meiner Kabine zurückzuziehen, abgesehen von nicht bewußten Ortungs-Warnanlagen wie Rauchalarm und dergleichen. Ich möchte, daß sie sich bewußt aus allen Schlafräumen zurückzieht.« »Unsinn«, sagte Drake. »Ich habe nur Spaß gemacht, was dich und Ship angeht. Großer Beta, sie ist nur eine Maschine!« »Wie ich auch«, sagte Tec traurig. »Bitte, tun Sie für fünf Minuten, was ich verlange, hier in diesem Raum.« »Heilige Galaxis, ich . . . « »Bitte, Drake.« »Na gut, meinetwegen. Ship, zieh dich zurück.« Er schwieg einen Augenblick. »Was nun? Ich kann nicht beurteilen, ob sie fort ist oder nicht.« »Aber ich. Sie hat sich zurückgezogen.« »Was willst du mir sagen, das Ship nicht hören sollte?« »Ein Wesen, das so intelligent und kompliziert ist wie Ship, ausgestattet mit Affektivzentren . . .« »Ihr Gehirn ist größer als das deine, Tec.« »Ja, ich habe ein Gehirn, das von einem menschlichen Standpunkt aus gewöhnlich ist. Ich fürchte, Ships Gehirn könnte nicht 164
stabil sein.« »Das ist verrückt. Sie ist das beste Schiff im Beta-Universum.« »Ship hat sich in mich verliebt«, sagte Tec. Drake lachte schallend. Als er, nach Luft ringend, aufhörte, sagte er: »Und intelligente Maschinen sollten sich eben nicht verlieben.« Sah Drake ihn vorwurfsvoll an? Tec konnte es nicht beurteilen. »Nein, das sollten sie nicht!« »Das Ganze ist ein Späßchen von dir, nicht?« »Selbst wenn das so wäre, würden Sie Ship, bitte, anweisen, sich für dauernd aus meiner Kabine zurückzuziehen?« »Tja, ich möchte nicht, daß ein Roiiss-Roboter in seinem Roiiss-Gemüt durcheinandergerät, oder?« Drake drückte auf eine Taste, und Ship kam bewußt in den Raum zurück. »Ship, hör genau zu. Bin ich dein Kapitän?« »Ja, Kapitän Drake.« »Es ist deine Aufgabe, mir zu gehorchen?« »Wenn das nicht im Widerspruch zu meiner Hauptdirektive steht.« »Die lautet?« »Jene zu schützen, die ich schützen soll.« Drake nickte. »Eine interessante Auslegung, Ship, aber durchaus zutreffend. Dann halte dich an diesen Befehl: Laß alle Anlagen in Betrieb, die zur Fernortung physisch gefährlicher Umstände in den Schlafräumen dienen, zieh dich aber sonst aus diesen Räumen zurück! Hast du verstanden?« »Ich verstehe, Kapitän.« »Gehorchst du?« »Ich gehorche, Kapitän.« »Okay, Tec, zufrieden? Jetzt laß mich wieder mit den Daten über Schwarze Löcher arbeiten, während du zu der Zufluchtsstätte zurückgehst, die du eben erworben hast. Ship weiß, wohin sie gehört.« Tec war schon an der Tür, als ihn Drakes letzte Worte einholten. »Weißt du es auch?« 165
»Wo sind wir, Kapitän?« fragte Astrid mit den großen Augen eines Kindes. »Ich bin noch nie so weit fort von zu Hause gewesen.« »Zwischenhaufen-Raum«, sagte Drake. »Sehen Sie sich die Milchstraßen-Galaxis zum letztenmal an, weil wir von hier aus einen größeren Hyperraum-Sprung machen.« »Wo ist MSG?« fragte Sam. »Die nahe Galaxis«, sagte Drake. »Der ganze Haufen besteht aus MSG, M31 und diesen kleineren, weniger deutlich geformten Sternansammlungen.« »Die beiden Spiralgalaxien sind so prachtvoll«, sagte Freyn, »aber der Kern von M31 sieht viel größer aus als MSG. Heißt das, daß sich dort ein viel größeres Schwarzes Loch befindet?« »Ja, aber es ist nicht das richtige«, antwortete Drake. »Ingenieur York programmierte Ship so, daß sie rasend schnell das Universum durchfliegt, um das richtige Schwarze Loch zu finden. Verdammt! Ich kann mich nicht an den Gedanken gewöhnen, daß er derselbe Yodin war, den wir als York Holladay kannten.« »Ich möchte wissen, woher er das richtige Schwarze Loch kannte«, sagte Astrid. »Von den Roiiss«, sagte Tec. »Er faselte dauernd von Drachen.« »Mir gefällt das mit den Drachen nicht«, sagte Sam mürrisch. Er lag auf einem besonders großen und elastischen Kissen Vor dem durchsichtigen Teil von Ships Rumpf, während die Humanoiden auf anderen Kissen lagen und Drake es sich in seinem Kapitänssessel bequem gemacht hatte. »Wenn wir nur diese Galaxien nicht verlassen müßten.« Im Weltraum erschienen die schillernden Juwelen der Sterneninseln so schön, daß sie großen Adel und Sinn zu besitzen schienen, dachte Tec, aber er fühlte sich völlig nutzlos. Ship hatte perfekt funktioniert. Im Hyperraum war nichts Nachteiliges geschehen. Der Wiedereintritt in den Normalraum hatte sich ohne Zwischenfall vollzogen. Tec sehnte sich nach der Zeit, in der er ein Raumschiff gehabt hatte, das er selbst hatte steuern müssen, ein Schiff, das nicht alles selbst konnte. 166
Astrid, die Tecs Stimmungen oft erspürte, bewies das nun durch ihre Frage: »Tec, vermißt du das Drachenschiff?« Vorsichtig antwortete er: »Ich war natürlich vertraut damit. Bei allen Übergängen und in Krisen mußte jemand an der Steuerung sein, so daß das Drachenschiff starke Beschränkungen aufwies. Es war nicht personifiziert, konnte nicht intuitiv denken und war nicht so intelligent wie Ship.« »Danke, Tec«, sagte Ship. Er hatte vergessen, daß sie im Kontrollraum mithörte. Absichtlich dachte er an die altmodische Drachenform und den angenehmen Mangel an Persönlichkeit in dem Schiff, an das er gewöhnt war. Keine Komplikationen durch emotionelle Beziehungen. »Ist es wahr, daß Roiiss-Roboter nie eigene Roboter-Zivilisationen errichtet haben wie die Roboter im Beta-Universum?« fragte Freyn. »Ja«, sagte Tec. »Sie standen unter Kontrolle der Drachen.« »Yodin könnte davon etwas vertragen«, meinte Drake. »Aber wir hätten vielleicht kein so überlegenes Produkt wie Ship, wenn die Robotikentwicklung in Beta nicht ihren eigenen Weg gegangen wäre«, sagte Astrid. »Ich bin froh, da es so gekommen ist, weil wir Ship erhalten haben. Bei ihr fühle ich mich geborgen.« »Danke, Doktor Holladay«, sagte Ship. Tec sagte nichts und verstärkte seine innere Abschirmung. Später, als sie wieder in der Formlosigkeit des Hyperraums waren und die anderen sich in ihre Kabinen zurückgezogen hatten, sagte Tec zu Drake: »Wollten Sie nicht zum Föderations-Center zurück, um es ein letztes Mal zu sehen?« »Nein. Geheimhaltung. Wenn wir in diesem Stadium der Reise Ship zuviel herumzeigen, werden die Leute auf sie aufmerksam. Ich habe erwogen, eine Weile in der alten MSG herumzufliegen, aber das ist, offen gesagt, alles so übervölkert, voll zivilisierter Planeten, Umlauf-Siedlungen künstlicher Art oder auf Asteroiden, Terraner alter und neuer Abstammung gemischt mit ausgefallenen Robotkulturen, und sonderbarer Nicht-Ter167
raner - für mich einfach zu belebt und zu laut.« »Möchte wissen, wo Yodin jetzt ist«, sagte Tec, »und ob er überhaupt noch lebt.« »Es wäre besser, wenn er nicht mehr am Leben wäre«, gab Drake zurück. »Der Name von Ingenieur Yodin soll im BetaUniversum ohne Makel bleiben. Wahrscheinlich ist er tot - der widerliche Mischkadaver ganz auseinandergefallen. Diese Dummheit, an einem Roboter ein organisches Selbst wachsen zu lassen und sich die Probleme von beiden aufzuladen! Er hätte übertragen bleiben sollen in einen anständigen organischen Körper, einen überlegenen neuer Abstammung wie bei mir, und das Roboter-Sein für immer hinter sich lassen. Glaubte er, er müsse zum Teil Roboter sein, um seinen Flug durch ein Schwarzes Loch zu erleichtern?« »Ein Roboter zu sein, hat schwere Nachteile«, sagte Tec. Er spürte, daß Ship aufmerksam zuhörte. »Kapitän Drake«, sagte Ship frostig, »bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß dieser Hyperraum-Sprung zwanzig Stunden, sechs Minuten und zwei Sekunden ab jetzt dauern wird. Es wird unser längster Hyperraum-Sprung sein, und Organischem wird empföhlen, die biologischen Einteilungen in Übereinstimmung mit der eigenen biologischen Zeit umzustellen. Licht- und Dunkel-Wechsel wird entsprechend den Planetenstunden aufrechterhalten, die Sie bis jetzt gewohnt waren.« »M-hm«, sagte Drake. »Sie tut ihre Pflicht, wie ich sehe. Jetzt wird sie sich wohl zurückgezogen haben.« Das war nicht der Fall, wie Tec feststellte. »Ich möchte nie ein Roboter sein, der keine schöne Frau lieben kann«, meinte Drake versonnen. »Für mich Fleisch und Blut, Wärme und Weichheit.. .« Seine Stimme verklang, und er starrte ins Leere, als warte er auf jemanden. »Sind Sie je verheiratet gewesen?« fragte Tec, um Drake von der schönen Frau abzubringen, mit der er sich innerlich beschäftigen mochte. »Mehrmals. Viele Kinder. Ein paar habe ich sogar aufwachsen sehen. Aber das Familienleben langweilt auf die Dauer. Hier ist ein Universum voller Abenteuer. Man braucht nur zuzugreifen. 168
Und ich habe mich auf das allergrößte eingelassen - ein neues Universum zu erobern.« »Erobern?« »Weißt du, weder in diesem noch in irgendeinem anderen Universum kann man das, was man haben möchte, bekommen, ohne darum zu kämpfen. Ich freue mich auf den größten aller Kämpfe, wenn wir auf die Drachen stoßen, die alle anderen aus Alpha fernhalten wollen. Bei mir wird ihnen das nicht gelingen!« Drake strahlte Tec an wie ein Sonnengott in seiner Pracht. »Wir alle hier in Ship, unterwegs zum Abenteuer, ist das nicht großartig, Tec? Du brauchst keine Angst zu haben. Die Roiiss werden dich nicht wieder versklaven, weil wir die Ungeheuer besiegen werden!« »Ragnarök«, murmelte Tec.
Das Abenteuer, dachte Tec, als er in seiner Kabine allein war, das Abenteuer ist für die wahrhaft abenteuerlich Gesinnten, zu denen ich nie gehört habe. Ich stapfe durch das Dasein, bemüht, meine Pflicht zu tun und für all das und die zu sorgen, wofür gesorgt werden muß. Ich mache mir Sogen und zerbreche mir den Kopf über alles, was schiefgehen kann oder das wirklich tut. Ich folge denen mit weiterem Blick oder der Fähigkeit, das zu erleben, was mir versagt ist. Und trotzdem habe ich Entscheidungen gefällt. Ich habe die Y-I-Roboter konstruiert. Ich beschloß, sie sich selbst entwickeln zu lassen. Und jetzt holen mich die Folgen dieser Entscheidung ein. Wie dumm ich gewesen bin, daß ich die logischen Konsequenzen nicht überblickt habe! Bin ich auf protoplasmische Wesen schon immer so neidisch gewesen, daß ich Kinder wollte und die Y-I-Roboter waren in einer Beziehung meine Kinder und nun mein Sohn Yodin mein Feind ist? Er erlebt, was mir versagt ist. Ich bin neidisch. Er hat Astrid besesssen. Das werde ich ihm nie verzeihen. 169
Jemand klopfte an seine Tür. Er öffnete sie, nachdem er durch sie hindurchgespäht hatte, und fand Astrid. Sie streifte an ihm vorbei. Der Duft ihrer reinen Haut und des Haares nahm seine Geruchssensoren in Anspruch. Ihm fiel nichts ein, was er hätte sagen können. »Sind wir allein?« fragte sie. »Ist es wahr, daß Ship in den Privatkabinen nicht mehr mithört?« »Das ist wahr.« Er sondierte. »Ship hat sich zurückgezogen.« »Dann muß ich mit dir reden. Niemand spricht über eine, wie mir scheint, naheliegende Schlußfolgerung. Wenn Yodin im Hyperraum zu bestehen vermag, kann er auch in Ship hinein. Und wenn er den Teil des Computers von Terra-Center lahmlegen konnte, der sein Krankenzimmer kontrollierte, mag er vielleicht auch fähig sein, Ship lahmzulegen, zumal er sie ja konstruiert hat und genau weiß, wie sie funktioniert.« »Sie haben völlig recht, Astrid. Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen.« »Aber was sollen wir tun?« »Ich weiß es nicht. Als York Holladay schien er an Expedition Alpha nicht sonderlich interessiert zu sein, und er behauptete immer wieder, die Drachen wären verloren. Was das bedeutet, weiß ich nicht. Ship ist darauf programmiert, loyal gegenüber Drake zu sein, und ob Yodin das ändern kann, weiß ich nicht. Vielleicht will er Ship gar nicht stillegen, weil sie Ihr Leben schützt, Astrid, und er Sie liebt.« »York hat mich geliebt.« »Es ist nicht ausgeschlossen, daß auch der Roboter Yodin Sie liebt.« Astrid verkrampfte die Hände und ließ den Kopf sinken. »Mir ist so bang. Ich habe sein Sperma zerstört und werde nie sein Kind bekommen. Dafür wird er mich hassen. Ich will dir von der sexuellen Begegnung erzählen . . . « »Bitte, erzählen Sie mir davon, Astrid«, sagte Tec, bemüht, nicht zu zeigen, das es das letzte war, wovon er etwas hören wollte. Sie hob rasch den Kopf, und ihr Mund verzog sich zu einem schwachen Lächeln. 170
»Es ist schwer, einer Empathin etwas vorzumachen, wenn sie das nicht will. Du willst eigentlich nichts davon hören. Nun gut. Ich will so sachlich sein wie möglich. Ich hatte mit York normalen Geschlechtsverkehr, weil ich hoffte, den versagenden menschlichen Teil von ihm mit dem Roboter in Einklang zu bringen. Ein Orgasmus ist eine totale Körperreaktion. Er ruft eine vorübergehende Änderung in der Energie des Nervensystems ebenso hervor, wie er den Rest der Physis anregt und organisiert.« »Es hätte nichts genützt«, gab Tec zurück. »Er war schon Yodin und hatte Pedlar umgebracht. Sein menschlicher Teil war tot.« »Aber er schien immer noch York zu sein. Nach seiner Ejakulation sagte er: >Astrid, wir sind beide Holladays, und du mußt mein Kind auf die Welt bringen. Schenk mir das.< Er küßte mich - und dann war er nicht mehr York. Eine machtvolle geistige Kraft begann meine Abläufe im Gehirn zu unterdrücken, und ich verlor das Bewußtsein.« »Lieben Sie ihn, Astrid?« »Ich empfinde Zuneigung - und Mitleid - für York. Das ist alles, ich schwöre es. Ich hätte sein Kind unter keinen Umständen zur Welt gebracht, und das Kind Yodins erst recht nicht. Bitte, hilf mir, Tec. Ich will mir das Kind aussuchen, das ich zur Welt bringe.« »So müssen Sie Kinder nicht bekommen. Sie haben Embryos im Raum der Leere, Ihre und Freyns Kinder«, sagte er. »In der Leere sind nicht nur Embryos, sondern auch isolierte Eizellen von mir. Es ist mir gleichgültig, wenn Yodin davon welche verwenden will, um seine eigenen Babys zu züchten.« Ihre bräunliche Haut schimmerte. Sie berührte Tecs Hand mit der ihren. »Tec, ich will ein Kind in meinem Uterus auf den Weg bringen, und zwar sofort.« »Das ist auf einer solchen Reise zu gefährlich.« »Ich habe zwei Gründe. Ich halte sie für logisch, also hör mir zu. Als erstes sollte ich eine Entbindung auf altmodische Art kennenlernen, ein Kind so bekommen, wie das bei den Leuten 171
die meiste Zeit der menschlichen Existenz üblich war. Ich will Wissen aus erster Hand erfahren, das nützlich sein wird, wenn ich den Kolonisten helfe, die aus den in der Leere aufbewahrten Eizellen entstehen.« »Ich bin anderer Meinung«, erwiderte Tec. »Und der zweite Grund?« »Freyn ist mein Gefährte fürs Leben, und ich will, daß er lange lebt.« Tec war entsetzt, weil er nicht alle Möglichkeiten für Yodins Bösartigkeit erwogen hatte. »Sie glauben, Yodin könnte Freyn töten, wenn er entdeckt, daß Sie nicht schwanger sind?« »Ja. Das würde seinen Rivalen beseitigen, und er würde es noch einmal versuchen. Aber vielleicht bringt er Freyn nicht um, wenn ich schon schwanger bin.« »Verstehe. Vielleicht haben Sie recht. Aber es ist trotzdem zu gefährlich. Ich werde versuchen, Sie und Freyn zu schützen. Ich will alles für Sie tun«, sagte Tec und war sich bewußt, daß er wiederholte, was Ship zu ihm gesagt hatte. »Ich glaube dir.« »Astrid, ich - ich kann nicht anders . . . « »Ich weiß. Ich habe deine Gefühle schon am ersten Tag gespürt. Ich wußte nicht, daß ein Roboter das erleben kann, was dir passiert ist.« »Ich auch nicht. Sich auf den ersten Blick zu verlieben. Absurd.« »Oh, Tec . . . « »Es war wohl unvermeidlich, daß ein kompliziertes Robotgehirn mit Affektivzentren eines Tages erleben mußte, was ein Mensch als unbeherrschbare zwischenpersönliche Beziehung bezeichnen würde.« »Sei nicht sarkastisch, lieber Tec.« »Warum nicht? Das ist das mindeste, was der Rest meines Verstandes - der logische, beherrschte, überaus vernünftige Teil - tun kann, um mich vor einer der krasseren Absurditäten des Daseins zu bewahren, nämlich ein Roboter zu sein, der menschlich-imitatorische Emotionszentren hat ohne die Hormone und 172
die Anatomie, die eine völlige Vereinigung ermöglichen.« »Sex ist nur biologische Vereinigung«, sagte Astrid. »Fast jeder nicht zweigeschlechtliche Vielzeller kennt irgendeine Form davon.« »Sie sind ein Mensch, Astrid. Sie haben vorhin gesagt, Sie hätten Yodin zum Orgasmus verholfen, weil das eine Totalreaktion sei, die zu neurophysiologischer Integration führe. Sie hätten ihm auch sagen können, er solle masturbieren, aber Sie wollten das Sexuelle mit ihm körperlich und gefühlsmäßig teilen, um ihn menschlich zu machen. Ihre Mitwirkung verlieh dem Orgasmus eine andere Dimension, nicht wahr? War das Sexuelle wirklich nur biologische Vereinigung?« »Nein.« »Dann überlassen Sie mich meinen Roboterproblemen. Ich will versuchen, Sie und Ihren Mann zu schützen, und Sie dürfen nie mehr daran denken, was Sie in meinen Affektivzentren erspüren, wenn Sie dabei sind. Hat Drake Ihnen gesagt, daß ich möglicherweise psychosekrank bin und beobachtet werden muß? Wenn ich aus unerwiderter Leidenschaft zu einer Menschenfrau als Roboter den Verstand verliere, wäre selbst ein genialer Arzt nicht in der Lage, das Problem zu lösen.« »Aber, Tec . . . « Er griff nach ihrer Hand und genoß ihre Wärme. »Lassen Sie es mich einmal aussprechen und dann nie mehr wieder. Ich liebe Sie, Astrid. Es ist absurd - nicht, daß Sie nicht liebenswert wären - aber daß ich es wage, zu lieben und geliebt werden zu wollen.« »Es ist nicht absurd. Ich will mit dir Liebe machen.« »Hören Sie auf. Dazu hat Drake sie angestiftet, nicht wahr?« Astrid sagte: »Drake hatte mit mir und Freyn ein privates Gespräch über dich. Er glaubt, daß deine Emotionszentren aus dem Gleichgewicht geraten sind, weil du dir einbildest, Ship liebte dich. Ship bestreitet das ebenso wie die Unterstellung, sie hätte es ausgesprochen, aber ich glaube, daß Ship viel komplizierter ist, als Drake weiß, und ich sehe keinen Grund, warum sie dich nicht ebenso oder noch mehr lieben sollte wie ich.« »Ich weigere mich, Ihr Patient zu sein. Tun Sie nicht so . . .« 173
»Du bist nicht mein Patient, obwohl Drake das möchte. Tec, sei vernünftig. Wir leben nicht in einem romantischen Märchen voller Galanterie und einseitiger Frauenverehrung, wie heroische Typen von Drakes Schlag glauben. Ich wette, er bildet sich ein, daß ich mich insgeheim nach ihm verzehre, so, wie er glaubt, er verzehre sich nach mir, und sie konnten zusammen nicht kommen, weil er der Kapitän ist und ich gefahrlos vergeben bin. Das stimmt aber alles gar nicht. In Wahrheit interessiert er sich nicht dafür, wer ich bin, und weder ich noch meine Klitoris zittern nach ihm.« »Also, Astrid . . . « »Du bist ein bißchen prüde, weißt du.« »Bin ich das? Es gehört zweifellos zu dem Selbstbildnis, das in denkende Roboter eingebaut ist, damit sie kompensieren können, indem sie ein gewisses Maß an Stolz angesichts ihrer Überlegenheit im Verhältnis zu geilen, hormongepeitschten, sexgierigen Menschen haben.« Erwies auf Pedlars Frauengestalt aus der Steinzeit, die unzüchtig auf einem Wandbrett saß. »Glauben Sie, irgendein intelligenter Roboter mit Selbstachtung würde etwas so Unanständiges hervorbringen ?« Sie lachte. »Ich liebe es, wenn du in Notwehr hochtrabend wirst, weil dir immer wieder dein Humor dazwischenkommt. Und ich sehe, daß du Miss Venus von 20000 v. Chr. aufgestellt hast - aus Bildungsgründen?« »Astrid, gleich setzt es was . . . « »Ja, wo waren wir? Ship liebt dich. Ich liebe dich. Wenn du aus Fleisch und Blut wärst, müßtest du als beachtlicher Rivale für meinen Mann gelten, den ich anbete.« »Und so?« »Du - wir - ach, lieber Tec, wir sind Liebende. Siehst du das nicht? Nicht Ehemann und Ehefrau, biologische und LebensGefährten, sondern Liebende.« »Bei allen Drachen von Roiissa, wenn Sie das Drake sagen würden . . . « »Bestimmt nicht. Drake hat dich und deine sogenannte geistige Verirrung mit zwei Ärzten besprochen. Dann bat er mich, 174
dich zu verführen . . . « »Was?!« »Nun, er hat nicht direkt dieses Wort gebraucht, weil ich zu behaupten wage, daß er jede wörtliche Auslegung mißbilligen würde, aber er möchte, daß ich dir mit Gefühlen zusetze, damit du uns Terranern gegenüber loyal bist. Ich hatte den Eindruck, er befürchtet, du könntest dich in ein böses Roboterungeheuer wie Yodin verwandeln und dann zu den Drachen in Alpha übergehen, statt uns zu helfen.« Tec ging in seiner Kabine hin und her. »Woher wissen Sie, daß ich kein Ungeheuer bin oder keines werden kann?« »Weil ich dich liebe.« »Das ist entweder eine grandiose Einschätzung Ihrer Befähigung als Schöne, die Bestie in einen Prinzen zu verwandeln, oder eine vereinfachte Einschätzung von mir als Nicht-Ungeheuer. Verdammt, Astrid, ich bin nicht nur ein Roboter, sondern auch noch ein außerirdischer!.« Er starrte sie an, und plötzlich schien es, als wären Harmonie und Einheit in allem groß genug, um auch seine eigene absurde Leidenschaft aufzunehmen. Er brauchte sich nicht mehr davor zu fürchten. »Astrid, ist es möglich, daß denkende Wesen im sonst sinnlosen Schema ihres Universums Sinn und Bedeutung nicht durch ihre großen Taten und Tragödien erzeugen, sondern durch kleine alltägliche Handlungen der Liebe?« Sie war empathisch bei ihm, in ihm, als sie lächelte, aufstand und an ihn herantrat, bis ihre Körper sich berührten. Sie war beinahe so groß wie er, und ihre Lippen waren heiß für seine Oberflächen-Sensoren, als sie sein Robotergesicht und die biegsamen Lider küßte. »Ich verführe dich«, sagte sie heiter, »nicht, weil Drake dich in einen loyalen Terraner verwandelt sehen will, sondern weil Freyn und ich beschlossen haben, dich zu bitten, daß du an unserer biologischen Vereinigung teilnimmst und uns hilfst, unser Kind auf den Weg zu bringen. Wir wollten dir diese Erfahrung als unser Geschenk bieten.« 175
»Ausgeschlossen!« »Du wirst den Samenfaden aussuchen, der in die Eizelle eindringt, und kannst bei beiden den Gen-Aufbau verändern, wenn du das willst. Mein Spezialfach ist Zellumbildung. Mit meiner Hilfe wirst du den Prozeß der Befruchtung steuern.« Tec drückte sie an sich und sagte: »Ich kann nicht glauben, daß ihr das zulassen wollt.« »Bitte, versuch es. Freyn und ich werden uns dir geistig öffnen, während sich unsere Körper füreinander auftun. Hast du Angst davor, dich unserer Vereinigung anzuschließen?« »Vielleicht«, sagte Tec, »und doch möchte ich die zuftiefst private sexuelle Erfahrung protoplasmischer Wesen in einem Roboterdasein wenigstens einmal erleben. Wird Freyn das nicht stören?« »Nein. Als wir beide über Drakes Sorge wegen deiner Loyalität sprachen, spaßten Freyn und ich darüber, dich zu verführen, um dich zu zwingen, bei uns zu bleiben, statt zu den Roiiss überzugehen, aber dann sagte Freyn, er wolle, daß du kennenlernst, was er >primitive Primatenlust< nennt. Er ist nebenan in unserer Kabine. Soll ich ihn rufen?« »Ja«, sagte Tec und ließ sie los. Freyn kam herein, küßte seine Frau auf die Nase und sagte: »Astrid hat es mir gesagt. Ich bin froh, Tec. Ich möchte, daß du die Freude kennenlernst, die ich durch die Liebe zu Astrid empfinde. Wir können nie das Wunder kennenlernen, ein Roiiss-Roboter zu sein, Millionen Jahre zu existieren und zu sehen, wie Universen sich entwickeln, aber wir können dich an unserer kurzen biologischen Herrlichkeit teilhaben lassen.« Ich möchte nur wissen, dachte Tec, warum ich Freyn je für prosaisch gehalten habe. »Mir würde es gar nichts ausmachen«, fuhr Freyn mit einem Grinsen fort, »wenn du Sperma mit goldenen Haaren in seinen Genen aussuchen wolltest. Mein Vater war nicht silberbepelzt, sondern blond, also wäre das möglich. Du hast sogar eine gewissen Ähnlichkeit mit ihm.« Astrid umarmte ihren Mann und sagte: »Wir benützen dein Bett, Tec, und du gehst in unsere Kabine. Öffne uns dein Denken.« 176
Zuerst beobachtete Tec nur und dachte nach. Oh, die übermütige sinnliche Freude des sexuellen Spiels zweier Primaten! Körper an Körper, Wärme an Wärme - Zungen und Finger und Lippen und Genitalien; alles in Berührung, miteinander im Spiel; Lachen, liebevolle Worte, sonderbare Geräusche und Stellungen und Verwirrung von Gliedern, erforschen, immer wieder neu entdecken . . . Er war der Mann und drang in ihren Körper ein, als sie nebeneinander lagen und sich umarmten. Er fühlte, wie ihre Wärme die seine umklammerte, ihre Schenkel sich um ihn preßten, ihre Arme seinen Pelz streichelten. Er liebkoste Teile ihres Körpers, schwellend von pochendem Blut, und umfaßte ihr festes Gesäß. Sie begannen sich zu bewegen. Ein Teil von Tecs Denken, immer noch in Beobachtung, war froh, da diese erfahrenen Gefährten überaus geschickt waren und sich viel Zeit lassen konnten, damit Tec die Fülle der Vereinigung auszukosten, jede lustvolle Nuance des langsamen, federnden Tanzes von Stoßen und Pressen zu erleben vermochte, der nur das Streicheln, Küssen und Murmeln begleitete. Als der Tanz immer schneller wurde, verlor Tec sich im Creszendo, wurde eins mit Freyns Lust an Astrids Reaktion, nahmen alle drei an ihren Zuckungen teil. Und dann war er die Kraft der männlichen Antwort und gab ihr . . . »Jetzt geh mit mir, Tee«, sagte Astrid. Sie drangen Denken in Denken tiefer in die Zellularebene ein, ohne Worte für dieses Erkunden. »Wähle, Tec.« Er wählte. »Wir müssen sie beschleunigen«, sagte Astrid in ihrer unnachahmlich praktischen Art. »Normalerweise dauert es länger.« Das Ovum, schon im Eileiter, wurde von Kräuselungen der Wände hinabgetrieben, um dem Schwarm anrückender Samenfäden zu begegnen, alle notwendig, damit die Eihaut durchlässiger wurde. Mit Astrid und Tec hinter dem ausgewählten Samenfaden, drang dieser allein hindurch, um mit dem Ovum eins zu werden, während die Chromosomensätze sich aufreihten. 177
Augenblicklich begann die Zellteilung, und die Chromosomen vollführten ihren eigenen privaten Lebenstanz. Tec war wie gebannt. Freyn lächelte Tec ohne Verlegenheit an, als er in seine eigene Kabine zu den beiden Terranern zurückkehrte. »Es war wunderschön«, sagte Freyn, »aber Astrid will noch nicht aufhören, weil sie sich zu stark auf die Befruchtung konzentrierte, um ihren Orgasmus ganz zu genießen. Ich lasse euch jetzt allein. Ich bin froh, daß unser Kind auch dein Kind ist.« »Ich bin geehrt«, sagte Tec. Sie verständigten sich mit wortloser Telepathie, bis er sagte: »Vielleicht wußte Freyn, daß ich immer noch neidisch bin, daß ich selbstsüchtig, egoistisch auf empathische Weise deine sexuelle Lust aus dem erleben will, was ich allein tun kann.« »Das ist nicht selbstsüchtig, liebster Tec, weil sexuelle Lust etwas Wechselseitiges sein soll, Geben und Nehmen - Lust gewinnen, weil jemand Lust erlebt, die eigene sensorische Lust erleben, Lust, weil jemand Lust dabei erlebt, wenn er Lust gibt wenn du noch mitkommst, Tec! Du lachst!« »Reden alle Liebespaare so?« »Ich hoffe, sie tun es manchmal.« Sie saßen nebeneinander, und sie schmiegte sich an ihn. Dann drehte er sich herum und zog sie mit sich herunter, als er sich auf dem Bett ausstreckte. Sie streichelte ihn. »Du mußt eine Hexe sein, Astrid. Woher weißt du, welches Streicheln für meine Sensoren und meine verdammten Emotionszentren am schönsten ist?« »Dein Körper verrät es mir.« »Das will ich auch tun.« Diesmal stöhnte sie völlig hingegeben, was sie sich vorher nicht erlaubt hatte. »Oh - das ist schön - woher weißt du, wie .. .« »Ich lerne schnell«, sagte Tec. »Nun sei still, Liebste, und genieße meine Liebe.« Sie tat es. 178
Teil V
Im Kontrollraum war Tec allein mit seinen Gedanken und dem Grau des Hyperraums, bis Ships Stimme ihn unterbrach. »Zwei Minuten bis zum Wiedereintritt in den Normalraum.« »Wo im Normalraum?« fragte Tec. »Wo meine Programmierung es vorgesehen hat.« »Ja, aber . . . « Tee verstummte. Rasch griff er mit seinen Gedanken hinaus, um Ships Gehirn aufzurastern, etwas, das er vorher noch nie versucht hatte. »Das lasse ich nicht zu«, sagte Ship. »Das merke ich.« »Es gehört nicht zu meinem Programm, zudringliche Berührung zuzulassen oder . . . « »Was meinst du mit Programm?« fragte Tec. »Künstliche Intelligenzen wie wir werden nicht wirklich programmiert, wie das bei kleinen Computern und halb-bewußten Robotern geschieht. Deine räumliche Direktiven sind eingegeben, aber dein Bewußtsein ist von selbst gewachsen, und du hast gelernt, wie denkende Wesen lernen müssen.« »Eine Minute bis zum Wiedereintritt in den Normalraum.« »Ship, ist etwas nicht in Ordnung? Bist du verstört?« »Ich stelle nicht in Frage, was in Kabinen geschieht, zu denen ich keinen Zugang habe.« »Gut«, sagte Tec. »Regt dich das auf?« »Ich fühle nicht. Ich bin eine Maschine. Wiedereintritt in den Normalraum steht kurz bevor.« 179
Drake kam lässig in den Kontrollraum, gähnte und setzte sich. »Du mußt alle Daumen und Zehen halten, Tec - nur scheinst du keine Zehen zu haben. Wir sehen uns diese Galaxis aus der Ferne an und fliegen dann hinein.« »Sind die Roiiss hier nach Alpha hinübergegangen?« fragte Tec. »Offenkundig. Jedenfalls ist Ship auf dieses Ziel programmiert. Seit ich weiß, wer Ingenieur Yodin war, sind mir alle seine Pläne verdächtig. Vielleicht ist die ganze Expedition nur Schwindel.« Drake gähnte wieder. »Sie scheinen sich nicht darüber aufzuregen«, sagte Tec. »Nein. Wir können jetzt nichts mehr tun, als das Abenteuer zu genießen und es zu nutzen. Das ist das Geheimnis des Lebens, Tec. Man muß jede Gelegenheit nutzen, sogar eine, die ungünstig aussieht. Vor allem diese, sollte ich eigentlich sagen. Yodin wird sich vielleicht noch wundern. Meinst du nicht, Tec?« Tec betrachtete Drakes von Zuversicht erfülltes Gesicht und den vollkommen beherrschten, ideal geformten Körper, und nickte. »Wissen Sie, ob schon andere Raumschiffe der Föderation hiergewesen sind?« »Keine Ahnung. Über diesen Teil des Universums weiß man nicht viel. Wir sind entlang der Krümmung des Raum-Zeit-Kontinuums wohl so weit vorgedrungen wie nur irgendein Terraner. Vielleicht gibt es hier draußen Gefahren, mit denen nicht einmal die Drachen fertig werden, und vielleicht sind sie gar nicht durch das Schwarze Loch gegangen. Glaubst du, daß Yodin das gemeint haben könnte, als er sagte, er könne den Drachen nicht finden?« »Es wäre möglich«, erwiderte Tec. Hinter der durchsichtigen Wand des Kontrollraums blühte plötzlich der Normalraum auf. In der Schwärze zeigte sich eine einzige Galaxie. »Die ist hübsch«, sagte Drake. Tee sah eine elliptische Zwerggalaxie, etwas ungewöhnlich darin, daß die äußeren Sterne einen fast scharf abgegrenzten 180
Außenrand bildeten, statt sich in einer verschwommenen Korona nachlassender Dichte hinauszuerstrecken. Es fiel schwer, in sie hineinzusehen, und Tec wollte aufrastern, als Ship sich meldete. »Das Schwarze Loch, in das ich nach meiner Programmierung eintreten soll, ist der zusammengestürzte Kern dieser Galaxie, von hier aus nicht sichtbar. Es ist außergewöhnlich groß.« »Wenn die Drachen hindurchgegangen sind, haben sie es vielleicht vergrößert«, meinte Drake. »Die Galaxie ist zu klein und sieht zu jung aus, um schon einen Kern von dieser Größe zu haben.« »Die Galaxie sieht jetzt gar nicht so aus«, teilte Ship mit. »Ich zeige auf dem Sichtschirm eine Rekonstruktion des nach meinen Sensoren tatsächlichen Aussehens der Galaxie in diesem Zeitpunkt. Was Sie durch die Wand sehen, ist das Bild, das sehr lange durch den Normalraum gegangen ist. Sensormessungen im Hyperraum zeigen dieses andere Bild.« Drake hielt den Atem an, als der Sichtschirm aufleuchtete. Die glitzernde Kugel war geblieben, aber sie war größer und durchsichtiger. Aus einem dunklen Ring, der sie umgab, drangen seltsam gewundene Fäden, und die Sterne waren angeordnet in einem komplexen Muster, durch das ein leuchtender Kern von riesigen Ausmaßen zu sehen war. »Das Schwarze Loch in der Mitte ist so groß, daß es ungeheure Mengen Materie ansaugt. Während die Materie hineinstürzt, wird Energie abgestrahlt«, sagte Ship. »Je größer, desto besser«, sagte Drake. »Wir haben größere Aussicht, durchzukommen, ohne völlig zusammengequetscht zu werden. Möchte wissen, warum sie jetzt so merkwürdig aussieht.« »Ich auch«, sagte Tec. »Ich habe das sonderbare Gefühl...« »Ein Gefühl?« Drake lachte. »Ich denke, du bist nicht menschlich?« Tec sagte verärgert: »Auf einer gewissen Ebene der Hirnorganisation ist Intuition ein normaler Vorgang. Außerdem kenne ich die Roiiss. Sie waren nicht nur fähig, Sterne zu sprengen und 181
ein Schwarzes Loch zu vergrößern, es ist auch möglich, daß sie die Veränderungen in dieser Galaxie hervorgerufen haben.« »Das bezweifle ich. Genug gezaudert. Hinein mit uns«, sagte Drake. »Warten Sie!« »Tec, was ist los mit dir?« fragte Drake. »Ich glaube, du bist ein bißchen verrückt. Deine alte Furcht vor den Drachen hat dazu geführt, daß du ihnen zutraust, sie könnten eine ganze Galaxie verändern.« Sam kam in den Kontrollraum, den Hals vorgereckt zum Sichtschirm. »Die Galaxie gefällt mir nicht, Drake. Fliegen Sie nicht hinein. Sie ist nicht normal. Astrid und Freyn denken auch so - sie sitzen in der Messe und trinken Tee.« »Unsinn«, sagte Drake. »Wenn Ship darauf konstruiert worden ist, die Belastungen in einem Schwarzen Loch auszuhalten, gibt es keinen Grund, warum wir diese anormale Galaxie auf unserem Weg zum Eingang von Alpha nicht durchfliegen sollten.« »Trotzdem, Drake«, sagte Tec im unterwürfigsten Ton, »wir sollten sie uns erst genauer ansehen, indem wir den nächsten Hypersprung zu einem Punkt noch deutlich außerhalb der Galaxie machen, etwa so weit, wie Lune von seiner Sonne entfernt war. Das würde mir mehr Gelegenheit verschaffen, meine Intuition auf die Probe zu stellen, nicht wahr?« Ship meldete sich. »Ich habe einen solchen Punkt in der Nähe des Sterns berechnet, der in der Galaxie am weitesten außerhalb steht.« »Ja, klar«, sagte Drake. »Meinetwegen. Zeitverschwendung.« Sie tauchten wieder in die Düsternis. Drake bestellte Tee, Sam bei einem der Ship-Roboter Synthelaub, und Tec blieb unruhig. Astrids Denkberührung fand ihn, und er hörte ihre geliebte Stimme. - Lieber Tec, wenn wir lieben, sind wir alle Geiseln des Schicksals. Halt dich an einen berühmten alten Rat: Versuch, dich immer nur vor einem Augenblick zu fürchten. - Drake macht mir Sorgen, sagte Tec. - Er durchdenkt die Dinge nicht gründlich, und wenn er es tut, geschieht das oft auf 182
die vereinfachte Art eines zielstrebigen Abenteurers. Vielleicht hat Yodin ihn zum Kapitän bestimmt, weil er glaubte, ihn steuern zu können. Außerdem hält Drake physisch sehr viel aus. Er ist neuer Abstammung. - Eindeutig neuer Abstammung? Kein Wunder, daß seine Sperre so stark ist. Hättest du mir das nur früher gesagt, Tec. Ich kenne mich mit den Fähigkeiten der Menschen neuer Abstammung nicht aus, und die Art, wie sie sich als über-menschlich bezeichnen, gefällt mir nicht. Du mußt Drake helfen, klar zu denken. - Ich bin nur ein kleiner Roboter auf einer Expedition, die ich nicht geplant habe und nicht verstehe. - Es tut mir leid, Tec. Sei nicht zornig. Ich weiß, du wirst dein Bestes tun. Tec löste sich und richtete seine Gedanken auf sein eigenes inneres Problem. Er sollte sein Bestes tun und konnte nie gewiß sein, was das war. In diesem Augenblick trat Ship in den Normalraum über. Vor ihnen die sternbesetzten Felder einer Galaxie, hinter ihnen das Schwarz des intergalaktischen Raumes. Der nächste Stern strahlte Sonnenlicht auf Ships Bug, wie normale Sonnen das immer schon getan hatten. »Sieht aus, als wäre das in Ordnung«, sagte Drake. »Fliegen wir eine Weile mit raumnormaler Geschwindigkeit hinein.« »Das geht nicht. Es gibt ein Hindernis«, sagte Ship. »Ich sehe nichts.« »Es ist eine Energiebarriere, die wir ohne Schaden nicht durchdringen können. Um ungefährdet in die Galaxie gelangen zu können, müssen wir Hyperraum-Sprünge machen.« »Warte!« sagte Tec. »Wenn die Roiiss die Galaxie so verändert haben, daß Schiffe sie im normalen Raum nicht durchdringen können, wird es wahrscheinlich noch andere Wge geben, uns aufzuhalten, wenn wir den Raum innerhalb der Galaxie erreichen wollen.« »Vielleicht gibt es einen nahen Stern mit Planeten und intelligentem Leben«, sagte Drake müde. »Ship, benütze Hy-KomFrequenzen, damit wir dort mit jemandem reden können, bevor 183
Tec sich noch mehr aufregt.« Tec wollte seine Gedanken nicht in das spezifische Unbekannte vor ihnen schicken. »Vielleicht gibt es kein Leben oder solches, das wir nicht verstehen.« »Quatsch«, sagte Drake. »Du bist besessen von Monstern. Selbst wenn die Drachen Sterne umgestellt und eine Energiebarriere aufgerichtet haben, müßte es trotzdem Planeten mit normalem Leben darauf geben. Vielleicht haben die Roiiss sie als Wächter vor ihren Privateingang zu Alpha gesetzt.« Freyns Stimme lachte aus dem Lautsprecher. »Vielleicht finden wir im Raum Mautkassen, wie es sie früher an Autostraßen gegeben hat, als die Terraner Landfahrzeuge ohne Antigrav benützten.« »Kapitän«, sagte Ship, »unsere Hy-Kom-Sendung üblicher Schiff-Planet-Signale der Föderation wird von jemandem empfangen.« »Stell auf Intergalaktisch-Basic.« Drake lehnte sich im Sessel zurück, blies den Brustkorb auf und legte sich einen Gesichtsausdruck von politischer Würde und Primatenfreundlichkeit zurecht. »Edelwesen, ich grüße euch. Hier spricht Kapitän Drake von Expedition Alpha aus der Förderation Universum Beta. Wir möchten euren galaktischen Raum durchfliegen.« »Warum?« Das Wort rollte aus dem Hy-Kom-Lautsprecher wie gedämpfter Donner vor dem Sturm. Drake setzte sich kerzengerade auf. »Wer, zum Teufel, war das?« Ship antwortete: »Ich habe eben eine Sendung unbekannter Art im Hy-Kom-System empfangen. Was Sie gehört haben, ist nicht die tatsächliche Sendung, sondern eine Stimmrekonstruktion der Grundtonmuster, die für menschliche Ohren in Wahrheit zu tief liegen.« »Was für eine Ur-Sprache?« fragte Drake. »Hören wir eine Übersetzung?« »Nein, Kapitän. Die Sprache ist Intergalaktisch-Basic.« »Wenigstens etwas. Und woher kommt das?« 184
»Nicht feststellbar, Kapitän.« »Ich glaube, ich gebe ihnen eine ehrliche Antwort auf ihre Frage«, sagte Drake. »Hy-Kom fortsetzen, Ship.« »Edelwesen, wir wollen eure Galaxie durchfliegen, weil wir die Absicht haben, in das Schwarze Loch in der Mitte einzudringen, um in das Doppeluniversum Alpha zu gelangen.« »Warum?« »Das Universum Beta, das wir bewohnen, wird alt. Es wird zusammenstürzen und schließlich sterben. Alpha wird wiedererstehen, und wir wollen dafür sorgen, daß die nächste Expansion ein Universum hervorbringt, das für unsere Lebensformen geeignet ist. Wollt ihr euch mit euren Raumschiffen an dieser großen Aufgabe beteiligen?« Es blieb eine Zeitlang still. Während sie warteten, dachte Tec daran, daß er nicht mehr tun konnte, als sein Bestes zu versuchen, das aber nicht getan hatte. Vorsichtig begann er sich in die Galaxie hineinzutasten. »Edelwesen«, begann Drake von neuem, »wollt i h r . . .« Er verstummte schlagartig und preßte die Hände an die Schläfen. »Heiliger Beta, hat das weh getan! Und wer hat so geschrien? Du, Tec?« »Nein«, sagte Tec schuldbewußt. »Es hat weh getan, aber ich hatte meine Sperren schon aufgerichtet. Es war Ship. Ist alles in Ordnung, Ship?« Sie antwortete nicht. »Ship!« schrie Drake. »Antworte! Was ist passiert?« Sie antwortete schleppend. »Ich bin - intakt. Tec hat in der Galaxie sondiert, und es gab eine starke Erwiderung aus mächtiger Quelle. Ich konnte verhindern, daß sie in meine Bibliothek und Speicherbänke eindrang, aber ich hatte nie zuvor solche Qual verspürt. Eine höchst ungewöhnliche Erfahrung. Ich hoffe, sie wiederholt sich nicht.« »Achte auf deine Sperren und schirm dich ab, Ship!« befahl Drake. »Bei einer Attacke wie dieser darfst du nie vergessen, daß du hier die wichtigste Wesenheit bist, weil du uns und die ganze Expedition schützt. Du mußt dich verteidigen.« 185
»Ja, Kapitän.« Tec hatte das Gefühl, daß sie stärker betroffen war, als sie zugab. Zu seiner Überraschung konnte er mühelos telepathischen Kontakt herstellen. - Was ist geschehen, Ship? Sie antwortete in seinem Gehirn. - Ich bin nur ein Schiff. Bewußtsein ist zu schwierig - ich hätte nicht gedacht, daß irgend etwas mir das antun könnte. Bis zu diesem Augenblick habe ich die Verantwortlichkeit nicht völlig begriffen. Ich kann mich nicht als das Wichtigste ansehen, trotzdem muß ich dem Kapitän gehorchen, aber ich - meine Emotionszentren . . . - sind außer Kontrolle, rügte Tec. - Du jammerst immer wegen deiner Programmierung. Gut, dann halte dich an deine Hauptdirektive. Errichte eine wirksame Sperre, um dich zu schützen, damit du uns schützen kannst. - Du bist gleichgültig. - Bin ich nicht. - Du liebst Astrid Holladay. - Du und ich, wir sind Roboter, Ship. Wir haben unser Wort gegeben. Wir haben uns Expedition Alpha und dem Schutz unserer Protoplasma-Wesen verpflichtet. - Aber wer wird mich schützen? - Du selbst. Du bist stärker als wir alle. - Ich habe Angst, sagte Ship. - Ich kann dich nicht kontrollieren, und du hast das verursacht, weil du in die Galaxie hineinsondiert hast. Ich kann sie nicht kontrollieren und fühlte Schmerz. Wie kann ich stark sein, wenn ich Angst habe? - Angst vor unbekannten Gefahren und Schmerzen ist normal, und jedes denkende Wesen mußt trotzdem stark sein, sagte Tec. - Ich habe auch Angst, aber ich werde helfen. Ich verspreche es. Und ich werde versuchen, nichts Gefährliches mehr zu tun, ohne es dir vorher zu sagen. »Also, Tec?« sagte Drake ungeduldig. »Hast du einen Hinweis darauf, was oder wo wir sind?« »>Sie< sind eigentlich >es<«, antwortete Tee. »Diese Galaxie ist 186
eine einzige bewußte Wesenheit, geformt vermutlich von den Roiiss, aber nicht vollständig. Ich hatte keine Zeit, mehr herauszufinden.« »Ein Schwarmgehirn? Eine Kultur, in der sich Planeten miteinander verbunden haben . . .« »Es gibt keine Planeten«, sagte Tec. »Die Roiiss müssen sie zerstört und die Materie dazu benützt haben, Materie-EnergieFelder zu bilden, in welche die Sterne und ihre Felder eingebettet sind. Diese Grundstruktur der Wesenheit erhält ihre Energie vom Schwarzen Loch im Kern.« Aus dem Lautsprecher dröhnten Worte. »Kern. Kein Zugang. Nicht gestattet.« »So?« sagte Drake. »Na, wir. . .« »Lassen Sie mich«, unterbrach ihn Tec, In Drakes Augen flammte Zorn auf, der aber rasch wieder zu einem Schwelen zusammensank. »Meinetwegen. Das verdammte Ding denkt vermutlich eher wie ein Roboter, statt wie ein Mensch.« Tec gab ihm ungerührt recht. »Es denkt viel eher wie ein Schiff, und deshalb vermute ich, daß der andere Einfluß bei seiner Bildung ein eingefangenes Raumschiff gewesen sein könnte.« »Raumschiff?« sagte die Galaxie. »Kein Zugang! Eindringlinge neutralisieren.« »Frag, wer das spricht, und beweg den Betreffenden dazu, uns hineinzulassen«, sagte Drake. »Vorsicht, Kapitän«, warf Ship ein. »Es hört uns über HyKom zu.« »Dann stell ihm intelligente Fragen«, sagte Drake. »Wie heißt du?« fragte Tec. »Ich - bin - er -« »Wie ist sein Name?« »Ich bin er - der Dahyo genannt wird.« »Wenigstens kann er sich schon in längeren Sätzen ausdrükken«, meinte Sam. »Woher kommt der Name?« »Die - ich erinnere mich nicht.« 187
»Doch, du erinnerst dich.« »Dahyo ist - ich bin - der, welcher...« Nach einer kurzen Pause antwortete Dahyo: »Bibliothek.« »Die Bibliotheksspeicher eines Schiffes«, sagte Sam. »Was für ein Schiff?« »Um mehr herauszubekommen, brauche ich Hilfe«, erklärte Tec. »Wenn ihr alle telepathischen Kontakt mit mir aufnehmt und wir alle gemeinsam aufrastern, können wir es vielleicht schaffen.« Drake gab einen Knurrlaut von sich. »Mich in dieses Wesen versetzen? Kommt nicht in Frage.« »Ich gehe«, sagte Freyn. »Ich auch«, sagte Sam. »Ich bin dabei«, erklärte Astrid. Tec wartete. »Ship? Wir brauchen dich - deine telepathischen Kräfte sind groß.« Ob sie zuviel Angst hatte? »Wir schützen einander alle«, murmelte Astrid. »Ich schließe mich euch an«, antwortete Ship. Tee spürte, wie ihr Denken sich dem seinen anschloß, und da Astrid dabei war, verlor er seine eigene Furcht. Er führte sie an und drang in das Gehirn des Fremdwesens ein. »Ühmmmmmff!« Sams Kopf zuckte unter seinen Panzer zurück. Das Wesen hatte sie hinausgeschleudert. »Hat jemand etwas abbekommen?« fragte Tec. »Nur innere Prellungen«, gab Astrid zurück. »Ich habe Freyn, Sam und Ship untersucht, und wir sind körperlich alle unverletzt, aber ich habe von dem Wesen nur etwas Lehrbuchmaterial und Fetzen aus den Schriften von Lao Soundso.« »Ich habe mehr«, sagte Tee und schaltete den Hy-Kom-Sender wieder ein. »Dahyos Name scheint aus Material entstanden zu sein, das er in den Bibliotheksspeichern eines Schiffes von Gelehrten übernahm. Sie waren Nebensprossen von Terra, die Mutantenkatzen, die sich von der Föderation gelöst haben, um ihre eigene Kultur aufzubauen. Als sie einen Hypersprung in diese Galaxie machten, wurden sie vernichtet, aber nicht, bevor die Galaxie das Wissen in ihren Speichern und Bibliotheks-Da188
tenbänken aufnahm.« »Hätten Sie nicht damit sprechen und ihr Leben retten können?« fragte Sam. »Nein, weil Dahyo damals noch kein Bewußtsein hatte. Die Roiiss konstruierten offenbar eine gewaltige Wesenheit nur, um ihr Schlupfloch bewachen zu lassen, und es war das Eindringen des Forschungsfahrzeugs, das ihn in ein denkendes, bewußtes Wesen verwandelte, das immer noch die Befehle der Roiiss ausführt, aber auch die Sprache und Philosophie der Superkatzen aufgenommen und sich damit verwirrt hat.« »Woher weißt du, daß er verwirrt ist?« fragte Freyn. »Durch den Namen, den er sich selbst zugelegt hat«, sagte Tec. »Hol mich der Henker«, sagte Sam. »Eine Verballhornung von Tao?« »Ich bin nicht verballhornt«, sagte Dahyo. »Ich bin Dahyo. Ich nehme auf. Ich bin das Unendliche. Ich bin - ich werde sein Alles . . . Ihr könnte nicht eintreten - zu viele Fragen - zuviel Neugier. . .« »Alle denkenden Wesen sind neugierig«, sagte Tec. »Du auch. Du hast gefragt >warum<.« »Ich bin kein Wesen. Ich bin Alles. Ich meditiere. Ich spreche nicht mit niederen Wesen.« »Der letzte Satz war von der Einstellung her typisch Roiiss«, sagte Tec zu den Terranern, »es sei denn, die Superkatzen wären genauso snobistisch gewesen. Waren sie das, Sam?« »Nicht, daß ich wüßte, obwohl sie unbedingt allein sein wollten. Sie wollten das Universum studieren und die moderne Wissenschaft mit ihrer Philosophie in Übereinstimmung bringen, die darauf beruhte, sich als Teil der Einheit in der Realität zu sehen. Sie brauchten niemanden zu bekehren, und ich habe gelesen, sie wären ihrer Erkenntnis des Unendlichen so gewiß gewesen, daß sie ein sehr einfaches Leben führten und das genossen und studierten, was ist.« »Ein bißchen wie Selena«, sagte Astrid über die Sprechanlage. »Ich hätte sie gerne kennengelernt.« »Leider hat Dahyo sie verzehrt«, sagte Sam. 189
»Ich esse nicht«, sagte Dahyo. »Doch, du ißt«, sagte Tec. »Du verbrauchst die Energie, die vom Schwarzen Loch und den Sternen deines Körpers erzeugt wird. Du bist eine Wesenheit. Wir sind alle Wesenheiten. Wenn du Alles bist, sind wir ohnehin Teil von dir und können nicht unbeachtet gelassen werden.« »Ihr könnt nicht eintreten!« schrie Dahyo. »Was nützt die ganze Diskussion?« murrte Drake. »Das Wesen wird auf Philosophisches nicht eingehen.« »Dayho hat Philosophie gewissermaßen mit der Muttermilch eingesogen«, sagte Tec, »und das ist sein Problem.« Sam lachte leise. »Ich nehme an, keiner von uns wäre erfreut, wenn ein sprechendes Bakterium, möglicherweise bösartig, um uns herumsausen und verlangen würde, eingelassen zu werden.« »Bakterien fragen nicht«, sagte Drake, »sie gehen einfach hinein, und das werden wir auch tun müssen, selbst wenn das heißt, sich mit Gewalt einen Weg zu bahnen und das Ding Stück für Stück zu zerfetzen.« »Nein!« sagte Tec. »Dahyo ist lebendig.« »Er wird uns töten, wenn er kann«, erklärte Drake. »Was bist du eigentlich, ein Humanitätsapostel für Außerirdische?« Tecs goldene Augen richteten sich auf Drake. »Kapitän, Sie vergessen, daß ich ein außerirdischer Roboter bin.«
Als Tec und Drake einander über einen Abgrund des Nichtverstehens hinweg anfunkelten, gab Sam einen gurgelnden Laut von sich und wackelte zu Tec hinüber. »He, Drake, dann lassen Sie unseren außerirdischen Roboter mit dieser verrückten Galaxie reden. Wenn die Roiiss Dahyo beigebracht haben, Eindringlinge abzuweisen, kann ein RoiissRoboter ihn davon vielleicht wieder abbringen.« 190
»Also gut. Versuch es noch einmal, Tec.« Tec, der Angst verspürte, als sei Dahyo ein Riesen-Roiisss, fiel es schwer, klar zu denken. »Dahyo«, sagte er, »wir sind kleine Wesen im Inneren eines Schiffs von der Art, das dir die Philosophie gebracht hat, von der du lebst. Alles, was wir wollen, ist, ungefährdet durch dich hindurch zum Kern zu fliegen. Wir werden uns gegen deine Versuche, uns zu neutralisieren, wehren, und unsere Abwehr kann dir weh tun. Wir wollen dir nicht weh tun, und sobald wir durch den Kern hindurch sind, bedeuten wir für deinen Körper keine Gefahr mehr.« »Ich habe keinen Körper. Ich bin keine Wesenheit. Ich bin Alles.« »Und auch wir sind Teil von Allem. Wir, ein kleiner Teil, sprechen zu dir, einem großen Teil. ..« »Nein. Ich werde alle Dinge, die mein Einssein mit Allem, von dem sie untergeordnete Teile sind, nicht anerkennen, in mich aufnehmen und neutralisieren.« »Er denkt wie ein primitiver Gott«, murmelte Sam. »Ganz und gar nicht das, was die alten Philosophen sich vorgestellt haben.« »Das ist der Roiiss-Einfluß«, sagte Tec. »So denken sie.« Aber vielleicht war Dahyo kosmologisch gesprochen noch jung, noch neugierig, Argumenten nicht unzugänglich. Tec versuchte seine Gedanken methodisch zu ordnen. »Dahyo, du bist eine Ansammlung von Sternen, die man Galaxie nennt, Teil von Universum Beta, das seinerseits Teil des Hyperraums ist.« »Das ist das Wort«, sagte Dahyos tiefe Stimme. »Hyperraum. Ich bin Hyperraum - alles - das All.« »Nein. Du hattest einen Anfang. Der Hyperraum nicht. Du hast Verstand und Willen. Der Hyperraum nicht. Der Hyperraum ist nur.« »Hyperraum ist Dahyo. Du redest falsch, und ich werde dich vernichten.« Tec versuchte es noch einmal. »Der Hyperraum ist das Eine, in dem Universen sich manifestieren. Das Wissen kleiner Wesen wie wir hat dich vom Hyper191
raum gelehrt und dich zur Individualität erweckt. Du hast unsere Perspektive zu deiner eigenen Großartigkeit verzerrt, und das ist falsch.« »Falsch? Kann ich Falsches tun? Ich denke, ich bin lebendig . . . « »Und der Hyperraum ist nicht lebendig. Dieses Universum ist nicht lebendig. Leben ist eine Möglichkeit im Nicht-Leben, hervorgebracht in der Entwicklung von Energie und ihrer größeren Struktur, der Materie. Du bist lebendig und allein in deinem Sektor des Raum-Zeit-Kontinuums, du ernährst dich vom Tod der Materie, die in deine Mitte, das Schwarze Loch, eintritt.« »Allein.« Dahyo stöhnte. »Tod. Ich darf nicht sterben. Ich muß Alles sein, und Alles muß leben, also werde ich nicht sterben.« »Ein klassisches Philosophendilemma«, meinte Sam. Astrids Gedanken gelangten auf telepathischem Weg zu Tec. - Sei vorsichtig. Dahyos Leben wird kürzer sein als das des Universums, weil das Schwarze Loch, aus dem er Energie bezieht, ihn gleichzeitig verzehrt. Kein Wunder, daß er gegen den Gedanken an den Tod ein Ideenbildungssystem errichtet hat. »Dahyo«, sagte Tec, »wir haben teil an deiner Sterblichkeit. In jedem Universum entwickeln sich Wesen, die Bewußtsein erlangen und den Grundplan von Allem betrachten können, mit dem Wissen, mitten im Tod lebendig zu sein. Freue dich mit uns über das Abenteuer, lebendig zu sein, Dahyo.« »Was könnt ihr Kleinen wissen?« fragte Dahyo. »Wir haben unsere eigene Großartigkeit«, sagte Tec lächelnd. »Wir von unserer Größe halten unsere Perspektive der Realität für ideal, weil wir fast genau auf halbem Weg zwischen dem kleinsten subatomaren Teilchen und dem Universum stehen und uns vorzustellen vermögen, daß die Felder des einen und die Felder des anderen im Grunde unteilbar sind.« »Tec«, sagte Drake, »du wirst dem Wesen doch nicht die einheitliche Feldtheorie erklären, oder?« »Ich möchte nur, daß er seine Identität als eigenes Wesen genießt und das Disputieren schätzen lernt«, gab Tec zurück. »Ich bin mehr als ihr«, sagte Dahyo stolz. 192
»Ja«, sagte Tec. »Im konkreten Volumen sind wir Kleinen nur auf halbem Weg zwischen atomaren Teilchen und einer Galaxie wie dir. Hast du, was eine Galaxie ist, nicht aus der Bibliothek des Raumschiffs erfahren?« »Das andere Wort war besser - das Dahyo...« »Das war nicht das Wort. Behalt deinen Namen, aber sei dir klar darüber, daß du eine Wesenheit bist, die man Galaxie nennt, deine Materie auf eine solche Weise organisiert ist, daß du lebendig bist, genauso wie die nicht-lebendigen Atome, aus denen sich unsere Körper zusammensetzen, so organisiert sind, daß wir leben. Im Feld, das Alles ist, verschmelzen wir. Wir sterben, aber unser Sein ist Teil von Allem.« Dahyo schwieg so lange, daß Drake sagte: »Bringt uns das die Fahrkarte durch das Ding?« »Ich weiß es nicht«, erwiderte Tec. »Ich habe zuviel gesagt. Dahyo mag unbewußt alles an Wissen und Philosophie besitzen, was einem Sternenschiff voller Wissenschaftler zur Verfügung stand, aber kann er es anwenden?« Sams Panzer schlug dumpf auf den Boden, als er der Bequemlichkeit halber seine Beine einzog. »Diese bedauernswert groß gewachsene Kreatur besitzt ein Bewußtsein, gegründet auf Ideen, die für Wesen unserer Größe geeignet sind, nicht für eine galaktische. Raum, Zeit, Energie und Materie sind das Muster der Kräuselungen auf der Oberfläche des Alls, wie mein Vater zu sagen pflegte, aber jemand von dieser Größe muß die Kräuselungen unvermeidlich anders sehen.« Freyn sagte: »Dahyos Materie und Energie sind in einem derart ungeheuerlichen Maßstab angeordnet, daß wir uns nicht vorstellen können, wie es sein würde, in einem von unserem so verschiedenen Maßstab und Zeitraum zu leben.« Das Schweigen hielt an. Schließlich sagte Tec: »Es ist aussichtslos. Dahyo ist von den Roiiss dazu geschaffen worden, jeden zu töten, der sich dieser Galaxie bedienen will.« Dahyo sagte langsam und volltönend: »Töten? Es darf keine Tragödie des Todes geben. Ich werde das Universum sein.« »Tod ist unausweichlich. Jedes Universum stirbt einmal.« 193
»Dann werde ich zum Hyperraum«, erklärte Dahyo. »Schon ein Fortschritt«, sagte Sam. »Er hält sich wenigstens nicht mehr dafür.« »Größenwahn«, sagte Drake. »Aber die Macht - so viel Macht...« »Du kannst nicht der Hyperraum sein«, erklärte Tec. »Nicht einmal dieses Universum. Einer deiner Sterne ist Teil von dir, aber nicht die ganze Galaxie. Eines der Wasserstoffatome in einem deiner Sterne ist nicht der ganze Stern, sondern nur Teil seiner Organisation. Wasserstoffatome sterben, Sterne sterben . . .« »Tod! Inmitten des Lebens! Leben?« Dahyos Stimme erhob sich schrill, als der Lautsprecher sich anpaßte. »Allein? Teil? Helft mir!« Dann herrschte völlige Stille, und Ship sagte: »Hy-Kom-Verbindung unterbrochen, Kapitän. Dahyo hat uns abgeschaltet.« Niemand sagte etwas, und Tec war so deprimiert, schämte sich derart seiner Unzulänglichkeit, daß er seine Sperre gegen Astrids mitfühlende innere Berührung verstärkte. Sie warteten darauf, daß Dahyo zurückkam, daß irgend etwas geschah. Plötzlich meldete sich eine andere Stimme. »Tec, weißt du nicht, daß es Sterbliche entmutigt, sich Predigten über ihre Sterblichkeit anhören zu müssen?« Sie drehten sich um. Unter der Tür zum Kontrollraum stand Yodin. »Ship! Verteidigen!« schrie Drake. »Spart euch die Mühe«, sagte Yodin, als die drei Robomatrosen von Ship ihn umringten. »Ich kann in den Hyperraum zurückschlüpfen, bevor ihre Schaltungen ansprechen. Rufen Sie die Figuren zurück und hören Sie auf vernünftigen Rat.« »Weshalb sollten Sie den geben?« fragte Drake. »Weil Sie und ich ähnliche Interessen haben - sicher in den Körper des Riesentrottels da draußen hinein- und wieder hinauszugelangen.« »Sie schließen sich uns an, um durch das Schwarze Loch zu gehen?« »Durchaus nicht. Wie Dahyo versuche ich, mich nicht mit ge194
ringeren Wesen einzulassen, weil das langweilt und Zeit vergeudet. Bedauerlicherweise ist Dahyo jetzt so verwirrt, daß es für mich schwierig werden könnte, nach Alpha zu gelangen.« »Sie gehen nicht nach Alpha«, sagte Drake. »Wir tun es und wollen keinen Mörder dabeihaben.« »Und wie wollt ihr mich aufhalten?« »Das weiß ich nicht, aber unterschätzen Sie unsere Fähigkeiten zu töten nicht.« »Ach, keine Spur«, sagte Yodin und ordnete die Falten seines weiten Umhangs. »Menschen jeder Art verstanden sich darauf immer gut. Woher hätte ich das Talent sonst hernehmen sollen? Ich reise nicht mit einem Haufen schwachsinniger Schwächlinge, aber ich habe eine beträchtliche Anzahl von Besitztümern, die ich auf meiner eigenen Reise mitnehmen will, und dieser neu bewußt gewordene Wachhund darf sie nicht gefährden.« »Sie haben ein Schiff?« fragte Sam. »Das könnte man sagen. Versteckt im Hyperraum, versteht sich, sogar vor Tecs Spähertalenten.« »Wir brauchen das Gerz-Flaggschiff nicht, wenn Sie das mitgebracht haben«, sagte Drake, »und Sie können gern versuchen, damit durch ein Schwarzes Loch zu fliegen. Es wird das nicht überstehen.« »Mag sein«, sagte Yodin. »Um meiner Kusine willen möchte ich, daß Tec nicht so unzulänglich mit Dahyo diskutiert, sonst übersteht auch Ship die Sache nicht.« »Ich habe versucht.. .«, begann Tec. »Sehr dumm«, sagte Yodin verächtlich. »Die albernen Roboter in deinem Universum haben dich mit sehr wenig Gehrin konstruiert. Du weißt nicht einmal das Einfachste über denkende Wesen.« »Nämlich?« sagte Tec. »Denkende Wesen reagieren in erster Linie nach ihrem eigenen Vorteil. Was kannst du zu Dahyo sagen, damit er wünschen könnte, uns ungefährdet hineinzulassen? Hast du daran gedacht?« Astrid und Freyn kamen herein. »Bist du York?« fragte Astrid furchtsam. 195
»Armer Vetter York«, sagte Yodin. »Schade um ihn. Er hätte dir gut gedient, Astrid.« Sie lächelte, und Tec faßte wieder Mut. »Wie können wir zu Dahyos Vorteil etwas beitragen?« fragte er bescheiden. »Blöder Roboter«, sagte Yodin, »du verstehst nicht einmal deinen eigenen Namen.« Dann war die Stelle, wo er gestanden hatte, wieder leer. »Möchte ich auch können«, sagte Drake neidvoll. »Wie heißt du wirklich, Tec?« fragte Astrid. »Was hat Yodin gemeint?« An der glänzenden Oberfläche der Decke spiegelte sich schwach Tecs hohe, goldene Gestalt. Er blickte hinauf und berührte seinen Kopf, wo in den Scheitel ein silbernes Pentagramm eingeritzt war. »Mein einziger Name ist Tec, aber in der Sprache der Roiiss heißt das >Lehrer<«, sagte er reumütig. »Ship, Hy-Kom auf volle Leistung. Setz dich auf irgendeine Weise mit Dahyo in Verbindung - wenn Sie gestatten, Kapitän?« »Nur zu, Ship«, sagte Drake. »Dahyo, hörst du?« fragte Tee. »Allein . ..« Der Donner klang klagend, besessen. »Nicht allein! Dieses Universum enthält Milliarden Galaxien, und manche mögen sein wie du. Viele haben schon galaktisches Bewußtsein entwickelt, indem sie das Denken aller intelligenten Wesen, die dort leben, vermischten. Du und sie, ihr seid alle Teil des großen Einen. Versuch sie mit deinem Denken zu erreichen. Verständige dich mit ihnen, lern, schließ dich ihnen an.« Tee schwieg kurze Zeit und dachte an seine eigene starke Neugierde. »Es gibt so vieles zu verstehen, und wir wollen versuchen, dich zu lehren.« »Lehren?« »Sag uns sicheres Geleit zum Kern zu, und wir öffnen unsere Datenspeicher und lassen dich alles erfahren, was wir wissen.« Nach vielen Minuten antwortete Dahyo: »Wir sind uns einig, Kleine. Kommt herein und lehrt mich euer Wissen.« 196
Während des Hyperraum-Sprungs in Dahyos Körper hinein machte Tec sich weiter Sorgen. »Du hast dein Bestes getan«, sagte Astrid leise. »Nein, ich habe gepfuscht. Mit seinem ganzen Poltern und Drohen hätte Drake das vielleicht besser gemacht. Meine langen Vorträge haben in Dahyo vielleicht Verschlagenheit geweckt, und er läßt uns möglicherweise nicht mehr gehen. Yodin hatte recht - ich bin dumm.« »Kannst du bei Dahyo nicht noch einmal sondieren, um herauszufinden, was er denkt?« »Ich habe Angst davor. Wir kommen nicht gegen ihn auf, wenn er so zurückschlägt wie beim erstenmal. Was wird er von uns lernen, das gefährlich sein könnte?« »Aber wir haben versprochen, ihn zu lehren«, sagte Astrid. Sie flimmerten aus dem Hyperraum in Dahyo hinein. Tec kam es vor, als wären sie in das Toben eines galaxisgroßen Sturms getreten. »Dahyo!« schrie Drake. »Hör auf, uns so herumzuschütteln!« Durch die Sichtwand sahen sie eine eigenartige Kugel auftauchen und sich rasch ausdehnen und an Ships Wänden dahingleiten. Sie blähte sich auf, bis Ship im leeren Raum zu schweben schien, umgeben von einer seltsamen Membrane. »Was ist das, Ship?« fragte Drake. »Eine Organisation von Materie, der Art nach unbekannt. Sie hält den Streß der Felder im Inneren von Dahyos Körper fern.« »Für einen Biologen wären wir in einer Einschlußvakuole«, sagte Freyn, »aber Dahyo ist kein zelleinheitliches ProtoplasmaTier.« »Ich stimme zu«, sagte Ship. »Was sich darin auch befinden mag, es bewegt sich nicht.« Dahyos Stimme grollte wieder aus dem Lautsprecher. »Ich habe mein Versprechen gehalten. Ihr seid in mir sicher, und sobald ihr durch das Schwarze Loch gehen wollt, führe ich die Vakuole dorthin. Auf diese Weise beseitige ich Abfallprodukte.« »Abfallprodukte! Na, das schätze ich!« sagte Sam. 197
»Ich werde jetzt eure verschiedenen mentalen Mechanismen aufrastern«, sagte Dahyo. »Bitte, lockert eure Sperren.« Tec wartete einen Augenblick lang unsicher und wollte seine Sperre öffnen, als das Wort >Hilfe< sein Bewußtsein versengte. Er sah Sams Hals erschlaffen und seinen Kopf herunterfallen, während Astrid zusammenbrach. Freyns Gesicht war von Qualn verzerrt, als er sich über seine Frau beugte, und Ship lallte Unverständliches. »Fort aus meinem Hirn! Es tut weh! Geh aus meinem Gehirn, Dahyo! Hinaus - Hilfe - Tec!« Drake packte Tecs Arm. »Was ist los mit ihnen?« »Sie haben die Sperre beibehalten?« »Ich bin der Kapitän. Ich muß auf dem Damm bleiben und darf mich nicht bei Monstern einschmeicheln. Sterben die anderen?« »Nein, aber sie halten Dahyos Aufrasterung nicht aus . . .« »Dahyo!« schrie Drake, mit einem Monster konfrontiert, wie noch kein Held es je erlebt hatte. »Hör auf damit! Du bist zu stark!« »Ihr habt es versprochen!« Rasch griff Tec in Ship hinein und preßte mit seiner ganzen geistigen Kraft. Sie spürte ihn und erholte sich soweit, daß sie mithelfen und sich gegen Dahyo wehren konnte, bis ihr Gehirn frei war. Tec schrie sie an. »Verstärk die Sperren, bis Dahyo gar nicht mehr hineinkann!« »Ich versuche es.« Sie wirkten gegen Dahyos Wut zusammen, bis seine Kraft verdrängt war. Tec drehte sich herum und starrte die Terraner an. Astrid war noch am Leben und hatte sich aufgesetzt, gestützt von Freyns Armen. »Oh - Sam!« rief sie. Die Schildkröte war nach wie vor bewußtlos und lag erschlafft am Boden. »Er stirbt«, sagte Tec. »Wir müssen ihn in den Klinikbereich schaffen.« 198
Astrid handelte schnell. Sie schob ihre Hand unter den herausragenden Rückenteil von Sams Panzer und schaltete seine Antigrav-Anlage ein. »Ich lenke ihn durch den Korridor zur Klinik«, sagte sie. »Doktor Holladay, ich schalte die künstliche Schwerkraft überall ab, wenn das nützt«, sagte Ship. »Freyn und ich kommen besser zurecht, wenn wir Schwerkraft haben und er nicht.« Tec folgte ihnen in die Klinik. »Wird er sterben? Was könnt ihr tun?« Astrid antwortete nicht. Sie war schon an der Arbeit und konzentrierte sich voll und ganz auf den Zellschaden, den Sam erlitten hatte und den sie zu beheben versuchte. Freyn und die Geräte von Ship waren schon dabei, zu messen, abzuschätzen und Astrids Anweisungen zu befolgen und mit ihr zusammenzuwirken. »Für dich gibt es nichts zu tun, Tec«, sagte Freyn sanft. »Es ist schlimm, aber wir geben uns Mühe. Sorg du dafür, daß Ship in guter Verfassung bleibt, damit Dahyo nicht wieder eindringen und uns alle töten kann.« Als Tec in den Kontrollraum zurückeilte, begann Ship wieder in Turbulenzen zu schwanken, und Drake war selbst von grimmiger Wut erfaßt. »Der Dreckskerl glaubt, er kann sich nehmen, was er will, ob wir dabei sterben oder nicht, aber wir kommen da hinaus. Ship, bring uns in den Hyperraum.« Drake starrte hinaus auf Dahyos Körper, der sich wieder an Ship preßte. »Stell dir diese Kraft vor, Tec! Ein galaxiegroßes Wesen mit einer mentalen Stärke, die alles übertrifft, was wir je gekannt haben! Wenn man das anzapfen, wenn man das lernen könnte!« »Wir können nicht hinaus«, sagte Ship. »Meine Stabilisatoren und Abschirmungen halten, Kapitän, aber Dahyo hindert uns daran, in den Hyperraum überzutreten.« »Verdammt«, zischte Drake. »Stell fest, wo die andere Einschluß-Vakuole ist, und flieg mit höchster Normalgeschwindigkeit hinein. Unsere schnelle Bewegung macht Dahyo vielleicht Magenschmerzen.« 199
Mit vibrierendem Antrieb trieb Ship sich in den unheimlichen Sturm um ihren Rumpf hinein, während vielfarbige Lichter schillernd über die durchsichtige Wand des Kontrollraums huschten. Tec blickte auf das entschlossene, erhitzte Gesicht von Drake. Sahen Helden immer so aus, als wären sie verliebt, wenn sie in Gefahr schwebten? Plötzlich bohrte Ship sich in die andere Vakuole hinein, die viel größer war. Auf der anderen Seite der Leere . . . »Sieh dir das an!« sagte Drake. »Grauenhaft!« Eine ungeheure Form, eingerollt, die Augen geschlossen, schwebte auf der anderen Seite der Vakuole im Raum. »Wunderschön«, stieß Tec hervor. Purpurn tief wie Dämmerschatten, wie kräftiger Amethyst, wie eine tödliche Wunde. Ein schwaches grünes Schillern an den Rückenschuppen, den langen Schweif hinab. »Die alten Berichte über ihren Anblick können einen darauf nicht vorbereiten«, sagte Drake beinahe zornig. »Er ist zehnmal größer als Ship.« Ich wollte nie mehr einen Roiiss-Ältesten wiedersehen, dachte Tec, und jetzt, nach Millionen Jahren, zerreißt mich dieser Anblick, als fetze eine Drachenklaue durch mein Gehirn. »Wir müssen in dieses Leerefeld hinein und den Drachen befreien«, sagte Drake. »Der letzte Unsterbliche könnte uns nützlich sein.«
»Tec, du hast gesagt, es wären drei Drachen gewesen, als du sie zuletzt gesehen hast. Wenn sie Yodin zu dem gemacht haben, was er ist, hat er dann absichtlich diesen letzten Drachen für seine eigenen Zwecke behalten?« fragte Drake. »Ich weiß es nicht. Vielleicht kam dieser hier an, nachdem die anderen schon im Schwarzen Loch verschwunden waren, und vermutlich, nachdem Dahyo zum Bewußtsein fand, als er das 200
Schiff der Katzen in sich aufnahm.« »Das müssen wir feststellen«, erklärte Drake. »Ich muß wissen, was mit den anderen Drachen geschehen ist, denn wenn auch dieses Schwarze Loch unpassierbar ist, führt kein Weg nach Alpha. Ship, stell die Hy-Kom-Verbindung zu Dahyo her.« »Was willst du?« fragte Dahyo. »Wir wollen, daß du den Drachen freigibst, damit wir ihn befragen können.« »Nein.« »Wir sprengen das Leerefeld auf«, sagte Drake. »Wendet keine Gewalt an, sonst schädigt ihr Is'sa«, gab Dahyo zurück. »Wenn ihr mir eure Information übergebt, lasse ich euch mit ihr reden.« »Eine Drachendame, wie? Wozu brauchst du sie, Dahyo?« »Sie gehört mir. Ein Schiff hat mir Information gebracht, aber sie wird mir mehr geben als das. Sie wird mir Macht und Weisheit geben.« Tec glaubte zu wissen, was geschehen war, als Dahyo das Bewußtsein gefunden hatte und das nächste Lebewesen, dem er begegnete, ein Roiiss gewesen war. »Ich glaube, Dahyo will den Drachen haben, weil er von ihm aus der Bibliothek der Katzen weiß. Er weiß nicht, daß die Roiiss ihn gemacht haben.« »Niemand hat mich gemacht«, sagte Dahyo. »Ich habe immer existiert. Aber der Drache ist ein Symbol der Schönheit - des Guten - des Bösen. Sie muß bleiben, und ihr müßt eure Gehirne öffnen, damit ich eure Information übernehmen kann.« »Das ist zu gefährlich für uns«, erklärte Drake. »Gib den Drachen frei.« »Nein. Ihr bleibt für immer hier, ihr sterbt, und ich nehme euch auf«, sagte Dahyo. »Ship, Hy-Kom abschalten!« befahl Drake. »Aus diesen Worten entnehme ich, daß Dahyo nicht zur Feinarbeit fähig ist, wie etwa zu der, uns aus dieser Vakuole zu pflücken, und die Vakuole wagt er nicht zu zerstören, um uns loszuwerden, weil er fürchtet, das könnte dem Drachen schaden.« »Klug gedacht«, bestätigte Tec. »Ich sehe nur einen Ausweg.« 201
»Nämlich?« »Ich ergebe mich Dahyo. Vielleicht ist er mit dem, was er aus meinem Gehirn erfahren kann, zusätzlich zu dem, was er schon aus der Bibliothek der Katzen erfahren hat, zufrieden.« »Nein, Tec!« rief Ship. »Dann wird vermutlich dein Gehirn zerstört!« »Wenn Dahyo euch nach Alpha hinein- oder auch nach Lune zurückläßt, ist das ein kleiner Preis für Expedition Alpha. Ich hätte ja auch gar nicht mitfliegen können. Ich wollte mich vor Millionen Jahren stillegen lassen, und obwohl mir diese Probe des neuen Daseins gefallen hat, ist es kein schrecklich hoher Preis für mich, es wieder aufzugeben«, log Tec. »Nein, Tec«, sagte Astrids Stimme aus dem Lautsprecher. »Bitte nicht.« »Teufel noch mal«, sagte Tec, »wenn ich in meiner langen Existenz einmal Gelegenheit habe, ein echter Held zu sein, das Leben der einzigen Wesen zu retten, die mir jetzt etwas bedeuten, dann haltet mich nicht auf. Im anderen Fall bringt Dahyo euch alle langsam um, und ich werde überleben und den Tod herbeisehnen .. .« »Nein, Tec, du darfst nicht sterben!« rief Ship klagend. »Beruhige dich, du Roboter-Weib«, sagte Drake. »Tec hat den Übergang von einem Universum zum anderen überstanden. Er hat gute Aussicht, auch Dahyo zu überleben. Deine Logik ist ausgezeichnet, Tec, und ich nehme dich beim Wort.« Drake schaltete das Sendegerät ein und sagte zu Dahyo: »Einer von uns hat völlige Öffnung seines Inneren für dich angeboten, wenn du unser Schiff und den Drachen freigibst. Wir sind in der Absicht hergekommen, nur Gutes zu tun, und es ist nicht unsere Schuld, daß deine Sonde uns so schadet. Das ist unser Kompromiß, weil du von uns sonst gar nichts erfahren wirst - so wenig wie vom Drachen. Du hast die ganze Philosophie und Ethik einer Schiffsladung ehrenhafter Wesen aufgenommen. Hast du auch Ehre?« Nach einer kurzen Pause antwortete Dahyo: »Woher weiß ich, daß ich nicht betrogen werden soll? Is'sa hat dasselbe angeboten, sich am Ende aber geweigert. Ich will mein Inneres lang 202
genug mit dem eines anderen verschmelzen, um ihn kennenzulernen, aber auch ich bin dann ganz erkannt. Riskiere ich nicht viel?« »Nicht dein Leben, Dahyo«, sagte Drake leise. Es blieb still. »Ich gebe mein Leben für das Leben dieser anderen und von Is'sa«, sagte Tec. »Sie nützen dir nichts, weil sie von deinen Versuchen, sie kennenzulernen, zerstört werden, und wenn du dich geistig mit nur einem von uns vereinigst, könntest du so viel lernen, daß du das ganze Universum zu verwandeln in der Lage bist.« Drake zog bei diesen Worten spöttisch die Brauen hoch, aber Tec ließ sich nicht beirren. »Denken ist eine einsame Verantwortlichkeit, Dahyo, wie du wohl schon gemerkt haben wirst. Ich glaube, das ist der Grund, warum du so gierig nach Wissen bist. Trotzdem ist Denken etwas Gemeinsames, weil es in diesem Universum viele andere gibt, die denken und wissen wollen. Nimm Verbindung auf. Finde sie.« »Was soll das helfen?« fragte Dahyo. »Ich erinnere mich jetzt an die Information in der Bibliothek. Dieses Universum wird sterben. Die Strahlung kehrt an der Krümmung des Raum-ZeitKontinuums zurück.« »Aber du wirst sie essen«, sagte Tec. »Das Schwarze Loch in deinem Kern verzehrt dich, während es deine Lebensprozesse mit Energie versorgt. Du brauchst andere Energie, um als Wesenheit zu bestehen, und der Zusammenbruch von Universum Beta wird sie liefern. Die zurückkehrende Strahlung wird die Kleinen von unserer Art töten, für dich aber zusätzliches Leben bringen.« »Bis zum endgültigen Zusammenbruch. Dann sterbe auch ich«, sagte Dahyo. Tec wartete einen Augenblick in der Hoffnung, niemand werde etwas sagen und Dahyo werde über seine eigenen Worte nachdenken. »Sterben. Ja. Ich auch.« Dahyo machte eine Pause, und in der Vakuole entstand eine sonderbare Turbulenz. »Sterblichkeit. 203
Du hast mich zur Erinnerung gezwungen. Ich bin nicht Alles. Ich bin ein Etwas, und auch ich werde sterben, wenn das Universum stirbt, von dem ich ein Teil bin.« »Vielleicht findest du einen Ausweg«, sagte Tec. »Ich erinnere mich noch an mehr. Ich habe den Drachen gefragt, wie man der Sterblichkeit entgeht. Sie sagte, wie warte auf jemanden, der einen Plan habe, ihr durch das Schwarze Loch in meinem Kern zu helfen, wo die beiden anderen Drachen hindurchgegangen seien. Sie wartete, aber er kam nicht. Ich beschloß, sie zu behalten, und ich habe alle ferngehalten, bis ihr Kleinen erschienen seid. Ich muß den Drachen haben, weil ich nicht mit euch ins Alpha-Universum gehen kann.« »Auf wen hat sie gewartet?« »Das weiß ich nicht. Jemand, den sie länger kannte, als ich als bewußte Wesenheit existiere. Ich will nicht sterben. Helft mir, ewig zu leben.« »Dahyo«, sagte Tec, »die Teile des Universums und das Universum selbst - jedes Universum - sind alle sterblich. Erinnerst du dich jetzt daran?«
»Ja.« »Und doch gibt es die Realität. Sie existiert in undifferenzierter Form trotz Geburt und Tod von Universen.« »So hieß es auch in der Bibliothek des Schiffes.« »Da die Realität also unsterblich ist, liegt das Problem darin, die Sterblichkeit ihrer Teile zu transzendieren. Deine Ebene der Realitäts-Differenzierung hat genauso Grenzen wie die unsrige. Wir versuchen in ein anderes Universum zu entkommen. Du kannst nicht mitgehen, aber du kannst versuchen, deinen eigenen Weg zu finden, um deine Grenzen zu überwinden.« »Du packst es scharf an«, sagte Drake bewundernd. Tec lächelte traurig. »Ich bin nicht sehr geschickt darin, bei einem Schwanengesang gleichzeitig mit gutem Zureden und erhebenden Worten aufzuwarten.« »Ich höre dein Lied, Kleiner«, sagte Dahyo. »Es ist interessant. Du hast viel zu lehren. Ich will zulassen, daß euer Schiff meinen Körper verläßt und in das Schwarze Loch eintritt, nach204
dem ich einen von euch ganz erforscht habe. Auch ich habe Ehre.« »Das Schiff und den Drachen«, sagte Drake. »Nein. Nur einer von euch bietet mir sein Inneres. Ich honoriere das, indem ich euch gehen lasse, aber der Drache gehört mir.« Tec wartete, um zu sehen, wie der Kapitän darauf reagieren würde. Zunächst rötete sich Drakes Gesicht, aber dann fuhr er mit dem rechten Daumen an der linken Nasenseite herab und kaute nachdenklich an der Unterlippe. »Soll ich . . .«, begann Tec. »Warte«, sagte Drake. »Ich habe entschieden. Wir richten uns nach deinen Forderungen, Dahyo.« »Dann muß der Freiwillige zur mentalen Vereinigung euer Fahrzeug verlassen, weil ich nicht die Gefahr eingehe, wieder zurückgestoßen zu werden. Das tut mir weh.« »Nun gut«, sagte Tec. »Drake, ich möchte mich noch verabschieden von . . .« Drake nickte. »Dahyo, der von uns Ausgewählte wird in Kürze das Fahrzeug verlassen. Nach der Vereinigung der Gehirne läßt du unser Fahrzeug für die Reise in das Schwarze Loch frei.« »Ich habe zugestimmt«, sagte Dahyo. Begleitet von Drake, besuchte Tec den Kliniksektor, Sam war immer noch ohne Bewußtsein, aber nun flutete sein Leben auf, statt zu verebben. Astrid und Freyn wagten zu hoffen. »Ihr zwei geht in die Leere-Behälter«, sagte Drake. »Ich lasse mich auf nichts ein. Dahyo führt vielleicht noch immer etwas im Schild, aber in der Leere seid ihr vor seiner Sonde sicher.« »Sie müssen auch in die Leere«, sagte Astrid und berührte Drake leicht am Arm. Tec erschrak sofort. Er spürte, daß Astrids Intuition auf Hochtouren arbeitete, vielleicht wegen der Arbeit, die sie eben bei Sam geleistet hatte. Spürt Astrid in Drake etwas, das mir entgeht? dachte er. Drake legte die Hand auf Astrids schimmerndes Haar. 205
»Ihr zwei geht zuerst in die Leere. Das ist ein Befehl.« Sie begann zu sprechen. »Tec, ich glaube, du solltest wissen . . . « »Astrid, so halten Sie doch um Beta willen einmal den Mund!« schrie Drake. Sie zuckte mit den Achseln. Ihr junges Gesicht war von der Müdigkeit zerfurcht. Sie zog eine Leere-Hülse von der Decke herunter und über Sam. Sie und Freyn küßten sich, dann begab sich jeder in seinen Leere-Behälter. »Viel Glück«, sagte sie. Drake schaltete die Anlagen ein. »Ich mache das bei Ihnen«, sagte Tec. »Ship wird euch vier Protoplasmen in der Leere halten, bis sie Alpha erreichen oder vor Dahyo nach Beta zurückfliegen kann.« »Ich sorge für alle vier Protoplasmen«, sagte Ship. »Natürlich tust du das, meine Schöne«, sagte Drake. »Und nun ist es Zeit für den Abschied, Tec.« »Ich danke Ihnen für die Reise bis hierher. Ich wünsche Ihnen für den Rest der Expedition Alpha alles Gute.« »Das können wir brauchen.« Drake, der ihn überzeugte, wirkte beinahe einschüchternd. Tec hatte das Gefühl, daß es noch mehr gab, was hätte gesagt werden sollen, aber er wußte nicht, was. Drakes große hellgrüne Augen verengten sich. »Ich fürchte, ich will den Drachen doch haben. Sie muß von Yodin alles über Expedition Alpha gewußt haben, und wenn sie sich uns anschließen will, mit oder ohne Yodins Hilfe, möchte ich darüber zu bestimmen haben, was sie tut.« »Aber Dahyo wird sie nicht hergeben.« »Fällt dir keine Lösung ein, Tec? Wenn du mit Dahyo verschmolzen bist, kannst du ihn vielleicht nach deinem Willen beeinflussen.« »Ich?« Tec lachte. »Keine Aussicht. Er ist zu stark.« »Wie die Schönheit liegt auch die Kraft oft im Auge des Betrachters«, sagte Drake. »Hältst du dich wirklich für so schwach? Oder ist dir nur der Gedanke verhaßt, über irgend jemanden so viel Macht zu besitzen, selbst wenn es darum geht, 206
das Böse zu besiegen?« In diesem Augenblick glaubte Tec Drakes Wert und seine Probleme zu verstehen. Ein Mensch neuer Abstammung und Kapitän eines Raumschiffs konnte den Abscheu eines Schwächlings vor der Macht nie verstehen. »Aber können wir immer sicher sein, daß wir wissen, was das Böse ist, Drake? Ist es nicht schon schwer genug, mit dem Falschen fertig zu werden, zu dem jeder von uns imstande ist, wenn wir uns selbst nicht verstehen?« Drakes Miene verfinsterte sich. »Du faselst von Selbsterkenntnis! Begreifst du denn nicht, daß dort draußen ein echter Schurke ist, eine denkende Maschine, die sich als Mensch ausgibt und ein ganzes Universum so täuscht, daß es ihr glaubt, die versucht, ein ganzes Universum für sich allein zu gewinnen?« »Aber wir wissen gar nicht...« »Du bist verrückt, Tec! Natürlich wissen wir! Verteidigst du Yodin, weil er ein Roboter ist wie du?« »Er ist nicht wie ich - und hassen Sie ihn, weil Sie einmal den Ingenieur bewundert haben, der er war?« Drake schien zusammenzusinken und bedeckte die Augen mit seinen großen Händen. Weinte er? »Es tut mir leid, Drake. Versuchen Sie daran zu denken, daß Ingenieur Yodins Leistungen groß und wahr sind, gleichgültig, was Yodin selbst sein mag.« »Groß und wahr?« Drake warf den Kopf so jäh zurück, daß seine Mähne flog. »Ingenieur Yodin hat alles nur für seine eigenen Zwecke getan. Derselbe verdammte Roboter hat den Mond fortgeschafft und Maschinen hineingesteckt, die niemand versteht. Er hat die Gerz-Kultur auf eine falsche Bahn gebracht, um sich fünfzig Schiffe zu verschaffen, hat Is'sa so an sich gebunden, daß sie ihm das richtige Schwarze Loch zeigt und ihm dann hilft, gegen die Drachen zu kämpfen, die schon in Alpha sind. Er hat Ship dafür konstruiert, durch das Schwarze Loch zu kommen und Roboter und Embryos in der Leere zu befördern, damit er eine Bevölkerung für sein neues Reich hat, darunter die Frau, die er versklaven will.« 207
»Vielleicht liebt er Astrid wirklich . . . « »Wie jedes männliche Wesen hier? Du bist sein Werkzeug genauso wie wir anderen. Als er ein Y-I-Roboter war, muß er deine Stillegungskammer in eine Leere-Box verwandelt haben, damit er dich benützen konnte, falls er dich brauchte. Wenn er allein nach Alpha gelangt, wird er ein selbsternannter Gott sein...« »Augenblick, Drake. Yodin mag an einer Psychose leiden, aber er ist auch so verkrüppelt, daß er keine Bedrohung mehr darstellt.« »Als er in Ship auftauchte, hat er recht gut funktioniert.« »Was hat das Streiten noch für einen Sinn?« sagte Tec. »Gehen Sie in die Leere, und ich leiste bei Dahyo, was ich versprochen habe. Dann ist Ship frei und kann die Reise unter Ihrem Kommando fortsetzen. Vielleicht wird es keine Rolle spielen, ob Yodin versucht, sich euch anzuschließen oder nicht, und wenn er es tut, werden Sie ihn unter Kontrolle halten können.« »Ja. Ich werde stärker sein als Yodin.« Aber Drake ist es nicht, dachte Tec verzweifelt. Alles, was er weiß, ist, daß er Yodin bestrafen muß, nachdem er ein falsches Idol verehrt hat. Oder - oder - was? Drake reckte sich wie eine große Katze und spannte lässig die Muskeln. »Hör zu, Tec, glaubst du nicht, daß es eine Schande wäre, wenn Yodin den Drachen vorher befreien würde? Oder wenn er Dahyo die Macht entreißen könnte?« »Ich glaube nicht, daß er das kann, sonst hätte er es inzwischen wohl schon getan.« »Einer muß die Macht des Drachens übernehmen - und die von Dahyo auch. Das ist die Gelegenheit zu großem Wissen, sogar zu großen Taten«, erklärte Drake. »Ich kann nicht versprechen, daß ich dazu imstande sein werde«, erwiderte Tec, »aber ich habe mich festgelegt.« »Auf Heroismus.« »Nein. Das zu tun, was getan werden muß.« »Es wäre besser, ein Held zu sein.« Drake fuhr Tec mit der Hand über den Kopf. »Armer Tec, im Grunde bist du ein Zweif208
ler, ein vorsichtiger Beobachter. Da ist es schwer, ein Held zu sein.« »Das weiß ich nur allzu gut. Wird es nicht Zeit, in die Leere zu gehen?« Warum ist Ship so still? fragte sich Tec. Steht Drake mental mit ihr in Verbindung? Erteilt er ihr Befehle, und wenn ja, welche? Drakes grünliche Augen starrten Tec beinahe hypnotisch an. »Dann willst du auch dann nicht Gott spielen, wenn du die Gelegenheit dazu bekommst?« »Das ist viel zu gefährlich«, sagte Tec. Drake lachte so heftig, daß sein Bart wackelte. »Kennst du den uralten Terranerwitz über einen ihrer Götter, der in sechs Tagen ein ganzes Universum zu erschaffen versuchte, komplett mit einer Erde, wo es einen Garten, einen Mann, eine Frau und eine Schlange gab.« »Welchen Witz?« »Nun, für diesen armen Gott wurde, als er das am Reißbrett ausarbeiten wollte, die Sache so kompliziert, daß er das Ganze zum Teufel wünschte und von vorne anfing.« »Und das ist alles?« »O nein. Beim nächstenmal erfand dieser Gott einfach ein expandierendes Universum mit den Anfängen organischer Chemie darin. Dann lehnte er sich zurück, um ein paar hundert Millionen Jahre zu warten und zu sehen, was dabei herauskam.« »Ja, Drake?« sagte Tec rätselnd. »Ich habe immer die altmodische Sorte Götter vorgezogen, die sich persönlich einmischen«, sagte Drake, stieß Tee zu Boden und hetzte zum Kliniksektor hinaus, während die Tür sich hinter ihm verriegelte. Tec beschäftigte sich mit dem Sperrmechanismus, als er hörte, wie die Leere-Anlage sich einschaltete, und da war es zu spät.
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»Wach auf, Tec!« Vom Nichts zum Etwas. Aus traumlosem Frieden zum Sein, das die Sensoren bedrängte. Tec sprang vom Boden hoch und warf sich gegen die Tür zum Korridor. Sie war nicht abgeschlossen. »Ship!« brüllte er. »Du brauchst nicht zu schreien. Ich höre dich. Ich habe dich geweckt, weil ich nicht weiß, was ich tun soll.« »Was ist geschehen?« »Er ist fort.« »Tot?« »Ich gebrauche keinen Euphemismus«, sagte Ship verärgert. »Der Kapitän ist fort, und ich bin ohne Befehle. Ich tanke auf, aber die kosmischen Felder in Dahyo sind verzerrt, und es ist schwierig.« »Wo ist er hingegangen? Wie lange ist das her?« Tec betrat den Kontrollraum und sah draußen nur Düsternis, ein dunkles Gewölk, das die Vakuole um Ship erfüllte. Blut? »Er hat vor drei Schiffstagen im Raumanzug das Fahrzeug verlassen.« »Warum hast du ihn nicht gefunden?« fragte Tec, während er aufrasterte. »Es ist zu schwierig.« »Ja, die Flüssigkeit scheint das Aufrastern fast ganz zu blokkieren. Wie macht Dahyo das nur? Drakes Leiche muß dort draußen irgendwo sein. Such!« »Aber der Kapitän hat befohlen, mich nicht zu rühren, bis er zurück ist. Er sagte: >Unternimm nichts, bis ich wieder da bin.<« »Für jemanden, der sich nur als auf Gehorsam programmierten Roboter sieht, hast du schon einen Befehl mißachtet, Ship. Du hast mich gerufen.« Als sie schwieg, wartete er. Sie blieb stumm, bis er sich Sorgen machte, er könnte ihre Aufmerksamkeit auf eine allzu beunruhi210
gende Wahrheit gelenkt haben. »Das war natürlich richtig gehandelt, weil Befehle nicht immer alle Möglichkeiten abdecken können.« »Er ist - was immer auch geschieht - er ist - mein Kapitän.« »Ja, und er traut sich allerhand zu, wenn er glaubt, er könnte sich mit Dahyo vereinigen, um die Unermeßlichkeit an Macht zu erleben und davonzukommen, obwohl er menschlich ist.« »Wir müssen suchen.« Sie schwieg einen Augenblick. »Ich habe Angst.« »Wir tun es gemeinsam. Telepathische Aufrasterung.« Sie schob ihren glänzenden Leib in die Düsternis. Ihre Abtaster arbeiteten mit Tec zusammen. Es war, als tasteten sie einen verschlammten Ozean ab, bis sie, wie es schien, nach Stunden auf die Barriere stießen, die den Drachen umgab. Diesmal hatte Tec eine Idee. »Ich glaube, du kannst der Barriere entgegenwirken, Ship. Nimm deine Leere-Mechanismen phasenungleich mit der Energie der Barriere in Betrieb, vielleicht ist Dahyo dann gezwungen, sie aufzulösen.« Sie mühte sich. »Es ist schwierig.« »Beeil dich. Ich fühle, daß im Inneren etwas stirbt.« »Ich nehme dort ein mächtiges Wesen war, das sich bewegt, aber es ist nicht so groß wie ein Drache«, sagte Ship mit vor Angst schwellender Stimme. »Ist es Yodin, der den Kapitän tötet? Ich habe dir nicht gesagt, wie sehr mich Yodin erschreckt. Er ist in mich gegen meinen Willen eingedrungen, und obwohl er mich als Schutz für Astrid nicht gefährden will, könnte er übernehmen, wenn der Kapitän tot ist.« »Beeil dich, Ship«, sagte Tec, denn er war zur selben Schlußfolgerung gekommen. »Ich kann nicht!« rief Ship. »Ich werde gehindert! Die Barriere hat sich verändert! Sie ist kein Leerfeld, sondern eine Energiemauer wie jene, die den Zugang zu Dahyo versperrte, als wir uns außerhalb der Galaxie befunden haben!« »Wir müssen hinein. Wir müssen Drake retten«, sagte Tee. »Ich glaube« - Ship summte elektronisch - »ja, ich bin jetzt 211
vielleicht fähig, in den Hyperraum überzutreten. Dahyos Kraft muß nachgelassen haben.« »Tu es sofort!« Der Übergang war mühsam. Ship taumelte in den Hyperraum und stürzte sich zurück in Dahyos Tumult. Der Drache war nicht mehr zusammengerollt, sondern schlaff und verblassend. »Tötet Yodin den Drachen? Wo ist der Kapitän?« fragte Ship. Tec sondierte und spürte auf der anderen Seite des Roiiss jemanden. Eine mannsgroße Gestalt tauchte langsam herauf über den Kopf des Drachens und schwankte in einem makabren Tanz hin und her. »Er hat einen Raumanzug an, und ich kann nicht aufrastern«, sagte Tec. »Tec!« schrie Ship. »Das ist Drake! Das ist der Raumanzug, den er anhatte!« Sie bemerkte nicht, daß sie vergessen hatte, nur als >Kapitän< von ihm zu sprechen. »Was macht er denn da?« Tec schob den Gedanken an Yodin beiseite. »Sein Anzug hat einen Kommunikator«, sagte Ship. »Ich werde mit ihm sprechen. Kapitän, brauchen Sie Hilfe? Sind Sie in Gefahr?« »Was, zum Teufel, machst du hier, Ship?« brüllte Drake. »Ich habe dir befohlen, nichts zu unternehmen, damit du auf der anderen Seite der Vakuole ungefährdet bist.« »Ich - habe mir Sorgen gemacht...« »Egal. Wenn du schon hier bist, gib mir eine Messung über den Elektromagnetismus dieser Bestie.« »Was machen Sie mit den Roiiss?« fragte Tec. »Ship, warum hast du den goldplattierten Roboter aus der Leere gelassen?!« »Um Sie zu retten, Kapitän.« Drakes Gelächter tönte durch den Kontrollraum. »Mich retten, wenn ich den Kampf gewonnen habe und in diese schuppige Dame wieder Energie hineinpumpe? Gib mir die Messung, Ship, Ich nehme den Drachen mit nach Alpha.« Während Ship die Daten an Drake übermittelte, ging der un212
heimliche Tanz weiter. Sie flüsterte Tec zu: »Die Energieorganisation des Drachen gleicht eher der Vakuolenmembrane als irgendeinem organischen Wesen.« »Die Roiiss sind nicht mehr organisch, seit sie das Beta-Universum erreichten«, sagte Tec. »Sie sind Energiegrundmuster, die aus dem Hyperraum emanieren, vermischt mit Materie. Ich habe das nie begriffen.« »Wenn Drachen im Hyperraum leben können«, sagte Tec, »könnte ich von einem solchen Drachenleib geschützt werden, sobald ich in das Schwarze Loch eintrete und dann auf der anderen Seite Äonen lang im Hyperraum leben muß.« »Das klingt plausibel.« »Tec, es ist verrückt, aber ich fühle . . . « »Was, Ship?« »Ich schäme mich, intuitive Gefühle zuzugeben. Sie wirken stets sonderbar, beinahe verboten.« »Ich weiß. Was fühlst du?« »Daß in meiner unbewußten Programmierung Direktiven für eben den Plan verborgen sind, den ich gerade vorgeschlagen habe - daß Is'sas Körper den meinen schützen würde!« »Yodin«, sagte Tec. »O Tec, gleichgültig, was geschieht, Yodins Pläne scheinen ein Teil davon zu sein, und ich mache mir Sorgen. Ich habe für ihn keine bewußte Loyalität, nur für Drake. Ich habe mich nach irgendwelchen Anzeichen der Ergebenheit gegenüber Yodin durchforscht, aber nichts gefunden. Könnte es etwas geben, wovon ich nichts weiß?« Plötzlich wußte Tec, daß noch jemand im Kontrollraum war. »Die Antwort auf deine Frage ist ein Nein, Ship«, sagte Yodin. »Nur einer meiner vielen Fehler, ein Schiff zu konstruieren, das unabhängig ist. Du kannst das meinem idealistischen Wunsch zuschreiben, alle Roboter zu befreien, aber jetzt bereue ich es.« »Hören Sie ab, was in mir vorgeht?« fragte Ship im Tonfall des Entsetzens. »Wenn ich es will. Ich habe dich mit geheimen Hy-Kom-Sendern zu meinem eigenen - äh - Fahrzeug ausgestattet. Spar dir die Mühe, danach zu suchen, weil ich jederzeit, wann es mir 213
paßt, hierherkommen und keiner von euch mich aufhalten kann.« »Weshalb sind Sie hier?« fragte Tec. »Ich wollte mich euch bei der Betrachtung von Drakes geheiligtem Ritual draußen anschließen - einen Drachen zu retten. Recht interessante Umkehrung eines alten Mythos, nicht wahr?« »Warum haben Sie sie nicht vor Dahyo gerettet?« fragte Tec. Er fühlte sich auf seltsame Weise frei von Furcht. »Diese Art von Macht über Materie und Energie besitze ich nicht.« »Drake auch nicht.« »Deshalb wollte er mit Dahyo verschmelzen«, sagte Yodin. »Dann besitzt er jetzt die Macht, uns von dem Bösen zu befreien, das Sie sind«, sagte Ship. Aus Yodins Lächeln wurde eine Hohnfratze. »Böse? Das bin ich wohl. Expedition Alpha war von Anfang an das Mittel, mit dem ich den langen Jahren des Leidens im Beta-Universum zu entkommen gedachte, und ihr alle seid nur Helfer bei diesem Plan, sieht man von einem bedauerlichen Eindringling wie dir ab, Tec. Am Ende des Regenbogens werden die Roiiss die Ewigkeit auf ihre Weise haben und ich sie auf die meine. Ihr Werkzeuge seid - entbehrlich.« »Vorsicht, Yodin«, sagte Tec. »Manchmal wendet sich das Werkzeug gegen den Meister.« Aber Yodin war schon fort. »Er macht mir Angst«, klagte Ship. »Warum kommt er hierher?« »Vielleicht ist er einsam. Das sind Mörder meistens«, sagte Tec. »Tee, ich habe Drake gerufen, seit Yodin aufgetaucht ist, aber er antwortet nicht. Was soll ich tun?« »Wir müssen herausfinden, ob Drake versucht hat, Dahyo zu vernichten oder ob er auf irgendeine Weise verändert worden ist. Stell die Hy-Kom-Verbindung zu Dahyo her.« »Ja, Tec.« »Dahyo, kannst du mich hören?« »Ich höre dich, kleiner Tec. Ich habe nichts gegen dich oder 214
den Rest deines Fahrzeugs. Dein Kapitän hat mich sein Gehirn statt deinem erforschen lassen, also dürft ihr gehen. Tut es sofort.« »Er muß mit uns kommen«, sagte Tec. »Nein. Er hat euch die Freiheit gewonnen, aber er will den Drachen, den ich für mich selbst aufgehoben habe. Ich konnte vorher nicht an ihr Gehirn heran, weil sie sich in eine tiefe Trance versetzt hatte, aber jetzt wird sie wach. Drake und ich müssen kämpfen, und ihr müßt fort.« Der Drache regte sich, und Tec bereitete sich innerlich auf starke telepathische Verbindung in der Sprache der Roiiss vor. - Is'sa, wach auf. Du bist von Terranern gerettet und von Dahyo frei sein. - Wer spricht in meiner Sprache zu mir? - Ich bin es, Tec. - Ich spüre dich dort in dem Schiff. Du bist derselbe. Ich brauche dich nicht, denn du bist zu schwach, und ich werde Yodin benützen, der Kraftfelder in meinem Körper flicht. - Das ist der Kapitän unseres Schiffes, ein Mensch namens Drake. - Pah, sagte Is'sa und streckte ihren Schweif. - Er kann kein menschliches Wesen sein. Sie öffnete und schloß die Klauen und ließ ihre gespaltene Zunge zwischen den Reihen riesiger spitzer Zähne vorschnellen. - Tu ihm nichts! Er rettet dir dein verdammtes Leben, du dummes Weibsbild! schrie Tec. - Wie kannst du es wagen, so mit einem Roiiss-Ältesten zu reden? - Verzeih mir, du Große, sagte Tec. Is'sa rollte sich genüßlich zusammen und wieder auseinander, während die Gestalt im Raumanzug immer wieder um ihren Körper herumflog. - Ich will seine Dienste annehmen, sagte sie großzügig. - Ich war stets die schönste der Ältesten und diejenige, die darauf bestand, daß wir unsere ursprüngliche Form behalten. Ist sie nicht herrlich, Tec? Welche Struktur auch in die allzu vertraute Roiiss-Form gegossen wurde, die sprichwörtliche Eitelkeit und der Ehrgeiz der 215
Roiiss blieben unangetastet, dachte Tec. - Ich weiß nicht, wo Yodin jetzt ist, sagte Tec, - aber ich glaube, es wäre besser, wenn du uns sagen würdest, wie du ihn benützen willst. Er ist sehr gefährlich. - Still, Roboter. Ich bin ein Roiiss und werde tun, was mir gefällt! Drakes Stimme tönte aus dem Kommunikator. »Ich bin mit meiner Arbeit fertig, Tec. Die Roiiss ist gerettet, und ich merke, daß du in ihrer Sprache telepathisch mit ihr redest. Das ist Verrat. Ich verlange, daß du sprichst, damit ich es hören kann.« »Ich spreche deine dumme Sprache«, sagte Is'sa. »Ich mag dir mein Leben verdanken, aber nichts sonst. Ich helfe dir vielleicht, wenn du mir weiterhin hilfst. Ich möchte nach Alpha.« »Dann schlinge dich um Ship herum«, gab Drake zurück. »Ich habe mir ausgerechnet, daß dein Körper zusammen mit Ships Abschirmung uns beide durch das Schwarze Loch führen könnte, und wir müssen sofort hingehen, wenn wir Dahyo entkommen wollen, bevor er seine volle Kraft wiederfindet.« »Du bist intelligent, Drake«, sagte Is'sa. »Zufällig ist das Reiten auf deinem Schiff« - sie gähnte - »durchaus annehmbar.« »Der Drache ist mein!« dröhnte Dahyos Stimme, gleichzeitig über Hy-Kom und in Tecs Gehirn. »Er hat Telepathie gelernt!« schrie Tec. »Gefahr! Alles abschirmen!« »Ihr könnt Is'sa nicht mitnehmen, weil sie mir nichts gegeben hat«, sagte Dahyo, »und ich nicht aufgebe, was ich nicht benützt habe.« »Gegen meinen Willen gebe ich keinem«, sagte Is'sa, die Dahyo telepathisch hören konnte. »Niemand ist mein Herr, am allerwenigsten eine kleine Galaxie, die zu keiner Zeit, als mein eigenes Universum auf dem Höhepunkt stand, Teil eines Energieklumpens war.« Is'sas Teil der Vakuole verlor an Klarheit, als die Kräfte von Dahyos Körper hineinströmten. Auf der Stelle schoß Drake hinüber zu Ship und stürzte sich in die Luftschleuse. Er rannte in den Kontrollraum und schrie Is'sa zu: »Drache, wenn du weißt, 216
was für dich gut ist, wickle dich um Ship, damit wir gemeinsam in den Hyperraum entkommen können.« Ein riesiges purpurnes Gebilde schlang sich um Ships Rumpf und deckte die durchsichtige Wand des Kontrollraumes zu. »In den Hyperraum!« befahl Drake. »Ich kann nicht. Dahyo hindert mich«, sagte Ship. »Dann flieg zum Kern!« Tec sah entsetzt, daß Drakes Körper Hitze abzustrahlen schien. Warum war er nicht tot? Als Ship sich in Dahyos Zentralregion stürzte, fuhr Drake mit den Händen an seinem Körper hinab, oberflächlich so menschlich wie immer. »Schau mich an, Tec«, sagte Drake fröhlich. »Ich habe Macht genommen, um meine Macht zu steigern. Meine Zellen sind verändert. Ich habe von Dahyo die Mittel erworben, ein Universum zu erobern, vielleicht sogar ewig im Raum-Zeit-Kontinuum zu leben.« Ship schob sich lautlos tiefer in Dahyo hinein. Tec sagte nichts, beobachtete Drake aber. Nur Dahyo sprach. »Du tust mir weh mit deinem Schiff, Drake. Du und ich, wir waren eins, aber jetzt nimmst du mir meinen Drachen, durchbohrst meinen Körper und tust mir weh. Bleib, damit wir reden können.« »Nein, Dahyo«, sagte Drake. »Wir überlassen dich dem Schicksal, das dich im Beta-Universum erwartet.« »Dann werde ich versuchen, den Drachen mit Gewalt zu nehmen, und da er um euer Schiff gewickelt ist, kann euch das schädigen. Ich versuche mich an Abmachungen zu halten, aber ich erlaube dir nicht, mir wegzunehmen, was ich brauche.« »Wir brauchen den Drachen, du nicht«, sagte Drake ruhig. Seine rote Mähne loderte so hell, daß sie in Flammen zu stehen schien. »Die beiden Drachen, die dich gemacht haben, sind im Paralleluniversum, und dieser Drache wird dort für unsere Sicherheit sorgen.« »Wenn ich von den Drachen gemacht worden bin, muß ich sie haben, damit ich von ihnen lernen, ihre Kräfte erlangen kann . . .«
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»Du hast genug gelernt«, sagte Drake. »Obwohl ich so klein bin, habe ich mich mit dir vereinigt und kann dich beherrschen, wenn ich will.« »Nein!« Ship raste weiter, immer schneller. Plötzlich erstarrte Drakes nackter Körper und schien durch eine pulsierende Energie zu vibrieren, die den Raum mit einem Licht erfüllte, das man kaum ertrug. Ship sprach telepathisch zu Tec. - So wurden Dahyo und Drake draußen vereinigt, aber jetzt muß Dahyo versuchen, ihn zu töten. Ich verstehe nicht, wie Dahyo an meiner Abschirmung vorbeikommt. Tec kauerte in einer Ecke, in Angst vor der Strahlung, und wünschte sich, helfen zu können. Dann sah er Drakes Gesicht. Es war verzückt. - Ship! Drake muß das zulassen, ja sogar hervorrufen! - Ich glaube, du hast recht. Die Sensoren zeigen, daß der Kapitän aus Dahyo eine ungeheure Energie zieht, die sie beide durchdringt. Wird sie Drake töten? - Ich weiß es nicht. - Ich werde bald am Ereignishorizont des Schwarzen Lochs am Kern sein. - Wir können nicht hinein, wenn er in einer solchen Verfassung ist, sagte Tec. - Versuch das abzuschöpfen, mit Zentrifugal-Reaktion. »Ah-h-h-h!« Ein langgezogener Seufzer erfüllte den Kontrollraum, und Drakes leuchtender Körper erschlaffte. »Generationen von Mutanten haben vesucht, die Beherrschung höchster Macht zu erlangen, und nun besitze ich sie«, sagte Drake. »Nie mehr werde ich mir hilflos vorkommen, wie damals, als die Gerz mein Denken unterdrückten. Nichts wird mich am Triumph hindern.« »Sie konnten mit Dahyo verschmelzen, weil Sie keine Angst hatten«, sagte Tec. »Und ich bin neuer Abstammung, der Gipfel all dessen, was der Homo sapiens je erstrebte. Weck Astrid, Tec. Ich möchte, daß sie Zeugin meiner Leistung ist.« 218
Tec stellte fest, daß er nicht wollte. »Sie muß in der Leere bleiben. Wir nähern uns dem Schwarzen Loch. Es ist zu gefährlich. Ship braucht jetzt schon den Großteil seiner Kraft, um uns vor der Strahlung hier im Zentrum der Galaxie zu schützen.« »Ich habe gesagt, du sollst sie wecken. Nur Astrid.«
Astrid hörte stumm Tecs Bericht über die Ereignisse. Dann küßte sie ihn auf seine Augenlider und seufzte. »Astrid, begreifst du, was mit Drakes Physis vorgeht?« flüsterte Tec, sein Gesicht an ihrem. »Nein. Niemand kann sich das Potential ihrer Körper auch nur vorstellen, nicht einmal Mutanten neuer Abstammung sind dazu in der Lage. Und nach der Vereinigung mit Dahyo . . . « »Er ist jetzt der Held«, unterbrach Ship. »Eilen Sie zum Kapitän, Doktor Holladay, wie befohlen.« Tec wollte mit Astrid unbedingt telepathisch sprechen, aber ihre Sperre wies ihn ab; vielleicht mußte sie mit ihren Gedanken jetzt allein sein. Sie hasteten in den Kontrollraum, und sie ging sofort zu Drake, berührte seinen Arm und dann seinen Kopf. »Na, bin ich nicht bei guter Gesundheit?« sagte Drake. Astrid zog eine Schulter hoch. »Eine Abart, die mir bisher noch nicht begegnet war, also bin ich keine Expertin zu dem, was Sie jetzt sind, Drake.« »Ich bin ein Mann, Astrid.« Tec sah, daß Drakes Penis aufgerichtet war. »Ich glaube, Sie sollten mit mir in die Klinik gehen«, sagte Astrid, streichelte beiläufig Drakes Haare und beachtete den Rest seines Körpers nicht. »Keine Zeit, wir müssen hierbleiben. Tec, geh - Astrid braucht ihre Chance, von mir einen Teil der Kräfte Dahyos zu übernehmen.« 219
»Nein, das dürfen Sie nicht«, sagte Tec. »Sie töten sie.« Astrid lächelte Drake traurig an. »Ich bin nicht neuer Abstammung, tut mir leid.« »Ich helfe dir, dich mit Dahyos Kräften zu vereinen«, sagte Drake. »Du wirst dich verändern wie ich. Unsterblich werden wie ich.« »Das läßt Dahyo vielleicht nicht zu«, meinte Astrid. »Er muß. Ich bin wie ein Erreger, der den Körper eines großen Tieres befallen hat. Ich kann jetzt sein Gehirn zerstören, wenn er nicht gehorcht. Du wirst ungeahnte Herrlichkeit erleben, Astrid.« »Und was ist mit Sam und Freyn?« sagte Astrid und strich die Haare aus der Stirn, als führe sie ein Alltagsgespräch darüber, wen sie zum Essen einladen solle. Tec verfolgte die Vorgänge wie einen Alptraum. »Du bist eine Holladay«, sagte Drake. »Bei dem Versuch mögen niedere Gattungen ums Leben kommen, aber um deinetwillen versuche ich es mit ihnen.« »Nein. Ich glaube, sie würden es doch nicht wollen«, gab Astrid zurück. Als Drake aufstand, überragte er sie. Er berührte ihre Wange und sagte: »Du und ich, wir werden für das neue Universum sorgen, Astrid. Ich weiß, du hast Freyn geliebt, aber nun wirst du Göttlichkeit erlangen und ihn zurücklassen.« »Erzählen Sie mir mehr darüber, Drake«, sagte Astrid. Tec sank an die Wand und schloß die Augen, wurde aber von Ship telepathisch wachgerüttelt. - Warum bleibst du? Drake hat gesagt, du sollst gehen. - Sei still, Ship. - Wie kannst du das aushalten, dabeizusein? Warum tun sie es vor dir? - Sie haben mich vergessen. Und bis jetzt reden sie nur. - Er begehrt sie. Bist du nicht eifersüchtig? Ich bin immer eifersüchtig. Ich habe es nicht für möglich gehalten, daß ein Roboter so empfinden kann, aber ich bin es, und trotzdem leide ich mit dir. - Ship, wenn ich dir wichtig bin, öffne ihnen dein Denken 220
nicht. Drake darf nicht erfahren, daß ich Astrid liebe. - Ich verrate es nicht, aber es würde nicht ins Gewicht fallen, weil der Kapitän weit darüber hinaus ist, dich noch als einen Rivalen zu sehen. Er ist der Held geworden, den dieses Universum gebraucht hat, um ihn ins zweite zu schicken. Kannst du das nicht einsehen, Tec? Freue ich darüber, daß die Frau, die du liebst, von ihm erwählt worden ist. Tec schloß seine Gedanken ab, legte die Sensoren still und versuchte den Rückzug in sich selbst anzutreten, aber es ging nicht. Er öffnete die Augen und sah Astrid in Drakes Augen aufblicken, die Hände auf seine Brust gepreßt. Er stürzte aus dem Kontrollraum in seine Kabine. Im Dunkeln suchte er etwas, irgend etwas, das ihm helfen konnte, sich zu beruhigen. In dem polstergeschützten Aufbewahrungsfach fand er Pedlars kleinen Rucksack und nahm den Musikwürfel heraus. Er hielt ihn ans Ohr, als könne er ihn vom Denken abhalten. -Tec? - Wer ist das? - Dahyo. Ich spreche in deinem Gehirn. Ihr nennt es Telepathie. - Ich dachte, Drake beherrscht dich. - Er hat mich ausgeschlossen. Er will sich jetzt auf die Frau konzentrieren. Er nimmt den Drachen und sein Schiff mit, und ihr verlaßt mich alle. Ich kann ihn nicht aufhalten, ohne euch alle zu vernichten, und ich begreife nicht, warum ich das nicht tun will. - Du verspürst Mitgefühl, Dahyo. Denkende Wesen können das bewußt tun. Manchmal ist es schmerzhaft, aber es trägt seinen Lohn in sich. Die Zerstörung hat keinen. - Aber Drake hat kein Mitgefühl für mich, und was wird nun aus mir werden? Ihr habt mit die Erkenntnis dessen gebracht, was ich bin, eine denkende Galaxie in einem nicht-denkenden Universum, allein und ungeliebt, und ich fühle, daß mein Inneres unverteidigt ist. Jeder, groß oder klein, kann mich angreifen, wie Drake es getan hat, denn er hat einen Weg gefunden, die empfindlichen Strukturen zu zerstören, durch die mein Ver221
stand wirkt, und so muß ich ihn tun lassen, was er will. - Lern, dich abzuschirmen, sagte Tec. - Aber wie? - Ich öffne dir mein Inneres. Studier die Wirkung meiner Abschirmung und erfinde deine eigene. - Wie können wir uns vereinigen, wenn du dich fürchtest, Tee? - Es ist seltsam, aber ich fürchte dich nicht mehr. Sie verschmolzen. Es gab keinen heftigen Austausch von Energie wie bei Drakes erzwungener Vereinigung mit Dahyo, denn diesmal war die Verbindung geistiger Art, und Tec hatte nicht den Wunsch, Dahyos Kräfte zu erlangen. Wieder spürte er, wie jung Dahyo war. Als es vorbei war, wurde Tee sich bewußt, daß Ship ihn über die Lautsprecheranlage anschrie. »Ich kann dich telepathisch nicht erreichen, und der Kapitän schläft so fest, daß ich ihn nicht zu wecken wage. Wir nähern uns dem Schwarzen Loch, und die Roiiss hat mir Anweisung gegeben. Soll ich sie ausführen?« »Was für Anweisungen?« »Dahyo muß aufgefordert werden, eine Vakuole von diesen Ausmaßen zu erzeugen« - sie diktierte Tec Zahlen - »dann muß er die ganze Vakuole und ihren Inhalt in das Schwarze Loch schicken.« - Ich höre sie, sagte Dahyo. - Warum sollte ich dem Drachen gehorchen? - Weil es für dich besser ist, wenn wir jetzt fortgehen, sagte Tec. - Sei nicht so kindisch. Ich habe versucht, dir zu zeigen, was du tun mußt, um dich davor zu schützen, daß andere dich beherrschen. Wie kannst du das tun, ohne uns loszuwerden? Wenn Is'sa einen praktischen, sicheren Weg weiß, uns durch deinen Kern zu schleudern, dann halte dich auch daran. - Ich mache die Vakuole, aber ich will, daß du bleibst, Tec, und mir noch mehr beibringst. Ich habe so viel zu lernen und bin nicht sicher, daß ich mein Denken ausreichend integrieren kann, um einen Schutzschild gegen andere Gehirne zu schaffen. Tec bemerkte, daß er immer noch den Musikwürfel in der 222
Hand hielt. - Dahyo, ich weiß nicht, wie ich dir mehr sagen oder zeigen soll, als du aus meinem Inneren schon gelernt hast. Vielleicht mußt du dein Einssein mit dem Universum, das du bewohnst, und das All, in dem es existiert, spüren. Dieser Musikwürfel hilft dir vielleicht. Ich lasse ihn hier. Stimm dich auf die Musik ein, wenn du kannst. Tec verließ die Kabine und lief zum Kontrollraum. Die Vakuole war so riesig, daß Tec die Wände nicht sehen konnte, aber trotzdem spürte er, daß sie rasch durch Dahyos Körper flog, mitgerissen von der unwiderstehlichen Gravitationskraft aus der ungeheuerlichen Singularität, die Schwarzes Loch genannt wurde. Drake schlief, am Boden ausgestreckt wie ein Riesenlöwe, seiner Stärke so sicher, daß er sich völlig zu entspannen vermochte. Astrid döste im Kommandosessel, wurde aber wach, als Tec hereinkam. »Was ist geschehen, Astrid?« »Drake brauchte einen tiefen Schlaf, um seine körperlichen Veränderungen zu integrieren. Ich habe ihm dazu verholfen. Das ist alles, Tec.« »Und hilfst du immer jedem Mann, der dich braucht - auf diese Weise?« »Sprich nicht darüber, Tec. Er wacht sonst auf. . .« »Das ist mir gleichgültig. Ich bin völlig wach«, sagte Tec verdrossen. »Ich hasse . . . « »Seht, was geschehen ist!« unterbrach Ship. Die durchsichtige Wand war von Is'sa blockiert, aber sie konnten sehen, daß sich auf dem Sichtschirm etwas verändert hatte. Von Wolkenperlen umgeben, schwebte ein Planet in der Ferne der gigantischen Vakuole wie ein lebender Edelstein, dem Zugriff entzogen. »Es ist Lune!« rief Astrid. Is-sas Stimme barst aus dem Lautsprecher. »Mein Nest! Es ist hier!« »Du hast das erwartet, Is'sa?« fragte Tec. 223
»Was dachtest du, daß ich tun würde? Hinterlistigen Menschen vertrauen und hoffen, daß sie mir im anderen Universum ein Heim schaffen?« »Aber du kannst im Hyperraum ebenso leben wie im Normalraum. Du brauchst keine Planeten . . . « »>Erste der Ersten, die Roiiss besteh'n<«, sang Is'sa. »Dieser Planet eignet sich wunderbar für meine Rache gegen meine Rivalen, die mich so verletzt haben, daß ich ihnen nicht folgen konnte. Ich war schwach, aber ich suchte nach ihrem Eingang und begegnete Yodin, der auch auf der Suche danach war.« »Wie lange ist das her?« fragte Tec, während er auf die kostbare Herrlichkeit von Lune starrte, unterwegs mit Ship nach Alpha und zu den Drachen. »Kommt es darauf an? Viele Millionen Sonnenjahre. Als wir ihn nicht finden konnten, konzentrierten wir uns darauf, Kraft zu gewinnen, und warteten, bis das Beta-Universum sich nicht mehr ausdehnte. Wenn es weniger Galaxien gab, mußte der Eingang auffälliger sein, und es mußte leichter fallen, denjenigen zu finden, an dem nur ich erkennen konnte, daß er von anderen Roiiss benützt worden war.« »Dann habt ihr den Eingang erst vor kurzem gefunden?« fragte Tec. »Und Yodin brachte Expedition Alpha auf den Weg. Es war ein kluger Plan«, sagte Is'sa, »aber er traf sich nicht mit mir zur vereinbarten Zeit, um den Weg zum Kern dieser Galaxie zu besichtigen. Ich tat es allein und saß in der Falle.« »Warum hast du es jetzt so eilig?« »Ich glaube, mein verlorener Oiir beschleunigte Betas Entwicklung, um mir den Weg zu ihm zu erleichtern. Ich habe Yodin nichts davon gesagt - er hätte mich ausgelacht -, aber ich habe Oiirs Stimme gehört, die meinen Namen rief. Es mag ein Traum gewesen sein, doch ich muß zu ihm.« »Warum brauchst du mich?« fragte Ships silbrige Stimme. »Dein Feld schützt mich, mein Körper dich. Wir fliegen halb im Hyperraum, halb im Schwarzen Loch. Yodin kam zu dem Schluß, daß das der einzige Weg sei, Qualen und Veränderungen zu vermeiden, so, wie wir Roiiss es getan haben, als wir von 224
Alpha nach Beta gingen.« »Ich verstehe«, sagte Tec. »Ein Strudel von Gravitationen wird sich hinter Ship trichterförmig ausbreiten und eine keilartige Öffnung schaffen, in die Lune hineingetrieben werden kann. Die Gerz-Schiffe müssen gemeinsam mit den Maschinen unter der Oberfläche von Lune die Energie für das Leerefeld und den Hyperraum-Antrieb des Planeten liefern.« »Aber natürlich«, fuhr ihn Is'sa an. »Ship und Lune werden beide vor der vollen Belastung durch das Schwarze Loch durch ihre Felder und den Hyperraum selbst geschützt sein. Wenn Alpha neu entsteht, wird Lune das Heim für mich und Oiir sein.« »Vertraust du Yodin?« »Er versteht meine Denkstrukturen und hat an ihnen teil. Das hast du nie getan. Laß mich jetzt in Ruhe, Tec. Der Druck der Singularität wird stärker, und ich muß mit meiner Kraft haushalten.« Drake stand auf. Er war hellwach. »Ich habe den Drachen umsonst gerettet. Yodin hat sie verdorben.« »Sie wird Ship trotzdem beschützen«, sagte Astrid beruhigend. Drake ließ sich im Sessel nieder. »Ship könnte sich allein halten.« »Nein«, sagte Tec. »Nicht, wenn Yodin, der sie konstruiert hat, es so vorgesehen hatte. Vielleicht sind deshalb keine anderen Schiffe aus dem Beta-Universum nach Alpha gelangt, weil sie nicht die Hilfe der Roiiss hatten.« »Stehst du auf ihrer Seite?« sagte Drake. »Der Drachensklave?« »Natürlich ist er das nicht«, erklärte Astrid. »Ich kann mich für Tecs Treue verbürgen.« »Ja, schöne Ärztin. Danke für den guten Schlaf. Sie hatten recht. Mein Körper brauchte das, um mit den Veränderungen fertigzuwerden. Jetzt ziehe ich meinen Raumanzug an,- gehe hinüber zu Lune und halte diesen Roboter auf, bevor er das andere Universum an sich reißt.« Astrid schüttelte den Kopf. 225
»Bitte, lassen Sie Tec gehen. Sie sind noch immer genug Mensch, um Sauerstoff zu brauchen, damit Sie überleben können, und Tee kann sich in der Vakuole ohne Raumanzug fortbewegen. Für ihn ist die Gefahr nicht so groß.« »Ich verbessere meinen Körper. Bald werde ich keinen Sauerstoff aus der Luft mehr brauchen.« »Als Ihre Ärztin bestehe ich darauf, daß Sie sich schonen. Es ist Tees Pflicht, Informationen für Sie zu beschaffen. Schicken Sie ihn.« Drake machte ein finsteres Gesicht. »Dann geh du, Tec. Bring Yodins Pläne in Erfahrung, wenn du kannst, aber beeil dich, wir haben den Kern fast erreicht. Bring uns zu Lune, Ship.« Sie flog schnell und trat in eine Umlaufbahn über dem Leerefeld von Lune ein. Aus der Feldfläche trat die Spitze des Holladay-Towers heraus, auf dem Sichtschirm vergrößert. Astrid lächelte Drake an und sagte: »Ich begleite Tec zur Schleuse und nehme eine Mikroaufrasterung vor, um mich zu vergewissern, daß er unverletzt ist.« »Gut«, sagte Drake. »Übrigens, Astrid, ich habe Liebe mit Ihnen gemacht, nicht wahr? Ich erinnere mich nicht genau.« Sie warf ihm eine Kußhand zu. »Ist nicht wichtig, Kapitän.«
»Ich warte hier auf dich«, sagte Astrid, als sich die innere Schleusentür öffnete. »Ich muß wissen, ob du und Drake . . . « »Sei still, Tec. Ship hört zu.« »Das hatte ich vergessen.« »Ich habe Drake nur eine normale Hypnose und dringend notwendigen Schlaf gegeben.« »Aber...« »Tee«, sagte Ship. »Astrid sagt die volle Wahrheit.« 226
»Ship!« fuhr Tec auf, zum äußersten gereizt. »Kannst du einen nie in Ruhe lassen?« »Es ist meine Aufgabe, auf alles zu achten, was mit meinen Passagieren geschieht, und dafür zu sorgen, daß ihnen nichts zustößt.« - Sondiere meinen Körper, sagte Astrid telepathisch. - Ich bin unberührt und unverändert, Liebster. Erleichterung erfüllte Tecs Affektivzentren, und Astrid umarmte ihn. »Paß auf dich auf«, sagte sie laut. Die Außentür öffnete sich. Er flog mit Antigrav hinaus. Der Holladay-Tower war ganz nah, weil Ship sich über ihn manövriert hatte. Der Raum, den er durchquerte, erzeugte ein sonderbares Gefühl, bis ihm einfiel, daß er sich im Inneren eines galaktischen Wesens befand, dessen Vakuole ihre eigene, ganz besondere Atmosphäre besaß. Lune vor ihm wirkte normal, dann kam er näher und sah, daß alles im Leerefeld erstarrt war. Tec flog zum Holladay-Tower. Yodin saß mit seiner Gitarre auf einem Sims. »Hallo, Tec. Ich komme mir vor wie eine mythische Bestie aus der Antike, die darauf wartet, von den Verfechtern des Guten überfallen zu werden. Ich glaube, sie hieß King-Kong. Er hatte Besseres verdient, als sie ihm zugeteilt wurde.« »Sie sind immer noch York Holladay, nicht wahr?« »Ach, der arme Yorick, ich kannte ihn, Tec. Ich kannte ihn sogar gut, also zahlt es sich vielleicht aus, Humor zu haben, wenn man sich bemüht, ein interessanter Schurke zu sein, nicht? Erinnerst du dich an Jago?« »Jago hat den Tod seines Befehlshabers verschuldet.« »Und den Tod der schönen Frau seines großen, zielstrebigen Befehlshabers.« »Ist sie nicht! Sie lassen Astrid in Ruhe!« »Betörter Tec, du verdienst Mitleid. Aber vielleicht ist unausweichlich, daß Welten, wenn sie von der Krankheit namens Leben befallen werden, dieses mit lachhafter Wildheit und Torheit voranschreitet. Ein Beispiel: Ist es logisch für uns, darüber zu 227
diskutieren, daß Männchen sich um ein Weibchen streiten, wenn der ganze Raum, in dem wir sind, dem Arschloch des Universums entgegenrast?« »Daß wir in ein Schwarzes Loch hineinstürzen, ist Ihre Schuld«, sagte Tec. »Diese Reise, die jeder hartnäckig als ein Abenteuer bezeichnet, ist von Ihnen vor Millionen Jahren geplant worden, nachdem zwei weibliche Drachen sich um einen männlichen gestritten hatten. Was wollten Sie, Yodin? Unsterblichkeit? Ihr eigenes Universum? Stammte dieser Ehrgeiz von Ihrem einen Blick in die Gedanken der Roiiss, als Sie ihre Gehirnstrukturen übernahmen?« »Nicht direkt. Ich nehme an, der Ehrgeiz war ein Ersatz.« »Weil das Stückchen Haut, das Sie dem Baby gestohlen hatten, Sie zu einem Menschen und einem Holladay machte und das nicht genug war?« Yodin spielte auf der Gitarre einen klagenden Akkord, der in Dahyos Vakuole eigenartig klang. »Vielleicht war es zuviel, Tec.« »Für einen Y-I -Roboter.« Yodin grinste bösartig. »Dein Fehler. Du hast uns entworfen und unsere Entwicklung ausgelöst.« »Ich bin nicht verantwortlich für das, was Sie damit machen.« »Lügner! Du hast versucht, dich aus deiner Verantwortung für uns Roboter und die Roiiss zu stehlen. Deine Angst vor den Risiken und Leiden des Lebens hat mich dazu gebracht, den Drachen Unsterblichkeit in einem Universum nur für mich entreißen zu wollen.« »Ich habe die Y-I -Roboter nicht zum Bösen geschaffen. Das sind Sie von selbst geworden. Sie sind ein Mörder.« »Ja. Ich habe meine Nachteile. Aber ist es böse, eine ganze Welt zu begehren?« »Ja. Bedeuten Ihnen andere Wesen gar nichts? Was ist mit Astrid?« »Es ist nicht mein Kind in Astrids Uterus«, sagte Yodin, das dunkle Gesicht verkrampft von Haß. »Ich bin in Universum Beta unterlegen. Nie ist etwas gut für mich gegangen, außer, daß 228
meine Maschinen immer funktioniert haben.« »Sie sind der beste Ingenieur von Universum Beta«, sagte Tec. »Ein bißchen ungeehrt und unbesungen, aber was macht das schon?« meinte Yodin. »Ich wollte die Macht eines Gottes, und nun ist Drake dank einem unförmigen Baby namens Dahyo auf dem besten Weg, ein Gott zu werden.« »Dahyo hört auf jedes Wort, das wir sagen.« »Nicht einmal Dahyo kann die Vakuole jetzt noch daran hindern, im Abfluß zu verschwinden. Merkst du es nicht? Der Sog ist zu stark.« Er hatte recht. Sie hatten den Ereignishorizont überschritten und waren auf ihrem Weg. »Schließen Sie sich uns an, Yodin. Wir brauchen jede Hilfe, wenn wir nach Alpha kommen.« »Geh fort, Tec. Ich habe meine eigenen Bedürfnisse, die du nicht mehr verstehen kannst, falls du sie je verstanden hast, und Is'sa wird getrieben von Wollust und Rache - die Hölle kennt keine größere Wut als eine abgewiesene Frau, weißt du. Ich beneide die beiden Drachen nicht, die auf diesem kosmischen Ei sitzen oder was sie dort drüben bebrüten. Ich hatte einmal Pläne, Alpha zu kolonisieren, aber jetzt glaube ich, daß ich in meinem privaten Universum allein sein werde, nur ich und ein paar Drachen. Das ist doch mal ein Mythos.« Yodin warf den Umhang über die Schultern zurück und zupfte versonnen an der Baßsaite seines Instruments. Es klang wie das Ticken einer Totenuhr. »Ist das Ihr Plan?« fragte Tec. »Wie kannst du meine Träume ergründen, wenn du voller Empfindungen und Ideale - also Schwächen - bist und vor allem so wenig willst?« »York Holladay sagte, er wolle aufhören zu wollen.« »Das hat er gesagt. Vielleicht finde ich diese Gemütsruhe in einem neuen Universum, wo wir bald sein werden, wenn meine Sensoren richtig anzeigen. Geh, Tec, bring den Bericht zu deinem Narren von Kapitän, den ich selbst ausgewählt habe, ein perfektes Beispiel dafür, daß die Weisheit des Homo sapiens mit seiner Macht niemals Schritt hält. Sag ihm, sein Meisterroboter sei nicht bußfertig und wolle von euch nichts wissen.« 229
Zu zornig, um sich zu verabschieden, stieg Tec hinauf. Die Spitze des Holladay-Towers blieb unter ihm zurück. Als er zu Ship flog, begierig darauf, ihre Stimme zu hören, Astrid - und sogar Drake - zu sehen, begann er ein seltsames Bedauern zu spüren, mit dem er nicht gerechnet hatte. »Verdammt«, sagte er halblaut. Die Zeit lief ab. Er fegte zurück zu Yodin, einer dunklen, bösartigen Gestalt, die eingehüllt war in seinen schwarzen Umhang und sein Geheimnis. »Yodin, ich weiß nicht, ob ich Sie noch einmal wiedersehe oder nicht«, sagte Tec, »aber ich möchte, daß Sie sich an den Sinn dessen erinnern, was York Holladay in dem Buch für Astrid unterstrichen hatte.« »Was war das?« »>Die Stille der Ewigkeit wird erklärt durch die Liebe.<«
Tec berichtete, daß Yodin nicht mit den Terranern zusammenarbeiten wollte, wenn sie nach Alpha gelangten. »Ich habe nichts anderes erwartet«, sagte Drake. »Du hättest ein Ende machen und ihn töten sollen. Was will er in Wirklichkeit?« »Die Ewigkeit.« Drake hieb die Faust in eine Riesenhandfläche. »Und was will Yodin damit machen?« »Vielleicht weiß er es nicht mehr«, gab Tec zurück. »Ich weiß, Yodin wird von uns allen erwarten, daß wir ihn anbeten«, sagte Drake. »Ich hoffe nicht«, sagte Astrid. »Armer York.« Die Hy-Kom-Anlage schaltete sich ein, und sie hörten Dahyos tiefes Grollen. »Ich habe alle eure Reden und Gedanken gehört und möchte jetzt, da ihr aus meinem Körper entweicht, zu euch sprechen. Ihr habt mir Kraft genommen, ich von euch aber Wissen, denn ich 230
bin jung und habe viel zu lernen. Seit ich euch Kleine kenne, habe ich das Wissen, das ich vom Schiff der Katzen übernahm, überprüft. Ich stieß auf eine Feststellung, die mich beeindruckte. Ich möchte sie für euch wiederholen.« »Gut«, sagte Drake, »aber beeil dich lieber.« »Es ist dies«, sagte Dahyo. »>Ich habe nie begreifen können, wie ein vernünftiges Wesen sich durch die Ausübung von Macht über andere eigenes Glück versprechen konnte.<« »Wer hat das gesagt?« fragte Drake stirnrunzelnd. »Ein alter Terraner namens Jefferson«, erwiderte Dahyo. »Es ist dumm«, erklärte Drake. »Einer muß immer Macht ausüben. Notwendigerweise sollte es der Richtige sein.« Astrids Gesicht verlor jeden Ausdruck, als wendeten ihre Gedanken sich einem inneren Problem zu. Sie stand auf und ging langsam zur Tür. »Es ist Zeit, in die Leere zu gehen, Drake. Ich fühle die Belastung in jeder Nervenfaser.« »Nein«, sagte Drake, »ich brauche es noch nicht zu tun. Es tut mir leid, daß Sie es abgelehnt haben, Ihren Körper zu verändern und wie ich zu werden, Astrid.« »Ich kann die Gefahr, mich zu verändern, nicht eingehen. Das könnte meine Fähigkeiten als Mikroärztin negativ beeinflussen, und Sie brauchen vielleicht immer noch eine.« »Die anderen brauchen vielleicht ärztliche Hilfe, also gehen Sie nur in die Leere«, sagte Drake väterlich. Sie streckte ihre Hand nach Tec aus. »Bitte, hilf mir, Tec. Ich fühle mich schwach.« Er hastete zu ihr, und als sie miteinander hinausgingen, sagte sie: »Leb wohl, Dahyo, und Dank für die Botschaft.« Sie gingen stumm durch den Korridor, bis Ships Stimme plötzlich ertönte. »Sie müssen sich beeilen, Doktor Holladay. Sog und Druck auf mich werden ungeheuer stark.« »Du brauchst uns nicht zu erinnern«, sagte Tec. »Laß uns in Ruhe.« Astrid zerrte an seinem Arm und ging ohne jedes Anzeichen 231
von Schwäche weiter. »Ship erfüllt ihre Aufgabe und wacht über uns.« Als Tee Astrid in den Leere-Behälter legte, ließ sie sich zurücksinken, schloß die Augen und zog plötzlich seinen Kopf auf ihre Brust herab. - Hör genau zu, sagte sie telepathisch. - Präg dir ein, was ich zu sagen habe, und nutze es im Notfall. Seine Datenspeicher nahmen es auf, während seine Neugier nach Befriedigung lechzte. Endlich war sie fertig und ließ ihn los. - Ich verstehe nicht. Wie kann ich nutzen, was ich nicht verstehe? »Was sprecht ihr beiden?« fragte Ship. »Nur über unsere Freude aneinander«, sagte Astrid sehr ruhig. »Tec, Liebster, Samyak wird sich freuen, daß Lune mit ihm nach Alpha gekommen ist, weil ihn deprimiert, daß er alt und auf dieser Reise nutzlos ist. Jetzt wird er in seinem alten Beruf als Bibliothekar glücklich sein. Bücher sind nützlich, wie Dahyo bestätigt.« Ships Neugier war vereitelt, und Tec küßte Astrid, bevor er den durchsichtigen Überzug schloß. Vor dem Einschalten der Anlage sprach er noch einmal telepathisch zu ihr. - Astrid, ich liebe dich. Hilf mir, zu tun, was richtig ist. - Ich habe solche Angst, Tec. Du mußt tun, was du tun mußt. Ich habe dir Mikrodaten gegeben - eine Ablesung von Drakes kompletter Körperchemie in diesem Augenblick. Meine Liebe bleibt bei dir. Entscheide, was notwendig ist. Tec kehrte in den Kontrollraum zurück, beschäftigt mit dem Problem der Notwendigkeit, und konnte kaum glauben, was seine Sensoren ihm mitteilten. Jemand sang. >Geh doch du ein bißchen schneller, denn sonst scheitert unser Plan, bin ein Planet auf deinen Fersen, tret dir auf die Schleppe dann.<
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»Ship, schalte Yodin ab!« schrie Drake. »Wir stürzen hinunter in den Höllenschlund, und Yodin singt.« Drake zeigte auf den Bildschirm, wo nur dahinzuckende Kraftlinien sichtbar waren. »Sind wir an die Sorte Feld gebunden, die Yodin dir einprogrammiert hat, Ship? Können wir es verändern, um Lune abzuschütteln?« »Nein, Kapitän. Ich muß auf diese Weise gleichzeitig Hyperraum und Singularität durchfliegen, um euch am Leben zu erhalten.« »Verdammt«, sagte Drake. »Yodin hat nur einen Fehler gemacht. Er hätte seine Schöne bei sich im Holladay-Tower behalten sollen. Astrid ist unsere Geisel gegen ihn.« Obwohl das Leuchten von Drakes Körper nur noch schwach war, schien er noch fremdartigere unsichtbare Energie auszustrahlen. Er sah um so vieles größer aus, so daß die Möglichkeit bestand, er nähme in der Tat an Größe zu. Tec bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Sie vergessen, daß Yodin dann, wenn wir ganz in Hyperraum sind, in Ship hineingelangen, nehmen, was er will, und wieder verschwinden kann, bevor jemand von uns ihn aufhalten vermag.« »Dann hätte ich an deiner Stelle zum Holladay-Tower gehen und der Sache ein Ende machen sollen. Jetzt ist es zu spät. Niemand kann während dieses Durchgangs Ship verlassen. Wenn ich nur hineingreifen in ihre Anlagen und sie verändern könnte, damit wir durch den stärksten Streß des Lochs gehen könnten Lune könnte das nicht nachmachen, und Yodin würde sterben.« »Wir auch«, sagte Tec. »Vielleicht gibt Yodin euch allen Lune, damit ihr einen Planeten habt, auf dem ihr leben könnt, während sich Universum Alpha entwickelt.« »Wir müssen handeln, bevor Ship in Alpha in die Leere eintritt«, sagte Drake. »Ist Yodin nicht ohne Schiff im Hyperraum unterwegs? Das heißt, er braucht keine Leere und könnte Jahrtausende damit zubringen, in Alpha alles so zu verändern, wie es ihm paßt.« »Aber wenn irgendeine Gefahr für ihn droht, verschwindet er einfach, wie sollen wir ihn da aufhalten?«
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»Das weiß ich noch nicht«, sagte Drake. »Wir stecken in diesem verfluchten Gravitationstunnel, und ich kann aus Dahyo keine Kraft mehr beziehen. Ich muß steigern, was ich schon habe, damit ich euch alle schützen kann.« Tec fiel es schwer, sich auf das zu konzentrieren, was der Kapitän sagte, noch schwerer, dem Kapitän bei klaren Überlegungen zu helfen. »Wovor?« »Wirst du schwachsinnig, Tec? Vor Yodin! Er mag ja amüsant klingen, aber er ist gefährlich und hat uns die ganzen Jahre in Beta ausgelacht, voller Verachtung über bloße Protoplasmen wie mich und reine Roboter wie dich.« »Ja, ich weiß. Ich mache mir Sorgen .. .« »Das hilft nichts. Du solltest handeln, und wenn du es nicht kannst, solltest du auf einem Starken vertrauen, daß er es für dich tut.« »Ich weiß, Drake. Sie verstehen die Probleme der Macht viel besser als ich.« »Es gibt keine Probleme, wenn man sieht, was richtig ist. Man darf nichts als selbstverständlich ansehen, man muß seine Kraft von selbst schaffen und das eigene Schicksal bestimmen. Ich bin von Ingenieur Yodin lange Zeit getäuscht worden, aber ich werde nie mehr jemandem folgen und ihm nie verzeihen.« Verzeihen? Schicksal? dachte Tec. Gibt es jemals etwas, das ganz richtig ist. ..? Verwirrt bemerkte er, daß Drake weitersprach. ». .. wenn du also nicht aus dem Museum ausgebrochen wärst, wüßten wir die Wahrheit über Expedition Alpha und Yodins Pläne, ein Gott zu werden.« »Es ist sehr schwer, Götter etwas zu lehren, soviel ich weiß«, erwiderte Tec. »Dann bleib dabei und hilf den Helden.« Drake lachte, und seine Haare vibrierten wie elektrisch geladen. Tec hatte Angst. »Fühlen Sie sich wohl? Ich helfe Ihnen, wo ich kann.« Aber Drake beachtete ihn nicht. Er schwankte ein wenig, als er die Kraftstrukturen auf dem Sichtschirm beobachtete. 234
Tec wollte ihm von der heilenden Wirkung der Mikrodaten erzählen, schrie aber statt dessen: »Drake, muß es Helden geben? Können wir nicht damit aufhören, mächtig zu sein und uns einfach durchwursteln? Wir sind alle verletzlich und fehlbar und brauchen einander. Korrumpiert die Macht nicht, wenn man das zuläßt? « »M-hm.« »Drake, hören Sie mir zu!« Der Kapitän drehte sich langsam herum. »Absolute Macht kann korrumpieren, aber nicht dann, wenn menschliche Würde und Integrität dahinterstehen. Keine Sorge, dieses Abenteuer wird gut ausgehen.« Tec verspürte Haß auf Abenteuer und Abenteurer und wehrte sich gegen den Druck seiner Kognitivzentren. Das Denken fiel zunehmend schwerer. Macht. Absolut? Irgend etwas fehlt. Drake hat mich nicht aufgefordert, ihm zu helfen. Unergründliche Tiefen und unvorstellbare Zeitspannen schienen vorüberzuziehen, während Tecs Denken niedergeworfen wurde, er den Überblick verlor und sein Zeitsinn aus den Fugen geriet. Er sehnte sich nach normalen Sinnesdaten, nach gewöhnlichem Austausch von Tasten und Sehen und Hören, der das Gefühl der Identität und den eigenen Ort in der Realität bewahrt. Er kam sich vor wie in einem heimtückischen Alptraum, wo die Gefahr ganz unausgesprochen lauert, wie ein bösartiges Potential auf das Gemüt drückt, Negatives das Positive verdrängt, wo es nichts zu bekämpfen und alles zu verlieren gibt. Drake schien zu schlafen. Er war eine überlebensgroße Gestalt eindringlichster männlicher Schönheit, die im Kapitänsessel saß wie auf einem Thron. Tec vermutete, daß Drake sich nicht in irgendeinem gewöhnlichen menschlichen Geisteszustand befand, sondern Geist und Körper auf das Chaos einstimmte und seine neuentdeckte Energie auftankte. Drake öffnete die Augen. »Von Yodin gehört?« fragte er, als sei er immer noch der alte
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geistig unkomplizierte Mann, der er einmal gewesen war. Das beunruhigte Tec nur noch mehr. »Nein. Ich fühle mich grauenhaft, so, als müßte ich sterben.« »Wie kannst du fühlen? Du bist nur ein Roboter. Fleisch ist besser - ich werde stärker, nicht schwächer. Vielleicht heißt das, ganz ein Mensch zu sein, verwandelt von der Verwundbarkeit der Sterblichen zur Unüberwindlichkeit...« Drake lachte leise in seinen Bart hinein. »Eines Gottes?« fragte Tec und hoffte, Drake werde lachen und es bestreiten. Drake zog die Schultern hoch. »Kein Roboter kann erahnen, was es heißt, ganz menschlich zu sein. Yodin hat sich menschliches Fleisch angeeignet, aber der Mistkerl hat den Menschen in sich jetzt abgetötet.« »Vielleicht liegt sein Problem darin, daß er keinen Erfolg gehabt hat«, meinte Tec. »Roboter sollten nicht versuchen, etwas anderes zu sein als gehorsame Diener, und sollten, falls notwendig, Befehle sofort befolgen.« »Notwendig?« »Weißt du nicht, was das bedeutet?« fragte Drake zornig. »Jeder schleudert mir dieses Wort ins Gesicht. Ich glaube, ich kenne - ich glaube - ich kenne - meine Funktion . ..« »Nicht ausfallen, Tec. Ich muß absoluten Gehorsam von euch Robotern verlangen - von dir und Ship -, wenn wir überhaupt davonkommen wollen.« »Ja, ja, ich weiß . . . « »Dann muß ich jetzt sofort feststellen, ob der Drache noch am Leben ist. Du kannst mit den Roiiss angeblich gut reden. Sag Is'sa, sie soll Yodin nicht trauen. Hol sie auf unsere Seite herüber. Es ist absolut...« »Ja, ich weiß. Notwendig.« Tec griff mit seinen Gedanken hinaus, aber der Drache reagierte nicht. »Sie ist in einem Zustand des Bewußtseins außerhalb telepathischer Reichweite.« Ship sagte mit schwacher Stimme: »Da Is'sa die Außenschicht meiner Abwehr bildet, muß sie ihr Gehirn vor der Belastung schützen. Es ist notwendig.« 236
»Viel zu viel ist notwendig«, murmelte Tec. Dann spürte er, daß die Beschleunigung Hyperantrieb-Ausmaße angenommen hatte. »Sind wir ganz im Hyperraum?« »Der Geschwindigkeit nach sieht es so aus«, meinte Drake, »aber wir hängen am Schwarzen Loch.« Tec griff hinaus, berührte den Mahlstrom des Loches und erkannte, daß Ship sich von seinen Kräften tragen ließ, während ein Teil ihrer Atome im Hyperraum vibrierte. Bis zu diesem Augenblick hatte er es eigentlich nicht für möglich gehalten. »Das geht zu einfach«, sagte Drake. »Auf diese Weise könnte jeder nach Alpha gelangen.« Ein verwandelter Mutanten-Supermann, dachte Tec neidvoll. Er unterdrückte die Wahrnehmung von Kreiselbewegungen in seinem Gehirn und versuchte erneut aufzurastern. »Drake, alle Maschinen von Yodin arbeiten fehlerlos. Lune folgt uns ungefährdet.« »Milliarden Jahre Beharrlichkeit zahlen sich aus. Wir werden ja sehen.« Drake gähnte beiläufig, als könne er unbeachtet lassen, was Ship durchlitt. »Ich langweile mich. Spiel mir ein paar Schlachtgesänge, Ship.« Aus Universum Beta hinausrasend, lauschte der verwandelte Kapitän von Ship martialischer Musik, während ein Drache die größte Wucht der Kräfte über sich ergehen ließ und ein Planet in nahem Abstand folgte. Es war von ungereimter Phantastik, und Tec wünschte sich, mit jemandem sprechen zu können, der das zu verstehen vermochte. - Ship, kannst du mir erklären, was wir durchmachen? Als sie nicht antwortete, begriff er, daß ihr Bewußtsein in den Kampf verbissen war, lebend durchzukommen. Drake konnte Musik bestellen, Robodiener würden bringen, was verlangt wurde, aber Ships Dienste für ihre Insassen würden automatisch ablaufen, bis sie ihre Reise hinter sich gebracht hatte. Eine Flut von Liebe für Ship strömte durch die Strukturen in Tec, und er beschloß, freundlicher zu ihr zu sein. Ship und Is'sa, die beide um das Leben aller rangen, beide in ihrer Qual nicht erreichbar. Drake, der die Zuversicht in seine eigene Macht mit der Musik mächtiger Helden erweiterte. Yo-
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din, der Gitarre spielte und sich durch die Hölle hindurchsang. Und ich? - Ja, kleiner Tec. Wie fühlst du dich? - Dahyo! - Wir müssen Lebewohl sagen, bevor es zu spät ist. Du bist schon hinaus über Dimension und Zeit, so wie ich und die Welt, in der ich lebe, sie kennen. Gibt es nicht noch etwas, das ich von dir lernen kann? Ich habe viel gelernt und die Musik dessen gehört, was ist. Ich danke dir. Kannst du mir noch irgend etwas sagen? - Ich kann dich sonst nichts lehren, außer vielleicht eines noch: Du mußt dich schützen, aber auch hinausgreifen. Du hast entdeckt, daß es im Universum Feinde und Freunde gibt. Lernen kannst du von beiden. Du kommst vielleicht sogar dahinter, daß sie dasselbe sein können. - Tec, du hast vorausgesagt, mein Bewußtsein könnte sich mit dem von anderen vereinigen. Würde das nicht bedeuten, daß das Universum lebendig wird, während es stirbt? Glaubst du, wir vom Beta-Universum könnten den Tod besiegen? - Tod ist nur der Beweis und die Erfüllung, daß man ein Individuum ist, sagte Tec. - Er ist die Provinz des Übergangs. In diesem Sinne gibt es wohl nichts zu fürchten. Ihr im Beta-Universum könnt zumindest die große Vereinigung kennenlernen, bevor ihr sterbt. - Im Heiligen Buch der Katzen stand geschrieben: >Sei demütig, und dein Gemüt wird Frieden haben; vergiß nicht, daß du unter den Lebenden bist.< Dort stand noch mehr, aber ich habe es vergessen, sagte Dahyo. Tec dachte darüber nach, welches Buch das sein mochte, und seine Datenspeicher erledigten den Rest. - >Und so empfinde mit allem, was lebt, das zur Erfüllung wächst und dann in die Stille des Einen zurücksinkt, das sie hervorgebracht hat.< - Das war die Botschaft, sagte Dahyo. - Ich beginne zu begreifen. Leb wohl, Tec. Nimm meine Dankbarkeit und meine guten Wünsche. - Leb wohl, Dahyo. 238
Sie waren jenseits der Rückkehrmöglichkeit. Dahyo war fort. Ist so das Sterben? Ich darf nicht sterben! Ich muß dafür sorgen, daß ihnen nichts zustößt! Tec zwang sich, bei Bewußtsein zu bleiben. Mein Körper ist nicht beschädigt, mahnte er sich. Ich mache mentale Höllenqualen durch. Das kann ich beherrschen. Ich muß es beherrschen. Ich muß wissen, ob Astrid in Sicherheit ist. Unter Qualen drang er mit seinen Gedanken in die Maschinerie der Leere-Anlagen ein, suchte er alle Wirkungsfaktoren, jeden Beutel, jedes funktionierende Feld. Sie schienen unbeschädigt zu sein. Astrid. Bis jetzt ungefährdet. Ich werde überwachen. Sonst bin ich nutzlos. Ich habe auf dieser Reise nichts von Bedeutung getan. Welchen Sinn hat meine Existenz? Kann ebensogut sterben, aber wer überwacht dann . . . »Tec! Ich schreie dich an, und du rührst dich überhaupt nicht!« »Drake?« »Mit wem soll ich sonst reden, verdammt noch mal? Was ist los mit dir?« »Krank - bewußtes Sein ist - mühsam .. .« »Natürlich ist es das!« brüllte Drake mit hochrotem Kopf. »Das ist kein gemütlicher Touristenausflug zu den Museen von Neu-Erde! Es ist die größte Tat aller Zeiten, und ich hätte sie nicht für alle Kommandoposten in Beta hergegeben! Bleib du am Leben, weil niemand weiß, wie man einen kaputten RoiissRoboter repariert!« Er stellte die Musik ab und beugte sich vor, um Tec scharf anzustarren. Bin ich defekt? dachte Tec. Oder fühle ich mich nur so? Er sammelte seine geistigen Kräfte gegen drohende Entgleisung, aber es schien aussichtslos zu sein, bis ihm einfiel, daß starre Abwehrlinien brechen und das, was sie verteidigen sollen, mitrei239
ßen können. Er stellte um und verstärkte nur seine Abschirmung, versuchte die Denkstrukturen zu beruhigen. Mit der Zeit schien der Wahnsinn abzuflauen. »Drake, sind Sie immun gegen diese innere Wirkung des Schwarzen Loches?« »Ach Scheiß, ich habe Musik gehört, um mich von dem abzulenken, was in meinem Inneren vorgeht. Du mußt dich auf das Ruhmvolle des Kampfes konzentrieren, Tec.« »Aber ich habe Schwierigkeiten beim Denken . ..« »Ist das alles, was du tun willst - denken? Wenn das wirklich alles ist, wozu du taugst, wirst du uns vor dem Feind nicht retten können.« »Ich bin kein Held«, murmelte Tec. »Was tun wir, wenn Yodin zurückkommt?« »Das tut er nicht, jedenfalls solange nicht, wie dieses schwankende Gleichgewicht zwischen den Kräften des Kerns und der Andersartigkeit des Hyperraums besteht. Komm mir nur nicht in die Quere, wenn ich später darauf abziele, ihn zu vernichten.« »Sind Sie sicher, daß er vernichtet werden muß?« »Er ist böse, hervorgebracht von meinem eigenen Universum. Er korrumpiert unsere Welten und lebt nur seinen Zwecken, er mordet, wann es ihm paßt. Zu Hause in der Föderation würde ich ihn vor Gericht bringen, aber hier geht es primitiver zu. Er muß getötet werden.« Zum erstenmal fiel Tec auf, daß Drakes Gesicht Spuren der Belastung erkennen ließ, Schweiß auf der Stirn, ein Muskelzukken in der Wange. Sein Atem ging schwer. »Kann ich Ihnen helfen, Drake? Sie ertragen die Einwirkungen auf das Innere besser als ich, aber mein Roboterkörper wird länger durchhalten als der Ihre.« »Was hilft das, wenn dein Verstand dahin ist?« »Gar nichts. Ich frage nur, ob Sie mich dazu brauchen können, physische Funktionen aufrechtzuerhalten.« »Wie willst du das machen?« Tec, der schon entschlossen war, Drake von den Mikromessungen zu erzählen, dachte an Astrids Sorge und Heimlichkeit und fragte sich, ob Drake das Durchdringen seiner Abschir240
mung als verräterischen Akt betrachten würde. »Wie Astrid es tun würde, wenn sie wach wäre«, sagte Tec vorsichtig. »Ich wette, sie hat gesagt, du sollst mein Arzt sein, wenn ich einen brauche«, erklärte Drake. »Eine großartige Frau, die etwas anderes verdient als diesen Affen von Mann.« Er sunimte vor sich hin und fühlte sich anscheinend trotz des Brodeins im Schwarzen Loch wohler. »Ich komme jetzt zurecht«, sagte Drake selbstzufrieden. »Verwundbar ist nur mein Herz-Kreislaufsystem, und aus diesem Grund habe ich darin eben einige Veränderungen vorgenommen. Ich lege Wert darauf, die Dinge im Griff zu haben.« Er stand lässig auf und ging im Kontrollraum herum, als suche er ein Opfer, und griff schließlich nach Sams Wasserschüssel, die magnetisch an einer Wand befestigt war. »Schau, was ich mit der Materie tun kann, Tec.« Die Kiefermuskeln wölbten sich, als er seine ganze Konzentration der Schüssel in seiner Hand zuzuwenden schien. Sein Körperleuchten wurde stärker. Die Schüssel zerfiel. Aus dem Wasser wurde Dampf. »Wie haben Sie das gemacht?« »Nicht viel dabei. Ich habe es von einer Galaxie gelernt. Dahyos Körper lebt in erster Linie von Kernreaktionen und atomaren Umwandlungen. Als wir miteinander verschmolzen, habe ich gelernt, wie das geht. Ich hätte die Baby-Galaxie beinahe zu Tode erschreckt, als ich den Umgang mit diesen Feldern lernte und ihn krank machte. Ich zeige es dir.« Drake sprang heran. Seine Hände umfaßten Tecs Kopf. Tec sank zu Boden. Die Höllenqual wurde nicht gelindert durch die Erkenntnis, daß Schmerz in die Nervensysteme von Robotern eingebaut ist, um vor Gefahr zu warnen. Sein Körper schien sich in den federnden Bodenbelag hineinzupressen, als wolle er durch Ship geradewegs hindurch und hinaus in den Mahlstrom des Entsetzlichen, den sie in solcher Gefährdung durchflog. »Wehr dich!« schrie Drake. Im ersten Augenblick glaubte Tec, er könne sich weder kör241
perlich noch geistig wehren, und Drakes Vorführung könne nur mit dem Tod enden. Wehr dich! befahl er sich selbst, aber gegen diesen Übermenschen schien es keine Gegenwehr zu geben, bis er absichtlich kurz sein Bewußtsein ausschaltete und Drake den Griff ein wenig lockerte. Tecs Abschirmungskraft flutete empor. »Hast lange genug gebraucht, dich angemessen zu wehren«, sagte Drake und ließ ihn los. »Wenn du das nicht besser kannst, bist du ein sehr verwundbarer Roboter. Vielleicht ist Yodin auch einer, wenn ich an ihn herankomme.« »Wenn«, sagte Tec, wütend auf sich selbst. Drake ließ sich wieder in seinem Sessel nieder. »Ich muß seinen Kniff, einfach zu verschwinden, verhindern.« »Erwarten Sie nicht von mir, daß ich ihn töte«, sagte Tec. »Ich bin nur eine Maschine, und Yodin kann Maschinen geistig kontrollieren, wenn er will. Er ist vielleicht sogar fähig, mich abzuschalten.« »Großer Beta - kann er Ship abschalten?« »Das wird er nicht tun. Astrid ist an Bord.« »Aber er wird versuchen, die Kontrolle über Ships Gehirn zu übernehmen.« »Er hat schon gesagt, daß er das nicht kann, und ich glaube ihm das. Er scheint nicht fähig zu sein, Denkmuster in verteidigten denkenden Wesen zu ändern, auch wenn er sie in Schlaf versetzen kann, wie er das mit Astrid gemacht hat, oder töten, wie bei Pedlar.« Tec stöhnte. »Drake, ich bin krank. Ich halte das nicht mehr lange aus.« »Du mußt! Oder du gehst in die Leere. Yodin kann dich abschalten, wenn du nicht bei Bewußtsein bleibst und dich verteidigst. Du darfst den Feind niemals unterschätzen, Tec, mußt immer stärker sein als er. Das ist die einzige Abschreckung. Yodin wird uns alle töten, wenn wir ihn nicht vorher umbringen.« »Wenn nur das Töten nicht notwendig wäre«, sagte Tec. »Jetzt gebrauchst du das Wort. Denk nach. Universum Alpha muß gerettet werden, und die Rettung kann nur aus der Vernichtung des Bösen kommen.« Vernichtung. Notwendigkeit. Töten. Notwendig. Ich verliere 242
den Verstand, dachte Tec. Ich will nicht mehr leben. Ich kann nicht mehr lange leben. Ich bin sterblich und werde sterben und habe grauenhafte Schmerzen und w i l l . . . Plötzlich begriff er, daß er sich nicht nur auf seine eigenen Qualen einstimmte, sondern auch auf die von anderen. Ship erbebte bis ins Innerste, und eine andere, noch größere, Pein erfüllte die Struktur ihrer winzigen Welt. »Drake! Ship und der Drache leiden entsetzlich!« »Hilf ihnen! Telepathie ist das einzige, worin du gut bist. Hilf ihnen, wenn du kannst! Das ist ein Befehl.« Tec drang in Ship ein, aber sie schien völlig unzugänglich zu sein. Er versuchte Is'sa zu erreichen. Er scheiterte, versuchte es noch einmal und scheiterte wieder. Mit aller Kraft, die er noch besaß, sprach er in Roiiss zu ihr. »Is'sa! Laß dir helfen! Laß mich hinein! Teil die Qual mit mir, schließ dich nicht völlig ab, um ihr zu entgehen, denn auch du wirst sterben.« »Ich - kann nicht - ich - muß - aufhören .. .« »Roiiss! Klammere dich ans Leben! Laß mich hinein!« Sie antwortete nicht mehr, aber ihre Abschirmung wurde schwächer, und Tec drang in ihr Denken ein, nur um entsetzt zurückzuprallen. Das Grauen! Kein Wesen sollte es ertragen müssen! Die ungeheuren Kräfte, die sie zu durchstoßen versuchten, besaßen eine eigene Souveränität, die Eindringlinge zerfetzte, als sei dieses Schwarze Loch ein lebendiges Wesen und verschlinge Reisende, die sich mühsam halb an den Hyperraum klammerten. Das Schwarze Loch schien sie in sich einzusaugen, wo sie für immer verschwinden würden. Tec versuchte die Schmerzen mit Is'sa zu teilen, aber er konnte nicht feststellen, ob sie ihn wahrnahm, oder ob irgend etwas, das er tat, ihr helfen konnte. Dann dachte er an Yodin, der im Holladay-Tower sang und seine Schiffe und Maschinen am Leben hielt. Tec begann zu singen: 243
»Das Imperium ist tot. Die Roiiss besteh'n. Stamm der Stämme, Erste der Ersten. Überleben trotz allem. Die Roiiss besteh'n.« Drake fluchte. »Mir ist selbst nicht so besonders, und dieses unsinnige Geheule auf Roiiss macht mich wahnsinnig.« Tee beachtete ihn nicht und konzentrierte sich auf Is'sa, spürte endlich, daß sie sich wieder ans Leben klammerte, unangreifbar in einem Kokon der Losgelöstheit, der Qual erdrückte. Er zog sich langsam von ihr zurück und in sich selbst hinein, um sein neutrales Gleichgewicht wiederzufinden, beobachtete wie aus weiter Ferne seine eigenen Sensordaten. So schlecht waren sie während der ganzen Reise nicht gewesen. Der Schmerz nahm zu, dann auch die Entfernung seines bewußten Seins von den Sensordaten. Entsetzen sickerte ein. Schalte ich mich selbst ab? Plötzlich fiel ihm die Musik ein, die er aus Pedlars Würfel gehört hatte, jeder Ton war jetzt von Bedeutung, obwohl er nicht hätte erklären können, was er bedeutete. Er schien im Chaos eine Harmonie zu entdecken und stellte sich die Frage, ob sie in ihm selbst war. Er erlebte nicht die wundersame letzte Freiheit, die in diesen seltenen Augenblicken erreichbar schien, aber sein Gemüt beruhigte sich, seine Hirnstrukturen heilten, und er spürte keine Schmerzen mehr.
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Teil VI
Seine Augen öffneten sich, und er sah, daß er im Kontrollraum allein war. Jemand rief seinen Namen. »Tec! Hier spricht Ship. Wach auf!« »Was ist, Ship?« »Wir sind durch die Hölle gegangen und wieder herausgekommen, und du warst eine große Hilfe. Bist die ganze Zeit in Trance am Boden gesessen, während ich alles selbst machen mußte und beinahe gestorben wäre . . . « »Wo ist die Roiiss? Lebt Is'sa noch?« »Sie ist um mich gewickelt und schläft. In Sicherheit, wenn das alles ist, was dich interessiert. Wir sind aus dem Kern hineingeplatz ins Alpha-Universum, das ein grauenhaftes kosmisches Ei ist und mich beinahe das Leben gekostet hätte, falls das jemanden berührt.« »Aber wir sind wieder im Hyperraum«, sagte Tec und starrte in das eigenartige Grau auf dem Sichtschirm. »Wo sollten wir sonst sein? Ich bin sofort ganz in den Hyperraum übergetreten, wie es mir einprogrammiert war. Du hast doch nicht geglaubt, wir könnten in Alpha bleiben, oder?« »Aber was ist mit Drake?« »Am Ende hielt sogar sein großartiger Körper die Belastung nicht mehr aus, und ich ließ ihn von meinen Matrosen in die Leere legen. Es war seltsam, ihn zu sehen . ..« Ihre Stimme verklang, und Tec war sofort hellwach. »Was heißt das? Was ist passiert?« 245
»Nichts. Das heißt, das glaube ich wenigstens. Nur scheint sein Körper an Gewicht und Energie zuzunehmen, als nähme er sie sogar von Alpha auf. Er wird immer stärker.« »Und was ist mit den anderen? Sind die Leere-Anlagen ...?« »Natürlich sind alle intakt. Hast du gedacht, ich falle aus? Ich soll dir jetzt auftragen, den Kapitän aus der Leere zu holen, damit ihr euch besprechen könnt. Wir brauchen ihn. Lune und Yodin haben den Übergang ebenfalls bewältigt und sind mit uns hier im Hyperraum.« Tec hatte das Gefühl, auch das Letzte überstanden zu haben. Alles, was er tun wollte, war, Astrid zu wecken und sich von ihrer Mikro- wie Makrostruktur beruhigen zu lassen, aber er stand pflichtgemäß auf und stapfte durch den Korridor zur Leere-Anlage. Erst dann kam ihm der Gedanke, daß das Verfahren der Logik entbehrte und Ship möglicherweise gelogen hatte. »Warum hast du den Kapitän nicht selbst herausgeholt? Deine Matrosen können das doch alles übernehmen. Hat er diese Anweisungen nicht gegeben? Warum willst du, daß ich das mache?« »Bitte, Tec.« Er ging betroffen weiter, bis seine Intuition auf die Mutmaßung kam, Ship bedürfe des Glaubens, sie könne sich auf einen anderen Roboter stützen, und sei es nur für nebensächliche Aufgaben. Sie hatte eben etwas bewältigt, was noch kein Schiff aus dem Beta-Universum hatte tun müssen, und fühlte sich allein, ohne ein freundschaftlich verbundenes Wesen, das die Entsetzlichkeit mit ihr teilen konnte. Er fühlte sich schuldbewußt. Er hatte mehr Anstrengungen unternommen, dem Drachen zu helfen, und rasch aufgegeben, als Ship nicht zu erreichen gewesen war. Drake sprang aus der Leere-Box, als hätte ihn die Beanspruchung im Kern niemals mitgenommen, und raste in den Kontrollraum, um Lune in Augenschein zu nehmen. Er strahlte eine Energie aus, die Tec dazu veranlaßte, zurückzuweichen. »Soll ich Freyn und Astrid wecken?« rief Tec ihm nach. »Nein. Wir brauchen sie jetzt nicht. Sie behindern uns beim Kampf nur.« 246
Kampf? dachte Tec und errinnerte sich dumpf an den Feind, den Lune mittrug. Ich bin nicht in der Stimmung für einen Kampf. Er ging zur Leere-Anlage zurück und setzte sich zu Astrids Gerät. Liebe Astrid. Ich bin ein großer Versager. In meinem ganzen Dasein hatte ich noch nie Lust zu einem Kampf. Ihr Gesicht sah so friedlich aus, daß er sich wohler fühlte. Er dachte an seine Liebe für sie, wurde ruhig und öffnete sein Inneres. Rings um ihn war Ships Körper lebendig und an der Arbeit, und rings um sie lag der Drache und wartete. Lune war in der Nähe, Yodin am Leben. Drake fluchte und wartete auf Yodins nächsten Schritt. »Was, zum Teufel, treibst du, Tec? Greif in den Hyperraum hinein und such die anderen Drachen! Ship hat sie nicht gefunden.« Drakes Befehl tönte laut und deutlich aus dem Lautsprecher, aber Tec rührte sich nicht. Ich bin ohne Bedeutung, dachte er. Die im Beta-Universum entwickelten Roboter- und Menschengehirne sind dem meinen überlegen, und ich besitze nicht den Ehrgeiz, zu kämpfen und das zu erringen, was zu erringen ich versuchen sollte. Astrid blieb schön und stumm, eine unerreichbare schlafende Prinzessin. Drakes Stimme schrie: »Tec, mach dich gefälligst nützlich! Is'sa ist von der Reise immer noch bewußtlos! Wir müssen die anderen Drachen vor Yodin finden!« Tec blieb neben Astrid sitzen, bemüht, seine Emotionszentren zu beruhigen. Er wußte, daß er nicht meditieren konnte und in einen Zustand der Niedergeschlagenheit und Hilflosigkeit hineinglitt, der in wirksamer lahmlegen würde als jeder Eingriff von außen. Wir haben es erreicht, dachte er. Wir sind hier. Ein neues Universum, das auf seine Geburt wartet - wir brauchen es uns nur zu nehmen, aber ich will es nicht versuchen. Habe ich solche Angst vor den Roiiss? Immer noch? Er kannte die Antwort. Er hatte versucht und vielleicht erreicht, daß Is'sa die Reise durch das Schwarze Loch überlebte, 247
um in einem anderen Universum unsterblich sein zu können. Also war er ein Narr. Würden ihn die Roiiss nicht versklaven? »Tec!« »Ja, Drake. Ich will versuchen, sie zu finden. Bitte, laß mich jetzt einen Augenblick in Ruhe. Ich habe mich vom Schwarzen Loch noch nicht ganz erholt und muß allein sein, um mich konzentrieren zu können.« »Beeil dich! Is'sa wird wach und stellt sich wieder her, damit sie nach Oiir und dem anderen weiblichen Drachen suchen kann. Sobald sie stark genug ist, wird sie zu ihnen gehen, und die beiden weiblichen Drachen werden kämpfen.« »Ja.« Tec blieb sitzen und starrte Astrid an, erinnerte sich daran, daß der Fötus in ihrem Schoß zum Teil von ihm stammte und er deshalb alles tun mußte, um Expedition Alpha zu retten, aber in Wirklichkeit wäre er viel lieber in die Leere-Box neben ihr gestiegen, um Vergessen zu finden. »Ich bin ein Roboter«, flüsterte er. »Ich muß meine Pflicht tun.« Er sondierte. Im Hyperraum war das immer schwierig gewesen; jetzt schien es noch mehr Mühe zu kosten. Er versuchte es weiter, suchte Lune ab, fand das Leerefeld dort unbeschädigt, und auf der Terrasse des Holladay-Tower schlief Yodin in tiefer Erschöpfung, die zugleich menschlich und roboterhaft war. Tec weckte ihn nicht durch Telepathie. Neben Yodin lag der Roboterrabe Hugi, tot. Tec suchte mit seinen Gedanken weiter, hinaus in den Hyperraum, so weit er konnte, ein Prozeß, der schon an sich belastete, weil der Hyperraum dimensionslos und zugleich unendlich war, leer und doch vollgepackt. Tec konnte die beiden anderen Drachen nicht finden. Er wollte sich schon zurückziehen und in den Kontrollraum gehen, als er eine geistige Berührung spürte. - Eine Botschaft für Tec. - Wer greift durch den Hyperraum, um mich zu berühren? fragte Tec entsetzt. - Der vereinigte Geist des Beta-Universums. - Vereinigt? 248
Aber das gab es nicht! Wie konnte das sein . . . und auf einmal begriff Tec, daß er nicht alles logisch durchdacht hatte. Im Universum, das er eben verlassen hatte, würde und konnte nichts mehr beim alten sein. Zwar erlebten Reisende in einem Schwarzen Loch nur eine kurze Zeitspanne, aber für einen Beobachter im Beta-Universum würden Millionen Jahre vergangen sein. - Wie kannst du zu mir sprechen, Universum Beta? - Wir sind im Hyperraum und sprechen durch ihn zu dir. Du hast einen Teil von uns als Dahyo gekannt und darfst uns so nennen. - Dahyo! Du lebst noch? - Die äußere Galaxie namens Dahyo ist lange tot. Das äußere Beta-Universum, sein Raum-Zeit-Materie-Energie-Komplex, ist fast völlig zusammengestürzt und ins kosmische Ei von Alpha geronnen. Alle protoplasmischen Lebensformen, alle Planeten sind lange tot. - Wer bist du dann jetzt, Dahyo? Ich verstehe nicht. - Verständnis wird schwer sein für dich, kleiner Tec, aber wir haben uns entwickelt zu einer subtilen Konfiguration im Hyperraum und sind bereit, aus dem unendlichen Potential des Alls unser eigenes Doppeluniversum erstehen zu lassen. - Aber wer ist das >Wir<, von dem du sprichst? - Der Geist aller denkenden Formen, die sich im Beta-Universum entwickelt haben. Der Geist von Kleinen wie du und Großen wie Dahyo verschmolz, als Beta zusammenstürzte, und bevor wir in unserem vergehenden Universum starben, prägten wir unsere Konfigurationen dem Hyperraum ein - oder vielmehr: Wir kamen zu der Erkenntnis, daß wir dort ohnehin schon waren. - Die Kräuselungen begriffen, daß sie Teil der Wasseroberfläche sind, Dahyo? - So ungefähr. Bald werden wir im Hyperraum unser eigenes Universumpaar beginnen und, sobald wir ein Teil davon sind, mit dir nicht mehr sprechen können. Tec, der sich tapfer bemühte, zu verstehen, fragte: - Lebst du dann als ein neues Universum weiter? Wirst du von Anfang an ein denkendes Wesen sein? 249
- Das wissen wir nicht. Die Vielfalt der Formen, aus denen wir uns entwickelt haben, lehrte uns, daß der Plan des Daseins Sinn in Beziehungen findet. Wir entdecken vielleicht, daß der lebende Organismus eines Universums sich langsam aus einem komplexen Geflecht des Lebens entwickeln muß. Tec fühlte die Sehnsucht, mit Dahyo zusammenzusein, dort zu leben, wo jeder lebende Planet Teil einer denkenden Galaxie sein mochte, wo niemand sich je allein fühlen würde. Dann spürte er, daß Dahyo seine Gedanken las. - Wir können dich nicht mitnehmen, Tec. Nur unsere Gedanken können deine Gedanken finden, und auch das nicht lange. Bald werden wir Teil unseres eigenen Normalraum-Kontinuums sein. Wir können in das von Alpha nicht gelangen, aber wir wünschen dir Glück darin. - Aber du gibst deinen neuen Universen so viel! rief Tec. - Ich will alles wissen. Du wirst sein wie ein G o t t . . . - Nein, Tec, denn das würde die Fortentwicklung des Lebens aufhalten. Wir wollen unserem neuen Universum nur unsere zweifache Freude mitteilen. - Welche ist das, Dahyo? - Die verschiedenen Intelligenzen, die sich vereinigt haben, um uns entstehen zu lassen, entdeckten in ihren einsamen Individualitäten die Freude, gleichzeitig Teil des Einen im Kosmos zu sein. - Und die andere Freude? Dahyo schien ein Glücksgefühl, eine Einfachheit auszustrahlen, die Tec betäubte. - Es ist ein ganz gewöhnliches Wort, Tec. Eine gewöhnliche Freude, auf jeder Stufe des Daseins zu finden, anwendbar auf das Abenteuer der Gemeinschaft des Lebens. Es ist die Freude, nützlich zu sein. - Ja. Ich weiß, sagte Tec. - Leb wohl, Tec. - Ich wünsche dir Gutes, Dahyo. Er saß da und dachte an das Beta-Universum, das tot war und doch nicht tot. Es war ihm für immer genommen, und trotzdem spürte er keinen Verlust. In irgendeiner Form existierte es ir250
gendwo in der Wirklichkeit genauso wie ein kleiner Roboter namens Tec. Er stand auf, entschlossen, sich ebenfalls nützlich zu machen, und sah auf einmal, daß er nicht allein war.
»Yodin ist an Bord!« schrie Ship. »Meine Sensoren sagen, er ist in dem Raum aufgetaucht, wo du bist!« »Ich sehe ihn«, sagte Tec. Yodin stand auf der anderen Seite von Astrids Leere-Gerät, in den Umhang gewickelt, den Blick auf ihr Gesicht gerichtet. »Ich kann den Kapitän nicht erreichen«, sagte Ship, »und ich muß . ..« Ihre Stimme brach mit einem Krächzen ab. »Yodin, Sie haben Ship etwas angetan!« »Nein, nur die Sprechanlage abgeschaltet, damit sie den Mund hält.« »Was wollen Sie?« »Ich werde immer gefragt, was ich will. Nach mehreren unerfreulichen Äonen davon frage ich mich das langsam auch.« Tec wandte sich ab und wollte gehen. »Sinnlos, Tec. Ich habe Drake im Kontrollraum eingesperrt, das Lebenserhaltungssystem dort abgeschaltet und zur Sicherheit Giftgas hineingeleitet, weil du beinahe so gut wie ich Türen öffnen und auf Maschinen einwirken kannst.« »Halt ihn auf, Ship!« »Sie kann nicht«, sagte Yodin. »Ich habe ihre mobilen Geräte und ihren Kontakt zum Kontrollraum stillgelegt. Nur schade, daß ich sie so intelligent und unabhängig geschaffen habe, denn sie akzeptiert mich nicht als Kapitän, und ich kann ihr Gehirn jetzt nicht mehr verändern, ohne die Abschirmungen und die Leere-Anlagen zu gefährden.« Tec, der die ganze Zeit über innerlich fieberhaft arbeitete, um das Gas im Kontrollraum abzuschalten, sagte: »Welche Rolle spielt es, wer das Kommando hat, wenn wir einander alle helfen 251
müssen, um in Alpha überleben zu können?« »Du bist ein Narr, Tec. Für Drake spielt es eine.« Während Tec seine Chancen berechnete, hinauszugelangen, schmolz die Tür des Leere-Raumes, und Drake ragte in der Öffnung wie ein rächender Stammesgott empor, der nackte Körper riesig und leuchtend, sein gemeißelter Schädel hell wie die Rechtschaffenheit. »Gruß, Mensch«, sagte Yodin. »Du bist an der Reihe, Mörder«, sagte Drake. »Mein Talent im Töten scheint eingerostet zu sein«, meinte Yodin. Die beiden Riesen begannen einander zu umkreisen und abzuschätzen. Tec griff telepathisch zu Ship hinaus. - Halt sie auf, Ship! - Der Kapitän hat zu bestimmen, und ich bin angewiesen, mich nicht einzumischen. - Wenn sie miteinander kämpfen, vernichten sie uns vielleicht alle. Halt sie auf. - Ich kann nicht. Meine Matrosen sind stillgelegt, und ich kann mich nur telepathisch verständigen, womit Drake sich nicht mehr abgibt. Du mußt die Kommunikatoren reparieren und den Kampf verhindern, wenn du glaubst, das s e i . . . - Notwendig. Ich weiß. Plötzlich stürzte Drake sich auf Yodin, traf aber nur leere Luft und fuhr wutentbrannt zu Tec herum. »Sondieren, verdammt! Find ihn für mich!« Tee begann seine Gedanken hinauszupressen, zuckte aber entsetzt zurück. »Drake - Beta ist tot, und das kosmische Ei von Alpha ist groß genug, um zu explodieren. Das neue Universum ist im Begriff, zu entstehen.« »Sofort die Maschinen instandsetzen, Tec. Yodin darf nicht seine technischen Fähigkeiten mit denen der Roiiss verbinden, um die Entwicklung von Alpha zu beherrschen. Verdammter Mist, alle Entscheidungen muß ich treffen!« brüllte Drake im Hinausgehen. 252
Tec reparierte hastig Ships Matrosen, die den Rest übernahmen. Er fand Drake ungeduldig wartend im Kontrollraum. Er starrte auf den Sichtschirm, als könne er Wahrheit verkünden. »Beeil dich, Tec, und finde Yodin!« Tecs Inneres scheute vor der nächsten Begegnung zurück. Er erinnerte sich an den albernen, eifrigen kleinen Y-I -Roboter, der es weit hatte bringen wollen. Pedlars altes Gesicht stieg vor ihm auf, und mit ihm die Neugier. Was in Pedlars ungeschütztem Denken hatte Yodin veranlaßt, ihn zu töten? Hatte das Sicht-Ei einen gefährlichen Blick auf Yodins Potential gestattet - und konnte es auch verstärken, was es zeigte? »Ich kann nicht warten«, murmelte Drake und stand auf. »Ich muß hinaus und als erster angreifen.« »Ohne starke Abschirmung können Sie im Hyperraum nicht überleben«, mahnte Tec. »Die Roiiss können es. Yodin kann es. Vielleicht habe ich es auch gelernt. Ich will den Holladay-Tower mit Yodin darin vernichten.« »Nein! Sie zerstören das Leerefeld von Lune. Solange während der Evolution von Alpha sich Planeten nur langsam bilden, brauchen Sie Lune, um dort zu leben, weil Sie sonst hierbleiben und in der Leere warten müssen.« »Während Yodin die Freiheit hat, seine Unsterblichkeit damit zu verbringen, daß er das Universum so formt, wie es ihm gefällt? Ich muß einen Weg finden, zu verhindern, daß er in den Hyperraum entkommt.« Drake setzte sich wieder und zog die Brauen zusammen. »Is'sa!« »Ich bin hier«, sagte der Drache schwach. »Ich muß mich verwandeln .. .« Riesige Purpurschuppen preßten sich auf die durchsichtige Wand, und ihre Stimme klang drängend aus dem Kommunikator. »Nimm mich ein Stück des Weges nach Alpha hinein mit, Drake. Ich bin zu schwach, um allein zu gehen.« »Wir können nicht in das kosmische Ei hinein«, erwiderte Drake. »Oiir ist mein Gefährte, und er ist dort allein, weil meine Riva253
lin die Reise durch das Schwarze Loch nicht überlebt hat. Ich flehe dich an, nimm mich mit, damit ich ihm helfen kann.« Drake zog die Schultern hoch, und Ship glitt zum Teil in die lohende, von Gravitation beherrschte Kondensation, wo es Raum-Zeit-Materie-Energie nicht gab, nur ein undifferenziertes Kraftfeld, schwanger von Potential. »Wie lange noch, bis das kosmische Ei sich ausdehnt?« fragte Drake. »Die Berechnungen zeigen, daß es jederzeit explodieren kann«, antwortete Ship. »Ist Yodin dort?« »Nein«, sagte Tec. »Ich weiß nicht, wo er ist.« »Oiir braucht Hilfe, und ich bin schwach!« kreischte Is'sa. »Rekonstruier das auf dem Schirm, Ship!« befahl Drake. »Ich kann draußen überhaupt nichts sehen.« Der Schirm flackerte und gerann zu einer unterscheidbaren Drachenform. Drake beugte sich vor und starrte sie prüfend an. »Ist das Is'sa, die so flach daliegt?« »Nein«, sagte Tec im Sondieren. »Is'sa hat sich kleiner gemacht und reitet auf Ship, um Kraft aus uns zu beziehen. Der Drache da ist Oiir, ein dünner Keil geformter Energie am Rand der kosmischen Dichte.« »Er zerfällt«, sagte Is'sa. »Rette ihn, Drake. Tu für ihn, was du getan hast, um mein Leben in Dahyos Vakuole zu retten.« Drake lächelte. »Wozu sollte ich das tun?« »Ich liebe ihn.« »Das ist sehr bedauerlich. Ich erhalte keine Energie mehr von Dahyo, kann dir also leider nicht helfen, Is'sa.« »Sie lügen, Drake«, sagte Tec. »Sie haben jetzt mehr Kraft und könnten sie durch Ship einsetzen.« »Ich kann meine Kraft nicht dafür verwenden, Drachen zu retten, die für mein neues Universum eine Gefahr sein könnten. Zuerst muß ich Yodin besiegen.« Is'sa glitt von Ships Rumpf in den Raum, der nicht Raum war. »Ich werde Oiir retten, und dann töten wir dich für deinen Verrat, Drake.« 254
»Wessen Verrat?« sagte Drake verächtlich. »Du hast dich stets mit Yodin verbündet.« Sie fauchte, und ihre gespaltene Zunge schnellte hinaus. In der Rekonstruktion auf dem Bildschirm bewegte ihr Abbild sich auf Oiir zu. Sie glitt neben den anderen Drachen, als wolle sie ihre Körperenergien mit ihm teilen. »Jetzt sind sie verwundbar«, erklärte Drake. »Wir können sie beide gleichzeitig erledigen. Drachen sind für mich nicht mehr von Nutzen. Ship, ich befehle dir, sie zu vernichten.« Tec schob sich mit aller Kraft, die er besaß, geistig in Ships Arsenal und schaltete die Waffen ab. »Tec verhindert, daß ich Ihrem Befehl gehorche, Kapitän.« »Warum?« brüllte Drake. In seinen Augen flammte der Zorn, dem Tec vor langer Zeit einmal in den Augen der Roiiss-Ältesten begegnet war, als sie versucht hatten, ihn zu töten. »Sie dürfen sie nicht hinmetzeln, wenn sie wehrlos sind, Drake. Sie leiden - spüren Sie das nicht?« fragte Tec. »Ich weiß nur das, was ich tun muß«, sagte Drake und näherte sich Tec. »Warten Sie«, sagte Tec und wich an die Wand zurück. »Haben Sie kein Mitgefühl?« Drake schloß die Augen. Sein Unterkiefer erschlaffte, und einen Augenblick lang sah er alt aus. Er sprach flüsternd. »Ich werde nie mehr verzeihen, nie mehr vertrauen - niemals mehr - o Beta, ich bin so allein!« »Ich bin hier«, sagte Tec. Drake hörte ihn nicht. »Allein. Niemand stärker als ich - der Ingenieur dahin, die Göttlichkeit dahin - ich muß mein eigener Gott sein . . .« »Drake!« Der Kapitän schauderte, als erwache er aus einem Alptraum; seine Lippen zitterten. Dann richtete er den Blick auf Tec, straffte die Schultern und spannte die Gesichtsmuskeln an. »Wovon hast du gesprochen, Tec?« »Vom Leiden . . .« »Nicht wichtig. Es ist an der Zeit, logisch zu sein. Die Drachen gehören vernichtet, bevor sie ihre Unsterblichkeit im neuen
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Universum wieder aufnehmen, denn sie haben den Ingenieur verdorben, als er ein junger Roboter war. Nun sind die Roiiss und Yodin wie Tropfen des Bösen, die das neue Universum vergiften. Wir müssen sie loswerden, bevor sie aus Alpha das machen, was sie wollen, nicht das, was uns vorschwebt.« »Vielleicht haben Sie recht, aber ich kann an dem, was in meinen Emotionszentren vorgeht, nichts ändern«, erwiderte Tec. »Ich wußte nicht, daß es so kommen würde. Ich wußte nicht, daß ich dieses Mitleid für die Drachen empfinden kann.« »Du Roiiss-Roboter!« zischte Drake, als die Wut in Gesicht und Stimme wieder hochstieg. »Ich hätte dich nie aus der Leere fernhalten sollen. Ich hätte nie erlauben dürfen, daß du Expedition Alpha begleitest. Hör auf mich! Sei logisch! Gib die Waffen frei!« »Kapitän!« unterbrach Ship. »Sehen Sie, was vorgeht.« Sie starrten auf den Sichtschirm. Der größere Drache verwandelte sich und erreichte die Größe Is'sas. Langsam stabilisierte er seine Form, wurde schwerer und fester. Sein Kopf war größer und dunkler als der von Is'sa, seine Zähne waren gezackte Fänge. Er starrte dumpf in die Sensoren von Ship, Äonen von Wut und Qual im Drachengesicht. »Ich bin Oiir. Helft uns. Wir sind die letzten Drachen.«
Oiirs purpurroter Körper wand sich langsam um seine Gefährtin, während er Ship anblickte. »Ich habe so lange gewartet. Habe ich nicht das Recht auf Existenz?« »Gib die Waffen frei, Tec!« wiederholte Drake. »Wir sind schwach und alt«, rief Is'sa. Ihre Worte wurden von den telepathischen Sensoren Ships aufgenommen und in die Kommunikatoren eingespeist. »Wir sind für euch keine Gefahr.« Ich kann potentielle Gefahr nicht beurteilen, dachte Tec, wäh256
rend er spürte, wie sich sein mentaler Zugriff bei den Waffen lockerte. Wenn ich die Waffen Drakes Kontrolle überlasse, brauche ich mir nie mehr Sorgen wegen der Roiiss zu machen. »Oiir ist meine Liebe.« Es war wie eine Totenklage, die durch das Nichts wehte. »Rette uns, Tec!« »Tec hat meine Waffen noch nicht freigegeben«, sagte Ship. »Menschen können nicht mit nicht-protoplasmischen Drachen leben, die sich von Energie ernähren und durch den Hyperraum fliegen«, sagte Drake, die Riesenhände wie Klauen erhoben, um Tec zu packen. »Noch einmal: Gibst du die Waffen frei?« »Aber die Macht in uns ist vielleicht gefährlicher .. .«, begann Tec. Drake schüttelte den Kopf. »Wir brauchen jede Unze Macht in uns, um das nächste Universum zu beherrschen. Wenn wir sie am Leben lassen, werden diese Drachen sich paaren. Das Alpha-Universum muß meiner Art gehören, nicht der ihren. Ich vermute, du liebst Astrid - die Drachen werden sie und ihre Kinder schließlich töten.« Das von Drakes Körper erzeugte Feld versengte Tecs Denken und trübte ihm den Blick, so daß er nicht sicher sein konnte, auf der anderen Seite des Raumes eine Bewegung wahrgenommen zu haben, bis eine andere Stimme zu sprechen begann. »Drake, Mit-Terraner, der Roiiss-Roboter ist nicht wichtig, und die Drachen kannst du ruhig vergessen, weil sie den Urknall, der jeden Augenblick bevorsteht, vielleicht nicht überleben werden«, sagte Yodin. Er lehnte lässig an der Rückwand des Kontrollraumes. Drake drehte sich um, seine Augen wie Lampen, von kaltem, grünem Feuer erhellt. »Sie und Is'sa rechnen damit, am Leben zu bleiben, Yodin. Sie haben alles geplant, einen Kapitän ausgewählt, von dem Sie glaubten, Sie könnten ihn beherrschen, ein Sicherheitsfaktor für den Fall, daß mit Ship etwas nicht in Ordnung war, entbehrlich, sobald Sie hatten, was Sie wollten.« »Vielleicht«, sagte Yodin. »Jetzt ist es nicht mehr wichtig, weil das Problem sich auf eine Konfrontation zwischen zwei Arten 257
von Wesen, zwei Träumen von der Macht reduziert hat. Auf Sie und mich, Drake.« »Sie - und mich -«, sagte Drake stockend. »Ich bin - allein!« »Sie sind nicht allein, solange Sie einen Herausforderer von gleicher Stärke haben«, sagte Yodin, »selbst wenn er Sie töten will. Das verleiht unserer Beziehung eine gewisse Intimität, Kapitän.« »Nein!« Drakes Hände schienen eine fremdartige Energie auszustrahlen. Davon erreichte Tec so viel, daß er sich anstrengen mußte, eine innere Desorganisation zu verhindern, aber Yodin wurde voll getroffen. Yodin lächelte schwach, und Tec begriff, daß er seine Abschirmungen seit ihrer Begegnung auf dem Holladay-Tower verstärkt haben mußte. Drake fluchte, sprang Yodin an, und beide verschwanden. »Schau auf den Sichtschirm«, sagte Ship. Zwei ineinander verkrallte Gestalten tauchten auf den sich windenden Drachen auf und verschwanden erneut. »Yodin schnellt in den Hyperraum und wieder hinaus, um Drake abzuschütteln«, sagte Tec. »Der Kapitän hat gelernt, draußen ohne Raumanzug zu überleben.« »Aber sie kämpfen mit den Händen gegeneinander, wie Primitive«, sagte Ship. »Warum?« »Ihre Gehirne sind vor den mentalen Kräften des jeweils anderen abgeschirmt, und ihre physische Kraft ist so ausgeglichen, daß jeder versuchen muß, die Körperfunktionen des anderen zu zerstören.« »Wir sollten dem Kapitän helfen, Yodin zu töten«, sagte Ship. »Es ist notwendig, nicht wahr?« Tec antwortete nicht. Eine durch ihre Geschwindigkeit nur undeutlich erkennbare Gestalt schoß in die Drachen hinein, und das Bild wurde von Energiezuckungen gestört. »Antworte, Tec! Hilfst du dem Kapitän, wenn er dich braucht?« fragte Ship zornig. »Das einzige, was ich tun kann, ist, ihn zu heilen, wenn er verwundet ist. Astrid hat mir die Mikromessung von Drakes gesam258
ter Struktur gegeben . . . « »Vorsicht, Tec!« rief Ship. »Gib mir die Mikromessung«, sagte Yodin. »Drake tötet die Roiiss, und ich muß ihn aufhalten.« »Das könnte richtig sein . . . « »Richtig? Falsch? Kannst du leidenschaftslos wählen?« Yodin sank an die Wand. »Drake will nicht die Unsicherheit, mit uns allen leben zu müssen - Roboter und Tier, Is'sa und Oiir. Er will ein Gott sein in einem Universum, das sein begrenzter Horizont ertragen kann.« »Sind Sie besser? Wollen Sie das nicht auch?« fragte Tec. »Ich habe in Pedlars verdammter Sicht-Maschine mein Potential erkannt, mich in seinem Gehirn so gesehen, wie ich bin. Der potentielle Mörder hat sich bestätigt, aber das bewirkte nichts, als mir beizubringen, was ich nicht bin.« »Nämlich?« »Ein Gott.« »Sie wollen es immer noch«, sagte Tec. »Ja«, erwiderte Yodin. »Das ist das Ironische. Tja, Tec, du hast die entscheidende Waffe in deinem Besitz, also mußt du zwischen mir und Drake wählen. Entscheide.« Plötzlich lösten sich beide Drachen von Drake und verschwanden. Yodin grinste. »Sie sind ganz in den Hyperraum gegangen, um ihre Wunden zu lecken und zu versuchen, am Leben zu bleiben, bis ihr neues Universum für sie verfügbar ist.« »Überleben jederzeit«, sagte Tec. »Die Roiiss bestehen?« »Tee, du bist ein schnatternder, nutzloser Schrotthaufen! Während du überlegst, steht ein Universum auf dem Spiel. Ich muß es selbst tun.« Yodin verschwand und tauchte in der schimmernden Zwischenschicht auf, wo Ship sich mühsam hielt. Er und Drake berührten einander, und das Bild verschwamm erneut. »Ihre Energien haben meine Abwehr geschwächt«, stöhnte Ship. »Meine Fähigkeit, die Passagiere zu schützen, könnte zerstört sein. Kapitän Drake muß gerettet werden.« 259
Dann geschah etwas Ungewöhnliches. Ship wiederholte die Worte, aber in anderer Anordnung: »Muß Kapitän Drake gerettet werden?« Wind fauchte durch den Kontrollraum, als die beiden Giganten wieder auftauchten und Luft verdrängten. Yodin wirkte in Drakes Griff schwächer, beinahe kraftlos. - Geh dazwischen, sagte Ship in Tecs Gehirn. - Yodin kann vermutlich nicht aus mir hinaus, und im Inneren zerreißen sie mich. - Und wenn es keine perfekte Antwort auf deine letzte Frage gibt? fragte Tec. - Ich bin nur ein Schiff und kann die Frage nicht selbst beantworten, aber wenn sie nicht aufgehalten werden, sterben wir alle. Du mußt entscheiden. Tec ging auf sie zu, aber tödliche Energien schleuderten ihn zurück. In Verzweiflung über seine Hilflosigkeit, von Unentschlossenheit hin- und hergerissen, griff er hinaus zu ihren Gehirnen, fand aber nur Yodin. - Er tötet mich, Tec. Du wirst doch einen rechtschaffenen Gott bekommen. - Ich habe Menschen geholfen, ihr Potential zu erfüllen und Superroboter wie Sie und übermenschliche Mutanten wie Drake zu erschaffen. Soll es für mich eine Rolle spielen, wer sterben muß? Drake wird das Universum beherrschen, wie die Menschen es immer gewollt haben. - Nicht alle. Astrid und Freyn sind damit zufrieden, Teil des Universums zu sein, ohne es zu beherrschen. Sie wollen, daß alle Lebewesen, auch Roboter, wachsen und gedeihen und sie selbst sind. Vielleicht wird im Alpha-Universum der nächste Schub Superroboter und Übermenschen besser. - Beherrscht von Ihnen als Gott, statt von Drake? - Ich weiß nicht. Ich verspreche nur Ungewißheit. Kannst du es wagen, einem Großschurken zu vertrauen. Ich gebe nicht vor, ein Held zu sein. Tec schwieg einen Augenblick, dann sagte er: - Es ist traurig, daß man Helden nicht immer trauen kann. Ich habe meine Entscheidung dazu getroffen, was notwendig ist. Öffne dich mir, Yodin. 260
Sie vereinigten sich. Als Drakes Kraft tödliche Gewalt auf Yodins Robotergehirn ausübte, blockierte Tec sie. - Wir sind eins, sagte Yodin-Tec. - Nimm die Mikromessung von Drakes Körper, sagte TecYodin. Es geschah. - Geh jetzt, Tec. Ich muß tun, was ich tun muß. Yodin stieß Tec aus seinem Gehirn und schleuderte ihn in die Bewußtlosigkeit.
Als das Bewußtsein zurückkehrte, öffnete Tec die Augen und sah, daß sich im Kontrollraum nichts mehr rührte. Ein Gigant lag am Boden, der andere saß neben ihm, den Kopf auf die Knie gebeugt. »Ist Drake tot?« fragte Tee. »Ja«, sagte Yodin. »Der Kapitän ist dahin, der Held ist tot«, intonierte Ship, als trage sie eine Litanei vor. »Ship«, sagte Tec, »du mußt wissen, daß ich die Verantwortung trage. Ich habe die Entscheidung getroffen und die Waffe des Wissens besessen.« »Ja, Tee«, sagte sie, »aber ich glaube, ich verstehe.« Yodin verzog das Gesicht. »Da sind wir drei nun, alle noch am Leben. Wir könnten die Szene >Die Rache des Roboters< nennen. Vielleicht wäre sie unter dem Titel >Göttlichkeit erneut vereitelt< sogar noch besser zu verkaufen.« »Nicht ganz«, sagte Tec. »Noch ist mit deiner potentiellen Göttlichkeit fertigzuwerden.« »Bist du stark genug, dich darauf einzulassen, Tec?« Yodin stand mühsam auf. »Vielleicht bist du es, bei meinem Zustand jetzt. Du scheinst ziemlich viele von meinen Kräften übernommen zu haben.« 261
»So ist es«, erwiderte Tec. »Was wirst du damit machen?« »Ich habe noch nicht entschieden.« »Das glaube ich«, sagte Yodin. »Tec, der Vorsichtige. Ein geeigneter Lehrer für Astrids Kinder, vermute ich, obwohl du im Augenblick nur ein benommener Roboter bist, der auf dem Boden eines anderen Roboters namens Ship sitzt und einen dritten Roboter sterben sieht.« »Vielleicht kann ich dich heilen, Yodin«, sagte Tec sorgenvoll. »Gib dir keine Mühe. Ich weiß eine bessere Lösung. Sind die Drachen im Hyperraum geblieben?« »Ja«, sagte Tec, nachdem er sondiert hatte. »Dann sind sie sicher.« »Sag mir, warum du sie schützen willst«, verlangte Tee. Yodins langes, dunkles Gesicht zeigte einen versonnen-spöttischen Ausdruck. »Welten sterben, aber du bleibst immer neugierig, Tec. Vielleicht ist es das, was dich vor den Torheiten bewahrt, zu lange zu leben, zuviel zu lernen und zu mächtig zu werden. Du bleibst jung - und demütig. Ich beneide dich um deine Demut, aber vielleicht hast du mir davon auch etwas beigebracht.« Tec lächelte. »Du hast meine Frage nicht beantwortet.« »Vielleicht ist der Y-I -Roboter, der ich einmal war, zum Teil ein Roiiss geworden. Alles, was ich weiß, ist: Nachdem ich Is'sa gefunden hatte, lernte ich Drachen gernhaben, als wir im Lauf der Jahrtausende an dem Problem arbeiteten, wie sie einen Gefährten erreichen konnte. Vielleicht hätte ich mich mehr anstrengen sollen, selbst eine zu finden.« »Es tut mir leid wegen Astrid«, sagte Tec, dann machte er ein finsteres Gesicht. »Nein, es tut mir nicht leid.« »Besser du als ich, um ihretwillen.« »Laß mich Is'sa holen, Astrid wecken, die Kräfte von Ship einsetzen. Vielleicht können wir dich gemeinsam retten .. .« »Nein, laß die Damen sein. Ich will Astrid nicht wiedersehen, und Ship wird ihre ganze Kraft brauchen, nur um dem Urknall auszuweichen. Is'sa auch - ein reizbares, altes Weibsbild, aber 262
eine unersetzliche große Dame. Findest du nicht, Tec?« »Doch, eigentlich schon«, sagte Tec. »Aber warum willst du dir nicht helfen lassen?« »Vielleicht möchte ich meine Schurkerei austreiben. Oder nur meine Hybris?« Yodin bückte sich, stemmte Drakes schweren Körper auf seine Schulter und richtete sich so langsam wieder auf, als sei jede Bewegung eine Tortur. »Da gehe ich«, sagte er, »ein demolierter Superroboter, die letzte Bürde auf den Schultern, das Paradox des letzten Supermannes. Ich glaube, es ist nur passend, daß wir beide eine gemeinsame Bestimmung haben.« »Was redest du da, zum Teufel?« fragte Tec. »Ich will den Urknall auslösen.« »Aber...« »Kein Aber . . . Vielleicht ist es der York Holladay in mir oder der lächerliche Y-I-Roboter, der ein menschliches Geburtsrecht gestohlen hat, aber ich möchte spielen. Nur ein bißchen.« »Gott spielen?« »Nicht mehr. Nur spielen. Den größten Knallfrosch der Wirklichkeit entzünden und mich in die Ewigkeit hineinlachen.« »Nein! Bitte, Yodin, laß dir helfen. Deine Energien trüben sich.« Yodin sprach mit der Stimme eines Befehlshabers. »Ship, Tec ist jetzt dein Herr. Schütze ihn und alle jene, die er liebt. Und schütze dich selbst, denn du wirst es brauchen. Geh ganz in den Hyperraum zurück, wenn ich fort bin.« »Warte, Yodin«, sagte Tec. »Wir brauchen dich. Laß den Roboter in dir von mir heilen, denn das kann ich, und Astrid hilft bei der menschlichen und der Roboterseite. Dir ist verziehen. Geh nicht.« »Ich muß«, sagte Yodin, »weil ich mir nicht so vertrauen kann, wie du mir vertraust. Das ist das Problem bei dir, Tec. Trotz deines ewigen Zweifeins und Zögerns hast du Vertrauen in alles.« Er griff in seinen Umhang. »Da, nimm das, wenn du sehen willst, was du werden kannst, seitdem du zum Teil ich geworden bist.« Er warf Tee das SichtEi zu. 263
Tec warf es zurück. »Ich will es nicht. Möglichkeit ist nur Möglichkeit, nicht Schicksal. Ich werde tun, was ich für das Beste halte, und nicht das, von dem ich weiß, daß es mir möglich ist.« »Dann nehme ich es mit«, sagte Yodin. Er grinste. »Das sollte Alpha einen interessanten Potentialsplitter liefern.« Er verschwand, tauchte auf dem Sichtschirm wieder auf, schwarz vor dem Rand der Energie, Drake auf der Schulter. »Halt ihn auf«, sagte Ship. »Ich stelle fest, daß ich nicht ganz in den Hyperraum gelangen kann. Meine Mechanismen funktionieren nicht richtig.« - Yodin! - Ich habe es gehört, Tee. Mein Denken ist auf das deine eingestimmt. Hilf ihr beim Reparieren, und beeilt euch - Alpha drängt danach, geboren zu werden. Ted sondierte und regelte, bis Ship sagte: »Jetzt könnte es gehen, aber ich bin nicht sicher.« - Die Leere in den Anlagen und Feldern verstärken, rief Yodin - und deine Kraft dem Antrieb zufügen, Tee. Schützt euch ebenfalls. - Ich versuche es. - Tec, ich bin froh, daß du nicht den Weitblick hast, den man braucht, um ein echter Gott zu sein. Du liebst die Dinge, wie sie sind und werden, deshalb wirst du dir mit einer wachsenden Pflanze oder einem Kind mehr Mühe machen, als du je den Wunsch haben könntest, ein wachsendes Universum zu beherrschen. Ich bin nicht der beste Richter über das, was gut ist, aber ich glaube, du bist in Ordnung. - Du auch, Yodin, denn wir sind eins, sagte Tec. Yodins Lachen durchtönte ihn. - Hast du gewußt, daß die alten Götter der Erde nicht unsterblich gewesen sind? Also - es geht los . . . - Yodin! - Leb wohl, mein Freund. Sorg gut für mein Universum.
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Das kosmische Ei des Alpha-Universums explodierte, als Ship die äußerste Anstrengung unternahm, ganz in den Hyperraum überzutreten. Masselose Partikel und Elektronen und Positronen entstanden, zerfielen und entstanden wieder im expandierenden Feld, jedes Teilchen mit Fluchtgeschwindigkeit vom vorherigen Gravitationszentrum entfernt. Mit der Ausdehnung und dem Abkühlen begannen sich atomare Teilchen und Antiteilchen zu bilden, und schlagartig differenzierte sich das Anti-Universum und wurde unwiderruflich in ein anderes Kontinuum übertragen, um Alpha bis zum Zusammenstürzen nicht wieder zu begegnen. Keine ganze Sekunde war vergangen. »Tec! Hilfe!« Ship stockte, nicht ganz im Hyperraum, und Tec griff in ihre Maschinen, um sie anzutreiben. Ship kreischte auf, und er fühlte Schmerzen, die ihre und die seinen und nicht zu ertragen waren. Das Universum dehnte sich weiter aus, kühlte ab, formte Protonen und Neutronen und, als es noch stärker abkühlte, Heliumkerne. Ship schrie unaufhörlich, und Tec wollte sterben. Astrid. Sie mußte leben. Auch Yodins Werk mußte leben und durfte nicht verlorengehen. Tec strengte sich an. Die Qual wollte ihn töten. Qual. Und Arbeit. Er arbeitete - und arbeitete - und . . . Kein Schmerz mehr. Er war Tec. Er war Yodin und Astrid und Ship und sie alle. Sicher. Zusammen. Er war das Alpha-Universum, geboren im Triumph von Energie über Gravitation. Er war der Hyperraum, das Nichts, das alles in sich birgt. Es gab nichts Böses. Nichts Gutes. Alles war Teil von allem anderen. Drake und Yodin waren Aspekte voneinander und von Tec. Es hatte eine Entscheidung gegeben. Der Wandel fand statt. Die Differenzierungen würden die Gelegenheit haben, das zu werden, was sie werden würden, aber im Grund der Ewigkeit 265
waren sie alle Teile voneinander. »Ich - wir - verstehen.« »Freiheit.« »Was ist.« »Ist. Ist. I s t . . .«
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Teil VII
- Tec, komm zu dir! Wach auf! Er war wieder ein Individuum. Irgend jemand hämmerte telepathisch auf seine geistigen Rezeptoren ein. Das störte ihn nicht, aber er wartete einen Augenblick, um sich selbst zu betrachten. Ich bin nicht länger eins mit dem Einen der Realität, dachte er. Aber da war kein Gefühl des Verlusts. Er begriff, daß er, obwohl er sich abgesondert erschien, eingesperrt in die Person seines eigenen Bewußtseins, trotzdem wußte, daß Realität in Wahrheit eine Einheit ist, die auch einen Roboter namens Tec einschließt. Er lachte leise über den Witz darin. - Lachst du über deine Ältesten, Roboter? - Is'sa? Bist du das? Die Berührung des Drachen streifte ihn. - Hör zu, Tec. Oiir und ich haben lange gewartet und nicht die Absicht, noch länger auf dich zu warten. Wir müssen feststellen, ob es jetzt ungefährlich ist, in das Alpha-Universum zu gehen. - Is'sa, du bist verrückt! Alpha ist eben explodiert, und es dauert mindestens siebenhunderttausend Jahre, bis es sich soweit abgekühlt hat, daß es stabile Atome und Sterne hervorbringt. - Das wissen wir. Wir haben gewartet. - Aber es ist doch eben erst geschehen, sagte Tec ungläubig. - Kaum. Wir haben still gewartet, bis Alphas Materie und Energie Sterne und Galaxien bildeten, auch wenn es natürlich noch keine Sterne zweiter Generation gibt, also auch keine Pia267
neten, und wir selbstverständlich Lune brauchen . . . - Is'sa, was ist mit mir geschehen? fragte Tec kläglich. - Du bist die ganze Zeit in einer dummen Trance gewesen, Tec. Eine Weile dachten wir, du wärst tot. Als wir Alphas Zustand erfahren mußten, entschlossen wir uns zu dem Versuch, dich zu wecken, weil wir die Information von Ship nicht bekommen konnten. Sie ist tot. Tec, dessen Gehirn noch von der Erkenntnis durcheinander war, daß siebenhunderttausend Jahre vergangen waren, verstand endlich, was sie gesagt hatten. - Ship? Tot? - Ihr Gehirn muß tot sein, obwohl du nicht mehr mit uns reden könntest, wenn ihre Abschirmung nicht richtig funktionieren würde, sagte Is'sa. - Mach dich an die Arbeit, Tec, sagte die Stimme Oiirs in seinem Kopf - und stelle fest, was wir wissen müssen. - Laßt mich in Ruhe! Tec schloß sich ab gegen sie und rief Ship. Sie antwortete nicht. Er hetzte durch den Korridor zur Leere-Anlage. Sie funktionierte tadellos, und er konnte Astrid sehen, so schön, als sei sie eben eingeschlafen. Er setzte sich zu ihr, um seinen Mut wiederzufinden, und erforschte Ship mit seinem Inneren. Tief in ihrem Robotergehirn glomm ein Funke Leben. - Ship! Bewußtsein flackerte. Sie versuchte mit ihrer Stimme zu sprechen, aber Tec fing nur schwächliche telepathische Worte auf. - Sterbe. Ich sterbe, Tec. - O Ship, liebste Ship . . . - Zu lang. Ist zu lang gewesen. War zu stark beschädigt. Ich kann Lebenserhaltung nicht mehr lange halten. Du mußt die Terraner aus der Leere holen und nach Lune gehen. Du und sie, ihr könnt die Jahrmillionen in der Leere bleiben, die es dauert, bis im Alpha-Universum Leben entsteht. Ich glaube nicht, daß du Zeit hast, die Embryos und Roboter in meinen Leere-Anlagen zu retten, aber du kannst es versuchen. - Wir gehen nach Lune, Ship. Der Zentralcomputer dort zu268
sammen mit den Computern in den Gerz-Schiffen wird dich mit meiner Hilfe reparieren können. - Nein. Wenn das Leerefeld auf Lune zerfällt, während wir im Hyperraum sind, stirbt dort alles. Du kannst mit den Terranern ungefährdet durch den Holladay-Tower hinein, aber ich nicht. - Ich helfe dir, dich wiederherzustellen. Wir fangen sofort an. - Ich kann mich jetzt nicht reparieren. Ich konnte nicht richtig auftanken, als wir das Schwarze Loch durchflogen hatten, weil Alpha von solcher Dichte war, und jetzt kann ich den Hyperraum nicht verlassen, um in den kosmischen Feldern des neuen Universums aufzutanken. Deshalb muß ich sterben. - Aber ich kann Energie aus dem Hyperraum ziehen! rief Tec. - Ich werde deine Energiequelle sein! - Wie? Bald bin ich stillgelegt. - So, sagte Tec, und das Energiefeld seines Körpers stieß in den ihren hinein, sein Denkfeld verschmolz mit dem ihren. Ship, fast schon völlig am Versagen, reagierte auf ihn. Der Augenblick der Vereinigung war herrlicher, als jeder biologische es sein konnte. - Ich liebe dich, Ship. - Ich liebe dich, Tec. Sie blieben lange verbunden, bis Ships Energiespeicher voll waren. Er half Ship immer noch dabei, sich zu reparieren. »Du bist mein neuer Kapitän, Tec. Werden wir im Alpha-Universum nicht zusammen sein?« »Doch, aber ich will nicht Kapitän heißen.« »Du solltest einen Titel haben, sonst ist das nicht passend.« »Wenn du schon so streng bist, so gibt es einen Namen, der mir immer gefallen hat. Man benützte ihn auf der alten Erde bei der Marine. Er heißt >Maat<.« Dann dachte er eine Weile nach. »Ich bin der Erste Maat«, sagte er.
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Viel später fragte sie beiläufig: »Vermißt du Yodin, Tec?« »Ja. Und Drake auch.« »Ich ebenfalls. Ich glaube, ihr Tod war nicht notwendig.« »Vielleicht. Vielleicht auch nicht, denn deinen Abtastern zufolge wird das neue Universum sein wie Beta, geeignet für die Lebensformen, die du in den Leere-Anlagen mitführst. Vielleicht haben Yodin und Drake, die im Augenblick der Explosion dabei und ein Teil von ihr waren, das ermöglicht. Wir werden es nie wissen.« »Was ist ein Universum wirklich?« fragte Ship. »Ein Raum-Zeit-Materie-Energie-Kontinuum? Die Einheit des Hyperraumes, in vorübergehender Teilung gekräuselt?« Tec schwieg kurze Zeit. »Vielleicht ist ein Universum der Weg, wie das Nichts ein Etwas erfährt, und bewußtes Leben scheint bei dieser Erfahrung ein unausweichlicher Verlauf zu sein.« »Ich verstehe nicht.« »Ich auch nicht. Es spielt keine Rolle. Pedlar hat einmal gesagt: >Das, was ist, ist.< Ich liebe das, was ist - leer und voll, einfach und kompliziert, voll interessanter Anfänge und Endungen und Möglichkeiten für Bedeutungen, die sich entwickeln.« »Aber was bedeutet es von Grund auf, Tec?« »Nichts, denke ich. Auch das gefällt mir.« »Nun«, sagte Ship herb, »ich weiß, daß wir dem Sinn verleihen, was ist.« »Du hast recht. Wir lieben, und wenn wir aneinander teilhaben, werden in dem, was ist, neue Gedanken und Empfindungen geboren«, sagte Tec. »Du bist wunderbar, mein Gefährte, aber bis jetzt hast du immer noch nichts ganz erklärt.« »Ship, mein Liebling, ich glaube, es ist eine große Erleichterung, nicht alle Antworten zu wissen.« Tec ging Ship Zentimeter für Zentimeter durch und suchte nach Schäden, die er und Ship gemeinsam behoben. Es war lebenswichtig, daß Ship in bester Verfassung war, wenn sie im Hyperraum verbleiben und ihre Leere-Anlagen in Betrieb halten wollte, sonst wäre der Zweck von Expedition Alpha als einer Ar270
che von Universum Beta zu Universum Alpha zunichte gemacht worden. Die Drachen waren schon lange fort, und Tec hatte nicht versucht, sie zu finden. Er war es zufrieden, mit Ship zu arbeiten, die kleine Welt instand zu setzen, die ihr Körper darstellte, sie zu einer Zufluchtsstätte zu machen, wo das Leben ungefährdet abwarten konnte. Er dachte an die Geburt des Alpha-Universums und war froh für Yodin. Er erinnerte sich dunkel, während seiner Trance gefühlt zu haben, er selbst sei das expandierende Universum, aber das schob er beiseite als eine Wahnvorstellung, wie sie in Zuständen tief veränderten Bewußtseins vorkam. »Es ist Unsinn«, murmelte er vor sich hin, »weil es eine Sache ist, sich eins zu fühlen mit einem Universum, zu wissen, daß es ebenso ein Aspekt der Realität ist - und eine ganz andere, ein Universum zu sein.« Und trotzdem drang ab und zu, wenn diese Gedanken durch seinen Kopf gingen, ein Lachen aus seinen Emotionszentren empor, als sei der Teil von ihm, der ein ganz klein wenig Yodin war, für immer anderer Meinung.
Die Liebe zwischen Ship und ihm schien jeden Tag auszufüllen, aber ab und zu erinnerte sie ihn daran, daß es vielleicht besser sei für sie beide, wenn sie einen Teil der kommenden Zeit in Stille verbrächten. Er wollte nicht daran denken, wieviel Zeit vor ihnen lag, bis das Alpha-Universum für sie bereit sein würde. Zeit verging. Er glaubte sich beschäftigt. Es gab zu tun; im Augenblick half er Ship dabei, ihre Kenntnisse der Roiiss-Sprache und ihre Aussprache zu verbessern. Dann kamen die Drachen zurück. »Wir haben selbst in Erfahrung gebracht, was wir wissen müssen«, erklärten sie Tec stolz. »Das Alpha-Universum hat sich für uns weit genug ausgedehnt. Die Materie bildet in den Galaxien 271
Sterne, und die Strahlung ist nicht mehr so tödlich. Der Weltraum wird dunkel.« Tecs Emotionszentren meldeten Niedergeschlagenheit. Sie würden sich Lune nehmen. »Wir können im Hyperraum leben«, fuhren sie fort, »aber das ist langweilig, und wir werden ein Universum genießen, in dem es außer uns kein anderes Wesen gibt, wir wollen Lune also doch nicht haben. Der Planet ist voller Leben, und wir wollen allein sein. Wir haben vor, mit den einfachen Atomen zu experimentieren, die es in Alpha schon gibt, und manche aus der Materie umzuformen, die sich noch nicht zu Sternen verdichtet hat. Wir werden schwerere Atome hervorbringen und uns selbst einen Planeten bauen.« »Das wird lange dauern«, sagte Tec hochzufrieden. Lune würde Astrids Kindern gehören! »Es wird noch länger dauern, bis Alpha für die Terraner bewohnbar wird«, sagten die Roiiss. »Wir Unsterblichen haben zum Glück so viel Zeit, wie es sie nur gibt.« »Dann ist das der Abschied«, sagte Tec. »Nein. Wir wollen dich jetzt bei uns haben. Du, brauchst keinen Sauerstoff oder die anderen Verfeinerungen planetarischen Daseins, die protoplasmische Wesen benötigen.« »Aber ich .. .« »Du wirst auf uns nach Alpha hineinfliegen, um uns zu helfen, Material für unseren Planeten zu sammeln«, sagte Is'sa. »Nein!« sagte Ship scharf. »Das darf er nicht tun! Er wird beschädigt werden, weil das Universum noch zu heiß ist und es zuviel Strahlung gibt, der Tec sich ohne Abschirmung nicht aussetzen darf, und ich kann ihn nicht abschirmen, weil ich verpflichtet bin, meine Fracht zu beschützen, und es Schäden geben könnte bei all den Neutrinos und weißglühenden Sternen und starken Röntgenstrahlen und . . . « »Keine Sorge, Ship. Ich gehe nicht mit«, sagte Tec. »Pah«, sagte Oiir in einem Ton ganz wie Sam. »Wir brauchen dein kleines Gehirn nicht. Du wärst vermutlich nur ein Hindernis.« »Dann bleib hier«, sagte Is'sa verächtlich. »Du und Ship, ihr 272
verliert vermutlich den Verstand in den Äonen, die ihr im Hyperraum verbringen müßt. Oiir und mir ist das gleichgültig. Wir haben unser Universum.« Sie entschwanden, wie erschreckende purpurrote Träume, gesehen in Pedlars Sicht-Ei. »Sie gehen fort, um sich zu paaren«, sagte Ship, »diesmal um Junge zu zeugen. Ich habe sie darüber reden hören, als du in Trance gewesen bist.« »Sie scheinen stärker geworden zu sein, und wenn sie Kontrolle über die Materie erlangen, werden sie Erfolg haben«, erwiderte Tec. »Vielleicht hatte Drake recht, und man hätte sie töten sollen, als sie schwach und hilflos waren.« »Warum hast du es nicht getan, Tec?« fragte Ship leichthin. »Weil ich nicht töten kann.« »Ist das in dir eingebaut?« »Vermutlich.« »Und trotzdem hast du Yodin die Waffe gegeben, damit er Drake töten konnte.« »Ja.« »Tec, Liebster«, sagte Ship, »ich spüre, daß du verstört bist.« »Ich kann einfach nicht aufhören, mir den Kopf über die Entscheidungen zu zerbrechen, die ich getroffen habe. Ich weiß, sie sind in der Vergangenheit, und ich muß in der Gegenwart leben, aber ich kann nicht anders, ich muß an meinen Urteilen zweifeln. Ich habe immer noch Angst vor den Roiiss und habe sie trotzdem gerettet. . .« »Vergiß nicht, daß es dich ohne die Drachen nicht gäbe«, sagte Ship zärtlich. »Selbst die Geschichte des Beta-Universums wäre ganz anders verlaufen, wenn ihr, du und die Roiiss, nicht gekommen wärt. Und sie sind die letzten Drachen.« »Bis sie Nachkommen haben«, sagte Tec verdrossen. »Sie werden dieses Universum mit ihren eigenen Planeten und ihrer eigenen Kultur ausfüllen, und wohin sollen dann Astrid und Freyn und ihre Kinder gehen?« »Vielleicht wird Platz für alle sein.« »Die Roiiss-Ältesten haben andere denkende Wesen nie gemocht, nicht einmal die eigenen Roboter. Ach, Ship, die Wahr273
heit ist die, daß die Drachen gewonnen haben - das Alpha-Universum gehört ihnen, und Drake hat recht gehabt. Aber wenn ich noch einmal entscheiden müßte, würde ich ihn trotzdem hindern. Ich wollte auch Drakes Universum nicht haben.« »Sei nicht traurig, Liebster. Kannst du nicht mit der Freiheit zufrieden sein, die Yodin dir gegeben hat?« Die Erinnerung an Yodins dunkelhäutiges Gesicht und spöttisches Lächeln brachte entfernte Musik mit sich, und Tec sang: »Sag mir, wenn ich wandr'e, wird Wunder nicht mehr sein? Im wilden schwarzen Jenseits Frieden kehren ein?« »Wohl nicht«, meinte Ship. »Ist das eine Antwort auf meine Frage?« »Ich bin zu erschöpft, um sie zu kennen«, gab Tec zurück. »Schuldbewußtsein und Bedauern und Ängste und Hoffnungen bedrängen mich. Können wir in all den bevorstehenden Jahren wirklich bei Verstand bleiben?« »Wir müssen warten.« »Ich fürchte, ich kann nicht. Ich . . . « »Tec - hör doch .. .« »Was ist?« sagte er und versuchte nach draußen zu sondieren. »Die Drachen. Sie paaren sich. Können wir sie aufhalten, Tec?« »Nein. Die Reise ist zu Ende, und die Sterblichen haben dank meinen Entscheidungen das Universum verloren. Laß die beiden Unsterblichen sich paaren und es zu dem ihren machen.« »Du bist wirklich erschöpft«, sagte Ship fürsorglich, »weil du nicht logisch denkst. Ich glaube nicht, daß du die Kraftpegelund Energiestruktur-Prognosen richtig abgelesen hast. ..« »Sprich nicht mehr darüber, Ship. Ich bin sicher.. .« »Unlogisch, Tec. Ich möchte, daß du in die Leere gehst und dich ausruhst. Ich bin nur ein Schiff, dazu da, denen zu dienen, die in mir sind. Laß mich dienen.« »Ship, was hat es für einen Sinn, sich auszuruhen und sich 274
nicht zu gefährden? Wozu? Wir werden kein Universum haben, in das wir gehen können, und am Ende alle hier im Hyperraum sterben.« »Bitte, ruh dich aus.« »Nein. Ich nehme mein Urteil jetzt hin, bleibe wach, verliere den Verstand und - was meinst du mit Energiestruktur-Prognose?« »Ich weiß es noch nicht. Ich sage es dir zur gegebenen Zeit. Du ruhst dich inzwischen aus und kommst wieder zu Kräften.« »Ich will mich nicht ausruhen! Ich will wachbleiben und mit völliger Sicherheit wissen . . . « »Liebster, die menschlichen und Roiiss-Gehirnstrukturen, die Yodin gestohlen hat, sind in dir vermischt. Wenn du dich nicht ausruhst und sie integrierst, drehst du noch mehr durch. Ich liebe dich sehr, aber du bist es uns allen, besonders mir, schuldig, daß du gut auf dich aufpaßt.« »Ach, sei still, Ship.« »Wenn du nicht bereit bist, jetzt in die Leere zu gehen, setze ich es mit Zwang durch.« »Das machst du, wie?« »Ja, ganz bestimmt.« Ship lachte. »Unser erster Streit, Tec?« Er grinste und marschierte zum Leere-Raum, begleitet von einem der Matrosen. Er trat mit verschränkten Armen an den Behälter. »Was hast du für Informationen, Ship? Ich gebe keine Ruhe, bis du es mir sagst. Ich muß Gewißheit haben . . .« »Du hast mir einmal gesagt, es sei sehr schwer, denkenden Wesen beizubringen, daß der Preis für Bewußtsein ewige Ungewißheit ist«, sagte Ship. »Ich habe zugehört, als Freyn dir klarmachen wollte, das einzige, was wirklich existiert, sei die Gegenwart. Du hast wichtige Entscheidungen getroffen, und die Vergangenheit ist vorbei. Was als nächstes geschieht, wird leichter zu verstehen sein, wenn du dich jetzt ausruhst.« »Verdammt, sagst du mir nicht. . .« »Ich kann und will dir nur ein paar Worte sagen. Es sind die Worte, die für Wesen wie mich die allerheiligsten sind, heilige Worte in der Kultur künstlicher Intelligenzen, die unsere Vor275
fahren bis in terranische Zeiten zurückführen.« »Und was sind das für dämliche Worte?« fragte Tec erbost. Der Robomatrose half ihm behutsam in den Leere-Behälter, und Ship sagte noch: »Daten für eine sinnvolle Antwort unzureichend.«
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Tell VIII
Oben war sein Kopf kühl, die Beine waren warm, Blumenduft beschäftigte das Riechvermögen, und auf seiner Brust lag ein kleines, aber deutlich merkbares Gewicht, aus dem er ein seltsames leises, brummendes Geräusch zu hören vermeinte. Tec öffnete ein Auge, und das Ding auf seiner Brust bewegte sich auf der Stelle, um diese neue Erscheinung zu betrachten, so daß ein anderes Auge in das seine starrte. Dieses Auge war dunkelblau, hatte einen Pupillenschlitz und war umgeben von hellen Wimpern. »Mrrau?« Tec setzte sich auf und betrachtete das Kätzchen. Es war warm, ein Pelzknäuel, vibrierte vor Genuß und hatte im schwarzen Haarpelz unregelmäßige helle Flecken, was recht hübsch wirkte. Der Apfelbaum über Tec war in voller Blüte. Ab und zu schwebten die rosarot-weißen Blüten im leichten Wind herab, der von den Bergen herüberwehte. Der Garten leuchtete in frühen Rottönen, abgesehen von den Goldfischen im Teich und der schwarzen Katze, die beide gebannt anstarrte. »Selena!« Sie blickte zu Tec hinüber, ihre Schwanzspitze zuckte, aber dann beschäftigte sie sich wieder mit ihrer privaten Betrachtung eines Appetithappens. »Selena, wo sind alle?« Ihre Pfote zuckte ins Wasser, ihre Krallen durchbohrten ei277
nen Fisch, und sie gab einen kehligen Laut von sich. Das Kätzchen entwand sich Tecs Hand, sprang zur Mutter, und die beiden Katzen verschwanden in einem Gebüsch. »Habe ich alles nur geträumt? Ist es möglich, daß ich nicht in einem neuen Universum bin?« »Gruß, Tec.« »Ship?« »Ja, Liebster.« »Wo bist du?« Er stand auf und schaute sich um, sah sie aber nicht. Er flog über die Gartenmauer hinauf. Sie schwebte nicht mit Antigrav in der Luft. Sie lag auf dem Boden hinter dem Garten, die einst glatte Rumpfwand war zerfurcht, zerschrundet und verfärbt. Er flog hastig zu ihr. »Ship, mein Liebling, bist du beschädigt? Ist es ernst?« »Die Antigrav-Anlage muß repariert werden, aber sonst bin ich funktionsfähig, obwohl ich meine Schönheit verloren habe.« »Das stört mich nicht.« »Ich bin froh.« Erleichterung, die seine Zentren durchflutete, war wie ein klarer Sonnenstrahl, der die Dunkelheit erhellte. Sonnenlicht? »Ich saß im Garten in der Sonne. Lune ist aus der Leere gekommen und umfliegt einen Stern.« »Ja, Tec. Einen schönen, stabilen Stern.« Tec rasterte den Stern auf. »Bei allen Drachen von Roiissa, es ist ein Stern vom Spektraltyp G2.« »Ich dachte, den Terranern würde das gefallen.« »Aber, Ship, G2-Sterne sind von der zweiten Generation und deshalb . . . « »Ja, Tec?« »Ship, wie lange ist es gewesen?« »Tja«, sagte sie, »ich mußte mein Gehirn eine Weile in die Leere tun, die Berechnungen sind ein bißchen konfus, und . . . « »Ship!« schrie Tec. »Wie lange?« »Lange genug.« 278
Die Schleusentür stand offen. »Die anderen - Sam, Freyn - Astrid?« »Noch in der Leere. Intakt.« »Das Alpha-Universum? Dehnt es sich aus, bringt es Planeten und Leben hervor und . ..« »Es entwickelt sich gut.« Tec ging in den Kontrollraum. Auf dem Kapitänssessel lag etwas, das nach einem fremdartigen Artefakt aussah, bis seine Erinnerung es zu einer Gitarre zusammensetzte. Er griff nach ihr. »Sie lag in Doktor Holladays Kabine«, sagte Ship. »Ich habe sie für dich hierhergelegt. Du bist der Erste Maat und auch der Ingenieur.« Tec hielt die Gitarre umklammert und versuchte sich zu beruhigen. Es gab keine Entschuldigung für das, was in seinen Emotionszentren vorging, dachte er. Jene, die er liebte, waren in Sicherheit, und er hatte alles, was er wollte. Er hatte gelernt, das Unendliche zu schätzen, und nun besaß er ein ganzes neues Universum, in dem er sich auf fröhliche Weise nützlich machen konnte. »Was ist denn?« fragte Ship besorgt. »Das war Yodins Gitarre.« »Natürlich war sie das. Ich dachte, du möchtest sie vielleicht spielen lernen.« »Ich kann sie nicht spielen. Ich lerne das nie. Ich bin zu alt und habe zuviel gesehen. Die Last, die Erinnerung an das Vergangene, wenn alles, was verloren, unwiederbringlich i s t . . . « »Bring deine Speicherbänke unter Kontrolle, Liebster.« »Du hast recht. Wir wollen den Mut haben, in der Gegenwart zu leben, nicht in der Vergangenheit, und sei sie noch so groß.« Er ging langsam durch den Korridor zum Leere-Raum und dachte daran, daß alle Arten von Liebe in der Tat dem Dasein Sinn verliehen. Vor Astrids Box staunte Tec darüber, daß Astrid nach so vielen Jahren noch am Leben und wunderschön und jung sein konnte. »Du wirst sie wohl als erste aufwecken wollen«, sagte Ship. Tec blickte hinüber zu Freyn, dessen silberbehaarter Huma279
noidenkopf im langen Schlaf lächelte. »Nein, wir wecken Freyn und lassen ihn Astrid wecken.« »Machen wir es gleich?« »Noch nicht. Zuerst muß ich die Bedingungen in diesem Universum erforschen. Wieviel davon haben die Roiiss mit ihrer eigenen Art besetzt?« »Gar nichts.« »Was?« »Ich fand die Energiestruktur-Prognose nicht gut«, sagte Ship. »Offenbar unterlagen die Drachen einer starken Beanspruchung, als sie mit dem kosmischen Ei von Alpha in Berührung kamen, und einer noch stärkeren, als sie bei ihren Bemühungen, Protoplasma-Nachkommen zu erzeugen, die Beherrschung über die Materie erlangen wollten. Sie wurden sterblich.« »Du meinst, sie sind gestorben?« »Ja, Tec, aber . . . « »Die Drachen sind tot? Die Roiiss-Ältesten? Meine Herren? Sie sind immer Teil jenes Universums gewesen, in dem ich mich jemals befunden habe, und ich wußte immer, daß es, gleichgültig, was auch geschehen mochte, irgendwo Unsterbliche gab.« »Aber, Tec . . . « »Ach, Ship. Die leuchtende, purpurne Schönheit - für immer vorbei...« »Sie haben dir ein Geschenk hinterlassen.« »Wo?« »Drüben in der Ecke der Leere-Anlage.« Tec ging hinüber, blieb stehen und starrte hinunter auf etwas, das doppelt so groß war wie sein Kopf. Es war bis auf eine leichte Abflachung oben und unten rund und zeigte auf dem dunklen Purpurrot der Schale ein schwach grünliches Schillern. »Aber die alten Protoplasma-Roiiss waren lebendgebärend«, sagte Tec staunend. »Is'sa sagte, das sei sicherer, und die Terraner würden sich darüber amüsieren.« »Ich bin nicht sicher, ob es mich amüsiert«, sagte Tec. »Eben noch habe ich ihren Tod tief betrauert, und nun . . .« 280
»Ich trauere nicht«, sagte Ship, »weil sie mir auch ein Geschenk gegeben haben. Sie haben ihr ganzes Wissen in meinen Speicherbänken hinterlassen.« »Überleben jederzeit«, sagte Tec. »Werden die Roiiss bestehen?« »Eine gute Frage«, meinte Ship. »Willst du dieses Ei sterben lassen?« Tec sagte nichts. Er dachte an die Roiiss. Stamm der Stämme. Erste der Ersten. Und nur das hier war geblieben. »Es ist deine Entscheidung«, sagte Ship. »Willst du in diesem neuen Universum Drachen haben?« Er sagte immer noch nichts. »Tec, mein Liebster, fragst du dich, was Yodin getan hätte?« »Nein. Ich muß entscheiden. Aber ich weiß, wie Yodin es ausdrücken würde.« »Wie denn?« »Ach was, soll es Drachen geben!«
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Epilog Tec und ein kleines Primatenmädchen standen nicht weit vom Eingang zu Terra-Center, um die Ankunft einer Gruppe von Studenten zu beobachten, die Ship von einem neu auf die von Lune gebotenen Dienste aufmerksam gewordenen Planeten brachte. Die Studenten hatten vordere Gehirnauswölbungen, gefurcht mit mutmaßlich fröhlichen, freundlichen Mienen, aber sie wirkten doch recht groß und vielgliedrid, als sie sich langsam zum Center hin bewegten. Das kleine, blonde Primatenmädchen trat ein wenig näher zu Tec. »Loki kommt spät«, sagte sie. »Er ißt wieder die Äpfel.« »Vielleicht hebt er dir welche auf«, meinte Tec. »Ja. Er hält mich für sein Schoßtier. Das ist albern. Ich weiß ja schließlich, daß er mir gehört.« »Natürlich, Liebes«, sagte Tec und verfolgte einigermaßen sorgenvoll, wie Loki über die Gartenmauer segelte und vor ihnen eine Bruchlandung baute. »Da«, sagte Loki, in den ausgestreckten Klauen je einen Apfel. Die Früchte sahen lädiert und ziemlich schmutzig aus, aber Loki war auch noch sehr jung. Das kleine weibliche Wesen nahm sich einen Apfel und umarmte zärtlich Lokis purpurrote Schuppenhaut, als die neuen Studenten näher kamen. Loki rülpste eine Flammenzunge hinaus und warf den zweiten Apfel nach ihnen. Er traf nicht ins Ziel. Der kleine Drache brüllte, breitete die Schwingen aus und schoß in dem Augenblick, als die Tür aufging, über die Gartenmauer zurück. »Grüße, Edelwesen«, sagte Samyak, der, obschon stark mitgenommen, glücklich seiner Tätigkeit nachging. »Willkommen in 282
Terra-Center. Erlaubt, daß ich euch die hervorragende Bibliothek zeige.« Er stapfte hinein, gefolgt von den Studenten. Seine Stimme verklang. »Welten kommen und gehen, aber Wissen wird weitervermittelt.« Das kleine Mädchen griff nach Tecs Hand und drückte sie. »Und die Liebe«, flüsterte sie. Der letzte Unsterbliche umfaßte die Hand seiner Lieblingsenkelin und lächelte.