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Der Atem Gottes Roman von Dario Vandis Medan, Nordsumatra, Freitag, 1733 westindonesische Standardzeit Zwölf Stunden Flug und die anschließende Übergabe der Ware hatten Anna Maria Rodriguez erschöpft. Kaum hatte sie die Tür ihres Hotelzimmers hinter sich geschlossen, sank sie auch schon auf das Bett und fiel in einen leichten Halbschlaf. Die Luft war stickig und feucht, eine nutzlose Klimaanlage röhrte vor sich hin. Anna Maria Rodriguez spürte die Anwesenheit des Fremden, noch bevor sie ihn hörte. Sie war sofort hellwach und tastete nach der Smith & Wesson, Kaliber .22, die unter ihrem Kissen steckte. Aber sie war zu langsam. Sie hörte noch das Plopp einer schallgedämpften Waffe, spürte den Einschlag am Hals. Dann war es vorbei. Zur gleichen Zeit, nur wenige Kilometer entfernt Es war ein Tag wie jeder andere in Medan, der schmutzigen ZweiMillionen-Metropole im Norden Sumatras. Ein Tag, an dem zwei Kinder im Armenviertel Kampung Keli am Denguefieber starben. Ein Tag, an dem ein korrupter Abteilungsleiter der Innenbehörde einen neuen Abschnitt des Regenwaldes an die Holzfäller-Mafia verkaufte, und ein Tag, an dem der Fluss Deli im Süden der Stadt erneut über die Ufer trat und die Armenviertel überschwemmte.
Lieutenant Mark Harrer blieb stehen. Keuchend, mit gehetztem Blick. Aber er durfte sich keine Pause gönnen. Er hastete durch den Schlamm, während um ihn herum die Menschen aus ihren Hütten flohen, auf dem Kopf und unter den Armen die letzte Habe, die ihnen geblieben war. Einige Kinder musterten den weißen Fremden neugierig und starrten erschrocken auf die Pistole, die in seinem Gürtel steckte. Harrer winkte zwei kleine Mädchen heran und fragte sie atemlos auf Englisch, ob sie einen jungen Mann gesehen hätten: höchstens zwanzig Jahre alt, abgewetzte Hosen, Drei-Tage-Bart. Die Beschreibung war nicht besonders genau, aber er wusste es ja selbst nicht besser. Die Mädchen starrten ihn verständnislos an, dann wurden sie von ihrer Mutter weggezerrt. Harrer kämpfte sich weiter durch den Morast, der immer feuchter und schlammiger wurde, je näher er dem Flussufer kam. In zwei Stunden würde hier alles überschwemmt sein. Mit den verstreichenden Minuten schwand auch seine Hoffnung. Seit einer Stunde jagte er nun schon dem Phantom nach, das van Riepen ihm beschrieben hatte. Er fragte sich, ob es überhaupt noch einen Sinn machte. Ob er nicht viel zu spät kam. Er ließ seine Blicke abermals über die Wellblechhütten schweifen. Männer, Frauen, Kinder, soweit das Auge reichte. Und zwischen ihnen sah er ihn plötzlich. Den Mann, den er suchte. Den Mann mit dem unscheinbaren Glasröhrchen in der Hand. Gerade verschwand er zwischen zwei Holzverschlägen. Harrer sprintete los. Er holte das Letzte aus seinem Körper heraus. Der Schlamm schmatzte unter seinen Schuhen, die Kleider klebten ihm auf der Haut. Er ignorierte die empörten Rufe der Einheimischen, denen der Matsch ins Gesicht spritzte. Als er um die Ecke bog, war der Mann nur noch fünfzig Meter vor ihm. Deutlich sah Harrer jetzt das röhrenförmige Gefäß in seiner Hand. Es bestand aus Glas und hatte die längliche Form einer Phiole.
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Es schien leer zu sein, doch Harrer wusste nur zu gut, dass das nicht stimmte. Der Mann ahnte nicht, dass er verfolgt würde. Als würden ihn die Sorgen und Ängste der anderen nichts angehen, spazierte er zwischen den Menschen umher und beobachtete dabei, wie sie ihre Habe vor dem Wasser in Sicherheit brachten. Noch fünfzig Meter. Jetzt blieb der Mann stehen und hob das Glas. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen. Harrer riss die Waffe aus dem Gürtel und legte an. Zu weit. Noch vierzig Meter. Der Mann holte aus. Harrer schrie etwas. Er stieß Frauen und Kinder zur Seite, dass sie in den Schlamm stürzten. Er schoss in die Luft. Jetzt endlich wichen die Menschen vor ihm zurück. Der Mann drehte sich um, blinzelte, wie aus einem Traum erwachend. Er lächelte immer noch, selbst als er die Pistole sah. Er schien nicht einmal überrascht. Schieß!, dachte Harrer. Aber es war immer noch zu weit. Endlich bekam der Mann Angst. Aber Harrer machte sich keine Illusionen. Es war nicht sein Leben, um das er fürchtete, sondern die Mission. Dass er scheitern würde. Dass er nicht in das Paradies gelangen würde. Der Mann reagierte instinktiv. Er riss einen Jungen, der in der Nähe stand, zu sich heran und duckte sich hinter seinem Leib. Dann schrie er Harrer etwas zu, das dieser nicht verstand. »Lass ihn los!«, rief Harrer. Er wusste, dass der andere kein Englisch sprach, aber die Waffe in seiner Hand ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, was er wollte. Der Mann grinste jetzt. Er wusste, dass er auf der Siegerstraße war. Das Paradies war so nah. Schieß!, hämmerte es in Harrer, verdammt noch mal, schieß! Die Waffe besaß genug Feuerkraft. Sie würde den Leib des Jungen durchschlagen und den Mann töten, bevor er das Glasgefäß zerbrechen konnte.
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Da, eine Bewegung an Harrers Seite. Eine Frau, die gestikulierte. Vielleicht die Mutter des Jungen. Er stieß sie zur Seite, dass sie in den Schlamm stürzte. Sie standen sich gegenüber, nicht mal zehn Meter voneinander entfernt. Harrer dachte daran, was Colonel Davidge ihm befehlen würde, wenn er hier wäre. Schießen Sie, Harrer! Das ist ein Befehl! Seine Finger krümmten sich um den Abzug, während sich sein Blick in das Gesicht des unschuldigen Kindes bohrte. Er sah die großen, knopfähnlich schwarzen Augen, die ihn verständnislos anblickten. Er konnte es nicht! Der Mann grinste. Er erkannte Harrers Schwäche und lachte. Und dann zerbrach er die Phiole. *** Harrer schoss. Die Kugel streifte die Schläfe des Kindes und warf den Gegner tödlich getroffen zurück. Blut und Schlamm spritzten auf, vermischten sich. Die Glieder des Mannes zuckten, dann streckten sie sich. Der Junge stand wie erstarrt und betastete seinen Kopf. Die Mutter, die Harrer zur Seite gestoßen hatte, raffte sich auf und wollte zu ihrem Kind, doch Harrer hielt sie fest. Sie schrie, verstand nicht, dass er ihr das Leben retten wollte. Der Junge stand immer noch da, ohne zu begreifen, was mit ihm geschah. Dann kam die Atemnot, schleichend und mit tödlicher Gewalt. Harrer zielte über die Köpfe der Menschen, die das Schauspiel verfolgt hatten, schoss mehrmals in die Luft. Die Leute rannten schreiend davon. Der Körper des Jungen begann jetzt zu zittern. Er sackte in die Knie.
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Harrer befeuchtete einen Finger. Ostwind. Er näherte sich dem Jungen vorsichtig von der sicheren Seite, und fing ihn gerade noch auf, bevor er zu Boden stürzen konnte. Er zerrte ihn fort, fünf, sieben Meter weit und legte ihn vorsichtig auf den Rücken. Die Augen des Jungen waren groß. In ihnen spiegelte sich Todesangst. Harrer löste den Verschluss von der Suspension medizinischer Kohle, die er dem Opfer in den Rachen goss. Der Junge krümmte sich. Sein Oberkörper zuckte. »Ausspucken!«, schrie Harrer. Er drehte den Kopf mit Gewalt zur Seite, sodass die Kohlelösung in den Schlamm spritzte. Dann zückte er die Atropinspritze, die für ihn selbst bestimmt gewesen war, und jagte sie dem Jungen in das Herz. Der Kleine erstarrte, als sein Kreislauf kollabierte. Ein dunkler Fleck bildete sich in der abgerissenen Hose. Die Finger des Sterbenden krallten sich in Harrers Hand. Harrer erwiderte den Druck. Mehr konnte er für den Jungen nicht mehr tun. *** Bukitkubu, Nordsumatra Freitag, 1747 westindonesische Standardzeit Sumatra dampfte. Mara Sanchez, die argentinische Waffenexpertin des Alpha-Teams von Special Force One, jagte den Jeep über die unbefestigte Straße, hinein in die Dunstschwaden, die zu beiden Seiten von den Wasserkanälen und Reisfeldern aufstiegen. »Wie weit ist es noch bis Langsa?«, fragte sie. Sulam, der Dolmetscher, hatte sich lässig auf dem Beifahrersitz ausgestreckt. »Höchstens noch fünfzig Kilometer. Gleich sind wir an der Grenze.« Sanchez hatte die Seitenfenster heruntergekurbelt und die Jacke abgelegt, trotzdem hatte sie das Gefühl, in einem Dampfbad gefangen zu sein. Die asiatische Mittagssonne brachte die Landschaft zum Ko-
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chen, und mit jedem Meter, den sie der Straße in nördlicher Richtung folgten, wurde es schlimmer. Sulam Dayak, der dreißigjährige, gut gebaute Dolmetscher, den sie in Medan aufgenommen hatte, schien sich an der Hitze nicht zu stören. Dafür störte es Mara, wie er sie ansah. Sie spürte seine verstohlenen Blicke auf ihren Brüsten, die sich unter dem durchgeschwitzten T-Shirt abzeichneten. Verdammte Affenhitze. Vor ihr tauchte ein Schlagloch auf, das sie im letzten Augenblick umkurvte. Der altersschwache Jeep neigte sich, aber sie hielt ihn in der Spur. Der Motor ruckte und spuckte. Bei jedem Kolbenstoß fürchtete man, dass er auseinanderbrach. In Gedanken verfluchte Sanchez den Colonel. Er hatte auf der Rostlaube bestanden. Ein blitzsauberer Hummer mit 150 PS hätte nach seiner Ansicht nur das Misstrauen der Grenzposten geweckt. Sie blickte zur Seite und sah, dass Sulam grinste. »Was ist?« »Du wirkst so finster. Dabei bist du eine schöne Frau, Anna. Du solltest öfter lächeln.« »Soll das etwa ’ne Anmache sein?« »Wenn du es so verstehst.« Er versuchte ihr Knie zu tätscheln, aber sie schlug seine Hand beiseite. »Leider haben wir keine Zeit, Sulam.« »Ja, das ist schade«, sagte er. Sonst würde ich anhalten, die MP7 durchladen und dir die Eier wegschießen, du Arschloch, dachte sie. Sie dachte an die echte Anna Maria Rodriguez, die sie vor wenigen Stunden in einem Hotelzimmer in Medan ausgeschaltet hatte. Rodriguez war eine Waffenhändlerin und Auftragsterroristin gewesen, eiskalt und skrupellos. Wahrscheinlich war es Sulams Glück, dass er sich, ohne es zu ahnen, an die falsche Anna heranmachte. Sanchez trat das Gaspedal durch. Weitere Reisfelder huschten rechts und links vorbei. Wasserbüffel blickten erstaunt auf den Jeep, der wie ein finsterer Dämon aus dem Nebel auftauchte und gleich wieder darin verschwand.
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Sanchez sah auf die Uhr. Elf Minuten vor sechs. Die Karre gab einfach nicht mehr her. »Wird ziemlich knapp«, sagte Sulam lapidar. »Ich weiß.« »Wenn wir nicht um sechs Uhr an der Grenze sind…« Sie blitzte ihn an. »Halt einfach den Mund, okay?« Als sie wieder auf die Straße sah, waren sie so kurz vor einem Schlammloch, dass sie es nicht mehr umfahren konnte. Matsch spritzte auf die Windschutzscheibe, als der Jeep hineinraste. Sanchez schrie eine Verwünschung und legte den ersten Gang ein, noch bevor der Wagen zum Stehen kam. Sie gab Vollgas. Die Hinterräder drehten durch und schleuderten eine Fontäne aus Dreck und Steinen durch die Luft. Dann fassten sie wieder festen Untergrund. Der Jeep löste sich mit einem Satz aus der Pfütze. »Teufel, das war knapp«, sagte Sulam und grinste unverschämt. »Du und ich, allein im Schlamm, da könnte ich dir mal was zeigen.« Sie erwiderte nichts. Sie war den Sulams dieser Welt schon einmal begegnet. Es war noch in Argentinien gewesen, zum Abschluss ihrer Ausbildung. Da hatten die Männer ihres Teams ihr eine »Lektion« erteilt. In der Nacht, am Strand, einer nach dem anderen. Noch zwei Minuten. Sie würden es nicht schaffen, das wusste Sanchez plötzlich. Als wenig später die Reisfelder von Wald abgelöst wurden und sie endlich die Lichtung erreichten, von der Sulam gesprochen hatte, standen die Zeiger auf eine Minute nach sechs. Eine Minute zu spät! Verdammter Mist. Sie brachte den Jeep vor einem Verschlag aus weißer Presspappe zum Stehen. Ein fettleibiger Wachtposten in der Uniform der indonesischen Armee trat ihr entgegen. Die Mündung seiner AK-47 war direkt auf die Windschutzscheibe gerichtet. Sanchez stellte den Motor ab.
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»Was machen wir jetzt?«, fragte Sulam ängstlich. Sein Grinsen hatte sich verflüchtigt. »Wir steigen aus, was sonst.« Bevor sie die Tür öffnete, griff sie sich beiläufig ans Handgelenk und aktivierte den Fernzünder. Eine Bewegung, die nicht einmal Sulam auffiel. Nur für alle Fälle. »Sag ihm, wer ich bin«, sagte Sanchez. Der Wachtposten schrie etwas auf Bahasa Indonesia. »Er fragt, ob wir Waffen geladen haben«, erklärte Sulam. »Natürlich haben wir Waffen geladen«, knurrte Sanchez. Sulams Gesicht war bleich. Auf seiner Stirn perlten Schweißtropfen, die eben noch nicht da gewesen waren. »Frag ihn, wie viel er will«, sagte Sanchez. »Ich habe genügend Dollars dabei, um ihn zu bezahlen.« Das hoffte sie jedenfalls. Sulam übersetzte. Der Wachposten drehte sich um und rief seinen Leuten etwas zu. Drei weitere Männer kamen aus dem Verschlag gekrochen. Sie sahen ebenso schmutzig und heruntergekommen aus wie ihr Anführer, aber die AK-47-Gewehre in ihren Händen waren gut geölt. Sulam wandte sich an Sanchez. »Er will wissen, wie viel.« Sanchez verdrehte die Augen. »Fünfhundert Dollar. Dafür lässt er uns passieren, ohne einen Blick in den Wagen zu werfen.« Es gab einen Wortwechsel, dann wandte sich Sulam wieder an Sanchez. »Er will fünfhunderttausend.« Sanchez keuchte auf. »Fünfhunderttausend…?« »Er sagt, dass du bestimmt so viel wert bist.« Sulam sah sie flehend an. »Er sagt, es geht ihm nicht um den Wagen. Er will dich - oder die fünfhunderttausend.« Sanchez fluchte. »Ich reiße ihm seinen verdammten Arsch auf, sag ihm das!« Als Sulam stumm blieb, fügte sie hinzu: »Fünfhundert, und keinen Cent mehr!« Das AK-47 des Grenzpostens schwenkte herum zu Sulam. Ein kaum merklicher Druck auf den Abzug, und die Waffe bellte zwei Mal auf. Sulam wurde nach hinten geschleudert. Zwei Treffer in die Brust.
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Noch ehe Sanchez reagieren konnte, zeigte die Mündung wieder auf sie. Der Mörder grinste. »Wozu brauchen wir eigentlich einen Dolmetscher?« , fragte er in fernöstlich akzentuiertem Englisch. *** Panyabungan, Sumatra Freitag, 1747 westindonesische Standardzeit Die verschleierte Frau bewegte sich lautlos über das Gelände des Pesantren, des islamischen Internats im Westen von Panyabungan. Sie folgte einem Streifen aus roter Erde, der, von Reifenspuren gezeichnet, zwischen baufälligen Hütten verlief. Dabei versuchte sie verzweifelt, den Fäkaliengestank zu ignorieren, der sich wie ein erstickender Schleier auf ihre Atemwege legte. Vor einer Hütte am Ende des Weges blieb sie stehen. Im Türrahmen erwartete sie ein mittelgroßer Mann mit asketischen Gesichtszügen und einem dichten, schwarzen Vollbart. Er ließ den Blick wohlgefällig über ihren Schleier gleiten. »Ich bin Abu Kalid«, sagte er. Die Frau verneigte sich stumm. »Hast du eine gute Reise gehabt?« Sie nickte. »Du wirst sehen - dein Mann hat eine gute Wahl getroffen, dich zu uns zu schicken.« Sie schwieg. Abu Kalid trat zur Seite und bedeutete ihr, einzutreten. In der Hütte war es dunkel. Im diffusen Licht einer Kerze erkannte sie eine Gaskochstelle und mehrere verbeulte Töpfe. In einem Schrank, dessen Klappe lose in den Angeln hing, standen angebrochene Reissäcke. Kakerlaken huschten über den Boden. »Du brauchst hier keinen Schleier vor dem Gesicht zu tragen«, sagte Abu Kalid. »Nimm ihn ab!«
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Sie gehorchte, und er blickte mit einer Mischung aus Bewunderung und Abscheu auf ihr blasses, europäisches Gesicht. »Mein Name ist…« »Du sprichst nur, wenn du gefragt wirst!«, unterbrach er sie. Sie nickte gehorsam. »Außerdem ist dein Name für uns nicht mehr wichtig. Er ist Vergangenheit. Es gibt ihn nicht mehr. Für uns heißt du ab sofort nur noch Fatma - die Enthaltsame.« Er sah sie zufrieden an. Offenbar war er der Ansicht, dass der Name zu ihr passte. »Du bist schön, Fatma. Es ist gut, dass du deine Schönheit verhüllst. Sie soll allein deinem Mann zugute kommen. Er wird sich freuen, eine gestrenge Muslimin zu bekommen, wenn du eines Tages nach Europa zurückkehren wirst.« Abu Kalid breitete die Arme zu einer umfassenden Geste aus. »Diese Küche ist dein Arbeitsbereich. Du wirst sie während des Tages ohne meinen Befehl nicht verlassen.« Ein Geräusch an der Tür veranlasste Fatma, sich umzudrehen. Im Rahmen erschien eine Frau, die ebenso verhüllt war wie sie. Unter der Burka zeichneten sich ausladende Körperformen ab. Ihr folgte ein drahtiger Junge mit braunem Kraushaar und schwarzen, knopfartigen Augen. Fatma schätzte ihn auf etwa vierzehn Jahre. Abu Kalid deutete auf die Frau. »Das ist Mandana. Sie ist bisher unsere einzige Köchin und wird dich in deine Arbeit einweisen. Sie wird dir auch deine Unterkunft zeigen.« Er sagte etwas zu Mandana, das Fatma nicht verstand. »Halte dich ab sofort an Mandana, Fatma. Ich habe keine Zeit mehr, mich um dich zu kümmern, denn ich darf meine Lehrpflichten nicht vernachlässigen. Wir sehen uns zum Abendgebet.« Er verließ die Hütte, ohne sie noch einmal anzusehen. Mandana lächelte. Sie besaß ein fleischiges Gesicht mit dicken Lippen und einem ausgeprägten Doppelkinn. Offenbar ist sie nicht nur eine gute Köchin, sondern auch eine gute Esserin, dachte Fatma. »Das ist Tersek«, sagte Mandana und zeigte auf den Jungen. »Er hilft mir manchmal in der Küche, auch wenn er dafür eigentlich schon viel zu alt ist.«
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»Du bist die neue Köchin«, sagte Tersek. Fatma zuckte die Achseln. »Wenn Abu Kalid das so sagt…« »Ich hole nur den Sud für Toni. Er ist krank, deshalb kocht Mandana nur für ihn.« »Wer ist Toni?« »Er ist mein Freund«, sagte Tersek. »Ich zeige dir jetzt deine Unterkunft, Fatma«, sagte Mandana. Sie sprach kein besonders gutes Englisch. Fatma konnte sie kaum verstehen. Sie ließen Tersek in der Küche zurück und überquerten das Gelände. Fatmas Unterkunft stellte sich als eine kleine Hütte heraus, die abseits von den anderen Gebäuden stand. Sie betraten einen engen, finsteren Raum, an dessen Wänden das Wasser kondensierte. Auf fauligen Holzbohlen lagen zwei Matratzen, jeweils mit einer dünnen Decke. »Du wirst bei mir schlafen, bis man eine freie Unterkunft für dich findet«, sagte Mandana lächelnd, als hätte sie Fatma damit einen großen Gefallen getan. In den folgenden beiden Stunden führte Mandana sie durch die Einrichtungen der Koranschule. Fatma erblickte Kinder, die auf Holzbänken im Freien saßen. Sie verstand nicht, was die Lehrer sagten, aber die Kinder hingen an ihren Lippen. Die Unterkünfte der Kinder waren noch ärmlicher als ihre eigene. Sanitäranlagen gab es nicht, nur eine Hütte mit Waschzubern und Eimern. Das Wasser stammte aus einer nahe gelegenen Quelle. Als sie den Rundgang beendet hatten, warf Fatma einen verstohlenen Blick auf ihre Armbanduhr, die sie etwas hinauf geschoben hatte, damit ihre sonderbare Form den Lehrern der Koranschule nicht auffiel. »Ich bin müde«, sagte sie. Mandana nickte verständnisvoll. »Du hattest eine lange Reise, Fatma. Ich bringe dich zurück.« Als sie an ihrer Unterkunft anlangten, registrierte Fatma zu ihrer Erleichterung, dass Mandana offenbar nicht daran dachte, ebenfalls zu Bett zu gehen.
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»Ich muss noch die Küche aufräumen. Wir sehen uns später. Gute Nacht, Fatma.« »Gute Nacht, Mandana.« Sie blickte der beleibten Köchin nach, wie sie zwischen den Wellblechhütten verschwand, und klappte die Tür zu. Ein Schloss gab es nicht, wie sie missmutig feststellte. Fatma ließ sich auf das Bett fallen und zog ihren Reisekoffer zu sich heran. Unter den Kleidern verborgen fand sie das GPS-Handy, mit dem sie eine Funkverbindung zu den anderen Mitgliedern des Alpha-Teams herstellen konnte. Fatma atmete erleichtert auf. Das Gefühl, von der westlichen Zivilisation so weit entfernt zu sein wie die Erde vom Mond, wich einer leichten Anspannung, mit der sie ihren kommenden Aufgaben entgegensah. *** Bukitkubu, Nordsumatra Freitag, 1747 westindonesische Standardzeit Sanchez alias Anna Maria Rodriguez blickte wie erstarrt auf den Leichnam Sulams, der wenige Schritte vor ihr im Matsch lag. Sie spürte keine Trauer, nur unbändige Wut auf den fettleibigen Wachtposten, der ohne mit der Wimper zu zucken ein Menschenleben ausgelöscht hatte. »Was wollen Sie?«, fauchte sie ihn an. »Das sagte ich bereits«, erwiderte der Fette grinsend. Sanchez überkam Ekel bei dem Gedanken, sich von dieser aufgedunsenen Qualle betatschen zu lassen. Außerdem würde es ihr wahrscheinlich sowieso nichts bringen, nachzugeben. Sobald er mit ihr fertig war, würde er sie töten. »Du kannst unbesorgt sein, Schwester. Natürlich werde ich dich ziehen lassen - nachdem sich auch meine Kameraden mit dir befasst haben.« »Ich habe für die Durchfahrt bezahlt. Ich war angemeldet.« »Wo steht das?«
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»Mein Name ist Rodriguez. Ein Mann namens Claude Martin hat mit Ihrem Vorgänger alles Nötige besprochen.« Claude Martin war Anna Rodriguez’ Boss. Über ihn besaß das Alpha-Team nur ungenaue Informationen. Er sollte sich irgendwo auf Sumatra oder Java aufhalten. »Das ist schade, Süße, denn die Schicht meines Vorgängers ist seit sechs Uhr vorbei. Du musst leider noch einmal bezahlen! Nur wird es diesmal sehr viel teurer werden.« Der Fette trat näher heran, so nahe, dass sie seinen schlechten Atem riechen konnte. Sein unverschämter Blick glitt über ihr Gesicht, dann über ihre Brüste, und schließlich noch tiefer. »Hm, eigentlich wollte ich ja fünfhunderttausend verlangen«, krächzte er. »Aber da du bestimmt keine Jungfrau mehr bist, werden wir uns mit fünfzigtausend zufrieden geben. Fünfzigtausend für jeden von uns.« Er grinste. »Wenn du so viel Geld nicht dabeihast, kannst du es dir ja von deinem Boss schicken lassen.« Sie schätzte ihre Möglichkeiten ab. Ein Überraschungsangriff aus der Nähe? Sie hätte ihn vielleicht überwältigen können, aber dann waren da immer noch die anderen drei. »Denk lieber gar nicht dran!«, sagte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Nun, wie steht es mit unserem Angebot?« »Capio!« Er kniff die Augen zusammen. »Was hast du gesagt?« »Wichser!« Die Augen der Argentinierin funkelten ihn an. Er presste ihr die Mündung unter das Kinn. »Ich sollte dich umlegen, du Schlampe.« Sie sah in seinem Gesicht, dass er tatsächlich mit dem Gedanken spielte. Sie musste handeln - jetzt oder nie! Es war mehr ihr Instinkt als klare Überlegung, der sie die Hand zur Faust ballen ließ. Der winzige Zünder wurde aktiviert. »Fahr zur Hölle, du Arschloch!«, rief sie und warf sich mit einem Hechtsprung zu Boden. Ein halbes Kilo Semtex brannte sich in Millisekunden durch die Karosserie des Jeeps, erreichte den Tank und verwandelte den Wagen in einen Feuerball.
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Der Anführer wurde zu Boden gefegt, wo er benommen liegen blieb. Sanchez wälzte sich hinter ihn und brach ihm mit einer ruckartigen Bewegung das Genick. Mit dem aufgedunsenen Leib des Toten als Deckung, richtete sie das AK 47 auf die drei anderen Grenzposten. Der Kugelhagel mähte zwei von ihnen nieder. Der dritte ließ sich gerade noch rechtzeitig zu Boden fallen und erwiderte das Feuer. Sanchez spürte die Einschläge in dem Körper vor ihr. Sie duckte sich und feuerte blind in die Richtung, in der der Schütze eben noch gestanden hatte. Sie merkte gar nicht, wie sie schrie. Irgendwann registrierte sie, dass das Feindfeuer verstummt war. Sie ließ das AK-47 fallen und hob den Kopf. Auf der Lichtung, zwischen den verstreuten Wrackteilen des Jeeps, lagen die drei Soldaten. Ihre Leiber waren nur noch eine blutige Masse. Sanchez atmete tief durch. Heiße Luft drang in ihre Lungen. Es schien, als würde sie jetzt erst wieder zur Besinnung kommen. Die Explosion hatte eine Wand des fragilen Wellblechhäuschens weggefegt, sodass sie in das Innere sehen konnte. Es war leer. Ihre Blicke glitten über die Bäume, zwischen den Stämmen hindurch in den Wald. Nichts. Sie war allein. Sie richtete sich auf. Ihr Körper war von Blut und Schlamm verschmiert. Notdürftig wischte sie sich das Gesicht frei und griff nach dem GPS-Funkgerät am Gürtel. »Sanchez an Alpha-Team.« Sekunden später drang Colonel Davidges verzerrte Stimme aus dem Lautsprecher. »Was ist los, Sanchez? Hat es Probleme gegeben?« »Kann man so sagen, Sir. Sulam ist tot, und der größte Teil der Ausrüstung ist verloren.« »Alles?« »Ich habe den Jeep in die Luft jagen müssen.« Davidge stellte keine weiteren Fragen. Sie konnte ihm später immer noch erzählen, was passiert war. »Sind Sie mobil, Sanchez?« Sie blickte auf den Transporter des Militärs, der neben der Wellblechhütte stand. Er schien intakt zu sein, und die Grenzer würden ihn nicht mehr brauchen.
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»Ja«, sagte sie. »Dann treffen wir uns wie vereinbart.« Sanchez beendete die Verbindung. In der Hütte fand sie Decken. Die Bedeckung des Jeeps war bis auf das Metallskelett verbrannt. Kleine Flammen züngelten über die Ladefläche, die Sanchez mit den Decken erstickte. Zwischen den zerfetzten Planken befanden sich zwei schwere Kästen aus feuerfestem Stahl. Sanchez wickelte sie in die Decken und zog sie von der Ladefläche, sodass sie aufspritzend im Schlamm landeten. Zehn Minuten später waren die Kisten so weit abgekühlt, dass Sanchez sie tragen konnte. Sie schleppte sie zu dem Transporter an der Wellblechhütte. Der Zündschlüssel steckte. Sanchez startete den Motor. Es lagen zwei Stunden anstrengende Fahrt vor ihr. *** Jakarta, Java Freitag, 1841 westindonesische Standardzeit Neneng Kaslan, die persönliche Sekretärin der Präsidentin, stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch und legte den Kopf in die Hände. Eine einzelne schwarze Haarsträhne fiel ihr in die Stirn und warf einen Schatten auf ihre gepuderte Haut. Sie hatte Kopfschmerzen, schon den ganzen Tag. Trotzdem hatte sie alle Termine lächelnd und ohne mit der Wimper zu zucken absolviert. Sie war die rechte Hand der Präsidentin, und diese Ehre brachte auch die Pflicht mit sich, immer ansprechbar zu sein, obgleich ihr innerer Akku seit Monaten auf Reserve lief. Sie genoss das grenzenlose Vertrauen der Präsidentin. Sie war nämlich die einzige Person, die noch ihr Vertrauen genoss - in einer Umgebung, in der es von Hofschranzen, falschzüngigen Beratern und eitlen Speichelleckern wimmelte. Die Präsidentin stand von allen Seiten unter Beschuss. Ihre dreijährige Amtszeit war überschattet von Fehlschlägen und von gescheiterten Reformen. Die religiösen Extremisten gewannen in den
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Provinzen zunehmend an Einfluss, während die Hauptstadt Jakarta in einem Sumpf von Korruption versank. Das Militär beharrte auf seinen Privilegien und betrachtete jede Reform mit Argwohn. Der Stern der Präsidentin drohte angesichts der ausbleibenden Erfolge zu verblassen. Bei den Parlamentswahlen hatte ihre Partei dramatisch verloren, während die Golkar-Partei des früheren Diktators Suharto wie ein Phönix aus der Asche auferstanden war. Neneng Kaslan verscheuchte die deprimierenden Gedanken und musterte den Mann, der ihr gegenüber Platz genommen hatte, argwöhnisch. Der Mann war als UN-Attache Heinrich von Schrader vorgestellt worden. Ein Deutscher, soviel sie wusste. Sie kannte die Deutschen nicht. Von Schrader jedenfalls weckte ihr Misstrauen. Er schien aalglatt und arrogant zu sein. Der Blick, mit dem er sie musterte, drückte aus, dass er Frauen im Beruf nicht für voll nahm. »Ich habe nicht viel Zeit, Sir. Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie unter Verzicht auf die üblichen einleitenden Worte. Sie war müde, und je eher sie diesen Touristen aus New York wieder loswurde, desto besser. Von Schrader lächelte herablassend. »Ich bin hier, um mit Ihnen über ein Problem zu sprechen, das Indonesiens innere Sicherheit bedroht.« »Es gibt in unserem Land viele politische Kräfte, die…« »Es geht um eine Gruppe von Terroristen«, fiel ihr von Schrader ins Wort und erwartete offenbar, dass sie beeindruckt war. Neneng überlegte, welche Gruppe von Schrader meinen könnte. Die Al-Qaida-Kämpfer, die die Urlaubsinsel Bali vor einigen Jahren in eine Trümmerlandschaft verwandelt hatten? Oder die rechtsextremen Kreise des Militärs, die gerüchteweise über einen Putsch nachdachten? Vielleicht die religiösen Eiferer, die vor kurzem einen Bombenanschlag auf das Parlament verübt hatten. Man vermutete den Jemaah Islamiyah dahinter. Dieser Deutsche musste schon etwas konkreter werden. »Es geht um die Separatisten von Aceh«, sagte von Schrader.
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Neneng Kaslan nickte, während ihre Kopfschmerzen schlagartig zunahmen. Die nördlichste Provinz Sumatras war ein Problem, in der Tat. Vor einem Jahr hatte die Präsidentin das Kriegsrecht über Aceh verhängt. Aber der religiöse Terror war kaum in den Griff zu bekommen. Inzwischen war ein Großteil der dortigen Bevölkerung muslimisch, und die Koranschulen Sumatras heizten den Fanatismus weiter an. Dabei war die Religion für die Anführer der Separatisten lediglich das Mittel, um die Massen hinter sich zu bringen. In Wirklichkeit ging es ihnen nur um die wirtschaftliche Unabhängigkeit Acehs, das reich an Bodenschätzen war. Allen Kassandra-Rufern, die immer wieder mahnten, die Provinz sei ein Pulverfass, dessen Lunte lichterloh brannte, konnte Neneng Kaslan nur müde ins Gesicht lachen. Aceh war längst explodiert. »Aceh ist ein innerindonesisches Problem«, erwiderte sie kühl. Von Schrader überhörte ihren Einwand. »Ungefähr ein Drittel der Profite der indonesischen Öl- und Gasproduktion stammt aus Aceh«, begann er zu dozieren. »Es scheint aus meiner Sicht verständlich, dass die Separatisten sich gern ein Stück von ihrem eigenen Kuchen abschneiden würden.« »Die Separatisten sind Umstürzler«, beharrte Neneng. »Terroristen, gegen die mit aller Härte vorgegangen werden muss.« »Selbstverständlich bin ich nicht hier, um die Politik Ihrer Regierung in Frage zu stellen«, sagte von Schrader. Ach nein?, dachte Kaslan. »Aber«, fuhr der Deutsche fort, »wir haben konkrete Hinweise darauf, dass die Separatisten einen Anschlag in Jakarta planen. Über die Art des Anschlags ist bisher nichts bekannt. Wir haben jedoch Informationen darüber, dass sie innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zuschlagen werden. Das Ziel ist ein hochrangiges Mitglied der Regierung, vielleicht die Präsidentin selbst.« »Der Sicherheitsminister ist über die Lage in Aceh ausreichend informiert. Er wird handeln, wie er es für richtig hält.« »Das glaube ich kaum«, sagte von Schrader. »Wir haben nämlich Informationen, die für ihn von großem Interesse sein dürften.« Neneng wartete darauf, dass er weitersprach.
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Von Schrader lächelte gönnerhaft. »Ich habe Ihnen schon mehr verraten, als mir eigentlich erlaubt ist. Ich muss mit dem Sicherheitsminister selbst sprechen.« »Bedaure, er befindet sich auf einer Auslandsreise.« Von Schrader machte ein betroffenes Gesicht. »Dann muss ich die Präsidentin sprechen.« »Sie hat keine Zeit. Sie müssen schon mit mir vorlieb nehmen.« Der Attache schien zu überlegen. Dann seufzte er. »Tut mir leid, das kann ich nicht. Verstärken Sie die Sicherheitsvorkehrungen für die Präsidentin. Sie sollten alle öffentlichen Termine für den morgigen Tag absagen.« Neneng lächelte. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Die Präsidentin ist sehr beschäftigt, Herr von Schrader. Sie ist eine wichtige Person.« Sie genoss von Schraders pikierten Blick. »Nennen Sie mir Ihre Quellen, und wir werden selbst Nachforschungen anstellen.« Der Attache schüttelte den Kopf. »Wir haben ein Einsatzteam vor Ort, das ich nicht gefährden darf.« »Wo?« »In Aceh. Meine Leute operieren an mehreren Orten zugleich, einige von ihnen undercover. Mehr kann ich Ihnen dazu im Moment leider nicht sagen.« In ihrem Schädel pochte es plötzlich stärker. Das war eine Ungeheuerlichkeit. »Wer hat Sie autorisiert, diese Mission durchzuführen? Die Terroristenbekämpfung vor Ort obliegt General Lubis und seinen Leuten. Sie haben kein Mandat in Aceh!« »Die Korruption ist in Ihrem Land allgegenwärtig. Wir wissen nicht, wem wir vertrauen können.« Kaslan nahm die Beleidigung mit gespielter Gelassenheit hin. »Ich werde Erkundigungen über Sie einziehen, Sir. Wie es mir scheint, haben Sie mit Ihrer Aktion die Souveränität unseres Staates verletzt.« Der UN-Attache schlug auf den Tisch. »Begreifen Sie eigentlich, was ich sage, Kaslan? Wir sind hier, um Ihre Präsidentin zu beschützen!«
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»Wir erhalten ständig Terror-Warnungen« , erwiderte sie kalt. »Wir können nicht jedes Mal den Terminplan ändern, wenn irgendein Bürokrat eine Bombenwarnung herausgibt.« Von Schrader wurde blass vor Zorn. »Ich werde mich über Sie beschweren!« Neneng Kaslan stand auf und streckte die Hand aus. »Tun Sie das, Sir. Aber vorläufig kann ich nichts weiter für Sie tun.« *** Medan, Nordsumatra Freitag, 1900 westindonesische Standardzeit Mark Harrer ging das Bild des sterbenden Jungen nicht aus dem Kopf. Er hatte die beiden Leichen zurückgelassen, ohne die Polizei zu informieren. Die traute sich sowieso nicht in die Gegend. Dazu kam das Hochwasser. Die Behörden hatten jetzt andere Sorgen. Harrer kehrte in sein Hotel zurück, machte sich frisch und rief sich anschließend ein Taxi, das ihn in einen der nördlichen Stadtteile brachte. Auch hier starrten die Straßenränder vor Dreck. Autos verstopften die Fahrspuren stadtauswärts, und Wolken aus Dieselqualm und ungefiltertem Benzin hüllten die Häuser zu beiden Seiten ein. Zwischen den Autos tummelten sich Fußgänger. Sie alle trieb es nach Norden, weg vom Fluss. Es war nicht das erste Mal, dass der Deli über die Ufer trat. Und es würde nicht das letzte Mal sein. Grund dafür waren die Rodungen der Bergwälder im Innenland. Die Natur holte sich zurück, was ihr zuvor geraubt worden war. Das Leben. Jeder der Entscheidungsträger kannte den Zusammenhang. Doch niemand wollte es sich mit der Holzfäller-Mafia verscherzen. Harrer befahl dem Fahrer anzuhalten und zahlte. »Warten Sie hier. Ich gehe zu Fuß weiter.« Sein Ziel lag etwa fünfhundert Meter entfernt, eine unscheinbare Hütte in der Nachbarschaft einer verlassenen Fabrik, die von Obdachlosen bewohnt wurde.
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Als er sie erreichte, war es fünf vor halb acht. Er war ein paar Minuten zu früh. Die Hütte sah nicht so aus, als ob sie bewohnt wäre. Das Dach aus Wellblech wurde vom Wind geschüttelt, die Wände waren aus gammelnder Presspappe und Spanholz gezimmert. Harrer betrat die Hütte, und der Geruch von Urin und Erbrochenem überwältigte ihn schier. Eine Gestalt löste sich aus den Schatten. Es war ein Mann - hager, mit einer Goldrandbrille und einem teuren Toupet. Sein Anzug saß tadellos. Die Nervosität, mit der er Harrer musterte, war trotz des diffusen Lichts nicht zu übersehen. »Wurden Sie verfolgt?« Harrer schüttelte den Kopf. »Mussten wir uns ausgerechnet in diesem Dreckloch treffen?« Der Mann musterte Harrers verkniffenes Gesicht und lächelte. »Haben Sie gesehen, was Sie sehen wollten?« Harrer packte den Kerl und warf ihn gegen die Wand, dass das Toupet verrutschte. »Ich habe gesehen, wie ein Junge starb, van Riepen, und das ist allein Ihre, Schuld!« Der Mann hob abwehrend die Hände. »Ich bin auf Ihrer Seite, Harrer. Mir haben Sie es zu verdanken, dass Sie überhaupt von dem Gift wussten.« Er zuckte die Achseln. »So ist eben das Geschäft. Sie wollten einen Beweis, dass ich die Wahrheit sage. Jetzt haben Sie ihn. Dass es dabei ein Opfer gab, tut mir Leid.« »Sparen Sie sich Ihr Mitgefühl. Ich hätte nicht übel Lust, Sie über den Haufen zu schießen.« Van Riepen musterte ihn kalt. »Sie können mir nicht drohen. Wir haben eine Vereinbarung. Ich bekomme meinen neuen Pass und die Bestätigung der Überweisung, und Sie erhalten dafür…« »Her mit der Adresse!« »Nein, erst will ich…« Harrer entsicherte die Pistole. »Sofort.« Van Riepen zögerte, dann nickte er. »Schon gut.« Er griff mit zitternden Fingern in seine Innentasche und beförderte einen weißen Umschlag zutage. »Darin steht, wo Sie Claude Martin finden werden. Es ist ein Haus in der Nähe von Merak.«
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Harrer steckte den Umschlag ein. »Sie werden sehen, dass wir unser Wort halten, van Riepen.« Mit diesen Worten verließ er die Hütte. »Das will ich verdammt noch mal hoffen!«, rief van Riepen ihm hinterher. Harrer beachtete ihn nicht mehr und kehrte zum Taxi zurück. »Zum Militärstützpunkt«, befahl er und zückte das Satellitentelefon. Während die Verbindung hergestellt wurde, öffnete er den Umschlag und faltete das Papier auseinander. Es war ein Computerausdruck. »Matani«, ertönte es im Hörer. »Ich habe die Zieldaten, Sir«, sagte Harrer. »Es ist eine Adresse auf Java, in der Nähe von Jakarta.« *** Kreungmane, Nordsumatra Freitag, 2001 westindonesische Standardzeit Die Nacht war über Sumatra hereingebrochen. In den Lichtkegeln der Scheinwerfer tauchten Nebelschwaden auf und verschwanden wieder. Die Dunkelheit hatte eine angenehme Kühle mit sich gebracht und die Luftfeuchtigkeit auf ein erträgliches Maß sinken lassen. Sanchez jagte den Transporter mit annähernd achtzig Stundenkilometern über die unbefestigte Straße. Seit sie den Grenzposten verlassen hatte, war sie nicht mehr angehalten worden. Aber sie wusste, dass es nicht ratsam war, sich während der Nacht in diesem Abschnitt des Landes aufzuhalten. Die Provinz Aceh war mit der Kriegserklärung zu einer Art rechtsfreiem Raum geworden. Es gab Berichte über Plünderer, die im Dunkeln Stahlseile über die Fahrbahn spannten. Sanchez erreichte das Küstendorf Kreungmane ohne Zwischenfälle. Sie warf einen Blick auf den GPS-Sender an ihrem Handgelenk, steuerte den Wagen an den Straßenrand und stellte den Motor ab.
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Im selben Augenblick lösten sich mehrere Schatten aus der Finsternis. Das mit Tarnfarben bemalte Gesicht Colonel John Davidges tauchte vor den Scheinwerfern auf. Sanchez kurbelte die Scheibe herunter. »Herzlich willkommen, Sergeant«, knurrte der Gruppenführer. »Ich dachte schon, Sie hätten den Bus verpasst.« »Es ging nicht schneller, Sir. Dieser Transporter ist eine Klapperkiste.« »Was ist passiert?« »Ich kam zu spät am Posten an«, sagte Sanchez. »Die neue Wache wollte sich nicht schmieren lassen.« Sie berichtete in kurzen Worten von dem Zwischenfall. »Wie viel von der Ausrüstung konnten Sie retten?«, fragte Davidge. »Nur was sich in den beiden Kisten befindet.« »Das ist das Wichtigste. Wir werden die Aktion wie geplant fortsetzen.« »Aber Sir…« »Das ist ein Befehl, Sergeant Sanchez«, erinnerte John Davidge sie. Er blickte auf die Uhr. »In einer halben Stunde werden Sie im Camp erwartet. Wir halten uns genau an die abgesprochene Abfolge.« »In Ordnung, Sir.« Sie startete den Wagen. *** Panyabungan, Sumatra Freitag, 2034 westindonesische Standardzeit Fatma hatte zusammen mit der Köchin Mandana das Abendessen für die Kinder bereitet und nach dem Essen dem gemeinsamen Abendgebet beigewohnt. Abu Kalid, der Kiai des Pesantren, befahl die Nachtruhe. Zügig kehrten die Kinder in ihre Hütten zurück. Abu Kalid rief Mandana zu sich und sagte auf Englisch, damit Fatma es verstand: »Du wirst die Nachtruhe überprüfen. Nimm Fatma mit, dann kann sie gleich etwas von dir lernen.«
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Mandana führte Fatma durch die Hütten, in denen die Kinder auf fauligen Holzpritschen lagen, notdürftig mit zerschlissenem Stoff bedeckt. Die Wände waren schwarz vor Schimmel, und ein muffiger Geruch erfüllte die Kammern. »Die Unterkünfte sollten einmal gesäubert werden«, sagte Fatma, während sie sich auf dem Weg zur nächsten Hütte befanden. Mandana schüttelte den Kopf. »Abu Kalid hat es verboten.« »Warum?« Mandana schwieg. Fatma nickte verstehend. Es fehlte der Schule an Seife und Wasser, so einfach war das. Es fehlte überhaupt an allem, was Fatma aus einer europäischen Schule kannte - an Büchern, an Unterrichtsstunden und an guten Lehrern. Aber sie sagte nichts, da Mandana sie gewiss nicht verstanden hätte. Sie erreichten den Verschlag, in dem Tersek wohnte. Aus der geöffneten Tür drangen Stimmen, die sofort verstummten, als Mandana eintrat. Tersek saß auf seinem Lager, den Rücken an die Wand gelehnt. Auf der zweiten Pritsche lag ein kleinerer Junge, der in Schweiß gebadet war. Er warf sich unruhig hin und her. »Ist das Toni?«, fragte Fatma. Tersek nickte. »Es geht ihm nicht gut, aber Abu Kalid sagt, er wird bald wieder gesund.« Fatma kniete an der Pritsche nieder und fasste Toni an die Stirn. »Er hat Fieber.« Neben der Pritsche stand ein Tongefäß, in dem ein faulig riechender Sud schwamm. »Was ist das?« »Das ist der Trank, den ich für Toni aus Papayablättern koche«, sagte Mandana. »Er wird ihm helfen, die Krankheitserreger abzutöten, die ihn befallen haben.« Fatma atmete tief durch. Das Einzige, was diese Brühe abtöten würde, waren Tonis Geschmacksnerven. Aber sie widersprach nicht. Sie konnte dem Jungen jetzt nicht helfen, ohne sich verdächtig zu machen. »Schlaft jetzt«, sagte Mandana. »Morgen wird der große Tag kommen. Dann müsst ihr ausgeschlafen sein.«
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Sie schlossen die Tür und gingen weiter. »Ein großer Tag?«, fragte Fatma. »Was bedeutet das?« Mandana zuckte die Schultern. »Das darf ich dir nicht sagen. Du würdest es nicht verstehen.« *** Nördlich von Kreungmane, Nordsumatra Freitag, 2044 westindonesische Standardzeit Das Camp lag nicht an der Straße, sondern versteckt im Inland. Als Sanchez die Abzweigung erreichte, die man ihr beschrieben hatte, erwartete sie ein bewaffneter Posten. Es war ein junger, schwarzhaariger Kerl von höchstens achtzehn Jahren. Über seiner Brust hing ein Patronengürtel, und in der Hand hielt er ein altes Repetiergewehr. Sanchez blendete dreimal auf und ließ den Wagen ausrollen. Der Junge öffnete die Tür, schwang sich auf den Beifahrersitz, ohne zu prüfen, ob sich im Rückraum jemand versteckte, und gab ihr ein Zeichen, dass sie weiterfahren sollte. Anfänger, dachte Sanchez. Der Jeep holperte fast im Schritttempo über den von Schlaglöchern übersäten Waldweg. Nach zwei Kilometern verbreiterte sich der Weg. Es kamen Abzweigungen, und Sanchez erblickte einen Lichtschein. Der Junge dirigierte sie direkt darauf zu. Der Jeep passierte weitere Posten, allesamt junge Männer in furchterregender Bewaffnung. Nur eine Kennerin wie Sanchez erkannte sofort, dass die meisten Waffen alt und nutzlos waren und die Munition im Gürtel nicht dazu passte. Im Zentrum der Lichtung erblickte Sanchez eine Ansammlung von Holzverschlägen. Sie bremste ab und schaltete den Motor aus. Ein breitschultriger Kerl in zerschlissener Tarnkleidung tauchte vor dem Scheinwerfer auf. Ihm folgte eine Eskorte aus sieben breitschultrigen Kerlen, denen der Finger am Abzug zu jucken schien.
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Sanchez wollte die Tür öffnen, aber der Junge hielt sie zurück. Er stieg aus und wechselte einige Worte mit dem Anführer. Dieser nickte und gab Sanchez ein Zeichen, dass sie den Wagen verlassen sollte. Er überragte sie um fast einen Kopf. Der gleichgültige Ausdruck, mit dem sie der Überzahl an Männern gegenübertrat, schien ihn zu irritieren. »Ich bin Faid«, sagte er. Damit war er der Mann, mit dem Anna Maria Rodriguez sich hatte treffen sollen. »Ich bin Anna«, sagte sie. »Wo ist Sulam?« Sein Englisch war gebrochen und schwer verständlich. »Tot«, sagte Sanchez. »Wieso fährst du einen Transporter der Armee?« »Ich bin angegriffen worden. Sie haben Sulam umgebracht und den Jeep zerstört.« Faid rief etwas, das Sanchez nicht verstand. Der Junge trat zu ihr und streckte die Hand aus. »Faid sagt, du sollst mir deine Waffe geben.« »Das kannst du vergessen, Kindchen.« Sofort brachten die Männer hinter Faid ihre Gewehre in Anschlag. Sanchez betrachtete die Waffen spöttisch. »HK33 A2, Schussweite zirka 500 Meter - zumindest vor vierzig Jahren, als die Dinger NATO-Standard waren. Wen willst du damit erschrecken, Faid?« »Ich brauche noch ein paar Exemplare, Rodriguez. Vielleicht kommen wir ins Geschäft.« »Keine Chance, mein Boss handelt nicht mit Antiquitäten. Aber für tausend Dollar pro Stück liefere ich dir fabrikneue G22, Zieloptik und Schalldämpfer inklusive. Überleg es dir.« »Ich will jetzt die Ware sehen, Rodriguez.« »Erst der Stoff«, erwiderte Sanchez. Einen Moment herrschte Schweigen, dann nickte Faid. »Gut, folge mir.« Die Eskorte nahm sie in die Mitte, und sie gingen zu einem der Holzverschläge. Faid drückte die Tür auf und bedeutete Sanchez vo-
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rauszugehen. Sie trat ein und erblickte einen lang gezogenen Tisch, auf dem vier Koffer lagen. Einer von ihnen war geöffnet. »Reinstes Cannabis«, sagte Faid grinsend, »direkt vom Hersteller und nicht gestreckt. Willst du probieren?« Sanchez klappte den Koffer zu. »Wozu? Wenn die Ware schlecht ist, komme ich zurück. Aber das solltest du dir besser nicht wünschen.« »Gut, kommen wir zu deinem Teil der Abmachung.« Sanchez nickte. »Schick zwei Kerle zum Wagen.« Wenige Minuten später kehrten die Männer mit den beiden Kisten zurück. Sanchez öffnete das Codeschloss und klappte den Deckel auf. In dem ersten Behälter befanden sich sechs Gasflaschen, auf deren zerkratzter Oberfläche ein deutlich sichtbares Totenkopfsymbol prangte. »Sechs Kubikdezimeter PF-3 in reiner Form, wie gewünscht«, sagte Sanchez. »Woher soll ich wissen, dass du nicht lügst?«, fragte Faid. »Mach sie doch auf und riech dran.« Sie öffnete den zweiten Kasten, in dem sich zwei Behälter mit Flüssigkeit befanden. »Methyliodid und Triethanolamin. Du brauchst das Zeug als Katalysator.« »Ich werde Proben nehmen lassen«, sagte Faid. »Ihr braucht eine Anlage, um das Zeug zu analysieren. So viel Zeit habe ich nicht.« »Schon morgen früh habe ich die Bestätigung.« »Was soll der Quatsch?«, rief Sanchez. »Wir haben vereinbart, dass ich sofort wieder verschwinde.« Er lachte. »Hast du etwa Angst?« Sanchez musterte ihn kalt. »Ruf Martin an und frag nach.« »Worauf du dich verlassen kannst, Süße.« Er klappte sein Handy aus und tippte eine Nummer ein. Sanchez’ Körper spannte sich unmerklich. »Wenn Martin hört, dass du mir misstraust, ist das die letzte Lieferung, die wir für dich machen.« Faid starrte sie an, dann klappte er langsam das Handy zu.
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»In Ordnung. Du kannst verschwinden. Aber wehe, ich sehe dich später noch irgendwo hier herumschleichen, Rodriguez. Dann werde ich dir…« Ein Schuss riss ihm die Worte von den Lippen. Der Posten an der Tür brach mit einem Loch zwischen den Augen zusammen. *** Colonel Davidge beobachtete aus seinem sicheren Versteck heraus, wie Marina Sanchez den Wagen im Camp stoppte. Er verfolgte, wie sie ausstieg und mit Faid in den Holzverschlag ging. Wenige Minuten später kamen vier Männer zurück und entluden den Transporter. »Sollen wir zuschlagen?«, fragte Sergeant Caruso von der Seite. Der verlängerte Lauf seiner MP7 ruhte auf einem Dreibein, Caruso verfolgte das Geschehen durch die Zieloptik. »Negativ, Sergeant.« Colonel Davidge schaltete die InterlinkVerbindung des Helmfunks ein, der die einzelnen Mitglieder des Alphateams untereinander verband. »Gruppenführer an Team zwei.« »Höre Sie deutlich, Colonel«, erklang die Stimme Pierre Leblancs. »Sind auf Position.« »Haben Sie die Männer identifiziert?« »Nur Faid, Sir. Er scheint der Anführer zu sein. Sollen wir trotzdem zuschlagen?« »Noch nicht, Lieutenant. Wir warten auf Maras Signal.« »Verstanden.« Caruso wandte den Kopf. »Ich halte das für einen Fehler, Colonel. Sanchez ist auf sich allein gestellt. Wenn diese Typen sie abknallen…« »Unsere Orders sind eindeutig«, sagte Davidge. »Sie sollten sich lieber wieder auf die Zieloptik konzentrieren, Sergeant.« »Zu Befehl, Sir«, knurrte Caruso. In diesem Augenblick fiel der erste Schuss. ***
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Von einer Sekunde zur anderen war der Vorplatz des Camps in helles Licht getaucht. Mehrere Jeeps rasten auf den Platz und spuckten Gestalten in Tarnanzügen aus, die sofort das Feuer eröffneten. Faids Männer wurden von dem Angriff völlig überrascht. Zwei, drei von ihnen starben, bevor sie die Schüsse erwidern konnten. Sanchez warf sich zu Boden. Im Fallen zog sie die Waffe. Faid hatte sich hinter dem Türpfosten in Sicherheit gebracht. Er entriss dem Toten das Gewehr und ballerte wild drauflos. Eine feindliche Kugel bohrte sich in die Zarge. Holzsplitter wirbelten durch den Raum. »Verdammt, Rodriguez«, schrie Faid, »wenn das deine Leute sind…« »Ich kenne diese Kerle nicht«, rief sie und ging hinter ihm in Deckung. Sanchez spähte auf den Vorplatz. Maschinenpistolen blitzten auf. Deutlich erkannte sie die Uniformen der indonesischen Armee. »Verdammt, das sind General Lubis’ Leute!«, rief Faid. Er richtete das Gewehr auf einen der Fahrer. Die Windschutzscheibe zerbarst, und der Mann sank in den Kopf getroffen zu Boden. Ausgezeichneter Schuss, dachte Sanchez. Zum Teufel, was hatte die Armee hier zu suchen? Von Schrader war doch nach Jakarta geflogen, um ihnen den Rücken freizuhalten. War dieser aufgeblasene Diplomatensack denn für gar nichts zu gebrauchen? »Verdammt«, rief Sanchez, »haben deine Wachen etwa Tomaten auf den Augen?« »Keine Sorge, Rodriguez. Meine Leute haben diese Kerle bald unter Kontrolle.« Tatsächlich gerieten die Soldaten immer mehr unter Beschuss. Sanchez sah, dass es lediglich vier Jeeps waren, mit jeweils fünf Männern. Das Camp ohne Luftunterstützung anzugreifen - was für ein Wahnsinn! Faid erschoss zwei weitere Soldaten aus seiner Deckung heraus. Sanchez überlegte, ob sie’ Colonel Davidge das Zeichen zum Eingreifen geben sollte. Aber sie entschied sich dagegen. Es war
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schlimm, die Leute sterben zu sehen, aber wenn sie ihre Tarnung aufgab, ohne die entscheidenden Informationen bekommen zu haben, standen sehr viel mehr Menschenleben auf dem Spiel. Zehn Minuten später war der Angriff niedergeschlagen. Neunzehn Soldaten waren tot. Faids Männer hatten nur sieben Verluste zu beklagen. Zwei von Faids Untergebenen schleppten den einzigen Überlebenden der Angreifer in die Hütte. Faid musterte den Lieutenant, der offenbar den Befehl über die Truppe hatte, mit Verachtung. Er spie ihm ein paar Worte ins Gesicht, die Sanchez nicht verstand. Sie vermutete, dass Faid Bahasa Indonesia benutzte, die Amtssprache Indonesiens, die in dieser Provinz ansonsten kaum verwendet wurde. Der Lieutenant ließ die Schimpftiraden reglos über sich ergehen. Er war blass, und Sanchez sah, dass er aus einer Wunde im Bauch blutete. »Er braucht einen Arzt«, sagte sie. Faid schüttelte den Kopf. »Der braucht keinen Arzt mehr. Er wird mir nur sagen, woher seine Leute die Information hatten, dass sich das Camp hier befindet. Dann wird er sterben.« Er brüllte den Lieutenant an, aber der schüttelte nur den Kopf. Faid setzte ihm den Lauf der Maschinenpistole an die Schläfe. »Frag du ihn, Rodriguez. Vielleicht antwortet er ja dir.« »Was soll das, Faid?«, rief sie. »Du weißt, ich habe nichts mit der Armee zu tun.« »Ach ja? Dann wird es dir sicherlich nichts ausmachen, wenn ich diesen Kerl erledige.« Er drückte ab. Der Lieutenant sank tödlich getroffen zu Boden. Sie blickte ihn kalt an. »Das war unnötig, Faid.« »Ganz ruhig, Schätzchen, dir wird schon nichts passieren - wenn du mir ein paar Fragen beantwortest.« »Ich wusste nichts von diesem Überfall.« Was für eine Ironie, dass sie sogar die Wahrheit sagte. Hätte Davidge von dem bevorstehenden Sturmangriff gewusst, hätte er sicher einen anderen Zeitpunkt für die Übergabe gewählt.
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»Egal, ich traue dir nicht«, rief Faid. Er winkte einem seiner Männer, sie zu entwaffnen. »Fesselt sie. Ich werde mich nachher mit ihr unterhalten.« *** Es knackte in Davidges Helmlautsprecher, als Leblanc sich meldete. »Sir, es scheint, als hätten sie Verdacht geschöpft. Gerade haben sie Sanchez abgeführt.« Davidge fluchte. Wer hätte nicht Verdacht geschöpft nach diesem Angriff, der darüber hinaus so stümperhaft ausgeführt worden war, dass Faids Männer keine Mühe gehabt hatten, die Angreifer zu eliminieren. »Konnten Sie sehen, wohin sie gebracht worden ist, Lieutenant?« »In einen der hinteren Verschläge. Er hat ein Fenster auf der Rückseite.« »Können Sie etwas sehen?« »Negativ, Sir. Gerade sind die Männer wieder herausgekommen. Sie haben eine Wache vor der Tür postiert. In der Hütte ist es stockdunkel.« Er schwieg einen Moment. »Miro und ich könnten runtergehen, Sir.« »Vergessen Sie es, Lieutenant. Ich will, dass Sie die Gestalten um Faid identifizieren.« »Aber bis dahin könnte es für Sanchez zu spät sein.« »Caruso wird runtergehen. Sagen Sie Topak, dass er den Transporter präparieren soll. Wir werden Faid die Möglichkeit zur Flucht geben. Wollen wir doch mal sehen, ob er so schlau ist, wie ich glaube.« »Verstanden, Sir.« Davidge blickte Caruso an. »Ich übernehme Ihre Position. Sobald Sie unten sind, geben Sie das Signal. Wir lenken den Gegner ab, und Sie holen Sanchez raus.« Er wartete, bis Caruso fort war, dann griff er nach dem Satellitentelefon. Es dauerte keine zehn Sekunden, bis er die Verbindung zu General Matani hergestellt hatte.
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»Hören Sie, es gibt verdammt schlechte Nachrichten, Sir.« *** Sanchez arbeitete fieberhaft an ihren Fesseln. Faid war kein Dummkopf, er würde bald wiederkommen, um sie zu verhören. Gerade hatte sie die Schnüre so weit gelockert, dass sie die linke Hand herausziehen konnte, da öffnete sich die Tür. Faid erschien im Rahmen und hinter ihm ein bewaffneter Posten. Sofort fiel sein Blick auf ihre Hände. Er brüllte einen Befehl, und ein Mann stürmte herein und zurrte die Knoten fest. »Ich habe dich nicht unterschätzt, Rodriguez«, sagte Faid grinsend. »Welch ein Glück für dich, denn hättest du nur einen Schritt nach draußen gemacht, wärst du jetzt tot.« »Lass mich gehen, Faid«, sagte Sanchez. »Wenn mein Boss erfährt, dass du mich festhältst, bist du derjenige, der…« »Du solltest meine Geduld nicht überstrapazieren. Was hast du mit der Armee von General Lubis zu tun?« »Gar nichts. Ich wusste nichts von dem Angriff.« Er packte ihr Gesicht und presste ihre Wangen zusammen. »Lüg mich nicht an! Es kann unmöglich ein Zufall sein, dass die Armee ausgerechnet jetzt hier aufgetaucht ist!« Sie schüttelte seine Hände ab. »Ach ja? Dann schalt mal dein verdammtes Gehirn ein! Meinst du nicht, dass ich mich vorher in Sicherheit gebracht hätte, wenn ich gewusst hätte, dass ein Angriff geplant ist?« Faid starrte sie böse an. »Du kannst ja Martin anrufen und nachfragen«, bluffte sie. Er würde es nicht tun, da er sich damit nur selbst in Erklärungsnot gebracht hätte. »Dein Boss interessiert mich einen Scheiß«, schrie Faid. Einer seiner Männer betrat die Hütte. »Wir sollten das Lager räumen, Faid. Vielleicht hatten die Truppen Gelegenheit, Verstärkung anzufordern.«
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Faid winkte ab. »Ich weiß selbst, dass wir verschwinden müssen. Bereitet alles vor. Nehmt die Chemikalien und den Stoff mit.« Er wandte sich wieder an Sanchez. »Du wirst uns zum Hauptlager begleiten. Von dort aus rufen wir deinen Boss an. Wenn sich herausstellt, dass er uns verarscht hat, stirbst du.« Er gab den Männern ein Zeichen. Sie packten Sanchez und schleppten sie hinaus. *** Sergeant Caruso war gerade hinter dem Holzverschlag angelangt, als Faid und seine Spießgesellen die Hütte betraten. Caruso warf einen kurzen Blick durch das Fenster. Vier Gegner - das waren mehr, als er auf einen Streich erledigen konnte. Außerdem war Sanchez gefesselt. Er hörte, was Faid und Sanchez besprachen. Die Tür öffnete sich, und Faid trat heraus. »Was ist los, Sergeant«, erklang Davidges Stimme über Interlink. »Ich sehe sie gerade aus der Hütte kommen.« »Sie wollen das Camp verlassen, Sir.« Davidge wandte sich an Miro Topak. »Haben Sie den Sender angebracht, Sergeant?« »Erledigt, Sir«, erklang Topaks Antwort. »Dann ziehen Sie sich zurück, Sergeant Caruso. Im Augenblick können wir nichts mehr für Sanchez tun.« Caruso sah den Männern zu, wie sie Sanchez in den Transporter stießen. Dann wurden die Koffer aufgeladen. Die Kisten mit den Chemikalien wurden in einem Jeep verstaut. Die Motoren starteten, und Sekunden später rasten die Wagen durch den aufspritzenden Schlamm davon. Caruso blickte der Kolonne nach, bis die Rücklichter im Wald verschwanden. Er verließ sein Versteck. Es begann zu regnen. Und es war immer noch erstickend heiß. ***
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Colonel John Davidge schritt zwischen den Leichen der Soldaten umher. Er sah die blutüberströmten Gesichter junger indonesischer Männer und fragte sich, ob es einen Weg gegeben hätte, diesen Angriff zu verhindern. Die Antwort war eindeutig. In New York hatte man sich entschlossen, die indonesische Armee nicht vorab über die Undercover-Aktion in Kenntnis zu setzen. Aus gutem Grund. Ein einziges Leck, ein einziger korrupter Offizier hätte ausgereicht, um die Mission scheitern zu lassen. Davidge rief die Männer zusammen. Es wurde Zeit, von hier zu verschwinden. »Haben Sie die Armeetransporter überprüft, Corporal Topak?«, fragte er. »Sind einsatzbereit, Sir.« Davidge blickte zu Leblanc, der bereits eingestiegen war und vor seinem Laptop saß. »Haben Sie das Signal, Lieutenant?« »Klar und deutlich, Sir. Sie sind auf dem Weg nach Norden.« »Schön. Stellen Sie eine Satellitenverbindung zu Lieutenant Harrer her. Wir werden improvisieren müssen, meine Herren. Niemand konnte absehen, dass der Gegner Sanchez entführen würde. Aber das ist vielleicht auch unsere Chance, die Schlange beim Kopf zu packen.« »Die Verbindung steht, Sir.« »Geben Sie her.« Davidge ergriff den Hörer. »Lieutenant Harrer, hören Sie mich?« Mit einer Sekunde Verzögerung vernahm er Harrers Stimme. »Die Aktion ist fehlgeschlagen«, fuhr Davidge fort. »Sanchez wurde entführt. Aber wir haben einen der Wagen im Auge und werden ihr folgen. Was haben Sie in Medan herausgefunden, Lieutenant?« »Es gab einen Unfall, Sir. Einer der Terroristen ist tot, außerdem ein Kind. Aber ich habe Claude Martins Adresse. General Matani schickt einen Hubschrauber, um mich abzuholen.« »War van Riepen kooperativ?« »Schätze, er hatte keine andere Möglichkeit, Sir.«
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»Gut. Suchen Sie den Waffenhändler auf. Sobald Sie neue Hinweise haben, melden Sie sich bei uns.« Er unterbrach die Verbindung, ohne Harrers Erwiderung abzuwarten, und wandte sich wieder an das Team.» Wie Sie wissen, bleibt uns nicht mehr allzu viel Zeit, die Krise zu entschärfen, meine Herren. Der Anschlag in Jakarta soll in weniger als vierundzwanzig Stunden erfolgen. Wir folgen Sanchez. Wenn es eine Möglichkeit gibt, werden wir sie befreien. Vielleicht haben wir sogar Glück, und die Situation spielt uns in die Hände.« »Was ist, wenn die Armee uns erneut in die Quere kommt?«, fragte Sergeant Alfredo Caruso. Davidge schnaubte. »Wir können nur hoffen, dass von Schrader mit seinen Mahnungen Gehör findet. General Matani steht mit ihm in ständigem Kontakt.« »Was ist mit Ina?«, fragte Topak. »Solange nichts Außergewöhnliches vorfällt, werden wir den Kontakt vermeiden«, sagte Davidge. »Dr. Lantjes’ wahre Identität darf während der nächsten Stunden nicht gelüftet werden. Mir reicht es, dass bereits Sanchez aufgeflogen ist.« Er befahl Corporal Topak, sich hinters Steuer zu setzen. Leblanc blieb mit seinem Notebook auf dem Beifahrersitz. Die anderen nahmen im Rückraum Platz. Topak startete den Motor, und die Scheinwerferlichter stachen in die Nacht. Knatternd verließ der Transporter das Camp und ließ die verfallenen Hütten, das Blut und die Toten hinter sich zurück. *** Militärbasis in der Nähe von Palembang, Sumatra Freitag, 2335 westindonesische Standardzeit General Matani hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Lieutenant Harrer den Flug nach Java zu ermöglichen. Der Helikopter hatte Harrer gegen halb zehn in Medan aufgenommen und war mit der Höchstgeschwindigkeit von 250 Stundenkilometern Richtung Süden gestartet.
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Als der Helikopter zum Auftanken in Palembang Station machte, rief Mark Harrer erneut General Matani an. »Keine neuen Informationen über Colonel Davidge«, erklärte General Matani. »Sie sind offenbar immer noch auf dem Weg zum Hauptcamp der Terroristen.« »Was ist mit Sanchez?«, fragte Harrer. »Wir wissen es nicht. Wir gehen im Augenblick davon aus, dass ihre Identität noch nicht gelüftet wurde.« Harrer presste die Lippen zusammen. Ihnen allen war klar gewesen, welches Risiko die verdeckten Operationen dieses Auftrags mit sich brachten. Die Stärke des Alpha-Teams war, dass sich jeder auf den anderen verlassen konnte. Jetzt aber waren die meisten von ihnen auf sich allein gestellt. »Gibt es schon etwas Neues von Ina?« »Sie hat sich um 2020 Ortszeit wie vereinbart gemeldet. Sie hatte noch keine Zeit, den Leiter dieses ominösen Internats, einen gewissen Abu Kalid, näher unter die Lupe zu nehmen.« »Van Riepen hat doch bestätigt, dass Abu Kalid eine wichtige Zelle der Separatisten anführt.« »Van Riepen war Geschäftsmann, Harrer. Er hat Giftgas und Informationen verkauft. Für Geld hätte er uns alles Mögliche erzählt.« »Ich bin dafür, dass wir die Schule räumen lassen. Ina schwebt in großer Gefahr.« »Negativ, Lieutenant«, sagte Matani bestimmt. »Die Operation wird wie geplant fortgeführt. Wann werden Sie Ihr Ziel erreichen?« »Der Pilot sagte, dass wir Merak in zwei Stunden erreichen werden. Mit dem Wagen ist es dann noch eine halbe Stunde.« »Wir bleiben in Kontakt, Harrer. Sie sind mein wichtigster Mann bei dieser Operation. Sie liefern die Informationen, auf deren Grundlage wir unsere Entscheidungen treffen.« Es klickte, als Matani die Verbindung unterbrach. Harrer ließ das Sprechgerät sinken und sah dem Personal zu, das die Betankung gerade abgeschlossen hatte. Der Pilot gab ihm ein Zeichen, dass es weiterging.
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Harrer stieg ein und schlug die Klappe hinter sich zu. Der Helikopter startete in die Nacht. Der Gedanke an Ina Lantjes und Mara Sanchez ließ Harrer nicht los. Er hatte kein gutes Gefühl. Die nächsten Stunden würden hart werden. Verdammt hart. *** Panyabungan, Sumatra Freitag, 2338 westindonesische Standardzeit Dr. Ina Lantjes alias ›Fatma‹ schreckte aus dem Schlaf. Sie hatte ein Geräusch vernommen. An der Tür. Es waren langsame Schritte, als ob sich jemand vorsichtig an die Hütte heranschlich. Leise warf sie die Decke zurück und tastete nach der kleinkalibrigen Pistole, die sie geladen und griffbereit in ihrer Reisetasche verborgen hatte. Mandana schlief tief und fest. Ihr Oberkörper hob und senkte sich unter regelmäßigen Atemgeräuschen. Wahrscheinlich hätte sie selbst den Einschlag einer Artilleriegranate überhört. Lautlos verließ Lantjes das Bett und schlich zur Tür. Die Geräusche waren jetzt unmittelbar vor dem Eingang. Hatte Abu Kalid ihre Tarnung durchschaut? Sie wusste um das Risiko. Ein neuer Pass, ein Hausfrauenlebenslauf, ein Ehemann, der überhaupt nicht existierte. Es hatte SFO einige Arbeit gekostet, ihren Lebenshintergrund so zu verfälschen, dass der Kiai bereit war, sie als ›Glaubensschwester‹ im Pesantren zu empfangen. Der Imam der Moschee in den Niederlanden, der den Kontakt eingefädelt hatte, war ein Informant der CIA. Er besaß weit reichende Kontakte zu islamischen Terrorzellen. Wenn Ina aufflog, verlor der amerikanische Geheimdienst eine seiner wichtigsten Quellen. Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Ina wartete im toten Winkel der Tür. Ein Schatten fiel auf den Boden, ein Kopf erschien. Braunes Kraushaar. Es war Tersek. Er warf einen Blick auf ihre leere Unterkunft und wollte sich wieder zurückziehen. Ina trat hinter der Tür hervor.
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Er schrak zusammen, als er sie erblickte. »Was tust du hier?«, flüsterte sie und hielt die Waffe so, dass Tersek sie nicht sehen konnte. »I-ich wollte nur sehen, ob… Es ist für Toni… Ich…« »Was ist mit Toni?« »Ihm geht es schlecht… Ich wollte Mandana fragen, ob sie ihm noch mehr Medizin geben kann.« Ina musterte ihn. Seine Besorgnis schien echt zu sein. »Wir dürfen Mandana nicht aufwecken«, sagte sie und trat langsam zu ihrer Pritsche zurück. Die Waffe ließ sie hinter ihrem Rücken in die geöffnete Tasche fallen. »Aber er hat solche Schmerzen! Ich glaube, er stirbt!« Tersek hatte leise gesprochen. Trotzdem regte sich Mandana und blinzelte. Als sie den Jungen erblickte, schreckte sie auf. Sie warf ihm einige Worte an den Kopf, die Ina nicht verstehen konnte. »Er ist nur hier, weil er sich um Toni sorgt«, versuchte Ina zu vermitteln. »Er darf die Unterkünfte der Frauen niemals betreten«, beharrte Mandana. »Abu Kalid wird sich um Toni kümmern.« »Abu Kalid ist kein Arzt«, sagte Ina, »und das weißt du!« Mandana blickte sie erstaunt an. Offenbar ging es über ihr Verständnis, dass eine Frau es wagte, den Kiai des Internats zu kritisieren. Sie rang mit sich selbst. Schließlich nickte sie. »Gut, wir gehen. Tersek wird draußen warten.« Der Junge nickte hastig und zog sich zurück. »Was weißt du über Abu Kalid?«, fragte Ina. »Woher kommt er? Wie ist er zum Kiai dieser Schule geworden?« Mandana warf ihr einen merkwürdigen Blick zu. »Du stellst viele Fragen, Fatma.« Sie legte schwerfällig ihre Unterkleider an und zog sich die Burka über. »Er ist oft fort, nicht wahr?«, bohrte Ina weiter. »Hat er Freunde in Medan, die er besucht?« »Abu Kalid sagt nie, wohin er geht.« »Er ist der oberste Lehrer an der Schule. Da müsste er doch immer bei den Kindern sein.«
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»Abu Kalid weiß, was er tut«, sagte Mandana bestimmt. »Er ist ein großartiger, gottesfürchtiger Mann!« Mandana öffnete die Tür. Tersek erwartete sie bereits unruhig. Als sie seine Unterkunft erreichten, vernahm Ina bereits von draußen Tonis Stöhnen. Mandana öffnete die Tür. Toni wälzte sich auf seinem Lager. Er war leichenblass, und seine Stirn glänzte vor Schweiß. »Es geht ihm schlechter«, sagte Mandana. »Ich werde ihm einen Sud kochen.« »Lass mich ihn untersuchen«, bat Ina. Mandana runzelte die Stirn. »Wie willst du ihm helfen können?« »Ich habe in Europa einige wirksame Arzneimittel kennen gelernt. Um sie anzuwenden, muss ich aber erst wissen, an welcher Krankheit Toni leidet.« »Aber deine Arzneimittel gibt es hier nicht. Sie können Toni nicht helfen.« »Man bekommt sie auch in diesem Land«, widersprach Ina. »Wie lange hat Toni das Fieber schon?« »Einige Tage«, sagte Mandana. »Wir hatten gehofft, dass es durch den Sud abklingt.« »Ist er müde?« Tersek nickte. »Er sagt kaum noch etwas. Seit zwei Tagen kann er nicht mehr am Unterricht teilnehmen.« Mandana nickte mitleidvoll, als wären die verpassten Betstunden das Schlimmste, was dem Jungen zustoßen konnte. Ina kniete vor Toni nieder und fühlte seinen Puls. Er war schwach. »Frag ihn, ob er Durchfall hatte, Tersek.« »Durchfall?« Mandana erklärte ihm verlegen, was Ina meinte. »Und frag ihn nach Übelkeit«, fügte Ina hinzu. »Ich muss wissen, wann er zuletzt etwas gegessen hat.« Sie brauchte die Antworten eigentlich gar nicht mehr abzuwarten. Toni zeigte typische Symptome einer tropischen Malaria. Die Luft war feucht, die Küste besaß Sumpfgebiete, da war es nicht unwahrscheinlich, dass sich eine infizierte Mücke hierher verirrt hatte.
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»Er sagt, dass ihm schwindlig ist«, übersetzte Tersek. Ina stand auf. »In meiner Hütte habe ich ein Mittel, das Toni helfen kann.« Ihre Notfallapotheke umfasste Cloroquin, das sowohl als Notfallmedikament wie auch als Prophylaxe eingenommen werden konnte. Sie schätzte allerdings, dass sie zusätzlich einige Tabletten Mefloquin verabreichen müsste. Toni befand sich bereits im fortgeschrittenen Stadium. Es war nicht sicher, ob er überleben würde. Sie wartete Mandanas Antwort nicht ab und ging hinaus. Als sie zurückkehrte, befanden sich nur noch Toni und Tersek in der Hütte. »Wo ist Mandana?«, fragte sie. Tersek zuckte die Schultern. Sie gab ihm die Tabletten. »Gib sie Toni. Von dir wird er sie nehmen.« Tersek vertraute ihr und überredete Toni, die Tabletten einzunehmen. »Jetzt sollten wir ihm kalte Umschläge machen«, sagte Ina. »Er muss unbedingt zu einem Arzt, am besten in ein Krankenhaus.« Sie fuhr herum, als die Tür aufgestoßen wurde. Abu Kalid erschien im Rahmen. »Was tust du hier?«, schrie er sie an. »Ich helfe Toni. Er hat die tropische Malaria. Er muss sofort zu einem Arzt.« Er stieß sie zurück. »Mandana weiß am besten, was für Toni gut ist.« »Das weiß sie nicht. Toni wird sterben, wenn er nicht behandelt wird.« »Es ist Gottes Wille, was mit Toni geschieht.« Abu Kalid musterte sie verächtlich. »Ich habe gleich gewusst, dass mit dir etwas nicht stimmt. Mandana hat dies hier gerade in deinen Sachen gefunden.« Er zog die Pistole. »Du bist eine Verräterin, Fatma!« Sie suchte fieberhaft nach einer Ausrede. »Diese Waffe hatte ich auf der Reise dabei - zu meiner eigenen Sicherheit.« Sie wusste selbst, dass die Erklärung dünn war. Aber sie musste Zeit gewinnen.
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Kalid richtete die Pistole auf den Kranken. »Soll ich Toni erschießen, Fatma? Oder lieber Tersek? Erzählst du mir dann, wer dich hergeschickt hat?« »Mich hat niemand hergeschickt!« »Lüg mich nicht an!« Er schrie die Worte heraus. Sein Gesicht war rot vor Zorn, und seine Hand zitterte. »Du bist eine Ungläubige. Du wolltest uns ausspionieren!« Er gab Mandana und Tersek einen Wink. »Geht hinaus. Ich werde mich um Fatma kümmern.« Tersek hob den Arm. »Aber sie…« »Verschwinde, habe ich gesagt!« Er lief nach draußen, und Mandana folgte ihm hastig. »Los, Ungläubige, du gehst voraus.« »Sie machen einen schweren Fehler, Kalid.« Sie stockte, als sie den Lauf ihrer eigenen Waffe im Nacken fühlte. »Vielleicht sollte ich dich jetzt gleich erschießen. Das hoffst du doch, oder? Aber das Vergnügen werde ich dir nicht machen.« Sie überlegte, ob sie einen Überraschungsangriff wagen sollte. Aber wenn das wenige, was SFO über Abu Kalid wusste, stimmte, würde er darauf gefasst sein. »Los, rüber zu der Hütte!« Er dirigierte sie zu einer der wenigen Steinbauten. Es schien sich um einen Lagerraum zu handeln. Massive Mauern, keine Fenster. »Hinein mit dir!« Ina gehorchte. »Wir sollten reden«, sagte sie beschwörend. »Es gibt immer eine Möglichkeit, sich zu verständigen, Kalid.« Sie bekam einen Tritt in den Rücken, dass sie zu Boden stürzte. »Wir werden reden«, zischte er, »aber erst dann, wenn ich es will. Bis dahin bleibst du hier.« Die Tür krachte ins Schloss, und sie hörte, wie Abu Kalid durch den Morast davonstapfte. *** Provinz Aceh, Nordsumatra
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Samstag, 0001 westindonesische Standardzeit Es war kurz nach Mitternacht, als das Lager der Separatisten vor ihnen auftauchte. Es bestand aus einem steinernen Haupthaus und mehreren umliegenden Holzhütten, die von einem Palisadenzaun geschützt wurden. Am Tor wurden die Wagen von schwer bewaffneten Wachposten empfangen. Faid stoppte den Konvoi auf dem Vorplatz und wies die Männer an, die Chemikalien in das Haupthaus zu schaffen. Dann wandte er sich an Sanchez. »Du folgst mir mit den anderen, Anna. Ich muss ein paar Telefonate führen.« Bis zum Haupthaus waren es nur wenige Meter. Sanchez versuchte so viele Eindrücke wie möglich zu speichern. Fünfzehn bis zwanzig bewaffnete Männer auf dem Vorplatz, dazu die Wachen am Tor. Keine von ihnen war älter als dreißig, einige gerade erst dem Kindesalter entwachsen. Das Haus war beleuchtet und besaß vielleicht zehn Zimmer. Vor den Hütten brannten Fackeln, was darauf schließen ließ, dass sich weitere Männer darin befanden. Ein Dieselgenerator tuckerte. »Vorwärts!«, rief Faid ungeduldig und führte sie zu einer schmalen Eingangstür, die von einem Jüngling mit grimmiger Miene bewacht wurde. »Ist das hier euer Hauptlager?«, fragte Sanchez. Faid drehte sich nicht um. »Es ist eines unserer Lager. Wie viele es insgesamt gibt, brauchst du nicht zu wissen - nur dass ihre Zahl ausreichen wird, die verbrecherische Regierung in Jakarta zu vernichten.« »Ich sehe weder Frauen noch Kinder.« Faid machte ein verächtliches Gesicht. »Du bist eine Europäerin, deshalb weißt du nicht, dass es muslimischen Frauen verboten ist zu arbeiten.« Das stimmte wohl kaum, aber Faid machte nicht den Anschein, als sei er bereit, über seine Auslegung der Glaubenslehre zu debattieren. »Wie viele Männer sind hier stationiert?« Er fuhr herum. »Du stellst zu viele Fragen, Anna. Bist du etwa so neugierig, weil du uns ausspionieren willst?«
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Sie lachte auf. »Deine Ziele sind mir völlig egal, Faid. Du bezahlst, und das reicht uns. Aber ich habe nicht viel Zeit, und Claude wird nicht erfreut darüber sein, dass du mich festhalten willst.« »Seine Macht reicht nicht bis nach Aceh.« »Ruf ihn an und finde es heraus.« Er winkte zwei Männer heran. »Später. Jetzt habe ich mich um Wichtigeres zu kümmern. Bringt sie nach unten. Und passt auf - sie ist klug. Ich will nicht, dass sie euch entwischt.« Aber sie hatte gar nicht mehr die Absicht zu fliehen. Was sollte ihr eine Flucht nützen - jetzt, da sie in die Höhle des Löwen vorgedrungen war? Nein, jetzt zählte es einzig und allein, weitere Informationen über Faids Organisation zu erhalten. Sie hatte keine Angst. Sie hatte bereits während ihrer Ausbildung gelernt zu vergessen, was Furcht bedeutet. *** Provinz Aceh, Nordsumatra Samstag, 0003 westindonesische Standardzeit »Sie sind stehen geblieben«, sagte Pierre Leblanc. Colonel John Davidge blickte über die Schulter des Lieutenants hinweg auf den grünen Punkt, der auf dem Bildschirm des Notebooks an einer bestimmten Stelle verharrt war. »Wie weit?«, fragte Davidge. »Knapp drei Kilometer vor uns.« »Halten Sie an, Corporal Topak, und schalten Sie das Licht aus. Geben Sie mir das Telefon, Lieutenant Leblanc.« Er wählte Matanis Nummer. Der General in Fort Conroy schien nur auf ihren Anruf gewartet zu haben. Er nahm sofort ab. »Wir brauchen ein Satellitenbild mit Infrarotauswertung, Sir. Es handelt sich um ein feindliches Lager, vermutlich mehrere Dutzend schwer bewaffnete Personen.« »Die Positionsdaten?«, fragte Matani. »Breite: 95 Grad, 22 Minuten, drei Sekunden. Länge: 96 Grad, vier Minuten, 55 Sekunden. Wir benötigen außerdem Informationen über
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das Gelände. Befestigte Straßen, Fluchtwege und alle Dörfer in der Umgegend.« »Ich lasse Ihnen die Daten zukommen. Die Bilder werden etwa eine Viertelstunde alt sein.« »Vielen Dank, Sir.« Davidge zögerte, die Verbindung zu beenden. »Gibt es schon etwas Neues von Lieutenant Harrer und Dr. Lantjes?« »Der Helikopter wird sein Ziel in wenigen Minuten erreichen. Dr. Lantjes hat sich noch nicht wieder gemeldet. Ich gehe davon aus, dass alles in Ordnung ist.« »Danke, Sir. Wir warten auf die Übertragung.« Die nächsten Minuten verbrachten sie schweigend. Davidge blickte auf die Uhr. Die Zeit rann ihnen wie Sand durch die Finger. »Da kommt etwas, Sir«, rief Leblanc. Der Bildschirm zeigte das Kommunikationsprogramm. Die Übertragung lief schleppend, da sie hochauflösende Daten angefordert hatten. Zwanzig Sekunden später hatten sie ein Foto des Lagers auf dem Bildschirm. »Ein Hauptgebäude mit mehreren angrenzenden Häusern«, sagte Leblanc. Auf dem Monitor häuften sich viele weiße Punkte zu größeren Flecken. »Das sind eine Menge Leute. Mindestens fünfzig, würde ich sagen.« »Gibt es eine Begrenzung?« »Das hier sieht aus wie ein Zaun. Kann ich aber nicht genau sagen. Die Straße führt hindurch. Dort sind zwei Posten stationiert.« »Welches Gelände können wir erwarten?« »Bewaldet, hügelig und somit unübersichtlich, was vermutlich unser Vorteil ist. Es gibt aber auch ein Problem. Der Weg, auf dem wir uns befinden, ist die einzige Straße, die zu dem Lager führt. Es gibt keinen anderen Fluchtweg.« Caruso verzog das Gesicht. »Das heißt, wir sitzen in der Klemme, wenn die Kerle Verstärkung kriegen!« Leblanc nickte. »So ist es, Kumpel.«
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»Umso wichtiger ist es, dass wir schnell zuschlagen«, sagte Davidge. »Gibt es Möglichkeiten, den Feind abzuhören?« »Leider nicht. Die Ausrüstung dafür wurde bei der Explosion des Jeeps gegrillt.« Er schnippte mit den Fingern. »Ich könnte versuchen, herauszufinden, ob in dem Lager Handys aktiv sind. Wenn ich mich in die Rechner der Telefongesellschaft einhacke, könnte ich sie identifizieren.« »Tun Sie das, Lieutenant.« Miroslav Topak runzelte die Stirn. »Dann können wir trotzdem nur die Anrufe abhören, Sir. Wir wissen weder, worüber die Gegner sprechen, noch wo im Gebäude Sergeant Sanchez sich aufhält.« »Dann müssen wir sie eben irgendwie aus der Reserve locken«, sagte Caruso. »Damit sie einem Anruf er Entscheidendes verraten.« Davidge nickte. »Verdammt gute Idee. Geben Sie mir noch einmal das Telefon, Leblanc.« *** Jakarta, Java Samstag, 0022 westindonesische Standardzeit Neneng Kaslan wollte sich gerade in ihre Privaträume zurückziehen, als sie ein Anruf aus der Zentrale erreichte. »Ein gewisser Herr von Schrader von den Vereinten Nationen, Frau Kaslan.« Neneng verdrehte die Augen. Es war nach Mitternacht. Gab dieser Kerl denn nie Ruhe? »Stellen Sie durch. Ja, Herr Attache?« »Entschuldigen Sie die späte Störung, Frau Kaslan, aber es gibt neue Informationen.« Von Schrader klang überhaupt nicht mehr so arrogant wie heute Nachmittag. Irgendetwas musste vorgefallen sein. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich Ihnen nicht helfen kann« sagte sie. »Haben Sie die Präsidentin über unsere Bedenken informiert?« »Dazu gab es keine Veranlassung.«
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Von Schrader schnaubte hörbar. »Jetzt gibt es eine. Unsere Mission hat einen schweren Rückschlag erlitten. Die Verbindung zu einem Mitglied der Einsatztruppe ist abgerissen.« »Was wollen Sie mir damit sagen?« »Dass es neue Unwägbarkeiten gibt. Möglicherweise werden die Terroristen ihren Plan ändern. Das bedeutet, dass wir so gut wie keine Chance haben, den Anschlag vorauszusehen.« »Was mich betrifft, so habe ich nie den Wunsch gehegt, dass Sie…« »Wir müssen uns treffen, Frau Kaslan - bitte!« »Ich habe für morgen einen vollen Terminkalender.« »Ich spreche nicht von morgen. Wir müssen uns sofort sehen!« Sie schüttelte den Kopf. Der Mann war eindeutig verrückt. »Schön. Was bieten Sie mir, wenn ich mich mit Ihnen treffe?« »Informationen«, sagte von Schrader. »Ich werde Ihnen sagen, wo sich unsere Truppe befindet.« »Das ist zu wenig.« Von Schrader atmete hörbar ein. »Sie werden Einzelheiten von mir hören, Frau Kaslan. Einzelheiten, die das Leben der Präsidentin retten könnten.« »In Ordnung. Wir treffen uns in dreißig Minuten«, sagte sie und legte auf. *** Provinz Aceh, Nordsumatra Samstag, 0023 westindonesische Standardzeit »Ich habe die Nummern, Sir«, rief Leblanc. »Das sind eine ganze Menge Handys. Insgesamt 43 Nummern, alle Geräte aktiv.« Davidge beugte sich vor. »Ausgezeichnet, Lieutenant. Dann wissen wir jetzt, mit wie vielen Gegnern wir es zu tun haben. Können Sie die Verbindungsdaten einsehen?« Der Kommunikationsexperte grinste. »Ich kann sogar mithören und beliebig viele Gespräche parallel aufzeichnen. Verdammt, ich könnte die Kerle sogar über die Cherie anrufen, wenn Sie es wünschen.«
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»Vielleicht komme ich auf Ihr Angebot zurück. Jetzt werden wir uns erst mal auf den Weg machen. Zwei Kilometer legen wir mit dem Wagen zurück, den Rest zu Fuß. General Matani wird gleich eine aktualisierte Satellitenaufnahme schicken. Bis dahin sollten wir unser Ziel erreicht haben.« Miro Topak startete den Motor und setzte das Nachtsichtgerät auf. Der Transporter rollte mit ausgeschalteten Lichtern die Straße entlang auf das Lager zu. *** Jakarta, Java Freitag, 0057 westindonesische Standardzeit Neneng Kaslan konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal zum alten Hafen von Jakarta, dem Sunda Kelapa, gefahren war. Der größte Teil des Hafens war nur noch eine historische Attraktion für Touristen. In der Nacht war das Gelände so gut wie verlassen. Vielleicht war das der Grund für von Schrader, das Treffen hierher zu verlegen. Als der Wagen den Hafenrand erreichte, befahl Kaslan dem Chauffeur zu stoppen. Fünfzig Meter weiter parkte eine schwarze Limousine, deren Standlicht eingeschaltet war. »Warten Sie hier«, sagte sie und stieg aus. Sie hatte kaum die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sich die rechte Fondtür der Limousine öffnete. Von Schrader stieg aus und kam ihr langsam entgegen. »Ich weiß nicht, ob dies der geeignete Treffpunkt für ein solches Gespräch ist«, begann sie. »Gehen wir ein Stück«, sagte von Schrader. »Das, was ich Ihnen zu erzählen habe, ist nur für Sie bestimmt. Sehen Sie die Zäune, die den Hafen begrenzen? Sie bilden eine hervorragende Abschirmung gegen Richtmikrofone.« »Warum dieser Aufwand?«, fragte sie. »Ich will sofort wissen…«
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Von Schrader ging voraus, ohne sich um ihren Einwand zu kümmern. Als sie die Zäune erreicht hatten, drehte er sich um. »Es bietet keine vollständige Sicherheit, aber es ist besser als nichts.« »Erzählen Sie mir nun endlich, weshalb Sie mich hierher gebeten haben?« »Unsere Mission ist an einem wichtigen Punkt gescheitert. Unser Kontakt zu den Terroristen ist abgerissen - vorerst. Vermutlich verlieren wir dadurch nur ein paar Stunden, aber diese Zeitspanne kann entscheidend sein.« »Wenn ich Ihnen helfen soll, benötige ich mehr Informationen.« Von Schrader seufzte. »Gut, ich werde Ihnen sagen, was wir wissen. Vor einigen Tagen erhielten wir Hinweise darauf, dass die Separatisten von Aceh einen Giftgasanschlag in Jakarta planen. Die Separatisten sind religiös motiviert, weshalb man in Erwägung ziehen muss, dass es sich um Selbstmordattentäter handeln könnte.« »Das ist mir nicht neu«, sagte Kaslan ungeduldig. »Wir hielten Kontakt zu einem Mann, der die Zulieferung der Substanzen übernehmen sollte, aus denen das Giftgas gemischt wird. Seinen Namen kann ich Ihnen nicht verraten. Er ist der Mittelsmann für einen Waffenhändler namens Claude Martin, der den Deal durchgezogen hat. Als ihm die Sache zu heiß wurde, hat er ausgepackt, und wir organisieren im Gegenzug, dass er von der CIA ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen wird. Claude Martin darf davon selbstverständlich nichts wissen.« »Wo befindet sich dieser Claude Martin?« »Nicht weit von hier. Er besitzt ein Haus in Merak.« »Wie sollte der Deal ablaufen?« »Martin schickte eine Spanierin namens Anna Maria Rodriguez, die die Chemikalien überbringen sollte. Wir haben sie durch eine unserer Agentinnen ersetzt. Aber wie es aussieht, haben die Separatisten das Manöver durchschaut. Sie entführten die falsche Rodriguez. Wir haben keinen Kontakt mehr zu ihr.« »Woher wollen Sie wissen, dass der Überläufer Sie nicht belogen hat?«
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»Die Separatisten sind bereits im Besitz von Gasproben. Eine davon wurde heute in Medan freigesetzt und forderte zwei Todesopfer den Attentäter selbst und ein kleines Kind.« Von Schrader strich sich mit einer linkischen Geste über sein schütteres Haar. »Keine Sorge, wir haben die Substanzen, die wir übergeben haben, präpariert. Aus ihnen kann kein Giftgas hergestellt werden. Aber es bleiben immer noch die Proben. Soweit wir wissen, handelt es sich um Glaszylinder. Wenn sie zerbrechen, wird das Gas freigesetzt.« »Und wie soll ich Ihnen jetzt helfen?« »Noch haben wir keine Sicherheit, dass Rodriguez’ falsche Identität gelüftet ist. Wir haben im Moment keine Informationen, wann sich das Attentat ereignen wird. Wir wissen nur, dass es innerhalb der nächsten Stunden passieren wird. Und es soll ein hochrangiges Mitglied der Regierung treffen. Wir spekulieren auf die Präsidentin selbst. Sie müssen alle öffentlichen Termine für morgen absagen!« »Was ist das für ein Giftgas?« »Es handelt sich um Sarin, ein hochgiftiges Nervengas, das während der Nazizeit in Deutschland entwickelt wurde. Es verbrennt die Haut, und schon das Einatmen der Dünste lähmt die Atemorgane. Der Tod durch Ersticken tritt nach wenigen Minuten ein. Sarin ist einfach herzustellen und noch einfacher zu transportieren. Die AumSekte verwendete es 1996 für ihren Giftgas-Anschlag in der Tokioter U-Bahn.« »Was benötigt man, um es herzustellen?« »Zum Teufel, warum ist das wichtig? Was zählt, ist, dass dieses Gas existiert!« »Ich kann das nicht allein entscheiden. Ich muss mich mit dem Sicherheitsminister absprechen.« Von Schrader nickte. »Ich verstehe, dass Sie sich absichern wollen. Wie ich hörte, hat der Sicherheitsminister die Vorwahlen gewonnen und wird bei der Stichwahl im September gegen die Präsidentin kandidieren. Er ist der Mann der Stunde in Indonesien.« »Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Kaslan scharf.
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»Niemand beißt in die Hand, die ihn füttert. Das ist mir klar, Frau Kaslan. Trotzdem brauche ich Ihre Entscheidung schnell! Verschaffen Sie uns einen Tag Zeit, die Terroristen zu schnappen.« Neneng Kaslan musterte den UN-Attache nachdenklich. Von Schrader schien nicht viele Alternativen zu haben. Er hatte seine Arroganz abgelegt und wirkte auf einmal fast vernünftig. Trotzdem gefiel ihr die Sache nicht. Gerade diese Veränderung machte sie misstrauisch. Sie hatte schon zu oft mit Männern wie von Schrader zu tun gehabt, um ihre Beteuerungen für bare Münze zu nehmen. »Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte sie. »Aber Sie müssen mich auf dem Laufenden halten.« »Bedaure, Frau Kaslan, mehr als das, was ich Ihnen gesagt habe, kann ich unmöglich herausgeben.« »Wie Sie meinen. Ich kann Ihnen Ihre vierundzwanzig Stunden verschaffen. Aber danach will ich neue Informationen haben.« »Verstehe. Wir bleiben in Kontakt.« Sie kehrten zur Limousine zurück, und Neneng Kaslan verabschiedete sich kühl. Von Schrader sah ihr nach, wie sie zu ihrem Wagen ging. Der Chauffeur startete den Motor, und das Regierungsfahrzeug rollte langsam davon. Von Schrader griff zum Funktelefon und stellte die Verbindung nach Fort Conroy her. »Das Gespräch war erfolgreich, General«, meldete er. »Jetzt hoffe ich für Sie, dass Colonel Davidges wahnwitziger Plan aufgehen wird.« *** Merak, an der Nordwestspitze Javas Samstag, 0209 westindonesische Standardzeit Als die Küstenlichter von Merak am Horizont auftauchten, fühlte Mark Harrer förmlich den Adrenalinschub in seinen Adern. Vier Stunden des Wartens gingen endlich zu Ende. »Wie weit ist es noch bis zum Stützpunkt?«
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»Etwa zehn Minuten, Sir«, erwiderte der Pilot. »Kennen Sie Merak?«, fragte Mark. Der Pilot schüttelte den Kopf. »Das ist eine sehr exklusive Gegend. Ein feiner Landstrich an der Küste. Riesige Grundstücke, auf denen prachtvolle Villen stehen, deren Räume mit Marmor ausgelegt sind. Zu jedem Grundstück gehören ein Pool und eine eigene Yacht, davor ein Strand aus gesiebtem Sand.« Harrer grinste. »Hört sich an wie ein Märchen aus tausendundeiner Nacht.« »Es ist wahr, das schwöre ich. Aber ich möchte trotzdem nicht dort wohnen, Sir.« »Weshalb nicht?« »Diese Gebäude wurden von Blutgeld bezahlt.« »Was meinen Sie damit?« Der Pilot zögerte. »So viel Reichtum, während unser Volk in Armut lebt. Unser Land ist selbst schuld an seiner Misere. Vor fünfzig Jahren haben wir die Holländer abgeschüttelt, aber seitdem gibt es neue Dämonen, von denen sich die Menschen knechten lassen.« Harrer nickte nachdenklich. In seiner kurzen Zeit bei SFO und davor in Afghanistan hatte er so viel Elend und Ungerechtigkeit gesehen, dass es für zwei Leben reichte. Es schien, als seien die Menschen nicht dafür geschaffen, in einer freien, sorgenlosen Welt zu leben. Plötzlich begann eine Anzeige am Armaturenbrett zu blinken. »Das ist der Stützpunkt, Sir. Sie haben uns auf dem Radar und wollen uns bestimmt einen Willkommensgruß schicken.« Er stellte die Verbindung her und sprach etwas auf Bahasa Indonesia in das Mikrofon. Die Antwort bestand aus einem kurzen Satz, den Harrer ebenfalls nicht verstand. Der Pilot runzelte die Stirn. Wieder fragte er etwas, und wieder erfolgte die Antwort äußerst knapp. »Was ist los?«, fragte Harrer misstrauisch. »Seltsam, Sir. Sie wollen wissen, wie wir bewaffnet sind.« »Wer hat das gefragt?«
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»Der diensthabende Offizier. Er war nicht allein.« »Wer war bei ihm?« »Das hat er mir nicht gesagt. Nur dass er Order hat, Sie nach der Landung zu übernehmen.« Harrer war davon ausgegangen, dass er weiterhin allein operierte. Dass er Unterstützung bekommen sollte, hatte Matani nicht gesagt. »Sie sagten doch, dass Sie das Küstengebiet um Merak kennen, oder? Die Villen, die Bootshäuser. Fliegen Sie dorthin!« »Aber Sir, ich habe Order…« »Tun Sie, was ich sage.« Harrer strich beiläufig, aber so deutlich, dass der Pilot es sehen konnte, über den Griff seiner MP7. »Ich will Ihnen nichts tun, aber ich befürchte, dass dort unten ein Empfangskomitee auf mich wartet, das ich nicht bestellt habe. Ich möchte den Herren gern aus dem Weg gehen.« »Was soll ich denen sagen?« »Speisen Sie sie mit einer Ausrede ab. Und gehen Sie tiefer, damit wir vom Radar verschwinden.« Der Pilot gehorchte. Die Auskunft, die er der Basis gab, fiel knapp aus. Die Antwort dauerte dafür anscheinend umso länger. »Sir, sie drohen, mich vor ein Militärgericht zu zerren, wenn ich nicht sofort zum Stützpunkt fliege. Sie sagen, Sie seien vermutlich ein gesuchter Verbrecher.« »Sehe ich etwa so aus?« Der Pilot schüttelte verdattert den Kopf. »S-Sir, ich weiß nicht…« »Sagen Sie ihnen, dass ich Sie bedrohe. Ich halte Ihnen eine Waffe an die Schläfe oder so was. Schieben Sie alles auf mich.« Während der Pilot mit der Basis sprach, meldete sich das Satellitentelefon. Es war Matani. »Es gibt Probleme, Lieutenant.« »Das sehe ich auch so, Sir - und zwar nicht zu wenige.« »Wir mussten die Regierung, in Jakarta über den drohenden Anschlag in Kenntnis setzen. Es war Davidges Idee, denn es ist wahrscheinlich, dass es dort einen Maulwurf gibt, den wir so aus der Reserve locken können.«
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»Das ist Ihnen offenbar gelungen, Sir, denn inzwischen ist mir das Militär auf den Fersen.« »Schütteln Sie es ab, Lieutenant, und erfüllen Sie Ihren Auftrag. Es ist wichtig, dass Sie so schnell wie möglich bei Claude Martin eintreffen.« Matani erklärte ihm die Zusammenhänge. »In Ordnung, Sir, ich tue, was ich kann.« Harrer beendete die Verbindung. »Wie weit ist es noch?«, fragte er den Piloten, der den Kontakt zur Basis abgebrochen hatte. »Keine fünf Minuten mehr, Sir.« »Was haben sie gesagt?«, fragte Harrer. »Sie haben… gar nichts, Sir. Sie haben nicht mehr geantwortet.« Harrer wäre es lieber gewesen, sie hätten weiterhin wüste Drohungen ausgestoßen. Anscheinend machte man sich bereits an die Verfolgung des Hubschraubers. »Sie haben doch sicher Fallschirme an Bord«, mutmaßte er. »N-natürlich.« »Nachdem ich abgesprungen bin, kehren Sie einfach zur Basis zurück, als ob nichts gewesen wäre.« »Aber man wird Sie suchen und Fragen stellen.« Harrer winkte ab. Während er sich auf den Absprung vorbereitete, dachte er an das Telefonat mit Matani zurück. Colonel Davidge spielte ein riskantes Spiel. Rasch konnte es zu einem Bauernopfer kommen. Der Vorsprung, den er mit diesem Manöver herausschindete, war knapp. Aber mehr würde er nicht bekommen. *** Panyabungan, Sumatra Freitag, 0214 westindonesische Standardzeit Dr. Ina Lantjes hatte jetzt über zwei Stunden in der Finsternis verbracht. Jeden Winkel, jeden Quadratzentimeter des Lagerhauses hatte sie abgesucht, doch alles, was sie gefunden hatte, waren Reissäcke und getrocknete Früchte, altes Geschirr und rostiges, verbogenes Besteck.
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Sie hatte sich eines der Messer genommen und versucht, das Schloss von innen zu öffnen. Aber die Klinge war zu groß. Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und sank langsam zu Boden. Sie machte sich keine Illusionen, was Abu Kalid anging. Nach dem, was SFO über ihn wusste, besaß er keine Skrupel, einen Menschen umzubringen, der in seinen Augen ein ›Ungläubiger‹ war. Dass er sie am Leben gelassen hatte, verdankte sie vermutlich den Kindern. Und Mandana. Er konnte keine Zeugen gebrauchen. Ob er inzwischen ihre Ausrüstung durchwühlt und den GPS-Sender sowie das Satellitentelefon gefunden hatte? Ihren Reisepass hatte sie gut verborgen; er steckte in einem doppelten Boden der Reisetasche, zusammen mit der MP7 und einigen Magazinen. Sie hatte nur das Nötigste mitnehmen können. Jetzt rächte sich diese Sparsamkeit. Sie blickte auf die Uhr. Es war kurz vor drei. Bald würde der Morgen grauen. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde Abu Kalids Rückkehr wahrscheinlicher. Sie rechnete damit, dass er sie noch vor dem Morgengrauen liquidieren wollte. Je kürzer ihr Aufenthalt an diesem Ort war, desto weniger Fragen würden die Schüler stellen. Mandana würde er erzählen, dass sie abgereist war, und sie würde ihm glauben. Sie glaubte ihm schließlich alles. Wenn sie nur eine Möglichkeit hätte, Davidge zu informieren, dass sie aufgeflogen war! Sie zuckte zusammen, als sie ein Geräusch vernahm. Ein Schlüssel wurde ins Schloss geschoben und drehte sich langsam. Ihre Hand tastete nach dem Messer mit der abgebrochenen Klinge. Besser als nichts. Sie starrte auf die Tür. Die Klinke senkte sich. Dann wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet. »Fatma…?«, hauchte eine Stimme. Sie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. »Mandana!« Die Tür öffnete sich, und die füllige Gestalt der Köchin erschien im Rahmen.
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»Wie kommst du hierher?«, fragte Ina. »Wo ist Abu Kalid?« »Er ist fort, seit mehreren Stunden schon. Ich konnte nicht länger ertragen, dass du hier eingesperrt bist. Du wolltest Toni helfen. Du hast nichts Schlimmes getan.« »Das stimmt, aber Abu Kalid sieht das vermutlich anders. Willst du mich befreien?« »Ich weiß nicht. Abu Kalid wird sehr böse sein. Ich werde ihm sagen, dass ich nicht weiß, wie es geschah.« »Sind meine Sachen noch da?« »Er hat sie mitgenommen. Er ist gleich nachdem er dich hier eingesperrt hat verschwunden.« Verdammt! »Weißt du, wohin er wollte?«, fragte Ina. Mandana schüttelte den Kopf. »Ich mache mir solche Sorgen, Fatma.« »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde ihm nicht sagen, dass du mich befreit hast.« »Ich sorge mich nicht um mich«, sagte Manda. »Er hat Tersek mitgenommen. Ich habe für all das keine Erklärung, das musst du mir glauben, Fatma.« *** Merak, an der Nordwestspitze Javas Samstag, 0224 westindonesische Standardzeit Mark Harrer raffte den Fallschirm zusammen und verstaute ihn in einem Busch an der Straße. Über sich vernahm er das Flappen der sich entfernenden Rotoren. Noch einmal versuchte er Matani zu kontaktieren, aber die Verbindung, kam abermals nicht zustande. Er rechnete damit, dass ihm maximal eine Stunde blieb, bevor das Militär die Gegend absperrte. Zeit genug, um an sein Ziel zu kommen, aber vielleicht nicht genug, das Gebäude wieder zu verlassen. Das hing davon ab, welche Informationen er dort erhielt.
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Den GPS-Daten zufolge befand sich die Adresse, die van Riepen ihm gegeben hatte, knapp einen Kilometer entfernt. Die Küstenstraße verlief in gerader Strecke nach Norden. Er schulterte den Rucksack und legte die Entfernung im Laufschritt zurück. Je näher er Merak kam, desto besser wurden die Häuser. Die meisten Grundstücke waren mit hohen Mauern gegen die Straße abgegrenzt. Hier und da erblickte Harrer Wachen, die das Gelände sicherten. Der Pilot hatte offenbar Recht gehabt mit seiner Vermutung, dass einige der Besitzer allen Grund hatten, um ihre Sicherheit zu fürchten. Sein Ziel war ein villenähnliches Anwesen, das auf einem kleinen Hügel gelegen war. Eine Mauer aus grob behauenen Steinen säumte das Gelände ein. Harrer erblickte die Spitzen von Pappeln und Zypressen und dazwischen das Dach des Hauses. Auf einem Balkon patrouillierte eine schwarze Gestalt, die etwas in ein Funkgerät sprach. Der Anzug war so knapp geschnitten, dass das Schulterhalfter die Taille sichtbar ausbeulte. Als Harrer näher heranzoomte, erblickte er die schusssichere Weste, deren Ansatz unter dem geöffneten Hemdkragen hervorragte. Wenn van Riepen die Wahrheit gesagt hatte, machte es keinen Sinn, den Vordereingang zu nehmen. Harrer schlich sich auf das benachbarte Grundstück, das weniger gut gesichert war. Die Mauer machte einen Bogen, sodass der hintere Teil nicht mehr von der Straße einzusehen war. Er setzte das Nachtsichtgerät auf, klinkte sich zwischen den Steinen ein und zog sich mit zwei, drei raschen Zügen nach oben. Auf der Mauer verharrte er und suchte die Umgebung ab. Auf dem Grundstück selbst schienen keine Wachen zu patrouillieren. Er vernahm das Knurren eines Hundes. Auf dem hinteren Teil des Grundstücks war ein Zwinger zu sehen. Darin strichen drei Schäferhunde umher. Da der Wind vom Zwinger in Harrers Richtung wehte, hatten sie ihn bislang nicht bemerkt. Er suchte den Boden vor sich nach Alarmdrähten ab, und als er nichts finden konnte, ließ er sich langsam von der Mauer herabsinken. Der Kerl auf dem Balkon erschien alle zwei Minuten an der
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Brüstung. Harrer wartete ab, bis er im Innern verschwand, und lief los. Der Rasen besaß kleine Inseln, auf denen Zypressen gepflanzt waren. Harrer benutzte sie als Deckung. Stück für Stück kam er dem Eingang auf der Rückseite näher. Auch dort stand ein bewaffneter Posten, aber er schien sich auf die Hunde zu verlassen, denn er lehnte an der Wand und hatte die Augenlider gesenkt. Harrer richtete die schallgedämpfte Waffe auf ihn. Der Betäubungspfeil traf den Kerl in den Hals. Er riss die Augen auf und wollte nach seiner Waffe greifen. Aber da erlahmten seine Bewegungen bereits, und er sackte bewusstlos zu Boden. Der Zugang zum Haus war frei, aber Harrer wollte zunächst die Hunde ausschalten. Falls er überstürzt fliehen musste, war es besser, den Rücken frei zu haben. Der Zwinger besaß kein Dach. Die Hunde waren bereits aufmerksam geworden. Sie witterten etwas, und ihre Blicke bohrten sich in die Dunkelheit. Da flog etwas Schwarzes zwischen sie. Ein zischendes Geräusch erklang. Zehn Sekunden später lagen die Tiere am Boden, ausgeschaltet für mindestens eine Stunde. Harrer durchsuchte den Posten und fand einen Bund mit drei Schlüsseln. Der zweite passte. Er blickte auf die Uhr. Ihm blieben noch 44 Minuten. *** Merak, an der Nordwestspitze Javas Samstag, 0224 westindonesische Standardzeit Claude Martin lockerte beiläufig die Krawatte und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Monitor. Er war ein schlanker, gut aussehender Mann. Seine kurz geschnittenen schwarzen Haare, der maßgeschneiderte Anzug, die kräftigen, entschlossenen Bewegungen - all das strahlte den Erfolg aus, den er sich zeitlebens gewünscht und für den er hart gearbeitet hatte. Trotzdem war er nicht besonders glücklich in diesen Zeiten. Er hasste Java.
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Er hasste die schwülen Nächte, die einem den Schweiß auf die Stirn trieben. Und noch mehr hasste er die Tage, die so heiß waren, dass ein Arbeiten außerhalb klimatisierter Räume unmöglich war. Er fragte sich, warum er nicht längst von hier verschwunden war. Natürlich, das liebe Geld. Auf Java ließ sich viel davon verdienen. Wie überall, wo sich Menschen mit unsinnigsten Gründen gegenseitig an die Kehle gingen. Am einfachsten war es mit den religiösen Kämpfern, vor allem den Selbstmordattentätern. Sie waren von ihrer Idee besessen, ließen sich wunderbar übers Ohr hauen und stellten keine dummen Fragen mehr, wenn der Sprengsatz, den sie für viel Geld erworben hatten, aufgrund einer Fehlzündung ein paar Minuten zu früh explodierte. Aber nicht immer war es so einfach. Wenn man in die großen Geschäfte einsteigen wollte, musste man mit dem organisierten Terrorismus kooperieren. Claude Martin hatte sich ein umfangreiches Netz aus Kontakten aufgebaut, was ihn einige Jahre seines Lebens gekostet hatte. Inzwischen aber zahlte sich die Investition aus. Die Männer, für die er arbeitete, hatten immer volle Auftragsbücher, und für ihn fiel bei jedem Geschäft eine erkleckliche Summe ab. Nur Narren verurteilten den Terrorismus. Dieselben europäischen und amerikanischen Staaten, die in den vergangenen Jahrhunderten millionenfach gemordet, geraubt und gebrandschatzt hatten, spielten sich jetzt als Moralapostel auf. Ein amerikanischer Präsident, der sich von der christlichen Rechten aushalten ließ und den Kampf gegen den religiösen Terror ausrief - das war bigott, aber großartig. Großartig für Männer wie Claude Martin. Sie verdienten an jeder Kugel, die ihren Lauf verließ, und an jedem Sprengsatz, der irgendwo in einem Winkel dieser Welt einen menschlichen Körper zerfetzte. Die Aggressivität steckt dem Menschen im Blut, pflegte Martin zu sagen. Es gab keine Unschuldigen in einem Krieg, der die ganze Welt betraf. Es gab nur Gewinner und Verlierer, und Claude Martin hatte keine Lust, zur zweiten Kategorie zu zählen. Seine Finger tippten nervös auf die Mahagoni-Schreibtischfläche. Seit zwei Stunden wartete er auf die Nachricht von Anna Maria Rod-
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riguez. Wenn sie diesen Auftrag in den Sand setzte, wäre das das Letzte, was sie in ihrem Leben tat. Es ging Martin nicht um die lächerlichen Mengen von Cannabis, die Faid und seine Komplizen im Austausch gegen die chemischen Substanzen geboten hatten. Im Weiterverkauf an europäische Zwischenhändler brachte es gerade einmal fünfzigtausend Dollar. Aber das machte nichts. Man muss investieren, dachte er. Säen und ernten. Ein uraltes ökonomisches Prinzip. Die Provinz Aceh war ein Gebiet, das Martin bisher noch nicht ausreichend erschlossen hatte. Die islamischen Separatisten brauchten jede Menge Waffen, um ihren Kampf fortzuführen, und er, Claude Martin, der über Strohmänner auch an die indonesische Regierung verkaufte, war der Ansicht, dass es nur fair war, wenn man beiden Seiten ihre Wünsche erfüllte. Aber dass Rodriguez sich jetzt nicht meldete, machte ihn wirklich nervös. Er hatte von Anfang an kein gutes Gefühl dabei gehabt, sie für diesen Deal einzusetzen. Sie war inzwischen fünfunddreißig. Ihre besten Tage waren vorbei, und zwar nicht nur, was ihre Figur anging. Durch Claude Martin hatte sie eine Menge Geld verdient, was ihr offenbar zu Kopf gestiegen war. Sie war zu einer bornierten Schlampe geworden, die ihre Aufträge ausschließlich nach eigenem Gutdünken ausführte. Wer konnte schon wissen, was im Kopf einer Frau vorging? Vielleicht hatte sie sich ja einfach mit dem Stoff abgesetzt! Nein, korrigierte er sich in Gedanken, so weit würde sie nicht gehen. Noch nicht. Er zuckte zusammen, als das Telefon klingelte. Hatte er ihr nicht gesagt, dass sie ihn auf keinen Fall anrufen sollte? Warum hielt sich diese Frau aus Prinzip’ an keinen einzigen Befehl, den er erteilte? Seine Hand ging zum Hörer. Den Schatten, der lautlos hinter ihm aufgetaucht war, bemerkte er nicht. Aber den Lauf der Pistole an seiner Schläfe - den spürte er. ***
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Provinz Aceh, Nordsumatra Samstag, 0224 westindonesische Standardzeit Sergeant Alfredo Caruso bewegte sich lautlos, einer Schlange gleich, durch das dichte Unterholz. Der Platzregen, der vor zehn Minuten eingesetzt hatte, erleichterte ihm das Vorwärtskommen. Keine zwei Meter von ihm entfernt hatte sich ein Wachtposten unter die Krone eines Albiziabaums zurückgezogen, wo er gelassen eine Kretekzigarette rauchte. Als ein Blitz den Nachthimmel erhellte, konnte Caruso für Sekundenbruchteile sein Gesicht erkennen. Er war fast noch ein Kind, höchstens achtzehn Jahre alt, aber mit einem Zug der Bitterkeit um die Lippen. In seinen Augen wohnte ein Feuer, wie es für Menschen typisch ist, deren Weltbild sich aus unumstößlichen Gewissheiten zusammensetzt. Caruso war erleichtert, dass er den Wachtposten nicht töten musste. Das Lager bestand aus Dutzenden Wellblechhütten, die sich um das Hauptgebäude gruppierten wie Motten um eine Lichtquelle. Caruso sah Gestalten durch den Regen hetzen, die meisten von ihnen bewaffnet. Vor dem Hauptgebäude, unter Dachfirsten vor dem Regen geschützt, hier und da das Glimmen einer Zigarette. Caruso presste die Hand an den Helm, als könnte er Davidges Stimme über den Helmfunk dadurch deutlicher vernehmen. »Bin auf Position, Sir.« »Ich habe soeben mit Matani gesprochen. Von Schrader hat die nötigen Informationen an die Regierung weitergegeben. Jetzt gibt es keinen Weg zurück mehr.« Das bedeutete, dass Sanchez’ Leben ab sofort an einem seidenen Faden hing. Aber sie mussten es riskieren, wenn sie mehr über die Pläne der Terroristen herausfinden wollten. Sie mussten sie aus der Reserve locken. Hoffentlich ging die Rechnung auf. *** Colonel Davidge beobachtete das Treiben im Lager mit gemischten Gefühlen. 43 Gegner, das bedeutete selbst mit guter Ausrüstung und
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Satellitenunterstützung einen Kampf mit ungewissem Ausgang. Liebend gern hätte er auf eine Auseinandersetzung verzichtet, aber wie es aussah, gab es keine andere Möglichkeit, Sanchez aus dem Lager herauszuholen. Davidges Blick ging hinüber zu Pierre Leblanc, der unter einem notdürftig aufgespannten Stoffschutz seit Minuten die Tastatur seiner Cherie traktierte. »Sind Sie so weit, Lieutenant?« »Noch ein paar Sekunden, Sir, hoffe ich. Das Unwetter beeinträchtigt die Sendeleistung. Es kann sein, dass die Verbindung zwischendurch abbricht, Sir.« Na großartig. Aber Davidge wollte sich nicht beklagen. Das Unwetter eröffnete ihnen schließlich auch zusätzliche Chancen. Endlich meldete sich Leblanc. »Die Verbindung steht, Sir. Wir können jetzt alle Telefonate, die vom Lager ausgehen, mithören.« Davidge aktivierte den Interlink-Helmfunk. Sergeant Caruso meldete sich sofort. Auch Miroslav Topak hatte seine Position erreicht. »Wir warten noch«, befahl er. Er hasste es, sein Schicksal in fremden Händen zu wissen. Aber dieses eine Mal blieb ihnen keine andere Wahl. *** Sie hatten Sanchez auf einen Stuhl gesetzt und gefesselt. Sie hatten sie ausgefragt. Ihr Schmerzen angedroht. Sie hatte die Beschimpfungen und Schmähungen regungslos über sich ergehen lassen. Schließlich hatte sich Faid ebenfalls einen Stuhl genommen. Jetzt saßen sie einander gegenüber, fast wie alte Freunde. »Weißt du, warum ich dir nicht traue, Rodriguez?«, fragte er. Sie schüttelte den Kopf. »Weil einiges schief gelaufen ist, seit du da bist. Dass General Lubis’ Truppen uns angegriffen haben, könnte ein Zufall sein. Aber seit ich zu meinem Verbindungsmann in Panyabungan keinen Kontakt mehr habe, glaube ich das nicht mehr.« Sanchez schwieg.
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»Abu Kalid ist sehr zuverlässig. Er trägt die Hauptverantwortung bei unserem aktuellen Projekt. Wusstest du das?« Sie schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht«, sagte er spöttisch. »Dann werde ich dich aufklären. Abu Kalid ist der Leiter eines Pesantren in Panyabungan. Das ist eine Koranschule.« »Ich weiß, was ein Pesantren ist«, sagte Sanchez. »Leider hat Abu Kalid sein Handy ausgeschaltet. Deshalb habe ich im Internat angerufen. Eine Frau namens Mandana hat mir gesagt, dass Abu Kalid das Internat überstürzt verlassen hat. Außerdem sagte sie, dass gestern eine neue Köchin eingetroffen sei. Aus Europa. Abu Kalid hat wegen irgendetwas mit ihr geschimpft und sie eingesperrt.« Sanchez wich seinem Blick nicht aus. »Weshalb erzählst du mir das alles?« »Weil ich glaube, dass du etwas über diese Köchin weißt.« »Selten so einen Schwachsinn gehört.« »Ich glaube, dass du dahinter steckst. Du bist eine feindliche Agentin, Rodriguez. Du spionierst für die Regierung.« Sanchez lachte verzweifelt auf. Aber Faid ließ sich nicht beeindrucken. »Du hast dich nicht einmal gewehrt, als wir dich gefesselt haben. Regierungsspione sind feige. Ich wette, dass du dich gerade zu Tode fürchtest, Rodriguez.« »Claude hat mir gesagt, dass ich es möglicherweise mit Anfängern zu tun bekomme. Von Idioten hat er leider nichts gesagt. Dann hätte ich den Job nämlich abgelehnt.« Faid sprang auf. »Pass auf, was du sagst!« »Ich weiß genau, was ich sage«, erwiderte Sanchez. »Wenn du nur ein bisschen Grips im Kopf hättest, wüsstest du, wie du mich zu behandeln hast. Du hast Claude Martin angerufen und die Chemikalien bestellt. Ich habe sie geliefert. Woher hätte ich davon wissen sollen, wenn nicht durch Martin?« Faid überlegte. »Wenn es so ist, wie du sagst, wird ein Anruf bei ihm sicherlich ausreichen, um alles aufzuklären, nicht wahr?« Sie lachte auf. »Fein, dass du von ganz allein drauf gekommen bist. Aber dafür ist es jetzt zu spät. Du hast mich gefesselt und mir
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Schmerzen angedroht. Damit hast du Martin beleidigt. Er wird sich auf keinen weiteren Handel mit dir mehr einlassen.« »Das werden wir ja sehen«, sagte Faid und zückte sein Mobiltelefon. Er drückte die Kurzwahltaste und wartete, bis die Verbindung aufgebaut wurde. »Claude? Hier spricht Faid.« Sanchez hörte nicht, was Claude am anderen Ende erwiderte. »Verdammt, ich weiß, dass Sie Rodriguez geschickt haben. Aber wir sind von Soldaten angegriffen worden. Ich will wissen, ob die Frau, die hier vor mir sitzt, wirklich Rodriguez ist… Ja, sie hat geliefert… Trotzdem, beschreiben Sie sie mir.« Er lauschte und musterte Sanchez dabei genau. »Ja, das stimmt… ja. Gut, also ist sie es wirklich… In Ordnung, ich melde mich.« Er legte auf und starrte Sanchez betroffen an. Dann gab er einem der Männer einen Wink. »Schneide sie los. Sie ist auf unserer Seite.« *** Merak, an der Nordwestspitze Javas Samstag, 0224 westindonesische Standardzeit Claude Martin legte den Hörer auf. Er spürte, wie der Druck der Schalldämpfermündung von seiner Schläfe verschwand. »Zufrieden?« Mark Harrer nickte. »Sehr sogar. Damit haben Sie sich das Leben gerettet, Martin - vorläufig jedenfalls.« »Und was haben Sie jetzt vor?« Langsam schwenkte er den Sessel herum. Er wollte dem Eindringling ins Gesicht sehen. »Werden Sie mich umlegen? Hier kommen Sie nie raus.« Harrer lächelte. »Ich bin ja auch reingekommen, oder nicht?« Er setzte sich auf die Tischkante. »Schöne Hunde haben Sie. Hervorragende Züchtung.« Martin wurde blass. »Was haben Sie mit ihnen gemacht?« »Sie schlafen - genauso wie Ihre Männer.« Es war bezeichnend für Martins Charakter, dass ihm das Schicksal der Hunde näher ging als das seiner Wachleute. »Wer sind Sie?«, fragte Martin.
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»Das ist unwichtig. Ich habe nicht vor, Sie zu töten. Ich benötige nur eine Information. Sagen Sie mir, was ich wissen will, und Sie sind mich los.« »Was haben Sie mit Rodriguez gemacht? Ist sie tot?« »Wir haben sie nur in Gewahrsam genommen und durch eine unserer Agentinnen ersetzt. Faid wird darüber in den nächsten Stunden informiert werden. Spätestens dann weiß er auch, dass Sie ihm die Unwahrheit gesagt haben. Er wird Sie für einen Verräter halten.« Martin lachte nervös. »Ich habe Verbündete, die mächtiger sind als Faid und sein disziplinloser Haufen von Desperados.« Harrer nickte. »Sie haben einen Maulwurf in der Regierung. Wir haben das einkalkuliert. Deshalb bin ich hier. Nun ja, unter anderem jedenfalls.« »Was wollen Sie?«, wiederholte Martin. »Sagen Sie mir, welchen Anschlag Faid und seine Leute planen. Ich will den genauen Ort und die Zeit.« Martin lehnte sich zurück und musterte Harrer. Jetzt, da er wusste, was Harrer wollte, bekam er Oberwasser. »Ich kenne Leute wie Sie. Verzweifelte Leute, die glauben, auf der Seite der Gerechten zu kämpfen. Dabei stehen Sie bloß auf einer einzigen Seite - der der Verlierer!« Der Lauf der Waffe zeigte immer noch punktgenau auf Martins Stirn. »Der Verlierer sind diesmal Sie, Martin. Geben Sie mir einfach, was ich haben will.« »Lassen Sie mich dann in Ruhe?« »Ja.« »Lassen Sie mich leben?« »Sie bleiben lebendig und unversehrt.« Martins Mundwinkel zuckten kaum merklich. »Was hätten Sie davon, mich laufen zu lassen? Sie müssen mir schon etwas Besseres anbieten als ein Versprechen.« Harrer senkte den Lauf um eine Handbreit und schoss. Die Kugel fuhr in das Laufwerk des Rechners, der unter dem Tisch stand. Das Bildschirmschonermotiv, das über den Monitor tanzte, erlosch schlagartig. »Ist das besser?«, fragte Harrer ruhig. »Der nächste
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Schuss geht ein bisschen weiter nach links. Mein Versprechen gilt dann leider nicht mehr.« Martin biss die Zähne zusammen. »Sie jagen mir keine Angst ein!« Harrer konnte sehen, dass er log. Kleine Schweißperlen hatten sich auf der Stirn des Waffenhändlers gebildet. Seine Blicke saugten sich förmlich an der Pistolenmündung fest. »Ich will nur zwei Dinge hören«, wiederholte Harrer, »einen Ort und einen Zeitpunkt…« »Verdammt, ich weiß es nicht!«, platzte es aus Martin heraus. »Glauben Sie etwa, ich würde es Ihnen verheimlichen, wenn ich es wüsste? Warum sollte ich das tun? Faid und seine Bande sind mir egal. Er hat mich leider nicht eingeweiht. Pech für Sie. Diese Kerle trauen sich ja nicht mal gegenseitig über den Weg.« Harrer blickte auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten. Das Militär war vermutlich bereits auf dem Weg hierher. »In Ordnung«, sagte er und stand auf. In den Augen des Waffenhändlers blitzte es auf. »Was meinen Sie damit? Was heißt das - ›in Ordnung‹?« Sein Atem ging rasch, seine Lippen bebten. »Angst?«, fragte Harrer. »Ja, verdammt. Eine Scheißangst hab ich, wenn Sie’s genau wissen wollen. Was haben Sie jetzt vor?« »Etwas, das Ihnen nicht gefallen wird«, sagte Harrer. *** Provinz Aceh, Nordsumatra Samstag, 0231 westindonesische Standardzeit Sobald ihre Arme frei waren, rieb Sanchez sich die Hände, um die Blutung in Gang zu bringen. »Du hast Glück gehabt, Rodriguez«, sagte Faid anerkennend. »Claude Martin hat deine Angaben bestätigt.« Sie wusste nicht, weshalb Martin das Spiel mitgespielt hatte. Wahrscheinlich steckte Davidge dahinter. Sie musste die Chance nutzen, die sich ihr so unverhofft geboten hatte. »Nein, du hast Glück gehabt,
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Faid«, sagte sie. »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich mich von dir umlegen lasse!« »Was willst du damit sagen?« »Was glaubst du wohl? Dass ich eine Entschädigung haben will!« Er blinzelte irritiert. »Was für eine Entschädigung?« »Das ist dein Problem. Entweder wird die Ware teurer - oder wir treffen an Ort und Stelle eine Abmachung für weitere Deals.« Er lachte nervös. »Du musst verrückt sein. Darauf lasse ich mich nicht ein.« »Dann informiere ich Claude über die Masche, die du hier abgezogen hast. Ich bin sicher, danach ist er an weiteren Geschäften nicht mehr interessiert.« »Warte… So einfach geht das nicht. Ich muss mich erst mit meinen Mittelsmännern besprechen.« »Schwachsinn, Faid. Du hast hier das Sagen. Entscheide dich. Sag mir, was du demnächst brauchst, und ich sage, was Claude und ich liefern können.« Der Separatistenführer wand sich. »Es kommt darauf an, welche Aktionen geplant sind.« »Dann sag mir, was ihr vorhabt. Wofür braucht ihr das Sarin?« Seine Augen wurden zu Schlitzen. »Du bist verdammt neugierig, weißt du das?« »Verdammt, Faid, ich muss es wissen, damit ich euch vernünftig beliefern kann. Es gibt andere Nervengifte, die viel einfacher herzustellen und vielleicht besser geeignet sind.« Sein Misstrauen schien zu schwinden. Noch ein, zwei Minuten, und sie hatte ihn da, wo sie ihn haben wollte. Da meldete sich sein Handy. Verflucht. »Warte einen Augenblick«, sagte er und nahm das Gespräch entgegen. ***
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Weniger als hundert Meter von dem Haus entfernt wandelte eine mit einem Übersetzungsprogramm gekoppelte Stimmerkennungssoftware jedes Wort, das Faid bei dem Telefonat sprach, in Schriftzeichen um, die anschließend auf dem Bildschirm von Pierre Leblancs Notebook erschienen. Faid: Ja? Anrufer: Es gibt Probleme. Die Operation ist verraten worden. Faid: Also doch! Anrufer: Was willst du damit sagen? Faid: Nichts, gar nichts. Ich hatte nur eine Vermutung. Was ist passiert? Anrufer: Wir wissen es nicht. Aber ich habe gerade die Information bekommen, dass eine UN-Einheit im Land ist, die es auf euch abgesehen hat. Faid: Woher weißt du das? Anrufer: Ein UN-Attache ist in Jakarta und hat mit Neneng Kaslan gesprochen. Das dumme Huhn hat mir alles brühwarm erzählt. Hast du die Substanzen bereits geprüft? Faid: Ich hatte noch keine Zeit dazu. Anrufer: Sie sind vermutlich wertlos. Die Frau, die euch das Zeug gebracht hat, ist eine feindliche Agentin. Faid, hast du verstanden, was ich gesagt habe? Faid: Ja. Anrufer: Kannst du nicht reden? Faid: Äh, nein. Anrufer: Sie ist also noch bei dir. Es ist gut, dass du vorsichtig bist. Wahrscheinlich ist sie gar keine Spanierin und versteht jedes Wort. Töte sie, Faid - aber erst, nachdem du erfahren hast, wo die restlichen Gegner stecken. Faid: Wie viele sind es? Anrufer: Das weiß ich nicht. Hör zu, Faid, jetzt, da alles verraten ist, müssen wir den Plan ändern. Faid: Das geht nicht. Anrufer: Warum nicht?
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Faid: Ich kann Abu Kalid nicht erreichen. Ich fürchte, dass ihm etwas zugestoßen ist. Oder er ist bereits unterwegs. Anrufer: Ich werde mich darum kümmern. Sorge du dafür, dass die Verräterin verschwindet. Es klickte, als der Anrufer das Gespräch beendete. »Es ist so weit«, sagte Leblanc. »Sanchez ist wie erwartet aufgeflogen. Aber wir wissen immer noch nicht, wo der Anschlag stattfindet.« Schöne Scheiße, dachte Davidge. Ihr Plan, die Terroristen über den vermuteten Maulwurf im Ministerium zum Reden zu bringen, war fehlgeschlagen. Schlimmer noch, sie hatten Sanchez in eine lebensbedrohliche Situation gebracht. »Sollen wir auf einen weiteren Anruf warten?«, fragte Leblanc. Davidge schüttelte den Kopf. »Dafür haben wir keine Zeit mehr. Wir holen Sanchez jetzt da raus.« Er aktivierte die Interlinkverbindung und gab den Befehl zum Angriff. *** Caruso und Topak reagierten mit der ihnen innewohnenden Kaltblütigkeit und Präzision. Ihr Ziel war das Haupthaus des Lagers. Sie arbeiteten sich von beiden Seiten heran. Separatisten, die zufällig direkt vor ihnen aus einer der Hütten traten, bezahlten ihre Unvorsichtigkeit mit dem Leben. Ihre Leichen stürzten vor den Füßen der Soldaten in den Schlamm. Weder Topak noch Caruso fühlte Befriedigung, während ihre Klingen ein Leben nach dem anderen auslöschten. Ihre Gegner waren fast noch Kinder, irregeleitet durch eine menschenverachtende Doktrin, die sich mit dem Deckmäntelchen der Religion schmückte. Die meisten von ihnen konnten wahrscheinlich nicht einmal lesen und schreiben. Sie hatten nie eine Chance gehabt, sich zu bilden und die Lügen ihrer Anführer zu durchschauen.
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Caruso zerrte die Leichen in die Hütten, wo sie eine Zeit lang unentdeckt bleiben würden. In kürzester Zeit hatte Caruso das Haupthaus erreicht. Noch hatte niemand den Angriff bemerkt. Der Regen war inzwischen heftiger geworden. Blitze zerrissen den Nachthimmel in immer kürzeren Abständen. Es war, als hätte sich der liebe Gott selbst in die Auseinandersetzung eingeschaltet. Die nächsten Minuten würden zeigen, auf welche Seite er sich geschlagen hatte. *** Sanchez hatte zwar nicht verstanden, was Faid am Telefon gesagt hatte, aber aus seiner Miene schloss sie, dass es nichts Gutes für sie bedeuten konnte. Kaum hatte er das Gespräch beendet, reagierte sie - und überraschte damit sowohl Faid als auch seinen Lakaien, der ihr die Fesseln durchschnitten hatte. Sie sprang hinter ihn, riss die Pistole aus seinem Halfter und richtete sie auf Faid. »Was soll das?«, knurrte er. »Bist du verrückt geworden, Rodriguez?« »Mit wem hast du gesprochen?« »Das geht dich verdammt noch mal nichts an.« Sie entsicherte die Waffe. »Hören wir auf mit den Spielchen, Faid. Du hattest Recht. Die echte Anna Maria Rodriguez befindet sich zurzeit im Gewahrsam der Vereinten Nationen. Ich bin geschickt worden, um den Deal für sie abzuschließen - und dich festzunehmen.« Er lachte auf. »Du - eine Frau…?« Als Sanchez sich unbeeindruckt zeigte, verzerrte sich sein Gesicht. »Wir sind Befreiungskämpfer! Wir werden Aceh vor der korrupten Regierung in Jakarta retten, und du wirst uns nicht daran hindern!« »Gib mir deine Waffe, Faid.« »Niemals! Eher würde ich sterben!« »Ich würde es nicht drauf ankommen lassen.«
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Seine Hand zuckte zum Halfter, aber Sanchez feuerte blitzschnell. Die Kugel hackte in die grob verputzte Wand hinter Faid, nur Zentimeter von seiner rechten Hand entfernt. »Die nächste Kugel trifft.« »Was willst du hier, Rodriguez - oder wie immer du heißt?« »Ich will, dass du mir das Ziel des Anschlags nennst. Wo wolltet ihr das Sarin einsetzen?« »Von mir erfährst du kein Wort.« »Weshalb hast du nur die Bestandteile des Giftes angefordert? Du wolltest eine binäre Waffe herstellen, die erst am Anschlagsort ihre Wirkung entfaltet, nicht wahr?« Als Faid die Lippen zusammenpresste, wusste sie, dass ihre Vermutung richtig war. »Los, rüber zur Wand«, sagte sie, »die Hände nach oben.« »Willst du mich von hinten erschießen, Verräterin?« Sie hatte einen Augenblick zu lang auf Faid geachtet und dabei den Mann vergessen, den sie im Klammergriff hielt. Ein dummer, ein wirklich unverzeihlicher Fehler. Er prellte ihr mit einem Schlag die Waffe aus der Hand. Die Pistole schleuderte durch den Raum - und blieb direkt vor Faids Füßen liegen. Sanchez schlug ansatzlos zu. Der Körper des Lakaien erschlaffte, aber da hatte Faid die Waffe bereits ergriffen und richtete den Lauf auf Sanchez. Sie benutzte den Körper des Lakaien als Deckung und hechtete zu einem massiven Schreibtisch, der die einzige Deckung in dem winzigen Raum bot. Die Pistole bellte auf. Sanchez spürte die Einschläge in dem Körper vor ihrer Brust. Faid nahm keine Rücksicht auf seinen Untergebenen. Die Kugeln durchsiebten den Brustkorb des Mannes förmlich, bevor Sanchez hinter dem Schreibtisch zu liegen kam. Sie tastete nach dem Messer im Knöchelhalfter. Sie fühlte den kalten Kunststoff des Griffs zwischen ihren Fingern. Die Klinge war die einzige Waffe, die ihr noch geblieben war. Sie kam sich schrecklich hilflos vor.
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»Gib auf«, sagte Faid, »dann lasse ich dich vielleicht am Leben…« Sie spähte über die Tischkante hinweg und zog den Kopf sofort wieder zurück. Eine Kugel zerfetzte das Holz an der Stelle, an der sich ihre Stirn eben noch befunden hatte. Aber sie wusste jetzt, wo Faid stand. Sie schloss die Hand um den Griff des Messers. Ihre Muskeln spannten sich… In dieser Sekunde begann draußen eine MPi zu rattern. *** Caruso hatte das Haupthaus fast erreicht, als eine Gruppe von drei bewaffneten Gegnern seinen Weg kreuzte. Die Finsternis und der strömende Regen behinderten die Sicht. Zunächst glaubten sie deshalb offenbar, einen ihrer Leute vor sich zu haben. Aber als sie bis auf drei Meter herangekommen waren, stieß der mittlere der drei Kerle einen Schrei aus und griff nach seiner Waffe. Carusos schallgedämpfte Waffe zuckte, und der Gegner wurde zurückgeschleudert. Die beiden anderen erwischte es ebenfalls - doch erst in dem Augenblick, in dem sie das Feuer erwiderten. Die Kugeln zischten haarscharf an Caruso vorüber. Im Haupthaus gingen zusätzliche Lichter an. Schreie ertönten. Auf der Veranda wurden plötzlich Schatten lebendig. Mündungsfeuer blitzte auf, und Caruso brachte sich gerade noch mit einem Hechtsprung hinter einer der Hütten in Sicherheit. Dort, wo er eben noch gestanden hatte, zerspritzte der Morast unter den Einschlägen. »Caruso an Davidge - Sir, benötige Unterstützung!« »Die bekommen Sie, Sergeant«, erklang die knurrige Antwort. Der Tod kam lautlos über den Gegner. Wieder vernahm Caruso Schreie, aber diesmal klangen sie schmerzerfüllt. Er lugte um die Ecke und verfolgte, wie eine feindliche MPi nach der anderen verstummte. Aber das würde nicht reichen. Für jeden Gegner auf der Veranda, den Davidge erledigte, wuchsen zwischen den Hütten zwei neue aus
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dem Boden. Carusos einziger Vorteil war, dass die meisten von ihnen seinen Standpunkt nicht kannten. Noch nicht. Dreiundvierzig Handys. Aber bedeutete das auch 43 Gegner? Oder vielleicht mehr? Caruso hatte bisher vier Leute ausgeschaltet, Davidge ungefähr fünf. Wenn Topak ebenso erfolgreich war, standen sie immer noch gegen mindestens dreißig Mann, die zudem gewarnt waren und ihre Wachsamkeit verschärften. Davidge schien das Problem ebenso erkannt zu haben. Nachdem er die Veranda des Haupthauses bestrichen hatte, herrschte Stille - für ein paar Sekunden. »Geben Sie mir Ihren Standpunkt, Sergeant Caruso«, erklang es aus dem Helmfunk. »Zirka zwanzig Meter vor dem Ziel, auf zwei Uhr, Sir.« »Was ist mit Ihnen, Topak?« Miroslav Topaks Stimme klang ruhig. »Elf Uhr, Sir. Bin fast am Haupthaus angelangt. Bisher keine Zwischenfälle.« Also hatte Topak es besser erwischt als er. Vielleicht besaß er eine Chance, ungesehen durchzukommen. »Gehen Sie beide in Deckung«, sagte Davidge. »Gleich wird es ziemlich heiß werden.« Sekunden später wurde eine der Wellblechhütten nahe des Haupthauses von einem Explosivgeschoss zerrissen. Fetzen fauliger Presspappe wirbelten durch die Luft, Teile des Wellblechdaches segelten brennend zu Boden, während die Flammen unter dem Regen schnell verloschen. Kurz hintereinander erwischte es zwei weitere Hütten. Davidge gab die Schüsse so rasch hintereinander ab, dass der Gegner den Eindruck haben musste, es mit mehreren Heckenschützen zu tun zu haben. Jetzt kam endgültig Leben in das Haupthaus. Eine Springflut junger Männer in abgewetzter, ärmlicher Kleidung ergoss sich auf die Veranda. Sie ballerten wild in die Luft, ohne zu wissen, wo sich der Feind befand. Diese Kerle waren nicht einmal ansatzweise militärisch geschult.
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Caruso schaltete vier weitere Gegner aus, bevor sie endlich merkten, aus welcher Richtung die Schüsse kamen. Irgendjemand deutete auf die Hütte, hinter der Caruso sich verschanzt hatte. Rasch zog sich der Sergeant zurück - keine Sekunde, zu früh. Eine Salve durchlöcherte die losen Pappwände der Hütte. Da tauchte eine dunkle Gestalt hinter den Gegnern auf. Miro Topak! Die Schüsse gingen im Trommeln der Regentropfen unter, aber die verbliebenen Gegner gingen einer nach dem anderen zu Boden. Davidge jagte eine weitere Hütte in die Luft. Caruso zollte dem Colonel insgeheim Anerkennung. Die Explosionen erwischten wohldosiert nur jene Hütten, die vermutlich längst verlassen waren. Die unerfahrenen Gegner aber wurden so eingeschüchtert, dass sie jeglichen Kampfesmut fahren ließen. Die verbliebenen Gegner schrien durcheinander, einige von ihnen warfen ihre MPis fort und rannten wild gestikulierend in die Nacht. Nach drei oder vier Minuten waren die meisten Feuer wieder erloschen. Die Schreie auf der Veranda waren verstummt, die meisten Männer geflohen. Wer sich jetzt noch auf der Veranda befand, war entweder tot oder so schwer verletzt, dass er keine Gefahr mehr darstellte. Aber Caruso machte sich keine Illusionen. Das härteste Stück Arbeit lag noch vor ihnen. Er zweifelte nicht daran, dass die Leute, die sich Hals über Kopf in den Dschungel geschlagen hatten, harmlose Untergebene gewesen waren. Die Bande besaß aber sicher noch fünf bis zehn Männer, die zum engeren Kreis zählten - jene Leute, die General Lubis’ Truppe zwei Stunden zuvor vernichtend geschlagen hatten. Caruso hatte diese Leute kämpfen sehen. Das waren keine Anfänger, sondern ausgebildete Kämpfer. »Davidge an Topak und Caruso. Ist jemand verletzt?« »Negativ, Sir«, meldete sich Topak. »Alles in Ordnung«, sagte Caruso. »Ausgezeichnet«, erwiderte Davidge. »Leblanc und ich kommen jetzt runter.«
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Es hörte sich an, als wollte Davidge noch etwas hinzufügen, doch er schwieg. Caruso wusste auch so, was er hatte sagen wollen. Hoffen wir, dass Sanchez noch lebt. *** Sie drückte den Kopf auf die Brust und zog die Beine an. Zusammengekrümmt wie ein Embryo lag sie hinter dem Schreibtisch und hoffte, dass die umhersirrenden Querschläger sie verfehlen mochten. Faid schrie. Und feuerte. Drei Mal, vier Mal, fünf Mal. Dann hielt er erschöpft inne. »Du Hure - das sind deine Komplizen draußen, nicht wahr? Wir werden sie alle vernichten!« Und wieder schoss er. Wild und ohne Verstand ballerte er drauf los. Sanchez wartete endlose Sekunden, bis das Magazin leer war und sie das wohlvertraute Klicken vernahm. Ihr blieben wahrscheinlich nur zwei, drei Herzschläge, bis Faid die Waffe gewechselt hatte. Sie handelte instinktiv und kam federnd auf die Beine. Ihre Rechte beschrieb einen Bogen, und das Messer verließ die Hand wie ein silberner Blitz, der genau auf die Stelle zuschoss… … an der Faid eben noch gestanden hatte. Das Zimmer war leer! Die Tür pendelte lose im Rahmen, und draußen entfernten sich Schritte. Sanchez sah die Pistole auf dem Boden liegen. Sie hob sie auf und prüfte das Magazin. Leer, natürlich. Sie hob das Messer auf. Ihre Hand ballte sich zur Faust. Es wurde Zeit, die Sache zu beenden. Ein für alle Mal. *** Caruso und Topak hatten das Gelände weitgehend gesichert, als Colonel Davidge und Lieutenant Leblanc eintrafen. Das Gewitter hatte sich verzogen, doch der strömende Regen dauerte an. Er bot
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den vieren eine akzeptable Deckung, während sie sich dem Haupthaus näherten. Langsam stiegen sie die Treppe zur Veranda hinauf. Einige Türen standen offen. Lichtschein fiel auf den Boden, zerrte die Gesichter von Toten aus dem Dunkel. Irgendwo stöhnte ein Verwundeter. »Ich habe ein paar Infrarotbilder des Satelliten gecheckt«, erklang Leblancs Stimme über den Helmfunk. »Darin verschanzen sie sich im hinteren Teil des Hauses. Ich kann nicht sagen, wie viele. Drei, vielleicht auch fünf Leute.« »Wann sind die Aufnahmen entstanden?«, fragte Davidge. »Vor ungefähr fünfzehn Minuten - noch vor dem Angriff.« »Das ist der innere Kern. Die Anführer. Der Rest ist wahrscheinlich inzwischen ausgeflogen.« Hoffen wir, dass es so ist, dachte Caruso, aber entgegen seiner sonstigen Art enthielt er sich eines Kommentars. Eine der Türen pendelte leicht im Wind. Davidge bedeutete Caruso und Topak, sich auf diesen Eingang zu konzentrieren. Von drinnen waren keine Stimmen zu hören. Leblanc hatte den Laptop aktiviert und mit einem Handdisplay verbunden, das die InfrarotSatellitenaufnahme zeigte. Der Grundriss des Haupthauses war deutlich zu sehen. Eine Anzahl heller Punkte gruppierte sich in einem Zimmer an der Südseite. »Scheint so was wie ein Versammlungsraum zu sein«, sagte Caruso. »Wir werden kein Risiko eingehen«, sagte Davidge. »Kein übereiltes Vorgehen. Corporal Topak und Sergeant Caruso bilden das erste Team. Wir nehmen sie von zwei Seiten unter Feuer.« Sie verteilten sich vor der Tür. Davidge gab den Befehl, und Caruso hechtete in den Raum. Er rollte sich auf der Schulter ab und hielt sofort die MP7 im Anschlag. Hinter ihm folgte Topak. »Leer«, ertönte Carusos Stimme über die Interlink-Verbindung. Davidge wandte sich an Leblanc. »Können wir kein aktuelleres Satellitenbild bekommen?«
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»In zwei Minuten müsste es so weit sein.« Sie sicherten zwei weitere Räume. Die Stille, die über dem Haus lag, schien trügerisch. Das einzige Geräusch war das unentwegte Trommeln der Regentropfen auf dem Dach. »Vor uns sind noch drei Zimmer, Sir«, sagte Leblanc. »Entweder haben sie sich dort verschanzt, oder…« Der ohrenbetäubende Knall einer Explosion riss ihm die Worte von den Lippen. Die Tür flog aus den Angeln und krachte gegen die gegenüberliegende Wand, wo sie in tausend Splitter zerbarst. Leblanc, der der Tür am nächsten gestanden hatte, wurde von der Druckwelle zu Boden geworfen. Davidge stand da und blickte auf die Staubwolke, die langsam zu Boden sank. Stille. Davidge fragte sich, ob der Knall ihm die Trommelfelle zerfetzt hatte. Aber er fühlte keinen Schmerz. Die Stille war echt. Da endlich drang ein leises Wimmern aus dem Zimmer. Fast wie ein Schluchzen. Er kannte die Stimme. Sie gehörte Sanchez. *** Wenige Minuten zuvor Die Argentinierin presste sich an den Türrahmen und lauschte auf das Salventrommeln draußen. Ihr feines Gehör unterschied drei verschiedene MPis, bevor die überraschten Separatisten sich zur Wehr setzten. Das waren nicht General Lubis’ Truppen, sondern das Alpha-Team. Davidge und die anderen waren hier, um sie herauszuholen! Sie schöpfte neue Hoffnung. Vielleicht würde sie diesen Schlamassel doch überleben. Sie vernahm Faids Stimme. Er brüllte Befehle, die sie nicht verstand. Füße trampelten über den steinernen Boden. Stimmen entfernten sich. Aber Faid war noch da. Er sprach mit drei oder vier
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Leuten, die sich in dem Raum vor ihr verschanzt hatten. Der Anführer scheute offenbar die Auseinandersetzung und ließ seinen Leuten den Vortritt. Wirklich mutig. Sanchez vernahm Schritte, die sich vorsichtig näherten. Sie presste sich gegen die Wand. Ein Schatten erschien in der Tür. Der Lauf einer Pistole erschien. Ein altes Modell, das sie von Bildern kannte. Schmuggelware aus alten Ostblockbeständen, huschte es ihr durch den Kopf. Sie spannte sich. Draußen ging der Angriff weiter. Faids Stimme übertönte das Rattern der MPis, und Sanchez meinte einen panischen Unterton herauszuhören. Durch das Fenster vernahm sie Todesschreie. Der Mann, den Faid beauftragt hatte, ihr den Garaus zu machen, war ein Anfänger. Ein blutiger Anfänger. Daran änderten auch die zwei Handgranaten nichts, die, an seinem Gürtel befestigt, wohl das Image als gnadenloser Gotteskrieger unterstreichen sollten. Er vergaß im Schatten des Türblatts nachzusehen, bevor er in die Mitte des Raumes trat. Das war dumm. Das war unverzeihlich. Sie hieb ihm mit einem Schlag die Waffe aus der Hand. Bevor der Mann überhaupt reagieren konnte, hatte sie ihn mit einem gezielten Handkantenschlag an den Hals lahm gelegt. Er sackte zu Boden. Sanchez ahnte die Gefahr mehr, als dass sie sie hörte. Faid war im Türrahmen aufgetaucht. Die Waffe in seiner Hand war genau auf Sanchez gerichtet. Als die Mündung Feuer spuckte, warf sie sich zur Seite. Gerade noch rechtzeitig. Die Kugel zischte an ihrer Wange vorüber. Bevor Faid den Abzug ein zweites Mal drücken konnte, hatte sie den reglosen Körper des ersten Angreifers vor sich gepresst. Faid war zu aufgewühlt, um ruhig zu zielen. Zwei Kugeln schlugen in den Oberkörper seines eigenen Mannes ein. Der Körper des Bewusstlosen zuckte, und Sanchez spürte, wie warmes Blut über ihre Hände lief. Ihre Finger tasteten nach dem Gürtel. Das Metall der Handgranate war warm, als hätte der Mann sie gerade erst in den Händen gehalten. Wahnsinn. Sie wusste ja nicht einmal, ob das alte Ding funktio-
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nieren würde. Vielleicht sprengte sie sich damit nur selbst in die Luft. »Zurück«, schrie sie und reckte den Arm in die Höhe. Faid hielt inne, wohl mehr aus Verblüffung denn aus Überzeugung, dass sie ihre Drohung wahr machen könnte. »Das wirst du nicht tun«, rief er. »Besser wir beide als ich allein«, zischte sie. Es gelang ihr tatsächlich, ihn zu verunsichern. Die Schreie und Schüsse kamen näher. Bald würden Davidge und die anderen hier sein. Bald und doch zu spät für sie. Faids Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. »Du Hure hast alles zerstört!« Die Pistole ruckte hoch, und er zog den Stecher durch. Zwei Mal, drei Mal. Er schrie seine Wut heraus. Sie wusste, dass er sie treffen würde. Irgendwann verlässt einen das Glück, dachte sie. Also bitte. Ihn sollte es auch verlassen. Sie zog den Ring von der Handgranate. Faid ließ die Pistole sinken und starrte entsetzt auf das schwarze, kleine Etwas in ihrer Hand. »Du… du…«, krächzte er. Sie sah, dass sein Oberkörper zurückzuckte. Offenbar wollte er fliehen, aber die Todesangst lähmte seine Muskeln. Er sah, dass er es nicht mehr schaffen würde. Nur noch eine Sekunde. Oder zwei? Zu wenig, um die Tür des Durchgangszimmers zu erreichen. Sanchez registrierte plötzlich, dass die Schüsse draußen verstummt waren. Eine gespenstische, scheinbar endlose Stille breitete sich aus. Eine friedliche Stille. Nur der Regen trommelte überlaut gegen das Fenster. So ist das also, wenn man stirbt, dachte sie höhnisch. Keine Jungfrauen, kein Paradies… wir sind ganz allein… Sie schleuderte die Handgranate in seine Richtung.
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Eine halbe Sekunde lang schwebte sie in der Luft, ein tödliches Glitzern. Sanchez presste den Körper des Sterbenden an ihre Brust und schloss die Augen. Der Blitz blendete sie trotzdem. *** »Sergeant Sanchez, hören Sie mich?« Sie vernahm die Worte wie aus weiter Ferne. Zögernd öffnete sie die Augen. Um sie herum war es warm. Und feucht. Sie war überrascht, dass sie den Arm heben konnte. Ihn spüren konnte. In ihrer Hand lag etwas. Von diesem Ding ging die Wärme aus. Es war ein abgerissener Unterarm. »Sanchez?« Die Stimme klang jetzt deutlich besorgter. Sie fokussierte die Umrisse, die sich langsam zu einem Gesicht zusammensetzten. Colonel Davidge. »Was… ist passiert…?« Sie bildete sich ein, ihre Stimme zu hören, aber es war ein Murmeln, das nur in ihrem Kopf existierte. »Es hat eine Explosion gegeben. Sie wurden verletzt. Können Sie sich bewegen?« Ich kann ihn hören, dachte sie fasziniert. Ziemlich schlecht zwar, aber ich höre ihn. »Ich glaube schon«, krächzte sie. »Was ist mit Faid?« Davidge blickte auf den zerfetzten Körper, dessen Überreste nur wenige Meter von ihr entfernt lagen. »Er ist tot - wie die anderen auch. Wir haben das Lager gesichert.« Sie schloss die Augen und überlegte, ob das gut oder schlecht war. Die Mission war nicht erfüllt. Jedenfalls nicht so, wie sie es sich anfangs vorgestellt hatten. Sie hatten den Zeitpunkt des Anschlags herausfinden und das Attentat verhindern sollen. Jetzt sah es so aus, als würde es kein Attentat mehr geben.
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Sanchez blinzelte. Langsam kehrten ihre Kräfte zurück. Davidge half ihr, die Leiche fortzuwälzen. »Tut Ihnen etwas weh?« Seine Stimme drang immer noch wie durch Watte zu ihr. »Ich weiß nicht. Mir ist schwindlig. Aber sonst geht es mir gut.« Sie tastete Brustkorb und Bauch ab. Prellungen. Blutergüsse. Nichts Schlimmes. Ihr Kopf brummte schrecklich. Aber sie war nicht taub. Das Trommelfell ist in Ordnung, stellte sie seltsam nüchtern fest. Verdammt, Sanchez, du bist soeben Zeugin eines Wunders geworden. *** Davidge rief nach Lieutenant Leblanc. »Ich brauche das Telefon. Und versuchen Sie, ein neues Satellitenbild zu bekommen. Vielleicht hat sich ja doch noch irgendjemand auf dem Gelände versteckt.« Zwei Minuten später stand die Verbindung zu General Matani. Colonel Davidge erstattete Bericht. Dann lauschte er, was Matani zu sagen hatte. Offenbar gab es Neuigkeiten. Als Davidge die Verbindung gekappt hatte, sagte er: »Lieutenant Harrer hat den Waffenhändler Claude Martin ausfindig gemacht. Leider ist er offenbar nicht über die Hintergründe des Anschlags informiert. Harrer hat ihn hübsch verschnürt und als Päckchen für das Militär zurückgelassen, das ihm auf den Fersen ist. Er selbst befindet sich jetzt auf dem Weg nach Jakarta.« »Gibt es Neuigkeiten von Ina?« »Sie befindet sich in Sicherheit. Ihre Tarnung ist aufgeflogen. Der Leiter des Internats, ein gewisser Abu Kalid, ist flüchtig.« Leblanc atmete hörbar auf. »Wo ist Ina jetzt?« »In einer Klinik in Medan. Einer der Schüler drohte an Malaria zu sterben. Sie konnte sich erst von der Klinik aus melden, da Abu Kalid ihre Ausrüstung zerstört hat.« Leblanc hatte seine Cherie bereits hochgefahren. »Ich checke die Anruflisten von Faids Handy. Wenn Abu Kalid so dumm war, seine Chipkarte nicht zu wechseln, können wir ihn vielleicht aufspüren.«
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Er verstummte, als der Klingelton eines Handys erklang. Sanchez’ Blick richtete sich auf die Masse aus Fleisch, Blut und Kleidern, die einmal Faid gewesen war. Es war Miro Topak, der sich vor den Toten kniete und nach dem Mobiltelefon tastete. »Nicht abnehmen«, sagte Davidge und wandte sich an Leblanc. »Haben Sie den Anrufer, Lieutenant?« Leblancs Finger flogen über die Tastatur. »Geben Sie mir ein paar Sekunden, Sir.« Das Klingeln verstummte. Davidge fluchte. »Das war eine bisher unbekannte Mobilfunknummer«, sagte Leblanc. »Können Sie nachträglich herausfinden, wo sich der Anrufer aufhält, Lieutenant?« »Bin dabei, Sir. Aber es könnte schwierig werden.« Da klingelte das Handy wieder. Caruso blickte Davidge und Leblanc fragend an. Leblanc nickte. »Ich zeichne das Gespräch auf.« »Geben Sie her, Sergeant«, sagte Davidge. Er nahm das Gespräch an. »Ja?« Am anderen Ende der Leitung blieb es still. Davidge hörte Stimmen, vielleicht eine Menschenmenge. »Wer ist da?«, fragte eine Männerstimme in gebrochenem Englisch. »Colonel John Davidge. Mit wem spreche ich?« Der Anrufer zischte etwas, das wie ein Fluch klang. »Was habt ihr mit Faid gemacht?« »Er ist tot«, sagte Davidge. »Wer sind Sie?« Der Anrufer schwieg. »Sind Sie Abu Kalid?« Wieder Schweigen. Treffer, dachte Davidge. Er versuchte den Anrufer zu verunsichern. »Die Lieferung ist geplatzt, Abu Kalid. Der Anschlag wurde vereitelt.« »Sie wissen gar nichts, Davidge!«
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»Wo sind Sie jetzt?« Davidge dachte an die verbliebenen Sarinproben. Sechs Röhrchen, von denen jede genügend Gift enthielt, um ein Dutzend oder mehr Menschen zu töten. »Geben Sie mir Ihre Position. Wenn Sie kooperieren, wird Ihnen das später mit Sicherheit helfen.« »Ihr werdet mich nicht aufhalten. Es ist zu spät, versteht ihr? Wir sind bereits da. Sie werden es nicht mehr verhindern können.« »Ich warne Sie, Abu Kalid, wenn Sie…« Es klickte, als der Anrufer auflegte. »Haben Sie den Standort, Lieutenant?«, fragte Davidge. »Er ist bereits in Jakarta. Irgendwo am Flughafen.« Davidge wählte noch einmal Matanis Nummer. Der General hob ab, als hätte er neben dem Telefon gewartet. »Wir haben Abu Kalids Position, Sir.« »Wunderbar. Geben Sie her. In einer halben Stunde kehrt der indonesische Sicherheitsminister von einer Auslandsreise zurück. Dann ist die Sache endlich vom Tisch.« Davidge fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen. Der Sicherheitsminister! Der härteste Gegner der Separatisten war nicht die Präsidentin, sondern ihr Herausforderer. In einer halben Stunde kehrt der indonesische Sicherheitsminister von einer Auslandsreise zurück. Dann ist die Sache endlich vom Tisch. »Sir, wo wird der Minister zurückerwartet?« »Wo?«, echote Matani irritiert. »Natürlich in Jakarta.« »Ich meine, wo trifft er ein?« »Auf dem Flughafen Soekarno-Hatta. Die Maschine landet in achtundzwanzig Minuten.« »Sir, dann weiß ich jetzt auch, was Abu Kalid dort auf dem Flughafen will.« Am anderen Ende der Leitung herrschte betroffenes Schweigen. »Ich werde sofort den Attache informieren«, sagte Matani endlich. »Die Regierung muss den Flughafen absperren.« »Das würde nichts nutzen, Sir. Er ist bereits dort!«
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»Dann muss eben die Polizei eingreifen. Ich werde die Meldung weitergeben.« »Sir, ich gebe zu bedenken, dass sich ein Maulwurf in der Informationskette befindet. Jemand in der Regierung steht auf der Seite der Separatisten.« »Was schlagen Sie vor, Colonel?«, fragte Matani ungehalten. »Sollen wir ruhig mit ansehen, wie der Sicherheitsminister einem Attentat zum Opfer fällt?« Davidge sagte ihm, was sie tun konnten. Es war wenig. Viel zu wenig. »Irrsinn. Das ist fahrlässig«, sagte General Matani prompt. »Das weiß ich, Sir. Aber es ist unsere einzige Chance.« Matani rang mit sich. »In Ordnung«, sagte er endlich. »Sie haben grünes Licht. Aber ich werde trotzdem versuchen, den Minister zu informieren.« »Wenn Sie das tun, wird der Maulwurf aktiv, Sir. In diesem Fall kann ich für nichts garantieren.« »Können Sie mir denn überhaupt irgendwas garantieren, Davidge?« »Nein, Sir. Ehrlich gesagt, nicht.« General Matani hatte Ehrlichkeit immer zu schätzen gewusst. Diesmal allerdings konnte Davidge sich vorstellen, dass er seine Offenheit verwünschte. *** Auf der Straße zwischen Merak und Jakarta Samstag, 0346 westindonesische Standardzeit Harrer hatte bereits drei Viertel der Strecke nach Jakarta zurückgelegt, als ihn der Anruf des Colonels erreichte. Der nagelneue Jeep Cherokee aus dem Fuhrpark Claude Martins fraß die Kilometer mit atemberaubender Geschwindigkeit, während die Leistung des 210PS-Motors im Inneren des Wagens nur als leises Summen zu vernehmen war. »Haben Sie bereits die Abzweigung zum Flughafen Soekarno-Hatta erreicht, Lieutenant?« »Noch ein paar Kilometer, Sir.«
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»Drücken Sie auf die Tube. Sie müssen in einer Viertelstunde am Flughafen sein. Unterwegs werde ich Ihnen alles erklären.« Davidge berichtete in knappen Worten, wie die Undercover-Aktion in Sumatra geendet war. »Was ist mit Sanchez, Sir?«, fragte Harrer besorgt. »Sie wird ein paar Tage Urlaub benötigen - wie wir alle, schätze ich.« Harrer atmete auf. »Ich habe Claude Martin ausgefragt, aber er gab vor, nichts über das Attentat zu wissen. Ich hatte leider keine Zeit, ihn in die Zange zu nehmen, Sir.« »Das spielt jetzt keine Rolle mehr, Lieutenant. Wir wissen, wo das Attentat stattfinden wird. In fünfundzwanzig Minuten wird der Sicherheitsminister auf dem Flughafen eintreffen. Abu Kalid erwartet ihn bereits.« »Wie viele Leute hat er bei sich?« »Wahrscheinlich nur ein Kind. Einen Jungen namens Tersek. Er ist Schüler des Internats, in das wir Ina Lantjes eingeschleust haben.« »Ist der Junge gefährlich?« »Das wissen wir nicht. Abu Kalid hat sehr wahrscheinlich alle sechs Ampullen mit Sarin bei sich. Sie wissen, was das bedeutet?« Harrers Hände krampften sich um das Lenkrad. Vor seinem inneren Auge sah er sich wieder zwischen den Slumhütten von Medan umherirren, sah das Gesicht des Jungen, vor Todesangst verzerrt, während er in stummem Schmerz an der Atemlähmung zugrunde ging. In der Tat wusste er, was das bedeutete. Und er war alles andere als scharf auf ein Déjà-vu-Erlebnis. »Sonstige Waffen?« »Wissen wir nicht, aber wahrscheinlich keine, da er selbst gerade erst in der Luft war.« »An welchem Terminal trifft der Minister ein?« »Das werde ich gleich in Erfahrung bringen, Lieutenant.« Davidge unterbrach sich. Harrer hörte, wie er mit jemandem sprach. »Wir haben Glück, Lieutenant. Leblanc hat Abu Kalid über sein Handy geortet. Wir haben jetzt eine Echtzeit-Standortbestimmung.«
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»Ich habe gerade die Abzweigung passiert, Sir. In spätestens zehn Minuten müsste ich dort sein.« Harrer hörte, wie Davidge durchatmete. »Schnappen Sie diesen Kerl, Lieutenant! Ich wünsche Ihnen alles Glück der Welt.« Das wünschte sich Harrer auch. »Verstanden, Sir«, sagte er und legte auf. *** Flughafen Soekarno-Hatta, zwanzig Kilometer westlich von Jakarta Samstag, 0409 westindonesische Standardzeit Harrer stellte den Jeep auf einem der letzten freien Parkplätze des Flughafens ab. Drei Jungen in abgerissener Kleidung, die in einiger Entfernung an einem Absperrgitter lehnten, musterten den Fremden abschätzig. Wahrscheinlich beeindruckte sie der Jeep Cherokee. Als Harrer ihren Blick erwiderte, wandten sie sich ab und schlenderten davon. Harrer steckte sich fünf Atropinspritzen ein, außerdem zwei Fläschchen mit medizinischer Kohle. Er zog eine Tasche aus dem Rucksack, faltete sie auseinander und verstaute die MP7 sowie zwei Ersatzmagazine darin. Außerdem steckte er sich eine kleinkalibrige Pistole in den Gürtel und hängte das Hemd darüber. Das Satellitentelefon wirkte etwas klobig, wie ein Handy aus den 90er Jahren, aber das würde ihn wohl kaum auf Anhieb verdächtig machen. Auf dem Weg zum Terminal wählte er Davidges Nummer. Es war Leblanc, der sich meldete. »Ich habe mich in einen der Behördenrechner eingehackt und einen Grundriss des Flughafens heruntergeladen. Kalid befindet sich im Terminal 2. Das ist auch der Terminal, in dem der Minister erwartet wird.« »Absperrungen? Sicherheitspersonal?« »Bisher keine Informationen.« Harrer orientierte sich an den englischen Beschriftungen. Der Flughafen verfügte über zwei Terminals, die einander gegenüberlagen. In
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jedem waren drei Subterminals untergebracht. In Terminal 2 wurden die Inlandsflüge der Garuda abgewickelt, außerdem auch internationale Flüge. »Ich sehe den Haupteingang, Pierre. In einer halben Minute bin ich da.« Harrer lief zwischen hupenden Autos hindurch und schob ein englisches Touristenpärchen zur Seite, das mit einem voll beladenen Kofferwagen den Eingang blockierte. Die Frau, eine füllige Matrone Mitte fünfzig, zeterte und hieb mit einem Regenschirm auf ihn ein. Harrer wich aus und quetschte sich durch die Drehtür. »Ziemlich voll hier drin. Wo ist er?« Touristen drängelten an Harrer vorbei. Irgendjemand stieß ihn an und huschte vorüber, eine Entschuldigung murmelnd. Als Harrer plötzlich eine Hand auf seiner Schulter spürte, zuckten seine Finger zu der Pistole im Gürtel. Aber es war nur ein Kaugummi kauender Uniformierter von der Flughafenaufsicht, der ihm Handzeichen gab, er möge ein paar Schritte zur Seite gehen, um den Eingangsbereich freizugeben. »Verdammt, Pierre, hier herrscht Chaos. Sag mir am besten, wo ich den Sicherheitsminister erwarten kann.« »Ich habe Abu Kalid!«, rief Pierre. »Er ist vierzig Meter vor dir, ungefähr auf elf Uhr. Er kommt gerade aus dem Transitbereich.« Auf Fort Conroy hatte er Abu Kalids Gesicht auf einem Foto gesehen. Allerdings war die Aufnahme einige Jahre alt gewesen. »Ich sehe ihn nicht.« »Er muss aber da sein. Er geht direkt auf dich zu.« Harrers Blick fiel auf eine junge Indonesierin, die auf ihn zusteuerte. Als sie an ihm vorübergehen wollte, packte er sie am Arm, sodass sie überrascht aufschrie. »Entschuldigen Sie, Madam, ich suche einen Mann mit einem schwarzen Vollbart. Er muss gerade neben Ihnen gegangen sein. Haben Sie ihn gesehen?«
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Sie wollte sich losreißen. Dabei fiel ein Gegenstand zu Boden, der offenbar lose in ihrer Tasche gesteckt hatte. Es war ein Handy. Harrer hob es auf. Die Frau machte eine abwehrende Geste und rannte davon. »Er hat uns verarscht«, sagte Harrer. »Er hat das Handy absichtlich auf Empfang gestellt und einer Fremden in die Tasche gesteckt.« »Das heißt, er ist noch im Transitbereich«, sagte Pierre. Ziemlich clever von Kalid den Minister dort zu erwarten, wo kein bewaffneter Attentäter hineinkam. Kein Attentäter mit konventioneller Bewaffnung jedenfalls. Ganz sicher rechnete dort niemand mit einem Angriff, und gleichzeitig hatte Abu Kalid eventuelle Verfolger elegant ausgesperrt. »Was willst du jetzt tun, Mark?« »Sag Davidge, Matani soll mit dem Flughafenpersonal Kontakt aufnehmen. Ich muss irgendwie in den Transitbereich rein.« »Dir bleiben nur noch sieben Minuten.« Harrers Blicke schweiften auf die andere Seite der Halle, zum Eingang in den Transitbereich. Ein Dutzend bewaffnete Wachleute standen an den Durchleuchtungsgeräten. Mit der MP7 und der Pistole kam er da nie rein. Er hatte ja nicht mal ein Ticket. »Du bist doch im System drin, Pierre«, sagte er. »Ich brauche das Gate, an dem der Minister ankommt.« »Du willst wirklich da rein?« »Na was schon. Meinst du, ich stehe hier rum und warte darauf, dass Abu Kalid es sich noch mal anders überlegt?« »Okay, gib mir zwei Minuten.« Harrer ließ die Verbindung bestehen, während er sich dem Eingang näherte. Vor der Waffenkontrolle hatte sich eine kleine Schlange gebildet. An letzter Stelle stand ein junger Rucksacktourist mit langen Haaren und Sandalen an den nackten Füßen. Er sah ziemlich harmlos aus. Umso besser. Harrer stellte sich hinter ihm an und sah nervös auf die Uhr. Dann schlug er sich gegen die Stirn, als ob er etwas vergessen hätte. »Sprechen Sie Englisch, Sir?«, fragte er den Langhaarigen, der sich überrascht umdrehte und nickte. »Ich will mir nur eine Zeitung kau-
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fen. Würden Sie kurz auf die Tasche aufpassen? Ich bin in dreißig Sekunden wieder da.« »Ja, aber…« Harrer drehte sich um und drängelte sich durch eine Menschenmenge auf einen Kiosk zu. Kurz bevor er ihn erreichte, warf er einen Blick zurück. Der Langhaarige hatte ihn bereits aus den Augen verloren. Hilflos blickte er auf die Tasche. Harrer zog seine Jacke aus und klemmte sie sich zusammengerollt unter den Arm. Billiger Trick, aber was soll’s. Ein stiernackiger Tourist schob gerade seinen Kofferwagen vorüber und steuerte auf die Kontrolle zu. Harrer schloss sich ihm an. Es bereitete ihm keine Mühe, sich unauffällig hinter dem massigen Touristen zu halten. Drüben war der Langhaarige an der Reihe. Er zeigte hilflos auf die Tasche mit der MP7. Ein Beamter hörte ihm stirnrunzelnd zu, und der Langhaarige packte die Tasche auf das Laufband. Der Beamte sagte etwas und wollte die Tasche zurückziehen, aber da war sie bereits im Durchleuchter verschwunden. Zwei Sekunden später ertönte ein Schrei. Die Frau am Bildschirm gestikulierte wild. Der Langhaarige wurde zu Boden gerissen, und sieben oder acht Wachleute stürmten heran, um ihn in Schach zu halten. Das war der Moment, in dem Harrer sich aus der Schlange löste, über die Absperrung hinwegsetzte und in den Transitbereich stürmte. Irgendjemand schrie ihm etwas hinterher. Er rannte weiter. Als er sich umsah, erblickte er zwei Wachmänner, die ihm folgten. Immerhin, dachte er, zwei sind besser als zwölf. Außerdem waren sie klein und hatten beide einen kleinen Bauchansatz. Die Entfernung zwischen ihnen und Harrer wurde mit jedem Schritt größer. »Pierre?«, fragte er gehetzt. »Bin noch dran, Kumpel.« »Ich bin jetzt im Transitbereich.« »Hab’s gehört. Ich brauche noch ein paar Sekunden.« Harrer blieb vor einer Abzweigung stehen und starrte auf die Hinweisschilder zu den Gates. »Über oder unter vierzig, Pierre? Verdammt, ich muss wissen, in welche Richtung es geht.«
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Als er sich umdrehte, sah er, dass die Wachleute aufholten. Sie schrien und gestikulierten, so dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie Unterstützung bekommen würden. »Gate 54«, rief Pierre. Harrer sprintete los. Vierzehn Gates. Und ihm blieben höchstens noch zwei Minuten. *** Schon von weitem sah er die Traube von Reportern, die den Minister am Gate erwarteten. Sicherheitsleute sperrten den Bereich ab. Angespannt starrten sie auf den Fremden, der wie von tausend Teufeln gehetzt den Gang hinauf gerannt kam. Als er bis auf fünfzig Meter heran war, rückten sie enger zusammen und tasteten nach den Schulterhalftern, die sie unauffällig unter den Anzügen trugen. Harrer sah ein paar Männer in dunklen Anzügen über die Gangway schreiten. Durch eine Glastür erreichten sie das Gate. Er wusste nicht, wie der Minister aussah, aber er erkannte unter den Reportern plötzlich ein Gesicht, das er schon einmal gesehen hatte. Einen schmächtigen Mann mit einem schwarzen Vollbart. An seinem Revers heftete ein Schild, das ihn als Journalisten auswies. Harrer sah auch den Jungen, der neben ihm stand. Er war etwas dünner als der Bärtige und trug ebenfalls einen Ausweis - und einen braunen Rucksack auf dem Rücken. Harrer fragte sich, wie es Abu Kalid gelungen war, den Jungen einzuschleusen. Wahrscheinlich hatte irgendjemand in der Regierung nachgeholfen. Irgendjemand ganz oben war offensichtlich sehr daran interessiert, dass der Sicherheitsminister seinen Wahlerfolg nicht mehr erlebte. Noch zwanzig Meter. Da waren die beiden Verfolger hinter Harrer auf Sichtnähe heran. Sie schrien und deuteten auf Harrer. Die Sicherheitsleute reagierten sofort und zückten ihre Waffen. Harrer hob die Hände, zum Zeichen, dass er keine Gefahr darstellte. Einer der Männer schrie ihm etwas zu. Als er nicht reagierte, wech-
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selte er in die englische Sprache über: »Stehen bleiben! Keinen Schritt weiter!« Harrer gehorchte. Die Reporter und der Minister verfolgten den Zwischenfall mäßig interessiert. Verrückte gab es überall. Die Sicherheitsleute würden sich schon um den Fremden kümmern. »Ich bin Agent einer Spezialeinheit der UN«, rief Harrer. »Unter den Journalisten befindet sich ein Mann, der den Minister töten will!« Die Männer blickten sich irritiert an. Niemand reagierte. Marks Hand tastete nach der Jackentasche. »Keine Bewegung!« »Ich will meinen Ausweis herausholen, verdammt. Die Lage ist todernst. Unter den Reportern befindet sich ein Separatist aus Aceh, der es auf den Minister abgesehen hat.« Ein paar der Journalisten verstanden offenbar Englisch. Gemurmel erhob sich. Harrer sah, wie Abu Kalid sich plötzlich in Bewegung setzte. Er drängelte nach vorn, in Richtung des Ministers, der mit seinen Leibwächtern an der Glastür stehen geblieben war. »Er ist es!«, rief Harrer und zeigte auf Abu Kalid. »Gehen Sie von diesem Mann weg, Ladies und Gentlemen. Er trägt Giftgas bei sich, das jeden Augenblick freigesetzt werden kann!« Die Sicherheitsleute wussten noch immer nicht, was sie tun sollten. Ihre fragenden Blicke richteten sich auf den Minister. Der wiederum starrte Harrer an wie ein lästiges Insekt, das seinen minutiös inszenierten Auftritt störte. Einige der Reporter hatten Harrer verstanden, aber sie zögerten noch. Da verlor Abu Kalid die Nerven, griff in den Rucksack des Jungen und brachte einen schmalen, röhrenförmigen Glasbehälter zum Vorschein, dessen Form Harrer nur zu gut kannte. Mit einem Satz überwand Abu Kalid die Absperrung und hechtete auf den Minister zu. Die Leibwächter vor dem Politiker schlossen sich instinktiv zu einer Mauer zusammen.
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Harrer nutzte die Gelegenheit, um ungesehen seine Pistole zu zücken. Abu Kalid befand sich zwölf, vielleicht fünfzehn Meter von ihm entfernt. Ein gewagter Schuss… Harrer sah, dass Abu Kalid ausholte, und drückte ab. Abu Kalid wurde herumgerissen. Der Behälter flog durch die Luft und landete an der Außenglasscheibe, wo er klirrend zerbrach. Abu Kalid stürzte zu Boden. Harrer ließ die Waffe fallen, um zu vermeiden, dass einer der Sicherheitsleute die Nerven verlor. »Schaffen Sie den Minister weg!«, schrie er. »Das ist ein tödliches Gas!« Er wusste nicht, ob die Leibwächter ihn verstanden hatten oder instinktiv reagierten. Sie rissen den Minister mit sich, zurück auf die Gangway, während die Reporter zur anderen Seite davonstoben. Panik brach aus. Im Zentrum lag Abu Kalid auf den Linoleumplatten. Er schnappte nach Luft, während sich unter seiner Brust eine dunkle Lache ausbreitete. Seine Gliedmaßen zuckten. Zwei der Sicherheitsleute tasteten ihn nach Waffen ab, konnten aber offenbar nichts finden. Einer der Männer ging mit gezogener Waffe auf Harrer zu. »Auf den Boden, Mann - sofort!« »Machen Sie keinen Aufstand, Mann. Ich bin Lieutenant Mark Harrer, Mitglied einer UN-Einsatztruppe. Ich hatte Befehl, den Anschlag auf den Sicherheitsminister zu vereiteln.« »Was für ein Anschlag?« »In dem Behälter befand sich Sarin, ein hochwirksames Nervengift. Sie müssen den Korridor räumen, bevor es sich ausbreitet.« »Haben Sie Beweise für Ihre Behauptungen?« Harrer verlor die Geduld. »Sie haben den Attentäter, und Sie haben das Gift. Was wollen Sie denn noch? Schaffen Sie endlich die Leute weg!« Der Mann zögerte, dann nickte er endlich und gab seinen Leuten ein Zeichen. Während diese den Bereich um Abu Kalid absperrten, hielt er Harrer weiter in Schach.
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Die meisten Reporter waren instinktiv zurückgewichen, doch mit Verzögerung begriffen sie, dass sie hier Material für eine erstklassige Story bekamen. Einige von ihnen machten kehrt, schossen Bilder. Irgendwo surrte eine Kamera. Die Sicherheitsleute hatten Mühe, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Harrer suchte Tersek unter den Reportern. »Haben Sie den Jungen gesehen? Wo ist der Junge?« Der Sicherheitsmann blickte ihn verständnislos an. »Ein Junge - ungefähr vierzehn Jahre alt. Schmächtig, schwarze Locken, etwa mittelgroß. Er war der Komplize des Attentäters!« Niemand wusste eine Antwort. In die Stille hinein ertönte das Klappen einer Tür. Harrer fuhr herum. Die Toiletten. Er hob seine Pistole auf und winkte dem Sicherheitsmann zu. »Wie heißen Sie?« »Mochtar.« »Kommen Sie mit, Mochtar. Wir müssen dem Jungen helfen. Er hat womöglich keine Ahnung, was er da bei sich trägt.« Mochtar rief den anderen Leuten etwas zu, dann schloss er sich Harrer an. Hinter ihnen war die Lage inzwischen einigermaßen unter Kontrolle. Harrer öffnete die Toilettentür. Er betrat einen Vorraum. Danach kamen die Pissoirs und erst dann ein Raum mit mehreren Kabinen. Eine von ihnen stand offen. Harrer sah die Spitzen zweier schwarzer Turnschuhe. Der Junge hatte sich über die Kloschüssel gebeugt und übergab sich. Seine Hände zitterten. Außer ihnen beiden und dem Jungen war niemand im Raum. Als Tersek ihn und Mochtar hörte, fuhr er herum. Harrer hob die Hände. »Keine Angst, Tersek. Wir wollen dir nur helfen.« Der Junge hob abwehrend die Hände. »Wer sind Sie? Woher kennen Sie meinen Namen?« »Wir sind von der Polizei, Tersek.« Er deutete auf den Rucksack, der auf dem Boden neben der Kloschüssel lag. »Sind darin die restlichen fünf Behälter?«
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Tränen rannen über Terseks Gesicht. »Sie - Sie haben Abu Kalid getötet!« Harrer schüttelte den Kopf. »Er ist nicht tot. Er ist nur verletzt. Hör zu, Tersek. Abu Kalid wollte etwas sehr Schlimmes tun. Vielleicht hat er es dir nicht einmal verraten. Er wollte den Minister töten.« »Das ist nicht wahr!« »Doch, das ist es. Dafür benötigte er die Ampullen. Sie beinhalten ein tödliches Gift, Tersek. Gib sie mir, und ich sorge dafür, dass sie unschädlich gemacht werden.« Tersek streckte die Hand aus. »Kommen Sie nicht näher! Ich zerstöre die Behälter!« Er hob den Fuß und stellte ihn auf den Rucksack. »Das darfst du nicht tun. Das Gift würde dich töten. Wir wollen dir helfen, Tersek. Fatma hat mich geschickt. Du erinnerst dich doch an Fatma, oder?« Terseks Augen wurden groß. Er nickte zögernd. »Sie hat deinen Freund Toni gerettet. Er wäre fast an der Malaria gestorben, aber sie hat ihn in ein Krankenhaus gebracht. Bitte gib mir jetzt den Rucksack, Tersek. Schieb ihn langsam herüber.« Mochtar schien das alles zu lange zu dauern. Er hob die Pistole. »Her mit dem Rucksack, Junge!« Tersek machte erschrocken einen Schritt zurück. »Vorsicht, Tersek!«, rief Harrer. Aber es war zu spät. Ein Knirschen erklang, als Terseks Fuß auf den Rucksack trat. »Weg da, Tersek!«, schrie Harrer und bewegte sich gleichzeitig rückwärts in Richtung Ausgang. Der Junge schien nicht zu begreifen. Er stand wie erstarrt. Es war Mochtar, der reagierte. Bevor Harrer ihn zurückhalten konnte, schnellte er vor, packte Tersek und zerrte ihn aus der Kabine und in Richtung Ausgang. Auf dem Gang angekommen, schleuderte er den Jungen zu Boden und wollte ihm Handschellen anlegen. Doch Harrer hielt ihn zurück. »Das war Wahnsinn, was Sie getan haben. Das Gift ist tödlich!«
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Terseks Glieder begannen zu zucken. Auch Mochtar ging plötzlich in die Knie und röchelte. Er hatte das Gift bereits eingeatmet, wenn auch nicht so schlimm wie Tersek. Harrer kniete neben dem Jungen zu Boden und riss eine Atropinspritze aus der Jacke. Mit voller Wucht stieß er sie Tersek ins Herz. Die Bewegungen des Jungen erlahmten auf der Stelle. Danach kümmerte Harrer sich um Mochtar, der nach Atem ringend auf dem Boden lag. »Ich brauche einen Notarzt!«, schrie Harrer die umstehenden Sicherheitsleute an. »Sorgen Sie dafür, dass niemand die Toiletten betritt!« Irgendjemand kramte sein Handy hervor und begann hektisch zu telefonieren. Harrer ließ sich neben Tersek nieder und strich ihm über die Stirn. Der Junge war in Schweiß gebadet. »Du schaffst das, Tersek«, flüsterte Harrer. Das Atropin bewirkte, dass Terseks Kreislauf kollabierte. Aber es verschaffte ihm auch Zeit, die Wirkung des Giftes zu verzögern, vielleicht die entscheidenden Minuten. »Ein Arzt von der Flughafenambulanz ist unterwegs«, vernahm Harrer eine Stimme. »In zwei Minuten ist er hier.« , Harrer nickte abwesend. Sein Blick blieb auf Tersek gerichtet. Die aufgerissenen, kohlschwarzen Augen, deren Pupillen sich im Schock verkleinert hatten, die kalte, schweißbedeckte Haut. Weniger als zwölf Stunden war es her, dass er ein solches Gesicht zum letzten Mal gesehen hatte. Das Gefühl von Hilflosigkeit drohte ihn zu ersticken. *** Flughafen Soekarno-Hatta, Notfallambulanz Samstag, 0535 westindonesische Standardzeit Ein kleiner, untersetzter Arzt horchte Mark Harrers Brustkorb ab, dann tastete er nach seinem Puls. Harrer ließ die Untersuchung klaglos über sich ergehen.
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»Sie haben ziemliches Glück gehabt« , sagte der Arzt schließlich. »Wie es aussieht, haben Sie nichts abbekommen.« Er packte seine Instrumente zusammen. Harrer starrte aus dem Fenster, dorthin, wo vor einer halben Stunde die Rettungswagen abgefahren waren. »Werden sie durchkommen, Doktor?« »Der Mann auf jeden Fall. Der Junge… ich weiß es nicht. Aber wenn, dann haben Sie ihm das Leben gerettet, Lieutenant.« Er deutete auf die Reporter, die sich vor der Notfallambulanz versammelt hatten. »Im Fernsehen laufen bereits erste Meldungen über das Attentat. Ich schätze, dass man aus Ihnen einen Helden machen wird.« Harrer nickte. »Ich würde gern den Hinterausgang nehmen, wenn es geht.« Der Arzt grinste und geleitete ihn zu einer Tür, die auf einen von Neonröhren beleuchteten Korridor führte. »Rechts runter, und die dritte Tür auf der linken Seite führt Sie in die Halle zurück. Was soll ich den Sicherheitsleuten sagen?« »Dass sie diese Nummer anrufen sollen, dann wird sich alles klären.« Er kritzelte eine offizielle Nummer der SFO auf das Papier. General Matani würde ihnen alle Fragen beantworten. Oder auch nicht. Das war nicht mehr Harrers Job. Er verließ den Terminal unbeobachtet und kehrte zu seinem Jeep zurück. Über das Satellitentelefon nahm er Verbindung mit Colonel Davidge auf. »Schön, Sie zu hören, Lieutenant«, sagte Davidge. »Ich wünschte, wir hätten einen Fernseher hier. Dann könnten wir Ihr Gesicht jetzt wohl auf dem Bildschirm bewundern.« »Vergessen Sie es, Sir. Ich habe mich verdrückt.« »Was ist mit Abu Kalid?« »Er ist an der Blutung gestorben.« »Und der Junge?« »Keine Ahnung. Vielleicht wird er es überleben. Ich könnte das Krankenhaus aufsuchen und versuchen, ihn zu verhören.« »Vergessen Sie es, Lieutenant. Für uns ist der Fall erledigt.«
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»Aber da ist noch immer Claude Martin. Das Militär dürfte ihn inzwischen gefunden haben. Wenn er aussagt…« »Der Waffenhändler Claude Martin wurde an seinen Schreibtischstuhl gefesselt aufgefunden. Man hat ihm drei Kugeln in die Brust gejagt.« »Aber Sir, ich…« »Ich weiß, dass Sie es nicht waren. Wer immer in Jakarta mit den Separatisten zusammenarbeitet, hat genügend Einfluss auf das Militär, um zu verhindern, dass Claude Martin redet.« Colonel Davidge machte eine Pause. »Wir sind nur Teil des großen Spiels, Lieutenant, und wir haben den Ausgang nicht zu bestimmen. General Matani hat Anweisung zum Rückzug gegeben. Alles Weitere ist nun Sache der Diplomatie.« »Wird man den Sicherheitsminister über die Zusammenhänge aufklären, Sir?« »Ich schätze, in Jakarta ist man hin und wieder ganz glücklich über einen kleinen Anschlag. Wie sollte man sonst die hohen Militärausgaben rechtfertigen? Das kennen wir doch aus der Heimat.« Harrer dachte, dass man der Regierung trotzdem einen Tipp geben sollte. Aber Davidge hatte Recht. Das zu entscheiden lag nicht mehr in ihrer Hand. »Ich weiß, dass Sie diesen diplomatischen Spielchen nicht viel abgewinnen können, Lieutenant«, sagte Davidge. »Ich auch nicht. Deshalb sind wir das, was wir sind, und andere bestimmen die Politik. Freuen wir uns, dass wir alle heil davongekommen sind. Alles, was Sie jetzt noch brauchen, ist eine Mütze Schlaf.« Diesmal konnte Harrer ihm beim besten Willen nicht widersprechen. ENDE
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