David Foster Wallace
Unendlicher Spass
2. Teil Roman
Kap. 39 - VOR DER MORGENDÄMMERUNG, 1. MAI J. D. I.u. IMMER NOCH...
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David Foster Wallace
Unendlicher Spass
2. Teil Roman
Kap. 39 - VOR DER MORGENDÄMMERUNG, 1. MAI J. D. I.u. IMMER NOCH EINE FELSNASE NORDWESTLICH VON TUCSON, ARIZONA, USA Nach längerem Schweigen der beiden Agenten, die auf dem Berg ihren Gedanken nachgehangen hatten, ergriff M Hugh Steeply leise wieder das Wort. Er sah immer noch ins Weite, stand am Rand der Felsnase, die nackten Arme um sich geschlungen, um ein bisschen warm zu werden, die verschmutzte Rückseite des Kleides Marathe zugewandt. Um das Freudenfeuer weit unter ihnen auf dem Wüstenboden drehten sich kleinere flackernde Flammen, Menschen mit Fackeln oder brennenden Ästen. »Überlegst du manchmal, sie dir anzuschauen?« Marathe antwortete nicht. Es war nicht auszuschließen, dass die jungen Menschen mit den Fackeln in den Händen tanzten.
»Auch wenn die A. F. R. die vermeintliche MasterKopie vom Einbruch bei DuPlessis vielleicht nie finden, habt ihr doch trotzdem eine Lesekopie, oder? «, fragte Steeply leise. »Wenigstens eine, hast du doch gesagt, oder?« »Ja.« »Niemand hat diesen geheimnisvollen Master, wir haben alle bloß Lesekopien, alle Anti-O.N.A.N.Zellen haben mindestens eine Lesekopie, da sind wir ziemlich sicher.« Marathe sagte: »M Broullime, er erzählt Fortier, er glaubt, die PKPC aus Alberta haben keine Kopie.« »Scheiß auf die Albertaner«, sagte Steeply. »Wen kratzen die denn? Die glauben doch schon, sie verpassen den USA einen Leberhaken, wenn sie Farmland in Montana in die Luft jagen. Absolute Spinner.« »Ich war noch nicht in der Versuchung«, sagte Marathe. Steeply klang, als hätte er das nicht gehört. »Wir haben mehr als eine. Kopie. Können aber wohl davon ausgehen, dass deine Jungs das wissen.« Marathe lachte trocken. »Beim Remmi in Berkeley, Boston, beschlagnahmt. Aber wer weiß, was ist drauf
da? Wer kann die Unterhaltung mit Unvoreingenommenheit untersuchen?« Steeplys Schramme am Arm war im Verlauf der Nacht angeschwollen und zeigte vom Kratzen Kreuzschraffuren. »Aber mal unter uns. Tete zu Tete. Warst du nie ein kleines bisschen in Versuchung? Rein menschlich, mein' ich. Du als Mensch. Pfeif auf den Zustand der Frau. Pfeif auf die Kinder. Nur mal kurz da rein schleichen, wo ihr Jungs sie aufbewahrt, rein ins Laufwerk und Luckilucki machen? Einfach mal gucken, was der ganze Rummel soll? Der unwiderstehliche Sog von dem Ding?« Er schwenkte auf einem Absatz herum und sah ihn an, den Kopf auf eine Weise schräg gelegt, die für Marathe von ausgemacht US-amerikanischem Zynismus zeugte. Marathe räusperte sich in die Faust. Der KenbeckSchrittmacher seines verstorbenen Vaters war versehentlich von einem videophonischen Puls von Wellen beschädigt worden. Bei einem Telefonanruf der Telefongesellschaft, einem Videoanruf, der für Videophonie warb. M Marathe hatte den Hörer des klingelnden Telefons abgenommen; der videophonische Puls war erfolgt; M Marathe war umgefallen, in der Hand noch den Telefonhörer, den
zu Prüfzwecken erst abzuheben Remy nie eingeschärft worden war. Der aufgezeichnete Werbe spot spielte seinen hörbaren Teil Richtung Fußboden neben dem Ohr seines Vaters ab, hörbar zwischen den Schreien von Marathes Mutter. Steeply wippte auf den Schuh spitzen auf und ab. »Bei uns lässt Rod der Gott Tine die I/O-Jungs von Tom Flatto rund um die Uhr Untersuchungen anstellen. Tag und Nacht.« »Flatto, Thomas M., B. S. S.-Leiter der Input/Output-Forschungsabteilung, wohnhaft in Falls Church, Witwer mit drei Kindern, eines davon mit Mukoviszidose.« »Witzig wie ein eingeklemmter Pups, Remy. Und garantiert arbeiten auch die Aufrührerzellen unter Hochdruck daran, ihr Jungs mit deinem Dr. Brullent oder wie der heißt, um herauszufinden, worin der Reiz der Unterhaltung bestehen könnte, ohne einen von euch opfern zu müssen.« Steeply drehte sich wieder um, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Aber vielleicht seid ihr ja auch bereit, eure eigenen Leute zu opfern. Ja? Freiwillige in Rollstühlen. Opfern sich für das große Ganze und so. Durch echte Wahlfreiheit. Nur um uns Schaden
zuzufügen. Möchte mir nicht mal vorstellen, wie die A. F. R. das Ding testen.« »Test ja.« »Aber nicht nur den Inhalt«, sagte Steeply. »Input/Outputs erschöpfende Testreihen. Flatto hat sie auch auf Bedingungen und Umgebungen potenziell nichttödlichen Betrachtens angesetzt. Bei gewissen Abteilungen in Virginia zeichnet sich die Theorie ab, dass es sich um Holographie handeln könnte.« »Der Samisdat.« »Der Filmemacher arbeitete in der Optik an vorderster Front. Holographie, Diffraktion. Er hatte vorher schon ein paarmal holographische Verfahren eingesetzt im Zusammenhang mit filmischen Angriffen auf den Zuschauer. Er war Mitglied der Feindseligen Schule oder so 'nem Käse.« »Außerdem Hersteller von reflektierenden Platten für thermische Waffen, zudem ein wichtiger Annulateur und ein Mehrer des Kapitals von optischen Erfindungen, vor Feindseligkeit und Film «, sagte Marathe. Steeply schlang die Arme um den Körper. »Tom Flattos Lieblingstheorie ist, dass der Reiz mit Dichte
zu tun hat. Der visuelle Zwang. Die Theorie besagt, dass du bei einer echt ausgebufften Holographie die neurale Dichte eines richtigen Bühnenstücks bekommst, ohne den selektiven Realismus des Bildschirms zu verlieren. Und dass Dichte plus Realismus zu viel sein könnten. Dick Desai von der Datenproduktion will dem Ding mit ALGOL zu Leibe rücken und im Quellcode nach Fourier-Gleichungen suchen, denn das würde bedeuten, dass wir es mit hologrammatikalischen Aktivitäten zu tun haben.« »M Fortier findet die Theorien des Inhalts irrelevant.« Steeply legte den Kopf manchmal auf zugleich weibliche und vogelähnliche Weise auf die Seite. Meistens machte er das in Gesprächspausen. Und er entfernte wieder einen Krümel von der geschminkten Lippe. Und er sprach mit weiblicherer Modulation. Marathe behielt das alles im Gedächtnis.
Kap. 40 - WINTER, 1963 V. SZ, SEPULVEDA, KALIFORNIEN Ich erinnere mich, dass ich gerade zu Mittag aß und irgendetwas Langweiliges von Bazin las, als mein Vater in die Küche kam, sich einen Tomatensaft machte und sagte, sobald ich aufgegessen hätte, bräuchten meine Mutter und er meine Hilfe in ihrem Schlafzimmer. Mein Vater hatte den Vormittag im Werbefilmstudio verbracht, trug noch das weiße Kostüm und die Perücke mit dem streng gescheitelten weißen Haar und hatte auch das Fernseh-Make-up noch nicht entfernt, das sein Gesicht im Tageslicht immer orangerot tönte. Ich aß schnell auf, wusch das Geschirr im Spülbecken ab und ging durch den Flur zum Elternschlafzimmer. Dort waren sowohl meine Mutter als auch mein Vater. Die Volants vor den Schlafzimmerfenstern und der schwere Verdunkelungsvorhang dahinter waren geöffnet, die Jalousie war hochgezogen, und das helle Tageslicht fiel ins Zimmer, dessen Einrichtung in den Farben
Weiß, Blau und Taubenblau gehalten war. Mein Vater beugte sich über das Doppelbett, dessen Bettzeug bis auf die Matratzenauflage abgezogen war. Er beugte sich vor und drückte mit den Handballen auf die Matratze. Bettlaken, Kissen und taubenblaue Tagesdecke lagen in einem Haufen auf dem Teppich neben dem Bett. Mein Vater gab mir den Tomatensaft zum Festhalten, stieg aufs Bett, kniete sich hin und drückte mit aller Kraft die Matratze mit den Händen nach unten, wobei er sein ganzes Gewicht auf die Hände verlagerte. Er presste eine Stelle zusammen, ließ los, rutschte auf den Knien ein Stück weiter und presste dann genauso kraftvoll eine andere Stelle der Matratze zusammen. Das machte er auf dem ganzen Bett, wobei er sich manchmal auf den Knien über die Matratze bewegte, um andere Stellen von ihr zu erreic~en, die er dann zusammenpresste. Ich weiß noch, dass mich das Zusammenpressen an die Druckmassage auf der Brust eines Herzpatienten erinnerte. Ich weiß noch, dass oben auf dem Tomatensaft meines Vaters Pfeffermehl schwamm. Meine Mutter stand am Schlafzimmerfenster, rauchte eine lange Zigarette und sah auf den Rasen hinaus, den ich vor dem Mittagessen gesprengt hatte. Das unverdeckte
Mittagessen gesprengt hatte. Das unverdeckte Fenster ging nach Süden. Gleißendes Sonnenlicht fiel ins Zimmer. »Heureka«, sagte mein Vater und drückte mehrmals auf eine bestimmte Stelle. Ich fragte, ob ich fragen dürfe, was los sei. »Das Mistbett quietscht«, sagte er. Er blieb auf den Knien über dieser einen bestimmten Stelle und drückte wiederholt darauf. Wenn er auf die Stelle drückte, gab die Matratze jetzt ein Quietschen von sich. Mein Vater sah auf und hinüber zu meiner Mutter am Schlafzimmerfenster. »Hörst du das etwa nicht?«, fragte er, drückte auf die Matratze und ließ los. Meine Mutter streifte Zigarettenasche in einem flachen Aschenbecher ab, den sie in der anderen Hand hielt. Sie verfolgte, wie mein Vater auf die quietschende Stelle drückte. Unter der steifen weißen Berufsperücke trat Schweiß aus und lief meinem Vater in dunklen orangeroten Streifen über das Gesicht. Mein Vater hatte einen Zweijahresvertrag als Man from Glad und repräsentierte über eine in Kalifornien ansässige Werbeagentur den damaligen GladPlastikbeutelkonzern aus Zanesville, Ohio. Der Kittel,
die enge Hose sowie die Stiefel, die er dafür tragen musste, waren ebenfalls weiß. Mein Vater drehte sich auf den Knien, schwang herum, stieg von der Matratze, legte die Hand ins Kreuz und richtete sich auf, ohne den Blick von der Matratze zu wenden. »Dieses erbärmliche Schwanzlutscherbett, das deine Mutter unbedingt behalten und mitbringen musste, weil es für sie Zitat nostalgischen Wert hatte, quietscht«, sagte mein Vater. Er sagte »deine Mutter«, was hieß, dass seine Worte mir galten. Ohne mich anzusehen, streckte er die Hand nach seinem Tomatensaft aus und starrte das Bett finster an. »Es bringt uns um den Scheißverstand. « Meine Mutter legte ihre Zigarette in den flachen Aschenbecher, stellte den Aschenbecher aufs Fensterbrett, beugte sich über das Fußende vom Bett und drückte auf die von meinem Vater gefundene Stelle. Sie quietschte wieder. »Und nachts scheint sich diese Stelle, die wir hiermit gefunden hätten, auszubreiten und zu metastasilieren, bis das ganze Mistbett quietschprall ist.« Er trank einen Schluck Tomatensaft. »Ganze Matratzenzonen schnattern und quietschen«, sagte
er, »bis wir beide das Gefühl haben, wir würden von Ratten aufgefressen.« Er fuhr sich mit der Hand über den Unterkiefer. »Rasende Horden schnatternder, quietschender, heißhungriger, gieriger Ratten«, sagte er und zitterte förmlich vor Verärgerung. Ich sah die Matratze an und die Hände meiner Mutter, die sich in trockenem Klima abzuschälen pflegten. Sie hatte immer ein Döschen Feuchtigkeitscreme dabei. Mein Vater sagte: »Und ich habe die Schnauze gestrichen voll von diesem Ärger.« Er wischte sich die Stirn am weißen Ärmel ab. Ich erinnerte meinen Vater an seine Bemerkung, er bräuchte bei irgendetwas meine Hilfe. Damals war ich schon größer als meine beiden Eltern. Meine Mutter war größer als mein Vater, selbst wenn er Stiefel trug, aber sie verdankte ihre Größe hauptsächlich ihren Beinen. Mein Vater war kräftiger und kompakter gebaut. Meine Mutter kam zu meinem Vater herum und sammelte das Bettzeug vom Boden auf. Unter Zuhilfenahme beider Arme und ihres Kinns legte sie die Laken sehr sorgfältig zusammen. Die gefaltete Bettwäsche schichtete sie säuberlich auf ihre
Kommode, die weiß lackiert war, wie ich mich entsinne. Mein Vater sah mich an. »Jetzt ist Folgendes zu tun, Jim, wir müssen Matratze und Sprungfederrahmen vom Bettgestell darunter abnehmen«, sagte er, »das Bettgestell muss freigelegt werden.« Er erklärte mir ausführlich, die unterste Auflage des Bettes sei starr und werde gemeinhin als Sprungfederrahmen bezeichnet. Ich musterte meine Turnschuhe und stellte die Füße auf dem blauen Schlafzimmerteppich abwechselnd o-beinig nach außen und x-beinig nach innen. Mein Vater trank einen Schluck Tomatensaft, sah auf den Rand des eisernen Bettgestells hinab und fuhr sich mit der Hand über den Unterkiefer, wo das Make-up aus dem Werbefilmstudio am Rollkragen des weißen Werbekittels abrupt aufhörte. »Das Bettgestell ist alt«, erklärte er mir. »Wahrscheinlich älter als du jetzt. Bis auf Weiteres bin ich der Ansicht, dass sich vielleicht die Schrauben von dem Ding gelockert haben und dass es nachts deswegen schnattert und quietscht.« Er trank seinen Tomatensaft aus und hielt mir das Glas hin, damit ich es irgendwo abstellte. »Wir sollten also den ganzen Kram obendrauf aus dem Weg räumen«
- er deutete es mit einem Arm an - »ganz aus dem Weg, raus aus dem Zimmer, das Bettgestell freilegen und nachschauen, ob es nicht vielleicht reicht, einfach die Schrauben anzuziehen.« Ich wusste nicht wohin mit dem leeren Glas meines Vaters, das an den Innenseiten noch Saftreste und Pfefferkörnchen aufwies. Ich stupste die Matratze und den Sprungfederrahmen ein bisschen mit dem Fuß an. »Bist du sicher, dass es nicht an der Matratze liegt?«, fragte ich. Dass die Schrauben des Bettgestells quietschen sollten, hielt ich für eine ziemlich exotische Arbeitshypothese. Mein Vater machte eine ausholende Geste. »Synchronizität umgibt mich. Eintracht«, sagte er. »Deine Mutter glaubt das nämlich auch.« Mit beiden Händen zog meine Mutter die blauen Kissenbezüge von allen fünf Kissen, wobei sie wieder das Kinn als Klammer benutzte. Wegen der Allergien meines Vaters hatten die prallen Kissen alle diese Polyesterfaserfüllung. »Du nimmst ihr das Wort aus dem Munde«, sagte mein Vater. Meine Eltern interessierten sich beide nicht für Naturwissenschaften, ein Großonkel jedoch hatte versehentlich einen tödlichen Stromschlag
erhalten, als er an einem seriellen Feldgenerator arbeitete, dessen Erfindung er patentieren lassen wollte. Meine Mutter stapelte die Kissen auf die sauber gefaltete Bettwäsche auf ihrer Kommode. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um die gefalteten Kissenbezüge auf die Kissen zu legen. Ich wollte ihr schon behilflich sein, wusste aber nicht, wo ich das leere Tomatensaftglas abstellen sollte. »Bleibt bloß zu hoffen, dass es nicht die Matratze ist«, sagte Vater. »Oder der Sprungfederrahmen.« Meine Mutter setzte sich auf das Fußende vom Bett, nahm sich eine neue lange Zigarette und zündete sie an. Sie hatte ein kleines Schnappetui aus Kunstleder, in dem sie Zigaretten und Feuerzeug aufbewahrte. »Denn ein neues Bettgestell«, sagte mein Vater, »selbst wenn wir die Schrauben nicht in Ordnung bringen können, muss ich ein neues besorgen. Ein neues Bettgestell. Das wäre nicht mal so schlimm, weißt du. Auch hochwertige Bettgestelle sind nicht so teuer. Aber neue Matratzen sind sündhaft teuer.« Er sah meine Mutter an. »Echt sündhaft, das kann ich dir flüstern.« Er betrachtete den Hinterkopf
meiner Mutter. »Und vor noch nicht mal fünf Jahren erst haben wir einen neuen Sprungfederrahmen für die jämmerliche Karikatur von einem Bett hier gekauft.« Er betrachtete den Hinterkopf meiner Mutter, als suchte er die Bestätigung, dass sie zuhörte. Meine Mutter hatte die Beine übereinandergeschlagen und musterte mit einer gewissen Konzentration das Elternschlafzimmerfenster oder den von ihm gebotenen Ausblick. Die ganze Parzelle, auf der unser Haus stand, zog sich einen steilen Hügel entlang, deshalb sah man aus dem Schlafzimmer meiner Eltern im Erdgeschoss nur Himmel, Sonne und einen perspektivisch verkürzten Rasenhang. Der Rasen fiel mit einem Durchschnittswinkel von 55° ab und musste horizontal gemäht werden. Bisher stand auf den Rasenflächen des Grundstücks kein einziger Baum. »Das war natürlich zu einem Zeitpunkt, der nur selten zur Sprache kommt und zu dem deine Mutter die Last der finanziellen Verantwortung für die Familie alleine schultern musste«, sagte mein Vater. Er transpirierte inzwischen intensiv, trug aber immer noch seine weiße Berufsperücke und sah nach wie vor zu meiner Mutter hinüber.
Während unserer ganzen Zeit in Kalifornien war mein Vater sowohl Galionsfigur als auch Pressesprecher der Individualplastikbeutelabteilung der Glad F. P. R. Co. Er war der erste der bei den Schauspieler, die den Man from Glad darstellten. Mehrmals im Monat wurde er in das Modell eines \Vageninneren gesteckt und mit Teleoptik durch die Windschutzscheibe aufgenommen, wie er über Funk den Notruf eines Haushalts entgegennahm, in dem sich ein Lebensmittelaufbewahrungsproblem ergeben hatte. Dann wurde auf eine zeittypische Küche geschnitten, vor deren Kulisse er einer Schauspielerin gegenübersaß und ihr erklärte, welcher spezifische Glad-Müllbeuteltyp vom Arzt verschrieben werde, um dem je spezifischen Lebensmittelaufbewahrungsproblem abzuhelfen. In seiner medizinisch anmutenden blütenweißen Uniform stellte er eine Autoritätsperson von offensichtlich großer Überzeugungskraft dar und verdiente ein für damalige Zeiten, wie ich immer geglaubt hatte, üppiges Gehalt. Zum ersten Mal in seiner Karriere bekam er sogar Fanpost, die gelegentlich etwas Verstörendes hatte und die er abends manchmal im Wohnzimmer deklamierte, laut und bühnengerecht, dann blieb er mit einem
Schlummertrunk und seiner Fanpost noch wach, wenn meine Mutter und ich längst ins Bett gegangen waren. Ich fragte, ob ich kurz in die Küche gehen dürfe, um das leere Tomatensaftglas meines Vaters in die Spüle zu stellen. Ich hatte Angst, die Rückstände an den Innenseiten des Glases könnten zu jenen Präzipitaten aushärten, die beim Abwaschen immer so schwer abzukriegen sind. »Herrgott noch mal, Jim, stell das Ding doch einfach ab«, sagte mein Vater. Ich stellte das Glas drüben am Fuß der Frisierkommode meiner Mutter auf den Schlafzimmerteppich und drückte es fest, um ihm im Teppich eine kreisförmige Einfassung zu verschaffen. Meine Mutter stand auf und ging mit ihrem Aschenbecher wieder zum Schlafzimmerfenster hinüber. Uns war klar, dass sie nicht im Weg stehen wollte. Mein Vater ließ die Fingerknöchel knacken und begutachtete den Pfad zwischen Bett und Schlafzimmertür. Ich sagte, wenn ich recht verstünde, sei es meine Aufgabe, meinem Vater dabei zu helfen, Matratze
und Sprungfederrahmen vom verdächtigen Bettgestell zu heben und aus dem Weg zu räumen. Mein Vater ließ die Fingerknöchel knacken und versetzte, ich sei geradezu beängstigend scharfsichtig und leicht von Kapee geworden. Er ging zwischen dem Fußende des Bettes und meiner Mutter am Fenster herum auf die andere Seite und sagte: »Wie wär's, wenn ich möchte, dass wir einfach alles in den Flur rausstellen, erst mal raus mit dem ganzen Mist, damit wir uns hier frei bewegen können.« »Gut«, sagte ich. Mein Vater und ich standen jetzt zu beiden Seiten des Bettes meiner Eltern. Mein Vater rieb sich die Hände, beugte sich vor, schob sie zwischen Matratze und Sprungfederrahmen und hob auf seiner Bettseite die Matratze an. Als sich seine Matratzenseite auf Höhe seiner Schultern befand, drehte er die Hände im Gelenk und hob die Matratze nicht mehr an, sondern drückte sie hoch. Die Spitze seiner Perücke verschwand hinter der emporwachsenden Matratze, die sich auf seiner Seite in einem Bogen fast bis zur weißen Decke aufrichtete, die 90° überstieg, umkippte und mir
entgegenfiel. Die Gesamtbewegung der Matratze erinnerte mich an den Kamm einer brechenden Welle, das weiß ich noch. Ich breitete die Arme aus und fing den Aufprall der Matratze mit Brust und Gesicht ab, stützte die schräge Matratze mit der Brust, den ausgebreiteten Armen und dem Gesicht. Ich sah nur noch das extrem nahe Waldpflanzenmuster des Matratzenschoners. Die Matratze, Modell Simmons Beauty Rest, die ihrem Schildchen zufolge nicht gepfändet werden durfte, stellte jetzt die Hypotenuse eines rechtwinkligen diedrischen Dreiecks dar, dessen Katheten der Sprungfederrahmen des Bettes und ich bildeten. Ich weiß noch, dass ich mir dieses Dreieck vorstellte und darüber nachdachte. Meine Beine zitterten unter dem verkanteten Gewicht der Matratze. Mein Vater ermahnte mich, die Matratze zu halten und zu stützen. Die beißenden Plastik- bzw. fleischigen Menschengerüche der Matratze und des Matratzenschoners waren deutlich wahrnehmbar, da meine Nase an ihnen plattgedrückt wurde. Mein Vater kam auf meine Bettseite herüber, und zusammen drückten wir die Matratze hoch, bis sie wieder in einem Winkel von 90° emporragte.
Vorsichtig schoben wir uns auseinander, jeder packte ein Ende der aufgerichteten Matratze, und wir wuchteten sie vom Bett und durch die Schlafzimmertür in den teppichlosen Flur hinaus. Es war eine Simmons-Beauty-Rest-Matratze im King-Size-Format. Sie war massiv, aber von geringer Standsicherheit. Sie bog und krümmte sich und schwankte immerzu. Mein Vater ermahnte sowohl mich als auch die Matratze. Sie war schlaff und schlotterig, als wir sie weiterwuchteten. Wegen einer alten Wettkampftennisverletzung hatte mein Vater es mit dem Hochkantgewicht seiner Matratzenhälfte besonders schwer. Als wir die hochstehende Matratze seitwärts vom Bett wuchteten, rutschte sie meinem Vater weg und plumpste auf zwei stählerne Leselampen, verstellbare Würfel aus gebürstetem Stahl, die mit Knebelbolzen an der weißen Wand über dem Kopfende vom Bett befestigt waren. Die Matratze prallte mit ihrem ganzen Gewicht auf die Lampen, und der eine Würfel wurde an seinem Knebelbolzen um 1800 verdreht, sodass die offene Seite mit der Glühbirne jetzt zur Decke zeigte. Das Gelenkstück und der Bolzen gaben ein scheußliches Quietschen
von sich, als der Würfel nach oben verdreht wurde. Ich bemerkte in diesem Augenblick, dass sogar die Leselampen in dem taghellen Zimmer eingeschaltet waren, denn an der weißen Decke über dem verdrehten Würfel erschien ein schwaches Viereck direkten Lampenlichts, dessen vier Seiten durch die Verzerrung der Projektion leicht konkav gerieten. Aber die Lampen fielen nicht ab. Sie hielten an der Wand. »Zum gottverdammten Henker«, sagte mein Vater und bemächtigte sich wieder seines Matratzenendes. Außerdem sagte mein Vater noch »verfluchte Scheiße«, als die Dicke der Matratze es ihm erschwerte, sich durch die Türöffnung zu zwängen, ohne jene loszulassen. Nach und nach bekamen wir die Riesenmatratze meiner Eltern in den schmalen Flur hinaus, der vom Elternschlafzimmer zur Küche führte. Aus dem Schlafzimmer hörte ich ein weiteres scheußliches Quietschen: Meine Mutter versuchte, den verdrehten Würfel der Leselampe wieder zurechtzudrehen. Schweißtröpfchen fielen vom Gesicht meines Vaters auf seine Matratzenseite und hinterließen auf dem Gewebe des Matratzenschoners dunkle Flecken.
Mein Vater und ich versuchten, die Matratze in einem leicht schrägen Winkel gegen die eine Flurwand zu lehnen, aber da im Flur kein Teppich lag und der Boden daher nicht genug Widerstand bot, blieb die Matratze nicht stehen. Ihr unterer Rand rutschte von der Wand weg durch die ganze Flurbreite und kam erst an der Scheuerleiste der gegenüberliegenden Wand zum Stillstand; der obere Rand rutschte an der Wand hinab, bis die ganze Matratze in einem extrem konkaven Winkel durchhing, wobei sich ein sturer Teil vom Waldpflanzenmuster des Matratzenschoners straff wie ein Trommelfell über die eingesunkene Falte spannte und die Federn durch die verformende Konkavität womöglich beschädigt wurden. Mein Vater musterte die konkav geschrägte Matratze, die auf ganzer Flurbreite durchhing, stupste das eine Ende mit der Stiefelspitze an, warf mir einen Blick zu und sagte: »Scheiß drauf.« Meine Krawatte war zerknittert und verrutscht. Mein Vater kam in seinen weißen Stiefeln schwankend über- die Matratze zu mir auf die Schlafzimmerseite zurück. Auf halbem Weg blieb er stehen, griff sich nachdenklich ans Kinn, die Stiefel
tief ins Waldpflanzenmuster eingesunken. Er sagte wieder »scheiß drauf«, und ich weiß noch, dass mir nicht ganz klar war, worauf sich das bezog. Dann drehte er sich um und schwankte wieder über die Matratze zurück, wobei er sich haltsuchend an der Wand abstützte. Er wies mich an, kurz im Flur zu warten, und flitzte am anderen Flurende in die Küche, um schnell irgendetwas zu holen. Seine haltsuchende Hand hinterließ vier blass verschmierte Abdrücke an der weiß gestrichenen Wand. Der Sprungfederrahmen des Bettes meiner Eltern hatte trotz KingSize-Format und Schwere gleich unter der synthetischen Abdeckung einen Holzrahmen, der ihm Standsicherheit gab. Er bog sich nicht, änderte nicht seine Form, und nach der nächsten kleinen Schwierigkeit für meinen Vater der trotz des unter das Glad-Kostüm geschnallten Korsetts in der Taille zu dick war -, sich mitsamt seinem Ende des Sprungfederrahmens durch den Türrahmen des Schlafzimmers zu quetschen, konnten wir jenen durch diesen hindurch in den Flur bugsieren und senkrecht in einem Winkel von etwas mehr als 70° an die Wand lehnen, wo er ohne Probleme stehen blieb.
»Na, jetzt klappt's ja wie am Schnürchen, Jim«, sagte mein Vater und drosch mir die Hand in genau jener überschwänglichen Weise auf die Schulter, die mich veranlasst hatte, mir von meiner Mutter ein Sportlerbrillengummi besorgen zu lassen. Ich hatte meiner Mutter gesagt, ich bräuchte es beim Tennisspielen, und sie hatte keine weiteren Fragen gestellt. Die Hand meines Vaters lag noch auf meiner Schulter, als wir wieder ins Elternschlafzimmer traten. »Dann wollen wir mal! «, sagte er. Er war jetzt in Hochstimmung. An der Tür entstand kurz Verwirrung, als jeder dem anderen den Vortritt lassen wollte. Wo das Bett gestanden hatte, befand sich jetzt nur noch das dubiose Gestell. Es wirkte wie ein zerbrechliches Exoskelett, ein planes tiefliegendes schwarzes Stahlrechteck. Alle vier Ecken des Rechtecks verfügten über Lenkrollen. Die Rädchen der Lenkrollen waren unter dem Gewicht des Betts und meiner Eltern in den Veloursteppich eingesunken und in den Teppichfasern kaum mehr zu sehen. An jeder Innenseite des Gestells war in einem Winkel von 90° eine schmale Stahlleiste
angeschweißt, sodass ein einziges Leistenrechteck rechtwinklig an der Gestellinnenseite verlief. Das Leistenrechteck hatte offenbar die Funktion, die Bettinsassen, den King-Size-Sprungfederrahmen sowie die Matratze selber zu tragen. Mein Vater stand da wie angewurzelt. Ich kann mich nicht erinnern, was meine Mutter gerade tat. In einer langen Schweigepause musterte mein Vater das freigelegte Bettgestell. Der Pause eignete das Schweigen und die Stille staubiger sonnenlichtdurchfluteter Zimmer. Ich stellte mir kurz vor, alle Möbelstücke im Schlafzimmer wären mit Decken verhüllt und das Zimmer stünde jahrelang leer, während die Sonne vor dem Fenster aufginge, den Horizont überquerte und unterginge und das Tageslicht im Zimmer immer fader würde. Unten an der Straße, die an unserem Grundstück entlangführte, hörte ich zwei elektrische Rasenmäher mit nicht ganz der gleichen Tonhöhe. Das direkt durch das Elternschlafzimmerfenster hereinfallende Sonnenlicht badete in rotierenden Säulen von aufgewirbeltem Staub. Ich weiß noch, dass ich das für den idealen Niesmoment hielt. Eine dicke Staubschicht lag auf dem Bettgestell,
und sogar von den Innenleisten des Gestells hingen kleine graue Staubbärte. Nirgends am Bettgestell waren Schrauben zu sehen. Mein Vater wischte sich mit dem Ärmel Schweiß und feucht gewordenes Make-up von der Stirn, und der Ärmel verfärbte sich durch das Make-up zu einem dunklen Orange. »Herrgott, sieh dir bloß diesen Saustall an«, sagte er und sah meine Mutter an. »Herrgott.« Im Schlafzimmer meiner Eltern lag ein dicker Veloursteppich von dunklerem Blau als die ansonsten blassblaue Farbgebung des Schlafzimmers. Ich erinnere mich, dass der Teppich eher königsblau war mit einem Farbsättigungsgrad irgendwo zwischen mittel und hoch. Auch das königsblaue Teppichrechteck, das unter dem Bett verborgen gewesen war, lag unter einem dicken verfilzten Staubteppich. Das Staubrechteck war grauweiß, dick und uneben, und dass unter ihm der Zimmerteppich lag, war nur an der käsig blassbläulichen Färbung der Staubschicht zu erkennen. Es sah weniger so aus, als wäre der Staub unters Bett geweht, um sich unter dem Bettkasten festzusetzen, sondern mehr als hätte er
sich an einer Stelle eingenistet und wäre dann gewachsen, so wie ein Pilz von einer Stelle ausgehend verdorbenes Essen überzieht. Die Staubschicht hatte leichte Ähnlichkeit mit verdorbenem Essen, verschimmeltem Hüttenkäse etwa. Es war ekelerregend. Die unebene Topographie der Staubschicht ging teilweise auf den verloren gegangenen Krimskrams zurück, der seinen Weg unters Bett gefunden hatte - eine Fliegenklatsche, eine etwa Variety-große Zeitschrift, einige Flaschenverschlüsse, drei zusammengeknüllte Tempos und etwas, das wohl eine Socke war - und dort von Staub bedeckt und überzogen worden war. Es roch auch etwas, säuerlich und pilzartig, etwa so wie ein zu oft benutzter Badvorleger. »Herrgott, das mieft sogar«, sagte mein Vater. Übertrieben holte er durch die Nase Luft und schnitt eine Fratze. »Die Chose mieft sogar.« Er tupfte seine Stirn ab, massierte sich das Kinn und funkelte meine Mutter an. Seine Hochstimmung war verflogen. Die Launen meines Vaters umgaben ihn wie eine Aura und infizierten jedes Zimmer, in dem er sich aufhielt, wie ein Geruch oder eine bestimmte
Lichtschattierung. »Wann ist hier drunter das letzte Mal sauber gemacht worden? «, fragte mein Vater meine Mutter. Meine Mutter schwieg. Sie sah meinem Vater zu, der das Bettgestell mit dem Stiefel verschob, was noch mehr Staub ins hereinfallende Sonnenlicht hochwirbelte. Das Bettgestell musste sehr leicht sein, denn es ließ sich auf den versunkenen Rädchen der Lenkrollen geräuschlos hin und her bewegen. Mein Vater hatte die Angewohnheit, geistesabwesend leichte Gegenstände mit dem Fuß herumzuschieben, so wie andere Männer vor sich hinkritzeln oder ihre Nagelhäute inspizieren. Läufer, Zeitschriften, Telefon- und Stromkabel, seinen eigenen abgefallenen Schuh. Auf die Weise überlegte mein Vater, sammelte sich oder rang um Selbstbeherrschung. »Unter welchem Präsidenten ist dieses Zimmer letztmals porentief gereinigt worden, sehe ich mich hier und heute scheißelaut nachzufragen genötigt«, sagte mein Vater. Ich sah zu meiner Mutter hinüber, neugierig, ob sie antworten würde. Ich sagte zu meinem Vater: »Weißt du, wo wir schon
bei quietschenden Betten sind, meins quietscht auch.« Mein Vater wollte sich hinhocken, um zu sehen, ob er am Bettgestell Schrauben entdecken könne, und murmelte dabei irgendetwas. Balancesuchend stützte er die Hände auf das Bettgestell und wäre fast vornübergekippt, als dieses unter seinem Gewicht ins Rollen kam. »Aber ich glaube, das ist mir gar nicht richtig aufgefallen, bevor wir jetzt darüber gesprochen haben«, sagte ich und sah meine Mutter an. »Ich glaube, es stört mich gar nicht«, sagte ich. »Ich glaube, ich mag es sogar. Wahrscheinlich habe ich mich allmählich so daran gewöhnt, dass es fast beruhigend geworden ist. Unter diesen Umständen«, sagte ich. Meine Mutter sah mich an. »Ich beschwere mich nicht«, sagte ich. »Ich musste nur durch unser Gespräch jetzt daran denken.« »Oh, wir hören dein Bett, da mach dir mal keine Sorgen«, sagte mein Vater. Er versuchte immer noch zu hocken, was sein Korsett und den Kittelsaum hochrutschen ließ und über der Taille der weißen Hose seine Pospalte entblößte. Er verlagerte sein
Gewicht etwas und zeigte zur Elternschlafzimmerdecke. »Wenn du dich da oben umdrehst, hören wir das hier? Wir hören das bis hier unten.« Er packte eine Stahlleiste des Rechtecks und rüttelte kräftig daran, was einen Staubschleier aufsteigen ließ. Das Bettgestell schien unter seinen Händen praktisch nichts zu wiegen. Meine Mutter hielt sich einen Fingerschnurrbart unter die Nase, um ein Niesen zu unterdrücken. Er rüttelte wieder am Gestell. »Aber deshalb gehen wir weniger die Wände hoch als wegen dieses nagetierischen Scheißteils hier.« Ich bemerkte, meines Wissens hätte ich ihr Bett oben noch nie quietschen gehört. Mein Vater verdrehte den Kopf und wollte zu mir hochsehen, der ich direkt hinter ihm stand. Ich sagte, ich hätte aber, als er auf die Matratze gedrückt habe, definitiv ein Quietschen gehört und könne jederzeit bestätigen, dass niemand sich dieses Quietschen eingebildet habe. Mein Vater hob die Hand und ersuchte mich so, doch bitte das Reden einzustellen. Er blieb in der Hocke, wippte auf den Fußballen leicht hin und her und hielt sich am rollenden Bettgestell fest, um die
Balance zu wahren. Das Fleisch im oberen Bereich der Pospalte quoll über die Hosentaille. Im Nacken zeigten sich tiefrote Falten unter der stumpfgeschnittenen Perücke, weil er aufblickte und zu meiner Mutter hinübersah, die das Steißbein ans Fensterbrett lehnte und immer noch ihren flachen Aschenbecher in der Hand hielt. »Vielleicht bist du mal so nett und holst den Staubsauger«, sagte er. Meine Mutter stellte den Aschenbecher aufs Fensterbrett, ging zwischen der mit Bettwäsche vollgestapelten Frisierkommode und mir hindurch und verließ das Schlafzimmer. »Falls du ... falls du noch weißt, wo der steht! «, rief mein Vater ihr nach. Ich hörte, wie meine Mutter an der diagonal im Flur hängenden King-Size-Matratze vorbeizukommen versuchte. Mein Vater wippte stärker auf den Fußballen, und das erinnerte jetzt an das Krängen und Stampfen eines Schiffs auf hoher See. Fast hätte er das Gleichgewicht verloren, als er sich zur Seite lehnte, um ein Taschentuch aus der Gesäßtasche zu ziehen, mit dem er Staub von der einen Ecke des Bettgestells wedelte. Einen Augenblick später
deutete er auf eine Stelle neben einer der Lenkrollen. »Schraube«, sagte er und zeigte seitlich neben die Lenkrolle. »Genau da haben wir eine Schraube.« Ich beugte mich über ihn. Schweißtropfen meines Vaters tüpfelten den Staub auf dem Bettgestell mit kleinen dunklen Münzen. Dort, wo er hinzeigte, war nichts als glatte, leichte, schwarze Stahlfläche, aber gleich links daneben konnte ich etwas sehen, das eventuell eine Schraube war, ein kleiner Stalaktit aus verfilztem Staub, der von einem winzigen Überstand herabhing. Mein Vater hatte breite Hände und Wurstfinger. Vielleicht zehn Zentimeter rechts von der Stelle, auf die er zeigte, gab es noch etwas, das eine Schraube sein mochte. Seine Finger zitterten heftig, und meines Erachtens rührte das Zittern von der Muskelbelastung seiner schlimmen Knie her, die in der Hocke seit geraumer Zeit zusätzliches Gewicht tragen mussten. Ich hörte das Telefon zweimal klingeln. Die Stille dehnte sich aus, während mein Vater auf keinen der beiden Überstände zeigte und ich mich über ihn zu beugen versuchte. Dann stützte mein Vater, immer noch auf den Fußballen dahockend, die Hände auf das
Bettgestell, beugte sich über den Rand in das Staubrechteck innerhalb des Gestells und erlitt etwas, das ich zunächst für einen schlimmen Hustenanfall hielt. Wegen seines gekrümmten Rückens und des sich hebenden Hinterns konnte ich nichts sehen. Ich erinnere mich, dass ich befand, das Bettgestell unter dem Druck seiner Hände rolle nur darum nicht weg, weil er sich mit all seinem Gewicht darauf stütze, zum anderen, dass sein Nervensystem auf Staubgestöber vielleicht mit einem Hustenreiz und nicht mit Niesreiz reagiere. Erst das Aufplatschgeräusch von Masse auf Staub sowie der aus dem Inneren des Bettgestells aufsteigende Geruch machten mir klar, dass mein Vater nicht hustete, sondern erbrach. Durch die damit einhergehenden Krämpfe hob und senkte sich sein Rücken, und sein Po erbebte unter der weißen Werbehose. Es war nichts Ungewöhnliches, dass meinem Vater schlecht wurde, kaum dass er von der Arbeit nach Hause gekommen war und sich erholen wollte, aber jetzt schien es ihm richtig schlecht zu gehen. Um seine Privatsphäre nicht zu verletzen, begab ich mich um das Bettgestell herum auf die Seite, die dem Fenster am nächsten lag, wo ich direkt im Licht stand, der Geruch weniger penetrant
war und ich eine andere Lenkrolle des Bettgestells untersuchen konnte. Zwischen den Spasmen seiner Indisposition flüsterte mein Vater Kraftausdrücke vor sich hin. Ich ging ohne Schwierigkeit in die Hocke, rieb Staub von einer Stelle des Bettgestells und wischte ihn neben meinen Füßen am Teppich ab. Zu beiden Seiten der Abdeckung, die die Lenkrolle mit dem Bettgestell verband, befand sich je eine Schlossschraube. Ich kniete mich hin und betastete eine von ihnen. Ihr runder glatter Kopf machte ein Festziehen oder Lösen unmöglich. Ich legte die Wange auf den Teppich, musterte die Unterseite der kleinen, horizontal an das Bettgestell angeschweißten Stahlleiste, sah, dass sich die Schlossschraube vollständig durch ihr Loch hindurchwand, und hielt es für nahezu undenkbar, dass eine der Schlossschrauben in der Abdeckung der Lenkrollen jene Geräusche hervorrief, die meinen Vater an Nagetiere erinnerten. Ich weiß noch, dass ich genau in diesem Augenblick ein lautes Krachen hörte und dass meine Seite des Bettgestells hochschnellte, als mein Vater erst das Bewusstsein und dann das Gleichgewicht verlor, vornüberkippte und bäuchlings und ohnmächtig über
seiner Seite des Bettgestells liegen blieb, das, wie ich sah, als ich mich zurückschob und auf die Knie aufrichtete, entweder gebrochen oder schlimm verbogen war. Mein Vater lag mit dem Gesicht in der Mischung aus dem dicken Rechtecksstaub und den Substanzen, die sein verdorbener Magen von sich gegeben hatte. Der von seinem Zusammenbruch hochgewirbelte Staub war sehr dicht, und dieser neue Staub stieg auf, breitete sich aus und schwächte das Tageslicht im Elternschlafzimmer so entscheidend, als hätte sich eine Wolke vor die hinter dem Fenster stehende Sonne geschoben. Die Berufsperücke meines Vaters hatte sich gelöst und lag mit dem Skalp nach oben in der Mischung aus Staub und Mageninhalt. Letzterer schien mehrheitlich aus Magenblut zu bestehen, bis mir der Tomatensaft einfiel, den mein Vater getrunken hatte. Der lag mit dem Gesicht nach unten und streckte den Po hoch in die Luft quer über der Seite des Bettgestells, das unter seinem Gewicht auseinandergebrochen war. So erklärte ich mir das laute Krachen. Ich wich dem Staub und dem staubigen Licht am Fenster aus, fuhr mir mit der Hand übers Kinn und musterte von Weitem meinen hingestreckten Vater.
musterte von Weitem meinen hingestreckten Vater. Ich erinnere mich, dass sein Atem regelmäßig und schleimig klang und dass die Staubmischung Blasen warf. Und in jenem Augenblick erkannte ich, dass das diedrische Dreieck, das sich in meiner Vorstellung aus der Matratze, dem Sprungfederrahmen und meinem Körper ergeben hatte, als ich die hochkant gestellte Matratze vor dem Wegwuchten aus dem Elternschlafzimmer mit Brust und Gesicht stützte, gar keine geschlossene Figur ergeben hatte: Der Sprungfederrahmen und der Boden, auf dem ich gestanden hatte, hatten keine stetige Fläche gebildet. Dann hörte ich, wie meine Mutter den schweren Bodenstaubsauger an der schrägstehenden Simmons-Beauty-Rest im Flur vorbeizubekommen versuchte, und ging, um ihr zu helfen. Die Beine meines Vaters lagen auf dem sauberen Teppich zwischen seiner Bettgestellseite und der weißen Frisierkommode meiner Mutter. Die Stiefel an seinen Füßen waren einwärts gerichtet, und seine Pospalte war jetzt bis zum Rektum sichtbar, denn die Wucht des Sturzes hatte seine weiße Hose noch weiter heruntergezogen. Vorsichtig setzte ich den Fuß zwischen seine Beine.
zwischen seine Beine. »Entschuldigung«, sagte ich. Ich half meiner Mutter, indem ich sie bat, das Zubehör des Staubsaugers abzuschrauben und mir einzeln über die eingesackte Matratze hinweg zu reichen, wo ich sie entgegennahm. Der Staubsauger war ein Fabrikat der Marke Regina, und sein Gehäuse, das Motor, Staubbeutel und Gebläse enthielt, war sehr schwer. Ich setzte den Staubsauger wieder zusammen, hielt ihn, während meine Mutter wieder die Matratze überquerte, gab ihn ihr zurück und drückte mich an die Wand, damit sie auf ihrem Weg ins Elternschlafzimmer an mir vorbeikonnte. »Danke«, sagte meine Mutter, als sie an mir vorbeikam. Ich stand neben der zusammengesackten Matratze in einer so vollkommenen Stille, dass ich die Rasenmäher an der Straße bis in den Flur hinaus vernehmen konnte, dann hörte ich, wie meine Mutter das einziehbare Kabel des Staubsaugers herauszog und den Stecker in dieselbe Steckdose neben dem Bett steckte, die auch die stählernen Leselampen mit Strom speiste.
Ich arbeitete mich über die schrägwinklige Matratze hinweg, ging rasch durch den Flur, bog an der Küchentür scharf nach rechts ab, durchquerte auf dem Weg zur Treppe die Diele und lief zu meinem Zimmer hoch, wobei ich immer mehrere Stufen auf einmal nahm, um mich so schnell wie möglich so weit wie möglich vom Staubsauger zu entfernen, vor dessen Geräusch ich von jeher dieselbe irrationale Angst hatte wie mein Vater anscheinend vor quietschenden Betten. Ich lief nach oben, bog auf dem Treppenabsatz links ab und ging in mein Zimmer. Hier stand mein Bett. Es war schmal, ein Einzelbett mit einem Kopfbrett aus Holz und Gestell und Lattenrost aus Holz. Ich wusste nicht, woher es stammte. Das Bettgestell hielt den schmalen Sprungfederrahmen und die Matratze viel höher über dem Boden, als dies beim Bett meiner Eltern der Fall war. Es war ein altmodisches Bett, so hoch über dem Fußboden, dass man ein Knie auf die Matratze legen und hochklettern oder aber springen musste. Was ich tat. Zum ersten Mal, seit ich meine Eltern überragte, nahm ich von der Tür ein paar Schritte Anlauf, vorbei an den Regalen mit meinen Prismen-
und Linsensammlungen, den Tennistrophäen und dem maßstabsgetreuen Magneto, vorbei am Bücherregal und den Standfotos aus Powells Augen der Angst, der Schranktür und der Hochintensitätsstehlampe am Bett, und sprang mit einem ausgewachsenen Schwalbensprung auf mein Bett. Arme und Beine ausgestreckt, landete ich auf der indigoblauen Tagesdecke, fing mein Körpergewicht mit der Brust ab, zerknautschte nur die Krawatte und verbog die Brillenbügel etwas. Ich wollte meinem Bett ein lautes Quietschen entlocken, was, wie ich wusste, im Fall meines Bettes von der lateralen Reibung zwischen Holzlatten und Lattenrostunterlage innerhalb des Bettgestells verursacht würde. Im Zuge des Schwalbensprungs traf mein überlanger Arm aber die schwere Eisenstange der Hochintensitätsstehlampe neben dem Bett. Sie geriet bedenklich ins Schwanken und stürzte dann auf die dem Bett abgekehrte Seite. Sie stürzte mit der majestätischen Langsamkeit eines gefällten Baums. Im Sturz traf die schwere Eisenstange den Messingknauf der Schranktür und säbelte ihn glatt ab. Der runde Knauf fiel mitsamt dem halben Sechskantbolzen in seinem Inneren mit einem lauten
Sechskantbolzen in seinem Inneren mit einem lauten Knall zu Boden und rollte auf ganz eigentümliche Weise herum; das abgesäbelte Ende des Sechskantbolzens blieb stationär, und der runde Knauf rollte auf seinem Kreisumfang um ihn herum, um rundete ihn auf einer sphärischen Umlaufbahn, wobei er zwei vollkommen kreisförmige Rollkurven auf zwei verschiedenen Achsen beschrieb, ein nichteuklidisches Gebilde auf einer plan aren Fläche, d. h. eine Zykloide auf einer Sphäre: Das naheliegendste konventionelle Analogon, das mir zur Beschreibung dieser Figur einfiel, war eine Zykloide, L'Hopitals Lösung für Bernoullis berühmtes Brachistotron-Problem, die Kurve, die ein fester Punkt auf dem Umfang eines über eine stetige Fläche rollenden Kreises beschreibt. Da der Kreis hier, auf dem Boden meines Zimmers, jedoch selber auf einem Kreisumfang herumrollte, trafen die parametrischen Standardgleichungen einer Zykloide nicht mehr zu, da die trigonometrischen Formeln dieser Gleichungen hier selber zu Differenzialgleichungen erster Ordnung wurden. Da der Knauf auf dem blanken Fußboden praktisch keinerlei Reibungsverluste erlitt, rollte er sehr lange
so herum, und ich sah ihm über den Rand von Tagesdecke und Matratze hinweg zu, hielt meine Brille fest und nahm das d-Moll-Kreischen des Staubsaugers aus dem Erdgeschoss überhaupt nicht mehr wahr. Mir kam der Gedanke, dass die Bewegung des amputierten Knaufs die perfekte Schematisierung des Versuchs darstellte, mit einer an den Boden genagelten Hand Purzelbäume zu schlagen. An diesem Tag erwachte mein Interesse an den Möglichkeiten der Annulation. Am Abend nach dem frostigen und irgendwie unangenehmen gemeinsamen Interdependenztagspicknick von Enfields Ennet House Drug and Alcohol Recovery House, Somervilles Phoenix House und Dorchesters strengem New Choice, dem Reha-Zentrum für straffällige Jugendliche, nahm Johnette Foltz, Angestellte in Ennet House, Ken Erdedy und Kate Gompert mit zu diesem Gesprächskreis für NANeulinge, wo immer Marihuana im Mittelpunkt stand: Wie alle Süchtigen in der Runde sofort und vom ersten DuBois an fürchterliche Suchtprobleme bekommen hatten, oder aber wie sie süchtig nach härteren Drogen gewesen waren und sich diese mit dem Wechsel zum Marihuana abzugewöhnen
dem Wechsel zum Marihuana abzugewöhnen versucht hatten, vom Gras aber nur noch fürchterlichere Probleme als mit den ursprünglichen harten Drogen bekommen hatten. Angeblich war dies die einzige NA-Runde in Metro-Boston, in der es ausdrücklich und ausschließlich um Marihuana ging. Johnette Foltz sagte, sie wolle Ken Erdedy und Kate Gompert zeigen, wie vollkommen nichteinzigartig und unallein sie hinsichtlich des Betäubungsmittels waren, das sie zu Fall gebracht hatte. Vielleicht schätzungsweise zwei Dutzend Süchtige im Frühstadium des Entzugs saßen im schalltoten Gemeindesaal einer Nobelkirche in nach Erdedys Dafürhalten entweder West-Belmont oder OstWaltham. Die Stühle bildeten nach traditioneller NAWeise einen großen Kreis, es gab keine Tische, an denen man sitzen konnte, und alle balancierten Aschenbecher auf den Knien und traten ab und zu aus Versehen ihre Kaffeetassen um. Alle, die die Hand hoben, um sich mitzuteilen, gingen d' accord bezüglich der heimtückischen Weisen, auf die das Marihuana ihnen Körper, Geist und Seele verheert hatte: Marihuana zerstört langsam, aber nachhaltig,
lautete der Konsens. Ken Erdedys wippender Fuß stieß seinen Kaffee gleich zweimal um während die NA abwechselnd d' accord gingen betreffs des scheußlichen psychischen Fallouts, dem sie alle erst während der aktiven Marihuana-Abhängigkeit und dann in der Marihuana-Entgiftung zum Opfer gefallen waren: die soziale Isolierung, die bangen Erschöpfungszustände und die Hyperbefangenheit, die die Zurückgezogenheit und die Bangigkeit dann noch verstärkten - die wachsende emotionale Abwesenheit, die Affektarmut und schließlich totale emotionale Katalepsie -, das obsessive Analysieren und schließlich die paralytische Stasis, in die die obsessive Analyse aller potenziellen Implikationen sowohl des Aufstehens von der Couch als auch des Nichtaufstehens von der Couch zu münden schien und dann der endlose symptomatische Spießrutenlauf des Entzugs vom Delta9Tetrahydrocannabinol, d. h. der Shit-Entgiftung: der Appetitverlust, die Manie, die Agrypnie, die chronische Müdigkeit und die Albträume, die Impotenz, das Ausbleiben von Mens und Laktation, die zirkadiane Arrhythmie, die jähen saunaähnlichen Schweißausbrüche, die Verwirrungszustände und feinmotorischen Tremores, die besonders eklige
übermäßige Speichelproduktion - manche Neulinge halten sich immer noch Anstaltssabberbecher unters Kinn -, die allgemeine Angst, die Panikattacken und Vorahnungen und das beschämende Gefühl, weder die Dr.med.s noch die von den harten Drogen herkommenden NA brächten Empathie oder Mitgefühl für den »Süchtigen« mit, den der angeblich harmloseste Kick von Mutter Natur, das mildeste Betäubungsmittel der Welt, zu Fall gebracht hatte. Ken Erdedy fiel auf, dass sich niemand direkt outete und die Begriffe Melancholie, Anhedonie oder Depression verwendete, ganz zu schweigen von klinische Depression; dieses schlimmste Symptom, dieser Logarithmus allen Leidens, hing anscheinend jedoch auch ohne Erwähnung wie Nebelschwaden über den Köpfen im Saal, waberte zwischen den Säulen des Peristyls, über den dekorativen Astrolabien, Kerzen auf langen Kandelabern, mittelalterlichem Talmi und gerahmten Urkunden der Ritter des Kolumbus, ein gasartiges Plasma, das so gefürchtet wurde, dass kein Neuling emporzusehen und es zu benennen wagte. Kate Gompert starrte zu Boden, bildete aus Daumen und Zeigefinger einen Revolver, schoss sich in die Schläfe und blies den
imaginären Korditrauch von der Mündung, bis Johnette Foltz ihr zuflüsterte, sie solle den Scheiß lassen. Wie immer bei diesen Zusammenkünften sagte Ken Erdedy nichts, musterte nur alle Anwesenden ganz genau, ließ die Knöchel knacken und wippte mit dem Fuß. Da bei den NA technisch jeder zu den Neulingen zählt, der noch kein ganzes Jahr clean ist, gab es in diesem feudalen Nobelgemeindesaal verschiedene Grade von Verleugnung, psychischen Qualen und allgemeiner Ahnungslosigkeit. Der Gesprächskreis bot den üblichen breiten demographischen Querschnitt, aber die Mehrheit dieser vom Gras verheerten Leute machte einen weltläufigen, zähen und verkrachten Eindruck auf ihn, und sie kleideten sich ohne den geringsten Farbensinn. Leute, die man sich ohne Weiteres in einem Supermarkt vorstellen konnte, wo sie ihrem Nachwuchs eine langten, bis hin zu solchen, die mit selbst gebrannter Kehlbeize durch eine dunkle Gasse in der City torkelten. Genau wie bei den AA. Buntscheckige Stilverachtung bildete hier die Regel, dazu glasige Augen und übermäßiger Speichelfluss. Manche Neulinge trugen noch die Namensarmbänder aus milchigem Plastik, die sie
Namensarmbänder aus milchigem Plastik, die sie nach der Entlassung aus der Psychiatrie abzuschneiden vergessen hatten. Oder sie hatten dazu noch keine Kraft aufgebracht. Im Gegensatz zu den Bostoner AA gibt es bei den Bostoner NA keine Tombolapause nach der Hälfte der Zusammenkunft, und diese dauert nur eine Stunde. Am Ende dieses Montagskreises für N eulinge standen alle auf, fassten einander bei den Händen, stellten sich im Kreis auf und sprachen gemeinsam das vom NA-Kongress genehmigte Nur für heute sowie das Vaterunser, dies allerdings nicht ganz einstimmig. Kate Gompert schwor später darauf, sie habe gehört, dass der abgerissene Tapergreis neben ihr beim Vaterunser »Und suche uns nicht in der Unterführung« gesagt habe. Genau wie bei den AA schloss das Treffen der NA dann damit, dass jeder die Luft vor sich anschrie wiederzukommen, denn es laufe, wenn man es zum Laufen bringe. Aber dann - irgendwie entsetzlich - standen alle im Saal auf, wuselten wild durcheinander und umarmten sich. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Dabei wurden nicht mal viele Worte gewechselt.
Einfach nur Umarmungen, soweit Ken Erdedy das sehen konnte. Zügelund wahlloses Herumumarmen, wobei es nur darauf anzukommen schien, so viele Menschen wie möglich zu umarmen, egal ob man sie je zuvor gesehen hatte. Die Leute gingen vom einen zum anderen, die Arme zum Klammergriff geöffnet. Die Großen bückten sich, und die Kleinen stellten sich auf die Zehenspitzen. Wangen klatschten an Wangen. Beide Geschlechter umfingen beide Geschlechter. Und die Mann-MannUmarmungen waren richtige Umarmungen, ohne das hektische Schultergeklopfe, das Erdedy immer für eine Conditio sine qua non von Mann-MannUmarmungen gehalten hatte. Johnette Foltz war nur noch verschwommen zu erkennen. Sie peste vom einen zum anderen und erzielte eine unglaublich hohe Trefferquote. Kate Gompert stellte wie immer eine lippenlose Miene muckscher Abneigung zur Schau, aber selbst sie nahm und gab ein paar Umarmungen. Nur Erdedy - der für Umarmungen noch nie so zu haben gewesen war - hielt sich dem Trubel fern und ging zum Büchertisch mit der vom NA-Kongress genehmigten Literatur hinüber, stand da, die Hände in den Hosentaschen, und schien mit großem Interesse die Kaffeepumpkanne zu mustern.
Aber dann löste sich ein großer, massiv gebauter Afroamerikaner mit einem goldenen Schneidezahn und einem vollkommenen vertikalen afroamerikanischen Haarzylinder aus einem Knuddelmuddel in der Nähe, sah Erdedy, kam herbei, baute sich direkt vor ihm auf, breitete die Arme in der Drillichjacke aus, bückte sich leicht und beugte sich in Richtung von Erdedys Rumpfregion vor. Erdedy hob beide Hände zu einer gutmütigen Neindanke-Geste, wich noch weiter zurück und quetschte sich den Po am Rand des Tischs mit der kongressgenehmigten Literatur platt. »Danke, aber ich bin für Umarmungen nicht so zu haben«, sagte er. Der Mann musste sich praktisch aus seinem PräUmarmungsVorbeugen zurückreißen, stand seltsam erstarrt da, die großen Arme noch immer ausgebreitet, was, wie Erdedy nicht entging, seltsam und beschämend sein musste. Erdedy berechnete, auf welchem Fleckchen des indischen Subkontinents er wohl die höchstmögliche Anzahl von km zwischen sich und seine jetzigen raumzeitlichen Koordinaten bringen würde, während der Mann einfach nur
dastand, die Arme ausgebreitet, und das Lächeln aus seinem Gesicht verschwand. » Bitte was?«, sagte er. Erdedy streckte ihm die Rechte hin. »Ken E., Ennet House, Enfield. Sehr erfreut. Sie sind?« Der Mann ließ langsam die Arme sinken, sah Erdedys ausgestreckte Hand aber nur an. Ein kurzes styptisches Zwinkern. »Roy Tony«, sagte er. »Roy, sehr erfreut.« »Also«, sagte Roy. Der große Mann hatte die Handschüttelhand an den Hinterkopf gelegt und tat, als betaste er sich den Nacken; Erdedy kannte die Geste nicht und wusste nicht, dass er krass gedisst wurde. »Nun, Roy, wenn ich Sie Roy nennen darf, oder Mr Tony, wenn Ihnen das lieber ist, falls es nicht ein zusammengesetzter Vorname ist, mit Bindestrich, »Roy- Tony«, auf den erst der Nachname folgt, aber was jetzt diese Umarmungskiste anbelangt, Roy, das ist nicht persönlich gemeint, seien Sie sich dessen gewiss.« »Gewiss?«
Erdedys bestes hilfloses Lächeln und ein bedauerndes Achselzucken des GoreTex-Anoraks. »Ich fürchte, ich bin für Umarmungen einfach nicht so zu haben. Bin einfach kein Umarmer. War auch nie einer. Zu Hause wurde ich deswegen schon immer aufgezo-« Jetzt das ominöse Fingerstochern der Straßenaggression; dieser Roy zeigt erst Erdedy und dann sich auf die Brust: »Meinst'n das, Mann? Meinste, ich bin 'n Umarmer? Soll das vielleicht heißen, ich zieh' rum und umarm' gern?« Erdedy wedelt mit den erhobenen Handflächen herum, um in einer bonhommialen Geste jedes nur erdenkliche Missverständnis abzubiegen. »Nein nein, aber schauen Sie, ich will damit bloß sagen, ich würde niemals wagen, Sie einen Umarmer oder Nichtumarmer zu nennen, weil ich Sie nicht kenne. Ich wollte bloß sagen, das ist nicht persönlich gemeint und hat nichts mit Ihnen persönlich zu tun, und ich würde Ihnen nur zu gern die Hand schütteln, meinetwegen auch so einen ausgeklügelten ethnischen Händedruck mit multiplen Einzelgriffen, sofern Sie Nachsicht üben können ob meiner mangelnden Erfahrung mit dieser Art von
Händedruck, aber die ganze Vorstellung des Umarmens behagt mir einfach nicht.« Als sich Johnette Foltz losmachen und zu ihnen herüberkommen konnte, hatte der Mann Erdedy bei den wattierten Anorakaufschlägen gepackt und schob ihn weit über die Kante des Büchertisches, sodass Erdedys wasserdichte Mokassins über dem Boden schwebten, und in einem Anflug nackter Aggression kam der Mann mit seinem Gesicht ganz nah an Erdedys heran: »Glaubst du vielleicht, ich steh' auf diesen Scheiß und umarm' die Leute gern? Glaubst du, irgendwer von uns steht auf diesen Scheiß? Scheiße, Mann, wir machen bloß, was man uns sagt. Hier heißt es im mer »Lieber herzen als quarzen«. Wir haben hier unseren Scheißwillen an der Garderobe abgegeben«, sagte Roy. »Du blöde Schwuchtel«, fügte er noch hinzu. Er schob eine Hand zwischen ihre Körper, um auf sich zu zeigen, was bedeutete, dass er Erdedy jetzt nur noch mit einer Hand hochhielt, was dessen Nervenkostüm nicht entging. »An meinem ersten Abend hier ging das nicht unter vier Umarmungen ab, und danach bin ich raus ins Scheißklo und hab' voll abgekotzt. Gekotzt, Mann«,
sagte er. »Behagt dir nicht? Scheiße, Mann, für wen hältst du dich eigentlich? Komm mir bloß nicht damit, mir behagt das, wenn ich dir Arsch mit Ohren in deinem James-River- TradersFummel und deinem Calvin-Klein-Nuttendiesel den beschissenen Arsch umarme.« Erdedy sah eine zuschauende Afroamerikanerin in die Hände klatschen und hörte sie rufen: »Steh zu deinen Gefühlen!« »Und jetzt kommst du an und disst mich vor meinen ganzen cleanen und nüchternen Leuten, wenn ich gerade voll das Risiko eingehe und mit dir meine Verletzlichkeit und mein Unbehagen teilen möchte?« Johnette Foltz trommelte quasi auf die Rückseite von Roy Tonys Drillichjacke ein, und ihr schauderte beim Gedanken daran, wie sich im Übergabebuch von Ennet House der Bericht machen würde, ein Insasse von Ennet House sei bei einer Zusammenkunft der NA, bei der sie ihn eingeführt hatte, körperlicher Gewalt ausgesetzt worden. »Und jetzt«, sagte Roy, zog seine freie Hand zwischen ihnen heraus und zeigte mit der Stochergeste auf den Boden des Gemeindesaals, »jetzt«, sagte er, »riskierst du Verletzlichkeit und
Unbehagen, wenn du mir nicht megaflott den Arsch umarmst, oder soll ich dir die Rübe abreißen und in den Hals scheißen?« Johnette Foltz hatte sich inzwischen mit beiden Händen in den Mantel von diesem Roy verkrallt und versuchte, ihn zurückzuziehen, wobei ihre Keds auf dem glatten Parkettboden nach Halt suchten, und rief: »Yo, Roy «., Mann, ganz cool, Dude, Mann, Gangsta, Bro, Posse, Crew, Homie, Jim, Brother, der ist einfach neu, das ist alles«; aber da umhalste Erdedy den Typ schon mit beiden Armen und umarmte ihn so frenetisch, dass Kate Gompert später zu Joelle van Dyne sagte, es hätte ausgesehen, als wollte Erdedy an ihm hochklettern. »Wir haben schon ein paar verloren«, gab Steeply zu. »In der Testphase. Nicht nur Freiwillige. Irgend so ein Heiopei von Praktikant in der Datenanalyse gab der Versuchung nach, wollte wissen, was das ganze Tamtam sollte, besorgte sich Flattos Zutrittserlaubnis zu 1/0, ging rein und sah sie sich an.« »Eine der vielen Read-Only-Kopien aus euren Beständen der Unterhaltung.« »An und für sich kein tragischer Verlust - hat man halt einen Heiopei von Praktikanten weniger. C' est
La guerre. Ein wahrer Verlust war es aber, dass sein Vorgesetzter hinterherging, um ihn rauszuholen. Der Chef unserer Datenanalyse höchstpersönlich.« »Hoyne, Henri oder gesprochen »Henry«, zweiter Vorname beginnt mit E, mit Frau und mit Altersdiabetes, die er unter Kontrolle hat.« »Hatte. Zwanzig Jahre dabei, Hank. Verdammt guter Mann. Er war ein Freund. Heute wird er im Bett fixiert. Durch Schläuche ernährt. Keine Wünsche mehr, kein auch nur minimaler Selbsterhaltungstrieb, der Wille beschränkt sich aufs Mehrsehenwollen.« »Der Unterhaltung.« »Ich wollte ihn besuchen.« »Mit deinem ärmellosen Kleid und den verschiedenen Brüsten.« »Ich hab's nicht mal ausgehalten, im selben Raum zu stehen und ihn so daliegen zu sehen. Wie er um wenigstens ein paar Sekunden flehte - einen Trailer, ein Fitzelchen vom Soundtrack, egal was. Seine Augen eierten herum wie bei einem drogensüchtigen Neugeborenen. Konnte einem das Scheißherz brechen. Im Nachbarbett lag, ebenfalls fixiert, der Heiopei: Der gehörte zu den undisziplinierten, selbstsüchtigen Kindern, die du so gerne anführst, Remy. Hank
Hoyne war aber kein Kind. Ich habe gesehen, wie der Mann seine Diagnose erhielt und auf Zucker und Süßigkeiten verzichtete. Einfach weglegte und ging. Ohne ein Winseln oder einen Blick zurück.« »Ein Wille von Stahl.« »Ein erwachsener Amerikaner von beispielhafter Selbstkontrolle und Umsicht.« »Mit dem Samisdat darf also nicht verrückt herumgespielt werden. Auch wir haben Personen verloren. Es ist ernsthaft.« Der irdische Horizont amputierte das Bein des Sternbilds Perseus. Perseus trug den Hut eines Jongleurs oder Pantalone. Hercules' Kopf, dieser war viereckig. Die Dämmerung war nicht mehr fern, denn bei 32° im Norden wurden Pollux und (astor sichtbar. Sie standen über Marathes linker Schulter, als schauten ihm Riesen darüber; (astor hatte das eine Bein nach Frauenart involuiert. »Aber spielst du manchmal mit dem Gedanken?« Steeply zündete sich wieder eine Zigarette an. »Phantasieren, ist deine Meinung.« »Wenn das so verzehrend ist. Wenn es unser
Begehren dermaßen umfassend anspricht«, sagte Steeply. »Weiß nicht mal, ob ich mir ein so totales und umfassendes Begehren überhaupt vorstellen kann.« Auf und nieder auf den Zehen. Drehte sich nur oberhalb der Hüfte, um zu Marathe zurückzusehen. »Überlegst du manchmal, wie das wäre, spekulierst du?« »Also wir überlegen, welchen Zielen die Unterhaltung dient. Wir finden ihre Wirksamkeit verführerisch. Ihr und wir, wir werden auf verschiedene Weisen in Versuchung geführt.« Außer dem Großen Löffel, der auf diesem Breitengrad den Eindruck machte, an den Großen Bären angeflanscht zu sein und so etwas wie den »Großen Eimer« oder die »Kolossale Wiege« zu bilden, kannte Marathe keine Sternbilder des USamerikanischen Südwestens. Der Rollstuhl quietschte leise, wenn er sein Gewicht verlagerte. Steeply sagte: »Also, ich kann nicht behaupten, ich wäre im Vollsinn des Wortes in Versuchung geführt.« »Vielleicht meinen wir damit verschiedene Dinge.« »Wenn ich daran denke, bin ich, ehrlich gesagt, gleichermaßen entsetzt wie fasziniert. Hank Hoyne ist eine leere Hülse. Der eiserne Wille, der
analytische Verstand. Seine Vorliebe für edle Zigarren. Alles weg. Als wäre seine Welt zu einem kleinen hellen Punkt implodiert. Innenwelt. Uns nicht zugänglich. Du schaust ihm in die Augen und kannst nichts in ihnen erkennen. Arme Miriam.« Steeply massierte sich eine nackte Schulter. »Willis, von der I/O-Nachtschicht, hat eine Wendung für deren Augen gefunden. »Getilgter Vorsatz«. Das stand in einem Memo.« Marathe zog die Nase hoch. »Die Verführung der passiven Belohnung der finalen L, das alles kommt mir komplex vor. Das Entsetzen scheint für euch zur Verführung zu gehören. Wir, die die Sache Quebecs umtreibt, haben diese Verführung der Unterhaltung oder des Wissens um sie nie verspürt. Aber wir respektieren ihre Macht. Deshalb kaspern wir nicht verrückt herum.« Der Himmel hellte weniger auf, als dass das Sternenlicht verblasste. Es gewann an Verdrossenheit. Auch seltsam aussehende USamerikanische Insekten surrten schon ab und zu herum, zickzackten umher und erinnerten Marathe an viele windverwehte Funken.
Kap. 41 - 10. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE Folgende Dinge im Raum waren blau. Die blauen Karos im blauschwarz karierten Veloursteppich. Zwei der sechs plüschigen Behördenstühle, deren Beine aus zu großen schwankenden Ellipsen gekrümmten Stahlrohren bestanden, sodass man auf den Stühlen zwar nicht richtig schaukeln, aber auf und ab hopsen konnte, was Michael Pemulis auch geistesabwesend tat, während er beim Warten den Eschaton-Ausdruck eines hochtechnischen ESCHAXHauptverzeichnisses überflog; er hopste auf und ab, was dem Freischwinger ein hektisches Nagerquietschen entlockte, wovon HaI Incandenza, der Pemulis schräg gegenübersaß und ebenfalls wartete, das zuständige Jaulen kriegte. Der Ausdruck wanderte immerzu durch Pemulis' Hände. An den Lehnen aller Stühle waren 105-WattLeselampen an biegsamen Metallbügeln befestigt, die sich hinterrücks nach vorne bogen und jedwede
Zeitschrift beschienen, die der Wartende gerade betrachtete; aber da die Bogenlampen das unerträgliche Gefühl erzeugten, ein Fiebernder läse über die Schulter hinweg mit, blieben die Zeitschriften (deren Titel teilweise von blauer Farbe waren) in der Regel ungelesen und lagen säuberlich aufgefächert auf einem niedrigen Kacheltischchen. Der Teppich bestand aus einer Synthetikfaser namens Antron. HaI sah fahle Streifen, wo er gegen den Strich gesaugt worden war. Der Beistelltisch war nicht blau - sondern rot wie nasser Nagellack mit dem Schriftzug E. T. A. in einer A r t grauem Wappen -, wohl aber zwei der beunruhigend angebrachten Lampen, die für die Leserlosigkeit und bleibend säuberliche Auffächerung der Zeitschriften sorgten, allerdings waren die beiden blauen Lampen nicht die an den beiden blauen Stühlen befestigten Lampen. Dr. Charles Tavis sagte immer, die Ausstattung des Wartezimmers eines Verwaltungsmenschen verriete viel über diesen. Das Wartezimmer des Rektors war Teil eines kleinen Korridors in der Südwestecke vom Gem.- Verw.-Foyer. Die verfrühten Veilchen am a s y m m e t r i s c h e n Zweiglein in einer
tennisballförmigen Vase auf dem Beistelltisch gehörten in gewisser Weise zur blauen Farbenfamilie. Ebenso der helligkeitsverstärkte blaue Himmel der Tapete, die unsystematisch über den helligkeitsverstärkten blauen Himmel verteilte weißflaumige Kumuluswolken zeigte, eine unglaublich verwirrende Tapete, die durch einen unangenehmen Zufall auch die Enfielder Praxis von D r . med. dent. Zegarelli zierte, den HaI gerade wegen einer Zahnentfernung aufgesucht hat: Seine linke Gesichtshälfte fühlt sich noch geschwollen und taub an, und er hat ständig das Gefühl zu sabbern, ohne das zu merken oder stoppen zu können. Niemand weiß so recht, was C. T.s Wahl gerade dieser Tapete kommunizieren soll, etwa den Eltern, die mit angehenden Schülern herkommen, um die E. 1. A. zu erkunden, aber HaI verabscheut Tapeten mit Himmel und Wolken, weil sie bei ihm Höhenangst verursachen, ihn desorientieren und manchmal Sturzgefühle auslösen. Die Fenstersimse und -kreuze im Wartezimmer waren schon immer dunkelblau. Der Schirm von Michael Pemulis' fescher Segelrnütze hatte eine nautikblaue Borte. HaI war sicher, Pemulis' würde die lässige Mütze abnehmen, sobald sie vermutlich doch
lässige Mütze abnehmen, sobald sie vermutlich doch über den Teppich hineingerufen wurden. Ebenfalls blau: Die Himmelsscheibchen an den oberen Rändern der gerahmten Schnappschüsse v o n E. 1. A.-Schülern an den Wänden209; das Gehäuse von Alice Moores Intel-972Textverarbeitungsgerät mit Modem, aber ohne Patronenlaufwerk; außerdem Ms Moores fingerspitzen und Lippen. Die Empfangsdame und Stenotypistin des E. 1. A.Rektors wird von den Spielern Lateral Alice Moore genannt. In ihren jungen Jahren war sie Helikopterpilotin im StaurneIdedienst eines großen Bostoner Rundfunksenders, bis ein tragischer Zusammenstoß mit dem StaumeldeHelikopter eines anderen Senders - sowie der katastrophale Absturz auf den darunter liegenden sechsspurigen Jamaica Way im Berufsverkehr - ihr einen chronischen Sauerstoffmangel und ein Nervenleiden bescherte, das ihr nur Seitwärtsbewegungen erlaubt. Daher der Spitzname Lateral Alice Moore. Während man darauf wartet, zum Rektor hineinzitiert zu werden, ist es ein eindrucksvoller Zeitvertreib, Lateral Alice Moore zuzuschauen, wie sie sich auf die Brust trommelt und
mit stotternder Helikopterreporterstimme ihre alten Bostoner Staumeldungen nachahmt. Weder HaI, der sich das Kinn ständig nach Speichelspuren absucht, noch der lesende und hopsende Pemulis, Ann Kittenplan oder Trevor Axfordder heute nicht die geringste Spur Blau an sich hat - sind momentan dafür in Stimmung, alle warten auf den administrativen Fallout, der nach dem entsetzlichen Eschaton-Fiasko am Sonntag zu erwarten ist. Ihre Erwartungen beruhen auf der Auswahl der Herzitierten und Wartenden. Die beiden verschieden großen vom Wartezimmer abgehenden Büros (durch die offene dritte Tür ist der dämmerblaue ManningtonVeloursteppich des Gem.- Verw.-Foyers zu sehen) gehören Dr. Charles Tavis und Mrs Avril Incandenza. Die Außentür von Tavis' Büro ist aus massiver Eiche und trägt seinen Namen, Hochschulabschluss und Titel in so großen (nicht blauen) Buchstaben, dass die vollständigen Angaben bis zu den Türrändern reichen. Es gibt außerdem noch eine Innentür. Avrils Klaustrophobie ist wohlbekannt, und ihr Büro hat keine Tür. Es ist größer als C. T.s und verfügt über einen
Seminartisch, nach dem es ihn bekanntermaßen schon immer gelüstet hat. Der blauschwarz karierte Veloursteppich in Avrils Büro ist tiefer als der im Wartezimmer, und der Übergang zwischen beiden entspricht dem zwischen gemähtem und ungemähtem Rasen. Avril arbeitet (unentgeltlich) als Studiendekanin und Frauenbeauftragte der E. T. A. Ihre räumliche Offenheit teilt sie jetzt gerade mit praktisch sämtlichen weiblichen E. T.A.-Angehörigen unter dreizehn mit Ausnahme von Ann Kittenplan, deren tätowierte Knöchel blaue Flecken zeigen und die in einem Kleid und (nicht blauer) Haarspange irgendwie an einen Cross-Dresser erinnert. Avril hat seit den letzten Monaten vor dem Seppuku Seiner Selbst - schneeweiße Haare, die aussehen, als hätten sie die graue Phase übersprungen (haben sie praktisch auch), und Beine, deren Verjüngung zu den Fesseln hinab T. Axford mit all der Freimütigkeit der Jugend taxiert, während sie vor dem vollbesetzten Seminartisch auf und ab geht, in vollem, wenn auch leicht schiefwinkligem Blick der Anwesenden im Wartezimmer.21o Genau genommen befindet er sich zwar nicht bei HaI im Wartezimmer, aber der Fineliner aus Plastik, mit dem sich Avril beim Gehen und Überlegen unentwegt an die Schneidezähne tippt,
Überlegen unentwegt an die Schneidezähne tippt, ist: blau. Seit dem berüchtigten Fall von Trainer R. Bill (»Kitzlig«) Phiely von der kalifornischen Rolling Hills Academy, dessen haarsträubendes Tagebuch sowie Sammlungen von Telefotos und winzigen Höschen erst nach seinem Verschwinden mit einer dreizehnjährigen Begleiterin in den Hügeln von Humboldt County entdeckt - bei den Tenniseltern kontinentweit, gelinde gesagt, für eine gewisse Betroffenheit gesorgt hatten, sind administrative Fummel-Checks an allen nordamerikanischen Tennis-Academies obligatorisch. An der Enfield Tennis Academy ist seit vier Jahren Dr. Dolores Rusk mit der Aufgabe betraut, mit allen Spielerinnen des Damenkaders, die für naiv und nymphchenhaft genug gehalten werden, um potenzielle Fummelinen abzugeben - die jüngste davon ist die bierglas große Tina Echt aus Rhode Island, erst sieben, aber mit der Rückhand die reine Menschenfresserin -, in intensiven und doch sensiblen persönlichen Bezugsgruppengesprächen zu konnektieren usw., um jegliche potenziellen Phielyismen im Keim zu ersticken. Monatliche FummelChecks stehen in R u s k s Vertrag, weil sie in der O.N.A.N.T.A.-
R u s k s Vertrag, weil sie in der O.N.A.N.T.A.Akkreditierungscharta der E. T. A. stehen. Die Frauenbeauftragte Avril M. Incandenza hat den Vorsitz bei den Fummel-Checks, wenn Dr. Rusk verhindert ist, aber diese ist so selten auf legitime Weise verhindert, dass die Tatsache, dass heute die Moms Fummelverhütungsdienst schiebt, HaI befürchten lässt, Rusk könne sich da drinnen im Rektorenbüro aufhalten und auf die bevorstehende Disziplinierungsszene vorbereiten: C. T. musste wirklich aus dem Häuschen sein, wenn er um Rusks Beistand bat, und diesen Beistand hatte er vielleicht nötiger als die Schülerpsychen. Axhandle hat die Augen geschlossen und wiederholt einen mnemonischen Limerick über den Brewster-Winkel für das von Leith geleitete quadriviale Kolloquium mit dem Titel » Reflektionen über Refraktionen«. Michael Pemulis überfliegt nach wie vor eine gezahnte Schriftrolle mit EndStataxiomatischem Pink2, die nur aus mathematischen Sonderzeichen und eckigen Klammern zu bestehen scheint, hopst und ignoriert das tuberkulare Räuspern und die mordgierigen Blicke, mit denen A n n Kittenplan das Quietschen seines blauen
Hopsstuhls quittiert. Dass Pemulis wirklich konzentriert liest, merkt man daran, dass er etwas auf den Kopf dreht und dann wieder richtig herum hält. HaI entscheidet sich dagegen, Michael Pemulis von seinen Rusk-da-drin-bei- Tavis-Sorgen zu erzählen, weniger weil er ihren Namen möglichst nie ausspricht, als weil Pemulis Rusk mit hartem und juwelenhaft funkelndem Zorn hasst, und obwohl er es nie im Leben zugeben würde, ist ihm schon fast schlecht vor Angst, er könnte den Löwenanteil der Schuld an Lords und Possalthwaites Verletzungen abkriegen und nicht nur auf dem Court eine Disziplinarstrafe aufgebrummt bekommen, sondern sich vielleicht sogar das Verbot einhandeln, zum WhataBurger in Tucson mitzukommen oder noch Schlimmeres.211 Avril geht beim Sondieren bei den paar Dutzend Mädchen da drinnen taktvoll, aber syntaktisch prägnant vor. Die Garderobe der Mädchen zeigt die verschiedensten Blautöne und -schattierungen in diversen Kombinationen. Avril Incandenzas Stimme ist höher, als man bei einer Frau von so imposanter Statur erwarten würde. Sie ist hoch und irgendwie ätherisch. Seltsam körperlos, ist der Konsens an der
E. 1. A. Orin sagt, Avril möge unter anderem keine Musik, weil sie immer geisteskrank wirke, wenn sie etwas vor sich hinsumme. Die fehlende Tür zum Büro der Moms hat zur Folge, dass man ebenso gut dort drinnen sitzen könnte, so genau bekommt man mit, was sich dort abspielt. Sie bringt kaum ein Gespür für Intimsphären oder räumliche Grenzen mit, seit sie als Kind so viel allein w a r . Lateral Alice Moore trägt eine surreale Kombination aus schwarzer Lycra-Stretchhose und hauchdünnem grünem Tüll. Die Radio-Kopfhörer, die sie aufhat, während sie anscheinend Antwort-Makros auf über 80 eingegangene Einladungen zum WhataBurger-Gastturnier in der nächsten Woche eingibt, sind taubenblau. Sie tippt eindeutig synchron zu dem Backbeat von irgendwas. Ihre Lippen und Wangenknochen haben den undefinierbaren Zyanoseton von Rotkehlcheneiern. Warum genau Michael Pemulis Dr. Rusk hasst, ist unklar und variiert anscheinend; HaI bekommt von Pemulis jedes Mal eine andere Antwort. Ihm selbst ist Dolores Rusks Gegenwart unbehaglich, und er meidet sie, ohne aber begründen zu können, warum er sich in ihrer Nähe unbehaglich fühlt. Pemulis
dagegen hasst sie einfach. Mit fünfzehn Jahren hatte er sich nachts Zutritt zu ihrem Büro verschafft und an der inneren Messingklinke der abgeschlossenen Bürotür eine Delco-Batterie festgehakt, der ersten Tür drüben im anderen kleinen Korridor am Nordostende des Foyers, neben dem Schwesternzimmer und der Krankenstation, dann hatte er Rusks Büro via Fenster und Dornenhecke verlassen und echt Schwein gehabt, dass nur HaI und Schacht und vielleicht noch Mario wussten, dass die geladene Klinke auf sein Konto ging, denn der Streich wirkte sich verhängnisvoll aus, weil die Klinke als Erstes morgens um 5.00 Uhr von einer ältlichen Raumpflegerin berührt wurde, einer Irin aus Brighton, und wie sich herausstellte, hatte Pemulis die vom Messing geleitete Deka-Spannung massiv unterschätzt, und hätte die Raumpflegerin nicht gelbe Raumpflegerinnengummihandschuhe angehabt, hätte sie wohl Schlimmeres davongetragen als die Dauer-Dauerwelle und das irreversible Schielen, mit denen sie das Bewusstsein wiedererlangte. Der Bezirksabgeordnete der Raumpflegerin war Nord-Brightons berüchtigter EX. (»Folgen Sie dem Krankenwagen«) Byrne, ein habgieriger, auf Personenschäden spezialisierter Dr.
jur., die Betriebsversicherungsprämien der Academy waren sprunghaft angestiegen, und der Rechtsstreit war noch immer nicht beigelegt. Aus schlichter Klaustrophobie hatte Avril Bürotüren schon vor dem Kawuschen der Raumpflegerin gemieden. E i n Beineübereinanderschlagen und eine nähere Inaugenscheinnahme ergeben, dass Trevor Axfords linke Socke blau ist, die rechte aber nicht. Axtstiel ist Linkshänder, der rechten Hand fehlen seit einem Feuerwerksunfall am vorvorletzten Interdependenztag Finger, er ist ein paar cm kleiner als HaI Incandenza und ein echter Rotschopf, hat kupferfarbenes Haar und die feuchte, weiße, sommersprossenübersäte Haut, die im Sommer auch unter zwei Schichten Pledge nur rot wird und sich abschält, außerdem sind da diese wulstigen und ewig aufgesprungenen Lippen; als Tennisspieler ist er sozusagen eine weniger effiziente Ausgabe von John Wayne - er ballert einfach nur ohne erkennbaren Spin von der Grundlinie aus. Er ist ein Junior aus Short Beach, Connecticut, und steht unter ungeheurem familiärem Druck, die Tradition männlicher Axfords fortzusetzen und nach Yale zu
gehen, dabei ist er zerebral so magersüchtig, dass er es nach Yale nur schaffen kann, wenn er für Yale Tennis spielt, was ihm natürlich sämtliche Chancen auf eine Zukunft in der Show vermasseln würde; er ist hoch platziert, hat sein Wettbewerbsvisier aber ausschließlich auf ein Durchmarschangebot aus Yale eingestellt. Ingersoll gehärt offiziell zu Hals GroßerKumpel-Kontingent, faktisch ist er aber, wie beiden klar ist, in Axtstiels; HaI ist etwas unwohl ob seiner Erleichterung, dass technisch gesehen keines der ernsthaften Eschatonopfer sein Kleiner Kumpel war.212 Auf dem Court haben Axford und HaI eigentlich nur gemeinsam, dass beide nicht um Hilfe von anderen Courts bitten, wenn ihre Bälle in die Binsen gehen.213 Pemulis hat das Hüpfen endlich sein lassen und die ausgedruckte PinkTSchriftrolle zu einem großen unregelmäßigen Viereck zusammengefaltet, ist zu Lateral Alice Moores hufeisenförmigem Schreibtisch hinübergeschlichen und macht sich ans total beiläufige Süßholzraspeln, schaut sich dabei um und versucht, sie subtil auszuhorchen, ob vielleicht eine der in ihrer EINGÄNGE-Ablage kreuzförmig übereinandergelegten Einladungen zum
WhataBurger-Juniorengastturnier, Frauen quer über Männern, wohl zufällig jemanden mit den Initialen M. M. P. betrifft. Pemulis und Moore wären weniger dicke, wenn sie wüsste, dass er sich nachts Zutritt zu ihrem Büro verschafft und ihr WATS und Modem benutzt hat, allerdings ist sie total ruhig und gelassen, ganz anders als das gerahmte Ding neben ihrem Namensschild, das eine finster blickende Frau mit dem Spruch zeigt ICH HAB NUR NOCH EINEN NERV UND DEN RAUBST DU MIR GERADE. Die kleine Karikatur ist bloß ein typischer Bürogag. Sie hatte sie aus der Sechsten Stunde über dieselbe uralte Sprechanlage der Academy herzitiert, die auch Troeltsch u. a. für ihre SamstagsWETAs mit Beschlag belegen (Troeltsch musste das Herumspielen mit ihrem Stuhl verboten werden), und ihre Sprechstimme war nicht unfreundlich gewesen. Hals linke Gesichtshälfte fühlt sich seltsam aufgebläht an, aber wenn er mit der rechten Hand darüberfährt, ist sie immer normal groß. Ve r w a l t u n g s a n g e s t e l l t e , die ihre Krankenversicherungsbeiträge wert sind, sind synaptisch so weit optimiert, dass sie mühelos gleichzeitig Süßholzraspeln, Komplimente für Stretchhose-mit- Tüll-Ensemble entgegennehmen,
illegitime Wissbegier abbiegen, über Kopfhörer basslastige Musik hören und im Takt zu deren Backbeat Texte verarbeiten können. Lateral Alice Moores bläuliche Fingerspitzen machen ihre rotlackierten Fingernägel zu zehn kleinen Sonnenuntergängen. Die Räder ihres Schreibtischstuhls ruhen auf Schienen mit einem elektrifizierten dritten Gleis, sodass sie auf einen kirschroten Knopfdruck auf ihrem Schreibtisch hin mehr oder weniger lateral vom einen Ende des Hufeisenbogens zum anderen gleiten kann. Aus rechtlichen Post-Delco- Vorfall-Gründen steht auf dem Namensschild auf ihrem Empfangstisch GEFAHR: DRITTE SCHIENE statt des Namens Lateral Alice Moore. HaI hört Avril sagen: »Also. Wenn ich von euch allen jetzt ganz behutsam wissen möchte, wer schon mal von einem Großen auf unangenehme Weise angefasst worden ist, versteht ihr dann, was ich meine? Ist eine von euch schon mal von einem Großen auf eine Weise geküsst oder liebkost oder umarmt oder gerubbelt oder gekniffen oder gepiekst oder gestreichelt oder auf sonst eine Weise angefasst worden, die sie unangenehm fand?« HaI
kann ein bestrumpftes Bein seiner Moms sehen, das in einem schmucken Knöchel und einem blütenweißen Reebok ausläuft und von der rechten Seite in den leeren Türrahmen ragt, der Reebok tippt geduldig auf den Boden, den einen Arm hat Avril vor der Brust gekreuzt, der Ellbogen des anderen ruht darauf, und der dazugehörige Unterarm schwingt in und außer Sicht, während sich Avril mit dem blauen Filzstift an die Zähne tippt. »Omi kneift mich in die Backe«, meldet sich ein Mädchen. Sie hat sich richtig gemeldet, um dranzukommen, am Handgelenk trägt sie ein rührendes kleines (blaues) Frottee-Schweißband. HaI hat seit Ewigkeiten nicht mehr so viele Zöpfe, Knopfnasen und Beerenmündchen auf einem Haufen an einem überdachten Ort versammelt gesehen. Sehr wenige Füße in Turnschuhen reichen da drinnen ganz bis auf den dicken Veloursteppich. Viel Beinebaumeln und zerstreutes, unbehagliches Turnschuhschwingen. Einige in geistesabwesendem Nachdenken in die Nasenlöcher geschobene Finger. Ann Kittenplan mustert auf ihrem blauen Stuhl cool d i e kleinen abwaschbaren Tätowierungen, die sie täglich ihren Fingerknöcheln appliziert.
»Nicht ganz das, worüber wir hier und jetzt miteinander sprechen wollen, Erica«, von irgendwo über dem tippenden Fuß und dem hinund herschwingenden Arm. HaI kennt das Register und die Modulationen der Stimme seiner Mutter so gut, dass es ihm fast Unbehagen bereitet. Sein linker Knöchel schnatzt eklig, wenn er den Fuß beugt und streckt. Muskelstränge in seinem linken Unterarm schwellen an und ab, während er den Tennisball knetet. Seine linke Gesichtshälfte fühlt sich wie etwas Bedrohliches an, das aus weiter Ferne langsam näher kommt. Durch die geschlossene Doppeltür des Büros kann er gerade noch die Frikative von Charles Tavis' leiser Fistelstimme vernehmen; irgendwie klingt es, als richte er sich an mehrere Anwesende. Auch an der Innentür zu Charles Tavis' Büro steht zur Identifikation DR. CHARLES TAVIS und darunter sein E. T.A.-Motto über den, der seine Grenzen kennt und keine hat. »Aber sie kneift megadoll«, beharrt dann also wohl Erica Siress. »Das hab' ich auch schon gesehen«, bekommt sie Schützenhilfe, hört sich an wie Jolene Criess.
Eine andere: »Ich kann das nicht ab.« »Ich kann das nicht ausstehen, wenn mir ein Erwachsener den Kopf tätschelt, wie wenn ich ein Schnauzer wär.« »Der nächste Erwachsene, der mich entzückend nennt, der kann aber was erleben, in echt jetzt.« »Ich kann das nicht ab, wenn mir wer die Haare verwuschelt oder irgendwie glatt streicht.« »Kittenplan ist auch groß. Und Kittenplan macht nach der Nachtruhe immer Tausend Stecknadeln.« Avrillässt ihnen Raum, sich einzubringen, und versucht behutsam, zum Thema wahren Phielyismus' zurückzukommen; sie ist feinfühlig und kann gut mit kleinen Kindern umgehen. » ... dass mir mein Daddy immer so kleine Schubser in den Rücken verpasst, wenn ich in ein Zimmer gehen soll. Als würd er mich von hinten in die Zimmer r ei n beeinflussen. Nur so ein kleiner ärgerlicher Schubser, aber ich könnt ihn da jedes Mal ans Schienbein treten für.« »Mmmmmm-hmm«, macht Avril versonnen. Man muss einfach mithören, denn draußen im Wartezimmer ist es im Moment vergleichsweise still,
abgesehen von Lateral Alice Moores weggelegten Kopfhörern mit ihrem blechernen Zischeln und dem verschwörerischen Gemurmel von Michael Pemulis, der sie dazu bringen will, sich an die Brust zu schlagen und die Neponset-Abfahrt vom 1-93 South als einen einzigen sehr langen schmalen Parkplatz zu bezeichnen. So leise ist es, weil der Beklemmungspegel in Tavis' Wartezimmer so hoch ist. »Ihr könnt euch alle auf ein paar Durchgänge ernsthaftes Kotzen gefasst machen, ist meine Prognose«, hatte Ann Kittenplan zu Pemulis gesagt, als sie gerade erst alle der Vorladung durch die Sprechanlage nachgekommen waren, und ungefähr da hatte Pemulis auf seinem Stuhl auch mit dem Nagerquietschen angefangen, das Kittenplans eine Gesichtshälfte spastisch zucken ließ. Zu den kniffligen und fiesen Feinheiten bei Disziplinarstrafen an einer Tennis-Academy gehört e s , dass Strafen wie kompromisslose Trainingseinheiten aussehen können. Vgl. den Spieß, der den Rekruten auffordert, runter und fünfzig Liegestütz, usw. Deshalb werden Gerhardt Schtitt und seine Prorektoren auch weit mehr
gefürchtet als Ogilvie, Richardson-Levy-O'ByrneChawaf oder sonst ein normaler Lehrer. Schtitt war n i c h t nur sein Züchtigungs renommee hierher vorausgeeilt. Schlimmer ist, dass Schtitt und deLi nt die Tagespläne für Morgentraining, N a c h mi t t a g s s p i e l e , Resistenztraining und Konditionsläufe erstellen. Am schlimmsten ist das Morgentraining. Bei manchen Drills weiß man, dass sie eigentlich nur Einstellungsjustierer sind, die einzig darauf abzielen, die Lebensqualität für ein paar Minuten drastisch abzusenken. Zu brutal, um täglich angesetzt zu werden und so einen echten Beitrag zur aeroben Konditionierung zu leisten, heißen Drills wie die Disziplinarversion von Tipp & Klopp214 bei den Jugendlichen einfach nur Kotzen. Kotztraining soll schlicht und ergreifend wehtun und einen lange und konzentriert nachdenken lassen, bevor man das wiederholt, was einem das Kotztraining eingebrockt hat; trotzdem kann man allem äußeren Anschein nach nicht unter Berufung auf den 8. Verfassungszusatz gegen sie protestieren oder heulend zu Hause bei den Eltern anrufen, heimtückisch, denn Eltern oder Polizei215 gegenüber lassen sie sich als bloße Übungen beschreiben, die der allgemeinen kardiovaskulären Ertüchtigung
der allgemeinen kardiovaskulären Ertüchtigung dienen, und der ganze faktische Sadismus ruht unter dem Siegel der Verschwiegenheit. K i t t e n p l a n s Prognose, die EschatonMassenklopperei werde sich ausschließlich für die Oberstufenschüler als echter Griff ins Klo erweisen, wird sich hoffentlich durch Pemulis' Beobachtung entkräften lassen, extrakurrikularer Impuls und Struktur des Eschaton seien in Kraft gewesen, lange bevor sich einer von ihnen an der E. T. A. eingeschrieben habe. Michael Pemulis habe die Grundprinzipien lediglich kodifiziert und eine Matrix möglicher Entscheidungsstrategien entwickelt. Vielleicht noch eine Mythologie erschaffen und, hauptsächlich durch sein persönliches Vorbild, eine gewisse Erwartungshaltung etabliert. Und HaI habe bloß bei einem lausigen Handbuch als Tippmamsell mitgewirkt. Die Kombattanten am Interdependenztag seien ausschließlich aus eigenem Antrieb da draußen gewesen. Pemulis und Axford haben HaI das meiste davon in blumigster Rede ausformulieren und aufschreiben lassen, und das Ergebnis hat Pemulis in einen PinkrAusdruck eingebettet, den er immer dabeihat und studieren kann, sodass sich alles hieb- und stichfest beweisen lässt, wenn Tavis
alles hieb- und stichfest beweisen lässt, wenn Tavis ihnen die Hammelbeine langziehen will. Die Strategie ist, Pemulis übernimmt das Reden, aber HaI kann sich jederzeit einschalten, die Stimme der Vernunft, guter Cop - böser Cop. Axford hat Anweisung, die Antron-Fasern zwischen seinen Schuhen zu zählen, solange sie da drinnen sind. HaI hat keine Ahnung, was es zu bedeuten haben könnte, dass die Vorladung des Rektors erst mit 48 Stunden Verspätung ergangen ist. Man könnte es seltsam finden, dass es ihm nicht in den Sinn gekommen ist, Tavis von sich aus aufzusuchen oder zum Rh zu gehen und die Moms um Fürsprache oder Informationen zu bitten. Es ist auch nicht so, dass er den Drang danach hätte unterdrücken müssen; er ist wirklich einfach nicht auf die Idee gekommen. Für einen Menschen, der nicht nur auf dem Gelände derselben Einrichtung lebt wie seine Familie, sondern der sich auch beim Sporttraining, bei der schulischen Bildung und so ziemlich seiner ganzen Raison d'etre von Verwandten überwacht weiß, verwendet HaI einen ungewöhnlich geringen Teil seines Denkens und seiner Zeit darauf, die Leute in seiner Familie je als Familienmitglieder
anzusehen. Wenn er sich manchmal in der endlosen Anmeldungsschlange bei einem Turnier, beim postturnierösen Schwof oder sonst wo mit jemandem unterhält, und der macht eine Bemerkung a la »Wie geht's Avril denn so?« oder» Letzte Woche hab' ich auf der Patrone mit den O.N.A.N.F.L.-Highlights gesehen, wie Orin den Ball jenseitsmäßig zu Klump getreten hat«, ist Hals Kopf einen seltsamen, angespannten Moment lang völlig leer, sein Mund wird schlaff und wabbelig und arbeitet, ohne dass ein Ton herauskäme, als lägen ihm die Namen wie Wörter auf der Zunge. Außer wenn es um Mario geht, wo HaI einem Frikadellen ans Ohr labert, muss quasi erst eine schwerfällige, knarrende Maschine in Gang kommen, damit er an seine unmittelbare Familie überhaupt als an seine Verwandten denkt. Auch das könnte ein Grund sein, warum HaI Dr. Dolores Rusk meidet, denn die löchert ihn immer mit Fragen nach Freiräumen, seiner Selbstdefinition und etwas, das sie hartnäckig den »Coatlicue-Komplex« nennt.216 Hals Halbonkel mütterlicherseits Charles Tavis gleicht ein wenig dem verstorbenen Ihm Selbst, insofern auch sein Lebenslauf ein Hin und Her, dabei
aber keine unschlüssige Mischung aus Sport und Naturwissenschaft ist. Seinen bakkalaurierten und promovierten Fachingenieur sowie diplomierten Betriebswirt in Sportverwaltung hatte er in der Frühzeit seiner Berufstätigkeit als Tiefbauingenieur kombiniert, spezialisiert auf Druckausgleich durch strukturierte Verteilung, d. h., er hatte das Gewicht gewaltiger Zuschauermengen bei Sportveranstaltungen verteilt. Mit anderen Worten, sagte er, hatte er große Live-Publika gehandhabt; in seiner Nische war er ein kleiner Pionier für polymerverstärkten Beton und mobile Drehachsen gewesen. Er hatte Entwurfsteams für Stadien, Verwaltungszentren, Tribünen und mykologisch aussehende Superdomes angehört. Er gab freimütig zu, dass er als Team-Ingenieur weit besser gewesen sei, als er als Architekt im Rampenlicht der Bühnenmitte je hätte werden können. Er entschuldigte sich weitschweifig, wenn man mit diesem Satz nichts anfangen konnte, und sagte, die Bedeutungsverschleierung sei womöglich unbewusste Absicht gewesen, weil er auch heute nur peinlich berührt an seine erste und letzte Oberaufsicht als Architekt im Rampenlicht zurückdenken könne, oben in Ontario, vor der
Entstehung der O.N.A.N.istischen Interdependenz, wo er den SkyDome entworfen hatte, den neuen und von jeder Menge Tamtam begleiteten Baseballstadion-cum-Hotel-Komplex der Toronto Blue Jays. In erster Linie hatte nämlich Tavis den Kopf hinhalten müssen, als sich herausstellte, dass die Zuschauer der Blue- Jays-Spiele auf ihren Tribünen, darunter viele unschuldige Kinder mit Baseballmützen, die mit ihren kleinen Fäusten in die mitgebrachten Baseballhandschuhe schlugen und nichts Aufregenderes erwarteten als den Hechtsprung nach einem Foul Ball, dass die Zuschauer also an bedauerlich vielen Stellen entlang der beiden Seitenauslinien Einblick in die Hotelzimmer jenseits der Mauer hinter dem mittleren Außenfeld hatten, in denen sich Gäste den verschiedensten und mitunter exotischen Spielarten des Geschlechtsverkehrs hingaben. Am lautesten war Tavis' Kopf dann gefordert worden, teilt er einem mit, als der Kameramann, der die Sofortwiederholungsbildwand der Anzeigetafel im SkyDome zu beschicken hatte, aus Missmut, beruflicher Suizidneigung oder beidem seine Kamera zunehmend auf die Schlafzimmerfenster ausrichtete und die sich ergebenden vielgliedrigen
Koitalaufnahmen auf die 75 Quadratmeter große Anzeigetafel projizierte. Manchmal in Zeitlupe, mit multiplen Wiederholungen und allem Drum und Dran. Tavis benennt sein Widerstreben, trotz all der seither vergangenen Zeit überhaupt darüber zu reden. Er g e s t e h t , üblicherweise beschränke er die Zusammenfassung seiner ersten Laufbahn darauf, er habe sich auf Wettkampfaustragungsorte spezialisiert, die sicher und bequem möglichst hohe Anzahlen an Zuschauern aufnehmen konnten, bis durch die zunehmende Ausrichtung von Sportereignissen auf die Dissemination auf Patrone und den Privatkonsum daheim die Nachfrage nach seinen Dienstleistungen ihren Tiefpunkt erreicht habe, was, wie er betont, strenggenommen ja nicht nicht stimme, aber eben auch nicht ganz der Wahrheit entspreche. Lateral Alice Moore druckt WhataBurgerAntwortbriefe aus. Der Intel 972 ist hochmodern, aber sie klammert sich an einen scheußlichen alten Nadeldrucker, den sie partout nicht ersetzen will, solange Dave Harde ihn am Laufen halten kann. Dasselbe gilt für die Sprechanlage und das veraltete eiserne Standmikrophon, das Troeltsch einen Affront
der ganzen Rundfunkbranche nennt. Lateral Alice unterhält seltsam exzentrische Widerstandsnester der Kompromisslosigkeit und des Ludditismus, die vielleicht auf ihren Helikopterabsturz und die neurologischen Funktionsstörungen zurückgehen. Das Nadeldruckerfiepen durchdringt das ganze Wartezimmer. HaI stellt fest, dass er sich der Symmetrie seines Gesichts und der kontrollierten Speichelproduktion nur vergewissern kann, wenn er die linke Wange in die rechte Hand schmiegt. Jede Zeile von Alices Antwortschreiben klingt beim Ausdrucken wie das Zerreißen von angeblich unzerreißbarem Stoff, immer wieder, ein lebensfeindliches Geräusch, das direkt in die Zähne geht. Hals grundsätzlicher Eindruck von seinem Onkel mütterlicherseits ist der, dass Tavis extrem schüchtern ist und das durch große Offenheit, Mitteilsamkeit, Langatmigkeit und Bluffen überspielt, und seine Nähe ist ihm einfach unerträglich. Mario findet Tavis offen, mitteilsam und geschwätzig, jener nutze diese Eigenschaften aber so offenkundig als Schutzschild, dass sie eine verängstigte Verletzlichkeit verrieten, mit der man einfach Mitleid haben müsse. Das Verwirrende an Charles Tavis ist
haben müsse. Das Verwirrende an Charles Tavis ist in jedem Fall, dass er wahrscheinlich der offenste Mensch aller Zeiten ist. Orin und Marlon Bain waren immer der Ansicht, C. T. sei weniger ein Mensch als die Aufrisszeichnung eines Menschen. HaI erinnert sich, dass sogar die Moms Anekdoten erzählt hat, wie sie als Jugendliche auf das Kind C. T. aufgepasst und in Quebec mit ihm Veranstaltungen oder Versammlungen mit anderen Kindern besucht habe, und das Kind C. T. sei da immer zu befangen und verlegen gewesen, um sich einer Kindergruppe anzuschließen, die sich unterhielt, etwas ausheckte oder was auch immer, und Avril erzählte, sie habe beobachtet, wie er sich von einem Grüppchen zum nächsten treiben ließ, gruselig am Rand herumlungerte und zuhörte, in eine Gesprächspause der Grüppchen aber grundsätzlich mit einer lauten Bemerkung hineinplatzte a la »Ich fürchte, ich bin viel zu befangen, um mich euch anzuschließen, deswegen lunger ich hier nur so gruselig am Rand herum und hör zu, wenns recht ist, nur damit ihr Bescheid wisst« und so weiter. Der springende Punkt ist also, dass Tavis ein seltsames und sensibles Wesen ist, als Rektor zugleich erfolglos und furchteinflößend, und die
zugleich erfolglos und furchteinflößend, und die Verwandtschaft mit ihm garantiert einem weder prognostischen Einblick noch Schonung, sofern man nicht aus mütterlichen Connections Kapital schlägt, und das fällt HaI buchstäblich im Traum nicht ein. Diese seltsame Leere in Bezug auf die eigene Familie ist vielleicht auch ganz brauchbar für ein Leben, in dem die privaten und die beruflichen Autoritäten ineinander übergehen. Wie ein Verrückter knetet HaI seinen Tennisball, sitzt im Nadeldruckerfiepen da, die rechte Handfläche an der linken Wange, Ellenbogen vor dem Mund, würde zu gern noch schnell in den Gebläseraum gehen und sich dann mit seiner klappbaren Oral-BReisezahnbürste gründlich die Zähne bürsten. Ein schneller Happen Kodiak kommt leider aus mehreren Gründen nicht infrage. HaI ist dieses Jahr erst einmal offiziell ins Wartezimmer des Rektors zitiert worden, Ende August, kurz vor der Eröffnungsfeier und während der Orientierungswoche, als die neuen J. d. I.-U.Schüler eintrudelten und ahnungslos und verängstigt herumliefen und so weiter, und Tavis hatte HaI gebeten, sich vorübergehend um einen Neunjährigen zu kümmern, der aus einem Nest
Neunjährigen zu kümmern, der aus einem Nest namens Philo in Illinois stammte, blind sein sollte und offenbar Schädelprobleme hatte, da er zu den Kindern der Ureinwohner von Ticonderoga, New New York, gehört hatte, die zu spät evakuiert worden waren, und diverse verschieden weit entwickelte Augen aufwies, im juristischen Sinne blind war, dabei aber ein gediegener Tennisspieler, was auszuführen schon eine längere Geschichte wäre angesichts der Tatsache, dass sein Schädel die Konsistenz der Schale einer Krabbe aus der Chesapeake Bay hatte, der Kopf jedoch so mächtig war, dass Trollo daneben wie ein Mikrozephale wirkte, und auf dem Court konnte der Junge anscheinend nur mit einer Hand spielen, weil er mit der anderen immer einen fahrbaren Infusionsständer hinter sich herzog, an dem in Kopfhöhe eine Metallhalbkugel angeschweißt war, die seinen Kopf umschloss und stützte; und jedenfalls hatten Tex Watson und Thorp C. T. zwecks Aufnahme des Jungen und Gebührenerlass bekniet, und jetzt sagte sich C. T., der Junge könnte, gelinde gesagt, ein bisschen zusätzliche Hilfe bei der Orientierung (buchstäblich) brauchen, und er wollte, dass HaI ihn ein bisschen an die Hand nahm (ebenfalls buchstäblich). Ein paar Tage später stellte
sich heraus, dass der Junge zu Hause im ländlichen Illinois entweder eine Familien- oder eine Liquorabflussstörung hatte und sich sowieso erst zum Frühjahrssemester einschreiben würde. Aber jedenfalls hatte HaI an jenem Augusttag auf gen au dem Stuhl gesessen, auf dem jetzt Axford wegdöst, spät am Tag, so um die Abenddämmerung rum, nach dem zwanglosen ShowMatch mit einem lettischen Showprofi, zu Besuch an der E. I. A., gegen den er am Nachmittag stolze drei Sätze lang durchgehalten hatte, weswegen er die gefüllten Paprikas von Mrs C. verpasst hatte und sein Magen dann aus dem Umkreis des transversalen Dickdarms diese Wobleiben-die-Fressalien-Geräusche von sich gab, hatte allein im blauen Zimmer gesessen und gewartet, der Stuhl war reflexhaft gehopst, Lateral Alice Moore war längst in ihre lange Newtoner Wohnung mit den maximal zwei Meter breiten Zimmern heimgegangen, Intel-Rechner und Sprechanlagenkonsole waren mit einer opaken Staubschutzhaube abgedeckt, das rote Gefahrenlämpchen am GEFAHR: DRITTE SCHIENE-Namensschild ausgeknipst, und die einzigen Lichtquellen außer der Abenddämmerung draußen waren die heiße IOS-Watt-Birne der
unheimlichen Leselampe mit dem blauen Schirm an seiner Stuhllehne und die zahllosen brennenden Stehlampen in Charles Tavis' Büro (Tavis hat eine Phobie, was Deckenbeleuchtungen angeht), wo Tavis ein spätes Aufnahmegespräch mit der unfassbar winzig kleinen Tina Echt durchführte, die sich mit ihren sieben Jahren just in diesem Herbst eingeschrieben hatte. Die Doppeltür stand offen, denn es war ein brütend heißer Augusttag, und S. I. H a r d e hatte das Gebläse von Lateral Alices Klimaanlage im Wartezimmer irgendwie so frisiert, dass es wirklich drauflos pustete. Die Außentür von Tavis' Büro öffnete sich nach außen und die Innentür nach innen, sodass das kleine intraportale Vestibül, wenn es offen war, an einen Kiefer erinnerte. Im August des J. d. L-U. war Hals chronischer linker Knöchel so schlimm gewesen wie vielleicht noch nie, nach einem erumpieren den, aber zermürbenden Sommer, bei dessen Turnieren er es praktisch überall mindestens bis ins Viertelfinale geschafft hatte, meistens auf hartem Asphalt217, und während er dasaß, die Hochglanzseiten der neuen Ausgabe v o n World Tennis durchblätterte und die Werbekärtchen herausfallen und davonHattern sah,
spürte er den Puls in den Gefäßen seiner geschundenen Knöchelbänder; er konnte es sich aber auch nicht verkneifen, durch den weit aufgesperrten Kiefer den umfassenden Blick auf Charles Tavis an seinem Bürotisch zu nutzen; Tavis wirkte wie immer seltsam verkürzt und klein und hatte die Hände auf der Massivholzplatte des Schreibtischs aufeinandergelegt, und ihm gegenüber sah HaI im Teilprofil ein Mädchen, das eigentlich höchstens fünf oder sechs sein konnte und sich, während es Tavis zuhörte, darauf vorbereitete, die Aufnahmepapiere entgegenzunehmen. Eltern oder Erziehungsberechtigte von Echt waren nirgends zu sehen gewesen. Manche Kinder werden einfach verklappt. Manchmal halten die Autos der Eltern kaum an, verlangsamen kurz und beschleunigen dann schotterspritzend wieder. Tavis' Schreibtischschubladen haben quietschende Laufrädchen. Der Lincoln von Jim Strucks Sippe hatte nicht mal besonders verlangsamt. Sie hatten Struck auf die Beine geholfen und ihn direkt in die Umkleide gebracht, damit er sich unter der Dusche den Schotter aus den Haaren spülen konnte. Nach Strucks Wechsel hatte HaI in der Orientierungswoche auch ihn unter seine Fittiche
genommen, nachdem er an der Palmer Academy rausgeHogen war, weil seine zahme Tarantel (namens Simone - auch so eine längere Geschichte) entkommen war, die Frau des Rektors aber nie im Leben gebissen hätte, wenn die nicht geschrien hätte und in Ohnmacht und auf Simone draufgefallen wäre, hatte Struck erklärt, während HaI und er die über die ganze Auffahrt verstreuten Koffer zusammensuchten. Charles Tavis, der Adoptivbruder von Hals Mutter, ist wie viele begabte Bürokraten von niedriger Statur, die aber weniger endokriner Natur als eine Frage der Perspektive zu sein scheint. Seine Kleinheit ähnelt der von etwas, das weiter von einem weg ist, als es möchte, und sich noch entfernt.218 Diese seltsam anmutende Rückdrift sowie die zwanghaften Handbewegungen, die sich einstellten, nachdem er vor einigen Jahren das Rauchen aufgegeben hatte, verstärken den Eindruck einer Dauermanie des Mannes, einer Art Platzangst, die, wie wohl plausibel sein dürfte, nicht nur Tavis' zwanghafte Energie erklärt - Avril und er, so ziemlich das Dynamische Duo der Zwangsneurosen, schlafen in ihren getrennten - Zimmern im zweiten Stock vom
Rektorenhaus zusammen ungefähr so viel wie ein normaler Schlafloser -, sondern vielleicht auch zu seiner pathologischen Offenherzigkeit beiträgt, der Angewohnheit, laut über das Lautdenken nachzudenken, eine Angewohnheit, die Ortho Stice so gespenstisch gut nachahmen kann, dass die männlichen U18er ihm verboten haben, die TavisNummer vor den jüngeren Schülern abzuziehen, aus Angst, die Kleinen könnten den echten Tavis sonst auch dann nicht mehr ernst nehmen, wenn er ernst genommen werden muss. Was die älteren Schüler angeht, beömmeln die sich jetzt schon, wenn Stice seine Augen beschirmt und so tut, als suche er den Horizont ab, sobald Tavis in Sicht kommt und sich zu entfernen scheint, obwohl er auf sie zusteuert. Als Rektor hat C. T. immer eine Reihe von Einführungsfragen an Neuzugänge, und jetzt im November kann sich HaI nicht mehr daran erinnern, mit welcher Tavis das Gespräch mit Echt eröffnet hatte, aber er weiß noch, dass er den Lutscherstängel des kleinen Mädchens durch die Luft fliegen und den Mr-Bouncety-Bounce219-Ohrclip aus Plastik wild schlackern gesehen hatte, als es
den Kopf schüttelte. HaI hatte sich über ihre Größe gewundert. Wie weit oben konnte sich ein so kleiner Mensch auch nur regional bei den Spielern bis 12 platziert haben? Und dann ja das üppige Quietschen von Tavis' großem Seegrasstuhl, der wieder nach vorn kam, als er sich mit den Ellbogen aufstützte und die verschränkten Finger meterweit über der polymerverstärkten Schieferfläche des maßgefertigten Bürotischs ausstreckte. Das Lächeln, mit dem sich der Rektor zurücklehnte, blieb HaI im Schatten des riesigen StairBlaster220 im Büro zwar verborgen, war aber wegen Charles Tavis' Zahnsache zu hören, aber darüber breitet man vielleicht lieber den Mantel der Diskretion. Als HaI unbemerkt hineinsah, überkam ihn plötzlich eine unwillkürliche Welle der Zuneigung. Das Haar seines Onkels mütterlicherseits war glatt und peinlich genau gescheitelt und sein kleiner Schnurrbart nie ganz symmetrisch. Außerdem lag das eine Auge in einem etwas anderen Winkel im Gesicht als das andere, sodass Stice nicht nur die Hand hob, um den Horizont abzusuchen, sondern auch den Kopf etwas auf die Seite legte, wenn C. T. näher kam. Hals
unwillkürliches Lächeln jetzt beim Erinnern ist asymmetrisch und wird nur halb gespürt. Der Axtstiel sitzt zusammengesunken da, die Faust am Kinn, was er für eine nachdenkliche Pose hält, womit er in Wirklichkeit aber aussieht wie in utero, und Kittenplan beknabbert die Tätowierungen an den Knöcheln, was sie immer macht, statt sie abzuwaschen. Dann war Ortho Stice vom Court ins heiße Wartezimmer gekommen, das T-Shirt nass, der Bürstenschnitt verstrubbelt, die Wilsons in der Hand, und war direkt in den Abwind vom Gebläse der Klimaanlage vor Tavis' kleinem Vestibül getreten. Stice' Kleidung wurde von Fila gesponsert, wenn er ein Tennisspiel bestritt, trug er grundsätzlich nur Schwarz und war an der E. 1. A. u n d auf der Juniorentournee als der Schatten bekannt. Er hatte einen Bürstenschnitt und Ansätze von Hängebacken. HaI und er nickten sich nur ganz leicht zu wie alle, die einander derart mögen, dass Höflichkeit überflüssig wird. Ihr Spielstil war ähnlich, nur dass Stice' besondere Note erst am Netz richtig zur Geltung kam. Er beschirmte die Augen mit einer Hand und neigte den Kopf in Richtung des
Lampenscheins aus dem Büro. »Dauert' s beim Kleinen da drinnen lange?« »Das fragst du?« Tavis sagte gerade: »Was wir hier machen, ist, wir demontieren dich auf sorgfältig ausgewählte Weisen, nehmen dich als kleines Mädchen auseinander und setzen die Teile zu einer Tennisspielerin wieder zusammen, die es auf dem Court ohne jede Angst vor Grenzen mit jedem kleinen Mädchen in Nordamerika aufnehmen kann. Mit einer Perspektive, die die verschleierten Finanzen, die dich hergebracht haben, nicht beeinflussen können. Ein kleines Mädchen also, das den Court als einen Spiegel betrachten kann, dessen Spiegelbild für dich keinerlei Illusionen oder Ängste bereithält.« »Jetzt kommt die Sache mit dem Schädel«, sagte Stice. HaI hatte gesehen, dass Stice an den Armen und Beinen eine Gänsehaut bekommen hatte, als er unter dem kalten Luftstrom stand, den Kopf hob, tief durchatmete und seine Stöcke an die Brust drückte. »Man könnte diese Formulierung auch in folgende Worte kleiden: Wir werden deinen Schädel ganz vorsichtig auseinandernehmen und dir daraus einen Schädel
bauen, der eine hoch entwickelte Beule der Klarsicht aufweist und eine leicht konkave Delle, wo früher mal der Angstinstinkt steckte. Ich gebe mir alle erdenkliche Mühe, das in Begriffe zu fassen, bei denen sich das Du, das du heute bist, wohlfühlen kann, Tina. Ich muss dir allerdings gestehen, dass mir etwas unbehaglich dabei ist, meine Darstellung modifizieren oder im Wortsinne abtönen zu müssen, denn ich bin sowohl als Mann wie auch als Erzieher schrecklich stolz auf meinen Ruf eines aufrichtigen Menschen«, sagte Tavis. Das hörbare Lächeln. »Das ist eine meiner Grenzen.« Stice ging, ohne sich von HaI verabschieden zu müssen. Zwischen den beiden bestand vollkommene Vertrautheit. Ein Jahr zuvor, als HaI noch zu den U16ern gehört hatte, war das ein bisschen anders gewesen. HaI hörte, wie sich Stice draußen im Foyer m i t jemandem unterhielt. Zu dem von C. T. vermittelten Eindruck einer Entfernung knapp jenseits der Brennweite des Auges trug die Tatsache bei, dass seine beiden Gesichtshälften nicht richtig zusammenpassten. Es war nicht so drastisch wie beim Opfer eines Schlaganfalls oder bei einer Missbildung; das Unauffällige war Teil der Wirkung, eine essenzielle Unbestimmtheit, die Tavis
eine essenzielle Unbestimmtheit, die Tavis bekämpfte, indem er seine Schädeldecke abhob und einem ohne jede Vorwarnung oder Einladung sein Hirn bloßlegte; es war Teil der geistesabwesenden Dauerhektik des Mannes. Zwischen Ortho Stice' Abgang und dem Auftritt der Moms hatte HaI den Knöchel gebeugt und gestreckt und beobachtet, wie sich die Schwellung unter den Sockenschichten verschob. Er stand auf und belastete probehalber ein paarmal den Knöchel, setzte sich dann wieder, beugte und streckte ihn erneut und ließ die Schwellung nicht aus den Augen. Plötzlich war er sicher, dass er vor dem Duschen noch zum heimlichen Toxen in den Gebläseraum gehen würde, weil er nicht daran gedacht hatte, den Schatten zu fragen, ob sie zusammen essen wollten, denn Stice hatte das Abendessen ja auch verpasst. Seine Viszera produzierten Geräusche, die an Wasserkessel ohne Pfeife erinnerten, die beim Kochen nur grummeln. Kein Wettkampfsportler kann Mahlzeiten auslassen, ohne sich fürchterliche Stoffwechselnöte einzuhandeln. Kurz darauf bückte sich Avril Incandenza, Studiendekanin der E.T. A., unter dem Türsturz des
Wartezimmers hindurch, kam herein und sah frisch und von der Hitze völlig unberührt aus. Sie hatte ein Orientierungspäckchen im üblichen rotgrauen Schnellhefter dabei. Die Moms baute sich unweigerlich genau im Zentrum jedes Raums auf, sodass sie irgendwie immer aus allen Winkeln zu sehen war. Das war Teil ihres Wesens und daher für HaI liebenswert, aber es war auffällig und leicht befremdlich. Bei einer nächtlichen Runde Familientinnef hatte sein Bruder Orin Avril mal als »das schwarze Loch menschlicher Aufmerksamkeit« bezeichnet. HaI war auf und ab gegangen, hatte sich auf die Zehenspitzen des linken Fußes gestellt und einzuschätzen versucht, wie hoch genau dann das von ihm empfundene körperliche Unbehagen war. In dem Augenblick war sie hereingekommen. HaI und die Moms begrüßten sich immer auf überkandidelte Weise. Wenn Avril einen Raum betrat, wurde aus jedem Auf-und-AbGehen ein Umkreisen, und Hals Abschreiten bekam etwas leicht Zirkuläres entlang der Begrenzungen des Wartezimmers, während sich Avril mit dem Steißbein auf dem Empfangstisch niederließ, die Knöchel übereinanderlegte und ihr Zigarettenetui
hervorzog. Sie war immer sehr zwanglos und fast männlich, wenn sie mit HaI allein in einem Raum war. Sie beobachtete ihn beim Gehen. »Der Knöchel?« Es war ihm zuwider, dass er sein Humpeln auch nur ein winziges bisschen übertrieb. »Empfindlich. Allenfalls schmerzhaft. Eigentlich nur empfindlich.« »Na, aber, wer wird denn da gleich weinen«, rief CI. und kniete sich neben den Stuhl, von dem kleine Beine baumelten und zappelten. »Ich meinte doch kein buchstäbliches Brechen, als wollten wir dir den Kopf aufbrechen, Tina. Lass dir bitte gesagt sein, dass das einzig und allein mein Fehler ist, mein kleiner Schatz, dir das, was wir hier mit dir vorhaben, im absolut falschesten Licht dargestellt zu haben.« Avril hatte beiläufig eine IOO-mm-Lulle aus dem flachen Messinge tu i hervorgezogen und klopfte den Tabak an einem faltenlosen Knöchel fest. HaI gab ihr kein Feuer. Beide vermieden es, den Rachen von Tavis' Büro anzuschauen. Avrils Kittelkleid war aus blauer Baumwolle, um die Schultern trug sie ein langettiertes weißes Tuch, außerdem weiße Strümpfe und blendend weiße Cross Trainers von Reebok.
»Ich bin entsetzt, dass ich dich so zum Weinen gebracht habe.« Tavis' Stimme hatte jetzt den gepressten Klang, als ertöne sie vom Ende eines langen Korridors. »Sei bitte versichert, dass dir ein absolut unbedrohlicher Schoß zur Verfügung steht, falls du einen Schoß wollen solltest, mehr fällt mir dazu nicht ein.« Avril rauchte immer mit erhobenem Raucharm, dessen Ellenbogen in der Beuge des anderen Arms ruhte. Auf dieselbe Weise hielt sie oft eine Lulle, ohne sie anzuzünden oder auch nur in den Mund zu stecken. Sie erlaubte sich das Rauchen nur in ihrem E. T. A.-Büro, ihrem Arbeitszimmer im Rh und einigen wenigen anderen Orten, die über Luftfilter verfügten. Als sie an jenem Abend mit dem Steißbein an etwas lehnte und an ihren Beinen entlangsah, erinnerte ihre Haltung erschreckend daran, wie Er Selbst herumzustehen pflegte. Mit dem Kopf deutete sie auf c.T.s Tür. »Ich nehme an, er ist da schon eine ganze Weile drin.« HaI konnte es nicht ab, dass sich auch nur eine Spur von Greinen in seine Stimme schlich: »Ich warte jetzt schon fast eine Stunde hier.« Und dass
es ihm ein bisschen gefiel, dass sie voller Anteilnahme die schmalen Augenbrauen (ungezupft, von Natur aus schmal und gewölbt) hochzog. »Dann hast du also noch gar nichts gegessen?« »Ich bin herzitiert worden.« Tavis' Stimme von drinnen: »Ich möchte dich einladen, dich hier auf meinen Schoß zu setzen, dann mache ich beruhigende Geräusche a la »Ei, ei, ei.« »Will zu meiner Mommy und meim Daddy.« Avril sagte: »Ach, dann ist das dein Magen und nicht die Klimaanlage?« Mit einem Lächeln, das gleichzeitig ein Zucken war. »Könnte nicht mal ansatzweise beschreiben, was für Geräusche von da unten hochkommen, wie der pfeifenlose Wasserkessel, den Er Selbst immer angelassen hat, wenn -« Aus einer tiefen Tasche ihres Kittelkleids tauchte ein Apfel auf. »Hab' hier zufällig einen Granny Smith übrig, um Leib und Seele zusammenzuhalten, dieweil wir warten.« Er lächelte den großen grünen Apfel freudlos an. »Moms, das ist dein Apfel. Ich weiß rein zufällig, dass der das Einzige ist, was du zwischen 12 und 23
der das Einzige ist, was du zwischen 12 und 23 essen wirst.« Avril machte eine weit ausholende Geste. »Voll bis zum Gehtnichtmehr. Hatte vor nicht mal drei Stunden ein riesiges Mittagessen mit einem Elternpaar. Seitdem wälz' ich mich nur noch durch die Gegend.« Sie sah den Apfel an, als hätte sie keine Ahnung, wo der herkäme. »Sonst werft ich ihn nur weg.« »Wehe.« »Bitte.« Sie löste sich scheinbar ohne Muskelanspannung vom Tischrand, hielt den Apfel wie einen ekligen Gegenstand von sich weg und die Zigarette am Körper, sodass sie ihr, angezündet, ein Loch ins Kittelkleid gekokelt hätte. »Du würdest uns beiden einen Gefallen tun.« »Du bist einfach plemplem. Du weißt doch, dass ich das plemplem finde.« Orins und Hals Ausdruck für Avrils Masche ist Höflichkeitsroulette. Diese Moms- Masche, wo man, wenn man ihr egal weswegen die Wahrheit gesagt hat, sich selbst dafür hasst, weil man weiß, was die Konsequenzen für sie sein werden. Als drehte man sie durch die Mangel, wenn man bloß ein Bedürfnis anmeldete oder ein Problem zu erkennen gab. Beim
Familientinnef hatten Orin und HaI das manchmal durch den Kakao gezogen: »Bitte, ich brauch' gar nicht so viel Sauerstoff.« »Was, der olle Arm hier? Kannst du haben. Ständig nur im Weg. Kannst du haben.« »Aber das ist ein umwerfender Stuhlgang, Mario - dem Wohnzimmerteppich fehlte schon immer was, aber erst jetzt weiß ich, was es war.« So eine ganz besonders jaulige Gänsehaut, wenn man gleichzeitig mitschuldig war und genötigt wurde. HaI konnte es nicht ab, wie er dann immer reagierte, auch jetzt wieder, als er den Apfel nahm und ihr vorgaukelte, der vorgegaukelte Widerstand, ihr das Abendessen wegzufuttern, sei nur vorgegaukelt. Orin behauptete, sie mache das alles mit Absicht, aber damit machte er es sich zu einfach. Er sagte, sie schöbe ihre Gefühle vor sich her wie ein Terrorist seine Geisel, einen Arm um die Luftröhre der Gefühle und eine Glock 9 mm an ihren Schläfen, als wollte sie ihren Gegenüber zum Schießen provozieren. Die Moms hielt HaI den roten Schnellhefter hin, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Hast du Alices neue Päckchen schon gesehen?« Der Apfel war lecker sauer, duftete aber vom Kittelkleid der Moms nach ihrem Parfum, und löste eine Speichelspringflut
aus. Der Schnellhefter enthielt verschiedene kleine Schnappschüsse und Bewegungsfotos von den Wänden des Wartezimmers sowie Kopien von Zeitungsausschnitten und drei Ringbucheinlagen für die Richtlinien und den Wortlaut des Ehrenkodex, alles von Moore in kursiver FrakturschriEt aufbereitet. HaI sah vom Schnellhefter auf und deutete mit dem Kopf auf C. Ts Büro. »Führst du das Mädchen selbst herum?« »Wir sind aus erfreulichen Gründen unterbesetzt. Thierry und Donni haben in Hartford die Qualifikationsrunden überstanden und bleiben dort.« Sie beugte sich vor, warf einen Blick ins Büro, damit Tavis sie hier draußen sehen konnte, und lächelte. HaI folgte ihrem Blick. »Das Mädchen heißt Tina Sowieso und reicht dir ungefähr bis zum Knie.« »Echt«, sagte Avril und las in einem Ausdruck. »Warum musst du da würgen?« HaI sah sie an und kaute. »Nein, sie heißt Tina Echt. Aus Pawtucket. Der Vater muss eine Art ungesäuerter Bäcker sein, die Mutter ist die Frau für Öffentlichkeitsarbeit bei den Red Sox A.A.A. da im Baseball.«
Hai lächelte und musste sich das Kinn abwischen. »Triple A. Nicht A.A.A.« Avril beugte sich aus der Hüfte vor, drückte den Schnellhefter an die Brust, wie Frauen flache Gegenstände eben halten, und versuchte, den Rektor auf sich aufmerksam zu machen. HaI sagte: »Hat Troeltsch also endlich Konkurrenz als Anwärter auf den abstoßendsten Nachnamen.« »Mensch, die ist aber klein, was?« »Meiner Meinung nach höchstens fünf.« »Donnerlüttchen, mal sehen: sieben Jahre alt, hoher IQ, kümmerlich aussehender MMPI, hat bei Providence Racquet und Bath in East Providence gespielt. Rangierte in der Eastern bis 12 im Juni auf 31.« »Wenn die da draußen spielt, ist die doch im Leben nicht größer als ihr Stock. Wie lange will Schtitt die hierbehalten ? Zwölf Jahre?« »Ihr Vater hat sich seit über zwei Jahren um ihre Aufnahme bemüht, sagt Charles.« »Er hat seine Schädeldemontagenummer abgezogen, und sie hat Zeter und Mordio geschrien.« Avrils Lachen war exaltiert, alarmierend und
unverkennbar, und spätestens jetzt wusste C. T. definitiv, dass die Moms hier draußen wartete, würde zum Schluss kommen und vielleicht HaI drannehmen, der danach heimlich toxen konnte. »Sie wird's überleben«, sagte Avril. Die Umlaufbahn führte ihn in einer ausgeprägten Ellipse um Lateral Alice Moores Schreibtisch herum. Wenn er mit dem linken Fuß auftrat, gab er jedes Mal leicht nach oder erhob sich kurz auf die Zehenspitzen, um den Knöchel zu belasten. »Nach zehn Jahren hier hat die doch 'n Rad ab. Wenn sie mit sieben anfängt, ist sie mit vierzehn entweder reif für die Show, oder sie bekommt diesen aus gebrannten Blick, wo man ihr mit der Hand vor den Augen rumwedeln möchte.« Man hörte, dass Tavis' quietschender rechter Nunn Bush schneller durchs Büro ging, also kam er wirklich zum Schluss. »Ich möchte mal die Prognose wagen, dass du dich gegenwärtig wahrscheinlich nur schwer als große Sportlerin sehen kannst, Tina, schließlich kannst du noch kaum übers Netz gucken, aber noch schwerer fällt möglicherweise die Vorstellung, die Menschen mal zu unterhalten und i hr e Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen. Als ein
Hochgeschwindigkeitsobjekt, das ihren Projektionen ein Ziel bietet und sie angesichts des von einem so jungen Menschen wie dir verkörperten nahezu grenzenlosen Potenzials ihre Grenzen vergessen lässt.« Der Apfel erzeugte ungeheure Speichelmengen. »Er wird sie in die Show stecken, bevor sie die Regel bekommt, und es wird enormes Bohei und ständig verliehene Patronen von einem Mädchen geben, das kaum größer als sein Tennisschläger ist, aber haarige slawische Lesben bezwingt, und mit vierzehn ist sie dann so ausgebrannt wie die alte Kohle unten im Gartengrill.« Ein alter Soldatenwitz über Äpfel ging ihm durch den Kopf. Iss den Appel, scheiß auf den Appel. Auf die Pointe kam HaI nicht mehr. Die Moms schnippte mit den Fingern und runzelte die Stirn. »Es gibt da doch ein Wort für die Kohlerückstände in einem Grill. Ich komm' nicht drauf.« HaI konnte das nicht ab. »Schlacke«, sagte er wie aus der Pistole geschossen. »14. Jhd., vom mittelniederdeutschen slagge. In der abgeleiteten Bedeutung »Reste beim Verbrennen von Kohle«. Wahrscheinlich eine Ableitung von schlagen, wozu
das Synonym Hammerschlag passt.« Er konnte es nicht ab, dass sie auch nur auf den Gedanken kommen konnte, er würde auf ihr aphasisches Stirnrunzeln und Fingerschnippen reinfallen, aber auch nicht, dass er dann doch immer so gern mitspielte. Prahlt man damit, wenn man das nicht abkann? »Schlacke. « »Ein Grill bildet keine Schlacke. Holzkohle verbrennt zu normaler Asche. Schlacke hat Metallanteile, soweit ich weiß. Daher auch die Erstbedeutung »beim Schmieden abspringender verglühter Metallrest.« »Ich habe den Verdacht, dass hier der Grund liegt, warum so viele von unseren älteren Spielern in mir so einen Jahrmarktschreier sehen, in dessen Augen sich winzige Bilanzen drehen: weil ich jedem Zuwachs unserer Familie gegenüber so offen und ehrlich bin, dass hier die Ressourcen des Wettkampf tennis und des nordamerikanischen Juniorenförderungssystems für begabte Kinder liegen, die die Höhen der Professionalität oder einer wettkampforientierten Universitätskarriere erklimmen wollen, und ergo für eine Academy wie diese auch
die Ressourcen für die beträchtlichen Betriebsausgaben und Stipendien wie gerade das, was wir glücklicherweise deinen Eltern für dich anbieten können.« »Hast du dann vielleicht Lust, mit uns zu essen? Ms Echt ist auch dabei, wenn sie so lange aufbleiben darf.« Das Kerngehäuse erzeugte auf dem Boden von Lateral Alices Papierkorb einen sehr gedämpften Zimbelton. »Das Morgentraining wird mir nicht erlassen. Wayne und ich sollen nach dem Mittagessen bei irgendnem Firmenspektakel in Auburndale gegen Slobodan221 und Hartigan spielen.« »Hast du Barry schon gesagt, dass er mit Gerhardt darüber sprechen soll, dass der Knöchel nicht besser wird?« »Der Sandbelag wird ihm guttun. Schtitt weiß über den Knöchel Bescheid.« »Na, dann mal viel Glück euch beiden.« Avrils Handtasche hatte mehr Ähnlichkeit mit einem weichen Koffer als mit einer Handtasche. »Darf ich dir dann leihweise den Küchenschlüssel überlassen? «
HaI sieht der Moms auf seinen Umlaufbahnen grundsätzlich über die linke Schulter, und seine Pläne reiften zwischen Avrils Einladungen, eine Art Höflichkeitsnummer in Kauf zu nehmen. »Der Schatten und ich wollten noch den Hügel runterrasen und was einpfeifen, falls und wenn ich hier je rauskommen sollte.« »üh.« Dann fragte er sich bestürzt, was Stice ihr beim Eingang in puncto Abendessen gesagt haben mochte. »Pemulis vielleicht auch, hat der, glaub' ich, gesagt.« »Also, ich möchte auf gar keinen Fall, dass du dich amüsierst.« Drinnen waren inzwischen beide aufgestanden, Echt und Tavis. Ihr Handschlag sah im ersten Sekundenbruchteil so aus, als wedelte sich C I . einen von der Palme, während das kleine Mädchen Heil Hit[er machte. HaI dachte, dass er jetzt vielleicht langsam durchdrehte. Selbst das Fruchtfleisch vom Granny Smith roch nach Parfum. Drei Monate später, heute Nachmittag, bevor er wieder herzitiert worden war, hatte es beim Zahnarzt im Sprechzimmer seltsam scharf, rein und süß gerochen, das olfaktorische Äquivalent von
Neonlicht. HaI hatte den kalten Einstich ins Zahnfleisch und das langsame radiale Erstarren gespürt, sein Gesicht hatte sich aufgebläht wie ein Ballon und war zu einer der erstarrten Kumuluswolken vor dem AfterShave-Blau des Tapetenhimmels der Zahnarztpraxis geworden. Dr. med. dent. Zegarelli hatte trockene dunkelgrüne Augen, die sich über seinem mentholblauen Mundschutz wölbten, als seien es Oliven anstelle von Augen, wenn er sich vorbeugte, um mit der Behandlung fortzufahren, und die Korona der Zahnarztleuchte über ihm verlieh ihm einen von diesen perspektivisch verzerrten Heiligenscheinen auf mittelalterlichen Ikonen, die hochkant zu stehen scheinen. Selbst maskiert verströmt Zegarelli infernalischen Mundgeruch - E. T. A.ler, die von ihrer Gruppenversicherung erstmals gezwungen werden, sich unter Zegarelli auszustrecken, erhalten vorher intensive Atemberatung: Immer einatmen, wenn Zegarelli einatmet, und ausatmen, wenn er ausatmet, um die Qualen, die HaI heute schon durchgemacht hat, nicht noch zu verdoppeln. Charles Tavis ist kein Hanswurst. Die Situation hier draußen im Wartezimmerblau erhält ihre angespannte Stille durch die Tatsache, dass es, wie
angespannte Stille durch die Tatsache, dass es, wie die drei älteren Schüler wissen, historisch mindestens zwei Ausgaben von Charles Tavis gibt. D e r offenherzig aufrissgezeichnete, frei assoziierende, die Arme am perspektivischen Horizont schwenkende, entscheidungsunfähige und händeringende Totalsorgeträger ist in Wirklichkeit Tavis' Version von sozialer Contenance, der Versuch, sich auf sein Gegenüber einzustellen. Man muss aber bloß mal Michael Pemulis fragen, dessen Turnschuhe schon so oft auf Tavis' Teppich standen, dass sie einen nicht wegzusaugenden Eindruck im karierten Veloursteppich hinterlassen haben: Wenn Tavis die Contenance verliert, wenn die Integrität, das reibungslose Funktionieren der Academy oder sein unstrittiger Stammplatz an der Pinne der E. T. A. auf dem Spiel stehen, was Gott verhüten möge, dann zeigt sich Hals zugänglicher Onkel von einer anderen Seite, und dann ist mit ihm nicht gut Kirschen essen. Es ist nicht zwingend abfällig gemeint, wenn man einen in die Ecke getriebenen Schreibtischhengst mit einer in die Ecke getriebenen Ratte vergleicht. Das entscheidende Warnsignal ist, wenn Tavis urplötzlich sehr still und fast reglos wird.
Dann scheint er perspektivisch nämlich zu wachsen. Obwohl er sitzt, scheint er auf einen zuzustürzen und flüsternd draufloszudopplern. Fast drohend ragt er von der anderen Seite der ausladenden Schreibtischfläche über einem auf. Wenn die Verwaltungskacke am Dampfen ist, verlassen die Schüler bleich sein mandibelbewehrtes Büro und reiben sich die Augen, nicht wegen etwaiger Tränen, sondern dieses tiefenperspektivischen Schielens wegen, das C. 1. plötzlich bewerkstelligt, wenn da was dampft. Ein anderes Alarmzeichen ist, wenn Lateral Alice Moore offiziell per Sprechanlage gebeten wird, einen ins Büro zu führen, und sich nicht einfach die Türen von innen vor einem öffnen, und wenn sie aufsteht und einen seitwärts hineinschiebt, als wäre man ein Handelsvertreter mit dem Hut in der Hand, ohne einen auch nur eines Blickes zu würdigen, als müsse man sich schämen. Eine große Familie. Der Fummel-Check ist zu einem großen Meinungsund Faktenaustausch der Mädchen darüber verkommen, welchen Tieren ihre biologischen Familienangehörigen entweder nacheifern oder
ähnlich sind; Avril ist weder zu sehen noch zu hören, lässt sie anscheinend erst mal gewähren und ihrem Stress Luft machen. Mit dem Handrücken prüft HaI immer wieder seinen Speichelstatus. Pemulis trägt ein T-Shirt mit kyrillischen Buchstaben, er nimmt die Mütze ab, sieht sich um, rückt reflexartig den Krawattenknoten zurecht und wirft einen letzten Blick auf den Ausdruck. Axford steht da und braucht drei Anläufe, um den Knauf der Außentür zu drehen. Ann Kittenplan hat dagegen eine Miene geradezu königlicher Ruhe aufgesetzt und schreitet vor ihnen durch die Innentür, als stiege sie von einem Podium herab. Irgendwie unheilvoll wirkt auch, dass anscheinend die ganze Zeit diese Clenette hier drin war, eine von den Neunmonats-Jobbern von unten am Hügel, die mit den hübschen Augen und dermaßen schwarz, dass sie einen Blauschimmer hat, die Haare glatt gebügelt und hochgesteckt, im üblichen krickentenblauen Hauswarts- Jumpsuit der E. T. A. m i t Reißverschluss, die Tavis' private Messingpapierkörbe in ihren großen Wagen mit den grauen Leinenseiten leert. Wie sie knapp an Hals Starren vorbeistarrt, als sie mit ihrem Wagen an der Innentür wartet, bis HaI und die anderen von Lateral
Innentür wartet, bis HaI und die anderen von Lateral Alice Moore seitwärts hineingeführt worden sind. Der Wagen hat genau wie das Spielleiterwägelchen des armen Otis Lord ein störrisches Rad und scheppert sogar im tiefen Velours, als sie rückwärts an der Vestibülwand entlang an Moore vorbeisteuert. Weder Schtitt ist da noch Delint, aber Pemulis' zischendes Luftholen verrät HaI, dass Dr. Dolores Rusk im Raum sein muss, noch bevor er den Blick von C. T. abwenden kann, der vor angeschwollener Nähe vibrierend auf seinem Seegrasdrehstuhl sitzt und cool eine große Büroklammer fast vollständig zu einer Kardioide oder aber einem schlampigen Kreis gebogen hat: Tavis' fensterlichtbedingter Schattenwurf reicht jetzt am StairBlaster vorbei ganz bis zur rot und grau bezogenen Ottomane an der Ostwand, auf der, na bitte, Rusk sitzt, mit Laufmaschen in den Strümpfen und ausdruckslosem Gesicht. Neben ihr sitzt der arme alte Otis P. Lord, immer noch den Hitachi-Bildschirm über dem Kopf wie die Sturmhaube eines grotesken HightechRitters, zusammengesunken und in Turnschuhen, deren Spitzen einander im blauschwarz karierten Veloursteppich zugewandt sind, die Hände im Schoß, und in den Sockel des Bildschirmgehäuses
aus schwarzem Kunststoff hat jemand zwei zackige Augenlöcher gesägt. Lord weicht Pemulis' Blick aus, und übel aussehende Scherben der gesplitterten Bildschirmscheibe, durch die er gefallen war, zeigen auf - und berühren teilweise fast - seinen dünnen Hals und seine Kehle, weshalb er den Kopf trotz seiner sich hebenden und senkenden Hühnerbrust ganz still halten muss. Die Tagschwester der E. T. A. steht hinter ihm, beugt sich über die Sofalehne, um den Bildschirm sorgfältig auszubalancieren, und zeigt dabei einen Ausschnitt, der HaI wünschen lässt, ein Mensch zu sein, dem so was nicht auffällt. Lords Augen richten sich auf HaI und blinzeln trübselig durch die Löcher, und man hört ihn da drinnen komplex gedämpft schniefen. Pemulis hat es fast geschafft, seine Schuhe exakt in die gewohnten Eindrücke im Büroteppich zu stellen, als sich C. T. drohend von seinem Stuhl zu erheben scheint, ohne aufzustehen, und den letzten Anwesenden - den sauber geschrubbten, jungen, knopfnasigen Urologen im O.N.A.N.T.A.-Blazer, der an der E. T. A. massiv unterfällig ist, im Schatten der offenen Innentür in der Südostecke des Raums sitzt, sodass er von Anfang an hinter ihnen verborgen ist und Axford und HaI Gelegenheit zu dieser
theatralischanklagenden Herumzuckund Kawuschgrimasse gibt -, als Charles Tavis den Urinexperten hinter ihnen anspricht und ganz leise auffordert, doch bitte beide Türen zu schließen. 762
Kap. 42 - VOR UND IN DER MORGENDÄMMERUNG, 1. MAI J.D.I.U. IMMER NOCH EINE FELSNASE NORDWESTLICH VON TUCSON, ARIZONA, USA »Das kannst du nicht sagen, dass das nur für USAmerikaner gilt«, sagte Steeply wieder. »Als ich zur Schule gegangen bin, gab es vor dem Multikulturalismus kein Entrinnen. Wir haben beispielsweise über die Japaner und Indonesier gelesen, dass die so eine mythische Gestalt hätten. Weiß nicht mehr, wie die hieß. Fernöstlicher Mythos. Eine Frau, die mit langen blonden Haaren bedeckt war. Ganz. Von Kopf bis Fuß von Blond bedeckt.« »Dieser Typ passiver Verführung, der teilweise einen empfundenen Mangel zu beinhalten scheint. Eine wahrgenommene Deprivation. Asiaten sind nicht körperlich eine haarige Kultur.« »In diesen multikulturellen fernöstlichen Mythen
stießen unweigerlich junge fernöstliche Männer auf sie, wie sie an einem Wasser saß, sich die Körperhaare kämmte und sang. Und sie schlafen mit ihr. Anscheinend ist sie einfach zu exotisch und fesselnd oder verführerisch, um ihr zu widerstehen. Selbst die jungen fernöstlichen Männer, die die Mythen kennen, können ihr nicht widerstehen, heißt es in den Mythen.« »Und der Intimverkehr verurteilt sie zu lähmender Stasis«, sagte Marathe. Wenn er heute von seinem Vater träumte, liefen sie Schlittschuh, der junge Marathe und M Marathe, in einem offenen Eislaufstadion in St. Remi-d' Amherst, M Marathe stand der Atem vor dem Mund, und sein Schrittmacher bildete eine eckige Ausbuchtung in seiner Strickjacke aus New Brunswick. »Brachte sie meist auf der Stelle um. Die Lust war zu intensiv. Kein Sterblicher kann sie aushalten. Bringt sie um. M-o-r-t-s.« Marathe zog die Nase hoch. »Und die Analogie besteht darin, dass auch die mitspielen, die um die Tödlichkeit von der Lust wissen.« Marathe hustete.
Einige umherschwirrende Insekten hatten multiple Flügelpaare und waren biolumineszent. Sie schienen eifrig beschäftigt, flogen an der Felsnase vorbei und schossen im Zickzackkurs drauflos, unterwegs zu etwas Dringendem. Das Geräusch von ihnen, den Insekten, erinnerte Marathe an das Kartensirren in den Fahrradspeichen eines Jungen mit Beinen. Beide Männer schwiegen. Dies ist die Zeit trügerischer Morgendämmerungen. Die Venus entfernte sich ostwärts von ihnen. Das weichste vorstellbare Licht sickerte in die Wüste, breitete sich auf den eigentümlich gelbbraunen Landstrichen unter ihnen aus und erwärmte den Ring der Nacht direkt unter ihnen. Die Decke über seinem Schoß war von Spelzen und winzigen Samenähren irgendwelcher Spezies bedeckt. In der USamerikanischen Wüste erwachte ein Leben, das größtenteils verborgen blieb. Am amerikanischen Himmel flackerten Sterne wie geschnäuzte Kerzenflammen über einem durchsickernden Glühen v o n niedriger Streuung. Aber nichts vom Erröten eigentlichen Tagesanbruchs. Sowohl das US-amerikanische Büro für Unspezifizierte Dienste als auch les Assassins des
Fauteuils Rollents waren gespannt auf diese Treffen von Marathe und Steeply. Sie erreichten wenig. Dies war ihr sechstes oder siebtes Treffen. Steeply war freiwillig der Verbindungsmann bei Marathes Verrat geworden, trotz der Sprache.222 Die A. F. R. glaubten, Marathe fungiere als Tripelagent, der so tat, als verriete er sein Land um seiner Frau willen, und jede Einzelheit der B. S. S.- Treffen auswendig lernte. Laut Steeply wissen dessen Vorgesetzte im B. S. S. nicht, dass Fortier weiß, dass Steeply weiß, dass er (Fortier) weiß, dass Marathe hier war. St e e p l y ließ seine Vorgesetzten hierüber im Unklaren. Für US-Amerikaner musste es reizvoll sein, seine Vorgesetzten über Petitessen im Unklaren zu lassen, sagte sich Marathe. Außer Steeply täuschte Marathe diesbezüglich. Das wusste Marathe nicht. M Fortier wusste nicht, dass Marathe für sich zu dem Entschluss gekommen war, dass er seine schädeldeprivierte und herzkranke Frau Gertraud Marathe mehr liebte als die separatistische und anti-O.N.A.N.istische Sache der Nation Quebec, was Marathe nicht besser machte als M Rodney »der Gott« Tine. Sollte Fortier davon erfahren, würde er Gertraud verständlicherweise einen Schienennagel durchs knochenlose rechte Auge
Schienennagel durchs knochenlose rechte Auge treiben und sie und Marathe zugleich umbringen. Der wahre Marathe deutete auf den glühenden, aber rosalosen Osten. »Eine trügerische Morgendämmerung.« »Nein«, sagte Steeply, »aber euer eigener frankophoner Mythos von der Odaliske Theresa.« »L'Odalisque de Sainte Therese.« Marathe gab selten der Versuchung nach, Steeply zu korrigieren, dessen schauerliche Aussprache und Syntax er nie so recht einschätzen konnte: Waren sie bewusst irritierend, um ihn aus der Fassung zu bringen, oder nicht? Steeply sagte: »Der multikulturelle Mythos ist, dass die Odaliske so schön ist, dass das Auge keines sterblichen Quebecers sie ertragen kann. Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, verwandelt sich in einen Diamanten oder Edelstein.« »In den meisten Versionen in einen Opal.« »Eine Inversform der Medusa, könnte man sagen.« Beide Männer, in dieser Materie223 gut bewandert, lachten freudlos.
Marathe sagte: »Die Griechen, sie fürchteten die Schönheit nicht. Sie fürchteten die Hässlichkeit. Daher glaube ich, Schönheit und Lust, das waren für die Griechen keine tödlichen Verlockungen.« »Oder quasi eine Kombination aus Medusa und Circe, eure Odaliske«, sagte Steeply. Er rauchte entweder die letzte oder eine der letzten Zigaretten des Päckchens in seiner Handtasche - da der Amerikaner seine Zigarettenstummel gewohnheitsmäßig von der Felsnase warf, hatte Marathe die aufgerauchten Stummel nicht zählen können. Marathe wusste, dass Steeply wusste, dass Zigarettenfilter nicht biologisch abbaubar waren. Zu diesem Zeitpunkt kannten die beiden Männer einander. Ein verborgener Vogel zwitscherte. »Die Wesenheiten im griechischen Mythos konnten auch vom Regen geschwängert und vom Geflügel vergewaltigt werden.« »Und harn wir's nicht zuletzt so herrlich weit gebracht«, sagte Steeply ironisch. »Diese Ironie und diese Verachtung für Selbste. Auch diese gehören zur Versuchung eures US-
amerikanischen Typen, glaube ich.« »Während euer Typ ein Mann des Handeins und der Ziele ist«, sagte Steeply, und Marathe konnte nicht sagen, ob darin Ironie lag oder eher nicht. Der Wüstenboden erhellte sich unmerklich, seine Fläche von der Farbe gegerbten Leders. Die Riesenkakteen reptiHarben. Um die schwarzen Überreste des nächtlichen Freudenfeuers herum wurden jetzt potenziell junge Gestalten in Daunenschlafsäcken von sargiger Gestalt erkennbar. Die Luft roch nach Färberginster. Ein geschmacksneutraler Staubgeruch. Die Schaufellader der Baustelle in der Ferne waren harnfarben und schienen inmitten verschiedenster Aktionen erstarrt. Es war noch kühl. Marathes Zähne bedeckte ein spürbarer Belag, vielleicht eine Staubpaste, besonders die Schneidezähne. Kein Kreissegment der Sonne erschien, und Marathe warf noch keinen Schatten auf den Schiefer hinter ihnen. Remy Marathes Ruhepuls war sehr niedrig: keine Beine, die vom Herzen Blut forderten. Er spürte nur sehr selten Phantomschmerzen und dann nur im linken Stumpf. Alle A. F. R.s haben enorm kräftige Arme, besonders Oberarme. Marathe war
Linkshänder. Steeply hielt seine Zigarette mit der linken Hand, und auf den rechten Arm bettete er den linken Ellenbogen. Marathe wusste allerdings genau, dass Steeply Rechtshänder war. Die kleinen Pusteln der Elektrolyse seiner Außendienstfigur hoben sich jetzt quietschrosa von der Blässe des Gesichts ab, das zugleich aufgedunsen und abgespannt wirkte. Der wolkenlose Himmel über der Rincon-Hügelkette im Osten war vom kränklichen Rosa einer unverheilten Verbrennung. Die ganze unmerklich heller werdende Szene der Landstriche unter ihnen war von einer Reglosigkeit, die an Fotografien erinnerte. Marathe hatte seine Armbanduhr längst in die Windjackentasche gesteckt, um nicht permanent nach der Uhrzeit zu schauen. Steeply genoss die Vorstellung, dass er Länge und Zeitpunkt seiner Konnexionen bestimmte; Marathe ließ ihm den Glauben. Marathe merkte, dass sein vorgebliches Nasehochziehen teilweise dazu diente, Steeply das Brechen eines Schweigens bewusst zu machen. »Du könntest dich kurz hinsetzen, wenn du Müdigkeit hast. Die Schuhriemen ... « Er machte eine flüchtige Geste.
Steeply sah bewusst umständlich hinab und stupste den gelbbraunen Steinstaub mit der Schuhspitze an. »Sieht aus, als gäbe es da Dinger.« »Ich muss bald los.« Marathes Hand zeigte Abdrücke des geriffelten Griffs der Sterling. »Die Nacht in der frischen Luft hat gutgetan. Bald muss ich los.« »Die herumkriechen. Mit dem Kleid überlegt man's sich zweimal, bevor man sich einfach hinpflanzt, wo man grade Lust hat. Womöglich kriechen da '" Dinger an einem hoch.« Er sah zu Marathe hoch. Er sah traurig aus. »Hätt' ich nie gedacht.«
Kap. 43 - 04.50 UHR, 11. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE VERWALTUNGSBÜRO, ENNET HOUSE D.A.R.H., ENFIELD, MAS SACHUS ETTS »Wusste nicht, ob ich in die Hose machen oder drei Kreuze prügeln sollte, als die losging. Und wie der gekuckt hat.« »Ich hab das mal erlebt, da war ich mit n paar Typen, mit denen ich am Abhängen war, in ner Bar in Lowell, und wir sitzen da so mit n paar anderen Typen, den üblichen Schwachmaten aus Lowell, jungen Alkis, die sich grad erst zu Profi-Alkis hochtrinken und eigentlich nur nach der Arbeit n paar kippen wollen und's dann nicht vor der Sperrstunde nach Hause schaffen. Wir stellen einfach n paar Herrengedecke weg, spielen Darts und was weiß ich. Da baggert der eine Typ von uns das Mädchen von so nem Typ an, so nem Max Mustermann, der
mit seiner Freundin da ist, und der von uns sagt so dies und das zu ihr, ist voll am Aufreißen, und ihrem Macker geht das voll auf die Eier, is klar, ne, kann ihm ja keiner verdenken, und schwupps haben sich die beiden in der Wolle. Nun waren wir alle ja mit dem ersten Typ da, quasi als Gruppe, mit dem Typen, der da auf Venusknacker macht bei der Perle, aber er gehört zu uns, zu unserer Gruppe, wir schnappen uns also ihren Macker und schubsen ihn bisschen rum, kennt man ja, sagen ihm, so kann er unserem Jungen nicht kommen, er wird ein bisschen vermöbelt, dope geknallt, nichts Extremes oder Blutiges, wir geben ihm bloß eins auf die Nuss und schmeißen ihn aus der Bar raus und bequatschen seine Ische, mit uns Herrengedecke zu trinken, und der Typ, der sie anfangs angebaggert hat, kriegt sie dazu, dass sie mit uns Strip-Darts spielt, also für Punkte beim Darts zieht sie sich nach und nach aus, was der Kneipier zwar quasi nicht so prickelnd findet, aber die Jungs sind seine Stammkunden, also quasi Familie. Wir sind langsam echt knülle und spielen Strip-Darts.« »Kann's mir lebhaft vorstellen. Hört sich nach ner hübschen Szene an.«
»Nur, als ich dann später bisschen mehr Peilung hatte, hab ich eins geschnallt: In einer Szenekneipe verar- legt man sich nicht mit nem Typen aus der Gegend an, der n Mädchen dabeihat, macht ihn vor seinem Mädchen runter und bleibt dann da, wo's passiert ist, nachdem er weg ist, denn die Art von Typ kommt immer zurück.« »Du hast gelernt abzuhauen.« »Eine halbe Stunde später ist der Typ nämlich wieder da. Mit Ladung. Mit Ladung heißt, er hat ne Wumme dabei, okay?« »Wumme?« »Eine Waffe. Keine große. Muss ne .25er oder so gewesen sein, um den Dreh, aber er kommt da also rein, kommt stracks zur Dartsscheibe und zu dem Mädchen, das nur noch n Slip anhat, zieht die Knarre, sagt kein Wort, geht nur zu dem Typen und j a g t dem, also dem, der sich sein Mädchen geschnappt und ihn runtergemacht hat, und knallt den ab, jagt dem einfach ne Kugel in den Hinterkopf.« »Der Junge hatte nicht mehr alle Nadeln auf der Tanne.« »Na ja, Joelle, er war vor seinem Mädchen runtergemacht worden, und wir sind dageblieben,
und er ist zurückgekommen und hat ihm eine in den Hinterkopf verpasst.« »Ihn totgeschossen.« »Nicht sofort, der ist nicht gleich gestorben. Der negativste Teil ist das, was wir dann gemacht haben. Wir alle, die zu dem Typen gehörten, der die Kugel abgekriegt hatte. Wir hatten da schon alle ziemlich die Lampen an. Ich weiß noch, dass das irgendwie unwirklich schien. Der Kneipier ruft sofort die Polente, der Typ lässt die Wumme fallen, der Kneipier schnappt ihn sich und hält ihn mit der Kneipenknarre in Schach, ruft die Polente und bugsiert den hinter die Theke, hauptsächlich wohl, damit wir ihm nicht auf der Stelle die Karte umdekorieren, von wegen das kriegt der wieder. Zu dem Zeitpunkt sind wir alle strack wie Harry. Das Mädchen hatte Blut die ganze Seite vom Slip runter. Und unser Junge hier hat ne Kugel im Kopf, der Typ hat ihm seitlich in den Hinterkopf geballert, und überall ist Blut. Man glaubt vielleicht immer, die Leute würden so quasi gleichmäßig bluten. Aber richtiges Bluten kommt mit dem Puls, falls du das nicht wusstest. Das spritzt raus, hört auf und spritzt dann wieder raus.«
»Das brauchst du mir nicht zu erzählen.« »Na, ich kenn dich schließlich nicht, oder, Joelle? Ich weiß nicht, was du schon so gesehen hast oder weißt.« »Ich war mal mit meinem Vater hinten am Cumberland angeln, und da hab ich gesehen, wie sich ein alter Mann, der da mit einer Kettensäge das Gestrüpp gestutzt hat, die Hand abgesägt hat. Wäre glatt an Ort und Stelle verblutet. Mein Daddy musste seinen Gürtel nehmen. Bevor er ihn abbinden konnte, kam das Blut auch so raus, mit dem Puls. Mein Daddy hat ihn mit dem Wagen ins Krankenhaus gebracht. Muss ihm quasi das Leben gerettet haben. Er hatte so eine Ausbildung. Er konnte Leuten auf die Weise das Leben retten.« »Ich sag dir, was mir heute noch zu schaffen macht, ist, wir waren so blau, wir haben die Sache gar nicht ernst genommen, weil, wenn ich betrunken war, war alles irgendwie nur noch wie im Film. Ich wünsch mir heute noch, wir hätten dran gedacht, ihn sofort ins Krankenhaus zu fahren. Wir hätten ja mit ihm hinrasen können. Er war da noch nicht tot, auch wenn er nicht gut aussah. Wir haben ihn nicht mal hingelegt, wir hatten diese Schnapsidee, also einer
der Typen hat ihn rumgeführt. Wir sind abwechselnd mit ihm im Kreis gegangen, als hätte er ne Überdosis, haben uns gesagt, wenn wir ihn am Laufen halten können, bis der Krankenwagen kommt, schafft er's. Am Ende haben wir ihn nur noch geschleppt, da war er dann wohl tot. Alle Mann voller Blut. Die Waffe war bloß ne alte .25er. Die Leute haben auf uns eingebrüllt, wir sollten mit ihm ins Krankenhaus rasen, aber wir hatten diese fixe Idee mit dem Rumführen, wollten ihn aufrecht halten und mit ihm im Kreis gehen, und das Mädchen kreischt und versucht, seine Strümpfe anzuziehen, und wir brüllen den Typ an, der auf ihn geschossen hatte, wir würden ihm die Karte demolieren und so weiter und so fort, bis der Kneipier einen Krankenwagen gerufen hatte und der kam und er mausetot war.« »Gately, das ist ja fürchterlich.« »Warum bist du eigentlich auf, du musst doch nicht zur Arbeit.« » ... « » ... « »Ich mag es, wenn es so richtig früh schneit. Und das hier ist das beste Fenster. Aber du hast deine Lektion gelernt.«
»Er hieß Chuck oder Chick. Der, der da erschossen wurde.« »Hast du gehört, was dieser McDade beim Abendessen erzählt hat? Ich mein, dass bei manchen Leuten das eine Bein kürzer ist als das andere?« »Bei dem Geseier von den Typen hör ich gar nicht zu.« »Das war am andern Tischende. Er hat Ken und mir erzählt, er hätte eine Psychologin gehabt, als er im Jugendknast in Jamaica Plain war, hätte er eine Psychologin gehabt, sagt er, bei der jedes Bein kürzer war als das andere.« » ... « » ... « »Ich glaube, ich kann dir nicht ganz folgen, Joelle.« »Jedes Bein dieser Frau war kürzer als das andere.« »Wenn das eine Bein kürzer ist als das andere, wie kann das andere dann kürzer sein als das eine?« »Er hat uns auf den Arm genommen. Hat gesagt, das wäre so eine AA-Kiste, die wäre paradox und ließe sich nicht erklären, und man müsste sie einfach glauben. Dieser komische Randy mit der weißen
Perücke hat ihm den Rücken gestärkt, ohne eine Miene zu verziehen. McDade hat gesagt, die hätte einen Gang wie ein Metronom gehabt. Er hat sich über uns lustig gemacht, aber ich fand's auch lustig.« »Dann erzähl mir doch mal von deinem Schleier da, Joelle, wenn wir schon bei Paradoxa sind.« »Gaaanz weit zur einen Seite. Und dann gaaanz weit zur anderen Seite.« »Echt. Komm, wir konnektieren richtig, wenn du schon hier bist. Was hat das mit dem Schleier auf sich?« »Brautsache.« » ... « »will Muslima werden.« »Ich wollte nicht schnüffeln. Sag's ruhig, wenn du nicht über den Schleier sprechen möchtest.« »Ich bin noch in einer anderen Gemeinschaft, seit fast vier Jahren.« »L.A.RV.E.« »Das ist die Liga der Absolut Rüde Verunstalteten und Entstellten. Der Schleier ist eine Art Gemeinschaftsschabracke.« »Wieso, wird da was
abgeschabt?« »Wir tragen alle einen. Fast alle, jedenfalls die, die länger dabei sind.« »Aber warum bist du überhaupt dabei, wenn ich fragen darf? In der L.A.R.VE.? Inwiefern bist du denn entstellt? Da ist nichts, was auffallen würde, soweit ich das sehe. Bist du quasi, ich meine, fehlt da was? « »Es gibt eine kleine Zeremonie. Ein bisschen wie das Ausgeben der Chips bei den Lieber-spät-als-nieTreffen. Für verschieden langes Dabeisein. Die neuen L.A.RV.E.n stehen auf und empfangen den Schleier und legen ihn an und stehen da und deklamieren, dass der Schleier, den sie angelegt haben, ein Urbild und ein Symbol ist und dass sie sich aus freiem Willen entscheiden, ihn immer zu tragen Eile mit Weile - im Licht wie im Dunkel, allein wie unter den Blicken anderer und wie vor Fremden so auch vor guten Freunden, sogar Daddys. Dass kein Auge eines Sterblichen ihn je abgenommen sehen soll. Dass sie hiermit öffentlich erklären, dass sie ihre Sichtbarkeit zu verstecken wünschen. Zitat Ende.« » ... «
»Ich hab einen Mitgliedsausweis, da steht alles drauf, wenn du noch mehr wissen möchtest.« »Nur dass ich Pat und Tommy S. schon gefragt habe, aber was ich trotzdem nicht raffe, ist, warum einer Gemeinschaft beitreten, bloß um sich zu verstecken? Ich versteh das ja, wenn man quasi also: scheußlich aussieht -, und man hat sich das ganze Leben lang im Dunkel versteckt, und man möchte hereinkommen und einer Gemeinschaft beitreten, wo alle gleich sind und sich identifizieren können, weil sie sich auch ein Leben lang versteckt haben, aber man geht doch in eine Gemeinschaft, damit man aus dem Dunkel heraustreten und in die Gruppe eintreten kann und sich fallenlassen kann und sich schließlich auch mit nur einem Auge oder drei Ti-Armen oder weiß der Geier was zeigen kann und von Menschen angenommen wird, die genau wissen, wie das ist, und quasi, bei den AA sagt man, sie lieben einen, bis man sich quasi selbst lieben kann, sich annehmen kann, und es einem egal geworden ist, was die Leute sehen oder von einem denken, und dann kann man aus dem Käfig treten und das Versteckspiel aufgeben.« »Das ist AA?«
»Irgendwie schon, jedenfalls ein bisschen, glaub ich.« »Nun, Mr Gately, die Leute kapieren an rüde Verunstalteten und Entstellten nie, dass der Drang, sich zu verstecken, von einem unendlichen Schamgefühl ob des Drangs motiviert wird, sich zu verstecken. Man ist bei einer studentischen Weinverkostung und verunstaltet und entstellt und das Ziel von Blicken, die die Leute kaschieren wollen, weil ihr Starrwunsch ihnen peinlich ist, und man wünscht sich nichts sehnlicher, als sich vor dem verstohlenen Starren zu verstecken, den Unterschied zu verwischen, unters Tischtuch zu kriechen oder das Gesicht unter den Arm zu stecken oder vom Himmel einen Stromausfall zu erflehen, einfach damit sich eine extrem befreiende und gleichmachende Dunkelheit herabsenken möge, in der man nur noch eine Stimme unter anderen wäre, unsichtbar, gleich, nicht verschieden, versteckt.« »Ist das so wie diese Sache, über die die gesprochen haben, wo die Leute es hassten, ihr Gesicht auf Videophonen zu sehen?« »Aber du bist immer noch ein menschliches Wesen, Don, du willst immer noch leben, du lechzt nach
Kontakten und Gesellschaft, du weißt verstandesmäßig, dass du bloß wegen deines Aussehens Kontakte und Gesellschaft nicht weniger verdient hast als jeder andere, du weißt, wenn du dich aus Angst vor den Blicken verstecken willst, gibst du einer Scham nach, die du nicht nötig hättest und die dir das Leben verwehrt, das du genauso verdient hast wie jedes andere Mädchen, du weißt, dass du an deinem Aussehen nun einmal nichts ändern kannst, du weißt aber auch, dass von dir erwartet wird, deine Ei nstel l ung zu deinem Aussehen zu beeinflussen. Man erwartet von dir genug Stärke, um deinen Wunsch, dich zu verstecken, kontrollieren zu können, und du sehnst dich so verzweifelt nach diesem Gefühl der Kontrolle, dass du dich mit dem Schei n von Kontrolle begnügst.« »Du bekommst eine andere Stimme, wenn du über diesen ganzen Scheiß redest.« »Und dann versteckst du dein tiefes Bedürfnis, dich zu verstecken, und zwar aus dem Bedürfnis heraus, anderen Leuten gegenüber den Anschei n zu erwecken, du hättest die Stärke, dir keine Gedanken darum zu machen, welchen Anschein du anderen
Leuten gegenüber erweckst. Du schiebst dein scheußliches Gesicht da voll in den optischen Fleischwolf der Weinverkostungsbagage, setzt ein Lächeln bis zu den Ohrläppchen auf, streckst die Hand aus und bist extra kontaktfreudig und extravertiert und bemühst dich um den Anschein, die mimischen Anstrengungen der anderen nicht mitzubekommen, die versuchen, nicht zurückzuschrecken oder zu starren oder sich anmerken zu lassen, dass sie sehen, dass du rüde verunstaltet und entstellt bist. Du simulierst die Akzeptanz deiner Entstellung. Du nimmst deinen Wunsch, dich zu verstecken, und verbirgst ihn unter einer Maske der Akzeptanz.« »Geht das kürzer?« »Kurz, du versteckst dein Verstecken. Und das machst du aus Scham, Don: Du schämst dich der Tatsache, dass du dich vor den Blicken verstecken möchtest. Du schämst dich deines unkontrollierbaren Verlangens nach Schatten. Die erste Stufe bei der L.A.R.VE. ist das Eingeständnis der Machtlosigkeit angesichts des Bedürfnisses, sich zu verstecken. Die L.A.R.VE. erlaubt ihren Mitgliedern, zu ihrem grundlegenden Bedürfnis nach Verborgenheit zu
stehen. Anders gesagt, wir legen den Schleier an. Wir legen den Schleier an, tragen ihn voller Stolz und üben den aufrechten Gang, wo immer wir wollen, verschleiert und versteckt, aber jetzt absolut freimütig und nicht beschämt ob der Tatsache, dass wir auf den Anschein, den wir bei anderen erwecken, zutiefst sensibel reagieren, ob der Tatsache, dass wir vor aller Sichtbarkeit bewahrt werden wollen. Die L.A.R.VE. hilft uns bei der Entscheidung, uns in aller Öffentlichkeit zu verstecken.« »Ich finde, du bewegst dich beim Reden von einer Redeweise zur anderen. Manchmal hab ich das Gefühl, du möchtest gar nicht, dass ich dir folgen kann.« »Weißt du, ich hab ein brandneues Leben, frisch aus der Verpackung, das passt halt noch nicht ganz, das sagt ihr doch alle.« »Sie bringen dir also bei, deine Nichtakzeptanz zu akzeptieren, in dem Verband, ja?« »Du konntest sehr wohl folgen. Du brauchtest das gar nicht kürzer. Wenn ich mal so sagen darf, ich glaub, du glaubst, dass du nicht plietsch bist, aber das bist du gar nicht.« » Nicht plietsch?«
»Ich hab mich schlecht ausgedrückt. Du bist nicht nicht plietsch. Mit anderen Worten, deine Annahme ist falsch, du hättest ein karg möbliertes Oberstübchen.« »Dann siehst du bei mir also, kaum dass du quasi drei Tage hier bist, ein Problem des Selbstwertgefühls. Ich habe ein niedriges Selbstwertgefühl, weil ich das Gefühl habe, ich bin für manche Leute nicht plietsch genug.« »Bei der L.A.R.VE. würde man jetzt sagen, das ist das perfekte Beispiel, um den Ansatz der L.A.R.VE. von einem zu unterscheiden, der vielleicht mehr der der AA wäre. Bei der L.A.R.VE. würde man sagen, es geht in Ordnung, sich unzulänglich zu fühlen und zu schämen, weil man nicht so plietsch ist wie andere, aber dass es ein annularer und tückischer Teufelskreis wird, wenn du anfängst, dich zu schämen, weil du dich deiner Unplietschigkeit schämst, wenn du die Tatsache verstecken willst, dass du dich geistig unzulänglich fühlst, und anfängst, überall Witze über deine Doofheit zu reißen, dich aufführst, als wär dir das völlig schnuppe, und so tust, als wär es dir egal, ob dich die anderen für unplietsch halten oder nicht.«
»Wenn ich dir dabei folgen will, krieg ich Kopfschmerzen.« »Na, du warst ja auch die ganze Nacht auf.« »Und jetzt muss ich zu meinem anderen Scheißjob.« »Du bist weit plietscher, als du glaubst, Don G., allerdings fürchte ich, dass nichts, was ein anderer sagt, an der angeknabberten, verwilderten Stelle ankommt, wo du dich für langsam und doof hältst.« »Und warum glaubst du, ich halte mich für unplietsch, außer es ist, außer du meinst, dass es für jedermann offensichtlich ist, dass ich nicht plietsch bin.« »Ich wollte nicht schnüffeln. Sag's ruhig, wenn du darüber nicht mit jemandem sprechen möchtest, den du kaum kennst.« »Jetzt wirst du sarkastisch, weil ich das vorhin gesagt hab.« » ... « »In der Zehnten bin ich beim Football raus geflogen, weil ich in Englisch durchgerasselt war.« »Du hast American Football gespielt?« »Ich war ganz gut, bis ich rausgeflogen bin. Ich hab
Nachhilfe bekommen, trotzdem bin ich durchgerasselt.« »Ich hab in der Halbzeit den Tambourstock geschwungen. Bin dafür extra sechs Sommer in Folge in so ein Lager gefahren.« » ... « »Aber für viele Formen des Selbsthasses gibt es keinen Schleier. Die L.A.R.VE. hat viele von uns Dankbarkeit dafür gelehrt, dass es wenigstens für unser Aussehen einen Schleier gibt.« »Der Schleier ist also ein Mittel, es nicht zu verstecken.« »Es offen zu verstecken, um gen au zu sein.« » ... « »Ich merk schon, die Tagesordnung, von der Droge wegzukommen, also bei den AA und NA jetzt, sieht ganz anders aus.« »Darf ich fragen, wie du entstellt bist?« »Am besten ist es, wenn die Sonne direkt durch den Schnee aufgeht und alles so weiß aussieht.« » ... « »Jetzt hätt ich fast vergessen, warum ich eigentlich
hergekommen war, aber diese Kate hat gesagt, Ken E. wäre gestern Abend von irgend so nem Arschgesicht beim NA-Kreis in Waltham quasi fast umgebracht worden, und sie wollten, dass jemand Johnette sagt, sie soll sie nicht zwingen, da wieder hinzugehen, wenn sie nicht wollen.« » ... « » ... « »Erstens, Kate und Ken können selbst mit Johnette reden, da muss ich mich nicht einmischen, und du musst dich da auch nicht einmischen und sonst wen retten. Zweitens, du redest jetzt auf einmal wieder ganz anders, und als du über den Schleier gesprochen hast, hast du gar nicht wie du geklungen. Und drittens, glaub ja nicht, ich hätt das nicht gemerkt, wie du plötzlich abgelenkt hast, als ich gefragt hab, ob ich fragen darf, welche Entstellung du nicht versteckst, wenn du dich unter dem Ding da versteckst. Als Mitglied vom Personal würd ich jetzt sagen, wenn du nicht antworten möchtest, dann sag das doch einfach, aber glaub ja nicht, du kannst mich ablenken, und irgendwann vergess ich, dass ich gefragt hab.« »Die L.A.R.VE. in mir würde jetzt umgekehrt sagen,
du steckst fest, weil du dich deiner Scham schämst, und dieser Teufelskreis der Scham hält dich davon ab, bei deinem Job hier richtig da zu sein, Don. Dich fuchst die Möglichkeit, dass ich dich als unplietsch und ablenkbar behandle, mehr als die, dass eine Insassin unfähig ist, ihre Blockaden runterzufahren und bei einer Frage, die unglaublich privat ist und nichts mit Drogen zu tun hat, offen ihr Recht auf Antwortverweigerung wahrzunehmen.« »Und schon redet sie wieder wie eine beschissene Englischlehrerin. Aber lassen wir das. Darum geht's nicht. Schau dir an, wie du unser Gespräch schon wieder auf Scham und mich zurückbringen willst, statt meine Frage, ob du mir sagen willst, was hinter dem Schleier da fehlt, mit Ja oder Nein zu beantworten.« »Oh, du verstehst dich aufs Versteckspiel, Mr G., du bist gut. Kaum stochern wir in Minderwertigkeiten herum, deren du dich schämst, schon geht der Schutzschild vom Hauspersonal runter, und du stocherst in Zonen herum, obwohl du inzwischen weißt - schließlich hab' ich dir gerade alles über die L.A.RV.E.-Philosophie des Versteckens erzählt -, dass ich mich da nicht zur
Offenheit überwinden kann, sodass dein Minderwertigkeitskomplex entweder vergraben wird oder nur als Kulissenbeleuchtung meiner Unfähigkeit zu Offenheit und Ehrlichkeit dient. Angriff ist die beste Verteidigung, nicht wahr, Mr Footballspieler ? « »Zeit fürs Aspirin, nach so viel Wörtern. Du hast gewonnen. Schau dir woanders an, wie's schneit.« »Mr Personal, die Sache ist doch, ich habe bereits im Höchstmaß meine Befindlichkeiten artikuliert und stehe dir gegenüber zu meiner Scham und meiner Unfähigkeit, offen und ehrlich mit ihr umzugehen. Du entlarvst hier etwas, das ich längst enthüllt habe. Deine Scham darüber, dich deines befürchteten Mangels an Plietschheit zu schämen, soll begraben werden unter dem toten Gaul meiner Entstellung, dem du gerade die Sporen geben willst.« »Und dabei hast du die ganze Zeit noch kein offenes und ehrliches Ja oder Nein auf meine Frage herausgebracht, ob ich fragen darf, was dahinter los ist, ob du schielst oder einen Bart hast oder vielleicht total schlimme Haut, obwohl deine Haut überall da, wo man sie sehen kann, aussieht-« »Wie aussieht? Wie sieht meine unversteckte Haut aus?«
»Siehst du, schon wieder so ein Ablenkungsmanöver, statt einfach Nein zu sagen, wenn ich eben nicht fragen soll. Sag einfach Nein. Versuch's mal. Ist gar nicht so schwer. Da passiert schon nichts. Probier's einfach mal aus.« »Perfekt. Du wolltest sagen, jedes sichtbare Fleckchen meiner Haut sei einfach sensationell überwältigend perfekt.« »Herrgott, was mach ich hier eigentlich? Konnektier doch mit dir selber, wenn du eh glaubst, du kennst all meine Probleme und meine ganze Scham und alles, was ich sagen will. Warum nimmst du den Vorschlag nicht an, Nein zu sagen? Warum kommst du überhaupt her? Bin ich vielleicht zu dir gekommen, weil ich reden musste? Hab ich nicht hier gesessen und versucht, wach zu bleiben, alles ins Übergabebuch einzutragen, und mich für das Scheißewischen mit einem Schuh-Freak fertig gemacht, und bist dann nicht vielleicht du reingewalzt gekommen und wolltest sitzen und mit mir reden?« »Don, ich bin vollkommen. Ich bin dermaßen schön, dass ich jeden fühlenden Menschen ganz einfach um den Verstand bringe. Sobald man mich gesehen hat,
kann man an nichts anderes mehr denken, will man nichts anderes mehr sehen, vernachlässigt man seine sonstigen Verpflichtungen und redet sich ein, wenn man nur jederzeit mich um sich haben könnte, würde alles gut. Alles. Als wäre ich die Antwort auf das sabberndste Bedürfnis, mit der Vollkommenheit auf Tuchfühlung zu gehen.« »Und jetzt dieser Sarkasmus.« »Ich bin so schön, dass ich entstellt bin.« »Und jetzt dieses respektlose Ausagieren von wegen Der- Typist-echt-zu-blöd, weil er sie dazu bringen wollte, mit ihren Ängsten umzugehen und offen und ehrlich mit Nein zu antworten, wozu sie nicht bereit ist.« »Ich bin vor Schönheit entstellt.« »Möchtest du meine professionelle Personalmiene sehen? Hier hast du sie. Ich nicke und lächle, ich behandle dich als einen Menschen, den ich mit Geduld ertragen muss, mit Nicken und Lächeln, und hinter dieser Miene zeig ich einen Vogel: Mann, was für ne Dumpfdrossel. Wo ist der Kescher?« »Glaub doch, was du willst. Ich weiß, dass ich das, was du glaubst, nicht beeinflussen kann.«
»Siehst du, wie der professionelle Personalangehörige ins MedikamentenÜbergabebuch schreibt: »Sechs extra starke Aspirin für den Diensthabenden nach Sarkasmus und ablenkenden Weigerungen, mit Ängsten umzugehen, und sarkastischem Ausagieren des Neuzugangs, der glaubt, er kennt jedermanns Probleme.(« »Auf welcher Position hast du denn gespielt?« ». .. dass sich der Diensthabende bloß wundert, warum sie hier überhaupt in Behandlung ist, wenn sie doch schon alles weiß.«
Kap. 44 - O In Ennet House spricht sich langsam herum, dass Randy Lenz seine eigene dunkle Methode gefunden hat, um mit den wohlbekannten Wut- und Machtlosigkeitsproblemen klarzukommen, die in den ersten Monaten der Abstinenz jeden Drogensüchtigen heimsuchen. Die abendlichen AA- bzw. NA-Treffen sind gegen 21.30 Uhr oder 22.00 Uhr zu Ende, Sperrstunde ist aber erst um 23.30 Uhr, und die meisten EnnetInsassen bilden für den Rückweg Fahrgemeinschaften mit den Insassen, die eigene Wagen haben; manche besorgen sich auch noch per Auto massive Einheiten Eiscreme und Kaffee. Lenz gehört zu denen mit Auto, er hat einen mächtig aufgepeppten weißen alten Duster, der aussieht, als hätten die Radkappen Rostschüsse Kaliber 12 abbekommen, mit überbreiten Hinterrädern und einem Motor, der so nach eingebauter Vorfahrt klingt, dass es einem kleinen Wunder gleichkommt, dass Lenz noch seinen Führerschein hat.
Lenz setzt seine Loafer erst nach Sonnenuntergang vor die Tür von Ennet House und auch dann nur mit weißem Toupet, Schnurrbart und wehendem Mantel mit hochgeklapptem Kragen, er geht nur zu den obligatorischen Abendtreffen, und zu denen fährt er nie mit dem eigenen Wagen. Er trampt immer mit anderen mit und sorgt in deren Wagen für zusätzliche Enge. Und dann muss er aus unerfindlichen Gründen immer auf dem nördlichsten Platz im Auto sitzen, hat vorher mit Serviette und Kompass trassiert, in welche Haupthimmelsrichtung die abendliche Fahrt geht, und dann berechnet, auf welchem Platz er die meiste Zeit am nördlichsten sitzen kann. Für Gately und Johnette Foltz gehört es inzwischen zur abendlichen Routine, den anderen Insassen zu erklären, dass sie im Umgang mit Lenz wertvolle Geduld und Toleranz erlernen können. Wenn das Treffen sie dann aber entlassen hat, fährt Lenz nie mit einem von ihnen zurück. Von den Treffen geht er immer zu Fuß ins House. Er sagt, er braucht die frische Luft, wenn er den ganzen Tag im überfüllten House verbracht und, versteckt vor beiden Seiten des Gesetzes, Türen und Fenster gemieden hat.
Und dann braucht er eines Mittwochs nach einem AA- Treffen der Brookline Young People die Beacon hoch bei Chestnut Hill glatt bis 23.29 nach Hause, fast zwei Stunden, obwohl man nicht länger als eine halbe Stunde läuft und selbst Burt F. Smith es im September in nicht mal einer Stunde geschafft hat; Lenz kommt gerade rechtzeitig vor der Sperrstunde und zieht sich, ohne mit jemandem ein Wort zu wechseln, sofort in das Dreierzimmer zurück, das er sich mit Glynn und Day teilt, der Polomantel weht, aus der gepuderten Perücke staubt Puder, er schwitzt und macht mit seinen Edelschuhen beim Hochhasten auf der teppichlosen Treppe der Männerseite einen inakzeptablen Heidenkrach, wegen dem Gately bloß nicht hochgehen und ihn zur Rede stellen kann, weil er noch mit Bruce Green und Amy J. zu tun hat, die beide unabhängig voneinander die Sperrstunde verpasst haben. Lenz in der städtischen Nacht unterwegs, allein, praktisch jeden Abend, manchmal mit einem Buch dabei. Insassen, die Wert darauf legen, viel allein unterwegs zu sein, werden bei den Gesamtpersonalbesprechungen in Pats Büro am
Donnerstag als eindeutige Rückfallrisiken rot ausgeflaggt. Aber Lenz ist fünf Urintests unterzogen worden, und bei den drei Gelegenheiten, wo das Labor die E.M.I.T.-Analyse nicht verbockt hat, ist sein Urin als sauber zurückgekommen. Letzten Endes hat Gately entschieden, Lenz in Ruhe zu lassen. Warum soll das höhere Wesen mancher Neuankömmlinge nicht die Natur, der Himmel, die Sterne oder die Herbstluft mit ihrem Beigeschmack kalter Pennys sein, wer will das schon beurteilen? Lenz also nachts allein unterwegs, unbegleitet und verkleidet, scheinbar am Spazierengehen. Hat das schiefe Gittermuster der Straßen bei EnfieldBrighton-Allston geschafft. South Cambridge, East Newton, North Brookline und den schrecklichen Spur. In der Regel hält er sich auf dem Rückweg von Treffen a n Nebenstraßen. Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus, übersät von Müllcontainern, Auffahrten zu Wohnblöcken, die zu Gassen werden, sandige Durchgänge hinter Läden, Müllcontainern, Lagerhäusern, Ladeschleusen und schlitzenmäßigen Hangars der Imperialen Müll-Entsorgung usw. Seine Loafer glänzen mordsmäßig und geben ein elegantes Tänzerklacken von sich, während er mit
den Händen in den Hosentaschen und offenem, weit flatterndem Mantel dahinschlendert und die Gegend sondiert. Abendelang inspiziert er seine Umgebung bloß, bevor ihm auch nur ansatzweise aufgeht, warum oder wonach er eigentlich Ausschau hält.224 Allabendlich begegnet er dem tierischen Gelichter d e r Großstadt. Ausgesetzte Hauskatzen und hartgesottene Streuner tauchen aus Schatten auf und wieder ein, wühlen in Müllcontainern, paaren und balgen sich mit teuflischem Lärm all um ihn her, während er mit geschärften Sinnen die heruntergekommene Nacht durchstreift. Er trifft auf Ratten, Mäuse und Straßenköter mit hechelnden Zungen und vorstehenden Rippen. Gelegentlich auch mal auf einen verirrten Wildhamster und/oder Waschbären. Nach Sonnenuntergang alle geschmeidig und verstohlen. Nichtstraßenköter reißen an den Ketten, kläffen oder stürzen an den Zaun, wenn er an Gärten mit Hunden vorbeikommt. Am liebsten geht er nach Norden, wechselt aber auch nach Osten oder Westen auf die besseren Straßenseiten. Das Geklacker seiner edlen Schuhe eilt ihm auf unterschiedlichem Betonbelag mehrere hundert
Meter voraus. B e i Drainagerohren sieht er manchmal große Ratten oder manchmal bei katzenfreien Müllcontainern. Das Erste, was er bewusst erledigte, war eine Ratte, dieses eine Mal, als er in einer breiten westöstlich verlaufenden Gasse an der Ladeschleuse hinter der Svelte N ail Company gleich östlich von Watertown auf der N. Harvard Street auf ein paar Ratten stieß. Welcher Abend war das noch gleich. Da war er aus East Watertown zurückgekommen, also von der Mehr wird sich zeigen-NA-Gruppe mit Glynn und Diehl und nicht von der Lieber spät als nie der AA im Sr. E. mit dem Rest der Hausrneute, also an einem Montag. An einem Montagabend war er also durch diese eine Gasse spaziert, der Hall seiner Schritte war von den Betonladeschleusen und den Nordmauern, an die er sich zu seiner Linken drückte, verdreifacht zurückgeworfen worden, und er hielt Ausschau, ohne zu wissen, wonach. Vor ihm befand sich ein Müllcontainer der Svelte Co, ein Stegosaurus im Vergleich zu den flacheren und schlankeren 1. M. E.Containern. Aus dem Schatten des Müllcontainers drangen raschelnde Schleichgeräusche, die ihm
aber nicht aufgefallen waren. Der Straßenbelag bröckelte, und Lenz unterbrach kaum den Takt seines tänzerischen Schreitens, als er einen gut kilo schweren Betonbrocken mit Teerspuren aufhob. Es waren Ratten. Zwei fette Ratten fraßen an einer halben Bockwurst auf dem senfigen Pappteller eines Imbissstands in einer Lücke zwischen der Nordmauer und dem Absetzkipperhaken vom Müllcontainer. Ihre scheußlichen rosaroten Schwänze zuckten ins Zwielicht der Gasse. Die Ratten wichen kaum von der Stelle, als Randy Lenz auf den Zehenspitzen seiner Loafer an sie heranschlich. Ihre Schwänze waren fleischig und kahl und zuckten quasi hin und her, zuckten ins gelbe Zwielicht und wieder hinaus. Der große Brocken landete mit der flachen Seite auf dem meisten von der einen Ratte und einem bisschen von der anderen. Ein fürchterliches Schnatterquietschen war die Folge gewesen, aber der größere Treffer auf d e r einen Ratte hatte auch ein sehr solides und vielsagendes Geräusch erzeugt, die akustische Kombination einer gegen eine Wand geworfenen Tomate und einer mit einem Hammer zertrümmerten Taschenuhr. Aus dem Anus der Ratte trat Substanz a u s . Die Ratte lag auf eine medizinisch Böses
verheißende Weise auf der Seite, der Schwanz zuckte, und die Anussubstanz, und auf dem Schnurrbart waren Blutperlen, die im Licht der Natriumsicherheitslampen oben am Dach der Svelte N ail Co. schwarz aussahen. Ihre Flanken bebten; die Hinterbeine bewegten sich, als liefe sie, aber diese Ratte lief nirgends mehr hin. Die andere Ratte w a r unter dem Müllcontainer verschwunden und hatte das Hinterteil nachgezogen. Überall lagen weitere Brocken aufgebrochenen Straßenbelags. Als Lenz noch einen davon auf den Rattenkopf niedersausen ließ, wurde ihm bewusst, was er in Augenblicken der Problemlösung gern sagte: »Da.« Rattenentkartungen wurden in den ersten Wochen des Nachhausegehens durch die schädlingsbefallene Dunkelheit Lenz' Methode, mit inneren Problemen fertig zu werden. Don Gately, Koch und Einkäufer vom House, kauft diese großen Sparpackungen Hefty225-Beutel, die unter der Küchenspüle verwahrt und von jedem benutzt werden, der als Wochenhausarbeit »Müll« zugeteilt bekommen hat. In Ennet House fällt viel Abfall an. Als Schädlinge dann langsam langweilig und reizlos
geworden sind, fängt Lenz an, einen Hefty-Beutel aus dem Stauraum unter der Spüle zu mopsen, nimmt ihn zu den Treffen mit und geht damit wieder nach Hause. In einer Innentasche seines Mantels, einem sich bauschenden Lauren-Polo-Modell mit Stehkragen, den er sehr mag und täglich mit einem Fusselroller reinigt, hat er einen säuberlich zusammengefalteten Müllbeutel. Außerdem nimmt er in einer anderen Tasche etwas von dem von der Bostoner Food Bank gespendeten Thunfisch in einem verschließbaren Plastikbeutel mit, das jeder normale Drogensüchtige so zu einem Zylinder zusammenzurollen versteht, dass der Inhalt sicher und geruchsfrei verstaut ist. Bei den Ennet- House- Insassen - sogar bei McDade - heißen Hefty-Beutel »Irenkoffer« - das ist ein Kolloquialismus. Randy Lenz fand heraus, dass er mit hingehaltenem Thunfisch eine Stadtkatze nah genug heranlocken konnte, um ihr einen Hefty-Beutel überzustülpen und sie am Hinterteil zu packen, sodass die Katze oben in der Luft unten im Beutel war, und dann konnte er den Beutel mit einem von den Verschlussdrähten verschließen, die der Großpackung beilagen. Den
verschlossenen Beutel stellte er dann nahe dem jeweils nördlichsten Gebäude, Zaun oder Müllcontainer ab, steckte sich ein Rettchen an, hockte sich an die Wand und verfolgte die ungeheure Vielzahl an Formwandlungen, die der Beutel durchmachte, während der angstgequälten Katze die Luft knapp wurde. Nach einer Minute wurden die Formwechsel immer heftiger, verzerrter und bodenferner. Hatten die Verformungen ein Ende gefunden, löschte Lenz die Zigarette mit einem bespuckten Finger, um den Rest für später aufzuheben, stand auf, löste den Verschlussdraht, sah in den Beutel und machte: »Da.« Lenz hatte das Gefühl, das »Da« sei entscheidend für die Brisanz, den Abschluss und die Lösung von Fragen ohnmächtigen Zorns und hilfloser Angst, die sich in ihm aufstauten, wenn er den ganzen Tag in den nordöstlichen Bereichen des verwahrlosten RehaZentrums eingesperrt war und um sein Leben bangte. Für Lenz bildete sich eine Art Sportler- Hierarchie von Katzentypen und Milieus freilaufender Katzen heraus; er wurde ein Katzenconnaisseur, so wie ein Hochseefischer die Fischarten benennen kann, die
am wütendsten und spannendsten um ihr maritimes Leben kämpfen. Die besten und lebenswütigsten Katzen bahnten sich in der Regel allerdings mit den Krallen einen Ausweg aus dem Hefty-Beutel, was Lenz in den Widerspruch verwickelte, dass die sehenswertesten Beutelformen womöglich jene waren, die Lenz gerade nicht bei der Lösung seiner Probleme halfen. Wenn er zusah, wie eine noch halb in einen Plastikbeutel verwickelte Katze fauchend und mit gesträubtem Fell davonrannte, bewunderte er den Kampfgeist des Tiers, hatte aber das Gefühl, mit ungelösten Problemen zurückzubleiben. In der nächsten Phase gibt Lenz also Ms Charlotte Treat oder Ms Hester Thrale ein paar von seinen eigenen $, wenn sie zum Palace Spa oder FatheriSon runterfahren, um Fluppen oder Life Savers zu kaufen, und bittet sie, ihm spezielle Hefty SteelSak226-Müllsäcke mitzubringen, faserverstärkt für besonders scharfen oder unkooperativen Abfall, von Ken E. als »Iren-Guccis« bezeichnet, extra unverwüstlich und von nüchtern schusswaffengrauer Färbung. Lenz hat einen solchen Kürass aus seltsamen Zwangsneurosen, dass die Bitte um SteelSaks niemanden eine Augenbraue hochziehen
lässt. Und dann zieht er zwei zusätzlich verstärkte Säcke übereinander, nimmt Pfeifenreiniger von Industriestärke als Verschlüsse, und von da an lassen auch die mutigsten und kraftstrotzendsten Katzen die Doppelsäcke die verschiedensten Spielarten übel abstrakter Formen annehmen, befördern die verschlossenen Säcke manchmal sogar in planlosem Hopsen ein paar Dutzend Meter die Gasse hinab, bis der Katze schließlich die Luft ausgeht und sie und Lenz' Probleme sich in ein und dieselbe Nachtform auflösen. Lenz' Lieblingsintervall dafür ist der Zeitraum von 22.16 Uhr bis 22.26 Uhr. Warum gerade dieses Intervall, hat er sich nicht bewusst gemacht. Sardellen eignen sich erwiesenermaßen noch besser als Thunfisch. Ein Lockprogramm, erinnert er sich beim Umherschweifen cool. Die Wahl seiner Nordrouten zum House zurück wird eingeschränkt durch die Priorität, die digitale Zeit- und Temperaturanzeige am Dach der Brighton Best Savings Bank möglichst immer im Blick zu behalten. Die B.B.5.B. zeigt sowohl Eastern Standard Time als auch Greenwicher Zeit, was Lenz gutheißt. Die
Flüssigkristalldaten schmelzen gleichsam von unten nach oben auf den Bildschirm und verschwinden auch von unten nach oben, wenn sie durch neue Daten ersetzt werden. Beim Hausgemeinschaftstreffen am Montag hatte Mr Doony R. Glynn mal erzählt, im Jahr v. 5Z 1989 A. D. hätte er nach dem Konsum fahrlässiger Mengen eines Halluzinogens, von dem er nur als »die Madame« sprach, mehrere Wochen lang unter einem Bostoner Himmel gelebt, der keine sanftgekrümmte blaue Kuppel mit Schäfchenwolken, Sternen und Sonne mehr war, sondern ein flaches, rechteckiges, kaltes euklidisches Raster mit schwarzen Achsen und einem fadenfeinen Linienreseau, das netzartige Koordinaten erzeugte. Das Raster hatte die Farbe eines abgeschalteten HD-Bildschirms von D. E. c., dieses tote Tiefseegraugrün, auf der einen Seite des Rasters lief der DOW- Ticker hoch, auf der anderen der NIKKEIIndex runter, Zeit und Celsius-Temperaturen blitzten wie bedeutende Dezimalstellen an der unteren Achse des Himmelsbildschirms entlang, und wenn er auf eine richtige Uhr schaute oder sich einen Herald besorgte und meinetwegen den DOW kontrollierte, stellte sich heraus, dass das Himmelsraster absolut
präzise gewesen war; mehrere ununterbrochen unter diesem Himmel verbrachte Wochen verfrachteten Glynn erst auf die Klappcouch in der Wohnung seiner Mutter in Stoneham und dann für die Dauer eines Monats unter Haldo227 und Maniok ins Waltham Metropolitan State Hospital, um diesem leergerasterten Präzisionshimmel zu entkommen, und er sagt, ihm geht heute noch der Arsch auf Grundeis, wenn er bloß an diese Rasterzeit denkt; Lenz hatte die Vorstellung eines Himmels als digitales Zeiteisen aber übel gut gefunden. Außerdem wurden die in Hörweite stehenden riesigen ATH5CME-Gebläse an der Sunstrand Plaza zwischen 22.16 und 22.26 normalerweise zur täglichen Filterreinigung abgeschaltet, und alles war still bis auf das Hintergrundtosen, dieses Ssshhh des Gesamtverkehrs einer Großstadt, und allenfalls mal e i n I . M . E.- Vehikel, das konkavitätswärts katapultiert wurde und auf seinem Nordostbogen kleine Lichterketten in den Himmel hängte; ach ja, und natürlich Sirenen, sowohl die eurotrochäischen der Krankenwagen als auch die normalen USamerikanischen der städtischen Ordnungshüter, Schützend, Dienend und die Bürgerschaft in Schach
Haltend; das Liebreizende an nächtlichen Stadtsirenen ist, dass sie entweder in nächster Nähe jaulen und man in rotblau rotes Licht getaucht dasteht oder aber immer schmerzhaft weit weg klingen, sich noch zu entfernen scheinen und einen über die wachsende Distanz hinweg anrufen. Entweder das, oder man hat sie am Hintern. Bei Sirenen gibt es keine Zwischentöne, denkt Lenz, schweift weiter und hält Ausschau. Glynn hatte nicht wörtlich euklidisch gesagt, aber Lenz hatte es sich nur zu gut vorstellen können. Glynn hatte dünnes Haar, immer gleiche graue Dreitagestoppeln, eine Divertikulitis, deretwegen er l e i c h t gebeugt ging, und bleibende Haltungsschäden, weil ihm eine Ladung Ziegelsteine auf den Kopf gefallen war bei einem böse in die Hose gegangenen Abripp der Arbeiterunfallversicherung, bei dem außerdem schielende Augen involviert waren; Lenz hatte gehört, wie das verschleierte Mädchen Joe L. Clenette Henderson und Didi Neaves erzählt hatte, der Mann hätte so geschielt, der konnte mitten in der Woche stehen und beide Sonntage sehen. Lenz hat insgeheim zwei- oder dreimal,
allerhöchstens ein halbes Dutzend Mal heimlich organisches Kokain die Nase hochgezogen, seit er im Sommer nach Ennet House gekommen ist, gerade genug, um nicht vollständig den Verstand zu verlieren, und sich dabei aus dem privaten Notfalldepot bedient, das er in einem rechteckigen, mit der Rasierklinge aus rund dreihundert Seiten von Bill James' gargantuesken, in Großdruck publizierten Die Prinzipien der Psychologie und Die GiffordVorlesungen über Naturreligion herausgeschnittenen Bunker angelegt hat. Dieser total seltene Rauschgiftkonsum in einem heruntergekommenen, schlampig kontrollierten House, wo er Tag für Tag und unter schrecklichem Stress eingesperrt ist und sich vor Bedrohungen von beiden Seiten des Gesetzes versteckt, während von oben ständig der Lockruf der 20-Gramm- Reserve vom totgeschwiegenen Doppelabrippversuch am South End erschallt, dessen Vergeigung ihn gezwungen hatte, sich in der Verwahrlosung zu verkriechen und mit diesem beschissenen Geoffrey D. und seinesgleichen ein Zimmer zu teilen - so seltener Kokainkonsum als letzte Zuflucht ist für Lenz eine solche Reduktion des Betäubungsmittelkonsums, dass es einem
Betäubungsmittelkonsums, dass es einem waschechten Wunder gleichkommt und eindeutig eine genauso wundersame Nüchternheit darstellt, wie es eine totale Abstinenz für einen Menschen ohne Lenz' einzigartige Sensibilität und psychologische Beschaffenheit wäre, ohne seinen ätzend unerträglichen täglichen Stress und die Schwierigkeiten zu entspannen, und er nimmt seine monatlichen Chips mit gutem Gewissen und von Zweifeln unbenebelt entgegen: Er weiß, dass er trocken ist. Er geht dabei auch überlegt vor: Nie konsumiert er Kokain auf den einsamen Nachhausewegen nach den Treffen, wo das Personal seinen Konsum ja erwarten würde. Auch nie in Ennet House selbst und nur einmal im verbotenen Nr. 7 auf der anderen Seite des Sträßchens. Außerdem kann jeder, der noch ein Minimum an Checkung hat, einen E.M.I.T.-Urintest finkein: Ein Tässchen Zitronensaft oder Essig durch die Schluckluke, und die Laborauswertung produziert blühenden Blödsinn; oder man pullert warm über einen Hauch Bleichmittelstaub an den Fingerspitzen in den Becher, derweil man mit Don G. herumfrotzelt.
Einen texanischen Katheter überzuziehen und da reinzupinkeln, nervt schon eher, außerdem kriegt Lenz angesichts der obszönen Größe des Reservoirs für sein Teil immer Minderwertigkeitsprobleme, und er hat das nur zweimal benutzt, und beide Male hatte Johnette F. die Urinprobe genommen, und er konnte ihr Schamgefühl wecken, sodass sie sich abwandte. Lenz hat noch eine texanische Kathi aus seinem letzten Reha-Zentrum in Quincy, damals im Jahr der Maytag-Stillmaschine, wie Lenz immer sagt. Und als dann mal eine Katze Lenz kränkte, weil sie auf dem Weg in die Doppeltüte sein Handgelenk besonders feindselig aufkratzte, stellte sich heraus, dass doppelte Hefty-Steelpaks qualitativ dermaßen hochwertig verstärkte Produkte waren, dass sie fieberhaft zappelnde Dinge mit rasiermesserscharfen Krallen enthalten und trotzdem einen direkten, mit voller Kraft ausgeführten Schwung gegen ein Parkverbotsschild oder einen Telegraphenmast überstanden, ohne aufzureißen, auch wenn ihr Inhalt dabei wie gewünscht aufriss; und so kam diese Technik ungefähr vom Tag der Vereinten Nationen an zum Einsatz, denn es ging zwar zu schnell und war nicht so besinnlich, gestand Randy Lenz aber
war nicht so besinnlich, gestand Randy Lenz aber eine aktivere Rolle in dem ganzen Prozess zu, und das Gefühl der (befristeten, abendlichen) Problemlösung war definitiver, wenn Lenz eine zappelnde Zehnkilolast mit Schmackes gegen einen Mast donnern, dabei » D a « machen und ein Geräusch hören konnte. An Spitzenabenden erfuhr die Doppeltüte dann noch eine Weile subtilere, kleinere, Connaisseur-orientiertere Verformungen, auch nach dem melonigen Geräusch des Aufpralls und anschließend leiseren Geräuschen. Dann wurde entdeckt, dass das Lösen direkt in den Gärten und auf den Veranden der Leute, denen sie gehörten, noch mehr Adrenalinausschüttung bewirkte und damit noch mehr von diesem Gefühl, das Bill James einmal die Katharsis der Lösung nannte, womit Lenz übereinstimmte. Für quietschende Pforten ein Ölkännchen in einem Extraplastikbeutel. Da SteelSak-Müllsäcke - ebenso wie dann Thunfisch gemischt mit Sardellen und Raid-Ameisengift von hinterm Kühlschrank der E n n e t - House- Insassen - aber zu viele Folgegeräusche produzierten, um sich ein Rettchen anzuzünden und in der Hocke alles Weitere
besinnlich anzuschauen, machte Lenz es sich zur Gewohnheit, den Lösungsprozess in Gang zu bringen und dann die Biege aus den Gärten in die Stadtnacht zu machen, der Polo-Mantel wehte, er übersprang Zäune und die Kühlerhauben parkender Autos usw. Während der zweiwöchigen Phase des Gib-ihnen-vergiftetenThunfisch-und-schwirr-ab hatte Lenz vorübergehend auf ein CaldorSpritzfläschchen Kerosin zurückgegriffen, plus Feuerzeug natürlich; aber eines Mittwochabends rannte die brennende Katze (und brennende Katzen rennen wie der Teufel!) nicht weg, sondern anscheinend hinter Lenz h e r , sprang über dieselben Zäune, die Lenz übersprang, blieb ihm auf den Fersen und machte n i c h t nur einen indiskutablen, aufmerksamkeitsheischenden Krach, sondern beleuchtete Lenz auch, sodass er in skopophober Sicht vorbeiziehender Häuser lief, bis sie sich endlich entschloss, zu Boden zu gehen, zu verröcheln und nur noch zu qualmen - Lenz hielt diesen Abend für seinen einzigen Spitz-auf- KnopfF a l l , machte einen riesigen und teilweise nichtnördlichen Umweg nach Hause, in dessen Verlauf alle Sirenen nah und ihm auf der Pelle klangen, schaffte es gerade noch vor 23.30 Uhr ins
House und lief stracks zum Dreimannzimmer hoch. An jenem Abend musste Lenz wieder einmal zu der ausgehöhlten Kavität in seinen Prinzipien der Psychologie und Die Gifford- Vorlesungen über Naturreligion Zuflucht nehmen, und wer bräuchte keinen kleinen Entspanner nach so einer stressigen Spitz-auf-Knopf-Situation, in der man von einer lichterloh brennenden Katze gejagt wird, die so schreit, dass entlang der ganzen Sumner Blake Rd. die Terrassenlampen angehen; nur waren die paar Linien unverschnittenes Bing in diesem Fall kein Entspanner, sondern ein Anspanner - das passiert manchmal eben und hängt quasi von der geistigen Verfassung ab, wenn man es durch einen zusammengedrehten Dollarschein vom Klodeckel im Herrenklo gezogen hat -, und Lenz schaffte es kaum, seinen Wagen um 23.50 Uhr umzuparken, bevor sein Wortschwall los sprudelte wie die Geishas auf Island, und nach der Sperrstunde war er in der oralen Autobiographie, die sich im Dreimannzimmer anschloss, kaum bis ins achte Lebensjahr vorgedrungen, als Geoff D. ihm damit drohte, er würde Don G. holen und Lenz knebeln lassen, und Lenz hatte Angst davor, runterzugehen und Zuhörer
zu suchen, also lag er den Rest der Nacht stumm in der Dunkelheit, und nur seine Lippen wanden und krümmten sich - die wanden und krümmten sich immer, wenn sich das Bing als Hochdreher statt als Raukantenschleifer erwies -, und er tat, als schliefe er, während hinter seinen zuckenden Lidern Phosphene wie Flammenformen tanzten, lauschte Days feuchtem Gurgeln und Glynns Apnoe, bezog jede Sirene da draußen in der Großstadt auf sich und hörte sie näher kommen, und Days fluoreszierendes Zifferblatt lag in der Scheißnachttischschublade statt draußen, wo jeder stress- und angstgeplagte Mitmensch von Zeit zu Zeit nach der Zeit schauen konnte. Nach dem Vorfall mit der Flammenkatze des Satans und vor Halloween war Lenz daher zum Browning X444 mit Wellenschliff übergegangen, für das er aus seinem früheren Leben da draußen sogar einen Schulterhalfter besitzt. Das Browning X444 hat eine Gesamtlänge von 25 cm, einen Griff aus Walnusswurzelholz mit einer Kolbenkappe aus Messing, eine Spitze, der Lenz, nachdem er es bekommen hatte, den Aufbrechhaken wegschliff, und e i n e einseitige Bowie-artige Klinge mit O.l-mm-
Wellenschliff, für die Lenz einen Schleifstein besitzt und deren Schärfe er nur zu gern testet, indem er e i n e kleine Stelle an seinem sonnengebräunten Unterarm schert. Das Browning X444 sowie Brocken von Don Gatelys hoch transportablem, mit Cornflakes verzierten Hackbraten waren für Hunde, deren städtische Exemplare eher nichtwild waren und sich regelmäßigerer als die Stadtkatzen in den Grenzen der eingezäunten Gärten ihrer Halter fanden, die bei Fraß weniger misstrauisch waren und die Hand, die sie fütterte, nicht zu kratzen pflegten, auch wenn das Personenschadensrisiko bei Annäherung höher war. Wenn der klitschige Hackbratenbrocken hervorgeholt, aus dem Plastikbeutel gewickelt und vom schmalen Saum zwischen Zaun und Gehweg aus hingehalten wird, stellt der Hund unweigerlich das Bellen ein und / oder wirft sich nicht mehr gegen den Zaun, wird absolut unzynisch und freundlich, kommt ans Ende seiner Kette oder an den Zaun, hinter dem Lenz steht, gibt neugierige Laute von sich, und wenn Lenz das Fleischstück knapp außerhalb seiner Reichweite hält, richtet der Hund sich, wenn die Leine oder Kette das zulässt, auf die
Hinterbeine auf, tatzt mit den Vorderpfoten auf den Zaun ein und springt gierig hoch, während Lenz ihm mit dem Fraß vor der Nase herumwedelt. Day las ein Selbsterfahrungs- Taschenbuch, in dem Lenz morgens um eins herumgeschmökert hatte, als Day, Ewell und Erdedy unten ihren Schnattathon abhielten. Er lag mit den Straßenschuhen auf Days Matratze und furzte so viel wie möglich hinein. Ein Abschnitt in dem Buch faszinierte ihn: Sinngemäß hieß es, je machtloser sich jemand fühle, desto wahrscheinlicher entwickle er eine Vorliebe zu gewalttätigem Ausagieren - eine Beobachtung, der Lenz nur zustimmen konnte. Das einzige ernsthafte Problem bei der Benutzung des Browning X444 ist, dass Lenz eindeutig hinter den Hund gelangen muss, bevor er ihm die Kehle aufschlitzt, weil die Blutungen von weitreichender Intensität sind, und Lenz ist schon bei seinem zweiten R.-LaurenMantel und seiner dritten dunklen Wollhose. Einmal trifft Lenz dann um Halloween herum in einem vom Allstons Union Square abgehenden Gässchen hinter Blanchard's Liquors auf einen Straßenalki in einem zerkaut aussehenden alten
Mantel, der pinkelt in dem verlassenen Gässchen an einen Müllcontainer, und Lenz stellt sich den alten Knacker brennend und mit aufgeschlitzter Kehle vor, wie er knülle herumtanzt und auf sich einschlägt, während Lenz »Da« macht, aber näher kommt Lenz an dieses Lösungsniveau nicht heran, und es dürfte für ihn sprechen, dass er nach jenem Spitz auf Knopf ein paar Tage lang ein wenig den psychischen Appetit verliert und gegen 22.16 Uhr Tieren gegenüber untätig bleibt. Lenz hat nicht viel gegen seinen neuen Mitinsassen Bruce Green, und als Green ihn eines Sonntagabends nach der Weißen Flagge fragt, ob er n a c h dem Vaterunser mit ihm zusammen zurückgehen kann, sagt Lenz Meinetwegen, lässt Green mitkommen und ist auch an diesem Abend nach 22.16 untätig. Nur dass nach ein paar Abenden, an denen Green mit ihm nach Hause spaziert ist, erst von der Weißen Flagge und dann von St. Columbkill's am Dienstag und einem Doppelten von 19.00-22.00 bei der NA-Gruppe Teilen und heilen im St. E. und dann BYP am Mi, Green folgt ihm wie ein Dackel von Treffen zu Treffen und dann nach Hause, nach ein paar Abenden geht
Lenz auf, dass Bruce G. dieses Abends-mit-RandyLenz-durch-die-StadtGehen für scheißnormal hält, und Lenz jiepert allmählich danach, nach den ungelösten Machtloser-Zorn-Problemen, weil, inzwischen hat er sich so daran gewöhnt, die praktisch allabendlich zu lösen, dass die Unmöglichkeit, in dem Intervall von 22.16-22.26 Uhr allein mit dem Browning X444 oder sogar einem SteelSak schalten und walten zu können, den Druck so aufstaut, dass es praktisch schon entzugsmäßigen Charakter bekommt. Andererseits haben die Spaziergänge mit Green auch ihr Gutes. Bspw. beschwert sich Green nicht über längere Umwege, um bei den Spaziergängen eine möglichst nördliche / nordöstliche Orientierung beizubehalten. Und Lenz genießt es, ein verständnisvolles und offenes Ohr dabeizuhaben; er hat zahllose Aspekte und Erfahrungen zu überdenken und Probleme zu strukturieren und zu bedenken, und für Lenz ist (wie für viele hartgesottene Konsumenten organischer Stimulantien) das Reden die Hauptspielart des Denkens. Und aber die meisten Ohren der anderen Insassen in Ennet House sind nicht nur teilnahmslos, sondern auch mit großen klaffenden und quasselnden Mündern verbunden, die einem bei
Gesprächen immer ins Wort fallen mit ihren eigenen Meinungen, Problemen und Betrachtungsweisen die meisten Insassen gehören zu den schlimmsten Zuhörern, die Lenz je untergekommen sind. Bruce Green hingegen sagt glücklicherweise kaum je ein Wort. Er ist wortkarg in der Art gewisser Allzweckrüpel, die man gerne um sich hat, wenn es Zoff gibt, und die ruhig und quasi selbstbeherrscht sind. Aber Green ist auch nicht so ruhig und teilnahmslos wie manche schweigsamen Leute, wo sich Lenz irgendwann fragt, ob die ihm eigentlich ein verständnisvolles Ohr schenken oder in Wirklichkeit in völlig selbstbezogene Gedankenwelten abgetaucht sind und ihm gar nicht zuhören usw., Lenz wie ein Radio behandeln, das man an- und ausschalten kann. Lenz hat ein untrügliches Gespür für solche Leute, und die haben an seiner persönlichen Börse einen niedrigen Aktienkurs. Bruce Green wirft leise Bestätigungen ein, »Ohne Scheiß«s und »voll krass, ey«s usw., genau an den richtigen Stellen, um Lenz seine Aufmerksamkeit zu kommunizieren. Was Lenz bewundert. Lenz will Green also keineswegs einfach in die Wüste schicken und ihm sagen, er soll zusehen,
dass er Land gewinnt, und ihn nach den Treffen verdammt noch mal in Ruhe lassen, damit er solo loskann. Die Sache muss diplomatischer angegangen werden. Außerdem macht Lenz die Aussicht nervös, Green zu beleidigen. Nicht, dass er in körperlicher Hinsicht Angst vor Green hätte. Und er macht sich auch keine Sorgen, Green könnte ein Ewell- oder Day- Typ sein, bei denen er sich immer stressige Sorgen machen muss, dass sie Lenz bei der Polente nass machen und seinen Aufenthaltsort verpfeifen und so. Green ist ein ausgemachter Nichtnassmacher, was Lenz bewundert. Er hat also keine Angst davor, Green in die Wüste zu schicken; er ist einfach nur verkrampft und verkniffen bei dem Gedanken daran. Außerdem beunruhigt Lenz das Gefühl, es könnte Green womöglich gar nicht groß kümmern, und dass er sich fühlt, als verwende er all diesen Stress auf Sorgen, über die Green nur ein paar Sekunden nachdenken würde, und es macht ihn wütend, dass e r sich verstandesmäßig sagen kann, dass die verkrampften Sorgen, wie er Green auf diplomatische Weise beibringen kann, ihn allein zu lassen, unnötig sind, Zeit- und
Krampfverschwendung, aber trotzdem kann er es nicht lassen, sich Sorgen zu machen, was das Gefühl der Machtlosigkeit nur verstärkt, das Lenz nicht mit Browning und Hackbraten lösen kann, solange Green weiterhin mit ihm zusammen nach Hause geht. Und die schizotigen Katzen mit verfilztem Fell, die um Ennet Hause herumstreunen, katzbuckelnd, neurotisch und voller Angst vor ihren eigenen Schatten, sind zu riskant, denn die Insassinnen erklären dauernd ihre Anhänglichkeiten an sie. Und Pat M.s Golden Retrievers wären gleichbedeutend mit gesetzlichem Suizid. An einem Samstag um ca. 22.21 Uhr fand Lenz einen Miniaturvogel, der aus dem Nest gefallen sein musste, kahl und mit bleistiftdünnem Hals auf dem Rasen von Teil Nr. 3 saß und erfolglos mit den Flügeln schlug, ging mit Green ins Haus, seilte sich von ihm ab, ging wieder nach draußen auf den Rasen von Nr. 3, steckte das Ding in die Tasche, ging ins Haus und warf es in den Müllschlucker neben der Küchenspüle, fühlte sich aber trotzdem weitgehend machtlos und ungelöst. Mit Ausnahme von Pat Montesians vorderem Büro mit den Erkerfenstern, dem telefonzellengroßen
hinteren Büro der Geschäftsführerin und den beiden Schlafzimmern der Betreuer unten im Keller haben die Türen in Ennet House verständlicherweise keine Schlösser.
Kap. 45 - ANFANG NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE Das einzig wirklich Erpressbare an Rodney Tine, Chef des U. S.-Büros für Unspezifizierte Dienste: sein spezielles metrisches Lineal. In einer abgeschlossenen Schublade des Badezimmerschränkchens in seinem Haus an der Connecticut Ave., NW in Washington OC liegt ein spezielles metrisches Lineal, und mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks misst Tine allmorgendlich seinen Penis; macht er, seit er zwölf war, macht er heute noch. Für unterwegs hat er ein spezielles ausziehbares Reisemodell für die morgendlichen mobilen Penismessungen. Präsident Gentle verfügt über keine N. S.A.228 als solche. Tine ist in Metro-Boston wegen der Nationalen Sicherheitsaspekte der Sache, auf die sie bei den Unspezifizierten Diensten vor zwei Sommern gestoßen waren, sowohl der Direktor der D. E.A. als auch der Vorsitzende der Academy of Digital Arts and
Sciences, die beide hier und jetzt vor ihm stehen, von einem Bein aufs andere treten und ihre Hutkrempen knitscheln. Diese unanschaubare Unterhaltungspatrone aus dem Untergrund, die anfangs auf erratische Weise an den scheinbar zufälligsten Orten auftauchte: ein Film, der, wie ihm bei Briefings zu verstehen gegeben wurde, gewisse »Eigenschaften« hat, sodass jeder, der ihn je gesehen hatte, für den Rest seines Lebens nur noch den einen Wunsch verspürte, ihn noch einmal zu sehen, und noch einmal und so weiter. Die Patrone war in Berkeley, Nordkalifornien, aufgetaucht, in der Wohnung eines Filmwissenschaftlers und seines Partners, die beide tagelang ihre Termine versäumt hatten und von da an allem Anschein nach für alle bedeutenden menschlichen Aktivitäten verloren waren, dieser Wissenschaftler und sein Partner, die beiden Cops, die nach Berkeley beordert worden waren, die sechs Cops, die man den beiden hinterherbeordert hatte, nachdem die ihrer CodeFive-Auflage, unter höchster Geheimhaltungsstufe Bericht zu erstatten, nicht nachgekommen waren, der diensthabende Sergeant und sein Partner, die hinter den sechsen herbeordert worden waren -insgesamt siebzehn Polizisten, Sanitäter und
Teleputertechniker, bis die Tödlichkeit dessen, was sie da gesehen hatten, sich mit so ausreichender Klarheit manifestiert hatte, dass jemand auf die Idee kam, der Wohnung in Berkeley die Sicherung rauszudrehen. Die Unterhaltung war in New Iberia, Louisiana, aufgetaucht. Tempe, Arizona, hatte zwei Drittel der Besucher eines Avantgardefilmfestivals im Hörsaal für Unterhaltungsstudien an der Arizona State University verloren, bevor ein nüchterner Hauswart das Stromversorgungsnetz des ganzen Gebäudes lahm gelegt hatte. Gentle war über die Sache erst in Kenntnis gesetzt worden, nachdem sie letztes Frühjahr hier in Boston, Massachusetts, aufgetaucht war und einen diplomatische Immunität genießenden Gesundheitsattache aus dem Nahen Osten und ein Dutzend kleine Lichter ausgeschaltet hatte. All diese Leute sind jetzt in geschlossenen Anstalten. Gefügig und kontinent, aber leer wie die Tiefenebene eines vom Rückenmark gekappten Reptiliengehirns. Tine hatte eine Anstalt aufgesucht. D e r Sinn des Lebens dieser Menschen war auf einen so winzigen Brennpunkt geschrumpft, dass keine andere Aktivität oder Beziehung ihre Aufmerksamkeit beanspruchen konnte. Verfügten jetzt ungefähr über den mentalen / geistigen Horizont
einer knienden Waldameise, hatte ein Diagnostiker vom C. D. C. gesagt. Die Patrone aus Berkeley war aus einer Asservatenkammer des S.F.P.D. verschwunden, wo die elektronenmikroskopische Spurensicherung Flanellfasern entdeckt hatte. Die D. E. A. hatte vier Feldforscher und einen Gutachter verloren, bevor man sich den widerspenstigen Problemen gebeugt hatte, die sich beim Versuch stellten, jemanden die beschlagnahmte Patrone aus Tempe anschauen und ihren tödlichen Charme in Worte kleiden zu lassen. Die deutlichsten Worte waren nötig gewesen, um einen gewissen berühmten Schnulzier davon abzuhalten, die Qualitäten von dem Ding höchstpersönlich in Augenschein zu nehmen. Weder das c. D. C. noch die Unterhaltungsprofis wollten an den Tests zur kontrollierten Betrachtung teilnehmen. Drei Mitglieder der Academy of D. A. S. hatten per Post unbeschriftete Kopien erhalten, und das eine, das dann tatsächlich einen Blick darauf geworfen hatte, brauchte jetzt rund um die Uhr einen Sabberbecher unterm Kinn. Berichte, das Ding sei abermals in Boston, Massachusetts, aufgetaucht, konnten bislang nicht verifiziert werden. Tine ist
teilweise herbeordert worden, um die Verifizierungsversuche zu koordinieren. Er hat auch eine spezielle Taschen-Franklin-Planner-große Tabelle, in die er seine morgendlichen Penismessungen einträgt, jeden Tag, obwohl sich das Ledernotizbüchlein für Uneingeweihte in nichts von anderen Statistiken unterscheiden dürfte. Inzwischen ist der Verlust von mehreren B. U. D.Testpersonen zu beklagen, Freiwilligen aus den Justizvollzugsanstalten von Bund und Militär, die versuchen sollten, den Inhalt der Patrone zu beschreiben. Die Patronen aus Tempe und New Iberia sind in Gewahrsam, unter Verschluss. Ein asozialer und geistig behinderter Lance Corporal aus Leavenworth, festgeschnallt, mit applizierten Elektroden und einem Headset-Diktaphon, konnte noch berichten, dass das Ding offenbar mit einer einnehmenden und erstklassigen Aufnahme einer verschleierten Frau begann, die durch die Drehtür eines großen Gebäudes ging und jemand anders in der Drehtür sah, bei dessen Anblick sich ihr Schleier bauschte, bevor der mentale und geistige Horizont des Probanden unvermittelt schrumpfte und selbst nahezu tödliche Stromstöße durch die Elektroden ihn nicht dazu bringen konnten, die Aufmerksamkeit von
der Unterhaltung abzuwenden. Tines Mitarbeiter haben Dutzende von Einträgen durchforstet, bevor sie sich darauf verständigt haben, der offenbar den Willen lähmenden Unterhaltung den kurzen und bündigen Geheimdienst-Codebegriff »5amisdat« zu geben. P. E. T.s der geopferten Personen zeigten unauffällige Hirnaktivität im Alphabereich, nichts, was auf Hypnose oder künstlich bewirkte Dopaminausschüttungen schließen ließe. Versuche, die Matrix des 5amisdat zu analysieren, ohne ihn anzuschauen - durch Zuordnung von Postleitzahlen, elektronenmikroskopische Untersuchungen der braunen, gefütterten Patronenversandtasche, Ausschlachten und Chromatographieren der unbeschrifteten Patronenhüllen, umfassende und unerträgliche Vernehmungen der ihm ausgesetzten Zivilisten -, lokalisieren den vermutlichen Disseminationspunkt entlang der Nordgrenze der U S A mit Verteilerknoten in Metro-Boston/New Bedford und/oder irgendwo in der Wüste im Südwesten. Die US-amerikanische Kanadafrage ist das Spezialgebiet der Behörde für Anti-AntiO.N.A.N.Aktivitäten229 im U.S.B.U.D. Sozusagen. Die Möglichkeit einer kanadischen Verwicklung in die
D i s s e mi n a t i o n der tödlich verführerischen Unterhaltung hat Rodney Tine, sein Gefolge und sein Lineal nach Metro-Boston gebracht.
Kap. 46 - SPÄTABENDS, MONTAG, 9. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE Aus Gründen, die Pemulis nicht die Bohne konnte, schien Ortho Stice da drinnen in Dr. Dolores Rusks Büro zu sein und deutlich nach deren Bürostunden mit Dr. Rusk zu konnektieren. Im Vorbeikommen blieb Pemulis an der Tür stehen. » - n i s c h e Einschätzung wäre, nach unserer gemeinsamen Arbeit an deiner Angst vor Gewichten, Ortho, dass du eine suboptimale Anpassungsfähigkeit zeigst, wie viele Männer und besonders Sportler, du leidest an einer Kontraphobie.« »Angst vor Linoleum?« Das war unverkennbar das lang gezogene Näseln des Schattens da drinnen hinter dem Holz der Tür. »Auf der Ebene der Objekte und einer projektiven kindlichen Omnipotenz, die dich in Bezug auf deine
Gedanken und die Reaktionen von Objekten auf deine narzisstischen Wünsche in einer magischen Gedankenwelt leben lässt, präsentiert sich die Kontraphobie als die Wahnvorstellung einer bestimmten Instanz oder Kraft, die verdrängte traumatische Erlebnisse kompensiert, die mit fehlender Kontrolle zu tun hatten.« »Wegen Linoleum?« »Mein Vorschlag wäre, wir vergessen mal das Linoleum und Objekte im Allgemeinen. Nehmen wir zum Beispiel ein analytisches Modell, dann sind die Traumatypen, die kontraphobe Reaktionen abdecken, nahezu ausnahmslos präödipaler Natur, beziehen sich also auf eine Phase, in der Objektbesetzungen ödipal und symbolisch sind. Ein Beispiel wären Kinderpuppen und Action-Figuren.« »Ich spiel' mit keinen beschissenen Action-Figuren.« »GI Joe wird typischerweise als Imago des mächtigen, aber antagonistischen Vaters besetzt, der »militärische« Mann, wobei »GI« sowohl das »Generelle Imaginäre« einer »Waffe« repräsentiert, die das Kind in der ödipalen Phase zugleich begehrt wie fürchtet, als auch das wohlbekannte
medizinische Akronym für den Gastro-IntestinalTrakt darstellt mit all den damit einhergehenden analen Ängsten, die Verdrängung erfordern ob des in der ödipalen Phase erfahrenen Wunschs nach Kontrolle des Stuhlgangs, um die Mutter zu beeindrucken oder Zitat zu »gewinnen« Zitatende, und Barbie wäre die offenkundig reduktivste und phallozentrischste Reduktion der Mutter auf einen Archetyp sexueller Funktion und Verfügbarkeit, eine Imago also der ödipalen Mutter als Bild.« »Soll das heißen, ich würde Objekte überbewerten? « »Das soll heißen, in dir steckt ein sehr kleiner Ortho mit gravierenden Liebesentzugsproblemen, und der große Ortho sollte ihm Zuwendung und Aussöhnung entgegenbringen und sich keinen Omnipotenzphantasien hingeben.« »Ich bin nicht omnipotent, und ich will keine Scheißbarbiepuppe nageln.« Dann stieg die Stimme des Schattens an und brach, als er etwas über sein Bett sagte. Die Klinke der Bürotür von Dr. Rusk war mit einer nichtleitenden gummierten Hülle überzogen, auf der Tür standen Dr. Rusks Name, akademischer Grad
und Titel, und darunter hing eine Petit-PointStickerei, die ein kleines Herz in einem großen Herzen zeigte und darunter die kursive Ermahnung Nimm heute liebevoll dein Inneres Kind an, was die kleineren Kinder an der E. T. A. rätselhaft und verwirrend finden. Als Pemulis in der impertinentesten Tracht, die er hatte zusammenwürfeln können, durchs Foyer vom Gemeinschaftsund Verwaltungsgebäude ging, blieb er aus Gewohnheit zunächst vor der schweigenden, verschlossenen Tür zur Krankenstation stehen und dann vor Rusks Tür mit der Lichtritze unten. Er trug eine kastanienbraune Fallschirmspringerhose mit breiten grünen Längsstreifen an den Seiten, deren Aufschläge er in fuchsienfarbene Socken über uralten und radikal uncoolen Clark's Wallabees mit schmutzigen, radiergummiartigen Sohlen gestopft hatte. Er trug einen orangeroten Rollkragenpullover aus Kunstseide unter einem englisch geschnittenen Sportsakko mit ocker-purpurroten Rautenkaros. Er trug NavySchultertressen vom Rang eines Leutnants zur See. Er trug seine Segelrnütze, deren Schirm er aber in einem Nullpeilerwinkel hochgestellt hatte. Eigentlich sah er weniger impertinent als jämmerlich geschmacklos gekleidet aus. Dr. Rusks Tür fühlte
geschmacklos gekleidet aus. Dr. Rusks Tür fühlte sich an seinem Ohr kühl an. Als Pemulis ging, war Jim Troeltsch gerade Schlaftrakt B runtergekommen und hatte gesagt, Pemulis sähe verkatert aus. Hinter der Tür bedrängte Rusk Stice, seine Wut beim Namen zu nennen, und Stice schlug vor, sie Horace zu nennen nach dem verstorbenen Vorstehhund s e i n e s Alten Herrn, der einen Kojotenköder gefressen hatte, als der Schatten neun war, und der ganzen Stice-Sippe drüben in Kansas sehr fehlte. Die alten Wallabees stammten noch aus der unvollendeten Internatskarriere von Pemulis' großem B r u d e r und wiesen an den Sohlenrändern popelähnliche kleine Griebel aus schmutzigem Gummi auf. Die Socken gehörten Jennie Bash, und sie hatte ausdrücklich gesagt, sie wolle sie gewaschen zurückhaben. Die karierten Ärmel des Sportsakkos waren etliche cm zu kurz und enthüllten gerippte Aufschläge aus orange glänzendem Acetatester. Im Untergeschoss vom Gemeinschafts- und Verwaltungsgebäude war es totenstill. Es war ungefähr 21.00 Uhr, eigentlich obligatorische Hausaufgabenzeit, und Hardes Team war schon nach Hause gegangen, aber die Hauswarte der
nach Hause gegangen, aber die Hauswarte der Friedhofsschicht waren noch nicht da. Geräuschlos bewegte sich Pemulis von Nordosten nach Südwesten über den Veloursteppich des Foyers. Außer den Lichtritzen unter ein paar Türen war das Foyer der E. T. A. pechschwarz, und die Ausgänge der Academy waren abgeschlossen. In der Nähe der Pokalvitrine an der Nordwand war eine seltsame Fahrzeugform auszumachen, aber Pemulis blieb nicht stehen, um sich das näher anzuschauen. Er hob die kleine Südwesttür des Foyers beim Öffnen etwas an, damit sie nicht quietschte, betrat den Empfangsbereich der Verwaltung und schnippte mit den Fingern leise vor sich hin. Beschwingte Musik ging ihm durch den Kopf. Tavis' Empfangsbereich war leer und duster, und die Tapetenwolken waren jetzt sturmfinster. Es war nicht ganz still. Aus der Tür von Mrs Inc und durch die Ritze unter Tavis' Innentür drang Licht. Lateral Alice Moore war nach Hause gegangen. Pemulis schaltete ihr drittes Gleis ein, spielte mit ihrem Stuhl und sah rasch die einzelnen Stapel auf ihrem Tisch durch. Die Sprechanlage einzuschalten kam nicht infrage. Zwei ihrer fünf Schubladen waren noch immer abgeschlossen. Pemulis sah sich um, steckte noch einen
Minzbonbon in den Mund und saß still da, während Moores Stuhl auf dem Gleis hin- und herglitt, seine Finger bildeten ein Spitzdach unter seiner Nase, und er dachte nach. Das Licht schien durch die Ritze unter Tavis' Innentür, weil die Außentür offen stand. Pemulis musste nicht mal ein egal wie beschaffenes Ohr ans Holz der Innentür legen. Er hörte das Zischen und Hochgeschwindigkeitssirren von Tavis' StairBlaster u n d dessen atemlos wegbleibende Stimme. Tavis war ganz offensichtlich allein. Tavis hatte ganz offensichtlich kein Hemd an, ein E. T.A.-Handtuch um den Hals geschlungen, und die Haare bildeten an einer Seite des kleinen Schädels einen schweißnassen Vorhang, während er rannte, um mit der Maschine Schritt zu halten, die alle nur an eine vom Satan besessene Rolltreppe bei Filene's erinnerte. Er trieb sich mit einem schnellen rhythmischen Singsang an, der für Pemulis entweder wie »Totale Sorge, totale Sorge« oder wie» Banale Sorge, banale Sorge« und sw. klang. Pemulis sah Tavis' Schmerbauch und die Fetttittchen vor sich, die beim Laufen auf dem StairBlaster auf und ab hüpften. Er hörte die plötzlich gedämpfte Stimme,
wenn sich der Mann wohl mit dem Handtuch den schiefen Schnurrbart abtupfte. Tavis' Türklinke hatte keine isolierende Gummihülle, fiel ihm auf. Der Gürtel von Pemulis' Tracht bestand aus mit chintzigen falschen Navajoperlen besetztem Plastik. Chip Sweeny hatte ihn an einem der Souvenirstände beim WhataBurger im letzten Herbst gekauft und später bei einer Tennis-als-Glücksspiel-Sitzung von Pemulis' GroßerKumpel-Gruppe an diesen abtreten müssen. Das Perlenmuster war im Orange und Schwarz eines Gilamonsters gehalten, aber das Orange hatte einen anderen Farbton als Pemulis' Rollkragenpullover. Er konnte es nie lassen, einen Minzbonbon zu zerbeißen, wenn der erst zu einer bestimmten Größe und Textur zusammengelutscht war. Das türlose Büro der Studiendekanin war ein grellflammendes Rechteck. Das Licht ergoss sich a b e r nicht sehr weit ins Empfangsareal. Der Näherkommende hörte Geräusche im Büro, aber eigentlich keine Wörter. Pemulis prüfte seinen Hosenschlitz, schnippte mit den Fingern unter der Nase, verfiel in einen geschäftsmäßigen Gang und klopfte laut an den türlosen Pfosten, ohne aus dem
Schritt zu kommen. Der dickere blaue Veloursteppich im Büro verlangsamte ihn ein wenig. Als er ganz drinnen war, blieb er stehen. Der U18er John Wayne und Hals Mamsli- Wamsli waren beide im vorderen Büroteil. Sie waren etwa zwei Meter voneinander entfernt. Der Raum wurde von der Deckenbeleuchtung und vier Stehlampen erhellt. Der Seminartisch und die Stühle warfen ein kompliziertes Schattenmuster. Auf dem ansonsten leeren Seminartisch lagen zwei selbst gemachte PomPoms aus geschreddertem Papier und die anscheinend amputierten Griffe zweier Holztennisschläger. John Wayne trug einen FootballHelm, leichte Schulterpolster, einen Sportlertiefschutz von Russell, Socken, Schuhe und sonst nichts. Er bückte sich im klassischen Three Point Stance des American Football. Incs unglaublich große und gut erhaltene Mutter Dr. Avril Incandenza trug ein knappes grünweißes Cheerleader-Kostüm und hatte eine von delints großen Trillerpfeifen um den Hals hängen. Sie blies in die Pfeife, der aber anscheinend das Kügelchen fehlte, denn kein Pfiff kam heraus. Etwa zwei Meter von Wayne entfernt grätschte sie, ihm zugewandt, auf dem dicken Veloursteppich fast in den Spagat, den einen Arm
Veloursteppich fast in den Spagat, den einen Arm erhoben und vorgeblich pfeifend, während Wayne das klassische tiefe Grummeln US-amerikanischer Football-Spieler hervorbrachte. Pemulis zog eine ziemliche Show ab, wie er den Nullpeilerschirm der Segelrnütze zurückschob, um sich blinzelnd am Kopf zu kratzen. Nur Mrs Inc sah ihn an. »Ich verschwende am besten gar nicht erst die Zeit der Anwesenden mit der Frage, ob ich störe«, sagte Pemulis. Mrs Inc schien zur Salzsäule erstarrt. Ihre eine Hand war noch erhoben, die grazilen Finger gespreizt. Wayne verrenkte sich den Hals, um Pemulis unter seinem Helm anzusehen, ohne den Three Point Stance aufzugeben. Die FootballGeräusche verhallten. Wayne hatte eine schmale Nase und eng beieinanderliegende hexige Augen. Er trug einen Gebissschutz aus Plastik. Die Muskulatur seiner Beine und Pobacken zeichnete sich klar ab, während er sich vorbeugte und die Knöchel belastete. Weit weniger Zeit verstrich im Büro, als es den Anschein hatte. »Hatte gehofft, Sie hätten kurz Zeit für mich«, sagte Pemulis zu Mrs Inc. Er stand in strammer
Schuljungenmanier da, die Hände sittsam vor dem Hosenlatz gefaltet, was bei Pemulis impertinent wirkte, diese Haltung. Wayne richtete sich auf und schritt nicht ohne Würde zu seinen Kleidungsstücken. Der säuberlich zusammengefaltete Trainingsanzug lag auf dem Tisch der Dekanin hinten im Büro. Der Mundschutz war am Gesichtsgitter befestigt und baumelte herab, wenn man den Helm abnahm. Der Kinnriemen hatte mehrere Schnallen, die Wayne öffnen musste. »Macht sich gut, der Helm«, sagte Pemulis. Wayne zerrte die Trainingshose über einen Schuh und antwortete nicht. Er war so durchtrainiert, dass die Tiefschutzriemen in die Pobacken nicht einmal einschnitten. Mrs Incandenza nahm die stumme Pfeife aus dem Mund. Sie grätschte immer noch im Spagat auf dem Boden. Pemulis zog eine ziemliche Show ab, den Blick nicht südlich von ihrem Gesicht abschweifen zu lassen. Sie schürzte die Lippen, um sich Haare aus den Augen zu pusten. »Ich könnte mir denken, dass das höchstens zwei Minuten dauert«, sagte Pemulis und lächelte.
Kap. 47 - MITTWOCH, 11. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE Lenz trägt einen Kammgarnmantel, eine dunkle Freizeithose, brasilianische Loafer mit wattstarkem Glänzen und eine Maskerade, mit der er aussieht wie ein gebräunter Andy Warhol. Bruce Green trägt eine schäbige Lederjacke von der Stange, steifes Billigleder, das die Jacke bei jedem Atemzug knarzen lässt. »Und das ist, wo du, Mann, da findest du quasi raus, praktisch, was dein wahres Wesen ist, wenn die auf dich zeigt, und so ein glupschäugiger Scheißspic steht keine fünf Mitts230 von dir weg und zielt damit, und ich bin, ganz komisch jetzt, ich bin total ruhig geworden, ja, und hab gesagt, ich sag Pepito, sag ich, Pepita, Mann, mach du man ruhig, was du machen musst, Mann, mach hin ne und schieß, aber das sag ich dir, Mann, sieh zu, Mann, dass du mich mit dem ersten Schuss auch kaltmachst, Mann, einen zweiten kriegst du nämlich
nicht, sag ich. Und das nicht mal als Verarsche, Mann, ich hab das ernst gemeint, hab ich quasi genau in dem Moment gemerkt. Verstehst du?« Green zündet ihnen beiden die Fluppen an. Lenz atmet mit diesem Zischen von Leuten aus, die's eilig haben, was rüberzubringen. »Verstehst du?« »Weiß nicht.« Ein Novemberabend in der Stadt: das letzte Laub gefallen, trockenes, graues, haariges Gras, spröde Büsche, zahnlückige Bäume. Der aufgehende Mond sieht aus, als ging's ihm nicht gut. Das Klacken von Lenz' Loafers und das knirschende BoIlern von Greens alten Asphaltglätterstiefeln mit den dicken schwarzen Sohlen. Greens aufmerksamkeits- und zustimmungsversichernde Begleitgeräusche. Er sagt, er ist vom Leben gebrochen worden, anders kann er das persönlich nicht sagen. Green. Das Leben hat ihm den Hintern versohlt, und er muss sich erst mal n e u orientieren. Lenz mag ihn, und da ist immer dieser kleine Niednagel der Angst, der hängt quasi fest wie immer, wenn er wen mag. Als könnte jeden Augenblick was Schreckliches passieren. Oder weniger Angst als so eine Anspannung in Magengrube und Arschgegend, so ein
Ganzkörperschaudern. Eine Entscheidung zu fällen und sich zu sagen, jemand ist ein Stehaufmännchen: Als würde man was fallen lassen, man gibt die ganze Macht darüber auf: Man muss dastehen und ohnmächtig abwarten, bis es auf dem Boden aufschlägt: Man kann nur abwarten und schaudern. Irgendwie macht es Lenz wütend, wenn er wen mag. Es ist natürlich ausgeschlossen, das Green gegenüber irgendwie anzusprechen. Als 22.00 Uhr verstreicht und der Hackbraten im Plastikbeutel in der Hosentasche durch die mangelnde Verwendung schon dunkel und hart geworden ist, steigt der Druck, den Zeitraum ab 22.16 für Problemlösungen zu verwenden, bis ins Unerträgliche, aber noch immer kann sich Lenz nicht dazu aufraffen, Green zu bitten, einen anderen Nachhauseweg einzuschlagen oder jedenfalls ab und zu mal. Wie soll er das anstellen und Green gleichzeitig zu verstehen geben, dass er ihn okay findet? Man geht doch nicht einfach hin und gibt wem zu verstehen, dass man ihn okay findet. Wenn es bloß ein Mädchen ist, das man ficken will, ist das was anderes, das ist okayer; aber quasi zum Beispiel was macht man mit den Augen, wenn man wem sagt, dass man ihn mag, und das auch so meint? Man
dass man ihn mag, und das auch so meint? Man kann ihn nicht richtig ansehen, denn was ist sonst, wenn seine Augen einen auch gerade ansehen, wenn man ihn ansieht, und dann begegnen sich die Augen, wenn man das grade sagt, und dann liegt da diese mördermäßige quasi Spannung oder Energie in der Luft. Aber man kann auch nicht wegsehen, als wär man nervös, als wär man ein nervöser Junge, der sich mit einem Mädchen verabreden will oder so. Man kann nicht rumlaufen und so was von sich selbst preisgeben. Und dann auch noch wissen, dass der ganze Scheiß dieses Zusammenzucken und den Stress nicht lohnt: Das alles macht ihn wütend. Der Nachmittag vor diesem Abend, gegen 16.10 Uhr. Lenz hatte einer einäugigen streunenden EnnetHouse- Katze, die sich dummerweise auf den oberen Männerlokus verirrt hatte, Männerhaarspray Marke STARRY ins Gesicht gesprüht, aber das Ergebnis: unbefriedigend. Die Katze war einfach bloß nach unten gerannt und dabei nur einmal gegen das Treppengeländer geklonkt. Dann hatte Lenz Durchfall bekommen, was ihn immer anekelt, er musste auf dem Lokus bleiben und das kleine verzogene Milchglasfenster öffnen und die Dusche
verzogene Milchglasfenster öffnen und die Dusche auf K laufen lassen, bis sich der Gestank verzogen hatte, und Glynn, dieser Arsch, hatte an die Tür gebummert und alle auf ihn aufmerksam gemacht mit seinem Gebrüll, wer sich denn da wohl so lange den Krummstab kneten würde, ob das wohl zufällig Lenz wäre. Also wie sollte er denn da wohl Green in Zukunft gegenübertreten, wenn er jetzt Tacheles redet und ihm sagt, er will solo nach Hause gehen? Wie soll er ihm denn in Zukunft gegenübertreten, wenn es so aussieht, als hätte er Green abgewiesen? Was sagt er denn in Zukunft, wenn Green und er sich beim Saturday Night Lively auf dem Gang treffen oder beide in der Tombolapause bei der Weißen Flagge nach demselben Sandwich greifen oder halbnackt mit Handtüchern im Flur stehen und darauf warten, dass die Dusche frei wird? Was ist, wenn er Green quasi zurückweist und Green dann im Dreimannzimmer landet, während Lenz da auch noch schläft, wenn sie also im selben Zimmer wohnen und ständig konnektieren müssen? Und wenn Lenz die Zurückweisung abschwächt und Green sagt, dass er ihn mag, wo zum Geier soll er dann hinsehen, wenn er ihm das sagt? Wenn er eine weibliche Spezies ficken wollte, hätte Lenz null
Probleme, wo er hinsehen sollte. Er hätte kein Problem damit, der Torte tief in die Augen zu sehen und so ehrlich zu wirken, als würde er innerlich sterben. Oder wenn er quasi einem Brasilianer mit Rauputzteint versichern würde, er hätte das halbe Kilo nicht dreimal mit Inositol gestreckt.231 Oder wenn er ein paar Sträßken gezogen hat, hat er null Probleme damit, wem zu sagen, dass er ihn mag, sogar wenn er ihn wirklich mag. Weil das gibt seinem Geist eine Spannung, die die zwischen ihm und dem a n d e r e n in der Luft hängende befremdliche Spannung mehr als überwiegt. Kurz den Nasenturbo angeworfen, und es gibt keine Stressprobleme, wenn er Bruce G. sagt, er solle sich bitte schön verpissen, Land gewinnen, auf der Autobahn spazieren gehen, mit einer Kettensäge spielen, sich einen kurzen Pier suchen, nichts für ungut, aber Lenz müsse jetzt mal solo durch die Stadtnacht fliegen. Nach der Sache mit der Katze, dem Durchfall und dem Stunk mit D. R. Glynn, der an der Südwand des oberen Flurs zusammengesackt war und sich den Bauch hielt, sagt sich Lenz also, was zu viel ist, ist zu viel, er reißt ein kleines Viereck von der Vorrats rolle Alufolie ab, die Don G. unter der Ennet-Spüle
aufbewahrt, geht hoch und holt sich ein halbes Gramm, höchstens ein Gramm aus dem Notfalldepot in dem Höhlending, das er aus den Prinzipien der Naturvorlesungen rausrasiert hat. Das hat nichts mit einem Standardrückfallszenario zu tun, das Bing dient nur der medizinischen Unterstützung, um sich mit Green intensiv über sein Bedürfnis nach Alleinsein austauschen zu können, damit Probleme der frühen Nüchternheit gelöst werden können und dem spirituellen Wachstum nicht im Weg stehen Lenz konsumiert Kokain ausschließlich im Interesse der Nüchternheit und des Wachstums selbst. Und so feuchtet Lenz beim Treffen der Brookline Young People am Mittwoch an der Beacon in der Nähe der Newton Line in der Tombolapause gegen 21.09 Uhr sein Halbrettchen an, steckt es sorgfältig ins Päckchen zurück, gähnt, reckt und streckt sich, fühlt sich schnell mal den Puls, steht auf und schlendert lässig zum Behindertenlokus, der sich häretisch abriegeln lässt und um den Pott selbst so ein großes Gestänge hat, mit dessen Hilfe sich die Behinderten auf der Toilette niederlassen können, zieht vom Spülkasten zwei oder drei breite Linien durch die Nüstern, wischt vorher und hinterher den
Spülkasten oben mit feuchten Papierhandtüchern ab und dreht ironischerweise denselben neuen, steifen Dollarschein zusammen, den er für die Kollekte des Treffens mitgebracht hat, benutzt ihn, reinigt ihn gründlich mit dem Finger, massiert sich mit dem Finger das Zahnfleisch und legt vor dem Spiegel den Kopf weit in den Nacken, um die nierenförmigen Nasenlöcher seiner edel geschwungenen Adlernase auf anhaftende Reste in den gestutzten Nasenhärchen zu checken, schmeckt den bitteren Tropfen hinten im tauben Rachen, nimmt den sauberen, zusammengedrehten Dollarschein, entrollt und glättet ihn, hämmert ihn mit der Faust am Waschbeckenrand glatt und faltet ihn säuberlich auf die Hälfte der Hälfte der ursprünglichen Schatzamtsgröße zusammen, sodass jegliches Anzeichen, dieser Dollarschein könne je zu einem harten kleinen Röhrchen zusammengedreht worden sein, anoliert ist. Dann schlenderte er wieder zurück, als könnte er kein Duftwässerchen trüben, wusste die ganze Zeit genau, wo er hinsehen musste, und bevor er sich setzte, griff er sich beiläufig kontrollierend an die Eier. Und abgesehen von den gelegentlichen
Hemispasmen des Mundes und des rechten Auges, die er mit dem guten alten Sonnenbrillentrick und der Pseudohustetaktik kaschiert, läuft die zweite Hälfte der endlosen Redestunde des Treffens prima, findet er, obwohl er in 34 Minuten fast ein ganzes teures Rettchenpäckchen wegraucht, und d i e YoungPeopl e-AA drüben in der den Nichtrauchern vorbehaltenen Stuhlreihe an der Ostwand zu seiner Rechten werfen ihm negative Blicke zu, päpstlicher wie der Papst, wenn ihm rein zufällig mal eine noch im Aschenbecher glimmt, während er zwei im Mund hat, aber das kann Lenz mit inderferentem Aplomb wegstecken, er sitzt mit seiner Pilotensonnenbrille da, hat die Beine übereinandergeschlagen, und die bemantelten Arme ruhen auf den Rückenlehnen der freien Stühle neben ihm. Di e Nachtgeräusche der Metro-Nacht: Hafenwind pfeift über den winkligen Zement, das Sch und der Schein des Verkehrs auf den Überführungen, TPLachen in Innenräumen, das Kreischen unerlösten Katzenlebens. Nebelhörner blöken im Hafen. Verklingende Sirenen. Verworrene Möwenschreie im Binnenland. Splitterndes Glas in der Ferne. Autohupen an verstopften Kreuzungen, lautstarker
Zoff, wieder Glassplittern, Schuhe im Laufschritt, das Lachen oder der Schrei einer Frau, wer weiß wie nah oder fern, löst sich vom Raster der Straßen. Hunde verteidigen die Hundegärten, an denen sie vorbeikommen, mit rasselnden Ketten und gesträubten Haaren. Das Podiatrieklicken und klacken, der sichtbare Atem, das Schotterknirschen, Greens Lederknarzen, das Schnick von einer Million Stadtfeuerzeugen, das gazeartige Summen der stur lotrecht nach Norden zeigenden ATHSCMEs in der Ferne, das Klonken und Scheppern von Müll, der in Containern landet, das Rascheln des Mülls, der in Containern zusammenfällt, heulender Wind an scharfen Containerrändern, und das unverkennbare Klänken und Scheppern von Mülltauchern und Dosenbuddlern, die aus den Containern Dosen und Flaschen herausfischen - die Wechselstube des Bezirks liegt unten in West Brighton und war tatsächlich so dreist, sich neben einem Liquor-WorldGetränkemarkt anzusiedeln, sodass die Dosensammler in einem Aufwasch Pfand einlösen und einkaufen gehen können. Was Lenz maximär abstoßend findet, worüber er sich mit Green austauscht. Lenz äußert Green gegenüber, auf wie tausendfältig ironische Weisen das
Wahlkampfversprechen des Berühmten Schnulziers, unsere Metro-Städte zu säubern, in Erfüllung gegangen ist. Der Lärm, der nachts parallaxenhaft aus dem zwinkernden Gitternetz der Stadt dringt. Der flaumige Dunst der Monoxide. Der schwache Mösenmief, den der Wind von der Bucht heraufträgt. Die Flugzeuge, deren Landescheinwerfer als kleine Kruzifi zu sehen sind, bevor man die Triebwerke hören kann. Krähen in Bäumen. Das übliche dämmeraktive Geraschel wird hörbar. Erleuchtete Erdgeschossfenster breiten kleine Lichtteppiche auf dem Rasen aus. Verandalampen schalten sich automatisch ein, wenn man vorbeigeht. Eine Sirenenthrenodie irgendwo nördlich vom Charles. Nackte Bäume knarren im Wind. Der Wappenvogel von Massachusetts, bemerkt er zu Green, ist die Polizeisirene. Nichts nützen und grienen. Die Rufe und Schreie aus wer weiß wie vielen Blocks da draußen, und wer weiß, warum da geschrien wird. Manchmal meint er, das Ende des Schreis sei das Geräusch vom Anfang des Schreis. Der sichtbare Atem und die Regenbogenringe der Straßenlaternen und Scheinwerfer in diesem Atem. Falls die Schreie in Wahrheit nicht Gelächter sind. Das Lachen von
Lenz' Mutter hatte geklungen, als würde sie bei lebendigem Leibe gefressen. Nur - nach insgesamt vielleicht fünf in medizinisch absolut funktionalem Nichtentspannungssinne hochgenüsterten Linien - nur dass Lenz Green dann nicht versichert, dass Green ein Spitzenwert an Lenz' Börse ist, sich aber trotzdem bitte schön verpissen und ihn seinem Soloschlendern mit Hackbraten und Programm überlassen soll, sondern wie sich herausstellt, hat Lenz sich beim Effekt der Hydrolyse232 vom Bing schon wieder verschätzt; er antennenzippert die Wirkung immer als coole nonchalante verbale Gelassenheit, aber stattdessen steht Lenz auf dem Nachhauseweg unter dem überwältigenden hydrolystischen Zwang, Green oder eigentlich jeden, der nicht wegwill oder es nicht rechtzeitig wegschafft - direkt hier an seiner Seite zu haben und ihm oder einem beliebigen anderen willfährigen Ohr so ziemlich jedes einzelne Erlebnis und jeden einzelnen Gedanken seines Lebens mitzuteilen, jeder einzelnen Gegebenheit des Kasus R. Lenz Form und sichtbaren Atem zu geben, während sein gesamtes Leben (und mehr als das) über den Polarkreis seines Geistes flitzt und
Phosphene hinter sich herzerrt. Er erzählt Green, seine phobische Angst vor Chronometern habe ihre Ursache darin, dass sein Stiefvater, ein Zugschaffner bei Amtrak mit weitreichenden ungelösten Problemen, Lenz täglich seine Taschenuhr aufziehen, mit einem Poliertuch die Uhrkette wienern und nachts sicherstellen ließ, dass die von der Uhr angezeigte Zeit auf die Sekunde stimmte, sonst fiel er über den bierflaschengroßen Randy mit einem zusammengerollten Heft von Track and Flange her, einem übel schweren und beistelltischgroßen Hochglanzfachblatt. Lenz erzählt Green, wie sensationell korpulent seine verstorbene Mutter war, und unterstreicht dramatisch mit ausgebreiteten Armen die Dimensionen, mit denen man es hier zu tun hatte. Er holt ungefähr jede dritte bis vierte Begebenheit Luft, also etwa einmal pro Block. Lenz erzählt Green konfabulierend den Inhalt mehrerer Bücher, die er gelesen hat. Lenz merkt nicht, wie Greens Gesicht jedes Mal ausdruckslos zerknittert, wenn er, Lenz, auf das Thema verstorbene Mütter zu sprechen kommt.
Lenz erzählt Green euphorisch, wie er mal eine linke Fingerspitze in der Kette eines Minibikes verloren hat und wie ihm aber in ein paar Tagen intensiver Konzentration der Finger nachgewachsen war, sich wie ein Eidechsenschwanz regenerigiert hatte, was die Halbgötter in Weiß sprachlos machte. Lenz sagt, durch diesen Vorfall habe er in seiner Jugend erstmals seine ungewöhnliche Lebenskraft verspürt, seine energois de vivre, und gewusst und akzeptiert, dass er anders war als der Mann von der Straße, und er habe seine Einzigartigkeit mit all ihren Folgen akzeptiert. Lenz weiht Green ein, dass es ein Mythos sei, dass das Nilkrokodil das gefürchtetste aller Krokodile sei, und dass das gefürchtete Mündungskrokodil mit seinen Salzwassergewohnheiten unter Eingeweihten milliardenfach gefürchteter sei. Lenz stellt die Theorie auf, sein zwanghaftes Bedürfnis, die Uhrzeit jederzeit mit mikrospischer Genauigkeit zu wissen, sei ebenfalls auf den dysfunktionalen Missbrauch von Taschenuhr und Track and Flange seines Stiefvaters zurückzuführen. Das blendet über in eine Analyse des Begriffs Dysfunkti on und seine Revelanz für die
Unterscheidungen zwischen beispielsweise Psychologie und Naturreligion. Lenz erzählt, in der Back Bay hat ihm auf der Boylston vor Bonwit's mal ein aufdringlicher Prothesenverkäufer wegen eines Glasaugenschmuckstücks zugesetzt und seine Probleme zum Wuchern gebracht, und dann ließ sich in der Prothesenverkäuferreihe ein anderer Verkäufer partout nicht abwimmeln, der ihm eine Flasche mit einem vom amerikanischen Zahnarztverband zugelassenen XeroLubeSpeichelersatz mit einem konfabulierten PromiZitat von J. Gentle, B. Schnulzier, andrehen wollte, und Lenz musste Akido anwenden, brach dem Mann m i t der Handkante die Nase und trieb ihm anschließend mit dem Handballen die Knochensplitter und -fragmente ins Gehirn, eine Technik, die einen uralten chinesischen Geheimnamen hat, der Der Alte Eins-Zwei bedeutet, womit er dem Speichelfritzen in null Komma nichts die Karte umdekoriert hatte, und so hatte Lenz hautnah erfahren, dass seine Was-immer-nach-demschwarzen-Gürtel-kam- Techniken im Akido tödlich und seine Hände tödliche Waffen waren, wenn seine Probleme provoziert wurden, und er erzählt Green,
Probleme provoziert wurden, und er erzählt Green, er hätte auf der Stelle ein Gelübde abgelegt, während er wie der Teufel die Boylston zum UBahnhof Auditorium runterrannte, um der Verfolgung zu entgehen, er hätte geschworen, seine tödlichen Meisterfähigkeiten im Akido nur in ausweglosesten Situationen anzuwenden, wenn er die Unschuldigen und/oder Schwachen zu verteidigen hätte. Lenz erzählt Green, auf einer Halloween-Fete hätte er mal eine Hydrozephalin mit einer Halskette aus toten Möwen gesehen. Lenz erzählt von seinem periodisch wiedergärenden Traum, wo er unter einem tropischen Ventilator auf einem Rohrstuhl sitzt, einen L. L. Beano-Safarihut trägt und eine aus Weiden geflochtene Reisetasche im Schoß hat, und das ist alles, das ist der periodisch wiedergärende Traum. Auf der Höhe des 400er Blocks der West Beacon demonstriert Lenz gegen 22.02 Uhr für Bruce Green die geheime Akido-1-2, womit er den Speichelhökerer entkartet hatte, und zerlegt die Technik zeitlupenhaft in Einzelbewegungen, damit Greens ungeschultes Auge ihr folgen kann. Er sagt, es gibt da noch einen periodisch wiedergärenden
Albtraum von einer Uhr, deren Zeiger bis in alle Ewigkeit auf 18.30 stünden, und das sei so hosennässend grauenvoll, dass er Greens fragile Psychologie mit keiner Ausdeutung belasten wolle. Green zündet ihnen die Fluppen an und sagt, entweder kann er sich an seine Träume nicht erinnern, oder er träumt nicht. Vor dem Schaufenster einer verdunkelten InterLaceFiliale rückt sich Lenz das weiße Toupet und den Schnurrbart zurecht, macht ein paar Tai-ChiDehnungsübungen und schnäuzt sich C I la europeenne in den zugemüllten Rinnstein der W. Beacon, erst das eine Nasenloch, dann das andere, wobei er sich vorbeugt, damit nicht sein Mantel das abbekommt, was er von sich gibt. Green ist so ein Muscle-Shirt- Typ, der sich das nächste Rettchen hinters Ohr steckt, was unmöglich wird, wenn man STARRY oder ein anderes Qualitäts-Haarfixativ verwendet, weil Sprayrückstände an der Zigarette diese sonst auf ganzer Länge unerwartet in Flammen aufgehen lassen können. Lenz ergötzt seinen Zuhörer mit der Schilderung jener Halloweenfete mit der Vogelhalskette, wo auch ein Kind von
Konkavitätsflüchtlingen zugegen war, bei der Fete im Haus eines South Bostoner Kieferorthopäden, der mit der Verschreibungsmasche Lidokain233 an BingDealer vertickte, ein normalgroßes und unwildes Kind, das aber null Schädel mitbrachte und auf einer erhobenen Plattform oder einem Podest am Kamin lag, die formlose und entschädelte Kopfregion ruhte oder (erschauernd) schwappte in einer deckellosen Plastikschachtel, seine Augen waren tief ins Gesicht eingesunken, das die Konsistenz von Treibsand hatte, also das Gesicht jetzt, die Nase war konkav, und der Mund lappte nach beiden Seiten über das knochenlose Gesicht, und der ganze Kopf hatte sich dem Inneren der Plastikschachtel, in der er lag, angepasst, dieser Kopf, und hatte jetzt praktisch kubische Form, der Kopf, und die Frau mit dem Möwenköpfekranz und die anderen verkleideten Gäste hatten Halluzinogene konsumiert und Meskal getrunken und die kleinen Würmer im Meskal gegessen und gegen 23.55 Uhr im Kreis Rituale um die Schachtel auf dem Podest vollzogen und das Kind verehrt, das sie einfach Das Kind nannten, als gäbe es nur dieses Eine. Wenn die entscheidenden Flüssigkristallzeichen
von der B.B.S.B. mal von der wandernden Skyline der nächtlichen Stadt verdeckt werden, lässt Green L e n z mittels seiner billigen, aber digitalen Armbanduhr ungefähr alle zwei Minuten, vielleicht einmal pro Block, wissen, wie spät es ist. Lenz' Labialzuckungen sind am schlimmsten bei Umlauten wie ä. Lenz lässt Green wissen, dass das mit den AA/NA eine feine Sache ist, aber es steht absolut hundertpro fest, dass das eine Sekte ist, mit Green und ihm ist es anscheinend so weit gekommen, dass der einzige Ausweg aus dem Trudeln der Sucht darin besteht, sich einer Scheißsekte anzuschließen, die jeden Arsch einer Gehirnwäsche unterzieht, und der Erste, der versucht, Lenz eine Safranrobe anzulegen oder ein Tamburin in die Hand zu drücken, der ist aber dran, Bürschchen. Lenz behauptet, er kann sich an Erfahrungen erinnern, die er in vitro gemacht hat. Lenz sagt, die Ennet-Absolventen, die oft reinschneien, das Wohnzimmer verstopfen und sich gegenseitig mit Schauergeschichten über religiöse Sekten übertreffen, denen sie beigetreten sind, um von den Drogen und vom Alkohol wegzukommen,
haben zwar einen gewissen naiven Charme, aber hauptsächlich sind sie naiv. Lenz führt aus, dass Roben, Massenhochzeiten, Kahlrasuren, das Flugschriftenverteilen an Flughäfen, das Blumenverkaufen auf Mittelstreifen, das Erbschaftenverschenken, das Nichtschlafen und das Heiraten auf Befehl, ohne den, den man geheiratet hat, dann je zu Gesicht zu bekommen, in Bezug auf bizarre Sektenkriterien Baggerteller sind. Lenz erzählt Green, er kennt Leute, die einen Scheiß gehört haben, der Green das Hirn durch die Ohrenhöhlen pusten würde. Mittags lag HaI Incandenza im durchs Fenster hereinfallenden gleißenden Sonnenlicht auf dem Etagenbett und hatte die Hände vor der Brust gefaltet. Jim Troeltsch steckte den Kopf zur Tür herein und fragte HaI, was er da mache, und HaI sagte, Photosynthese, und dann sagte er nichts mehr, bis Troeltsch wegging. 41 Atemzüge später steckte Michael Pemulis den Kopf an der Stelle herein, an der eben Troeltschs gewesen war. »Hast du schon gegessen?« HaI wölbte den Bauch, tätschelte ihn und sah weiter
an die Decke. »Das Raubtier hat gemordet und sich den Bauch vollgeschlagen und liegt jetzt im Schatten des Baobab.« »Kapiert.« »Besieht sein treues Rudel.« »Ich hab's kapiert.« Über 200 Atemzüge später zog John (»N. Y.«) Wayne die angelehnte Tür etwas weiter auf, steckte den ganzen Kopf herein und blieb so, nur der Kopf ragte ins Zimmer. Er sagte nichts, und HaI sagte nichts, und so verharrten sie eine Weile, und dann verschwand Waynes Kopf leise wieder. Unter einer Straßenlaterne an der von der W. Beacon abgehenden Faneuil Street teilt Randy Lenz eine sensible persönliche Sache mit, legt den Kopf in den Nacken und zeigt Bruce Green, wo seine Nasenscheidewand war. Randy Lenz dellecktiert Bruce Green mit Einzelheiten über gewisse Immobiliensekten in Südkalifornien und an der Westküste. Über Leute aus Delaware, die, obwohl die Wissenschaft festgestellt hat, dass sie zu Augenwinkelblutungen und chronischer realweltlicher Impotenz führe, immer noch glauben, Virtuelle-Realität-Pornographie sei der
noch glauben, Virtuelle-Realität-Pornographie sei der Schlüssel zum Shrangi-La, und die außerdem glauben, irgendwo da draußen zirkuliere eine Art vollkommener digito-holographischer Porno in Form einer raubkopierten schreibgeschützten SoftwareDiskette, und sie verwenden ihr ganzes Sektenleben d a r a u f herumzuschnüffeln, um diese virtuelle Kamasupra-Diskette in die Finger zu kriegen, treffen sich an düsteren Örtlichkeiten in der wilmingtonGegend, machen versteckte Andeutungen über Spekulationen, wo und wie genau beschaffen diese Software sei und wie ihre Schnüffeleien vorankämen, sehen sich virtuelle Fickfilme an, tupfen die Augenwinkel ab usw. Oder über etwas namens Sternförmige Sekte, worüber Bruce Green garantiert keine Einzelheiten hören möchte, meint Lenz. Oder beispielsweise über diese suizidale Nuck-Sekte von Nucks, die eine Art russisches Roulette verehrten, bei dem man vor nahenden Zügen über die Gleise sprang, und gewonnen hatte der Nuck, der an den Zug am nächsten herankam, ohne entkartet zu werden. Was sich anhört wie Lenz beim Kaugummikauen, ist Lenz, der gleichzeitig reden und mit den Zähnen knirschen will.
knirschen will. Lenz gibt mündlich wieder, wie sich die blaubewestete Wampe seines Stiefvaters immer ein paar Sekunden vor dem Schaffner in einen Raum geschoben hatte, wobei die Uhrkette über dem unheilvollen Schlitz der Taschenuhrentasche glänzte. Wie seine Mutter dort in Fall River für Reisen und Spritztouren aus Prinzip den Greyhound-Bus genommen hatte, hauptsächlich um ihren Stiefgatten auf die Palme zu bringen. Lenz diskutiert den großen Nachteil des Einzelhandels mit Bing, der darin bestehe, dass die Kunden einem morgens um 3.00 die Bude ein rönnen, in Sachen Ressourcen Scharpie trügen, einem Schienbeine und Knöchel umklammerten und einen um bloß ein halbes oder ein zehntel Gramm anflehten und Lenz ihre Kinder anböten, als wollte Lenz mit ihren Scheißgören was zu schaffen haben, und das seien Szenen, die ihm immer die Existenz verschatteten. Green, der beim Hochnüstern auch kein Kind von Traurigkeit gewesen ist, sagt, er hätte immer den Eindruck gehabt, Kokain würde einen bei der Gurgel packen und nicht mehr loslassen, und er könne
nachvollziehen, warum die Bostoner AA Bing einen »Expressfahrstuhl zu den AA« nannten. Auf einer von Müllcontainern gesäumten Abkürzung zwischen der Faneuil St. und der Brighton Ave. in Brighton, kurz nachdem Green fast in etwas getreten wäre, was er für Menschenkotze hält, da ist er sich ziemlich sicher, beweist Lenz logisch, warum es nur allzu wahrscheinlich ist, dass der Ennet- HouseInsasse Geoffrey D. eine Klemmschwuchtel ist. Lenz berichtet, wie ihm in der Vergangenheit angetragen worden ist, Dressman und Schauspieler z u werden, aber in der Dressmenund Schauspielerszene wimmelt es nur so von Klemmschwuchteln, und das ist keine Arbeit für einen Mann, der weiß, was für seinen Charakter angesagt und was abgesagt ist. Lenz stellt lautstarke Vermutungen an, dass das Gerücht munkelt, in der rhythmischen Üppigkeit von Teilen der Großen Konkavität im Nordosten agierten a u f heuschreckenartige Weise ganze Horden und Herden wilder Tiere, die dem Vernehmen nach von Haustieren abstammten, die während der Umsiedlungen auf einer O.N.A.N.-Karte ausgesetzt worden seien, und ganze Mannschaften von
Fachleuten, Amateurforschern, Rittern ohne Furcht und Tadel sowie Sektierern hätten sich in Gebiete nordöstlich der Kontrollpunkte entlang der lucitebewehrten ATHSCMinierten Mauern gewagt und seien dort auf Nimmerwiedersehen verschwunden, wie vom Kurzwellenspektrum verschluckt oder vom Radarschirm gefallen. Green, stellt sich heraus, hat keinerlei Begriffe von oder Ansichten zu Themen wie Fauna der Konkavität. Er sagt wortwörtlich, darüber hat er noch nie nachgedacht. Von ganzen NNO-Sekten und sternförmigen Subsekten berichtet Lenz, die sich um Glaubenssysteme herum gebildet haben, die die Metaphysik der Konkavität, der Annularfusion, der a l a v.-SZ-1950erB-Patronen-mäßig verstrahlten Fauna, der Überdüngung und der knallgrünen Wälder mit periodischen Oasern gemunkelter Wüsten betreffen sowie alles andere, was sich östlich der ehemaligen Montpelier-Gegend in Vermont befinden mag, wo der annulierte Shawshine in den Charles mündet und ihn mit exakt demselben Blau färbt, das auch die Hefty-SteeISaks-Schachteln ziert, und dann auch von der Vorstellung
beutelgieriger Herden verwilderter Hausschoßtiere und überdimensionierter Insekten, die die verlassenen Häuser umgesiedelter Amerikaner angeblich nicht nur übernommen, sondern auch renoviert haben, in tadellosem Zustand halten und für satte Differenzen zwischen Marktwert und Hypothek sorgen, und von der Vorstellung von Kindern in der Größe prähistorischer Kreaturen, die die Quadranten der überdüngten Ostkonkavität unsicher machen, riesige Losungshaufen hinterlassen und nach den abtreibenden Eltern spähen, von denen sie in den allgemeinen geopolitischen Wirren der Massenmigration und des echt überhasteten Packens verlassen oder verloren wurden, oder die, wie manche der Sektierer vom LimbaughÄra- Typ glauben, aus Abtreibungen stammen, derer man sich hastig in Fässern in Abwassergräben entledigte, die aber zu Bruch gingen und ihren schrecklichen Inhalt mit dem anderer Fässer mischten, der die abgetriebenen Föti reanimierte und zu einer Art widerwarzigern, überdimensioniertem B-Patronen-Leben heranwachsen ließ, das jetzt im Norden der Gegend umherdonnerte, wo der Endunterzeichnende und Green durch das Stadtstraßenraster schlenderten.
Von einem lokalen sternförmigen Untergrundableger der Bob-Hope-verehrenden Rastafaris, die riesige Spliffs rauchten und ihre negroiden Haare zu Clustern nasser Zigarren gedreht trugen wie die Rastafaris, aber anders als die Rastafaris verehrten diese Post- Rastas das Kind, und jedes Jahr zu Neujahr zogen sie gebatikte Parkas und Pappschneeschuhe an und machten sich, Shitschwaden hinter sich herziehend, in den Norden auf, vorbei an den Mauern und Gebläsen am Kontrollpunkt Pongo, hinein in die ehemaligen Staaten Vermont und New Hampshire, wo sie das K i n d suchten, als gäbe es nur dieses Eine, Paraphernalien schwenkten für eine kultische Zeremonie, die sie con sardine als Sühneopfer für das Kind bezeichneten, ganze Gangs sternförmiger, Reggae hörender Kiffer und Kindsektierer verschwanden jeden Winter für immer vom Radarschirm der Menschheit, wurden nie wieder gehört oder gerochen und von Mitsektierern als Märtyrer und/oder Lämmer angesehen, die von ihren zeppelingroßen Spliffs vielleicht auch nur zu be dröhnt waren, um aus der Konkavität wieder herauszufinden, und erfroren oder von Herden
verwilderter Schoßtiere umschwärmt oder von Insekten, die ihre Immobilienwerte schützten, erschossen wurden oder ... (Gesicht pflaumenblau, endlich Luft holend) Schlimmeres. Lenz schaudert es beim bloßen Gedanken an die tobende Machtlosigkeit, die er empfinden würde, vertraut er Green an, wenn er verloren und desorientiert im Kreis umherwanderte, an blendend weißen, frostklirrenden Orten nördlich der domestizierten Menschheit, zeitvergessen und nicht einmal des gottverfluchten Datums eingedenk, der Atem ein Eisbart, mit nichts zum Überleben als Zunder, Verstand und Charakter und mit nichts bewaffnet als einem Browning-Messer. Green meint, wenn die Bostoner AA eine Sekte sind, die einen der Gehirnwäsche unterzieht, sagt er sich, hat er wohl einen Punkt erreicht, wo sein Gehirn einen anständigen Vollwaschgang brauchen kann, was Lenz schon als einen nicht sonderlich originellen Gedanken kennt, denn genau das wiederholt dieser Riesenschrumpfschädel Don Gately ungefähr einmal pro Diem.
Kap. 48 - AUSGEWÄHLTE SCHNIPSEL AUS DEN INFORMELLEN KONNEXIONEN EINZELNER INSASSEN MIT D. W. GATELY, BETREUER, ENNET HOUSE DRUG AND ALCOHOL RECOVERY HOUSE, ENFIELD, MASSACHUSETTS, ZU VERSCHIEDENEN ZEITPUNKTEN VON UNMITTELBAR NACH DEM AATREFFEN DER BROOKLINE YOUNG PEOPLE BIS ETWA 23.29 UHR, MITTWOCH, 11. NOVEMBER J. D. I.-u. »Ich weiß nicht, was der Scheiß soll, dass du immerzu was vom Football hören willst. Und ich lass hier garantiert nicht meine Scheißmuskeln spielen. Das ist idiotisch.« »Gebongt.«
»Es ist unangemessen, da du solche Wörter so magst.« »Aber dieser Typ v o m Teilen und Heilen, der Vorsitzende d e r Halbe Sachen nützen uns nichtsGruppe in Sudbury, der hatte Macht über ihn. Der Vorsitzende hat gesagt, er war früher Nuklearrevisor. Für die Verteidigungsindustrie. Dieser Mann, der extrem ruhig und zerbrochen wirkte und so väterlich und seltsam. Er hatte eine Art Aura gebrochener Autorität.« »Ich weiß, was du meinst. Du, ich versteh das, du.« » ... das hatte so was Väterliches.« »Der Sponsorentyp. Mein Sponsor ist auch so, Joelle, bei der Weißen Flagge.« »Darf ich dich was fragen? Lebt dein eigener leibhaftiger Daddy noch?« »Keine Ahnung.« »Oh. Oh. Meine Mutter ist tot. Füttert die Würmer. Mein eigener leibhaftiger Daddy schnappt aber noch nach Luft. So drückt er das immer aus - er schnappt noch nach Luft. In Kentucky.« » ... « »Meine Mutter ist schon ewig in der
Wurmfutterbranche.« »Und was hast du jetzt an diesem Halbe-SachenTyp so hart gefunden?« »Harrt. Harrrrrt. Hör mal, wie das klingt.« »Echt witzig.« »Das ging schon damit los, Don, dass er über sich gesprochen hat, als wäre er jemand anders. Quasi ein ganz anderer Mensch. Er hat gesagt, er hätte früher immer einen vierteiligen Anzug getragen, und der vierte Teil wäre er gewesen.« »In der Allstoner Gruppe gibt es auch einen Typen, der den Witz ständig bringt.« »Er hatte ein echt schickes dickes weißes Baumwollhemd an, am Hals offen, und eine weizengelbe Hose und Loafer ohne Socken, was ich ja, also ich bin jetzt zehn Jahre hier oben, Don, aber das will mir noch immer nicht in den Kopf; warum tragt ihr hier alle echt schicke Schuhe, aber ruiniert sie euch, indem ihr die ständig ohne Socken tragt?« »Joelle, du bist unter dem da vielleicht die Letzte, die Inventur machen sollte, wenn sich andere schräg anziehen.« »Vielleicht leckst du mich mal an meinem rosaroten
Arsch.« »Erinner mich daran, im Übergabebuch festzuhalten, dass es echt positiv ist zu sehen, wie du langsam auftaust.« »Na, und ich hab da zwar Bedenken, Don, aber Diehl und Ken haben gesagt, ich soll damit zu dir gehen, mit dem Problem von, was da draußen abgeht, und Erdedy sagt, das ist eine Frage fürs Personal und da-da da-da.« »Haben wir heute Abend zufällig ein bisschen Kaffee getrunken, Fass?« »Na ja, Don, und quasi, du weißt doch und da-da.« »Lass dir Zeit. Einatmen und langsam ausatmen. Ich lauf dir nicht weg.« »Jedenfalls, Käseknabberer kann ich auch nicht ab, aber Geoff D. und Nell G. da draußen im Wohnzimmer befragen alle Neuen, ob sie glauben, i h r höheres Wesen wäre so allmächtig, dass es einen Koffer erschaffen kann, der so schwer ist, dass es ihn nicht heben kann. Das machen sie mit allen Neuen so. Und dieser flipperige kleine Dingley« »Tingley. Der Neue.« »Jedenfalls der sitzt im Wäscheschrank, Don, und
nur seine Beine ragen aus dem Wäscheschrank, und er hat Glupschaugen, und der Rauch kommt ihm praktisch schon aus den Ohren raus und da-da dada und er so es kann aber es kann nicht aber es kann, in Bezug auf den Koffer jetzt und da-da, und Diehl sagt, das ist jetzt aber Sache des Personals, das ist negativ, was Day da macht, und Erdedy sagt, ich bin Seniorinsasse und soll damit zum Personal gehen und gefälligst Käse fressen.« »Mist.« »Diehl sagt, bei einem so negativen Fall und da-da, da ist das alles andere als Petzen.« »Stimmt, find ich auch. Petzen ist das nicht.« »Und ich hab da so ein Karamellplätzchen mitgebracht, Hanley hat da ein ganzes Blech von gebacken, und Erdedy sagt, das ist kein Arschkriechen, sondern einfach grundanständig.« »Erdedy ist eine Stütze der Gemeinschaft. Ich muss hier am Telefon bleiben. Kannst du Geoff und NeU sagen, sie könnten mal hier antanzen, wenn sie beim Neuefoltern grade Pause machen?« »Wenn's
recht ist, lass ich den Teil mit dem
Neuefoltern wahrscheinlich weg, Don.« »Apropos, das Plätzchen hast du immer noch in der Hand, merk ich grade.« »Herrgott, das Plätzchen. Herrgott.« »Und krieg dich wieder ein, okay, Kleiner?« »Ich hab bis 22.00 Telefondienst. Versuch's mit dem Pömpel, und sonst sag Bescheid, dann ruf' ich 'n Klempner.« »Ich hab mir gedacht, es wär vielleicht von Vorteil, wenn das Personal den Neuen die Tatsache beipulen könnte, dass das H auf dem H-Wasserhahn in der Dusche in Wirklichkeit also dass das für Heilige Scheiße, ist das kalt steht.« »Möchtest du damit hintenrum zu verstehen geben, dass es im Bad Probleme mit den Wassertemperaturen gibt, McDade?« »Ich sag bloß, was ich dir sagen wollte, Don. Schickes Hemd übrigens, aber das nur am Rande. Mein Vater hat auch gebowlt, als er noch einen Daumen hatte.« »Das juckt mich nicht, was das Ekelpaket gesagt hat, Yolanda. Sich morgens hinzuknien und um Hilfe bi tten heißt nicht, du kniest dich morgens hin,
während dieser Perversling vor dir steht, den Hosenschlitz aufmacht und du bi ttest in den Hosenschlitz rein um Hilfe. Ich hoffe bloß, das hat kein männlicher Insasse gesagt. Das ist übrigens so ein Grund, warum nur gleichgeschlechtliche Sponsoren empfohlen werden. Weil, hier hat's nämlich echt abartige Arschlöcher, verstehst du? Wenn ein AA einer neuen Frau im Programm sagt, sie soll sein Teil zu ihrem höheren Wesen machen, würd ich um den Typ einen großen Bogen machen. Klar, worauf ich hinauswill?« »Und ich hab dir noch nicht mal gesagt, wie ich dem höheren Wesen seiner Meinung nach abends danken soll.« »Ich würde eine breite Straße überqueren, um so einem AA aus dem Weg zu gehen, Yolanda.« »Und dass er gesagt hat, dass ich immer im Süden von ihm bleiben, also dass ich mich südlich von ihm halten soll und dass ich mir eine Digitaluhr kaufen muss.« »Heilige Scheiße, das ist Lenz. Meinst du die ganze Zeit Lenz?« »Ich hab keine Namen genannt. Am Anfang war alles Jubel, Trubel, Heiterkeit, als ich bei ihm
alles Jubel, Trubel, Heiterkeit, als ich bei ihm angekommen bin, da war er auch ne Hilfe, der Typ, wo ich keinen Namen nenne.« »Du hast Probleme mit dem Teil beim zweiten Schritt, wo's um Wahnsinn geht, und du nimmst Randy Lenz als Sponsor?« »Das ist ein amonühnes Programm, schon vergessen?« »Herrgott, Kind.« Orin (»0.«) Incandenza steht in einem gemieteten Zimmer und umarmt ein angebliches Schweizer Handmodell. Sie umarmen sich. Ihre Gesichter werden Sexgesichter. Anscheinend der klare Beweis eines gütigen Schicksals oder Weltgeistes, dass dieses unglaubliche Exemplar just in dem Moment im Sky Harbor Int. Airp. aufgetaucht war, als Orin die noble Stirn an die Scheibe des Flugsteigs mit Blick auf die Rollbahn lehnte, nachdem er Helen Steeply freiwillig die ganze Albtraumstrecke den 1-17/-10 runter zum scheußlich blendenden unbefahrbaren Flughafen chauffiert hatte und das Subjekt im Auto nicht nur nicht besonders dankbar gewesen war, sondern ihm auch nicht einmal erlaubt hatte, ihm während der Fahrt eine freundliche und hilfreiche
Handfläche auf den unglaublichen Quadrizeps zu legen, ärgerlich geschäftsmäßig aufgetreten war und nur ein Thema verfolgte, nämlich schmutzige Familienwäsche zu waschen, was zu unterlassen er sie fast angefleht hatte, da es ihm gegenüber 234 ungehörig war - dass, während er mit der Stirn an der Scheibe der Westoner Hintertür - bzw. der Scheibe am Flugsteig Delta - dastand und kaum mehr als ein mokantes Lächeln empfangen hatte und das Versprechen, nach Möglichkeit Hallie zu grüßen, dieses unglaubliche Exemplar - unaufgefordert und ohne vorgängige Strategie seinerseits - an ihn herangetreten war, ein üppig ausländisch akzentuiertes Gespräch mit ihm angeknüpft und professionell bildschöne Hände gezeigt hatte, während sie in ihrer Tripolymerhandtasche wühlte und ihn bat, ihrem Sohn im Krabbe/alter einen Souvenirfootball der Cardinals zu signieren, den sie zufällig (! ) i n der Handtasche bei ihrem Schweizer Pass hatte - als streckte das Universum die Hand aus, um ihn vom Rand des Abgrunds der Verzweiflung zurückzureißen, der sich immer auftat, wenn sein Bedürfnis nach einem auserkorenen Subjekt zurückgewiesen geblieben oder frustriert
worden war, als schwankte er mit herumrudernden Armen in großer Höhe umher, ohne auch nur idiotische rote Flügel an den Rücken geschnallt bekommen zu haben, und als streckte das Universum diese bildschöne, beruhigende linke Hand aus und zöge ihn sanft zurück und umarmte ihn und tröstete ihn weniger, als dass sie ihn an das Wer und Was seines Vorhabens erinnerte, steht er da und umarmt ein Subjekt, das sein Sexgesicht mit einem Sexgesicht erwidert, schweigend, Football und Stift auf dem ordentlich gemachten Bett, die beiden umarmen sich zwischen Bett und Spiegel, wobei die Frau Richtung Bett sieht, sodass Orin hinter ihr den großen Wandspiegel und die auf der holzgemaserten Kommode unter dem Fenster angeordneten kleinen gerahmten Fotos ihrer Schweizer Familie sieht235, den hängebackigen Mann und die schweizerisch aussehenden Kinder, die vertrauensvoll ein Nichts irgendwo oben zu ihrer Rechten anlächeln. Sie haben in den sexten Gang geschaltet. Ihre Lider flattern; seine schließen sich. Konzentrierte taktile Zartheit. Sie ist linkshändig. Es geht nicht um Trost. Sie fangen mit dem Punkt gegenseitiges Aufknöpfen
an. Es geht nicht um Eroberung oder Einnahme mit Gewalt. Es geht nicht um Drüsen, Instinkte oder die Sekundenbruchteile lang erschauernde Oknophilie des Selbstverlusts; auch nicht um Liebe oder darum, wessen Liebe man im tiefsten Inneren ersehnt, von wem man sich verraten fühlt. Nie und nimmer um Liebe, die den mordet, der sie braucht. Der Punter hat eher das Gefühl, es geht um Hoffnung, die unermessliche Hoffnung, weit wie der Himmel, unter den flatternden Lidern eines jeden Subjekts etwas zu finden, das die Hoffnung günstig stimmen, ihr irgendwie Tribut zollen möge, das Bedürfnis, Sicherheit zu erlangen, dass er sie einen Augenblick l a n g hat , sie von jemand oder etwas anderem gewonnen hat, etwas anderem als ihm, aber dass er sie hat und der und nur der ist, den sie sieht, dass es keine Eroberung ist, sondern eine Kapitulation, dass er sowohl Angriffs- als auch Abwehrspieler ist und sie weder noch, nichts als diese ihre Liebe von einer Sekunde Dauer wirbelnd in seine Richtung funkt, nicht seine sondern i hre Liebe, dass er di e hat, diese Liebe (er jetzt ohne Hemd, im Spiegel), dass sie ihn eine Sekunde lang mehr liebt, als sich ertragen lässt, dass sie ihn (wie sie spürt) haben muss, ihn in sich aufnehmen muss und sonst in
muss, ihn in sich aufnehmen muss und sonst in Schlimmeres als nichts zergeht; dass alles andere fort ist: Ihr Sinn für Humor ist fort, ihre Wehwehchen, T r i u mp h e , Erinnerungen, Hände, Karriere, Treubrüche, Tode von Haustieren - dass sie von einer Lebendigkeit erfüllt wird, der alles abgesaugt wurde bis auf seinen Namen: 0., G . Dass er ihr Einziger ist, ihr A und o. (Vielleicht ist auch das ein Grund, warum ein Subjekt nie genug ist, warum eine Hand nach der anderen sich herabsenken muss, um ihn vor dem endlosen Sturz zu bewahren. Denn gäbe es für ihn jetzt nur die eine spezielle, dann wäre der Einzige nicht er oder sie, sondern das, was zwischen ihnen wäre, die alles auslöschende Dreifaltigkeit von Dir und Mir zu Uns. Grin hat das einmal empfunden, sich nie davon erholt und wird sich auch nie erholen.) Und um Verachtung, es geht neben dem Hoffen und dem Brauchen auch um eine Art Hass. Weil er sie alle braucht und diese eine braucht, weil er sie braucht, fürchtet er sie und darum hasst er sie ein bisschen, hasst sie alle, ein Hass, der sich als Verachtung maskiert, die er mit den Liebkosungen kaschiert, mit denen er die Sache mit den Knöpfen
macht, die Bluse streichelt, als wäre sie ein Stück von ihr und ihm. Als hätte sie Gefühle. Sie haben einander sorgfältig ausgezogen. Ihre Lippen verschmelzen; sie ist sein Atem, er schließt die Augen vor ihrem Blick. Im Spiegel sind sie nackt, und in einem virtuosen Jitterbug, der 100 % Neue Welt ist, benutzt sie O.s ungleiche Schultern als Stütze, schlingt ihm die Beine um den Nacken, neigt sich zurück, und mit nur einer Hand in ihrem Kreuz, um ihr Gewicht zu stützen, trägt er sie zum Bett wie ein Kellner ein Tablett. »Humpf« »Hörrump.« »Also, ein Übermaß von tausend Entschuldigungen für meine Kollision.« »Arslanian? Bist du das?« »Es ist ich, Idris Arslanian. Wer ist dieser andere?« »Ted Schacht, Id. Was soll die Augenbinde?« »Wohin bin ich bitte schön gekommen? Ich wurde auf einer Treppe desorientiert. Ich wurde gepanikt. Ich hätte fast meine Augenbinde entfernt. Wo sind wir? Ich nehme viele Gerüche wahr.« »Du bist kurz vor dem Kraftraum, im kleinen Flur vor dem Tunnel, aber nicht dem Flur, der zur Sauna führt. Aber was soll die Augenbinde?«
führt. Aber was soll die Augenbinde?« »Und der Ursprung dieses Geräuschs von hysterischem Weinen und Stöhnen, das ist -?« »Das ist Anton Doucette da drinnen. Er hat eine klinische Depression. Lyle versucht, ihn aufzumöbeln. Ein paar grausamere Jungs sind dabei und sehen zu, als wäre das belustigend. Mich hat's angekotzt. Ein leidender Mensch ist nicht lustig. Ich habe meine Übungen absolviert, und jetzt bin ich ein Kondensstreifen.« »Du siehst gestreift aus?« »Stets ein Vergnügen, auf dich zu stoßen, Id.« »Erwarte. Bitte führe mich nach oben oder in die Umkleide, um eine Toilette aufzusuchen. Meine Augenbinde ist experimentell von Thorp. Du bist erzählt von dem optisch anders befähigten Spieler, der sich einschreiben wird?« »Dem Blinden? Irgendwo aus Waldschratstown, Iowa? Dempster?« »Dymphna.« »Der kommt erst nächstes Halbjahr. Verzögert sich, hat Inc gesagt, haben die gesagt. Duralödem oder
so.« »Obwohl erst neun Jahre alt, ist er in der Rangliste von den bis Zwölf jährigen in der Region Mittlerer Westen hoch platziert. Trainer Thorp hat dies erzählt.« »Also für einen blinden Weichschädel ist er echt hoch platziert, Id, das stimmt.« »Aber Dymphna. Ich höre, Thorp erzählt, diese Höhe von der Platzierung könnte mit der Blindheit selbst zu tun haben. Thorp und Texas Watson waren die Scouts, die diesen Spieler entdeckt haben.« »Den Namen Watson würde ich an deiner Stelle nicht unbedingt in der Nähe des Kraftraums aussprechen.« »Thorp erzählt, diese Exzellenz von dem Spiel, die sie entdeckten, ist seine Antizipation. Wie in der Spieler Dymphna erreicht den erforderlichen Ort deutlich vor dem Ball von dem Gegner, durch Antizipation. « »Ich weiß, was Antizipation ist, Id.« »Thorp erzählt zu mir, diese Exzellenz in der Antizipation in den Blinden ist weil Hören und Schall, weil Schall ist nur ... hier. Bitte lies den Kommentar, den ich sorgfältig auf diesem zusammengefalteten
den ich sorgfältig auf diesem zusammengefalteten Blatt Papier notiert habe.« »Schall nur -Variationen der Intensität« - »Throp. Throp?« »Es war gemeint Thorp, in der Erregung. Er sagt, dass man die VWTS236 von dem gegnerischen Spieler mit dem Ohr nolens volens mit mehr Detailliertheit beurteilen kann als mit dem Auge. Das ist experimentelle Theorie von Thorp. Das ist erklärend, warum der hoch platzierte Dymphna wie von Zauberers Hand immer schon zu der erforderlichen Stelle hin zuge schwebt sein scheint, wo bald ein Ball landet. Thorp erzählt dies in überzeugender Manier.« »N olens volens ?« »Dass dieser Blinde nach der Intensität von dem Schall von dem Ball an den Saiten von dem Schläger von dem Gegner einschätzen kann, wo die notwendige Stelle von der Landung ist.« »Statt den Kontakt zu beobachten und den Beginn der Flugbahn imaginativ zu extrapolieren, wie wir vom Sehvermögen Gehemmte das tun.« »Ich, Idris Arslanian, ist Respekt abgenötigt von Thorps Erzählung.«
Thorps Erzählung.« »Was die Augenbinde erklärt.« »Ich experimentiere folglich mit freiwilliger Blindheit. Trainiere das Ohr auf Grade von der Intensität von dem Spiel. Heute habe ich beim Spiel gegen Whale die Augenbinde getragen.« »Und? Wie ist es gelaufen?« »Nicht so gut wie gehofft. Ich wendete mich wiederholt in die falsche Richtung für das Spiel. Ich beurteilte wiederholt von der Intensität von Bällen, geschlagen auf benachbarten Courts, und rannte auf benachbarte Courts und störte das Spiel.« »Wir hatten uns schon gewundert, warum es da unten bei den U14ern so ein Tohuwabohu gab.« »Thorp erzählt, das Trainieren von dem Ohr ist ein Prozess von der Zeit, zu der Ermutigung.« »Okay, bis denne, Id.« »Stopp. Warte vor dem Aufbrechen. Bitte führe mich zu einer Toilette. Ted Schacht? Bist du noch zugegen?« » ... « »Bist du noch zugegen? Ich sehr -« »Waff Pass doch auf, wo du langläufst, Herrgott
noch mal.« »Wer ist das bitte?« »Troeltsch, James L., leicht vorgebeugt.« »Es ist ich, Idris Arslanian, der ein kunstseidenes Taschentuch als Augenbinde über den Gesichtszügen trägt. Ich bin desorientiert und erwünsche sehnlichst eine Toilette. Frage auch, was sich in dem Kraftraum ereignet, wo ihr alle Doucette in klinischer Depression weinen beobachtet, postuliert Schacht.« »Kawuuuschsch! War bloß 'n Scherz, Ars. In Wirklichkeit bin ich Mike Pemulis.« »Dann kannst jetzt auch du, Mike Pemulis, dich fragen, warum diese Augenbinde auf Idris Arslanian ist.« »Was denn für 'ne Augenbinde? Sag bloß, du trägst auch so 'ne Scheißaugenbinde, Ars?« »Du, Mike Pemulis, trägst auch eine Augenbinde ?« »Bin grad in dich reinkawuscht, Brother.« »Ich wurde auf einer Treppe desorientiert und konversierte dann mit Ted Schacht. Ich bin argwöhnisch, ich traue deinem Sinn für Lachen nicht genug, mich wieder nach oben zu führen.« »Du solltest dich da reintasten und dir kurz mal die
Mengen Vollstress-Schweiß anschauen, die Lyle da drinnen bei Anton (»Der Popel«) Doucette abschlabbert, Ars.« »Doucette ist der Doppelhandspieler mit dem Leberfleck, der Material aus einem Nasenloch zu sein erscheint, was in seiner Erscheinung Doucette klinisch deprimiert.« »Korrekt, was den Leberfleck angeht. Nur ist der Popel diesmal nicht deswegen deprimiert. Diesmal, haben wir uns geeinigt, beschreiben wir es eher als eine ängstliche Depression und nicht als Depression.« »Man kann von verschiedenen Typen deprimiert sein?« »Junge, bist du jung, Ars. Der Popel redet sich ein, ihm steht der schulische Rausschmiss bevor. Er war jetzt das ganze Jahr auf Probe, seit er anscheinend im letzten Jahr Probleme mit Thorps kubischer Trigo« »Ich gebühre ihm mein Mitleid in toto.« »- und aber jetzt behauptet er steif und fest, er rasselt in Watsons lachhaftem Energie-ÜberblicksKurs durch, und das würde am Halbjahrsende ganz klar den Rausschmiss bedeuten, wenn er da wirklich
durchrasselt. Hat sich vor Angst in die totale Denksperre reingedacht. Er ist da drinnen mit Lyle und Mario und hält sich den Kopf, und ein paar von den weniger netten Schülern schließen Wetten ab, ob Lyle ihn wohl vom Abgrund zurückziehen kann.« »Der Prorektor Texas Watson unterrichtet von Energie in Modellen von der Ressourcenknappheit und von der Ressourcenfülle.« »Ars, ich nicke bestätigend. Von fossilen Brennstoffen bis hinauf zu Annularfusions-/ fissionszyklen, DT - Lithiumisierung und so weiter und so fort. Alles auf total oberflächlicher Ebene, denn Watson hat eben nur einen kleinen flüssigkeitsgefüllten Knubbel am oberen Ende der Wirbelsäule, wo andere Menschen ein Gehirn haben.« »Texas Watson überwältigt nicht gerade durch Gescheitheit, das ist wahr.« »Doucette redet sich aber ein, er hat eine unüberzwingbare konzeptuelle Blockade, die ihn daran hindert, die Annulation auch nur ansatzweise zu verstehen.« »Nach unserer Konversation führst du mich bitte zum Urinieren.«
»Dieselbe Blockade überfällt manche Leute, wenn es um den Mittelwertsatz geht. Oder in der Optik, wenn wir zu den Farbfeldern kommen. Ab einem bestimmten Abstraktionsgrad ist es, als prallte das Hirn zurück.« »Was im Schädel Schmerz von dem Aufprall bewirkt und im Halten vom Kopf kulminiert.« »Watson ist mit ihm noch einen km weiter gegangen. Watson hat ein gutes Herz, wenn schon sonst nichts. Er hat Illustrationstafeln ausprobiert, Merkverse, sogar Knettrick-Filmausschnitte aus den Förderklassen drüben an der Rindge-Latin.« »Du sagst mit Vergeblichkeit.« »Ich sage, anscheinend sitzt Popelinski im Kurs einfach nur da, die Augen glotzen, der Magen verknotet sich, dopegeknallt vor Angst. Ich sage erstarrt.« »Du sagst zurückgeprallt.« »Seine rechte Gesichtshälfte ist in diesem AngstTic erstarrt. Stellt sich vor, wie ihm jede nur erdenkliche Tenniskarriere wie mit so kleinen Flügeln auf und davon flattert. Gibt diesen ganzen verrückten
selbstverkleinernden Ängstliche-Depressions-Mist von sich. Angefangen hat das Ganze mit ihm, Mario und mir in der Sauna, er hat 'n Zusammenbruch, Mario und ich versuchen, ihm diesen verrückten Mitfünfzehn-weg-vom-Fenster-Katzenjammer auszureden, Mario schlägt Kapital aus einem früheren quasi therapeutischen Vertrauen des Jungen wegen dem Leberfleck, und dann versuch ich, ihm die DT-Annulation in so groben Umrissen zu skizzieren, dass sie jeder Wirbellose verstanden hätte, Herrgott noch mal. Und dabei kippen wir wegen der Sauna die ganze Zeit praktisch aus den Pantinen. Schließlich bringen wir ihn zu Lyle rein, wo die U18er noch beim Zirkeltraining sind. Jetzt arbeitet Lyle mit dem Popel. Durch die Angst und den Saunamarathon ist der alte Lyle am Dauerpicheln, davon kannst du ausgehen.« »Auch ich beichte Erfahrungen von der Angst vor der Annulation mit Tex Watson, obwohl ich trivialiter dreizehn bin und mich mit der Naturwissenschaft noch nicht herumplagen muss.« »Mario hat Doucette in der Sauna gesagt, er soll sich einfach vorstellen, wie jemand mit einer an den Boden genagelten Hand Purzelbäume schlägt, was
zum Geier das auch heißen soll, und man höre und staune, es war dem Popel keine große Hilfe.« »Zog nicht den Schleier von der Maya fort.« »Für die Katz.« »Annulare Energiezyklen sind intensiv abstrakt, glaubt mein Heimatland.« »Dabei wollte ich Pop nur beibiegen, dass DTZyklen gar nicht so scheißschwer sind, wenn man s i c h den Grips nicht mit GeflügelteKarriereGripscomics verkleistert. Gut, bei der extraheißen Brüterung und Lithiumisierung wird's ein bisschen haarig, aber die ganze Fusion-/Fission-MüllAnnulation kann man sich in toto als nichts anderes als ein riesiges rechtwinkliges Dreieck vorstellen.« »Du kündigst an, den Vortrag in einer Nussschale zu halten.« »Präge dieses eine simple Modell deinen schlichten pakistanischen Arbeitsspeicherzellen ein, und du wirst durch Watsons Knirpsphysik und in die Optik hochsteppen, und da fliegen dann wirklich die abstraktbegrifflichen Fetzen, Junge, darauf kannst du aber einen lassen.« »Ich bin einer von den wenigen in meinem Heimatland, von denen die Talente in der Wissenschaft unglücklicherweise schwach sind.«
»Deswegen hat Gottvater dir ja auch schnelle Hände gegeben und einen üblen Rückhand-Lob. J e t z t stell dir mal eine Art gewaltiges pseudokartographisches rechtwinkliges Dreieck vor.237 Du hast deine zentrale, nach Strich und Faden bewachte müllintensive O.N.A.N.SunstrandFusionsanlage da oben im ehemaligen Montpelier im ehemaligen Vermont in der Konkavität. Von Montpelier werden die Fusionsrückstände zu zwei Anlagen gepumpt, von denen die eine nachts als blaues Glühen oben beim Gebläsekomplex bei Methuen zu sehen ist, knapp südlich der Konkavität, direkt an der Mauer am Kontrollpunkt Pongo-« »Worauf die riesigen und schlafraubenden Gebläse in unserem Gebiet zeigen, um sie von dem Süden wegzublasen.« »- Korrekt, wo das Plutoniumfluorid vom Müll der Toxofusion zu Plutonium-239 und Uran-238 raffiniert und in einem normalen, wenn auch etwas heißeren und riskanteren Brütersystem kerngespalten wird, was umfangreiche Mengen radioaktiven U-239-Müll produziert, der mittels Pipeline, Katapult oder langen glänzenden Sattelschleppern zum ehemaligen L WS Loring befördert wird - dem Luftwaffenstützpunkt in
der Nähe der ehemaligen Stadt Presque Isle im ehemaligen Maine -, wo er auf natürliche Weise erst zu Neptunium-239 und dann Plutonium-239 zerfällt und schließlich der Abfallfraktion UF4 beigemischt wird, die ebenfalls von Montpelier hochgepumpt wird, dann auf bewusst hässliche Weise gespalten wird, um höllische Mengen an hochgiftigem radioaktivem Abfall zu erzeugen, der mit schwerem Wasser gemischt und durch speziell schwer bewachte speziell erhitzte Zirkoniumröhren nach Montpelier zurückgepumpt wird und als Rohstoff für die massiven Gifte dient, die für die toxische Lithiumisierung, die Müllintensität und die Annularfusion benötigt werden.« »Mein Kopf dreht sich auf seiner Achse.« »Bloß ein dynamischer rechtwinklig-dreieckiger Zyklus der Interdependenz, der Müllerzeugung und nutzung. Verstehst du? Und wann sehen wir dich eigentlich draußen auf der alten Eschaton-Karte zu ein paar geopolitischen Sparringsrunden, Ars, dich mit deinen Händen und dem üblen Lob? Wo wir grad dabei sind, dieses arrhythmische, fleischige Klatschen ist der Popel, der sich auf die Schenkel und an die Brust schlägt, da Selbstrnissbrauch ein
Paradesymptom der ängstlichen Depression ist.« »Mit diesem kann ich Mitleid erzeugen. Denn es ist verwirrend für mich, die Kernfusion erschafft keinen Müll. Dies werden wir gelernt in der Wissenschaft von meinem Heimatland. Dieses ist das Entscheidende für das Versprechen von der Anziehungskraft von der Kernfusion für ein dicht bevölkertes und müllgeplagtes Land wie das von mir, wir werden gelernt, dass die Kernfusion autark und von müllloser Dauer ist. 0 weh, mein Bedürfnis, eine Toilette aufzusuchen, dehnt sich aus.« »Nur aber nein, obwohl das genau das Hindernis war, das die Annulation versaubeutelte, das überwunden werden musste und überwunden wurde, allerdings auf so unintuitive und abstrakt begriffliche Weise, dass das Bildungswesen deines Drittweltlandes dringend eine massive Luftbrücke aktueller Handbücher oder so braucht. Genau an diesem Punkt der KernfusionsMülllosigkeitsproblematik kommt nämlich auch unser glorreicher optischer Gründer ins Spiel, Incs ExPaps, Mrs Incs armer Hahnr-« »Ich weiß deinen Bezug.« »Dieser Mann also leistet genau an diesem Punkt
seinen letzten bleibenden Beitrag zur Staatswissenschaft, nachdem er längst keine Neutronendiffusionsreflektoren für das Verteidigungsministerium mehr entwarf. Du wirst die Koprolithengedenktafel in Tavis' Büro gesehen haben. Die stammt von der Atomenergiebehörde, für Incsters Paps, für dessen bleibenden Beitrag zur Energie des Mülls.« »Die Absicht, für die ich auf der Treppe war und desorientiert wurde, war für den Besuch von einer Toilette. Das war vor langer Zeit.« »Jetzt behalt dein Wasser mal noch 'ne Sekunde bei dir, länger dauert das nämlich nicht. Ist dir eigentlich klar, dass du ohne Incs Paps gar nicht hier wärst, verdammt noch mal? Was der Mann nämlich geschafft hat, war, der hat diese speziellen holographischen Konversionen mit entworfen, und mit denen konnte das Team, das sich mit der Annulation befasste, das Verhalten von Elementarteilchen in hochgiftigen Milieus studieren. Ohne selbst vergiftet zu werden.« »Sie studieren folglich holographische Konversionen der Gifte an der Stelle von den Giften selbst.«
»Ein gesunder Geist in einer gedeihenden Körperschaft, Ars. Ein optischer Handschuhkasten. Das ultimative Prophylaktikum.« »Bitte führe mich.« »Quasi aber beispielsweise weiß dein Land, dass die ganze Annulartheorie hinter einem Kernfusionstyp, der Müll produziert, der Brennstoff für einen Prozess ist, dessen Müll Brennstoff für die Kernfusion ist: dass die ganze Theorie, die dieser Physik zugrunde liegt, aus der Medizin stammt?« »Das bedeutet was? Eine Flasche Medizin?« »Das Studium der Medizin, Ars. Deine Weltregion betrachtet die annulare Medizin heutzutage als selbstverständlich, aber die ganze Vorstellung, Krebs zu behandeln, indem man die Krebszellen selbst mit Krebs ansteckte, war noch vor wenigen Jahrzehnten Anathema.« »Anathema?« » R a d i k a l , abseitig. Spinnert. Auf einer Eisenbahnschiene aus der Stadt gelacht von der in Tüttelchen etablierten Mainstream-Forschung. Deren Behandlungskonzept war, vergiften wir den ganzen Körper und kucken mal, was übrig bleibt. Wobei die annulare Chemotherapie in den Kinderschuhen tatsächlich spinnert war. Kennst du diese frühen
Mikrofotos, von denen Schacht ein Poster hat, das er auch nicht abnimmt, wenn man's längst satthat, diese frühen Mikrofotos von Krebszellen, die mit mikromassiven Mengen übergaren Rindfleischs und Diätcola zwangsernährt werden, gezwungen werden, neben winzigen Handys zu sitzen und nanogroße Marlboros Kette zu rauchen _«238 »Ich stehe erst auf einem Fuß und dann auf einem anderen Fuß.« »- nur und aus diesem mikromedizinischen Modell folgte das Korollar dieser genauso radikalen Idee, man könnte vielleicht zu einer hochmüllannulierenden Kernfusion gelangen, wenn man hochtoxische radioaktive Teilchen mit massiven Dosen einer Substanz bombardiert, die noch toxischer war als die radioaktiven Teilchen. Eine Kernfusion, die von Giften gespeist wird und relativ stabile Plutoniumfluoride und Urantetrafluoride produziert. Letztlich brauchte man nur Zugang zu irren Mengen an toxischen Stoffen.« »Dafür platzierte man die natürliche Kernfusionsanlage in der Großen Konkavität.« »Correttissime. An dieser Stelle wird die Sache haarig, und ich werde die Tatsache nur streifen, dass der einzige ökologische Kawusch bei der ganzen
Angelegenheit ist, dass die resultierende Kernfusion von einer dermaßen gierigen Effizienz ist, dass sie aus dem umliegenden Ökosystem auf Hunderte von km in alle Richtungen auch das letzte Toxin und Giftchen heraussaugt, sämtliche Inhibitoren organischen Wachstums. « »Und daher die östliche Konkavität der Ängste und der Mythen.« »Am Ende steht man mit einer so fruchtbar üppigen Umwelt da, dass sie praktisch unbewohnbar wird.« »Ein Regenwald auf sterabolischen Anoiden.« »Sozusagen. « »Daher gefräßische Wildhamster, Insekten von Volkswagengröße, infantiler Gigantismus und die unmachetierbaren Waldgebiete der mythischen östlichen Konkavität.« »Genau, Ars, und dann stellst du fest, dass du ständig weitere Toxine verklappen musst, damit sich das ungehemmte Ökosystem nicht ausbreitet, ökologisch stabilere Zonen überwuchert und die Gifte der Atmosphäre erschöpft, sodass alles zu hyperventilieren anfängt. Und so weiter und so weiter. Und deswegen katapultiert die 1. M. E. aus
den Metro-Zonen hauptsächlich nach Norden.« »In die östliche Konkavität, um sie unter Kontrolle zu halten.« »Siehst du, wie sich alles zusammenfügt?« »Mr Thorp wird heftige Enttäuschung bekunden, wenn ich Zuflucht zur Abnahme von der Augenbinde nehme, um eine Toilette ausfindig zu machen.« »Ars, ich höre ja. Ich hab keine Tomaten auf den Ohren. Du brauchst da nicht immerzu drauf rumzureiten. Wenn du es mit Watson aufnehmen musst, brauchst du dich bloß an die zyklischen Effekte der Müllabgabe und der Kernfusion zu erinnern. An welchen Tagen findet das meiste Katapultieren statt?« »An den Daten, die in jedem Monat Primzahlen sind, bis Mitternacht.« »Was das übermäßige Wachstum ausrottet, bis die Toxine kernfusioniert und verwertet worden sind. Die Satellitenüberwachung zeigt, dass der östliche Teil von Grid 3 jeden Monat ein paarmal von der Überwucherung zur Ödnis und zurück zur Überwucherung wechselt. Wobei die erste Woche des Monats besonders unfruchtbar ist und die letzte auf Erden ihresgleichen sucht.«
»Als würde die Zeit selbst ungeheuer angekurbelt. Als müsste die Natur selbst dringend die Toilette aufsuchen.« »Beschleunigte Phänomene, die in Wahrheit einer unglaublichen Verlangsamung der Zeit entsprechen. Der Merkvers, den Watson dem Pop eintrichtern wollte, lautete: »Wächst die Ödnis zum Idyll, steht die Zeit fast völlig still.« »Entschleunigte Zeit, ich habe dich verstanden.« »Und das, sagt der Pop, ist es, was begrifflich am schlimmsten an ihm nagt. Er sagt, er ist geliefert, wenn er es nicht schafft, diesem Begriff vom Fluss der Zeit begrifflich auf den Zahn zu fühlen. Das wirft für ihn ein Schlaglicht auf das ganze Annularmodell. Gut, es ist abstrakt. Aber du solltest ihn mal sehen. Die eine Gesichtshälfte krampft herum, und die andere mit dem Leberfleck hängt bloß da und glotzt wie ein Häschen vor dem Überfahrenwerden. Lyle versucht, ihn langsam, aber sicher an die grundlegendsten knirpsphysikalischen Prinzipien der Relativität der Zeit in extremen organischen Milieus heranzuführen. In den Pausen zwischen Popels Saunagängen. Die Ironie für Popelewopski ist, dass man über das Zeitflusszeug gar nicht so genau
Bescheid wissen muss, denn wenn Watson selbst darüber nachdenken soll, kriegt er ja auch eine ganz gesprenkelte und dörrpflaumenhafte Stirn.« »Bitte nötige nicht Bettelung von ich, Idris Arslanian.« »Die östliche Konkavität steht natürlich auf einem ganz anderen schrill gefärbten Blatt als die von Inc sogenannten öden eliotischen Wüsteneien der westlichen Konkavität, das kann ich dir sagen.« »Du kannst mir alles sagen, wofern du es mir über dem Porzellan einer Toilette sagst.« »Interessante Schrittfolge, Id, das muss ich dir lassen.« »Ich bettle ohne Häufigkeit. In meiner Heimatkultur rangiert Betteln als Merkmal von niederen Kasten.« »Hmm. Ars, ich stehe hier und habe die Idee, dass sich vielleicht etwas ausbaldowern ließe.« »Ich verübe keine illegalen oder schmachvollen Akte. Ich würde aber betteln, wenn ich müsste.« »Lass stecken. Ich überleg grad. Du bist doch Muslim, oder?« »Inbrünstig. Ich bete fünfmal des Tages in der vorgeschriebenen Weise. Ich scheue repräsentative Kunst und Fleischeslust in all ihren
viertausendvierhundertundvier Formen und Gestalten.« »Leib ein Tempel und all das?« »Ich meide. Weder Stimulantien noch deprimierende Präparate kommen mir über die Lippen, so wie es in den heiligen Lehren von meinem Glauben geschrieben steht.« »Ich frag mich grad, ob du mit dem Urin, den du da so dringend loswerden willst, schon was vorhast, Ars.« »Ich folge dir nicht.« » Was hältst du dann davon, wenn wir das alles mal über was Porzellan auskaspern, Brother ?« »Mike Pemulis, du bist in der Bewegung ein Prinz und in der Gemütsruhe ein Weiser.« »Brother, da kannste aber bis zum SanktNimmerleins- Tag warten, bis der Junge hier Gemütsruhe findet.« Es wurde immer seltsamer; es war gleichsam, als hätten die beinlosen und pathologisch schüchternen Punter-Groupies Angst vor der junoesken Ms Steeply vom Moment - seinen letzten Rollstuhl hatte
Grin am Tag vor ihrem Auftauchen gesehen, und jetzt (ging ihm beim Fahren auf) waren sie mit ihren schüchternen Tricks wieder da, wenige Stunden nur, nachdem sie verschwunden war. Der Verführungszyklus von Erregen, Erhoffen, Erringen und Verachten ließ Grin immer wie betäubt und ausgewrungen zurück, und der Groschen fiel nur pfennigweise. Erst als er sauber gemacht, sich angezogen, die üblichen Komplimente und Versicherungen ausgetauscht hatte, in der Glasgondel des Fahrstuhls durch die runde Glasröhre des riesigen Hotels ins Foyer hinabgefahren, durch die Druckausgleichsdrehtür in die skalpkrakelierenden Böen der Hitze von Phoenix hinausgetreten war, abgewartet hatte, bis die Richtklimaanlage das Lenkrad wieder berührbar gemacht hatte, sich in die wimmelnden Arterien von Route 85 und Bell Rd. West Richtung Sun City eingefädelt hatte und beim Fahren grübelte, kawuschte es ihn, dass der Behinderte an der Hotelzimmertür im Rollstuhl gesessen hatte, dass dies der erste Rollstuhl gewesen war, seit HaI ihn mit seiner Theorie bekannt gemacht hatte, und dass der beinlose Inspekter (immer seltsamer) denselben Schweizer Akzent gehabt hatte wie das Handmodell.
Unterwegs zuckt R. Lenz' Mund, er kratzt den kleinen rhinophymen Ausschlag, zieht fürchterlich die Nase hoch und klagt über die schrecklichen Laubschimmelallergien im Spätherbst, als kennte Bruce Green, der damals, als das Leben mit M. Bonk noch eine einzige große Fete war, selber wahrhaftig schon genug Lines gezogen hat, die Symptome der Koks-Hydrolyse nicht in- und auswendig. Lenz geht detailliert darauf ein, dass die neue Vegetarierin Joel einen Schleier hat, weil sie zu diesen Leuten gehört, die nur ein Auge mitten auf der Stirn haben, von Geburt an, wie ein Seepferdchen, und bittet Green, ihm solle nicht mal im Traum einfallen zu fragen, woher er das so genau weiß. Während Green Schmiere steht, während sich Lenz an einem Container in der Market St. erleichtert, verpflichtet Lenz Green zur Verschwiegenheit, wie die arme alte vernarbte kranke Charlotte Treat Lenz zur Verschwiegenheit verpflichtet hat über ihren heimlichen Traum, wenn sie nüchtern ist, eines Tages ihren Highschool-Abschluss nachzumachen und Dentalhygienikerin zu werden, spezialisiert auf die Arbeit mit Jugendlichen, die pathologische Angst vor der Betäubung haben, denn ihr Traum sei es,
Jugendlichen zu helfen, und sie hätte bloß Angst, der Virus hätte die Erfüllbarkeit dieses Traums in unerreichbare Fernen gerückt.239 Den ganzen Weg am Spur entlang die Harvard St. hoch Richtung Union Square, gerade noch auf ei nem Nordwestvektor, verwendet Lenz mehrere Minuten und nicht mal zwanzig Atemzüge darauf, Green an einigen schmerzlichen Herkunftsfamilienproblemen teilhaben zu lassen in Bezug auf Lenz' Mutter Mrs Lenz, eine dreimal g e s c h i e d e n e Datenverarbeiterin, die so unbeschreiblich korpulent war, dass sie sich aus Brokatvorhängen und Baumwolltischtüchern ihre eigenen Nachthemden schneidern musste, und die nie wieder zum Elterntag in der Bishop Anthony McDiardama Elementary School in Fall River, Massachusetts, gekommen war, wo die Eltern bei den Präsentationen und Sketchen am Elterntag an den SchulKlapppulten der lieben Kleinen sitzen mussten, denn bei der einen Gelegenheit, wo sie sich zum Elterntag an der B.A.M.LS. geschleppt und versucht hatte, sich zwischen Mrs Lamb und Mrs Leroux an das Pult des kleinen Randall L. zu setzen, hatte Mrs L. das Pult zu Kleinholz gemacht und vier
stämmige Moosbeerenzüchterdaddys und ein Schulbuchwägelchen gebraucht, um vom Klassenzimmerboden wieder auf die Beine zu kommen, sondern fadenscheinige Entschuldigungen fabriziert hatte, sie hätte Daten zu verarbeiten, und Randy L.s schulische Leistungen interessierten sie i m Grunde gar nicht. Lenz erzählt, wie dann in der Jugend (seiner) seine Mutter starb, weil sie eines Tages, als sie in einem Greyhound-Bus von Fall R i v e r, Massachusetts, Richtung Norden nach Quincy, Massachusetts, fuhr, um ihren Sohn zu besuchen, der in einer Jugendbesserungsanstalt für ein mögliches Drehbuch recherchierte, für kleine Mädchen musste, und sie saß also auf dem winzigen Busklo hinten im Bus und verrichtete ganz für sich ihr Geschäft, wie sie später aussagte, und obwohl tiefster Winter war, hatte sie das kleine Klofenster weit geöffnet, aus Gründen, die Green nach Lenz' Meinung gar nicht so genau wissen möchte, in dem nach Norden fahrenden Bus, und wie das in einem der letzten Jahre der Ungesponserten ordinationalen Jahresdatierung gewesen war und dem letzten Geschäftsjahr, in dem auf der infernösen sechsspurigen, von Pendlern verwüsteten Commonwealth Route 24 von Fall River zum
Bostoner South Shore Wartungsarbeiten durch die prä-O.N.A.N.istische Commonwealth Highway Authority von Gouverneur Claprood durchgeführt worden waren, und wie der Greyhound-Bus über eine schlecht beschilderte Baustellenstrecke fuhr, wo die 24 bis auf den genieteten Flachstahl demontiert worden war, gebissverheerende Furchen und Schlaglöcher aufwies und ganz allgemein einfach ein Saustall war, und der schlecht beschilderte und unbewimpelte Autoput sowie die überhöhte Geschwindigkeit des nach Norden fahrenden Busses ließen ihn scheußlich dahinholpern, den Bus, heftig hin und her schwanken, darum bemüht, nicht von den Straßenrudimenten abzukommen, und die Fahrgäste wurden von ihren Sitzen geschleudert, während hinten im schrankgroßen Heckklo Mrs Lenz mitten bei ihrer Geschäftsverrichtung mit dem ersten Schlenker von der Toilette und dann wie eine exkrementverstreuende Hochgeschwindigkeitsflipperkugel hin und her gegen die Plastikwände des Klos geschleudert wurde; und als sich der Bus endlich beruhigt hatte und wieder geradeaus fuhr, hatte Mrs Lenz - verrückt genug ihre menschlichen Flipperkugeleien mit einem fest im offenen Klofenster geklemmten bloßen und
unvorstellbar riesigen Hinterteil beendet, dermaßen fest in ihr Enklavier verkeilt, dass sie sich nicht extrahieren konnte, und während der Bus seinen Nordkurs die ganze 24 hoch fortsetzte, ragte Mrs Lenz' nackte Kehrseite aus dem verkeilenden Fenster und sorgte für Hupen und hämische Kommentare aus anderen Fahrzeugen; und Mrs Lenz' klägernde Hilferufe blieben ungefruchtet bei den anderen Buspassagieren, die sich vom Boden erhoben, die wehen Birnen rieben und Mrs Lenz' gekränkte Rufe hinter der abgeschlossenen Hartplastikklotür hörten, sie aber nicht exkretieren konnten, weil die Klotür durch das Vorschieben eines Türriegels, der draußen an der Tür den Schriftzug OCCUPIED / ocCUPADO / OCCUPE erscheinen ließ, von innen abgeschlossen war, und Mrs Lenz war jenseits der Reichweite ihres Arms eingekeilt und kam nicht an den Türriegel heran, so klägernd sie auch den gigantisch fettwabbelnden Arm ausstreckte; und da Mrs Lenz wie quasi volle 88 % aller klinisch korpulenten Amerikaner an einer attestierten klinischen Klaustrophobie litt und rezeptpflichtige Medikamente gegen ihre Ängste und Einschließungsphobien nahm, strengte sie
schließlich erfolgreich eine siebenstellige Schadensersatzklage wegen psychischen Traumas, öffentlicher Kränkung und Erfrierungen zweiten Grades gegen Greyhound Lines und die kaum mehr bestehende Commonwealth Highway Authority an und erhielt eine so krankhaft korpulente Abfindungssumme vom von Dukakis ernannten Zivilgericht des 18th Circus, dass sie nach Eintreffen des Schecks in einem extralangen Umschlag für die Unterbringung all der Nullen jegliche Lust an der Datenverarbeitung ebenso verlor wie am Kochen, P u t ze n , Erziehen oder schließlich auch nur Bewegen, sondern nur noch in einem maßgefertigten, anderthalb Meter breiten Liegesessellag, sich auf InterLace Schauerromanzen ansah und gigantische Mengen Gebäck mit hohem Lipidgehalt vertilgte, das ihr auf goldenen Tabletts von einem Konditormeister gereicht wurde, den sie sich rund um die Uhr in Bereitschaft hielt und mit einem mobilen Beeper ausgestattet hatte, bis sie vier Monate nach der riesigen Abfindung eine Ruptur erlitt und starb, den Mund so voll mit Pfirsichpastete, dass die Sanitäter keine Möglichkeit für eine HerzLungen-Reanimation sahen, womit sich Lenz, sagt er, übrigens auskennt, mit Herz-Lungen-
Reanimation. Als sie den Spur erreichen, ist ihr Nordwestfluchtpunkt weit nach rechts gedriftet und liegt jetzt genau nördlich. Ihre Route bildet hier unten einen Mondrian aus Gässchen, die durch all die Müllcontainer zu Beinah-Hohlwegen verengt werden. Lenz geht voraus und bahnt den Weg. Jeder in Sichtweite vorbeikommenden Frau wirft er diese verschleierten Blicke zu. Ihr Vektor ist jetzt vor allem NI NW. Sie bummeln durch die schweren Gerüche der Trocknerabluft an der Rückseite des Waschsalons in einer Querstraße von Dustin und Comm. Die Stadt Metro-Boston, Massachusetts, bei Nacht. Das Klingeln und Rumpeln der B- und CGreenie-Züge, die im Westen den Hügel der Comm. Ave. hochfahren. Pichelbrüder sitzen da, lehnen ihre Rücken an die verrußten Mauern, scheinen ihre Schöße zu mustern, und sogar ihre Atemwölkchen sind verfärbt. Das komplexe Quietschen von Busbremsen. Die gezackten Schatten, die sich im vorbeifahrenden Scheinwerferlicht dehnen. LatinoMusik weht durch den sozialen Wohnungsbau am Spur, umrankt eine 5/4-Schwarzenmucke aus einem Ghettoblaster drüben im Feeny Park, und zwischen
beiden wabernde, nicht aus dem Ohr gehende Hawaiimusik, die zugleich voll aufgedreht und weit, weit weg klingt. Die zitherigen wehenden polynesischen Weisen verziehen Bruce Greens Gesicht zu einer flachen Maske psychischer Qualen, die er gar nicht bewusst wahrnimmt, und dann verklingt die Musik. Lenz fragt Green, wie das eigentlich ist, wenn er bei Leisure Time Ice den ganzen Tag mit Eis arbeitet, und stellt dann selber Theorien auf, wie das sein muss, wo er drauf wetten könnte, zerstoßenes Eis und Eiswürfel in zugetackerten und nicht verdrahteten blassblauen Plastiksäcken und Trockeneis in Holzwannen, aus denen weißer Dampf aufsteigt, und dann die großen, in duftendes Sägemehl verpackten Blöcke Industrieeis, die riesigen mannshohen Eisblöcke mit Rissen tief drinnen wie gefangene weiße Gesichter, weiße Flammen innerer Sprünge. Die Spitzhacken, Beile und echt großen Zangen, roten Knöchel und reifbedeckten Fenster und der dünne bittere Tiefkühlgeruch mit triefnasigen Polen in karierten Mänteln und Kalpaks, die älteren im chronischen Schräggang vom ewigen Eisschleppen. Sie knirschen durch irisierende Scherben, die Lenz als gesplitterte Windschutzscheiben identifiziert.
als gesplitterte Windschutzscheiben identifiziert. Lenz vertraut Green an, wie man sich zwischen drei E x m ä n n e r n , Winkelavocados und einem Pastetenbäcker fühlt, der die Pastetenabhängigkeit seiner Mutter nutzte, um sie zur Ummünzung ihres Testaments zu seinen Gunsten anzustiften und zu verleiten, und Lenz hat den Kampf mit den Paragraphenreitern in Quincys Y. C. A. hinter sich u n d einen schwachen Prozessvorteil, da das Testament von Mrs L. ihn nach ihrer Ruptur im Regen stehen gelassen hatte, wo er, nur unterstützt von seinem urbanen Witz, von der Hand in den Mund darben musste, während die Exmänner und Patissiers auf Strandliegen an der Riviera lagen und sich mit großen Scheinen Luft zuwedelten; praktisch täglich, sagt Lenz, muss er sich mit Problemen wegen alldem abplagen; in der kurzen Pause kann Green ein verständnisvolles Geräusch unterbringen. Seine Lederjacke knarzt bei jedem Atemzug. Scherben von Windschutzscheiben liegen in einer Gasse, an deren Feuerleitern etwas hängt, das wie nasse gefrorene Planen aussieht. Dicht an dicht stehende Müllcontainer, Stahltüren ohne Griffe und die trübe Schwärze flächendeckender Schmutzschichten. Die stumpfe Schnauze eines im
Leerlauf vor sich hindieselnden Busses ragt in die gerahmte Gassenmündung. Containermüll hat nicht nur einen Geruch, kommt darauf an. Im Stadtschemen ist die Stadtnacht nur halb dunkel, quasi lakritzig, eine wallende Lumineszenz direkt unter der Haut der Dunkelheit. Green hält sie in Sachen Uhrzeit auf dem Laufenden. Lenz bezeichnet Green inzwischen als »Brother«. Er sagt, er muss pissen wie ein Rennpferd. Er sagt, das Schöne an der Großstadt ist, dass sie ein großer Nachttopf ist. In Lenz' Aussprache hat brother ein r. Green stellt sich ans Gassenende und schaut hinaus, um Lenz etliche Container weiter hinten seine Privatsphäre zu verschaffen. Er steht da in den ersten Gassenschatten, in den warmen Busabgasen, die Ellbogen ausgestellt und die Hände in den kleinen Jackentaschen, und sieht hinaus. Unklar ist, ob Green weiß, dass Lenz unter Bing steht. Momentan spürt er nur einen tiefen, reißenden Verlust und den brennenden Wunsch, das Toxen würde ihm noch Spaß machen, sodass er toxen könnte. Dieses Gefühl meldet sich immer noch alle Tage wieder. Green zieht ein Rettchen hinter dem Ohr hervor, zündet es an und klemmt ein neues aus
dem Päckchen hinters Ohr. Union Square, Allston: Küss mich da, wo's stinkt, hat sie gesagt, also bin ich mit ihr nach Allston, Zitat Ende. Die Lichter vom Union Square pulsieren. Sobald der Erste die Hand von der Hupe nimmt, drückt der Nächste auf seine. Drei Chinesinnen warten an der Ampel gegenüber vom Typ mit den Hummern. Jede hat eine Einkaufstüte. Ein alter VW Käfer wie der von Doony Glynn öttelt ohne Auspufftopf vor Riley's Roast Beef vor sich hin, nur liegt der Motor von Doonys Käfer frei, weil er die hintere Haube entfernt hat, um das Käfergekröse freizulegen. Es ist quasi unmöglich, auf Bostons Straßen je eine Chinesin zu entdecken, die unter sechzig oder über 1,50 m ist und keine Einkaufstüte dabeihat, nur hat sie nie mehr als eine Tüte. Wenn man auf einem belebten Stadtgehweg die Augen schließt, klingen die Schritte all der Leute in ihren verschiedenen Schuhen zusammengenommen, als würde etwas von etwas Riesigem und Unermüdlichem und Geduldigem gekaut. Die abstumpfenden Tatsachen der Tode von Bruce Greens leiblichen Eltern, als er noch ein kleiner Junge war, hat er so tief verdrängt, dass im Tagebau ganze Schichten und Sedimente des Schweigens und taubstummen animalischen Leidens
abgebaut und in der Nüchternheit verhüttet werden müssten - Eile mit Weile -, damit sich Green auch nur daran erinnern könnte, wie sein Paps an seinem fünften Weihnachtsfest in Waltham, Massachusetts, den hydranten großen Brucie Green beiseitegenommen und ihm als Weihnachtsgeschenk für seine geliebte Mama eine Dose polynesischer Macadamianüsse Marke Mauna Loa240 in fröhlichen Gauguin-Farben gegeben und das Kind die besagte zylindrische Nussdose nach oben geschleppt und gewissenhaft in so viel Glanzpapier eingewickelt hatte, dass das eingepackte Geschenk schlussendlich wie ein überdimensionierter Dackel aussah, den man erst niedergeknüppelt, dann an beiden Enden mit je zwei Rollen Klebeband und grell fuchsienrotem Geschenkband gezähmt und eingewickelt unter den fröhlich leuchtenden Tannenbaum gelegt hatte, und selbst da schien das Päckchen noch knisternd Widerstand zu leisten, als sich die Papierschichten ausdehnten. Bruce Greens Paps Mr Green hatte einst zu Neuenglands einflussreichsten Aerobic-Trainern gezählt - im Jahrzehnt vor Beginn der digitalen Dissemination war er sogar ein paarmal unter den
Stars der gern und oft ausgeliehenen Videoserie Popos aus Stahl gewesen und war heiß begehrt und extrem einflussreich gewesen, aber als er Ende zwanzig war und auf dem absoluten Höhepunkt der Laufbahn eines Aerobic- Trainers stand, war zu seinem Entsetzen entweder sein eines Bein spontan gewachsen oder das andere spontan geschrumpft, jedenfalls war binnen weniger Wochen das eine plötzlich fast fünfzehn Zentimeter länger als das andere - die einzige nichtverdrängte optische Erinnerung Bruce Greens an seinen Vater ist die eines Mannes, der zu einem immer gefährlicheren Schräggang neigte, während er von einem Spezialisten zum nächsten hinkte - und er bekam einen speziellen orthopädischen Stiefel, schwarz wie die Lunge eines Kettenrauchers, der zu 90 % aus S o h l e bestand, an die klobigen Stiefel von Asphaltglättern erinnerte, mehrere Pfund wog und zusammen mit Stretchhosen einfach unmöglich aussah; langer Rede kurzer Sinn, Bein und Stiefel hatten Bruce Greens Paps als Aerobic-Trainer ruiniert, er musste den Beruf wechseln und arbeitete verbittert für einen Walthamer Scherzartikel- oder Schnickschnackkonzern, irgendwas mit & im Namen, Ac me Scherzartikel & Schnickschnack oder so
ähnlich, und dort entwarf Mr Green sadistische Scherzartikel und spezialisierte sich auf Produkte wie die Jolly- Jolt- Elektroschockfeuerzeuge und Blammo-Knallzigarren, daneben auch auf entomologische Eiswürfel, künstliche Schuppen und anderes. Eine demoralisierende, bewegungsarme u n d charakterverbildende Tätigkeit, hätte sich ein älteres Kind wohl gesagt, das nachts aus seiner Tür blinzelnd den unrasierten Mann sah, der Nacht für Nacht in den frühen Morgenstunden mit einer Falstaff-Halido in der Hand durchs Wohnzimmer klonkte, wie ein Bootsmann bei schwerer See, gelegentlich versuchsweise in einen kleinen Gesäßtritt aus der Kniebeuge verfiel, fast umfiel und verbittert vor sich hinmurmelte. Das fürchterlich überverpackte Geschenk eines kleinen Jungen hat etwas Anrührendes, das die kalkweiße und nervenschwache, aber liebevolle Mrs Green, Bruces geliebte Mama, natürlich entscheiden lässt, den Zylinder mit dem erschlagenen Dackel in Glanzpapier als Erstes auszupacken, am Weihnachtstag, als sie alle vor dem prasselnden Feuer im Kamin in verschiedenen Sesseln an verschiedenen Fenstern mit Blick auf die
Graupelschauer über Waltham sitzen, Schälchen mit Weihnachtssüßigkeiten und Kakaobeziehungsweise KoffeinfreierHaselnusskaffeebecher mit Acme-&Logos neben sich, und einander wechselseitig beim Geschenkeauspacken zusehen. Brucies kleines Gesicht leuchtet im Schein des Kaminfeuers, als sich das Auspacken der Nüsse Schicht um Schicht fortsetzt, wobei Mrs Green gegen die Klebebandkrusten ein paarmal die Zähne zum Einsatz bringen muss. Endlich löst sich die letzte Schicht, und die farbenfrohe Dose kommt zum Vorschein. Mauna Loa: Mrs Greens dekadentester Lieblingsknabberkram. Die kalorienhaltigste Süßspeise der Welt diesseits von reinem Nierenfett. Nüsse, die so lecker sind, dass man sie S-Ü-N-D-E buchstabieren sollte, sagt sie. Brucie hüpft aufgeregt in seinem Sessel auf und ab, Kakao schwappt über und Gummibärchen fliegen herum, ein liebender Hosenmatz, den die Annahme seines Geschenks mehr aufregt als die Vorfreude auf seine eigenen. Seine Mutter faltet die Hände vor der eingesunkenen Brust. Seufzer des Entzückens wie des Protests. Und eine patentierte Aufreißlasche an der Dose.
Wobei der Inhalt der Dose mit MacadamianussEtikett in Wahrheit eine spiralförmig gewundene Stoffschlange mit Sprungfeder ist. Die Schlange sproingt heraus, Mrs G. kreischt und fasst sich an die Kehle. Mr Green stößt das bittere Freudengeheul ei nes professionellen Scherzartiklers aus, klonkt durchs Zimmer und drischt dem kleinen Bruce die Hand so schwer auf den Rücken, dass der sein Gummibärchen mit Limonengeschmack ausspuckt auch so eine visuelle Erinnerung, gruslig und ohne Kontext -, das in hohem Bogen durchs Wohnzimmer fliegt und mit einem grünen Flämmchen im Kaminfeuer verzischt. Die Stoffschlange beendet ihre Parabel oben an der Kristalllüsterimitation und bleibt mit nachzitternder Sprungfeder hängen, während der Lüster klirrend hin und her schwingt und Mr Greens schenkelklopfendes Lachen erst nach einer Weile erstirbt, obwohl die Hand an der zierlichen Kehle von Brucies Mom etwas Krallenhaftes bekommt, sich in ihre Kehle verkrallt, sie gurgelt und sackt mit einem tödlichen Herzinfarkt nach Steuerbord zusammen, den zyanotischen Mund noch vor Überraschung geöffnet. Die ersten paar Minuten lang glaubt Mr Green, sie spiele ihnen etwas vor, und beurteilt ihre Vorstellung auf der von 1 bis 8 reichenden
abteilungsübergreifenden Scherzskala von Acme, bis er schließlich genervt meint, nun sei's aber genug, und sie mache ihrem kleinen Brucie Angst, der mit weit aufgerissenen Augen und stumm unter dem hinund herschwingenden Lüster sitzt. Und Bruce Green sagte kein Wort mehr bis zum letzten Grundschuljahr, das er in Winchester bei der Schwester seiner verstorbenen Mutter verbrachte, einer anständigen, aber nach Dustbowl aussehenden Siebenten- Tags-Adventistin, die Brucie kein einziges Mal zum Sprechen drängte, wahrscheinlich aus Mitleid, wahrscheinlich aus Mitgefühl mit den fürchterlichen Qualen, die das Kind mit den glanzlosen Augen durchlitten haben musste, weil es nicht nur seiner Mama ein tödliches Weihnachtsgeschenk gegeben hatte, sondern danach auch Zeuge werden musste, wie sein verwitweter asymmetrischer Vater nach der Totenwache psychospirituell zusammengeklappt war; Nacht für Nacht hatte er mitansehen müssen, wie Mr Green nach Feierabend und einem zu kurz in die Mikrowelle gestellten Abendessen für zwei in seinem Frankensteinstiefel durchs Wohnzimmer latsch- und klonkte, seine Kreise klonkte, sich langsam Gesicht
und Arme aufkratzte, bis er weniger zerkratzt als ausgepeitscht aussah, in locker zusammenassoziiertem Gemurmel Gott, sich selbst, Acme Nüsse & Schlangen oder sonst was verfluchte und die todbringende Schlange vom Pseudokristallleuchter herabbaumeln und den Schicksalsweihnachtsbaum in seinem kleinen roten Metallständer stehen ließ, bis alle Glühbirnen in den Lichterketten durchgebrannt und die Popcorn-Ketten dunkel und hart geworden waren und das Wasser im Ständer verdunstet war, sodass der Baum braun auf die restlichen ungeöffneten Weihnachtsgeschenke nadelte, die sich unter ihm häuften, darunter auch ein Päckchen mit Steaks von maisgefütterten Nebraska-Rindern, dessen Geschenkpapier mit Engelsmotiven bedenklich anzuschwellen begann ... ; und schließlich dann die noch fürchterlicheren Kindheitsqualen der öffentlichen Verhaftung, des Medienskandals, der Schuldfähigkeitsprüfung und des Gerichtsverfahrens im Mittleren Westen, da nach begangener Tat unzweifelhaft war, dass der Post-Weihnachts-Mr-Green - auf dessen Fähigkeit, sein ramponiertes Selbst noch an die Kandare nehmen zu können, einzig hatte schließen lassen, dass er nach der Beerdigung weiterhin jeden Tag
treu und brav zur Arbeit bei Acme Inc gegangen war eine wahllos herausgegriffene Firmenkiste mit für den Versand bestimmten Blammo-Knallzigarren mit rachsüchtig tödlichem hochexplosivem Sprengstoff a u f Tetrylbasis bestückt hatte, und ein Kriegsveteran, drei Rotarier und 24 Shriner waren im Südosten von Ohio auf groteske Weise enthauptet worden, bevor das Bundesamt für Alkohol, Tabak und Schusswaffen die grässlichen forensischen Fragmente auf das Blammo-Labor von B. Green Senior in Waltham zurückführen konnte; und dann die Auslieferung und die fürchterlich langwierige Schuldfähigkeitsprüfung, das Gerichtsverfahren und das umstrittene Urteil; und dann die Berufungsverfahren und die Mahnwachen und die Giftinjektion, wobei Bruce Greens Tante in der Menschenmenge vor dem Gefängnis in Ohio, in dem d i e Uhr der Giftspritze entgegen tickte, schlechte Kopien von William Millers Traktaten verteilte, den kleinen Bruce im Schlepptau, der mit ausdruckslosem Gesicht die versammelten Medienvertreter, Gegner der Todesstrafe und Defarge-mäßigen Picknicker betrachtete, die rauften, lärmten und unzählige T-Shirts offerierten, und die rot angelaufenen Männer mit Sportsakkos und
Fesen, 0 ihre wutverzerrten Gesichter vom selben Rot wie ihre Fese, während sie in ihren kleinen Wagen hierhin und dorthin gurkten, ganze Formationen motorisierter Shriner, die das O. D. C.Hochsicherheitsgefängnis umschwirrten und Burn Baby Burn s c h r i e n beziehungsweise das zeitgemäßere Hol dir die Giftspritze, Baby, hol dir die Giftspritze, und Bruce Greens Tante mit ihrem Mittelscheitel ergraute sichtlich unter ihrer Pillbox, verbarg das Gesicht drei volle Ohio-Monate hinter dem schwarzen Schleier, der von der Pillbox flatterte, und drückte den Kopf des kleinen Bruce Tag für Tag an ihren Bügel-BH, bis sein ausdrucksloses Gesicht auf der einen Seite ganz eingedetscht war ... Greens Schuldgefühle und Seelenqualen, sein Grausen und Selbsthass sind in all den Jahren unverschriebenen Medikamentenkonsums bis zu jenem Eruptionsmoment verdichtet worden, an dem er nur noch weiß, dass er zwanghaft jedes Produkt und jede Dienstleistung meidet, das oder die ein & im Namen hat, jede Hand prüft, bevor er sie schüttelt, um Paraden mit Fesen in Kleinwagen große Bogen macht und allem, was auch nur entfernt polynesisch wirkt, mit einer stummen, untergründigen Mischung
aus Faszination und Grauen begegnet. Wahrscheinlich ist es die ferne, gedämpfte und erratisch durch die rechtwinkligen Allstoner Betonblocks widerhallende Luau-Musik, die Bruce Green wie hypnotisiert vom Union Square die ganze Comm. Ave. bis nach Brighton hoch gehen lässt, bis zur Comm. Ave. Ecke Brainerd Road und dem Nachtclub Das Leben ohne Selbsterforschung mit der schrägen Blinkflasche aus blauem Neon über dem Eingang, bevor er merkt, dass Lenz nicht mehr neben ihm hergeht und nach der Uhrzeit fragt, dass Lenz ihm nicht den Hügel hoch gefolgt ist, obwohl Green draußen an der Gasse zum Union Square doch weit länger gewartet hat, als irgendjemand brauchen könnte, um eine Stange Wasser in die Ecke zu stellen. Lenz und er sind getrennt worden, merkt er. Ein ganzes Stück südwestlich vom Union auf der Comm. nimmt Green jetzt den Verkehr, die U-Bahn-Gleise, Kneipengäste und das Neonflirren der Riesenflasche vom L. o. S. wahr. Er fragt sich, ob er Lenz oder ob Lenz ihn angeranzt hat, und mehr fragt er sich nicht, das ist die vollumfängliche Komplexität seiner Überlegung, das ist sein Gedanke für diese Minute. Die ganzen Nussdose-und-Zigarre- Traumen sind mit
Die ganzen Nussdose-und-Zigarre- Traumen sind mit der Pubertät quasi in eine psychische Ölwanne gefallen und untergegangen und haben nur einen öligen Schlick hinterlassen, der auf verzerrte Weise das Licht einfängt. Die trällerige polynesische Musik ist hier oben viel deutlicher zu hören. Er geht den steilen Hügel zur Brainerd Rd. hoch, die an der Enfield Line endet. Vielleicht kann sich Lenz ab einer bestimmten Tageszeit überhaupt nicht mehr nach Süden bewegen. Die Steigung tut Asphaltglätterstiefeln nicht gut. Nach der ersten Verrückte-Wüstenrennmaus-im-Hirn-Phase zu Beginn des Entzugs und der Entgiftung ist Bruce Green jetzt in seinen normalen psychogestauten Geisteszustand zurückgekehrt, in dem er ungefähr alle sechzig Sekunden einen voll ausgereiften Gedanken denkt, immer nur einen auf einmal, jeder nimmt voll ausgereifte Gestalt an, sitzt da und schmilzt dann wieder fort wie eine träge Flüssigkristallanzeige. Sein Psychologe in Ennet House, Calvin T. mit seinem taffen Liebeskonzept, klagt immer, Green höre sich an wie ein äußerst langsam tropfender Wasserhahn. Sein Dauerlamento ist, Green sei nicht gelassen oder gleichgültig, sondern völlig blockiert, er schalte völlig ab, und er
versucht jede Woche, Green aus der Reserve zu locken, indem er ihn zusammenstaucht. Greens nächster voller Gedanke ist die Einsicht, dass die scheußliche Hawaiimusik sich zwar so angehört hatte, als wehe sie vom Allston Spur nach Norden, jetzt aber um so lauter klingt, je mehr er sich nach Westen zum Dogleg der Enfielder Cambridge St. und dem St. Elizabeth's Hospital bewegt. Die Brainerd zwischen Commonwealth und Cambridge St. ist eine Sinuswelle lungensprengender Hügel durch Wohnviertel, die Tiny Ewell mal als Katzenjammertal bezeichnet hat, eine endlose Reihe zusammengepferchter Dreistöcker mit diesen winzigen traurigen baulichen Unterschieden, die die grundsätzliche Gleichheit nur unterstreichen, mit durchhängenden Veranden, schuppenflechtigen Anstrichen und Seitenwandungen aus Aluminium, die von extremen Temperaturschwankungen Karbunkelbildungen aufweisen, Vorgartenmüll, Geschirr, Grasflecken, eingezäunten Haustieren und Spielsachen, die wie weggeworfen herumliegen, vielfältige Gerüche und die verschiedensten Muster der Vorhänge oder Jalousien an den verschiedenen Fenstern, weil diese alten Häuser innen in Wohnungen aufgeteilt worden sind für quasi
transferierte B. U.-Studenten oder kanadische oder aus der Konkavität vertriebene Familien oder noch transferiertere B. U.-Studenten, aber noch wahrscheinlicher sieht es so aus, als bestünde der Löwenanteil der Mieter aus Green-und-Bonkesken jungen Arbeitern im Dauerpartymodus, die im Badezimmer Poster von den Unholden in Menschengestalt, den Choosy Mothers, Snout oder d e n Bioverfügbaren Fünf241 hängen haben, Schwarzlichtlampen im Schlafzimmer und Ölwechselflecken in der Auffahrt, die ihr Essgeschirr in die Vorgärten werfen und bei Caldor neues kaufen statt abzuwaschen, die auch in ihren Zwanzigern n o c h allabendlich Betäubungsmittel konsumieren, party als Verb gebrauchen, die Lautsprecher ihrer Soundsysteme auf die Fensterbretter stellen, nach außen drehen und aus schierer widerlicher Lebensfreude heraus die Lautstärke voll aufdrehen, weil sie noch ihre Freundinnen haben, mit denen sie Bierchen zischen, denen sie Dopequalm in die Münder blasen und von deren nackten Körpern sie Bing- Linien ziehen können, und die das Zechen, Kiffen und Koksen immer noch super finden, jeden Tag nach Feierabend ihr Super tanken und die
Nachbarschaft mit ihrer Dumpfmucke beschallen. Die kahlen Straßenbäume haben dicht stehende Äste, eine bestimmte Baumsorte, die in der Dunkelheit des Wohnviertels an umgedrehte Besen erinnert, aber mit Baumnamen ist Green nicht so auf dem Duzfuß. Die Hawaiimusik hat ihn nach Südwesten gezogen, stellt sich heraus: Sie erklingt irgendwo in der Nachbarschaft der W. Brainerd, und mit hell entsetzter Faszination bewegt sich Green stromaufwärts in Richtung der Geräuschquelle. Die meisten Vorgärten sind mit Maschendraht eingezäunt, manchmal winselt ein Vorgartenhund, aber meistens bellen und knurren sie eher und springen hinter den Zäunen revierverteidigend auf Green zu, sodass die Zäune unter dem Aufprall erzittern und der Maschendraht von früheren Ausfällen gegen frühere Passanten schon ganz ausgebeult ist. Der Gedanke, dass er vor Hunden keine Angst hat, entsteht in Greens Mittelhirn und verschwindet wieder. Seine Jacke knarzt bei jedem Schritt. Die Temperatur fällt immer weiter. Die eingezäunten Vorgärten gehören zu der Spielzeug-und-Bierdosenübersäten Sorte, wo das braune Gras in unebenen Soden wächst und das Laub nicht zusammengeharkt
Soden wächst und das Laub nicht zusammengeharkt wird, sondern unten an Zaunrand oder unbeschnittenen Hecken entlang windgeblasener Kraftlinien Häufchen bildet, auf den durchhängenden Terrassen stehen überquellende Abfalleimer und offene Müllsäcke, die niemand zu den I. M. E.Containern unten an der Ecke bringt, und der Müll aus den überquellenden Behältern wird in die Gärten geblasen und vermischt sich mit dem Laub an den unteren Zaun- und Heckenrändern, ein bisschen fliegt auch auf die Straße, wird nie aufgesammelt und irgendwann Teil des Straßenbelags. Im Gehweg unter Green beispielsweise ist eine Schachtel erdnussfreie M&Ms quasi zu einer Intarsie im Beton geworden, von den Elementen so knochenweiß ausgebleicht, dass sie gerade noch als Schachtel erdnuss freie M&Ms zu erkennen ist. Als Green die Markenzugehörigkeit der M&M-Schachtel identifiziert hat und aufsieht, erspäht er Randy Lenz. Green ist rein zufällig hier oben auf der Brainerd auf Lenz gestoßen, der allein und forschen Schritts vor Green unterwegs ist, ein gutes Stück weit weg, unter einer funktionierenden Straßenlaterne etwa einen Block hügelaufwärts an der Brainerd aber deutlich zu erkennen. Etwas hält Green davon ab, ihn
anzurufen. Das Gefälle ist bei diesem Block nicht so stark. Inzwischen ist es so kalt geworden, dass sein Atem immer gleich aussieht, ob er raucht oder nicht. Die hohen Bogenlaternen erinnern Green an die Waffenteile der marsianischen Raumschiffe, die bei der Eroberung des Planeten ihre tödlichen Strahlen abfeuerten, auf einer uralten Patrone, von der Tommy Doocy nie genug bekommen konnte und deren Hülle er mit »Krieg der Welles« beschriftet hatte. Inzwischen beherrscht die Hawaiimusik die akustische Landschaft. Sie geht von irgendwo dort aus, wo er die Rückseite von Lenz' Mantel sehen kann. Irgendwer muss da ganz eindeutig Lautsprecher mit polynesischer Musik ins Fenster gestellt haben. Die Klänge unheimlicher, schlecht gestimmter Steel Guitars wabern durch die zwielichtige Straße und prallen von den windschiefen Fassaden der anderen Straßenseite ab, das sind Don Ho und die Sol Hoopi Players, bei dem Baströckchen-undWellenrauschen-Sound hält sich Green die Ohren zu, bewegt sich aber gleichzeitig wie gehetzt auf die Quelle der Musik zu, einen rosaroten oder aquamarin blauen Dreistöcker mit einer Dachgaube
im zweiten Stock und einem roten Schindeldach mit einer blauweißen Quenucker-Fahne an einer Fahnenstange, die aus dem Gaubenfenster herausragt, und in dessen beiden Nachbarfenstern stehen gewaltige JBL-Boxen ohne Abdeckungen, sodass man die Woofer wie braune Bäuche beim Hula pochen sehen kann, und tauchen den 1700Block der W. Brainerd in grässliche Ukulele- und Baumstammtrommelklänge. Durch die Wurstfinger in den Ohren wird die Musik nur um das Piepen von Greens Puls und das Unterwassergeräusch seines Atems angereichert. Gestalten in kariertem Flanell oder aber floralen Hawaiihemden und mit diesen Blumenhalsbändern gleiten hinter und über den Fensterlautsprechern in und außer Sicht in der wabernden Art chemisch angeheiterter, tanzender und sozialkontaktierender Großgruppen. Die erleuchteten Fenster werfen schlanke Lichtrechtecke in den Garten, und der ist ein Saustall. Irgendetwas an Randy Lenz' Bewegungen vor ihm - ein Varieteschurke, der nichts Gutes im Schilde führt und auf Zehenspitzen storchenbeinig herumschleicht hält Green davon ab, ihn anzurufen, selbst wenn er sich über dem Rauschen aus Blut und Atem und Ho überhaupt verständlich machen könnte. Lenz huscht
durch den Lichtkegel der einen funktionierenden Straßenlaterne über den Gehweg und zum Zaun aus rostfreiem Maschendraht vor demselben QuenuckerHaus und hält dem Shetlandpony-großen Hund, dessen Leine mit einem Karabinerhaken an einer Art fluoreszierenden Plastikwäscheleine befestigt ist und hin- und hergleiten kann, etwas hin. Es ist kalt, die dünne Luft ist schneidend, und die eisigen Finger schmerzen in den Ohren. Green beobachtet, in einem Grad gespannt, den er nicht von sich kennt, wird langsam weitergezogen, wendet den Kopf hin und her, um Lenz im Nebel seines Atems nicht zu verlieren, ruft nicht, ist wie gelähmt. Green, Mildred Bonk und das andere Paar, das mit ihnen zusammen in T. Doocys Wohnwagen gewohnt hatte, waren eine Zeit lang als ungeladene Partyhopper bei den verschiedensten Studenten feten aufgetaucht und hatten sich unter die erlauchten Kollegiaten gemischt; einmal hatte sich Green im Februar in einem Wohnheim der Harvard U. wiedergefunden, w o eine Strandparty im Gang war, eine Wagenladung Sand war auf den Boden des Gemeinschaftsraums gekippt worden, alle trugen Blumenhalsbänder und hatten creme- oder solariumgebräunte Haut, die flachsblonden Typen
liefen in blumengemusterten Hemden über den Hosen herum, bewiesen beim Sprechen eine Maulsperre, Nobless Ob liesch, und nippten an Drinks mit Sonnenschirmchen drin, oder sie trugen SpeedoBadehosen ohne Hemd und ohne einen einzigen Pickel auf dem Rücken und taten so, als surften sie mit dem Surfbrett, das jemand auf eine buckelförmige Welle aus blauweißem Pappmaschee genagelt hatte, die einen verborgenen Motor hatte, der Wellenbewegungen nachahmte, und die Bräute flatterten in Baströckchen durch den Raum, tanzten ihren Hula wie einen Shimmy, der wippende Bast der Röcke offenbarte die Narben der Fettabsaugungen auf ihren Schenkeln, Mildred Bonk hatte einen Bastrock und ein Bikini-Oberteil vom Haufen neben den Bierfässchen angezogen, und obwohl im siebten Monat schwanger, war sie shimmymäßig dahin geflattert, wo der Bär los war, aber Bruce Green hatte sich so komisch fehl am Platz gefühlt in seiner billigen Lederjacke, der Frisur, die er bei einem Filmriss mit Benzin orange gefärbt hatte, und dem EAT THE RICH-Flicken, den er Mildred Bonk perverserweise genau aufs Gemächt seiner Polizeihose hatte nähen lassen, und irgendwann
hatten die Leute die Titelmelodie von Hawaii fünf null sattgehabt und mit den Don-Ho- und Sol-HoopiCDs angefangen, und Green war auf so beunruhigende Weise gleichzeitig fasziniert, angewidert und hypnotisiert von den polynesischen Melodien, dass er seinen Campingstuhl direkt neben die Bierfässchen gestellt, den Zapfhahn überstrapaziert und einen Plastikbecher voll Bierschaum nach dem anderen gekippt hatte, bis er so stockbesoffen war, dass sein Schließmuskel versagt und er sich buchstäblich in die Hose nicht nur gepisst, sondern auch geschissen hatte, erst zum zweiten Mal in seinem Leben, und das erste Mal in der Öffentlichkeit, und er schämte sich auf vielfältigste Weise in Grund und Boden, manövrierte sich behutsam ins nächste Klo, zog die Hose runter und wischte sich ab wie ein vollgeschissenes Baby, wobei er ein Auge zukneifen musste, damit der Bruce, den er sah, auch der richtige Bruce war, und dann hatte er nicht gewusst, was er mit der stinkenden Polizeihose anfangen sollte, also hatte er die Badezimmertür einen Spalt weit geöffnet, einen tätowierten Arm mit der Hose hinausgeschoben und sie im Gemeinschaftsraumsand wie in einem Katzenklo vergraben, nur stellte sich dann natürlich
Katzenklo vergraben, nur stellte sich dann natürlich die Frage, was er anziehen sollte, wenn er Klo und Wohnheim je wieder verlassen und nach Hause gehen wollte, also kniff er wieder ein Auge zu, streckte wieder den Arm hinaus, reckte sich mühsam zum Haufen mit den Baströcken und BikiniOberteilen, schnappte sich einen Bastrock, zog ihn an, verdrückte sich, ohne gesehen zu werden, durch eine Seitentür aus dem hawaiischen Wohnheim und fuhr im Februar mit Red Line, C-Greenie und schließlich dem Bus die ganze Strecke nach Hause in einer billigen Lederjacke, Asphaltglätterstiefeln und einem Bastrock, dessen Bast immerzu erschreckend hochrutschte, und dann setzte er drei Tage lang keinen Fuß vor die Tür des Wohnwagens im Spur, lag in einer lähmenden Depression kryptogener Ätiologie auf Tommy D.s krustig verdrecktem Sofa, trank Southern Comfort direkt aus der Flasche und sah zu, wie sich Doocys Schlangen in ihrem Terrarium in drei Tagen kein einziges Mal bewegten, und Mildred geigte ihm zwei Tage lang dezibelstark die Meinung, weil er erst kontaktscheu neben den Fässchen gehockt und sich dann einfach verpisst und sie im siebten Monat in einem Raum voller Sand und braungebrannter anomischer
Blondschöpfe zurückgelassen hatte, die hinterfotzige Bemerkungen über ihre Tätowierungen machten, und Spukgestalten, die beim Sprechen nicht den Unterkiefer bewegten, sie beispielsweise fragten, wo sie »den Sommer verbringe«, sie ungefragt über Investmentfonds ohne Ausgabeaufschlag informierten, sie einluden, nach oben mitzukommen und sich ihre Dürerdrucke anzusehen, und betonten, vollschlanke Frauen fänden sie wegen ihrer Ablehnung historisch kontingenter Askese-Ideale ja so schrecklich attraktiv, und Bruce Green lag da, den Kopf voller Hoopi und ungelöstem Schmerz, sagte kein Wort und hatte drei Tage lang keinen voll ausgereiften Gedanken, hatte den Bastrock unter dem Volant der Couch versteckt, zerriss ihn später wutentbrannt und verstreute die Schnipsel als Mulch über Doocys hydroponischer Marihuanazucht in der Badewanne. Lenz verschwindet ein paarmal mit einem Dutzend Andanteschritten aus Greens Gesichtskreis und taucht wieder auf, immer noch vor dem Haus der Exilkanadier, das Green angezogen hat, Lenz hält ein Kännchen undefinierbaren Inhalts über die eine Seite der Gartenpforte, tröpfelt etwas auf die Pforte
und hält in der anderen Hand etwas, das plötzlich die Aufmerksamkeit des Hundes weckt. Aus irgendeinem Grund sieht Green auf die Uhr. Die rosaoder orangerote Wäscheleine zittert, als der Karabinerhaken der Hundeleine an ihr entlangsaust, weil der Hund zu Lenz kommt, der langsam die Pforte geöffnet hat. Der große Hund ist zu Lenz weder freundlich noch unfreundlich, er ist einfach abgelenkt. Leine und Karabinerhaken könnten ihn unmöglich aufhalten, wenn er sich entscheiden sollte, Lenz als Futter einzustufen. An Greens Finger klebt bitter riechendes Ohrenschmalz, und er muss einfach daran schnuppern. Den anderen Finger hat er im Ohr vergessen. Inzwischen ist er ziemlich nah herangekommen und steht im Schatten eines Lieferwagens knapp außerhalb der Natriumlichtpyramide der Straßenlaterne, zwei Häuser entfernt von der Quelle der scheußlichen Klänge, die zwischen Mitschnitten von Hos frühem Don Ho: From Hawaii With All My Love urplötzlich n u r Schweigen bringt, sodass Green aus den offenen Fenstern kanadianesische Fetenstimmen im Bariton hört und von Lenz leise babysprachliche Lalationen a la »Happi Schnappi, Hundi Wundi« und so, wahrscheinlich an den Hund gerichtet, der sich
neutral vorsichtig, aber aufmerksam Lenz nähert. Green weiß nicht die Bohne, was das für ein Hund ist, aber er ist groß. Er erinnert sich zwar nicht an den Anblick, wohl aber an die beiden sehr verschiedenen Geräusche der Schritte von seinem Paps, dem verstorbenen Mr Green, beim Durchschreiten des Walthamer Wohnzimmers sowie an das Knistern der Papiertüte, in der die Halido steckte. Es ist weit nach 22.45 Uhr. Die Hundeleine gleitet sirrend ans Ende der Leuchtfarbenleine und stoppt den Hund ein paar Schritte vor der Pforte, an der Lenz steht und sich leicht vorbeugt wie jemand, der sich in Babysprache mit einem Hund unterhält. Green erkennt, dass Lenz dem an der Leine zerrenden Hund ein leicht angeknabbertes Stück von Don G.s hartem altem Hackbraten hinhält. Er stellt die leere konzentrierte Miene eines kurzgeschorenen Mannes mit einem Geigerzähler zur Schau. Der scheußlich unwiderstehliche Ho legt wieder los mit jener abrupten Plötzlichkeit, die CDs so unheimlich macht. Green hat einen Finger im Ohr und tritt leicht hin und her, damit Lenz' Laternenschatten ihm nicht die Sicht verdeckt. Die Musik bläht sich und dröhnt. Die Nucks haben sie für »My Lovely Launa-Una
Luau Lady« aufgedreht, einen Song, bei dem Green schon immer am liebsten aus dem Fenster gesprungen wäre. Die Instrumental-Passagen klingen teilweise wie eine Harfe auf Acid. Die Baumstammtrommeln erinnern an ein Herz in extremer Panik. Green bildet sich ein, sehen zu können, wie die Fenster der Häuser gegenüber von den furchtbaren Vibrationen vibrieren. Green hat jetzt mehr als einen Gedanken/Minute, tief drinnen setzt sich das Laufrad der Wüstenrennmaus quietschend in Bewegung. D a s wabernde Erschauern ist eine schlecht gestimmte Steel Guitar, die den Kopf des kleinen Brucie mit weißem Sand, wabbelnden Bäuchen und Köpfen anfüllt, die den aus Mitteln der öffentlichen Hand subventionierten Ballons der Neujahrsumzüge gleichen, riesigen, weichen, blanken, sackförmigen, runzligen Grinsköpfen, die nicken und hüpfen, während sie sich langsam zur Form eines riesigen Kopfes aufblähen und schräg an ihren Halteseilen zerren. Green hat seinen letzten Neujahrsumzug im Jahr des Tucks-Hämorrhoidensalbentuchs gesehen, und der war unanständig. Er ist jetzt nah genug, um zu erkennen, dass die hawaiianisierten Nucks das Haus Nr. 412 W. Brainerd bewohnen. Die ganze
Haus Nr. 412 W. Brainerd bewohnen. Die ganze Straße ist voll mit irgendwie partymäßig angeordneten Arbeiterfahrzeugen, Jeeps und Lieferwagen, quasi hektisch geparkt, und einige haben kanadische Kennzeichen. Manche Fenster haben auch Aufkleber mit Lilien und kanadischen Slogans. Ein alter, zum Slingshot Dragster hochfrisierter Montego steht geradezu verkehrsbedrohend quer vor Nr. 412, zwei Räder auf dem Bordstein und einen feschen Blumenkranz über der Antenne; die matten Ellipsen verbleichen im Lack der Motorhaube, was beweist, dass der Motor aufgebahrt worden ist und die Motorhaube echt heiß wird. Lenz hat sich auf ein Knie gehockt, bricht ein Stück Hackbraten ab und wirft es in Reichweite der Leine heimlich auf den Boden. Der Hund nähert sich u n d schnuppert an dem Brocken. Das charakteristische Geräusch, mit dem Gatelys Hackbraten zerkaut wird, mischt sich mit dem zitherigen Hochleistungsgeträller der scheußlichen Musik. Lenz erhebt sich, und seine Bewegungen haben in den verschiedenen Schattenschattierungen etwas schmelzend Geisterhaftes. Das helle Fenster, das von der schlaffen Fahne am weitesten weg ist, zeigt stämmige dunkle Männer mit Bärten und grellen
Hemden, die hin- und hergehen, mit den Fingern unter den Ellbogen schnippen und blumenbestreute Frauen im Schlepptau haben. Viele Köpfe sind in die Nacken gelegt und hängen an Molson-Flaschen. Greens Jacke knarzt bei jedem Atemzug. Die Schlange war mit einem sproinnnnng aus der Dose herausgeschossen. Seine Tante in der Frühstücksecke in Winchester, am strahlenden Wintermorgen, löst schweigend ein Kreuzworträtsel. Z w e i Wohnheimfenster werden von den wummernden JBL-Kuben halb blockiert. JBL-Boxen und Molson-grüne Bierflaschen kann Green von sehr weit weg erkennen. Ein ausgereifter Gedanke kohäriert: Hos Stimme hat die Beschaffenheit von: Salbe. Jeder vertriebene zottelige Nuck, der von diesen Fenstern zufällig in den Vorgarten schaute, könnte jetzt wahrscheinlich sehen, wie Lenz den nächsten Fleischbrocken vor dem Tier deponiert und aus Schulterhöhe etwas unter dem Mantel hervorholt, während er verstohlen hinter den großen Hund gleitet, von hinten über diesen grätscht und ihm den Rest Hackbraten hinwirft, dem kauernden großen Hund, das Knirschen von Dons Cornflakes-
Garnierung und das Matschipappsgeräusch eines Hundes, der Anstaltsfleisch frisst. Der Arm kommt unter dem Mantel hervor und holt mit etwas aus, das vielleicht glitzern würde, wenn das Licht von den Fenstern weit genug reichen würde. Bruce Green versucht, die Atemwölkchen vor dem Gesicht zu zerwedeln. Der elegante Mantel bauscht sich um die Flanken des Hundes, als Lenz die Füße in den Boden stemmt, sich vorbeugt, die Genickfalten des kauernden Hundes packt, sich mit lautem Keuchen aufrichtet, wodurch das Tier auf die Hinterbeine hochgerissen wird und mit den Vorderpfoten verzweifelt auf die leere Luft eintatzt. Das Hundewinseln ruft eine Lei-und-Flanell-Gestalt in die Lichtlücke über der einen Box oben. Green denkt nicht einmal daran, in seiner Schattenecke einen Ton von sich zu geben, der Augenblick verharrt, der Hund auch, und Lenz dahinter stößt die erhobene Hand herab und fährt dem Hund rasch über die Kehle. Ein lichtloser Bogen schießt aus der Stelle, die Lenz' Hand überquert hat, und platscht auf die Pforte und den Gehweg dahinter. Die Musik schwadet ohne Unterlass, aber Green hört Lenz mit großem Nachdruck etwas sagen, das wie »Da hast du's« klingt, er stößt den Hund von sich in den Vorgarten,
die Gestalt oben am Fenster gibt einen schrillen Männerlaut von sich, der Hund geht zu Boden und prallt mit dem fleischigen Knirschen eines 32-KiloSacks Mini-Eiswürfel auf die Seite, alle vier Beine vollführen nutzlose Paddelbewegungen, und die dunkle Rasenfläche schwärzt sich in einem pulsierenden Bogen vor seinen Kiefern, die sich öffnen und schließen. Unbewusst ist Green aus dem Wagenschatten hervor auf Lenz zugetreten, jetzt besinnt er sich und bleibt zwischen zwei Bäumen an der Straße vor Nr. 416 stehen, will Lenz etwas zurufen und verspürt die würgende Aphasie, die einen in Albträumen überkommt, also steht er einfach nur da mit einem Finger im Ohr, zwischen den Baumstämmen, und sieht hinüber. Lenz steht über d e m Rumpf des großen Hundes, wie man über einem bestraften Kind steht, voll aufgerichtet und Autorität ausstrahlend, und der Augenblick dehnt sich, bis sich lange geschlossene Fenster quietschend gegen den Ho öffnen und Holzfällerstiefel in rauen Mengen unheilvoll die Treppe in Nr. 412 herabpoltern. Der kriecherische Junggeselle, der neben seiner Tante wohnte, hatte zwei große gepflegte Hunde, und wenn Bruce an
dem Haus vorbeiging, kratzten die Zehennägel der Hunde über das Holz der Veranda, und sie rannten mit wedelnden Schweifen zum eloxierten Zaun, wenn Bruce vorbeikam, sprangen hoch und bespielten den Metallzaun quasi mit ihren Pfoten, so aufgeregt waren sie, ihn zu sehen. Quasi einfach nur ihn zu Gesicht zu bekommen. Lenz' Arm mit dem Messer ist wieder oben, glanzlos im Schein der Straßenlaterne, als Lenz, die andere Hand auf dem Zaun, darübersetzt und in südwestlicher Richtung nach Enfield den Hügel hoch durch die Brainerd Rd. spurtet, seine Loafer machen Qualitätsgeräusche auf dem Straßenbelag, und sein offener Mantel füllt sich wie ein Segel. Green verbirgt sich hinter einem Baum, als muskulöse Flanellgestalten mit Blütenblättern verlierenden Leis, ausländisch gegrunzter und unverkennbar kanadischer Rede, einige mit Ukulelen, sich wie Ameisen über die durchhängende Veranda und im Vorgarten verteilen, herumwuseln und -brabbeln, ein paar knien neben dem Umriss des Ex-Hundes. Ein bärtiger Mann, so riesig, dass sein Hawaiihemd spannt, hat das Hackbratentütchen aufgehoben. Ein anderer ohne viele Haare scheint eine weiße Raupe
aus dem dunklen Gras zu heben, hält sie vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtet sie. Ein dritter Riese mit Hosenträgern lässt sein Bier fallen, hebt den schlaffen Hund hoch, und der liegt in seinen Armen, den Kopf weit im Nacken wie ein ohnmächtiges Mädchen, tropft und zuckt noch mit einem Bein, und entweder schreit der Mann oder er singt. Der erste Nuck-Hüne mit der Tüte fasst sich an den Kopf, um seiner Erschütterung Ausdruck zu geben, als er und zwei andere Nucks mit schweren Schritten zu dem aufgemotzten Montego laufen. In einem Haus auf der anderen Straßenseite der Brainerd geht im ersten Stock das Licht an und beleuchtet von hinten einen Mann in einer Art Anzug, der in einem Metallrollstuhl direkt am Fenster sitzt, seitlich wie jeder Rollstuhlfahrer, der ganz nah an etwas heranwill, er lässt den Blick prüfend über die Straße und den von Nucks wimmelnden Vorgarten schweifen. Die Hawaiimusik muss aufgehört haben, aber nicht abrupt, es klang nicht so, als hätte jemand sie mitten in einem Stück abgestellt. Green hat sich hinter den Baum zurückgezogen und umarmt ihn. Ein dickes Mädchen in einem abscheulichen Bastrock sagt ein paarmal »Dyu!« Verwünschungen sind zu hören und mit schwerem Akzent geäußerte
abgedroschene Phrasen wie »Halt!« und »Da läuft er!« mit zeigenden Fingern. Ein paar Männer laufen auf dem Gehweg hinter Lenz her, aber sie tragen Stiefel, und Lenz hat ziemlich viel Vorsprung und verschwindet jetzt nach einem in Football-Manier nach links geschlagenen Haken in entweder einer Gasse oder einer größeren Auffahrt, seine eleganten Schuhe hört man allerdings immer noch. Einer der Männer droht ihm sogar mit der Faust, als er die Verfolgung aufnimmt. Der Montego mit der doppelten Nockenwelle hat, wie man hört, Probleme mit dem Auspufftopf, klonkt vom Gehweg runter und beschreibt zwei Klammern, als er in der Straßenmitte gekonnt wendet und hinter Lenz herrast, ein tiefliegendes, schnelles, PS-starkes Maschinchen, dessen fröhlicher Antennen-Lei vom Tempo zu einer lang gedehnten Ellipse gezogen wird, die ein Kielwasser weißer Blütenblätter hinter sich lässt, deren Herabsinken eine Ewigkeit dauert. Green glaubt, sein Finger könne im Ohr angefroren sein. Niemand scheint zu gestikulieren, es könne vielleicht einen Komplizen gegeben haben. Nichts deutet darauf hin, dass nach einem zweiten, unwissentlich schuldig gewordenen Mittäter gesucht wird. Eine zweite berollstuhlte Gestalt ist hinter und rechts von
d e r ersten von hinten beleuchteten Gestalt gegenüber er schienen, und beide sitzen so, dass sie Green am Baum sehen können mit der Hand am Ohr, als empfinge er Anweisungen per Hörkapsel. Die Nucks wuseln immer noch auf unbeschreiblich ausländische Weise im Vorgarten herum, und der eine taumelt im Kreis unter dem Gewicht des entschlafenen Hundes und sagt etwas gen Himmel. Green lernt diesen einen Baum sehr gut kennen, schmiegt sich an seine Leeseite und atmet in seine Rinde, damit sein Ausatmen nicht hinter dem Baum hervorwölkt und potenziell als Komplizenatem angesehen werden kann. Mario Incandenza wird am Mittwoch, dem 25. November, am Tag vor Thanksgiving, neunzehn Jahre alt. Seine Schlaflosigkeit verschlimmert sich, als die Sendepause von Madame Psychosis in die dritte Woche geht und WYYY einen zweiten Anlauf mit der armen Miss Bildung unternimmt, die eine räubersprachliche Lesung der Offenbarung des Johannes angefangen hat, bei der das Fremdschämen dem Hörer richtig wehtut. Ein paar Nächte versucht er im Wohnzimmer vom Rh zu waDS einzuschlafen, einem MW-Nischensender, der
narkotisierende Orchesterarrangements alter Carpenters-Songs spielt. Das macht alles nur noch schlimmer. Schon komisch, wenn man das Gefühl hat, jemand fehlt einem, den man vielleicht gar nicht kannte. Mario holt sich eine schlimme Brandwunde an der Hüfte, als er sich im Gespräch mit Mrs Clarke an eine heiße Stahlherdplatte lehnt. Seine Hüfte ist unter Orins alter Cordhose mit Verbänden umwickelt, und wenn er nachts nicht schlafen kann und herumläuft, hört man das Salbenschmatzen. Definitiv wurde die angeborene Behinderung erst diagnostiziert, nachdem sich Mario mit sechs Jahren von Orin die Schulter mit der rotglühenden Spirale eines Tauchsieders hatte tätowieren lassen, und sie heißt familiäre Dysautonomie, ein neurologisches Krankheitsbild mit vermindertem Schmerzempfinden. Viele E. T.A.ler ziehen ihn auf von wegen hat der's gut, und sogar HaI spürt manchmal einen Anflug von Neid deswegen, aber dieses Defizit ist ein ernsthaftes Gefrett und nachgerade gefährlich, wie beispielsweise die verbrannte Hüfte zeigt, die erst entdeckt wurde, als Mrs Clarke dachte, ihr wären die Auberginen angebrannt.
Im Rh liegt er auf der Luftmatratze in einem engen Daunenschlafsack am Rand des violetten Pflanzen lichts, der Wind rüttelt am großen Ostfenster, und er lauscht den weichgespülten Geigen und etwas, das wie eine Zither klingt. Von oben hört man manchmal einen Schrei, schrill und lang gezogen, aus Richtung der Zimmer von C. T. und der Moms. Mario passt genau auf, ob sich das Geräusch am Ende als Lachen oder Schreien von Avril erweist. Sie leidet an Pavor nocturnus, potenzierten Albträumen gewissermaßen, die Kleinkinder befallen und a n s c h e i n e n d auch Erwachsene, die ihre Hauptmahlzeit kurz vor dem Zubettgehen einnehmen. S e i n e Abendgebete dauern fast eine Stunde, manchmal auch länger, und sind keine Pflichtübung. Er kniet dabei nicht; es ist eher eine Art Gespräch. Und er spinnt nicht, er hört dabei keine Stimmen oder jemanden, der ihm antwortet, hat HaI herausgefunden. HaI hat ihn gefragt, wann er zum Schlafen wieder in ihr Zimmer zurückkommt, und da hat sich Mario gut gefühlt. Er versucht, sich Madame Psychosis - die in seiner
Phantasie sehr groß ist - vorzustellen, wie sie in einem XL-Liegestuhl am Strand liegt, lächelt, tagelang kein Wort sagt und sich nur ausruht. Es klappt aber nicht sehr gut. Er weiß nicht, ob HaI traurig ist. Es gelingt ihm immer weniger, Hals Geisteszustand festzustellen, oder ob er gute Laune hat. Das beunruhigt ihn. Früher wusste er praktisch präverbal aus dem Bauch heraus, wo HaI war und was er gerade machte, auch wenn HaI weit weg war und spielte oder wenn Mario weg war, und jetzt kann er das nicht mehr. Spüren. Das beunruhigt ihn und fühlt sich an, wie wenn man i n einem Traum etwas Wichtiges verloren hat und sich nicht einmal mehr erinnern kann, was es war, aber es ist wichtig. Mario liebt HaI so sehr, dass er davon Herzklopfen bekommt. Er braucht sich nicht zu fragen, ob der Unterschied bei ihm oder bei seinem Bruder liegt, denn Mario ändert sich nie. Als er das Büro der Moms nach ihrer Konnexion verlassen hatte, hatte er ihr nicht erzählt, dass er noch herumlaufen würde: Für gewöhnlich versucht Avril auf unaufdringliche Weise, Mario von seinen Nachtwanderungen abzubringen, weil er nachts nicht gut sieht und die Gegend um den Hügel der E. 1. A.
herum nicht die beste Nachbarschaft ist, außerdem ist nicht zu eskamotieren, dass Mario körperlich praktisch für jeden eine leichte Beute wäre. Und auch wenn die familiäre Dysautonomie den Vorteil relativer körperlicher Furchtlosigkeit mit sich bringt242, beschränkt sich Mario aus Rücksichtnahme auf Avrils Sorgen bei seinen Schlaflosigkeitsbummeln auf ein ziemlich eng umrissenes Gebiet.243 Manchmal streift er über das Gelände des Enfield Marine P. H. H. am östlichen Fuß des Hügels, weil das eingezäunt ist, das Gelände jetzt, und er kennt ein paar Wachleute vom E. M. aus der Zeit, als sein Vater sie in seinem schrulligen Bei Anruf Wollust Bostoner Polizisten darstellen ließ; und er mag das E. M.Gelände bei Nacht, weil das Licht in den Fenstern der verschiedenen Ziegelbauten gelbes Lampenlicht ist244 und er die Menschen im Erdgeschoss sehen kann, wie sie Karten spielen, sich unterhalten oder TP sehen. Er mag auch weiß getünchte Ziegelrnauern, unabhängig von ihrem Instandhaltungsgrad. Und viele Menschen in den verschiedenen Ziegelhäusern sind beschädigt oder schief und neigen sich zu einer Seite oder sind in
sich verkrümmt, sieht er durch die Fenster, und er fühlt sich dann mit aller Welt verbunden, und das ist gut gegen Schlaflosigkeit. Aus einem abgedunkelten Fenster im ersten Stock hört man eine Frauenstimme ohne große Dringlichkeit um Hilfe rufen - anders als die Schreie, die das nächtliche Lachen oder Schreien der Moms kennzeichnen. Und auf der anderen Seite des Sträßchens, in dem dicht an dicht Autos parken, die um 0.00 Uhr umgestellt werden müssen, liegt Ennets House, dessen Rektorin behindert ist und eine Rollstuhlrampe hat einbauen lassen und Mario tagsüber schon zweimal zu einer koffeinfreien Millennial Fizzy eingeladen hat, und Mario mag das Haus: Es ist voll und laut, kein Möbelstück hat einen Schutzüberzug aus Plastik, niemand nimmt Notiz von irgendwem oder macht eine Bemerkung über eine Behinderung, die Rektorin ist zu allen freundlich, und die Leute weinen voreinander. Drinnen riecht es wie ein Aschenbecher, aber beide Male hat sich Mario in Ennets House wohlgefühlt, weil es ganz echt ist; die Menschen weinen und machen Krach und werden weniger unglücklich, und einmal hat er gehört, wie jemand mit ganz normalem Gesicht Gott gesagt hat, und niemand hat ihn komisch angesehen oder
weggesehen oder auf diese Weise gelächelt, wo man gleich weiß, dass er verunsichert ist. Nach 23.00 können Menschen von draußen da aber nicht mehr rein, weil sie eine Sperrstunde h a b e n , also wackelt Mario nur über den aufgebrochenen Gehweg und schaut sich durch die Erdgeschossfenster die verschiedenen Leute an. Alle Fenster sind hell erleuchtet, einige auch ein Stück hochgeschoben, und die Geräuschkulisse ist die, die aus einem Haus voller Menschen nach draußen dringt. Aus einem Fenster im ersten Stock, das zur Straße hinausgeht, hört man ein »Gib das her, gib das her«. Jemand weint und jemand anders lacht oder hat einen fürchterlichen Hustenanfall. Aus einem Küchenfenster an der Seite hört man eine gereizte Männerstimme, die etwas zu einem anderen sagt, der gerade sinngemäß gesagt hat, »dann besorg dir ein Gebiss«, gefolgt von Schimpfwörtern. In einem anderen Fenster im ersten Stock, drüben an der Seite über der Rollstuhlrampe und dem Küchenfenster, wo der Boden weich genug ist, um die Belastung eines Polizeischlosses und eines Bleiblocks hübsch abzufedern, bauscht sich als Vorhang eine der Länge nach aufgehängte Fahne,
und auf einem alten, halb abgekratzten Aufkleber an der Scheibe ist noch ein kursives EILE MIT W zu erkennen, und Mario fesselt der leise, aber unverkennbare Klang einer aufgenommenen Sendung von »Plus / minus sechzig Minuten mit Madame Psychosis«, die Mario nie mitgeschnitten hat, weil er das irgendwie nicht richtig fand, aber er ist seltsam fasziniert, dass jemand in Ennets mitdenkt, aufnimmt und wieder abspielt. Was hinter dem offenen Fenster mit dem sich bauschenden Fahnenvorhang hervordringt, ist eine von den alten Sendungen, noch aus dem Jahr des Wunderhuhns, Madames Debütjahr, als sie manchmal die ganze Stunde und mit leichten Dialektspuren sprach. Ein Ostwind peitscht Mario die dünnen Haare nach hinten vom Kopf weg. Sein Stehwinkel beträgt 50°. Ein Mädchen in einem kleinen Pelzmantel und unbequem aussehenden Bluejeans klackert auf Stöckelschuhen über den Gehweg und geht die Rampe zum Hintereingang von Ennets hoch, ohne sich anmerken zu lassen, dass sie jemanden mit einem total großen Kopf bemerkt hat, der von einem Polizeischloss gestützt auf dem Rasen vor dem Küchenfenster steht. Die Dame hat so viel Make-up aufgetragen, dass sie unpässlich aussieht, aber die
Wirbelschleppe ihres Vorbeigehens riecht sehr gut. Irgendwie spürt Mario, dass der Mensch hinter der Flagge ebenfalls eine Frau ist. Er findet, es ist nicht ausgeschlossen, dass sie einem Mithörer ihre Mitschnitte leiht, wenn er sie darum bittet. Normalerweise klärt er Fragen der Etikette mit HaI ab, der unglaublich kenntnisreich und klug ist. Wenn er an HaI denkt, klopft sein Herz und seine dicke Stirnhaut wird ganz runzlig. HaI wird auch wissen, wie man Privatbänder von durch die Luft gesendeten Sachen nennt. Vielleicht besitzt diese Dame ja ganz viele Bänder. Das hier stammt aus dem ersten Jahr von »+/- Sechzig Minuten«, als Madame noch mit Dialektresten sprach und in der Sendung oft klang, a l s unterhielte sie sich ausschließlich mit einem Menschen oder einer Figur, der bzw. die ihr sehr wichtig war. Die Moms hat ihm erklärt, wenn man nicht verrückt ist und sich mit jemandem unterhält, der gar nicht da ist, heißt das Apostrophe und gilt als echte Kunst. Die ersten Sendungen von Madame Psychosis hatte Mario lieb gewonnen, weil er das Gefühl hatte, einer traurigen Frau zuzuhören, die aus vergilbten Briefen vorlas, die sie an einem Regennachmittag aus einem Schuhkarton
genommen hatte, Sachen über gebrochene Herzen, geliebte Menschen, die starben, und USamerikanisches Weh, Sachen, die echt waren. Es wird immer schwerer, wahre Kunst über Sachen zu finden, die auf diese Weise echt sind. Je älter Mario wird, desto mehr verwirrt ihn die Tatsache, dass an der E. T. A. jeder, der älter ist als beispielsweise Kent Blott, echt echte Sachen unangenehm findet und sich geniert. Als gäbe es eine Vorschrift, dass echte Sachen nur erwähnt werden dürfen, wenn man gleichzeitig die Augen verdreht oder auf nicht glückliche Weise lacht. Heute hatte er da das schlimmste Gefühl beim Mittagessen, als Michael Pemulis ihm erzählte, er hätte da eine Idee für einen telefonischen Gebetsservice für Atheisten, wo der Atheist die Nummer anruft, und am anderen Ende klingelt es nur endlos, aber keiner geht ran. Der Witz war gut, und Mario verstand ihn; unangenehm war nur, dass Mario an dem großen Tisch der Einzige war, der glücklich lachte; alle anderen schlugen die Augen nieder, als lachten sie über einen Behinderten. Das ganze Thema war Mario viel zu hoch, und als er seine Verwirrung Lyle gegenüber ansprach, verstand er dessen Antworten nicht. Auch HaI war ausnahmsweise keine Hilfe, denn der schien
sich noch unbehaglicher zu fühlen und sich noch mehr zu genieren als Marios Tischnachbarn, und wenn Mario auf echte Sachen zu sprechen kommt, nennt HaI ihn immer Trollo und tut so, als hätte er sich nassgemacht, und HaI würde ihm sehr geduldig beim Umziehen helfen. Viele Menschen erscheinen aus der Dunkelheit, gehen an ihm vorbei und begeben sich zur Sperrstunde ins Haus. Alle wirken scheu und gucken finster, um zu zeigen, dass sie nicht scheu sind. Die Männer haben die Hände in den Manteltaschen vergraben, und die Frauen haben die Hände an den Kehlen und drücken die Mantelaufschläge zusammen. Ein junger Mann, den Mario noch nie gesehen hat, sieht, wie das Polizeischloss ihm zu schaffen macht, und hilft ihm, die Stange zu lösen und den Bleiblock im Rucksack zu verstauen. Eine kleine gute Tat, und die Welt sieht gleich ganz anders aus. Mario ist auf einmal so müde, dass er nicht weiß, ob er es noch den Hügel hoch nach Hause schafft. Die Musik, die am Anfang von Madame Psychosis' Karriere gespielt wurde, ist genau dieselbe wie an deren Ende, was unzumutbar klingt so ohne sie.
Marios Schräggang ist ideal, um Hügel hochzugehen. Seine Hüftsalbe gibt Geräusche von sich, aber es tut nicht weh. Bevor sich die Bäume am Hügel hinter ihm schließen und von Ennet Hause nur ein paar gelbe Lichtsplitter übrig lassen, sieht Mario a l s Letztes einen breiten Jungen mit einem quadratischen Schädel, der hinter dem großen, vorstehenden Fenster im Büro der Rektorin von Ennets Hause, das auf die Avenue, die Eisenbahngleise und den sauberen Lebensmittelladen der Ngs, Vater & Sohn, hinausgeht, in dem Mario, wenn er an kalten Vormittagen vorbeikommt, gelben Tee bekommt, am schwarzen Schreibtisch der Rektorin vorgebeugt etwas schreibt, am Bleistiftende kaut und den einen Arm unbequem verkrümmt um das herumlegt, wohinein er schreibt, wie ein langsamer Junge bei einer Klassenarbeit in der Förderklasse drüben an der Rindge and Latin. Die Abendpflichten der Betreuer teilen sich ziemlich gleichmäßig in Lappalien und Lasten auf. Der eine muss die Regionaltreffen aufsuchen, um die Anwesenheit der Insassen zu kontrollieren, während der andere ein Abendtreffen sausen lässt, um das leere Hause und die Telefone zu bemannen und das
leere Hause und die Telefone zu bemannen und das läppische Übergabebuch zu vervollständigen. Nach Ende der Tr e f f e n hat Gately stündliche Anwesenheitslisten zu erstellen und im Übergabebuch festzuhalten, wer alles da und was so los ist. Ihm obliegen Hausarbeitenpatrouille und Übergabebucheinträge über Hausarbeitenerledigung sowie das schriftliche Zuteilen der Hausarbeiten des Folgetages aus dem Wochenplan. Den Insassen muss alles, was von ihnen erwartet wird, im Voraus ausbuchstabiert werden, damit sie nicht meckern können, wenn sie mit irgendwas drangekriegt werden. Dann müssen die Leute, die ihre Hausarbeiten nicht erledigt haben, gesagt kriegen, dass sie eine einwöchige Sperre haben, was tendenziell eher lästig ist. Gately muss Pats Schränke aufschließen, den Schlüssel zum Pillenschrank holen und den Pillenschrank aufschließen. Insassen, die regelmäßig Medikamente einnehmen müssen, reagieren auf das Öffnen des Pillenschranks wie eine Katze auf das Quietschen eines Dosenöffners. Plötzlich tauchen sie aus dem Nichts auf. Gately muss an die Insassen, die wegen ihrer Medikamente auftauchen, orales Insulin, Virusmedikamente, Pickeltinkturen,
Antidepressiva und Lithium verteilen, und dann muss er das alles im medizinischen Übergabebuch festhalten, und in dem herrschen Zustände wie im alten Rom. Er muss sich Pats Wochenübersichtskalender vornehmen und ihr die Termine des nächsten Tages auf einem Blatt Papier in Blockbuchstaben ausdrucken, weil Pat ihre eigene paralytische Sauklaue nicht entziffern kann. Er muss mit Johnette Foltz Rücksprache halten, wie sich die jeweiligen Insassen beim Teilen und Heilen im St. E. aufgeführt haben, bei den B. Y. P. in Brookline und dem NA-Komm runter für Frauen in East Cambridge, wo man ein paar von den alteingesessenen Frauen hingehen lässt, und alle diese Daten müssen eingetragen werden. Gately muss hochgehen und bei Kate G. vorbeischauen, die sich wieder zu krank fühlte, um heute Abend zu den AA zu gehen, und schon seit drei Tagen mehr oder weniger ununterbrochen das Bett hütet und jemanden namens Sylvia Plate liest. Auf die Frauenseite in den ersten Stock hochzugehen, ist eine unglaubliche Nerverei, denn erst muss er einen kleinen Stahlkäfig über einem Schalter unten an der Treppe am hinteren Büro aufschließen, auf den Schalter
drücken, woraufhin im ersten Stock ein Summer ertönt, und dann muss er » Mann im Anmarsch« hochrufen und den weiblichen Insassen Zeit geben, sich was anzuziehen oder was, bevor er hochkommen kann. Dort in den ersten Stock hochzugehen, war eine lehrreiche Erfahrung für Gately, der immer mit der Vorstellung herumgelaufen war, Frauenbereiche wären grundsätzlich sauberer und freundlicher als Männerbereiche. Das Kontrollieren der Hausarbeiten in den beiden Frauenbadezimmern hat seinen lange gehegten Irrglauben zerstört, Frauen gingen nicht mit dem entsetzlichen Nachdruck von Männern auf die Toilette. Gately hat ganz schön viel hinter seiner Mutter hergeputzt, aber irgendwie hatte er sie nie so recht als Frau gesehen. Von daher war die ganze lästige Sache eine lehrreiche Erfahrung. Gately muss bei Doony Glynn vorbeischauen, der eine rezidivierende Divertikulitis hat, sich in Embryonalhaltung auf seinem Etagenbett zusammenkrümmt, wenn er eine Attacke erleidet, und dann Motrin sowie einen SlimFast-Shake gebracht bekommt, den Gately mit 2 % - Fett- Milch anrühren muss, weil die Magermilch alle ist, und dann Food-Bank-Kekse und ein Tonic Water aus
dann Food-Bank-Kekse und ein Tonic Water aus dem Getränkeautomaten im Keller, als Glynn den 2 %-Shake nicht trinken kann, und schließlich muss er Glynns Kommentare und seinen Zustand, die beide nicht gut sind, im Übergabebuch festhalten. In der Küche hat irgendwer diese ekligen marshmallowigen Rice-Krispie-Dinger gemacht und dann nicht sauber gemacht, Gately muss auf der Suche nach dem Schuldigen durchs ganze Haus trampeln und ihn zum Saubermachen verdonnern, und der Insassenkodex in puncto Käsefressen ist so beschaffen, dass man meinen sollte, er hat sich plötzlich in einen Filzmajor verwandelt. Der tägliche Bockmist liegt hier hüfthoch und ist weniger nervtötend als seelesaugend: Nach einer Doppelschicht ist er vor der Morgendämmerung wie ausgesaugt, und dann geht erst das richtige Scheißeputzen los. Am Anfang war das anders gewesen, dieser Aspekt des Seelesaugens, und alle paar Minuten fragt sich Gately aufs Neue, was er bloß machen soll, wenn sein Jahr als Betreuer vorbei, seine Seele ausgesaugt und er clean ist, aber weder Geld noch Ahnung hat, was er nach dem erzwungenen
Weggang da draußen machen soll. Als er den Summer betätigt hatte und zum Vorbeischauen im 5-Frauen-Zimmer nach oben gegangen war, hatte Kate Gompert in einer Nebenbemerkung angedeutet, sich was anzutun245, und Gately muss Pat deswegen zu Hause anrufen, aber die ist entweder nicht da oder geht nicht ran, also muss er die Hausmeisterin anrufen, ihr den Wortlaut der Bemerkung durchgeben und sie die interpretieren und Gately sagen lassen, welche Maßnahmen er ergreifen soll, in welchem Verhältnis die Bemerkung zu Gomperts Suizidvertrag steht und in welcher Form er die ganze Angelegenheit protokollieren soll. Eine Ennet-Insassin hatte sich ein paar Jahre vor Gatelys Ankunft im Keller an einem Heizungsrohr erhängt, weshalb es jetzt bizarre Vorschriften für die Überwachung von Suizidgedanken bei Insassen mit psychischen Problemen gibt. Die Nummer der 5-East im St. Elizabeth's steht in Pats Rolodex auf einer roten Karte. Gately muss die Berichte der Hauspsychologen der Vorwoche sichten und kollationieren, die Akten der Insassen zusammensuchen, Ergänzungen oder
Veränderungen ausdrucken und für das Gruppengespräch der Therapeuten am Folgetag zusammenstellen, wenn sich die Mitarbeiter in Pats Büro treffen und über die Entwicklung der einzelnen Insassen miteinander konnektieren. Die Insassen haben eine ziemlich genaue Vorstellung davon, dass ihre Ehemaligen-Hauspsychologen sie im Grunde genommen bei jeder Personalbesprechung in Bausch und Bogen verpfeifen, und deswegen sind Treffen mit Hauspsychologen in aller Regel so unglaublich langweilig, dass nur wirklich sehr dankbare Ehemalige von Ennet sich bereit erklären, als Hauspsychologen zu arbeiten. Das Aktualisieren der Akten ist eine Lappalie, aber unangenehm ist es für Gately, Sachen auf dem IP im hinteren Büro auszudrucken, hauptsächlich weil jeder seiner Finger gleich drei Tasten auf der Tastatur abdeckt und er jede Taste sehr vorsichtig mit der Spitze eines Kulis drücken muss, und bei dem vergisst er manchmal, die Mine reinzuklicken, und hinterlässt blaue Schmierereien auf der Tastatur, wofür ihm die Hausmeisterin immer wieder megamäßig an den Karren fährt. Gately muss auch alle neueren Insassen wenigstens für ein paar Minuten im Büro haben, um
wenigstens für ein paar Minuten im Büro haben, um einfach mal so die Befindlichkeiten auszutauschen, zu hören, wie's ihnen so geht, und ihnen zu verdeutlichen, dass sie als existent wahrgenommen werden und nicht einfach mit der Wohnzimmerausstattung verschmelzen und verschwinden können. Der neueste Typ sitzt immer noch im Wäscheschrank und behauptet, da wäre es bei offener Tür am komfortabelsteren,und die neue »hilflose« Amy Johnson ist noch nicht zurückgekommen. Eine brandneue, gerichtlich herverfügte Frau, Ruth van eleve, deren Anblick an diese Fotos von Hungersnöten in Afrika erinnert, muss Aufnahmeformulare ausfüllen und die Orientierungsphase durchlaufen, Gately bespricht die Hausordnung mit ihr und händigt ihr ein Exemplar vom Ennet Hause Survival Guide aus, den ein paar Insassen vor Jahren für Pat verfasst haben. Gately hat Telefondienst und muss den Leuten, die im Büro anrufen und Insassen sprechen wollen, erklären, dass Insassen Anrufe nur am Münzfernsprecher im Keller entgegennehmen können, und ja, das stimme leider, der sei oft besetzt. Mobiltelefone / Handys sind im Haus untersagt, und das Bürotelefon ist für Insassen gesperrt. Da unten
das Bürotelefon ist für Insassen gesperrt. Da unten muss Gately Insassen wegschubsen, wenn sich andere Insassen in der Schlange beschweren, weil jemand die fünf Minuten überschritten hat. Auch das ist eher unangenehm: Der Münzfernsprecher da unten ist nicht digital, unabstellbar und sorgt ständig für Ärger und Zoff; bei jedem Anruf geht es um Leben und Tod; da unten herrscht rund um die Uhr Alarmstufe Rot. Es gibt eine bestimmte unmissverständliche Weise, jemanden von einem Münzfernsprecher wegzuschubsen, ohne ihn respektlos zu behandeln oder zu beschämen. Gately versteht sich inzwischen gut darauf, eine ausdruckslose, aber nicht passive Miene aufzusetzen, wenn er von Insassen beschimpft wird. D i e Betreuer kultivieren diesen Ausdruck leeren Sachverstands, den man nach Schichtende nur durch Massieren oder Gesichtsgymnastik wieder wegbekommt. Gately nimmt Beschimpfungen inzwischen mit so stoischer Gelassenheit hin, dass m a n seinen Namen schon mit Handlungen widernatürlicher Unzucht paaren muss, um einen Eintrag im Übergabebuch und eine Sperre zu erhalten. Praktisch alle Insassen respektieren und mögen ihn, was laut der Hausmeisterin für Unmut
beim alteingesessenen Personal sorgt, schließlich sei es nicht Gatelys Aufgabe, all diesen Menschen ein Freund zu sein. In der Küche, wo die Scheiß-Krispie-Schalen und Pfannen immer noch einen Saustall bilden, stehen dann Wade McDade und noch ein paar Insassen herum, warten darauf, dass diverse Dinge rösten oder kochen, und McDade schiebt sich die Nasenspitze so hoch, dass seine Nasenlöcher bestens einzusehen sind. Wie ein Ferkel sieht er sich um und will wissen, ob wer wen kennt, dessen Nase so aussieht, und ein paar der Anwesenden sagen, ja klar, na und. Gately kontrolliert den Kühlschrank und sieht wieder den Beweis, dass sein Spezial-Hackbraten einen heimlichen Liebhaber haben muss, denn von den sorgfältig eingewickelten und auf das stabilste Fach gelegten Resten ist wieder ein großes Rechteck abgeschnitten worden. McDade, bei dem sich Gately jeden Tag aufs Neue im Zaum halten muss, um ihm nicht dermaßen eine reinzusemmeln, dass ihm Augen und Nase auf die Spitzen der Cowboystiefel tropfen, McDade also erzählt jetzt herum, er erstellt eine Dankbarkeitsliste zu Calvin 1.s Zähe-Liebe-Anregung, und er sagt,
dankbar ist er zum Beispiel dafür, dass er nicht so eine Nase hat. Gately versucht, niemanden danach zu beurteilen, ob er lacht oder nicht. Als Pats Telefon klingelt und Gately geht, zermatscht sich McDade die Oberlippe mit der Hand und fragt, ob wer Bekannte mit Gaumenspalten hat. Gately muss das emotionale House-Barometer überwachen und einen nassen Finger in den Wind halten, um potenzielle Konflikte, Probleme und Gerüchte im Keim zu erkennen. Es ist eine subtile Kunst, Zugang zur Gerüchteküche der Insassen zu behalten und immer zu wissen, was im Schwange ist, ohne den Eindruck zu erwecken, man veranlasse Insassen, die Seite zu wechseln und in puncto anderer Insassen Käse zu fressen. Geradezu ermutigt, andere zu verpfeifen, werden Insassen hier nur, wenn es um den Drogenkonsum geht. Alle anderen Probleme soll das Personal herausfinden und aufstöbern usw., begründete Verstöße aus den Flutwellen versteckter Andeutungen und hirnrissiger Beschwerden herausfiltern, die gut 20 gelangweilte und zusammengepferchte Dickschädel in der Entgiftung ihrer kaputten Leben so hervorrufen. Gerüchte, dass die und die morgens um 3.00 dem
und dem auf dem Sofa einen geblasen hat, dass Soundso ein Messer hat, dass X am Münzfernsprecher eine Art Code benutzt hat, dass Y jetzt wieder einen Beeper hat, dass Soundso im 5MannZimmer Football-Wetten abschließt, dass Belbin Diehl eingeredet hat, wenn er Krispie Treats macht, wäscht sie ab, aber dann hat sie sich verdrückt usw. Fast alles davon ist läppisch, aber lästig, wenn es sich summiert. Selten ein Gefühl direkter unverstellter Trauer als solcher hinterher - nur ein abrupter Hoffnungsverlust. Und die Verachtung, über die er mit Sanftheiten und Zärtlichkeiten in der postkoitalen Phase des Liebesgefiepes und Saubermachens so gut hinwegtäuscht. Orin kann Lust nur spenden, aber nicht empfangen, und dadurch halten verachtenswert viele von denen ihn für einen wunderbaren Liebhaber, einen Traumprinzen geradezu, was seine Verachtung schürt. Die Verachtung kann er aber nicht zeigen, denn das würde die Lust des Subjekts schließlich schmälern. Da die Lust des Subjekts an ihm seine Speise wurde, ist er bei seinen einfühlsamen Zärtlichkeiten
nach dem Koitus sehr gewissenhaft und bringt deutlich zum Ausdruck, dass er ganz nah und intim bleiben möchte, während so viele andere Männer, wie er von den Subjekten hört, hinterher unruhig, verachtungsvoll oder abweisend werden, sich wegdrehen, an die Wand starren oder eine Zigarette festklopfen, kaum dass sie ausgezuckt haben. Ganz leise erzählte ihm das Handmodell, der große rosige Schweizer Ehemann auf dem Foto wälze sich nach dem Koitus immer von ihr runter und liege wie betäubt unter seiner Wampe, die Augen zu Schweinchenschlitzen verengt und mit dem angedeuteten Grinsen eines vollgefressenen Raubtiers; im Gegensatz zum Punter: lieblos. Dann bekam sie - gängige Praxis bei Subjekten - einen Augenblick lang Angst und Gewissensbisse und sagte, niemand dürfe das jemals erfahren, sie könne ihre Kinder verlieren. Orin verabreichte seine Standardversicherungen mit ganz weicher Flüsterstimme. Er war hinterher echoartig sanft und zärtlich, was sie intuitiv irgendwie gleich gewusst hatte. Es stimmte. Es verschaffte ihm echte Lust, in dieser Phase den Eindruck von Zuwendung und Intimität zu vermitteln; hätte ihn jemand gefragt, was
ihm in der antiklimaktischen Phase, wenn das Subjekt zurücksank, glänzend geöffnet, und ihn mit Blicken verschlang, am liebsten sei, hätte er gesagt, am zweitliebsten sei ihm diese postejakulatorische Phase klebrig klammernder Schutzbedürftigkeit auf Seiten des Subjekts und sanfter und intimer Zuwendung auf seiner Seite. Das Klopfen an der Zimmertür erschien ihm als eine weitere Gnade, denn das Subjekt hatte sich im Bett auf den Ellbogen aufgestützt, stieß durch die Nase schlanke Stoßzähne Zigarettenrauch aus und bat ihn, von seiner Familie zu erzählen, und Orin streichelte sie zärtlich, blickte den Zwillingskurven des blass sich verflüchtigenden Rauchs nach und versuchte, bei der Vorstellung des Naseninneren des Subjekts nicht zusammenzuzucken, welche vom Rauch grauweißen Knäuel nekrotischen Rotzes da drinnen herumranken mussten; ob sie den Mumm aufbrachte, ein benutztes Taschentuch zu inspizieren, oder ob sie es zusammenknüllte und mit dem Erschauern wegwarf, das i h n überkommen w ü r d e ; als das forsche Einwirken männlicher Knöchel auf die Zimmertür erklang, sah er, wie sie von der Stirn abwärts aschfahl wurde, ihn anflehte,
niemand, egal wer da draußen stand, dürfe je erfahren, dass sie hier sei, und sie drückte den Zigarettenstummel aus und tauchte unter die Bettdecke, während er die Tür um Geduld bat und ins Bad sprang, um sich ein Handtuch umzuknoten, bevor er die höflich nichtssagende Hoteltür öffnete, für die man eine Karte und keinen Schlüssel brauchte. Die Hand des befleckten, schuldbewussten, verängstigten und verheirateten Handmodells schob sich mitsamt Gelenk kurz unter dem Bettzeug hervor und tastete auf dem Boden nach Schuhen und Kleidungsstücken, bewegte sich wie eine blinde Spinne und zog alles unter die Decke. Orin fragte nicht, wer an der Tür sei; er hatte nichts zu verbergen. An der Tür bekam er richtig gute Laune. Als die Ehefrau und Mutter all ihre Spuren beseitigt und das Bettzeug so über sich gehäuft hatte, dass sie grau schnaufend daliegen und sich ihre Unsichtbarkeit einbilden konnte, nur ein Klumpen auf dem zerwühlten Bett einer unbeweibten Schlafmütze, warf Orin einen Blick durch den Türspion, sah nur die bordeauxrote Korridorwand gegenüber und öffnete die Tür mit einem Lächeln, das er bis in die nackten Fußsohlen spürte. Schweizer Hahnreie,
Fußsohlen spürte. Schweizer Hahnreie, heimlichtuerische Gesundheitsattaches aus dem Nahen Osten, mollige Zeitungsjournalistinnen: Er war auf alles gefasst. Der Mann im Korridor war behindert, gefordert, saß im Rollstuhl und sah von deutlich unter Türspionhöhe zu ihm hoch, verstrubbelt und fast nur Nase, sah zu Orins ausgeprägter Brustmuskulatur hoch und machte keine Anstalten, an ihm vorbei ins Zimmer zu sehen. Einer von den Behinderten. Orin sah hinab und war gleichzeitig enttäuscht und fast gerührt. Der Rollstuhl der kleinen Gestalt glänzte, über den Schoß war eine Decke gebreitet, und das Klemmbrett, das er mit einem gebeugten und mütterlichen Arm an die Brust drückte, verdeckte fast seine schmale Krawatte. »Umfrage«, sagte der Mann, sonst nichts, und wedelte mit dem Klemmbrett herum wie ein Kind, als präsentiere er Beweise. Orin stellte sich das verängstigte Subjekt vor, das versteckt dalag und mitzuhören versuchte, und trotz einer leichten Enttäuschung fühlte er Rührung angesichts des schüchtern vorgebrachten Vorwands dafür, in die Nähe seines Beins und Autogramms zu
kommen. Für das Subjekt empfand er die nüchterne Verachtung, die man einem Insekt entgegenbringt, das man bei einem Blick nach unten wahrgenommen hat und nun eine Weile quälen wird. So wie sie rauchte und gewisse andere manuelle Aktivitäten vollzog, war sie Linkshänderin. »Dufte«, sagte er zu dem Mann im Rollstuhl. »Probeerhebung plus / minus drei Prozent.« »Stets zu Diensten.« Der Mann legte den Kopf auf die Seite, wie Rollstuhlfahrer das so machen. »Wissenschaftliche Forschungsarbeit.« »Bombig.« Mit gekreuzten Armen lehnte er am Türrahmen und sah zu, wie der Mann die verschiedenen Größen seiner Gliedmaßen verarbeitete. Weder Schienbeine noch andere, sei's auch noch so verdorrte Extremitäten lugten unter dem Saum der Rollstuhldecke hervor. Der Mann hatte absolut keine Beine. Es tat Orin im aufgehenden Herzen weh. »Umfrage der Handelskammer. Systematische Umfrage betroffener Veteranengruppe. Meinungsumfrage der Verbraucherberatung. Angelegenheit mit drei Prozentpunkten
Irrtumstoleranz auf beiden Seiten.« »Knorke.« » G r u p p e n m e i n u n g s - E n q u e t e der Verbraucherberatung. Dauert nicht lange. Regierungs-Enquete. Erhebung zur Bevölkerungsstatistik durch den Dachverband der Werbeindustrie. Enquete. Randomisierte Anonymität. Minimal hinsichtlich Zeit oder Mühe.« »Ich bin voll bei der Sache, um nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft zu erteilen.« Als der Mann mit einem Zislaweng seinen Stift gezückt hatte und auf sein Klemmbrett blickte, sah Orin eine Jarmulke Haut mitten auf dem Hinterkopf des Sitzenden. Eine kahle Stelle an einem Behinderten hatte etwas fast unerträglich Bewegendes. »Was fehlt Ihnen bitte?« Orin lächelte kühl. »Sehr wenig, sage ich mir gerne.« »Rückzieher. US -amerikanischer Bürger?« »Ja.« »Sie haben wie viele Jahre?« »Alter?« »Sie haben welches Alter?« »Alter ist sechsundzwanzig.« »Über fünfundzwanzig?«
»Nach Adam Riese.« Orin wartete auf den Trick, mit dem ihm der Stift zugeschoben würde, mit dem er etwas unterschreiben sollte, was dem Club der sehr schüchternen Fans zu ihrem Autogramm verhelfen würde. Er versuchte, sich aus Marios Kindheit daran zu erinnern, wie lange man es unter einer Bettdecke aushielt, bevor es unerträglich heiß wurde und man anfing, zu ersticken und um sich zu schlagen. Der Mann gab vor mitzuschreiben. »Angestellt, selbstständig, arbeitslos ?« Orin lächelte. »Ersteres.« »Bitte zählen Sie auf, was Ihnen fehlt.« Das Wispern der Klimaanlage, die Stille des weinfarbenen Korridors, das leiseste Wispern raschelnder Laken hinter ihm, die Vorstellung der wachsenden CO2- Blase unter der Bettdecke. »Bitte zählen Sie Lebensweise-Elemente Ihres USA-Lebens auf, an die Sie sich erinnern und/oder die Ihnen heute fehlen und die Sie vermIssen.« »Ich fürchte, ich komme nicht ganz mit.« Der Mann blätterte um und las etwas. »Schmachten, ersehnen, verlangen, Nostalgie. Kloß in der Kehle.« Er blätterte weiter. »Und wehmütig.«
»Kindheitserinnerungen meinen Sie. So was wie Kakao, in dem halb geschmolzene MarshmallowStücke schwimmen, in einer von einem EmailleGasherd gewärmten Küche mit karierten Fliesen, die Schiene, ja? Oder omnipatente Türen an Flughäfen und Star Markets, die irgendwie wussten, dass man kam, und aufglitten. Bevor sie verschwanden. Wo sind diese Türen hin?« »Emaille ist mit einem e?« »Und mehr als das.« Orin sah jetzt die Schallschluckplatten an der Decke an, das blinkende Scheibchen des Rauchmelders im Korridor, als wären Erinnerungen leichter als Luft. Ausdruckslos musterte der Sitzende das Pulsieren von Orins innerer Drosselvene. Orins Miene veränderte sich. Hinter ihm lag die Nichtschweizer Frau bewegungslos und geduldig auf der Seite unter der Bettdecke und atmete leise durch die transportable OrMaske mit -kanister in ihrer Handtasche, die eine Hand in der Handtasche am Griff der Schmeisser GBF MiniaturMaschinenpistole. »Fernsehen fehlt mir«, sagte Orin und sah wieder hinab. Sein kühles Lächeln war verschwunden. »Das einstige Fernsehen mit Werbesendungen.«
»Ganz recht.« »Begründen Sie das bitte in ein paar Worten oder weniger für die Rubrik GRUND«, zeigte das Klemmbrett. »0 Mann.« Orin sah wieder hoch und weg, scheinbar ins Nichts, und betastete am Kiefer das retromandibuläre, leisere und verletzlichere Pochen. »Teilweise klingt das bestimmt blöd. Mir fehlen Werbe spots, die lauter waren als die Sendungen. M i r fehlen die Wendungen »Bestellen Sie noch heute« und »Sie sparen bis zu fünfzig Prozent und mehr«. Es fehlt mir, gesagt zu bekommen, dass etwas vor einem Publikum live im Studio gedreht wurde. Mir fehlt die Nationalhymne zum Sendeschluss und Aufnahmen von Flaggen und Kampfflugzeugen und Indianerhäuptlingen mit verwitterten Gesichtern, die über verstreuten Abfall weinen. Mir fehlen »Das Wort zum Sonntag«, die Abendandacht, die Testbilder und die Auskunft, mit wie viel Megahertz ein Sender sendet.« Er betastete sein Gesicht. »Es fehlt mir, mich über etwas lustig zu machen, was ich megagern hab. Wie wir uns immer s o gern in unserer Küche mit den Karofliesen um den alten Kathodenstrahl-Sony-Kasten geschart
haben, dessen Empfang auf flugzeuge reagierte, und uns über die kommerzielle Banalität der Sendungen lustig gemacht haben.« »Bahnerlied-«, vorgebliches Mitschreiben. »Mir fehlen Sachen, die einen dermaßen unterforderten, dass ich beim Ansehen schon im Voraus wusste, was die Figuren sagen würden.« »Emotionen der Beherrschung und Kontrolle und Überlegenheit. Und Lust.« »Junge, das kannste laut sagen. Mir fehlen die Wiederholungen im Sommer. Mir fehlen hastig ins Programm geschobene Wiederholungen, um die durch Streiks der Drehbuchautoren oder der Schauspielergewerkschaft entstandenen Lücken zu füllen. Mir fehlen Jeannie, Samantha, Sam und Diane, Gilligan, Lederstrumpf, Hazel und Jedall die landesweiten Ätherwellenjäger. Verstehen Sie? Es fehlt mir, dasselbe immer wieder zu sehen.« Im Bett hinter ihm wurde zweimal gedämpft geniest, worauf der Behinderte überhaupt nicht reagierte, sondern mitzuschreiben vorgab, und dabei die aufs Klemmbrett baumelnde schmale Krawatte immer wieder wegschob. Grin verdrängte jeden Gedanken
an die Topographie der Bettwäsche, in die das Subjekt geniest hatte. Der Trick war ihm inzwischen egal, aber irgendwie brachte er seinem Gegenüber zärtliche Gefühle entgegen. Der Mann schaute zu ihm hoch, wie Menschen mit Beinen zu Gebäuden und Flugzeugen hochschauen. »Mit TeIEntertainment-Disketten der Speicherung und des Abrufs können Sie Unterhaltungen natürlich immer wieder ohne Unterlass anschauen.« Wenn Grin beim Erinnern hochschaute: glich das in nichts dem Hochschauen des Sitzenden. »Das ist nicht dasselbe. Die Wahlfreiheit, wissen Sie, die macht das irgendwie kaputt. Beim Fernsehen war man der Wiederholung unterworfen. Die Bekanntheit war aufgezwungen. Heute ist das anders.« »Aufgezwungen.« »Ich glaube nicht, dass ich mich da auskenne«, sagte Orin, plötzlich vage überwältigt und irgendwie traurig. Das schreckliche Gefühl, wie wenn man im Traum etwas wahnsinnig Wichtiges zu tun vergessen hat. Die kahle Stelle auf dem vorgebeugten Kopf war sommersprossig und gebräunt. »Kommt da noch eine Frage?« »Dinge sagen Sie mir, die Ihnen nicht fehlen.« »Aus
Gründen der Symmetrie.« »Ausgeglichenheit der Meinungen.« Orin lächelte. »Plus oder minus.« »So in etwa«, sagte der Mann. Orin unterdrückte den Wunsch, dem Behinderten zärtlich die Hand auf die Schädel wölbung zu legen. »Wie viel Zeit haben wir hier eigentlich? « An das Wolkenkratzer-Hochschauen erinnerte der Blick des Mannes nur, wenn er höher als Orins Hals wanderte. Seine Augen waren weder schüchtern noch indirekt oder auch nur überhaupt die Augen eines Behinderten, fiel Orin später als seltsam auf neben dem Schweizer Akzent, dem Ausbleiben des Unterschriftentricks, dem geduldigen Warten des Subjekts und dem fehlenden Luftschnappen, als O. später abrupt die Decke wegzog. Der Mann schaute zu Orin hoch, und seine Augen huschten an ihm vorbei ins Zimmer mit dem höschenlosen Boden und den buckeligen Bettdecken. Orin sollte den Blick an sich vorbei mitbekommen. »Kann zu einem späteren Zeitpunkt wiederkommen, den wir festlegen. Sie sind, comme on dit, engagiert? « Orins Lächeln war weniger cool als gedacht, als er dem Sitzenden mitteilte, das sei Ansichtssache.
Wie in allen von der Abteilung der Drogenmissbrauchsdienste zugelassenen RehaEinrichtungen ist die Insassensperrstunde in Ennet House um 23.30 Uhr. Von 23.00 bis 23.30 vervollständigt der Nachtdienst die Anwesenheitsliste, sitzt wie eine fürsorgliche Mutter herum und wartet auf die Rückkehr der verschiedenen Insassen. Es gibt immer welche, die es drauf ankommen lassen und mit dem Gedanken spielen, wegen einer Lappalie entlassen zu werden, weil sie dann nichts dafür können. Heute Abend kommen Clenette H. und die völlig durchgeknallte Yolanda W. gegen 23.15 in knallroten Röcken, mit knallrotem Lippenstift und geglätteten Haaren aus dem Footprints246 zurück, stöckeln auf Pfennigabsätzen herein und versichern einander, was für einen superlässigen Abend sie hinter sich haben. Hester Thrale eiert wie immer um 23.20 in einem falschen Fuchspelz herein, obwohl sie um 4.30 schon wieder aufstehen und zur Frühstücksschicht ins Provident Nursing Horne muss und manchmal mit Gately zusammen frühstückt, wobei dann bei den der Kopf fast in die FrostiesFlocken sackt. Chandler Foss und die geisterhaft
asthenische April Cortelyu kommen herein von irgendwoher mit Gesten und Mienen, die Kommentare provozieren und Gately zu einem Eintrag im Übergabebuch über eine potenzielle Beziehung im House zwingen. Er muss zwei brünetten Ex-Insassinnen mit Knittervisagen eine gute Nacht wünschen, die es sich den ganzen Abend auf dem Sofa gemütlich gemacht und über Sekten diskutiert haben. Emil Minty, Nell Gunther und manchmal auch Gavin Diehl (mit dem Gately mal drei Wochen lang in Concord Farm gesessen hat) haben es wie jeden Abend darauf abgesehen, draußen auf der vorderen Veranda noch eine zu schmöken und erst hereinzukommen, wenn Gately ihnen zweimal gesagt hat, dass er abschließen muss; eine halbgare Geste der Rebellion. Heute folgt ihnen ein schnurrbartloser Lenz auf dem Fuße, der quasi hereinsickert, als Gately am Schlüsselbund gerade den richtigen Schlüssel für die Haustür sucht, an ihm vorbeihuscht und ohne ein Wort ins 3-Mann hochgeht, was er in letzter Zeit öfter macht, was Gately im Übergabebuch festhalten muss, außerdem ist 23.30 jetzt vorbei, und ihm fehlen noch das halbneue Mädchen Amy J. sowie - was bedenklicher ist - Bruce Green. Green klopft dann um 23.36 an die
Tür - Gately muss die genaue Uhrzeit festhalten, und dann ist es seine Entscheidung, ob er noch mal aufschließt. Nach der Sperrstunde muss das Personal nicht mehr aufschließen. Viele übel beleumundete Insassen handeln sich auf diese Weise erfolgreich den Rausschmiss ein. Gately lässt ihn ins Haus. Green hatte noch nie Probleme mit der Sperrstunde und sieht gottserbärmlich aus, die Haut kartoffelweiß und der Blick leer. Und ein großer stiller Junge ist das eine, aber als Gately ihm, wie es seine Pflicht ist, megamäßig an den Karren fährt, sieht Green den Fußboden von Pats Büro an wie eine Geliebte, und die für diesen Verstoß vorgesehene gefürchtete einwächige volle Ausgangssperre247 nimmt er mit so leerer Armesündermiene hin und ist so um Ausflüchte verlegen, als Gately ihn fragt, ob er darüber reden mächte, wo er gewesen ist, warum er es nicht bis 23.30 geschafft hat und ob es ein Problem gibt, über das er sich mit dem Personal austauschen mächte, und reagiert so teilnahmslos, dass Gately merkt, er hat keine andere Wahl, er muss Green einem spontanen Urintest unterziehen, was er nicht nur hasst, weil er mit Green Cribbage spielt und das Gefühl hat, Green unter seine alten
Gately- Fittiche genommen zu haben, und einem Sponsor des Jungen wahrscheinlich am nächsten kommt, sondern auch, weil nach Schichtende der Klinik in Teil Nr.2248 entnommene Urinproben über Nacht im kleinen Personalkühlschränkchen unten in Don Gatelys Kellerzimmer aufbewahrt werden müssen - dem einzigen Kühlschrank im House, der für Insassen schlicht und einfach unknackbar ist -, und Gately hasst es, wenn ein warmer, blaubedeckelter Becher mit Scheißurin von irgendwem in seinem Kühlschränkchen neben seinen Birnen, seinem Polar-Mineralwasser usw. steht. Green nimmt Gatelys Gegenwart auf dem Männerlokus mit vor der Brust verschränkten Armen hin und verschafft ihm so schnell und mit so wenig Fisimatenten den gewünschten Urin, dass Gately den verschlossenen Becher zwischen handschuhbedeckte Daumen und Zeigefinger nehmen, nach unten bringen, beschriften, im Übergabebuch eintragen und ins Kühlschränkchen stellen kann und rechtzeitig zum Umparken der Insassenautos wieder da ist, dem Sargnagel der Nachtschicht; sein letzter Check der Anwesenheitsliste erinnert Gately um 23.45 aber daran, dass Amy J. noch immer nicht zurück ist, sie
daran, dass Amy J. noch immer nicht zurück ist, sie hat auch nicht angerufen, und Pat hat ihm eingeschärft, die Frage der Entlassung nach einer nicht eingehaltenen Sperrstunde ist seine Entscheidung, und um 23.50 trifft Gately seine Entscheidung, schickt Treat und Belbin ins 5Frauen-Zimmer hoch und lässt die Sachen des Mädchens in dieselben Irenkoffer packen, in denen es sie am Montag mitgebracht hat, dann stellt er die Plundersäcke zusammen mit einer Notiz, die die Entlassung begründet und dem Mädchen viel Glück wünscht, auf die Veranda, dann spricht er Pats Anrufbeantworter unten in Milton auf Band, dass er um 23.50 Uhr eine obligatorische Sperrstundenentlassung vorgenommen hat, damit Pat am Morgen sofort Bescheid weiß und Aufnahmegespräche ansetzen kann, um das frei gewordene Bett ruckzuck zu füllen, dann erinnert sich Gately mit einem halblauten Fluch an die AntiPlauzen-Rumpfbeugen, die er sich allabendlich vor 24.00 auferlegt hat, und jetzt ist es schon 23.56, und mit unter dem Rahmen des schwarzen Vinylsofas im Büro verkeilten ausgebleichten großen Sneakern schafft er noch 20, bevor es unwiderruflich Zeit ist, das Umparken der Insassen autos zu überwachen.
Gatelys Vorgänger als männlicher Betreuer, ein Designerdrogentyp, der jetzt (via Mass. Rehab) auf Düsentriebwerksmechaniker bei East Co ast AeroTech umlernt, beschrieb die Insassenautos Gately gegenüber mal als Dauersargnagel der Nachtschicht. Ennet House erlaubt Insassen, die das auf Dauer ihrer Insassenschaft wünschen, ihre ordnungsgemäß angemeldeten und versicherten Fahrzeuge mitzubringen, beim House abzustellen und damit zur Arbeit, zu den abendlichen Treffen usw. zu fahren, und das Enfield Marine Public Health Hospital macht da mit, nur sind die Parkplätze in der kleinen Straße direkt am House alle für die Klienten der Teile reserviert. Und seit Metro-Boston im dritten Jahr der Sponsorenzeit massive Steuerprobleme hatte, gibt es diese idiotische kommunale Auflage, dass das Parken nur auf einer Straßenseite erlaubt ist, die erlaubte Seite wechselt pünktlich um 0.00 Uhr, und Streifenwagen und kommunale Kranfahrzeuge gehen ab 0.01 Uhr auf die Pirsch nach Abschleppopfern, stellen Strafzettel über $ 95,00 aus und/oder schleppen urplötzlich illegal parkende Fahrzeuge in eine Region vom South End ab, die so verflucht gefährlich ist, dass kein
Taxifahrer mit einem verbliebenen Quentchen Selbsterhaltungstrieb da hinfährt. Der Zeitraum von 23.55 Uhr bis 0.05 Uhr ist in Boston daher eine Phase totalen, aber nicht sehr beschwingten Gemeinschaftsgeistes; Männer in Boxershorts und Frauen mit Schlammpackungen stolpern gähnend ins brodelnde Leben der Mitternachtsstraßen, deaktivieren ihre Alarmanlagen, jagen die Motoren hoch und versuchen alle auf einmal, ihre Parklücken zu verlassen, zu wenden und einen parallelen Parkplatz in Gegenrichtung zu finden. Es ist nicht weiter erstaunlich, dass es in dieser Zeitspanne von zehn Minuten in Metro-Boston zu den meisten Körperverletzungs- und Tötungsdelikten des ganzen Tages kommt, auch Krankenwagen und Bullenschleudern liegen deshalb um diese Zeit auf der Lauer und tragen zur allgemeinen Verstopfung und zum Verkehrschaos bei. Da die Katatoniker und entkräfteten Menschen in den Teilen vom E.M.P.H.H. s e l t e n polizeilich registrierte Fahrzeuge besitzen, ist es in der Regel ziemlich leicht, an der kleinen Straße neue Parkplätze zu finden, aber es ist ein ständiger wunder Punkt zwischen Pat Montesian und dem Verwaltungsrat vom E.M.P.H.H., dass die Insassen
Verwaltungsrat vom E.M.P.H.H., dass die Insassen von Ennet Hause nachts nicht auf dem großen Parkplatz an dem zum Abriss freigegebenen Krankenhausgebäude parken dürfen - dessen Parkplätze sind ausnahmslos dem Fachpersonal der verschiedenen Teile vorbehalten, das um 6.00 Uhr zur Arbeit kommt, und der Wachschutz vom E. M. hat die Beschwerden der Belegschaft satt, dass die Klapperkisten der Drogenabhängigen ihnen morgens ständig die Parkplätze wegnehmen - und dass der Wachschutz es nicht in Betracht zieht, den nächtlichen Seitenwechsel in dem kleinen Sträßchen auf 23.00 Uhr und damit vor die von der Abteilung der Drogenmissbrauchsdienste vorgeschriebene Sperrstunde vorzuverlegen; der Verwaltungsrat vom E. M. macht geltend, es gehe um eine amtliche Verordnung, die man nicht beliebig manipulieren könne, bloß um einem Anlieger einen Gefallen zu tun, wohingegen Pat in ihren Memos immer wieder darauf hinweist, der Komplex vom Enfield Marine Hospital gehöre dem Staat und nicht der Kommune, und die einzigen Anlieger mit nächtlichen Umparkproblemen seien die Insassen von Ennet Hause, da praktisch alle anderen katatonisch oder entkräftet seien. Und so weiter.
Jedenfalls muss Gately allabendlich gegen 23.59 die Schließfächer, Pats Schränke, die Schreibtischschubladen und die Tür von Pats Büro abschließen, den Anrufbeantworter der Telefonkonsole einschalten und höchstpersönlich sämtliche Insassen im Besitz eines Wagens nach der Sperrstunde auf das kleine namenlose Sträßchen hinauseskortieren, und für einen Menschen von Gatelys wahrlich beschränkten Leitungsfähigkeiten ist das mit beängstigenden Kopfschmerzen verbunden: Er muss die befahrzeugten Insassen drinnen an der verschlossenen Haustür zusammentreiben; er muss bei den zusammengetriebenen Insassen durchsetzen, an der Tür zu warten, während er nach oben stiefelt und die e i n oder zwei Fahrer holt, die das Umparken regelmäßig vergessen und vor 0.00 einschlafen und dieses Nachzüglereinsammeln ist ein besonders großer Sargnagel, wenn der Nachzügler weiblich ist, denn dann muss er den »Mann im Anmarsch«Schalter neben der Küche aufschließen und drücken, und der »Summer« klingt eher wie ein Nebelhorn und weckt die nervöseste Insassin mit einem hässlichen Adrenalinschub auf, und wenn
Gately die Treppe hochgestiefelt kommt, wird er von sämtlichen aus den Türen in den Frauenkorridor gestreckten Schlammpackungsvisagen angepampt, und qua Hausordnung darf er das Zimmer der Nachzüglerin nicht betreten, sondern muss an die Tür hämmern, laut sein Geschlecht bekannt geben und eine Zimmergenossin der Nachzüglerin animieren, diese zu wecken, zum Anziehen zu bringen und an die Zimmertür zu schicken; er muss also so schnell wie möglich die Nachzügler einfangen, anscheißen, mit der Doppelpackung von Sperre und potenziellem Abgeschlepptwerden bedrohen und dallidalli die Treppe runter zum Hauptteil der Autobesitzerherde scheuchen, bevor sich diese wieder auflösen kann. Sie löst sich immer auf, wenn das Nachzüglerholen zu lange dauert; die Autobesitzer werden unruhig oder hungrig, brauchen einen Aschenbecher oder werden einfach ungeduldig und sehen die ganze Autos-nach-derSperrstunde-umparken-Kiste als Einschränkung ihrer Freizeit. Die Verleugnung im Frühstadium der Genesung macht es ihnen unmöglich, sich vorzustellen, ihr eigenes Auto und nicht das eines anderen könne abgeschleppt werden. Auf dieselbe Verleugnung stößt Gately bei jüngeren B. u.- oder -
Verleugnung stößt Gately bei jüngeren B. u.- oder C.-Studenten, wenn er in Pats Aventura zu Food Bank oder Purity Supreme fährt und sie trotz roter Ampel direkt vor seinem Wagen, dessen Bremsen zum Glück tipptopp sind, über die Straße latschen. Gately hat längst gecheckt, dass sich Menschen einer gewissen Alters- und Lebenserfahrungsstufe für unsterblich halten: Studenten und Alkoholiker / Süchtige sind am schlimmsten: Im tiefsten Herzen glauben sie, von der Geltung der Naturgesetze und der Statistik, die jeden anderen eisern im Griff hat, ausgenommen zu sein. Sie quasseln einem die Hucke voll, wenn jemand anders auf die Vorschriften scheißt, aber im tiefsten Herzen glauben sie, ihnen nicht unterworfen zu sein, diesen Vorschriften. Und sie sind prinzipiell außerstande, aus den Erfahrungen anderer zu lernen: Wenn ein verkehrswidrig handelnder B. U.-Student auf der Comm. über den Haufen gefahren oder einem House- Insassen morgens um 0.05 der Wagen abgeschleppt wird, dann macht sich der nächste Student oder Insasse daran, den unergründlichen Unterschied zu ergründen, der es erlaubt, dass der andere über den Haufen gefahren oder abgeschleppt wird und nicht er, der Ergründer. Der
Unterschied selbst wird nicht infrage gestellt - er wird nur ergründet. Das ist quasi eine Idolatrie der Einzigartigkeit. Es ist unveränderlich und für einen Betreuer schädelsprengend zu verfolgen, dass ein Süchtiger ausschließlich aus eigener bitterer Erfahrung etwas lernt. Erst wenn ihm etwas zustößt, haut das die Idolatrie zu Klump. Eugenio M. und Annie Parrot empfehlen immer, jedes Auto mindestens einmal und möglichst schon am Anfang der Insassenschaft des Halters abschleppen zu lassen, um diesen zum Glauben an Naturgesetze u n d Vorschriften zu bekehren; aus irgendwelchen Gründen ist Gately in seinen Nachtschichten dazu aber nicht imstande; er kann es einfach nicht ab, wenn einer seiner Leute abgeschleppt wird, solange er dagegen etwas tun kann, und wenn sie dann trotzdem abgeschleppt werden, kommt außerdem der nervtötende Stress, ihnen am Tag darauf eine Mitfahrgelegenheit zum Behördenparkplatz im South End zu besorgen, Anrufe ihrer Bosse entgegenzunehmen und die den pünktlichen Arbeitsbeginn verhindernde Autolosigkeit der Insassen zu bestätigen, ohne die Bosse merken zu lassen, dass ihre autolosen Angestellten Insassen
einer Reha-Anstalt sind, eine Information, deren Weitergabe das absolut geheiligte Privileg der Insassen ist - Gately schwitzt Blut und Wasser, wenn er an die Verwaltungskopfschmerzen auch nur denkt, die ein verdammtes Abschleppen nach sich zieht, und deshalb verbringt er so viel Zeit mit Zusammentreiben, Zurückholen und Anden-KarrenFahren, wobei die Insassen laut Gene M. so verbeulte Karren haben, dass es von Seiten Gatelys trotzdem nur eine Zeitund Schädelverschwendung ist; sollen die doch aus Erfahrung klug werden.249 G a t e l y mobilisiert Thrale, Foss, Erdedy, Henderson25o und Morris Hanley, zerrt den neuen Jungen Tingley aus dem Wäscheschrank und holt N e l l Gunther - die unter Verstoß gegen die Hausordnung auf der Couch weggeratzt ist und aus dem Mundwinkel sabbert -, sagt allen, sie sollen Mäntel anziehen, und pfercht sie an der abgeschlossenen Haustür zusammen. Yolanda W. sagt, sie hat ein paar persönliche Dinge bei Clenette im Wagen vergessen, und ob sie mitkommen kann. Lenz hat ein Auto, reagiert aber nicht, als Gately die Treppe hochruft. Gately sagt der Herde, sie soll sich nicht vom Fleck rühren, und wenn irgendjemand die
Herde verlässt, kümmert er sich höchstpersönlich um dessen Unwohlergehen. Er stiefelt die Treppe hoch ins 3-MannZimmer und denkt sich unterwegs die verschiedensten spaßigen Methoden aus, Lenz zu wecken, ohne dass dann Blutergüsse zu sehen sind. Lenz schläft nicht, sondern hat Kopfhörer aufgesetzt und einen Tiefschutz angelegt und macht an der Wand neben Geoffrey Days Koje im Handstand Liegestütz, den Po nur Zentimeter von Days Kopfkissen entfernt, und wenn er die Arme beugt, furzt er immer im Takt, während Day im Pyjama und mit Lone-Ranger-Augenmaske daliegt, die Hände über der sich hebenden und senkenden Brust gefaltet, und lautlos die Lippen bewegt. Gately ist vielleicht eine Spur grob, als er mit der einen Hand Lenz' Bein packt, ihn von den Händen hoch reißt und ihn mit der anderen Hand an der Hüfte herumwirbelt und senkrecht stellt wie ein Gewehr in der Grundausbildung, aber Lenz' Ausruf ist ein überschwänglicher Gruß und kein Schmerzensschrei, trotzdem lässt er Day und Gavin Diehl kerzengerade in ihren Kojen hochfahren, und dann fluchen sie, als Lenz auf dem Boden aufkommt. Lenz sagt, er hat seine innere Einstellung ganz von der Zeit befreit und gar nicht gewusst, wie spät es
ist. Gately hört, wie die Herde unten an der Treppe neben der Haustür schnaubt, mit den Hufen scharrt und kurz davor ist, sich aufzulösen. Aus nächster Nähe hat Gately den unheimlichen siebten Sinn eines Betreuers gar nicht nötig, um zu spüren, dass Lenz eindeutig voll drauf ist, ob nun von Schnellrnachern oder Bing. Dass er Besuch vom Zuchtmeister hatte. Lenz' rechtes Auge eiert in der Höhle herum, sein Mund ist verzerrt, er hat diese nietzscheanisch aufgeladene Aura eines Menschen, der voll drauf ist, legt Wollhose, Mantel und inkognitoisierende Perücke an und wird dann von Gately fast kopfüber die Treppe runtergestoßen, während er ihm die ganze Zeit diesen wahnsinnigen, atemberaubenden Hammer erzählt, wie er sich mal den Finger abgeschnitten hat und der sich dann spontan regentrifiziert hat, sein Mund verzerrt sich auf diese Fisch-am-Haken-Weise, die typisch für eine anhaltende L-Dopa-Ausschüttung ist, Gately möchte ihn einem Urintest unterziehen, und zwar sofort, aber inzwischen fransen die Ränder der Autoherde aus, wie sie es kurz vor Unruhe und Zerstreuung immer tun, die Leute sind sauer, und zwar nicht auf den Nachzügler Lenz, sondern auf
Gately, weil der sich überhaupt mit ihm abgibt, Lenz mimt für Ken Erdedy die Haltung des Gelassenenaber-tödlichen-Kranichs aus dem Akido, es ist 0.04 Uhr, Gately sieht schon Abschleppwagen, die unten auf der Comm. Ave. auf der Pirsch sind und näher kommen, rasselt mit den Schlüsseln, schließt alle d r e i Sperrstundenschlösser an der Haustür auf, scheucht alle in die skrotumzusammenziehende Novemberkälte hinaus und den Weg hinunter zu i h r e r Autoreihe im Sträßchen, steht nur in orangeroten Hemdsärmeln auf der vorderen Veranda und passt auf, dass sich Lenz nicht verkrümelt, bevor er ihn dem Urintest unterzogen, zum Geständnis gebracht und ihn offiziell entlassen hat, wobei er leichte Gewissensbisse hat, weil er sich so darauf freut, Lenz den verwaltungstechnischen Tritt in den Hintern zu verpassen, und der brabbelt ununterbrochen den voll, der auf dem Weg zu seinem Duster grade neben ihm geht, alle gehen zu ihren Autos, die heiße Luft aus dem Haus strömt um Gately herum ins Freie, die Leute im Wohnzimmer liefern laute Rückmeldungen, durch die offene Tür ziehe es wie Hechtsuppe, der Himmel über ihnen ist unermesslich weit, die Nacht so klar, dass man die Sterne in einer milchigen Pampe hängen sieht, unten
im Sträßchen hört man Autotüren quietschen und zuschlagen, ein paar Leute unterhalten sich und trödeln, nur damit der hemdsärmelige Betreuer länger auf der kalten Veranda stehen muss, eine kleine nächtliche Nebenbeigeste sackzwickender Rebellion, da fällt Gatelys Blick auf Doony R. Glynns fachkundig ausgeweideten alten staubig schwarzen VW-Käfer, der neben den anderen Autos auf der von jetzt an verbotenen Straßenseite steht, die Gedärme des Heckmotors unter den Sträßchenlaternen glitzernd zur Schau gestellt, und Glynn liegt heute Abend oben im Bett, durch seine Divertikulitis legitim bettlägerig, d. h., aus versicherungstechnischen Gründen muss Gately wieder reingehen und einen Insassen mit Führerschein bitten, rauszukommen und Glynns VW auf die andere Straßenseite zu stellen, was demütigend ist, weil es bedeutet, diesen Nulpen gegenüber in aller Öffentlichkeit zuzugeben, dass er, Gately, keine gültige Fahrerlaubnis besitzt, die plötzliche Hitze des Wohnzimmers verwirrt seine Gänsehaut, im Wohnzimmer gibt keiner zu, dass er einen Führerschein hat, und wie sich herausstellt, ist der einzige Führerscheinbesitzer, der im Erdgeschoss noch auf den Beinen ist, Bruce Green, der in der Küche sitzt und sich mit ausdrucksloser
Miene Unmengen von Zucker mit dem bloßen Wurstfinger in den Kaffee rührt, und Gately muss Verwaltungsbeistand ausgerechnet von diesem Jungen erbitten, den er mag, gerade angeschissen und einem Urintest unterzogen hat, aber Green bagatellisiert die Demütigung, ist sofort bereit zu helfen, als er die Wörter Glynn und Pisskarre hört, geht zum Wohnzimmerschrank, um seine billige Lederjacke und fingerlosen Handschuhe zu holen, nur muss Gately die Insassen draußen noch einen Augenblick lang unbeaufsichtigt lassen, nach oben stiefeln und Glynn fragen, ob das in Ordnung geht, wenn Bruce Green sein Auto umparkt.251 Das 2Mann-Zimmer für die dienstältesten Männer hat eine Reihe alter AA-Aufkleber an der Tür und ein kalligraphiertes Poster mit dem Slogan ALLES, WAS ICH JE LOSGELASSEN HABE, HAT KRALLENSPUREN, als Gately klopft, bekommt er ein Stöhnen zur Antwort, und die kleine nackte Frau, d i e Glynn als Nachttischlampe bei seinem Einzug mitgebracht hat, ist an, er liegt zusammengekrümmt in seiner Koje auf der Seite und hält sich den Bauch, als hätte ihn jemand getreten. McDade sitzt unerlaubterweise auf Foss' Koje, liest eine von Foss'
Motorradzeitschriften, trinkt Glynns Millennial Fizzy, hat Kopfhörer auf, und als Gately hereinkommt, drückt er schnell seine Zigarette aus und schließt die kleine Nachttischschublade, in der Foss wie alle anderen auch seinen Aschenbecher aufbewahrt.252 Die Straße draußen hört sich an wie Daytona Drogensüchtige sind quasi prinzipiell außerstande, ein Auto anzulassen, ohne den Motor hochzujagen. Gately wirft einen kurzen Blick aus dem Westfenster über Glynns Koje, um sich zu vergewissern, dass all d i e unbeaufsichtigten Scheinwerfer unten im Sträßchen wenden und zum Neuparken zurückkommen. Seine Stirn ist nass, und er merkt, dass von all dem Verwaltungsstress schmieriges Kopfweh im Anzug ist. Glynns schielende Augen sind glasig und fiebrig, und leise singt er den Text von einem Song der Choosy Mothers zu einer Melodie, die nicht die Melodie des Songs ist. »Doon«, flüstert Gately. Ein Wagen kommt für Gatelys Geschmack etwas zu schnell die Straße runter. Alles, was einem Insassen nach der Sperrstunde auf dem Gelände zustößt, fällt in seinen Verantwortungsbereich, hat die Geschäftsführerin unmissverständlich klargestellt.
»Doon.« Groteskerweise ist es das untere Auge, das zu Gately hochrollt. »Don.« »Doon.« »Don Doon die Hexe ist tot.« »Doon, Green muss deinen Wagen umstellen.« »Schwarzes Töfftöff, Don.« »Brucie Green braucht deinen Schlüssel, damit er deinen Wagen auf die andere Seite stellen kann, Brother, es ist Mitternacht.« »Mein schwarzer Käfer. Mein Baby. Der Kugelporsche. Des Doonulators fahrbarer Untersatz. Sein Raserati. Sein freigelegtes Baby. Sein Stück vom amerikanischen Kuchen. Polier mein Baby, wenn ich fort bin, Don Doon.« »Schlüssel, Doony.« »Nimm sie dir. Nimm ihn dir. Will, dass du ihn bekommst. Ein echter Freund. Hat mir Ritz-Kräcker und eine Fizz gebracht. Behandel ihn wie eine Nobelkalesche. Glänzend, schwarz, hart, wendig. Tankt Super und muss einmal die Woche gewachst werden.« »Doon. Du musst mir sagen, wo der Schlüssel ist,
Brother.« »Und die Eingeweide. Einmal die Woche musst du die Rohre in den Eingeweiden wienern. Sind doch zu sehen. Mit einem weichen Lappen. Das Kugelmobil. Das Darmmobil. « Die von Glynn abgestrahlte Hitze ist gesichtzusammenziehend. »Glaubst du, du hast Fieber, Doon?« Am Anfang dachten Angehörige vom Personal, Glynn würde simulieren, damit er keine Arbeit suchen musste, nachdem er seinen MeJob bei Brighton Fence & Wire verloren hatte. Über Divertikulitis weiß Gately nur, dass Pat gesagt hat, das wäre intestinal, und Alkoholiker könnten es bei der Trockenlegung durch die Schadstoffe aus billigem Fusel bekommen, die der Körper auszuscheiden versucht. Glynn hat während seiner ganzen Insassenzeit körperliche Beschwerden gehabt, aber nichts im Vergleich zu dem hier. Sein Gesicht ist grau und wächsern vor Schmerz, und seine Lippen sind von einer gelblichen Kruste überzogen. Er hat eine echt massive Adtorsion, das untere Auge ist mit fürchterlich delirierendem Glänzen zu Gately hochgedreht, und das obere Auge eiert herum wie das einer Kuh. Gately bringt es noch
immer nicht über sich, einem anderen Mann die Stirn z u fühlen. Er knufft Glynn lieber sachte auf die Schulter. »Meinst du, wir müssen dich ins St. E. rüberschaffen und deine Eingeweide anschauen lassen, Doon, was meinst du?« »Tuw-weeeh, Don.« »Glaubst du, du -?« Weil er Angst davor hat, dass ihm ein Insasse in seiner Schicht ins Koma fällt oder stirbt, und sich dann schämt, dass er davor Angst hat, werden ihm das Bremsenquietschen und die lauter werdenden Stimmen von draußen nicht gleich bewusst, aber Hester Thrales unverkennbares Kreischen im eingestrichenen His wird es - ihm bewusst nämlich -, und jetzt kommen auch hektische Füße die Treppe hochgejagt: Greens Gesicht an der Tür, mit runden roten Flecken oben auf den Wangen: »Komm raus.« »Scheiße issn das Problem da -« Green: »Komm sofort, Gately.« Glynn halblaut: »Mutter.« Gately schafft es auf der Treppe nicht mal, Green zu fragen, was zum Geier denn eigentlich, weil Green so schnell vor ihm unten zur Tür raus ist; die beschissene Haustür stand die ganze Zeit offen.
beschissene Haustür stand die ganze Zeit offen. Unter den Vibrationen Gatelys, der zwei Stufen auf e i n m a l nimmt, kippt das Aquarell eines retrieverischen Hundes und fällt von der Wand auf die Treppe. Gately schnappt sich gar nicht erst seinen Mantel von Pats Sofa. Er hat nur ein orangenes Bowling-Hemd aus der Kleiderspende an, auf dessen Vorderseite ein kursiv eingesticktes M o o s e prangt und auf dessen Rückseite in scheußlichen aquamarinblauen Blockbuchstaben SHUCO-MIST M . P . S.253, und spürt, wie jeder Follikel an seinem Körper wieder anschwillt, als ihn auf der vorderen Veranda und der Rollstuhlrampe zum kleinen Weg hinunter die Kälte umschließt. Die Nacht ist kalt, glyzerin klar und ganz still. In der Ferne hört man unten auf der Comm. Autohupen und erhobene Stimmen. Green entfernt sich im Laufschritt das kleine Sträßchen hoch in den grellen Schein von Scheinwerfern, der von Gatelys Atemwolken refraktiert wird, sodass sich, während Gately in Greens ledernem Kielwassergeruch rasch auf das anschwellende Fluchgewirr zugeht254, auf Lenz' Hochgeschwindigkeitsstimme, Thrales glaszersingende Schreie, Henderson und Willis, die irgendwen anblaffen, und die Geräusche von Joelle
irgendwen anblaffen, und die Geräusche von Joelle v. D.s verschleiertem Kopf, der ihm von einem Fenster im Oberstock, das nicht zum 5-FrauenZimmer gehört, etwas runterruft, als er auf der Straße auftaucht, und obwohl er sich nähert, schält sich die Szene erst nach und nach aus dem Nebel seines Atems und dessen tanzenden Farbspeeren im Widerschein der Scheinwerfer heraus. Er geht an Glynns ausgeweidetem und illegal parkendem Käfer vorbei. Einige Insassenautos verharren in den willkürlichen Winkeln halb vollführter Wendemanöver im Leerlauf mitten auf der Straße, und vor ihnen steht ein frisierter dunkler Montego mit Fernlicht, höhergelegtem Heck und dem karnivoren Leerlauf eines Turbos. Zwei bärtige Männer, die fast Gatelys Größe haben, lose Bowling-Hemden mit Blumen oder Sonnen drauf tragen und anscheinend große tuntige Blumengirlanden um den Hals haben, wenn sie Hälse hätten, jagen Randy Lenz um diesen Montego herum. Ein dritter Mann mit Halsgirlande und in kariertem Donegal hält auf dem Rasen von Nr. 4 die restlichen Insassen mit einer fachmännisch gehaltenen hässlich aussehenden Wumme255 in Schach. Alles verlangsamt jetzt etwas. Als Gately eine auf seine Insassen gerichtete Wumme sieht,
eine auf seine Insassen gerichtete Wumme sieht, schaltet in seinem Hirn etwas mit fast mechanistischem Klicken in einen anderen Gang. Er wird ganz cool und klar, sein Kopfweh geht weg, und sein Atem beruhigt sich. Die Ereignisse verlangsamen nicht richtig, sondern werden zu einer Abfolge von Einzelbildern. Der Rabatz hat die alte Krankenschwester in Nr.4 geweckt, die immer um Hilfe ruft, und ihre gespenstische Gestalt klebt im Nachthemd an einem Fenster im ersten Stock von Nr. 4 und schreit »IiiiiiilJe!« Hester Thrale hält sich jetzt die Hände mit den rot lackierten Nägeln vor die Augen und kreischt immerzu, niemand soll wem wehtun und schon gar nicht ihr. Die Bulldog- Wumme fesselt die ganze Aufmerksamkeit. Die beiden Männer, die Lenz um d e n Montego herumjagen, sind unbewaffnet, strahlen aber eine Gately bekannte kalte Entschlossenheit aus. Auch sie tragen keine Mäntel, scheinen aber nicht zu frieren. Die Taxierung der Lage dauert nur Sekunden; Zeit braucht nur ihre Auflistung. Sie haben vage nicht-US-amerikanische Bärte und sind jeder etwa 4/5 so groß wie Gately. Sie laufen abwechselnd um den Wagen, rennen
durch die blendenden Frontscheinwerfer, und Gately sieht, dass sie ähnlich froschlippig blasse Ausländergesichter haben. Lenz redet nonstop auf sie ein, hauptsächlich Verwünschungen. Alle drei laufen wie in einem Comic ununterbrochen um den Wagen herum. Gately kommt immer noch auf sie zu, während er all das erfasst. Für den taxierenden Blick ist es offenkundig, dass die ausländerigen Typen keine großen Kirchenlichter sein können, weil sie Lenz im Tandem um den Wagen herumjagen, statt in entgegengesetzten Richtungen, wo sie ihn in die Zange nehmen könnten. Alle drei bleiben stehen und laufen wieder los, Lenz auf der anderen Seite des Autos. Ein paar in Schach gehaltene Insassen feuern Lenz an. Wie die meisten Koksdealer ist Lenz ein flinkfüßiger Bursche, sein Mantel bauscht sich und legt sich wieder, wenn er stehen bleibt. Lenz redet ohne Punkt und Komma - er fordert abwechselnd den Mann zu unmöglichen Handlungen auf oder bringt barocke Begründungen vor, warum er, als das passiert ist, was sie ihm unterstellen, nicht mal im selben PLZ-Bezirk gewesen sein kann. Die Männer werden immer schneller, als wollten sie Lenz fangen, damit er bloß endlich das Sabbelmaul hält. Ken Erdedy hat die Hände gehoben und den
Autoschlüssel in der Hand; seine Beine sehen aus, als würde er sich gleich nass machen. Clenette und die neue Schwarze, beides eindeutig alte Häsinnen, was Benimmregeln bei vorgehaltener Waffe angeht, liegen bäuchlings auf dem Rasen, die Hände hinter den Köpfen verschränkt. Nell Gunther hat die alte Kampfsporthaltung von Lenz' Kranich eingenommen, die Hände zu flachen Krallen verdreht, und sieht unverwandt die .44er von dem Typen an, die dieser cool über die Insassengruppe schwenkt. Der kleinere Typ bekommt die meisten Einzelbilder in der langsamsten Abfolge. Er hat eine karierte Jagdrnütze auf, weswegen Gately nicht erkennen kann, ob er ebenfalls Ausländer ist. Aber er hält die Waffe im typischen WeaverAnschlag eines Mannes, der richtig schießen kann - den linken Fuß etwas vor, leicht gebeugt, beide Hände am Griff, den rechten Ellenbogen ausgestellt, sodass er sich die Wumme direkt vors Visierauge hält. So schießen Polizisten und Mobster vom North End. Mit Waffen kennt sich Gately auch heute noch besser aus als mit der Nüchternheit. Und die Wumme - wenn der Mann auf einen Insassen abdrückt, dann ist der übern Jordan , die Wumme ist die maßgefertigte Version einer USamerikanischen .44 Bulldog Special, vielleicht auch
ein brasilianischer oder Nuck-Klon, stumpf, hässlich und mit einem Kaliber wie der Eingang zu einer Höhle. Der aufgeschwemmte Alkoholiker Tingley hat beide Hände an den Wangen und ist 100 % in Schach. Die Knarre ist modifiziert worden, taxiert Gately. Der Lauf ist nahe der Mündung mit Schlitzen versehen, um den berüchtigten Rückstoß der Bulldog zu verringern, der Hahn ist gestutzt, und das Ding hat einen fetten Mag-na-Port- bzw. Klon-Griff, wie Metro-Bostons Polente ihn liebt. Das ist nicht die Wumme eines Wochenendkriegers oder Alkladen-Räubers; die wurde speziell erschaffen, um Kugeln in Menschen zu platzieren. Keine Halbautomatik, aber geschröpft für die Verwendung eines Scheißschnellladers, wobei Gately nicht erkennen kann, ob der Typ unter dem weiten Blumenhemd noch einen Schnelllader hat, aber davon ausgehen sollte, dass er mit einem Schnelllader praktisch unbegrenzt schießen kann. Die Polente vom North Share umwickelt ihre Griffe mit einer Art farbigem Mull, der den Schweiß aufsaugt. Gately versucht sich an die unerträglichen Munitionsvorträge zu erinnern, die ihm ein Komplize immer hielt, wenn er zu tief ins Glas geschaut hatte -
eine Bulldog und deren Klone kannst du mit allem bestücken: von leichten Scheibengeschossen über Flachkopf- Wettkampfpatronen bis hin zu Colt SofTip- Teilmantelmunition und Schlimmerem. Er ist ziemlich sicher, dass das Ding ihn mit einer Kugel alle machen könnte; ganz sicher ist er nicht. Gately ist noch nie angeschossen worden, hat angeschossene Männer aber gesehen. Er fühlt etwas, das weder Angst noch Aufregung ist. Joelle van D. ruft unverständliches Zeug herab, und Erdedy, auf dem Rasen in Schach, ruft zurück, sie soll lieber die Flatter machen. Gately ist die ganze Zeit auf sie zugesteuert, sieht und hört seinen Atem gleichzeitig und schlägt die Arme um die Brust, damit ihm nicht die Hände taub werden. Man könnte sein Gefühl fast eine vergnügte Gemütsruhe nennen. Die unamerikanischen Männer jagen Lenz, bleiben auf der anderen Wagenseite stehen, sehen ihn kurz an, werden wieder wütend und jagen weiter. Gately sagt sich, wahrscheinlich muss er dem Dritten dankbar sein, dass er nicht rüberkommt und ihn einfach abknallt. Lenz legt beide Hände jeweils auf den Teil des Wagens, an dem er gerade stehen bleibt, und deckt die beiden Männer über das Auto weg mit Flüchen ein. Seine weiße Perücke ist verrutscht, und
er hat keinen Schnurrbart, sieht man. Der Wachschutz vom E. M., der mit seinen Scheißlastern um 0.05 sonst immer so penibel ist, lässt sich nirgends blicken, was einem weiteren Klischee Gewicht verleiht. Würde man Gately fragen, was er in diesem Augenblick fühlt, wüsste er es nicht. Er beschattet mit einer Hand die Augen, nähert sich dem Montego, und allmählich klärt sich die Lage. Wie man jetzt sieht, hält der eine Mann den Schnurrbart von Lenz' Verkleidung mit zwei Fingern hoch und fuchtelt var Lenz damit rum. Der andere Mann stößt mit kanadischem Akzent gestelzte, aber farbenfrohe Drohungen aus, und Gately dämmert, dass das Nucks sein müssen, Lenz hat irgendwie ein Nuck- Trio gegen sich aufgebracht. Gately überkommt eine schwarze Welle Weißt-du-noch, der plappernde kleine Quebecer mit dem Footballkopf, der ihm abgenibbelt war, weil er ihn trotz seines wüsten Schnupfens geknebelt hatte. Solche Gedanken sind eine Zumutung. Joelles Rufe von oben, irgendwer soll doch Herrgott noch mal endlich Pat anrufen, mischen sich mit den Rufen der Hilfedame. Gately geht durch den Kopf, dass die Hilfedame seit so vielen Jahren blinden Alarm geschlagen hat, dass echte Hilferufe einfach
ignoriert werden müssen. Alle Insassen schauen Gately an, als der mitten im Fernlicht des Montego die Straße überquert. Hester Thrale kreischt, pass auf, der hat ne Wumme. Der Nuck mit der karierten Mütze schwenkt das Visier scharf auf Gately herum, den Ellenbogen fast am Ohr. Gately geht durch den Kopf, wenn man eine Wumme direkt vor dem Visierauge abschießt, hat man doch das ganze Gesicht voll Kordit. Die Kreisbewegungen um das wummernde Auto herum stocken, und Lenz schreit mit Schmackes Don, als die Hilfedame gerade wieder um Hilfe ruft. Der Nuck mit der Wumme ist ein paar Schritte zurückgetreten, um die Insassen weiterhin im Peripherieblick zu haben, während er Gately anvisiert, und der stämmige Nuck, der hinter dem Auto den Schnurrbart hoch hält, erklärt Gately, er an seiner Stelle würde nach Hause gehen, um keine Scherereien zu bekommen. Gately nickt und strahlt. N ucks sprechen the tatsächlich mit z aus. Sowohl das Auto als auch Lenz befinden sich zwischen Gately und den großen Nucks, dabei kehrt Lenz Gately den Rücken zu. Gately bleibt stehen und wünscht, er würde sich angesichts potenzieller Probleme anders
fühlen, nicht so fast fröhlich. Gegen Ende seiner Betäubungsmittel- und Einbruchskarrieren hatte er aus Mangel an Selbstbewusstsein makabre kleine Phantasien entwickelt, er hätte irgendeinen unschuldigen Menschen vor Schaden bewahrt, wäre dabei ums Leben gekommen und würde im Globe dann in fetten Lettern des Langen und Breiten gerühmt. Lenz löst sich jetzt von der Motorhaube des Wagens, sprintet auf Gately zu, stellt sich hinter ihn und spreizt die Arme weit, um Gately je eine Hand auf die Schulter legen und als Schild benutzen zu können. Gatelys Stand ist von der müden Entschlossenheit eines Nur über meine Leiche. Seine einzige Angst gilt dem im Übergabebuch erforderlichen Eintrag, falls ein Insasse während seiner Schicht eine Körperverletzung erleiden sollte. Einen Augenblick lang nimmt er fast die Gerüche der Justizvollzugsanstalt wahr, Achselhöhlen, Pomade, säuerliches Essen, Cribbage-Brett-Holz, Joints, Wischwasser, den durchdringenden Pissegestank eines Löwenhauses im Zoo, den Geruch der Gitterstangen, durch die man die Hände schiebt und hinausschaut. Solche Gedanken sind eine Zumutung. Weder hat er eine Gänsehaut noch schwitzt er. Seine Sinne waren seit über einem Jahr
schwitzt er. Seine Sinne waren seit über einem Jahr nicht mehr so scharf. Die Sterne in ihrem Glibber, das dreckige Licht der Natriumlaternen, die grellen weißen Stierhörner der Scheinwerfer, die sich aus verschiedenen Winkeln den Insassen entgegenspreizen. Sternenübersäter Himmel, sein Atem, Hupen in der Ferne, das leise Schwirren der ATHSCMEs weit im Norden. Dünne stechende kalte Luft in der weit offenen Nase. Reglose Köpfe an den Fenstern von Nr. 5. Das Nuck-Duo mit den Blumen, das Lenz gejagt hat, kommt auf seine Seite herum, löst sich vom Auto und nähert sich ihm. An Gatelys rechter Peripherie trennt sich Hester Thrale von der Gruppe, rennt über den Rasen in die Nacht hinaus, rudert mit den Armen und verschwindet kreischend hinter Nr. 4; an der Hintertür von Ennet Hause tauchen jenseits der Hecke Minty, McDade, Parias-Carbo und Charlatte Treat auf, wuseln zwischen Wischmopps und alten Möbelstücken auf der hinteren Veranda von Ennet herum, stoßen überall an und gaffen, und auf der Veranda vom Schuppen auf der anderen Sträßchenseite tauchen ein paar von den etwas mobileren Katatonikern auf und weiden sich an dem optischen Spektakel, was den kleinen Mann so aus
optischen Spektakel, was den kleinen Mann so aus d e r Fassung bringt, dass er die Wumme linkisch hierhin und dorthin richtet, um noch mehr Leute potenziell in Schach zu halten. Die beiden fremden Ausländer, die Lenz an die Karte wollen, kommen quer durchs Scheinwerferlicht des Montego langsam auf Gately zu, der von Lenz wie ein Schild gehalten wird. Der Größere der beiden, der so groß ist, dass er sein luauisches Hemd nicht bis ganz oben zuknöpfen kann, und der den Schnurrbart in der Hand hat, verlegt sich auf die übertrieben vernünftigen Töne, die jedem ausgewachsenen Zoff vorangehen. Im Scheinwerferlicht liest er die Aufschrift von Gatelys Bowling-Hemd und sagt ganz vernünftig, dass Moose noch die Chance hat, sich da rauszuhalten, mit ihm wollen sie keinen Zoff. Lenz mit seinem Sprechdurchfall entleert seine Dementis und Paränesen in Gatelys rechtes Ohr. Gately zuckt die Schultern in Richtung Nucks: Er hat keine andere Wahl, als hier zu sein. Green schaut einfach bloß zu. Gately geht die Weiße-FlaggeEmpfehlung durch den Kopf, dass drauf geschissen ist, wie das aussieht, und dass er hier und jetzt auf dem scheinwerferbeleuchteten Asphalt in die Knie gehen und sein höheres Wesen um Rat bitten sollte. Aber
und sein höheres Wesen um Rat bitten sollte. Aber er steht da, und Lenz schnattert in seinem Schatten. Die Fingernägel von Lenz' Hand auf Gatelys Schulter weisen in den Nagelhäuten Hufeisen aus getrocknetem Blut auf, und ein Kupfergeruch geht von ihm aus, der nicht nur Angst ist. Gately geht durch den Kopf, dass sie jetzt nicht so verratzt wären, wenn er Lenz sofort dem ersehnten Urintest unterzogen hätte. Der Nuck hält den Schnurrbart von Lenz' Verkleidung wie ein gezücktes Messer. Lenz hat übrigens noch keinmal gefragt, wie spät es ist. Dann fährt die Hand des anderen Nuck an seiner Seite hinab, und mit einem vertrauten Schnapp erglänzt eine echte Klinge in seiner Hand. Mit dem Geräusch des Schnappmessers wird die Situation weiter automatisiert, und Gately spürt den Wärmestoß des Adrenalins, als seine subdurale Hardware in einer abgenutzten altvertrauten Führungsschiene einrastet. Da er nicht mehr die Wahl hat, nicht zu kämpfen, was die Sache radikal vereinfacht, schwinden die Unterscheidungen. Er ist nur noch Teil von etwas Größerem, das er nicht kontrollieren kann. Sein Gesicht hat im Licht des linken Scheinwerfers seinen Kampfausdruck einer grimmigen Beschwingtheit angenommen. Er sagt, er
grimmigen Beschwingtheit angenommen. Er sagt, er ist auf diesem Privatgelände heute Abend für diese Leute verantwortlich und ist Teil des Ganzen, ob ihm das nun passt oder nicht, und ob sie über alles reden können, denn er möchte sich nicht mit ihnen schlagen. Er sagt zweimal sehr deutlich, dass er sich nicht mit ihnen schlagen möchte. Sein Unterscheidungsvermögen reicht nicht mehr, um sich zu fragen, ob das stimmt. Seine Augen ruhen auf den Gürtelschnallen der beiden, stilisierte Ahornblätter, den Körperteilen, deren Fintieren einen nicht linken kann. Die beiden schütteln ihre Mähnen und sagen, sie werden diesem feigen batard hier den Bauch aufzerschlitzen, diesem sans-Christe batard, der jemanden namens Pepe oder Bebe umgebracht hat, und Moose soll aus ureigenstem Interesse den Rückwärtsgang einlegen, denn es kann unmöglich seine Pflicht sein, sich hier für diesen perversen mummlosen US-amerikanischen batard unter seiner weibischen Perücke frottieren oder frattieren zu lassen. Lenz, der sie anscheinend für Brasilianer hält, lugt kurz um Gatelys flanke, nennt sie maricones und sagt, sie können ihm mal den batard lecken, aber hallo. Gately hat gerade noch genug Unterscheidungsvermögen, um sich fast zu
Unterscheidungsvermögen, um sich fast zu wünschen, er würde nicht dieses Aufglühen vertrauter Wärme empfinden, ein Aufwallen fast erotischer Kompetenz, als die beiden Lenz' Sticheleien mit einem Brüllen beantworten, sich trennen, mit einer Armeslänge Abstand auf sie zuwalzen und dabei immer schneller werden, eine unaufhaltsame träge Masse, idiotischerweise aber zu nah beieinander. Aus einem Abstand von zwei Metern greifen sie an, verstreuen Blütenblätter und brüllen einstimmig etwas Kanadisches. Immer beschleunigt und verlangsamt alles zugleich. Gatelys Lächeln wird breiter, als er von Lenz leicht nach vorn geschubst wird, während der sich nach hinten von ihm abstößt und vor dem Angriffsgebrüll der Typen Reißaus nimmt. Gately nimmt den Schwung auf und rammt den riesigen Nuck mit dem Schnurrbart in den Nuck mit dem Messer hinein, der mit einem oeuff ausgestoßener Luft zusammensackt. Der erste Nuck hält Gately am Bowling-Hemd fest, reißt es ein, boxt Gately auf die Stirn, bricht sich hörbar die Hand und lässt Gately los, um sich die Hand zu halten. Nach dem Boxhieb vergisst Gately a l l e spirituellen Ambitionen. Er greift nach dem
ausgestreckten Arm mit der gebrochenen Hand dran, und ohne den anderen Nuck auf dem Boden aus den Augen zu lassen, bricht er den Arm übers Knie, und als der Mann auf ein Knie geht, ergreift Gately den Arm, pirouettiert herum, dreht dem Typ den gebrochenen Arm nach hinten, setzt ihm den Sneaker auf den geblümten Rücken und tritt ihn nach vorn; man hört ein widerliches Knacken, er spürt den Arm aus dem Gelenk schnellen, und man hört einen schrillen ausländischen Schrei. Der Nuck mit dem Messer, der am Boden lag, schlitzt Gately durch die Jeans die Wade auf, rollt elegant nach links weg und kommt hoch, auf ein Knie hoch, Messer ausgestreckt, ein Mann, der mit seinen Messern umgehen kann und nicht kleinzukriegen ist, solange er das Messer hat. Gately täuscht an, nimmt Anlauf und legt sein ganzes Gewicht in einen Rockette- Tritt, der hoch oben im bärtigen Kinn des Nucks landet, Gately hörbar die große Zehe im Sneaker bricht, den Mann in die blendenden Scheinwerfer zurückschlingern, mit einern metallischen Klonk auf die Motorhaube des Montego sacken und das Messer, das irgendwo hinter dem Wagen mit einem Klick auf die Straße fällt, weiterschlittern lässt. Gately hält sich auf einern Fuß
stehend die Zehe, und die aufgeschlitzte Wade fühlt sich heiß an. Er lächelt breit, aber unpersönlich. Unchoreographiert ist es unmöglich, gegen zwei Leute auf einmal zu kämpfen; die bringen einen um; wenn man gegen zwei auf einmal kämpft, muss man den einen so lange auf die Bretter schicken, dass er von der Bildfläche verschwunden bleibt, bis man den zweiten auf die Bretter geschickt hat. Und der erste, größere, der mit den extremen Armproblemen, umklammert sich, während er wegrollt und aufstehen will, und hält dabei perverserweise immer noch den weißen Schnurrbart fest. Dass die Schlägerei echt ist, merkt man schon daran, dass keiner ein Wort sagt, und die Geräusche der anderen sind in den Hintergrund getreten wie die von Zuschauern auf Tribünen, und Gately hinkt rüber und tritt den Nuck mit dem heilen Fuß zweimal gegen den großen Schädel, und ohne groß zu überlegen, steigt er über das eine Bein von dem Typ, nimmt Maß, lässt sich fallen und versenkt das Knie mit voller Wucht in den Weichteilen des Typen, was diesem einen unbeschreiblichen Laut und J. v. D. oben einen S c h r e i entlockt; vom Rasen her kommt ein gedämpfter Knall, und Gately wird so hart an der Schulter getroffen, dass er auf einem Knie
herumgewirbelt wird und fast hintenüberfällt, die Schulter wird heiß und taub, was Gately klarmacht, dass er angeschossen und nicht auf die Schulter geschlagen worden ist. Er ist noch nie angeschossen worden. SCHÜSSE AUF DEN ABSTINENZLER zieht ihm als fette Schlagzeile vor dem geistigen Auge vorbei wie ein Schritttempo fahrender Zug, während er den dritten Nuck sieht, der mit in den Nacken geschobener Mütze und korditverzerrtem Nuck-Gesicht auf dem Rasen von Nr.4 steht und in vorbildlicher Pose mit hochgezogenem Ellbogen das lichtlose Auge der Laufseele, aus deren ventilierter Mündung ein Schamhaarlöckchen Rauch aufsteigt, ein zweites Mal auf Gatelys großen Schädel richtet, und Gately kann sich nicht rühren und vergisst zu beten, und dann zuckt der Lauf hoch und weg und erblüht orange, als der gute alte Bruce Green den Nuck von hinten in einem Halbnelson zu packen kriegt, eine Hand in der Blumengirlande, die andere drückt den ausgestellten Ellenbogen nach unten und die Wumme in den Himmel, weg von Gatelys Kopf, und sie erblüht mit dem gedämpften Knall einer ventilierten Mündung. Wenn man angeschossen
worden ist, will man sich als Erstes übergeben, was übrigens der größere Nuck mit den pürierten Eiern unter Gately macht, der kotzt sich den Bart und die Girlande und Gately den Oberschenkel voll, während Gatelys Knie ihm immer noch das Gemächt knetet. Die Dame ruft nach Hilfe. Jetzt ertönt ein fleischiger Schlag, als Nell Gunther auf dem Rasen ein paar Meter wirbelnd nach vorn springt und dem Nuck in Greens Halbnelson mit der Hacke ihres FallschirmspringerstiefeIs ins Gesicht tritt, dem Typ fliegt die Mütze weg, sein Kopf schnellt zurück und trifft Green im Gesicht, man hört Greens Nasenbein mit einem Knirschen brechen, aber er lässt nicht los, und der Typ sackt im parkinsonschen Halbbückling eines Mannes in einem gut ausgeführten Halbnelson zusammen. Seine Wummenhand zeigt noch mit Greens Arm in die Luft, als tanzten sie, der gute alte Green lässt nicht einmal los, um sich die sprudelnde Nase zu halten, und jetzt, wo sich der Nuck nicht mehr wehren kann, aufgepasst, jetzt kommt Lenz mit einem Jaulen aus dem Schatten der Hecke angerast, springt und geht den Nuck und Green gemeinsam an, sie fallen in einem Kleider- und Beinknäuel auf den Rasen, und eine Wumme ist nirgends zu sehen. Ken Erdedy hat immer noch die Hände erhoben.
Gately kniet immer noch angeschossen auf dem grässlich zermatschten Gemächt des ersten Nuck, hört, wie der zweite Nuck von der Motorhaube des Montego rutschen will, und hinkt und eiert zu ihm rüber. Joelle v. D. ruft vom Fenster, das unmöglich ihres sein kann, immer noch Einsilbiges herunter. Don geht zur vorderen Stoßstange des Montego, verpasst dem großen Mann mit seinem heilen Arm sorgfältig einen Nierenhaken, packt ihn am dichten Ausländerschopf, schiebt ihn wieder auf die Motorhaube zurück und fängt an, seinen Schädel auf die Windschutzscheibe des Montego zu hämmern. Er erinnert sich, wie er mit G. Fackelmann und T. Kite in luxuriös möblierten Apartments am North Shore wohnte und wie sie die Wohnungen nach und nach auseinandernahmen und die Ausstattung verhökerten, bis sie zuletzt in völlig leeren Wohnungen schliefen. Green hat sich mit blutüberströmtem Gesicht erhoben, Lenz liegt auf dem Rasen, sein wogender Mantel bedeckt ihn und den dritten Nuck, Clenette H. und Yolanda W. sind jetzt aufgestanden und nicht mehr in Schach, umkreisen sie, verpassen den Rippen von dem Nuck und hoffentlich manchmal auch von Lenz Pfennigabsatztritte, deklamieren dazu »alter
Scheißkerl« und landen immer dann einen Tritt, wenn sie zum Schei ß kommen. Gately steht vorgeneigt da und drischt den zottigen Kopf des Nuck systematisch und so fest gegen die Windschutzscheibe, dass im splitterfreien Glas ein Spinnengeflecht erscheint und im Schädel etwas mit einer Art wohltönendem Knirschen nachgibt. Blütenblätter aus der Girlande des Mannes sind über d e r ganzen Motorhaube und Gatelys zerrissenem Hemd verstreut. Joelle v. D. ist in Frotteebademantel, Gazeschleier und noch immer mit Zahnbürste in der Hand erst auf den kleinen Balkon vor dem Fenster des 5-Frauen-Zimmers und dann auf den spillerigen Götterbaum daneben geklettert, steigt herab, entblößt dabei ungefähr zwei Meter spektakulär unentstellter Beine und ruft Gately unterdessen beim Vornamen, was er mag. Gately lässt den größten Nuck bäuchlings auf der Motorhaube über dem leerlaufenden Motor liegen, sein Kopf ruht in einer kopfförmigen Mulde der von Rissen durchzogenen Windschutzscheibe. Ken Erdedy, der durch die erhobenen Hände in die Eiche hochsieht, geht durch den Kopf, dass die entstellte und verschleierte Frau Don Gately anscheinend auf eine von der
Hausordnung nicht gedeckte Weise mag. Gately ist, Zehe und Schulter hin oder her, die ganze Zeit absolut geschäftsmäßig aufgetreten. Er hat eine Art Angestelltenhaltung vergnügter Kompetenz und Kaltblütigkeit verströmt. Erdedy merkt, dass er eigentlich ganz gerne dasteht und mit den erhobenen Händen seinen Nichtkombattantenstatus signalisiert, während die jungen Afroamerikanerinnen fluchen und treten, Lenz sich weiter mit dem bewusstlosen Mann herumwälzt, auf ihn einhaut und »Da, da« macht, und Gately sich rückwärts von dem zweiten Mann in der Windschutzscheibe und dem Ersten, den er anfangs entwaffnet hat, entfernt und ein leeres Kürbisgrinsen aufweist. Chandler Fass setzt die Jagdrnütze des dritten Mannes auf. Von Nr.4 hört man, wie jemand ein verzogenes Fenster aufzureißen versucht. Mit einem dumpfen Sproing wird ein Entsorgungsvehikel der 1. M. E. hochgeschossen und pfeift im Steigflug über sie hinweg, die Positionslichter blinken rot und grün wie Kerzen am Weihnachtsbaum. Don Gately wendet sich zum Rasen und zu dem Typen, der ihm eine Kugel verpasst hat, schwenkt dann wie betrunken um, wechselt die Richtung und ist mit drei einfüßigen Hüpfern bei dem kotzebedeckten ersten Nuck, der
i h n Moose genannt und auf die Stirn geschlagen hatte. Das Zockeln der U-Bahn der Linie Green ist zu hören sowie Ratschläge von Minty, und Gately fängt an, mit dem Absatz des heilen Fußes auf dem Gesicht des auf dem Rücken liegenden Nuck herumzutrampeln, als würde er Kakerlaken tottreten. Der bewegliche Arm des Mannes schlackert kläglich in der Luft um Gatelys sich hebenden und senkenden Schuh herum. Die ganze rechte Seite von Gatelys scheußlichem zerrissenem orangenen Hemd ist dunkel, sein rechter Arm tropft schwarz und scheint in seiner Pfanne seltsam justiert. Lenz ist aufgestanden, rückt die Perücke zurecht und klopft sich den Dreck ab. Die verschleierte Frau sitzt rund drei Meter über dem Boden an einer schwierigen Stelle fest, hängt an einem Ast und tritt um sich, und Erdedy starrt kopernikäisch hoch unter ihren aufflatternden Bademantel. Der Neue, Tingley, sitzt im Schneidersitz auf dem Rasen und wiegt sich hin und her, und die schwarzen Damen treten weiterhin auf den reglosen Nuck ein. Man hört, wie Emil Minty und Wade McDade ihnen raten, die Pfennigabsätze zu nehmen. Charlotte Treat spricht immer wieder das Gelassenheitsgebet vor sich hin. Bruce Green hat
den Kopf in den Nacken und einen Zeigefinger wie einen Schnurrbart unter die Nasenlöcher gelegt. Unten in der Warren Street ist noch immer die verhallende Hester Thrale zu hören, und Gately eiert von der Karte des Nucks weg und lässt sich schwer auf das Sträßchen fallen, im Schatten bis auf den riesigen Kopf im Lichtschein des Nuck-Autos, sitzt da und legt den Kopf auf die Knie. Lenz und Green gehen so vorsichtig zu ihm, wie man sich einem verletzten Tier nähert. Joelle van Dyne landet auf den Füßen. Die Dame an dem hohen, verzogenen Fenster ruft um HilfehilfehilfehilfehilJe. Minty und McDade trauen sich endlich von der hinteren Veranda herab, wobei McDade aus unerfindlichen Gründen einen Wischmopp schwingt. Bis auf Lenz und Minty sehen alle unpässlich aus. Joelle läuft wie ein Mädchen, fällt Erdedy256 auf. Sie kommt gen au in dem Moment zwischen den polygonal dastehenden Wagen hervor auf die Straße, als Gately beschließt, sich hinzulegen. Er wird nicht bewusstlos. Er findet nur, dass er jetzt lieber liegen möchte, die Knie angezogen und in die Tiefen des Himmels zeigend, der wie der Puls in seiner rechten, eiskalt gewordenen und nach seiner
Prognose also sehr bald schmerzenden Schulter schwillt und schrumpft. Anteilnahme tut er mit der linken Hand ab und sagt »Fleischwunde«, kaum dass Joelles bloße Füße und Mantelsaum in sein Blickfeld kommen. »Der verdammte Wichser.« »Fleischwunde.« »Du blutest vielleicht.« »Danke für die Rückmeldung.« Im Hintergrund hört man immer noch das »5cheiß-« von Henderson und Willis. »Ich glaube, du kannst ihnen sagen, dass er wahrscheinlich keinen Widerstand mehr leisten wird«, sagt Gately und zeigt in die Richtung, in der er den Rasen von Nr.4 vermutet. Im Liegen bekommt er ein Doppelkinn, merkt er und verzieht sein breites Gesicht zu einem Lächeln. Seine größte Angst ist im Augenblick, dass er sich vor und teilweise vielleicht sogar auf Joelle v. D. übergeben muss. Deren Waden er wahrgenommen hat. Jetzt Lenz' Loafer aus Eidechsenleder mit grasfleckigen Spitzen. »Don, mir fehlen die \Norte.« Gately will sich aufsetzen. »Jetzt wollen dir auch noch bewaffnete Scheiß-Nucks ans Leder?«
Etwas Schwarzes, Kimonoartiges enthüllend, hat Joelle den Frotteemantel ausgezogen, legt ihn zu einem annähernd trapezförmigen Kissen zusammen, kniet sich über Gatelys Schulter, grätscht über den Arm und drückt das Kissen mit den Handballen fest. »Auie.« »Lenz, er blutet wirklich schlimm.« »Ich ringe nach Worten, um auch nur anzusetzen, Don.« »Du schuldest mir Urin, Lenz.« »Ich glaube, zwei von denen haben das Zeitliche gesehen.« Wade McD.s unverschnürte High-Tops, die Stimme vor Ehrfurcht belegt. »Er blutet wirklich schlimm, hab ich gesagt.« »Du meinst gesegnet.« »Im einen Auge steckt der Scheißschuh von der einen.« »Sagt Ken, er soll endlich die Hände runternehmen, Herrgott noch mal.« »Ach du Scheiße.« Gately merkt, wie seine Augen von alleine schielen und sich entschielen. »Das suppt alles durch, Mann, schau dir die
Schweinerei bloß mal an.« »Der Mann braucht einen Krankenwagen.« Irgendeine Frau sagt wieder Herrgott, und Gately klingen die Ohren, als Joelle sie ankeift, sie soll die Klappe halten. Sie beugt sich vor und über ihn, sodass Gately unter dem sich bauschenden Saum ihres Schleiers ein ganz normales menschliches Frauenkinn und eine ungeschminkte Unterlippe sehen kann. »Wen sollen wir anrufen? «, fragt sie ihn. »Ruft Pats Anrufbeantworter an und Calvin. Du musst vorher die 9 wählen. Sag ihnen, sie sollen herkommen.« »Mir wird gleich schlecht.« »Airdaddy!«, brüllt Minty zu Ken E. rüber. »Sag ihr, sie soll Annie und das E. M.-Büro da unten anrufen und irgendwas Strategisches aushecken.« »Wo zum Geier ist der Wachschutz, wenn er mal nicht nur unschuldige Autos abschleppen soll?« »Und ruft Pat an«, sagt Gately. Ein Wald aus Schuhen, nackten Füßen und Schienbeinen um ihn herum, und Köpfe zu hoch
oben, um sie zu erkennen. Lenz kreischt jemanden hinten im Hause an: »Ruf doch mal wer n Krankenwagen.« »Speck mal n paar Dezibel ab, Mann.« »Müssen wir wohl eher fünf Krankenwagen rufen, Mann.« »Alter Scheißkerl.« »Pssst.« »So was hab ich einfach noch nie gesehen.« »Nee-eh«, keucht Gately, der sich aufsetzen will und dann entscheidet, dass er lieber liegen bleibt. »Ruft mir erst mal keinen.« »Ist das der Pfad der Tugend?« »Beider Oase gehts gut.« »Er will keinen, hat er gesagt.« Greens und Mintys Stiefel, Treats quietsch rote Duschsandaletten aus Plastik. Jemand hat sich mit Clearasil eingerieben, riecht er. »Hab ja schon n paarmal gesehen, wie echt die Fetzen flogen, Brother, aber-« Irgendein Mann brüllt rechts hinten. »Versuch bloß nicht, mit mir im Kreis zu gehen«, grinst Gately hoch.
»Blödmann.« »Mit einer Schusswunde kann er nicht in die Ambulanz«, sagt Minty zu Lenz, dessen Schuhe ständig in Bewegung sind, um nördlich von allen Anwesenden zu bleiben. »Macht mal bitte wer den Wagen aus?« »Ich würde nichts anfassen.« Gately richtet den Blick dorthin, wo die Augen dieser Joelle sein müssten. Die Schenkel hat sie breit über seinen Arm gespreizt, der sich taub anfühlt und gar nicht wie seiner. Sie drückt schwer auf ihn. Sie riecht seltsam, aber gut. Sie hat ihr ganzes Gewicht auf das Bademantelkissen verlagert. Sie wiegt praktisch nichts. Die ersten Schmerznadeln strahlen aus der Schulter aus, die Seite runter und in den Nacken. Gately hat die Schulter mit Absicht noch nicht angesehen und versucht, die Finger der linken Hand unter die Schulter zu schieben, um zu sehen, ob was durchgegangen ist. Die Nacht ist so klar, dass die Sterne direkt durch die Köpfe der Leute hindurch leuchten. »Green.« »Ich fass nichtd an, keine Angdd.« »Seht euch seinen Kopf an.«
seinen Kopf an.« Ihre Schultern im Kimono sind buckelig und im Licht des Montego von gläsernem Schwarz. Gatelys Hirn will in ihm drin fortgehen. Wenn einem eiskalt wird, kommt das vom Schock und vom Blutverlust. Gately zwingt sich quasi per Willenskraft dazubleiben und sieht über Joelles Hand hinweg Lenz' edle Schuhe an. »Lenz. Du und Green. Bringt mich rein.« »Green!« Die kreisförmig angeordneten Sternköpfe über ihm sind im Schatten des Scheinwerferlichts alle gesichts los. Einige Motoren sind abgestellt, andere nicht. Ein Wagen hat einen zwitschernden Keilriemen. Jemand - Erdedy - schlägt vor, die richtige Polente zu holen, und alle verhohnepipeln ihn wegen seiner Naivität. Gately sagt sich, das Personal vom Schuppen oder von Nr. 4 wird sie angerufen oder wenigstens den Wachschutz informiert haben. Er war erst zehn, da passte schon nur noch sein kleiner Finger in die Löcher der Wählscheibe vom alten Princess Phone seiner Mutter; er bietet all seinen Willen auf, entschielt seine Augen und bleibt bei Bewusstsein; das wäre am allerschlimmsten, wenn er hier nach einer Schusswunde im Schock läge und mit der
Polente klarkommen müsste. »Ich glaube, einer von denen ist quasi dahingegangen.« »Ist nicht wahr, Shylock!« »Keinen anrufen!«, brüllt Gately heraus. Er hat Angst, er muss kotzen, wenn sie ihm aufhelfen. »Keiner ruft wen an, bevor ihr mich drinnen habt.« Über sich kann er Greens Lederjacke riechen. Grashalme und sonst was schweben von da auf ihn herab, wo Lenz sich immer noch die Sachen abklopft, und auf der Straße sind Blutmünzen aus Greens Nase. Joelle sagt zu Lenz, wenn er mit irgendwas nicht aufhört, dekoriert sie ihm das Gebiss um. Gatelys ganze rechte Seite ist tödlich kalt geworden. Zu Joelle sagt er: »Ich bin auf Bewährung. Dafür geh ich hundertpro in den Knast.« »Du hast einen ganzen Rattenschwanz an Augenzeugen hinter dir, Don, Mann«, sagt entweder McDade oder Glynn, aber aus irgendeinem Grund, auf den er gerade nicht kommt, kann das nicht Glynn sein. Und anscheinend sagt Charlatte T. gerade, dass Ewell unterwegs zu Pats Büro ist, um zu telefonieren, aber Gately hat Pats Tür abgeschlossen. »Niemand ruft irgendwen an! «, brüllt Joelle heraus.
Sie riecht gut. »Sie telefonieren schon!« »Holt ihn vom Apparat! Scheiße, Mann, sagt, es war ein Scherz! Habt ihr mich verstanden?« Ihr Kimono riecht gut. Ihre Stimme hat eine personalmäßige Autorität. Die Szene hier draußen hat sich verändert: Gately ist am Boden, Madame Psychosis ist am Ruder. »Wir heben ihn hoch und bringen ihn ins Haus«, sagt sie in die Runde. »Lenz.« Man hört drohendes elektrostatisches Knistern und das Rasseln eines beeindruckenden Schlüsselbundes. Ihre Stimme ist die Damenstimme einer Madame im terrestrischen Radio, das ist ihm auf einmal völlig klar, da hat er diese seltsam leere Stimme mit ihrem Halbdialekt schon mal gehört. »Wachschuts! Cheine Beweung.« Zum Glück ist es wenigstens dieser eine von den Ex-FootballWachleuten vom E.M., der seine halbe Schicht unten im Leben verbringt und dann hochkommt, die ganze Nacht im Sträßchen auf und ab den Dienstknüppel schwingt und mit falschen Tönen Seemannslieder
singt, dieser eine, der auf beeindruckende Weise qualifiziert wäre, mit ihnen bei den AA hereinzukommen. Joelle: »Erdedy - kümmer dich um ihn.« »Wie bitte? « »Das ist der Suffkopp«, bringt Gately heraus. Joelle sieht hoch, vermutlich zu Ken E. »Geh rüber und sieh gut bei Kasse und respekteinflößend aus. Kommunizier mit ihm. Lenk ihn ab, und wir bringen Don rein, bevor die echten kommen.« »Und wie soll ich dem erklären, warum hier überall Leute über Autos drapiert sind?« »Herrgott noch mal, Ken, er ist kein Meister Klügling - meinetwegen kannst du ihn auch mit Glasperlen oder so ablenken, aber beweg endlich deinen Arsch und geh zu ihm rüber.« Gatelys Lächeln hat seine Augen erreicht. »Du bist diese Madame auf UKW, daher kenn ich dich.« Erdedys quietschende Sohle, Walkie-Talkie und Schlüsselbund des Fettwansts. »Keine Bewegung? Wie in Abstand halten?« »Wachschuts, hab ichesacht. Halt!« Green und Lenz beugen sich vor, überall weißer
Atem, und Greens Tröpfelnase riecht genauso kupfern wie Lenz. »Wusst ich doch, dass ich dich kenn«, sagt Gately zu Joelle, deren Schleier undurchdringlich bleibt. »Darf ich fragen, wie genau diese Bewegungslosigkeit aussehen soll? « »Als Erstes hoch mit seinem Rücken«, sagt Green zu Lenz. »Bin ja nicht gerade scharf auf das ganze Blut«, sagt Lenz. Viele Hände schieben sich unter seinen Rücken; die Schulter erblüht in farblosem Feuer. Der Himmel sieht so dreidimensional aus, in den könnte man glatt eintauchen. Die Sterne dehnen sich und treiben Speichen. Joelles warme Beine verlagern ihr Gewicht, um den Druck auf dem Kissen aufrechtzuerhalten. Das leise Matschen verrät Gately, dass der Frotteemantel durchgeweicht ist. Er wünscht sich, dass ihm jemand gratuliert, weil er sich nicht übergeben hat. Man merkt, dass die einen Sterne da unten näher sind und die anderen ferner. Was Gately immer für das Große Fragezeichen gehalten hat, ist in Wirklichkeit der Große Wagen. »Ich befehl Ihnen, Abspann zu haldn, bis, wer das Sagen hat, dem ich die Lage schillahn kann.« Der
Wachmann ist völlig hacke, er heißt Sidney oder Stanley, trägt Wachschutzmütze und Knüppel, wenn er bei Purity Supreme einkauft, und fragt Gately immer, was die Kunst macht. Das Oberleder seiner Schuhe ist an den Innenseiten abgeschabt wie bei vielen Dicken, die viel zu Fuß unterwegs sind; die Rettungsringe und das ausladende Brauereigeschwür des Ex-Footballspielers gehören zu den Hauptgründen für Gatelys nächtliche Rumpfbeugen. Gately dreht den Kopf und übergibt sich ein bisschen auf Green und Joelle, die das beide übersehen. »Tut mir leid. Scheiße, Mann, ich kann das nicht ab.« Joelle v. D. fährt Gately mit der Hand, die einen warmen Sog hinterlässt, über den Arm und drückt ihm dann so viel Handgelenk, wie sie umspannen kann. »Und sehet«, sagt sie leise. »Meine Güte, sein Bein ist ja auch ganz blutig.« »Mann, fanden die Jungs doch erste Sahne, die Show, die du da abgezogen hast.« Und noch ein bissehen Übergeben. »Jetzt heben wir ihn ganz sanft an und stellen ihn
auf die Füße.« »Hey, Green, Mann, schwing dich rüber in den Süden, ja?« »Ich befehl der ganssn Sitatschon sofodd Halt und Cheine Beweung.« Lenz' und Greens Schuhe nähern sich einander und gehen an beiden Seiten Gatelys hinab, die Gesichter kommen wie in einem Fischaugenobjektiv herab, und im Anheben: »Fertig ?«
Kap. 49 - Jahr der InkontinenzUnterwäsche InterLace TelEntertainment, 932/1864 R.I.S.C. Multifunktions- TPs mit oder ohne Konsole, Pink2, post-Primestar D. S. S.-Dissemination, Menüs und Icons, pixel freies InterNet-Faxen, Tri- und QuadModems mit verstellbarer Baudrate, post- Web Disseminationsgrids, Bildschirme so hochauflösend, als wäre man dabei, kostengünstige VideophonKonferenzschaltung, integrale Froxx-CD-ROMs, e l e k t r o n i s c h e C o u t u r e , Allzweckkonsolen, keramische Yushityu Nanoprozessoren, L a s e r c h r o ma t o g r a p h i e , virtualitätskompatible Medienkarten, Glasfaserpuls, Digitalkodierung, Killer Apps; Karpalneuralgie, phosphenische Migräne, gluteale Hyperadiposität, Lumbalstress. Die Hälfte aller Metro- Bostoner arbeitet heute digital vernetzt zu Hause. 50 Prozent der gesamten öffentlichen Bildung werden durch offiziell zugelassene codierte Pulse disseminiert, die zu Hause auf dem Sofa rezipiert werden können. Ms Tawni Kondos
ungeheuer beliebtes Fitness-Programm, das in allen drei Zeitzonen der O.N.A.N. um 7.00 Uhr spontan disseminiert wird, eine Kombination aus Low Impact Aerobic, Kallisthenie der kanadischen Luftwaffe und etwas, das man »kosmetische Psychologie« nennen könnte - über 60 Millionen Nordamerikaner kicken, beugen und strecken täglich mit Tawni Kondo, eine Massenchoreographie nicht unähnlich den im nachmaoistischen China obligatorischen allmorgendlichen Tai-Chi- Treffen in Zeitlupe - nur dass sich die Chinesen in der Öffentlichkeit gemeinsam bewegten. Ein Drittel jener 50 Prozent Metro-Bostoner, die ihrem Beruf noch außer Haus nachgehen, könnte zu H a u s e arbeiten, wenn es denn wollte. Und (ungelogen) 94 Prozent der gesamten Bezahlunterhaltung der O.N.A.N. werden jetzt zu Hause rezipiert: Pulse, Speicherpatronen, digitale Displays, häusliches Dekor - ein Unterhaltungsmarkt der Sofas und Augen. Fände man das schlecht, könnte man auch den Verkehr schlecht finden oder Zusatzabgaben für die Krankenversicherung oder die Risiken der Annularfusion: Außer luddistischen Müslifressern wird niemand etwas schlecht finden, das aus dem Leben nicht mehr wegzudenken ist.
Leben nicht mehr wegzudenken ist. Also schaut man privat, hinter herabgelassenen Jalousien im trauten Heim, sehr viel auf maßgefertigte Bildschirme. Eine haltlose raumlose Welt privaten Schauens. Ein neues tausendjähriges Reich unter Gentle und Lace-Forche. Absolute Freiheit, Privatheit, Wahlmöglichkeit. Hierin gründet auch die leidenschaftliche LiveSchaulust des neuen Jahrtausends. Ein ganzes diskret gehandhabtes Programm optischer Spektakel, »Opti-Speks«, die unbezahlbare Gelegenheit, Teil einer schauenden Livemenge zu werden. Hierin gründen die Gafferblöcke bei Verkehrsunfällen, Faulgasexplosionen, Raubüberfällen, Handtaschendiebstählen und dem gelegentlichen Aufklatschen eines Imperialen M. E. V. mit unvollständigem Vektor in den periurbanen Agglomerationen und Plangemeinden am North Shore, wo die Leute dann ihre Haustüren sperrangelweit offen stehen lassen, herumwuseln und den Ring aus aufgeschlagenem Abfall anglotzen, der sachliche und interessierte Menschenmengen anzieht, die in Kreisen um den Abfall herumwuseln und in vollem Ernst Gedanken austauschen über
das, was sie doch alle sehen. Hierin gründet die Apotheose und komplexe Hackordnung von Bostons Straßenmusikanten, deren Elite jetzt in ausländischen Autofabrikaten zur Arbeit pendelt. Die nächtliche Gelegenheit, um 0.00 Uhr die Jalousien hochzukurbeln und auf die Straße hinauszuschauen, w e n n alle draußen parkenden Wagen die Straßenseite wechseln müssen, jedermann durchdreht und herumwuselt und entweder umsetzt oder zuschaut. Prügeleien, Zoff an der Supermarktkasse, Zwangsversteigerungen, Raser in den Fängen der Verkehrskontrolle, koprolalische Touretter an den Straßenecken der City - niemand beeilt sich da, weniger zu sehen. Die Gemeinschaft und die anonyme Kommunion mit einer zuschauen den Menge, einer Unmenge von Augen, die allesamt nicht zu Hause sind, allesamt draußen in der Welt und in dieselbe Richtung schauen. V gl. die Zuschauerüberwachungsprobleme bei Tatorten, Bränden, Demonstrationen, Kundgebungen, Protestmärschen, Zurschaustellungen kanadischer Revolte; Mengen, die sich jetzt schneller einfinden, als das Auge sie verfolgen kann, eine Art optische Inversion von Schmelzprozessen, Mengen, die fast schon durch eine Nukleinkraft zusammengezogen
und -gehalten werden und gemeinsam schauen. Praktisch alles kann das auslösen. Es gibt wieder Straßenhändler. Obdachlose Veteranen und gekrümmte Rollstuhlfahrer mit handgemalten Schildern, die ihre Anspruchsberechtigung zusammenfassen. Jongleure, Missgeburten, Zauberer, Pantomimen, charismatische Prediger mit transportablen Lautsprecheranlagen. Hartgesottene Bettler kämpfen sich durch, als verkauften sie den Grüppchen Allheilmittel; die besten Schnorrer haben jetzt das Niveau von Stegreifkomikern, und belohnt werden sie von den zuschauenden Mengen. Safrangelbe Sektenmitglieder mit jeder Menge Getrommel und Flugblättern aus dem Laserdrucker. Sogar ein paar Eurobettler alten Stils, schwarzbrauige Gestalten in gestreiften Leggings, stumm und reserviert. Sogar lokale Kaooidaten, Aktivisten, Sympathisanten und Graswurzelbewegte sind auf die öffentlichen Tribünen zurückrotiert - auf bewimpelte Podeste, Müllcontainerdeckel, Motorhauben, Vordächer, alles Erhöhte, alles in Mengen anziehender Sicht Errichtete: Die Leute klettern rauf, deklamieren drauflos und ziehen Menschenmengen an.
E i n öffentliches Opti-Spek der Spitzenklasse in Back Bay ist es jeden November, ausdruckslosen Männern in föderalem Weiß und kommunalem Kadettenblau zuzusehen, die vor dem nahenden Winter den künstlichen Ententeich der Public Gardens leeren und säubern. Jedes Jahr wird irgendwann im November das Wasser abgelassen. Das wird nicht öffentlich bekannt gegeben; es gibt keinen festgelegten Zeitplan; urplötzlich stehen lange glänzende Sattelschlepper im Kreis um den Teichrand herum; es ist immer ein Werktag Mitte November; es ist irgendwie auch immer ein grauer, rauer, trauriger, windiger Bostoner Tag, an dem die Möwen an einem Himmel von der Farbe dreckigen Glases kobolzen und die Menschen dicke Schals u n d neue Handschuhe tragen. Nicht gerade der ideale Tag für Villeggiaturen, konventionelles Flanieren oder öffentliche Spektakel. Trotzdem sammelt sich immer eine riesige Menge und verdichtet sich in engen Ringen entlang der Uferböschungen des Teichs in den Public Gardens. Im Teich leben Enten. Er ist kreisrund, der Wind raut seine Oberfläche zu Elefantenhaut auf, geometrisch rund, die Böschungen mit Gras von Rasenqualität sowie gleichmäßig angeordneten Gebüschgruppen
bewachsen, mit Parkbänken zwischen den Büschen unter Weiden mit weißer Rinde, die ihre gelbe Herbstgrütze schon auf die grünen Bänke und Grasflächen geweint haben, wo die Menge jetzt einen Bogen bildet, immer dichter wird und den Angestellten der öffentlichen Hand zusieht, die sich ans Teichleeren machen. Die flatterhafteren Enten des Teichs haben ihre Zelte schon abgebrochen und den Flug gen Süden angetreten, und als die glänzenden Sattelschlepper anrücken, folgen auf irgendein phylogenetisches Stichwort hin weitere ihrem Beispiel, aber die große Mehrheit bleibt. Zwei Privatflugzeuge fliegen in trägen Ellipsen knapp unter der Wolkendecke dahin und ziehen Banner hinter sich her, die vier verschiedene Stufen von Komfort und Schutz bei Inkontinenz bewerben. Der Wind bläst die Banner zur Seite, möbiusiert sie und glättet sie dann wieder mit dem lauten Knattern sich entrollender Fahnen. Am Boden sind die Triebwerke und das Bannergeknatter über den Geräuschen der Menge und der Enten sowie dem bösen Pfeifen des Windes nicht zu vernehmen. Der wirbelnde Bodenwind ist so stark, dass Rodney Tine, der U. S. Chief der Unspezifizierten Dienste, der mit den Händen im Kreuz an einem Fenster im achten Stock
des State House Annex Ecke Beacon und Joy Street steht und nach Südwesten auf die konzentrischen Ringe aus Teich, Menge und Sattelschleppern hinabsieht, windverwehte Blätter und Straßengrus just an dem Fenster, vor dem er steht und sich das Steißbein massiert, vorbeiwirbeln und dagegen picken sehen kann. Dr. James O. Incandenza, Filmemacher und fast schon skopophil, was Opti-Speks und Menschenmengen anging, hatte sich dieses Spektakel nie entgehen lassen, als er noch am Leben und wenn er in der Stadt war. Auch HaI und Mario haben ein paar miterlebt sowie etliche Insassen von Ennet House, die sich allerdings umständehalber nicht alle daran erinnern können. Anscheinend hat jeder Metro-Bostoner mindestens eine Teichleerung miterlebt. Sie findet immer an einem für den Nordosten typischen grimmigen und windigen Novembertag statt, an dem man, wäre man zu Hause, in der warmen Küche erdig getönte Suppe löffeln und dem Wind lauschen würde, froh um Heim und Herd. Jedes Jahr, in dem Er Selbst kam, war das gleich. Die Laubbäume waren immer skelettiert, die Kiefern paralysiert, die Weiden windgepeitscht
und knotig, das graubraune Gras knisterte unter den Schritten, und die Wasserratten bemerkten das große Entwässerungsszenario immer als Erste und glitten wie die Nacht zu den Betonrändern, um zu fliehen. Immer eine Menge in anschwellenden Ringen. Immer Rollschuhe auf den Wegen durch die Gardens, händchenhaltende Pärchen, Frisbeescheiben in der Ferne über dem Hügelkamm auf der anderen, teichabgekehrten Seite der Gardens. Rodney Tine, Chief des US-amerikanischen Büros für Unspezifizierte Dienste, verbringt einen Gutteil des Vormittags an dem ungeputzten Fenster, nachdenklich in der Rührt-euch-Haltung eines Militärs. Im Konferenzraum hinter ihm sitzen schweigend eine Stenographin - der Gregg-Stift in der Schwebe des unterbrochenen Diktats -, ein Adjutant, ein Beigeordneter, der Leiter der Abteilung d e r Drogenmissbrauchsdienste von Massachusetts sowie Rodney Tine Jun.257 und Hugh Steeply258, Außendienstagenten der Unspezifizierten Dienste. Die Sicht aus dem Fenster im achten Stock reicht ganz bis zum Hügelkamm am anderen Ende der Gardens. Zwei Frisbeescheiben und etwas, das wie
der ausgeweidete Ring einer Frisbeescheibe aussieht, schweben über dem Kamm hin und her, schweben verträumt hin und her, sinken manchmal hinter den Kamm, und Tine verliert sie kurz aus dem vom Fenster gespiegelten sinnenden Blick. Im Bemühen, seiner schlechten Haut gleichzeitig ein bisschen hochwertiges UV-Licht und Abhärtung durch die Kälte zu verschaffen, liegt der diplomierte M. I. T.- Technikstudent im Praktikum bei WYYY-I09 mit bloßem Oberkörper auf einer silbrigen NASASouvenirdecke, auf dem Rücken und kreuzförmig im Winkel ungefähr eines Wohnzimmersessels mit verstellbarer Rückenlehne auf der dem Teich abgekehrten Hügelseite der Public Gardens. Die liegt drüben an der Arlington Street, in der Südwestecke der Gardens, durch den Kamm uneinsehbar von Teichbecken, Andenkenbude, Pavillon, der Nabe der radialen Pfade und den riesigen grünspanüberzogenen Bronzefiguren von Entenküken im Gänsemarsch aus, die an Robert McCloskeys geliebtes und zeitloses Make Way for Ducklings erinnern. Den einzigen anderen Hang der Gardens bildet jetzt das Becken des ehemaligen Teichs. Der grasbewachsene und nicht sehr steile
Abhang des Hügels verläuft im spitzen Winkel zur Arlington Street hinab, eine einzige breite Grünfläche o h n e Hundekot, weil sich Hunde nicht auf abschüssigem Terrain erleichtern. Frisbeescheiben schweben über dem Kamm hinter dem Kopf des Technikstudenten, und vier wendige Jungen halten auf dem Kamm mit blau angelaufenen nackten Füßen ein Reissäckchen in der Luft. Die Temperatur beträgt 5° Celsius. Die Sonne ist von herbstkräftiger Gedämpftheit, als schiene sie durch mehrere Glasscheiben. Der Wind ist scharf und flappt dem Technikstudenten immer wieder lose Enden der NASA-Decke über den Körper. Gänsehaut und echte Pickel drängeln auf seinem entblößten Fleisch um Raum. Nur der WYYY- Technikstudent hat am Hang eine metallische Weltraumdecke und einen bloßen Oberkörper. Er streckt alle viere von sich, öffnet sich ganz der schwachen Sonne. Er ist eine von etwa drei Dutzend menschlichen Gestalten, die sich über den steilen Hang verstreuen, eine Menschenansammlung ohne Muster, Zusammenhalt oder Gemeinsamkeiten, und sie erinnert am ehesten an Feuerholz vor dem Einsammeln. Wettergegerbte rußige Männer in Parkas ohne Reißverschlüsse und mit ungleichen Schuhen, teilweise Dauergäste der
Gardens, schlafen oder befinden sich in Benommenheiten diversen Ursprungs. Zusammengerollt auf den Seiten, die Knie angezogen, allem verschlossen. Mit anderen Worten eingekrümmt. Aus der großen Höhe der Bürogebäude an der Arlington St. sehen die Gestalten aus wie Dinge, die aus großer Höhe auf den Hügel gekippt worden sind. Ein Veteran über ihnen wäre geneigt, in ihrer Anordnung Merkmale eines Schlachtfelds nach Ende der Schlacht zu erkennen. Bis auf den WYYY- Technikstudenten sind alle Männer straßenverdreckt, unrasiert und freilichtgebräunt und haben gelbe Finger. Sie nehmen Mäntel und zusammengerolltes Bettzeug als Decken und haben alte Einkaufstaschen mit Bindfadengriffen und Glad-Müllbeutel für wiederverwertbare Dosen und Flaschen dabei. Und riesige verblichene Camper-Rucksäcke. Ihre Kleidung und Besitztümer sind also, anders gesagt, v o n derselben Farbe wie die Männer. Ein paar haben Einkaufswagen mit ihren Habseligkeiten mit ihren Körpern verkeilt, damit sie nicht den Hügel hinabrollen. Ein Einkaufswagenbesitzer hat sich im Schlaf übergeben, und die Kotze ist wie ein Lavastrom zum nächsten eingekrümmt Schlafenden
ein Stück hangabwärts hinabgeflossen. Der eine Einkaufswagen vom exklusiven Bread & Circus hat a m Handgriff einen genial praktischen kleinen Taschenrechner, damit der Käufer schon bei der Warenauswahl Zwischensummen ausrechnen kann. Die Männer haben sepiafarbene Fingernägel und sehen irgendwie alle zahnlos aus, egal ob sie Zähne haben oder nicht. Von Zeit zu Zeit landet eine Frisbeescheibe zwischen ihnen. Der weiche Ball macht an den Spielerfüßen über und hinter ihnen Reissäckchengeräusche. Zwei spillerige Jungen mit Strickmützen kommen neben dem Technikstudenten herab, skandieren leise »Haschisch« und ignorieren all die anderen Gestalten, die für den Erwerb von Haschisch überdeutlich unterkapitalisiert sind. Wenn er die Augen öffnet, sieht er als Einziger am Hügel die runden Bäuche der aufsteigenden Enten über sich hinwegziehen, die in der Hügelthermik nach links Richtung Süden abschwenken. WYYY-I09TShirt, Inhalator, Brille, M. Fizzy und ein Exemplar der Metallurgie annularer Isotope mit gebrochener Bindung liegen gleich neben der reflektierenden Decke. Sein Rumpf ist blass und rippig, die Brust übersät mit knotigen kleinen Aknenarben. Am Hügel
ist das Gras noch ziemlich lebensfähig. Neben einigen der umherliegenden Fötalgestalten stehen schwarze Dosen mit abgebrannter Ofenwolle. Der Hügel spiegelt sich teilweise in den Schau- und Bürofenstern an der Arlington sowie in den Scheiben vorbeifahrender Autos. Ein unauffälliger weißer Lieferwagen Typ Dodge oder Chevy schert aus dem Verkehr auf der Arlington aus und legt am Rinnstein am Fuß des Hügels ein ganz schön schnittiges Parallelparkmanöver hin. Vom Techniker aus gesehen links unten richtet sich ein Mann in einem alten Militärwollmantel aus NATO-Beständen auf Hände und Knie auf und kotzt. Chymusreste hängen ihm an den Mundwinkeln und wollen sich einfach nicht lösen. Feine Blutspuren sind darin zu erkennen. Seine zusammengekauerte Gestalt hat am unebenen Hang etwas Hündisches. Die dem Techniker am nächsten liegende, bewusstlos unter d e n Vorderrädern des Einkaufswagens eingeklemmte Fötalgestalt trägt nur einen Schuh und der hat keine Schnürsenkel. Die sichtbare Socke ist aschfarben. Abgesehen vom BEHINDERTNummernschild sind auffällig an dem am Rinnstein jetzt im Leerlauf vor sich hindieselnden Lieferwagen eigentlich nur die getönten Scheiben und die
Tatsache, dass er bis auf halbe Höhe blitzblank gewachst funkelt, darüber aber dreckig, verrostet und schimpflich vernachlässigt ist. Der Techniker hat den Kopf hin und her gedreht, um sich entlang des K i e f e r s gleichmäßig zu bräunen. Der Rinnsteintransporter dieselt weit unten zwischen den Absätzen seiner Schuhe vor sich hin. Ein paar Gestalten am Hügel haben sich um Flaschen und Pfeifen herum zusammengerollt. Ein strenger landwirtschaftlicher Geruch geht von ihnen aus. Der Technikstudent versucht normalerweise nicht, seine Haut gleichzeitig zu bräunen und abzuhärten, aber Abhärtgelegenheiten waren in letzter Zeit rar: Seit Madame Psychosis ihren plötzlichen Krankenurlaub von »+/ - 60« antrat, hat der Student es noch kein einziges Mal geschafft, sich auf das verschlungene Dach der Union zu setzen und die Ersatzsendungen anzuhören. Er dreht sein hochgerecktes Gesicht hin und her. Erst war Madame von einer Studentin der Mass Comm. ersetzt worden, aber diese Miss Bildung erwies sich als krasse Fehlbesetzung; dann war Madame von der Senderdirektion offiziell als unersetzlich eingestuft worden, und jetzt bekommt
der Techniker sein Geld bloß dafür, ihre Hintergrundmusik abzufahren und dann geräuschlose 60 Minuten dazusitzen und ein LiveMikro auszupegeln. Das heißt, er muss in seiner Kabine bleiben und 0- Werte des Live- Mikros einhalten und könnte auch dann nicht mit Radio und Zigaretten nach oben gehen, wenn er wollte. Der studentische Senderdirektor hat ihm schriftlich vorformuliert, was er sagen soll, wenn Leute während der Sendung anrufen, sich nach Psychosis erkundigen und ihr gute Besserung von ihrem ihnen unbekannten Leiden wünschen. Gerüchte gleichzeitig dementieren und bestätigen, die von Suizid über Hospitalisierung, Sinnkrise und stillem Rückzug bis zu Pilgerfahrt gen schneebedeckte Gipfel des Ostens reichen. Das Verschwinden eines Menschen, der nur als Stimme existierte, ist irgendwie schlimmer statt besser. Ein furchtbares Schweigen jetzt, an Werktagsabenden. Ein ganz anderes Schweigen als das Radioschweigen, das über die Hälfte ihrer Abendsendungen ausmachte. Vielleicht ein Schweigen der Präsenz gegenüber einem Schweigen der Absenz. Das Schweigen auf den Bändern ist am schlimmsten. Manche Hörer sind sogar gekommen und ins rosarote Studio im Para
cortex herabgestiegen, um sich zu erkundigen. Manche, um sich der hartnäckigen Hoffnung zu berauben, dass Madame in Wirklichkeit noch zu sehen wäre und am Mikrophon säße, ohne aber je einen Ton zu sagen. Ein anderer in der Nähe schlafender Mann boxt im Schlaf immerzu in die Luft. Fast alle persönlichen Erkundigungen inmitten der Nacht stammen von Hörern, die irgendwie gebeugt s i n d , deformiert, sprach gestört, ausdruckslos grinsend - beschädigt. Die Sorte, die Brillengestelle m i t Isolierband repariert. Schüchtern Nachforschungen anstellt. Sich dafür entschuldigt, jemanden zu stören, der offenkundig gar nicht da ist. Vor Erhalt seiner schriftlichen Anweisungen hatte der Technikstudent wortlos auf das klappbare Triptychon von Madame gedeutet, hinter dem sich keine Silhouette abzeichnete. Oben auf dem Kamm ist über den am Hang verstreuten Gestalten ein zweiter, genauso ungleichmäßig geputzter weißer DodgeTransporter mit undurchsichtigen Scheiben aufgetaucht. Er wirft keinen sichtbaren Schatten. Ein Frisbeering prallt vorne von seinem gewienerten Kühlergrill ab. Er dieselt vor sich hin, und seine Schiebetür zeigt Richtung Hang und Schiebetür des ersten weißen Transporters weit unter ihm. Ein
abschreckend hässlicher kleiner Frager trug einen Hut mit einem Objektiv daran und fiel dem Techniker fast nach vorn in den Schoß. Sein Begleiter bat um eine Adresse, an die man Genesungswünsche und Blumenstrauß schicken könne. Die aluminiumoid nanobeschichtete NASA-Decke soll jedes nur erdenkliche UV-Strählchen auf die bloße Haut des Technikstudenten reflektieren. Dieser weiß um den Krankenwagen, die ITS im Brigham and Women's und die fünf Tage auf der Reha-Station von der dicken dunkelhäutigen Notkin, der jungen Frau mit dem unansehnlichen Hut und dem Filmwissenschaftlerausweis, die spätabends mit dem Basilar-Fahrstuhl herabgekommen war, um alte Mitschnitte der Sendung abzuholen, die sich Madame persönlich anhören wollte, wie sie gesagt hatte, und die das Glück hatte, Madame privat zu kennen, wie sie gesagt hatte. Die Abkürzung laute LZT, Madame Psychosis sei zur Langzeittherapie in etwas, das die bärtige junge Frau mit dem rußigen Hut seltsamerweise als Zentrum zur Rückhabilitierung in einem unglaublich unangenehmen Sozialwohnungsbauviertel von Metro-Boston bezeichnet hatte. Dies ist die präzise
Summe des Wissens des WYYY- Technikers. Schon bald wird er sich wünschen, sehr viel mehr zu wissen. V gl. die dellen übersäte Stahlrampe, die sich jetzt oben und hinter ihm auf dem Kamm aus der quietschend geöffneten Schiebetür des Transporters schiebt. V gl. die absolute Finsternis im vor sich hindieselnden Transporter unten am Rinnstein der Arlington St., dessen Schiebetür ebenfalls von innen aufgeschoben worden ist. Der Südwesthang ist coplos: Der für die Gardens verantwortliche Zug der Ordnungshüter vom JMM hält sich mitsamt seinen hochgezüchteten Golfwägelchen drüben am geleerten Teich auf, wirft Kreissegmente glasierter Doughnuts ins Entendickicht und weist eine großenteils schon zerstreute Menge an, bitte weiterzugehen. Die Frisbeespieler und Hackysacker vom Kamm sind urplötzlich verschwunden; auf einmal herrscht eine gespenstische Stille wie an einem Riff, wenn ein Hai vorbei schwimmt; der Schlund des auf dem Kamm dieselnden Transporters offen, schwarz und silberzüngig. Vgl. auch den Rollstuhl, der jetzt plötzlich die Rampe des Kammtransporters herabschießt, ein wie verrückt quietschender Messingfleck, vorne mit einer angeschweißten schneepflugähnlichen Schaufel, die
angeschweißten schneepflugähnlichen Schaufel, die über den Boden gleitet, Mahdhäcksel um sich verteilt und dabei wahnsinnig schnell rollt; die Bremsen gelöst, die beinlose, mit schwertstämmigen Bourbonenlilien maskierte Figur auf stämmigen Stümpfen in dem Rollstuhl, vorgebeugt wie eine Pisten sau auf Skiern, die zusammengekrümmten Fötalgestalten am Hang, der rasant um sie herumfahrende Rollstuhl, die im Halbdunkel aufscheinenden Vorbereitungen zur Aufnahme hinten i m Rinnsteintransporter weit unten am Fuß des steilen Hanges, der Techniker, der den Rücken durchdrückt, um das Sonnenlicht auf die narbenübersäten Kuhlen unter seinem Kiefer fallen zu lassen, der von einem quietschenden gummierten R a d tangential in Bewegung gesetzte Einkaufswagen mit dem Taschenrechner, der den Hügel hinunterklappert und seinen Inhalt verstreut, der Schuh des Obdachlosen, mit dem er verkeilt war, der hinter ihm herpurzelt, und der jetzt schuhlose Besitzer des Einkaufswagens, der sich bloß mit der Hand im Schlaf vor dem Gesicht herumwedelt, als hätte er einen D. T.-Albtraum vom Verlust von Schuh u n d weltlichen Besitztümern, das Rechnerwägelchen, das dem kauernden Kotzenden
i n die Seite knallt, sich überschlägt, noch ein paarmal aufprallt, und der hinterherrollende und brüllende Kotzende, dessen Flüche weit tragen, der WYYY - Techniker, der sich jetzt sichtlich erschrocken auf einen fröstelroten Ellbogen aufstützt, den Kopf wendet und hinter sich und den Kamm hoch sehen will, gerade als der rasende Rollstuhl mit der zusammengekrümmten Gestalt ihn erreicht und die Schaufel Techniker, NASA-Decke, TShirt und Buch aufnimmt, mit einem Rad Brille und M . Fizzy überfährt, den Techniker in der Schaufel mitnimmt und den steilen Hang hinab auf den unten dieselnden Transporter zuhält, bei dem sich wie eine Zunge oder der Beleg beim Geldautomaten eine Rampe herausschiebt, die NASA-Decke, die dem aufgeschaufelten und mit den Armen herumfuchtelnden Techniker auf halber Strecke entweht wird, in der Hügelthermik plötzlich emporschwebt und vom scharfen Novemberwind über den Verkehr der Arlington St. getragen wird, der wi e verrückt quietschende Rollstuhl, der über die Hügelbuckel schuckelt, hüpft, sich wegduckt, wieder hochkommt, der eingeschaufelte Techniker, der den am Hang sich aufrichtenden Gestalten mehrheitlich als halluzinatorisches Gestrampel bloßer
Gliedmaßen erscheint, die seltsam keuchend um Hilfe rufen, genauer gesagt, Achtung da unten, während der modifizierte Rollstuhl auf kürzestem Weg den Hügel hinabquietscht und auf den dieselnden Transporter mit der Rampe zueiert, dessen Abgase im U/min-reichen Leerlauf auf die Straße puffen, die NASA-Decke sich funkelnd in der Luft hoch über der Straße bauscht, und die vom Geschrei geweckten Gestalten am Hang still und verkrümmt daliegen, sich kaum rühren, steif vor Kälte und allgemeinem Weh bis auf den eben noch Kauernden, den sich Übergebenden, der vom entkeilten und inzwischen wieder liegen gebliebenen Einkaufswagen getroffen worden ist, mit den Beinen strampelt und die Stellen betastet, wo er getroffen wurde.
Kap. 50 - 11. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE 18.10 Uhr, 133 Kinder und Jugendliche sowie dreizehn Angehörige des Lehrkörpers sitzen beim Abendessen, der Speisesaal der E. T. A. nimmt den größten Teil des ersten Stocks vom West House ein, eine luftige, atriumähnliche Mensa, breit und mit astloch reichem Kiefernholz getäfelt, die Ostwand mit großen Fenstern und Säulen, die längs durch die Mitte des Saals laufen, hoch oben verteilen Deckenventilatoren den schweren und säuerlichen Geruch von Massenverpflegung, das Meeresrauschen der Gespräche an 20 verschiedenen Tischen, das leise Klirren von Besteck auf Tellern, viel Kauen, das Rasseln und Rumpeln des Geschirrtransportbandes hinter dem Tablettbusfenster mit dem Schild DEINE MUTTER WOHNT HIER NICHT; RÄUM DEIN TABLETT AB, die gedämpften Rufe der Küchenangestellten im Dampf. Die besten Oberstufenschüler bekommen
dank einer ungeschriebenen Tradition den besten Tisch, im Winter unmittelbar am Gaskamin und im Juli direkt neben der Klimaanlage, den Tisch, dessen Stühle alle so ziemlich gleich lange Beine haben, Sitzflächen und Lehnen mit dünnen Cordkissen in den roten und grauen Farben der E. 1. A. Die Prorektoren haben ihren eigenen Dauertisch bei der Getränkebar; der syrische Satelliter und die riesige Homestory-Journalistin v o m M o me n t in ihrem Bauernrock sitzen bei ihnen. Alle Spieler können spachteln wie die Scheunendrescher, viele haben noch ihre verschwitzten Sweater an und salzsprödes Haar, nach einem Drei-Satz-Nachmittag zu hungrig, um vor dem Auftanken zu duschen. Von gemischtgeschlechtlichen Tischen wird diskret abgeraten. Die UIS-Jungen und die Ul6-Asse sitzen alle am Bestentisch. Ortho (»Der Schatten«) Stice, A-l der E.1.A. bis 16, hat am Nachmittag gerade drei Sätze gegen HaI Incandenza (17) geschafft, den zweitbesten Jungen der ganzen E. 1. A., ist mit HaI bis zum 7: 5 im Dritten mitgegangen in einem inoffiziellen, showmäßigen Freundschaftsspiel, das Schtitt sie aus Gründen, die noch keiner so richtig begriffen hat, am Nachmittag auf den West Courts
begriffen hat, am Nachmittag auf den West Courts hatte austragen lassen. Das Match hatte immer mehr Zuschauer angezogen, als andere Partien vorbei waren und die Leute aus dem Kraftraum und den Duschen hochkamen. Die Nachricht, dass Stice fast einen Inc geschlagen hat, den außer John Wayne noch keiner schlagen konnte, hat sich auf Achterbahnen zwischen den Tischen, der Ausgabeschlange und dem Salatbuffet herumgesprochen, und die Jüngeren schauen immer wieder zum Bestentisch und zu Stice hinüber, sechzehn, Bürstenschnitt und noch im schwarzen Fila-Sweater ohne Hemd unter dem geöffneten Oberteil, der sich ein schichtenreiches Sandwich auf dem Teller zusammenstellt, sie reißen die Augen auf, und ihre zusammengesackte Haltung kommuniziert Ehrfurcht: R.H.S.Pr. Stice achtet nicht darauf und beißt auf sein Sandwich ein, als handle es sich um das Handgelenk eines Gegners. Ein paar Minuten lang hört man am Tisch nur Gabelarbeit, Mastikation und das leise Schnaufen von t\1enschen, die gleichzeitig essen und atmen wollen. In den ersten Minuten wird hier bei den Mahlzeiten kaum je gesprochen. Das Abendessen ist eine todernste Angelegenheit.
Abendessen ist eine todernste Angelegenheit. Manche Kinder bedienen sich schon von ihren Tabletts, wenn sie noch am Milchspender anstehen. Jetzt beißt Coyle zu. Wayne hat sein Hauptgericht zum Sandwich gemacht, beugt sich vor und beißt zu. Keith Freer schließt halb die Augen, während sich seine Kaumuskeln anspannen und erschlaffen. Die vorgebeugten Köpfe mancher Spieler sind hinter dem aufgetürmten Essen auf ihren Tellern kaum zu sehen. Struck und Schacht sitzen nebeneinander und beißen und kauen synchron. Der Einzige am Tisch, der nicht futtert wie ein Flüchtling, ist Trevor Axford, der als kleines Kind in Short Beach, Connecticut, mal vom Fahrrad auf den Kopf gefallen ist und sich ein winziges Hirntrauma zugezogen hat, s e i t dem ihm alles Essen scheußlich schmeckt. Seine drastischste Erläuterung der Veränderung seines Geschmackssinns ist, dass für ihn alles so schmeckt, wie Kotze riecht. Er spricht bei den Mahlzeiten lieber nicht, hält sich beim Essen die Nase zu und isst mit der neutralen, freudlosen Miene, mit der man sein Auto volltankt. HaI Incandenza deckt die sternförmige Schale auf, in der an der E. 1. A. der Kartoffelbrei ausgeteilt wird, und mischt Minikartoffeln unter den Kartoffelbrei.
Petropolis Kahn und Eliot Kornspan essen mit so fürchterlichem Kriegsgefangenenschmackes, dass niemand in ihrer Nähe sitzen will - sie haben hinter Schacht und Struck einen kleinen Tisch für sich, und ihr Besteck blitzt hinter einem feinen Nebel oder Sprühregen auf. Jim Troeltsch hält einen durchsichtigen Becher mit Milch ins Licht der Vollspektrumlampen an der Decke, schwenkt die Milch im Licht herum und mustert sie. Pemulis kaut mit offenem Mund und bringt feuchte Geräusche hervor, eine so tief in seiner Herkunftsfamilie verwurzelte Angewohnheit, dass auch noch so viel Gruppenzwang sie ihm nicht austreiben kann. Schließlich räuspert sich der Schatten. Unter der Dusche hatte er die erste Hälfte einer Weihnachtsgeschichte über einen der legendären Zoffs seiner Eltern erzählt. Seine Eltern hatten sich in einer Country & Western-Bar in Partridge, Kansas - ganz in der Nähe von Liberal, Kansas, an der Grenze nach Oklahoma -, kennen und lieben gelernt; ihre Liebe unter einem Unstern nahm ihren Anfang in einer Bar, wo sie dieses in C&W-Bars von Kansas so beliebte Spiel spielten, bei dem man die bloßen Unterarme aneinander und eine brennende Zigarette
in das kleine Tal im Fleisch zwischen den bei den Unterarmen legt und diese da liegen lässt, bis einer von beiden wegzuckt und sich den Arm hält. Sowohl Mr als auch Mrs Stice lernten an jenem Abend einen Menschen kennen, der den Arm nicht wegriss und festhielt, erläuterte Stice. Ihre Unterarme waren heute noch mit kleinen weißen Nacktschnecken aus Brandnarben übersät. Vom Startschuss an sanken sie ineinander wie gefällte Kiefern, erläuterte Stice. Sie hatten sich vier oder fünf Mal scheiden lassen und wieder geheiratet, je nachdem wie man gewisse Vorschriften der Jurisprudenz auslegte. Wenn der Haussegen lotrecht hing, verbrachten sie ganze Tage im quietschenden Bett hinter abgeschlossenen Türen, machten nur gelegentliche Ausfälle, um eine Flasche Beefeater oder chinesisches Fixfutter in kleinen weißen Pappkübeln mit Drahtgriffen zu requirieren, und die Stice- Kinder wanderten in durchhängenden Windeln oder Wollunterwäsche geisterhaft durchs Schindelhaus und ernährten sich von Kartoffelchips aus Klinikpackungen, die meist größer waren als sie, die Stice- Rangen. Körperlich etwas besser erging es den Kindern in den Phasen ehelichen Unfriedens, wenn ein Mr Stice alltäglich mit versteinerter Miene die Küchentür hinter sich
zuknallte und loszog, um Ernteversicherungen zu verkaufen, während Mrs Stice - die sowohl Mr Stice als auch der Schatten »die Braut« nannten -, während die Braut also den ganzen Tag sowie den Abend über komplizierte mehrgängige Menüs kochte, die sie stückchenweise an die Brut verfütterte (Stice nennt sich und seine sechs Geschwister »die Brut«), in leise deckelklappernden Töpfen warm hielt und dann an die Küchenwand schmiss, wenn Mr Stice nach Hause kam und nach Gin roch sowie nach Zigaretten- und Parfummarken, die nicht die der Braut waren. Ortho Stice liebt seine Sippe bis zum Wahnsinn, aber nicht blind, und in allen Ferien zu Hause in Partridge, Kansas, memoriert er die Höhepunkte der Ehestandsgefechte, um die Oberstufenschüler der E. T. A. damit ergötzen zu können, normalerweise bei den Mahlzeiten, wenn Gabelarbeit und Schnaufen abebben, das Schweigen der Schlemmer Raum greift und die Leute ihren Blutzuckerspiegel so weit wieder aufgepäppelt haben, dass sie ihre Umgebung wahrnehmen und ergötzt werden können. Manche Leute hören mal zu und dann wieder weg. Troeltsch und Pemulis diskutieren, ob das Küchenpersonal der E. T. A. ihnen heimlich Milchpulver unterjubelt. Freer
und Wayne beugen sich noch über ihre Teller und kauen konzentriert. HaI konstruiert aus seinem Essen irgendein Gebilde. Struck stützt immer beide Ellenbogen auf den Tisch und umklammert Messer und Gabel mit geballten Fäusten wie die Parodie eines Essers. Pemulis hört Stice' Geschichten immer zu, wiederholt einzelne Wendungen und schüttelt voller Bewunderung den Kopf. »Ich geh' da jetzt hin und weigere mich strikt, auch nur einen weiteren Bissen mit Besteck zu essen, das schon im Müllschlucker war.« Schacht hält eine Gabel mit nach allen Seiten abstehenden Zinken hoch. »Kuckt euch das doch mal an. Wer soll denn mit so was essen?« »Mein Alter Herr ist ein Armleuchter, der im Trommelfeuer völlig cool bleibt, sagt die Braut«, erzählt Stice, beugt sich vor, beißt ab und kaut. An der E. T. A. neigt man dazu, alle nicht flüssigen Hauptgerichte mit zwei Scheiben Weizenbrot in Sandwichs zu verwandeln, wegen der zusätzlichen Kohlehydrate. Als könnte Pemulis nichts schmecken, was er nicht mit der Zunge am Gaumen zermatscht hat. Das Weizenbrot der Academy wird von Typen in Birkenstock-Sandalen von Bread & Circus Quality
Provisions in Cambridge heraufgeradelt, weil es nicht nur zuckerfrei, sondern auch glutenarm sein muss, denn Gluten fördert laut Tavis und Schtitt die Unbeweglichkeit und die übermäßige Schleimbildung. Axford hat gegen Tall Paul Shaw in zwei Sätzen verloren (und wenn er morgen wieder gegen ihn verliert, rutscht er auf Rang 5-A ab), starrt mit versteinerter Miene ins Leere, und seine Gesten sind weniger die von einem, der isst, als von einem, der Essen spielt. HaI hat aus seinem Essen eine komplizierte Befestigungsanlage errichtet, inklusive Türmchen und Schießscharten, und obwohl er nicht viel isst oder von einem seiner sechs Preiselbeersäfte trinkt, schluckt er viel und mustert sein Gebilde. Als sich die Esstätigkeit am Bestentisch beruhigt, werfen die Aufmerksameren HaI und Axford verstohlene Seitenblicke zu, die verschiedenen Prozessoren der Spieler surren sich durch Entscheidungsbäume zur Frage, ob womöglich ein öffentlich noch undiskutierter, aber schon ruchbar gewordener Schlagabtausch mit Dr. Tavis und dem Urologiefritzen von der O.N.A.N.T.A. sowie die Niederlage gegen Shaw beziehungsweise die Fastniederlage gegen Ortho Stice Inc bzw. Axhandle entlang einer psychischen
Wettbewerbsverwerfungslinie erschüttert haben; verschiedene Jungen auf verschiedenen Rängen kalkulieren die permutierten Vorteile für sie, wenn HaI und Axford eine ablenkende und angsterfüllte Woche bevorstehen sollte. Michael Pemulis, der andere gemunkelte O.N.A.N.T.A.-Urintestaspirant, ignoriert Axfords Miene und Hals exzessives Schlucken allerdings, übersieht sie vielleicht absichtlich und starrt versonnen die von der Wand genommenen und an den feuerlosen Kamin gelehnten Gummischieber259 an, die Finger vor den Lippen zum Spitzdach zusammengelegt, und lässt Troeltsch ausreden, der sich mit einer Hand die Nase putzt und mit der anderen den halb ausgetrunkenen Milchbecher auf der Tischplatte nervös hin- und herschiebt. Pemulis schüttelt sehr ernsthaft den Kopf. »Keine Chance, Brother.« »Ich sag dir, Mann, die ist aus Milchpulver.« Troeltsch sieht prüfend in den Becher und tippt die Milch mit der dicken Fingerspitze an. »Mit Milchpulver kenn ich mich aus. Ich hab ein ärztlich bestätigtes Kindheitstrauma von wegen Milchpulver. Seit dem Tag, an dem die Mutter ankündigte, Milch
wäre vom Geschäft zu schwer nach Hause zu schleppen, und auf Milchpulver umstellte und der Vater einverstanden war. Der Vater gab klein bei wie Roosevelt in Jalta. Meine große Schwester ist von zu Hause ausgerissen, und wir anderen waren traumatisiert von der Umstellung auf Milchpulver, das unverkennbar ist, wenn man weiß, wonach man suchen muss.« Freer macht ein Schnarchgeräusch. »Und ich weiß, wonach ich suchen muss, so viel ist mal klar.« Troeltsch ist heiser und gehört zu den Menschen, die, wenn sie mehrere Personen ansprechen, erst der einen, dann der nächsten und schließlich der übernächsten in die Augen sehen; er i s t kein geborener Redner. »Nämlich nach den verräterischen Rückständen am Glasrand, wenn sie schwappt.« Und er lässt sie umherschwappen. »Nur kannst du dich umdrehen, Troeltsch, und alle zwanzig Minuten sehen, wie sie die Tüten in den Spender leeren. Milchtüten. Steht MILCH drauf, auf den Tüten. Flüssig, schwappig, schwierig zu halten. Milch.« »Du siehst Tüten und du siehst das Wort MILCH. Sie zählen auf die Verpackung. Beeinflussung durch
Bilder. Beeinflussung der Wahrnehmung.« Antwortet Pemulis, schaut aber Struck an. »Teil von einem umfassenderen Kawusch. Möglicherweise als Strafe für das Eschaton-Ding.« Wirft HaI einen kurzen Blick zu. »Als Nächstes womöglich verborgene Vitamine. Ganz zu schweigen von Salpeter. Lass mal eine Sekunde die logischen Schlussfolgerungen über die Tüte. Ich halte mich an Tatsachen. Tatsache ist: Diese Milch ist nachweislich aus Milchpulver.« »Du behauptest im Ernst, die mixen Milchpulvermilch und gießen die in richtige Milchtüten, nur um unsere Befürchtungen zu zerstreuen?« Schacht säubert sich den Mund und schluckt ausgiebig. »Tavis kann in den Umkleiden nicht mal Kachelfugen ausstreichen, ohne ein Gemeinschaftstreffen einzuberufen oder eine Kommission zu ernennen. Die Ausstreichkommission schleppt sich seit Mai dahin. Und plötzlich gießen sie nachts um 3.00 heimlich Milch um? Da lachen ja die Hühner, Jim.« »Außerdem ist Troeltsch erkältet, hat er gesagt«, bemerkt Freer und zeigt auf das SeldaneFläschchen, das an Troeltschs Teller neben dem
Knetball liegt. »Wenn du wirklich erkältet bist, kannst du doch gar nichts schmecken, Troeltsch.« »Trevor sollte erkältet sein, oder, Axtstiel ? «, sagt Schacht und tippt sich aus seinem eigenen bernsteingelben Fläschchen KarminativkapseIn in die Handfläche. Beim Abendessen können sie zwischen Milch oder aber Preiselbeersaft wählen, diesem kohlehydratreichsten aller Säfte, der in seinem eigenen durchsichtigen Spender neben dem Salatbuffet rötlich schäumt. Der Milchspender steht allein an der Westwand, ein großer 24-Liter-Bottich für drei Tüten, dem die Milch aus großen ovaloiden Mammärbeuteln in den Kühlbehälter aus gebürstetem Stahl gefüllt wird; drei Gestelle für Becher und drei Hebel für regulierbares Einfüllen. Es g i b t zwei Hebel für Magermilch und eine für angeblich lezithin reiche Schokoladenmagermilch, die jeder neue E. T. A.ler genau einmal ausprobiert, nur um zu entdecken, dass sie wie Magermilch schmeckt, in der braune Buntstifte aufgelöst worden sind. An der Vorderseite des Spenders klebt ein Schild mit den klobigen schwarzen Blockbuchstaben einer Küchenhilfe: MILCH SÄTTIGT; TRINK AUS.
Früher stand da MILCH SÄTTIGT, TRINK AUS, bis das Komma durch Einfügung eines blauen Punktes durch eine nicht sonderlich unbekannte Person semikolonisiert wurde.260 Die Schlange für Nachschlag beim Hauptgericht reicht jetzt bis hinter den Milchspender. Das Beste an der Sättigung und der Verlangsamung des Essens sind das Zurücklehnen und das Gefühl der einsetzenden Autolyse des Gegessenen und das Reinigen der Zähne und die Umschau im luftigen Saal, die Kindermengen und -grüppchen und das Studium von Benehmen und Macken mit klarem und gesättigtem Kopf. Die kleinen Kinder laufen in engen Kreisen herum und folgen dem Schatten des Deckenventilators. Mädchen lachen, die Stirnen auf den Schultern ihrer Nachbarinnen. Manche bewachen ihre Teller. Die diffuse Sexualität und die unentschlossenen Posen der Pubertät. Zwei unter ferner liefen rangierende U16er stecken die Köpfe direkt in die Schüsseln des Salatbuffets und werden von den neben ihnen stehenden Mädchen gerüffelt. Verschiedene Kinder unterstreichen ihre Ansichten mit verschiedenen Gesten. John Wayne und Keith
Freer schlendern zielstrebig an der Schlängelmenge zum Nachschlag vorbei und reihen sich an der Spitze vor einem kleinen Jungen ein, der mit ruckartigen Bewegungen von Kopf und Hals auf ein hingehaltenes Brötchen einbeißt. Die UI8-A'ler sind legitimierte Dazwischenfunker: R. H. an der E. T. A. buchstäblich S. Pr. Mit einer wilden Gabelgeste spießt Jim Struck eine Kirschtomate aus Hals Salatschale auf; HaI reagiert nicht. Troeltsch hat mit einem dicken Finger das Innere seines Bechers ausgewischt und zeigt den Finger jetzt verschiedenen Jungen am Tisch. »Seht ihr diese bläuliche Tönung? Spuren und Rückstände. Verdächtiger Schaum. Winzige Körnchen eines nicht vollständig aufgelösten sonderbaren Pulvers. Milchpulver hinterlässt immer seine verräterischen Spuren.« »Dein blödes Gehirn ist auch nur ein winziges Körnchen, Troeltsch.« »Nimm den Finger weg.« »Sind hier am Essen.« »Paranoia«, sagt Pemulis und schiebt verirrte Erbsen mit der stumpfen Messerseite zusammen. »Schulgeld von 21700 Tacken, ohne
Zusatzkosten«, sagt Troeltsch und schlenkert den Finger in der Luft herum - die daran trocknende Substanz sieht zugegebenermaßen nicht besonders appetitanregend aus - »aber was auffällt, ist, dass die Lunge trotz des Sauwetters und der schmerzenden Achillessehnen noch nicht errichtet ist, das Mittagessen von heute ein hundertprozentiges Deja-vu des Mittagessens von gestern war, und was Brot und Brötchen angeht, lassen sie uns inzwischen das vom Vortag holen, was man an den gelben Aufklebern auf den Tüten sehen kann, in den Tunneln stehen Essgeschirr und in den Fluren Akustikplatten, in der Küche stehen Rasenmäher und auf den Wiesen Stative, an der Wand hängen Gummischieber, und Stice' Bett bewegt sich, und in den Mädchenumkleiden steht eine Ballmaschine, berichtet Longley, aber bei all diesem Schulgeld kriegt das Personal nichts von all dem Kram weggeräumt, bev-« Stice' Kopf ist hochgezuckt, ein Tüpfelchen Kartoffelbrei an der Nase. » Wer sagt, mein Bett bewegt sich? Woher weißt du, dass sich hier irgendein Bett bewegt?« Aber es stimmt. Das Husky-VI -Stativ bei Marios fast
tödlicher Begegnung mit U. S. S. Millicent Kent war nur der Anfang gewesen. Und seit dem geheimnisvollen und fortgesetzten Herabfallen von Akustikplatten von den Hängedecken in den Schlaf trakten sind in den letzten Monaten unbelebte Objekte an den absolut unpassendsten Stellen der E. T. A . immer schneller und beunruhigender entweder aus dem Nichts aufgetaucht oder ins Nichts verschwunden. Letzte Woche stand ein Rasenmäher der Platzwarte sauber, stumm und irgendwie bedrohlich mitten in der morgendlich dämmernden Küche, Mrs Clarke kriegte das Jaulen und kochte zwei Abendessen in Folge Auberginen mit Parmesan, was Schockwellen hervorrief. Gestern Morgen hatte eine kanonenartige Ballmaschine nicht leicht zu bewegen, geschweige denn durch Türen zu bekommen - in der Damensauna gestanden und war von Oberstufenschülerinnen gefunden und bekreischt worden, die zur Linderung unklarer Frauengeschichten, die kein Mann so richtig ergründen kann, eine morgendliche Schwitzkur hatten machen wollen. Und zwei schwarze Frauen von der Frühstücksschicht hatten an der Nordwand d e s Speisesaals angeblich zwei Gummischieber gefunden, die, von Unbekannten angebracht, etliche
Meter über dem Boden ein Schrägkreuz bildeten. Die Platzwarte von S. I. Hardes Frühschicht hatten die Dinger angeblich abgenommen, und jetzt lehnten sie am Kamin. Die unpassenden Fundstücke haben etwas Tektitisches und Unheilvolles: Nichts vom fröhlichen Beigeschmack normaler Streiche; sie sind nicht komisch. In verschiedenen Ausmaßen kriegt jeder davon das Jaulen. Mrs Clarke hatte den Vormittag erneut freigenommen, daher die Menüwiederholung. Stice' Augen richten sich wieder auf seinen jetzt sauberen Teller. Unerwähnt bleibt, dass Schacht und Tall Paul Shaw beim Mittagessen den ganzen Teil der Nordwand abgesucht haben, wo die Schwarzen die Gummischieber gefunden haben wollen, und weder Nägel noch Nagellöcher oder Spuren anderer Befestigungsmittel haben finden können. Die ganze Angelegenheit wird nach Kräften beschwiegen, was das Unbehagen der Anwesenden ob Troeltschs heiserer Schulgeld beschwerden noch steigert, deren Details sich ändern, die im Tenor aber immer gleich bleiben. »Und jetzt dann der ultimative Diätkladderadatsch: versuchte Milchpulvermilch. «
»Die sie uns unterjubeln wollen, meinst du.« »Ich meine, kuck uns doch an, und was machen wir?« »Tun aus Protest erkältet, bleiben im Bett und machen mit dem TP auf Sportreporter ? «, fragt Pemulis. Troeltsch nimmt das Seldane-Fläschchen, um dem Gesagten Nachdruck zu verleihen. »Wir wollen nichts davon hören. Wir schauen weg mit den Köpfen im Sand.« »Hört sich verdammt schmerzhaft an.« »Schwirr ab und denk dir neue Synonyme für schlagen aus.« Stice schluckt schwer: »Mach unter der Erde nie die Augen auf: sagt mein Alter Herr immer.« »Also lenken wir uns ab«, sagt Troeltsch, »fressen es in uns rein.« Pemulis gibt ein k-Geräusch von sich. »Die eigentliche Frage ist doch: Wie blöd ist Troeltsch?« »Troeltsch ist so blöd, der glaubt doch, »Fellatio« wär ne italienische Oper.« »Troeltsch, wer liegt in Grants Mausoleum begraben?«
Kyle Coyle sagt, den kennen sie bestimmt schon alle: Was stecken sich kanadische Mädchen hinters Ohr, um Jungen anzulocken? John Wayne würdigt ihn keines Blickes. Der inspiziert seinen eigenen Becher, in dem anscheinend irgendwelche Rückstände zu entdecken sind. Er hat Salatreste in den Wimpern. Ortho Stice' Wangen sind mit Essen aufgebläht, er betrachtet die Reste seines eigenen Salats, die Gesichtszüge abwesend gefurcht. Eine schreckliche Geselligkeitsenergie im ganzen S p e i s e s a a l , eine Art spannungsgeladener Geräuschteppich unter der Stimmenbrandung und dem Geschirrklappern, und der Schatten, das spürt man, steht irgendwie im diffusen Zentrum dieser Energie. Auf dem Court waren sowohl Wayne als auch HaI den ganzen Herbst über unzugänglich. Kinder an anderen Tischen flüstern halblaut mit ihren Sitznachbarn, und dann schauen die Sitznachbarn verstohlen zu Stice' Tisch hinüber. Mit dunkelrot gefurchter Stirn stiert Stice seinen Salat an und versucht, den Dateneingang aus seinem phänomenalen Peripheriesehen abzublocken. Zwei U14er streiten sich um Toast. Petropolis Kahn will jemanden mit einer Kichererbsenschleuder beschießen. Jim Struck weist darauf hin, dass sich
Bridget Boone und u. S. S. Millicent Kent seiner Zählung nach schon zum vierten Mal anstellen, und Stice blockt den Anblick ab. Der traurig schöne Sonnenuntergang draußen über den Hügelspitzen von Newton ist nicht zu sehen, weil die großen Speisesaalfenster nach Osten weisen, Richtung Hügel und EnfieldMarine-Komplex, den die Academy schon in Schatten taucht, weswegen die Verandalampen vom E. M. schon an sind, und im Osten dahinter das kubistische Giebelglühen der alten Metropole, in der die Schatten vorrücken. Der vergangene Nachmittag war prachtvoll, blankgeputzt, kühl, wolkenlos und ohne Wind, die Sonne eine Scheibe, der Himmel eine Kuppel in gleißendem Licht, sogar der nördliche Horizont glockenklar mit einem schwachen Stich ins Grüngelbliche. Schacht hat rund acht bernsteingelbe Fläschchen mit verschiedenen Medikamenten für seinen Morbus Crohn und ein ausgefeiltes Ritual für deren Verabreichung. Vor der im Schatten liegenden Baumgrenze sind zwei schwarze Frauen zu sehen, die in der Küche und tagsüber in der Hauswartsschicht arbeiten und jetzt über den verbotenen Weg wieder den steilen Hügel zum Reha-Zentrum für die hier oben teilzeitbeschäftigten
Elendsgestalten hinuntergehen. Die bunten Billigjacken der Frauen leuchten im finstren Tann der abendlichen Dunkelei. Wegen der Steigung müssen sich die beiden an den Händen fassen, seitwärts gehen und die Absätze bei jedem Schritt verkanten. Die Schwarze namens Clenette, aus deren Gesicht HaI Angst herausgelesen hatte, als sie mit C. T.s Abfall aus dessen Büro gekommen war, hat jetzt einen prallvollen Rucksack auf dem Rücken, prallvoll vielleicht mit den Müllcontainer-Mausereien261, die A r m e ausgestreckt zwischen Didi, der zweiten Schwarzen, und den Bäumen, an denen sie sich festhält, während sie bei jedem Seitwärtsschritt die Schuhe verkantet, das Zögern an steilen dunklen Hängen, wurzeldurchzogen und gestrüppbestanden. Ein Mädchen mit Ponyfrisur steht auf, tippt mit dem Löffel an seinen Becher und will etwas ansagen, aber niemand beachtet es. Kahn, hat sich eingebürgert, kann sich nach dem Essen zu ihnen an den Bestentisch setzen. Wayne und Stice erschaue rn synchron, als die Deckenlampen plötzlich zur Hauptlichtquelle des Saals werden. Kurz und eher ahnungslos wird diskutiert, warum
Mädchen mit einer einhändigen Rückhand anscheinend oft verschieden große Brüste haben. HaI erinnert sich, dass sein Bruder im Grundstudium diesen Ehrgeiz entwickelte, mit der einen Frau auszugehen und dann eine andere zu treffen und heimlich zu vögeln, während er offiziell noch beim Rendezvous mit der ersten war. Das war gewesen, bevor das Mädchen, in das Orin bis über beide Ohren verliebt gewesen war und das Er Selbst zwanghaft in seinen Filmen hatte auftreten lassen, entstellt worden war. Orin hatte über die Subjekte B u c h geführt, eine Mischung aus Tabelle und Tagebuch. Wenn er nach Hause kam, lag es immer herum und wollte einfach gelesen werden. Damals wollte sein Bruder Orin nur mit ihnen schlafen, aber sie mussten ihm noch nicht dermaßen verfallen, dass sie danach nie mehr einen anderen haben wollten. Er hatte obskure Massage- und Psychokurse belegt und tantrische Bücher gelesen, deren Illustrationen Ha I ungefähr so sexy fand wie die Verrenkungen beim Twister. »Ihre Knöchel«, sagt Coyle, aber keiner hört zu. Wayne ist schon gegangen. Der kleine Bernard Makulic, 14-C, zwei Tische vom
Milchspender entfernt, von Natur aus zartbesaitet und nicht auf Dauer an der E. T. A., übergibt sich in einem seidigen gelbbraunen Katarakt auf den Boden neben seinem Stuhl, quietschend werden andere Stuhlbeine in sternförmigem Muster vom Tisch zurückgeschoben, und die lang gezogenen Vokale angewiderter Kinder ertönen. Struck, Pemulis, Schacht und Freer hatten alle schon Geschlechtsverkehr. Coyle wahrscheinlich auch, aber der ist verschwiegen. Axford kann kaum öffentlich duschen, geschweige denn sich nackt dem Blick einer Frau aussetzen. HaI ist vielleicht der einzige männliche E. T. A.ler, der bewusst lebenslängliche Jungfräulichkeit anstrebt. Er findet irgendwie, O. habe für die drei Brüder genug Begattungsclownerien produziert. Freer hat an der Innentür seines Spinds in der Umkleide, wo ehedem ein Pin-up gehangen hätte, sogar ein SouvenirKolposkop festgeschraubt, und Pemulis und Struck wa r e n angeblich Stammgäste im Combat Zone geworden, nachdem die fiskalisch bedrängte Stadt eingeknickt war und die Rotlichter des Combat Zone östlich der Common wieder aufgehängt hatte. Aber Jim Troeltsch und Sex: weit gefehlt. Und bei Wayne und Stice stellt sich die Frage gar nicht. HaI hat das
und Stice stellt sich die Frage gar nicht. HaI hat das Gefühl, der Speichel in seinem Mund läuft gleich über. Von Rechts wegen hätte er heute gegen Stice verlieren müssen, und das weiß er auch. Körperlich hat Stice den ganzen dritten Satz beherrscht. Vergeigt hat er es nur, weil er tief innerlich nicht glauben konnte, HaI nach dessen Leistungsexplosion besiegen zu können. Die Glaubenskrise, die Stice das Match gekostet hat, betraf aber einen anderen HaI, weiß HaI. Er ist jetzt ein völlig neuer HaI, ein HaI, der nicht mehr taxt odu sich versteckt, ein HaI, der in 29 Tagen den Autoritätsfiguren mit einem breiten Lächeln, in vorbildlicher Haltung und ohne den geringsten Hintergedanken seinen ureigensten Urin abliefern wird. Außer Pemulis und Axford weiß niemand, dass ein völlig neuer und drogen freier HaI von Rechts wegen gegen einen Sechzehnjährigen hätte verlieren müssen, draußen vor allen Leuten an einem, wie sich dann herausstellte, prachtvollen NNO-Herbsttag. Wayne ist mitten in der juvenilen Brustdiskussion aufgestanden und hat sein Tablett aufs Förderband gestellt. Ortho (»Der Schatten«) Stice starrt immer noch seinen Salat an. Könnte man Stice' Kopf
noch seinen Salat an. Könnte man Stice' Kopf öffnen, sähe man Räder in anderen Rädern, winzige Zahnrädchen im Getriebe, und alles griffe ineinander. Insgeheim hegt Stice einen Argwohn gegen ein Geheimnis, das eher den konkreten Tisch betrifft als die Leute, die am Tisch sitzen. Viele Jungen deuten seine extreme Zerstreutheit als Zeichen, dass er immer noch in der magischen Verfehlen-unmöglich-Zone seines Nachmittagsspiels ist. »Versteht ihr? Nuck-Mädchen können Jungen nur damit anlocken, dass sie echt leicht zu pappen sind, das ist die Pointe«, sagt Coyle in den Lärm. Dann schwappt eine kurze Gesprächspause durch den Speisesaal, als der kleine Evan Ingersoll am Ende der Schlange vor der Hauptgerichtsausgabe an Krücken auftaucht, mit neuern, matrosenhutweißem und unbeschriftetem Gips, hinter sich Prorektor Tony Nwangi mit steinernem Tomahawkgesicht, der dem Jungen das Tablett trägt. Das Unbehagen im Saal ist mit Händen zu greifen, als Korona umgibt es Ingersoll mit seinem Patellarsehnenriss, der ihn mindestens sechs Monate Leistungsentwicklung kosten wird. Penn,
dessen Femurfraktur ihn ein Jahr kosten wird, ist aus der Orthopädie vom St. E. noch nicht mal zurück. Aber wenigstens Ingersoll ist wieder da. HaI steht auf und geht rüber, Troeltsch erhebt sich und schließt sich an nach einem langen Blick auf Trevor Axford, Ingersolls offiziellen Gr. K., der mit zugekniffenen Augen dasitzt, außerstande auch nur zur geringsten Versöhnungsgeste. Der matchwunde HaI humpelt nicht, geht aber mit steifen Beinen und dreht sich in den Schultern, während Troeltsch und er sich zwischen den Tischen hindurchschlängeln, dem Hauswart und seinem Zinkeimer auf Rollen ausweichen, dem Mopp, der Makulics Chymus kreisförmig verteilt und verdünnt und für drei leere Tische sorgt, die HaI und Troeltsch mit geübten Schlenkern vermeiden, Tische, deren Anordnung sie in- und auswendig kennen, HaI sagt Hey und Wie geht's dem Bein, Troeltsch sagt Hey und ist im Grunde bloß froh, einem Gespräch über Frauen als Sexobjekte entkommen zu sein. Troeltsch hat sich nie auch nur mit einem Mädchen verabredet. Manche Jungen hier sind einfach so. In allen Academies gibt es ein solches asexuelles Kontingent. Manche Junioren haben einfach nicht den emotionalen Saft, um nach dem Tennis auch
noch auf Turteltour zu gehen. Kühne, kaltblütige Burschen auf dem Court, erbleichen und erschlaffen sie bei der Vorstellung, sich in irgendeinem sozialen Kontext einem weiblichen Wesen zu nähern. Manche Dinge können nicht nur nicht gelehrt werden, sondern werden sogar verzögert von anderen Dingen, die gelehrt werden können. Das gesamte Tavis/Schtitt-Programm hier ist als Fortschreiten zur Selbstvergessenheit gedacht; manch einer stellt aber fest, dass die Mädchenfrage ihn mit etwas tief in seinem Inneren konfrontiert, das er für überwunden halten muss, wenn er dranbleiben und sich entwickeln will. Troeltsch, Shaw, Axford: Die bekommen bei jeder x-beliebigen sexuellen Spannung das Gefühl, sie bräuchten mehr Sauerstoff, als gerade vorhanden ist. Ein paar Mädchen an der E. TA. haben etwas Nuttiges, und e i n paar Jungen von Freers aggressiverem Typ können die Mädchen knacken und zum Sex überreden - an Zeit und Nähe herrscht ja kein Mangel. Aber im Großen und Ganzen ist die E. T A. e i n vergleichsweise unsexueller Ort, was fast erstaunlich ist angesichts des ständigen Brausens und Gluckerns der jugendlichen Drüsen, der Betonung der Körperlichkeit, der Ängste vor dem
Mittelmaß, dem Hin- und Herwogen der EgoSchlachten, der Einsamkeit und der großen Nähe. Es gibt vereinzelte Fälle von Homosexualität, meist emotional und unvollzogen. Keith Freers Lieblingstheorie lautet, dass der Löwenanteil der E. T A.- Frauen Lesben im Keimstadium sind, die das bloß noch nicht wissen. Die wie alle echten Sportlerinnen im Grunde von vehementer Männlichkeit sind und so sapphische Neigungen entwickeln. Die, die es dann in die W.T.A.262-Show schaffen, sind wahrscheinlich die Einzigen, die es herausfinden werden, glaubt er - dass sie Lesben sind. Die anderen werden heiraten und sich ein Leben lang am Swimmingpool des Clubs darüber wundern, dass sie beim Anblick der Rückenhaare ihrer Ehemänner das kalte Grausen packt. Die U. S. S. Millicent Kent z. B., sechzehn und phänomenal im Schrägbankdrücken, mit Brüsten wie Raketen und einem Hintern wie zwei Hetzhunden in der Handtasche (Stice' Spruch, der hängen geblieben ist), sieht jetzt schon wie eine Puffmutter aus, bemerkt Freer gerne. Und niemandem ist so richtig wohl bei dem Gedanken, dass Carol Spodek seit vollen fünf Jahren ununterbrochen ein und
denselben Donnay-Stock mit dem großen Griff benutzt und schätzt. Ortho Stice aus Südwest-Kansas sieht kurz hoch, als HaI und Troeltsch aufbrechen, wendet seine Aufmerksamkeit dann aber wieder einer Cocktailtomate zu, die sich auf halber Höhe an der schiefen Ebene seines Salatschälchens hält. Möglicherweise hält sie sich dort dank der Haftwirkung des Joghurt-Dressings und trotzt nicht einfach von sich aus der Schwerkraft. Stice stupst sie nicht mit dem Finger an, um das zu prüfen. Er benutzt nur seine Willenskraft. Er will, dass die Cocktailtomate dank ihrer eigenen Masseträgheit die schiefe Ebene hinab in die Mitte des Salatschälchens rollt. Mit ungeheurer Konzentration starrt er sie an und kaut dabei sein dreistöckiges Hühnerbrust-Sandwich. Beim Kauen überlappen sich die Muskelpartien auf der einen Gesichtshälfte bis ganz nach oben, und über die Kopfhaut unter dem Bürstenschnitt laufen Wellenbewegungen. Er versucht, einen psychischen Muskel anzuspannen, den er vielleicht gar nicht hat. Durch den Bürstenschnitt erinnert sein Kopf an einen Amboss. Bei absoluter Konzentration sieht sein rundes, rotes, fleischiges Gesicht zerknittert aus. Stice gehört zu
fleischiges Gesicht zerknittert aus. Stice gehört zu den Sportlern, deren Körper eine unverdiente Gottesgabe ist, weil er überhaupt nicht zum Gesicht passt. Er ähnelt einem schlecht zusammengeklebten Foto, einer übermenschlichen Pappfigur mit einem Loch für das menschliche Gesicht. Ein herrlicher Sportlerkörper, geschmeidig, konisch, glatt und von muskulöser Eleganz - wie eine polykletische Skulptur, Hermes oder Theseus vor seinen Abenteuern -, auf dessen anmutigem Hals das Gesicht eines verwüsteten Winston Churchill sitzt, eine breite Schwartenvisage, dunkel, fleischig, grobporig, mit einer fleckigen Stirn unter dem Vförmigen Haaransatz des Bürstenschnitts, Tränensäcken und Hängebacken, die bei plötzlichen oder schnellen Bewegungen das fleischige Stakkato eines Hundes produzieren, der sich trocken schüttelt. Tony Nwangi sagt etwas Schneidendes zu HaI, der bußfertig vor Ingersoll kniet, und an den Nachbartischen neigen sich alle fast unmerklich von HaI weg. Troeltsch signiert Ingersolls Gips und spricht dabei in die Faust. Abseits vom Court sind Ortho Stice' Bürstenschnitt und sein Faible für hochgekrempelte Bluejeans und kurzärmlige karierte Button-down-Hemden Hinterwald a l a mode. Das
konzentrationsbegleitende Gesichtszerknautschen sorgt für zusätzliche Risse und Furchen sowie eine ungleichmäßige Rötung des Bulldoggen-Gesichts. Seine Wangen blähen sich mit Essen, während er die kauernde Cocktailtomate anstarrt und mit aller Kraft zu respektieren versucht. Er strengt sich an, dieselbe koerzitive Ehrfurcht aufzubringen, die er am Nachmittag spürte, als mehrere Bälle plötzlich anormale Kreisbahnen gegen den Wind und ihre eigenen Vektoren beschrieben und Stice halb und halb glauben ließen, sie folgten an kritischen Punkten seinem Willen. Er hatte einen Cross-Volley verpatzt und sah ihn schon weit außer halb der Doppellinie landen, als der Ball plötzlich wie ein klitschnasser Spitball zurückeierte und gerade noch innerhalb der Ecke des Einzelfelds aufkam, obwohl die Kiefern hinter HaI Incandenza in dem Moment gerade vom Wind in die Gegenrichtung gebogen wurden. HaI hatte Stice da auch komisch angesehen. Stice konnte letztlich nicht sagen, ob HaI die Ungereimtheiten der seltsamen Kreisbögen und Abwinde aufgefallen waren, die anscheinend ausschließlich den Schatten begünstigten; HaI hatte mit den weit offenen Augen, aber dem unkonzentrierten Blick eines Tennisspielers gespielt,
der da draußen kurz vor dem Zerfall stand, dabei aber seltsam unberührt, als steckte er tief unten in einem Brunnen privater Nöte; Stice verbot sich erneut, darüber nachzudenken, was zwischen dem Rektor und dem O.N.A.N.T.A.-Urologen vorgefallen war, dessen Transporter, ein Labor auf Rädern, gestern Nachmittag außerplanmäßig auf dem E. T.A.-Parkplatz aufgetaucht war und kurz vor dem Abendessen einen Tsunami der Panik ausgelöst hatte, besonders weil Pemulis und sein Vorrat an labortauglichen Visine-Fläschchen spurlos verschwunden blieben. Auch für den kleinen Kreis, der von Hals heimlichem Kiffen weiß, ist es unplausibel, dass sein Katzenjammer Tavis- oder Urin-Gründe haben soll, denn Pemulis ist unbekümmerter denn je; und sollte hier jemand aus chemischen oder anderen Gründen rausfliegen, dann garantiert nicht der Verwandte der E. T. A.- Verwaltung und zweitbeste Schüler. HaI und sein Bruder Mario wissen, dass die Magermilch an der E.T. A. aus Milchpulver besteht und vorgemischt wird, seit Charles Tavis vor vier Jahren das Ruder übernommen und Mrs Clarke instruiert hat, die Aufnahme tierischer Fette durch die
Kinder binnen eines Monats mit allen nur erdenklichen Mitteln zu halbieren. Die Friedhofsschicht der Küche rührt sie in riesigen Stahlkesseln an, seiht den Schaum ab und füllt die Milch wegen einer Art Placebo-Effekt in echte Milchspenderbeutel; hauptsächlich lässt ja die Vorstellung von Milchpulver die Leute würgen. Struck hat seinen blitzsauberen Teller gegen den des abwesenden Incandenza eingetauscht, die Befestigungsanlage aus unverzehrten Hühnerbrüsten, glutenarmem Brot, Maisbrot, Minikartoffeln, Eintopf auf Erbsen-KichererbsenGrundlage, einer halben reifen Melone, Kartoffelbrei in einer sternförmigen Gelatineschale und einem f l a c h e n Schälchen Dessert-Zimmes, der anscheinend vor allem aus Pflaumen besteht. HaI kniet immer noch auf einem Knie neben Ingersolls Stuhl, die Ellenbogen auf dem Knie und hört über Ingersoll und einen Idris Arslanian mit verbundenen Augen hinweg Tony Nwangi zu. Keith Freer bemerkt gleichgültig, HaI sehe aus, als fühle er sich heute Abend miserabel, und wartet auf Stice' Reaktion. Struck sondert mit vollem Mund Gemeinplätze über Lebensmittelverschwendung und globalen Hunger ab. Struck trägt eine schräg aufgesetzte Sox-Kappe,
ab. Struck trägt eine schräg aufgesetzte Sox-Kappe, deren Schirm sein halbes Gesicht beschattet. Das Brot bekommt seiner Zahnspange nicht. Freer trägt d i e Lederweste ohne ein Hemd darunter, eine Marotte, die er kultiviert, seit das Krafttraining ihm den Rumpf aufgepumpt hat. Stice hat mit vierzehn eine traumatisierende Erfahrung gemacht, als er das Gewicht beim Latissimus-Zugturm zu hoch eingestellt hatte, und Dr. Dolores Rusk hat abgesehen von den grundlegendsten Kraftübungen seine Freistellung genehmigt, bis sich seine Angst vor Gewichten gelegt hat. An der E. T. A. geht der Witz um, dass Stice, der nach dem Schulabschluss garantiert zur Show geht, keine Höhenangst, wohl aber Gewichtsangst kennt. Keith Freer ist zwar nur ein zweitrangiger Juniorspieler, sieht in seiner Kalbslederweste aber herrlich aus - Gesicht und Körper passen zueinander. Troeltsch strebt eine Karriere als Sportreporter an, aber an der E. T. A. ist es Freer, der mit seinem Äußeren bei InterLace die größeren Chancen hat. Er stammt ursprünglich aus dem Binnen-Maryland und hat neureiche Eltern dank einer Amway-Familienfirma, die in den 90ern v. SZ auf eine Goldader stieß, als sein inzwischen v e r s t o r b e n e r Vater einen knuddelsteinigen
Scherzartikel erfand, der vor der Jahrtausendwende zwei Weihnachtsfeste lang auf allen Gabentischen lag - die sogenannte Telefonlose Schnur. Stice erinnert sich dunkel, wie sein Alter Herr bei seinem, Ortho Stice', erstem erinnerten Weihnachten in Partridge, Kansas, eine aufwendig eingepackte Telefonlose Schnur aus seinem Weihnachtsstrumpf holte und eine Augenbraue hochzog und wie die Braut lachte und sich auf den feisten Schenkel schlug. Heute kapiert kaum noch einer die erinnerte Pointe, weil kaum noch etwas ein Kabel braucht. Aber Freers Alter Herr hatte seine unverhofften Gewinne clever investiert.
Kap. 51 - 1. MAI J. D. I.-U. FELSNASE NORDWESTLICH VON TUCSON, ARIZONA, USA »Mein eigener Vater«, sagte Steeply. Er sah wieder ins Weite, eine Hüfte ausgestellt und eine Hand auf dieser Hüfte. Die Kratzspuren am Trizeps waren inzwischen hässlich geschwollen. Und eine Stelle an Steeplys linkem Ringfinger war weißer als die Haut drum herum. Da hatte ein Verbindungs ring oder eher ein Ehering gesteckt. Marathe fand es seltsam, dass sich Steeply einer Elektrolyse unterzogen, aber nicht die Mühe gemacht hatte, die Annularblässe seines Fingers zu beheben. Steeply sagte: »Mein eigener Vater, irgendwann in seinen mittleren Jahren. Wir konnten verfolgen, wie er einer bestimmten Unterhaltung verfiel. Kein schöner Anblick. Ich weiß nicht genau, wie und warum es anfing.« »Du teilst jetzt eine persönliche Anekdote mit«, konstatierte Marathe.
Steeply zuckte nicht die Achseln. Er gab vor, ein Detail unten auf dem Wüstenboden zu mustern. »Aber nichts mit dieser Unterhaltung Vergleichbares - eine einfache alte Fernsehsendung.« »Das Fernsehen der Terrestrik und der - wie sagte man das? - Passivität.« »Genau. Terrestrisches Fernsehen. Die fragliche Serie hieß M*A*S*H. Der Titel war ein Akronym, kein Befehl. Ich weiß noch, dass ich das als Junge immer verwirrend fand.« »Ich weiß von der historischen US-amerikanischen Situationskomödie im terrestrischen Fernsehen mit dem Titel M*A*S*H«, konstatierte Marathe. »Die Scheißserie lief einfach ohne Ende. Eine Sendung, die einfach nicht einging. In den Siebzigern und Achtzigern v. SZ, bevor sie dann Gott sei Dank doch einging. Spielte in einem Kriegslazarett während des UN-Mandats in Korea.« Marathe zeigte keine Reaktion. »Militäreinsatz.« Viele kleine Vögel des Bergs, zu dem die Felsnase gehörte, fingen über und hinter ihnen zu tschilpen und zu zwitschern an. Vielleicht auch das zaghafte Klappern einer Schlange. Marathe gab vor, in der Hosentasche nach der Uhr zu suchen.
Hosentasche nach der Uhr zu suchen. Steeply sagte: »Nun spricht auf den ersten Blick nichts dagegen, eine Serie zu mögen. Ich mochte weiß Gott selber jede Menge Serien. Und mehr war das am Anfang auch nicht. Anhänglichkeit oder Gewohnheit. Donnerstags abends um 21.00 Uhr. »Neun Uhr Eastern Standard Time, acht Uhr Central und Mountain«. Die Zeitzonen wurden immer mitgesendet, damit man wusste, wann man einzuschalten hatte, oder wenn man die Folgen aufnehmen wollte.« Von hinten sah Marathe, wie der große Mann die Schultern zuckte. »Gut, war ihm die Serie also wichtig. Kein Problem. Okay. Gefiel ihm eben. Der Mann hatte sich das wahrlich verdient hatte sein Leben lang geschuftet wie Tier. Also okay, am Anfang plante er seine Donnerstagabende ein Stück weit um die Sendung herum. Schwer zu sagen, was daran falsch oder suchtartig gewesen wäre. Klar, er war am Donnerstag immer gegen 20.50 zu Hause. Und er aß immer vor dem Fernseher. Das war beinahe putzig. Mummykins hat ihn immer damit aufgezogen, fand das einfach hinreißend.« »Putzigkeit bei Vätern ist selten.« Auf keinen Fall
konnte Marathe auf Mummykins eingehen, den flagranten Ausdruck US-amerikanischer Kindersprache. »Mein Alter Herr arbeitete für einen Heizölvertrieb. Hausheizöl. Steht das in euren Akten? Eine Kleinigkeit für M Fortier: U.S.B.U.D.s Steeply, H. H.: verstorbener Vater Heizölvertreter bei Cheery Oil, Troy, New York.« »Bundesstaat New York vor der Rekonfiguration.« Hugh Steeply drehte sich um, aber nicht ganz, und kratzte seine Grützbeutel. »Aber dann kam die Sublizenzierung. M*A*S:'1"H. Die Serie war unglaublich beliebt, und nachdem sie ein paar Jahre lang am Donnerstagabend gelaufen war, kam sie täglich, tagsüber oder manchmal spätnachts, das h i e ß Syndizierung, weiß ich noch, also diese Zweitverwertung, wo Regionalsender alte Folgen kauften, zerhackten, mit Werbebläcken vollknallten und ausstrahlten. Und das, wohlgemerkt, während noch die ganze Zeit donnerstags um 21.00 brandneue Folgen kamen. Ich glaube, so fing es an.«
»Die Putzigkeit, sie war vorbei.« »Mein Alter Herr fand auch die Wiederholungen der Syndizierung extrem wichtig. Die durfte er auf keinen Fall verpassen.« »Obwohl er sie alle schon gesehen und genossen hatte, diese Wiederholungen. « »Die Scheißserie lief bei zwei verschiedenen Sendern im Capital District. Albany und Umgebung. Eine Zeit lang hatte der eine davon sogar eine ganze M*A*S*H-Stunde, zwei Folgen in Folge, jeden Abend ab 23.00. Und dann noch mal eine halbe Stunde am frühen Nachmittag, für die Arbeitslosen oder was weiß ich.« Marathe sagte: »Praktisch ein Bombardement mit dieser US-amerikanischen Fernsehkomädiensendung.« Nach einer kurzen Pause, in der er sich den Grützbeuteln im Gesicht widmete, sagte Steeply: »Er stellte bei der Arbeit einen kleinen Fernseher auf. Unten in der Vertriebszentrale.« »Für die Sendung von dem Nachmittag.« Marathe hatte den Eindruck, Steeply habe bei seinen Darstellungen keine taktischen Absichten.
»Am Ende des terrestrischen Fernsehens haben sie die Geräte manchmal echt klein gemacht. Ein jämmerlicher Versuch, das Kabelfernsehen in Schach zu halten. Manchmal nur handgelenkgroß. Du dürftest zu jung sein, um dich daran zu erinnern.« »Ich erinnere mich gut an ein prädigitales Fernsehen.« Marathe konnte noch nicht eindeutig sagen, ob Steeplys Anekdote über sich selbst eine politische Aussage oder eine amtliche Verlautbarung werden sollte. Steeply nahm seine stinkende belgische Zigarette mit der rechten Hand und schnipste sie in die Leere unter ihnen. »Es schritt sehr langsam voran. Die allmähliche Versenkung. Der Rückzug vom Leben. Ich weiß noch, wie Leute aus seiner Bowling-Gruppe anriefen, damit hatte er aufgehört. Unsere Mummykins fand heraus, dass er bei den Rittern des Kolumbus ausgestiegen war. Donnerstags war er auch nicht mehr witzig und putzig - kauerte sich nur vor das Gerät und aß auch kaum von seinem Tablett. Und jeden Abend war der Alte Herr nachts noch mal hellwach für die Nachtsendung und kauerte wieder so komisch davor, den Kopf vorgereckt wie vom Bildschirm angezogen.«
»Auch ich kenne diese Haltung bei dem Fernsehen«, sagte Marathe düster und erinnerte sich an den zweitältesten seiner Brüder und die Canadiens von der N. L. of H. »Und er hatte Angst und wurde richtig fies, wenn er aus irgendwelchen Gründen auch nur eine verpasste. Auch nur eine einzige Folge. Und er wurde fies, wenn man ihn darauf hinwies, dass er die meisten davon schon rund siebenmal gesehen hatte. Mummykins musste anfangen zu lügen, um Termine abzusagen, die sich damit überschnitten hätten. Beide sprachen nicht darüber. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendwer von uns laut darüber gesprochen hätte - über diese dunkle Wende in seiner Vorliebe für M'!-A'!-S'!-H.« »Der Organismus der Familie passte sich einfach an.« »Dabei war es nicht mal eine berauschende Unterhaltung«, sagte Steeply. Marathe fand, er klang unberechnend und irgendwie jünger. »Ich meine, sie war okay. Aber es war normales Fernsehen. Eine ganz normale Sitcom mit Gelächter vom Band.« »Ich erinnere mich gut an diese Wiederholungssendungen, mach dir um mich keine
Sorgen.« »An irgendeinem Punkt dieser allmählichen Veränderung tauchte das Notizbuch auf. Darin machte er sich beim Fernsehen Notizen. Aber nur, wenn er M'!-A'!-S'!-H sah. Und er ließ das Notizbuch nie herumliegen, sodass man mal einen Blick hätte reinwerfen können. Es war keine auffällige Heimlichtuerei; man konnte nicht mal mit dem Finger darauf zeigen und sagen, dass etwas nicht stimmte. Das M'!-A'!-S'!-H-Notizbuch lag einfach nie irgendwo herum.« Marathes Hand, die nicht unter der Decke die Sterling UL35 umklammerte, rahmte mit Daumen und Zeigefinger die rote Schliere, die sich knapp über der Rincon-Hügelkette zeigte, und er reckte den Hals, um hinter ihnen am Hang seinen Schatten zu sehen. Steeply wechselte das Standbein und stellte die andere Hüfte aus. »Für mich als Kind wurde es an diesem Punkt unmöglich, den manischen Beigeschmack der ganzen Sache zu ignorieren. Die Heimlichtuerei in Bezug auf das Notizbuch und die Heimlichtuerei in Bezug auf die Heimlichtuerei. Das gewissenhafte Festhalten winziger Details in penibler Reihenfolge,
mit Absichten, die ganz eindeutig dringend und verstohlen waren.« »Das ist Unausgeglichenheit«, pflichtete Marathe bei. »Dieses Beimessen exzessiver Bedeutung.« »Gott, das ist noch gar kein Ausdruck.« »Und auch für dich«, sagte Marathe, »exzessive Unausgeglichenheit. Denn dein Vater schritt in dieser Obsessierung bergab, aber jederzeit so langsam, dass du dich jederzeit fragen konntest, ob vielleicht du selbst der aus der Geglichenheit Geratene warst und dieser einen Sache zu viel Bedeutung beimesstest - einem Notizbuch, einer Haltung. Einer verrückten Verfassung.« »Und dann der Tribut, den das Mummykins abverlangte.« Marathe hatte den Rollstuhl etwas schräg gestellt, um seinen Schatten sehen zu können, der durch die Topographie des steilen Hangs der Felsnase abgeplattet und deformiert erschien, einfach lächerlich und klein. Wenn mit der Morgendämmerung der Sonnenaufgang kam, würde es kein titanisches oder bedrohliches Brockengespenstphänomen geben. Marathe sagte: »Der ganze Organismus der Familie gerät aus der Geglichenheit und stellt seine Wahrnehmungen
infrage. « »Der Alte Herr - als Nächstes entwickelte er so eine Marotte, einzelne Wendungen oder Szenen aus M*A*S*H zu zitieren, um einen Gedanken zu veranschaulichen oder im Gespräch etwas klarzustellen. Anfangs hatte diese Marotte etwas Beiläufiges, als wären ihm einzelne Sprüche und Szenen einfach so eingefallen. Aber nach und nach änderte sich das. Und ich weiß noch, dass er anfing, sich Spielfilme anzusehen, in denen die Schauspieler der Serie auftraten.« Marathe gab vor, die Nase hochzuziehen. »Irgendwann konnte er dann über gar kein Thema mehr sprechen oder sich unterhalten, ohne es auf die Serie zurückzubeziehen. Das Thema. Ohne die Serie zum Referenzsystem zu machen.« Steeply ließ sich anmerken, dass ihm die leisen Quietscher nicht entgingen, mit denen Marathe seinen Rollstuhl leicht hierhin und dorthin drehte, um verschiedene Blickwinkel auf seinen gedrungenen Schatten zu erhalten. Steeply atmete mit kräftigem Pfeifen durch die Nase aus. »Dabei war er insgesamt nicht einmal unkritisch.« Manchmal kam Marathe aus der blauen Heiterkeit
der Gedanke, dass er nichts gegen Steeply hatte, obwohl mägen oder achten zu viel gewesen wäre, zu sagen. »Es war also nicht diese Art von Obsession, sagst du.« »Es ging Schritt für Schritt und langsam. Irgendwann, das weiß ich noch, bezeichnete er die Küche plötzlich als Messezelt und sein Arbeitszimmer als die Marsch oder den Sumpf. Das waren fiktionale Orte in der Serie. Er lieh Filme aus, in denen Schauspieler aus der Serie in Massenszenen oder Kurzauftritten zu sehen waren. Er kaufte sich einen der damals sogenannten Betamixer263, ein frühes Magnetvideoaufzeichnungsgerät. Von da an zeichnete er jede Woche alle 29 Sendungen und Wiederholungen magnetisch auf. Er archivierte die Bänder und organisierte sie in barocken Systemen mit Querverweisen, die auf den ersten Blick nichts mit dem Datum der Aufnahme zu tun hatten. Ich erinnere mich, dass Mummykins nichts sagte, als er sein Bettzeug nahm und von da an nachts im Sessel in seinem Arbeitszimmer schlief, dem Sumpf. Oder so tat. Als schliefe er.« »Aber du argwöhntest, dass er nicht wirklich
schlief.« »Nach und nach zeichnete sich ab, dass er sich die ganze Nacht lang seine Magnetaufzeichnungen von M *A * 5 * H anschaute, wahrscheinlich wieder und wieder, wobei er einen billigen weißen Plastikohrstöpsel nahm, um den Lärm zu unterdrücken, und in seinem Notizbuch fieberhaft Notizen machte.« Im Gegensatz zur Gewalt und transperfanten Punktierung des Sonnenuntergangs schien die Morgensonne von den runderen Vorsprüngen der Rincon-Hügelkette langsam ausgeatmet zu werden, ihre Wärme war eine tauigere Wärme und ihr Licht das vage Rot einer zärtlichen Empfindung; der aufrechte Schatten von U.S.B.U.D.s Steeply wurde über die Felsnase auf Marathe hinter ihm geworfen, so nah, dass Marathe den Arm ausstrecken und den Schatten berühren konnte. »Du merkst, dass ich mich an das genaue Fortschreiten der Angelegenheit nicht sehr gut erinnern kann«, sagte Steeply. »Das Schrittige.« »Ich weiß, dass Mummykins in der Mülltonne hinter dem Haus eines Tages eine Reihe von Briefen fand,
die an eine M*A*S*H-Figur namens - das weiß ich nun todsicher - Major Burns adressiert waren. Sie fand sie.« Marathe verkniff sich ein Feixen. »Beim Suchen in der Mülltonne hinter dem Haus. Nach Beweisen der Unausgeglichenheit.« Steeply tat Marathes Einwurf mit einer Geste ab. Er war nicht zu amüsieren. »Sie suchte nicht absichtlich im Müll. Dafür hatte Mumkinsky zu viel Klasse. Wahrscheinlich hatte sie den Troy Record weggeworfen und vergessen, vorher die Gutscheine auszuschneiden. Sie war eine eingefleischte Gutscheinausschneiderin.« »Das war noch vor der Zeit der nordamerikanischen Gesetze über die Rezirkulierung264 von Zeitungen.« Steeply tat das nicht ab und funkelte ihn nicht an. Er hatte eine konzentrierte Miene aufgesetzt. »Diese Figur - daran kann ich mich noch genau erinnern wurde von dem Schauspieler Maury Linville gespielt, das weiß ich noch, einem einfachen alten Angestellten der 20th Century Fox.« »Die später das vierte Netzwerk der Großen Vier gründete.« Steeplys in der Hitze des Vortages gespenstisch verlaufenes Makeup hatte sich über
Nacht fast zu einem Ausdruck des Entsetzens verhärtet. »Aber die Briefe, die Briefe waren an Major Burns adressiert. Nicht an Maury Linville. Und auch nicht clo Fox Studios oder so, sondern an eine zuständige Militärbehörde mit Feldpostnummer in Seoul.« »In dem Südkorea der Geschichte.« »Die Briefe waren hasserfüllt, wutentbrannt und ausufernd. Er hielt die Serienfigur Major Burns für einen verhängnisvollen Vorboten des Armageddon Themas, das in der Serie langsam an Bedeutung gewann, immer öfter angedeutet wurde und in der sukzessiven Abfolge der M*A*S*H-Staffeln zunehmend Konturen bekam.« Steeply betastete seine Lippe. »Ich weiß noch, dass Mummykins die Briefe nie erwähnt hat. Die aus dem Müll. Sie ließ sie einfach herumliegen, sodass meine kleine Schwester und ich sie finden mussten.« »Du willst damit nicht sagen, dass deine Schwester eine Liliputanerin war.« Steeply ließ sich aber zu keinem Stimmungswechsel provozieren, beobachtete Marathe. »Jüngere Schwester. Aber mein Alter Herr der Übergang der Serie vom Spaß zur Obsession -
entscheidende Unterscheidungen waren da kollabiert, glaube ich. Zwischen dem fiktionalen Bums und diesem Linville, der Burns spielte.« Zur Beipflichtung zog Marathe eine Augenbraue hoch: »Das signifiziert einen massiven Verlust der Ausgeglichenheit.« »Ich erinnere mich dunkel: Irgendwie schien er zu glauben, der Name der Figur Bums bedeute auf irgendeine verborgene Weise das englische Verb, das das alles verzehrende Feuer der Apokalypse verheiße.« Marathe guckte verwirrt oder musste wegen der aufsteigenden Sonne blinzeln. »Aber er warf die Briefe in das Müllgefäß, hast du gesagt, nicht in die Schneckenpost.« »Da ging er oft schon wochenlang nicht mehr zur Arbeit. Er war jahrzehntelang bei Cheery gewesen. Nur wenige Jahre später sollte er pensioniert werden.« Marathe verfolgte, wie die Karos der Decke über seinem Schoß langsam heller wurden. »Mo Cheery und der Alte Herr - die waren zusammen bowlen gewesen, die waren zusammen bei den Rittern des Kolumbus gewesen. Dass er
wochenlang nicht zur Arbeit kam, machte die Sache seltsam. Mo wollte den Alten Herrn nicht feuern. Er sollte nur jemanden konsultieren.« »Einen Professionellen.« »Vieles davon hab' ich gar nicht mehr persönlich mitbekommen. Von dieser MlfAlfSlfH-Kiste. Als die wirklich entscheidenden Unterscheidungen kollabierten, war ich schon an der Uni.« »Und studiertest die multiplen Kulturen.« »Meine kleine Schwester musste mich über die Entwicklungen während des Semesters auf dem Laufenden halten. Der gute alte Mo Cheery kam vorbei, schaute sich zusammen mit dem Alten Herrn eine Zeit lang Magnetbänder der Serie an, lauschte seinen Theorien und Ansichten, und auf dem Weg nach draußen schnappte er sich dann die Mummykins, ging mit ihr in die Garage und erklärte ihr in aller Ruhe, dass der Alte Herr sich im psychischen Sturzflug befinde und seiner Meinung nach, nichts für ungut, dalli-dalli jemanden konsultieren müsse. Meine kleine Schwester sagte, die Mumkinsky hätte immer so getan, als hätte sie keine Ahnung, was Mo Cheery meinte.«
Marathe glättete die Decke. »Mumkinsky war so ein Familienkosename«, sagte Steeply und genierte sich anscheinend ein bisschen. Marathe nickte. »Das muss ich jetzt aus dem Gedächtnis zusammenstückeln«, sagte Steeply. »Der Alte Herr konnte da schon über praktisch nichts anderes als die Fernsehserie M * A * 5 * H mehr reden. Die Theorie des Themas dieser Burns-SchrägstrichBrennen-Apokalypse breitete sich jetzt aus zu immer größeren und komplexeren Theorien über breit gefächerte und tief verborgene Themen, die mit Tod und Zeit in der Serie zu tun hatten. Er sah da beispielsweise Hinweise auf codierte Botschaften für bestimmte Zuschauer über ein Ende der uns bekannten Weltzeit und die Heraufkunft einer ganz anderen Weltzeit.« »Aber deine Mutter tut weiter so, als wäre nichts geschehen.« »Ich versuche, Dinge zu rekonstruieren, die damals alles andere als klar waren«, sagte Steeply, dessen verlaufenes und dann erstarrtes Make-up auf dem vor Konzentration verzogenen Gesicht im Sonnenaufgang grotesk aussah wie die Maske eines geisteskranken Clowns.
Er sagte: »Eine Theorie betraf eine Tatsache, die der Alte Herr äußerst bedeutsam fand, dass der historische Militäreinsatz der Vereinten Nationen in Korea nämlich nur rund zwei Jahre gedauert hatte, dass von M*A*S*H da aber schon seit sieben Jahren neue Folgen produziert wurden. Die Serienfiguren bekamen graue Haare, einen zurückgehenden Haaransatz, Faceliftings. Der Alte Herr war überzeugt, dass das Absicht war. Laut meiner kleinen Schwester, die die Hauptlast des gemeinsamen Fernsehens zu tragen hatte, waren die Theorien des Alten Herrn fast unverständlich komplex und weitreichend«, sagte Steeply. »Als die Jahre mit neuen Staffeln vergingen, die ersten Schauspieler ausschieden und andere durch andere ersetzt wurden, entwickelte der Alte Herr immer barockokoeskere Theorien darüber, was den nun fehlenden Figuren in gestischen Anführungszeichen und kursiv »wirklich« passiert war. Wohin sie verschwunden waren, wo sie jetzt waren, was das alles zu bedeuten hatte. Und dann tauchten ein paar Briefe wieder auf, entwertet und zurückgeschickt, als unzustellbar abgestempelt oder weil sie an Adressen hatten gehen sollen, die es nicht nur nicht gab,
sondern die absurd waren.« »Unausgeglichene Briefe wurden nicht mehr in den Müll geworfen, sondern in die Postkästen.« »Und Mummykins beschwerte sich mit keinem einzigen Wort. Es konnte einem das Herz brechen. Sie war ein Fels in der Brandung. Zugegeben, sie nahm inzwischen rezeptpflichtige angstlösende Mittel.« Land der wahrhaft Tapferen: Das sagte Marathe nicht laut. Er sah auf seine Taschenuhr und versuchte, sich an einen Anlass zu erinnern, wo er Steeply je taktvoll über einen Aufbruch hatte in Kenntnis setzen müssen. Steeply vermittelte gerade den Eindruck eines Menschen, der mehrere Zigaretten auf einmal raucht. »Irgendwann im Spätstadium des Fortschreitens ließ der Alte Herr verlauten, er arbeite an einem geheimen Buch, das einen Gutteil der M i l i t ä r - , Medizin-, Philosophieund Religionsgeschichte der Welt revidiere und durch das Aufzeigen subtiler und komplexer Themencodes in M*A*S*H erkläre.« Steeply stand auf einem Fuß, hob den anderen an, um einen dem Schuh zugefügten Schaden zu inspizieren, und rauchte die
ganze Zeit. »Auch wenn er mal zur Arbeit ging, gab es Probleme. Heizölkunden, die anriefen und Öl bestellen wollten oder sonst welche Fragen hatten, beschwerten sich darüber, dass der Alte Herr sie in bizarre theoretische Diskussionen über Themen aus M*A*S*H verwickeln wollte.« »Da es nötig ist, dass ich bald aufbreche, muss bald ein Kern der Sache auftauchen «, warf Marathe so taktvoll wie möglich ein. Steeply schien den anderen gar nicht gehört zu haben. Er wirkte nicht nur unberechnend und selbstverstrickt; sein ganzes Verhalten wirkte auch jünger, wie das eines jüngeren Menschen. Falls das nicht Teil einer über Marathes Horizont hinausgehenden Darbietung war, wie dieser berücksichtigen musste. »Und dann der doppelte Schlag«, sagte Steeply. »1983 v. SZ. Da ist meine Erinnerung klar. Die Mumkinsky öffnete einen alarmierenden Brief von Rechtsanwälten von CBS und 20th Century Fox. Aufrechte Okaylinge irgendwelcher Feldpostabteilungen hatten gewisse Briefe anscheinend an die Fox weitergeleitet. Der Alte Herr hatte mit verschiedenen M*A*S*H-Figuren aus
Vergangenheit und Gegenwart zu korrespondieren versucht. Briefe, die die Familie nie zu Gesicht bekommen hatte, deren Inhalt aber, wie die Rechtsanwälte schrieben, Zitat Anlass zu großer Sorge geben und Zitat langwierige rechtliche Konsequenzen haben könnten.« Steeply hob den Fuß vors schmerzverzerrte Gesicht und sagte: »Dann wurde die letzte Folge der Serie ausgestrahlt. Im Spätherbst 1983 v. SZ. Ich war bei einem ROTCMarschkapellentrip nach Fort Ticonderoga. Meine kleine Schwester, die zu Hause inzwischen ausgezogen war, und wer könnte ihr das verdenken, berichtete, die Mumkinsky spräche ganz beiläufig und ohne ein Wort der Klage darüber, dass der Alte Herr sein Arbeitszimmer nicht mehr verließe.« »Also die finale Abkapselung und Isolation der Obsession.« Steeply warf, unbeholfen auf einem Fuß, einen Blick über die Schulter, um Marathe geringschätzig anzusehen. »Nicht mehr verließ heißt, nicht mal, um das Badezimmer aufzusuchen.« » D i e verschreibungspflichtigen Arzneien deiner Mutter verhinderten Phasen großer Ängste, denke ich mir.« »Er hatte sich ein spezielles Wechsel-
/Gleichstromkabel besorgt, mit dem er weitere K a n ä l e empfangen konnte, die ebenfalls Wiederholungen brachten. Wenn keine Wiederholungen liefen, dann liefen ständig die magnetischen Videobänder. Er war ausgezehrt und bekam etwas Gespenstisches, und sein Sessel war nicht mehr zu erkennen. Cheery Oil führte ihn in den Büchern weiter, damit er mit sechzig seine dreißig Betriebsjahre vorweisen konnte. Meine kleine Schwester und ich diskutierten widerwillig, bei der Mummykins dahingehend zu intervenieren, bei dem Alten Herrn dahingehend zu intervenieren, jemanden zu konsultieren.« »Ihr selber kamt bei ihm nicht durch.« »Er starb kurz vor seinem Geburtstag. Er starb in seinem Sessel, die Lehne ganz nach hinten gestellt und sah gerade eine Episode, in der Aldas Hawkeye nicht vom Schlafwandeln loskommt und Angst hat, seinen Scheißverstand zu verlieren, bis ihn ein professioneller Militärtherapeut beruhigt, weiß ich noch.« »Ich sah in meiner Kindheit auch die Wiederholung dieser Folge.« »Ich weiß nur noch, dass der Militärprofi Alda sagt, er soll sich keine Sorgen
machen, wenn er wirklich verrückt wäre, würde er wie ein Neugeborenes schlafen, so wie der berüchtigte Bums-Schrägstrich - Linville.« »Die Serienfigur des Burns schlief außergewöhnlich gut, erinnere ich mich.« »Das Manuskript seines Geheimbuchs füllte Dutzende von Notizbüchern. Als das stellten sich die Notizbücher heraus. Ein Schrank im Arbeitszimmer musste aufgebrochen werden. Die ganzen Notizbücher stürzten heraus. Sie waren in einer Art medizinisch-Schräg strich-militärischem Code abgefasst, aber völlig undechiffrierbar mein Schwesterherz, ihr erster Mann und ich haben eine ganze Weile versucht, den Code zu knacken. Nach seinem Tod im Sessel.« »Seine Unausgeglichenheit der Verlockung kostete ihn das Leben. Eine ansonsten harmlose Serie des terrestrischen Fernsehens der u. S.A. raubte ihm das Leben, wegen der verzehrenden Obsession. Das ist deine Anekdote.« »Nein. Es war ein transmuraler Myokardinfarkt. Machte eine ganze Herzkammer platt. Seine ganze Familie hatte eine Herzgeschichte. Der Pathologe
fand es erstaunlich, dass er so lange durchgehalten hatte.« Marathe zuckte die Schultern. »Die Besessenen sind oft zäh.« Steeply schüttelte den Kopf. »Für die arme alte Mumkinsky muss es die Hölle gewesen sein.« »Aber sie hat sich nie beschwert.« Die Sonne stand schon hoch am Himmel und pulsierte. Licht übergoss alles mit Übelkeit erregendem Gelb wie Soße. Alle Vögel und lebenden Tiere waren verstummt, schon jetzt von der Hitze betäubt, und die knallgelben Planierraupen auf der Baustelle hatten sich noch nicht in Bewegung gesetzt. Alles war still. Alles war hell. Steeplys Schatten auf der Felsnase war plump und gedrungen, jetzt schon kürzer als der wirkliche Steeply, der sich vorbeugte, um weit unten eine Stelle zu finden, die er mit seinem zerknüllten belgischen Zigarettenpäckchen verschandeln konnte, das so Gott wollte keine Zigarette mehr enthielt. Marathe zog die Uhr aus der Windjackentasche. Steeply zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich hast du recht damit, dass es teils Entsetzen und teils Sog
ist. Wenn ich im Osten bin, an Flattos Labor denke und quasi aufsehe, bin ich auch versucht.« »Von der Unterhaltung von heute.« »Und irgendwie stell' ich mir halb und halb vor, wie Hank Hoyne im Sessel des Alten Herrn liegt und zusammengekauert fieberhaft vor sich hinkritzelt.« »In militärischer Kodierung.« »Seine Augen, die waren auch so geworden, die vom Alten Herrn, wie Hoynes. Sporadisch.« Die Hitze flirrte auch über dem Löwenfellboden der Wüste. Mesquitbäume und Kakteen waberten, und Tucson, Arizona, wirkte wieder wie eine Fata Morgana wie schon bei Marathes Ankunft, als Größe und Ausdehnung seines Schattens ihn so fasziniert hatten. Die Morgensonne sandte keine Garben von Lichtklingen aus. Sie war brutal, geschäftsmäßig und schädlich anzuschauen. Marathe gestattete sich, einige kurzweilige Sekunden lang zu beobachten, w i e die weiten Schatten der Rincon-Hügelkette langsam in die Talsohlen der Rincon-Hügelkette zurückschmolzen. Steeply zog die Nase hoch und spie aus, das letzte zerknüllte FlanderfumesPäckchen immer noch in der Hand.
»Meine Zeit ist streng begrenzt zu bleiben.« Das sagte Marathe. Jede Veränderung seiner Haltung rief leise Lederund Metallquietscher hervor. »Mir wäre nach Dankbarkeit zumute, wenn du zuerst aufbrächest. « Steeply nahm an, Marathe wollte ihn nicht wissen lassen, wie er hoch und runter, rein und raus kam. Ohne besonderen Zweck; einfach aus Stolz. Steeply ging in die Hocke, um die Riemchen seiner hochhackigen Schuhe zurechtzurücken. Seine Prothesen waren noch immer nicht ganz justiert. Er sprach mit der leichten Atemlosigkeit fülliger Männer beim Bücken: »Gut, Remy, aber ich glaube nicht, dass Dick Willis' »getilgter Vorsatz« ausreicht. Es einfängt. Den Augenfaktor. Hoyne, den arabischen Internisten. Den Alten Herrn. Nicht für solche Augen.« »Du würdest sagen, es fängt den Ausdruck dieser Augen nicht ein.« Wenn Steeply aus der Hocke hoch sah, bekam er einen Wulstnacken. Er starrte an Marathe vorbei auf den Schiefer und sagte: »Die Gesichter sind eher wie - scheiße, wie nennt man das. Scheiße«, sagte
er konzentriert. »Versteinert«, sagte Marathe. »Verknöchert. Leblos.« »Nein. Nicht leblos. Fast schon das Gegenteil. Eher ... irgendwie stecken geblieben.« Auch Marathes Hals war steif, weil er so lange aus solcher Höhe hinaus- und hinabgesehen hatte. »Was ist es, das dieses zu bedeuten wünscht? Festgeklebt?« Steeply pulte am gesprungenen Lack eines Zehennagels herum. »Stecken geblieben. Fixiert. Festgehalten. Gefangen. Wie in einer Art Mitte gefangen. Zwischen zwei Dingen. In verschiedene Richtungen gezogen.« Marathes Augen suchten den Himmel ab, der für seinen Geschmack schon zu blau war und mit einem eierigen Hitzeglast überzogen. »Zwischen verschiedenen Begierden von großer Intensität, bedeutet das.« »Gar nicht mal so sehr Begierden. Leerer als das. Als wäre er beim Wundern stecken geblieben. Als gäbe es da etwas, das er vergessen hätte.« »Verlegt. Verloren.« » Verlegt.«
» Verloren.« »Verlegt.« »Meinetwegen. «
Kap. 52 - 13. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE 2.45 Uhr, Ennet House, die wahren Puppenstunden. Eugenio M., der als freiwilliger Vertreter von Johnette Foltz Traumschicht schiebt, ist draußen im Büro und spielt ein piepsendes und zwitscherndes Handcomputersportspiel. Kate Gompert, Geoffrey Day, Ken Erdedy und Bruce Green sind im Wohnzimmer, wo das Licht runtergedimmt ist und der alte, alles verwackelnde D. E. C.-Bildschirm läuft. Patronen sind nach 0.00 Uhr nicht mehr erlaubt, um den Schlaf zu fördern. Exkokser und -Aufputschmittelsüchtige schlafen ab dem zweiten Monat recht gut, trockengelegte Alkoholiker ab dem vierten. Abstinente Kiffer und Beruhigungsmittelsüchtige können das Schlafen im ersten Jahr praktisch vergessen. Obwohl Bruce Green schläft und gegen das Auf-dem-Sofa-liegenVerbot verstieße, wenn seine Beine nicht über die Armlehne hingen und die Füße nicht den Boden
berührten. Der Ennet-House-Bildschirm empfängt auf Spontaner Dissemination nur einfachsten InterLace, und zwischen 2.00 und 4.00 laufen die InterLace-NNO-Downloads für den nächsten Disseminationstag und kappen sämtliche Ausstrahlungen bis auf vier Redissemms eines Strangs von »Mr Bouncety-Bounces Tagesprogramm« in Folge, und wenn Mr BouncetyBounce in seiner alten Mull-plus-SicherheitsnadelWindel, mit Wanst und Kinderkopfgummimaske erscheint, ist das für schlaflose Erwachsene kein sonderlich beruhigender oder angenehmer Anblick. Ken Erdedy hat angefangen, Zigaretten zu rauchen, sitzt rauchend da und wippt mit dem einen Lederpantoffel. Kate Gompert und Geoffrey Day sitzen auf dem Nichtledersofa. Kate Gompert sitzt im Schneidersitz da und hat den Kopf so weit vorgebeugt, dass die Stirn den Fuß berührt. Ihre Haltung erinnert an eine spirituell fortgeschrittene Yoga-Stellung oder Dehnübung, aber eigentlich sitzt Kate Gompert jeden Abend so auf dem Sofa, seit der unerfreulichen Massenschlägerei mit Lenz und Gately im Sträßchen am Mittwoch, von der das ganze House immer noch zittert und spirituell gelähmt ist. Days nackte Waden sind völlig
unbehaart und sehen albern aus über Ausgehschuhen und schwarzen Socken und unter einem Velours-Bademantel, aber Day ist erwiesenermaßen von bewundernswerter Widerstandskraft gegenüber dem, was andere Menschen von ihm halten. »Als wenn dir das was macht.« Kate Gomperts Stimme ist tonlos und kaum zu hören, weil sie aus dem von ihren überkreuzten Beinen gebildeten Kreis ertönt. »Es geht nicht darum, ob mir das was macht oder nicht«, sagt Day leise. »Ich will bloß sagen, dass ich mich ein Stück weit identifizieren kann.« Gomperts sarkastisches Pfff lässt auf der einen Seite ungewaschene Ponyfransen hochfliegen. Bruce Green schnarcht nicht, obwohl seine gebrochene Nase kreuzweise mit weißem Pflaster beklebt ist. Weder er noch Erdedy hört zu. Day spricht leise und schlägt die Beine nicht übereinander, um sich zu ihr zu neigen. »Als ich ein kleiner Junge war-« Gompert pffft wieder Luft aus. »- ein ganz normaler Junge mit einer Geige, einem
Traum und extra Umwegen zur Schule, um die Jungen zu meiden, die mir den Geigenkasten wegnahmen und über meinem Kopf damit Hol-ihndirdoch spielten, war ich eines Sommernachmittags allein oben in dem Zimmer, das ich mir mit meinem kleinen Bruder teilte, und übte Geige. Es war sehr heiß, und im Fenster lief ein elektrischer Ventilator und blies wie ein Abluftgebläse die Luft hinaus.« »Mit Abluftgebläsen kenn' ich mich aus, echt jetzt.« »Die Richtung der Luftströmung spielt keine Rolle. Der Ventilator war an, und durch seine Stellung im Fenster brachte er das Glas der hochgeschobenen Scheibe zum Vibrieren. Es war ein seltsam schrilles Vibrieren, unveränderlich und anhaltend. An und für sich war es seltsam, aber erträglich. An diesem Nachmittag mischte sich das Ventilatorvibrieren aber mit ein paar Tönen, die ich auf der Geige übte, und die beiden Vibrationen erzeugten eine Resonanz, die in meinem Kopf etwas auslöste. Ich kann das nicht besser erklären, aber es war eine bestimmte Qualität dieser Resonanz, die das auslöste.« »Eine Sache.« »Als sich die beiden Vibrationen mischten, war es, als bauschte sich eine große dunkle bauschende
Form aus einem Winkel meines Kopfes. Genauer als groß, dunkel, Form u n d bauschend kann ich das nicht beschreiben, was da aus einem toten Wasserarm meiner Psyche hervorgeflattert kam und von dessen Existenz ich nicht die leiseste Ahnung gehabt hatte.« »Allerdings war es aber in dir.« »Katherine, Kate, es war der totale Horror. Es war aller Horror der Welt, destilliert und geformt. Es stieg in mir auf und aus mir heraus, irgendwie heraufbeschworen von der seltsamen Konfluenz von Ventilator und Tönen. Es stieg auf und wuchs und verschlang alles und war grauenvoller, als ich je ausdrücken könnte. Ich ließ die Geige fallen und rannte aus dem Zimmer.« »War sie dreieckig? Die Form? Wenn du bauschend sagst, meinst du dann wie ein Dreieck?« »Formlos. Formlosigkeit war das eine, was daran so grauenvoll war. Ich kann nur Form und dunkel sagen und meinen und entweder bauschend oder flatternd. Aber da das Grauen sofort verflog, kaum dass ich das Zimmer verlassen hatte, war es nach wenigen Minuten unwirklich geworden. Die Form und der Horror. Als wäre es meine Phantasie gewesen, eine
rein zufällige psychische Flatulenz, eine Anomalie.« Ein freudloses Lachen in den Knöchel. »Anomale Alkoholiker.« Day hat die BeinsteIlung nicht verändert oder sich bewegt und sieht weder ihr Ohr noch ihre Kopfhaut an, die beide zu sehen sind. »Wie ein Kind eine Wunde betastet oder an einer verschorften Stelle herumknibbelt, bin ich kurz danach ins Zimmer und zum Ventilator zurückgegangen und habe wieder nach der Geige gegriffen. Und sofort wieder dieselbe Resonanz erzeugt. Und sofort stieg in meinem Kopf wieder die schwarze flatternde Form auf. Ein bisschen wie ein Segel oder ein kleiner Teil eines Flügels von etwas, das viel zu groß war, um als Ganzes gesehen werden zu können. Es war das absolute psychische Grauen: Tod, Verderben, Zerfall, kalter leerer schwarzer böser einsamer verlassener Raum. Es war das Schlimmste, dem ich mich je stellen musste.« »Und trotzdem hast du es vergessen, bist zurückgegangen und hast es zurückgebracht. Und es war in dir drin.« Ohne jeden Zusammenhang sagt Ken Erdedy: »Er hat einen Kopf wie ein Pilz.« Day hat keinen blassen
Schimmer, worauf er sich bezieht oder was er meint. »Freigesetzt durch diese einmalige Resonanz von Geige und Ventilator, stieg die dunkle Form fortan von allein aus meinem Geist auf. Ich ließ die Geige wieder fallen, rannte wieder aus dem Zimmer und presste mir vorn und hinten die Hände an den Kopf, aber diesmal ging es nicht weg.« »Das dreieckige Grauen.« »Es war, als hätte ich es aufgeweckt, und jetzt war es aktiv. Ein Jahr lang kam und ging es. Ein Jahr lang lebte ich in diesem Grauen, als Kind, und wusste nie, wann es sich wieder aufbauschen und das Licht verdunkeln würde. Nach einem Jahr verflog es langsam. Ich glaube, ich war zehn. Aber nicht ganz. Ich hatte es irgendwie aufgeweckt. Ab und zu. Alle paar Monate stieg es wieder in mir auf.« Es ist keine echte Konnexion oder Konversation. Day spricht anscheinend niemanden richtig an. »Als es sich das letzte Mal aufbauschte, war ich im zweiten Jahr an der Uni. Ich hab an der Brown University in Providence, Rhode Island, studiert und mit magna cum laude abgeschlossen. Eines Nachts im zweiten Studienjahr kam sie aus dem Nichts wieder herauf, die schwarze Form, zum ersten Mal
seit Jahren.« »Aber als sie dann kam, hatte das etwas Zwangsläufiges.« »Es war das grauenhafteste Gefühl, das ich mir je vorstellen konnte, vom Fühlen ganz zu schweigen. So entsetzlich kann sich nicht mal der Tod anfühlen. Es stieg auf. Jetzt, wo ich älter war, war es noch schlimmer. « »Davon kann ich ein Lied singen.« »Ich dachte, ich müsste mich aus dem Fenster meines Wohnheims stürzen. Ich konnte das Gefühl schlicht und einfach nicht ertragen.« Gompert hat den Kopf nicht ganz angehoben, aber halb; ihre Stirn hat eine große rote Druckstelle vom Knöchel. Sie schaut ungefähr in die Mitte zwischen geradeaus und Day neben ihr. »Und immer schwang der Gedanke mit, dass du sie hervorgerufen, dass du sie aufgeweckt hattest. Du warst ja noch mal zum Ventilator zurückgegangen. Du hast dich irgendwie verachtet, weil du sie aufgeweckt hattest.« Day sieht stur geradeaus. Mr Bouncety-Bounces Kopf ist alles andere als pilzförmig, groß ist er allerdings und - unter der Kindergummimaske grotesk zumindest für erwachsene Zuschauer. »Ein
Student, den ich kaum kannte und der das Zimmer unter mir hatte, hörte mich herumtaumeln und aus voller Kehle wimmern. Er kam hoch und blieb bei mir, bis es vorbei war. Das dauerte fast die ganze Nacht. Wir haben uns nicht unterhalten; er hat nicht versucht, mich zu trösten. Er sagte kaum etwas, blieb bloß bei mir. Wir sind auch keine Freunde geworden. Als ich meinen Abschluss gemacht habe, wusste ich schon nicht mehr, wie er hieß und was sein Hauptfach war. Aber in jener Nacht war er der Strohhalm, an dem ich mich über dem Höllenrachen festklammerte.« Green ruft im Schlaf etwas, das sich anhört wie »Um Gottes Willen, nein, Mr Ho, nicht anzünden!« Seine angeschwollenen blauen Augen, die Gedankensprünge der R. E. M. - Phase sowie das herumkaspernde 130-Kilo-Baby auf dem Bildschirm plus Days und Gomperts Unterhaltung, während beide ins Leere sehen, das alles untermalt von den Blörps und Plings von Gene M.s Handcomputerspiel im Büro, geben dem dunklen Wohnzimmer eine traum artige und fast surreale Atmosphäre. Endlich schlug Day die Beine andersherum übereinander. »Es ist nie mehr zurückgekommen.
Über zwanzig Jahre. Aber ich habe nichts vergessen. Und das Schlimmste, was ich seither erlebt habe, hat sich im Vergleich zu dem aufsteigenden schwarzen S e g e l oder Flügel wie eine Sitzung bei der Fußmassage angefühlt.« »Es bauschte sich.« »Nicht die Nüsse, meine Güte, Herrgott, nicht die Nüsse.« »An jenem Sommertag und in jener Nacht im Studentenwohnheim habe ich das Wort Hölle verstanden. Ich verstand, was die Menschen mit Höl l e meinten. Sie meinten nicht das schwarze Segel. Sie meinten die damit einhergehenden Gefühle.« »Oder die Ecke, aus der es aufstieg, im Innern, falls sie einen Ort meinten.« Jetzt sieht Kate Gompert ihn an. Ihr Gesicht sieht nicht besser aus, aber anders. Vo n den Verkrümmungen hat sie eindeutig einen steifen Hals. »Ob ich es nun zufriedenstellend auf den Begriff bringen konnte oder nicht«, sagt Day und umfasst das Knie des über das andere geschlagenen Beins, »seit jenem Tag verstehe ich intuitiv, warum Menschen sich umbringen. Wenn ich länger mit
diesem Gefühl herumlaufen müsste, würde ich mich hundertpro umbringen.« »Zeit im Schatten des Flügels von dem aufsteigenden Ding, das zu groß ist, um es zu sehen.« »0 Gott, bitte«, sagt Green sehr deutlich. Day sagt: »Es gibt nichts, was sich schlimmer anfühlen könnte.«
Kap. 53 - 11. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE Offenbar hatte ein höheres Tier Mary Esther Thode mit dem MatchAuftrag auf ihrer kleinen gelben Vespa losgeschickt; sie hatte neben Stice und Wayne angehalten, als die gerade den Hammond-Golfplatz verließen, HaI mit den beiden Trampeltieren Kornspan und Kahn einen guten halben Kilometer hinter ihnen. Schtitt blieb bei der ganzen Sache unergründlich. Das Match war kein Herausforderungsspiel; Stice und HaI waren dieses Jahr in verschiedenen Altersgruppen. Das Match war eher eine Vorführung, und vom zweiten Satz an, als immer mehr Leute aus dem Kraftraum kamen und geduscht hatten, wurde es als eine solche verfolgt. Das Match. Helen Steeply vom Moment, begabt mit einem gewissen brutalen Charme, aber kaum der Perikardpflock, der sie in Orins Schilderungen für HaI war, saß die ganze Sache aus, im ersten Satz in Begleitung von Aubrey delint, bevor dann Thierry
Poutrincourt ihm den Platz auf der Tribüne wegnahm. Das sei das erste hochkalibrige Juniorentennisspiel, das sie je gesehen hätte, sagte sie, die massige Journalistin. Die beiden spielten auf N r. 6, dem besten der östlichen Show Courts. Der neulich auch Schauplatz des üblen EschatonBlutbads geworden war. Es war ein trainingslastiger Tag, an dem nur wenige Matches angesetzt gewesen waren. Schtitts Krähennest hoch über ihnen rülpste in regelmäßigen Abständen Rauchtüten, und manchmal hörte man, wie der Wetterfritzenzeigestock geistesabwesend auf das Eisen des Oberbalkens getockt wurde. Ansonsten fand in der Nähe nur unten auf Nr. 10 ein Herausforderungsspiel der U14- Mädchen statt. Zwei Grundlinienspielerinnen erzeugten alternierende Parabeln, Pferdeschwänze, ein Hauch von Grundlinienverschleiß, die hohen schweren Bögen des Balls wie die eines Weitspuckflatschen. Und auf Nr. 23 waren noch Shaw und Axford und wärmten sich auf. Niemand schenkte ihnen oder den U14erinnen große Beachtung. Die Tribüne hinter den Show Courts füllte sich allmählich. Schtitt ließ Mario den ganzen ersten Satz von oben filmen, er lehnte sich weit über den Oberbalken hinaus, der
versteift dastehende Watson hielt von hinten seine Weste gepackt, und Marios Polizeischloss stand vor und warf einen seltsamen, nadligen und schrägen Schatten auf Court Nr. 9, nordöstlich vom Netz. »Das ist das erste echte Match, das ich zu sehen bekomme, obwohl ich schon so viel über die Juniorentournee gehört habe«, sagte Helen Steeply zu deLint und versuchte, auf einem engen Tribünensitz in einer der obersten Reihen die Beine übereinanderzuschlagen. Aubrey delints Lächeln war berüchtigt, sein Gesicht zerfiel in Sicheln und Scherben und zeigte keine Spur von Heiterkeit. Es w a r mehr eine Grimasse. Delints Auftrag, die mammutige Homestory- Verfasserin keine Sekunde aus den Augen zu lassen, war explizit und nachdrücklich gewesen. Helen Steeply hatte ein Notizbuch dabei, und deLint trug die Namen der beiden Spieler in Leistungstabellen ein, die Schtitt niemanden je sehen lassen würde. Die kühle mittägliche Wolkendecke wich am Nachmittag schnell einer blauen Herbstherrlichkeit, aber beim ersten Satz war es noch eiskalt, und die b l a s s e Sonne flackerte, als hätte sie einen Wackelkontakt. Nach dem Herlaufen brauchten HaI
und Stice praktisch keine Dehnungs- oder Aufwärmübungen. Sie hatten sich umgezogen und sahen beide ausdruckslos drein. Stice war ganz in Schwarz, HaI trug den E. T. A.-Sweater, und sein linker Schuh bildete oben einen Wulst über der AirStirrup- Bandage. Als eingefleischter Netzarbeiter spielte Ortho Stice mit einer Art starr fließender Anmut wie ein Panther im Korsett. Er war kleiner, aber besser gebaut als HaI und hatte die schnelleren Füße. Ein linkshänder mit ab Werk aufgemalten Ws auf seinen Wilson Pro Staff 5.8 SlS. HaI war ebenfalls Linkshänder, was Strategien und Zahlenverhältnisse abscheulich verkomplizierte, erklärte deLint der Journalistin neben sich. Des Schattens Aufschlagsbewegung stand in der McEnroe-Esconja- Tradition, breitbeinig, Füße parallel, eine Gestalt von einem ägyptischen Fries, die Seite so streng zum Netz, dass er den Blick fast von ihm abkehrte. Beide Arme beim Ausschwingen nach dem Aufschlag gerade ausgestreckt und steif. HaI hüpfte auf seiner Courtseite auf den Ballen auf und ab und wartete. Stice unterteilte seine Aufschlagsbewegung in Einzelsegmente - was an
einen schlechten Zeichentrickfilm erinnerte -, schnitt eine Grimasse, warf den Ball hoch, schwenkte zum Netz und schlug den Ball mit einem harten flachen spang weit hinaus auf Hals Vorhand, sodass der sich nach ihm strecken musste. Der Schwung von Stice' Schwenk zog ihn von selbst ans Netz, er folgte dem Aufschlag. HaI erwischte den Aufschlag mit einem Ausfall, schickte einen kleinen Vorhand-Return die Linie entlang und strauchelte nach rechts zurück auf den Court. Der Return war knapp gewesen, ein lahmer Chip, der noch die Netzabklebung streifte, so flach, dass Stice ihn von der Grundlinie mit einem Halbvolley retournierte, noch aus der Bewegung heraus, mit der bei Halbvolleys umständlichen beidhändigen Rückhand; er musste den Ball praktisch hochschaufeln und flach schlagen, damit er nicht ins Aus segelte. Grundsatz: Wer vom Netz hochschlagen muss, den passiert der Ball. Und Stice' Schlag landete breiig und langsam auf der anderen Courtseite und setzte für HaI auf, der ihn schon erwartete. Hals Stock holte wieder zur Vorhand aus, wartete, und während der Ball in der Luft hing, gab es einen Augenblick totaler Berechnung. Statistisch war von HaI zu erwarten, dass er einen solchen schlachtreifen Ball mit der
Linken cross-court vollierte, obwohl er es auch immer genoss, seinen Gegner mit einem TopspinLob anständig zu demütigen. Stice' Bruchteil einer Chance, den Punkt zu holen, bestand darin, Hals Entscheidung rechtzeitig zu erraten - ans Netz konnte er nicht, weil HaI den Ball dann über ihn hinwegschickte; also blieb er ein paar Stocklängen zurück und stellte sich auf einen Cross ein. Alles schien übertrieben lang in der Luft zu hängen, die nach Aufreißen der Wolkendecke jetzt wie frisch gewaschen war. Die Leute auf der Tribüne spürten, dass HaI spürte, dass Stice den Punkt innerlich schon sausen ließ, ihn verloren gab und wusste, dass er ihn nur durch Raten steehen konnte. Und hoffen. Dass HaI ihn verbockte, konnte man sich abschminken: Ein HaI Incandenza verbockte keinen Passierschlag nach segelnden Halbvolleys. Hals Vorhandausholen war hübsch uneindeutig, konnte einen Lob oder einen Passierschlag einleiten. Als er ihn so hart traf, dass seine Unterarmmuskeln deutlich hervortraten, war es ein Passierschlag, aber nicht cross-court; er zog ihn von innen nach außen durch, eine flache Vorhand, so hart er von der Mitte der Grundlinie konnte, zurück auf Stice' rechte
Seitenlinie. Stice hatte beim Schlagansatz schließlich auf einen Lob getippt und sich halb umgedreht, um zum vermutlichen Aufschlagspunkt zurückzusprinten, und der Durchschwung von innen nach außen erwischte ihn auf dem falschen Fuß. Er konnte nur plattfüßig dastehen und zusehen, wie der agile Ball einen Meter vor der Linie landete und HaI im fünften Spiel erneuten Einstand bescherte. Es gab Beifall von dreißig Händen für den Punkt als ganzen, denn der Schlag war makellos und zeugte von Hals spielerischer Phantasie, war kein Handbuchschlag. Einer von Incandenzas wenigen wirklich inspirierten Punkten, sollte delints Tabelle später zeigen. Die Spieler verzogen keine Miene, als ein paar Leute Hals Namen riefen. Das Tribünengrundmodell der Universal Bleacher Corporation, ein Y.A.Z.M.265 mit zehn Sitz reihen, stand direkt hinter dem Court. Als Thode Stice und HaI die Spielanweisung brachte, hatten da anfangs nur Personalangehörige und die A-Spieler gesessen, die gerade vorbeigelaufen kamen. Aber die Tribüne wurde voller, als sich in den Umkleiden herumsprach, dass der Schatten im ersten Satz eines von Schtitt sogar per Motorroller angeordneten Matchs gegen die Nr. A-2 der U18er genau punktgleich gespielt hatte. Die E . T . A.ler
genau punktgleich gespielt hatte. Die E . T . A.ler hockten auf der Tribüne und wärmten die Hände in den Kniekehlen, oder sie saßen mit Handschuhen und dick eingepackt da, fläzten Köpfe, Kehrseiten u n d Hacken über drei Sitzreihen und sahen dem Himmel und dem Spiel gleichzeitig zu. Die Schattenrauten des Maschendrahtzauns um den Court herum wurden länger, als die Sonne Richtung Südwesten/Westen rollte. Etliche Bein- und Turnschuhpaare baumelten vom Oberbalken herab. Mario gönnte sich mehrere Aufnahmen von Reaktionen des Lehrkörpers und der Schlachtenbummler auf der Tribüne. Aubrey deLint verbrachte den Satz mit der vom Punter affektiv besetzten Tintentante, die angeblich nur hier war, um HaI wegen Orin zu sprechen, was Chades Tavis bisher aber nicht genehmigt hatte, nicht mal in Begleitung, wobei die Gründe für seine Zurückhaltung wahrscheinlich zu kompliziert waren, um von Helen Steeply verstanden zu werden, aber über ein Notizbuch gebeugt sah sie jedenfalls aus dem oberen Bereich der Show-Tribüne zu, trug eine fuchsienrote Skimütze mit Hahnenkamm statt PomPoms oben drauf, hauchte sich in die Hände, und unter ihrem Gewicht bog sich die Tribüne, sodass
sich deLint immer seltsam zu ihr neigte. Für die Zuschauer, die nicht oben auf dem Oberbalken hockten, wurden die Spieler vom Maschendrahtzaun gewaffelt. Die grünen Windfänge, die einem das Zusehen versauten, wurden nur im Frühjahr benutzt, in den Wochen unmittelbar nach dem Abbau der Lunge. DeLint redete unaufhörlich auf das Ohr der großen Dame ein. Alle E. T. A.-Spieler mochten die Show Courts 6-9, weil sie gern gesehen wurden, aber sie hassten sie auch, weil der Schatten des Krähennests oben auf dem Oberbalken mittags auf die Nordhälften der Courts fiel und im Lauf des Nachmittags dann langsam nach Osten wanderte wie eine riesige dunkle vor sich hinbrütende einhertreibende Erscheinung mit Kapuze. Schon der Anblick des Schattens von Schtitts kleinem Kopf reichte dann oft, um Jüngere auf den Show Courts krampfen und zittern zu lassen. Beim siebten Spiel von HaI und Stice war der Himmel wolkenlos, und vom monolithischen, tintenschwarzen Schatten des Oberbalkens kriegten alle Zuschauer das Jaulen, als er entlang der Zäune länger wurde und Stice völlig verschluckte, wenn der einem Aufschlag ans Netz
folgte. Ein weiterer Vorteil der Lunge war, dass sie keine Draufsicht erlaubte, und auch deshalb wartete der Lehrkörper immer so lange wie möglich bis zu ihrem Aufbau. Nichts deutete darauf hin, dass HaI den Schatten überhaupt sah, während er vorgebeugt auf Stice wartete. Stice, der Schatten, spreizte sich steif auf der Rückhandseite und ruckte langsam in seine Aufschlagsbewegung hinein. Den ersten schlug er zu lang, HaI lenkte ihn sachte vom Court und machte in Erwartung des zweiten Aufschlags zwei Schritt nach vorn. Stice schlug den zweiten Aufschlag wieder mit aller Kraft, versenkte ihn im Netz und schürzte die dicken Lippen, als er in den Netzschatten trat, um den Ball zurückzuholen, und HaI trabte zum Zaun hinter dem nächsten Court hinüber, um den zuvor abgefälschten Ball zu holen. DeLi nt trug in ein Kästchen der mit STICE beschrifteten Leistungstabelle eine pejorative Hieroglyphe ein. Genau in diesem Augenblick lag ca. 1200 Meter weiter östlich, den Hügel runter und eine Etage unter Bodenniveau Ennet-House-Betreu er Don Gately im Tiefschlaf unter seiner Lone- Ranger-Schlafmaske, und unter seinem Schnarchen erzitterten die nicht
isolierten Heizungsrohre an der Decke seiner Kellerkammer. Rund vier km nordwestlich kauerte in der Herrentoilette der Armenian Foundation Library, ganz in der Nähe des zwiebeltürmigen Watertown Arsenal, Poor Tony Krause in seinen scheußlichen Hosenträgern und der geklemmten Mütze in einer Kabine, die Ellbogen auf den Knien und das Gesicht in den Händen, und erhielt eine ganz neue Perspektive auf die Zeit und die verschiedenen Abläufe und Personae der Zeit. M. M. Pemulis und J. G. Struck hatten sich, noch mit feuchten Haaren vom Nachmittagslauf, 2,8 km die Commonwealth runter an der Ecke Comm. und Cook Street, an der Bibliothekarin vom Pharmakologischen Institut der B. U. vorbeischarwenzelt, und saßen über den Nachschlagewerken. Pemulis hatte die Segelrnütze nach hinten geschoben, damit die hochgezogenen Augenbrauen Platz bekamen, und leckte sich vor dem Umblättern die Fingerspitzen an. H. Steeplys grüne Limousine mit der schmerzmedikamentösen Nunhagen-Werbung auf der Tür stand auf dem »Nur für befugte Gäste«-
Parkplatz des E. T. A.-Geländes. Zwischen seinen Terminen266 hatte Charles Tavis in einem Büro, dessen Westfenster keinen Blick auf das Match erlaubten, die Stirn an die gepolsterte Sitzfläche seines Sofas gedrückt und tastete mit dem Arm unter der grauroten Rüsche nach der Badezimmerwaage, die er dort unten aufbewahrte. Avril Incandenzas genauer Aufenthaltsort auf dem Gelände in diesem Zeitraum war unbekannt. Im selben Augenblick Mountain Standard Time umarmte Grin Incandenza wieder einmal ein gewisses »Schweizer« Handmodell vor einem wandgroßen Fenster in einer gemieteten Suite auf halber Höhe eines anderen großen Hotels (als beim ersten Mal) in Phoenix, Arizona. Das Fensterlicht glühte vor Hitze. Weit unter ihnen gleißten die Dächer der winzigen Autos so hell vom reflektierten Licht, dass ihre Farben nicht mehr zu erkennen waren. Fußgänger sprinteten gebückt von einer Schatten- und Kühlungszone zur nächsten. Glas und Metall der Stadtlandschaft funkelten, schienen aber zusammenzusacken - alles, was sich den Blicken bot, wirkte wie betäubt. Die kühle Luft wisperte aus der Klimaanlage des Zimmers. Sie stellten ihre
Gläser mit Eis ab, gingen aufrecht aufeinander zu und umarmten sich. Die Umarmung war keine Begrüßung. Sie sagten nichts - die einzigen Geräusche machten das Gebläse und ihr Atem. Grins leinenes Knie sondierte die deltoide Gabelung der gespreizten Beine des Handmodells. Er ließ es zu, dass sich die »Schweizerin« am muskulösen Knie seines guten Beins rieb. Sie kamen sich so nah, dass kein Licht zwischen ihnen hindurchfiel, und rieben sich aneinander. Ihre Lider flatterten, seine schlossen sich; ihr Atem wurde irgendwie codiert. Wieder die konzentrierte taktile Zartheit des sexten Gangs. Wieder zogen sie sich gegenseitig bis zur Taille aus, und wieder sprang sie ihn in derselben Jitterbug-Manier an, die zu belachen sie keine Luft hatten, klemmte ihm über den Schultern die Beine um den Hals und bog sich zurück, bis sein Arm ihren Fall stoppte, sie auf diese Weise hielt, die linke, schwielige Hand in ihrem seidigen Kreuz, und sie trug. Manchmal ist es kaum zu glauben, dass die Sonne über all den verschiedenen Teilen des Planeten dieselbe Sonne ist. Im Nordnordosten hatte sie in diesem Augenblick die Farbe von Sauce Hollandaise und wärmte nicht. HaI und Stice nahmen zwischen
und wärmte nicht. HaI und Stice nahmen zwischen den Punkten die Stöcke in die rechten Hände und schoben die linken in die Achselhöhlen, damit sie in der Kälte nicht taub wurden. Stice machte überdurchschnittlich viele Doppelfehler, weil er so viel in den zweiten Aufschlag legen wollte, dass er ihm plausibel ans Netz folgen konnte. Nach Delints Schätzungen tabellierte er Stice mit durchschnittlich einem Doppelfehler pro 1,3 Spielen, und seine A.lDf.Quote267 lag bei einer nicht weiter bemerkenswerten 0,6, aber er, delint, erklärte Helen Steeply vom Moment, die sich neben ihm auf der dritten Tribünenreihe von oben ausbreitete und in GreggKurzschrift Notizen machte, deLi nt erklärte dieser Ms Steeply, dass Stice trotzdem gut beraten war, den zweiten Aufschlag mit voller Wucht zu schlagen und dafür gelegentlich einen Doppelfehler einzustecken. Stice bereitete sich so steif und zahnradhaft ruckend auf seinen Aufschlag vor, dass die Journalistin zu deLint meinte, Stice sehe ihrer Ansicht nach aus, als hätte er sich, mit Verlaub gesagt, das Aufschlagen mit Standbildern der verschiedenen Bewegungsphasen beigebracht. Es gab keine fließende Bewegung, bis sich Stice ganz am Schluss zum Netz drehte und in den Court
am Schluss zum Netz drehte und in den Court hineinzufallen schien, der Tennisschläger hinter seinem Rücken wirbelte und zum Kontakt mit dem gelben Ball hochschnellte, der am oberen Rand der Erreichbarkeit hing, und dann schlug dieser Stice ihn mit einem festen pock glatt in den Körper von Orins Bruder, fixierte HaI mit einer derartigen Fluggeschwindigkeit, dass die Ballbewegung nur als Nachbild zu sehen war, als cremige Netzhautspur von etwas, das zu schnell war, um es mit den Augen zu verfolgen. Hals ungelenker Return hatte zu viel Slice und eierte, Stice schoss nach vorn, um ihn in Brusthöhe volley zu nehmen, und blockte ihn spitzwinklig in den offenen Court zum klaren Punktgewinn. Leiser Applaus ertönte. DeLint forderte Helen Steeply auf zu beachten, dass der Schatten den Punkt im Grunde schon mit dem Aufschlag geholt hatte. HaI Incandenza ging zum Zaun, um den Ball zu holen, und wischte sich die Nase ungerührt am Ärmel des Sweatshirts ab; Vorteil Stice. HaI lag i m ersten Satz 5:4 vorn und hatte sich bei Stice' fünftem Aufschlagsspiel dreimal Vorteil gesichert, zweimal durch Doppelfehler; trotzdem fand deLint Stice gut beraten.
»HaI hat letztes Jahr den Punkt erreicht, wo ein Jugendlicher nur noch eine Chance gegen ihn hat, wenn er ständig Druck macht, die ganze Zeit attackiert, einen Hammeraufschlag serviert, den Arsch ans Netz schiebt und voll und ganz die Rolle des Aggressors übernimmt.« »Trägt Herr Schtitt Augen-Makeup ?«, fragte Helen Steeply ihn. »Ich hatte den Eindruck.« »Wenn man sich HaI gegenüber zurückhält und versucht, ihn zu überlisten und zu manipulieren, dann jagt er einen hin und her, zerkaut einen, spuckt einen aus und zertritt die Reste. Wir haben Jahre gebraucht, um ihn so weit zu bringen. Niemand hält sich mehr zurück und versucht, Incandenzas Kontrolle zu überbieten.« Helen Steeply gab vor umzublättern und verlor dabei ihren Stift, der zwischen die Streben und Stützen der Tribüne fiel und ploingte, wie nur etwas ploingen kann, das ins Gestänge einer Metalltribüne fällt. Durch das anhaltende Geräusch ließ Stice den Ball vor dem Aufschlag länger als sonst aufprallen. Er ließ ihn ein paarmal aufprallen, beugte sich vor und wandte sich mit gespreizten Beinen weit vom N e t z ab. Er durchlief wieder die seltsam
segmentierte Vorbereitung; Helen Steeply holte einen neuen Stift aus einer Tasche ihres Parkas mit Fiberfill-Füllung; Stice schlug den Ball direkt in die Mitte, hatte es auf ein As am T der Aufschlagslinien abgesehen. Unspielbar und buchstäblich nur um Haaresbreite ging er an HaI vorbei. Bei internen E. T.A.-Matches gibt es keine Linienrichter. HaI sah die Linie entlang, wo der Ball aufgekommen und abgeprallt war, und zögerte, bis er seine Einschätzung kundtat, wobei die Hand an der Wange Bedächtigkeit signalisierte. Er zuckte die Achseln, schüttelte den Kopf, hielt die Hand flach in die Luft und bedeutete Stice, dass der Aufschlag gültig war, das Spiel ging also an Stice. Der Schatten ging ans Netz, massierte sich den Nacken und sah zu HaI hinüber. »Wir können meinetwegen auch Wiederholung machen«, sagte Stice. »Ich hab' ihn auch nicht gesehen.« HaI kam näher zu Stice, weil er sein Handtuch vom Netzpfosten holen wollte. »Ist ja auch nicht deine Aufgabe.« Er sah unglücklich aus und versuchte zu lächeln. »Du hast ihn zu hart geschlagen, um ihn zu sehen. Du hast den Punkt verdient.«
Stice zuckte die Schultern, nickte und kaute. »Der nächste ist dann deiner.« Er schnippelte zwei Bälle leicht rüber, und sie rollten an der gegnerischen Grundlinie aus, wo HaI mit ihnen aufschlagen konnte. Der Schatten machte auf dem Court immer noch diese kieferintensiven Malmbewegungen, obwohl ihm das Kaugummikauen beim Spielen verboten war, seit er sich beim Easter Bowl im letzten Frühjahr dummerweise verschluckt hatte und sein Gegner im Halbfinale ihm per Heimlich-Handgriff zu Hilfe kommen musste. »Ortho sagt, der nächste strittige Punkt geht sofort an HaI; sie machen keine Wiederholung«, sagte deLint und schwärzte Halbquadrate auf beiden Tabellen. »Wiederholung? « »Wie beim Netzaufschlag, Babe. Nächster Versuch. Zwei Aufschläge: ein Punkt.« Aubrey deLint hatte leichte Pockennarben, dichte, im Stil eines Nachrichtensprechers zum Helm hochgeföhnte blonde Haare, eine hypertensive Gesichtsröte und Augen - oval, eng stehend und glanzlos -, die wie ein zweites Paar Nasenlöcher im Gesicht saßen. »Machen beim Moment viel Sport, ja?«
»Sie zeigen also Sportsgeist«, sagte Steeply. »Großzügig, fair.« »Das schärfen wir hier als Priorität ein«, sagte deLi nt und deutete vage auf ihre Umgebung, den Kopf über seine Tabellen gebeugt. »Sie scheinen Freunde zu sein.« »Der Blickwinkel für den Moment wäre vielleicht »befreundet im Leben, unbarmherzig und bitter verfeindet auf dem Platz.« »Ich meine, sie scheinen auch im Spiel noch Freunde zu sein«, sagte Helen Steeply und sah zu, wie HaI den Ledergriff mit einem weißen Handtuch abwischte, während Stice, zurück in seiner Rückhandecke, auf und ab sprang, die eine Hand in der Achselhöhle. Delints Lachen klang für Steeplys feines Gehör wie das Lachen eines weit älteren und weniger fitten Mannes, wie das mukoide, die Faust auf die Brust schlagende Lachen eines alten Mannes im Liegestuhl im Kiesgarten in Scottsdale, Arizona, mit über den Schoß gebreiteter Decke, der seinen Sohn sagen hört, seine Frau behaupte, ihn nicht mehr zu kennen. »Machen Sie sich nichts vor, Babe«, bekam deLint heraus. Die Vaught-Zwillinge weiter unten auf der Tribüne sahen hoch, drehten sich nach ihnen um
und bedeuteten ihm Pst, der linke Mund grinste, und deLint erwiderte das mit seiner fiesen, glanzlosen Lächelscherbe, als HaI Incandenza den Ball dreimal aufprallen ließ und zu seinem eigenen Aufschlag ansetzte. An den Seiten eines kleinen Versorgungstunnels sechsundzwanzig Meter unter den Show Courts waren mehrere kleine Jungen aufgereiht. Steeply sah aus, als suchte die Journalistin nach prägnanten Bildern für eine so unauffällige und fließende Bewegung wie Hals Aufschlag. Anfangs vielleicht ein Geiger, der wachsam dastand, den beweglichen Kopf zur Seite geneigt, den Schläger vor dem Körper und die Hand mit dem Ball am Schlägerhals wie bei einem Bogen. Das Zusammenrunter-zusammen-rauf von Ausschwung und Wurf hätte ein Kind sein können, das Engel in den Schnee wedelt, die Wangen rosig und der Blick himmelwärts. Hals Gesicht allerdings war blass und durch und durch unkindlich, und sein Blick reichte nur vielleicht einen halben Meter weit. Er hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem Punter. Die Mittelphase des Aufschlags glich vielleicht einem Mann am Abgrund, der vorwärtsstürzt und willentlich seinem
eigenen Gewicht nachgibt, und Ziel und Wucht des Aufschlags glichen einem Hämmernden, der seinen Nagel auf Zehenspitzen gerade noch erreichen kann. Aber das waren alles nur Teile, die die Bewegung wieder segmentiert erscheinen ließen, wobei doch der kleinere Jugendliche mit den Hängebacken und dem Bürstenschnitt der mit dem gestotterten Bewegungsablauf war, der Mann der Einzelteile. Steeply hatte nur ein paarmal mit seiner Frau Tennis gespielt und hatte sich da draußen unbeholfen und affenartig gefühlt. Die Erklärungen des Punters waren ausschweifend gewesen, hatten aber nicht viel weitergeholfen. Es war unwahrscheinlich, dass ein einzelnes Spiel bei der Unterhaltung eine große Rolle spielte. HaI Incandenzas erster Aufschlag war ein taktisch aggressiver Schlag, aber nicht gleich als solcher zu erkennen. Stice schlug hart auf, damit er danach ans Netz konnte, um den Return schon mit dem nächsten Schlag zu verwandeln. Hals Aufschlag setzte einen viel komplizierteren Mechanismus in Gang, der sich erst nach mehreren Ballwechseln als aggressiv erwies. Sein erster Aufschlag hatte nicht Stice' Tempo, dafür aber Tiefe sowie einen Topspin, den HaI mit durchgedrücktem Rücken und einem leichten
HaI mit durchgedrücktem Rücken und einem leichten Fegen über die Ballrückseite erzielte, sodass der Aufschlag in der Luft sichtbaren Effet und eine eiförmige Flugbahn hatte. Er landete tief im Feld und sprang hoch ab, sodass Stice nur noch einen tiefen Rückhand-Chip aus Schulterhöhe zurückschicken konnte und dann nicht hinter einen Return kam, der allen Tempos verlustig gegangen war. Stice glitt zur Mitte der Grundlinie, während der Chip zu HaI zurücksegelte. Der Schwenk hatte HaI nach rechts gebracht, sodass er den Ball mit der Vorhand nehmen konnte268, noch ein überrissener Looper, wieder in dieselbe Ecke, in die er aufgeschlagen hatte, sodass Stice stoppen und zurücksprinten musste. Stice schmetterte seine Rückhand hart die Linie entlang auf Hals Vorhand, ein lodernder Schlag, der das Publikum aufzischen ließ, aber als der jüngste Sohn des SamisdatRegisseurs ein paar Schritt nach links glitt, sah Steeply, dass er jetzt cross auf einen völlig freien Court schlagen konnte, denn Stice hatte den Ball so hart getroffen, dass er vom Schlag zurückgetrieben worden war und jetzt Mühe hatte, aus der Rückhandecke wieder herauszukommen, und HaI schlug den flachen Bilderbuch-Drive cross-court in den grün linierten
Bilderbuch-Drive cross-court in den grün linierten Raum, hart, aber nicht übertrieben hart, und die Diagonale des Balls trug ihn weit hinaus, nachdem er Stice' Seitenlinie touchiert hatte, fort vom ausgestreckten Schläger des schwarz gekleideten Jungen, und einen Sekundenbruchteillang sah es so aus, als könnte ein sprintender Stice noch die Saiten an den Ball bringen, aber der blieb quälend knapp außer Reichweite, zog weiter seine ausgeprägte Diagonale quer über den Platz, ging einen halben Meter an Stice' Schlägerrand vorbei, und Stice' Schwung trug ihn weiter bis beinahe zur Mitte des nächsten Courts. Er lief jetzt langsamer und joggte weiter, um den Ball zurückzuholen. Mit leicht ausgestellter Hüfte wartete HaI auf der Vorhandseite darauf, dass Stice zurückkam und ihn wieder aufschlagen ließ. Delint, dessen Peripheriesehen an der E. 1. A. einen legendären Ruf genoss, was Schärfe und Verschleierung anging, sah, wie die große Journalistin kurz an ihrem Stift knabberte und dann nur das Gregg-Ideogramm für hübsch hinschrieb, wobei sie die fuchsienrote Mütze schüttelte. »War der nicht hübsch«, sagte er verbindlich. Steeply suchte ein Taschentuch. »Nicht gerade.«
Steeply suchte ein Taschentuch. »Nicht gerade.« »HaI ist im Wesentlichen ein Sadist, wenn Sie seine Essenz wollen, kein kompromissloser Killer wie Stice oder der Kanadier Wayne«, sagte delint. »Deswegen hält man sich gegen HaI nicht zurück oder geht auf Nummer sicher. Das jetzt eben, wie der Ball gerade noch erreichbar scheint, so hält er einen auf Trab, und man versucht es doch noch. Er zerrt einen herum. Immer schon zwei bis drei Schläge voraus. Den Punkt hat er mit der tiefen Vorhand nach dem Aufschlag geholt - kaum hatte er Stice auf dem falschen Fuß erwischt, war zu sehen, wie die Ecke aufging. Obwohl der Aufschlag die ganze Sache schon vorbereitet hatte, noch dazu ohne das Risiko eines zu hohen Tempos. Der Junge braucht kein Tempo, haben wir ihn herausfinden lassen.« »Wann bekomme ich die Gelegenheit, ihn zu sprechen?« »Es war viel Arbeit, Incandenza so weit zu bringen. Früher hatte er nicht das vollkommene Spiel, um das hinzukriegen. Unterteilt man den ganzen Court in Abschnitte und Schwachpunkte, dann sieht man den einen Schwachpunkt plötzlich aufleuchten und merkt, dass er die Ecke von Anfang des Ballwechsels an
vorbereitet hat. Erinnert einen an Schach.« D i e Journalistin putzte sich die gerötete Nase. »Schach im Laufschritt.« »Hübsch gesagt.« HaI bereitete den Aufschlag auf die Vorhandseite vor. »Spielen die Schüler hier Schach?« Freudloses Lachen. »Keine Zeit.« »Spielen Sie Schach?« Stice retournierte Hals zweiten Aufschlag mit einem RückhandWinner; leiser Applaus. »Ich habe keine Zeit, irgendwas zu spielen«, sagte deLi nt und füllte ein Kästchen aus. Man hörte am Geräusch, dass der Schläger des anderen Jugendlichen straffer bespannt war als Hals. »Wann kann ich mich direkt mit HaI zusammensetzen?« »Weiß ich nicht. Wahrscheinlich gar nicht.« Die schnelle Kopfbewegung der Journalistin verschob die Fleischfalten im Nacken. »Wie bitte?« »Liegt nicht an mir. Ich schätze mal, Sie sprechen ihn gar nicht.
Hat Dr. Tavis Ihnen das noch nicht gesagt?« »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was der eigentlich gesagt hat.« »Hier ist noch nie ein Jugendlicher interviewt worden. Der Gründer hat Ihresgleichen aufs Gelände gelassen, aber bei Tavis ist es schon eine Gnade, dass Sie überhaupt hier sind.« »Ich möchte hier doch nur ein paar Milieurecherchen anstellen, über Ihren Ehemaligen, den Punter.« DeLint spitzte die Lippen, als wollte er pfeifen, aber es kam kein Pfeifen heraus. »Wir haben hier noch nie zugelassen, dass ein Jugendlicher interviewt wird, der sich noch im Training und in der Einschärfung befindet.« »Hat der Schüler nicht das geringste Mitspracherecht, mit wem er redet und warum? Was ist, wenn sich der Junge über den Wechsel seines Bruders vom Tennis zum Football mit mir unterhalten möchte ?« Die Art, wie sich deLint auf das Match und seine Tabellen konzentrierte, sollte signalisieren, dass er einem nicht viel Aufmerksamkeit schenkte. »Reden Sie mit Tavis drüber.« »Bei dem war ich über zwei Stunden.«
»Nach einer Weile haben Sie den Bogen raus, wie Sie ihn fragen müssen. Tavis müssen Sie in eine Ja/Nein-Ecke drängen, wo Sie irgendwann sagen können, ich brauche jetzt ein Ja oder ein Nein. Wenn Sie helle sind, dauert das ungefähr zwanzig Minuten. Das ist doch schließlich Ihr Job, den Leuten Sachen aus der Nase zu ziehen. Ich habe Ihnen keine offizielle Antwort auszurichten, aber ich schätze mal, sie lautet Nein. Nach wichtigen Spielen kommen die Bostoner Pressefritzen immer vorbei, holen sich die Match-Ergebnisse, Leistungsstatistiken und Heimatstädte ab, und damit hat's sich.« »Moment ist eine überregionale Zeitschrift für und über außergewöhnliche Menschen, und ich bin nicht irgendein Sportschreiberling mit Zigarre und Redaktionsschluss.« »Befehl von oben, Babe. Ich bin nicht der Befehlshaber. Ich weiß nur, dass sie uns beibringen, dass wir den Schülern beibringen sollen, dass es darum geht zu sehen und nicht darum, gesehen zu werden.« »Mich interessiert hier nur die menschliche Sicht eines talentierten Jungen auf den kühnen Wechsel seines talentierten Bruders zu einer
Mannschaftssportart, in der er sich als noch talentierter erwiesen hat. Ein außergewöhnlicher Bruder über einen anderen. HaI steht nicht im Mittelpunkt des Artikels.« »Drängen Sie Tavis in die richtige Ecke, und er wird Ihnen das mit dem Sehen und Gesehenwerden erklären. Diese Jugendlichen, von denen sind die besten hier, um sehen zu lernen. Schtitts Devise lautet Selbsttranszendenz durch Schmerz. Diese Jugendlichen -« er deutete auf Stice, der gerade wie verrückt einem Stoppvolley nachgerannt war, der deutlich vor der Aufschlagslinie ausgerollt war; leiser Applaus »die sind hier, um in etwas Größerem als ihnen selbst aufzugehen. Damit es so bleibt, wie es war, als sie anfingen, als das Spiel etwas Größeres war. Dann zeigt sich ihr Talent, sie fangen an zu gewinnen, werden Hechte in den Karpfenteichen ihrer Heimatstädte und verlieren die Fähigkeit, im Spiel aufzugehen und zu sehen. Talent verdreht einem Junior den Kopf. Es kostet sie einen hübschen Batzen, herzukommen, sich wieder in Karpfen zu verwandeln, zerfetzt zu werden, sich klein zu fühlen, zu sehen und sich zu entwickeln. Ein paar Jahre lang zu vergessen, sich als Objekte der Aufmerksamkeit zu sehen, und zu lernen, was sie
Aufmerksamkeit zu sehen, und zu lernen, was sie leisten können, wenn nicht alle Augen auf sie gerichtet sind. Sie sind nicht hergekommen, damit man in Homestorys oder im Rahmen von Milieurecherchen von ihnen liest oder hört. Babe.« DeLint las Steeplys Miene als eine Art Tic. Ein winziges Büschelchen Nasenhaare ragte aus dem einen Nasenloch, was deLi nt abstoßend fand. Steeply sagte: »Ist über Sie als Spieler mal was geschrieben worden?« DeLint lächelte kühl über seinen Tabellen: »Hatte nie den Rang oder die Aussichten, dass das für mich ein Thema gewesen wäre.« »Bei manchen von denen ist es das aber. Bei Hals Bruder zum Beispiel.« DeLint fuhr mit dem Stift die Konturen seiner Lippen nach und schnaubte. »Orin war okay. Als Tennisspieler war er letztlich ein Zirkuspony, das nur einen Trick draufhat. Und mal unter uns Pastorentöchtern: Er hatte einen an der Waffel. Als er hier weg ist, war er als Spieler auf dem absteigenden Ast. Aber sein kleiner Bruder, der hat eine Zukunft im Tennis, wenn er will. Und Ortho. Wayne sowieso. Ein paar von den Mädchen - Kent,
Caryn und Sharyn da«, er zeigte auf die VaughtErscheinung unter ihnen. »Die wirklich Begabten, die sich noch im Aufstieg befinden, wenn sie hier abgehen, wenn die es in die Show schaffen -« »Profis werden, meinen Sie.« »In der Show können sie sich nach Herzenslust in Statuen verwandeln lassen, die angehimmelt, diskutiert und veräppelt werden. So sieht das doch aus. Vorläufig sind sie aber hier, und hier sind sie diejenigen, die sehen und schauen und erst einmal vergessen, dass sie angeschaut werden.« »Aber sogar Sie reden von der »Show«. Sie gehen in die Unterhaltungsbranche.« »Worauf Sie einen lassen können.« »Aber dann ist das Publikum doch Sinn und Zweck des Ganzen. Warum bereiten Sie sie dann nicht auch auf den Stress vor, ein Publikum zu unterhalten? Warum gewöhnen Sie sie nicht daran, gesehen zu werden?« Die beiden Jungen standen am nahen Netzpfosten, Stice putzte sich mit einem Handtuch die Nase. DeLint legte demonstrativ sein Klemmbrett weg. »Nehmen wir mal einen Augenblick lang fälschlicherweise an, dass ich für die Enfield
fälschlicherweise an, dass ich für die Enfield Academy spreche. Dann sage ich, Sie begreifen es nicht. Das Wichtigste ist hier, den Besten von denen das Gefühl einzuschärfen, dass es nie darum geht, gesehen zu werden. Niemals. Wenn man ihnen das einschärfen kann, dann macht die Show sie nicht kaputt, sagt Schtitt. Wenn sie bis aufs Spiel alles vergessen können, also auch, dass Sie alle da draußen auf der anderen Zaunseite nur sie sehen und nur sie wollen, sodass das Spiel Nebensache wird, für Sie geht's ja nur um Unterhaltung und Persönlichkeit, es geht um die Statue, aber wenn man ihnen das richtig einschärft, dann werden sie nie zu Sklaven der Statue, sie werden sich nicht das Hirn wegblasen, wenn sie ein Turnier gewonnen haben, oder im dritten Stock aus dem Fenster springen, wenn sie nicht mehr veräppelt werden und keine Homestorys mehr kriegen, wenn ihre Blüte zu welken beginnt. Ob Sie das wollen oder nicht, Babe, Sie kauen sie doch durch, das machen Sie doch.« Wir kauen Statuen?« »Ob Sie wollen oder nicht. Sie, Moment, World Tennis, Self InterLace, das Publikum. Die Zuschauer in Italien sogar buchstäblich. Liegt in der Natur des
Spiels. Das ist die Maschine, der sie sich alle in den Rachen stürzen wollen. Sie kennen die Maschine nicht. Aber wir. Gerhardt bringt ihnen bei, den Ball von einem inneren Ort aus zu sehen, der nicht zerkaut werden kann. Das braucht Zeit und absolute Konzentration. Der Mann ist ein Scheißgenie. Schreiben Sie doch eine Homestory über Schtitt, wenn Sie unbedingt eine haben müssen.« »Und ich darf die Schüler auch nicht danach fragen, wie dieser innere, unzerkaubare Ort aussieht. Der ist geheim.« HaI verfehlte einen zweiten Aufschlag, er prallte vom Schlägerrand ab und flog zu den Mädchen hinüber, die sich gegenseitig mit Lobs und Quieksern eindeckten. Stice hatte ihn jetzt schon auf 6:5 gebracht, und auf der Tribüne erhob sich Gemurmel wie im Gerichtssaal bei einer unangenehmen Offenbarung. DeLint rundete die lippen und produzierte einen bovinen Laut in Ortho Stice' Richtung. HaI schaufelte draußen an der Grundlinie seine Bälle weg und zupfte an der Kreuzschraffur der Saiten herum, als sie die Seiten wechselten. Ein paar von den fieseren Kindern applaudierten seinem Fehlschlag.
»Bei mir können Sie hämisch werden, soviel Sie wollen. Ich hab' schon gesagt, der Befehl kommt von oben. Bei Tavis würd' ich mir die Häme allerdings verkneifen.« »Aber wenn Sie es wären. Der Befehlshaber.« »Lady, wenn ich das wäre, würden Sie die Nase unten zwischen die Gitterstangen pressen, genau so weit würden Sie kommen. Sie befinden sich hier in einer dünnen Scheibe des Raum/Zeit-Kontinuums, die herausgeschnitten wurde, um talentierte Jugendliche vor genau dem Tun und Treiben von Leuten wie Ihnen zu beschützen. Und warum eigentlich Orin? Der Junge taucht viermal im Spiel auf, wird nie geschlagen und trägt nicht mal Polster. Ein Zirkuspony, das nur einen Trick draufhat. Warum nicht John Wayne? Die dramatischere Geschichte, Geopolitik, Entbehrung, Exil, Drama. Ein noch besserer Spieler als HaI. Ein vollkommeneres Spiel. Zielt wie eine verdammte Rakete auf die Show und könnte es unter die ersten Fünf schaffen, falls er es nicht vorher versaut oder durch schmort. Wayne wäre das gefundene Fressen für Sie. Und deshalb werden wir Sie auch von ihm fernhalten, solange er hier ist.«
Di e Homestory-Journalistin betrachtete die Köpfe und Knie auf der Tribüne, die Sporttaschen und ein paar unpassende Dosen Möbelpolitur. »Aber woraus wurde dieser Ort herausgeschnitten? « Aus dem Büro von Helen Steeply Ständige Mitarbeiterin Zeitschrift Moment 13473 Blasted Expanse Boulevard Tucson, AZ, 857048787/2 Mr Marlon K. Bain Saprogene Hallöchen Inc BPLWaltham Building 1214 Totten Pond Road Waltham, MA, 021549872/4 November J. d. I.-u. Sehr geehrter Mr Bain, beruflich in Phoenix weilend, war es mir neulich vergönnt, Ihren Jugendfreund Mr Orin J. Incandenza kennenzulernen. Seither treibt mich die Idee um, über die Incandenza-Familie und ihre Errungenschaften nicht nur in der Welt des Sports zu schreiben, sondern auch über eine ganze Palette anderer Themen wie etwa Metro-Bostons unabhängige Filmszene in Vergangenheit und Gegenwart.
Ich möchte Sie hiermit um die Erlaubnis bitten, Ihnen Fragen zu stellen, die Sie schriftlich beantworten könnten, denn Mr Orin Incandenza hat mich darüber in Kenntnis gesetzt, dass Sie eine Abneigung dagegen hegen, Menschen außerhalb Ihres Heims und Büros zu treffen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich baldmöglichst einen positiven Bescheid von Ihnen erhielte, Usw. usw. usw. Saprogene Hallöchen * WENN ES WICHTIG GENUG IST, DASS ES EIN PROFI FÜR SIE SAGT *ein stolzes Mitglied der ACME-Gruppe für Scherzartikel & Schnickschnack, abgepackte Gefühle, Witze, Überraschungen u n d spinnerte Kostüme Ms Helen Steepley Und So Weiter November J.d.I.U. Werte Ms Steepley, Schießen Sie los. Hochdero submissester Diener MK Bain Saprogene Hallöchen / ACME
Aus dem Büro von Helen Steeply Ständige Mitarbeiterin Zeitschrift Moment 13473 Blasted Expanse Boulevard Tucson, AZ, 85704878712 Mr MK Bain Saprogene Hallöchen Inc BPL- waltham Building 1214 Totten Pond Road Waltham, MA, 021549872/4. November J.d.I.-U. Sehr geehrter Mr Bain, F, F, F (F, F [F], F, F, F), F, F (F), F, f.269 Au s Schieferschichten, eisenhaltigem Granit und anderem kristallinen Gestein herausgeschnitten mehr oder weniger zur gleichen Zeit, zu der auch die Hügelkuppe zu Tenniszwecken abrasiert, planiert und festgewalzt wurde - sind die vielen Tunnel der E. T. A. Es gibt Verbindungstunnel und Korridortunnel mit auf beiden Seiten abgehenden Räumen, Laboren und der Gebläseraum-Lunge- Verbindung, Versorgungstunnel, Vorratstunnel und abgerundete kleine Seitentunnel, die Tunnel mit anderen Tunneln verbinden. Insgesamt vielleicht circa sechzehn
verschiedene Tunnel, deren Querschnitt hauptsächlich eher eiförmig als sonst was ist. Am 11.11. um 16.25 Uhr sind LaMont Chu, Josh Gopnik, Audern Tallat-Kelpsa, Philip Traub, Tim (»Sleepy T. P.«) Peterson, Carl Wh ale, Kieran McKenna - das Gros der gehfähigen U14Eschatonisten - sowie der zehnjährige Kent Blott 26 Meter tief direkt unter dem Show Court, auf dem das Hal/Schatten-Spiel stattfindet, mit Glad-Müllsäcken mit GriHverstärkern270 und streuarmen B. P.Quecksilbertaschenlampen unterwegs. Und Chu hat ein Klemmbrett dabei, an dessen Klammer mit Bindfaden ein Stift befestigt ist. Die Geräusche der Wettkampfturnschuhe und des Gequietsches auf den Zuschauertribünen an der Erdoberfläche, die durch meterdickes Gestein und polymerisierte und verputzte Betontunneldecken herabdringen, klingen eher wie das verstohlene trockene Trippeln von Nagetieren, Schädlingen. Und das erhöht den Kitzel, der einfach dazugehört, wenn sie hier unten sind. Zum einen sind sie hier unten, weil kleine USamerikanische Jungen das Hinabsteigen in umschlossene Fundamente in der Tiefe - Tunnel, Höhlen, Lüftungsschächte, die grässlichen Orte
unter Holzveranden - ähnlich fetischisieren wie große US-amerikanische Jungen weite, den Blick in die Ferne schweifen lassende Aussichten, wobei letztere Fetischisierung auch belegt, warum die Hügellage der E. 1. A . eine ihrer Trumpfkarten im Rekrutierungskrieg gegen Port Washington und andere Tennis-Academies an der Ostküste ist. Zum anderen ist es ein semidisziplinarisches Latrinenkommando, mit dem gewisse Spieler - die kürzlich am nicht strategischen EschatonGefechtsdebakel teilgenommen haben, aber unverletzt sind271 und nicht in der weit ärgeren Bredouille der Großen Kumpel stecken - zu nachmittäglichen unterirdischen Strafeinsätzen verdonnert worden sind, zur als eher unangenehm angesehenen Pflicht, die Tunnelroute auszukundschaften, auf der die Spezialisten der TesTar All-Weather Inflatable Structures Corp. Fiberglasstreben, Querstücke und zusammengef al t et e Lunge-Bestandteile aus Dendriurethan aus dem Lungenlagerraum schleppen, um die Lunge aufzustellen, wenn die E. T. A.- Verwaltung endlich entscheidet, dass das Spätherbstwetter die charakterbildende Phase
beendet hat und zu einer Behinderung von Entwicklung und Kampfmoral geworden ist. Was bald der Fall sein wird. Weil die Prorektoren in von den großen Tunneln abgehenden Räumlichkeiten wohnen und S.1. Hardes Turnhallen- und Wartungsfritzen hier unten ihre Büros und Lagerräume haben, weil Dr. James Incandenzas alte Optik- und Filmentwicklungsanlagen hier unten von einem der Haupttunnel abgehen und von Leiths und Ogilvies Kursen in Unterhaltungsproduktion sowie für Optik-Tutorien usw. genutzt werden, weil ein paar kleinere und Verbindungstunnel als Zwischenlager abgehender Senioren dienen, die ihre in acht oder mehr Jahren angesammelte Habe nicht in einer einzigen Post-Abschluss- Tour abtransportieren können - schon gar nicht, wenn sie im Sommer zu irgendwelchen Satellite-Zirkustouren von Novizen vs. Profis abschwirren, denn das bedeutet Flugreisen, ergo max. zwei Koffer plus Ausrüstung -, werden die Tunnel in der warmen Jahreszeit von müllähnlichem Kram übel verdreckt. Manchmal kommt es zum Überlauf sperriger Habe aus den kleinen gewundenen Vorratstunneln, die vom Korridor der Prorektoren abgehen. Kleine Kinder sind ideal für Erkundungstouren in die niedrigen engen Tunnel,
die teilweise von Abfall versperrt werden, und obwohl es an der E. T. A. ein offenes Geheimnis ist, dass die kleinen Jungen sowieso viel Zeit unten in den T u n n e l n verbringen, haftet diesen Erkundungskommandos insofern ein Strafaspekt an, als sie Müllsäcke mit Griffverstärkern mitnehmen und verstreute Prüfungsunterlagen und Laborblätter einsammeln müssen, Taschenrechnerbatterien, B a n a n e n s c h a l e n , Kodiak-Kautabakdosen, zusammengeringelte Tennisschlägersaiten aus Kunstdarm, die scheußlichen Zigarrenstumpen der Wartungsfritzen - Sleepy T. P. findet gleich hinter dem Foyerkorridor der Prorektoren zwei leuchtende Trojan- Verpackungen, und ein paar Meter weiter liegt auf dem Boden tatsächlich ein schimmernder Kondomwurm, und es entspinnt sich eine schrille Debatte darüber, ob das ein gebrauchtes Kondom ist, und am Ende wird der arme alte Kent Blott dazu vergattert, es aufzuheben und in einen Müllsack zu werfen, für den Fall, dass es ein gebrauchtes Kondom ist -, leere Schachteln gesponserter Firmenartikel, volle Schachteln schwuchteliger oder wenig saugfähiger Artikel, die keiner will, HabitantDosenhüllen, Seniorenkoffer, Minikühlschränke für
d i e Schlaf trakte usw.; Kinder sind auch ideal, Kartons, die nicht zu schwer für sie sind, beiseitezuschieben und den Weg der TesTar-Heinis in das Lungenlager und den Gebläseraum freizuräumen; LaMont Chu hat die Positionen von Kartons oder anderen Gegenständen zu notieren, die für die Jungen zu sperrig sind, und dann werden Kraftprotze von Hauswartsfuzzis entsandt, um sie nach Gutdünken zu entsorgen. Ein erklecklicher Teil der jüngeren E. T. A.-Jungen sieht daher nicht, wie Stice HaI Incandenza einen Satz abnimmt und ihn fast schlägt, weil sie von Neil Hartigan direkt aus den PostKonditionstrainingsDuschen nach unten geschickt worden sind. Wie schon gesagt, macht es ihnen nicht viel aus, hier unten zu sein, jetzt in einem der Seitentunnel mit einem Durchmesser von Kindergröße zwischen dem Prorektoren-Korridor und dem Lungenlagerraum. Die Eschatonisten sind sowieso oft hier unten. Tatsächlich haben die U14er an der E. T. A. traditionell sogar eine Art Tunnelverein. Wie in vielen Vereinen kleiner Jungen bleibt der sie einigende Daseinszweck verschwommen. Die
Tunnelvereinsmitglieder belassen es in der Regel dabei, sich ungezwungen in den besser ausgeleuchteten Haupttunneln zu versammeln, herumzuhängen, sich gegenseitig bei Lügen über ihr Leben und ihre Werdegänge vor der E. T. A. zu ertappen und den letzten Eschaton (für gewöhnlich finden nur etwa fünf pro Halbjahr statt) zu rekapitulieren; die einzige offizielle Vereinsaktivität besteht darin, mit einem vergilbten Exemplar von Roberts Regeln dazusitzen und die Beitrittsbedingungen des Tunnelvereins endlos zu verfeinern und zu ergänzen. Wie bei jedem echten Jungsverein bezieht sich die vergleichsweise k o n k r e t e s t e Raison d'etre auf Ausschlussmechanismen. Der unzweideutige Mädchenausschluss ist der einzige eherne Bestandteil der Tunnelvereinscharta.272 Bis auf Kent Blatt sind alle Jungen des Latrinenkommandos Eschatonisten und Mitglieder des Tunnelvereins. Kent Blatt kommt für Eschaton nicht infrage, weil er eher zu den Feingeistern gehört, noch nicht mal quadriviale Algebra belegt hat und bisher ausgeschlossen blieb, weil er kein einziges Qualifikationskriterium erfüllte, und er ist jetzt nur dabei, weil er beim Mittagessen behauptet hat, als er
dabei, weil er beim Mittagessen behauptet hat, als er am Vormittag nach Training und Saunabesuch eine Abkürzung zu seinem Zimmer im West House genommen habe, sei er im Nordteil des Haupttunnels zwischen den Umkleiden im Gem.- Verw. und der unteriridischen Wäscherei entweder auf eine Ratte gestoßen oder aber auf etwas, das, wie er sagte, eher nach einem konkavitierten Wildhamster ausgesehen habe und das aus seinem Quecksilberlicht auf einen der Sekundärtunnel Richtung Schlaf trakt C und D sowie die East Courts zugehuscht sei, also genau jenes Tunnelgebiet, in dem sie sich jetzt befinden. Die Eschatonisten bilden hi er unten also auch einen begeisterten NagerSpähtrupp, wollen Blotts Behauptung überprüfen, haben einen entweder sehr nervösen oder sehr begeisterten Blott mit herabgebracht, damit sie den potenziellen Routen nachgehen können, die der Nager Blotts Angaben zufolge eingeschlagen haben könnte, füllen unterwegs ihre griffverstärkten Gladtüten und registrieren schwere Objekte, und außerdem können sie Blott auf diese Weise sofort umzingeln und disziplinieren, falls sich herausstellen sollte, dass er sie verkohlt hat.
Außerdem muss Blott die Plastikgriffe zusammenzurren und die vollen Müllsäcke zum Ausgangspunkt der Expedition - der Abzweigung vom großen glatten Haupttunnel an der Jungensauna zurückschleifen, denn keiner von ihnen schleift gern alleine volle Müllsäcke durch dunkle Tunnel, in denen man von weit oben das nagerähnliche Quietschen von Tennisspiel und Zuschauern hört. Chu hat sich eine Stablampe zwischen die Zähne geklemmt und vermerkt schwere Objekte. Sie haben mehrere Mülltüten gefüllt, den leichteren Mist weit genug aus dem Weg geschoben und so fast auf dem ganzen Weg zum Gebläseraum, wo ein seltsam süßlicher, abgestandener Brandgeruch in der Luft hängt, den keiner von ihnen einordnen kann, einen schmalen Durchgang geschaffen. Der Applaus, als HaI oben mit Ach und Krach den ersten Satz holt, klingt hier unten wie entfernter Regen. Der Nebentunnel ist dunkel wie eine Hosentasche, aber warm und trocken und bemerkenswert wenig verstaubt. Rohre und Koaxialkabel laufen an der niedrigen Decke entlang, sodass Whale und TallatKelpsa, die die Vorhut bilden, auf allen vieren kriechen müssen, Kartons wegschieben und erfolglos versuchen, Minikühlschränke aus dem Weg
zu schaffen. Es gibt mehrere Nester kleiner, aber schwerer Maytag- Minikühlschränke mit dunklen, holzgemaserten Plastikverkleidungen, die Schlaf trakts orte, die kein Schüler nach dem Abschluss wieder mitnimmt, teilweise alte Modelle mit Dreipolsteckern statt Ladegeräten. Teilweise sind die leeren Kühlschränke flüchtig ausgewischt worden, die Türen stehen offen, und sie riechen abgestanden. Chus Inventarliste für Muskelmänner besteht hauptsächlich aus Minikühlschränken oder abgeschlossenen Koffern mit, so wie es sich anhört, Zeitschriften und acht Jahre lang angehäuften Centbeständen. Das gedämpfte Nagerquietschen der Turnschuhsohlen über ihnen erregt die Jungen des Tunnelvereins und macht sie kribbelig. Philip Traub gibt ständig kleine Quietschlaute von sich, kitzelt die Leute heimlich im Nacken und sorgt für enorme Aufregung, für Stehenbleiben, Erschrecken und Herumfahren auf engem Raum, bis Kieran McKenna Traub im vollen B. P.- Lichtstrahl erwischt, w i e er Josh Gopnik kitzelt, und Gopnik verpasst Traub ein Ding auf den Speichennerv, und Traub hält sich den Arm und flennt und sagt, er spielt nicht mehr mit und geht jetzt hoch - von Blott abgesehen, ist Traub hier der Jüngste und als Raketenwerfer auf
Probe bei den meisten Eschatons zweite Garde -, und sie müssen stehen bleiben, und Chu notiert sich zwei ausrangierte Minikühlschränke, während Peterson und Gopnik Traub abzulenken und aufzuheitern versuchen, damit er bleibt und nicht zu Nwangi hochläuft und sie hochfrequent verpetzt. Ausrangierte Minikühlschränke, leere Kartons, unbewegliche Koffer mit detaillierten Adressschildern, gebrauchtes Tape und elastische Bandagen, ab und zu ein leeres Visine- Fläschchen (das Blott für Michael Pemulis' nächsten Wettbewerb in der Kängurutasche seines Sweatshirts verstaut), Optik-Iund Optik-II-Laborberichte, kaputte Ballmaschinen und verlorene Tennisbälle, für jeden Ballkompressor zu weich, kaputte oder ausrangierte TP-Schlaganalysefilme oder alte Unterhaltungspatronen, ungewöhnliche Ansammlungen von Parfaitgläsern, Obstschalen und AminoPal-Energieriegelverpackungen, die der Verein selbst bei früheren Versammlungen hier hat liegen lassen, ausrangierte Rollen Griffbänder und Kunstsaiten, mehrere nicht zusammengehörige Haarspangen, diverse alte Geräte für terrestrisches Fernsehen, die ältere Schüler mitgebracht hatten,
um sich ab und zu ein bisschen weißes Rauschen zu gönnen, und am Übergang vom Boden zur Wand abgeschälte spröde, gliederförmige Pledge-Hülsen, Arm- und Beinteile, schon halb zu duftendem Staub zerfallen - aus solchen Dingen setzt sich der meiste Dreck hier unten zusammen, und den Jungen macht es nichts aus, das abzusuchen, zu inventarisieren und in die Mülltüten zu werfen, weil etwas anderes und sehr Aufregendes sie ablenkt, eine potenzielle Raison d'etre für den Verein selbst, falls Blott sie nicht nur verarscht hat, in welchem Fall pass bloß auf, Blott, so der Konsens. Gopnik zu einem schniefenden Traub, während Peterson mit der Taschenlampe Chus Klemmbrett beleuchtet: »Mary hatt' ein kleines Lamm, das Fell elektrostatisch. / Wo Mary war, da wurde gleich das Lampenlicht erratisch«. Carl Whale spielt einen Fettwanst und geht mit zeppelinhaftem O-Bein-Watscheln an der Wand lang. Peterson zu Traub, während Gopnik leuchtet: »Einst fickte der Champion John Wayne / Den Trainer, Herrn Schtitt, wie ein Schwein. / Er drang in ihn ein, / Zog ihn raus, trieb ihn rein / Und wieder heraus und hinein«, was die etwas Älteren
unterhaltsamer finden als Traub. Kent Blott fragt, warum Schlappschwänze und Heulsusen wie Phil im Tunnelverein mitmachen dürfen und seine Bewerbung immer abgelehnt wird, aber Tallat- Kelpsa unterbricht ihn, indem er in der Dunkelheit irgendwas anstellt, was Blott aufschreien lässt. Bis auf die münzgroßen Kreise der streuarmen B. P.s ist es stockfinster, weil sie die Ketten nackter Glühbirnen an der Tunneldecke nicht angeschaltet haben, weil Gopnik, der ursprünglich aus Brooklyn kommt und sich mit Nagetieren auskennt, gesagt hat, nur ein popelfressender Schwachkopf geht bei Licht auf Nager-Erkundung, und es ist nur plausibel, dass auch Wildhamster grundsätzlich eine rattige Einstellung zum Licht haben. Chu lässt Blott ausprobieren, ob er eine sperrige alte Mikrowelle ohne Tür wegräumen kann, die an einer Wand auf der Seite liegt, Blott versucht es, bekommt sie kaum angehoben und winselt, Chu notiert sich die Mikrowelle für die Erwachsenen und sagt Blott, er kann sie fallen lassen, was der wörtlich nimmt, und der Krach und das Scheppern erbosen Gopnik und McKenna, die der Meinung sind, die
Nagersuche mit Blott sei wie das Fliegenfischen mit einem Epileptiker, was Traub richtig aufheitert. Wildhamster - die in Sachen mitternächtlich haarsträubende Konkavitätsschauermärchen bammelmäßig ganz oben rangieren neben kilometergroßen Wickelkindern, schädellosen Geistern, fleischfres sender Flora und Sumpfgas, das einem die Gesichtshaut wegätzt und einen für den Rest des Zombielebens mit freiliegender grauroter Fazialismuskulatur rumlaufen lässt werden südlich der Lucite- Mauern und ATHSCMEKontrollpunkte, die die Große Konkavität abgrenzen, kaum je gesichtet und nur alle Jubeljahre mal südlich der neuen Grenzfestung Methuen, Massachusetts, deren Handelskammer den Slogan »Der erste Stadtneubau der Interdependenz« aufgebracht hat, und sie sind, ohne Blott jetzt zu nahe treten zu wollen, kaum je solo anzutreffen, sondern gehören zu den räuberischen heuschreckenartigen Schwarmkreaturen, die kanadische Agronomen als »Piranhas der Prärie« titulieren. Eine Heimsuchung des müllreichen Metro- Boston durch Wildhamster, ganz zu schweigen von der abfalltunnelunterzogenen E. T. A., wäre ein Seuchenszenario im Großmaßstab, würde Erwachsene ohne Ende im Kreis herumlaufen
würde Erwachsene ohne Ende im Kreis herumlaufen und sich die Fingernägel abkauen lassen und den E. T. A.-Spielern Megakalorien verschleppten PräPubertätsstress abverlangen. Jeder die Lausch- und Guckerchen aufsperrende und seine Mülltüte schwenkende Junge im Seitentunnel hofft an diesem Nachmittag megamäßig auf einen Hamster, bis auf Kent Blott, dem jede x-beliebige Nagersichtung oder Kotprobe recht wäre, damit er nicht disziplinarmaßnahmenmäßig kopfüber in einer Toilettenkabine aufgehängt wird und vor sich hin schreien kann, bis ein Angehöriger des Lehrkörpers ihn findet. Er erinnert die Tunnelvereinsmitglieder daran, er habe nicht behauptet, definitiv gesehen zu haben, dass das Ding in diese Richtung gelaufen sei, er habe nur gesehen, dass es auf eine Weise umhergehuscht sei, die eine Tendenz oder Möglichkeit nahegelegt habe, diese Richtung einzuschlagen. Ein ganzer Karton ist umgekippt, das aufgerissene Paketklebeband hat einen Gutteil der darin enthaltenen alten TP-Patronen, alt und großenteils unbeschriftet, freigegeben und auf dem Tunnelboden ausgefächert, Gopnik und Peterson meckern, die
scharfen Kanten der Patronen hüllen reißen ihnen die Glad-Säcke auf, und Blott wird mit drei Tüten mit Patronen und Obstschalen, jede nur halbvoll, zum beleuchteten Vestibül am Anfang des Gem.- Verw.Tunnels zurückgeschickt, wo sich schon ein ansehnlicher Tütenhaufen duftend häuft. Außerdem könnte eine bestätigte Wildhamstersichtung, da sind sich Chu, Gopnik und »S. T. P.« Peterson einig, das Rektorenbüro von den Post-Eschaton-Repressalien gegen die Großen Kumpel Pemulis, Incandenza und Axford abhalten, die die Eschatonistenfraktion des Vereins nicht unbedingt reprimiert sehen möchte, obwohl der Konsens besteht, dass niemand etwas dagegen hätte, wenn der unrüchtigen Ann Kittenplan mal die Flötentöne beigebracht würden. Hamstereinfälle könnten außerdem für das okkulte Auftauchen großer und unpassender E. 1. A.-Objekte an den ungeeignetsten Orten verantwortlich gemacht werden, womit es im August losgegangen war, als Tausende von Übungsbällen über den ganzen blauen Foyerteppich verstreut gefunden worden waren, was sich Mitte September fortgesetzt hatte mit der beim Morgentraining auf Court 6 aufgefundenen sorgfältig gestapelten Pyramide aus
aufgefundenen sorgfältig gestapelten Pyramide aus AminoPal-Energieriegeln und was seither eine Dynamik gewonnen hat, die allen gestohlen bleiben konnte - Wildhamster sind berüchtigte Wegschleifer und Umgruppierer von Gegenständen, die sie nicht fressen können, mit denen sie aber trotzdem quasi zwanghaft rumspielen müssen -, und so die kollektive Fasthysterie abbauen, die sich beim eingeborenen Hilfspersonal und den U16ern der E. 1. A. gleichermaßen breitrnacht. Absehbar ist schließlich, dass es die Jungen vom Tunnelverein zu Helden machen würde. Sie bewegen sich durch den Tunnel, die Strahlen ihrer Quecksilberlampen kreuzen und trennen sich und bilden gezackte und leicht rosa gefärbte Winkel. Aber schon eine bestätigte Ratte wäre ein Coup. Studiendekanin Mrs Inc hat eine wüste Phobie in Bezug auf Schädlinge, Müll, Insekten und die ganz allgemeine Anlagenhygiene, und Orkin-Männer mit Bierbäuchen und Spielkarten mit nackten Weibern in hochhackigen Schuhen auf den Rückseiten (behauptet McKenna) sprühen schon zweimal pro Semester die ganze E. 1. A. bis zum Anschlag mit Schädlingsbekämpfungsmitteln ein. Keiner der
kleinen E. 1. A.-Jungen - für die Schädlinge genauso einen Fetisch der Postlatenzphase darstellen wie unterirdische Aufenthaltsorte und exklusive Vereinehat hier je eine Ratte, eine Kakerlake oder auch nur einen lausigen Silberfisch gesehen oder gar gefangen. Unausgesprochener Konsens ist also, ein Wildhamster wäre optimal, aber eine Ratte wäre auch nicht zu verachten. Eine einzige lausige Ratte würde dem Verein eine echte Raison verschaffen, einen erklärbaren Grund für die unterirdischen Versammlungen - sie alle haben ein ungutes Gefühl, sich selbst gegenüber nicht so recht begründen zu können, warum sie sich so gerne unterirdisch treffen. »Sleeps, meinst du, du kriegst das hoch und weggetragen ?« »Chu, Mann, ich würde mich da nicht mal nebenstellen, geschweige denn das anfassen.« In der Ferne sind die Schritte und das tonlose Pfeifen des zurückkehrenden Blott zu hören und über ihnen die quietschenden Turnschuhe. Gopnik bleibt stehen, sein Taschenlampenstrahl huscht herum und zieht über die Gesichter. »Okay. Einer hat gefurzt.« »U nd was ist das da daneben, Sleeps?« Chu
weicht zurück, um den Lichtkegel auf etwas Breitem, Kauerndem und Dunklem zu vergrößern. »Kann mir mal wer das hier beleuchten, Jungs?« »Ist hier vielleicht wer los und hat in diesem unbelüftbaren Raum einen fahren lassen?« »Chu, das ist ein Zimmerkühlschrank, mehr nicht.« »Aber es ist größer als die Zimmerkühlschränke.« »Aber nicht so groß wie ein richtiger Kühlschrank.« »Es ist irgendwo dazwischen.« »Ich riech' auch was, Gop, muss ich zugeben.« »Da riecht was. Wenn wer gefurzt hat, soll er sich melden.« »Sonst ist es ein Gestank.« »Beschreib das ja nicht.« »Sleeps, so riecht kein Menschenfurz, den ich je gerochen hab.« »Das ist viel zu stark für einen Furz.« »Vielleicht hatte Ted Schacht einen Anfall und ist hier runtergewankt, bloß um einen fahren zu lassen.« Peterson richtet seine Lampe auf den mittelgroßen braunen Kühlschrank. »Wäre es nicht möglich, dass ... « Chu sagt: »Nein. Nie im Leben.« »Was?«, fragt Blott.
»Untersteh dich«, sagt Chu. »Ich glaube, es gibt nicht mal ein Säugetier, das so übel furzen könnte, Chu.« Peterson sieht Chu an, beide Gesichter fahl im Quecksilberlicht. »Ist doch ausgeschlossen, dass hier wer abgeht und seinen Kühlschrank abstellt, ohne vorher das Essen rauszunehmen. « Blott so: »Dann riecht das also so?« »War das letztes Jahr Pearsons Kühlschrank?« Sleepy T. P. dreht sich um: »Wer riecht ein, also quasi eine Art Verwesungselement? « Lichter an der Tunneldecke von erhobenen Händen. »Mehrheit für verwesungsähnlichen Geruch.« »Sollten wir das nicht prüfen?«, fragt Chu. »Blotts Hamster könnte da drin sein.« »Und vielleicht an was Unaussprechlichem knabbern.« »Aufmachen, meinst du?« »Pearsons Kühlschrank war größer als üblich.« »Aufmachen?« Chu kratzt sich hinter dem Ohr. »Gop und ich leuchten ihn an, Peterson macht ihn auf.« »Warum ich?«
»Weil du am nächsten dran bist, Sleeps. Halt die Luft an.« »Meine Güte. Na, dann geht hier ein bisschen weg, damit ich zurückspringen kann, wenn da was raus geflogen kommt.« »So unterbelichtet kann doch keiner sein. Wer geht denn ab und lässt einen vollen Kühlschrank stehen? « »Geh nur zu gerne weit, weit weg«, sagt Carl Whale, und sein Lichtkegel entfernt sich. » So unterbelichtet kann doch nicht mal Pearson sein, dass er Essen im Kühlschrank lässt und den Stecker rauszieht.« »Das könnte erklären, warum sich Nager angezogen fühlen, und mehr als das.« »Also aufgepasst ... fertig? ... hummph.« »Au! Geh da runter!« »Leuchte mal hi- 0 mein Gott.« »Iiiiiiierks. « »Huuääärrrgh.« »0 mein Gott.« »Bllaaaaarrr. « »Was ist das denn für ein Gestank, der so stinkt! «
»Das ist Mayonnaise! Der hat da Mayonnaise drin gelassen.« »Warum wölbt sich der Deckel da so?« »Der Karton von dem Orangensaft ist ganz aufgebläht!« »Da kann doch nichts drin leben, ob Nager oder sonst was.« »Warum bewegt sich der Sandwichaufschnitt ?« »Maden?« »Maden!« »Mach das zu! Sleeps! Tritt das zu!« »Nie im Leben geh' ich an diesen Kühlschrank auch nur einen Zentimeter näher ran, Chu.« »Der Gestank breitet sich aus!« »Das riech' ich ja bis hier! «: Whales leise Stimme in der Ferne. »Ich find' das jetzt überhaupt nicht toll.« »Das ist der Tod. Wehe denen, die den Tod gesehen. Die Bibel.« »Was sind Maden?« »Sollten wir einfach ganz schnell in die andere Richtung rennen?« »Bin ich für.« »Genau das hat die Ratte oder der Hamster wahrscheinlich gerochen«, riskiert Blott.
»Rennt!« Schrille sich entfernende Stimmen, tanzende Lampenstrahlen, wh ales Lampe weit voraus. Nachdem Stice und Incandenza je einen Satz gewonnen hatten, HaI in der Pause in die Umkleide gelaufen war, um sich Collyrium-Augentropfen in die juckenden Augen zu träufeln, und deLint auf den Stufen verzerrte Geräusche machte, als er die Tribüne hinabpolterte, um ein Wörtchen mit Stice zu reden, der am Netzpfosten hockte, den linken Arm wie ein OP-Chirurg in die Höhe streckte und mit ei nem Handtuch abwischte, wurde delints Platz neben Helen Steeply von der Prorektorin Thierry Poutrincourt eingenommen, frisch geduscht, mit langem Gesicht, eine Nichtbürgerin der USA und hochgewachsene Quebecerin, ehemalige SatelliteP r o f i mit randlosen Brillengläsern und einer Skimütze, deren violettischer Ton vom Hut der Journalistin gerade so weit abstach, dass die Leute hinter ihnen so taten, als müssten sie wegen der sich beißenden Farben die Augen schließen. Die angebliche Flottschreiberin stellte sich vor und fragte Poutrincourt, wer der starkbrauige Jugendliche sei, der hinter ihnen am Ende der obersten
Tribünenreihe kauerte, gestikulierte und in seine leere Faust sprach. »James Troeltsch aus Philadelphia ist besser allein gelassen, um den Sportkommentator zu spielen. Er ist ein Seltsamer und Unglücklicher«, sagte Poutrincourt, die mit ihrem langen Gesicht und den kavernösen Wangen auch keinen übertrieben glücklichen Eindruck machte. Ihr leichtes Achselzucken und der beim Reden umherschweifende Blick waren Remy Marathes gar nicht so unähnlich. »Als wir hören, Sie sind die Journalistin von glänzenden und parfümierten Magazinen für Klatsch und Trends, sind wir gesagt, unfreundlich zu sein, aber mir, ich denke, ich bin freundlich.« Ihr Lächeln war fissiert und zeigte schiefstehende Zähne. »Die Mitglieder von der Familie von mir sind auch groß. Es ist schwierig, wenn man groß ist.« Steeply hatte vor Antreten des Auftrags beschlossen, alle Anspielungen auf Größe zu ignorieren, als besäße er die möglicherweise aus der Jugend stammende Fähigkeit, Hinweise auf Größe oder Leibesumfang auszublenden. »Ihr Mr deLint blieb unzweideutig unnahbar.«
»Delint, wenn wir Prorektoren eine Angelegenheit angeraten bekommen, er fragt sich: Wie kann ich vollkommen diese Angelegenheit tun, sodass die Vorgesetzten mit Wonne lächeln auf delint.« Poutrincourts rechter Unterarm hatte fast den doppelten Umfang des linken. Sie trug weiße Turnschuhe und einen warmen Donnay-Pullover von tief leuchtendem Neutronenblau, das sich scheußlich mit ihrer beider Mützen biss. Auch die Ringe unter ihren Augen waren blau. »Warum die Anweisungen, unfreundlich zu sein?« Poutrincourt nickte immer erst eine Weile, bevor sie eine Frage beantwortete, als müssten die Dinge erst diverse Übersetzungsschaltkreise durchlaufen. Sie nickte, kratzte sich den langen Kiefer und überlegte. »Sie sind hier, um zu machen Öffentlichkeit für einen Kindspieler, eine von unsere etailes273, und Dr. Tavis, er ist, wie sagen Sie, bei den Lämmern -« »Belämmert. Betreten. Zurückhaltend.« »Nein ... « »Verwirrt. Hin und hergerissen. In einem Dilemma.« »Dilemma ist es. Weil dieses ist ein guter Ort, und HaI ist gut, besser seit vor der Gegenwart, vielleicht jetzt ist er etaile.« Achselzucken, lange Arme in die Seiten gestemmt. HaI kam wieder aus dem Gem.-
Seiten gestemmt. HaI kam wieder aus dem Gem.Verw. heraus und lief, Knöchelbandage hin oder her, in langsamem, lockerem Vollbluttrott an Pavillon und Tribüne vorbei zum Tor im Südzaun von Nr. 12, ließ sich von den Zuschauern auf der Tribüne nicht beeindrucken, schlug zwei seiner großköpfigen Tennisschläger gegeneinander, um die Tonhöhe der Saiten zu prüfen, und tauschte ein paar Floskeln mit delint, der bei Stice am Rand des Oberbalkenschattens stand. Stice lachte wegen irgendwas kurz auf, wirbelte den Schläger herum und ging zum Aufschlag zurück, während HaI einen Ball vom Nordzaun holte. Die Schläger beider Spieler hatten große Schlägerköpfe und dicke Rahmen. Thierry Poutrincourt sagte: »Und von Natur wer wünscht sich nicht die glänzende Aufmerksamkeit, die die Magazine mit dem Cologne auf den Seiten sagen, dies ist eine etoile, Enfield Tennis Academy, nicht ist sie gut?« »Ich recherchiere hier doch nur für eine harmlose Homestory über seinen Bruder, und HaI taucht nur als Mitglied einer amerikanischen Familie auf, die in verschiedenen Hinsichten außergewöhnlich ist. Ich verstehe nicht, was für Dr. Tavis daran so dilemmatisch ist.« Der kleine, gedrungene,
dilemmatisch ist.« Der kleine, gedrungene, übertrieben diensteifrige Mann, der ständig ein Telefon unters Kinn geklemmt zu haben schien, war von einer Hyperhilfsbereitschaft, die für jeden Experten technischer Vernehmungen ein Albtraum ist; der Monolog des Gnoms hatte mit Steeplys Gehirn das angestellt, was ein Blitzlicht mit den Augen macht, und falls er ihm den Zugang zum Bruder ausdrücklich verweigert haben sollte, dann hatte er die Verweigerung eingeschoben, als Steeply schon restlos zermürbt war. Die Tribüne wackelte ein wenig wie eine zitternde Säge, als deLint wieder hochkam und Tabellenstapel an die Brust drückte wie ein Schulmädchen seine Bücher. Er lächelte die Quebecer Spielerin auf seinem Platz an, als hätte er sie nie zuvor gesehen, ließ sich schwerfällig auf Steeplys anderer Seite nieder und warf einen Seitenblick auf die eingeklammerten Notizen der Journalistin über die verschiedenen Geräusche saitengeschlagener Bälle in der kalten Luft: katt, king, ping, pons, pock, kopp, tock, swott. Der andere Sohn des SamisdatUnterhaltungsregisseurs beantwortete einen Return
per Chip, der das Netz traf, dort kurz verharrte und dann zurückfiel. »Veux que nous nous parlons en franfais? Serait plus facile, fa?« Diese Einladung, weil Poutrincourt just die Augen zusammengekniffen hatte, als sich deLint zu ihnen gesetzt hatte. Po u t r i n c o u r t s Achselzucken war blasiert: Frankophone Menschen sind nie beeindruckt, wenn andere Französisch können. »Nun gut, also schauen Sie«, sagte sie (Poutrincourt, auf Quebecois), »jugendliche Stars sind diesem Sport nicht fremd. Lenglen, Rosewall. 1887 n. Chr. gewann eine Fünfzehnjährige Wimbledon, sie war die Erste. Evert mit sechzehn im Halbfinale der US Open, 1971 oder '72. Austin, Jaeger, Graf, Sawamatsu, Venus Williams. Borg. Wilander, Chang, Treffert, Medwedew, Esconja. Becker in den Achtzigern n. Chr. Jetzt dieser Argentinier Kleckner.« Steeply zündete sich eine Flanderfume an, und deLint verzog angewidert das Gesicht. »Sie vergleichen es ist wie Gymnastik, Eiskunstlauf und Wettkampfschwimmung.« Poutrincourt ließ Steeplys Syntax unkommentiert. »Wie Sie meinen. Bitte.«
Steeply arrangierte den langen Bauernrock, schlug die Beine übereinander, indem er sich von deLint fortneigte, und musterte eine Art durchscheinendes Muttermal auf Poutrincourts langer Wange. Poutrincourts dicke randlose Brille erinnerte an die einer gruseligen Nonne. Sie sah männlicher aus als sonst was, lang, hart und brustlos. Steeply versuchte, von den beiden weg auszuatmen. »Das Weltplateau tennis erfordert nicht, weder die Größe oder Muskeln von den Eishockey, Basketball oder Football mitzubringen beispielsweise.« Poutrincourt nickte. »Genau, auch nicht die millimetrische Präzision des Schlagmanns im Baseball, oder die senza errori, wie die Italiener das nennen, die Null-Fehler-Konsistenz, die Golfern die echte Meisterschaft erst mit dreißig Jahren und mehr erlaubt.« Die Prorektorin schaltete kurz wieder auf Englisch um, vielleicht um delints willen: »Ihr Französisch ist das von Paris, aber möglich. Meines ist Quebecois. « Jetzt musste Steeply das sauertöpfische gallische Achselzucken bringen. »Sie sagen zu mir, ernsthaftes Tennis benötigt von einem Sportler nicht etwas, das schon Jugendliche noch nicht besitzen,
wenn sie außergewöhnlich sind dafür.« »Sportmediziner wissen genau, was Spitzentennis alles erfordert«, sagte Poutrincourt, jetzt wieder auf Französisch. »Nur zu gut, die Wendigkeit, die Reflexe274, das Kurzstreckentempo, die Balance, eine gute Feinmotorik und sehr viel Ausdauer. Eine gewisse Stärke, besonders bei Männern. Aber das alles können die meisten in der Jugend erreichen. Aber ja, aber warten Sie«, sagte sie und legte eine Hand auf das Notizbuch, als Steeply zum Mitschreiben ansetzte. »Sie hatten mir eine Frage gestellt. Warum das ein Dilemma sei. Junge Spieler haben auch einen psychischen Vorteil.« »Den Vorsprung der Einstellung«, sagte Steeply und versuchte, den Jungen zu ignorieren, der ein paar Plätze weiter in seine Hand sprach. DeLint blendete alles um sich her aus und war ganz vertieft in das Spiel und seine Statistiken. Die Hände der kanadischen Prorektorin beschrieben kleine Kreise vor dem Körper, um ihr Engagement in der Konversation zu unterstreichen. Die Konversationshände von Amerikanern liegen meistens herum wie Teigklumpen, hatte Remy Marathe einmal bemerkt.
»Aber ja, der formidable geistige Vorsprung ist, dass ihre Psychen noch nicht in jeder Hinsicht erwachsen sind - die Angst und den Druck empfinden sie daher nicht so stark wie erwachsene Spieler. Das zeigt sich in all den Anekdoten von Jugendlichen, die aus dem Nichts auftauchen und in Profispielen gegen berühmte Erwachsene antreten der Ephebe spürt nicht den Druck, er kann hingegeben spielen, kennt keine Angst.« Ein kaltes Lächeln. Sonnenlicht loderte auf ihrer Brille. »Am Anfang. Am Anfang kennen sie weder Druck noch Angst, und scheinbar aus dem Nichts platzen sie auf die Profibühne, sofortige etoiles, phänomenal, furchtlos, immun gegen Druck, unempfindlich für Angst - anfangs. Sie wirken wie erwachsene Spieler, nur besser besser im Umgang mit ihren Gefühlen, hingegebener, ohne menschliche Reaktionen auf Stress, Müdigkeit, die endlosen Flugreisen oder die Publicity.« »Der englische Ausdruck ist, dass die ganze Welt für einen geöffnet steht.« »Sie spüren anscheinend nicht die Einsamkeit, die Entfremdung und dass alle vom hoile etwas wollen.« »Und dann das Geld.« »Aber dann zeigen sich schon bald Burnout-
Symptome, denen Academies wie die unsere vorbeugen wollen. Sie erinnern sich an Jaeger, mit sechzehn ausgebrannt, Austin mit zwanzig. Arias und Krickstein, Esconja und Treffert - zu oft verletzt, um über ihre Jugendjahre hinaus spielen zu können. Die vielversprechende Capriati und ihre sattsam bekannte Tragödie. Der Australier Pat Cash, mit achtzehn die Nummer 4 auf Erden, in seinen Zwanzigern verschwunden.« »Vom großen Geld gar nicht zu sprechen. Den Indossamenten und Erscheinungen.« »Das ist für den jungen hoile immer so. Und heute sogar noch schlimmer, wo die Sponsoren keine Werbung im terrestrischen Fernsehen mehr schalten können. Heute wird der Ephebe, der berühmte etoile, der in Zeitschriften und Sportsendungen aux disques erscheint, heute wird der zur Reklametafel auf Beinen. Benutz dies, trag das, für Geld. Millionen werden ihm nachgeschmissen, bevor er die Autos, die er sich kauft, fahren darf. Der Kopf schwillt auf Ballongröße an, und warum?« »Aber lässt der Druck da lange warten?«, fragte Steeply. »Er wird sogar viel stärker. Man gewinnt
überraschend zwei oder drei Partien und kommt sich plötzlich von allen geliebt vor, weil alle von einem reden, als würden sie einen lieben. Aber dann ist es immer das Gleiche. Denn dann erkennt man, dass man nur geliebt wird, solange man gewinnt. Die zwei oder drei Siege haben einen für die Menschen erschaffen. Nicht dass die Siege sie etwas hätten erkennen lassen, was vor diesen überraschenden Siegen unerkannt gewesen wäre. Das Siegen aus dem Nichts heraus hat einen erschaffen. Man muss weiter gewinnen, um die Liebe und den Zuspruch am Leben zu erhalten; die Nachfrage der Hochglanzblätter nach Homestorys über einen.« »Es tritt auf der Druck«, sagte Steeply. »Druck, wie man ihn sich nie und nimmer vorgestellt hätte, denn jetzt muss man weiter siegen. Jetzt werden die Siege erwartet. Und in Hotels und Flugzeugen ist man mutterseelenallein, denn die anderen Spieler, mit denen man sich über den Existenzdruck austauschen könnte, wollen einen schlagen, wollen über und nicht unter einem existieren. Oder die anderen verlangen Siege von einem, die man nur bringt, solange man hingegeben spielt.«
»Daher die Selbstermordungen. Die Ausbrennung. Die Drogen, der Zügelverlust, der Verderb.« »Welchen Sinn haben Instruktionen, wenn wir die Ephebin zu einer Sportlerin formen, die angstfrei siegen kann, die geliebt werden kann, wenn wir sie nicht auch auf die Zeit nach dem Einsetzen der Angst vorbereiten?« »Darum regiert hier also der schreckliche Druck. Sie werden gehärtet. Feuergefestigt.« HaI schlug weit auf, und nach einem schnellen Fußwechsel an der Aufschlagslinie folgte er dem Aufschlag diesmal ans Netz. Stice' Körper schien länger zu werden, als er ausholte, den Stock hinter den Return bekam und eine Vorhand schlug. HaI vollierte zu kurz und ging ein paar Schritt vom Netz zurück, als Stice herankam und sich auf einen leichten Passierschlag vorbereitete. HaI riet eine Richtung und wandte sich nach links, der Schatten schickte sachte einen Lob rechts über ihn hinweg und schlug mit der flachen Hand auf die Saiten, als HaI auf halber Strecke zurück aufgab. Stice rieb kein Salz in die Wunde, sondern ermahnte sich selbst. HaI schwitzte stärker als der Junge aus Kansas, dafür war Stice' Gesicht praktisch kastanienbraun
angelaufen. Beide Spieler wirbelten die Stöcke in den Händen herum, während HaI zurückging, um den Ball zu holen, und Stice auf der Vorhandseite in Position ging und seine Socken hochzog. »Trotzdem clever von HaI, dem Aufschlag manchmal zu folgen«, flüsterte deLint Steeply ins Ohr. Irritierend war die ganze Zeit dieser James Troeltsch, der Junge mit den buschigen Brauen und den roten Nasenlöchern auf dem letzten Platz der obersten Tribünenreihe, der in seine Faust sprach, mal von der einen Seite, mal von der anderen, um zwei Leute am Mikro zu simulieren: »Incandenza der Spielrnacher. Incandenza der Taktiker.« »Seltener taktischer Fehler bei Incandenza, der dem Aufschlag folgt, unmittelbar nachdem er an der Grundlinie endlich die Kontrolle errungen hat.« »Schau dir Incandenza an, der dasteht und darauf wartet, dass Ortho Stice mit dem Sockengefummel fertig wird, damit er aufschlagen kann. Diese Ähnlichkeit mit Statuen des römischen Kaisers Augustus. Das majestätische Gebaren, das edle Profil, das ungerührte, gebieterische Antlitz. Die
frostigen blauen Augen.« »Der frostige, reptilienhafte Konzentrationsfilm in den kalten blauen Augen, Jim.« »Der Halster hat Mühe, die Kontrolle über seine Volleys zu wahren.« »Ich persönlich, Jim, also ich glaube ja, er wäre gut beraten gewesen, bei seinem alten mittelgroßen Graphitstock zu bleiben und nicht zu dem großen Schlägerkopf zu wechseln, den ihm dieser Kriecher von Dunlop aufgeschwatzt hat.« »Stice ist da draußen der jüngere Spieler, der ist mit dem übergroßen Schlägerkopf aufgewachsen. Der Schatten kennt nichts anderes.« »Stice ist mit dem großen Kopf auf die Welt gekommen, könnte man sagen, Incandenza dagegen hat sein Spiel dem großen Kopf angepasst.« »Hals Karriere reicht noch in die Zeit zurück, bevor die polykarbonierten Kunstfasern die Spielweise der Junioren in ein einziges Powerplay verwandelten, Jim.« »Welch ein Tag für den Tennissport.« »Ein Tag mit Spaß für die ganze Familie.« »Das Bud für die ganze Familie. Das Bud-Match der
Woche. Mit Liefer- Service.« »Es heißt, Incandenza hat sogar den Griff modifiziert und auf den großen Schlägerkopf abgestimmt.« »Aus der Multiphasix-Reihe bester graphitverstärkter polykarbonierter Polybutylenfasern, Ray.« »Jim, Ortho Stice - Stice dagegen kann man sich ohne seinen treuen großen Schlägerkopf gar nicht vorstellen.« »Die kennen ja nichts anderes, die jungen Leute.« DeLint legte einen Ellenbogen auf die Sitzreihe hinter ihnen und sagte, James Troeltsch solle die Lautstärke runterdrehen, oder er werde sich höchstpersönlich um sein Unwohlergehen kümmern. HaI ließ den Ball dreimal aufprallen, warf ihn hoch, krümmte sich weit hinter den Wurf und schmetterte den Aufschlag ins Feld, ohne Spin und übel weit nach außen gezielt, brachte Stice grotesk aus dem Gleichgewicht, sein Ausfall ging zu weit und resultierte in einer verkrampften Rückhand, entlang der Linie und flach. HaI kreuzte die Aufschlagslinie ihm entgegen, geduckt und mit von hinten ausholendem Stock, was ihm etwas Insektenhaftes
gab. Stice stand in der Mitte der Grundlinie, erwartete Tempo und war hilflos, als HaI den Schlag verkürzte, angewinkelt cross-court abtropfen ließ und kaum übers Netz brachte, vom Backspin verfälscht kam er den halben Meter von der Seitenlinie entfernt auf, den der spitze Winkel noch zuließ. »HaI Incandenza hat den größeren Tenniskopf«, sagte Poutrincourt auf Englisch. Mit einem mittig platzierten As ging HaI im dritten Satz gegen Stice mit entweder 2 : 1 oder 3 : 2 in Führung. »Was Sie über HaI noch wissen müssen, Babe, ist, dass er ein vollkommenes Spiel hat«, sagte delint, als die Jungen die Court-Seiten wechselten, wobei Stice auf der Schlägerfläche zwei Bälle balancierte. HaI ging wieder zum Handtuch. Die Kinder in der untersten Sitzreihe schunkelten vergnügt hin und her. Die Erscheinung mit Linse und Metallstange über ihnen war verschwunden. »Und wenn Sie Junioren auf diesem Niveau zuschauen, müssen Sie noch etwas wissen«, sagt delint, den Ellenbogen immer noch hinten aufgestützt, sodass sein Oberkörper nicht zu sehen ist und er nur aus den Beinen und der Stimme in
Steeplys kaltem Ohr besteht. »Jeder hat andere Stärken, Aspekte des Sports, auf die er sich besser versteht, und es kann einem über den Kopf wachsen, wenn man ein Match oder einen Spieler nach Art und Anzahl der jeweiligen Stärken beurteilen will.« »Ich schreibe keine Homestory über diesen Jungen«, sagte Steeply, aber wieder auf Französisch. DeLint überhörte das. »Es geht aber nicht nur um Art und Anzahl der Stärken. Die Frage ist, finden sie zu einem Spiel zusammen. Wie vollkommen ist ein Spieler? Hat er ein eigenes Spiel? Die Kids, die Sie beim Mittagessen getroffen haben.« »Aber nicht gesprochen habe.« »Der Bursche mit der idiotischen Mütze, Pemulis, Mike hat ganz großartige Volleys, am Netz ist er ein Naturtalent mit einer Superfeinmotorik. Mikes zweite Stärke ist, dass er den mit Abstand besten Lob aller Junioren an der Ostküste hat. Das sind seine Stärken. Dass die beiden Jugendlichen, die Sie jetzt gerade da unten sehen, Pemulis trotzdem zu Hackfleisch machen können, liegt daran, dass Pemulis' Stärken kein vollkommenes Spiel ergeben.
Volleys sind Offensivschläge. Ein Lob ist die Waffe eines Grundlinienspielers, eines Konterboxers. Am Netz kann man nicht lobben und von der Grundlinie keinen Volley schlagen.« »Er sagt, Michael Pemulis' Fähigkeiten heben sich gegenseitig auf«275, sagte Poutrincourt ins andere Ohr. DeLint vollführte ein kleines Salaam der Wiederholung. »Pemulis' Fähigkeiten heben sich gegenseitig auf. Schauen Sie sich dagegen Todd Possalthwaite an, den Kleinen mit dem Pflaster auf der Nase von der Duschseifenausrutschkiste, Possalthwaite hat auch einen Superlob, aber wenn Pemulis ihn einfach aus Alters- und Power-Gründen heute noch plattmachen kann, dann ist Possalthwaite doch der technisch überlegene Spieler mit der größeren Zukunft, weil er um seinen Lob ein vollkommenes Spiel herumgebaut hat.« »Hier irrt deLint«, sagte Poutrincourt auf Quebecois und lächelte deLint über Steeply hinweg fissiert an. »Weil sich Possalthwaite nicht ans Netz locken lässt. Er bieibt um jeden Preis hinten und arbeitet im Gegensatz zu Pemulis daran, seine Grundschläge zu
verbessern, damit er hinten bleiben, den anderen anlocken und mit seinem giftigen Lob besiegen kann.« »Was heißt, ab vierzehn wird sich sein Spiel nicht mehr verändern oder entwickeln, und wenn er wächst und angreifen will, wird er es nie können«, sagte Poutrincourt. DeLint ließ sich so wenig Neugier auf Poutrincourts Einwürfe anmerken, dass sich Steeply fragte, ob er insgeheim ein bisschen Französisch konnte, und er notierte sich ein entsprechendes Ideogramm. »Possalthwaite ist ein reiner Defensivstratege. Er hat eine Gestalt. Der Begriff, den wir hier für ein vollkommenes Spiel verwenden, ist entweder Gestalt oder vollkommenes Spiel.« Stice punktete gegen HaI wieder mit einem As auf die Rückhandseite, der Ball blieb in einer interstitiellen Raute des Maschendrahtzauns stecken, und HaI musste den Stock weglegen, um den Ball mit beiden Händen freizukriegen. »Was für Ihren Artikel vielleicht noch ganz interessant wäre: Die Kacke bei dem Jungen, dem Bruder vom Punter, ist: HaI lobbt nicht halb so gut wie sogar Possalthwaite, und im Vergleich zu Ortho
oder Mike ist sein Netzspiel phantasielos. Aber im Gegensatz zu seinem Bruder, als der noch hier war, meine ich, haben Hals Stärken zusammengefunden. Er hat einen großartigen Aufschlag, einen großartigen Return und ganz großartige Grundschläge mit großartiger Kontrolle und großartiger Hand, verfügt großartig über Hand und Spin; einen defensiven Gegner kann er dank seiner überlegenen Kontrolle herumjagen, und einen offensiven Gegner greift er mit dessen eigenem Tempo an.« HaI passierte Stice mit der Rückhand die Linie lang, und der Ball schien definitiv drin zu sein, aber im letzten möglichen Augenblick drehte er ins Aus, eine abrupte enge Kurve, als hätte ihn aus heiterem Himmel eine plötzliche Bö erwischt und abgefälscht, und Stice sah überraschter aus als HaI. Dem Gesicht vom Bruder des Punters war nichts anzusehen; er stand einfach auf seiner Rückhandseite und zupfte die Schlägersaiten zurecht. »Aber vielleicht erlangt man das, das Siegen. Nehmen wir Sie. Sie haben gerade erreicht, worauf Sie Ihr ganzes Leben lang hingearbeitet haben. Sie sind nicht nur sehr gut, sondern die Beste. Die gute
Philosophie von hier und Schtitt - ich halte Enfields Philosophie für eher kanadisch als amerikanisch, vergeben Sie mir die leichte Voreingenommenheit lautet, man muss auch - wenn wir das Talent und die Arbeit, an die Spitze zu gelangen, mal einen Augenblick außer Acht lassen - Sie sind verloren276, wenn Sie in sich nicht auch die Fähigkeit haben, Ihr Ziel zu transzendieren, den Erfolg der Besten, wenn Sie ihn denn haben, zu transzendieren.« Auf dem Parkplatz hinter dem scheußlich wulstigen neogotischen Würfel des Gemeinschafts- und Verwaltungsgebäudes sah Steeply mehrere kleine Jungen, die weiße Plastiksäcke zu der Müllcontainergruppe schleppten und schleiften, die an die Kiefern hinter dem Parkplatz angrenzte. Die Kinder waren blass, schauten wild drein, besprachen aufgeregt etwas und warfen ängstliche Blicke über das Gelände zur Zuschauermenge hinter dem Show Court. »Dann«, sagte Poutrincourt, »und für die, die die hoiles werden, die Glücklichen, denen Homestorys gewidmet und die für Leser fotografiert werden und es gemäß der US-amerikanischen Religion schaffen, denen muss auf ihrem Lebensweg etwas eingebaut
worden sein, dank dem sie es transzendieren können, oder sie sind verloren. Wir haben da unsere Erfahrungen. Man kennt das aus allen obsessiven zielorientierten Kulturen des Strebens. Schauen Sie sich die faponais an, die Selbstmordraten in deren späteren Jahren. Unsere Aufgabe mit den hoiles hier in Enfield ist noch kitzliger. Denn Sie jetzt, wenn Sie Ihr Ziel erlangen und keinen Weg finden, die Erfahrung zu transzendieren, dass dieses Ziel Ihre ganze Existenz ausgemacht hat, Ihre raison de faire277war, dann kann nach unserer Erfahrung zweierlei geschehen.« Steeply musste ständig den Stift anhauchen, damit er schreibfähig blieb. »Entweder erlangen Sie das Ziel und machen die schockierende Erfahrung, dass die Erlangung des Ziels Sie nicht erfüllt oder erlöst, nicht plötzlich alles in Ihrem Leben »okay« macht, obwohl Ihre Kultur Sie zur Annahme erzogen hat, genau das werde bei Erlangung des Ziels der Fall sein. Und dann müssen Sie sich der Tatsache stellen, dass das, dem Sie diese Bedeutung beigemessen hatten, nicht diese Bedeutung hat, wenn Sie es erreichen, und der Schock durchbohrt Sie. Aus der Geschichte kennen
wir Menschen, die auf diesen Gipfeln Selbstmord begehen; die Kinder hier sind gut bewandert in der sogenannten Saga von Eric Clipperton.« »Mit zwei p's?« »Ganz recht. Wenn die hailes ihr Ziel erlangen, gibt es noch die zweite Möglichkeit zu versagen. Sie erlangen das Ziel, ja, und feiern das Erlangte hernach mit derselben Inbrunst, mit der sie zuvor das Erlangen verfolgt haben. Das nennt sich hier das Syndrom der endlosen Party. Ruhm, Geld, Sex, Drogen und Betäubungsmittel. Glamour. Aus Spielern werden Stars, und weil sie Stars nur sind, solange sie den Hunger der Zielkultur nach dem Schaffen befriedigen, dem Siegen, sind sie verloren, denn man kann nicht gleichzeitig feiern und leiden, und Tennisspielen heißt leiden, das ist nun mal so.« »Unser bester Junge ist besser als HaI; wenn Sie wollen, können Sie den morgen spielen sehen, John Wayne. Nicht verwandt mit dem richtigen John Wayne. Ein Landsmann unserer Terry hier.« Aubrey deLi nt richtete sich wieder neben ihnen auf, die Kälte verlieh seinen pockennarbigen Wangen eine zweite Röte, zwei febrile HarlekinOvale. »John Wayne hat eine Gestalt, weil Wayne einfach alles
hat, und bei ihm hat alles ein Tempo, dem ein Handkünstler und Denker wie HaI einfach nicht gewachsen ist.« »Es war dieses auch die Philosophie des Gründers, das Versagen, des Punters Vater Incandenza, der, wie ich bin informiert, sich auch mit Filmen beschäftigte? «, fragte Steeply die Kanadierin. Poutrincourts Achselzucken konnte vielerlei bedeuten. »Ich bin erst danach gekommen. Monsieur Schtitt hat ein anderes Ziel für die hailes, nämlich s i c h zwischen diesen zu bewegen.« Auch der Dialektwechsel der Frau war Steeply praktisch entgangen. »Sich einen Pfad zwischen dem Hunger nach Erfolg und der Verspottung des Erfolgs zu bahnen.« DeLint schaltete sich ein: »Wayne hat alles. Hals Stärke ist das Wissen geworden, dass er nicht alles hat, und so baut er sein Spiel sowohl auf dem auf, was er kann, als auch auf dem, was er nicht kann.« Steeply tat, als wolle er die Mütze zurechtrücken, schob in Wahrheit aber die Perücke zurecht. »Das klingt alles sehr abstrakt für eine so körperliche Sportart.« Poutrincourts Achselzucken schob ihr die Brille
etwas höher auf die Nase. »Es ist widersprüchlich. Zwei Egos, von denen eines nicht da ist. Monsieur Schtitt hat nach dem Tod des Academy-Gründers ... « »Des Punters Vater, der sich mit Filmen beschäftigte.« Steeplys Raglan-Sweater hatte seiner Frau gehört. Poutrincourt nickte wieder nur nichtssagend: »Der AcademyGründer, sagt Schtitt, analysierte die Arten des Sehens.« DeLint sagte: »Waynes einzige eventuelle Schwächen sind auch seine Stärke: sein wolframstählerner Wille und seine Verbissenheit, das Beharren darauf, seinem Gegner sein Spiel und seinen Willen aufzuzwingen, und sein absoluter Unwille, sein Spieltempo zu ändern, wenn er damit nicht weiterkommt. Wayne hat die Hand und die Lobs, um sich zurückzunehmen, wenn er mal nicht in Form ist, aber das macht er nicht - wenn er kaputt ist oder die Dinge nicht nach seinem Willen laufen, schlägt er einfach härter. Sein Tempo ist so überwältigend, dass er mit seinen kompromisslosen Attacken gegen nordamerikanische Junioren durchkommt. Aber in der Show, in der Wayne vielleicht schon nächstes Jahr Profi wird, in der
Show ist Flexibilität wichtiger, wird er feststellen. Wie heißt das gleich, Demut.« Poutrincourt sah Steeply fast zu desinteressiert an, schien es. »Die Analyse galt weniger der Frage, wie man etwas sieht, als der Beziehung zwischen Seher und Gesehenem. Das setzte er auf vielfältige Weise auf den verschiedensten Gebieten um.« »Der Sohn beschrieb seinen Vater als Zitat »GenreDysphoriker« Zitatende.« Poutrincourt legte den Kopf auf die Seite. »Das klingt nicht nach HaI Incandenza.« DeLint zog gehaltvoll die Nase hoch. »Der Hauptvorteil von Waynes Gestalt HaI gegenüber ist der Kopf. Wayne ist reine Kraft. Er kennt weder Angst noch Mitleid oder Gewissensbisse - wenn er einen Punkt abgibt, ist das wie nie geschehen. Für Wayne. HaI hat eigentlich bessere Grundschläge als Wayne, und wenn er wollte, könnte er Waynes Tempo haben. Aber der Grund, warum Wayne die Nr. 3 des Kontinents ist und HaI die Nr. 6, ist der Kopf. Auch HaI wirkt da draußen absolut tot, aber in, sagen wir, emotionaler Hinsicht ist er verletzlicher. HaI erinnert sich an Punkte, er spürt Entwicklungen in einem Match. Wayne nicht. HaI ist anfällig für
Schwankungen. Entmutigungen. Satzlanges Nachlassen der Konzentration. An manchen Tagen sieht man förmlich, wie HaI in ein Match rein und wieder aus ihm rausflattert, als würde ein Teil von ihm verschwinden und darüberschweben und dann wieder zurückkommen.« Die Troeltsch-Figur sagte: »Du kriegst die Motten.« »Will man hier für später überleben, muss man also beides haben«, sagte Thierry Poutrincourt leise und in fast akzentfreiem Englisch, wie zu sich selbst. »Diese emotionale Anfälligkeit, was das Vergessen angeht, findet man in der Regel eher bei Frauen. Schtitt und ich finden, es ist eine Frage des Willens. Ein anfälliger Wille findet sich hier eher bei den Spitzenmädchen. Bei Longley, bei Millie Kent und Frannie Unwin. Dieser vergessliche Wille findet sich nicht bei den Vaughts oder bei Spodek, die Sie übrigens auch spielen sehen können, wenn Sie wollen.« Die Troeltsch-Figur sagte: »Ob wir das wohl noch mal als Wiederholung sehen können, Ray?« Steeply sah Poutrincourt von der Seite an, und deLint sagte auf der anderen: »Aber der, bei dem er am stärksten ausgeprägt ist, ist HaI.«
Kap. 54 - 14. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE Der Man 0' War Grille auf der Prospect: Matty saß im heißen Geklapper des portugiesischen Restaurants, die Hände im Schoß, und sah ins Leere. Ein Kellner brachte seine Suppe. Er hatte Blut- oder Suppeflecken an der Schürze und trug a u s unerfindlichen Gründen einen Fes. Matty aß seine Suppe, ohne ein einziges Mal zu schlürfen. Er war in der Familie der mit den Tischmanieren gewesen. Matty Pemulis war ein Strichjunge, und heute war er dreiundzwanzig. Der Man 0' War Grille liegt an der Prospect Street in Cambridge, und durch die Fassadenfenster lässt sich das Kommen und Gehen zwischen den Inman und Central Squares verfolgen. Während Matty auf seine Suppe wartete, hatte er gegenüber vom Restaurant durch das Fassadenfenster gesehen, wie eine ältere Frau, wohl eine Stadtstreicherin mit mehreren Kleiderschichten übereinander, die Röcke
raffte, sich aufs Pflaster hockte und in voller Sicht der Passanten und Speisenden ihre Notdurft verrichtete, dann wieder all ihre Plastiktüten zusammensuchte und ungerührt von dannen schritt. Ihr Notdurfthäufchen lag auf dem Pflaster und dampfte leicht. Matty hörte, wie die Studenten am Nachbartisch sagten, sie wüssten gar nicht, ob sie das jetzt total ekelerregend oder total beeindruckend finden sollten. Ein großer, schlaksiger junger Mann mit großen, scharfgeschnittenen Gesichtszügen, dichtem kurzem Haar, einem Lächeln und einem Kinn, das zweimal am Tag rasiert werden musste, seit er vierzehn war. Ein Haaransatz, der von seiner hohen klaren Stirn langsam nach hinten wanderte. Ein Dauerlächeln, das immer so aussah, als wollte er es unterdrücken und schaffte es einfach nicht. Sein Da hatte früher immer gesagt, wisch das ab. Inman Square: Klein-Lissabon. In der Suppe schwimmen Kalamaristücke, und beim Kauen treten seine Wangenmuskeln hervor. Jetzt tauchen auf dem Gehweg vor dem Fenster und über den Köpfen der Gäste zwei Brasilianer in Schlaghosen und Plateau schuhen auf, wohl im
Frühstadium einer Straßenrauferei, der eine geht vorwärts, der andere rückwärts, beide werfen sich in die Brust, meiden den Klumpen Notdurft auf dem Weg und sprechen erregtes Straßenportugiesisch, das von den Fenstern und dem heißen Geklapper gedämpft wird, aber beide sehen umher und deuten dann auf die eigene Brust, quasi: »Und das sagst du mi r?« Dann stürzt sich der vorwärts Gehende plötzlich auf den anderen, und beide verschwinden hinter dem rechten Fensterrahmen. Mattys Da war 1989 mit einem Schiff aus Louth in Leinster gekommen. Da war Matty drei oder vier gewesen. Da hatte auf den Southie-Docks gearbeitet und telefonmastendicke Taue aufgeschossen, und als Matty siebzehn war, war er an Pankreasbeschwerden gestorben. Matty sah vom Brötchen hoch, das er in die Suppe tunkte, und sah zwei untergewichtige interethnische Mädchen vor dem Fenster vorbeigehen, das eine ein Nigger, und keines würdigte die Scheiße, um die alle einen Bogen machten, eines Blickes; und dann, kurz nach ihnen, kam Poor Tony Krause, den Matty wegen der Hose und der Mütze erst als Poor Tony Krause erkannte, als er wieder runter- und wieder
hochgesehen hatte: Poar Tony Krause sah gottserbärmlich aus: ausgesaugt, hohläugig, schon nicht mehr krank, sondern dem Grabe nah, sein Teint vom grünlich schimmernden Weiß von Tiefstseelebewesen, weniger lebendig als untot und als Poor Tony Krause nur identifizierbar durch die Boa, den roten Ledermantel und die unverkennbare Weise, mit der seine Hand beim Gehen die Kehlgrube schützte, was Equus Reese immer an die Starlets der Schwarzweißfilmzeit erinnerte, die bei Smoking-Empfängen die geschwungenen Treppen herabschritten; Krause ging weniger, als dass er eine unendliche Abfolge von großen Auftritten in einer Weltenraumtasche nach der anderen hinlegte, ein tuntiger Hochmut, der angesichts von Krauses gespenstischer Erscheinung jetzt zugleich Übelkeit erregte und Ehrfurcht gebot, wie er vor dem Fenster vom Grille vorbeizog, die beiden vor ihm herstapfenden ausgemergelten Mädchen entweder an- oder durch sie hindurchsah und ihnen auf der rechten Seite aus dem Fensterausschnitt folgte. Sein Da hatte angefangen, Matty in den Arsch zu ficken, als Matty zehn war. Ein Fiek in den Aaseh. Matty konnte sich hundertprozentig an die ganze Sache erinnern. Er hatte davon gehört, dass Leute,
Sache erinnern. Er hatte davon gehört, dass Leute, die als Kinder unangenehme Sachen erlebt hatten, als Erwachsene das Unangenehme verdrängt und vergessen hatten. Nicht so Matty Pemulis. Er erinnerte sich an jeden Zoll und jeden Pickel von jedem Mal. Sein Vater vor dem kleinen Zimmer, in dem Matt und Micky schliefen, nachts, der Span Flurlicht wie ein Katzenauge im Spalt der von Da geöffneten Tür, die Tür, die sich in den gut geölten Scharnieren mit der unerbittlichen Langsamkeit des aufgehenden Mondes öffnete, Das Schatten, der auf dem Fußboden immer länger wurde, und dann der Mann selbst, der sich hinter seinem Schatten hereinschob, in gestopften Socken über den mondlichtbeschienenen Boden kam, und sein Geruch, den Matty später als den von Starkbier erkannte, den Micky und er damals aber anders nannten, wenn sie ihn rochen. Matty lag da und gab vor zu schlafen; er wusste nicht, warum er in jener Nacht so tat, als wüsste er nicht, dass der Mann da war; er hatte Angst. Schon beim ersten Mal. Micky war erst fünf. Es war jedes Mal gleich. Da betrunken. Tappte über den Schlafzimmerboden. Eine gewisse Verstohlenheit. Schaffte es irgendwie, sich trotz der ganzen auf dem Boden verstreuten und beim ersten
Mal versehentlich liegen gelassenen Spielzeuglaster und Modellautos auf dem Boden nie den Hals zu brechen. Setzte sich auf den Bettrand, sodass sein Gewicht den Matratzenwinkel veränderte. Ein großer Mann, der nach Tabak und noch etwas roch, sein Atem war immer zu hören, wenn er betrunken war. Setzte sich auf den Bettrand. Rüttelte Matty so lange »wach«, bis der so tun musste, als wache er auf. Fragte, ob er geschlafen hätte, geschlafen, ja, hätte e r. Zärtlichkeiten, Liebkosungen, die irgendwie zu weit gingen, weiter als die Zuneigung eines wahren, irischen Vaters, die emotionale Freigebigkeit eines Mannes ohne Green Card, der sich Tag für Tag krumm und lahm schuftete, damit seine Familie zu essen hatte. Liebkosungen, die auf diffuse Weise zu weit gingen, das und die emotionale Freigebigkeit von etwas anderem, betrunken, wenn alle Stimmungsregeln außer Kraft gesetzt waren und man nie wusste, ob man im nächsten Augenblick geküsst oder geschlagen würde - unmöglich zu sagen oder gar zu wissen, warum was zu weit ging. Aber sie gingen zu weit, die Liebkosungen. Zärtlichkeiten, Liebkosungen, leiser, weicher, süßlicher, heißer Mundgeruch, leise Entschuldigungen für irgendwelche Wutausbrüche
oder Bestrafungen des Tages. Dieses Streicheln von kissenwarmer Wange und Kiefer mit der hohlen Hand, der riesige kleine Finger in der Höhlung zwischen Kehle und Kiefer. Matty schreckte zurück: sind wir schüchtern, haben wir Angst? Matty schreckte noch zurück, als er längst wusste, dass die zurückschreckende Angst Teil dessen war, was Da anmachte, was Da wütend machte: Vor wem haben wir denn da Angst? Wer sind wir denn, ein Sohnemann, der vor seinem eigenen Da Angst hat? Als wäre der Da, der sich Tag für Tag krumm und lahm schuftete, nichts als ein. Kann ein Da seinem Sohn keine Liebe zeigen, ohne dass er gleich als. Als könnte Matty hier liegen mit seinem Essen im Bauch und unter einer Bettdecke, die er bezahlt hatte, und seinen Vater für nichts als einen. Ist es denn ein Fiek, wovor du Angst hast. Du glaubst, ein Da, wo zu seinem Sohn kommt, mit ihm sprechen, ihn in den Arm nehmen will, so ein Da hat nichts als einen Fiek im Kopf? Als wäre sein Sohn eine Vierzigdollarhure von den Docks? Als wäre der Da ein. Dafür hältst du mich. Dafür hältst du mich also. Matty wich in ein zusammengedrücktes Kissen zurück, das der Da bezahlt hatte, die Federn des
Bettsofas erklangen unter seiner Angst; er zitterte. Na dann, also dann hätte ich nicht übel Lust, dir genau das zu verpassen, wovor du Angst hast. Wofür du mich hältst. Matty wusste schon früh, dass seine Angst die Sache nur anheizte, seinen Da anmachte. Er schaffte es nicht, keine Angst zu haben. Er versuchte es immer wieder, verfluchte sich als Feigling, der nichts Besseres verdient hatte, aber er konnte seinen Vater nicht als. Erst Jahre später kam er dahinter, dass sein Da ihn in jedem Fall in den Aasch gefiekt hätte. Dass das Ende feststand, bevor sich der erste Lichtspalt von der Tür her verbreiterte, und egal, was Matty fühlte oder verriet, es änderte nichts daran. Wenn man nichts verdrängt, hat das den Vorteil, dass man später noch dahinterkommen kann, mit einer reiferen Sicht; man kann einsehen, dass kein Sohn auf der ganzen Welt das verdient haben könnte. Als er älter war, blieb er liegen, wenn sein Da ihn schüttelte, und tat so, als schliefe er weiter, auch wenn er so heftig geschüttelt wurde, dass die Zähne aufeinanderschlugen in einem Mund, der das leichte Lächeln zeigte, das, wie Matty glaubte, die Gesichter aller tief Schlafenden zeigte. Je härter sein Vater ihn schüttelte, desto fester kniff Matty die Augen zusammen, desto
fester kniff Matty die Augen zusammen, desto angestrengter lächelte er, desto lauter rasselte sein Karikaturschnarchen, das er mit pfeifendem Ausatmen abwechselte. Micky drüben im Kinderbett am Fenster schwieg immer wie das Grab, lag auf der Seite, Gesicht zur Wand und verborgen. Zwischen ihnen beiden nie ein Wort, das über die Chancen des Geküsst- v s . Geschlagenwerdens hinausgegangen wäre. Schließlich packte Da ihn an den Schultern und warf ihn mit einem angewiderten und frustrierten Schnauben herum. Matty sagte sich, dass er es vielleicht allein wegen des Angstgeruchs verdient hätte, bis er es dann (später) aus reiferer Sicht sah. Er erinnerte sich an das Eiaufschlaggeräusch, mit dem der Deckel einer Vaselinedose abgeschraubt wurde, dieses eigentümliche Stein-in- Teich-Plumpsen eines Vaselinedeckels (ohne Kindersicherung selbst in Zeiten der Kindersicherungen), hörte, wie sein Da vor sich hinmurmelte, während er sich einrieb, und spürte den eiskalten fürchterlich kalten Finger zwischen den Pobacken, als sein Da ihm das Zeug grob um die Rosenknospe schmierte, seinen dunklen Stern.
Erst die reifere Sicht der Jahre und Erfahrungen ließ Matty dankbar werden, dass der Da wenigstens ein Gleitmittel benutzt hatte. Woher sich der Mann so eindeutig mit dem Zeug und seinem nächtlichen Gebrauch ausgekannt hatte, konnte auch die erwachsene Sicht nicht erleuchten, dahinter kam Matty auch heute, mit dreiundzwanzig, nicht. Man hört beispielweise Zi rrhose u n d akute Pankreatitis und stellt sich jemanden vor, der sich wie ein Filmkomparse mit Bauchschuss die Körpermitte hält und ohne ein Wort mit geschlossenen Lidern und ruhiger Miene zur ewigen R u h e zusammensackt. Mattys Da erstickte an aspiriertem Blut, einer wahren Fontäne des dunkelsten denkbaren Blutes, das Matty rotbraun besprühte, als er dem Mann die gelben Handgelenke hielt, während Mum auf der Suche nach einem Reanimationsteam über die Station jagte. So schrecklich fein aspirierte Teilchen, fast schon atomisiert, dass sie wie die Luft selbst in der Luft über dem Gitterbett hingen, als der Mann verschied, die katzengelben Augen weit aufgerissen und das Gesicht zu einem entsetzlich rikturierten Schmerzensgrinsen verzerrt, die letzten Gedanken
(falls vorhanden) unbekannt. Noch heute prostete Matty der letzten Erinnerung an den Mann jedes Mal beim ersten Schluck zu, wenn er sich einen genehmigte.278
Kap. 55 - 11. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE Nach dem Abendessen geht HaI als Erstes bei Schtitt vorbei, dessen Zimmer vom Gem.- Verw.Foyer abgeht, um pro forma ein paar Anhaltspunkte zu bekommen, was am Nachmittag gegen Stice bloß so fürchterlich schiefgelaufen ist. Und um vielleicht spitzzukriegen, warum er überhaupt öffentlich gegen den Schatten antreten sollte, so kurz vor dem WhataBurger. D. h., was das Show-Match überhaupt zu bedeuten hatte. Diese endlose Spannung unter den E. T. A.lern, wie die Trainer einen sehen und beurteilen, ob man Fortschritte macht - ob der eigene Aktienkurs gerade rauf- oder runtergeht. Da drinnen ist aber nur A. deLint und arbeitet an einer Art übergroßer, arbeitsblattartiger Tabelle, liegt bäuchlings und ohne Hemd auf dem nackten Fußboden, hat das Kinn in die eine Hand gestützt und einen beißenden Filzstift in der anderen, und sagt, Schtitt ist mit der Mühle weggefahren, Konfekt
holen, aber HaI soll sich doch setzen. Auf einen Stuhl, ist anzunehmen. HaI bekommt also minutenlang delints Einschätzung des Matchs um die Ohren geföhnt, angereichert mit Statistiken aus dem Kopf des Prorektors. DeLints Rücken ist blass und zeigt Konstellationen roter alter Pickelnarben, aber das ist gar nichts im Vergleich zu den Rücken von Struck oder Shaw. Es gibt einen Rohrstuhl und einen Holzstuhl. Auf dem Boden neben deLint pulsiert der Bildschirm seines Flüssigkristall-Laptops grau vor sich hin. Schtitts Zimmer ist überhell, und nirgends ist ein Stäubchen zu sehen, nicht mal in den eckigsten Ecken. Die Lämpchen der Stereoanlage leuchten, aber nichts läuft. Weder HaI noch deLi nt erwähnt die Gegenwart von Orins Interviewerin auf der Tribüne oder den auffällig langen Austausch der großen Frau mit Poutrincourt. Oben auf der riesigen Tabelle auf dem Fußboden stehen Stice' und Waynes Namen, Hals aber nicht. HaI sagt, er weiß nicht, ob er irgendeinen grundlegenden taktischen Fehler gemacht hat oder ob er am Nachmittag einfach nicht auf Zack war oder was. »Du bist einfach nie ganz da gewesen«, unterrichtet deLint ihn.
Zur Untermauerung dieses Nichtdagewesenseins hat er bestimmte Daten einer Regressionsanalyse unterzogen. Seine Wortwahl lässt HaI bis ins Mark frösteln. In der eigentlich obligatorischen Hausaufgabenzeit nach dem Essen sitzt HaI dann, obwohl gemäß seinem Prüfungsvorbereitungsplan drei Prüfungsvorbereitungskapitel auf ihn warten, in Bildschirmraum Nr.6, hat das schlimme Bein auf der Couch vor sich liegen, beugt und streckt ruhig den schlimmen Knöchel, das Knie des anderen Beins an die Brust gezogen, knetet einen Tennisball, aber nicht mit der Spielhand, kaut Kodiak, spuckt direkt in einen Mülleimer ohne Plastikeinlage und schaut sich mit neutraler Miene Patronen mit Unterhaltungen seines toten Vaters an. Wenn jemand HaI an diesem Abend hier sähe, hielte er ihn für deprimiert. HaI schaut sich mehrere Patronen nacheinander an. Das amerikanische Jahrhundert aus der Sicht eines Pflastersteins, d e n Ehevertrag von Himmel und Hölle und dann noch Teile von Hier war jemand schneller als Sie, was einen wahnsinnig machen kann, weil das Ganze der Monolog eines Brillenträgers ist, der zusammen mit Miles Penn und
Heath Pearson die E. T. A. besucht hat und im Werk von Ihm Selbst fast so allgegenwärtig ist wie Reat und Bain, dessen Name HaI aber gerade ums Verrecken nicht einfallen will. Er sieht sich Teile von Tod in Scarsdale, Verband der öffentlich Versteckten in Lynn, Diverse kleine Flammen und Schmerzarten an. Der Bildschirmraum hat eine Isoliertäfelung hinter der Tapete und ist praktisch schalldicht. HaI schaut sich die Hälfte von »Medusa gegen Odaliske« an, nimmt die Patrone aber unvermittelt heraus, als die ersten Zuschauer versteinern. HaI foltert sich mit der Vorstellung, dunkelhäutige Geilspechte drohten ihm die Folterung von Menschen an, die er liebt, wenn ihnicht der Name des Jungen in Hier war jemand schneller als Sie, Tiefkühlgemeinschaftskunde u n d Winke winke, Bürokrat einfiele. Auf den Glasregalen von B. R. 6 stehen zwei Patronen, auf denen Er Selbst auf verschiedenen öffentlich zugänglichen Kabelkanälen für »Kunst« interviewt wird. Die lässt HaI dankend aus. Das leichte Lampenflackern und die Druckveränderungen im Zimmer werden von der weit u n t e n in den Tunneln unter dem Gem.Verw.
anspringenden Heizung der E. T. A. verursacht. HaI rutscht auf dem Sofa unbehaglich hin und her und spuckt in den Mülleimer. Der ganz schwache Geruch nach verbranntem Staub stammt ebenfalls von der Heizung. Ein unbedeutender didaktischer Kurzfilm, den HaI mag und sich zweimal nacheinander anschaut, ist Winke winke, Bürokrat. Ein Bürokrat in einem sterilen, neonröhrenerhellten Bürokomplex ist ein wahnsinnig effizienter Arbeiter, wenn er wach ist, aber er hat große Schwierigkeiten mit dem Aufstehen und kommt ständig zu spät zur Arbeit, was in einer Bürokratie idiosynkratisch, ordnungswidrig und absolut inakzeptabel ist, und wir sehen, wie dieser B ü r o k r a t in die Riffelglaskabine seines Abteilungsleiters zitiert wird, und der Abteilungsleiter, der einen krass veralteten Freizeitanzug mit einem Hemdkragen trägt, der auf beiden Seiten weit ausladend über die rostfarbenen Jackettaufschläge ragt, sagt dem Bürokraten, er sei ein guter Mitarbeiter und ein prima Typ, aber diese chronische Verspätung am Morgen sei einfach untragbar, und wenn das noch ein einziges Mal vorkomme, könne er sich zum Arbeiten einen anderen neonröhrenerhellten Bürokomplex suchen. Es ist
neonröhrenerhellten Bürokomplex suchen. Es ist k e i n Zufall, dass der Rausschmiss in einer Bürokratie» Terminierung« genannt wird wie in ontologische Eliminierung, und als der Bürokrat die Kabine seines Abteilungsleiters verlässt, ist er bis in die Grundfesten erschüttert. Abends sammeln seine Frau und er sämtliche Wecker ihrer BauhausEigentumswohnung ein, jeder einzelne elektrisch, digital und äußerst präzise, bestücken ihr Schlafzimmer damit und haben am Ende ein Dutzend Wecker, deren Läutwerke ausnahmslos auf 6.15 Uhr eingestellt sind. Nachts fällt aber der Strom aus, und alle Wecker verlieren eine Stunde oder blinken nur noch unaufhörlich 00.00 Uhr, und am nächsten Morgen verschläft der Bürokrat doch wieder. Spät wacht er auf, liegt einen Augenblick da und starrt die blinkende 00.00 an. Er schreit auf, fasst sich an den Kopf, springt in einen zerknitterten Anzug, schnürt die Schuhe im Fahrstuhl, rasiert sich im Auto und überfährt auf dem Weg zum Pendlerzug rote Ampeln. Unten im Bahnhof fährt der 08.16 Richtung City gerade ein, als der Wagen des wild gewordenen Bürokraten oben auf den Parkplatz schlittert, und von der Freifläche des Parkplatzes kann er unten das Dach seines Zuges sehen, der da im Leerlauf
steht. Es ist der letzte Zug, mit dem er noch rechtzeitig ankommen kann: Wenn er den verpasst, kommt er wieder zu spät und wird terminiert. Er quietscht auf einen Behindertenparkplatz, lässt den Wagen schräg eingeparkt stehen, setzt über das Drehkreuz hinweg, nimmt sieben Stufen der Treppe zum Bahnsteig hinunter auf einmal, verschwitzt und mit vorquellenden Augen. Die Leute kreischen auf und stieben vor ihm auseinander. Während er die lange Treppe hinunterhetzt, lässt er die offenen Türen des 08.16 nicht aus den wild gewordenen Augen, als könnte er sie mit reiner Willenskraft zwingen, länger geöffnet zu bleiben. Schließlich, in glazialer Zeitlupe gefilmt, springt der Bürokrat von der siebten Stufe auf den Bahnsteig, hechtet zur offenen Tür des Pendlerzuges, kollidiert aber mitten im Hechtsprung voll Rohr mit einem ernst dreinschauenden kleinen Jungen mit dicker Brille, Krawatte und den typischen Spackenshorts, der, die Arme voll mit sorgfältig verpackten Päckchen, den Bahnsteig langzottelt. Rums, knallen sie zusammen. Bürokrat und Junge taumeln von der Wucht des Aufpralls zurück. Die Päckchen des Jungen fliegen in a l l e Himmelsrichtungen davon. Er erlangt das Gleichgewicht zurück und steht wie betäubt da, Brille
und Krawatte verrutscht.279 Der Bürokrat sieht verzweifelt zwischen dem Jungen, den Päckchen und den immer noch offenen Zugtüren hin und her. Der Zug dröhnt. Innen wird er von Neonröhren erhellt und von ontologisch untrüglichen Bürokraten erfüllt. Über den Bahnhofslautsprecher hört man etwas Blechernes und Verzerrtes über die Abfahrt. Der Strom der Bahnsteigpassanten teilt sich vor dem Bürokraten, dem gelähmten Jungen und den verstreuten Päckchen. Ogilvie hatte mal eine ganze Kursstunde darauf verwendet, anhand des Charakters dieses Jungen den Unterschied zwischen dem Antagonisten und dem Deuteragonisten eines moralischen Dramas herauszuarbeiten; er hatte den Namen des Kinderschauspielers immer wieder erwähnt. Über dem rechten Auge drischt sich HaI ein paarmal die Faust an die Stirn, um den Namen aus der Deckung zu locken. Die Glotzaugen des Bürokraten im Film schießen zwischen den offenen Zugtüren und dem kleinen Jungen hin und her, der unverwandt und fast lernbegierig zu ihm aufsieht, die Augen hinter den Linsen groß und feucht. HaI weiß auch nicht mehr, wer den Bürokraten gespielt hat, aber es ist der
Jungenname, der ihn um den Verstand bringt. Der Bürokrat beugt sich weg, neigt sich weit zu den Zugtüren, als würde jede Zelle seines Körpers magnetisch von ihnen angezogen. Aber die ganze Zeit sieht er den Jungen und die Geschenke an und ringt mit sich. Es ist eindeutig der Augenblick eines inneren Konflikts, wie er in den Filmen Seiner Selbst ganz selten vorkommt. Plötzlich gehen die Augen des Bürokraten auf ihre normale Größe zurück. Er wendet sich von den neonleuchtenden Türen ab, bückt sich zu dem Jungen, fragt ihn, ob alles in Ordnung ist, und sagt, dass alles wieder in Ordnung kommt. Mit seinem Taschentuch putzt er dem Jungen die Brille und sammelt seine Päckchen ein. Als er die Hälfte zusammenhat, gibt der Lautsprecher irgendetwas Endgültiges von sich, und die Türen schließen sich mit einem Druckluftzischen. Sanft lädt der Bürokrat dem Jungen die Päckchen auf die Arme und rückt sie zurecht. Der Zug fährt ab. Mit ausdruckslosem Gesicht sieht der Bürokrat ihn abfahren. Was ihm durch den Kopf geht, kann man nur ahnen. Er rückt dem Jungen die Krawatte zurecht, kniet sich hin, wie Erwachsene das machen, wenn sie einem Kind helfen, und sagt, es tut ihm leid, dass sie zusammengestoßen sind, und dass
jetzt alles in Ordnung ist. Er will gehen. Der Bahnsteig ist jetzt fast leer. Und nun der seltsame Moment. Der Junge verrenkt sich den Hals um die Päckchen herum und sieht zu dem Mann auf, der gerade weggehen will: »Mister?«, fragt der Junge. »Sind Sie Jesus?« »Nichts lieber als das«, sagt der Exbürokrat über die Schulter und geht. Der Junge verlagert die Päckchen, bekommt eine Hand frei und winkt dem Mantelrücken nach, und die Kamera, die, wie sich jetzt zeigt, auf dem letzten Waggon des 08.16 befestigt ist, lässt den Bahnsteig hinter sich und nimmt Fahrt auf. Winke winke, Bürokrat hat Mario von allen Unterhaltungen ihres toten Vaters am liebsten, vielleicht der überholten Ernsthaftigkeit wegen. Obwohl er Mario immer wieder klarzumachen versucht, dass das reiner Kitsch ist, mag HaI die Patrone insgeheim auch und versetzt sich manchmal in die Gefühlslage des Exbürokraten auf der Juckeltour nach Hause, der ontologischen Eliminierung entgegen. Als eine seltsame Selbst bestrafung will sich HaI auch noch dem entsetzlichen Spaß mit Zähnen und
Babyfotos berühmter Diktatoren aussetzen sowie schließlich einem der posthumen Hits von Ihm Selbst, einer Patrone mit dem Titel Blutschwester: Eine taffe Nonne, die er immer übertrieben eklig und überladen fand, aber HaI weiß nicht, dass diese Unterhaltung im Keim auf die einzige kurze und unangenehme Erfahrung von James O. Incandenza mit Bostons AA zurückgeht, Mitte der 90er v. SZ, als Er Selbst es zweieinhalb Monate lang ausgehalten hatte, bevor er sich wieder hatte davon treiben lassen, angewidert vom grob vereinfachenden Gottesgeschwafel und der kaschierten Dogmatik. Ohne Bob Hope spuckt HaI jetzt weit mehr als früher und hat den Mülleimer immer gern in Reichweite, falls er sich übergeben muss. Am Nachmittag hatte er null kinästhetische Wahrnehmung gehabt: Er konnte den Ball am Stock nicht spüren. Seine Übelkeit hat nichts mit den Patronen seines Vaters zu tun. Das ganze letzte Jahr über war sein Arm eine Verlängerung seines Gehirns und der Stock eine Verlängerung seines Arms und äußerst sensibel gewesen. Jede Patrone ist eine sorgfältig beschriftete schwarze Diskette; auf dem Klemmbrett am eierförmigen Bücherregal aus Glas sind sie alle säuberlich aufgelistet, werden in die Ladeschlitze
säuberlich aufgelistet, werden in die Ladeschlitze geschoben und warten darauf, aufgenommen und digital decodiert zu werden.
Kap. 56 - 14. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE P. T. Krause: N. Cambridge: das fiese, trügerische Gefühl des Wohlergehens nach einem Anfall. Die fieberfreie Das-Glück-ist-mirwieder-holdHochstimmung nach einem neuroelektrischen Ausnahmezustand. Poar Tony Krause erwachte in einem Krankenwagen, ohne Echse, kontinent und mopsfidel. Lag da und flirtete mit dem blau rasierten Sanitäter, der sich über ihn beugte, äußerte obszöne Zweideutigkeiten anlässlich von Ausdrücken wie Lebenszeichen und Erweiterung, bis der Sanitäter die Notaufnahme vom Cambridge City anfunkte und den Rea-Wagen abbestellte. Fuhrwerkte mit den mageren Armen in einer Art parodiertem Minimal Mambo herum und lag da. Wischte die Warnung des Sanitäters vom Tisch, die nach einem Anfall auftretenden Gefühle des Wohlergehens seien bekanntermaßen trügerisch und von kurzer Dauer. Und dann noch der selten Erwähnung findende
Vorzug, mittellos und im Besitz einer abgelaufenen und nicht mal auf den eigenen Namen lautenden Krankenversicherungskarte zu sein: Krankenhäuser erweisen einem da eine Art umgekehrten Respekt; ein Haus wie das Cambridge City Hospital beugt sich dem Wunsch des Patienten, nicht zu bleiben; plötzlich bleibt es einem unbenommen, die eigene Verfassung subjektiv zu diagnostizieren, und nach dem Anfall fühlt man ja, dass man eindeutig auf dem Weg der Besserung ist: Die Ärzte beugen sich diesem quijotischen Willen: Es ist leider kein freies Krankenhaus, wohl aber ein freies Land; sie würdigen die Wünsche eines Patienten, machen seinem Mambo Komplimente und sagen Geh mit Gott. Bloß gut, dass man nicht sehen kann, wie man aussieht. Und so ein glücklicher Zufall, dass man vom Cambridge City Hospital nur acht Blocks die Cambridge Street langschlendern muss, dann nach Süden auf die Prospect, durch die mentholierte Herbstluft, über den Inman Square und zu Antitoi Entertainment hoch, seit den Geschichten mit Wo, der Bibliothek am Copley und dem Herzen vielleicht
dem letzten Ort, an dem ein genesener junger Genderdysphoriker, der nach dem Anfall über den diagnostischen Berg, wenn auch noch leicht a n g e s c h l a g e n ist, etwas Güte und pharmakologischen Kredit erhoffen kann. Die große Ziegelsteintorte des Krankenhauses hinter Krause in der kupferroten Abenddämmerung. Das forsche Klackern seiner Absätze auf dem Trottoir, die Boa semiformelllocker um die Schultern und über die Arme geschlungen, die Hand hält vor der Kehle den roten Lederkragen geschlossen, der Kopf hoch und von allein so bleibend, der feste Blick hält mit blasierter Würde den Blicken der Passanten stand. Die Würde eines Mannes, der durch schiere Willenskraft aus der Asche des Entzugs wiederauferstanden ist, der über den Berg ist, Ziele hat und potenziell rücksichtsvolle Kanadier aufsuchen muss. Eine charmante und potenziell in nicht allzu ferner Zukunft wieder prachtvolle Gestalt, mit dem nötigen Kleingeld versehen, um jetzt den Blicken der Fußgänger auf dem Inman Square standzuhalten, die vor den Geruchsrückständen von Herrentoilette und U-Bahn-Kotze jäh die Richtung wechseln, der Asche, aus der er errettet worden und auferstanden ist, kein Mops fühlt sich fideler. Eine
auferstanden ist, kein Mops fühlt sich fideler. Eine Mondrinde hängt senkrecht über einer viertürmigen Kirche. Und die aufblinkenden Sterne sind Jojos, glaubt man nach einem Anfall: Poor Tony hat das Gefühl, er könne sie nach Belieben auf- und abrollen. Poor Tony Krause, Lolasister und Susan 1. Cheese waren auf Bertraund Antitois Einladung hin Fußsoldaten in einer kuriosen Angelegenheit n a me n s »Front-Contre-O.N.A.N.isme« geworden, indem Lolasister, Susan 1. Cheese, P. 1. Krause, Bridget Zartloch, Equus Reese und der seither verstorbene Stokely (»Darkstar«) McNair für ein schwer verschnittenes und in sechs Teile geteiltes Päckchen identische rote Ledermäntel, kupferrote Perücken und Pfennigabsätze tragen und zusammen m i t sechs männlich aussehenden Frauen in ebensolchen Perücken und Mänteln im Foyer des Sheraton Commander Hotels am Harvard Square herumhängen mussten, während ein androgyner Quebecer Aufrührer, der ihren/seinen roten Ledermantel auf eine Weise ausfüllte, dass Bridget Zartloch vor Neid erblasste und die Nägel in die Handflächen grub, durch die Lucite-Drehtür vom Commander kam, zielstrebig in den überfüllten
Commander kam, zielstrebig in den überfüllten Epaulet-Ballsaal schritt und dem kanadischen Minister für Inter-O.N.A.N.-Handel, der sich von einem blattförmigen Rednerpult herab an die USamerikanischen Medien wandte, übel riechenden halb flüssigen violetten Müll aus einem als Souvenir miniaturisierten Müllentsorgungsfass ins Gesicht kippte. Wenn der androgyne Quebecer Müllkipper aus Epaulet-Ballsaal und Foyer herausgewetzt kam, verfolgt von Männe rn in weißen Anzügen, mit Ohrstöpseln und Cobray-M-II-Halbautomatikwaffen, sollten die zwölf Lockvögel im Foyer hysterisch durcheinanderwuseln und sich durch die Drehtür in ein Dutzend verschiedene Vektoren verstreuen, damit die Sicherheitsbeamten identische amphotere Gestalten in verschiedene Richtungen davonstöckeln sähen und verunsichert wären, wen sie verfolgen sollten. Susan 1. Cheese und Poor Tony hatten die Antitoi-Brüder - von denen nur der eine sprechen konnte oder wollte, der für die Ablenkungsmanöver im Sheraton Commander verantwortlich und anderen Quebecern mit weit höheren lQs eindeutig untergeordnet gewesen war -, Krause und S. 1. C. also hatten die beiden in Ryle's Tavern am Inman Square getroffen, wo es an jedem
zweiten Mittwoch eine Genderdysphorikernacht gab, die eine schickliche und gehobelte Klientel anzog und an der (Ryle's Tavern) Poor Tony gerade vorbeikommt, gleich hinter dem Man 0 ' War Grille, nur einen Block oder so vom Glas-undKrimskramsLaden der Antitois entfernt, sich nach erst fünf Blocks oder so weniger krank als bloß hundemüde fühlt - diese postfebrile Zellerschöpfung, in der man eine Woche lang schlafen könnte - und sich fragt, ob er den beiden jungen Hässletten, die ein paar Schritt vor ihm den Fußweg langgehen, die Handtaschen klauen soll, die ihnen an dünnsten abendkleidbreiten Riemchen von den Schluffischultern baumeln, ein interethnisches Duo, was in Metro-Boston selten und beunruhigend ist, die Schwarze redet einen Kilometer die Minute und die Weiße reagiert gar nicht, ihr müdes, stures Dahinschlurfen und ihre Teilnahmslosigkeit schreien geradezu nach einem Handtaschenklau, beide finden sich offenbar aus Routine in der Opferrolle, dieses demoralisierte Desinteresse, das für Poor Tonys Geschmack immer ein Minimum an Protest oder Verfolgung garantierte die Weiße trug unter ihrem Schottenrock allerdings ganz anständig aussehende Laufschuhe. So konzentriert war Poor Tony Krause auf die Logistik
und Implikationen der potenziellen Handtaschen, die Gott höchstpersönlich vor ihm aufgehängt haben musste - wie anders wäre es doch, mit optimierter Liquidität über die Schwelle der Antitois zu treten und um eine Transaktion statt um ein Almosen zu bitten, eigentlich einen Spontanbesuch abzustatten und kein Entzugsgebettel um Mitleid zu veranstalten -, so konzentriert war er, als er einen beeindruckend großen Haufen Hundekot umging und an den breiten Fassadenfenstern des Man 0' War vorbeikam, dass er seinen alten Klaukumpel Mad Matty Pemulis gar nicht sah, eine sichere Mitleidsquelle, die hoch und heraus und hinab und wieder hoch sah und entsetzt erkannte, wie der Korridor des Entzugs Poor Tony zugerichtet hatte. Geoffrey Day ist aufgefallen, dass die meisten männlichen Insassen von Ennet House spezielle Spitznamen für ihre Genitalien haben. Etwa »Bruno«, »Jake«, »Hauer« (Minty), »der einäugige Mönch«, »Fritzie« oder »Jochen, der Liebesknochen«. Er fragt sich, ob das wohl klassenabhängig ist: Weder Ewell noch Ken Erdedy oder er selbst haben ihren Teilen Namen gegeben. Ähnlich wie Ewell hält Day eine ganze Menge
komparativer Klassendaten in seinem Tagebuch fest. Doony Glynn nennt seinen Penis »Armer Richard«; Chandler Foss hat ihm das Epitheton »Bam-Bam« gestanden. Lenz nannte sein Teil »Der grässliche Eber«. Nie im Leben hätte Day zugegeben, dass Lenz oder dessen häufige Monologe über den Eber ihm fehlten. Der fragliche Penis war, wie das bei manchen Männern eben vorkommt, ein paar Schattierungen dunkler als der Rest von Lenz. Lenz hatte ihn immer vor seinen Zimmergenossen geschwungen, wenn er einem Argument Nachdruck verleihen wollte. Er war kurz, dick und stumpf gewesen, und Lenz hatte den Eber als ein erstklassiges Beispiel des von ihm so genannten Polnischen Fluchs beschrieben, nämlich von durchschnittlicher Länge, aber ernüchterndem Umfang: »Schnell auf Grund, reißt aber tierisch die Seiten auf, Brother.« Das war seine Beschreibung des Polnischen Fluchs gewesen. Ein überraschend großer Teil von Days Genesungstagebuch besteht aus Zitaten von R. Lenz. Nach dessen Entlassung war der Steueranwalt Tiny Ewell nach oben ins Dreimannzimmer zu Day verlegt worden. Ewell war hier der einzige Mann, mit dem sich ein Gespräch führen ließ, das wenigstens ansatzweise in die Tiefe
ging, von daher war Day peinlich berührt, als Lenz ihm nach einigen langen Nächten beinahe fehlte, seine Zeitobsession, sein Gequackel und wie er in der Unterhose an der Wand Handstand machte oder den Eber schwang. Und was Ennet-House-Insassin Kate Gompert und ihre Depression anbelangt: Manche Psychiatriepatienten - sowie ein gewisser Prozentsatz von Menschen, die für ihr Wohlbefinden dermaßen chemikalienabhängig geworden sind, dass sie ein bis weit in die Kernbereiche der Seele hinabreichendes Verlusttrauma erfahren, wenn sie auf die Chemikalien verzichten müssen -, manche Leute also wissen aus eigener Erfahrung, dass es mehr als nur eine Sorte der sogenannten Depression gibt. Eine Sorte ist schwach ausgeprägt und wird manchmal Anhedonie280 oder einfache Melancholie genannt. Dabei handelt es sich um eine Art geistige Erstarrung, in der man die Fähigkeit zu freudvollem Erleben oder zur Bindung an Gegenstände verliert, die einem früher etwas bedeuteten. Der ehrgeizige Werfer steigt aus seiner Liga aus, hockt abends zu Hause und glotzt stumpfsinnig Kickboxpatronen. Der Gourmand wird dem Schmausen abhold. Der
Deflorist stellt plötzlich fest, dass sein geliebtes Teil nur noch ein gefühllos an ihm rumbaurneinder Knorpel ist. Die treusorgende Ehefrau und Mutter rührt der Gedanke an ihre Familie plötzlich genauso stark wie ein Lehrsatz des Euklid. Es ist eine Art emotionales Novokain, diese Form der Depression, zwar nicht direkt schmerzhaft, in ihrer Kälte aber doch bestürzend und ... eben deprimierend. Kate Gompert hatte diese anhedone Phase immer als eine Art radikaler Abstraktion erfahren, als eine Aushöhlung von Dingen, die früher affektiven Inhalt besessen hatten. Von Begriffen, mit denen Nichtdeprimierte um sich schmeißen und die sie ganz selbstverständlich für prall und saftig halten Glück, Lebensfreude, Herzlichkeit, Liebe -, blieb plötzlich nur das Skelett übrig, sie wurden auf abstrakte Konzepte reduziert. Sie hatten quasi denotativen, aber keinen konnotativen Wert. Die Anhedonikerin kann von Glück, Sinn usw. noch sprechen, in den Begriffen aber nichts mehr spüren, sie versteht sie nicht mehr, erhofft nichts mehr von ihnen und glaubt nicht mehr, dass sie mehr als bloß Konzepte sind. Alles wird zum Umriss des Eigentlichen. Gegenstände werden Schemata. Die Welt wird zur Karte der Welt. Eine Anhedonikerin
kann navigieren, hat aber keine Position. Im Jargon der Bostoner AA kann sich die Anhedonikerin also nicht mehr identifizieren. Ergänzt sei eine Standardthese zu Dr. J. O. Incandenzas Suizid: Jüngere E. 1. A.ler lasten seinen Entschluss, den Kopf in die Mikrowelle zu stecken, dieser Art der Anhedonie an. Grund dafür ist vielleicht, dass die Anhedonie oft mit den Krisen in Verbindung gebracht wird, in die extrem ergebnisorientierte Menschen geraten, die in einem gewissen Alter alles oder mehr als alles erreicht haben, was sie je erhofft hatten. Die Das-hat-doch-alles-keinen-Sinn-Krise der Amerikaner mittleren Alters. In Wahrheit ist das in Wahrheit überhaupt nicht, was Incandenza umgebracht hat. In Wahrheit verrät die Annahme, er hätte alle seine Ziele erreicht und festgestellt, dass ihr Erreichen seinem Leben keinen Sinn und keine Freude gab, mehr über die Schüler an der E. 1. A. als über Orins und Hals Vater: Noch stärker unter dem Einfluss der deLintmäßigen Karotte-undStock-Philosophien ihrer Heimattrainer als dem der paradoxeren Schtitt/Incandenza/Lyle-Schule nutzen jüngere
Sportler, die ihren ganzen Wert zwangsläufig an ihrer Stellung in einer Ordinalrangfolge messen, die Vorstellung, man könne seine Ziele erreichen, ohne das an den Gedärmen nagende Gefühl der Wertlosigkeit zu verlieren, als eine Art psychisches Schreckgespenst, mit dessen Hilfe sie vor sich selbst rechtfertigen können, auf dem Weg zum Morgentraining stehenzubleiben und entlang der E. T. A.-Pfade an den Blumen zu schnuppern. Die Vorstellung, dass der Erfolg nicht automatisch das Selbstwertgefühl steigert, ist für sie in diesem Alter noch eine Abstraktion, vergleichbar der Vorstellung des eigenen Todes - »Caius ist sterblich« und so weiter. Im tiefsten Inneren ist die Wettkampfkarotte für sie noch der Gral. Wenn sie sich auf Anhedonie berufen, tun sie meistens nur so. Man darf nicht vergessen, dass sie in der Regel kleine Kinder sind. Ein typischer Wortwechsel von noch nicht Sechzehnjährigen im Badezimmer oder vor der Essensausgabe verläuft so: »Hi, wie geht's?« - »Bin diese Woche Nr. 8, so geht's.« Alle beten noch die Karotte an. Eventuell mit Ausnahme des gequälten LaMont Chu hängen sie noch der trügerischen Vorstellung an, ein Vierzehnjähriger habe auf Platz 2 d e s Kontinents exakt doppelt so viel
Selbstwertgefühl wie auf Platz 4 des Kontinents. Ob trügerisch oder nicht, es lebt sich besser so. Wenn auch nur auf Zeit. Es könnte durchaus sein, dass die niedriger platzierten Kinder an der E. T. A. proportional glücklicher sind als die höher platzierten, denn wir (die wir mehrheitlich keine kleinen Kinder sind) wissen, dass es offenbar anregender ist zu wol l en als zu haben. Aber vielleicht ist das auch nur die Kehrseite desselben Selbstbetrugs. HaI Incandenza hat zwar auch noch keine Ahnung, warum sein Vater im Jahr der Dove-Probepackung in Wahrheit den Kopf in eine speziell manipulierte Mikrowelle gesteckt haben könnte, aber er ist ziemlich sicher, dass der Grund keine USamerikanische StandardAnhedonie war. HaI selbst hat seit Winzlingstagen kein intensives Innenlebengefühl mehr gehabt; Begriffe wie Lebensfreude oder Wertschätzung sind für ihn wie Variablen in erlesenen Gleichungen, und er kann sie gut genug handhaben, um jedermann zufriedenzustellen bis auf ihn selbst, der da drin ist, als Mensch in seiner eigenen Hülle - aber in Wirklichkeit ist er weit robotischer als John Wayne.
Eines seiner Probleme mit der Moms ist, dass Avril Incandenza ihn als Menschen, und zwar als guten Menschen in- und auswendig zu kennen glaubt, während in ihm, wie HaI weiß, in Wirklichkeit praktisch gar nichts ist. Seine Moms Avril hört ihre eigenen Echos aus ihm heraus, glaubt aber, ihn zu hören, und das gibt HaI das einzige Gefühl, das er seit einiger Zeit bis Oberkante Unterlippe fühlt: Er ist einsam. Interessanterweise behandeln die darstellenden Künste der millennialen USA Anhedonie und innere Leere als hip und cool. Vielleicht ist das ein Überbleibsel des von der Romantik verklärten Weltschmerzes. Vielleicht liegt es daran, dass der größte Teil der Künste hier von kultivierten, aber schwermütigen älteren Leuten produziert, aber von jüngeren Leuten konsumiert wird, die Kunst nicht e i n f a c h nur konsumieren, sondern sie nach Hinweisen darauf absuchen, wie Coolness und Hipness gehen - und man darf nicht vergessen: Hipness und Coolness sind für Kinder und Jugendliche gleichbedeutend damit, bewundert, akzeptiert, aufgenommen und Unallein zu sein. Den sogenannten Gruppenzwang kann man vergessen. Eher geht es um Gruppengier. Oder? In der
Eher geht es um Gruppengier. Oder? In der spirituellen Pubertät geht uns auf, dass der große transzendente Horror die Einsamkeit ist, die Ausgeschlossenheit, die Einsperrung im Selbst. In diesem Alter würden wir alles dafür geben oder nehmen, jede Maske anlegen, um zu passen, um dazuzugehören, nicht allein zu sein, wir Jungen. Die US-amerikanischen Künste sind unser Führer zur Aufnahme. Ein Leitfaden. Wir bekommen gezeigt, wie man Masken der Ernüchterung und der resignierten Ironie formt, und das in einem Alter, wo das Gesicht noch plastisch genug ist, um jede beliebige Form anzunehmen. Und dann ist er nicht mehr wegzukriegen, der missmutige Zynismus, der uns vor schmalzigem Gefühl und unkultivierter Naivität bewahrt. Auf diesem Kontinent (zumindest seit der Rekonfiguration) ist Gefühl gleichbedeutend mit Naivität. Kultivierte Betrachter haben an J. O. Incandenzas D a s amerikanische Jahrhundert aus der Sicht eines Pflastersteins immer seine Holzhammerthese gemocht, dass Naivität in der Theologie des millennialenAmerika die letzte wahrhaft schreckliche Sünde ist. Und da man über Sünde nur im übertragenen Sinn sprechen kann, drehte sich die dunkle Kurzpatrone von Ihm Selbst
drehte sich die dunkle Kurzpatrone von Ihm Selbst natürlich hauptsächlich um einen Mythos, den seltsam hartnäckigen US-amerikanischen Mythos nämlich, Zynismus und Naivität schlössen einander aus. HaI, der leer, aber nicht blöd ist, postuliert insgeheim, dass das, was sich als hippe zynische Transzendenz des Gefühls ausgibt, in Wahrheit Furcht vor dem echten Menschsein ist, denn ein echter Mensch (zumindest so, wie er ihn begreift) ist wahrscheinlich unvermeidlich sentimental, naiv, schmalzanfällig und ganz allgemein erbärmlich, er ist in seinem innersten Inneren lebenslänglich infantil, ein irgendwie nicht ganz richtig aussehendes Kleinkind, das sich anaklitisch über die Karte schleppt, mit großen feuchten Augen, froschweicher Haut, riesigem Schädel und schmalzigem Dummschwätz. Wirklich amerikanisch an HaI ist wahrscheinlich seine Verachtung dessen, was ihn in Wahrheit so einsam macht: sein abscheuliches inneres Selbst, bedürfnis- und gefühlsinkontinent; das unter der hippen, leeren Maske der Anhedonie winselt und sich windet.281 Das berühmte Zentral motiv in Das amerikanische Jahrhundert aus der Sicht eines Pflastersteins ist
eine schwingende Klaviersaite - allem Anschein nach ein hohes D -, deren Schwingung einen ganz weichen, schlichten Soloton erzeugt, und dann kommt ein kleiner Daumen ins Bild, ein stumpfer, feuchter, blasser und doch schmuddeliger Daumen mit verkrustetem unrühmlichem Zeug in einer Nagelecke, klein und linienlos, definitiv der Daumen eines Kleinkinds, und als er die Klaviersaite berührt, erstirbt der hohe weiche Ton plötzlich. Und die anschließende Stille ist entsetzlich. Später im Film sehen wir nach jeder Menge ätzendem und didaktisch-panoramischem Pflastersteinverfolgen die Klaviersaite wieder, der Daumen wird weggenommen, und der hohe weiche Ton erklingt von Neuem, extrem rein und solo, als er anschwillt, jetzt aber irgendwie mit einem verrotteten Unterton; das eine klare hohe D hat etwas klebrig Süßes, Überreifes und vielleicht Fauliges bekommen, als die Lautstärke immer mehr zunimmt, der Ton reiner, lauter und dysphorischer wird, bis wir schon nach überraschend wenigen Sekunden des reinen ungedämpften Tons auf die Rückkehr des Daumens hoffen und vielleicht gar um sie beten, um dem ein Ende zu machen.
HaI ist noch nicht alt genug, um zu wissen, dass diese betäubte Leere nicht die schlimmste Depression ist. Dass die stumpfäugige Anhedonie nur ein Pilotfisch an der Ventralflanke des wahren Raubtiers ist, des Großen Weißen Hais der Qual. Fachleute nennen diesen Zustand klinische Depression, Involutionsdepression oder unipolare Dysphorie. Im Gegensatz zur bloßen Unfähigkeit zu fühlen, einem Abstumpfen der Seele, ist die Raubtiersorte der Depression, die Kate Gompert immer fühlt, wenn sie das heimliche Marihuana entzieht, selbst ein Gefühl. Es hat viele Namen Seelenqual, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung oder vgl. Burtons Melancholie o d e r Jewtuschenkos autoritative re psychotische Depression -, aber Kate Gompert, die es dort unten in den Schützengräben mit dem Ding zu tun hat, kennt es einfach als Es. Es ist ein Ausmaß an psychischem Schmerz, das mit dem uns bekannten menschlichen Leben schlechthin unvereinbar ist. Es ist ein Gefühl des radikalen und kompromisslosen Bösen, nicht nur ein Charakteristikum, sondern die Essenz der bewussten Existenz. Es ist ein Gefühl der Vergiftung, die das Selbst auf seinen fundamentalsten Ebenen
durchzieht. Es ist ein Ekel der Zellen und der Seele. Es ist eine unabgestumpfte Intuition, in der die Welt voll und reich ist, belebt, keine bloße Karte und gleichzeitig qualvoll, bösartig und feindselig gegenüber dem Selbst, das Es zuwogt, in Seine schwarzen Falten hüllt, absorbiert und um das Es gerinnt, sodass eine fast mystische Einheit mit einer Welt erlangt wird, in der jeder einzelne Bestandteil auf qualvolles Unheil für das Selbst hinausläuft. Sein emotionaler Charakter, das Gefühl, als das Gompert Es beschreibt, ist wahrscheinlich weitgehend unbeschreiblich, außer als eine ausweglose Situation, in der sämtliche Alternativen, die wir mit der menschlichen Handlungsfähigkeit assoziieren Sitzen oder Stehen, Hasten oder Rasten, Sprechen oder Schweigen, Leben oder Sterben -, nicht nur unangenehm werden, sondern buchstäblich schrecklich. Es ist auch einsam in einem Ausmaß, das sich nicht vermitteln lässt. Kate Gompert hat keine Möglichkeit, einem anderen verständlich zu machen, wie sich eine klinische Depression anfühlt, nicht einmal, wenn dieser andere selbst klinisch depressiv wäre, denn in
diesem Zustand ist man außerstande zur Empathie mit einem anderen lebenden Wesen. Auch die anhedone Unfähigkeit zur Identifikation ist ein integraler Bestandteil des E s . Wenn es einem Menschen mit physischen Schmerzen schwerfällt, seine Aufmerksamkeit etwas anderem als seinen Schmerzen zuzuwenden282, kann ein klinisch depressiver Mensch einen anderen oder etwas anderes gar nicht als unabhängig von dem universalen Schmerz wahrnehmen, der ihn Zelle für Zelle auffrisst. Alles ist Teil des Problems, und es gibt keine Lösung. Für den Betroffenen ist es eine EinMann-Hölle. Durch den autoritativen Begriff psychotische Depression fühlt sich Kate Gompert besonders einsam. Speziell durch das psychotisch. Man muss sich das folgendermaßen vorstellen. Zwei Frauen schreien vor Schmerz. Die eine wird mit Stromschlägen gefoltert. Die andere nicht. Die mit Stromschlägen gefolterte Schreiende ist nicht psychotisch: Ihre Schreie sind den Umständen angemessen. Die nicht gefolterte Schreiende ist dagegen psychotisch, denn die Außenstehenden, die die Diagnose stellen, sehen keine Elektroden
und messen keine Stromstärke. Mit das Unangenehmste daran, psychotisch depressiv zu sein auf einer Station voller psychotisch depressiver Patienten, ist die Einsicht, dass keiner von diesen wirklich psychotisch ist, dass ihre Schreie gewissen Umständen vielmehr völlig angemessen sind, zu deren besonderem Charme es gehört, für Außenstehende nicht nachweisbar zu sein. Daher die Einsamkeit: Es ist ein geschlossener Kreislauf: Der Strom wird drinnen produziert und resorbiert. Der sogenannte psychotisch Depressive, der an Suizid denkt, tut dies nicht aus Zitat »Hoffnungslosigkeit« oder der abstrakten Überlegung heraus, dass sich Soll und Haben des Lebens nicht ausgleichen. Und schon gar nicht, weil der Tod plötzlich reizvoll erscheint. Die Frau, in der S e i n e unsichtbare Höllenqual ein bestimmtes unerträgliches Niveau erreicht, bringt sich aus demselben Grund um, aus dem ein eingeschlossener Mensch am Ende aus dem Fenster eines brennenden Wolkenkratzers springt. Keine voreiligen Schlüsse über Menschen, die aus den Fenstern brennender Hochhäuser springen. Ihre Angst vor dem Sturz aus großer Höhe ist noch genauso groß, wie sie es für Sie oder mich wäre,
genauso groß, wie sie es für Sie oder mich wäre, wenn wir am selben Fenster stünden, um die Aussicht zu genießen; die Angst vor dem Sturz bleibt eine Konstante. Die Variable ist hier die andere Angst, die vor dem Feuer: Wenn die Flammen nah genug kommen, ist die Angst vor dem Sturz in den Tod der etwas kleinere Schrecken zweier Schrecken. Nicht der Sturz lockt an, sondern das Feuer schreckt ab. Trotzdem kann niemand unten auf dem Trottoir, der hochsieht und »Nicht!« und »Halt durch!« brüllt, den Sprung verstehen. Nicht wirklich. Man müsste selber eingeschlossen gewesen sein und die Flammen am eigenen Leib erfahren haben, um ein Entsetzen zu verstehen, das größer ist als die Angst vor dem Fall. Aber und so ist die Vorstellung, eine Frau in Seinem Klammergriff auf den »Nicht-Suizid- Vertrag« verpflichten zu wollen, den ein wohlmeinendes Reha-Zentrum sie hat unterschreiben lassen, einfach grotesk. Ein solcher Vertrag ist für einen solchen Menschen nämlich nur so lange bindend, bis genau die unsichtbaren und unbeschreiblichen psychischen Umstände wieder zutage treten, die den Vertrag überhaupt erst nötig machten. Dass das wohlmeinende Personal des Reha-Zentrums Seinen
wohlmeinende Personal des Reha-Zentrums Seinen vorrangigen Schrecken nicht versteht, verstärkt nur die Einsamkeit des depressiven Insassen. Im Newtoner Newton-Wellesley Hospital hatte Kate Gompert vor zwei Jahren einen ebenfalls psychotisch depressiven Patienten kennengelernt, einen Mann in den Fünfzigern. Er war Bauingenieur, und sein Hobby waren Modelleisenbahnen - wie die von Lionel Trains Inc. u. ä. -, für die er unglaublich komplexe Gleis- und Rangieranlagen konstruierte, die seinen ganzen Hobbykeller ausfüllten. Seine Frau brachte ihm Fotos von Zügen, Gleis- und Weichennetzen in die geschlossene Anstalt mit, damit er sich erinnern konnte. Der Mann hatte gesagt, er litte seit siebzehn Jahren ununterbrochen an einer psychotischen Depression, und Kate Gompert hatte ihm das geglaubt. Er war gedrungen und dunkelhäutig, hatte schütteres Haar und Hände, die beim Sitzen völlig still in seinem Schoß lagen. Vor zwanzig Jahren war er auf einem Klecks 3-in-OneUniversalöl von seinen Modelleisenbahngleisen ausgeglitten, mit dem Kopf auf den Betonboden seines Hobbykellers in Wellesley Hills geknallt, und als er in der Notaufnahme wieder zu sich kam, war er über alles menschliche Maß hinaus depressiv, woran
über alles menschliche Maß hinaus depressiv, woran sich seither nichts geändert hatte. Er hatte nie ernsthaft an Selbstmord gedacht, obwohl er gestand, sich unendlich nach dem Verlust des Bewusstseins zu sehnen. Seine Frau war liebevoll und ihm treu ergeben. Sie ging jeden Tag in die katholische Messe. Sie war sehr fromm. Auch der psychotisch Depressive ging, wenn er nicht in der Anstalt saß, jeden Tag zur Messe. Er betete um Erlösung. Er hatte noch seine Stelle und sein Hobby. Er ging regelmäßig zur Arbeit und ließ sich nur krankschreiben, wenn die unsichtbaren Qualen so schlimm wurden, dass er sich selbst nicht mehr über d e n Weg traute, oder wenn seine Psychiater ihm vorschlugen, eine radikal neue Behandlungsform auszuprobieren. Sie hatten es schon mit Trizyklika probiert, mit MAO-Hemmern, Insulinschocks, Serotonin-Wiederaufnahmehemmern283 und den neuen und nebenwirkungsreichen Quadrazyklika. Man hatte seine Hirnlappen und die affektive Matrix nach Läsionen und Narben gescannt. Nichts hatte etwas gebracht. Nicht einmal eine amperestarke Elektroschocktherapie hatte Es gelindert. Das kommt manchmal vor. Manche Depressionen übersteigen die Grenzen der Medizin. Kate Gompert kriegte von
die Grenzen der Medizin. Kate Gompert kriegte von dem Fall des Mannes das zuständige Jaulen. Der Gedanke, dass dieser Mann zur Arbeit und zur Messe gehen und Tag für Tag für Tag miniaturisierte Eisenbahnnetze konstruieren konnte, wenn er sich auch nur annähernd so fühlte, wie sich Kate Gompert auf jener Station fühlte, überstieg ihr Vorstellungsvermögen. Rational-spirituell wusste sie, dass dieser Mann und seine Frau einen Mut haben mussten, der von keiner bekannten Mut-Tabelle mehr zu erfassen war. Aber Kate Gompert spürte in ihrer vergifteten Seele nur ein lähmendes Entsetzen bei der Vorstellung, wie dieser gedrungene Mann mit dem stumpfen Blick in der Stille seines holzgetäfelten Hobbykellers langsam und sorgfältig Spielzeuggleise verlegte und die Stille nur vom Einölen, Einrasten und Verlegen der zusammengesteckten Gleiselemente durchbrochen wurde, während der Mann einen Kopf voller Gift und Würmer hatte und jede Zelle seines Körpers nach Erlösung von den Flammen schrie, vor denen ihn niemand schützen, die niemand auch nur sehen konnte. Der permanent psychotisch Depressive wurde schließlich in ein Institut auf Long Island überwiesen und für eine radikal neue Art der Psychochirurgie
und für eine radikal neue Art der Psychochirurgie evaluiert, wo einem angeblich das ganze limbi sehe System herausgerissen wurde, der Teil des Gehirns, in dem Emotionen und Triebverhalten entstehen. Der kühnste Traum des Mannes war die Anhedonie, die vollständige psychische Betäubung, d. h. der Tod im Leben. Die Aussicht auf die radikale Psychochirurgie war die baumelnde Karotte, die, wie Kate vermutete, seinem Leben noch so viel Sinn gab, dass er sich mit von den Flammen wahrscheinlich versengten und brandblasenübersäten Fingerspitzen am Fensterbrett festklammern konnte. Das und seine Frau: Er schien seine Frau inbrünstig zu lieben, und sie erwiderte seine Liebe. Jeden Abend ging er ins Bett, umarmte sie und flehte um ein Ende des Ganzen, während sie betete oder diese fromme Sache mit den Perlen machte. Das Paar hatte die Adresse von Kate Gomperts Mutter bekommen und Kate in den letzten beiden Jahren Weihnachtskarten geschickt, Mr und Mrs Ernest Feaster aus Wellesley Hills, Massachusetts, sie nahmen sie in ihre Gebete auf und wünschten ihr alle erdenkliche Freude. Kate Gompert weiß nicht, ob Mr Ernest Feaster das limbisehe System herausgerissen worden ist oder nicht. Ob er die
herausgerissen worden ist oder nicht. Ob er die Anhedonie erreicht hat. Die Weihnachtskarten zeigten schauderhafte kleine Wasserfarbenbilder von Lokomotiven. Sie konnte es auch in ihren besten Zeiten kaum ertragen, an sie zu denken, und die Gegenwart war nicht ihre beste Zeit.
Kap. 57 - 14. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE Ms Ruth van Cleves erster Tag nach der dreitägigen Ausgangssperre für Neuinsassen. Sie darf jetzt Treffen außerhalb von Enfield besuchen, wenn sie von einem älteren Insassen begleitet wird, den das Personal für zuverlässig hält. Auf der Prospect südlich vom Inman Square, Cambridge, geht Ruth van Cleve kurz nach 22.00 Uhr auf Pfennigabsätzen neben einer psychotisch depressiven Kate Gompert her und nölt ununterbrochen. Ruth van Cleve erweist sich für Kate Gompert als zunehmend unerträglich. Sie kommt aus Braintree am South Shore, wiegt viele Kilos zu wenig, trägt messingfarbenen Lippenstift und ihr trockenes Haar zum Afro vergangener Jahrzehnte aufgewuschelt. Ihr Gesicht hat das konkave, lang gezogene ins,=ktile Aussehen der Ice284-Süchtigen im Spätstadium. Ihre Frisur ist eine trockene verfilzte Wolke, unter der
winzige Äuglein, Knochen und eine Geiernase hervorragen. Joelle v. D. hatte gesagt, es sähe fast so aus, als wüchse Ruth van Cleves Kopf aus den Haaren statt umgekehrt. Kate Gomperts Haar hat einen Metzgerblockschnitt, aber wenigstens eine erkennbare Farbe. Kate Gompert hat vier Nächte in Folge nicht geschlafen, und ihr schlurfendes Vorankommen die Prospect hoch ähnelt dem trägen Lavieren eines Bootes, das keine Eile hat. Ruth van Cleve schwallt sie in Grund und Boden. Es ist Samstag, etwa 22.00 Uhr, und die Natriumlaternen gehen mit einem stotternden Summen aus und wieder an, müssen drinnen irgendeinen Wackelkontakt haben. Die Gehwege sind dicht bevölkert, die Untoten und Säufer, die in den Straßen um den Inman Square wohnen, füllen auch die Ränder der Gehwege, und wenn Kate G. die Spiegelbilder der Passanten in den dunklen Schaufenstern anschaut, sind sie (Fußgänger und untote Abschnackologen) nur noch Köpfe, die ohne Verbindung zu irgendetwas in den Fenstern schweben. Losgelöste Schwebeköpfe. In den Ladeneingängen stehen unvollständige Menschen in Rollstühlen mit kreativen Behältern
dort, wo Gliedmaßen hingehörten, und handgeschriebenen Bitten, ihnen zu helfen. Eine orale Erzählung gewinnt Konturen. Ms Ruth v. C. war vom S.P.D. und dem Familiengericht an Ennet House überstellt worden, nachdem ihr Neugeborenes in einer Gasse in Braintree, Massachusetts, gefunden worden war, gewickelt in Werbematerial von WalMart, dessen SeptemberVollmond-Wertgutscheine bis zum 1. 11., einem Sonntag, gültig gewesen waren. Eher unklugerweise hatte Ruth van Cleve das KrankenhausArmbändchen mit dem Geburtsdatum, ihrem eigenen Namen und ihrer Krankenversicherungsnummer am Handgelenk des abgelegten Säuglings gelassen. Das Kind liegt jetzt offenbar verkabelt im Brutkasten eines Krankenhauses am South Shore und bekommt d a s Clonidin285 entwöhnt, das es in intrauteriner Sucht nach Rauschmitteln aufgenommen hatte, über die Kate Gompert nur Spekulationen anstellen kann.286 Der Vater von Ruth van Cleves Kind, sagt s i e , steht unter Schutz und Obhut der Strafvollzugsbehörden von Norfolk County und erwartet das Urteil für das von Ruth van Cleve mehrmals so genannte Führen eines
pharmazeutischen Betriebs ohne Gewerbeschein. An Kate Gompert ist bemerkenswert, dass sie sich anscheinend ohne bewusste Willenskraft vorwärtsbewegen kann. Sie setzt den linken Fuß vor den rechten Fuß und dann den rechten Fuß vor den linken Fuß und bewegt sich vorwärts, ihr ganzes Selbst, obwohl sie sich immer nur auf einen Fuß und dann erst auf den anderen konzentrieren kann. In den dunklen Schaufenstern schweben Köpfe vorbei. Ein paar Lateinamerikaner in ihrer Nähe checken sie im Vorbeigehen sexuell ab - auch untergewichtig, splissig und hexenhaft strahlt Ruth van Cleve in Auftreten, Kleidung und Frisur aus, dass sich bei ihr alles um Sexualität und Sex dreht. Negativ an der Entscheidung für eine Genesung bei den NA statt den AA sind Ort und Häufigkeit der Treffen. Anders gesagt, es gibt weniger Treffen der Narcotics Anonymous. An einem Samstagabend kann man auf dem Dach von Ennet House in Enfield stehen und in jede beliebige Richtung spucken, und man hätte Mühe, keinen Veranstaltungsort der AA zu treffen. Das nächstgelegene Treffen der NA am Samstagabend dagegen ist die Clean&Klar-Gruppe in North Cambridge, berüchtigt für ihre Reibereien
und das Stühlewerfen. Das Anfängertreffen dauert bei denen von 20.00 bis 21.00 Uhr und das normale v o n 21.00 bis 22.00 Uhr; bewusst spät, um den samstagabendlichen Jieper auszugleichen, den viele Drogensüchtige allwöchentlich verspüren, weil der Samstag immer noch ein besonders mythischer Party-Abend ist, auch für Leute, für die längst sieben Tage die Woche und rund um die Uhr Party angesagt ist. Aber vom Inman Square zum Ennet House zurück ist es ein greulicher Anstieg - man trottet die Prospect zum Central Square hoch, nimmt die Red Une bis zum Bahnhof Park Street und steigt in den B Train der nervenden Green Line um, die auf der Comm. Ave. ewig lang nach Westen zuckelt, und inzwischen ist 22.15 Uhr vorbei, und das heißt, Kate Gompert hat noch 75 Minuten, um sich und diesen scheußlichen, verzweiflungsproduzierenden, nuttigen und dauernölenden Neuzugang vor der Sperrstunde zurückzubugsieren. Ruth van Cleves Geschnatter ist so zuhärerinteressenunabhängig wie alles, was Kate Gompert gehört hat, seit Randy Lenz aufgefordert wurde, Drogenkonsum und Tierquälerei anderswo zu praktizieren, und vor weiß der Geier wie vielen Tagen oder Wochen verschwunden ist.
Die beiden bewegen sich durch die Kegel epileptischen Lichts flackernder Straßenlaternen. Kate Gompert versucht, ein Schaudern zu unterdrücken, als Ruth van Cleve sie fragt, ob sie einen Laden kenne, wo man billig eine gute Zahnbürste bekomme. Kate Gomperts ganze spirituelle Energie und Aufmerksamkeit konzentrieren sich erst auf ihren linken Fuß und dann auf ihren rechten Fuß. Einer der Köpfe, die sie nicht neben ihrem eigenen nicht zu erkennenden Kopf und der Haarwolke von Ruth van Cleve in den Schaufenstern schweben sieht, ist der ausgemergelte und hohläugige Spektralkopf von Poor Tony Krause, der ein paar Schritt hinter ihnen geht, Schritt für Schritt ihrem leichten Schlängelkurs folgt, die Augen stets auf Riemchenhandtaschen, die in seiner Phantasie mehr enthalten als bloß das Fahrgeld und die Schlüsselbänder von NA-Neulingen. Der Zerstäuber tuckert und brodelt und lässt die Zimmerfenster weinen. Jim Troeltsch legt unter dem kleinen Bildschirm eine Patrone mit ProfiRingkämpfen in den TP ein, zieht sein schäbigstes Sportsakko an, kämmt sich die Haare mit einem nassen Kamm glatt, sodass sie wie ein Toupet aussehen, und legt sich, umgeben von Seldane-
aussehen, und legt sich, umgeben von SeldaneFläschchen und zweilagigen Papiertaschentüchern, ins Etagenbett, um die Wettkämpfe zu kommentieren. Seine Mitbewohner haben das schon lange kommen gesehen und sich vom Acker gemacht. Michael Pemulis steht auf Zehenspitzen im gekrümmten Korridor von Schlaftrakt B und hebt mit d e m Griff eines umgedrehten Tennisschlägers, dessen Vinyl-Etui-Reißverschluss er gedankenverloren auf- und zuziehen kann, sanft eines der Paneele in der Hängedecke an, verschiebt es so, dass es nicht mehr quadratisch, sondern rautenförmig auf den Aluminiumstreben liegt, und passt auf, es nicht fallen zu lassen. Lyle schwebt im Lotussitz ein paar mm über dem Handtuchmagazin im unbeleuchteten Kraftraum, die Augen verdreht, die Lippen fast unbewegt und ohne jedes Geräusch. Trainer Schtitt und Mario pesen auf Schtitts alter BMW die W . Commonwealth runter, unterwegs zu Evangeline's Low- Temperature Confections in Newton Center am Fuß des meist so genannten
Heartbreak Hill, Schtitt beugt sich mit konzentrierter Miene vor wie ein Skiläufer, sein weißer Schal flattert durch die Luft und Mario ins Gesicht, der sich im Beiwagen ebenfalls weit in ihren Abwärtsflug vorlehnt und auf das Juchzen vorbereitet, wenn sie die Talsohle erreichen. Ms Avril Incandenza, die anscheinend drei oder vier Zigaretten gleichzeitig raucht, besorgt sich bei der Auskunft Telefonnr. und E-MailAdresse einer journalistischen Geschäftsadresse am Blasted Expanse Blvd in East Tucson, Arizona, und wählt dann, wobei sie die Nummer mit dem Ende eines blauen Filzstifts in die Konsole eintippt. »KlAIIl! «, brüllt der Mann, der sich auf die Nonne stürzt und dabei eine Motorsäge schwingt. Die taff aussehende Nonne brüllt »KlAII!!« zurück und tritt ihn formvollendet, wobei sich der Rock ihres Habits komplex um sie bauscht. Die Kämpfer umkreisen sich lauernd in dem verlassenen Lagerhaus und knurren beide. Der Nonnenschleier sitzt schief und ist schmutzig; der Handrücken, den sie in Kampfsportmanier zu einer Klinge durchdrückt, zeigt Teile einer verblassten Tätowierung, ein Raubvogel mit üblen Krallen. Das ist der Anfang der
Patrone, ein gewalttätiges medias in res, das mitten im Sprungtritt der Nonne einfriert; der ausmaskierte T i t e l Blutschwester: Eine taffe Nonne wird eingeblendet und blutet unheimlich blutrot nach unten aus, wo die Besetzungsliste am Bildschirmrand abrollt. Bridget Boone und Frances L. Unwin haben sich ungebeten zu HaI in B. R. 6 gesellt, schmiegen sich an die Armlehnen des zweiten Sofas im Raum, ihre Fußsohlen berühren sich, und Boone isst unerlaubterweise Eisjoghurt aus einem zylindrischen Karton. HaI hat den Rheostat runtergedreht, und Titel und Besetzungsliste des Films lassen ihre Gesichter rötlich schimmern. B r i d g e t Boone schiebt HaI einladend den Konfektkarton hin, und als Ablehnung zeigt HaI auf den Kautabakklumpen in der Wange und tut so, als beuge er sich zur Seite, um auszuspucken. Er scheint die abrollende Besetzungsliste aufmerksam zu studieren. »Was ist das denn?«, fragt Fran Unwin. HaI sieht ganz langsam zu ihr hinüber, hebt dann noch langsamer den rechten Arm und zeigt mit dem Tennisball, den er gerade knetet, auf den Bildschirm, wo der Patronentitel in 50-Punkt-Schrift immer noch
rötlich über die Besetzungsliste und die eingefrorene Szene rinnt. Bridget Boone sieht ihn an. »Was bist'n so pissig drauf?« »Ich habe mich zurückgezogen. Ich bin hier rein, weil ich allein sein wollte.« HaI wird immer ganz kribbelig, wenn er sieht, wie sie den Schokoladenjoghurt mit dem Löffel ausgräbt und den dann umdreht und verkehrt herum in den Mund führt, sodass die Zunge ohne Vermittlung durch den kalten Löffel sofort Konfektkontakt bekommt, und aus irgendeinem Grund geht das HaI von jeher unter die Haut. »Dann hättest du abschließen sollen.« »Nur kann man B.R.- Türen nicht abschließen287, wie du ganz genau weißt.« Die mondgesichtige Frannie Unwin sagt »Pssst«. Und manchmal spielt Boone auch mit dem vollen Löffel herum und lässt ihn vor ihrem Gesicht herumfliegen wie ein Spielflugzeug, bevor sie ihn umdreht und in den Mund steckt. »Das liegt vielleicht auch daran, dass dieser Raum öffentlich und für alle da ist, und ein vernunftbegabter Zeitgenosse hätte
sich für die Absonderung vielleicht einen anderen Ort ausgesucht.« HaI dreht sich zum Spucken zur Seite und lässt den Speichelfaden eine Weile hängen, bevor er ihn loslässt, sodass er immer länger wird. Genauso langsam zieht Boone den abgeleckten Löffel aus dem Mund. »Egal wie unwirsch oder vergrätzt dieser Jemand wäre, weil er, wie ich höre, in aller Öffentlichkeit fast ein Spiel verloren hätte.« »Ach, was ich dir noch sagen wollte, Bridget: Rite Aid's veranstaltet einen Riesenausverkauf an Brechmitteln. An deiner Stelle würd ich mich sputen.« »Du bist ekelerregend. « B e r n a d e t t e Longley streckt den langen kastenförmigen Kopf zur Tür herein, sieht Bridget Boone, sagt »Ich dachte doch, ich hätte dich gehört« und kommt ungebeten und mit Jennie Bash im Schlepptau herein. HaI winselt. Jennie Bash sieht auf den großen Bildschirm. Die Titelmusik der Patrone wird von einem Frauenchor gesungen, getragene Choräle und im Sopran übertrieben ironisch. Bernadette Longley sieht HaI
an. »Da klappert übrigens so 'ne total große Lady die Korridore nach dir ab. Hat 'n Notizbuch dabei und sieht sehr resolut aus.« Geistesabwesend bewegt Boone den Löffel rein und raus. »i Er zieht sich zurück. Er reagiert nicht und spuckt extra widerlich, um das rüberzu bringen.« Jennie Bash sagt: »Müsst ihr nicht morgen bei Thierry einen megalangen Essay einreichen? Ich hab gehört, wie Struck und Shaw in ihren Zimmern stöhnen.« HaI schiebt mit der Zunge Kautabak hin und her. »Fertig.« »Typisch«, sagt Bridget Boone. » F e r t i g , überarbeitet, formatiert, ausgedruckt, redigiert, kollationiert, geheftet.« »Redigiert bis zum Absegnen«, sagt Boone und lässt den Löffel einen Looping fliegen. HaI ist klar, dass sie ein paar Kawumms durchgezogen hat. Er sieht starr auf den Wandbildschirm und knetet den Ball so kräftig, dass sein Unterarm jeweils zum doppelten Umfang anschwillt. »Außerdem hab ich gehört, dein weltbester Busenfreund hat heute was ganz Komisches angestellt«, sagt Longley.
»Sie meint Pemulis« erklärt Fran Unwin HaI. Bridget Boone produziert Sturzbomberlaute und schwenkt den Löffel herum. »Wahrscheinlich eine zu tolle Geschichte, um sie nicht aufzusparen, damit meine Neugier völlig unbezähmbar wird und ich sie einfach hören muss, wenn ich nicht auf der Stelle tot umfallen will.« »Was ist der denn so pissig drauf?«, fragt Jennie Bash Fran Unwin. Fran Unwin ist ein hanumangesichtiges Mädchen, dessen Rumpf doppelt so lang ist wie seine Beine und das einen trippe ligen, irgendwie affenartigen Spielstil pflegt. Bernadette Longley trägt eine knielange Zuckerstangenhose und ein Sweatshirt mit der Fleeceseite nach außen. Alle Mädchen sind jetzt in Socken. HaI fällt nicht zum ersten Mal auf, dass anscheinend alle Mädchen die Schuhe abstreifen, wenn sie Zuschauerhaltungen einnehmen. Acht leere weiße Sneaker liegen stumm und seltsam im Zimmer verstreut und versinken etwas im dicken Teppichflor. Keine zwei Schuhe zeigen in genau dieselbe Richtung. Männliche Spieler dagegen behalten ihre Schuhe in der Regel an, wenn sie irgendwo reinkommen und sich hinsetzen. Mädchen geben der
Vorstellung, sich wie zu Hause zu fühlen, eine sehr konkrete Form. Wenn Männer irgendwo rein kommen und sich setzen, wirken sie immer wie auf dem Sprung. Sie bleiben passager und mobil. Wenn HaI irgendwo reinkommt und sich setzt, wo schon Leute versammelt sind, ist es das Gleiche. Er merkt, dass sie spüren, dass er irgendwie nur körperlich da ist und immer eine Art jederzeitige Abrufbarkeit ausstrahlt. Boone hält Longley einladend ihren Becher TCBy288 hin, kippt ihn sogar einladend hin und her. Longley bläst die Wangen auf und stößt mit einem müden Begleitgeräusch Luft aus. Mindestens drei verschiedene Eaux de Toilette und Hautcremes streiten um Vorrang. Bridget Boones LA-GearGratisschuhe liegen beide auf den Seiten, weil sie sie mit aller Kraft weggetreten hat. Hals Spucke erzeugt ein Geräusch auf dem Mülleimerboden. Jennie Bash hat dickere Arme als HaI. Der Bildschirmraum schimmert rötlich. Bash will von Unwin wissen, was sie da sehen. Blutschwester: Eine taffe Nonne, einer von den wenigen kommerziellen Erfolgen Seiner Selbst, hätte nicht annähernd so viel eingespielt, wenn er nicht genau zu dem Zeitpunkt herausgekommen wäre, als
InterLace anfing, aktuelle Spielfilme für seine Mietmenus einzukaufen, und die Patronen mit einmaligen Spontanen Disseminationen zusätzlich bewarb. Auf den ersten Blick war der Film Trash, die Art Shocksploitation-Film, der im Multiplex zwei Wochen lang in Kino 8 und höher gelaufen wäre und dann direkt in den Orkus der Magnetvideos in ihren nichtssagenden braunen Schachteln gewandert wäre. Hals Interpretation läuft darauf hinaus, dass Er Selbst an gewissen finsteren Punkten, an denen abstrakte theoretische Probleme eine Fluchtmöglichkeit vor der weit schmerzhafteren kreativen Arbeit an menschlich wahren oder unterhaltsamen Patronen boten, Filme in diversen kommerziellen Genres gedreht, deren immer gleiche Produktvorgaben aber so gnadenlos zu Tode geritten hatte, dass die Ergebnisse ironische metakinematographische Genreparodien geworden waren: »Sub-/Inversionen der Genres«, wie die Fachleute sie später nennen sollten. Das metakinematographische Parodiekonzept ist für Hals Geschmack abgehoben und zu ausgeklügelt, und ihm behagt die Vorstellung nicht, dass Er Selbst sich anscheinend immer von genau den kommerziellen Formeln verführen ließ, die er auf den Kopf stellen
wollte, besonders der verführerischen Formel der brutalen Vergeltung, d. h. dem kathartischen Blutbad, d. h. dem Helden, der der Genrewelt von Stock und Faust mit jeder Faser seines Wesens entkommen will, von widrigen Umständen jedoch immer wieder zur Gewaltanwendung getrieben wird, zum kathartischen Blutbad am Ende, das das Publikum klatschen statt trauern lässt. Seiner Selbst Meisterwerk in dieser Manier war Die Nacht trägt einen Sombrero, ein Metawestern in der Nachfolge Fritz Langs, aber eben auch ein echt guter Western, mi t plüschigen selbst gebastelten Interieurs, aber atemberaubend grandiosen Landschaftsbildern, die bei Tucson, Arizona, gedreht worden waren; die Geschichte eines erst zaudernden und dann ahndenden Sohnes, die sich vor staubfarbenen Himmeln und weiten Totalen fleischfarbener Berge entfaltete, außerdem mit minimalem Gemetzel: Die Erschossenen pressten nur die Hände auf die Brust, sanken malerisch zur Seite und behielten dabei die Hüte auf. Blutschwester: Eine taffe Nonne war angeblich eine Verhohnepiepelung des in den späten 90ern v. SZ beliebten Splatter-Subgenres ahndender Kleriker. Er Selbst hatte sich auch beidseits der
Konkavität keine Freunde gemacht, als er versucht hatte, den Streifen in Kanada zu drehen. HaI malt sich aus, wie die nesige zusammengesunkene, zittrige Storchengestalt Seiner Selbst stundenlang im osteoporotischen Winkel über digitale Nachbearbeitungsgeräte gebeugt dasteht, Codes löscht und einfügt und Blutschwester: Eine taffe Nonne zur subversiven Inversion montiert, und er hat keinen blassen Schimmer, was Er Selbst während seiner geduldigen Mühsal gefühlt haben könnte. Vielleicht ging es bei der Metaalbernheit der ganzen Sache ja genau darum: dass nichts wirklich Gefühltes vorging.289 Jennie Bash hat die Tür von B. R. 6 nur angelehnt, und nach und nach kommen Idris Arslanian, Todd (»Possenzeit«) Possalthwaite und Kent Blatt herein, gruppieren sich im Schneidersitz in eine lockere Hemisphäre auf dem dicken Teppich zwischen den liegenden Mädchen und dem liegenden HaI und sind mehr oder weniger rücksichtsvoll still. Alle behalten ihre Sneaker an. Possenzeits Nase ist eine massiv proboskoid bandagierte Angelegenheit. Kent Blatt trägt eine Sportanglermütze mit extrem langem Schirm. Der seltsame schwache Hot-Dog-Geruch,
der Idris Arslanian immer anzuhaften scheint, mischt sich peu a peu unter die Eaux de Toilette im Raum. Er trägt das kunstseidene Taschentuch nicht als Augenbinde, sondern hat es um den Hals geknotet; niemand fragt, warum. Die kleinen Jungen sind allesamt vollendete Zuschauer, die von der sich entfaltenden Geschichte von Blutschwester sofort in Bann gezogen werden. Und die großen Mädchen lassen sich von den kleinen Jungen anscheinend eine Art psychisches Stichwort geben, denn auch sie verstummen, schauen zu, und nach einer Weile ist HaI der Einzige im Raum, der nicht hundertprozentig gefesselt ist. Ausgangspunkt der Unterhaltung ist, dass eine taffe Biker-Schnalle aus Torontos Hexenkessel nach einer Überdosis zusammengeschlagen, vergewaltigt und ihrer Lederjacke beraubt vor der Pforte eines Klosters in der City aufgefunden wird. Sie wird gerettet, aufgenommen, gepflegt, spirituell geführt und konvertiert - »aufgehoben« ist das schwache Wortspiel, worum im Dialog des ersten Akts ziemliches Aufhebens gemacht wird - von einer taff aussehenden älteren Nonne, die, wie sich herausstellt, weil sie (die taffe ältere Nonne) es
preisgibt, ihrerseits aus einem Leben der Harleys, des Drogendealens und der -sucht aufgefischt worden ist von einer noch tafferen noch älteren Nonne, die ihrerseits von einer taffen Ex-BikerNonne aufgehoben worden war und so weiter. Die jüngst aufgehobene Biker-Schnalle wird im selben City-Orden eine taffe Nonne mit Köpfchen, die im Hexenkessel als Blutschwester bekannt wird und Schleier hin oder her immer noch mit ihrem Hobel von Gemeinde zu Gemeinde kachelt, immer noch Aikido beherrscht und sich nicht auf die Stulle furzen lässt, wie man sich auf der Straße zuraunt. Da s Motivationsdilemma besteht nun darin, dass praktisch der gesamte Orden aus Nonnen besteht, die in Torontos Hexenkessel von anderen älteren tafferen aufgehobenen Nonnen aufgehoben worden sind. Und so verspürt zahllose Novenen später auch Blutschwester den transitiven spirituellen Drang, loszuziehen und sich eine problembelastete Jugendliche zu suchen, die sie »aufheben« und in den Orden bringen kann, um so ihre Seelenschuld bei der taffen alten Nonne zu begleichen, die sie aufgehoben hatte. Auf obskuren Wegen (gibt es in Toronto Gelbe Seiten für problembelastete, aber
aufhebbare Jugendliche? flachst Bridget Boone) macht Blutschwester schließlich eine massiv problembelastete Punkerin mit Verbrennungsnarben ausfindig, die bockig und, okay, einigermaßen taff ist, aber auch verletzlich und psychisch demoliert (das rosig glänzende Gesicht des Mädchens mit seinen Brandnarben verzieht sich immer vor Elend, wenn es sich von Blutschwester unbeobachtet wähnt) von den furchtbaren Verwüstungen, die sie als Folge ihrer gierigen und unerschütterlichen Crank-Sucht hat ertragen müssen, also dem Kokain, das man erst umwandeln und mit extrem leicht entzündlichem Äther aufkochen muss, was die Leute jedenfalls nahmen, bevor jemand herausfand, dass Backpulver und Temperaturfluss es auch taten, was den Film noch viel eindeutiger in der v.5Z-Epoche verortet als die violette sternförmige Frisur der taffen, zerquälten Punkerin. 290 Blutschwester kriegt das Mädchen nach und nach clean, indem sie es während des Entzugs in einer abgeschlossenen Sakristei pflegt; im Lauf der Zeit, wobei man die Uhr förmlich ticken hört, verliert das Mädchen seine Bockigkeit - es versucht nicht mehr, das Schloss des Schränkchens mit dem
Abendmahlswein aufzubrechen, furzt nicht mehr absichtlich bei Matutin und Vesper, fragt die Trappisten, die im Kloster vorbeischauen, nicht mehr nach der Uhrzeit und was ihr sonst noch so einfiel, damit sich die vertun und laut sprechen, usw. Ein paarmal verzieht sich das Gesicht des Mädchens auch dann vor psychischer Qual und Verletzlichkeit, wenn Blutschwester sie beobachtet. Das Mädchen bekommt eine strenge und lesbisch anmutende Frisur, und seine Haarwurzeln sind, wie sich zeigt, von warmem Braun. Mit einem Bizeps zum Fürchten besiegt Blutschwester das Mädchen beim Armdrücken; beide lachen; sie vergleichen Tätowierungen: Das markiert den Anfang einer brutal lang gezogenen Kennenlernen-und- Vertrauenaufhauen-Sequenz, eine Genrekonvention, wobei d i e Montage in diesem Fall so schnelle HarleyFahrten einschließt, dass das Mädchen Blutschwester die Hand auf den Kopf drücken muss, damit deren Schleier nicht davonfliegt, lange, mit dem Weitwinkelobjektiv aufgenommene gesprächsintensive Spaziergänge und ausgedehnte und praktisch ungewinnbare Scharaden mit den Trappisten, außerdem kurze Einblendungen, wie Blutschwester die Marlboros des Mädchens und sein
dildoförmiges Feuerzeug im Papierkorb findet, wie das Mädchen unter Blutschwesters widerwillig anerkennendem Blick unbockig Hausarbeiten erledigt, wie es im Kerzenschein die Heilige Schrift liest, wobei es jedes zu entziffernde Wort mit dem Finger nachfährt, wie es sich sorgfältig die letzten violetten Splissenden von den weichen braunen Haaren schneidet, wie die älteren taffen Nonnen Blutschwester anerkennend auf die Schulter klopfen, als die Augen des Mädchens zunehmend im Schimmer der nahenden Konversion erstrahlen, und wie Blutschwester und das Mädchen schließlich auf dem Montage-Höhepunkt einen Habit kaufen, das Gesicht des Mädchens mit den Brandnarben, den eingefallenen Wangen und den weggesengten prometheischen Brauen im Sonnenlicht unter den Knickflügein eines Novizenschleiers - und das alles untermalt von - ohne Scheiß jetzt - »Getting To Know You«, dessen Zuckrigkeit der Storch Hals Ansicht nach für subversiv gehalten haben muss. Das alles dauert ungefähr eine halbe Stunde. Die aus der Erzdiözese Indianapolis stammende Bridget Boone wettert kurz gegen den ironischen antikatholischen Subtext von Blutschwester: Eine taffe Nonne - nach
d e r Überwindung des Heroins werde die missgebildete Süchtige einfach zur Heroine des HErrn, und der eine exotische Kopfputz werde durch einen anderen ersetzt -, wird von Jennie Bash gezwickt und von fast allen anderen im Raum zur Ruhe gepssstet, nur HaI könnte als eingeschlafen durchgehen, würde er nicht ab und zu zum Spucken über den Mülleimer krängen. HaI macht gerade einen massiven, vom THC-Entzug bedingten Konzentrationsverlust durch und denkt an eine andere, noch bekanntere Patrone von J. O. Incandenza, während er sich noch zusammen mit den anderen E. T. A.lern die hier anschaut. Dieses andere Aufmerksamkeitsobjekt ist die sogenannte Inversion des Firmensaga-Genres, des verstorbenen Seiner Selbst Tiefkühlgemeinschaftskunde, eine Seifenoper aus der Chefetage voller Intrigen, Postenschachereien, ängstlicher Ehebrüche, Martinis und Managerinnen von heimtückischer Schönheit im eleganten, hautengen Karrierezwirn, die ihre feisten und verunsicherten männlichen Gegenstücke beim politischen Sparring um den kleinen Finger wickeln. Wie HaI weiß, war T keineswegs eine Inversion oder Verhohnepiepelung, sondern stammte direkt aus der dunklen Zeit in den
sondern stammte direkt aus der dunklen Zeit in den 80ern v. SZ, als Er Selbst aus dem Staatsdienst in die Privatwirtschaft übergesiedelt war, als der plötzliche Strom von Patenterlösen ihm eine postkarottige Anhedonie beschert und ihn existenziell entwurzelt hatte, woraufhin er ein Jahr lang nur noch in einem entlegenen Kurort an der kanadischen Nordwestküste Wild Turkey gesoffen, im Fernsehen Magnatenmären wie L o r i m a r s Denver-Clan angeschaut und angeblich Lyle, heute clo Kraftraum der E. T. A., kennen und schätzen gelernt hatte. Interessant, allen in B. R. 6 Anwesenden jedoch unbekannt ist die Tatsache, dass Boones Interpretation von Seiner Selbst Interpretation der Ersetzung einer Krücke durch eine andere, der chemischen Drogensucht durch katholische Gottsucht nämlich, große Ähnlichkeiten mit der Sicht v o n Neulingen auf die Bostoner AA aufweist, die noch nicht verzweifelt genug sind und die AA nur als Ersetzung der sklavischen Abhängigkeit von Flasche bzw. Pfeife durch die sklavische Abhängigkeit von Tr ef f en, banalen Losungen und robotischer Frömmigkeit ansehen, dem »Röhren der Allgemeinplatzhirsche«, und die diese Einschätzung
als Vorwand nutzen, die Bostoner AA wieder zu verlassen und zu ihrer ersten sklavischen Drogenabhängigkeit zurückzukehren, bis diese sie in eine solche Schach-Matt- Verzweiflung gestoßen hat, dass sie schließlich wieder angekrochen kommen, die Gesichter förmlich von den Schädeln runterschlabbernd, und nur noch Anweisungen erflehen, welche Allgemeinplätze sie röhren und wie weit sie beim ausdruckslosen Grinsen die Mundwinkel hochziehen sollen. Manche Drogensüchtige sind allerdings schon beim ersten H ereinkommen so am Boden zerstört, dass Ersetzungen oder Banalitäten sie nicht mehr jucken, die schenken bereitwillig ihre linken Eier her, wenn sie nur ihre ursprüngliche Sucht gegen robotische Allgemeinplätze und Soli- Veranstaltungsgedöns eintauschen können. Die haben schon die Knarre am Kopf, und die bleiben dann dabei. Bei Joelle van Dyne, die genau in dieser Tiefkühlgemeinschaftskunde erstmals in einem Projekt von James O. Incandenza auftrat, muss sich noch zeigen, ob sie zu denen gehört, die kaputt genug bei den AA/NA auftauchen, um dabeizubleiben, aber jedenfalls identifiziert sie sich
immer mehr mit den Verpflichtungsrednern, die sie hört und die zerstört genug hereinkamen, um zu wissen, dass sie nur die Wahl zwischen Nüchternheit und Tod hatten. Anderthalb Kilometer von der E. 1. A. geradeaus den Hügel runter geht Joelle zur Realität ist für Leute, die nicht mit Drogen umgehen könnenGruppe, e i n Treffen der NA-Abspaltung Cocaine Anonymous291, hauptsächlich weil das Treffen im Grand Rounds Auditorium des St. Elizabeth's Hospitals stattfindet, nur ein paar Stockwerke unter dem bös derangierten Don Gately, den sie gerade auf der Unfallchirurgie besucht und dem sie die mächtige bewusstlose Stirn abgetupft hat. CATreffen haben ein langes Vorspiel und endlose kleine kopierte Formalitäten, die eingangs laut vorgelesen werden, alles Gründe, warum Joelle CA eher meidet, aber die Präliminarien sind erledigt, als sie herabund hereinkommt, sich einen angebrannten Kaffeerest aus einer Pumpkanne holt und einen freien Platz sucht. Freie Plätze gibt es nur noch in der letzten - meistens» Verleugnungsgang« genannten - Reihe, und Joelle findet sich unter philobatischen Neulingen, die die Beine ein ums andre Mal übereinanderschlagen, zwanghaft die
Nasen hochziehen und aussehen, als hätten sie alles an, was sie haben. Hinzu kommt die Reihe stehender Männer - in Bostoner Gemeinschaften gibt es einen Typ verbissen dreinschauender Männer, die sich bei Treffen grundsätzlich nie hinsetzen -, die breitbeinig und mit vor der Brust verschränkten Armen hinter der letzten Sitzreihe stehen, sich aus den Mundwinkeln unterhalten, und sie weiß genau, dass die Stehenden über ihre Schulter hinweg ihre bloßen Knie betrachten und Kommentare zu Knien und Schleier abgeben. Ängstlich292 denkt sie an Don Gately mit seinem Schlauch in der Kehle, zerrissen von Fieber, Schuldgefühlen und Schulterschmerz, dem wohlmeinende, aber ahnungslose Dr.med.s Demerol angeboten haben, der ins Delir und wieder herausfällt, innerlich zerrissen, überzeugt, dass gewisse Männer mit Hut ihm Böses wollen, und der seine halb private Zimmerdecke anschaut, als würde sie ihn fressen, sobald er seine Deckung aufgäbe. Auf der großen Tafel auf dem Podium steht, die Gruppe Realität ist für Leute, die nicht mit Drogen umgehen können begrüßt als Verpflichtungsredner heute Abend die Gruppe Autobahnauffahrt aus Mattapan, was tief im farbigen Teil Bostons liegt, wo
die Cocaine Anonymaus aller Erfahrung nach die höchste Konzentration aufweisen. Der Redner, der am Pult gerade loslegt, als Joelle sich setzt, ist ein großer, gelblicher Farbiger mit der Statur eines Gewichthebers und furchterregenden Augen, schlehenweiß mit einer Art Tanninbraun. Er ist seit sieben Monaten bei den CA, sagt er. Er überspringt die üblichen Macho-Kriegsgeschichten der CADrogologen und kommt gleich zur Sache, zu seiner Absprungstelle. Joelle merkt sofort, dass er die Wahrheit sagen will und nicht nur Posen abspult, wie das so viele CA machen. Seine Geschichte ist gespickt mit farbigen Redewendungen und diesen nervenden kleinen farbigen Gesten und Gebärden, aber Joelle merkt, dass ihr das anscheinend nichts mehr ausmacht. Sie kann sich identifizieren. Die Wahrheit hat bei Treffen eine Art unwiderstehliche unbewusste Anziehungskraft, unabhängig von Farbe oder Gemeinschaft. Sogar der Verleugnungsgang und die stehenden Männer werden in die Geschichte des Farbigen hineingezogen. Der Farbige sagt, sein Ding ist, er hatte eine Frau und eine kleine Baby tochter zu Hause in den Perry Hill Projects in Mattapan, und das zweite Baby war unterwegs. Er hatte es geschafft, seinen Job als Hilfsnieter bei
hatte es geschafft, seinen Job als Hilfsnieter bei Universal Bleacher zu behalten, gleich die Straße hoch hier in Enfield, weil er seiner Cranksucht nicht jeden Tag nachgab; er rauchte seine Steine, wie andere auf Sauf tour gingen, in der Regel am Wochenende. Nur dass das dann höllische, psychopathische, kontoplündernde Touren waren. Als würdest du an einen Raytheon-Marschflugkörper geschnallt, und dann hältst du erst an, wenn der Marschflugkörper anhält, Jim. Er sagt, seine Frau hätte Teilzeit als Putzfrau gearbeitet, aber wenn sie arbeitete, musste ihr kleines Mädchen ins Tagesheim, wofür ihr Tageslohn dann wieder so ziemlich draufging. Also war sein Gehaltsscheck das Einzige, was sie flüssig hatten, und seine Wochenendtouren mit dem Glaspfeifchen sorgten für jede Menge finanzielle Malaisen, was er falsch ausspricht. Und das bringt ihn zu seiner letzten Tour, zum Tiefpunkt, der prompt auf einen Zahltag fällt. Dieser Scheck musste einfach für Lebensmittel und Miete aufgewendet werden. Sie waren zwei Monate im Rückstand, und die \f\lohnung war ratzekahlleergefressen. Während einer Rauchpause bei Universal Bleacher war er auf Nummer sicher gegangen und hatte nur eine einzige Ampulle
gegangen und hatte nur eine einzige Ampulle gekauft, für grade mal einen Zehner, um sich am Sonntagabend was zu gönnen, nach einem Wochenende der Abstinenz, an dem er mit Lebensmitteln, schwangerer Frau und kleiner Tochter einen auf Familie gemacht hatte. Frau und Töchterchen wollten ihn nach der Arbeit an der Bushaltestelle vor der Brighton Best Savings treffen, direkt unter der großen Uhr, und ihm »helfen«, den Lohnscheck an Ort und Stelle einzuzahlen. Er hatte seine Frau den Banktermin vereinbaren lassen, weil er, auch wenn es ihn anwiderte, aus den Touren der eigenen Vergangenheit wusste, dass da so Risiken von Lohnscheckzwischenfällen lauerten, und ihre finanzielle Malaise entsprach inzwischen dem, was nach »echt angeschissen« kam, und er wusste nur zu gut, dass er es sich einfach nicht leisten konnte, wieder alles in die Scheiße zu reiten. Er sagt, so hätte er sich damals gesehen: als Scheißereiter. Er hätte es von der Stechuhr nicht mal bis zum Bus geschafft, sagt er. Zwei andere Holmese293 in der Nietabteilung hatten jeder drei Ampullen, und mit diesen Ampullen hatten sie quasi vor seinen Augen
herumgefuchtelt, und er hatte seine eine Ampulle beigesteuert, denn zweieindrittel Ampullen vs. eine mickrige Sonntagabendsampulle entsprach selbst für einen Blinden mit Krückstock einfach zu perfekt dem »Gelegenheit-beim-Schopf-Konzept«, als dass er sich das hätte entgehen lassen. Kurz, es war der ganz normale Wahnsinn von Geld im Sack und keine Abwehrmechanismen im Hirn, und der Gedanke an die Frau, die in der kalten Märzdämmerung unter der großen Uhr stand und sein kleines Mädchen in Strickmütze und Fäustlingen auf dem Arm hatte, wurde gar nicht mal verdrängt, sondern schrumpfte einfach auf winzige Medaillongröße zusammen in einem Teil von ihm, den die Holmese und er mit der Pfeife gerade eifrig killen wollten. Er sagt, er hätte es nicht mal in den Bus geschafft. Sie ließen in dem alten Ford Mystique, den der eine Holmes fuhr, eine Flasche Rye rumgehen und heizten die Pfeifchen an, direkt im Wagen, und wenn er erst mal mit $ in den Taschen eingeheizt hatte, dann hatte die dicke Dame unter dem kleinen Helm mit den Hörnern dran schon gesungen, aber hallo, Jim.294 Die Hände des Mannes umklammern die Podiums
ränder, und er stützt sein Gewicht auf die angewinkelten Ellenbogen, was sowohl Niedergeschlagenheit als auch Mumm kommuniziert. Er bittet die CAs, den Mantel der Nächstenliebe über den Rest dieser nächtlichen Szene zu breiten, die nach dem Scheckeinlösestopp sowieso von den Marschflugkörperabgasen vernebelt wurde; jedenfalls kam er am nächsten Morgen, am Samstagmorgen, schließlich nach Hause nach Mattapan, krank, grüngelblich und mit diesem üblen PostCrank-Schlittern, lechzte nach mehr davon, hätte für mehr davon einen Mord begehen können und war gleichzeitig so gedemütigt und beschämt, weil er die Sache (wieder) in die Scheiße geritten hatte, dass es vielleicht die tapferste Tat seines Lebens war, jedenfalls bis dahin, hat er das Gefühl, dass er in den Fahrstuhl zu ihrer Wohnung stieg. Es war etwa 6.00 früh, und sie waren nicht zu Hause. Niemand war zu Hause, und das auf eine Weise, die die Leere der Wohnung pulsieren und atmen ließ. Unter der Tür war ein Brief der B.H.A.295 durchgeschoben worden, nicht der lachsfarbene Räumungsbefehl, sondern die grüne Letzte Mahnung betr. Miete. Er ging in die Küche, machte
den Kühlschrank auf und hasste sich, weil er hoffte, ein Bier zu finden. Im Kühlschrank standen ein fast leeres Glas Traubengelee und eine halbe Keksmischung und zuzüglich des säuerlichen Geruchs leerer Kühlschränke war das alles, Jim. Ansonsten fanden sich in der gesamten Küche eine Packung mit verklumptem Salz und ein Plastikbecher etikettenlose Erdnussbutter von der Food Bank, so l eer, dass er innen Messerkratzspuren an den Rändern zeigte. Aber was ihm das Gesicht vom Schädel löste und ihn zerbrach, war die speiseölglänzende leere Kekspfanne auf dem Herd und der Plastikring der Aromaverpackung der Erdnussbutter oben auf dem überquellenden Mülleimer. Das kleine Medaillonbild im Hinterkopf schwoll an und wurde zu einer scharf konturierten Szene, wie seine Frau, sein kleines Mädchen und das noch kleinere Ungeborene aßen, was sie, wie er jetzt sah, gegessen haben mussten, gestern Abend und heute Morgen, als er unterwegs war und ihre Lebensmittel und Miete wegsaugte. Das war sein Klippenrand, sein persönlicher Scheideweg, als er mit schlabberndem Gesicht in der Küche stand und mit dem Finger durch eine fettige Pfanne fuhr, in der nicht der kleinste
fettige Pfanne fuhr, in der nicht der kleinste Kekskrümel mehr übrig war. Er setzte sich auf die Küchenfliesen, kniff die gruseligen Augen zusammen, sah aber immer noch das Gesicht seines kleinen Mädchens. Sie hatten Kekse mit Erdnussbutter von der Wohlfahrt gegessen und mit Leitungswasser und Grimassen runtergespült. Ihre Wohnung lag im sechsten Stock von Block 5 der Perry Hill Projects. Das Fenster ließ sich nicht öffnen, aber mit Anlauf konnte er durch die Scheibe springen. Er brachte sich dann aber doch nicht um, sagt er. Er stand einfach auf und ging davon. Er schrieb seiner Frau keinen Zettel. Gar nichts. Er ging davon und ging die ganzen vier km zum Shattuck-Schlafsaal in Jamaica Plain zu Fuß. Er war quasi todsicher, dass sie ohne ihn besser dran waren, sagt er. Aber er sagt, er weiß nicht, warum er sich nicht umgebracht hat. Hat er jedenfalls nicht. Wahrscheinlich war Gott irgendwie dabei, sagt er sich, als er da auf dem Küchenboden saß. Er beschloss einfach nur, zum Shattuck zu gehen, aufzugeben, clean zu werden und niemals wieder das Grimassengesicht seines kleinen Mädchens in seinem verkaterten Schädel zu
haben, James. Und wie es der Zufall so wollte, hatte der ShattuckSchlafsaal, der sonst jeden März eine Warteliste hatte, bis es warm wurde, gerade einen Kaputnik an die Luft gesetzt, der sein Geschäft in der Dusche verrichtet hatte, und konnte ihn, den Sprecher, aufnehmen. Er erkundigte sich sofort nach dem nächsten CA-Treffen. Und ein Personalfritze vom Shattuck rief einen Afroamerikaner mit haufenweise cleaner Selbsterfahrungszeit auf dem Buckel an, und so wurde der Sprecher zu seinem ersten CA-Treffen mitgenommen. Das war heute Abend genau 224 Tage her. Als das farbige CA-Krokodil ihn an jenem Abend wieder am Shattuck ausgesetzt hatte nachdem er bei seinem ersten Treffen vor anderen Farbigen, die er noch nie gesehen hatte, geweint und ihnen von der großen Uhr, dem Glaspfeifchen, dem Lohnscheck, den Keksen und dem Gesicht seines kleinen Mädchens erzählt hatte -, nachdem er also wieder am Shattuck war, der Summer ihn erst reingelassen hatte und dann zum Abendessen summte, stellte sich heraus, wie es der Zufall so wollte, dass es an diesem Samstagabend im Shattuck Kaffee und Erdnussbutterbrote gab. Es war
Ende der Woche, die gespendeten Lebensmittel des Schlafsaals waren aufgebraucht, und es gab nur n o c h Erdnussbutter auf weißem Billigbrot und löslichen Sunny-Square-Kaffee, den billigen Scheiß, der sich nicht mal richtig auflöste. Wie viele autodidaktische Redner kann er emotionale Kunstpausen einlegen, die nicht aufgesetzt wirken. Joelle ritzt mit dem Fingernagel d i e nächste Längslinie in ihren StyroporKaffeebecher und entscheidet sich bewusst dafür, das emotionale Drama der Geschichte nicht für aufgesetzt zu halten. Ihre Augen fühlen sich sandig an, weil sie vergessen hat zu blinzeln. Das passiert immer, wenn man es am wenigsten erwartet, wenn man sich zu einem Treffen hinschleppt und sicher ist, dass es einen anödet. Das Gesicht des Sprechers hat alle Farbe, Form und Individualität verloren. Etwas hat die stramm sitzende Ratsche in Joelles Bauch drei Zähne enger Richtung gut angezogen. Sie ist sich erstmals sicher, dass sie clean werden möchte, egal was es sie kostet. Egal, wenn Don Gately Demerol schluckt oder in den Knast wandert oder sie ablehnt, weil sie ihm ihr Gesicht nicht zeigen kann. Zum ersten Mal seit langer Zeit kann sich Joelle - heute Abend, am 14. 11. - vorstellen,
Joelle - heute Abend, am 14. 11. - vorstellen, jemandem ihr Gesicht zu zeigen. Nach der Kunstpause sagt der Sprecher, die ganzen anderen armen Ärsche im ShattuckSchlafsaal hätten zu stänkern angefangen, was der Scheiß denn solle, Erdnussbutterbrote zum Scheißabendessen. Der Sprecher sagt, er war im Stillen aber für genau dieses Butterbrot dankbar, er habe es gekaut, mit körnigem Sunny-Square-Kaffee runtergespült und zu seinem höheren Wesen erkoren. Er ist jetzt seit über sieben Monaten clean. Universal Bleacher hat ihn entlassen, aber er hat eine Dauerstelle am Logan, schwingt in der dritten Schicht den Mopp, und ein anderer Holmes in seinem Putztrupp ist, wie der Zufall es will, auch im Programm. Wie sich herausstellte, war seine schwangere Frau an jenem Abend mit Shantel zu einem Schlafsaal für ledige Mütter gegangen. Und da war sie immer noch. Der S.P.D. ließ ihn die einstweilige Verfügung seiner Frau nicht anfechten, und er durfte Shantel nicht sehen, aber gerade letzten Monat hatte er mit seinem kleinen Mädchen telefonieren können. Und er ist jetzt clean, weil er aufgegeben hat, der Gr uppe Autobahnauffahrt
beigetreten, aktiv geworden ist und die freiwilligen Empfehlungen der Gemeinschaft der Cocaine Anonymous beherzigt hat. Seine Frau werde um Weihnachten herum ihr Baby bekommen. Er sagt, er weiß nicht, was aus ihm oder seiner Familie wird. Er sagt aber, seine neue Familie - die Gruppe Autobahnauffahrt der Cocaine Anonymous hat ihm gewisse Versprechungen gemacht, und deshalb hegt er in sich drin gewisse Hoffnungen, was die Zukunft angeht. Er findet keinen richtigen Schlusssatz und lässt auch die sonst obligatorischen Dankbarkeitsfloskeln und den ganzen Scheiß weg, umklammert nur das Rednerpult, zuckt die Achseln und sagt, er hat letzten Monat erst das Gefühl gehabt, dass er da auf dem Küchenboden die richtige Entscheidung getroffen hat, hat er persönlich das Gefühl. In der Unterhaltung drehen die Dinge dann rasant Richtung Gemetzel ab, als das taffe Mädchen, das Blutschwester aufgehoben zu haben schien, blau und tot auf seiner Novizenpritsche gefunden wird, die Innentaschen des Habits voll mit Drogen und Spritzbesteck und mit einem dichten Kanülenwald im Arm. Nahaufnahme von BI., in deren dunkelrot
angelaufenem Gesicht es arbeitet, als sie auf die ExExPunkerin hinabsieht. Blutschwester ahnt ein Verbrechen und keinen spirituellen Rückfall, ignoriert erst die Andere-Wange-Frömmigkeiten, dann das leidenschaftliche Flehen, schließlich die direkten Weisungen der Vizeäbtissin - die zufällig die taffe Nonne ist, die ihrerseits Blutschwester aufgehoben hat, vor langer Zeit - und fällt nach und nach in ihr taffes Bikerschnallenleben im Hexenkessel von Toronto vor der Aufhebung zurück: baut den Schalldämpfer ihres Harley-Hobels wieder ab, holt eine ausgeblichene Nietenlederjacke vom Speicher und zerrt sie über den von den Brustmuskeln angeschwollenen Habit, löst die Verbände über ihren grellsten Tätowierungen, quetscht ehemalige Ministranten nach Informationen aus, zeigt Autofahrern, die ihrem Hobel in die Quere kommen, d e n Stinkefinger, trifft sich in zwielichtigen Kaschemmen mit alten Straßenkontakten, kippt selbst mit den Zirrhotischsten von ihnen Schnäpse, verprügelt, verknüppelt, veraikidoiert und entwaffnet Schläger mit Motorsägen und rächt die Entrettung und Entkartung ihres jungen Schützlings, fest entschlossen zu beweisen, dass der Tod des Mädchens kein Unoder Rückfall war und dass sie
bei der Wahl der Seele nichts falsch gemacht hat, mit deren Aufhebung sie ihre Seelenschuld bei der taffen alten Vizeäbtissin begleichen wollte, die in grauer Vorzeit sie, Blutschwester, aufgehoben hatte. Diverse aggressive Stuntmen und zahllose Liter Kaliumthiocyanae96 später zeichnet sich die Wahrheit ab: Die Novizin ist von der Äbtissin ermordet worden, der ranghöchsten und taffsten Nonne des Ordens. Die Äbtissin ist die Nonne, die d i e Vizeäbtissin aufgehoben hatte, die die Blutschwester aufgehoben hat, was ironischerweise bedeutet, dass die Beweise, die Blutschwester braucht, um belegen zu können, dass sie ihre Aufhebungsschuld wirklich beglichen hat, Beweise sind, die den Partikularinteressen der taffen Nonne zuwiderlaufen, der Blutschwesters eigene Aufheberin verpflichtet ist, weswegen Blutschwester immer gequälter und übellauniger wird, je mehr Beweise sie für die Schuld der Äbtissin findet. In einer Szene sagt s i e J uc k . In einer anderen schwingt sie ein Weihrauchfässchen wie einen Streitkolben, knallt ihn ei nem alten Küster an die Birne, der zu den Handlangern der Äbtissin gehört, und zermatscht ihm den zahnlosen Schädel. In Akt 111 entfaltet sich
dann eine veritable Vergeltungsorgie, nachdem die ganze schmutzige Wahrheit ans Licht gekommen ist: Anscheinend ist die taffe alte Vizeäbtissin, also die Nonne, die Blutschwester aufgehoben hatte, in Wirklichkeit nicht aufgehoben worden, sondern hat in Wahrheit in über 20 Jahren des beispielhaften Novenensprechens und Hostienbackens an einer verborgenen degenerativen rezidivierenden Seelenfäule gelitten und ist ungefähr zu dem Zeitpunkt, als Blutschwester den Schleier der vollen Nonnenschaft genommen hat, nicht nur wieder der Drogensucht erlegen, sondern dealt seither auch in beträchtlichen Mengen mit den jeweils profitabelsten Drogen (nach über 20 Jahren war Heroin aus Marseille von kolumbianischem freebase-fähigem Bing Crosby abgelöst worden), um unterm Schleier des Hosianna das eigene Nasenmanna zu finanzieren, und hat aus den selten genutzten Beichtstühlen der Missionskirche für kommunale Seelsorge und Errettung des Ordens heraus insgeheim ein volumenstarkes Einzelhandelsnetz aufgezogen. Die Vorgesetzte der Nonne, die taffe Äbtissin an der Spitze, war über die Drogenoperation gestolpert, nachdem der inzwischen entkartete Küster sie darüber informiert hatte, eine verdächtige
Menge an Limousinen setze goldkettentragende und nicht sehr bußfertig dreinschauende Menschen an d e r Missionskirche für kommunale Seelsorge und Errettung des Ordens ab, und da sie verhängnisvollerweise nicht die fromme Demut aufgebracht hatte, sich einzugestehen, dass sie daran gescheitert war, die Exdealerin wahrhaft und für alle Zeit aufzuheben und so ihre, der Äbtissin, Seelenschuld bei der längst im Ruhestand lebenden achtzigjährigen Nonne zu begleichen, die sie aufgehoben hatte, hat die Äbtissin höchstpersönlich Blutschwesters Ex-Punk-Novizin umgebracht, um das Mädchen zum Schweigen zu bringen. Zum Drogencoppen war Blutschwesters süchtige Punkerin da draußen vor ihrer Aufhebung nämlich immer zur berüchtigten Missionskirche für kommunale Seelsorge und Errettung der Vizeäbtissin gegangen. Mit anderen Worten, die Nonne, die Blutschwester aufgehoben hatte, die selber aber insgeheim unaufgehoben geblieben war, war die Bing-Dealerin des taffen Mädchens gewesen, und deswegen hatte sich das taffe nichtkatholische Mädchen beim Confiteor so mysteriös versiert gezeigt. Die Äbtissin des Ordens hatte sich gesagt,
dass es nur eine Frage der Zeit sein könne, bis die Konversion und Aufhebung des Mädchens eine solche spirituelle Intensität erreiche, dass sie ihr vorsichtiges Schweigen brechen und Blutschwester die Kehrseite der Wahrheit über die Nonne gestehen werde, der sie (Blutschwester) ihre (Blutschwesters) Aufhebung zu verdanken glaubte. Also hatte sie (die Äbtissin) dem Mädchen die Karte umdekoriert vorgeblich, wie sie (die Äbtissin) ihrer Stellvertreterin erklärt hatte, um sie (die Vize-Äbtissin) vor Enttarnung, Exkommunikation und vielleicht noch Schlimmerem zu bewahren, wenn das Mädchen nicht zum Schweigen gebracht wurde.297 Die ganze weitschweifige und verwickelte Materie wird mit Kabuki-Drastik bei einer trilateralen Rauferei im Büro der Äbtissin aufgeklärt, die die Vizeäbtissin nicht aufgehoben hat, die Blutschwester aufgehoben hat. Die beiden alten Nonnen - die in der guten alten Zeit von Ontario taff und unaufgehoben waren, als Männer noch Männer waren und drogensüchtige Bikerschnallen auch - tun sich zusammen und verkloppen Blutschwester, eine verwischte Kampfszene mit flatternden Ordenstrachten und ernsthaften Kampfsporttechniken vor dem von
Punktstrahlern ausgeleuchteten Hintergrund eines riesigen Mahagonikruzifixes an der Wand. Blutschwester hält sich wacker, bekommt aber trotzdem den Nonnenschleier zerknautscht, und als sie nach mehreren Drehtritten an die Stirn ihrer irdischen Karte schon Lebewohl sagen und ihren Geist in Gottes Hände befehlen will, da wischt sich die unaufgehobene rückfällige Vizeäbtissin, die Blutschwester aufgehoben hat, nach einem Kopfstoß das Blut aus den Augen und erblickt die Äbtissin, die Blutschwester gerade mit dem Andenken- Tomahawk aus der Champlain-Ära, mit dem eine Huronennonne den Jesuitenmissionaren den Kopf abgeschlagen hatte, bevor sie vom Gründer des Torontoer Ordens zur Aufhebung taffer Mädchen aufgehoben worden war, den Kopf abschlagen will, sieht den mit beiden Armen vor dem sonst fromm und gütig dreinschauenden Gesicht der alten Äbtissin erhobenen Tomahawk ein nunmehr unbeschreibliches Gesicht, auf dem sich das Fehlen jeder Demut und die Leidenschaft des \Nahrheitmundtot-Machens zu reinem und radikalem Bösen summiert haben -, sieht das erhobene Kriegsbeil und das dämonische Gesicht der Äbt., und da erlebt die unaufgehobene Vizenonne eine Epiphanie, einen
Augenblick antirückfälliger spiritueller Klarheit, und verhütet Blutschwesters Entkartung, indem sie die Äbtissin nach einem Sprung quer durchs Büro mit einem großen dekorativen christlichen Mahagonigegenstand bewusstlos schlägt, der ein solcher Zaunpfahl der Symbolik ist, dass er nicht benannt werden muss, und dessen symbolische Plakativität HaI und Bridget Boone erschaudern lässt. Jetzt hat Blutschwester das Kriegsbeil aus der Champlain-Ära, und die unaufgehobene Nonne, die s i e aufgehoben hat, hat einen namenlosen Gegenstand, dessen Mahagoni einem Kriegsbeil aber nicht gewachsen ist, und über der Kuttenlache d e r niedergestreckten Äbtissin stehen sie sich gegenüber, die Brüste wogen, und die Miene der Vize-Äbt. verzerrt sich unter ihrem verrutschten Schleier a l a Nur zu, schließ den Kreis der rückfälligen Vergeltung anhand der Nonne, von der du dich aufgehoben wähntest, die sich aber letztlich selber nicht aufheben konnte, schließ den Kreis des Sündenfalls oder so ähnlich. Unzählige Einzelbilder lang starren sich die beiden an, die Bürowand hinter ihnen mit der dekussierten Aussparung, wo der namenlose Gegenstand hing. Dann zuckt
Blutschwester resigniert die Schultern, lässt den Tomahawk fallen, dreht sich um und verlässt nach einer ironischen Geste des Respekts das Büro der Äbtissin, geht durch die kleine Sakristei, über den Altar und durch das kleine Mittelschiff der Klosterkirche (Motorradstiefel hallen auf den Steinplatten nach und betonen die Stille) und hinaus durch das große Portal, in dessen Tympanon ein Schwert, eine Pflugschar, eine Spritze und eine Suppen kelle eingeschnitten sind sowie der Sinnspruch CONTRARIA SUNT COMPLEMENTA, dessen Sinnschwere HaI dermaßen schaudern lässt, dass Boone Kent Blatt die erbetene Übersetzung zukommen lassen muss.298 Auf der Leinwand folgen wir noch immer der taffen Nonne (oder Exnonne). Die Tatsache, dass das Kriegsbeil, das sie resigniert fallen gelassen hat, der hingestreckten Äbtissin noch m a l kräftig eins übergebraten hat, wird als eindeutiges Versehen ausgestellt ... weil sie (Blutschwester) sich noch mit nachdrücklichen Schritten vom Kloster entfernt, in graduell zunehmender Tiefenschärfe. Taff nach Osten in den zwitschernden Sonnenaufgang über Toronto humpelt. Die SchlusseinsteIlung der Patrone zeigt sie auf ihrem Hobel im heißesten Hexenkessel von
sie auf ihrem Hobel im heißesten Hexenkessel von Toronto. Vor dem Sündenfall? Vor dem Rückfall in ihr taffes unaufgehobenes Leben? Es bleibt unklar, ist aber ein bewusst offenes Ende: Ihre Miene ist milde gesagt agnostisch, aber sie brettert auf das am Horizont knapp erkennbar aufragende riesige Schild einer HarleySchalldämpfer-Filiale zu. Der Abspann hat das schräge Lindgrün von Insekten auf der Windschutzscheibe. Schwer zu sagen, ob der Beifall von Boone und Bash sarkastisch gemeint ist. Die PostUnterhaltungs-Unruhe von Gewichtsverlagerungen, Gliederdehnen und kritischen Geistesblitzen kommt auf. Aus heiterem Himmel fällt HaI ein: Smothergill. Possalthwaite sagt, der Id- Mann und er sind mit Blott gekommen, um mit HaI über etwas Beunruhigendes zu sprechen, dem sie während ihres Latrinenstrafkommandos am Nachmittag in den Tunneln begegnet sind. HaI bittet die Jungen mit erhobener Hand um Aufschub und sieht auf der Suche nach Tiefkühlgemeinschaftskunde die Patronenhüllen durch. Alle Hüllen sind säuberlich beschriftet.
Die Erscheinung entfernte sich, das Rot ihres Mantels schrumpfte vor dem schwankenden Blick auf die Prospect St., das Pflaster, die Müllcontainer und undeutlich sich abzeichnenden Schaufenster, Ruth van Cleve war ihr auf der düsterroten Pelle, entfernte sich ebenfalls und schrie urbanen Argot. Kate Gompert hielt sich den schmerzenden Kopf. Ruth van Cleves Verfolgungsjagd wurde von den Armen gebremst, mit denen sie beim Kreischen herumruderte; und die Erscheinung holte mit ihren Handtaschen aus, um sich auf dem Bürgersteig einen Weg durch die Menge zu bahnen. Kate Gompert sah Passanten auf die Straße hinausspringen, um nicht die Fresse poliert zu kriegen. Die ganze Szene schien violett tingiert. Unter einer Geschäftsmarkise in nächster Nähe sagte eine Stimme: »Hab's gesehen!« Kate Gompert beugte sich wieder vor und betastete die Kopfpartie um das Auge herum. Das Auge schwoll fühlbar zu, und ihr Gesichtsfeld wurde seltsam violett. Im Kopf ein Geräusch wie eine Zugbrücke, die hochgezogen wird, ein unerbittliches Rasseln und Quietschen. Heißer wässriger Speichel bildete sich im Mund, und sie musste immerzu den
Brechreiz hinunterschlucken. »Gesehen? Da könn'n Se aber Gift drauf nehmen, dass ich das gesehen hab'!« Eine Art Wasserspeier löste sich von der Haushaltswarenauslage eines Geschäfts und kam mit seltsam ruckartigen Bewegungen wie in einem Film mit fehlenden Einzelbildern auf sie zu. »Hab alles gesehen! «, sagte es und wiederholte es. »Ich bin Zeuge! «, sagte es. Kate Gompert schlang den anderen Arm um den Laternenpfahl, zog sich fast in die Senkrechte hoch und sah es an. »Kann die ganze Scheiße bezeugen«, sagte es. In dem Auge, das nicht zu schwoll, gewann das Ding die lilafarbene Gestalt eines Bärtigen in einem Soldatenmantel, über den er einen ärmellosen Soldatenmantel gezogen hatte, Speichelspuren im Bart. Das eine Auge zeigte ein Netz geplatzter Arterien. Er zitterte wie eine alte Maschine. Es roch. Der alte Mann kam ganz nah und beugte sich vor, sodass Fußgänger um sie beide einen Bogen machen mussten. Kate Gompert spürte ihren Puls im Auge.
»Zeuge! Augenzeuge! Alles gesehen!« Aber er sah woandershin, mehr auf die Vorbeigehenden. »Gesehen? Fragen Sie mi ch!« Unklar, wen er anschrie. Sie nicht, und die Passanten zollten ihnen die bemühte urbane Nicht-Aufmerksamkeit, teilten sich, flossen um sie am Laternenpfahl herum und verschmolzen wieder. Kate Gompert dachte, wenn sie sich am Laternenpfahl festhielt, musste sie sich vielleicht nicht übergeben. Gehirnerschütterung ist nur ein anderes Wort für ein gequetschtes Hirn. Sie versuchte, es sich nicht auszumalen, dass der Aufprall vielleicht einen Teil ihres Gehirns gegen den Schädel geballert hatte und dass dieser Teil jetzt, an die Innenseite ihres Schädels gequetscht, knallrot anschwoll. Es war der Laternenpfahl, an dem sie sich festhielt, der sie getroffen hatte. »Kumpel? I c h bin Ihr Kumpel. Zeuge? Alles gesehen!« Und der alte Mann hielt Kate Gompert eine tattrige Handfläche unter das Gesicht, als sollte sie hineinbrechen. Die Handfläche war violett mit Flecken einer Art Pilzbefall und dunklen verzweigten Linien, wo Leute, die nicht in Müllcontainern hausen, rosarote Handlinien haben, Kate Gompert gab sich einer Analyse der Handfläche und des vom Wetter 299
gebleichten GIGABUCKS299-Scheins auf dem Asphalt darunter hin. Der Schein schien in einen violetten Nebel zurückzuweichen und dann wieder vorzukommen. Fußgänger würdigten sie eines flüchtigen Blickes und sahen dann bemüht woandershin: eine betrunken aus sehende junge Frau und ein Stadtstreicher, der ihr etwas in seiner Handfläche zeigte. » Wa r Zeuge, wie das Ganze begangen wurde«, meinte der Mann zu einem Passanten mit Handy am Gürtel. Kate Compert brachte nicht den Mumm auf, ihm zu sagen, verpiss dich. So sagte man das hier in der echten Stadt. Verpiss dich, dazu eine knappe Daumengeste. Sie brachte nicht einmal ein Gehen Sie heraus, obwohl der Geruch des Mannes den Brechreiz verschlimmerte. Sie fand es schrecklich wichtig, nicht zu kotzen. Sie spürte den Puls in dem Auge, das der Pfahl getroffen hatte. Als verschlimmerte der Druck zu kotzen die schwammige Purpurfärbung des Hirnareals, das der Pfahl geprellt hatte. Bei der Vorstellung hätte sie ihm gern in die schreckliche Handfläche gekotzt, die einfach nicht stillhielt. Sie versuchte es mit Vernunft. Wenn der Mann Zeuge der ganzen Sache gewesen war, wie konnte er dann glauben, dass sie noch Kleingeld hätte, das sie ihm
glauben, dass sie noch Kleingeld hätte, das sie ihm in die Hand legen konnte? Ruth van Cleve hatte gerade die witzigeren Decknamen des eingebuchteten Vaters ihres Babys aufgezählt, als Kate Gompert spürte, wie ihr eine Hand erst auf den Rücken schlug und sich dann um den Riemen ihrer Tasche schloss. Ruth van Cleve hatte aufgeschrien, als die Erscheinung der hässlichsten Frau, die Kate Compert je gesehen hatte, zwischen ihnen hindurch gesprungen war und sie auseinandergestoßen hatte. Der Plastikriemen von Ruth van Cleves Tasche war sofort gerissen, aber Kate Comperts dünner, aber dicht geknüpfter Riemen hielt an ihrer Schulter, und sie wurde vom Schwung der weiblichen Erscheinung, die die Prospect St. hoch rennen wollte, ruckartig nach vorn gerissen, und die rote Hexengestalt wurde ruckartig zurückgerissen, als der geflochtene Riemen aus reiner Baumwolle der Makramee-Tasche hielt, und Kate Gompert stieg der Gestank von etwas unangenehm Feuchten in die Nase, schlimmer als die schlimmste kommunale Kläranlage, und sie sah flüchtig eine Art Fünftagestoppeln auf dem Cesicht der Vettel, während die straßentaffe Ruth van Cleve ihren/ seinen roten Ledermantel zu packen bekam und den
Dieb als Fickfehler einer Kirmeshure bezeichnete. Kate Compert stolperte vorwärts und versuchte, den Arm aus der Riemenschlinge freizubekommen. Alle drei bewegten sich zusammen weiter. Die Erscheinung drehte sich ungestüm um sich selbst und versuchte, Ruth van Cleve abzuschütteln, und ihr/sein Drehmoment ließ Kate Gompert (die nicht viel wog) am Riemen ihrer Handtasche einen weiten Kreis beschreiben (sie wurde plötzlich in ihre Kindheit zurückversetzt, zu den Eislaufspielen auf der Eisbahn des Wellesley Hills Skating Club in der »Kleine Kufen«-Eislaufstunde für Kleinkinder) und immer schneller werden; und dann rotierte ein rostpockiger Laternenpfahl auf sie zu, wurde ebenfalls schneller, und das Geräusch war eine Mischung aus bank u n d dang, und Himmel und Fußweg tauschten die Plätze, eine violette Sonne explodierte, die ganze Straße wurde violett und dröhnte wie Glockenschall; und dann war sie allein, handtaschenlos und sah, wie die beiden sich entfernten und anscheinend beide um Hilfe riefen.
Kap. 58 - 14. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE Ein Nachteil nasal konsumierten Kokains ist, dass es einen an einem bestimmten Punkt irgendwo hinter dem euphorischen Wellenkammwenn man nicht die Vernunft mitbringt, aufzuhören und einfach den Wellenkamm zu reiten, sondern nasal weitermacht in Regionen fast interstellarer Kälte und nasaler Taubheit bringt. Randy Lenz' Nasennebenhöhlen waren am Schädel festgefroren, taub und kristallreifverhangen. Seine Beine fühlten sich an, als endeten sie an den Knien. Er verfolgte zwei winzige Chinesinnen, die unter der Central riesige Einkaufstaschen aus Papier nach Osten den Bishop Allen Drive langschleppten. Sein Herz polterte wie ein Schuh im Trockner im Keller von Ennet House. So laut klopfte sein Herz. Die Chinesinnen trippelten erstaunlich schnell dahin, wenn man ihre Größe und die der Taschen berücksichtigte. Es musste etwa 22.12:30-40 Uhr sein, also mitten in der ehemaligen
Phase der Problembewältigung. Die Chinesinnen gingen weniger, als dass sie mit insektiler Geschwindigkeit dahintrippelten, und Lenz war in der Zwickmühle, gleichzeitig Schritt zu halten und scheinbar zu schlendern, taub vom Knie abwärts und vom Nasenloch zurück. Zwei oder mehr Blocks unter dem Central Square bogen sie in die Prospect St. ab und trippelten Richtung Inman Square. Lenz folgte ihnen mit zehn oder dreißig Schritten Abstand, die Augen auf den Bindfadengriffen der Einkaufstaschen. Die Chinesinnen waren ungefähr hydrantengroß, bewegten sich, als hätten sie mehr als die übliche Anzahl Beine und unterhielten sich in ihrer bemühten und schrillen Affensprache. Die Evolution beweist, dass orientoide Idiome dichter an den Primatensprachen dran sind als nicht. Zunächst hatte Lenz auf den gemauerten Fußwegen des Abschnitts der Mass. Ave. zwischen Harvard und Central gedacht, sie verfolgten ihn möglicherweise er war seinerzeit viel verfolgt worden und wusste wie der belesene Geoffrey D. nur zu gut, danke, kein Bedarf, dass die furchterregendste Beschattung von unscheinbaren Menschen durchgeführt wurde, die einen verfolgten, indem sie mit kleinen Spiegeln an den Brillenbügeln vor einem hergingen oder über
ausgeklügelte Systeme mobiler Kommunikationsmethoden verfügten, um der Kommandozentrale Bericht zu erstatten - oder aber auch per Helikopter, die zu hoch flogen, um gesehen werden zu können, die über einem schwebten, das leise Flappen der Rotoren als Herzklopfen des Verfolgten getarnt. Aber nachdem er die Chinesinnen zweimal erfolgreich abgeschüttelt hatte - das zweite Mal so erfolgreich, dass er durch Gassen flitzen und über Holzzäune klettern musste, bis er sie ein paar Blocks weiter nördlich auf dem Bishop Allen Dr. wieder eingeholt hatte, wie sie dahin trippelten und schnatterten -, war er überzeugt zu wissen, wer hier wen verfolgte. Wer hier die Kontrolle und den Überblick über die ganze Situation hatte. Der Rausschmiss aus dem House, den er zunächst für den Kuss des Todesurteils gehalten hatte, war im Nachhinein vielleicht gen au das Richtige gewesen. Er hatte es mit Nähr Dich Redlich probiert und war seinen Mühen zum Trotz bedroht, fallen gelassen und weggeschickt worden; er hatte alles gegeben und meistens eindrucksvoll; und er war fortgeschickt worden, allein, aber jetzt konnte er sich wenigstens in aller Öffentlichkeit verbergen. R. Lenz lebte hier
draußen von seiner Ausgebufftheit, tief vermummt auf den amonymen Straßen von N. Cambridge und Somerville, ohne Rast, immer in Bewegung, verborgen in der hell erleuchteten Öffentlichkeit, dem letzten Ort, wo Die ihn suchen würden. Lenz trug eine neongelbe Skihose, einen leicht glänzenden Frackmantel mit langen Schößen, einen Sombrero mit Holzkügelchen, die an der Krempe baumelten, eine überdimensionierte Schildpattbrille, die sich bei hellem Licht von selbst verdunkelte, und einen glänzenden schwarzen Schnurrbart, den er von der Oberlippe einer Schaufensterpuppe bei Lechmere's in Cambridgeside abgestaubt hatte - das ganze Ensemble das Resultat kühner Abstaub-undAbhau-Aktionen den ganzen abendlichen Charles hinauf und hinab, als er am Anfang vor etlichen Tagen oberirdisch aus Enfield nach Nordosten gegangen war. Die absolute Schwärze des Schnurrbarts der Schaufensterpuppe - mit abgestaubtem Patentkleber bombensicher befestigt und noch glänzender durch die Nasensekrete, die Lenz nicht rinnen spürt - gibt seiner Blässe unter dem beweglichen Sombreroschatten etwas Gespenstisches -; ein weiterer Vor- wie Nachteil nasalen Kokains ist, dass Essen wahlfrei und müßig
nasalen Kokains ist, dass Essen wahlfrei und müßig wird, und man vergisst es über längere Zeiträume, das Essen - in seinem auffällig bunten VerkleidungsPastiche geht er ohne Weiteres als einer von den vielen nichtsesshaften Freiluftspinnern von MetroBoston durch, einer der toten oder sterbenden Wiedergänger, und alle Entgegenkommenden machen einen großen Bogen um ihn. Der Trick, hat er herausgefunden, besteht darin, weder zu schlafen noch zu essen, wachsam und immer in Bewegung zu bleiben, die Fühler in alle sechs Richtungen ausgestreckt und Schutz in der Deckung von UBahn-Stationen oder umschlossenen Malls zu suchen, wann immer das Kardialflappen unsichtbarer Rotoren die Beschattung aus der Höhe verrät. Mit dem Netz der Gassen, Querbalken und vermüllten Hinterhöfe von Klein-Lissabon hat er sich ebenso schnell vertraut gemacht wie mit der (schrumpfenden) Wildkatzen- und Hundepopulation. Die Gegend war reich an hoch angebrachten Uhren an Banken und Kirchen, die die Bewegungen diktierten. Das Browning X444 mit Wellenschliff im Schulterhalfter trug er in der einen Socke festgeschnallt knapp oberhalb der Gamaschen der Lackschuhe, die er aus derselben Auslage vor A
Lackschuhe, die er aus derselben Auslage vor A Formal Affair Ltd. organisiert hatte wie den Frackmantel. Sein Feuerzeug steckte in einer fluoreszierenden Schlitztasche mit Reißverschluss; hochwertige Müllbeutel gab es reichlich in Müllcontainern und an Ampeln haltenden Hinterladern. Die farnes-Prinzipien der GiffordVorlesungen, deren ausrasiertes Höhlungsherz jetzt etwas leerer war, als Lenz lieb gewesen wäre, hatte er in der Hand und unter den einen formell gekleideten Arm geklemmt. Und die Chinesinnen trippelten hundertfüßlerisch Seite an Seite, ihre Mammuteinkaufstaschen hielten sie je in einer rechten und einer linken Hand, sodass sich die Taschen Seite an Seite zwischen ihnen befanden. Lenz schloss zu ihnen auf, aber schrittweise und mit einem gerüttelt Maß an nonchalanter Verstohlenheit, die gar nicht so einfach war, wenn man seine Füße nicht spürte und sich die Brillengläser jedes Mal verdunkelten, wenn man unter einer Straßenlaterne entlangging, und danach nur langsam wieder aufhellten, sodass Lenz gleich zwei der für das Überleben auf der Straße überlebenswichtigen Sinnesorgane entbehren musste; trotzdem gelang ihm beides, Heimlichkeit wie Nonchalance. Er hatte
ihm beides, Heimlichkeit wie Nonchalance. Er hatte keine Ahnung, wie er wirklich aussah. Wie viele Wanderspinner von Metro-Boston verwechselte er den weiten Bogen der anderen mit eigener Unsichtbarkeit. Die Einkaufstaschen sahen schwer und beeindruckend aus, und durch ihr Gewicht neigten sich die beiden Chinesinnen leicht zueinander. Etwa 22.14:10 Uhr. Erst die Chinesinnen und dann Lenz kamen an einer graugesichtigen Frau vorbei, die mit multiplen gerafften Röcken zwischen zwei Müllcontainern hockte. Entlang des gesamten Bordsteins standen Autos Stoßstange an Stoßstange, hinzu kamen Unmengen in zweiter Reihe. Die Chinesinnen karnen an einern Mann vorbei, der mit Spielzeugbogen und -pfeilen am Bordstein stand, und als sich die Brille wieder aufhellte, sah auch Lenz ihn, als er an ihm vorbeikam - der Mann trug einen rattenfarbenen Anzug, schoss einen Pfeil mit Saugkappe an die Wand eines zu vermietenden Gebäudes, ging dann hin und zeichnete mit Kreide einen winzigen Kreis um den Pfeil, darum einen größeren und usw. wie bei einer wie heißt das noch gleich. Die Frauen schenkten ihm keine orientoide Beachtung. Im Gegensatz zu einem Rattenschwanz war auch die schmale Krawatte des
Anzugs braun. Seine Wandkreide war eher rosarot. Die eine Frau sagte der anderen etwas Schrilles, vielleicht eine Interjektion. Interjektionen in Affensprachen haben etwas von explodierenden Querschlägern. Als hätte jedes Wort eine boingKomponente. Aus einem Fenster auf der anderen Straßenseite war die ganze Zeit The Star-Spanned Banner zu hören. Der Mann trug eine schmale Krawatte und fingerlose Handschuhe, und als er von d e r Wand zurücktrat, um seine rosa Kreise zu begutachten, wäre er fast mit Lenz zusammengestoßen, und beide sahen einander an und schüttelten den Kopf a l a arme Sau von Witzfigur, die mit mir die Straße teilt. Es war allgemein bekannt, dass normale orientoide Typen ihre gesamte weltliche Habe immer mit sich herumschleppten. Also am Leibe, während sie umhertrippelten. Die orientoide Religion verbot Banken, und Lenz hatte schon zu viele doppel breite Mammuteinkaufstaschen mit Bindfadengriffen in zu vielen winzigen Chinesinnenhänden gesehen, als d a s s sich ihm nicht die Schlussfolgerung hätte aufdrängen müssen, dass das chinesIsche Orientoidenweibchen Einkaufstaschen für seine
weltliche Habe nutzte. Er spürte, wie sich die Energie, die er für ein Schnappen-und-Spurten brauchte, mit jedem Schritt in ihm aufbaute, schob sich nonchalant näher und konnte jetzt schon verschiedene Muster in den quasi durchsichtigen Plastikfahnen erkennen, in die sie ihre kleinen Frisuren einwickelten. Die Chinesinnen. Sein Puls beschleunigte zu einem gleichmäßigen Aufwärmgalopp. Er begann seine Füße zu spüren. Das Adrenalin der Vorfreude trocknete ihm die Nase und half dem Mund, nicht mehr so im Gesicht herumzuzucken. Der grässliche Eber war nie und nimmer betäubt und regte sich jetzt in der Skihose vor Geisteskitzel und Jagdfieber. Alles andere als hochmoderne Beschattung: Das war aus einem anderen Stück: Die ahnungslosen Orientalinnen hatten keinen Schimmer, mit wem sie es zu tun hatten, hinter sich, keinen Schimmer, dass er sie beschattete und die nonchalante Lücke verkleinerte und nur nach jeder Straßenlaterne leicht ins Stolpern kam. Er hatte die absolute Kontrolle über die Situation. Und sie wussten nicht einmal, dass es eine Situation gab. Zielscheibe. Lenz glättete den Schnurrbart mit einem Finger und machte einen kleinen Trippeltanzsprung a la gelbe
Ziegelsteinstraße der reinen schadenfrohen Kontrolle, sein Adrenalin vor aller Augen unsichtbar. Es gab zwei Wege zum Gehen, und Les Assassins des Fauteuils Rollents waren bereit, beide einzuschlagen. Weniger so gut war der indirekte Weg: Beschattung und Unterwanderung der überlebenden Mitarbeiter von dem auteur von der Unterhaltung, von seiner Schauspielerin und gerüchtweisen Ausführenden, und der Verwandten notfalls unterzog man diese technischen Vernehmungen, was mit Hoffnung zu der originalen Patrone von der Unterhaltung von dem auteur führte. Dieses Vorgehen bergte Risiken von der Enttarnung und blieb als Plan B unter dem Verschluss, bis der direkte Weg - Aufspüren und Sicherstellen von einem Master von der Unterhaltungerschöpft war. Es war dieser Weg, warum sie noch hier waren, im Laden der Antitois in Cambridge, um - comme on dit - alle Steine zu umdrehen.
Kap.59 - 14. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE Das Geheimnis des Rennens in hochhackigen Schuhen, wusste Poor Tony Krause, bestand darin, auf den Zehenspitzen zu laufen, weit vorgebeugt und mit so viel Vorwärtsdrall, dass man auf den Zehenspitzen blieb und die Absätze gar nicht in Aktion traten. Offenbar kannte aber auch die elende Kreatur hinter ihm dieses Branchengeheimnis. Sie rasten die Prospect hoch, und der zupackende Griff der Kreatur war immer nur mm entfernt von seiner flatternden Boa. Poor Tony drückte die beiden Handtaschen an die Seite wie einen Football im USamerikanischen Football. Mit oft geübten Bewegungen wichen Passanten ihnen geschickt aus. Poor Tony konnte ihre Gesichter deutlich erkennen, wenn der wie eine Druckwelle ihm vorauseilende Geruch sie erreichte. Ein Mann in einem Autocoat machte ein Gestankgesicht und vollzog eine kunstvolle Ver6nica, um die bei den
vorbeirasen zu lassen. Poor Tonys Atem ging seitenstechend rau und stoßweise. Mit einer Verfolgung durch das Opfer hatte er nicht gerechnet. Er spürte, wie die Hand der Kreatur nach den Resten seiner Boa grapschte. Die Donegal-Mütze wehte unbetrauert davon. Auch der Atem des Dings war rau, aber die Verwünschungen, die es ausstieß, kamen immer noch vom Zwerchfell, voller Überzeugung und Verve. Das andere Ding war mit einem Pfahl zusammengeknallt, mit einem saftigen Geräusch, bei dem Tony zusammengezuckt war. Sein Vater hatte sich selbst an Kopf und Schultern geschlagen, als er um seinen symbolisch toten Sohn getrauert hatte. Als der Riemen nach dem Aufprall nachgab, war Tony sofort auf den Zehen und nahm Reißaus, hatte aber nicht mit der Verfolgung durch die andere gerechnet, dieser schwarzen Kreatur, die sich ihm kreischend an die Fersen heftete. Die ersten Blocks lang hatte die Kreatur Hilfe und Haltet das Miststück geschrien, und Poor Tony, da noch mit anständigem Vorsprung, hatte das gekontert und ebenfalls Hilfe! u n d Um Gottes willen haltet sie geschrien, um potenziell gute Bürger zu verwirren. Bei den Abschnackologen vom Harvard eine altehrwürdige Branchentechnik. Aber jetzt hatte ihn
altehrwürdige Branchentechnik. Aber jetzt hatte ihn die schwarze Kreatur bis auf wenige mm eingeholt und hielt jetzt wirklich seine Boa fest, während sie keuchend und auf den Zehenspitzen volle Pulle dahinpesten. Mit schwungvoller Geste entwand Krause die Boa seinem Hals und opferte sie dem Ding, aber die Hand der ekelhaften Kreatur war sofort wieder da und griff über seinem Lederkragen ins Leere, keuchte ihm rau ins Ohr, verwünschte ihn. Traurig dachte Poor Tony beim Laufen, dass das Ding die Boa garantiert achtlos auf die Straße oder in die Gosse geworfen hatte. Ihre Schuhspitzen erzeugten auf dem Asphalt komplexe und variable Rhythmen; manchmal waren ihre Schritte synchron, dann wieder nicht. Das Ding blieb qualvoll dicht hinter ihm. Schilder mit fetten Aufschriften wie FRISCHE TOTHÜHNER und RESTLOSE VERNICHTUNG zuckten vorbei; Antitoi Entertainment war noch über zwei lange Nord-SüdBlocks entfernt. Krause und Verfolgerin rannten verkehrswidrig über eine verstopfte Kreuzung. Poor To n y r i e f Hi l fe! u n d Bi tte! Die Hand und der rasselnde Atem direkt hinter ihm erinnerten an einen dieser grauenhaften Albträume, wo etwas Unbeschreibliches einen kilometerweit verfolgt, und
unmittelbar bevor sich einem seine Krallen um den Nacken schließen, wacht man auf und fährt kerzengerade im Bett hoch; nur nahm dieses grauenhafte Szenario einer handausstreckenden Kreatur direkt hinter ihm überhaupt kein Ende, und Ladenfassaden, Bordstein und wegspritzende Passanten verschmolzen allesamt rechts an der Peripherie. Die unscheinbare Hintertür von Antitoi Ent. war über eine Seitengasse zu erreichen, die kurz vor dem Broadway nach Westen von der Prospect abging und dann eine kleinere und müllcontainergesäumte Nord-Süd-Gasse schnitt, und einer dieser Container (in dem Poor Tony spätabends mangels U-Bahn-Geld gelegentlich übernachtet hatte) lag in Aufschlagsweite vom Hintereingang der kanadischen Brüder. Die Handtaschen unter den einen Arm geklemmt und mit der anderen Hand krampfhaft die Perücke festhaltend, überschlug Poor Tony, ob die Kreatur wegen der vielen Müllcontainer vielleicht nicht sehen würde, hinter welcher hoffentlich unverschlossenen Hintertür P. T. um Unterstützung und menschenfreundliches Asyl ersuchte, wenn er bis zu der Gasse genug Vorsprung vor Ihr bekommen
konnte. Bei der Obstauslage einer Bodega auf dem Gehweg täuschte er an und sah sich flüchtig um in der Hoffnung, die Kreatur würde Arsch über Kopf in die aufgestapelten Früchte krachen. Denkste. Sie war immer noch da und keuchte. Ihr Trippelschritt um zwei Kartonstapel mit Kap-Preiselbeeren herum war entmutigend geschickt. Das Ding machte eindeutig nicht zum ersten Mal Jagd auf Leute. Sein Keuchen war von rauer Unerbittlichkeit. Das hielt unverkennbar auch die Langstrecke durch. Es schrie nicht mehr H a l t o d e r gossensprachliche Beschimpfungen. Paar Tonys Atem brannte wie Feuer. Es klang fast, als würde er weinen. Er wollte Hilfe! rufen und konnte nicht; er hatte nicht genug Luft dafür; schwarze Pünktchen stiegen vor seinen Augen auf; nicht alle Straßenlaternen funktionierten; sein Herzschlag ging zuckungzuckungzuckung. Er übersprang einen blöd platzierten Kartonaufsteller für irgendwas im Rollstuhl und hörte, wie die Kreatur ebenfalls darüber hinwegsetzte und leichtfüßig auf den Zehen landete. I h r Oberleder hatte keine Riemchen, die sich wie die seiner feinen Aigners eingraben konnten; Tony spürte Blut an den Füßen. Die Mündung der Seitenstraße nach Westen lag zwischen einem Steuerberater und sonst was; hier
zwischen einem Steuerberater und sonst was; hier irgendwo musste es sein; Krause blinzelte; die schwarzen Pünktchen waren winzige Ringe mit undurchsichtigen Mitten, die träge wie Ballons in seinem Blickfeld aufstiegen; Paar Tony hatte einen Anfall hinter sich und war geschwächt, von den Entzugserscheinungen ganz zu schweigen; sein Atem ging stoßweise und fast in Schluchzern; er konnte sich kaum auf den Zehen halten; seit vor der Kabine der Herrentoilette in der Bibliothek hatte er nichts mehr gegessen, und das war jetzt vor wie v i e l e n Tagen; er suchte die vorbeifliegenden verschwommenen Schaufenster ab; ein älterer Mitbürger ging vernehmlich zu Boden, als die Kreatur ihn anrempelte; in der Ferne blies jemand verzweifelt in eine Trillerpfeife; der Steuerberater hatte das seltsame Schild ON PARLE LE PORTUGAlS lei im Schaufenster. Die Finger des Dings schabten bei jedem Schritt am Rand von Tonys Lederkragen, dann kam es näher heran, und Poor Tony spürte die Finger im Haar des Chignon, den er mit einer Hand auf dem Kopf festhielt. Paar Tonys Vater pflegte nach einem Tagwerk der Kaiserschnitte in die 412 Mount Auburn Street in Watertown heimzukehren, sich in der eindunkelnden Küche auf einen Stuhl zu
setzen und die Stellen am Kopf zu kratzen, wo sich die Gummibänder der grünen OP-Maske in die Haut eingeschnitten hatten. Die unter Garantie fahlen langen Fingernägel des Dings suchten im Perücken haar Halt, als sie den Steuerberater erreichten und Tony scharf nach rechts abbog, beim Schwenk einen Absatz abbrach, aber mehrere Schritt Vorsprung gewann, weil die Kreatur vom eigenen Schwung an d e r zurückgesetzten Gassenmündung vorbeigetragen wurde. Krause wimmerte rau und floh westwärts, auf den blutigen Zehen, hörte seinen Atem von beiden Gassenmauern widerhallen, manövrierte um Scherben und einen Nichtsesshaften in Rückenlage herum und hörte, wie das Ding einige Schritte hinter ihm ein nachklingendes Halt du Arschloch Hal t! hervorstieß, woraufhin der von Krause übersprungene Nichtsesshafte den verfaulenden Kopf vom Gassenboden hob und konterte: Lauf! Nachdem sie allen verfügbaren Hinweisen - dank der strapaziösen technischen Vernehmung des garderobetechnisch exzentrischen Kraniofazialschmerzspezialisten, den sie durch die dummerweise tödlich verlaufene technische
Vernehmung des jungen Einbrechers300 aufgespürt hatten, dessen Spannungstoleranz deutlich niedriger war als die der Computer in seinem Zimmer -, nachdem sie allen verfügbaren Hinweisen auf eine Kopie bis zum Etablissement der glücklosen Antitois nachgegangen waren, hatten die A. F. R. dann noch einige Tage gebraucht, um dort die echte Unterhaltung zu finden. Fortier, Zellenführer der US-amerikanischen A. F. R., Sohn eines Glasbläsers aus GIen Almond, hatte verboten, die Spiegel zu zerbrechen oder zu demontieren. Ansonsten war die Suche methodisch und gründlich durchgeführt worden. Sie war genau und ordentlich verlaufen, was Zeit erfordert hatte. Da der Bildschirm des Ladens optisch nicht funktionierte, war ein Unterhaltungs- TP erworben worden und für die Freiwilligendurchsicht im Raum der Lagerung aufgestellt worden, der vom Hinterzimmer des Ladens abging. Jede Patrone aus d e n unerschöpfenden Regalen wurde von einem Freiwilligen einer Stichprobe unterzogen und dann in einen der riesigen coffres d ' a ma s aus Metall geworfen, die in der Gasse vor der Hintertür des Ladens standen. Ein Kommando hatte Befehl
erhalten, die ausgelöschten Brüder Antitoi in Industrieplastikplanen einzuwickeln und in den Raum der Lagerung zu legen, der vom Hinterzimmer des Ladens abging. Das hatte hygienische Gründe. Ein weiteres Kommando hatte eine Jalousie aus Ölzeug für die Glasscheiben des Haupteingangs besorgt und Schilder drucken lassen, auf denen GESCHLOSSEN, ROPAS und RELAcHE stand. Nach den ersten Stunden hatte danach niemand mehr an die Tür geklopft. Schnell, schon am ersten Tag, hatten sie in einer feuchten und stinkenden Schnapskiste ein Exemplar der taktischen Straßenaufsteller-Patronen des rivalisierenden F . L . Q . gefunden mit dem primitiv aufgeprägten Lächelgesicht und dem reliefartig erhabenen IL NE FAUT PLUS QU' ON POURSUIVRE LE BONHEUR. Der junge Tassigny hatte sich mit dem ihm eigenen Heldenmut bereit erklärt, in den Raum der Lagerung geschoben und angeschnallt zu werden, um die Patrone zu verifizieren, und Fortier hatte das genehmigt. Alle hatten einen Toast des Lebewohls auf Tassigny ausgebracht und versprochen, sich um seinen alten Vater und seine Pelztierfallen zu kümmern, und M Fortier hatte den jungen Freiwilligen umarmt und auf
Fortier hatte den jungen Freiwilligen umarmt und auf beide Wangen geküsst, bevor er hineingeschoben und von M Broullime mit EEGElektroden verkabelt und vor dem im Raum der Lagerung aufgestellten Bildschirm festgeschnallt wurde. Dann hatte sich die Patrone aus dem Straßenaufsteller als leer erwiesen, unbespielt. Die nächste aus der Kiste war ebenfalls feucht und ebenfalls leer. Zwei unbespielte. Donc. D ' accord. Fortier riet philosophisch, sich gegen Enttäuschung oder Schaden von einer Frustration zu feien Marathe und er hatten von Anfang an gewarnt, die F. L. Q.-Auslagen der Unterhaltung und der Mann im Rollstuhl wären wahrscheinlich Enten und sollten nur Terreur einflößen. Die Tatsache der Aufsteller, die Rollstühle zeigten, ein Hieb auf die Hoden der A. F. R. - dies wurde ignoriert. Die A. F. R. wollten nur d i e s e Kopie der Unterhaltung zurückbekommen. Sowie zuvörderst jetzt entscheiden: Konnte diese Kopie von DuPlessis ihrerseits kopiert werden? Das war das eigentliche Ziel: eine Master-Patrone.301 Anders als der F. L. Q. hatten Les Assassins des Fauteuils Rollents kein Interesse an Erpressungen oder einer kartographischen Erzwingung der
Rückgabe der Konvexität. Weder an der ReRekonfiguration der O.N.A.N. noch an der Annullierung ihrer Charta. Die A. F. R. interessierten sich ausschließlich dafür, der Schwachstelle der USamerikanischen Partikularinteressen eine Hodenfrappe beizubringen, nach welcher Kanada keine Lust mehr auf Vergeltungsmaßnahmen seitens der U S A hätte - wenn die A. F. R. die Unterhaltung sicherstellen, kopieren und disseminieren konnten, würde Quebec von Ottawa nicht nur die Genehmigung, sondern die Auflage erhalten zu sezedieren und allein den Zorn des Nachbarn zu erdulden, außer Gefecht gesetzt durch die eigene Unfähigkeit, tödlichen Genüssen mit einem »Non« zu begegnen.302 Fortier wies die A. F. R. an, die Suche methodisch fortzusetzen. J ü n g e r e Freiwillige wurden nach dem Rotationsprinzip in den Raum der Lagerung geschoben, um jede einzelne Patrone einer Stichprobe zu unterziehen. Abgesehen vom Gezänk, als die portugiesischen Pornos an die Reihe kamen, verlief die Rotation mit Heldenmut und Umsicht. Die in Plastik gewickelten Kadaver fingen an, sich
aufzublähen, aber das Plastik sorgte für adäquate hygienische Bedingungen, um die vielen Patronen im Raum der Lagerung Stichproben zu unterziehen. Suche und Bestandsaufnahme nahmen gewissenhaft und langsam ihren Fortgang. Fortier musste sich im Verlauf der Suche eine Weile entfernen, um einen Einsatz im Südwesten zu koordinieren, die Observierung jenes Verwandten des auteur, der (laut Marathe) am dringendsten in Verdacht stand, von einer duplizierbaren Kopie zu wissen oder eine zu besitzen. Es gab Grund zur Annahme, dass M DuPlessis seine originalen Kopien von diesem Verwandten, einem Sportler, erhalten hatte. Marathe nahm an, dass das U.S.B.S.S. annahm, diese Person trage die Verantwortung für das Remmi und Demmi in Berkeley und Boston, USA. Der Außendienstler der Amerikaner, der mit den vorstehenden Prothesen, hatte sich wie Mundgeruch an diese Person geheftet. Die Nation der USA behandelte Menschen in Rollstühlen mit dem Mitleid, das die Schwachen mit Solidarität verwechseln. Als wäre er ein kränkliches Kind, Fortier. Busse senkten sich, glatte Rampen legten sich auf Treppen, Begleiter schoben ihn in
Flugzeuge in voller mitleidiger Sicht der auf Beinen Stehenden. Fortier konnte Beine aus fleischfarbenem Polymerharz an seinen Stümpfen befestigen, deren Nervenbündel Impulse an die Schaltkreise der Prothesen weitergaben. Im Verein mit Metallkrücken, deren Manschetten sich um seine Handgelenke schlossen, konnte er eine wirbelige Parodie von Gehbewegungen hinlegen. Fortier trug die Prothesen aber selten, nicht in den USA und nie im öffentlichen Verkehr. Er zog die Herablassung vor, den Anschein institutionalisierter »Sensibilität« für sein »Recht« auf »gleichen Zugang«; das schärfte seine Entschlusskraft. Wie sie alle war Fortier bereit, Opfer zu bringen.
Kap. 60 - 14. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE Nach so langer Nichtanteilnahme kommt die Anteilnahme krachend zurück und wird leicht zu zwanghafter Sorge, in der Nüchternheit. Ein paar Tage vor dem Debakel, in deren Verlauf Don Gately verletzt wurde, hatte Joelle angefangen, sich zwanghaft Sorge um ihre Zähne zu machen. Das Crackrauchen zerfrisst die Zähne, korrodiert sie und greift direkt den Zahnschmelz an. Chandler Foss hatte ihr das beim Abendessen erklärt und ihr seine korrodierten Stümpfe gezeigt. In ihrer EthnoStoffhandtasche hatte sie jetzt immer eine Reisezahnbürste und eine teure Zahnpasta dabei, deren Fluoridierung für eine Remineralisation und Härtung des Zahnschmelzes sorgte. Mehrere Insassen von Ennet House, die mit dem Glaspfeifchen den Ti efpunkt erreicht hatten, besaßen keine Zähne mehr oder nur geschwärzte und zerfallende; wenn sie die Zähne von Wade
McDade oder Chandler Foss sah, kriegte Joelle das Jaulen wie nicht mal bei den Treffen. Die Zahnpasta war erst seit Kurzem frei erhältlich und stand, was Power und Preis anging, weit über der üblichen Raucherpolitur. Als sie neben Kate Gomperts leerem Etagenbett auf der Seite liegt, die Webkante des Schleiers sorgsam zwischen Kissen und Kiefer gestopft, und auch Charlotte Treat auf der anderen Seite des hell erleuchteten Zimmers schläft, träumt Joelle, dass sich Don Gately, unverletzt und mit dem Dialekt des Mittleren Südens, um ihre Zähne kümmert. Er trägt einen weißen Mundschutz und summt leise vor sich hin, während er mit den großen Händen geschickt nach den Instrumenten auf dem glänzenden Tablett am Stuhl greift. Ihr Zahnarztstuhl ist zurückgekippt, sie bietet ihm ihr Gesicht dar und streckt ihre fest geschlossenen Beine vor sich aus. Dr. Dons Augen sind von abstrakter Güte, sorgen sich nur um ihre Zähne; und als er ihr mit seinen dicken Fingern Gegenstände in den Mund schiebt, um ihn offen zu halten, sind sie ohne Handschuhe, schmecken warm und sauber. Sogar das Licht wirkt steril sauber. Er hat keine Assistentin; der Zahnarzt arbeitet solo, beugt sich über sie und summt geistesabwesend
beugt sich über sie und summt geistesabwesend Akkorde, während er sie untersucht. Er hat einen riesigen und quasi viereckigen Kopf. Im Traum geht es ihr nur um ihre Zähne, und sie spürt, dass es Gately genauso geht. Sie ist froh, dass er kein Plauderstündchen veranstaltet und wahrscheinlich nicht mal weiß, wie sie heißt. Es gibt kaum Augenkontakt. Er konzentriert sich voll und ganz auf ihre Zähne. Er ist dazu da, nach Möglichkeit zu helfen, das strahlt sein ganzes Auftreten aus. Der Mundschutz hängt an einer Kette aus Stahlkügelchen und könnte nicht weißer sein, seinen Kopf umgibt ein Riemen mit einer polierten Metallscheibe genau über den Augen, einem kleinen Spiegel aus rostfreiem Stahl, ebenso sauber wie das Instrumententablett; die hingebungsund vertrauensvolle Ruhe im Traum wird einzig unterhöhlt vom Anblick ihres Gesichts in dem Spiegelchen, der Scheibe, die wie ein drittes Auge auf Gatelys breiter, sauberer Stirn thront: als sie ihr Gesicht sehen kann, konvex verzerrt, von den Kokainjahren verheert und vernachlässigt, ein Gesicht aus Glupschaugen, hohlen Wangen und rußigen Flecken unter den Froschaugen; und als die warmen dicken Finger des Zahnarzts sanft ihre
Lippen zurückschieben, erblickt sie in seinem Kopfspiegel lange Reihen von Eckzähnen, alle konisch verjüngt und spitz, und dahinter als Reserve noch mehr Reihen von Eckzähnen. Die unzähligen Zahnreihen sind alle spitz und stark und ungeschwärzt, nur an den Spitzen von einem seltsamen Rot wie von altem Blut, es sind die Zähne eines Wesens, das achtlos Fleisch zerreißt. Diese Zähne haben Dinge angestellt, von denen sie nichts weiß, versucht sie um die Finger herum zu sagen. Der Zahnarzt summt und stochert. Im Traum blickt Joelle in Gatelys Spiegelscheibe an der Stirn, und Entsetzen angesichts ihrer Zähne packt sie, namenlose Angst, und als sie den Mund weiter aufreißt, um vor Angst loszuschreien, sieht sie im kleinen Rund des Spiegels endlose rotbefleckte Zahnreihen, die zu einer pechschwarzen Röhre hinabführen, und der Anblick all der Zahnreihen in der Scheibe löscht das gütige Gesicht des großen Zahnarzts aus, der mit einem Haken sondiert und sagt, er kann ihr versichern, dass die gerettet werden können. Als Fortier dann in den zerlegten Laden zurückkehren konnte, hatten sie eine dritte Patrone
aufgespürt, die mit dem eingeprägten Lächeln und Buchstaben verziert war, die die Notwendigkeit glücklichen Strebens dementierten, und nach einigen bedauerlichen Verlusten hatten sie sie sichergestellt und verifiziert, die Sami sdat- Patrone der Unterhaltung, die beim Tod von DuPlessis gestohlen worden war. Fortier ließ sich die Geschichte erzählen. Das junge Zellenmitglied Desjardins war bei der Bildschirmrotation an der Reihe gewesen, hatte sich in den frühen Morgenstunden mit dem jungen Tassigny in den Raum der Lagerung gesetzt und sich an die Stichproben der restlichen, nicht in die Regale einsortierten Unterhaltungen gemacht, die sie in Küchenmülleimersäcken gefunden hatten, die i m selben Schrank gelegen hatten, in dem die Kadaver der Antitois anschwollen. Nur wenige Augenblicke zuvor hatte sich Desjardins darüber beschwert, wie viel Zeit sie mit den für den coffre d'amas bestimmten Patronen verschwendeten. Tassigny, der sich bei Desjardins im Raum der Lagerung aufgehalten hatte, war verschont geblieben, weil er den Raum hatte verlassen müssen, um seinen Kolostomiebeutel zu wechseln,
aber, berichtete Marathe, sie hatten Desjardins verloren und außerdem den bewährten alten Joubet, der sich befehlswidrig in den Raum der Lagerung geschoben hatte, um nachzusehen, warum Desjardins die alten Bänder nicht herausgebracht hatte, um sodann neue für Stichproben zu holen. Beide waren verloren. Mehr hatten sie nur nicht verloren, weil jemand daran gedacht hatte, Broullime zu wecken, den Fortier sorgfältig instruiert hatte, wie im Fall des Findens der echten Unterhaltung zu verfahren sei. Zwei waren jedoch verloren - Joubet, das rotbärtige Arbeitstier, das so gerne Pillen schmiss, und der junge Desjardins, so voller Idealismus und so jung, dass er noch Phantomschmerzen in den Stümpfen spürte. Remy Marathe berichtete, man hätte es den beiden nach i hrem Verlust gemütlich gemacht, sie hätten im abgeschlossenen Raum der Lagerung bleiben und immer wieder die Unterhaltung anschauen dürfen, stumm hinter der Tür, und nur wenn das Abspielgerät zurückspulte, berichtete das Wachkommando von ungeduldigen Rufen, schneller zu spulen. Marathe berichtete, sie hätten abgelehnt, zum Trinken oder Essen herauszukommen oder um sich Insulin zu spritzen (Joubet war Diabetiker). M Broullime
schätzte, dass Joubet nur noch Stunden durchhalten werde und Desjardins vielleicht noch ein oder zwei Tage. Fortier hatte traurig »BOf« gesagt und es stoisch hingenommen: Alle hatten gewusst, dass vielleicht Opfer gebracht werden mussten: Alle Sichtkommandos waren beim Rotationssichten dieses Risiko eingegangen. Nach Fortiers Rückkehr meldete Marathe auch die erwartete schlechte Nachricht: Ein U/min-starkes Duplizierungsgerät war nicht erforderlich: Das gefundene Exemplar war eine Read-Only-Kopie.303 Philosophisch erinnerte Fortier die A. F. R. daran, dass sie jetzt ermutigenderweise wüssten, dass eine Unterhaltung mit dieser Kraft tatsächlich existiere, und so könnten sie sich jetzt mit all ihrem Mut und i h r e r Seelenstärke für die indirektere Aufgabe wappnen, die Hoffnung auf Sicherstellung einer Master-Kopie womöglich zu verlieren, und stattdessen all ihr Trachten darauf ausrichten, des allerersten Masters habhaft zu werden, der höchsteigenen Patrone des auteur, von der doch wohl alle Read-Only-Kopien gezogen worden sein mussten.
Und so, sagte er, gehe es nun an die mühsamere und riskantere Aufgabe technischer Vernehmungen jener, die bekanntermaßen mit der Unterhaltung in Verbindung zu bringen seien, um den duplizierbaren Master des ursprünglichen Herstellers zu lokalisieren. All das wäre das Risiko nicht wert, wüssten sie dank der heroischen Selbstaufopferungen von Joubet und Desjardins jetzt nicht definitiv, dass die Vorrichtung zur Finalisierung der Selbstzerstörungspotenz der O.N.A.N. existiere und in sei's auch anstrengender Reichweite liege. Fortier erteilte unzählige Anweisungen. Der A. F. R.Zug blieb im geschlossenen Laden der Antitois hinter dem Lamellenrollo. Die Beschattung des bureau central e des verhassten F. L. Q. in dem undisziplinierten Haus auf der Allstoner Rue de Brainerd - diese wurde eingestellt, die A. F. R.Mannschaften abgezogen und in diesen requirierten Laden am Inman Square beordert, wo Fortier, Marathe und Broulli'me die Aktivitätsphasen der nächsten, mühsameren und indirekteren Phase koordinierten und taktische Alternativen erwogen. Die Kollegen und Verwandten des verstorbenen auteur wurden Tag und Nacht observiert. Ihre
Konzentration auf einen Ort beförderte dies. Ein Angestellter der Academie für Tennis in Enfield war rekrutiert worden und kooperierte bei den eingehenderen Observationsaufgaben mit der kanadischen Ausbilderin und dem Schüler, die schon vor Ort agierten. In der Wüste erwarb sich die Respekt einflößende Mlle Luria P-- mit der ihr eigenen Souveränität das erforderliche Vertrauen. Eine kostspielige Quelle im ehemaligen Institut des Subjekts an der M. I. T.-Universität hatte die letzte bekannte Tätigkeit der vermuteten Darstellerin der Unterhaltung eruiert - ein kleiner Rundfunksender in Cambridge, den Marathe und Beausoleil Wiii aussprachen -, wo sie den entstellenden Schleier der O.N.A.N.istischen Missbildung angelegt hatte. Di e Aufmerksamkeiten waren auf die Darstellerin der Patrone und auf die Academie für Tennis auf dem Grundstück des auteur zu konzentrieren. Aus der Tatsache, dass die Spieler der Academie gegen eine Provinzmannschaft aus Quebec antraten, hätte sich mehr Liquidität schlagen lassen, wenn die A. F. R. in ihren Reihen einen Tennisspieler mit Talent und unteren Gliedmaßen gehabt hätten. An der Heimatfront in Papineau wurden zurzeit
Erkundigungen über die Zusammensetzung und die Reise der Quebecer Mannschaft eingezogen. Am Tag von Fortiers Rückkehr war der Radiotechniker der Rundfunksendung der Darstellerin in einer öffentlichen, aber risiko armen Operation akquiriert worden, deren Erfolg sie in Bezug auf die Akquisitionen von mit der Unterhaltung in näherer Verbindung stehenden Personen in dieser nächsten Phase die Luft von der Aurora hatte wittern lassen. Die US-amerikanische Radioperson hatte alles, was sie zu wissen vorgab, preisgegeben, als ihr das Prozedere technischer Vernehmungen nur erst geschildert worden war. Marathe, der zellenbeste Laienrichter in Sachen Wahrheitsliebe der Amerikaner, glaubte an die Wahrheit der Aussagen des Technikers; trotzdem hatte sich eine regelkonforme technische Vernehmung angeschlossen, um die Angaben zu verifizieren. Der Bericht der jungen und von Hautausschlägen übersäten Person war zwei Stufen über das d u r c h s c h n i t t l i c h e US-amerikanische Durchhaltevermögen hinaus konsistent geblieben, und die einzigen Unstimmigkeiten betrafen das mehrmals wiederholte seltsame Postulat, dass das Massachusetts Institute of Technology unter der
Massachusetts Institute of Technology unter der Decke steckende Ministranten verteidigte. Heute machten Fortier, Marathe, der junge Balbalis und R. Ossowiecke - die Zellenmitglieder mit dem besseren Englisch - daher die Runde durch die Drogenproblem-Rehabilitierungs-Einrichtungen in Krankenhäusern, psychiatrischen Anstalten und Houses de repos in einem Radius von 25 Kilometern. Das Prozedere für die Ausweitung des Untersuchungsradius um die Faktoren zwei und drei war vorformuliert, die Mannschaften zusammengestellt, die Texte geprobt. Joubet und dann Desjardins waren erlegen und per Lieferwagen ebenso nach Norden überführt worden wie die restlichen Überreste der Antitois. Der USamerikanische Radiotechnikstudent, dessen begrenzten Aussagen über den Verbleib des Subjekts Broullime einen Wahrheitsgehalt von +/(.35) beimaß, bevor die Vernehmung ein mit der Existenzfortsetzung inkompatibles Niveau erreichte, durfte sich ein paar Stunden erholen und kam dann als erste Person zum Testen bei den praktischen Versuchen der A. F. R. zum Motivationsspektrum der Samisdat- Patrone zum Einsatz. Auch hierfür wurde
der Raum der Lagerung verwendet. Den Kopf mit Riemen immobilisiert, hatte das Testsubjekt die Unterhaltung zweimal gratis angeschaut, ohne Anlegung motivationaler Prüfmaßstäbe. Zur Messung des Ausmaßes der von der Patrone hervorgerufenen Motivation hatte M Broulllme sich die Augen verbinden lassen, sich mit einer Chirurgensäge in den Raum der Lagerung geschoben und die Person des Tests davon in Kenntnis gesetzt, dass von jetzt an jedes weitere Anschauen der Unterhaltung sie eine Zehe koste. Und dem Probanden als Anschauungsmaterial die Chirurgensäge gezeigt. Broullime hatte Fortier erklärt, so könne eine Matrix konstruiert werden, mit der sich die statistische Korrelation zwischen (n) der Anzahl der Wiederholungen der Unterhaltung durch die Person des Tests und (t) der Zeit berechnen ließe, die sie für die Entscheidung brauche, sich für die nächste (n + 1) Wiederholung eine Zehe entfernen zu lassen. Ziel war die statistische Erhärtung der These, dass der Wunsch der Person des Tests nach immer wieder neuem Anschauen keine Befriedigung erlangen konnte. Es durfte keine Messziffer einer abnehmenden Befriedigung geben wie in der Ökonometrie normaler US-amerikanischer
Konsumartikel. Wenn die Verlockung der SamisdatUnterhaltung makropolitisch tödlich sein sollte, musste die neunte Zehe genauso schnell und bereitwillig hergegeben werden wie die zweite. Broulllme, er hatte da persönliche Skepsis. Aber das war seine Funktion in seiner Rolle in der Zelle: Expertise in Verbindung mit Skepsis de coeur. Danach bestand natürlich auch Bedarf an einem breiteren Spektrum an Probanden personen, um zu verifizieren, dass die Reaktionen dieses Subjekts nicht nur subjektiv waren und typisch nur für die spezifische Sensibilität eines bestimmten Unterhaltungskonsumenten. Das Busfenster zeigte ein schwaches und gespenstisches Spiegelbild von Fortier und durch dieses Antlitz hindurch die Lichter des Stadtlebens außerhalb des Busses. Die Geschäftsführungsperson von Phoenix House in Somerville, Massachusetts, USA, hatte sich Fortiers Vortrag mit allen Anzeichen großer Anteilnahme angehört und dann voller Geduld erklärt, man sei außerstande, drogenabhängige Menschen aufzunehmen, für die Englisch eine Fremdsprache sei. D'accord, obwohl er Enttäuschung vorschützte. Fortier hatte mit ansehen können, wie die
aufgenommenen Drogenabhängigen von Phoenix Hause im Zimmer vom Wohnen vor der Bürotür eine Versammlung abhielten: Keine Person unter ihnen trug einen Schleier der Antlitzverbergung, und so also c' est ~a. Vier kleine Trupps schoben sich in diesem Augenblick durch die Straßen, Nebenstraßen und Gassen des unansehnlichen Viertels, in dem das Etablissement der Antitois lag, um zusätzliche Subjekte für M Broulllme für die Zeit zu akquirieren, wenn dem Subjekt die Zehen ausgingen. Die Subjekte für die Angemessenheit mussten passiv ungeschützt genug sein, um ohne öffentliches Aufsehen akquiriert werden zu können, durften aber nicht hirnbeschädigt sein oder unter dem Einfluss der vielen berauschenden Gemische des Stadtteils stehen. Die A. F. R. waren bestens ausgebildet in Geduld und Disziplin. Der Bus nach Süden, leer und (was er verabscheute) neonbeleuchtet, fährt einen schmalen Hügel in Winter Park hoch, im Norden von Cambridge, in Richtung der Plätze Inman und Central. Fortier betrachtet die vorbeiziehenden Lichter. Er riecht Schnee im Anmarsch; es wird bald schneien. Er malt sich aus, wie zwei Drittel der größten Citystadt im NNO inert und sybaritisch
größten Citystadt im NNO inert und sybaritisch verzückt starren, ohne Körperbewegung, ans Haus geschnürt, ihre Diwane und Sessel besudeln, deren Rückenlehnen sich vielleicht verstellen lassen. Er sieht die Türme der Gebäude und Luxusapartments im Geschäftsviertel gemustert, da zwei von drei Stockwerken in lichtlos abgedunkelter Schwärze liegen. Hier und da flackern teure digitale Unterhaltungsgeräte in vagem Blau aus den dunklen Fensterhöhlen. Er malt sich M Tine aus, der die Hand hält, die den Füllfederhalter von Präsident J. Gentle hält, als der O.N.A.N.istische Präsident die Erklärung vom Krieg unterzeichnet. Er malt sich in zitternden Händen klirrende Teetassen im Allerheiligsten von Ottawas Machtzentrum aus. Er zieht die Aufschläge seines Sportsakkos über dem Pullover zurecht und fährt sich durchs krause Haar, das sich um die kahle Stelle immer strubbelig aufstellt. Er betrachtet den Nacken des Busfahrers, der stur geradeaus sieht. Natürlich waren die Pekinesinnen kraft- und gewichtlos gewesen, sie flogen wie Puppen beiseite, und ihre Taschen waren tatsächlich schatzschwer und kaum anzuheben; aber als Lenz nach links in die Nord-Süd-Gasse abbog, konnte er die beiden
Nord-Süd-Gasse abbog, konnte er die beiden Taschen an ihren SchnurgriHen so vor sich halten, dass ihre Masse ihn praktisch hinter sich herzog. Die kreuzförmigen Gassen der Blöcke zwischen Central und Inman in Klein-Lissabon bildeten eine Art zweite Stadt. Lenz rannte. Sein Atem ging gleichmäßig, und er spürte sich vom Scheitel bis zur Sohle. Grüne und grün rote Müllcontainer säumten beide Mauern und verengten das Durchkommen. Er hechtete über zwei sitzende Gestalten in Khaki hinweg, die sich über eine Dose Sterno auf dem Gassenboden beugten. Er glitt durch den Gestank über ihnen, der ihm aber nichts anhaben konnte. Die Geräusche hinter ihm waren die Echos seiner Schritte, die von Müllcontainern und dem Eisen der Feuerleitern zurückgeworfen wurden. Die linke Hand tat ganz schön weh, weil sie gleichzeitig einen TaschengriH und den Großdruckband halten musste. Var ihm war ein Müllcontainer an einen 1. M. E.-Laster gehakt, dann aber stehen gelassen worden: Da nahm wohl wer eine Auszeit. Die Fritzen von der Imperialen hatten eine unglaubliche Gewerkschaft. In der Aussparung der Hakenstange flackerte ein blaues Lichtchen auf und erlosch. Das war ein Dutzend Container vor ihm. Lenz verlangsamte zu einem
forschen Gehen. Sein Mantel war ihm von der einen Schulter gerutscht, aber er hatte keine Hand frei, um ihn hochzuziehen, und keine Zeit, um eine Tasche abzustellen. Seine Linke war verkrampft. Es musste irgendwas zwischen 22.24 und 22.26 Uhr sein. Die Gasse war stockfinster. Ein verhaltenes Scheppern von irgendwo südlich aus dem Gassennetz war tatsächlich Poar Tony Krause, der die Stahlmülltonne umstieß, die Ruth van Cleve stolpern ließ. Das blaue Flämmchen ging wieder an, schwebte in der Luft, flackerte, glitt beiseite, stand da und ging wieder aus. Vor dem Hintergrund des riesigen 1. M. E.Lasters glomm es dunkelblau. Imperiale Laster waren unzerlegbar, die Haken waren wertvoll, aber mit einer Vorrichtung aus Kryptonit blockiert, die sich nur mit einem Schweißgerät durchtrennen ließ. Aus der Aussparung am Haken drangen leise Geräusche. Als das Feuerzeug wieder anging, hatte Lenz sie fast erreicht, zwei Jungen auf dem Haken und zwei, die ihnen gegenüber hockten, vier Jungen, zwischen denen eine wie eine Zunge herausgestreckte Feuerleiter hing. Keiner von ihnen war älter als vielleicht zwölf. Sie benutzten eine M.-Fizzy-Flasche statt einer Pfeife, und es roch nach verbranntem Plastik und der ekligen Süße der übersaturierten
Steinchen. Die Jungen waren alle kleine und schmächtige Schwarze oder Bohnenfresser, die gierig über der Flamme kauerten; sie sahen rattig aus. Lenz beobachtete sie aus dem Augenwinkel, als er forsch und aufrecht vorbeischritt, seine Taschen trug und würdevolle Zielstrebigkeit ausstrahlte. Das Feuerzeug ging aus. Die Jungen auf dem Haken musterten Lenz' Taschen. Die hockenden Jungen wandten die Köpfe. Lenz beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Keiner von ihnen trug eine Armbanduhr. Einer trug eine Strickmütze und ließ ihn nicht aus den Augen. Sein Blick durchbohrte Lenz' linkes Auge, er formte die schmale Hand zu einer Pistole und tat, als nähme er ihn aufs Korn. Wie eine Aufführung für die anderen. Lenz schritt mit urbaner Würde vorbei, als sähe und ignorierte er sie gleichzeitig. Es roch intensiv, aber ortsüblich, nach Steinchen und Flasche. Er musste dem Seitenspiegel des Imperialen Lasters an seiner Stahlstrebe ausweichen. Er hörte ihre Bemerkungen, als der Kühlergrill des Lasters hinter ihm zurückblieb, ihr hässliches Lachen, und dann einen Ausruf in e i n e m ethnischen Zungenschlag, der ihm nicht geläufig war. Er hörte den Flintstein des Feuerzeugs.
Arschlöcher, sagte er sich. Er suchte einen leeren und etwas helleren Ort, wo er die Taschen durchsuchen konnte. Und einen saubereren als diese Nord-Süd-Gasse hier, die nach überreifem Müll und verfaulendem Fell stank. Er würde die Wertsachen in den Taschen von den Wertlossachen trennen und alle Wertsachen in eine Tasche tun. Die nicht bankfähigen Wertsachen würde er in KleinLissabon zu einem Hehler bringen, die Aussparung in seinem Medizinlexikon auffüllen und sich attraktiefere Schuhe kaufen. Die Gasse war der Katzen und Nagetiere verlustiert gegangen; er dachte nicht groß über mögliche Gründe nach. Ein Stein oder Ziegelbrocken, mit freundlichen Grüßen von den jugendlichen Crack-Jockeys da hinten, landete hinter ihm, hüpfte vorbei, prallte gegen etwas, und jemand schrie auf, eine geschlechtslose Gestalt, die da auf einem Matchbeutel, vielleicht auch einem Rucksack an einem Container lehnte und sich mit der Hand im Schritt herumfuhrwerkte; die Füße wiesen in die Gasse und waren verdreht wie die einer Leiche, die Schuhe passten nicht zueinander, das Haar umstand als verfilzte Masse das Gesicht, das zu Lenz hochsah, der im schwachen, von einer größeren Gassenkreuzung
herüberdringenden Licht vorbeiging, und sie sang leise vor sich hin, wobei Lenz ein »hübsch, hübsch, hübsch« heraushörte, als er behutsam über die verwest riechenden Beine wegstieg. Lenz flüsterte, »Mann, was für endfertig-abgekackte Vollflopper. « »Unsere Sekte hat Geld zum Heizen verbrannt.« »Geld wie in Währung.« »Wir haben Einer genommen. Der Halbgöttliche befürwortete Sparsamkeit. Wir haben sie Ihm zum Ofen gebracht. Es gab einen Ofen. Wir mussten sie Ihm auf Knien bringen, und unsere Füße durften nirgends den Boden berühren. Er saß in unseren Decken am Ofen und fütterte ihn mit Einern. Wir bekamen einen zusätzlichen Tadel, wenn die Banknoten neu waren.« »Also druckfrisch ? « »Es war eine Reinigung. Irgendjemand spielte immer Trommel.« »Der von Gott auserkorene Führer unserer Sekte fuhr einen Rolls. I n Neutral-Stellung. Wir schoben ihn hin, wohin immer er gerade berufen wurde. Er startete ihn nie. Den Rolls. Ich hab damals richtig M uckis bekommen.«
»Im Sommer mussten wir auf den Bäuchen schlängeln. Wir sollten unsere Schlangennatur annehmen. Das war eine Reinigung.« »Rich tig schlängeln?« »Richtig schlängeln. Arme und Beine wurden uns mit Draht zusammengebunden. « »Solange es kein Stacheldraht war.« »Am Ende kam ich mir zu rein vor, um zu bleiben.« »Überrein, meinst du. Das kann ich total gut verstehen, du.« »Es war mir irgendwie zu viel Liebe.« »Damit kann ich mich jetzt richtig intensiv identifizieren, wenn du das sagst -« »Außerdem war ich am Ende auf drei Tütchen am Tag hoch.« »Und wir wurden von den Liebesschwadronen unseres von Gott auserkorenen Führers angewiesen, mit den Zähnen Holz zu hacken, wenn es kalt wurde. Also im Winter jetzt, unter null.« »Ihr durftet die Zähne behalten?« »Nur die, die wir zum Nagen brauchten. Guck mal.« »Puuuh.« »Nur die zum Nagen.«
Remy Marathe saß verschleiert und mit einer Decke über dem Schoß im überfüllten Wohnzimmerabend dieses Ennet House Drug and Alcohol Recovery House, dem für diesen Tag letzten Hause de repos auf seinem Teil der Liste. Die Hügel des oberen Enfield, sie waren de l'infere der Schwierigkeit, aber das Hause de repas selbst hatte eine Rampe. Eine Person mit Autorität führte im Büro des Hauses, dessen verschlossene Tür von seiner Warte aus sichtbar war, Aufnahmegespräche durch, um in jüngster Vergangenheit frei gewordene Plätze zu füllen. Marathe und andere waren gebeten worden, mit einer Tasse unerfreulichem Kaffee im Wohnzimmer Platz zu nehmen. Und zu rauchen, wenn ihnen danach war. Alle anderen rauchten. Das Wohnzimmer roch wie ein Aschenbecher, und die Decke war gelb wie die Finger langer Raucher. Auch glich der Wohnzimmerabend einem Ameisenhaufen, der mit einem Stock aufgestört worden war; es war zu voll mit Menschen, allesamt rastlos und laut. Einige Insassen des House de repos schauten sich eine Patrone mit Kampfkunstkonflikten an, ehemalige Insassen und Menschen aus dem oberen Enfield teilten sich die Möbel und konversierten. Eine behinderte Frau, ebenfalls wie Marathe in einem
behinderte Frau, ebenfalls wie Marathe in einem fauteuil de roUent, w a r i nuti l e neben dem Patronenbildschirm zusammengesackt, ein Mann von fortgeschrittener Blässe vollführte die Tritte und Schläge der Kampfkünste zu ihrem reglosen Kopf u n d wollte sie zum Zusammenzucken oder Aufschreien bringen. Und ein Mann ohne Hände und Füße versuchte, die Treppe hinaufzukommen. Andere Menschen, vermutlich Süchtige, warteten im Zimmer und wollten sich um die Zulassung zu der Rehabilitationsanstalt bewerben. Es war laut und heiß im Zimmer. Marathe hörte, wie jemand, der sich um Zulassung bewerben wollte, draußen vor dem Fenster ins Gebüsch kotzte. Marathes Rollstuhl war neben der Armlehne eines Diwans unmittelbar vor einem Fenster festgeklemmt. Das Fenster, man konnte sich wünschen, es wäre mehr als nur einen Spalt geöffnet, empfand er. Auf dem Teppich von grauer Farbe krabbelte wie ein Krebs ein gequält aussehender Mann herum, und zwei Rabauken in Leder machten sich einen grausamen Spaß daraus, mit ihm Bockspringen zu spielen. Die einen lasen Comicbücher, andere lackierten sich die Nägel ihrer Extremitäten. Eine Frau mit hochgetürmter Frisur zog den Fuß vors Gesicht und blies sich auf die Zehen.
Eine andere junge Frau konnte anscheinend ein Auge aus dem Kopf nehmen und es in den Mund stecken. Niemand anders im Raum trug den Schleier von der L.A.RV.E.-Organisation von der Darstellerin von der Unterhaltung. Der Geruch der USamerikanischen Zigaretten zog unter seinen Schleier und ließ Marathes Augen tränen, und es kam ihm auch der Gedanke zu kotzen. Zwei weitere Fenster standen offen, trotzdem gebrach es dem Zimmer an Luft. Während der Zeit, in der er da saß, sprachen mehrere Leute Marathe an, aber sie sagten immer nur in geflüstertem Ton »Streichel die Hunde« oder »Streichel auf jeden Fall die Hunde«. Dieses Phraseolexem gehörte nicht zu Marathes Kenntnissen der US-amerikanischen Idiomatik. Und einmal kam ein Mensch mit einem Gesicht, von welchem die Haut aussah, als faulte sie von ihm ab, und dieser Mensch fragte ihn, Marathe, ob er per gerichtliche Verfügung hier sei. Marathe gehörte zu den wenigen Nichtrauchern. Ihm fiel auf, dass niemand im Raum das Seihtuch, mit dem er sein Gesicht verschleiert hatte, ungewöhnlich, seltsam oder fragwürdig zu finden
schien. Durch das alte Sportsakko, das er über einem Rollkragenpullover von Desjardins trug, war Marathe formeller gekleidet als die anderen Bewerber um eine Behandlung. Zwei gegenwärtige Insassen des Hause de repos Ennet House trugen allerdings Krawatten. Marathe tat weiterhin, als zöge er die Nase hoch; er wusste nicht, warum. Er saß neben einem Diwan aus Kunstleder, an dessen Ende neben ihm zwei Frauen saßen, die zuvor eine Heilung von der Sucht in religiösen Sekten gesucht hatten und die sich jetzt über ihre freudlosen Existenzen in den Sekten austauschten. Wenn sich jemand an ihn wandte, sagte Marathe sorgfältig die Zeilen auf, die M Fortier und er rasch entwickelt hatten: »Guten Abend, ich bin süchtig und entstellt, und ich suche verzweifelt eine Insassenbehandlung für meine Sucht.« Die Reaktionen der Leute auf seine Vorstellung waren schwer zu interpretieren. Einer der beiden älteren Männer mit Krawatten, der sich an ihn gewandt hatte, hatte eine Hand an die Wange seines weichen Gesichts geschlagen und entgegnet »Wie außerordentlich schön für Sie«, worin Marathe einen Sarkasmus spüren konnte. Die beiden Frauen mit Sektenerfahrung neigten sich auf dem Diwan nah
Sektenerfahrung neigten sich auf dem Diwan nah zueinander. Im Gespräch legten sie einander mehrmals angeregt eine Hand auf den Arm. Wenn sie fröhlich auflachten, schienen sie die Luft zu kauen. Das Lachen der einen erfolgte mit einem Schnauben. Ein Klirren und zwei Aufschreie: Diese erschollen am Ende des Speisesaals, wo gemäß den Grundrissen des H ouse de repos eine große Küche lag. Den Geräuschen folgten herüberschwadende Dampfwolken mit wiederholten Kraftausdrücken unsichtbarer Menschen. Das Lachen eines großen s c h w a r z e n Kahlkopfs in einem weißen Baumwollunterhemd ging in einen Husten über, der nicht enden wollte. Die beiden Insassen mit Krawatten und die junge Frau mit dem herausnehmbaren Auge führten am Ende eines anderen Diwans ein angeregtes und deutlich vernehmbares Gespräch. »Aber jetzt bezieh diese Eigenschaft der Transportabilität mal, sagen wir, auf ein Auto. Ist ein Auto transportabel? Im Hinblick auf ein Auto ist es doch eher 50, dass ich transportabel bin.« »Transportabel ist es, wenn es auf 50 einem Sattelschlepper steht, wo Neuwagen mit den Preisen
im Fenster draufgestellt werden, und diese Sattelschlepper siehst du haufenweise auf dem 1-93, und wenn die ins Schleudern kommen, glaubst du, die Autos fallen alle runter auf die Straße, wenn du die gerade überholen willst.« Der Vollschlanke, der ironisch zu Marathe gewesen war, nickte: »Oder sagen wir, im Hinblick auf einen Abschleppwagen oder ein Bergefahrzeug, wenn du eine Panne hast. Man könnte sich eine Situation vorstellen, in der ein deaktiviertes Fahrzeug Zitat transportabel sein kann, aber im Hinblick auf ein funktionierendes Auto bin ich transportabel.« Als die junge Frau nickte, eierte das fragliche Auge ekelerregend in der Höhle herum. »Da könntest du recht haben, Day.« »Jedenfalls, wenn wir jeder Bedeutungsverästelung von transportabel präzise nachgehen wollen.« Der andere Mann polierte ständig mit einem Kosmetiktuch seine glänzenden Schuhe, wobei seine Krawatte auf den Boden hing. Die Konversierenden bildeten eine Triade auf einem welligen Diwan aus lederfarbenem Plastik auf der anderen Zimmerseite, die durch den aus der Küche herüberschwadenden Infiltrationsdampf noch
luftloser wurde. Auf einem gelben Stuhl an der Wand neben dem Diwan der Konversierenden auf der Marathe genau gegenüberliegenden Seite des Wohnzimmers saß ein Süchtiger, der auf die Zulassung zur Behandlung seiner Sucht wartete. Dieser Mann, er hatte sich anscheinend mehrere Zigaretten auf einmal angesteckt. Er balancierte einen Metallaschenbecher im Schoß, und der Stiefel des übergeschlagenen Beins wippte lebhaft. Marathe, für ihn war es ein Leichtes, die Tatsache zu ignorieren, dass der Süchtige ihn anfunkelte. Er nahm es zur Kenntnis und wusste nicht, wegen was der Mann ihn anfunkelte, es war ihm aber auch egal. Marathe war bereit, jederzeit eines gewaltsamen Todes zu sterben, wodurch er seine Emotionen frei wählen konnte. M Steeply vom US-amerikanischen B.S.S. hatte verifiziert, dass die USA das weder verstanden noch zu schätzen wussten; es war ihnen fremd. Der Schleier verschaffte Marathe die Freiheit, das Starren des Süchtigen ruhig zu erwidern, ohne dass der es merkte, was Marathe belustigte. Marathe war vom Rauch des verrauchten Raums zum Speien übel. Als Kind und mit Beinen hatte er s i c h einmal gebückt und einen verfaulenden Baumstamm in den Wäldern am Lac des Deux
Montagnes angehoben, den Stätten seiner viergliedrigen Kindheit vor Le CuZte du Prochain Train.304Die Blässe der Wesen, die sich unter dem feuchten Holzstamm gewunden und gekrümmt hatten, war die Blässe dieses süchtigen Mannes, der zwischen Unterlippe und Kinn ein Quadrat von Fazialbehaarung trug und außerdem eine Sicherheitsnadel durch das obere Fleisch von dem einen Ohr gestochen hatte, und die Nadel, sie blitzte und blitzte nicht in rascher Abfolge, da sie mit dem Wippen des wippenden Stiefels vibrierte. Marathe betrachtete ihn ruhig durch den Schleier und sagte sich im Kopf die vorbereiteten Sätze auf. Idiomatischer war wohl, dass die Nadel im Einklang mit dem Wippen des Stiefels wippte, der von stumpfem Schwarz war und einen kantigen Absatz hatte, der Motorradstiefel von Menschen, die kein Motorrad ihr Eigen nennen, aber die Stiefel von Motorradbesitzern tragen. Der süchtige Mann stand langsam auf, kam mit dem qualmenden Aschenbecher auf Marathe zu und versuchte, sich hinzuknien. Seine Blue Jeans von der Marke Levi Nr.501 waren stellenweise seltsam zerrissen, und zerschlissene weiße Fäden zeigten
die Blässe der Knie; die Löcher hatten die Größe und den Umkreisschaden von Löchern, die, wie Marathe erkannte, von Schrotgewehrsalven mit dem großen Kaliber verursacht worden waren. Marathe prägte sich für seine beiden Berichte sämtliche Einzelheiten aller Dinge ein. Der süchtige Mann kniete vor ihm, beugte sich näher heran und versuchte, etwas zu entfernen, das er auf seiner Lippe glaubte. Von Nahem wurde der Ausdruck korrigiert, der durch den Schleier wie ein Anfunkeln gewirkt hatte: In Wirklichkeit hatten die Augen des Mannes die leere Intensität der Augen von Menschen, die eines gewaltsamen Todes gestorben sind. Der Mann flüsterte: »Sind Sie echt?« Marathe musterte durch den Schleier das Fazialquadrat. »Sind Sie echt? «, flüsterte der Mann wieder. Langsam kam er die ganze Zeit näher und näher. »Sie sind echt, das seh ich, nicht wahr«, flüsterte der Mann. Er sah sich rasch in dem lärmenden Zimmer hinter sich um, bevor er wieder näher kam. »Also passen Sie auf.« Marathe ließ die Hände ruhig im Schoß liegen, die Maschinenpistole schmiegte sich unter der Decke im
sicheren Holster an seinen rechten Stumpf. Die suchenden Finger des flüsternden Mannes hinterließen Schmutzfitzchen auf den Lippen. »is', die armen Schweine« - der Mann machte eine leichte Geste, die den Raum umschloss - »die meisten von denen sind nicht echt. Also passen Sie auf Ihr Heck auf. Die meisten von den armen Schweinen sind - : Metallmenschen.« »Ich bin Schweizer«, sagte Marathe versuchsweise. Das war der zweite seiner Vorstellungssätze. »Laufen herum und wiegen Sie in dem Glauben, sie wären lebendig.« Der süchtige Mann hatte die Angewohnheit, mit der Subtilität um sich herumzuschauen, die Marathe mit Nachrichtendienstangehörigen assoziierte. Sein eines Auge hatte eine geplatzte Vene. »Aber das ist nur die Außenschicht«, sagte er. Er kam so dicht heran, dass Marathe durch den Schleier Poren erkennen konnte. »Sie haben eine mikrodünne Hautschicht. Aber dadrunter ist Metall. Köpfe voller Zahnräder. Unter einer organischen Schicht, die mikrodünn ist.« Die Augen von gewaltsam toten Männern waren auch die Augen von fischen im zerstoßenen Eis eines Fischhändlers und musterten
nichts. Der Geruch des Mannes erinnerte an Nutzvieh an einem heißen Tag, ein ziegiger, selbst in dem verqualmten Zimmer. Trans-3-Methyl2Hexensäure war eine Substanz, hatte M Broullime doziert, um ihnen bei langen Beschattungen die Zeit zu vertreiben, eine chemische Substanz im Schweiß schwer Geisteskranker. Marathe, ihm fiel es nicht schwer, sein Luftholen so zu regeln, dass sein Ausatmen mit dem des Mannes zusammenfiel, der ihm immer näher kam. »Es gibt einen Weg, das rauszufinden«, sagte er. »Gehen Sie ganz nah ran. Auf Tuchfühlung: Dann hören Sie ein Surren. Mikroschwach. Dieses Surren. Das sind die Prozessoren. Die sind ihr einziger Defekt. Alle Maschinen surren. Sie sind gut. Sie können das Surren dämpfen.« »Ich habe kein Heck.« »Aber sie können's nicht - sie können es nicht ganz ausschalten.« »Ich bin Schweizer und suche verzweifelt eine Insassenbehandlung.« »Nicht unter der mikrodünnen Gewebeschicht, das können sie nicht.« Wäre der Blick nicht leer, wäre der Blick grimmig und verängstigt. Marathe erinnerte sich dunkel an das Gefühl Angst.
»Habt ihr gehört, was sie gesagt hat?«, lachte der ironische Mann auf dem Diwan. »Potabel bedeutet trinkbar. Es hat nicht mal dieselbe Wurzel. Habt ihr das gehört?« Der Atem des Mannes roch auch nach Trans-3Methylsäure. »Ich werd Sie aufklären«, flüsterte er. »Die sollen Sie reinlegen. Die echten von uns w e r d e n reingelegt. Neunundneunzig und mehr Prozent der Zeit.« Das Fleisch der Knie unter den Löchern in den Blue Jeans zeigte das Weiß von langem Tod. »Aber Sie, das hab ich gleich gemerkt, Sie sind echt.« Er deutete auf den Schleier. »Keine mikrodünne Schicht. Die aus Metall - die haben Gesichter.« Der Rauch seiner Zigarette im Aschenbecher stieg in Gestalt eines Korkenziehers auf. »Und deshalb« - Befingern der Lippe - »lassen die einen in der U-Bahn oder auf der Straße auch nicht an sich ran. Können Sie ruhig mal ausprobieren. Die lassen einen nie ganz nah an sich ran. Die sind so programmiert. Sie tun, als hätten sie Angst oder wären quasi beleidigt, und weichen zurück und setzen sich woanders hin. Die echt fortgeschrittenen Modelle, die geben einem sogar Kleingeld, damit sie sich verziehen können. Können
Sie ruhig mal ausprobieren. Gehen Sie mal ganz dicht - genau, so dicht - an die ran.« Marathe saß ruhig hinter seinem Schleier, spürte, wie sich der Schleier mit dem Atem des Mannes bewegte, und wartete geduldig darauf, einatmen zu können. Die Frauen mit Sektenerfahrungen hatten den Trans-3Geruch des Mannes wahrgenommen und waren auf eine Stelle weiter oben auf dem Diwan umgesiedelt. Der Mann lächelte mit nur einem wissenden Mundwinkel und nahm die Umsiedlung zur Kenntnis. Er war so nah, dass die Nasenspitze von ihm den Schleier berührte, als Marathe endlich einatmete. Marathe war auf den Tod in jederlei Gestalt vor bereitet. Der Mann roch nach Trans-3-Methyl-2 und nach verdautem Käse und nach der Höhle unter einem Arm von der Fazialhaut. Marathe ignorierte den Wunsch, ihm mit einer Zweifingerbewegung die Augenhöhlen zu durchbohren. Der Mann hatte eine Hand hinters Ohr gelegt und mimte ein Lauschen. Sein Lächeln enthüllte etwas, das einst Zähne gewesen sein mochten. »Nichts«, lächelte er. »Wusst ich's doch. Kein Ton.« »Die Schweizer, wir sind ruhige Menschen und zurückhaltend.
Zudem bin ich entstellt.« Der Mann wedelte voller Ungeduld mit der Zigarette. »Passen Sie auf. Jetzt kommt's. Wie's kommt, dass ich hier bin. Ich dachte, es wäre bloß aus Gewohnheit. Sie können einen reinlegen.« Er rieb sich die Lippe von seinem Mund. »Ich bin hier, um es Ihnen zu sagen. Passen Sie auf. Sie sind nicht hier.« »Ich bin aus meinem Heimatland Schweiz emigriert.« Immer noch flüsternd: »Sie sind nicht hi er. Die Scheißer sind aus Metall. Wir - die echten - von denen gibt's nicht viele - wir werden von denen reingelegt. Wir sind alle in einem Raum. Die echten. Immer im selben Raum. Alles ist eine Pro-jektion. Das machen die mit Maschinen. Ihre Pro-jektionen. Um uns reinzulegen. Die Bilder an den Wänden ändern sich, damit wir glauben, die Orte ändern sich. Hier und da, dies und das. Das liegt bloß daran, dass sie die Pro-jektionen ändern. Dabei ist das die ganze Zeit derselbe Ort. Die legen einen mit Maschinen rein, damit man glaubt, man bewegt sich, isst, saugt sich was aus den Fingern, alles Mögliche.«
»Ich bin verzweifelt hergekommen.« »Die echte Welt ist nur ein Raum. Diese sogenannten Leute, sogenannt« - wieder die raumgreifende Geste - »das sind alle, die man kennt. Hat man alle schon hunnertmal getroffen, jedes Mal mit andren Gesichtern. Insgesamt gibt es nur 26. Die spielen verschiedene Leute, die man zu kennen glaubt. Sie haben verschiedene Gesichter vor verschiedenen Bildern, die sie an die Wände projizieren. Verstanden?« »Dieses Haus von der Rehabilitierung ist mir mit Wärme empfohlen worden.« »Können Sie mir folgen? Zählen Sie mal. Zufall? Hier sind 26 Leute, den ohne Füße auf der Treppe mitgezählt. Zufall? Koinzidenz? Die Maschinen hier haben sämtliche Leute gespielt, denen Sie je begegnet sind. Kapiert? Die legen uns rein. Die bringen die Maschinen nach nebenan, und da -« Die sichtbare Tür des verschlossenen Büros ging auf, und ein süchtiger Patient kam heraus, dahinter eine Figur von Autorität mit Klemmbrett. Der süchtige Patient hinkte und krängte weit zur einen Seite, war aber attraktiv gemäß dem blonden Stereotyp der USamerikanischen Bildkultur.
» - wechseln sie. Die dünnen organischen Schichten. All die verschiedenen Menschen, die sie kennen. Scheinbar. Das sind dieselben Maschinen.« » K ö r p e r l i c h geforderter Ausländer mit unaussprechlichem Namen! «, rief die Autoritätsfigur mit Klemmbrett. »Ich werde angezeigt«, sagte Marathe und beugte sich vor, um die Klemmen an den Rädern seines fauteuil zu lösen. »- darum bin ich in dieser Pro-jektion, um Sie aufzuklären. Damit Sie von jetzt an Bescheid wissen.« Marathe lenkte den fauteil mit dem treuen linken Rad nach rechts. »Ich muss entschuldigt werden, um für die Behandlung zu plädieren.« »Gehen Sie nah ran.« »Gute Nacht«, über die linke Schulter. Die inutile Frau schien leicht zusammenzuzucken, als er mit seinem schweren fauteuil an ihr vorbeikam. »Sie glauben nur, dass Sie woanders hinkommen! «, rief der süchtige Mann, immer noch halb auf den Knien, ihm nach. Marathe schob sich so langsam wie möglich auf die
Autoritätsfigur zu, tief in sein Sportsakko versunken, und lavierte bemitleidenswert. Signifikant war, dass die große Klemmbrettfrau ohne Fassung schien, als sie den L.A.R.V.E.-Schleier sah. Marathe streckte ihr zum Gruß eine große Hand aus, die er zittern ließ. »Guten Abend.« Der krank riechende Mann auf dem Teppich rief ihm nach: »Streicheln Sie auf jeden Fall die Hunde!« Joelle mochte es eine Weile, sich bis unters Dach zuzukoksen und zu putzen. Heute mochte sie nur noch das Putzen. Sie staubte die Hartfaserplatte der Frisierkommode oben ab, die sie sich mit Nell Gunther teilte. Sie staubte das ovale Oberteil des Spiegelrahmens auf der Kommode ab und putzte dann den Spiegel, so gut es ging. Sie nahm KleenexTücher und abgestandenes Wasser aus einem Glas an Kate Gomperts Bett. Sie verspürte eine seltsame Unlust, Socken und Clogs anzuziehen und richtige Putz mittel unten aus der Küche zu holen. Sie hörte, wie all die von ihren Abendtreffen zurückgekehrten Insassen und Besucher und Bewerber da unten herumlärmten. Sie spürte ihre Stimmen im Boden. Als sie aus dem Zahnalbtraum im Bett hochgefahren war, hatte sie den Mund zum Schreien aufgerissen,
aber der Schrei kam von Nell G. unten im Wohnzimmer, deren Lachen immer so klang, als würde sie gerade ausgeweidet. Nells Schrei kam Joelles zuvor. Dann putzte Joelle. Vielleicht ist das Putzen eine Form der Meditation für Süchtige, die in der Rekonvaleszenz noch zu neu sind, um schon still sitzen zu können. Der verschrammte Holzboden im 5-Frauen-Zimmer wies so viel Grus auf, dass sie ihn mit einem unbenutzten Aufkleber, den sie bei den B. Y. P. gewonnen hatte, zu einem Grushäufchen zusammenfegen konnte. Und dann konnte sie den meisten Grus mit einem feuchten Kleenex aufnehmen. Nur Kate G.s Nachttischlämpchen war an, und sie hörte keine YYY-Bänder aus Rücksicht auf Charlotte Treat, die sich nicht wohlgefühlt hatte, mit Pats Erlaubnis ihr Treffen der Saturday Night Lively hatte versäumen dürfen und schlief, unter einer Augenmaske, aber ohne Ohrstöpsel. Knetbare Ohrstöpsel wurden jedem neuen Ennet-Insassen ausgehändigt, und die Gründe dafür, so das Personal, würden sie schnell einsehen, aber Joelle hasste sie - sie schlossen die Geräusche der Außenwelt aus, aber dafür hörte man das eigene Schädelbrausen, und der eigene Atem klang wie in einem Raumanzug - und Charlotte Treat, Kate
Gompert, April Cortelyu und die Ex-Insassin Amy Johnson hatten das genauso gesehen. April sagte, von den Ohrstöpseln bekäme sie Hirnjucken. Das mit dem Putzen hatte mit Orin Incandenza angefangen. In Beziehungskrisen oder wenn sie ob der Ernsthaftigkeit oder möglichen Flüchtigkeit der Sache in der Genossenschaftswohnung in Back Bay Angst überkam, waren das Zukoksen und Putzen eine wichtige Übung, quasi eine kreative Visualisierung, eine Vorschau auf die Disziplin und die Ordnung, die sie nach einer Trennung, falls es dazu kommen sollte, zum Überleben brauchen würde. Sie kokste sich zu und visualisierte sich solo in einem blendend sauberen Raum, wo jede Fläche funkelte und alles an seinem Platz stand. Sie sah vor sich, wie sie beispielsweise Popcorn vom Läufer zupfen und ohne den geringsten Argwohn in den Mund stecken konnte. Eine Aura stählerner Unabhängigkeit umgab sie, wenn sie die Genossenschaftswohnung putzte, trotz des leisen Wimmerns und langen Stöhnens, das sich ihrem verzerrten Mund entrang, wenn sie zugekokst putzte. Die Wohnung war ihnen praktisch umsonst von Jim überlassen worden, der bei ihren ersten Treffen so
wenig zu Joelle sagte, dass Orin ihr immer wieder versichern musste, das sei keine Missbilligung - Ihm Selbst fehle der Teil des menschlichen Gehirns, der es erlaube, andere Menschen so weit wahrzunehmen, dass man sie missbilligen könne, hatte Orin gesagt - oder ablehnen. So war der Verrückte Storch einfach. Orin nannte Jim »Ihn Selbst« oder den »Verrückten Storch« beides Familienspitznamen, bei denen Joelle damals schon eine Gänsehaut bekam. Orin hatte sie an die Filme seines Vaters herangeführt. Das Werk war damals noch so unbekannt, dass der Name nicht einmal den örtlichen Filmwissenschaftsstudenten etwas sagte. Mit seinen eigenen Vertriebsgesellschaften wollte Jim sicherstellen, dass sie überhaupt einen Verleih fanden. Berühmt und berüchtigt wurde er erst, als Joelle ihn schon kannte. Da stand sie ihm schon näher, als Orin ihm je gekommen war, was zu den Spannungen beitrug, die die Genossenschaftswohnung im Brownstone so blitzblank hielten. Bewusst hatte sie in den vier Jahren vor Don Gately kaum an einen der Incandenzas gedacht, aber aus
irgendwelchen Gründen ließ Don die Erinnerungen wieder hochblubbern. Sie waren die zweittraurigste Familie, die Joelle je gesehen hatte. Orin hatte das Gefühl, dass Jim ihn genau in dem Maße ablehnte, wie er ihn überhaupt wahrnahm. Meistens hatte sich Orin nachts des Langen und Breiten über seine Familie ausgelassen. Darüber, dass kein Punt-Erfolg genug Salbe auf die blauen Flecken auftragen konnte, die die grundlegende väterliche Ablehnung seiner Psyche verpasst hatte, das Versagen, gesehen oder anerkannt zu werden. Orin hatte keine Ahnung gehabt, wie banal und durchschnittlich seine Probleme mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil waren; er hatte sie für etwas unglaublich Außergewöhnliches gehalten. Joelle hatte gewusst, dass ihre Mutter herzlich wenig für sie übrighatte, seit ihr leibhaftiger Daddy ihr erstmals gesagt hatte, eigentlich würde er mit Pokie lieber allein ins Kino gehen. Vieles, was Orin über seine Familie sagte, war stumpf, schal geworden in all den Jahren, die er es nicht auszusprechen gewagt hatte. Er rechnete es Joelles außergewöhnlicher Hochherzigkeit an, dass sie nicht schreiend aus dem Zimmer lief, wenn er ihr das ganze banale Zeug offenbarte. Pokie war Joelles Familienspitzname gewesen, allerdings hatte
ihre Mutter sie immer nur Joelle genannt. Der ihr bekannte Orin hatte seine Mutter zuerst für den Nabel und Mittelpunkt der Familie gehalten, für einen Abglanz des himmlischen Lichts, und die Tiefe ihrer Liebe und offenen mütterlichen Zuwendung hatte fast einen Vater wettgemacht, der parental kaum existierte. Jims Innenleben war für ihn ein schwarzes Loch, sagte Orin, und das Gesicht seines Vaters war die fünfte Wand jedes Zimmers. Joelle hatte mühsam versucht, wach und aufmerksam zu bleiben, zuzuhören, damit Orin das ganze schale Zeug loswerden konnte. Orin hatte keine Ahnung, was sein Vater in Bezug auf egal was dachte oder fühlte. Er fand, Jim trage die undurchdringliche und ausdruckslose Miene, die seine Mutter auf Französisch manchmal im Scherz Le Masque nannte. Der Mann war so ausdruckslos und unwiderruflich abgeschottet, dass Orin sagte, er sei i h m quasi autistisch, fast schon katatonisch vorgekommen. Jim öffnete sich nur der Mutter. Wie sie alle, sagte er. Sie war psychisch für sie alle da. Sie war Licht und Nabel der Familie, der Mittelpunkt, der alles zusammenhielt. Joelle konnte im Bett gähnen, ohne dass man das Gähnen bemerkte. Die
Kinder nannten ihre Mutter »die Moms«. Als gäbe es mehr als eine. Der mittlere Bruder war hoffnungslos zurückgeblieben, hatte Orin gesagt. Er erinnerte sich, dass die Moms ihm wohl hundertmal am Tag gesagt hatte, sie hätte ihn lieb. Fast machte das das ausdruckslose Starren von Ihm Selbst wett. Orins nachhaltigste Kindheitserinnerung an Jim war die an ein ausdrucksloses Starren aus großer Höhe herab. Auch seine Mutter war für eine Frau sehr groß gewesen. Er sagte, er hätte es insgeheim immer seltsam gefunden, dass keiner der Brüder größer geworden sei. Sein behinderter Bruder sei verkümmert und ungefähr so groß wie ein Hydrant, berichtete Orin. Joelle putzte hinter dem Heizkörper des verdreckten Zimmers, so weit sie kam, ohne mit dem Heizkörper in Berührung zu kommen. Orin beschrieb die Mutter seiner Kindheit als seine emotionale Sonne. Joelle erinnerte sich, dass T. S., der Onkel ihres leibhaftigen Vaters, erzählt hatte, ihr leibhaftiger Vater hätte gedacht, seine Mamma hätte »den blöden Mond am Himmel aufgehängt«. Die Heizkörper auf der Frauenseite von Ennet Hause sind immer an, rund um die Uhr und das ganze Jahr über. Erst hatte Joelle gedacht, die wattstarke Mutterliebe von Mrs Avril Incandenza hätte Orin
vielleicht geschadet, weil sie als Kontrastverstärker für Jims distanzierte Ich-Bezogenheit fungiert hätte, die im Vergleich wie Vernachlässigung oder Ablehnung gewirkt haben musste. Dass sie vielleicht eine zu große emotionale Abhängigkeit Orins von seiner Mutter erzeugt hatte - warum sonst war er so traumatisiert gewesen, als plötzlich ein kleiner Bruder auftauchte, der von Geburt an besonders gefordert war und noch mehr mütterliche Zuwendung brauchte als Orin? Eines Nachts hatte Orin Joelle auf dem Futon der Genossenschaftswohnung geschildert, wie er einmal ins Kinderzimmer geschlichen war, einen Papierkorb herbeigeschleift, neben der Spezialwiege seines kleinen Bruders umgedreht und dann mit einer schweren Packung Frühstücksflocken weit ausgeholt hatte, um dem hilfsbedürftigen Baby den Schädel einzuschlagen. Im Semester zuvor hatte Joelle in Entwicklungspsychologie eine 1- bekommen. Und auch psychologisch oder sogar metaphysisch abhängig, Orin jetzt, hatte es den Eindruck - Orin sagte, er wäre erst in einem normalen Haus in Weston und dann an der Academy in Enfield aufgewachsen und hätte die Menschen in offene, lesbare und vertrauenswürdige auf der einen Seite
eingeteilt und so verschlossene und abgeschottete auf der anderen, dass man keine Ahnung hatte, was sie von einem hielten, aber so doll konnte das ja wohl nicht sein, warum sonst hätten sie es so abgeschottet? Orin hatte erzählt, er hätte begonnen, sich selber als verschlossen, ausdruckslos und abgeschottet wahrzunehmen, als Tennisspieler gegen Ende seiner Juniorenkarriere, trotz der verzweifelten Anstrengungen der Moms, ihn der Abschottung fernzuhalten. Joelle hatte an die 30000 Stimmen gedacht, die ihren Beifall auf dem Nickerson Field der B. U. frei herausbrüllten, ein Getöse, das mit dem Punt zum amniotischen Puls reinen, positiven Lärms anstieg. Im Gegensatz zum gesetzten und reservierten Applaus beim Tennis. Es war alles so kinderleicht aufzudröseln; sie hörte Orin zu, liebte ihn und hatte Mitleid mit dem armen kleinen reichen Wunderkind - all das war, bevor sie Jim und das Werk kennenlernte. Joelle wienerte das verfärbte Viereck der Fingerabdrücke um den Lichtschalter herum, bis sich das nasse Kleenex in Griebel auflöste. Trau keinem Mann beim Thema seiner Eltern. So groß und sonor ein Mann äußerlich auch wirken
mag, er sieht seine Eltern doch immer aus der Perspektive des kleinen Kindes, und daran wird sich nie etwas ändern. Und je unglücklicher seine Kindheit war, desto befangener wird seine Perspektive sein. Das weiß sie aus reiner Erfahrung. Gri ebel hatte ihre Mutter die Schmalzkrümel genannt, die sich im Schlaf in den Augenwinkeln sammelten. Ihr leibhaftiger Daddy hatte sie »Augenpopel« genannt und sie ihr immer mit einem zusammengedrehten Taschentuchzipfel weggemacht. Wobei man Eltern beim Thema Erinnerungen an ihre Kinder natürlich auch nicht trauen kann. Die billige Glasabdeckung über der Deckenlampe war schwarz vom Dreck auf der Innenseite und von toten Insekten. Die Insekten sahen teilweise aus, als gehörten sie längst ausgestorbenen Arten an. Allein der lose Dreck füllte eine halbe Carefree-Schachtel. Für den hartnäckigeren Dreck brauchte sie Stahlwolle und Salmiakgeist. Joelle sparte sich den Lampenschirm auf, bis sie in die Küche hinab geflitzt war, diverse Schachteln Dreck ausgeleert, feuchte Kleenex-Tücher weggeworfen und unter der Spüle ernst zu nehmende Hausputzmittel hervorgeh alt
hatte. Orin hatte gesagt, sie hätte den drittstärksten Putzfimmel nach seiner Moms und einem zwangsneurotischen Extennisspieler, gegen den er früher immer gespielt hatte, eine Doppeldiagnose, nach der die L.A.R.Y.E.-Mitgliedschaft eigentlich überfällig war. Damals war ihr die Bedeutung aber entgangen. Sie war gar nicht auf den Gedanken gekommen, es könne positiv oder negativ mit seiner Mutter zu tun haben, wenn sich Orin von ihr angezogen fühlte. Ihre größte Angst war, Orin könne sich wegen ihres Aussehens von ihr angezogen fühlen, schließlich hatte ihr leibhaftiger Daddy sie immer gewarnt, der süßeste Sirup zöge die ekligsten Schmeißfliegen an, und sie solle sich vorsehen. Orin hatte keinerlei Ähnlichkeit mit ihrem leibhaftigen Daddy gehabt. Wenn Orin das Zimmer verließ, war das nie eine Erleichterung gewesen. Wenn sie zu Hause war, schien ihr Daddy das Zimmer höchstens mal für ein paar Sekunden zu verlassen. Ihre Mutter sagte, sie versuche gar nicht mehr, ihn auch nur anzusprechen, wenn seine Pokie zu Hause war. Er verfolgte sie förmlich von einem Zimmer zum nächsten, fast schon bemitleidenswert,
und redete von Tambourstöcken und Säurechemie. Es war, als atmete er ein, wenn sie ausatmete, und umgekehrt. Er war überall im Haus. Er war immerzu absolut anwesend. Seine Gegenwart durchdrang ein Zimmer und überdauerte ihn. Wenn Orin zu Seminaren oder zum Training musste, entleerte das die Genossenschaftswohnung. Sie wirkte gesaugt und steril poliert, wenn er gegangen war, noch bevor sie mit dem Putzen loslegte. Ohne ihn fühlte sie sich dort nicht einsam, wohl aber allein, wusste, wie sich Alleinsein anfühlen würde, und sie ließ sich nicht für dumm verkaufen305 und errichtete schon früh ihre Bollwerke dagegen. Es war natürlich Orin gewesen, der sie bekannt gemacht hatte. Er hatte die fixe Idee, dass Er Selbst womöglich Gebrauch von ihr machen könnte. In seinem Werk. Sie war zu hübsch, als dass man nicht den Wunsch verspüren musste, sie zu arrangieren, einzufangen. Lieber Er Selbst als irgend so ein Hänfling von der Uni. Joelle war von Anfang an dagegen. Wie jedem Mädchen mit Grips waren ihre Schönheit und deren Wirkung auf die Leute ihr unangenehm und erzeugten eine Zurückhaltung, die die ständigen Warnungen ihres leibhaftigen Daddys
noch verstärkt hatten. Wichtiger war zunächst aber, dass ihre filmischen Interessen hinter der Kamera lagen. Sie würde das Einfangen übernehmen, danke, damit hatte es sich. Sie wollte Dinge machen, nicht in ihnen erscheinen. Schauspielern begegnete sie mit der vagen Arroganz studentischer Filmemacher. Das Schlimmste war, dass das eigentliche Projekt hinter Orins Vorschlag entwicklungspsychologisch sofort zu durchschauen war: Er hoffte, durch sie an seinen Vater heranzukommen. Stellte sich bedeutungsvolle und hochtrabende Gespräche mit ihm vor, die Joelles Auftritte und Darbietungen betrafen. Trilaterale Bande. Das alles war ihr richtig unangenehm. Sie stellte die These auf, dass Orin sie unbewusst zwischen sich selbst und »Ihm Selbst« vermitteln lassen wollte, so wie das seinen Darstellungen nach seine Mutter gemacht hatte. Es war ihr unangenehm, dass Orin so begeistert prophezeit hatte, ihr Vater werde »nicht widerstehen können, von ihr Gebrauch zu machen«. Es war ihr doppelt unangenehm, dass Orin seinen Vater »Ihn Selbst« nannte. Es zeugte von einem schmerzhaft eklatanten Entwicklungsstillstand. Außerdem war ihr die Vorstellung unangenehm - unwesentlich weniger
Vorstellung unangenehm - unwesentlich weniger unangenehm, als sie es in jener Nacht auf dem Futon hatte klingen lassen -, eine wie auch immer geartete Verbindung zu dem Mann aufzubauen, der Orin so wehgetan hatte, einem Mann von so monströser Größe, Kälte und Abschottung. Joelle hörte einen Aufschrei und ein Scheppern aus der Küche und dann McDades tuberkulöses Lachen. Zweimal setzte sich Charlotte Treat fieberschweißglänzend im Bett auf, sagte mit tonlos toter Stimme etwas, das alle Welt als »Trancezustände, in denen sie nicht atmete« verstehen musste, und fiel dann wieder komatös zurück. Joelle versuchte, einem seltsam ranzigen Zimtgeruch auf den Grund zu kommen, der hinten aus einem mit Gepäckstücken vollgestellten Schrank kam. Das Putzen wurde zusätzlich erschwert, wenn man das Zeug anderer Insassen eigentlich nicht anfassen durfte. Das Werk hätte ihr schon alles verraten können. Das Werk des Mannes war das eines Dilettanten, hatte sie gesehen, als sich Orin von seinem Bruder dem Nichtbehinderten - ein paar Read-OnlyKopien von Filmen des Verrückten Storchs geliehen hatte. Wa r Dilettant das richtige Wort? Eher das Werk
Wa r Dilettant das richtige Wort? Eher das Werk eines brillanten Optikers und Technikers, der sich aber nur stümperhaft auf echte Kommunikation verstand. Technisch großartig, dieses Werk, die Ausleuchtung und die Winkel bis in die Details der Einzelbilder geplant. Aber seltsam hohl und leer, ohne Gespür für ein dramatisches Telos - keine narrative Entwicklung auf eine richtige Geschichte hin; keine emotionale Entwicklung auf ein Publikum hin. Als unterhielte man sich mit einem Gefangenen per Telefon durch die Plastikscheibe, hatte Molly Notkin, die schon ein paar Semester weiter war, über Incandenzas Frühwerk gesagt. Für Joelle waren diese Filme eher die Selbstgespräche eines hochintelligenten Menschen. Sie dachte an die Signifikanz des Familienspitznamens »Er Selbst«. Kal t. Der Ehevertrag von Himmel und Hölle beißend, komplex, camp, hip, zynisch, technisch umwerfend; aber kalt, dilettantisch, abgeschottet: null Risiko der Empathie mit dem hiobartigen Protagonisten, den die Zuschauer ihrer Meinung nach für jemanden halten sollten, der über einer Falltür stand. Die Faxen der »Genre-Inversionen«: gerissen komisch und manchmal aufschlussreich, aber von einer gewissen Vorläufigkeit wie die Etüden
aber von einer gewissen Vorläufigkeit wie die Etüden eines hochbegabten Menschen, der nicht bereit ist, sich auf den Hosenboden zu setzen und an seiner Begabung zu arbeiten. Joelle war schon als Studentin überzeugt gewesen, dass Parodisten bestenfalls Schlachtenbummler hinter ironischen Masken waren und dass Satiren in der Regel von Menschen stammten, die selber nichts Neues zu sagen hatten.306»Medusa gegen Odaliske« - kalt, anspielungsreich, involuiert, feindselig: Dem Publikum galt nichts als Verachtung, und die Metazuschauer im Theater des Films wurden als Objekte präsentiert, lange bevor sie versteinerten. Aber manchmal war da etwas anderes aufgeblitzt. Selbst im Frühwerk, bevor Er Selbst den Sprung zum narrativ antikonfluentiellen, aber unironischen Melodram vollzogen hatte, dessen Bogen sie dann noch verlängert und in dem er das technische Blendwerk aufgegeben und bewegende, sei's auch unplausible Charaktere darzustellen versucht hatte, Mut bewiesen, auf alles verzichtet hatte, was er konnte, und bewusst das Risiko eingegangen war, als Dilettant dazustehen (der er ja auch war). Aber selbst im Frühwerk - blitzte etwas auf. Abgeschottet
und ultrakurz. Fast verstohlen. Sie bemerkte es nur, wenn sie die Filme alleine sah, ohne Orin und seinen runtergedrehten Rheostaten, alle Lampen im Wohnzimmer hell eingeschaltet, wie sie es am liebsten hatte, weil sie sich und alles andere im Raum neben dem Bildschirm gern sah - Orin saß am liebsten im Dunkeln und verschmolz mit dem, was er sah, sein Mund stand offen, ein Kind, das mit den unzähligen Kanälen des Kabelfernsehens aufgewachsen war. Aber Joelle sah - beim wiederholten Ansehen, das ursprünglich der Analyse gedient hatte, wie der Mann Szenen am Motiv geprobt hatte; für ein Seminar in Fortgeschrittener Storyboardtechnik ging sie meilenweit -, Joelle sah zunehmend Kleinigkeiten aufblitzen. In M . g. O. die drei kurzen Schnitte auf die Halbprofile der Gesichter der hinreißenden Kombattantinnen, die unter irgendwelchen Qualen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt waren. Jedem Schnitt auf ein schmerzerfüllt aufblitzendes Gesicht folgte das Krachen eines versteinerten Zuschauers, der aus dem Theatersitz kippte. Drei Sekundenbruchteile, mehr nicht, in denen mimischer Schmerz zu erhaschen war. Und kein Schmerz von Verwundungen - die beiden berührten sich nie, wirbelten nur mit Spiegeln und
Klingen umeinander herum; beider Blocktechniken waren unüberwindlich. Das Aufblitzen suggerierte eher, sie würden da oben auf der Bühne von dem, was ihre Schönheit denen antat, die dem Hinsehen nicht widerstehen konnten, bei lebendigem Leibe aufgefressen. Aber nur ein dreimaliges Aufblitzen, jedes fast unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Zufall? Aber keine Einstellung und kein Schnitt in dem ganzen seltsamen kalten Film war zufällig - das Ding war ganz offensichtlich Bild für Bild am Storyboard entworfen worden. Musste Hunderte von Stunden gedauert haben. Verblüffende technische Analität. Joelle versuchte, die Patronen bei den aufblitzenden Gesichtsqualen anzuhalten, aber in jenen Tagen der frühen InterLace-Patronen verzerrte die Pausenfunktion das Bildschirmbild noch so weit, dass man das Analysandum gerade nicht erkennen konnte. Außerdem hatte sie das unheimliche Gefühl, der Mann hätte bei diesen wenigen Einzelbildern aufblitzender Menschlichkeit die Filmgeschwindigkeit erhöht, um gerade diese Analyse zu vereiteln. Als hätte er nicht anders gekonnt, als aufblitzende Menschlichkeit zu zeigen, nur um sie dann so kurz und unanalysierbar wie möglich zu halten, weil sie
ihn sonst irgendwie kompromittiert hätte. Grin Incandenza war erst der zweite Mann gewesen, der sie auf männlich-weibliche Weise angesprochen hatte.307 Der erste hatte ein glänzendes Kinn gehabt und war vom EverclearPunsch fast blind gewesen, ein All-KentuckyLineman der Kampfferkel-Mannschaft von Shiny Prize bei einem Schlachtfest in Kentucky, zu dem die Boosters die Pep- und Tambourstab-Mädels eingeladen hatten; der Lineman hatte wie ein schüchterner kleiner Junge gewirkt, als er ihr - zur Entschuldigung, weil seine Kotze sie fast bespritzt hätte - gestand, sie wäre von einer so gottverflucht versteinernden Schönheit, dass er sie erst anzusprechen wagte, nachdem er sich total die Birne zugelötet hatte. Der Lineman gestand, die ganze Mannschaft hätte ob der Schönheit der universitären Cheftambourstabschwingerin, also Joelles, lähmendes Entsetzen gepackt. Grin gestand ihr, wie er sie insgeheim nannte. Die Erinnerung an jenen Highschool-Nachmittag hatte sich ihr unauslöschlich eingeprägt. Sie roch noch den Rauch der brennenden Mesquitbaumscheite, die Blautannen und das Yardguard-Moskitospray, hörte das
Kreischen des Nutzviehs, das sie in symbolischer Vorbereitung auf das Eröffnungsspiel gegen die Rivermen von der N. Paducah Technical Highschool schlachteten und säuberten. Sie sah noch den Lineman vor sich, dem fast die Sinne schwanden, der mit feuchten Lippen beichtete und sich nur mithilfe einer jungen Blautanne aufrecht hielt, bis deren Stamm mit einem lauten Knall brach und umstürzte. Bis zu jenem Kochfest cum Beichte hatte sie vermutet, es läge an ihrem leibhaftigen Daddy, der von Rendezvous und männlichweiblichen Annäherungen abgeraten hatte. Die ganze Angelegenheit war seltsam und einsam gewesen, bis sie von Grin angesprochen wurde, der keinen Hehl daraus gemacht hatte, dass er zwei Eier von edelstem Stahl im Sack hatte, was graueneinflößend schöne Frauen anging. Aber irgendwie ging es nicht einmal um ihre subjektive Identifikation, wenn sie auf das Aufblitzen und die scheinbaren non sequiturs wartete, die mehr als nur kalte, hippe, technische Abstraktion verrieten. Beispielsweise die 240 Sekunden lange reglose Aufnahme aus Untersicht von Gian Lorenzo Berninis
»Verzückung der heiligen Theresa«, die - jawohl die dramatische Entwicklung des Ehevertrags ... zu einem ärgerlichen Stillstand brachte, den ein fünfzehnbis dreißigsekündiges Standbild ebenso gut erzeugt hätte; aber beim fünften oder sechsten Anschauen wurde Joelle klar, dass das vier Minuten lange Standbild eine Absenz akzentuierte: Der ganze Film nahm den POV308 des alkoholabhängigen Snacktütenverkäufers ein, und dieser - bzw. sein Kopf - war in jeder Einstellung zu sehen, selbst im Split Screen der titanischen himmelsmarathonesken Seven-CardStud- Partie mit Tarotkarten - die verdrehten Augen, die Schläfendellen und der Rosenkranz aus Schweißperlen auf der Oberlippe waren ununterbrochen auf der Leinwand und dem Bildschirm zu sehen ... außer in den vier narrativen Minuten, in denen der alkoholabhängige Snacktütenverkäufer in der Vittoria vor dem Bernini stand und die klimaktische Statue die Leinwand ausfüllte und sich an alle vier Ränder drängte. Die Statue, die sinnliche Präsenz der Skulptur, ließ den alkoholabhängigen Snacktütenverkäufer sich selbst entkommen, seinem lästigen, allgegenwärtigen, komplizierten Kopf, erkannte sie, darum ging es. Das vierminütige Standbild war vielleicht gar keine
vierminütige Standbild war vielleicht gar keine bedeutungsschwere Kunstgeste oder publikumsfeindliche falsche Fährte. Freiheit vom eigenen Kopf, von der unausweichlichen Subjektive Joelle erkannte hier allmählich eine emotionale Stoßrichtung, indirekt bis knapp zur Unsichtbarkeit, denn die vermittelte Transzendenz des Selbst war genau, was die scheinbar dekadente Statue der orgasmischen Nonne für sich als Subjekt beanspruchte. Nach ernsthafter (und zugegebenermaßen ziemlich langweiliger) Prüfung zeichnete sich hier also eine unironische, fast moralische These der abstrakten, sarkastischen Camp-Patrone ab: Die Stasis der klimaktischen Statue des Films präsentierte dessen theoretisches Subjekt als emotionalen Effekt - eine Selbstvergessenheit wie die des Grals -, und sie präsentierte - in einer verborgenen Geste, die geradezu etwas Moralistisches hatte, fand Joelle, die zugekokst und mit beim Putzen zuckendem Mund auf den zimmerhellen Bildschirm sah - die Selbstvergessenheit im Alkohol als der in Religion / Kunst untergeordnet (denn der Bourbonkonsum ließ den Kopf des Verkäufers schrecklich anschwellen, bis seine Dimensionen zum Filmende den Rahmen
überstiegen und er grässliche und demütigende Mühe hatte, ihn durch den Haupteingang der Vittoria ins Freie zu bugsieren). Aber irgendwie spielte es keine große Rolle mehr, sobald sie die ganze Familie kennengelernt hatte. Das Werk und ihre Analysen waren nur eine Ahnung - die sie meistens unter kleinen, kontrollierbaren Koksmengen überkam, die ihr tiefer und schärfer zu sehen erlaubten, und jene Ahnungen wohnten daher gar nicht dem objektiven Werk selbst inne -, ein Gefühl aus dem hohlen Bauch heraus, dass die tief verletzte Einstellung des Punters zu seinem Vater beschränkt, befangen und vielleicht irreal war. Das Kennenlern-Essen mit Orin und Ihm Selbst im Legal Seafood oben in Brookline309, bei dem sich Joelle ohne Make-up, stocknüchtern und mit einern schlampigen Dutt präsentierte, war nicht sonderlich aussagekräftig, mal davon abgesehen, dass es dem Regisseur anscheinend nicht weiter schwerfiel, dem Ansinnen zu widerstehen, von Joelle in irgendeiner Form Gebrauch zu machen - sie sah, wie der große Mann zusammensackte, ja sich förmlich wand, als Orin ihm erzählte, das SCH.M.A.Z. studiere im Hauptfach F & p310 - Jim erzählte ihr später, sie sei
ihm damals zu konventionell, zu kommerziell hübsch vorgekommen, um in den Werken jener Periode von ihr Gebrauch zu machen, deren theoretisches Projekt teilweise darin bestand, das traditionelle USamerikanische kommerzielle Hübschheitsparadigma zu subvertieren - und dass Orin in Gegenwart von »Ihm Selbst« so verspannt war, dass sich echte Gefühle an der Tafel gar nicht entfalten konnten, und zunehmend dazu überging, die Gesprächspausen mit immer schnellerem sinnfreiern Gelaber zu füllen, bis sowohl Joelle als auch Jim peinlich berührt waren, weil der Punter weder seinen gedämpften Barsch angerührt noch einern von ihnen die Chance gegeben hatte, ein Wort einzuwerfen. Jim erzählte Joelle später, er wüsste schlicht und einfach nicht, wie er mit seinen beiden unbehinderten Söhnen ohne Gegenwart und Vermittlung ihrer Mutter sprechen sollte. Orin hielt keine Sekunde lang den Schnabel, und HaI war in Jims Gegenwart dermaßen verschlossen, dass das Schweigen eine Qual war. Jim sagte, seiner Meinung nach kämen Mario und er nur deshalb so gut miteinander aus, weil der Junge so behindert und zurückgeblieben gewesen sei, dass er erst mit sechs Jahren sprechen gelernt habe, und da fühlten Jim
Jahren sprechen gelernt habe, und da fühlten Jim und er sich im beiderseitigen Schweigen schon ganz wohl, außerdem brachte Mario ein Interesse an Objektiven und am Filmen mit, das nichts mit Vätern oder Gefallsucht zu tun hatte, sondern die beiden hatten ein echtes gemeinsames Interesse; und selbst als Mario dann die Erlaubnis zur Mitarbeit im Team von Jims späteren Werken bekam, bestand nie irgendein Druck, per Film zu interagieren oder Bindungen aufzubauen, wie es bei Orin und HaI in Bezug auf Tennis der Fall gewesen war - Jim (hatte Orin ihr erzählt) war als Junior ein Spätzünder, an der Uni dann aber ein Spitzenspieler gewesen. Jim bezeichnete die diversen Filme des Werks als »Unterhaltungen«. In etwa der Hälfte der Fälle war das ironisch. Im Taxi (das Jim ihnen gerufen hatte) auf dem Heimweg vom Legal Seafood hatte Orin die attraktive Stirn an die Plastiktrennscheibe geschlagen und geweint, er könne ohne Gegenwart und Vermittlung seiner Mutter überhaupt nicht mit Ihm Selbst kommunizieren. Keiner wisse, wie die Moms vermittle oder wie es ihr gelang, zwischen verschiedenen Familienangehörigen ein Gespräch in
Gang zu bringen, sagte er. Aber sie schaffte es. Er hatte null Checkung, wie Er Selbst es fand, dass er nach einem Jahrzehnt Tennis zum Punting gewechselt war, schluchzte Orin. Oder dass er bei irgendetwas schlussendlich richtig gut geworden war. War Er Selbst stolz, fühlte er sich eifersüchtig bedroht oder nahm er es ihm übel, dass er das Tennisspiel aufgegeben hatte? Oder was? Die Matratzen des 5- Frauen-Zimmers waren zu schmal für die Bettgestelle, deren Ränder waren zwischen den Latten fürchterlich staubverfilzt, und Frauenhaare hatten sich im Staub verfangen und verflochten, sodass sie das Zeug erst mit einem Kleenex anfeuchten und den Klumpatsch dann mit mehreren trockenen wegwischen musste. Charlotte Treat war schon seit Tagen zu krank zum Duschen, und es kostete Überwindung, sich ihrem Bettgestell und seinen Latten zu nähern. Bei Joelles erster Konnexion mit der ganzen traurigen Kleinfamilie - Thanksgiving, Rektorenhaus, E. T. A., einfach die Comm. Ave. hoch in Enfield - war Orins Moms, Mrs Incandenza (»Nenn mich doch bitte Avril, Joelle«), charmant, herzlich und aufmerksam gewesen, ohne sich aufzudrängen, hatte sich
unauffällig bemüht, allen die Befangenheit zu nehmen, ein Gespräch in Gang zu halten und Joelle das Gefühl zu geben, ein willkommenes und geschätztes Familienmitglied zu sein -, aber irgendetwas an der Frau ließ Joelle jeden Follikel zu Berge stehen. Das lag nicht daran, dass Avril Incandenza eine der größten Frauen war, die Joelle je gesehen hatte, und definitiv die größte hübsche ältere Frau mit tadelloser Haltung (im Vergleich zu ihr hing Dr. Incandenza da wie ein Schluck Wasser in der Kurve). Es lag auch nicht an ihrer natürlichen, flüssigen und eindrucksvollen Syntax. Auch nicht an der nachgerade sterilen Reinlichkeit des Erdgeschosses (die Toilette im Badezimmer war nicht nur gescheuert, sondern regelrecht auf Hochglanz poliert). Und es lag auch nicht daran, dass Avrils Charme etwa konventionell aufgesetzt gewesen wäre. Es dauerte lange, bis Joelle auch nur annähernd auf den Begriff bringen konnte, warum sie in Gegenwart von Grins Mutter das zuständige Jaulen kriegte. Das Essen selbst - ohne Truthahn; irgendein politischer Familienwitz, warum es an Thanksgiving keinen Truthahn gab - war lecker, aber nicht grandios. Man begab sich überhaupt erst gegen 23.00 Uhr zu Tisch. Avril trank Champagner
aus einer kleinen Flöte, deren Pegel irgendwie nie sank. Dr. Incandenza (keine Einladung, ihn Jim zu nennen, fiel ihr auf) trank aus einem dreifacettig geschliffenen Tumbler etwas, das die Luft darüber leicht flimmern ließ. Avril nahm allen die Befangenheit. Grin ahmte glaubwürdig Berühmtheiten nach. Der kleine HaI und er veräppelten Avrils kanadische Aussprache mancher Diphthonge. Avril und Dr. Incandenza schnitten Mario abwechselnd den Lachs klein. Joelle hatte eine unheimliche Vision, wie Avril ihr Messer nahm und bis zum Heft in Joelles Brust versenkte. HaI Incandenza und zwei andere schief gebaute, muskulöse Jungen von der Tennisschule futterten wie die Flüchtlinge und wurden mit sanfter Belustigung betrachtet. Avril tupfte sich auf aristokratische Weise nach jedem Bissen den Mund ab. Joelle trug ein hochgeschlossenes Mädchenkleid. HaI und Grin sahen sich irgendwie ähnlich. Avril richtete jede vierte Bemerkung an Joelle, um sie einzubeziehen. Grins Bruder Mario war verkümmert und auf komplexe Weise entstellt. Unter dem Tisch stand ein blitzsauberer Hundenapf, aber es gab keinen Hund, und es fand auch nie ein Hund Erwähnung. Joelle merkte, dass Avril jede
vierte Bemerkung auch an Grin, HaI und Mario richtete, ein Kreislauf der gerechten Einbeziehung. D e r Weißwein kam aus New York und der Champagner aus Alberta. Dr. Incandenza trank keinen Wein, sondern seinen Drink und ging immer wieder in die Küche, um ihn aufzufüllen. Ein dichter Hanggarten hinter Avrils und Hals Teakstühlen warf komplexe Schatten im UV-Licht, das die Tafelkerzen in seltsamem Hellblau leuchten ließ. Der Regisseur war so groß, dass er sich ewig zu erheben schien, wenn er mit seinem TumbIer aufstand. Joelle hatte das seltsame und unbeweisbare Gefühl, dass Avril ihr Böses wollte; sie spürte, wie sie an verschiedenen KörpersteIlen eine Gänsehaut bekam. Das ganze Bitteschön-Dankeschön war Yankee-Ostküstenelite reinsten Wassers. Nach seinem zweiten Ausflug in die Küche errichtete Dr. Incandenza aus seinen doppelt gebackenen Kartoffeln eine komplizierte futuristische Stadtlandschaft und fing plötzlich an, sich angeregt über den Zusammenbruch von Hollywoods monolithischem Studiosystem im Jahr 1946 und den anschließenden Aufstieg von Method Actors wie Brando, Dean, Clift und anderen auszulassen, und
sah zwischen beiden Phänomenen einen Kausalzusammenhang. Seine Stimme lag im mittleren Frequenzbereich, war sanft und ohne Akzent. Orins Moms musste über zwei Meter groß sein, weit größer als Joelles leibhaftiger Daddy. Irgendwie war Joelle klar, dass Avril als Mädchen ungeschickt gewesen, als Frau erblüht und erst spät im Leben, mit fünfunddreißig vielleicht, richtig schön geworden war. Sie fand, Dr. Incandenza sah aus wie ein Ölpestkranich, erzählte sie ihm später. Mrs Incandenza nahm allen die Befangenheit. Joelle stellte sie sich mit einem Dirigentenstab vor. Sie erzählte Jim nie, dass Orin ihn den Verrückten oder Bedrückten Storch nannte. Die ganze ThanksgivingTafel neigte sich leicht zu Avril, ganz leicht und subtil, wie Sonnenblumen. Joelle merkte, dass sie sich dieser Neigung anschloss. Dr. Incandenza beschirmte seine Augen ständig vor dem UVpflanzen licht mit einer Geste, die einem Salut ähnelte. Avril nannte ihre Pflanzen ihre grünen Babys. Aus heiterem Himmel und ohne sich an jemanden im Besonderen zu richten, verkündete der kleine, vielleicht zehnjährige HaI Incandenza auf einmal, nach einer älteren Definition entspreche die Candela der Lichtdichte eines schwarzen Körpers
bei der Schmelztemperatur von Platin. Seit 1979 v. S Z werde sie aber als die Lichtstärke einer Strahlungsquelle definiert, deren Strahlstärke 6~3Watt pro Steradiant betrage. Alle Männer am Tisch trugen Jacketts und Krawatten. Der größere von Hals beiden Tennispartnern verteilte Dentalstimulatoren, und niemand machte sich darüber lustig. Marios Grinsen wirkte gleichzeitig obszön und ehrlich. HaI, den Joelle nicht so prickelnd fand, fragte immerzu, ob denn keiner wissen wolle, wo die Schmelztemperatur von Platin liege. Joelle und Dr. Incandenza verstrickten sich in ein Gespräch über Bazin, einen Filmtheoretiker, den Er Selbst verabscheute, und jedes Mal, wenn der Name fiel, verzog er gequält das Gesicht. Joelle fesselte den Gptikwissenschaftler und Regisseur, als sie Bazins Schmähung selbstbewusster RegieIntentionenen historisch auf den neothomistischen Realismus der »Personalistes« zurückführen konnte, eine Gruppe von Ästhetikern, die von 1930 bis etwa 1940 großen Einfluss auf die katholischen Intellektuellen Frankreichs gehabt hätten - viele von Bazins Lehrern seien bedeutende Personalistes gewesen. Avril bat Joelle, das ländliche Kentucky zu
beschreiben. Grin machte sich an eine ausgedehnte Nachahmung des Pop-Astronomen earl Sagan, der im Fernsehen Ehrfurcht vor der Größe des Kosmos bezeugt hatte. »Milliarden und Milliarden«, sagte er. Einer der Tennisfreunde rülpste scheußlich, aber niemand nahm von dem Geräusch Notiz. Mit Sagans Stimme sagte Grin »Milliarden und Abermilliarden«. Avril und HaI stritten kurz und gutmütig darüber, ob circa einen Zeitraum oder nur ein bestimmtes Jahr modifizieren könne. Dann wollte HaI wissen, ob jemand Beispiele für etwas namens Haplologie nennen könne. Joelle unterdrückte den Wunsch, dem schmierigen kleinen Angeber eine solche Kopfnuss zu verpassen, dass seine Krawatte fliegen lernte. »Das Universum:« - Grin machte noch weiter, als der Witz längst einen Bart hatte - »kalt, riesig, unglaublich universal«. Die Themen Tennis, Tambourstabschwingen und Punting kamen nicht aufs Tapet: Mannschaftssportarten wurden mit keinem Wort erwähnt. Joelle merkte, dass außer ihr niemand Dr. Incandenza direkt anzuschauen schien. Eine seltsam mammal wabbelnde weiße Kuppel bedeckte Teile des Academy-Geländes draußen vor den
Eßzimmerfenstern. Mario stieß seine Spezialgabel in Dr. Incandenzas Kartoffel-Stadtschaft und erntete allgemeinen Beifall sowie schmerzhafte Kalauer über den Begriff Dekonstrukti on seitens dieses unerträglich neunmalklugen HaI. Die Zähne aller Anwesenden erstrahlten in Kerzenschein und uvLicht. HaI wischte Mario die anscheinend immerzu sabbernde Schnauze ab. Avril bedrängte Joelle, unbedingt den ThanksgivingAnruf bei ihren Eltern im ländlichen Kentucky zu tätigen, falls sie den Wunsch danach verspüre. Grin sagte, die Moms stamme ursprünglich aus dem ländlichen Quebec. Joelle war beim siebten Glas Wein angelangt. Wie Grin an seinem Half- Windsor herumfummelte, wirkte mehr und mehr wie ein Signal für irgendwen. Avril bedrängte Dr. Incandenza, unbedingt einen Weg zu finden, Joelle in einem seiner Projekte auftreten zu lassen, schließlich sei sie Filmwissenschaftlerin und jetzt ein herzlich willkommener Familienzuwachs ehrenhalber. Mario langte nach dem Salat, fiel vom Stuhl, und einer der Tennisspieler half ihm unter großem Hallo wieder hoch. Marios Behinderungen mussten breit gefächert und schwer auf den Begriff zu bringen sein. Joelle fand, er sah aus wie die Kreuzung aus einer Marionette und einem der
großköpfigen Fleischfresser in Spielbergs alten Spezialeffektorgien über Reptilien. HaI und Avril erörterten, ob nichtsdestotrotz ein echtes Wort sei. Dr. Incandenzas großer schmaler Kopf sank seinem Teller entgegen und stieg dann langsam wieder hoch, was entweder kontemplative Gründe hatte oder am Schwips lag. Das breite Lächeln des behinderten Mario war so gleichbleibend, dass man ihm Sachen in die Mundwinkel hätte hängen können. Mit aufgesetztem Southern-Belle-Dialekt, der eindeutig kein Seitenhieb in Richtung Joelle war, sondern eher nach Scarlett G'Hara klang, sagte Avril, hiermit gäbe sie zu Protokoll, dass sie von dem Champagner aus Alberta immer »die Gase« bekäme. Joelle merkte, dass praktisch alle am Tisch breit und gleichbleibend lächelten, die Augen glänzten im seltsamen Pflanzenlicht. Und sie machte mit, merkte sie; ihr taten schon langsam die Wangenmuskeln weh. Hals größerer Freund verstummte immer wieder und widmete sich seinem Dentalstimulator. Sonst nutzte niemand die Stimulatoren, aber alle hielten höflich einen, als ob sie ihn demnächst benutzen wollten. HaI und die zwei Freunde verkrampften in regelmäßigen Abständen seltsam
spasmisch die eine Hand. Niemand schien das zu registrieren. In Grins Gegenwart fiel kein einziges Mal das Wort Tennis. Die halbe Vornacht hatte er deswegen vor Angst gekotzt. Jetzt piesackte er HaI, wo die Schmelztemperatur von Platin denn liege. Joelle kam ums Verrecken nicht darauf, wie die alten, am Computer nachbearbeiteten Dinosaurierstreifen des armen alten Spiel berg geheißen hatten, obwohl ihr leibhaftiger Daddy sie in jeden einzelnen davon reingeschleppt hatte. Irgendwann stand Grins Vater auf, um seinen Drink aufzufüllen, und kam nicht mehr zurück. Kurz vor dem Nachtisch - der brennend serviert wurde -, hatte Orins Mutter gesagt, sie fände es schön, wenn sich alle mal ganz profan die Hände gäben und dankbar wären, dass sie zusammen seien. Sie legte besonderen Wert darauf, Joelle zu bitten, beim Händehalten mitzumachen. Joelle hielt Orins Hand und die von Hals kleinerem Freund, die so schwielig war, dass sie sich wie Baumrinde anfühlte. Zum Nachtisch gab es flambierte Kirschen mit New-BrunswickGourmetEiscreme. Dr. Incandenzas Abwesenheit vom Tisch blieb unkommentiert und vielleicht auch unbemerkt. HaI und sein nicht stimulierender Freund baten
und sein nicht stimulierender Freund baten flehentlich um Kahlua, und Mario patschte rührend nachahmend auf den Tisch. Avril zog eine richtige Schau ab, als sie Orin mit gespieltem Entsetzen ansah, weil der Zigarre und Zigarrenschneider hervorgeholt hatte. Pudding gab es auch. Der Kaffee war koffeinfrei mit Zichorienzusatz. Als Joelle Orin wieder ansah, hatte er die Zigarre weggesteckt, ohne sie anzuzünden. Das Essen endete in einer Art Explosion des guten Willens. Joelle war kurz vor dem Verrücktwerden. Sie konnte im Charme und in der Fröhlichkeit der Lady ihr gegenüber, ihrem guten Willen, nichts Unechtes entdecken. Gleichzeitig hätte sie geschworen, die Frau hätte dasitzen, Joelle die Bauchspeichel- und Thymusdrüsen herausschneiden und zerhacken, Bries zubereiten, gut gekühlt verspeisen und sich den Mund abtupfen können, ohne mit der Wimper zu zucken. Und unbemerkt von allen, die sich leicht zu ihr neigten. Auf der Heimfahrt im Taxi einer Firma, deren Nummer HaI im Kopf gehabt hatte, legte Orin das Bein über Joelles übereinandergeschlagene Beine
und sagte, wenn irgendjemand ganz einfach gesehen haben musste, dass der Storch von Joelle einfach Gebrauch machen musste, dann war das die Moms. Er fragte Joelle zweimal, ob sie ihr gefallen habe. Joelles Wangenmuskeln taten fürchterlich weh. Als sie am Abend dieses letzten ThanksgivingTages vor Beginn der Sponsorenzeit in die Genossenschaftswohnung im Brownstone kamen, zog Joelle erstmals bewusst eine Koksstraße, um nicht einzuschlafen. Auch wenn er gewollt hätte, hätte Orin während der Saison nichts konsumieren können: Die Teams der Mannschaftssportarten an der B. U. wurden unangekündigten Urintests unterzogen. Also war Joelle morgens um 4.00 wach und putzte zum zweiten Mal hinter dem Kühlschrank, als Orin in einem Albtraum aufschrie, den von Rechts wegen sie hätte bekommen müssen. Erschütternd für sein Vermögen von der Beurteilung dieser Personen war, dass die eine, die Marathe für eine verzweifelte Süchtige gehalten hatte, die Autoritätsfrau im Hause de repos von Ennet war. Die klemmbebrettete Frau war nur eine Untergebene. Marathe schätzte Personen oder ihre Rollen nur sehr
selten falsch ein. Die Autoritätsfrau war negativ am Telefon. »Nein, nein. Nein«, sagte sie ins Telefon. »Nein.« »Entschuldigung«, sagte sie über die Muschel zum Sprechen vom Telefon hinweg zu Marathe, ohne die Hand der Diskretion über die Muschel zu legen. »Bin sofort fertig. Nein, kann sie nicht, Mars. Versprechen tun nichts zur Sache. Versprochen hat sie schon viel. Viel zu viel. Nein. Mars, weil es uns wieder treffen und sie in ihrer Sucht bloß bestärken würde.« Die laute Stimme des Manns am anderen Ende war zu hören, und die Autorität unterdrückte mit der Rückseite des Handgelenks ein Schluchzen und versteifte sich dann. Marathe sah ausdruckslos zu. Er hatte die große Müdigkeit, eine Phase, in der Englisch belastend war. Auf dem Boden lagen Hunde. »Ich weiß, trotzdem nein. Heute, nein. Wenn sie wieder anruft, dann sag ihr, sie soll mich hier anrufen. Ja.« Sie deaktivierte die Nachrichtenübertragung und starrte einen Augenblick auf die Tischplatte. Zwischen ihrem Stuhl und Marathes fauteuil lagen zwei Hunde auf dem Boden, einer von welchen sich die Reproduktionsorgane leckte. Marathe
unterdrückte ein Schaudern und zog die Decke etwas höher, kauerte sich auch leicht zusammen, um die Muskulatur von der Gesundheit von seinem oberen Rumpf zu minimalisieren. »Gute Nacht ... «, setzte Marathe an. »Bleiben Sie bitte«, stieß die Autoritätsfrau hervor, tauchte aus ihrer Entrücktheit von der Traurigkeit auf und versetzte ihren Stuhl in eine Rotation, um ihn anzusehen. Sie setzte das Lächeln professioneller US-Amerikaner auf. »Nachdem Sie da draußen so lange warten mussten. Ich habe gesehen, wie Sie sich Selwyn geöffnet haben. Selwyn taucht immer auf, wenn wir Gruppenaufnahme machen.« »Was meinen Teil anbelangt, ich glaube, er leidet vor Geisteskrankheit.« Marathe fiel auf, dass das eine Bein der Frau weit dünner von dem anderen war. Auch lenkte ihn die Gewohnheit ab, immerzu vorzugeben, die Nase hochzuziehen. Das falsche Nasehochziehen kam aus Sie schlug diese Beine übereinander. Zwei Autohupen ertönten voller Macht auf der Avenue weit jenseits des konkaven Fensters von ihrem Schreibtisch. »Dieser Selwyn, er rate te mir, Ihre Tiere zu streicheln, wofür ich Bedauern hege, denn ich werde
nicht.« Die Frau lachte lautlos und beugte sich über den überkreuzten Beinen vor. Einer der Hunde litt des Weiteren an Flatulenzen. »Sie haben als Staatsbürgerschaft die der Schweiz angegeben.« »Ich bin ein angesiedelter Ausländer, der nach Schore, Dschank und Äitsch süchtig ist, und ich suche verzweifelt nach der Insassenbehandlung.« »Aber haben Sie einen meldeamtlichen Wohnsitz? Mit einer Green Card? Einer Aufenthaltsgenehmigung der O.I.N.S.311?« Marathe zog aus seinem Sportsakko die Dokumente, die M DuPlessis voller Weitblick in der langen Vergangenheit anfertigen hatte gelassen. »Auch behindert. Und entstellt auch«, sagte Marathe, zuckte stoisch die Achseln und neigte den Schleier zum dunklen Teppich. Die Frau untersuchte seine O.I.N.S.-Dokumente mit den geschürzten Lippen und der Miene vom Pokerspiel, die alle O.N.A.N.Autoritäten auf das Gesicht setzten. Ihre eine Hand war verkrüppelt in der Art einer Klaue. »Wir alle kommen mit Problemen herein, Henry«, sagte sie.
»Henri. Pardon. Henri.« Eine Frau vor der Tür gleich neben dem Haupteingang vom Haus e de repos lachte in der Manier einer automatischen Schusswaffe. Nasse Geräusche waren von unter dem Hinterbein des Hundes mit den Reproduktionsorganen zu vernehmen, der den Kopf unter dem erhobenen Bein versteckte. Die Autoritätsfrau konnte ihren Körper nur aufrecht halten, indem sie die Hände auf den Tisch stützte, als sie aufstand und die Tür eines schwarzen Metallschränkchens über ihrem TP und der Konsole von ihrem Schreibtisch aufschloss und aufzog. Die Tür des alten schwarzen Metalls ging nach außen auf. Marathe prägte seinem Gedächtnis die Typennummer des Teleputers ein, der aus Indonesien und von billigen Kosten war. »Nun, Henri, in Ennet House haben wir in all den Jahren, seit ich zum Personal gehöre, Ausländer gehabt, Ausländer mit meldeamtlichem Wohnsitz und Zweitsprachensprecher, deren Englisch weit schlechter war als das Ihre.« Sie stellte sich auf das dickere Bein, um etwas herauszunehmen, das weit hinten im Schrank lag. Marathe nahm die Gelegenheit ihrer Unaufmerksamkeit wahr, um
seinem Gedächtnis die Bürotatsachen einzuprägen. A n der Bürotür hing als Schmuck ein Dreieck in einem Kreis, und sie hatte keinen Riegel für die Verschließung, sondern nur ein traurig billiges Schnappschloss im Drehgriff. Nirgends der kleine Sensor einer Mikrowellen-Alarmanlage mit standardmäßig 10525 GHz. Die großen Fenster hatten keine Drahtenden in den Rahmen. Blieb nur die Möglichkeit einer Magnetkontakt-Alarmanlage, schwer zu überbrücken, aber nicht unmöglich. Marathe sehnte sich unbändig nach seiner Frau, auch das immer ein Zeichen seiner großen Müdigkeit. Er zog zweimal die Nase hoch. Die Frau sprach ihn ins Schränkchen hinein an: » ... mir ein paar Freistellungen unterschreiben, damit wir Ihre O.I.N.5.-Dokumente kopieren und uns die Entlassung von Ihrer Entgiftung faxen lassen können - wo war die noch gleich?« »Chit Chat Farms Rehabilitation im Staat Pennsylvania. Letzten Monat.« Der A. F. R.Datenverbindungsmann in Montreal hatte versprochen, alle Unterlagen ohne Verzug zu arrangieren. »Die ist in ... wo, Wernersdale?«
Marathe legte den verschleierten Kopf ganz leicht auf die Seite. »Wernersberg in Pennsylvania.« »Chit Chat kennen wir jedenfalls, Abgänger von Chit Chat sind hier schon durchgekommen. Höchsten ... Respekt.« Ihr Kopf und ein Arm steckten im Schränkchen. Es war anscheinend schwierig, im Schränkchen zu wühlen und dabei nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Marathe sagte sich, dass die Erkerfenster die optimale Einstiegsmöglichkeit ins Büro böten, falls das erforderlich würde, betrachtete die Versuche der Frau, das Gleichgewicht zu halten, und das alte Schränkchen. Dann blinzelte er bedächtig. Im vorderen Teil des Schränkchens lag deutlich sichtbar ein Doppelstapel aus vielen Patronen der TP-Unterhaltung. Die Frau sagte: »Und wir waren von Anfang an behindertengerecht. Gehören zu den paar Reha-Zentren in der MetroGegend, die für die Aufnahme behinderter Klienten voll ausgerüstet sind. Hat man Ihnen in Chit Chat schon erklärt, nehm ich an.« Die Wand erdröhnte unter einem heftigen Aufprall im Draußenraum, und jemand lachte oder hatte Schmerzen. Marathe zog die Nase hoch. Die Frau fuhr zu sprechen fort: » ...
warum ich überhaupt erst hergekommen bin. Ich saß am Anfang nämlich auch in einem Rollstuhl.« Sie schwankte mit einem Futterumschlag vom Schränkchen zurück. »Als ich meine Verleugnung damals aufgegeben habe, war ich nämlich so behindert, dass ich mich zum Beten nicht mal hinknien konnte, nur um Ihnen einen Eindruck zu geben, wie es um mich stand.« Sie lachte fröhlich. Sie war attraktiv. »Ich«, versetzte Marathe, »ich werde versuchen, jederzeit auf Befehl zu beten.« Als sie den Kniff der Bewerbung ausarbeiteten, hatten Fortier und er entdeckt, dass die US-amerikanische Genesung von der Sucht gewisse paramilitärische Elemente hatte. Es gab Befehle und Gehorsam. Die A. F. R. hatten Patronen mit antiken USA-Programmierungen kontrolliert, die sie mit Glück in den Lagerbeständen von Antitoi gefunden hatten, und beim Ansehen viele Dinge gelernt. Wenn Marathe beim Sagen das Gesicht angestrengt hochreckte, konnte er die Plastikrücken der Patronenhülsen lesen. Neben kleinschriftigen Titeln wie Brennweitenparameter XX L u n d Stopvolley Ex. I I lagen zwei Hüllen aus schlichtem braunem Plastik, leer bis auf - dies war
auf dem Grund von seinem Schleier, er, der so viel länger hochgekippt blieb, dass er besorgt war, die Autoritätsfrau - bis auf - aber es war schwierig von der Gewissheit, denn das Bürolicht hatte die abtötende Fluoreszenz der USA, und die Schrankmündung lag im Schatten der Schrankklappe und der Seihtuchschleier machte die Scharfstellung von seinem Auge schwach - bis auf vielleicht winzige runde Gesichter aus eingeprägtem Lächeln auf den braunen Hüllen. Marathe spürte plötzlich die Erregung von ihm selbst - M Hugh Steeplys Formulierung für dieses war aus himmlischem Heiter gewesen. Auch die Autorität sprach: »Ganz zu schweigen von L.A.R.Y.E.Mitgliedern, was Sie interessieren dürfte.« Dabei auf den Schleier von Marathe deutend, den keiner erwähnte. Die Frau wollte ein Blatt mit blasser Druckerschrift mittels einer Büroklammer an einem Pappdeckel befestigen. »Tatsache ist, dass kürzlich e r s t ein L.A.R.Y.E.Mitglied Insassin bei uns geworden ist.« Marathe blinzelte noch zweimal. Er sagte: »Ich bin entstellt, ich.« »Sie könnte Ihnen helfen, sich einzubringen. Sich zu identifizieren.
Wäre auch für sie gut.« Marathe hatte angefangen, alle Einzelheiten von jedem Augenblick, seit er das Hause de repos Ennet H o u s e berollt hatte, in seinem Arbeitsspeicher abzulegen. In einer anderen Partie von seinem Gehirn überlegte er, ob er zuerst M Fortier Bericht erstatten sollte oder Steeply vom U.S.B.S.S., dessen Kontaktnummer immer die Vorwahl 8000 hatte, wie er gejuxt hatte. In einer anderen Partie fragte er sich, ob er begierig wirken sollte, hier jetzt die Darstellerin der Unterhaltung kennenzulernen, eine Schleierkollegin. Und überlegte, worauf ein verzweifelter Süchtiger seine Begierde richten würde. Während dieses ganzen Denkens lächelte Marathe die Frau breit an, vergessend, dass sie es nicht sehen konnte. »Das ist ein glücklicher Fall«, sagte er schließlich. »Ihre Gesichtsprobleme -«, konstatierte die Person und beugte sich über den überkreuzten Beinen auf dem Stuhl vor. »Haben die mit Ihrem Drogenkonsum und Missbrauch zu tun? Hat man mit Ihnen im Chit Chat am Fortschritt, an A.D.B.G.s312 und dem Einräumen von Konsequenzen gearbeitet?« Marathe hatte jetzt keine Eile mehr, aufzubrechen
und zu chez Antitoi zurückzukehren. Er machte sich seine Fähigkeiten zunutze, komplexe Sätze der Tarnungsgeschichte seiner Sucht aufzusagen und in derselben Zeit des Aufnahmegesprächs die Gesichter und ürte aller Personen in Ennet House abzuspeichern, die er gesehen hatte. Denn sie würden zurückkehren, die A. F. R., und vielleicht auch die Dienste ohne Spezifizität von Steeply und Tine. Er hatte die Fähigkeit, das Denken von seinem Gehirn verschiedene Geleise verfolgen zu lassen. »Die Beine - ich mache eine Überdosis in Bern, das ist in meinem Heimatland Schweiz, als ich all eine bin, und ich falle mit dem Gesicht voran, und meine Beine bleiben - wie man sagt? - verknäult auf dem Stuhl, auf dem dieses Spritzen, dieser Fix, sich ereignete. Ein Dämliches. Ich liege ohne bewusst oder bewegt für viele Tage, und meine Beine, sie comment-on-dit? - sie sind schläfrig, sie verlieren die Zirkulation, erleiden Gangrän, werden infektiös.« Marathe zog die Nase hoch und zuckte stoisch die Achseln. »Auch die Nase und der Mund von der Gesichtsquetschung vom Liegen mit dem Gesicht vornüber in einer Lage ohne bewusst für Tage. Ich sterbe fast. Alles ist amputiert, für mein Leben. Ich
entziehe mich von Dschank, Schore und Äitsch in ['infirrniere. Ein Ergebnis von dem Missbrauch von den Drogen.« »Das ist Ihre Geschichte. Das ist Ihr erster Schritt.« Marathe zuckte die Schultern. »Meine Beine, meine Nase und oral. Alles als eine Konsequenz von dem Fortschritt. Im Chit Chat konzediere ich all die Dinge, ich erkenne, ich bin verzweifelt süchtig.« Marathe überlegte, ob sich Wege finden ließen, die Autoritätsfrau kurz aus dem Büro gehen zu lassen, sodass er sich schnell mit den Armen am Schränkchen hochziehen könnte, um die Lächelpatronenhüllen zu mustern, bevor das Schränkchen geschlossen wurde. Oder stattdessen in das Wohnzimmer für die wartenden Personen zurückzukehren unter dem Vorwand, dort umherzuhängen und zu erhaschen, wer die erwähnte Insassin mit ihrem weiblichen L.A.R.Y.E.Schleier war; denn das war das von M Fortier gegebene Ziel vom Kommen in die Hauses de repos. Marathe konnte das Faktum der Patronen an Fortier weitergeben und das der verschleierten Frau an Steeply oder entgegengesetzt. Die Müdigkeit kehrte zurück. Aber Steeply, bevor er zum offenen Handeln überging, er
würde Bestätigung wünschen, dass die Patronen im Schränkchen wahre Exemplare der Unterhaltung waren und nicht die leeren und witzhaften F. L. Q.Auslagen. Von dem Kopf ging wirklich ein schwaches Surren aus, stellte er sich vor. Marathes Waffe steckte im Holster unter dem Sitz von ihm, verborgen von der karogemusterten Decke von seinem Schoß. Die Person von der Autorität so leicht zu töten, war zu dieser Zeit des Nichterhaschens von der Frau i nuti l e, sagte er sich, zudem unpraktisch vor umgebenden Zeugen. Auf ebenen Flächen erreichte Marathes fauteui l über kurze Strecken eine Geschwindigkeit von 45 km/ho Die Autoritätsfrau kämmte sich das leuchtende Haar mit der Klaue von ihrer entstellten Hand. Sie sagte zu Marathe, dem falschen Süchtigen, dass sie seine Ehrlichkeit ermutigend fand, und er solle diese Formulare für die Übergabe unterschreiben. Während Marathe langsam den Namen eines verstorbenen Sachbearbeiters für Gesundheitsleistungen in der Caisse de Depot et Placemen313hinschrieb, erkundigte sich die Frau, wie er das Ausmaß seiner Bereitwilligkeit einschätze. Die ganze Familie war lausig mit ihren
Geheimnissen, sagte sie sich, und das trug zur Traurigkeit des truthahnlosen Abendessens bei. Vor anderen, sich selbst, ihm selbst. Ein großes Geheimnis war diese Selbsttäuschung, offenkundige Exzentrizität mit Offenheit gleichzusetzen. Dass sie also alle »genauso verrückt sind, wie sie scheinen« in der Wendung des Punters. Die Familien unserer Geliebten verstehen wir alle intuitiv besser als unsere eigenen, wusste sie. Charlotte Treats Gesicht glänzte; die tiefen Wangennarben waren von dunklerem Rot als die Umgebung. Unter dem feuchten Michelob-Dry- TShirt traten die Rippen hervor, und ihr Hals bekam langsam das magere, von der Kathexie herrührende Aussehen. Sie sah aus wie ein gerupftes Huhn. Kate Gomperts Bett war ungemacht, ein gelbes Taschenbuch mit dem Titel Sich gut Fühlen lag aufgeschlagen und umgedreht auf der Matratze und wellte sich langsam. Joelle überfiel die seltsame Angst, Gompert, die sie auch in ihren besten Augenblicken äußerst nervös machte, könne hereinkommen und Joelle sehen, die mit den Haaren u n t e r einem Kopf tuch und feucht klebendem Schleier das Zimmer putzte. Mit den letzten KleenexTüchern staubte sie die fünf Nachttische ab und
Tüchern staubte sie die fünf Nachttische ab und wischte in sorgfältigen Ringen um die Gegenstände herum, die sie nicht berühren durfte. Eine gewisse Kitzligkeit der Situation ergab sich dann, als die Frau des Hause de repos den Anbau von einem Platz für Marathe anbot. Der verzweifelt süchtige Henri der Schweizer könne diese Nacht auf der Bettcouch im hinteren Büro schlafen, sagte sie, wenn er sich mit dem Chaos und den gelegentlich auftretenden Insekten im hinteren Büro anfreunden könne. Die Frau hatte eine schwache Stelle der sympathique für die Behinderten, erkannte Marathe. Für Kitzligkeiten der Situation waren von Fortier keine Sätze vorbereitet worden, um dieses Angebot eines Anbaus der Stelle von der Behandlung im Hause de repos abzulehnen. Die Autoritätsfrau lächelte, sie sähe in seinem Spiel mit den Rädern d e s fauteui l den süchtigen Kampf zwischen Verzweiflung und Verleugnung, sagte sie. Marathe berechnete schnell, ob er fälschlicherweise annehmen und eine Nacht hier verbringen sollte, um die Beschreibung der verschleierten L.A.R.VE.Patientin selbst in Augenschein zu nehmen, oder ob er hinausfahren und mit einem Primatenzahn
zum nächstgelegenen privaten Telefonierort fahren sollte, um die A. F. R. im Geschäft über die Möglichkeit zu alarmieren, dass es hier in diesem Hause de repos echte Patronen der Unterhaltung gab, vielleicht sogar einen duplikatierbaren Master oder die vom F. L. Q. behauptete Heilpatrone eines Anti-Samisdat, dann zu chez Antitoi zurückzukehren, später mit quietschender Gewalt wieder zum H ouse de repos zu fahren und sowohl die Patronen als auch die verkleidete Darstellerin zu requirieren, falls sich die L.A.R.VE.-Patientin in Behandlung als die maskierte Darstellerin erweisen sollte. Der Techniker vom Radio hatte versiert von Schleier und Paravent dieser Person gesprochen. Marathe berechnete auch, ob er statt der Nummer von Antitoi Entertainent die kostenlose 24-Stunden- Vorwahl von Monsieur / Mademoiselle Steeply wählen und dieselbe Information schlussendlich dem Bureau des Services sans Specificite übermitteln sollte, womit er auf die O.N.A.N. und gegen Fortier setzte, auf Gedeih und Verderb nur noch auf eine Seite setzte, um seine restenotische Frau und unterhaltungshungrigen Kinder aus den konvexitätsverheerten Wüsteneien v o n St.-Remid' Amherst herzuholen und den Rest
ihrer Leben bei ihm unter der Qual der Wahlen in den USA zu leben, bei Steeply Versteckschutz zu beantragen sowie kostspielende medizinische Versorgung für die Herz- und Kopfprobleme seiner geliebten Gertraude. Oder diese medizinische Autoritätsfrau auf die große Spinne hinter ihr hinzuweisen, ihr dann mit einer Hand das Genick zu brechen und mit der Hilfe der Telefonkonsole in diesem Büro Fortier und einen A. F. R.-Elitetrupp direkt in dieses House de repos zu beordern. Oder aber direkt Steeply und die weiß beanzugten Truppen der O.N.A.N. herzubeordern. Die Autorität machte unter dem Kinn einen Kirchturm aus ihren Fingern und musterte Marathes geneigten Kopf voller Respekt und Sympathie, aber ohne übertriebene Besorgnis, was ihm das einhändige Genickbrechen zu einer traurigen Option zu machen schien. Er gab vor, es sei nötig, die Nase hochzuziehen. Die Messieurs Fortier und Broullime, auch die anderen A. F. R.s, die er sehr gut seit den Tagen gekannt hatte, da sie zusammen angespannt unter des Himmels Mond an den Kreuzungen vieler Züge gestanden hatten - niemand von ihnen spürte wahrhaft, dass Marathe für diese Arbeit nicht mehr abgegart genug war. Dieser Marathe, er hatte den
abgegart genug war. Dieser Marathe, er hatte den Brechreiz im Magen zu bekämpfen, als er bei der technischen Vernehmung des Antitoi den angespitzten Stiel des manche C l balai-Besens durch die Innereien des Antitoi stieß, und hatte später in der Gasse unter Heimlichkeit kotzen müssen. Einer der Bürohunde kaute in seinem Elend mit großer Inbrunst an seiner Lende. In den U.S.A. der O.N.A.N. würde M/Mlle Hugh/Helen Steeply vom geheimen U.S.B.U.O./U.S.B.S.S. die Familie von Marathe unter obskuren vorstädtischen Adressen verstecken, mit Papieren der Identität, die von Spezialisten ohne Tadeligkeit und Argwohn angefertigt würden; und Marathe, seine Vertrautheit mit dem Wissen um Quebecer Protestbewegungen würde reich belohnt, wenn Notre Rai Pays erst sezediert wäre, um sich allein den Zorn von chanteur-fou Gentle zuzuziehen. Der A. F. R.Triumph der Dissemination der tödlichen Unterhaltung würde für Marathes freundlichen Empfang durch Gentle sowie die geliebte Behandlung von Herzkammer und Schädelfehlen seiner Frau sorgen. Marathe stellte sich vor, wie Gertraude mit goldenem Helm und Haken mühelos durch kostspielige Röhrchen atmete. Die Variable
durch kostspielige Röhrchen atmete. Die Variable der Berechnung war, wie lange er bleiben und für die Dissemination arbeiten musste, bevor er in die Sicherheit des amerikanischen Empfangs springen konnte. Fortiers Zorn über Marathes »perdant son coeun314würde unversöhnlich sein, und es mochte eine weisere Weise sein abzuwarten, bis die gewaltsame Abtrennung Quebecs vollzogen und die A. F. R. vollauf damit beschäftigt waren, der O.N.A.N. seine, Marathes, Quadrupeltätigkeit zu offenbaren. Das Klopfen an die Bürotür kam zeitgleich mit dem Bürobetreten einer jungen Frau mit fehlenden Zähnen, die die Kälte vom Draußen des House de repos verströmte und an der von ihr geöffneten Bürotür vorbei nur die obere Hälfte ihres Körpers hereinstreckte. »Melde mich zum Dienst, Boss«, konstatierte die junge Frau mit der näselnden Tonlosigkeit von Boston, U.S.A. D i e Autoritätsfrau reagierte mit einem Lächeln. »Noch zwei Bewerbungsgespräche, Johnette, dann bin ich weg.« »Alles Klärchen.«
»Kannst du die Leute vom Schuppen rein lassen, wenn sie Mrs Lopate holen?« Die junge und vorgebeugte Frau nickte mit dem schmalen Kopf. Ein Nasenflügel war mit einer echten Sicherheitsnadel transperce, die beim Nicken in dem Licht aus dem Neon glänzte. »Und Janice sagt, sie verpisst sich hier jetzt und ob vorher noch was ist.« Die Autorität negierte dies mit dem Kopf. Die junge Frau in der Tür sah auf Marathe hinab und sagte »Hey« oder »Eh« zur emotions neutralen Begrüßung. Marathe lächelte verzweifelt und gab vor, die Nase hochzuzi ehen. Sichtbarer Rauchgeruch zog aus dem lauten Wohnzimmer jenseits der offenen Tür herein. Marathe war fest entschlossen, bei diesem Besuch keine Genicke zu brechen, weil sich ständig mit Plötzlichkeit Körper ins Büro beugten, unerwartet. Der Rumpf der Frau wollte sich zurückziehen, als die Autorität plötzlich hochsah und sagte: »Ach und Johnette?« Die Tür schwang wieder weiter auf, als die zurückgekehrte obere Hälfte erwiderte: »Yo?« »Tust du mir einen Gefallen? Clenette H. hat aus der E. T. A. heute Nachmittag ein paar
Patronenspendis mitgebracht.« »Einmal darf ich raten?« »Die Eingeborenen werden unruhig.« Die Autorität lachte auf. »Kennt man ja.« Auch der Rumpf lachte. »Hast du gesehen, dass McDade da draußen schon wieder diesen koreanischen Streifen sieht?« »Könntest du also nach der Nachtruhe mal so viele wie möglich durchsehen und abchecken, ob sie sich eignen?« »Kein Sex und weder Drogen noch harte Drinks«, sagte die junge Frau, als riefe sie sich etwas auswendig Gelerntes ins Gedächtnis. »So viele wie du schaffst, und leg sie Janice auf den Tisch, dann kann die sie morgen zu Beginn der Tagschicht ausgeben.« Die junge Ersatzautorität malte mit zwei von ihren Fingern einen seltsamen Kreis in die Luft der Türöffnung. Eine Art Handsignal für die Chefautorität. Jeder Finger von der Hand von der Frau trug einen Ring von anderer Art. »Die Eingeborenen werden ausnahmsweise dankbar sein.«
»Sie liegen im Schränkchen bei den Aufnahmeformularen«, erklärte ihr die Autorität. »Ich seh sie in der Traumschicht durch, so viele wie geht.« »Und Johnette?« Abermals schob sich der Rumpf wieder herein. Die Autoritätsfrau sagte: »Sei so gut und halt Emil und Wade davon ab, David K. zu quälen, ja?« Marathe setzte ein breites Lächeln auf, als sich die Tür endgültig schloss und die Autorität sich mit einer Geste kurz für die Unterbrechung entschuldigte. »Ich habe nicht diese Bedeutungen für Spendis und Eingeborene, wenn ich die kühne Frage stellen darf«, sagte er. »Und etier.« Ein Lachen der Freundlichkeit. Es schien Marathe, dass dies ein glücklicher Mensch sei. »Spendis sind gespendete Artikel. Auf die wir stärker angewiesen sind, als uns lieb ist. Insassen und Ehemalige halten ständig danach Ausschau. Die gegenwärtigen Insassen nennen wir manchmal Eingeborene; das ist liebevoll gemeint. Das eben war Johnette, die gehört zum Pairsonale315. Zum Pair sonale gehören zwei ehemalige Insassen. Der eine ist gerade nicht auf d e m Posten, aber Johnette - Johnette wird Ihnen gefallen. Johnette ist Aufseherin.
gefallen. Johnette ist Aufseherin. E. T. A. sind Buchstaben. E- T-A.« Marathe gab vor, laut zu lachen. »Ich erbitte ein Pardon, denn ich dachte an ein eti er in der Aussprache meiner Heimat Schweiz.« Die Autorität lächelte mit Verständnis. »Die E. T. A. ist eine Privatschule. Wir haben meistens ein paar Insassen da oben arbeiten, Teilzeit. Die ist gleich den Hügel hoch.« Als sie sah, wie sich der Schleier durch sein Einatmen nur einen Augenblick lang tief nach innen bauschte, drückte die Autorität Überraschung auf dem Gesicht aus und sagte: »Aber Sie wussten doch wohl, dass Ennet House ein Arbeitshaus ist. Normalerweise haben unsere Insassen einen Monat Zeit, sich Arbeit zu suchen.« Marathe atmete sorgfältig aus und deutete mit leichter Geste an Aber gewiss doch.
Kap. 61 - 11. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE Die E. T. A.-Dokumentation, die Mario in diesem Herbst zusammenstellen darf, besteht teilweise aus Material, das er bei Spaziergängen durch verschiedene Teile der Academy aufgenommen hat, die Bolex H64 an den Kopf geschnallt und per Koaxialkabel mit dem Fußpedal verbunden, das er mit der einen Hand an den Sweater über der Brust drückt und mit der anderen bedient. Abends um 21.00 ist es draußen kalt. Die Innencourts sind hell erleuchtet, aber nur ein Court ist belegt; Gretchen Holt und Jolene Criess führen noch eine Art Herausforderungsmarathon vom Nachmittag zu Ende, die Hände an den Schlägergriffen blau angelaufen und die verschwitzten Haare zu elektrisch geladenen Stacheln gefroren. Sie wischen sich zwischen den Punkten die Nasen an den Ärmeln ab und tragen so viele Sweater übereinander, dass sie da draußen wie Fässer
aussehen, und Mario korrigiert nicht erst groß die Filmgeschwindigkeit, was nötig wäre, um sie durch das beschlagene Fenster von Schtitts Zimmer zu filmen, in dem er sich aufhält. Im Zimmer ist es ohrenbetäubend laut. Trainer Schtitt wohnt in Zimmer 106, neben seinem Büro im ersten Stock vom Gem.- Verw., hinter Dr. Rusks Büro und vom Foyer aus zwei Biegungen den Korridor runter. Es ist ein großes leeres Zimmer, um die Stereoanlage herumgebaut. Parkettboden, der abgezogen werden müsste, ein Holzstuhl und ein Rohrstuhl, ein Feldbett. Ein kleiner niedriger Tisch, gerade groß genug für Schtitts Pfeifenständer. Ein klappbarer Kartentisch lehnt zusammengeklappt an der Wand. Schallschluckplatten an allen Wänden, an denen keine dekorativen Elemente befestigt oder aufgehängt sind. Auch an der Decke Schallschluckplatten, und eine nackte Glühbirne mit langer Kette hängt an einem schmutzigen Ventilator mit kurzer Kette. Der Ventilator dreht sich nie, knistert aber manchmal wie schlecht verkabelt. Ein leichter Geruch nach Magic Marker hängt im Raum. Nichts ist gepolstert, kein Kissen liegt auf dem Feldbett,
nichts Weiches, was den Klang der auf dem Boden stehenden Anlage verfälschen oder verschlucken könnte, die düstere Deutschheit einer Tonanlage der Spitzenklasse, in jeder Zimmerecke ein mariogroßer Lautsprecher ohne Abdeckung, sodass alle Tieftonlautsprecher frei liegen und imposant vibrieren. Schtitts Zimmer ist schallisoliert. Das Fenster geht auf die Innencourts, der Oberbalken und das Krähennest direkt darüber verzerren die von der Court-Beleuchtung erzeugten Schatten. Das Fenster liegt gen au über dem Heizkörper, der, wenn die Anlage aus ist, ein seltsam hohles und nachhallendes wummerndes Dröhnen von sich gibt, als ginge tief im Untergrund der E. 1. A. jemand mit einem Hammer auf die Röhren los. Die kalte Fensterscheibe über dem Heizkörper ist beschlagen und erzittert leicht unter den Wagnerbässen. Gerhardt Schtitt schläft im Rohrstuhl in der Mitte des leeren Zimmers, mit zurückgeworfenem Kopf und herabhängenden Armen, die Hände von Arterien überknotet, in denen man seinen langsamen Puls sieht. Seine Füße ruhen fest auf dem Boden, die Knie hat er auseinandergestellt, weil er wegen seiner Varikozelen immer so sitzen muss. Sein Mund steht halb offen, und eine erloschene Pfeife hängt in
halb offen, und eine erloschene Pfeife hängt in einem beängstigenden Winkel in einem Mundwinkel. Eine Weile filmt Mario den Schlafenden, der uralt, weiß und zerbrechlich aussieht, gleichzeitig aber geradezu unanständig fit. Was läuft und die Fensterscheibe vibrieren lässt, sodass Kondenswassertröpfchen verschmelzen und in patronen spitzen Linien das Glas hinabrinnen, ist ein Duett, das in Tonhöhe und Emotion immer höher klettert: Ein deutscher Bariton und ein deutscher Sopran sind entweder beide sehr glücklich oder sehr unglücklich oder beides. Mario hat ein extrem sensibles Gehör. Schtitt kann nur zu unerträglich lauter europäischer Opernmusik schlafen. Er hat Mario in diverse düstere Kindheitserfahrungen an einer von BMW gesponserten »qualitätskontrollorientierten« österreichischen Akademie eingeweiht, die seine eigentümlichen REM -Gewohnheiten erklären. Der Sopran löst sich vom Bariton, erklimmt ein hohes D und bleibt einfach dort, gebrochen oder ekstatisch. Schtitt zeigt keine Regung, auch nicht, als Mario, der zur Tür will und sich mit bei den Händen die Ohren zuhält, zweimal laut hinfällt.
Die Treppenhäuser im Gemeinschafts- und Verwaltungsgebäude sind eng und nüchtern. Rote Geländer aus kaltem Stahl, dessen Rot ein Rostschutzanstrich ist. Stufen und Wände aus unverputztem und nicht überstrichenem Zement. Mit diesem sandigen Echo drinnen, das einen die Treppen so schnell wie möglich nehmen lässt. Die Salbe erzeugt Schmatzgeräusche. Die oberen Korridore sind leer. Im zweiten Stock hört man leise Stimmen und sieht Licht durch die Türritzen schimmern. Um 21.00 ist noch obligatorische Hausaufgabenzeit. Richtiges Leben kommt erst wieder um 22.00 auf, wenn die Mädchen von Zimmer zu Zimmer huschen, sich versammeln und all das tun, was Mädchengrüppchen in Bademänteln und Flauschpuschen spätabends eben so machen, bis deLint dann gegen 23.00 mit dem Hauptschalter der Schlaf trakte überall das Licht löscht. Eine einzige Bewegung: Am Ende des Korridors geht eine Tür auf und schließt sich wieder, die Vaught-Zwillinge gehen zum Badezimmer am anderen Korridorende, tragen nur ein riesiges Handtuch, und der eine Kopf zeigt Lockenwickler. Einer der Stürze in Schtitts Zimmer ging auf die verbrannte Hüfte, unter dem Verband hervorgequetschte Salbe verfärbt die Cordhose am
Beckenrand, aber Mario spürt null Schmerzen. Drei angespannte Stimmen hinter der Tür von Carol Spodek und Shoshana Abrams, Listen von Graden und Brennweiten, eine Arbeitsgruppe für die morgige Klausur in Ogilvies »Reflektionen über Refraktionen«. Hinter einer für ihn nicht genau bestimmbaren Tür sagt eine Mädchenstimme zweimal deutlich artikuliert »Steil heiß Strand See« und verstummt dann. Mario lehnt sich im Flur an die Wand und vollführt einen müßigen Schwenk. Felicity Zweig taucht aus ihrem Zimmer an der Treppe auf, hat eine Seifenschale in der Hand und ein Handtuch i n Höhe der nichtexistenten Brüste zusammengeknotet, ist unterwegs zum Klo und kommt auf Mario zu. Sie streckt eine Hand nach der Kamera auf seinem Kopf aus, hält sich mit durchgedrücktem Arm auf Abstand und sagt im Vorbeigehen: »Ich hab nur ein Handtuch um.« »Verstehe«, sagt Mario, dreht sich mithilfe beider Arme um und richtet das Objektiv auf die nackte Wand. »Ich hab nur ein Handtuch um.« Heftige kontrollierte Würglaute dringen hinter Diane
Prins' Tür hervor. Mario erwischt noch ein paar Sekunden von Zweig, die mit trippeligen Vogelschritten in ihrem Handtuch davonläuft und schrecklich zerbrechlich aussieht. Das Treppenhaus riecht nach dem Zement, aus dem es besteht. Hinter 310, der Tür von Ingersoll und Penn, hört man das leise Gummiquietschen eines Menschen, der sich an Krücken voranbewegt. In 311 brüllt jemand: »Ständerprüfung! Ständerprüfung! « Ein Großteil des dritten Stocks ist für Jungen unter vierzehn. Der Flurteppich ist hier oben ektoplasmisch gefleckt, und die Wandflächen zwischen den Türen sind mit Postern berühmter Spieler tapeziert, die für Ausrüstung werben. Jemand hat ein altes Donnay-Poster von Mats Wilander mit Ziegenbärtchen und Reißzähnen bemalt, und das Poster von Gilbert Treffert wird durch antikanadische Verunglimpfungen entstellt. Bei Otis Lord steht Krankenstation neben dem Namensschild an der Tür. Auch neben Penns Zimmertürschildnamen steht Krankenstation. Im Zimmer von Beak, Whale und Virgilio spricht jemand leise auf einen Schluchzenden ein, und Mario unterdrückt den Impuls zu klopfen. LaMont Chus Tür daneben ist über und über mit aus
Magazinen ausgerissenen Standfotos verschiedenster Spiele bedeckt. Mario lehnt sich zurück, um die Tür abfilmen zu können, als LaMont Chu in Frotteebademantel, Badeschlappen und mit nassen Haaren aus dem Bad an diesem Flurende kommt und buchstäblich »Dixie« pfeift. »Mario!« Mario dreht, wie er auf ihn zuhält, die Waden haarlos und muskulös, bei jedem Schritt tropft Wasser auf die Schultern des Bademantels. »LaMont Chu!« »Was ist Sache?« »Nichts ist Sache!« Knapp in Gesprächsweite bleibt Chu stehen. Er ist unwesentlich größer als Mario. Weiter unten im Korridor geht eine Tür auf, ein Kopf schiebt sich heraus, lässt einen Blick durch den Korridor schweifen und zieht sich wieder zurück. »Und?« Chu drückt die Brust durch und blickt in die Kamera auf Marios Kopf. »Soll ich was für die Nachwelt sagen?« »Klar!« »Was soll ich denn sagen?«
»Was dir grade in den Sinn kommt!« Chu richtet sich zu voller Größe auf und sieht durchdringend in die Kamera. Mario prüft den Entfernungsmesser am Gürtel, verkürzt die Brennweite mit dem Pedal und senkt den Objektivwinkelleicht, genau auf Chu. Die Bolex gibt ein winziges Justierungsknirschen von sich. Chu hat sich nicht von der Stelle gerührt. »Mir fällt nichts ein.« »Das geht mir auch immer so.« »Genau da, wo du mich eingeladen hast, ist mein Hirn ausgegangen.« »Halb so wild.« »Jetzt ist da drinnen nur noch weißes Rauschen.« »Kann ich mir nur zu gut vorstellen.« Stumm stehen sie da, nur der Kameramotor gibt ein leises Surren von sich. Mario sagt: »Du kommst grade aus der Dusche, wie ich sehe.« »Ich hab mich unten mit dem guten alten Lyle unterhalten.« »Lyle ist total super!« »Ich wollte eigentlich gleich da unten duschen, aber die Umkleide hat diesen, weißte, Geruch.« »Es tut immer gut, mit dem guten alten Lyle zu reden.« »Deswegen bin ich hoch.«
»Alles, was du sagst, ist sehr gut.« LaMont Chu steht einen Augenblick da und sieht Mario an, der lächelt und, wie Chu weiß, wahnsinnig gern nicken würde, aber nicht kann, weil er die Bolex stillhalten muss. »Weißt du auch warum, ich hab Lyle über das Eschaton-Debakel informiert, hab ihm erklärt, dass kaum konkrete Informationen vorliegen, dass Gerüchte in Umlauf sind, die sich teilweise widersprechen, von wegen dass Kittenplan und ein paar von den großen Kumpels die Schuld zugeschoben kriegen. Und sogar bestraft werden sollen.« »Lyle ist einfach hervorragend, wenn einen was belastet«, sagt Mario und kämpft gegen den vehementen Nickdrang an. »Lords Kopf und Penns Bein, die gebrochene Nase vom Postmann. Und was wird aus dem Incster?« »Du wirkst absolut natürlich. Das ist sehr gut.« »Ich hab dich gefragt, ob du von HaI gehärt hast, was aus dem wird, falls Tavis auch ihm die Schuld gibt. Pemulis und Kittenplan versteh ich ja noch, aber mir will nicht in den Kopf, warum Struck oder dein Bruder für das abgestraft werden sollen, was da
draußen passiert ist. Die waren die ganze Zeit über ausschließlich Zuschauer. Kittenplans Kumpel ist Spodek, und die war da draußen nicht mal dabei.« »Ich zeichne alles auf, was dich freuen dürfte.« Chu sieht jetzt Mario an, was für Mario seltsam ist, denn er blickt durch den Sucher, hat also die Perspektive des Objektivs, was bedeutet, wenn Chu vom Objektiv zu Mario runtersieht, hat Mario das Gefühl, dass Chu irgendwo unten seinen Brustkorb ansieht. »Mario, ich hab dich gefragt, ob HaI dir erzählt hat, wer jetzt was aufgebrummt kriegt.« »Sagst du das jetzt auf, oder fragst du mich?« »Frag ich dich.« Chus Gesicht wirkt durch das Fischaugenobjektiv leicht oval und konvex, bekommt etwas Vorspringendes. »Was dagegen, wenn ich das, was du jetzt sagst, für die Dokumentation benutze, die ich machen soll?« »Herrgott, Mario, benutz doch, was du willst. Ich sag nur, ich krieg Gewissenskonflikte wegen HaI und Troeltsch. Und Struck war bei dem Debakel anscheinend nicht mal ganz bei Bewusstsein.«
»Ich mächte dir gern sagen, dass ich das Gefühl habe, wir kriegen hier den total echten LaMont Chu zu sehen.« »Mario, lass doch mal die Kamera. Ich stehe hier tropfnass da und frage dich, was Hals Eindruck war, als sie zu Tavis beordert wurden, das heißt, ob er dir Eindrücke geschildert hat. Van Vleck hat gestern beim Mittagessen gesagt, er hat gesehen, wie Pemulis und HaI aus Tavis' Büro kommen, und der Urintyp von der Association hatte beide am Schlafittchen. Van Vleck sagt, Hals Gesicht hatte die Farbe von Kaopectate.« Mario richtet das Objektiv auf Chus Badeschlappen, damit er Chu über den Sucher hinweg ansehen kann. »Sagst du das für die Kamera, oder ist das so passiert?« »Das frage ich dich, Mario: Hat HaI dir erzählt, was passiert ist?« »Ich kann dir gut folgen.« »Du hast gefragt, ob ich das frage, und ich frage dich danach.« Mario zoomt ganz nah heran: Chus Teint ist von cremigem Grün, und nirgends ein Follikel zu sehen. »LaMont, ich such dich dann und sag dir, was HaI gesagt hat, das ist ja so gut.« »Dann hast du HaI also noch nicht gesprochen?«
»Wann?« »Herrgott, Mario, das ist mit dir ja manchmal, als würde man mit einem Stein reden.« »Das läuft einfach super!« Jemand gurgelt. Guglielmo Redondos Stimme geht den Rosenkranz durch, so wie sich das anhört, direkt hinter der Tür von seinem und Esteban Reynes' Zimmer. Die Clipperton-Suite im East House war damals über einen Monat mit knallgelbem Flatterband vom B.P.D. abgesperrt, erinnert sich Mario. Die Tür der Jungentoilette ist aus anderem Holz als die Zimmertüren. An der Clipperton-Suite klebte ein Bild, auf dem Ross Reat so tat, als küsste er Clipperton am Netz den Ring. Das Rauschen einer Toilette und das Quietschen einer Kabinentür. Die Academy hat Hochdruckspülungen. Eine Treppe hinabzusteigen, dauert bei Mario länger als das Hochsteigen. Er bekommt rote Rostschutzflecken an den Händen, so fest muss er das Geländer umklammern. Der besonders schalldämpfende Teppich im Foyer und der Geruch nach einer bestimmten Sorte Benson & Hedges im ans Foyer angrenzenden Empfangsbereich. Die kleinen Türen im Flur, die
immer geschlossen und nie abgeschlossen sind. Die Gummiüberzüge der Klinken. Benson & Hedges kosten im Lebensmittelladen Father & Son unten am Hügel 5,60 O.N.A.N.-Dollar das Päckchen. Lateral Alice Moores Tischschild GEFAHR: DRITTE SCHIENE ist unbeleuchtet und ihre Textverarbeitungsapparatur mit dem Mattplastiküberzug abgedeckt. Auf den blauen Stühlen zeichnen sich schwach die Umrisse menschlicher Hinterteile ab. Das Wartezimmer ist leer und schummrig. Etwas Licht fällt von den beleuchteten Courts draußen herein. Unter den Doppeltüren dringt Licht in den Flur, stark gedämpft durch die Doppeltüren des Rektorenzimmers, dem Mario nicht nachgeht; Marios Gegenwart zermürbt Tavis zu solchen Fleuretten, dass es allen Beteiligten unangenehm ist.316 Wenn man Mario fragte, wie seine Beziehung zu seinem Onkel C. T. war, sagte er: Gut. Der Belichtungsmesser der Bolex ist im Keine-Chance-Bereich. Das Licht im Wartezimmer stammt größtenteils aus dem türlosen Büro der Frauenbeauftragten: Was bedeutet, die Moms ist ANWESEND. Schwerer Veloursteppich ist für Mario besonders
tückisch, wenn er wegen der Ausrüstung kopflastig ist. Avril Incandenza, die Lichtanbeterin, hat sämtliche Oberlichter an, zwei Deckenfluter sowie ein paar Schreibtischlampen, und eine B&HZigarette glimmt im großen Tonaschenbecher, den Mario ihr an der Rindge and Latin getöpfert hat. Sie hat sich auf ihrem Drehstuhl herumgedreht, das Gesicht dem großen Fenster hinter ihrem Schreibtisch zugewandt, und hört jemandem am Telefon zu, die Sprechmuschel wie eine Geige unter dem Kinn, einen Hefter in der Hand, dessen Beschickung sie kontrolliert. Ihr Schreibtisch zeigt eine Skyline aus Aktenordnerstapeln und sauber kreuzweise gestapelten Büchern; nichts kann ins Rutschen kommen. Das von Mario einsehbare aufgeschlagene Buch obenauf ist das Grundlagenwerk Introduction to Montague Semantics von Dowty, Wall und Peters317 mit den einfach faszinierenden Illustrationen, die sich Mario diesmal aber nicht anschaut, der lieber von hinten und ohne dass sie es merkt den schräg gelegten Kopf der Moms und die ausgefahrene Telefonantenne vor ihrem Haarkumulus filmen will. Das Geräusch, mit dem Mario ein sei es auch mit
Veloursteppichen ausgelegtes Zimmer betritt, ist jedoch unverkennbar, außerdem sieht sie sein Spiegelbild im Fenster. »Mario!« Sie hebt die Arme zu einem V, den offenen Hefter in der Hand, dem Fenster zugewandt. »Die Moms!« Es sind gut zehn Meter an Seminartisch, Bildschirm und Rolltafel vorbei in den hinteren Teil des Büros, wo der Schreibtisch steht, jeder Schritt auf dem tiefen Veloursteppich ist riskant, und Mario ähnelt einem osteoporotischen Tattergreis oder einem Menschen, der mit zerbrechlichen Gegenständen beladen einen rutschigen Hügel hinabsteigt. »Hallo!« Sie wendet sich an sein Spiegelbild im viergeteilten Fenster und verfolgt, wie er das Pedal vorsichtig auf den Tisch legt und mit der Apparatur auf dem Rücken kämpft. »Du doch nicht«, sagt sie ins Telefon. Sie deutet mit dem Hefter auf das Abbild der Bolex auf dem Abbild seines Kopfes. »Sind wir auf Sendung?« Mario lacht. »Wenn du möchtest.« Sie sagt ins Telefon, sie ist noch dran, und Mario ist gerade hereingekommen. »Ich möchte dein Gespräch nicht stören.«
»Sei nicht albern.« Sie spricht am Telefon vorbei Richtung Fenster, rotiert mit dem Drehstuhl, um Mario anzusehen, wobei die Telefonantenne einen Halbmond beschreibt und jetzt auf das Fenster hinter ihr zeigt. Vor ihrem Schreibtisch stehen zwei blaue Stühle wie die im Empfangsareal; sie lädt Mario nicht ein, sich zu setzen. Mario steht am liebsten und lehnt sich in die Unterstützung des Polizeischlosses, das er jetzt vom Gewebebrustpanzer lösen und absetzen will und gleichzeitig versucht, das Gerät vom Rücken zu streifen. Avril sieht ihn mit dem Blick einer brillanten Mutter an, die sich einfach schon freut, wenn sie ihr Kind nur sieht. Sie bietet ihm keine Mithilfe dabei an, die Bleischiene aus dem Gerät zu lösen, weil sie weiß, dass er keinerlei Probleme hätte, sie um Hilfe zu bitten, wenn er sie bräuchte. Sie hat das Gefühl, dass diese zwei Söhne die Menschen in ihrem Leben sind, mit denen so wenig von Bedeutung ausgesprochen werden muss, dass es eine wahre Freude ist. Die Bolex, das Tragjoch und der Sucher über seiner Stirn und seinen Augen geben Mario etwas Unterwasserhaftes. Die Handgriffe, mit denen er das Polizeischloss richtet und fixiert, sind zugleich unelegant und geschickt.
Die beleuchteten Innencourts, die inzwischen verwaist sind, sind aus Avrils Fenster zu sehen, wenn man sich weit vorbeugt und nach links hinausschaut. Am Netzpfosten von Court 17 hat jemand eine Sporttasche und ein paar Stöcke vergessen. Gesprächspausen der beiden sind völlig unkompliziert. Mario weiß nicht, ob der Mensch am Telefon noch redet oder ob Avril den Hörer nach beendeter Verbindung nur noch nicht aufgelegt hat. Sie hat immer noch den schwarzen Hefter in der Hand. Seine Klemmbacken stehen offen, und er sieht in ihrer Hand wie ein Alligator aus. »Warst du zufällig gerade in der Gegend und wolltest mal hallo sagen? Oder soll ich heute Abend gefilmt werden?« »Du kannst gefilmt werden, Moms.« Erschöpft lässt er den großen Kopf kreisen. »Es macht müde, sie zu tragen.« »Sie ist ja auch schwer. Ich hab sie auch schon gehalten.« »Sie ist gut.« »Ich weiß noch, wie er sie zusammengebaut hat. Er hat sich solche Mühe damit gegeben. Ich glaube, es war das letzte Mal, dass er an etwas echten Spaß
gehabt hat.« »Sie ist toll! « »Er hat Wochen gebraucht, bis alles zusammenpasste.« Er sieht sie auch gerne an und beugt sich dabei demonstrativ vor, damit sie es auch weiß. Jeder ist für den anderen der einzige Mensch, der einfach nicht peinlich zu berühren ist. Sie ist selten so spät noch hier; sie hat ein großes Büro im Rh. Es gibt nur einen einzigen Hinweis auf ihre Müdigkeit: Ihre Haare bilden einen großen weißen Wirbel, einen Haartsunami, der auf nur einer Seite, der mit dem Telefon, bis zur Antenne hochbrandet. Soweit sich Mario zurückerinnern kann, war ihr Haar schon schneeweiß, als sie sich über den Brutkasten beugte. Ihr Vater hat auf Fotos die gleichen Haare. Es fließt über Sessel- und Armlehnen und reicht bis über die Ellbogen. Unter dem Scheitel ist die rosige Kopfhaut zu sehen. Ihre Haare sind immer frisch gewaschen und sorgfältig gekämmt. Um den Hals h a t sie eine von Mr deLints großen Trillerpfeifen hängen. Der große Haarwirbel wirft einen verzerrten Schatten auf das Fensterbrett. Beidseits des Fensters hängen an Messingpfählen schlaff eine
Fahne mit dem Ahornblatt und ein Sternenbanner mit 50 Sternen; in der hintersten Ecke baumeln Schwertlilienwimpel an langen spitzen polierten Stangen. In c.T.s Büro gibt es die O.N.A.N.-Fahne und ein Sternenbanner mit 49 Sternen.318 »Ich hatte oben eine spitzenmäßige Dialogkonnexion mit LaMont Chu. Aber ich habe das Mädchen Felicity gefilmt, die total dünne - sie hat sich aufgeregt. Sie hat gesagt nur ein Handtuch.« »Felicity wird darüber hinwegkommen. Du flanierst also einfach. Peripatetische Aufnahmen.« Sie weigert sich, ihre Ausdrucksweise anzupassen und von oben herab mit ihm zu reden. Das wäre unter seiner Würde, obwohl es ihm anscheinend nichts ausmacht, wenn die meisten Menschen ihn von oben herab anreden. Sie erkundigt sich auch nicht nach der Brandwunde an seinem Becken, solange er nicht selbst darauf zu sprechen kommt. Sie gibt sich Mühe, zu Marios Gesundheitsfragen nie ihren Senf dazuzugeben, außer er erwähnt sie selbst, weil sie Angst hat, es könne aufdringlich oder erstickend wirken. »Ich hab dein Licht gesehen. Warum ist die Moms noch hier, hab ich mich gefragt.«
Theatralisch fasst sie sich an den Kopf. »Frag lieber nicht, ich fang sonst an zu nölen. Morgen wird die Hölle.« Mario hat gar nicht gehört, wie sie sich von dem Mann am Telefon verabschiedet hat, bevor sie auflegte, sodass die Antenne jetzt auf Marios Brust zeigt. Sie drückt die Kippe ihrer Benson & Hedges auf der Hahnenkammablage aus, die er zusammengeknetet, mit Karatehieben geformt und in der Schalenmitte fixiert hatte, nachdem sie gesagt hatte, die hätte sie gern als Aschenbecher. »Ich seh dich unheimlich gern so dastehen, ganz für die Arbeit ausgerüstet«, sagt sie. »Auf Beutezug.« Sie drückte einzelne Funken im Schälchen aus. Sie hatte das Gefühl, Mario mache sich Sorgen, wenn sie in seiner Gegenwart rauchte, obwohl er sich diesbezüglich nie in irgendeiner Weise geäußert hatte. »Ich habe um 7.00 einen Frühstückstermin, und deshalb muss ich für die Vormittagskurse jetzt büffeln und pauken, und darum bin ich wieder hierher zurückgeeiert, statt alles hin- und herzuschleppen. « »Bist du müde?« Sie lächelte ihn bloß an. »Die ist aus.« Er zeigte sich auf den Kopf. »Ich hab sie ausgestellt.«
Wenn man die beiden sah, wäre man nie auf den Gedanken gekommen, sie für verwandt zu halten, so wie die eine dasaß und der andere vorgeneigt dastand. »Isst du mit uns? Bevor du eben aufgetaucht bist, hatte ich gar nicht an das Abendessen gedacht. Ich weiß auch nicht, was es heute gibt. Wunder Sonder Zahl.319 Truthahnknorpel. Dein Schlafsack liegt neben dem Radio. Bleibst du wieder? Charles ist noch bei der Konferenz, hat er, glaub ich, gesagt.« »Über das Debrakel beim Eschaton und der Nase vom Postmann?« » E i n e Zeitschriftenfrau ist da und will eine Reportage über deinen Bruder machen. Chades spricht mit ihr anstelle irgendwelcher Schüler. Wenn du Lust hast, kannst du mit ihr über Orin reden.« »Sie ist auf Beutezug nach HaI, hat Ortho gesagt.« Avril hat eine ganz eigene Art, den formschönen Kopf in seiner Gegenwart auf die Seite zu legen. »Dein armer Onkel Chades ist seit heute Nachmittag mit Thierry und der Journalistin zusammen.« »Hast du mit ihm gesprochen?«
»Ich habe versucht, deinen Bruder abzufangen. Er ist nicht in eurem Zimmer. Mary Esther hat gesehen, wie dieser Pemulis vor der Hausaufgabenzeit mit dem Abschleppwagen losgefahren ist. Ist HaI mitgefahren, Mario?« »Ich habe HaI seit dem Mittagessen nicht gesehen. Da hat er gesagt, er hätte eine Zahnsache.« »Ich habe erst heute erfahren, dass er einen Termin bei Zegarelli hatte.« »Er wollte wissen, wie es der Brandwunde an meinem Becken geht.« »Nach der ich mich nicht erkundigen werde, es sei denn, du möchtest darüber sprechen, wie die Heilung vorangeht.« »Ganz gut. Und HaI hat gesagt, er möchte, dass ich zurückkomme und dort schlafe.« »Ich habe ihm zweimal aufs Band gesprochen und gefragt, wie es mit dem Zahn gelaufen sei. Spätzchen, ich mache mir Vorwürfe, weil ich nicht für ihn da war. HaI und seine Zähne.« »Hat C. T. gesagt, was passiert ist? War er sauer? War das eben C. T. am Telefon?« Mario versteht nicht, warum die Moms mit c.T. telefoniert, wenn er doch hinter seiner Tür auf der anderen Korridorseite
doch hinter seiner Tür auf der anderen Korridorseite ist. Wenn sie nicht rauchte, hatte sie oft einen Stift im Mund; Mario wusste nicht, warum. Auf dem Schreibtisch steht ihr Schulbecher mit bestimmt hundert blauen Stiften drin. Sie strafft sich gern auf ihrem Bürostuhl, setzt sich extra aufrecht hin und packt in herrischer Pose die Armlehnen. Sie erinnert Mario dann an etwas, das er nicht ganz einordnen kann. Taifun, denkt er immer. Er weiß, dass sie ihm gegenüber nicht bewusst herrisch auftritt. »Wie war denn dein Tag? Erzähl doch mal.« »Du, Moms?« »Ich habe mich vor Jahren entschlossen, die Haltung einzunehmen, dass ich meinen Kindern vertraue und mich unter keinen Umständen mit dem Hörensagen Dritter abgebe, wenn die Nachrichtenwege mit meinen Kindern frei und von Vorurteilen unbelastet sind, wie sie das glücklicherweise sind.« »Das halte ich für eine echt gute Haltung. Du, Moms?« »Es fällt mir also nicht schwer abzuwarten, bis dein Bruder mir von Eschaton, Zähnen und Urin erzählt, und er wird in dem Augenblick zu mir kommen, den
er für angebracht hält.« »Du, Moms?« »Hier, Spätzchen.« Tycoon ist das Wort, an das ihre gebieterische Sitzweise erinnert, wie sie die Stuhllehnen packt, einen Stift zwischen den Zähnen wie die Zigarre eines Geschäftsmanns. Im schweren Velours waren weitere Abdrücke zu sehen. »Moms?« »Ja ?« »Kann ich dich was fragen?« »Ja gern.« »Die ist aus«, sagte er und deutete wieder auf die stumme Apparatur auf seinem Kopf. »Geht es denn um etwas Vertrauliches?« »Es ist kein Geheimnis. Ich habe mich den ganzen Tag über etwas gefragt. In Gedanken.« »Ich bin jederzeit für dich da, Tag und Nacht, Mario, so wie du für mich, wie ich für HaI und wie wir alle füreinander.« Sie machte eine schwer zu beschreibende Geste. »Genau hier.« »Moms?« »Ich bin genau hier, und du hast meine ungeteilte Aufmerksamkeit.«
»Wie weiß man, wenn jemand traurig ist?« Ein flüchtiges Lächeln. »Ob jemand traurig ist, meinst du?« Eine Erwiderung des Lächelns, aber ganz ernst: »Das verbessert es sehr. Ob jemand traurig ist, wie weiß man das, sodass man sicher ist? « Ihre Zähne sind nicht verfärbt; sie lässt sie ständig beim Zahnarzt reinigen wegen des Rauchens, eine ihr verhasste Angewohnheit. HaI hat die Zahnprobleme von Ihm Selbst geerbt; Er Selbst hatte fürchterliche Zahnprobleme; die Hälfte seiner Zähne bestand aus Brücken. »Du bist nicht gerade unsensibel, was andere Menschen angeht, Spätzchen«, sagt sie. »Was ist, wenn man quasi nur den Verdacht hat, dass jemand traurig ist. Wie bekräftigt man den Verdacht?« »Wie bestätigt man seinen Verdacht?« »In Gedanken.« Einen Teil der Abdrücke im Teppich erkennt er als die von Schuhen, manche sind aber anders, fast wie Knöchel. Dank seiner lordotischen Haltung kann er Dinge wie Teppichabdrücke gut erkennen.
»Wie würde ich für meinen Teil meinen Verdacht bestätigen, dass jemand traurig ist, meinst du?« »Ja. Gut. Genau.« »Nun, der oder die Betreffende könnte weinen, schluchzen, heulen, in manchen Kulturen auch klagen, jammern oder seine oder ihre Kleidung zerreißen.« Mario nickt ermutigend, sodass der Kopfaufbau zu scheppern anfängt. »Und in Fällen, wo sie nicht weinen oder zerreißen? Und wo du trotzdem den Verdacht hast, dass sie traurig sind?« Mit der Hand dreht sie den Stift im Mund wie eine edle Zigarre. »Er oder sie könnte auch seufzen, Trübsal blasen, finster dreinsehen, halbherzig lächeln, niedergeschlagen wirken, zusammensacken oder mehr als üblich auf den Boden starren.« »Und wenn nicht?« »Er oder sie könnte seine Traurigkeit auch durch Zerstreutheit ausagieren oder das Interesse an früheren Liebhabereien verlieren. Er oder sie könnte Faulheit zur Schau stellen, Lethargie, Müdigkeit, Trägheit - eine Art passiven Widerwillen, deine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Erstarrung.«
»Was noch?« »Sie können ungewöhnlich bedrückt wirken, still, buchstäblich geknickt.« Mario lehnt sich mit dem ganzen Gewicht in das Polizeischloss, wodurch sein Kopf vorsteht, seine Miene ist zerdetscht und drückt Verwirrung aus, im Versuch, etwas Kniffliges aufzudröseln. Pemulis nannte es Marios Datensuchgesicht, und das mochte Mario. »Was ist, wenn sie manchmal noch weniger geknickt als normal wirken? Und du trotzdem in Gedanken diesen Verdacht hast?« Im Sitzen ist sie ungefähr so groß wie Mario, wenn er steht und sich vorbeugt. Jetzt sehen sie einander nicht richtig an, sondern beide ein paar Grad daneben. Avril tippt sich mit dem Stift an die Schneidezähne. Ihr Telefonlämpchen blinkt, aber kein Läuten ertönt. Die Antenne des Handapparats deutet immer noch auf Mario. Ihre Hände entsprechen nicht ihrem Alter. Sie hievt den Chef s es s el etwas zurück, um die Beine übereinanderzuschlagen. »Möchtest du mir sagen, ob wir hier über einen bestimmten Menschen sprechen?«
»Du, Moms?« »Gibt es einen bestimmten Menschen, den du der Traurigkeit verdächtigst? « »Moms?« »Geht es um HaI? Ist HaI traurig und kann aus irgendwelchen Gründen noch nicht darüber sprechen?« »Ich wüsste nur gern, wie man sich da im Allgemeinen sicher sein kann?« »Und du hast keine Ahnung, wo er ist oder ob er das Gelände heute Abend traurig verlassen hat?« Das Mittagessen war heute genau dasselbe wie gestern gewesen: Pasta mit Thunfisch und Knoblauch, außerdem dickes Weizenbrot, der obligatorische Salat, Milch oder Saft und ein Schälchen Birnen in Saft. Mrs Clarke hatte sich vormittags krankgemeldet, denn als sie am Morgen zur Arbeit gekommen war, erzählte Pemulis beim Mittagessen, hätte eine der Frauen von der Frühstücksschicht erzählt, da hätten an der Wand Besen in einem Besen-X gehangen, aus heiterem Himmel, an der Wand, als sie in aller Frühe gekommen sei, um den Wheatina-Kessel
anzuheizen, und niemand wüsste, wie die Besen da hochgekommen seien oder wer sie da angeklebt habe und warum, und das habe Mrs Clarke aufgeregt, dabei war die doch seit lange vor der E. T. A. bei den Incandenzas und ließ sich nicht so leicht aufregen. »Ich hab HaI seit dem Mittagessen nicht mehr gesehen. Er hatte einen Apfel in Stücke geschnitten und mit Erdnussbutter bestrichen, anstelle der Birnen im Saft.« Avril nickt heftig. »LaMont wusste auch nichts. Mr Schtitt schläft im Sessel in seinem Zimmer. Du, Moms?« Avril Incandenza kann einen Filzstift im Mund ohne Hilfe der Hände aus einem Mundwinkel in den anderen schieben; sie macht das aber immer unbewusst. »Also ob wir hier über einen bestimmten Menschen sprechen oder nicht.« Mario lächelt sie an. » Al s o hypothetisch könntest du bei jemandem vielleicht eine Art ganz seltsame Traurigkeit spüren, die wie eine Art Dissoziation vom Selbst aussieht, Spätzchen.«
»Dissoziation kenn ich nicht.« »Na, Schatz, du kennst aber doch die Wendung >nicht man selbst<>er ist heute nicht ganz er selbst< zum Beispiel«, und dabei beugt und streckt sie die Finger und macht An- und Abführungszeichen um das Gesagte herum, was Mario nur zu gern hat. »Anscheinend gibt es Menschen, die eine tief sitzende Angst vor ihren eigenen Gefühlen haben, besonders vor den schmerzhaften. Kummer, Schmerz, Traurigkeit. Traurigkeit vielleicht sogar ganz besonders. Dolores sagt, solche Menschen h a b e n Angst vor der Auslöschung, vor dem emotionalen Verschlungenwerden. Als hätte etwas wirklich und wahrhaftig Gefühltes kein Ende oder keinen Boden. Als würde es unendlich und könnte sie verschlingen.« »Verschlingen bedeutet auslöschen.« »Ich möchte darauf hinaus, dass solche Menschen in der Regel nur ein sehr schwach ausgeprägtes Selbstgefühl haben. Von ihrer Existenz allgemein. Diese Deutung ist >existenziell<, Mario, das heißt, sie ist schwammig und etwas spinnert. Aber ich glaube, in manchen Fällen kann sie zutreffen. Mein Vater hat Geschichten von seinem Vater erzählt,
dessen Kartoffelhof in St. Pamphile weit größer war als der meines Vaters. Mein Großvater hatte einmal eine phantastische Ernte eingebracht und wollte den Gewinn investieren. Das war Anfang der zwanziger Jahre, als sich mit Firmenneugründungen und neuen amerikanischen Produkten viel Geld verdienen ließ. Offenbar schoss er sich auf zwei Alternativen ein Punsch aus Delaware oder ein obskurer süßer Kaffeeersatz mit Kohlensäure, der aus MineralwasserSpendern in Drugstores verkauft wurde und angeblich Spuren von Kokain enthielt, was damals für großes Aufhebens sorgte. Der Vater meines Vaters entschied sich für Delaware-Punsch, der anscheinend wie ranziger Preiselbeersaft schmeckte, und der Hersteller ging ziemlich schnell bankrott. Seine beiden nächsten Ernten wurden dann von der Kartoffelfäule dezimiert, und sein Hof musste zwangsversteigert werden. Coca-Cola ist heute Coca-Cola. Mein Vater sagte, sein Vater hätte sich aber praktisch keine Gefühle wie Zorn oder Trauer anmerken lassen. Er konnte das irgendwie nicht. Mein Vater sagte, sein Vater sei erstarrt gewesen und habe nur dann seine Gefühle spüren können, wenn er betrunken war. Anscheinend betrank er sich viermal im Jahr, beweinte sein Leben,
schmiss meinen Vater durchs Wohnzimmerfenster, verschwand für ein paar Tage und durchstreifte betrunken und wütend die Gegend von L'Islet Province.« Bei alldem hat sie Mario nicht angesehen, obwohl der sie angesehen hat. Sie lächelte. »Natürlich konnte auch mein Vater diese Geschichte nur erzählen, wenn e r betrunken war. Er schmiss nie jemanden durch ein Fenster. Er saß einfach nur in seinem Sessel, trank Ale und las die Zeitung, stundenlang, bis er aus dem Sessel fiel. Und dann fiel er eines Tages aus dem Sessel und stand nicht wieder auf, und so verschied dein Großvater mütterlicherseits. Ich hätte nie die Universität besuchen können, wenn er nicht gestorben wäre, als ich noch ein Mädchen war. Bildung für Mädchen hielt er für Verschwendung. Das war ein Mechanismus seiner Ära, nicht seine Schuld. Sein Erbe finanzierte Charles und mir das Studium.« Sie hat die ganze Zeit freundlich gelächelt, die Kippe aus dem Aschenbecher in den Papierkorb geleert, die Tonschale mit einem Kleenex ausgewischt und Aktenordnerstapel auf ihrem
Schreibtisch rechtwinklig ausgerichtet. Ein paar seltsame lange und zerknitterte knallrote Papierstreifen hängen über dem Rand des Papierkorbs, der normalerweise absolut leer und sauber ist. Avril Incandenza ist die Sorte große schöne Frau, die es nie ganz zur Hochglanzillustriertenschönheit von Weltrang gebracht hat, aber früh einen ganz schön hohen Wert auf der Schönheitsskala erreicht hatte und dort geblieben war, auch als sie alterte, und viele schöne Frauen altern auch und verlieren i hr e Schönheit. Sie ist 56 Jahre alt, und Mario genießt es immer noch, einfach nur ihr Gesicht anzuschauen. Sie hält sich nicht für schön, weiß er. Sowohl Grin als auch HaI haben verschiedene Teile ihrer Attraktivität mitbekommen. Mario betrachtet gern HaI und seine Mutter und versucht herauszufinden, welche Verschlankungen und Neuanordnungen der Gesichtszüge es braucht, um b e i attraktiven Menschen ein Frauengesicht von einem Männergesicht zu unterscheiden. Ein Männergesicht im Vergleich zu einem Gesicht, das man sofort als das einer Frau erkennt. Avril findet sich viel zu groß, um hübsch zu sein. Neben Ihm Selbst hatte sie längst nicht so groß gewirkt, denn
Selbst hatte sie längst nicht so groß gewirkt, denn der war so richtig riesig. Mario trägt kleine Spezialschuhe, die fast viereckig sind, Gewichte an den Hacken und Klettverschlüsse statt der Schnürsenkel haben, eine Cordhose, die Grin Incandenza in der Grundschule getragen hat und die Mario heute noch liebt und einer brandneuen Hose vorzieht, die er geschenkt bekommen hat, sowie einen warmen Rundhals-Pullover mit dem Streifenmuster eines Erdflohs. »Ich möchte darauf hinaus, dass manche Menschen Angst davor haben, echten Schmerz, echte Trauer oder richtigen Zorn auch nur mit der großen Zehe anzustupsen. Das bedeutet, sie haben Angst vor dem Leben. Sie sind in etwas eingesperrt, glaube ich. Innerlich eingefroren, gefühlsmäßig. Warum das so ist? Das weiß niemand, Spätzchen. Manche Leute nennen das »Suppression«(, wieder mit den Gänsefüßchenfingern. »Dolores meint, das geht auf Kindheitstraumen zurück, aber meiner Meinung nach stimmt das nicht immer. Es kann sein, dass manche Menschen eingesperrt auf die Welt kommen. Die Ironie dabei ist natürlich, dass sich gerade das Eingesperrtsein, das den Ausdruck der Trauer verhindert, höchst traurig und schmerzhaft anfühlen
verhindert, höchst traurig und schmerzhaft anfühlen muss. Für den infrage stehenden Menschen. Es kann sein, Mario, dass es auch hier an der Academy traurige Menschen gibt, die so sind, und du spürst das vielleicht. Du bist nicht gerade unsensibel, was andere Menschen angeht.« Mario kratzt sich wieder an der Lippe. Sie sagt: »Weißt du was« - sie beugt sich vor und schreibt mit einem anderen Stift als dem im Mund etwas auf einen Klebezettel»ich schreibe dir die B e g r i f f e Di ssozi at i on, Verschl i ngung und Suppression auf, und daneben schreibe ich ein unterstrichenes Ungleichheitssymbol und den Begriff Repression, denn die beiden Ausdrücke bezeichnen ganz verschiedene Dinge und sollten nicht als Synonyme verstanden werden.« Mario beugt sich leicht vor. »Manchmal bekomme ich Angst, wenn du vergisst, dass du einfacher mit mir sprechen musst.« »Nun, das tut mir einerseits leid, und andererseits bin ich froh, dass du mich darauf aufmerksam machst. Ich bin manchmal vergesslich. Besonders wenn ich müde bin. Ich vergesse etwas und zieh meinen Stiefel durch.« Sie legt die Ränder des
kleinen Klebezettels aufeinander, faltet ihn zur Hälfte und dann zu einem Viertel zusammen und lässt ihn in d e n Papierkorb fallen, ohne erst nachsehen zu müssen, wo der steht. Ihr Sessel ist ein hochwertiger Chefdrehstuhl aus Leder, aber er quietscht ein wenig, wenn sie sich vorbeugt oder zurücklehnt. Mario merkt, dass sie bewusst nicht auf die Uhr sieht, und hat nichts dagegen. »Du, Moms?« »Also, Menschen, die traurig sind, das Gefühl ihrer Traurigkeit aber nicht an sich heranlassen oder ausdrücken können, möchte ich hier ziemlich geschwollen sagen, solche Menschen können bei einem sensiblen Menschen den Eindruck erwecken, nicht ganz richtig zu ticken. Nicht ganz da zu sein. Leer. Weit weg. Schweigend. Weit weg. Weggetreten war ein Ausdruck, mit dem wir aufgewachsen sind. Ausdruckslos. Abgestumpft. Abgeschaltet. Weit weg. Oder sie trinken Alkohol oder nehmen andere Drogen. Die Drogen betäuben die eigentliche Trauer und ermöglichen den Ausdruck einer verzerrten Version der Traurigkeit, wo m a n beispielsweise jemanden durch das Wohnzimmerfenster in die Rabatten schmeißt, die
man nach dem letzten Vorfall gerade erst wieder so sorgfältig hergerichtet hat.« »Moms, ich glaube, ich hab's verstanden.« »Dann ist das also besser als mein langes Palaver? « Sie ist aufgestanden und gießt sich von den letzten schwarzen Resten in der Glaskanne Kaffee ein. Als sie vor dem kleinen Sideboard steht, wendet sie ihm so fast den Rücken zu. Auf einem Aktenschrank neben der Fahne liegen eine zusammengefaltete alte US-amerikanische Football- Trikothose und ein Helm. Ihre einzige Erinnerung an Orin, der weder mit ihnen spricht noch sonst wie Kontakt hält. Sie hat einen alten Becher mit der Karikatur einer Frau im Kleid, die klein und perspektivisch weit entfernt in einem kniehohen Weizenoder Roggenfeld steht, und darunter steht FÜR EINE AUF IHREM FELD HERAUSRAGENDE FRAU. A m Metallbaum des Garderobenständers in der Ecke hängt sehr ordentlich und glatt ein blauer Blazer mit den O.N.A.N.T.A.-Insignien auf einem Holzbügel. Sie hat ihren Kaffee schon immer aus dem HERAUSRAGENDEN-FELDBecher getrunken, sogar in Weston. Die Moms hängt Klamotten wie
Blusen und Blazer ordentlicher und faltenfreier auf als jeder andere Sterbliche. Der Becher hat einen braunen Längshaarriss, ist aber nicht schmutzig oder fleckig, und sie hinterlässt auch nie rosafarbene Lippenstiftspuren am Rand, so wie andere Frauen über fünfzig Becherränder röten. Mario war bis in die frühe Jugend unwillkürlich inkontinent. Sein Vater und später dann HaI hatten ihn jahrelang gewickelt, ohne daran je Anstoß zu nehmen, das Gesicht zu verziehen oder aufgebracht oder traurig zu reagieren. »Aber außer, du, Moms.« »Ich bin immer noch hier.« Avril konnte keine Windeln wechseln. In Tränen aufgelöst, war sie zu ihm gekommen, da war er sieben gewesen, hatte es ihm erklärt und ihn um Verzeihung gebeten. Sie konnte einfach nicht mit Windeln umgehen. Konnte sie einfach nicht in die Hand nehmen. Sie hatte geschluchzt und ihn um Verzeihung gebeten und ihn bekniet, ihr zu versichern, dass er verstünde, dass das nicht bedeute, dass sie ihn nicht mörderisch lieb habe oder ekelhaft finde. »Kann man sensibel auf etwas Trauriges reagieren, auch wenn der Mensch selbst das nicht kann?«
Besonders gern umfasste sie den Kaffeebecher mit beiden Händen. »Wie bitte?« »Du hast es sehr gut erklärt. Das hat sehr geholfen. Aber was ist, wenn sie quasi fast noch mehr sie selbst sind als sonst? Als sie vorher waren? Wenn er nicht leer oder stumpf ist. Wenn er noch mehr er selbst ist, als bevor etwas Trauriges passiert ist. Was ist, wenn das so ist und du trotzdem glaubst, dass er drinnen irgendwo traurig ist?« Eines ist passiert, als sie die fünfzig überschritt, und zwar bildet sich eine kleine rote Horizontale zwischen ihren Augen, wenn sie einem nicht folgen kann. Bei Ms Poutrincourt bildet sich dieselbe Linie, und die ist achtundzwanzig. »Ich kann dir nicht folgen. Wie kann jemand zu viel er selbst sein?« »Ich glaube, das wollte ich dich fragen.« »Geht es hier um deinen Onkel Charles?« »Du, Moms?« T heatralisch schlägt sie sich ob ihrer Begriffsstutzigkeit an die Stirn. »Mario, Spätzchen, bist du traurig? Versuchst du herauszubekommen, ob ich gespürt habe, dass du selber traurig bist?« Marios Blick wandert immer wieder von Avril zum Fenster hinter ihr. Notfalls kann er das Fußpedal der Bolex mit den Händen bedienen. Die turmhohen
Flutlichter über den Innencourts werfen einen seltsamen Halo in die Nacht hinauf und hinaus. Am Himmel geht ein Wind, und dunkle dünne hohe Wolken beschreiben in ihren Bewegungsmustern verwebte Windungen. All das ist draußen hinter den schwachen Spiegelbildern des hellen Zimmers zu erkennen, und oben die seltsamen kleinen Schemen der Tennisscheinwerfer wie sich überlappende Flecken. »Obwohl an meinem Himmel natürlich die Sonne unterginge, wenn ich nicht annehmen dürfte, dass du einfach zu mir kämst und mir erzähltest, dass du traurig bist. Da bräuchte es keine Intuition.« Und außerdem kann man Richtung Osten hinter allen Courts Licht in den Häusern des EnfieldMarine-Komplexes unten erkennen und dahinter die Frontscheinwerfer der Autos auf der Commonwealth, Ladenbeleuchtungen und die angestrahlte zu Boden blickende Statue auf dem Dach des St. Elizabeth's Hospitals in ihrer Robe. Nach rechts Richtung Norden ist über den verschiedensten Lichtern die rot rotierende Spitze des WYYY-Senders auszumachen, deren roter Rotationsring sich im ebenfalls sichtbaren Chades River spiegelt, der von Regen
und Schneeschmelze angeschwollen ist, fleckig illuminiert von Autoscheinwerfern auf dem Memorial und Storrow 500, angeschwollen und kabbelig, die Oberfläche ein Mosaik aus ÖIregenbogen, abgebrochenen Zweigen und schlafenden oder dösenden Möwen, die mit unter die Flügel gesteckten Köpfen auf und ab hüpfen. Die Dunkelheit hatte Form ohne Weite. Die Zimmerdecke hätte auch die Walkendecke sein können. »Skkkkk.« »Trollo?« »Skk-kkk.« »Mario.« »HaI!« »Hast du geschlafen, Troll?« »Ich glaube nicht.« »Wenn, wollt ich dich nicht wecken.« »Ist es dunkel oder liegt das an mir?« »Die Sonne geht noch nicht so bald auf, glaub ich.« »Dann ist es also dunkel.« »Trollo, ich hatte gerade einen übel scheußlichen Traum.« »Du hast ein paar mal »Danke, Sir, darf ich noch
einen haben« gesagt.« »Tut mir leid, Troll.« »Total oft.« »' tsch uldigung.« »Ich glaube, ich hab einfach durchgeschlafen.« »Mensch, Schacht hört man ja bis hier schnarchen. Man spürt die Schnarchvibrationen im Bauch.« »Ich hab einfach durchgeschlafen. Ich hab nicht mal gehört, wie du reingekommen bist.« »Eine nette Überraschung, reinzukommen und wieder die gute alte vielkissige Mariogestalt in der Koje liegen zu sehen.« » ... « »Ich hoffe, du hast den Schlafsack nicht bloß wieder hergeschleppt, weil es sich angehört hat, als würd ich dich darum bitten.« »Ich hab jemanden mit Bändern der alten Psychosis gefunden, für bis zur Rückkehr. Ich möchte, dass du mir zeigst, wie man jemanden, den man nicht kennt, bittet, Aufnahmen auszuleihen, wenn wir beide treu sind.« » ... « »Du, HaI?«
»Trollo, ich hab geträumt, ich verliere meine Zähne. Ich hab geträumt, meine Zähne zerfallen irgendwie zu Schiefer und splittern beim Essen oder Sprechen, und ich hab überall Zahnsplitter verstreut, und dann war da eine lange Szene, wo ich Gebisspreise verglichen hab.« »Den ganzen Abend lang sind gestern Abend Leute angekommen und wollten wissen, wo ist HaI, hast du HaI gesehen, was war bei CT und dem Urindoktor, und was ist mit Hals Urin. Moms hat mich gefragt, wo ist HaI, und da war ich überrascht, weil, sie macht doch immer so ein Getue von wegen, dass sie nie nachprüft.« »Und dann saß ich plötzlich ohne jede Traumüberblendung splitternackt in einem kalten Zimmer auf einem feuerfesten Stuhl und bekam Zahnrechnungen mit der Post. Immerzu klopfte ein Postbote an die Tür, kam ungefragt rein und legte mir die verschiedensten Zahnrechnungen vor.« »Sie möchte, dass du weißt, dass sie dir immer vertraut und dass du zu zuverlässig bist, als dass sie sich Sorgen machen oder etwas nachprüfen würde.« »Nur waren die nicht für meine Zähne, Troll. Die Rechnungen sind für die Zähne anderer, nicht für
meine, und das kann ich dem Postboten einfach nicht klarmachen, dass die nicht für meine Zähne sind.« »Ich hab LaMont Chu versprochen, ich gebe ihm alle Informationen weiter, die du mir verrätst, so sehr hat er sich Sorgen gemacht.« »Die Rechnungen stecken in kleinen Fensterumschlägen, hinter deren Folienfenstern man d a s Adressfeld lesen kann. Ich bewahre sie im Schoß auf, bis der Stapel so hoch ist, dass die obersten runterrutschen und zu Boden fallen.« »LaMont und ich haben uns lange über seine Sorgen unterhalten. Ich mag LaMont sehr.« »Trollo, erinnerst du dich zufällig an S. Johnson?« »S. Johnson war der Hund von der Moms. Der verschied.« »Dann erinnerst du dich auch, wie er gestorben ist.« »Du, HaI, erinnerst du dich an die Zeit in Weston, als wir noch klein waren, wo die Moms ohne S. Johnson nirgends hingegangen ist? Sie hat ihn zur Arbeit mitgenommen und hatte einen besonderen Autositz für ihn, als sie noch den Volvo hatten, bevor Er Selbst mit dem Volvo den Unfall gebaut hat. Der
Er Selbst mit dem Volvo den Unfall gebaut hat. Der Sitz war von Fisher-Price. Und als wir zu Seiner Selbst Premiere von Lichtarten i m Hayden320 gefahren sind, wo Zigaretten und Hunde verboten waren, hat die Moms S. Johnson in ein Blindenhundgeschirr gesteckt, das ganz um seine Brust rumreichte und eine viereckige Stange als Hundeleine hatte, und die Moms hat eine Sonnenbrille aufgesetzt und immerzu hoch und nach rechts gesehen, sodass es aussah, als wäre sie stockblind, und sie haben S. J. mit uns zusammen ins Hayden reingelassen, weil er eben dabei sein musste. Und Er Selbst fand, damit hätten wir dem Hayden schön eins ausgewischt.« »Ich muss immer an Grin denken, und wie er dastand und sie anlog, wie S. Johnson die Karte umdekoriert worden war.« »Sie war traurig.« »Ich muss die ganze Zeit zwanghaft an Grin denken, seit C. T. uns zu sich zitiert hat. Wenn du an Grin denkst, was denkst du dann, Troll? « »Das Beste war, weißt du noch, wie sie mal fliegen musste und ihn in keinen Hundereisekorb stecken wollte und im Flugzeug nicht mal Blindenhunde
erlaubt waren, und wie sie S. Johnson dalassen musste und am Volvo festband, und wie Orin da draußen, wo S. Johnson an den Volvo gebunden war, ein Telefon mit rausgezogener Antenne neben ihn legen musste, und wie sie anrief und das Telefon neben S. Johnson klingeln ließ, und wie sie sagte, S. Johnson würde ihr persönliches Telefonklingeln erkennen, und wenn er ihr Klingeln hörte, wüsste er, dass sie auch von weit weg an ihn dachte, weißt du noch?« »Ich weiß noch, dass sie starrsinnig war, was den Hund anging. Sie hat ihm sogar irgendein esoterisches Futter gekauft. Weißt du noch, wie oft sie ihn gebadet hat?« » ... « »Was war das bloß mit ihr und diesem Hund, Troll? « »Und wie wir den einen Tag draußen waren und Bälle durch die Auffahrt gerollt haben und Orin und Marlon da waren, und wie S. Johnson in der Auffahrt lag, an die Stoßstange gebunden und daneben das Telefon, und wie es geklingelt und geklingelt hat, und wie Orin rangegangen ist und wie ein Hund reingebellt und aufgelegt und es abgestellt hat?«
» ... « »Damit sie glauben würde, das wäre S. Johnson gewesen? Den Witz, den Orin so toll fand?« »Mensch, Troll, da kann ich mich überhaupt nicht dran erinnern.« »Und er hat gesagt, er würde an beiden Armen Tausend Stecknadeln mit uns machen, wenn wir nicht so tun würden, als hätten wir keine Ahnung, wovon sie spricht, falls sie uns nach der Rückkehr nach dem Bellen am Telefon fragen würde.« »An die Tausend Stecknadeln kann ich mich jedenfalls nur zu gut erinnern.« »Wir sollten die Achseln zucken und sie ankucken, als hätte sie nicht alle Steine auf der Schleuder.« »Orin hat als Junge gelogen, dass sich die Balken bogen, das weiß ich noch.« »Aber er hat uns oft richtig doll zum Lachen gebracht. Er fehlt mir.« »Ich weiß nicht, ob er mir fehlt oder nicht.« »Und Familientinnef fehlt mir. Weißt du noch die vier Mal, wo wir aufbleiben durften, als sie Familientinnef gespielt haben?« »Du hast ein phänomenales Gedächtnis für solchen
Kram, Troll.« » ... « »Du denkst wahrscheinlich, ich wundere mich, warum du mich nicht nach der Sache mit C. T, Pemulis und dem Stegreifurin nach dem EschatonDebakel fragst, wo der Urologe mit uns zusammen zum Verwaltungsklo runter ist und höchstpersönlich zusehen wollte, wie wir ihm die Becher füllen, also richtig zugucken, wie der Urin reinfließt, um sicher zu sein, dass das auch unser eigener Urin war.« »Ich glaube, ich habe ein besonders phänomenales Gedächtnis für Dinge, an die ich mich erinnere, weil ich sie mochte.« »Wenn du willst, kannst du ruhig fragen.« »Du, HaI?« »Der springende Punkt ist, dass der O.N.A.N.TA.Typ letztlich keine Urinproben von uns genommen hat. Wir konnten unseren Urin behalten, wie die Moms von C. T zweifellos längst gehört hat, da mach dir mal nichts vor.« »Ich habe ein phänomenales Gedächtnis für Dinge, die mich zum Lachen bringen, ich glaube, das ist es.«
»Ohne sich zu erniedrigen oder irgendwas Kompromittierendes einzuräumen, hat Pemulis von dem Typ dreißig Tage Aufschub für uns erwirkt - erst Fundraising, WhataBurger und die ThanksgivingPause, und dann pinkeln Pemulis, Axford und ich ihm wie die Weltmeister Gefäße in x-beliebiger Größe voll, das ist die Vereinbarung.« »Ich kann Schacht hören, du hast recht. Und die Gebläse auch.« »Troll?« »Ich mag das nächtliche Geräusch der Gebläse. Und du? Das ist, als würde weit weg etwas Großes schonOKschonOKschonOKschonOK machen, immer wieder. Ganz weit weg.« »Pemulis - dieser angeblich magenschwache Krümmkünstler Pemulis hat unter Druck richtig Arsch in der Hose gezeigt, als er da vor dem Pissoir stand. Er hat mit dem O.N.A.N.T.A.-Mann gespielt wie mit einem Musikinstrument. Ich war fast schon stolz auf ihn.« » ... « »Du fragst dich vielleicht, ob ich mich nicht wundere, dass du mich nicht fragst, warum gerade dreißig Tage, warum es so wichtig war, dem Typ im blauen Blazer genau dreißig Tage bis zum G.C./M.S.
S c a n abzuschwatzen. Was gäbe es denn da schließlich zu befürchten, könntest du fragen.« »HaI, so ziemlich das Wichtigste für mich ist, dass ich dich lieb habe und froh bin, einen in jeder Beziehung so wunderbaren Bruder zu haben, HaI.« »Mein Güte, Troll, manchmal klingst du schon ganz wie die Moms.« »Du, HaI?« »Nur spüre ich bei dir, dass du es auch so meinst.« »Du hast dich auf den Ellbogen aufgestützt. Du liegst auf der Seite und schaust in meine Richtung. Ich kann deinen Umriss sehen.« »Wie kann jemand wie du mit der Konstitution eines Pangloss eigentlich feststellen, ob er gerade belogen wird, frage ich mich manchmal, Trollo. Also welche Kriterien kommen da zur Anwendung? Intuition, Deduktion, Reduktion, was?« »Du bist immer schwer zu verstehen, wenn du dich so wie jetzt seitlich auf den Ellbogen stützt.« »Vielleicht wird es dir gar nicht bewusst. Allein die Möglichkeit. Vielleicht bist du nie auf die Idee gekommen, dass etwas erdichtet, falsch dargestellt, verzerrt sein
könnte. Verborgen.« »Du, HaI?« »Und vielleicht ist das des Rätsels Lösung. Vielleicht glaubst du alles, was du zu hören bekommst, so bedingungslos, dass auch eine Lüge unterwegs wahr wird. Sie fliegt durch die Luft zu dir, kehrt ihren Spin dabei um und landet bei dir als Wahrheit, egal wie erstunken und erlogen sie vom Stock deines Gesprächspartners abgeflogen ist.« » ... « »Weißt du, Troll, die Leute lügen auf verschiedene, aber klar zu unterscheidende Weisen, habe ich herausgefunden. Vielleicht kann ich den Spin nicht so ändern wie du, und das ist schon alles, wozu ich imstande bin: Ich stelle eine Art Bestimmungsbuch der verschiedenen Methoden zusammen.« » ... « »Soweit ich beobachtet habe, Troll, werden manche Menschen beim Lügen ganz ruhig und fokussiert, ihr Blick wird ganz konzentriert und eindringlich. Sie wollen den Menschen, den sie anlügen, beherrschen. Den Belogenen. Ein anderer Typ wird fahrig und substanzlos und interpungiert seine Lüge mit selbstironischen kleinen Gesten und
Geräuschen, als wäre Gutgläubigkeit dasselbe wie Mitleid. Wieder andere begraben die Lüge unter Unmengen von Abschweifungen und Randbemerkungen, als wollten sie die Lüge mit all den irrelevanten Daten zusammen durchrutschen lassen wie einen winzigen Käfer, der es durch ein Fliegengitter schafft.« »Nur hat Orin am Ende doch immer die Wahrheit gesagt, auch wenn er das gar nicht wollte.« »Wär schön, wenn das für die ganze Familie gelten würde, Troll.« »Wenn wir ihn anrufen, kommt er vielleicht zum WhataBurger. Wenn du willst, kannst du ihn vielleicht sehen, wenn du ihn fragst.« »Und dann gibt es eine Sorte, die nenn ich Kamikaze-Lügner. Die erzählen dir eine surreale und absolut unglaubliche Lüge, und dann spielen sie dir eine Gewissenskrise vor, nehmen die erste Lüge zurück und ersetzen sie durch die Lüge, die du ihnen eigentlich abkaufen sollst, sodass die ernst gemeinte Lüge schon als ein Zugeständnis rüberkommt, als ein Abkommen mit der Wahrheit. Dieser Typ ist zum Glück leicht zu durchschauen.« »Ein Glücksfall von Lüge.«
»Oder der Typ, der die Lüge total ausklügelt, sie mit Rokoko-Ausschmückungen von Einzelheiten und Ergänzungen armiert, und das verrät ihn allemal. Bisher hatte ich gedacht, Pemulis wäre so einer, bis zu seiner Vorstellung am Pissoir.« »Rokoko ist ein hübsches Wort.« »Ich habe jetzt also eine Untergruppe des ÜberAusklüglers eingeführt, den Lügner nämlich, der mal ein Über-Ausklügler war und irgendwann geschnallt hat, dass ihn die Rokoko-Verzierungen jedes Mal verraten haben, und jetzt hat er seine Taktik geändert und lügt kurz und knapp, fast schon gelangweilt, als wäre das, was er sagt, zu offenkundig wahr, um Zeit damit zu verschwenden.« » ... « »Das habe ich als eine Art Untergruppe eingeführt.« »Du klingst, als wüsstest du immer, woran du bist.« »Pemulis hätte dem Urologen da auf dem Klo Land verkaufen können, Troll. Es war ein unglaublich explosiver Augenblick. Ich hätte ihm das nie im Leben zugetraut, so ohne Nerven und magenlos. Er strahlte eine Art lustlosen Pragmatismus aus, den der Urologe schlechterdings zur Kenntnis nehmen
musste. Sein Gesicht war eine heroische Maske. Es war fast beängstigend. Ich hab ihm gesagt, ich hätte nie gedacht, dass er eine solche Vorstellung abliefern könnte.« »Psychosis hat live im Radio immer eine Schönheitsbroschüre von Eve Arden vorgelesen, wo Eve Arden sagt: >Die Wichtigkeit einer Maske liegt darin, den Kreislauf anzuregen<, Zitatende.« »In Wahrheit kann es niemand immer sagen, Troll. Manche Leute sind einfach zu gut, zu komplex und zu idiosynkratisch; ihre Lügen liegen so nah am wahren Kern, dass man die beiden nicht unterscheiden kann.« »Ich kann das nie unterscheiden. Das hast du doch gefragt. Du hast recht. Der Gedanke kommt mir gar nicht.« » ... « »Ich bin der Typ, der Land kaufen würde, glaube ich.« »Weißt du noch, was für eine panische Angst ich als Kind vor Monstern hatte?« »Junge, und wie.« »Ich glaube, Troll, ich glaube nicht mehr an Monster
als Gesichter im Fußboden, Wildkinder, Vampire oder so was. Mit siebzehn glaube ich heute, die wahren Monster könnten die Lügner sein, deren Lügen absolut nicht zu durchschauen sind. Die, die sich absolut nie verraten.« »,Aber woher weißt du denn dann, dass sie Monster sind?« »Das ist ja das Monströse an ihnen, Troll, glaub ich langsam.« »Heiliger Bimbam.« »Dass sie unter uns sind. Unseren Kindern etwas beibringen. Unergründlich. Mit heroischen Zügen.« »Kann ich Sie fragen, wie man sich in dem Ding fühlt?« »Ding?« »Sie wissen schon. Tun Sie nicht so begriffsstutzig, dass ich mich schämen muss.« »Ein Rollstuhl ist ein Ding, das: Man mag oder mag es nicht, das ist kein Überschied. Unterschied. Man sitzt im Stuhl, auch wenn man ihn nicht mag. Also es ist besser zu mögen, nein?« »Ich fass es nicht, dass ich trinke. Da sind alle möglichen Menschen im House, die Angst davor haben, sie könnten wieder was trinken. Ich bin da wegen Drogen. Ich hab im ganzen Leben nicht mehr als ein Bier getrunken. Ich bin hier nur rein, weil ich
mich übergeben musste, nachdem ich überfallen worden war. Ein Obdachloser hatte sich als Zeuge angeboten und wollte mich beim besten Willen nicht in Ruhe lassen. Ich hatte nicht mal Geld. Ich bin hier zum Kotzen rein.« »Ich weiß, was es ist, das Sie meinen.« »Wie heißen Sie noch mal?« »Ich nenne mich Remy.« »Das ist etwas Wunderschönes, wie Hester sagen würde. Ich fühle mich nicht mehr scheußlich. Ramy, ich fühle mich besser, als ich mich fühle, als ich mich gefühlt habe seit ich hab keine Ahnung wi e langer Zeit. Das ist wie Novocaine of the Soul. Ich frag mich nun: was hab ich mich bloß die ganze Zeit mit Kawumms abgegeben, wenn das hier das ist, wo ich sagen würde, da geht's mir besser.« »Wir, ich nehme keine Drogen. Ich trinke selten.« »Na, dann holen Sie die verlorene Zeit aber tüchtig wieder auf, würd ich mal sagen.« »Wenn ich trinke, ich trinke viele Getränke. Dies ist, wie es ist für mein Volk.« »Meine Mom will das nicht mal im Haus haben. Sie sagt, deswegen ist ihr Vater in Beton gerast und hat
seine ganze Familie ausgelöscht. Was ich quasi einfach nicht mehr hören kann. Ich bin hier rein - wie heißt das hier?« »Dies, es ist Ryle's Inman Square Club für Jazz. Meine Frau stirbt zu Hause in meiner Heimatprovinz. « »Da steht was drüber in dem Blauen Buch, das wir j e d e n Sonntag, wo wir uns im absoluten Morgengrauen aus dem Bett wuchten müssen und im Kreis sitzen und daraus vorlesen, und die Hälfte der Leute kann kaum lesen, und es ist einfach qualvoll zuzuhören.« »Sie sollten Ihre Stimme niedriger machen, denn in den Stunden mit keinem Jazz genießt man leise Unterhaltungen und kommt für die Stille hier.« »Und da steht also was über einen Gebrauchtwagenhändler, der vom Alkohol wegwill, über den, sie nennen das den Wahnsinn des ersten Schlucks, Drinks - er kommt in eine Bar und bestellt ein Sandwich und ein Glas Milch - haben Sie Hunger?« »Non.« »Ich wollte bloß sagen, ich hab kein Geld. Ich hab
nicht mal m e i n Portemonnaie. Saufen macht langfristig blöd, aber kurzfristig glücklieh. Er dachte gar nicht an einen Drink, und dann denkt er plötzlich an einen Drink. Der Typ.« »Aus einem heiteren Ort, in einem Moment Blitzlicht.« »Genau. Aber der Wahnsinn ist, obwohl er die ganze Zeit in Krankenhäusern war und seine Firma verloren hat und seine Frau und alles wegen dem Alkohol, redet er sich plötzlich ein, ein Drink kann ihm doch nicht schaden, wenn er ihn in sein Glas Milch schüttet.« »Verrückt in seinem Kopf.« »Und als mich dieser absolute Kriecher, vor dem Sie mich gerettet haben, als Sie sich gesetzt oder ihn überfahren oder was weiß ich. Tschuldigung. Als der mir einen ausgeben wollte, hatte ich plötzlich das Buch im Kopf, und weil sich das irgendwie so wie ein Witz anfühlte, hab ich Kahlua und Milch bestellt.« »Für mich, ich komme abends, wenn ich müde bin, wenn die Musik eingepackt hat, für die Stille. Ich gebrauche hier auch manchmal das Telefon.« »Ich meine, auch vor dem Überfall, bin ich da
nüchtern lang gegangen und hab überlegt, wie ich mich umbringen kann, also ist es ein bisschen albern, wenn ich mir jetzt Sorgen wegen dem Alkohol mache.« »Sie haben eine gewisse Miene der Ähnlichkeit von meiner Frau.« »Ihre Frau stirbt. Herrgott, ich sitze hier und lache, und Ihre Frau stirbt. Ich glaube, das muss daran liegen, dass ich mich scheißlange nicht mehr so halbwegs gefühlt habe, verstehen Sie das? Ich meine noch nicht g u t , ich meine noch nicht genießen, ich will damit ja mal nicht übertreiben, aber immerhin quasi auf null, immerhin, wie nennen die das, keinen Schmerz spüren.« »Ich weiß von dieser Bedeutung. Ich verbringe einen Tag, um zu finden jemanden, der, ich glaube, meine Freunde werden ihn töten, die ganze Zeit erwarte ich die Gelegenheit, meine Freunde zu verraten, und ich komme hier und telefoniere, um sie zu verraten, und ich sehe diese verbeulte Person, die stark meiner Frau ähnelt. Ich denke: Remy, es ist Zeit für viele Getränke.« »Na, also ich finde Sie nett. Ich glaube, Sie haben mir so ungefähr das Leben gerettet. Die letzten neun
mir so ungefähr das Leben gerettet. Die letzten neun Wochen hab ich mich so schlecht gefühlt, dass ich mi ch praktisch umbringen wollte und gleichzeitig high werden und nicht. D a s hat Dr. Garton nie erwähnt. Er hat viel über Schocks geredet, aber er hat nie auch nur mit einem Wort Kahlua und Milch erwähnt.« »Katherine, ich werde Ihnen eine Geschichte davon erzählen, wie man sich so schlecht fühlt und ein Leben rettet. Ich kenne Sie nicht, aber wir sind jetzt zusammen betrunken, und werden Sie diese Geschichte anhören?« »Dreht sie sich zufällig darum, nach dem Konsum irgendeiner Droge am Tiefpunkt aufzuschlagen und zu versuchen aufzugeben?« »Mein Volk, wir schlagen keine tiefen Punkte von Frauen. Ich bin, wollen wir sagen, Schweizer. Meine Beine, sie wurden verloren in den Jugendjahren vom Getroffenwerden von einem Zug.« »Das muss ja so wehgetan haben.« »Ich würde die Versuchung haben zu sagen, Sie haben keine Ahnung. Aber ich spüre, Sie haben eine Ahnung vom Wehtun.«
»Sie haben ja keine Ahnung.« »Ich bin in den frühen zwanziger Jahren, ohne Beine. Viele von meinen Freunden auch: ohne Beine.« »Muss ja ein Wahnsinnszugunglück gewesen sein.« »Auch mein Vater: tot, als sein KenbeckSchrittmacher in die Reichweite eines falsch verbundenen Anrufs aus einer Telefonzelle in Trois Rivieres kam, bei einem verrückten Ereignis von Tragödie.« »Mein Dad hat uns emotional fallen gelassen und ist nach Portland gezogen, das liegt in Oregon, mit seiner Therapeutin.« »Und in dieser Zeit, meine Schweizer Nation, wir sind ein starkes Volk, aber nicht stark als Nation, umgeben von starken Nationen. Es gibt viel Hass von unseren Nachbarn und Ungerechtigkeit.« »Das fing alles damit an, dass meine Mom ein Foto seiner Therapeutin in seiner Brieftasche fand und loslegte: »Was hat das denn da zu suchen ?« »Es ist für mich, der ich bin schwach, so schmerzhaft, ohne Beine zu sein in den frühen zwanziger Jahren. Man fühlt sich monströs zu
anderen Menschen; die eigene Freiheit, sie ist beschränkt. Ich habe keine Chancen mehr, für Arbeit zu bekommen in den Bergwerken von Schweiz.« »Die Schweizer haben Goldminen.« »Wie man sagt. Und viel schönes Land, was die stärkeren Nationen zu der Zeit von meinem Beineverlieren begingen Papiergreueltaten zu dem Land von meiner Nation.« »Verdammte Aaschlöcher.« »Es ist eine lange Geschichte von Beiläufigkeit, aber mein Teil von der Schweizer Nation ist in meiner Zeit von keinen Beinen überfallen und ausgeplündert von stärkeren und übel hassenden Nachbarnationen, die behaupten wie beim Anschluss von Hitler, dass sie sind Freunde und überfallen nicht die Schweizer, sondern überreichen uns Geschenke von Bündnis.« »Voll die Wichser.« »Es ist eine Beiläufigkeit, aber für meine Schweizer Freunde und mich ohne Beine ist es eine dunkle Periode der Ungerechtigkeit und Schmach und des schrecklichen Schmerzes. Einige von meinen Freunden schieben sich davon, um zu kämpfen gegen die Invasion von Papier, aber mich, ich bin zu
gegen die Invasion von Papier, aber mich, ich bin zu schmerzhaft, um mich zu engagieren zum Kampf. Für mich, ich halte den Kampf für ohne Sinn: Unsere Schweizer Führer sind umgedreht worden und behaupten, die Invasion ist Bündnis; wir ganz paar beinlose Jungen können nicht eine Invasion zurückschlagen; wir können nicht einmal unsere Regierung zugeben machen, dass es eine Invasion gab. Ich bin schwach, und ich sehe im Schmerz, dass alles sinnlos ist: Ich sehe nicht den Sinn vom Engagement für den Kampf.« »Sie sind deprimiert, das sind Sie.« »Ich sehe keinen Sinn und arbeite nicht und gehöre zu nichts; ich bin allein. Ich denke an Tod. Ich tue nichts, trinke nur oft, rolle durch ausgeplündertes Land, weiche manchmal fallenden Projektilen von Invasion aus, denke an Tod, beklage die Verwüstung von dem Schweizer Land in großem Schmerz. Aber ich bin es, den ich beklage. Ich habe Schmerz. Ich habe keine Beine.« »Ich kann mich auf Schritt und Tritt mit Ihnen identifizieren, Ramy. üh mein Gott, w a s rede ich denn da?« »Und wir, unser Schweizer Land ist sehr hügelig.
D e r fauteuil, er ist schwer hochzuschieben viele Hügel, und dann bremst man mit aller der Macht, um nicht zu fliegen außer Kontrolle auf dem Hügelab.« »So geht mir das manchmal auch beim Gehen.« »Katherine, ich bin, auf Englisch, moribund. Ich habe keine Beine, keine Schweizer Ehre, keine Führer, die die Wahrheit kämpfen. Ich bin nicht am lebendig, Katherine. Ich rolle von Skihütte zu Taverne, trinke viel, allein, wünsche für meinen Tod, verschlossen im Schmerz im Herz. Ich wünsche für meinen Tod, aber ich habe nicht den Mumm für Handlungen, die bewirken den Tod. Zweimal ich rolle mich über den Grat von einem großen Schweizer Hügel, aber ich kann mich nicht bringen. Ich verfluche mich wegen Feigheit und inutile. Ich rolle umher und hoffe, ich werde von einem Fahrzeug von einem anderen getroffen, aber in der letzten Sekunde schiebe ich mich aus dem Weg von Fahrzeugen auf den Autoroutes, denn ich bin unfähig zu bewillen meinen Tod. Je mehr Schmerz im Selbst, desto mehr Ich im Selbst und kann nicht bewillen meinen Tod, ich denke. Ich fühle, ich bin angekettet in einem Käfig vom Selbst, vom Schmerz. Unfähig, etwas zu engagieren oder zu wählen von draußen.
Unfähig, etwas außer von meinem Schmerz zu sehen oder zu fühlen.« »Der schwarze Segelflügel bauscht sich. Ich identifiziere mich so total, das ist schon nicht mehr feierlich.« »Meine Geschichte, sie war eines Tages auf der Spitze von einem Hügel, den ich hatte mich betrunken viele Minuten bemüht zu errollen den Gipfel, und als ich sah über den Abwärtshang, ich sehe eine kleine bucklige Frau in einem, wie ich glaube, Metallhut, weit unten am Fuß des Hügels, und sie will die Schweizer ländliche Autoroute am Fuß überqueren, mitten auf der ländlichen Autoroute, diese Frau, sie steht und starrt im Entsetzen auf einen der verhassten langen und glänzenden vielrädrigen Sattelschlepper von unseren Papierinvasoren, der mit hohen Geschwindigkeiten auf sie zurast in der Hast, Teile des Schweizer Landes auszuplündern.« »Wie einer von diesen Schweizer Helmen? Strampelt sie sich wie verrückt ab, ihm aus dem Weg zu kommen?« »Sie steht da wie versteinert vor Angst vor dem Schlepper - identisch so, wie ich reglos und wie
versteinert war von dem Entsetzen in mir, unfähig, sich zu rühren, wie einer von den vielen Elchen von Schweiz wie versteinert im Scheinwerferlicht von einem von den vielen Holzscheitelastern von Schweiz. Das Sonnenlicht spiegelt sich wie verrückt in ihrem Metallhut, als sie vor Entsetzen den Kopf schüttelt, und sie fasst sich - gewähren Sie mir Pardon, aber an den Frauenbusen, als würde das Herz von ihr vor Entsetzen explodieren.« »Und Sie sagen sich, ach du Scheiße, ist ja toll, noch so was Scheußliches, und ich muss dastehen und das mit ansehen und mich dann schlecht deswegen fühlen.« »Aber die große Gabe von dieser Zeit heute auf der Hügelspitze über der ländlichen Autoroute ist, ich denke nicht an mich. Ich kenne diese Frau nicht oder liebe sie, aber ich löse ohne Denken meine Bremse und brause den Hügelhang hinunter und ausradiere fast zahllose Stellen auf den Unebenheiten und Felsen des Hügelhangs, und wie wir in Schweiz sagen, ich schüsse mit genügend Geschwindigkeit, um meine Frau zu erreichen, und kehre sie auf den Rollstuhl und rolle über die ländliche Autoroute auf die Bösching knapp vor der Spitze von dem
Schlepper, der nicht verlangsamt hatte.« »Da häng mich doch wer an den Sohlen auf und fick mich in die Ohren. Sie haben sich aus einer klinischen Depression rausgerissen, indem Sie ein Scheißheld geworden sind.« »Wir rollten und purzelten die Bösching auf der anderen Seite der Autoroute entlang, bis sich mein Rollstuhl überschlagte und mir einen Stumpf verletzte und ihr den dicken Metallhut vom Kopf stieß. « »Sie haben jemandem das Scheißleben gerettet, Ramy. Ich gäbe meine linke Nuss her, wenn ich mich auf die Weise aus dem Schatten des Flügels ziehen könnte, Ramy.« »Sie sehen nicht dies. Es war diese gefrorene Entsetzensfrau, sie rettete mir mein Leben. Denn das rettete mir mein Leben. Dieser Augenblick zerbrach meine moribunden Ketten, Katherine. In einer Sekunde und ohne Nachdenken konnte ich etwas als wichtiger wählen als mein Denken an mein Leben. Es war sie, die erlaubte dies Wollen ohne Denken. Mit einem Hieb sie zerschlug die Ketten im Käfig vom Schmerz über meinen halben Körper und Nation. Als ich zu meinem fauteuil zurückgekrochen
war und ihn wieder aufgestellt hatte und wieder saß, merkte ich, dass der Schmerz im Innern nicht mehr schmerzte. Ich wurde damals erwachsen. Ich wurde erlaubt, den Schmerz von meinem Verlust und Schmerz oben auf dem Schweizer Mont Papineau zu lassen.« »Weil Sie das Mädchen auf einmal ohne seinen Metallhut sahen, und die Leidenschaft übermannte sie, und Sie verliebten sich unsterblich, und Sie heirateten und rollten gemeinsam in den Son-« »Sie hatte keinen Schädel, diese Frau. Später lerne ich, sie war unter den ersten Schweizer Kindern in der Südwestschweiz gewesen, die ohne einen Schädel geboren worden waren durch die Toxizitäten im Zusammenhang mit unseres Feindes Invasion auf dem Papier. Ohne die Einsperrung im Metallhut ihr Kopf hing über die Schultern wie ein halbvoller Luftballon oder leerer Beutel, die Augen und Mundhöhle durch das Hängen sehr verzerrt, und aus der Höhle drangen Geräusche, denen schwer zu lauschen war.« »Aber trotzdem rührte Sie etwas an ihr so sehr, dass Sie sich unsterblich verliebten. Ihre Dankbarkeit und Demut und Hingabe und diese stille
Würde, die die scheußlich behin- - geforderten Menschen ja meistens ausstrahlen.« »Ich war nicht unsterblich. Ich hatte schon gewählt. Das Entfixieren der Bremsen des fauteuil und das Schüssen zur Autoroute - das war die Liebe. Ich hatte gewählt, sie mehr als meine verlierten Beine und dieses halbe Selbst zu lieben.« »Und sie warf einen Blick auf Ihre fehlenden Gliedmaßen, bemerkte sie nicht einmal und wählte ebenfalls - Ergebnis: leidenschaftliche Liebe.« »Für diese Frau gab es auf der Bösching keine mögliche Entscheidung. Ohne den einsperrenden Helm richteten sich alle Energien in ihr auf das Formen der Mundhöhle zu einer Form, die das Atmen zuließ, was eine Aufgabe von großer Enormität war, denn ihr Kopf, er hatte auch weder Muskeln noch Nerven. Der Spezialhut war auf der einen Seite eingedellt, und ich hatte nicht die Fähigkeit, den Kopf von meiner Frau zu einer Form zu formen, die ich als Sac von ihrem Kopf in den Hut hätte stopfen können, und ich entschied mich, sie über die Schulter zu legen und mit Hochgeschwindigkeit zum nächsten Schweizer h8pi t al zu fahren, das sich auf Entstellungen von schwerer Beschaffenheit
spezialisiert hatte. Und dort ich hörte von den anderen Problemen.« »Ich glaube, ich brauche noch ein paar Kahlua und Milchs.« »Da war das Problem von den Verdauungstraktoren. Es gab auch Anfälle. Da war der progressive Verfall von Kreislauf und Gefäßen, der sich Restenose nennt. Es gab auf verschiedenen Körperstellen mehr als die üblicherweise akzeptierte Anzahl von Augen und Öffnungen in verschiedenen Stadiums von der Entwicklung. Da waren die Fuguen und Wutausbrüche und Komafrequenzen. Sie war aus einem öffentlichen Schweizer Mildtätigkeitsinstitut fortgewandert. Am schlimmsten für die Entscheidung zum Lieben waren die Zerebround Spinalflüssigkeiten, die zu allen Zeiten aus der verzerrten Mundhöhle tröpfelten.« »Und aber Ihre leidenschaftliche Liebe füreinander trocknete ihr zerebrospinales Sabbern und beendete die Anfälle, und in bestimmten Hüten sah sie einfach so gut aus, dass Sie sie unsterblich lieben mussten? War es so?« »Gar~on! « »Kommt der Teil mit der unsterblichen Liebe noch?«
»Katherine, auch ich hatte geglaubt, es würde keine Liebe ohne Leidenschaft geben. Lust. Das war Teil vom Schmerz des ohne Beine, diese Angst, dass es für mich keine Leidenschaft mehr geben würde. Die Angst vor dem Schmerz ist oft viel schlimmer als der Schmerz vom Schmerz, n'est ce-« »Rarny, ich fürchte, ich habe langsam das Gefühl, das ist überhaupt keine Wohlfühlgeschichte.« »Ich versuchte, diese weichköpfige und zerebrospinal inkontinente Frau zu lassen, m' epouse a u future, hinter mir im hopital von der schweren Beschaffenheit, und davonzurollen in mein neues Leben der käfiglosen Hinnahme und Entscheidung. Ich wollte rollen in das Getümmel von der Schlacht für meine ausgeplünderte Nation, denn jetzt ich sah den Sinn nicht vom Siegen sondern vom Entscheiden für den Kampf. Aber ich war nur wenige Umdrehungen von dem fauteuil gereist, als die alte Verzweiflung von vor dem Wählen von dieser Keinschädelkreatur wieder aufstieg in mir. Nach einigen Umdrehungen war da wieder kein Sinn und keine Beine und nur Angst vor dem Schmerz, der ließ mich nicht wählen. Der Schmerz rollte mich zu dieser Frau zurück, meiner Frau.«
»Wollen Sie vielleicht noch behaupten, das wäre Liebe? Das ist doch keine Liebe. Wenn was Liebe ist, dann weiß ich das, weil ich es fühle. Die dreht sich nicht um Spinalflüssigkeit und Verzweiflung, das kannste mir aber glauben, mein lieber Scholli. Die dreht sich darum, dass sich die Augen irgendwo treffen und beide Knie nachgeben, und von der Sekunde an weiß man, dass man nicht allein und in der Hölle sein wird. Sie sind nicht mal entfernt der Typ, für den ich Sie anfangs gehalten habe, Ray.« »Ich musste mir klar sein: Ich hatte gewählt. Meine Wahl, das war Liebe. Ich hatte gewählt, ich denke, den Weg aus den Ketten von dem Käfig. Ich brauchte diese Frau. Wenn ich nicht sie wählte mehr wie mich, gab es nur Schmerz und nicht wählen, betrunkenes Rollen und Phantasien machen vom Tod.« »Das soll Liebe sein? Das ist doch, als wären Sie an sie gekettet! Das ist doch, als hätten Sie versucht, mit Ihrem eigenen Leben klarzukommen, und da wäre der Schmerz der klinischen Depression zurückgekehrt. Das ist doch, als wäre die klinische Depression die Schrotflinte, die Sie durchs Kirchenschiff zum
Traualtar stößt. Gab es ein Kirchenschiff? Konnte sie überhaupt durch ein Kirchenschiff gehen?« »Der Trauhelm meiner Frau war aus dem besten Nickel, geschürft und geschmiedet von Freunden in den Nickelgruben von Südwestschweiz. Jeder von uns, wir rollten durch das Kirchenschiff in speziellen Beförderungen. Sie mit speziellen Töpfen und Drains für die Flüssigkeiten. Es war der glücklichste Tag für mich, seit dem Zug. Der Geistliche fragte, ob ich hätte gewählt diese Frau. Dann war eine lange Zeit vom Schweigen. Mein ganzes Wesen spitzte sich in diesem Augenblick zu einem messerscharfen Punkt, Katherine, als meine Hand zärtlich den Haken von meiner Frau hielt.« »Haken? Wie in Handhaken?« »Ich habe gewusst seit der Hochzeitsnacht, dass der Tod von ihr kam. Ihre Restenose von dem Herz, sie ist irreversible. Jetzt meine Gertraude, sie ist seit fast einem Jahr in einem komatösen und vegetierenden Zustand. Dieses Koma hat keinen Ausgang, es ist gesagt. Das fortgeschrittene künstliche Jarvik-IX-Außenherz, wird gesagt von den Kardiologen im öffentlichen Gesundheitswesen von Schweiz, ist ihre Chance für Leben. Mit ihm, sie
sagen, meine Frau kann leben noch viele Jahre in einem komatösen und vegetierenden Zustand.« »Und jetzt sind Sie hier, um Ihre Sache bei den Jarvik-IX-Fritzen in Harvard oder was weiß ich durchzudrücken.« »Es ist für sie, dass ich meine Freunde und Zelle verrate, die Sache von meiner Nation, welche jetzt, wo Sieg und Unabhängigkeit von den Nachbarn ist möglich, ich verrate sie.« »Sie spionieren und verraten die Schweiz, um jemanden vielleicht am Leben zu erhalten, der einen Haken, Spinalflüssigkeiten und keinen Schädel hat und in einem irreversiblen Koma liegt? Und ich dachte, i c h wäre gestört. Ich glaube, ich muss meinen Begriff von gestört ganz neu überdenken, Mister.« »Ich erzähle nicht, um Sie zu stören, arme Katherine. Ich erzähle von Schmerz und Lebenretten und Liebe.« »Also Ray, ich will ja nichts sagen, aber das ist keine Liebe: Das ist niedriges Selbstwertgefühl und Selbstrnissbrauch und sich mit weniger begnügen, wenn man sich für ein Koma statt für die Kameraden entscheidet. Wenn Sie mir hier nicht sowieso bloß
die Hucke volllügen, um mich ins Heu zu kriegen, o d e r sonst so ein abgefuckter gestörter Perversenscheiß.« »Das -« »Und was das angeht, wenn ich Sie an sie erinnere, haut mich das auch nicht gerade ins Heu, muss ich jetzt doch mal sagen.« »Das ist, was ist schwer zu erzählen. Einen Menschen zu bitten zu verstehen. Es ist keine Wahl. E s ist nicht wählen Gertraude vor den A. F. R., meinen Kameraden. Vor der Sache. Zu wählen Gertraude zu lieben als meine Frau war nötig für die anderen, diese anderen Wahlen. Ohne die Wahl von ihrem Leben gibt es keine anderen Wahlen. An dem Beginn wollte ich verlassen. Ich bin nur wenige Umdrehungen von dem fauteuil gekommen.« »Hört sich eher an wie 'ne Knarre am Kopf als wie eine Wahl. Wenn man nicht das Gegenteil wählen kann, ist es keine Wahl.« »Nein, aber diese Wahl, Katherine: Ich habe sie gemacht. Sie kettet mich an, aber die Ketten sind von meiner Wahl. Die anderen Ketten: nein. Die anderen waren die Ketten von nicht wählen.«
»Haben Sie einen Zwillingsbruder, der gerade rein gekommen ist und sich links neben Sie gesetzt hat, sich aber zu ungefähr einem Drittel mit Ihnen überschneidet?« »Sie sind lediglich betrunken. Das kann geschehen schnell, wenn ungewöhnt an Alkohol. Brechreiz begleitet es oft. Seien Sie nicht alarmiert, wenn es visuelle Verdopplungen, Gleichgewichtsverlorenheit und Brechreiz von dem Magen gibt.« »Der Preis eines quasi vollständig normalen menschlichen Verdauungstrakts. Morgens hab ich mich auch immer übergeben, ohne zu trinken. Bei Regen wie bei Sonnenschein.« »Sie glauben, es gibt keine Liebe ohne die Lust, die Keine-WahlNötigkeit von der Leidenschaft.« »Ich weiß die Drinks und alles sehr zu schätzen, aber ich glaube, einen Vortrag über Liebe muss ich nicht auswendig lernen von wem, der wen heiratet, dem ständig Zerebralsaft aus dem Mund spritzt, also nichts für ungut.« »Wie Sie sagen. Meine Meinungen sind nur, dass die Liebe, von der Sie aus diesem Land sprechen, die Lust nicht gewährt, die Sie in der Liebe suchen.
Die ganze Idee von der Lust und den guten Gefühlen, die zu wählen sind. Sich zu geben hin. Dass alle Wahl für Sie dorthin führt - diese Lust des Nichtwählens.« »Neiden ausgerechnet Sie mir nicht, dass ich mich ein bisschen gut fühle, Ray, Arschloch, Scheißepfütze, Schweizkopp.« » ... « »Ist es besser, sofort zu kotzen, oder soll ich lieber warten, bis Sie kotzen, Mr Trinkexperte ?« »Ich denke: Was wenn ich vorschlage, wir gehen, und ich könnte Sie nur drei Straßen von hier führen und Ihnen etwas zeigen mit dieser Versprechung: Sie würden mehr gute Gefühle fühlen und Lust als je zuvor: Sie würden nie wieder Kummer fühlen oder Mitleid oder den Schmerz von den Ketten von dem Käfig von dem Nichtwählen. Ich denke an dieses Angebot: Sie würden mir erwidern was?« »Isch würde Ihnen ärwidärn, dass isch diesen Satz schon ge'ört 'abe, Arschloch, und zwar von ... von Typen, die südlich der Taille mehr zu bieten hatten, wenn du mir da folgen kannst.« »Ich verstehe nicht.«
»Ich würde antworten, ich bin voll scheiße im Bett. Also als Sexpartner. Ich hab nur zweimal Intimverkehr gehabt, und beide Male waren scheiße, und als ich Brad Anderson angerufen und gefragt hab, warum hast du nicht wieder angerufen, Brad Anderson, wissen Sie, was er da gesagt hat? Er hat gesagt, ich wäre lausig im Bett, und meine Pissritze wäre echt riesig für jemanden mit so 'nem kleinen Flacharsch, hat Brad Anderson gesagt.« »Nein. Nein. Sie verstehen nicht.« »Das hab ich doch gerade gesagt.« »Sie würden sagen, nein danke, sagen Sie, aber das ist, weil Sie glauben nicht meiner Behauptung.« » ... « »Wenn meine Behauptung, sie wäre wahr, sie würden ja sagen, Katherine, nein?« » ... « »Ja ?« »Jetzt liegst du nicht mehr auf der Seite, HaI, kann ich sehen. Wenn du auf dem Rücken liegst, hast du keinen Schatten.« » ... « »Du, HaI?« »Ja, Mario.«
»Es tut mir leid, wenn du traurig bist, HaI. Du wirkst traurig.« »Ich rauche insgeheim harzreiches Bob Hope unten im Gebläseraum, abseits vom kleinen Wartungstunnel. Ich benutze Visine und Zahnpasta mit Pfefferminzgeschmack und dusche mit Irish Spring, um das vor fast allen zu verbergen. Nur Pemulis kennt das wirkliche Ausmaß.« » ... « »Mich wollen C. T. und die Moms gar nicht weghaben. Mich haben sie auch nicht in Verdacht. Pemulis hat seinen Gegner in Port Washington in aller Öffentlichkeit zugedröhnt. Das musste einfach jeder mitkriegen. Der Junge war ein frommer Mormone. Das Zudröhnen musste einfach jeder mitkriegen. Jetzt stellt sich raus, dass jemand gemerkt hat, dass vor den Quartalstests VisineFläschchen mit präpubertärem Urin verkauft werden, die als Pemulis' Produktion eingestuft werden.« »Visine- Fläschchen verkauft?« »Als Verwandter der Moms wäre ich gegen einen Schulverweis natürlich sowieso immun. Aber mich verdächtigt man allenfalls unbedachter moralischer Paralyse, da draußen am 1.- Tag. Mein Urin und
Axtstiels Urin sollen nur einen Objektivitätskontext für Pemulis' Urin etablieren. Sie sind hinter Pemulis her. Ich bin praktisch überzeugt, dass sie Pemulis zum Semesterende den Tritt in den Hintern verpassen. Ich weiß bloß nicht, ob auch Pemulis das weiß.« »Du, HaI?« »Normalerweise sind sie bei den Tests hinter Steroiden her, synthetischen Endokrinen, milden Schnellrnachern. Der O.N.A.N.T.A.- Typ hat angedeutet, dass diesmal die volle Spektralanalyse ansteht. Gaschromatographie, gefolgt von Elektronenbeschuss, und anschließend werden per Massenspektrometrie die resultierenden Molekülmassen bestimmt. Das volle Programm. Ganz wie bei der Show.« »Du, HaI?« »Mike steht da und fragt, was ist, nur mal theoretisch, wenn wer drogenmäßig in Fallwinde gerät und auffliegt und so. Sagt, er kann sich vage an ein Mohnbrötchen erinnern. Ganz anders als Pemulis' sonstige Rokokolügen. Diese war von irgendwie lustloser Ernsthaftigkeit. Der Typ im Blazer sagt, okay, er gibt uns dreißig Tage bis zur vollen Spektralanalyse. Mike hatte darauf hingewiesen, da
würde eine riesige Lady vom Moment erwartet, die wolle hier rumschnüffeln, von daher wäre es ein wirklich ganz schlechter Zeitpunkt, wenn hier rein zufällig wer einen unbeabsichtigten Skandal produzieren würde. Irgendwie musste der Typ gar nicht groß ermutigt werden, uns Zeit zu geben, die Systeme sauber zu kriegen. Eigentlich will die O.N.A.N.T.A. ja keinen erwischen. Guter sauberer Spaß und so weiter und so fort.« » ... « »Das Geniale an der Lüge war, dass der Typ dachte, die dreißig Tage Aufschub wären für Pemulis. Dass der die bräuchte. Pemulis besteht auch einen Urin test, wenn er dafür bei starkem Wind an den Füßen aufgehängt wird. Egal ob wer zusieht oder nicht. Er hat da eine ganz eigene und unangenehme Kathetertechnik, die man gar nicht so genau kennen möchte. Er hat sie ausprobiert. Und Tenuates sind offenbar die Rennwagen unter den Schnellrnachern, sagt er; mit zwei Tagen Vorwarnung ist sein eigener Urin völlig unschuldig und blass, solange er sich dem Bob fernhält.« » ... « »Trollo, die dreißig Tage waren in Wirklichkeit für
mich, und Mike hat dafür gesorgt, dass ich dastehen konnte, das Teil vorne raus, und gar nichts sagen, während er dem Typ Land, Zeitschriftenabos und Ginsu-Messer verkauft hat. Er hat das für mich gemacht, dabei sind sie hinter mir gar nicht her.« »Du kannst mir alles erzählen, was du gesagt hast.« »Was ich da heimlich mache, Troll, Mike sagt, maximal dreißig Tage, und ich bin das alles mit Sicherheit los. Preiselbeersaft, CalliTee, Essig in Wasser. Plus/minus ein paar Tage. Das Bob Hope, das ich rauche und verstecke, ist fettlöslich, Troll. Das wird im Körperfett eingelagert. « »Mrs Clarke hat Bridget gesagt, das menschliche Gehirn wäre fettreich, hat Bridget gesagt.« »Mario, wenn ich geschnappt werde. Wenn ich vorderO.N.A.N.T.A. mit dreckigem Urin auffliege, was soll C. T. dann machen? Dann verliere ich nicht nur mein Ausgleichsjahr bei den U18ern. Dann müsste er mir den Tritt verpassen, weil er die O.N.A.N.T.A. da reingezogen hat. Und was ist mit dem Gedenken an Ihn Selbst? Ich bin direkt mit Ihm Selbst verwandt. Ganz zu schweigen von Orin. Und die ganze Zeit lungert diese Moment- Lady hier herum und sucht
schmutzige Wäsche.« »Troeltsch sagt, sie will bloß Orins Heimatgeschichte erzählen.« »Das Schlimme ist, wie sehr das breitgetreten wird, wenn ich beim Urintest durchrassel. Das schadet der E . T . A. in der Öffentlichkeit. Und damit auch dem Gedenken an Ihn Selbst, damit auch Ihm Selbst.« » ... « »Und die Moms bringt das um, Mario. Für die Moms wäre das ein furchtbarer Kawusch. Gar nicht so sehr das Hope. Sondern die Heimlichkeit. Dass ich es vor ihr geheim gehalten habe. Dass sie das Gefühl haben muss, ich musste es vor ihr geheim halten.« »Du, HaI?« »Irgendetwas Furchtbares passiert, wenn sie herausfindet, dass ich es vor ihr geheim gehalten habe.« »Dreißig Tage sind ein Kalendermonat Calli- Tee und Saft, sagst du.« »Tee, Essig und totale Abstinenz. Absolut überhaupt keine Drogen. Absoluter kalter Entzug, während ich versuche, beim WhataBurger meiner Setzung gerecht zu
werden und beim Fundraiser vielleicht Wayne als Opfer dargebracht werde. Und dann dein Geburtstag in zwei Wochen.« »Du, HaI?« »Herrgott, und dann im Dezember die Zulassungsprüfungen, ich muss mich noch fürs College Board vorbereiten und dann die Zulassungsprüfungen ablegen, während ich noch mitten im kalten Entzug stecke.« »Da legst du ein Superergebnis hin. Alle wetten, dass du da ein Superergebnis hinlegst. Das hab ich selbst gehört.« »Na toll. Das hat mir grade noch gefehlt.« »Du, HaI?« »Und natürlich bist du sauer, Troll, dass ich das alles vor dir geheim gehalten habe.« »Ich bin null Prozent sauer, HaI.« »Und natürlich fragst du dich, warum ich's dir nicht einfach erzählt hab, wo du es doch sowieso schon wusstest, irgendwas wusstest, als ich da kopfüber im Kraftraum hing mit einer Stirn, um die Lyle einen weiten Bogen machte. Und du hast dagesessen und mich sagen lassen, ich wäre bloß hundemüde und
hätte Albträume.« »Ich hab das Gefühl, dass du mir immer die Wahrheit sagst. Du sagst sie mir, wenn es so weit ist.« »Na toll.« »Ich hab das Gefühl, du bist der Einzige, der weiß, wann es so weit ist, etwas zu sagen. Ich kann es nicht für dich wissen, warum sollte ich also sauer sein.« »Sei doch ei nmal im Leben ein stinknormaler Mensch, Troll. Wir teilen uns ein Zimmer, und ich hab's vor dir geheim gehalten, und du hast dir Sorgen gemacht und warst sauer, weil ich versucht hab, es vor dir geheim zu halten.« »Ich war nicht sauer. Ich möchte bloß nicht, dass du traurig bist.« »Du kannst sauer sein und auf Leute wütend werden, Troll. Blitzmeldung mit beschissenen fast neunzehn, Junge. Das nennt sich Menschsein. Du kannst auf jemanden wütend sein, und das heißt nicht, dass der dann weggeht. Du brauchst keine momsmäßige Nummer von totalem Vertrauen und Vergebung abzuziehen. Ein Lügner reicht.« »Du hast Angst, dein Pipi könnte auch nach einem Kalendermonat noch durchrasseln.«
Kalendermonat noch durchrasseln.« »Herrgott, da kann ich mich auch gleich mit dem Poster von so 'nem Kampfgrinser unterhalten. Ist da oben jemand zu Hause?« »Und du kannst kein Visine-Fläschchen mit Pipi mitnehmen, weil der Mann neben dir steht und deinen Pimmel und Trevors und Pemulis' Pimmel anschaut.« » ... « »Die Sonne überlegt, im Fenster aufzutauchen. Das kann man sehen.« »Ich bin erst um die vierzig Stunden ohne Bob Hope und fühl mich schon voll plemplem und kann nicht mehr schlafen, ohne dass ich diese HorrorshowTräume kriege. Ich fühl mich, als wär ich auf halber Strecke in einem Schornstein stecken geblieben.« »Du hast Ortho geschlagen, und deine Zahnschmerzen sind weg.« »Pemulis und Axtstiel sagen, ein Monat ist ein Klacks. Das Einzige, was Pemulis beunruhigt, ist, ob sich das DMZ, was er fürs WhataBurger besorgt hat, nachweisen lässt. Er fährt in die Bibliothek und büffelt. Er ist voll da und funktionsfähig.321 Bei mir läuft das anscheinend anders, Troll. Ich spüre ein Loch. Und in einem Monat wird das ein Riesenloch sein. Ein Loch von
weit mehr als HaI-Größe.« »Und was meinst du, was du jetzt machen solltest? « »Und das Loch wird jeden Tag ein bissehen größer, bis ich in alle Himmelsrichtungen auseinanderfliege. Mitten in der Luft flieg ich auseinander. Ich flieg in der Lunge auseinander oder in Tucson bei 90° vor all den Leuten, die Ihn Selbst kannten und glauben, ich sei anders. Die ich belogen habe und zwar gern. Irgendwie kommt alles heraus, sauberes Pipi hin oder her.« »Du, HaI?« »Und sie bringt das um. Das weiß ich doch jetzt schon. Es bringt sie auf der Stelle um, Trollo, davor hab ich Angst.« »Du, Hai? Was machst du jetzt?« » ... « »HaI?« »Trollo, ich stütz mich wieder auf den Ellbogen. Sag mir, was ich deiner Meinung nach machen soll.« »Ich soll dir was sagen?« »Ich besteh hier nur noch aus zwei weit aufgestellten Lauscherehen, Troll. Ich höre. Weil ich
nicht weiß, was ich machen soll.« »Hai, wenn ich dir die Wahrheit sage, wirst du dann wütend und sagst, ich soll mich verpinkeln gehen?« »Ich vertraue dir. Du hast was drauf, Troll.« »Dann, Hai?« »Sag mir, was ich machen soll.« »Ich glaube, du hast es grad gemacht. Was du machen solltest. Ich glaube, das hast du grad gemacht.« » ... « »Weißt du, was ich meine?«
Kap. 62 - 17. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE Während Don Gatelys krankheitsbedingter Abwesenheit hat Johnette F. fünf Nachtdienste in Folge absolviert und Traumschicht geschoben, saß kurz nach 8.30 im Verwaltungsbüro, protokollierte die vergangene Nacht im Übergabebuch, suchte nach Synonymen für Langeweile, tauchte in regelmäßigen Abständen einen Finger in den kochend heißen Kaffee, um wach zu bleiben, und lauschte den Toilettenspülungen in der Ferne, den zischenden Duschen, den Insassen, die verschlafen in Küche u n d Esszimmer herumklapperten, und all den anderen Morgengeräuschen, als urplötzlich jemand an den Haupteingang vom House klopfte, und dieser Jemand musste ein Neuzugang oder ein Fremder sein, denn die Leute in der Selbsterfahrungsgemeinschaft von Ennet House wussten, dass der Haupteingang um 8.00 aufgeschlossen wurde und ab 8.01 für jedermann mit
Ausnahme der Hüter des Gesetzes offen stand. Alle Insassen wussten dieser Tage, dass sie auf ein Klopfen an der Tür nicht zu reagieren hatten. Als Erstes dachte Johnette F. also, es wären wieder welche von diesen Polizisten322, die Anzüge und Krawatten trugen und weitere Insassen unter Eid über die Sache mit Lenz, Gately, den Kanadiern und der ganzen Scheiße aussagen lassen wollten; Johnette holte daher das Klemmbrett mit den Namen aller Insassen hervor, die noch ungeklärte Rechtsprobleme hatten und nach oben außer Sicht verfrachtet werden mussten, bevor Polizisten ins Haus gelassen werden konnten. Ein paar Insassen von der Liste waren im Esszimmer bestens zu sehen, wo sie Frühstücksflocken aßen und rauchten. Johnette hielt das Klemmbrett wie eine Art Autoritätsemblem, als sie ans Fenster neben der Haustür trat, um den Klopfenden in Augenschein zu nehmen und so weiter. Aber der Jugendliche vor der Tür war, klarer Fall das, der war nie im Leben Polizist oder Gerichtsangestellter, und Johnette öffnete die unverschlossene Tür, ließ ihn ein und erklärte ihm nicht erst groß, dass hier keiner klopfen müsse. Es
war ein Mittelschichtsjunge in Johnettes Alter oder vielleicht etwas jünger, der in der morgendlichen Qualmwolke der Diele husten musste und sagte, er wolle unter vergleichsweise wenigen Augen mit jemandem sprechen, der hier so eine Art Autorität darstelle, sagte er. Dieser Jugendliche, der hatte diesen coolen Aluminiumglanz eines Mittelschichtsjungen, war entweder komisch braun gebrannt oder hatte außer einem Sonnenbrand noch einen komischen Windbrand, und außerdem die weißesten NikeHightops, die Johnette je gesehen hatte, und gebügelte Jeans, richtig so mit Bügelfalte vorn die Mitte runter, und eine komische wolligweiße Jacke mit A.T.E. in Rot auf dem einen Ärmel und in Grau auf dem anderen, und angeklatschte dunkle Haare, die nass waren, aber vom Duschen, nicht von Gel, und außerdem halb gefroren, die Haare, von der frühmorgendlichen Kälte draußen, und die standen vorne hoch, gerade und gefroren, was sein dunkles Gesicht kleiner machte. Seine Ohren waren von der Kälte gerötet. Johnette taxierte ihn cool und popelte mit dem kleinen Finger im Ohr. Sie musterte das Gesicht des Jungen, als David Krone wie ein Krebs angekrabbelt kam, den Jungen kopfüber ein paarmal ansah, sich eilig umdrehte und die Treppe
hochkrabbelte, wobei seine Stirn an jede Stufe bummerte. Es war nicht zu übersehen, dass der Junge kein Kumpel oder Freund irgendwelcher Insassen war, die er zur Arbeit mitnehmen wollte oder was. So wie der dastand und aussah und redete und a l l e s , strahlte er wartungsintensiven Unterhaltsaufwand aus, Privilegien und Schulen, wo keiner mit Waffen herumlief, so ziemlich einen ganzen Planeten von Privilegien entfernt vom Planeten der Johnette Marie Foltz aus South Chelsea und dann der Right Honorable Edmund F. Heany-Anstalt für Nachweislich Schwer Erziehbare Mädchen unten in Brockton; und in Pats Büro, dessen Tür sie nur anlehnte, setzte Johnette die unauffällig feindselige Miene auf, mit der sie Mittelschichtsjungen ohne Täts und mit allen Zähnen begegnete, die sich außerhalb der NA null für sie interessierten und ihre fehlenden Schneidezähne und die Sicherheitsnadel in der Nase für Zeichen hielten, dass sie was Besseres waren als sie und so, irgendwie. Wie sich zeigte, hatte der Junge aber anscheinend nicht genug emotionalen Saft, um sich dafür zu interessieren, jemanden zu verurteilen oder eigentlich auch nur wahrzunehmen. Er sprach mit
diesem plapprigen Speichelreichtum, den Johnette nur zu gut kannte, weil den alle hatten, die Pfeifchen und/oder Bong gerade erst weggelegt hatten. Die Haare des Jungen schmolzen in der Wärme von Pats Büro, tropften und legten sich wie ein aufgeschlitzter Reifen auf den Kopf, wodurch das Gesicht größer wurde. Er wirkte ein bisschen, wie hatte die vierte Mrs Foltz das immer ausgedrückt, blass um die Nase. Er stand kerzengerade da, hatte d i e Hände hinter dem Rücken verschränkt und sagte, er wohnte hier in der Gegend und wäre schon seit einiger Zeit sagen wir mal neugierig darauf, vielleicht mal bei so einem Anonyme-DrogenleuteTreffen mitzumachen und so weiter, einfach um mal was zu machen, genau derselbe umständliche Verleugnungsscheiß wie bei Leuten ohne Zähne, und er sagte, er wüsste bloß nicht, wo welche wären, also Treffen jetzt, oder wann, aber er hätte gewusst, dass das Ennet House323 in der Nähe wäre, das direkt mit solchen AnonymenOrganisationen zu tun hätte, und er wollte bloß mal fragen, ob er hier vielleicht ein gültiges Treffenprogramm bekommen könnte - oder leihen und kopieren und dann sofort per E- Mail oder Fax oder Post zurückschicken, was ihnen halt lieber
oder Post zurückschicken, was ihnen halt lieber wäre. Er entschuldigte sich dafür, hier so reinzuplatzen, und sagte, er wüsste bloß nicht, wer sonst ihm diesbezüglich weiterhelfen könnte. Von derselben Sorte wie Ewell und Day und dieser G r o ß k o t z von Würde-glatt-durch -einen hindurchsehen-wenn -mannich t- wie-ein - ScheißCovergir I-aus sähe- Ken - E.: Beherrschte ungekürzte Division und k o n n t e diesbezüglich sagen, hatte aber noch nie von den Gelben Seiten gehört. Viel später konnte sich Johnette F. im Lichte der späteren Ereignisse deutlich an den Anblick erinnern, wie die gefrorenen Haare des Jungen langsam getaut waren und sich gelegt hatten, wie er diesbezüglich gesagt hatte und wie ihm der eindeutig geruchs freie Mittelschichtsspeichel fast über die Unterlippe geflossen wäre, als er krampfhaft versucht hatte, das Wort ohne Schlucken auszusprechen. 324 Technische Vernehmungsspezialisten unter R. (»dem G.«) Tine325, Chef der Unspezifizierten Dienste, machen das wirklich, bringen eine transportable wattstarke Lampe mit, stöpseln sie ein
und drehen sie so, dass das Licht dem Subjekt der Vernehmung, dem Homburg und Schatten spendende Augenbrauen auf höfliche, aber unmissverständliche Anweisung hin entfernt worden sind, direkt ins Gesicht scheint. Und das war es, das grelle Licht auf ihrem voll beleuchteten postmarxistischen Gesicht, mehr noch als das harte, Film noir-kundige Kreuzverhör von R. Tine Jr. und dem anderen technischen Vernehmungsspezialisten, was Molly Notkin vom M. I. T., b i s auf die Dissertation fertige Dr. phil., frisch dem Hochgeschwindigkeitszug aus N.N.YC. entstiegen und im Sidney-Peterson-Regisseursstuhl inmitten fallen gelassener Gepäckstücke im abgedunkelten Wohnzimmer ihrer per Dietrich aufgebrochenen Genossenschaftswohnung sitzend, veranlasste, die Karten aufzudecken, damit herauszurücken, Käse zu fressen, wie ein Kanarienvogel zu singen und alles326 zu erzählen, was sie zu wissen glaubte; Molly Notkin erzählt den Agenten vom U.S.B.U.D., ihre Interpretation des tödlich unterhaltsamen Films Unendl i c her Spaß (V o d e r V I ) des apresgardistischen Regisseurs J. O. Incandenza laufe darauf hinaus, dass Madame Psychosis eine Art mütterliche Allegorie der archetypischen Gestalt
Art mütterliche Allegorie der archetypischen Gestalt des Todes darstelle, nackt dasitze, in ihrer Körperlichkeit herrlich, hinreißend, hochschwanger, das verunstaltete und entstellte Gesicht entweder verschleiert, durch wellenförmige computergenerierte Farbquadrate grobgepixelt oder von dem augenscheinlich sonderbaren und neuartigen Objektiv der Kamera so anamorphiert, dass kein Gesicht mehr zu erkennen war; sie sitze nackt da und erkläre dem von der Kamera Repräsentierten in ganz einfacher und kindgerechter Sprache, der Tod sei immer weiblich, und das Weibliche sei immer mütterlich. D. h., die Frau, die einen umbringe, sei im nächsten Leben immer die Mutter. Molly Notkin sagte, sie habe das auch nicht sonderlich vernünftig gefunden, als sie es gehört habe, es sei angeblich aber die Quintessenz jener Todes-Kosmologie, die Madame Psychosis dem Betrachter in monologisierender Lalation und vermittels Spezialobjektiv habe nahebringen sollen. Vielleicht habe sie während des Monologs ein Messer in der Hand gehalten, der große technische Haken des Films (alle Fil~e des Auteurs hätten irgendeinen technischen Haken gehabt) habe mit einem ungewöhnlichen Einzelobjektiv am Anschluss der
Bolex H32327 zu tun gehabt, und es sei zweifellos ein SpezialeHekt gewesen, der Madame Psychosis schwanger habe aussehen lassen, denn die echte Madame Psychosis sei nie sichtlich schwanger gewesen, Molly Notkin habe sie nackt gesehen328, und wenn man eine Frau nackt sähe, könne man immer sagen, ob sie je über das erste Semester hinaus schwanger gewesen sei.329 - Molly Notkin erzählt ihnen, Madame Psychosis' Mutter habe sich am Thanksgiving-Abend im Jahr des Tucks-Hämorrhoidensalbentuchs auf echt scheußliche Weise mit einem normalen Küchenmüllhäcksler umgebracht, rund vier Monate bevor sich auch der Auteur des Films umgebracht habe, ebenfalls mit einem Küchengerät und ebenfalls scheußlichst, aber, sagt sie, die Lincoln-Kennedymäßigen Verbindungen zwischen den bei den Suiziden müssten die Vernehmungsbeamten schon selber aufstöbern, denn soweit sie, Molly Notkin, wisse, hätten die jeweiligen Eltern gar nichts von der Existenz der anderen gewusst. - Dass die digitale Bolex-H32-Kamera - ein RubeGoldberg'sches Amalgam diverser Verbesserungen und digitaler Adaptionen der eh schon
modifikationslastigen klassischen Bolex H16 Rex 5 übrigens ein kanadisches Produkt, dem der Auteur während seiner gesamten Karriere den Vorzug gegeben habe, weil ihr Anschluss bis zu drei CMount-Objektive und Adapter erlaubt habe - der tödlichen Patrone Unendlicher Spaß (V) oder (VI) mit einem äußerst seltsamen und extrusiven Objektiv versehen worden sei und beim Filmen entweder auf dem Boden oder auf einer Pritsche oder einem Bett gelegen habe, und dass sich Madame Psychosis als die Todes-Mutter darübergebeugt habe, kreißend u n d nackt, und der Kamera als Synekdoche des Publikums von oben herab - in beiderlei Wortsinn, was von der kritischen Warte aus eine synästhetische Doppeldeutigkeit in den Film eingeführt habe, die sowohl die akustische als auch die optische Perspektive der subjektiven Kamera umfasst habe - erklärt habe, dass Mütter deswegen so obsessiv seien, so verzehrend und getrieben und dabei voller narzisstischer Liebe zu einem, ihrem Kind: Mütter versuchten verzweifelt, einen Mord wiedergutzumachen, an den sich niemand richtig erinnern könne. - Molly Notkin erzählt ihnen, sie könne weit hilfreicher sein und entgegenkommender mit
hilfreicher sein und entgegenkommender mit Einzelheiten aufwarten, wenn sie bloß diese Lampe ausschalten könnten, was eine heroische Lüge ist und von R. Tine Jr. als solche abgetan wird, und so l eucht et die Lampe weiterhin Molly Notkins enthaartes und unglückliches Gesicht aus. - Dass Madame Psychosis und der Auteur des Films sexuell nicht verstrickt gewesen seien aus Gründen jenseits der Tatsache, dass es nach Meinung des Auteurs weltweit nur eine finite Anzahl verfügbarer Erektionen gebe, was ihn immer entweder impotent oder schuldbeladen gemacht habe. Dass Madame Psychosis in Wahrheit nur den Sohn des Auteurs geliebt habe und mit ihm sexuell verstrickt gewesen sei, obwohl er, den Molly Notkin indes nie persönlich kennengelernt und über den Madame Psychosis wohlweislich nie ein schlechtes Wort geäußert habe, eindeutig der übelste kleine Schleimscheißer gewesen sei, der sich im gesamten weißen Männerkanon von Fleischeslust, moralischer Feigheit, emotionalen Winkelzügen und Schleim nur habe auftreiben lassen. Dass Madame Psychosis weder beim Suizid noch bei der Beerdigung des Auteurs zugegen gewesen
sei. Dass sie die Beerdigung verpasst habe, weil ihr P a s s abgelaufen gewesen sei. Dass Madame Psychosis auch bei des verstorbenen Auteurs Testamentseröffnung nicht zugegen gewesen sei, obwohl sie unter den Begünstigten gewesen sei. Dass sich Madame Psychosis nie über das Schicksal oder den späteren Verbleib der nicht freigegebenen Patrone mit dem Titel Unendlicher Spaß (V) oder Unendlicher Spaß (VI) geäußert und den Film nur aus der Perspektive der Erfahrung des eigenen Nacktauftritts darin geschildert habe, ihn also nie gesehen habe, aber stark bezweifeln wolle, dass er unterhaltsam, gar tödlich unterhaltsam sei, und zu der Ansicht neige, er habe wenig mehr als die kaum verhüllten Schreie eines Mannes dokumentiert, der am absoluten Endpunkt seiner existenziellen Kräfte angelangt gewesen sei - anscheinend hatte der Auteur seiner Mutter in seiner Kindheit extrem nahegestanden -, was dem Auteur zweifellos auch bewusst gewesen sei - er sei zwar nicht gerade der stabilste Nachen auf den Wogen der Psyche gewesen, aber in vielerlei Hinsicht doch ein scharfsichtiger Filmkritiker und -analytiker, der den wahren filmischen Jakob durchaus habe unterscheiden können von als Film verhüllten
unterscheiden können von als Film verhüllten jämmerlichen Schreien, egal wie sehr die Nadel seines Kompasses am Ende seiner Kräfte auch über die Windrose gezuckt sei, und aller Wahrscheinlichkeit nach habe er die Mutterpause des misslungenen Kunstwerks zerstört, genauso wie er dem Vernehmen nach auch die ersten vier oder f ü n f misslungenen Anläufe desselben Projekts zerstört hatte, in denen allerdings Schauspielerinnen mit weit weniger Nimbus und Aura agiert hätten. - Dass die Beisetzung des Auteurs angeblich in L'Islet Province von Nouveau Quebec stattgefunden habe, der Geburtsprovinz der Witwe des Auteurs, und zwar als Erdbestattung, nicht als Kremierung. - Dass es ihr natürlich mitnichtestens zustehe, dem U.S.-Büro für Unspezifizierte Dienste Vorschriften zu machen, aber warum sie nicht einfach J. o. I.s Witwe aufsuchten und direkt vor Ort Existenz und Verbleib der angeblichen Patrone verifizierten? - Dass sie, Molly Notkin, es für ziemlich unwahrscheinlich halte, dass die Witwe des Auteurs Verbindungen zu antiamerikanischen Gruppierungen, Zellen oder Bewegungen habe, egal was die Dossiers über ihre leichtfertige Jugend vermuten
ließen, denn nach allem, was sie, Molly Notkin, wisse, habe die Frau keine höheren Ziele verfolgt als die ihrer individuellen Neurosen, so süß und besorgt um Madame Psychosis sie sich bei dieser auch angewanzt habe. Dass Madame Psychosis ihr, Molly Notkin, gestanden habe, sie habe die Witwe buchstäblich für den personifizierten Tod gehalten ihr Dauerlächeln sei das im Todeskrampf verzerrte Lächeln einer thanatoptischen Gestalt gewesen -, und sie, Madame Psychosis, habe es immer bizarr gefunden, dass der Auteur die verschiedenen weiblichen Allegorien des Todes immer mit ihr, Madame Psychosis, besetzt habe, wo er das Original doch ständig vor der Nase gehabt habe, die Witwe in spe nämlich, die obendrein eminent fotogen und noch in den späten Vierzigern eine Schönheit gewesen sei, die in jedem Restaurant augenblicklich für Totenstille gesorgt habe. - Dass der Auteur den Konsum von Spirituosen eingestellt habe, weil das Madame Psychosis' Bedingung gewesen sei, ehe sie sich bereit erklärt habe, in dem Werk aufzutreten, das, wie sie gewusst habe, ihre letzte Patrone sein würde, ohne dass sie gewusst habe, dass es auch J.O.I.s letzte werden würde, und dass der Auteur seine Seite der
würde, und dass der Auteur seine Seite der Abmachung anscheinend unglaublicherweise330 eingehalten habe vielleicht sei er so tief bewegt gewesen von M. P.s Einwilligung, noch einmal vor die Kamera zu treten, selbst nach ihrem schrecklichen Unfall und der Entstellung sowie der verabscheuungswürdigen Aufkündigung der Beziehung durch den kleinen Schleimscheißer von Sohn, der als Begründung die sexuelle Verstrickung von Madame Psychosis mit ihrem - an dieser Stelle sagte Molly Notkin, dass sie natürlich seinem habe sagen wollen - Vater, dem Auteur, vorschob. Und dass der Auteur anscheinend die ganzen nächsten dreieinhalb Monate alkoholfrei geblieben sei, von Weihnachten im Jahr des TucksHämorrhoidensalbentuchs bis zum 1. April im Jahr der DoveProbepackung, dem Datum seines Suizids. - Dass das vollkommen geheime und verborgene Drogenmissbrauchsproblem, das Madame Psychosis schließlich in ein elitäres privates Sanatorium zur Suchtbehandlung gebracht habe, das so elitär sei, dass nicht einmal M. P.S engste Freundinnen seine Lage kennten, außer dass es weit, weit weg liege; dass das Missbrauchsproblem einzig und allein die
Folge der schrecklichen Schuldgefühle sei, die Madame Psychosis im Anschluss an den Suizid des Auteurs überfallen hätten und eindeutig den unbewussten Zwang ausgelöst hätten, sich mit demselben Drogenmissbrauch zu bestrafen, den zu beenden sie den Auteur genötigt hatte, wobei sie lediglich den Wild Turkey, der, wie sie, Molly Notkin, bestätigen könne, einen wahrlich harzigen Geschmack habe, durch Narkotika ersetzt habe. - Nein, die Schuldgefühle von Madame Psychosis wegen des Seppukiri des Auteurs hätten nichts mit dem vorgeblich tödlichen Unendlichen Spaß (V) oder (VI) zu tun, der, soweit Madame Psychosis das während der Dreharbeiten habe erkennen können, k a u m mehr als ein Eintopf depressiver Spitzfindigkeiten gewesen sei, die von protziger Kamera-Artistik und perspektivischer Neuartigkeit zusammengehalten worden seien. Und nein, die verzehrenden Gewissensbisse hätten eher der Tatsache gegolten, dass der Auteur den Spirituosenkonsum ausgesetzt habe, obwohl dieser, wie sich herausstellte oder M. P. im irrigen Rückblick gemeint habe, das Einzige gewesen sei, was dem Mann existenziell noch Halt gegeben habe, der
Konsum, sodass er ohne diesen nicht mehr imstande gewesen sei, dem psychischen Druck zu widerstehen, der ihn darum über jene Klippe gestoßen habe, die, wie Madame Psychosis gesagt habe, der Auteur und sie gelegentlich als Zitat »Selbstauslöschung« bezeichnet hätten. - Dass sie, Molly Notkin, es keineswegs für unwahrscheinlich halte, dass die spezielle, in limitierter Auflage hergestellte Geschenkflasche Wild Turkey Blended Whiskey in Truthahnform mit dem cerisefarbenen Samtschmuckband um den Hals und der unter den Kehllappen zusammengebundenen Schleife auf der Küchentheke neben dem Mikrowellengerät, vor dem die Leiche des Auteurs in scheußlicher Schräglage gefunden worden sei, von der Witwe in spe dort hingestellt worden sei, die es durchaus erzürnt haben könne, dass der Auteur nie bereit gewesen sei, Zitat »für sie« die Spirituosen aufzugeben, anscheinend aber bereit gewesen sei, sie Zitat »für« Madame Psychosis und ihren Nacktauftritt in seinem letzten Werk aufzugeben. - Dass die allen Berichten zu folge außergewöhnlich attraktive Madame Psychosis an demselben Thanksgiving- Tag, an dem sich ihre Mutter mithilfe
eines Küchengeräts umgebracht habe, ein irreparables Gesichtstrauma erlitten habe, das sie absolut rüde verunstaltet und entstellt habe, und dass ihre Mitgliedschaft in der 13SchritteSelbsthilfegruppe der Liga der Absolut Rüde Verunstalteten und Entstellten keine Metapher oder List sei. - Dass der unerträgliche Stress, der in der Selbstauslöschung des Auteurs kulminiert habe, wahrscheinlich weit weniger mit Filmen oder digitaler Kunst zu tun gehabt habe - den antikonfluentiellen Ansatz des Auteurs habe sie, Molly Notkin, schon immer sehr distanziert und verkopft technisch gefunden, ganz zu schweigen von der, postmarxistisch betrachtet, Naivität der selbst beweihräuchernden Kombination aus anamorphen Fragmenten und einer antipikaresken331 narrativen Stasis -, auch nicht damit, angeblich ein engelhaftes Monster der Zuschauerbefriedigung hervorgebracht zu haben - jeder Mensch mit einem intakten Nervensystem, der einiges von diesem CEuvre gesehen habe, könne erkennen, dass Spaß oder Unterhaltung auf der Prioritätenliste des verstorbenen Regisseurs ziemlich weit unten
gestanden hätten -, sondern wahrscheinlich viel eher mit der Tatsache, dass seine Witwe in spe sich sexuell mit allem verstrickt habe, was ein YChromosom aufgewiesen habe, und dieser Praxis anscheinend schon viele Jahre gefrönt habe, eventuell sogar mit dem Sohn des Auteurs, Madames hasenfüßigem Liebhaber als Kind, denn ganz offensichtlich bringe der kleine Schleimscheißer genug malkathektische Probleme mit der Mutter mit, um in Wien eine ganze Weile lang für Gesprächsstoff zu sorgen. - Dass es für die lediglich der Dissertation noch entbehrende Dr. Notkin ergo - ziehe man den Aspekt der prometheischen Sch uldgefühle ob des Suizids des Auteurs ernsthaft in Zweifel - kaum noch eine Frage sein könne, dass der gesamte VollkommeneUnterhaltungals-Liebestod-Mythos, der die vorgeblich tödliche Patrone umwittere, lediglich eine klassische Illustration der antinomisch schizoiden Funktion jenes Mechanismus des postindustriellen Kapitalismus sei, dessen Logik die Ware als sterblichkeitsangstverdrängende Flucht präsentiere, die ihrerseits psychologisch fatal sei, wie Monsieur Gilles Deleuze in Inzest und die Vitalität des Todes in der kapitalistischen Unterhaltung in leicht
in der kapitalistischen Unterhaltung in leicht verständlichem Detailreichtum nachgewiesen habe, ein posthum erschienenes Buch, das sie den irgendwo hinter der grellweiß lodernden Lampe stehenden Gestalten, von denen eine so irritierend auf dem konischen Metalllampenschirm herumtippe, gern ausleihen könne, wenn sie versprächen, es zurückzugeben und nicht darin herumzukritzeln. - Dass - in Reaktion auf das respektvolle, aber unmissverständliche Ansinnen, die Antworten auf einer Art Tatsachenbasis fußen zu lassen und ihnen allen die kopflastigen Abstraktionen zu ersparen Madame Psychosis' Entstellungstrauma in seiner Kombination von Zufall und bösartiger Absicht direkt aus einem der scheußlicheren und unlösbareren proto-inzestuösen Katastrophenfilme des Auteurs wie beispielsweise Die Nacht trägt einen Sombrero, Bei Anruf Wollust oder Der unglückliche Fall von mir habe stammen können. Dass Madame Psychosis, ein Einzelkind, ihrem Vater extrem und herzerwärmend nahegestanden habe, einem Säurenchemiker bei einem Reagenzstoffbetrieb in Kentucky, der anscheinend ebenfalls eine extrem enge, auf dem gemeinsamen Ansehen von Filmen
beruhende Einzelkindbeziehung zu seiner Mutter gehabt habe, diese Nähe mit Madame Psychosis wiederholt zu haben schien, in Kentucky nahezu täglich mit ihr ins Kino gegangen und im Hochsommer mit ihr zu den verschiedensten Juniorentambourstabwirbelwettbewerben gefahren sei, während seine Frau, Madame Psychosis' Mutter, eine tiefreligiöse, aber angeschlagene, nervenschwache und an Agoraphobie leidende Frau, zu Hause auf der Familienfarm geblieben sei, eingekocht, die Farm verwaltet habe usw. Anscheinend seien die Dinge dann aber erst seltsam und später unheimlich geworden, als Madame Psychosis in die Pubertät gekommen sei; besonders der Säurenchemiker sei unheimlich geworden und habe sich verhalten, als werde Madame Psychosis jünger und nicht älter: Immer öfter habe er sie ins örtliche Cineplex in Kinderfilme ausgeführt, sich geweigert, Tatbestände wie Menstruation oder Brüste zur Kenntnis zu nehmen, Verabredungen nach Kräften hintertrieben usw. Anscheinend seien die Dinge von der Tatsache verkompliziert worden, dass Madame Psychosis aus der Pubertät als eine geradezu abnorm schöne junge Frau hervorgegangen sei, und das in einem Teil der
Vereinigten Staaten, in dem schlechte Ernährung sowie Gleichgültigkeit gegenüber Zahnpflege und Hygiene körperliche Schönheit zu einer äußerst seltenen und verstörenden Erscheinung gemacht hätten, an der Madame Psychosis' zahnlose und hydrantförmige Mutter keinerlei Anteil gehabt habe, die kein Wort gesagt habe, als Madame Psychosis' Vater alles von Büstenhaltern bis zu PAP-Abstrichen untersagt, die wohlgestalte Madame Psychosis in zunehmend pueriler Babysprache angesprochen, sie weiterhin mit Kindheitskosenamen wie Pookie oder Putti gerufen und ihr auszureden versucht habe, ein Stipendium der Boston University anzunehmen, deren Studiengang Film- und Patronenwissenschaft, wie er behauptet habe, voller böser Zitat PootemPuttmach-Pfuipfuis Zitat ende gewesen sei, was immer dieser pejorative Familiolekt auch habe bezeichnen sollen. - Dass Madame Psychosis - um auf den Punkt zu kommen, auf den zu kommen die Vernehmungs spezialisten mit in die Hüften gestemmten Händen und dem Austausch der Glühbirne durch ein Fabrikat mit deutlich höherer Wattleistung ostentativ einforderten -, wie das ja oft so komme, erst an die
Universität habe gehen und sukzessive etwas psychische Distanz und Substanz für emotionale Vergleiche gewinnen müssen, ehe sie habe erkennen können, wie unheimlich die Regression ihres Reagenz-Daddys gewesen sei, und dass sie erst, nachdem das Autogramm eines gewissen Oberligasportstars auf einem schlaffen Football argwöhnische und sarkastische statt dankbare EMails von zu Hause in Kentucky ausgelöst habe, zu argwöhnen begonnen habe, dass ihr mangelndes Sozialleben im Verlauf der Pubertät ebenso viel mit dem aufdringlichen Abraten ihres Vaters zu tun gehabt haben könne wie mit dem akt~onisierenden Charme ihrer einsetzenden Geschlechtsreife. Dass nach einer kurzen Pause, um aktceonisierend zu buchstabieren - die generationenübergreifende Kacke dann so richtig ans Dampfen gekommen sei, als Madame Psychosis den kleinen Schleimscheißer von Sohn des Auteurs anlässlich Thanksgiving im Jahr des Tucks-Hämorrhoidensalbentuchs das dritte Mal zum Festessen nach Kentucky mitgebracht und das infantilisierende Gebaren ihres Daddys ihr gegenüber sowie die zwanghafte Konservenfabrikation und das Kochen ihrer wortlosen Mutter mit angesehen habe, ganz zu
schweigen von den furchtbaren Spannungen, die sich aufgebaut hätten, als Madame Psychosis versucht habe, ein paar Stoff tiere aus ihrem Zimmer zu entfernen, um Platz für den Sohn des Auteurs zu schaffen, mit einern Wort, dass die Erfahrung ihres Elternhauses und Daddys durch den vergleichenden Filter der Verstrickung mit dem Sohn des Auteurs bei Madame Psychosis jene Krise herbeigeführt habe, die das Aussprechen des Unaussprechlichen beschleunigt habe; und als der SäurenchemieDaddy bei jenem Thanksgiving-Mahl am Mittag des 24. Novembers im J.d.T.-H. begonnen habe, den Truthahn auf dem Teller von Madame Psychosis nicht nur klein zu schneiden, sondern mit den Zinken seiner Gabel auch zu zerquetschen, alles unter den vergleichend hochgezogenen Brauen des Sohns des Auteurs, habe Madame Psychosis ihm endlich die bislang unausgesprochene Frage gestellt, warum ihr leibhaftiger Daddy zu glauben scheine, sie brauche Hilfe beim Kauen, jetzt, wo sie die Volljährigkeit erreicht habe, mit einem Mann zusammenlebe, sich vom Tambourstabschwingen der Kindheit entfernt habe und sich an die Ausgestaltung einer Karriere hinter der, ja vielleicht sogar auf beiden Seiten der
Filmkamera mache? Molly Notkins Einschätzung des nachfolgenden Ausbruchs der Emotionen aus zweiter Hand ist nicht sehr detailliert, aber sie hat das Gefühl, sie dürfe mit Gewissheit konstatieren, dass es sich höchstwahrscheinlich um eines jener Systeme gehandelt habe, in denen sich über geraume Zeit ein enormer stummer Druck aufstaue, b e i dessen Abfuhr es dann fast immer zu einer ausgewachsenen Eruption komme. Der enorme Stress des Säurenchemie-Daddys habe sich augenscheinlich direkt bei Tisch entladen; mit dem weißen Fleisch seiner erwachsenen Tochter zwischen den Gabelzinken sei es zu dem Geständnis gekommen, dass er insgeheim und stumm seit langer, langer Zeit in Madame Psychosis verliebt gewesen sei; dass diese Liebe wahr, rein, unausgesprochen, anbetend, zeitlos und unmöglich gewesen sei; dass er sie nie berührt, das auch nicht gewollt habe, ebenso wenig sie begaffen, weniger aus Angst, jenem Typ Südstaatenvater zu entsprechen, der grapsche und gaffe, als wegen der Reinheit der verlorenen Liebe zu dem kleinen Mädchen, das er täglich mit dem Stolz eines Galans ins Kino begleitet habe; dass Repression und Versteckbarkeit seiner reinen Liebe gar nicht so
schwer gewesen seien, solange Madame Psychosis kindlich und geschlechtslos gewesen sei, dass der D r u c k mit Einsetzen von Pubertät und Geschlechtsreife jedoch so immens geworden sei, dass er ihn nur habe kompensieren können, indem er das Kind im Geiste auf das Alter von Inkontinenz und püriertem Fleisch zurückentwickelt habe, dass sein Bewusstsein, wie unheimlich sein Verleugnen ihrer Reife gewirkt haben müsse - auch wenn weder die Tochter noch die Mutter, die eben jetzt wortlos eine kandierte Süßkartoffel kaue, Verleugnung und Unheimlichkeit je kommentiert und nur seine geliebten Vorstehhunde gewinselt und an der Tür gekratzt hätten, wenn die Verleugnung besonders unheimlich geworden sei (Tiere reagierten nach Molly Notkins Erfahrung auf emotionale Anomalien ja weit sensibler als Menschen) -, den Druck seines limbischen Systems auf ein nahezu unerträgliches Fuß-Kilo-Niveau angehoben und er seit nun nahezu einem Jahrzehnt um das liebe Leben gebangt habe, aber dass er nun auch noch leibhaftig mit ansehen müsse, wie Pooky, Knuddelbär und andere aus ihrem Zimmer mit der Ballerina-Tapete entfernt würden, um Platz für einen nicht mit ihnen verwandten reifen Mann zu schaffen, dessen
körperliche Vitalität Daddy durch das Guckloch, das nicht in die Badezimmerwand knapp über dem Spiegel über dem Waschbecken, dessen Rohre die Wand am Kopfende von Madame Psychosis' Bett sirren und dröhnen ließen, zu bohren er vergeblich jedes Gramm der ihm eigenen zitternden Willenskraft aufgeboten habe und durch das er spätabends Mutter gegenüber leichten Durchfall nach all den Feiertagsgenüssen vorschützend -, gekrümmt über dem Waschbecken jeden Abend, seit Madame Psychosis und der Sohn des Auteurs eingetroffen seien, um im entschmusetierten Kindheitsbett zu übernachten, geradezu gefoltert von der Reinheit seiner unmöglichen Liebe zu der - Dass an diesem Punkt die Gabel und dann auch der Teller von Madame Psychosis' Mutter klirrend zu Boden gefallen seien und dass, die Geräusche der unter dem Tisch um den Teller streitenden Vorstehhunde übertönend, das Verleugnungssystem der Mutter Dampf abgelassen habe, sie ausgeflippt sei und öffentlich bei Tisch erklärt habe, der Daddy und sie hätten einander seit der ersten Menstruation von Madame Psychosis kein einziges Mal mehr im biblischen Sinne erkannt, und sie hätte gewusst, das
etwas unglaublich Unheimliches vor sich gehe, hätte dies aber geleugnet, ihren Argwohn ausgelagert und unter großem Druck unter der Glasglocke ihres eigenen Verleugnens verstaut, denn, wie sie zugebe - zugeben sei aber wahrscheinlich weniger zutreffend gewesen als greinen oder kreischen oder brabbeln -, habe ihr eigener Vater - ein von Lager zu Lager ziehender Wanderprediger - ihre Schwester und sie die ganze Kindheit hindurch missbraucht, sie begafft und begrapscht und Schlimmeres, und deswegen habe sie ja auch mit sechzehn geheiratet, um da wegzukommen, und jetzt sei ihr klar geworden, dass sie ganz genau dasselbe Monster geheiratet habe, die Sorte, die die eigene gottgegebene Gattin verschmähe und die Tochter begehre. - Dass sie gesagt habe, vielleicht sei sie, die Mutter, ja das eigentliche Monster, aber wenn, dann habe sie es satt, das zu verbergen und vor Gott und den Menschen falsch zu erscheinen. - Dass sie daraufhin von ihrem Platz fortgeschwankt sei, drei Vorstehhunde überwunden habe und ins Säurelabor des Daddys unten im Keller hinabgestürzt sei, um sich mit Säure zu entstellen.
- Dass der Daddy auf Holzregalen unten im Keller eine Weltklassesammlung verschiedenster Säuren in Pyrex-Kolben aufbewahrt habe. - Dass der Daddy, der Schleimscheißer von Sohn und schließlich eine schockträge Madame Psychosis alle miteinander die Treppe hinab der Mutter nachgelaufen seien und den Keller erreicht hätten, als sie gerade den Pfropfen aus einem Pyrex-Kolben mit einem riesigen halb weggefressenen Schädel an der Seite gezogen habe, der zusammen mit dem in der Flüssigkeit schwimmenden flammend roten Lackmuspapierstreifen einen unglaublich niedrigen pH-Wert und ergo eine extrem ätzende Säure gekennzeichnet habe. - Dass Madame Psychosis in Wahrheit Lucille Duquette heiße und ihr Daddy namens entweder Earl oder Al Duquette aus dem äußersten Südosten von Kentucky stamme, ganz unten in der Nähe von Tennessee und Virginia. Dass es trotz der vollmundigen Selbstbeschuldigungen des kleinen Schleimscheißers, die Entstellung zugelassen zu haben, und trotz der Behauptung, die durcheinander wirbelnden Systeme von Schuld, Entsetzen und
verleugnungsgespeister Vergebung machten eine engagierte Beziehung zu Madame Psychosis zunehmend unhaltbar, wohl keines Experten für Charakterstörungen und menschliche Schwächen bedürfe, um sich auszurechnen, warum der Typ Madame Psychosis binnen Monaten nach der traumatisierenden Entstellung abgesägt habe, oder? - Dass die Mutter auf dem Scheitelpunkt der Hysterie, wo Autoaggression so leicht in Fremdaggression umkippen kann, den Säurekolben auf den Daddy geschleudert habe, der sich reflexartig geduckt habe; dass sich der Schleimscheißer, ein gewisser Orin, ein ehemaliger Tennis-Champion mit erstklassigen Oberkörperreflexen, hinter ihm ebenfalls instinktiv geduckt habe, sodass Madame Psychosis benommen und bradykinetisch von der jähen Dampfabfuhr so vieler familiärer Hochdruckverdrängungssysteme - die volle Ladung ins Gesicht bekommen habe, was zu der traumatischen Entstellung geführt habe. Und dass es ihnen allen anzulasten sei, nicht auf ihre Verwahrung gedrängt zu haben, sodass die Mutter aus dem Gewahrsam in Südost-Kentucky entlassen worden und in die eigene Küche heimgekehrt sei, wo sie,
und in die eigene Küche heimgekehrt sei, wo sie, augenscheinlich lebensüberdrüssig, Suizid begangen habe, indem sie die oberen Extremitäten in den Müllhäcksler gesteckt habe - erst den einen Arm und dann, eigentlich wundersamerweise, wenn man es recht bedenke, auch den anderen Arm.332 Das fernste und unbedeutendste der aufgelisteten Dienstagabendtreffen in der kleinen weißen Broschüre Heilungsoptionen in MetroBoston333, die d i e schneidezahnlose und nasengepiercte junge Frau unten in dem Ennet House ihm gegeben hatte, schien eine Männern vorbehaltene Veranstaltung um 17.30 Uhr draußen in Natick zu sein, fast schon in Framingham, eine Adresse irgendwo an der Route 27, die die H.M.B.-Broschüre nur als »Q.R.S.-32A« angab. HaI hatte in der letzten Stunde keinen Unterricht, jagte durchs Nachmittagstraining, fertigte Shaw zu 1 und 3 ab, als beim regulären Nachmittagstraining noch das Aufwärmen lief, ließ im Kraftraum die Übungen für das linke Bein aus, verzichtete auch auf das Abendessen (Zitronenhuhn mit Kartoffelkroketten), nur um rechtzeitig loszupreschen und diese Anti-Drogen-GemeinschaftTreffen-Kiste in Natick auszutesten. Er wusste nicht
genau, warum, denn sein Problem war ja weniger eine sabbernde Unfähigkeit zur Abstinenz - vorige Woche hatte er ja für die nächsten 30 Tage die urologische Absolution erhalten, und seitdem hatte er sich kein einziges mg irgendeiner Droge mehr gegönnt. Sein Problem war, wie grauenhaft sich sein Kopf anfühlte, und zwar zunehmend, seit er abrupt alle Hoffnung fahren gelassen hatte334• Nicht nur die Albträume und der Speichel. Es war, als hockte sein Kopf jetzt die ganze Nacht auf dem Bettpfosten und sagte, sobald HaI in den viel zu frühen Morgenstunden die Augen aufriss, Schön Dass Du Endlich WACH Bist, Ich Habe Ein Wörtchen Mit Dir Zu REDEN, ließe dann den ganzen Tag nicht nach, ginge den ganzen Tag über wie eine tüchtig auf Touren gebrachte Kettensäge auf ihn los, bis er schließlich versuchen konnte, ins Koma zu fallen, und in Erwartung weiterer schlechter Träume elend in die Falle kroch. Tag für Tag rund um die Uhr fühlte er sich miserabel und beraubt. Die Dämmerung kam früher. HaI trug sich in die Liste am Fallgatter ein, raste den Hügel hinunter, fuhr mit dem Abschleppwagen die Comm. Ave. zum e.e. Reservoir hinunter und dann auf der Hammond
nach Süden, dieselbe abstumpfende Route wie beim Konditionierungslauf der E. T. A., nur bog er an der Boylston St. rechts ab und fuhr nach Westen weiter. Wenn man West Newton hinter sich hatte, wurde die Boylston zur mautfreien Rte. 9, für die periurbanen Agglomerationen im Westen die große Pendleralternative zum suizidalen I-90, und hüpfte in Serpentinenkurven von Vorstadt zu Vorstadt nach Westen Richtung Natick und Rte. 27. HaI schlich durch den Verkehr auf einer Hauptverkehrsader, die einst ein Viehpfad gewesen war. Als er endlich in Wellesley Hills war, hatte sich das verbrennungsfarbene Orange des Himmels zum höllischen Karmesinrot der letzten Gluten eines Feuers verdunkelt. Kurz danach sank polternd die Dunkelheit herab und zog Hals Stimmung mit sich. Es kam ihm jämmerlich und absurd vor, diese NarcoticsAnonymousTreffen-Kiste überhaupt auszuprobieren. A l l e entgegenkommenden Fahrzeuge blendeten auf, weil die Frontscheinwerfer am Kühlergrill des Abschleppwagens sinnlos hoch eingestellt waren. Den tragbaren kleinen CD-Spieler hatte Pemulis oder Axford mitgenommen und nicht zurückgelegt.
WYYY war ein gespenstisches Jazzrinnsal vor einem Meer statischen Rauschens. AM brachte nur Pillepallepop und den Bericht, Gentles Kabinett hätte eine spezielle Spontan-Disseminierte Rede an die Nation zu unbekannten Themen erst angesetzt und dann abgesagt. NPR sendete eine Art Podiumsgespräch zu potenziellen Themen - George Wills Laryngektomie- Prothese hörte sich scheußlich an. HaI zog Stille und Verkehrsgeräusche vor. Er aß zwei der drei 4-$-Kleiebrötchen, für die er einen Abstecher zur Gourmet-Bäckerei in Cleveland Circle gemacht hatte, zog eine Grimasse, als er sie hinunterwürgte, weil er vergessen hatte, sich auch was zum Nachspülen zu kaufen, steckte einen Riesenpriem Kodiak in den Mund, spuckte in regelmäßigen Abständen in sein spezielles NASAGlas, das genau in den Becherhalter unten bei der Gangschaltung passte, und vertrieb sich die letzte Viertelstunde der langweiligen Fahrt mit Überlegungen zur wahrscheinlichen etymologischen Karriere des Wortes Anonymous, vom, wie er annahm, äolischen OVUflU b i s zu Thynnes Erwähnung der »anonymall Chronicals« in den 1580ern v. SZ; fragte sich, ob es noch weiter zurück mit der angelsächsischen Pfahlwurzel des
altenglischen o n - a n e verschmolzen war, was angeblich Alles Als Eines oder Als Ein Leib bedeutete und in Cynewulfs späterer Standardinversion zum klassischen anon geworden sein mochte. Dann rief er sich die Entwicklungsgeschichte der ersten Drogengruppe AA seit 1935 v. 52 auf den mnemonischen Schirm; darüber hatte er im Discursive O.E.D. einen so ausführlichen Eintrag gefunden, dass er keine externe Datenbank mehr benötigte, um sich mehr oder weniger faktengesättigt genug zu fühlen, um bei diesem NA-Ableger vorbeizuschauen und die Sache wenigstens mal kurz in Augenschein zu nehmen. HaI kann sich eine Art geistige Kopie von allem, was er je gelesen hat, ins Gedächtnis rufen und es praktisch nach Belieben n o c h mal lesen, eine Fähigkeit, die die Fahrengelassene Hoffnung (bislang noch) nicht kompromittiert hat, weil die Entzugsfolgen eher emotional-/saliva-digestiver Natur sind. Die Felswände zu beiden Seiten des Wagens, wo die 27 durch weggesprengte Felsen führt, die äußersten Randgebiete der BerkshiresPenumbra, sind aus Granit oder Gneis. Eine Weile übt HaI auch, in den Rückspiegel des
Abschleppwagens »Ich heiße Mike« zu sagen. »Mike. Hi.« »Tag, ich bin Mike.« usw. Ei ne Viertelstunde östlich von Natick stellt sich heraus, dass das kurz angebundene Q.R. S. der kleinen Broschüre eine Anlage namens Quabbin Recovery Systems bezeichnet, die leicht zu finden ist, Anzeigetafeln am Straßenrand weisen schon einige km vorher darauf hin, jedes Schild ist etwas anders gestaltet und erzählt eine eigene kleine Geschichte, als deren Höhepunkt die Ankunft bei Q.R. S. selbst gedacht werden muss. Sogar Hals verstorbener Vater war zu jung, um sich an BurmaShave- Tafeln zu erinnern. Quabbin Recovery Systems liegt weit abseits der Rte. 27 an einer kurvenreichen gepflegten Schotterstraße, die entlang der gesamten Strecke von altmodischen Straßenlaternen gesäumt wird, deren Glasblenden geriffelt und facettiert sind wie Dessertschälchen und wohl mehr der Stimmung als der Beleuchtung dienen. Die Auffahrt zum Gebäude selbst schließlich ist ein noch kurvenreicheres Sträßchen, das eigentlich kaum mehr als ein Tunnel durch versponnene Kiefern und Pyramidenpappeln mit Haltungsschäden ist. Ist man einmal vom
Highway abgebogen, scheint hier draußen in den nächtlichen Einzugsgebieten - der wahren Walachei von Boston - alles gespenstisch und nötigt zur Vorsicht. Hals Reifen zerknirschen Zapfen auf der Straße. Ein Vogel kackt ihm auf die Windschutzscheibe. Die Auffahrt verbreitert sich langsam zu einem Delta, mündet in einen Parkplatz aus minzweißem Schotter, und vor ihm liegt das äußerliche Q.R.S., kubulär und brütend. Das Gebäude gehört zu diesen neuen undeformierten Kuben aus rauem Fachwerk mit Granitecksteinen. Von unten stimmungsvoll beleuchtet von weiteren Nostalgielaternen, erinnert es an die Bauklötzchen aus der Spielzeugkiste eines Riesenkleinkinds. Die Fenster sind von der rauchig braunen Sorte, die im Tageslicht zu dunklen Spiegeln werden. Als dieses Fensterglas auf den Markt kam, hatte Hals verstorbener Vater das Zeug in einem Interview mit L e n s & P a n e öffentlich verdammt. Von innen beleuchtet, haben die Scheiben jetzt etwas Blutiges, Verschmutztes. Gut zwei Drittel der Parkplätze sind NUR FÜR PERSONAL, was HaI seltsam findet. Der Abschleppwagen dieselt und schnauft nach dem Abschalten immer noch ein bisschen nach und
Abschalten immer noch ein bisschen nach und verebbt schließlich mit einem bebenden Furz. Es ist totenstill bis auf das Zischen leichten Verkehrs unten auf der 27 hinter den ganzen Bäumen. Nur TPNetzarbeiter und Marathonpendler wohnen im exurbanen Natick. Entweder ist es hier draußen weit kälter, oder während Hals Fahrt ist eine Kaltwetterfront aufgezogen. Die Kiefernluft auf dem Parkplatz hat die Äthylschärfe des Winters. Das große Portal und der Türsturz von Q.R.S. sind wieder aus Spiegelglas. Eine Klingel ist nicht zu sehen, aber die Türen sind unverschlossen. Sie öffnen sich mit Druckluft wie viele Anstaltstüren. Das savannenfarbene Foyer ist geräumig und still und h a t einen leicht zahn-/medizinischen Geruch. Der Teppich besteht aus einem dichten, kurzen, hellbraunen Dacronyl-Gewebe, das den Schall verschluckt. In der Mitte befindet sich das Kreissegment einer Schwesternstation oder eines Empfangstischs mit hohem Tresen, aber da ist niemand. Der ganze Raum ist so still, dass HaI das Blut im Kopf quietschen hört. D a s 3 2 A hinter dem Q.R.S. in der weißen
Broschüre der jungen Frau bezeichnet wohl eine Zimmernummer. HaI hat eine Nicht-E. T. A.-Jacke an und hält das NASA-Glas zum Spucken in der Hand. Er müsste auch ohne Kautabak spucken; der Kodiak ist fast schon ein Vorwand oder eine Ausrede. Im Foyer ist kein Grundriss oder Sie-befinden-sichhier-Plan zu sehen. Die Hitze ist intensiv und drückend, aber irgendwie durchlässig; sie führt einen unruhigen Kampf gegen die Kühle, die das Rauchglas des Eingangs ausstrahlt. Die Laternen auf dem Parkplatz und an der Auffahrt dahinter sind durch das Glas als Kleckse sepiabraunen Lichts zu sehen. Drinnen produzieren Lichtvouten in den Fugen von Wänden und Decke ein indirektes Licht, das keine Schatten wirft und direkt von den Objekten im Raum auszugehen scheint. Dieselbe Beleuchtung und löwenfarbene Auslegeware finden sich im ersten l a n g e n Flur, den HaI ausprobiert. Die Zimmernummern gehen bis 17 hoch und hinter einer scharfen Kurve mit 34A weiter. Die Zimmertüren bestehen aus hellem Holzimitat, sehen aber dick und privat aus, in die Rahmen versenkt. Es riecht nach altem Kaffee. Die Farbgebung der Wände liegt irgendwo zwischen dunkelbraun und der Schale reifer Auberginen, leicht ekelerregend über dem
reifer Auberginen, leicht ekelerregend über dem sandigen Hellbraun des Teppichs. Alle Gebäude, die auch nur entfernt mit dem Gesundheitswesen zu tun haben, haben unterschwellig diesen dünnen, Übelkeit erregenden, süßlichen Zahnarztgeruch. Bei Q.R.S. scheint man der Klimaanlage noch einen Lufterfrischerbalsam beizumischen, aber auch der kann den süßlich medizinischen Gestank oder den fad säuerlichen Geruch nach Krankenhausessen nicht überdecken. Seit HaI hereingekommen ist, hat er keinen menschlichen Laut gehört. Die Stille des Ortes hat den verlockenden Klang totaler Stille. Seine Schritte erzeugen auf dem Dacronyl keine Geräusche. Er fühlt sich verstohlen und einbrecherisch, senkt die Hand mit dem NASAGlas und hebt die andere mit der NA-Broschüre, Titel nach außen wie einen erläuternden Pass. Er sieht digital bearbeitete Landschaftsbilder an den Wänden, niedrige Beistelltischchen mit Hochglanzmagazinen, einen gerahmten Druck von Picassos »Sitzendem Harlekin« und auch sonst nur Anstaltsmist, optische Fahrstuhlmusik. Ohne ein Geräusch seiner Schritte ist es, als sei der Spießrutenlauf entlang der Türen nurmehr ein Gleiten. Die Stille hat etwas
nurmehr ein Gleiten. Die Stille hat etwas Bedrohliches. Das ganze kubuläre Gebäude hat für HaI die angespannte Drohung eines Lebewesens, das sich bewusst still verhält. Würde man HaI bitten, seine Gefühle bei der Suche nach Zimmer 32A zu beschreiben, könnte er bestenfalls sagen, er wäre jetzt lieber woanders und würde sich lieber anders fühlen. Sein Mund produziert Speichelströme. Das Glas ist zu einem Drittel voll, liegt schwer in der Hand und bietet keinen schönen Anblick. Ein paarmal hat er es verfehlt und den hellbraunen Teppich mit dunklem Speichel verunziert. Nach zwei 90°-Kehren ist klar, dass der Flur ein perfektes Quadrat um das Erdgeschoss des Würfels herum bildet. Er sieht keine Treppen oder Eingänge zu Treppenhäusern. Er leert die Pampe aus dem NASAGlas in die Topferde eines Gummibaums. Das Gebäude der Q.R.S. könnte einer von diesen berüchtigten rubikulären Würfeln sein, die topologisch undeformiert aussehen, aber im Innern ist es in Wirklichkeit unmöglich, sich zurechtzufinden. Aber hinter der dritten Ecke gehen die Zimmernummern mit 18 los, und jetzt hört HaI auch weit entfernte oder sehr gedämpfte Stimmen. Er hält die NA-Broschüre wie ein Kruzifix vor den Körper. Er
hat ungefähr 50 US - Dollar dabei und etwa weitere 100 Dollar in O.N.A.N.-Scheinen mit Adler-, Blattund Besen-Emblemen, weil er keine Ahnung hatte, welche Aufnahmegebühren anfallen könnten. Die Q.R.S. hatten das erstklassige Bauland in Natick und die topmodernen Dienste eines geometrischminimalistischen Architekten der Sao-Paulo-Schule nicht bloß aus Altruismus eingekauft, das war mal sicher. Die holzgemaserte Tür von Zimmer 32A war genauso fest geschlossen wie alle anderen, aber die gedämpften Stimmen drangen hinter ihr hervor. In der Broschüre wurde das Treffen auf 17.30 angesetzt, und es war erst etwa 17.20, also sagte sich HaI, die Stimmen bedeuteten vielleicht, dass es vor dem regulären Treffen Hinweise für Leute gab, die zum ersten Mal dabei waren, ganz unverbindlich, einfach um die ganze Sache mal auszuprobieren, also klopfte er nicht. Er hat immer noch diese hartnäckige Angewohnheit, sich an den Hals zu fassen, als wolle er eine Krawatte zurechtrücken, bevor er ein unbekanntes Zimmer betritt. Bis auf die hier fehlenden dünnen Gummiüberzüge
gleichen die Türklinken von Quabbin Recovery Systems denen der E. T. A. - flache Messingstangen, die per Knebelbolzen mit der Falle verbunden sind, sodass man die Stangen runterdrücken und nicht drehen muss, um die Tür zu öffnen. Anscheinend hat d a s Treffen aber doch schon angefangen. Es ist nicht im Entferntesten groß genug, um für eine Stimmung der Anonymität oder des zwanglosen Vorbeischauens zu sorgen. Neun oder zehn erwachsene Mittelschichtmänner sitzen im warmen Raum auf orangenen Plastikstühlen mit Stahlrohrbeinen. Alle tragen Bärte, Chinos und Pullover, alle sitzen im selben indischen YogaSchneidersitz da, mit den Händen auf den Knien und den Füßen unter den Knien, und alle tragen Socken, ohne dass irgendwo Schuhe oder Wintermäntel zu sehen wären. HaI drückt die Tür zu, schleicht an der Wand entlang zu einem freien Stuhl und hält die ganze Zeit deutlich sichtbar die Treffen-Broschüre hoch. Die Stühle haben keine ersichtliche Ordnung, und ihr Orange beißt sich mit den Farben des Raums; Wände und Decken sind im Ton von Thousand-Island-Dressing gehalten - eine Farbgebung, die bei HaI Assoziationen abruft, die er
nicht genau zuordnen kann, aber unangenehm findet -, und den Boden bedeckt auch hier der Löwenfellteppich aus Dacronyl. Die warme Luft in 32A ist kohlendioxidgeschwängert und unschön angereichert mit dem Aroma weichlicher Männerkörper mittleren Alters ohne Schuhe, ein schaler handfester Käsegeruch, der widerlicher ist als selbst eine E. T. A.-Umkleide nach einer TexMex-Fiesta von Mrs Clarke. Der Einzige beim Treffen, der Hals Eintreten zur Kenntnis nimmt, sitzt an der Stirnseite des Raums, ein Mann, den HaI schon fast krankhaft dick nennen würde, der Körper nahezu von Leith-Ausmaßen und kugelförmig und obendrauf die kleinere, aber immer noch große Kugel des Kopfes, die Socken kariert und die Beine nicht ganz überkreuzbar, sodass es so aussieht, als könne er auf seinem Stuhl jeden Augenblick katastrophal hintenüberkippen, aber er lächelt Hals Wintermantel und das NASA-Glas herzlich an, als HaI hereinschleicht, Platz nimmt und in sich zusammensackt. Der Stuhl des runden Mannes steht unter einer kleinen weißen Tafel für Magic- Marker- Filzstifte, und alle anderen Stühle stehen ihm mehr oder weniger gegenüber. Der Mann hat einen Filzstift in der einen Hand, drückt mit der
hat einen Filzstift in der einen Hand, drückt mit der anderen anscheinend einen Teddybär an die Brust und trägt Chinos und einen toastfarbenen Norwegerpullover mit Zopfmuster. Seine Haare sind v o n wächsernem Blond, er hat die blonden Augenbrauen, die gespenstisch blonden Wimpern und das knallrot angelaufene Gesicht eines echt blonden Norwegers, und sein Bärtchen ist ein Knebelbart, den er dermaßen gewachst hat, dass er einer gestutzten Sternzacke ähnelt. Der krankhaft runde Blonde ist eindeutig der Leiter des Treffens, möglicherweise ein ranghoher Funktionär der Narcotics Anonymous, den HaI hinterher beiläufig auf Traktate und Texte zum Kaufen und Lesen ansprechen kann. Ziemlich weit vorn sitzt ein anderer Mann mittleren Alters und weint, und auch er hat anscheinend einen Bären im Arm. Die blonden Brauen wandern auf und ab, als der Leiter sagt: »Ich möchte vorschlagen, dass wir alle unsere Bären ganz fest in die Arme nehmen und unseren Inneren Säugling vorurteilsfrei anhören lassen, wie Kevins Innerer Säugling sich über seine Trauer und seinen Verlust äußert.«
Alle sitzen in leicht verschobenen Winkeln zu HaI, der in der vorletzten Reihe drüben an der Wand in sich zusammengesackt ist, aber nach einigem subtilen und beiläufigen Halsverrenken zeigt sich, dass tatsächlich alle diese Mittelschichtmänner, die mindestens in den Dreißigern sind, Teddybären an die Pulloverbrüste drücken und zwar identische Teddybären, mollig, braun, mit abgespreizten Gliedern und kleinen roten Filzzungen, die ihnen aus den Mündern hängen, als würden sie gerade erwürgt. Der Raum ist jetzt bedrohlich ruhig bis auf die Zischlaute der Heizungsventile und den schluchzenden Kevin, und das Plip von Hals Speichel auf dem Boden des leeren Glases ist lauter, als ihm lieb wäre. Der Nacken des weinenden Mannes wird immer röter, er umklammert seinen Teddy und wiegt sich auf den Pobacken hin und her. HaI sitzt da, der gesunde Knöchel liegt auf dem Knie des anderen Beins, der weiße Hightop wippt auf und ab, er betrachtet seinen schwieligen Daumen und hört Kevin weinen und schniefen. Der Mann wischt sich mit dem Handrücken die Nase, genau wie die kleineren Kumpel an der E. T. A. HaI
sagt sich, dass die Tränen und die Teddys wohl mit dem Drogenverzicht zu tun haben und dass das Treffen wahrscheinlich kurz davor steht, explizit über Drogen zu sprechen und wie man Drogen für einen bestimmten Zeitraum aufgeben kann, ohne sich unbeschreiblich elend und beraubt zu fühlen, vielleicht erhält er aber auch wenigstens Informationen darüber, wie lange das Elend des Drogenverzichts anhalten kann, bevor das alte Nervensystem und die Speicheldrüsen zum Normalzustand zurückkehren. Auch wenn Innerer Säugl i ng unangenehm an Dr. Dolores Rusks gefürchtetes Inneres Kind erinnert, ginge HaI jede Wette ein, dass es sich dabei um eine Abkürzung der Narcotics Anonymous handelt, die für »limbische Komponente des ZNS« oder »den Teil unserer Großhirnrinde, der sich ohne die Drogen, die uns bisher insgeheim durch den Tag gebracht haben, nicht so elend und beraubt fühlt« oder etwas ähnlich Stärkendes und Ermutigendes steht. HaI zwingt sich dazu, objektiv zu bleiben und keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, ehe er über zureichende Informationen verfügt, und er hofft inständig, dass sich irgendein Gefühl der Hoffnung einstellt.
Der doppelkugelige Leiter hat aus seinen Fingern einen Käfig gemacht, den er auf dem Kopf seines Teddybären ruhen lässt, er atmet langsam und gleichmäßig, lächelt Kevin unter den blonden Augenbrauen gütig an und erinnert mehr denn je an eine Art Buddha-alskalifornischer-Surfer. Er holt sanft Luft und sagt: »Die Energien, die ich jetzt in unserer Gruppe fühle, sind Energien der vorbehaltlosen Liebe und Akzeptanz für Kevins Inneren Säugling.« Sonst sagt niemand etwas, und anscheinend findet der Leiter es auch gar nicht nötig, dass jemand etwas sagt. Er sieht auf den Käfig hinab, den seine Finger auf dem Bären bilden, und verändert die Käfigform minimal. Dieser Kevin, dessen Nacken inzwischen nicht nur tomatenrot ist, sondern zwischen Hemdkragen und Haaransatz auch von Scham schweiß schimmert, schluchzt noch lauter, als er Liebe und Unterstützung zugesagt bekommt. Die hohe heisere Stimme des dicken Leiters hat dieselbe nichtssagend sanfte und didaktische Qualität wie Rusks, als spräche man immerzu zu einem nicht besonders aufgeweckten Kind. Nach weiterem Käfigspielen und tiefem Atmen sieht der Leiter auf und in die Runde, nickt ins Leere und sagt: »Vielleicht könnten wir alle aussprechen, was
sagt: »Vielleicht könnten wir alle aussprechen, was wir jetzt für Kevin empfinden, und mitteilen, wie viel er und sein Innerer Säugling in seinem Schmerz uns jetzt bedeuten.« Verschiedene bärtige Männer im Schneidersitz ergreifen das Wort: »Ich liebe dich, Kevin.« »Ich verurteile dich nicht, Kevin.« »Weiß genau, wie du und dein I. S. euch fühlt.« »Ich habe das Gefühl, dass ich ganz nah bei dir bin.« »Ich spüre gerade ganz viel Liebe zu dir, Kevin.« »Du weinst hier für zwei, Kumpel.« »Kevin Kevin Kevin Kevin Kevin.« »Ich finde, dein Weinen ist keine Spur unmännlich oder jämmerlich, Mann.« Von diesem Punkt an verliert HaI langsam seine erzwungene Objektivität und Aufgeschlossenheit und bekommt ganz persönlich ein schlechtes Gefühl, was dieses Treffen der Narcotics Anonymous (»NA«) angeht, das anscheinend längst in vollem Gang ist und keineswegs so abläuft, wie er sich ein auch nur im Entferntesten Hoffnung spendendes Antidrogentreffen vorgestellt hat. Das scheint eher
so eine Begegnungsgruppe in kosmetischer Psychologie zu sein. Bisher sind überhaupt keine Drogen und kein Symptom des Drogenentzugs zur Sprache gekommen. Und keiner der Typen sieht nach seinem Dafürhalten aus, als hätte er je mit e t w a s Drogenähnlicherem als gelegentlich mal einem Weinkühler zu tun gehabt. Hals düstere Laune verfinstert sich weiter, als sich der runde Mann vorne jetzt bedenklich weit zur Seite und hinab neigt, eine Art Spielzeugkiste unter der Tafel neben seinem Stuhl öffnet, einen billigen tragbaren CD-Laserscanner aus Plastik herausnimmt und auf die Spielzeugkiste stellt, wo er anfängt, leise, schmalzige Ambient-Berieselung abzusondern, die hauptsächlich aus Celli sowie sporadischen Harfen und Glockenspielen besteht. Das Zeug verbreitet sich in dem heißen kleinen Zimmer wie geschmolzene Butter, HaI versinkt noch weiter in seinem orangenen Stuhl und konzentriert sich auf das Weltraum-und-Raumschiff-Logo auf seinem NASA-Glas. »Kevin?«, übertönt der Leiter die Musik. »Kevin?« Die Hand des Schluchzenden bedeckt wie eine Spinne sein Gesicht, und er sieht nicht einmal hoch,
bis der Leiter mehrmals sanft und weich gesagt hat: »Kevin, findest du es okay, wenn du die anderen in unserer Gruppe anschaust?« Kevins roter Nacken wirft Falten, als er durch die Finger zu dem blonden Leiter aufsieht. Der Leiter bildet wieder den Käfig auf dem eingedetschten Kopf seines armen Bären. »Kannst d u weitergeben, was du fühlst, Kevin?«, fragt er. »Kannst du es benennen?« Kevins Stimme wird von der Hand erstickt, hinter der er sich versteckt. »Ich fühle die Verlassenheit und den Liebesverlust meines Inneren Säuglings, Harv«, sagt er und holt zitternd Atem. Seine Schultern beben unter dem malvenfarbenen Pullover. »Ich fühle, wie sich mein Innerer Säugling an den Stangen seines Gitterbettchens festhält und durch die Stangen ... Stangen seines Gitterbetts hinausschaut und nach seiner Mommy und seinem Daddy ruft, damit sie kommen und ihn in den Arm nehmen und lieb haben.« Kevin schluchzt zweimal apnoeisch. Mit dem einen Arm drückt er den Bären in seinem Schoß so fest an sich, dass HaI glaubt, am Mund neben der Zunge etwas Füllung herausquellen zu sehen, und der Stalaktit aus durchsichtigem
dünnem Schluchzschleim an Kevins Nase endet nur mm über dem Kopf des garottierten Bären. »Und niemand kommt!«, schluchzt er. »Niemand kommt. Ich fühle mich allein mit meinem Bären und dem Flugzeugmobile aus Plastik und meinem Beißring.« Alle nicken bestätigend und schmerzerfüllt. Keine zwei Bärte haben genau dieselbe Dichte und Formgebung. Im Zimmer sind vereinzelt weitere Schluchzer zu hören. Alle Bären starren ausdruckslos ins Leere. Der Leiter nickt bedächtig und meditativ. »Und kannst du unserer Gruppe jetzt anvertrauen, was du brauchst, Kevin?« »Bitte lass uns teilhaben, Kevin«, sagt ein schlanker Mann drüben neben einem schwarzen Aktenschrank, der dasitzt, als hätte er sein ganzes Leben im Yogasitz auf harten Plastikstühlen verbracht. Die Musik wabert weiter und kommt nirgends an, wie Philip Glass auf Quaaludes. »Die Arbeit, die wir hier in Angriff nehmen«, übertönt der Leiter die Musik wieder, die eine Hand jetzt nachdenklich an die eine Seite seines großen Gesichts geschmiegt, »ist eine Arbeit an unserer
dysfunktionalen Passivität und unserer Neigung, schweigend darauf zu warten, dass unser Innerer Säugling wie durch Zauberhand bekommt, was er braucht. Die Energie, die ich jetzt in unserer Gruppe fühle, ist, dass unsere Gruppe Kevin unterstützend bitten möchte, seinen Inneren Säugling zu hegen, indem er unserer Gruppe laut weitergibt, was er braucht. Und ich spüre, dass wir uns alle bewusst sind, wie riskant und heikel es für Kevin jetzt sein muss, auszusprechen, was sein Innerer Säugling braucht.« Alle sehen todernst aus. Ein paar Männer reiben ihren Bären die irgendwie schwangeren Bäuche. Das einzig wirklich Infantile, was HaI in sich spürt, ist das Inguinalgluckern zweier schwerer Kleiebrötchen, die schnell und ohne Flüssigkeit verspeist wurden. Der Schleimfaden an Kevins Nase zittert und baumelt. Der Schlanke, der Kevin um Teilhabe gebeten hat, wedelt jetzt mit den Armen seines Teddybären infantil herum. HaI spürt, wie ein Brechreiz ihm den Mund mit frischem Speichel füllt. »Wir bitten dich auszusprechen, was sich dein Innerer Säugling jetzt mehr als alles andere auf der Welt wünscht«, sagt der Leiter zu Kevin.
»Lieb gehabt und in den Arm genommen werden!«, klagt Kevin und schluchzt stärker. Sein Lachrymukus ist jetzt ein dünner Silberfaden zwischen seiner Nase und der pelzigen Schädeldecke des Bären. HaI findet den Gesichtsausdruck des Bären von Sekunde zu Sekunde unheimlicher. Er fragt sich, ob er gegen die NA-Etikette verstößt, wenn er mitten in einer infantilen Bedürfnisoffenbarung aufsteht und geht. Kevin sagt gerade, sein Innerer Säugling hätte immer gehofft, Mom und Dad würden eines Tages für ihn da sein, ihn auf den Arm nehmen und lieb haben. Er sagt, sie wären aber von Anfang an nie für ihn da gewesen und hätten ihn und seinen Bruder der obhut lateinamerikanischer Kindermädchen überlassen, während sie sich ihren Jobs sowie diversen Psychotherapien und Selbsthilfegruppen widmeten. Durch das Schniefen und die konvulsivischen Schluchzer dauert es, bis er das alles vorgebracht hat. Dann sagt Kevin, als er acht war, waren sie aber ganz weg, tot, unterwegs zur Paartherapie auf dem Jamaica Way plattgemacht von einem dysfunktional abstürzenden Verkehrsfunkhubschrauber. Da ruckt Hals abgesackter Kopf hoch, den Mund
vor Schreck oval geöffnet. Auf einmal wird ihm klar, dass dieser Mann, der da in einem solchen Winkel zu ihm sitzt, dass er ihn nur im schrägsten Profil sehen kann, Kevin Bain ist, der ältere Bruder von Marlon Bain, dem ehemaligen Doppel- und Chemikalienunfugspartner seines Bruders Orin an der E. T. A., Kevin Bain aus Dedham, Massachusetts, der nach Hals letzten Informationen in Wharton seinen Abschluss als Betriebswirt gemacht und dann mit einer Spielhallenkette für Virtuelle Realität am ganzen South Shore abgesahnt hat, damals als vor der Sponsorenzeit alles auf Virtuelle Realitäten abfuhr, bevor InterLaceBildschirme und digitale Patronen einem die individuelle Virtualität im trauten Heim erlaubten und der Reiz des Neuen verflog.335 Der Kevin Bain, der in seiner Kindheit dem Hobby gefrönt hatte, Kapitalabschreibungstabellen vom Finanzamt auswendig zu lernen, der als Erwachsener das Gefühl hatte, die Sau rauszulassen336, wenn er zusätzliche Marshmallows in seinen Gutenachtkakao tunkte, und der eine Freizeitdroge nicht mal erkannt hätte, wenn sie vor ihm gestanden und ihn ins Auge gepiekst hätte. HaI sieht sich nach möglichen Ausgängen um. Die einzige Tür ist die, durch die er
Ausgängen um. Die einzige Tür ist die, durch die er hereingekommen ist, und die ist für den größten Teil des Raums zu sehen. Fenster gibt es nicht. HaI ernüchtern mehrere Einsichten. Das ist hier kein NA- oder Anti-Drogen- Treffen. Das ist eines von diesen MännerthemenMännerbewegungsTreffen, zu denen K. D. Coyles Stief-Dad ging, und die Coyle beim Training immer nachahmte und parodierte. Er steckte sich von hinten den Stockgriff durch die Beine und schrie: »Habt den hier lieb! Akzeptiert den Wunsch, mit dem hier Kontakt aufzunehmen! « Kevin Bain wischt sich mit dem Kopf seines armen Teddys die Nase ab und sagt, es sähe nicht so aus, als würde der Wunsch seines Inneren Säuglings je erfüllt. Die Celli der klebrigen Musik klingen wie das Muhen einer ungemolkenen Kuh, vielleicht der Umgebung wegen. Prompt bittet der runde Mann, dessen Hand einen Abdruck auf seiner weichen Wange hinterlassen hat, den armen alten Kevin Bain, den wehen Wunsch seines I. S.s trotzdem zu akzeptieren und zu benennen, mehrmals laut »Bitte, Mommy und Daddy, seid für mich da und nehmt mich auf den Arm« zu
sagen, was Kevin Bain denn auch befolgt, wobei er sich auf dem Stuhl leicht hin- und herwiegt und in seiner Stimme neben den quälenden Schluchzern nun doch ein wenig gutes altes erwachsenes verlegenes Schamgefühl mitschwingt. Auch ein paar andere Männer im Zimmer fahren sich mit den Armen ihrer Teddybären über die strahlend klaren und drogen freien Augen. HaI erinnert sich schmerzhaft deutlich an die seltenen Druckverschlussbeutel mit hydroponischem Marihuana aus Humboldt County, die sich Pemulis manchmal per FedEx bei seinem merkantilen Gegenstück an der Rolling Hills Academy besorgte: die gerundeten gelbbraunen Knospen so groß und dick vom hohen Delta-9Harzanteil, dass die Beutel wie Tüten voller winziger Teddyarme ausgesehen hatten. Die feuchten Geräusche hinter ihm stammen, wie sich herausstellt, von einem älteren Mann mit sanften Gesichtszügen, der Joghurt aus einem Plastikbecher isst. HaI prüft die Sitzungsdaten in der kleinen H.M.B.-Broschüre nach, die die junge Frau ihm gegeben hatte. Er sieht, dass die Broschüre auf mehreren Seiten dicke Schokoladendaumenabdrücke hat und dass zwei Seiten von etwas, das, wie er argwöhnt, ein
steinalter trockener Popel sein könnte, fest zusammenkleben, und jetzt auch, dass die Broschüre das Datum vom Januar des Jahrs der Milchprodukte aus dem Herzen Amerikas trägt, d. h., sie ist fast zwei Jahre alt, und er kann nicht ausschließen, dass die distanziert feindselige und zahnlose junge Frau in dem Ennet-Zentrum ihn kawuscht hat, indem sie ihm eine veraltete und nutzlose H.M.B.-Broschüre gegeben hat. In einer Art pathetischer Monotonie wiederholt Kevin Bain inzwischen ein ums andre Mal» Bitte, Mommy und Daddy, seid für mich da und nehmt mich auf den Arm«. Das allmählich stärker werdende Lispeln in »seid« ist anscheinend eine performative Beschwörung des alten Inneren Säuglings. Tränen und andere Flüssigkeiten fließen und rinnen. Auch die Augen des gütigen runden Leiters Harv sind von feuchtem, glasigem Blau. Das Cello vom CDScanner spielt jetzt ein angejazztes Pizzicato, das sich oxymoronisch von der Stimmung im Zimmer abhebt. HaI steigt immer wieder ein heißes, ekelerregend süßes Zibetaroma in die Nase, was bedeutet, dass irgendwer ganz in der Nähe unter den Socken mit Fußpilzproblemen zu kämpfen hat.
Rätselhaft ist, dass 32A keine Fenster hat, wo HaI von draußen doch die rauchig braune Befensterung vom Q.R.S.-Komplex gesehen hat. Der Bart des Joghurtessers ist ein gestutztes Rechteck, das sich leicht dem Becherrand fernhalten lässt. Seiten- und Hinterhaar von Kevin Bain ist in der Hitze des Zimmers und durch die Emotionen des Säuglings zu dornenartigen schweißnassen Strähnen verklebt. HaI selbst ist im Baby- und Hosenmatzalter ausdauernd liebkost und gehätschelt worden und hat lautstark zu hören bekommen, dass man ihn lieb hat, und er hat das Gefühl, er könnte K. Bains Innerem Säugling flüstern, wenn man auf den Arm genommen werde und zu hören bekomme, dass man lieb gehabt werde, mache einen das nicht automatisch emotional intakt oder drogenfrei. Er merkt, dass er sogar ziemlich neidisch ist auf einen Mann, der seine psychische Graufäule erklären und seinen Eltern in die Schuhe schieben kann. Nicht mal Pemulis gab seinem verstorbenen Vater Mr Pemulis die Schuld, und der war wahrlich nicht der Fred MacMurray der US-amerikanischen Väterschaft gewesen. Aber Pemulis attestierte sich auch keine psychische Graufäule oder kam sich in Bezug auf Drogen unfrei vor.
vor. Der blonde und buddhahafte zopfgestrickte Harv, der seinen Teddy jetzt hoppe-hoppe-reiter-mäßig auf den Knien balanciert, fragt Kevin Bain leise, ob sein Innerer Säugling das Gefühl habe, Mommy und Daddy würden je neben seinem Gitterbettchen auftauchen und ihm geben, was er braucht. »Nein«, sagt Kevin fast unhörbar. »Nein, hat er nicht, Harv.« Der Leiter arrangiert die gespreizten Arme seines Bären beiläufig zu verschiedenen Haltungen, sodass es aussieht, als winke der Bär oder ergebe sich. »Glaubst du, du kannst heute Abend stattdessen jemanden hier in der Gruppe bitten, dich in den Arm zu nehmen und lieb zu haben, Kevin?« Kevin Bains Hinterkopf zeigt keine Reaktion. Hals ganzer Verdauungstrakt zieht sich zusammen bei der Aussicht darauf, zwei bärtigen Erwachsenen in Pullovern und Socken bei der stellvertretenden Säuglingsliebkosung zuzusehen. Er fragt sich langsam, warum er nicht einfach einen scheußlichen Hustenkrampf vorschützt und hinter vorgehaltener Faust aus Q.R.S.-32A flieht. Harv wedelt jetzt mit den Bärenarmen herum und
lässt seinen Teddy mit der hohen Stimme einer Zeichentrickfilmfigur Kevin Bains Teddy fragen, ob er vielleicht auf den Mann in der Gruppe zeigen möchte, von dem Kevin Bain am liebsten in loco parentis in den Arm genommen und lieb gehabt werden möchte. HaI spuckt leise an der Glasseite hinunter und bemitleidet sich, weil er ohne Abendessen fünfzig km weit gefahren ist, um sich einen Pykniker in karierten Socken anzuschauen, der so tut, als könne sein Teddybär Latein sprechen, aber als er vom Glas hochsieht, bricht ihm der kalte Schweiß aus, denn er sieht, dass sich Kevin Bain im Yogasitz auf der Stuhlfläche herumgeschoben hat, seinen Bären an den Unterarmen hochhält, ganz wie ein Vater seinen Sohnemann bei einem öffentlichen Opti-Spek oder einer Parade hochhält, den erwürgt aussehenden Teddy hierhin und dorthin dreht, den Raum überblicken lässt während HaI, um nicht erkannt zu werden, das Gesicht teilweise mit einer Hand abdeckt, als wolle er sich an der Augenbraue kratzen und den Bärenarm schließlich so hindreht, dass die rundliche braune fingerlose Bärenhand genau in Hals Richtung zeigt. HaI krümmt sich in einem Hustenkrampf zusammen, der nur halb vorgeschützt ist, und erklettert diverse
vorgeschützt ist, und erklettert diverse Entscheidungsbäume für Fluchttricks. Ganz wie sein jüngerer Bruder Marlon Bain ist Kevin Bain ein eher kleiner und dicker Typ mit dunklem Teint. Irgendwie erinnert er an einen überentwickelten Troll. Und auch er verfügt über die Gabe, ständig unglaublich stark zu schwitzen, weswegen Marlon Bain auf HaI sowohl auf wie neben dem Court immer wie eine feucht und ungerührt im Zwielicht kauernde Kröte gewirkt hatte. Nur sind Kevin Bains glänzende Bain-Äuglein vom öffentlichen Weinen rot und geschwollen, an den Schläfen wird er so kahl, dass er megamäßige Geheimratsecken hat, den postpubertären HaI scheint er gar nicht zu erkennen, und nachdem HaI vor Schreck fast seinen Kodiakpriem verschluckt hätte, merkt er, dass die plumpe Bärenhand gar nicht auf ihn zeigt, sondern auf den älteren Mann mit dem Quadratbart und den sanften Gesichtszügen hinter i h m, der seinem Bären gerade einen Löffel mit grellrosa Joghurt an die heraushängende rote Filzzunge hält, als wolle er ihn füttern. HaI stellt das NASA-Glas betont lässig zwischen die Beine, legt beide Hände unter die Sitzfläche und hoppelt mit dem Stuhl peu a peu aus der Sicht- und Fluglinie
dem Stuhl peu a peu aus der Sicht- und Fluglinie zwischen Kevin Bain und dem Joghurtmann. Harv v o r n e bedeutet dem Joghurtmann mit einer komplizierten Geste, auf keinen Fall etwas zu sagen oder seinen orangenen Stuhl in der letzten Reihe zu verlassen; und als sich Kevin Bain im Schneidersitz wieder nach vorne herumschiebt, macht Harv daraus eine Geste, als wolle er sich die Haare glätten. Die Geste wird echt und nachdenklich, als er ein paarmal tief Luft holt. Die Musik ist wieder so geisttötend narkotisch wie am Anfang. »Kevin«, sagt Harv, »da dies eine Gruppenerfahrung in Passivität und den Bedürfnissen unserer Inneren Säuglinge ist, und da du dir Jim als das Gruppenmitglied ausgesucht hast, von dem du etwas brauchst, möchten wir dich bitten, Jim laut zu fragen, ob er dir geben kann, was du brauchst. Bitte ihn, zu dir zu kommen, dich in den Arm zu nehmen und dich lieb zu haben, da deine Eltern nicht kommen. Niemals kommen, Kevin.« Kevin Bain gibt einen beschämten Ton von sich und schlägt wieder eine Hand vor das große dunkle Gesicht. »Nichts wie ran, Kev«, ruft jemand, der drüben beim
Bly-Poster sitzt. »Wir stehen zu dir und unterstützen dich«, sagt der Mann am Aktenschrank. HaI blättert im Geiste in einem alphabetischen Verzeichnis all der Fernen, in denen er jetzt lieber weilen würde. Er ist noch nicht mal bei Addis Abeba angekommen, als Kevin Bain nachgibt und Jim mit den sanften Gesichtszügen, der den Joghurt, aber nicht den Bären weggelegt hat, ganz leise und zögernd bittet, zu ihm zu kommen, ihn lieb zu haben und in den Arm zu nehmen. Als HaI gerade in einem rostigen alten Giftmüllentsorgungsfass die American Falls am Südwestrand der Konkavität hinunterstürzt, hat Kevin Bain Jim schon elfmal gebeten, jedes Mal etwas lauter, ihn zu hegen und in den Arm zu nehmen, doch vergebens. Der alte Mann sitzt einfach nur da, drückt den Bären mit der Joghurtzunge an sich, und sein Mienenspiel changiert zwischen sanft und leer. HaI hat noch nie ein Weitweinen gesehen. Bains Tränen treten ihm tatsächlich aus den Augen und spritzen erst einige Zentimeter nach vorn, bevor sie zu fallen beginnen. Sein Gesicht hat die zerdetschten Züge eines Kleinkinds in totalem
Kummer, seine Nackensehnen treten hervor, sein Gesicht verfinstert sich und nimmt den Farbton eines großen Fanghandschuhs an. Eine schimmernde Schleimpelerine hängt ihm von der Oberlippe, und die Unterlippe hat anscheinend einen epileptischen Anfall. Für HaI hat der Ausdruck eines Kollers auf dem Gesicht eines Erwachsenen etwas Faszinierendes. Ab einem bestimmten Punkt wird hysterische Traurigkeit mimisch offenbar ununterscheidbar von hysterischer Fröhlichkeit. HaI stellt sich vor, vom Balkon eines kühlen, abgedunkelten Hotelzimmers auf Aruba aus durch ein Fernglas Bains Weinen an einem weißen Strand zu beobachten. » E r kommt nicht!«, klagt Bain schließlich dem Leiter. Harv der Leiter nickt, kratzt sich eine Augenbraue und bestätigt, ja, das sehe er auch so. Er gibt vor, sich verwirrt den Knebelbart zu streichen, und stellt die rhetorische Frage, wo hier das Problem liegen könne und warum Jim mit den sanften Gesichtszügen nicht automatisch komme, wenn er gerufen werde. Kevin Bain ist kurz davor, seinen armen Bären aus
Scham und Frustration einer Vivisektion zu unterziehen. Er scheint jetzt ganz in seiner Säuglings-Persona aufzugehen, und HaI hofft inständig, dass die Jungs ein Verfahren kennen, um Bain wenigstens wieder sechzehn zu machen, bevor sie ihn ans Lenkrad lassen. Irgendwann hat sich eine Kesselpauke unter die CD-Musik gemischt, außerdem ein ganz schön schmissiges Kornett, und die Musik kommt endlich etwas in Fahrt, entweder zum Höhepunkt oder zum Ende der Platte. Inzwischen rufen mehrere Männer aus der Gruppe Kevin Bain zu, sein Innerer Säugling bekomme nicht, was er brauche, das passive Dasitzen und Abwarten, bis die erbetene Hege aufstehe und zu ihm komme, gebe ihm nicht, was er brauche, und Kevin sei es ihm schuldig, sich aktiv etwas einfallen zu lassen, damit sein Innerer Säugling bekomme, was er brauche. Jemand ruft »Akzeptier den Säugling!« und jemand anders »Gib ihm, was er braucht! «. Im Geist flaniert HaI im strahlenden Eurosonnenschein über die Via Appia, isst Cannoli, wirbelt seine DunlopSchläger wie sechsschüssige Revolver um die Stockherzen herum und genießt den Sonnenschein, die Stille im Schädel und einen normalen Speichelfluss.
Speichelfluss. Schon bald kondensieren die Ermahnungsrufe der Männer, und bis auf Harv, Jim und HaI skandieren alle im Zimmer »Gib ihm, was er braucht! Gib ihm, was er braucht!« im selben Metrum, in dem Männer im Stadion »Einer geht noch rein!« skandieren. Kevin Bain wischt sich die Nase am Ärmel ab und fragt Harv, den Kaventsmann, was er denn tun soll, damit sein Säugling bekommt, was er braucht, wenn die Person, die er zum Geben ausgesucht hat, nicht kommt. Der Leiter hat die Hände über dem Bauch gefaltet und sich zurückgelehnt, lächelt im Schneidersitz und hält den Mund. Sein Bär sitzt auf dem sich vorwölbenden Bauch und streckt die stumpfen kleinen Beine von sich, als säße er in einem Regal. HaI hat den Eindruck, dass der O2 in 32A in einem Affenzahn aufgebraucht wird. Ganz im Gegensatz zu der nach Schafen duftenden kühlen Brise auf Ascension im Südatlantik. Die Männer skandieren immer noch »Gib ihm, was er braucht! «. »Du meinst also, ich muss aktiv zu Jim hinübergehen und ihn bitten, mich in den Arm zu nehmen«, sagt Kevin Bain und reibt sich mit den
Knöcheln die Augen. Der Leiter lächelt ausdruckslos. »Statt dass ich, soll das heißen, passiv versuche, Jim dazu zu bringen, zu mir zu kommen«, sagt Kevin Bain, dessen Tränen weitgehend versiegt sind und dessen Schweiß den feuchtkalten Schimmer von echtem Angstschweiß angenommen hat. Harv erweist sich als einer dieser Menschen, die die eine Augenbraue heben können, während die andere unten bleibt. »Es erfordert echten Mut und Liebe und Einsatz deinem Inneren Säugling gegenüber, das Risiko auf dich zu nehmen, aktiv zu jemandem zu gehen, der dir vielleicht gibt, was dein Säugling braucht«, sagt er leise. Der CD-Spieler spielt inzwischen eine Solo-CelloInstrumentalversion von »I don't know how to love hirn« aus einer alten Oper, die sich Lyle nachts im Kraftraum manchmal auf geliehenen Rekordern anhörte. Lyle und Marlon Bain waren ziemlich dicke gewesen, fällt HaI eIn. Die skandierten Trochäen der Männer sind auf das leise Monosyllabum »Braucht, braucht, braucht, braucht, braucht« geschrumpft, Kevin Bain steht langsam und zögerlich aus dem Schneidersitz auf
seinem orangenen Stuhl auf und dreht sich zu HaI und dem reglosen Mann hinter ihm, diesem Jim. Bain kommt langsam auf sie zu mit den gequälten Schritten eines Pantomimen, der sich pantomimisch gegen die Sturmböen eines Tornados stemmt. HaI sieht sich beim faulen Rückenschwimmen vor den Azoren, wobei er Walfontänen glasklaren Wassers in die Luft speit. Er lehnt sich fast aus dem Stuhl, schiebt sich Kevin Bain so weit wie möglich aus dem Weg und mustert konzentriert die braune Suspension unten in seinem Glas. Sein Gebet, von einem regredierenden Kevin Bain nicht erkannt zu werden, ist das erste wirklich verzweifelte Stoßgebet aus tiefstem Herzen, an das er sich erinnern kann, seit er keine Pyjamas mit Füßen dran mehr trägt. »Kevin? «, ruft Harv leise von der Stirnseite des Zimmers. »Gehst du aktiv auf Jim zu? Sollte das nicht der Säugling in dir sein, der etwas braucht?« »Braucht, braucht, braucht«, skandieren die Bärtigen, und einige recken im Rhythmus die manikürten Fäuste in die Luft. Bain sieht zwischen Harv und Jim hin und her und knabbert unschlüssig an einem Fingernagel. »Bewegt sich ein Säugling so auf das zu, was er
braucht, Kevin? «, fragt Harv. »Nichts wie ran, Kevin! «, ruft ein Mann mit Vollbart. »Lass den Säugling raus! « »Lass den Säugling hinne machen, Kev.« Und so wird Hals anschaulichste und farbigste Erinnerung an ein Nicht-Anti-Drogen- Treffen, zu dem er aus Versehen fünfzig speichelintensive km weit gefahren ist, die an den älteren Bruder des Doppelpartners seines älteren Bruders, der auf allen vieren über einen Dacronyl- Teppich krabbelt, behindert, weil ein Arm den Bären an die Brust drückt, sodass er abtaucht und wieder hochkommt, während er auf drei Gliedern auf HaI und den Bedürfnisstiller hinter ihm zukriecht, wobei seine Knie blasse Doppelspuren in den Teppich ziehen, sein Kopf auf einem wackligen Hals sitzt und er hoch und an HaI vorbeisieht, mit einem unbeschreiblichen Gesicht.
Kap. 63 - O Die Decke atmet. Sie wölbt sich und schrumpft. Sie schwillt an und ab. Das Zimmer liegt in der Traumaabteilung vom St. Elizabeth's Hospital. Immer wenn er hochsieht, wölbt sich die Decke und lässt dann Luft ab, glänzend wie eine Lunge. Als Don ein großes Kleinkind war, hatte seine Mutter sie in ein Strandhäuschen gleich hinter den Dünen eines öffentlichen Strands in Beverly verfrachtet. Das Haus w a r bezahlbar gewesen, weil es ein großes schartiges Loch im Dach gehabt hatte. Ursprung des Lochs unbekannt. Gatelys übergroßes Kinderbett hatte im kleinen Wohnzimmer des Strandhäuschens direkt unter dem Loch gestanden. Der Besitzer der Katen hinter den Dünen hatte dicke durchsichtige Polyurethanplanen an die Zimmerdecke getackert. Das war ein Versuch, das Loch abzudichten. Die Plane wölbte sich im Wind am North Shore, schwoll wieder ab und wirkte wie eine monströse Vakuole, die direkt über dem kleinen Gately, der mit aufgerissenen Augen dalag, ein- und ausatmete. Während der Winter voranschritt und der Wind
Während der Winter voranschritt und der Wind schlimmer wurde, hatte die atmende Polyurethanvakuole den Anschein erweckt, Charakter und Persönlichkeit entwickelt zu haben. Gately, der vielleicht vier war, hatte die Vakuole als ein lebendes Wesen angesehen, sie Herman getauft und Angst vor ihr gehabt. Er kann die rechte Seite seines Oberkörpers nicht spüren. Er kann sich in keinem echten Sinne des Wortes bewegen. Das Krankenhauszimmer liegt in jenem Dunst, den Zimmer im Fieber bekommen. Gately liegt auf dem Rücken. Gespenstische Gestalten materialisieren am Rand seines Sichtfeldes, lungern eine Weile herum und entmaterialisieren wieder. Die Decke wölbt sich und schrumpft. Das Atmen tut Gately in der Kehle weh. Seine Kehle fühlt sich irgendwie vergewaltigt an. Die verschwommene Gestalt im Nachbarbett sitzt reglos aufrecht und scheint einen Kasten über dem Kopf zu haben. Gately hat einen entsetzlichen sich wiederholenden ethnozentrischen Traum, in dem er das Haus eines Asiaten ausraubt, den Typ an einen Stuhl gefesselt hat und ihm mit hochwertiger Paketschnur, die er in der Schublade unter dem Küchentelefon gefunden hat, die Augen verbinden will. Der Asiat kann aber immerzu an der Schnur
vorbeisehen, sieht Gately unverwandt an und zwinkert unergründlich. Er hat weder Nase noch Mund, einfach bloß eine glatte Hautfläche unten im Gesicht, trägt einen seidenen Morgenmantel sowie gruselige Sandalen und hat keine Haare an den Beinen. Was Gately als Lichtzyklen und Ereignisse außerhalb jeder normalen Abfolge wahrnimmt, ist in Wirklichkeit Gately, der immer wieder das Bewusstsein verliert. Das nimmt er nicht wahr. Er hat eher den Eindruck, er tauche immer wieder auf, um Luft zu holen, und werde dann wieder unter irgendeine Oberfläche gedrückt. Als er einmal auftaucht, um Luft zu holen, sitzt der Insasse Tiny Ewell auf einem Stuhl am Bett. Die schmale kleine Hand hat er auf die Gitterbettstütze gelegt, und sein Kinn ruht auf der Hand, sodass sein Gesicht ganz nah ist. Die Decke wölbt sich und schrumpft. Das einzige Licht im Zimmer fällt vom nächtlichen Korridor herein. Krankenschwestern schweben in schallschluckenden Schuhen durch den Korridor und an der Tür vorbei. Links von Gately erscheint hinter dem Bett des verschwommenen Sitzenden mit dem viereckigen Kopf eine hünenhafte
zusammengesackte Gestalt und flattert auf, während das Steißbein auf dem dunklen Fensterbrett zu ruhen scheint. Die Decke rundet sich nach unten und wird dann wieder flach. Gately dreht die Augen zu Ewell hoch. Der hat sich das stumpfe weiße Ziegenbärtchen abrasiert. Sein Haar ist so frisch gewaschen und weiß, dass das Rosa der Kopfhaut darunter es leicht rosig tingiert. Ewell redet seit unbestimmter Zeit auf ihn ein. Es ist Gatelys erste volle Nacht in der Traumaabteilung vom St. Elizabeth's Hospital. Er weiß nicht, welche Wochennacht das ist. Der Zirkadianrhythmus ist der unwichtigste seiner persönlichen Rhythmen, die durcheinandergeraten sind. Seine rechte Seite fühlt sich an wie heiß einzementiert. Und wo er eine Zehe vermutet, spürt er ein krankes Pochen. Er fragt sich matt, ob und wann er zur Toilette gehen kann. Ewell spricht gerade. Gately kann nicht sagen, ob er flüstert. Krankenschwestern gleiten durch das Licht in der Tür. Ihre Sneaker sind so lautlos, dass sie sich auf Rädern zu bewegen scheinen. Der behäbige Schatten eines Hutträgers fällt schräg auf den Fliesenboden im Korridor vor dem Zimmer, als säße ein behäbiger Hutträger an der Wand direkt neben der Tür.
» D e r Privatausdruck meiner Frau für Seele ist Persönl i chkei t. Wie in ,Da steckt etwas unverbesserlich Finsteres in deiner Persönlichkeit, Eldred Ewell, und Dewar's bringt das zum Vorschein.« Der Korridorboden besteht ziemlich definitiv aus weißen Fliesen, die im hellen Neonlicht da draußen milchig überbohnert glänzen. In der Mitte des Korridors verläuft ein roter oder rosaroter Streifen. Gately kann nicht sagen, ob Ewell ihn für wach, bewusstlos oder sonst was hält. »Im Herbst des dritten Schuljahrs bin ich als Kind in die falschen Kreise geraten. Das war eine Gruppe harter irischer Arbeiterjungen, die im Bus aus den Sozialwohnungen in East Watertown herübergekarrt wurden. Laufende Nasen, selbst geschnittene Haare, ausgefranste Aufschläge, rauflustig, sportbegeistert, und sie mochten Asphalthockey«, sagte Ewell, »nur wurde seltsamerweise ich, der beim Fitnesstest an der President keinen einzigen Klimmzug schaffte, im Nu der Leitwolf unseres Rudels. Die Arbeiterjungen schienen Eigenschaften an mir zu bewundern, die nicht ganz klar waren. Wir bildeten eine Art Club. Unsere Uniform war eine
graue Skallycap. Unser Clubhaus war die Spielerbank eines nicht mehr genutzten Baseballplatzes der Little League. Unser Club nannte sich Geldstehlerclub. Auf meinen Vorschlag hin entschieden wir uns für die deskriptive statt für eine euphemistische Bezeichnung. Der Name kam von mir. Die Iren fügten sich. Ich war für sie das Hirn der Operation. Sie gehorchten mir aufs Wort. Das lag großenteils an meinen rhetorischen Fähigkeiten. Selbst der härteste und brutalste Ire respektiert eine güldene Zunge. Unser Club wurde mit der erklärten Absicht gegründet, einen großen Schmu abzuziehen. Wir gingen nach der Schule durch die Straßen, klingelten an den Haustüren und baten um Spenden für das Projekt Hoffnung Jugendhockey. Die Organisation gab es gar nicht. Unser Spendentopf war eine Kaffeedose Marke Chock Full 0' Nuts, die mit Abdeckband umklebt war, auf dem PROJEKT HOFFNUNG JUGENDHOCKEY stand. Beim ersten Versuch hatte der Bursche, der die Kaffeedose präparierte, PROJEKT mit G geschrieben. Ich lachte ihn wegen des Fehlers aus, und daraufhin machte sich der ganze Club über ihn lustig. Brutal.« Ewell starrt unentwegt das kunstlose blaue Knastviereck und das schiefe Kreuz auf Gatelys Unterarmen an.
»Unsere einzigen sichtbaren Referenzen waren Knieschoner und Stöcke, die wir im Sportgeräteraum hatten mitgehen lassen. Auf meine Anweisung hin sollten alle das EIGENTUM GRUNDSCH. W. WTTN sorgfältig verdecken, das längs in die Stöcke eingeprägt war. Ein Junge trug eine Torhütermaske unter der Skallycap, die anderen Knieschoner und die sorgfältig gehaltenen Stöcke. Die Knieschoner hatten wir aus demselben Grund gewendet. Ich konnte nicht mal Rollschuh laufen, und meine Mutter hatte mir das Holzen auf dem Asphalt streng verboten. Ich trug eine Krawatte und kämmte mir nach jedem Bittgang sorgfältig die Haare. Ich war der Sprecher. Das Sprachrohr nannten die bösen Jungs mich. Das waren alles irische Katholiken. Watertown besteht von Osten nach Westen aus Katholiken, Armeniern und Kraut und Rüben. Die Jungs von der Eastside haben meine Quasselkunst förmlich angebetet. Und gerade Erwachsenen gegenüber redete ich mit Engelszungen. Ich klingelte an den Türen, und die Jungen postierten sich hinter mir auf dem Treppenabsatz. Ich sprach von unterprivilegierten Jugendlichen und Teamgeist und frischer Luft und Bedeutung des Wettbewerbs und
Alternativen zu den schlechten Einflüssen, denen man nach der Schule auf den Straßen ausgesetzt sei. Ich sprach von Müttern in Stützstrümpfen und kriegsverletzten großen Brüdern mit komplizierten Prothesen, die unterprivilegierte Jungen zum Sieg ü b e r weit besser ausgerüstete Mannschaften anfeuerten. Ich entdeckte, dass ich eine Begabung für die emotionalen Appelle erwachsener Rhetorik mitbrachte. Es war das erste Mal, das ich ein Gefühl der Macht auskostete. Ich redete aus dem Stegreif und war einfallsreich und bewegend. Hartgesottene Hausbesitzer, die in ärmellosen T-Shirts, mit Bartstoppeln, minimaler Mildtätigkeit in den Augen und Halidos in den Händen an die Türen kamen, schluchzten oft haltlos, wenn wir von ihren Treppenabsätzen wieder hinabstiegen. Ich sei ein prima Kerl und guter Junge, und meine Mum und mein Dad sollten stolz auf mich sein. Die Haare wurden mir so oft durchwuschelt, dass ich immer Taschenkamm und Spiegel dabeihaben musste. Die Kaffeedose war richtig schwer, wenn wir sie zur Spielerbank zurückschleppten und hinter einer Bankstütze aus Betonziegeln versteckten. Bis Halloween hatten wir über hundert Dollar eingesackt. Das war damals viel Geld.«
Tiny Ewell und die Decke schrumpfen davon, rücken wieder näher und wölben sich vor. Gestalten, die Gately null einordnen kann, kommen aus verschiedenen Zimmerecken in sein Sichtfeld gezittert und zittern wieder ab. Der Raum zwischen seinem und dem Nachbarbett verlängert und verkürzt sich mit einer Art langsamem Nachfedern. Gately verdreht immer wieder die Augen, und auf seiner Oberlippe liegt ein Schweiß schnurrbart. »Und ich schwelgte im Betrug, der Entdeckung meines Talents«, sagt Ewell. »Ich war mit Adrenalin vollgepumpt. Ich hatte das Machtgefühl der verbalen Manipulation menschlicher Herzen gekostet. Die Jungen nannten mich den güldenen Säuselmeister. Schon bald reichte mir der Betrug erster Ordnung nicht mehr. Insgeheim klaute ich die Einnahmen aus der Chock-Full0' -Nuts-Dose des Clubs. Unterschlug sie. Ich redete den Jungen ein, es wäre zu riskant, die Dose hinter der Spielerbank im Freien aufzubewahren, und nahm sie in meine Obhut. Ich bewahrte die Dose in meinem Schlafzimmer auf und redete meiner Mutter ein, ihr Inhalt hätte mit Weihnachtsgeschenken zu tun, und auf keinen Fall dürfe jemand einen Blick hineinwerfen. Vor meinen
Untergebenen im Club behauptete ich, ich hätte die Münzen als Geldrollen auf ein hochverzinstes Sparkonto eingezahlt, das ich für uns unter dem Namen Franklin W. Dixon eröffnet hätte. In Wahrheit kaufte ich mir Pez und Milky Ways und Mad-Hefte und ein Creeple-Peeple-De-Luxe-Set mit Ofen, Gussformen und Plastigoop in sechs verschiedenen Farben. Das war in den frühen 1970ern. Anfangs verhielt ich mich unauffällig. Hochmütig, aber unauffällig. Anfangs hatte ich die Veruntreuung unter Kontrolle. Aber das Machtgefühl hatte etwas Finsteres in meiner Persönlichkeit angestachelt, und das Adrenalin verstärkte das. Der Eigensinn ging mit mir durch. Schon bald war die Kaffeedose des Clubs am Ende jeden Wochenendes leer. Jeden Samstag ging die Wochenbeute für einen unkontrollierten puerilen Konsumrausch drauf. Ich dokterte extravagante Kontoauszüge zusammen und zeigte sie den Clubmitgliedern auf der Spielerbank. Ich wurde ihnen gegenüber redseliger und herrischer. Keiner von ihnen stellte mich je infrage, mich oder den knallroten Filzstift, mit dem der Kontoauszug geschrieben war. Ich wusste, dass ich es mit keinen Geistesriesen zu tun hatte. Das waren bloß Kanaillen und Kraftmeier, die schlimmsten aller
bösen Buben an der Schule. Und ich war ihr Boss. Dem sie blind gehorchten. Mir und meiner rhetorischen Begabung vertrauten sie hundertprozentig. Im Rückblick sage ich mir, dass sie sich angesichts der unausweichlich brutalen Konsequenzen wahrscheinlich einfach nicht vorstellen konnten, dass ein Drittklässler mit Brille, Krawatte und Grips sie zu betrügen wagte. Ein Drittklässler mit Grips. Mein Grips war aber futsch. Ich nährte nur noch das finstere Etwas in meiner Persönlichkeit, das mir einflüsterte, mit meiner Begabung und immensen persönlichen Aura könnte ich allen Konsequenzen vorbeugen. Aber dann dräute natürlich Weihnachten.« Gately will Ewell stoppen und »dräute?« sagen, stellt zu seinem Entsetzen aber fest, dass er keinen Ton herausbringt. »Die ungehobelten katholischen Gorillas von der Eastside wollten das inexistente Konto des Franklin W. Dixon anzapfen, um ihren wettergegerbten Arbeiterfamilien Stützstrümpfe und ärmellose T-Shirts zu kaufen. Solange ich konnte, hielt ich sie mit pedantischem Gefasel über Strafzinsen und Steuerjahre hin. Vor Weihnachten ist mit irischen Katholiken aber nicht zu spaßen, und
erstmals verengten sich ihre wettergegerbten Augen zu Schlitzen, wenn sie mich ansahen. Die Lage in der Schule war zunehmend angespannt. Eines Nachmittags sicherte sich der größte und wettergegerbteste von ihnen in einem hässlichen Coup an der Spielerbank die Kontrolle über die Dose. Das war ein Schlag, von dem sich meine Autorität nicht mehr erholte. Die Angst begann an mir zu nagen, ich überwand meine Verleugnung und erkannte, dass ich im Lauf der Zeit weit mehr unterschlagen hatte, als ich je wieder zurückgeben konnte. Zu Hause pries ich beim Abendessen die Vorzüge der Lehrpläne an Privatschulen. Die Wocheneinnahmen in der Dose gingen drastisch zurück, da die Festausgaben den Hausbesitzern das Kleingeld und die Geduld raubten. Diese Baisse der Spendierlaune wurde von einigen der wettergegerbteren Clubmitglieder meiner Unzulänglichkeit zugeschrieben. Der ganze Club murrte an der Spielerbank. Ich begriff, dass man auch an einer bitterkalten Spielerbank im Freien massiv ins Schwitzen kommen kann. Am ersten Tag im Advent legte mir der Bursche, der die Dose inzwischen verwahrte, ungelenk geschriebene Zahlen vor und verkündete, jeder im Club wolle
seinen Anteil von der auf dem Dixon-Konto angesammelten Beute. Mit schwammigen Hinweisen auf Zweitunterschriften und ein verlegtes Sparbuch konnte ich etwas Zeit schinden. Mit klappernden Zähnen und blutleeren Lippen kam ich nach Hause und bekam von meiner Mutter Lebertran eingeflößt. Puerile Angst verzehrte mich. Ich fühlte mich klein und schwach und böse und hatte eine Sterbensangst, meine Veruntreuung könne ans Licht kommen. Ganz zu schweigen von den brutalen Konsequenzen. Ich schützte Darmbeschwerden vor und musste nicht zur Schule. Zu nachtschlafender Zeit klingelte plötzlich das Telefon, und ich hörte, wie mein Vater ranging und » Hallo? Hallo?« sagte. Ich konnte nicht mehr schlafen. Dem finsteren Teil meiner Persönlichkeit waren ledrige Flügel und ein Schnabel gewachsen, und der wandte sich gegen mich. Es waren immer noch mehrere Tage bis zum Beginn der Weihnachtsferien. Während der Schulzeiten lag ich voller Panik im Bett zwischen Haufen unrechtmäßig erworbener Mad- Hefte und Creeple-Peeple-Figuren, lauschte den einsamen Handglöckchen der Weihnachtsmänner von der Heilsarmee unten auf der Straße und stellte
Synonyme für Grauen und Verderben zusammen. Ich lernte Scham kennen und erfuhr, dass sie der Adjutant des Hochmuts ist. Meine unspezifischen Verdauungsbeschwerden hielten an, und die Lehrer schickten Genesungskarten und besorgte Briefe. An manchen Tagen klingelte es nach Schulschluss unten an der Tür, und dann kam meine Mutter nach oben und sagte >Wie nett, Eldred<, und da stünden wettergegerbte Jungen mit grauen Skallycaps und ausgefransten Aufschlägen auf der Treppe, die aber ganz offensichtlich ein gutes Herz mitbrächten und gesagt hätten, sie warteten sehn liehst darauf, dass i c h wieder in die Schule käme. Ich knabberte morgens die Badezimmerseife an, um triftige Gründe vorweisen zu können, warum ich zu Hause bleiben musste. Meine Mutter war entsetzt über die Unmengen an Blasen, die ich erbrach, und drohte, einen Spezialisten zurate zu ziehen. Ich spürte, dass ich einem Klippenrand immer näher kam, an dem alles herauskommen würde. Ich sehnte mich unendlich danach, mich meiner Mutter in die Arme werfen, weinen und alles gestehen zu können. Ich konnte nicht. Vor Scham. Drei oder vier der übleren Unholde aus dem Geldstehlerclub bezogen nachmittags Stellung am Krippenspiel im Kirchhof
nachmittags Stellung am Krippenspiel im Kirchhof gegenüber unserem Haus, starrten mit steinernen Mienen zu meinem Schlafzimmerfenster herauf und droschen sich die Fäuste in die Handflächen. Jetzt wusste ich, wie sich ein Protestant in Belfast fühlte. Aber noch schlimmer als die Aussicht darauf, von irischen Katholiken verdroschen zu werden, war die Vorstellung, meine Eltern könnten herausfinden, dass meine Persönlichkeit eine finstere Seite hatte, die mich zu hochmütiger Verruchtheit getrieben und dort stehen gelassen hatte.« Gately hat keine Ahnung, wie Ewell es findet, dass er gar nicht reagiert, ob Ewell das missfällt, ob er es überhaupt merkt oder was. Er kann ganz leidlich atmen, aber irgendetwas in seiner vergewaltigten Kehle lässt das, was beim Sprechen vibrieren muss, nicht vibrieren. »Am Tag vor meinem Termin beim Magen-DarmSpezialisten schlich ich schließlich, als meine Mutter gerade bei einer Spiegelparty am Ende der Straße war, aus meinem Krankenbett hinunter und stahl aus einem Schuhkarton mit der Aufschrift I.B.E.W. LOKAL 5 1 7 PORTOKASSE hinten in einem Geheimfach meines Vaters über hundert Dollar. Nie zuvor hätte
ich auch nur im Traum daran gedacht, Zuflucht zu dem Schuhkarton zu nehmen. Meine eigenen Eltern zu bestehlen. Um Gelder zurückzuerstatten, die ich stumpfsinnigen Jungen gestohlen hatte, mit denen zusammen ich sie Erwachsenen gestohlen hatte, die ich angelogen hatte. Meine Gefühle von Angst und Verabscheuungswürdigkeit nahmen noch zu. Jetzt fühlte ich mich wirklich krank. Ich lebte und bewegte mich im Schatten einer Finsternis, die immer knapp über mir schwebte. Ich kotzte inzwischen ohne Zuhilfenahme eines Vomitivums, aber heimlich, damit ich wieder in die Schule konnte; ich konnte die Vorstellung nicht aushalten, die ganzen Weihnachtsferien über könnten sich wettergegerbte Wachposten vor dem Haus die Fäuste in die Handflächen schlagen. Ich tauschte die Gewerkschaftsscheine meines Vaters in Kleingeld um, zahlte den Geldstehlerclub aus und wurde trotzdem verdroschen. Anscheinend einfach aus einem Böse-Jungen-Prinzip. Ich entdeckte den latenten Zorn von Anhängern, lernte das Los des Führers kennen, der beim Mob in Ungnade gefallen ist. Ich wurde verdroschen, bekam übel die Unterhose hochgezogen und wurde an einem Haken meines Schulschließfachs aufgehängt, wo ich
verquollen und gedemütigt mehrere Stunden hängen blieb. Nach Hause zu kommen, war noch schlimmer; zu Hause war keine Zuflucht, sondern der Tatort des Verbrechens dritter Ordnung. Des Diebstahls hoch drei. Ich konnte nicht mehr schlafen. Wälzte mich herum. Bekam Nachtängste. Ich konnte nichts essen, egal wie lange ich nach dem Abendbrot am Tisch sitzen bleiben musste. Je mehr Angst meine Eltern um mich bekamen, desto größer wurde meine Scham. Ich fühlte eine Scham und persönliche Verabscheuungswürdigkeit, die ich keinem Drittklässler wünschen würde. Die Ferien waren kein Vergnügen. Ich rief mir den Herbst ins Gedächtnis und erkannte diesen Eldred K. Ewell Jr. nicht wieder. Es war keine Frage meines Irrsinns oder meiner finsteren Züge mehr. Ich hatte Nachbarn, Ghettokinder und Eltern bestohlen und mir Süßigkeiten und Spielzeug gekauft. Nach jeder stichhaltigen Definition von schl echt war ich schlecht. Ich beschloss, von nun an den Pfad der Tugend zu beschreiten. Die Scham und das Entsetzen waren zu schlimm: Ich musste mich neu erfinden. Ich beschloss, alles zu tun, was nötig war, um mich wieder als gut, als auferstanden sehen zu
können. Wissentlich habe ich nie wieder eine Straftat begangen. Die ganze beschämende Episode im Geldstehlerclub wurde dem Gedächtnis überantwortet und dort begraben. Don, ich hatte vergessen, dass das je passiert war. Bis neulich Abend. Don, neulich Abend, nach der Bambule und nachdem du dich so widerwillig se 337 offendendo gezeigt hast, nach deiner Verletzung und dem ganzen Nachspiel ... Don, ich habe den g a n ze n verrückten unterdrückten Abschnitt der hochmütigen Perfidie in der dritten Klasse noch einmal geträumt. Lebhaft und lückenlos. Als ich aufwachte, war mein Ziegenbärtchen weg, und meine Haare hatten einen Mittelscheitel, wie ich ihn mir seit vierzig Jahren nicht mehr gezogen habe. Das Bett war schweißnass, und ich hatte ein angeknabbert aussehendes Stück von McDades spezieller Anti-Akne-Seife in der Hand.« Gat el ys Kurzzeitgedächtnis meldet, dass ihm unmittelbar nach seiner Einlieferung in die Notaufnahme intravenöses Demerol gegen die Schmerzen seiner Schussverletzung angeboten wurde und dass ihm seither zweimal Demerol von Schichtärzten angeboten worden ist, die zu faul
waren, das VORGESCHICHTE DER NARKOTIKAABHÄNGIGKEIT; KEINE K-IV-MEDIKATION zu lesen, das als Allererstes in Großbuchstaben auf seine Akte, sein Krankenblatt oder was auch immer schreiben zu lassen Gately Pat Montesian verpflichtet hatte. Die Notoperation der letzten Nacht versorgte die Wunde nur, war nicht kurativ, weil die Kugel der großen Pistole beim Aufprall anscheinend fragmentiert worden war, die Muskelrnasse von Gatelys Humorus und Skalpulapfanne durchdrungen hatte, hindurchgegangen war und keinen Knochen getroffen hatte, im Weichgewebe aber großen und vielfältigen Schaden angerichtet hatte. Der Traumatologe in der Notaufnahme hat Toradol-IM338 verschrieben, aber gewarnt, wenn die Wirkung des gewöhnlichen Anästhetikums der Operation nachließe, würden die Schmerzen schlimmer, als sich Gately je vorgestellt hätte. Das Nächste, woran sich dieser erinnert, ist, dass er in einem Zimmer der Traumaabteilung liegt, das im Sonnenlicht flirrt und in dem ein anderer Dr. med. entweder Pat M. oder Calvin T. gegenüber Vermutungen anstellt, der invasive Fremdkörper könne möglicherweise vorher verunreinigt worden sein, denn Gately entwickle eine gewaltige Infektion, und sie überwachten ihn wegen
gewaltige Infektion, und sie überwachten ihn wegen etwas, das er als Noxzema versteht, was in Wahrheit aber eine Toxämie ist. Gately will protestieren, sein Körper sei zu 100 % Amerikaner, aber anscheinend kann er sich vorübergehend nicht laut artikulieren. Dann ist Nacht, und Ewell ist da und legt los. Gately ist schleierhaft, was Ewell von ihm will oder warum er gerade diesen Zeitpunkt gewählt hat, um sich ihm anzuvertrauen. Seine rechte Schulter ist fast so groß wie sein Kopf, und er muss die Augen wie eine Kuh rotierend verdrehen, damit er Ewells Hand auf dem Gitter und das darüber schwebende Gesicht sehen kann. »Und wie soll ich den Neunten Schritt tun, wenn es darum geht, die Scharte auszuwetzen? Wo soll ich anfangen, das wiedergutzumachen? Selbst wenn ich mich an die Häuser der von uns betrogenen Bürger erinnern könnte, wie viele von denen wohnen da wohl noch? Die Burschen aus dem Club sind zweifellos in diversen Elendsquartieren und KarriereSackgassen gelandet. Das I.B.E.W.339_Konto hat mein Vater schon in Welds Amtsperiode verloren, und außerdem ist er 1993 gestorben. Und meine Mutter würde die Entlarvung umbringen. Sie ist sehr
gebrechlich. Sie braucht eine Gehhilfe, und die Arthritis hat ihr den Kopf fast ganz in den Nacken gedreht. Meine Frau schirmt meine Mutter sorgfältig von allen mich betreffenden unangenehmen Tatsachen ab. Sie sagt, irgendwer muss das schließlich machen. Meine Mutter glaubt, ich wäre momentan bei einem neunmonatigen, von der B a n q u e de Geneve finanzierten Steuerrechtssymposion im Elsass. Sie schickt mir aus dem Pflegeheim selbst gestrickte Skisachen, die nicht passen. Don, dieser verdrängte Zeitabschnitt und die Bürde, die ich seither mit mir herumtrage, haben meinem ganzen Leben die Richtung gegeben. Deshalb habe ich mich aufs Steuerrecht verlegt und helfe wohlhabenden Vorstädtern dabei, den Fiskus um den ihm zustehenden Anteil zu prellen. Ich habe eine Frau geheiratet, die mich ansieht wie einen dunklen Fleck auf dem Hosenboden ihres Kindes. Mein Ab s t i e g in einen gewissermaßen stärker als normalen Alkoholkonsum kann ein instinktiver Versuch gewesen sein, das Drittklässlergefühl der Verabscheuungswürdigkeit zu begraben, es in einem bernsteinfarbenen Meer zu ertränken.
Ich weiß nicht, was ich machen soll«, sagt Ewell. Gately steht unter so viel Toradol-IM, dass ihm die Ohren klingen, außerdem hängt er an einer Salzinfusion mit Doryx34o. »Ich möchte mich an keine Verabscheuungswürdigkeiten erinnern, die ich nicht mehr ändern kann. Wenn das ein Beispiel von >Alles wird ans Licht kommen< sein soll, lege ich hiermit Beschwerde ein. Manche Sachen lässt man lieber ertränkt. Oder?« Und seine ganze rechte Seite brennt. Der Schmerz wächst sich langsam zum Extremschmerz aus, von der Sorte, wo man aufschreit und die verkohlte Hand von der Herdplatte wegreißt. Einzelne Körperregionen schicken Notfall-Leuchtsignale in andere Regionen, und er kann sich weder bewegen noch rufen. »Ich habe Angst«, irgendwie von oben und ansteigend, ist das Letzte, was Gately Ewell flüstern hört, als sich die Decke auf sie zuwölbt. Gately will Tiny Ewell sagen, er könne sich hundertpro mit seinen Gefühlen identifizieren, und wenr~ er, Tiny, einfach dabeibleiben, seine Bürde schultern und immer einen blankpolierten Schuh vor den anderen
setzen könne, würde schon alles gut werden, Gott, wie Ewell ihn verstehe, werde einen Weg finden, wie Ewell die Dinge wiedergutmachen könne, und dann könne er das Gefühl der Verabscheuungswürdigkeit loslassen, statt es mit Dewar's zu unterdrücken, aber Gately kann den Sprechwunsch noch immer nicht mit der Sprechfähigkeit verknüpfen. Er will sich damit begnügen, die linke Hand hinüber auf die rechte Seite zu heben und Ewells Hand auf dem Gitter zu tätscheln. Aber schon seine eigene Körperbreite ist unüberbrückbar. Und dann kommt die weiße Decke ganz herab und macht alles weiß. Er scheint irgendwie zu schlafen. Er hat einen Fiebertraum von dunkel wirbelnden Sturmwolken, die auf den Strand von Beverly, Massachusetts, hinabjaulen, die Winde werden über seinem Kopf immer stärker, bis Herman die Polyurethanvakuole zerreißt und einen schartigen einatmenden Schlund hinterlässt, der an Gatelys Dr. Dentons in XXL zerrt. Ein blauer Stoffbrontosaurus wird aus dem Gitterbett hochgesaugt und verschwindet kreiselnd im Schlund. In der Küche wird seine Mutter von einem Mann mit einem Hirtenkrummstab grün und blau
geprügelt und kann Gatelys verzweifelte Hilfeschreie nicht hören. Er bricht mit dem Kopf durch die Gitterstäbe, geht zur Haustür und läuft hinaus. Die schwarzen Wolken über dem Strand sinken herab und bilden einen Strudel, trichtern Sand hoch, und Gately verfolgt, wie sich der Rüssel einer Windhose aus den Wolken herabschiebt. Es sieht aus, als würden die Wolken kreißen oder scheißen. Auf der Flucht vor dem Tornado läuft Gately über den Strand zum Wasser. Er läuft durch die wilden Brecher ins tiefe warme Wasser, taucht unter und bleibt unten, bis ihm die Luft ausgeht. Es ist jetzt nicht mehr klar, ob er der kleine Gunny oder der erwachsene Don ist. Immer wieder kommt er kurz hoch, ringt nach Luft und taucht wieder nach unten, wo es warm und still ist. Der Tornado bleibt an Ort und Stelle über dem Strand, wölbt sich und schrumpft, kreischt wie ein Düsenflugzeug, die Öffnung ein atmender Schlund, und aus der Trichterwolke schlagen Blitze wie Haare. Er hört die dünnen, zerfetzten Laute, als seine Mutter seinen Namen ruft. Die Windhose steht genau über dem Strandhaus, und die ganze Kate zittert. Seine Mutter tritt mit zerzausten Haaren und einem blutigen Ginsu-Messer in der Hand vor die Haustür und ruft seinen Namen. Gately ruft ihr zu,
sie solle zu ihm ins tiefe Wasser kommen, aber im Brüllen des Sturms kann nicht einmal er selbst seine Rufe hören. Sie lässt das Messer fallen und hält sich den Kopf, als der Trichter mit dem spitzen Schlund in ihre Richtung zeigt. Das Strandhaus explodiert, und seine Mutter fliegt durch die Luft auf die Trichteröffnung zu, schlenkert mit Armen und Beinen, als schwimme sie im Wind. Sie verschwindet im Schlund und wird kreiselnd in den Wirbel der Windhose hochgezogen. Schindeln und Bohlen folgen ihr. Der Hirtenkrummstab des Mannes, der ihr wehgetan hat, ist nirgends zu sehen. Gatelys rechter Lungenflügel brennt entsetzlich. Das letzte Mal sieht er seine Mutter, als ein Blitz den Trichterkonus erleuchtet. Sie wirbelt immerzu herum wie etwas im Abfluss, steigt höher und scheint bläulich hinterleuchtet zu schwimmen. Der aufzuckende Blitz ist die Weiße des sonnenlichtdurchfluteten Zimmers, als er hochkommt, um Luft zu holen, und die Augen aufschlägt. Die winzige rotierende Imago seiner Mutter verblasst vor der Decke. Der scheinbar keuchende Atem ist sein Versuch zu schreien. Die dünnen Bettlaken sind schweißgetränkt, und er muss dringend pissen. Es ist Tag, seine rechte Seite ist überhaupt nicht mehr taub, und voller Nostalgie
sehnt er sich sofort nach der Zeit zurück, als sie noch taub in warmem Zement lag. Tiny Ewell ist weg. Jeder Pulsschlag ist ein Überfall auf seine rechte Seite. Er hat das Gefühl, er könne es keine Sekunde länger aushalten. Er weiß nicht, was passieren würde, aber er hat nicht das Gefühl, er könne es aushalten. Später fährt ihm entweder Joelle van D. oder eine Schwester vom St. E. hinter einem L.A.R.VE.Schleier mit einem kalten Waschlappen über das Gesicht. Sein Gesicht ist so groß, dass das eine Weile dauert. Irgendwie wird der Waschlappen zu zärtlich gehandhabt, als dass eine Schwester dahinterstecken kann, aber dann hört Gately das Klirren, mit dem die Tropfflaschen gewechselt werden, jedenfalls hantiert jemand hinter seinem Kopf Dipl.-Ges.&KS-mäßig mit ihnen herum. Er kann nicht um frische Bettlaken bitten oder um einen Gang zur Toilette. Als die verschleierte Dame gegangen ist, gibt er irgendwann auf und lässt die Pisse einfach fließen, aber statt die warme Nässe zu spüren, hört er das ansteigende Metallgeräusch, mit dem sich irgendwo in der Nähe des Betts etwas füllt. Er kann sich nicht bewegen, um die Decke anzuheben und
nachzuschauen, an was er da angeschlossen worden ist. Die Jalousien sind hochgezogen, und das Zimmer wird von der Sonne so strahlend weiß ausgeleuchtet, dass alles gebleicht und abgekocht wirkt. Der Typ, der entweder einen viereckigen Kopf oder einen Karton über dem Kopf hat, ist woanders hingebracht worden, sein Bett ist ungemacht und das Bettgitter auf der einen Seite herabgeklappt. Es gibt keine gespenstischen Gestalten oder Gestalten i m Nebel. Der Korridor ist nicht heller als das Zimmer, und Gately kann keinen Schatten eines Hutträgers entdecken. Er weiß nicht einmal, ob er die letzte Nacht wirklich erlebt hat. Der Schmerz lässt seine Lider flattern. Seit er vier war, hat er nicht mehr vor Schmerz geschrien. Sein letzter Gedanke, bevor er die Lider gegen das brutale Weiß des Zimmers geschlossen lässt, ist, dass er vielleicht kastriert worden ist, denn so hat er den Begriff katheterisiert immer verstanden. Er riecht Reinigungsalkohol, eine Art Vitamingestank und sich selbst. Irgendwann kommt eine wahrscheinlich echte Pat Montesian herein, und er bekommt ihre Haare ins Auge, als sie ihn auf die Wange küsst und sagt, wenn er einfach bloß dabeibleiben und sich darauf konzentrieren könne, gesund zu werden, dann werde
konzentrieren könne, gesund zu werden, dann werde alles gut, im House sei mehr oder weniger alles wieder normal und eigentlich gut, es tue ihr schrecklich leid, dass er eine solche Situation allein und ohne Unterstützung oder psychologische Beratung habe klären müssen, ihr sei absolut bewusst, dass Lenz und die kanadischen Mordbuben ihm keine Zeit gelassen hätten, jemanden anzurufen, dass er mit dem, was ihm zur Verfügung stand, alles getan habe, was er konnte, und dass es nichts gebe, weswegen er sich greulich fühlen müsse, dabei solle er es bewenden lassen, die Gewalt sei keine rezidivierende kickorientierte Gewalt gewesen, sondern einfach das Einzige, was er unter den gegebenen Umständen habe tun können, und er habe versucht, für sich und einen Insassen vom House einzutreten. Pat Montesian ist wie immer ganz in Schwarz gekleidet, aber formell, als wollte sie jemanden zum Gericht begleiten, und ihre formelle Kleidung erinnert an die einer mexikanischen Witwe. Sie hat wirklich die Ausdrücke Mordbuben u n d greulich gebraucht. Sie sagt, er solle sich keine Sorgen machen, das Haus sei eine Gemeinschaft und könne für sich selbst sorgen. Immer wieder fragt sie, ob er müde sei. Das Rot ihrer
Haare ist anders und leuchtet weniger als das Rot von Joelle van D.s Haaren. Ihre linke Gesichtshälfte ist sehr sanft. Gately versteht nur sehr wenig von dem, was sie sagt. Er ist irgendwie überrascht, dass die Polente nicht längst vorbeigeschaut hat. Pat weiß nichts von dem unbarmherzigen Stv. BStA oder dem erstickten Nuck; Gately gibt sein Bestes, sie freimütig an den Trümmerhaufen seiner Vergangenheit teilhaben zu lassen, aber manche Probleme findet er noch zu selbstmörderisch, um sie wei terzugeben. Pat sagt, Gately habe bewundernswerte D e m u t und Entschlossenheit gezeigt, als er bei der Entscheidung geblieben sei, nichts Stärkeres als nicht betäubende Schmerzmittel zu nehmen, sie hoffe aber, er denke daran, dass er hier keine andere Aufgabe habe, als sich in die Hände seines höheren Wesens zu befehlen und den Anweisungen seines Herzens zu folgen. Kodein, Percocet341 oder vielleicht sogar Demerol seien kein Rückfall, sofern sein Herz ihm nicht im tiefsten Inneren flüstere, seine Motive wiesen genau darauf hin. Ihre roten Haare hängen herab, sehen ungekämmt aus und sind auf der einen Seite plattgedrückt; sie wirkt geschlaucht. Gately würde
sie zu gern nach den juristischen Konsequenzen der Mordbubenbambule in der vorletzten Nacht fragen. Er merkt, dass sie immer wieder fragt, ob er müde sei, weil seine Sprechversuche wie Gähnen aussehen. Seine bleibende Sprechunfähigkeit gleicht der Sprachlosigkeit in schlechten Träumen, luftlos und höllisch, grauenhaft. Möglicherweise irreal ist die ganze Konnexion mit Pat M., weil sie am Ende aus unerfindlichen Gründen in Tränen ausbricht, und aus unerfindlichen Gründen ist das Gately so peinlich, dass er so tut, als verliere er wieder das Bewusstsein, dann wirklich einschläft und wahrscheinlich träumt. Nahezu bestimmt geträumt und irreal ist die Episode, wo Gately aus dem Schlaf hochfährt und M r s Lopate sieht, das Objay Dart aus dem Schuppen, das an manchen Tagen gebracht und vor dem Bildschirm von Ennet House postiert wird, und die sitzt in einem Rollstuhl aus Geschützbronze da, das Gesicht verzerrt, den Kopf aufgerichtet, die Haare strähnig, und sieht weniger ihn an als die Anordnung von Tropfflaschen und Kontrollmonitoren, die über und hinter seinem großen Gitterbett angebracht sind, spricht ihn also nicht an, sieht ihn
nicht einmal an, ist aber trotzdem irgendwie bei ihm. Obwohl ausgeschlossen ist, dass sie wirklich da sein könnte, begreift Gately zum ersten Mal, dass die katatonische Mrs L. dieselbe Dame ist, die er zu Beginn seiner Zeit beim Personal gesehen hat, wie sie in manchen Nächten spätabends auf dem Rasen vor Teil Nr. 5 den Baum umfing. Dass die beiden ein und dieselbe Person sind. Und diese Einsicht ist echt, auch wenn die Anwesenheit der Dame im Zimmer nicht echt ist, ein logisches Problem, über dem er die Augen verdreht, bis er wieder das Bewusstsein verliert. Später sitzt dann Joelle van Dyne auf einem Stuhl dicht vor dem Bettgitter, verschleiert, in Jogginghose und einem Sweater, der stellenweise schon aufribbelt, einem rosa gesäumten Schleier, sagt nichts, sieht ihn wahrscheinlich an, glaubt wahrscheinlich, er schlafe mit offenen Augen oder liege im Noxzema-Delir. Seine ganze rechte Seite tut so weh, dass jeder Atemzug eine schwere Entscheidung ist. Am liebsten würde er weinen wie ein kleines Kind. Das Schweigen der jungen Frau und die Leere ihres Schleiers machen ihm nach einer Weile Angst, und er würde sie gern bitten, später wiederzukommen.
später wiederzukommen. Niemand bietet ihm etwas zu essen an, aber er hat auch keinen Hunger. Intravenöse Kanülen stecken in beiden Handrücken und der linken Ellenbogenbeuge. Andere Schläuche kommen weiter unten aus ihm heraus. Er will es gar nicht so genau wissen. Er horcht immer wieder in sich hinein, ob sein Herz bloßes Kodein schon für einen Rückfall hielte, aber sein Herz lehnt jeden Kommentar ab. Dann kommt irgendwann der ehemalige EnnetHouse- Insasse und jetzige Hauspsychologe Calvin Thrust hereingerauscht, zieht sich verkehrt herum einen Stuhl heran, grätscht wie eine Slow- TeaseStripperin darüber, plumpst auf die Sitzfläche, legt d i e Arme auf die Stuhllehne und fuhrwerkt beim Reden mit einer nicht angezündeten Lulle herum. Zu Gately meint er, Mann, er sähe ja aus wie ein Haufen Scheiße, auf den was Schweres draufgefallen wär. Er meint aber auch, Gately solle sich mal die anderen Jungs begucken, die N ucks in ihren Südseeklamotten. Thrust und die Hausmeisterin seien rechtzeitig angekommen, bevor der Wachmann vom E.M.P.H.H. die Polente davon abhalten konnte, unten auf der Comm. Ave. mitternächtliche Strafzettel
z u verteilen, meint er zu Gately. Lenz, Green und Alfonso Parias-Carbo hätten den bewusstlosen Gately halb getragen und halb geschleift und ihn drinnen auf die schwarze Vinylcouch in Pats Büro gewuchtet, wo Gately zu sich gekommen sei und gesagt habe, der Krankenwagen sei für'n Arsch, und sie sollten ihn in fünf Minuten wecken, und dann sei er richtig aus den Latschen gekippt. Parias-Carbo habe sich wohl beim Tragen/Schleifen einen leichten Leistenbruch geholt, sich aber wacker geschlagen, Kodein unten im Krankenzimmer abgelehnt, sich dankbar für die Wachstumserfahrung gezeigt, und die thorakische Beule ginge schon zurück. Calvin Thrusts Atem riecht nach Rauch und altem Rührei. Auf einer billigen Raubpatrone hat Gately mal gesehen, wie ein junger Calvin Thrust auf einem primitiven selbst gebauten Trapez eine einarmige Lady vögelte. Die Beleuchtungs- und Produktions qualität der Patrone waren richtig mies gewesen, und Gately war immer wieder in einem DemerolNickerchen versackt, aber er ist 98%ig sicher, dass es sich um den jungen Calvin Thrust gehandelt hat. Calvin Thrust sagt, direkt über dem bewusstlosen Gately im Büro hätte Randy Lenz angefangen, weibisch rumzuquengeln, garantiert würde man jetzt
irgendwie ihm, Randy Lenz, die Schuld geben, Gately und die Nucks in die Scheiße geritten zu haben, und warum sie es nicht einfach hinter sich brächten und ihm jetzt sofort den verwaltungstechnischen Tritt in den Hintern verpassten, ohne groß so zu tun, als müssten sie erst beratschlagen. Bruce Green hätte Lenz gegen Pats Schränke geknallt und ihn wie eine Margarita geschüttelt, sich aber geweigert, Lenz zu verpfeifen oder zu begründen, warum wutschnaubende Kanadier darauf kommen könnten, ein Schlappschwanz wie Lenz könne ihren Kumpel entkartet haben. Die Untersuchung sei noch nicht abgeschlossen, aber Thrust könne eine gewisse Bewunderung für Greens Weigerung, Käse zu fressen, nicht verhehlern. Brucie G. hätte bei dem Zoff eine gebrochene Nase abbekommen und jetzt zwei beeindruckende blaue Augen. Calvin Thrust sagt, sowohl er, Calvin Thrust, als auch die Hausmeisterin hätten sofort nach dem Eintreffen gemerkt, dass Lenz entweder zugekokst oder mit irgendwelchen Schnellrnachern zugedröhnt bis unters Dach gewesen sei, und er, Thrust, habe jedes Fitzelchen an Selbstkontrolle, das die Trockenheit
ihm beschert habe, aufgewendet und Lenz friedlich aus dem Büro in das spezielle Behindertenzimmer nebenan gebracht, und er sagt, er habe über die Geräusche hinweg, mit denen Burt F. Smith im Schlaf kleine Lungenstückchen hochgehustet habe, Lenz superbeherrscht vor die Wahl gestellt, entweder auf der Stelle freiwillig seine EnnetInsassenschaft zu kündigen oder aber in Urintest, Zimmerdurchsuchung und so weiter einzuwilligen sowie in eine Vernehmung durch die Polente, die unter Garantie gerade mit einer ganzen Krankenwagenflotte für die Nucks hierher unterwegs sei. Unterdessen, sagt Thrust - gestikuliert mit dem Rettchen herum und beugt sich ab und zu mal vor, um zu kontrollieren, ob Gately noch bei Bewusstsein ist, und ihm zu sagen, er sähe echt scheiße aus -, unterdessen hätte Gately bewusstlos dagelegen, von zwei vollen Aktenschränken eingeklemmt, damit er nicht von der Couch rutschte, für die er zu breit war, geblutet wie Sau, und niemand hätte gewusst, wie man an einer Schulter ein, quasi, Turnquartett anbringt, und die gutbekörperte neue Frau mit der Stoffmaske hätte sich über die Armlehne der Couch gebeugt und Handtücher auf Gatelys Blutung gepresst, und ihr teilweise geöffneter Morgenmantel
hätte Einsichten gewährt, die sogar Alfonso P.-c. aus seiner embryonalen Leistenbruchhaltung auf dem Boden hätten hochsehen lassen, und Thrust und die Hausmeisterin hätten abwechselnd um Hilfe gebeten, intuitiv zu wissen, was sie mit Gately machen sollten, weil ja gut bekannt sei, dass er wegen einer echt ernsthaften Sache nur auf Bewährung draußen sei, und bei allem Vertrauen und Respekt Don gegenüber sei zu dem Zeitpunkt nach Lage der lädierten Kanadier, die da draußen noch in verschiedenen Haltungen bäuchlings auf der Straße gelegen hätten, nicht klar gewesen, wer da wem was in Notwehr oder auch nicht zugefügt hätte, und die Polente zeige in der Regel lebhaftes Interesse an baumlangen Kerlen, die mit spektakulären Schusswunden in die Notaufnahme kämen, und als Pat M. ein paar Minuten später ihren Aventura mit qualmenden Reifen zum Stehen brachte, keifte sie Thrust eher ungelassen an, warum er Don Gately denn nicht längst aus eigenem Antrieb ins St. E.s schwuppdiwuppt hätte. Thrust sagt, er habe Pats Keifen an sich ablaufen lassen wie Wasser an einer Ente, und deutet an, Pat M. litte unter privatem straftatbelastetem Stress, hätte er
erfahren. Er sagt, weil der bewusstlose Gately eben zu schwer gewesen sei, um ihn mehr als ein paar Meter weit zu schleppen, obwohl die maskierte Frau für Parias-Carbo eingesprungen sei, hätten sie Gately gerade mal in seinem nassen Bowlinghemd nach draußen bekommen, kurz auf dem Gehweg abgelegt und mit Pats Autocoat aus schwarzem Wildleder zugedeckt, während Thrust seine geliebte Corvette so nah wie möglich an Gately heranbugsiert habe. Die Sirenengeräusche, die die Comm. Ave. heraufgekommen seien, hätten sich mit den Geräuschen der total im arschen Kanadier gemischt, die das zurückerlangt hätten, was bei Nucks so als Bewusstsein durchgehe, und nach etwas namens medecins gerufen hätten, sowie mit den Lauten eines wild gewordenen Eichhörnchens, die Lenz von sich gab, als er seinen durchgerosteten braunen Duster starten wollte, der einen kaputten Anlasser hatte. Sie hätten Gatelys schlaffe Masse in die 'Vette gewuchtet, und Pat M. sei in ihrem turboaufgeladenen Aventura wie 'ne gesengte Sau frequenzgleich gefahren. Pat habe die maskierte Frau als Beifahrerin mitgenommen, weil die Maskierte sie ununterbrochen gelöchert habe, mitkommen zu dürfen. Die Hausmeisterin sei
zurückgeblieben, um Ennet House gegenüber den Wachleuten vom E.M.P.H.H. und den eher weniger beflunkerbaren Ordnungshütern vom BPD zu vertreten. Die Sirenen seien ständig näher gekommen, was das Durcheinander noch gesteigert habe, denn von der ganzen Bammbuhle seien die senilen und mobil-vegetabilen Patienten sowohl von Teil Nr. 4 als auch vom Schuppen auf die gefrorenen Rasenflächen herausgelockt worden, und die Mischung der verschiedenen Sirenen hätte ihnen nicht gerade gutgetan, und sie hätten mit den Armen gefuchtelt und gekreischt und seien herumgelaufen und hätten zum medizinischen Chaos der Szene noch beigetragen, dabei habe schon, als Pat und er abgefahren seien, ein einziges D-Zaster geherrscht. Thrust stellt die rhetorische Frage, wie viel Don eigentlich wiege, verdammt noch mal, denn als sie die Vordersitze ganz nach vorn geschoben hätten, so wie Zwerge sie einstellen würden, hätten sie alle verfügbaren Hände und sogar Burt F. S.S Stümpfe gebraucht, um Gatelys Fleischmassen auf die Rücksitze der 'Vette zu verfrachten, und das sei gewesen, als wolle man etwas Riesiges durch eine T ür schieben, deren Durchmesser weit kleiner sei
als das Riesige. Thrust tippt gelegentlich auf sein Rettchen, als wäre es angezündet. Die ersten Streifenwagen seien um die Ecke Warren-Comm. herumgeschleudert gekommen, als sie alle gerade von der E. M.-Auffahrt auf die Warren abgebogen seien. Pat an der Spitze des Konvois habe eine Geste gemacht, die entweder ein cooles Winken gewesen sei, als sie an der Polente vorbeigekommen seien, oder ein uncooles Haareraufen. Thrust fragt, ob er Gatelys Blut erwähnt habe? Gately habe Pat M.s Vinylcouch vollgeblutet, die Aktenschränke, den Teppich, das E. M.-Sträßchen, den Gehweg, Pat M.s Autocoat aus schwarzem Wildleder, die Winterjacken von praktisch allen Anwesenden und die geliebte Polsterung von Thrusts geliebter Corvette, die, wie Thrust vielleicht ergänzen könne, neu und teuer gewesen sei. Aber er sagt, da solle er sich keinen Kopf drum machen, sagt Thrust: Das Scheiß blut sei seine geringste Sorge. Gately findet, das höre sich alles gar nicht gut an, und zwinkert ihm in einer Art primitivem Code zu, um ihn auf sich aufmerksam zu machen, aber das merkt T hrust entweder nicht oder hält es für einen postoperativen Tic. Thrust trägt die Haare immer straff zurückgekämmt wie ein Mafioso. Er sagt, die
Truppe von der Notaufnahme im St. E. sei schnell und geschickt gewesen, Gately aus der 'Vette herauszuholen und auf eine doppelbreite Krankentrage zu hieven, allerdings habe man etwas Mühe gehabt, die Krankentrage dann anzuheben, um die Beine mit den Rädern unten dran auszuklappen, damit die Jungs in Weiß ihn nach drinnen rollen konnten, während andere Jungs in Weiß munter neben ihm hergelaufen seien, sich über ihn gebeugt, Druckverbände angelegt und knappe Anweisungen in kodierten Kürzeln gebellt hätten, wie sie das in der Notaufnahme immer machten, bei Notfällen. Thrust sagt, er wisse nicht, ob sie gleich gewusst hätten, dass das eine spektakuläre Schusswunde gewesen sei, niemand habe das SchWort in den Mund genommen. Thrust habe etwas von einer Kettensäge gefaselt, und Pat habe heftig genickt. Die beiden wichtigsten Dinge, die Gately durch rhythmisches Zwinkern rauskriegen will, sind: Sei letztlich jemand umgekommen, und zwar von den Nucks; und sei ein gewisser Stv. BStA, der immer einen Hut aufhabe, aus Essex County aufgetaucht oder habe er sonst wie zu verstehen gegeben, von Gatelys Verbleib oder Beteiligung Wind bekommen zu haben, und mache - ach so, dann waren es drei
wichtigste Dinge - mache irgendeiner der EnnetHouse- Insassen, die die ganze Sache von Anfang bis Ende mitbekommen hätten, schriftlich eine so gute Figur, dass er als Zeuge vor Gericht genug Vertrauenserweckung mitbringe. Und schließlich würde er ja zu gern wissen, was zum Teufel denn in Thrust gefahren sei, dass er Lenz ins Bockshorn gejagt und erlaubt habe, dass sich der in d i e Stadtnacht habe verpissen können, sodass Gately womöglich voll in die Vorschriftenklemme komme. Calvin Thrusts Vorkenntnisse in Sachen Legalität sind großenteils filmischer Natur und beziehen sich auf Baggertelldelikte. Thrust beschreibt schließlich, ein genialer Zug der Hausmeisterin in Sachen Reaktionsschnelligkeit habe darin bestanden, per TP-Suche herauszufinden, welche der draußen bei den Katatonikern auf der Straße herumwuselnden Insassen ungeklärte Rechtsprobleme hätten, um diese in der geschützten Haussphäre vor dem Auge des Gesetzes wegzukapseln, bevor die Ordnungshüter vom BPD am Tatort einträfen. Er sagt, seiner Ansicht nach hätte er (Gately) Schwein, dass er so ein riesiger Mistkerl sei und so viel Blut
habe, denn obwohl er Unmengen von Blut verloren und auf den Polstern der Leute verteilt habe und im Schock gewesen sei und so weiter, als sie ihn endlich mit käsigem Gesicht und blauen Lippen und diesem ganzen schockmäßigen Gemurmel auf der doppelbreiten Krankentrage gehabt hätten, obwohl er (Gately) also nicht direkt auf einen G Q - Titel gepasst hätte, habe er doch wenigstens noch nach Luft geschnappt. Thrust sagt, im Wartezimmer der Notaufnahme, wo ein unbescholtener Bürger nicht mal habe rauchen dürfen, da sei schließlich die neue arrogante Insassin mit dem weißen Schleier zu Thrust gekommen und habe versucht, Inventur zu machen, weil er Randy Lenz habe kündigen und ausreißen lassen, bevor sich seine Rolle in Gatelys rechtlichen Komplexiertheiten habe klären lassen, und Pat M. sei zwar ziemlich uneingeschränkt nett gewesen, habe Thrusts Taktik unterm Strich aber wohl auch nicht so richtig prickelnd gefunden und so weiter. Gately zwinkert wie verrückt, um seine Zustimmung zu Joelles Position kundzutun. Calvin Thrust gestikuliert stoisch mit seiner Zigarette und sagt, er habe Pat M. die Wahrheit gesagt: Er sage immer die Wahrheit, auch wenn sie heute unangenehme Folgen für ihn haben könne: Er sagt,
er habe Lenz ermutigt, sich von dannen zu schwuppdiwuppen, weil er Angst gehabt habe, er (Thrust) würde Lenz sonst vor Wut auf der Stelle die Karte umdekorieren. Lenz' Anlasser sei dann anscheinend endgültig abgekackt, denn NeuInsassin Amy J. habe dann früh am nächsten Morgen gesehen, wie der rostige Duster von seinem Parkplatz auf der falschen Straßenseite vor Teil Nr. 3 abgeschleppt worden sei, als sie (Amy J.) jieperig und verkatert zum House zurückgeschlichen gekommen sei, um den Hefty-Sack mit ihrem ganzen ausquartierten Scheiß abzuholen, also habe Lenz seine Karre anscheinend stehen gelassen und sich zu Fuß verdünnisiert während des ganzen Durcheinanders der Polente und der Reibereien mit den Krankenwagenfahrern, die, und wer könne ihnen das verdenken, die Kanadier nicht hätten mitnehmen wollen, weil es immer eine bürokratische Heidenarbeit sei, von den nicht krankenversicherten Nucks die Behandlungskosten rückerstattet zu kriegen. Die Hausmeisterin habe sich schließlich mit ihren nicht gerade mickrigen Armen und breitbeinig vor dem abgeschlossenen Haupteingang vom House hingepflanzt, die Tür versperrt und jedem Polypen,
der da reinwollte, unmissverständlich klargemacht, dass Ennet House per Gerichtsbeschluss des Commonwealth of Massachusetts geschützt sei und nur mit einer gerichtlichen Anordnung betreten werden könne, aber auch dann müsse man die vorgeschriebenen drei Tage abwarten, bis das House gegen diese Anordnung vorgegangen sei und eine einstweilige Verfügung erwirkt habe, und so seien die Polente und sogar die popelfressenden Schwachmaten vom E.M.P.H.H.-Wachschutz von ihr allein erfolgreich in Schach und ferngehalten worden, und Pat M. überlege, die Coolness, die die Hausmeisterin unter Beschuss bewiesen habe, zu b e l o h n e n und sie zur stellvertretenden Geschäftsführerin zu befördern, sobald der jetzige stellvertretende Geschäftsführer nächsten Monat sein Diplom von der East Coast AeroTech bekommen habe, wo er mit einem Stipendium der Mass. Rehab. auf Düsentriebwerksmechaniker umlerne. Gately verdreht die Augen und nur teilweise vor Schmerz. Solange er sich kein Rettchen ansteckt, ist Calvin Thrust immer nur technisch präsent. Ihn umgibt immer eine Aura des unmittelbar bevorstehenden Aufbruchs wie bei einem Mann,
bevorstehenden Aufbruchs wie bei einem Mann, dessen Pager gleich piept. Ein brennendes Rettchen ist für ihn so eine Art psychischer Ballast. Alles, was er Gately erzählt, macht den Eindruck, als sei es das Letzte, bevor er auf die Uhr sähe, sich an die Stirn schlüge und ginge. Thrust sagt, das, womit der Nuck laut Aussagen der Insassen auf ihn, Gately, geschossen habe, müsse großkalibrige Munition gewesen sein, denn Teile von Gatelys Schulter und Bowlinghemd hätten sich im ganzen Sträßchen des Komplexes wiedergefunden. T hrust deutet auf den dicken Verband und will wissen, ob man sich Gately gegenüber schon dazu geäußert habe, ob er die Reste der verstümmelten Schulter und des Arms behalten könne. Gately merkt, dass das einzige Geräusch, das er von sich geben kann, wie das eines überfahrenen Kätzchens klingt. Thrust erwähnt, Danielle S. sei mit Burt F. S. drüben in der Mass. Rehab. gewesen und habe berichtet, mit Prottsehnen ließen sich heutzutage unglaubliche Sachen anstellen. Gately verdreht die Augen und gibt jämmerliche leise fiepende Angstgeräusche von sich, als er sich vorstellt, wie er mit Haken, Papagei und Augenklappe auf einem AAPodium steht und piraten mäßige »Hey, Kumpel«-
Podium steht und piraten mäßige »Hey, Kumpel«Geräusche von sich gibt. Er spürt eine schreckliche Gewissheit, dass das gesamte Nervenmontagenetz, das den Kehlkopf mit dem Hirn verbindet und jemanden um dringenden juristischen und medizinischen Beistand bitten lässt, durch die rechte Schulter verläuft. Alle möglichen Scheiß-Shunts und verrückten nervlichen Querverbindungen, weiß er. Er stellt sich vor, wie er sich einen von diesen Solarzellenelektrorasierern als Prottsehne an die Gurgel halten muss (vielleicht mit einem Handhaken), um dem Publikum seine Botschaft weiterzugeben, und sich dann wie ein Geldautomat oder eine ROM-Audio-Konnexion anhört. Er will wissen, welcher Tag der nächste und ob einer von Lenz' Nucks entkartet worden sei, und welches offizielle Amt der Mann mit dem Hut bekleide, der gestern oder vorgestern Abend direkt neben der Tür gesessen und dessen Hut eine Art Parallelogramm über die offene Schwelle geworfen habe, und ob er noch da sei, vorausgesetzt, der Anblick seines Schattens mit Hut sei verbürgt und keine Fieberphantasie, und er fragt sich, wie man wohl in Handschellen gelegt werde, wenn die eine Schulter verstümmelt sei und einen schädelgroßen Verband
verstümmelt sei und einen schädelgroßen Verband trage. Wenn Gately tief Luft holt, fährt ihm ein bewusstseinsauslöschender Schmerz durch die ganze rechte Seite. Sogar sein Atem geht daher so flach wie der eines kranken Kätzchens, er japst mehr als er atmet. Thrust sagt, Hester Thrale sei irgendwann im Verlauf der Bammbuhle verschwunden und nicht zurückgekommen. Gately erinnert sich, dass sie schreiend in die Stadtnacht davongelaufen war. Thrust sagt, ihr AHa Romeo sei am nächsten Morgen zusammen mit Lenz' lädiertem Duster abgeschleppt worden, und ihre Siebensachen seien vorschriftsgemäß eingetütet und auf den Vorplatz gestellt worden; alles wie es sich gehörte. Thrust sagt, bei der Durchsuchung von Lenz' Zimmer habe das Personal einen geheimnisvollen Riesenvorrat an hochwertigen Irenkoffern gefunden, und was Müll- und Räumungstüten angehe, habe das House für den Rest des Geschäftsjahrs ausgesorgt. Die Siebensachen entlassener Insassen bleiben drei Tage lang auf dem Vorplatz stehen, und ausgehend von dieser Tatsache versucht Gately zu berechnen, welcher Tag heute sein muss. Thrust sagt, Emil Minty habe eine volle Ausgangssperre bekommen,
nachdem er beobachtet worden sei, wie er Dessous von Hester Thrale aus ihrer Tüte auf dem Vorplatz genommen habe - warum, das wolle niemand so genau wissen. Kate Gompert und Ruth van Cleve wollten wohl zu einem NATreffen am Inman Square und seien anscheinend überfallen und getrennt worden, jedenfalls sei dann nur Ruth van Cleve wieder im House aufgetaucht, und Pat habe durch eidliche Strafanzeige einen Unterbringungsbeschluss für Gompert erwirkt, weil die Frau psychische Probleme habe und selbstmordgefährdet sei. Gately merkt, dass es ihm eigentlich ziemlich egal ist zu erfahren, ob eigentlich jemand daran gedacht hatte, Stavros L. im Shattuck wegen seines Tagjobs Bescheid zu sagen. Thrust streicht sich die Haare zurück und sagt, was gäbe es denn sonst noch so. Johnette Foltz habe bislang Gatelys Schichten übernommen und lasse ausrichten, sie schließe ihn in ihre Gebete ein. Chandler Foss habe seine neun Monate und damit seinen Aufenthalt beendet, sei aber schon am nächsten Morgen zurückgekommen und habe an der Morgenmeditation teilgenommen, was trockenheitsmäßig ein gutes Zeichen sein müsse für den ollen Chandulator. Jennifer Belbin sei wegen der
Kiste mit dem faulen Scheck vom Bezirksgericht in Wellfleet angeklagt worden, man werde sie aber ihren Aufenthalt im House beenden lassen, bevor die Sache vor Gericht komme, und ihr Strafverteidiger habe gesagt, nach einem abgeschlossenen Aufenthalt wandere sie unter Garantie nur halb so lange in den Bau. Der stellvertretende Geschäftsführer habe Belbin in seiner Freizeit zum Gericht begleitet. Doony Glynn liege immer noch mit seiner Diveritis im Bett und sei weder durch gutes Zureden noch durch Drohungen dazu zu bewegen, s e i n e Embryonalhaltung aufzugeben, und die Hausmeisterin versuche, den Amtsschimmeln im Gesundheitsapparat die Sporen zu geben, damit die seine Aufnahme im St. E. genehmigten, obwohl sein Vorstrafenregister als Teil seiner Vergangenheitstrümmer einen Versicherungsbetrug aufweise. Ein Mann, der damals Insasse im House gewesen sei, als auch Thrust einer war, und danach dank den AA vier Jahre lang trocken geblieben sei, habe urplötzlich gepatzt und sich genau am Tag der Lenz-Bammbuhle den ersten Drink genehmigt, habe sich prompt die Kante gegeben, sei dann losgezogen, vom Fort Point Pier gefallen - habe sich
also buchstäblich einen kurzen Pier gesucht -, untergegangen wie ein Stein, und heute finde der Gedenkgottesdienst statt, weswegen Thrust hier auch sofort losmüsse, sagt er. Tingley, der Neue, verlasse inzwischen bis zu einer Stunde den Wäscheschrank, nehme feste Nahrung zu sich, und Johnette mache keinen Druck mehr, ihn im Met State aufnehmen zu lassen. Der noch neuere Neue, der Chandler Foss' Platz eingenommen habe, heiße Dave K. und habe eine ganz düstere Geschichte, versichert Thrust Gately, der Mann sei Abteilungsleiter bei den Luftverdrängern von ATHSCME, ein vornehmer Typ mit Haus mit Palisadenzaun und Kindern und einer treusorgenden Frau mit hochgestecktem Haar, und dieser Dave K. habe bei einer ATHSCME-Betriebsfeier zum Interdependenztag einen halben Liter Cuerva getrunken und so weiter und habe dann völlig im Kleister die Herausforderung eines rivalisierenden Abteilungsleiters zum Limbotanz angenommen und versucht, im Limbo unter einem Tisch oder Stuhl oder jedenfalls irgendwas wahnsinnig Niedrigem durchzukommen, und habe sich an der Wirbelsäule e i n e Limbo-Blockierung zugezogen, die vielleicht chronisch werde: Dieser neueste Neue krabble also
wie eine Krabbe im Wohnzimmer von Ennet House herum, seine Haare wischten den Boden, und seine Knie zitterten vor Anstrengung. Danielle S. glaube, Burt F. S. könne batorielle Ammonie oder so eine chronische Lungenkiste haben, und Geoff D. mache bei den anderen Insassen mit einer Unterschriftensammlung die Runde, damit Burt aus Küche und Esszimmer ausgeschlossen werde, weil er sich beim Husten verständlicherweise nicht die Hand vor den Mund halten könne. Thrust sagt, Clenette H. und Yolanda W. äßen in ihrem Zimmer und hätten striktes Verbot, herabzukommen oder sich an den Fenstern zu zeigen, wegen dem, was der Karte von dem Nuck passiert sei, auf der sie rum getrampelt seien und so weiter. Gately miaut und zwinkert wie blöd. Thrust sagt, alle würden Jenny B. echt total unterstützen und sie ermutigen, die Wellfleet-Strafanzeige ihrem höheren Wesen zu übergeben. Das Personal vom Schuppen schiebe den Rollstuhl der katatonischen Dame immer noch an den festgesetzten Vormittagen vom Schuppen zum Haus, und Thrust sagt, Johnette habe Minty und Diehl eintragen müssen, weil sie der katatonischen Lady gestern einen von diesen Scherzpfeilen, die in
der Mitte gebogen seien und so aussähen, als hätte ein Pfeil den Kopf durchbohrt, auf den gelähmten Kopf gesetzt und sie so den ganzen Tag über zusammengesunken vor dem TP hätten sitzen lassen. Und dann noch Thrales Höschen; nach nur zwölf Stunden sei Minty plötzlich nur noch ein Vergehen vom Tritt in den Hintern entfernt, für den sich Thrust schon höchstpersönlich hoffnungsvoll den spitzesten Schuh poliere. Das größte Problem beim letzten Mecker- und Mosertreffen im House sei gewesen, dass Clenette H. Anfang der Woche eine einfach riesige Ladung an Patronen mitgebringt habe, die man, wie sie gesagt habe, oben in der protzigen Tennisschule auf dem Hügel, wo sie arbeite, schon in den Müllcontainer hätte schmeißen wollen, und sie habe sie abgestaubt und ins House runtergeschleppt, und die Insassen hätten alle eine Stinkwut, weil Pat angeordnet habe, das Personal müsse die Patronen erst auf Eignung und Sexszenen hin prüfen, bevor sie für die Insassen freigegeben werden könnten, und jetzt jammerten die Insassen alle, das würde unter Garantie ewig dauern, und immer würde sich das Scheißpersonal die neuen Unterhaltungen unter den Nagel reißen, während der House- TP in der Unterhaltungswüste praktisch
schon auf Händen und Knien nach neuen Unterhaltungen dürste. McDade habe bei dem Treffen gemosert, wenn er sich nur noch ein Mal Nightmare on Elm Street XXII: Methusalem ansehen müsse, würde er aufs Dach vom House klettern und die letzte Grätsche machen. Dann sagt Thrust noch, Bruce Green habe dem Personal gegenüber kein Wort über die Gefühle verloren, die er in Bezug auf Lenz oder Gatelys Komplexiertheiten habe; der sitze einfach nur da und warte darauf, dass jemand seine Gedanken lese; seine Mitbewohner beklagten sich schon, er schlage im Schlaf um sich und spreche von Nüssen und Zigarren. Calvin Thrust, der seit vier Jahren trocken war, sitzt rittlings auf dem umgedrehten Stuhl und beugt sich immer weiter vor wie ein Mann, der jetzt aber wirklich sofort aufstehen und gehen muss. Er berichtet, in dem früher hoffnungslos arrogant wirkenden» Tiny« Ewell müsse tief drinnen etwas zerbrochen und geschmolzen sein, im spirituellen Sinne jetzt: Der Mann habe sich den Kentucky-ChickenBart abgenommen, sei beim Weinen auf dem 5- MännerKlo gehört worden und von Johnette gesehen
worden, wie er klammheimlich den Küchenmüll rausgebracht habe, obwohl seine Hausarbeit diese Woche die Bürofenster seien. Thrust ist in der Trockenheit bekennender Lebensmittelfreund geworden und entwickelt weitere Kinne. Seine Haare klatscht er immer mit geruchlosem Zeug nach hinten an und hat mehr oder weniger immer eine wunde Stelle an der Oberlippe. Aus irgendwelchen Gründen stellt sich Gately vor, wie Joelle van Dyne als Madame Psychosis verkleidet auf einem schlichten Stuhl im 3-Frauen-Zimmer sitzt, einen Pfirsich isst und durchs offene Fenster zum Kruzifix auf dem geschweiften Dach vom St. Elizabeth's Hospital hinübersieht. Das Kruzifix ist nicht groß, aber so hoch oben, dass es in Enfield-Brighton fast überall zu sehen ist. Er sieht, wie Joelle vorsichtig den Schleier anhebt, um den Pfirsich darunter zu bekommen. Thrust sagt, Charlotte Treats T-ZellenZahl sei gesunken. Sie sticke Gately ein Zierdeckchen mit dem Spruch Eile mit Weile beim Heilen, wenn das Gottes Wille ist, aber das dauere, weil sich Treat eine klebrige und virusbedingte Augeninfektion geholt habe, durch die sie immer gegen die Wände laufe, und ihre Hauspsychologin Maureen N. habe Pat bei der Personalbesprechung
Maureen N. habe Pat bei der Personalbesprechung gebeten, in Betracht zu ziehen, Treat in das HIVReha-Zentrum oben in Everett überweisen zu lassen, wo es auch Süchtige im Entzug gebe. Apropos T-Zellen, Morris Hanley habe für Gately Rahmkäseküchlein gebacken, damit der wieder auf den Damm komme, aber die hätten die Schlitzpisser im Schwesternzimmer der Traumaabteilung beschl agnahmt, sage er mal, als Thrust raufgekommen sei, aber auf dem Herweg in der blutbefleckten 'Vette habe er ein paar probiert und könne Don versichern, für Hanleys Küchlein könnte man seine Geliebte umbringen und so weiter. Gately überkommt plötzliche Sorge beim Gedanken daran, wer während seiner Abwesenheit im House wohl Abendessen kocht, und ob der oder die Betreffende beim Hackbraten wohl an die Cornflakes für die Knusprigkeit denkt. Er findet Thrust unerträglich und wünscht sich bloß, der möge verdammt noch mal endlich verschwinden, muss aber zugeben, dass der grauenhafte Schmerz ihm weniger bewusst wird, wenn jemand da ist, und das liegt wohl hauptsächlich daran, dass die unterdrückte Panik, keine Fragen stellen und das Gesagte nicht kommentieren zu können, so schlimm ist, dass sie
den Schmerz quasi übertönt. Thrust steckt sich das nicht angezündete Rettchen hinters Ohr, womit es nach Gatelys Ansicht durch das Haarwasser unrauchbar wird, sieht sich verschwörerisch nach allen Seiten um, beugt sich so weit vor, dass sein Gesicht zwischen zwei Stangen des Bettgitters zu sehen ist, badet Gatelys Gesicht in alten Eiern und Rauch und flüstert, Gately freue sich bestimmt diebisch zu hören, dass alle Insassen, die bei den Komplexiertheiten dabei waren - bis auf Lenz und Thrale und die, deren juristische Position es ihnen verbiete vorzutreten und so, sagt er -, er sagt, praktisch alle von denen hätten unter Eid ausgesagt, dass die Ordnungshüter vom BPD sowie ein paar schräger aussehende Bundesfritzen mit doofen altmodischen Bürstenschnitten, die wahrscheinlich wegen des InterO.N.A.N.-Elements der Nucks beteiligt seien - hier macht Gatelys Herz einen Hüpfer und sackt ihm dann in die Krankenhausunterhose -, vorbeigekommen und freiwillig eingelassen worden seien, auf Pats schriftliches OK hin, und die hätten ihnen eidesstattliche Versicherungen abgeknöpft, also die hätten sie auf Papier ablegen müssen, und diese
Versicherungen stünden grundsätzlich zu 110 % hinter Don Gately und stützten ein plausibles Senorio der Selbstverteidigung bzw. Lenzverteidigung. Mehrere Aussagen ließen darauf schließen, die Nucks hätten den Eindruck erweckt, unter dem Einfluss aggressivmachender Drogen zu stehen. Das einzige große Problem sei gegenwärtig, sagt Thrust, sage Pat, die fehlende Wumme. Solle heißen, die .44er Wumme, die Gately eine Kugel verpasst habe, sei weg, sagt Thrust. Der den eidesstattlichen Versicherungen zufolge Letzte, der sie gesehen habe, sei Green, der ausgesagt habe, er habe sie dem Nuck weggenommen, auf dem die Niggermädchen rumgetrampelt seien, woraufhin er, Green, gesagt habe, er habe sie auf den Rasen fallen lassen. Und damit sei sie gewissermaßen von der rechtlichen Bildfläche verschwunden. Thrust sagt, nach seiner juristischen Einschätzung sorge die Wumme für den entscheidenden Unterschied zwischen einem Senorio der hieb- und stichhaltigen Notwehr und einem des vielleicht bloß megamäßigen Zoffs, bei dem Gately irgendwann auf geheimnisvolle Weise eine Kugel verpasst bekommen habe, als er gerade mit den bloßen Riesenpranken ein paar kanadische Karten umdekorierte. Seit der
Erwähnung der Bundesbürstenschnitte befindet sich Gatelys Herz irgendwo auf Höhe seiner nackten haarigen Schienbeine. Sein versuchter Appell an Thrust, ihm endlich zu verraten, ob er denn nun jemanden umgebracht habe, ja oder nein, klingt wieder wie das straßenplatte Kätzchen. Der Schmerz des Entsetzens ist mehr, als er aushalten kann, und es hilft ihm, aufzugeben und die Versuche zu lassen, und er entspannt die Beine und sagt sich, Thrust könne verschweigen, was er wolle, Tatsache sei momentan einfach, dass er stumm sei und über Thrust keine Macht habe. Thrust beugt sich vor, umarmt die Stuhllehne und sagt, über Clenette Henderson und Yolanda Willis sei eine volle Ausgangssperre verhängt worden, und sie dürften nicht ins Erdgeschoss kommen, damit sie sich in eidesstattlichen Versicherungen nicht in die juristische Scheiße reiten könnten. Der Nuck mit dem karierten Hütchen, den Ohrenschützern und der fehlenden Wumme sei durch einen hochhackigen Absatz im rechten Auge nämlich an Ort und Stelle verblichen, als auf ihm herumgetrampelt worden sei, wie nur Niggerweiber auf einem herumtrampeln könnten und so weiter, und Yolanda Willis habe
oberschlau auch noch den Schuh mit dem hochhackigen Absatz in der Karte von dem Typ stecken lassen, also mit ihren Zehenabdrücken in ihm drin - im Schuh, soll das wohl heißen -, das Wiederauffinden der Wumme sei daher auch in ihrem stärksten juristischen Interesse, so wie Thrust die juristische Landschaft hier analysiere. Thrust sagt, Pat sei herumgehinkt und habe höchstpersönlich an jeden einzelnen Insassen appelliert, und jeder Einzelne habe mehr oder w e n i g e r freiwillig in eine Zimmer- und Habedurchsuchung eingewilligt und so weiter, und auch da sei keine großkalibrige Wumme aufgetaucht, allerdings habe Nell Gunthers versteckte Sammlung orientalischer Messer ganz schön Eindruck gemacht. Thrust prophezeit, es sei in Gatelys größtem legojuristischem Interesse und so weiter, sich das Hirn zu zermartern, wo und in wessen Hand er die angebliche Waffe letztmals gesehen habe. Über den Hügeln von West Newton geht hinter den Thermopane-Fenstern langsam die Sonne unter, zittert jetzt leicht, und das Fensterlicht an der gegenüberliegenden Wand ist blutrot. Die Heizungsventile klingen wie das leise »Pst!« von Eltern in weiter Ferne. Wenn es draußen dunkel
wird, fängt die Decke an zu atmen. Und so weiter. Irgendwann später, nachts, hinterleuchtet vom Korridorlicht, taucht die Gestalt des Insassen Geoffrey Day auf; er sitzt da, wo Thrust gesessen hat, aber mit dem Stuhl richtig herum, kreuzt überkorrekt die Beine und isst ein Rahmkäseküchlein, das man, wie er sagt, unten im Schwesternzimmer umsonst bekomme. Day sagt, Johnette F. sei auf kulinarischem Gebiet absolut kein Vergleich mit Don Gately. Sie müsse eine Art abgekartete, schmiergeldmäßige Beziehung zu Dosenfleischherstellern pflegen, sagt Day, das sei jedenfalls seine Theorie. Vielleicht ist das schon eine ganz andere Nacht. Die Nachtdecke wölbt sich nicht mehr mit Gatelys flachen Atemzügen, und den verbesserten Geräuschen, die er inzwischen hervorbringen kann, ist eine Evolution vom Felidenhaften zum eher schon Bovinen gelungen. Aber seine rechte Seite schmerzt so sehr, dass er kaum etwas hören kann. Der erst so feurige Schmerz ist einem kalten, toten, tiefen, engen Schmerz gewichen, der eine seltsame Note von emotionalem Verlust hat. Wenn er in sich hineinhorcht, hört er tief drinnen, wie der Schmerz über die 90-mg- Toradol-
IM-Lösung im Tropf lacht. Als Gately aus dem Schlaf hochkommt, kann er wie bei Ewell in keinster Weise sagen, wie lange Day schon da ist oder warum eigentlich. Day pflügt durch eine lange Geschichte, die sich anscheinend um die Beziehung zu seinem kleinen Bruder dreht. Gately fällt die Vorstellung s c h w e r , Day könne überhaupt einen Blutsverwandten haben. Day sagt, sein Bruder sei irgendwie entwicklungsgestört gewesen. Er habe rote, nasse, offen stehende Wulstlippen gehabt und so dicke Brillengläser getragen, dass seine Augen in der Kindheit wie Ameisenaugen ausgesehen hätten. Teil der Störung sei gewesen, dass er anscheinend eine lähmende Phobie vor Blättern gehabt habe. Vor ganz normalen Blättern von Bäumen. In der Trockenheit sei in Day plötzlich schlagartig eine Erinnerung aufgeblitzt, wie er seinen kleinen Bruder emotional missbraucht habe, einfach indem er gedroht habe, ihn mit einem Blatt zu berühren. Day h a t die Angewohnheit, Wange und Kiefer beim Reden so zu halten wie der späte J . Benny auf Ausschnittfotos. Es ist nicht ganz klar, warum Day diese Sachen mit einem stummen, fiebernden und halb weggetretenen Gately teilen möchte. Anscheinend ist Don G. als Gesprächspartner weit
beliebter geworden, seit er praktisch gelähmt und stumm ist. Die Decke benimmt sich, aber im Grau des Zimmers kann Gately noch eine hoch aufragende substanzlose geisterhafte Gestalt ausmachen, die im Nebel am Rand seines Sichtfeldes auftaucht und verschwindet. Zwischen den Posituren der Gestalt und dem lautlosen Gleiten der vorbeigehenden Schwestern besteht eine unheimliche Beziehung. Die Gestalt scheint die Nacht ziemlich eindeutig dem Tag vorzuziehen, aber vielleicht ist Gately an diesem Punkt, an dem Day verschiedene Spezies in der Hand gehaltener Blätter zu beschreiben beginnt, auch schon wieder eingeschlafen. Seit Gately aufgegeben hat, hereingekommen und t r o c k e n geworden ist, hat er einen immer wiederkehrenden schlechten Traum, der einfach nur aus einer winzigen Asiatin mit Aknenarben besteht, die auf ihn herabsieht. Nichts passiert; sie sieht nur auf Gately herab. Ihre Aknenarben sind nicht mal so übel. Die Sache ist, dass sie so klein ist. Sie ist eine von diesen winzigen anonymen Asiatinnen, die man überall in Metro-Boston sieht und die anscheinend
immer unzählige Einkaufstüten schleppen. In dem immer wiederkehrenden Traum sieht sie aber auf ihn herab, aus seiner Perspektive sieht er hinauf, und sie sieht herab, was bedeutet, entweder (a) liegt Gately im Traum auf dem Rücken und sieht leicht angreifbar zu ihr hoch, oder (b) er ist noch unglaublich viel winziger als die Frau. Beteiligt an d e m Traum ist außerdem auf diffus bedrohliche Weise ein Hund, der starr in der Ferne hinter der Asiatin steht, reglos und starr, im Profil, still und aufrecht wie ein Spielzeug dasteht. Die Asiatin hat keinen bestimmten Gesichtsausdruck und sagt nie etwas, nur ihre Gesichtsnarben haben ein bestimmtes schwer fassbares Muster, das aussieht, als wolle es etwas bedeuten. Als Gately die Augen wieder aufschlägt, ist Geoffrey Day verschwunden, sein Krankenhausbett ist mitsamt Gitter und Tropfständer verschoben worden, sodass es jetzt direkt neben dem Bett des ihm unbekannten anderen Patienten in seinem Zimmer steht und Gately und d e r unbekannte Patient einem frigiden alten Paar gleichen, das zusammen, aber in getrennten Betten schläft, und Gatelys Mund bildet ein Oval, und seine Augen treten vor Entsetzen hervor, und sein Versuch zu schreien tut so weh, dass er davon aufwacht, und
seine Lider schießen hoch und klappern wie alte Fensterläden, und sein Krankenhausbett steht da, wo es hingehört, und eine Schwester gibt dem Anonymen im anderen Bett eine Nachtspritze, die offenbar ein Narkotikum enthält, und der Patient, der eine ganz tiefe Stimme hat, weint. Und irgendwann später in den paar Stunden vor der mitternächtlichen Umparksinfonie auf der Washington St. draußen kommt ein unangenehm detaillierter Traum, in dem die Gespenstergestalt, die im Zimmer immerzu herund wieder weggeflimmert ist, endlich so lange an einer Stelle bleibt, dass Gately sie begutachten kann. Im Traum ist es die Gestalt eines sehr großen Mannes mit eingefallener Brust, schwarz gerahmter Brille, Sweatshirt und alten, fleckigen Chinas, der lässig oder aber verdrießlich zusammengesunken dasteht und das Steißbein an die flüsternden Klimaanlagenschlitze am Fensterbrett lehnt, die langen Arme an den Seiten herabhängen lässt und die Knöchel lässig gekreuzt hat, sodass Gately sogar das Detail erkennt, dass die gespenstischen Chinos für seine Größe nicht lang genug sind, sie sind von d e r Sorte, die die Kinder in Gatelys Kindheit als »Hochwasserhose« bezeichneten - die übleren
Spielkameraden von Gunny Gately umringten auf dem Spielplatz schon mal ein Kind mit bleistiftdünnem Hals, das so eine zu kurze Hose anhatte, und machten» Yo, Brüderchen, wo ist denn die Scheißflut ? «, und dann verpassten sie dem Jungen eine Kopfnuss oder knallten ihm eins vor den Latz, sodass die unvermeidliche Geige Arsch über Kopf in ihrem Kasten über den Asphalt schlitterte. Der Arm der unheimlichen Gespenstergestalt verschwindet manchmal irgendwie, taucht an der Nasenwurzel wieder auf und schiebt die Brille mit einer müden und unbewusst verdrießlichen Geste wieder hoch, genau wie die Kinder in den Hochwasserhosen auf dem Spielplatz das immer auf so schwächliche und verdrießliche Weise machten, dass auch Gately ihnen gern mal einen bösen Bruststoß verpasst hätte. Im Traum erlebt Gately einen schmerzhaften Adrenalinstich von Reue und verfolgt kurz den Gedanken, die Gestalt könne eines der Geige spielenden Kinder vom North Shore repräsentieren, das er nie vor der Keile seiner brutalen Kumpel beschützt hat und das jetzt, wo Gately verletzlich und stumm ist, als Erwachsener zurückgekommen ist, um sich irgendwie zu rächen. Die gespenstische Gestalt zuckt die schmalen
Schultern und sagt Aber nein, nichts der Art, sie sei einfach bloß ein schlichter alter Geist, ohne Groll oder Hintergedanken, ein ganz normaler Feld- Waldund- Wiesen-Geist. Im Traum denkt Gately sarkastisch Na gut, wenn es bloß ein Feld-Wald-undWiesenGeist ist, Mensch, dann fällt ihm ja ein Stein vom Herzen. Die Geistgestalt lächelt wie zur Entschuldigung, zuckt die Schultern und verschiebt das Steißbein ein Stück an den wispernden Schlitzen. Ihre Bewegungen haben im Traum etwas Seltsames: Sie haben die vorschriftsgemäße Geschwindigkeit, diese Bewegungen, dabei aber etwas Abgehacktes und Überlegtes, als wären sie irgendwie bemühter als nötig. Aber dann sagt sich Gately, wer wisse denn schon, was für einen normalen Geist von eigenen Gnaden in einem Schmerz-undFieber- Traum nötig oder normal sei. Er sagt sich, soweit er sich erinnern könne, sei dies der einzige Traum, wo er sogar im Traum wisse, dass es ein Traum sei, ganz zu schweigen davon, dass er daliege und darüber nachdenke, dass er im Voraus über die Traumqualität des Traums nachdenke, den er gerade träume. Die ganze Sache wird schnell so vielschichtig und verwirrend, dass er die Augen
verdreht. Der Geist macht eine müde, verdrießliche Geste, als habe er keine Lust, in verwirrende Kontroversen zum Thema Traum v s . Realität einzusteigen. Er sagt, Gately könne gleich wieder aufhören, das verstehen zu wollen, und solle aus seiner Anwesenheit lieber Kapital schlagen, seiner, des Geistes, Anwesenheit im Zimmer oder im Traum, egal was, denn falls es Gatelys Aufmerksamkeit und Würdigung entgangen sein solle, brauche er immerhin nicht laut zu sprechen, um mit ihr, der Geistgestalt, zu konnektieren; ferner sagt die Geistgestalt, es erfordere von ihm (dem Geist) übrigens unglaubliche Geduld und innere Kraft, lange genug an einer Stelle zu verweilen, dass Gately ihn sehen und mit ihm konnektieren könne, und er (der Geist) könne nicht versprechen, dass er das viele Monate aufrechterhalten könne, denn innere Kraft sei nie seine Stärke gewesen. Die ganzen nächtlichen Lichter der Stadt erhellen den Himmel hinter dem Zimmerfenster zu genau der Dunkelrosatönung, die man sieht, wenn man die Augen schließt, was die Traum-im- TraumMehrdeutigkeit noch verstärkt. Im Traum versucht Gately vorzutäuschen, das Bewusstsein zu verlieren, damit der Geist verschwindet, und während der
Vortäuschung verliert er wirklich das Bewusstsein und schläft im Traum ein bisschen, denn die winzige pockennarbige Asiatin ist wieder da und sieht wortlos auf ihn herab, außerdem ist da der unheimliche starre Hund. Und dann weckt der sedierte Patient im Nachbarbett Gately im ursprünglichen Traum durch ein narkotisiertes Gurgeln oder Schnarchen wieder auf, und die sogenannte Geistgestalt ist wieder da, nur steht sie jetzt oben auf dem Gitter an Gatelys Bettseite, sieht aus einer turmhohen Gitter-pluseigene-Größe-Höhe auf ihn herab und muss die eingefallenen Schultern einziehen, um nicht an die Decke zu stoßen. Gately kann deutlich ein beeindruckendes Büschel Nasenhaare erkennen, er sieht nämlich genau in die Nasenlöcher des Geists hoch, und lateral kann er ebenso deutlich die dürren Knöchel des Geists erkennen, die aus den braunen Socken unter den Aufschlägen der HochwasserChinas wie Sprungbeine hervorsehen. Sosehr Schulter, Wade, Zehe und ganze rechte Seite auch schmerzen, geht Gately doch der Gedanke durch den Kopf, dass man sich Geister oder gespenstische Trugbilder üblicherweise nicht als groß oder klein vor stellt, mit Haltungsschäden oder in Socken einer
bestimmten Farbe. Ganz zu schweigen von Einzelheiten wie hervorsprießenden Nasenhaaren. Der Traum hat ein Ausmaß an sozusagen Spezifizitäten dieser Gestalt, die Gately verstörend findet. Ganz zu schweigen vom unangenehmen Traum von der alten Asiatin innerhalb dieses Traums. Wieder wünscht er sich, um Hilfe rufen oder sich aufwecken zu können. Aber jetzt kommen nicht einmal ein Muh oder ein Miau, anscheinend kann er nur echt stark keuchen, als würde die Luft seine Stimmbänder einfach verfehlen oder als wären seine Stimmbänder von den beschädigten Schulternerven einfach komplett entkartet und hingen nur verdorrt und trocken herum wie ein altes Hornissennest, während die Luft drum herum durch Gatelys Kehle ströme. Seine Kehle fühlt sich immer noch kaputt an. Ihm wird klar, dass das genau die erstickte Sprachlosigkeit von Träumen und zwar Albträumen ist. Irgendwie ist das gleichzeitig erschreckend und beruhigend. Beweise des Traumelements und so weiter und so fort. Der Geist sieht auf ihn herab und nickt verständnisvoll. Er könne sich vollkommen in ihn einfühlen, sagt er. Der Geist sagt, auch ein FeldWald-und-WiesenGeist könne sich mit Quantengeschwindigkeit bewegen und jederzeit
Quantengeschwindigkeit bewegen und jederzeit überall sein und in sinfonischer Summe die Gedanken der Lebenden hören, nur könne er für gewöhnlich niemanden und nichts Festes affizieren, und er könne niemanden richtig ansprechen, ein Geist habe keine laute eigene Stimme und müsse daher quasi die innere Hirnstimme eines Menschen nehmen, wenn er etwas kommunizieren wolle, und deswegen halte man Gedanken und Einsichten, die von einem Geist stammten, immer für die eigenen Gedanken aus dem eigenen Kopf, wenn ein Geist mit einem zu konnektieren versuche. Der Geist sagt Denk zur Veranschaulichung an Phänomene wie Intuition, Inspiration oder Ahnungen, oder wenn jemand beispielsweise behauptet, eine »innere Stimme« erzähle ihm dieses oder jenes auf intuitiver Basis. Gately schafft jetzt höchstens noch ein Drittel eines normalen Atemzuges, wenn er nicht das Gefühl haben will, sich vor Schmerz übergeben zu müssen. Der Geist schiebt die Brille hoch und sagt Außerdem erfordert es ungeheure Disziplin, innere Kraft und geduldige Mühe, um lange genug stocksteif an einer Stelle zu verharren, dass die Lebenden einen Geist sehen und von ihm affiziert werden können, und sehr wenige Geister haben etwas so Wichtiges, um
darüber zu konnektieren, dass sie bereit sind, so lange still zu stehen, normalerweise huschen sie lieber mit unsichtbarer Quantengeschwindigkeit herum. Der Geist sagt Es ist eigentlich egal, ob Gately weiß, was der Begriff Quanten bedeutet. Er sagt Im Großen und Ganzen existieren (streckt die Arme langsam aus und macht mit den Fingern kleine Anführungszeichen um existieren) Geister in einer ganz anderen heisenbergschen Dimension der Kursänderungen und Zeitverläufe. Zum Beispiel, fährt er fort, gingen die Handlungen und Bewegungen normaler Lebender für einen Geist ungefähr mit der Geschwindigkeit des Stundenzeigers einer Uhr vonstatten und seien auch ungefähr genauso interessant. Gately denkt, Scheiße aber auch, jetzt will sogar schon in einem unangenehmen Fiebertraum irgendwer ihm gegenüber seine Befindlichkeiten artikulieren, bloß weil er sich nicht verdrücken oder mit eigenen Erfahrungen kontern kann. Normalerweise kann er weder Ewell noch Day dazu bringen, sich mal für einen intensiven persönlichen Austausch zu ihm zu setzen, und jetzt, wo er total stumm und schlaff und passiv ist, dient er der ganzen Welt plötzlich nur
noch als geneigtes Ohr, noch dazu nicht mal als mitfühlendes r e a l e s Ohr, sondern bloß als Holzschnitt oder Statue eines Ohrs. Ein leerer Beichtstuhl. Don G. als großer leerer Beichtstuhl. Der Geist verschwindet, taucht sofort in einer anderen Zimmerecke wieder auf und winkt. Ein bisschen erinnert das an die Wiederholungen von »Verliebt in eine Hexe« in Gatelys Kleinkindheit. Der Geist verschwindet wieder und taucht erneut sofort wieder auf, und diesmal hat er eins von den Pro mi Fotos in der Hand, die Gately ausgeschnitten und mit Klebstreifen an die Wand dieser Flohkiste von Personalschlafzimmer im Keller von Ennet House geklebt hat, und zwar ein altes vom USamerikanischen Staatsoberhaupt Johnny Gentle, dem Berühmten Schnulzier, der in Samt auf der Bühne steht und ein Mikro herumwirbelt, noch aus der Zeit, bevor er auf das kupferrote Toupet umstieg, als er noch einen Striegel benutzte, statt in eine UV Blitzkabine zu steigen, und bloß ein Schlagersänger in Las Vegas war. Wieder verschwindet der Geist und taucht sofort mit einer Coladose in der Hand wieder auf, mit den unverkennbaren verschlungenen roten und weißen Krauslocken der guten alten CocaCola, aber einer fremdartig ungewohnten
asiatischmäßigen Schrift anstelle der guten alten Wörter Coca-Cola u n d Coke. Die ungewohnte Schrift auf der Coladose ist vielleicht der schlimmste Augenblick im ganzen Traum. Der Geist geht ruckartig und überbedachtsam über den Fußboden und dann eine Wand hoch, verschwindet ein paarmal und taucht wieder auf, flattert irgendwie nebelhaft und steht am Ende kopfüber auf der Hängedecke des Krankenhauszimmers, direkt über Gately, zieht ein Knie an die eingefallene Brust und beginnt mit etwas, das Gately als Pirouetten erkennen würde, wenn er im Leben auch nur ein einziges Mal mit dem Ballett in Berührung gekommen wäre, der Geist pirouettiert immer schneller und schließlich so schnell, dass er nur noch ein langer Strunk aus sweatshirt-und-coladosen-farbigem Licht ist, das scheinbar von der Decke erumpiert wird; und dann, in einem Moment, der es für Gately an Scheußlichkeit mit dem Coladosenmoment aufnehmen kann, hört Gately mit seiner eigenen Hirnstimme, aber mit brüllender und ungewollter Stärke, den B e g r i f f P I R O U E T T E , in Großbuchstaben, einen Begriff, den Gately hundertpro noch nie gehört hat, und er hat keinen
Grund, ihn mit so brüllender Stärke zu denken, sodass das Gefühl nicht nur unheimlich, sondern auch eine Zudringlichkeit, eine Art lexikalische Vergewaltigung ist. Gately hält diesen hoffentlich nicht wiederkehrenden Traum langsam für insgesamt noch scheußlicher als den Traum von der winzigen pockennarbigen Asiatin. Andere Begriffe und Wörter, die Gately so nötig hat wie ein Beinamputierter ein Paar Schuhe, krachen ihm jetzt mit derselben scheußlich zudringlichen Stärke durch den Kopf, b e i s p i e l s w e i s e A C C I A C C A T U R A und DESTILLIERKOLBEN, LATRODECTUS MACTANS u n d NEUTRALDICHTEPUNKT, CHIAROSCURO u n d PROPRIOZEPTION u n d TESTUDO und A N N U L I E R E N u n d B R I C O L A G E und K ATA L E P T I K E R u n d J U M E L A G E und SKOPOPHILIE und LAERTES - und auch die zuvor g e d a c h t e n ERUMPIERT, STRIEGEL und LEXIKALISCH, geht Gately plötzlich auf - und LORDOSE u n d QUINTIL u n d SINISTRAL und MENISKUSLINSE u n d CHRONAXIE u n d ARMER Y O R I C K u n d S Y R I N X u n d KIRSCHROTER M O N T C L A I R und dann DE SICA N E O R E A L I S T I S C H E R KRANDOLLYund
UBIQUITÄRDRAMETROUVELEVIRATSEHE und dann beschleunigen weitere lexikalische Begriffe und Wörter auf Streifenhörnchentempo und dann HELIUMVERSETZT die ganze Tonleiter hoch, bis es wie ein Moskito auf Speed klingt, und Gately versucht, eine Hand an beide Schläfen zu pressen und zu brüllen, aber kein Ton kommt heraus. Als der Geist wieder auftaucht, sitzt er hinter ihm, und Gately muss die Augen in den Kopf hinein verdrehen, um ihn sehen zu können, und da stellt er fest, dass sein Herz medizinisch überwacht wird, denn der Geist s i t z t auf dem Herzmonitor mit so seltsam überkreuzten Beinen, dass die Hosenaufschläge hochrutschen und Gately jetzt die nackte magere haarlose Schienbeinhaut des Geists über den Socken erkennen kann, die im aus dem Korridor der Traumaabteilung hereinfallenden Licht leicht leuchten. Die asiatische Coladose steht jetzt auf Gatelys breiter flacher Stirn. Sie ist kalt und riecht ein bisschen komisch, nach Ebbe, die Dose. Jetzt Schritte und Kaugummigeräusche im Korridor. Ein Pfleger leuchtet mit einer Taschenlampe herein, lässt den Lichtkegel über Gately, seinen narkotisierten Bettnachbarn und Umgebung huschen und macht sich Notizen auf einem Klemmbrett, während er eine
sich Notizen auf einem Klemmbrett, während er eine kleine orangene Blase bläst. Das Licht scheint nicht durch den Geist hindurch oder sonst etwas Dramatisches - der Geist verschwindet einfach, als der Lichtkegel auf den Herzmonitor fällt, und taucht sofort wieder auf, als er weiterwandert. Normalerweise enthalten Gatelys scheußliche Träume definitiv weder spezifische Kaugummifarben noch intensives körperliches Unbehagen oder Invasionen lexikalischer Begriffe, von denen er keinen Dunst hat. Gately gelangt allmählich zu dem Schluss, dass der Feldgeist auf dem Herzmonitor vielleicht nicht im herkömmlichen Sinne real ist, aber eine Art epiphanierte Heimsuchung von Gatelys persönlich missverstandenem Gott, einem höheren Wesen oder so, vielleicht ungefähr so wie das legendäre pulsierende blaue Licht, das Bill W., der Gründer der AA, laut Überlieferung bei seiner letzten Entgiftung sah und das sich als Gott herausstellte, der ihm erklärte, dass er per Gründung der AA trocken bleiben und die Botschaft weitergeben könne. Der Geist lächelt traurig und sagt etwas a la Schön wär's, junger Herr. Gatelys Stirn knittert, wenn er die Augen nach oben dreht, wodurch die ausländische Dose kalt kippelt: Natürlich besteht
ausländische Dose kalt kippelt: Natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass der große, zusammengesackte, extrem schnelle Geist der Zuchtmeister ist, die Krankheit, die die gelockerten Sicherheitsvorkehrungen in Gatelys fieberverwirrtem Geist auskundschaftet, um ihm die Motivation zu verhunzen und ihn dazu zu überreden, Demerol zu akzeptieren, nur einmal, nur noch dieses eine allerletzte Mal, was bei solchen Schmerzen doch absolut legitim sei. Gately erlaubt sich das kurze Gedankenspie!, wie das wohl wäre, wenn man jederzeit überall hin quanten könnte, über Kopf auf Zimmerdecken stehen und wahrscheinlich einbrechen auf eine Weise, von der kein Einbrecher je zu träumen gewagt hat, dafür aber nichts wirklich affizieren und mit niemandem konnektieren könnte, weil niemand wüsste, dass man da wäre und die normale Hektik des Alltags der Leute verfolgte wie die Bewegungen von Planeten und Sonnen, lange Zeit geduldig und mucksmäuschenstill an einem Platz aushalten müsse, damit sich so ein armer verwirrter Arsch mit dem Gedanken wenigstens anfreunden könnte, dass man vielleicht da wäre. Das wäre total frei scheinend, aber unglaublich einsam, stellt er sich vor. Und mit Einsamkeit kennt sich
Gately aus, findet er. Hat Geist eigentlich was mit Toten zu tun? Ist das hier die Botschaft eines höheren Wesens über Trockenheit und Tod? Wie das wohl ist, wenn man mit jemandem redet, und der glaubt, er führt Selbstgespräche? Gately kommt zu dem Schluss, dass er sich vielleicht bis zu einem gewissen Grade identifizieren könnte. Das ist das erste Mal, dass er mit Stummheit geschlagen ist, mal abgesehen von der kurzen, aber grässlichen Episode einer pleuritischen Kehlkopfentzündung, die er sich mit vierundzwanzig geholt hatte, als er oben in Gloucester an dem kalten Strand übernachtet hatte, und es gefällt ihm gar nicht, mit Stummheit geschlagen zu sein. Es ist eine Mischung aus Unsichtbarkeit und lebendig begraben sein, was das Gefühl betrifft. Als würde er erwürgt, aber irgendwo weiter drinnen als am Hals. Gately stellt sich vor, wie er bei Verpflichtungen mit Piratenhaken auftritt und nicht sprechen, sondern nur gurgeln und keuchen kann, verdammt zu einem AA-Leben aus Aschenbechern und Pumpkannen. Der Geist nimmt die unamerikanische Sprudeldose von Gatelys Stirn und versichert, mit den Gefühlen eines Lebenden, kommunikativ impotent und stumm stranguliert zu
sein, könne er sich mehr als identifizieren. Gatelys Gedanken sind ganz aufgewühlt, als er geistig zu brüllen versucht, er hätte nie irgendeinen Scheiß von w e g e n Impotenz erwähnt. Er bekommt weit deutlichere und direktere Einblicke in die extreme Nasenlochhaarsituation des Geists, als ihm lieb ist. Der Geist nimmt abwesend die Dose weg und sagt, mit achtundzwanzig müsse Gately alt genug sein, um s i c h an die terrestrisch ausgestrahlten U5amerikanischen Fernsehnetzwerkkomödien der achtziger und neunziger Jahre v. 5Z zu erinnern. Gately muss über die Ahnungslosigkeit des Geists lächeln: Er ist schließlich ein Scheißjunkie, und seine zweitwichtigste Beziehung unterhält jeder Drogensüchtige zu seiner heimischen Unterhaltungseinheit, ob nun TV /VCR oder HDTP. Herrgott noch mal, Drogensüchtige gehören vielleicht der einzigen menschlichen Spezies an, deren Einbildungskraft über einen vertikalen Bildfang verfügt, sagt er sich. Und auch im Krankenhaus kann sich Gately noch längere Passagen im Wortlaut ins Gedächtnis rufen, die er teils in seiner Junkiejugend bei »Seinfeld«, »Ren und Stimpy«, »Für wen hält der sich eigentlich« und »Alaskische Ausrechner«
aufgeschnappt hat, teils bei den sublizenzierten Ausstrahlungen von »Verliebt in eine Hexe«, »Hazel« und dem allgegenwärtigen »M*A*S*H«, vor denen er zu seinem monströsen Kindheitsformat heranwuchs, vor allen Dingen aber aus der Ensembleserie »Cheers!« aus seiner Heimatstadt, sowohl der spät en Netzwerkversion mit der strotzbrüstigen Brünetten als auch der sublizenzierten älteren Version mit der tittenlosen Blondine; zu »Cheers!« hatte Gately auch nach dem Übergang zu InterLace und der HDTP-Disseminierung eine ganz persönliche Beziehung, nicht nur weil in der Serie grundsätzlich alle immer eine Hopfenkaltschale in der Hand hatten, genau wie im richtigen Leben, sondern auch weil Gatelys entscheidende Kindheitsforderung nach Anerkennung auf seiner unheimlichen Ähnlichkeit mit dem breiten, halslosen Buchhalter Nom basierte, der mehr oder weniger in der Bar lebte und unfreundlich, aber nicht grausam war und eine Kaltschale nach der anderen becherte, ohne je irgendwem die Mom zu verprügeln oder wegzuklappen und das Bewusstsein in Erbrochenem zu verlieren, das jemand anders dann aufwischen musste, der - bis zu massivem viereckigem Kopf, Neandertalerbrauen und paddelgroßen Daumen -
eine unheimliche Ähnlichkeit mit dem kleinen D. W. (»Gun«) Gately mitbrachte, ungeschlacht, halslos und schüchtern, der auf seinem Besen ritt und Liebherr Zierrose war. Der Geist auf dem Herzmonitor sieht versonnen auf Gately herab und fragt, ob er sich an die Myriaden von Histrionen beispielsweise in seinen geliebten »Cheers!« erinnert, nicht an die Hauptdarsteller Sam, Carla und Nom, sondern an die namenlosen Stammgäste an den Tischen, die die Bar füllten, Konzessionen an d e n Realismus, die immerzu in den Hinter- und Vordergrund relegiert wurden und immerzu absolut lautlose Gespräche führen mussten: Ihre Gesichter waren belebt, und ihre Lippen bewegten sich realistisch, aber tonlos; nur die im Abspann genannten Stars an der Bar konnten audibilisieren. Der Geist sagt, diese fraktionierten Schauspieler, die menschliche Kulisse, seien in den meisten filmischen Unterhaltungen zu sehen (aber nicht zu hören). Und Gately erinnert sich an sie, die Komparsen in allen öffentlichen Szenen, besonders den Bar- und Restaurantszenen, genauer gesagt erinnert er sich daran, dass er sich nicht richtig an sie erinnert, dass es seinen verwirrten Geist nie als surreal befremdet hat, dass sich ihre Lippen bewegten, ohne einen Ton
hervorzubringen, und dass es für einen Schauspieler doch der mieseste Job auf der untersten Karrieresprosse sein musste, eine Art menschliches Möbel darzustellen, Figuranten nenne man die, sagte der Geist, diese surreal stummen Hintergrundpräsenzen, deren Präsenz in Wirklichkeit demonstriere, dass die Kamera wie jedes Auge einen blinden Winkel habe, eine Triage-Funktion, wer wichtig genug sei, um gesehen und gehört zu werden, und bei wem das Sehen reiche. Der Begriff stamme ursprünglich aus dem Ballett, Figurant, erklärt der Geist. Er schiebt die Brille hoch, was an ein wehleidig schniefendes Kind erinnert, das sich auf dem Spielplatz gerade eine gefangen hat, und sagt, er habe den Löwenanteil seines früheren belebten Lebens auch so ziemlich als Figurant verbracht, als Möbelstück an der optischen Peripherie gerade jener Augen, die ihm am nächsten waren, wie sich herausgestellt habe, und das sei ein lausiges Leben, das könne er aber laut sagen. Gately, dessen wachsendes Selbstmitleid weder Platz noch Geduld für das Selbstmitleid anderer mehr lässt, will die linke Hand heben und mit dem wackelnden kleinen Finger simulieren, wie die
kleinste Viola der Welt die Titelmelodie von Das Haus nebenan spielt, aber selbst wenn er den linken Arm bewegen will, fällt er schon fast in Ohnmacht. Und entweder sagt der Geist oder erkennt Gately, dass man das dramatische Pathos eines Figuranten erst dann würdigen kann, wenn man erkannt hat, wie vollkommen gefangen und eingesperrt er in seinem stummen Peripheriestatus ist, denn wenn beispielsweise einer der Figuranten in der »Cheers!« - Bar plötzlich fände, er halte das nicht länger aus, aufstehe und zu schreien und wild zu gestikulieren anfinge, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und einen nichtperipheren Status in der Serie zu erhalten, erkennt Gately, dann würde bloß einer der audibilisierenden, im Abspann genannten Stars der Serie aus der Bühnenmitte hinüberstürzen und dem Betreffenden Fesseln anlegen, den HeinekenHandgriff anwenden oder zur Herz-LungenWiederbelebung schreiten, weil er sich sagen würde, der stumm gestikulierende Figurant ersticke an einem Erdnüsschen oder so, und der Rest der fraglichen Folge von »Cheers!« bestünde dann aus Witzen darüber, wie der im Abspann genannte Star zum lebens rettenden Helden geworden sei, beziehungsweise wie er den Heineken-Handgriff bei
beziehungsweise wie er den Heineken-Handgriff bei jemandem vermasselt habe, der nicht Gefahr gelaufen sei, an einem Nüsschen zu ersticken. Der Figurant hatte einfach keine Chance. Für den eingesperrten Figuranten gab es weder potenzielle Stimme noch Fokus. Gately überlegt kurz, wie hoch wohl die Selbstmordrate bei Schauspielern auf der untersten Karrieresprosse sei. Der Geist verschwindet und taucht auf dem Stuhl am Bettgitter wieder auf, beugt sich vor mit dem Kinn auf den Händen auf dem Gitter, was Gately zunehmend für die klassische Erzähl-deine- Probleme-demTraumapatien ten -der-weder-fliehen -noch -dich -un ter brechen - kann - Pose hält. Der Geist sagt, er selber, der Geist, habe sich in seinem belebten Leben an filmischen Unterhaltungen versucht, also er habe sie gedreht, Patronen, nur zu Gatelys Information, ob der das glaube oder nicht, nur habe er in seinen eigenen Unterhaltungen verdammt noch mal dafür gesorgt, dass entweder die ganze Unterhaltung ein Stummfilm gewesen sei oder aber, wenn sie nicht stumm gewesen sei, man aber hallo die Stimme jedes einzelnen Darstellers habe hören k ö n n e n , egal wie weit weg an der kinematographischen oder narrativen Peripherie der
gestanden habe; und dabei habe es sich nicht um auto referentielle Dialogüberlappungen gehandelt wie bei diesen Poseuren Schwulst oder Altman, d. h., bei ihm sei das nicht bloß die artifizielle Nachahmung eines akustischen Chaos gewesen: Bei ihm sei das das echte egalitäre Babbeln des echten Lebens figurantenloser Menschenmengen gewesen, der echten Agora der belebten Welt, das Babbeln342 von Menschenmengen, von denen jeder einzelne Teil der zentrale und gut verständliche Protagonist seiner eigenen Unterhaltung gewesen sei. Gately denkt, dass er noch nie einen Traum gehabt hat, in dem jemand Sachen wie Löwenanteil oder gar Agora gesagt hat, worunter sich Gately eine Art teuren Pullover vorstellt. Und deswegen, fährt der Geist fort, wegen des ganzen unfigurantierten egalitären akustischen Realismus beanstandeten linientreue Unterhaltungs kritiker immer, dass die in öffentlichen Räumen spielenden Szenen in den Unterhaltungen des Geists immer so unglaublich öde, selbstgefällig und verwirrend seien und sie nie die eigentlich wichtigen Dialoge der Zentralerzählung hören könnten, weil die periphere Menge immer so ungefiltert babble, und dieses Babbeln(/Babeln)
hielten sie für die selbstgefällige und zuschauerfeindliche bedeutungsschwere Kunstpose des Regisseurs und nicht für radikalen Realismus. Das säuerliche Lächeln des Geists verschwindet fast schon, bevor es auftaucht. Gately lächelt dünn und verkniffen zurück, woran man immer sehen kann, dass er nicht richtig zuhört. Er erinnert sich, dass er immer spielte, der gewaltfreie und sarkastische Buchhalter Nom in »Cheers!« sei sein leiblicher Vater, der sich den kleinen Gunny auf den Schoß stemme und ihn mit den Fingern in den Kondenswasserringen auf dem Tresen Figuren zeichnen lasse, und wenn er wegen Gatelys Mutter scheiße drauf wäre, verfiele er auf witzigen Sarkasmus, statt sie zu vertrimmen und mit diesen grauenhaft sorgfältigen NavyTruppenknastschlägen einzudecken, die wehtaten wie Tier, aber keine blauen Flecken hinterließen oder sonst wie zu sehen waren. Die ausländische Coladose hat auf seiner Stirn einen Ring hinterlassen, der kälter ist als die ihn umgebende fiebrige Haut, und Gately konzentriert sich auf die Kälte des Rings, um sich von dem toten kalten Vollschmerz seiner ganzen rechten Seite - DEXTRAL - abzulenken, oder auf die nüchterne Erinnerung an
den Ex-Lebensabschnittspartner seiner Mutter Mrs Gately, den ehemaligen Militärpolizisten mit den Schweinsäuglein, der in Khakiunterwäsche besoffen über dem Notizbuch mit der Strich liste seiner TagesHeinekens hing, die Zunge in den Mundwinkel geklemmt und die Augen zusammengekniffen im Versuch, nur ein Notizbuch zu sehen, in das er schreiben konnte, während Gatelys Mutter auf dem Boden lag und so leise zur abschließbaren Badezimmertür zu kriechen versuchte, dass der M. P. sie nicht wieder bemerkte. Der Geist sagt, Nur damit sich Gately eine Vorstellung machen könne, er, der Geist, habe, um Gately sichtbar erscheinen und mit ihm konnektieren zu können, das Geisterzeitäquivalent von drei Wochen stocksteif auf dem Stuhl neben Gatelys Bett gesessen, was sich Gately nicht einmal ansatzweise vorstellen kann. Er denkt, dass niemand von den Leuten, die vorbeigeschaut haben, um ihn mit ihren Problemen zu belatschern, auf den Gedanken gekommen ist, ihm zu sagen, wie lange er eigentlich schon in der Traumaabteilung liegt oder welcher Tag beim nächsten Sonnenaufgang anbricht, und Gately hat daher keine Ahnung, wie viel Zeit er jetzt
eigentlich schon ohne AA- Treffen verbracht hat. Er wünscht sich, sein Sponsor Ferocious Francis G. käme vorbeigehumpelt statt der Personalangehörigen von Ennet Hause, die über Prottsehnen reden wollen, oder Insassen, die ihre erinnerten Trümmerhaufen mit jemandem teilen wollen, der sie ihrer Meinung nach nicht mal hören kann, so wie sich ein kleiner Junge seinem Hund anvertraut. Er denkt lieber nicht darüber nach, warum ihn noch keine Ordnungshüter oder Bundesfritzen mit Bürstenschnitten besucht haben, wenn er schon länger hier ist, wo die doch schon übers House hergefallen sind wie Hamster über Weizen, wie Thrust gesagt hat. Draußen im Korridor ist immer noch der Schatten eines sitzenden Hutträgers zu sehen, obwohl, wenn das ganze Intermezzo nur ein Traum war, dann sitzt da keiner und hat da auch nie einer gesessen, schnallt Gately und blinzelt, um sicherzustellen, dass der Schatten wirklich der Schatten eines Hutes ist und nicht der eines Feuerlöschers an der Wand oder so. Der Geist sagt Entschuldigung und verschwindet, nimmt zwei langsame Lidschläge später aber schon wieder dieselbe Position ein. »Und dafür war eine Entschuldigung nötig? «, denkt Gately trocken zum
Geist und muss fast lachen. Durch die stechenden Schmerzen, die das Fastlachen auslöst, verdreht er wieder die Augen. Das Gehäuse des Herzmonitors sieht zu schmal aus, als dass auch nur ein Geisterarsch darauf Platz hätte. Der Herzmonitor ist einer von den leisen. Er zeigt die über den Bildschirm ziehende weiße Linie mit den zackigen Bremsschwellen für Gatelys Puls, gibt aber nicht dieses sterile Piepen von sich wie die Monitore in den alten Krankenhausserien. Die Patienten in den Krankenhausserien waren oft bewusstlose Figuranten, denkt Gately. Der Geist sagt, er hätte gerade einem gewissen Ferocious Francis Gehaney im alten makellosen Zweistöcker in Brighton eine Quantenstippvisite abgestattet, und nach dem Anblick zu urteilen, wie sich das alte Krokodil rasiere und ein sauberes weißes T-Shirt anziehe, sagt der Geist, prophezeie er, F. F. werde bald die Traumaabteilung aufsuchen und Gately bedingungsloses Mitgefühl, Gemeinschaft und ätzende Krokodilsratschläge anbieten. Falls er das nicht selbst gedacht hat, um die Horchlöffel steifzuhalten, denkt Gately. Der Geist schiebt traurig die Brille hoch. Man stellt sich einen Geist nie als
traurig oder untraurig vor, aber dieser Traumgeist zeigt die volle Gefühlspalette. Gately hört Hupen, laute Stimmen und beim Wenden quietschende Reifen weit unten auf der Wash., was bedeutet, dass es etwa 0.00 Uhr ist, die Umparkstunde. Er fragt sich, wie sich etwas so Kurzes wie ein Autohupen für einen Figuranten anhört, der drei Wochen lang still sitzen muss, um gesehen zu werden. Geist, nicht Figurant, meint Gately, korrigiert er sich. Er liegt da u n d korrigiert seine Gedanken, als würde er sprechen. Er fragt sich, ob seine Hirnstimme schnell genug redet, oder ob der Geist zwischen seinen Worten mit dem Fuß auf den Boden tippt und auf die Uhr sieht. Aber sind das eigentlich Worte, wenn sie einem nur durch den Kopf gehen? Der Geist putzt sich die Nase mit einem Taschentuch, das auch schon bessere Zeiten gesehen hat, und sagt, als er, d e r Geist, noch in der Welt der Lebenden lebte, habe er mit ansehen müssen, wie sein eigener jüngster Nachwuchs, ein Sohn, der ihm am ähnlichsten gewesen sei, den er am wunderbarsten und beängstigendsten gefunden habe, zum Ende hin ein Figurant geworden sei. Zu seinem Ende, nicht dem des Sohnes, stellt der Geist klar. Der Geist inspiziert das benutzte Taschentuch genauso, wie
sich ein Lebender das nie verkneifen kann, und sagt, Kein Grauen auf Erden oder in einer anderen Welt komme dem Anblick gleich, wenn der eigene Nachwuchs den Mund öffne, ohne dass etwas herauskomme. Der Geist sagt, das trübe die Erinnerungen an das Ende seines belebten Lebens, das Zurückweichen dieses Sohns an die Peripherie des Lebensrahmens. Der Geist gesteht, dass er die Schuld am Schweigen des Jungen einmal dessen Mutter gegeben habe. Aber was nütze das schon, sagt er mit einer vagen Geste, die ein Achselzucken sein mag. Gately erinnert sich daran, wie der ehemalige Navy-M. P. zu seiner Mutter sagte, sie sei s c h u l d daran, dass er seinen Job in der Fischsuppenfabrik verloren habe. »Feindseligkeit macht nicht selig« ist auch so ein Klischee Bostoner AA, das Gately zunehmend glaubhaft findet. Und dass man nicht die Missgunst der Stunde nutzen solle. Nicht dass er was dagegen einzuwenden hätte, mal ein paar Minuten mit Randy Lenz in einem Zimmer ohne Tür zu verbringen, wenn er erst wieder auf den Beinen und dazu imstande wäre. Der Geist taucht wieder zusammengesackt auf dem Stuhl auf, sein Gewicht ruht auf dem Steißbein, und
die Beine hat er auf Erdedys vornehme Weise übereinandergeschlagen. Er sagt, Stell dir bloß das Grauen vor, während deiner ganzen unsteten einsamen Kindheit im Südwesten und an der Westküste deinen Vater vergebens davon überzeugen zu wollen, dass du auch nur existierst, etwas so gut zu machen, dass du gehört und gesehen wirst, aber auch nicht so gut, dass du nur zur Projektionsfläche seiner (des Dads) Misserfolge und seines Selbsthasses wirst und nie richtig wahrgenommen wirst, wild durch den destillierten N e b e l gestikulierend, sodass du noch als Erwachsener das ganze feuchte, wabbelige Gewicht des Scheiterns, je wirklich von ihm gehört zu werden, mit dir herumschleppst, es in deinen belebten Jahren auf den zunehmend zusammengesackten Schultern mit dir herumschleppst - nur um gegen Ende festzustellen, dass dein eigenes Kind selbst ausdruckslos, involuiert, schweigsam, beängstigend, stumm geworden ist. Das heiße, sein Sohn sei zu dem geworden, was zu werden er (der Geist) als Kind zu sein befürchtet habe. Gately verdreht die Augen. Der Junge, dem alles mit der natürlichen und unzusammengesackten Anmut gelungen sei, die ihm (dem Geist) immer gefehlt habe, den der Geist so
furchtbar gern gesehen und gehört habe und den er so gern habe wissen lassen, er (der Sohn) werde gesehen und gehört, dieser Sohn habe sich gegen Ende seines (des Geists) Leben schrittweise immer w e i t e r zurückgezogen; und niemand in der Kernfamilie des Geists und des Jungen habe das sehen und wahrhaben wollen, die Tatsache, dass dieser anmutige und wunderbare Junge direkt vor ihren Augen verschwunden sei. Sie hätten hingesehen, ohne seine Unsichtbarkeit wahrzunehmen. Und sie hätten die Warnung des Geists gehört, aber nicht beherzigt. Gately stellt w i e d e r das dünne, verkniffene Lächeln der Abwesenheit zur Schau. Der Geist sagt, die Kernfamilie habe ihn (den Geist) für labil gehalten und vermutet, er verwechsle den Jungen mit seinem (des Geists) eigenen Kindheits-Ich oder aber mit dem Großvater des Geists, einem ausdruckslosen, hölzernen Mann, der den Vater des Geists der Familienmythologie zufolge »zur Flasche getrieben« habe sowie zur Nichtrealisierung seines Potenzials und zum frühen hämorrhagischen Hirninfarkt. Gegen Ende habe er insgeheim zunehmend befürchtet, sein Sohn experimentiere mit Drogen. Der Geist muss
weiterhin immerzu die Brille hochschieben. Fast verbittert sagt er, wenn er aufgestanden sei und die anderen mit Armgefuchtel darauf hinzuweisen versucht habe, dass sein jüngster und meistversprechender Sohn verschwinde, hätten alle bloß gedacht, seine ganze Erregung gehe darauf zurück, dass der Wild- Turkey-Konsum ihn plemplem gemacht habe und er wieder einmal versuchen müsse, trocken zu werden. Damit hat er Gatelys Aufmerksamkeit. An dieser Stelle bekommen die Scheußlichkeit und die Verwirrung des Traums vielleicht endlich eine Art Sinn. »Du hast versucht, trocken zu werden? «, denkt er und verdreht die Augen in Richtung Geist. »Und du hast das mehr als einmal versucht? War das mit weißen Knöcheln?343Hast du je aufgegeben und bist hereingekommen?« Der Geist fährt sich über den langen Kiefer und sagt, die gesamten trockenen letzten neunzig Tage seines belebten Lebens habe er unermüdlich daran gearbeitet, ein Medium zu finden, mit dessen Hilfe sein stummer Sohn und er sich einfach bloß hätten unterhalten können. Etwas auszuhecken, das der begabte Junge nicht in null Komma nichts bewältigt
hät t e, bloß um sofort zum nächsten Plateau weiterzustürmen. Irgendetwas, das der Junge so sehr gemocht hätte, dass er aus sich herausgekommen wäre und den Mund aufgemacht hätte und sei es nur, um Nachschlag zu fordern. Spiele hätten das nicht geschafft, Profis hätten das nicht geschafft, und die Nachahmung von Profis hätte das nicht geschafft. Seine Ultima Ratio: Unterhaltung. Etwas so verdammt Unwiderstehliches zu machen, dass es beim Sturz des Jungen in den Schoß von Solipsismus, Anhedonie und Tod im Leben eine Schubumkehr ausgelöst hätte. Ein magisch unterhaltsames Spielzeug, das man dem Kleinkind, das irgendwo in dem Jungen doch noch am Leben gewesen sein müsse, vor die Nase hätte hängen können, um seine Augen aufleuchten und seinen zahnlosen Mund im unbewussten Lachen aufgehen zu lassen. Um ihn »aus der Reserve zu locken«, wie man so sage. Der Schoß könne in beide Richtungen benutzt werden. Eine Weise, ES TUT MIR SO WAHNSINNIG LEID zu sagen und gehört zu werden. Ein lebenslanger Traum. Die Gelehrten und die Stiftungen und die Disseminatoren hätten nie erkannt, dass das sein größter Wunsch gewesen sei: zu unterhalten.
gewesen sei: zu unterhalten. Gatelys Qualen und sein Fieber sind nicht so stark, dass es ihm entginge, wenn jemand in Selbstmitleid ertrinkt, Geist hin oder her. Wie in dem Slogan »0 je, 0 je, 0 jetzt brauch ich 'n Drink.« Bei allem Respekt, aber er kauft diesem Geist nicht ab, trocken bleiben zu können, wenn er trocken werden musste, bei so einer Kombination aus Abstraktion und Tragischverkannt-worden-Haltung, die er im Tra um zeigt. Ganz am Schwanzende seines Lebens sei er 89 Tage lang so nüchtern gewesen wie ein mennonitischer Quiltmacher, beteuert der Geist, der jetzt wieder oben auf dem lautlosen Herzrnonitor sitzt, allerdings seien die Bostoner AA von einer so humorlosen evangelikalen Tollheit, dass er nur sporadisch an ihren Treffen teilgenommen habe. Und die blöden Klischees und die Verachtung der Abstraktion habe er auch nicht ausstehen können. Ganz zu schweigen vom Zigarettenqualm. Die Atmosphäre bei diesen Treffen sei immer die einer Pokerpartie in der Hölle gewesen, sei sein Eindruck gewesen. Der Geist hält inne und sagt dann, er könne wetten, Gately halte nur mühsam seine Neugier im Zaum, ob es dem Geist nun gelungen
sei, eine figurantenlose Unterhaltung zu erschaffen, die so nachhaltig gefesselt habe, dass sogar ein involuierter Figurantenjunge laut habe lachen und nach mehr verlangen müssen. Was Väterfiguren angeht, hat Gately in den letzten trockenen Monaten sein Bestes getan, sich unerbetener Erinnerungen an seine eigenen düsteren Gespräche und Konnexionen mit dem M. P. zu erwehren. Der Geist auf dem Monitor beugt sich jetzt aus der Hüfte vor, so weit vor, dass sein kopfstehendes Gesicht nur noch cm von Gatelys Gesicht entfernt ist - das Gesicht des Geists ist nur ungefähr halb so groß wie Gatelys Gesicht und hat keinen Eigengeruch -, und erwidert nachdrücklich, Nein! Nein! Jedes Gespräch und jede Konnexion sei besser als gar nichts, er wisse, wovon er rede, auch d i e schlimmste Sorte herzzerfetzender generationenübergreifender Konnexionen sei besser als der Rückzug oder das Abschotten auf einer oder beiden Seiten. Anscheinend kann der Geist nicht unterscheiden, ob Gately Selbstgedenke führt oder sich mit seiner Hirnstimme an den Geist wendet. Gatelys Schulter sendet plötzlich so flammende
Schmerzen aus, dass ihm fast schlecht wird und er A n g s t bekommt, die Kontrolle über seinen Schließmuskel zu verlieren. Der Geist keucht und fällt fast vom Monitor, als könne er sich vollkommen in das dextrale Aufflackern hineinversetzen. Gately fragt sich, ob der Geist denselben Schmerz erdulden muss wie er, wenn er seine Hirnstimme hören und sich mit ihm unterhalten will. Selbst in einem Traum wäre das ein höherer Preis, als je jemand bezahlt hätte, um mit D. W. Gately zu konnektieren. Vielleicht soll der Schmerz irgendeinem Krankenplädoyer des Geists für Demerol Glaubwürdigkeit verleihen. Gately ist irgendwie zu gehemmt oder zu dämlich, um den Geist zu fragen, ob er im Auftrag seines höheren Wesens oder der Krankheit hier ist, statt also den Geist anzudenken, konzentriert er sich daher darauf, sich scheinbar insgeheim zu fragen, warum der Geist möglicherweise ganze Monate an Geistzeit darauf verwende, durch ein Krankenhauszimmer zu irrlichtern und demonstrative Pirouetten mit Schnulzierfotos und ausländischen Sprudeldosen an d e r Zimmerdecke eines Drogensüchtigen vorzuführen, den er noch nie gesehen hat, statt einfach dahin zu quanten, wo sein angeblicher jüngster Sohn ist, dort ein paar Geistmonate lang
jüngster Sohn ist, dort ein paar Geistmonate lang stillzuhalten und zu versuchen, mit dem Scheißsohn z u konnektieren. Aber vielleicht würde der jüngste Sohn ja auch sofort plemplem, wenn er das Gefühl hätte, er sähe seinen verstorbenen leiblichen Dad als Geist, das könnte natürlich auch sein. Der Sohn klang nicht gerade danach, als führte er den alten psychischen Joystick mit sicherster Hand, nach dem, was der Geist ihm (Gately) anvertraut hat. Natürlich nur, wenn er überhaupt annehmen darf, dass es den stummen Figurantensohn überhaupt gibt und dass das alles nicht nur ein umständliches Verfahren der Krankheit ist, ihn dazu zu bringen, der Versuchung einer Dosis Demerol nachzugeben. Er versucht, sich auf dies alles zu konzentrieren, um sich nicht daran zu erinnern, was für eine warme Welle reinen Wohlbehagens das Demerol auslöste, sich nicht an das tröstliche Klonk zu erinnern, mit dem ihm das Kinn auf die Brust sackte. Sich auch nicht an seine Konnexionen mit dem aus dem Militärdienst ausgeschiedenen und bei seiner Mutter wohnenden M. P. zu erinnern. Zu den höchsten Preisen der Trockenheit gehört es, die Erinnerungen an Dinge, an die man sich nicht erinnern mächte, nicht ausblenden zu können, wie beispielsweise Ewell den
Betrugsbombast aus seiner Blindfischkindheit. Der Ex-M. P. bezeichnete kleine Kinder immer als »Kniebeißer«. Das war kein Ausdruck barscher Zuneigung. Der M. P. hatte den kleinen Don Gately leere Heineken-Flaschen in die Hauskaschemme zurückbringen lassen, und dann hatte er mit dem Flaschenpfand nach Hause stürmen müssen, denn der M. P. stoppte seine Zeit mit einem Chronometer der US-Navy. Gately selbst hatte er nie angefasst, daran kann sich Don erinnern. Trotzdem hatte er Angst vor dem M. P. Der hatte seine Mutter praktisch täglich verprügelt. Die gefährlichste Zeit für seine Mutter war die zwischen dem achten und dem zehnten Heineken. Wenn der M. P. sie zu Boden stieß, sich hoch konzentriert auf sie kniete, sich die richtigen Stellen aussuchte und sie hoch konzentriert schlug, sah er aus wie ein Hummerhscher, der am Anlasser seines Außenbordmotors zog. Der M. P. war etwas kleiner als Mrs.Gately, aber breit, sehr muskulös und stolz auf seine Muskeln: so oft wie möglich verzichtete er auf das Hemd. Oder trug diese ärmellosen Militär- T-Shirts in Khaki. Er stemmte Hanteln, Gewichte und Bänke und hatte Don Gately schon als Kind die Grundlagen des
FreeWeight- Trainings beigebracht, wobei er auf Kontrolle und Durchführung besonderen Wert legte im Gegensatz dazu, einfach bloß so schwere Gewichte wie möglich zu stemmen. Die Gewichte waren alt, schmierig und hatten eine prämetrische Gewichteinteilung. Der M. P. war in seiner Herangehensweise an die Dinge sehr präzise und kontrolliert, und irgendwie assoziiert Gately das seither mit allen blonden Männern. Als Gately mit zehn Jahren beim Bankdrücken mehr Gewicht stemmen konnte als der M. P., hatte der das gar nicht gut aufgenommen und sich von da an geweigert, die Übungen mit ihm durchzugehen. Seine eigenen Gewichte und die Zahl seiner Stemmübungen trug der M. P. gewissenhaft in ein kleines Notizbuch ein, wozu er nach jeder Übung eine Pause einlegte. Vor dem Schreiben leckte er immer die Bleistiftspitze an, eine Angewohnheit, die Gately heute noch anwidert. In einem anderen kleinen Notizbuch hielt der M. P. Datum und Uhrzeit jedes getrunkenen Heinekens fest. Er gehörte zu den Menschen, die ein unglaublich sorgfältiges Dokumentieren mit Kontrolle gleichsetzen. Anders gesagt, er war von Natur aus ein Erbsenzähler. Das hatte Gately schon als ganz kleiner Junge gepeilt,
auch dass das Bockmist und womöglich meschugge war. Höchstwahrscheinlich war der M. P. meschugge. Die Umstände, unter denen er aus der Navy ausgeschieden war, waren: undurchsichtig. Wenn sich Gately heute unwillkürlich an den M. P. erinnert, fällt ihm immer auch ein - und er fragt sich nach dem Grund und fühlt sich schlecht -, dass er seine Mutter nie zu dem M. P. befragt hat, warum zum Kuckuck er eigentlich bei ihnen wohne, ob sie ihn überhaupt liebe und warum sie ihn liebe, wenn er sie bloß jahrelang praktisch täglich zu Boden stoße und verprügle. Die sich verstärkenden Rosatöne hinter Gatelys geschlossenen Lidern kommen von der Aufhellung des Krankenhauszimmers, hinter dessen Fenster das Licht zur lakritzigen Vordämmerung wird. Gately liegt unter dem verwaisten Herzmonitor und schnarcht so stark, dass sein Bettgitter zittert und scheppert. Wenn der M. P. schlief oder außer Haus war, hatten Don Gately und Mrs Gately nie über ihn gesprochen. Da ist seine Erinnerung ganz klar. Nicht nur, dass sie weder ihn diskutierten noch die Notizbücher, Gewichte, Chronometer oder seine Schläge für Mrs Gately. Sein Name fiel überhaupt nicht. Der M. P. schob oft Nachtschichten - er fuhr mit einem Lieferwagen von
Cheese King Inc. Käse und Eier aus, bis er gefeuert wurde, weil er ganze Stilton-Räder geklemmt und verhökert hatte, dann stand er eine Weile am fast voll automatisierten fließband einer Konservenfabrik und zog an einem Hebel, woraufhin sich aus Hunderten von Zapfhähnen New-England-Suppe mit e i n e m unbeschreibbaren Pladdergeräusch in Hunderte von deckellosen Dosen ergoss -, und das Haus der Gatelys war quasi eine andere Welt, wenn der M. P. arbeitete oder außer Haus war: Es war, als hätte jeder Gedanke an den M. P. mit ihm zusammen das Haus verlassen, sodass Don und seine Mutter nicht nur zurück-, sondern auch allein blieben, zusammen, nachts, sie auf der Couch und er auf d e m Boden, und beide verloren vor den letzten Zuckungen terrestrisch ausgestrahlten Fernsehens allmählich das Bewusstsein. Heute gibt sich Gately ganz besondere Mühe, nicht der Frage nachzugehen, warum er nie darauf gekommen ist, dazwischenzugehen und den M. P. von seiner Mutter wegzuziehen, auch nicht, als er den M. P. beim Bankdrücken längst hinter sich gelassen hatte. Irgendwie war ihm das tägliche präzise Verprügeln seltsam nachdrücklich am Arsch vorbeigegangen. Er
hatte auch kaum je etwas gefühlt, erinnert er sich, wenn er zugesehen hatte, wie er sie schlug. Der M. P. hatte null Probleme damit, sie vor Gately zu verprügeln. Es war wie eine unausgesprochene Übereinkunft der drei, dass die ganze Angelegenheit Gunny einen feuchten Kehricht anging. Als Kleinkind war er aus dem Zimmer gerannt und hatte geweint, erinnert er sich dunkel. Ab einem bestimmten Alter hatte er dann nur noch den Fernseher lauter gestellt, die Schläge gar nicht mehr beachtet und sich »Cheers!« angeschaut. Manchmal hatte er das Zimmer verlassen und war zum Gewichtestemmen in die Garage gegangen, aber wenn er das tat, war das nie irgendwie eine Flucht gewesen. Als ganz kleiner Junge hatte er morgens manchmal die Bettfedern und andere Geräusche aus ihrem Schlafzimmer gehört und Angst gehabt, der M. P. würde sie im Bett verprügeln, aber auch ohne dass jemand ihn beiseitegenommen und aufgeklärt hätte, verstand er irgendwann, dass diese Geräusche nicht bedeuteten, dass ihr wehgetan wurde. Die Ähnlichkeit der Geräusche, wie sie sie auf dem Küchen- und Wohnzimmerboden von sich gab und wie sie beim Sex durch die Asbestfaserplatten der Schlafzimmerwand drangen, beunruhigen Gately
jetzt, wo er sich daran erinnert, allerdings und bilden einen Grund, warum er zumindest im Wachzustand seine Erinnerungen abwehrt. Im Sommer saß der M. P. ohne Hemd - und blass, da er wie viele Blonde eine Abneigung gegen die Sonne hatte - in der kleinen Küche am Küchentisch, die Füße flach auf den holzgemaserten Fliesen, ein patriotisch gemustertes Halstuch um den Kopf gebunden, und erfasste Heinekens in seinem Notizbüchlein. Ein früherer Mieter hatte mal etwas Schweres durchs Küchenfenster geworfen, seitdem war das Fliegengitter verbogen und schloss nicht mehr bündig, und die Stubenfliegen konnten so ziemlich nach Belieben ein- und ausfliegen. Als Gately noch klein war, saß er manchmal mit dem M. P. in der Küche; für die Federungen seiner Spielzeugautos waren die Fliesen besser als der Noppenteppich. Im Schmerz, der unter dem Deckel des Schlafs brodelt, erinnert sich Gately an den besonderen und präzisen Umgang des M. P. mit den Fliegen, die in die Küche kamen. Er brauchte keine Fliegenklatsche oder zusammengerollte Heralds. Er hatte schnelle Hände, der M. P., dick und weiß und schnell. Er traf sie, kaum dass sie sich auf den
Küchentisch gesetzt hatten. Die Fliegen. Aber ganz kontrolliert. Nicht so stark, dass er sie tötete. Er ging sehr kontrolliert und zielstrebig vor. Er traf sie gerade so stark, dass sie flugunfähig wurden. Dann las er sie sorgfältig auf und zupfte ihnen einen Flügel oder auch ein Bein aus, irgendetwas, was die Fliege brauchte. Er ging mit dem Flügel oder dem Bein zum beigefarbenen Küchenmülleimer, hob mit dem Fußpedal den Deckel an, beugte sich aus der Hüfte vor und deponierte den kleinen Flügel oder das Bein im Mülleimer. Die Erinnerung kommt ungebeten und ist ganz scharf. Dann wusch sich der M. P. an der Küchenspüle mit dem handelsüblichen grünen Geschirrspülmittel die Hände. Die verstümmelte Fliege ignorierte er und ließ sie in wirren Kreisen auf d e r Tischplatte herumkrabbeln, bis sie an einer klebrigen Stelle haften blieb oder vom Rand auf den Küchenboden fiel. Im Gespräch mit dem M. P., das Gately mit detailliert geträumten Einzelheiten nacherlebt, erklärt dieser ihm nach rund fünf Heinekens, dass es in Bezug auf Fliegen weit effizienter sei, sie zu verstümmeln statt sie zu töten. Eine Fliege war in einem klebrigen Fleck eingetrockneten Heinekens kleben geblieben und bewegte aufgeregt den übrig gebliebenen Flügel,
während der M. P. erklärte, eine gut verstümmelte Fliege stoße ganz leise Fliegenschreie von Schmerz und Furcht aus. Menschen könnten solche Fliegenschreie nicht hören, aber Gately könne seinen fetten kleinen Kniebeißerarsch darauf verwetten, dass andere Fliegen sie sehr wohl hörten, u n d die Schreie ihrer verstümmelten Kollegen würden sie fernhalten. Wenn der M. P. den Kopf dann auf die großen blassen Arme legte und sich zwischen den Heineken-Flaschen auf dem sonnenwarmen Küchentisch ein Nickerchen gönnte, klebten oft schon mehrere Fliegen an klebrigen Stellen oder krabbelten in Kreisen über den Tisch, vollführten manchmal auch seltsame kleine Hüpfer und versuchten mit einem Flügel oder keinen Flügeln zu fliegen. Vielleicht verleugneten diese Fliegen ihre Flügellosigkeit. Über die, die zu Boden fielen, beugte sich Gately auf allen vieren, brachte das große rote Ohr so nah wie möglich an sie heran und lauschte mit großen rosa Runzeln auf der Stirn. Heute, wo Gately im Zitronenlicht des richtigen Krankenhausmorgens aufzuwachen versucht, macht i h m am meisten zu schaffen, dass er sich nicht erinnern kann, die verstümmelten Fliegen je aus
ihrem Elend erlöst zu haben, wenn der M. P. weggepennt war, er sieht nicht vor sich, dass er sie zertreten oder in Küchenpapier eingewickelt und im Klo runtergespült hätte oder so, aber er findet, das müsse er doch getan haben; irgendwie kommt es ihm richtig wichtig vor, sich erinnern zu können, dass er mehr getan hat, als sich bloß zwischen seinen Transformer-Autos hinzukauern und konzentriert auf leise gequälte Schreie zu horchen. Aber er kann sich ums Verrecken nicht daran erinnern, mehr getan zu haben als zu lauschen, und neben dem Dextralschmerz sollte ihn auch der reine Mentalstress, eine noblere Erinnerung an die Oberfläche zu zwingen, zum Aufwachen bringen; so richtig wacht er in dem großen Gitterbett aber erst auf, als der realistische Traum der Erinnerung in einen hässlichen fiktionalen Traum übergeht, in dem er Lenz' Kammgarnmantel trägt und sich sehr präzise und sorgfältig über die niedergestreckte Gestalt des Nucks im Hawaiihemd beugt, dessen Kopf er immer wieder gegen die Windschutzscheibe geknallt hat, er stützt sich mit der guten linken Hand auf die warm pulsierende Motorhaube, beugt sich ganz nah zu dem lädierten Kopf, das Ohr am blutenden Gesicht und lauscht konzentriert. Der Kopf öffnet den roten
Mund. Als Gately schließlich jäh hochfährt, staucht diese Bewegung Schulter und Seite zusammen und lässt so gelb stechende Schmerzen durch seinen Körper fahren, dass er im Fensterlicht fast aufschreit. Ungefähr ein Jahr lang hatte er mit zwanzig in MaIden die meisten Nächte auf einem selbst gezimmerten Dachboden über dem Wohnheim einer gewissen R. N.-Krankenschwesternschule geschlafen, bei einer inbrünstig süchtigen Schwesternschülerin, und um auf diesen Dachboden zu gelangen, brauchte man eine fünfsprossige Leiter und befand sich dann nur noch einen Meter unterm Dach, und jeden Morgen, wenn Gately aus einem Albtraum hochfuhr, schlug er sich den Kopf am Dach an, bis das Dach irgendwann eine bleibende konkave Delle hatte und Gately in der Rundung über der Stirn eine leicht abgeplattete Stelle, die er heute noch spüren kann, als er blinzelnd daliegt und sich mit der guten linken Hand den Kopf hält. Eine Sekunde lang glaubt er, blinzelnd und vom Morgenfieber rot angelaufen, Ferocious Francis G. sitze auf dem Stuhl am Bett, das Kinn frisch rasiert und mit Kleenex-Stückchen getüpfelt, in behäbiger
Haltung, die schlaffen kleinen Titten des alten Mannes zeichnen sich unter einem sauberen weißen T-Shirt ab, er lächelt grimmig um blaue Schläuche herum, hat eine nicht brennende Zigarre zwischen den Zähnen und sagt: »Na Kleiner, wenigstens bist du noch diesseits der Grube, da kann man doch schon mal nicht mosern. Und dann bist du auch noch trocken? «, sagt das Krokodil cool, verschwindet und taucht auch nach ein paar Lidschlägen nicht wieder auf. Gestalten und Geräusche im Zimmer stammen in Wahrheit von drei Weißflaggern, die Gately nur flüchtig kennt, die aber anscheinend auf dem Weg zur Arbeit vorbeischauen, um Mitgefühl und Unterstützung zu zeigen, Bud 0., Glenn K. und Jack J. Glenn K. trägt tagsüber den grauen Overall und den komplexen Werkzeuggürtel eines Kühl technik Mechanikers. »Und wer ist der Typ mit dem Hut da draußen?«, fragt er. Gately grunzt frenetisch, was an das Phonem ü erinnert. »Groß, gut gekleidet, knurrig, eingebildet, mit Schweinsäuglein und Hut. Sieht nach Staatsdienst aus. Schwarze Socken und braune Schuhe«, sagt
Glenn K. und zeigt nach draußen zur Tür, hinter der sich zeitweise der ominöse Schatten eines Huts abgezeichnet hat. Gatelys Zähne schmecken lange-ungeputzt. »Hat sich, scheint's, auf 'n längeren Aufenthalt eingestellt, Sportseiten um sich rum verteilt und das Fast Food der verschiedensten Kulturen, Meister«, sagt Bud 0., der, wie man sich aus den Zeiten vor Gately erzählt, beim Filmriss, der ihn schließlich hereinkommen ließ, seine Frau so stark schlug, dass er ihr die Nase brach und flach aufs Gesicht legte, und später darum bat, sie nicht richten zu lassen, als tägliche sichtbare Erinnerung daran, in welchen Abgründen er durch die Trunksucht versackt war. Mrs O. war also mit einer flach auf der linken Wange liegenden Nase herumgelaufen - Bud O. hatte ihr einen Cross-Schlag mit der Linken verpasst -, bis die L.A.RV.E. sie an die AI-Anon verwiesen hatte, und die hatten Mrs O. nach und nach so weit gefördert und unterstützt, dass sie Bud o. schließlich sagen konnte, er möge sich dahin verpissen, wo der Pfeffer wachse, sich die Nase wieder nach vorne ausrichten ließ und ihn für einen AI-Anon-Mann in BirkenstockSandalen verließ. Vor Angst könnte Gately seinen
Stuhlgang auf Flaschen ziehen: Er hat nur allzu deutliche Erinnerungen an einen gewissen unversöhnlichen Stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt aus Revere mit braunen Schuhen, Schweinsäuglein, Stetson mit Feder und einem Faible für Imbisse mit Drittweltgastronomie. Herzergreifend grunzt er weiter. Unsicher, welche Unterstützung er braucht, versuchen die Fl agger eine Weile, Gately aufzumuntern, indem sie HLW-Witze erzählen. »HLW« ist ihr Begriff für AI-Anon und steht bei den Bostoner AA für »Heilige der Langlebigen Wiedervergeltung«. »Was ist ein AI-Anon-Rückfall?«, fragt Glenn K. »Ein Anflug von Empathie«, sagt Jack J., der ein nervöses Zucken im Gesicht hat. »Und was ist ein AI-Anon-Salut?«, fragt Jack J. zurück. Keine Reaktion, dann legt Jack J. den Handrücken an die Stirn und klimpert mit den Wimpern märtyrerhaft zur Hängedecke hoch. Alle drei lachen. Sie haben keine Ahnung, dass sich Gately die Nähte in der Schulter aufrisse, wenn er mitlachte. Die eine Seite von Jack J.s Gesicht verzieht sich immer
wieder kurz zu einer gequälten Grimasse, von der die andere Gesichtsseite völlig unbetroffen bleibt; Gately hat davon schon immer das Jaulen gekriegt. Bud o. droht Glenn K. missbilligend mit dem Finger: ein AI-Anon-Händedruck. Glenn K. ahmt ausführlich eine AI-Anon-Mom nach, die ihren Alkoholikersohn bei einem Umzug mitmarschieren sieht und sich immer mehr darüber aufregt, dass ihr Kind als einziges im Takt bleibt. Gately schließt die Augen, hebt und senkt ein paarmal die Brust als Pantomime höflichen Lachens, damit sie glauben, sie hätten ihn aufgemuntert, und sich verziehen. Schon die geringen Brustbewegungen lassen seine Dextralregion so schmerzen, dass er sich am liebsten in die Hand bisse. Es ist, als würde ein großer Holzlöffel ihn ständig unter die Oberfläche des Schlafs drücken und wieder hochlöffeln, dami t etwas Riesiges ihn probieren könne, wieder und wieder.
Kap. 64 - 19. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE Nachdem sich Remy Marathe, Ossowiecke und auch Balbalis mit negativen Ergebnissen über Z e i c h e n von der verschleierten Darstellerin zurückgemeldet hatten, brachten M Fortier und Marathe schließlich die drastischste der Operationen zur Aufspürung von der MasterUnterhaltung zur Anwendung. Es galt dies, um zu akquirieren Mitglieder von der direkten Familie von dem auteur, vielleicht in der Publizität. Marathe wurde mit den Einzelheiten der Operation aufbetragt, denn M Broullime hatte jetzt technische Problemlösungsaufgaben bei den weiteren Feldversuchen der Zuschauerbereitschaft; einer der jüngst akquirierten Probanden - der, er war ein exzentrisch gekleideter und extrem irritierender Ohneheimmann von den Straßen mit einer weißen Perücke und großen Taschen, gefüllt mit a u s l ä n d i s c h e m Kochgeschirr und extrem
kleingrößiger Damenunterwäsche - war überführt worden, Finger des zweiten jüngst akquirierten Probandendieser, er war ein fehlgekleideter und massiv geschwächter oder süchtiger Mann, gekleidet in der Garderobe von einer linkischen Frau, der viele Börsen argwöhnischer Herkunft mit sich führte abgetrennt und unter der Tür von dem Raum der Lagerung durchgeschoben zu haben statt seiner eigenen Finger, was die Statistik von Broullimes Feldexperiment so beeinträchtigte, dass M Fortier mit sich zurate zu gehen gezwingt war, ob er Broullime gestatten solle, mit dem perückierten Vertauscher von Fingern aus Gründen lediglich von dem Zorn eine technische Vernehmung mit Todesfolge durchzuführen. Im Wesentlichen sollte eine technische Vernehmung von größerer Bedeutung in der Stadt Phoenix fern und weit im Süden von den USA durchgeführt werden, einer Stadt, aus deren Namen Fortier Belustigung bezog, er brach vor den aufziehenden Wettern auf, um sich zur Vernehmung zu Mlle Luria P-- zu gesellen und überließ dem zuverlässigen Remy Marathe die Einzelheiten der präliminaren Akquisition. Marathe, der seine Entscheidung und seine Forderung getroffen hatte, tat, was er konnte. Ein
Forderung getroffen hatte, tat, was er konnte. Ein direkter Angriff auf die Academie vom Tennis war unmöglich. Die A. F. R. fürchteten nichts in dieser Hemisphäre außer hohen und steilen Hügeln. Ihr Angriff konnte nicht direkt erfolgen. Vorausgehen musste also, die Tenniskinder aus Quebec, die, wie die A. F. R. wussten, zum Zwecke des Galawettbewerbs mit den Tenniskindern von der Academie bereits en route zum Boden von den USA waren, zu akquirieren und zu ersetzen. Marathe entschied, der junge Balbalis, der noch die beiden Beine hatte - wenn auch gelähmt und stöckisch verdorrt -, werde das A. F. R.-Sonderkommando führen, das die Provinzspieler abfangen sollte. Marathe, er blieb im Cambridge-Laden von den Antitois und zog sich des Häufigeren zu den JazzAbenden im nahegelegenen Ryle's Restaurant zurück. Balbalis fuhr den modifizierten Transporter von Dodge nach Norden in den zunehmend s c h w e r e n Schneesturm. Sie umfuhren den Kontrollpunkt Pongo bei Methuen, Massachusetts. Sie hatten vor, einen großen Spiegel auf die verlassene Straße zu stellen und den Tennisbus zu verleiten, von der Straße abzukommen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden; seine eigenen
Scheinwerfer würden ihn dazu verleiten. Ein alter F. L . Q . - Trick. Zwei Teams montierten die Spiegelkomponenten hinten im Transporter. Balbalis war nicht bereit, für die Montage anzuhalten; wegen der Gebläse im Süden war der Schneefall in der Konvexität schlimmer. Was einst Montpelier in Vermont gewesen war, lag zwischen den Knotenpunkten vom I. M. E.Netz, empfing aber den toxischen Fallout der Region Champlain und war unbewohnt und vom Schnee gespenstisch weiß. Bei Montpelier erlaubte Balbalis einen kurzen Halt für die Endrnontage und damit die Inkontinenten ihre Beutel wechseln konnten. Dann drängte er weiter zum ehemaligen St. Johnsbury, wo der Spiegel quer über d i e nach Süden führenden Fahrspuren des U. S. Interstate Nr.91 aufgebaut wurde. Balbalis beschwerte sich nicht darüber, dass es keine Spuren im Schnee der Straße gab, an denen er sich hätte orientieren können. Er beschwerte sich nie. Sie kamen richtigzeitig an der Stelle südlich des Kontrollpunkts an, wo die Provincial Autoroute Nr.55 zum Interstate Nr. 91 wurde. Dort gab es eine kurze Phase der Anspannung, als sich der Nachtsichtaufsatz des Fernglases als verlegt
herausstellte. Balbalis blieb ruhig, und er wurde lokalisiert. Der Plan war, die reisende Spielermannschaft abzufangen, sodass an ihrer Stelle A. F. R.s an dem Ort eintreffen konnten. Marathe versprach, eine ausgezeichnete List zu ersinnen, um die Rollstühle und die Erwachsenenbärte der falschen Spieler zu erklären. Niemand durfte im Transporter rauchen, während sie darauf warteten, dass die Kindertennisspieler aus ihrem Heimatland am Kontrollpunkt auftauchten. Am Kontrollpunkt wurde der Bus ein paar Minuten aufgehalten. Er war groß, gechartert und schien d r i n n e n warm zu sein. Über seiner Windschutzscheibe zeigte das beleuchtete Rechteck für den Zielort das englische Wort »Charter«. Falls der Bus das Schleudern vor dem Spiegel auf der Autobahn überlebte und nach dem Aufprall vom Schleudern noch einsatzbereit war, würde Balbalis diesen Bus lenken. Man stritt kurz über die Frage, wer den Transporter fahren würde, denn Balbalis war nicht bereit, den Transporter zurückzulassen, selbst wenn der Bus noch einsatzbereit war. Wenn der Bus nicht einsatzbereit war, konnten nicht mehr als sechs Juniorenkinder als Überlebende in den Transporter aufgenommen werden. Die anderen
erhielten die Erlaubnis, für leur rai pays zu sterben. Balbalis, er zeigte keine Vorliebe für den einen oder anderen Ausgang. Gately träumt, er sitzt mit der Ennet-House-Insassin Joelle van Dyne in einem Südstaaten-Motel, auf dessen autoritärem Restaurantschild einfach nur EAT steht, im Süden der USA, im brutal heißen Hochsommer, das Blattwerk vor dem kaputten Fliegengitter des Zimmers ist von verdorrtem Khaki, die Luft flirrt vor Hitze, der Deckenventilator dreht sich im Gebrauchttempo, das Bett ist ein pompöses Himmelbett, groß und weich, die Decke genoppt, und Gately liegt mit seiner brennenden Seite auf dem Rücken, während der Neuzugang Joelle v. D. den Schleier ein Stück anhebt, um ihm den Schweiß von Lidern und Schläfen zu lecken, wobei sie ihm im Flüsterton, der den Schleier bauscht und ihm Luft zufächelt, einen fast letal lustvollen Nachmittag verspricht und sich dann langsam am Fuß des alten großen Betts auszieht, ihre schweißfeuchte lockere leichte Kleidung auf den bloßen Boden schweben lässt und einen unglaublichen Frauenkörper entblößt, einen unmenschlichen Körper, einen Körper, wie Gately ihn noch nie ohne Heftklammer im
Bauchnabel gesehen hat, einen Körper wie einen Hauptgewinn bei einer Tombola; auf dem Himmelbett wächst gewissermaßen ein fünfter Pfosten, und die Höhe dieses aus seinem langen Winterschlaf erwachten Pfostens verdeckt die Gestalt des nackten Neuzugangs; als sie den pulsierenden Schatten umrundet, zu ihm kommt und das Gesicht ihres unmenschlichen Körpers ganz nah an seines legt, nimmt sie den Schleier ab, und oben auf diesem zum Sterben schönen Körper thront das entschleierte historische Abbild des beschissenen Winston Churchill, komplett mit Zigarre, Hängebacken und grimmiger Bulldoggenmiene, die Scheußlichkeit des Schocks lässt den Rest von Gatelys Körper erstarren, der Schmerz weckt ihn, und er fährt hoch, was die nächste Schmerzexplosion auslöst, sodass er fast wieder das Bewusstsein verliert und mit verdrehten Augen und aufgerissenem Mund daliegt. Gately hat auch keine Macht über die Erinnerungen an die ältere Lady, die ihre Nachbarin gewesen war, als seine Mutter und er mit dem M. P. Tisch und Bett geteilt hatten. Eine Mrs Waite. Einen Mr Waite gab es nicht. Das verschmierte Fenster der leeren kleinen Garage, in der der M. P. seine Gewichte
kleinen Garage, in der der M. P. seine Gewichte aufbewahrte, ging direkt auf den zugewucherten und vernachlässigten Garten hinaus, den Mrs Waite im schmalen Streifen zwischen den beiden Häusern wachsen ließ. Ihr Haus war, sagen wir, gleichgültig instand gehalten worden. Im Vergleich zu ihrem Haus sah das der Gatelys aus wie der Taj. An Mrs Waite war etwas faul. Keiner von den Eltern sagte je etwas Genaues, aber keins von den Kindern durfte vor ihrem Haus spielen oder an Halloween bei ihr klingeln. Gately bekam nie genau raus, was an ihr nicht stimmen sollte, aber im Unbewussten der ganzen kleinen Nachbarschaft hallte etwas Grässliches über Mrs Waite nach. Größere Kinder fuhren abends über ihren Rasen und schrien Sachen, die Gately nie ganz verstand. Die kleineren Kinder glaubten, das Geheimnis herausgefunden zu haben: Sie waren ziemlich sicher, dass Mrs Waite eine Hexe war. Natürlich sah sie ein bisschen hexenmäßig aus, aber wer über fünfzig tat das nicht? Das große Ding aber war, dass sie Weckgläser mit selbst eingewecktem Zeug in ihrer kleinen Garage aufbewahrte, braungrünes, klebriges, namenloses, vegetoides Zeug in Mayonnaisegläsern mit rostigen Deckeln und Staubbärten auf Stahlregalen. Die
kleineren Kinder schlichen hinein, zerbrachen ein paar Gläser, stahlen eines und rannten in Todesangst davon, um es woanders zu zerbrechen und wieder wegzurennen. Sie forderten sich gegenseitig heraus, mit ihren Fahrrädern in winzigen Diagonalen über den Rand ihres Rasens zu fahren. Sie erzählten sich gegenseitig Geschichten, sie hätten gesehen, wie Mrs Waite mit einem spitzen Hut vermisste Kinder, deren Gesichter auf Milchkartons abgebildet waren, gebraten und den Bratensaft in Weckgläser gegossen habe. Ein paar von den größeren kleinen Kindern hatten es sogar mit dem Uraltscherz probiert, eine Papiertüte mit Hundekot auf ihre Treppe zu legen und anzuzünden. Irgendwie war es für Mrs Waite strafverschärfend, dass sie sich nie beschwerte. Sie verließ kaum je das Haus. Mrs Gately rückte nie damit heraus, was an Mrs Waite n i c h t stimmen sollte, untersagte es Don aber kagetorisch, bei ihr irgendwelchen Scheiß zu bauen. Als hätte Mrs Gately es je geschafft, ein Verbot quasi auch durchzusetzen. Gately baute nie Scheiß mit Mrs Waites Weckglasvorräten, radelte nie über ihren Rasen und beteiligte sich auch nicht groß an den Hexengeschichten, denn wer musste schon Hexen fürchten und verachten, wenn man den guten alten
M. P. am eigenen Küchentisch sitzen hatte. Angst hatte er trotzdem vor ihr. Als er Mrs Gately eines Abends den Schlägen des M. P. überlassen hatte und Gewichte stemmen gegangen war, hatte er ihre K n i e p a u g e n hinter dem verschmierten Garagenfenster gesehen und aufgeschrien, und die Stange vom Bankdrücken wäre ihm fast auf den Adamsapfel gefallen. Aber auf der langen Durststrecke einer reizarmen Kindheit am North Share hatte er nach und nach eine Art Beziehung zu Mrs Waite aufgebaut. Nicht dass er sie richtig gemocht hätte; sie war nicht gerade der Typ liebenswertes, aber verkanntes spätes Mädchen; er rannte nicht gerade zu ihrem baufälligen Haus, um sich ihr anzuvertrauen oder sich mit ihr anzufreunden. Aber ein paarmal war er doch unter Umständen, die er vergessen hat, hinübergegangen, hatte in ihrer Küche gesessen und mit ihr konnektiert. Sie war helle, Mrs Waite, anscheinend auch kontinent, und nirgends war ein spitzer Hut zu sehen, aber es roch schlecht in ihrem Haus, und Mrs Waite selbst hatte geschwollene, krampfadrige Knöchel und so weiße Spuren eingetrockneter Schmiere in den Mundwinkeln, rund eine Million
Zeitungen lagen aufgestapelt in der Küche und verschimmelten, und die alte Dame strahlte einfach diese Mischung aus unannehmlich und verletzlich aus, bei der man einen Menschen immer grausam behandeIn will. Gately behandelte sie nie grausam, aber es wäre auch zu viel gesagt, dass er sie gemocht hätte oder so. Die paar Mal, wo er hinübergegangen war, hatte der M. P. gerade Suppe eingedost und seine Mutter hatte das Bewusstsein in Erbrochenem verloren, das jemand anders aufwischen sollte, und wahrscheinlich wollte er seine Kinderwut ausagieren, indem er etwas tat, was seine Mutter ihm auf lächerliche Weise verboten hatte. Er aß nicht viel von dem, was Mrs Waite ihm anbot. Sie bot ihm nie klebrige Substanz aus einem Weckglas an. Seine Erinnerungen an ihre Gesprächsthemen sind unspezifisch. Sie hängte sich schließlich auf, Mrs Waite - wie in dekorierte sich die Karte um -, und weil es schon Herbst und kühl war, wurde sie wochenlang nicht gefunden. Es war nicht Gately, der sie fand. Ein Zählerableser fand sie ein paar Wochen nach Gatelys achtern oder neuntem Geburtstag. Der lag zufällig in derselben Woche wie d i e Geburtstage mehrerer anderer Kinder in der Nachbarschaft. Gately feierte dann meistens bei den
anderen Kindern, die eine richtige Geburtstagsparty bekamen. Partyhüte und Twister, X-Men- Videos, Kuchen auf Papptellern usw. Ein paarmal war Mrs Gately nüchtern genug um mitzukommen. Im Rückblick erkennt er unwillkürlich, dass die Eltern der anderen Kinder ihn aus Mitleid mitfeiern ließen. Und er erinnert sich, wie bei einem dieser Geburtstagsfeste bei nüchternen Nachbarn, das teilweise seinem achten oder neunten Geburtstag g a l t , Mrs Waite ihr Haus verlassen, bei den nüchternen Nachbarn an der Tür geklingelt und einen Kuchen gebracht hatte. Zum Geburtstag. Als gutnachbarschaftliche Geste. Bei einer der Konnexionen an ihrem Küchentisch hatte Gately alles über die jährliche Massenparty ausgeplaudert. Der Kuchen war uneben und neigte sich zu einer Seite, aber er war aus Bitterschokolade, mit vier Namen in Schreibschrift verziert und sichtlich liebevoll zubereitet worden. Mrs Waite hatte Gately die Blamage erspart, nur seinen Namen auf den Kuchen zu schreiben, als wäre der nur für ihn. Aber er war nur für ihn. Gately wusste, dass Mrs Waite sich die Kuchenzutaten vom Munde abgespart hatte. Er wusste, dass sie wie ein Schlot rauchte und die Zigaretten wochenlang aufgegeben hatte, weil sie für
etwas sparte; wofür, hatte sie ihm nicht verraten und mit ihren Gruselaugen zu zwinkern versucht, als sie es nicht sagen wollte; er hatte aber das Mayonnaiseglas mit den Vierteldollarmünzen auf einem Zeitungsstapel gesehen, mit sich gekämpft, ob er es abstauben solle, und gewonnen. Als die PartyMom den Kuchen hereinbrachte, steckten darin aber nur etwa neun Kerzen, und ein paar von den Geburtstagskindern wurden schon zwölf oder so, und das war der Hinweis darauf, für wen der Kuchen eigentlich war. Die Party-Mom hatte den Kuchen an der Tür entgegengenommen und sich bedankt, Mrs Waite aber nicht ins Haus gebeten. Gately hatte in der Garage gerade Twister gespielt und mitansehen können, wie Mrs Waite über die Straße nach Hause zurückgegangen war, langsam, aber schnurgeradeaus, würdevoll und aufrecht. Ein paar Kinder gingen zur Garagentür und spähten hinaus: Mrs Waite wurde nur selten vor ihrem Haus gesehen und nie außerhalb ihres Grundstücks. Die nüchterne Mom brachte den Kuchen in die Garage und sagte, das sei eine nette Geste von Mrs Waite von gegenüber; aber niemand durfte ein Stück von dem Kuchen essen oder ihm auch nur so nahe
kommen, um die neun Kerzen auszublasen. Die Kerzen passten nicht alle zusammen. Sie brannten so weit herab, dass man die verbrannte Glasur riechen konnte, bevor sie ausgingen. Der schiefe Kuchen stand allein in einer Ecke der sauberen Garage. Gately widersetzte sich weder der nüchternen Mom noch den anderen Kindern, indem er ein Stück von dem Kuchen aß; er näherte sich ihm nicht einmal. Er beteiligte sich nicht an den h e r r l i c h e n geflüsterten Auseinandersetzungen darüber, was für Arzneimittel- oder Kinderbratenreste wohl in dem Kuchen wären, stand aber auch nicht auf und stellte den Vergiftungsversuch infrage. Vor dem Höhepunkt der Geburtstagsfeier, als die Kinder, die Geschenke bekommen hatten, diese öffneten, hatte die nüchterne Mom, die sich gerade unbeobachtet glaubte, den Kuchen in die Küche mitgenommen und in den Mülleimer geworfen. Gately weiß noch, dass der Kuchen verkehrt herum gelandet sein musste, denn die unglasierte Seite zeigte nach oben, als er in die Küche schlich und einen Blick in den Mülleimer riskierte. Mrs Waite war wieder in ihrem Haus verschwunden, lange bevor die Mom den Kuchen weggeworfen hatte. Sie konnte unmöglich gesehen haben, wie die Mom den
unangetasteten Kuchen ins Haus zurückgebracht hatte. Einige Tage darauf hatte Gately in einem Store 24 ein paar Päckchen Benson & Hedges 100 abgestaubt und bei Mrs Waite in den Briefkasten gesteckt, der schon von Postwurfsendungen und Rechnungen der Versorgungsbetriebe überquoll. Manchmal klingelte er, bekam sie aber nie zu Gesicht. Ihre Türglocke gab ein Summen von sich, kein Läuten, er innert er sich. Gefunden wurde sie etliche Wochen später von einem frustrierten ZählerabIeser. Die Umstände ihres Todes und ihrer Entdeckung wurden bei den kleineren Kindern zu einem dunklen Mythos. Gately war nicht masochistisch genug veranlagt, um zu glauben, die Tatsache, dass der Kuchen ungegessen in den Müll gewandert war, könne etwas damit zu tun haben, dass 11rs Waite sich aufgehängt hatte. Jeder hat seine eigenen Probleme, hatte Mrs Gately ihm erklärt, und das hatte er schon damals einsehen können. Er trauerte auch nicht gerade um Mrs Waite oder vermisste sie, nein, viele Jahre danach dachte er überhaupt nicht mehr an sie. Was es irgendwie schlimmer macht, ist, dass sich sein nächster, noch unangenehmerer Schmerz-und-
Fieber- Traum von Joelle van Dyne unverkennbar und unvermeidlich in Mrs Waites Küche abspielt, mit allen Einzelheiten bis hin zu den getrockneten Insekten im Deckenlampenschirm, den randvollen Aschenbechern, dem Säulendiagramm der auf ges t apel t en G l o b e s , dem unerträglich arrhythmischen Tröpfeln des Wasserhahns der Küchenspüle und dem Mief - eine Mischung aus Schimmel und verfaultem Obst. Gately sitzt auf dem Küchenstuhl mit Leiterlehne, auf dem er damals immer gesessen hatte, dem mit der einen zerbrochenen Sprosse, und Mrs Waite sitzt ihm gegenüber, sitzt auf dem Ding, das für ihn als Kind ein seltsam großer rosa Doughnut gewesen war, weil er noch nie ein Hämorrhoidenkissen gesehen hatte, nur reichen Gatelys Füße im Traum bis auf die feuchtkalten Küchenfliesen, und Mrs Waite wird von Joelle van D. gespielt, der Hause-Insassin von der L.A.R.VE., die jetzt aber keinen Schleier und - mehr noch - keine Kleider trägt, das heißt sie ist splitternackt, atemberaubend, mit demselben unglaublichen Körper wie in dem anderen Traum, nur hat sie diesmal das Gesicht nicht eines hängebackigen britischen Premierministers, sondern eines weiblichen Engels, weniger sexy als engelhaft,
als hätte sich das Licht der ganzen Welt verdichtet und Gesichtsform angenommen. Oder so. Es erinnert Gately an jemanden, Joelles Gesicht, aber er kann es ums Verrecken nicht einordnen, und das nicht wegen der Ablenkung durch den unmenschlich atemberaubenden Nackedei darunter, denn der Traum ist kein Sextraum. Sondern in diesem Traum ist Mrs Waite, die Joelle ist, der Tod. Der personifizierte Tod, der Tod in Menschengestalt. Niemand steht auf und spricht das laut aus; es ist die normalste Sache von der Welt: Gately sitzt in dieser deprimierenden Küche und konnektiert mit dem Tod. Der Tod erklärt, dass der Tod einem immer wieder passiert, man hat viele Leben, und am Ende jedes einzelnen (Lebens, heißt das) steht eine Frau, die einen tötet, und damit wird man ins nächste Leben ausgewildert. Gately ist nicht ganz klar, ob das quasi ein Monolog ist oder ob er Fragen stellt, die sie wie bei einem Quiz beantwortet. Der Tod sagt, diese Frau, die einen tötet, ist im nächsten Leben immer die Mutter. So läuft das: Wusste er das nicht? Alle Welt scheint das im Traum zu wissen, nur Gately nicht, als hätte er gefehlt, als das in der Schule dran gewesen war, und
jetzt muss der Tod hier splitternackt und engelhaft dasitzen und es ihm ganz geduldig erklären, als säße er im Leseförderunterricht der Highschool von Beverly. Der Tod sagt, die Frau, die einen bewusst oder unbewusst töte, sei immer jemand, den man liebe, und im nächsten Leben sei sie immer die Mutter. Deshalb würden Mütter auch immer so zwanghaft lieben und sich solche Mühe geben, egal mit welchen eigenen Nöten, Problemen oder Süchten sie zu kämpfen hätten, deshalb würden sie das Wohlergehen ihres Kindes über das eigene stellen, und deshalb hätte ihre Mutterliebe immer so einen leichten Hauch von Selbstsucht: Sie versuchten, einen Mord wiedergutzumachen, an den sich niemand richtig erinnern könne, außer vielleicht in Träumen. Während der Tod den Tod erklärt, versteht Gately wirklich bedeutendes verschwommenes Zeug immer besser, aber je mehr er versteht, desto trauriger wird er, und je trauriger er wird, desto unschärfer und wabbeliger wird seine Vision der TodesJoelle, die da nackt auf dem rosa Plastikring sitzt, und gegen Ende ist es, als sähe er sie durch eine Art Lichtwolke, einen milchigen Filter, der dieselbe wabbelige Verschwommenheit verursacht, mit der ein Baby ein Elterngesicht sieht,
das sich über sein Gitterbettchen beugt, und er muss so sehr weinen, dass ihm die Brust wehtut, und bittet den Tod, ihn freizulassen und seine Mutter zu werden, und Joelle schüttelt entweder den herrlich unscharfen Kopf oder nickt und sagt: Warte.
Kap. 65 - 20. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE GAUDEAMUS IGITUR Ich war in einem Zoo. Es gab weder Tiere noch Käfige, trotzdem war es ein Zoo. Es war fast ein Albtraum und weckte mich vor 5.00 Uhr. Mario schlief noch, sanft beleuchtet durch den Fensterblick auf die Lichtpünktchen am Hügelhang. Er lag so still und lautlos wie immer, die armen Hände auf der Brust gefaltet, als fehlte nur noch eine Lilie. Ich steckte einen Priem Kodiak in den Mund. Marios vier Kissen drückten ihm beim Schlafen das Kinn auf die Brust. Ich hatte immer noch einen abnorm hohen Speichelfluss, und mein eines Kissen war so feucht, dass ich lieber nicht das Licht einschalten und mir das näher anschauen wollte. Ich fühlte mich überhaupt nicht gut. Eine Art Hirnübelkeit. Dass es das erste Gefühl am Morgen war, machte es noch schlimmer. Ich hatte mich seit fast einer Woche gefühlt, als müsste ich aus unerfindlichen Gründen weinen, aber die Tränen hielten immer Millimeter
hinter meinen Augen an und blieben da. Und so weiter. Ich stieg aus dem Bett und ging am Fußende von Marios Bett vorbei ans Fenster, um auf einem Fuß zu stehen. Irgendwann in der Nacht hatte dichter Schneefall eingesetzt. DeLi nt und Barry Loach hatten mich angewiesen, zur Behandlung des Knöchels eine Viertelstunde pro Tag nur auf dem linken Fuß zu stehen. Die zahllosen kleinen Korrekturen, die es erforderte, auf einem Fuß zu balancieren, beanspruchten Muskeln und Sehnen im Knöchel, die therapeutisch anders nicht zu erreichen waren. Ich kam mir immer ein bisschen blöd vor, wenn ich auf einem Fuß in der Dunkelheit stand und nichts zu tun hatte. Der Schnee auf dem Boden hatte einen Stich ins Blaurote, aber der fallende und herumwirbelnde Schnee war von unberührtem Weiß. Segelrnützenweiß. Ich stand höchstens fünf Minuten auf dem linken Fuß. Prüfung und A. p.S344 begannen morgen in drei Wochen um 08.00 Uhr im C. B. S.345Hörsaal der B. U. Ich hörte, wie die Nachthauswarte irgendwo auf einer anderen Etage einen Wischeimer schoben.
Seit dem Interdependenztag war dies der erste Morgen ohne Morgentraining, und alle konnten bis zum Frühstück schlafen. Kurse fanden das ganze Wochenende über nicht statt. Ich war auch gestern zu früh aufgewacht. Im Schlaf kam immer wieder Kevin Bain auf mich zugekrabbelt. Ich machte mein Bett, drehte das Kissen mit der nassen Seite nach unten, zog eine saubere Jogginghose an und Socken, die nicht nach Käsefüßen stanken. Marios schnarchähnlichster Laut ist ein leises Geräusch, das er hinten in der Kehle produziert. Es klingt, als würde er die Silbe kie immer wieder in die Länge ziehen. Das ist kein unangenehmes Geräusch. Nach meiner Schätzung lagen gut 50 cm Schnee auf dem Boden, und immer noch herrschte dichtes Schneegestöber. Im blauroten Zwielicht waren die Netze der West Courts halb begraben. Die oberen Hälften erbebten in starkem Wind. Im ganzen Schlaf trakt hörte ich Türen in ihren Rahmen leise klappern, wie sie das nur bei üblem Wind taten. Der Wind wirbelte den fallenden Schnee diagonal durch die Luft. Schnee traf knisternd auf die
Fensterscheibe. Die Szene vor dem Fenster glich einem energisch geschüttelten Briefbeschwerer - der Sorte mit dem Weihnachtsdiorama und dem schüttelbaren Schnee. Die Bäume auf dem Gelände, die Zäune und Gebäude sahen irgendwie miniaturisiert aus, wie Spielzeug. Man konnte den Neuschnee kaum vom schon existenten Schnee unterscheiden, so wie beide vom Wind herumgewirbelt wurden. Da erst fragte ich mich, ob und wo wir die Show-Matches heute eigentlich veranstalten sollten. Die Lunge war noch nicht aufgebaut, aber auch die sechzehn Courts unter der Lunge hätten nur für die Partien der A-Mannschaften ausgereicht. Eine kalte Hoffnung flackerte in mir auf, als mir klar wurde, dass das hier Absagewetter sein konnte. Die Gegenreaktion auf diese Hoffnung war ein noch übleres Gefühl als zuvor: Ich konnte mich nicht erinnern, je aktiv gehofft zu haben, nicht spielen zu müssen. Mehr noch, ich merkte, dass ich dem Tennisspielen schon seit langer Zeit keine starken positiven oder negativen Gefühle mehr entgegenbrachte. Mario und ich hatten uns angewöhnt, die Telefonkonsole nachts anzulassen, aber das Läutwerk abzustellen. Der digitale Rekorder der
Läutwerk abzustellen. Der digitale Rekorder der Konsole hatte ein Lämpchen, das für jeden eingegangenen Anruf einmal blinkte. Das Doppelblinken des Rekorderlämpchens erzeugte ein interessantes Interferenzmuster mit dem roten Batterielämpchen des Rauchmelders an der Decke; die beiden Lämpchen blinkten bei jedem siebten Telefonblinken synchron auf und trennten sich dann langsam in einem optischen Dopplereffekt. Eine Formel für die zeitliche Beziehung zwischen zwei unsynkopierten Blinkzeichen war räumlich in die algebraische Formel einer Ellipse zu übersetzen, verstand ich. Pemulis hatte mir in den letzten zwei Wochen Unmengen praxisorientierter Prä-BoardsMathematik eingetrichtert, hatte sich Zeit genommen und keine Gegenleistung erwartet, war vielmehr fast verdächtig großzügig gewesen. Nach dem WayneDebakel hatte es dann keine Nachhilfestunden mehr gegeben, und auch Pemulis selbst hatte sich rar gemacht, zwei Mahlzeiten verpasst und ein paarmal für längere Zeit den Abschleppwagen genommen, ohne etwaige Abschleppwagenbedürfnisse erst mit uns abzustimmen. Das hochfrequente Einmalblinken des Telefonnetzteils an der Seite vom TP versuchte ich gar nicht erst einzubeziehen; das gehörte schon
zur Infinitesimalrechnung, und selbst Pemulis hatte zugegeben, mehr als Algebra und Kegelschnitte wäre in meiner Hardware wohl nicht zu verdrahten. Jedes Jahr im November hält die Academy zwischen dem 1.- Tag und dem WhataBurger Invitational in Tucson, Arizona, ein halb öffentliches Show-Turnier ab »zugunsten« der Förderer, Absolventen und Freunde der E. T. A. im Großraum Boston. Dem Turnier folgt eine halb formelle Cocktail-Party mit Tanz im Speisesaal, und die Spieler haben geduscht und halb formell gekleidet zu erscheinen und sollen sich für den geselligen Umgang mit den Förderern zur Verfügung halten. Fehlt fast nur noch, dass sie einem das Gebiss kontrollieren. Letztes Jahr war Heath Pearson in roter Weste, Pagenmütze und Pelzschwanz beim Fest erschienen, hatte einen kleinen Leierkasten dabeigehabt und die Förderer eingeladen, Leierkasten zu spielen, während er umherkasperte und plapperte. C. T war unbelustigt gewesen. Das ganze Fundraising hat Charles Tavis eingeführt. Er versteht sich weit besser auf Öffentlichkeitsarbeit und Wirtschaftsankurbelung als Er Selbst. Das Show-Turnier und das Fest sind vielleicht der
Höhepunkt von C. Ts ganzem Verwaltungsjahr. Er hatte entschieden, Mitte November sei der beste Zeitpunkt für einen Fundraising-Anlass; das Wetter war dann noch nicht zu schlecht, und das Steuerjahr näherte sich seinem Ende, aber die USamerikanische Ferienzeit, die mit ihrem ganz eigenen Drainagesystem des Wohlwollens aufwartete, hatte noch nicht begonnen. In den letzten drei Geschäftsjahren hatte der Erlös vom Fundraising praktisch das Frühlingsturnier im Südosten und das europäische terre-batu- Fest im Juni/Juli finanziert. Das Show-Turnier betraf die A- und BMannschaften beider Geschlechter, und der Gegner war immer eine ausländische Juniorenmannschaft, um der ganzen Fundraising-Angelegenheit einen zusätzlichen patriotischen Kick zu geben. Die verbrämende Fiktion war, dass das Turnier für die ausländische Mannschaft nur die erste AnlaufsteIle einer ganzen vagen allgemeinen Tournee durch die USA war, aber in Wirklichkeit flog C. T. die Ausländer eigens ein und ließ sich das was kosten. In der Vergangenheit hatten wir uns Gefechte mit Mannschaften aus Wales, Belize, dem Sudan und Mosambik geliefert. Zyniker könnten anmerken, dass Tennisgiganten unter den Gegnern durch
Tennisgiganten unter den Gegnern durch Abwesenheit glänzten. Als es letztes Jahr gegen Mosambik ging, war das eine besonders ausgeprägte Farce gewesen, 70-2, und bei etlichen Zuschauern und Förderern waren üble rassistische Töne zu hören gewesen; einige hatten die Begegnung fröhlich mit Mussolinis Panzern verglichen, die die äthiopischen Speerschmeißer überrollten. Im J. d. I.-u. sollten die Quebecer JuniorDavis- und JuniorWightman-Cup-Mannschaften den Gegner stellen, und ihre Anreise vom M.I.A.D'Orva346 wurde von Struck und Freer schon sehnlichst erwartet. Sie behaupteten, die Quebecer Junior-Wightman-Mädchen würden normalerweise sequestriert, bekämen nur sehr wenige gemischtgeschlechtliche Austragungsorte zu sehen und stünden daher für die Erweiterung interkultureller Beziehungen aller Art zur Verfügung. Bei diesem Schnee war es allerdings unwahrscheinlich, dass irgendwas pünktlich in Logan landen würde. Der Wind erzeugte in den Lüftungskanälen ein trostloses Stöhnen. Mario sagte »kie« und manchmal »ski« und zog die
Laute in die Länge. Wenn ich mich nicht mehr darauf freuen konnte, im Tunnel allein ein paar Kawumms durchzuziehen, dachte ich plötzlich, wachte ich jeden Tag mit dem Gefühl auf, es gäbe an diesem Tag nichts Bedeutsames oder Vorfreude Lohnendes. Ich blieb noch ein paar Minuten auf einem Fuß stehen und spuckte in eine Kaffeekanne, die ich am Vorabend neben das Telefon auf den Boden gestellt hatte. Das warf implizit die Frage auf, ob das Bob Hope irgendwie vom Höhepunkt des Tages zu dessen eigentlicher Bedeutung geworden war. Das wäre ziemlich beängstigend. Der Penn 4, mein Handknetball für den November, lag auf dem Fensterbrett. Ich hatte ihn seit Tagen weder dabeigehabt noch geknetet. Anscheinend hatte das niemand gemerkt. Mario überließ mir die volle Kontrolle über das Telefonläutwerk und den Anrufbeantworter, weil er den Hörer nur schwer halten konnte und die einzigen ihn betreffenden Nachrichten hausinterne Anrufe der Moms waren. Mir machte es Spaß, verschiedene Ansagen auf das Gerät zu sprechen. Ich hatte nur etwas dagegen, die Ansagen mit Musik oder Stückehen aus digital bearbeiteten Unterhaltungen zu unterlegen. Videofone gab es an der E. T. A. nicht
zu unterlegen. Videofone gab es an der E. T. A. nicht - auch so eine Entscheidung von C. T Unter C. T hatte sich die Länge des Academy-Leitfadens der Ehrenkodizes, Vorschriften und Verfahren fast verdreifacht. Die beste Ansage, die Mario und ich je gehabt hatten, war wahrscheinlich Ortho Stice' 80 Sekunden lange tödliche Nachahmung eines C. T, der mögliche Gründe aufzählt, warum Mario oder ich nicht ans Telefon gingen, und dann unsere mutmaßlichen Reaktionen auf die von unserer Unverfügbarkeit ausgelösten Emotionen der Anrufer skizziert. Bei einer Länge von 80 Sekunden nutzte sich der Gag nach einer Weile allerdings ab. In dieser Woche lautete unsere Ansage sinngemäß: »Dies ist die entkörperlichte Stimme von HaI Incandenza, dessen Körper momentan außerstande ist ... « und so weiter, und dann die Standardaufforderung, eine Nachricht zu hinterlassen. Es war schließlich Ehrlichkeits- und Abstinenzwoche, und da hielt ich das für eine wahrheitsgemäßere Ansage als das verschnarchte »Hier ist HaI Incandenza ... «, denn der Anrufer hörte ja offenkundig eine digitale Aufzeichnung von mir und n i c h t mich. Diese Beobachtung verdankte ich Pemulis, der jahrelang und mit verschiedenen
Mitbewohnern dieselbe rekursive Ansage hatte laufen lassen - »Hier ist der Anrufbeantworter von Mike Pemulis' Anrufbeantworter; Mike Pemulis' Anrufbeantworter bedauert, keine Nachrichten erster Ordnung für Mike Pemulis entgegennehmen zu können, wenn Sie nach dem Geräusch klatschender Hände aber eine Nachricht zweiter Ordnung hinterlassen, wird Mike Pemulis' Anrufbeantworter ... « und so weiter, was sich so abgenutzt hat, dass nur wenige von Pemulis' Freunden oder Kunden das Ende der abgenutzten Ansage abwarten können, um ihm dann etwas auf Band zu sprechen, was Pemulis ganz recht ist, denn kein wirklich wichtiger Anrufer w ä r e je so dämlich, seinen Namen auf einem Pemulis gehörenden Gerät zu hinterlassen. Als das empyreische Gesicht dem Kochweiß der Traumaabteilungsdecke weicht und er nach Luft schnappend hochfährt, ist außerdem gespenstisch, dass sich die offenbar wirkliche, nicht geträumte Joelle van D. über das Bettgitter beugt und Gately die breite Stirn und die vor Entsetzen gerundeten Lippen mit einem kühlen Waschlappen abtupft, Jogginghose und eine Art lockeren, brokatbesetzten Hulpil trägt, dessen Lavendelton fast zur Webkante
ihres sauberen Schleiers passt. Der Ausschnitt des Hulpils ist zu hoch, um aufregende DekolleteEinblicke zu liefern, als sie sich über ihn beugt, was Gately eigentlich ganz dankbar zur Kenntnis nimmt. Die beiden Küchlein, die sie in der anderen Hand hält (ihre Fingernägel sind genau wie Gatelys bis zu den Niednägeln abgenagt), habe sie im Schwesternzimmer befreit und ihm mitgebracht, denn Morris H. habe sie für ihn gebacken, also gehörten sie von Rechts wegen ihm. Aber er sei offenkundig nicht in der Lage zu schlucken, sagt sie. Sie duftet nach Pfirsichen und Baumwolle, da ist aber auch ein übel süßlicher Hauch der kanadischen Billigrettchen, die so viele Insassen rauchen, und unter all diesen Gerüchen macht Gately aus, dass sie parfümiert ist.347 Um ihn aufzuheitern, sagt sie ein paarmal» Und sehet«. Gately hebt und senkt rasch die Brust, um seine Heiterkeit kundzutun. Vor ihr will er nicht muhen oder miauen, weil er sich schämt. Ihr Schleier hat an diesem Morgen ein frühlingshaftes Hellviolett entlang der Bordüre, und das den Schleier säumende Haar scheint von dunklerem Rot, dämmriger, als zum Zeitpunkt ihres Eintritts ins Haus, als sie Fleisch abgelehnt hatte. Gately war nie besonders auf W Y Y Y o d e r Madame Psychosis
besonders auf W Y Y Y o d e r Madame Psychosis abgefahren, hatte aber manchmal Leute getroffen, die das taten - Körnerfresser in der Regel, Opium und braunes Heroin, fürchterlicher Glühwein -, und über den Fieberschauern und der Abscheulichkeit d e r amphetaminischer-Geist-, Joelle-mitWinstonChurchill-Gesicht- und Joelle-als-engelhafteTodesmutter- Träume verspürt er eine seltsame Lebendigkeit, weil er von einem IntellektuellenSchrägstrich-Kunst-Promi der lokalen UndergroundSzene abgetupft und vielleicht auch allgemein bewundert wird. Er könnte das nicht gut erklären, aber die Tatsache, dass sie eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens ist, hat ihn quasi irgendwie physisch in Gang gebracht, sein Gefühl da zu sein verstärkt, er ist sich bewusst, wie er das Gesicht hält, scheut vor den eigenen Viehstalllauten zurück und atmet sogar durch die Nase, damit sie nicht seine ungeputzten Zähne riechen muss. Er ist in ihrer Gegenwart befangen, merkt Joelle, aber bewundernswert ist, dass er keine Ahnung hat, wie heroisch und sogar romantisch er aussieht, unrasiert und intubiert, groß und hilflos, verwundet beim Einsatz für einen Menschen, der den Einsatz nicht wert war, vor Schmerz und Schmerzmittelablehnung
fast durchgeknallt. Der letzte und so ziemlich einzige Mann, von dem sich Joelle je romantisch hatte bewundern lassen, hatte sie sitzen gelassen, weigerte sich, das zu begründen, und zimmerte sich stattdessen eine erbärmlich eifersüchtige Phantasie zusammen, die sich um Joelle und seinen eigenen armen Vater drehte, dessen einziges Interesse an Joelle zunächst ästhetischer und dann antiästhetischer Natur gewesen war. Joelle weiß nicht, dass erst kurze Zeit trockene Menschen furchtbar anfällig sind für die Einbildung, Menschen mit längerer Trockenheit als sie seien romantisch und heroisch und würden sich nicht vielmehr genauso ahnungslos und erschrocken von Tag zu Tag durchwursteln wie auch alle anderen bei den AA (vielleicht mit Ausnahme der blöden Krokodile). Joelle sagt, sie könne diesmal nicht lange bleiben: Alle nicht arbeitenden Insassen müssten sich zur täglichen Vormittagsmeditation im House einfinden, was Gately nur zu gut weiß. Er weiß nicht genau, was sie mit »diesmal« meint. Sie beschreibt die schräge Limbokrampfhaltung des neuesten männlichen Insassen und wie Johnette Foltz diesem
Dave das Abendessen immer klein schneiden und häppchenweise in den aufgesperrten Mund fallen lassen müsse, so wie ein Vogel sein Küken füttert. Wenn sie das Gesicht zur Decke dreht und den aufgesperrten Kükenschnabel nachahmt, passt sich der Schleier den darunterliegenden Gesichtszügen an. Vor dem runden Ausschnitt ihres Hulpils sehen die losen Locken ihrer Haare dunkel aus und ihre Hände und Handgelenke blass. Die Haut an ihren Händen ist straff, sommersprossig und venendurchzogen. Durch die Metallstangen am Bett kann Gately mit seinen verdrehten Augen nichts südlich ihres Brustkorbs sehen, bis Joelle mit dem Waschlappen fertig ist und sich zum Rand des Nachbarbetts zurückzieht, das irgendwann geräumt worden sein muss, und auch die Fieberkurve des Weinenden ist verschwunden, sein Bettgitter ist herabgeklappt, sie sitzt auf dem Bettrand, schlägt die Beine übereinander, stellt den Absatz der einen Huarache auf das Scharnier des Gitters und zeigt, dass sie unter den fleischfarbenen Huaraches weiße Socken trägt und dazu eine ausgeleierte alte birkenweiße Jogginghose, an deren einem Bein B.U.M. steht und die Gately beim Blaues-BuchTreffen am Sonntagmorgen ziemlich sicher an Ken
Erdedy gesehen hat und die Erdedy gehört, und irgendetwas Unangenehmes blitzt in ihm auf, weil sie die Hose des feinen Pinkels trägt. Das sonnig gelbweiße Morgenlicht draußen ist dem Grau eines alten 10-Cent-Stücks gewichen, außerdem ist es anscheinend ziemlich windig. Joelle isst die Rahmkäseküchlein, die Gately nicht essen kann, und zieht und zerrt eine Art großes Notizbuch aus ihrer breiten Stofftasche. Sie erzählt vom Treffen in der St. Columbkill348 am Vorabend, wo sie unbetreut hingegangen seien, weil Johnette Foltz im House habe bleiben und den kranken Glynn im Auge behalten müssen sowie Henderson und Willis, die im ersten Stock legalen Hausarrest hätten. Gately durchwühlt seinen Arbeitsspeicher, an welchem Scheißabend der Woche St. Columbkill ist. Joelle sagt, am Vorabend habe St. Collies vierwöchentliches Format stattgefunden, wo es keine Ve r p f l i c h t u n g e n gebe, sondern eine Staffellaufdiskussion, wo jemand aus dem Saal fünf Minuten lang spreche und dann aus der im Saal versammelten Menge den nächsten Sprecher auswähle. Da sei jemand aus Kentucky gewesen; Gately wisse doch noch, dass sie aus Kentucky
stamme? Ein Neuzugang aus Kentucky, irgendein Wayne, ein wirklich havariert aussehender Junge, der aus dem guten alten Bluegrass-State stamme, seit einiger Zeit aber im stillgelegten Drainagerohr einer Kläranlage unten am Allston Spur hause, habe er gesagt. Der Typ, sagte sie, sei rund neunzehn gewesen, habe aber ausgesehen wie 40 und ein paar Zerquetschte, habe Kleider getragen, die ihm am Leibe zu zerfallen schienen, während er da auf dem Podium gestanden und einen ausgereiften Drainagegeruch verbreitet habe, der bis in die vierte Reihe Taschentücher zum Vorschein gebracht habe, und den Geruch habe er damit erklärt zuzugeben, sein Wohndrainagerohr werde »meistens« nicht benutzt, sei also nur selten in Betrieb. Joelles Stimme ist nicht annähernd die hohl nachklingende Radiostimme, sie setzt beim Reden viel die Hände ein und versucht, die ganze Sache für Gately zum Leben zu erwecken. Möchte ihn ein bisschen an dem Treffen teilhaben lassen, merkt Gately mit der Andeutung eines dünnen Lächelns des Unglaubens, dass er sich keinen Treffenplan auf den Schirm rufen kann, der ihm verraten würde, welcher Tag heute ist. Einige der St. Columbkiller hätten gesagt, das sei der längste Filmriss, von dem sie je gehört hätten.
der längste Filmriss, von dem sie je gehört hätten. Dieser Wayne habe gesagt, er habe keine Ahnung, wann, warum oder wie er zehn Jahre nach seiner letzten Erinnerung so weit im Norden in MetroBoston gelandet sei. Das visuell beherrschendste Merkmal sei eine tiefe diagonale Furche in Waynes Gesicht gewesen, die sich von der rechten Augenbraue bis zum linken Mundwinkel erstreckt habe - Joelle zeichnet Länge und Winkel mit einem Finger mit abgenagtem Nagel auf dem Schleier nach -, ihm Nase und Oberlippe gespalten und ihn dermaßen habe schielen lassen, dass er anscheinend beide Enden der ersten Reihe gleichzeitig angesehen habe. Dieser olle Wayne habe skizziert, die Gesichtsdelle - die Wayne »den Fehler« genannt und mit dem Finger angedeutet habe, als bräuchten seine Zuhörer Hilfe, um sehen zu können, was er meine - habe er seinem leibhaftigen Daddy zu verdanken, einem trinkfesten Alkoholiker und Hühnerzüchter, der im Griff eines Post-Sauf tour-Entsetzens, das ihn jede Menge persönliche Quälgeister sehen ließ, dem neunjährigen Wayne eines Tages ein Handbeil mit voller Wucht durchs Gesicht gezogen habe, als Wayne ihm nicht habe sagen können, wo ein
bestimmter Ball-Spirituosenkrug abgeblieben sei, den er am Vortag gegen die Eventualitäten des Entsetzens versteckt habe. Es habe da nur ihn, seinen Daddy, seine Maw - »die war lahm«- und 3,1 Hektar Hühnerfarm gegeben, habe Wayne gesagt. Er habe gesagt, der Fehler sei dank viel frischer Luft und körperlicher Betätigung gerade halbwegs verheilt gewesen, da habe sich sein Vater eines Montagabends draußen ein spätes Mittagessen aus Maisbrei und Sirup gegönnt, plötzlich an den Schädel gefasst, sei erst rot, dann blau und schließlich dunkelviolett angelaufen und gestorben. Der kleine Wayne habe dem Leichnam angeblich den Maisbrei vom Gesicht gewischt, ihn unter den Vorbau des Farmhauses geschleift, in PurinaHühnerfuttersäcke eingewickelt und der lahmen Maw erzählt, sein Daddy habe sich auf einer Sauf tour verlaufen. Das diagonal eingedellte Kind sei anscheinend weiterhin ganz normal zur Schule gegangen, habe diskret ein wenig Flüsterpropaganda betrieben und fast eine Woche lang jeden Tag eine Gruppe anderer Jungen mit nach Hause gebracht und einen Heiermann von jedem verlangt, der unter den Vorbau habe kriechen wollen, um einen dediziert toten Mann anzuschauen.
Am späten Freitagabend, daran erinnere er sich, sei e r dann mit harten Dollars in das BillardEtablissement gegangen, wo die Nigger349 seinem verstorbenen Daddy immer die Ball-Krüge verkauft hätten, und habe beabsichtigt, »sich zuzuknallen wie der Gockel mit Stechapfel«. Das Nächste, woran er sich habe erinnern können, habe dieser Wayne gesagt, sei das Aufwachen in dem teilweise stillgelegten Rohr im NNO gewesen, ein millenniales Jahrzehnt älter und mit einigen »echt ekligen« medizinischen Problemen, deren detaillierte Weitergabe ihm die Kontrolluhr versage. Dann sei dieser olle Wayne aufgestanden und habe auf Joelle gezeigt, die als Nächste habe sprechen sollen. »Als hätte er's gewusst. Als hätte er aus dem Bauch heraus eine Art Verwandtschaft, eine gemeinsame geistige Herkunft gespürt.« Gately grunzt leise und für sich. Er sagt sich, wenn jemand mit einer zehn Jahre umfassenden Gedächtnislücke in einem Rohr hause, dann könne er sich wohl kaum an etwas anderes halten als an Einsichten aus dem Bauch heraus. Er weiß, dass er nie vergessen darf, dass diese seltsame junge Frau erst seit rund drei Wochen clean ist, noch Rauschgift
aus allen Poren absondert und völlig ahnungslos ist, aber er spürt, dass er es nicht besonders mag, daran erinnert zu werden. Joelle hat das große flache Buch im Schoß, sieht auf ihren Daumen hinab, beugt und streckt ihn und sieht ihm beim Beugen und Strecken zu. Beunruhigend ist, dass der Schleier, wenn sie den Kopf senkt, in genau demselben vertikalen Winkel absteht wie wenn sie den Kopf hebt, nur ist er dann absolut glatt und strukturlos, eine glatte weiße Leinwand mit nichts dahinter. Ein Lautsprecher unten im Korridor gibt wieder diese Xylophon töne von sich, die immerzu weiß Gott was bedeuten. Als Joelles Kopf wieder hochkommt, tauchen hinter der Leinwand wieder die beruhigenden Hügelchen und Tälchen der verschleierten Gesichtszüge auf. »Ich muss hier praktisch sofort los«, sagt sie. »Ich könnte hinterher wiederkommen, wenn du möchtest. Ich kann dir auch was mitbringen, wenn du irgendwas möchtest.« Gately zieht eine Augenbraue hoch, um sie zum Lächeln zu bringen. »Hoffentlich, also seit dein Fieber runter ist, sagen sie, können sie bald sagen, dass du aus dem
Gröbsten raus bist und sie das da endlich rausnehmen können«, sagt Joelle und sieht Gatelys Mund an. »Das muss doch wehtun, und Pat sagt, du fühlst dich bestimmt besser, wenn du anfangen kannst Zitat weiterzugeben, was du fühlst.« Gately zieht beide Augenbrauen hoch. »Und du kannst mir sagen, auf was du Lust hast. Worauf, mein ich. Und wer dich besuchen soll.« Er schiebt den linken Arm nach Norden über Brust und Kehle, damit die linke Hand den Mund abtasten kann. Schon davon jault seine ganze rechte Seite vor Schmerz. Ein hautwarmer Plastikschlauch führt von der rechten Seite hinein, ist an der rechten Wange festgeklebt, führt in seinen Mund und weiter zur Kehle hinab, als seine Finger im Rachen ertasten können. Er hat ihn weder im Mund noch wie weit den Rachen hinab, will er gar nicht wissen, spüren können, ebenso wenig das Pflaster auf der Wange. Er hat quasi die ganze Zeit diesen quasi Schlauch im Hals und hat das gar nicht gemerkt. Als er zum Luftschnappen hochgekommen ist, war der schon so lange drin, dass er sich quasi unbewusst an ihn gewöhnt und ihn gar nicht bemerkt hat. Vielleicht ist
das eine Magensonde. Wahrscheinlich liegt es am Schlauch, dass er nur muhen und grunzen kann. Wahrscheinlich hat er doch keinen bleibenden Stimmschaden. Gott sei Dank. I n gedachten Großbuchstaben Dankt Er Gott ein paarmal. Er stellt sich vor, auf einem prächtigen Verpflichtungspodium zu stehen, bei einem AA-Konvent vielleicht, und leichthin etwas zu sagen, wofür er einen Riesenlacher erntet. Entweder hat Joelle ein Daumenproblem, oder sie findet es nur interessant zuzusehen, wie sie den Daumen beugt und Däumchen dreht. Sie sagt »Es ist komisch, wenn man das nicht kommen sieht und dann plötzlich da oben steht und was sagen soll. Zu Leuten, die man gar nicht kennt. Sachen, wo ich erst weiß, dass ich sie denke, wenn ich sie ausspreche. Auf Sendung wusst ich immer genau, was ich dachte, bevor ich was gesagt hab. Das hier ist anders.« Sie scheint ihren Daumen anzusprechen. »Ich hab eine Seite aus deinem Handbuch genommen und weitergegeben, was mich an diesem bis auf die Gnade Gottes stört, und du hattest recht, die haben bloß gelacht. Aber ich hab auch ... Bevor ich es denen gesagt habe, hatt ich gar nicht gemerkt,
dass ich aufgehört hatte, Eile mit Weile oder jeder Tag ein neuer Anfang als abgedroschene Klischees zu betrachten. Herablassend.« Gately merkt, dass sie über Selbsterfahrungsfragen immer noch auf steife Intelellenweise redet, über andere Sachen aber nicht. Immer noch hält sie sich damit alles vom Leibe. Quasi ein geistiger Daumen, den sie beim Reden ansehen kann. Das macht nichts; Gately hat anfangs seinen wirklichen Leib eingesetzt, um sich alles vom Leib zu halten. Er stellt sich vor, wie sie lacht, als er ihr das erzählt, und der Schleier bauscht sich weit nach außen und innen. Er lächelt um den Schlauch herum, was Joelle als Ermutigung ansieht. Sie sagt »Und warum Pat mir bei den Psychologietreffen immer sagt, ich soll einfach um jeden 24-Stunden-Zeitraum eine Mauer bauen und nicht darüber oder dahinter zurückschauen. Und keine Tage zählen. Selbst wenn man für die ersten 14 oder 30 Tage eine Medaille bekommt, soll man die nicht zusammenzählen. Bei den Treffen hab ich bloß gelächelt und genickt. Aus Höflichkeit. Aber als ich gestern Abend da oben stand, hab ich's nicht mal laut weitergegeben, aber plötzlich gemerkt, dass es genau daran lag, dass ich' s höchstens mal ein paar Wochen lang durchgehalten habe, dem Zeug
Wochen lang durchgehalten habe, dem Zeug fernzubleiben. Ich hab's nie durchgehalten, bin immer rückfällig geworden. Bin zum Crack zurück.« Sie sieht zu ihm hoch. »Ich hab Crack geraucht, weißt du. Natürlich weißt du das. Ihr bekommt ja alle die Aufnahmeformulare zu sehen.« Gately lächelt. Sie sagt: »Deshalb konnt ich nie wegkommen und wegbleiben. Genau wie das Klischee warnt. Das Jeder Tag ein neuer Anfang hab ich nie geschafft. Im Kopf hab ich die trockenen Tage immer zusammengezählt.« Sie legt den Kopf schief und sieht ihn an. »Hast du mal von diesem Evel Knievel gehört? Dem Motorradspringer ? « Gately nickt vorsichtig wegen des Schlauchs, den er jetzt spürt. Deswegen fühlt sich seine Kehle also so vergewaltigt an. Der Schlauch. Er hat sogar mal aus einer alten Nummer von Li f e e i n e ActionAufnahme ausgeschnitten, auf der der historische Evel Knievel in einem weißen elvisischen Lederanzug in der Luft schwebt, in einer Aura von Scheinwerfern, aufrecht auf einem Motorrad, unter sich eine Reihe auf Hochglanz polierter Trucks.
»In St. Collie kannten den nur die Krokodile. Mein eigener Daddy war immer hinter ihm her und hat als Junge Bilder von ihm ausgeschnitten.« Gately ist sicher, dass sie unter dem Ding lächelt. »Jedenfalls, was ich immer gemacht hab, ich hab das Pfeifchen weggeschmissen, die Faust zum Himmel gereckt und gesagt Gott ist mein Scheißzeuge NIE WIEDER, hier und jetzt GEBE ICH DIE DROGE FÜR ALLE ZEIT AUF.« Sie hat auch die Angewohnheit, beim Reden geistesabwesend die Hand auf den Kopf zu legen, wo kleine Haar spangen und lockere Klammern den Schleier festhalten. »Und dann hab ich mit weißen Knöcheln die Schotten dicht gemacht und bin trocken geblieben. Und hab die Tage gezählt. Ich war stolz auf jeden Tag, den ich ohne ausgekommen bin. Jeder Tag schien mir irgendwas zu beweisen, und ich hab sie gezählt. Hab sie zusammengezählt. Vom einen zum anderen Ende aufgereiht. Verstehst du?« Gately versteht das nur zu gut, nickt aber nicht, damit sie das aus eigener Kraft durchzieht. Sie sagt: »Und bald wurde das ... unwahrscheinlich. Als wäre jeder Tag ein Auto, über d a s Knievel wegspringen musste. Ein Auto, zwei Autos. Als ich dann so sagen wir vielleicht um die 14
Autos geschafft hatte, war das für mich eine schwindelerregende Zahl. Über 14 Autos zu springen. Und dann der Rest des Jahres vor mir, Aberhunderte von Autos, und ich in der Luft versuch, über sie wegzuspringen.« Sie hebt den Kopf und legt ihn auf die Seite. »Wer schafft das wohl? Wie bin ich bloß auf die Idee gekommen, irgendwer könnte es auf die Weise schaffen?« Gately fallen ein paar echt böse eigene Entgiftungen ein. Abgebrannt in MaIden. Mit Brustfellentzündung verkrümmt in Salem. Vier Tage lang weggesperrt in der M.C.I. Billerica, was einen Kurzschluss bewirkt hatte. Er erinnert sich, wie er auf dem Boden einer Arrestzelle in Revere wochenlang auf Turkey war, was er dem guten alten Stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt zu verdanken hatte. Gut weggesperrt, ein Eimer als Klo, die Arrestzelle heiß, aber auf dem Boden zog es fürchterlich eisig. Da schob er den Affen. Kalter Entzug. Der Vogel. Konnte es nicht und musste es doch, weil eingesperrt. 92 Tage in einer Arrestzelle in Revere. Spürte die Kanten jeder verstreichenden Sekunde. Jede Sekunde eilte mit Weile. Er zog die Zeit eng um sich zusammen. Im Entzug. Jede einzelne Sekunde: Er erinnert sich: an das Gefühl
einzelne Sekunde: Er erinnert sich: an das Gefühl des Gedankens, diese Sekunde würde er jetzt die nächsten 60 Sekunden lang spüren - das war einfach zu viel. Der Scheiß war ihm einfach zu viel. Er musste um jede Sekunde eine Mauer bauen, um sie ertragen zu können. Die gesamten ersten zwei Wochen davon sind in seinem Gedächtnis quasi zu einer Sekunde zusammengeschnurrt weniger: auf den Zeitraum zwischen zwei Herzschlägen. Ein Atemzug und eine Sekunde, die Pause des SichSammelns zwischen zwei Krämpfen. Ein Jetzt, dessen Möwenflügel sich beidseits seines Herzschlags ins Endlose erstrecken. Und nie zuvor oder seither hatte er sich so qualvoll am Leben gefühlt. Lebte in der Gegenwart zwischen Pulsschlägen. Wovon die Wei ßfl agger immer sprachen: vollständig im Augenblick aufgehen. Ein ganzer Tag im Jetzt war Pipifax, als er hereinkam. Denn er hatte mit dem Vogel verweilt. Aber diese Zwischenherzschlagsgegenwart, dieses Gefühl eines endlosen Jetzt - das war in der Arrestzelle von Revere ebenso verschwunden wie die Übelkeit und das Frösteln. Er war in sich selbst zurückgekehrt, saß auf dem Kojenrand und ließ das
Verweilen sein, weil er es nicht mehr nötig hatte. Seine rechte Seite ist nicht mehr auszuhalten, aber der Schmerz ist nichts gegen den Schmerz des Vogel s. Manchmal fragt er sich, ob Ferocious Francis und die anderen wollen, dass er darauf zugeht: das Verweilen zwischen Herzschlägen; versucht sich vorzustellen, welch einen unmöglichen Sprung es erfordert, die ganze Zeit so zu leben, aus freiem Entschluss, trocken: in der Sekunde, im Jetzt, ummauert von und enthalten zwischen langsamen Herzschlägen. Ferocious Francis' eigener Sponsor, der Halbtote, den sie immer zur Weißen Flagge schieben und Sarge nennen, sagte das die ganze Zeit: Das Hier und Jetzt ist das eigentliche Geschenk der AA: die Gegenwart, die dir gegeben ward. »Aber klar geworden ist mir das erst, als dieser arme neue Rohrtyp von zu Hause auf mich zeigte und mich da hochschleppte und ich gesprochen hab' «, sagt Joelle. »Ich muss das nicht so machen. Ich kann wählen, wie ich das machen will, und sie helfen mir, das durchzuhalten. Vorher war mir das, glaub ich, nicht klar gewesen, dass ich - dass ich das wirklich kann. Ich kann das einen endlosen Tag lang schaffen. Kann ich. Don.«
Der Blick, den er ihr zuwirft, soll ihren Durchbruch quasi anerkennen und bedeuten, ja, ja, das kann sie, sie kann das so lange, wie sie selbst bestimmt. Gately weiß, dass sie ihn nicht aus den Augen lässt. Aber auch ihn selbst überläuft ein prickelndes Frösteln, als er darüber nachdenkt. Genauso kann er mit dem dextralen Schmerz umgehen: durch Verweilen. Ein einzelner Augenblick davon ist nicht unerträglich. Hier ist grad wieder so eine Sekunde: Die kann er ertragen. Unerträglich ist nur der Gedanke an all die Augenblicke, die sich aufgereiht vor ihm erstrecken und glänzen. Und das Ausmalen der künftigen Angst vor dem Stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt, der unter seinem Hut da draußen sitzt und Drittwelt-Fast-Food isst; die Angst davor, als Nuckschlächter und v. I. P.-Ersticker verurteilt zu werden; vor einem Leben des Erinnerns auf einem Kojenrand in der M.C.I. Walpole. Das ist zu viel, um darüber nachzudenken. Um dort zu verweilen. Aber gegenwärtig ist nichts davon real. Real sind der Schlauch, das Noxzema und der Schmerz. Und die kann er genauso bewältigen wie den alten kalten Vogel. Er kann sich einfach in den Raum zwischen zwei Herzschlägen kauern, jeden Herzschlag zu einer Mauer machen und dahinter
Herzschlag zu einer Mauer machen und dahinter leben. Bloß nicht hinüberschauen. Unerträglich ist, was sein eigener Kopf aus all dem machen könnte. Was sein Kopf ihm berichten könnte, wenn er hinübersähe und Bericht erstattete. Aber er kann sich entscheiden, nicht zuzuhören; er kann seinen Kopf genauso behandeln wie G. Day oder R. Lenz: als ahnungsloses Rauschen. Das hat er bisher nicht ganz geschnallt, dass es nicht nur darum geht, das Verlangen nach einem Rauschgift auszusitzen: Alles Unerträgliche ist im Kopf, weil der Kopf nicht in der Gegenwart verweilt, sondern die Mauer hochklettert, Erkundigungen einzieht und mit unerträglichen Nachrichten zurückkommt, die man dann irgendwie glaubt. Wenn Gately hier rauskommt, nimmt er sich vor, nimmt er das Knievelfoto von der Wand, rahmt es und schenkt es Joelle, und sie lachen dann, und sie nennt ihn Don oder den Gunster usw. Gately verdreht die Augen wieder weit nach rechts, um Joelle zu sehen, die jetzt im Schoß der Jogginghose mit beiden blassen Händen das große Buch aufschlägt. Graues Fensterlicht fällt auf durchsichtige Plastikblätter wie kleine Laminate in dem Ding.
» ... gestern Abend der Gedanke, das hier hervorzuholen und anzuschauen. Ich wollte dir meinen leibhaftigen Daddy zeigen«, sagt sie. Weit geöffnet hält sie ihm das Fotoalbum hin, wie eine Kindergärtnerin in der Vorlesestunde. Gately markiert ein Schielen. Joelle kommt zu ihm, stellt das große Album auf Gatelys Bettgitter, späht darüber und zeigt auf einen Schnappschuss in seiner kleinen quadratischen Hülle. »Das da ist mein Daddy.« Vor einem niedrigen weißen Verandageländer blinzelt ein prototypischer hagerer alter Mann mit vom Blinzeln gerunzelter Nase und dem gleichmütigen Lächeln eines Mannes, der zum Lächeln aufgefordert worden ist, in die Sonne. Neben ihm im Halbprofil ein magerer Hund. Gately interessiert sich mehr für den Schatten des Fotografen, der schräg in den Vordergrund der Aufnahme ragt und den halben Hund verdunkelt. »Und das ist einer der Hunde, ein Vorstehhund, der kurz danach draußen auf dem 104 von einem UPSTransporter überfahren wurde«, sagt sie. »Wo sich kein Tier mit einem Fitzelchen an Verstand herumgetrieben hätte. Mein Daddy gibt Hunden nie Namen. Deshalb ist der hier einfach der, der vom
UPS-Transporter überfahren wurde.« Ihre Stimme hat sich wieder verändert. Gately will in dem verweilen, worauf sie zeigt. Die meisten anderen Fotos auf der Seite zeigen Bauernhof tiere, die hinter ihren Holzgattern so dreinschauen, wie Wesen nun einmal dreinschauen, die nicht lächeln können und nicht wissen, dass eine Kamera sie beobachtet. Joelle sagt, ihr leibhaftiger Daddy sei Säurenchemiker, aber der Daddy ihrer verstorbenen Mutter habe ihnen eine Farm hinterlassen, und da sei Joelles Daddy mit ihnen dort hinausgezogen und stümpere als Bauer herum, was meist aber nur als Vorwand diene, um viele Haustiere zu halten und experimentelles Säurenzeug in den Boden zu stecken. Irgendwann kommt eine betriebsame Krankenschwester herein, fummelt an den Tropfflaschen herum, kauert sich dann hin und wechselt das Kathetergefäß unter dem Bett, und einen Augenblick lang schämt sich Gately in Grund und Boden. Joelle tut anscheinend nicht mal so, als würde sie das nicht beachten. »Und den Stier hier haben wir immer Mr Man genannt.« Ihr schmaler Daumen gleitet von einem
B i l d zum anderen. Das Sonnenlicht strahlt in Kentucky offenbar gelber als im NNO. Die Bäume sind von schäbigerem Grün, und diese schräge Moosscheiße hängt an ihnen runter. »Und das hier ist ein Maultier namens Chet, das ist immer übers Gatter und hat entlang der Route 45 allen die Blumen abgefressen, bis Daddy es einschläfern musste. Das ist eine Kuh. Und das hier ist Chets Mama. Eine Stute. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir sie je anders als >Chets Mama< genannt hätten. Daddy verlieh sie an Nachbarn, die ernsthaft Landwirtschaft betrieben, als Wiedergutmachung für ihre Blumen.« Gately nickt bei jedem Foto eifrig und versucht zu verweilen. Er hat noch keinmal an den Geist oder den Traum vom Geist gedacht, seit er aus dem Traum aufgewacht ist, in dem Joelle Mrs Waite als mütterliche Todesgestalt war. Chets Mama im nächsten Leben. Er sperrt die Augen weit auf, um den Kopf freizubekommen. Joelle hat den Kopf gesenkt und sieht kopfüber in das offene Album. Ihr Schleier hängt wieder lose und glatt, so nah, dass er mit der linken Hand hochgreifen und ihn anheben könnte, wenn er wollte. Durch das offene Buch, in dem sie die Hand hin- und herbewegt, kommt Gately
dem sie die Hand hin- und herbewegt, kommt Gately auf eine Idee und fasst es nicht, dass er erst jetzt darauf kommt. Nur ärgert er sich, dass er nicht linkshändig ist. Soll heißen SINISTRAL. Joelles Daumen ruht neben einer seltsamen alten sepiafarbenen Aufnahme von Hintern und krummem Rücken eines Mannes, der ein Schrägdach hochklettert. »Onkel Lum«, sagt sie, »Mr Riney, Lum Riney, der Partner meines Vaters in der Firma, der hat in der Firma irgendwelche Dämpfe eingeatmet, als ich noch klein war, und ist komisch geworden, und seitdem versucht er, überall draufzuklettern, wenn man ihn lässt.« Er zuckt vor Schmerz zusammen, als er die linke Hand hebt und ihr aufs Handgelenk legt, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Ihr Handgelenk ist oben schmal, aber seltsam tief, wirkt dick. Gately bringt sie dazu, ihn anzusehen, hebt die Hand von ihrem Gelenk und tut unbeholfen so, als schriebe er etwas in die Luft, wobei er vor Schmerz die Augen verdreht. Das ist seine Idee. Er zeigt auf sie und dann aus dem Fenster und dreht die Hand zu ihr zurück. Er grunzt oder muht bewusst nicht, um irgendetwas zu betonen. Sein Zeigefinger ist doppelt so groß wie ihr Daumen, als er wieder so tut, als
so groß wie ihr Daumen, als er wieder so tut, als hielte er ein Gerät und schriebe in die Luft. Er zieht so eine große, langsame und übertriebene Schau ab, weil er ihre Augen nicht sehen und darum nicht sicher sein kann, ob sie versteht, worauf er hinauswill. Wenn eine halbwegs attraktive Frau Don Gately auch nur anlächelt, wenn sie auf einer belebten Straße aneinander vorbeigehen, hat Don Gately sie wie praktisch alle heterosexuellen Drogensüchtigen nach wenigen Blocks in Gedanken umworben, ist mit ihr zusammengezogen, hat sie geheiratet und Kinder mit dieser Frau, alles in der Zukunft, alles im Kopf, er schaukelt in Gedanken einen kleinen Gately auf dem Hammelbratenknie, während die gedachte Mrs G. in einer Schürze herumwuselt, die sie abends manchmal aufreizend ohne etwas darunter trägt. Wenn der Drogensüchtige sein Ziel erreicht hat, hat er sich entweder in Gedanken von der Frau scheiden lassen und führt einen erbitterten Sorgerechtsstreit um die Kinder, oder er ist in Gedanken am Lebensabend immer noch glücklich mit ihr zusammen, inmitten großköpfiger Enkelkinder sitzen sie nebeneinander auf einer für Gatelys Massen eigens nachgerüsteten Hollywoodschaukel,
Massen eigens nachgerüsteten Hollywoodschaukel, ihre Beine in Stützstrümpfen und orthopädischen Schuhen, aber immer noch schön, sie müssen kaum ein Wort sagen, um sich zu verstehen, nennen einander »Mutter« und »Papa« und wissen, dass sie im Abstand weniger Wochen hopsgehen werden, weil keiner ohne den anderen leben könnte, so eng sind sie im Lauf der Jahre zusammengewachsen. Die projizierte geistige Einheit von Gately und Joelle (»M.P.«) van Dyne scheitert aber immer wieder an der Vision, in der Gately ein Kind mit einem riesigen blau oder rosa gesäumten Schleier hoppereitert. Oder in der er in den Flitterwochen in Atlantic City im Mondschein zärtlich die lockeren Klammern ihres Schleiers löst und darunter nur ein Auge mitten in der Stirn oder eine scheußliche Churchill-Fresse oder so entdeckt.350 So gerät die süchtige geistige Langstreckenfantasie ins Wanken, aber einen anständigen Fick stellt er sich natürlich trotzdem vor, mit einer gut verschleierten Joelle, die im Augenblick ihres Orkasmus auf diese leere verführerische Weise Und sehet! ruft - dem Fick mit einem Star ist Gately im Headbanger-Loft der gierig süchtigen Schwesternschülerin am nächsten gekommen, weil
die dem jungen Dean Martin geglichen hatte wie ein Ei dem anderen. Dass Joelle ihm alte Familienfotos zeigt, lässt Gately in Gedanken die Mauer der Sekunde übersteigen, und er sieht Joelle vor sich, hoffnungslos vernarrt in den heldenhaften Don G., und sie erklärt sich bereit, dem Mann mit dem Hut vor dem Zimmer eins über die Rübe zu ziehen, Gately mitsamt Schlauch und Katheter in einem Wäschewagen oder so aus dem St. E.s zu schmuggeln und so vor den Ordnungshütern vom BPD zu bewahren, vor den Bundesbürstenschnitten oder welche fatale Rache des Gesetzes der Hutträger sonst repräsentieren mag, oder aber sie bietet ihm selbstlos ihren Schleier und ein großes Kleid an, lässt ihn unter dem Muumuu den Katheter halten und einfach hinausstolzieren, während sie sich als Gately unter der Bettdecke versteckt, ihre Genesung, ihre Rundfunkkarriere und ihre juristische Freiheit romantisch gefährdet, alles aus einer Liebestod-mäßig verzehrenden Liebe zu Gately heraus. Bei der letzten Fantasie schämt er sich, so feige ist die. Allein die Vorstellung einer Romanze mit einem ahnungslosen Neuzugang ist peinlich. Die Verführung von Neuzugängen nennen die Bostoner
Verführung von Neuzugängen nennen die Bostoner A A 13-Schritteln351, und das gilt als Domäne der echten Ekelpakete. Die reine Plünderung. Neuzugänge sind fertig auf der Bereifung, ahnungslos und verängstigt, die Nervensysteme noch außerhalb ihrer Körper, von der Entgiftung nachzitternd und fest entschlossen, ihrem eigenen Inneren zu entkommen und ihre Selbstverantwortung sonst wem zu Füßen zu legen, der genauso verführerisch und zerstörend ist wie früher ihre Freundin, die Droge. Um nicht in den Spiegel schauen zu müssen, den die AA ihnen vorhalten. Um sich den Verrat durch ihre liebe alte Freundin, die Droge, nicht eingestehen zu müssen und ihn zu betrauern. Ganz zu schweigen von den Spiegel-undVerletzlichkeitsproblemen eines Neuzugangs, der einen L.A.RV.E.-Schleier tragen muss. Zu den dringlicheren Empfehlungen der Bostoner AA gehört, Neuzugänge sollten sich mindestens ein Jahr lang romantischen Beziehungen fernhalten. Dass jemand, der nüchterne Zeit auf dem Buckel hat und einen Neuzugang zu verführen versucht, praktisch ein Vergewaltiger ist, gilt in Boston also als Konsens. Nicht dass es nicht vorkäme. Aber wer das praktiziert, hat nie die Nüchternheit, die ein anderer
praktiziert, hat nie die Nüchternheit, die ein anderer respektiert oder sich wünscht. Ein 13-Schrittler rennt selbst noch vor dem Spiegel weg. Außerdem würde ein Personalangehöriger, der einen Neuzugang verführt, dem er eigentlich helfen soll, Pat Montesian und Ennet House megamäßig in den Rücken fallen. Gately hält es für keinen Zufall, dass seine lebhaftesten Joelle-Fantasien mit seinen Flucht-vorden-Ordnungshütern-und-rechtlicherVerantwortungFantasien in eins fallen. Und dass es seine eigentliche Fantasie ist, dass dieser Neuzugang ihm beim Vermeiden, Fliehen und Davonrennen hilft und sich später auf einer nachgerüsteten Hollywoodschaukel in Kentucky zu ihm setzt. Er ist selbst noch ziemlich neu und möchte, dass sich jemand anders um seinen Saustall kümmert, dass jemand anders ihn aus seinen diversen Käfigen heraushält. Dieselbe Selbsttäuschung wie bei der ersten Rauschgift-Selbsttäuschung. Vor Selbstekel verdreht er die Augen und lässt sie so. Ich ging den Korridor hinab, um den Priem rauszunehmen, mir die Zähne zu putzen und die Spiru- Tein-Dose auszuspülen, an deren Rändern
sich eine unschöne Kruste gebildet hatte. Die Schlaf traktkorridore waren gebogen und hatten keine echten Ecken; von jedem beliebigen Punkt des Korridors sah man höchstens drei Türen und den Pfosten einer vierten, deren Rest die Biegung der Sicht entzog. Ich fragte mich kurz, ob kleine Kinder wirklich glaubten, ihre Eltern könnten sie auch hinter Ecken und Kurven sehen. Das Ächzen des starken Windes und das Türenklappern waren im teppichlosen Korridor noch schlimmer. Aus einigen Zimmern jenseits meines Gesichtskreises konnte ich die leisen Geräusche frühmorgendlichen Weinens hören. Viele Spitzenspieler steigen morgens mit einem kurzen Weinanfall ein und sind für den restlichen Tag dann frisch und munter. Die Wände der Schlaf trakte sind hustenbonbonblau. Die Wände der Zimmer selbst cremefarben. Die Holzpaneele sind dunkel und ebenso lackiert wie die guillochierten Zierleisten unter allen E. T. A.Decken; in den Korridoren riecht es immer hauptsächlich nach einer Mischung aus Lack und Benzointinktur.
Bei den Waschbecken im Jungenbad hatte jemand ein Fenster offen gelassen, auf dem Fensterbrett hatte sich ein Schneehäufchen gebildet, und auf dem Boden unter dem Fenster beim letzten Waschbecken, dessen Heißwasserrohr kreischt, lag eine parabolische Schneeverwehung, deren Spitze schon schmolz. Ich machte das Licht an, und gleichzeitig schaltete sich der Abluftventilator ein; aus irgendeinem Grund konnte ich sein Geräusch kaum aushalten. Als ich den Kopf aus dem Fenster streckte, kam der Wind von überall und nirgends, der Schnee wirbelte in Trichtern und Strudeln und enthielt winzige Eiskörnchen. Es war viehisch kalt. Die Wege hinter den East Courts waren nicht mehr zu sehen, und die Kiefernäste standen unter ihren Schneernassen fast horizontal. Schtitts Krähennest wirkte bedrohlich; im Windschatten Richtung Gem.Verw. war es noch dunkel und schneefrei. Der Anblick der ATHSCME-Gebläse, die in der Ferne große Mengen Schneeluft nach Norden verdrängen, gehört im Winter zu den schöneren Aussichten von unserer Hügelspitze, jetzt war die Sichtweite aber zu niedrig, um die Gebläse zu erkennen, und das fließende Zischen des Schneetreibens zu total, um ausmachen zu können, ob die Gebläse überhaupt in
Betrieb waren. Das Rektorenhaus war kaum mehr als ein buckliges Gebilde an der nördlichen Baumgrenze, aber ich sah C. T. vor mir, wie er in Lederpantoffeln und schottisch kariertem Morgenmantel am Wohnzimmerfenster stand, auch im Stillstand auf- und abzugehen schien und die Antenne des Telefons in der Hand hineinschob und herauszog, nachdem er schon etliche Anrufe beim Logan und M.I.A.-Dorval, bei den aufgezeichnetenAktualisierungen von WeatherNet9000 sowie buschig beb rauten Gestalten im Quebecer O.N.A.N.T.A.-Büro getätigt hatte; c.T.s Stirn war ein Waschbrett, und seine Lippen bewegten sich lautlos, während sein Hirn im Sturmschritt einem Zustand Totaler Sorge entgegenhetzte. Als ich mein Gesicht nicht mehr spürte, zog ich den Kopf zurück und erledigte meine Katzenwäsche. Große Geschäfte hatte ich im Badezimmer schon seit drei Tagen nicht mehr zu verrichten gehabt. Die Digitalanzeige neben dem Lautsprecher an der Decke zeigte 20. 11. - 04.56 EST. Als das Flap-flap der Badezimmertür abklang, hörte ich eine leise, seltsam gefärbte Stimme hinter der
Biegung des Korridors. Wie sich zeigte, saß der gute alte Ortho Stice auf einem Schlafzimmerstuhl an einem Korridorfenster. Er saß mit dem Gesicht zum Fenster. Das Fenster war geschlossen, er hatte die Stirn an die Scheibe gelegt und führte leise Selbstgespräche oder Selbstsprechgesänge. Der ganze untere Teil des Fensters war von seinem Atem beschlagen. Ich trat hinter ihn und lauschte. Sein Hinterkopf war vom Haifischbauch-Grauweiß so k u r z e r Bürstenschnitte, dass die Kopfhaut durchschimmert. Ich stand mehr oder weniger direkt hinter seinem Stuhl. Ich konnte nicht sagen, ob er Selbstgespräche führte oder etwas skandierte. Er drehte sich nicht um, auch nicht, als ich mit der Zahnbürste im NASA-Glas klirrte. Er trug sein übliches Schattenkostüm: schwarzes Sweatshirt und schwarze Jogginghose mit dem rotgrauen E. T. A. in Siebdruck auf beiden Beinen. Seine Füße standen nackt auf dem kalten Boden. Ich stand direkt neben dem Stuhl, und trotzdem sah er nicht auf. »Und wer ist das jetzt?«, fragte er und starrte geradeaus aus dem Fenster. »Hi,Orth.« »HaI. Du bist ja früh auf.« Ich ließ achselzuckend die Zahnbürste klirren.
»Kennste doch. Immer auf Achse.« »Was ist denn los?« »Wie meinst du das? «, fragte ich. »Deine Stimme. Scheiße Mann, heulst du? Was ist los?« Meine Stimme war neutral gewesen, allenfalls leicht verwundert. »Ich heul doch nicht, Orth.« »Dann ist ja gut.« Stice hauchte das Fenster an, hob die Hand, ohne den Kopf zu bewegen, und kratzte sich hinten den Bürstenschnitt. »Immer auf Achse. Und wir spielen da draußen heute gegen 'n Haufen Auslenner oder was?« In den letzten zehn Tagen hatte ich mich in den frühen Morgenstunden vor der Dämmerung immer am schlimmsten gefühlt. Es hat etwas grundlegend Entsetzliches, vor der Morgendämmerung aufzuwachen. Über dem Atemkegel des Schattens war das Fenster unbeschlagen. Auf der Ostseite des Gebäudes wirbelte der Schnee nicht so und trommelte auch nicht ans Fenster, aber dafür konnte man im Windschatten sehen, wie stark es schneite. Es war wie ein endlos herabsinkender weißer Vorhang. Hier im Osten wurde der Himmel heller,
Vorhang. Hier im Osten wurde der Himmel heller, verfärbte sich zu einem blassen Grauweiß, Stice' Bürstenschnitt gar nicht so unähnlich. Ich merkte, dass er mit seiner Kopfstellung nur den kondensierten Atem auf der Scheibe, aber keine Spiegelbilder sehen konnte. Hinter seinem Rücken schnitt ich ein paar grotesk verzerrte Glotzaugengrimassen, fühlte mich aber nur elender. Ich klirrte mit der Zahnbürste. »Wenn überhaupt, dann bestimmt nicht da draußen. Auf den West Courts reichen die Schneewehen schon bis an die Netzabklebung. Die müssen versuchen, uns irgendwo drinnen spielen zu lassen.« Stice schnaufte. »Drinnen gibt es nirgends sechsunddreißig Courts, Inc. Der Winchester Club hat vielleicht maximal zwölf. Und in dem beknackten Mount Auburn gibt es sogar nur acht.« »Dann müssen sie uns eben zu verschiedenen Austragungsorten verfrachten. Das ist zwar der letzte Nerv, aber Schtitt macht das nicht zum ersten Mal. Ich glaube, die entscheidende Unbekannte ist eher, ob die Quebecer Kids gestern Abend auf dem Logan landen konnten, bevor das hier dann irgendwann losging.«
»Der Logan dürfte geschlossen sein, meinst du.« »Aber ich nehm mal an, das hätten wir mitbekommen, wenn sie gestern Abend gelandet wären. Freer und Struck haben vom Abendessen an ständig einen EA.A.-Link auf dem Schirm gehabt, sagt Mario.« »Die Jungs können's gar nicht erwarten, von ein paar beschränkten Ausländerinnen mit behaarten Beinen gefickt zu werden, was?« »Ich schätz mal, die stecken am Dorval fest. Wetten, C. T. geht dem grade nach? Wahrscheinlich gibt's zum Frühstück 'ne Ansage.« Damit tat sich für den Schatten eindeutig eine Bresche auf, einen C. T. nachzuahmen, der sich beim kanadischen Trainer telefonisch erkundigte, ob er, C. T., ihnen nahelegen solle, sich in Montreal Charterbusse zu besorgen, oder ob er ihnen nicht eher raten solle, in einem solchen Schneesturm lieber keine Fahrt durch die Konkavität zu wagen, und Letzteres mit einem so großzügigen, aber enttäuschten Unterton, dass der Quebecer unweigerlich glauben musste, für die 400 km durch den Schneesturm nach Boston den Bus zu nehmen, sei seine eigene glorreiche Idee gewesen, und C. T. war ganz offen und fächerte dem Trainer
d i e verschiedensten Psychostrategien zur Prüfung auf, wobei man am Telefon im Hintergrund das fieberhafte Blättern des Trainers im FranzösischEnglisch-Wörterbuch hörte. Aber Stice saß nur mit der Stirn an der Scheibe da. Seine Füße tappten irgendeinen Rhythmus auf den Boden. Der Korridor war eiskalt, und seine Zehen waren bläulich verfärbt. Mit einem gepressten Seufzer atmete er aus und ließ die fetten Wangen flappen; wir nannten das sein Wiehern. »Hast du hier draußen Selbstgespräche geführt, was gesungen oder was?« Schweigen. »Hab 'n neuen Witz«, sagte Stice schließlich. »Lass hören.« »Du willst ihn hören?« »Ein herzhaftes Lachen kann ich gut brauchen, Schatten«, sagte ich. »Du auch?« Wieder Schweigen. Zwei verschiedene Leute weinten hinter geschlossenen Türen in verschiedenen Tonhöhen. Aus dem zweiten Stock hörte man eine Toilettenspülung. Der eine Weinende pfiff fast, ein unmenschliches Totenklagengeräusch.
pfiff fast, ein unmenschliches Totenklagengeräusch. Unmöglich zu sagen, welcher E. T. A.-Mann das war, hinter welcher Tür jenseits der Korridorbiegung. Der Schatten kratzte sich wieder am Hinterkopf, ohne den Kopf zu bewegen. Im Kontrast zu den schwarzen Ärmeln phosphoreszierten seine Hände fast. »Drei Statistiker gehen auf Entenjagd«, sagte er. Und nach einer Pause: »Sie sind Statistiker von Beruf.« »So weit kann ich dir folgen.« »Die gehen also auf Entenjagd, kauern zum Jagen im Dreck von 'ner Deckung, in Wathosen, Hüten und allem Drum und Dran, beste WinchesterDoppelflinten und so. Und sie quaken in eins von diesen Kazoos, in die Entenjäger immer reinquaken.« »Eine Entenpfeife«, sagte ich. »Volltreffer.« Stice versuchte, gegen das Fenster zu nicken. »Und dann kommt über ihnen eine Ente angeflogen.« »Ihr Jagdopfer. Der Grund ihres Ausflugs.« »Aber hallo, ihre Räson-der- Tritt oder was, und sie
machen sich dar an, den Arsch zu Federn und Pampe zu zerblasen«, sagte Stice. »Der erste Statistiker legt seine Winchester an, drückt ab, und der Rückstoß haut ihn mit dem Arsch in den Dreck, er hat die Ente aber verfehlt, zu tief, sagen die beiden anderen. Also zielt und feuert der zweite Statistiker, landet ebenfalls im Dreck, diese Winchesters haben aber auch einen mördermäßigen Rückstoß, sitzt auf dem Arsch, und die drei sehen, dass der Schuss zu hoch war.« »Er hat die Ente ebenfalls verfehlt.« »Hat zu hoch geschossen. Woraufhin der dritte Statistiker aufspringt, herumhüpft, johlt und sich gar nicht wieder einkriegt: »Wir haben sie, Jungs, wir haben sie!« Jemand schrie in einem Albtraum auf, und jemand anders rief »Ruhe!« Ich heuchelte nicht mal ein Lachen. Stice schien das auch nicht zu erwarten. Er zuckte die Schultern, ohne den Kopf zu bewegen. Seine Stirn hatte sich noch kein einziges Mal vom kalten Glas gelöst. Ich stand schweigend neben ihm, hatte mein NASAGlas mit der Zahnbürste in der Hand und sah über Stice' Kopf hinweg durch die obere Fensterhälfte.
Das dichte Schneegestöber hatte etwas Seidiges. Das grüne Leinendach des Pavillons an den East Courts hing schon verdächtig durch, und das weiße GATORADE-Logo war nicht mehr zu sehen. Da draußen saß jemand, nicht im Schutz des Pavillons, sondern auf der Tribüne hinter den Show Courts im Osten, lehnte mit den Ellbogen auf der einen Ebene, saß auf der nächsttieferen und streckte ganz unten die Füße aus, bewegte sich nicht und trug etwas, das bauschig und hell genug für einen Mantel schien, aber langsam eingeschneit wurde, und saß einfach nur da. Alter oder Geschlecht waren nicht zu bestimmen. Kirchturmspitzen in Brookline wurden dunkler, als sich der Himmel hinter ihnen aufhellte. Die erste Morgendämmerung wirkte im Schnee wie Mondschein. An der Commonwealth Avenue gingen me h r e r e Leute mit Fensterkratzern auf die Windschutzscheiben ihrer Autos los. Sie sahen klein, dunkel und aufgeregt aus; die geparkten Fahrzeuge auf der Avenue erinnerten an Reihen von Iglus; eine Neubausiedlung bei den Eskimos. Mitte November hatte es noch nie so stark geschneit. Eine schneebedeckte Bahn der B-Linie mühte sich wie eine weiße Nacktschnecke den Hügel hoch. Garantiert musste die U-Bahn bald die ersten
Strecken schließen. Der Schnee und der kalte Sonnenaufgang verliehen allem etwas Artifizielles. Das Fallgatter zwischen der Auffahrt und dem Parkplatz war halb hochgezogen, wahrscheinlich damit es nicht in geschlossener Stellung einfror. Ich konnte nicht erkennen, wer im Aufsichtshäuschen am Fallgatter saß. Die Bediensteten wechselten ständig, und meist karnen sie aus dem Ennet House, wo sie »an ihrer inneren Einstellung arbeiteten« Die beiden Fahnen am Fahnenmast waren gefroren, standen seitlich ab, und statt zu flattern, drehten sie sich im Wind steif von einer Seite zur anderen wie ein Mensch mit einer Halsmanschette. Der Briefpostkasten der E. T. A. gleich innerhalb des Fallgatters trug einen Schnee-Irokesen. Der ganzen Szenerie eignete ein unbeschreibliches Pathos. Durch Stice' kondensierten Atem konnte ich nichts sehen, was näher lag als der Briefkasten und die East Courts. Am Rand von Stice' Atemnebel an der Fensterscheibe wurde das Licht in Farben prismiert. »Schacht hat den Witz unten im Kranialladen gehört, von einem B.U.-Fritzen mit fürchterlichen Fazialschmerzen, hat er gesagt«, sagte Stice. »Ich werde dir jetzt die Frage stellen,
Schattenmann.« »Das ist ein Statistikerwitz. Man muss sich mit Mittelwerten und -methoden auskennen.« »Das hab ich schon kapiert, Orth. Die Frage lautet, warum lehnst du die Stirn so ans Fenster, wenn du wegen deines Atems sowieso nichts erkennen kannst. Was willst du eigentlich beobachten? Und wird dir nicht die Stirn kalt?« Stice nickte nicht. Er gab wieder sein Wiehern von sich. Er hatte schon immer das Gesicht eines Fettsacks über dem schlanken Körper eines Sportlers gehabt. Bisher war mir nie aufgefallen, dass er unten an der rechten Wange eine seltsame kleine Träne zusätzlichen fleisches hatte, ein bisschen Haut, die mal ein Leberfleck werden wollte. Er sagte: »Die Stirn fühlt sich schon seit ein paar Stunden nicht mehr kalt an und ist taub geworden.« »Du sitzt seit ein paar Stunden mit nackten Füßen und der Stirn an der Scheibe da?« »Etwa vier, würd ich schätzen.« Unter uns hörte ich die Nachthauswartsgruppe lachen und mit einem Eimer scheppern. Nur einer
lachte. Das waren Kenkle und Brandt. »Dann stellt sich meine nächste Frage von selbst, Orth.« Wieder zog er ohne Kopfbeteiligung linkisch die Schultern hoch. »Na ja. Das ist jetzt etwas peinlich, Inc«, sagte er und stockte. »Sie klebt fest, so sieht das aus.« »Deine Stirn klebt am Fenster?« »So wie ich mich erinnere, bin ich kurz nach 1.00 Uhr aufgewacht, der blöde Coyle hat wieder seinen Ausfluss, und da ist an Schlaf ja nicht mehr zu denken, Junge.« »Mich schaudert's bei dem Gedanken, Orth.« »Und Coyle macht 'türlich nicht mal Licht, zieht bloß ein frisches Laken vom Stapel unter dem Etagenbett und sägt gleich wieder weiter. Da war ich aber längst hellwach und konnte dann nicht mehr abtauchen.« »Konntest nicht mehr einschlafen.« »Irgendwas ist hier echt faul, das kann ich dir flüstern«, sagte der Schatten. »Nervenflattern vor dem Fundraising? Oder weil das WhataBurger näherrückt ? Du merkst, dass du ein Plateau nach dem anderen erkletterst und
langsam so spielst, wie du es dir erträumt hast, als du hergekommen bist, und etwas in dir kann das noch nicht glauben, weil es sich irgendwie falsch anfühlt. Ich hab das auch durchgemacht. Glaub mir, ich kann un-« Stice versuchte automatisch den Kopf zu schütteln und stieß einen leisen Schmerzenslaut aus. »Nichts davon. Damit hat das nichts zu tun. Scheißlange Geschichte. Ich weiß nicht mal, ob ich mir wünsche, dass mir das wer abkauft. Den Teil kannste vergessen. Sache ist, ich lieg da oben, schwitz mir einen ab und fühl mich heiß und rappelig. Also spring ich runter, nehm mir 'n Stuhl und pflanz mich hier draußen hin, wo's kühl ist.« »Und wo du nicht daliegen und über Coyles Laken nachdenken musst, das unter dem Etagenbett langsam nachreift«, sagte ich und schauderte leicht. »Und da fängt's draußen grade an zu schneien. Das muss ungefähr gegen 1.00 Uhr gewesen sein. Ic h sag mir, ich setz mich einfach hin, schau ein bisschen dem Schneetreiben zu, beruhige mich und hau mich dann unten im B.R. aufs Ohr.« Er kratzte sich wieder die gerötete Stelle am Hinterkopf. »Und beim Rausschauen hast du nur eine Sekunde
lang versonnen die Stirn an die Scheibe gelegt.« »Und schon war Schluss mit lustig. Hatte vergessen, dass die Stirn schweißnass war. Dumm gelaufen. Hab mich selbst kawuscht. Genau wie, weißt du noch, wie Rader und die alle Ingersollletztes Neujahr überredet haben, den Netzpfosten anzulecken? Ich kleb hier genauso fest wie die Scheißzunge, HaI. Mit verdammt viel mehr Klebfläche als IngersolI. Er hat immerhin nur dieses klitzekleine Stück von der Zungenspitze verloren. Inc, ich hab gegen 2.30 Uhr versucht, mich loszureißen, und Scheiße Mann, das gab vielleicht ein ... Geräusch. Ein Geräusch und das Gefühl, eher reißt die Haut, als dass die Klebestelle nachgibt. Voll festgefroren. Und dabei geht's um mehr Haut, als ich Lebewohl sagen möchte, Sportsfreund.« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Meine Güte, und die ganze Zeit hast du hier gesessen.« »Na ja, Mann, ist ja schließlich oberpeinlich. Und es ist nie so schlimm geworden, dass ich schreien musste. Ich hab mir immer gesagt, wenn's noch schlimmer wird, ruf ich um Hilfe. Und ab gegen 3.00 Uhr hab ich die Stirn gar nicht mehr gespürt.«
»Du hast einfach bloß dagesessen und drauf gewartet, dass zufällig wer vorbeikommt. Und leise vor dich hingesungen, um dir Mut zu machen.« »Ich hab bloß den Himmel angefleht, dass es nicht Pemulis ist. Nicht auszudenken, was der Schweinebacke alles für mich eingefallen wäre, hilflos und immobilitiert, wie ich bin. Und Troeltsch ist hinter der Tür da am Sägen, mit seinem Scheißmikro und den Kabeln und seinem Ehrgeiz. Das war mein nächstes Stoßgebet, dass der nicht aufwacht. Und von dem Mistkerl Freer reden wir lieber gar nicht erst.« Ich warf einen Blick auf die Tür. »Aber das ist doch Axtstiels Einzelzimmer. Was hat Troeltsch denn in Axtstiels Zimmer zu suchen?« Ortho zuckte die Achseln. »Glaub mir, ich hatte jede Menge Zeit, zuzuhören und das Schnarchen den jeweiligen Leuten zuzuordnen, Inc.« Ich sah zwischen Stice und Axfords Tür hin und her. »Du hast also einfach hier gesessen, dir Schlafgeräusche angehört und zugesehen, wie dein Atem sich an der Scheibe ausbreitete und festfror ? «, fragte ich. Allein die Vorstellung schien unerträglich: Festgeklebt dazusitzen, lange vor
Sonnenaufgang, allein, zu beschämt, um um Hilfe zu rufen, während mein eigener Atem das Fenster verdreckte und es mir sogar verwehrte, mich durch den Ausblick vom Schrecken abzulenken. Entsetzt stand ich da und beneidete den Schatten um seine unverzagte Ruhe. »Eine wirklich schlimme halbe Stunde hatte ich, als auch noch meine Oberlippe festklebte, weil der Atem anfror. Aber das Mistding konnt ich wieder frei atmen. Ich hab ganz heiß und schnell geatmet. War kurz vorm Hyperventilieren, Mann. Ich hatte Angst, wenn ich aus den Pantinen kippe, fall ich vornüber, und das ganze Gesicht klebt fest. Scheißstirn ist schlimm genug.« Ich stellte meine Zahnbürste und das NASA-Glas auf die Lüftungskonsole. Zimmerlüftungen sind versenkt, Flurlüftungen stehen vor. Die annulare Heizanlage der E. T. A. produzierte ein geschmiertes Summen, das ich schon seit Jahren gar nicht mehr wahrnahm. Das Rektorenhaus hatte noch Ölheizung; die klang immer, als ginge im Untergrund ein Wahnsinniger mit dem Hammer auf die Rohre los. »Schatten, wappne dich«, sagte ich. »Ich werde dir beim Losreißen helfen.«
Stice hörte das anscheinend gar nicht. Er wirkte merkwürdig geistesabwesend für jemanden, der wie ein Siegel an einem gefrorenen Fenster klebte. Er tastete sich energisch den Hinterkopf ab, was er immer machte, wenn er geistesabwesend war. »Glaubst du an so'n Scheiß, HaI?« »Was für' n Scheiß?« »Keine Ahnung. Kinderscheiß. Telekiniption. Geister. Parabnormalen Scheiß.« »Ich stell mich einfach hinter dich und zieh, und plop, bist du los«, sagte ich. »Vorhin ist hier wer vorbeigekommen«, sagte er. »Vor vielleicht einer Stunde stand da wer hinter mir. Aber der stand einfach nur da. Und dann ist er weg. Oder ... es.« Ein Ganzkörperschauder. »Das ist wie beim letzten Stück Knöchel-Tape. Wir reißen dich mit einem so starken Ruck zurück, dass du gar nichts merkst.« »Da kommen mir echt unangenehme Erinnerungen an das Stück von Ingersolls Zungenspitze, das bis zum Frühling am Netzpfosten vom ger klebte.« »Wir haben es hier aber nicht mit Speichel und Metall unter null zu tun, Schatten. Dies ist ein abgefahrenes okklusives Siegel. Glas leitet Hitze
abgefahrenes okklusives Siegel. Glas leitet Hitze nicht so wie Metall.« »Hitze hat dieses Fenster hier nicht gerade aufzuweisen, Freundchen.« »Und ich weiß nicht, was du unter paranormal verstehst. Als ich klein war, hab ich an Vampire geglaubt. Er Selbst hat angeblich manchmal seinen Vater auf Treppen gesehen, aber der hat am Ende ja auch schwarze Witwen in seinen Haaren gesehen und manchmal behauptet, ich würde nicht sprechen, wenn ich ihm direkt gegenüber saß und mit ihm sprach. Also haben wir das alle abgeschrieben. Orth, ich fürchte, ich hab keine Ahnung, was ich von paranormalem Scheiß halte.« »Und außerdem glaub ich, irgendwas hat mich gebissen. Am Hinterkopf hier, irgendein Käfer, der genau wusste, dass ich hilflos war und ihn nicht sehen konnte.« Stice betastete wieder die rote Stelle hinter seinem Ohr. Er hatte da tatsächlich eine Art quaddelige Beule. Aber nicht in einer Halsgegend, für die sich Vampire interessieren. »Und der gute alte Mario sagt, er hat paranormale Gestalten gesehen, und Mario nimmt einen nicht auf den Arm und lügt auch nicht«, sagte ich.
»Glaubensmäßig weiß ich also nicht, was ich denken soll. Subhadronen benehmen sich geisterhaft. Ich glaube, ich enthalte mich bei der Sache eines vorschnellen Urteils.« »Na meinetwegen. Jedenfalls gut, dass gerade du vorbeigekommen bist.« »Hauptsache ist, du hältst den Hals steif, Schatten, sonst kriegst du noch 'n Schleudertraurna. Wir ziehen dich da ab wie den Korken aus einer Flasche Moet.« »Wenn du meine Rübe da abkriegst, Inc, dann zeig ich dir einen parabnormalen Scheiß, dassde mit den Ohren schlackerst«, sagte Stice und versteifte sich. »Lyle ist der einzigste, dem ich da schon von erzählt hab, und die Heimlichtuerei kotzt mich langsam an. Du schnellst da schon nicht zu einem vorformulisierten Urteil, Inc, das weiß ich.« »Wird schon nichts passieren«, sagte ich. Ich stellte mich dicht hinter Stice, bückte mich und legte ihm einen Arm um die Brust. Sein Holzstuhl knarrte, als ich ihn mit dem Knie fixierte. Er atmete schnell und tief. Seine parotitischen Wangen flappten ein bisschen beim Atmen. Unsere Wangen hatten wir fast aneinandergelegt. Ich sagte, bei drei würde ich
ziehen. Ich zog dann aber bei zwei, damit er sich nicht dagegen wehrte. Ich riss ihn mit aller Kraft zurück, und nach kurzem Widerstand riss Stice mit. Man hörte ein grauenhaftes Geräusch. Seine Stirn haut dehnte sich, als wir seinen Kopf zurückrissen. Sie weitete und dehnte sich, bis sich zwischen seinem Kopf und dem Fenster eine Art Bord aus gedehntem Stirnfleisch von einem halben Meter Länge erstreckte. Das klang wie ein Gummiband aus der Hölle. Die Dermis von Stice' Stirn klebte immer noch, aber das überreichlich vorhandene Fleisch seines Bulldoggen-Gesichts wurde hochgezogen, dehnte sich und verband seinen Kopf mit der Fensterscheibe. Sekundenbruchteile lang sah ich gewissermaßen Stice' richtiges Gesicht; wie seine Gesichtszüge ausgesehen hätten, wenn sie nicht v o n schlabberigem Wangenfleisch aus der Prärie umhüllt gewesen wären; als jeder mm. verfügbaren Fleischs zur Stirn hochgezogen und gedehnt wurde, erhaschte ich einen Blick darauf, wie Stice nach einer radikalen Gesichtsstraffung ausgesehen hätte: ein schmales und feingeschnittenes, wenn auch irgendwie nagerhaftes Gesicht, in Flammen dank einer Art Offenbarung, sah unter dem rosaroten Schirm gedehnten Restfleischs aus dem Fenster.
Schirm gedehnten Restfleischs aus dem Fenster. Das alles dauerte nicht mal eine Sekunde. Nur einen kurzen Augenblick blieben wir beide so, lehnten uns ziehend zurück und lauschten den leisen RiceKrispie-Geräuschen, mit denen die Kollagenfasern in seiner Haut sich dehnten und rissen. Sein Stuhl kippelte auf den Hinterbeinen. Dann kreischte er vor Schmerz: »Herrgott, stell ihn hin!« Die blauen Augen des kleinen Zweitgesichts standen vor wie in einem Comic. Das feingeschnittene schmallippige Zweitmündchen bildete eine Münze aus Schmerz und Angst. »Stell ihn hin stell ihn hin stell ihn hin! «, gellte Stice. Ich konnte ihn aber nicht einfach loslassen, weil ich fürchtete, dass sich das Gummi dann zusammengezogen, Stice gegen das Fenster und sein Gesicht vielleicht durch die Scheibe gerissen hätte. Ich ließ ihn wieder nach vorn sinken und sah zu, wie sich die vorderen Stuhlbeine langsam wieder dem Fußboden näherten; die Spannung der Stirnhaut ließ nach, und Stice' volles fleischiges rundes Gesicht legte sich wieder über das kleine Zweitgesicht, bedeckte es, und wir senkten ihn ab,
bis nur noch ein paar Zentimeter dekollagenierte Stirnhaut ungefähr in Wimpernhöhe hing und schlackerte und an die grauenvolle Dehnübung erinnerte. »Mein Gott«, keuchte Stice. »Du klebst wirklich und wahrhaftig fest, Orth.« »Scheiß die Wand an, hat das wehgetan.« Ich versuchte, mir einen Knoten aus der Schulter zu rotieren. »Wir werden sie abtauen müssen, Schatten.« »Du haust mir gar nichts ab, Kumpel. Bevor du mir mit dem Beil kommst, sitz ich lieber bis zum Frühling hier, das kannste mir aber glauben.« Dann erschien erst Jim Troeltschs turmhoher morgendlicher Haarwirbel, dann Gesicht und Faust in Axfords Tür über Stice' gekrümmter Schulter. Stice hatte recht gehabt. Nach der Nachtruhe bei jemandem im Zimmer zu sein, war ein Regelverstoß; die ganze Nacht dort zu bleiben, war so undenkbar, dass es in der Hausordnung gar nicht erwähnt wurde. »Hier im Augenzeugen-Pressezentrum wird uns von Geschrei berichtet«, sagte Troeltsch in die Faust. »Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß,
Troeltsch«, sagte Stice. »Abtauen, Ortho. Warmes Wasser. Die Scheibe anwärmen. Heißes Wasser. Hebt die Adhäsion auf. Heizkissen. Heißpackungen aus Loachs Büro oder irgend so was.« »Loachs Tür kann man nicht knacken«, sagte Stice. »Und am Tag vom Fundraising würd ich ihn jetzt noch nicht wecken.« Troeltsch hielt ihm die Faust hin. »Berichte von schrillen Schreien haben diesen Reporter zu einem Schauplatz geführt, an dem sich eine dramatische Krise zuspitzt, und wir werden versuchen, den Jugendlichen zu interviewen, der im Zentrum des Tumults steht.« »Sag ihm, er soll die Klappe halten und die Hand da wegnehmen, oder ich raste aus, HaI.« »Der Schatten hat aus Versehen die nasse Stirn ans Fenster gelehnt, sie ist festgefroren, und er hat die ganze Nacht hier draußen geklebt«, sagte ich zu Troeltsch, ignorierte aber die große Faust, die er mir vors Gesicht hielt. Ich drückte Stice die Schulter. »Ich hol Brandt, der soll dir was Warmes machen.« Es war, als hätten wir eine stillschweigende Übereinkunft getroffen, nicht einmal zu erwähnen, dass Troeltsch aus Axfords Zimmer karn, oder zu
fragen, wo Axford war. Schwer zu sagen, was beunruhigender war, dass Axford die Nacht nicht in seinem Zimmer verbracht hatte oder dass er hinter der angelehnten Tür da drin war, was bedeutete, dass Troeltsch und er die Nacht in einern kleinen Einzelzimmer mit genau einern Bett verbracht hatten. Das Universum schien sich neu justiert zu haben, sodass allein das Eingeständnis gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstoßen hätte. Troeltsch merkte anscheinend gar nicht, dass es da Unschicklichkeiten oder undenkbare Alternativen gab. Er wäre wohl kaum so unausstehlich gewesen, wenn er das Gefühl gehabt hätte, irgendetwas vertuschen zu müssen. Er stand auf Zehenspitzen, um über der Atemlinie aus dem Fenster sehen zu können, eine Hand hinters Ohr gelegt, als hielte er ein Headset. Er pfiff leise. »Und darüber hinaus werden uns im Pressezentrum jetzt irrsinnige Schneefälle gemeldet.« Ich nahm meine Zahnbürste und das NASA-Glas von der Lüftungskonsole; seit dem Betel-Ding352 ließen nur die letzten Naivlinge an der E. 1. A. ihre Zahnbürsten unbeaufsichtigt. »Pass auf Stice und mein NASA-Glas auf, Jim, sei so gut.«
»Hätten Sie - Mr Stice der Name, ja? - einen Kommentar zu Ihrer Mischung aus Schmerz, Kälte, Verlegenheit und wetterbedingten Gefühlen abzugeben?« »Lass mich nicht immobilitiert mit Troeltsch allein, Mann, HaI. Der will, dass ich in seine Hand spreche.« »Ein wetterbedingtes Drama entfaltet sich um die ursprüngliche Notlage eines peinlich berührten Menschen, der von seiner eigenen Stirn in die Falle gelockt wurde«, sagte Troeltsch in seine Faust, betrachtete sein Spiegelbild im Fenster und versuchte, mit der anderen großen Hand den Haarwirbel niederzudrücken, als ich auf Socken lostrabte und kurz hinter der Tür zum Treppenhaus schlitternd zum Stehen karn. Kenkle und Brandt waren alterslos auf jene speziell vertrocknete Weise, auf die nur Hauswarte alterslos sind, irgendwo zwischen fünfunddreißig und sechzig. Das Paar war unzertrennlich und letztlich unbrauchbar. Vor etlichen Jahren hatten wir aus Langeweile Lateral Alice Moores minimal kryptogesicherte Personal unterlagen geknackt, und Brandts Akte hatte seinen S.-B.I.Q. als subdebil-bis-
d e b i l aufgeführt. Er war kahl und irgendwie gleichzeitig übergewichtig und drahtig. Beide Schläfen wiesen rote, ausgefranste Operationsnarben unbekannten Ursprungs auf. Seine mimische Gefühlspalette beschränkte sich auf verschieden intensive Grinsstufen. Kenkle und er wohnten in einer Dachwohnung in Roxbury Crossing m i t Blick auf den abgesperrten und bewachten Schulhof der Madison Park Highschool, berühmt und berüchtigt wegen der unaufgeklärten Ritualverstümmelungen im Jahr des PerdueWunderhuhns. Brandts größter Pluspunkt bei Kenkle war, dass er weder wegging noch unterbrach, wenn Kenkle redete. Selbst im Treppenhaus konnte ich hören, wie sich Kenkle über ihre ThanksgivingPläne ausließ und Brandt bei der WischarbeitAnweisungen gab. Kenkle war technisch schwarz, m.a.W. negroid, aber genau genommen eher vom gebrannten Sienaton eines verdorbenen Kürbisses. Seine Haare waren aber die eines Schwarzen, und er trug sie in dicken Dreadlocks, die wie eine Krone aus nassen Zigarren aussahen. Als akademischer Diamant in der Schlacke von Roxbury Crossing war er mit einundzwanzig an der Univ. of Mass. in Tieftemperaturphysik promoviert worden
und hatte daraufhin eine prestigeträchtige Pfründe am US-amerikanischen Office of Naval Research bezogen, aber mit dreiundzwanzig war er von einem Militärgericht aus dem O.N.R. entlassen worden. Wenn man ihn fragte, war das ihm zur Last gelegte Vergehen jedes Mal ein anderes. Irgendetwas musste ihn zwischen einundzwanzig und dreiundzwanzig an mehreren strategischen Stellen gebrochen haben, denn er hatte sich aus Bethesda wieder auf die Vordertreppe seines alten Wohnblocks in Roxbury Crossing zurückgezogen, wo er Ba'hai- Texte las, deren Umschläge er mit kompliziert gefalteten Zeitungen kaschierte, und spektakuläre Parabeln zitternden Auswurfs in die New Dudley Street spie. Er hatte dunkle Sommersprossen, Karbunkel und litt unter exzessiver Schleimbildung. Er war ein unglaublicher Spucker und behauptete, die fehlenden Schneidezähne seien i h m entfernt worden, um den »expektor-aktiven Prozess zu erleichtern«. Wir alle nahmen an, dass er hypomanisch war, schnellmachersüchtig oder beides. Seine Miene war immer todernst. Den armen Brandt redete er ununterbrochen in Grund und Boden, und das Spucken diente als eine Art Konjunktion zwischen den Sätzen. Er sprach laut,
weil sie beide Industrie-Schaumstoffohrstöpsel trugen - von den Albtraumschreien der Schüler kriegten sie das zuständige Jaulen. Ihre Hauswartstechnik sah so aus, dass Kenkle mit hoher Zielgenauigkeit auf die jeweilige Fläche spuckte, die Brandt als Nächstes wischen sollte, und Brandt trottete wie ein guter Jagdhund von Qualster zu Qualster, lauschte, grinste und lachte an den passenden Stellen. Beide bewegten sich von mir fort den Korridor hinab auf das Ostfenster im zweiten Stock zu, wobei Brandt mit seinem Puppenkopfwischmopp große glänzende Bögen ausführte und Kenkle den Zinkeimer zog und signifizierenden Schleim über Brandts krummen Rücken lobbte. »Und dann die Julzeit, Brandt, mein Freund, Brandt - Weihnachten - Weihnachtsmorgen - Worin besteht der Inbegriff des Weihnachtsmorgens, wenn nicht im kindlichen Pendant zu venerischen Konnexionen? In einem Geschenk, Brandt - Etwas, das man nicht verdient hat, das man bisher nicht besaß, jetzt aber besitzt Kannst du dich da hinstellen und ernsthaft behaupten, es bestünde keine symbolische Be zi e h u n g zwischen dem Auspacken eines
Weihnachtsgeschenks und dem Ausziehen einer jungen Lady? « Brandt huschte und wischte und wusste nicht, ob er lachen sollte. Er Selbst hatte Kenkle und Brandt in der U-Bahn kennengelernt (zur Erholung fuhren Kenkle und Brandt nachts anscheinend U-Bahn), als er versuchte, mit der Orange Line353 aus der Back Bay nach Enfield zurückzukommen, und ziemlich auf dem Zahnfleisch ging. Kenkle und Brandt hatten Ihn Selbst nicht nur in die U-Bahn mit der richtigen Farbe verfrachtet und die ganze Ewigkeit die Comm. Ave. hinauf zwischen sich eingekeilt in der Vertikalen gehalten, sie hatten ihn auch sicher die steile Eisentreppe des U-Bahnhofs hinab und durch den Verkehr und die gewundene Auffahrt am Hügel zum Fallgatter hinaufgeleitet, und dann waren sie morgens um 2.00 Uhr von Ihm Selbst eingeladen worden, die Diskussion über Tieftemperaturthemen fortzusetzen, die Kenkle und er begonnen hatten, als Brandt Ihn Selbst im Feuerwehrgriff den Hügel hochgeschleppt hatte (nach Kenkles Erinnerungen drehte sich die nächtliche Diskussion um die menschliche Nase als erektiles Organ, aber als ausgemachte Sache darf wohl gelten, dass das
Gespräch eine sehr einseitige Angelegenheit war); letztendlich war das Duo dann in Seiner Selbst Teezeremonie in der Schwerelosigkeit als schwarz verschleierte Bedienstete im No-Stil aufgetreten und bekleidete seither McJobs an der E. T. A., allerdings immer in der Friedhofsschicht, denn Mr Harde hasste Kenkle wie die Pest. Kenkle spie aus und traf einen schmalen Staubstreifen am Knick von Scheuerleiste und Fußboden, den der Wischmoppbogen ausgelassen hatte. »Ich bin nämlich ein Missionarsmann, Brandt, genau das bin ich - Brandt - für mich ist eine Missionarszusammenkunft die einzige redliche venerische Konnexion und sonst lieber nihil und nüscht - du kannst mir folgen? - Was hältst du denn von alternativen Positionen, Brandt - Brandt - Ich, also was mich angeht, ich sage nix und nihil zu von hinten, oder was man auch als HündchensteIlung oder a tergo bezeichnet, eine in Kaschemmen, Fummelpatronen und tantrischen Radierungen beliebte Konnexion - Brandt, das ist tierisch Warum? - Warum, fragst du? - Brandt, weil man sich bei dieser Konnexion zwangsläufig krümmt - sie krümmt sich, er krümmt sich über ihr - Unmäßig viel Gekrümme, was mich an-«
Gekrümme, was mich an-« Brandt hörte mich, als ich in Socken hinter ihnen auftauchte und mich an die trockneren Stellen zu halten versuchte. Zweimal wäre ich fast ausgerutscht. Vor dem Qstfenster schneite es immer noch wie verrückt. »Qtto Brandt hier! «, rief Brandt mir zu und streckte die Hand aus, obwohl ich noch etliche Meter weit weg war. Kenkles Dreadlocks quollen unter einem karierten Hütchen hervor. Er drehte sich mit Brandt zusammen um und hob zur Begrüßung indianerartig die Hand. »Der gute Prinz HaI. In aller Herrgottsfrühe wach und angezogen.« »Darf ich mich vorstellen«, sagte Brandt, und ich gab ihm die Hand. »In Socken und mit Zahnbürste. Der Dauphin der E. T. A., Brandt, der sich selten krümmt, möcht ich wetten.« »Der Schatten braucht euch schleunigst oben«, sagte ich und versuchte, eine nass gewordene Socke am Hosenbein trocken zu wischen. »Seine Stirn klebt am Fenster, er hat furchtbare Schmerzen, und wir konnten sie nicht losreißen und brauchen
heißes Wasser, aber auch nicht zu heiß.« Ich zeigte auf den Eimer zu Kenkles Füßen und sah, dass Kenkles Schuhe nicht zusammenpassten. »Und was ist daran so amüsant, wenn man fragen darf?«, fragte Kenkle. »Brandt. Sehr erfreut«, sagte Brandt und hielt mir wieder die Hand hin. Auf Kenkles Geste hin ließ er den Mopp fallen. »Troeltsch ist jetzt bei ihm, aber es geht ihm schlecht«, sagte ich und schüttelte Brandt die Hand. »Wir sind schon unterwegs«, sagte Kenkle, »doch warum solch Ausgelassenheit? « »Welche Ausgelassenheit?« Kenkle sah zwischen mir und Brandt hin und her. »Welche Ausgelassenheit, fragt er. Dein Gesicht ist ein Ausgelassenheitsgesicht. Es verzieht sich ausgelassen. Zuerst sah es nur amüsiert aus. Jetzt bist du der reine Hypergelast. Du kringelst dich fast. Du bekommst kaum ein Wort heraus. Du klopfst dir fast schon auf die Schenkel. Diese Ausgelassenheit, guter Prinz Dauphin HaI. Ich dachte, im Zivilleben wärt ihr Spieler alle compadremundos.« Brandt strahlte, als er den Korridor zurückging.
Kenkle schob das karierte Hütchen in den Nacken und kratzte sich einen Ausschlag am Haaransatz. Ich richtete mich kerzengerade auf und setzte bewusst eine todernste Miene auf. »Und jetzt?« Brandt hatte die Hauswartskammer aufgeschlossen. Man hörte, wie ein Zinkeimer am Versorgungshahn gefüllt wurde. Kenkle schob das Hütchen wieder in die Stirn und musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. Er trat dicht an mich heran. Spröde kleine gelbe Schuppen verfilzten seine Wimpern. Er hatte struckmäßige Gesichtszysten in verschiedenen Entwicklungsstadien. Sein Mundgeruch erinnerte immer an Eiersalat. Einen Augenblick lang befühlte e r spekulativ seinen Mund und sagte: »Jetzt irgendwas zwischen amüsiert und hypergelastisch. Vielleicht fröhlich. Die Lachfältchen um die Augen. D i e Grübchen des Frohsinns. Das entblößte Zahnfleisch. Wir können noch Brandts Urteil einholen, wenn-« Direkt über uns ertönte ein deckenerschütterndes »GYAAAAAAA« von Stice. Ich betastete mein Gesicht. Am Korridor gingen Türen auf, und Köpfe schoben sich heraus. Brandt hatte einen vollen
Zinkeimer und versuchte zum Treppenhaus zu laufen, das Eimergewicht brachte ihn in Schräglage, und dampfendes Wasser schwappte auf den sauberen Boden. Mit der Hand auf der Klinke der Tür zum Treppenhaus blieb er stehen und sah sich über die Schulter nach uns um, zögerte wohl, ohne Kenkle weiterzugehen. »Ich glaube, ich entscheide mich für fröhlich«, sagte Kenkle und drückte mir leicht die Schulter, als er an mir vorbeiging. Ich hörte, wie er den ganzen Korridor hinab den Köpfen in den Türen dieses und jenes sagte. »Meine Güte«, sagte ich. Ohne Rücksicht auf die Socken ging ich durch den klitschnassen gewischten Bereich und versuchte, im Ostfenster mein Spiegelbild zu untersuchen. Aber jetzt war es durch die Schneereflexion draußen schon zu hell. Ich kam mir silhouettenhaft und blass vor, tastend und geisterhaft vor all dem gleißenden Weiß. T EIL PROT OKOL L DES WETTERBEDINGT VERSPÄTETEN MEETINGS ZWISCHEN: (1) MR RODNEY TINE SR., CHEF DER UNSPEZIFIZIERTEN DIENSTE & BERATER DES WEISSEN HAUSES IN SACHEN
INTERDEPENDENTE BEZIEHUNGEN; (2) MS MAUREEN HOOLEY, VIZEPRÄSIDENTIN FÜR KINDERUNTERHALTUNG, INTERLACE TELENTERTAINMENT, INC.; (3) MR CARL E. (»BUSTER«) YEE, DIREKTOR FÜR MARKETING UND PRODUKTWAHRNEHMUNG, GLAD FLACCID RECEPTACLE CORPORAT ION; (4) MR R. TINE JR., STELLVERTRETENDER REGIONALKOORDINATOR, US. BÜRO FÜR UNSPEZIFIZIERTE DIENSTE; UND (5) MR P. TOM VEALS, VINEY AND VEALS ADVERTISING, UNLTD. 8. STOCK STATE HOUSE ANNEX BOSTON, MASSACHUSETTS, US.A. 20. NOVEMBER - JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE MR TINE SR.: Tom. Buster. Mo. MR VEALS: R. der G. MR YEE: Rod. MR TINE SR.: Leute. MR TINE JR.: Tach, Chef! MR TINE SR.: Mmmph. Ms HOOLEY: Schön, dass Sie's doch noch hergeschafft haben, Rod.
Ich darf wohl sagen, dass wir hierorts alle sehr aufgeregt sind. MR TINE SR.: So 'n Schnee hab ich ja noch nie gesehn. Hat von euch schon mal wer Schnee gesehn, der nur entfernt an das hier rangekommen ist? MR VEALS: [Niest.] Scheißstadt. MR YEE: Als gäbe es da draußen eine Dimension mehr. Nicht nur ein Element, sondern eine ganz eigene Dimension. lRCENDJEMAND: [Stiefel macht unter dem Tisch ein Schmatzgeräusch.] MR YEE: Mit eigenen Regeln und Gesetzen. Ehrfurchtgebietend. Furchteinflößend. MR VEALS: Eher kalt. Nass. Tief. Glatt. MR TINE JR.: [Klopft mit dem Rand eines Lineals auf den Tisch.] Ihre Limousine vom Logan her hat sich auf dem Storrow gedreht. Mr Yee erzählte geradeMR TINE SR.: [Klopft mit einem Wetterfritzenzeigestock an die Tischkante. ] Also was ist Tango? Was liegt an? Tacheles bitte. Ms HOOLEY: Der Spot ist fürs Previewing bereit.
Auf Ihr Wort legen wir los. Ich komm über New New York aus Phoenix. MR YEE: Ich komm aus Ohio. Mit Mo hier mit'm Heli aus NNY hergeflappt. Ms HOOLEY: Der Master vom Spot ist im Postproduktionslabor unten bei V&V Alles klar bis auf ein paar letzte Fehler bei der Ausmattierung. MR VEALS: Maureen sagt, für die Disseminierung brauchen wir grünes Licht von Buster und Ihnen. Ms HOOLEY: Wenn Sie und der Titelsponsor hier grünes Licht geben, können wir bis Ende des Wochenendes ein disseminierbares Produkt haben. MR VEALS: [Niest.] Vorausgesetzt, der Scheißschnee klemmt uns nicht den Strom ab. MR TINE SR.: [Bedeutet dem B.U.D.-Stenografen mit dem Zeigestock, wörtlich mitzuschreiben. ] Schon gesehen, Buster? MR YEE: Negativ, Rod. Grad mit den Leuten hier angekommen. Kennedy ist komplett eingeschneit. Mo musste einen Heli chartern. Ich sitz hier ganz jungfräulich. MR TINE JR.: [Klopft mit dem Rand des Lineals auf den Tisch.] Wie ist es Ihnen auf der Herfahrt
ergangen, wenn ich fragen darf, Sir? MR TINE SR.: Berg kommt zum Propheten, was, Tom? MR VEALS: Wie kommt es, dass ich nur 2 km hier runterkomme, ich aber der mit der Scheißerkältung bin? MR TINE JR.: Ich war auch schon in Boston. MR VEALS: [prüft Verbindungen am Infernatron 210Y Digitalspieler mit Bildschirmsystem ] Wollnwa dann mal? MR TINE SR.: Okay. Nur fürs Protokoll, Mo: Zielgruppe? Ms HOOLEY: Alter sechs bis zehn mit marginal reduzierter Effektivität bei vier bis sechs und zehn bis dreizehn. Sagen wir, die Zielgruppe ist vier bis zwölf, weiß, Muttersprache Englisch, Medianeinkommen und darüber, Kapazität drei und höher auf der Kruger-Abstraktionsskala. [Zieht Notizen zurate.] Bewerbbare Aufmerksamkeitsspanne sechzehn Sekunden mit geometrischem Rückgang ab dreizehn Sekunden. MR TINE SR.: Spotlänge ? Ms HOOLEY: Dreißig Sekunden mit traumatischer
Graphik nach vierzehn Sekunden. MR VEALS: [zieht Schleim hoch.] MR YEE: Beabsichtigtes Sendegefäß, Mo? Ms HOOLEY: Die »Mr Bouncety-Bounce Show«, spontan disseminiert um 16.00, Mo-Fr. 15.00 Central und Mountain. Erste Sahne. 82 % spontane Einschaltquoten bei der Sendezeit. MR YEE: Irgendwelche Daten zum Prozentsatz der Gesamtzuschauerzahl der Sendezeit bei spontanen vs. aufgezeichneten Patronen? Ms HOOLEY: Wir hatten 47 % +/- zwei im Jahr des Yushityu 2007. Das ist das letzte Jahr mit bereinigten Zahlen. MR TINE SR.: Also sagen wir 40 % Gesamtzuschauer für den Spot. MR YEE: Plus/minus. Beeindruckend. MR TI NE SR.: Also checken, checken, checken. Kostenvoranschlag? MR YEE: Produktion etwas über 'ne halbe Mille. Postproduktion MR VEALS: Peanuts. 150000 vor der Ausmattierung. MR YEE: Ich würde gern ergänzen, dass Tom seinen Teil der Produktion kostenlos macht.
MR VEALS: Also: Alle bereit, ein Auge draufzuwerfen ? Ms HOOLEY: Da »Mr B-B« als nichtöffentliches Sendegefäß unter Vertrag steht, dürften sich die Disseminierungskosten auf etwa 180000 pro Spot belaufen. MR YEE: Was unseres unmaßgeblichen Erachtens ein klein wenig viel ist. MR TINE JR.: Das nächste Jahr ist Glads Jahr, Buster. Sie wollten das Jahr. Wollen Sie vielleicht, dass das Jahr des Glad-Müllsacks das Jahr ist, in dem die halbe Nation nur noch mit Glupschaugen mit kleinen Spiralen drin eine üble Patrone anstarrt, bis sie irgendwann verhungern mitten in den eigenen Exkr-? MR TINE SR.: Schnauze, Rodney. Und lass das Linealklopfen. Ich bin sicher, dass Buster um die unglaubliche Kulanz weiß, die aus seiner ehrenwerten Sponsorenschaft für die wahrscheinlich wichtigsten je erdachten und öffentlich disseminierten Spots im Angesicht dieser potenziellen Bedrohung erwächst.
MR VEALS: [Niest zweimal unmittelbar nacheinander.] [Kommentar unverständlich.] MR TINE SR.: [Klopft mit dem Wetterfritzenzeigestock an die Tischkante.] Also gebongt. Dann mal zum Spot selbst. Dieses Sprecher- Icon. Immer noch das singende Kleenex? MR YEE: Das, was war das noch gleich? Das AnkeNee-DankeKleenex, das Kinder ermahnt, bei nicht etikettierten oder verdächtigen Patronen Nee Danke zu sagen? Ms HOOLEY: [räuspert sich] Tom? MR TINE JR.: [Klopft mit Lineal an Tischkante.] MR VEALS: [Zieht Schleim hoch.] Nein. Das tanzende Kleenex mussten wir in die Tonne treten, nachdem die Daten der Zielgruppenanalyse ausgewertet worden waren. Diverse Probleme. Die Wendung »Nee Danke« wurde als veraltet empfunden. Uncool. Schrullig erwachsen. Zu sehr Neuengland oder so. Beschwor Bilder eines wettergegerbten alten Mannes im Blaumann herauf. Lenkte von dem ab, wozu sie Nein Danke sagen sollten. Und die Wiedererkennungsdaten der Wendung lagen weit unter den minimalen SloganParametern.
Ms HOOLEY: Probleme mit dem Icon selbst. MR VEALS: [Schneuzt jedes Nasenloch einzeln.] Die Kinder hassten Anke-Nee-Danke. Und nichts von wegen ambivalent. Das Kleenex wurde schlicht mit Rotz assoziiert. Immer wieder war von Popel die Rede. Da half auch das Singen nichts. Ms HOOLEY: Also ausnahmsweise mal: Gott sei Dank, dass es die Zielgruppenanalyse gibt. MR YEE: Die Branche macht einen alt. MR VEALS: Mussten noch mal ganz von vorn anfangen. MR YEE: Riecht hier wer so einen eigentümlich zitronigen Duft? Ms HOOLEY: Toms Jungs haben rund um die Uhr dran gesessen. Wir sind richtig gespannt auf das Ergebnis. MR VEALS: Es ist Preview-fähig, aber noch 'ne Rohfassung. Steht noch nicht ganz. Die ersten digitalen Phils hatten einen Defekt. MR TINE JR.: Phil? MR VEALS: Ein kleiner Defekt, aber fies. Rückstände eines Turbovirus im Graphie Encoder. Phils Kopf löste sich immer ab und schwebte nach rechts oben weg. Kommt überhaupt nicht gut
angesichts der Botschaft, die das Ganze vermitteln soll. MR YEE: Wie Orangenblüten, aber mit so einer ekelerregenden Süße. Ms HOOLEY: Oh je. MR VEALS: [Niest.] Und die Fehlerbehebung hat uns bei einigen Fonts zurückgeworfen, Sie müssen also ein bisschen die Phantasie spielen lassen. Ist auf das 210- Teil hier schon eine schematische Ausmaskierung draufgeladen worden? MR TINE JR.: Entschuldigung. phil? MR VEALS: Ich darf vorstellen: Der voll funktionstüchtige Phil, der tänzelnde Esel. Ms HOOLEY: Eher ein Maultier oder Packesel. Ein Packesel. MR TINE JR.: [Klopft wie verrückt.] Ein Esel? Ms HOOLEY: 's Copyright an Pferdefiguren liegt bei ChildSearch. Wegen der »Patch das Pony, das Nein zu Fremden sagt«-Spots. MR TINE J R.: Ein tänzelnder Esel ? Ms HOOLEY: Die Wahrnehmung der Naivität und
Unbeholfenheit eines Maultier- Icons rief bei den Probanden so etwas wie Mitgefühl hervor. phil kommt nicht als Autoritätsfigur und Spaßbremse rüber. Eher als Gleichaltriger. Also bekommt die Patrone, vor der er warnt, nicht den VerboteneFrüchte-Anreiz, den sie automatisch hätte, wenn eine Autoritätsfigur vor ihr warnte. MR VEALS: Und der Kindermarkt ist schlicht und einfach zum Davonlaufen. Praktisch jede Tierart genießt Urheberrechtsschutz. Garfield. McGruff, der verdammte Krimi-Hund. Tukan Sam. Der O.N.A.N.Greifvogel. Und von Bären und Häschen reden wir lieber gar nicht erst. Im Grunde blieben uns nur noch ein Esel oder eine Kakerlake. Nie wieder Kindermarkt, so wahr mir Gott helfe. [Niest.] Ms HOOLEY: Als wir uns für den Packesel entschieden hatten, schlug Tom vor, den Faktor linkische Inkompetenz hervorzuheben. Das Icon fast zu ironisieren. Vorstehende Zähne, Schielen MR VEALS: Ein extremes Schielen. Als hätte er gerade mit einer Socke voller Fünfcentstücke eins über den Schädel bekommen. Die Blickerwiderung ging durch die Decke. Ms HOOLEY: Ohren knicken immerzu ab. Beine
werden gummiweich und verknoten sich beim Tänzeln. MR VEALS: Aber er tänzelt. MR YEE: Aber er stellt sich doch wohl nicht als Esel vor. Er tänzelt doch wohl nicht herum und sagt >Glaubt mir, einem Esel.< MR VEALS: Ein voll funktionstüchtiger Esel. Ms HOOLEY: Tom hat den Aspekt der Funktionstüchtigkeit genial verstärkt. Energie und Schwung im Gegensatz zur Passivität. Er ist nie einfach nur Phil. Er ist der voll funktionstüchtige Phil. Er ist eine Art Amalgam von Kinderaktivitäten Schule, Spiel, Teleputer-Konnexionen, Hüpfen. Tom hat das 30-Sekunden-Storyboard mit einer ganzen Reihe von kleinen aktiven Abenteuern vollgepackt. Er ist ein Dummkopf, der Inbegriff eines Kindes, aber er ist akti v. Er verkörpert die Zugkraft von Fähigkeiten, Initiative, Entschlusskraft. Im Gegensatz zum Zeichentrickerwachsenen in dem Spot, den der Zuschauer im Fernsehsessel sieht, wie er anscheinend die kanadische Patrone anschaut, und kleine Spiralen drehen sich in seinen Augen, sein Körper schmilzt quasi, und sein Kopf wächst und bläht sich auf, bis das Bild des passiv zuschauenden
Erwachsenen nur noch ein riesiger unrasierter Kopf mit riesigen rotierenden Augäpfeln im Fernsehsessel ist. MR TINE JR.: [Klopft mit dem Lineal an die Tischkante.] MR VEALS: Zeigen wir ihn ihnen einfach, Mo. MR TINE SR.: Ich muss vorausschicken, dass es schwierig werden dürfte, einem gewissen Oberbefehlshaber einen tänzelnden Esel als Verbesserung gegenüber einem singenden Kleenex zu verkaufen. Ms HOOLEY: Phils Message ist, dass nicht jede Unterhaltungspatrone unbedingt gleich ein gutes altes sicheres und schon genehmigtes produkt von InterLace TelEntertainment ist. Er sagt, bei seinen spaßgefüllten voll funktionstüchtigen Tagesaktivitäten sei ihm zu Ohren gekommen, es gebe da eine gewisse ultraüble und hinterhältige Patrone, die sogar noch einen kleinen Smiley auf der Schachtel habe, und wenn man sie ansehe, verspreche sie einem mehr Spaß, als man sich je bei einer Sternschnuppe oder dem Ausblasen der Kerzen auf einem Geburtstagskuchen wünschen könne. In einer Denkblase, die sichtbar wird, als
phils Ohren wieder abknickenMR VEALS: [Niest.] Noch nicht ausmattiert MR TINE SR.: Sie wissen doch, was Kleenex ihm bedeuten. Ms HOOLEY: - erscheint das Bild einer typischen Patronenhülle mit dem freundlichen Lächeln und den pummeligen kleinen harmlosen Armen und Beinen eines Backmischungsmännchens von Pillsbury. MR YEE: [Lockert den Kragen.] Aber nicht das echte urheberrechtlich geschützte PillsburyMännchen. MR VEALS: Cool bleiben. Mehr eine Anspielung. Ein Verweis auf Rundlichkeit und Gewitztheit. Pummelige und harmlos aussehende Gliedmaßen, darum geht's. MR TINE JR.: [Klopft mit dem Lineal auf den Tisch.] MR TINE SR.: [Zeigt mit dem Wetterfritzenzeigestock auf das klopfende Lineal.] Ich hack dir gleich die Hand ab, Freundchen. Ms HOOLEY: [Zieht Notizen zurate.] Dann sieht Phil hoch, zersticht die Denkblase mit einer Nadel und sagt Aber sie lügt, diese lächelnde Patrone, Lügen ist böse, wie der Fremde, der sich aus dem Wagen
beugt und dir anbietet, dich zu Mommy und Daddy nach Hause zu fahren, aber in Wirklichkeit will er dich packen, dir mit seiner verschwitzten Hand den Mund zuhalten, dich ins Auto sperren und dich weit weg bringen, wo du deine Mommy, deinen Daddy oder Mr Bouncety-Bounce nie wieder siehst. MR VEALS: Und hier kommt in Sekunde 14 die traumatische Graphik, eine schwarz umrahmte neue Denkblase über Phil, in der die Glieder der Patrone jetzt denen eines Hafenarbeiters gleichen, es ist eine dunkelhäutige Triebtäterpatrone mit gelben Zähnen und langen Nägeln mit einer karierten Mütze und im Blaumann, und sie fährt davon, und an die Heckscheibe gepresst sieht man ein entsetzt schreiendes Kind, und in seinen Augen drehen sich schon die Spiralen. Das wird Ihnen gefallen. Ms HOOLEY: Es ist so erschreckend, dass es einfach fesselnd ist. MR VEALS: [Niest.] Der Stoff, aus dem Scheißalbträume sind. MR YEE: Örgel. Örgel örgel. Splarg. Kaa. [Fällt vom Stuhl.] MR TINE JR.: Heiliger Bimbam. MR TINE SR.: Buster? Buster? Ms HOOLEY: Mr Yee ist Epileptiker. Ausgeprägt. Unheilbar. Ist im Heli auf dem Herweg zweimal
passiert. Stress oder Scham löst Anfälle aus. In einer Minute ist er wieder fit. Benehmen Sie sich ganz natürlich, wenn er zu sich kommt. MR YEE: [Hacken trommeln auf den TerrazzoBoden des State House Annex.] Ack. Kaa. MR TINE SR.: Herrgott. MR TINE JR.: [Klopft mit dem Lineal an die Tischkante.] Herrschaftszeiten. MR TINE SR.: [Steht auf und zeigt mit dem ausgezogenen WetterEritzenzeigestock auf das klopfende Lineal.] Es reicht, verdammt noch mal. Her damit. Gib das her. MR TINE JR.: Aber ChefMR TINE SR.: Du hast mich schon verstanden. Du weißt, dass mich das wahnsinnig macht. Du bekommst es zurück, wenn wir fertig sind. Treibt mich die Wände hoch. Immer schon. Was hast du bloß mit diesem Lineal? Ms HOOLEY: Ist ruckzuck wieder auf dem Damm. Er wird sich nicht an den Anfall erinnern. Aber erwähnen Sie ihn bloß nicht. Sonst löst die Scham darüber sofort den nächsten Anfall aus. Deswegen auch zwei davon im Heli. Ich hab mein Lehrgeld bezahlt.
bezahlt. MR YEE: Splar. Kak. MR VEALS: [Zieht die Nase hoch.] Herrgott noch mal. Ms HOOLEY: [Zieht Notizen zurate] Als die Patrone im Auto in der Denkblase mit dem an die Heckscheibe gepressten Kind davonfährt, tänzelt Phil ein bisschen herum und warnt, dass wir nicht mal genau wissen, was auf der Patrone, vor der man sich in Acht nehmen soll, eigentlich zu sehen ist. Er warnt, dass die Polizei nur weiß, dass es etwas sein muss, das den Eindruck macht, als ob man es unbedingt sehen wolle. Er sagt, wir wissen nur, dass es sehr unterhaltsam aussieht. Dass es einem in Wirklichkeit aber nur die Funktionstüchtigkeit rauben will. Er sagt, wir wissen, dass sie ... kanadisch ist. MR VEALS: Deshalb auch die karierte Mütze in der traumatischen Graphik. Zielgruppendaten zeigen, dass eine karierte Mütze mit Ohrenschützern für die Zielgruppe zu über 70 % auf das große K hinweist. Der Blaumann macht die Assoziation dann endgültig klar. Ms HOOLEY: Nach neunzehn Sekunden tanzt der voll funktionstüchtige phil dann seinen Warntanz,
eine Mischung aus Breakdance und Tänzen der amerikanischen Ureinwohner, der bei jüngeren Tänzern hoffentlich Anklang findet. Seine rhetorische Stoßrichtung ist Geht auf funktionstüchtige Nummer sicher und besprecht es mit Mommy und/oder Daddy, bevor ihr euch irgendeine euch unbekannte Unterhaltung anschaut. Soll heißen, akzeptiert keine Spontanen Disseminationen und spielt keine mit der Post ins Haus gekommenen Unterhaltungen ab, ohne das mit einer Autoritätsperson abgeklärt zu haben. MR TINE JR.: Aber als Gleichaltriger. Also eher »Ich gl aube, i c h mach das lieber, weil ich voll funktionstüchtig bleiben will«. MR YEE: [Sitzt wieder auf dem StuhL] Jemand hat die Produktkopplungen mit den Schlappohren und den Eselszähnen aus Plastik erwähnt. MR TINE JR.: Meine Güte, Mr Yee, alles in Ordnung? Ms HOOLEY: N-I-C-H- T erwähnen. MR YEE: [Sieht sich schweißnass um.] Was will er damit sagen? Er meint doch nicht etwa ... ? MR TINE SR.: Du hirnverbrannter Idiot, Rodney.
MR YEE: Örg. Splarg. [Fällt vom Stuhl.] Ms HOOLEY: [Räuspert sich.] Und schließlich, gräßlich - kann ich gräßlich sagen? MR VEALS: Nach 25,35 Sekunden. Ms HOOLEY: Ausdrückliche Warnung: Wenn Mommy und/oder Daddy ungewöhnlich lange vor d e m häuslichen Bildschirm sitzen, ohne sich zu rührenMR VEALS: - Ohne ein Wort zu sagen. Ohne auf Außenreize zu reagieren. Ms HOOLEY: - oder sich irgendwie ungewöhnlich verhalten oder verwirrt oder unheimlich oder gruselig in Bezug auf eine Unterhaltung am Bildschirm MR VEALS: Gruselig haben wir beim letzten Durchgang geschnitten. MR YEE: Sklah. Nnngg. Ms HOOLEY: - dann soll das voll funktionstüchtige Kind unter keinen Umständen versuchen, sie selbst aufzurütteln, und der voll funktionstüchtige Phil beugt sich in einer Art FischaugenZoom vor und sagt »Niehie-hie-hie-mals« wäre er je so dämlich, sich auch nur eine Sekunde lang passiv hinzupflanzen und anzuschauen, was seine unheimlich schweigenden
Eltern da so in Anspruch nimmt, sondern er würde das Haus räumen und hastewaskannste zu einem Polizisten tänzeln, der dem Haus dann den Strom abstellen und Mum und Dad helfen könne. MR VEALS: Sein Markenzeichen ist dieses »Niehie-hie-hie-mals«. Das bringt er möglichst oft an. MR TINE JR.: Sein Pendant zum »Nee danke« des Kleenex. MR TINE SR.: Ich glaube, dann können wir uns den Spot anschauen. MR YEE: [Wieder auf dem Stuhl, die Krawatte jetzt wie einen Fliegerschal um den Hals geschlungen.] Verhandeln mit Hasbro und anderen noch wegen der Produktkoppelungen. MR VEALS: Wir warten auf den Einsatz. MR TINE SR.: Na, dann mal los mit dem Scheiß. Ms HOOLEY: Da Tom dafür zu bescheiden ist, möchte ich noch hinzufügen, dass Tom schon das Storyboard einer äußerst aufregenden auf Jugendl i che abzielenden Version des voll funktionstüchtigen Phi 1 erarbeitet hat, für Musikvideo- und Soft-Core-Disseminierungen, und da tritt Phil in einer weit ironischeren Selbstparodie auf, und in der Version lautet sein Markenzeichen:
auf, und in der Version lautet sein Markenzeichen: »Es geht um deinen Arsch, du Esel.« MR TINE JR.: Also los jetzt mit dem Mistding. MR TINE SR.: Junge, du hast hier ab sofort den Job, die Luft anzuhalten, haben wir uns-? MR YEE: Ich bin gebeten worden, fürs protokoll festhalten zu lassen, wie erfreut die Glad Flaccid Receptacle Corporation ist, in dieser potenziell krisengeschüttelten Zeit zu den stolzen MR VEALS: [Am Bildschirm des Infernatron 210.] Knips da hinter dir mal das Licht aus, Junge. MR TINE JR.: Dann kann der Stenograph nicht so gut stenographieren, möchte ich mir die Bemerkung erlauben. MR YEE: Dieser Spot hat nicht zufällig Puls- oder Stroboskopeffekte, oder? MR VEALS: Alle bereit? MR TINE SR.: Das Licht schon. Gatelys Erinnerungen an Nom in »Cheers!« sind jetzt klarer und lebendiger als die Erinnerungen an den Geist-Traum oder den herumwirbelnden Geist, der gesagt hat, der Tod bedeute bloß, dass alles um einen her sehr langsam werde. Die Folgerung, dass
da jederzeit und in jedem beliebigen Zimmer ganze Schwärme von Geistern durchs Krankenhaus flattern und Dinge erledigen, die keinen Lebenden affizieren können, viel zu schnell, um gesehen zu werden, und die bei Gately reinschneien, um seine Brust im Tempo von Sonnenaufund -untergang sich heben und senken zu sehen, nichts davon ist so weit verinnerlicht worden, um ihn auf jaulen zu lassen, nicht nach Joelles Besuch, den Gedankenspielen von Romanze und Rettung und der anschließenden Scham. Man hört jetzt das sandige Knirschen von Graupelschauern, die der Wind gegen die Fensterscheiben prasseln lässt, das Zischen der Heizung und Schießereien und Blaskapellen von Patronen, die in anderen Zimmern angeschaut werden. Das Nachbarbett ist immer noch leer und trampolinstraff bezogen. Die Sprechanlage gibt alle paar Minuten ihr dreifaches Dingdong von sich; er fragt sich, ob die das bloß machen, um die Leute zu nerven. Die Tatsache, dass er im Englischunterricht der 10. Klasse nicht mal Ethan Frorn geschafft und keinen blassen Schimmer hat, was Geistwörter wie SINISTRAL oder LIEBESTOD bedeuten oder wo sie herkommen, erst recht APOSEMATISCH, sickert ihm gerade ins Bewusstsein, als er eine kalte Hand auf
gerade ins Bewusstsein, als er eine kalte Hand auf der guten Schulter spürt und die Augen aufschlägt. Ganz zu schweigen von Geistwörter, was ein echtes und esoterisches Wort ist. Er ist wieder knapp unter dem Deckel des Schlafes dahingetrieben. Joelle van D. ist gegangen. Die Hand gehört der Schwester, die den Katheterbeutel gewechselt hat. Sie sieht geschafft und unheiter aus, der eine Wangenknochen steht stärker hervor als der andere, und um den ganzen kleinen Mundschlitz herum hat sie kleine vertikale Falten, weil sie ihn immer so zusammenpresst, nicht unähnlich dem zusammengepressten kleinen Mund der so gut wie verstorbenen Mrs G. »Die Besucherin sagte, Sie hätten darum gebeten, wegen dem Schlauch.« Sie hält ein stenographisches Notizbüchlein und einen Kuli hoch. »Sind Sie Linkshänder?« Die Schwester meint sinistral. Sie hat eine Pinguinfigur und riecht nach billiger Seife. Das Notizbuch ist STENOGRAPHISCH, weil es sich oben umblättern lässt und nicht an der Seite. Gately schüttelt vorsichtig den Kopf und streckt die linke Hand nach den Sachen aus. Er fühlt sich wieder so gut, weil
Joelle verstanden hat, was er meinte. Sie wollte nicht nur ihren Seelenschmodder jemandem hinkübeln, der sie nicht verurteilen konnte. Indem er langsam den Kopf schüttelt, kann er an der weißen Hüfte der Schwester vorbeisehen. Ferocious Francis sitzt auf dem Stuhl, auf dem auch schon der Geist, Ewell und Calvin Thrust gesessen haben, die spindeldürren Beine nebeneinander, knorrig, bürsten schnittig und scharfsichtig hinter der Brille und ganz entspannt, er hält seinen transportablen Sauerstoffkanister, seine Brust hebt und senkt sich mit der Frequenz eines Telefonklingeins, und er sieht der angespannt hinauswatschelnden Schwester nach. Unter den offenen Knöpfen seines Flanellhemds sieht Gately ein sauberes weißes T-Shirt. E Es Begrüßung besteht aus einem Husten. »Schnappst ja noch nach Luft, wie ich sehe«, sagt er, als der Anfall vorbei ist, und kontrolliert, ob die kleinen blauen Schläuche noch richtig unter der Nase kleben. Gately versucht, einhändig den Notizblock aufzuklappen und in Blockbuchstaben» YO!« zu schreiben. Nur gibt es nichts, worauf er den Block beim Schreiben stützen könnte; er muss ihn flach auf
einem Schenkel balancieren, kann nicht sehen, was er schreibt, und wenn er mit links schreibt, fühlt er sich wie das Opfer eines Schlaganfalls, und was er seinem Sponsor entgegenhält, sieht daher eher wie ~f/ aus. »Hast neulich Abend gedacht, Gott braucht ein bisschen Hilfe, was? «, sagt Francis, lehnt sich weit zur Seite und zieht ein riesiges rotes Taschentuch aus einer Gesäßtasche. »Hab ich so gehört.« Gately will die Schultern hochziehen, kann nicht und lächelt schwach. Seine rechte Schulter ist so dick bandagiert, dass sie wie ein Kopf unter einem Turban aussieht. Der alte Mann schneuzt sich ein Nasenloch und mustert dann neugierig das Taschentuch, genau wie der Traumgeist. Seine Finger sind geschwollen und verformt, und seine Nägel sind lang, viereckig und von der Farbe eines alten Schildkrötenpanzers. »Der arme Perverse, der rumlief und den Leuten die Haustiere aufgeschlitzt hat, hat die Haustiere der Falschen erwischt, scheint's. Hab ich gehört.« Gately würde Ferocious Francis gern erzählen, dass er entdeckt hat, dass keine einzelne Sekunde auch des nicht narkotisierten posttraumatischen
Entzündungsschmerzes unaushaltbar ist. Dass er verweilen kann, wenn's sein muss. Er möchte diese Erfahrung mit seinem Krokodilsponsor teilen. Und außerdem, wo jetzt jemand da ist, den er sich zu brauchen traut, möchte Gately vor Schmerz weinen und erzählen, wie entsetzlich es wehtut und dass er nicht glaubt, dass er es auch nur noch eine Sekunde länger aushalten kann. »Hast gedacht, dass du das Sagen hast. Hast dir gesagt, du musst eingreifen. Deinen Mitmenschen vor den Folgen bewahren. Welcher perverse grüne Ennet- House- Arsch war' s denn?« Gately versucht, das Knie anzuziehen, damit er sehen kann, wie er »LENZ. WEISSE PERÜCKE. IMMER NACH NORDEN. IMMER AM TELEFON.« schreibt. Wieder sieht es keilförmig und unlesbar aus. Ferocious Francis schneuzt sich das zweite Nasenloch und drückt den kleinen Schlauch wieder fest. Der Kanister im Schoß gibt kein Geräusch von sich. Er hat ein kleines Ventil, aber weder Skala noch Zeiger. »Du bist gegen sechs bewaffnete Hawaiianer angetreten, hab ich gehört. Marshall-Plan. Kühner Kapitän. Gottes leibhaftiger Shane.« F. F. bläst die
L u f t gern in freudlosen Lachsalven durch die Nasenschläuche, eine Art Antilachen. Seine Nase ist groß, gurkenförmig und grobporig, und praktisch der gesamte Blutkreislauf ist zu sehen. »Glenny Kubitz hat mich angerufen und die Sache als Knüppelsuppe mit Nachschlag beschrieben. Sagt, ich sollte erst mal die anderen sehen. Sagt, du hättest wem die Hawaiianernase gebrochen und ihm die Splitter ins Gehirn getrieben. Die gute alte Hiebtechnik mit durchgedrücktem Arm. Der große Don G. sei ein teuflisch zäher Bastard: Das war seine Einschätzung. Sagt, nach allem, was er gehört hätte, könntest du kämpfen, als wärst du bei 'ner Kneipenschlägerei zur Welt gekommen. Ich hab Glenny gesagt, du wärst bestimmt stolz, wenn du das hörst.« Gately versuchte, mit kirre machender sinistraler Sorgfalt zu schreiben: »VERLETZT? WER TOT? ABGEKACKT? WER HUT IN FLUR?« Eher ein Zeichnen als ein Schreiben, als ohne Vorwarnung einer von den Tagschicht- Trauma-Dr.-med.s reingerauscht kommt, kerngesund strahlend und quietschfidel. Gately erinnert sich, dass er vor ein paar Tagen in so einer Art grauem postoperativem
Nebel mit diesem Dr. med. zu tun hatte. Der Dr. med. ist Inder oder Pakistani, von dunklem Glanz, aber mit s o einem eigenartigen klassischen Weißengesicht, das man sich ohne Probleme im Profil auf einer Münze vorstellen kann, plus Zähnen, bei deren Strahlen man lesen könnte. Gately hasst ihn. »Also bin ich hier mit Ihnen wieder in diesem Zimmer! «, sagt der Dr. med. in einer Art Singsang. Der golden auf den weißen Kittel paspelierte Name hat ein D und ein K und einen ganzen Rattenschwanz an Vokalen. Gately musste diesem Dr. med. nach der Operation fast eine langen, damit der ihn nicht an einen Demerol- Tropf anschloss. Das war vor sagen wir mal vier bis acht Tagen. Wahrscheinlich ist es bis auf die Gnade, dass sein Krokodilsponsor Ferocious Francis G. hier sitzt und reglos zusieht, als der pakistanische Dr. med. diesmal hereingerauscht kommt. Alle Dr. med.s haben so eine schwungvolle Art, Gatelys Krankenakte aus der Hüfte hochzureißen und zu lesen. Beim Lesen schürzt der Pakistani die Lippen, pustet die Luft geistesabwesend wieder aus und lutscht an seinem Füller. »Toxämie zweiten Grades. Synovialentzündung.
Der Schmerz vorn Trauma ist heute sehr viel schlimmer, ja? «, fragt der Dr. med. das Patientenblatt. Er sieht hoch, und seine Zähne tauchen auf. »Synovialentzündung: schlimm, schlimm. Der Schmerz der Synovialentzündung wird in der medizinischen Fachliteratur mit Nephrolithen und extrauteriner Gravidität verglichen.« Teilweise ist es die Dunkelheit der sie umgebenden klassischen Gesichtszüge, die die Zähne so wattstark wirken lässt. Das Lächeln dehnt sich immer weiter aus, ohne dass ihm anscheinend neue, entblößbare Zähne ausgingen. »Und also Sie sind jetzt bereit und lassen uns Ihnen Analgetika der Stärke geben, die Ihr Trauma braucht statt Toradol oder schlichtes Kopfschmerz-Ibuprofen, welche diese Medikamente si nd Jungen, die hier die Arbeit großer Männer machen, ja? Man hat es sich im Licht der neuen Schmerzstufe anders überlegt? Ja?« Gately beschriftet den Notizblock mit unglaublicher Sorgfalt mit einern riesigen Vokal. »Ich weise Sie auf synthetische antipyretische Analgetika hin, die in puncto Abhängigkeit nicht höher als Kategorie K_III354 sind.« Gately stellt sich vor, wie der Dr. med. strahlend lächelt, während er
mit einern Hirtenkrummstab hantiert. Der Typ hat diesen seltsam undeutlich gesprochenen Singsang wie magere Männer im Lendenschurz auf Bergen im Film. Gately überblendet im Geist das strahlende Gesicht mit einern großen Totenkopf und gekreuzten Knochen. Er hält ein seitengroßes zittriges A hoch, fuchtelt vor dem Dr. med. damit herum, senkt den Notizblock dann und hebt ihn gleich wieder, will es ausbuchstabieren und sagt sich, Ferocious Francis wird schon dazwischengehen und diesem Bannerträger der Krankhei t ein für allemal heimleuchten, sodass Gately nie wieder mit dieser Art pakistanischer Versuchung konfrontiert wird, wo dann vielleicht niemand da wäre, um ihn zu unterstützen. K-III, da lachen ja die Hühner. ScheißTalwin ist auch K- 111. »Oramorph SR zum Beispiel. Sehr sicher, sehr viel Wirkung. Schnelle Wirkung.« Das ist nichts als Morphinsulfat mit einem flotten Markennamen, weiß Gately. Der Lumpenkopf weiß wohl nicht, mit wem er es zu tun hat, oder was. »Nun, ich muss Ihnen sagen, ich persönlich würde als erste Wahl zu titriertem
Hydromorphonhydrochlorid raten, in diesem Fall-« Herrgott, das ist Dilaudid. Blues. Fackelmanns Unheilsberg. Was auch Kites steile Talfahrt auslöste. Der Ritz-Cracker des Todes. The Blue Bayou. Im Großen und Ganzen Gene Fackelmanns Meuchler. Gately sieht auch den guten alten Nooch vor sich, den großen, mageren Vinnie Nucci vom Strand in Salem, der auf Dilaudid stand und ein Jahr lang gar nicht erst den Riemen von seinem Arm löste, sich nachts mit dem Riemen noch straff und gebrauchsbereit knapp über dem Ellbogen an einem Seil durch Osco- Dachluken abseilen ließ, Nucci, der nichts aß und immer magerer wurde, bis er anscheinend nur noch aus zwei in große stille Höhe emporgereckten Wangenknochen bestand und am Ende selbst das Weiß der Augen das Blau des Blue Bayou annahm; und Fackelmanns umdekorierte Karte, zwei Katastrophennächte auf Dilaudid, nachdem der Ultrabeschiss bei Sorkin in die Hose gegangen war, nachdem Sorkin »- obwohl ich zugebe, ja, das ist in Tat und Wahrheit ein K-II-Medikament, und ich werde sämtliche Wünsche und Bedenken berücksichtigen«, psalmodiert der Dr. med., knickt über Gatelys Bettgitter in der Hüfte ab und besieht sich aus der
Bettgitter in der Hüfte ab und besieht sich aus der Nähe den Schulterverband, hütet sich aber, ihn zu berühren, so wie er die Hände hinter dem Rücken hält. Seinen Hintern streckt er Ferocious Francis praktisch ins Gesicht, aber der sitzt einfach bloß da. Der Dr. med. merkt anscheinend gar nicht richtig, dass der seit 34 Jahren nüchterne Ferocious Francis anwesend ist. Und Francis gibt keinen Pieps von sich. Gately fällt ein, d a s s esoterisch auch so ein Geistwort ist, mit dem er von Rechts wegen kaum im Kopf herumschmeißen dürfte. »Ich bin nämlich Muslim und enthalte mich aus Religionsgründen jeglichen Medikamentenmissbrauchs«, sagt der Dr. med. »Doch wenn ich ein Trauma erlitte, oder der Zahnarzt meiner Zähne beabsichtigte, einen schmerzhaften Prozess durchzuführen, so ergäbe ich als Muslim mich dem Imperativ meiner Schmerzen und akzeptierte Linderung in dem Wissen, dass der Gott keiner anerkannten Religion es wollen könnte, dass seine Kinder unnötige Schmerzen litten.« Gately hat auf dem nächsten Blatt zwei zittrige kleinere As gemacht und stößt nachdrücklich mit dem
Kuli auf das Blatt. Wenn der Dr. med. schon nicht die Klappe hält, sollte er wenigstens beiseitetreten, damit Gately Ferocious Francis einen verzweifelten Bittespring-mir-zur-Seite-Blick zuwerfen kann. Die Drogenfrage hat mit etablierten Göttern nichts zu tun. Während sich der Dr. med. vorbeugt, wippt er auf und ab, sein Gesicht kommt heran und entfernt sich wieder. »Das ist ein Trauma 2. Grades, mit dem wir es in diesem Zimmer zu tun haben. Ich erlaube mir, Ihnen zu erklären, dass sich die Beschwerden Ihrer rechten Seite verstärken werden, wenn sich die Synovialnerven zu erneuern beginnen. Die Gesetzmäßigkeit des Traumas diktiert, dass sich die Schmerzen verschlimmern, wenn der Heilungsprozess einsetzt. Ich bin sowohl ein Fachmann meines Berufs, Sir, als auch Muslim. Hydrocodonbitartrat355 K111. Levorphanoltartrat356 K111. 357 Oxymorphonhydrochlorid - zugegeben, ja, K-II, aber bei diesem Ausmaß unnötigen Leidens mehr als indiziert.« Gately hört, wie sich Ferocious Francis hinter dem Dr. med. wieder die Nase putzt. Sein Mund wird von Speichel geflutet, als er an den bittersüßen und
aseptischen Geschmack des Hydrochlorids denkt, der ihm immer auf der Zunge lag, wenn er Demerol spritzte, dieser Geschmack, von dem Kite, die lesbischen Einbrecher und sogar Equus (»Ich steck mir alles Mögliche in alle möglichen Körperöffnungen«) Reese alle das Würgen kriegten, das der arme alte Nooch, Gene Fackelmann und Gately selbst aber so geliebt hatten, wie man die warme Hand einer Mutter liebt. Gatelys Augen flattern, und er klemmt die Zunge in einen glänzenden Mundwinkel, während er versucht, eine primitive Spritze, einen Arm und einen Riemen zu zeichnen und dann einen Totenkopf mit gekreuzten Knochen über das ganze zittrige Ensemble, aber der Totenkopf erinnert eher an einen schlichten alten Smiley. Trotzdem hält er das Ganze dem Ausländer hin. Der dextrale Schmerz ist so schlimm, dass ihm fast schlecht wird, Magensonde hin oder her. Der Dr. med. studiert die zittrige Zeichnung und nickt genauso wie Gately, wenn Alfonso PariasCarbo ihm mit seinem völlig unverständlichen Kubanisch kam. »Eine Oxycodon-Nalaxon358 Kombination mit kurzer Halbwertzeit, die missbrauchsmäßig aber nur als K-III eingestuft wird.«
Der Typ kann seine Stimme unmöglich absichtlich so schleimschleuderig klingen lassen; das muss Gatelys Krankheit sein. Die Spinne. Gately stellt sich vor, wie sein Gehirn in einem Seidenkokon zappelt. Wieder und wieder ruft er sich die Entgiftungsgeschichte ins Gedächtnis, die Ferocious Francis immer am Verpflichtungspodium erzählt, wie die ihm LibriumlSY gegeben hätten, um die unangenehmen Begleiterscheinungen des Entzugs zu mindern, und wie Francis sagte, er hätte das Librium einfach mit Schmackes über die linke Schulter geworfen, damit es ihm Glück brächte, und danach hätte er immer Glück gehabt. »Das Gleiche gilt für das lange erprobte Pentazocinlaktat, das kann ich Ihnen mit Glaubwürdigkeit empfehlen, als muslimischer Trauma-Experte, der höchstpersönlich hier in Ihrem Zimmer an Ihrem Bett steht.« Pentazocinlaktat ist Talwin, Gatelys zweitliebste Währung, als er da draußen war; 120mg auf nüchternen Magen war, als schwebte man in Öl mit exakter Körpertemperatur, genau wie Percocet360, nur ohne das kirre machende Jucken in den Augenhöhlen, das ihm die Percocet-Dröhnung immer
so versaut hatte. »Geben Sie Ihre couragierte Angst vor der Sucht auf und lassen Sie uns unseren Beruf machen, junger Mann«, fasst der Pakistani zusammen, der direkt am Bett steht, auf der linken Seite, der Arztkittel verbirgt F F, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, der matte Schimmer von Gatelys Krankenakte zwischen den Beinen gerade noch zu sehen, tadellose Haltung, fröhlich herablächelnd, das Weiß der Augen so unmenschlich wie das seiner Zähne. Die Erinnerung an Talwin bringt Körperteile zum Sabbern, deren Sabberfähigkeit Gately unbekannt war. Er weiß, was jetzt kommt, aber hallo. Und wenn der Pakistani weitermacht und ihm noch mal Demerol anbietet, kann Gately nicht mehr widerstehen. Und wer zum Henker könnte ihm daraus wohl einen Strick drehen? Warum soll er überhaupt widerstehen? Er hat ein solides dextrales Synovialtrauma x-ten Grades erlitten. Ist mit einer professionell modifizierten .44er angeschossen worden. Er hat grausame posttraumatische Schmerzen, und alle haben ja gehört, was der Typ gesagt hat: Die Schmerzen werden nur schlimmer. Das ist hier ein Traumaprofi im weißen Kittel, der ihm die Rechtmäßigkeit des Scheißgebrauchs versichert.
die Rechtmäßigkeit des Scheißgebrauchs versichert. Gehaney hat ihn gehört; was zum Geier wollen die Flagger eigentlich? Das ist ja wohl kaum damit zu vergleichen, dass einer mit Spritze und VisineFläschchen zu Teil Nr. 7 rüberschleicht. Das ist hier ei ne Akutüberbrückung, eine Sofortnotmaßnahme, wahrscheinlich die Intervention eines barmherzigen nicht richtenden Gottes. Ein schneller, ärztlich verordneter Spritzer Demerol- wahrscheinlich allenfalls zwei oder drei Tage am DemerolTropf, vielleicht sogar an einem, wo er die Dosierpumpe selber in der Hand hat und sich das Demerol nur bei Bedarf verabreicht. Vielleicht war es die Krankheit selbst, die ihm die Angst davor einflüsterte, ein medizinisch indizierter Spritzer könne wieder alle seine Abzüge betätigen und ihn wieder in den Käfig stecken. Gately stellt sich vor, wie er mit einer Hand und einem Haken einen Einbrecheralarm mit Magnetkontakten kurzschließt. Und wenn Ferocious Francis einen medizinisch indizierten Kurzfristspritzer überhaupt unter Verdacht stellte, dann würde der alte Reptilienarsch doch garantiert was sagen, seinen Scheißjob a l s Krokodil und Sponsor ernst nehmen und da nicht bloß rumsitzen und mit dem nichtinvasiven Schlauch am Nasenloch rumspielen.
nichtinvasiven Schlauch am Nasenloch rumspielen. »Pass auf, Kleiner, ich verpiss mich. Mach du den Mist mal klar, und dann schau ich wieder vorbei«, hört er Francis' Stimme ohne Klang und Wut, die nichts bedeutet, und dann das Schaben der Stuhlbeine und die Reihe von Grunzlauten, die immer ertönen, wenn sich F. F. von einem Stuhl erhebt. Sein weißer Bürstenschnitt geht über der Schulter des Pakistani auf wie ein langsamer Mond, und der Dr. med. nimmt Francis nur insofern zur Kenntnis, als er das Kinn wie ein Geigenspieler auf die Schulter drückt und Gatelys Sponsor erstmals anspricht: »Dann helfen Sie uns doch, Mr Gately sen., helfen Sie uns bitte dabei, Ihrem besorgten und tapferen Jungen hier zu helfen, einem Jungen, dessen ritterliche Einstellung leider die kommenden Beschwerden unterschätzt, die völlig unnötig wären, wenn er uns ihm bloß helfen ließe, Sir«, psalmodiert der Pakistani Ferocious Francis über die Schulter hinweg zu, als wären sie die einzigen Erwachsenen im Raum. Er hält Ferocious Francis für Gatelys organischen Dad. Gately weiß, dass sich ein Krokodil nie die Mühe
macht, ein Missverständnis aufzuklären. F. F. ist schon halb an der Tür, bewegt sich wie immer mit aufreizend langsamer Vorsicht, als ginge er über Eis, gekrümmt, scheinbar mit beiden Beinen hinkend und herzzerreißend hinternlos in der ausgeleierten Breitcordhose eines alten Mannes mit speckigem Hosenboden, die er immer trägt, sein roter Nacken ist komplex zerknittert, als er sich entfernt und eine Hand zu einer Geste hebt, die gleichzeitig Bestätigung und Ablehnung der Bitte des Dr. med. ist: »Hab ich nicht drüber zu entscheiden. Der Junge macht, was er seiner Meinung nach machen muss. Er fühlt das schließlich. Kann nur er drüber entscheiden.« Entweder bleibt er stehen, oder er wird an der offenen Tür noch langsamer, sieht jedenfalls zurück, Gately aber nicht in die weit aufgerissenen Augen. »Halt die Ohren steif, Junge, und ich sag den Mistkerlen, sie sollen ruhig auch mal vorbeischauen.« Und fügt hinzu: »Willst bei der Entscheidung vielleicht um Hilfe bitten.« Das Letzte kommt schon aus dem weißen Korridor, und der schimmernde Kopf des Pakistani nähert sich wieder, jetzt mit einem Lächeln strapazierter Geduld, und Gately hört, wie er Luft holt, um ihm zu sagen, dass
Gately hört, wie er Luft holt, um ihm zu sagen, dass bei so schweren Traumen zweiten Grades die primär indizierte Behandlung das zugegeben als K-II eingestufte und potenziell abhängig machende, bei genau kontrollierter Dosierung einer 50-mg- Tablette i n einem verdünnenden Kochsalztropf über 3-4 Stunden in seiner Wirkung aber unübertroffene MepGatelys gesunde linke Hand schürft sich einen Knöchel auf, als sie zwischen den Stäben des Bettgitters hindurchschießt, sich unter dem Kittel des Dr. med. vergräbt, seine Eier zu packen kriegt und zieht. Der pakistanische Pharmakologe kreischt wie eine Frau. Gately ist eigentlich gar nicht zornig und will ihm auch nicht wehtun, weiß aber einfach nicht mehr, wie sonst er den Knallkopf davon abhalten soll, ihm etwas anzubieten, was er momentan einfach nicht ablehnen kann. Von der plötzlichen Kraftanstrengung durchzuckt ihn ein so blaugrüner Schmerz, dass Gately die Augen verdreht, während er an den Eiern zieht, sie aber nicht quetscht. Der Pakistani macht einen tiefen Knicks und beugt sich vor, fällt um Gatelys Hand zusammen und zeigt alle seine 112 Zähne, während sein Kreischen immer schriller wird, bis er einen zackigen hohen Ton erreicht wie eine fette Opernlady unter einem
erreicht wie eine fette Opernlady unter einem Wikingerhelm, so ohrenbetäubend, dass Bettgitter u n d Fensterscheiben beben und Don Gately aus dem Schlaf hochfährt, den linken Arm durchs Gitter geschoben und verdreht im Versuch, sich aufzusetzen, sodass er vor Schmerz fast denselben hohen Ton trifft wie der ausländische Dr. med. im Traum. Der Himmel vor dem Fenster ist prachtvoll, dilaudidfarben; das Zimmer erfüllt beträchtliches Morgenlicht; kein Graupel am Fenster. Die Decke pulsiert leicht, atmet aber nicht. Der eine Besucherstuhl steht wieder drüben an der Wand. Er sieht an sich hinab. Entweder hat er Stenographenblock und Kuli vom Bett gestoßen, oder er hat auch das nur geträumt. Das Nachbarbett ist immer noch leer und straff bezogen. Plötzlich geht ihm auf, warum man trampolinstraff gespannte Laken »Krankenhausecken« nennt. Aber das Gitter, das Joelle van D. herabgeklappt hat, um sich in der Jogginghose des blöden Erdedy auf den Bettrand zu setzen, ist immer noch herabgeklappt, und das andere Gitter ist noch oben. Da hat er also einen Beweis, dass wenigstens sie wirklich dagewesen ist und ihm die Fotos gezeigt hat. Gately zieht die aufgeschürfte Hand vorsichtig hinter das Gitter
zurück und betastet sich die Lippen, um festzustellen, ob da wirklich so eine große Magensonde in seinen Mund führt, und ja, das tut sie. Er kann die Augen verdrehen und sehen, dass der Herzmonitor hinter ihm lautlos ausflippt. Er schwitzt am ganzen Körper, und zum ersten Mal, seit er in der Traumaabteilung liegt, hat er das Gefühl, er muss scheißen, und er hat null Ahnung, was für Vorkehrungen man fürs Scheißen getroffen hat, kann sich aber denken, dass sie garantiert nicht appetitlich sind. Sekunde. Sekunde. Er versucht zu verweilen. Keine einzelne Sekunde ist unaushaltbar. Die Sprechanlage gibt ihr dreifaches Dingdang von sich. Aus anderen Zimmern sind wirklich TPs zu hören, außerdem ein Essenswägelchen, das durch den Korridor geschoben wird, und er riecht den metallischen Geruch des Essens für die essfähigen Patienten. Er kann im Korridor nichts Hutschattenähnliches erkennen, aber vielleicht liegt das auch am Sonnenlicht. Die Lebendigkeit des Traums lag entweder am Fieber oder an der Krankheit, aber er hat jedenfalls verdammt kräftig an seinen Käfigstangen gerüttelt. Er hat noch den Singsang im Ohr, der ihm
zunehmende Beschwerden verspricht. Seine Schulter pocht wie ein großes Herz, und der Schmerz ist ekelhafterer als je zuvor. Keine einzelne Sekunde ist unerträglich. Erinnerungen an das gute alte Demerol steigen auf und fordern lautstark Anerkennung. Die Sache ist, dass sie einem bei den Bostoner AA ver klickern, dass man das vorübergehende Verlangen akzeptieren muss, das plötzliche Zurückdenken an die Droge; sie erklären einem, dass der plötzliche Drogenschmacht so unerbeten im Geist des wahrhaft Süchtigen aufsteigt wie Blasen in einem Babybad. Es ist eine Krankheit, die man lebenslänglich hat: Man kann es nicht vermeiden, dass die Erinnerungen ab und zu vorbeischauen. Die Sache, die sie einem verklickern wollen, ist, man muss Erinnerungen einfach loslassen können. Lass sie kommen, wie sie wollen, aber lade sie nicht ein. Man muss Gedanken oder Erinnerungen an die Droge nicht hereinbitten, muss ihnen weder was zu trinken noch den eigenen Lieblingssessel anbieten und in alten Zeiten schwelgen. Die Sache beim Demerol war nicht nur d e r gebärmutterwarme Kick des schweren Betäubungsmittels. Es war eher schon die, ja was, die Ästhetik des Kicks. Gately fand immer, Demerol
die Ästhetik des Kicks. Gately fand immer, Demerol mit einem Spritzer Talwin sorgte für so einen glatten und geordneten Kick. Einen irgendwie köstlich symmetrischen Kick: Der Geist schwebt leicht im exakten Mittelpunkt eines Hirns, das gepolstert in einem warmen Schädel schwebt, der seinerseits perfekt zentriert auf einem Kissen weicher Luft in halslosem Abstand über den Schultern ruht, und drinnen herrscht nichts als schläfriges Summen. Die Brust hebt und senkt sich von allein, in weiter Ferne. Das leichte Quietschen des Bluts im Kopf erinnert an Bettfedern in traulicher Ferne. Selbst die Sonne scheint zu lächeln. Und wenn man eindöst, schläft man wie eine Wachsfigur und wacht in derselben Lage wieder auf, in der man eingeschlafen ist. Und Schmerz aller Art wird zur Theorie, zu einer Zeitungsmeldung aus fernen kalten Klimazonen, weit unter der warmen Luft, auf der man summt, man fühlt hauptsächlich Dankbarkeit für die abstrakte Distanz zu allem, das nicht in konzentrischen Kreisen ruht, und liebt, was geschieht. Gately nutzt es aus, dass er schon Richtung Decke sieht, und bittet um Hilfe gegen die Heimsuchung. Er denkt verzweifelt an alles mögliche Andere. Wie er
mit dem alten Gary Carty ausgefahren war, um in der Ebbe vor Beverly in aller stinkenden Herrgottsfrühe die Hummerfallen einzuholen. An den M. P. und die Fliegen. An seine Mutter, wie sie mit schlaffem Mund auf dem Chintzsofa schlief. Wie er die schlimmste Ecke im Shattuck-Schlafsaal putzt. Das Bauschen des Schleiers der verschleierten Frau. Die kleinen Käfigfallen mit den gekreuzten Gitterstäben, zwischen denen die Augenstiele der Hummer hervorragten und aufs offene Meer hinaus sahen. Die Autoaufkleber am alten Ford des M. P. - NICHT ZUPARKEN - FLUCHTFAHRZEUG und FAHREN SIE MIR RUHIG REIN, ICH KANN DAS GELD GEBRAUCHEN und MIA:rnRCEs"9ilPünd SO LANGE KEIN SEX, DASS ICH NICHT MEHR WEISS, WER GEFESSELT WIRD. Den Fisch, der wissen will, was Wasser ist. Die spitznasige, rundwangige, totäugige Krankenschwester mit dem abgefahrenen deutschen Akzent, die Gately Musterfläschchen Demerolsirup von Sanofi-Winthrop verkaufen wollte, 80-mg-Fläschchen mit aufdringlichem Bananengeschmack, und die dann schlaff und totäugig dalag, während Gately sie nagelte, und dabei kaum atmete, in einer stickigen Wohnung in Ipswich, deren Licht durch die
komischen braunen Rollos immer die Farbe von schwachem Tee hatte. Sie hieß Egede oder Egette und erzählte Gately dann irgendwann, zum Kommen könne sie nur kommen, wenn er sie mit einer Zigarette verbrenne, woraufhin Gately zum ersten Mal ernsthaft versuchte, das Rauchen aufzugeben. Jetzt kommt ein schwarzer Outside-Linebacker von St. E.s Krankenschwester herein gewalzt, prüft seinen Tropf, schreibt etwas auf sein Patientenblatt, richtet ihre Tittenartillerie auf ihn, erkundigt sich nach seinem Befinden und nennt ihn »Baby«, was bei gewaltigen schwarzen Krankenschwestern keinem was ausmacht. Gately deutet auf seinen Unterleib, ungefähr dahin, wo sein Dickdarm ist, und versucht, mit nur einem Arm eine Explosionsgeste anzudeuten, etwas weniger beschämt, als wenn es eine normal große weiße Schwester wäre. Gately war mit dreiundzwanzig auf Demerol gestoßen, als der intra-okulare Juckreiz ihn gezwungen hatte, auf das Percocet zu verzichten und Alternativen zu erkunden. Demerol war mg für mg teurer als die meisten synthetischen Betäubungsmittel, dafür aber leichter zu bekommen, weil es das Standardmedikament gegen
schädelsprengende postoperative Schmerzen war. Gately kann sich ums Verrecken nicht erinnern, wer ihn wo in Salem mit dem bekannt gemacht hat, was die Jungs am North Shore Pebbles oder Bam-Bams nannten, sound 100-mg-Demerol- Tabletten, die sehr winzig bzw. winzig waren, kreidige weiße eingekerbte Scheibchen mit I 0/351 auf der einen Seite und Sanofi-Winthrop Co.S alsbald geliebtem Markenzeichen, einer Art ~ auf der anderen; dieses verwegene J I perforierte einfach den viereckigen Umschlag des augenjuckenden Lebens am North Share. Und sich an das I 0/351 auch nur zu erinnern, fühlt sich an, als ob man die Heimsuchung einlade. Er weiß, dass es nicht lange nach Noochs Beerdigung war, weil er allein und teamlos gewesen war, als irgendwann dann irgendwer ihm zwei für seine großfingrigen Hände viel zu kleine SO-mgTabletten gegeben hatte anstelle von dem, was er gewollt hatte, und der lachte, als Gately sagte Was zum Henker und Die sehen ja aus wie Bufferin für Ameisen oder so'n Scheiß, und sagte: Vertrau Mir. Das muss sein dreiundzwanzigster Sommer da draußen gewesen sein, weil er noch weiß, dass er mit bloßem Oberkörper den 93 langfuhr, als er nichts
anderes mehr hatte, auf den Parkplatz der JFK Bibliothek einbog, um sie einzuwerfen, so klein und geschmacksneutral, dass er mit offenem Mund im Rückspiegel prüfen musste, ob er sie überhaupt geschluckt hatte. Und er weiß noch, dass er mit bloßem Oberkörper unterwegs war, weil er danach so lange seinen großen, bloßen, haarlosen Brustkorb musterte. Und von jenem schläfrigen Nachmittag auf dem JFK-Parkplatz an war er bis zum bitteren Ende ein treuer Diener im Tempel der Göttin Demerol geblieben. Gately weiß noch, dass er - in langen Abschnitten sowohl der Percocet- als auch der Demerol- Phase mit zwei anderen Betäubungsmittelsüchtigen vom North Shore geteamt hatte; mit dem einen war er aufgewachsen, und mit dem anderen hatte er für Whitey Sorkin, den migränösen Buchmacher, Finger gebrochen. Einbrecher waren beide nicht: Fackelmann und Kite. Fackelmann kam aus der kreativen Scheckausstellung und hatte Zugang zu Geräten zum Ausweisdrucken, und Kite hatte als Computerfreak an der Salem State gearbeitet, war aber gefeuert worden, weil er sich in die Telefonrechnungen gewisser Leute reingehackt hatte, die Scherereien hatten, weil sie ihre 900-
hatte, die Scherereien hatten, weil sie ihre 900Telefonsex-Gespräche über die WATS-Leitung der S. S.- Verwaltung hatten laufen lassen, und die beiden hatten sich als Naturtalente beim Teamen erwiesen, F. und K., die einen anspruchslosen, aber eleganten Abripp am Laufen hatten, bei dem Gately nur ab und zu am Rande mitmachte. Fackelmann und Kite bastelten sich Ausweise und Einkommensbescheinigungen, die ausreichten, um ein möbliertes Luxusapartment zu mieten, mieteten dann meinetwegen bei Rent-A-Center oder Rent 2 Own unten in Boston einen Haufen vornehme Haushaltsgeräte, verhökerten anschließend Luxusgeräte und Wohnungseinrichtung bei einem Hehler ihres Vertrauens, holten ihre eigenen Luftmatratzen, Schlafsäcke, Feldstühle, kleine legal erworbene TPs samt Bildschirmen und Lautsprechern, campierten in dem leeren Luxusapartment und dröhnten sich vom Reinerlös der gemieteten Ware zu, bis die zweite Mahnung wegen der Mietrückstände kam; dann bastelten sie sich die nächste Identität, zogen aus und fingen mit der ganzen Sache von vorne an. Gately löste sie manchmal ab, rasierte sich, duschte und meldete sich auf eine Luxusapartmentannonce hin, traf sich
in geliehenen Yuppieklamotten mit den Fiffis von der Hausverwaltung, fegte sie mit seinem Ausweis und dem Einkommensnachweis aus den Banfis und fälschte den Namen auf dem Mietvertrag; und meistens pennte und bedröhnte er sich zusammen mit Fackelmann und Kite in den Luxusapts., obwohl er, Gately, seine eigene Fingerbrech- und später dann Einbrecherkarriere verfolgte, seine eigenen Hehler hatte und mehr und mehr dazu überging, selbstständig Rezepte für Percocet und später dann Demerol zu organisieren. Als er jetzt daliegt und am Verweilen u n d NichtEinladen arbeitet, erinnert sich Gately, wie der gute alte todgeweihte Gene Fackelmann der für einen Betäubungsmittelsüchtigen ein richtiger Stöpselkönig war - die verschiedensten Mädchen in das jeweils abgerippte Apt. mitgebracht hatte, wie Fax die Tür geöffnet, sich in gespieltem Erstaunen im leeren und teppichlosen Luxusapt. umgesehen und ausgerufen hatte »Scheiße, Mann, man hat uns beraubt!«. Fackelmanns und Kites Standardleier bezüglich Gately war, dass er ein großartiger (für einen Betäubungsmittelsüchtigen, was die rationale Verlässlichkeit einschränkt) Pfundskerl war, ein
grausam guter Freund und Teamkumpel, aber sie kapierten ums Verrecken nicht, warum sich Gately für Betäubungsmittel entschieden hatte, warum die d i e Drogen seiner Wahl geworden waren, wo er doch, wenn er nicht gerade weggedöst war, so ein großartiger, fröhlicher und vergnügter Pfundskerl war, aber wenn er gepebblet oder irgendwie narkoliert war, wurde er so ein absolut wortkarger, verschlossener und leichenmäßiger Typ, sagten sie immer, quasi ein völlig anderer Gately, der stundenlang tief in seinen Feldstuhl versackt dasitzen konnte, praktisch in seinem Stuhl lag, dessen Segeltuch durchhing und dessen Beine sich bogen, kaum ein Wort sagte und dann nur die vonnötensten paar Worte und selbst die, ohne das Maul richtig aufzukriegen. Wer sich mit ihm bedröhnte, fühlte sich echt einsam. Er machte dann quasi dicht. Pamela Hoffman-Jeep nannte das »fremdbestimmt«. Und wenn er fixte, war das noch schlimmer. Dann musste man ihm das Kinn fast von der Brust meißeln. Kite sagte immer, Gately würde sich Zement und keine Narkotika spritzen. Gegen 11.00 Uhr kommen McDade und Diehl nach einem Besuch bei Doony Glynn vorbei, der irgendwo
unten in der Gastroenterologie-Abteilung liegt, und versuchen, Gatelys linker Hand aus Jux so asbachuralte High Fives zu geben, und sagen, die Magen-DarmKasper haben Glynn an einen Megatropf mit einem Levsin361-Kodein-Präparat gegen seine Divertikulitis gehängt, und der Doon hat mit dem Präparat anscheinend eine spirituelle Erfahrung gemacht, er hat sie mit übersprubbernden High Fives abgeklatscht und gesagt, die MagenDarm-Dr.med.s sagen, das Leiden ist vielleicht inoperabel und chronisch, und D. G. muss vielleicht sein Leben lang das Präparat nehmen, mit einem Dosierball zur Selbstmedikation, und der früher immer fötal daliegende Doon hat aufrecht im Lotussitz dagesessen, und alles ist anscheinend Friede, Freude, Eierkuchen. Gately bringt um seinen Mundschlauch herum jämmerliche Töne heraus, als McDade und Diehl sich gegenseitig ins Wort fallen und sich dafür entschuldigen, dass es so aussieht, als können sie nicht als Zeugen für Gately auftreten, was sie natürlich jederzeit ruckizucki machen würden, wenn man ihnen nicht wegen diverser Rechtsprobleme selbst das Fell über die Ohren ziehen könnte, und ihre Pflichtverteidiger bzw. Bewährungshelfer haben gesagt, freiwillig in das
Bewährungshelfer haben gesagt, freiwillig in das Norfolk-Bezirksgericht in Enfield zu gehen, läuft auf justizstrafrechtliches Harakirre raus. Diehl sieht McDade an und sagt dann, es gibt da noch schlechte Nachrichten über die .44er Wumme, die nach allseitiger Rekonstruktion der Ereignisse höchstwahrscheinlich von Lenz vom Rasen abgestaubt worden ist, als der kurz vor Ankunft der Polente Richtung E.M.P.H.H. davongewetzt ist. Das Scheißding ist nämlich futsch, und das hätte doch keiner eingesackt und nicht rausgerückt, wo schließlich alle wissen, was für den guten alten GMann bei der Sache auf dem Spiel steht. Gately gibt ganz neuartige Geräusche von sich. McDade sagt, die bessere Nachricht ist, dass Lenz vielleicht gesichtet worden ist; Ken E. und Burt F. Smith haben wen gesehen, der wie entweder R. Lenz oder C. Romero nach einer verheerenden Krankheit aussah, als sie auf dem Rückweg von ei nem Treffen am Kenmore Square waren, wo Erdedy Burt F. S. hingeschoben hat, hauptsächlich haben sie ihn von schräg hinten gesehen, in einem Gehrock und einem Sombrero mit Kugeln dran, und anscheinend nach einem offiziellen Rückfall, wieder
da draußen, voll wie eine Strandhaubitze, so absolut hacke, als sie ihn gesehen haben, dass er sich wie die letzte Schnapsnase gegen einen Sturmwind zu stemmen schien, sich von Parkuhr zu Parkuhr vorankämpfte und an jeder festhielt. Wade McDade muss hier einwerfen, wie sich herumgesprochen hat, ist das E.M.P.H.H. drauf und dran, Teil Nr. 3 an ein psychiatrisches Langzeitpflegeheim für Patienten mit lähmender Agoraphobie zu vermieten, und im Haus sind jetzt alle am Spekulieren, was das wohl für e i n e n Lagerkoller in so einem dauerüberfüllten Laden gibt, wo der nahende Winter doch so grausam kalt werden soll. Diehl sagt, seine Nasennebenhöhlen wissen immer, wenn Schnee kommt, und die sagen schon für heute Abend zumindest mögliche Schneeschauer voraus. Keiner kommt auf die Idee, Gately zu sagen, was für ein Tag heute ist. Gately könnte schreien, weil er sich nicht mal mit dieser einfachen Bitte verständlich machen kann. McDade macht entweder eine vertrauliche Randbemerkung oder streut Salz in die Wunde eines Betreuers, der gerade gar nichts durchsetzen kann, und sagt, er und Emil Minty wollen zusammen mit Parias-Carbo - der für einen Ennet- HouseEhemaligen im Copyshop All-Bright Printing unten
Ehemaligen im Copyshop All-Bright Printing unten bei der Jackson-Mann-Schule arbeitet - formelle Einladungen im Präge-Look an die Platzangsthasen in Teil Nr. 3 verschicken und sie alle zu einer wimmelnden und rauschenden Willkommen -in-derE. M. P.H. H. - N achbarschaft- Party draußen vor Ennet House einladen. Und damit ist Gately endgültig sicher, dass McDade und Minty das HILFE-GESUCHT-Schild unter dem Fenster der Frau, die in Teil Nr.4 immer um Hilfe ruft, angebracht haben. Die Spannung im Raum steigt spürbar. Gavin Diehl räuspert sich und sagt, alle lassen ausrichten, dass Gately im House quasi übel vermisst wird, und er soll von allen »Läuft' s denn so? « fragen, und sie hoffen, dass der G- Mann bald wieder auf dem Posten ist und den Insassen in die Hintern treten kann; und McDade zieht eine nicht unterschriebene Gute- Besserung- Karte aus der Tasche und schiebt sie vorsichtig durch die Gitterstäbe, wo sie neben Gatelys Arm liegen bleibt und sich langsam öffnet, nachdem sie zusammengefaltet in die Tasche gestopft worden war. Das Ding ist eindeutig geklaut. Wahrscheinlich liegt es an der mickrigen, nicht unterschriebenen, gefalteten heißen Karte, jedenfalls zerfließt Gately plötzlich in heißen Wellen des
zerfließt Gately plötzlich in heißen Wellen des Selbstmitleids und der Ressentiments nicht nur wegen der Karte, sondern auch, weil diese Popelfresser und Lachnummern der Nation nicht mal bereit sind, als Augenzeugen seines se offendendo geradezustehen, nachdem er doch versucht hat, für einen von ihnen seinen nüchternen Job durchzuziehen, und dafür liegt er jetzt hier mit einem steigenden Pegel dextraler Beschwerden, die sich diese Lahmärsche nicht mal im Traum vorstellen können, bereitet sich darauf vor, trotz Magensonde und ohne den Notizblock, um den er gebeten hat, grinsenden Pakistanis gegenüber die Wahldroge seiner Krankheit abzulehnen, muss scheißen, weiß nicht, welcher Tag heute ist, nirgends ist eine große schwarze Krankenschwester zu sehen, und er kann sich nicht rühren - plötzlich findet er es tierisch blauäugig anzunehmen, der Lauf der Dinge sei ein Beweis von Schutz und Schirm eines höheren Wesens - es ist nicht gerade leicht einzusehen, warum ein sogenannter Lieber Gott ihn durch den Fleischwolf des Entzugs schicken musste, bloß damit er jetzt in absolutem Unwohlsein hier liegen darf und medizinisch indizierte Medikamente ablehnen und darauf gefasst sein muss, in den Knast zu wandern,
darauf gefasst sein muss, in den Knast zu wandern, bloß weil Pat M. nicht den Arsch in der Hose hat, diesen selbstsüchtigen Reservepavianen den Marsch zu blasen, damit sie wenigstens einmal das Richtige machen. Durch die Ressentiments und die Angst treten die Sehnen an Gatelys knallrotem Hals hervor, und er sieht grausam aus, aber keine Spur vergnügt. Auch wenn die Bostoner AA Stein und Bein schwören, dass G o t t kein grausamer und rachsüchtiger Figurant ist - was ist, wenn e r in Wirklichkeit genau das ist? Was ist, wenn er einen nur nüchtern macht, damit man sämtliche Ecken und Kanten der Sonderstrafen, die er einem zugedacht hat, auch so richtig mitkriegt? - Warum zum Geier soll er einen ganzen Dosierball mit dem schläfrigen Summen des Demerols ablehnen, wenn das die sogenannten Belohnungen f ü r Nüchternheit und fanatisch aktive Arbeit bei den AA sind? Die Ressentiments, die Angst und das Selbstmitleid betäuben ihn fast. Weit mehr als seine Gefühle, als die kanadischen Unglücksraben ihn boxten und anschossen. Eine plötzliche, totale, bittere, ohnmächtige, hiobsmäßige Wut, die jeden trockenen Süchtigen einknicken und innerlich hochfahren lässt wie Qualm in einem Schornstein. Diehl und McDade
wie Qualm in einem Schornstein. Diehl und McDade weichen von ihm zurück. Was er ihnen auch geraten haben will. Gatelys großer Kopf fühlt sich heiß und kalt an, und seine Pulslinie oben auf dem Herzmonitor erinnert langsam an die Rocky Mountains. Die mit aufgerissenen Augen zwischen Gately und der Tür stehenden Insassen treten plötzlich auseinander und lassen jemanden durch. Erst kann Gately zwischen ihnen nur eine nierenförmige Plastikbettpfanne sehen und ein zylindrisches, spritzenschnäuziges, ketchupflaschenartiges Etwas, an dessen Seite in leuchtendem Grün FLEET steht. D i e Gegenstände brauchen eine Sekunde, um Bedeutung zu gewinnen. Dann sieht er die Krankenschwester, die mit den Sachen vortritt, und da plumpst ihm dumpf das tobende Herz in die Hose. Diehl und McDade bringen fröhliche Abschiedsgeräusche heraus und stehlen sich mit der vagen Eilfertigkeit erfahrener Drogensüchtiger davon. Die Schwester ist weder ein schlitzmündiger Pinguin noch eine dröhnende Mama. Das hier ist e i n e Frau, die in einen Katalog für Schwesternreizwäsche gehört und in der Mittagspause kilometerweite Umwege machen muss,
Mittagspause kilometerweite Umwege machen muss, um an keiner Baustelle vorbeizukommen. Gately malt sich seine Vereinigung mit dieser atemberaubenden Schwester aus, und das Bild wird sofort eine Groteske: Er bäuchlings und mit hochgerecktem Arsch auf der Hollywoodschaukel, sie, weißhaarig und engelhaft, bringt in einer nierenförmigen Pfanne grade etwas zu dem turmhohen Haufen hinter dem Seniorenhäuschen. All seine Wut verraucht, weil er vor Scham im Erdboden versinken könnte. Die Schwester steht da, lässt die Bettpfanne um einen Finger kreisen und biegt das lange Fleet- Klistier ein paarmal durch, bis an der Spitze ein transparenter Flüssigkeitsbogen heraustritt und im Fensterlicht hängt, wie ein Revolverheld, der prahlerisch den Revolver herumwirbelt, und dazu setzt sie ein Lächeln auf, das Gately glattweg das Rückgrat bricht. Im Kopf zitiert er das Gelassenheitsgebet. Als er sich bewegt, riecht er seinen eigenen säuerlichen Geruch. Ganz zu schweigen von der erforderlichen Zeit und dem Schmerz, den es hervorruft, sich auf die linke Seite zu drehen, den Hintern zu entblößen und mit einer Hand die Knie an die Brust zu ziehen »Umarm die Knie, als wären sie dein Schnuckiputzi, sagen wir immer«, sagt sie und legt Gately eine
schrecklich weiche kühle Hand auf den Hintern -, ohne an den Katheter, die Infusionskanüle oder den dicken festgeklebten Schlauch zu stoßen, der durch seinen Mund Gott weiß wohin führt. Ich wollte wieder nach oben gehen, mich um Stice' Defenestrierung kümmern, nach Mario sehen, andere Socken anziehen, meine Miene im Spiegel nach Zeichen unbeabsichtigter Fröhlichkeit abkontrollieren und mir Grins Nachrichten auf dem Anrufbeantworter sowie danach ein- oder zweimal d i e Tosca-Arie v o m lenteszierenden Tod anhören. Als Musik für frei flottierendes Trübsalblasen hat Tosca nicht ihresgleichen. Ich ging durch den feuchten Korridor, als es mich traf. Ich weiß nicht, wo es herkam. Es war ein Sonderfall der teleskopischen Befangenheitspanik, die bei einem Match so verheerend sein kann. Abseits vom Court hatte ich mich noch nie so gefühlt. Es war nicht durchweg unangenehm. Unerklärliche Panik schärft die Sinne mehr, als man ertragen kann. Das hatte Lyle uns beigebracht. Man nimmt die Dinge sehr intensiv wahr. Lyle hatte dazu geraten, die Wahrnehmung und die Aufmerksamkeit auf die Furcht selbst zu richten, aber er hatte uns nur
gezeigt, wie man das auf dem Court, beim Tennis machte. Alles hatte zu viele Einzelbilder pro Sekunde. Alles hatte zu viele Aspekte. Aber es war nicht desorientierend. Die Intensität war nicht unkontrollierbar. Sie war bloß intensiv und lebhaft. Es war anders als ein High, aber es war trotzdem sehr: kl ar. Die Welt wirkte plötzlich fast essbar, wartete auf den Verzehr. Die dünne Lichthaut über d e m Firnis der Scheuerleisten. Der Cremeton der Schallschluckplatten an der Decke. Die rehbraune Längsmaserung im dunkleren Holz der Zimmertüren. Der matte Messingglanz der Klinken. Es kam ohne die abstrakte, kognitive Qualität von Bob oder Star. Das blinkerrot leuchtende AUSGANG-Schild am Treppenhaus. Sleepy T. P. Peterson kam in einem umwerfend karierten Morgenrock aus dem Badezimmer, Gesicht und Füße von der Duschhitze lachsrot, und verschwand in seinem Zimmer auf der anderen Korridorseite, ohne zu sehen, wie ich eierte und mich an der kühlen Hustenbonbonwand des Korridors abstützte. Dabei war die Panik auch da, endokrin, lähmend und mit dem hyperkognitiven Element eines üblen Trips, das ich von den instinktiven Angstattacken auf dem Court so nicht kannte. Eine Art Schatten
dem Court so nicht kannte. Eine Art Schatten flankierte die lebhafte Klarheit der Welt. Das machte wohl die Konzentration der Aufmerksamkeit. Was nicht frisch und unvertraut erschien, wirkte plötzlich steinalt. Alles nahm nur wenige Sekunden in Anspruch. Die Vertrautheit der Academy- Routine bekam etwas erdrückend Kumulatives. Sämtliche Gelegenheiten, wo ich mich die unverputzten Zementstufen im Treppenhaus hochgeschleppt und mein schwaches rotes Spiegelbild im Lack der Brandschutztür gesehen hatte und dann die 56 Schritte den Korridor entlang zu unserem Zimmer gegangen war, die Tür geöffnet und leise wieder ins Schloss gedrückt hatte, um Mario nicht zu wecken. Ich durchlebte noch einmal all die Schritte all der Jahre, sämtliche Bewegungen mit allen dazugehörigen Atemzügen und Pulsschlägen. Und dann die Gesamtzahl, wie oft ich dieselben Prozesse noch würde wiederholen müssen, Tag für Tag, in unterschiedlichsten Beleuchtungen, bis ich meinen Abschluss machte und wegzog, und dann begann der genauso erschöpfende Prozess der Auszüge aus bzw. Rückkünfte in Wohnheime irgendeiner tennisstarken Universität. Der vielleicht schlimmste Teil der Epiphanie betraf die unglaublichen
Lebensmittelmengen, die ich im Rest meines Lebens noch verzehren würde. Mahlzeit für Mahlzeit, plus die Snacks. Tag für Tag für Tag. Die Erfahrung dieses Essens in toto. Allein der Gedanke an das ganze Fleisch. Ein Megagramm ? Zwei Megagramm ? Ich sah deutlich das Bild eines großen, kühlen, hell erleuchteten Raums vor mir, der vom Boden bis zur Decke mit nichts als den leicht panierten Hühnerbrüsten vollgestapelt war, die ich in den nächsten sechzig Jahren zu mir nehmen würde. Die Unmenge an Geflügel, das für den Fleischbedarf eines Lebens viviseziert wurde. Die Unmengen an Salzsäure, Bilirubin, Glukose, Glykogen und Glokonol, die von meinem Körper produziert, absorbiert und produziert würden. Dann ein weiterer, dunklerer Raum, gefüllt mit den steigenden Exkrementmassen, die ich produzieren würde, die doppelt verriegelten Stahltüren, die sich unter dem steigenden Druck immer mehr nach außen bogen '" Ich tastete nach der Wand hinter mir und blieb gekrümmt stehen, bis das Schlimmste vorbei war. Ich sah, wie der Boden trocknete. Hinter mir erhellte sich sein matter Glanz im durch das Ostfenster hereinfallenden Schneelicht. Das Babyblau der Wand überzog ein komplexes Filigranmuster aus
Farbdellen und -klümpchen. Ein unaufgewischter Qualster von Kenkle hing noch in der Ecke des einen Türpfostens von B. R. 5 und wabbelte leise, als die Tür in den Angeln vibrierte. Von oben waren Schläge und Knüffe zu hören. Es schneite immer noch wie Sau. Auf dem Teppich von Bildschirmraum 5 legte ich mich auf den Rücken, immer noch im zweiten Stock, und kämpfte gegen das Gefühl an, dass ich entweder noch nie hier gewesen war oder ein ganzes Leben ausschließlich hier verbracht hatte. Das ganze Zimmer war mit einem kühlen, gelb schimmernden Material namens Kevlon tapeziert. Der Bildschirm nahm fast die ganze Südwand ein und war tot und graugrün. Das Teppichgrün hatte fast dieselbe Farbe. Die Lehrund Motivationspatronen standen in einem großen Glasregal, dessen mittlere Borde lang waren und dessen obere und untere Borde sich fast gen Nichts verjüngten. Ovoid war wohl das richtige Wort für die Regalform. Das NASA-Glas mit meiner Zahnbürste balancierte ich auf der Brust. Es hob sich, wenn ich einatmete. Das NASA- Glas hatte ich schon als kleiner Junge gehabt, und das aufgeklebte Bild weiß
behelmter Gestalten, die gebieterisch durch die Fenster eines Shuttle-Prototyps winkten, war verblasst und stellenweise abgekratzt. Nach einiger Zeit steckte Sleepy T. P. Peterson den nassgekämmten Kopf durch die Tür und sagte, LaMont Chu wolle wissen, ob das, was da draußen vor sich gehe, die Bezeichnung Blizzard verdiene. Erst nach mehr als einer Minute meines Schweigens ging er. Die Deckenpaneele waren grotesk detailliert. Sie schienen hinter einem her zu sein wie ein aufdringlicher E. T. A.-Förderer, der einen bei einer Party an die Wand drängte. Der Knöchel pochte dumpf im Tiefdruck des Schneesturms. Ich entspannte die Kehle und ließ den überschüssigen S p e i c h e l einfach postnasal hinabund hinunterlaufen. Die Mutter der Moms war ethnische Quebecerin gewesen, ihr Vater Anglokanadier. Der Begriff des Yale Journal of Alcohol Studies für einen M a n n wie ihn lautete Komatrinker. Alle meine Großeltern waren verstorben. Er Selbst hatte den zweiten Vornamen Orin getragen, was der Vorname des Vaters seines Vaters gewesen war. Die Unterhaltungspatronen im B.R. standen in wandlangen Regalen aus durchsichtigem
Polyäthylen. Die einzelnen Hüllen waren alle aus entweder transparentem oder glänzend schwarzem Plastik. Mein voller Name lautet Harold James Incandenza, und in Socken bin ich 183,6 Zentimeter groß. Er Selbst hatte die indirekte Beleuchtung der Academy entworfen, die genial ist und fast das ganze Lichtspektrum umfasst. B. R. 5 enthielt eine große Couch, vier Kippsessel, eine mittelgroße Liege, sechs in eine Ecke gestapelte grüne Cordsitzkissen für Zuschauer, drei Beistelltische und einen Couchtisch aus Mylar mit intarsierten Untersetzern. Die Deckenbeleuchtung in allen E. T. A.-Räumen stammte aus kleinen Kohle-GraphitStrahlern, die auf komplex legierte Spiegelplatten über ihnen gerichtet waren. Dimmer waren nicht erforderlich; ein kleiner Joystick regulierte die Helligkeit durch Veränderung des Einfallswinkels des Strahlerlichts auf die Platte. Die Filme Seiner Selbst standen auf dem dritten Bord des Unterhaltungsregals. Die Moms heißt mit vollem Namen Avril Mondragon Tavis Incandenza, Dr. päd., Dr. phi!. Ohne Absätze ist sie 197 cm groß und reichte Ihm Selbst, wenn er sich mal gerade hinstellte, trotzdem nur bis ans Ohr. Fast einen Monat lang hatte Lyle im Kraftraum gesagt, der
fortgeschrittenste Grad des Vipassana oder der »Innenschau«-Meditation bestehe in der Kontemplation des eigenen Todes bei vollem Bewusstsein. Ich hatte den Monat September über in B.R. 5 Großer-Kumpel-Sitzungen durchgeführt. Die Moms war ohne zweiten Vornamen aufgewachsen. Die Etymologie des Begriffs Blizzard ist praktisch unbekannt. Die das ganze Lichtspektrum umfassende Beleuchtungsanlage war ein persönlicher Liebesdienst von Ihm Selbst für die Moms gewesen, die eingewilligt hatte, die Brandeis zu verlassen und dem Lehrkörper der Academy zu präsidieren, und die die eingeborene Angst der Kanadier vor Neonlicht mitbrachte; als das System installiert und ausgetestet war, erstreckte sich die Lumiphobie der Moms aber schon auf alle Arten von Deckenbeleuchtung, und sie benutzte das StrahlerundPlatten-System in ihrem Büro grundsätzlich nicht. Petropolis Kahn steckte den großen struppigen Kopf herein und fragte, was das da oben denn für ein Heckmeck sei, diese Knüffe und Schreie. Er wollte wissen, ob ich frühstücken würde. Die Latrinenparole laute, zum Frühstück gäbe es heute wurstidentische Substanzen und O-Saft mit
furchtbarem Fruchtfleisch, sagte er. Ich schloß die Augen und erinnerte mich, dass ich Petropolis Kahn jetzt seit drei Jahren und drei Monaten kannte. Er ging. Ich spürte, wie sein Kopf von der Türschwelle zurückgezogen wurde: ein ganz leichter Sog im Zimmer. Ich musste furzen, hatte aber noch nicht gefurzt. Das Atomgewicht von Kohle ist 12.01 und ein paar Zerquetschte. Für den Vormittag war eine kurze und scharf überwachte Partie Eschaton angesetzt, deren Spielleiter (Gerüchten zufolge) Pemulis höchstpersönlich abgeben würde, aber die fiel wegen Schnee garantiert aus. Auf der Rückfahrt aus N atick am Dienstag war mir nach und nach klar geworden, dass die Entscheidung zwischen fortgesetztem Wettkampftennis und fortgesetztem Kiffen eine nahezu unfällbare Entscheidung war. Ich war entsetzt darüber, wie wenig mich das entsetzte. Der Gründer des Tunnelclubs der U14er war der damals noch ganz kleine Heath Pearson gewesen. Das Gerücht, Pemulis höchstpersönlich würde sich beim nächsten Eschaton-Spiel das Käppi aufsetzen, stammte von Kent Blott; mich hatte Pemulis gemieden, seit ich am Dienstag aus Natick zurückgekommen war - als spürte er etwas. Die Frau an der Kasse der Shell- Tankstelle war am Vorabend
zurückgezuckt, als ich vor dem Tanken zu ihr ging, um meine Karte zu zeigen, als hätte auch sie in meiner Miene etwas gesehen, wovon ich nichts wusste. Das North American Collegiate Dictionary definierte, jeder »sehr schwere« Schneesturm mit »starkem Wind« gelte als Blizzard. Vor seinem Tod hatte Er Selbst zwei Jahre lang die Wahnvorstellung gehabt, ich schwiege, wenn ich sprach: Ich glaubte, ich spräche, und er glaubte, ich spräche nicht. Mario beteuerte, ihm hätte Er Selbst nie vorgeworfen, nicht zu sprechen. Ich versuchte, mich zu erinnern, ob ich das Thema der Moms gegenüber je angesprochen hatte. Die Moms bemühte sich wahnsinnig, bei sämtlichen Themen absolut zugänglich zu sein, bis auf Ihn Selbst und alles, was zwischen ihr und Ihm Selbst vorgefallen war, als Er Selbst sich mehr und mehr zurückzog. Sie verbot es nicht, danach zu fragen; sie bekam nur so ein schmerzerfülltes betrübtes Gesicht, dass man sich grausam vorkam, gefragt zu haben. Ich fragte mich, ob Pemulis' Sistierung der Mathe-Nachhilfe vielleicht eine indirekte Affirmation war, eine Art Du bist Bereit. Pemulis kommunizierte oft in einer Art esoterischem Code. Es stimmte, dass ich seit dem Dienstag die
meiste Zeit im Zimmer geblieben war. Das Condensed O.E.D. definierte Blizzard in einem seltenen Anfall blumiger Ungenauigkeit als einen »schweren Schneesturm mit heftigem Eiswind, in dem Mensch und Vieh oft verenden«, und führte aus, das Wort sei entweder ein Neologismus oder eine korrumpierte Form des französischen blesser und im Jahr 1864 v. 52 von einem Reporter des Northern Vindicator in Iowa geprägt worden. Orin behauptete im J.d.T.-H., wenn er morgens mit dem Wagen der Moms unterwegs gewesen sei, habe er manchmal die verschmierten Abdrücke nackter Menschenfüße innen an der Windschutzscheibe sehen können. Die Heizungsschlitze in B. R. 5 gaben ein steriles Zischen von sich. Den ganzen Korridor entlang war zu hören, wie die Academy zum Leben erwachte, wie man sich um die Wette wusch, Besorgnis und Beschwerden angesichts des potenziellen Blizzards draußen vorbrachte - spielen wollte. Im Korridor des dritten Stocks über mir war schweres Fußgetrappel zu hören. Orin machte eine Phase durch, in der ihn n u r junge Mütter kleiner Kinder anzogen. Ein Gekrümme: Sie krümmt sich; er krümmt sich. John Wayne hatte auf ein Sympathomimetikum heftig allergisch reagiert, sich offenbar des WETA-
allergisch reagiert, sich offenbar des WETAMikrophons bemächtigt und in Troeltschs Dienstagssendung zum öffentlichen Gespött gemacht, war über Nacht zur Beobachtung im St. Elizabeth's geblieben, hatte sich aber so schnell wieder erholt, dass er nach Hause kommen und beim Konditionslauf am Mittwoch dann sogar noch vor Stice durchs Ziel gehen konnte. Ich hatte das alles verpasst und war nach meiner Rückkehr aus Natick von Mario unterrichtet worden - Wayne hatte anscheinend unschöne Dinge über verschiedene Mitglieder des Lehrkörpers und des Personals der E. T. A. gesagt, aber niemand, der Wayne und all das kannte, was er verkörperte, hatte irgendetwas davon e r n s t genommen. Jedem, der sich über die Angelegenheit ausließ, war die Erleichterung anzumerken, dass er OK war; die Moms hatte offenbar höchstpersönlich die halbe Nacht an Waynes Bett im S1. E.'s verbracht, was Trollo schätzenswert und typisch Moms fand. Mir einfach nur vorzustellen, wie oft sich meine Brust heben und senken und heben wird. Wenn man normierende Detailgenauigkeit braucht, wendet man sich an einen nüchternen Kopf: nach Sitneys und Schneewinds Lexikon der Umweltwissenschaften braucht es
mindestens 12 c m unentwegten Schneefall pro Stunde, eine Mindestwindgeschwindigkeit von 60 km/h und eine Sicht von unter 500 Metern; und nur wenn diese Bedingungen mindestens drei Stunden lang anhalten, ist es ein Blizzard; unter drei Stunden ist es ein »Schneesturm Kat. IV«. Allein der Gedanke an den Einsatz und die ausdauernde Energie, die in wahren Scharfsinn und echte Kompetenz einfließen, ist schwindelerregend. In letzter Zeit kam es mir jetzt manchmal wie ein schwarzes Wunder vor, dass sich Menschen tatsächlich intensiv für ein Thema oder ein Ziel interessieren konnten und dass dieses Interesse jahrelang anhalten konnte. Dass sie ihr ganzes Leben dafür einsetzen konnten. Es war bewundernswert und zugleich rührend. Vielleicht wollten wir alle ums Verrecken unser Leben für etwas hingeben. Gott oder Satan, Politik oder Grammatik, Topologie oder Philatelie - der Gegenstand war ephemer angesichts dieses Willens zur bedingungslosen Hingabe. An Spiele oder Spritzen, an einen anderen Menschen. Es hatte etwas Rührendes. War eine Flucht in den Aktivismus. Flucht wovor eigentlich? Vor diesen vage
mit Exkrementen bzw. Fleisch gefüllten Zimmern? Wozu? Deshalb fingen sie hier so früh mit uns an: Damit unsere Hingabe vor dem Alter erfolgte, in dem die Fragen Warum und Wozu richtige Schnäbel und Krallen bekamen. Irgendwie war das nett. Das Neuhochdeutsche ist für die Kombination von Gerundiven und Präpositionen besser ausgestattet als seine Promenadenmischung von Vetter. Das englische Wort für S u c h t , addi cti on, hatte ursprünglich die juristische wie spirituelle Bedeutung, etwas fest verpflichtet zu sein, sich etwas ganz zu eigen zu geben. Sein Leben hinzugeben, sich zu überlassen. Ich hatte das recherchiert. Stice hatte gefragt, ob ich an Geister glaube. Ich fand es immer ein bisschen grotesk, dass Hamlet all seiner lähmenden Erkenntnisskepsis zum Trotz die Realität des Geists nie anzweifelt. Sich nie fragt, ob sein eigener Wahnsinn in Wirklichkeit nicht ungeheuchelt sei n könnte. Stice hatte versprochen, mir etwas Irrsinniges zu zeigen. Ob Hamlet also das Heucheln nicht nur heuchel te. Ich musste an den Schlussmonolog des Professors für Film- und Patronenwissenschaft in Seiner Selbst unvollendetem Attrakti ve M ä n n e r i n kleinen durchkonstruierten Zimmern, i n denen jeder
durchkonstruierten Zimmern, i n denen jeder Zentimeter Raum mit irrsinniger Effizienz genutzt wird denken, diese herbe Parodie der Alma Mater, die die Moms als einen persönlichen Schlag unter die Gürtellinie empfunden hatte. Ich musste daran denken, dass ich wirklich hochgehen und nach dem Schatten sehen sollte. Es galt aber so vieles allein b e i dem Gedanken zu berücksichtigen, mich aufzusetzen, aufzustehen, den B. R. 5 zu verlassen und eine je nach Schrittlänge variierende Anzahl von Schritten bis zur Tür zum Treppenhaus zu machen, immer weiter, dass allein der Gedanke ans Aufstehen mich froh machte, dass ich auf dem Boden lag. Ich lag auf dem Boden. Ich spürte den nilgrünen Teppich unter beiden Handrücken. Ich war vollkommen horizontal. Ich lag behaglich da, vollkommen reglos, und starrte an die Decke. Ich genoss es, ein horizontales Objekt in einem Zimmer zu sein, das voller Horizontalität war. Charles Tavis ist mit der Moms wahrscheinlich nicht blutsverwandt. Ihre extrem große frankokanadische Mutter starb, als die Moms acht war. Ein paar Monate später verreiste ihr Kartoffelfarmervater »geschäftlich« und blieb
mehrere Wochen fort. Das machte er in ziemlich regelmäßigen Abständen. Ein Komatrinker. Irgendwann kam dann ein Anruf aus einer weit entfernten Provinz oder einem Bundesstaat der USA, und einer der Knechte zog los, um ihm aus der Patsche zu helfen. Aus dieser Verschollenheit kehrte er jedoch mit einer neuen Braut zurück, von der die Moms nichts gewusst hatte, einer amerikanischen Witwe namens Elizabeth Tavis, die, nach dem gezierten Hochzeitsfoto aus Vermont zu urteilen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Zwerg gewesen ist - der große Quadratschädel, der im Vergleich zu den Beinen unverhältnismäßig lange Rumpf, die tief liegende Sattelnase und die vorstehenden Augen, die um den rechten Schenkel von Junker Mondragon geschlungenen unterentwickelten phokomelischen Arme, eine liebevoll an seine Gürtelschnalle gepresste khakifarbene Wange. C. T. war der kleine Sohn, den sie in den neuen Bund fürs Leben mitgebracht hatte, sein Vater ein Taugenichts, der bei einem aberwitzigen Darts-Unfall in einer Kneipe in Brattleboro ums Leben gekommen war, als man im Kreißsaal gerade die Beinstützen für die Wehenarbeit und das Gebären der
achondroplastischen Mrs Tavis einzustellen versuchte. Ihr Lächeln auf dem Hochzeitsfoto ist homodont. Laut Orin behaupteten C. T. und die Moms jedoch, Mrs T. sei kein echter Homodont gewesen, so wie - beispielsweise - Mario ein echter Homodont ist. Jeder einzelne Zahn von Mario ist ein zweiter Prämolar. Alles blieb also ziemlich in der Schwebe. Der Bericht von dem Verschwinden, dem Darts-Unfall und den dentalen Unstimmigkeiten stammt von Orin, der behauptete, er habe das alles im Verlauf eines langen einseitigen Gesprächs mit einem geistesabwesenden C. T. herausbekommen, als sie im Wartezimmer der Neonatologie des Brigham and Women's saßen, während die Moms Mario vor der Zeit zur Welt brachte. Orin war damals sieben gewesen; Er Selbst war im Kreißsaal gewesen, wo Marios Geburt anscheinend ziemlich auf der Kippe stand. Die Tatsache, dass Orin unsere einzige Datenquelle war, hüllte die ganze Angelegenheit, was mich anbelangt, in zusätzliche Uneindeutigkeit. Akribische Genauigkeit ist nie Orins Stärke gewesen. Das Hochzeitsfoto war natürlich vorhanden und bestätigte, dass Mrs T. einen großen Kopf gehabt hatte und geradezu abenteuerlich klein gewesen war. Weder Mario noch ich hatten die
Moms je darauf angesprochen, vermutlich aus Angst, alte psychische Wunden aus einer Kindheit wieder aufzureißen, die immer sehr unglücklich geklungen hatte. Sicher war ich jedenfalls, dass ich sie nie darauf angesprochen hatte. Was die Moms und C. T. angeht, haben sich die beiden nie anders als nicht verwandt, aber extrem vertraut dargestellt. Die Panikattacke und der letzte Spasmus der prophylaktischen Fokussierung überwältigten mich plötzlich fast mit der intensiven Horizontalität, die mich im Bildschirmraum auf allen Seiten umgab Decke, Boden, Teppich, Tischplatten, Sitzflächen u n d Regalborde. Und vieles andere - die schimmernden horizontalen Linien in der KevlonWandbespannung, die lange Oberseite des Bildschirms, obere und untere Türränder, die Zuschauerkissen, die Unterseite des Bildschirms, Ober- und Unterseiten des gedrungenen schwarzen Patronenlaufwerks sowie die kleinen Tasten, die wie unterentwickelte Zungen vorstanden. Die scheinbar endlose Horizontalität von Couch, Sesseln und Liegen, alle Linien der Wand mit den Regalen, die variierend langen horizontalen Borde im ovoiden
Regal, zwei der vier Seiten jeder Patronenhülle, und so immer weiter. Ich lag in meinem engen kleinen Sarkophag aus Raum. Die Horizontalität stapelte sich um mich. Ich war das Fleisch im Sandwich des Zimmers. Ich fühlte mich zu einer grundlegenden Dimension erweckt, die ich in den Jahren der vertikalen Bewegung vernachlässigt hatte, Jahren des Stehens und Rennens, des Stoppens und Springens, Jahren, in denen ich unablässig vertikal vom einen Ende des Courts zum anderen gegangen war. Jahrelang hatte ich mich als grundlegend vertikal verstanden, als einen seltsam gegabelten Stengel aus Fleisch und Blut. Jetzt fühlte ich mich kompakter; ich fühlte mich dichter zusammengesetzt, jetzt wo ich horizontal war. Nichts konnte mich umhauen. Als Gately größer wurde und sich durch die verschiedenen Klassenstufen bewegte, war sein Spitzname Gun oder Gunny gewesen, der Gunulator usw., nach der Abkürzung G. u . N . , »Großer Unzerstörbarer Nullchecker«. Das war an Bostons North Shore gewesen, hauptsächlich in Beverly und Salem. Er hatte schon als Kind einen riesigen Kopf gehabt. Als er mit zwölf in die Pubertät kam, schien der Kopf einen Umfang von einem Yard zu haben.
der Kopf einen Umfang von einem Yard zu haben. Ein normal großer FootballHelm sah an ihm wie ein Käppi aus. Seine Trainer mussten Spezialhelme bestellen. Gately war die Unkosten wert. Nach der 6. Klasse bekam er von jedem Trainer zu hören, er steuere schnurstracks auf eine College-Mannschaft der ersten Liga zu, wenn er nicht lockerließe und die Beute im Auge behielte. Erinnerungen an ein halbes Dutzend verschiedene halslose, kurzgeschorene und kurz vor dem Infarkt stehende Trainer verdichten sich zur reibeisigen Betonung des Nichtlockerlassens und der Verheißung einer grenzenlosen Zukunft für Don G., Gunny G., bis er die Highschool im letzten Jahr dann schmiss. Gately ließ sich doppelt einsetzen - als Fullback im Angriff und als Linebacker im Außenfeld in der Abwehr. Er war groß genug für die Foullinie, aber da wäre seine Schnelligkeit verschwendet gewesen. Er wog damals schon gut 100 Kilo, schaffte beim Bankdrücken deutlich mehr als das, lief die 40 Yards in der 7. Klasse in 4,4 Sekunden, und es ging die Sage, dass der Trainer der Mittelschule von Beverly noch schneller in die Garderobe rannte, um sich über der Stoppuhr einen runterzuholen. Und sein größtes Kapital war sein übergroßer Kopf. Gatelys.
größtes Kapital war sein übergroßer Kopf. Gatelys. Der Kopf war unzerstörbar. Wenn Raumgewinn angesagt war, wurden die Positionen getauscht, sodass Gately mit einem Verteidiger isoliert wurde, er bekam den Ball zugespielt, senkte den Kopf und rannte los, die Augen auf den Rasen gerichtet. Die Spitze seines Spezialhelms kam wie der Kuhfänger e i n e r Lokomotive auf einen zu. Verteidiger, Schutzpolster, Helme und Stollen prallten von diesem Kopf ab, oft in verschiedene Richtungen. Und der Kopf kannte keine Angst. Es war, als hätte er keine Nervenenden, Schmerzrezeptoren oder Ä h n l i c h e s . Gately unterhielt seine Mannschaftskollegen damit, dass er sie Lifttüren um seinen Kopf öffnen und schließen ließ. Er ließ die Leute Sachen auf seinem Schädel zerbrechen Lunchdosen, Kantinentabletts, Geigenkoffer der Brillenschlangen, Lacrosseschläger. Mit dreizehn brauchte er kein Bier mehr zu bezahlen: Er wettete mit anderen Jugendlichen um einen Sixpack, dass es seinem Kopf nichts ausmachte, mit diesem oder jenem Gegenstand beschossen zu werden. Sein linkes Ohr ist von Fahrstuhltürkontakten gewissermaßen dauerhaft verknorzt, und Gately bevorzugt an den Seiten eine Art langen Prinz-
Eisenherz- Topfschnitt, um das deformierte Ohr besser zu verbergen. Der eine Wangenknochen hat noch immer eine veilchenblaue Delle aus der 10. Klasse, da hatte bei einer Party ein Jugendlicher aus North Reading um zwei Sixpacks gewettet, ihm eine Socke voller Fünfcentmünzen überziehen zu können, hatte ihn dann aber unterm Auge statt auf den Schädel getroffen. Nur mit vereinten Kräften konnte die gesamte Angriffslinie von Beverly Gately von dem zurückreißen, was von dem Typen noch übrig war. Bei den Jugendlichen hieß es von Gately, er sei bis zu einem gewissen Grad wahnsinnig fröhlich, entspannt und unbekümmert, aber wenn man ihm dumm kam, brauchte man für die 40 Yards besser keine 4,4 Sekunden. Er war immer ein Junge, der unter Jungen blieb. Er war von einer fröhlichen Wildheit, die Mädchen abschreckte. Und er hatte keine Ahnung, wie man mit Mädchen umging. Wenn er eins beeindrucken wollte, ließ er die Jungen auf seinen Kopf losgehen. Er war nie das, was man so Aufreißer nennt. Bei Partys stand er immer im Mittelpunkt der Trinker und nicht der Tänzer. Angesichts von Gatelys Größe und familiärem
Hintergrund war es vielleicht überraschend, dass er kein Schulhoftyrann geworden war. Er war weder sanft noch heldenhaft oder ein Beschützer der Schwachen; er ging nicht sanft dazwischen, um Brillenschlangen und Außenseiter vor den Misshandlungen der Tyrannen zu beschützen. Es interessierte ihn nur einfach nicht, die Schwachen zu schikanieren. Bis heute weiß er nicht, ob das für oder gegen ihn spricht. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn der M. P. mal Gately verprügelt hätte, statt all seine Aufmerksamkeit auf die zunehmend schwache Mrs G. zu richten. Gately rauchte seinen ersten duBois mit neun, einen harten kleinen nadeldünnen Joint, den er bei Highschool-Niggern gekauft hatte und mit drei anderen Football-Spielern aus der Grundschule in einem leer stehenden Sommerhaus rauchte, zu dem einer von ihnen den Schlüssel hatte, und sie sahen sich im terrestrischen Fernsehen Nigger an, die in einem brennenden L.A., Kalifornien, Amok liefen, nachdem die Polente von einem Videoamateur gefilmt worden war, wie sie einen Nigger übe1st geteamt hatte. Das erste Mal richtig besoffen war er ein paar Monate später, als die Spieler und er sich einem Orkin-Angestellten angeschlossen hatten, der
einem Orkin-Angestellten angeschlossen hatten, der die Kids immer mit Screwdrivern abfüllte, in seiner Freizeit Braunhemden und Knobelbecher trug und ihnen Vorträge über ZOG und Die Tu rn erTagebücher hielt, während sie den O-Saft mit Wodka tranken, den er ihnen gekauft hatte, ihn ausdruckslos ansahen und voreinander die Augen verdrehten. Schon bald interessierten sich die Football-Spieler, mit denen Gately abhing, nur noch fürs Kiffen, hielten Luftgitarrenund Weitpisswettbewerbe ab, theoretisierten, wie man North-Shore-Mädchen mit langen Mähnen nagelte, und überlegten, was man Gately eigentlich sonst noch so auf dem Schädel zerschlagen könne. Auch sie alle hatten familiäre Hintergründe. Gately war unter ihnen der einzige, der sich ernsthaft für Football interessierte, was wahrscheinlich bloß darauf zurückging, dass er immer und immer wieder zu hören bekommen hatte, er hätte echtes Talent und eine grenzenlose Zukunft. Er bekam schon in der Grundschule ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom attestiert und wurde Förderklassen zugeteilt, wobei er besondere Defizite im »Sprach- und Literaturunterricht« haben sollte, was zum Teil aber auch daran lag, dass Mrs G. kaum lesen konnte und
auch daran lag, dass Mrs G. kaum lesen konnte und Gately keinen Bock hatte, ihren Minderwertigkeitskomplex noch zu verstärken. Und aber bei seiner Aufmerksamkeit in Sachen Football, Hopfenkaltschalen, Screwdriver oder harzreiche desBois gab es kein Defizit und schon gar nicht, wenn es um angewandte Pharmakologie ging, nicht, seit er mit dreizehn Jahren seine ersten Quaaludes362 geworfen hatte. Gerade als sich Gatelys Erinnerungen an seine Screwdriver-undSinsemilla-Anfänge in eine einzige Erinnerung zusammenschieben, in der er Orangensaft in den Atlantik pisst (er und die bedröhnten grausamen Beverly-Spieler und Tyrannen, mit denen er abfeierte, tranken ganze Quarts kehlwärmenden O-Saft auf ex, standen knöcheltief im Sand am Strand des North Shore, sahen nach Osten und sandten lange Bögen notizblockgelber Pisse in die brechenden Wellen, die ihre Füße umcremten, die Gischt von der Pisse warm und gelb gesprenkelt - wie beim Spucken gegen den Wind - Gately pflegte auf dem Podium immer zu sagen, wie sich herausstellte, hätte er sich mit dem Alkohol von Anfang an angepisst), zerfallen auf
dieselbe Weise auch die Jahre vor seiner Entdeckung oraler Betäubungsmittel, die ganze Zeit von 13-15, als er ein Anhänger von Quaaludes und Hefenreffer- Bier war, und sortieren sich zu dem, woran er sich immer noch als an den »Angriff der Killer-Gehwege« erinnert. Quaaludes und Hefenreffer markieren auch Gatelys Eintritt in eine ganz neue unheilvollere und unsportlichere Gruppe an der Mittelschule von Beverly, zu der auch Trent Kite363 gehörte, ein waschechter Computerfreak, ohne Kinn, aber mit einer Nase wie ein Tapir, und so ziemlich der letzte fanatische Grateful-Dead-Fan unter vierzig an der US-amerikanischen Ostküste, dessen Ehrenplatz in der unheilvollen Drogitruppe der MS von B. sich seiner Fähigkeit verdankte, die Küche jedes gerade elternleeren Hauses ratzfatz in ein improvisiertes Pharmazielabor zu verwandeln, wobei er quasi BBQ-Soßenflaschen als ErlenmeyerKolben verwendete, OH-Gruppen und Kohlenstoff in der Mikrowelle zu dreiringigen Verbindungen zyklisierte, MethylendioxyPsychedelika364 aus Muskatnuss und Sassafrasöl synthetisierte, Äther aus flüssigem Grillanzünder, Designer-Meth aus Tryptophan und L-Histidin, und für all das manchmal nur einen Gasherd und die
für all das manchmal nur einen Gasherd und die elterliche Farberware brauchte, ja der sogar aus PVC-Rohrreiniger brauchbare Konzentrationen von Tetrahydrofuran dekoktieren konnte - und da mals hieß es ja schon Herzlichen Glühstrumpf, wenn man bei einem x-beliebigen Chemieunternehmen in den 48 Contigs / 6 Provinzen Tetrahydrofuran bestellte und nicht umgehend Besuch von D. E. A.Fritzen in Dreiteilern und verspiegelten Sonnenbrillen bekam -, und dann verwandelte er mithilfe von Tetrahydrofuran und Äthanol sowie irgendeinem proteinbindenden Katalysator schlichtes altes Sominex in etwas, das bloß noch ein schlichtes H3CMolekül vom guten alten zweiphasigen Methaqualon alias unerschrockenes Quaalude entfernt war. Kite hatte seine Quaalude-Isotopen »QuoVadis« getauft, und sie waren bei dem 13- bis 15-jährigen Gunny G. und den krummbuckligen spitzhaarigen Unheils bringern, mit denen er Ludes und Qua Vadisse schmiss, wahnsinnig beliebt, wurden mit Hefenreffers runtergespült und hatten eine Art mnemonischen Brownout zur Folge, der diese ganzen zwei Jahre - dieselbe Zeit, in der der Ex-M. P. eine andere fand, eine Geschiedene aus Newburyport, die die Prügelorgien anscheinend
sportlicher nahm als Mrs G., und in seinem aufkleberbedeckten Ford mitsamt seinem Seesack und seiner Marinejacke die Düse machte -, der gesamte Zeitraum bildet in Gatelys trockenem Gedächtnis also nur noch die vage Ära des Angriffs der Killer-Gehwege. Quaaludes und HefenrefferHalidos machten Gately und seinen neuen Droogies d i e gewöhnlich-Iatente-offenbar-aber-stets-Iauernde Böswilligkeit unschuldig wirkender Gehwege allerorten bewusst. Man musste kein Gehirntier wie Trent Kite sein, um die Gleichung aufzustellen (Quaaludes) + (so viele Biere nun auch wieder nicht) = Vom nächsten Gehweg verbeult werden; soll heIßen, da geht man nichts Böses ahnend einen Gehweg lang, und Knall auf Fall stürzt der Gehweg auf einen zu und geht auf Tuchfühlung: BEUL. Passierte scheißhäufig. Die ganze Mannschaft war deswegen todsauer, wenn sie unter Qua Vadissen irgendwo hingehen mussten, weil sie noch keine Führerscheine hatten, was einem schon mal einen Eindruck davon verschafft, welcher kumulierte IQ beim Problem der KillerGehwege zur Anwendung kam. Ein winziger bleibender Bluterguss am linken Auge und eine Art Kinngrübchen sind Gatelys Andenken an die Zeit, bevor er zu Percocets
aufrückte, und diese eingehendere Beschäftigung mit Oralbetäubern hatte den Vorteil, dass Percocets + Hefenreffers einem gar nicht mehr so viel vertikale Mobilität ließen, dass man sich mit der stets lauernden Böswilligkeit von Gehwegen hätte auseinandersetzen müssen. Erstaunlicherweise schien das ganze Zeug Gatelys Leistungen beim Football nicht groß zu beeinträchtigen, allerdings engagierte er sich für Football auch genauso wie für orale ZNS-Sedativa. Wenigstens eine Zeit lang. Damals hatte er sich noch strenge Regeln auferlegt. Drogen nahm er nur abends, nach dem Training. In der Trainings- und Spielsaison keine auch noch so kleine Hopfenkaltschale zwischen 9.00 und 18.00 Uhr, und nur am Donnerstagabend gönnte er sich vor richtigen Spielen dann einen einzigen duBois. Während der Football-Saison beherrschte er sich bis Sonnenuntergang mit eiserner Hand, danach gab er sich der Gnade der Gehwege und dem schläfrigen Summen anheim. Den REM-Schlaf holte er im Unterricht nach. Im ersten Jahr an der Beverly-Salem Highschool fing er bei den Minutemen an und war
auf schulischer Bewährung. Im zweiten Jahr waren d i e meisten Unheilsbringer, mit denen er abgehangen hatte, wegen Schwänzen, Dealen oder Schlimmerem von der Schule geflogen. Gately hielt durch, bis er siebzehn war. Quaaludes, Quo Vadis und Percocets sind aber tödlich in puncto Hausaufgaben, besonders wenn sie mit Hefenreffer runtergespült werden und ganz besonders, wenn man schulisch ambivalent eingestellt ist, ADS attestiert bekommen hat und schon jedes Fitzelchen Selbstdisziplin braucht, um den Football vor den Drogen zu schützen. Und leider - gelten an Highschools ganz andere Regeln als an den Hochschulen, was den Einfluss von Mannschaftssporttrainern auf den Lehrkörper in puncto Athleten und Noten betrifft. Kite bugsierte Gately durch Mathestunden und die Förderklassen in den Naturwissenschaften, und zum Wohle Gatelys und eines grenzdebilen Außenstürmers ließ sich die Französischlehrerin vom Angriffskoordinator der Minutemen, einem braun gebrannten Charmebolzen, ficken bis zum Stillstand der strabismischen Pupillen. Aber Englisch brachte ihn einfach um, Gately. Alle vier Englischlehrer, die die Sportabt. auf Gately ansetzte, gingen von dieser Sieg-Heil-Idee aus, dass
ansetzte, gingen von dieser Sieg-Heil-Idee aus, dass es grausam wäre, einen Jugendlichen zu versetzen, der seine Arbeit nicht schaffte. Und dass die Sportabt. sie darauf hinwies, Gately brächte einen sehr speziellen familiären Hintergrund mit, und wenn sie ihn durchfallen ließen, was ihn für sportuntauglich erklären würde, beseitigten sie auch den letzten Grund, der ihn überhaupt noch in die Schule kommen ließ - nichts davon hielten sie für quasi triefende Gründe. Englisch wurde sein Vogelfriss-oder-Stirb, was er damals seine» Water-Lou« nannte. Hausarbeiten konnte er allenfalls noch abschreiben; der Football-Trainer hatte Brillenschlangen unter seinen Gefolgsleuten. Aber Klassenarbeiten und Tests brachen Gately das Genick, weil er nach Sonnenuntergang einfach nicht mehr genug Willenskraft aufbrachte, um statt zu Quo Vadis und Hefenreffers zu diesem stinklangweiligen Ethan Frorn zu greifen. Außerdem hatten ihn zu diesem Zeitpunkt schon drei verschiedene Schulbehörden davon überzeugt, dass er eigentlich sowieso bescheuert wäre. Aber hauptsächlich lag es an den Drogen. Besonders eine von der Sportabt. der B.-S.HS angeheuerte Brillenschlange von Englischnachhilfelehrer verbrachte im zweiten Jahr
sämtliche Märzabende in Gatelys Gesellschaft, und zu Ostern wog der Bursche noch 43 Kilo, hatte einen Nasenring und einen Handtremor und wurde von seinen verzweifelten, funktionstüchtigen Eltern in eine KriseninterventionsReha-Anstalt für Jugendliche gesteckt, wo er die ganze erste Woche des Entzugs damit verbrachte, in einer Ecke lautstark und im Englisch der Chaucer-Zeit Das Geheul zu deklamieren. In der Literaturprüfung im zweiten Jahr fiel Gately im Mai durch, verlor die HerbstBerechtigung und ging von der Schule ab, um den Anspruch aufs dritte Jahr zu behalten. Ohne die einzige andere Sache, für die er sich engagiert hatte, wa r dann aber die psychische Notbremse gelöst, und sein sechzehntes Jahr ist für Gately heute noch zum größten Teil eine graue Leere, mit Ausnahme des neuen Fernsehsofas seiner Mutter aus rotem Chintz sowie der Bekanntschaft mit einem hilfsbereiten Rite-Aid-Apothekengehilfen, der einen entstellenden Hautausschlag und immense Spielschulden hatte. Und Erinnerungen an fürchterliches Augenhöhlenjucken und eine Ernährung, die hauptsächlich aus Mini-Markt-Fraß bestand sowie dem Gemüse, das er aus den
Wodkagläsern seiner Mutter fischte, wenn die weggepennt war. Als er schließlich mit 17 Jahren und 137 Kilo ins zweite Schul- und dritte Footballjahr zurückkehrte, war Gately nervös, aufgequollen, augenscheinlich schlafsüchtig und hatte ein so unflexibles Bedürfnisschema, dass er alle drei Stunden 15 mg vom guten alten Oxycodonhydrochlorid aus seinem Tylenol-Döschen brauchte, um das Zittern in Schach zu halten. Auf dem Spielfeld verhielt er sich wie ein riesiges verwirrtes Kätzchen - der Trainer schickte ihn zum P. E. T.-Scan, weil er Multiple Sklerose oder LouGehrig-Krankheit befürchtete - und sogar die Classic-Comics- Version von Ethan Frorn war ihm da schon zu hoch; der gute alte Kite war im letzten September vor Beginn der Sponsorenzeit verschwunden, war vorzeitig und mit einem Vollstipendium zum Studium der Informatik an der Salem State Univ. zugelassen worden, was bedeutete, dass Gately in den Mathe- und Chemieförderklassen jetzt auf sich allein gestellt war. Im Angriff musste er seine Startposition im dritten Spiel an einen großen scharfäugigen Schüler aus dem ersten Jahr abgeben, der laut Aussage des Trainers praktisch grenzenloses Potenzial
mitbrachte. Dann erlitt Mrs Gately Ende Oktober ihre zirrhotische Hämorrhagie und die Sache mit dem Hirnblut, kurz vor den Halbjahresprüfungen, bei denen durchzufallen Gately sich gerade bereit machte. Gelangweilt dreinschauende Typen in weißen Kitteln, die blaue Kaugummiblasen bliesen, luden sie hinten in einen geruhsam ohne Martinshorn fahrenden Krankenwagen und brachten sie erst ins Krankenhaus und dann über die YirrellBeach-Brücke in ein Medicaid-L.Z.P.H.365 drüben in Point Shirley. Gatelys Augen juckten zu stark in ihren Höhlen, als dass er auch nur draußen auf den rot gestrichenen pockennarbigen Stufen vor ihrer Haustür hätte stehen und ihr nachwinken können. An dem Tag rauchte er sein erstes Rettchen, eine 100 a u s einem halb gerauchten Päckchen der Stammmarke seiner Mutter. Er ging nicht mal in die B.-S.HS zurück, um sein Schließfach auszuräumen. Er spielte nie wieder in einer organisierten Footballmannschaft. Vielleicht war ich eingedöst. Weitere Köpfe tauchten auf, warteten auf eine Reaktion und verschwanden. Vielleicht hatte ich gedöst. Ich fand, ich musste nicht essen, wenn ich keinen Hunger hatte. Der Gedanke
war fast schon eine Erlösung. Ich hatte seit über einer Woche keinen Hunger mehr. Ich konnte mich an Zeiten erinnern, wo ich immer hungrig war, dauerhungrig. Dann tauchte irgendwann Pemulis' Kopf in der Tür auf, sein seltsam doppeltürrniger Morgenhaarwirbel hüpfte, während er über beide Schultern in den Korridor zurücksah. Sein rechtes Auge war entweder entzündet oder vom Schlaf verquollen; etwas stimmte da nicht. »Mmjallo«, sagte er. Ich tat so, als müsste ich die Augen beschirmen. »Hallo, Fremder.« Es ist nicht Pemulis' Art, sich zu entschuldigen, zu erklären oder Sorgen zu machen, man könne schlecht von ihm denken. Darin er innerte er mich an Mario. Dieser geradezu königliche Mangel an Unsicherheit passte schlecht zu seiner lähmenden Nervenschwäche auf dem Court. »'s geht ab? «, fragte er und blieb in der Tür stehen. Es war abzusehen, dass meine Frage, wo er denn die ganze Woche gewesen sei, zu so vielen verschiedenen möglichen Reaktionen und Nachfragen führen konnte, dass mich allein schon die Aussicht darauf überwältigte und so enervierte,
dass ich kaum herausbrachte, dass ich bloß hier auf dem Boden gelegen hätte. »Hab hier bloß rumgelegen«, erklärte ich ihm. »Das hab ich schon gehört«, sagte er. »Der Petropulator sprach von Hysterie.« In Rückenlage auf einem dicken Veloursteppich war es fast unmöglich, die Schultern hochzuziehen. »Bilde dir ein eigenes Urteil«, sagte ich. Pemulis kam ganz herein. Er wurde zu der einzigen Sache im Zimmer, die sich als grundlegend vertikal begriff. Er sah nicht sehr gut aus; er hatte keine gute Farbe. Er war unrasiert, und aus seinem Kugelkinn stand ein Dutzend kleine schwarze Stoppeln vor. Er machte den Eindruck, Kaugummi zu kauen, obwohl er kein Kaugummi kaute. Er sagte: »Denkst nach?« »Ganz im Gegenteil. Denkprophylaxe.« »Fühlst dich mies?« »Kann nicht klagen.« Ich verdrehte die Augen, um ihn anzusehen. Er brachte einen scharfen Knacklaut hervor, ging an den Rand meines Sichtfeldes und lehnte sich in die Fuge zweier Wände hinter mir. Ich hörte, wie er
hinabrutschte und in die rückenstützende KauersteIlung ging, die er manchmal mochte. Der Petropulator war Petropolis Kahn. Ich dachte an den abschließenden Filmvortrag in Attraktive Männer in kleinen durchkonstruierten Zimmern ... und dann an C. T.s Pech bei der Beerdigung von Ihm Selbst. Die Moms hatte Ihn Selbst in der alten Familiengruft in L'Islet Province beisetzen lassen. Ich hörte einen Schrei und zwei Rumse direkt über mir. Mein Brustkorb kontrahierte und expandierte. »Incster?«, fragte Pemulis nach einer Weile. Erwähnenswert schien, dass der Erdhügel über einem frischgefüllten Grab luftig, aufgegangen und prall wirkt, wie Hefeteig. »Ha!?«, fragte Pemulis. »Jawoll.« »Wir müssen echt dringend konnektieren, Brother.« Ich sagte nichts. Es gab zu viele potenzielle Antworten, sowohl witzige als auch ernste. Ich hörte, wie Pemulis' Haarwirbel die Wände streiften, als er sich nach beiden Seiten umsah, und das leise Ratschen, mit dem an einem kurzen Reißverschluss herumgespielt wurde.
»Ich finde, wir sollten uns ein verschwiegenes Örtchen suchen und richtig konnektieren.« »Ich bin eine bestens eingestellte horizontale Antenne und auf dich eingestellt, während ich hier liege.« »Ich dachte eher daran, irgendwo hinzufahren.« »Und urplötzlich diese Eile?« Ich versuchte, wie eine jüdische Mama zu klingen, mit dieser melodischen Intonation senk-steigsenk. »Die ganze Woche: kein Anruf, keine Karte. Und jetzt auf einmal diese Eile?« »In letzter Zeit deine Moms gesehen?« »Hab ich die ganze Woche nicht gesehen. Hilft garantiert C. T., einen Turnierort für schlechtes Wetter zu finden.« Ich machte eine kurze Pause. »Apropos, ihn hab ich die ganze Woche auch nicht gesehen«, sagte ich. »Eschaton fällt aus wegen is' nich' «, sagte Pemulis. »Die Karte da draußen ist ein einziger Matsch.« »Wegen der Kids aus Quebec kommt bestimmt gleich 'ne Durchsage, das spür ich«, sagte ich. »So gut eingestellt bin ich in dieser Lage.« »Was hältst'n davon, wenn wir die wurstidentischen
Substanzen sausen lassen und zum Essen zum Steak 'N' Sundae runterzischen?« Es kam zu einer längeren Pause, in der ich den Entscheidungsbaum möglicher Antworten durchging. Pemulis öffnete und schloss etwas mit einem kurzen Reißverschluss. Ich konnte mich nicht entscheiden. Schließlich wählte ich einen Satz aufs Geratewohl. »Bei Stammlokalen mit >'N' ( im Namen versuch ich, kürzerzutreten.« »Pass auf.« Ich hörte seine Knie knacken, als er sich über meinen Kopf beugte. »Wegen dem tusavez-quoi -« »Das Debei Embei Zetbei. Das synthetische Bacchanal. Das kannste definitiv vergessen, Mike. Von wegen die Karte ist ein einziger Matsch.« »Auch deswegen müssen wir konnektieren, wenn du hier bloß mal deinen buchstäblichen Arsch hochkriegen könntest.« Ich sah eine Minute lang zu, wie sich das NASAGlas senkte und hob. »Damit brauchste gar nicht erst anzufangen, M.M.« »Wie anfangen?« »Wir pausieren, schon vergessen? Wir leben wie
schiitische Muslime, die dreißig Tage lang, zu denen du den Typ windelweich geplaudert hast.« »Die haben wir nicht durch Geplauder bekommen, Inc, darum geht's ja grade.« »Und jetzt, was, noch zwanzig Tage. Wir werden Urin produzieren, auf den jedes Mullahbaby stolz sein könnte, haben wir vereinbart.« »Das ist nicht -«, setzte Pemulis an. Ich furzte, aber geräuschlos. Ich langweilte mich. Ich wusste nicht, wann Pemulis mich je gelangweilt hatte. »Und ich hab's grad nicht nötig, dass du Verführungsrhetorik gegen mich in Stellung bringst«, sagte ich. Keith Freer tauchte in der Tür auf und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen an einen Pfosten. Er trug noch den komischen Gymnastikanzug, in dem er schlief, und sah aus wie jemand, der im Kuriositätenkabinett Telefonbücher zerreißt. »Kann mir wer erklären, warum am Korridorfenster oben Menschenfleisch ist? «, fragte er. »Wir unterhalten uns hier«, erklärte Pemulis ihm. Ich setzte mich halb auf. »Fleisch?«
Freer sah auf mich herab. »Ich find das nicht zum Lachen, HaI. Ich schwöre bei Gott, oben klebt ein Streifen Stirnfleisch am Korridorfenster, außerdem etwas, das aussieht wie zwei Augenbrauen und Nasenstückchen. Und nun sagt Tall Paul, unten im Foyer hätte er gesehen, wie Stice aus der Krankenstation kam und irgendwas Zorromäßiges anhatte.« Pemulis war vollkommen vertikal und stand wieder; ich konnte seine Knie hören, als er hochkam. »Das ist hier ein Tete-a-Tete, Brother. Wir sind hier in Deckung gegangen, um ein Frontalge-« »Stice war am Fenster festgeklebt«, erklärte ich und legte mich wieder auf den Rücken. »Kenkle und Brandt wollten ihn mit warmem Wasser aus einem Hauswartseimer losmachen.« Pemulis fragte: »Wie klebt man denn an einem Fenster fest?« »Na ja, also so wie's aussieht, haben sie ihm das halbe Gesicht vom Kopf gerissen«, sagte Freer, betastete die eigene Stirn und erschauerte leicht. Kieran McKennas Schweineschnäuzchen erschien in einer Lücke unter Freers Arm. Er trug immer noch
den idiotischen GanzkopfMullverband wegen seiner angeblichen Schädelkontusion. »Jungs, habt ihr den Schatten gesehen? Gopnik sagt, er sieht aus wie ein Stück Käsepizza, von dem wer den Käse abgerissen hat. Gopnik sagt, Troeltsch nimmt zwei Tacken von jedem, der sich das ansehen will.« Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte er zum Treppenhaus, und in seinen Hosentaschen klimperte es wie verrückt. Freer sah Pemulis an und öffnete den Mund, überlegte es sich dann offenbar anders und verschwand ebenfalls unten im Korridor. Wir konnten hören, wie Freers Gymnastikanzug sarkastische Pfiffe erntete. Pemulis tauchte wieder oben in meinem Sichtfeld auf; sein rechtes Auge zuckte definitiv. »Deshalb schlage ich einen verschwiegenen Ort vor. Wann habe ich dich je zuvor dringend um einen Dialog gebeten, Inc?« »In den letzten Tagen bestimmt nicht, Mike, das steht mal fest.« Eine ausgedehnte Pause. Ich hob die Hände vors Gesicht und musterte ihre Formen vor der indirekten Beleuchtung. Schließlich sagte Pemulis: »Also, ich geh jedenfalls was essen, bevor ich mir Stice ohne Scheißstirn
ansehe.« »Iss ein Analogon für mich mit«, sagte ich. »Und sag Bescheid, wenn sich wegen dem Turnier was tut. Ich ess nur, wenn ich spielen muss.« Pemulis leckte eine Handfläche an und versuchte, die Haarwirbel zu glätten. Von meiner Warte aus war er hoch oben und auf dem Kopf. »Also, stehst du jetzt auf, gehst hoch, ziehst dich an und stehst irgendwann auf einem Fuß mit diesem Operndings an? Ich kann nämlich was essen, und dann komm ich hoch. Mario können wir ja sagen, wir brauchen ein Frontal-a- Tete.« Jetzt bildete ich einen Käfig aus meinen Händen, rotierte den und sah durch die entstehenden Formen ins Licht. »Kannst du mir 'n Gefallen tun? Nimm doch b i t t e Attrakti ve Männer in kleinen durch konstruierten Zimmern, in denen jeder Zentimeter Raum mit irrsinniger Effizienz genutzt wird für mich heraus. Das ist im Unterhaltungsregal im dritten Bord von oben ungefähr die zwölfte Patrone von rechts. Stell das Laufwerk auf ungefähr 2300 ein, vielleicht 2350, ja? Die letzten fünf Minuten oder so.« »Das dritte Bord von oben«, sagte ich, während er suchte und mit einem Fuß auf den Boden wippte.
»Die haben alle Sachen von Ihm Selbst auf dem dritten Bord zusammengestellt.« Er sah die Titel durch. »Babyfotos berühmter Diktatoren? Spaß mit Zähnen? Scherzarten? Bei der Hälfte von dem Scheiß von deinem Dad kenn ich ja noch nicht mal den Titel.« »Der heißt Schmerzarten, n i c h t Scherzarten. Entweder ist der falsch beschriftet, oder das Etikett ist abgekratzt. Die sind eigentlich alphabetisch sortiert, und der Film müsste neben Die Annularfusion ist unser Freund stehen.« »Und das mir, der ich das Labor von dem armen Kerl genutzt habe«, sagte Pemulis. Er bestückte den Spieler und schaltete den Bildschirm ein, wobei seine Knie wieder knackten, als er in die Hocke ging, um das Laufwerk auf 2350 einzustellen. Der riesige Bildschirm summte erst tief und dann immer höher, als er warm wurde und milchig blau wie das Auge eines toten Vogels. Pemulis' Füße waren nackt, und ich konnte die Hornhaut an seinen Hacken sehen. Die Patronenhülle warf er achtlos auf eine Couch oder einen Sessel hinter mir und sah nach unten. »Scheiße, Mann, worum geht's denn in Spaß mit Zähnen?«
Ich versuchte, gegen die Teppichreibung die Achseln zu zucken. »So ziemlich um das, was der Titel sagt.« Die Bestattung hatte am 5. oder 6. April in St. Adalbert stattgefunden, einer um ein paar Kartoffelspeicher herumgebauten Kleinstadt, die nicht mal fünf km westlich der Großen Konkavität lag. Wir mussten alle auf dem Umweg über Neufundland hinfliegen, weil in dem Frühjahr damals so viele Müllentsorgungsvehikel abgeschossen wurden. Und die kommerziellen Fluggesellschaften hatten noch keine Daten darüber, wie hoch der Dioxinanteil in der Luft über der Konkavität war. Wegen der Wolkendecke konnten wir von der Küste von New Brunswick nicht viel erkennen, aber angeblich ist das auch besser so. Was dann bei der Trauerfeier selbst passierte, war bloß, dass eine kreisende Möwe einen direkten weißen Treffer auf der Schulter von C. 1.s blauem Blazer erzielte, und als er, vor Schreck über den direkten Treffer, den Mund aufriss, flog ihm eine bläuliche Schmeißfliege hinein und war kaum wieder rauszukriegen. Ein paar Leute mussten lachen. Keine große oder dramatische Sache. Die Moms lachte wahrscheinlich am lautesten.
Der TP- Rekorder klackerte und klickte, und der Bildschirm blühte auf. Pemulis trug eine Fallschirmspringerhose, eine Baskenmütze und eine glaslose Brille, aber keine Schuhe. Die Patrone fing fast genau an der Stelle an, die ich mir anschauen wollte, dem Vortrag auf dem Höhepunkt. Der Protagonist Paul Anthony Heaven, all seine 50 Kilo, umklammerte das Katheder mit beiden Händen, sodass man sehen konnte, dass er keine Daumen hatte, die traurigen gefärbten Strähnen über die kahle Stelle gekämmt, die man sehen konnte, weil er den Kopf gesenkt hatte und den Vortrag mit jener abstumpfenden Akademikermonotonie ablas, die Er Selbst so geliebt hatte. Die monotone Stimme war auch der Grund, warum Er Selbst alle Rollen, die abstumpfende Institutionspräsenz erforderten, mit Paul Anthony Heaven besetzte, einem Laienschauspieler, der von Haus aus Datenerfassungsdrohne bei Ocean Spray war - Paul Anthony Heaven hatte auch den bedrohlichen Abteilungsleiter in Winke winke, Bürokrat gespielt, den Kommissar der Aufsichtsbehörde für Strand- und Wassersicherheit des Bundesstaats Massachusetts in Eine sichere Bootsfahrt ist kein Zufall und einen Firmenrevisor mit Parkinson in
Firmenrevisor mit Parkinson in Tiefkühlgemeinschaftskunde. »Die eigentliche Folge der Flut erweist sich von daher als Austrocknung, Generationen einer Hydrophobie pandemischen Ausmaßes«, liest der Protagonist ab. Petersons Käfig lief auf einer großen Leinwand hinter dem Pult. Eine Reihe von Aufnahmen von Studenten, die die Köpfe auf die Tische gelegt hatten, Briefe lasen, Origami- Tiere falteten oder sich mit nichtssagender Intensität im Gesicht herumpulten, buchstabierte aus, dass der Höhepunkt des Vortrags von den Binnenzuschauern des Films nicht gerade als Höhepunkt begriffen wurde. »Wir werden also angesichts der Absenz des Todes als teleologischem Ziel selbst ausgetrocknet, eines wesentlichen flüssigen Elements beraubt, trocken zerebral, abstrakt, konzeptuell, zu kaum mehr als einer Halluzination Gottes«, leierte der Akademiker, ohne je die Augen vom Skript auf dem Pult zu heben. Die Kunstpatronenkritiker und wissenschaftler, die das häufige Auftauchen von Zuschauern in den Filmen Seiner Selbst betonen und die These vertreten, die Tatsache, dass diese Zuschauer immer entweder dämlich, verständnislos
oder aber Opfer eines grässlichen UnterhaltungsMalheurs seien, verriete mehr als nur ein wenig Feindseligkeit seitens eines »auteur«, der immer in die Schublade des technisch begabten, aber narrativ faden, plot-armen, statischen und ununterhaltsamen Regisseurs gesteckt werde - diese These dieser Akademiker hört sich soweit solide an, erklärt aber nicht das ungeheure Pathos eines Paul Anthony Heaven, der seinen Vortrag einer Gruppe stumpfäugiger Kids hält, die sich im Gesicht rumpulen, sinn freie Flugzeuge oder Genitalien in ihre normierten Notizblöcke kritzeln oder betäubend schwülstig klingenden Scheiß366 lesen - »Denn während clinamen u n d tesserae den toten Ahnen wiederzubeleben oder wiederzuholen suchen, und w ä h r e n d k e n o s i s u n d Dämoni si erung die Bewussthaltung des und die Erinnerungen an den toten Ahnen zu verdrängen bestrebt sind, ist es schlussendlich die künstlerische askesis, in der der eigentliche Wettstreit ausgetragen wird, der Kampf mit dem geliebten Toten bis zum letzten Blutstropfen« - in einer Monotonie, die so narkotisierend wirkt wie eine Stimme aus dem Grab , und dabei weint er die ganze Zeit, Paul Anthony
Heaven, während die Jugendlichen im ansteigenden Hörsaal vor ihm ihre Post überfliegen, der Filmdozent schluchzt nicht und wischt sich die Nase nicht am Tweedärmel ab, sondern weint still und stetig, die Tränen laufen Heaven über das hagere Gesicht, sammeln sich an seinem Hängekinn und tropfen außer Sicht, glänzen leicht und tropfen, vom Katheder verdeckt, zu Boden. Dann wirkte auch das vertraut. Er war nicht von Anfang an Einbrecher gewesen, Gately, als Vollzeitsüchtiger, obwohl er aus den \Vohnungen der nervösen Krankenschwestern, die er nagelte und bei denen er Medikamentenmuster coppte, manchmal kleine Wertsachen abstaubte. Nach dem Schulabbruch arbeitete er eine Weile hauptberuflich für einen Buchmacher am North End, einen Typen, der außerdem unten an der Route 1 in Saugus ein paar Tittenclubs besaß, Whitey Sorkin, den Gately kennengelernt hatte, als er sich noch als Football-Spieler profilieren wollte. Seine berufliche Verbindung zu Whitey Sorkin wurde auch dann noch auf Teilzeitbasis fortgesetzt, als Gately seine eigentliche Berufung zum Einbrecher entdeckt hatte, allerdings tendierte er mehr und mehr zu den weniger strapaziösen gewaltfreien Verbrechen.
weniger strapaziösen gewaltfreien Verbrechen. Von seinem ungefähr achtzehnten bis dreiundzwanzigsten Lebensjahr dienten Gately und d e r schon erwähnte Gene Fackelmann - ein baumlanger, hängeschultriger, breithüftiger, vorzeitig verwansteter, seltsam priapistischer und von Natur a u s hektischer Dilaudid-Süchtiger mit einem Walrossschnurrbart, der ein nervöses Eigenleben zu führen schien - quasi als Whitey Sorkins Außendienstagenten, nahmen Wetteinsätze entgegen und gaben sie telefonisch nach Saugus durch, lieferten Gewinne aus und trieben Schulden ein. Gately verstand nie so recht, warum Whitey Sorkin eigentlich Whitey genannt wurde, denn er verbrachte tierisch viel Zeit unter UV-Lampen, was zu einer esoterischen Therapie seiner ClusterKopfschmerzen gehörte, und hatte daher immer die glänzende Hautfarbe von quasi dunkler Seife, fast dieselbe Farbe und dasselbe klassische Imperialmünzenprofil wie der fröhliche junge pakistanische Dr. med., der Gately im Maria-unsereTrösterin-Krankenhaus in Beverly erklärt hatte, eine Besseddung sei nicht zu erwadden, und Mrs G.S Ziddose und der ziddotische Schlaganfall hätten ihr das neurologische Niveau von Rosenkohl beschert,
das neurologische Niveau von Rosenkohl beschert, und dann hatte er Gately erklärt, wie er mit dem öffentlichen Personennahverkehr zum L.Z.P.H. in Point Shirley kam. Eugene (»Fax«) Fackelmann hatte sich mit rund zehn Jahren aus dem Bildungswesen von Lynn, Massachusetts, verabschiedet und Whitey Sorkin durch denselben ekzematösen und spiel süchtigen ApothekengehiHen kennengelernt wie Gately. Dieser wurde jetzt nicht mehr Gunny oder Doschka genannt. Jetzt war er Don, ohne Spitznamen. Manchmal Donny. Sorkin nannte Gately und Fackelmann seine Twin Towers. Sie waren praktisch seine Gorillas. Nur ganz anders als die Gorillas, die hochrangige Kriminelle in populären Unterhaltungen immer um sich haben. Sie standen nicht teilnahmslos da und flankierten Sorkin bei Kriminellenkonferenzen, zündeten ihm keine Zigarren an und nannten ihn nicht »Boss« oder so. Sie waren nicht seine Leibwächter. Eigentlich waren sie die meiste Zeit nicht mal in seiner Nähe; normalerweise hielten sie den Kontakt zu Sorkin, seinem Büro in Saugus und seiner Sekretärin per Pager und Handy.367
Und obwohl sie für Sorkin Schulden eintrieben, wobei sich Gately besonders um die lange überfälligen Schulden kümmerte, war es nicht so, dass er umherzog und den Schuldnern die Kniescheiben zertrümmerte. Selbst die Androhung v o n Zwangsmaßnahmen kam selten vor. Teils genügte die schiere Größe von Gately und Fackelmann, um die Zahlungsverzüge nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Teils lag es auch daran, dass sich in der Regel alle Beteiligten kannten Sorkin, die Wetter und Schuldner, Gately und Fackelmann, andere Drogensüchtige (die manchmal wetteten, öfter allerdings im Auftrag Dritter mit Gately u n d Fackelmann zu tun hatten), ja sogar Ordnungshüter vom North Shore, von denen viele ihre Wetten bei Sorkin abschlossen, weil der den Ordnungshütern beim Vigorish einen Staatsbedienstetenrabatt einräumte. Es war quasi alles eine große Gemeinschaft. Meistens musste Gately bei dubiosen Posten oder einem überfälligen Vig nur den Schuldner in der jeweiligen Bar aufsuchen, wo er gerade Satellitensportfernsehen sah, und ihn darüber in Kenntnis setzen, dass die Schuld außer Kontrolle zu geraten drohe - so als wäre die Schuld selbst der säumige Zahler - und
Whitey sich Sorgen mache, und dann traf er mit dem M a n n eine Abmachung oder arbeitete einen Teilzahlungsplan aus. Als Nächstes ging der junge Gately in der Bar aufs Klo, rief per Handy Sorkin an und ließ sich die Vereinbarung genehmigen. Gately war gelassen und leutselig und brauchte kaum je auch nur die Stimme zu erheben. Dasselbe galt für Whitey Sorkin: Viele seiner Wetter waren alte Stammkunden, und Kreditrahmen markierten das Revier. Die seltenen Schuldenprobleme, die tatsächlich Größe und Druck erforderten, betrafen meistens Männer mit Spielproblemen, verlogene Jammergestalten, die nach dem Wettrausch süchtig waren, die sich in ein Loch verrannt hatten und dann a u f selbstmörderische Weise aus dem Loch herauszuwetten versuchten, die bei mehreren Buchmachern gleichzeitig Wetten abschlossen, logen und sich auf Teilzahlungspläne einließen, an die sie sich von vornherein nicht halten wollten, die auf selbstmörderische Weise darauf setzten, alle ihre Schulden in der Schwebe halten zu können, bis sie sich mit dem großen Gewinn, der immer ganz sicher hinter der nächsten Ecke auf sie wartete, gesundstoßen konnten. Diese Typen waren schmerzhaft, weil Gately sie meistens kannte, was
sie ausnutzten und weshalb sie bettelten und flehten und Gately und Whitey Sorkin mit den Geschichten von ihren geliebten Familien und deren auszehrenden Krankheiten die Tränendrüsen kneteten. Sie saßen da, sahen Gately in die Augen, logen ihm die Hucke voll und glaubten ihre eigenen Lügen, und Gately musste die Schuldnerlügen und die Rührstorys durchgeben und Sorkins ausdrückliche Entscheidung abwarten, ob er ihnen glauben und was er tun solle. Bei diesen Typen kam Gately erstmals mit echter Sucht in Kontakt und sah, wie sie einen Menschen verändern konnte; bis dahin hatte er das Konzept eigentlich noch gar nicht auf Drogen übertragen, außer bei Koksnasen und hartgesottenen Nadelfreaks, die er auf ihre Weise damals genauso lächerlich und verlogen fand wie die Spielsüchtigen. Diese Rührstory- Typen mit ihrem »Gib mir nur noch einmal eine Chance« waren es auch, die Whitey Sorkin emotional immer durch die Hölle gehen ließen, ihm Cluster-Kopfschmerzen und fürchterliche kraniofaziale Neuralgien bereiteten, und irgendwann ging er dazu über, zusätzlich zu dem ausstehenden Skeet, dem Vigorish und den Zinsen für die Einnahme seiner Cafergot368-Spansulen, das
verschriebene UV-Licht und die Termine in der Nationalen Stiftung für Kraniofazialschmerzen in Enfield, Massachusetts, noch einen Aufschlag zu verlangen. Gatelys und Fackelmanns rinderbratengroße Fäuste kamen in Form von faktisch zupackender Gewaltausübung nur zum Einsatz, wenn die Lügen und das Loch eines zwanghaften Schuldners solche Ausmaße angenommen hatten, dass Sorkin bereit war, auf die Kundschaft des Mannes in Zukunft zu verzichten. An diesem Punkt kam dann Whitey Sorkins Unternehmensziel zum Tragen, den süchtigen Schuldner dazu zu bringen, seine Schulden bei Sorkin zu begleichen, bevor er seine Schulden bei anderen Buchmachern beglich, und dazu musste Sorkin dem Schuldner überzeugend demonstrieren, dass das Sorkin-Loch das unangenehmste von allen war, aus dem er daher als Erstes herausklettern musste. Auftritt der Twin Towers. Die Gewalt musste genau dosiert und von Phase zu Phase gesteigert werden. Die erste Runde Motivationssenge - eine leichte Abreibung, vielleicht ein paar gebrochene Finger - ging üblicherweise an Gene Fackelmann, nicht nur weil er der von Natur aus grausamere Twin Tower war und liebend gern Finger in Autotüren
einklemmte, sondern auch weil er im Gegensatz zu Gately Zurückhaltung üben konnte: Wenn sich Gately einmal über jemanden hermachte, hatte Sorkin festgestellt, wurde etwas Bösartiges und Unkontrollierbares an einem Abhang in dem großen Jungen gelöst und rollte von allein hinab, und dann konnte sich Gately nicht mehr zurückhalten, bis der Schuldner einen Zu stand erreicht hatte, in dem er nicht mal mehr den Mund aufbekam, von der Brieftasche ganz zu schweigen, und an dem Punkt musste dann nicht nur Sorkin seine Außenstände abschreiben, sondern der große Donny wurde auch so schuldbewusst und reuig, dass er seinen Drogenkonsum verdreifachte und eine Woche lang für nichts zu gebrauchen war. Sorkin lernte nach und nach, die Towers so einzusetzen, dass sich ihre Stärken optimieren ließen. Fackelmann übernahm die erste Runde der leichten Zwangseintreibung, aber Gately verstand sich besser als Fax darauf, mit den Typen zu Einigungen zu gelangen, die die Gewaltanwendung von vornherein unnötig machten. Natürlich gab es auch schwere Fälle, die Sorkin manchmal tagelang mit kraniofazialen Beschwerden ans Bett fesselten, weil es sich um schwere Suchtfälle handelte, die entweder so weit hinüber
oder so tief in so vielen Löchern versackt waren, dass Fackelmanns leichte Grausamkeit die Situation nicht klären konnte. I n extremen Fällen dieser Kategorie gelangte Sorkin an den Punkt, wo er nicht nur bereit war, auf die künftige Kundschaft der Schuldner zu verzichten, sondern auch auf die ausstehende Zahlung; ab einem bestimmten Punkt ging es in erster Linie darum, die Zahl künftiger anderer schwerer Fälle zu reduzieren, indem klargestellt wurde, dass W. Sorkin kein Buchmacher war, bei dem man einfach monatelang unverhohlen in seinem Loch stecken bleiben konnte, ohne dass einem die Karte ernsthaft umdekoriert wurde. In solchen Fällen war Gatelys innerer Abhang des Kontrollverlusts Fackelmanns schnellem, letztlich aber seichtem Sadismus an Bösartigkeit überlegen.369 Wie so viele psychosomatische Neurotiker war W. Sorkin fies zu seinen Feinden und extrem großzügig gegenüber seinen Freunden. Von dem 10 %Vigorish, den Sorkin bei jeder Wette nahm, bekamen Gately und Fackelmann jeder je 5 % , Sorkin erwirtschaftete in einer Woche Wetteinnahmen von über 200000 Dollar am gesamten North Share, und
den meisten jungen Amerikanern ohne Schulabschluss hätten gut 1000 tote Präsidenten pro prämillenniale Woche ein ganz angenehmes Leben ermöglicht, aber angesichts der genau getakteten körperlichen Rauschgiftbedürfnisse der Twin Towers finanzierte das nicht einmal 60 % ihres Wochenbedarfs. Gately und Fackelmann arbeiteten zusätzlich schwarz und eine Zeit lang getrennt Fackelmann hatte seinen Nebenjob mit den Ausweisen und der kreativen Scheckausstellung, Gately arbeitete freiberuflich als Wachmann bei großen Kartenspielen und als kleiner Drogenkurier -, aber auch bevor sie dann mit dem richtigen Teamen anfingen, coppten sie als Einheit, also zusammen, und einmal im Monat auch zusammen mit dem armen alten v. Nucci, dem Gately bei seinen nächtlichen Osco-and-RiteAid-Dachfenstereinsätzen manchmal auch das Seil hielt, seine Eintrittskarte in die offizielle Einbruchsbranche. Weil Gately auf Percocets und Bam-Bams stand, Fackelmann aber auf Dilaudid, konnten sie einander auch die Bewachung ihrer Drogenverstecke anvertrauen. Blues, die gespritzt werden mussten, nahm Gately nur, wenn nichts anderes zu kriegen war und er schon die ersten Entzugserscheinungen spürte. Gately hasste und
fürchtete Injektionsnadeln, hatte eine Heidenangst vor dem Virus, der damals auf Schritt und Tritt bei Nadelfreaks die Sense schwang. Fackelmann kochte für Gately auf, band ihm den Arm ab und ließ ihn genau zusehen, während er die Plastikverpackungen von brandneuen Kanülen und Spritzen abmachte, an die er dank einem gefälschten Medicaid-Iletin370Ausweis für Diabetes mellitus herankam. Das Schlimmste am Dilaudid war für Gately, dass das Hydromorphon beim Überschreiten der BlutHirnSchranke eine schreckliche, fünf Sekunden lang andauernde mnemonische Halluzination erzeugte, in der er ein gargantueskes Kleinkind in einem FisherPrice-Gitterbett im XXL-Format auf einem sandigen Feld unter einem Sturmwolkenhimmel war, der sich wie eine große graue Lunge wölbte und schrumpfte. Fackelmann löste den Gürtel, trat zurück und sah zu, wie Gately die Augen verdrehte, einen malariamäßigen Schweißausbruch bekam und in den respirierenden Himmel seiner Einbildung starrte, während seine riesigen Pranken die Luft vor ihm genauso erdrosselten, wie ein Kleinkind am Bettgitter rüttelt. Nach fünf Sekunden oder so hatte das Dilaudid die Schranke überwunden und tat seine
Wirkung, und der Himmel hörte auf zu atmen und wurde blau. Im Dilaudid-Nickerchen war Gately drei Stunden lang stumm und schweiß nass. Fackelmann lehnte orale Betäubungsmittel nicht nur wegen des verrückt machenden Juckens in den Augenhöhlen ab, sondern auch, weil er behauptete, davon fürchterliche Zuckergelüste zu kriegen, denen sein großes zusammengesacktes Gewicht nicht nachgeben dürfe. Da er auch in der kleinsten Kapelle kein großes Kirchenlicht abgegeben hätte, war er resistent gegen Gatelys Hinweis, vom Dilaudid bekäme er doch auch schreckliche Zuckergelüste und von allem an deren eigentlich auch. Die schlichte Wahrheit war, dass der Faxmann sein Dilaudid einfach echt gernhatte. Dann erhielt der gute alte Trent Kite von der Salem State den verwaltungstechnischen Tritt in den Hintern und bekam versichert, er würde nie wieder in der Branche arbeiten, Gately holte ihn ins Team, Kite rührte für eine kleine Team-Einweihungsfeier ganz wie früher ein paar Quo Vadisse zusammen, Fackelmann machte Kite mit pharmazeutisch reinem Dilaudid bekannt, und Kite hatte einen neuen Freund f ü r s Leben gefunden, wie er sagte; dann
baldowerten Kite und Fackelmann rasch ihren Ausweis-, Einkommensnachweis- und MöblierteLuxusapartments-Betrug aus, an dem sich Gately zu der Zeit fast nur hobbymäßig beteiligte, weil er dem Betrug das kühne Nachts-die-Ware-Abstauben vorzog, denn beim Betrug lernte man die Leute kennen, die man beklaute, und das fand Gately schleimig und irgendwie peinlich. Gately liegt in furchtbarem Entzündungsschmerz auf der Traumaabteilung und versucht zwischen den Gelüsten nach Erlösung zu verweilen, indem er sich a n einen blendend weißen Nachmittag kurz nach Weihnachten erinnert, an dem Fackelmann und Kite losgezogen waren, um Möbel aus dem möblierten Apartment zu verhökern, und Gately im Apartment die Zeit totschlug und gefälschte MassachusettsFührerscheine laminierte, ein Eilauftrag reicher Jugendlicher von der Philips Andover Academy371 für, wie sich herausstellen sollte, den letzten Silvesterabend der Vorsponsorenzeit. Er stand am Bügelbrett im inzwischen so ziemlich unmöblierten Apartment, bügelte Laminate auf die gefälschten Führerscheine und verfolgte am an der nackten Wand hängenden klobigen InterLace-HDB der ersten
Generation - der High-Definition-Bildschirm war jetzt immer der LuxusEinrichtungsgegenstand, der als Letztes verscheuert wurde -, wie die gute alte Boston Univ. in der Ken-L-Ration-Magnavox-KemperInsurance- Forsythia Bowl gegen Clemson spielte. Das durch die Penthouse-Fenster hereinfallende Wintertageslicht blendete, fiel auch auf den großen Flachbildschirm, bleichte die Spieler und gab ihnen etwas Gespenstisches. Hinter den Fenstern lag in der Ferne der Atlantische 0., grau und salzmatt. Der B. U-Punter kam sogar aus Boston, ein Ausnahmetalent, wie die Kommentatoren immer wieder betonten, das ohne offiziellen Profivertrag einen Platz in der Mannschaft ergattert hatte. Der Mann habe vor dem College nie eine Mannschaftssportart betrieben, gehöre jetzt schon zu den besten Puntern in der Geschichte der N.C.A.A. und habe das Potenzial für eine praktisch grenzenlose Profikarriere, wenn er nicht lockerlasse und die Karotte im Auge behalte. Der B. U-Punter war zwei Jahre jünger als Don Gately. Gatelys große Finger passten kaum um den EZ-Griff des Bügeleisens, vom gebeugten Stehen über dem Bügelbrett bekam er Kreuzschmerzen, er hatte seit einer Woche nur noch Frittiertes aus glänzenden
Plastikverpackungen gegessen, der Gestank der Plastiklaminate unter dem Bügeleisen stinkte übel, und sein großes viereckiges Gesicht schlaff te immer mehr ab, als er das gespenstische digitale Abbild des Punters betrachtete, bis er merkte, dass er heulte wie ein Schlosshund. Es tauchte urplötzlich aus dem emotionalen Nichts auf, und er merkte, dass er über den Verlust des organisierten Footballspiels plärrte, seiner einzigen Begabung und zweiten Liebe, über seine Dämlichkeit und mangelnde Selbstdisziplin, den verdammten schwanzlutschenden Ethan Frorn, den Liebherr Zierrose seiner Mom, ihre Gemüsifizierung und seine Unfähigkeit, sie in vier Jahren auch nur einmal zu besuchen, er kam sich plötzlich schlechter vor als der allerletzte Dreck, stand im grellen Winterlicht über den heißen Laminaten, Polaroid- Vierecken und aufklebbaren kleinen D.MV.-Buchstaben für reiche blonde junge Männer und plärrte im betrügerischen Gestank und Tränendampf. Zwei Tage später wurde er eingebuchtet, weil er in Danvers, Massachusetts, einen Rausschmeißer mit dem bewusstlosen Körper eines anderen Rausschmeißers angegriffen hatte, und drei Monate später kam er nach Billerica
Minimum. Depotwärts unterwegs, mit zuckenden Augen und sich auf dem Weg nach beiden Seiten umsehend, umrundet Michael Pemulis mit Stock und stabilem kleinem kegelstumpfförmigem Hocker die Korridorbiegung von Schlaftrakt B und sieht, dass mindestens acht Paneele der Hängedecke von ihren Aluminiumstreben gefallen sind und auf dem Boden liegen - einige nur auf diese scharnierartige Weise halb gebrochen, wie Material mit Faserinhalt bricht -, darunter auch das entscheidende Paneel. Als er die Paneele beiseiteschiebt, um den Hocker abstellen zu können, ist nirgends ein alter Turnschuh zu sehen, er klemmt die unglaublich starke Bentley-PhelpsStablampe zwischen die Zähne und sieht in das Dunkel des Strebengitters hoch. Angesichts des historischen Fähbels, das der Faxter für arglistige Betrugsmanöver mitbrachte, fand Gately es erstaunlich, dass er nicht einmal gewusst hatte, auf wie viele verschiedene kleine Weisen Fackelmann Whitey Sorkin praktisch von Anfang an betuppt hatte, und dass er das auch erst durch den alles andere als kleinen Betrug mit Achtziger- Bill und Sechziger- Bob herausgefunden hatte, der in den
drei Monaten stattfand, die Gately draußen war, weil Sorkin großzügigerweise die Kaution für ihn hinterlegt hatte. Gately hatte sich in dieser Zeit mit zwei kokainsüchtigen Lesben zusammengetan, die er bei Kopfüber-Sit-ups an der Klimmzugstange in der Muckibude kennengelernt hatte (die Lesben waren an der Stange zugange, nicht Gately, der sich strikt auf Bankdrücken, Bizeps-Curls und Kniebeugen beschränkte). Die kraftstrotzenden Frauen führten einen ziemlich faszinierenden PutzSchlüsselnachmach -und- Einbrechbetrieb in Peabody und Wakefield, und Gately übernahm für sie inzwischen Schwersoreschleppen und Jeeptransporte, richtiges Vollzeiteinbrechen, da seine Lust auf auch nur die Androhung von Gewalt weiter geschwunden war durch die Reue nach dem Rausschmeißerschaden, den er nach nur sieben Hefenreffers und einem unschuldigen Kommentar über die Unterlegenheit der Minutemen von der B.S.HS gegenüber den Roughriders von der Danvers HS in der Bar in Danvers angerichtet hatte; immer mehr Ausliefer-und-Eintreibarbeit für Sorkin überließ Gately jetzt Fackelmann, der aus Virusangst inzwischen zu den oralen Betäubungsmitteln zurückgekehrt war, den Widerstand gegen die mit
deren Konsum einhergehenden Zuckergelüste aufgegeben hatte und so fett und schwabbelig geworden war, dass sein Hemd immer an ein Akkordeon erinnerte, wenn er sich setzte, um seine M&Ms zu verputzen und zu dösen, außerdem hatte sich Sorkin in jüngster Zeit mit einem voll üblen Neuen angefreundet und ihm Aufträge gegeben, einem Punk vom Harvard Square mit fuchsienrotem Haar, Klotzstatur und runden, schwarzen, nie blinzelnden Augen, einem altmodischen Nadelfreak von der Straße, der sich Bobby C oder nur »C« nennen ließ und den Leuten gern wehtat, der einzige Heroinsüchtige in Gatelys Bekanntenkreis, der richtig auf Gewalt stand, mit null Lippen, die violetten Haare zu drei Stacheln angespitzt, und bloßen Stellen im Unterarm haar - weil er ständig die Schärfe seines Stiefelmessers testete -, einer Lederjacke mit weit mehr Reißverschlüssen, als man je brauchen konnte, und einem präelektrischen Ohrring, der ewig weit runterhing und ein brüllender Totenschädel mit vergoldeten Flammen war. Wie sich herausstellte, hatte Gene Fackelmann in Whitey Sorkins Buchmacherbetrieb seit Jahren hier und da alle möglichen kleinen Summen
unterschlagen, wovon Gately und Kite (laut Kite) nie was geahnt hatten. Meistens lief das so, dass Fax Einsätze auf Außenseiter von randständigen Wettern annahm, die Sorkin kaum kannte und deren Einsatz er (Fackelmann) nicht an Sorkins Sekretärin durchgegeben hatte, und wenn der Außenseiter dann verloren hatte, trieb er bei dem Wetter Skeet p l u s Vig372 ein und verjuxte alles. Als Gately dahinterkam, fand er es selbstmörderisch riskant, denn wenn einer dieser Außenseiter je gewonnen hätte, hätte Fackelmann dem Wetter den Gewinn von» Whitey« aushändigen müssen - wenn Fackelmann dem Wetter nicht die $ rübergeschoben hätte, wäre Sorkin ja sonst dessen Beschwerde zu Ohren gekommen -, und wegen ihrer pharmazeutischen Fixkosten steckte das ganze Team ja in einer dauernden Liquiditätsklemme, zumindest hatten Gately und Kite (laut Kite) das immer geglaubt. Erst als Fackelmanns Karte dann vermutlich auf Dauer umdekoriert worden und Kite aus seiner langen Appsens zurückgekommen war und zusammen mit Gately den Krempel des verstorbenen Fackelmann zusammensuchte, um die W e r t s a c h e n aufzuteilen und den Rest wegzuschmeißen, fand Gately mit Klebstreifen an die
wegzuschmeißen, fand Gately mit Klebstreifen an die Unterseite von Fackelmanns Pornopatronendepot geklebt über 22000 Dollar in druckfrischen O.N.A.N.Scheinen, und da schnallte er erst, dass Fackelmann d e n eisernen Willen aufgebracht hatte, für genau solche Katastrophenszenarien eine Notreserve für Skeet-Zahlungen zurückzubehalten. Gately teilte die gefundenen Fackelmann-$ mit Trent Kite, lieferte seine eigene Hälfte dann aber bei Sorkin ab und behauptete, mehr hätten sie nicht gefunden. Dabei schob er seine Hälfte Sorkin nicht aus Angst rüber Sorkin hätte dieses C-Bürschchen und sein Nuck/Tunten- Team ihn, Gately, voller Bedauern zusammen mit Fackelmann entkarten lassen, wenn er geglaubt hätte, Gately wäre an Fackelmanns Betrug beteiligt gewesen -, sondern weil er zerknirscht war, weil er keine Ahnung gehabt hatte, dass sein eigener Twin Tower Sorkin beschissen hatte, nachdem Sorkin sie beide so neurasthenisch übergroßzügig behandelt hatte, und weil Fackelmanns Betrug Sorkin dermaßen verletzt und ihm solchen psychosomatischen Kummer bereitet hatte, dass er in Saugus eine ganze Woche im Bett verbracht hatte, in der Dunkelheit und mit einer von di esen Lone-Ranger-Schlafbrillen, va getrunken,
Cafergot geschluckt und sich den traumatisierten Kopf und das Gesicht gehalten hatte, sich verraten und verkauft vorgekommen war, sagte er, im Glauben an das menschliche Wesen zutiefst erschüttert, hatte er Gately am Handy vorgeweint, nachdem alles herausgekommen war. Letzten Endes gab Gately Sorkin seine Hälfte von Fackelmanns geheimen $ im Versuch, ihn aufzuheitern. Ihn wissen zu lassen, dass jemand an ihn dachte. Er tat es auch zum Gedenken Fackelmanns, denn er betrauerte Fackelmanns grässlichen Tod im selben Moment, wo er ihn im Kopf als Lügner und Rabenaas beschimpfte. Es war für Don G. eine Zeit der moralischen Verwirrung, und seine Hälfte der postmortalen $ kam seiner Vorstellung quasi einer Geste am nächsten. Er packte nicht aus, dass Kite die andere Hälfte bekommen hatte, die er für Grateful-Dead- Raubpressungen ausgab und für eine transportable Halbleiterkühleinheit für seine D.E.C. 2100-Festplatte, die die RAMKapazität von deren Prozessor auf 32 mb2 steigerte, was in etwa einer InterLace-Disseminator-Substation entsprach oder einem NNE-BellHandy-SWITCHnet; es dauerte allerdings keine zwei Monate, bis er die D.E.C. verpfändet und sich in den Arm gejubelt hatte und
ein Dilaudid-Süchtiger geworden war, mit dem es so steil bergab ging, dass der einst so mächtige Kite nach seiner Selbstverpflichtung als Gatelys neuer bewährter Einbrech- und Ausräumpartner, nachdem der aus Billerica zurück war, nicht mal eine Alarmanlage lahmlegen oder einen Zähler überbrücken konnte, wodurch Gately zum Hirn des Teams wurde, und sein eigener spitzwinkliger Niedergang war daran zu erkennen, dass ihn diese Tatsache nicht nervöser machte. Die Krankenschwester, die ihm den Darm gespült hat, wobei Gately vor Scham die Tränen kamen, ist jetzt wieder im Zimmer und hat einen Dr. med. dabei, den Gately zum ersten Mal sieht. Er liegt da und hat Windrädchenaugen vom Schmerz und der Anstrengung, auf dem Umweg über Erinnerungen zu verweilen. Sein eines Auge ist von so einem alles unscharf machenden Schlafklebzeugfilm überzogen, der sich nicht wegblinzeln oder -reiben lässt. Das Zimmer ist von schwermütigem gussbronzegrauem Winternachmittagslicht erfüllt. Der Dr. med. und die prachtvolle Schwester hantieren an dem anderen Bett herum, befestigen irgendwelche Metallteile, die sie aus einem großen Koffer nehmen, der an ein
Futteral für das gute Tafelsilber erinnert, mit vorgeformten Samtauskleidungen für Metallstangen und zwei Halbkreisen aus Stahl. Die Sprechanlage dingdongt. Der Dr. med. hat einen Pager am Gürtel, einen Gegenstand, der weitere ungute Assoziationen auslöst. Gately hat nicht richtig geschlafen. In der Hitze des postoperativen Fiebers spannt sich seine Gesichtshaut, als stünde er zu nah an einem Feuer. Die rechte Körperhälfte hat sich jetzt mit einem Schmerz eingerichtet, bei dem ihm so übel ist wie n a c h einem Tritt in die Eier. Fackelmanns Lieblingswendung war »Das ist eine gottverdammte Lüge!« gewesen. Damit hatte er auf praktisch alles geantwortet. Sein Schnurrbart hatte immer so ausgesehen, als würde er ihm gleich von der Oberlippe krabbeln. Gately hat Gesichtsbehaarung von jeher gehasst. Der ehemalige Marine-M. P. hatte einen riesengroßen gelbgrauen Schnurrbart gehabt, den er zu zwei spitz zulaufenden Stierhörnern gewachst und gezwirbelt hatte. Er war in Bezug auf den Schnurrbart sehr eitel gewesen und hatte vor dem Spiegel unendlich viel Zeit mit Stutzen, Striegeln und Wachsen verbracht. Wenn er weggetreten war, hatte sich Gately manchmal angeschlichen und die steif gewachsten Schnurrbartausläufer in verrückt
steif gewachsten Schnurrbartausläufer in verrückt geschrägte Winkel gestupst. Sorkins neuer dritter Außendienstagent C behauptete, Ohren zu sammeln und schon eine ganze Ohrensammlung zu besitzen. Bobby C mit seinen glanzlosen Augen und dem flachen, lippenlosen Kopf, wie ein Reptil. Der Dr. med. ist einer von diesen Ärzten im Praktikum und sieht wie vielleicht zwölf aus, so geschrubbt und gestriegelt, dass er mattrosa glänzt. Er verbreitet die heitere Betriebsamkeit, die Dr. med.s EX OFF/eID verbreiten müssen. Er hat eine Kinderfrisur bis hin zu den Schmachtlocken, sein dünner Hals schlingert im Kragen seines weißen Arztkittels herum, und der Taschenschoner für die Stifte in seinem Kittel, die Eulenbrille, die er immerzu hochschiebt, und dann der dünne Hals verhelfen Gately zu der jähen Erkenntnis, dass die meisten Ärzte, Bezirksstaatsanwälte, Pflichtverteidiger, Bewährungshelfer und Seelenklempner, die furchteinflößendsten Autoritätsfiguren also im Leben e i n e s Drogensüchtigen, dass diese Leute sich allesamt aus den Reihen der kinnlosen Brillenschlangen mit bleistiftdünnen Hälsen rekrutieren, die die Drogensüchtigen als Kinder immer gehasst, ausgelacht und schikaniert haben.
Die Schwester ist im grauen Licht und hinter den schlafverklebten Augen dermaßen attraktiv, dass es fast grotesk ist. Sie hat Titten, die selbst in der Schwesterntracht die kleine Kluft des Brustansatzes zeigen, und die Tracht ist nicht gerade tief ausgeschnitten. So einen milchigen Brustansatz, der an Titten wie zwei große glatte Kugeln Vanilleeis denken lässt, die wahrscheinlich alle gesunden Frauen haben. Gately muss einsehen, dass er nie mit einer wirklich gesunden Frau zusammen war, eigentlich nicht mal mit einer irgendwie nüchternen Frau. Und als sie sich dann streckt, um an einer Art Stahlplatte an der Wand über dem leeren Bett einen Bolzen abzuschrauben, zieht sich der quasi Saum ihrer Tracht nach Norden zurück, sodass innen an ihren Beinen am oberen Rand in hinterleuchteter Silhouette die üppigen Geigenkurven der weißen Strümpfe aus FLOR sichtbar werden, und durch die LAIBUNG ihrer Beine scheint das schwermütige Winterlicht. üb der strotzgesunden Sexualität der ganzen Sache wird Gately fast schlecht vor Sehnsucht und Selbstmitleid, und er möchte den Kopf abwenden. Auch der junge Dr. med. beäugt das geschmeidige Strecken und den hochrutschenden
Saum, tut nicht einmal so, als wolle er beim Bolzen helfen, und als er die Brille hochschieben will, verfehlt er sie und sticht sich in die Stirn. Der Dr. med. und die Schwester tauschen Begriffe in medizinischem Schauderwelsch. Dem Dr. med. fällt zweimal das Klemmbrett runter. Entweder bemerkt die Schwester die sexuelle Spannung im Zimmer nicht, weil sie ihr ganzes Leben als Auge des Sturms sexueller Spannung verbracht hat, oder sie tut nur so, als merke sie nichts. Gately könnte schwören, dass sich der Dr. med. vorhin mit dieser Schwester als Wichsvorlage einen runtergeholt hat, und ihm wird fast schlecht, weil er den Dr. med. so gut verstehen kann. Das Geistwort wäre wohl UBIQUITÄRE sexuelle Spannung. Selbst eine ungesunde nervöse Frau hat Gately nie aufs Klo gelassen, wenn er da eine Stunde vorher ein Ei gelegt hatte, so peinlich war ihm das, und jetzt hat diese krankmachende ubiquitäre Kreatur mit ihrem FleetKlistier und den weichen Händen dem Anus von Gunny Gately einen weichen, jämmerlichen Schiss entlockt, sie hat diesen Anus von Nahem gesehen, während er einen Schiss fabrizierte. Gately wird gar nicht bewusst, dass es draußen leichte Graupelschauer sprüht, bis er es geschafft
leichte Graupelschauer sprüht, bis er es geschafft hat, den Kopf vom Fenster und der Schwester abzuwenden. Die Decke pulsiert ein bisschen wie ein in der Hitze hechelnder Hund. Die Schwester hat ihm von hinten gesagt, sie heiße Cathy oder Kathy, aber Gately möchte an sie nur als an die Schwester denken. Er kann sich riechen, er riecht wie in der Sonne vergessener Aufschnitt, spürt den schmierigen Schweiß, der ihm über den Schädel perlt, sein unrasiertes Kinn kratzt an der Kehle, und die im Mund befestigte Magensonde ist von Schlafschlacke verklebt. Das dünne Kissen ist heiß, aber er hat keine Möglichkeit, es auf die kühle Seite zu drehen. Es ist, als hätte seine Schulter eigene Hoden bekommen, denen ein winziger Kerl bei jedem Herzschlag einen Tritt versetzt. Der Dr. med. sieht Gatelys offene Augen und sagt der Krankenschwester, der Patient mit der Schussverletzung sei wieder halb bei Bewusstsein, und ob für den Nachmittag eine Medikation vorgesehen sei. Der Graupelschauer ist leicht; es klingt, als würfe jemand von weit weg kleine Fäuste voll Sand ans Fenster. Die sterbensschöne Schwester, die dem Dr. med. bei der Befestigung einer Art Stahlkorsett hilft, das eine Metallhalbkugel
h a t , deren Einzelteile sie aus dem Futteral zusammengesetzt haben, klemmt das Ding am Kopfende vom Bett an kleinen Stahlplatten unter dem Herzmonitor des Betts fest - sieht aus wie das Oberteil eines elektrischen Stuhls, denkt er-, sieht mitten in der Streckbewegung herab und sagt, Hi, Mr Gately, und dann sagt sie, Mr Gately ist Allergiker und bekommt an Medikamenten nur Antipyretika und einen Toradoltropf, Dr. Pressburger, nicht wahr, Mr Gately, Sie armes, tapferes Allergikerchen. Bei ihrer Stimme kann man sich vorstellen, wie sie beim Vögeln klingt, wenn sie so richtig Spaß hat. Gately widert sich an, weil er vor so einer Schwester ein Ei gelegt hat. Der Name von dem Dr. med. klang wie »Pressburger« oder »Prissburger«, und jetzt ist Gately sicher, dass der arme Arsch als Kind von den fiesen zukünftigen Drogensüchtigen Tag für Tag Kloppe bezogen hat. Der Dr. med. transpiriert in der Sexualitätsaura der Schwester. Er sagt (der Dr. med.), warum ist er dann intubiert, wenn er bei Bewusstsein ist, eigenständig atmet und am Tropf hängt? Gleichzeitig versucht er, die Metallhalbkugel mit flügelschrauben oben auf das Korsettteil zu schrauben, ein Knie auf dem Bett und so gestreckt,
dass über seinem Gürtel der obere Teil von seinem weichen roten Hintern zu sehen ist, er schafft es nicht, das Teil anzuschrauben, und schüttelt die Metallhalbkugel, als wäre deren Starrsinn an allem schuld, aber selbst im Liegen kann Gately sehen, dass der Typ die Flügelmuttern in die falsche Richtung dreht. Die Schwester kommt zu ihm herüber, legt Gately eine kühle weiche Hand auf die Stirn, sodass die Stirn vor Scham im Boden versinken könnte. Nach dem, was Gately von dem versteht, worüber sie Dr. Pressburger informiert, besteht das Risiko, dass ein Teil des Projektils, das in ihn eingedrungen ist, noch in oder nahe bei der unteren Trachea steckt, denn sein Irgendwas-mitzehn-Silben-das-mit-Sternoanfängt hat ein Trauma erlitten, die Röntgenergebnisse, sagt sie, waren uneindeutig, aber suspekt, und jemand namens Pendleton hätte vorsichtshalber einen 16-mm-SiphoZerstäuber angeordnet, der in 2 Stunden 4ml 20%iges Mucomyst373 abgebe für den unwahrscheinlichen Fall einer Blutung oder eines Schleimflusses. Das bissehen, was Gately davon versteht, kratzt ihn kein bissehen. Er will auch gar nicht wissen, dass es in seinem Körper irgendwas mit zehn Silben gibt. Die schreckenerregende
mit zehn Silben gibt. Die schreckenerregende Schwester wischt Gately das Gesicht ab, so gut das nur mit der Hand geht, und sagt, sie versucht noch, ihn mit dem Schwamm zu waschen, bevor ihre Schicht um 16.00 Uhr zu Ende ist, was Gately in Angst und Schrecken versetzt. Die Hand der Schwester riecht nach der organischen Hand- und Körperlotion Marke Kiss My Face, die auch Pat Montesian benutzt. Sie fragt den armen Dr. med., ob sie es mal mit der Kopfstütze versuchen solle, es sei immer ein Geduldsspiel, die anzuschrauben. Sie trägt die Unterschallschuhe aller Krankenschwestern, die kein Geräusch machen, sodass sie von Gatelys Bett fortzuschweben und nicht zu gehen scheint. Ihre Beine werden erst sichtbar, als sie schon ein Stück weg ist. Beim Dr. med. gibt der linke Schuh ein feuchtes Quietschen von sich. Der Dr. med. sieht aus, als hätte er seit ungefähr einem Jahr nicht mehr gut geschlafen. Ein Anflug von rezeptpflichtigen 'Drines umgibt den Mann, findet Gately. Quietschend geht er ans Fußende des Betts, sieht zu, wie die Schwester die Muttern richtig herum festzieht, schiebt seine Eulenbrille hoch und sagt, Clifford Pendleton mag ja ein ScratchGolfer sein, aber posttraumatisch ist er
eine Knalltüte; nebulisiertes Mucomyst ist (und hier hört man seiner Stimme an, dass er auswendig Gelerntes aufsagt, um quasi anzugeben) gegen die posttraumatische Ansammlung von abnormem, viskosem oder eingedicktem Schleim, nicht gegen potenzielle Blutungen oder Ödeme, und speziell die 16-mm-Sipho-Intubierung sei als kontraproduktiv invasive Prophylaxe gegen intratracheale Ödeme in d e r vorletzten Ausgabe der Vierteljahresschrift für morbide Traumen von jemandem, den er »Laird«, vielleicht aber auch »Layered« nennt, diskreditiert worden, weil sie die Hämoptysis eher verschlimmere als lindere. Gately hört mit der verständnislosen Aufmerksamkeit zu, mit der ein Kind das komplexe Gespräch seiner Eltern verfolgt, die sich in seiner Gegenwart über Fragen der Kinderbetreuung unterhalten. Die Herablassung, mit der Prissburger ergänzt, Hämoptysis bezeichne das »Aushusten blutigen Auswurfs« - als wäre Schwester Kathy nicht Profi genug, um das Einfügen solcher technischen Erläuterungen zu erübrigen; Gately hat fast Mitleid mit dem Burschen -, macht überdeutlich, dass der Typ der rührenden Meinung anhängt, dieser lasche, herablassende Schwachsinn könne sie
beeindrucken. Gately muss zugeben, dass er auch versucht hätte, sie zu beeindrucken, wenn sie nicht Bekanntschaft geschlossen hätten, indem sie ihm eine nierenförmige Bettpfanne unter den tätigen Anus schob. Die Schwester räumt derweil auf und packt die Korsettteile zusammen, die der Dr. med. nicht anbringen konnte. Als sie gehen, sagt sie, der Dr. med. sei methodologisch ja wahnsinnig beschlagen für einen 2R oder so, und Gately merkt, dass der Dr. med. ihren leisen Sarkasmus nicht mitkriegt. Der Dr. med. kämpft mit dem Gewicht des Futterals, das nach Gatelys Schätzungen höchstens 30 Kilo wiegen kann. Plötzlich und erstmals fällt es ihm wie Schuppen von den Augen, dass Stavros L. die Typen aus den Reha-Anstalten in Wirklichkeit immer so gern zum Schlafsaal putzen eingestellt hat, weil er die praktisch für lau bekommen hat, und er (Don G.) muss das auf irgendeiner Ebene auch immer gewusst, sich der Realität aber verschlossen haben, dass er von Stavros dem Schuhfreak angeschissen worden ist, und außerdem ist das Wor t Laibung doch wohl auch so ein invasives Geistwort, und außerdem scheint sich hier auch keiner direkt ein Bein auszureißen, um ihm Papier und Stift zu bringen, dabei hat es doch voll so
ausgesehen, als hätte Joelle van D. seine gestische Bitte verstanden, aber dann sind Joelles Besuch und die Zeige stunde mit den Schnappschüssen vielleicht auch nur eine Fieberhalluzination gewesen wie der hgurantierte Geist, und außerdem sind die Graupelschauer vorbei, aber die Wolken da draußen sehen immer noch so aus, als meinten sie es da draußen über Brighton-Allston ernst, und wenn Joelle v. D.s vertraulicher Besuch mit dem Fotoalbum nur eine Halluzination gewesen ist, bedeutet es aber wenigstens auch, dass es nur eine Halluzination war, sie hätte die Jogginghose von diesem CollegeSchnösel Ken Erdedy getragen, und außerdem bedeutet die tief hängende Traurigkeit des trüben Nachmittagslichts, dass es schon bald 16.00 Uhr EST sein muss, und bis auf die Gnade Gottes kann er es vielleicht vermeiden, einen unkontrollierbaren Ständer zu bekommen, wenn die schrecklich schöne K/Cathy ihn mit einem Schwamm wäscht, und stattdessen vom Linebacker der Spätschicht gewaschen werden, denn sein säuerliches Fleischmiefen ist schon echt finster, und vielleicht kann er die Ständerprobleme umgehen und von der großen 16-24.00-Uhr-Schwester mit dem behaarten
Leberfleck und Stützstrümpfen gewaschen werden, der Gatelys Anus unbekannt ist. Außerdem wird um 16.00 Uhr EST Mr Bouncety-Bounce spontan disseminiert, der geisteskranke Kinderserienmoderator, den Gately von jeher liebt und für den Kite, der arme alte Fackelmann und er nach Möglichkeit immer versucht haben, halbwegs wach zu Hause zu sein, und überhaupt hat keiner mal gefragt, ob er ihm den HD-Bildschirm anschalten soll, der neben einer kurzsichtig verschwommenen Turner-Kopie von einem Boot im Nebel an der Wand gegenüber von Gatelys Bett und dem seines ExNachbarn hängt, und er hat auch keine Fernbedienung, mit der er entweder selber um 16.00 den TP einschalten oder jemanden bitten kann, das für ihn zu machen. Dass er ohne Notizblock und Bleistift nicht mal die eIe mentalsten Fragen oder quasi Gedanken kundtun kann - als wäre er ein gemüsifiziertes Hämorrhagieopfer. Ohne Bleistift und Notizblock kann er anscheinend nicht mal um Bleistift und Notizblock bitten; es ist, als wäre er in seinem riesigen Schwatzkopf eingesperrt. Außer, wie sein Kopf dann anmerkt, Joelle van Dynes Besuch war echt, und ihr Verstehen der Stift-und-Block-Geste war auch echt, aber jemand mit Hut da draußen im
Korridor oder im Büro vom Krankenhauspräsidenten oder im Schwesternzimmer mit den verbieteten Küchlein von M. Hanley hat auch die Bitte um Schreibutensilien verbietet, vielleicht auf Bitten der Ordnungshüter hin, damit er seine Geschichte nicht mit anderen abstimmen kann, bevor sie ihn holen, vielleicht war das ein Prä- VernehmungsWeichklopfen, sie überließen ihn einfach der Einsperrung im eigenen Schädel, ein Figurant, stumm, reglos, ausdruckslos wie die Katatonikerin aus dem Enfield Marine, die immer feucht und blass in ihrem Sessel zusammensackte, oder die Königin des Gemüsereichs, diese Schwester des adoptierten Mädchens bei den Fortgeschrittenen Anfängern oder der ganze Katatonikerclub im Schuppen Nr. 5 vom E.M.P.H.H., stumm und mit erloschenem Gesicht, selbst wenn sie einen Baum umarmten oder auf Kissen aufgestützt inmitten von explodierenden Knallkörpern auf dem Rasen saßen. Oder der inexistente Sohn des Geists. Lichtmäßig muss es schon nach 16.00 Uhr sein, oder es sind die tiefhängenden Wolken. Draußen hinter dem graupelverkrusteten Fenster besteht ungefähr 0 % Sichtweite oder weniger. Das Fensterlicht im Zimmer
verdunkelt sich zu dem Kaopectate- Ton, der schon immer die Kurz-vor-Sonnenuntergang- Tageszeit gekennzeichnet hat, die Gately (wie die meisten Drogensüchtigen) noch nie abkonnte und wegen der er immer den Helm gesenkt und extra mörderisch auf irgendwen losgegangen ist, um das auszublenden (das vorabendliche Nichtabkönnen), oder QuoVadis oder orale Betäubungsmittel geworfen oder Mr Bouncety-Bounce extra laut gedreht oder sich unter der albernen Kochrnütze in der Küche von Ennet House zu schaffen gemacht oder dafür gesorgt hat, dass er bei einem Treffen in Nasenporennähe sitzen kann, um das auszublenden (das vorabendliche Nichtabkönnen), dieses DasgraueSpätnachmittagslicht-Nichtabkönnen, das im Winter immer noch schlimmer ist, in diesem wie verwässerten Winterlicht - genauso wie er es insgeheim nicht abkann, wenn plötzlich alle aus dem Zimmer gehen und ihn allein zurücklassen, dieses fürchterliche magenumdrehende Nichtabkönnen, das wahrscheinlich noch auf die Zeit zurückgeht, als er allein in seinen Dentons XXL im Gitterbett unter Herman der atmenden Decke saß. Gately merkt, dass er heute in derselben Lage ist wie als Kleinkind, wenn seine Mom und ihr
wie als Kleinkind, wenn seine Mom und ihr Lebensabschnittspartner weggetreten waren oder Schlimmeres: Egal wie viel Angst er hat und wie sehr ihm die Muffe geht, auch jetzt kann er wieder niemanden dazu bewegen, zu ihm zu kommen, ihn zu hören oder auch nur davon zu wi ssen; der diskreditierte Schlauch, der Fiskusschleim oder potenten Blutungen in seiner suspekten Trachea vorbeugen soll, hat ihn völlig allein gemacht, er ist schlimmer dran als ein Kleinkind, das wenigstens jaulen und brüllen und an den Gitterstäben seines Laufstalls rütteln kann vor Entsetzen darüber, dass kein Großer in einer Verfassung ist, es zu hören. Und genau diese Nichtabkönnzeit schwachen grauen Vorabendlichts ist es, zu der gestern der traurige und spackomäßig gekleidete Geist erschienen ist. Falls das gestern war. Und falls das ein echter Geist war. Aber der Geist mit seiner Japsencola und seinen Theorien postmortaler Geschwindigkeit hatte ohne Reden, Gesten oder Kuli mit Gately konnektieren können, weshalb sich sogar der durchgeknallte Gately sagen muss, dass er nur eine Einbildung, ein Fiebertraum gewesen sein kann. Aber er muss zugeben, dass ihm das irgendwie gefallen hat. Das Gespräch. Der Austausch. Die Art, wie der Geist
Gespräch. Der Austausch. Die Art, wie der Geist anscheinend in ihn reinkonnte. Die Art, wie er gesagt hat, Gatelys beste Gedanken wären in Wahrheit Verlautbarungen der geduldigen und verweilenden Toten. Gately fragt sich, ob sein leiblicher Vater, der Stahlarbeiter, wohl schon tot ist und ab und zu vorbeikommt und eine Weile mucksmäuschenstill dasteht, um etwas zu verlautbaren. Er fühlt sich etwas besser. Die Zimmerdecke atmet nicht. Sie liegt flach wie eine Gipsplatte, kräuselt sich nur etwas durch die Petroleumdämpfe vom Fieber und Gatelys Geruch. Dann blubbern aus dem Nichts plötzlich wieder tiefenscharfe Erinnerungen an Gene Fackelmanns Ableben hoch und wie Pamela Hoffman-Jeep und Gately darin verwickelt waren. Ein paar Monate, bevor er wegen der Rausschmeißerkiste in den Bau gewandert war, hatte Gately eine Katastrophenbeziehung mit einer gewissen Pamela Hoffman-Jeep gehabt, seiner allerersten Bindestrichfrau, eine irgendwie vornehme, aber ziellose, nicht sehr gesunde, blasse und unglaublich passive Frau aus Danvers, die in Swampscott bei einer Firma für Krankenhausbedarf in der Beschaffungsabt. arbeitete, ziemlich definitiv Alkoholikerin war und spätabends in den Clubs an
Alkoholikerin war und spätabends in den Clubs an der Route 1 bunte Drinks mit Schirmchen drin trank, bis ihr die Sinne schwanden und sie mit lautem BoIlern wegkippte. So nannte sie das - »mir schwinden die Sinne«. Z u m Sinneschwinden und Wegkippen mit lautem BoIlern, wenn ihr Kopf auf die Tischplatte knallte, kam es praktisch allabendlich, und Pamela HoffmanJeep verliebte sich automatisch in jeden Mann, der in ihren Worten »chevaleresk«374 genug war, sie zum Parkplatz hinauszutragen und nach Hause zu fahren, ohne sie zu vergewaltigen, wobei sie die Vergewaltigung einer bewusstlosen Frau mit Baumelkopf als »Gelegenheit ausnutzen« bezeichnete. Gately hatte sie über Fackelmann kennengelernt, denn als er eines Abends durch eine Sportbar namens Katerschmiede für Schlechterverdienende kam, um sich mit einem von Sorkins Schuldnern zu unterhalten, sah er Fackelmann, der gerade schwankend eine bewusstlose Frau zu seiner Karre trug, wobei seine eine Pranke deutlich weiter oben unter ihrem schulballmäßigen Taftrock verschwunden war, als für das Tragen zwingend nötig gewesen wäre, und Fackelmann meinte zu Gately, wenn der die Pritsche nach Hause fahren würde, würde er dafür bleiben
nach Hause fahren würde, würde er dafür bleiben und das Eintreiben übernehmen, und Gately war beim Eintreiben sowieso nicht mehr mit dem Herzen dabei und schlug ein, wenn Fackelmann ihm versichern könne, sie würde während der Fahrt in seinem Jeep ihre diversen Körperflüssigkeiten bei sich behalten. Und da sagte Fackelmann, während der kleine und schlaffe, aber kontinente Körper auf dem Parkplatz der Katerschmiede den Träger wechselte, er solle auf dem Kiewiew sein, Gately, und sie ein bisschen vergewaltigen, denn diese Pritsche wäre wie eine von diesen Südseekulturpritschen, d. h., wenn Gately sie nach Hause brächte und sie unvergewaltigt aufwachte, würde sie Gately bis an sein Lebensende lieben. Gately hatte aber gar nicht die Absicht, eine bewusstlose Frau zu vergewaltigen, und noch weniger wollte er einer Frau die Hand unter den Rock schieben, die jede Sekunde die Kontrolle über i hr e Körperflüssigkeiten verlieren konnte, und so schlitterte er in die Beziehung. Pamela Hoffman-Jeep nannte Gately ihren »KawaIUhr« und verliebte sich leidenschaftlich in seine Weigerung, die Gelegenheit auszunutzen. Gene Fackelmann, vertraute sie ihm an, war nicht so ein Gentleman wie Gately.
an, war nicht so ein Gentleman wie Gately. Eine Katastrophe war die Beziehung, weil Pamela Hoffman-Jeep die ganze Zeit entweder so blau war, dass sie nicht mehr laufen konnte, oder aber so verkatert und passiv, dass Sex zu jeder Zeit als Gelegenheit ausnutzen gegolten hätte. Die Frau war die passivste Frau, die Gately je gesehen hat. Er ist nie Zeuge geworden, wie P. H. J. aus eigener Kraft einen Ortswechsel vorgenommen hätte. Sie brauchte anscheinend rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr jemanden, der sie chevaleresk hochhob, trug und irgendwo wieder ablegte. Sie war eine Art sexuelle Papuse. Den größten Teil ihres Lebens verbrachte sie weggekippt und schlafend. Sie war eine wunderschöne Schläferin, kätzchenhaft und gelöst, und sie sabberte nie. Bei ihr sahen Passivität und Bewusstlosigkeit irgendwie schön aus. Fackelmann nannte sie das Aushängeschild des Todes. Gately stellte sich immer vor, dass sie auch bei der Arbeit, in ihrer Firma für Krankenhausbedarf, in der Horizontalen blieb, in Embryonalhaltung zusammengerollt auf einer weichen Unterlage, mit all der heißen schlaffen mimischen Intensität eines schlafenden Babys. Er
stellte sich vor, wie ihre Bosse und Kolleginnen auf Zehenspitzen durch die Beschaffungsabt. schlichen und sich zuflüsterten, sie ja nicht zu wecken. Kein einziges Mal saß sie auf dem Beifahrersitz des Wagens, in dem er sie nach Hause fuhr. Aber sie übergab sich auch nie, bepisste sich nie und beklagte sich auch nicht, lächelte nur, gähnte das kleine Milchgähnen eines Kleinkinds und kuschelte sich tiefer in das, worin Gately sie jeweils eingewickelt hatte. Gately gewöhnte sich an loszubrüllen, man hätte sie beraubt, wenn er sie in das ab gerippte Luxusapt. trug, von dem aus sie gerade teamten. P.H.J. war keine große Schönheit, aber Gately fand sie unglaublich sexy, denn wenn sie bewusstlos dalag, sah sie immer so aus, als wäre sie gerade dermaßen genagelt worden, dass ihr vor lauter Entspannung die Sinne geschwunden waren. Trent Kite meinte zu Fackelmann, seiner Meinung nach hätte Gately den Verstand verloren. Fax versetzte, Kite selbst sei doch auch nicht gerade ein W. T. Sherman, was die Damen anging, nicht mal bei Kokshuren, nervösen Schwesternschülerinnen und Picheltrullas mit schminkeverschandelten Baumelköpfen. Fackelmann behauptete, er hätte angefangen, über Kites Anbaggersprüche Buch zu
führen - todsichere Sprüche wie» Du bist die zweitschönste Frau meines Lebens, wobei die schönste Frau meines Lebens die britische Expremierministerin Margaret Thatcher war« und» Wenn wir jetzt zu mir gehen, bin ich außergewöhnlich zuversichtlich, dass ich eine Erektion hinkriegen könnte« -, und meinte, wenn Kite mit dreiundzwanzigeinhalb nicht mehr unberührt wäre, dann wäre das der Beweis, dass es einen Gott gäbe. Manchmal wachte Gately aus einem Demerolnickerchen auf, sah die blasse passive Pamela in all ihrer Pracht neben sich schlafen und konnte in einer Art hellseherischem Zeitraffer verfolgen, wie sie im Laufe ihrer Zwanziger ihr Aussehen verlor, wie das Gesicht ihr vom Schädel aufs Kissen rutschte, das sie wie ein Plüschtier umklammerte, und wie sie vor seinen Augen zur Picheltrulla wurde. Die Vision erregte eher Empathie als Entsetzen, wodurch sich Gately aber auch nicht sehr viel anständiger vorkam. Zwei Dinge hatte Gately an P.H.-J. besonders gern: Wie sie kurz aus ihrem Stupor erwachte, sich die Wange hielt und hysterisch lachte, wenn Gately sie
über die Schwelle eines abgerippten Apartments trug und brüllte, sie wären beraubt worden; und dass sie immer die langen weißen Leinenhandschuhe und das schulterfreie Taftkleid trug, in dem sie wie eine feine Debütantin vom North Shore aussah, die sich ein paar Schöpfkellen zu viel von der guten CountryClubBowle genehmigt hat und jetzt förmlich darum fleht, dass die nächstbeste tätowierte Prolette die Gelegenheit ausnutzt - mit der Hand in dem langen weißen Handschuh vollführte sie da, wo Gately sie gerade abgelegt hatte, so eine matte Zeitlupenpeitschgeste und sagte in ihrem Oberschichttonfall dümmlich lächelnd» Don, Schatz, bring Mommy einen Highball« (sie nannte Drinks immer Highballs), und wie sich herausstellte, war das eine hundertprozentige Nachahmung ihrer eigenen Mom, neben der, wie sich herausstellte, Gatelys Mom suffmäßig eine wahre Carry Nation war, denn die vier Gelegenheiten, wo Gately Mrs H.-J. überhaupt zu sehen bekam, spielten sich immer in Notaufnahmen und Sanitärien ab. Glotzäugig vor Angst und Schuldgefühlen liegt Gately im Zischen und Klicken des wieder aufgefrischten Schneeregens im dämmernden
Zimmer vom St. E. neben dem glänzenden Korsettund-SchädelHalbkugel-Ding, das exoskelettal am leeren Nachbarbett festgeklammert worden ist und an einigen Schweißnähten matt schimmert, und versucht zu verweilen, indem er sich erinnert. Es war Pamela Hoffman-Jeep gewesen, die Gately schlussendlich darüber unterrichtet hatte, auf welche verschiedenen kleinen Weisen Gene Fackelmann im Lauf der Zeit Whitey Sorkin betuppt hatte, und sie informierte ihn auch über die suizidale Patsche, in die sich Fackelmann mit einer bestimmten Fehlwette gebracht hatte, die ihm voll in der Karte explodiert war. Selbst Gately hatte gemerkt, dass da irgendwas los war: Schon seit zwei Wochen hatte Fackelmann nur noch schwitzend in einer Ecke des abgerippten Wohnzimmers gehockt, direkt vor dem kleinen Luxusschlafzimmer, in dem Gately und Pamela lagen, er hockte über seinem Camping-Kocher und unglaublichen Zwillingshäufchen aus himmelblauen Dilaudids und vielfarbigen M&Ms, sagte kaum ein Wort, reagierte und bewegte sich nicht, ratzte nicht mal ab und zu weg, saß nur gekrümmt, feist und glänzend da wie eine in die Enge getriebene Kröte, und der Schnurrbart wirbelte ihm um die
und der Schnurrbart wirbelte ihm um die Mundwinkel. Die Dinge mussten wirklich schlimm gelegen haben, wenn Gately darauf angewiesen gewesen war, P.H.-J. kohärente Informationen zu entlocken. Das Ding war anscheinend gewesen, dass einer der Wetter, der seine Einsätze über Fackelmann bei Sorkin deponierte, ein Typ war, den Gately und Fackelmann nur als Achtziger-Bill kannten, ein untadelig gepflegter Mann, der rote Hosenträger unter einem flotten Zegna-Dreiteiler, Schildpattbrille und Docksiders trug, ein altmodischer Firmenakquirührer und Anlagenausschlächter um die Fünfzig, mit einem Büro im Exchange-PlaceWolkenkratzer und einem nostalgischen FREE MILKEN-Aufkleber an seinem BMW - es war ein Abend vieler Highballs und mit jeder Menge Papusieren, und immer wieder musste Gately den Schädel von P.H.-J. anschnipsen, damit sie lange genug bei Bewusstsein blieb, um sich durch die Einzelheiten hindurch zu assoziieren -, der bei der vierten Ehe mit seiner dritten Aerobic-Lehrerin angekommen war und nur auf Basketballmannschaften von Ivy-LeagueUniversitäten wettete, das aber mit so hohen Einsätzen, dass Fackelmann immer im Voraus
Sorkins Einverständnis einholen musste, bevor er Achtziger-Bill zurückrief und so weiter. Und jedenfalls - sagte Pamela Hoffman-Jeep - hatte anscheinend ein kleines untadelig gepflegtes Vögelchen diesem Achtziger-Bill, der ein YaleAbsolvent war und von unverhohlener Sentimentalität in Bezug auf das, was Fackelmann, wie Pamela H.-J. lachend erzählte, immer seine »Almometer« nannte - dieses eine Mal etwas ins haarige Ohr geflüstert, denn diesmal wollte Achtziger-Bill 1f249 00 Dollar auf Brown Univ. gegen Yale Univ. setzen, d. h., er wettete gegen seine eigene Almometer, nur wollte er zwei Prozentpunkte weniger als die ausgeglichene Marge, die Sorkin und die anderen Bostoner Buchmacher von der Atlantic City Line als Marge nahmen. Und Fackelmann musste per Handy in Saugus anklingeln, um das mit Sorkin durchzugehen, nur war Sorkin gerade in der Stadt, in der Nationalen Stiftung für Kraniofazialschmerzen in Enfield und besorgte sich seine wöchentliche UV-Bombardierung und seinen Cafergot-Nachschub bei Dr. Robert (»SechzigerBob«) Monroe - dem siebzigjährigen N.S.K.F.S.-Arzt mit rosa Sonnenbrille und NehruJacke, der sich auf
e r g o t a l k a l o i d e Gefäßkopfschmerzbehandlung spezialisiert hatte, einem Typ, der anno dunnemals Praktikant bei Sandoz gewesen war und in 1. Learys inzwischen legendärem Haus in West Newton, Massachusetts, zu 1. Learys ursprünglichem Kreis von Acid-aus-Mayonnaise-Gläsern-Schmeißern gehört hatte, und der (60er-B.) jetzt ein enger Bekannter von Kite war, weil SechzigerBob ein vielleicht noch größerer Grateful-Dead-Fanatiker war als Kite, und manchmal traf er sich mit Kite und anderen Deadheads (die meisten inzwischen mit Gehstöcken und Sauerstoffkanistern), und dann tauschten sie historische Souvenirs wie Tigeraugen und Paisley- Wamse, Batikhemden und Lavalampen, Kopftücher und Plasmalampen sowie die verschiedensten Schwarzlichtposter mit involuierten geometrischen Mustern, sie diskutierten, welche DeadKonzerte und Dead- Raubpressungen in verschiedenster Hinsicht die besten aller Zeiten waren, und waren ganz allgemein tierisch guter Dinge. 60er-B. war ein eingefleischter Sammler und feilschender Krimskramshändler, und auf der Suche nach Dead- Paraphernalien nahm er Kite manchmal auf Expeditionen in eklektische und schäbige Läden mit, verhökerte informell manchmal auch Sachen für
Kite (und damit indirekt auch für Gately) und versorgte ihn mit $, und wenn Kites unflexibles Bedürfnisschema kein formelleres und zeitraubendes Hökern zuließ, dann verkaufte Sechziger-Bob die Sore in diversen schäbigen Läden für 60er-JahreKlimbim, den normalerweise sonst keiner haben wollte. Ein paarmal musste Gately tatsächlich mit den Fingern einen Eiswürfel aus dem Highball fischen und P.H.-J. unter den Saum ihres schulterfreien Ballkleides stecken, um sie wenigstens ansatzweise in der Spur zu halten. Wie die meisten extrem passiven Menschen hatte die Perle echte Probleme, bei einer Geschichte das Wichtige vom Unwesentlichen zu trennen, und deshalb wurde sie auch kaum je was gefragt. Aber die Sache ist, dass die Person, die Fackelmanns Anruf wegen des Unsummeneinsatzes von AchtzigerBill auf Yale-Brown entgegennahm, gar nicht Sorkin war, sondern seine Sekretärin, eine gewisse Gwendine O'Shay, die haubitzenbrüstige alte, einer Green Card entbehrende Ex-I.R.A.-Braut, die drüben auf der Grünen Insel einmal zu oft den Schlagstock eines gottlosen Belfaster Bobbys über die Rübe gezogen bekommen hatte und deren Schädel daher (in Fackelmanns Terminologie) so weich wie ein
Welpenschiss im Regen war, aber sie hatte diese verwahrlost unaufmerksame Omi-Art, sich die alten Hände mit den gichtroten Knöcheln auf die Wangen zu schlagen, zu quietschen und den Lotteriegewinn bei der Massachusetts Lottery zu bejubeln, wenn Whitey Sorkin und seine handelsreisenden Spießgesellen aus dem Parlament von Massachusetts wieder mal einen Sorkinisten in einem der Eckläden, die Sorkin und seine Spießgesellen über ihre diversen Briefkastenfirmen am ganzen North Share unterhielten, ein auf geheimnisvolle Weise gewinnendes Los der Massachusetts Lottery hatten kaufen lassen, und die, weil sie Sorkins Aussagen zufolge sich nicht nur auf die einzige angemessene Nackenmassage westlich des Berner Heißquellen-Alpenzentrums verstand, sondern auch schockierende 110 Wörter p r o Minute tippen und einen Knüttel schwingen konnte, dass man sich lieber um seinen eigenen Kram kümmerte - außerdem war sie die ScrabblePartnerin von W. Sorkins lieber verstorbener ExI.R.A.-Braut-Mutter drüben auf der Grünen Insel gewesen -, als Whiteys Chefadjutantin amtierte und die Handys bemannte, wenn Sorkin gerade nicht da
oder unpässlich war. Kern der Sache, zu dessen Herausschnipsen Gately P.H.-J. fast den Schädel spalten musste, war folgender: Gwendine O'Shay, die Achtziger-Bill und seine sentimentale Einstellung zu den Yale Univ. Bulldogs kannte und außerdem kranial weich wie eine faule Weintraube war, O'Shay hatte Fackelmanns Anruf falsch verstanden und gedacht, Fackelmann habe gesagt, Achtziger-Bill wolle 125000 mit (-2) Punkten auf Yale setzen und nicht a u f B r o w n , sie setzte Fackelmann in die Warteschleife, die ihn mit irischer Seichtmusik berieselte, rief einen Maulwurf bei der Yale-Sportabt. an, den sie aus Sorkins lesegeschützter MAULWURF-Datenbank herausgefischt hatte, und erfuhr, dass beim Power Forward, dem Star der Yale Univ. Bulldogs, eine äußerst seltene neurologische Erkrankung namens postkoitale Vestibulitis375 diagnostiziert worden war, durch die der Power Forward noch mehrere Stunden nach dem Geschlechtsverkehr unter so massiven Schwindelanfällen litt, dass er seine Propriozeption einbüßte und buchstäblich keinen Hintern mehr vom Ellenbogen unterscheiden konnte, ganz zu
schweigen von verlässlichen Bewegungen Richtung Eimer. O'Shays zweiter Anruf bei Sorkins Sportmaulwurf der Brown Univ. (einem Umkleidewart, den alle für taub hielten) ergab, dass etliche der sirenenhaftesten und ihrer Universität treu ergebenen heterosexuellen Studentinnen rekrutiert und zum Vorsprechen, Einweihen und Proben (d.h. Entweihen, giggelte Pamela HoffmanJeep, deren Giggeln von diesen kitzligen Wellenbewegungen in den Schultern begleitet wurde, die ein weit jüngeres Mädchen macht, das von einer Autoritätsperson durchgekitzelt wird und so tut, als wolle es das nicht) eingeladen und danach an strategischen Punkten stationiert worden waren Haltebuchten am 1-95, in der Ersatzreifenaussparung des Charterbusses der Bulldogs, in den immergrünen Büschen vor dem Sondereingang der Mannschaften draußen vor dem Pizzitola Athletic Center in Providence, in konkaven N i s c h e n entlang der Pizzitola- Tunnel vom Sondereingang zur Gäste-Umkleide, sogar in der extra vergrößerten und sinnlich ausgestatteten Umkleide neben der Umkleide des Power Forward in der GU, und alle waren bereit - genauso wie die Brown-Cheerleader und die Mitglieder des
Peptrupps, die alle instruiert worden waren, sliplos, enthaart und spagatlastig aufzutreten, um das ganze Spielumfeld des Power Forward drüsentechnisch explosiv aufzuladen -, bereit, für Team, Uni und einflussreiche Mitglieder des Bruins-Fördervereins der Brown-Ehemaligen das vorletzte Opfer zu bringen. Dann holte Gwendine O'Shay wieder Fackelmann in die Leitung, gab dem Rieseneinsatz und der Punktwette grünes Licht, und wer hätte das auch nicht getan, wenn Maulwürfe einen über eine derart abgekartete Finkelei informierten? Nur hatte sie den Wetteinsatz eben falsch rum verstanden, d. h., O'Shay glaubte, Achtziger-Bill habe 125 Riesen auf Yale mit (-2) Punkten gesetzt, während AchtzigerBill- der, wie sich herausstellte, beim Bieterwettstreit um die Mehrheitsbeteiligung an der Federated Funnel and Cone Corp. von Providence, dem O.N.A.N.-Marktführer in der Herstellung kegelförmiger Behälter, die Rolle des Ritters in der Not mit sich selbst besetzt hatte, während der Konzernchef der F. F. & C . ein prominenter BrownEhemaliger und so fanatischer Bruins-Förderer war, dass er bei Ligaspielen tatsächlich den ausgehöhlten Kopf eines knurrenden Bären aufsetzte, dem
Achtziger-Bill bis zu den Knöcheln in den Arsch kriechen wollte, schob P. H.- J. ein und deutete an, es sei Achtziger-Bill gewesen, der der Bruins-Equipe den Tipp mit dem Achillessamenstrang des Power Forward gegeben hatte -, während A.-B. vernünftigerweise davon ausging, er habe Brown mit minus zwei Prozentpunkten für 125 Tausis. D e r Schraubenschlüssel im Pfeffer war, dass in Providence niemand damit gerechnet hatte, dass pünktlich zum Spielanpfiff vor dem Pizzitola Athletic Center die gesamte Dachlatten und Schlagringe schwingende dworkinistische Phalanx für die Prävention von und den Protest gegen Frauenverdinglichung der Brown University auftauchen würde, zwei PPPFVs pro Motorrad, die durch die filigranen Tore bretterten, als wären die aus nassem Kleenex, und die Arena stürmten, unterstützt von einer Division schneidiger N.O.W.Studentinnen der Brown Univ., die in der ersten Auszeit von den billigen Plätzen aus einen Zangenangriff durchführten, genau in dem Augenblick, als das erste Pyramidenmanöver der Brown-Cheerleader in einem Flugspagat kulminierte, das den Punktezähler an der Pizzitola-Anzeigetafel gegen sein Schaltpult zurücktaumeln ließ, wodurch
gegen sein Schaltpult zurücktaumeln ließ, wodurch er an der Tafel genau in dem Moment die Nullen von sowohl HEIM als auch GÄSTE löschte, als die schalldämpferlosen PPPFV-Hobel böswillig durch die Bodentunnel auf die Spielfläche posaunten; im anschließenden Handgemenge wurden nicht nur Cheerleader, Peptrupp und anmutige Brown-Univ.Sirenen entweder von wie Knüttel geschwungenen Dachlatten geschrägt oder um sich tretend und kreischend über die vierschrötigen Schultern der militanten PPPFVs geworfen und auf dröhnenden Hobeln abtransportiert, wodurch das empfindliche Nervensystem des Power Forward der Yale intakt, wenn auch überhitzt blieb, sondern von einem PPPFV-Schlagring beziehungsweise einem desorientierten Schiedsrichter mit Kampfsporterfahrung wurden auch zwei Starter der Brown Univ. Bruin gefällt, ein Center und ein Shooting Guard - beide nach einer strapaziösen vVoche des Vorsprechens und Probens anmutiger Sirenen zu entsaftet und benommen, um einen anständigen Sprint hinlegen zu können, als das Handgemenge aufs Pizzitola-Parkett überschwappte; und als die Spielfläche endlich geräumt und die Tragen abgetragen waren, wurde das Spiel
wiederaufgenommen, und Yale Univ. machte Brown Univ. mit über zwanzig Punkten Vorsprung platt. Dann rief Fackelmann Achtziger-Bill an und verabredete sich zur Entgegennahme des Skeet, der sich inklusive Vig auf $ 137500 belief und den A.-B. ihm in großen Prä-O.N.A.N.-Assignaten in einem GO BROWN BRUINS- Turnbeutel aushändigte, den er zum Spiel mitgebracht hatte, bei dem er neben dem bärenköpfigen Konzernchef gesessen hatte, und den er dann nicht mehr brauchte, jedenfalls nahm Fackelmann in der City den Skeet in Empfang und düste die marode Route 1 nach Saugus raus, um den Skeet abzuliefern und seinen Vig vom Vig ($ 625 US) sofort entgegenzunehmen, weil er allmählich superdringend Blues coppen musste usw. Und Fackelmann ging mal davon aus, dass er vielleicht einen kleinen Bonus kriegen würde oder wenigstens etwas emotionale Bestätigung von Sorkin, weil er einen so riesigen und prompt gezahlten Wetteinsatz brachte. Aber als er zu der Tittenbar kam, in deren Hinterzimmer Sorkin hinter einer nicht gekennzeichneten, mit Holzpaneelimitat tapezierten Brandschutztür sein Verwaltungsbüro hatte, deutete Gwendine O'Shay hinter ihrem
Textverarbeitungsgerät nur wortlos und mit einer knappen Geste, die Fackelmann für einen so festlichen Anlass etwas unangemessen fand, auf die Tür zu Sorkins Privatbüro. An der Tür hing ein großes Poster von R. Limbaugh, von vor dem Attentat. Drinnen beugte sich Sorkin über Tabellen und trug seinen Bildschirmlichtfilterbrillenaufsatz. Mit den langen vorstehenden Stutzen erinnerten die Aufsatzlinsen an Hummeraugen an Stielen. Gately, Fackelmann und Bobby C sprachen Sorkin immer erst an, wenn sie angesprochen worden waren, was nichts mit Schergenservilität zu tun hatte, sondern daran lag, dass sie nie wussten, wie es gerade um Sorkins kraniofaziale Gefäßverfassung stand und ob er Geräusche ertragen konnte, bis sie ihn nachweislich seine eigenen hatten ertragen hören. (Geräusche.) G. Fackelmann wartete also wortlos ab, den Skeet von AchtzigerBill zu übergeben, stand groß, schwabbelig und blässlich schwitzend da, alles in allem von Form und Farbe eines gepellten gekochten Eis. Als Sorkin eine Braue in Richtung GO BRUINS- Turnbeutel hochzog und sagte, die schenkelklopfende Komik des Witzes entgehe ihm, h o b Fackelmanns Schnurrbart förmlich auf ganzer
h o b Fackelmanns Schnurrbart förmlich auf ganzer Breite von seiner Oberlippe ab, und er setzte an zu sagen, was er immer sagte, wenn er perplex war, dass nämlich alles Gesagte mit Verlaub gesagt eine gottverdammte Lüge wäre. Sorkin speicherte seine Daten ab und schob den Bürostuhl zurück, um unten an die feuerfeste Schublade heranzukommen. Die Schutzbrillen fanden oft Verwendung in Datenerfassungsklitschen und kosteten einen Zwickel. Sorkin grunzte, als er eine riesige alte Schachtel der Massachusetts Lottery für QuikPikKarten herausnahm und auf den Tisch wuchtete, wo sie sich obszön wölbte, voll mit 112500 US - Dollar 112,5 Scheißriesen waren da drin, alles in Einern, 125000 minus Vig, was Sorkin via O'Shay für Achtziger-Bills Gewinn hielt, alles in kleinen Scheinen, weil Sorkin stinksauer war und sich die kleine Rache nicht verkneifen konnte. Fackelmann schwieg. Sein Schnurrbart erschlaffte, als sein Neuronengetriebe Fahrt aufnahm. Sorkin massierte sich die Schläfen, starrte mit seinem Brillenaufsatz zu Fackelmann hoch wie eine Krabbe im Aquarium und sagte, wahrscheinlich könne er weder Fax noch O'Shay Vorwürfe machen, er selbst hätte die Wette angesichts ihres neurologischen Tipps über den
Yale-Forward ja auch abgenickt. Wer hätte denn auch voraussehen können, dass diese Feminazis ihnen den Pfeffer versalzen würden. Auf Gälisch fügte er noch etwas hinzu, was Fackelmann nicht verstand, aber für fatalistisch hielt. Von einem granatendicken Geldbündel schälte Sorkin sechs Hunnis und einen O.N.A.N.istischen 25er-Lappen ab und schob sie Fackelmann über den Metalltisch zu, seinen Vig vom Vig. Scheiß drauf, sagte er (Sorkin), die irrationale Pro- Yale-Sentimentalität von diesem AchtzigerBill-Jungen würde ihn früher oder später teuer zu stehen kommen. Altgediente Buchmacher wurden oft geduldige Statistikphilosophen. Fackelmann fragte sich nicht erst groß, warum Sorkin Achtziger-Bill einen» Jungen « nannte, wo sie doch beide praktisch gleich alt waren. Aber über dem feuchten Kopf ging ihm allmählich ein wattstark leuchtendes Licht auf. Sollte heißen, der Faxter vermochte zunehmend in Begriffe zu kleiden, was geschehen sein musste. Er hatte noch immer kein Wort gesagt, betonte Pamela Hoffman-Jeep. Sorkin musterte Fackelmann und fragte, ob er zufällig asymmetrisch zugenommen hätte. Fackelmanns linke Titte war unter der Sport jacke auffallend größer als die rechte wegen des Umschlags mit 137
Tausendern und einem Fünfhunderter drin, dem Skeet von Achtziger- Bill, der glaubte, er hätte verloren. Während Sorkin dachte, A.-B. hätte gewonnen. Das leise Sirren im Zimmer, das Sorkin seinem Infernatron-Diskettenlaufwerk zuschrieb, war in Wirklichkeit das Sirren von Fackelmanns hochtourigen Mentalaktivitäten. Sein Schnurrbart wirbelte herum wie eine knallende Peitsche, während er an seiner eigenen internen Tabelle arbeitete. 250000 in einem großen Batzen entsprachen 375 himmelblauen Gramm Hydromorphonhydrochlorid376 oder quasi 37500 10mg löslichen Tabletten von dem Scheiß, erhältlich bei einem gewissen habgierigen, aber diskreten Opiathändler in Chinatown, der nur mit synthetischen Narkotika in 100-Gramm-Portionen dealte, und wenn Kite überredet werden konnte, seinen D.E.C. 2100 einzupacken, mit Fackelmann weit weit wegzugehen und mit ihm zusammen eine Straßenvertriebsmatrix in einem urbanen Markt weit weit weg aufzuziehen, entsprach das dann knapp quasi, mal durchrechnen, 1 im Sinn, einem Einzelhandelswert von fast 1,9 Millionen, und das bedeutete, dass Fackelmann und in einem geringeren Juniorpartnerausmaß auch Kite
für den Rest ihrer Erdentage die Kinne auf die Brust legen konnten, ohne je wieder ein Luxusapt. abrippen, einen Pass fälschen oder einen Daumen brechen zu müssen. Dafür musste Fackelmann nur seine Karte im Zaum halten über O'Shays Verwechslung von Yale und Brown, etwas über einen intravenösen Zusatzstoff murmeln, der einen jähen, aber befristeten Riesenwuchs in der einen Titte ausgelöst hätte, und stracks die Route 1 zu diesem Dr. Wo und Partner, Hung Toy's Cold Tea Emporium, Chinatown, runterdüsen. Inzwischen war Pamela Hoffman-Jeep den Highballs und ihrer eigenen eingemummelten Wärme erlegen, und die Sinne waren ihr irreversibel geschwunden, da half kein Eis und kein Fingerschnipsen mehr, sie zuckte synaptisch und murmelte einem Monty zu, er sei ihrer Meinung nach nun aber ganz bestimmt kein Gentleman. Aber den Rest von Fackelmanns Ritt in die Scheiße konnte sich Gately auch selbst ausmalen. Als Fackelmann mit einem GO BROWN- Turnbeutel voll mit Dr. Was bestem Großhandels-Dilaudid bei Kite auf der Matte stand und ihn einlud, sich mit ihm aus dem Staub zu
machen und weit weit weg die Vertriebsmatrix eines eigenen Drogenimperiums aufzuziehen, dürfte Kite vor Entsetzen zurückgeprallt sein, weil Fackelmann ganz offenkundig nicht wusste, dass der Wetter Achtziger-Bill in Tat und Wahrheit niemand anders war als der Sohn von Sechziger-Bob alias Whitey Sorkins Leibmigränologen, dem Sorkin vertraute und dem er alles anvertraute, wie nur massive intravenöse Cafergot- Dosen einen vertrauen und anvertrauen lassen können, dem Sorkin also zweifellos auch von dem riesigen Yale-Gewinn seines Sohnes erzählen würde, und wenn sich Sechziger- Bob und sein Sohn auch nicht gerade so nahestanden wie Ward und Wally, so behielt Ersterer Letzteren doch aus der Ferne im väterlichen Auge und musste einfach gewusst haben, dass A.-B. in Wirklichkeit auf Brown gesetzt hatte im Versuch, sich bei dem Kegelkonzernchef einzuschleimen, und dann wusste er auch, dass es da eine Verwechslung gegeben haben musste; und außerdem (Kite prallte immer entsetzter zurück, je mehr er sich zusammenreimte), selbst wenn Sorkin irgendwie nicht über Sechziger-Bob von Achtziger-Bills Verlust und Fackelmanns Beschiss erfuhr, dann coppte doch Bobby (»C«) C, Sorkins neuester und grausamster
US-amerikanischer Gorilla, dieser altmodische Junkie, auf regelmäßiger Basis altes organisches Heroin aus Burma bei diesem Dr. Wo und erfuhr garantiert von gut 300 Gramm GroßhandelsDilaudid, die ein Fackelmann gekauft hatte, der als Cs Kollege bei Sorkin bekannt war ... also war Fackelmann, der, als er mit seinem Vorschlag bei Kite ankam, schon im Besitz einer BrownReklameTüte mit 37500 10-mg-Dilaudids war und um 250 Riesen von Sorkin leichter - und, wie Gately später erfuhr, nur 22 Riesen als Rückversicherungskapital gegen suizidal in die Hose gegangenen Beschiss hatte -, schon tot: Fackelmann war ein toter Mann, dürfte Kite gesagt haben und vor Entsetzen über Fax' Idiotie zurückgeprallt sein; Kite dürfte gesagt haben, dass er förmlich riechen könne, wie Fackelmann kompostiere. Scheißmausetot, dürfte er Fackelmann gesagt und sich schon Sorgen gemacht haben, dass er überhaupt mit ihm zusammen in der Tittenbar saß, in der Fax Kite mit dem Vorschlag gekommen war. Und während Gately P.H.-J. beim Schlafen zusah, konnte er sich nicht nur vorstellen, sondern voll damit identifizieren, wie Fackelmann, als der von Kite hörte, er könne seinen Tod riechen
und warum, wie Fackelmann da, statt seinen BluesBeutel zu nehmen, sich ein Ziegenbärtchen anzukleben und unverzüglich in Gefilde zu fliehen, die vom Metro-Bostoner North Share nie auch nur gehärt hatten - dass der Faxter das gemacht hatte, was jeder Drogensüchtige machte, der genug Rauschgift hatte und mit tödlichen Nachrichten und dem damit einhergehenden Entsetzen konfrontiert wurde: Fackelmann war schnurstracks zu ihrem luxusabgerippten Heim mitsamt vertrautem und Schutz bietendem Herd gestürzt, war hingeplumpst, h a t t e sofort den Campingkocher angeworfen, aufgekocht, abgebunden, sich zugeknallt und das Kinn auf die Brust genagelt, es mit gigantischen Mengen Dilaudid dort fixiert und die Tatsache auszublenden versucht, dass man ihn entkarten würde, wenn er nicht sofort auf entschiedene Abhilfe sann. Denn das war Gately schon damals klar: Grundsätzlich bewältigte jeder Drogensüchtige seine Probleme, indem er sie mithilfe der guten alten Droge ausblendete. Und das Entsetzen therapierte er wahrscheinlich, indem er sich mit Erdnuss-M&Ms voll stopfte, jedenfalls erklärte das all die leeren Verpackungen auf dem Boden der Ecke, aus der er nicht mehr herauskam. Und genau deswegen hatte
Fackelmann tagelang feucht und stumm in der Wohnzimmerecke direkt vor ihrem Schlafzimmer gehockt; das erklärte den scheinbaren Widerspruch zwischen den gigantischen Drogenmengen in Fackelmanns Turnbeutel und dem in die Enge getriebenen Blick eines Mannes mit jener Todesangst, die man mit Entzug assoziiert. Gately kartierte und überlegte, trommelte mit den Fingern geistesabwesend auf P. H.- J.s bewusstlosen Schädel und verstand, dass er Fackelmanns Zuflucht zu Dilaudid und M&Ms mehr als nachvollziehen konnte, aber jetzt versteht er auch, was ihm damals erstmals eindrücklich dämmerte, dass ein Drogensüchtiger nämlich im Grunde ein feiges und jämmerliches Wesen ist: ein Wesen, das sich prinzipiell versteckt. Das Sexuellste, das Gately je mit Pamela HoffmanJeep gemacht hatte, war, dass er gern ihren Deckenkokon abschälte, sich zu ihr legte und sie ganz eng löffelte, seine Massen an all ihre weichen konkaven Stellen schmiegte und dann mit dem Gesicht in ihrem Nacken einschlief. Es beunruhigte ihn, dass er Fackelmanns Wunsch, sich zu verstecken und alles auszublenden, nachvollziehen
konnte, aber in der Retrospektive der Erinnerung beunruhigt ihn noch mehr, dass er nur ein paar Minuten lang beunruhigt neben der komatösen Frau liegen bleiben konnte, bevor er wieder den vertrauten Wunsch verspürte, der alles andere ausblendete, und dass er sich an jenem Abend wieder aus dem Kokon des Bettzeugs herausgeschält hatte und automatisch aufgestanden war, um jenem Wunsch nachzukommen. Und am schlimmsten fühlt er sich, weil er, nur in Jeans, aus d e m Schlafzimmer hinaus getrampelt war und ins schummrige Wohnzimmer rübergemacht hatte, wo Fackelmann feucht und mit verschmiertem Mund in der Ecke neben einem Berg von 10-mg-Dilaudids, seiner Rührschüssel mit destilliertem Wasser, dem Spritzbesteck und dem Sterna-Kocher kauerte, dass er so automatisch zu Fackelmann hinaustrampelte und sich einredete - sich selbst einredete, das war das Schlimmste -, dass er sich einredete, er wolle bloß mal nach dem armen alten Fackelmann sehen und vielleicht versuchen, ihn zum Handeln zu überreden, bußfertig zu Sorkin zu gehen oder in andere Gefilde zu fliehen, sich jedenfalls nicht bloß in der Ecke zu verstecken, das Hirn im Leerlauf, das Kinn auf der Brust und einen immer länger
werdenden Stalaktiten aus Schokoladensabber an d e r Unterlippe. Denn er wusste ja genau, wenn Gately P.H.-J. verließ und ins entmöblierte Wohnzimmer getrampelt kam, würde Fackelmann als Erstes in seinem GoreTex-Spritzbesteckset nach einer neuen, originalverpackten Spritze suchen und Gately einladen, sich neben ihn zu hocken und seinen Frieden mit dem Planeten zu machen. D. h. etwas von dem Dilaudid- Berg zu konsumieren und Fackelmann Gesellschaft zu leisten. Was Gately zu seiner Schande auch machte, gemacht hatte, und Fackelmanns Teufelsküche und der Handlungsbedarf waren mit keinem Wort zur Sprache gekommen, so erpicht waren sie auf das schläfrige Summen der Blues, das alles ausblendete, während Pamela Hoffman- Jeep eingemummelt im Nebenzimmer lag und von Burgfräulein und Zinnen träumte - Gately erinnert sich noch lebhaft, dass Fackelmann ihnen beiden einen ordentlichen Schuss gesetzt und dass er sich eingeredet hatte, dass er das machte, um Fackelmann Gesellschaft zu leisten, wie man sich zu einem kranken Freund setzte, und (was vielleicht das Schlimmste war) das auch geglaubt hatte.
Kleine Entreakte von Fieberträumen unterbrechen die Erinnerungen und den, quasi, Wachzustand. Er träumt, er fährt nach Norden in einem Bus von derselben Farbe wie dessen eigene Abgase, kommt immer wieder an denselben ausgeraubten Häuschen und wogenden Meeresflächen vorbei und weint. Der Traum hört überhaupt nicht auf, es gibt keine Lösung oder Ankunft, und er weint und schwitzt, während er daliegt und feststeckt. Gately kommt ruckartig zu sich, als er eine spitze raue Zunge auf der Stirn fühlt - ein bisschen wie die tastende Zunge von Nimitz, dem Schmusekätzchen vom M. P., als der noch sein Kätzchen hatte, vor der rätselhaften Zeit, als das Kätzchen verschwand und der Müllschlucker tagelang nicht funktionierte und der M.P. mit seinem Notizbuch verkatert am Küchentisch saß und den blonden Kopf in die Hände stützte, mehrere Tage lang einfach nur dasaß, und Gatelys Mom kreidebleich durchs Haus schlich und der Küchenspüle tagelang nicht nahe kam und ins Bad rannte, als Gately sie schließlich fragte, was mit dem Müllschlucker los wäre und wo Nimitz abgeblieben wäre. Aber als Gately die Lider auseinanderbekommt, hat die Zunge keinerlei Ähnlichkeit mehr mit Nimitz'. Der Geist ist wieder da,
direkt neben dem Bett, genauso gekleidet wie beim letzten Mal und an den Rändern im hutschattig aus dem Korridor hereinfallenden Licht leicht verschwommen, nur hat er diesmal noch einen zweiten Geist dabei, einen jüngeren, körperlich weit fitteren Geist in tuntigen Fahrradshorts und einem US-amerikanischen Tank- Top, und der beugt sich über Gatelys Bettgitter und ... Scheiße, Mann, der leckt Gately die Stirn ab mit seiner rauen kleinen Zunge, und als Gately ihm instinktiv eine knallen willkein Mann berührt D. W. Gately mit der Zunge und überlebt das -, merkt er gerade noch, dass der Atem des Geists nicht warm ist und nach nichts riecht, bevor beide Geister verschwinden und ein blauer gegabelter Schmerzblitz wegen des plötzlichen Ausholens ihn mit durchgedrücktem Rückgrat und einem schlauchgehemmten Schrei wieder aufs heiße Kissen schleudert, und seine Augen verdrehen sich wieder ins taubengraue Licht dieses Irgendwie-nichtganz-Schlafs. Sein Fieber ist weit schlimmer, und die kleinen Traumfetzen haben etwas demontiert Kubistisches, das er in der Erinnerung mit Kindheitsgrippe assoziiert. Er träumt, er schaut in den Spiegel, sieht
nichts und versucht, den Spiegel mit dem Ärmel blank zu putzen. Ein Traum besteht nur aus der Farbe Blau, zu strahlend, wie das Blau eines Swimmingpools. Immer wieder steigt ihm ein unangenehmer Geruch aus der Kehle auf. Oder er steckt in einer Tüte, die er gleichzeitig hält. Besucher huschen rein und raus, aber nie Ferocious Francis oder Joelle van D. Er träumt von Menschen in seinem Zimmer, aber er ist nicht unter ihnen. Er träumt, er ist mit einem sehr traurigen Jungen zusammen, sie sind auf einem Friedhof, graben den Schädel eines Toten aus, und das ist sehr wichtig, quasi kontinentalkrisenwichtig, und Gately ist der b e s t e Gräber, aber er ist übel hungrig, also unbezähmbar hungrig, und isst mit beiden Händen aus Familienpackungen Konzern-Snacks, sodass er nicht richtig graben kann, und es wird immer später, und der traurige Junge will Gately anschreien, dass das wichtige Ding im Schädel des Toten begraben worden sei, und sie müssten die Kontinentalkrise abwenden, indem sie den Totenschädel ausgrüben, bevor es zu spät sei, aber der Junge bewegt die Lippen, ohne dass ein Ton herauskommt, und Joelle van D. erscheint mit Flügeln und ohne Höschen und fragt, ob sie ihn kannten, den Toten mit dem
Schädel, und Gately erzählt von seiner Bekanntschaft mit ihm, obwohl er tief drinnen in Panik gerät, weil er keine Ahnung hat, wen die eigentlich meinen, und der traurige Junge hält irgendwas Grausiges an den Haaren hoch und verzieht das Gesicht wie jemand, der voller Panik Zu Spät schreit. Sie war aus dem Eingang vom St. E.s getreten und hatte sich nach rechts gewandt, wollte die Abkürzung nach Ennet House zurück zu Fuß gehen, als eine grotesk riesige Frau, deren Strumpfhose sich von Stoppeln wölbte und deren Gesicht und Kopf viermal so groß waren wie die der größten Frau, die Joelle je gesehen hatte, sie am Ellbogen packte und sagte, es täte ihr leid, dass sie es ihr sagen müsse, aber ohne etwas davon zu ahnen, sei sie in geradezu irrsinniger Gefahr. Joelle brauchte eine Weile, um sie von oben bis unten zu mustern. »Sonst noch was Neues?« Der Morgen nach dieser Nacht fand Gately und Fackelmann immer noch in Fackelmanns kleiner Ecke, Gürtel um die Arme, Arme und Nasen rot vom Kratzen, immer noch dabei, beim Konsum, auf einer höllischen Sause, kochten auf und kamen drauf und
aßen M&Ms, wenn sie mit der Hand den Mund finden konnten, bewegten sich wie Männer tief unter Wasser, die Köpfe eierten auf den kraftlosen Hälsen herum, die Decke des leeren Zimmers war himmelblau und wölbte sich, und darunter hing oben an der Wand rechts von ihnen der TPLuxusbildschirm des Apartments und zeigte in Zeitlupe eine Endlosschleife von irgendwas Gruseligem, was Fackelmann mochte und was nur aus fortlaufenden Einzelbildern der Flammen von Messingfeuerzeugen, Küchenstreichhölzern, Zündflammen, Geburtstagskerzen, Votivkerzen, Säulenflammen, Birkenspänen, Bunsenbrennern usw. bestand, was Fackelmann von Kite bekommen hatte, der kurz vor Sonnenaufgang fertig angezogen herausgekommen war, dankend darauf verzichtet hatte, sich mit ihnen zusammen einen Schuss zu setzen, nervös gehustet und bekannt gegeben hatte, er müsse ein paar Tage oder länger weg zu einer »total wichtigen« und unverzichtbaren SoftwareFachmesse in einem anderen Postleitzahlenbereich, und der nicht wusste, dass Gately inzwischen wusste, dass er wusste, dass Fackelmann schon tot war, wobei sich Kite diskret aus dem Staub machen wollte, seine gesamte Hardware in den Armen,
inklusive des nichttransportablen nE.c., und dabei Kabel hinter sich herzog. Kurz darauf, als das Morgenlicht an gelber Strahlkraft gewann und sowohl Gately als auch Fackelmann die Tatsache verfluchen ließ, dass die Vorhänge ab gerippt und verpfändet worden waren, als sie immer noch dahockten, aufkochten und sich Schüsse setzten, war gegen vielleicht 8.30 Uhr Pamela Hoffman-Jeep wach, reiherte hingebungsvoll, wappnete sich mit Schaumfestiger gegen den Alltag, nannte Gately Schatz und Kawallihr, fragte, ob sie am Vorabend etwas angestellt habe, bei dem heute Erklärungsbedarf aufkommen könneeine Art Morgenroutine ihrer Beziehung -, trug Rouge auf, trank ihr übliches Antikaterfrühstück377 und sah zu, wie Gatelys und Fackelmanns Kinne sich mit verschiedenen Unterwassergeschwindigkeiten hoben und senkten. Der Duft ihres Parfums und ihrer hochoktanigen Pfefferminzbonbons hing noch im kahlen Zimmer, lange nachdem sie ihnen beiden Ciao Bello gesagt hatte. Als die Morgensonne höherstieg und unerträglich wurde, wurden sie nicht etwa aktiv und nagelten eine Decke oder sonst was vors Fenster, sondern beschlossen, die Wirklichkeit
des augenversengenden Lichts auszublenden, und begannen mit den Blues ein richtiges Komafixen, flirteten mit dem goldenen Schuss. In einem Wahnsinnstempo erklommen sie Fackelmanns Mount Dilaudid. Fackelmann war von Natur aus ein Komafixer. Gately war im Vergleich dazu eher ein Instandhaltungsdrogist. Er machte sich nur selten ans Komadröhnen., plumpste also nur selten irgendwo mit einem Riesenvorrat hin und dröhnte sich über längere Zeit hinweg immer wieder zu, ohne sich von der Stelle zu rühren. Aber wenn er sich dann mal ans Komadröhnen machte, hätte man ihn, was Kontrolle über Dauer oder Dynamik anging, auch auf eine Raketenspitze schnallen können. Fackelmann machte sich über den Berg aus lO-mgBlues her, als wäre gleich Schicht im Schacht. Wenn Gately behutsam das Gespräch darauf brachte, wie Fackelmann ein so riesiges blaues Drogendepot hatte anlegen können - und Fackelmann quasi dazu einlud, sich seinen Problemen zu stellen, indem er sie beschrieb -, schnitt Fackelmann ihm unweigerlich jedes Mal mit einem leisen »Das ist eine gottverdammte Lüge« das Wort ab. Mehr sagte Fackelmann praktisch nie, wenn er drauf war, selbst wenn er auf Dinge wie Fragen reagierte. Alle
Wortwechsel beim Komadröhnen muss man sich als sehr langsam und seltsam lang gezogen vorstellen, als wäre Zeit Honig: »Echt tierisches Depot, was du da irgendwie angelegt hast, Fa -« »Das ist eine gottverdammte Lüge.« »Mann. Mann. Ich hoffe bloß, da draußen sitzen heute Gwendine oder C am Telefon, Mann. Und nicht Whitey. Dass von hier aus heute Geschäfte erledigt werden, das glaub ich nämlich mal ni-« »/s 'ne gottverdammte Lüge.« »Das steht mal fest, Fax.« »'s 'ne gottverdammte Lüge.« »Fax. Der Faxter. Graf Faxula.« »Gottverdammte Lüge.« Nach einiger Zeit wurde es durch die ganze Dehnung quasi ein Witz. Gately stemmte den großen Kopf in die Senkrechte und versuchte, die Rundheit des Planeten zu behaupten, die Dreidimensionalität der phänomenalen Welt, die Schwärze aller schwarzen Hunde»'s 'ne gottverdammte Lüge.« Sie fanden das immer witziger. Nach jedem solchen Wortwechsel lachten und lachten sie. Jede
Lachexhalation schien mehrere Minuten zu dauern. Die Decke und das Fensterlicht wichen zurück. Fackel mann pisste sich in die Hose; das war noch witziger. Sie betrachteten, wie sich die Urinpfütze auf dem Parkett ausbreitete, die Form änderte, gewundene Arme sprießen ließ und den gediegenen Eichenboden erforschte. Die Anhöhen, Senken und kleinen Fugen. Es konnte spät und wieder früher Morgen geworden sein. Die Myriaden kleiner Flammen der Unterhaltungspatrone spiegelten sich in der expandierenden Pfütze, sodass Gately sie bald betrachten konnte, ohne das Kinn von der Brust zu heben. Als das Telefon klingelte, war das bloß eine Tatsache. Das Klingeln war Umwelt, kein Signal. Die Tatsache des Klingelns wurde immer abstrakter. Was immer ein klingelndes Telefon besagen mochte, es wurde quasi total überwältigt von der überwältigenden Tatsache des Klingelns. Gately wies Fackelmann darauf hin. Fackelmann dementierte es nachdrücklich. Einmal wollte Gately aufstehen, wurde vom Fußboden rüde angegriffen und pisste sich ebenfalls in die Hose.
Das Telefon klingelte und klingelte. Ein andermal fingen sie an, verschiedenfarbige Erdnuss- M&Ms in die Urinpfützen zu kullern und zu verfolgen, wie die farbige Glasur korrodierte und einen vampirweißen M&M-Fußball in einem Nimbus aus bunter Glasur hinterließ. D e r Sprechanlagensummer der Glastür des Luxusapartmentkomplexes unten ertönte und überwältigte sie beide mit der Tatsache seines Summens. Er summte und summte. Sie diskutierten ihren Wunsch, er möge verstummen, wie man den Wunsch diskutiert, es möge aufhören zu regnen. Es wurde die Interkontinentalrakete allen Komadrückens. Die Droge schien unerschöpflich; Mount Dilaudid änderte die Form, schrumpfte aber nie in einem für sie nachvollziehbaren Ausmaß. Es war das erste und einzige Mal, dass sich Gately so oft intravenöse Narkotika in den Arm spritzte, dass ihm die Armvene ausging und er zum anderen Arm wechseln musste. Fackelmann verfügte nicht mehr über die Feinmotorik, um beim Abbinden und Drücken zu helfen. Er ließ einen Schokoladensabberfaden erscheinen und sich fast bis zum Boden ziehen. Der Säuregehalt ihres Urins
ließ die Versiegelung des Apartment-Parketts sichtlich korrodieren. Die Pfütze hatte inzwischen so viele Arme wie ein Hindugott. Gately wusste nicht genau, ob sich der Urin fast bis zu ihren Füßen zurückgetastet hatte oder ob sie schon im Urin saßen. Fackelmann probierte aus, wie nah die Spitze des Speichelfadens der Oberfläche ihres Mischpisseteichs kommen konnte, bevor er ihn wieder einsog. Dem Spielchen eignete eine berauschende Aura der Gefahr. Die Einsicht, dass die meisten Menschen Spielgefahren mögen, aber echte Gefahren nicht mögen, traf Gately mit der Wucht einer Epiphanie. Er brauchte ganze Gallonen an zähflüssiger Zeit, um die Einsicht für Fackelmann in Worte zu fassen, damit Fackelmann ihr die Imprimatur eines Dementis geben konnte. Endlich verstummte der Summer. Die Wendung »Mehr Tätowierungen als Zähne« ging Gately immer wieder durch den Kopf, während er pendelte (der Kopf), aber er hatte keine Ahnung, wo die Wendung herkam oder auf wen sie sich bezog. Er war noch nicht in Billerica Minimum gewesen; er war frei auf Kaution, die Whitey Sorkin gestellt hatte.
Der Geschmack der M&Ms konnte den seltsam süßlichen, medizinischen Geschmack des Hydromorphans in Gatelys Mund nicht überdecken. Im Schimmer des Urins betrachtete er die blaue Flammenkrone einer altmodischen Herdplatte. In einer Phase amarantroten Sonnenuntergangslichts bekam Faekelmann einen leichten Krampf und hatte Stuhlgang in der Hose, und Gately fehlte die Feinmotorik, um während des Anfalls zu Faekelmann hinüberzugehen, ihm zu helfen und für ihn da zu sein. Er hatte dieses albtraumartige Gefühl, dass er etwas Entscheidendes tun musste, hatte aber vergessen, was es war. 10-mg-Blue-Bayou-Injektionen hielten das Gefühl immer kürzer in Schach. Er hatte noch nie gehört, dass jemand von einer Überdosis Krämpfe bekommen hatte, und Fackelmann schien auch zu dem zurückgekehrt zu sein, was bei ihm als wach gelten konnte. Die Sonne vor den großen Fenstern schien wie ein Ja-Ja auf- und abzugehen. Ihnen ging das destillierte Wasser aus, das Fackelmann in die Rührschüssel geschüttet hatte, und Fackelmann nahm einen Wattebausch, saugte
glasurfarbigen Urin vom Boden auf und kochte mit Urin auf. Gately schien davon abgestoßen zu sein. Die Flasche mit dem destillierten Wasser aus der abgerippten Küche zu holen, stand aber nicht zur Debatte. Gately band sich den rechten Arm inzwischen mit den Zähnen ab; der linke Arm war zu nichts mehr zu gebrauchen. Fackelmann roch ganz schön schlimm. Gately nickte in einen Traum weg, wo er in einem BeverlyNeedham-Bus saß, an dessen Seiten PARAGON BUS-LINIEN: DIE GRAUE LINIE stand. Im stuporösen Rückruf über vier Jahre danach im St. E.s erkennt er, dass das der Bus aus dem Traum ist, der nicht endete und nirgends hinführte, kommt aber gleichzeitig zu der Übelkeit erregenden Erkenntnis, dass die Verbindung zwischen den beiden Bussen selbst ein Traum ist oder in einem Traum stattfindet, und jetzt steigt sein Fieber wieder auf neue Höhen, und seine Linie auf dem Herzmonitor zeigt so komische kleine Haken wie eine Auszackung beim ersten und dritten Nodus, die im Schwesternzimmer unten im Korridor ein bernsteinfarbenes Lämpchen blinken lässt. Als der Summer wieder ertönte, schauten sie sich
spätabends den Flammenfilm an. Jetzt hörten sie durch die Sprechanlage die Stimme der armen alten Pamela Hoffman-Jeep. Sprechanlage und Apartment-Komplex-Haupteingang-Aufdrückschalter waren auf der anderen Wohnzimmerseite neben der Tür des Apartments. Die Decke wölbte sich und schrumpfte. Fackelmann hatte aus seiner Hand eine Klaue gemacht und musterte sie im Licht der TPFlammen. Mount Dilaudid war auf der einen Seite böse ausgehöhlt; eine verhängnisvolle Lawine in den Urinsee war nicht ausgeschlossen. P.H.-J. klang betrunken wie ein Nuck. Sie sagte, sie sollten sie reinlassen. Sie sagte, sie wüsste, dass sie da wären. Ein paarmal gebrauchte sie P a r t y als Verb. Fackelmann flüsterte, das wäre eine Lüge. Gately fällt ein, dass er sich in die Blase stupsen musste, um zu erfahren, ob er auf die Toilette musste. Sein Teil fühlte sich am Bein in der nassen Jeans klein und eiskalt an. Der Ammoniakgeruch des Urins und die atmende Decke und die betrunkene Frauenstimme in der Ferne ... Gately tastete in der Dunkelheit nach den Stangen seines Laufstalls, umklammerte sie mit seinen Patschehändchen und kam mühsam auf die Beine. Sein Aufstehen war eher ein Absenken des Fußbodens. Er eierte herum wie
e i n Kleinkind. Der Apartmentboden fintierte rechts und links, umkreiste ihn und lauerte darauf, dass er sich eine Blöße gab. In den Luxusfenstern hing Sternenlicht. Fackelmann hatte seine Klaue zu einer Spinne belebt, die er langsam seine Brustregion hinunterklettern ließ. Das Sternenlicht war schmierig; einzelne Sterne waren nicht zu erkennen. Alles außerhalb der Schusslinie des Patronenbildschirms war dunkel wie eine Hosentasche. Der Summer klang verärgert und die Stimme weinerlich. Gately hob einen Fuß in Richtung Summer. Er hörte, wie Fackelmann seiner Handklauenspinne erklärte, sie werde Zeugin der Geburt eines Weltreichs. Als Gately den Fuß absetzte, war da nichts da. Der Boden wich dem Fuß aus und schnellte zu ihm hoch. Er erhaschte noch einen Blick auf die gewölbte Decke, dann erwischte der Boden ihn an der Schläfe. Ihm klingelten die Ohren. Der Zusammenprall von Boden und Gately erschütterte das ganze Zimmer. Eine Schachtel Laminatfolien kam ins Schwanken, kippte um und fächerte durchsichtige Laminate über den ganzen nassen Boden auf. Der Bildschirm fiel von der Wand und warf amarant rote Flammen an die Decke. Der
Boden blockierte Gately, presste sich an ihn, und er hatte einen Grayout mit dem zerdetschten Gesicht Richtung Fackelmann und Fenstern dahinter, während Fackelmann die Spinne in die Luft hielt, damit er sie mustern konnte. »Herrgott, wenn's denn unbedingt sein muss. Ich war in zwei Szenen. Worum es darin geht, weiß ich nicht. In der ersten Szene gehe ich durch eine Drehtür. Sie wissen schon, so eine Drehtür aus Glas, und während ich reingehe, kommt auf der anderen Seite jemand raus, den ich kenne, aber anscheinend lange nicht gesehen habe, denn das Wiedererkennen erfordert eine schockierte Miene, und der Jemand erkennt mich auch und sieht genauso schockiert aus - wir sollen uns mal sehr nahegestanden haben, und jetzt haben wir uns ewig nicht mehr gesehen, und die Begegnung ist reinster Zufall. Und statt reinzugehen, bleib ich in der Tür, um dem anderen nach draußen zu folgen, aber der andere bleibt auch in der Tür, um mir zu folgen, und so wirbeln wir beide ein paarmal in der Tür herum.« »E« »Der Schauspieler war männlich. Er gehörte nicht zu Jims Stammschauspielern. Aber die Figur, die ich
in der Tür erkenne, ist monözisch.« »E« »Hermaphroditisch. Androgyn. Die Figur sollte nicht eindeutig als männlich zu erkennen sein. Ich nehme an, Sie können sich damit identifizieren. In der anderen Szene war die Kamera in einer Kinderkarre oder einem Kinderwagen festgeschraubt. Ich trug ein unmögliches weißes knächellanges Kleid aus irgendeinem fließenden Stoff, beugte mich über die Kamera in der Wiege und entschuldigte mich bloß.« »F.« »Entschuldigte mich. Mein Text bestand aus verschiedenen Formen der Abbitte. >Es tut mir so leid. Es tut mir so furchtbar leid. Es tut mir so, so leid. Bitte glaub mir doch, wie furchtbar, furchtbar leid es mir tut.< Richtig lange. Ich glaube nicht, dass er alles benutzt hat, ich mächte stark bezweifeln, dass er alles benutzt hat, aber es waren mindestens zwanzig Minuten lang Abwandlungen von »Es tut mir leid.« »F.« »Nicht ganz. Nicht richtig verschleiert.« »F.« »Die Subjektive war die aus der Wiege, ja. Eine
Wiegen-Ansicht. Aber das war es nicht, was die Szene meiner Meinung nach antrieb. Die Kamera war mit einem Objektiv versehen, das Jim, glaube ich, AutoSchwabbel nannte. Okular-Schwabbel, irgendwas in die Richtung. Ein Kugelgelenk hinter der Fassung, wodurch das Objektiv leicht schwabbelte. Ich weiß noch, dass das ein ganz komisches leises Surren verursachte.« »F.« »Die Fassung ist das Gehäuse. In der Fassung sind die Linsen des Objektivs arrangiert. Diese Wiegenlinsenfassung ragte viel weiter heraus als ein konventionelles Objektiv, hatte aber längst nicht den Umfang eines katadioptrischen Objektivs. Er erinnerte eher an ein Stielauge oder Nachtsichtgerät als an ein Objektiv. Lang, dünn und herausragend, und dann das Schwabbeln. Bei Objektiven verfüge ich nur über ein paar Grundkenntnisse wie Brennweite und Lichtstärke. Objektive waren Jims Spezialgebiet. Was ja keine große Überraschung sein dürfte. Davon hatte er immer eine ganze Kiste dabei. Objektive und Scheinwerfer waren ihm wichtiger als die Kamera. Sein anderer Sohn
schleppte die immer in einer Spezialkiste. Leith war für Kameras zuständig, der Sohn für Objektive. Objektive, sagte Jim, wären das, was er der Branche zu bieten hätte. Dem Filmernachen. Seiner Branche. Er hatte seine ganz eigenen.« »F.« »Na ja, so nah bin ich denen nie gekommen. Ich weiß nur, dass ihr Sehvermögen was Schwabbeliges und Komisches haben soll. Ich glaube, je neuer geboren sie sind, desto schwabbeliger. Und dann noch so eine milchige Verschwommenheit. Nystagmus bei Neugeborenen. Ich weiß nicht, wo ich den Begriff herhab. Kann ich mich nicht dran erinnern. Vielleicht von Jim. Es kann aber auch der Sohn gewesen sein. Was ich über Babys weiß, könnte man - vielleicht war es astigmatisches Glas. Ich glaube, es besteht kaum Zweifel daran, dass das Objektiv das Sehvermögen eines Babys reproduzieren sollte. Und das war es, was die Szene antrieb, das spürte man. Mein Gesicht war nicht wichtig. Man hatte nie das Gefühl, es ginge darum, es mit diesem Objektiv realistisch einzufangen.« »F.« »Ich hab ihn nie gesehen. Keine Ahnung.« »F.«
»Die wurden mit ihm begraben. Die Masters von allem Unveröffentlichten. Zumindest stand das so in seinem Testament.« »F.« »Das hatte nichts mit seinem Selbstmord zu tun. Weniger als nichts.« »F.« »Nein, ich habe sein Scheißtestament nie gesehen. Er hat es mir gesagt. Er hat mir nämlich einiges gesagt. Er war nicht mehr die ganze Zeit betrunken. Das hat ihn umgebracht. Er konnte es nicht ertragen, aber er hatte es versprochen.« »F.« »Ich weiß nicht, ob er überhaupt jemals einen Master fertig bekommen hat. Das sagen Si e. In meinen Szenen war nichts Unerträgliches oder Versklavendes. Nichts, was diesen Gerüchten angeblicher Vollkommenheit nahekäme. Das sind akademische Gerüchte. Er wollte etwas machen, das Zitat zu vollkommen Zitatende sein sollte. Aber als Wi tz. Unterhaltung war seine fixe Idee, weil er immerzu wegen Unterhaltung vs. Nichtunterhaltung und Stasis kritisiert wurde. Er bezeichnete sein Werk immer als >Unterhaltungen<. Und das meinte er
immer als >Unterhaltungen<. Und das meinte er grundsätzlich ironisch. Auch im Spaß sprach er nie von einer AntiVersion oder einem Gegenmittel, Herrgott noch mal. So weit hat er es nie getrieben. Ein Witz.« » ... « »Wenn er den Streifen eine Zitat vollkommene Unterhaltung Zitatende nannte, unheilbar verlockend - das war immer ironisch -, dann war das ein schlitzohriger Seitenhieb gegen mich. Weil ich doch immerzu behauptete, der Schleier tarne eine tödliche Vollkommenheit, und ich wäre so schön, dass jeder sofort tot umfiele. Das war ein Witz, den ich aus einer seiner Unterhaltungen hatte, dem Streifen von der Medusa und der Odaliske. Dass ich mich sogar in der L.A.RV.E. hinter dem Verstecken versteckte und die Entstellung leugnete. Also nahm Jim einen misslungenen Streifen und erklärte mir, er wäre zu vollkommen für jede Veröffentlichung - er würde die Menschen paralysieren. Es war völlig klar, dass das ein ironischer Witz war. Mir jedenfalls.« »F.« »Jims Humor war ein trockener Humor.« »F.« »Wenn er fertiggestellt wurde und keiner ihn
gesehen hat, den Master, dann ist er bei ihm. Im Grab. Vermut ich einfach mal. Jede Wette.« » ... « »Okay, in Kenntnis gewisser Tatsachen.« »F.« » ... « »F.,F.,F.« »Der Teil des Witzes blieb ihm verborgen. Sein Grab ist heute nämlich selbst begraben. Das liegt in Ihrer Annulationszone. Das ist nicht mal Ihr Territorium. U n d wenn Sie das Ding jetzt haben wollen - also der Witz hätte ihm sehr gefallen, glaub ich. Scheiße, Mann, und wie.« Durch einen leicht unheimlichen Zufall hatten, wie sich herausstellte, oben in unserem Zimmer auch Kyle Dempsy Coyle und Mario eine von den alten Arbeiten Seiner Selbst angeschaut. Mario hatte seine Hose angezogen und zog gerade mit seinem Spezial gerät den Reißverschluss zu. Coyle wirkte seltsam traumatisiert. Er saß bei mir auf dem Bettrand, hatte die Augen weit aufgerissen, und sein ganzer Körper vibrierte wie etwas, das an der Spitze einer Pipette hängt. Mario begrüßte mich mit Namen. Vor dem Fenster wirbelte und strudelte immer noch der Schnee. Der Standort der Sonne war unmöglich
der Schnee. Der Standort der Sonne war unmöglich auszumachen. Die Netzpfosten waren jetzt schon fast bis zu den Kästen für die Score-Karten eingeschneit. Der Wind häufte in allen Ecken der Academy Schneeverwehungen auf und drosch sie dann zu seltsamen Formen zusammen. Die Aussicht aus dem Fenster hatte die graue und körnige Qualität einer schlechten Fotografie. Der Himmel sah krank aus. Mario handhabte sein Gerät mit großer Geduld. Er brauchte oft mehrere Anläufe, um die Klemmbacken um die Reißverschlusslasche zu schließen. Coyle trug noch seinen ApnoeMundschutz und starrte auf unseren kleinen Zimmerbildschirm. Die Patrone war Komplize! von Ihm Selbst, ein kurzes Melodram mit Cosgrove Watt und einem Jungen, der vorher wie hinterher nie in Erscheinung getreten 'Nar. »Du bist früh aufgewacht«, sagte Mario und lächelte von seinem Reißverschluss hoch. Sein Bett war trommelstraff gemacht. Ich lächelte. »Nicht nur ich, wie man sieht.« »Du siehst traurig aus.« Ich hob die Hand mit dem NASA-Glas Richtung
Coyle. »Ein unerwartetes Vergnügen, K. D. c.« »Thdaith thidd voll thaithe auth«, sagte Coyle. Ich stellte Glas und Zahnbürste auf dem Nachttisch ab und zupfte dessen Deckehen zurecht. Dann griff ich nach ein paar Wäschestücken und sortierte sie per Schnupperprobe nach tragbar und untragbar. »Kyle sagt, Jim Troeltsch hat Ortho was vom Gesicht abgerissen, als er ihn vom Fenster abziehen wollte, an dem sein Gesicht kleben geblieben war«, sagte Mario. »Und dann haben }im Troeltsch und Mr Kenkle die aufgerissenen Stellen mit Toilettenpapier abgedeckt, so wie Tall Paul einen Rasierschnitt manchmal mit Kleenex-Stückehen abdeckt, aber Orthos Gesicht war viel schlimmer als ein Rasierschnitt, und sie haben eine ganze Rolle gebraucht, und jetzt ist Orthos Gesicht mit Toilettenpapier bedeckt, und das Papier klebt jetzt, und Ortho kriegt es nicht mehr ab, und beim Frühstück hat Mr deLint ihn angeschrien, weil er sich mit Toilettenpapier hat zukleben lassen, und da ist Ortho in sein und Kyles Zimmer gerannt und hat abgeschlossen, und Kyle hat seit dem Unfall im Whirlpool doch keinen Schlüssel mehr.« Ich half Mario in die Polizeischlossweste und zog
den Klettverschluss schön stramm an. Marios Brust fühlt sich so dünn an, dass ich seinen zitternden Herzschlag durch Weste und Sweatshirt hindurch spüren konnte. Coyle nahm den Apnoe-Schutz aus dem Mund. Beim Herausnehmen bildeten sich Fäden aus weißer oraler Nachtsubstanz zwischen Mund und Mundschutz. Er sah Mario an. »Sag ihm das Schlimmste.« Ich beobachtete Coyle sehr genau und passte auf, was er mit dem ekelerregenden Mundschutz in der Hand vorhatte. »Hey, HaI, auf dem Telefon sind Anrufe, und Mike Pemulis ist vorbeigekommen und hat gefragt, ob du schon auf den Beinen bist.« »Das Schlimmste daran hast du ihm noch gar nicht erzählt«, sagte Coyle. »Komm bloß nicht auf die Idee, das irgendwo an meinem Bett abzulegen, Kyle, bitte.« »Keine Angst, ich halt das von allem weit weg.« Mario zog mit seinem Gerät den langen geschwungenen Reißverschluss seines Rucksacks zu. »Kyle hat gesagt, es hätte wieder ein Problem mit dem Ausfluss gegeben -«
»Hab ich schon gehört«, sagte ich. »- und Kyle sagt, er ist aufgewacht, und Ortho war weg, und Orthos Bett war auch weg, und dann hat er das Licht eingeschaltet-« Coyle gestikulierte mit dem Utensil: »Und Scheiße-Mann-sehet, guckt euch das an.« »- genau, und sehet«, sagte Mario, »Orthos Bett ist oben an der Decke ihres Zimmers. Das Gestell ist in der Nacht irgendwie hochgehoben und an der Decke angeschraubt worden, ohne dass Kyle etwas gehört hat oder wach geworden ist.« »Jedenfalls nicht bis zum Ausfluss«, sagte ich. »Ich hab den Kanal voll«, sagte Coyle. »Die Blechdosen und die Vorwürfe, ich würde seine Sachen verstellen, sind ja schon schlimm genug. Ich geh zu Lateral Alice und will einen Wechsel so wie Troeltsch. Das geht mir über die Hutschnur.« Mario sagte: »Und sein Bett ist jetzt immer noch da oben an der Decke, und wenn es runterfällt, fällt es direkt durch den Fußboden und ins Zimmer von Graham und Petropolis.« »Und er ist jetzt da drin, von dem Toilettenpapier voll mumifiziert, und schmollt, und sein Bett hängt über ihm, die Tür ist abgeschlossen, und ich komm
über ihm, die Tür ist abgeschlossen, und ich komm nicht an meine Reinigungsutensilien für den ApnoeMundschutz ran«, sagte Coyle. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass Troeltsch anscheinend mit Trevor Axford Zimmer getauscht hatte. Ein riesiges Schneebrett rutschte den steilen Teil des Dachs über unserem Fenster hinab, fiel am Fenster vorbei und schlug mit einem dumpfen Schlag a u f dem Boden auf. Aus irgendeinem Grund erschreckte es mich, dass eine größere Sache wie ein Zimmerwechsel mitten im Schuljahr mir völlig entgangen war. Wieder sah ich eine potenziell nahende Panikattacke auffunkeln. Auf Marios Nachttisch lag eine ungleichmäßig ausgedrückte Tube mit Salbe für seine Brandwunde an der Hüfte. Mario sah mir ins Gesicht. »Bist du traurig, weil du nicht spielen kannst, wenn die Quebecer Spieler abgesagt werden?« »Und zur Krönung der Nacht klebt er am Ende mit dem Gesicht am Fenster«, sagte Coyle empört. »Festgefroren«, korrigierte ich ihn. »Nur, jetzt musst du dir mal Stice' Erklärung anhören.« »Darf ich raten? «, fragte ich.
»Warum das Bett schwebt.« Mario sah Coyle an. »Du hast doch gesagt, es wäre angeschraubt.« »Ich hab gesagt wahrscheinlich angeschraubt. Das hab ich gesagt. Ich hab gesagt, die einzige rationale Möglichkeit sind Schrauben.« »Darf ich raten? «, fragte ich. »Lass ihn raten«, sagte Mario zu Coyle. »Der Schatten glaubt, Geister.« Coyle stand auf und kam auf uns zu. Die Augen saßen bei ihm nicht ganz gleich hoch im Gesicht. »Stice' Erklärung, und das hat er mir ganz im Vertrauen gesagt, aber das war vor dem Bett an der Decke, jedenfalls glaubt er, er ist irgendwie von einem Wohltäter oder Schutzengel herausgepickt oder auserwählt worden, und der residiert entweder und/oder manifestiert sich in normalen konkreten Dingen und will dem Schatten beibringen, dass er Alltagsgegenstände nicht unterschätzen darf, wenn er sein Spiel auf ein quasi übernatürliches Niveau anheben will, er will seinem Spiel helfen.« Das eine Auge saß kaum merklich tiefer als das andere und in einem anderen Winkel. »Oder dem eines anderen schaden«, sagte ich.
»Stice geht mental aus dem Leim«, sagte Coyle und kam immer noch näher. Ich achtete darauf, außer Morgenmundgeruchsweite zu bleiben. »Er starrt Dinge an, seine Schläfenvenen treten vor, und er versucht, ihnen seinen Willen aufzudrücken. Er hat um 20 Ocken mit mir gewettet, er kann sich auf seinen Schreibtischstuhl stellen und den dann anheben, und dann wollte er nicht, dass ich ihm die Wettschuld erlasse, weil es mir nach 'ner halben Stunde peinlich wurde, wie er da oben stand und die Schläfenvenen vortraten.« Auch die Oralvorrichtung ließ ich nicht aus den Augen. »Habt ihr gehört, dass es wurstidentische Substanzen und O-Saft mit furchtbarem Fruchtfleisch zum Frühstück geben soll?« Mario fragte wieder, ob ich traurig sei. Coyle sagte: »Ich war unten. Stice' Karte hat allen im Saal den Appetit verschlagen. Dann hat deLint angefangen, ihn anzuschreien.« Er sah mich komisch an. »Ich weiß nicht, was daran so witzig sein soll, Mann.« Mario fiel rücklings auf sein Bett und schlängelte sich mit lange geübter Leichtigkeit in seine Rucksackriemen.
Coyle sagte: »Ich weiß nicht, ob ich zu Schtitt oder Rusk gehen soll oder was. Oder zu Lateral Alice. Was ist, wenn sie ihn irgendwohin verfrachten, und ich bin dann schuld?« »Es lässt sich aber doch nicht abstreiten, dass das Spiel vom Schatten diesen Herbst besser geworden ist.« »Da sind auch noch Anrufe auf dem Antwortbeanrufer, HaI«, sagte Mario, als ich ihn vorsichtig an den Händen fasste und hochzog. »Was ist, wenn sein Spiel durch sein mentales Aus-demLeimGehen besser geworden ist? «, fragte Coyle. »Zählt das dann auch als Aus-dem-Leim-Gehen ?« Cosgrove Watt war einer der wenigen professionellen Schauspieler gewesen, die Er Selbst j e eingesetzt hatte. Oft bevorzugte er krasse Amateure; er wollte, dass sie mit der hölzernen Befangenheit von Amateuren einfach ihre Zeilen von den Texttafeln ablasen, die Mario oder Disney Leith ihnen deutlich außerhalb ihrer eigentlichen Blickrichtung hinhielten. Fast bis zur letzten Phase seiner Karriere hatte Er Selbst anscheinend geglaubt, allein durch die gestelzte, hölzerne Qualität v o n Amateuren könne er sich der schädlichen
Realismusillusion entledigen und seine Zuschauer daran erinnern, dass sie in Wahrheit Schauspielern beim Schauspielern zusahen und nicht 355 Menschen beim Leben. Wie der Paris-Franzose Bresson, den er so bewunderte, hatte Er Selbst kein Interesse daran, sich bei den Zuschauern mit illusionärem Realismus anzubiedern, sagte er. Die flagrante Ironie der Tatsache, dass man Nichtschauspieler brauchte, um diese gestelzte, artifizielle Ich-schauspielere-hier-nur-Qualität zu erzielen, gehörte zu den wenigen Aspekten am Frühwerk Seiner Selbst, die akademische Kritiker wirklich interessierten. Die eigentliche Wahrheit war allerdings, dass der frühe Er Selbst gar nicht gewollt hatte, dass qualifiziertes oder glaubwürdiges Schauspielern den Blick auf die abstrakten Konzepte und technischen Innovationen der Patronen verstellte, und das stellte ihn für mich eher in eine Reihe mit Brecht als mit Bresson. Konzeptuelle und technische Genialität interessierte die meisten Unterhaltungsfilmzuschauer aber nicht weiter, und Seiner Selbst Abwendung vom Antikonfluentialismus lässt sich auch damit begründen, dass er in seinen letzten paar Projekten so verzweifelt darauf erpicht war, etwas herauszubringen, das normale US-
amerikanische Zuschauer unterhaltsam, zerstreuend und dem Selbstvergessen378 förderlich finden konnten, dass er Professionelle wie Amateure gleichermaßen ihre Gefühle bis dort hinaus ausagieren ließ. Seinen Schauspielern oder Zuschauern Emotionen zu entlocken, schien mir nie eine der Stärken Seiner Selbst gewesen zu sein, ich erinnere mich aber an Diskussionen mit Mario, der meinte, ich sähe vieles nicht, was offenkundig wäre. Cosgrove Watt war ein Profi, aber er war nicht sehr gut, und bevor Er Selbst ihn entdeckte, hatte sich seine Laufbahn im Wesentlichen auf Werbespots im terrestrischen Regionalfernsehen beschränkt. Seinen größten kommerziellen Erfolg feierte er als die Tanzdrüse in einer Reihe von Spots für eine Kette von Endokrinologiekliniken an der Ostküste. In denen hatte er ein knollenförmiges weißes Kostüm getragen, ein weißes Toupet und entweder eine Kugel- und Kettenfessel oder aber weiße TapDance-Schuhe, je nachdem ob er die Vorherdrüse oder die Nachherdrüse darstellte. Bei einem dieser Spots hatte Er Selbst vor unserem HD-Sony Heureka geschrien und war höchstpersönlich die ganze Strecke bis nach GIen Riddle, Pennsylvania,
gereist, wo Watt mit seiner Mutter und ihren Katzen wohnte, um ihn zu rekrutieren. Achtzehn Monate lang hatte er Cosgrove Watt in praktisch jedem seiner Projekte eingesetzt. Watt war für Ihn Selbst eine Zeit lang das, was Oe Niro für Scorsese war, MacLachlan für Lynch oder Allen für Allen. Und bis Watts Schläfenlappenproblem seine soziale Anwesenheit dann unerträglich machte, hatte Er Selbst Watt mitsamt Mutter und Katzen in einer zusammenhängenden Zimmerflucht untergebracht, aus der später die vom Haupttunnel unter der E. T. A . abgehenden Prorektorenräume wurden. Die Moms hatte das geduldet, Orin, Mario und mir aber immer eingeschärft, mit Watt nie allein in einem Zimmer zu bleiben. In Komplize! spielte Watt eine seiner späten Rollen. Es handelt sich dabei um eine traurige und schlichte Patrone, und sie ist so kurz, dass der TP praktisch sofort wieder zum Filmanfang zurückspringt. Er beginnt damit, dass ein wunderschön trauriger junger Busbahnhofsstricher, zart, monözisch und so blond, dass auch seine Augenbrauen und Wimpern blond sind, im Greyhound-Cafe von einem schwabbelig und zügellos aussehenden alten Typ mit grauen Zähnen, Zirkumflexbrauen und
mit grauen Zähnen, Zirkumflexbrauen und offenkundigen Schläfenlappenproblemen angesprochen wird. Cosgrove Watt spielt den sittlich verwahrlosten Alten, der den Jungen in seine luxuriöse, aber irgendwie vergammelte Genossenschaftswohnung mitnimmt, übrigens die Wohnung, die Er Selbst für o. und das SCH.M.A.Z. gemietet und für die Innenszenen fast aller seiner späten Projekte in verschiedenen Abstufungen der Gammeligkeit eingerichtet hatte. Der traurige, schöne und arisch aussehende Junge lässt sich von dem zügellosen alten Typ verführen, besteht aber auf geschütztem Verkehr. Der Junge kann sich kaum artikulieren, bringt diese Klausel aber unmissverständlich zum Ausdruck. Safe Sex oder Kein Sex, stipuliert er und hält das stereotype eingeschweißte Tütchen hoch. Der grässliche alte Typ - der jetzt in Hausrock und einem Plastron aus aprikosenfarbener Seide durch einen langen weißen FDR-mäßigen Filter raucht - ist beleidigt und glaubt, der Strichjunge hält ihn für einen so verwahrlosten und zügellosen alten Typ, dass er Es haben könnte, d a s Immuninsuffizienzvirus, glaubt er. Seine Gedanken werden in Trickfilmdenkblasen wiedergegeben, weil Er Selbst in dieser mittelspäten
wiedergegeben, weil Er Selbst in dieser mittelspäten Werkphase hoffte, die Zuschauer würden das gleichzeitig metafiktiv antiillusionistisch und wahnsinnig unterhaltsam finden. Watts alter Typ setzt ein greuliches Grinsen auf, das er für freundlich hält, nimmt pseudoverbindlich das ein geschweißte Päckchen entgegen und legt mit einer, wie er glaubt, schwungvollen Geste voller Sinnlichkeit das Plastron ab ... aber in der Denkblase hat er Schläfenlappenspasmen der sadistischen Wut auf den traurigen blonden Jungen, der ihn für ein Gesundheitsrisiko hält. Das augenfällige Gesundheitsrisiko wird hier sowohl mündlich als auch in den Denkblasen nur als Es bezeichnet. Wie zum Beispiel: »Das kleine Arschloch glaubt, ich seh so zügellos aus, dass ich solche Sachen schon so lange mach, dass ich Es habe, ja?«, denkt der alte Typ, und seine Denkblase bekommt Zacken vor Wut. Nach nur sechs Patronenminuten, Spur 510, nimmt der schwabbelige alte Typ den traurigen schönen Jungen auf die (extravagant gekrümmte) homosexuelle Standardweise auf dem Himmelbett seines schäbigen Boudoirs: Der Strichjunge nimmt pflichtbewusst die gekrümmte homodevote Position ein, weil der alte Hinterlader ihm gezeigt hat, dass er
ein, weil der alte Hinterlader ihm gezeigt hat, dass er das Kondom übergestreift hat. Der (gekrümmte) Strichjunge, der beim Verkehr nur von links gezeigt wird, ist von zarter, spindeldürrer, Rippendurchscheinen-Iassender Schönheit, während der alte Typ einen schlaffen Hintern und die spitzen Brüstchen eines Mannes hat, den die jahrelange Zügellosigkeit grotesk gemacht hat. Der Verkehr wird unter starken Lampen gefilmt, ohne jeden Weichzeichner oder leichten Jazz im Hintergrund, was die Atmosphäre klinischer Distanz aufhellen würde. Der traurige, blonde, devote Junge weiß bloß nicht, dass der zügellose alte Typ ein altmodisches einseitig geschärftes Rasiermesser in der Hand hat verschwinden lassen, als er in sein burgunderrat gekacheltes Badezimmer gegangen ist, um mit Zimtmundwasser zu gurgeln und sich einen Pheromon-Moschusduft Marke Calvin Klein auf die schwabbeligen Pulspunkte zu tupfen, und als er sich animalisch über den traurigen Jungen krümmt, hält er ihm die scharfe Klinge an den Anus, während er sich seiner Lust hingibt, sodass die scharfe Klingenseite bei jedem Stoß Kondom und erigierten Penis aufschlitzt, wobei dem grässlichen alten Typ
Penis aufschlitzt, wobei dem grässlichen alten Typ das Blut und der Schmerz der Penisschlitzung egal sind, während er unter den gekrümmten Stößen das aufgeschlitzte Kondom wie Wurstpelle abzieht. Der d e v o t gekrümmte Strichjunge spürt erst das Abschälen des Kondoms und dann das Blut und fängt an, sich wie ein Verdammter zu wehren, versucht, den kondomlos blutenden schwabbeligen alten Typ aus sich raus und von sich runter zu kriegen. Aber der Stricher ist schmächtig und zierlich, und der alte Mann kann ihn mit seinem weichen, schlaffen, schwabbeligen Gewicht mühelos unten halten, bis er mit einer Grimasse gegrunzt und das Ende seiner Lust erreicht hat. Anscheinend ist es eine Konvention bei homosexuellen Sexszenen, dass der Partner in der devot gekrümmten Position das Gesicht von der Kamera abwendet, solange sich der Penis des dominanten Partners in ihm befindet, und Er Selbst respektierte diese Konvention, irritierenderweise weist aber eine selbstbewusste Fußnote als Untertitel darauf hin, dass diese Szene eine Konvention respektiere. Der Strichjunge wendet sein gequältes Gesicht der Kamera erst zu, als der verwahrloste ältere Homosexuelle seinen blutigen und abschwellenden Postlustpenis rausgezogen hat,
dreht das blondbrauige Gesicht nach links, stellt sich mit einem stummen Heulen den Blicken der Zuschauer und kollabiert auf die zierliche Brust, streckt die Arme auf dem Satinlaken aus, streckt den geschändeten Anus hoch in die Luft und zeigt an der Falte von Pobacke und Oberschenkelmuskel einen leuchtend rotvioletten Klecks, leuchtender als jedes Hämatom und mit acht spinnenartig abgehenden Tentakeln, die, wie die entsetzte Denkblase des alten Mannes enthüllt, das unverkennbare achtbeiniger-Ieuchtend-blauer-Fleck-Zeichen von Kaposisarkom sind, das omnipräsenteste Symptom v o n I h m, und der Junge schluchzt, dass der verwahrloste alte Homosexuelle ihn - den Strichjungen - zum Mörder gemacht hat, die haltlosen Schluchzer des Jungen lassen den hochgestreckten Hintern vor dem entsetzten Gesicht des alten Typs herumwackeln, während der Junge in d e n chartreusegrünen Satin schluchzt und immer wieder »Mörder! Mörder!« kreischt, sodass ein knappes Drittel der Gesamtlänge von Komplize! nur d e r schluchzergeschüttelten Wiederholung dieses einen Wortes gewidmet ist - weit, weit länger, als ein Publikum brauchen könnte, um alle Komplexitäten,
alle potenziellen Implikationen und Bedeutungen zu absorbieren. Über genau solche Probleme stritten Mario und ich oft. Ich sehe das so: Obwohl beide Figuren ihre Gefühle am Ende der Patrone durch alle Poren ausagieren, bleibt das grundlegende Anliegen von Komplize! abstrakt und selbstreflexiv; wir fühlen am Ende nicht mit den Figuren und denken nicht über sie nach, sondern über die Patrone selbst. Als die letzte repetitive Einstellung zur Silhouette abgeblendet wird, der Abspann darüber hinweggleitet, das Gesicht des Alten sich nicht mehr vor Entsetzen verkrampft und der Junge verstummt, stellt sich die eigentliche Spannung der Patrone mit der Frage ein: Setzte Er Selbst uns 500 Sekunden mit wiederholten »Mörder! «- Rufen aus irgendeinem Grund aus, d. h., dienen die Verwirrung, dann die Langeweile, danach die Ungeduld, schließlich die Marter und zuletzt der unterdrückte Zorn der Filmzuschauer auf das statisch repetitive letzte 1j, d e s Films einem theoretisch-ästhetischen Zweck, oder beweisen sie nur, dass Er Selbst bei seinem eigenen Zeug ein erstaunlich beschissener Cutter war?
Erst nach Seiner Selbst Tod begannen die Kritiker und Theoretiker dieser Frage potenzielles Gewicht beizumessen. Eine Professorin an der Univ. of Calif. in Irvine bekam ihre Festanstellung für einen Essay, in dem sie die These aufstellte, die Sinn-vs.-UnsinnDebatte um das Ununterhaltsame im Werk Seiner Selbst erhelle die zentralen Mysteria der millennialen Apresgardisten, die sich in der Teleputer-Ära ausschließlich privater Unterhaltungen meist um die Frage drehten, warum so viele ästhetisch ehrgeizige Filme so langweilig waren und warum so viele beschissen reduktive kommerzielle Unterhaltungen so viel Spaß machten. Der Essay war bis zur Unlesbarkeit jargongespickt, enthielt zudem das Verb referenzieren und pluralisierte Mysteri um als 379 Mysteria. Aus meiner horizontalen Lage auf dem Schlafzimmerboden konnte ich mit der TPFernbedienung praktisch alles machen, nur die Patronen selbst konnte ich nicht aus dem Laufwerk nehmen bzw. hineinstecken. Das Zimmerfenster war ein transluzentes Gerinnsel aus Schnee und Dampf geworden. Die Spontanen Disseminationen von InterLace für Neuneuengland drehten sich
ausschließlich ums Wetter. Wegen unseres AboSystems bekamen wir an der E. T. A. unzählige Spontane Spuren für den großen Markt. Jede Spur widmete sich dem Wetter mit einer etwas anderen Ausrichtung. Jede Spur hatte einen etwas anderen Schwerpunkt. Vor-Ort-Berichte von Bostons North Shore und South Shore, aus Providence, New Haven und Hartford-Springfield gelangten zu dem Konsens, dass fürchterlich viel Schnee gefallen sei und immer noch falle und herumgeweht und angehäuft werde. Quer gerutschte Autos wurden gezeigt, die hastig verlassen worden waren, und wir bekamen die universelle weiße VW-Käfer-Form von unter Schnee begrabenen Autos zu sehen. Schwarz behelmte Gangs von Jugendlichen waren zu sehen, die auf Motorschlitten in den Straßen von New Haven herumgurkten und eindeutig nichts Gutes im Schilde führten. Gebückt gehende und rutschende Fußgänger waren zu sehen; Journalisten vor Ort waren zu sehen, die zu ihnen rutschen wollten, um i hr e Gedanken und Kommentare einzufangen. In Quincy am South Shore verschwand ein rutschender Journalist urplötzlich außer Sicht, und nur eine Hand mit Mikrophon ragte noch unerschrocken aus einer Art Schneedoline; dann sah man die gebückten
Rücken der Techniker, die von der Kamera vor Ort weg schlitterten, um ihm zu helfen. Menschen mit Schneefräsen standen in ihren eigenen kleinen Blizzards. Ein Fußgänger wurde bei einem eindrucksvollen Ausrutscher gefilmt. Autos in den unmöglichsten Winkeln auf der Straße wurden mit durchdrehenden Reifen gefilmt, im Stand erschauernd. Eine Spur schnitt immer wieder auf einen Mann zurück, der ununterbrochen eine Windschutzscheibe freizufegen versuchte, die nach jedem Handfegerstrich sofort wieder zuschneite. Ein Bus steckte mit der Schnauze in einer Monsterschneewehe fest. ATH5CME-Gebläse waren zu sehen, die nördlich der Mauer bei Ticonderoga, New New York, horizontale Schneezyklone in der Luft erzeugten. Trübsinnige Frauen mit aufgelegtem Rouge in InterLace-Studios waren übereinstimmend der Meinung, dass dies der schlimmste Schneesturm in der Region seit 1998 v.52 sei und der zweitschlimmste seit 1993 v.52. Ein Rollstuhlfahrer war zu sehen, der stoisch auf eine zwei Meter hohe Schneeverwehung über der Auffahrt zum State House starrte. Satellitenkarten der ostzentralen O.N.A.N. zeigten eine weiße, spiralförmige und zottelige Wolken formation, die Klauen zu haben
schien. Es war kein Nordostler. Ein heißer feuchter Hochdruckkeil aus dem Golf von Mexiko war über der Konkavität mit einer arktischen Kaltfront kollidiert. Die Satellitenaufnahmen des Sturms wurden mit Schemata des Kawuschs von 1998 überblendet und erwiesen sich als nahezu identisch. Ein unerwünschter alter Bekannter sei zurück, sagte eine beeindruckende Frau mit schwarzem Pony und grellem Lippenstift und lächelte düster. Eine andere Spur wiederholte, dass das kein Nordostler sei. Die Wendung »lächelte unfroh« war vielleicht angemessener. Die leeren, glasigen Augen des Mannes, der erfolglos auf der Windschutzscheibe herumfegte, repräsentierten anscheinend ein wichtiges Bild; diverse Spuren kamen immer wieder auf sein Gesicht zurück. Er weigerte sich, die Journalisten oder ihre Bitten um Kommentare zur Kenntnis zu nehmen. Er hatte das unheimlich geschäftige Gesicht eines Menschen, der Glassplitter von der Straße sammelt, nachdem seine Frau bei einem Verkehrsunfall geköpft und von der Lenksäule aufgespießt worden ist. Die Moderatorin einer anderen Spur war eine schöne Schwarze mit purpurrotem Lippenstift und anscheinend üppigem
Bürstenschnitt. Aus allen Himmelsrichtungen wurde jetzt Schnee gemeldet. Nach einer Weile verlor ich den Überblick darüber, wie oft das Wort Schnee wiederholt worden war. Alle Synonyme für Schneesturm waren in Windeseile aufgebraucht. In der City fuhren helmlose Gefahrensucher auf Motorschlitten Doughnuts auf dem Copley Square. Von Schneewehen schon fast bedeckte Obdachlose kauerten in Hauseingängen und drehten sich aus Zeitungen vorsorglich Schnorchel. Jim Troeltsch, der jetzt anscheinend in B-204 wohnte, hatte immer gern die ziemlich komische Darstellung einer InterLaceModeratorin beim Orgasmus zum Besten gegeben. Ein Gefahrensucher verlor die Kontrolle über seinen Motorschlitten und sauste in eine Schneeverwehung. Die Kamera vor Ort zeigte noch ein paar Momente die Verwehung, aber nichts tauchte wieder auf. Die Reserve der Nationalgarde von Connecticut war mobilisiert worden, aber immobil geblieben, weil die Fortbewegung in Connecticut unmöglich war. Drei Uniformierte mit grauen Helmen verfolgten zwei Männer mit weißen Helmen, alle auf Motorschlitten, die Gründe waren aber einem Journalisten vor Ort zufolge vorläufig noch unklar. Journalisten vor Ort benutzten Ausdrücke wie vor l äuf i g unklar,
benutzten Ausdrücke wie vor l äuf i g unklar, individuell, mutmaßlich, zum Einsatz kommend und im Entstehen begriffen. Dem unpersönlichen Duktus wurde aber immer der Vorname der Moderatorin vorangestellt, als gehöre der Bericht zu einem Gespräch unter vier Augen. Ein auf einem Motorschlitten Patronen ausfahrender InterLaceAusfahrer wurde gezeigt und als beherzt beschrieben. Otis P. Lords Hitachi-Bildschirm sei am Donnerstag operativ entfernt worden, hatte LaMont Chu gesagt. Ich war nie auf Motorschlitten, Skiern oder Schlittschuhen unterwegs gewesen: Die E. T. A. suchte so was zu unterbinden. Für DeLint liefen Wintersportarten darauf hinaus, niederzuknien und Verletzungen zu erflehen. Die Motorschlitten auf dem Bildschirm klangen alle wie kleine Kettensägen, die ihre Kleinheit durch zusätzliche Kampfeslust wettmachen wollten. Eine beeindruckende Aufnahme zeigte einen feststeckenden Schneepflug in Northampton. »Individuen, die keine Dringlichkeit zum Reisen aufweisen« (si e), wurde von einem Nationalgardisten mit Helm und Kinnriemen offiziell vom Reisen abgeraten. Ein Brocktoner in einem Lands' - End- Parka wurde bei einem Sturz gezeigt, der zu burlesk für eine Inszenierung war.
der zu burlesk für eine Inszenierung war. An den '98er Blizzard konnte ich mich kaum erinnern. Die Academy war da erst seit ein paar Monaten offen gewesen. Ich erinnere mich, dass die Ränder der abgetragenen Hügelkuppe noch rechtwinklig, steil und von Sedimentablagerungen gestreift waren; die letzten Bauarbeiten verzögerten sich nach einem von dem Veteranensanatorium am Fuß des Hügels angestrengten hässlichen Prozess. D e r Sturm kam im März Richtung Südosten aus Kanada dahergebraust. Dwight Flechette, Orin und die anderen Spieler mussten angeseilt zur Lunge hinübergeführt werden, im Gänsemarsch, und der mit einer Autobahnfackel bewehrte Schtitt bahnte i h n e n an der Spitze einen Weg. In C. 1.s Wartezimmer hingen ein paar Fotos davon. Der letzte Junge am Seil verschwand in einem verwehenden grauen Wirbel. Die nagelneue Blase der Lunge musste demontiert und verstärkt werden, nachdem d a s Gewicht des Schnees sie auf einer Seite eingedrückt hatte. Die U-Bahn fuhr nicht mehr. Ich weiß noch, dass einige jüngere Spieler geweint und Stein und Bein geschworen hatten, der Blizzard sei nicht ihre Schuld. Tagelang hatte ein graphitgrauer Himmel unablässig Schnee herabgeschüttet. Er
Himmel unablässig Schnee herabgeschüttet. Er Selbst hatte auf einem Stuhl mit Spindellehne an demselben Wohnzimmerfenster gesessen, das C. 1. jetzt im Zustand fortgeschrittener Sorge nutzt, und eine Reihe nichtdigitaler Kameras auf die wachsenden Schneernassen gerichtet. Nachdem die ihn verzehrende Leidenschaft jahrelang die Gründung der E. T. A. gewesen war, sagte Orin, hätte Er Selbst die Leidenschaft für den Film praktisch sofort entdeckt, als die Academy in Betrieb genommen worden war. Orin hat gesagt, die Moms hätte die Filmkiste für eine flüchtige Leidenschaft gehalten. Er Selbst schien sich anfangs hauptsächlich für Linsen und Raster380 sowie die Konsequenzen ihrer Modifizierung zu interessieren. Er saß während des gesamten Sturms auf dem Stuhl und hielt den Cognacschwenker mit einer Hand, die l angen Beine von einer karierten Decke nur unzureichend bedeckt. Seine Beine waren mir damals fast endlos lang vorgekommen. Er schien immer unmittelbar vor einer Erkrankung zu stehen. Seine Akte bis zu jener Zeit deutete darauf hin, dass seine Leidenschaft für etwas anhielt, bis er damit Erfolg hatte, und dann übertrug er sie auf etwas anderes. Von der militärischen Optik über die
anderes. Von der militärischen Optik über die Annularoptik, die kommerzielle Optik und die Tennispädagogik hin zum Film. Als er während des Blizzards auf dem Stuhl saß, hatte er mehrere verschiedene Kameras und einen großen Lederkoffer neben sich stehen. Darin bildeten Linsen an beiden Kofferseiten ein Streifenmuster. Mario und ich durften verschiedene Linsen in die Augen klemmen und blinzelnd festhalten, um Schtitt nachzuahmen. Dass die Leidenschaft für den Film so lange anhielt, ließe sich damit begründen, dass Er Selbst beim Filmemachen nie richtigen Erfolg hatte oder ein wirklich versierter Regisseur wurde. Auch in diesem Punkt konnten Mario und ich uns auf unsere Uneinigkeit einigen. Der Umzug von Weston an die E. T. A. dauerte insgesamt fast ein Jahr. Die Moms war in Weston gebunden und zog die Sache in die Länge. Ich war noch klein. Ich lag flach auf dem Rücken auf dem Teppich in unserem Zimmer, versuchte mich an Einzelheiten in unserem Haus in Weston zu erinnern u n d tippte mit dem Daumen auf der TPFernbedienung herum. Anders als Mario kann ich
mich nicht an alle Einzelheiten erinnern. Eine Disseminationsspur schwenkte einfach von der Spitze des Hancock Tower über den Himmel und den Horizont von Metro-Boston. Im UKW-Spektrum absolvierte WYYY seinen Wetterbericht anscheinend per Mimesis und sendete ungefilterte atmosphärische Störungen, während die Studenten zur Feier des Sturms garantiert ihre Bongs rauchten und dann hochstiegen, um auf dem zerebralen Dach der Student Union herumzuschlittern. Der Schwenk der Hancock-Kameras zeigte auch das Sinciput der M. I. T . Union, dessen Dachverschlingungen sich schneller mit Schnee füllten als der Rest, sodass sich ein unheimliches weißes Filigran vom tiefen Grau des Dachs abhob. Der einzige Teppich in unserem Schlaftraktzimmer ist die vergrößerte Fälschung einer Teppichseite aus dem Buch von Lindisfarne, bei der man sehr genau hinsehen muss, um im byzantinischen Knüpfwerk die winzigen pornographischen Szenen um das Kreuz herum zu erkennen. Ich hatte den Teppich vor Jahren in einer Phase intensiven Interesses an byzantinischer Pornographie gekauft, das sich an einer, wie ich fand, erregenden Referenz im O.E.D.
entzündet hatte. Auch ich hatte mich als Kind zwischen seriellen Leidenschaften bewegt. Ich korrigierte meinen Winkel auf dem Teppich. Ich wollte mich an einer Art Maserung der Welt ausrichten, die ich kaum noch spürte, seit Pemulis und ich aufgehört hatten. Die Maserung meine ich, nicht die Welt. Ich merkte, dass ich meine eigenen optischen Erinnerungen an das Westoner Haus nicht von Marios detaillierten Schilderungen seiner Erinnerungen unterscheiden konnte. Ich erinnere mich an ein spätviktorianisches dreistöckiges Haus, das an einer tiefen, ulmengesäumten ruhigen Straße lag, an überdüngte Rasenflächen, große Häuser mit ovalen Fenstern und Veranden mit Fliegenfenstern. Das eine Haus an der Straße hatte einen Pinienaufsatz. Nur die Straße selbst lag tief; die Grundstücke waren zu hohen Buckeln gekrümmt und die Häuser so groß, dass die breite Straße trotzdem eingeschnürt wirkte; eine Art wohlstandsgesäumter Hohlweg. Immer schien Sommer oder Frühling zu sein. Ich erinnerte mich an die Stimme der Moms, die hoch über mir an der Verandatür stand und uns ins Haus rief, wenn die Dämmerung herabsank und in einer Art synchroner Linearität die bleigefassten Oberlichter über den Haustüren aufleuchteten.
Entweder unsere eigene oder eine andere Auffahrt flankierten weiß getünchte Steine, die wie Perlen oder Tropfen geformt waren. Den verschachtelten Garten der Moms hinter dem Haus umschloss eine Einfriedung aus Bäumen. Er Selbst saß auf der Veranda und rührte mit dem Finger in einem Gin Tonic. S. Johnson, der noch unkastrierte Hund der Moms, war wegen seiner Psychose in einen großen eingezäunten Pferch gesperrt, der an die Garage grenzte, und in diesem Pferch rannte er immer im Kreis herum, wenn es donnerte. Der Geruch nach Noxzema: Er Selbst stand turmhoch empor- und herabragend hinter Orin im Badezimmer und brachte ihm bei, sich gegen den Strich nach oben zu rasieren. Ich erinnere mich, wie S. Johnson sich immer auf die Hinterbeine gestellt und mit den Vorderpfoten auf den Zaun eingetatzt hatte, wenn Mario auf den Pferch zukam: das Sirren des Maschendrahtzauns. Die kahle Erde von S. J.s Kreisbahn im Pferch, wenn es donnerte oder Flugzeuge über ihm vorbeiflogen. Er Selbst versank tief in Sesseln, konnte die Beine übereinanderschlagen und trotzdem noch beide Füße flach auf den Boden stellen. Er schmiegte das Kinn in die Hand, wenn er zu einem aufsah. Meine
Erinnerungen an Weston kamen mir wie Tableaus vor. Eher wie Schnappschüsse als wie Filme. Eine seltsam isolierte Erinnerung an Sommerschnaken, die die Luft über dem zotteligen Tierkopf der Topiarihecke eines Nachbarn tüpfelten. Unsere eigenen runden Stauden, die die Moms oben immer flach wie Tischplatten schor. Noch mehr Horizontalen. Das Auf jaulen der Heckenscheren mit ihren Kabeln in leuchtendem Orange. Ich musste bei praktisch jedem Atemzug schlucken. Ich erinnerte mich daran, wie ich mit schwerem Trödelschritt die Zementtreppe von der Straße zu dem spätviktorianischen Gebäude mit Krüppelwalmdach hinaufgestiegen war, dessen knappe Höhe von der Treppe aus ihm das verzerrte Aussehen einer zähflüssig herabhängenden Flüssigkeit gab: überladen verzierte Traufen, wellige Schindeln aus verwittertem Rot, Zinkregenrinnen, die von den Studenten der Moms gesäubert wurden. Ein blauer Stern im Vorderfenster und daneben die Worte BLOCKMUTTER, worunter ich mir immer entweder eine rechteckige Frau oder das Gebrüll der Menge im Football-Stadion vorstellte. Drinnen war es kühl, schummrig und roch nach Lemon Pledge. Ich hatte
keine optischen Erinnerungen an meine Mutter ohne weiße Haare; nur deren Länge variierte. Ein Tonwahltelefon, dessen Schnur in der Wand verschwand, stand auf einer horizontalen Fläche in einer Mauernische nahe der Haustür. Korkböden und Einbauregale aus Holz, das nach Holz roch. Der abschreckende, gerahmte Druck von Lang, 1924 bei der Regiearbeit an Metropolis.381Eine klobige schwarze Kiste mit Fischbändern aus Messing. Ein paar von Seiner Selbst schweren alten Tennistrophäen als Buchstützen im Einbauregal. Eine Etagere mit altmodischen Magnetvideos in bunten Reklameschachteln und auf der obersten Ebene einer Gruppe blauweißer Delfter Fayencen, die sich gelichtet hatte, weil ein stolpernder oder geschubster Mario ein Figürchen nach dem anderen von der Etagere herabgestoßen hatte. Die blauweißen Stühle mit den Plastik-Schutzbezügen, die die Beine immer so schwitzen ließen. Ein Diwan aus einer Art iranischer Jute in der Farbe mit Asche gemischten Sandes - der könnte bei einem Nachbarn gestanden haben. Zigaretten brandflecke im Stoff der Diwanarmlehnen. Bücher, Videos, Vorratsdosen - alle alphabetisiert. Alles blitzsauber. Mehrere Kapitänsstühle mit Spindellehnen aus
Mehrere Kapitänsstühle mit Spindellehnen aus kontrastierenden Obstbaumhölzern. Die surre ale Erinnerung an einen beschlagenen Badezimmerspiegel, aus dessen Scheibe ein Messer vorstand. Eine wuchtige Stereo- Fernsehkonsole, vor deren graugrünem Auge ich, wenn der Fernseher a u s war, immer Angst hatte. Einige dieser Erinnerungen müssen konfabuliert oder geträumt sein - die Moms hätte nie im Leben einen Diwan mit Brandflecken gehabt. E i n Buntglasfenster Richtung Boston mit bordeauxroten Figuren und einer blauen Sonne, was alles in einem Bleigewebe schwebte. Der bonbonfarbene Sonnenaufgang im Fenster, wenn ich an Sommermorgen fernsah. Der große, dünne, stille Mann, Er Selbst, mit seinem Rasurbrand, der verbogenen Brille und Hochwasserkhakihose, dem schlanken Hals und den gekrümmten Schultern, der in der bonbonfarbenen Ostfenstersonne krummbuckelig dastand, das Steißbein ans Fensterbrett lehnte und nur mit dem Finger einen Glasinhalt umrührte, während die Moms vor ihm stand und ihm erklärte, sie habe längst die letzte Hoffnung aufgegeben, er könne womöglich
hören, was sie ihm erkläre - die stumme Gestalt, bei der ich mich hauptsächlich an endlos lange Beine und den Geruch nach Noxzema-Rasiercreme erinnere, ist irgendwie aber überhaupt nicht mit der Sensibilität etwa von Komplize! in Einklang zu bringen. Man konnte sich unmöglich vorstellen, dass Er Selbst auch nur theoretisch an etwas wie Sodomie und Rasiermesser denken konnte. Ich lag da und konnte mich fast daran erinnern, wie Orin mir mal etwas fast Bewegendes erzählt hatte, das Er Selbst ihm einmal erzählt hatte. Etwas, das mit Komplize! zu tun hatte. Die Erinnerung hielt sich knapp außerhalb meines geistigen Zugriffs, und dieses ungreifbare Auf-der-Zunge-Liegen fühlte sich wie die Ouvertüre der nächsten Attacke an. Ich gab mich geschlagen: Es fiel mir nicht ein. An der Westoner Straße lag eine Kirche mit einem Anschlagbrett im Gras vor dem Gebäude - weiße Plastikbuchstaben in einem schwarzen Steckbrett mit Nuten -, und mindestens einmal standen Mario und ich da und sahen einem ziegenartigen Mann zu, der die Buchstaben und so die Ankündigung änderte. Bei einer der ersten Gelegenheiten, wo ich etwas gelesen habe, ging es um eine Ankündigung am
Anschlagbrett: LEBEN IST WIE TENNIS WER DAS KNIE BEUGT KOMMT WEITER mit weiten Spatien zwischen den Buchstaben. Eine große Kirche von der Farbe frischen Zements, mit vielen Glasflächen, Konfession nicht erinnert, aber gebaut in etwas, das - wahrscheinlich in den 80ern v. SZ - als modern galt, ein parabolisches Stahlbetongebilde, das wie eine Welle auf dem Scheitelpunkt anschwoll und fast brach. Die Ahnung eines paranormalen Windes von irgendwoher, der Beton anschwellen und sich blähen lassen konnte wie ein volles Segel. In unserem Schlaftraktzimmer stehen jetzt drei der alten Kapitänsstühle aus Weston, deren Lehnen einem das Rückgrat eindellen, wenn man es nicht sorgfältig zwischen zwei Spindeln einpasst. Wir haben einen unbenutzten Weidenkorb für Schmutzwäsche, auf dem ein paar Zuschauerkissen aus Cord gestapelt sind. Grundrisse der Hagia Sophia und des St.-Simeon-Klosters (Qal'at Semaan) an der Wand über meinem Bett, der richtig
laszive Teil vom Vollzug des Levirats über den Stühlen, ebenfalls noch aus der Zeit des Interesses an Byzantinalia. Das Steife und Demontierte von Maniera-Greca-Pornos hat was: in Stücke gebrochene Menschen, die sich vereinigen wollen usw. Am Fuß von Marios Bett eine Kiste aus dem Secondhandladen für seine Filmausrüstung und ein Regiestuhl aus Segeltuch, auf dem er abends immer das Polizeischloss, die Bleigewichte und die Weste ablegte. Ein Pressspantischchen für den TP mit Bildschirm und ein Stenographenschemel, wenn man am TP tippen wollte. Insgesamt fünf Sitzgelegenheiten in einem Zimmer, in dem niemand je auf einem Stuhl saß. Wie in allen Schlaftraktzimmern und -dielen umliefen guillochierte Zierleisten einen halben Meter unter der Decke alle vier Wände. Neu-E. T. A.ler wurden immer fast plemplem, wenr:. sie die vielfältig verschlungenen Guillochen ihres Zimmers zu zählen versuchten. Unser Zimmer hatte 811 und verstümmelte Stücke von -12 und -13, zwei linke Hälften, die wie offene Parenthesen oben in der Südwestecke klebten. Von elf bis dreizehn hatte ich den Gipsabguss eines anzügl i chen konstantinischen Frieses, einen Imperator mit hyperämischem Glied und unkeuscher
Imperator mit hyperämischem Glied und unkeuscher Miene, an zwei Haken vom unteren Rand der Guillochen hängen gehabt. Jetzt fiel mir ums Verrecken nicht mehr ein, was ich mit dem Fries gemacht hatte oder welches byzantinische Serail das Original verschönert hatte. Es hatte Zeiten gegeben, wo mir solche Daten unverzüglich zur Verfügung gestanden hätten. Im Westoner Wohnzimmer hatte Er Selbst eine frühe Version seiner Vollspektrumlichtvouten installiert, und am einen Ende hatte es einen erhöhten Kamin aus Feldsteinen mit einer großen Kupferhaube gegeben, die eine herrlich ohrenbetäubende Trommelbespannung für Holzlöffel abgab, und ich erinnere mich an eine mir unbekannte ausländische Erwachsene, die sich die Schläfen massierte und mich anflehte, bitte aufzuhören. Der Dschungel von grünen Babys der Moms war aus einer anderen Ecke in den Raum hineingewuchert, die Blumentöpfe auf Untersätzen verschiedener Höhe, die von Krampen in Nestern aus Bindfäden herabhingen, in Augenhöhe auf aus ladenden Spalieren aus weiß gestrichenem Eisen angeordnet, alle im entrückten Glühen einer weiß
abgeschirmten UV - Lichtröhre, die an dünnen Ketten von der Decke hing. Mario erinnert sich an violett beleuchtete Farnwedel und den feuchtfleischigen Glanz von Gummibaumblättern. Und ein Beistelltischchen aus grün geädertem schwarzen Marmor, zu schwer zum Anheben, an dessen Ecke sich Mario nach einem, wie Grin Stein und Bein schwor, unbeabsichtigten Schubser einen Zahn ausgeschlagen hatte. Mrs Clarkes variköse Waden am Herd. Wie ihr Mund da oben verschwand, wenn die Moms in der Küche etwas umorganisierte. Wie ich Schimmel gegessen hatte und die Moms fassungslos gewesen war, weil ich ihn gegessen hatte - die Erinnerung gilt Grins Erzählung der Geschichte; ich kann mich nicht daran erinnern, als Kind Schimmel gegessen zu haben. Mein treues NASA-Glas stand immer noch auf meiner Brust und hob und senkte sich mit meinem Brustkorb. Wenn ich an mir hinabsah, war die kreisrunde Öffnung des Glases ein schmaler Schlitz. Das lag an meiner optischen Perspektive. Es gab einen Fachbegriff für optische Perspektive, aber auch der fiel mir nicht ein.
Die genaue Erinnerung an unser altes Wohnzimmer wurde dadurch erschwert, dass sich so viele Einrichtungsgegenstände jetzt im Wohnzimmer vom Rektorenhaus befanden, dieselben und doch verändert, und nicht nur durch die Umstellung. Das Gnyxtischchen, gegen das Mario gefallen war (spekular ist das zu optische Perspektive gehörige Adjektiv; kaum hatte ich es aufgegeben, mich daran erinnern zu wollen, fiel es mir ein), diente jetzt CDs, Tenniszeitschriften, einer celloförmigen Vase mit getrocknetem Eukalyptus und je nach Jahreszeit dem Weihnachtsbaumständer aus rotem Stahl als Untersatz. Das Tischchen war ein Hochzeitsgeschenk von Seiner Selbst Mutter gewesen, die kurz vor Marios überraschender Geburt an einem Emphysem gestorben war. Grin berichtete, sie hätte ausgesehen wie ein einbalsamierter Pudel, nichts als Halssehnen, straffe weiße Locken und Augen, die nur aus Pupillen bestanden. Die leibliche Mutter der Moms war in Quebec an einem Infarkt gestorben, als sie - die Moms - acht war, und ihr Vater unter uns allen unbekannten Umständen in ihrem zweiten Studienjahr an der McGill. Die hydrantenkleine Mrs Tavis lebte noch irgendwo in Alberta, während die
a l t e Kartoffelfarm in L'Islet jetzt in der Großen Konkavität lag und für alle Zeit verloren war. Grin, Bain et a1. beim Familientinnef während des Blizzards in jenem schrecklichen ersten Jahr, und wie Grin das schrille atemlose »Mein Sohn hat das gegessen! Um Gottes willen, bitte!« nachahmt und gar nicht genug davon kriegen kann. Grin hatte für uns auch zu gern die unheimlich kyphotische Krümmung der Mutter Seiner Selbst nachgeahmt, wie sie in ihrem Rollstuhl saß und ihn mit ihrer Kralle heranwinkte und wie sie sich immer um die Brust zusammenzukrümmen schien, als wäre sie dort aufgespießt worden. Ein Fluidum schwerer Dehydrierung hätte sie immer umgeben, sagte er, als osmosierte sie die Feuchtigkeit aller, die sich ihr näherten. Ihre letzten Jahre verbrachte sie in dem Sandsteinhaus in der Marlboro Street, in dem sie vor Marios und meiner Geburt gewohnt hatten, und wurde von einer Gerontologieschwester gepflegt, die, wie Grin sagte, immer die Miene sämtlicher Postamtsterroristenfotos gezeigt hätte, die man je gesehen hätte. Wenn die Schwester freihatte, hing an der einen Armlehne des Rollstuhls der alten Dame anscheinend immer ein Silberglöckchen, mit
dem sie klingeln konnte, wenn sie keine Luft bekam. Ein fröhliches Silberbimmeln meldete oben einen ErstickungsanfalL Mrs Clarke wurde immer noch blass, wenn sich Mario nach ihr erkundigte. Es ist leichter geworden, die klimakterischen Veränderungen im Körper der Moms zu sehen, seit sie sich zunehmend auf das Rektorenhaus beschränkt. Das begann nach Seiner Selbst Beerdigung, ging aber schubweise vor sich - der allmähliche Rückzug, der Widerwille, das Grundstück zu verlassen, und die Zeichen des Alterns. Was man jeden Tag sieht, nimmt man kaum wahr. Die körperlichen Veränderungen waren an und für sich nicht dramatisch - ihre kräftigen Tänzerinnenbeine wurden hart und sehnig, die Hüften schrumpften, und um die Taille legte sich ein Wulst. Ihr Gesicht hing etwas tiefer am Schädel als vor vier Jahren, hatte einen kleinen Hautsack unter dem Kinn, und um den Mund herum glaubte ich etwas zu sehen, d a s ein gewisses Potenzial für künftige Schrumpelungen aufwies. Der Begriff, der am besten einfing, warum die Glasmündung schlitzig wirkte, war wahrscheinlich perspektivisch verkürzt.
Der Infantilist im Q.R.S. hätte sich garantiert dem alten Trauertherapeuten angeschlossen und gefragt, was man fühle, wenn man seine Moms allmählich altern sähe. Solche Fragen werden fast zu Koans: Man muss lügen, wenn die Wahrheit überhaupt ni chts lautet, denn gemäß dem therapeutischen Modell wäre das eine Lüge aus dem Lehrbuch. Brutal sind die Fragen, die einen zum Lügen zwingen. Entweder unsere Küche oder aber die eines Nachbarn hatte Walnusspaneele, an denen Pastetenformen aus Kupfer und Zweige von getrockneten Kräutern hingen. Eine unbekannte Frau - weder Avril noch Mrs Clarke - stand in einer bequemen kirschroten Hose in dieser Küche, Slipper an den nackten Füßen, schwang einen Kochlöffel und lachte über etwas, einen langschwänzigen Mehlkometen an der Wange. Mit einiger Wucht ging mir plötzlich auf, dass ich an diesem Nachmittag nicht spielen wollte, auch nicht wenn irgendein Show-Match in der Halle stattfände. Nicht einmal gleichgültig, merkte ich. Es wäre mir einfach lieber gewesen, nicht zu spielen. Was Schtitt dazu wohl zu sagen hatte vs. was Lyle sagen würde.
Ich konnte nicht lange genug bei dem Gedanken verweilen, um mich zu fragen, wie Er Selbst wenn überhaupt - auf meine Spielverweigerung reagiert hätte. Aber dieser Mann hatte Komplize! gedreht, und seine Sensibilität hatte den Hetero-Hardcore-Streifen Möbi usbänder ebenso angeregt wie den sadoperiodontalen Spaß mit Zähnen und etliche andere Projekte, die einfach nur durch und durch ekelig und pervers waren. Dann fiel mir ein, dass ich ja nach draußen gehen und einen Sturz herbeiführen könnte, oder ich zwängte mich durch das Fenster am hinteren Treppenhaus vom Rh, ließ mich auf die mehrere Meter tiefer liegende steile Böschung fallen und achtete darauf, auf dem schlimmen Knöchel zu landen und ihn zu verletzen, sodass ich nicht spielen musste. Oder dass ich sorgfältig einen Sturz vom Beobachtungsnest über den Courts oder der Zuschauergalerie desjenigen Clubs planen konnte, den C. T. und die Moms für uns auserkoren hatten, um beim Kapitalsammeln zu helfen, und so sorgfältig so schlimm aufkommen konnte, dass ich mir multiple Bänderrisse am Knöchel holte und nie wieder
spielen würde. Nie mehr musste, nie mehr konnte. Ich konnte das unbefleckte Opfer eines scheußlichen Unfalls sein und aus dem Spiel genommen werden, während ich noch im Aufstieg begriffen war. Das O b j e k t teilnahmsvollen Bedauerns anstatt enttäuschten Bedauerns werden. Ich konnte mich dem phantastischen Gedankengang nicht lange genug hingeben, um zu analysieren, wessen Enttäuschungsprävention mir die Selbstverkrüppelung wert war. Und dann fiel mir aus heiterem Himmel die bewegende Sache wieder ein, die Er Selbst zu Orin gesagt hatte. Es ging um nicht jugendfreie Filme, die nach meinem Kenntnisstand einfach zu traurig sind, um richtig ekelig oder auch nur unterhaltsam zu sein. Orin hatte erzählt, er, Smothergill, Flechette und ich glaube Penns großer Bruder hätten mal das Magnetvideo eines alten HardcoreFickfilms in die Hände bekommen - Die grüne Tür o d e r Deep Throat, eine von diesen ollen Kamellen voller Zellulitis und Wichse. Sie schmiedeten aufgeregt Pläne, sich in B. R. 3 zu treffen und den Film heimlich nach der Nachtruhe zu sehen. Die
Bildschirmräume hatten damals terrestrische Fernseher, Magnet-Videorekorder, Lehr- MagVids von Galloway und Braden usw. Orin und Co. waren damals alle um die fünfzehn und standen im Sperrfeuer ihrer Drüsen - die bekamen schon Stielaugen bei der bloßen Aussicht auf einen echten Porno. Der Ehrenkodex enthielt Regeln über die Eignung von Videos, aber Er Selbst war nicht gerade berühmt für seine Disziplin, und Schtitt hatte deLint noch nicht - die erste Generation der E. T. A.ler konnte abseits der Courts so ziemlich tun und lassen, was sie wollte, sofern es diskret geschah. Trotzdem sprach sich dieser nicht jugendfreie Film herum, und jemand - wahrscheinlich Mary Esther Thodes Schwester Ruth, damals in der Oberstufe und unerträglich - verpfiff den Pornotermin bei Schtitt, und der brachte die Angelegenheit bei Ihm Selbst vor. Orin sagte, nur er wäre zu Ihm Selbst ins Rektorenbüro zitiert worden, das damals nur eine Tür hatte, die Orin auf Seiner Selbst Geheiß hin schloss. Orin erinnerte sich, dass Er Selbst nichts von dem Unbehagen zeigte, das man sonst immer spürte, wenn er sich an strenger Disziplin versuchte. Stattdessen bot er Orin einen Stuhl an, reichte ihm eine Zitronenlimo, stand ihm gegenüber und lehnte
eine Zitronenlimo, stand ihm gegenüber und lehnte das Steißbein an die Vorderkante des Schreibtischs. Er nahm die Brille ab und massierte sich zart die Augen - wie Kleinodien, seine alten Augäpfel -, was für Orin darauf hindeutete, dass Er Selbst nachdenklich und traurig war. Ein paar sanfte Interrogativa brachten die ganze Angelegenheit ans Licht. Ihn Selbst konnte man nie belügen; irgendwie brachte man es einfach nicht über sich. Während Orin geradezu eine olympische Sportart daraus gemacht hatte, die Moms zu belügen. Orin gestand jedenfalls sofort alles. Und was Er Selbst dann sagte, hätte ihn bewegt, erzählte Orin mir. Er Selbst hatte Orin gesagt, er würde ihnen nicht verbieten, den Film zu sehen, wenn sie unbedingt wollten. Sie sollten dabei aber bitte diskret vorgehen und die Sache auf Bain, Smothergill und Orins engste Freunde beschränken, keine Jüngeren und niemanden, dessen Eltern davon erfahren könnten, und er sollte um Gottes willen dafür sorgen, dass seine Mutter davon keinen Wind bekäme. Aber ansonsten sei Orin alt genug, um seine eigenen Unterhaltungs entscheidungen zu treffen, und wenn
er entschied, er wolle diesen Film sehen ... und so weiter. Aber dann sagte Er Selbst, wenn Orin jedoch seine persönliche Ansicht wissen wolle, die als Vater und nicht als Rektor, dann wäre es ihm, Orins Vater obwohl er es nicht verbieten würde -, lieber, wenn sich Orin noch keinen Hardcore- Porno anschauen würde. Er sagte es mit so zurückhaltendem Ernst, dass Orin nicht umhinkonnte, wieso zu fragen. Er Selbst fuhr sich über den Kiefer, schob ein paarmal d i e Brille hoch, zuckte die Achseln und sagte schließlich, vermutlich hätte er Angst, der Film könne Orin ein falsches Bild vom Sex vermitteln. Er sagte, ihm persönlich wäre es lieber, Orin würde warten, bis er jemanden gefunden hätte, den er genug liebte, um mit ihm schlafen zu wollen, und bis er mit diesem Menschen dann wirklich geschlafen hätte, wenn er also warten würde, bis er selbst erfahren hätte, was für eine profunde und ehrlich gesagt sogar ziemlich bewegende Sache Sex sein könne, bevor er sich einen Film ansähe, der Sex nur als etwas darstellte, wo Körperteile in andere hineingingen und aus ihnen herauskämen, gefühllos und grauenhaft einsam. Er sagte, er hätte wohl Angst, dass etwas wie Die grüne Tür Orin eine dürftige und einsame Vorstellung von
Tür Orin eine dürftige und einsame Vorstellung von Sexualität vermitteln würde. Was der arme alte O. so bewegend gefunden hatte, war, dass Er Selbst angenommen hatte, O. wäre noch unberührt. Und ich fand bewegend, dass Orin mir leidtat, weil das ganz offenkundig überhaupt nichts mit dem zu tun hatte, was Er Selbst ihm hatte sagen wollen. Es war die größte Offenheit Seiner Selbst einem anderen Menschen gegenüber, von der ich je gehört hatte, und ich fand es irgendwie schrecklich traurig, dass er sie an Orin verschwendet hatte. Ich hatte mit Ihm Selbst nie ein Gespräch geführt, das auch nur entfernt so offen oder intim gewesen wäre. Meine intimste Erinnerung an Ihn Selbst waren das Kratzen seines Kiefers und der Geruch seines Halses, wenn ich beim Abendessen eingeschlafen war und er mich nach oben ins Bett trug. Sein Hals war dünn, roch aber gut und fleischig und warm; heute assoziiere ich ihn aus irgendeinem Grund mit dem Geruch von Trainer Schtitts Pfeife. Ich versuchte kurz, mir vorzustellen, wie Ortho Stice sein Etagenbett hochgehoben und an die Decke geschraubt hatte, ohne Coyle aufzuwecken. Unsere Zimmertür war nur noch angelehnt, seit Mario und
Coyle gegangen waren, um jemanden mit einem Generalschlüssel zu suchen. Yardguard und Wagenknecht steckten kurz die Köpfe herein, bedrängten mich, mir die ruinierte Karte des Schattens anzuschauen, und zogen sich zurück, als sie keine Reaktion erhielten. Der zweite Stock war vergleichsweise ruhig; die meisten trödelten noch beim Frühstück herum und warteten auf Durchsagen zum Wetter und zu den Quebecer Kadern. Der Schnee prasselte mit einem sandigen Geräusch an die Fensterscheiben. Die Windrichtung hatte aus der einen Ecke vom Schlaftraktgebäude eine Pfeife gemacht, und das Pfeifen schwoll an und ab. Dann hörte ich John Waynes Schritte draußen im Korridor, leicht, gleichmäßig und locker, die Schritte eines Jungen mit überragend entwickelten Waden. Ich hörte sein leises Seufzen. Die Tür war zwar zu weit hinter mir, als dass ich sie hätte sehen können, aber ein paar Augenblicke lang war ich irgendwie sicher, dass John Wayne den Kopf zur Tür hereingesteckt hatte. Ich konnte das fast schmerzhaft klar spüren. Er sah auf mich herab, wie ich da auf dem LindisfarneTeppich lag. Es hatte nichts von der zunehmenden Spannung eines Menschen, der sich fragt, ob er etwas sagen soll
Menschen, der sich fragt, ob er etwas sagen soll oder nicht. Ich spürte, wie sich beim Schlucken mein Kehlkopf bewegte. John Wayne und ich hatten uns noch nie viel zu sagen gehabt. Das hatte nichts mit Feindseligkeit zu tun. Er aß so oft bei uns im Rh zu Abend, weil er und die Moms sich nahestanden. Die Moms versuchte kaum, ihre Zuneigung zu Wayne zu verbergen. Sein Atem hinter mir war jetzt leicht und ganz gleichmäßig. Keine Verschwendung, vollständige Verwertung jedes Atemzuges.382 Mario hatte von uns dreien am meisten Zeit mit Ihm Selbst verbracht, weil er manchmal mit ihm zusammen zu Dreharbeiten gereist war. Ich hatte keine Ahnung, worüber sie miteinander sprachen oder wie offen. Keiner von uns hatte Mario je gedrängt, viel davon zu erzählen. Auf einmal fragte ich mich, warum wohl nicht. Ich wollte aufstehen, stand dann aber doch nicht auf. Grin war überzeugt, Er Selbst wäre noch Jungfrau gewesen, als er in seinen späten Dreißigern die Moms kennengelernt hatte. Ich kann das kaum glauben. Grin würde auch zugestehen, dass Er Selbst der Moms zweifellos bis zum Ende treu geblieben ist und dass seine Beziehung zu
Orins Verlobter nicht sexueller Natur war. Ich hatte plötzlich das deutliche Bild vor Augen, wie sich die Moms und John Wayne irgendwie sexuell umarmten. Ungefähr seit dem zweiten Monat nach seiner Ankunft schliefen John Wayne und die Moms miteinander. Beide waren Auslandskanadier. Bisher hatte ich nicht feststellen können, ob ich diese Beziehung besonders gut oder besonders schlecht fand, auch in Bezug auf Wayne selbst hegte ich keine starken Gefühle, abgesehen davon, dass ich sein Talent und seine absolute Konzentration bewunderte. Ich wusste nicht, ob Mario von der Affäre wusste, ganz zu schweigen vom armen C. T. Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, wie Er Selbst und die Moms miteinander geschlafen hatten. Ich würde wetten, die wenigsten Kinder können das, wenn es um ihre Eltern geht. Sex zwischen der Moms und c. T. stellte ich mir als zugleich frenetisch und müde vor, mit einer Art schicksalsverfallenem, zeitlosem, faulknerschem Beigeschmack. Ich stellte mir vor, dass die Moms die Augen offen hatte und die ganze Zeit ausdruckslos an die Decke starrte. Ich stellte mir vor, dass c. T. keine Sekunde die Klappe hielt, sondern ununterbrochen um das herum redete, was zwischen ihnen gerade stattfand. Mein
was zwischen ihnen gerade stattfand. Mein Steißbein war vom Druck des Fußbodens durch den d ü n n e n Teppich hindurch ganz taub. Bain, Studenten, Grammatikerkollegen, japanische Kampfchoreographen, Ken N. Johnson mit den Haaren auf den Schultern, der islamische Dr. med., den Er Selbst besonders quälend gefunden hatte diese Rendezvous konnte ich mir vorstellen, aber sie hatten etwas Generisches, waren vor allem eine Frage von Athletik und Flexibilität, verschiedene Anordnungen von Gliedmaßen, und die Stimmung war eher eine der Kooperation als der Komplizenoder Leidenschaft. Ich neigte zu der Vorstellung, dass die Moms immerzu ausdruckslos an die Decke starrte. Bei ihr stellte sich die komplizenhafte Leidenschaft vielleicht erst hinterher ein, wenn sie dafür sorgen musste, dass das Rendezvous unbemerkt blieb. Von allen Peterson-Anspielungen einmal abgesehen, fragte ich mich, ob es wohl einen diffusen Zusammenhang gab zwischen diesem leidenschaftlichen Versteckspiel und den Tatsachen, dass Er Selbst zum einen so viele Filme mit dem Titel
Käfi g gedreht hatte und dass zum anderen die Laienschauspielerin, die er so gemocht hatte, das verschleierte Mädchen gewesen war, Grins Geliebte. Ich fragte mich, ob man sich, auf dem Rücken liegend, übergeben konnte, ohne Kotze zu aspirieren oder zu ersticken. Der Atemstrahl eines Wals. Das Tableau von lohn Wayne und meiner Mutter war in meiner Phantasie nicht besonders erotisch. Das Bild war vollständig und scharf, wirkte aber gestelzt, wie komponiert. Sie lehnt sich an vier Kissen, halb sitzt sie also, halb liegt sie auf dem Rücken, und starrt reglos und blass nach oben. Wayne, schlank, mit braunen Gliedern und weichen Muskeln, liegt ebenfalls völlig reglos auf ihr, den ungebräunten Hintern in der Luft, das leere, schmale Gesicht zwischen ihren Brüsten, blinzelt nicht und hat wie eine betäubte Eidechse die Zunge rausgestreckt. So verharren sie. Sie war nicht blöd - sie hatte begriffen, dass sie sie nur freigelassen hatten, um zu sehen, wo sie hinginge. Sie ging nach Hause. Sie ging zum House. Sie erwischte einen der letzten Züge, bevor der U-BahnBetrieb wohl eingestellt wurde. Es dauerte ewig, in
Clogs und Rock durch den Schnee von der Comm. Ave. zum Enfield Marine hinüberzugelangen, schmelzende Flocken durchweichten den Schleier und ließen ihn an den Gesichtszügen darunter festkleben. Sie war sowieso drauf und dran gewesen, den Schleier abzunehmen, um diesen Außenfeld-Linebacker von Bundesdame loszuwerden. Jetzt war sie nur noch eine kreidebleiche Version ihres normalen Selbst. Aber niemand war im Schnee unterwegs. Sie überlegte, ob sie mit Pat M. sprechen könne. Vielleicht konnte sie Pat M. dazu herumkriegen, sie zusammen mit Clenette und Yolanda unter Quarantäne zu stellen und keine Gesetzeshüter ins Haus zu lassen. Sie konnte Pat von den Rollstühlen erzählen und versuchen, sie dazu zu bringen, die Rampe abzubauen. Die Sicht war so schlecht, dass sie schon am Schuppen vorbei war, als sie den Wagen des Middlesex County Sheriffs sah, der mit Blaulicht und schweren Schneeketten im Sträßchen diesseits der Rampe im Leerlauf parkte, Scheibenwischer auf Intervallschaltung, am Steuer ein Uniformierter, der sich abwesend das Gesicht betastete. Er sagt: »Ich bin Mikey, Alkoholiker, Süchtiger und em kranker Arsch, kapiert?«
em kranker Arsch, kapiert?« Und alle lachen und rufen »Das kannste laut sagen«, und er steht da und bringt das Podium leicht ins Schwanken, durch das Leinen ein bisschen verschwommen, wischt sich mit einer Arbeiterhand über die eine Gesichtsseite und überlegt, was er sagen soll. Es ist wieder eins von den Rundenturnieren, wo jeder den nächsten Redner aus der verräucherten Mittagsmenge auswählt, der dann aufs Spanplattenpodium trabt und überlegt, was er sagen soll und wie, in den fünf Minuten, die jedem zugeteilt werden. Die Vorsitzende am Tischchen neben dem Podium hat eine Uhr und einen Gong aus dem Trödelladen. »Also«, sagt er. »Also ich hab gestern gesehen, wie der alte Mikey wieder zum Vorschein kam, kapiert? Mann, ging mir die Düse, wie ich das gesehen hab. Was los war, war, ich wollte mit meinem Jungen durch die Gegend ziehen und' n bisschen was bowlen. Mit dem Jungen. Der hat grad den Gips ab. Ich also juppheidi und tralala, hab den Tag frei und treff mich mit dem Jungen. Mach nüchtern mit dem Jungen auf Familie. So weiter und so fort. Ich also echt gut drauf und so, weil ich den Jungen zu sehen
krieg, ihr wisst schon, was ich meine. Und was abgeht, ist, ich ruf meine Fotze von Schwester an. Er lebt bei denen, also bei Ma und meiner Schwester, also ruf ich meine Schwester an und frag, kann ich den Jungen dann und dann abholen und was nich' alles. Denn das muss ich noch sagen, der Richter hat gesagt, ich muss mir immer erst ihre Scheißeinwilligung holen, wenn ich meinen Jungen sehen will. Kapiert? Weil, der alte Mikey hat noch von vorher eine einstweilige Verfügung auf dem Buckel. Ich brauch also ihre Erlaubnis. Und ich, also ich akzeptier das, ich sag, okay, ich ruf also an und akzeptier alles und bin richtig oben drauf, dass meine Schwester einwilligt, und sie lässt mich in ihrer Herzensgüte erst mal warten und sagt, sie muss das erst mit Ma abchecken. Und schließlich willigen sie ein. Und ich, also ich akzeptier das, ihr wisst schon, was ich mein. Und ich sag, okay, ich bin dann und dann da und da und was nicht alles, und meine Schwester so, willst du dich gar nicht bedanken? Al s o voll der Großkotz, kapiert? Und ich sag, Scheiße, Mann, willste vielleicht 'n Orden dafür, dass du mich meinen eigenen Jungen sehen lässt? Und da legt die Fotze doch glatt auf. Oh. Scheißoh! Seit der Richter mit der Verfügung gekommen ist, machen
die da drüben voll auf Großkotz, Ma und die Fotze, beide. Und als sie da einfach aufgelegt hat, also ich glaub, da ist ein bisschen vom alten Mikey zum Vorschein gekommen, und ich fahr da rüber, und, okay, ja, um ehrlich zu sein, ich hab auf ihrem Scheißrasen geparkt, und ich also hoch, zu ihr hoch, und ich so Du blöde Fotze, und Ma steht hinter ihr im Flur hinter der Tür, und ich so, Einfach auflegen, ja, soll ich dir mal was sagen, du gehörst in Scheißtherapie, kapiert? Und den Spruch, also den konnten se ja nun beide nich ab, is' klar. Die Fotze fängt fast an zu lachen, und dann sie so, was, ich sag, sie braucht 'ne Therapie?« Die Menge lacht. »Ich mein, wie ich da rüber bin, kann ich nicht gerade auf ewig lange Nüchternheit zurückblicken, is' klar. Und das akzeptier ich. Aber die Fotze hat die Kette vorgelegt und macht einen auf Für wen hältst du Arsch dich eigentlich, dass du mich in Therapie schicken willst nach dieser voll perversen Nummer, die du und d i e s e Schlampe mit dem Jungen abgezogen habt, der jetzt grade erst den Gips abhat? Tja, und nirgendwo das geringste Zeichen von dem Scheißjungen. Nur sie und Ma hinterm
Fliegengitter, auf Großkotz bis dort hinaus. Und dann sagen sie, ich soll machen, dass ich von ihrer Veranda wegkomm, Nein, sagen sie, wie bei quasi Bewilligung widerrufen, die beschissene Einwilligung, meinen eigenen Jungen zu sehen, verwei gert. Und die Fotze immer noch im Scheißmorgenmantel, dabei isses nach zwölf, und Ma hat schon einen in der Krone und hält sich an der Wand fest. Ihr wisst schon, was ich mein. Meine Abgeklärtheit macht auf Tschüssikowski. Und ich sag, ihr beiden könnt mich mal, ich will zu meinem Jungen. Und jetzt sagt meine Schwester, sie hängt sich ans Telefon, und Ma sagt, Scheiße, Mikey, verpiss dich. Und dabei, hab ich das schon gesagt, nirgends ein Zeichen von dem Jungen, und ich darf d a s Fliegengitter nicht mal anfassen, nicht ohne Einwilligung. Und ich schwör, ich hätte wen umbringen können, kapiert? Und meine Schwester zieht schon die Telefonantenne raus, und ich dann also, okay, ich geh ja schon, aber ich pack mir vor den beiden an die Eier und sag, Blast mir doch einen, ihr beiden, kapiert? Denn da ist der alte Mikey zurück, und jetzt mach i ch auf Großkotz. Ich will meine Fotze von Schwester so krumm und lahm schlagen, dass ich den Pick-up kaum vom Rasen
schlagen, dass ich den Pick-up kaum vom Rasen gefahren krieg. Und so aber ich fahr nach Hause und bin so geladen, ich versuch plötzlich zu beten. Und ich versuch's und bete, beim Fahren und so, und auf einmal schnall ich, unabgehängt davon, dass die so scheiße auf Großkotz machen, ich muss zurück und mich entschuldigen, unabgehängig von allem, weil ich mir vor ihnen an die Eier gepackt hab, denn das ist altes Scheißbenehmen. Ich merk, dass ich zum Wohl meiner eigenen Nüchternheit zurückmuss und versuchen muss, mich zu entschuldigen. Bei dem Gedanken krieg ich zwar schon fast das Kotzen, ihr wisst was ich - aber ich fahr zurück und stell den Pick-up draußen auf der Straße ab und bete und geh wieder auf die Veranda hoch, und ich entschuldige mich, Scheiße noch mal, ich also so zu meiner Schwester, Bitte, kann ich den Jungen wenigstens mal sehen mit dem Gips ab, und die Fotze nur so, Scheiße, Mann, verpiss dich, wir akzeptieren deine Entschuldigung nicht. Und Ma nirgends zu sehen, und der Scheißjunge nirgends zu sehen, also muss ich mich auf ihr Wort verlassen und weiß nicht mal genau, ob der Gips wirklich ab ist. Aber warum ich das weitergeben musste, ist, mir hat das Angst gemacht. Ich hab mir Angst gemacht,
kapiert? Ich war danach beim Therapeuten, und ich hab ihm gesagt, ich muss diese Wutausbrüche in'n Griff kriegen, oder ich lande sofort wieder vor dem Scheißrichter, weil ich wieder wen krumm und lahm geschlagen hab, kapiert? Und Gott verhüte, dass das dann wer aus der Familie ist, denn in die Scheiße hab ich mich schon zu oft geritten. Und ich so, Bin ich verrückt, Doc, oder was? Hab ich so 'ne Art Todestrieb oder so? Wisst ihr, was ich mein'? Der Gips ist grade erst ab, und ich will die Scheißfotze krumm und lahm schlagen, dabei muss sie einwilligen, dass ich näher als 100 m an meinen Jungen randarf? Will ich mich damit in die Falle locken, einen zu trinken, oder warum sonst brennen mir die Sicherungen durch, wenn ich nüchtern bin? Die Wutausbrüche und der Richter sind es doch, warum ich überhaupt scheißnüchtern geworden bin. Also was zum Geier ist mit mir los? Na scheiß drauf. Ich bin bloß dankbar, dass ich das loswerden konnte. Das ist mir im Kopf rum und brauchte Platz, ihr wisst schon, was ich mein. Wie ich sehe, will Vinnie mich schon weggongen. Ich will was von Tommy E. da hinten an der Wand hören. Yo Tommy! Biste dahinten die Echse am Würgen oder was? Aber ich
bin froh, dass ich hier bin. Ich musste den Scheiß einfach loswerden.« Die Bügelfalte des Mannes war am Knie verschwunden, und sein Cardin-Überzieher sah aus, als hätte er darin geschlafen. »Sehr freundlich von Ihnen, mir dergestalt entgegenzukommen.« Pat M. versuchte, die Beine wieder übereinanderzuschlagen, und zuckte die Achseln. »Sie sagten, Sie wären nicht beruflich hier.« »Sehr freundlich von Ihnen, mir zu glauben.« Der Hut des Stellvertretenden Bezirksstaatsanwalts für den 4. Bezirk von Suffolk County oben am nahen North Shore war ein eleganter Stetson mit einer Feder im Hutband. Er hielt ihn an der Krempe im Schoß und drehte ihn langsam, indem er die Finger an der Krempe entlanggleiten ließ. Er hatte die Haltung der übereinandergeschlagenen Beine schon zweimal gewechselt. »Wir haben Mars und Sie bei der Marblehead Regatta für die McDonald's-HouseGeschichte für Kinder kennengelernt, nicht diesen Sommer, sondern entweder im Som-« »Ich weiß, wer Sie sind.« Pats Mann war keine
Prominenz, kannte aber viele örtliche Prominente aus Bostons exklusivem Netz von Besitzern wieder aufpolierter Sportwagen. »Jedenfalls sehr freundlich von Ihnen. Ich bin wegen einem Ihrer Insassen hier.« »Aber nicht beruflich«, sagte Pat. Es war weder eine Frage noch eine Bestätigung. Sie war kalt wie Stahl, wenn es galt, die Insassen oder das House zu schützen. Zu Hause war sie dann die zerrüttete Hülse eines Wracks. »Ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, warum ich hier bin. Vom Krankenhaus zu Ihnen ist es nur den Hügel runter. Die letzten drei Tage habe ich mit Unterbrechungen im Saint Elizabeth's verbracht. Vielleicht muss ich das einfach loswerden. Die Jungs v o m 5. Bezirk die Pflichtverteidiger - haben nur Gutes über Ihr Institut zu sagen. Ihr House hier. Vielleicht muss ich das einfach nur weitergeben, mich dazu durchringen. Mein Sponsor ist keine Hilfe. Der hat einfach gesagt, mach das, wenn du irgendwelche Hoffnung haben willst, dass das die Sache besser macht.« Nur eine Mischung aus kompromisslosem Profi und langjährigem AA hätte nicht mindestens eine
Augenbraue darüber hochgezogen, dass einer der mächtigsten und unbarmherzigsten Konstabler im Umkreis von drei Counties das Wort Sponsor in den Mund nahm. »Bei den Phob-Zwang-Anon«, sagte der Stv. BStA. »Ich war letzten Winter im Choices3K1 und habe seither nach besten Kräften - Eile mit Weile - am Genesungsprogramm der Phob-Zwang-Anon teilgenommen.« » Verstehe.« »Es geht um Tooty«, sagte der Stv. BStA. Mit geschlossenen Augen machte er eine Pause und lächelte dann, die Augen immer noch geschlossen. »Oder vielleicht geht es auch eher um mich und meine Verstrickungsproblematik mit Tootys ... Verfassung.« Phob-Zwang-Anon war eine zehn Jahre alte 12Schritt-Absplitterung der AI-Anon für CoAbhängigkeits-Probleme, die Angehörige mit lähmenden Phobien, Zwanghaftigkeiten oder beiden betrafen. »Es ist eine lange und wahrscheinlich nicht besonders interessante Geschichte«, sagte der Stv. BStA. »Ich möchte mich mit der Andeutung
begnügen, dass Tooty von oralen bzw. dentalen Hygienetraumen gepeinigt wird, die ihren Ursprung, wie wir entdeckt haben, in den Problemen einer Kindheit haben, deren Dysfunktionalität wir nun, die sie jedenfalls geraume Zeit verleugnet hat. Die Einzelheiten spielen hier keine Rolle. Mein Programm ist mein eigenes. Dass ich die Autoschlüssel verstecke, ihr den Kredit bei verschiedenen Zahnärzten sperre, fünfmal die Stunde die Papierkörbe nach neuen Zahnbürstenverpackungen abkontrolliere - meine Bewältigungsinkompetenz ist mein Problem, und ich versuche nach Kräften und Tag für Tag loszulassen, mich liebevoll zu lösen.« »Ich glaube, ich verstehe.« »Ich arbeite jetzt an der Neun.« »Am neunten Schritt«, sagte Pat. Der Stv. BStA kehrte das Drehmoment des Huts um, indem er die Finger in die andere Richtung an der Krempe entlanggleiten ließ. »Ich versuche, direkte Wiedergutmachungen bei allen zu leisten, denen ich, wie sich bei meiner Arbeit am vierten und achten Schritt herausgestellt hat, etwas zuleide getan habe, außer in Fällen, wo meine
Wiedergutmachungen ihnen oder Dritten Schaden zufügen könnten.« Aufseiten Pats ein winziger spiritueller Ausrutscher in Form eines herablassenden Lächelns. »Ich habe mit Schritt neun selber flüchtige Bekanntschaft gemacht.« Der Stv. BStA war gar nicht ganz da, hatte starre und geweitete Augen. Der unbarmherzig nach innen gesenkte Brauenwinkel, den Pat von Fotos von ihm kannte, hatte sich umgekehrt. Jetzt formten seine Brauen ein kleines Spitzdach des Pathos. »Einer Ihrer Insassen«, sagte er. »Ein Mr Gately, vom 5. Bezirk, Peabody, glaub ich, aus der U-Haft entlassen. Oder Hauspsychologe, Ehemaliger, Status in die Richtung.« Pat machte eine Art übertrieben unschuldiges Gesicht a la »Den Namen kann ich grad nicht einordnen«. Der Stv. BStA sagte: »Schon okay. Ich weiß, welchen Beschränkungen Sie unterliegen. Ich will von Ihnen nichts über ihn. Aber zu ihm wollte ich eben im Saint Elizabeth's.« Pat gestattete sich ein leicht geblähtes Nasenloch, als sie das hörte.
Der Stv. BStA beugte sich vor, der Hut rotierte zwischen seinen Waden, die Ellbogen auf den Knien in der seltsamen Defäkationshaltung, die Männer einnehmen, wenn sie die Ernsthaftigkeit ihres Weitergebens kommunizieren wollen. »Mir ist gesagt worden - ich schulde dem - Mr Gately - eine Wiedergutmachung. Ich muss bei Mr Gately etwas wiedergutmachen.« Er sah hoch. »Bei Ihnen auchdas bleibt doch alles innerhalb dieser vier Wände, sozusagen anonym. Oder?« »Ja.« »Wofür, spielt keine Rolle. Ich beschuldigte das ich habe gegen diesen Gately ein Ressentiment gehegt wegen eines Vorfalls, den ich dafür verantwortlich gemacht habe, dass Tootys Phobie wieder aufgeflackert ist. Das spielt aber keine Rolle. Die Details oder seine Schuldhaftigkeit oder seine strafrechtliche Verfolgung wegen dieses Falls - ich bin zu der Einsicht gelangt, dass das alles keine Rolle spielt. Ich habe dieses Ressentiment gehegt. Das Foto des Jungen hing an meinem Prioritätenbrett neben den Fotos objektiv weit wichtigerer Bedrohungen des Allgemeinwohls. Ich wollte den rechten Augenblick abpassen und habe
darauf gewartet, ihn mir schnappen zu können. Dieser letzte Fall- nein, sagen Sie nichts, Sie brauchen gar nichts zu sagen - schien die perfekte Gelegenheit zu sein. Meine letzte Chance wurde von den Bundesbehörden übernommen und verpuffte dann.« Pat gestattete sich eine ganz leicht verwirrt gekräuselte Stirn. Der Mann schwenkte den Hut. »Spielt keine Rolle. Ich habe diesen Mann gehasst, richtig gehasst. Sie wissen, dass Enfield zu Suffolk County gehört. Dieser Fall mit dem Angriff der Kanadier, die an geblich verschwundene Schusswaffe, die Zeugen, die ihrer eigenen potenziellen juristischen Bloßstellung wegen keine eidesstattlichen Erklärungen abgeben können ... Mein Sponsor, meine ganze Gruppealle sagen, wenn ich das Ressentiment ausagiere, bin ich verloren. Ich finde keine Entlastung. Und es hilft Tooty nicht. Ihre Lippen werden immer noch weißer Brei sein vom Peroxid und ihr Zahnschmelz verschlissen vom ständigen irrationalen Putzen und Putzen und Putzen und -« er schlug sich die feine saubere Hand vor den Mund und stieß ein schrilles Geräusch aus, von dem
Pat schlichtweg das Jaulen kriegte, und sein rechtes Lid zuckte. Er atmete ein paarmal tief durch. »Ich muss loslassen. Das glaube ich inzwischen. Nicht nur die Strafverfolgung - nichts leichter als das. Ich hab die Akte schon weggeworfen, obwohl die zivilrechtliche Haftung, mit der das - mit der Mr Gately konfrontiert werden könnte, eine andere Frage ist, aber das geht mich nichts an. Es ist von einfach abscheulicher Ironie. Der Mann tänzelt mindestens aus einem Verstoß gegen die Bewährungsauflagen heraus und vermutlich auch aus der Verfolgung all seiner alten hochjustiziablen Straftaten, bloß weil ich die Akte schließen muss, damit ich selber genesen kann, ich, der ich mich nach nichts so gesehnt habe wie danach, diesen Mann für den Rest seines Lebens mit einem psychopathischen Zellengenossen hinter Schloss und Riegel zu sehen, ich, der ich die Faust zum Himmel gereckt und geschworen hatte -« und wieder dieses Geräusch, diesmal von dem eleganten Hut gedämpft und damit nicht gut gedämpft, und seine Schuhe veranstalteten auf dem Teppich ein kleines Wutgetrappe!, sodass Pats Hunde die Köpfe hoben und ihn fragend ansahen, und der
epileptische bekam einen ganz kleinen lautstarken Anfall. »Ich höre, dass Ihnen das sehr schwerfällt, aber dass Sie sich entschieden haben zu tun, was Sie tun müssen.« »Schlimmer«, sagte der Stv. BStA und tupfte sich mit einem auseinandergefalteten Taschentuch die Brauen ab. »Ich muss eine Wiedergutmachung leisten, hat mein Sponsor gesagt. Wenn ich eine innere Einstellung erreichen möchte, die echte Erleichterung verspricht. Ich muss direkte Wiedergutmachung leisten, ihm die Hand reichen und sagen, dass es mir leidtut, und ich muss den Mann um Vergebung dafür bitten, dass ich selber nicht vergeben konnte. Nur so werde ich ihm vergeben können. Und ich kann mich nicht liebevoll von Tootys zwanghafter Phobie lösen, solange ich dem Ar-, solange ich dem Mann nicht verziehen habe, dem ich innerlich die Schuld daran gegeben habe.« Pat sah ihm in die Augen. »Ich kann ihm natürlich nicht sagen, dass ich die Akte über den Kanadierfall weggeworfen habe, so weit muss ich nicht gehen, sagen sie. Damit würde
ich in einen Interessenkonflikt geraten - diese Ironie , und es könnte Tooty schaden, wenn meine Stellung bedroht wäre. Sie sagen, ich darf ihn deswegen ruhig schmoren lassen, Zeit vergehen lassen, ohne dass etwas passiert.« Er sah hoch. »Was bedeutet, Sie können es auch niemandem erzählen. Die Strafverfolgung aus persönlichen, spirituellen Gründen zu verweigern - meine Aufgabe -, das wäre für andere schwer nachvollziehbar. Deshalb komme ich zu Ihnen unter dem ausdrücklichen Siegel der Verschwiegenheit.« »Ich habe Ihre Bitte verstanden und werde sie respektieren.« »Aber hören Sie. Ich kann das nicht. Kann es einfach nicht. Ich habe vor dem Krankenhauszimmer gesessen, immer wieder das Gelassenheitsgebet gesprochen, im Gebet die Bereitschaft erfleht, an meinen eigenen spirituellen Gewinn gedacht und geglaubt, diese Wiedergutmachung sei es, wodurch mein höheres Wesen meine innere Einstellung fördern wolle, aber ich konnte nicht hineingehen. Stundenlang habe ich wie gelähmt vor diesem Zimmer gesessen, und dann bin ich nach Hause gefahren und habe Tooty vom Waschbecken weggezerrt. Das kann so nicht
weitergehen. Ich muss diesem niederträchtigen nein, bösen, tief im Herzen bin ich überzeugt, dass dieser Drecksack böse ist und nichts Besseres v e r d i e n t hat, als aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Ich muss da reingehen, ihm die Hand reichen und ihm sagen, dass ich ihm übelwollte und ihm Vorwürfe gemacht habe und um seine Vergebung bitten - ihn -, wenn Sie wüssten, wie pervers, verdorben, sadistisch böse und pervers das war, was er uns oder eher ihr angetan hat - und den muss ich um Vergebung bitten. üb er vergibt oder nicht, steht nicht zur Debatte. Es geht darum, dass ich vor meiner eigenen Tür kehre.« »Das klingt sehr, sehr schwer«, sagte Pat. Der elegante Hut wirbelte fast zwischen den Waden des Mannes herum, dessen Hosenaufschläge in der Defäkationshaltung hochgerutscht waren und Socken zeigten, die nicht dasselbe Muster hatten. Die nicht zusammenpassenden Socken trafen Pat tiefer ins Herz als alles andere. »Ich weiß nicht mal, warum ich zu Ihnen gekommen bin«, sagte er. »Ich konnte nicht noch einmal weggehen und einfach nach Hause fahren. Gestern ist sie mit einem dieser alten NoCoat LinguaScrapers
auf ihre Zunge losgegangen, bis sie blutete. Ich kann nicht nach Hause fahren und das länger mit ansehen. Ich muss erst damit ins Reine kommen.« »Das verstehe ich.« »Und Sie waren nur den Hügel runter.« » Verstehe.« »Ich erwarte keine Hilfe oder Rat. Ich glaube schon, dass ich es tun muss. Ich akzeptiere die Verfügung, es zu tun. Ich glaube, ich habe keine Wahl. Aber ich kann es nicht. Ich habe es nicht über mich gebracht.« »Aber vielleicht gewollt.« »Bis jetzt auch noch nicht gewollt. Noch nicht. Ich möchte betonen: noch nicht.«
Kap. 66 - 20. NOVEMBER JAHR DER INKONTINENZUNTERWÄSCHE UNMITTELBAR VOR DEM FUNDRAISING-SHOW-FEST GAUDEAMUS IGITUR Teil der Erfahrung, den Laden, wo man lebte, eine Gala schmeißen zu sehen, bestand meistens darin, die verschiedenen Leute beim Eintreffen zu den Festivitäten zu beobachten - die Warshavers, die Gartons und Peltasons und Prines, die Chins, die Middlebrooks und Gelbs, gelegentlich einen Lowell, die Buckmans in ihrem bordeauxroten Volvo, chauffiert von ihrem stummen, erwachsenen Sohn, den man nie zu Gesicht bekam, außer wenn er Kirk und Binnie Buckman irgendwohin fuhr. Dr. Hickle und seine gruselige Nichte. Die Chawafs und Heavens. Die Reehagens. Die gelähmte und stinkreiche Mrs Warshaver mit ihren beiden Designer-Gehstöcken. Die Donagan-Brüder von Svelte Nail. Meistens sahen wir sie aber gar nicht eintreffen, die Freunde und Förderer der E. T. A.,
eintreffen, die Freunde und Förderer der E. T. A., wenn FundraisingShow und -Gala anstanden. Wenn sie eintrafen und von Tavis begrüßt wurden, waren wir meistens unten in den Umkleiden, zogen uns um, machten Dehnübungen und bereiteten uns auf die Spiele vor. Wurden von Loach rasiert und abgeklebt usw. Für die Gäste dürfte es meistens ebenfalls ein ungewöhnlicher Anlass gewesen sein, denn in den ersten paar Stunden sahen sie uns beim Tennisspielen zu, waren also ganz Publikum, aber wenn sich die letzten Matches dem Ende zuneigten, die Männer in weißen Jacketts mit den Tabletts im Gem.- Verw. auftauchten und die Gala begann, dann wurden die Gäste zu Mitwirkenden und Darstellern. Umziehen und dehnen, Griffe mit Gauze- Tex abkleben oder einen Beutel mit Fullererde (Coyle, Freer, Stice, Traub) oder Sägespänen (Wagenknecht, Chu) füllen, abgeklebt werden, wobei die Pubertierenden rasiert und abgeklebt werden. Ein Ritual. Sofern Gespräche aufkamen, hatten sogar diese meistens etwas zeitlos Förmliches. John Wayne saß wie immer auf der Bank vor seinem Spind, das Handtuch wie eine Kapuze über dem
Kopf, und ließ auf dem Handrücken eine Münze über die Finger wandern. Shaw kniff sich ins Fleisch zwischen Daumen und Zeigefinger, Akupressur gegen Kopfschmerzen. Alle hatten quasi auf ihr Autopilotenritual umgeschaltet. Possalthwaites Sneaker waren einwärts gedreht unter einer Kabinentür zu sehen. Kahn versuchte, einen Tennisball wie einen Basketball auf den fingern zu drehen. Am Waschbecken schnaubte sich Eliot Kornspan die Nebenhöhlen mit heißem Wasser aus; niemand sonst kam in die Nähe des Waschbeckens. Diverse hysterische Prä-Wettkampfs-Gerüchte über das Quebecer Juniorenteam und die Härte des Wetters liefen um und wurden widerlegt, wechselten die Antigene und kamen neu in Umlauf. Das schrille Pfeifen des Windes war bis hier unten zu hören. Der Csikszentmihalyi-Junge vollführte eine Art Piaffe auf der Stelle, zog die Knie bis an die Brust und dehnte die Hüftflexoren. Troeltsch lehnte an seinem Spind neben Wayne, trug ein nicht angeschlossenes Headset und kommentierte schon im Voraus sein eigenes Match. Es gab Furzvorwürfe und -dementis. Rader drosch mit einem Handtuch auf Wagenknecht ein, der gern längere Zeit in der Hüfte abgeknickt dastand und den Kopf an die Knie drückte. Arslanian
saß ganz still in einer Ecke, hatte sich entweder mit einem Plastron oder aber einer feschen Krawatte die Augen verbunden und legte nach Art der Blinden den Kopf auf die Seite. Unklar war, ob die BMannschaften überhaupt zum Spielen kommen würden; niemand wusste, über wie viele InnenCourts die M. I. T. Union verfügte. Die Gerüchte verbreiteten sich hierhin und dorthin. Michael Pemulis war seit dem frühen Morgen nirgends gesichtet worden, und da wollte Anton Doucette ihn gesehen haben, wie er bei den Müllcontainern am West Hause Zitat »herumlungerte« und Zitat »ängstlich deprimiert« aussah. Dann kam bei etlichen Spielern leiser, aber einstimmiger Applaus auf, als Otis P. Lord an der Tür erschien, eskortiert von seinem leichenhaften Dad; O. P. L. hatte die postoperative Versorgung hinter sich und sah blass, aber sonst wie immer aus, trug von der Bildschirmamputation nur einen schmalen, kropfbandbreiten Mullverband um den Hals und zeigte um Mund und Nasenlöcher eine seltsame Ellipse trockener, geröteter Haut. Er kam herein, gab ein paar Leuten die Hand, benutzte die Kabine neben Possenzeit und ging wieder; er spielte heute
nicht. J. L. Struck trug auf verschiedene Kieferpartien ein Adstringens auf. Ein hysterisches Gerücht, die Quebecer Spieler seien gesichtet worden, wie sie auf dem Hauptparkplatz über eine Rampe ihren Charterbus verlassen hätten, und seien allem Anschein nach nicht die Quebecer J.D.C.- und -W.C.-Mannschaften, s o n d e r n eine Art erwachsenes Quebecer Paralympics-Kontingent in Rol l stühl en dieses Gerücht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Umkleide und erstarb, als ein paar U14er, die ihre nervöse Energie abbauten, indem sie herumflitzten und Gerüchten nachgingen, hinaus und die Treppe hochflitzten, um dem Gerücht nachzugehen, und nicht zurückkamen. Hinter der Wand konnten wir unschwer hören, wie Thode und Donni Statt auf der Frauenseite Camilla anriefen, die Göttin der Geschwindigkeit und Leichtfüßigkeit. Thode hatte nach dem Frühstück einen hysterischen Anfall bekommen, als Poutrincourt bei der PräMatch-Personalbesprechung der Frauen nicht aufgetaucht war und sich anscheinend unerlaubt von der Truppe entfernt
hatte. Loach u. a. hatten Ted Schacht mit einer komplexen Kniestütze ausgerüstet, die an beiden Seiten Aluminiumstreben mit Gelenken aufwies und im Gummi über der Kniescheibe ein münzgroßes Loch für die Hautatmung aufwies, und jetzt schwankte Schacht mit ausgestreckten Armen und dem Gewicht auf den Hacken zwischen Kabinen und Spinden herum und spielte Frankenstein. Mehrere Leute führten vor ihren Spinden Selbstgespräche. Barry Loach kniete auf einem Bein vor HaI und rasierte ihm vor dem Abkleben den linken Knöchel. Ein paar von uns merkten, dass HaI nicht wie sonst einen Snickersoder AminoPal-Riegel aß. Beim Abkleben legte HaI Loach die Hände auf die Schultern. Ein Match-Wickel besteht aus zwei horizontalen Schichten knapp über dem MalleolusKnubbel, führt dann senkrecht nach unten und geht viermal um den Tarsus direkt vor dem Gelenk, sodass der Knöchel ausreichend Freiraum zum Beugen hat, vom Wickel aber gefestigt und gestützt wird. Über das Tape zog Loach erst eine Einlageund dann eine Gazesocke, schob schließlich die kleine aufblasbare AirCast-Bandage darüber, pumpte sie auf den richtigen Druck auf, den er mit einem kleinen Messgerät prüfte, und machte den
Klettverschluss dann genau so fest, dass er stramm genug saß, um den Knöchel zu unterstützen, ihm aber maximale Beugungsmöglichkeiten ließ. Während des ganzen Prozederes saß HaI auf der Bank mit den Händen auf Loachs Schultern. Alle legen Loach früher oder später die Hände auf die Schultern. Hals Rasur und Wickel brauchen vier Minuten. Schachts Knie und Fran Unwins Kniesehnending brauchen je etwa zehn. Waynes Vierteldollar sah aus, als tanzte er über seine Fingerknöchel. Wegen des Handtuchs über seinem Gesicht sah man nur einen ganz schmalen ovalen Gesichtsausschnitt wie eine auf der Spitze stehende Mandel. Wayne hatte einen kleinen CD-Spieler im Spind, der Joni Mitchell spielte, was aber niemanden je störte, weil er ihn ganz leise laufen ließ. Stice blies eine blaurote Blase. Freer versuchte, seine Zehen zu berühren. Traub und Whale, die auch auf der Wickelbank saßen, sagten später, HaI wäre sonderbar gewesen. Sie sagten, er hätte Loach quasi gefragt, ob er vor Matches in der Garderobe nicht auch manchmal so ein seltsames Gefühl hätte, beengt, elektrisch, als wäre das alles schon so oft gesagt und getan worden, dass man das Gefühl einer Aufzeichnung hätte, dass sie alle hier im
Grunde als Fourier-Transformationen von Posen und kleinen Routinen existierten, fixiert, gespeichert und abrufbar, um zu bestimmten Zeiten wieder gesendet zu werden. Traub hatte Fourier- Transformationen verstanden, Whale Furrier- Transformationen. Ergo aber auch löschbar, hatte HaI gesagt. Von wem? HaI strahlte vor Matches oft genialische Ängstlichkeit aus mit den aufgerissenen Augen eines Menschen, der sich noch nie in einer auch nur entfernt vergleichbaren Lage befunden hat. Heute zeigte sein Gesicht verschiedene Ausdrücke, die von verzerrter Heiterkeit bis zu zerdetschten Grimassen reichten, Mienen, die zu dem, was sich um ihn her abspielte, in keinerlei Beziehung zu stehen schienen. Es hieß, Tavis und Schtitt hätten drei Busse gechartert, um die Mannschaften zu einem Innenturnierort zu fahren, für dessen Arrangement Mrs Inc den Ehemaligen Corbett Th- Thorp riesige Gefallen hatte einfordern lassen - mehrere meist ungenutzte Courts irgendwo in den verborgenen Hirnarealen der M. I. 1. Student Union -, und die gesamte Gala würde in die Student Union verlagert, und die Quebecer Mannschaft und die meisten Gäste würden per Handy darüber informiert, dass die erste Absage
abgesagt und der Austragungsort nur verlegt worden sei, und die Gäste, die von den Änderungen nichts erfahren hätten, würden mit den Spielern und den Betreuern in den Bussen mitfahren, manche von den Gästen wahrscheinlich schon in ihrer formellen Abendgarderobe. Traub sagte auch, er hätte HaI auch das Wo r t moribund benutzen gehört, das konnte Wh ale aber nicht bestätigen. Schacht betrat eine Kabine und schob mit einem nachdrücklichen Geräusch den Riegel vor, was in der ganzen Garderobe kurz für jene Stille sorgte, die der Eintritt des Revolverhelden im Saloon hervorruft. Niemand in der Nähe konnte sagen, ob Barry Loach irgendwie auf Hals seltsam launenhafte Äußerungen reagiert hatte, während er den Knöchel für ein Hochleistungsspiel fixierte. Wagenknecht hatte anscheinend wirklich gefurzt. Der Konsens unter E. 1. A.lern lautet, dass Chef trainer Barry Loach einer flügellosen Fliege ähnelt plump, krabbelig usw. Einer E. 1. A.- Tradition gehorchend, erzählen Große Kumpels neuen oder sehr jungen Kleinen Kumpels die Sage von Loach und wie er in den Rang eines Chef trainers der Elite aufstieg, obwohl er nicht mal ein offizielles Trainerdiplom oder so vom Boston College mitbringt,
Trainerdiplom oder so vom Boston College mitbringt, wo er ausgebildet worden war. Kurz skizziert, geht die Sage so, dass Loach als jüngstes Kind einer vielköpfigen katholischen Familie aufwuchs, deren Eltern eiserne Katholiken der alten Schule eines extrem eisernen Katholizismus waren, und der sehnlichste Wunsch im Leben von Mrs Loach (also der Mom) sei es gewesen, eines ihrer zahllosen Kinder möge ein Mitglied der röm.-kath. Geistlichkeit werden, aber der älteste Loach-Junge war für zwei Jahre zur U.S.N. gegangen und schon kurz nach Beginn der gemeinsamen Intervention von O.N.A.N./U.N. in Brasilien im J.d.T.-H. entkartet worden; wenige Wochen nach seiner Beerdigung war der nächstälteste Loach-Junge einer ciguatoxischen Lebensmittelvergiftung erlegen, nachdem er vergifteten SchwarzflossenZackenbarsch gegessen hatte; Therese, die nächstälteste Loach, hatte eine Reihe von jugendlichen Missgeschicken nach Atlantic City, New Jersey, verschlagen, wo sie bei Profikämpfen in paillettenbesetzten Trikots und Pfennigabsätzen große Plakate mit der Rundenzahl durch den Ring trug, was die Hoffnungen, Therese möge eine Karmeliterin werden, zusehends trübte; weiter die
Reihe hinab hatte sich ein Loach bis über beide Ohren verliebt und sofort nach der Highschool geheiratet, und ein anderer brannte ausschließlich darauf, bei einem erstklassigen Philharmonieorchester die Becken zu spielen (der schepperte jetzt beim Houstoner Ph.O. drauflos). Und so weiter, bis nur noch ein weiteres Loach-Kind übrig war und dann eben Barry Loach, der der Jüngste war und total unter Mrs L.s emotionaler Fuchtel stand; und der junge Barry hatte einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen, als sein nächstgrößerer Bruder - der schon immer ein frommes, kontemplatives und edelmütiges Kind gewesen war, das vor abstrakter Liebe und einem angeborenen Glauben an die den Seelen aller Menschen innewohnende Güte überfloss - Zeichen einer echten spirituellen Berufung zu einem Leben im Dienste des röm.-kath. Klerus gezeigt hatte und schließlich in ein Jesuitenkolleg eintrat, was seinem jüngeren Bruder einen riesigen Stein vom Herzen wälzte, denn seit der kleine Barry erstmals einer XMen-Figur ein Band-Aid aufgepatscht hatte, fühlte er, dass seine wahre Berufung nicht die Priesterschaft war, sondern das Salben-und-Pflaster-Wirken im Dienste des Profisports. Und wer kennt denn schon
die Warums und Wohers der wahren Berufung eines Menschen? Und so hatte sich Barry am B. C. im Hauptfach Training oder so eingeschrieben, und nach allem, was man hörte, schritt er zufriedenstellend seinem Abschluss entgegen, als sein nächstälterer Bruder, der schon ein gutes Stück des Wegs zu Priesterweihe, Bekuttung oder sonst einer Qualifikation als lizenzierter Jesuit zurückgelegt hatte, mit fünfundzwanzig Jahren einen plötzlichen und fatalen spirituellen Niedergang erlitt, der seinen grundlegenden Glauben an die den Menschen ab o v a innewohnende Güte spontan verpuffen und verschwinden ließ - und das ohne offenkundigen oder dramatischen Grund; anscheinend hatte sich der Bruder urplötzlich eine schwarze und misanthropische spirituelle Grundeinstellung zugezogen, so wie andere fünfundzwanzigjährige Männer an Sanger-Brown-Ataxie oder Multipler Sklerose erkranken, eine Art degenerative LouGehrig-Krankheit des Geistes; sein Interesse daran, den Menschen und dem Göttlichen im Menschen zu dienen und den den Menschen innewohnenden Christus durch jesuitisches Streben zu nähren, setzte zu einem nachvollziehbaren Sturzflug an, und
er saß nur noch in seinem Dormentzimmer im Saint John's Seminary - zufälligerweise ganz in der Nähe der Enfield Tennis Academy in Brighton an der von der Comm. Ave. abgehenden Foster Street, direkt neben dem Hauptquartier oder so der Erzdiözese -, saß da und versuchte, Spielkarten in einen Papierkorb mitten im Zimmer zu werfen, ging nicht zu Seminaren oder zur Vesper, vernachlässigte seine Stundengebete, sprach offen darüber, den Beruf an den Nagel zu hängen, und all das zwang Mrs Loach v o r Enttäuschung praktisch in die Knie, und der junge Barry wurde erneut niedergedrückt von Angst und Grauen, denn wenn sich sein Bruder aus der Geistlichkeit abseilte, würde es nahezu unwiderruflich Barry, dem letzten Loach, obliegen, seine wahre Berufung zu Schienen und Beugung hintanzustellen und selbst ins Priesterseminar einzutreten, damit seine eiserne und geliebte Mom nicht vor Kummer starb. Und so kam es zu einer Reihe persönlicher Gespräche mit dem spirituell nekrotischen Bruder, bei denen sich Barry auf der anderen Seite des Spielkartenpapierkorbs postieren musste, damit er von seinem älteren Bruder überhaupt wahrgenommen wurde, und er versuchte, den Bruder von seinem misanthropischen spirituellen
Fenstersims runterzuquatschen. Der spirituell bresthafte Bruder war ein ziemlicher Zyniker in Bezug auf Barry Loachs Gründe, ihn zur Umkehr zu bewegen, schließlich wussten sie beide, dass hier auch Barrys Karriereträume auf dem Spiel standen; der Bruder lächelte aber nur sardonisch und meinte, er erwarte von den Menschen inzwischen sowieso kaum noch etwas anderes als eigennützige Schäflein-ins- Trockene-Bringsucht, denn seine seelsorgerische Arbeit unter den Menschenschäfchen in den haarigeren Gemeinden von Boston City - die Unmöglichkeit einer Änderung der Verhältnisse, der Undank der degenerierten obdachlosen, süchtigen und geisteskranken Schäfchen, denen er gedient habe, sowie das in Bezug auf die jesuitischen Bestrebungen allumfassende Fehlen von Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft seitens der Bürgerschaft im Allgemeinen - habe jeden Funken beseligenden Glaubens an die höheren Möglichkeiten und die Perfektibilität des Menschen erstickt, den er je gehegt habe; er meinte, warum solle er also etwas anderes erwarten, als dass auch sein eigener kleiner Bruder genauso wie der kälteste Pendler, der an den ausgestreckten Händen der Obdachlosen und
Bedürftigen am Ausgang der Park Street Station vorbeiging, nur menschlich-allzumenschlich darauf bedacht sei, seine trockenen Schäfchen zu füttern und zu umsorgen. Denn das grundsätzliche Fehlen der Einfühlsamkeit, der Barmherzigkeit und der Bereitschaft, jemandem wohlwollend die Hand zu reichen, halte er inzwischen für einen essenziellen Teil des menschlichen Charakters. Auf Gebieten wie d e r theologischen Verteidigungs rede und der Erlösbarkeit des Menschen war Barry Loach verständlicherweise heillos überfordert - er konnte allerdings ein kleines Wurfproblem seines Bruders beseitigen, das den Musculus flexor carpi ulnaris seines Wurfarms belastet hatte, und so des Bruders Trefferquote beim Kartenweitwurf signifikant erhöhen -, aber er war nicht nur erpicht darauf, den Traum seiner Mutter und gleichzeitig seine eigenen indirekt sportlichen Ambitionen zu bewahren, sondern er war eigentlich auch ein spirituell optimistischer Typ, der dem Bruder die plötzliche Verzweiflung angesichts des offenkundigen Fehlens jeder Barmherzigkeit und Wärme in Gottes angeblich gottähnlicher Schöpfung einfach nicht abkaufte, und er konnte seinen Bruder in einige erhitzte und niveauvolle Diskussionen über
Spiritualität und das Potenzial der Seele verwickeln, die durchaus Gemeinsamkeiten mit den Gesprächen von Aljoscha und Iwan in den guten alten Brüdern K. aufwiesen, wenn sie wahrscheinlich auch nicht ganz so gebüldet und literarisch daherkamen, zudem reichte nichts vom älteren Bruder auch nur entfernt an die karzinogene Schärfe von Iwans Szenario des Großinquisitors heran. Kurz umrissen, liefen diese Konversationen auf Folgendes hinaus: Ein verzweifelter Barry Loach - dessen Mom inzwischen bei einer Tagesration von 25 mg Ativan384 angelangt war und so ungefähr ein Dauerlager vor der Kerzenapsis in der Pfarrkirche der Loachs aufgeschlagen hatte - fordert seinen Bruder heraus, ihn irgendwie beweisen zu lassen auf Kosten seiner, Barrys, eigener Zeit und vielleicht auch Sicherheit -, dass der grundlegende menschliche Charakter nicht so uneinfühlsam und nekrotisch sei, wie seines Bruders gegenwärtig depressive Verfassung diesen glauben mache. Nach e i n i g e n vorgeschlagenen und abgelehnten Wetteinsätzen, die selbst für Barry Loachs Verzweiflung zu hoch sind, einigen sich die Brüder
auf eine quasiexperimentelle Herausforderung. Der spirituell verzagte Bruder verlangt von Barry Loach i m Wesentlichen, eine Zeit lang nicht zu duschen und keine sauberen Sachen anzuziehen, um sich so ein obdachloses, schäbiges und verlaustes Aussehen zuzulegen, das plausibilisiert, dass er eindeutig grundlegender Nächstenliebe bedarf, und sich dann am Rand vom Boston Common vor den Eingang des U-Bahnhofs Park Street zu stellen, sich zur restlichen Gemeinschaft des Lumpenabschaums der City zu gesellen, der da üblicherweise vor dem U-Bahnhof steht und den Leuten das Kleingeld abschnackt, und auch Barry Loach soll die verdreckte Hand ausstrecken, den Passanten aber kein Kleingeld abschnacken, sondern sie nur bitten, ihn zu berühren. Ihn einfach nur zu berühren. Um so etwas grundlegend menschliche Wärme und Kontakt weiterzugeben. Und das tut Barry dann. Tut's und tut's. Tagelang. Seine eigene spirituell optimistische Einstellung bekommt einen Schlag in die Magengrube nach dem anderen. Unklar ist, ob die Verlaustheit seines äußeren Erscheinungsbildes viel dazu beitrug; wie sich herausstellte, reichte es schon aus, einfach nur vor dem Bahnhofseingang zu stehen, die Hand auszustrecken und die Leute zu
bitten, ihn zu berühren, um zu garantieren, dass jeder zurechnungsfähige Passant es für das Allerletzte gehalten hätte, ihn zu berühren. Die honorige Bürgerschaft mit ihren Büchertaschen, Handys und Hunden in kleinen roten Pullunderwesten glaubte möglicherweise, die Hand auszustrecken und zu rufen »Berühren Sie mich, bitte berühren Sie mich« sei bloß eine neue Abschnackformel für »Hassema zehn Cent?«, jedenfalls sackte Barry Loach täglich beeindruckende $-Summen ein - deutlich mehr, als er bei seinem ausbildungsbegleitenden Job verdiente, wo er den LacrosseSpielern vom Boston College die Knöchel umwickelte und die Zahnprothesen sterilisierte. Anscheinend fanden die Bürger seinen Spruch gerade bewegend genug, um ihm $ zu geben; aber B. Loachs Bruder der oft in kragenlosen Zivilsachen am Plastikpfosten vom Ausgang des U-Bahnhofs lehnte, schlaff und grinsend, und müßig Spielkarten in den Händen mischte - wies immer sofort auf das verkrampfte Zartgefühl hin, mit dem die Spender Kleingeld oder $ in Barry Loachs Hand fallen ließen, so eine Peitschbewegung oder ein zackiges Reinraus, als versuchten sie etwas Heißes von einer Herdplatte zu
nehmen, sie berührten ihn nie, verlangsamten kaum je, gönnten ihm auch keine Blickkontakte, während sie ihre Almosen in B. L.s Richtung warfen, und noch weniger ließen sie B. L.s schäbige Hand auch nur entfernt mit ihrer Hand in Kontakt kommen. Mit gutem Recht ließ der Bruder den Zufallskontakt nicht gelten, als ein Pendler, der Barry gerade einen Vierteldollar zuwerfen wollte, gestolpert war und seinen Sturz dann von Barry aufhalten ließ, ganz zu s c h w e i g e n von der manisch-depressiven Stadtstreicherin, die Barry Loach gegen Ende der dritten Woche der Wette in den Schwitzkasten nahm und ihm ein Ohr abbeißen wollte. Barry L. weigerte sich, eine Niederlage und die Misanthropie einzugestehen, die Wette zog sich Woche um Woche hin, bis sich der große Bruder irgendwann langweilte und nicht mehr kam, sondern in seine Zelle zurückkehrte und darauf wartete, dass die Verwaltung des Saint John's Seminary ihm die Entlassungspapiere aushändigte, und Barry Loach bekam wegen der Trainingskurse des Semesters einen blauen Brief und verlor seinen ausbildungsbegleitenden Job, weil er zu oft gefehlt hatte, und geriet in eine erst wochen- und dann
monatelange persönliche spirituelle Krise, weil ein Passant nach dem anderen sein Flehen um Körperkontakt als Bitte um Kleingeld auffasste und den echten fleischlichen Kontakt durch abstraktes Kleingeld ersetzte; und ein paar der anderen schäbigen Abschnackologen am U-Bahnhof waren fasziniert von Barrys Spruch - von seinen Nettoerlösen gar nicht zu reden - und übernahmen seinen Ruf» Berühren Sie mich, bitte, bitte, irgendwer ! «, was Barry Loachs Chancen, von einem Bürger wörtlich verstanden und auf barmherzige und menschliche Weise berührt zu werden, natürlich zusätzlich kompromittierte; Loachs Seele trieb daraufhin ebenfalls kleine Pilzflecken nekrotischer Fäulnis, und seine optimistische Sicht auf das sogenannt normale und anständige Menschengeschlecht wurde einer finsteren Korrektur unterzogen; und als die anderen schmutzstarrenden und gemiedenen Abschnackologen der City ihn als compadre behandelten, als Kollegen ansprachen und ihm wärmende Schlucke aus Flaschen in braunem Packpapier anboten, fühlte er sich zu desillusioniert und vereinsamt, um abzulehnen, und s o schloss er sich dem Schlamm ganz unten am Grunde von MetroBostons sozioökonomischem
Grunde von MetroBostons sozioökonomischem Ententeich an. Was dann aus dem spirituell bresthaften älteren Bruder wurde, welchen Wechselfällen des Lebens er hinfort ausgesetzt ward und was aus seiner Berufung wurde, darüber schweigt sich die Loach-Sage der E. T. A. aus, denn im Mittelpunkt steht von nun an Loach, der - nach all den Monaten der Ablehnung durch rechtschaffene Bürger und wärmenden und einfühlsamen Reaktionen ausschließlich seitens obdachloser und süchtiger Abschnackologen - fast vergessen hatte, dass es Dinge wie Duschen, Waschmaschinen sowie Bänderbehandlungen überhaupt gab, ganz zu schweigen von Karriereambitionen oder fundamental optimistischen Einschätzungen einer allen Menschen innewohnenden Güte, ja, an und für sich stand Barry L o a c h gefährlich kurz davor, für immer vom Bodensatz des Straßenlebens von Metro-Boston aufgesogen zu werden und den Rest seines Erwachsenenlebens obdachlos, verlaust und abschnackend im Boston Common zu verbringen und aus braunen Packpapiertüten zu trinken, als gegen Ende des neunten Monats der Wette sein Appell - ebenso wie die Appelle des runden Dutzends zynischer Abschnackologen neben Loach,
die alle die Berührung einer menschlichen Hand erflehten und die Hände ausstreckten - als jeder einzelne dieser Appelle wörtlich aufgefasst und mit einem warmen Händedruck beantwortet wurde, vor dessen Anbieter nur die schwer berauschten Abschnackologen sowie Loach nicht zurückzuckten, und dieser Anbieter war kein anderer als Mario Incandenza von der E. T. A., d e r aus der Genossenschaftswohnung in Back Bay, wo sein Vater etwas filmte, bei dem als Gott und Teufel verkleidete Schauspieler mit Tarotkarten um Cosgrove Watts Seele spielten und U-BahnFahrkarten als Einsatz nahmen, losgeschickt worden war, um am nächsten Bahnhof eine neue Rolle Fahrscheine zu besorgen, und da in einem Müllcontainer vor dem Eingang zum Bahnhof Arlington St. ein Feuer ausgebrochen war, handelte es sich dabei um Park Street, und Mario war allein, erst vierzehn, weitgehend ahnungslos in Bezug auf Verteidigungs strategien gegenüber Abschnackologen vor U-Bahnhöfen und hatte auch keinen Weltläufigen oder Erwachsenen dabei, der ihm hätte erklären können, warum die Bitten der Männer mit den ausgestreckten Händen um einen schlichten Handschlag oder einen High-Five nicht
automatisch honoriert und gewährt werden müssten, und so hatte Mario seine Krallenhand ausgestreckt, Loachs rußgeschwärzte Hand ergriffen und herzlich geschüttelt, was durch eine verwickelte, aber herzerfreuende und glaubensreanimierende Verkettung von Zufällen dazu führte, dass B. Loach selbst ohne offiziellen B.A. an der E. T. A. eine Stelle als Assistenztrainer erhielt und nur wenige Monate später zum Cheftrainer befördert wurde, nachdem der vorige Chef trainer jenen schrecklichen Unfall erlitten hatte, der zur Folge hatte, dass an den Türen der E. T. A.-Saunen sämtliche Schlösser entfernt wurden und die Höchsttemperatur der Saunen auf maximal 50° C begrenzt wurde. Das umgedrehte Glas hatte die Größe eines Käfigs oder einer kleinen Gefängniszelle, war aber noch als Badezimmerglas zum Ausspülen von Zahnbürsten oder Gurgeln zu erkennen, nur eben größer und verkehrt herum auf dem Fußboden über ihm stehend. Das Glas war praktisch ein Requisit oder ein Schaustück; es musste jedenfalls eine Sonderanfertigung sein. Es war aus grünem Glas, der Boden über ihm war geriffelt, und drinnen war das Licht vom wallenden welligen Grün extremer
Meerestiefen. Oben an der einen Glasseite war eine Art Jalousie oder Schlitz, aber es kam keine Luft heraus. Herein. Und die Luft in dem riesigen Glas wurde eindeutig ganz schön knapp, denn die Seiten beschlugen schon mit CO2• Das Glas war zu dick, um es zu zerbrechen oder zu zertreten, und er hatte das Gefühl, sich beim Versuch schon den einen Fuß gebrochen zu haben. Durch das beschlagene Glas waren auf der anderen Seite grüne und verzerrte Gesichter zu erkennen. Das Gesicht in Augenhöhe gehörte dem letzten Subjekt, dem geschickten und bewundernden Schweizer Handmodell. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand die Frau da und sah ihn an, rauchte, stieß durch die Nase grünen Rauch aus und sah dann nach unten, um sich mit einem anderen Gesicht zu beraten, das ungefähr auf Hüfthöhe zu schweben schien und dem schüchternen und behinderten Fan gehörte, der, wie O. merkte, denselben Schweizer Akzent wie das Subjekt hatte. Das Subjekt hinter dem Glas sah Orin unverwandt an, nahm ihn oder seine Rufe aber gar nicht zur
Kenntnis. Als Orin sich einen Weg ins Freie zu treten versucht hatte, war ihm auch aufgefallen, dass das Subjekt seine Augen nur ansah, ihm nicht wie früher in die Augen sah. Auf dem Glas waren jetzt verschmierte Fußabdrücke. Alle paar Sekunden wischte Orin seinen Atemdunst von dem dicken Glas ab, um zu sehen, was die Gesichter machten. Sein Fuß schmerzte stark, und von den Resten dessen, was ihn so tief hatte einschlafen lassen, war ihm immer noch übel, und alles in allem gehörte diese Erfahrung ziemlich eindeutig nicht zu seinen schlimmen Träumen, aber Grin, Nr. 71, verleugnete strikt die Tatsache, dass das kein Traum war. Quasi in derselben Minute, in der er unter einem großen umgedrehten Glas zu sich gekommen war, hatte er entschieden: Traum. Die gespreizte, verstärkte Stimme, die in regelmäßigen Abständen durch den schmalen Schlitz oder die Öffnung drang und wissen wollte Wo liegt der Master begraben, war für Grin so surreal, grotesk und unerklärlich, dass er dankbar war; das war genau die Art surreale, verwirrende, unbegreifliche, aber vehemente Albtraumforderung, die in wirklich schlimmen Träumen oft gestellt wird.
Und dann noch die groteske Angst, das bewundernde Subjekt nicht dazu bringen zu können, irgendetwas, das er durch das Glas sagte, zur Kenntnis zu nehmen. Als der Lautsprecherschirm beiseiteglitt, sah Grin von den Gesichtern im Glas hoch und sagte sich, jetzt würden sie wohl etwas noch Surrealeres und Vehementeres machen, was d i e unbestreitbare Traumqualität der ganzen Erfahrung erst recht festklopfen würde. Mlle Luria P--, die die subtileren Aspekte technischer Vernehmungen verschmähte und schl i c ht dafür plädiert hatte, ihr ein Paar Gummihandschuhe zu geben und sie zwei oder drei Minuten lang mit den Hoden des Subjekts allein zu lassen (und die keine echte Schweizerin war), hatte die korrekte Prognose über die Reaktion des Subjekts abgegeben, wenn der Lautsprecherschirm beiseitegleiten und die Kakerlaken aus der Kanalisation schwarz und glänzend hinabkrabbeln würden, und als sich das Subjekt an die Scheibe drückte und das Gesicht so fest an die Wand des absurden Glases presste, dass seine Farbe von Grün zu Grellweiß wechselte, und ihnen stark gedämpft zuschrie »Mach es ihr! Mach es ihr!«, legte Luria P-- den Kopf auf die Seite und verdrehte
legte Luria P-- den Kopf auf die Seite und verdrehte die Augen vor dem A. F. R.-Anführer, den sie schon lange für einen Schmierenkomödianten gehalten hatte. Menschen kamen und gingen. Eine Schwester fühlte ihm die Stirn und riss mit einem Aufschrei die Hand zurück. Unten im Korridor plapperte und weinte jemand. Einmal schien Chandler E, der kürzlich graduierte Vertreter für teflonbeschichtetes Kochgeschirr, da zu sein, das Kinn in der klassischen Beichtpose der Insassen auf die Hände auf dem Bettgitter gestützt. Das Zimmerlicht war von glimmendem Grau. Die Hausmeisterin von Ennet Hause war da, betastete die Stelle, wo ihre fehlende Augenbraue gewesen war und versuchte zu erklären, Pat M. sei nicht gekommen, weil Mr M. und sie Pats kleines Mädchen aus dem Haus werfen mussten, weil sie wieder was Synthetisches konsumiert hatte, und sie (Pat M.) sei spirituell in zu wackliger Verfassung, um auch nur das Haus zu verlassen. Gately hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie körperlich so heiß gefühlt. Er hatte das Gefühl einer Sonne im Kopf. Das Kinderbettgitter verjüngte sich nach oben und züngelte ein bisschen wie Flammen. Er sah sich mit einem Apfel im Mund
wie Flammen. Er sah sich mit einem Apfel im Mund auf dem Aluminiumservierteller vom Hause liegen, die Haut glasiert und knusprig. Der scheinbar zwölf jährige Dr. med. erschien wieder mit anderen in Nebel gehüllt und sagte Erhöht das auf 30 q 2 und Probieren wir Doris385, der arme Kerl brennt uns ja noch ab. Er redete nicht mit Gately. Der Dr. med. sprach Don Gately nicht an. Gately hatte nur einen bewussten Gedanken: Bitte um Hilfe, um Demerol abzulehnen. Er versuchte, abhängig auszusprechen. Er erinnerte sich, wie Maura Duffy in der Schule mal zu ihm gesagt hatte, sie würde mit ihm abhängen, wenn er ihr nichts anhängen würde. Jemand anders sagte Eisbad. Gately spürte etwas Raues und Kühles auf dem Gesicht. Eine Stimme, die wie seine Hirnstimme mit Echo klang, sagte Zieh nie ein Gewicht, das deins übersteigt. Gately sagte sich, dass er vielleicht sterben müsse. Es war nicht ruhig und friedlich, wie immer behauptet wurde. Es war mehr, als würde man etwas ziehen, das schwerer war als man selbst. Er hörte den verstorbenen Gene Fackelmann sagen, zieh dir das mal rein. Er wurde zum Objekt von jeder Menge Bettrandgewese. Ein lebhaftes Klirren von IV - Tröpfen über ihm. Das
Schwappen der daran befestigten Beutel. Keine der Stimmen über ihm wandte sich an ihn. Beiträge von ihm unerbeten. Teils hoffte er, sie würden ihm ohne sein Wissen Demerol in den Tropf füllen. Er gurgelte und muhte und sagte abhängig. Was die Wahrheit war, war er ja, wusste er. Das Krokodil, der Typ, der immer Hanes trug, Lenny, und auf dem Podium immer sagte: »Die Wahrheit macht dich frei. Aber vorher macht sie dich fertig.« Die Stimme unten im Korridor weinte, als würde ihr das Herz brechen. Er stellte sich vor, wie der Stv. BStA den Hut abnahm und inständig betete, Gately möge überleben, damit er ihn in die M D C Walpole stecken könne. Das harsche Geräusch ganz in der Nähe war das Pflaster, das ihm mit einem solchen Ruck vom unrasierten Mund abgerissen wurde, dass er es kaum spürte. Er stellte sich lieber nicht vor, wie sich seine Schulter anfühlen würde, wenn sie anfingen, auf seine Brust einzuhämmern, wie man bei Sterbenden immer auf die Brust einhämmerte. Die Sprechanlage dingdongte leise. Er hörte Leute, die sich im Korridor unterhielten, an der offenen Tür einen Augenblick stehen blieben und hereinschauten, aber ohne ihr Gespräch zu unterbrechen. Wenn er starb, ging ihm durch den
unterbrechen. Wenn er starb, ging ihm durch den Kopf, würden alle anderen weiterleben, nach Hause fahren, essen, ihre Frauen nageln und ins Bett gehen. Eine Gesprächsstimme an der Tür lachte und erklärte jemandem, es würde heutzutage immer schwieriger, die Homosexuellen von den Leuten zu unterscheiden, die Homosexuelle zusammenschlügen. Er konnte sich unmöglich eine Welt ohne sich vorstellen. Er erinnerte sich, wie zwei seiner Mannschaftskollegen an der Beverly High einen sogenannten Homosexuellen zusammengeschlagen hatten, während er weitergegangen war, weil er nicht Partei ergreifen wollte. Beide Seiten des Konflikts abstoßend fand. Er stellte sich vor, in Walpole homosexuell werden zu müssen. Er stellte sich vor, jede Woche zu einem Treffen zu gehen und einen Hirtenkrummstab und einen Papagei zu haben, Cribbage um eine Zigarette pro Punkt zu spielen, mit dem Gesicht zur Wand auf der Seite in seiner Koje zu liegen, und sich auf die Erinnerung an Titten einen runterzuhoien. Er stellte sich den Stv. BStA vor, den Kopf gesenkt und den Hut vor der Brust. Jemand über ihm fragte jemand anders, ob sie bereit wären, und jemand ließ sich über die Größe
bereit wären, und jemand ließ sich über die Größe von Gatelys Kopf aus und packte seinen Kopf, und dann spürte er tief in sich eine Aufwärtsbewegung, die so intim und schrecklich war, dass er aufwachte. Nur ein Auge öffnete sich, weil die Kollision mit dem Fußboden das andere so fest und prall wie eine Wurst verschlossen hatte. Seine ganze Vorderseite war kalt, weil er auf dem nassen Boden gelegen hatte. Irgendwo hinter ihm murmelte Fackelmann etwas, das nur aus g's bestand. Sein offenes Auge konnte das Fenster des Luxusapartments sehen. Draußen dämmerte es, ein glimmendes Grau, und die Vögel hatten draußen in den kahlen Bäumen viel zu sagen; im großen Fenster sah er ein Gesicht und Windmühlenarme. Gately versuchte, den vertikalen Halt seiner Optik zu fixieren. Pamela Hoffman-Jeep war vor dem Fenster. Ihr Apartment lag im zweiten Stock des Luxuskomplexes. Sie war in einen Baum direkt vor dem Fenster geklettert, stand auf einem Ast und sah herein, und entweder gestikulierte sie wild oder sie versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Gately hatte plötzlich Angst, sie könne aus dem Baum fallen, und wollte den Fußboden gerade
fragen, ob er seine Umklammerung vielleicht mal bitte kurz lösen und ihn aufstehen lassen könne, als P.H.-J.s Gesicht plötzlich fiel, nach unten aus dem Fenster verschwand und durch das Gesicht von Bobby (»c«) C. ersetzt wurde. In einem gelassen ironischen Hallo tippte sich Bobby C.langsam mit zwei Fingern an die Schläfe, während sein Blick durchs Fenster die Indizien des Komafixens im Zimmer überflog. Mit besonderer Aufmerksamkeit beäugte er Mount Dilaudid und nickte jemandem unten unter dem Baum zu. Er schob sich auf dem Ast weiter, bis er direkt vor dem Fenster stand, zog mit einer Hand am Fensterrahmen und versuchte, das geschlossene Fenster zu öffnen. Die hinter ihm aufgehende Sonne warf einen Schatten seines Kopfes auf den nassen Fußboden. Gately rief nach Fackelmann und versuchte, zur Seite abzurollen und sich aufzusetzen. Seine Knochen fühlten sich an, als wären sie voller Glassplitter. Bobby C hob einen Sixpack Hefenreffer hoch und wedelte vielsagend damit, wollte quasi herein. Gately hatte es gerade geschafft, sich teilweise aufzusetzen, als Cs Faust in ihrem Halbfingerhandschuh durchs Fenster kam und die doppelverglaste Scheibe bersten ließ. Der herabgefallene TP-Bildschirm zeigte immer noch
Aufnahmen kleiner Flammen, konnte Gately sehen. Cs Arm griff durch das Loch in der Scheibe, löste den Riegel und schob das Fenster hoch. Fackelmann blökte wie ein Schaf, bewegte sich aber nicht; eine Spritze, die er gar nicht erst wieder herausgezogen hatte, hing ihm in der Ellenbogenbeuge. Gately sah, dass Bobby C Glassplitter im violetten Haar und eine altmodische TaurusPT 9mm im Nietengürtel stecken hatte. Gately saß stumm da, als C hereingeklettert kam, quasi auf Zehenspitzen durch die verschiedenen Pfützen ging und Fackelmann den Kopf zurückdrehte, um seine Pupillen zu prüfen. C machte tststs, ließ Fackelmanns Kopf wieder gegen die Wand bummern, und Fax blökte leise weiter. C drehte sich scharf auf dem Stiefelabsatz um, machte sich zur Tür des Apartments auf, und Gately saß da und sah ihm zu. Als C an Gately vorbeikam, der mit parenthetisierten nassen Beinen wie ein riesiger präverbaler Hosenmatz auf dem Boden saß, blieb er stehen, als wolle er noch etwas sagen, was ihm eben erst eingefallen war, sah auf Gately herab, lächelte breit und herzlich, und Gately sah, dass er einen schwarzen Schneidezahn hatte, und genau in dem Augenblick erwischte C ihn mit der Taurus-PT
hinter dem Ohr und schickte ihn wieder zu Boden. Der Boden verpasste Gately eine üblere Kopfnuss als der Hieb mit der Waffe. Seine Ohren klingelten, aber was er sah, waren keine Sterne. Dann trat Bobby C Gately in die Eier - Standardverfahren, um einen Mann am Aufstehen zu hindern -, und Gately zog die Knie hoch, drehte den Kopf zur Seite und erbrach auf den Boden. Er hörte die Apartment-Tür aufgehen und das Geräusch von Cs Stiefeln, die gemächlich zum Eingang des Komplexes die Treppe hinabgingen. Zwischen den Krämpfen drängte Gately Fackelmann, haste, was kannste durchs Fenster zu verduften. Fackelmann war wieder an der Wand zusammengesackt; er musterte seine Beine und sagte, er könne seine Beine nicht spüren, er sei von der Kopfhaut abwärts betäubt, und das Gefühl steige. C kam gleich wieder zurück an der Spitze eines Gefolges, dessen Anblick Gately gar nicht gefiel. Da waren DesMonts und Pointgrave, kanadische Teilzeitschläger vom Harvard Square, die Gately flüchtig kannte, freiberufliche Kleinkriminelle von so kanadischer Dämlichkeit, dass sie außer zu brutalsten Arbeiten zu nichts taugten. Gately war
unfroh, sie zu sehen. Sie trugen Overalls und verschiedenfarbige Flanellhemden. Hinter ihnen kam der arme ekzematische Apothekengehilfe, der einen schwarzen Arztkoffer in der Hand trug. Gately lag auf dem Rücken und strampelte mit den Beinen in der Luft, was, wie jeder, der mal einen Mannschaftsballsport ausgeübt hat, weiß, das Beste ist, wenn man einen Tritt in die Klöten abbekommen hat. Der Apothekengehilfe stellte sich hinter C, stand da und sah auf seine Weejuns hinab. Drei große unbekannte junge Frauen in roten Lederrnäntein und üblen Laufmaschen in den Strumpfhosen kamen herein. Dann wurde die arme alte Pamela HoffmanJeep, der Taft zerrissen und schmutzig und das Gesicht vom Schock aschgrau, von zwei asiatischen Punks in glänzenden Lederjacken hereingetragen. Sie hatten ihr die Hände unter den Hintern gelegt und trugen sie in Sitzhaltung, das eine Bein, aus dessen Schienbein ein Knochensplitter vorstand, ausgestreckt, und dieses Schienbein war eine ganz schöne Sauerei. Gately sah alles verkehrt herum und strampelte mit den Beinen, bis er aufstehen konnte. Die eine Frau trug eine altmodische GraphixBong und einen Glad-Küchenmüllsack Marke CinchSak. Pointgrave oder DesMonts - Gately konnte die
beiden nie auseinanderhalten - trug eine Kiste unverzollten Whiskey. C fragte in die Runde, ob Party angesagt sei. Das Zimmer wurde heller, da die Sonne stieg. Es füllte sich. Eine andere Frau äußerte sich negativ über den Urin auf dem Boden. Fackelmann in seiner Ecke sagte, das sei alles eine gottverdammte Lüge. C beantwortete seine eigene F r a g e mit Falsettstimme und sagte, Ja, allerdingsiwingsi sei Party angesagt. Jetzt kam ein farbloser, gepflegter, universitätischer Typ mit Wembley-Krawatte herein, der einen TaTung-Corp.Koffer dabeihatte, den er neben dem Apothekengehilfen abstellte, und dann hängte der farblose Typ den Teleputer wieder an die Wand, nahm die Flämmchenpatrone heraus und ließ sie auf den Boden fallen. Die bei den asiatischen Gorillas trugen Pamela Hoffman-Jeep in die entlegenste Wohnzimmerecke, und sie schrie auf, als die bei den sie auf einem Karton gefälschter Abziehsiegel des Bundesstaates Massachusetts abluden. Sie waren klein, die Asiaten, und beide sahen auf ihn herab, aber keiner hatte schlechte Haut. Eine kleine grimmige Frau mit einem straffen grauen Dutt und soliden Schuhen kam als Letzte herein und schloss hinter sich die Apartment-Tür. Gately drehte sich
langsam auf die Knie, stand auf, in der Hüfte noch leicht gebeugt, bewegte sich aber nicht, und das eine Auge war noch zugeschwollen. Er hörte, wie Fackelmann aufzustehen versuchte. P. H.-J. hörte auf zu schreien, wurde ohnmächtig und sackte in sich zusammen, das Kinn fiel ihr auf die Brust und der Hintern rutschte halb vom Karton. Das Zimmer roch nach Dilaudid, Urin, Gatelys Erbrochenem, Fackelmanns Stuhlgang und den eleganten Ledermänteln der roten Lederfrauen. C kam herbei, langte hoch, legte Gately den Arm um die Schultern und blieb so mit ihm stehen, während zwei von den taffen Frauen in den Mänteln Bourbonflaschen aus der Kiste verteilten. Gately konnte am besten sehen, wenn er die Augen fast zukniff. Die Morgensonne hing oben im Fenster hinter dem Baum und wurde gelb. Es handelte sich um viereckige Flaschen mit schwarzen Etiketten, was auf Jack Daniels hindeutete. Eine Kirchenglocke fern am Square schlug sieben- oder achtmal. Mit vierzehn Jahren hatte Gately schlechte Erfahrungen mit Jack Daniels gemacht. Der farblose, gepflegte Konzerntyp hatte eine andere TP-Patrone eingelegt und nahm jetzt einen transportablen CD-Spieler aus dem TaTung-
Koffer heraus, wobei der Apothekengehilfe ihn beobachtete. Fackelmann sagte, alles wäre jedenfalls eine gottverdammte Lüge. Pointgrave oder DesMonts nahm die Flasche, die C von den taffen Frauen gereicht bekommen hatte, und gab sie Gately weiter. Spinnenfäden aus Astschatten durchzogen das durchs Fenster hereinfallende Sonnenlicht auf dem Boden. Die Schatten aller im Zimmer Anwesenden glitten über die Westwand. Auch C hatte eine Flasche in der Hand. Kurz darauf hatte praktisch jeder seine eigene Flasche Jack. Gately hörte, wie Fackelmann bat, seine für ihn zu öffnen, er sei betäubt bis zur Decke und das Gefühl steige und er könne seine Hände nicht spüren. Die kleine, grimmige, bibliothekarische Frau ging zu Fackelmann und nahm die Handtasche von der Schulter. Gately überlegte, wie er für den Faxter ein gutes Wort einlegen sollte, wenn Whitey Sorkin käme. Bis dahin, sagte er sich, war es Cs Party, und den wollte er nicht unnötig provozieren. Es nahm viel Zeit in Anspruch, einen Gedanken zu formen. Pamela Hoffman-Jeeps Schienbein sah aus wie Tatar. C hob seine viereckige Flasche und bat die Anwesenden um die Erlaubnis, quasi einen Toast ausbringen zu dürfen. P.H.-J.s Lippen waren im
Schock blau angelaufen. Gately hatte ein schlechtes Gewissen, weil er jetzt, wo sie aus dem Baum gestürzt war, kein romantisches Mitleid empfand. Er fragte sich nicht, ob sie sie verpfiffen hatte, ob sie Bobby C zu ihnen geführt hatte oder umgekehrt. Mindestens eine der Frauen in den roten Ledermänteln hatte einen tierisch großen Adamsapfel für eine Frau. C drehte Gatelys Schultern grob zu Fackelmann in der Ecke herum, brachte einen Toast auf alte Freunde und auf neue Freunde und auf den offenkundigen Eins-A- Treffer aus, den Gene Gene the Fax Machine gelandet h a b e n musste, nach der Größe des DilaudidHaufens und den ganzen Anzeichen einer scheiß großen Party zu urteilen, die man hier sehen und riechen könne. Jeder trank aus seiner Flasche. Die grimmgesichtige kleine Frau musste Fackelmann dabei helfen, mit der Flaschenöffnung den Mund zu treffen. Alle drei großen Frauen zeigten ihre Adamsäpfel, als sie zum Exen die Köpfe in die Nacken legten. Als er höflich Jack schluckte, musste sich Gately fast übergeben. Cs Wumme im Gürtel drückte sich an Gatelys Schenkel und ein paar Gürtelnieten auch. DesMonts und Pointgrave hatten
beide S&W-Wummen in Schulterhalftern. Die asiatischen Punks zeigten keine Waffen, ihre Ausstrahlung ließ aber vermuten, dass sie nicht mal unbewaffnet duschten; hundertpro hatten die mindestens diese üblen scharfen Schlitzaugenscheiben dabei, die man nach den Leuten schleuderte, sagte sich Gately. Ein paar aus Cs Clique tranken ihre ganze Flasche auf ex. Die eine große Frau schmiss ihre Flasche an die Westwand, aber sie ging nicht kaputt. Warum tat einem nach einem Tritt in die Klöten eigentlich immer der Bauch weh und nicht die Eier? Gately drehte sich und schaute, wohin auch immer Cs Arm ihn drehte. Das verzerrte Gesicht auf der Patrone des Konzerntyps im wieder aufgehängten Bildschirm war das von Whitey Sorkin, ein Porträt, das Sorkin von einem neuralgischen Maler für eine Reihe von Aspirin-Werbespots hatte malen lassen, als er wegen seiner Cluster-Kopfschmerzen in der Nationalen Stiftung für Kraniofazialschmerzen in der City gewesen war. Die Patrone zeigte anscheinend nur ein Dauerstandbild des Gemäldes, so als präsidierte Sorkin auf stumme und schmerzerfüllte Weise der Versammlung von der Wand herab. Den Mund zusammengekniffen, fädelte die
bibliothekarische kleine Frau einen Faden durch das Öhr einer Nähnadel. Der Apothekengehilfe ließ Hautschuppen auf den schwarzen Koffer rieseln, als er sich über diesen beugte, um mehrere Spritzen herauszunehmen, die er aus einer 2500-IU-Ampulle aufzog und im Zimmer verteilte. Das N.S.K.F.S.Gemälde zeigte eine rote Faust, die oben aus Sorkins Schädel eine Handvoll Gehirn herausholte, während Sorkins Gesicht mit dem klassischen Ausdruck intensiven Denkens eines Migränepatienten vom Bildschirm herabblickte, eher schon meditativ als schmerzerfüllt. Der eine Asiat kauerte schlitzenmäßig in der Ecke und trank Jack, und der andere fegte die verstreuten Laminate auf dem Boden zusammen, wobei er eine Klappe des TaTung-Koffers als Kehrblech verwendete. Schlitzaugen konnten echt gut fegen, fand Gately. Eine zweite Frau schmiss ihre Flasche an die Wand. Erst als C Gately von ihnen wegdrehte, dämmerte es ihm (Gately), dass die Frauen in Mänteln und Schlampenstrumpfhosen in Wirklichkeit als Frauen verkleidete Tunten waren, also quasi Transvestalinnen. Bobby C strahlte. Das erste bisschen echte Angst um den eigenen Arsch verspürte Gately, als ihm klar wurde, dass die
Anwesenden fast nur Mitglieder von Bobby Cs eigener Clique waren, nicht die Leute, die Sorkin abkommandierte, wenn er seine eigenen Leute schickte und dann selber nachkam, dass Sorkins Bild an der Wand symbolisierte, dass er selbst nicht kommen würde, und dass Sorkin Bobby C in dieser schmerzhaften Sache Schalter und Walter gegeben hatte. Der Apothekengehilfe nahm zwei schon gefüllte Spritzen aus dem Arztkoffer und wickelte die knisternden Plastikhüllen ab. C flüsterte Gately zu, Whitey lasse ausrichten, er wisse, dass Donnie nichts mit Fackelmanns Coup zu tun habe, Sorkin und Achtziger-Bill abzurippen. Er brauche nichts zu tun, solle sich entspannen, die Party genießen, Fackelmann die Suppe auslöffeln lassen, die er sich selbst eingebrockt habe, und keine Anwandlungen quasi a la 19. Jahrhundert kriegen und die Erniedrigten und Beleidigten verteidigen wollen, sich da nicht reinziehen lassen. C sagte, der Tritt täte ihm leid, er habe sichergehen müssen, dass Gately nicht versuche, Fackelmann zum Fenster rauszukriegen, während er unten die Tür aufmachte. Dass er hoffe, Gately werde ihm das nicht nachtragen, weil er ihm eigentlich nichts Böses wünsche und keinen Zoff
wolle, später. Das sagte er alles ganz leise und eindringlich, während die zwei Tunten mit Perücken, die ihre Flaschen zu zerschmeißen versucht hatten, a u f einer Kiste saßen und den riesigen Kopf der Graphix mit Gras aus dem GladSack füllten, der Gras enthielt. DesMonts saß auf einem Regiestuhl. Alle anderen tranken aus ihren viereckigen Flaschen und standen im sonnendurchfluteten Zimmer herum in den seltsamen Haltungen von weit mehr Leuten als Sitzen. Ihre Arme waren blass und unbehaart. Die beiden asiatischen Gorillas banden sich gegenseitig ab. Der Luftzug durch das Faustloch im Fenster ließ Gately frösteln. Die dritte Tunte gab irgendwelche Kommentare zu Gatelys Körperbau ab. Gately fragte C leise, ob Fackelmann und er sich nicht voll schnell säubern könnten, und dann könnten sie alle zu Sorkin gehen, und Whitey und Gene könnten das ausdiskutieren und sich einigen. Fackelmann fand seine Stimme wieder und fragte laut, ob jemand zu ihm und Mount Dilaudid rüberwandern und sich voll d i e Dröhnung verpassen wolle. Gately zuckte zusammen. Bobby C lächelte Fackelmann an und sagte, es sähe so aus, als hätte Fax genug. Gleichzeitig trat der psoriatische Gehilfe an Fackelmann heran, prüfte mit einer Stiftlampe seine
Pupillen und setzte ihm mit einer Fertigspritze einen Schuss, wobei er eine Halsarterie nahm. Fackelmanns Hinterkopf schlug ein paarmal gegen die Wand, und sein Gesicht lief knallrot an, die klinische Standardreaktion auf Narcan.386 Dann kam der Apotheker zu C und Gately herüber. Der transportable CD-Spieler legte mit der armen alten Linda McCartney los, während C Gately stützte und der Apoth.-gehilfe ihn mit einer RR-Manschette abband. Gately stand leicht gebeugt da. Fackelmann machte Geräusche wie ein lange untergetauchter Mann, der zum Luftschnappen hochkommt. C sagte Gately, er solle sich anschnallen. Der Urin hatte die Parkettversiegelung des Luxusapartments teilweise weich und weiß wie Seifenschaum werden lassen. Die CD war dieselbe, die C auch die ganze Zeit hatte laufen lassen, als Gately mal mit ihm Auto gefahren war: Jemand hatte eine alte Scheibe von McCartney und den Wings genommen - also von dem McCartney von den Beatles von anno dunnemals -, d u r c h einen Kurtzweil-Remixer gejagt und alle Tonspuren der Songs gelöscht bis auf die, auf denen die arme alte Mrs Linda McCartney als BackupSängerin und Tamburinspielerin agierte. Als die
Tunten das Gras »Bob« nannten, war das verwirrend, weil sie auch C »Bob« nannten. Die arme alte Mrs Linda McCartney konnte einfach ums Verrecken nicht singen, und dass man ihr zittriges, falsches, dünnes Stimmchen aus der Deckung der ganzen öligen Mehrspurkonzernmucke herausgespült und zum Solo aufgepumpt hatte, fand Gately unsäglich deprimierend - ihre Stimme klang so verloren und versuchte sich unter den Stimmen der Profi-Backup-Sänger zu verstecken und zu vergraben. Gately stellte sich vor, dass Mrs Linda McCartney - auf einem Wandbild in seinem Personalschlafzimmer eine Art Runzelblondine - er stellte sich vor, wie sie verloren in der Brandung vom professionellen Schubidu ihres Mannes stand, kein Selbstwertgefühl hatte, in der falschen Tonart zirpte und nicht wusste, wann genau sie ihr Tamburin schütteln musste: Cs deprimierende CD war mehr als grausam, irgendwie wirkte sie so sadistisch, als bohrte man ein Guckloch in die Wand einer Behindertentoilette. Zwei Transvestalinnen tanzten zu den schrecklichen Aufnahmen auf dem gefegten Boden in der Zimmermitte einen Swim; die dritte hielt Fackelmanns einen Arm, während der farblose Typ mit der WembleyKrawatte den anderen Arm gepackt
hielt und Fackelmann leicht aufklatschte, während sich Dilaudid und Narcan bekämpften. Sie hatten Fackelmann in seiner Ecke auf Gatelys DemerolSpezialstuhl gesetzt. In Gatelys Klöten pulste sein Puls. Der Apothekengehilfe hielt ihm das Gesicht vors Gesicht. Seine Wangen und sein Kinn waren ein Kladderadatsch aus silbrigen Hautschuppen, und als er Gately knapp anlächelte, spiegelte sich im öligen Film auf seiner Stirn das durchs Fenster hereinfallende Sonnenlicht. »Nach dem Klötentritt bin ich wieder so ziemlich da, C-Man«, sagte Gately, »falls ihr das Narcan nicht verschwenden wollt.« »Oh, das hier ist kein Narcan«, sagte e leise und stützte Gately am Arm. »Kaum«, sagte der Gehilfe und legte die Spritze frei. e sagte: »Halt deinen Hut fest.« Er tippte dem Gehilfen auf die Schulter. »Sag's ihm.« »Das ist pharmazeutisch reines Sunshine387«, sagte der Gehilfe und suchte eine gute Vene. »Halt dein Herz fest«, sagte e und verfolgte, wie die Kanüle eindrang. Der Apotheker stach fachmännisch
zu, hielt die Spritze horizontal und bündig zur Haut. Gately hatte noch nie Sunshine gefixt. Weil außerhalb kanadischer Krankenhäuser praktisch unkriegbar. Er sah zu, wie sein eigenes Blut das Serum rötete, als der Apotheker den Daumen streckte, um den Kolben zurückzuziehen. Der Apothekengehilfe verstand sich aufs Drücken. e klemmte beim Zusehen die Zunge in den Mundwinkel. Der Konzerntyp hielt Fackelmanns Ar me umklammert, eine Transvestalin hatte sich hinter den Stuhl gestellt, hielt den Kopf an Kinn und Haaren fest, und die graue Dame kniete mit der Nähnadel vor ihm. Gately konnte nicht die Augen davon abwenden, wie das Zeug in ihn hineinfloss. Er spürte keinen Schmerz. Einen Augenblick lang fragte er sich, ob das ein heißer Schuss war: Ganz schön viel Bohei, bloß um ihn aus dem Weg zu räumen. Der Apothekengehilfe hatte einen eingewachsenen Daumennagel. Auf Gatelys Arm lagen ein paar Ekzemschuppen, wo sich der Typ über ihn beugte. Nach einer Weile mag man den Anblick des eigenen Bluts. Der Apotheker hatte ihm den halben Schuss reingedrückt, als Fackelmann zu schreien anfing. Der Schrei wurde höher, je länger er sich hinzog. Als Gately den Blick von dem
sich hinzog. Als Gately den Blick von dem eindringenden Stoff lösen konnte, sah er, dass die bibliothekarische Lady Fackelmanns Lider an der Haut über den Augenbrauen festnähte. Sie nähten dem armen alten Graf Faxula buchstäblich die Augen auf. Auf dem Spielplatz hatte ein Junge seine Lider immer vor den Mädchen umgestülpt, so wie sie das jetzt bei dem armen alten Faxter machten. Gately riss es instinktiv zu ihm hin, und e nahm ihn fest in einen Arm. »Ruhig«, sagte e ganz leise. Der Geschmack des Hydrochlorids im Sunshine war derselbe köstliche Geschmack wie der Geruch in jeder x-beliebigen Arztpraxis. Talwin-PX hatte er nie gefixt. Kriegte man unmöglich Rezepte für, für PX, war eine kanadische Mischung; dem USamerikanischen Talwin388 wurden 0,5 mg Naloxon beigegeben, um den Kick zu mindern, und deshalb nahm Gately NX nur zusätzlich zu Bam-Bams. Er verstand, dass sie Fackelmann das Antinarkotikum gegeben hatten, damit er die Nadel spürte, mit der sie ihm die Augen aufnähten. Grausam wird mit einem u geschrieben, erinnerte er sich. Die beiden Asiaten hatten auf Cs Anweisung hin das Zimmer
verlassen. Linda McC. klang wie eine BorderlinePsychotikerin. Die kleine graue Dame arbeitete schnell. Das schon aufgenähte Auge trat obszön hervor. Bis auf C, den Konzerntyp und die grimmige Lady setzten sich jetzt alle im Zimmer einen Schuss. Zwei Tunten hatten die Augen geschlossen und die Gesichter zur Decke gedreht, als könnten sie bei dem, was sie ihrem Arm antaten, nicht zusehen. Der Apotheker band die bewusstlose Pamela HoffmanJeep ab, was die Demütigung quasi noch potenzierte. Injektionen und Schüsse in allen möglichen Stilen und Geschicklichkeitsstufen spielten sich ab. Fackelmanns Gesicht war immer noch ein Schreigesicht. Der Konzernlaufbursche tröpfelte ihm mit einer Pipette eine Flüssigkeit ins aufgenähte Auge, während die Lady neues Garn einfädelte. Gately hatte den Eindruck, diese Flüssigkeit-ins-Auge-Sache hätte er schon mal in einer Patrone oder einem Film gesehen, den der M. P. gemocht hatte, als er noch ein Gun war und auf dem Chintz am Meer Ball spielte, als das Sunshine die Schranke überwand und loslegte. Man konnte nachvollziehen, warum die USA sie dazu gebracht hatten, den Kick zu mindern. Die Luft im Zimmer wurde überklar, bekam einen
im Zimmer wurde überklar, bekam einen Glyzerinschimmer, und die Farben leuchteten schrecklich. Als könnten Farben Feuer fangen. Es hieß, das Talwin-PX (K-II) sei intensiv, aber kurzwirkend. Und kostspielig. Keine Daten über Wechselwirkungen mit massiven Rückständen intravenösen Dilaudids. Gately versuchte zu denken, solange er noch konnte. Wenn sie ihm die Karte mit einer Überdosis umdekorieren wollten, hätten sie etwas Billiges genommen. Und wenn die Bibliothekarin ihm die Augen aufnähen wollte. Gately versuchte zu denken. Hätten sie ihm keinen verpasst. Ihm. Keinen Schuss. Selbst die Luft im Zimmer wölbte sich. Blähte sich auf. Fackelmanns Schreie über Lügen schwollen an und ab, neben dem Arterienbrausen des Sunshine kaum zu hören. McC. versuchte ein Husten zu unterdrücken. Gately konnte seine Beine nicht spüren. Er spürte, dass Cs Arm ihn mehr und mehr stützte. Seine Armmuskeln traten hervor und wurden härter: Das konnte er spüren. Seine Beine, die: klinkten sich quasi aus. Angriff von Böden und Gehwegen. Kite hatte immer ein Liedchen gesungen, das hieß »32-mal Spaß mit Sterno, mein Junge«. e ließ ihn sachte hinuntergleiten. Starker, gedrungener,
ließ ihn sachte hinuntergleiten. Starker, gedrungener, harter Junge. Die meisten Heroinmänner konnte man mit einem Buh umhauen. e hingegen besaß eine Sanftheit, obwohl der Junge diese Echsenaugen hatte. Er ließ ihn echt sachte hinunter. e würde Gunny Don vor dem Angriff des bösen Bodens beschützen. Die gestützte Ohnmacht drehte Gately herum, und e bewegte sich wie ein Tänzer um ihn herum, um seinen Fall zu verlangsamen. Gately bekam in fast unerträglicher Schärfe eine Rundumansicht des ganzen Zimmers. Pointgrave kotzte Würfel in Tunke. Zwei Tunten glitten an der Wand hinunter, an die sie sich anlehnten. Ihre roten Mäntel standen in Flammen. Im vorbeiziehenden Fenster explodierte das Licht. Vielleicht kotzte auch DesMonts, und Pointgrave nahm den IP-Bildschirm von der Wand und zog sein fibröses Kabel zu Fackelmann an der Wand hinüber. Fax' eines Auge war so offen wie sein Mund und zeigte weit mehr Auge, als man je bei irgendwem sehen möchte. Er wehrte sich nicht mehr. Er starrte piratisch stur geradeaus. Die Bibliothekarin machte sich ans zweite Auge. Der farblose Mann hatte eine Rose im Schoß, eine Brille mit Metallgläsern aufgesetzt, war stockblind, verpasste in der Hälfte der Fälle mit der
Pipette Fax' Auge und sagte etwas zu Pointgrave. Eine Transvestalin hatte P.H.J.s zerrissenen Saum hochgezogen und ihr eine Spinnenhand auf den fleischfarbenen Schenkel gelegt. P. H.- J.s Gesicht war grau und blau. Der Boden kam ihm langsam entgegen. Bobby es plumpes Gesicht sah fast hübsch aus, tragisch, halb vom Fenster beleuchtet, angewinkelt unter Gatelys rotierender Schulter. Gately fühlte sich weniger high als körperlos. Es war obszön angenehm. Sein Kopf löste sich von seinen Schultern. Gene und Linda kreischten beide. Die Patrone mit den offen gehaltenen Augen und der Pipette war die über Ultragewalt und Sadismus gewesen. Ein Lieblingsfilm von Kite. Das letzte vorbeiziehende Bild zeigte die Schlitzaugen, die wieder zur Tür hereinkamen und große glänzende Zimmervierecke hielten. Als der Boden hochwogte und e seinen Griff lockerte, sah Gately als Letztes, wie ein Asiat mit dem Viereck in der Hand auf ihn zuhielt, und er sah in das Viereck und erblickte deutlich das Spiegelbild seines eigenen großen quadratischen blassen Kopfes, in dem sich die Augen schlossen, als der Boden schließlich zuschlug. Und als er wieder zu sich kam, lag er flach auf dem Rücken am Strand im eiskalten Sand, aus
einem niedrig hängenden Himmel regnete es, und draußen war Ebbe.
Impressum Die in diesem Buch beschriebenen Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind vom Autor nicht beabsichtigt und entweder Zufall oder Produkt Ihrer eigenen krankhaften Phantasie. Namen real existierender Orte, Firmen, Institutionen und Personen des öffentlichen Lebens beziehen sich ausschließlich auf erfundenen Stoff, nicht auf die Wirklichkeit. Neben den geschlossenen Treffen, die Alkoholikern vorbehalten sind, veranstalten die Anonymen Alkoholiker in Boston, Massachusetts, offene Treffen, bei denen so ziemlich jeder, der sich für so was interessiert, dabei sein, zuhören, mitschreiben und den Leuten Löcher in den Bauch fragen kann. Bei diesen offenen Treffen haben mir viele Menschen äußerst geduldig, redselig, offen und hilfreich Auskunft gegeben. Ich kann diesen Männern und Frauen am besten danken, indem ich ihre Namen für mich behalte. Auszüge dieses Romans erschienen in anderer Form
Auszüge dieses Romans erschienen in anderer Form bereits in folgenden Publikationen: Harvard Review, The lowa Review, Grand Street, Conjunctions, Harper's, The Review of Contemporary Fiction, The Pusheart Prize XllI, The New Yorker. Der Übersetzer dankt dem Deutschen Übersetzerfonds, der diese Arbeit mit zwei umfangreichen Stipendien gefördert hat, sowie seinem Vater Arnold Blumenbach, ohne dessen mäzenatische Zuwendungen er die Übersetzung nicht hätte abschließen können. 3. Auflage 2009 Titel der Originalausgabe: Infinite Jest Copyright © 1996 by David Foster Wallace All rights reserved Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumen bach Lektorat: Johann Christoph Maass © 2009 by Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG, Köln Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des
Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Umschlaggestaltung: Tom Ising für Herburg Weiland Gesetzt aus der Aldus Satz; Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN 978-3-462-04112-5 ebook Erstellung - Dezember 2009 - TUX *** Ende Teil 2