Nr. 390
Das Wunder von Atlantis Die Stunde der Niederlage - und die Stunde des Sieges von Hans Kneifel
Der Flug von A...
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Nr. 390
Das Wunder von Atlantis Die Stunde der Niederlage - und die Stunde des Sieges von Hans Kneifel
Der Flug von Atlantis-Pthor durch die Dimensionen ist erneut unterbrochen wor den. Der Kontinent, der auf die Schwarze Galaxis zusteuerte, wurde durch den Kor sallophur-Stau gestoppt. Pthor ist nun umschlossen von Staub und planetarischen Trümmermassen, die von einem gewaltigen kosmischen Desaster zeugen, das sich in ferner Vergangenheit zugetragen hat. Auch wenn durch diesen Zwangsaufenthalt Pthors die von der Schwarzen Galaxis zu erwartende Gefahr gegenwärtig ignoriert werden kann – die Situation sieht für At lan, den neuen König von Pthor, und seine Untertanen trotzdem relativ kritisch aus. Der fliegende Kontinent und seine Bewohner bekommen es nämlich mit den wilden und kriegerischen Krolocs zu tun, den Beherrschern des Korsallophur-Staus. Diese spinnenähnlichen Intelligenzen sehen in dem so plötzlich aufgetauchten Welten brocken ein Objekt, das es zu erobern und ihrem Herrschaftsbereich einzuverleiben gilt. Nun, nach ausgedehnten Erkundungsunternehmen und anderen Vorbereitungen, naht die Stunde, da die Krolocs gegen die Neuankömmlinge im Stau zum Angriff an treten, voller Vertrauen auf die Überlegenheit ihrer Waffen und die Unbesiegbarkeit ihrer Krieger. Die Verteidiger haben den Invasoren nicht allzu viel entgegenzusetzen – dennoch geschieht in der Stunde der drohenden Niederlage etwas, das man als Wunder be zeichnen kann, als DAS WUNDER VON ATLANTIS …
Das Wunder von Atlantis
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Die Hautpersonen des Romans:
Tagger Blyhs - Kommandant der krolocischen Invasionsstreitkräfte.
Razamon - Pilot des goldenen Raumschiffs.
Atlan - Der Arkonide greift persönlich in den Kampf um Pthor ein.
Sator Synk und Binoos - Kommandanten der Streitkräfte von Pthor.
1. Hinter ihnen schlugen die weißglühenden Strahlen aus den Lanzen der Angreifer in Felsnadeln und in Geröllflächen ein. Thalia und die Gruppe, mit der sie kämpfte, flüch teten mit langen Sprüngen. Eine breite An griffsreihe von Krolocs kam hinter ihnen her. »Zurück!« rief Thalia-Honir. »Wir vertei digen das Tor!« Das Tor war ein Relikt aus alten Zeiten. Eine uralte zyklopische Mauer enthielt an diesem Teilstück riesige Felsen, die zu ei nem gewaltigen Torbogen zusammengefügt waren. Die Herren der FESTUNG hatten auch hier eine Todesfalle eingerichtet, die jetzt leider wirkungslos war. Trotzdem wür den die Pthorer den Angriff der Krolocs hier relativ lange aufhalten können. »Sie kommen mit Spaccahs. Lauft schnel ler!« Fünfzehn Männer und Frauen – Dalazaa ren, Technos, Dellos und mehrere Bropen – waren in den letzten Stunden gestorben. Sie hatten sich wütend gewehrt, waren aber langsam auf die FESTUNG zurückgetrieben worden. Für jeden getöteten Kroloc waren zwei frische Krieger aus den Spaccahs aus geladen worden. Wieder donnerte das Geschütz auf. Zwei mal. Zwei Transportspaccahs, die sehr nied rig auf die Verteidigerlinie zuflogen, explo dierten in der Luft. Glühende Trümmer schlugen krachend in den Boden. Hinter der wuchtigen Mauer tauchten andere Verteidi ger auf. Auch sie handhabten inzwischen er beutete Strahlenwaffen des Gegners. Trotz dem wollte Thalias Niedergeschlagenheit nicht weichen. Wo blieben Atlan, der König und ihr Geliebter, Razamon, sein treuer
Freund, die Magier und die GOL'DHOR? Die Kämpfe waren nahezu überall auf Pthor in voller Entwicklung. Seit sechs oder mehr Stunden schien jeder einzelne Kroloc angetreten zu sein, den Widerstand der Ptho rer zu brechen. Die Opfer der Angreifer wa ren beträchtlich, viel höher als die Verluste der Verteidiger. Aber die Übermacht an Kriegern und Material war entscheidend. Es dauerte nicht mehr lange, dann befanden sich die ersten Sturmspitzen der Krolocs auf dem Gelände des Regierungszentrums. Mit einem Sprung rettete sich Thalia hin ter den viermal mannshohen Torpfosten. Die Verteidiger deckten den Rückzug der Thalia-Gruppe. Die ballistischen Geschütze schleuderten eine Menge Steine, Metallsplit ter und vergiftete Holzstücke in einer steilen Bahn über die Mauer. Die Gruppe der abgehetzten Kämpfer ver teilte sich hinter der Mauer und lehnte sich keuchend gegen die kühlen Steine. Jemand verteilte Becher mit einer Art kalten Tee, der mit Alkohol versetzt war. Thalia sah sich prüfend um und entdeckte ungebrochene Kampfkraft. Wieder dröhnte das einsame Geschütz auf und vernichtete eine Spaccah. Ein Wunder, dachte Thalia, daß diese Waffe noch nicht entdeckt und zerstört worden war. Einige Minuten lang ließ ihnen der Geg ner Zeit zum Ausruhen. Wie lange? Eine Formation aus etwa zwanzig Spac cahs heulte heran. Sie flogen parallel zur Mauer, die – ohne Verbindung zu anderen der Verteidigung dienenden Abschnitten – rund fünfzehn Kilometer von der großen Py ramide entfernt war. Ununterbrochen zuckte aus zweihundert Strahlenlanzen ein vernich tender Hagel von kurzen Feuerstößen herun ter und verwandelte Büsche, Bäume, Gras
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Hans Kneifel
flächen und Sand in einen Streifen brennen den und kochenden Todes. Wer dort ver steckt war, hatte den Angriff nicht überleben können. Die Verteidiger feuerten langsam und gezielt und schossen sieben der Maschi nen nacheinander ab. Aber schon heulten die nächsten Flugscheiben heran und ersetzten die Verluste. Die Ruhepause war vorbei. Außerhalb der Entfernung, in der sowohl die ballistischen Waffen als auch die Energielanzen trafen, landeten einige große Spaccahs. Sofort drangen die Krolocs wieder vor. Sie bewegten sich dicht über dem Boden. Ihre Körper duckten sich tief, die Kopfarme lagen dicht an und hielten die Strahlenlan zen. Immer wieder zuckten röhrende Glut bahnen über das Gelände und schlugen in die Mauern und die Blöcke des Tores ein. Die Verteidiger antworteten sofort wieder mit ihren Waffen. Auch Thalia schoß aus der Strahlenlanze und versuchte, keinen Kroloc über eine ge dachte Linie kommen zu lassen. Sie wünschte sich, daß Atlan erscheinen und mit dem goldenen Raumschiff in diesen Kampf eingreifen würde.
2. Es war wie eine Brandungswelle von schmerzlichen und schönen Erinnerungen. Sie überfielen Sigurd, als er im Basisge schoß des Lichthauses stand und sich um blickte. Alles war wie früher, und doch schi en alles plötzlich ganz anders zu sein. »Ich muß das Material hier irgendwo ha ben«, sagte er aufgeregt und rannte zu einem niedrigen Schrank. Das Lichthaus, in dem er bis vor wenigen Tagen zurückgezogen ge wohnt hatte, war voller Geheimnisse. Auch gab es viele Dinge darin, die er niemals rich tig beachtet hatte. Dazu gehörte auch die Karte über das subpthorische Waffenlager. Er wandte sich an seine Begleitung und rief: »Seht euch um! Wir werden Lampen und Fackeln brauchen, und wahrscheinlich Lei tern, Steigeisen und Seile. Es ist alles da –
beeilt euch! Ich suche die Karte!« Seine Hände gruben in den Fächern des Schrankes. Er fand allerlei Gegenstände, von denen er nicht geglaubt hatte, daß es sie gäbe. Ein kleines Parraxynth-Bruchstück war darunter. Dann erfaßten seine Finger ei ne eng gewickelte Rolle aus Pergament. Ir gendwo zwischen Donkmoon und Agh month sollten sich die Gewölbe befinden; das Lichthaus stand ebenfalls ziemlich ge nau gleichweit von der einen oder anderen Stadt entfernt. »Ich glaube, ich habe es«, murmelte er, packte die Rolle und rannte ins Licht hinaus. Er riß das Pergament aus der Verschnürung und breitete es aus. Eine Art dreidimensio nal ausgeführte Zeichnung war zu erkennen, die Gänge, Treppen, spiralige Rampen und verschiedene Kammern zeigte. »Das ist es!« sagte er und suchte nach ei nem Hinweis, an welcher Stelle der Straße er in dieses Labyrinth eindringen konnte. Er winkte einen der Dellos heran und gab ihm die eine Seite der Karte. »Erkennst du etwas? Ich sehe nicht, wo wir den Eingang finden können!« Die Zeit drängte. Während sie hier such ten, kämpfte Pthor seinen letzten Kampf. Vielleicht fanden sie eine Waffe, die diesen Kampf beeinflussen konnte. Sigurds Finger zitterten vor Erregung; er schob alle Erinne rungen zur Seite und registrierte, daß die fünf Dellos Bündel von Fackeln in den Ar men trugen. Der Mann neben ihm deutete in die rechte Ecke des Pergaments und stieß aufgeregt hervor: »Herr Sigurd! Ich kenne diese Felsen und den Ruinenturm daneben.« Sigurd funkelte ihn an und fragte leise: »Du bist absolut sicher?« »Ja. Es geht in die Richtung von Donk moon. Links von der Straße der Mächtigen.« »Gut. Habt ihr alles, Männer?« »Mehr oder weniger, ja. Wir können auf brechen.« Der Zugor, mit dem sie wunderbarerweise völlig ungehindert hierher geflogen waren, stand unmittelbar vor dem Eingang des
Das Wunder von Atlantis Lichthauses. Sigurd sagte laut: »Wir suchen auf alle Fälle. Die Karte ist uralt, und vielleicht finden wir nicht, was wir suchen. Aber … wenn wir etwas finden, können wir in den Kampf eingreifen. Los jetzt, Freunde.« Das Portal des Lichthauses schloß sich. Sigurd und seine Dellos schwangen sich in den Zugor. Der Pilot ließ den Flugkörper aufsteigen und jagte nach Osten. »Schneller. Vielleicht erwischen uns die Krolocs, bevor wir den Eingang entdeckt ha ben.« »Es sieht nicht danach aus«, erklärte der Pilot. »Die Krolocs sind mit Sicherheit alle um die FESTUNG konzentriert.« Sigurd betrachtete schweigend das Gelän de. Hier kannte er praktisch jeden Fußbreit. Er kannte auch den Ruinenturm mit dem schrägen, spitz zulaufenden Felsen und den schwarzen Moosbüscheln an der Basis. Aber niemals hatte er daran gedacht, daß sich an dieser Stelle der Eingang zu einem tiefgele genen Waffenversteck befand, das jemand angelegt hatte, der älter war als womöglich Vater Odin selbst. Der Zugor raste mit Höchstgeschwindig keit entlang der Straße. Hin und wieder er hoben sich hinter dem Gefährt dünne Wind hosen, die Sand in die Höhe rissen und da vonwirbelten wie selbständig lebende We sen. Einige riesige Skelette, halb vom Sand begraben und von kriechenden Pflanzen zu gewachsen, huschten vorbei – Erinnerungen an die Horden der Nacht und an die giganti sche Überschwemmung, die Pthor betroffen hatte. Links voraus schälte sich aus dem schat tenlosen Licht eine weiße, gezackte Fläche heraus. Die Augen der Zugor-Besatzung richteten sich auf die Quadern und Platten des Rui nenturms. Es war ein rundes Bauwerk, nicht höher als fünfzehn Meter, an der Basis fast unversehrt, dafür aber im Schaft und an der Mauerkrone von breiten Rissen und Sprün gen durchzogen und von Pflanzen bewach
5 sen. Der Pilot bremste den Zugor ab und zwang ihn in eine enge Kurve. Hinter der Turmruine ragte der schwarze Felsen, wie ein dicker, leicht gekrümmter Finger mit zu gespitztem Nagel geformt, aus der Wüstenei empor. Der Zugor landete lautlos. »Der Einstieg sollte im Boden des unter sten Turmgeschosses sein«, sagte Sigurd und hob die Pergamentrolle hoch. »Wenn ich nicht irre.« »Genau das habe ich auch aus der Zeich nung herausgelesen«, erklärte einer der be waffneten Dellos. Sie sprangen in den Sand und rannten, kaum daß der Flugapparat ge landet war, durch die Ranken des Gestrüpps und knisterndes Gras auf den Turm zu. Win zige Tiere flüchteten raschelnd und aufge regt pfeifend vor ihren Schritten. Sigurd schwang sich über einen kleinen Wall nie dergebrochener Steine und blieb im Mittel punkt des Raumes stehen. Zu seinen Füßen gähnte ein kleines, schwarzes Loch, aus dem es faul und stickig roch. »Hierher!« rief er. »Es gibt tatsächlich einen Einstieg.« Die Dellos folgten ihm und schleppten Leitern, Fackeln und anderes Gerät mit sich in den etwa sieben Meter großen Raum. Si gurd bückte sich und packte die einzelnen Steinbrocken rund um die vergleichsweise winzige Öffnung. Er riß sie hoch, stemmte sie über seinen Kopf und schleuderte sie über die Mauerreste. Das Loch wurde grö ßer, der Gestank aus der Tiefe wurde inten siver. Die Dellos halfen ihm. Einige von ihnen entrollten die Leitern und entzündeten die Fackeln. Innerhalb verblüffend kurzer Zeit war die Öffnung erweitert, und es zeigte sich, daß sie rechteckig war und in große Tiefe zu führen schien. Mit einigen Hieben keilten die Dellos die Enden der Strickleiter zwischen Felsblöcken fest. Der Rest der Lei ter wurde ins Loch hinuntergeworfen und rollte sich auf. »Die Stricke her!« verlangte Sigurd und knotete sich eine Schleife um Hüften und Brust. Er ergriff zwei Fackeln, warf Seine
6 Waffe zur Seite und tastete mit den Fußspit zen nach den ersten Holmen der Leiter. »Wir folgen dir!« sagte einer der Dellos. »Ich bleibe beim Zugor und warne euch, falls wir entdeckt werden«, sagte ein ande rer. Sigurd nickte und winkte den restlichen Männern. Mit brennenden Fackeln in den Händen machten sie sich nacheinander an den Abstieg. Etwa zwanzig Meter tief reich te die Strickleiter, dann brummte Sigurd, in dem fauligen Gestank schwer atmend: »Halt. Ich denke, hier gibt es einen Stol len. Tritt mir nicht auf die Finger!« »Verzeihung, Herr!« Das Licht der Fackeln beleuchtete die triefenden Wände eines hervorragend ge mauerten Schachtes. In der Wand gab es wuchtige Blöcke, auf die man treten konnte. Jetzt waren sie mit glitschigen grünen Algen oder Moosen bewachsen. Gegenüber der Stelle, an der Sigurd hing, öffnete sich in dem Stollen ein Quergang, etwa zwei Meter hoch. Alles atmete hier Fäulnis, Verderben und Dreck aus, seit Urzeiten war hier nie mand gewesen außer blinden Asseln und Sa lamandern. Sigurd stieß sich ab und begann mit dem Ende der Strickleiter zu schwingen. »Festhalten dort oben!« schrie er. Schau rig hallte das Echo. Als er die gegenüberlie gende Öffnung erreichte, sprang er hinein und schwenkte die Fackel. Der Querstollen war kühl, feucht und völlig leer. Winzige Augenpaare starrten ihn aus dem Halbdun kel an. Er begann daran zu zweifeln, daß dieses Gewölbe ein Waffenlager enthielt – der Transport von schweren Gegenständen war nahezu unmöglich. »Trotzdem …«, sagte er zu sich leise und tappte weiter. Seine Schultern schrammten am Rand des Gewölbes entlang. Hinter ihm folgten vier Dellos und schwangen die Fackeln, um die Flammen nicht erlöschen zu lassen. Das Licht fiel auf das ausgebreitete Pergament, das Sigurd auseinanderhielt. Ein Dello zeigte auf einen schwarz eingezeich neten Stollen. »Hier sind wir, Herr. Vor uns liegen rechts und links jeweils drei große Kam-
Hans Kneifel mern. Nach der Zeichnung sollten sie voller geheimnisvoller Waffen sein.« »Sehen wir nach!« gab Sigurd zurück und rollte die Zeichnung wieder zusammen. Unsichtbar flüchteten vor ihnen winzige Höhlentiere. Die Fackeln verbrannten lang faserige weiße Pflanzen, die aus den Fugen der Decke wuchsen. Es roch nach Fäulnis, pflanzliche Rückstände stoben unter den Schritten auf. Hustend drangen die Männer weiter vor und wandten sich bei der ersten Abzweigung nach rechts und links. Sigurd machte einige Schritte in ein großes Gewöl be hinein, hob die Fackel höher und begann zu fluchen. »Leer. Jemand war vor uns da und plün derte den Raum. Es muß vor langer Zeit ge wesen sein.« An einer Wand hingen verrottete Schilde aus Leder und Metall. Das Leder war von Bakterien und Schwamm zerfressen und zer fiel, als Sigurd die Finger darauf legte. Das Metall war bis zur Unkenntlichkeit zersetzt. Knisternd lösten sich die Beschläge und klirrten zu Boden. Man konnte undeutlich die Abdrücke schwerer Gegenstände in dem gemauerten Untergrund erkennen. »Auch bei uns ist es so«, rief der Dello aus der gegenüberliegenden Kammer. »Rostige Schilde, ein paar Lanzen, eine Menge Schutt und Abfälle. Weit und breit keine Spur von irgendwelchen wichtigen Waffen!« »Verdammt. Wir sind zu spät gekom men«, knirschte Sigurd. »Sucht weiter!« »Um einige Jahrhunderte, so scheint es«, erklärte einer der Bewaffneten und lief wei ter in den Stollen hinein. Sie hatten sich die Zeichnung eingeprägt und wußten, daß es insgesamt sieben Kammern und einen großen Saal gab. Ob die Gemäuer verschüt tet waren, wußten sie nicht. Ihre Rufe hall ten dumpf in dem Gewölbe wider. »Auch diese Kammer ist leer!« »Hier findet sich nichts, nur rostige Wandhaken!« Sigurd bemühte sich, seine Enttäuschung und Wut nicht allzu deutlich zu zeigen. Es
Das Wunder von Atlantis stand für ihn fest, daß vor sehr langer Zeit jemand dieses Lager total geplündert hatte. Sie waren tatsächlich um Jahrhunderte zu spät gekommen. Er drang leise fluchend weiter vor und fand nichts anderes als weite re leere Kammern. Breite Stufen führten aus dem Schacht in die Richtung der Halle. Die Halle befand sich am oberen Ende des leicht ansteigenden Stollens, jenseits der etwa zwanzig Stufen. Dicke Ringe hingen von den Wänden. Mit einem Satz sprang Sigurd die letzten Stufen hoch und starrte in das schwarze Gewölbe hinein. »Ich fürchte, hier werden wir auch nichts anderes finden als Rost und Moder«, brummte Sigurd, schwenkte die knisternde Fackel und machte schnelle Schritte in die Halle hinein. Die Halle war dreißig Schritte im Quadrat groß und etwa zwanzig Schritte hoch. Die Wände bestanden aus Fels und aus füllendem Mauerwerk. Auch diese Halle war leer bis auf einen seltsamen Gegenstand, der an einer Kette von der Decke hing und aussah wie ein Helm aus uralter Zeit. »Gehen wir zurück«, befahl Sigurd. »Jede weitere Suche ist sinnlos. Wenn wir kämp fen, haben wir mehr geleistet.« »Fliegen wir zur FESTUNG, Herr?« »So schnell wir können«, rief er und ging zurück zum senkrechten Schacht. Die Män ner halfen einander, die Strickleiter hinauf zuklettern. Sie warfen die Kletterhilfen in den Zugor, sprangen hinein und flogen zu rück zur großen Pyramide. Im Gegensatz zu dem Flug hierher sahen sie jedoch mehr Spaccahs. Die Flugscheiben schwebten alle in die Richtung auf die FESTUNG. Sigurd rief durch das Rauschen des Fahrtwinds: »Sie greifen in gewaltigen Scharen an. Wir kommen zu spät.« »Das glaube ich nicht«, erwiderte der Pi lot und steuerte den Zugor mit äußerster Schnelligkeit geradeaus. Auch jetzt wurden sie nicht angegriffen.
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7 Der Luftraum über der FESTUNG war in der Hand der Krolocs. Als Tagger Blyhs mit seiner Garde, aus der Ebene von Kalmlech kommend, heranstürmte, wagte nicht eine einzige Zugor-Besatzung, sich ihnen entge genzuwerfen. »Es dauert zu lange. Der Widerstand ist noch immer stark!« sagte er. Sein Pilot riß die Spaccah herum, als vom Boden aus die Strahlen der Beutewaffen hochzuckten und knapp am anführenden Flugapparat vorbei fuhren. »Wir werden das ändern!« versicherte der Invasionskommandant voller Grimm. »Greift die Verteidiger dort an.« Er wußte, daß sich auf der gegenüberlie genden Seite des zentralen Geländes Spank Vhroon mit seinen Spaccahs angriff und den Boden mit Feuerstrahlen von Verteidigern befreite. Die eigenen Flugscheiben kippten nach vorn, sanken rasend schnell tiefer und formierten sich neu. Die Schüsse der An greifer trafen den Boden, verbrannten Teile der Vegetation und ließen kochende Säulen von schmelzendem Gestein hochspritzen. Die Verteidiger flüchteten, aber sie wehrten sich aus massiven und schwer zerstörbaren Deckungen heraus. »Ein zweiter Angriff!« befahl der Kom mandant. Die Unterhaltung, die Seine Mehr beinigkeit Pemar Gayn zu führen beliebt hatte, beunruhigte ihn noch immer. Er mußte schnell siegen. Gayn würde rasen, wenn es länger dauerte. »Sehr gut. Noch mehr Feuer.« Die Spaccahs, die diesen Geländestreifen dicht über dem Boden abgeflogen hatten, drehten um hundertachtzig Grad und flogen den nächsten Angriff. Die Strahlenflut, die den Boden aufwühlte, war dieses Mal noch stärker und vernichtender. Aber noch immer gab es überlebende Pthorer, die es fertig brachten, die schnellen Scheiben abzuschie ßen. Vorläufig konnte er noch nicht daran den ken, die richtigen Geiseln zu finden und sie von hier wegzubringen. Es dauerte noch, der Angriff mußte erst das Herz der Verwaltung
8 treffen, und das Herz war die große Pyrami de, deren Flanken aus dem dichten Park auf ragten. »Kommandant!« rief aufgeregt der Pilot. »Ich höre. Was gibt es?« »Der Verantwortliche, der die Truppen um Wolterhaven koordiniert, will mit dir sprechen.« »Ausscheren und Kontakt herstellen.« »Verstanden.« Aus den Lautsprechern der Steueranlage kamen die aufgeregten Schreie des Krolocs. Schon nach den ersten Worten erfaßte Tag ger Blyhs, daß die Größe des Problems sei nen Vertreter vor der Stadt der Roboter ein deutig überforderte. »Die Maschinen … diese Robotbürger, wie sie sich nennen … sie rühren sich nicht, aber die Truppen lösen sich auf … Tote … sterben und tun unvernünftige und undiszi plinierte Dinge. Kein Befehl wird befolgt … werde mit der Lage nicht fertig.« Tagger sagte knapp: »Äschert die Stadt ein!« »Mit Kriegern, die keinen Befehl verste hen und im Kreis rennen?« »Ich komme und werde die Stadt vernich ten.« Er gab dem Piloten einen Wink, die Spac cah scherte augenblicklich aus, stieg höher und raste in die Richtung, die Tagger angab. Mehrere Flugscheiben folgten; es waren die jenigen der Garde. Die Piloten kannten jede größere Siedlung und jeden Kurs. Sie han delten völlig selbständig und eskortierten den Kommandanten. Tagger war ernsthaft besorgt; dieser Zwischenfall bedeutete einen langen Aufenthalt und gefährdete seine Plä ne. »Ich will mit Vhroon sprechen. Sofort.« »Die Verbindung steht bereits.« In rasender Geschwindigkeit schwebten die Spaccahs genau auf Wolterhaven zu. Unter ihnen wurde in einer kleinen Oase ge kämpft. Tagger sah, daß eine Gruppe Kro locs von Pthorern vernichtet wurde. Die Pthorer rannten auf die Flugscheibe zu und starteten damit in eine andere Richtung.
Hans Kneifel »Spank Vhroon! Du mußt augenblicklich sämtliche Kräfte zu einem Vorstoß formie ren und die Pyramide erobern. Schwierigkei ten in Wolterhaven. Ich bin dorthin unter wegs. Wir werden die Robotstadt ein äschern.« »Ich habe verstanden. Ich werde Angriff anführen.« »Es ist dringend. Die Mehrbeinigkeit zeigt nervöse Ungeduld.« »Verstanden.« Wolterhaven kam in Sicht. Die Stadt war von einem dichten Ring bewegungsloser Spaccahs umgeben. Tagger Blyhs zeigte auf den Ring, der aus Spaccahs gebildet war, und aus dessen Mitte der Kommandostab ragte. Das Geschwader landete dicht dane ben. Der Kommandant kletterte auf den Bo den und sah regungslos, wie der Verantwort liche in höchster Aufregung herankam. »Hier, sieh selbst«, sagte er und deutete auf den Rand der Stadt. Dort schwebten würfelförmige und runde Metallgegenstände in der Luft und taumelten auf die Krolocs zu. Hin und wieder feuerte ein Angreifer auf die Maschinen. Dann träfen die Strahlen auf die Objekte, wurden aber in vielen kleinen Blitzen abgeleitet. Die Krolocs, die versuch ten, in die Stadt einzudringen, krochen hilf los hin und her und feuerten aufeinander. An mindestens fünf Dutzend Stellen brannten Spaccahs, irgendwelche Stellen des Stadt rands und ein Teil der stacheligen Flora zwi schen Stadtrand und Wald. »Ich sehe es. Kannst du deine Krieger zu rückrufen? Wir greifen mit den Spaccahs an!« erklärte Tagger wütend. »Ich versuche es bereits lange Zeit. Sie gehorchen nicht. Nur einige sind zurückge kommen. Dort.« Etwa zwanzig Krolocs kauerten vor den Steuerungen der Flugscheiben. Tagger rief: »Jede Spaccah mit einem Piloten und ei nem Schützen bemannen. Dann startet ihr und brennt rücksichtslos eine breite Gasse in die Stadt. Schont keine der Kuppeln – dort verbergen sich die Roboter.«
Das Wunder von Atlantis »Wir gehorchen.« Die sinnenverwirrende Ausstrahlung der schwebenden Gegenstände wirkte offen sichtlich nur innerhalb geringer Entfernun gen. Aber sie war in der Lage, nahezu alle Krolocs zu lähmen und indirekt zu vernich ten. Die Spaccahs stiegen auf, kaum daß sich die Schützen an den Haltegriffen festge klammert hatten. Die Maschinen flogen eini ge Schleifen, sammelten sich zu einem klei nen, präzise gestaffelten Verband und setz ten zu ihrem gefürchteten Manöver an. Fast jede Bewegung wurde von etwa fünfund zwanzig Flugscheiben verschiedener Größe synchron ausgeführt. Schweigend sah Tag ger Blyhs zu; auch der andere Kommandant kauerte an einer Steuerung. Ein Gitter von langen Energiestrahlen entstand, bohrte sich in den Boden und verdampfte eine sumpfige Fläche oder das, was noch von ihr übrig war. »So sehe ich es gern!« stellte Tagger Bly hs ein wenig entkrampfter fest. »Ich wußte, daß ich mich auf die Garde verlassen kann.« Der mehrfache Rechen aus weißglühenden Strahlen bewegte sich in mittlerer Ge schwindigkeit auf die Stadt zu, die noch im mer von einem dichtgestaffeltem Ring da hinkriechender und aufeinander und auf je des andere vermeintliche Ziel feuernder Krolocs umgeben war. Die Piloten flogen in eine Gasse ein, die von den regungslosen Körpern der Toten bedeckt war. Die ersten Verstrebungen und Hallen begannen sich aufzulösen. Metall schmolz wie Fett dahin, die geprägten Bleche sanken ineinander und bildeten riesige Flecken, die einsackten. Dann berührte die rasende Energieflut die erste Kuppel aus leuchtendem Metall, schnitt sie zur Hälfte auseinander und ver wandelte das Innere in glutflüssige Masse. »Das wird sie lehren, sich uns entgegen zustellen. Roboter!« sagte der Kommandant verachtungsvoll. Als die Schneise aus Glut, Flammen und Vernichtung etwa ein Drittel des Durchmes sers von Wolterhaven erreicht hatte, kippten sämtliche Spaccahs nach rechts und schweb ten wieder aus dem Zentrum hinaus.
9 In diesem Augenblick sah Tagger Blyhs, wie nacheinander die kleinen schwebenden Würfel blitzartig verschwanden. Die Kro locs blieben alle erstarrt stehen, hoben die Strahlenlanzen und marschierten rückwärts aus der Gefahrenzone hinaus. »Ich sollte diese Stadt dem Erdboden gleichmachen«, sagte sich Tagger und sah zu, wie die Zerstörung sich weiter ihre Bahn fraß. »Aber vielleicht brauchen wir die Ro boter als gefügige Arbeiter.« Er tappte zu rück zu der Kommandospaccah und rief ins Mikrophon: »Tagger ruft die Vernichter von Wolter haven. Hört mit dem Beschuß auf – die Ro boter haben kapituliert.« »Wir sahen es voller Verwunderung. Tat sächlich? Keinerlei Zerstörung mehr?« »Nein. Ich denke, wir können sie brau chen.« »Alles klar, Vielbeinigkeit Blyhs.« Die Strahlen erloschen. Durch die dicken Rauchfahnen rasten die Spaccahs in einer großen Kurve aus der Stadt hinaus, kurvten über den Dschungelrand und kehrten an die Stelle zurück, von der sie aufgestiegen wa ren. Die Garde scharte sich augenblicklich um den Kommandanten. »Es ist ruhig geworden«, bemerkte der Kommunikationsspezialist. »Ich habe auch keine Messungen mehr, die Ausstrahlungen der Maschinen betreffend.« »Ich erwartete dies. Sie haben ihre Ge genwehr eingestellt. Die Mannschaft sam melt sich und bleibt hier!« ordnete der Kom mandant an. Er war bereits im Aufbruch. »Wir bleiben, Tagger!« »In richtigem Abstand. Gebt ihnen keine Chance mehr. Wenn sich die Maschinen wieder erdreisten sollten …« Die Mitglieder des kleinen Gardege schwaders kletterten bereits wieder in der alten Zusammensetzung auf die schnellen Kriegsspaccahs. Tagger schwang sich in sei ne Plattform. »… dann brennen wir sie abermals aus großer Höhe nieder wie eben!« schloß der Unterkommandant.
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»Das meinte ich. Wir werden jetzt zuse hen, wie die FESTUNG fällt und die Regie renden in Fesseln vor uns erscheinen.« »Wir wissen, daß du eine glückliche Inva sion durchführen wirst.« Wieder gab der Kommandant nur ein kur zes, eindeutiges Signal, und die Spaccahs schwebten hoch, beschleunigten und stiegen schräg in den grauen Himmel. Es roch durchdringend nach Brand, Rauch und Asche. Binnen weniger Minuten erreichten die Scheiben ihre Höchstgeschwindigkeit und flogen nach Osten.
4. Sigurds Zugor bewegte sich einige Meter über dem Boden im riskanten Zickzackflug. Von mehreren Seiten und aus der Luft wur den die Dellos und er beschossen. Weit vor aus sah er zwischen Baumstämmen den cha rakteristischen Helm von Honir-Thalia. »Halte auf die Pyramiden zu!« schrie er dem Dello zu. Der Mann duckte sich hinter den Rand des Zugors und gehorchte. Der Ring der Angreifer schloß sich. Eisige Furcht packte Sigurd. Furcht nicht vor dem Kampf, sondern vor dem Moment, an dem jeder Kampf sinnlos werden würde. Dieser Augenblick war zweifellos sehr nahe. »Hinter uns!« schrie ein Dello, drehte sich herum und feuerte auf eine Spaccah, die sie unter Beschuß nahm. Sigurd senkte die Strahlenlanze und schoß. Er traf den KrolocPiloten und die Spaccah, die in einem grel len Lichtblitz genau über einer Gruppe vor dringender Invasoren explodierte. »Problem erkannt«, murmelte der Odins sohn. Der Zugor jagte zwischen den wuchti gen Baumstämmen hin und her. Überall sprangen die Verteidiger aus der Deckung und versuchten sich zu wehren. Aber die Masse der Angreifer flutete förmlich aus al len Richtungen heran und drang fast unge hindert vor. Der Zugor hielt neben Thalia und einer Gruppe Pthorer. Sigurd sprang mit einem großen Satz über die Bordwand des Zugors
und blieb vor Thalia stehen. Er sagte resi gnierend: »Wir fanden keine Waffen. Die Kammern und Säle waren leer.« Sie senkte den Kopf. Rund um sie und in gefährlicher Nähe tobten hundert Einzel kämpfe. »Absolut nichts?« »Nein. Sie wurden ausgeräumt, vor sehr langer Zeit.« »Verdammt. Es geht zu Ende, Sigurd. Es gibt nur noch eine winzige Hoffnung.« »Dein Geliebter und die GOL'DHOR.« »Ja.« »Sie werden nicht kommen. Oder viel zu spät. Die Krolocs werden uns in ganz kurzer Zeit überrollt haben. Sieh dorthin!« Die Dellos und die anderen Pthorer gin gen rund um Sigurd und Thalia in Deckung und versuchten, einen neuen Vorstoß der Krolocs aufzuhalten. Glutstrahlen zuckten hin und her und verwüsteten das Gelände. Die Auseinandersetzung fand bereits mitten im Park nahe der kleineren Gebäude vor dem inneren Kreis der Pyramiden statt. Kro locs starben und wurden verwundet, Pthorer sprangen hin und her. Es war ein Chaos; von einer Grenze zwischen Angreifern und Ver teidigern konnte nicht mehr die Rede sein. Kein einziger Zugor befand sich mehr in der Luft, an vielen Stellen erhoben sich Brände. Ununterbrochen dröhnten die Energiewaffen auf. Honir-Thalia und Sigurd sahen sich kurz an, dann deutete Sigurd nach hinten. »Gehen wir. Vielleicht gelingt es uns, ei ne letzte Verteidigungslinie aufzubauen.« »Ich habe kaum mehr Hoffnung«, sagte Thalia, aber sie rannte mit ihm auf den Durchgang zwischen zwei Bauwerken zu. »Wir kämpfen trotzdem.« Die Lage der Verteidiger der FESTUNG wurde allmählich verzweifelt. Die Krolocs zwangen die Pthorer, sich Schritt um Schritt zum Zentrum zurückzuziehen. Als Thalia und Sigurd in Sichtweite der großen Pyramide sich schnell umsahen, ihre Waffen herumschwenkten und hinter dem kleinen Hügel die drohenden Silhouetten der
Das Wunder von Atlantis Krolocs erkannten, warfen sie sich zu Boden und begannen sofort, auf die Gruppe zu feu ern. Die dunkle Masse der vordringenden Invasoren kam vorübergehend zum Stehen. Dann durchschnitt eine helle, kreischende Stimme den furchtbaren Lärm des Kampfes. »Stellt den Kampf ein!« Eine Sekunde später erscholl eine andere Stimme. Sie schrie etwas auf krolocisch. Die Krolocs hörten auf zu feuern; das Dröhnen der Waffen verstummte fast völlig. »Was ist das?« flüsterte Thalia verwirrt. »Vermutlich das Angebot einer Kampf pause oder eines Waffenstillstands«, sagte Sigurd. Es war denkbar, daß die Invasoren Über setzungsgeräte hatten und sie jetzt einsetz ten. Die folgenden Minuten bestätigten diese Annahme. Langsam standen Thalia und Si gurd auf, während die Kampfgeräusche im mer leiser wurden. »Hier spricht der Kriegskommandant Tagger Blyhs. Ich spreche zu den Verant wortlichen von Pthor. Stellt die sinnlose Ge genwehr ein.« Ratlos starrte Sigurd Thalia an. Es gab keine Möglichkeit, dem fremden Komman danten in gleicher Lautstärke zu antworten. Thalia bemerkte schräg über sich eine Be wegung, schaute hoch und sah, daß sich ein gewaltiger Schwarm großer Spaccahs herun tersenkte und genau auf den freien Platz her unterkam, an dessen Rand sie standen. »Was sollen wir tun?« knurrte Sigurd. »Genau das, was die neuen Herren von Pthor verlangen. Hör zu, was Tagger ver langt.« Nacheinander landeten die Spaccahs. Mindestens dreihundert Krolocs stiegen auf den verwüsteten Rasen hinaus und richteten die glühenden Spitzen der Waffen auf Thalia und Sigurd. Aus einer kleinen, offensichtlich gepan zerten Spaccah kam die akustisch verstärkte Übersetzung der Anordnungen. Dort richtete sich ein gedrungener Kroloc auf, dessen Körper mit seltsamen Linien verziert war. Er schien nach allem, was Thalia sehen konnte,
11 in ein Mikrophon zu sprechen. Mit gelähm ter Faszination betrachtete Thalia zum er stenmal genau und aus einer Entfernung von weniger als dreißig Metern den Kopfteil ei nes Krolocs mit den beiden, haarigen Ar men. »Ich sehe, daß die Kämpfe aufgehört ha ben«, erklärte eine schlecht modulierte Kunststimme. »Das Land ist verwüstet. Wir, die siegreichen Krolocs, haben die Kontrolle über jedes wichtige Gebiet von Pthor. Jetzt haben wir auch die Kontrolle über die Zen trale. Ich suche die Tochter und die Söhne eines Wesens, das Odin genannt wird.« Wieder blickten sich Thalia und Sigurd vollkommen ratlos an. »Die Informationen haben wir von gefan genen Pthorern und von unseren zahllosen Scouts. Wir haben alle Informationen und jedes Stück Wissen, das wir brauchen, um schnell siegen zu können.« »Es klingt wie ein Todesurteil, Sigurd«, flüsterte Thalia. Sie kam zwischen dem schmorenden Baumstamm und dem Mono lithen hervor. Die fremde Waffe hielt sie in der Hand. »Es ist ein Todesurteil. Unsere Freiheit ist soeben gestorben«, sagte Sigurd. Die Waf fen, die sich von schweigenden und re gungslosen Krolocs gehalten, auf sie richte ten, ließen allein den Gedanken an Gegen wehr abstrus und selbstmörderisch erschei nen. Langsam ging Thalia, dicht gefolgt von Sigurd, auf Tagger zu. Der Kroloc sprach weiter; jetzt hörten sie auch seine eigene Stimme. Es war, wie bei den anderen Angreifern, eine aufgeregte, sehr hohe Stimme, die mehr nach lautem In sektenzirpen klang als nach allem anderen, das Thalia und Sigurd je gehört hatten. Sie wußten, daß an zahllosen Plätzen auf Pthor noch gekämpft wurde. Daß Krolocs besiegt wurden und Pthorer starben, daß eroberte Gebiete zurückerobert und andere besetzt wurden. Aus den Lautsprechern der Komman dospaccah kamen die Worte der Überset zung.
12 »Wir müssen nicht die Waffen schweigen lassen. Wir, die Kolonisatoren, können un begrenzte Zeit weiterkämpfen. Wir können auch fast unbegrenzt weiterhin Krieger hier landen und in den Kampf werfen. Uns ist an der Kolonie gelegen, nicht an den Bewoh nern der Kolonie. Es liegt an den Kindern Odins, zuzustimmen oder abzulehnen.« Zehn Schritt vor Tagger blieben Thalia und Sigurd stehen. Niemand machte den Versuch, sie zu entwaffnen. Alle Pthorer, die sich in der Nähe der kleinen Lichtung und am Ufer des schmutzigen Ziersees be fanden, waren aus den Verstecken hervorge kommen und starrten gebannt auf die Odins kinder. »Sprich weiter!« sagte Sigurd laut. »Was wollt ihr?« Tagger Blyhs erklärte es ihnen. Die Stim me hallte durch den Park und brach sich in hellen Echos an den Mauern. »Wir können nach den Verhandlungen weiterkämpfen. Wir Krolocs aus den Aste roiden sind nicht daran interessiert. Wenn wir zu kämpfen aufhören sollen, wir, die ab soluten Sieger, dann verlangen wir die totale Unterwerfung alle Pthorer.« »Nicht mehr?« fragte Sigurd laut. »Nicht weniger«, sagte Tagger Blyhs, als er die Übersetzung verstanden hatte. »Die Anführer des Kampfes werden isoliert, um die Verbindung zu ihren Armeen nicht mehr zu besitzen.« »Wir haben keine andere Wahl«, sagte Thalia nachdenklich und blickte zwischen den Ästen in den fahlen Himmel. Sie erwar tete noch immer, das goldene Raumschiff zu sehen. »In der Tat. Es gibt keine andere Wahl. Unter unserer Herrschaft werden selbst die Sklaven gut behandelt.« »Wir waren niemals Sklaven, und wir werden niemals Sklaven sein«, sagte Thalia schneidend. Nach einer Pause kam die hochfahrende Antwort: »Jeder Zustand kann sich schnell ändern. Der Status von Pthor ist soeben geändert
Hans Kneifel worden. Ihr habt keine Wahl.« »Er hat recht.« Sie begriffen noch nicht ganz, wie die Konsequenzen aussehen mochten. Aber nicht nur Thalia und Sigurd wußten, daß es sinnlos sein würde, weiterzukämpfen. Ein Leben als Sklave der Krolocs war unter jedem Aspekt dem Tod vorzuziehen oder le benslangem Siechtum. Thalia hob den Arm und rief: »Selbst wenn wir deinem Angebot zu stimmen, Tagger, dann wird jeder deiner neuen Sklaven auf Pthor immer und auf jede mögliche Art gegen die Krolocs kämpfen.« »Wir haben als Kolonisatoren eine große und lange Erfahrung. Wir sind auch nicht daran interessiert, euch auszurotten. Es kann daran gedacht werden, daß die Anführer von Pthor auch später in gewisse Rechte einge setzt werden können – das wird zu diskutie ren sein.« Sigurd rief: »Was verlangst du? In wenigen Worten!« »Unterwerfung, das bedeutet das Ende auch der geringsten Kampfhandlungen. Iso lierung der führenden Köpfen der Pthorer. Kein Schuß wird mehr abgefeuert. Die Ver antwortlichen benutzen ihre Möglichkeiten, um an allen Stellen der Kroloc-Kolonie das Ende der Kämpfe zu befehlen.« Jedes Wort traf wie ein vergifteter Pfeil. Sie wollten es alle nicht wahrhaben, aber je de Feststellung stimmte. Das war das Ende. Sie waren schon jetzt so gut wie versklavt; sie befanden sich völlig in der Hand der Krolocs. Selbst wenn sie versuchten, sich in einer Wahnsinnsaktion zu befreien, würde es die teuflische Agonie nur verlängern. »Ich bin Thalia, die Tochter Odins, und für einen Teil Pthors verantwortlich«, sagte Thalia fest. Das Zittern ihrer Stimme war für den Kroloc nicht feststellbar nur Sigurd be merkte es. »Ich bin Sigurd, Odins Sohn. Wenn es die Pthorer rettet, gelten deine Bedingungen, Kroloc!« sagte er. Tagger Blyhs führte eine komplizierte Be wegung mit seinen Kopfarmen aus.
Das Wunder von Atlantis »Legt eure Waffen zu Boden.« Sie ließen die Strahlenlanzen fallen und gingen ein paar Schritte weiter. »Kommt!« Der Befehl, auf krolocisch ausgesprochen, galt den Fremden. Mindestens zehn von ih nen umzingelten Thalia und Sigurd. Sie drängten sich eng an sie und schoben sie ge gen eine breite, rechteckige Säule. Vor den Gesichtern der beiden bewegten sich mit klickendem und drohendem Geräusch die Klauen der Kopffüße. Unverändert waren Dutzende von Strahlwaffen auf Thalia und Sigurd gerichtet. In diesem Moment erkannten Thalia und Sigurd, daß sie noch in diesem aussichtslo sen Zustand abermals in eine Falle getappt waren. Jenseits der erstarrten Masse von Pthorern aus allen Teilen des Landes tauch ten unzählbare Massen von Krolocs auf. Sie waren während der Unterbrechung lautlos und weitestgehend unbemerkt hierher gekro chen. Tagger Blyhs drehte seinen Kopf und musterte das Geschehen aus seinen vielen Augen. Er schien überall gleichzeitig hinzu sehen. »Unsere tapferen Pthorer …«, wisperte Sigurd. »Ich schwöre es! Solange ich lebe, werde ich nach Gelegenheiten suchen, es diesem Spinnenschurken heimzuzahlen.« »Das gleiche gilt für mich, Bruder!« sagte Thalia und registrierte verblüfft, daß er ihr in brüderlicher Kameradschaft den Arm um die Schultern legte und sie kurz an sich zog. »Wir leben noch. Solange wir nicht tot sind, haben wir noch alle Chancen.« »Abwarten.« Binnen kurzer Zeit hatte die Übermacht die Pthorer in der näheren Umgebung ent waffnet und zurückgetrieben. Der nächste Befehl Taggers sagte den Pthorern deutlich, was der Oberste Kriegskommandant unter Verhandlungen verstand. »Bringt sie in die Pyramide. Unter schwerster Bewachung. Binnen kurzer Zeit werde ich sie Seiner Mehrbeinigkeit in Fes seln vorführen, um die Lösung eines Pro blems deutlich zu machen.«
13 »Nein!« schrie Sigurd. »Du …« Die glimmenden Projektorenden der Strahlenlanzen schoben sich vor. Die Kro locs schienen entschlossen, jeden Befehl ih res Kommandanten zu befolgen, auch den der Tötung. Tagger sagte: »Schnell! In den Schaltraum der Pyrami de, wo immer er sich befindet. Ich komme in wenigen Augenblicken nach.« Thalia und Sigurd gehorchten schwei gend. Sie versuchten, irgend einen Ausweg zu finden, aber sie mußten einsehen, daß es keinen gab. Ringsum herrschten Schweigen und Ruhe. An dieser Stelle Pthors war der Krieg beendet; die FESTUNG war erobert. Bis das Land restlos versklavt und jeder ein zelne Pthorer entwaffnet waren, würde es noch einige Zeit dauern, aber das Nerven zentrum des Weltenfragments war vernich tend getroffen worden. In dem Moment, wo Sigurd und Thalia und womöglich auch Kar gentoff mit einer Spaccah von Pthor wegge schafft worden waren, würde auch der letzte Widerstand in den entferntesten Zonen zu sammenbrechen. Wo bleibt Atlan? fragte sich Thalia und zermarterte ihre Gedanken. Bis zur Pyramide waren es rund viertau send große Schritte. Die Krolocs trieben die beiden Odinskinder auf die Pyramide zu. Unterwegs bauten sich immer wieder Bilder der Verzweiflung auf. Pthorer, die von den überall auftauchenden Krolocs entwaffnet und weggetrieben wurden, unaufhörlich lan dende Spaccahs, andere Flugscheiben, die gefesselte Gefangene davonschleppten, an dere Krolocs, die Brände löschten und ganze Spaccah-Ladungen von Energiewaffen sam melten; die ersten Zeichen der Zeit nach dem Kampf. Alles brach zusammen. Die Freiheit war verloren. Pthor wurde langsam, aber mit erschütternder Nachdrücklichkeit, von Versklavung überzogen. Thalia sagte leise zu Sigurd: »Gibt es noch eine Chance für uns?« »Zweifellos«, erwiderte er zwischen zu sammengebissenen Zähnen. »Im Moment kann ich keine erkennen. Mir fällt nichts ein.
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Ich bin wie gelähmt.« »Dir ergeht es nicht anders als mir und al len anderen«, gab Thalia zurück. »Aber es muß noch eine Möglichkeit geben, diesen erbarmungslosen Griff der Kreaturen aufzu brechen.« »Nur ein Wunder kann uns helfen«, mur melte Sigurd. Zwischen den Bäumen tauch ten die Flanken der großen Pyramide auf und wurden deutlicher. In dem Moment, an dem Tagger die große Schaltungshalle be trat, waren sie alle Bestandteil des Korsallo phur-Staus und die willenlosen Sklaven der vielfüßigen Kreaturen. Pthor war verloren. Sie wußten es, aber sie weigerten sich, es sich selbst gegenüber zuzugeben.
5. Tödliche Stille herrschte in der Zone rund um die kleinen Bauwerke und die große Py ramide. Überall lagen Reste der schweren Kämpfe; weggeworfene Waffen, Trümmer, zerstörte Zugors und Teile der Panzer und Helme. Die kleine Kolonne der Krolocs, die Thalia und Sigurd zur FESTUNG brachten, erzeugte mit ihren Klauen auf den breiten Wegen und den schimmernden Platten scharrende und raschelnde Geräusche. Nie mand sprach; die Pthorer, die aus allen Rich tungen kamen und die Odinskinder anstarr ten, wirkten wie versteinert. Aus unbe stimmter Entfernung ertönte ein gellender Schrei, der jäh abriß. Aus den Empfangsgeräten der KrolocPatrouille kamen aufgeregte Worte. Auch sie rissen ganz plötzlich ab. Die Krolocs blieben ruckartig stehen; die Strahlenlanzen zitterten. Aus der Pyramide schwebte ein Element Kargentoffs hervor, orientierte sich schnell und glitt durch die Luft auf Thalia zu. Eine metallisch klingende Stimme sagte schrill: »Kargentoff spricht. Die GOL'DHOR ist geortet worden.« Thalia und Sigurd zuckten zusammen.
Wieder schrie jemand im Dunkel zwischen den Bäumen und den leuchtenden Statuen des Parks. »Atlan kommt mit dem Raumschiff!« An einer anderen Stelle schrie es: »Sie kämpfen gegen die Spaccahs!« Erschüttert, noch keineswegs erleichtert sagte Sigurd: »Ich kann es nicht glauben. Das darf nicht wahr sein … obwohl es das ersehnte Wun der wäre. Bei Odin!« Die aufgeregten Schreie nahmen zu und wurden lauter. Pthorer rannten aufeinander zu, bildeten Gruppen und liefen an Stellen, von denen sie ungehindert den Himmel be trachten konnten. Die Phalanx der Krolocs schien neue Befehle bekommen zu haben. Sie ließen Thalia und Sigurd stehen und rannten in höchster Eile den Weg, den sie gekommen waren, wieder zurück. Thalia stieß Sigurd an und lief auf die Rampe zu, die in die Pyramide führte. »Er ist tatsächlich gekommen. Gerade noch rechtzeitig!« »Es ist zu spät, Thalia«, stieß Sigurd her vor. »Es ist so, daß für uns der Kampf längst verloren ist.« »Ich glaube es nicht.« »Warte ab.« Als sie den freien Platz vor der Pyramide erreichten, konnten auch sie erkennen, was sich in unmittelbarer Nähe der FESTUNG abspielte. Eine Masse Spaccahs stieg auf und kam hinter den kleinen Pyramiden schräg auf die Spitze des größten Bauwerks zu. Dahinter tauchte lautlos das goldene Raumschiff auf. Eine zweite riesige Staffel voller Krolocs raste aus südlicher Richtung auf die GOL'DHOR zu. Jeder einzelne Kroloc feu erte mit einer Strahlenlanze auf das goldene Schiff, aus jeder Spaccah zuckten die Strah len hinüber zum Schiff. Das Raumschiff führte eine geringfügige Kursänderung durch und flog mit aufglühendem Schutz schirm mitten in den ersten Schwarm Spac cahs hinein. Thalias Herzschlag schien auszusetzen,
Das Wunder von Atlantis als sie sah, wie eine Spaccah nach der ande ren in einer riesigen Glutwolke explodierte. Aus der Luft ertönten ununterbrochen ge waltige Donnerschläge. Glühende Fetzen und Trümmer fielen dicht wie Hagel herun ter. Beim ersten Anflug pflügte die GOL'DHOR einen riesigen Kanal durch den Schwarm der Flugscheiben und glitt durch das Inferno auf den zweiten Verband zu. Das Licht, das durch die zahllosen Explosio nen und die Glutstrahlen der Schüsse ent stand, warf flackernde Schatten und zucken de Helligkeit in den Park und auf die drei eckigen Flanken der Pyramide. »Die Spaccahs! Sie explodieren, wenn der Schirm sie berührt!« rief Thalia voller Be geisterung. Ihre Stimme schlug augenblick lich um, und sie wußte mit unumstößlicher Gewißheit, daß dieses Schiff die Wende her beiführen würde. »Es ist eine Verteidigungswaffe, und das Schiff reagiert wie von uns gewünscht«, sagte Sigurd. Er war nicht weniger fassungs los als seine Schwester, aber er konnte noch immer nicht glauben, daß der König von At lantis an dem vernichtenden Ausgang der Kämpfe etwas ändern konnte. Trotzdem sah er fasziniert zu, wie das insektenartig ausse hende Schiff einen engen Kreis um die Spit ze der FESTUNGs-Pyramide beschrieb. Bei den zwei ersten Zusammenstößen wa ren sicherlich nicht weniger als hundert Spaccahs aller Größen vernichtet worden. Jetzt, als die GOL'DHOR zum Kreisflug ansetzte, schien die Luft förmlich mit heran schießenden Flugscheiben ausgefüllt zu sein. Sigurd fand seine bisherigen Beobach tungen abermals bestätigt, daß die Krolocs außerordentlich schnell und diszipliniert wa ren, und daß sie als Piloten einfach Meister klasse waren. Die Flugscheiben bewegten sich wie ein Schwarm intelligenter Insekten, gleichzeitig führten sie Flugbewegungen durch, gingen in Position und wurden lang samer, als Hunderte von Besatzungsmitglie dern aus allen Rohren auf das Schiff zu feu ern begannen. Das Schiff schwenkte herum, wurde
15 schneller und bewegte sich in einer regelmä ßigen Kurve durch die Angreifer hindurch. Die GOL'DHOR berührte mit dem Defen sivschirm die erste Spaccah, dann die näch sten, schließlich schwebte sie durch eine nicht abreißende Serie von Glutbällen, schmetternden Explosionen und einen Re gen weißglühender Bruchstücke. »Es ist unfaßbar«, murmelte Sigurd. Das Schiff kreiste über der FESTUNG, zog einen engeren Kreis, einen größeren, stieg höher und tiefer, weitete den Kreis in eine Spirale aus und fegte buchstäblich die Spaccahs vom Himmel. Der Lärm der pau senlos aufeinanderfolgenden Detonationen erschütterte den Boden. Die Zweige und Äste schienen zu brennen, so hell war die rote Glut, die aus dem Himmel herunter sank. Dann drehte das goldene Raumschiff ab und flog, immer schneller werdend, in südwestlicher Richtung davon. Die Pthorer, die sich auf dem Gelände der FESTUNG befanden, schienen zu wissen, wie sie zu handeln hatten. Sie hatten in Wirklichkeit gar nicht zu kämpfen aufge hört. Schlagartig rannten sie auseinander, suchten die weggeworfenen Waffen, rissen aus den Klauen der toten Invasoren andere Waffen und suchten nach lebenden Krolocs. Sie waren fest entschlossen, jeden Invasor aus dem riesigen Gebiet der FESTUNG hin auszutreiben oder zu töten. Überall standen die Verteidiger auf. Aus allen denkbaren Löchern krochen Verwun dete und hoben die Waffen. Die Pthorer schrien sich die Botschaft gegenseitig zu und rannten, vom Kern der pthorischen Zen trale aus gesehen nach draußen. Hin und wieder stießen sie auf Krolocs, die sich nicht wehrten. Sie wurden entwaffnet und gefan gengenommen. Diejenigen, die sich wehr ten, wurden niedergemacht. Aber in dem großen, halb verwüsteten Areal, das einst durch die Ausdehnung des Schutzschirms gekennzeichnet, befanden sich nur noch we nige, versprengte Krolocs. Wo war Tagger Blyhs, der Kriegsherr und Invasionskommandant?
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An tausend Stellen brandeten kleine Aus einandersetzungen auf und erloschen sehr schnell wieder. Die Krolocs hatten an vielen Punkten Spaccahs stehengelassen, die nicht mehr bemannt wurden. Binnen kurzer Zeit gab es in diesem Gebiet keinen einzigen kämpfenden Kroloc mehr. Die FESTUNG schien befreit zu sein – die vielen anderen Teile Pthors noch lange nicht.
* Balduur schlug Razamon, der gegenwär tig neben Atlan an der Steuerung der GOL'DHOR saß, kräftig auf die Schulter. »Du großer Vernichter von Spaccahs!« sagte er brummend. »Wir haben sie vom Himmel gefegt.« Razamon zog die Schultern hoch und hielt Ausschau nach Flugscheiben, die sie angrei fen wollten. Das Raumschiff bewegte sich in mittlerer Höhe und in großer Geschwindig keit auf die Große Barriere von Oth zu. »Würde mich dieses herrlichste aller Raumschiffe nicht als Steuermann akzeptie ren, wären wir längst abgestürzt. Aber, du hast recht, Balduur!« »Es ist selten, daß du mir Recht gibst. Warum?« wollte der Odinssohn wissen. Bis her war der Flug eine einzige Kette von siegreichen Zwischenfällen und Zusammen stößen gewesen. Die stauberfüllten Zonen des Korsallophur-Staus lagen endgültig hin ter dem Schiff und seiner kleinen Besatzung. »Weil wir eben wirklich mehr als tausend Spaccahs vernichtet haben, ohne wirklich geschossen oder uns gewehrt zu haben. Das Schiff denkt für seinen Steuermann.« Das Abwehrfeld der GOL'DHOR war wieder unsichtbar. Von rechts schwirrte ein Verband Spaccahs heran; sie sahen die dunklen Scheiben, die sich deutlich gegen das Grau des Himmels von Pthor abzeichne ten. »Immerhin denkt der Steuermann auch ein wenig«, sagte Atlan. Seine Stirn war ge runzelt, sein Gesicht drückte seine Sorge und nur wenig Erleichterung aus. Sie schie-
nen buchstäblich in letzter Sekunde ange kommen zu sein. Wenn es nicht zu spät war? Er wandte sich an Copasallior, den Wel tenmagier. »Mein Freund, es wird für euch Magier eine Menge Arbeit geben. Das Ziel ist, die Krolocs zu vertreiben. Ich bin sicher, euch keine Ratschläge geben zu müssen.« »Ich hingegen bin sicher, daß die Magier von Oth in den vergangenen Tagen getan haben, was sie konnten. Es schien nicht ge nug gewesen zu sein. Überall sehen wir ent setzliche Spuren von Kämpfen.« »Vermutlich gibt es in kurzer Zeit nur noch einige entscheidende Auseinanderset zungen«, sagte Atlan entschlossen. »Zuerst aber setzen wir euch beide ab, Koratzo!« »Einverstanden. So wurde es während des Fluges ausgemacht.« Nachdem sie Binoos, Synk, Heimdall und die überlebenden Ptho rer aus der brennenden Brut-Spaccah befreit hatten, war für sie jede Sekunde wichtig ge wesen. Den Kurs nach Pthor hatten sie ohne Schwierigkeiten gefunden. Immer wieder sahen sie von fern Massen von Spaccahs, die auf das Weltenfragment zustrebten, voll aus gerüstet und geheimnisvollen Befehlen ge horchend. »Dort! Sie greifen an!« sagte Razamon ungerührt. »Das erspart uns einen Umweg«, erklärte der Arkonide. »Bleibe auf Kurs, Razamon.« »Verstanden.« Offensichtlich, sagte der Extrasinn, ist auch die Kommunikation unter den Invaso ren gestört. Sonst wüßten sie, daß Angriff Selbstmord bedeutet. Am Horizont tauchten die Gipfel der Bar riere von Oth auf. Ein annähernd kugelför miger Verband Spaccahs flog einen Kurs, der sie an einem weit voraus liegenden Punkt genau mit dem Kurs des goldenen Schiffes zusammenstoßen lassen würde. Noch schoß keiner der Krolocs auf die GOL'DHOR, und das Schiff senkte sich langsam, um an der vorhergesehenen Stelle leicht landen zu können. Noch fehlten ihnen
Das Wunder von Atlantis eine Menge von Informationen, und es wür de wichtig werden, sehr schnell den Ober sten Befehlshaber zu finden. »Sie müssen verwirrt sein«, sagte Baldu ur. »So schnell wie möglich, Atlan – hinun ter auf den Boden. Wir werden sie angrei fen, wo immer wir sie finden.« Jeder von ihnen besaß mindestens zwei Strahlwaffen. Sie fühlten sich stark genug, um gegen jede Menge Krolocs kämpfen zu können. Dabei wußten sie, daß Atlan einen anderen Plan verfolgte. »Sie sind verwirrt«, bestätigte der Arkoni de. »Aber sie sind erbitterte Kämpfer, wie jeder von uns weiß.« »Nicht mehr länger, wenn wir uns mit den anderen Magiern verständigt haben. Wir werden sie so verwirren, daß sie nicht mehr wissen, wo sie sich befinden und warum sie hierher gekommen sind!« versprach Koratzo wütend. Dann erfolgte der Zusammenstoß. Es waren schätzungsweise hundertfünfzig Einheiten, ebenfalls von unterschiedlicher Größe. Wie dunkle Klumpen kauerten und hockten die Krolocs auf den Scheiben und richteten jetzt ihre Strahlenlanzen nach vorn, zielten auf das herangleitende Schiff. Raza mon und Atlan wechselten einen kurzen Blick, der Arkonide nickte nur. Das Schiff flog weiter. Die Spaccahs stürzten sich auf die GOL'DHOR. Innerhalb des Schiffes war je de Bewegung zu sehen, aber nichts war zu hören. Die ersten Lichtblitze flammten auf und blendeten von den Bildschirmen herun ter. Trümmer, Glut, energetische Entladun gen – alles wurde von dem Abwehrfeld zur Seite, nach oben und unten gerissen und zer streut und abgelenkt. Razamon behielt den gewählten Kurs bei. Die GOL'DHOR raste durch den Schwarm hindurch, und als die Insassen nach hinten blickten, sahen sie nur noch wenige Invasoren in der Luft. »Nicht die Art von Kampf«, brummte Balduur ärgerlich, »die ich mir wünsche.« »Aber eine Entscheidung, die von unserer Seite keinerlei Opfer verlangt.«
17 »Du hast recht, Heimdall. Wir werden miterleben, wie die Krolocs geschlagen und gedemütigt zurückkehren«, sagte Atlan. »Wir sind aber noch lange nicht mit dem Kampf am Ende; es wimmelt auf Pthor von Invasoren.« »Wir werden fertig mit ihnen. Die lange Geschichte Pthors beweist, daß Pthor stets siegreich blieb«, schaltete sich Binoos ein. »Schließlich haben Gordys dafür gekämpft.« »Angeberischer Gordy«, murmelte Sator Synk und schüttelte in unechter Drohung die Faust gegen Binoos. »Niemand siegte, wenn ihm nicht wir Orxeyaner dabei geholfen ha ben.« Der Rest der Spaccahs flüchtete. Ihr Kurs würde sie irgendwo in die Ebene von Kalm lech führen. Glutwolken und Rauch lösten sich weit hinter dem Raumschiff auf. Vor ih nen hoben sich die Gipfel der Barriere-Ber ge aus dem grauen Zwielicht. Als das Schiff langsam auf das Ziel, einen großflächigen Paß, zusteuerte, sagte der Herrscher von Atlantis: »Wenn es die Magier schaffen, Copasalli or, dann wäre Pthor am meisten geholfen, wenn ihr die Krolocs irgendwie steuern könntet.« »Was willst du, daß wir tun?« »Ich denke, daß ihr Hauptquartier in der Ebene Kalmlech ist: Dorthin sollten sich alle noch lebenden Krolocs zurückziehen. Denn dort werden wir angreifen, wir alle.« Seine Geste umfaßte die zusammenge würfelte Gruppe von Pthorern, die sich in der Kommandokanzel des Schiffes befand. »Vermutlich schaffen wir's«, bestätigte der Stimmenmagier. Synk kämmte mit den Fingern seinen lan gen roten Bart und rief: »Mit unserer Hilfe. Ich bin gespannt, wie viele Zugors es noch gibt auf Pthor.« »Wenige«, antwortete ein Mann aus sei ner Begleitung. »Aber dafür finden wir si cher eine Unzahl liegengelassener Spaccahs. Sie sind besser und schneller. Vorausgesetzt, wir begreifen die Technik dieser Flugschei ben.«
18 »Lauter Probleme, die uns erst später be schäftigen werden. Wir landen!« erklärte Razamon. Das goldene Raumschiff setzte auf. Die Magier sahen hinaus und sprachen leise mit einander. Dann lachte der Weltenmagier und sagte: »Ich kenne die Stelle. Wir haben es nicht weit zum Crallion, Koratzo.« »Vor dem Schiff verabschieden wir uns«, entschied Atlan und ging ihnen voran zur Schleuse. Das Goldene Vlies funkelte im Licht der Schiffsbeleuchtung. Der Arkonide schüttelte die Hände der Magier und ließ sich von ihnen zum letztenmal versichern, daß sie nach seinem Plan und seinem Wunsch handeln und die Kräfte aller ande ren Magier konzentrieren würden. Kurz darauf startete die GOL'DHOR wie der. »Wohin, Atlan?« fragte Razamon. »Zur FESTUNG. Wir müssen zuerst wis sen, wie es an den verschiedenen Stellen Pthors aussieht. Ich denke, Kargentoff kann uns einen mehr oder weniger recht genauen Überblick geben.« »Auch Thalia wird wissen, wo die letzten Nester der Krolocs sind.« Atlan dachte, ebenso wie Razamon und Balduur, an die vielen Informationen, die sie aus der Lichtung zurückgebracht hatten. Pthors Sieg über die Krolocs würde weitaus mehr sein müssen als nur die Abwehr einer Invasion. Ein für allemal mußten die acht beinigen Kreaturen in ihre Grenzen verwie sen werden. Und war dies geschehen, began nen die eigentlichen Probleme für Atlantis und dessen neuen König erst in voller Größe aufzutauchen. Dieser Flug von der Barriere von Oth zur FESTUNG wurde von keinem Angriff unterbrochen. Unbehelligt landeten sie unweit der Rampe, die in die große Pyra mide hinaufführte. Ein jubelnder Kreis Pthorer empfing sie, als sie nacheinander aus der Schleuse der GOL'DHOR kamen. Es roch nach Brand, Rauch und Asche. Überall waren auf den ersten Blick die Zer-
Hans Kneifel störungen zu sehen. Atlan stieg aus und nahm Thalia in die Arme.
6. An der Mündung des Baches Magudoo, der sein gelbes Wasser über einen breiten Streifen schwarzen Schlammes führte, blieb der Mann stehen. Es war an langen, grasbe wachsenen Sandhügeln und kleinen, tropi schen Mulden vorbeigekommen, in denen tote Riesenschlangen auf den zerbrochenen Schalen ihrer Eier lagen. Der Regenfluß war an dieser Stelle etwa hundert Meter breit. »Sie werden den Dschungel roden und uns alle in die Gefangenschaft führen«, sag te der gestrandete Pirat. Er ging weiter und hob immer wieder sein Krummschwert, das er vor Stunden an ei nem blaugeäderten Stein geschliffen hatte, bis auch der letzte Rostfleck verschwunden und die Schneiden scharf wie die Kante ei nes Grashalms waren. Am Ufer, das der Senke der Verlorenen Seelen gegenüber lag, befand sich die Basis der Fremden. Schätzungsweise hundertfünf zig ihrer verdammten Flugkörper und rund eineinhalbtausend Krolocs, die ununterbro chen in Bewegung waren und den Dschun gel des Flußufers durchstreiften wie riesige Blutameisen. Die Piraten hatten sich flucht artig zurückgezogen. Viele waren mit den Zugors der FESTUNGs-Dellos davongeflo gen, um die neuen Herren Pthors zu verteidi gen. Er war hier geblieben; seine einzige Verbindung war ein winziges Funkgerät, das ab und zu quäkende Laute von sich gab und ebenso oft nicht funktionierte. Und dann gab es noch die versteckten Stämme der schwarzhäutigen Dalazaaren, die sich eben falls vor den Invasoren verbargen und nur hin und wieder einen überfielen und töteten. Pantherrohr bog sich knirschend unter sei nen Schritten. Blaumoos wurde mit saugendem Geräusch zusammengepreßt. Unruhig gaukelten riesige Falter durch die wenigen Öffnungen, die von der dichten, ineinander verfilzten Vegetation für die Luft und das
Das Wunder von Atlantis wenige Licht übriggelassen worden waren. Jetzt, seit die Sonne verschwunden war, sank die Luftfeuchtigkeit. Auch war es nicht mehr so brütend heiß. Er umging den Schaft einer gedrehten Waldpalme, von der unzäh lige weiße Lianen herunterhingen und ihre spiraligen Wurzeln in das verrottete Polster aus Laub, verwesenden Kadavern und Holz mehl bohrten. »Ich brauche Hilfe. Allein kann ich nichts gegen die Krolocs ausrichten«, stöhnte der Pirat. »Eineinhalbtausend!« Er hatte einst ein schnelles, flachgehendes Schiff befehligt und tollkühne Männer, de ren einziger Lebenszweck die gefahrvoll er rungene Beute gewesen war. Alles war vor bei, und den Todesstoß für die ENZYRA und ihre Mannschaft hatten ihnen die Kro locs versetzt. Er war allein. Er, Susiru, der Kapitän der versunkenen ENZYRA. Er wollte nichts anderes, als den alten Zustand wieder herbeiführen können. Er kam vorbei an einer zerfallenen Anle gestelle aus dicken Bohlen, die mit grünem Schimmel überzogen waren. Zwei bunte Wasservögel standen am Ende des Stegs, hackten auf toten Fischen herum und starr ten ihn mißtrauisch an. »Freßt ruhig weiter«, knurrte Susiru und schwenkte in einer wegwerfenden Geste sein Schwert. Die Vögel machten einige Schritte, ließen ihre Fische liegen, kamen sofort wieder zurück und sahen gleichgültig zu, wie Susiru neben dem Steg einen kleinen Einbaum aus dem überhängenden Uferge büsch hervorzog. »Flußab rudert es sich leichter«, murmelte Susiru, kippte das Kanu um und ließ das faulige Wasser hinausrinnen. Er fand die zwei Teile des zusammensteckbaren Pad dels, fügte sie ineinander und zuckte zusam men, als er über dem breiten Spalt zwischen den Baumwipfeln eine Formation von sie ben Spaccahs in geringer Höhe nach Süden fliegen sah. »Verdammte Krolocs. Ich glaube, sie werden siegen!« sagte er und überlegte, an welcher Stelle er heute die jagenden Grup
19 pen der Regenfluß-Dalazaaren finden wür de. Susiru wußte, daß an fast allen Plätzen Pthors, hauptsächlich aber rund um die FE STUNG gekämpft wurde. Durch die weni gen Funkkontakte war er einigermaßen zu verlässig und richtig informiert worden. Die Demonstration von Stärke und Macht, die er soeben wieder einmal hatte sehen müssen, zeigte ihm deutlicher als jede andere Infor mation, wie es um Pthor stand. Er schwang sich vorsichtig ins Kanu, leg te das Schwert über die Knie und stieß sich mit ein paar heftigen Ruderbewegungen ab. Die Vögel blickten ihm nach und klapperten mit den Schnäbeln. Diese funkelnden Strahlwaffen! Die Häß lichkeit der Fremden. Die lautlose Ent schlossenheit ihrer Bewegungen stieß ihn mehr ab als jedes Tier, das er kannte. Er paddelte etwa eine halbe Stunde lang flußabwärts und hielt sich stets so nahe wie möglich am Ufer und im Schutz überhän gender Blätter und Lianen. Nur die dreieckige Kielspur bewies, daß hier ein Fremdkörper den Regenfluß abwärts trieb. Ein verbranntes, halb versunkenes Schiffswrack, an dem er vorbeikam, war von affenartigen Fleischfressern besetzt, die ihn sahen und sofort zu zetern begannen. Baum stämme, deren Schnittflächen die Einwir kungen der Energiewaffen erkennen ließen, trieben mit ihm abwärts und drehten sich leicht. Ein toter Kroloc verfaulte auf einem schrägen, großen Felsen; die Aasvögel hack ten auf dem Raumanzug herum und tappten in dicken Bündeln auf den Gliedmaßen. Achselzuckend wandte sich Susiru ab und dirigierte das Kanu in einen stillen Seitenka nal hinein. »Eigentlich müßten sie sich hier ver stecken, wenn ich recht bedenke«, sagte er sich und scheuchte einen riesigen Wasser büffel auf, der in mächtigen Sätzen durchs Unterholz flüchtete. Schlamm und Aststücke wirbelten hinter den Hufen des Tieres in die schwüle Luft und klatschten schwer ins
20 Wasser zurück. Hier herrschte eine trügeri sche Idylle; an anderen Stellen regierte das Lärmen und Krachen erbitterter Kämpfe. Der Tod würde aber auch hier herrschen, wenn die Krolocs begannen, ihre Macht zu festigen. Es dauerte nicht mehr lange, dann waren Spaccahs das einzige Verkehrsmittel über dem Wasser und zwischen den Dschun gelbäumen. Von fern hörte Susiru das helle Rauschen des Wasserfalls, der hier treppenförmig aus schwarzen, runden Steinmassen aufgebaut war. Eigentlich war diese Gegend nur dann das Versteck der ENZYRA gewesen, wenn die Piraten verfolgt wurden. Die kleinen, oft nur ein Dutzend Köpfe zählenden Gruppen der anderen Uferbewoh ner waren ferner Verwandte der Blutdschun gelleute, die in grauer Vorzeit hierherge kommen waren. Sie jagten, fischten und ver suchten im übrigen, unsichtbar zu bleiben und nicht gestört zu werden. Ab und zu stieß ein Einzelgänger zu den Piraten, oder ein an derer ging auf die Wanderung und ließ sich irgendwo auf Pthor nieder, irgendwo, wo man ihn nicht vertrieb oder umbrachte. Meist lebten die Piraten mit den Dschungel leuten friedlich nebeneinander. Als das Kanu langsam an ein Stück Kies strand heranglitt, sah Susiru das erste Zei chen dafür, daß er sich an der richtigen Stel le befand. Zwischen zwei dünnen Bäumen war das gefleckte Fell eines Schlammtigers zum Trocknen ausgespannt. Susiru paddelte weiter und hob, als er hinter sich ein verräte risches Knacken hörte, den rechten Arm in die Höhe. »Ich sehe euch nicht, aber ich höre euch!« rief er. »Ich bin Susiru, der Pirat.« Er legte das Paddel quer über die Bord wände und zeigte das Schwert. Am Ra scheln hörte er, daß die Gruppe, die ihn aus dem Schutz von Baumstämmen und dichtem Gebüsch heraus beobachtete, größer als an genommen war. »Komm ans Land!« rief jemand. »Ich komme in Freundschaft, und ich bin
Hans Kneifel allein«, sagte Susiru laut. In dieser Zeit war es leicht möglich, einen vergifteten Pfeil oder einen kurzen Speer in den Rücken zu bekommen. Kurz darauf stand Susiru einer Jägergrup pe gegenüber. Sie zählte elf bewaffnete Männer. Sie blickten ihn prüfend an. Einer von ihnen trat vor und sagte halblaut: »Ich erkenne dich wieder. Ich sah dich, wie du mit deinen Männern eine Karawane überfallen hast.« »Das ist richtig. Nur, es werden keine Ka rawanen mehr hierherkommen. Es wird überhaupt keine Händler mehr geben.« Susiru schob das Schwert in den Gürtel und zog das Funkgerät aus der Tasche seiner zerschlissenen Jacke. Er drückte einen Schalter und rief: »Susiru ruft den Unterführer von Binoos. Tardis, melde dich.« Er hob die Schultern und dachte daran, daß Tardis längst im Kampf gefallen sein konnte. Die Jäger kamen näher und bildeten einen Kreis um ihn. Aus dem kleinen Apparat er tönten Knistern und Rauschen, durch schar fes Knacken unterbrochen. »Du sprichst mit diesem …« »Ich spreche mit jemandem, der in der Nähe der FESTUNG ist. Er hat ein solches Ding, und hört mich, wenn er nicht …« Aus dem Gerät kam eine abgehackte Stimme. Erstaunt hörten die Jäger: »Hier Tardis … ich bin verwundet … bei der FESTUNG. Die Krolocs haben gesiegt …« Susiru fragte aufgeregt: »Gesiegt? Das bedeutet, daß wir alle ver sklavt werden?« »Sie haben eben … Thalia und Sigurd ge fangen. Aber da ist … Halt! Susiru! Ich glaube, sie sehen etwas. Warte …!« Wieder kam nur das knatternde und zi schende Geräusch. Die Jäger warteten. Sie wurden unruhig, weil niemand wußte, was wirklich geschah. Die Informationen, die bis hierher gedrungen waren, blieben aus ver ständlichen Ursachen vage. Aber jedem war
Das Wunder von Atlantis klargeworden, daß die Freiheit von Pthor in höchster Gefahr war, wenn nicht schon end gültig verloren. Dann schrie der Verwundete voller Freu de auf. Das Gerät begann zu vibrieren, die Stimme wurde undeutlich. »Die GOL'DHOR kommt. Alle Spaccahs explodieren! Die Krolocs flüchten! Atlan, der König von Pthor, vernichtet sie alle!« »Berichte! Was ist los!« schrie Susiru und grinste die Männer an. Das kreischende Ge rät jagte einen Schwarm Vögel auf, der durch die Zweige flatterte und hinaus in den Raum zwischen den Dschungelwänden ra ste. »Das ist unser Sieg!« schrie der Verwun dete begeistert. »Die GOL'DHOR? Wirklich? Sind sie wiedergekommen?« »Ja. Überall kämpfen wir wieder. Wir ja gen sie in wilder Flucht aus der FESTUNG hinaus. Wenn du einen Kroloc siehst, bringe ihn um! Sie haben hier so viele getötet …« »Wir greifen sie am Regenfluß an. Du weißt, wo die Basis ist!« sagte Susiru ent schlossen. »Die Jäger werden mit mir kämp fen. Nicht wahr?« »Ja!« sagte mit Nachdruck der Anführer der Jägergruppe. Der Verwundete atmete schwer und stieß schließlich, nach einer langen Pause, hervor: »Ich sehe es selbst. Das goldene Raum schiff sprengt die Spaccahs vom Himmel. Pthor wird wieder frei. Verjagt sie vom Re genfluß … ich komme zurück, wenn ich es schaffe. Seid schnell und tapfer, Männer!« Ein Klicken beendete das Gespräch. Susi ru steckte das Gerät zurück und hob sein Schwert in die Höhe. »Am südlichen Ufer ist ein großes Lager der Krolocs. Ich kenne es und auch den Weg dorthin. Sie haben mörderische Waffen, die wir erbeuten müssen. Und mit ihren Spac cahs haben wir schnelle, sichere Transport mittel. Wollt ihr wirklich mit mir kämpfen?« »Wir kommen mit. Wir werden unterwegs andere finden. Wir wissen, wo sich Jäger verstecken. Los, holt die Kanus.«
21 »Das ist seit Tagen das erste Wort, das ich gern höre«, brummte der Pirat zufrieden, dann lachte er kurz und setzte hinzu: »Hauptsächlich deshalb, weil ich die ganze Zeit über mit mir selbst gestritten habe.« Die Jäger tauchten wieder im Dschungel unter. Kurz darauf kamen sie in sieben ver schiedenen großen Einbäumen und Kanus wieder. Sie hatten versteckte Waffen ausge graben und zwischen sich liegen. Susiru schwenkte das Schwert über seinem Kopf und paddelte los. Sie erreichten wieder den schmalen Lauf des Regenflusses, drangen bis zum Wasserfall vor und trugen die Boote am Ufer bis zum tiefer gelegenen Wasser spiegel. Nach etwa zwei Stunden befanden sie sich, unbemerkt geblieben, in der unmit telbaren Nähe des flachen, riesigen Hangfel des, auf dem sich das Kroloc-Lager befand. Susiru verfluchte den Umstand, daß es auf Pthor gegenwärtig weder hellen Tag noch schwarze Nacht gab – nachts wäre jeder An griff vernichtend gewesen. Sie versteckten die Kanus, umgingen einen Teil des Hanges und legten sich an ei ner strategisch richtigen Stelle auf die Lauer. Ein Großteil der Krolocs war mitsamt der Flugscheiben verschwunden. Der Rest, etwa zweihundertfünfzig Frem de mit zwanzig Spaccahs, hatten mit ihren Flugscheiben ein halb befestigtes Lager ge bildet. Sie wirkten unruhig und schienen keine Befehle zu haben; für jede Truppe ein verheerender Umstand. Susiru wandte sich an den Anführer der Jäger und flüsterte: »Wenn wir es schaffen, ein Dutzend ihrer Waffen zu erobern, räuchern wir die Frem den aus. Wo sind die anderen Jäger?« »Genau uns gegenüber zwischen den Fel sen.« »Sie warten also auf unser Zeichen. Nun gut, wir werden es geben.«
* Susiru lächelte den schwarzhäutigen An führer der Jäger an und sagte kalt: »Du mußt wissen, daß diese strahlenden,
22 alles vernichtenden Waffen der Krolocs einen entscheidenden Nachteil haben.« Der andere musterte die vielgliedrigen, nervös umhertappenden Wesen und fragte endlich zurück: »Wie das? Ich sehe nur Vorteile. Sie sind schnell, tödlich und verbrennend. Sie ver mögen Baumstämme zu spalten und lassen das Wasser in weißem Dampf aufkochen.« »Das ist richtig. Aber … wenn man eine Skerzaal oder einen Pfeil abschießt und in der Deckung bleibt, so weiß niemand, woher der Bolzen oder der Pfeil gekommen ist. Nimmt man eine Schleuder, versteckt sich gut hinter einem Busch, dann merkt der Gegner auch nicht, woher das Geschoß kam. Auch ein Speer oder eine schlanke Lanze treffen, ohne daß man zwangsläufig den Werfer erkennt. Nicht so bei dieser viel wirksameren Waffe! Der Strahlschuß ist hell, auch wenn er kurz ist. Drückt man länger auf den Auslö ser, dann ist leicht zu erkennen, woher der Schuß kam«, sagte Susiru nachdenklich und hob den Zeigefinger. »Der Gegner kann dann genau sehen, wo derjenige stand oder lag, der den Strahlenschuß abfeuerte. Dies ist ein Nachteil. Die Lanzenspitze glüht und ist im Dunkeln auf fünfzig Schritt leicht zu erkennen. Das Geräusch des Schusses scheucht Tiere auf, die den Standort des Schützen zusätzlich verraten. Ich bin dafür, mit unauffälligen Waffen zu kämpfen. Ich bin kein Invasor, der sich frech und laut auf Pthor breitmacht – die Piraten waren stets lautlos und schnell.« Der Jäger nickte mehrmals und sagte dann zustimmend: »In diesen Punkten hast du recht. Aber in den meisten Fällen kann derjenige, der von der Strahlenwaffe beschossen wurde, nicht mehr viel tun. Hauptsächlich deswegen, weil er tot ist.« Susiru schenkte ihm ein schräges Lächeln und entgegnete: »Deine Klugheit ist bemerkenswert. Da wir nur unsere Waffen haben und mit ihnen virtuos umzugehen wissen, müssen wir diese
Hans Kneifel Waffen einsetzen. Und zwar bald, weil uns sonst die Krolocs entdecken und töten.« »Geht in Ordnung. Meine Leute wissen, was zu tun ist.« Sie spähten geradeaus und versuchten, zwischen den gerundeten, hellbraunen Fel sen etwas zu erkennen. Dort lauerte eine Gruppe von zehn Jägern, deren Anführer sie kurz nach dem Wasserfall getroffen hatten. Eine merkwürdige Stimmung schien die Fremden ergriffen zu haben; Susiru hatte mehrmals Gruppen von ihnen beobachten können und wußte, daß sie so zielstrebig wie Ameisen waren. Jetzt schienen sie unschlüs sig und mehr als nervös. Man konnte sich vorstellen, daß sie ängstlich waren – aber sie waren fremd, und die Wahrscheinlichkeit, ihre hastigen und zitternden Bewegungen falsch zu deuten, war sehr groß. Susiru sah in zweihundert Schritt Entfernung, wie die anderen Jäger lautlos und schnell in Stellung gingen und ihre einfachen Waffen hoben. »Achtung!« sagte er. »Gib die Befehle, schwarzhäutiger Jäger!« »Verstanden!« Die Fremden trugen zerknittert, zerbeult und blasenartig wirkende Anzüge. Aus klei nen Geräten, die sie an breiten Riemen an allen möglichen Stellen ihrer Insektenkörper trugen, ertönten ähnlich quäkende Laute wie aus dem Funkgerät des Piraten. Susiru hatte den Bogen eines Jägers bekommen und vier Pfeile, deren Spitzen vergiftet waren. Er dachte kurz an das goldene Raumschiff, das er niemals gesehen, von dem er aber viel ge hört hatte. Er stand auf, verbarg sich hinter einem Baumstamm und spannte die Sehne. »Bereit?« flüsterte er und suchte sich ein Ziel. Er wußte, daß er ein passabler Schütze war. »Alle sind bereit.« »Wir greifen an. Los!« In dem Moment, an dem er die Sehne aus zog, hob er den Kopf und blickte zufällig in den grauen Zwielichthimmel. Er sah ganz weit im Süden, nichtsdestoweniger in er schreckender Deutlichkeit, wie ein kleiner, golden schimmernder Punkt über den Him
Das Wunder von Atlantis mel raste und sowohl vor sich als auch hin ter und neben sich eine lange Kette weiß aufglühender Blitze und Feuerkugeln hinter ließ. Das goldene Raumschiff mit Atlan ver nichtete, wie er gehört hatte, die Spaccahs der Fremden! Er zielte auf einen Kroloc, der links von ihm auf eine Flugscheibe zurannte. Die Seh ne schlug mit hartem Geräusch an, als der Pfeil mit einem leisen, fauchenden Heulen davonschwirrte. Der Pfeil durchschlug den faltenreichen Anzug und bohrte sich zu zwei Dritteln in den gedrungenen Körper des Fremden. Der Kroloc ließ die lanzenförmige Waffe fallen, schnellte sich senkrecht in die Höhe und gab zwitschernde und pfeifende Geräusche von sich. Dann drehte er sich mehrmals im Kreis um seine eigene Achse und blieb liegen, nachdem er den Rand der ganz außen lie genden Spaccah erreicht hatte. Er rührte sich nicht mehr, als die vergifteten Pfeile, die kurzen Skerzaalbolzen und die nadelförmi gen Blasrohrprojektile nacheinander fast in völliger Lautlosigkeit ihre Ziele fanden. Et wa zwanzig Krolocs wurden getroffen. Die Mehrzahl rannte pfeifend hin und her und blieb dann sterbend vor den Spaccahs lie gen. Für die Jäger auf der anderen Seite des Hanges war das Signal mehr als deutlich. Sie benutzten die gleichen einfachen Waffen und blieben, obwohl sie ein Dutzend Kro locs töteten, so gut wie unsichtbar. Dann aber reagierten die Invasoren. Aus dem Zentrum zwischen den still da liegenden Flugscheiben kamen einige Frem de heraus, senkten ihre furchtbaren Waffen und schossen ungezielt, aber wirkungsvoll um sich. Sie ahnten, daß der unsichtbare Gegner im Rand des Dschungels versteckt war. Dorthin richteten sich die Strahlen ihrer Waffen. Lange, aufröhrende und donnernde Strahlen zuckten herüber und verbrannten das Gebüsch, schlugen in die Stämme der Bäume ein und ließen sie auseinanderplat zen, jagten hohe Fontänen glühenden Bo dens in die Höhe und fuhren in die Luft. Die
23 Jäger luden und spannten, tief in die Deckung gekauert, ihre Waffen und warte ten ungeduldig. »Ein Erfolg, Pirat!« rief der Jäger unter drückt. »Hauptsächlich deswegen, weil wir alle noch leben. Nur der Wald brennt. Denkt an die unzähligen Toten auf Pthor und rund um die FESTUNG!« gab Susiru zurück. Als er zwischen zwei brennenden und rauchenden Büschen aufstand, den Bogen hob und genau zielte, sah er einen jungen Dschungeljäger zwischen den glühenden und rauchenden Kratern entlangrobben, im mer wieder aufspringen und rennen im Zick zack auf den nächstliegenden toten Kroloc zuhasten. Der Pfeil traf sein Ziel. Ein weiterer Kroloc starb schnell und lautlos. Der Jäger duckte sich, packte die er ste Strahlenlanze und warf sich wieder zu Boden. Er kroch auf den zweiten Leichnam zu und packte die nächste Waffe. »Ein Wahnsinniger!« flüsterte Susiru ent geistert und legte den nächsten Pfeil auf die Sehne. Die Dschungeljäger sahen, was ihr Kame rad vorhatte. Sie schossen wie rasend und trafen gut. Zwischen den dunklen Scheiben sackten die Krolocs zusammen und ließen ihre Waffen fallen. Von der gegenüberlie genden Seite feuerten die Jäger der anderen Gruppe. Die Krolocs sahen keinen einzigen Gegner, obwohl an drei Seiten um ihr Lager der Wald brannte, rauchte und dampfte. Langsam, unter Ausnutzung der geringst möglichen Deckung, kroch der Jäger, mit drei Strahlwaffen in den Händen, durch die Rauchwolken und die glühenden Krater zu rück zum Waldrand. Erst als er im Schutz einer Bodenwelle war, richtete er sich auf. Sein Gesicht glühte förmlich vor Stolz. Susi ru sprang auf ihn zu und riß eine Lanze aus seinen Fingern. »Ich habe eben selbst das goldene Raum schiff gesehen. Wir siegen!« sagte er ein dringlich. »Werdet ja nicht übermütig! Nur schießen, wenn ihr sicher seid, auch zu tref
24 fen. Und wechselt nach jedem einzelnen Schuß den Standort!« Der Kazike der Dschungelleute knurrte: »So klug sind wir schon lange, auch ohne die Feuerspeere der Fremden.« »Niemand zweifelt daran!« Auf der gegenüberliegenden Seite spielte sich etwa dasselbe Drama ab. Die Krolocs sahen, wie ihre Krieger starben, ohne daß es sichtbare Gegner gab. Sie schienen diese Art des Kampfes nicht gewohnt zu sein, denn ih re Panik nahm zu. Ununterbrochen schossen sie auf alles, was für sie gefährlich wirkte. Und im Schutz der Rauchwolken und des Feuers schlichen sich die Jäger an die Toten heran und raubten deren Waffen. Eine Stun de später besaß jeder Jäger mindestens eine der fremden Waffen. Susiru hob die Hand und rief unterdrückt: »Machen wir ein Ende! Wir haben vierzig von ihnen getötet. Der Rest muß auch ster ben. Vielleicht hilft uns Atlan in der GOL'DHOR!« »Wir warten nicht auf ihn.« Sie verteilten sich auf eine größere Fläche und ließen die Gegner nicht aus den Augen. Einige Krolocs schienen die Absicht zu ha ben, die Spaccahs zu bemannen und zu flüchten. Auf ein Zeichen feuerten die Jäger auf die Fremden; jeder Kroloc, der sich be wegte, wurde erbarmungslos beschossen. Fast jeder Schuß traf, und jeder Treffer be deutete einen toten Krieger der Fremden. Es war förmlich ein Gemetzel, aber rund um die Lichtung stand der Dschungel in hellen Flammen, so daß sich die Angreifer langsam zurückziehen mußten. Ununterbrochen feu erten sie, unaufhörlich wehrten sich die Kro locs gegen Feinde, die sich nicht zeigten, und schließlich war das feindliche Lager zu sammengeschmolzen. Sieben Krolocs gelang es im allgemeinen Chaos, eine Spaccah zu entern und durch die Rauchschleier und die Flammen hindurch zu starten und zu fliehen. Dann erst kamen die Jäger aus dem bren nenden Dschungel und den rauchenden Fel sen hervor und trafen sich zwischen den
Hans Kneifel Trümmern des Lagers und den Leichen der fremden Kämpfer. »Freunde!« rief Susiru durch den Lärm, »wenn es uns gelingt, die Spaccahs zum Fliegen zu bringen, kehren wir mit ihnen in unseren Dschungel zurück. Atlan hin oder her – wir sind frei, und wir wollen unser al tes Leben wieder aufnehmen!« Ein gedämpfter Jubel der Begeisterung er hob sich. Susiru streckte den Arm mit der Waffe der Fremden aus und schrie: »Mit diesen Waffen sind wir die Herren des Regenflusses, die neuen Piraten, die un besiegbar sind. Wollt ihr zur FESTUNG zu Atlan, oder kommt ihr mit mir in die Tiefen des feuchten Dschungels?« Wieder schrien die Jäger. »Wir kommen mit dir! Pthor ist frei, und wir bleiben frei. Später werden wir weiterse hen!« »Das ist mehr, als ich zu hoffen wagte«, murmelte Susiru und sah sich auf dem ver wüsteten Schlachtfeld um. Sie sammelten sich und bildeten eine große Gruppe. Systematisch wurde das halb verbrannte Lager der Fremden geplündert. Fünf Spaccahs waren unversehrt und voller unbekannter Ausrüstungsgegenstände. Es dauerte sehr lange, bis der Pirat und die Jä ger begriffen hatten, wie diese Flugscheiben zu lenken waren. Aber zu einer Zeit, als Atlan schon längst mit den Odinskindern in der großen Pyrami de zusammensaß und beratschlagte, schweb ten fernab im Nordwesten die Spaccahs un sicher über das Wasser des Regenflusses und in die einzelnen Verstecke. In diesem Teil des Regenflusses, an bei den Ufern, gab es keine lebenden Krolocs mehr. Aber es gab Piraten und Jäger, die im Siegestaumel waren und wußten, daß sie in diesem Abschnitt die Herren waren. Aber in ihre Freude mischte sich die Überlegung, wie lange sie hier herrschen würden … und über wen.
7.
Das Wunder von Atlantis Binoos sah enttäuscht aus. Er stand auf und ging zu der Galerie der Bildschirme. In den Fingern hielt er einen großen Krug, halbvoll mit kaltem Bier. Gedankenvoll be trachtete er die Bilder. Sie zeigten fast aus nahmslos, daß an vielen Stellen Pthors ge kämpft wurde, aber auch, daß die Pthorer versuchten, sich neu zu formieren. Sie such ten fremde Waffen, reparierten eigene Zu gors und versuchten, liegengebliebene und abgestürzte Spaccahs zu steuern. »Das sind Aufgaben für den rotbärtigen Zwerg aus Orxeya«, sagte Binoos herablas send und nahm einen tiefen, Schluck. »Ich werde, falls mir mein verehrter Freund Sator Synk einen Zugor samt Piloten zur Verfü gung stellt, mein mächtiges Landheer reor ganisieren.« Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: »Beziehungsweise die schäbigen Reste davon.« »Du kannst den Zugor haben, Binoos. Ich glaube, Atlan hat andere Pläne.« Der Herrscher Pthors schüttelte den Kopf und erwiderte: »Nicht unbedingt. Wir haben uns ent schlossen, anzugreifen und den Kampf zu beenden. Nach unseren Regeln. Dazu brau chen wir ebenso ein Landheer wie auch eine starke Masse von bewaffneten Zugors bezie hungsweise Spaccahs. Synk sollte sich beei len.« »Ich habe bereits alle, die nicht total er schöpft waren, eingeteilt.« Die GOL'DHOR stand im verwüsteten Park der FESTUNG. Überall rannten die Dellos und die kleine Robottruppe von Kar gentoff herum und versuchten, die Schäden auszubessern. Gruppen von Verteidigern sammelten sich. Die Besatzung des golde nen Raumschiffes hatte sich mit Thalia in der Schaltzentrale der Pyramide getroffen. Erleichterung zeichnete sich auf allen Ge sichtern ab. Synk deutete auf einen Zugorpi loten und rief: »Du hast alles gehört. Geh hinaus und stelle eine Zugor-Spaccah-Flotte zusammen. Nur starke, möglichst ausgeruhte Männer.
25 Nur Strahlwaffen. Und einen schnellen Zugor für Binoos, den furchtbaren Gordykämp fer.« Heimdall ballte in Richtung von Binoos die Faust und grollte: »Wenn alles vorbei ist, haben wir eine ernste Unterhaltung, Gordy!« »Später! Erst der Kampf, wie Atlan schon sagte.« Binoos wußte genau, was Heimdall mein te. Aber es war sinnlos, jetzt sich darüber auseinanderzusetzen. Bewundernswert war immer wieder, wie schnell und mit welch großer Selbstverständlichkeit die Pthorer un geachtet aller Gegensätze miteinander arbei teten. Nach dem Sieg würden alle Gegensät ze oder wenigstens die meisten davon offen wieder ausbrechen. Ehemalige Feinde, jetzt erbitterte Kampfgefährten, würden wieder zu Feinden werden. »Ganz richtig. Balduur? Du kämpfst mit uns?« brummte Heimdall und hob seine Waffe. »Was dachtest du? Aber zuerst soll uns Atlan seinen Plan schildern.« Atlan nickte. Er trug noch immer den An zug der Vernichtung und hatte lediglich den Kapuzenhelm zurückgeschlagen. Auch er hatte, wie die anderen dieses kleinen Kom mandos, gegessen und getrunken und sich etwas erholt. Er stand auf, sah ebenfalls die Bildwand an und entwickelte seinen Plan. Abschließend sagte er: »Mein Plan hat darüber hinaus den Vor zug, die wenigen vorhandenen Kräfte sinn voll einzusetzen. Denkst du, Razamon, daß du allein das Schiff steuern kannst?« Der Atlanter erwiderte: »Das Schiff akzeptiert mich. Die Bereit willigkeit der rätselhaften GOL'DHOR auf meine Kommandos ist groß. Ich bin sicher, das Schiff allein steuern zu können – ihr könnt auf mich zählen.« »Gut. Ich hatte nichts anderes erwartet. Besteht Verbindung zu Copasallior, Kargen toff?« »Ja. Ich habe eine einfache, aber gut funk tionierende Funkverbindung aufbauen kön
26 nen. Ihr verfügt über Geräte, die euch mit mir und mit dieser Schaltstelle verbinden.« »Dann sollten wir anfangen!« sagte Atlan. Sigurd, Heimdall und Balduur, in ihren Rüstungen und Helmen, aber zusätzlich mit den fremden Waffen ausgestattet, verließen mit dröhnenden Schritten die Schaltzentrale. Razamon leerte seinen Becher und folgte ih nen. Thalia ging neben Atlan bis zum Aus gang und hielt seine Hand. Binoos ließ sich noch einmal nachschenken und winkte dann seinem rotbärtigen Mitkämpfer Synk. Sie verließen die Pyramide, und zuerst kletterte Synk in den bereitstehenden Zugor und schwebte davon. Die GOL'DHOR stand da wie eine seltsa me Statue von unfaßbarer Schönheit. Die Schleuse war weit geöffnet, das Schutzfeld nicht projiziert. Noch immer wußte keiner so recht, nach welchen technischen oder ma gischen Prozessen das Schiff funktionierte – aber die GOL'DHOR flog und vernichtete die Angreifer. Das war wichtig, dieser Um stand zählte allein. Razamon lief auf die Schleuse zu und winkte. »Ich werde genau das tun, was wir abge sprochen haben, Atlan.« »Verstanden«, rief Atlan laut zurück. »Achte darauf, was wir unternehmen. Wir rechnen immer mit deiner Hilfe!« Razamon machte bestätigende Gesten und stieg ein. Hinter ihm schloß sich die Schleu senanlage. Eine große, leere Spaccah schwebte heran, von Sigurd sicher gesteuert. Er drehte die Flugscheibe vor Atlan und den anderen der Gruppe und sagte: »Seid ihr bereit?« »Wir kommen«, murmelte Heimdall. »Und in ein paar Stunden ist Pthor frei.« Atlan und die beiden anderen Odinssöhne stiegen auf die Scheibe, die langsam durch den dämmerigen Park gesteuert wurde, schließlich das freie Gelände erreichte und dort auf die Reste aller Zugorkommandos stieß. Etwa fünfhundert Männer, alle mit Beutewaffen ausgerüstet, einige Zugors und eine große Menge Spaccahs waren in mehre-
Hans Kneifel ren Reihen aufgestellt. Auf einem abge schmolzenen Felsen stand Sator Synk und hielt zwei Strahlwaffen hoch. Er schüttelte sie wie Speere und rief: »Männer! Wir sind das letzte Aufgebot. Wir haben die Invasoren aus dem Gebiet der FESTUNG vertrieben, und jetzt jagen wir sie von Pthor zurück in ihren staubigen Weltraum! Atlan, der König von Pthor, wird uns anführen. Und dort … seht hin!« Majestätisch langsam tauchte über den Baumwipfeln die GOL'DHOR auf und schwebte näher heran. Razamon hielt sie an, als sie sich über den Reihen der Spaccahs und Zugors befand. »Die GOL'DHOR wird mit uns fliegen und uns helfen. Wir suchen Tagger Blyhs und zeigen ihm, wie unbesiegbar wir sind. Los! Steigt in die Zugors und auf die Spac cahs. Der Fremde wird sich freuen, wenn wir ihn mit seinen eigenen Waffen angrei fen!« Atlan, Heimdall, Sigurd, Balduur und Synk enterten jeweils eine Spaccah. Der Ar konide streifte sich den Helm des Goldenen Vlieses über Nacken und Kopf. Sein Extra sinn meldete sich. Unterschätze Tagger Blyhs nicht. Er ist in die Enge getrieben und wird sich dement sprechend verhalten. Atlan drehte sich herum und schrie, so laut er konnte: »Startet! Unser erstes Ziel heißt Donk moon!« Die Pthorer, die an den fremdartigen Kon trollen der Spaccahs kauerten, begriffen schnell, wie die Flugscheiben zu lenken wa ren. Zuerst noch unsicher, dann schneller und sicherer, steuerten die Spaccahs nach Südwest, der Stadt entgegen. Als Atlan sich nach einiger Zeit wieder einmal umdrehte, mußte er lächeln. Seine Zuversicht wuchs. Etwa vier Dutzend Zugors und Spaccahs flo gen in zwei weit auseinandergezogenen Rei hen in gleicher Höhe und derselben Ge schwindigkeit hinter ihm. Schräg darüber schwebte das goldene Raumschiff mit einge schalteten Defensivschirmen.
Das Wunder von Atlantis Atlan schaltete das Funkgerät ein und rief Kargentoff. »Ich höre. Einen Befehl an die Magier?« erwiderte der Robotbürger augenblicklich. »Eine Bitte. Die Magier sollen sich auf die Krolocs in und um Donkmoon konzen trieren. Sprachverwirrung, Blindheit, was auch immer – sie sollen die Invasoren ver wirren. Wir sind in etwa zehn Minuten über der Stadt.« »Verstanden. Ich übermittle die Bitte, At lan.« »Danke.« An einem Punkt nahe der Straße der Mächtigen starteten mehrere Flugkörper. At lan deutete hinunter, aber nach einigen Se kunden rief Heimdall: »Es sind unsere Leute. Spaccahs und ein paar Zugors. Nicht schießen!« Er machte den anderen Spaccahbesatzun gen deutliche Zeichen. Die Formation näher te sich dem größeren Verband sehr vorsich tig und unsicher. Dann schoben sich die Zu gors nach vorn; die Piloten vertrauten dar auf, daß man die charakteristischen Formen der pthorischen Fluggeräte rechtzeitig er kannte. Atlan winkte, und man schien den Mann im goldenen Anzug zu erkennen. Die sieben Flugkörper schossen schneller heran, und ein stämmiger Orxeyaner brüllte her über: »Wir sahen das Schiff. Wir haben Krolocs gejagt und uns ausgerüstet. Wohin fliegt ihr?« »Nach Donkmoon!« »Wir kämpfen mit euch.« »Schließt euch hinten an und haltet euch bereit.« »Verstanden!« Die Pthorer waren ebenfalls ausschließ lich mit Strahlenlanzen ausgerüstet. Die Pi loten schwenkten Zugors und Spaccahs her um und schlossen sich den anderen an. Die Männer des größeren Verbandes begrüßten die Neuen mit einem ohrenbetäubenden Ju belgeschrei. Atlan senkte den Arm, und die Streitmacht begann schräg auf Donkmoon zuzuschweben. Die Stadt kam inmitten der
27 regelmäßigen Flächen ihrer Plantagen und Farmen in das Blickfeld der Pthorer. Gleichzeitig sahen sie auch den mondsi chelförmigen Wall aus Spaccahs, der Teile der Stadt umgab wie eine Zange. Sekunden nach dieser Beobachtung rief Balduur: »Siehst du, Atlan? Die Magier sind am Werk.« Aus den Gassen der Stadt strömten breite Rudel Krolocs und rannten in rasender Eile auf die Spaccahs zu. Sie rempelten einander an, fielen übereinander und schoben sich zur Seite. Hin und wieder funkelten Schüsse auf, deren Geräusche viel später zu den Angrei fern kamen. Atlans Krieger bereiteten sich auf einen Kampf vor. Spaccahs und Zugors senkten sich tiefer und tiefer und schoben sich dann, viel langsamer geworden, etwa zehn Meter über dem Boden auf die Stadt zu. Die Waffen wurden nach vorn gekippt. Die Pthorer näherten sich lautlos und un aufhaltsam. Donkmoons Kuppeln erhoben sich aus leichten Staubwolken. Eine Spaccah startete mit viel zu hoher Geschwindigkeit und raste schräg zum Himmel. Plötzlich be gann sie wild zu schwanken und verhielt einen langen Augenblick auf dem Scheitel punkt ihrer Bahn. Dann beschleunigte sie wieder und jagte im gleichen Winkel ab wärts, in die Richtung der Ebene von Kalm lech. Hinter einer leichten Bodenwelle ver schwand die Scheibe, mit nicht weniger als zwanzig Krolocs besetzt. Einen Sekunden bruchteil später zuckte der grelle Blitz einer schweren Detonation auf, dann rollte der Lärm den Angreifenden entgegen. Unter den Krolocs schien tatsächlich äu ßerste Verwirrung zu herrschen. Sie ver suchten eindeutig, die Spaccahs zu beman nen, zu starten und anzugreifen beziehungs weise die eroberte Stadt zu verteidigen. Nicht alles, was die vielfüßigen Invasoren unternahmen, war völlig falsch und unkoor diniert. Dennoch kam es zum totalen Chaos. Eine Spaccah startete nur mit dem Piloten an Bord. Eine andere, kleinere, war von etwa fünfzig Krolocs förmlich überhäuft, erhob
28 sich schwankend und krachte aus hundert Meter Höhe senkrecht zu Boden, andere Flugscheiben und eine Menge Krolocs ver nichtend, noch ehe das goldene Schiff heran war und mit seinem Defensivschirm einen Angriff vortragen konnte. Atlan versuchte, die Vorstellung des Ge metzels zu verdrängen. »Greift an!« rief er schließlich. Die Zugors und Spaccahs drangen vor. Erste Schüsse blitzten donnernd und röhrend auf. Lange weiße Energiestrahlen spannten sich über dem Boden; Bäume wurden ver sengt, Teile von Plantagen ruiniert. Einige Spaccahs detonierten. Die Wellen der Ex plosion warfen nicht nur die Angreifer eini ge Meter zurück, sondern trieben auch die Krolocs auseinander. Dann wehrten sich ei nige der Invasoren, aber sie richteten unter sich selbst mehr Schaden an als unter den Angreifern. Eine Handvoll Spaccahpiloten schien die GOL'DHOR zu erkennen und als Gefahr definiert zu haben. Sie starteten ihre Spaccahs und jagten wie große, lautlose Kä fer schräg aufwärts. Auf den Plattformen klammerten sich einige Krolocs fest und feuerten auf das Raumschiff. Während sich die äußersten Zugors und Spaccahs, also je ne an beiden Enden der Angreiferlinien, nach vorn bewegten und die zangenförmige Umklammerung einleiteten, löste sich eine der Spaccahs nach der anderen im Verteidi gungsschirm der GOL'DHOR auf und fiel in Trümmern zur Erde zurück. Die Angreifer kamen näher. Krolocs flüchteten wie blind nach allen Richtungen und rannten sich gegenseitig nieder. Schüsse töteten sie. Einige Gruppen von Gordys ka men aus der Stadt und mischten sich in den Kampf. Wieder zerschellten Spaccahs am Schirm der GOL'DHOR. Die Zange aus An greifern schloß sich bereits um den Rest der Krolocs. Atlan und die Odinssöhne hatten die Spaccahs verlassen. Der Herrscher in seinem Anzug, der ihn unverwundbar zu machen schien, rannte durch die Reihen der sterbenden Krolocs,
Hans Kneifel die sich teilweise gegenseitig umbrachten. Die Odinssöhne handhabten die Strahlenlan zen ebenso schnell und geschickt wie ihre nichtenergetischen Waffen. Über Atlans Kopf heulte eine steigende Spaccah hinweg. Ein Kroloc wurde hinausgeschleudert. Heimdall tötete ihn noch während des Stur zes. Die anderen Pthorer nahmen die Spac cah unter schärfsten Beschuß. Vielleicht gab es hier noch einen Unteranführer, der die Meldung dieses mörderischen Angriffs an Tagger Blyhs weitergeben konnte oder es schon getan hatte. Wieder schlugen die An greifer zu und spalteten eine Gruppe halb wie in Trance kämpfender Krolocs. Irgendwo zwischen den Häusern am Stadtrand be gann etwas zu brennen. Die Gordys rannten, um es zu löschen. Sator Synk kam in einem kleinen Zugor von rechts. Der Wimpel an der Lanze flatterte knatternd. Er hielt den Zugor über Atlan an, beugte sich weit über die Wandung und brüllte: »Der rechte Flügel zieht sich zurück. Es gibt keinen Widerstand mehr.« Atlan schoß aus der Energielanze und schrie zurück: »Sammelt euch. Als nächstes fliegen wir Zbahn an!« »Verstanden. Sollen wir euch nicht hel fen?« »Nicht nötig. Verständigt die Magier, daß Zbahn unser nächstes Ziel ist. Und die Ge gend zwischen hier und der Stadt.« »Begriffen, König. Paß auf dich auf, ja?« »Dasselbe für euch!« Flüchtende Krolocs starben unter den mächtigen Waffen schnell und ohne zu be greifen, daß sie starben. Eine letzte Gruppe von Spaccahs, nur mit wenigen Invasoren bemannt, stürzte sich verwirrt auf die GOL'DHOR. Auch diese Flugscheiben explodierten im Bereich des Schutzschirms und fielen als weißglühender Schrott zu Boden. Dann zog sich auch der linke Flügel der Angreifer fast ohne Verluste zurück. Atlan und die drei breitschultrigen Gestalten in den archaischen Rüstungen tra
Das Wunder von Atlantis fen, aus verschiedenen Richtungen kom mend, am Stadtrand zwischen leeren Flug plattformen zusammen. Heimdall stieß das Ende der Lanze in den Boden, nahm den Helm ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Das war's, Atlan. Donkmoon ist frei.« Sigurd lockerte seine Muskeln und sagte scharf: »Das nächste Ziel ist Zbahn? Habe ich richtig gehört?« Atlan senkte den Kopf, dann sah er sich in den rauchenden Trümmern um und regi strierte, daß sich kein Kroloc mehr rührte. Er blickte Sigurd an und antwortete: »Du hörtest richtig. Wir versuchen, eben so schnell Zbahn zu befreien. Und dann viel leicht Kalmlech. Aber das richtet sich nach der Reaktion von Tagger Blyhs und seinen Kampfreserven.« »Ich verstehe«, dröhnte Balduur. »Packen wir's an.« Er brüllte nach drei Seiten Befehle. Die Pthorer hatten sich größtenteils bereits ge sammelt und waren bereit. Nacheinander, mit Atlan wieder an der Spitze, starteten die Zugors und die Spaccahs. Diesmal flogen sie, mit der GOL'DHOR über sich, genau nach Süden.
8. Spank Vhroons Kopfglieder begannen un kontrollierbar zu zittern. Er fürchtete sich. Die Angst war über ihn gekommen, als plötzlich das goldene Raumschiff erschienen war und die ausgesandten Kampfspaccahs ohne einen einzigen Schuß vernichtet hatte. Es war reine Zauberei; von keinerlei physi kalischen Gesetzmäßigkeiten hervorgerufen, lösten sich die Flugplattformen auf. Als Spank seine Augen auf den Kommandanten richtete, verstärkte sich seine Unruhe noch zusätzlich. In dem Befehlsbunker, zwischen Hockern und Kommandogeräten, lief Tag ger Blyhs aufgeregt hin und her. Die Linien der Kriegsfarben auf seinem gedrungenen Körper waren teilweise verwischt und ließen
29 deutlich erkennen, in welcher Verfassung sich Tagger befand. Trotzdem wagte es Vhroon, seinen Kom mandanten anzusprechen. »Vielbeinigkeit Blyhs«, sagte er und be obachtete, wie ein Schwarm flüchtender Spaccahs herankam und in der Nähe des Hü gels landete. Die Krieger wirkten verstört und niedergeschlagen. »Ja? Was willst du sagen?« schrillte Tag ger. Er versuchte, seine Lage abzuschätzen, ob sich aus dem Rückzug wieder ein durch schlagender Angriff machen ließ. »Ich warte, wie wir alle, auf Befehle und strategische Anordnungen. Unsere Streit kräfte sind drastisch zusammengeschmol zen.« »Das weiß ich. Weniger als die Hälfte der Krieger ist noch übrig. Stündlich sterben welche. Die Pthorer kämpfen an tausend kleinen Fronten.« »Sie führen einen sehr wirksamen Partisa nenkrieg. Unsere Kämpfer siegen im Welt raum, aber sie scheinen wenig Glück zu ha ben, wenn sie auf flachem Boden kämpfen müssen. Sie …« »Schweige!« rief Tagger. »Du hast keine Ahnung, wie tapfer sie sind.« »Ich weiß es, denn ich habe mit ihnen ge kämpft. An ihrer Spitze bin ich fast bis zur Pyramide vorgestoßen.« »Sie sterben und haben kein Glück. Es ist zu spät, um noch einmal zu siegen.« »Aber«, warf Vhroon ängstlich ein, »die Brut-Spaccah mit ihrem Nachschub und die ausgeruhten Reserven im KorsallophurStau? Willst du sie nicht in den Kampf wer fen? Frage Pemar Gayn, ob er es erlaubt!« Tagger machte eine abwehrende Bewe gung. »Er läßt mich umbringen, wenn er erfährt, daß ich versagt habe!« »Mich wahrscheinlich auch«, pfiff Vhroon erschrocken. Wieder landete ein kleiner Verband Spac cahs. Die Krolocs kamen aus allen Teilen von Pthor. Die Flugscheiben waren voller Verwundeter und Sterbender. Viele Krolocs
30 hatten ihre Waffen verloren, oder sie waren ihnen geraubt worden. Der Hügel in der Ebene Kalmlech begann sich in ein Rück zugsgebiet zu verwandeln. Selbst die per sönliche Garde Tagger Blyhs' war halbiert worden; irgendwo auf Pthor lagen die ver brannten Körper der bestausgebildeten Kämpfer. Zu einigen Truppenteilen war jede Verbindung abgerissen. Das hatte Vhroon herausfinden müssen, nachdem er vor einer Stunde mit einem kleinen Verband sich hier her gerettet hatte. »Wir sollten vermeiden, den Obersten Kriegsherren zu rufen. Er wird sich von selbst melden, fürchte ich«, sagte Tagger. »Das ist wahrscheinlich. Dieses Raum schiff! Wir hörten im Stau davon und konn ten nicht glauben, daß es die Wahrheit war.« »Jetzt wissen wir es. Aber das Schiff muß zu vernichten sein«, gab Tagger pfeifend zu rück. »Wir hatten Pthor bereits genommen. Was jetzt?« Spank Vhroon zog sich zum Eingang des Bunkers zurück und gestattete sich die Fra ge: »Das hoffte ich gerade von dir zu erfah ren, Vielbeinigkeit.« Tagger fuhr herum und rief: »Alle Kräfte zusammenraffen. Neue Energieladungen in die Lanzen! Dann einen entschlossenen Angriff auf das Schiff. Es fliegt von Stadt zu Stadt und verwickelt un sere tapferen Truppen in Gefechte.« Die Bildschirme zeigten es deutlich, so weit sie funktionierten. Aber einige von ih nen waren bereits stillgelegt, andere schalte ten sich ab, als die beiden Krolocs miteinan der sprachen. Ein Gardist kam herein, blieb in Demutshaltung stehen und rief: »Tagger Blyhs! Eben sind die letzten überlebenden von Zbahn gelandet. Zwei Spaccahs und sieben Mann, davon drei ver wundet. Die Pthorer haben die Stadt zurück erobert. Willst du mit den Kriegern spre chen?« Tagger winkte mit beiden Kopfarmen ab. »Was könnten sie mir sagen, das ich nicht schon weiß. Verbreite unter den Kriegern,
Hans Kneifel daß wir einen letzten Kampf führen, und zwar ausschließlich gegen das Schiff. Falls sich noch Spaccahs finden, deren Bordge schütze intakt sind, sollen sie ausgerüstet werden.« »Verstanden, Vielbeinigkeit. Noch et was?« »Ja. Ich bin sicher, daß die Armee der Pthorer hierher kommt. Ganz zweifellos. Sie suchen den Kern der Invasionsarmee. Sie suchen mich, weil ich ihre Chefs als Geiseln genommen habe – und wieder verloren.« »Ich höre, Vielbeinigkeit!« erinnerte ihn der Gardist. Tagger hob seine Waffe und schrie: »Ja! Du hörst! Alle hören! Ich höre auch, daß ununterbrochen wichtige Positionen auf gegeben werden. Renne hinaus und organi siere den Angriff. Wir müssen noch viertau send Spaccahs haben.« Der Gardist gab ein Geräusch von sich, das stärkste Verwunderung ausdrückte. »Du meinst, wir haben noch viertausend Spaccahs? Also die Hälfte der Armada?« »Ich bin sicher. Nicht hier am Hügel oder in der Ebene. Aber auf Pthor!« Spank widersprach. »Ich habe rund um den Hügel etwa ein tausend geschätzt. Weitere tausend mögen noch an vielen Plätzen Pthors sein. Ich den ke, daß der Rest vernichtet oder in der Hand des Feindes ist, Vielbeinigkeit.« Tagger sank zusammen. »Du übertreibst. Oder sollte das die Wahrheit sein?« Der Gardist, der offensichtlich einen et was genaueren Überblick hatte, erwiderte in starrer Haltung: »Spank Vhroon hat recht. Mehr als drei tausend intakte Spaccahs haben wir nicht mehr zur Verfügung. Und zu vielen größe ren Einheiten ist die Verbindung abgerissen. Da sich die Nachrichtenspaccahs weitestge hend aus der Kampfhaltung heraushalten, muß damit gerechnet werden, daß jene Ver bände aufgerieben wurden.« Tagger wartete einige Sekunden, dann ordnete er an:
Das Wunder von Atlantis »Trotzdem! Wir formieren uns, und dann greifen wir das Raumschiff von allen Seiten an und mit aller Macht. Die lange, ruhm volle Geschichte der Krolocs kennt verlorene Schlachten, aber keinen einzigen verlore nen Krieg.« »So ist es. Wir werden gehorchen, Viel beinigkeit. Greifen wir gleich an, oder war ten wir?« »Wir warten, aber nicht bis zum letzten Moment.« Spank Vhroon ließ sich auf einen Hocker nieder. In derselben Sekunde erloschen wie der zwei Bildschirme. Zwei Lautsprecher gaben markerschütternde krachende Ge räusche von sich und waren dann ebenfalls tot. Die Atlanter kämpften also wieder mit überraschender Kraft, nachdem das Schiff erschienen war. Ganz sicher schien es dem persönlichen Adjutanten des Invasionskom mandanten, daß sich der Herrscher dieses zu kolonisierenden Gebietes in dem Schiff be fand; der Jubel und das schnelle Reagieren der bereits zu Boden geschmetterten Kampfeinheiten und Verteidigergruppen be wiesen es. Zweimal hatte Vhroon jenen Mann im goldenen Anzug gesehen, der zu sammen mit einigen der Geiseln wie ein Ra sender kämpfte. Er schien die Pthorer von einem Sieg zum anderen zu führen. Vhroon kontrollierte seine Gedanken. Gab er selbst den Kampf schon verloren? Rechnete er noch mit einer Möglichkeit, den Sieg zu erkämpfen? Würden sie von Pthor zurückgetrieben werden? Wenn dies gesch ah, dann waren die Chancen für einen weite ren Eroberungsfeldzug gegeben, denn das Fragment steckte fest im Staub und Geröll des Korsallophur-Staus. Auch der König im goldenen Kampfanzug würde Pthor nicht daraus befreien können. Dafür gab es zahllo se Beispiele; viele der Kroloc-Kolonien wa ren auf diese Weise entstanden. Tagger Bly hs tappte heran und blieb vor seinem Adju tanten stehen. »Wir haben keine andere Wahl, Spank«, sagte er leise und zurückhaltend. »Und was geschähe, wenn wir uns frei
31 willig zurückziehen würden?« Tagger lehnte seine Waffe an eine Nach richtengerätekonsole und antwortete, ganz ohne Pathos oder Erregung: »Ich weiß es nicht genau. Aber es ist denkbar, daß Pemar Gayn uns beide für die Niederlage persönlich verantwortlich macht. Das bedeutet tatsächlich Tod für uns. Er wird alle Reserven mobilisieren und aber mals angreifen, immer und immer wieder. Das bedeutet …« Spank schüttelte sich und fuhr fort: »… das bedeutet unendliche Verluste an Kriegern und Material. Ich kenne Gayn. Er wird nicht eher ruhen, bis er seinen Willen hat. Es geht ihm weniger um den Wert die ser Kolonie, sondern darum, daß die Rasse der Krolocs weiterhin unbesiegt bleibt.« »So ist es. Aber, welche Überlegungen wir auch immer haben, wir sind Krolocs, und wir haben uns etwas vorgenommen. Wir tragen die Verantwortung. Ich sage dir, daß wir angreifen werden. Einverstanden?« Selbst wenn Spank Vhroon eine andere Möglichkeit gehabt hätte, würde er nicht an ders geantwortet haben. Er sagte: »Wir greifen an. Vermutlich werden wir nicht siegen.« »Vermutlich nicht«, lautete die Antwort. »Aber selbst in der Niederlage können wir uns nichts vorwerfen. Wenn wir verlieren, dann haben wir gegen einen guten und tap feren Gegner verloren.« »Das denke auch ich.« Tagger Blyhs deutete auf den Ausgang und bat in geradezu kameradschaftlichem Tonfall: »Geh hinaus, Spank, und versuche, den Gardisten zu helfen. Wir werden tun, was wir können.« »Verstanden.« Wieder schalteten sich einige Kommuni kationsschirme ab. Einige Lautsprecher hör ten auf, krächzende helle Worte von sich zu geben. Ein Schwarm Spaccahs landete, dann ein zweiter. Die Verwundeten wurden aus den Flugscheiben herausgebracht, die Kro locs bemannten die Scheiben und hielten
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sich bereit. In kurzer Zeit würden die Späher Nachricht geben, daß sich die kleine Arma da der Pthorer mit dem goldenen Raum schiff näherte, und dann begann der letzte Kampf der Krolocs um diese Kolonie.
* Von allen Magiern waren im Augenblick Koratzo und Copasallior die bedeutendsten Persönlichkeiten, denn sie verfügten über die meisten Informationen. Sie hatten es zu wege gebracht, die Kräfte aller anderen Ma gier von Oth zu koordinieren. Im Moment saßen sie vor dem Funkgerät, das sie mit Kargentoff in der FESTUNG verband. »Copasallior spricht«, sagte der Welten magier. »Wir haben unsere Kräfte auf Zbahn und die Krolocs konzentriert. Wir denken, daß Atlan nicht nur in Donkmoon, sondern auch in der zweiten Stadt einen Sieg errun gen hat. Nach unserer Meinung müßten alle Kro locs von außerordentlicher Verwirrung be fallen worden sein. Richtig, Kargentoff?« Der Robotbürger antwortete mit seiner schnarrenden Stimme: »Wir haben die Bestätigung von Donk moon und Zbahn. In beiden Fällen waren Atlan und die Odinssöhne siegreich. Jetzt, nachdem weitere Pthorer zu ihnen gestoßen sind, wollen sie Zbohr befreien.« »Ausgezeichnet. Wir wissen, daß es in Zbohr nur wenige Krolocs gibt.« »Trotzdem«, erklärte der Robotbürger in unerschütterlicher Ruhe, »greifen Atlan und die Truppen von Sator Synk die Stadt an.« »Und dann?« »Ich bin sicher, sie stellen sich dem Kampf über der Ebene von Kalmlech. Denn dort befinden sich die meisten Krolocs. Un unterbrochen flüchten sich die Reste der In vasoren an diese Stelle. Dort versucht si cherlich Tagger Blyhs, seine letzten Truppen zu sammeln.« »Für uns bedeutet dies«, unterbrach Copa sallior, »daß wir uns in der nächsten Zeit auf die Ebene von Kalmlech konzentrieren müs-
sen.« »Das ist zutreffend. Wollt ihr mit Atlan sprechen? Ich kann diese Verbindung leicht schalten!« »Überflüssig. Wir wissen, was wir zu tun haben, Kargentoff.« »Ich habe diese Aussage vermerkt.« »Fein. Die Magier werden nicht abseits stehen, wenn es gilt, Pthor zu retten. Wir kümmern uns um Tagger Blyhs und die Spaccah-Burg in der Ebene Kalmlech. Ihr könnt euch darauf verlassen.« Die Verbindung wurde des aktiviert. Kar gentoff arbeitete sofort an der Koordinie rung der pthorischen Kräfte weiter. Auch wenn der Aufwand angesichts der GOL'DHOR im Moment überflüssig erschi en, war es ein Gebot der Klugheit, einen neuen Angriff der Krolocs unmöglich zu machen.
* Binoos ließ den Zugor anhalten und wink te mit beiden Armen den Arbeitern. Einige Hundert Pthorer, unterstützt von Yasselge spannen, beseitigten hier die Spuren der Kämpfe. Es handelte sich um ein Stück Land, das Teil des FESTUNGs-Parks war. Spaccah-Trümmer wurden davongeschleppt, ein reparierter Zugor stieg taumelnd hoch und schwebte davon. Körper von Krolocs wurden in eine Grube gezogen und dort be graben. In einem Zelt, das im Schutz von Bäumen aufgeschlagen worden war, lagen die ver wundeten Pthorer und wurden versorgt. An mehreren Stellen standen erbeutete Strahlen lanzen spitzkegelig aufgerichtet. »Zum Feuer, Pilot!« sagte der Gordy halblaut. Der Zugor mit Binoos' Wimpel landete neben einer Gruppe Männern, die ih re Schilde, Rüstungen und Helme ausbesser ten. Die Krieger blickten Binoos aufmerk sam entgegen. »Kann ich euch helfen?« fragte der Gordy. »Habt ihr Probleme mit der Nach richtenübermittlung?«
Das Wunder von Atlantis »Keineswegs. Wir stellen gerade einen Transport verletzter Kämpfer nach Panyxan zusammen. Brauchst du uns?« Binoos sprang zum Feuer, trank einen Schluck Wasser und sagte: »Atlan braucht eine kleine Menge Boden truppen. Aber es dürfen nur ausgeruhte, un verwundete und entschlossene Männer sein.« »Für die FESTUNG?« Diese Gruppe würde einige entschlossene Männer entbehren können. Binoos sah zu, wie man vorsichtig die Verletzten in eine große, anscheinend unversehrte Trans portspaccah legte. »Nein. Es geht gegen den größten Stütz punkt in der Ebene Kalmlech. Dorthin wol len sie vorstoßen.« Einige Männer, wie stets zusammenge würfelt aus allen Teilen des Weltenfrag ments, sahen sich fragend an und hoben dann die Arme. »Ich gehe mit …« »Und ich ebenso …« Binoos zwang sich dazu, diese Männer mit anderen Augen zu sehen. Es waren keine Gordys, also mußte er völlig veränderte Maßstäbe gelten lassen. Er deutete auf den breitschultrigen Mann mit dem kantigen schwarzen Bart; es schien ein Bewohner des Nordens zu sein. »Nicht zu viele. Nur die stärksten! Atlan braucht eine Handvoll entschlossener Krie ger, keine Armee!« Er fand an dieser Stelle sieben Männer. Er befahl ihnen, eine kleine Spaccah zu neh men, sich zu bewaffnen und mit ausreichend Vorräten zu versehen und dann zu einem Platz zu fliegen, der sich genau nördlich sei ner Heimatstadt befand, in einer geraden Li nie mit dem Massiv des Taamberges. Die Männer stimmten zu und baten ihn, an eine andere Gruppe bestimmte Botschaften aus zurichten. Binoos stimmte zu und schwebte davon; er war überzeugt, daß die kurze Pau se in den erbitterten Kämpfen optimal ge nutzt wurde.
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* Aber dennoch herrschte in weiten Gebie ten von Pthor das totale Chaos. Viele Krolocs waren von der Nachrich tenstation der Spaccah-Burg abgeschnitten, weil die Flugscheiben mit dem wertvollen Gerät abgeschossen worden waren. Die Un terkommandanten besaßen keine Karten des Geländes und wußten in vielen Fällen nicht, wo sie sich befanden, und noch weniger, wie sie sich verhalten sollten. Ihr einziger Ausweg war, daß sie die ein mal eingenommenen Stellungen zu halten versuchten. In vielen Fällen gelang dies. In genauso vielen Fällen aber wehrten sich die Pthorer verbissen und wirkungsvoll. Selbst die reichlich primitiven Gruppen in den Dschungeln begriffen schnell, daß die Waf fen der Fremden, einmal erobert, die Frem den sehr wirkungsvoll bekämpften, wir kungsvoller als alle anderen Waffen, die auf Pthor angewandt wurden. Unzählige kleine Stellungen der Krolocs wurden auf diese Weise aufgerieben. Die Pthorer, vielfach ebenfalls ohne Verbindung zur FESTUNG, besetzten dann die Spaccahs und flogen zur FESTUNG. Unterwegs stießen sie auf Krolocs und be kämpften sie. Oder sie trafen eigene Leute und nahmen sie mit. Oder sie schlossen sich bunt gemischten Verbänden aus Zugors und Spaccahs an. In jedem Fall war die FE STUNG ihr Ziel, denn dort befand sich der König Atlan und leitete den Kampf. Dies dachten alle jene Pthorer, die keine besseren Informationen hatten. Es gab viele davon. Jedoch sahen viele von ihnen, und auch die Bodentruppen von Binoos, daß sich an diesem Tag große Dinge vorbereiteten. Vom südlichen Rand der pthorischen Landmasse kam ein großer Schwarm dunk ler Scheiben. Fast an jeder Scheibe war eine Lanze oder eine lange Stange befestigt. Wimpel flatter ten an den Stangen; an einigen waren auch
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Schilde aufgehängt, deren Vorderseite ptho rische Symbole trug: Städtewappen, die Chiffren von Familien oder die Zeichen der Odinssöhne. Hoch über dem weit auseinan dergezogenen Schwarm schwebte die GOL'DHOR, das goldene Raumschiff, das sich gegen den Zwielichthimmel scharf ab hob und eine glänzende Aura zu tragen schi en. Der König von Atlantis! Der Anblick gab den erschöpften Krie gern neue Kraft. Sie litten darunter, daß es niemals Nacht wurde, daß sich sowohl die Natur als auch sie selbst nicht erholten. Sie sehnten sich geradezu nach sengenden Son nenstrahlen und schwarzen Schatten. Aber als sie Atlans Geschwader sahen, vergaßen sie das Elend der letzten Zeit und schrien be geistert zu der Phalanx hinauf. Es war das Zeichen der Freiheit oder genauer: die Si cherheit für Pthor, nicht von den Krolocs versklavt zu werden.
9. Balduur saß rechts neben dem Zugorpilo ten. Über ihm klapperte sein Schild an der Lanze. Der Sohn Odins blickte nach vorn und nach unten. Die Landschaft breitete sich ohne viele Konturen aus. In der Ferne schimmerten die Flanken und Gipfel des Taambergmassivs, und links davon verliefen die niedrigsten Vorberge der Ebene. Die Ebene Kalmlech! Einstmals Heimat der Be stien, die von den Herren der FESTUNG als strategische Waffe eingesetzt worden waren. Gäbe es diese Monstren noch, würden die Krolocs schon vor ihrer Landung tödliche Verluste erlitten haben. Jetzt aber bildete ein unbedeutender, nicht einmal von Bäumen bewachsener Hügel im Zentrum der Ebene den größten Stützpunkt der Invasoren. Ob sich Tagger Blyhs dort befand? fragte sich Balduur grimmig. Noch war nichts von der Spaccah-Burg zu sehen. Nur zweimal rasten von Osten und We-
sten kleine Verbände des Gegners heran und landeten außerhalb des Sichtbereichs der Zugorflotte. Zahlreiche entschlossene und gut ausgerüstete Gruppen von Pthorern in Zugors und Spaccahs hatten den Verband von Sator Synk verstärkt. Balduur wandte sich an seinen Piloten, einen Dello, dessen Körper von großen Metallschuppen bedeckt war, jede in einer anderen Farbe. Die Schup pen rasselten und klapperten beinahe bei je der Bewegung. »Höre, M'randt! Wir sind bei den ersten, die vorstoßen. Du weißt, was der König vor hat?« »Jeder weiß es, Balduur«, entgegnete der Pilot. »Dasselbe verlangten Synk, Sigurd, Heimdall und Atlan von ihren Piloten.« Balduur nickte und gab grimmig zurück: »Dann ist allen klar, wie wir vorgehen.« Wieder versank er in brütendes Schwei gen. Die überfallartigen Kämpfe, mit denen sie die Städte im Süden befreit hatten, waren ausschließlich durch das Verteidigungsfeld der GOL'DHOR entschieden worden. Unter den Besatzungen der Fluggeräte hatte es nur einige Verletzte gegeben. Niemand schien sich vor dem bevorstehenden Kampf zu fürchten. Das Bewußtsein, daß es wohl die entscheidende Auseinandersetzung war, und daß Pthor diesen Kampf gewinnen würde, erfüllte die Männer und nahm ihnen die Angst. Balduur blinzelte, als er voraus die ersten Einzelheiten erkannte. »Wir befinden uns im Angriffsflug«, rief M'randt laut. Von den anderen Piloten in der ersten Reihe kamen zustimmende Rufe. At lan hob seine Lanze. Es war ein Signal; ein Dutzend Zugors und Spaccahs scherte aus dem Verband aus, ließ sich nach unten durchsacken und flog in keilförmiger For mation scharf nach rechts. Während der Rest der Flugscheiben in einem flachen Winkel auf den immer deutlicher werdenden Hügel zuschwebte, begannen die äußeren Enden der langgezogenen Armada sich vorwärts zu krümmen. Es wurde die klassische Zangen bewegung. Einige Minuten später hatten die Krolocs
Das Wunder von Atlantis den Gegner erblickt. Die Pthorer unter Atlan waren erwartet worden. In beträchtlicher Eile stiegen über all rund um den Hügel die Spaccahs auf. Noch waren keine deutlichen Einzelheiten auszumachen, aber die Flugscheiben schie nen voller bewaffneter Krolocs zu sein. Heimdall rief verblüfft: »Ich habe nicht so viele Spaccahs erwar tet. Sie sind mächtiger, als ich dachte.« Atlan gab ebenso laut zurück: »Sie haben sich ebenso gesammelt wie unsere Streitkräfte.« Die Gruppe von Spaccahs und Zugors, von Atlan angeführt, sank dem Boden entge gen und blieb in geringer Höhe schweben. Viel langsamer als die Hauptmasse und das Raumschiff bewegten sie sich auf den Hügel zu, der jetzt fast völlig frei dalag. Nahezu al le Krolocs befanden sich in der Luft und bil deten mit ihren Fluggeräten spitzkegelförmi ge Angriffskeile. Die Fremden schienen auf ein Zeichen oder auf einen Befehl zu warten. »Du bist sicher, daß Tagger Blyhs in der Spaccah-Burg ist?« erkundigte sich Heim dall bei Sigurd. »Vermutlich ist er dort. Ich erkenne seine Spaccah, wenn ich sie sehe – er hat dort die Geräte, über die er Verbindung zu den Über setzungsmaschinen besitzt.« »Dann wirst du uns führen«, rief der Ar konide. »Einverstanden.« Ihre Nerven fingen zu vibrieren an, die Schmerzen in den Muskeln und die vielen kleinen Verletzungen waren vergessen. Hän de griffen nach den Schäften der fremden Waffen. Die Teile der Rüstungen scharrten und knarrten. Hinter dem Dutzend der Zu gors und Spaccahs flog Staub in dünnen Bahnen und breiten Schleiern hoch. Noch wartete das kleine Kommando auf Atlans Si gnal. Dann griffen die Krolocs an. Von drei Seiten drangen ihre spitzen Kampfverbände gegen das Schiff vor. Nahe zu gleichzeitig feuerte jeder einzelne Kroloc aus seiner Waffe auf das Schiff. Ab und zu
35 lösten sich aus den wenigen Spaccahs, die schwere Geschütze eingebaut hatten, dicke Glutstrahlen. Der Verteidigungsschirm der GOL'DHOR glühte auf und verwandelte sich in eine grellweiße Kugel. Razamon steuerte unbeeindruckt weiter, drehte das Schiff leicht nach links und beschleunigte. Er raste mit der GOL'DHOR auf den ersten Angriffskeil der Krolocs zu und schien den Verband rammen zu wollen. Ununterbro chen schlug der Hagel aus Hunderten Waf fen in den Defensivschirm. Razamon staunte über die Belastbarkeit dieser Energieform, von der er so gut wie nichts verstand. Atlan und seine Kampfgefährten, die die sen ersten, gewaltigen Vorstoß von ihrer Po sition nahe des ebenen Bodens beobachte ten, machten sich Sorgen. Würde das Schiff diesen Orkan aus vernichtender Energie überstehen? Die erste Spaccah, voller schießender Krolocs, berührte die Wölbung des leuchtenden und blitzenden Schutzschirms. Die Ex plosion des Raumfahrzeugs war nur ein we nig heller als die gewaltige Lichtmenge, die der Schirm ausstrahlte. »Es ist tatsächlich nur das Schiff, das un ser Überleben sichert!« sagte Atlan leise. Er schauerte zusammen, als er die folgenden Explosionen bemerkte. Unaufhörlich opferte der fremde Kommandant seine Krieger. Sie verglühten in denselben Blitzen, die auch die Spaccahs in kleine Fetzen rissen. Die GOL'DHOR donnerte durch den ge samten Verband, der sich zuerst gegen sie geworfen hatte. Zwar richteten alle Schützen der anderen Kampfeinheiten unverändert ih re Waffen auf den Schirm und feuerten, aber dennoch nahm das Glühen des Schirms ab, als Razamon das Raumschiff herumschwang und die nächste spitzkegelige Formation an griff. Wieder blitzte es ununterbrochen vor dem Schiff und seitlich auf. Spaccah um Spaccah löste sich auf. Binnen weniger Mi nuten hatten die Pthorer mindestens hundert fünfzig dieser Fahrzeuge beobachtet, die sich in selbstmörderischer Absicht der Pilo ten auf das Raumschiff gestürzt hatten.
36 Sator Synk stieß erschüttert hervor: »Sie sind alle wahnsinnig.« »Ihr Kommandant ist der Irrsinnigste von allen«, murmelte Sigurd und schüttelte fas sungslos den Kopf. »Er muß doch erkennen, daß er nicht die geringste Chance hat.« Atlan entschloß sich zum Handeln. Er rief: »Los! Wir werden diesem sinnlosen Schlachten ein Ende bereiten. Sator! Baldu ur! Sigurd wird uns den Kriegsherren zei gen, falls er noch lebt.« »Hinter mir her!« rief Synk und schlug seinem Piloten auf die Schulter. Das Dutzend Zugors und Spaccahs setzte sich mit flatternden Wimpeln und klappernden Feldzeichen in Bewegung. Sie wurden schneller, jagten auf den Hügel zu und wi chen größeren Trümmerstücken aus. Immer wieder rieselte in breiten Bahnen der glü hende Schrott herunter, der von vernichteten Flugscheiben stammte. In einer großen Staubwolke näherten sich die rund fünfund siebzig Männer dem eigentümlichen Gebil de, das sich auf der Spitze des Hügels be fand. Von rechts blitzte ein Signal auf. Atlan fuhr herum. In einer langen Reihe rasten Zugors her bei. Sie waren bemannt mit grimmig drein schauenden Pthorern, die ebenfalls die Mitte des Hügels zum Ziel hatten. Atlan winkte und deutete auf eine Art Eingang, der wie ein breiter Schlitz aussah. Die Männer hiel ten die Zugors an, sprangen hinaus und bil deten einen Halbkreis. Sigurds Zugor hielt dicht neben dem Spalt. Die Pthorer verwickelten eine Gruppe von rund fünfzig Krolocs, die in auffällige schwarze und glänzende Anzüge gekleidet waren, in ein erbittertes Gefecht. Atlan war mit einem Sprung auf dem Boden, senkte seine Lanze und rannte hinter Sigurd her. Neben dem Spalt, halb von einer vorsprin genden Konstruktion verdeckt, stand eine kleine, funkelnde Spaccah. Sigurd rief aufgeregt:
Hans Kneifel »Das muß die Kommandospaccah von Tagger Blyhs sein. Vielleicht können wir den Kommandanten fassen.« Während die Zugors, offensichtlich Leute von Binoos, ausschwärmten, in der Luft ste henblieben und einen Wall gegen die hera neilenden Krolocs bildeten, feuerten die Pthorer auf alles, was sich bewegte. Atlan und die Odinssöhne drangen in den Spalt ein, bückten sich und sahen sich plötzlich in einem Raum, der voller Nachrichtengeräte war. Ein Kroloc, dessen Körper von seltsa men Linien verziert war, feuerte auf Atlan. Der Schuß warf den Arkoniden um einen Meter zurück, aber die Energie prallte vom Panzer des Goldenen Vlieses ab. Atlan schoß zurück und traf die Waffe des Gegners. Mit einem wütenden Pfeifen ließ der Kroloc die Lanze fallen und warf sich vorwärts. Sigurd und Balduur drangen ein und richteten die Projektorspitzen der Lan zen auf den Fremden. »Es ist Tagger Blyhs, der Thalia und mich gefangengenommen hat!« erklärte Sigurd mit Entschiedenheit. »Ausgezeichnet«, sagte Atlan. »Du bist Tagger Blyhs?« Er hatte wahrgenommen, daß aus einem der zahlreichen Lautsprecher Worte der fremden Sprache gedrungen waren. Es konnte möglicherweise die Übersetzung von Sigurds Feststellung gewesen sein. Tagger stieß eine Reihe schrill pfeifender Töne hervor. Es gab keine Übersetzung. Balduur und Sigurd zerrten den Fremden an den Kopfgliedern aus dem Raum und trieben ihn auf die Spaccah. Rundherum tobte noch immer das Ge fecht. Als Sator Synk sich hinter die Kon trollen der Spaccah schwang und den Odins söhnen winkte, hörten die schwarzgerüsteten Wachen augenblicklich auf, ihre Lanzen zu gebrauchen. »Zur FESTUNG!« rief Atlan und sprang an Bord der aufsteigenden Spaccah. »Schnell!« Die Pthorer erkannten richtig, was zu tun war. Sie dirigierten die Zugors und Spaccahs
Das Wunder von Atlantis heran und bildeten einen dichten Schutzkreis um die Nachrichtenspaccah des feindlichen Kommandanten. Die Bodentruppen feuerten in den Sand und erzeugten große Wolken aus Rauch und hochstiebendem Material. Tagger Blyhs versuchte, sich zu wehren. Aber mehrere Lanzen, die sich auf ihn richteten und die erbarmungslosen Griffe der drei Odinssöhne machten den Versuch sinnlos. Schließlich lag er schweigend und bewegungslos in der Mitte der Spaccah. Synk steuerte das Gerät schräg in die Höhe und schlug dann die Richtung nach der FE STUNG ein. Die Zugors und Spaccahs der kleinen Ar mee folgten und schlossen sich der ersten Gruppe an. Die GOL'DHOR flog eine enge Kurve, wurde von den Spaccahs des dritten An griffsgeschwaders angegriffen und zerstörte die Flugscheiben völlig. Dann steuerte Raza mon das Schiff hinter den Zugors her und schützte sie, indem er dicht hinter und über ihnen flog. Aber die Nachricht, daß die Pthorer den Kriegskommandanten entführt hatten, schien sich in fast blitzartiger Ge schwindigkeit herumgesprochen zu haben. Die Spaccahs, die sich in der Luft befan den und der GOL'DHOR die letzten Schüsse nachsandten, erstarrten ebenso wie diejeni gen Kommandos, die am Boden kämpften. Einige Zugors, deren Besatzungen den Rückzug gedeckt hatten, kamen hinter dem Verband über die Ebene gerast. Die Krolocs blieben handlungsunfähig zu rück.
* Atlan hielt sich an zwei Griffen der Spac cah fest und starrte den Kroloc an. Eine ge wisse Würde ging von dem niedrigen, ge drungenen Wesen aus. Die vielen Augen waren auf den Mann im goldenen Anzug der Vernichtung gerichtet. Auch Tagger hielt sich an mehreren Spaccah-Griffen fest. »Ich frage noch einmal«, sagte Atlan und machte eine kleine Pause. Er war der einzige
37 gewesen, der eben gesprochen hatte. Tat sächlich kam aus einigen Lautsprechern eine schrille Stimme. »Bist du Tagger Blyhs, der Kommandant der Invasoren?« Wieder ein längerer Satz, der Atlans Fra ge in die Sprache der Krolocs übertrug. Bal duur, der ein wenig krolocisch verstand, nickte Atlan zu. »Die Geräte sind an einen Übersetzer an geschlossen«, bestätigte er. Der gelbweiße Kopf mit den acht Augen ruckte hoch, als der Kroloc etwas antwortete. »Ich bin Tagger Blyhs«, sagte er auf dem Umweg über die Mikrophone und Lautspre cher. »Du befindest dich in der Gewalt der Pthorer. Ich bin Atlan, der Herrscher von Pthor.« Die Formation raste schnell weiter, direkt auf den Park der FESTUNG zu. Niemand verfolgte die pthorischen Kommandos. Der Fahrtwind schnitt scharf in die Haut, und es roch nach Rauch und Asche. »Das weiß ich«, sagte Tagger Blyhs. »Du weißt vermutlich auch, daß von dei ner gewaltigen Streitmacht nicht mehr viel übriggeblieben ist?« erkundigte sich Atlan sarkastisch. »Ich habe gesehen, wie meine Krieger starben.« »Sie waren tapfer, zweifellos. Und jetzt erleben wir die letzten Stunden der Invasion mit. Wir bringen dich in die FESTUNG – so nennen wir das Zentrum unserer Verwal tung.« Der Kroloc vollführte mit den beiden Kopfgliedmaßen eine kompliziert aussehende Geste. »Ich kenne das Gelände. Ich weiß, wohin ich gebracht werde. Wenn ihr mich straft, dann laßt euren Zorn nicht an meinen Leu ten aus.« »Wir werden sehen«, sagte Atlan und wunderte sich ein wenig über den letzten Satz des Gefangenen. Wenig später schwebten die Zugors in ei ner langen Linie durch den Park auf die große Pyramide zu. Überall standen Pthorer
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und winkten begeistert. Sie wußten über Kargentoffs Informationssystem, daß ihre Kameraden den Kommandanten gefangen hatten und daß fast überall die Kämpfe auf gehört hatten.
10. Tagger Blyhs beherrschte sich; wie er überzeugt war, tat er dies in der ihm eigenen Gründlichkeit. Er ließ die Geschehnisse an sich vorbeiziehen und versuchte, seine Lage realistisch zu erkennen. Die Erfahrungen, die er jetzt und hier machte, waren einzigar tig für ihn, weil er sie zum erstenmal ma chen mußte. Der Gedanke an Pemar Gayn machte ihn vorübergehend schwankend, aber er überwand ihn. Bewaffnete Wächter brachten ihn und die kleine Gruppe, die ihn gefangengenommen hatte, in eine technisch aussehende Halle. Die Kommandospaccah schwebte hinterher und wurde in der Mitte des Saales abgestellt. Atlan zog den Helm in den Nacken, setzte sich und winkte Kargentoff. »Unser Gefangener ist sicherlich sehr dar an interessiert, den genauen Stand der Kämpfe zu erfahren. Wie sieht es aus, Ro botbürger Kargentoff?« Auch Balduur und die anderen Mitglieder des Kommandos setzten sich. In ihrer Mitte befand sich Tagger Blyhs, der auf seinen vier haarigen Beinen stand und leicht den Körper wippte. »Überall dort, wo ich Verbindungen schalten konnte, haben die Kämpfe aufge hört. Die Pthorer wissen noch nicht, daß wir den Kommandanten haben. Aber die Kro locs scheinen es, fast an jeder Stelle von Pthor, genau zu wissen. Sie haben die Kämpfe eingestellt und ziehen sich zurück.« »Danke. Du hast verstanden, daß ihr am Ende seid?« fragte Sigurd den Gefangenen, nachdem die Übersetzung gehört worden war. »Ich sehe ein, daß wir das Kampfglück verloren haben.« Die schrillen Stimmen erfüllten die Halle
mit ihrem Lärmen. Durch die offenen Ein gänge drängten sich bewaffnete Pthorer und verteilten sich schweigend entlang der Wän de und Treppen. »Ihr habt alles verloren. Es mag sein, daß wir euch noch etwas lassen – keinesfalls je doch einen Platz auf Pthor.« Wieder bewegten sich die Kopfarme. Die Klauen klickten aufgeregt. Atlan betrachtete die verlaufenden Linien der Kriegsfarben und meinte nach einer kleinen Pause: »Die Brückenköpfe der Krolocs sind in Auflösung begriffen. Aus vielen Stellungen ziehen sich die Truppen zurück, das weißt du so gut wie wir. Wir hingegen haben eini ge strategisch wichtige Plätze zurückerobert und deinen Leuten furchtbare Verluste bei gebracht. Wir sind in der, Lage, deine Ar mee bis zum letzten Mann aufzureiben. Ist das dein Ziel?« »Nein«, antwortete Tagger. »Tötet mich, aber laßt meinen Kriegern das Leben.« »Wir haben nicht vor, mit derselben Grausamkeit vorzugehen. Die Krolocs sind im Korsallophur-Stau berüchtigt, weil sie er barmungslos sind. Tod oder Leben bedeutet ihnen nichts.« »Ich bin nur der Verantwortliche für die Kolonisation. Für unseren Versuch, eine Ko lonie zu gründen. Ich führte Befehle aus, so gut ich konnte.« Razamon fragte kurz: »Es waren Pemar Gayns Befehle?« »Richtig. Seine Mehrbeinigkeit ist der Oberste Kriegsherr aller Krolocs.« »Er ist für uns allerdings ein wenig schwer zu fassen«, sagte Razamon spitz. »Was nicht heißen soll, daß wir nicht früher oder später ihm gegenüberstehen werden.« »Er verläßt seinen Asteroiden selten«, sagte Tagger. »Wir haben verloren. Der Sie ger steht fest, auch wenn noch gekämpft wird.« »So ist es«, erklärte Balduur grimmig. »Der Sieger sind wir. Pthor ist frei geblie ben. Wir diktieren die Bedingungen.« »Es war nichts anderes zu erwarten«, meinte Tagger Blyhs. »Es überrascht mich,
Das Wunder von Atlantis daß ihr nicht Rache an jedem einzelnen Kro loc nehmt.« »Das würde uns nichts einbringen. Es ist genug gestorben und getötet worden«, sagte Atlan schroff. »Das sage ich auch.« Offensichtlich, das erkannten die Odins söhne, Thalia und Razamon in diesen Minu ten, hatte dieser Kroloc ein bestimmtes, ei nes Kriegers würdiges Verhalten. Auch er war nicht daran interessiert, weiterkämpfen zu lassen. Trotzdem mußte ihn der Ausgang der Kämpfe schmerzen. Kargentoff meldete sich erneut. Der Robotbürger schien ein Ortungser gebnis des Wachen Auges erhalten zu ha ben. Auf einigen der Bildschirme an der Wand gegenüber leuchteten Darstellungen auf. Sie zeigten eine Masse Spaccahs, mit Krolocs in Raumanzügen bemannt. Die Scheiben flogen durch den Wölbmantel hin durch. Sator Synk, dessen Bart Brandlöcher auf wies, sagte aufgeregt zu Tagger: »Sieh das Bild an, Kommandant! Deine Krieger flüchten zurück in die Staubwol ken.« »Ich sehe.« Thalia lehnte sich entspannt zurück, rich tete ihren Blick auf Atlan und spürte, wie sie den Haß und die Wut auf den Kroloc und seine Truppen verlor. Der Kampf war ent schieden, es gab für sie keinen Grund mehr, die Fremden zu fürchten. Atlan war bei ihr, und das Schiff wachte über die FESTUNG. Sie holte tief Luft, wischte sich Schweiß und Schmutz aus dem Gesicht und sagte zu At lan: »Die Krolocs flüchten. Wir werden sie nicht einmal mehr hinaustreiben müssen.« »Offenbar sind sie völlig hilflos ohne ih ren Kommandanten«, erklärte Synk. »Ganz im Gegensatz zu meinen Truppen, die auch ohne Führung kämpfen.« Sie waren alle müde und erschöpft. Sie sehnten sich nach Ruhe, Schlaf und Erho lung. Und schließlich gab es eine gigantisch große Menge an Arbeit; die Zeit der Kämpfe
39 hatte gezeigt, daß sich in Wirklichkeit kein Problem erledigt hatte. Atlan stand auf und hörte seinen Extrasinn sagen: Du bestrafst die Krolocs am eindrucks vollsten, wenn du genau nach deinem Plan verfährst! Genau das hatte er vor. Er blieb vor Tag ger Blyhs stehen und fragte: »Du bist aus ei nem alten Kroloc-Geschlecht?« »Aus einer Brut, die stets Krieger und Kämpfer hervorgebracht hat. Wir haben die Grenzen unseres Landes weit ausgedehnt.« »Dann gilt ein Wort, das du einmal gege ben hast, wie ein geschriebener Vertrag? Oder haben die Krolocs keinen Ehrenko dex?« Tagger Blyhs fuhr herum und vollführte wieder aufgeregte Bewegungen mit den Kopfarmen. Niemand konnte die Gesten richtig deuten. Aber die langsame und unbe holfene Übersetzung aus den Lautsprechern dröhnte: »Wir haben einen starren Kodex. Wenn Tagger Blyhs Ja oder Nein sagt, stirbt er für diese Antwort. Wie kommst du dazu, Herr scher, eine solche Frage zu stellen?« Atlan winkte ab. In die Diskussion kam nun etwas mehr Leben. Seine Freunde beug ten sich interessiert in den Sesseln vor. Die Pthorer an den Wänden und auf den Treppen bewegten sich unruhig. Es waren immer mehr aus der Umgebung der Pyramide hier zusammengeströmt. Auf ihren Gesichtern war noch immer wilder Kampfgeist zu er kennen. »Ich habe meine Gründe, diese Frage zu stellen. Wenn du jetzt mit den traurigen Re sten deiner Garde Pthor verläßt, wirst zu zweifellos bald vor Pemar Gayn stehen.« Tagger ließ sich auf den Boden sinken und schrillte: »Ja. Das trifft zu. Und sein Ärger wird un ermeßlich sein.« Atlan lachte ohne Fröhlichkeit und ant wortete: »Sein Ärger wird schwindelerregende Hö hen erreichen, wenn du ihm meine Botschaft ausrichten wirst.«
40 Schweigend starrte ihn Tagger aus acht Augen an. »Meine Botschaft lautet: Kein noch so kleiner Angriff auf Pthor mehr! Kein Flug durch den Wölbmantel! Kein Kroloc bleibt auf Pthor. Jeder, den wir lebendig finden, wird zurückgeschickt; es gibt, denke ich, ge nügend unbemannte Spaccahs. Hast du ge nau verstanden, was ich sagte?« »Ich habe verstanden. Aber ich kann nicht für die Invasionsarmeen des Kroloc-Im periums entscheiden. Das kann nur Pemar Gayn.« »Aus diesem Grund wirst du es ihm direkt sagen. Wie du gesehen hast, kann unser Raumschiff es gleichzeitig mit allen euren Spaccahs aufnehmen. Weiter. Ich habe noch mehr zu sagen: Es geht um die Lichtung. Das Reich der Eripäer darf ebenso wie Pthor nicht mehr angegriffen werden. Die Krolocs haben mit den Eripäern schnell Frieden zu schließen. Und zwar einen Frieden, der von euch nicht mehr gebrochen werden kann. Für beide ist im Korsallophur-Stau genügend Platz. Du, Tagger Blyhs, weißt, daß dies eine ernste Drohung ist.« »Nach dem, was ich beim letzten Kampf sah, kann ich nicht zweifeln«, antwortete der Kommandant. »Ich meine es ernst. Damit Pemar Gayn begreift, was wir wollen und wie groß unse re Drohung ist, werden wir dieses goldene Schiff zur Lichtung schicken und dort statio nieren, bis der Frieden geschlossen ist. Und jede Spaccah, die in die Lichtung vorstößt oder die GOL'DHOR angreift, wird vernich tet – du hast gesehen, wie schnell das geht.« »Alle Vorteile liegen auf der Seite des Siegers«, bestätigte Tagger. »Und was habt ihr mit mir vor?« »Du kannst diese Spaccah benutzen, zur ehemaligen Spaccah-Burg fliegen und dort mit dem traurigen Rest deiner Armee in dei ne Heimat aufbrechen.« »Ihr laßt mich frei?« fragte er erstaunt. »Du bist der beste Kurier, den wir uns vorstellen können. Du wirst die Wahrheit sa-
Hans Kneifel gen. Und ganz sicher wird Pemar Gayn auf dich hören. Sage es seiner Mehrbeinigkeit.« »Ich muß tun, was ihr verlangt.« »Und – wirst du unser Ultimatum weiter geben?« »Ich verspreche es. Ihr habt das Wort ei nes Tagger Blyhs, der seine Versprechen noch nie gebrochen hat.« »Hoffentlich. Wir werden den Erfolg dei ner Mission – oder den Mißerfolg – schnell feststellen können.« Atlan deutete auf den Ausgang und rief: »Nimm deine Kommandospaccah und verlasse Pthor, so schnell wie du es schaffst.« Tagger Blyhs bewegte sich, drehte sich herum und erstarrte, als er auf den Schirmen zum zweitenmal sehen mußte, daß eine langgezogene Kette Spaccahs aus dem Zen trum der Ebene schräg zum grauen Himmel stieg und in halsbrecherischer Eile von Pthor floh. Der Kommandant stieg in seine Spac cah, betätigte langsam die Kontrollen und schwebte aus dem Saal hinaus. Den Weg zu rück zur Spaccah-Burg fand er ohne Schwie rigkeiten.
* Der Kommandant stand neben der Spac cah und zog mit langsamen Bewegungen den Raumanzug an. Rund um den Hügel breiteten sich die Re ste der Invasionsarmee aus. Tausende von Kämpfern waren gestorben; viele Leichen lagen hier verstreut. Energielanzen steckten im Boden wie abgebrochene Äste. Trümmer von Flugscheiben in jeder Größe und jeder Variation der Zerstörung bedeckten den Bo den. Und überall war die metallisch glänzen de Asche, die von den verglühten Raumfahr zeugen stammte. Bitterkeit und Resignation überfielen Tagger Blyhs mit erdrückender Plötzlichkeit. »Wir sind die letzten, Kommandant!« sagte hinter ihm eine Stimme. Er richtete ein Auge dorthin und erkannte Spank Vhroon. Der Adjutant stand vor einer Reihe Gardi
Das Wunder von Atlantis sten. Hinter ihnen lagen mehrere Spaccahs. »Wir sind der geschlagene Rest der stol zen Armee. Und ich bin der Kurier der Ptho rer, der Gayn einen Frieden aufzwingen muß. Ich habe mein Wort als Kommandant und als Angehöriger meiner Brut verpfän det.« Vhroon pfiff überrascht. »Wir sind nicht nur restlos geschlagen worden. Wir werden auch noch gedemütigt, Tagger!« Die Gardisten ließen nicht erkennen, was sie empfanden. »Das ist das Schicksal der Verlierer. Ge hen wir. Verlassen wir dieses Stück Fels; es ist zum Grab geworden.« »Zum Grab der Hoffnungen«, fügte Vhroon hinzu, »und zum Grab für unzählige Krolocs.« »Es gibt nichts mehr für uns. Los!« Vor kurzem hatte der Kommandant erfah ren, daß sich sämtliche Verbände gemeldet und gesammelt hatten. Die Gardisten hatten ihnen gesagt, daß der Kampf verloren war. Sie hatten jeden Kroloc, der sich noch bewe gen konnte, aufgeladen und waren geflüch tet. Die kleine Gruppe hier in der Ebene war der unwiderruflich letzte Rest der Armee. »Wir haben verstanden. Wohin? Zum Asteroiden von Pemar Gayn?« fragte der Adjutant. »Genau dorthin.« Sie schlossen die Raumanzüge, klinkten sich in die Haltegriffe ein und starteten. Ein halbes Dutzend Flugscheiben verließ Pthor für immer. Der Zustand, in dem sich Blyhs' Gedanken befanden, glich dem seiner zer störten und dezimierten Flotte. In den Mo menten des Starts und erst recht, als die Spaccahs sich durch den Staub des Korsallo phur-Staus arbeiteten, fühlte er, daß er sein ganzes Leben für einen falschen Zweck ge führt hatte. Vor dem Zusammentreffen mit dem Obersten Kriegsherren hingegen hatte er keine Angst. Tatsachen besaßen ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten, die auch Pemar Gayn nicht verändern konnte.
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11. Binoos betrachtete die metallene Außen haut des Robotbürgers und vermerkte schweigend, daß ungeachtet aller Fähigkei ten diese Konstruktion wertlos und unwe sentlich war gegenüber einem Organismus. Jeder Gordy war an jedem Tag hundertmal mehr wert als dieses Ding aus Blech und an deren Substanzen. Trotzdem mußte er mit ihm zusammenarbeiten; ein Umstand, der ihn nicht fröhlicher machte. Mit einem kal ten Lächeln sagte der Anführer der Boden streitkräfte: »Zählt es zu deinen Fähigkeiten, Kargen toff, eine Bildfunkverbindung nach Donk moon zu erstellen?« »Ich habe diese Fähigkeit während der letzten Tage ununterbrochen gezeigt. Deine Frage drückt ein groteskes Maß an Unkennt nis aus, Gordy.« »Wir Gordys sind es gewohnt, mit leben den Partnern zu sprechen. Allerdings habe ich unter den gegenwärtigen Umständen wohl keine andere Wahl. Ich brauche diese Verbindung jetzt.« »Alle Informationen, die ich über die maßlose und unangebrachte Arroganz der Gordys habe, sind richtig. Hier hast du deine Verbindung.« Die Schaltzentrale war bis auf ein paar Pthorer und ein Kommando von arbeitenden Dellos leer. Atlan, Razamon und die Odins nachkommen befanden sich in ihren eigenen Quartieren. Ein Bildschirm leuchtete auf, Binoos blickte in einen Raum, den er sofort wiedererkannte. Es war das Dienstzimmer einer der führenden Gordyfamilien. »Ich muß mit Ditmaan sprechen«, sagte Binoos. »Es eilt.« Ein Sekretär, einen blutigen Verband um den Kopf, befand sich vor den Linsen. »Sofort, Binoos«, sagte er. »Wie über stand die FESTUNG die Schlacht?« »Leidlich. Wie groß sind die Verluste in Donkmoon?« »Es ist sehr viel zerstört. Aber wir sind si
42 cher, binnen kurzer Zeit viel reparieren zu können. Hier kommt Ditmaan.« »Ich freue mich, dich gesund zu sehen, Binoos«, sagte der Clanchef. »Was kann ich für dich tun?« »Ein delikates Problem, Ditmaan.« »Kein Problem entbehrt einer gewissen Delikatesse. Hat es etwas mit deiner Positi on zu tun?« Binoos gestattete sich ein dünnes Lächeln. »Indirekt. Es kam mir zu Ohren, daß ein cleveres Kommando unserer Leute aus Donkmoon einen Besitzwechsel angeregt hat. Einen berechtigten Wechsel, möchte ich bemerken.« Jetzt war es Ditmaan, der lächelte. »Ich verstehe. Es handelt sich um die Par raxynth-Bruchstücke, die auf geheimnisvolle Weise in unseren Besitz gelangt sind. Rich tig?« »Ja. Ich hatte eine Kontroverse mit Heim dall, aus dessen Besitz die ParraxynthStücke stammen. Bekanntlich haben wir in früheren Zeiten sehr intensiv versucht, diese Stücke zu bekommen. Aber jetzt haben sich die Umstände drastisch geändert – wir sind zur Loyalität gegenüber Atlan verpflichtet.« »Du willst sagen, daß Atlan die Bruch stücke bekommen soll? Nach so häufigen und verlustreichen Versuchen?« Die Männer blickten sich verständnisvoll in die Augen. »Ich bin dafür. Für einen geringen takti schen Nachteil handeln wir uns einen gewal tigen Vorteil ein. Wir sind keineswegs wi derspruchslose Charaktere. Heimdall, der uns nicht mag, wird uns mögen müssen. Und Atlan ist wohl der rechtmäßige Emp fänger dieser Bruchstücke.« »Er besitzt viele davon?« »Ich bin sicher, daß hier in der FESTUNG die größte Anzahl an Bruchstücken vorhan den ist. Valschein versucht, die Trümmer zusammenzufügen. Es ist sinnlos und sehr unklug, wieder mit demselben Spiel anzu fangen. Niemand sonst wird in näherer Zu kunft über mehr Parraxynth-Bruchstücke verfügen.«
Hans Kneifel Ditmaan hob eine Hand und erklärte: »Ich lasse die Bruchstücke auf eine Spac cah verladen und in der FESTUNG ablie fern. Zufrieden?« »Ich bin nicht so sehr zufrieden. Aber Heimdall und Atlan werden zufrieden sein. Ich warte also auf die Sendung.« »Ich verspreche dir, daß sie sicher abge liefert wird.« »Nichts anderes wird hier erwartet.« Kargentoff schaltete die Verbindung ab. Der Gordy fragte sich, ob sein Vorgehen richtig gewesen war. Aber als er an Heim dalls finstere Miene und den rastlos tätigen Magier dachte, war er sicher. Es mochte den Gordys nicht zum Ruhm reichen, aber es war taktisch klüger. Er ging langsam aus dem Saal und eine Ebene höher. Dort drückte er auf den Signal geber an der Tür von Heimdalls Räumen. »Herein!« ertönte eine barsche Stimme. Die Tür öffnete sich, Heimdall stand neben dem riesigen Bett und entledigte sich seiner Rüstung. Er warf dem Gordy einen miß trauischen Blick zu. Alte Gegensätze schie nen innerhalb von Sekundenbruchteilen wie der aufzubrechen. »Dein Besuch erstaunt mich«, brummte Heimdall und warf seinen Stiefel auf den Teppich. »Ein Bier, Gordy?« Binoos ging zum Tisch. Hinter ihm schloß sich die breite Metalltür mit leisem Schleifen. Heimdall zerrte an seinem zwei ten Stiefel. »Ein Bier als Versöhnungstrunk stünde uns gut an. Wir haben ein Problem zu klä ren, Odinssohn.« »Gieße mir auch einen Krug voll, Land heer-Befehlshaber. Welches Problem?« Binoos goß aus einem feuchtigkeitsbe schlagenen Krug zwei Humpen voll, blies auf den Schaum und gab Heimdall einen Krug. Heimdall runzelte die Brauen, als er Binoos unverändert ansah. »Die Parraxynth-Bruchstücke!« »Ich verstehe. Ihr wollt sie behalten? Oder wie sehe ich es?« Gordy Binoos grinste und bekannte
Das Wunder von Atlantis leichthin: »Weit gefehlt, Sohn Odins. Ich entsinne mich, daß du während des Kampfes finstere Drohungen ausgestoßen hast. Inzwischen haben sich die Dinge beruhigt und geklärt. Zwar sind wir Gordys im Rahmen des wech selhaften Hin und Her der Machtverhältnisse stets die wahren Besitzer der Bruchstücke aus deinem Lettro gewesen, aber wir neigen in letzter Zeit zur unangebrachten Großzü gigkeit.« Mit steigender Verwunderung hatte Heimdall zugehört. Jetzt sprang er auf, setz te krachend den Bierkrug ab und griff re flexhaft nach seiner Waffe. Binoos hob ab wehrend eine Hand. »Ich muß mich verhört haben!« grollte Heimdall. »Unangebrachte Großzügigkeit! Ich will die Bruchstücke!« »Ich habe veranlaßt, daß sie dem rechtmä ßigen Eigentümer zugestellt werden«, sagte Binoos unbeeindruckt. »Ein Zeichen der Großmut. Friede zwischen Donkmoon und Heimdall. Ist das nicht ein schönes Ergebnis der Kampfgemeinschaft gegen die Kro locs?« Ächzend ließ sich Heimdall auf das Bett sinken, nahm einen gewaltigen Schluck und stieß zwischen schaumbedeckten Lippen hervor: »Du großmäulige Ausgeburt von Donk moon. Jahrzehntelang und länger habt ihr meine Geduld strapaziert. Und jetzt, nach dem ich euch geholfen habe, eure verdamm te Stadt zu retten, diese haltlosen Anwürfe und Lügen. Wer ist dieser rechtmäßige Be sitzer? Du wirst doch nicht etwa mich ge meint haben?« »Nein«, Binoos schüttelte den Kopf. »Wen sonst?« »Natürlich den gekrönten Herrscher aller Pthorer, zu denen leider auch Dalazaaren und noch unbeschreiblichere Kreaturen ge hören. Eine Spaccah fliegt gerade von Donkmoon hierher und bringt die verdamm ten Bruchstücke. In deinem Lettro wird je denfalls wegen dieser Trümmer nicht mehr gekämpft werden.«
43 Heimdall stimmte halb verdrossen in Bi noos Gelächter ein und sagte kopfschüt telnd: »Endlich! Ich habe andere Interessen als die Verteidigung dieser Altertümer. Und du bist sicher, daß deine arroganten Freunde deine Bitte ausführen?« »Absolut sicher. In einigen Stunden müß ten die Bruchstücke hier und in der Hand von Valschein sein. Und bis der Magier alles zusammengefügt hat, vergeht abermals eine kleine Ewigkeit. Ist nun zwischen uns alles geklärt, Heimdall?« »Ich sehe keinen Grund zu Zwistigkeiten mehr, Binoos.« »Wie schön.« Sie leerten zusammen noch einen Krug Bier, dann ging Binoos mit dem deutlichen Gefühl, einen nicht geringen strategischen Vorteil für die Zukunft errungen zu haben. Er ging in das Quartier, das er sich vor der Invasion eingerichtet hatte, und legte sich schlafen. Seine Erschöpfung war so groß, daß er eingeschlafen war, kaum daß sein Kopf die Decken berührt hatte.
* Die Stimmung war geradezu gelöst, verg lichen mit den langen Tagen vor und wäh rend der Kämpfe. Sie hatten sich umgezogen und waren gebadet. In ihren Gliedern breite te sich die Müdigkeit mit dumpfem Schmerz aus. Trotzdem saßen sie um den Tisch und unterhielten sich. Die Masse der Probleme war so groß, daß sie noch keine Ruhe fan den. Razamon senkte den Kopf, fuhr durch sein feuchtes schwarzes Haar und sagte lei se: »Wir müssen schnell umdenken, Freunde. Die Auseinandersetzungen sind endgültig vorüber, und Pthor muß binnen kurzer Zeit wieder aufbauen, was verwüstet wurde.« »Es wird leichter fallen als je zuvor, denn viele Pthorer begreifen, daß der Nachbar nicht länger der persönliche Feind ist«, meinte Thalia. Auch ihr Gesicht trug die tie
44 fen Spuren der Erschöpfung. Aber sie wirkte fraulich und gelockert; sie trug weiche, schmeichelnde Kleidung. »Genau das«, sagte Atlan behutsam, »bezweifle ich bis zu einem bestimmten Grad. Viele Feindschaften werden nicht mehr aufflammen, das ist sicher. Aber es werden sich weder Dschungelbewohner noch Flußpiraten schlagartig in fromme Lämmer verwandeln. Dazu kommt das ge waltige Problem, wie wir Pthor wieder aus den Staubmassen herausbringen können. Ich habe nicht die geringste Idee. Alles ist wie weggewischt.« »Liebster, es wird sich vieles klären nach einem langen, erholsamen Schlaf«, warf Thalia lächelnd ein. »Den wir alle dringend nötig haben«, meinte Razamon. »Der Schweigsame ist auch nicht aufgetaucht. Mag sein, daß er in den Kämpfen den Tod gefunden hat. Ebenso Koy der Trommler. Auch das zählt zu unse ren Problemen. Und ich … als Garant des Friedens in der Lichtung? Du hast daran gedacht, Atlan, mich zum Eripäer zu schicken? Mit der GOL'DHOR, nicht wahr?« »Ja. Es gibt niemanden, der dafür besser geeignet wäre. Das Schiff gehorcht dir, und du kennst ebenso wie ich den Weg zur Lich tung.« »Einverstanden. Aber nicht morgen früh, Herrscher Atlan. Ich muß erst einmal wieder meine Gedanken klären.« Atlan nickte zustimmend. »Selbstverständlich. Wir brauchen nichts zu überstürzen. Tagger Blyhs wird seinen Chef wohl überzeugen können.« Sie wußten, ohne daß sie darüber zu spre chen brauchten, daß es sehr schwer und fast unmöglich sein würde, Pthor als Gesamtheit zu vereinigen. Die vielen verschiedenen Gruppen, von den Herren der FESTUNG jahrhundertelang in Isolation gehalten, lie ßen sich nicht nur mit einer »innenpolitischen« Idee zu einem Block ver schweißen. Sator Synk gähnte und murmelte: »Atlan
Hans Kneifel ist ein Mann der Bewegung, kein Herrscher des Stillstandes. Habe ich recht?« »Wahrscheinlich«, murmelte der Arkoni de. »Ihm oder uns oder sonst jemandem wird einfallen, wie wir Pthor aus dem Stau her auslösen können.« »Immerhin«, schaltete sich Sigurd ein, »ist diese Stockung besser als ein unkontrol liertes Stürzen in die Richtung der Schwar zen Galaxis. Wir haben auch einen Auf schub erreicht. Solange wir festsitzen, trei ben wir nicht weiter; eine Wahrheit, die ebenso sicher wie lapidar ist.« »Ja, natürlich.« Atlan leerte seinen Becher und stand auf. Er nahm Thalia an der Hand und zog sie vom Tisch weg. »Hören wir auf zu diskutieren. Schlafen wir in einen neuen grauen Tag hinein. Mor gen sehen wir weiter.«
12. Tage später Die Gruppe der Verantwortlichen stand im Park der FESTUNG. Dellos trugen die letzten Ausrüstungsgegenstände in die GOL'DHOR. Razamon wirkte erholt und frisch, auf seinem Gesicht lag ein zufriede nes Lächeln. Atlan schüttelte seine Hand mit überraschender Heftigkeit. »Ich würde gern mit dir fliegen. Aber Pthor braucht mich mehr als Gurankor und seine Leute. Guten Flug, Partner – und ver nichte nicht die letzten Spaccahs unserer vielgliedrigen Freunde.« »Keine Sorge, Atlan. Nur wenn ich ange griffen werde. Außerdem denke ich, nicht allzu lange wegzubleiben.« »Er ist jedenfalls sicher«, meinte Thalia, »daß Tagger Blyhs auf seine Weise der be ste Friedensanwalt sein wird. Trotzdem, Razamon – bleibe nur so lange wie unbe dingt nötig, klar?« Razamon und Atlan gingen auf die Schleuse zu. Die anderen folgten. Aus den Augenwinkeln konnten sie sehen, daß über
Das Wunder von Atlantis all im Park gearbeitet wurde. An vielen Stel len waren die Kampfspuren bereits vollstän dig beseitigt. So oder ähnlich sah es wohl in vielen Gebieten Pthors aus. »Ich habe alles begriffen. Ich werde alle deine Instruktionen befolgen und versuchen, durchzusetzen, was wir können. Die Freude des Eripäers wird mich förmlich ersticken.« Mit einem Satz sprang Razamon in die Schleuse und winkte. Balduur folgte ihm. »Guter Flug.« Die Wartenden traten zurück. Das golde ne Raumschiff schien wie ein lebender Or ganismus zu handeln, schloß die Schleusen tür und schwebte zwischen den Bäumen in die Höhe. Das Rieseninsekt, golden schim mernd, kletterte höher und verschwand aus den Blicken der Pthorer. »Razamon ist also mit Balduur unterwegs. Ein kleines Problem weniger. Wenden wir uns den alltäglichen Kleinigkeiten zu«, sagte der Arkonide. »Als da sind die Aufbauarbeit auf Pthor und der Versuch, die Lage zu än dern.« Thalia hob den Kopf und winkte Synk heran. »Das allerwichtigste Problem«, sagte sie entschlossen, »ist die Kommunikation. Wir müssen die Reste, die es aus den Zeiten der alten FESTUNGs-Herren gibt, ausbauen und verstärken. Das sollte unsere Hauptaufgabe der nächsten Zeit sein, unabhängig davon, was Atlan tut und plant. Ich bin sicher, daß es möglich sein wird, auch das Wache Auge und andere Einrichtungen zu reparieren und in dieses System einzugliedern. Wir sollten es schaffen.« Atlan wußte, daß allein dieser erste Ver such von großen Schwierigkeiten begleitet sein würde. Aber erstens würde jeder dazu beitragen, die vorhandenen Energien richtig zu placieren. Und zweitens war er sicher, daß Pthor aus den unergründlichen Tiefen seiner Geschichte zu gewisser Zeit das eine oder andere kleine Wunder produzieren würde. »Ich bin deiner Meinung«, antwortete Synk und betrachtete seinen gestutzten Bart.
45 »Ich werde also versuchen, Material und Ar beiter zu finden und ans Werk zu gehen.« Sie gingen in die Pyramide zurück. Später öffnete Atlan das Schott, blieb im Rahmen der Tür stehen. Schweigend be trachtete er den kleinen Magier, der ihm den Rücken zuwandte und in jeder Hand ein Par raxynth-Bruchstück hielt, ein großes und ein kleines. Auf dem Boden des Raumes lagen Hunderte solcher Bruchstücke. Sie lagen auf mehreren Haufen, und an vielen Stellen wa ren Teile zu sinnvollen kleinen Formationen zusammengefügt. Nach einer Weile sagte Atlan: »Valschein! Ich glaube, du hast hier un unterbrochen gearbeitet, selbst in der Zeit, in der wir wie die Rasenden gekämpft haben?« Valschein drehte sich langsam um und nickte. Er war halb abwesend und blickte wieder zu Boden. »Kämpfe? Ich habe davon gehört. Alles war so unruhig. Ich konnte mich nicht recht konzentrieren. Und diese Gordys …« Er deutete auf einen noch nicht geordne ten Haufen von Bruchstücken. »Wie?« »Die Leute von Donkmoon haben diese Trümmer angeliefert. Sie sagten, es sind die Bruchstücke aus Lettro Heimdalls, die nun endlich gefunden worden waren. Ich habe sie im System noch nicht unterbringen kön nen.« »Ich verstehe jetzt. Wie weit bist du vor angekommen, Valschein?« »Es dauert noch lange. Hier, diese kleinen Inseln – ich habe sie zusammensetzen kön nen. Sie ergeben etwas Sinn. Aber ich sehe noch keine Möglichkeit, alle Bruchstücke zusammenzubringen. Es fehlt an der über greifenden Idee, an einem Gedankenblitz, den ich nicht habe. Jedenfalls bisher hatte ich keinen solchen Einfall. Du siehst, Herrscher, alles ist schwierig und erfordert Können, Ruhe und Beharrungsvermögen. Die Unruhe hat mich, muß ich bekennen, ernsthaft verärgert.« »Verständlich«, sagte Atlan unruhig. »Hast du alles, was du brauchst? Kann ich
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Hans Kneifel
dir helfen? Brauchst du einen Dello, der dir hilft? Oder hängt dir die Arbeit zum Halse hinaus?« Valschein schüttelte schweigend den Kopf, betrachtete abwechselnd die Teile die ses riesigen Puzzlespiels und sagte schließ lich: »Nein, danke. Ich habe alles. Ich melde mich, wenn ich etwas brauche. Außerdem fehlen noch sehr viel Bruchstücke. Selbst wenn du sie findest …« Atlan ging zurück und sagte von der Tür aus: »Ich weiß. Selbst wenn die fehlenden Bruchstücke gefunden werden, dauert es ei ne Ewigkeit, bis sich die Wahrsagung erfül len kann. Pthor hat Zeit, auch diese Stunde abzuwarten.« Er schloß leise die Tür und ging hinunter. Ob alle Teile des Mosaiks irgendwann zu sammengesetzt werden konnten und ob alles einen Sinn ergab, war eine Frage, die ihn nicht beunruhigte. Noch nicht.
* Schweigend beobachteten sie, wie sich vor der GOL'DHOR die Wolken aus Staub und winzigen Trümmerstücken auseinander schoben. Abermals lag das Panorama aus Grautönen, Schwärze und verdeckten Son nenstrahlen vor ihnen.
»Aber jetzt hat es für uns seinen Schrecken verloren«, sagte Balduur nach denklich. »Vor allem habe ich bis jetzt noch keine einzige Spaccah gesehen, Razamon!« Der Atlanter lachte. Das Schiff gehorchte jedem noch so winzigen Steuerimpuls. »Das liegt vermutlich an der Material knappheit. Vielleicht überholen wir die Frie densdelegation der Krolocs auf dem Weg zur Lichtung.« »Vermutlich nicht. Sicher braucht der Oberste Kriegsherr viel Zeit, um sich an die drastisch veränderte Situation zu gewöh nen.« »Mit Sicherheit.« Sie würden die Lichtung innerhalb kurzer Zeit erreichen. Für sie im Schutz dieses Schiffes gab es keine Sorgen. Aber immer wieder schweiften ihre Gedanken zurück zu Atlan und den Freunden, die sich den Ver stand zermarterten, um Pthor aus dem Stau zu befreien. Verglichen mit Atlans Sorgen konnten Balduur und Razamon sich völlig frei und gelöst fühlen. Sie freuten sich auf die Begrüßung durch die Eripäer und hoff ten, daß es ihnen gelingen konnte, etwas zur Rettung von Pthor beizutragen.
E N D E
ENDE