Nr. 297
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Nr. 297
Das Treffen der Rebellen Das Schicksal des Imperiums auf des Messers Schneide - die Gegner mobilisieren ihre letzten Kräfte von Hans Kneifel
Das Geschehen im Großen Imperium der Arkoniden wird gegenwärtig durch innere Konflikte bestimmt – in höherem Maß jedenfalls als durch die Kämpfe gegen die Methans. Es gärt auf vielen Welten des Imperiums. Und schuld daran ist einzig und allein Orbanaschol, der Brudermörder und Usurpator, der in seiner Verblendung und Korruptheit einen politisch völlig falschen Weg beschritten hat. Die Tage Orbanaschols scheinen gezählt, und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, wann die Gegenkräfte im Imperium stark genug sind, den Usurpator vom Thron zu stoßen. Während Orbanaschol in seiner Verzweiflung und Panik die ihm verbliebene Macht nutzt, um gegen echte oder vermeintliche Widersacher brutal vorzugehen, sammeln die Gegner seines Gewaltregimes ihre Kräfte und ziehen sie in der Nähe des ArkonSystems zusammen. Verschiedene Ansichten werden von den Rebellen vertreten, was die Vorgehensweise gegen den Usurpator betrifft. Doch alle sind sich darüber einig, daß ein Bürgerkrieg der Arkoniden unbedingt vermieden werden muß, da dieser die Position des Imperiums gegenüber den Methans entscheidend schwächen würde. Dies sind die Probleme beim TREFFEN DER REBELLEN …
Das Treffen der Rebellen
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Die Hautpersonen des Romans: Orbanaschol - Der Usurpator gibt nicht auf. Kornelius und Getray von Helonk - Zwei Rebellen gehen als Parlamentäre nach Arkon. Atlan und Fartuloon - Der Kristallprinz und der Bauchaufschneider gelangen nach Arkon II. Wessalock - Ein Diener Orbanaschols. Upoc - Gonozals Halbbruder.
1. Der kostbare Pokal überschlug sich. Der bernsteinfarbene, stark riechende Inhalt spritzte in einem flachen Bogen heraus, die Tropfen besudelten die Decke, eine Wand und den kostbaren Teppich, der in Dalirc gewebt worden war und eine unerhörte Seltenheit darstellte. Der Diktator ächzte schrill auf. »Hinaus mit dir, du unfähiger Idiot!« Der Pokal traf die Ordonnanz zwischen die Schulterblätter. Der junge Mann schrie auf und sprang durch das stahlverkleidete Schott. Hinter ihm zischte die Tür zu. Er blieb stehen und atmete auf. Der gesamte Korridor hatte sich verwandelt: alle zehn Schritte stand ein bis an die Zähne bewaffneter Elitesoldat der Palastwache, dazwischen drehten sich die Linsen und Detektoren der wuchtigen Kampfroboter. Jeder von ihnen war aktiviert. Der Kristallpalast auf Arkon Zwei hatte sich in eine Festung verwandelt. Die unsichtbaren Wellen der Panik erschütterten bereits den Regierungsplaneten. Der dritte Orbanaschol ließ sich keuchend in den Sessel zurückfallen. Ein junges Mädchen, aufreizend angezogen und mit kostbarem Geschmeide behängt, glitt aus der Dunkelheit neben dem riesigen Schreibtisch hervor und bewegte sich vorsichtig durch die dreidimensionalen Darstellungen. Sie wurden von einer Doppelreihe großer Bildschirme erzeugt, die an der gegenüberliegenden Wand des großen Gemachs aufgebaut waren. Dieser luxuriöse Raum im Kristallpalast hatte sich ebenso wie viele andere Bereiche der Anlage in eine Art Kommandostand verändert.
»Dieser Ignorant!« keuchte der Diktator und sah gleichgültig zu, wie das Mädchen den Becher aufhob. »Will mir einreden, daß die Maahks siegreich sind!« Orbanaschols Gesicht und die Haltung seines Körpers zeigten deutlich, daß dieser Arkonide am Ende seiner Beherrschung angelangt war. Die Augäpfel waren von auffallend großen, roten Adern durchzogen. Die Tränensäcke hingen schwer und schlaff nach unten; die großporige Haut war dunkel verfärbt. Schweiß glänzte auf dem Gesicht. Es sah teigig und verquollen aus. Das schüttere Haar klebte an dem massigen Schädel. Achtlos war die Jacke aufgerissen, große Schmutzflecken wurden durch die Dunkelheit nur mühsam verborgen. Der Diktator hockte wie eine müde Kröte in dem prachtvollen Sessel. Seine Augen glitten wie die eines gehetzten Tieres von einem der Bildschirme zum anderen. Hin und wieder zuckten die Finger der beringten Hand vor und drückten einen Kontakt der Steuerung. Dann dröhnte der betreffende Lautsprecher zum Bild auf und schilderte, was zu sehen war. Weder die beruhigenden Medikamente vermochten seine Stimmung zu ändern, noch schafften es die Ärzte, seinen Zustand zu verbessern. Seine Macht erstreckte sich nicht mehr auf jeden einzelnen Arkoniden, nur noch eine Mehrzahl von Überwachungsorganen gehorchten ihm. Aber nicht jeder Arkonide führte die Befehle aus wie früher. Es gab nur einen einzigen Arkoniden, der die Krise nicht mehr oder minder deutlich und klar sah: Orbanaschol der Dritte. »Komm her!« sagte er mit zitternden Lippen. Das Mädchen goß aus einer bauchigen
4 Flasche neuen Reitzwein in den Pokal, tat etwas Pulveriges aus einem schlanken Deckelgefäß hinein und rührte vorsichtig um. Orbanaschol beugte sich vor, legte die Arme auf den Tisch und stierte nacheinander die Bilder an. Als die Konkubine den Pokal neben seine rechte Hand stellte, griff er um ihren Körper und tätschelte sie mit seltsam ziellosen Bewegungen. »Ich habe es ihnen gezeigt!« knurrte er und ließ seine Hand wieder sinken. »Ich werde sie alle lehren! Die ›Macht der Sonne‹ ist vernichtet, und die Anhänger dieses Anmaßenden auf Aycua … sie sind verschwunden.« Er lachte übertrieben laut. Daß seine Maßnahmen brutal und unmenschlich waren, scherte ihn nicht. Er mußte diese Krise mit allen Mitteln aus der Welt schaffen, koste es, was es wolle. Lautlos zog sich das Mädchen zurück. Seit sie in seiner Nähe war, hatte sie Orbanaschol hassen gelernt; sein heißer Atem, seine monologisierenden Reden, seine Unbeherrschtheit und die Krankheit des Verstandes, die aus fast allen seinen Reaktionen sprach, stießen sie in einem Maß ab, das sie noch nie gekannt hatte. Sie wußte, daß die Situation Orbanaschols fast aussichtslos war. Es schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wann alles zusammenbrach und wann der Bürgerkrieg offen ausbrach. Bürgerkrieg! Das Gespenst eines jeden Staates! Aber dieses Blutbad war allem Anschein nach nicht mehr aufzuhalten. Der einzige Sieger aus diesen Kämpfen würden die Methanatmer sein. Niemand sonst. Das arkonidische Großreich war zum Untergang verurteilt, sobald der erste Zündfunken übersprang. »Atlan! Immer wieder Atlan! Jetzt erkenne ich erst das Muster seines Vorgehens!« heulte der Imperator auf. Solange er diese Partisanen nicht gekannt und ihre wahre Identität nicht gewußt hatte, waren seine Schrecken über ihre Erfolge gering gewesen. Einer von vielen Gegnern.
Hans Kneifel Aber dieser Augenblick während der Gerichtsverhandlung – er hatte alles geändert. Unablässig gingen ihm die beiden Namen durch die Gedanken. Atlan und Fartuloon. Der Bauchaufschneider und der Kristallprinz! »Niemand darf an mich heran!« schrie er. »Ich gehe sofort, Imperator!« antwortete das Mädchen verschüchtert. »Ich meine dich nicht!« fuhr er auf, ergriff den juwelengeschmückten Becher und stürzte einen großen Schluck hinunter. »Sperre! Quarantäne! Landeverbot für alles, das größer als ein Gleiter ist!« schrie er aufgeregt, drückte ein paar Knöpfe und wartete, bis sich die Körper von Sekretären und hohen Würdenträgern auf den Bildschirmen zeigten. »Ich ordne ab sofort Landesperre für Arkon Eins an!« rief er und schlug mit der Faust auf die Tischplatte. »Gebieter!« wagte ein zweifacher Sonnenträger zu widersprechen. »Das ist nicht sofort durchführbar, und es ist auch eine unzweckmäßige Maßnahme …« »Was zweckmäßig ist, bestimme ich!« schrie Orbanaschol und trommelte mit beiden Fäusten auf die Platte. »Sofort! Mein Befehl! Habt ihr diese zwei Verbrecher schon gefangen?« »Nein, Imperator. Aber die Maßnahmen laufen auf vollen Touren.« »Einfältige, untüchtige Narren. Das seid ihr alle. Ihr schmarotzt in meinem Palast, schmückt euch mit allen möglichen Würden und Orden, aber keiner leistet etwas. Ich verlange Gehorsam. Ich brauche Erfolg. Sonst gibt es keine Argumente.« Er schwieg plötzlich, beugte sich wieder vor, und in sein schweißüberströmtes Gesicht kam ein verschlagener Ausdruck. »Oder möchten die Herren vielleicht an einen besonders exponierten Platz der Maahkfront gebracht werden? Ins Kampfgebiet?« »Imperator«, erwiderte derjenige Sonnenträger, der für diese Ausführung verantwortlich war, »es wird sofort geschehen. Ich
Das Treffen der Rebellen werde mich persönlich um die geringsten Kleinigkeiten kümmern. Wir werden es bestens organisieren. Der Kristallpalast wird absolut sicher sein!« »Sie werden mir das garantieren?« »Selbstverständlich. Auch gegen den eventuellen Widerstand liberaler Kommandanten und Anführer von Schiffsverbänden!« »Es wird keinen Widerstand geben! Niemand stellt sich gegen meine Befehle!« »Sie sagen es, Imperator!« Unwillig schaltete Gonozal die Bildschirme ab, dämpfte den Ton der anderen Kommunikatoren ab und lehnte sich wieder zurück. Ganz tief in seinem Bewußtsein und seinen bohrenden und quälenden Gedanken verborgen, überdeckt durch Haß gegen jeden und alles, von dem er sich bedroht fühlte, förmlich eingesponnen in ein unzerreißbares Netz aus Herrschsucht, Beharrungsvermögen, sich überschlagender Aktivität und dem festen Willen, weiterhin der Herrscher über das Imperium zu sein, hin und wieder schmerzhaft aufflackernd und wie ein Ausbruch an die Oberfläche drängend, saß die nackte Angst. Angst vor Atlan und den Kräften, die ihn sichtbar unterstützten. Und noch mehr die Angst vor Atlan und jenen unzählbaren Massen einzelner Individuen, die den Kristallprinzen und seine legitime Forderung unsichtbar förderten. Angst vor der schweigenden Mehrheit. Eines Tages würde sie nicht mehr schweigen. In Momenten, in denen Orbanaschol es riskierte, nicht an machtpolitische Entscheidungen oder an seichte Vergnügungen zu denken, tauchte diese Angst auf. Immer wieder. Dazu kam die Furcht vor dem Ende, wie immer es aussehen würde. Und deshalb tat Orbanaschol alles, um sich abzulenken. Er durfte nicht daran denken. Er durfte auf keinen Fall der Angst gestatten, zum Herren über seine Entscheidungen zu werden. Dann nämlich würde er nicht mehr kaltblütig, sondern wie ein Gehetzter reagieren. An diesem Punkt der Überlegungen angelangt, wischte er mit dem
5 Ärmel seiner weichen Jacke den Schweiß vom Gesicht, atmete mehrmals tief durch und trank aus dem Pokal. »Sie geraten alle in Panik, ist es nicht so?« fragte er laut. Da sonst niemand im Raum war, bezog das Mädchen die Frage auf sich. Sie wollte nur noch eines: gehen. Und dies möglichst sofort. »Nicht alle geraten in Panik«, murmelte sie. Ihr Körper war hinreißend, aber sie wußte selbst, daß sie nicht übermäßig klug war. Außerdem hatte sie Angst vor diesem völlig unberechenbaren Mann dort im Sessel. Er wandte ihr das von Trunkenheit und Schlaflosigkeit gezeichnete Gesicht zu. Unter dem einen Auge zuckte ein winziger Muskel unkontrolliert. »Aber ich gerate niemals in Panik«, sagte er und grinste. »Komm her. Laß dich anfassen.« Sie gehorchte mit der Begeisterung einer Puppe und mit ebensolchen Bewegungen. Das Leben Orbanaschols und seiner nächsten Umgebung, also nahezu aller Arkoniden im Kristallpalast von Arkon verlief in einer Art Fieberkurve. Kurze Zeiten scheinbarer Ruhe wechselten ab mit Phasen hektischer Aufregung, in denen Orbanaschol wild um sich schlug und erkennen ließ, das er verzweifelt war. Eigentlich hatte seine Unsicherheit nach dem Mord an Gonozal VII angefangen und stetig zugenommen. Je länger die Entwicklung dauerte, desto schärfer und länger waren die Anfälle von Angst, Panik und gewaltigen Reaktionen. Jede Maßnahme, die der Imperator wegen seiner eigenen Sicherheit anordnete, schwächte an irgendeiner Stelle die Schlagkraft an der Maahkfront. Nicht nur dem Mädchen schien es, als habe Orbanaschol den Kontakt mit der Wirklichkeit verloren. Stunde um Stunde, Tag um Tag verging. Außerhalb der Mauern des Kristallpalasts änderte sich diese Wirklichkeit fortlaufend. Obwohl die Zeichen der größten Krise des Imperiums deutlich sichtbar waren und sogar im Palast gespürt wurden, verhielt sich Orbanaschol, als habe er alle Fäden fest in
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Hans Kneifel
der Hand. Denjenigen, die ihn warnten, glaubte er nicht. Jeder winzige Erfolg sagte ihm, daß sein Reich sicher war, daß es keinen Grund gab, sich echte Sorgen zu machen. Aber nicht einmal dies konnte er glauben.
2. Kommandant Kornelius hob den Kopf, starrte schweigend die Bildschirme an und blinzelte. Sein hartes, kantiges Gesicht zeigte einen düsteren, undefinierbaren Ausdruck. Er sagte halblaut: »Das ist weit mehr als eine Überraschung. Für mich bedeutet es eine große Gefahr!« Er drehte sich um und sah Getray von Helonk in die Augen. »Warum eine Gefahr?« fragte sie. »Das erkläre ich Ihnen später«, meinte er. »Wir haben jedenfalls den Treffpunkt erreicht.« »Etwas später«, schaltete sich der Erste Offizier der BEMORC ein, »aber immerhin rechtzeitig. Sicher haben diese Schiffe dort nicht nur auf uns gewartet.« »Ganz sicher nicht.« Das Fünfhundert-Meter-Schiff BEMORC mit seinen rund fünftausend Besatzungsmitgliedern war durch die dramatischen Ereignisse auf dem Planeten Versank aufgehalten worden und traf verspätet hier am Treffpunkt der Meuterer ein. »Kommandant«, meldete sich die Ortungsabteilung, »wir haben eben eine erste Auszählung durchgeführt. Am Treffpunkt befinden sich über viertausend Raumschiffe. Ich muß Sie warnen; möglicherweise befinden sich auch Einheiten darunter, die nicht unsere Einstellung zu den anstehenden Problemen haben.« Das war sehr vorsichtig ausgedrückt. Kornelius lächelte knapp und erwiderte: »Versucht bitte, möglichst schnell ein Treffen der Verantwortlichen zu organisieren. Gleichgültig, auf welchem Schiff.« Zwölf Lichtjahre von den Arkonwelten entfernt hingen in allen denkbaren Formatio-
nen mehr als viertausend Schiffe im Raum. Sie hatten sämtlich ihre Geschwindigkeit angeglichen und bildeten Perlenschnüre, dichte Cluster, traubenförmige Zusammenballungen oder scheibenartige Gruppen. Zwischen den großen Schiffen wieselten winzige Beiboote durch den Raum. Auf den Bildschirmen zeichnete sich vor dem Panorama der Sterne ein gewaltiges, aber eindrucksvolles Bild ab. »Verstanden, Kommandant.« Kornelius, der Sonnenträger, war zumindest bei den meisten anderen Schiffsführern bekannt. Viele von ihnen hatten zusammen mit ihm studiert und ihre Laufbahn begonnen. Die anderen hatten ihn während des langen Krieges einmal hier, einmal dort getroffen, überdies standen die Kommandanten über das Hauptquartier ohnehin in relativ enger Verbindung. Hier gab es inzwischen wohl niemanden mehr, der nicht wußte, daß Kornelius rückhaltlos die Absetzung des Imperators im Sinn hatte. Kornelius deutete auf den Ersten Offizier und nickte langsam. Er war ein besonnener Mann und hoffte, daß seine Besonnenheit die Gefahr mindern konnte. Gleichzeitig wußte er ganz genau, daß die Stimmung hochexplosiv war. Sein Erster Offizier, ein hagerer Mann mit langem Haar und einer Stirnnarbe, würde ihn in dieser Hinsicht fabelhaft unterstützen. »Hör zu, Innerten, du kommst mit. Ich glaube, es wird das Vernünftigste sein. Getray, Sie bitte auch. Seit der Kristallprinz deutlich sichtbar aufgetaucht ist, hat sich alles in einen brodelnden Hexenkessel verwandelt. Das einzige, was wir diesen aufgeregten Raumfahrern predigen können, ist kalte Vernunft! Raumanzüge, ein Beiboot und ein Treffpunkt. Veranlasse es bitte. Ich gehe mich anziehen. Klar?« »Alles klar«, sagte Innerten. Neunundneunzig von hundert Raumfahrern – das galt mit Sicherheit für die gesamte, noch immer riesige Flotte des Imperiums – waren bedingungslos gegen Orbanaschol, aber für Arkon. Diese Einstellung bedeutete nur schein-
Das Treffen der Rebellen bar einen Gegensatz. Sie wollten die Maahks besiegen und zurücktreiben und nichts anderes als Ruhe, Frieden und Wohlstand für das Imperium. Die Art, in der Orbanaschol regierte, war ihnen ein Greuel. Getray blickte dem hochgewachsenen Mann nach und wandte sich an Innerten. »Ich glaube, ich ziehe mich auch in meine Kabine zurück. Sie holen mich, wenn das Verbindungsboot klar ist?« »Selbstverständlich.« Auch Innerten war von der Menge der hier versammelten Schiffe überrascht. Er wußte, daß Kornelius etwa die Hälfte erwartet hatte, nicht mehr. Das war ein gutes Zeichen, denn viertausend Schiffe stellten einen Machtfaktor ersten Grades dar. Und das war auch gleichzeitig die Gefahr dabei. Nicht jeder der Kommandanten der Meutererschiffe hatte den ausgewogenen Charakter Kornelius'. Innerten ließ von der Funkzentrale die verschiedenen Schiffe anrufen, ordnete an, daß eine Mannschaft ein Beiboot klarmachen sollte und versprach, innerhalb einer halben Stunde an Bord eines Großkampfschiffs zu sein. Dort hatten sich bereits die wichtigsten Kommandanten versammelt. Die Nachricht, daß Kornelius eingetroffen war, löste offensichtlich bei der Versammlung starke Erleichterung aus.
* Als Kornelius neben Getray, von Innerten gefolgt, in den großen Konferenzsaal eintrat, hörten für einen Moment die erregten Debatten auf. Männer und Frauen schwiegen, dann begannen sie zu murmeln, schließlich klopften die meisten anerkennend auf die Tische. Ein alter, haarloser Kommandant mit faltigem Gesicht und Methannarben hob den Arm und schrie: »Hierher, Kornelius! Gibt genügend Platz für euch!« Kornelius winkte zurück und betrat den schmalen Gang. Er grüßte nach allen Seiten; überall saßen und standen erwartungsgemäß Freunde, Bekannte oder solche Arkoniden,
7 denen er irgendwo begegnet war. »Lauter Rebellen!« murmelte er. Er schüttelte ein paar Hände, stellte Getray und seinen Offizier vor, schließlich setzte er sich neben Cronk Vorren und schlug dem Kommandanten kräftig auf die Schulter. Vorren war einer seiner Lehrmeister gewesen. »Einige Milliarden Jahre Verbannung sitzen in diesem Saal«, sagte er ruhig und machte Vorren bekannt. Dann zog er das Mikrophon zu sich heran und sagte ruhig, in trockenem Tonfall: »Besten Dank für die hochschlagenden Wellen der Begrüßung. Diese entzückende Dame neben mir ist Getray von Helonk, dem einen oder anderen vielleicht nicht unbekannt. Der Offizier ist der Erste Offizier der BEMORC, Innerten. Ich sehe, daß unsere größten Erwartungen übertroffen wurden. Mehr als viertausend kampffähige Einheiten! Welch ein Erfolg einer an sich traurigen Idee!« Er registrierte eine gespannte Atmosphäre in diesem Saal. Etwa dreihundert Personen saßen hier und waren aufgeregt. Sie repräsentierten also irgendwie als Delegierte den gesamten riesigen Schiffspulk. »Orbanaschol zieht rund um Arkon eine noch größere Flotte zusammen. Einige Scoutschiffe sind zurückgekommen. Der Diktator rechnet mit fünftausend Einheiten«, sagte jemand. Kornelius nickte. »Das verspricht eine schöne, blutige Raumschlacht, in der sich die besten Raumfahrer gegenseitig umbringen. Welch eine erhebende Vorstellung, meine Freunde!« Auf vielen Gesichtern zeichnete sich Betroffenheit ab. Vorren lehnte sich zurück, drehte seinen Sessel ein wenig und zog aus der Hüfttasche eine flache Flasche. Während er einen kräftigen Schluck zu sich nahm, grinste er. Dann blickte er von der Seite Kornelius kühl und prüfend an. Kornelius hob die Hand und machte eine abwehrende Bewegung. Jeder konnte sehen, daß er nicht im mindesten scherzte. »Meine Freunde«, rief er deutlich, »wenn wir jetzt losschlagen sollten, dann bedeutet
8 es nichts anderes als den Ausbruch eines Bürgerkriegs von ungeahntem Ausmaß und unvorstellbarer Grausamkeit. Das ist nicht in unserem Sinn. Orbanaschol ist keinen Bürgerkrieg wert. Und es wird sicher auch nicht im Sinn des legalen Nachfolgers von Gonozal sein, dem jungen Kristallprinzen.« Die gemurmelten Unterhaltungen, die rundherum stattfanden, hörten jetzt auf. Es herrschte plötzlich eine wirkliche Stille. Kornelius senkte den Kopf. Konnte es sein, daß von all diesen Männern und Frauen niemand diesen Aspekt betrachtet hatte? »Jeder Tag, den wir noch warten, bedeutet einen klaren Vorteil für die Maahks!« rief jemand. Ein anderer fügte hinzu: »Knapp zehntausend Raumschiffe! Viertausend und mehr hier, fünftausend in zwölf Lichtjahren Entfernung vor Arkon. Das sind zehntausend Schiffe weniger an der Front. Millionen von Raumfahrern, die nicht kämpfen, sondern Daumen drehen!« »Du hast völlig recht!« gab Kornelius zurück, der den Kommandanten kannte. »Der Vorteil für die Maahks ist viel größer als du denkst. Als ihr hier denkt!« Wieder schienen sie überrascht zu sein. Getray schaltete ihr Mikrophon ein und sagte voller Erregung: »Wenn sich zehntausend ArkonKampfschiffe gegenseitig vernichten, dann fallen sie für alle Zeit als Gegner für die Maahks aus. Wir reden immer nur von Schiffen. Denkt einer von Ihnen darüber nach, daß wir vielleicht in diesem Bürgerkrieg allein während der zu erwartenden Raumschlacht Millionen von Arkoniden töten?« Sofort hakte Innerten nach und fügte hinzu: »Von denen ein sicherlich nicht geringer Prozentsatz ebenso über Orbanaschol denkt wie wir? Raumfahrer, die nur den Befehlen ihrer Kommandanten gehorchen. Diese Kommandanten allerdings sind vermutlich in den meisten Fällen Anhänger unseres lieben Freundes Orbanaschol.« »Auf keinen Fall sollten wir Zeit verlie-
Hans Kneifel ren. Wir haben keine Zeit!« rief ein Kommandant. Hier herrschte kein Chaos einander widerstrebender Meinungen, aber für Kornelius wurde deutlich, daß es wohl seine Aufgabe werden würde, auszugleichen, zu beschwichtigen und die Synthese aller Ansichten herbeizuführen. »Zeitmangel und Bürgerkrieg sind keine ernsthaften Alternativen!« sagte Innerten laut. »Gibt es eine bessere?« Wieder hob Kornelius die Hand und wartete, bis die Erregung abgeflaut war. »Jawohl, Freunde. Es gibt eine viel bessere Alternative. Es ist eine Möglichkeit für besonnene, kluge Männer. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es andere Männer in diesem Raum gibt!« widersprach Getray, die Frau jenes korrupten Edelmanns. Mit gelinder Verblüffung starrte Kornelius sie an, dann nickte er ihr anerkennend zu. »Welche Möglichkeit?« »Ruhig abwarten!« entgegnete Kornelius. »Ich meine damit keineswegs, der Entscheidung feige auszuweichen. Wirklich nicht. Jeder, der mich ein wenig kennt, weiß, daß ich für das Imperium sterben würde, wenn es sein müßte.« »Vielleicht erhältst du bald Gelegenheit für diese innere Einstellung«, erklärte einer der Kommandanten spottend. »Vielleicht«, gab Kornelius zu. »Besser ein einzelner als eine Million. Es wäre mir keineswegs angenehm, aber ich will nicht ausweichen. Darf ich einen Vorschlag machen?« »Selbstverständlich!« knurrte Vorren laut und nahm wieder einen Schluck. Kornelius blickte sich ruhig um. Er brauchte die ungeteilte Aufmerksamkeit aller. Also schwieg er und machte sie neugierig und gespannt. Der Sitzungssaal war schüsselförmig. Etwa dreihundertfünfzig Konferenztische und Sessel bildeten fünf übereinanderliegende Kreise, zwischen denen schmale Gänge und flache Stufen hindurchführten. Bildschirme und andere technische Anlagen außer der
Das Treffen der Rebellen Lautsprecheranlage waren ausgeschaltet. Mädchen und Männer aus der Besatzung dieses großen Schiffes – es gab nur an Bord weniger Einheiten solche Einrichtungen – bewegten sich zwischen den Kommandanten, verteilten Becher und schenkten Getränke aus. Etwa zehn Prozent der Kommandanten waren Frauen, einige von ihnen einfache oder mehrfache Mondträger, die anderen Planetenträger. Nur langsam und zögernd legte sich die Unruhe. Schließlich stand Kornelius auf, nahm das Mikrophon hoch und sagte: »Wir alle sind wohl einer Meinung darüber, daß die mit Sicherheit erfolgende Raumschlacht uns schaden, unsere Position schwächen und den Maahks helfen würde. Ist jemand gegenteiliger Meinung, dann bitte ich das durch Handaufheben zu zeigen.« Voller Spannung beobachtete Getray, daß sich nicht ein einziger Arm hob. Also schienen sie alle einer Meinung zu sein, was nicht sonderlich überraschend war. Kornelius redete weiter. »Ich möchte gern einen Vorschlag machen, der sicherlich nicht der dümmste ist. Wir warten ab und schicken in der Zwischenzeit eine Abordnung nach Arkon.« »Wozu?« »Um dem Diktator unsere Forderungen zu überbringen.« »Welche Forderungen? Soll er sich selbst umbringen?« »Nein. Er soll sofort zurücktreten. Wenn er dies tut, dann verzichtet das Imperium auf jede Bestrafung und gestattet ihm, ehrenvoll ins Privatleben zurückzukehren. Nicht mehr, nicht weniger.« Dank der sinnreichen Anordnung der Sitze und Tische konnte ohne sonderliche Schwierigkeiten jeder Teilnehmer jeden anderen sehen. Nicht nur Innerten und Getray bemerkten, daß sich hier eine beachtliche Anzahl von einfachen Sonnenträgern, etwas weniger zweifache Sonnenträger und sogar mehrere dreifach Ausgezeichnete versammelt hatten. Offensichtlich wuchs das Kritikvermögen mit Erfahrung und Dienstalter.
9 Innerten war wie viele andere sicher, daß es in Wirklichkeit zwei verschiedene ArkonFlotten gab: eine, die den alten Gesetzen gehorchte, und eine andere, die der Willkür des Imperators entsprach. »Und Sie glauben, Sonnenträger Kornelius, daß Orbanaschol auf dieses Ultimatum eingeht?« »Das weiß ich nicht!« bekannte Kornelius. Vorren griff nach oben, packte die Schulter des Sonnenträgers und drückte ihn auf den Sitz zurück. In der gleichen Bewegung richtete er sich auf und stützte sich schwer gegen das Pult. Sie kannten ihn alle; viele von denjenigen Männern, die hier saßen und ratlos schienen, hatte er ausgebildet oder jedenfalls ihren Weg gekreuzt. »Hört zu, ihr klugen, entschlossenen Frauen und Männer, ihr hochdekorierten Raumfahrer. Hört gut zu, was ich euch zu sagen habe. Die meisten von euch habe ich auf meinen Knien geschaukelt, und das ist keine Übertreibung. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich habe schon schwere Krisen hinter mich gebracht, als ihr noch bei der ARK SUMMIA durchgefallen seid.« Cronk Vorren war alt, knorrig und sarkastisch. Es gab nicht mehr viel, was ihn beeindrucken konnte. Allerdings war er noch niemals dabei gewesen, als man versucht hatte, einen Diktator auf unblutigem Weg zum Abdanken zu zwingen. Er registrierte mit stillem Grimm, daß ihm jeder Anwesende, selbst die Ordonnanzen, wie gebannt zuhörten. »Ich bin mehr oder weniger uneingeschränkt für Kornelius und seinen Vorschlag. Laßt mich aussprechen! Wir warten. Das ist mein Vorschlag. Es ist für uns und, ohne daß ich dadurch meine innige Liebe zu diesem Psychopathen im Kristallpalast beweisen möchte, auch für Orbanaschol eine Bedenkfrist. Fünf Tage, schlage ich vor. Das können wir alle verantworten, selbst in Hinsicht auf die geschwächte Front gegen die Maahks. Parlamentäre gehen nach Arkon, legen Orbanaschol unsere Beweggründe klar und
10 sagen ihm, daß nach Ablauf dieser Frist der Angriff auf alles, was mit Orbanaschol sympathisiert, erfolgen wird. Dann wird ohne Zweifel ein Gemetzel stattfinden, aber um die Flotte vor Arkon zu entschärfen, fällt uns sicher etwas ein. Und eines schwöre ich euch, ihr Helden: Wenn die erste Meldung von unserem siegreichen Vorrücken bekannt wird, dann fallen neunzig Prozent aller derjenigen um und schlagen sich auf unsere Seite, die es bis heute noch nicht wagen.« »Das wurde hier noch nicht erörtert. Wenigstens nicht laut. Ich rechne ebenfalls damit, daß die Front unserer Gegner sehr durchlässig wird«, unterbrach Innerten. »Richtig. Die Unzufriedenheit, um es milde auszudrücken, ist groß. Die meisten Arkoniden stehen nur aus reiner Angst auf der Seite Orbanaschols. Wir können ziemlich sicher damit rechnen, daß sie sehr schnell wissen werden, wer der wahre Sieger ist. Wir! Wobei es nicht um Sieg oder Niederlage geht, sondern einzig und allein darum, daß der nächste Imperator im Kristallpalast weder ein Mörder und Erbschleicher, noch ein Geisteskranker ist, sondern jemand, der das Imperium erhält, fördert und nicht systematisch ruiniert. Gegen Orbanaschol, aber für Arkon, für das Imperium!« Die tiefe Stimme des alten Arkoniden schlug sie alle in ihren Bann. Er war auf seine Art rücksichtslos und pragmatisch. Aber es war die Wahrheit, die er schonungslos aussprach. Viele der Anwesenden fühlten sich in ihre Jugend zurückversetzt, in der für sie das Imperium als Begriff kosmischer Größe ein Ideal gewesen war. Als sie den alten Kommandanten sprechen hörten, wußten sie, wie sehr ihr Ideal verraten worden war. Keiner von ihnen war zynisch genug, um das Leben eines einzelnen arkonidischen Raumfahrers gegen den Tyrannen einzutauschen. Die Wahrheit war böse und unangenehm. Aber er scheute sich nicht, sie deutlich auszusprechen. »Wir sind, soweit ich dies beurteilen kann, alle Ihrer Meinung, Sonnenträger Vor-
Hans Kneifel ren«, sagte einer der Kommandanten. »Und wer soll nach Ihrer Meinung diese Selbstmordmission unternehmen?« Jetzt breitete sich echte Ratlosigkeit aus. Es sah nicht so aus, als wolle sich einer freiwillig melden. Plötzlich eine Stimme. »Ich.« Die Köpfe drehten sich in die Richtung. Kornelius stand auf und hob den Arm. »Ich gehe mit!« Neben ihm war Getray aufgestanden und lächelte tapfer. Die Verwirrung hielt sich in Grenzen. Eine Sache war es, im Kampf verwundet zu werden oder zu sterben, eine andere, sich selbst umzubringen. Niemand zweifelte daran, daß diese Mission reiner Selbstmord war. »Ich glaube, das sagt alles über die wahren Absichten und den Charakter von dieser jungen Frau und Sonnenträger Kornelius aus«, sagte Vorren nachdrücklich und fügte hinzu: »Ich habe meinen Standpunkt klar dargelegt. Macht, was ihr wollt! Wenn es dem Imperium nützt, bin ich sogar wider bessere Einsicht auch bereit, Vorhaben zu unterstützen, die mir persönlich als Unsinn erscheinen. Ich habe gesagt, was zu sagen war. Abstimmung?« Diesmal blieb Kornelius sitzen. »Zwei Dinge sind noch zu sagen. Ich hänge ebenso an meinem Leben wie jeder andere. Ich rechne mir trotz allem noch Chancen aus, zusammen mit Getray lebend zurückzukommen. Vielleicht erwischen wir Orbanaschol in einer Phase der Klarheit. Wenn ihr alle diesem Vorschlag zustimmt, dann haben wir nur noch die Länge und Dauer der Bedenkzeit zu diskutieren. Aber ich kenne meinen Lehrmeister Vorren. Er soll uns jetzt erklären, was seine Verbindungsleute ihm aus dem Kristallpalast berichtet haben. Vielleicht lernen wir aus diesem Bericht, wie wir besser und wirksamer vorzugehen haben. Ich danke euch.« Als er sich zurücklehnte, begann Vorren dröhnend zu lachen. Er amüsierte sich dar-
Das Treffen der Rebellen über, daß er für ganz kurze Zeit Kornelius unterschätzt hatte. Seine Schule! Sein Gelächter entspannte die Situation, die ernst genug war. »Tadellos! Fabelhaft, Kornelius. Hast du es erraten, geschätzt oder etwa gewußt?« Mit steinernem Gesicht antwortete Kornelius: »Ich habe es sozusagen ausgerechnet. Ich vermag mir nicht vorzustellen, daß dich, Vorren, irgendwelche Entwicklungen überraschen. Du hast schon immer dafür gesorgt, daß du mehr Informationen bekommst als andere. Also! Wir wollen die Wahrheit wissen. Du hast das Wort.« Cronk Vorren winkte eine Ordonnanz herbei, nahm einen leeren Becher und goß den restlichen Inhalt seiner Taschenflasche hinein. Vorren trank und knurrte vernehmlich: »Dummes Laster.« Dann setzte er an: »Ich kürze und vereinfache stark. Was ich sage, hat den Vorzug, richtig und wahr zu sein. Seit dem Mord an Gonozal befindet sich Orbanaschol in einer Ausnahmesituation. Er erwartet, daß die Wahrheit bekannt wird. Diese erste Angst belastet ihn seit jenen Tagen. An einem sehr frühen Zeitpunkt erkannte er, daß er als Imperator für das Imperium ein paar Nummern zu klein war. Erste Kritik kam auf, und da er alles andere als dumm oder unintelligent ist, spürte er sie. Er reagierte schnell, aber unangemessen, die Folge war mehr Kritik. Und an diesem Zeitpunkt beginnt eine Spirale oder eine Schaukel. Mehr und neue Kritik, hastigere und weniger überlegte Handlungen oder Anordnungen, Fehlschläge und wieder deutlichere Kritik – so ging es weiter. Und am Schluß dieser Entwicklung reagierte er wie ein verwundetes Tier. Er schlug wahllos nach allem, was er als Gefahr identifizierte. Er vergaß seine angeborene Schläue und seine Intelligenz, genauer, er wandte sie an, um mit gigantischem Aufwand keine Wirkung hervorzurufen. Dieses System von gegenseitigen Beeinflussungen und falschen Abhängigkeiten mündete schließlich in die klassischen Verhaltungsweisen eines Verfolgs-
11 wahns: Orbanaschol wurde zum echten Paranoiker. Jetzt reagierte er blind und gedankenlos. Er schlägt wie ein Rasender um sich. Er ist ein Rasender. Er wäre längst allein und machtlos, wenn es nicht einige Verblendete gäbe und solche, die ihm bedingungslos gehorchen. Er ist und bleibt gefährlich, gerade deswegen. Zusammenfassend muß ich sagen: Von Orbanaschol können wir alles erwarten. Nur eines nicht: die vernünftigen Handlungen und Reaktionen eines geistig gesunden Arkoniden.« Die Frage, die von allen am schwersten zu beantworten war, stellte nach längerem Schweigen Getray von Helonk. »Und wer soll Orbanaschol ablösen?« Viele Stimmen riefen: »Natürlich Atlan, der junge Kristallprinz. Wir alle wissen, daß er lebt und mit uns kämpft.« Kornelius schüttelte den Kopf und erklärte: »Meiner Meinung nach ist dies eine naheliegende Lösung. Aber es ist eine falsche Lösung.« Als sie in ihn drangen, um zu erfahren, was gegen Atlan sprach, schwieg er mit großer Entschlossenheit.
* Nach rund drei Stunden, die teilweise stürmisch verliefen, hatte Kornelius eine lange Unterhaltung mit Innerten. Er sagte seinem Stellvertreter genau, was in diesem oder jenem Fall zu geschehen hatte. Dann legte an einem Hangar des Flaggschiffs ein kleines, unscheinbares Schiff an; es war die TURCOS mit nur zehn Mann Besatzung, die sich ausnahmslos freiwillig gemeldet hatten. Kornelius zog den rechten Raumhandschuh an und strich die Finger glatt. »Noch können Sie zurück, Getray!« sagte er leise und verständnisvoll, als er vor dem
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Personenschott der kleinen Schleuse stand. »Ich weiß. Aber ich habe mich entschlossen, mit Ihnen zu gehen, Kornelius. Ich komme mit nach Arkon.« »Hoffentlich bereuen wir es nicht«, murmelte er und half ihr, den Raumanzug zu schließen. Sie schalteten im Innern der Schleuse die Anzugsversorgung ein, durchquerten Hand in Hand den Hangar und schwebten am Verbindungstau hinüber zu dem Schiff, das nur sechzig Meter Durchmesser aufwies. Die Luke der TURCOS war grell ausgeleuchtet. Auf Bildschirmen beobachteten die zurückgebliebenen Kommandanten die beiden Personen. Kaum einer von ihnen würde freiwillig mit Getray und Kornelius tauschen. Sie wußten, daß es im wahren Sinn des Wortes eine Selbstmordmission war. Keiner rechnete mehr damit, die beiden Arkoniden lebend wiederzusehen. Langsam schob sich die TURCOS aus dem Pulk heraus, schlug eine spiralige Zickzackbahn ein, um den vielen Verbindungsbooten auszuweichen. Diese kleinen Raumtransporter brachten die Kommandanten zurück in ihre Schiffe. Die Bedenkzeit für Orbanaschol hatte begonnen. Möglicherweise war es auch genau die Zeitspanne bis zum Tod Getrays und Kornelius'… Die TURCOS beschleunigte und ging auf direkten Kurs nach den Arkonwelten.
3. Das narbenübersäte Gesicht Morvoner Sprangks schob sich in den Raum. Karmina Arthamin setzte sich auf, schlug die Decke zurück und blinzelte. »Es sieht so aus, als wären wir angekommen!« murmelte Sprangk humorlos. »Vermutlich hatten wir Erfolg mit unserer Suche.« »Atlan? Ist er dort?« fragte Karmina aufgeregt. Ausweichend zog Sprangk die Schultern hoch. An Bord der ISCHTAR kannte jeder
die Gerüchte, die den Kristallprinzen an der Spitze einer riesigen Meutererarmee sehen wollten. Morvoner zog das Schott hinter sich zu und ging an Karmina vorbei. Er schaltete den Bildschirm ein, wählte die Zentrale und deutete auf die Wiedergabe der Ortungsschirme. Schweigend blickte Karmina auf die zahllosen Echos. »Das sind … Tausende von Raumschiffen!« sagte sie überrascht und rieb sich schläfrig die Augen. »So ist es. Die Funkabteilung tut, was sie kann!« erwiderte er und strich über seinen kahlen Schädel. »Wenn Atlan nicht hier ist, so gibt es vielleicht jemanden, der uns etwas über ihn sagen kann. Wir müssen warten.« »Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig.« Sie hatten immer wieder teilweise verstümmelte Funksprüche aufgefangen und viele Strukturerschütterungen von Transitionen angemessen. Ganz langsam und mit großer Vorsicht, stets zur Flucht bereit, hatte sich die ISCHTAR diesem Gebiet genähert. Jetzt lösten sich aus dem Grenzbereich des riesigen Pulks einige Schiffe und rasten der abbremsenden ISCHTAR entgegen. »Sind das alles Schiffe der Meuterer?« fragte Karmina. »Mit größter Wahrscheinlichkeit. Ich werde in der Zentrale gebraucht – kommen Sie nach, Karmina?« »Ja. Selbstverständlich. Gleich.« Sie hatte bis jetzt geschlafen. Morvoners Summer hatte sie geweckt. Ihr Schlaf war voller unruhiger Träume gewesen. Einmal hatte sie geträumt, daß Atlan gestorben wäre und daß sie wie versteinert vor Schmerz neben seiner Leiche gestanden hätte. Ein anderer Traum, ähnlich furchtbar, hatte ihr gezeigt, daß sie und Atlan sich für immer getrennt hatten. Sie wartete darauf, bis sich der Becher mit der heißen, aufmunternden K'amana gefüllt hatte, dann schüttete sie einen Schluck Alkohol hinein und trank. Die Mischung munterte Karmina ein wenig auf und riß sie aus der Beklemmung der Schläfrigkeit und der Alpträume. Dann folgte sie durch die leeren Korridore des Schiffes
Das Treffen der Rebellen Sprangk in die Zentrale. Hier herrschte helle Aufregung. Die ISCHTAR wurde jetzt von vier. Schiffen eskortiert. Der Bildfunkverkehr war in vollem Gang. Auf einem großen Monitorschirm sahen die Raumfahrer einen untersetzten Mann mit haarlosem Schädel, Methannarben im faltigen Gesicht und drei glänzende Sonnen auf der linken Brustseite. »Ich verstand ISCHTAR«, sagte er mit einer tiefen, heiseren Stimme. »Handelt es sich um ein Schiff des Kristallprinzen? Es gibt so allerlei Gerüchte.« Sprangk stand vor den Linsen und Mikrophonen. Er nickte bedächtig und sagte: »Ja. Wir haben eigentlich erwartet, daß Fartuloon und Atlan bei Ihnen sind und auf uns warten.« »Bedauere. Wir wären selbst froh darüber. Aber weder Kristallprinz Atlan noch Fartuloon sind bisher aufgetaucht. Schließen Sie sich uns an?« »Darüber müssen wir noch beraten. Hoffentlich betrachten uns die Kommandanten der eskortierenden Schiffe nicht als Spione oder als Kampfschiff Orbanaschols.« »Mit Sicherheit nicht. Ich sehe dort hinten das Wesen, das als ›Eiskralle‹ inzwischen in die Raumfahrererzählungen eingegangen ist. Unmöglich, daß ein Chretkor auf einem Schiff Orbanaschols mitfliegt. Wollen Sie sich an einen unserer Pulks anhängen?« »Geben Sie mir noch etwas Zeit, Sonnenträger«, meinte Sprangk. »Wir kommen näher.« »Lassen Sie sich Zeit, Kommandant Sprangk«, versicherte der Sonnenträger anscheinend gutgelaunt. »Wir alle können nichts anderes tun als warten.« »Wie das?« Auf den großen Schirmen der Panoramagalerie bildete sich die Flut der vielen großen und kleinen Schiffe ab. Schweigend starrte Karmina Arthamin die Bilder an. Sie dachte an den lebenden Leichnam des alten Imperators. Gonozal der Siebente lag irgendwo in einer der sicheren Hospitalkammern des Schiffes und dämmerte dahin.
13 Vorry kam herbeigetappt und brummte: »Sind alles Rebellen, wie?« »Ja. Etwa viertausend Schiffe voller Meuterer«, erklärte Corpkor, der finster brütend die Ansammlung betrachtete. »Was werden wir tun?« erkundigte sich der Magnetier. »Warten.« »Warum immer nur warten?« Morvoner Sprangk drehte sich um, ließ seinen Blick über die Freunde gleiten und sagte schließlich resignierend: »Hier befinden wir uns in der Sicherheit der Gruppe. Wir können hier die Entwicklung am besten abwarten. Vielleicht erfahren wir etwas von Atlan.« »Außerdem ist es wahrscheinlich, daß Atlan und Fartuloon dieselben Beobachtungen wie wir gemacht haben. Das würde sie automatisch hierher führen«, schloß Karmina. »Wenn sie noch leben.«
4. Im Augenblick fühlte ich mich am Ende meiner Kräfte. Es war eine innerliche Erschöpfung, ein Zustand, der mir sagte, daß es so nicht mehr lange weiterging. Vor wenigen Augenblicken hatte mich der Schmerz getroffen, der das Eintreten der NEKOR in den Normalraum begleitete. Wir näherten uns Arkon. Ein neuer Versuch. Hoffentlich der letzte. Keine übertriebenen Hoffnungen, sagte der Extrasinn scharf. Nach dem Zwischenfall mit diesem Satelliten, der sich als Falle entpuppt und durch die Warenmenge und die pausenlos arbeitenden Transmitter gesprengt worden war, befanden sich Fartuloon und ich auf dem Handelsschiff in größtmöglicher Sicherheit, wenigstens für die Dauer des Fluges. Mir war nicht klar, wie viele Transitionen noch bis Arkon durchgeführt werden mußten. Ich gähnte, fühlte eine unbestimmte Schwäche in den Knien und eine Flut dunkler Gedanken. Ich schaltete den Bildschirm ein und wählte die Zentrale.
14 Der hünenhafte Kommandant Denc-Mons drehte sich herum und blickte mich an. »Sie sind es!« sagte er. »Ich fürchte, ich habe schlechte Neuigkeiten für Sie und Fartuloon.« »Sie können mich kaum mehr überraschen«, gab ich zurück. »Was ist los?« »Funksprüche aus allen Richtungen, und dazu eine Menge offizieller Durchsagen von Arkon Eins.« »Ich höre?« Ich befand mich an einem Punkt, an dem mich nur noch die Mitteilung über absolute Katastrophen ernsthaft beunruhigten. In den letzten Monaten, spätestens seit dem Zeitpunkt, an dem ich in der Arena niedergeschlagen und entführt worden war, folgte ein vernichtender Schlag dem anderen. Eine Kette von Mißerfolgen, so lang wie die halbe Galaxis. Denc-Mons meinte beschwichtigend: »Keine guten Nachrichten, Atlan. Orbanaschol hat vor kurzem Arkon Eins sperren lassen. Kein Schiff darf mehr landen. Kleinere Boote werden von Schlachtschiffen eingeschleust. Ich habe noch keine Auskunft, aber ich denke, auch auf Arkon Zwei werden wir nicht landen können.« Der Diktator fürchtet euch! sagte der Logiksektor. »Ich verstehe. Der Diktator traut nur noch einem kleinen Kreis von Personen beziehungsweise Kommandanten«, sagte ich leise. »Sie gehören nicht dazu, Denc-Mons?« »Möglicherweise nicht. Er kennt mich nicht, also rechne ich mit Schwierigkeiten.« »Sagen die Funksprüche etwas von Umsturz, von Meuterei oder Rebellion?« erkundigte ich mich vorsichtig. »Es gibt keine offizielle Meldung der letzten zwanzig Minuten, in der ein solcher Verdacht ausgesprochen wurde. Kommen Sie doch in die Zentrale, hören Sie selbst, was wir auffangen.« »Gute Idee«, sagte ich. »Ich komme und bringe Fartuloon mit.« »Einverstanden.« Der Bildschirm blieb eingeschaltet, aber
Hans Kneifel der riesige, breitschultrige Handelskommandant wandte sich wieder dem Steuerpult zu. Langsam bremste die NEKOR ab; ich erkannte es an den veränderten Geräuschen der Maschinen. Wir hatten eine mächtige Organisation aufgebaut, und nun war Kraumon verwüstet, und die Freunde waren verschollen. Wenn es ein Gerücht einer größeren Rebellion gab, dann war sie nicht vom Bauchaufschneider oder mir oder unseren Freunden ausgelöst worden. Oder doch? Vielleicht genügten die Informationen von unserem Wirken, vielleicht hatten wir dadurch, daß wir während dieser makabren Gerichtsverhandlung unsere wahre Identität enthüllten, eine Art Signal gegeben? Vielleicht hatten die vielen Millionen Unzufriedener nur auf ein solches Signal gewartet? Ich strich über mein kurzes Haar, das noch lange brauchen würde, um nachzuwachsen, dann stand ich entschlossen auf. Was ich brauchte, war eine starke Droge, die mir Selbstvertrauen und Entschlossenheit zurückgab. Ich murmelte einen altarkonidischen Fluch, verließ die Kabine und hämmerte gegen das zerbeulte Schott von Fartuloons Aufenthaltsraum. »Bring einen Schinken, schäumenden Wein und eine Handvoll schlanker, vollbusiger Frauen mit!« donnerte Fartuloon. Ich ärgerte mich noch mehr. Während ich litt, schien der Bauchaufschneider bester Laune zu sein und begann laut zu schwadronieren. Ich riß das Schott auf und sah, daß Fartuloon mit bloßem Oberkörper in einem Sessel lag, eine alte Lesespule vor sich und in der linken Hand einen großen Becher. »Es tut mir leid«, begann ich säuerlich, »aber auf deine sündigen Lustbarkeiten wirst du wohl noch etwas warten müssen.« »Dafür habe ich den überaus lieblichen Ausdruck deines länglichen Gesichts, du haarloser Kristallprinz«, sagte er gutgelaunt, deutete auf die Liege und schüttete sich den Inhalt des Bechers zwischen die Zähne. »Ich habe mitgehört. Warum bist du derartig schlecht gelaunt?«
Das Treffen der Rebellen Ich zuckte die Schultern. »Ich sehe nichts, das mich optimistisch stimmen kann. Rebellion! Quarantäne für Arkon! Und noch immer regiert dieser Tyrann!« Fartuloon schaltete die Spule ab, setzte den Becher auf den Tisch zurück und richtete sich im Sessel auf. Plötzlich war er wieder ernst. Mit großen Augen sah er mich an, auf seiner Stirn bildeten sich tiefe Querfalten. »Das Ende ist nahe!« murmelte er hohl, dann lachte er völlig unmotiviert dröhnend auf, sprang aus dem Sessel und legte seinen Arm um meine Schultern. »Unser Ende, möglicherweise!« murmelte ich. »Was erheitert dich eigentlich so? Es ist die falsche Einstellung am falschen Platz und zu einem unpassenden Zeitpunkt.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Du hast nicht recht, Söhnchen. Ich weiß es. Ich glaube, die Zeichen des Untergangs besser zu kennen als du, denn ich habe in derlei Dingen ungleich mehr Erfahrung; ein fragwürdiger Vorteil eines höheren Alters. Ich weiß, ohne alle Informationen zu haben, daß Orbanaschol in beträchtlichem Tempo auf das Ende seines Weges zustolpert. Glaubst du mir, Atlan?« Ich setzte mich auf die Schreibplatte, nahm eine der vielen Flaschen und trank gedankenlos einen Schluck. Das Getränk verwandelte meine Speiseröhre in ein weißglühendes Rohr, aber als es im Magen ankam, breitete sich eine wohlige Wärme aus. Ich fühlte direkt, wie ich mich entspannte. Langsam bekam ich wieder Respekt vor den höchst unkonventionellen Mitteln dieses Mannes, der mir ein Vater, ein Lehrer und ein Freund gleichermaßen war. »Es fällt mir schwer«, sagte ich und sah zu, wie er sich anzog. Glücklicherweise mußte er darauf verzichten, seinen reichlich mitgenommenen Brustharnisch und das Skarg anzulegen. »Natürlich wird es schwer sein, auf leerer Straße im Triumphzug in den Kristallpalast einzuziehen. Bis du dort bist, wird es noch eine schöne, runde Serie von Abenteuern ge-
15 ben. Es wäre sonst auch langweilig. Aber ich glaube, daß unser verdammter Freund inzwischen sich selbst in eine Position hineinmanövriert hat, die ihn selbst binnen kurzer Zeit erledigt. Es ist nicht so, daß ich fanatisch an unseren Sieg glaube. Aber nach allem, was ich weiß, und nach dem vielen, das ich ahne, glaube ich fest an die Niederlage von Orbanaschol. Und darauf haben wir alle seit Jahren hingearbeitet. Kannst du dir, um nur ein Beispiel zu erwähnen, denken, wie es inzwischen an der Front gegen die Methanatmer aussieht? Glaubst du, daß Zehntausende braver und imperiumstreuer Kommandanten diesen Irrsinn noch länger mitmachen? Es sind jene Rebellen, von denen die Gerüchte sprechen.« Er befestigte die diamagnetischen, auffallenden Manschettenknöpfe und grinste voller Kälte. Gerade deshalb, weil er mit völlig ruhiger, emotionsloser Stimme gesprochen hatte, überzeugte er mich weitaus mehr. »Soweit die Betrachtung, die Orbanaschol betrifft«, sagte ich halblaut und nahm noch einen Schluck dieser merkwürdigen Flüssigkeit, ehe ich mit einem Hieb der flachen Hand den Verschlußzylinder in den Hals schlug. »Und was unternehmen wir, um den Sieg herbeizuführen?« Fartuloon packte mich an der Schulter und zog mich zum Schott. »Warte, Kristallprinz«, sagte er. »Ich werde es dir ganz genau erklären. Zuerst aber orientieren wir uns über die Situation.« Schweigend und schnell legten wir das kurze Stück Korridor bis zur Zentrale des Handelsraumers zurück. Denc-Mons sah uns kommen und hielt uns wortlos die ausgedruckte Fassung aller wichtigen Funksprüche entgegen. Schweigend lasen wir die Zeilen. Das Bild rundete sich. Nach einer Weile hob ich den Kopf und erklärte: »Das ist deutlich. Wir werden also nicht auf Arkon Eins landen, sondern abgeholt. Nicht einmal auf Arkon Zwei darf Ihr Schiff seine Ladung löschen, Kommandant!« »Richtig.«
16 »Hier steht, daß ein Containerschiff gestartet und ein Anlegemanöver fliegen wird. Soll das heißen, daß die Ladung von diktatortreuen Mannschaften übernommen und abgesetzt wird?« fragte ich voller Überraschung. Der Kommandant nickte; für ihn war diese Lösung vermutlich besser als ein möglicherweise langes Warten auf Landeerlaubnis. »Die NEKOR wird entladen, dann muß sie abdrehen und zurückfliegen«, erklärte Denc-Mons. »Ich kann natürlich nichts dagegen unternehmen.« Fartuloon fragte kurz: »Wohin geht die Ladung?« »Mit einiger Sicherheit nach Arkon Zwei. Ich kann mir keinen anderen Landeplatz vorstellen. Aber es ist in diesem Stadium der Verwirrung natürlich alles denkbar. Sie haben schon wieder diesen verwegenen Blick, Fartuloon. Was planen Sie?« Fartuloon vollführte eine lässige Bewegung, die völlige Gleichgültigkeit möglichen Gefahren gegenüber ausdrücken sollte. »Behandeln Sie uns als einen Teil der Ladung!« schlug er ungerührt vor. Schon jetzt zündete die Idee; ich erwärmte mich sofort für seinen Vorschlag. Plötzlich erfaßte mich wieder die Lust, zu handeln und weiterzukämpfen. Der alte Bauchaufschneider schien wirklich einer der besten Psychologen zu sein, die es innerhalb des Imperiums gab! »Ich verstehe«, gab Denc-Mons nach einigen Sekunden des Überlegens zurück. »Wollen Sie es sich nicht leichter machen? Ich kann Sie auch gleich hier in der Zentrale umbringen, dann ersparen wir uns eine Menge Arbeit. Ein selbstmörderischer Vorschlag, meine Herren!« Ich hob die Hand und korrigierte ihn. »Sie kennen mein Überlebenspotential nicht. Es ist ebenso hoch wie das von Fartuloon. Er ist ein alter, von Sorgen und Ausschweifungen gebeugter Mann. Er wäre nie so alt geworden, wenn seine Überlebenskapazität nicht so hoch wäre.« Denc-Mons und der größte Teil der Besatzung, die sich hier in der engen Zentrale be-
Hans Kneifel fanden, betrachteten uns, als wären wir grüngefleckt und vieräugig. Schließlich zuckte der Kommandant die Schultern und sagte leise: »Sie geben nicht auf, wie?« »Nicht so kurz vor dem Ziel. Dort, dieses Echo, ist die Sonne Arkons!« meinte Fartuloon. »Sie bauen einen Container, den wir in einem Ladungscontainer verstecken. Auf diese Weise gelangen wir auf den Boden des Planeten. Hier, im Freien Fall, wird niemand die Ladung so genau untersuchen, daß wir entdeckt werden. Einverstanden? Außerdem wird Sie dieses Verfahren der Verantwortung entheben.« »Ich warne Sie«, sagte Denc-Mons. »Der Versuch kann tödlich sein.« »Vermutlich nicht!« widersprach ich. »Und wie wollen Sie sich befreien? Was ist, wenn man Sie auf Arkon oder dort, wo diese verdammten Container entladen werden, entdeckt?« »Dann werden wir uns zu befreien wissen«, erklärte ich. Denc-Mons schüttelte fassungslos den Kopf. Es war völlig klar, daß er uns für Selbstmörder oder Wahnsinnige hielt. Aber er bewies eine gewisse Überlegenheit und sagte zu seinem Ersten Astrogator: »Gehen Sie. Holen Sie sich ein paar Leute. Zimmert einen Verschlag, luftdicht und raumfest, in dem diese beiden Abenteurer den Flug vom Umladepunkt bis hinunter nach Arkon überleben. Ich werde wider mein besseres Wissen und gegen meine Überzeugung den zwei Selbstmördern Nahrungsmittel und Waffen mitgeben. Das Ganze ist zu verrückt, als daß ich länger darüber diskutieren will. Aber noch eines, Fartuloon: Wenn es Ihnen dreckig gehen sollte, dann schimpfen Sie bitte über alles und jeden, aber nicht über mich. Ich habe getan, was ich konnte. Obwohl ich Ihren Versuch für glatten Wahnsinn halte und Ihnen noch immer abrate.« Feierlich erklärte der Bauchaufschneider: »Wir haben begriffen. Ihre Sorge ehrt Sie, Denc-Mons. Wir danken Ihnen für alles.
Das Treffen der Rebellen Aber wir müssen wohl alles versuchen, um das gesteckte Ziel zu erreichen – es ist nicht das schlechteste. Die letzten Meter vor dem Ziel schaffen wir irgendwie auch noch, selbst wenn es unbequem sein sollte. Können wir den Männern helfen, ein gutes Versteck in der Ladung zu bauen?« »In Ordnung. Gehen Sie mit meinem Astrogator. Er weiß, wo die Zubehörteile liegen.« Wir nickten ihm zu und folgten dem Astrogator. Binnen weniger Stunden, während die NEKOR abbremsend den ArkonPlaneten entgegenschwebte, bauten wir eine Art Plastikkäfig, rüsteten ihn mit zwei Versorgungsanlagen aus alten Raumanzügen aus, konstruierten mit einer Ladung aus glasähnlichen, eckigen Erzteilen einen Fluchtweg, durch den wir sowohl den Hohlraum erreichen als uns auch daraus wieder befreien konnten, installierten eine schwache Beleuchtung und zogen dann einfache Raumfahrerkombinationen an. Der Kommandant gab uns jeweils zwei Waffen mit, einen Strahler und einen kleinen Paralysator. Wir packten einige Notrationen ein, Getränke und einige Lesespulen. Wir wußten: waren wir einmal auf Arkon Zwei, gelangten wir auch irgendwie in die Nähe des Kristallpalasts. Es schien uns beiden undenkbar, daß nach dieser unendlichen Kette von Unternehmungen nun auch der letzte Versuch fehlschlagen sollte. Wir beide glaubten an die Bemerkungen, die wir machten – unsere Fähigkeit, auch unter den abstrusesten Bedingungen noch zu überleben und nötigenfalls zerschunden, aber lebend davonzukommen, war ziemlich hoch. Wir gingen in die Kombüse und aßen uns satt, verabschiedeten uns von den Gefährten dieses Fluges und blieben schließlich in der Zentrale, bis sich das Containerschiff meldete und der Kommandant die verschiedenen Anlege- und Übernahmemanöver bestätigte und die entsprechenden Daten durchgab. Inzwischen füllte Arkons Zentralstern die Bildschirme. Dort vorn, in der anonymen Dunkelheit des Alls, verbarg sich Arkon
17 Eins. Dort stand der Kristallpalast, in dem sich der psychopathische Mörder meines Vaters verschanzt hatte. Als die Datenflut zwischen den Schiffen abflaute, sagte DencMons: »Am besten, Sie gehen jetzt in Ihr Versteck!« »Schon unterwegs«, erklärte Fartuloon, nicht mehr ganz so überzeugend. »Darf ich Ihnen danken, Denc-Mons?« Er ergriff die Hand des Kommandanten und schüttelte sie ausnehmend heftig. DencMons versuchte ein Grinsen, das aufmunternd wirken sollte. »Versuchen Sie dringend«, knurrte er, »nicht umzukommen. Es wäre schade um Sie.« Ich verabschiedete mich von Denc-Mons, und ehe er wieder eine unpassende Bemerkung loslassen konnte, sagte ich: »Sie werden von uns hören. Sicher stehen wir nicht auf der Liste der Opfer. Ich danke Ihnen, Kommandant. Sorgen Sie sich nicht zuviel um uns. Wir kommen schon durch!« »Ich wünsche es Ihnen von Herzen, Kristallprinz!« sagte er mit heiserer Stimme. Der Astrogator und drei Besatzungsmitglieder begleiteten uns in den Laderaum. Unter dem grellen Licht der Tiefstrahler öffneten wir den Deckel des Containers, krochen in den Plastikschlauch, der unter Druck stand und setzten uns in den engen Verschlag aus Metall, Kunststoff und Plastikumhüllung. Das Aggregat wurde abgeschaltet, der Schlauch fiel in sich zusammen, die schweren Glasmetallbrocken sackten klirrend hoch. Roboter schaufelten die zuvor herausgenommenen Brocken wieder in den Container zurück. Wir versuchten, es uns so bequem wie möglich zu machen. Wir saßen auf luftgefüllten Plastikbehältern, sahen uns gegenseitig im Licht der winzigen Lampe in die Gesichter und streckten die Beine aus. Mehr als zwei Meter Länge hatte diese winzige Kabine in dem großen Container nicht; etwa zwei Kubikmeter betrug ihr Inhalt. Noch eine Weile lang hörten wir die einschlägig zu identifizierenden Geräusche,
18 dann schnappten die schweren Verschlüsse des riesigen Behälters zu. Einer der Raumfahrer hämmerte abschiedsnehmend noch viermal gegen die Seitenwand, dann entfernten sich die Schritte, die schwache Vibration hervorriefen. »Wo werden wir landen, Fartuloon?« fragte ich nach einer Weile, die mir endlos erschien. Wir beide lasen in den kleinen Lesespulen. Immerhin lenkten sie uns ab; uns erschienen abenteuerlich gefärbte Erzählungen als schwacher Abglanz dessen, was wir selbst ununterbrochen erlebten. »Ich rechne damit, daß wir auf Arkon Zwei abgeladen werden.« »Durchaus möglich.« Eine Situation, die an den Nerven zerrte. Die kleinen Aggregate, die unsere Atemluft regenerierten, arbeiteten mit fast unhörbarem Summen. Wir schwiegen und lasen. Die Zeit schien stillzustehen. Immer wieder schweiften unsere Gedanken ab und beschäftigten sich mit dem, was »draußen« vor sich gehen mochte. Die NEKOR näherte sich dem vereinbarten Treffpunkt, das andere Schiff kam ebenfalls näher, und nach Stunden, wie es uns schien, erfolgte ein dumpfer, glockenartig tönender Schlag. In Wirklichkeit war nicht mehr als eine gute halbe Stunde vergangen. »Kontakt«, murmelte Fartuloon. »Jetzt fangen sie mit dem Umladen an.« Im Freien Fall, in der Schwerelosigkeit, konnten diese großen Container leicht umgeladen werden, wenn auch die Technik alles andere als ungefährlich war. Diese großen und schweren Behälter besaßen eine große kinetische Energie, und es überstieg die Fähigkeiten eines jeden arkonidischen Gehirns, die Bewegungen richtig zu steuern. Also luden Robotmechanismen die langgestreckten Kästen um. Wir waren lebendig begraben. Nur dann droht Gefahr, wenn die Container lange dem Vakuum des Raumes ausgesetzt sind, warnte der Logiksektor. »Sie scheinen nicht gerade sanft mit der Ladung umzugehen«, sagte ich.
Hans Kneifel Offensichtlich befand sich zwischen den Bordwänden der beiden Schiffe oder zwischen den großen Luken der Laderäume ein luftdichter Balken. Wir spürten nicht nur die schweren Vibrationen, sondern wir glaubten, auch ferne Kommandos, Flüche und Scherze zu hören, wie sie unter Raumfahrern üblich waren. Immer wieder erfolgten scharrende, krachende und dröhnende Geräusche. Die beiden Raumschiffe waren miteinander verbunden, aber die schweren Massen, die bewegt wurden, erschütterten immer wieder dieses labile Gleichgewicht. »Wieder eine neue Erfahrung«, sagte ich. »Versteckt und absolut hilflos.« Fartuloon grinste mich an und flüsterte zurück: »Der Unterschied zwischen Jäger und Gejagtem ist häufig, daß letzterer nichts vom ersteren weiß. Wir sind, weil niemand uns sieht und niemand daran denkt, daß ausgerechnet die zwei meistgesuchten Männer des Imperiums sich in einem solchen Container verbergen, die Jäger. Und überdies in der besseren Position. Geduld, Atlan, Geduld! Wir haben Jahre gewartet! Jetzt sollten wir auch noch einige Stunden warten. Wir kommen irgendwo auf Arkon Zwei heraus, und dort sind wir wieder unter Arkoniden. Ich kenne dort jeden Grashalm.« Er fügte nachdenklich hinzu: »Falls es dort überhaupt noch Gras gibt.« Es war durchaus denkbar, daß der Bauchaufschneider auch auf Arkon Zwei seine Kristalle der tausendvierundzwanzig Felder, jene OMIRGOS, versteckt hatte. Ich wartete ungeduldig. Schließlich wurde »unser« Container hochgehoben, querbeschleunigt und in das andere Schiff hinübergeschoben. Einige Geräusche und harte Schläge waren zu spüren, schließlich krachte der metallene Kasten schwer auf den Boden eines Laderaums und kam zur Ruhe. Eineinhalb Stunden lang warteten wir und versuchten, keinerlei Panik aufkommen zu lassen. Dann merkten wir, daß sich das andere Schiff in Bewegung setzte.
Das Treffen der Rebellen »Halbzeit, Atlan!« flüsterte Fartuloon. Der Flug des Containerschiffs, dessen Kommandant für Orbanaschol und seine wenigen Getreuen offensichtlich kein Sicherheitsrisiko darstellte, nach Arkon II hatte angefangen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis wir landeten. Aber dann lag die Dauer des Aufenthalts im Ungewissen. Aber … es war ebenso möglich, daß dieses Schiff gar nicht nach Arkon Zwei flog, sondern auf einem anderen Planeten landete und dort entladen wurde. Wir mußten mit allem rechnen. Und es war vernünftig, mit negativen, nicht mit positiven Ergebnissen zu rechnen. So ist es. Die Enttäuschung hält sich in diesen Fällen in Grenzen, bestätigte weise der Extrasinn. Nichts anders blieb uns übrig: Wir warteten. Wieder einmal.
5. Getray von Helonk schob ihr Haar in den Nacken, musterte Kornelius voller Unruhe und sagte nach einer Weile: »Ich verstehe Sie nicht, Kommandant.« Er lächelte vage und blickte ihr direkt in die Augen. Dann zuckte er die Schultern. Plötzlich schien er sehr gelassen und geradezu ungewöhnlich ruhig zu sein. »Wenn ich ganz ehrlich sein soll, Getray«, erklärte er leise, »dann verstehe ich mich selbst auch nicht völlig. Das heißt, mich selbst schon. Aber nicht die Gründe, die mich bewegt haben, als Parlamentär aufzutreten. Ich bin nicht gerade feige, aber irgendwie scheint mir das Ganze jetzt doch riskant zu sein.« »Wahrscheinlich, Kornelius.« Die TURCOS hatte knapp zwölf Lichtjahre zurückgelegt und befand sich seit Minuten wieder im Normalraum. Voraus loderte die Sonne der Arkonplaneten. Weder Getray noch Kornelius brauchten sich um Identifikation, Funkverkehr oder Steuerung zu kümmern. Sie saßen in tiefen Sesseln in einem Winkel der Zentrale und warteten gespannt
19 auf ihren Einsatz. »Und aus welchem Grund sind Sie, freiwillig zudem, mitgekommen? Die gleiche Gefahr gilt für Sie, Getray!« sagte er. »Es mußte einfach jemand tun«, sagte sie nachdenklich. »Auch wenn ich denke, daß ein Angehöriger der Flotte keiner so großen Gefahr ausgesetzt sein würde, wie eine Privatperson.« »Schon möglich. Aber es ist fraglich, ob wir Orbanaschol wirklich selbst sehen. Ich glaube, er wird nur mittelbar mit uns verkehren wollen.« »Was unsere Mission nicht weniger gefährlich machen wird. Wir sind die verfügbaren Vertreter der Meuterer oder Rebellen – über uns wird sich seine Wut entladen!« Kornelius nickte und schwieg. Getray hatte Recht. Sie waren von etwa viertausendeinhundert Schiffsführern beauftragt worden, dem Diktator das Ultimatum zu überbringen. Ab jetzt lief die Zeit. Die Frist, die man Orbanaschol gestellt hatte, betrug ab heute fünf Tage. In kurzer Zeit würde man sie in den unmittelbaren Einflußbereich des psychopathisch reagierenden Imperators bringen. Auf keinen Fall würde es einfach werden. Ohne es auszusprechen, rechnete der Kommandant mit der Möglichkeit des Todes für sie beide. Er wäre ohne Zögern im Kampf gestorben, aber der Umstand, daß einer der willkürlichen Entscheidungen Orbanaschols sie töten konnte, störte ihn beträchtlich. Aber das alles hatte zumindest er schon gewußt, bevor er sich freiwillig für diese Mission gemeldet hatte. »Was geschieht jetzt, Kornelius?« fragte Getray zögernd. Sie betrachtete die Männer an den Schaltkonsolen und die Handgriffe mit gelinder Verwirrung, und in dem Durcheinander von wirklichen Stimmen und Lautsprecherdurchsagen wuchs ihre eigene Verwirrung. »Ich bin sicher, daß man uns nicht landen läßt, sondern Sie und mich abholt. Mit einem Aufwand, als wären wir lebende Bomben!«
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In gewisser Hinsicht, so dachte er, stimmte dieser Vergleich. Für den Diktator waren sie lebende Bomben. Sie überbrachten ein Ultimatum. Auf dem kurzen Flug hatten sie den Text gelesen, sich darüber unterhalten, das. Für und Wider abgewogen und auf alle denkbaren Fragen und Unsicherheiten Antworten erarbeitet. Noch mehr: sie hatten das Vertrauen der Rebellenflotte. In diesem Augenblick schob der Funker des kleinen Raumschiffs einen Regler hoch, und aus den Lautsprechern war zu hören: »Raumschiff TURCOS! Wir haben verstanden, daß eine Abordnung an Bord ist. Der Imperator befiehlt der TURCOS, im Orbit zu bleiben. Nehmen Sie folgende Position und Abstände ein …«, eine Reihe von Zahlen und Anweisungen folgte. Dann fuhr die harte Stimme eines Leibwächters oder dessen Vorgesetzten fort: »Wir werden Ihre Position anfliegen, die Delegation abholen und auf den Boden des Planeten bringen. Die fraglichen Personen sollen die Raumanzüge anziehen und, falls sie bewaffnet sind, die Waffe ablegen. Überdies werden wir sie selbstverständlich kontrollieren. Sie warten auf uns. Ende.« Fragend und ein wenig hilflos drehte sich der Kommandant des kleinen Schiffes nach Kornelius um. Der Sonnenträger machte eine Geste des Verständnisses und sagte: »Klingt nicht sehr entgegenkommend. Gehen wir. Legen wir die Raumanzüge an.« Getray stand auf, während das Schiff in die errechnete Umlaufbahn um den Planeten Arkon Eins steuerte. Von einem Raumhafen nahe des Kristallpalasts startete ein kleines Kampfschiff, nahm Kurs auf die TURCOS und paßte sich dann der Orbitalbahn an.
* Die leere Hangarschleuse war strahlend hell angeleuchtet. An der Frontwand und entlang der beiden Seitenwände standen insgesamt fünfzehn Kampfroboter mit aktivierten Waffenarmen. Heiße Panik flackerte in Getray auf, als zwischen den Maschinen et-
wa ein Dutzend schwer bewaffneter Arkoniden mit grimmigen, kalten Gesichtern hinter den Visieren der Helme auftauchten. Die Männer packten Kornelius und die dreißigjährige Frau an den Armen und zogen sie mit sich. Das äußere Schott schloß sich, die große Personenschleuse öffnete sich schnell. Überall waren Scheinwerfer, Sicherheitsanlagen, Kontrollen und bewaffnete Männer. Zweifellos würde die frühere Getray von Helonk jetzt die Fassung verloren haben. Aber während ihres erzwungenen Aufenthalts auf dem Planeten Kosic hatte ein Prozeß stattgefunden, der alles geändert hatte. Oder vielmehr: dort hatte diese neue Entwicklung angefangen, die jede Art von Ziellosigkeit aus ihrem Leben fortgeweht und für immer gegenstandslos gemacht hatte. Die Wachen mit dem Zeichen der PalastLeibwächter auf den funkelnden, gepanzerten Raumanzügen brachten Kornelius und Getray aus dem Hangar hinaus, über einen kurzen Korridor und in eine karg ausgestattete Doppelkabine. Der Anführer der Palastwache nahm seinen Raumhelm ab und warf ihnen lange, drohende Blicke zu. »Sie warten hier«, sagte er scharf. Kornelius gab den Blick kalt und mit einer gewissen Arroganz zurück. »Sie versprachen, uns zu durchsuchen, Chef«, meinte er freundlich. Der Mann legte die Hand an den Kolben der Waffe und deutete mit der anderen zur Decke. »Das besorgen Höchstleistungsdetektoren für uns.« »Ich verstehe«, erwiderte Kornelius und begann, seinen Raumanzug auszuziehen. Inzwischen hatte das Boot Fahrt aufgenommen und stürzte auf den Planeten zu. »Wohin bringen Sie uns? In den Kristallpalast?« Der Tonfall des Wächters wurde eine Spur eisiger, als er die Sonne auf dem Raumanzug erkannte. »Sie werden nach Arkon Eins gebracht.
Das Treffen der Rebellen Aber nicht in den Kristallpalast. Ich habe keine Befugnis, Ihnen das Landeziel zu nennen.« »Auch gut«, kommentierte Kornelius und half Getray aus dem schweren Anzug. Der Gardist warf noch einen langen, eindeutigen Blick auf die gut aussehende Arkonidin, dann drehte er sich abrupt um und verließ den Raum. Die Zurückbleibenden hörten, wie sich schwere Riegel vorschoben. Einen Augenblick später erklärte Kornelius, noch immer erstaunlich gefaßt: »Keine Daten, keine wichtigen Gespräche. Wir werden selbstverständlich abgehört!« Auch er deutete zur Decke. Getray stieß ein sarkastisches Lachen aus und entgegnete: »Als ob das wichtig oder sinnvoll wäre. Also nicht der Kristallpalast, wie?« »Nein. Entweder sind wir zu gefährlich, und der Imperator fürchtet sich, oder er will keine Zeugen haben, wenn er uns hinrichten läßt. Das wiederum läßt mich vermuten, daß auch innerhalb des Kristallpalasts nicht mehr alles zum Besten steht.« »In der Tat eine beneidenswerte Situation«, sagte Getray und ließ völlig offen, ob sie sich und Kornelius meinte oder Orbanaschol. Das Schiff bremste ab, durchstieß im direkten Flug die Atmosphäre und schwebte dann längere Zeit über der Planetenoberfläche dahin. Schließlich sank es schnell abwärts und landete mit der Präzision langer Übung des Piloten. »Jetzt werden wir es gleich wissen, nicht wahr?« flüsterte Getray. Wieder verspürte sie Angst. Aber nicht die Gefahr, in der sie schwebten, löste die Angst aus, sondern das untätige Warten. »Es würde mich nicht verblüffen, wenn wir auf dem Gelände des Kristallpalasts gelandet wären«, gab Kornelius zu. Auch er war schweigsam geblieben; die Aussichten, die nächsten Tage zu überleben, waren für ihn gering. Jedenfalls war er von der Richtigkeit seiner Überlegungen überzeugt. Auf
21 dem Korridor ertönte das Geräusch schwerer Schritte, dann zogen sich die Riegel zurück, das Schott zischte auf. »Sie kommen mit!« sagte der Chef der Garde. Es blieb ihnen nichts anderes übrig. Sie wurden wie gefährliche Kriminelle behandelt. Überall standen Roboter, man nahm Getray und Kornelius in die Mitte der schwerbewaffneten Gruppe und führte sie aus dem Schiff hinaus, über die Rampe ins Freie. Das Schiff stand auf einem Privatraumhafen. »Wir sind auf der Kristallwelt!« stellte Getray fest. Sie konnten sich gerade kurz umsehen, aber der Raumhafen lag vom »Hügel der Weisen« und vom Kristallpalast weit entfernt; die Umgebung bestand aus einer künstlich modellierten Parklandschaft mit nur wenigen Erhebungen. Vor ihnen brachen vielfarbige, wuchtige Felsen aus dem Boden, von riesigen Bäumen und Schlingpflanzen umwuchert. »Geradeaus!« ertönte das harte Kommando. Sie sahen entlang des breiten Weges aus geschliffenem, geäderten Stein die halb versteckten Sicherheitsanlagen. Linsen, Projektoren und Scheinwerfer verwandelten, wenn es sein mußte, diesen Weg in eine Straße der Vernichtung. Die Gardisten gingen in verdächtiger Hast weiter, der Weg machte zwischen den Felsen eine Biegung und führte über eine Reihe flacher Stufen in einen etwa fünfzig Schritte langen Stollen hinein, über dem sich ein Teil des Parks befand. Auch in die Wände dieses Ganges waren Verteidigungsanlagen eingebaut. Ein starker Verdacht keimte in Kornelius und Getray auf – war dies ein geheimer Schlupfwinkel des Diktators? Hundert Schritte weiter. Nachdem sie den Stollen verlassen hatten, führte der Weg entlang eines Teiches, zwischen Bäumen, durch gepflegten Rasen und mündete schließlich in einen kleinen Hof, der von drei Gebäudefronten umgeben war. Im Hof verteilt stan-
22 den farbige Energieplastiken, die langsam zum Klang positronischer Instrumente ihre Formen veränderten. »Sie gehen geradeaus!« Die langgestreckten Flachbauten schienen nichts anderes als Gästezimmer oder Wirtschaftsräume zu sein. Einige der riesigen Scheiben waren von Stahlblenden bedeckt, die sich aus Schlitzen im Boden hochgeschoben hatten. Die Gebäude würden einem Sturmangriff längere Zeit standhalten können, sagte sich Kornelius und ging weiter. Hinter dem Frontbauwerk türmte sich ein Hügel auf, der vage Ähnlichkeit mit einem niedrigen Vulkankegel hatte. Eine der Platten glitt langsam nach unten. Eine Eingangshalle wurde sichtbar. Die Stiefel der Gardisten erzeugten krachende Geräusche auf dem spiegelnden Boden. Es ging ungefähr dreihundert Schritte geradeaus. Ein Eindruck, in den tiefsten Keller eines Gefängnisses gebracht zu werden, verstärkte sich bei Getray und Kornelius. Aber weder sie noch die Leibwächter sprachen ein Wort. Vorbei an einem raffinierten System von Sicherheitseinrichtungen, offenen Sperren und den Projektoren von Strahlwaffen ging es immer tiefer in den Berg hinein. Schließlich sagte der Offizier kurz: »Halt!« Die Gruppe blieb stehen. Hinter ihnen schoben sich von zwei Seiten und von der Decke abermals Stahlplatten hervor. Ein massives Schott öffnete sich, und dahinter standen im Sonnenlicht einige Arkoniden, die zwar bewaffnet waren, aber keinen derartig brutalen Eindruck machen. »Wessalock?« schnarrte der Gardistenanführer. Einer der Männer nickte und trat vor. Er musterte die beiden Delegierten, die sich immer mehr wie Schwerstverbrecher vorkamen, die man zur Hinrichtung brachte. »Ja?« »Diese beiden Arkoniden wurden von uns hierher gebracht. Sie haben zu warten, bis der Imperator zu erscheinen geruht. Ich habe Befehl, folgendes anzuordnen: Ihre Bewegungsfreiheit wird auf die ihnen zugewiese-
Hans Kneifel nen Räume beschränkt. Sie erhalten Essen, können die allgemeinen Einrichtungen ihres Quartiers benutzen, es ist ihnen gestattet, die Nachrichtengeräte einzuschalten. Es sind keine Gefangene. Aber es erscheint dem Imperator unumgänglich, daß sie keine Gelegenheit zum Verlassen des Gebäudes erhalten. Sie haften persönlich für die Einhaltung dieser Anordnung und die ordnungsgemäße Ausführung. Alles klar?« Der mit Wessalock angesprochene Wächter oder Diener nickte mehrmals und versicherte in ungewöhnlich ruhigem Tonfall: »Alles klar, Mondträger. Ich weiß, was ich zu tun habe. Schließlich haben wir beide miteinander gesprochen, als Ihr Schiff hierher flog.« Wieder ein paar Kommandos. Die Gardisten drehten sich um und marschierten exakt wie Maschinen hinaus. Als sich das Schott hinter ihnen geschlossen hatte, erklärte Wessalock halblaut: »Bitte, kommen Sie mit. Sie werden leider eine unbestimmte Zeit warten müssen – niemand weiß, wann der Imperator kommt.« Nach zehn Schritten wußten sie, daß sie sich auf einer der untersten Ebenen eines Trichterhauses befanden, das in den Hügel hineingebaut worden war. Vor ihnen erstreckten sich der runde Park und die untersten Wohnringe. Mit verhaltener Höflichkeit öffnete schließlich Wessalock eine Tür und ging voraus. »Sie finden hier mehrere Zimmer mit allen nötigen Einrichtungen. Eine Robotküche, die zentral versorgt wird, kann Ihre Wünsche ziemlich gut erfüllen. Ich darf Ihnen keine Auskünfte geben, aber sollten Sie ernsthafte Probleme haben, dann steht Ihnen die Rufanlage zur Verfügung. Von Ihren Räumen existiert ein Zugang zum Park, aber ich muß Sie dringend davor warnen, flüchten zu wollen. Obwohl zur Flucht meines Erachtens ja kein Grund besteht.« »Danke«, murmelte Kornelius. »Sie sind zu gütig. Wir wissen Ihre Besorgtheit zu schätzen, denke ich.« Wessalock senkte den Kopf; er ging nicht
Das Treffen der Rebellen auf Kornelius' Ironie ein. »Wann kommt der Dikta … Verzeihung, der Imperator?« fragte Getray. »Nicht, daß wir ihn zwingen könnten, aber eine Frist läuft ab, an der wir nichts mehr ändern können.« »Ich weiß es wirklich nicht. Sie sollten sich auf längeres Warten einrichten, denn in diesem Fall wird die Überraschung positiver Natur sein.« »Kann sein Kommen irgendwie beschleunigt werden?« fragte Kornelius. »Dies ist stark zu bezweifeln. Ich darf jetzt gehen?« »Ja. Danke.« Das alles schien gespenstisch. Zuerst die rücksichtslose Art der Leibgardisten, nun die Höflichkeit dieses Wächters. Kornelius und Getray sahen sich schweigend an, dann gingen sie in die Räume hinein, die teilweise miteinander verbunden, teilweise einzeln waren. Es half nichts. Sie mußten warten, bis Orbanaschol geruhte, hierher zu kommen. Und die Zeit lief ab, die Uhr tickte … mehr als viertausend Raumschiffe würden reagieren, wenn die Frist vorbei war. Mit jeder Stunde wurde die Gefahr des Blutbads eines arkonidischen Bürgerkriegs größer.
6. Langsam und nachdenklich ging er hinüber zum großen Fenster, blieb davor stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Er sah hinaus in den Park und betrachtete die Zierbäume, die riesigen Blüten und die Blumenwindungen, die sich um Baumstämme schlagen. Alles lag im strahlenden Licht der Sonne, die fast senkrecht herunterschien. Auf seine merkwürdige Weise, dachte Wessalock, hätte Lebo Axton seine makabre Freude an diesem Arrangement. Lebo Axton wollte nichts anderes als der Sonnenträger und die schöne junge Frau – und als er, Wessalock, selbst. Es gab nicht viele Arkoniden, die Orbanaschol besser kannten als Wessalock. In seiner Eigen-
23 schaft als oberster Verantwortlicher für diesen Parkpavillon, wie Orbanaschol den Trichterbau im Park nannte, in dieser Eigenschaft kannte Wessalock ihn ganz besonders gut. Er wußte, daß der Imperator geisteskrank war. Unzweifelhaft verhielt er sich wie jemand, der nicht mehr Herr über seine eigenen Entschlüsse war. Das Verhältnis Orbanaschols zur Wirklichkeit war erheblich gestört. Also waren die Delegierten, Axton und er als Axtons Vertrauter sich einig. Sie zählten zu den Gegner Orbanaschols. Wessalock zuckte zusammen, als er die Konsequenzen erkannte. Er verließ seinen Platz, ging langsam und ziemlich verwirrt in den Raum, den er bewohnen durfte, und während er über alles nachdachte, was bisher geschehen war, begann er zu ahnen, daß er sich wie die beiden anderen Arkoniden in einer aussichtslosen Lage befand. Er mußte Lebo Axton verständigen. Von diesem Haus aus war es zwar technisch möglich, aber würde ein Akt des Selbstmords werden, denn alles wurde beobachtet und abgehört. Er durfte während der Anwesenheit der beiden Delegierten den Trichterbau nicht verlassen. Was sollte er tun? Mit einiger Wahrscheinlichkeit würde Orbanaschol den Befehl geben, die Meuterer auf der Stelle zu erschießen. Oder er würde es selbst tun. Die zweite Möglichkeit war weniger wahrscheinlich. Warnte er die »Gefangenen«, so machte er sich selbst zum Mitwisser, denn auch diese Warnung würde abgehört werden. Dasselbe galt, wenn er ihnen die Flucht ermöglichte. Aber sie wollten ja auch nicht fliehen, denn sie warteten auf Orbanaschol, um ihm die Forderung der Rebellen zu überbringen. Ein teuflischer Kreis von Sinnlosigkeiten und hilflosen Überlegungen. Regungslos hockte Wessalock in seinem Sessel, starrte blicklos die Überwachungsmonitoren an, auf denen jede Bewegung der Rebellen aufgezeichnet wurde.
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Hans Kneifel
Konnte er es riskieren, diesen Parkpavillon zu verlassen und mit dem Gleiter zu seinem Haus zu fliegen, von dort aus Axton anrufen und informieren? Ebenfalls unmöglich, denn wenn etwas Unvorhergesehenes geschah, dann würde man ihn zur Rechenschaft ziehen. Ein Bote? Völlig ausgeschlossen. Sie alle waren, wenn nicht aus Überzeugung, so doch aus nackter Angst vor Bestrafung des Diktators Kreaturen, ebenso wie er. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Nichts fiel ihm ein. Weder an diesem Tag, noch am folgenden. Als das Signal eintraf, daß Orbanaschol den Kristallpalast verlassen hatte und hierher flog, wuchs die Erkenntnis in Wessalock, daß alles weitere nur noch vom Schicksal gesteuert werden würde.
* Zuerst landeten einige Raumschiffe und öffneten die Schleusen. Ungefähr achthundert schwerste Kampfroboter schwebten über die Rampen und durch die Luft und bildeten ein Spalier vom Raumhafen bis weit in den »Parkpavillon« hinein. Einige Zeit später verließen lange Reihen von schwerbewaffneten Männern die Schiffe und bezogen Posten. Alles schien nach einem minuziös ausgearbeiteten Plan vor sich zu gehen. Verborgene Kraftwerke liefen an, und während Kleinraumschiffe mit ausgefahrenen Geschützprojektoren über diesem Bezirk der Landschaft kreisten, entfalteten sich dröhnend überall Energieschirme und ineinander übergehende Energiekugeln, auf denen sich das Licht des Sonnenaufgangs spiegelte. Der Trichterbau füllte sich mit Männern, die aufgeregte Kommandos riefen und überall umherschlenderten, jeden Winkel durchsuchten und schließlich auch die Räume betraten, in denen gerade Kornelius und Getray von Helonk aufgewacht waren und sich duschten und anzogen. »Der Imperator kommt! Machen Sie sich fertig!« rief jemand durch die offenen Türen. Warnsignale summten. Irgendwo heul-
ten Sirenen auf. Ein gewaltiger Lärm breitete sich aus. Zwischen den Bäumen und an allen Stellen der weiträumigen Parkanlagen schwirrten Gleiter, die ebenfalls mit bewaffneten Gardisten besetzt waren. Die Schiffe, von denen Maschinen und Arkoniden abgesetzt worden waren, starteten und zogen sich auf naheliegende Raumhäfen zurück. Ein Pulk von fünf kleinen Schiffen raste heran, flog eine exakte Schleife über dem Trichterhaus und setzte gleichzeitig zur Landung an. Aber nur ein Schiff landete wirklich, die vier anderen stiegen wieder auf und verschwanden mit ohrenbetäubendem Lärm. Eine Schleuse glitt auf, ein schwerer Gleiter schwebte heraus und auf einem Strukturriß der größten Schutzschirmkuppeln zu. Kaum war der Gleiter innerhalb des Schirm, schloß sich die Lücke. Das gesamte Sicherheitssystem von über viertausend Arkoniden oder Robotern war nur für einen einzigen Mann aktiviert worden. Der Gleiter, in dem fünf ausgewählte Gardisten und Orbanaschol saßen, ging tiefer und folgte dem Spalier der wartenden Kampfmaschinen. In einem gepanzerten unterirdischen Raum stieg der Diktator aus der Maschine und knurrte heiser: »Ihr bleibt hier und wartet. Ich werde vermutlich nicht lange bleiben. Forderungen! Abordnung von Rebellen! Lächerlich!« Er stapfte davon. Da er selbst angeordnet hatte, in welchen Räumen die beiden Rebellen untergebracht werden sollten, fand er den betreffenden Sektor seines Trichterhauses ohne die geringste Mühe. Er wartete, bis sich die Panzertür eines riesigen, prunkvollen Büros geöffnet und der Raum sich mit Gardisten und Robotern gefüllt hatte. Dann warf er sich in den prächtigen Sessel und schrie: »Bringt sie her, diese Verräter! Ich werde ihnen sagen, was sie mit den Forderungen tun können!« Daraufhin trennte eine massive doppelte Energiebarriere den Raum in zwei Teile. Nach kurzer Zeit brachte Wessalock die zwei »Delegierten«.
Das Treffen der Rebellen
* Sowohl Kornelius als auch Getray kannten den Diktator nicht persönlich, hatten sich aber schon oft in seiner Nähe befunden, an Festen im Kristallpalast teilgenommen und waren von ihm mit einigen Worten bedacht worden. Seit einiger Zeit hatten sie ihn nicht mehr direkt gesehen. Jetzt erschraken sie, denn sein Aussehen hatte sich stark verändert. Zwar war die Kleidung kostbar und hervorragend gepflegt, die Stiefel glänzten, und im Licht der vielen Beleuchtungskörper leuchteten und schimmerten die Bordüren aus Edelmetallfäden, die Verzierungen an Jacke und Hose. Das Haar klebte strähnig am Kopf. Es war stark gelichtet. Das fahle Gesicht mit der grobporigen, ungesund wirkenden Haut und den tiefen, schlaffen Falten wirkte unglaublich alt und verwahrlost. Stechend musterten die kleinen Augen aus der Tiefe der Höhlen die zwei Eintretenden. »Ausgerechnet Sie! Ich habe gedacht, ich verhöre mich! Von Helonk! Sie wagen es, mir unter die Augen zu treten? Das Minderwertigste, das ich seit langem gesehen habe. Und dazu noch in Begleitung eines Raumfahrers! Schämen Sie sich nicht? Entblößen Sie sich nicht? Warum haben Sie sich noch nicht selbst umgebracht, Getray?« Sie ließ den Ansturm aus Schreien, Fisteln und Keuchen über sich ergehen. Er war wie von Sinnen. Orbanaschol hatte sich halb aus dem Sessel erhoben, über den Tisch geworfen und schrie wie ein Rasender auf sie ein. Getray erschrak nicht über Lautstärke und Wortwahl, aber sie erschrak über die Art, in der Orbanaschol förmlich explodierte. Er besaß keine Spur von Selbstbeherrschung mehr. Sein Gesicht rötete sich, die bläulichen Adern traten hervor. Aus den Mundwinkeln perlten kleine Bläschen. Kornelius stand schräg hinter ihr und legte ihr warnend und wie tröstend eine Hand auf die Schulter. Deutlich drang der keuchende, pfeifende Atem des Diktators an ih-
25 re Ohren. Beide spürten den Hauch eines kommenden Verhängnisses. Dieser Mann dort vorn war tatsächlich nicht mehr normal. Er holte tief Atem und schrie weiter. »Und dazu auch noch Sie, Sonnenträger! Sie sollten an der Maahkfront sein und gegen die Methanungeheuer kämpfen!« Kornelius sagte mit unerschütterlicher Ruhe: »Das würde ich tun, wenn ich einen klaren Befehl bekommen hätte. Aber seit mindestens über einem Jahr hat die Flotte keinerlei klare Befehle erhalten, die zu echten Siegen geführt hätten. Aus diesem Grund und einer Anzahl anderer Gründe bin ich hier.« Er ließ seinen Blick über die Gesichter der Gardisten gleiten. Es war unmöglich, zu erkennen, was die Männer dachten oder empfanden. Sie hielten ihr Mienenspiel hervorragend unter Kontrolle. Sie sahen starr geradeaus; nur drei oder vier Gardisten blickten Kornelius und Getray direkt an. Der Diktator hob seine Arme und hämmerte mit beiden Fäusten auf die Tischplatte. Dann fiel er in den Sitz zurück und wurde plötzlich ganz ruhig. »Was wollen Sie, Kornelius?« fragte er schnarrend. Er kniff die Augen zusammen und lächelte listig. »Getray von Helonk und ich sind von rund viertausendeinhundert Kommandanten beauftragt worden, mit Ihnen zu sprechen, Imperator Orbanaschol.« »Worüber?« fragte er viel zu leise. Kornelius fühlte sich immer unbehaglicher. »Die Kommandanten, denen sich stündlich mehr Schiffe anschließen, verlangen von Ihnen, daß Sie abdanken. In diesem Fall wird weder eine Verhandlung verlangt noch sonstige Sanktionen. Man bietet Ihnen an, in allen Ehren ins Privatleben zurückzugehen und an einem Platz zu bleiben, den Sie sich aussuchen dürfen.« »Nicht mehr?« flüsterte er zischend. Noch immer bewegte sich keiner der Gardisten. »Das ist im wesentlichen alles. Über die Modalitäten können wir uns einigen. Und
26 noch etwas. Ich bin beauftragt, Ihnen zu sagen, daß die Kommandanten Ihnen eine Frist gestellt haben. Wenn wir beide nicht mit einem positiven Bescheid zurückkommen, werden diese Schiffe Arkon angreifen und versuchen, Sie mit Gewalt zu vertreiben, Imperator.« »Eine Frist? Höre ich recht?« fragte er. Seine Stimme wurde lauter und unangenehmer. »Die Soldaten, die ich geschaffen habe, stellen eine Frist?« »So ist es.« »Wann läuft die Frist ab?« Kornelius erwiderte ruhig: »In zweieinhalb Tagen, auf die Stunde genau.« Orbanaschol schwieg. Er blickte von Getray zu Kornelius und wieder zurück. Dann bewegte sich sein Körper langsam vorwärts und rückwärts. Bei jeder zweiten Bewegung schlug der Diktator mit der flachen Hand auf den Tisch, und gleichzeitig begann er zu schreien und die Worte fistelnd hervorzustoßen. »Ich bin noch immer der Imperator. Niemand kann und darf mich absetzen. Es ist Hochverrat von euch allen, überhaupt daran zu denken. Ich bin gerecht und klug. Niemandem habe ich geschadet! Ich soll abdanken! Vielleicht auch noch mein Amt diesem schurkischen Atlan übergeben, der mich Tausende von Raumfahrern auf allen möglichen Welten gekostet hat! Er ist ebenso ein Lügner und Betrüger wie der Bauchaufschneider. Und wie ihr beide dort! Und diese beispiellose Unverschämtheit, auch noch eine Frist zu stellen. Meine Frist, merkt euch das, ist noch lange nicht abgelaufen. Aber eure Frist läuft ab.« Kornelius wahrte die Fassung. Deutlich sah er das doppelte Energiegitter vor dem Imperator. Er konnte ihn nicht einmal angreifen. Die Wachen standen da wie aus Stein gehauen. »Diese Fragen werden nicht diskutiert, Imperator Orbanaschol. Selbst wenn uns etwas geschieht, wird der Angriff stattfinden.
Hans Kneifel Der Bürgerkrieg bricht los! Arkon und das Imperium werden sich davon niemals wieder erholen können. In zweieinhalb Tagen wird das Chaos über die drei Arkonwelten hereinbrechen. Die Rebellen, wie Sie jene aufrechten Frauen und Männer nennen, wissen auch, daß Sie eine Gegenflotte aufgestellt haben. Es gibt viele Mittel, sie zu umgehen und in vielfache Fallen zu locken. Wir richten an Sie den dringenden Appell, der dringenden Aufforderung nachzukommen. Ihnen wird nicht ein Haar gekrümmt. Auch Sie können die Zukunft nicht manipulieren und die Entwicklung nicht aufhalten. Außerdem würde die Nachricht von unserem Tod niemanden davon abhalten, nicht zu kämpfen. In zweieinhalb Tagen wird sich eine riesige Flotte auf Arkon Eins und Zwei stürzen und wie eine Flutwelle alles hinwegfegen, mit oder ohne uns. Sie sind in diesem Fall das erklärte Ziel der Rebellen.« »Sie wollen mich töten! Sie haben ernsthaft vor, mich zu ermorden, diese Wahnsinnigen!« heulte Orbanaschol und winkte seinen Wachen. »Bringt mich weg! Ich glaube nichts! Ich werde ihnen die größte Flotte des Imperiums entgegen werfen! Die Meuterer werden zerschmettert, vernichtet, hingerichtet und getötet!« Er sprang auf und warf den schweren Sessel um. Dann rannte er zum Ausgang des Büros und blieb vor der Türplatte noch einmal stehen. Mit ausgestrecktem Arm deutete er auf Kornelius und Getray von Helonk. »Wessalock! Sie bürgen mir dafür! Sie sorgen dafür, daß die Abgesandten den morgigen Tag nicht mehr erleben! Legt sie um, verscharrt sie; aber nicht in meinem Park! Sie haften, hören Sie? Ich lasse Sie foltern und töten, wenn ich erfahre, das sie morgen Mittag noch am Leben sind!« »Ich habe verstanden«, sagte Wessalock aus dem Hintergrund. Kornelius und die Frau blieben stehen und sahen zu, wie die Männer in den gepanzerten Kampfanzügen mit dem Diktator in der Mitte den Raum verließen. Sie erzeugten beträchtlichen Lärm. Plötzlich hörte Kornelius deutlich,
Das Treffen der Rebellen wie Wessalock sagte: »Ich versuche alles. Sie müssen mitspielen!« Dann winkte er zwei Robotern, von denen die Abgesandten aus dem Raum hinaus und in ihr luxuriöses Gefängnis zurückgebracht wurden. Aber jetzt hatte sich die Szene verändert. Vor jedem Schott, jedem Fenster und jeder Öffnung, die als Fluchtweg denkbar war, schwebten aktivierte Kampfroboter. Kornelius versuchte, noch ein Wort oder einen Blick Wessalocks zu erhaschen, aber der Mann schwieg beharrlich. Er wirkte sehr unglücklich und verwirrt. Das Geräusch, mit dem das Trennschott zufiel, hatte etwas Endgültiges. Kornelius wußte jetzt, daß sie nicht einmal mehr einen Tag zu leben hatten.
7. Als riesige, silberfarbene Sichel hing der Mond zwischen den Zweigen. Sie bewegten sich im Rhythmus der schmeichelnden, ruhigen Musik und im warmen Nachtwind. Die Zeit zwischen Sommer und Winter war gekommen. Die Blätter begannen sich zu färben. Aber es war noch immer warm in den Nächten, hier am Schnittpunkt von vier verschiedenen Landschaftszonen. Hier, neben dem Delta des Voomis, hatte Upoc sein Haus gebaut. Nach Süden erstreckte sich der schier endlose Strand des Meeres in einem weiten halbmondförmigen Sandstreifen. Im Norden erstreckte sich die kleine Wüstenzone, deren äußerster Ausläufer hier im Süden den Strand berührte. Ein unabsehbarer Wald befand sich zwischen dem Strand und der Wüstenei im Westen. Und direkt unterhalb des Hauses begann das sumpfige Schilfdelta des Voomis, ebenfalls ein riesiges und unerforschtes Dreieck aus Schlamm und Wasser, Pflanzen und kleinen Inseln mit festem Boden. Alle vier Winkel des Landes wurden von den spärlichen, beruhigenden Klängen erreicht. Die Musik mischte sich mit den
27 Lauten des Nachtwinds. Die Natur atmete die Wärme, die sie tagsüber aufgenommen hatte, langsam wieder aus. Die fremdartigen Klänge aber schienen auf sämtliche Lebewesen eine beschwichtigende und wohltuende Wirkung zu haben. Wie immer zirpten große Insekten in ihren Verstecken, die Amphibien quakten, die Nachtvögel jagten, und in den Sümpfen glitten gepanzerte Echsen lautlos durch das schwarze Wasser. Der Kolonialplanet Dalirc war eine vergessene Welt. Dalirc lag weit abseits der vielbeflogenen Routen, aber dennoch landeten Schiffe hier. Jedoch hatte der große Methankrieg bisher auf Dalirc niemandem geschadet. Die Maahks schienen den Planeten und sein Sonnensystem nicht zu kennen oder aus einem unbegreiflichen Grund zu verschonen. Es lebten nicht sehr viele Arkoniden hier. Jene Welt der absoluten Ruhe, fast unberührt, nur von wenigen Handelsschiffen besucht, stellte einen Rückzugspunkt dar, eine Ferienkolonie für einen ganz bestimmten Typ Arkoniden – meist nicht mehr sehr jung, in jedem Fall nicht willens, ein öffentliches Amt oder einen einflußreichen Posten anzunehmen, in keinem Fall in der Lage, in der Flotte mitzukämpfen. Künstler lebten hier und arbeiteten in Ruhe an ihren Werken. Einige andere bauten Mineralien ab, mehr zu ihrem Vergnügen als zum Broterwerb, wieder andere jagten mit den Eingeborenen und für die Eingeborenen; es gab jemanden, der seit mehreren Jahren über den Voomis eine Brücke baute, fast ganz allein hatte er mehr als die Hälfte fertig. Auch Politiker, die der Ansicht waren, alles getan zu haben, wozu sie auf Arkon oder anderen Welten in der Lage gewesen waren, wohnten hier. Wenn sich die Frauen und Männer treffen wollten, so geschah dies mit Hilfe von Gleitern. Wenn sie allein sein wollten, so war dies recht einfach, und überdies gab es eine große Anzahl leistungsfähiger Sender, mit deren Hilfe man praktisch jeden arkonidischen Bewohner von Dalirc
28 erreichen konnte. Upocs Musik war noch immer zu hören, obwohl sie völlig unaufdringlich war. Nur derjenige hörte sie wirklich, der sie hören wollte. Das galt natürlich nur in sehr beschränktem Maß für viele Tiere, aber all die unhörbaren Schwingungen, die ihre Ergänzung in den Rhythmen und den Kadenzen fanden, verbreitete Ruhe. Vor allem ließen sie deutlich erkennen, daß derjenige, der diese Musik erfunden hatte und jetzt spielte, über ein unerwartet großes Maß innerer Ruhe und Ausgeglichenheit verfügte. Upoc schaltete das Band ein. Es hatte aufgenommen, was er eben auf der komplizierten, selbstgebauten Tastatur gespielt hatte. Jede Einzelheit war positronisch aufgezeichnet worden. Jetzt spielte das Gerät automatisch. Upoc stand auf, streckte seinen Rücken und entkrampfte sich. Ruhig, aus großen Augen, blickte er sich in seinem Raum um und ging hinaus auf die weit vorspringende Terrasse. Dank der Musik waren die kleinen Insekten nicht im geringsten aggressiv. Upoc sah hinaus auf das Meer, betrachtete eine Weile die langen Brandungswellen. Auch das Rauschen war wesentlicher Bestandteil der Musik, die er schrieb. Ein weiteres Element, in Rhythmus und Klang der Natur abgelauscht und zu künstlichem Klang geworden. Mondlicht schimmerte auf den Wellen und endete erst am Horizont. Im Sumpf schrie ein Alligator. »Böse Nachrichten!« murmelte Upoc und dachte an seinen toten Bruder. Während des Tages hatte er mit seinem Empfänger einige Meldungen aufgefangen, die sich mit der Situation des Imperiums befaßten. Aber Upoc wußte, daß nur ein totaler Sieg der Maahks den Planeten Dalirc gefährden konnte. Alles andere war sicherlich nicht unwichtig, aber es würde ihn ebenso wenig betreffen wie die anderen Arkoniden hier. Er ging zurück in den riesigen Wohnraum, der ein Sphäroid war, geformt wie ein zusammengedrückter Kugelkörper. Der flache »Nordpol« bestand aus einer Sonnen-
Hans Kneifel und Ausguckterrasse, und am anderen Ende befand sich ein Betonrohr von fünf Metern Durchmesser, das tief ins Erdreich hineinreichte, eine Treppe und alle möglichen Versorgungseinrichtungen enthielt. Im Wohnraum waren auf zwei Decks sämtliche Bereiche durch dünne Plastikwände in vielen Farben und halbtransparentem Material getrennt. Upoc wählte an der Bar eine Mischung aus einem starken Schnaps der Dalirc-Eingeborenen und einem milden, schäumenden Wein. Vorsichtig mischte er beides, hob den Pokal und blieb wieder auf der Terrasse sitzen. Gedankenvoll ließ er seinen Blick über das Voomis-Delta gleiten und dachte nach. Er hatte Ruhe und Abgeschiedenheit gesucht und hier gefunden. Sein Ehrgeiz richtete sich, wenn überhaupt vorhanden, auf seine Kompositionen und auf immer neue Verbesserungen des Instrumentariums. Selbstironisch charakterisierte sich Upoc als versponnen und eigenbrötlerisch. Aber er wußte – und Orbanaschol, der ihn niemals im geringsten belästigt hatte, wußte es auch –, daß er die hohe Intelligenz der Familie Gonozal geerbt hatte. Lange saß Upoc auf seiner Terrasse, trank noch ein Glas leer und betrachtete die unaufdringliche Schönheit des Planeten, sah den Mond untergehen und schlief ein. Die Maschine schaltete sich selbständig aus, und gegen Morgen überhörte Upoc sogar das Geräusch eines landenden Raumschiffs. Als Upoc kurz vor Sonnenaufgang wieder auf die Terrasse hinausging, sah er das Schiff. Ein Fremdkörper, dessen Landestützen sich tief in den feuchten Sand gegraben hatten. Auf den zweiten Blick registrierte Upoc mit steigender Verwunderung, daß die Schleuse offen und die Rampe ausgefahren war. Vom Schiff aus bewegten sich ein paar Männer auf den Schaft seines Turmes zu. Deutlich sah er die tiefen Eindrücke ihrer Sohlen im feuchten Sand. »Sie wollen zu mir«, knurrte er. Er zog sich einige Schritte zurück, während er seinen zerschlissenen Morgenmantel
Das Treffen der Rebellen um die Schultern warf. Dann betrachtete er Schiff und Männer mit gelassener Neugierde. Wenn sie schon seine Wohnung gefunden hatten, dann stand es außer Zweifel, daß sie von ihm etwas wollten. Was? Die Männer kamen näher, zwei von ihnen deuteten zu ihm hinauf. »Vorbei«, sagte er bedauernd. »Fliehen ist sinnlos und außerdem unmöglich.« Er ging in den Wohnraum, zog sich schnell an und warf einen nachdenklichen Blick auf die Klaviatur, dann lief er schnell die Wendeltreppe hinunter und ging durch das dürre, salzstarrende Gras und auf den Sand. Derjenige Fremde, unzweifelhaft ein Arkonide fortgeschrittenen Alters, der die Gruppe anzuführen schien, hob grüßend den Arm und rief: »Sie sind Upoc von Gonozal!« Sein Name hatte ihn also eingeholt. Er musterte die Männer. Immer mehr kamen aus dem Raumschiff und wurden im ersten Licht des Morgens deutlicher. Jedes der nahen Gesichter drückte Ernst, Besorgnis und Hoffnung aus. Langsam antwortete er: »Ja. Richtig. Woher kommen Sie? Wer sind Sie?« »Unsere Namen tun eigentlich nichts zur Sache. Wir kommen von Arkon Eins. Wir alle sind Mitglieder des öffentlichen Lebens. Ein paar Politiker, Ärzte, einige Wissenschaftler, mehrere Journalisten und andere. Sie werden uns alle kennenlernen. Sie können sicher sein, daß wir in schwerer Sorge hierher gekommen sind und völlig ehrenhafte Ab …« Upoc sagte mit Entschiedenheit: »Ich kann es mir denken, warum. Sie sind da, genießen Sie also auch meine Gastfreundschaft. Ich habe dort oben Platz für zwanzig Leute.« Ein dünnes Lächeln der Vorfreude erschien auf dem Gesicht des Sprechers. Er deutete nacheinander auf die einzelnen Männer und stellte sie vor, nannte ihre Berufe oder Stellungen. Upoc, der ein nahezu telepathisches Gespür für unbewußte Schwingungen
29 hatte, ohne daß er diese Fähigkeit jemals systematisch weiterentwickelt hatte, registrierte einen Umstand, der ihn störte: diese etwa fünfzehn Männer von Arkon waren zutiefst unsicher und in hoffnungsloser Stimmung. »Danke!« sagte der Sprecher. Sie folgten Upoc schweigend die Wendeltreppe hinauf und verteilten sich dann im geräumigen Wohnraum auf die verschiedenen Sitzgelegenheiten. Upoc entschuldigte sich, daß er ihnen so gut wie nichts anbieten könne, aber niemand war daran ernsthaft interessiert. Schließlich lehnte er sich an die Stützsäule und fragte: »Warum sind Sie gekommen?« »Weil wir Sie brauchen!« »Ich verstehe nicht recht. Was soll ein versponnener Einsiedler haben, das Sie brauchen können?« »Haben Sie in der letzten Zeit Nachrichten gehört?« »Spärlich. Genug aber, um zu erkennen, daß es um das Imperium nicht eben sehr gut steht«, erklärte er leise. »Dann kennen Sie den Grund unseres Besuchs. Wir rechnen sozusagen stündlich mit dem Ausbruch eines Bürgerkriegs.« Er prüfte bedächtig den Ausdruck eines jeden Gesichts und murmelte dann: »So schlimm?« »Ja. Schlimmer. Orbanaschol hat das Imperium in die tiefste Krise seit seinem Bestehen gestürzt. Die Tage des Diktators sind gezählt. Es ist keiner unter uns, der nicht davon überzeugt ist, daß Orbanaschol zumindest Anfälle von Wahnsinn zeigt, wenn er nicht ganz und gar wahnsinnig ist.« »Wahnsinn im medizinischen Sinn?« fragte Upoc, diesmal wirklich erstaunt und beunruhigt, »oder nur deshalb, weil viele mit seinen Entscheidungen nicht einverstanden sind?« »Da er keinen Arzt an sich heranläßt, konnten nur ›Ferndiagnosen‹ gestellt werden. Wir alle und darüber hinaus viele Millionen andere Arkoniden sind sicher, daß er im medizinischen Sinn wahnsinnig ist. Wir sind in mehrfacher Hinsicht verzweifelt. Er-
30 stens deswegen, weil Orbanaschol das Imperium in den Bürgerkrieg stürzen wird, und zwar innerhalb weniger Tage.« »Das meinen Sie nicht im Ernst!« widersprach der Halbbruder Gonozals, von dessen Existenz die Öffentlichkeit zwar wußte, aber mehr oder weniger vergessen hatte. »Wir wären nicht hier, wenn wir davon nicht hundertprozentig überzeugt wären«, sagte ein Journalist mit kurzem Haar und alten, müden Augen. »Zweitens befürchten wir, daß Orbanaschol von einem unberechenbaren Abenteurer gestürzt wird, der dann womöglich noch schlimmer herrscht oder durch fehlende staatsmännische Klugheit auch noch die letzten Reste vernichtet. Und drittens gibt es dieselbe Gefahr, falls ein Strohmann Imperator werden sollte. Dann ist das Imperium der Willkür von skrupellosen Geschäftemachern oder noch schlimmeren Kreaturen ausgeliefert. Was wir brauchen, ist ein Mann, dessen Name bereits für Ausgewogenheit und Vernunft garantiert.« »Ich?« flüsterte Upoc verständnislos. »Ja. Sie, Upoc von Gonozal. Sie sind der einzige, von dessen Integrität wir alle überzeugt sind.« Upoc schüttelte den Kopf. Wieder trafen zögernde und verständnislose Blicke die Delegation. Mit allem schien Upoc gerechnet zu haben, aber keinesfalls mit dieser direkten Aufforderung. »Sie leben hier völlig zurückgezogen. Wir erfuhren, daß Sie parapsychologisch wirkende Musik komponieren und versuchen, deren Wirkung auf Lebewesen zu studieren. Ein Mann, der dies tut, wird seine eigenen Interessen dem Wohl des Imperiums unterordnen. Milliarden von Arkoniden, die jeden Glauben an den Imperator – oder, um genauer zu sein, an das Amt des Imperators – verloren haben, warten nur auf den Augenblick, an dem sie eine neue Leitfigur haben, die hält, was sie verspricht.« Upoc hob beide Hände und machte eine abwehrende Geste. »Ich habe nichts versprochen, meine Her-
Hans Kneifel ren.« Ihn schauderte schon allein bei der Vorstellung, sein Haus hier verlassen und nach Arkon fliegen zu müssen. Noch mehr graute ihm davor, das zu versuchen, was man gemeinhin Regieren nannte. Ein kaltes Gefühl kroch über seinen Rücken. »Sie haben nichts versprochen, nein. Aber wir bitten Sie um Ihre Zustimmung. Sie sollen uns nur bestätigen, daß Sie bereit sind, nach der furchtbaren Ära Orbanaschol die Macht zu übernehmen.« »Warum gerade ich!« rief er. »Es gibt Tausende von Männern, die besser und entschlossener sind als ich.« Zwar führte er ein zurückgezogenes und in seine Neigungen und den Ablauf des Lebens von Dalirc eingesponnenes Leben, aber er erkannte mit Leichtigkeit, daß die Männer dieser kleinen Versammlung weder Dummköpfe noch Illusionisten waren. Sie glaubten an das, was sie hier vortrugen. Sie alle waren davon überzeugt, daß ausgerechnet er, Upoc, der Retter des Imperiums war. Welch eine absurde Fehleinschätzung der Dinge! Er konnte nicht, und er wollte nicht. Trotzdem rührte ihn ihre Beharrlichkeit ein wenig. Nach dem Tod Gonozals, seines Halbbruders, hatte er jegliches Interesse verloren, mehr mit dem Imperium zu tun zu haben als unumgänglich nötig. »Aus mehreren Gründen gerade Sie. Upoc!« sagte ein Arzt und deutete auf ihn. »Ja? Welche Gründe?« »Es gibt wohl niemandem im Bereich des Imperiums, der den Namen Gonozal nicht kennt und weiß, für welche Tugenden er steht.« Upoc winkte ab. »Also nur weil ich zufällig Träger dieses ehrwürdigen und unbeschmutzten Namens bin, wollen Sie, daß ich …« »Lassen Sie mich bitte beenden. Das ist ein Grund. Dann weiß jeder, der Sie noch in Erinnerung hat, daß Sie hundertprozentig ehrlich und kein ehrgeiziger Tyrann sind, noch sein werden.« »Man kann Entwicklungen nicht vorher-
Das Treffen der Rebellen sagen!« schränkte er warnend ein. »Sie wären andernfalls längst der Herrscher über Dalirc, mit Ihrer Musik und Ihren sonstigen Geistesgaben. Wir haben Sie niemals beobachten lassen, aber es gibt viele Informationen, die wir zusammentrugen.« »Über mich und meine Person?« »Richtig. Und da Sie ein verständiger und hochanständiger Mann sind, was Sie sicher nicht abstreiten werden, rechnen wir damit, daß Sie sich dem Imperium zur Verfügung stellen werden. Denken Sie an Ihren Halbbruder, der mit einer großen Wahrscheinlichkeit von Orbanaschol oder seinen Helfern ermordet worden ist!« Die Sonne tauchte jetzt hinter dem Horizont auf und badete das Land in ihr gelbes Licht. Aus dem Sumpfdelta erhoben sich riesige Vogelschwärme und begannen zu kreisen. Das Geräusch der ununterbrochenen Brandung war leiser geworden; die Ebbe hatte das Wasser weit zurücktreten lassen. Die Dünen der Wüste warfen lange, undeutliche Schatten. Die Gegenstände im Wohnraum schienen ein Eigenleben zu bekommen und glänzten. Und das grelle Licht ließ die Gesichter der Männer hervortreten. Upoc, der schweigend über die letzte Bemerkung nachdachte, sah jetzt deutlich die Linien der Sorge und der Angst in den Gesichtern der freiwilligen Abordnung. Unzweifelhaft: ihre Motive waren echt, aber mit jeder Faser sträubte er sich dagegen, dieses Leben hier aufzugeben und Dinge zu tun, von denen er weder eine Ahnung hatte noch Lust, sie zu tun. »Ich denke an meinen Halbbruder«, meinte er schließlich. »Wir bitten Sie abermals, das zu tun, worum wir Sie bitten, Upoc!« Er schüttelte mit mehr Nachdruck den Kopf und sagte hart: »Nein. Ich bleibe hier und lebe weiter, so, wie ich es bisher getan habe.« »Das kann nicht Ihre wirkliche Antwort sein!« rief einer der Wirtschaftsführer. »Wir brauchen Sie dringend. Ach was, dringend ist nicht das richtige Wort. Arkon braucht
31 Sie, um zu überleben!« »Das kann ich Ihnen nicht glauben. Ich würde es niemandem glauben«, gab Upoc zurück. Aber er schien nicht unsicher geworden zu sein. »Ich bin für die Arbeit, die Sie mir anbieten, der Ungeeignetste!« »Keineswegs. Sie mißtrauen sich selbst – grundlos!« »Ich kann Arkon und das Imperium nicht komponieren und spielen«, sagte er und deutete auf die Klaviatur des Instruments und auf die einzelnen, kleineren Geräte, die er mitnahm, wenn er seine Melodien im Delta testete. »Sie brauchen in beiden Fällen nur für Harmonie zu sorgen. Sie haben Berater, die ihr letztes hergeben würden, um dem Imperium nützen zu können!« »Meine Antwort bleibt nein!« Der Sprecher der Gruppe stand auf und machte einige beschwichtigende Gesten. Er war klug und erkannte, daß sie jetzt und hier nicht weiterkommen würden. Er meinte leise, aber eindringlich: »Unsere Zeit ist knapp, aber ein paar Stunden Warten wird das Imperium noch vertragen, schätze ich. Wir gehen zurück ins Schiff. Upoc wird auf diese Art Ruhe und Zeit bekommen, unsere Angebote oder drängenden Bitten genau und in der Ruhe des Alleinseins zu überdenken. Wir kommen wieder, Upoc. Zumindest ich werde versuchen, mit Ihnen das Problem noch einmal zu diskutieren.« Er trat vor ihn hin, blickte ihm in die Augen und schüttelte ihm die Hand. Die anderen Männer verabschiedeten sich, und als er ihnen nachsah, wie sie über den Strand zurückgingen, dachte er daran, daß schon die nächste. Flut ihre Spuren verwischt haben würde. Er setzte sich vor sein Instrument, blickte die Tasten und die Regler an und die Kabel, die zu den Generatoren und Zusatzgeräten führten, aber er spielte keinen Ton. Er war tief aufgewühlt, seine Empfindungen überschlugen sich, aber je, länger er darüber nachdachte, desto größer wurde das Gewicht, das ihn hier auf Dalirc hielt.
32
Hans Kneifel
* Am frühen Nachmittag, als die Sonne fast senkrecht herunterbrannte und sich das Delta in eine Zone des Schweigens und der hitzeflirrenden Ruhe verwandelte, hob Upoc sein langes, aus dreißig dünnen Metallröhren und einem Verstärker und Modulator bestehendes Gerät auf die Schulter und verließ, noch immer nicht ganz beruhigt, den Schaft seines Hauses. Ganz langsam ging er hinüber zu der wie ein Finger gekrümmten Halbinsel, die vom festen Land weit in den Sumpf hineinragte. Gedankenlos schob er die immer höher wachsenden Binsen und Kolben zur Seite, dann hob er das Instrument an die Lippen, legte die Finger auf die kurzen Tasten und begann zu spielen. Zuerst war er unsicher. Seine Verwirrung übertrug sich auf dem Weg über Finger, Atem, Ansatztechnik und Verstärkung auf die leise, klagende Melodie, die sofort Insekten aufstörte, Wasservögel aus dem Schilf scheuchte und ein kleines Rudel Jagdschlangen ins Wasser gleiten ließ. Dann aber hatte er sich schnell gefangen und spielte lauter, eindringlicher und zielbewußt. Ich muß meine Spannungen abbauen, ich muß mich abreagieren, dachte er verzweifelt. In Gedanken stellte er eine Art Wertskala auf. Ihm lag nicht das geringste an Ruhm, Besitz, Ehrungen. Natürlich hatte er den Tod seines Halbbruders tief betrauert; Gonozal war einer der Männer gewesen, die ihm am nächsten gestanden hatten. Aber das war inzwischen Historie. Andererseits hatte er ein Recht, sich die Ohren zuzuhalten, wenn Arkon ihn rief. Aber jeder Schritt, den er weiter in das raschelnde und rauschende Feld aus breiten, feuchten Blättern und Halmen eindrang, zeigte ihm die Schönheit des Planeten und die ruhige Einsamkeit seines Lebens hier, das er ohne Verantwortung leben konnte. Wie vermochte er diese Männer davon zu überzeugen, daß er einfach nicht der
richtige Mann für das angebotene Amt war? Und wie schaffte er es, sie fortfliegen zu lassen – und später womöglich mit dem Vorwurf der Erkenntnis leben zu können, er wäre der einzige gewesen, der Blutbad und Bürgerkrieg, Chaos und einen untauglichen neuen Herrscher hätte verhindern können? Einige Sekunden lang gab sein Gerät laute, weithin schallende Mißtöne und klirrende Dissonanzen ab. Der Sumpf und die Flächen des Landes und des freien Wassers schienen plötzlich zu kochen und zu brodeln. Tiere aller Arten stürzten kreischend, schreiend, flatternd und springend aus dem Dickicht und flüchteten in Panik nach allen Seiten. Als er sich abermals beruhigte, änderte sich auch die Zone der Furcht. Ruhe kehrte wieder ein. Er setzte sich auf einen Kieshaufen, streckte die bloßen Füße ins Wasser und spielte weiter. Fische kamen herbei und knabberten zutraulich an seinen Zehen. Eine Panzerechse, zweimal so lang wie er, riß den Rauchen auf und blinzelte ihn andachtsvoll an. Dann hörte er Schritte hinter sich und sah abermals den Chef dieser zusammengewürfelten Gruppe. Die Falten im Gesicht von Kavery schienen sich geglättet zu haben. »Ich hoffte, Sie allein zu treffen«, sagte Kavery. »Nicht stören lassen! Sie haben eine gewaltige Macht mit dieser Musik und Ihrer Fähigkeit. Und Sie üben diese Macht auch aus, natürlich im positiven Sinn. Deswegen braucht Arkon Sie, Upoc!« Upoc blies einige Takte und setzte das Mundstück ab. »Arkon ist nicht von Insekten, Fröschen und Echsen bevölkert«, sagte er und spielte, nachdem er tief Luft geholt hatte, ungerührt weiter. »Diese Analogie kann unbedenklich angewandt werden«, widersprach Kavery und deutete auf die Echse, die heranschwamm und den Schwanz aufwärts krümmte wie einen riesigen Bogen. »Ich komme nicht mit!« »Wir wollten Sie auch nicht mitnehmen. Wir wollen nur Ihr Wort, daß Sie im Augen-
Das Treffen der Rebellen blick der Not unser Mann sind. Spüren Sie keine Verantwortung für das Werk Ihres Halbbruders?« Die Musik beruhigte und entspannte auch Kavery, aber sie nahm ihm nichts von der Schärfe seiner Argumentation. »Nein, nicht besonders!« »Und wenn die Einsicht kommt, Sie hätten Blutvergießen und einen Usurpator auf dem Kristallthron verhindern können, was dann? Beruhigen Sie sich dann Tag und Nacht mit der Musik? Sie werden gute Lungen brauchen!« Deutlicher Ärger stand in Upocs Gesicht, als er sich umdrehte und Kavery anblickte. Seine Augen blitzten auf; mit einer schnellen, ruckartigen Bewegung warf er sein Haar in den Nacken. »Sie werden unangenehm, Kavery!« sagte er schroff. Kavery lächelte ohne Verlegenheit und gab zurück: »Um Sie zu überzeugen, würde ich Sie niederschlagen und nach Arkon tragen. Keine Sorge, ich sagte würde. Ich kann nichts anderes tun als betteln wie ein Kind. Kommen Sie! Helfen Sie uns, und helfen Sie dem Imperium!« Upoc krümmte seine Schultern, setzte das Instrument wieder an die Lippen und spielte weiter. Nach einer schier endlosen Weile drehte er sich wieder halb herum und sagte heiser: »Warum sind Sie gekommen und haben mich aus meiner Ruhe gerissen? Gehen Sie dorthin zurück und suchen Sie einen Mann, der darauf brennt, dieses Amt anzutreten. Ich bin nicht der Mann, den Sie suchen.« »Genau der Mann sind Sie!« »Es muß einen anderen geben!« »Keinen, den wir kennen. Keinen, den das Imperium akzeptiert!« Kaverys Stimme war wieder beschwörend und drängend geworden. »Lassen Sie mich aus dem Spiel. Ich bin nicht interessiert. Ich bin zu dem Amt nicht geeignet, ich bin unfähig. Ich kann nur Fische dressieren mit dieser Superflöte.« »Sie können Arkoniden beherrschen und
33 retten, was in einer undenkbar langen Zeit aufgebaut wurde.« »Nein!« stieß Upoc gequält aus. »Hören Sie nicht, wie Ihr toter Halbbruder Ihnen zuflüstert, daß Sie tun sollen, was Ihnen der Verstand rät?« »Ich behalte, woran mein Herz hängt.« Kaverys Lachen war ohne jeden Humor. Sarkastisch versicherte er: »Unser Herz hängt am Imperium, und unser Verstand sagt uns allen, daß es gerettet werden muß. Und zwar durch Sie, Upoc von Gonozal!« Upoc starrte zweifelnd auf die Wasserfläche und sah zu, wie die Echse den Schwanz herunterschlug und mit dem langen Widerhakendorn einen dicken Fisch aufspießte und danach schnappte. Schmatzend zerfetzte sie das weißbäuchige Tier. »Ich habe kein Gegenargument. Trotzdem bitten Sie mich vergeblich, Kavery!« Kavery flüsterte eindringlich: »Noch sind nicht alle Fragen gestellt und alle Antworten gegeben. Sie können nicht ausweichen.«
8. »Kornelius, jetzt habe ich furchtbare Angst. Ich will nicht sterben. Nicht für diesen wahnsinnigen Schurken!« flüsterte sie. Kornelius streckte den Arm aus und strich vorsichtig über ihr Haar. Er biß sich auf die Unterlippe und suchte in Gedanken noch immer nach einem Ausweg oder einer Fluchtmöglichkeit. Jede Minute, die ungenutzt verstrich, verringerte ihre Überlebenschancen. »Niemand will sterben. Ich ebenso wenig. Aber ich finde nichts, das uns hilft.« »Er wird uns erschießen lassen, nicht wahr?« fragte sie leise und lehnte sich schutzsuchend an ihn. »Es sieht so aus. Aber denken Sie daran, was der Wächter – Wessalock ist sein Name – uns zugeflüstert hat.« Sie zuckte mit den Schultern und gab fragend zurück: »Wobei sollen wir mitspielen? Und wie
34 will ausgerechnet er uns retten?« »Aber das weiß ich nicht – es war eine hervorragende Idee, was die Breitenwirkung betrifft. Ermordete Parlamentäre versetzen Rebellen stets in besinnungslose Wut. Leider kann ich diese Empfindung nicht recht begrüßen. Aber noch ist Hoffnung, Getray!« »Wo sehen Sie Hoffnung? Ich sehe nur Roboter!« sagte sie bitter. Sie standen in der Mitte des großen Wohnraums. Auf dem Tisch befanden sich die Reste eines hervorragenden Essens, aber sie hatten nur wenige Bissen herunterwürgen können. Dafür hatten sie mehrere Gläser starken Alkohol getrunken, der sie zwar ein wenig entspannte, aber ihnen die Angst nicht nehmen und keinerlei Hoffnung geben konnte. Der Wächter hatte sich nicht mehr blicken lassen. Wessalock war verzweifelt. Er hatte es geschafft, kurz zu seinem Haus fliegen zu können. Mindestens fünfmal hatte er versucht, Lebo Axton zu erreichen, aber Axton meldete sich nicht. Er mußte unterwegs sein und seine guten Gründe haben, daß sein Gerät unbesetzt war. Von dieser Richtung gab es keinerlei Hilfe. Und jetzt befand sich Wessalock wieder im Trichterhaus des Parkpavillons und sann, was er zur Rettung der beiden Arkoniden tun konnte. Bisher war ihm nicht einmal eine Möglichkeit in den Sinn gekommen. Es war jetzt früher Nachmittag – ihm blieb nur noch die Nacht, um sich etwas einfallen zu lassen. Wessalock beschloß, mit allen Kräften weiterhin die Rettung der beiden Parlamentäre zu versuchen, und dazu seine eigene, denn er wußte, daß der Diktator keinerlei Risiko einging und auch ihn selbst, den Majordomus dieses meist leerstehenden Hauses, beobachten ließ. Es gab eine haarfeine Grenze, bis zu der sich Wessalock hervorwagen konnte. Für ihn war es tödlich, diese Grenze zu überschreiten. Er ging langsam zurück in das kleine Verwaltungszentrum des Hauses und setzte sich vor den Kommunikationsbildschirm.
Hans Kneifel »Wessalock spricht. Bitte, die Wachen Dannynt, var Aggos, Fynghar und Iddynt in die Zentrale. Wir haben ein ernstes Thema zu besprechen.« Er schaltete ab und wartete. Die Durchsage war in allen Teilen des weiträumigen Pavillons zu hören gewesen. Nacheinander kamen die Wachen hierher, nahmen sich etwas zu trinken und setzten sich. Auf eine besondere Art kannten sich die fünf Männer, und sie hatten ein angenehmes Verhältnis zueinander. Natürlich wußten sie, worum es ging. Wessalock machte keinerlei Umschweife. »Hört zu, Freunde«, sagte er. »Wir sollen die zwei Parlamentäre umbringen. Wer drängt sich vor?« Sie starrten ihn schweigend und entsetzt an. »Ich scherze nicht«, sagte er. »Jeder von uns hat gehört, was Orbanaschol befohlen hat. Ich kümmere mich freiwillig um die beiden Leichen und sorge dafür, daß sie spurenlos beseitigt werden. Ich bin Majordomus, kein Mörder.« »Ich bin der Ansicht, daß seit jeher Parlamentäre den Schutz ihres Status genießen und nicht hingerichtet werden sollen!« erklärte Dannynt finster. »Ich bin auch kein Mörder. Warum nicht die Roboter, von denen wir inzwischen Unmengen hier haben?« Wessalock lächelte nichtssagend. »Die Roboter sind einschlägig programmiert. Sie würden vielleicht feuern, wenn die Parlamentäre ausbrechen und wild um sich schießen würden. Auf diesen Gefallen können wir lange warten. Also, wer will den Befehl unseres Herrschers ausführen?« Innerlich zitterte er, aber er versuchte standhaft, seinen Bluff weiterzutreiben. Die bisherigen Erfolge schienen ihm Recht zu geben. »Ich bestimmt nicht«, knurrte Iddynt. »Ich bin hier eingestellt und bezahlt worden, um Angriffe auf das Eigentum des Imperators abzuwehren. Was bisher noch nicht der Fall war.« »Möchtest du, Fynghar?« fragte Wessalock. Seine Versuche waren kläglich, aber
Das Treffen der Rebellen sie stellten seine einzige Möglichkeit dar. »Nicht die geringste Bereitschaft dazu. Orbanaschol hat keinen von uns namentlich genannt!« gab Fynghar zurück. Er zuckte die Schultern und sah sich verlegen um, dann nahm er einen Schluck aus dem Glas. »Wir haben nicht viele Möglichkeiten zur Auswahl«, sagte Wessalock langsam. »Der Befehl wurde gegeben, wir haben ihn zu befolgen. Tun wir dies nicht, dann sterben wir, das ist ebenfalls sicher. Und in diesem Fall bin ich geneigt, meine Skrupel ein wenig zurückzustellen.« Car Aggos, ein großer, breitschultriger Mann mit einer dunklen Haarsträhne und groben Gesichtszügen, stieß heiser hervor: »Ich bin ratlos!« »Zwei von euch gehen morgen früh hinunter ins Sportzentrum im Tiefkeller. Dort stehen die zwei Parlamentäre zwischen einigen Robotern. Ihr feuert einen langen Schuß ab, und alles ist erledigt«, schlug Wessalock vor. »Wer?« »Von mir aus könnt ihr losen, euch gegenseitig bestechen, meinetwegen dürft ihr euch betrinken, wenn ihr nur in der Lage seid, die Auslöser zu drücken. Pünktlich um sieben Uhr. Ich lasse euch rufen. Wer meldet sich freiwillig?« Sie starrten ihn schweigend an. Keiner hatte die geringste Veranlassung dazu, und keiner dieser braven, an sich völlig harmlosen Wachen fühlte sich als potentieller Mörder. Aber sie hatten Angst um ihr eigenes Leben, denn im Lauf ihrer Arbeit hier hatten sie den unberechenbaren Zorn und die Wutausbrüche des Diktators sehr gut und intensiv kennengelernt. »Gibt es eine Möglichkeit, diesen … Auftrag nicht ausführen zu müssen?« murmelte Dannynt unbehaglich. »Ich denke nein«, antwortete Wessalock. »Nun?« Sie waren voller Skrupel. Zudem war Kornelius ein Sonnenträger, also ein untadeliger Kommandant der Flotte. Sie wanden sich innerlich, aber je länger sie darüber
35 nachdachten, desto genauer erkannten sie, daß ihnen keine Wahl blieb. »Dannynt?« fragte Wessalock in einem Tonfall, der ihnen sagte, daß er eine Entscheidung verlangte. »Ausgeschlossen!« »Jeder von uns wird immer wieder ›Nein‹ sagen«, flüsterte Car Aggos. »Du kannst uns immer wieder fragen.« »Und du wirst immer wieder dasselbe Nein hören!« pflichtete ihm Fynghar bei. »In diesem Fall werde ich euch die Verantwortung abnehmen«, sagte Wessalock und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ihr wißt, aus welchen Beweggründen ich handle. Wenn sich die Zeiten ändern sollten, wird man uns zur Rechenschaft ziehen. Dann könnt ihr euch ja auf mich berufen. Ich bringe euch … zuerst noch meine Anordnung: Car Aggos und Fynghar melden sich morgen früh bei mir. Ich bringe euch neue, durchgesehene Waffen, Strahler, die mit einem einzigen Schuß töten. Dann geht ihr hinunter, feuert jeweils einen Schuß ab und überlaßt den Rest mir. Niemand wird euch zur Rechenschaft ziehen. Ist das klar?« Car Aggos nickte, stürzte den Inhalt seines Glases hinunter und stand auf. Er fluchte leise und verließ den Raum. »Fynghar?« »Schon gut. Ich schieße nur, weil ich die Rache des Imperators mehr fürchte als mein schlechtes Gewissen.« »In diesem Fall handeln wir alle unter demselben Zwang«, sagte Wessalock. »Ich danke euch, weil ihr mir helfen wollt. Der Anlaß ist traurig genug.« »Bei Arkon. Das ist er!« pflichtete ihm Dannynt bei und stellte das leere Glas zurück. »Je eher dieser verdammte Zwischenfall vergessen ist, desto besser für alle Beteiligten!« »Auch für Getray und Kornelius!« sagte Wessalock und war am Ende seiner Beherrschung. Er wartete, bis die Männer gegangen waren, dann goß er ein Glas voll starken Alkohol und trank es in einem Zug aus. Er
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Hans Kneifel
fühlte sich keineswegs besser, aber er bildete sich ein, die Ereignisse wären unter solchen Umständen etwas weniger schwer zu ertragen.
* Im Laufe der Jahre hatte Wessalock genau erfahren, welche Räume überwacht, abgehört und mit Linsen versehen waren. Das kleine Magazin wurde nicht überwacht. Er ging hinunter und nahm zwei der schweren Strahler aus den Verpackungen. Nachdenklich wog er sie in der Hand, dann entfernte er die Energiemagazine aus dem Griff der Waffen. Er schob die Magazine in das Ladegerät, nahm einige Schaltungen vor und wartete. Dann, als er eine bestimmte Zeigerstellung erkannte, nahm er eines der Magazine heraus, schob es in die Waffe zurück und nahm eine Einstellung der Streuung vor. Er richtete den Lauf des Strahlers gegen eine entfernte Stelle des Korridors und feuerte einen Schuß ab. Es gab ein donnerndes Geräusch, einen langgestreckten Blitzstrahl und einen Einschlag am Ende des Ganges. Wessalock legte die Waffe zur Seite, ging geradeaus und betrachtete schweigend und mit zusammengepreßten Lippen die Brandspuren des Einschlags. »Wenn dieser Schuß ein lebendes Wesen getroffen hätte, wäre es tot«, murmelte er verzweifelt. Was konnte er tun? Er machte einen zweiten Versuch mit einer noch stärker entladenen Magazinfüllung und schätzte, daß zwar Geräusch- und optische Entwicklung deutlich und dramatisch waren, aber daß die Brandspuren geringer waren. Mit mehreren langen Schüssen entlud er die erste Waffe, und schließlich glaubte er nach knapp zweistündigen Versuchen, daß seine Schätzungen richtig sein könnten. Er öffnete die Mechanik beider Waffen, klemmte die Kontrollvorrichtung beider Waffen fest und sah, daß sie erwartungsgemäß volle Ladungsstärke zeigten. Er
schob die Waffen wieder in die dreieckigen Hüllen zurück und verließ das Magazin. Er ließ die Waffen im Büro des Zentralraums zurück und ging hinunter ins Sportzentrum, in dem sich Orbanaschol seit Errichtung dieses Trichterhauses bestenfalls ein paar Stunden lang aufgehalten hatte. Er programmierte mehrere Robots um, schuf bestimmte Helligkeitsverhältnisse in dem langgestreckten Raum, öffnete und schloß Türen und steuerte einen Gleiter an einen bestimmten Punkt. Das alles waren Dinge, die er sich zwar hatte vorstellen können, aber die er niemals getan hatte. Ihm fehlte jegliche Übung in Fragen der Konspiration und einer solchen Tricktechnik. Aber die Not und die Verzweiflung trieben ihn zu wahrer Größe. Mitten in der Nacht fuhr er zu seinem Haus und versuchte abermals, Lebo Axton zu erreichen. Wieder war der Versuch ergebnislos. Er fuhr zurück zum Pavillon und befahl zwei Robotern, an einer unauffälligen Stelle eine tiefe Grube auszuschachten und zwei große Plastikbehälter in das Sportzentrum zu bringen. Dann setzte er sich in seinem Schlafraum in einen Sessel, aß eine Kleinigkeit und dachte nach. Immer wieder ließ er die einzelnen Phasen seines Planes in seinen Überlegungen passieren und suchte nach Fehlern und schwachen Stellen. Sie waren zahlreich. Er rief einmal die Zimmer der Parlamentäre an und fragte, ob Kornelius und Getray besondere Wünsche hätten. Um sechs Uhr morgens wurde er von seinem Robot geweckt, und nur äußerlich ruhig, innerlich aber mehr als unsicher und verzweifelt ordnete er die verschiedenen Abläufe des Mordes an den Parlamentären. Als er Fynghar und Car Aggos die Waffen gab, vermieden es die drei Männer, sich in die Augen zu sehen.
* Wessalock stand seitlich an der Längs-
Das Treffen der Rebellen wand des Raumes, als die Roboter die Parlamentäre hereinbrachten und an ihm vorbeiführten. »Mitmachen. Schreien. Zusammenbrechen!« zischte er. Getray war starr und kreidebleich vor Angst. Der Sonnenträger schloß und öffnete die Augen zweimal. Wessalock, der seine zitternden Hände in den Taschen verbarg, definierte dies als Zeichen des Verstehens. Die Maschinen, die jeweils mit einem unaufbrechbaren Griff ihrer Stahlfinger einen Arm der Todeskandidaten umfaßt hatten, schwebten bis zum Ende der Halle, drehten sich dort herum und nahmen ihre Plätze ein. Zwischen den Maschinen standen nebeneinander die beiden Arkoniden. Kornelius hatte seinen Arm um Getrays Schultern gelegt und hielt die junge Frau an sich gepreßt. Hinter den Gefangenen befand sich eine mit Metall ausgekleidete Wand. Nur zwei Scheinwerfer leuchteten diesen Teil der Anlage aus. Car Aggos und Fynghar tauchten dreißig Meter entfernt am anderen Ende der Halle auf. Wessalock holte Luft und rief mit unsicherer Stimme: »Getray und Kornelius. Der Imperator ordnete an, Sie zu töten. Wir vollstrecken nur seinen Befehl. Ihr beide dort, fertig?« Widerwillig knurrte Aggos: »Ja.« »Feuert!« rief Wessalock, hielt seine eigene Waffe in der Hand und schoß eine volle Energieladung oberhalb der Köpfe der Parlamentäre in die Stahlwand. Gleichzeitig oder fast gleichzeitig donnerten die beiden anderen Schüsse auf. Getray schrie gellend, Kornelius stieß einen dumpfen Schrei aus, dann brachen beide in einem Inferno aus Helligkeit und Lärm zusammen, zuckten ein wenig und blieben liegen. Aus dem Bodenbelag stieg dichter Rauch auf. Die Roboter glitten zur Seite. Wessalock schrie: »Laßt die Waffen hier und betrinkt euch. Danke.« Er sah die zwei Männer fast ruckartig den Raum verlassen. Die Sprinkleranlage trat in Tätigkeit. Wessalock herrschte die Roboter
37 an: »Bringt die Leichen zum Gleiter. Schnell! Bleibt dann bei dem Grab, das ihr ausgehoben habt und wartet auf mich.« Er sah, halb verrückt vor Spannung, den Maschinen zu. Sie hoben mühelos die regungslosen Körper hoch, schwebten hinaus und legten sie in die Kunststoffkästen. Dann schwebten sie weiter zum Lift und fuhren hinauf an die Oberfläche. Bis jetzt ging alles gut. Wie lange noch? dachte Wessalock voller Nervosität, die er nicht zeigen durfte. Er schwang sich in den Gleiter und wartete, bis der Lastenlift wieder unten angekommen war. Er fuhr hinein, drückte den Kontakt und sprang dann aus dem Gleiter. »Hören Sie?« rief er leise. Der Lift befand sich nicht im Überwachungssystem. Wessalock stemmte die beiden Deckel hoch und hörte zu seiner unendlichen Erleichterung die Stimme von Kornelius. »Ja. War es richtig so? Getray ist lobenswerterweise ohnmächtig geworden!« Der Majordomus bewunderte die Kaltblütigkeit des Sonnenträgers. Er atmete hörbar aus und flüsterte: »Steigen Sie sofort aus. Verstecken Sie sich in der Kabine des Gleiters. Unter dem Fahrersitz liegen ein Plan und ein Impulsschlüssel für mein Haus. Rufen Sie Lebo Axton an, seine Nummer ist ebenfalls auf dem Zettel. Sagen Sie ihm, was passiert ist. Diese Kisten hier werden verscharrt. Lassen Sie sich Zeit, bleiben Sie in der Deckung von Bäumen und Büschen. Schnell!« Während der Lift aufwärts glitt, stehenblieb, aber die Türen noch nicht aufgingen, half Wessalock dem Mann, Getray von Helonk aus der Kiste zu heben und zwischen den Sitzen des Gleiters zu verstecken. Dann schlossen sie die Behälter. Auch Kornelius versteckte sich so gut wie möglich, und Wessalock öffnete die Türen des Lifts. Glücklicherweise herrschte diesiges Wetter, auch war die Sonne noch nicht aufgegangen. Langsam steuerte der Majordomus den Gleiter zu dem offenen Grab, ließ die
38 Maschinen die beiden Kunststoffsärge ausladen und schwebte davon, einem seitlichen Eingang des Gebäudes zu. Dort ließ er den Gleiter stehen und ging ins Haus zurück. Er holte die Waffen, entfernte die Magazine, beseitigte die falschen Anzeigen der Ladungskontrolle und brachte die Strahler zurück in ihre Verpackungen. Inzwischen beseitigten die Maschinen bereits die Schäden in den Sporträumen. Wessalock ging in den Speiseraum, in dem die vier Männer mürrisch herumsaßen und tranken – und er bestellte sich in der Robotküche ein Frühstück. Rätselhafterweise hatte er einen guten Appetit. Car Aggos war betrunken, und Fynghar schien von diesem Zustand nicht weit entfernt zu sein. »Verdammt!« lallte Aggos. »Sind sie … tot?« »Es war eine schnelle, schmerzlose Hinrichtung«, bestätigte Wessalock leise. »Sie werden eben verscharrt. Sie werden nur noch in unseren schlechten Träumen weiterleben.« Er hoffte, daß die Skrupel und das Gefühl, gegen eigenen Willen zu Henkern des Imperators geworden zu sein, die Männer weniger mißtrauisch gemacht hatten und ihre Fragen und späteren Aussagen eindeutig klingen lassen würden. »Und weiter …?« fragte Fynghar leise. »Was weiter?« »Was haben wir noch zu tun?« Wessalock schüttelte den Kopf. »Was uns fünf betrifft, so läuft das Leben so weiter wie immer in diesem schönen Landsitz des Imperators. Nichts hat sich geändert. Außer, daß wir dann Angst haben müssen, wenn Orbanaschol nicht mehr regiert. Dann erst wird man uns zur Rechenschaft ziehen.« Als er nach dem Essen einen Monitor einschaltete, registrierte er mit düsterer Freude, daß sich der Gleiter nicht mehr dort befand, wo er ihn zurückgelassen hatte. Hoffentlich hatten diejenigen, die ihn und
Hans Kneifel die Anlage überwachten, in den entscheidenden Sekunden nicht auf die Bildschirme gesehen. So bald wie möglich mußte Wessalock in sein eigenes Haus und den angeblich Toten sagen, was sie tun konnten. Und wenn auch sein Haus überwacht wurde …?
9. Die ganze lange Skala der identifizierbaren Geräusche war rückwärts wieder abgelaufen: Der ruhige Flug des Schiffes. Die veränderten, Geräusche der Maschinen. Das Heulen der Atmosphäre. Die Landung, die vielen Vibrationen des Entladevorgangs, dann die Richtungsänderungen irgendwelcher Robotmaschinen, die den Container transportierten. Eine lange Abwärtsbewegung. Verschiedene Stimmen. Und schließlich das offensichtliche letzte Glied der langen Kette. Der harte Ruck, mit dem der Behälter auf dem Boden einer mit Sicherheit subarkonschen Lagerhalle abgesetzt wurde. Ruhe! Äußerste Ruhe und Geduld! ermahnte mich der Logiksektor. Ich blickte Fartuloon an. »Was jetzt? Stürmen wir hinaus, oder warten wir?« fragte ich leise. Waren wir überhaupt auf Arkon Zwei? »Natürlich warten wir!« sagte der Bauchaufschneider seelenruhig. »Du rechnest damit, daß die Ladung kontrolliert wird?« »Diesem Wahnsinnigen ist es zuzutrauen, daß er eine große Menge von Leuten beschäftigt, jede Winzigkeit zu Kontrollieren. Vergiß nicht, er hat Angst vor jedem und allem.« »Das mag sein.« Wir blieben also in unserem winzigen Versteck, nicht viel größer als ein Raumanzug. Langsam und quälend verging die Zeit. Wir hörten durch die Ladung und die Wandungen hindurch verschiedene Laute, Kommandos, das Summen von Motoren und dann heiseres Gelächter. Alles klang unglaublich leise und gedämpft. Die Phantasie und die Erfahrung ergänzten viele undeutli-
Das Treffen der Rebellen che Geräusche. Nach einer unendlich lang erscheinenden Zeit murmelte ich: »Jetzt könnten wir es riskieren, Fartuloon!« »Du kannst Recht haben. Allerdings müssen wir mit äußerster Vorsicht aus diesem Kasten herauskrabbeln!« sagte er leise. Wir entsicherten die Waffen, nahmen die Scheinwerfer und öffneten den Verschluß des Kunststoffschlauchs, der zu der winzigen Klappe im Oberteil des Containers führte. Hintereinander krochen wir durch die Windungen dieses engen Rohres. Wir schwiegen und bemühten uns, nicht laut zu atmen. Endlich hörte ich ein scharfes Flüstern. »Ich öffne jetzt. Still! Vorsicht!« Ich hielt den Atem an und versuchte, an Fartuloons Körper vorbeizublicken. Außerhalb des Containers schien es dunkel zu sein. Mit leisem Klicken schaltete der Bauchaufschneider den Scheinwerfer aus; auch ich betätigte den Schalter meiner Handlampe. Dann hörte ich das Scharren seiner Stiefel und ein leises Knirschen. Er steigt aus! flüsterte der Logiksektor. Fartuloon verließ mit einem entschlossenen Ruck das letzte Stück der versteckten Röhre. Ich folgte ihm und drehte meinen Kopf, als ich eine andere Luft und eine niedrigere Temperatur spürte. Waren wir auf Arkon Zwei? Fartuloon bewegte sich rechts von mir fast geräuschlos wie ein Tier der Nacht über die kühle Oberfläche des Behälters. Ich schwang mich ebenfalls ins Freie und registrierte, als ich die Klappe so leise wie möglich schloß, daß wir uns in einem riesenhaften Lager befanden, den Lichtverhältnissen nach unter der Planetenoberfläche. In großer Entfernung gab es ein halbes Dutzend von Scheinwerfern, die aber dort, wo sie angebracht waren, senkrecht nach unten strahlten. Einige Sekunden lang rührten wir uns nicht und horchten vorsichtig herum. Dann war ich an Fartuloon herangekrochen und wisperte dicht an seinem Ohr: »Arkon Zwei, nicht wahr?« »Sieht so aus, Kristallprinz!«
39 »Wir versuchen, hinauszukommen?« »Ja. Irgendwo dort vorn, wo das Licht ist. Dort scheint auch ein Ausgang zu sein. Los! Aber leise!« Wir krochen nebeneinander bis zur Kante des Containers. Inzwischen hatten sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Wir befanden uns hoch über dem Boden, keine zehn Meter von einer felsigen, von Stahlträgern und Kabelbündeln durchzogenen Felsendecke entfernt. Unter uns erstreckten sich in vier übereinanderliegenden Ebenen riesige Mengen von Frachtbehältern. Langsam und vorsichtig machten wir uns an den Abstieg. Als unsere Sohlen den rauhen Boden berührten, lehnten wir uns an der Ecke eines Turmes von Behältern gegen die Wand. Ich sagte: »Hier können wir weder etwas sehen noch erfahren.« »Aus diesem Grund arbeiten wir uns so vorsichtig wie möglich an die Lichtquellen heran.« »Dort vorn ist die Ladestraße!« »Schon gesehen«, flüsterte er und glitt davon. Vorsichtig bewegten wir uns im Zickzack zwischen den hoch übereinandergetürmten Containern. Allein in diesem Silo lagerten ungeheure Mengen von Waren aus allen Teilen des Imperiums. Eine ganze Flotte mußte unterwegs gewesen sein, wenn die Blockade auch erst einige Tage dauerte. Immer wieder stolperten wir über Reste von Ladungen oder Verpackungsmaterial. Aber außer einem vagen, tieffrequenten Summen gab es keinen einzigen Laut, der uns noch vorsichtiger gemacht hätte. Schweigend schlichen wir an Dutzenden von Frontseiten vorbei. Immer wieder lasen wir selbstleuchtende Reihen von Schriften und Buchstaben, die Ladungen, Herkunft und andere Daten bezeichneten. Fartuloon wandte sich plötzlich um, hielt mich an der Schulter fest und duckte sich. Unsere Hände fuhren an die Griffe der Schockstrahler.
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»Halt!« hauchte er nahezu unhörbar. Ich drehte mich um und versuchte, etwas zu erkennen, vielleicht einen Schatten. Ich bildete mir ein, meinen eigenen Herzschlag dröhnend zu hören. Nichts! meldete sich der Extrasinn. Ich fühlte, wie der Bauchaufschneider mit den Schultern zuckte. Inzwischen waren wir dem Licht so weit nähergekommen, daß wir zwischen den schmalen Gassen der Containerstapel die Helligkeit deutlich wahrnahmen. Zwar warfen auch wir Schatten, wenn wir uns außerhalb der Behälterstapel befanden, aber wir sahen in den Längsfugen auch keine Bewegung und keine fremden Schatten. Also schlichen wir weiter. Das Summen von Maschinen, vermutlich Klimageräten oder laufenden Transporteinrichtungen, war ebenfalls deutlicher geworden. Wir konnten uns ein wenig ungehinderter bewegen, denn die Geräusche unserer Schritte und diejenigen Laute, die entstanden, wenn wir mit der Kombination an den Wänden entlangstreiften, gingen in diesem Hintergrundlärm unter. Schließlich befanden wir uns in einem schmalen Korridor, der auf seiner ganzen Länge einzusehen war. Dort vorn schien sich eine Art Büro oder Schaltplatz zu befinden. Wir sahen Roboter, einen Spezialgleiter, einige Pulte und Schreibtische und den Teil einer Rechenanlage. Hin und wieder glitt eine Gestalt durch den Ausschnitt. Wenn es überhaupt einen Ausgang für uns gab, dann dort vorn. Wir schlichen auf diesen freien Platz inmitten der unübersehbar großen Menge von Containern zu. Ich war jetzt sicher, daß wir uns auf Arkon II befanden.
10. Erst am Abend gelang es Wessalock, den Pavillon zu verlassen. »Hoffentlich finde ich mein Haus nicht besetzt vor!« sagte er sich und dachte an die Sicherheitspolizei oder irgendwelche Leute
vom Geheimdienst. Zweimal hatten untere Dienstränge angerufen und sich erkundigt, ob die Hinrichtung stattgefunden hätte. Vor einer Stunde aber meldete sich der Imperator selbst und verlangte einen genauen Bericht. Da Wessalock offiziell nichts davon wußte, daß die Mehrzahl der Räume überwacht wurde, rief er die beiden Helfer, erklärte vorher ihren Zustand und ließ sie schildern, was vorgefallen war. Offensichtlich war Orbanaschol zufrieden mit dem, was er gehört hatte. Er ließ sich von einer offiziellen Außenkamera noch den Platz zeigen, an dem die Parlamentäre verscharrt waren, dann blendete er sich kommentarlos aus der Verbindung. Wessalock ging zu Fuß; um keine Verwirrung aufkommen zu lassen, würde er mit seinem eigenen Gleiter zurückkommen müssen. So schnell wie möglich und unter Ausnutzung aller jener Deckungsmöglichkeiten, die ihn zwar kaum sichtbar, andererseits aber, falls man ihn sah, auch nicht verdächtig machten – das glaubte er wenigstens! – ging er in die Richtung seines vergleichsweise winzigen Hauses. Es lag am Rand des riesigen Parks, der den Pavillon umgab. Als Wessalock, inzwischen noch unruhiger geworden und schwitzend, durch ein Stück Allee mit weicher, indirekter Beleuchtung hastete, sah er voraus hinter einer Panoramascheibe seines flachen, in einen Hügel hineingebauten Hauses ein flüchtiges Licht aufschimmern. Es erlosch sofort wieder. Augenblicklich wich der Majordomus nach links aus, tauchte zwischen den Zierbüschen unter und schlug einen Umweg ein. Der Weg würde ihn an vielen Verstecken vorbeiführen, in denen sich Orbanaschols Schergen verbergen konnten – wenn sie ihm auf der Spur waren. Vielleicht konnte er sie ablenken. Seine Panik, die er einen halben Weg lang mühsam unterdrückt hatte, flackerte wieder auf. Aber hier standen keine Gleiter, er sah keine Schatten, keinen hellen Fleck zwischen dem Grün der Anlage. Er rannte jetzt, keuchend und mit schmerzendem Kopf. Die
Das Treffen der Rebellen Nervenanspannung war zuviel für ihn. Als er sich an der Ecke befand, an der das Bauwerk in den flachen Hang überging, hatte er noch immer niemanden gesehen. Mühsam beruhigte er sich und blieb stehen. Sein Herz klopfte hart und schnell. Unter der vorspringenden Regenplatte entdeckte er den Gleiter, mit dem Getray und Kornelius hierher gekommen waren. »Hoffentlich …«, murmelte er, rannte an der Hausfront entlang und auf den schmalen Eingang zu. Inzwischen war es dunkel geworden. Er schob die Tür auf, nachdem er den zweiten Öffnungsmechanismus betätigt hatte. Lautlos wich die undurchsichtige Glasplatte nach links aus. Das Haus war dunkel und völlig still. Mit einem Satz verschwand Wessalock im Innern und rief unterdrückt: »Kornelius! Ich bin es, Wessalock!« Hinter ihm sagte eine Stimme mit deutlicher Erleichterung: »Beinahe hätte ich Sie erschlagen, mein Freund.« Wessalock wirbelte herum und entdeckte einen großen Schatten, der sich bewegte. Er glaubte einen Arm zu sehen, der sich senkte und ein glänzendes Stück Metall hielt. »Alles klar?« krächzte er. »Er scheint so zu sein«, entgegnete Kornelius müde. Wessalock fand einen Kontakt, legte einen Finger darauf und verdunkelte sämtliche Fenster, die zum Park hinausgingen. Dann ließ er das Licht aufflammen. Kornelius und er sahen sich schweigend an. Wessalock schwankte und lehnte sich gegen die Wand. Jetzt nahm er auch den Essensgeruch wahr, der aus dem hinteren Teil des Hauses kam. »Also, der Imperator scheint uns geglaubt zu haben. Offiziell sind Sie beide tot und verscharrt. Haben Sie Axton erreicht?« »Nein!« Der Sonnenträger, dessen Spannung noch immer anhielt und harte Linien in sein Gesicht grub, schüttelte schwach den Kopf. »Wir haben es ununterbrochen versucht. Das Gerät ist frei, aber niemand meldete sich. Falsche Nummer?«
41 »Ausgeschlossen. Aber Lebo Axton ist ein seltsamer, undurchsichtiger Mann. Er wird niemanden verständigen, wenn er nicht anzutreffen ist. Und einen Anschluß, der nicht in seiner privaten Wohnung liegt, will ich nicht anwählen. Das Risiko ist zu groß. Gehen wir hinein.« »Gern. Zuerst muß ich mich bedanken, Wessalock. Sie waren großartig und erfindungsreich. Ohne Ihre Hilfe wären wir jetzt tot.« Wessalocks Knie wurden schwach. Der Schock wirkte jetzt, und er ließ sich in einen Sessel fallen. Leise sagte er: »Es war der erste Versuch einer solchen Aktion in meinem Leben. Und Sie haben hervorragend mitgespielt. Ich bin noch jetzt ganz schwach. Das alles kommt mir wie ein Traum vor.« Getray von Helonk kam in den Wohnraum und trug auf einem Tablett Krüge und Becher. Sie strahlte Wessalock an und reichte ihm, als er auf ihre unausgesprochene Frage nickte, einen Becher. Das heiße, schwarze Getränk beruhigte ihn ein wenig. »Es war kein Traum, sondern gräßliche Realität«, sagte sie. »Meine Angst war größer als Ihre. Wie lange sind wir hier sicher?« »Keine Ahnung. Je länger, desto weniger sicher.« »Begreiflich!« sagte Kornelius. Sie saßen jetzt in drei Sesseln sich gegenüber. Zwischen ihnen schwebte der Antigravtisch. Wessalock deutete in die Richtung auf Orbanaschols Trichterbau. »Ich habe heute Nachtdienst. Ich muß gleich wieder zurück. Sie sollten so unauffällig wie möglich sein. Gehen Sie nicht an den Bildschirm. Öffnen Sie nicht. Verstecken Sie sich. Ich werde ebenfalls versuchen, Axton zu erreichen. Er ist der Geheimdienstchef, aber ich weiß, daß er den Diktator haßt und unschädlich machen wird.« »Wir glauben Ihnen.« »Axton wird sich Ihrer annehmen. Er bringt sie in ein sicheres Versteck.« »Das hilft uns, aber sonst niemandem. Die Frist, die Orbanaschol von den Rebellen ge-
42 stellt wurde, läuft ab.« Wessalock zuckte zusammen. Er blickte auf die große Uhr in der Kaminwand. »Tatsächlich. An alles andere habe ich gedacht. Wann genau?« Der Sonnenträger versuchte ein dünnes, humorloses Lächeln. Mit Bestürzung erkannte der Majordomus, daß dieser Mann unter einer genauso großen Spannung stand wie er selbst. »Zum Zeitpunkt unseres inszenierten Todes waren es noch eineinhalb Tage. Jetzt ist es weniger als ein Tag. Morgen um diese Zeit ist die Meutererflotte bereits im Anflug. Dann beginnt der Bürgerkrieg – wenn nicht ein Wunder geschieht.« Getray von Helonk schüttelte hoffnungslos den Kopf. »Es wird kein Wunder geschehen!« Wessalock stand auf und machte eine umfassende Bewegung. »Verfügen Sie über das Haus und die Einrichtung. Waffen gibt es leider keine, aber einen Seitenausgang in meinen kleinen Garten. Vielleicht brauchen Sie ihn. Und lassen Sie sich nicht erwischen. Ich bin sicher, daß Sie heute Nacht ruhig schlafen können – wenn man mich sucht, so wird das drüben im sogenannten Pavillon sein.« Er schüttelte Getrays Hand, und Kornelius brachte ihn zum Ausgang. Vor der geschlossenen Tür murmelte der Sonnenträger: »Nochmals meinen uneingeschränkten Dank. Ich wünschte, wir würden uns unter anderen Umständen kennengelernt haben. Viel Glück noch. Wir werden sehen, was aus unseren Wünschen geworden ist.« Wessalock drückte die Hand des schlanken Mannes. »Ich denke, Sie und Ihre Partei der Rebellen brauchen mehr Glück als ich.« Er öffnete die Tür, ging scheinbar gleichgültig und ohne Eile: zu seinem Gleiter und stieg ein. In dieser Nacht geschah nichts. Kein Überfall, keine Kontrolle, kein weiterer Wutausbruch des Imperators. Irgendwann hatte sich Wessalock mit Hilfe von Medika-
Hans Kneifel menten so weit beruhigt, daß er einschlafen konnte. Als er ziemlich spät aufwachte, war sein erster Gedanke, daß es nur noch wenige Stunden bis zum entscheidenden Augenblick waren. Mehr als viertausend Schiffe stürzten sich dann auf Arkon.
11. Wir blieben stehen, als wir noch etwa vierzig Meter vom Rand des freien Platzes entfernt waren. »Zuviel Bewegung dort vorn!« wisperte der Bauchaufschneider. »Wir kommen an ihnen nicht vorbei!« gab ich zu. Wir sahen jetzt einen größeren Ausschnitt der kreisförmigen Fläche, die tatsächlich ein Verteilungsbüro und eine Wachtstation war. Gefahr! Rechts von euch! schrie plötzlich der Logiksektor. Wir reagierten blitzschnell, aber zu langsam. Als rechts von uns ein starker Scheinwerfer aufblendete, als gleichzeitig jemand laut und hallend »Stehenbleiben!« schrie, krachte ein doppelter Schuß auf. Wir wurden getroffen. Der kalte Schock traf meinen Arm auf dem Weg zur Waffe, und ich schlug schwer gegen die Seite eines Containers, weil ich reflexhaft meine Muskeln gespannt hatte, um zur Seite zu springen. Fartuloon hatte neben mir gestanden, und er fiel halb auf mich. Unsere Körper waren gelähmt, aber da uns die Schüsse in die Brust und in die Arme getroffen hatten, konnten wir denken, sehen und hören. Aber wir vermochten uns nicht zu bewegen. Der Scheinwerfer bewegte sich. Schritte kamen näher. Zwei Männer unterhielten sich. Sie leuchteten uns in die Gesichter, dann merkte ich, wie sich Fartuloons schwerer Körper bewegte; er wurde von mir heruntergezogen. »So etwas war zu befürchten. Die zwei Spione haben sich vermutlich mit einer Ladung eingeschlichen.« »Das soll Axton erfahren. Er kann sie abholen lassen.«
Das Treffen der Rebellen Das grelle Licht verschwand. Vermutlich richteten sie den Scheinwerfer auf Fartuloon. »Kennst du sie?« »Nein. Ein junger und ein alter Mann.« »So alt ist er nun auch wieder nicht. Aber schön fett. Leider werden wir nicht nach Gewicht bezahlt.« Entweder hatten sie dort gelauert und sich gerührt, oder wir waren auf unserem Weg durch unsichtbare Detektorstrahlen gelaufen oder mit anderen Mitteln entdeckt worden. Aber ich erkannte, daß sie uns nicht klar identifizierten. Nun, sicher waren unsere Kombinationen verschmutzt, die Gesichter möglicherweise auch. Ich hörte die nächste Bemerkung. »Nein. Ich kenne weder den einen noch den anderen. Irgendwelche Flottenleute. Wollen sie etwa von hier aus …?« Der Mann sprach nicht weiter. Dann fühlte ich im Gesicht einen Luftzug. Eine Decke wurde über mich geworfen, eine zweite über Fartuloon. Ich konnte den Sinn dieser Maßnahme nicht einmal erraten. »Lassen wir sie erst einmal hier liegen.« »Alarmierst du den Sektionskommandanten?« »Gleich. Vom Büro aus.« Die Helligkeit verschwand. Die Schritte entfernten sich und wurden immer leiser. Ich wußte jetzt, daß Orbanaschol tatsächlich alle Möglichkeiten und jeden Weg, der ins Arkon-System hineinführte, genauestens vom Geheimdienst kontrollieren ließ. Eine geradezu unübersehbar große Menge von Arkoniden mußte auf den Beinen sein, um eine einigermaßen sichere Absperrung zu gewährleisten. Die Geheimdienstler unterhielten sich, als sie gingen, so undeutlich, daß ich nichts verstehen konnte. Ich versuchte zu sprechen oder zu flüstern, aber die gelähmten Muskeln und Nerven gehorchten mir nicht. Nur die Lungen funktionierten noch. Ich lag da, verfluchte unsere Unachtsamkeit und wartete …
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* Ich schätzte, daß wir zwei Stunden regungslos zwischen den Containern lagen. Dann wieder hörte ich ein Summen, ein viel helleres Geräusch. Ich kannte es. Roboter näherten sich. Kleine Scheinwerfer richteten sich auf uns. Die glühenden Linsen schwenkten hierhin und dorthin. Die glänzenden Körper aus Metall und Plastik rochen nach Maschinen. Ich fühlte die seelenlosen Griffe der Robotfinger. Mein Körper wurde schnell und mit der Leichtigkeit der Maschinen hochgehoben, mehrmals gedreht und bewegt, dann zwischen den Containern in die Richtung getragen, aus der die beiden Männer vorhin und jetzt die zwei Roboter gekommen waren. Mein Kopf schob sich aus der Decke heraus; meine starren Augen blickten zur Seite. Ich sah die breite Bahn des Transportwegs. Hier stand mit abgeblendeten Scheinwerfern ein Gleiter. Flüchtig erkannte ich das Zeichen des Geheimdiensts auf den Türen. Die Roboter schwebten auf das Fahrzeug zu, blieben vor der Ladefläche stehen und setzten uns ab. Wir lagen nebeneinander. Ich hatte dicht vor meinen Augen den Hinterkopf des Bauchaufschneiders. Früher oder später würde man uns entwaffnen und genau untersuchen. Dann würden sie wissen, wen sie paralysiert hatten. Nach einigen Minuten, in denen die Maschinen auf Befehle zu warten schienen, drehten sie ab und schwebten davon, in die Richtung auf die Tiefen des Containerlagers. Der Gleiter ruckte an und schwebte mit uns davon. Wohin? Ich hatte keine Ahnung, aber es konnte nicht sehr viel verschiedene Möglichkeiten geben. Untersuchung, Entdeckung, Benachrichtigung an Orbanaschol – und als letzte Station die Hinrichtung. Wir waren an unserem Ziel, denn wir befanden uns endlich wieder auf Arkon. Aber
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unser Ziel hatte sich erschreckend verändert. Es würde der Tod sein. Das war sicher; wenigstens in diesem Augenblick verlor ich meine letzten Hoffnungen. Eine Stimmung erfaßte mich, die mir nicht unbekannt war: Niedergeschlagenheit und Wut, schwarze Verzweiflung und das Gefühl großer Einsamkeit.
12. Der alte, kahlköpfige Sonnenträger hatte über alles nachgedacht. Er hatte genügend Zeit dazu gehabt. Es gab nichts zwischen dem Start und der Vernichtung, das ihn noch überraschen konnte. Nicht einmal der Sieg über die Verteidigungsflotte würde ihn erstaunen. Wie gesagt: nichts. Außerdem war er ein alter Mann, der eine Unmenge Raumschlachten geschlagen hatte. Nichts mehr war ihm fremd. Er hob die Stiefel auf das Instrumentenpult, zog seine flache Flasche aus der Hüfttasche und nahm einen Schluck. »Das ist die absolute Krönung meiner Karriere«, sagte er. Die Kommandanten der wartenden Rebellenflotte hatten jeden einzelnen Schritt und jede Variante genau besprochen. Die Frist lief ab, es waren nur noch Stunden bis zum Start. Vorren schien jetzt genau zu wissen, daß Kornelius und die junge Arkonidin tot waren. In den rund drei Stunden bis zum Ablauf des Termins würde die TURCOS auch nicht mehr zurückkommen. Vorren drückte auf einen Schalter und rief die Funkzentrale. »Vorren hier. Ist Nachricht von Kornelius gekommen? Oder eine Nachricht über ihn?« »Bedaure, Sonnenträger«, war die Antwort. »Absolut nichts. Ich habe auch mit den anderen Funkleuten gesprochen. Niemand hat etwas gehört oder eine einschlägige Information.« »Danke. Ende.« Rund viertausendzweihundert Schiffe – einige waren inzwischen noch zu der Flotte gestoßen – waren bereit. Fast jeder Besetzungsangehörige blickte jetzt, wie auch Vor-
ren, auf die wechselnden Ziffern der Uhren. Der Augenblick, an dem die Flotte starten würde, war übereinstimmend festgelegt worden. Auch alle Manöver, die zwischen dem Sammelplatz hier und Arkon ausgeführt werden würden, um die Verteidigungsflotte so gut wie möglich zu neutralisieren, standen fest. Im übrigen entschied jeder Kommandant selbst, was zweckmäßigerweise zu tun war. Auch das Ziel war definiert worden: es lag auf den Raumhafen von Arkon I. Vorren schraubte den Verschluß der Flasche auf, dann wieder zu, schließlich nahm er einen letzten Schluck und stand auf. Die düstere Perspektive der kommenden Stunden bedrückte ihn natürlich, aber es gab wohl kein anderes Mittel, um Orbanaschol zum Abdanken zu zwingen. Es war bitter, zu wissen, daß sein ehemaliger Vorzugsschüler Kornelius tot war. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hatte ihn dieser Wahnsinnige exekutieren lassen. Vorren fuhr mehrmals mit der Hand über seinen glänzenden Schädel, kratzte sich im Nacken und murmelte: »Nicht zu ändern. Gut. Fangen wir an.« Er näherte sich einem Mikrophon und gab eine Reihe knapper Kommandos. Sein Schiff wurde in Alarmbereitschaft versetzt. Mitten in seine Anweisungen hinein ertönte laut und scharf wie eine Säge der Ton eines Summers. »Verdammt!« schrie Vorren auf. »Was soll das?« »Funkzentrale, Sonnenträger! Hyperfunk aus dem Arkon-System!« »Das kann nicht euer Ernst sein!« rief Cronk laut und erstarrte. »Abspielen! Sofort und in sämtliche Räume. War es der Schurke im Kristallpalast?« »Ja. Ich spiele ab!« Zwei Sekunden später tobten die Lautsprecher los. Vorren war sicher, daß die Funkzentralen in den anderen Schiffen ebenfalls die Hyperfunknachricht auf sämtlichen Kanälen abspielten. Er ahnte, was Orbanaschol den Meuterern zu sagen hatte. Und er
Das Treffen der Rebellen irrte nicht. »Hier spricht Imperator Orbanaschol der Dritte! Ich befehle allen Kommandanten der Meutererschiffe, sofort mit ihrem wahnsinnigen Vorhaben abzubrechen! Ich befehle den Kommandanten, augenblicklich umzukehren! Lassen Sie ab von diesem verbrecherischen, verräterischen Vorhaben! Ich befehle es! Ich werde jeden von Ihnen hinrichten lassen. Stellen Sie den Widerstand ein, fliegen Sie dorthin, wo es Maahks gibt. Das ist ein Befehl aus dem Kristallpalast. Befolgen Sie ihn unverzüglich. Ich beuge mich keiner Drohung, die von irregeleiteten Rebellen und Meuterern stammt. Meine Flotte wird euch vernichten, zermalmen, in einer Feuerwalze verbrennen, wenn ihr nicht sofort zu den Stellungen und Kampfplätzen zurückfliegt! Arkon starrt von Waffen, ihr kommt nicht weiter!« Cronk Vorren benutzte die Nebenleitung in die Funkzentrale und fragte brummig: »Geht das in diesem Tonfall weiter?« »Was dachten Sie, Kommandant?« Vorren winkte ärgerlich ab. Er war zu alt und zu abgeklärt, um sich über diese Folge von Beschimpfungen und über die Erregung aufzuhalten, die aus jedem Wort klang. Sein Entschluß stand fest. Er wartete immerhin, bis Orbanaschol seine wilden Drohungen beendet hatte, dann sagte er zum Piloten seines Schiffes: »Wir starten zum angesetzten Zeitpunkt, nicht früher, nicht später. Funkzentrale?« »Wir hören?« »Fragt bei den Kommandanten zurück, die an unseren Konferenzschaltungen, teilgenommen haben. Ich nehme an, sie reagieren ebenso wie wir.« »Ich verständige Sie über jede abweichende Meinung.« Vorren grinste kalt. In Gedanken hatte er bereits alles vollzogen, was nach dem Start der Flotte erfolgen konnte. Er fuhr fort, Anordnungen zu geben, die sein Schiff und die Mannschaft auf einen erbarmungslosen Kampf vorbereiten sollten. Als er sich später mit seinen Freunden,
45 den Kommandanten der anderen Abteilungen, unterhielt, stellte er fest, daß es nur eine Meinung gab: Wir rächen den Tod der Parlamentäre. Wir fliegen nach Arkon. Wir zwingen den Diktator, abzudanken. Wenn nicht freiwillig, dann unter Waffengewalt. Keiner von ihnen würde zurückschrecken, selbst wenn es den eigenen Tod bedeuten würde. Es ging um das Imperium. Die riesige Flotte setzte sich genau in der errechneten Sekunde in Bewegung. Die Schiffe fügten sich zu bestimmten Gruppen zusammen, beschleunigten und rasten in Richtung auf das System davon. Der Bürgerkrieg war unvermeidlich. Und bis zum Zeitpunkt des Starts, dachte angstvoll Karmina Arthamin, hatten sich weder Atlan noch Fartuloon gemeldet. Also waren auch sie tot oder in der Gewalt des Diktators. Das Schicksal Arkons schien besiegelt zu sein. Der Untergang war sicher.
13. Jetzt war Orbanaschol völlig ruhig. Seine Überlegungen und Gedanken funktionierten präzise wie ein System von Zahnrädern. Er war allein und befand sich in seinem privaten Kommandoraum. Er kniff die Lider zusammen und betrachtete das riesige, dreidimensionale Modell des Weltraums in dreißig Lichtjahren Radius um die Sonne der Arkonplaneten. Überall blinkten farbige Pünktchen. Sie kennzeichneten die Position der großen Flotte der Rebellen, aber auch die Einheiten der Flotte, die Arkon Eins und den Kristallpalast schützen sollte. Die zwei Parlamentäre waren hingerichtet und verscharrt worden. Es war unwahrscheinlich, dachte Orbanaschol, daß jemals die Öffentlichkeit davon erfuhr. Das Geheimnis war ebenso vollkommen wie die Umstände, durch die er an die Macht gekommen war. »Zweifellos eine Krise!« sagte er laut.
46 Die Worte hallten in dem Raum wieder, der praktisch nur aus Signaleinrichtungen und den unzähligen Geräten bestand, die Informationen in klare, optische Signale umsetzten. Orbanaschol ging zwischen den Sesseln und den leeren, aber arbeitenden Pulten hindurch und sah immer wieder in das dreidimensionale Diagramm. Jetzt zeigten sich dort auffallende Veränderungen. Die unzähligen roten Pünktchen bewegten sich. Sie kamen auf ihn zu, unendlich langsam in dieser Verkleinerung, aber ihre Bewegungen, mit denen sie sich zu kleinen, langgestreckten Gruppen zusammendrängten, fielen deutlich auf. »Aber keine Krise, die mir ernsthaft schadet!« sagte er. Sie waren alle geblendet von seiner Macht. Jeder der vielen Frauen und Männer im Kristallpalast gehorchte ihm aufs Wort. An einem halbkreisförmig gekrümmten Pult drückte sein Finger einen Kontakt. Sofort leuchtete in dem Diarama eine Kugelschale aus blauen Pünktchen auf. Es war die Verteidigungsflotte, die sich ebenfalls langsam zu verteilen begann und darauf wartete, daß die etwa zwölf Lichtjahre zwischen den beiden Fronten übersprungen und zum Kampfgebiet wurden. »Sie werden sie besiegen und vernichten!« flüsterte der Diktator. Er ging langsam zu einem anderen Pult. Vor zwei Stunden hatte er versucht, zu schlafen. Aber der folternde Gedanke, er habe einen entscheidenden Fehler begangen oder etwas Wichtiges vergessen, ließ ihn nicht einschlafen. Er stand auf, jagte das Mädchen aus seinem Schlafraum und wanderte allein durch die Korridore, die voller Wachroboter waren. Wieder ein Knopfdruck. Die planetaren Verteidigungseinrichtungen. An allen denkbaren Punkten einer augenblicklich projizierten Karte strahlten gelbe und grüne Punkte auf. Das waren entweder gelandete Schlachtschiffe, die sämtliche Projektoren nach oben, dem Weltraum entgegen richteten, oder es handelte sich um
Hans Kneifel energieautarke Verteidigungsforts, deren Anlagen tief in der Planetenkruste verborgen waren. Abermals ein neuer Kontakt. Die unmittelbare Umgebung des Kristallpalasts. Rund um den Berg waren wahre Massen von Schiffen, Booten, Gleitern und Tanks in Stellung gegangen. Sie bildeten förmlich eine sich bewegende Kuppel über der riesigen Anlage. Die Standorte der Maschinen, die mächtige Projektoren trugen, waren vermerkt. Im Fall eines tatsächlich denkbaren Angriffs würden sie Energieschirme aufstellen, durch die kein lebendes Wesen und kein Roboter dringen konnte. Klickend rastete ein anderer Schalter ein. »Sie sollen nur kommen! Jeder Rebell bezahlt seinen Versuch mit seinem Leben!« erklärte Orbanaschol den Geräten und der leeren Halle mit ihren vielen Bildschirmen und Projektionen. Ein schneller Blick zeigte ihm, daß ein Großteil der Rebellenflotte sich inzwischen in Transition befand, jedenfalls von den Bildschirmen und aus der Projektion verschwunden war. Ein neuer Bildschirm zeigte ihm in einer langsamen Folge von Abläufen die internen Verteidigungseinrichtungen. Der Kristallpalast hatte sich in eine Festung verwandelt. Von oben nach unten erschienen die Baupläne. Alle nur denkbaren Winkel, Durchlässe, Ecken und Schotten, Türen und Treppen waren verzeichnet. Und überall befanden sich festeingebaute oder mobile Verteidigungseinrichtungen wie Kampfroboter, Gasfallen, Energieschranken und andere schreckliche Tricks, in denen sich jeder Eindringling fing und durch die er getötet wurde, selbst wenn er im Raumanzug und im vermeintlichen Schutz einiger Abwehrschirme vorzudringen verbuchte. So wie die äußeren Zonen waren auch die Kernzonen geschützt, nur mit doppeltem und dreifachem Aufwand. Je mehr sich die Verteidigungslinien den Gemächern Orbanaschols näherten, desto größer war der Anteil von eingeschworenen Gardisten.
Das Treffen der Rebellen »Sie können angreifen!« sagte er. Er bewunderte sich selbst; in Momenten der äußersten Gefahr blieb er kaltblütig und besonnen. Die Krise würde vielleicht mit einigen Opfern bewältigt werden, aber er überstand auch dies. Ohne jeden Zweifel!
14. Ein Holzscheit knackte, ein Regen glühender Funken sprang nach allen Seiten. Es war ein dissonantes Geräusch in der Harmonie der Musik, die aus großen Lautsprechern heraus den Raum überflutete und ringsherum über die Landschaft wehte wie ein Herbstwind. Upoc lag in seinem fellüberzogenen Sessel und hielt ein leeres Glas in den Fingern. Er war nicht nüchtern, doch keineswegs betrunken; als Mann der Mäßigung und Ausgeglichenheit betrank er sich niemals. Aber er war ein ganz klein wenig beschwipst. Genauso wie sein Gegenüber. »Sie haben jetzt zwei Tage lang auf mich eingeredet, Kavery!« sagte er leise und starrte in die Flammen. »Für das Ziel, das wir haben, würde ich auch zwei Monate lang auf jemanden einreden. Aber ich gebe offen zu, daß Sie besonders hartherzig sind, Upoc.« »Kein Wunder. Ihr Vorschlag ist abwegig.« »Die Situation ist noch viel abwegiger!« schloß Kavery und stand auf. Er ging zu einem Bord rechts am Kamin und entkorkte die Flasche. Er goß sich und Upoc ein. »Ich habe Sie genau beobachtet!« sagte er mit schlauem Lächeln. »So, haben Sie das?« »Ja. Und ich habe herausgefunden, daß Sie verdammt genau wissen, was Sie zu tun haben. Für mich sind Sie kein Träumer, auch wenn Sie verzweifelt versuchen, diese Fiktion aufrechtzuerhalten.« Upoc richtete sich ein wenig auf und dachte über das nach, was er eben gehört hatte. Viel zuviel verwirrende Dinge waren
47 in den beiden Tagen geschehen. Die Männer aus dem Raumschiff hatten seine Ruhe für lange Zeit gründlich ruiniert. Sie benahmen sich wie barbarische Eindringlinge. »Was bin ich dann?« fragte er und betrachtete Kavery, so wie er eine seltene Sumpfpflanze oder eine Blüte betrachtete, die nach dem ersten Frühlingsregen im Sand wucherte. »Sie sind klug und besonnen. Ihre Musik ist nichts anderes als der Ausdruck einer bestimmten Unsicherheit. Sie versuchen, zu sich selbst zu finden.« »Sie haben nicht recht.« »Doch! Sie zogen sich hierher zurück, um allein zu sein und über alles nachzudenken. Aber inzwischen kennen Sie Ihre Grenzen. Sowohl die Grenzen nach oben wie die nach unten.« »Meinen Sie? Aber das macht mich noch lange nicht zum zukünftigen Imperator. Ich werde es Ihnen immer wieder sagen: ich will dieses Amt nicht, ich eigne mich nicht dafür, und ich werde Ihrer Werbung nicht nachgeben.« Kavery sagte hart: »Sie verschwenden Ihre Begabung an Fische und Echsen, an Insekten und Frösche.« »Das mag sein. Aber dies ist mein gutes Recht.« Seit zwei Stunden saßen sie hier und stritten miteinander. Upoc merkte mit der Sicherheit des introvertierten Mannes, daß die Kraft, die er brauchte, um zu widerstehen, immer größer wurde. Sein Gegner war hartnäckig, und er wußte, was er sagte, und wo er einzuhaken hatte. Es war ein leiser, aber besonders hartnäckiger Kampf. Eine Auseinandersetzung zwischen zwei Weltanschauungen. Hätte Upoc dies geahnt, als er das gelandete Schiff gesehen hatte, dann wäre er in die Sümpfe geflüchtet. Keiner der Leute von Arkon hätte ihn gefunden. »Erlauben Sie eine Frage, Upoc von Gonozal?« erkundigte sich Kavery und nahm einen Schluck. »Ja. Sofern ich sie beantworten kann –
48 gern.« Kavery lächelte ihn freundlich an. In dieser Sekunde wirkte er wie ein hungriger Sumpfbewohner mit ledriger Haut und langen weißen Zähnen. »Was hält Sie auf diesem Planeten?« Upoc hob die Schultern und antwortete nicht gleich. Aber nach einer Weile erklärte er ohne Zögern: »Eine ruhige Welt. Gleichzeitig ein Planet, auf dem ich dann allein sein kann, wenn ich es wünsche, und wenn ich Gesellschaft brauche, dann besuche ich den einen oder anderen Bewohner oder die Dörfer der Eingeborenen. Sie machen ein hervorragendes Bier und den Wurzelschnaps, den Sie in sich hineinschütten. Dann habe ich hier eine Menge von Möglichkeiten, was meine Musik betrifft. Ich kann ununterbrochen daran arbeiten, die Melodien verändern, die Betonungen anders setzen, bis aus dem ersten Entwurf ein kleines, intimes Meisterwerk geworden ist. Ich habe seit dem Tag, an dem die Anlage hier fertig war, zwei Dutzend von Musikstücken durchkomponiert. Jede einzelne Note hat ihre bestimmte Wirkung. Ich bin noch nicht alt und hinfällig, ich bin gesund, und ich brauche niemanden und störe niemanden. Und ich habe immer einen der schönsten Ausblicke des Universums, am Tag und in der Nacht. Sie sollten einmal das Meer und die Wüste während der Herbststürme sehen oder in einem der Winterorkane.« Kavery erwiderte: »Wovor sind Sie eigentlich hierher geflohen? Und würden Sie sich wenigstens bereit erklären, auf Arkon eine Ihrer Kompositionen zu spielen? Und wie werden Sie damit fertig werden, daß Sie sich Ihrer Berufung entzogen haben? Denn ich anerkenne keinen Grund für Ihre hartnäckige Weigerung. Ein Mann von hohem Adel wie Sie sollte sich seiner Berufung stellen. Ich werde Ihnen sagen, was Sie davon abhält, mit uns zu kommen!« Upoc zeigte beträchtliche Unsicherheit und Unruhe, indem er den Inhalt seines Gla-
Hans Kneifel ses in einem Zug hinunterstürzte. »Ich bin nicht geflohen. Ich sah zu, erlebte mit und stand daneben, als mein Halbbruder diesen gewaltigen Organismus zu regieren versuchte. Ich versuchte meinerseits, darin einen Sinn zu finden. Es gab keinen – für mich. Dagegen, daß ich auf Arkon auftrete und wieder hierher zurückgeflogen werde, ist grundsätzlich nichts zu sagen. Ich habe keine Berufung, also konnte ich mich keiner Berufung entziehen. Sie argumentieren mit großer Geschicklichkeit und Überzeugungskraft, Kavery.« »Deswegen sitze ich hier und kämpfe diesen einsamen Kampf gegen Sie!« stellte Kavery ungerührt fest. »Immerhin ein Kampf für eine, wie ich denke, gute Sache«, gab Upoc zu. Auch auf die Männer im Raumschiff wirkte die Musik vom Bandgerät; sie beruhigte auch Upoc selbst und seinen Gesprächspartner und, wie stets, die Tiere in weitem Umkreis der vier Landschaftszonen. Dann fragte Upoc: »Und was hält mich, Ihrer Meinung nach, davon ab, Ihnen nach Arkon und in den Kristallpalast zu folgen?« »Angst vor Veränderungen. Furcht vor unbekannten und neuen Dingen. Angst, den Anforderungen nicht zu genügen.« Sie sahen sich in die Augen. Schließlich senkte Upoc den Kopf und murmelte: »Das kann sein. Aber es sind keine unehrenhaften und keine unverständlichen Motive, Kavery.« »Ich habe dies nicht behauptet. Aber unsere Zeit und meine persönlichen Probleme zwingen mich, Ihnen jetzt zum letztenmal die Frage zu stellen, beziehungsweise Sie noch einmal in aller dringenden Herzlichkeit zu bitten. Wollen Sie hier weiter ein Einsiedlerdasein ohne jeden Zweck und jeden Vorteil für Arkon führen? Kommen Sie mit uns. Helfen Sie dem vor Chaos, Angst und Not zitternden Imperium! Sie helfen nicht sich selbst oder mir. Sie helfen Milliarden von Arkoniden! Sie dürfen
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sich dieser Verantwortung nicht entziehen!« Wieder schwiegen sie. Die Brandung rauschte rhythmisch und verband sich mit den Klängen der Musik. Die Sterne strahlten auf das Land herunter. Überall waren winzige Geräusche von tausenden Tieren zu hören. Upoc schien in sich versunken zu sein. Nach einer langen Zeit sagte er mit überraschend deutlicher Stimme: »Lassen Sie mich nachdenken, Kavery. Morgen früh erfahren Sie meinen Entschluß. Er wird in jedem Fall endgültig sein. Es ist dann zwecklos, mich umstimmen zu wollen. Ich werde mich dann auch nicht mehr mit Ihnen oder einem anderen Abgesandten unterhalten. Klar?« Kavery hob das Glas. Es war nicht zu erkennen, mit welcher Antwort er endgültig rechnete. »Ich habe Sie verstanden, Upoc von Gonozal. Wir werden Ihre Entscheidung respektieren. Zufrieden?«
»Ja. Und wenn Sie jetzt Lust haben, dann spiele ich Ihnen eines meiner heiteren Stücke vor. Ich denke, wir brauchen etwas Heiterkeit nach diesem schweren Gespräch.« »Ich danke Ihnen. Fangen Sie an. Ich höre zu.« Die Schalen der Waage hingen absolut auf gleicher Höhe. Upoc selbst wußte nicht, wie er antworten würde. Aber man hatte ihm klargemacht, daß jetzt das Chaos in mehreren Welten und aus verschiedenen Richtungen auf den Mittelpunkt des Systems zuflutete. Er griff nach dem Instrument, stimmte es, dann begann er eine heitere, entspannende Melodie zu spielen. Kavery und er vergaßen vorübergehend alle brennenden Sorgen und Probleme. Aber nur für die Dauer einer halben Stunde.
ENDE
Lesen Sie nächste Woche, ATLAN Nr. 298: Gegner des Imperators von H. G. Francis Atlan auf Arkon – der Kristallprinz zwischen den Fronten