BILLY JENKINS WILD-WEST-ERZÄHLUNGEN Band 8
DAS STEINERNE ANTLITZ von Gerhard Carsjens
1950 UTA-VERLAG / ESSEN UND UEL...
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BILLY JENKINS WILD-WEST-ERZÄHLUNGEN Band 8
DAS STEINERNE ANTLITZ von Gerhard Carsjens
1950 UTA-VERLAG / ESSEN UND UELZEN
Nachdruck verboten. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in fremde Sprachen. Verwendung im Rundfunk und Film vorbehalten. Umschlagbild: Heinrich Berend Foto von Jenkins: Paul Vosen Bu-Ka-Druck Lengerich (Westfalen) E-Book 10/2009
PERSONEN: Billy Jenkins – ein Mann, der einsam und selbstsicher seinen Weg geht. Jesse Owen – ein Mensch, der nur ein Gesetz kennt: das der Gewalt. Zu seinen Helfern und Helfershelfern zählen große und kleine Halunken, wie Dojan, Doval, O’Hara, Scall und Leg. O’Brien – ein Mann, der sehr scheinheilig tut, aber doch durchschaut wird. Brixton, ein baumlanger, uralter Squatter. Ellen, seine Tochter, tüchtig und entschlossen. Grane, der Wirt, ein geschäftstüchtiger Spitzbube. Lester Blue, Sheriff – aber auch er hat seine schwachen Seiten. Callain, Direktor der Bank. Ort der Handlung: Drei Dörfer in „Golden Hill“, Arizona
Jesse Owen hatte gelebt und man konnte sagen, sein Leben war einmalig. Er war für Arizona eine giftige Viper, eine tödliche Gefahr für jeden Farmer und jede Bank. Jesse Owen kannte kein Gesetz, nur das der Gewalt. Nach Jahren wurde Jesse Owens Leben durch einen Schuß zerstört. Aber dieser Bandit lebte ein zweites Mal und seitdem trug er den Namen: „The Stone Face" (Das steinerne Antlitz). Jesse Owens erstes Leben bestand darin, zu töten, um in den Besitz von Geld zu kommen. Und „The Stone Face" Leben bestand darin, zu töten, um zu morden. Es war schwer, Jesse Owen zu fangen, denn er war ungeheuer schnell. Durch ganz Arizona ging die gewaltige Jagd hinter diesem Banditen her, der immer nur dort auftauchte, wo man ihn nicht vermutete, und der nur Unheil zurückließ. Überall gab es Tote. Und doch war Jesse Owen nicht zufrieden. Er suchte einen Mann ... bis die Stunde kam, wo er mit ihm zusammentraf. Und dann . . .?
*
* *
Von Texas bis nach Arizona zog sich das ewige Band der Highway entlang. Es lief durch die fruchtbare Prärie von Texas, verließ diese und wechselte über ins Gebirge, zog dann durch Steppen, Wüsten und schien sich in der Unendlichkeit Arizonas zu verlieren. Manchmal streifte es kleine Ortschaften und Towns, die sich an dieses Band schmiegten, denn es bedeutete Anschluß an den Verkehr, neben der Highway lief auch das silberne Band der Schienen. Trotzdem war das gewaltige Land verhältnismäßig menschenleer. Manchmal mußte man viele hundert Kilometer fahren, um zu dem nächsten Town zu gelangen. Dennoch war es bevölkert, doch selten kamen Fremde hierher. Warum, war nie klar beantwortet worden. Man sprach davon, daß es gefährlich war, hier zu reisen. Manchmal geschahen hier seltsame Dinge, aber sie wurden hier im Westen schnell vergessen. Manchmal gab es einige Aufregungen und dann sprach man längere Zeit von den Geschehnissen. Dort, wo die Highway Ellistown verläßt und von schattenspendenden Wäldern in das Savannengebiet hinüberwechselt, raste ein Cadillac. Die Geschwindigkeit des Fahrzeuges war hoch. Das Motorengeheul wurde von dem Singen der Reifen verschlungen und selbst in die langen Kurven ging der schwere Wagen ohne Fahrverminderung hinein. Meile auf Meile fraßen die Reifen, rechts und links tote Steppe, totes Gelände, wo nur der Wüstenfuchs leben konnte und möglicherweise ein paar Schlangen, die sich von den Rabbits ernährten, welche wiederum ihr kärgliches Futter nur in Disteln und Steppengras fanden. 7
Im Wagen saßen vier Männer; zwei vorn, zwei hinten. Mit blassen, verkniffenen Gesichtern starrten alle nach vorn, als erwarteten sie jeden Augenblick etwas Neues, das in der Ferne auftauchen konnte. Die Geschwindigkeit schien sie überhaupt nicht zu berühren. Der Fahrer warf manchmal einen Blick in den Rückspiegel, um dann wieder voraus zu starren. Auch ihm war nichts anzumerken. Gleichmäßig hämmerten die Kolben. Dann tauchte als einzige Unterbrechung ein Schild auf. „Zehn Meilen bis nach Kingston!“ Alle hatten es gesehen, aber es wurde darüber nicht gesprochen. Vielleicht, daß die großen Hände des Fahrers das Steuer etwas fester faßten und daß sich die Fahrt weiter erhöhte. Aber sonst war keine Veränderung eingetreten. Schon nach wenigen Minuten tauchten in der Ferne die ersten Häuser auf. Es war Kingston. Zum erstenmal machte sich eine Bewegung im Wagen bemerkbar. Schweigend zogen die Männer ihre schweren Pistolen heraus, die Augen schlossen sich etwas mehr. Aber das war auch alles. Dann kurbelten sie die Fensterscheiben herunter. Aus dem Hintersitz des Wagens ertönte ein Schmerzens-laut. Aber auch darauf schien niemand zu achten. Jetzt saßen sie mit starrem Blick wieder in ihren tiefen Polstern, während in ihren Händen die Waffen ruhten. Die ersten Häuser flogen vorbei. Die Augenpaare der Insassen starrten gebahnt mal hierhin, mal dorthin. Aber der Fahrer schien die Gegend genau zu kennen und ließ sich durch nichts irritieren. 8
Das wahnsinnige Tempo weiterhin innehaltend, brauste er durch Kingston. Die Stadtmitte tauchte auf. Ein paar Pferdefuhrwerke rollten durch die Straße. Plötzlich erschienen mehrere Reiter und hielten die Mitte der Straße besetzt. Der Fahrer ließ das gellende Horn erschallen. Aber man wollte dem Wagen keinen Platz einräumen. Der Fahrer mußte auf die Bremsen treten, um nicht mitten zwischen den Gäulen zu landen, die jetzt tänzelnd zur Seite sprangen. Einige Schüsse ertönten, die sofort aus dem Wageninnern erwidert wurden. Jetzt war die Straße frei. Mit Vollgas, wie ein junges Füllen, sprang der Wagen förmlich mit einem Satz nach vorn und raste dann im mörderischen Tempo erneut auf dem silbernen Band entlang. Ein Cowboy, der versucht hatte, sich an der Tür festzuhalten, wurde von der Gewalt des Wagens zu Boden geschleudert. Jetzt brauste der Wagen wie ein wildes Tier, ständig kurvend, aus Kingston heraus. Ein paar Reiter wollten erst die Verfolgung aufnehmen, sahen dann aber die Lächerlichkeit ihres Unternehmens ein. Nun hatte das Fahrzeug schon wieder die hohe Geschwindigkeit erreicht und verließ die letzten Häuser von Kingston. Aber nicht nur, daß der Wagen Kingston verließ. Für die Insassen war etwas anderes viel wichtiger. Sie hatten die tödliche Savanne, die Steppe, die Wüste, der jeder, der dort blieb, zum Opfer fallen mußte, hinter sich. Kein Pferderücken hätte es fertiggebracht, sie diese dreißig Meilen hindurch zu schleppen, in jenem kurzen Zeitraum, der ihnen für den Banküberfall zur Verfü9
gung stand. Und nun hatten sie es geschafft. Sie waren wieder in den grünen Gefilden gelandet, dort, wo die ersten Berge auftauchten, wo es frisches, plätscherndes Wasser gab, wo Pferdefleisch wieder zur Bedeutung kam. Trotzdem rasten sie noch eine lange Zeit, aber mit entspannten Gesichtern, weiter. Ein kühler, frischer Luftzug zog durch die offenen Fenster. Es roch nach Gras und Laub. Das Fahrzeug durchfuhr jetzt eine prachtvolle Gegend; sie war wild und romantisch. Aber die Insassen schienen selbst jetzt nicht davon berührt zu sein. Der eine Fahrgast im hinteren Teil des Wagens kippte plötzlich um und blieb auf dem Boden liegen. Der neben ihm Sitzende hob den Mann schnell hoch, dessen Rücken ein mächtiger Blutfleck rot gefärbt hatte, das Gesicht war eingefallen. Jetzt blickte der Fahrer zurück. Die Augenpaare der beiden trafen sich, als sie den Schwerverwundeten zurückschoben, sie nickten sich zu. Als nach einer Stunde der Wagen hielt, war die Dämmerung hereingebrochen. Sie waren in einen Seitenweg gefahren, wo sie unbesorgt parken konnten, ohne von der Highway gesehen zu werden. Dort stand die Maschine nun und zitterte vor Hitze. Die Männer hatten das Fahrzeug verlassen und den Schwerverletzten auf den Boden gelegt, mit dem es nun zu Ende ging. „Vorbei“, sagte der Fahrer ernst. Die anderen nickten. Sorgfältig durchsuchten sie seine Taschen. Dann war die Haupthandlung beendet. Der Fahrer des Cadillac’ fuhr das Fahrzeug wie10
der dicht an die Straße zurück, um es dort stehen zu lassen. Jetzt konnte man erkennen, daß in den Rücken des Wagens mehrere Schüsse hineingegangen waren, die sicherlich dem einen Insassen den Tod gebracht hatten. Die Männer hatten noch ein Summen in den Ohren von der ungeheuren Fahrt, so daß sie sich erst langsam wieder an die natürlichen Geräusche gewöhnen mußten. Einer von ihnen war fortgegangen und hatte die Pferde geholt. Der Fahrer brachte zwei Lederbeutel mit, die er aufs Pferd verlud. Dann ritten sie in die Nacht hinein. Jetzt hatten sie es nicht mehr eilig. Ganz gemächlich trabten die Pferde dem neuen Ziel entgegen. Nach zwei Stunden hielten sie vor einem Hause. Die Männer schienen hier alle bekannt zu sein. Schon nach einigen Minuten brannte Licht, man entzündete ein Feuer im Ofen, um etwas Warmes zu kochen. Dann wurde das Geld aufgeteilt, welches jetzt nur noch in drei Teile ging. Der Fahrer gab jedem seinen Teil, er tat es mit ernstem, verschlossenem Gesicht. Dann erhob er sich. „Schätze, für mich ist es Zeit, fortzureiten.“ Die anderen nickten nur mit dem Kopf. „So long …!“ Dann war er auch schon verschwunden. Die beiden Zurückgebliebenen sahen sich an. Jetzt erst, nachdem der Fahrer fort war, lösten sich ihre Zungen. „Damned …! War das eine Schlacht! … Hast du jemals so etwas erlebt?“ „No …! Aber wie gesagt, was er macht, das sitzt. Er ist ein unheimlicher Kerl.“ 11
Sie wühlten mit den Händen in dem Gelde und in ihrem Hirn entstanden Luftschlösser – sie überlegten, was sie dafür kaufen konnten. Am hellen Morgen waren sie fortgeritten. Der Fahrer hatte alles erledigt. Sie waren in den Wagen übergestiegen, weil es unmöglich gewesen wäre, den Pferden eine solche Strecke zuzutrauen. Und dann hatten sie die Bank von Ellistown leergemacht. Wenn es durch einen unglücklichen Zufall zu einem Gefecht kam, so hatte das niemand einkalkulieren können. Trotzdem, man mußte schon sagen, die Aufgaben waren glänzend gelöst worden. Pech … einer war davongegangen. Und dann der Rückmarsch … Damned … ja … Zwischen Ellistown und Kingston bestand eine Kabelverbindung und wie leicht hätte man sie vorher abfangen können. Aber es hatte alles ausgezeichnet geklappt. Und weil es gut gegangen war, lachte man darüber. Ja … man prahlte sogar. Wer waren jene Männer, die diese Tat vollbrachten, die die Kühnheit besaßen, dieses tote Gebiet zu durchqueren, um einen großen Raub auszuführen? Damned …! ging es von Mund zu Mund. Da konnte man reden, wie man wollte. Es waren Männer, Kerle; so oder so. Gewiß, nach dem Gesetz waren es Banditen. Aber so war eben der Westler. Er räumte selbst den Banditen für eine kühne Tat diesen Platz ein. Aber wer waren sie …? *
* *
12
Von Ellistown, das hinter der Wüste lag und neuerdings mit in die Zone einbezogen wurde, von dort bis nach Dreadwood, bis zur mexikanischen Grenze und von dort wieder hinauf bis zu den PontiacSümpfen … dort war das Reich von Jesse Owen. Und wer kannte ihn nicht, jene Gestalt, die schon fast sagenhaft geworden war und über den so viele zwiespältige Geschichten im Umlauf waren wie von niemand anders. Jesse Owen, jener Mann, der mit seinen langen Fingern mit einer Hand den Colt laden konnte. Tausende hatten es schon nachzuahmen versucht. Aber das konnte keiner. Dieser einmalige Schütze, der immer dieselbe Ruhe bewahrte. Er war in diesem Bereich gefürchtet. Jesse Owen nahm eine eigenartige Stellung ein. Er wurde gehaßt wie selten ein Mensch und doch wurde dieses selten ausgesprochen. Yes, es war schon so, man fürchtete Jesse Owen. Damned ja … der Mann hatte zu lange Finger und zu große Ohren, sie waren überall und nirgends. Überall, ganz gleich, wo man sich befand, man bekam einen Hauch davon zu spüren. Nein, man sprach nie von dem Banditen Jesse Owen, man ahnte nur seinen Namen. Jetzt war die Kunde von seinem letzten großen „Hit“ durch das Land gegangen und gerade dort in Ellistown hatte man sich vor diesem Manne so sicher gefühlt. Ellistown war nicht zu ereichen und jetzt hatte Jesse Owen bewiesen, daß sein Arm noch länger war – dorthin, wo das Pferd nicht mehr ausreichte, mußte das Kraftfahrzeug der Neuzeit ihm dienlich 13
sein. Jesse Owen saß hinter dem Steuer dieses Wagens ebenso sicher wie auf dem Rücken eines Pferdes. Aber Ellistown wußte nun, daß es mit seiner Sicherheit vorbei war. Der lange Arm von Jesse Owen hatte es erreicht. Jesse Owen war ein Mann, der nie unsicher war und auch damals, als er die Bank betrat, geschah es genau so beschwerdelos wie immer. Jesse Owen war eben da und damit war alles ausgesprochen. Trotzdem, diesmal lief er gegen einen Mann, der es nicht einsehen wollte. Sie hatten eben die Bank betreten, alles war erstarrt, als ein gellender Ruf ertönte: „Jesse Owen ist da!“ Und es ging wie eine Warnung durch den Raum. Aber auch außerhalb der Straße war dieser Ruf gehört worden, so laut hatte der Kassierer geschrien. Gleichzeitig setzte er das Alarmsignal in Bewegung. Yes … in Ellistown war man modern. Es war nur ein kleiner Knopf, auf den der Kassierer drückte, und schon ertönte ein irrsinniges Sirenengeheul auf dem Dach. Der Hilferuf war noch nicht verklungen, er schien noch in dem Raum zu schweben, als sich aus Jesse Owens Waffe der Schuß löste und einen Schlußstrich unter das Leben des Kassierers setzte. Unberührt wie ein Felsblock, stand Jesse Owen mit rauchendem Colt in der Hand und gab seine Befehle. Wie die Wiesel sprangen die beiden Banditen, die mit ihm in den Raum getreten waren, über das Gitter und heimsten das Geld ein. Es ging ungeheuer schnell vor sich. Währenddessen standen alle anderen mit dem Kopf zur Wand gerichtet und wagten 14
kaum zu atmen. Dann fielen die ersten Schüsse auf der Straße. Aber sie waren schon mit dem Einsammeln fertig und es wurde höchste Zeit, daß sie fortkamen. Dieser verdammte Kassierer! … Er hatte mit seinem Geschrei das Ganze gefährdet. Das Auslösen der Alarmglocke war für sie nun lebensgefährlich geworden. Trotzdem … . Jesse Owen war und blieb ruhig. Dann standen sie auch schon wieder draußen auf der Straße. Die Sonne schien wie immer. Aber die Straße war leer, nur im gegenüberliegenden Hause sah Jesse Owen einen Mann, der mit einem Colt auf den Wagen schoß. Dann bemerkte er, wie diese Gestalt wieder zum Vorschein kam und in diesem Augenblick schoß Jesse Owen, so daß der Colt dem anderen aus der Hand fiel. „Aus dieser Ecke wird nicht mehr geschossen“, sagte Jesse Owen. Sie sprangen in den Wagen. Er setzte sich ans Steuer und dann ging es in rasender Fahrt aus dem Town hinaus. „Nun werden wir sehen, wer schneller ist“, sagte er zu den anderen Banditen, die jetzt ganz still geworden waren, „das Kabel oder wir. Dreißig Meilen …“ Das waren die letzten Worte. Dann brausten sie dahin und je weiter sie kamen, umso größer und starrer wurde ihr Blick. Jede Sekunde rechneten sie damit, daß die Straße blockiert war. Aber nichts, rein gar nichts ereignete sich; es war ihnen kaum faßlich. Und dann tauchte auch schon die Stadt auf. Damned … Das sprichwörtliche Glück war wieder bei Jesse Owen. Sie hatten es wieder einmal geschafft. Yes, 15
was Jesse Owen anfaßte, hatte Hand und Fuß. Diesmal war es eine Bank. Wer wußte, was es das nächstemal war? Vielleicht eine Cattle. Er hatte schon so manche über die Grenze getrieben. Oh yes, Jesse Owen kannte auch dieses Gewerbe sehr gut. Aber zu fassen war er nicht. Das hatte verschiedene Gründe: die Nähe der Grenze und seine Freunde. Es gab Towns in der Nähe von Mexiko, in denen Jesse Owen ohne Schutz und ohne Begleitung verkehren konnte. Dort warf er mit dem Gelde umher und wer nichts hatte, brauchte sich nur an ihn zu wenden. Jesse Owen war großzügig. Aber wehe dem, der ihn verraten wollte. Er starb schneller, als er ahnte. So setzte er seine Machtmittel ein. Man trug ihm alles zu, und so wußte Jesse Owen auch alles. Er wußte über Viehverkäufe genau so gut Bescheid wie über Geldtransporte. Alles schien er zu wissen. Nur woher er es wußte, seine Quellen, die blieben unsichtbar. Er hatte die Fäden fest in der Hand. Das war Jesse Owen! — — *
* *
Manchmal ist das Leben eigenartig und dann fragt man sich wohl: Zufall oder Schicksal? Und was viele Westler nicht wußten, das konnte Billy Jenkins beantworten. Er kannte Jesse Owen schon länger. Damals war er noch ein Unbekannter, aber ein überaus gefährlicher Bandit gewesen. Nach einem „Holt up“, bei dem mehrere Personen getötet wurden, traf Billy 16
Jenkins mit Jesse Owen zusammen, und da Jesse Owen ihm in jener gefahrvollen Sekunde gerade den Rücken zudrehte, schlug er ihm mit dem Kolben über den Kopf. Es war ein Fehler, der sich acht Jahre später rächen sollte. Billy Jenkins hätte Jesse Owen erschießen müssen. Aber er hatte es nicht getan und so lebte er. Als er in dem kleinen Gefängnis von Dreadwood eingeliefert worden war, versuchte die Menge, ihn zu lynchen. Man war gegen den Banditen derart aufgebracht, daß es kaum möglich war, Jesse Owen in Schutz zu nehmen. Und es war nur Billy Jenkins zu verdanken, daß dem Banditen das Leben erhalten blieb, obgleich sein Leben längst verwirkt war. Und Jesse Owen? … Er hatte Billy Jenkins nach seinem Erwachen im Gefängnis zynisch angeblinzelt. „Dich werde ich noch töten … das weiß ich“, hatte er zu ihm gesagt. Billy Jenkins nahm es nicht so tragisch. Jesse Owen war unschädlich und die Gefängnismauern würden ihn schon so langsam zermürben, denn für den Banditen bestand keine Aussicht, jemals wieder heraus zu kommen. Jesse Owen wurde zu „lebenslänglich“ verurteilt. Trotzdem büßte der Bandit nichts von seiner ungeheuren Vitalität ein. Selbst, wenn er dort auf dem Hof spazieren ging, oder wenn er in der Fabrik beschäftigt war oder irgend einer anderen Tätigkeit nachging, so wanderten seine Blicke bald hier, bald dorthin. Er suchte wie ein Luchs nach einer Chance zum Entrinnen. Billy Jenkins hatte es noch einmal versucht, von 17
dem Banditen etwas zu erfahren. Aber Jesse Owen sprach nicht. Er blickte ihn nur höhnisch an und sagte es Billy Jenkins auch auf den Kopf zu: „Von mir wirst du nie ein Sterbenswort erfahren … Aber sollte ich einmal draußen sein … dann hüte dich!“ Billy Jenkins war froh, daß dieser Bandit hinter Gittern saß. Nein … Er hatte diesen Beruf nicht aus Vergnügen gewählt, aber einer mußte es ja sein, der ihn erfüllte. Es war immer wieder ein Spiel mit dem Tode. Wer sollte sich einer solchen Bestie gegenüberstellen? Diesem Menschen, von dem man sagte, daß er der schnellste und brutalste Schütze sei? Nein … die Männer waren nicht feige, auch sie schossen schnell, ungeheuer schnell. Aber was nützte die größte Schießkunst, wenn es jemand gab, der um den Bruchteil einer Sekunde schneller und tödlich schoß. Da brauchte man sich nicht zu wundern, daß sie es alle ablehnten, ihn zu verfolgen. Es soll niemand einen Stein auf diese Cowboys werfen. Mut, ja den brachten sie alle auf. Aber verdammt nochmal … das Leben war keine neunschwänzige Katze! Es war eben ein einmaliges Geschenk und wenn das kleine starke Herz, das in jeder Brust schlug, von einem winzigen Stückchen Blei durchlöchert wurde oder es eine der Hauptadern traf, dann war es vorbei für immer. Darum beginnt man zu überlegen, wenn man schon viele Tote hier im Grase liegen sah oder Schwer verwundete, deren Gesichter sich plötzlich eigenartig verfärbten und allmählich einen wachsgelben Überzug bekamen, als seien es gar keine Menschen mehr. Dann lagen sie da im Gras, sie, die 18
vor einigen Minuten noch Menschen waren; tot und still. Das schreckte ab. Zu schnell konnte so der Lauf des Lebens beendet werden. Und hier genügte es schon, wenn man ein bißchen leichtsinnig über Jesse Owen sprach … wenn er dann selbst noch auftauchte, war es schon vorbei. Dann sah man nur noch das zynische Gesicht dieses Banditen, dessen Anblick lähmend wirkte. Ihm war keiner gewachsen. Und Jesse Owen kannte keinen Pardon. Wenn er jemand suchte und fand, wurde nur noch geschossen. — — Jesse Owen war geflohen. Er hatte das Unmögliche möglich gemacht, er hatte im Laufe der vielen Jahre jene Sekunde gefunden, die ihn unbeobachtet ließ, und er wußte sie zu nützen. Nun war er fort, ausgebrochen. Aber er war derselbe geblieben. Immer noch wohnte in ihm die ungeheure, ungebrochene Kraft, und so sprach es sich in Arizona schnell herum. Wer wollte sich ihm gegenüberstellen, um die Laufbahn dieses Banditen endgültig zu beenden? Wer war es? … Es konnte nur einer sein … das war Billy Jenkins, der ihn genau kannte und ihn schon einmal besiegte. Damned ja … man würde viel darum geben, wenn er jetzt hier wäre! Billy Jenkins saß weit ab in Texas, aber als er las, daß Jesse Owen ausgebrochen war, da gab es für ihn nur eins: Er mußte dorthin. Er wußte nicht, wie lange es dauern würde, er überlegte auch gar nicht lange, sondern sattelte sein Pferd Blessy und ritt Arizona entgegen. Billy Jenkins wußte, es konnte Monate dauern. Ja, es konnte lange Zeit notwendig sein, um 19
diesen Banditen zu Gesicht zu bekommen. Das bedeutete wieder Verzicht auf vieles; Strapazen, Mühsale, vielleicht noch Verwundungen, wie er sie schon oft im Leben hatte ertragen müssen. Aber all diese Dinge berührten ihn in diesem Augenblick gar nicht. Er mußte ihn finden, nur darauf war sein ganzes Sinnen eingestellt. Es gab tausend Möglichkeiten, die zu durchdenken waren, und wenn man sich gegenüberstehen würde, war alles nur noch von einer Tatsache abhängig: wer stand in der günstigsten Schußposition? – Es gab noch vieles, worüber selbst der Westler nicht nachdachte. Alles mußte genau getan werden und alles vorbereitet werden nur für jene Sekunde des Zusammentreffens, die so ungeheuer entscheidend war. Es konnte aber auch geschehen, daß ein monatelang durchdachter Schlachtplan sich als falsch erwies und durch eine Kleinigkeit zu einer eigenen Schlappe wurde. Yes, Billy Jenkins wußte, wie schwer es war, gegen Jesse Owen vorzugehen, und besonders, wie entscheidend die Sekunde sein würde, wenn man diesem Manne gegenüber stand. Dann mußte man das Herz in die Hände nehmen. In jener Sekunde würde er der einsamste Mensch auf dieser Erde sein. Niemand würde seine Rolle übernehmen können. Er allein mußte sie lösen und sie konnte nur mit seinem oder Jesse Owens Ende besiegelt werden. Es war ein grauenhaftes, schweres Spiel, aber er hatte die Aufgabe übernommen und es war ihm etwas Selbstverständliches, daß sie jetzt gelöst wurde. Nein … Billy Jenkins war nicht lebensmüde, er hing genau so am 20
Leben, wie Jesse Owen, dieser Bandit! Verdammt … Dieser Schurke hatte wohl noch nie darüber nachgedacht, warum er überhaupt lebte. Er war eine Pestbeule für Arizona. Er schoß rücksichtslos, und das war alles, was er konnte. Es gab tausend Dinge zu bedenken, und trotzdem durften die Nerven dabei nicht versagen. Billy Jenkins mußte immer wieder voll höchster Spannkraft sein. Als er Texas verließ und die Grenze von Arizona überschritt, da klatschte er Blessy auf den Hals. Aber seine Gedanken waren längst bei Jesse Owen. Oft schlief Jenkins in einem kleinen Town. Es kam vor, daß er dann in der Bar saß, zwischen Ranchers, Cowboys und Weidereitern, die leise miteinander sprachen, und manchmal fiel ein Blick auf ihn. Billy Jenkins kannte das alles. Er fühlte schon, wenn er irgendwo einsam abseits an einem Tisch saß, wie die Blicke auf seiner breiten Gestalt ruhten. Man knobelte hin und her, wer wohl dieser eigenartige Fremde war. War es ein Revolvermann? Oder was wollte er? Billy Jenkins hatte das schon oft erlebt, aber er blieb still in seiner Ecke sitzen; denn manchmal waren auch Leute dazwischen, die Jesse Owen kannten – sie waren für ihn die größte Gefahr und es war besser, wenn sie nichts von ihm wußten und im unklaren blieben. Er ritt ständig weiter, Tag für Tag. Er hatte keine sonderliche Eile und die Tage vergingen wie immer, nur daß die Landschaft langsam wechselte. Er war aus dem üppigen gras- und waldreichen Gebiet heraus und wechselte nun ins Gebirge hinüber. Dann 21
kamen auch bald die Grenztowns, von denen man nicht wußte, wovon ihre Einwohner lebten. Hier gab es nur ein paar armselige Kupferminen, die aber zum Teil ihren Betrieb schon wieder eingestellt hatten. Hier war die Gegend, in der Jesse Owen regierte. Billy Jenkins konnte sicher sein, daß es überall, wo er sich jetzt bewegte, Zuträger gab, die Jesse Owen genau unterrichteten, selbst wenn er hundert Kilometer entfernt wäre. Diese Zuträger waren zum Teil sogar Farmer; sie taten es, nur um ihr Leben zu fristen, und um den Tod von sich selbst abzuwenden. Jesse Owen konnte hier ruhig leben, ohne daß ihm etwas passierte. Für Billy Jenkins war das unangenehmste, daß der Bandit ihn gut kannte; ja, darin lag die größte Gefahr. Aber Billy Jenkins hoffte immer noch, daß ihm eine Überraschung gelingen würde. Die Zeit mußte es bringen. Es hatte keinen Zweck, daß er jetzt weiter darüber nachdachte. So ritt Billy Jenkins weiter, unbeirrbar wie ein Jagdhund, der mit seiner Spürnase schon längst die Fährte ausgemacht hatte. Es war unglaublich, mit welcher Sturheit und Genauigkeit er auf sein Ziel losging. Jesse Owen ahnte davon noch nichts. *
* *
Worrytown nannte sich ein kleines Felsennest, dessen Holzhäuser förmlich an die Felsen geklebt waren. Dieses Nest war noch gar nicht alt, man konnte es auch dem Holz ansehen, das immer noch eine hel22
le Färbung trug. Es waren rund fünfzehn Häuser, wenn man auch die kleinen mitrechnete, dann kam noch ein Hotel dazu, in dem sich auch die Bar befand; der typische Bau, wie er hier in dieser Gegend üblich war. Unweit dieses Towns wohnte Jesse Owen. Niemand wußte genau, wo er seinen Unterschlupf hatte. Worrytown selbst war nicht einmal auf der Landkarte verzeichnet. Die ersten Einwohner, die hier waren, flüchteten, als immer mehr Banditen in den Felsen Unterschlupf suchten – und so nannten sie ihre paar Häuser Worrytown (abgewürgte Stadt). Jedes Haus, das hier stand, hatte einen bestimmten Zweck. Um nach Worrytown zu kommen, mußte man verschiedene Felsecken passieren. Man hatte die Häuser so geschickt angelegt, daß jede Felsnische von dem Town aus eingesehen werden konnte – jeder Reiter, der sich näherte, war schnell gesichtet. So einfach diese Häuser waren, so lag ihrer Bauart doch ein bestimmter Zweck zugrunde, der einen dunklen Hintergrund hatte. Hier konnte Jesse Owen sich bewegen, als wäre er zu Hause. Jesse Owen konnte mit Recht sagen, daß hier sein Reich war. Er war zwar nur selten anwesend, aber auch dann wußte niemand genau, wo er sich aufhielt. Er ritt zur Täuschung einmal westlich und einmal östlich aus dem Town hinaus und strebte seiner Behausung zu – so blieben alle im Zweifel, wo er sich wirklich befand. Oder besaß er mehrere Plätze? Manchmal nach einem großen „Hit“ kam es vor, 23
daß Jesse Owen mit einigen seiner Leute, die zu seiner Leibwache gehörten, in Worrytown erschien, um seine Orgien zu feiern. Gewöhnlich waren Dogan, ein Hüne, der schon eine mächtige Vorstrafe hatte, Doval und O’Hara dabei. Diese drei Männer hatten eines gemeinsam: das war der Ausdruck ihrer Augen, in denen viel Falschheit lag. Daß sie schießen konnten, wußte jeder und es bestand kein Zweifel darüber, daß sie sofort schossen, wenn es sein mußte. So war Worrytown jenes Nest, welches für sie wie geschaffen war – sie hatten es auch mit Vorbedacht ausgewählt. In der Bar von Worrytown hatte Jesse Owen die Ecke nach seinem Plan ausbauen lassen. Dort saßen sie in einem mächtigen Klubsofa, das weich gepolstert und so raffiniert angelegt war, daß sie jede Sekunde aus der Hintertür verschwinden konnten. Gleich hinter der Tür lag eine mächtige Felswand, in der sich ein schmaler Spalt befand, so daß sie von hier aus die Flucht in die Berge zu jeder Zeit antreten konnten, wenn es einmal notwendig werden sollte. Ja, Jesse Owen hatte noch mehr Tricks angewandt, um vollends sicher zu gehen. Unter der Tischplatte hatte er einen Revolverhalter anbringen lassen, in dem ständig ein mächtiger Colt lag – so konnte er selbst dann zur Waffe greifen, wenn seine Hände harmlos unter dem Tisch lagen. Jesse Owen brauchte keinen Schutz. Er hatte es zu oft in diesem Leben schon erlebt, daß die Leute erstarrten, wenn sie ihn sahen. Grelles, unheimliches Feuer leuchtete aus seinen Augen, die auf fast alle Menschen eine hypnoti24
sche Wirkung ausübten. Hierin lag Jesse Owens Stärke und er wußte sie gut zu nützen. Zwei Wochen waren seit dem „Hit“ vergangen. Nichts hatte sich geändert, keine Streife hatte Worrytown aufgesucht, obgleich alle wußten, daß Jesse Owen die Bank überfallen hatte. Es war eben ein nutzloses Beginnen, sie aus ihren Schlupfwinkeln holen zu wollen, und dies machte die Banditen stark. Sie fühlten sich fast übermächtig. Wer sollte ihnen schon gefährlich werden? Eines abends, nach Einbruch der Dunkelheit, ritt ein einzelner Reiter langsam dem Town entgegen. Man hatte ihn nicht eher gesehen, als bis er das erste Haus passierte. Da der Mann hier unbekannt war, ging es sofort wie ein Alarmsignal durch Worrytown: „Ein Fremder ist da!“ Einer wollte eine verdammte Ähnlichkeit mit jenem mächtigen Schützen Billy Jenkins festgestellt haben, und so brauste auch schon der Ruf überall hin: „Billy Jenkins ist da!“ Bereits zwei Stunden später erschien ein Reiter bei Jesse Owen. Es war Doval, der sich zufällig in Worrytown befand. Jesse Owen wollte gerade noch ins Town reiten, als Doval erschien. Wie der Blitz fuhr er herum, als er die Neuigkeit hörte. „Damned …!“ kam es kurz über seine Lippen und dann fuhr ein heiseres Lachen aus seinem Mund. „Jenkins …!“ Und dann rollte jene Szene vor seinen Augen ab, die nun schon viele Jahre zurücklag. Nur zu gut hatte er diesen Mann in Erinnerung, der ihm die größte Schlappe seines Lebens beibrachte und durch den er die bitterste Zeit erlebte. Er empfand keine Angst, im Gegen25
teil – das war eine prachtvolle Gelegenheit zur Revanche! Hierauf hatte er schon lange gewartet. Jetzt kam ihm dieser Jenkins entgegen, diesmal saß er in Worrytown. Dort konnte er ihm unmöglich entrinnen. Auch Dogan und O’Hara machten sich sofort fertig und bald ritten sie gemeinsam dem Town zu. Es wurde nicht viel gesprochen. Jesse Owen dachte an die zurückliegende Zeit. Er freute sich diebisch auf dieses Wiedersehen – es sollte das Ende von Billy Jenkins bringen. Das hätte er nie geglaubt, daß es ihm so schnell gelingen würde, mit diesem Mann zusammenzustoßen. Jesse Owen hatte nur den einen Wunsch: Hoffentlich hatte Billy Jenkins die Ortschaft, nicht schon wieder verlassen. Das war allerdings kaum anzunehmen, denn er kam ja erst nach Dunkelwerden dort an. Trotzdem sollte Jesse Owen enttäuscht werden. Als er nach drei Stunden in Worrytown eintraf, hatte Billy Jenkins Worrytown schon wieder verlassen. Jesse Owen wußte, daß er ihm trotzdem nicht mehr entrinnen konnte. Man wußte genau, in welcher Richtung er verschwunden war und es gab nur ein Town, das er jetzt noch erreichen konnte und das war Dreadwood, jenes kleine Grenznest, in dem Jesse Owen auch schon einmal die Bank leergemacht hatte. Dieses Town war ihm zwar nicht so sympathisch, weil es hier verschiedene Gegner gab. Aber Jesse Owen war das diesmal gleichgültig, jetzt wollte er Billy Jenkins haben und wenn er durch die Hölle mußte. Inzwischen war Billy Jenkins in der Bar von Dreadwood angekommen. Er hatte dort noch keine 26
Stunde verbracht, als zwei Männer auftauchten, die ihm verdammt unsympathisch waren. Sollte Jesse Owen doch schon in seiner Nähe sein? Irgendwie hatte er ein unangenehmes Gefühl und so ging er nach geraumer Zeit hinaus und sattelte sein Pferd. Man konnte niemals wissen, was geschah. Er führte Blessy hinter das Haus. „Bleib hier stehen“, sagte er leise zu dem Tier. Dann ging er wieder in die Bar. Mit Bedacht setzte er sich in die Ecke. Von hier aus konnte er durch die nach hinten führende Tür verschwinden. Es störte ihn nicht, daß er dann durch die Küche des Hauses mußte, wo der Koch, ein dicker Chinese, das Essen zubereitete. Diese harmlose Kreatur würde wohl etwas erschrecken; aber darauf Rücksicht zu nehmen, konnte den Tod bedeuten. Billy Jenkins beobachtete gespannt die beiden Männer. Es war kein Zweifel, daß sie ihn ständig im Auge behielten. Zur Vorsicht nahm Billy Jenkins seinen linken Colt heraus und hielt ihn unter der Tischplatte. Vor einiger Zeit waren ein paar Reiter durch das Town geritten. Auch das war merkwürdig; normalerweise hielten sie vor der Bar an oder ritten zumindest langsam daran vorüber. Billy Jenkins hatte das Gefühl, daß sie irgendwo ihre Pferde parkten, um dann allein zu erscheinen – und er hatte sich auch nicht verkalkuliert. Billy hatte noch keine zehn Minuten auf seinem Platz gesessen, als plötzlich die Hintertür, die zur Küche führte, aufging und Dogan und Doval erschienen. Sie starrten Billy Jenkins an. 27
„Well … well …“, sagte dieser, „ihr seid also auch hier?!“ Er hatte die beiden sofort erkannt. Auch sie wurden schon lange gesucht und standen auf Billy Jenkins’ Konto, das noch einmal gelöscht werden mußte. Doch eins schoß ihm sofort durch den Kopf. Er hatte mit dieser Begegnung nicht gerechnet und er befand sich jetzt in einer ziemlich ungünstigen Schußposition. Gewiß hätte er schneller als die beiden seine Pistole in der Hand haben können. Sie sollten erst in zweiter Linie darankommen, aber er suchte Jesse Owen, den Kopf dieser mächtigen Schlange. Wo war er? Billy Jenkins war noch bei diesem Gedanken, als die vordere Tür aufsprang und dann stand Owen im Rahmen. Seine breite Gestalt füllte die Tür aus. Sofort hatte er Billy Jenkins erspäht und blinzelte zu ihm hinüber. „Well …“, kam es gedehnt über seine Lippen, indem er Billy Jenkins aufmerksam musterte. Billy Jenkins’ Augen bohrten sich förmlich an Jesse Owen fest und im stillen überkam ihn eine mächtige Freude. Er lag genau in Schußrichtung seines Colts, der unter dem Tisch lag. Nur die beiden anderen machten ihm Sorgen. Er konnte sie jetzt nicht beobachten. „Warum nervös …?“ fragte jetzt Jesse Owen, indem ein spöttisches Lächeln über sein Gesicht huschte. „Steh auf und drück ab … du kannst es doch sonst so gut.“ Billy Jenkins bewegte sich nicht. Er beobachtete nur Jesse Owen, der immer noch gelassen auf dem28
selben Fleck stand, während Dogal und Dovan von Jenkins nicht gesehen werden konnten. Das war sehr unangenehm, aber unabänderlich. Sicherlich hatten die beiden vorher den Bescheid bekommen, nicht zu schießen, weil Jesse Owen diese Rechnung allein bereinigen wollte. Das alles ging in Sekundenschnelle durch sein Gehirn und allein dieser Umstand konnte noch seine Rettung bedeuten. Plötzlich ging eine Bewegung durch Jesse Owen. Billy Jenkins wußte, es war so weit. Eine zehntel Sekunde später mußte sich der Schuß lösen, der unerbittlich in seinem Kopf enden würde. In dieser Sekunde drückte Billy ab. Über Jesse Owens Gesicht lief sogleich Blut, er taumelte, stürzte zu Boden. Billy Jenkins drehte sich herum, um jetzt Dogan und Doval unter Beschuß zu nehmen. In dieser Sekunde traf ihn ein mächtiger Schlag gegen die Stirn, der ihm fast die Besinnung nahm. Billy Jenkins kam erst wieder zu sich, als er unter den Tisch gerutscht war. Er sah, wie Dogan und Doval auf Jesse Owen zustürzten. Er benutzte diese Sekunde, um mit letzter Kraft aus der hinteren Tür zu schlüpfen. Damned … Er konnte nicht mehr sehen. Wo war Blessy? Er pfiff einmal! Da kam sie auch schon heran und er fühlte den Pferdehals. Billy Jenkins sprang hinauf. „Let’s go, Blessy!“ Er brauchte es nicht zweimal zu sagen, sofort spurte das Pferd mit ihm ab. Während des Reitens versuchte Billy sich das Blut aus den Augen zu wischen. Verdammt … Noch war es einigermaßen gut gegangen. Wie ein Tier war er hinaus gekrochen. 29
Aber es war ihm nichts anderes übrig geblieben. Noch lebte er. Und Jesse Owen? Der Schuß hatte gut gesessen. Billy Jenkins hatte nur gesehen, daß der Einschlag seines Schusses unterhalb der Schläfe lag und ein mächtiger Blutstreifen über sein Gesicht rann. Davon würde er sich wohl nicht mehr erholen, wahrscheinlich war der Bandit schon tot. Und dann konnte es sich Billy Jenkins wieder gar nicht vorstellen, daß es ihm so leicht gemacht worden war. – Er hatte es sich ganz anders vorgestellt. Ihm war zwar die Stirn weit aufgeschlagen worden und es hatte sich eine mächtige Beule gebildet; aber das mußte bald vergehen. „Damned! …“ Er hatte noch einmal Glück gehabt. „Noch einmal …“ wiederholte er. Es hätte leicht anders sein können. Zu gern hätte er gewußt, ob Jesse Owen wirklich tot war. Dieser Mensch, der für Arizona wie eine große giftige Natter war. Bald würde hier alles wieder aufatmen, wenn … Aber noch war Billy Jenkins nicht restlos davon überzeugt, daß Jesse Owen erledigt war. Es mochte bereits gegen Mitternacht sein. Billy Jenkins war müde. Blessy trabte unentwegt weiter. Jetzt konnte Jenkins auch schon wieder etwas sehen. Wo würde er nun einen Arzt finden, der ihm die Wunde zunähte? Er wußte gar nicht einmal genau, wo er sich jetzt befand. Es war ihm auch ziemlich gleichgültig. Dann entdeckte er Lichter in der Ferne. Als Billy Jenkins sich jenem Town näherte, wußte er nicht, um welches es sich handelte. Vor einem erleuchteten Hause hielt er an. 30
Ein Farmer trat heraus. „Hallo Stranger! – What’s the matter?“ empfing ihn dieser. Dann faßte er auch Billy Jenkins schon unter die Schulter. Man legte Billy auf ein Bett. „Bleib zunächst hier liegen. Wir werden eben den Arzt holen.“ Dann ritt irgend jemand fort, während der Farmer an meinem Bett sitzen blieb. „Wie ist das gekommen, Fremder?“ „Wenn mich nicht alles tauscht, habe ich Jesse Owen erschossen.“ „Was …?“ brüllte der Farmer. „Jesse Owen …!“ Und dann ging ein Erkennen über das alte, ehrwürdige Gesicht dieses Mannes. „By golly, aren’t you Billy Jenkins?“ „Yes. – Aber laß es niemand wissen.“ Lester Blue, Sheriff of the Southern County Golden HUI (Sheriff des südlichen Bezirkes der Goldenen Berge), hatte die undankbare Aufgabe, in diesem Bezirk Ordnung zu halten und das Unangenehmste war ihm, daß in diesem Landstrich sich Jesse Owen seßhaft gemacht hatte. So mußte es den Eindruck erwecken, als sei der Sheriff ein Ignorant, ein Nichtskönner, dem es eben nicht gelang, Jesse Owen zur Strecke zu bringen. Dabei gab er sich alle Mühe, diesen Banditen zu fangen. Wie ein Lauffeuer war es nun durch Arizona gerast, daß Jesse Owen nicht mehr am Leben sein sollte. Vielleicht doch … vielleicht nicht … so hieß es und nach wenigen Stunden gingen die verschiedensten Gerüchte durch Arizona, die immer wieder Neues wissen wollten. Dann wurde es plötzlich laut, man 31
hatte seine Leiche gefunden; Stunden später erfuhr man, daß nichts davon wahr wäre. Dann hieß es wieder, Dogan und Doval wären tot. Aber keines dieser Gerüchte bewahrheitete sich. Jedenfalls befand sich alles in höchster Aufregung. Lester Blues Bezirk war sehr groß; wie eben alles in Arizona außergewöhnlich war. Sein Bezirk erstreckte sich von den Sümpfen von Pontiac hinauf bis zu der mexikanischen Grenze, den goldenen Bergen. Aber die Berge waren nicht so golden, wie ihr Name war. Es war das kupferhaltige Gestein, das diese Berge abends in der Sonne golden erglänzen ließ. Aber Lester Blue hatte sie schon oft verflucht. Wenige Kilometer scharfen Rittes genügten, um Reiter und Pferd in diesen rötlichen Staub einzuhüllen und das Atmen schwer zu machen. Dieses Gebiet war die Hölle, wenn es auch anders aussah. Außerdem hatte Lester Blue die Gewißheit, daß in seinem Gebiet das lasterhafteste Volk Arizonas wohnte. Es gab hier Mestizen und Mischlinge in jeder gewünschten Form. In allen Schattierungen waren sie vertreten: schlecht, gemein, aber auch gut. Es gab da einige, die versuchten sich redlich durchzuschlagen, sie waren meist auch zu gewissem Wohlstand gekommen. Wenn Lester Blue mit sich und der Welt nicht zufrieden war, so wunderte sich in Arizona niemand darüber. Er war mit Vorbedacht als Sheriff gewählt worden – im Schießen konnte man ihm nichts vormachen, er knallte selbst vom galoppierenden Pferde aus einen Stier auf zwanzig Meter mit einem tödlichen Kopfschuß ab. Ebenso konnte es ein Mensch 32
sein, den er vom Sattel fegte – Lester Blue hatte schon einige Banditen auf diese Art und Weise aus der Welt geschafft. Auch im Reiten war er ein Meister und wenn die großen Volksfeste abgehalten wurden, bei denen es galt, die wildesten Tiere zu reiten, war Lester Blue der Beste. Als sein Vorgänger von Jesse Owen zusammengeschossen wurde, blieb für Arizona praktisch nichts anderes übrig, als Lester Blue diesen Posten anzutragen. Er hatte ihn nur widerwillig angenommen, denn er hatte seinen Farmbetrieb, der zwar nicht sehr groß war, und außerdem hatte er den Posten eines Bahnbeamten inne. Er hatte für diese Zwecke schon vor Jahren verschiedene Kurse mitgemacht und bediente dort den Morseapparat. Nun sollte Jesse Owen tot sein. Oder nicht? Sollte man den Gerüchten glauben schenken? Es war ihm ein Grauen, nach Worrytown hinüber zu reiten. Aber nun hatte er doch eine Posse zusammengestellt und war dann plötzlich oben in dem Bergnest erschienen. Er ritt natürlich auch erst nach Dunkelheit in diese Ortschaft hinein. Dann stand er in der Bar. Aber alles, was ihm begegnete, trug eisige Mienen. Lester Blue versuchte, jetzt endgültig Klarheit zu bekommen. Wo war Jesse Owen? Lebte er oder war er tot? Wenn er tot war, wo war die Leiche? Aber nichts war herauszubekommen. Niemand konnte Genaues sagen. Man hatte gesehen, wie Jesse Owen fortgetragen wurde, aber niemand wußte, wohin. Und wo war Billy Jenkins? Auch hierüber konnte er keine näheren Einzelheiten erfahren. Auch dieser Mann war wie vom Erdboden verschluckt. 33
„Funny“, meinte der Sheriff zu seinen Leuten. Letzten Endes hatte Billy Jenkins jetzt gar keinen Grund, zu verschwinden. Lester Blue erfuhr nicht einmal, daß Billy Jenkins schwer angeschlagen war. Als Lester Blue am nächsten Abend auf seine Farm zurückkehrte, wartete allerhand Arbeit auf ihn. Der Bericht, den er aufsetzte, war in seiner Form sehr kurz gehalten. Über Jesse Owen war nichts Näheres zu erfahren; so hielt sich das Gerücht hartnackig: Jesse Owen war tot. Aber auch das Gerücht, daß Jesse Owen lebte, blieb noch immer im Umlauf. Währenddessen saß Lester Blue an seinem Morsegerät und tickte seinen Bericht nach Phoenix. *
* *
Warm ging die Sonne auf. Sie schien so, wie sie es jeden Tag tat und gab jedem von ihrer Wärme; sie ließ alles gedeihen. In den Bergen unweit Worrytown, auf einem bewachsenen Plateau mit viel Unterholz, war Jesse Owens Unterschlupf. Er lag in einer Felshöhle und starrte an die Decke. Unbeweglich lag er nun schon seit zwei Wochen dort. Die Wunde war verheilt; es war nicht mehr viel zu sehen, nur eine Narbe an der Einschußstelle und ein kleiner Fleck, wo die Kugel wieder herausgetreten war. Jesse Owen konnte von Glück sprechen. Wenige Zentimeter höher, und sein Leben wäre endgültig vorbei gewesen. Aber darüber dachte er gar nicht nach. Billy Jenkins war ihm zu34
vorgekommen. Durch die anderen hatte er erfahren, daß Jenkins die Pistole schon in der Hand hatte, als er selbst zog, und das gab Jesse Owen eine gewisse Genugtuung. Danach war Billy Jenkins nicht schneller gewesen als er. Er konnte es sich auch gar nicht vorstellen, daß ihm ein Mensch an Schnelligkeit überlegen war. Alles hatte ihn lange Zeit geschmerzt, das Essen war ihm eine Qual gewesen – kaum, daß er die Kiefer bewegen konnte. Aber nun ging es wieder, und heute stand Jesse Owen zum erstenmal auf. Dogan und Doval trugen an dem Vorfall keine Schuld. Er hatte ihnen damals ausdrücklich verboten, zu schießen, weil er Billy Jenkins allein haben wollte. Jesse Owen hatte von den zwiespältigen Gerüchten gehört und den Banditen aufgetragen, das Gerücht, daß er tot sei, nur noch zu verstärken. Vielleicht traf er diesen Jenkins noch ein drittes Mal. Jedesmal, wenn Jesse Owen sein Gesicht verziehen wollte, spürte er, daß es ihm nicht gelang; irgendetwas hinderte ihn daran. Noch wußte er nicht, daß Billy Jenkins ihm die Muskeln zerschossen hatte. Heute nahm er zum erstenmal einen Spiegel in die Hand und glotzte mit unverhohlenem Erstaunen hinein. Wie komisch sah er nur aus! Er kannte sich kaum selbst wieder. Jesse Owen versuchte, daß Gesicht zu verziehen, aber es gelang ihm nicht, es veränderte seine Form nicht im geringsten. „Verflucht!“ schrie er dann plötzlich auf und knallte den Spiegel an die Wand, daß er in tausend Scherben zersprang. Was war denn mit ihm los? Das war ja eine Totenmaske, die ihn da ansah. 35
Dogan und Doval saßen still in der Ecke. Sie hatten diesen Wutausbruch schon lange erwartet. „Mußt dir Zeit lassen“, sagte Dogan jetzt. „Das muß langsam heilen. Es geht nun mal nicht so schnell.“ Jesse Owen ließ sich einen anderen Spiegel geben und wieder versank er in die Betrachtung seines eigenen Antlitzes. Das war ja gar kein Mensch mehr, der ihn da ansah. Das war tatsächlich ein Toten- kopf … ein steinernes Gesicht. Er konnte nicht mehr lachen, wie er es häufig tat, wenn andere unter dem Feuer seiner Schüsse zusammenbrachen, die aus Furcht erstarrt waren, wenn sie sein Mienenspiel sahen. Blitzartig schoß es Jesse Owen ins Gehirn, daß diese Zeiten vorbei waren. Etwas Neues war jetzt geschehen. Jesse Owen war jetzt tot. Er lebte gar nicht mehr. Nie wieder würde ein Lachen über dieses Gesicht gleiten. Voll grauenhafter Wut starrte er immer wieder in den Spiegel, aber selbst diese Wut war im Spiegel nicht sichtbar. Sein Gesicht blieb tot wie das eines Tieres, nur die Augen lebten noch in diesem Kopf, sonst erinnerte nichts mehr an ein menschliches Gesicht. Es vergingen viele Tage, bis Jesse Owen sich daran gewöhnen konnte, und jedesmal, wenn er in den Spiegel sah, beschlich ihn selbst das Grauen. Nichts zeigte sich an, weder Freude noch Trauer. Und ganz allmählich stellte sich Jesse Owen auch innerlich um. Nach Wochen konnte er wieder ruhig in den Spiegel blicken und er entdeckte eine neue Stärke: die Unveränderlichkeit seines Gesichts mußte noch 36
mehr Schrecken einflößen als vorher das freche Mienenspiel. Nicht einmal eine Warnung war in diesem Gesicht zu lesen. Aus seinem Antlitz sprach nur der Tod. Einmal lachte Jesse Owen vor dem Spiegel brüllend auf und zu Tode erschrocken hielt er inne. Die Stimme war wohl laut und kräftig, aber der Spiegel wies gleichbleibend dasselbe steinerne Gesicht auf. Wie war so etwas überhaupt möglich? Wenn er sprach, bewegten sich kaum die Lippen, so daß man das Empfinden hatte, ein anderer redete. War Jesse Owen am Ende, oder sollte Jesse Owen zu einem noch größeren und gefährlicheren Banditen anwachsen, als er es schon war? … Sollte diese Totenmaske ihm die größten Triumphe einbringen? … Denn eines wußte Jesse Owen selbst, das Gesicht, das ihm aus dem Spiegel anblickte, war nicht mehr er selbst, das war ein ganz neuer, ein viel gefährlicherer Bursche – eine Bestie, die noch viel leichter schießen würde als Jesse Owen. Und so ließ er immer wieder das Gerücht verbreiten, Jesse Owen ist tot. Ja, er war schon längst gestorben. Und daß er ein anderer war, offenbarte sich selbst gegenüber Doval, Dogan und O’Hara. Wie oft saßen sie nun abends zusammen bei dem so überaus beliebten, open poker, einem Spiel, bei dem alle Leidenschaften zum Ausdruck kamen. Jesse Owen hatte es schon vorher meisterhaft beherrscht, aber jetzt hatte er darin eine solche Meisterschaft erreicht, daß die Banditen es kaum noch wagten, in dieses Totenantlitz zu sehen. Nichts zeigte sich darin, überhaupt 37
keine Regung, selbst wenn er die größten Beträge ansetzte. Dann wurden sie von einem unangenehmen Gefühl beschlichen und sie wären schon längst von Jesse Owen fortgegangen, wenn sie ihn nicht vorher gekannt hätten und wußten, daß er sie nicht lebend fortgelassen hätte. Jetzt saß er mit seinem steinernen Gesicht ihnen gegenüber und sie wußten nicht, was sie daraus machen sollten. Doval fühlte es manchmal kalt über seinen Rücken laufen. Und Jesse Owen war darüber erfreut; er fühlte genau, wie sehr er den anderen überlegen war. Er hätte vor lauter Freude brüllen mögen, aber er tat es nicht, weil er sich selbst darüber erschreckte und weil dann höchstens ein Krampf in seinem Gesicht spürbar war. Es kam vor, daß Jesse Owen in eine Art Raserei verfiel; die Augen leuchteten dann bösartig wie bei einem Tier auf, während das Gesicht unverändert in den Spiegel starrte und in seinem Innern ein schwerer Kampf tobte. Meist zerschmetterte er dann wieder einen Spiegel an der Felswand. Das kam fast täglich vor. Es würde wohl noch eine lange Zeit dauern, bevor Jesse Owen wieder der Mann war, der es wagen konnte, zu anderen Menschen zu gehen. Manchmal beherrschte ihn das Gefühl, daß dieses Gesicht eine neue Stärke wäre und dann überfiel ihn doch wieder ein seltsames Grauen vor sich selbst. Er verfluchte jene Stunde, in der er Billy Jenkins gegenüber stand und er ihm zurief: „Warum drückst du nicht ab?“ Jesse Owen hatte damals aufschreien wollen. – Yes, es stimmte. Billy Jenkins hatte abgedrückt und nur zu gut getroffen und daß er jetzt noch 38
lebte, war zeitweilig für ihn eine gewaltige Qual. Nur eines beruhigte ihn, er konnte immer noch so gut schießen wie vorher. Noch einmal mußte er mit Billy Jenkins zusammentreffen – und Jesse Owen wünschte, daß er ihm dann denselben Schuß verpassen könnte, damit auch Jenkins einmal diese furchtbare Situation kennenlernte. Jesse Owen wußte, daß das nur ein Wunsch war. Nein. Wenn er ihm noch einmal gegenüber stand, würde er besser zielen. – Aber jetzt sollten sich alle erst einmal in Sicherheit wiegen. Mochten sie glauben: Jesse Owen ist tot. Umso furchtbarer würde es dann werden, wenn es plötzlich hieß: Jesse Owen ist wieder da! Aber noch hatte er Zeit. Er mußte sich erst an dieses verdammte Gesicht gewöhnen, an diese Fratze. *
* *
Weit oben in den Sümpfen von Pontiac lebten uralte Westler. Ihre Vorfahren waren damals vor hundert und mehr Jahren als Landfremde in jenes tote Gebiet gekommen und hatten sich, wie Squatter* nun einmal waren, das Land zu eigen gemacht, sich dort angesiedelt, ungeachtet kommender Folgen, denen sie mit dem Gewehr in der Hand begegnet wären. Aber zu damaliger Zeit war nichts billiger als Land – die Sümpfe von Pontiac waren nicht so beliebt, daß sie ihnen jemand streitig machen würde. So führten die *
Squatter = Ansiedler ohne Rechtstitel 39
Squatter ein ungestörtes Dasein bis in die Neuzeit. Sie waren später von der Regierung anerkannt und Steuerzahler geworden und das Wort Squatter, welches früher als Schimpfname galt, war heute ein Wort, das mit Stolz ausgesprochen wurde. Yes, man gab es gern zu, daß man ein Squatter war und man gebrauchte hier noch gern die altenglische Sprache. Hier begann jeder zweite Satz mit: „Have the notion …“ und wer dieses alte Englisch sprach, gab sich schon als Squatter zu erkennen. Man mußte schon sagen, die Squatter hatten aus diesem Sumpf tatsächlich etwas gemacht. Sie hatten stabile, prachtvolle Holzhäuser gebaut, sie besaßen mächtige Cattles und viele tausend Stück Vieh gingen von hier aus jedes Jahr zu den Schlachthöfen von Chikago. Die Squatter waren ein seltsames Volk; sie waren ständig unter sich geblieben; sie lehnten zwar nicht ab, mit anderen zusammen zu kommen, aber sehr oft hatte es harte Kämpfe gegeben – das zwang sie, sich immer enger zusammenzuschließen, und so etwas vererbte sich. Kam man auf eine dieser mächtigen Farmen, so wurde man erst mißtrauisch beäugt. Es herrschte Gastfreundschaft, jeder konnte hier wohnen, schlafen und essen. Aber nur selten gelang es einem Fremden, tiefer in die Kreise der Squatter einzudringen. – – Zu diesen Menschen hatte Blessy Billy Jenkins getragen. Brixton, ein baumlanger, uralter Squatter, sah Jenkins zuerst, als er blutverschmiert angeritten kam. „Have the notion … . daß dir was passiert ist.“ 40
Als der Alte diese Worte über die Lippen brachte, wußte Jenkins sogleich, wo er war. Es gab nur einen Fleck in Arizona, wo diese Sprache gesprochen wurde, und er war glücklich, daß ihn das Pferd hierher brachte. Man hatte dann den Arzt geholt und ließ Billy Jenkins alle Pflege angedeihen. Als man dann noch erfuhr, daß er Billy Jenkins war, durfte er sich rühmen, von allen Seiten eingeladen zu werden. Man empfing ihn nicht als Helden, aber als Gleichberechtigten. Man wußte genau, wer Billy Jenkins war, und würdigte seinen harten Kampf gegen die Banditen. Zumindest wußten die Squatter, daß sie diesem Manne Vertrauen entgegen bringen konnten. Brixton war achtzig Jahre alt, aber er führte seine Farm wie ein Junger. Sein Gesicht bestand nur noch aus Falten, und die Haut sah wie altes Leder aus. Aber innerlich war der Alte noch jung geblieben. Billy Jenkins berichtete dann, was sich zugetragen hatte. Bald kamen auch schon die verschiedensten Gerüchte zu ihnen. Brixton hatte Billy Jenkins ein Zimmer eingeräumt, das in seinem Farmhause lag. Hier wohnte er mit den Söhnen und Enkelkindern zusammen. Da Billy Jenkins viel Zeit hatte, weihten sie ihn in ihre Sitten und Gebräuche ein. Sie führten ihn durch den Sumpf und zeigten ihm die geheimen Pfade, auf denen das Wild wechselte, und noch viele andere Dinge. Es gab dort einen Wald, der schon seit Jahrzehnten im Sumpf stand, die Stämme waren abgefault, in den Tümpeln hielten sich Alligatoren auf. Sie waren aber nicht allzu groß und konnten nicht sonderlich gefährlich werden. Die Bäume selbst wa41
ren zum Teil so morsch, daß ein Sturmwind jedesmal viele von ihnen umwarf. Der Wald starb allmählich ab. Manchmal ritt Billy Jenkins mit Ellen, Brixtons Enkelkind, in die weitere Umgebung zur Cattle, und er mußte staunen, was für wundervolles Vieh auf den nicht allzu reichlichen Weiden gedieh. Alles zeugte von Wohlstand, aber auch von viel Arbeit, und es gab keinen Squatter, der sich nicht freute, wenn er tüchtig zupacken konnte. Wieder war ein Abend angebrochen und man saß gemütlich beisammen. An diesem Tage war ein Reiter von Dreadwood gekommen. Dort erzählte man sich, Jesse Owen wäre tot. „Was hältst du davon?“ fragte Brixton. Alles wartete gespannt darauf, was Billy Jenkins dazu sagen würde; auch Ellen, die eben erst achtzehn Jahre alt war, horchte gespannt auf. Billy Jenkins überlegte eine Weile. Er ließ noch einmal jene Szene vor seinem Auge abrollen. „Well …“, meinte er dann bedächtig, „schätze, daß der Schuß etwas zu tief lag, hatte so das Empfinden … und zwar hatte ich nur den Bruchteil einer Sekunde Zeit, es zu beobachten.“ „Dann lebt er“, sagte der Alte, „und du mußt wahrscheinlich nochmals hinter ihm her.“ Bei diesen Worten betrachtete Brixton Billy. „Verdammt schlechtes Gewerbe. Have the notion, daß man in diesem Beruf nicht alt wird.“ Billy Jenkins lächelte. „Möglich. – Es ist aber unsinnig, darüber nachzudenken … wenn ich mit die42
sen Gefühlen an die Arbeit ginge, dürfte ich nichts mehr unternehmen.“ „You said it“, bestätigte der Alte. — — So verliefen die Tage. Sie waren für Billy Jenkins eine schöne Zeit. Manchmal machte er einen kleinen Ritt durch die Umgebung oder er half mit bei der Cattle. Seine Wunde war schnell und so gut verheilt, daß kaum noch eine Narbe sichtbar war. Ellen begleitete ihn sehr häufig, wenn er ausritt. Des Abends saßen sie oft zusammen auf dem Gitter, und dann mußte Billy Jenkins ihr etwas erzählen. Sie betrachtete diesen Mann voller Bewunderung. Aber Billy schien davon nichts zu merken, er behandelte sie noch als Kind. Nur abends, wenn er allein auf seinem Zimmer saß, und der Schlaf nicht kommen wollte, setzte er sich zuweilen ans Fenster und starrte in die Ferne. Als er damals Texas verließ, um Jesse Owen zu erledigen, hatte er sich das alles ganz anders vorgestellt. Es war eigentlich viel zu schnell gekommen, zu unüberlegt, und beinahe konnte man sagen, zu pünktlich. Irgend etwas hatte da in seiner Planung nicht gestimmt. Hätte er an jenem Abend gewußt, daß Jesse Owen im Anmarsch war, so wäre er aus dieser Ortschaft geflohen; nicht aus Furcht – aber er wäre verschwunden, um ihn bei einer anderen, besseren Gelegenheit zu fassen. Nun wußte man nicht einmal, ob Jesse Owen noch lebte; wenn er aber noch am Leben war, dann würde sich der Bandit sicherlich erst einmal in den Bergen verschanzen, wo Jenkins ihn niemals aufspüren konnte. Sie Sache war 43
nun recht verfahren und um vieles schwerer geworden. Jenkins mußte viel Zeit verstreichen lassen. Einmal mußte Jesse Owen wieder auftauchen. So verlief die Zeit im steten Gleichmaß, Billy Jenkins füllte sie damit aus, daß er mal hier, mal dorthin ritt. Einige Wochen später teilte er Brixton mit, daß er Lester Blue aufsuchen wollte – vielleicht wußte der Neues. Und am nächsten Morgen war er dann auch schon frühzeitig auf dem Ritt. Blessy trug ihn schnell über die prachtvolle Prärie, die nur von kleinen Hügeln unterbrochen wurde. Überall wuchs fettes, dickes Gras. Dieses Land hatten sich die Squatter gesichert, und sie waren damit nicht schlecht gefahren. Um die Mittagszeit gelangte Jenkins bei Lester Blue an. Der Sheriff war in dem Bahnhäuschen, das gleich neben dem Schienenstrang lag, und als Billy Jenkins die Tür öffnete, fuhr Lester Blue erschrocken vom Stuhl hoch. „Verdammt“, kam es dann über seine Lippen. „Dachte eben in dieser Sekunde an Jesse Owen.“ Erschrocken wischte er sich den Schweiß vom Gesicht. „Sit down, Billy, und erzähl mir – was gibt’s Neues, und wo warst du so lange?“ „Da gibt’s nicht viel zu sagen“, entgegnete Billy Jenkins. „Habe mich erst mal ein bißchen auskuriert. – Aber was macht Jesse Owen?“ „Yes, was macht er? … Der Teufel mag das wissen. Bin damals gleich aufgebrochen und bis nach Worrytown geritten. Es gab aber keine Leiche und auch sonst nichts, was darauf schließen ließ, daß er 44
tatsächlich tot ist. Du weißt ja, wie die Banditen sonst eine solche Sache handhaben. Wäre Jesse Owen tot, hätten sie ihn nicht weggeschleppt – was die Leute reden, soll mich nicht interessieren. Für mich lebt er. – – Aber was hältst du davon?“ „Dasselbe“, entgegnete Billy Jenkins. „Nette Aussichten“, meinte Lester Blue. Erst spät am Abend verließ Billy Jenkins den Sheriff. Aber er ritt nicht gleich zurück. Er machte noch einen Umweg und gelangte nach einigen Stunden um Mitternacht in Dreadwood an. Billy Jenkins hatte das unbestimmte Gefühl gehabt, daß er vielleicht durch einen Zufall auf eine Spur stoßen würde. Er hatte das schon öfters erlebt, und warum sollte es nicht noch einmal glücken? Aber in Dreadwood schlief alles, selbst die Bar war geschlossen. Eine Weile hielt er vor dem mächtigen Holzbau an. Auf irgend einem Hof kläffte ein Hund, dann wurde es wieder still. Nirgends war ein Licht zu sehen. Jetzt erst drehte Billy Jenkins das Pferd herum. Er klopfte Blessy auf den Hals. „Let’s go home, Blessy.“ In den Morgenstunden erreichte er den Sumpf, und von dort war es nicht mehr weit bis zur Farm. Billy Jenkins fühlte sich noch nicht einmal müde. Im Osten wurde es bereits hell, als er auf dem Vorplatz des Farmhauses eintraf. Niemand hatte ihn gehört, außer Ellen, deren Zimmerfenster sich jetzt öffnete. „Ich komme eben ‘runter“, rief sie ihm zu. Als er sein Pferd in den Stall gebracht hatte, ging er ins Haus. Ellen hatte inzwischen schon Kaffee gekocht. „Was gibt es Neues?“ fragte sie interessiert. 45
„Nichts, kleines Mädel … überhaupt nichts.“ Sie blickte ihn mit ihren großen, dunklen Augen an. „Ach Billy … . erzähl’ doch“, bat sie, „ich sage doch nichts weiter.“ Aber Billy Jenkins lächelte nur. „Ich weiß wirklich nichts.“ *
* *
Die Farm von Walace Berry befand sich in der Donkey Valley, ungefähr fünfundzwanzig Meilen von Dreadwood entfernt, in einer äußerst fruchtbaren Talmulde. In Arizona war die Farm im allgemeinen nur unter dem Namen „Berry Brothers“ bekannt, weil es zwei Brüder waren, die diese Farm bearbeiteten. Walace Berry war zwar derjenige, der die Farm mit allem was dazu gehörte, sein eigen nennen konnte, denn Ken, sein Bruder, war lange Jahre fort gewesen und erst vor zwei Jahren zurückgekehrt, ohne einen Cent mitgebracht zu haben. Walace hatte ihn aber gleich aufgenommen, seitdem bearbeiteten die beiden die Farm gemeinsam. Es kam selten vor, daß man die Brüder sah. Das hatte seinen Grund darin, daß sie die meisten Arbeiten selbst verrichteten und kaum Zeit hatten, im Town zu einem Drink einzukehren. Nur bei den Viehverkäufen kamen sie einmal im Jahr zusammen nach Dreadwood. Aber auch dann wurde mäßig getrunken. So war die Farm schnell zu Wohlstand gekommen. Wenn die zwei eine Schwäche besaßen, so war es die, daß sie gute 46
Pferde liebten – man sah sie des abends häufig im Galopp zu ihrer Cattle reiten. Dann war das alles mit einem Schlage vorbei. Es kam für alle überraschend. Aber nicht nur, daß ein Unglück geschehen war, noch viel mehr war geschehen. Jesse Owen lebte! Jesse Owen war wieder da! In den Morgenstunden wurde Lester Blue geweckt. Vor dem Hause des Sheriffs saß Ken auf seinem Pferd, blutbesudelt. Zur Vorsicht kam Lester Blue mit dem Colt in der Hand herunter. Aber diese Vorsicht war nicht nötig. Ken taumelte im Sattel nur noch hin und her. Lester lud ihn sich auf den Rücken und legte ihn ins Bett. „What’s the matter?“ „Jesse Owen hat meinen Bruder Walace erschossen!“ „Verdammt! …“ kam es über Lester Blues Lippen. „Dann lebt dieser Schurke also doch noch. Erzähl’ es mir nachher genauer, ich werde jetzt erst den Arzt holen.“ Dann war er fortgeritten, um mit dem Arzt zurückzukommen. Ken hatte eine große Stirnwunde, die von einem Colt stammte, mit dem man ihn geschlagen hatte. Jetzt erst begann der Sheriff zu fragen: „Wie hat es sich zugetragen?“ Aber viel war es nicht, was Ken ihm berichten konnte. Um Mitternacht hatte er ein verdächtiges Geräusch gehört, sie waren beide aufgestanden, Ken eilte als erster hinunter. Als er die Tür zum Wohnzimmer öffnete, erhielt er einen Schlag ins Gesicht, 47
und er stürzte davon fast bewußtlos zu Boden. Er hörte plötzlich seinen Bruder schreien: „Jesse Owen!“ Dann ertönte ein Schuß, Als Ken wieder zu sich kam, war der Safe geöffnet und Walace lag tot auf dem Boden. Der Sheriff hatte eine Posse zusammengestellt und war sofort zur Farm geritten. Aber so viel er dort auch suchte, er fand nur eine Pferdespur, die in Verdacht kommen konnte, von einem Fremden herzurühren. Demnach mußte Jesse Owen allein gekommen sein. Walace lag immer noch auf demselben Fleck, auf dem er zusammengebrochen war. Er hatte noch nicht einmal den Colt in der Hand, demnach war er überrascht worden. Wie der Sheriff feststellte, hatte er einen glatten Kopfschuß erhalten. Wenige Stunden später hatte Billy Jenkins von dem Überfall gehört, und auch er erschien auf der Berry-BrothersRanch. Aufmerksam studierte er mit dem Sheriff alle Fußspuren. „Wie sieht die Wunde von Ken aus?“ fragte Jenkins. Lester Blue zuckte mit den Schultern. „Möchte mich nicht dazu äußern. Der Arzt sagt, nichts von Bedeutung. – – Kommt mir irgendwie komisch vor.“ Nach Stunden ritten sie zu Lester Blue zurück, wo Ken immer noch im Bett lag. Er hatte sich erhoben und sah mit blassem Gesicht aus dem Fenster. Billy Jenkins kam mit ins Zimmer. „Well Ken“, sagte Lester Blue. „Uns ist noch einiges unklar, erzähl es doch noch mal, wie es vor sich gegangen ist.“ 48
Noch einmal wiederholte Ken genau, wie es geschehen war. Als er geendigt hatte, sagte Lester Blue ziemlich grob: „Von dem Schlag kannst du doch nicht gleich bewußtlos gewesen sein. – Mir kommt das alles reichlich komisch vor.“ Ken lief das letzte Blut in den Kopf, er spürte, was der Sheriff meinte. Die Worte trafen ihn hart und es war ihm so, als trüge er schon jetzt das Kainszeichen auf der Stirn. Er fühlte, daß auch die anderen ihn verdächtigten. „Ihr glaubt doch wohl nicht, daß ich Walace ermordet habe? – Verdammt!“ schrie es dann aus ihm heraus. „Ich sehe ein, daß ihr so denken müßt. – – Aber das ist ja alles Wahnsinn!“ Lester Blue sah ihm ernst und unberührt ins Gesicht. „Well …“, meinte er dann, „jedenfalls macht es einen ‘recht eigenartigen Eindruck. – Hast du denn nicht gesehen, wer dich geschlagen hat?“ „No, es war dunkel.“ „Was für Geräusche hast du denn oben vom Zimmer aus gehört?“ Ken überlegte. „Es war uns beiden, als hätte unten eine Tür geklappt. Walace sagte, wir wollen einmal nachsehen. Und dann … well, ich habe es ja schon mehrfach erzählt.“ Lester Blue nickte. „Yes … tut mir leid … aber ich muß dich verhaften“, entgegnete er dann kurz. Ken wußte nun, daß man seinen Worten keinen Glauben schenkte. Am späten Nachmittag dieses Tages hockte er in der Zelle von Dreadwood und starrte durch die Eisengitter. Jetzt saß er hier als 49
Brudermörder. Aber die bitteren Gefühle waren nun abgeklungen, in ihm war eine große Leere. Man hatte ihm die Waffen fortgenommen, sonst hätte sich Ken jetzt erschossen. Nun wurde die Tür geöffnet und dann trat Billy Jenkins ein. Ken erhob sich. Jetzt gab es wohl ein neues Verhör. Billy Jenkins ließ sich neben Ken auf dem einzigen Stuhl nieder. „Well Ken, bin noch mal bei dir auf der Farm gewesen. Muß schon sagen, ihr habt dort ‘ne verdammte Ordnung. – – Ist ja entsetzlich, daß alles so gekommen ist. Nun erzähl mir doch einmal, wie das alles war. Selbst, wenn du dich damit belastest. Ich glaube nicht daran, daß du ihn ermordet hast.“ Als Ken dieses horte, hatte er weinen können. „Es ist mir unglaublich, daß ein Mensch überhaupt so etwas von mir denken kann. Ich kann nur immer wieder sagen, daß so etwas für mich gar nicht in Betracht kommt.“ Und dann erzählte er Billy Jenkins noch einmal der Reihenfolge nach alles, was sich zugetragen hatte. Jenkins erfuhr auch, daß sie nie Streit gehabt hatten und immer gut ausgekommen waren. „Hast du Jesse Owen gesehen?“ fragte Billy Jenkins eindringlich. „No, leider nicht. Ich hörte nur Walace aufschreien und dann war es auch schon vorbei.“ „Meinst du denn, daß er es gewesen ist?“ „Ich nehme es an.“ Nach einer Stunde erhob sich Billy Jenkins. „Well Ken, ich will sehen, daß du wieder auf deine Farm 50
kannst. – – Schätze, daß du die Gegend nicht verlassen wirst.“ „Ich denke nicht daran“, entgegnete Ken. Und so kam es, daß Ken Berry eine Stunde später schon frei war. Zur Vorsicht ritt Billy Jenkins mit ihm, denn es gab noch einige Cowboys und Farmer, die felsenfest davon überzeugt waren, daß Ken der Brudermörder war, und die jetzt eine bedrohliche Haltung annahmen. Sie kamen in den späten Abendstunden auf der Farm an. Die beiden angestellten Cowboys hatten bereits für Ordnung gesorgt. Sie saßen eine Weile zu viert gemeinsam im Zimmer. Aber Ken hatte keine Ruhe mehr, und als Billy Jenkins ihn etwas später verließ, begann er sogleich damit, das Haus zu verbarrikadieren. Er konnte es nicht fassen, daß er jetzt wieder auf seiner Farm war. Sollte das Ganze eine Falle sein? Wollte man ihn irgend einer Prüfung unterziehen? Ken war nicht glücklich über seine Freiheit. Er fühlte sich selbst jetzt noch gefangen. In dem großen Wohnzimmer lag Walace. Er lag dort, als ob er schlief, nur daß eben das kleine häßliche Loch in seiner Stirn war. Damned … Warum konnte er nicht noch einmal sprechen? Wenige Worte würden alles aufklären. Aber Walace war endgültig tot. Er befand sich in jener Welt, von der noch keiner zurückgekehrt war. „Seltsam“, murmelte Ken. Vor dem Schlafengehen hielt er sich noch einen Augenblick draußen vor dem Hause auf. Es war warm. In der Ferne zirpten Zikaden und vor dem Gebäude rauschten die mächtigen Bäume. Wie oft hatte sich Ken darüber gefreut, 51
wenn dieser tiefe Friede über der Farm lag. Aber heute lauschte er auf andere Geräusche. Überall glaubte er etwas zu hören. „Verdammt“, murmelte er, „jetzt sehe ich bald Gespenster.“ Er hatte das Gefühl, daß Billy Jenkins noch ganz in seiner Nähe war und ihn belauerte wie ein Luchs. Dieser Jenkins war schon ein seltsamer Mann. Dann ging Ken ins Haus zurück, in dem Walace die letzte Nacht schlief. Morgen mußte er in die Erde. Yes … morgen mußte er hinein. Das ging hier schnell in Arizona; verdammt schnell. *
* *
Jesse Owens Augen funkelten wie in seinen Glanztagen. Nur das Gesicht, das verdammte Gesicht wollte einfach nicht mehr mitmachen, es war zu einem steinernen Antlitz geworden, und er konnte sich immer noch nicht an den Anblick gewöhnen. Er merkte es auch, wenn er seinen Kumpanen gegenübertrat, wie sie ihn manchmal schreckhaft betrachteten, weil sie einfach nicht aus ihm schlau wurden. Die meiste Zeit verbrachten sie beim Pokerspiel. Jesse Owen wollte sich vorerst nicht sehen lassen. Ab und zu schickte er Doval los, um neue Nachrichten einzuholen – er sollte auskundschaften, was man über Jesse Owen sprach, und vor allem, wo sich Billy Jenkins aufhielt. Außerdem wollte er wissen, wo man einen neuen „Hit“ starten konnte. Auf diesem Wege kam dann auch eines Tages die Nachricht an, daß Wallace 52
von der Berry-Brother-Ranch tot war und daß Jesse Owen der Mörder sein sollte. Zuerst war Jesse Owen außer sich und entrüstet. Er war in seinem Raum verschwunden und ging dort wütend auf und ab. Wer mochte dieser Halunke gewesen sein? Doval hatte darüber keine nähere Nachricht mitgebracht. Er hatte eben nur erfahren, daß Walace tot war. Jesse Owen hatte in diesem Raum einen mächtigen Spiegel anbringen lassen – jedesmal, wenn er auf und ab ging, sah er sich selbst darin wandeln, er versäumte dabei niemals in diesen Spiegel hineinzusehen. So beobachtete er sich selbst. Nein! Er wollte noch nicht in Erscheinung treten, sonst hatte er nicht einen Augenblick gezögert, Ken für diese Frechheit zu erschießen. So schickte er Dogan, Doval und O’Hara mit einem genau festgelegten Auftrag los, während er allein in seiner Felshöhle blieb. „Schätze, daß ihr morgen bei Tagesanbruch zurück sein könnt“, sagte Jesse Owen, bevor sie fortritten. Die Banditen waren froh, endlich ihre Gäule einmal wieder fest ausgreifen lassen zu können. Das Pokerspiel war ihnen zwar das zweite Leben; aber immer dasselbe war auch nicht das richtige. So ließen sie sich den frischen Wind um die Nase fächeln, während die Pferde in einem mäßigen Galopp der Berry-Brother-Ranch zustrebten. Kurz vor Mitternacht kamen sie dort an. Das Haus lag im Dunkeln. Auch im Cowboyhause war kein Licht zu sehen. Behutsam stieg Dogan ab. 53
„Schätze, ich werde mal hineingehen.“ Er warf O’Hara die Zügel zu. Dann schritt er auf die Tür zu und warf sich mit voller Wucht dagegen. Die Tür hielt diesem ersten Schlag stand, aber beim dritten Mal gab sie nach, kurz darauf stand Dogan im Wohnzimmer. Jetzt wurde das Licht im Hause eingeschaltet. Gleich darauf erschien Ken. Er trug einen Colt in der Hand. „Hände hoch!“ brüllte er Dogan zu. Dogan dachte gar nicht daran, dieser Aufforderung nachzukommen. Statt dessen ließ er sich ruhig auf einem Stuhl nieder und lächelte. „Mach nicht so viel Theater, Ken!“ Überrascht ließ Ken die Waffe sinken. „Willst du dich nicht näher erklären?“ fragte Ken. Gelassen begann Dogan sich eine Zigarette anzuzünden und sog den Rauch tief in die Lungen. „Nette Sache … hast du gut hingekriegt.“ „Was meinst du damit? – Glaubst du etwa, daß ich meinen Bruder erschossen habe?“ Dogan grinste übers ganze Gesicht. „Jedenfalls hat dir der Schuß viel Geld eingebracht, denn du hast doch vorher kein Geld besessen, und so viel ich weiß, war deinem Bruder nicht bekannt, daß du einige Jahre hinter Gittern gesessen hast!“ Ken erbleichte. „Damned … bist du deshalb hierher gekommen?“ „No, – Aber was meinst du, was Jesse Owen zu der Sache sagen wird?“ „Er ist doch der Täter!“ schrie Ken. „Stell dich bloß nicht so dumm an“, entgegnete 54
Dogan gelassen, „du weißt ganz genau, daß Jesse Owen – –“ Er machte eine Pause, beinahe hätte er sich verraten. Dann fügte er nach einer Weile hinzu: „… voraussichtlich tot ist, denn niemand weiß, wo er sich befindet.“ Ken ließ sich auf einen Stuhl nieder. Geräuschlos waren nun auch die anderen beiden Banditen eingetreten, aber Ken war so versunken, daß er es gar nicht bemerkte. Als er dann wieder aufblickte und die Männer sah, machte er nicht die geringsten Anstalten sich zu wehren. Sie lehnten sich ans Fenster, hier drohte keine Gefahr, das spürten sie. Außerdem stand einer an der Tür, so daß er jeden Augenblick hören konnte, wenn sich jemand näherte. „Ich kann euch nur sagen, daß ich selbst nicht mehr weiß.“ Ken war am Ende. Es wäre ihm gleichgültig gewesen, wenn man ihn jetzt erschossen hätte. „Wie ist es mit Geld?“ fragte O’Hara von der Tür aus. „Alles weg. – – „ Ken holte den Safeschlüssel aus der Tasche. „Seht ruhig nach. Es ist kein Cent mehr da, alles ist fort.“ Diese Worte kamen fast tonlos über seine Lippen, so daß selbst die Banditen wankend wurden. Jesse Owen kam für diese Tat nicht in Frage, Ken leugnete – aber wer sollte es denn getan haben? Es war ja auch so leicht, jetzt alles auf Jesse Owen abzuwälzen. Das wurde schnell geglaubt und niemand konnte es prüfen. Die drei blickten sich an. Was soll55
ten sie mit Ken machen? Umlegen? … Das wäre Jesse Owen vielleicht gar nicht mal recht. Zu holen war sowieso nichts mehr – und so ritten sie wieder fort. Erstaunt sah Ken, wie die drei ihre Pferde bestiegen. So etwas hatte er noch nie erlebt. Er hatte bestimmt geglaubt, daß es jetzt mit ihm zu Ende war – es wäre ihm auch ziemlich gleichgültig gewesen. Die drei Banditen hatten noch nicht den Wald erreicht, als plötzlich eine Stimme schrie: „Stick’em up!“ Dogan, der zwanzig Meter vor den anderen ritt, warf die Hände hoch, während die letzten beiden sofort ihre Gäule herumwarfen und davongaloppierten. Wer konnte es anders sein als – Billy Jenkins. Immer hatte Dogan an ihn gedacht und nun, wo es so weit war, war er doch in die Falle gegangen. „Komm vom Pferd herunter“, sagte Billy Jenkins, indem er langsam auf den Banditen zuschritt. „Verflucht! Hätte er sofort das Pferd herumgerissen, vielleicht wäre er doch entkommen“, dachte Dogan. O’Hara und Doval waren schon in einer Talsohle verschwunden. Aber Dogan wußte, daß sie ihn nicht im Stich lassen würden. „Dich such’ ich schon lange“, sagte Billy Jenkins, indem er Dogan aufmerksam musterte. „Was macht denn unser gemeinsamer Freund Jesse Owen?“ „Es wäre besser, du fragtest ihn selbst danach“, entgegnete Dogan ironisch, dabei warf er einen Seitenblick nach der Talsohle, in der die anderen beiden verschwunden waren. Aber noch tauchte niemand auf. 56
Billy Jenkins schien zu merken, worauf Dogan wartete. „Keine Bewegung, sonst werde ich dein Gewicht um einige Unzen erhöhen.“ Ein Schuß knallte. Aber er lag weit ab. Er pfiff irgendwo durch die Bäume. Dogan versuchte aber diese Gelegenheit zu nützen, indem er nach seinem Colt griff, um Billy Jenkins zur Strecke zu bringen. Billy Jenkins wartete, bis Dogan die Waffe in der Hand hatte. Dann drückte er ab. Der Hüne stand wie angewurzelt auf dem Boden, seine Hände fielen herunter. „Verdammt …“, kam es leise über seine Lippen. Dann fühlte er mit der Hand nach seiner Brust, wo sich ein Blutfleck zeigte, der sich schnell vergrößerte. Das Gesicht wurde bleich. Billy Jenkins achtete nicht mehr auf Dogan. Er war hinter einen Baum verschwunden und wartete auf die anderen beiden Banditen. Aber dann hörte er Hufgetrappel und wußte, daß die beiden Banditen verschwunden waren. Jedenfalls hatte er einen von ihnen erwischt und Dogan wurde schon lange gesucht. In verschiedenen Distrikten standen bereits Prämien auf seinen Kopf. Als Billy Jenkins nach einer Viertelstunde zu Dogan zurückkehrte, war dieser schon längst tot. Das kleine Stückchen Blei hatte genügt, dieses Leben schnellstens zu beenden. Und Dogan hatte wohl auch gewußt, daß er eines Tages in seinen Schuhen sterben würde; er war ein Revolverheld. Sorgfältig durchsuchte Billy Jenkins die Taschen. Eine Menge Dollarscheine kamen zum Vorschein, Pfeife, Tabak und ein kleines Notizbuch. Dies interessierte Jenkins 57
ganz besonders, und es sollte sich auch als ein Fund erweisen, der sich nicht mit Geld aufwiegen ließ. Es hatte keinen Zweck, daß er jetzt versuchte, die beiden anderen Banditen zu verfolgen. Erstens waren sie zu gewitzt, und zweitens war es jetzt in der Dunkelheit viel zu gefährlich ihnen nachzureiten. Nur zu leicht konnte er dabei in eine Falle laufen. Vielleicht gab aber dieses Notizbuch Auskunft. Billy Jenkins konnte hier in der Dunkelheit nicht viel erkennen, aber er hatte damit keine Eile. Vielleicht …! Manchmal machten auch Banditen große Fehler — — Währenddessen saß Jesse Owen in seiner Felshöhle und wartete. In den Morgenstunden erschienen O’Hara und Doval. Sie hatten ihre Gäule ziemlich abgehetzt. „Wo ist Dogan?“ war Jesse Owens erste Frage. „Voraussichtlich tot.“ „Damned! – – – Wer war das?“ „Billy Jenkins!“ Jesse Owen fluchte, „Wie konnte das geschehen? – – Habt ihr Jenkins erwischt?“ O’Hara erzählte nun, wie sich alles ereignet hatte. Als Jesse Owen dann erfuhr, daß sie einfach davongeritten waren, bekam er erneut einen Wutanfall. „Bloody fools! – – Habt ihr denn vor einem früheren Cowpuncher* Angst?“ „No“, entgegnete O’Hara bissig. „Wir haben keine Angst. – – Schätze, daß es dir nicht anders ergangen wäre.“ *
Cowpuncher = Viehtreiber
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Dovals Hand fuhr unwillkürlich etwas tiefer, als er diese Worte hörte. Jesse Owen konnte es nicht vertragen, daß man so starke Worte in seiner Gegenwart gebrauchte. O’Hara hatte Recht, in dieser Situation war keine andere Möglichkeit als die Flucht geblieben. Jesse Owen konnte gut reden – er hatte hier in der Felshöhle gesessen, wo ihn niemand erreichen konnte. „Wer war denn der Täter?“ „Natürlich Ken – – wer denn sonst?! Er bestreitet es zwar und wir haben nichts aus ihm herauskriegen können.“ „Habt ihr ihn umgelegt?“ fragte Jesse Owen kurz. „No“, kam ebenso kurz die Antwort. „Well, dann werde ich heute abend hinreiten und die Angelegenheit bereinigen.“ „But without me (aber ohne mich)!“ Jesse Owen starrte Doval an, der diese Worte ausgesprochen hatte. Seine Stimme wurde um eine Nuance leiser. „Also so denkt ihr …“, sagte er dann. „Well, mir soll es recht sein. Schätze, daß es dann wohl am besten ist, wir trennen uns erst mal für eine Weile.“ „So war es nicht gemeint“, warf jetzt O’Hara ein. „Never mind“, entgegnete Jesse Owen. Die beiden Banditen setzten sich auf ihr Lager. Jesse Owen war in seinem Extraraum verschwunden, dort hörten sie ihn lange umherlaufen. Die beiden anderen wagten es aber nicht, sich weiter zu unterhalten. Nur manchmal, wenn sie hörten, wie Jesse Owen mit sich selbst sprach, flüsterten sie leise. 59
„Wird am besten sein, wir trennen uns von ihm. Jesse Owen ist viel zu sehr in Fahrt – womöglich legt er uns auch noch um.“ Es wurde immer nur in Bruchstücken gesprochen; war es im Nebenraum still, blieben auch sie ruhig. Erst als die Dämmerung hereinbrach, erschien Jesse Owen wieder. Zum ersten Male seit seiner Niederlage trug er wieder beide Colts und hatte zwei Patronengürtel umgelegt. Dann sattelte er sein bestes Pferd. Während dieser Handlungen hatte er keinen der beiden Kumpanen beachtet. Erst als er mit allem fertig war, wandte er sich an sie. „So Herrschaften – –! Jetzt reitet Jesse Owen und hinterläßt seine Visitenkarte. Ihr scheint mir nicht mehr das richtige Blut in den Adern zu haben!“ Dann ritt er, ohne eine Antwort abzuwarten, fort. Doval lächelte, ebenso O’Hara. „Laß ihn reiten“, sagte er nur. Dann suchten sie in Windeseile die Felshöhle ab und nahmen alles, was sie gebrauchen konnten, mit. Eine Stunde später verließen auch sie diese ungastliche Gegend. Westwärts, hieß ihre Parole, nur westwärts, in eine Gegend, in der sie nicht so bekannt waren. Sie hatten jetzt eine lange Nacht vor sich und Jesse Owen würde so schnell nicht zurückkommen. Es war seit langem das erstemal, daß Jesse Owen unterwegs war. Der Hengst, den er jetzt ritt, hatte lange gestanden. Eine Weile benahm er sich noch ziemlich bockig, die Hinterbeine waren etwas steif geworden vom vielen Stehen. Aber nachdem er eine Stunde mit ihm unterwegs war, wurde das Tier schon 60
gelenkiger, alles wurde weicher. Die frische Luft tat Jesse Owen gut; sie belebte ihn. Er fühlte sich wieder als Mensch. Vielleicht gab ihm die Luft die Farbe im Gesicht wieder, dann würde er nicht mehr diese verdammte Totenmaske tragen brauchen, die ihn bis zur Unkenntlichkeit verunzierte. Manchmal lachte Jesse Owen vor sich hin, die seltsamsten Gefühle bewegten ihn. Billy Jenkins war nun ganz in seiner Nähe, und trotzdem erregte es ihn gar nicht. Er hatte sich darüber geärgert, daß Doval und O’Hara Dogan verlassen hatten. Das hätte er niemals getan! Und was Billy Jenkins betraf … den würde er schon bekommen. Er brauchte nur einige Überfälle durchzuführen und dabei selbst in Erscheinung treten. Dann würde er schon ganz von selbst in diesem Bezirk auftauchen. Aber das nächste Mal würde Jesse Owen der Bessere sein. Spät nach Mitternacht erreichte er die BerryBrother-Ranch. Dunkel wie ein Klotz lag das Haus vor ihm. Er stieg vom Pferde und war erstaunt, als er die Tür zum Wohnzimmer geöffnet fand. Polternd ging er dort auf und ab, aber niemand erschien. Es war, als sei die Ranch ausgestorben. Sorgfältig suchte er das Haus von oben bis unten ab, aber es war kein Lebewesen zu sehen. Die Pferde waren fort. Ken war also unterwegs. Jetzt nahm Jesse Owen seinen Hengst und stellte ihn in den Stall, damit er nicht gleich gesichtet werden konnte. Nochmals durchsuchte er das Haus. Im oberen Stockwerk war ein Raum, der verschlossen war. Er konnte wohl durch das Schlüsselloch sehen und feststellen, daß niemand anwesend war; aber nun war 61
seine Neugierde erwacht. Er nahm aus dem anderen Zimmer ein Handtuch, und wickelte es sich stramm um die rechte Hand. Dann ging er zu der Tür zurück und schlug mit einem Schlage die Türfüllung heraus. Dann trat er in das Zimmer ein. Als einzige Gegenstände befanden sich hier nur ein Bett und ein Schrank, das Fenster bot einen Ausblick nach dem Walde hin. Einen Augenblick blieb er dort stehen und betrachtete die Gegend. Die Sterne flimmerten schwach am Himmel, irgendwo hinter ihm im Rücken mußte der Mond stehen. Er konnte nur den matten Schein erkennen, der über dem dunklen Walde lag. Dann schritt er wieder ins Wohnzimmer zurück. Hier mußte Ken hereinkommen. Jesse Owen setzte sich in einen Schaukelstuhl, wie sie in jedem Farmhause anzutreffen waren – es gab wohl keine Farm in dieser Gegend ohne diese Bequemlichkeit – . Hier wartete er. Stundenlang saß Jesse Owen auf demselben Fleck, ohne sich zu rühren. Nur manchmal pendelte er leise mit den Beinen hin und her, er ließ seinen schweren Körper schaukeln, während seine Augen ständig nach der offenen Tür starrten, als müßte dort jeden Augenblick jemand eintreten. Aber niemand kam. Einmal schrie in der Ferne ein Puma. Das Jaulen drang auch an seine Ohren. Jesse Owen spürte, wie das Jagdfieber in ihm erwachte. Er wollte lachen. Aber es ging nicht. Das Gesicht blieb tot. Es bewegte sich einfach nicht mehr. Aber er war jetzt schon so weit, daß er nicht einmal mehr darüber fluchte. Er hatte sich so langsam daran gewöhnt, daß das nun so bleiben würde. Dann zirpten die ersten Vögel. Langsam erwachte 62
das Leben des neuen Tages. Eigentlich mußte Ken doch wieder zur Farm kommen! Er konnte doch nicht alles stehen und liegen lassen! Er war noch mit diesem Gedanken beschäftigt, als Hufgetrappel an sein Ohr drang. Es war ein einzelner Reiter. Jesse Owen bewegte sich nicht, nur seine rechte Hand langte noch einmal nach dem Colt. Er brauchte auch nicht mehr lange zu warten. Er hörte, wie der Reiter vom Pferde stieg. Dann knarrten die Treppen unter schweren Schritten und gleich darauf trat Ken ein. Voller Entsetzen blieb er gleich beim ersten Schritt im Raume stehen. Unwillkürlich nahm er den Hut vom Kopf. „Heaven!“ kam es dann über seine Lippen, ohne daß sich sein Blick von Jesse Owens Gestalt löste. Ken spürte, wie der Schweiß auf seiner Stirn ausbrach. Wer war das? Jesse Owen weidete sich an dem Entsetzen des Mannes. So wirkte sein Gesicht also auf andere. Ken, der ihn schon mehrfach gesehen hatte, erkannte ihn allem Anscheine nach nicht mehr. Zur Probe fragte Jesse Owen jetzt: „Wer bin ich?“ Ken spürte, wie seine Knie zitterten. „Woher kommst du, Stranger? Ich kenne dich nicht.“ Jesse Owen hatte lachen wollen, statt dessen kam nur ein Gurgeln aus seiner Kehle. „So, du kennst mich nicht, hast mich aber zum Mörder deines Bruders gestempelt.“ „Jesse Owen …!“ brüllte Ken jetzt auf. Er wollte um Hilfe schreien und wußte doch sofort, wie sinnlos das alles war. „Jesse Owen …“ kam es noch einmal heiser über seine Lippen. Er wollte nach dem 63
Colt greifen, aber dann fühlte er selbst schon einen Schmerz im Bauch. Er sackte in die Knie. „To help!“ brüllte er jetzt. „Jesse Owen ist da!“ Aber dieser saß immer noch im Schaukelstuhl und schien sich nicht einmal bewegt zu haben. Nun lag Ken in tiefer Bewußtlosigkeit auf dem Boden, während Jesse Owen immer noch sitzen blieb. Er brauchte niemand mehr. Jesse Owen war tot für alle anderen, und er lebte nur noch, wenn er es wollte. Hufgetrappel ertönte, und diesmal stiegen zwei Reiter vor dem Hause ab. Aber immer noch rührte sich Jesse Owen nicht. Dann traten die Cowboys, die zu Ken wollten, ein. Aber sie waren vorsichtiger als Ken; schon von der Veranda aus hatten sie ihn auf dem Boden liegen sehen. Einem von ihnen gelang es, einen Blick von Jesse Owen zu erwischen und dieser genügte. Sofort sprangen sie zu ihren Pferden zurück und jagten davon. Im Galopp ritten sie zu Brixton. Sie wollten unbedingt versuchen, schnellstens Billy Jenkins zu erreichen. Nach Stunden kamen sie dort völlig erschöpft an. Aber Billy Jenkins war nicht anwesend. Erst nach einigen Stunden tauchte er auf der Farm auf. Man gab den beiden Cowboys frische Pferde und erneut ging es zurück. Ken mußte noch einige Stunden gelebt haben. Er hatte sich sehr gequält. Aber nun war es mit ihm vorbei. Sorgfältig suchten sie alles ab. Die Cowboys konnten nicht viel erzählen; nur daß Ken auf dem Boden gelegen hatte und sie das Gesicht eines unbekannten Menschen sahen, der einen Totenkopf hatte. 64
Als Billy Jenkins die Frage stellte, ob es Jesse Owen gewesen sein könnte, vermochten sie ihm keine klare Antwort zu geben. — — Es nützte nichts, Ken mußte bestattet werden, und nachdem dies geschehen war, ritt Billy Jenkins wieder zurück. Erst in der Nacht kam er bei Brixton an und die einzige, die ihn wieder hörte, war Ellen. „Kleines Mädchen … ich glaube, du wachst wohl immer so lange, bis ich komme.“ Ellen lächelte. „Einer muß doch für dich aufpassen.“ „Well, Ellen, ich reite nun für eine lange Zeit fort.“ „Und wohin?“ „Ich weiß nicht. – Vielleicht bleibe ich in der Nähe, vielleicht reite ich weiter fort. Ich kann nichts Bestimmtes sagen.“ Ellen berührte seine Hand. „Sag mal, Billy, ist es denn nicht sehr gefährlich, was du vorhast?“ „Vielleicht, Ellen.“ „Dann bleib doch hier.“ Billy Jenkins lächelte. „Und wer soll die Banditen abschießen?“ Ellens Kopf senkte sich. „Du hast recht, Billy, das hat man sich schon häufig hier gefragt.“ *
* *
Bruke konnte man als einen der intelligentesten Wirte bezeichnen, die je nach Arizona gekommen wa65
ren. Er stammte eigentlich aus Texas. Dort hatte er sich genügend Geld gespart, um sich in Arizona selbständig zu machen – das einzige, was in diesem Fall Texas und Arizona unterschied, war nur der Name. Bruke hatte die fetteste Gegend von Arizona gewählt und sich mitten im besten Weidegebiet niedergelassen. Zuerst hatte man darüber mit dem Kopf geschüttelt. Wie sollte eine Bar mitten in der Wildnis bestehen können, denn die nächsten Farmer wohnten einige Meilen von hier entfernt. Und trotzdem, Bruke hatte richtig getippt. Er sagte sich, wo Zehntausende von Tieren laufen, die behandelt, gepflegt und gestempelt werden müssen, wird wohl für einen einzigen Barwirt ein gutes Geschäft zu machen sein, selbst wenn er abseits aller großen Verkehrsstraßen liegt. Die Farmer hatten ihm gern ihr Einverständnis dazu gegeben, denn Bruke brauchte nur wenig Land für sein Gebäude und für die Stallung. Er selbst besaß nur eine einzige fette Milchkuh und darüber lachten die Farmer. Aber Bruke war ein Mann nach ihrem Geschmack. Es dauerte keine zwei Jahre, da war Brukes Bar so bekannt, daß sie von den meisten Cowboys oder Weidereitern, ebenso von den SaisonCowboys, die von einer Farm zur anderen ritten, als Zwischenstation benutzt wurde. So beherbergte er fast täglich einige Gäste. Bruke stand jetzt hinter der Theke. Die Sonne war untergegangen und die Bar war fast voll besetzt. Es war die Zeit der Cowpuncher, jener SaisonCowboys, die sich auf ihr Fach spezialisiert hatten. Sie waren mit Bruke zufrieden. Seine Bar und der 66
Schnaps waren gut und alles andere interessierte sie nicht. Der hochtönende Titel „Bar“ war eigentlich nicht gerechtfertigt, denn das Ganze bestand eigentlich nur aus gehobelten Holzbänken und Tischen. Aber Bruke hielt Ordnung in seinem Laden. Jetzt war er wieder dabei, die Gläser zu füllen. An diesem Tage war Bruke nicht zufrieden. Zwei Männer waren auf erstklassigen Pferden angeritten gekommen; sie sahen aber weder danach aus, daß sie die Tiere ehrlich erworben, noch daß sie jemals gearbeitet hatten. Das hatte Bruke sofort mit einem Blick erfaßt; er hatte für diese Dinge einen besonderen Blick. Nun saßen diese Kerle mit dem Farmer Wright am Tisch und spielten Poker. Auch das war nicht nach Brukes Geschmack, aber er konnte niemandem Vorschriften machen und am wenigsten Wright. Manchmal, wenn Bruke einen Blick auf die Männer warf, bemerkte er, daß sie sich alles sehr genau betrachteten. Aber was sollte er schon tun? Letzten Endes war Geld Geld, und sie hatten bis jetzt alles gleich bezahlt. Aber Bruke hätte gern darauf verzichtet, denn an diesem Abend kam es selten vor, daß die Tür geschlossen blieb. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. So war es nun schon seit Wochen; denn gleich hinter seinem Barhause lag eine mächtige Cattle von einigen tausend Köpfen, die jetzt durchgearbeitet wurde. Um elf Uhr wurde es in der Bar still. Die Cowpuncher und Weidereiter hatten sich schlafen gelegt, weil der kommende Tag für sie sehr früh begann. 67
Nur Wright saß immer noch mit den Fremden dort und spielte. Aber dann warf er doch zuletzt die Karten auf den Tisch. „No … kein Glück.“ Mit diesen Worten erhob er sich, schritt zu Bruke und bezahlte. Danach ging er mit dem Wirt hinaus. Sie blieben vor der Tür stehen. „Well …?“ fragte Bruke. „Viel verloren?“ Wright lächelte. „Es sind schon ein paar Kühe.“ „Hab ich mir gedacht.“ „Wer sind die beiden?“ erkundigte sich Wright. Er hatte so leise gesprochen, daß man in der Bar nichts davon hören konnte. „Keine Ahnung … Kommen mir wie ein paar Radauleute vor. Bin froh, wenn sie weg sind. Man kann nie wissen, was sie ausbrüten.“ „Wollen sie denn hier bleiben?“ „No, sind nur auf der Durchreise, wie sie sagen.“ Wright gab Bruke die Hand. „Well … dann bis morgen.“ Er stieg auf sein Pferd und ritt langsam in die warme Sommernacht hinein. Bruke schloß die Tür ab. „Well fellows“, sagte er dann zu den beiden Fremden, „schätze, daß wir Feierabend machen.“ Die beiden erhoben sich und als Bruke hinter der Bar stand, sah er plötzlich, wie einer von ihnen mit einer mächtigen Pistole auf seine Brust zielte. „Schätze, du wirst uns erst mal das Geld geben.“ Bruke spürte in diesem Augenblick keine Angst. „Das habe ich mir doch gedacht“, murmelte er. Aber er wußte auch, daß er völlig wehrlos war. Vielleicht hätte er um Hilfe geschrien, wenn er nicht vorher die 68
Pferde der Banditen gesehen hätte. Sie besaßen so gute und wertvolle Tiere, daß man sie nicht einholen konnte. Das hatten die Banditen sicherlich alles schon mit einkalkuliert. Langsam, widerstrebend gingen seine Hände in die Höhe. Damned … Das war das erstemal in seinem Leben, daß man das mit ihm machte. Aber trotzdem ließ sich Bruke nicht aus der Ruhe bringen. Es war nur gut, daß er vor einigen Tagen das ganze Geld weggebracht hatte, und was die Banditen heute hier vorfanden, war eine Summe, die er verschmerzen konnte. O’Hara hatte in Kürze das Geld zusammengerafft. „So … und jetzt upstairs!“ Sie führten Bruke in sein Zimmer. Sorgfältig fesselten sie ihn an seinem Bett, und zum Schluß bekam er noch einen Knebel in den Mund. Inzwischen war Doval in den Stall gegangen und hatte schon die beiden Pferde gesattelt. Ganz gemächlich entfernten sich die Banditen. Erst nach hundert Metern legten sie ein schnelles Tempo vor und verschwanden in südlicher Richtung. O’Hara lachte laut auf. „Das war ja verdammt leicht!“ Währenddessen lag Bruke auf seinem Bett und fürchtete, jeden Augenblick an dem Knebel zu ersticken. Wie eine Lokomotive zog er die Luft durch die Nase. Trotzdem mußte er noch viele Stunden aushalten. Um drei Uhr morgens wurde nach ihm gerufen. Nun konnte es nicht mehr lange dauern. Es klopfte an seiner Zimmertür. Endlich kam die Erlösung! Dann wurde die Tür auch schon geöffnet und 69
man befreite Bruke aus seiner Lage. Jetzt erst sank er erschöpft zurück. „Verflucht … das wäre beinahe schief gegangen. Hatte immer das Gefühl, als sollte ich ersticken.“ Dann erzählte er, was vorgefallen war. Sofort wurden einige Pferde gesattelt. Aber Bruke wollte nichts davon wissen. „Die könnt ihr doch nicht mehr einholen.“ Trotzdem unternahmen einige von ihnen den Verfolgungsritt … In Windeseile sprach es sich herum. Aber was nützte es. Man konnte Bruke nicht helfen, und wie er schon vorausgesagt hatte, kamen die Reiter nach einigen Stunden unverrichteter Dinge zurück. Die Spur hatten sie gut sehen können. Aber sie war schon viele Stunden alt und die beiden Banditen waren längst verschwunden. Nun begann der Tag wieder wie immer. Allmählich kehrte wieder Ruhe ein, das Leben normalisierte sich. Schon mit den ersten Sonnenstrahlen lagen dicke Staubwolken über der ganzen Gegend. Bruke hatte zwei vierzehnjährige Jungen dafür angestellt, den Cowpunchern Erfrischungen zu bringen. Eimerweise mußten sie „Linie Juice“ hinschaffen, und immer wieder waren sie sehr schnell geleert. Es war auch eine Höllenarbeit und eine Mordshitze. Die Luft stank von dem verbrannten Fell der Tiere, die jetzt gebrannt wurden; sie bekamen den Stempel. Es war eine schwere Arbeit, und besonders die jungen Stiere wehrten sich heftig dagegen. Ständig saßen mehrere Cowboys auf ihren Pferden und ihre Lassos schwirrten durch die Luft. Das Tau legte 70
sich dann um die Hörner der Tiere und riß sie zu Boden. Dann sprang auch schon einer mit dem glühenden Eisen herbei und. drückte es ihnen tief auf den hinteren Schenkel. Es zischte und stank. An diesem Tage hatte man zwei Unfälle. Einige Cowboys hatten sich ein Tuch um die Nase gewickelt, um nicht den Staub einatmen zu müssen. Ihre Gesichter waren rot und aufgedunsen. Hier wurde nach Akkord gearbeitet und für jedes Stück Vieh bekamen sie einen Cent – und nur durch große Leistung konnten sie viel verdienen. Wenn aber der Abend nahte, dann waren aus diesen wenigen Cents viele Dollars geworden. Die Trupps hatten sich genau auf diese Arbeit eingespielt, so daß sie ihnen schnell von der Hand ging. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang schafften sie. Erst dann gab es Ruhe und das geschäftige Leben erstarb mit einem Schlage. Dann graste das Vieh. Die Cowboys standen vor der langen Baracke, in der Bruke die Waschbecken aufgebaut und mit Wasser gefüllt hatte. Dort entkleideten sie sich halbnackt und ein großes Waschen setzte ein – es gab manchen unter ihnen, der viele Narben am Körper trug. Aber Brukes Bar sollte auch an diesem Tage nicht zur Ruhe kommen. Die Sonne war eben versunken, als ein einzelner Reiter erschien. Im gemächlichen Ritt war er herangekommen. Er ritt ein hochbeiniges, häßliches Tier, während die Gestalt des Reiters einen eigenartigen Eindruck auf die Anwesenden machte. Es war ein starker Mensch mit breiten Schultern; sein Haar blond, auf der Stirn eine dünne, rötliche Narbe, die erst vor kurzem 71
dort hingekommen sein mußte. Lebhaft gingen die Augen des Fremden hin und her. Nun nahm er in derselben Ecke Platz, an der die beiden Banditen gesessen hatten, und das nahm Bruke als ein böses Omen. Verdammt! Ihm war nicht gerade wohl zumute. Aber was sollte er schon dagegen unternehmen? Auch Wright fand sich wieder in der Bar ein und blickte zu Bruke hinüber. Dann näherte er sich dem Bartisch. „Kennst du den Fremden?“ „No. Auch ein neues Gesicht.“ „Verdammt“, meinte Wright, „die wachsen wohl auf einmal hier aus dem Boden.“ Billy Jenkins hatte sein Pferd noch nicht in den Stall gebracht. Es stand draußen vor dem Hause am Pfosten. „‘ne komische Mähre“, meinte ein Cowboy und versuchte das Tier am Hals zu klatschen. Aber Blessy schien dieses Manöver schon gut zu kennen. Der Cowboy hatte kaum die Hand erhoben, als Blessy ihn in den Arm biß. „Verdammt falsches Biest!“ brüllte ein anderer. Niemand bemerkte, daß sich der Fremde erhoben hatte. Plötzlich stand er zwischen den Cowpunchern, Wright und Bruke. „Ist das hier so Mode, daß man Pferde schlägt?“ Er hatte nur leise gesprochen, trotzdem fuhren alle herum. Damned … ja … Jetzt, da der Kerl vor ihnen stand, sah er nochmal so groß aus. Wright war der erste, der seine Sprache wiederfand. 72
„Von Schlagen kann hier wohl keine Rede sein“, entgegnete er, indem er Billy Jenkins geringschätzig betrachtete. „Jedenfalls bin ich nicht gewohnt, daß man so ein Pferd traktiert.“ Jetzt versuchten die anderen Wright zu unterstützen. Aber sie wußten nicht, wie sie es anfangen sollten. Letzten Endes hatte der Fremde recht, so etwas gehörte sich nicht. „Schätze, daß es besser ist, wenn du heute nacht noch weiter reitest. Deine Anwesenheit ist hier nicht besonders erwünscht.“ „Das scheint mir auch so“, entgegnete Billy Jenkins kurz. Er ging in die Bar zurück und warf ein Geldstück auf den Tisch. Dann begab er sich wieder zu Blessy, und klatschte ihr freundlich den Hals, während alles draußen stand und zusah. „Well, Blessy … wir wollen diese ungastliche Gegend verlassen.“ Jetzt stieß Bruke den Farmer Wright an. „Verdammt … weißt du, wer das ist?“ „Hölle … no … woher soll ich das wissen?“ Der Fremde war nun schon fortgeritten und, das mußte ihm der Neid lassen, die eckigen Bewegungen des Tieres waren verschwunden, es ging zügig mit seinem schweren Reiter ab. „Es gibt nur einen Mann, der so ein Pferd reitet, und das ist Billy Jenkins.“ „Damned …“, entgegnete Wright. „Schätze, daß wir dann einen mächtigen Fehler gemacht haben.“ Billy Jenkins konnte sich die seltsame Stimmung in der Bar nicht erklären, aber als er wieder draußen 73
war, bedauerte er es nicht, wieder allein zu sein. Er strebte dem nächsten Walde zu, der zwar noch viele Kilometer von hier entfernt war. Aber als er dann am Waldesrand lag und in die Sterne blinzelte, während Blessy, wenige Meter von ihm entfernt, graste, war er ganz zufrieden. Hier war es schön, es gab keinen Staub und nur wenige Moskitos. Billy Jenkins hatte die Bruke-Bar nur als Durchgangs-Basis benutzen wollen – es war das erstemal in seinem Leben, daß er hier erschienen war. Auf einen solchen Empfang hatte er sich allerdings nicht gefaßt gemacht. Jedenfalls konnte ihn dies nicht von seiner Route abbringen. Es sollte sich nun beweisen, ob das Adressenmaterial aus dem Notizbuch des toten Dogan seine Richtigkeit hatte. Entsprachen die Eintragungen den Tatsachen, dann konnte ihm noch einiges gelingen, vielleicht faßte er dann auch noch Jesse Owen. In der Bruke-Bar war man immer noch völlig verwirrt. Zuerst wollte man Billy Jenkins nachreiten, um ihn zurückzuholen. Aber man hatte es dann doch aufgegeben, weil auch er ein erstklassiges Pferd ritt, von dem man schon viel gehört hatte. Vierundzwanzig Stunden später beim Sonnenuntergang mußte Bruke noch immer an dieses unerfreuliche Thema denken. Aber es war, als sei die ganze Gegend verhext. Kaum war Ruhe eingetreten, als erneut ein Reiter erschien. Aber was war das für ein Mensch? Sein Gesicht war schneeweiß wie eine Totenmaske. Er bestellte einen Drink und setzte sich auch in die Ecke 74
des Raumes. Wie auf Kommando erstarb in der Bruke-Bar jedes Geräusch. Fast alle blickten nach dieser merkwürdigen Erscheinung hin. So etwas hatte man in Arizona noch nicht gesehen. Damned …! Das war ja entsetzlich! Das war ja schon gar kein Gesicht mehr. Der Mann hatte ein Gesicht wie aus Stein. Selbst wenn er sprach, merkte man nicht, daß sich das Gesicht veränderte. Es war Jesse Owen, der nun still auf der Bank saß und die Anwesenden beobachtete. Er spürte, daß seine Nähe genügte, um alle zum Schweigen zu bringen. Auch das war ein Triumph. Er brauchte sich nun gar keinen Zwang mehr aufzuerlegen. Innerlich lachte er. Das konnte Jesse Owen ruhig tun, denn in seinem Antlitz widerspiegelte sich nichts. Jetzt entdeckte er unter den Anwesenden einen Cowboy, der bei einem Gefecht einmal zugegen gewesen war und ihn genau kannte. Aber auch dieser erkannte ihn nicht. Bruke hatte dem Fremden einen Drink gebracht. Dieser schien in Eile zu sein, denn er hielt sich nur eine Stunde auf. Dann nahm er sein Pferd und ritt weiter. Es ging wie ein Aufatmen durch die Bar. Was war das für ein Mensch gewesen? Bruke und Wright standen vor der Tür und sahen dem Entschwindenden nach. Bruke atmete erleichtert auf und sagte: „Ich werde das Gefühl nicht los, daß wir einer großen Gefahr entronnen sind.“ In Yonkers, hundertundfünfzig Meilen von Worrytown entfernt, inmitten einer grünen Prärie, wohn75
te Konnedy. Seine Lebensweise war manchem ein Rätsel. Der Sheriff Baxter wußte genau, daß Konnedy nicht immer die geraden Wege ging, und es gab viele kleine Delikte, die er ihm nachweisen konnte; aber er drückte trotzdem ein Auge zu. Es war ihm nicht damit gedient, Konnedy deshalb unglücklich zu machen. Er besaß einige Kühe und wohnte in der Nähe des Towns. Es war nur ein Sprung bis dorthin. Es kam zuweilen vor, daß Baxter manchmal bei Konnedy erschien, um sich von ihm einige Informationen zu holen, und es war nicht selten, daß er durch diesen Mann auf eine gute Fährte kam. Deshalb blieb er auch ungeschoren. Hätte Konnedy nie gesprochen, wäre er schon längst im Gefängnis gewesen. Zur Saisonzeit, wenn die Farmer alle Hände gebrauchen konnten, verzichteten sie trotzdem darauf, Konnedy zu nehmen, der sich ihnen schon oft als „all around man“ angeboten hatte. Früher, vor vielen Jahren, hatte Konnedy diesen Posten schon einmal ausgefüllt. Dann waren aber mehrfach Farmer geplündert worden, bei denen gerade große Beträge vorhanden waren. Die in diesem Gebiet fremden Banditen besaßen eine derartig genaue Kenntnis über die Verhältnisse, daß man sich sagte, daß hier nur ein „stoolpigeon“* an der Arbeit sein konnte. So hatte Konnedy in Yonkers einen schlechten Ruf bekommen. Aber er machte sich nichts aus der Anrüchigkeit seines Namens. Man erfuhr nie richtig, wovon er überhaupt lebte; denn die achtzig Kühe, die er besaß, * stool-pigeon = Spitzel 76
konnten nicht alles decken – zumal Konnedy oft des Abends in der Bar saß und dort manchmal sogar große Beträge verspielte. In der Bar wurde Konnedy als ebenbürtig betrachtet, dort konnte er niemand gefährlich werden. In der letzten Zeit hatte sich sein Ruf gebessert. Er besaß nicht mehr viel Geld, er begann seine Tiere zu pflegen, sein Haus auszubessern und man traf ihn nicht mehr in zweifelhafter Gesellschaft an. Selbst Baxter, der manchmal überraschend auf der Farm erschien, staunte über ihn. „Well Konnedy …“, meinte er einmal gemütlich, „schätze, du wirst noch mal der beste Bürger.“ „Was du schon wieder hast. – – Ich habe noch nie etwas verbrochen.“ „Ich weiß schon“, lächelte Baxter, „davon wollen wir aber nicht mehr sprechen.“ Konnedy versuchte auch keine weiteren Unschuldsbeteuerungen mehr, denn er wußte nur zu gut, daß Baxter über vieles unterrichtet war. Nun lebte Konnedy schon seit Wochen allein. Manchmal blickte er sehnsüchtig zu den Bergen Mexikos, die in weiter Entfernung nur bei klarer Sicht zu sehen waren. Verdammt! Wo waren die guten Zeiten geblieben? Es dünkten ihm nur wenige Tage her zu sein. Damals war er noch derjenige, der die durchreisenden Banditen versorgte, ihre Pferde auswechselte, ihre Wunden verband und ihnen neue „Tips“ gab. Das Geld war in Strömen geflossen. Nächte hindurch wurde bei ihm Karten gespielt, und er hatte nicht schlecht dabei abgeschnitten. 77
Und jetzt? … Konnedy wußte keine Antwort darauf zu geben. Er konnte sich nicht vorstellen, daß einige Banditen etwas davon erfahren haben sollten, daß er Baxter manchmal Geringfügigkeiten erzählte. Er hatte damit niemand geschädigt; zumindest keinen der Großen und man mußte manchmal Opfer bringen. Auch zu ihm war es durchgesickert, daß Jesse Owen in seinem neuen Machtbereich in „The Golden Hills“ allerhand „Hit’s“ gemacht hatte und dadurch über große Summen verfügen mußte. Aber von diesem Geldstrom war bisher kein Cent zu ihm gekommen. An einem Spätnachmittage, als Konnedy vom Town seiner Farm zuritt, sah er schon von weitem, daß zwei Pferde vor seinem Hause standen und wie er bald erkannte, gehörten sie nicht nach Yonkers. Dafür hatte Konnedy schon einen Blick, es waren ein paar ausgesuchte Tiere. Dann war er auch schon angelangt. Auf den Stufen des Farmhauses saßen Doval und O’Hara. Sie grinsten ihn schon von weitem an. „Well Konnedy, hast uns wohl nicht erwartet?“ „No“, entgegnete er trocken. „Seid ihr auf der Durchreise?“ O’Hara nickte. „Verständlich“, meinte Konnedy, „ihr habt euch da eben wohl vollgesaugt.“ Die beiden lachten. „So wild ist es nicht.“ Dann gingen sie ins Farmhaus und setzten sich ins Wohnzimmer. „Dann erzählt mal“, meinte Konnedy. 78
Aber die beiden waren nicht sonderlich zum Sprechen aufgelegt. „Wir haben Bruke etwas erleichtert.“ „Da hab’ ich auch schon oft dran gedacht“, entgegnete Konnedy, „muß doch bestimmt eine lohnende Sache gewesen sein.“ „No, es handelte sich nur um einige Dollars.“ „Gibt es hier etwas Besonderes im Town?“ fragte O’Hara. Konnedy verneinte. „Ihr könnt ruhig zur Bar reiten, wenn ihr wollt. Ihr seid ja hier völlig unbekannt.“ „Habt ihr immer noch denselben Sheriff?“ Konnedy nickte. „Yes … Baxter ist okay und ich kann gut mit ihm längs kommen. Aber warum seid ihr eigentlich fortgeritten? Sind euch die goldenen Berge zu heiß geworden?“ „You said it. – Billy Jenkins ist da.“ „Verdammt“, kam es über Konnedys Lippen. Dieser verdammte Jenkins tauchte doch immer dort auf, wo etwas los war. Es war ihm auch bekannt, daß Billy Jenkins Jesse Owen früher einmal erwischte. Konnedy war mit all diesen Dingen vertraut. „Und was macht Jesse Owen?“ fragte er. Die beiden Banditen sahen sich gegenseitig an. „Well … meinte O’Hara dann bedächtig, „Billy Jenkins hat ihn ins Gesicht geschossen.“ „Und?“ „Seitdem hat er sich ein bißchen verändert. – Hat uns nicht mehr gepaßt. Er wurde einseitig.“ „Er lebt doch noch?“ fragte Konnedy mißtrauisch. 79
„Yes, aber seine Zeit ist vorbei. Glaube, der Schuß hat ihm die Nerven gekostet.“ Allmählich begann Konnedy die Lage zu verstehen. Das Bild rundete sich für ihn ab. Es sollte ihm schon recht sein. „Well …“ meinte er dann, „schätze, es ist am besten, ihr wascht euch erst mal. Ihr könnt bei mir wohnen und abends in die Bar gehen. Ich habe auch eine kleine Sache für euch, weiß natürlich nicht, ob viel dabei herausspringt. – Aber wenn ihr interessiert seid …?“ „Das laß man“, schnitt ihm O’Hara das Wort ab. „Vorläufig sind wir ziemlich gefüllt.“ Dann legte er ein paar Hundert-Dollarscheine auf den Tisch. „Das ist für dich.“ Konnedy ließ sie ohne Dank und nur mit einem Lächeln verschwinden. „Okay boys!“ Die beiden folgten ihm, Sie holten Wasser, und schon eine Stunde später waren sie mit allem fertig. Man konnte ihnen den langen Ritt nicht mehr ansehen. Konnedy war heute aufgeräumt. In seiner Tasche klimperte endlich einmal wieder Geld. Endlich einmal ein paar Scheine, mit denen man etwas anfangen konnte. Nach Anbruch der Dunkelheit ritten die beiden fort. Konnedy blieb auf der Farm. An diesem Abend rechnete er nicht damit, daß die beiden früh zurückkommen würden, denn er wußte nur zu gut, wenn sie erst einmal in der Bar von Yonkers waren, würden sie sicherlich drei oder vier Mann zum „open poker“ finden – und das dauerte dann durchschnittlich bis in die Morgenstunden. Aber zum ersten Male sollte Konnedy sich irren. 80
Es war noch nicht Mitternacht, als die beiden plötzlich erschienen und wie Konnedy bemerkte, waren beide kreidebleich im Gesicht. „Schon da? …“ fragte er. „Yes. – – Wir reiten gleich weiter.“ „Hat euch jemand erkannt? Oder hat es eine Schießerei gegeben?“ „Nichts von dem. – Billy Jenkins ist im Town.“ „Billy Jenkins?“ wiederholte Konnedy. „Wie ist denn das möglich? – – Wie kommt der Kerl hierher?“ O’Hara lachte wütend auf. „Ja … Wie kam er hierher?“ Das hätte er selbst gern gewußt. Er suchte sie, er war mit Baxter zusammen. Sie hatten nur Glück, daß sie bisher nicht gesehen worden waren, und wenn er an diesem Abend nicht mehr in die Bar ging, würde er es erst morgen erfahren, daß sie hier waren. Aber jetzt wurde es höchste Zeit, daß sie abritten. Was würde es ihnen nützen, wenn sie Billy Jenkins in Yonkers erschossen? Sie hätten eine Meute hinter sich hergezogen, und auch hier hatte das alte Sprichwort Gültigkeit, daß viele Hunde des Hasen Tod waren. Es war das erste Mal, daß Doval und O’Hara selbst gejagt wurden und sich auf der Flucht befanden, sie hatten dabei ein unangenehmes Gefühl im Rücken. Es wäre ihnen nicht so peinlich gewesen, wenn dieser Billy Jenkins nicht so gut schießen konnte. Aber es war schon sprichwörtlich, daß dieser Kerl noch nicht vorbeigeschossen hatte. Ganz lässig war er auf seinem Pferde in Yonkers eingeritten. Er sah aus, als hätte er nur einen kleinen Spazierritt gemacht, so frisch und gepflegt, und trotzdem waren 81
sie sicher, daß der Kerl einen Höllenritt hinter sich hatte. Und dieses komische Pferd wurde allem Anschein nach nie müde. Nun gab es nur eines für sie, so viele Meilen wie möglich zwischen Billy Jenkins und ihre Gäule zu bringen. Schon eine Viertelstunde später waren sie mit allem fertig. Sie trugen eine verdächtige Eile zur Schau und dann jagten sie auch schon davon. Konnedy stand vor seinem Hause und sah den beiden nach – sie verschwanden schnell in der Dunkelheit. Noch eine Weile hörte er das Hufgetrappel und dann war es wieder still. Konnedy blieb noch draußen. Also Billy Jenkins war da. Ob er sich seiner wohl erinnern würde? Er glaubte es nicht, denn er hatte nie eine besondere Rolle im Leben dieses Mannes gespielt, und so bedeutete es für ihn auch keinen Grund zur Unruhe. Vielleicht war es sogar ganz gut, daß Billy Jenkins erschienen war und die Banditen vertrieb, denn wer konnte wissen, was sie neuerdings auf dem Kerbholz hatten, daß er es für richtig hielt, sie zu verfolgen. Konnedy hatte schon viel auf dem Gewissen, aber er hatte immer den Mord abgelehnt – Doval und O’Hara waren zwei Banditen, die in dieser Richtung keine Rücksicht kannten. Gut, er hatte von ihnen Geld bekommen, aber man konnte es ja den Scheinen nicht ansehen, woher sie kamen. Gemütlich ging er wieder ins Wohnzimmer zurück. Er war mit sich selbst und der Welt zufrieden und noch ganz in Gedanken versunken, als er im Wohnzimmer ein Geräusch vernahm. Hatte er vergessen die Tür zu schließen? 82
Als er dort ankam, prallte er entsetzt zurück. Im Türrahmen stand Billy Jenkins. Zuerst hatte er ihn gar nicht erkannt, er sah nur die mächtige Gestalt dort stehen. Eiskalt blickten die stahlblauen Augen auf ihn und kein Lachen, kein Zucken war im Gesicht. Die Hand hing verdächtig tief und ruhig an seinem Colt. „Well Konnedy … . schätze, du hast mir allerhand zu erzählen.“ Eine Weile, blieb Konnedy wie erstarrt stehen. Auch Billy Jenkins rührte sich nicht vom Fleck. Er schien völlig sicher zu sein, daß niemand mehr in der Gegend war. Konnedy hatte es derart die Sprache verschlagen, daß er einfach nicht sprechen konnte; zu gewaltig und zu drohend war der Anblick dieses Menschen. Wieder hörte er ihn sprechen. „Wann sind sie gekommen, und wann sind sie fortgeritten?“ „Ich weiß nicht, wovon du sprichst?“ „Willst du meine Frage beantworten?“ Billy Jenkins blickte ihn starr und eisern an. Konnedy hatte ein verdammt unangenehmes Gefühl im Halse. War doch etwas durchgesickert? Er war auf einmal derart unschlüssig, daß er nicht mehr weiter wußte. „By golly“, stöhnte er, „ich weiß wirklich nicht, wo du hinaus willst?“ Über Billy Jenkins Gesicht flog ein geringschätziges Lächeln. „Sag, Konnedy, wofür hältst du mich eigentlich? Versuche bloß nicht, mir noch etwas vorzumachen. Das zieht nicht; Märchen kannst du Bax83
ter erzählen, aber mir nicht. Wo sind die beiden abgeblieben?“ „Sind weg“, kam es hilflos über Konnedys Lippen. „Das kam ziemlich spät. – Und wohin?“ „Ich weiß es nicht. – Sie sind vor einer guten Stunde in Richtung der mexikanischen Grenze verschwunden.“ „Haben sie gewußt, daß ich hier in der Nähe bin?“ „Das weiß ich nicht.“ „Warum lügst du schon wieder?“ „Was fragst du denn so viel, wenn du das alles weißt?“ „Well …“, entgegnete Billy Jenkins bedächtig, „ich wollte dich nur auf einiges aufmerksam machen. Bis heute waren deine Hände ja noch nicht mit einem Mord besudelt. Die Banditen haben mehrere Personen ums Leben gebracht. Du bist jetzt also davon unterrichtet.“ Konnedy wich unwillkürlich noch einige Schritte zurück. „Davon habe ich nichts gewußt.“ „Never mind“, entgegnete Billy Jenkins. „Ich will von dir gar nichts hören. Du bist so verlogen, daß ich dir nie etwas glauben würde. – Dies ist meine letzte Warnung.“ Dann verschwand Billy Jenkins ebenso schnell, wie er gekommen war. Erst als Konnedy das Hufgetrappel hörte, getraute er sich hinaus. Woher konnte Billy Jenkins das alles wissen? Aber dann, als er zum Nachdenken kam, wußte er, daß des Rätsels Losung sehr einfach war. Dort hinten standen immer noch die beiden Schüsseln, worin sich die Banditen 84
gewaschen hatten. Dann waren die Pferdespuren zu sehen. Im Stall waren die beiden Pferdeboxen benutzt gewesen. Das konnte ein Spezialist wie Billy Jenkins natürlich auf den ersten Blick erkennen. Konnedy wischte sich mit seinem Halstuch die Stirn ab. Noch einmal war es gut gegangen. Damned … Das Pflaster wurde hier doch recht heiß. Aber Billy Jenkins konnte ihm noch keinen Strick daraus machen. Nur gut, daß die Banditen gleich abgeritten waren, sonst hatte es jetzt ein Gefecht gegeben. Und dann hätte er sich hier in Yonkers unmöglich halten können. An den Huftritten hatte Konnedy gehört, daß Billy Jenkins ins Town zurückgeritten war. Demnach verfolgte er die Banditen jetzt nicht. Vielleicht saß er nun bei Baxter und erzählte dort, was sich zugetragen hatte. Doch davor hatte Konnedy wenig Angst. Trotzdem war er so un-ruhig, daß er erst in den Morgenstunden in einen leichten Schlaf fiel. Zur selben Zeit saßen Doval und O’Hara noch immer auf den Pferderücken und Meile auf Meile zerrann unter ihren Hufen. Die Gegend war felsig geworden, Kakteen tauchten auf. Vor Stunden hatten sie schon die grüne Steppe verlassen. Aber immer noch jagten sie weiter. Ihre Gemüter hatten sich inzwischen wieder beruhigt. Doch sie hatten sich ein Ziel gesetzt, daß sie heute noch erreichen wollten, und das hieß Blane – ein alter Kumpan aus der früheren Zeit. Das war auch so eine angenehme Durchgangsstation. Er mußte sie jetzt aufnehmen. Vielleicht trafen sie dort Bekannte. Da sie wieder einmal 85
der Gefahr entronnen waren, kamen sie sich in ihrer Handlungsweise selbst ein wenig lächerlich vor. Sie hätten ruhig auf Konnedys Ranch bleiben sollen. Was wollte Billy Jenkins schon gegen sie ausrichten? Hatte er sich der Ranch genähert, waren sie immerhin in der Überzahl gewesen, und was lag schon daran, wenn man ihn erschoß. Wenn er sie nun weiter verfolgte, kamen sie doch eines Tages in die Zwangslage, ihm mit dem Colt gegenüberzustehen. Dann war es schon besser, man tat es zu einem geeigneten Zeitpunkt. „Schätze, daß wir jetzt erst mal bei Blane bleiben“, meinte O’Hara. „Und wenn Billy Jenkins kommt?“ „Well …“, meinte O’Hara jetzt überstark. „Wer ist Jenkins …?“ Doval drehte sich auf dem Pferde zu ihm um. „Letzten Abend hast du noch anders gedacht.“ *
* *
Tage vergingen und aus ihnen wurden Wochen. Die Hetze ging weiter. Aber wohin Billy Jenkins auch kam, traf er zu spät ein. Er war bei Blane erschienen; er wußte bestimmt, daß die Banditen da gewesen waren. Aber Blane war eisern, er gab nichts zu. Das schlitzäugige Gesicht dieses Mannes war nicht zu durchschauen, und er konnte ihm nichts nachweisen. So hetzte Billy Jenkins immer weiter. Dann traf eine Nachricht ein. Jesse Owen hatte ei86
nen Farmer erschossen. Dann einen Weidereiter, ein anderes Mal war einer seiner Spießgesellen von ihm beiseite geschafft worden. Auffallend war, daß zwischen den Schauplätzen dieser Taten große Entfernungen lagen, und daß sie ziemlich dicht aufeinander erfolgten. Jenkins stellte fest, daß Doval und O’Hara sich ganz woanders befanden. Hatten sie sich von Jesse Owen getrennt? Nun wußte er selbst nicht mehr, wo sich die Banditen aufhielten, sie konnten in seiner Nähe sein, aber auch einige hundert Kilometer weiter. Manchmal parkte er draußen an irgend einem Wasserloch. Wo waren sie geblieben? Das Adressenmaterial des toten Dogan war gut, selbst wenn er sie an den angegebenen Stellen bis jetzt noch nicht überrascht hatte. Dann tauchte Billy Jenkins in Peekskill auf. Er hatte mit dem alten Brixton vereinbart, daß er dort von Zeit zu Zeit hinkommen würde, weil es so ziemlich inmitten Arizonas lag. Dort erhielt er einen Brief mit Ellens Handschrift und als Billy Jenkins diesen Brief las, kam er aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vor einigen Tagen war der alte Brixton von Jesse Owen erschossen worden. Das konnte gar nicht sein, Jesse Owen war noch vor einigen Tagen hier in der Gegend gesichtet worden und hatte dort seine blutige Spur zurückgelassen. Jetzt wußte auch Billy Jenkins nicht mehr Bescheid, es war alles durcheinander. Der ersten Regung folgend, wollte er sofort zu den „Golden Hills“ zurückreiten – es würde eine Woche dauern, um dorthin zu kommen. Aber dann sagte er sich, daß es wenig Zweck haben würde, er mußte hier 87
bleiben und ausharren. Er durfte nun einmal nicht von seinem System abweichen. Es tat ihm sehr leid, daß der alte Brixton, bei dem er so freundliche und gastliche Aufnahme gefunden hatte, dem Ungeheuer zum Opfer gefallen war. Und Ellen …? Well, sie war ja noch ein halbes Kind. Sie wollte natürlich, daß er sofort zurück kam, und er sah im Geiste ihr zartes Gesicht vor seinen Augen. Er mußte im Stillen darüber lächeln. Er wäre gern zurückgekehrt, aber es ging nun einmal nicht. Billy Jenkins spürte, wie die Unruhe immer stärker in ihm wurde. Nur wenn er irgendwo draußen im Walde saß, war er in der Lage, ruhig über alles nachzudenken. Dann baute er jedesmal ein neues System auf, nach dem er die Banditen verfolgen wollte; aber nach einigen Tagen fruchtloser Ritte verwarf er es wieder, und er begann von neuem. Einmal mußte es ihm gelingen. Monate waren inzwischen vergangen und ganz Arizona wußte, daß Jesse Owen wieder lebte. Zwar war seine äußere Veränderung noch nicht bekannt, aber aus seinen Taten spürte man, daß dieser Jesse Owen ganz andere Wege beschritt als vorher. Sie hatten mit der vergangenen Zeit nichts mehr gemeinsam. War dies nur ein Auftakt, oder war es ein Bandenkrieg unter sich, den Jesse Owen ausfocht? Bis heute konnte sich noch niemand Näheres erklären, man wußte eben nichts Genaues. Jesse Owen war völlig unberechenbar, heute tauchte er hier und morgen dort auf. Jesse Owen war tatsächlich ein anderer geworden; es hatte eine Wandlung stattgefunden, von der er selbst zuerst gar nichts wußte, die dann 88
ganz allmählich, langsam und unmerklich von ihm Besitz ergriff, und als er es später selbst bemerkte, war er schon längst jene Bestie geworden, als die er bald in Arizona verschrieen war. Es war Jesse Owens Glück, daß ihn niemand wiedererkannte, weil ihn dieser Schuß entstellt hatte. So konnte er ruhig überall hinreiten. Er weilte bei den Menschen wie ein Wolf unter den Schafen, und wenn ihn die Laune überkam, schoß er sie zusammen. Jesse Owen war schon immer ein Draufgänger gewesen, dem der Tod nichts bedeutete, und jetzt war es mit ihm in dieser Hinsicht noch schlimmer geworden. Manchmal tauchte Jesse Owen plötzlich in irgend einem Town auf, in dem er aus früheren Zeiten bekannt war. Dann konnte es vorkommen, daß er plötzlich einige Cowboys und Rancher beleidigte und herausforderte. Jesse Owen staunte dann immer wieder, daß man ihn nicht mehr kannte, und konnte es immer noch nicht begreifen. Noch glaubte er, sich selbst zu kennen, aber er mußte auch darüber seine Meinung bald revidieren. Als er eines Abends etwas abgespannt in einer Bar erschien, traf er dort gleich zwei Bekannte an. Es waren Patrick, ein alter Irländer, und Lane. Sie hatten gerade einen „round’up“ hinter sich und sahen entsprechend aus. Ihre Kleidung war verdreckt, die Gesichter verschwitzt und verstaubt. Von der Sonne schwarz verbrannt, saßen sie nun in der Bar und tranken ihr Bier, aus ihren Gesichtern leuchteten nur die Augen. 89
„Diese armseligen Kreaturen“, dachte Jesse Owen, als er sie dort so abgearbeitet sitzen sah. Mehrfach blickte er ihnen ins Gesicht, aber die beiden schauten sofort wieder weg. Dieses starre Gesicht war ihnen zuwider, aber erkannt hatten sie ihn nicht; denn wäre dieser Fall eingetreten, hätten sie sofort die Flucht ergriffen oder zu den Colts gegriffen. Denn Jesse Owen wurde auch hier schon lange gesucht. Und dann trat das ein, was Jesse Owen später selbst in Erstaunen versetzte. Eben noch hatte er freundlich von diesen beiden Burschen gedacht und dann war ihm plötzlich eine kleine Szene eingefallen. Man hatte einmal sein Pferd mit einigen Knoten festgebunden, die er schlecht lösen konnte, und das wäre ihm fast zum Verhängnis geworden. Als ihm diese Erinnerung kam, hörte sich Jesse Owen plötzlich selbst sprechen, ohne daß er es eigentlich gewollt hatte. „Hallo Patrick … and hallo Lane …! Schätze, ihr kennt mich nicht mehr.“ Erstaunt blickten sie beide zu ihm herüber. „Of course not! – Wer bist du?“ „Könnt ihr euch nicht entsinnen, daß ihr einmal mein Pferd festgebunden habt?“ Die beiden blickten sich verdutzt an, aber sie erkannten ihn immer noch nicht. Und Jesse Owen wußte selbst nicht, wie er dazu kam, so plötzlich hiervon anzufangen. Es fiel ihm ein, daß man nun wissen würde, wer er war, und daß dieses Gefahr bedeutete. Aber in diesem Augenblick kümmerte er sich um nichts. Eine unerklärliche Wut war über ihn 90
gekommen. Mit einer wahren Wollust betrachtete er die beiden, die immer kleiner wurden. Plötzlich kam das Erkennen über Patrick. „It’s Jesse Owen …!“ brüllte er los. Jetzt wurde die ganze Bar auf Jesse Owen aufmerksam. Aber dieser saß immer noch mit seinem starren Gesicht in der Ecke, ohne irgendwie beunruhigt zu sein. Nur seine aufmerksamen Augen gingen von einem zum andern, und dann hatte er auch schon beide Colts in der Hand, stand an der Wand gelehnt. Zwei Schüsse knallten und Patrick und Lane brachen zusammen, während Jesse Owen mit unbeweglichem Gesicht immer noch auf demselben Fleck stand und aufmerksam die Anwesenden betrachtete. „Well …“, meinte er, „wer will der Nächste sein?“ Alles war erstarrt. Jesse Owen war da! Und man hatte es für ein Märchen gehalten, an das man nicht mehr glauben wollte. Aber nun war er leibhaftig da, und wie sah dieser Kerl aus! Schon einmal hatten sie den Ruf vernommen „Stony face“ und das hätte ihnen zur Warnung dienen müssen. Das Gesicht war tatsächlich wie aus Stein, nichts bewegte sich darin. Es war entsetzlich, Jesse Owen sprechen zu sehen und zu hören, ohne daß sich sein Gesicht dabei verzog. Dann war er verschwunden, sein mächtiger Hengst trug ihn schnell davon. Eine Weile verfolgte man ihn. Aber darüber lachte er nur. Sollten sie ihn ruhig verfolgen. Nach Stunden war es still um ihn, immer weiter führte ihn sein Weg. Das war wieder einmal Leben. Die alten Gefühle aus der früheren 91
Zelt erwachten in ihm und zeigten ihm, daß er doch noch nicht ganz gestorben war, daß er auch noch Freude empfinden konnte. Und doch war es ganz anders als früher. Verdammt! Doval und O’Hara hatten ihn betrogen. Er hätte es nie für möglich gehalten, daß ihm das passieren konnte. Aber er würde auch sie bekommen, eines Tages würden sie sein steinernes Antlitz wiedersehen. Er wußte, daß die beiden ausgezeichnete Schützen waren. Aber was bedeutete das schon für einen Jesse Owen? Er war dreimal schneller als sie. Häufig mußte er an Billy Jenkins denken. Auch die Stunde würde kommen, in der er ihm gegenüberstand. Aber das brauchte alles seine Zeit; der Reihe nach wollte er sie sich vornehmen. So ritt Jesse Owen von Distrikt zu Distrikt. Er hatte damals Doval und O’Hara bis Bruke verfolgen können, dann waren sie plötzlich wie vom Erdboden verschwunden, und er konnte ihre Fährte nicht wiederfinden. Vielleicht würden sie inzwischen einen „Hit“ ausführen und er dadurch erfahren, in welcher Gegend sie sich befanden. So saß Jesse Owen manchen Abend in einer Bar, in der man ihn nicht kannte, und lauschte den Gesprächen. In der letzten Zeit bevorzugte er es, am Lagerfeuer zu sitzen. Dann wählte er immer eine Gegend, in der es Trinkwasser, trockene Agaven und viel Salbeigebüsch gab. Das brannte so schön. Jesse Owen liebte es, ein mächtiges Feuer zu entzünden. Dann konnte er stundenlang davor sitzen und in die Glut starren, so daß man den Eindruck gewann, Jesse 92
Owen schlief mit offenen Augen. Aber er war dann so wach wie selten, er vernahm alles. Die seltsamsten Gedanken bewegten ihn; so wie er es aus der früheren Zeit gar nicht kannte. Warum hatte er Patrick und Lane eigentlich erschossen? Es hatte ihm nicht einen einzigen Cent eingebracht; im Gegenteil, er war selbst in Gefahr geraten und sein Name, sein verändertes Aussehen wurden bekannt. Er lachte auf, ohne daß sich das Gesicht veränderte. „Stony face!“ hatten sie gebrüllt. Und dann „Jesse Owen!“ Stony face – das steinerne Antlitz, das war nun wohl sein zweiter Name. Er hatte es sich angewöhnt, sich häufig minutenlang im Spiegel zu betrachten. Dann versuchte er mit allen Mitteln, das Gesicht zu neuem Leben zu erwecken, zerrte an den Wangen herum, aber sie bewegten sich nicht. Dann konnte er in Raserei geraten. Er zerschlug alles, was in seiner Nähe war. Nur sein Pferd wurde geschont. Aber es war niemand da, der dieses miterlebte. Selbst wenn Doval oder O’Hara noch wie früher bei ihm gesessen hätten, wäre Jesse Owen in der Lage gewesen, sie in solchen Augenblicken zu erschießen. Wenn er sich in dieser Ekstase befand, dann hielt er es wieder für richtig, daß er Patrick und Lane erschossen hatte. Warum sollten sie leben? An diesem Abend erkannte er, daß er jedesmal in Raserei geriet, wenn er nur an sein starres Gesicht dachte. Das hatte er Billy Jenkins zu verdanken – diesem Burschen würde er es heimzahlen. Manchmal nahm er sich vor, in Zukunft nicht mehr grundlos auf Menschen zu schießen, besonders nicht, wenn er sich in irgend einem Town 93
befand. Noch glaubte Jesse Owen, sich zu kennen, er ahnte noch nicht, wie tief er bereits in dieses neue Leben verstrickt war. Nach solchen turbulenten Ausbrüchen wurde Jesse Owen jedesmal schnell wieder klar wie immer, und er konnte dann ganz nüchtern über alles nachdenken. Früher gab es in seiner Laufbahn viele Tote; sie hatten ihr Leben lassen müssen, weil sie sich zur Wehr setzten; das Hauptmotiv lag immer in der Erlangung des Geldes. Er hatte nie einen persönlichen Haß gegen irgend jemand gekannt. Und jetzt? … Wie war es doch mit Patrick gewesen? Zuerst sah er ihn nur klein und häßlich, ein von der Arbeit geschundenes Gesicht, und dann, als er an sich selbst dachte, an die Kleinigkeit, die ihm dieser einst zugefügt hatte, bauschte sich diese vor seinen Augen zu etwas Ungeheuerlichem auf, und er erschoß sie alle beide. Ja, so war es gewesen. Früher galt sein Streben nur dem Gelde und immer wieder dem Gelde; wenn er damals mit seinen Kumpanen sprach, handelte es sich immer nur um Ziffern. Und heute …? Geld besaß er. Er wollte nicht einmal mehr davon haben. Was sollte er mit dem Zeug? Darüber konnte er keine Freude mehr empfinden. Demnach war doch vieles anders geworden. Jesse Owen wußte, er war unberechenbar geworden. Wenn es über ihn kam, vergaß er alle Vorsätze, und dann ging wieder dieser blödsinnige Reigen los, den er selbst nicht stoppen konnte. Einmal saß er auch in so einem kleinen Town. Er hatte sich zu erkennen gegeben, und dann sah er sie 94
dort sitzen mit ihren erbärmlichen Gesichtern, in denen Furcht und Angst sich widerspiegelten und die Hoffnung, daß sie mit dem Leben davonkamen. Manchmal war er gnädig, aber nur dann, wenn er nicht an sein Gesicht dachte – davon hing in einem solchen Augenblick alles ab. In seinem tiefsten Innern wußte selbst Jesse Owen nicht, wie dieses Unbenennbare zur Auslösung kam; denn es war nicht nur sein Gesicht, es war noch mehr, das sich ihm einfach aufzwang, dem er nicht widerstehen konnte, so daß es jedesmal mit einer Schießerei endete. Manchmal kam dann ein ekliges Gefühl in ihm hoch, aber Jesse Owen überging es. Noch glaubte er, daß es vorübergehen würde. Es war eben eine Hürde, die genommen werden mußte. So lief die Zeit weiter, einmal langsam, einmal schnell. Die Gegend wechselte, mal war sie gebirgig, mal flach und sandig. Oft starrte Jesse Owen in die Glut seines Lagerfeuers, besonders dann, wenn er ein großes Gefecht hinter sich hatte. Es war wohltuend und beruhigend für ihn, dann so ins Feuer zu blicken, und diese Ruhe währte dann manchmal tagelang, Es war herrlich, wenn es knisterte und knackte. Einmal krümmte sich ein dicker Ast im Feuer, und da dachte er: so starb Patrick. An einem Abend hatte Jesse Owen wieder in einem Wald Halt gemacht. Er hatte gerade dem Pferde den Sattel abgenommen und kramte in den Satteltaschen herum, als ihm außer Tabak und einigen Dollarnoten auch ein kleines Notizbuch in die Hände fiel. Er hatte es schon lange vermißt. Jetzt setzte er 95
sich ans Feuer und begann, es näher zu studieren, und eine warme Freude durchfuhr ihn. Da waren ja die Adressen, die er schon so lange gesucht hatte. Jetzt wußte er schon etwas Näheres, und vielleicht war es möglich, hierdurch Doval und O’Hara zur Strecke zu bringen. In dieser Nacht blieb Jesse Owen wach, und immer wieder studierte er die Namen, als wolle er sie in seinem Gedächtnis für immer einprägen. In den Morgenstunden machte er sich auf den Ritt. Es war noch ein langer Weg, der vor ihm lag. Aber in drei Tagen konnte er es geschafft haben. Zum ersten Male seit langer Zeit war Jesse Owen wieder zufrieden, und zum ersten Male arbeitete er wieder nach alten Planen mit der gewohnten Sicherheit. So kam er am dritten Tage abends bei Konnedy an. Dieser hatte die Tür zum Farmhaus abgeschlossen, aber im Innern brannte Licht. Jesse Owen pochte mehrfach an. Dann trat Konnedy heraus. Yes, er war der Alte geblieben, kaum daß die vergangenen Jahre irgendwelche sichtbaren Spuren hinterlassen hatten. „Well … Stranger …?“ fragte Konnedy. „Kennst du mich nicht?“ „No“, entgegnete Konnedy, indem er Jesse Owen genauer musterte. Jetzt schritt Jesse Owen auf ihn zu, so daß Konnedy unwillkürlich zurück wich. Dann stand er auch schon im Raume und ließ sich auf einen Stuhl nieder. „Sit down, Konnedy. – Oder bist du nervös?“ Verdammt! Er kannte doch diese Stimme! Konnedy dachte scharf nach und dann wußte er auf ein96
mal auch, wen er vor sich hatte. „Jesse Owen?“ fragte er leise. „Yes … It’s me.“ Ein Grauen überlief Konnedy, aber trotzdem lächelte er. „Freut mich, daß du endlich mal gekommen bist“, log er. Im Stillen arbeitete aber sein Gehirn: Wie konnte er sich von dieser Bestie befreien? Wenn Baxter doch bloß auftauchen würde. Aber es war so still wie selten, nicht einmal den Wind konnte man hören. Nun ließ er sich Jesse Owen gegenüber nieder. „Wann waren Doval und O’Hara hier?“ „Schon lange her. – – Es mögen ein bis zwei Monate sein. Billy Jenkins war damals auch da.“ „Interessant“, meinte Jesse Owen ruhig, indem er Konnedy aufmerksam musterte. Er bemerkte, wie dieser gebannt an seinem Gesicht hing, und wie das Entsetzen über den Mann kam. „Yes! – Wenn man genauer hinsieht, kann man die Veränderungen sehen!“ sagte Jesse Owen. Und Konnedy antwortete in seiner Verzweiflung: „Habe gehört, das soll Billy Jenkins gewesen sein.“ Es entstand eine Pause. Das war Konnedy peinlich. „Hast du Hunger?“ fragte er dann, nur um etwas zu sagen. Aber Jesse Owen schüttelte den Kopf. „No, thanks. – Erkläre mir lieber mal, wo die beiden abgeblieben sind.“ „Keine Ahnung. Sie sind damals vor Billy Jenkins geflohen.“ „Wollten sie wiederkommen?“ 97
„No. – Davon haben sie nichts gesagt. Sie ritten plötzlich ab.“ „Haben sie dir gesagt, was sie mit mir gemacht haben?“ „Ich fragte nach dir und sie sagten, du wolltest in ,Golden Hill’ bleiben.“ „Das stimmt“, entgegnete Jesse Owen. Konnedy wußte nicht, daß Jesse Owen an diesem Tage gerade guter Laune war. Er reichte Konnedy sogar die Hand, als er zur Tür ging. „Well, old timer“, meinte er dann bedächtig. „Freut mich, daß du dich so gut gehalten hast. – Ich gucke mal wieder ‘rein.“ „Okay“, entgegnete Konnedy, „sollte mich freuen, dich bald wiederzusehen“, entgegnete er jetzt sogar schon übermütig, und beinahe hätte er Jesse Owen um Geld gefragt. Aber er unterband die Frage. Zu stark war das Erlebte. Als der Bandit dann endlich fortgeritten war, zitterten ihm vor Schwäche die Knie. Das hätte wirklich leicht schief gehen können und er wunderte sich, daß er noch lebte. Als sich Jesse Owen Stunden später auf dem Wege zu Blane befand und auf der Rast wieder vor einem mächtigen Lagerfeuer saß, dachte er über alles nach. Vielleicht konnte er Konnedy noch einmal gut gebrauchen. Er hätte ihn abschießen können, wer krähte schon nach diesem Halunken? Baxter hätte sich vielleicht sogar darüber gefreut, einen Banditen billig losgeworden zu sein. Trotzdem war es vielleicht richtig, daß er ihn am Leben gelassen hatte. Hufgetrappel ertönte. Es war ein einzelner Reiter. 98
Wer kam jetzt noch so spät in der Nacht? Jesse Owen solte nicht lange im Unklaren bleiben. „Hallo Stranger …!“ rief es aus der Dunkelheit. „Kann man hier mit am Feuer sitzen?“ „Of course!“ rief er zurück, ohne daß er sein Gesicht vom Feuer abwandte. Und dann hörte er auch schon, wie der Fremde vom Pferde abstieg, um sich ihm gegenüber am Feuer niederzulassen. „Mein Name ist Kinley!“ sagte der Ankömmling. Es war ein Cowboy in mittleren Jahren, der die hier übliche Kleidung trug. Sie war schon alt und abgenutzt. „So spät noch unterwegs?“ fragte Jesse Owen. „Yes“, entgegnete Kinley, „hatten viel mit dem Vieh zu tun, und ich wollte morgen in Yonkers sein, um noch einige Leute anzunehmen. Bei uns beginnt der ,Round up’.“ Kinley! … schoß es durch Jesse Owens Hirn. Den kannte er doch auch! Aber das war schon eine lange Zeit her. Das war doch der größte Farmer hier in der Umgebung. Er wohnte ungefähr vierzig Meilen von Yonkers entfernt und seine Cattle betrug einige tausend Stück. Das bedeutete selbst für Arizona schon viel – – dieser Mann mußte demnach der Sohn des Farmers sein. Er taxierte den Mann auf etwa vierzig Jahre. Und das kam auch hin. Der Mann hatte viel Ähnlichkeit mit seinem toten Vater. Unwillkürlich mußte Jesse Owen darüber lächeln. Inzwischen hatte Kinley ein Paket hervorgeholt und begann zu essen. Er ahnte nicht, wem er so arglos gegenüber saß. Als er mit dem Essen fertig war, 99
zündete er sich eine Zigarette an. „Wird manchmal des Nachts doch noch sehr kühl.“ „Yes“. entgegnete Jesse Owen und dann ritt ihn der Teufel. „Wurde dein Vater nicht vor Jahren erschossen?“ Kinley betrachtete sein Gegenüber. „Yes, stimmt. – Jesse Owen war’s. Er soll ja immer noch leben. Wenn ich diesen Schurken zu Gesicht bekomme, ist er erledigt.“ „Richtig“, entgegnete Jesse Owen. „So einer gehört unter die Erde.“ Kinley warf einen Blick auf die Uhr. „Schätze, daß ich weiter reite“, meinte er dann. Dann erkundigte er sich nach dem Ziel des anderen. „Auf der Durchreise“, meinte Jesse Owen. Als Kinley sein Pferd bestieg, rief er ihm noch zu. „Wenn du Arbeit haben willst, kannst du morgen auf meiner Farm erscheinen. Ich kann jetzt alle Hände gebrauchen.“ „Okay. – Ich werde es mir überlegen.“ Dann ritt Kinley auch schon davon, während Jesse Owen immer noch nachdenklich ins Feuer starrte. *
* *
Brütende Hitze lastete über dem Jony-Tal, als der Farmer Birdes mit einigen Viehaufkäufern aus Phönix in einem mächtigen offenen Tourenwagen über die Steppe zu seiner Cattle fuhr. Es kam selten vor, daß Birdes einmal in einem solchen Fahrzeug saß. Er 100
wunderte sich, wie das Gefährt fast stoßfrei über die Prärie jagte. Manchmal, wenn sie durch ein kleines Steppengebiet fuhren, wölbte sich hinter ihnen der Staub zu einer mächtigen Wolke auf. So eine Fahrt hatte es in sich. Birdes besaß ein ziemlich langgestrecktes Weidegebiet, und da er ziemlich dicht am Colorado wohnte, war er einer der Letzten, die mit dem „Round up“ begannen. Das Vieh wurde hier von den Aufkäufern von der Weide weggekauft. Das Hintreiben mußten natürlich Birdes’ Cowboys besorgen. Aber hierin war der Farmer Spezialist. Er kannte in der Weite Arizonas einen Weg, auf dem er das Vieh durch einen grünen Gürtel treiben konnte, ohne daß es mehr als einen halben Tag ohne Wasser blieb. Der Weg zur Cattle, der sonst zu Pferde einige Stunden in Anspruch nahm, wurde jetzt beträchtlich verkürzt. Im Zeitraum von einer Stunde bekamen sie schon die Tiere in Sicht. Der schwere Wagen nahm selbst die kleinen, leicht ansteigenden Berge spielend. Bald standen sie oben auf einem Berge und sahen in das mächtige Tal, in dem die Cattle friedlich graste. In einer Ecke hatten zwei Cowboys ein Feuer angezündet, während die anderen auf ihren Gäulen die Tiere flankierten. Es war kaum nötig, daß jemand auf dem Pferderücken saß, denn das Vieh stand hier friedlich und graste. Ein prächtiges Bild. „Sieht gut aus“, meinte einer der Aufkäufer. Birdes lächelte. „Wird ja auch gepflegt.“ „Habt ihr in diesem Jahr eine Seuche gehabt?“ „No“, entgegnete Birdes, „wir hatten Glück.“ Es 101
war ihm bekannt, daß in den Nachbarbezirken verschiedene Seuchen ausgebrochen waren. Aber diesmal war er ihnen entgangen. Nun standen die Kühe mit ihren fetten Bäuchen auf der Weide, viele von ihnen hatten sich hingelegt und rasteten. Ein Teil stand in der Ecke des Tales, wo sich ein kleiner Wald befand, und schlief dort im tiefen Schatten. Nun fuhr der Wagen langsam hinunter. „Wir parken lieber gleich bei dem Lagerfeuer, damit das Vieh nicht wild wird.“ Dann ließen sie sich einige Pferde geben und ritten durch die Herde. „Hier stehen etwa zwölfhundert Stück.“ Der Aufkäufer, der Birdes am nächsten war, antwortete aber nicht; seine Augen betrachteten nur noch die Tiere. Ab und zu stieg er vom Pferde, ging zu den Tieren und betastete sie. „Good shape (gute Verfassung)!“ Birdes machte schon im stillen einen Überschlag. Seine Farm stand erst sechs Jahre und es waren gute Jahre gewesen, die ihn mächtig vorwärts gebracht hatten. Die Schulden, die einst darauf lagen, waren getilgt und mit dem jetzigen Gelde wollte er die Farm zum Teil motorisieren, denn es gab hier große Strecken, die er als Ackerland gut verwenden konnte. Das brachte dann neue Einnahmen. Birdes war einer jener Männer, die keinen Stillstand kannten. Er bekam pro Kuh fünfundsechzig Dollar. Die Jungtiere befanden sich bei einer anderen Cattle, so daß diese abgetriebenen Kühe alle zum Verkauf kamen. Auch die Cowboys besaßen einige eigene Tiere, die in 102
Bausch und Bogen mit veräußert wurden. So hatten auch seine Mitarbeiter dadurch gute Einnahmen. Birdes hatte dieses Verfahren als erster eingeführt und es bewährte sich. Das Interesse der Cowboys wuchs, sie pflegten die Tiere vielleicht noch besser als sonst. Er hatte sich im Laufe der Jahre einen guten Stamm von Cowboys herangebildet, auf den er sich unbedingt verlassen konnte. Früher, als er anfing, war das einmal anders gewesen. Well, man konnte eben nicht in die Menschen hineinsehen. Er dachte zurück; vor vier bis fünf Jahren hatte er einige Cowboys besessen, die ihn ständig bestahlen. Immer fehlten einige Tiere, die angeblich verschwunden waren, bis er dann eines Tages feststellte, daß O’Hara der Bandit war, der die Tiere in regelmäßigen Abständen forttrieb, um sie zu seinem eigenen Vorteil zu verkaufen. Er hatte damals O’Hara vom Hof gejagt und betrachtete damit die Angelegenheit für erledigt; denn Birdes hatte kein Interesse daran, ihn vielleicht noch bestrafen zu lassen und dadurch unglücklich zu machen. Es kam ihm allerdings auch nicht in den Sinn, daß solche unanständigen Elemente vielleicht noch die Frechheit besaßen, sich bei passender Gelegenheit dafür zu rächen, daß man ihnen das Handwerk gelegt hatte. Später erfuhr er, daß O’Hara zu Jesse Owen übergesiedelt war und sich zu einem gemeinen, gewalttätigen Banditen entwickelt hatte. Damals machte sich Birdes Vorwürfe; aber mit der Zeit waren auch diese eingeschlummert, das Leben nahm seinen regelmäßigen Verlauf, bald hatte er den Banditen ganz und gar vergessen. Was ging es 103
ihn an, was O’Hara machte? Well, er war ein Bandit; einmal würde man ihn schon erwischen. Zumindest brauchte er sich keine Vorwürfe zu machen, O’Hara geschädigt zu haben. Wenn es einen Menschen zu einer solchen Laufbahn hinzog, so wußte Birdes genau, daß es nicht in seiner Macht lag, einen solchen Burschen daran zu hindern. Birdes schenkte auch den vielen Berichten über die gemeinen Taten dieser Bande keinen Glauben; sicherlich waren sie übertrieben, denn häufig kursierten Gerüchte umher, die sich nachher als falsch erwiesen. Die Viehaufkäufer waren mit der angebotenen Cattle restlos zufrieden. Die Tiere waren in Fleisch und Fell erstklassig. Das war wieder eines jener Geschäfte, die einen guten Profit abwarfen. Wenn das Vieh nun langsam zu den Verladebahnhöfen und Schlachthäusern getrieben wurde, würde kaum ein Gewichtsverlust eintreten. „Schätze, daß wir unser Fahrzeug wieder besteigen können“, meinte einer von ihnen, „für mich ist das Geschäft abgeschlossen.“ „Ja, für mich auch“, entgegnete ein anderer. Sie reichten Birdes die Hand. „Well Birdes, fahren wir los.“ Sie bestiegen wieder den Wagen, leise schnurrte der Motor. Dann zog die starke Maschine auch schon an und fegte mit seinen Insassen den Berg hinauf. Erst als sie dort angekommen waren, ließ der Fahrer die Maschine schneller laufen, und dann ging es auch schon in rasender Fahrt über die Steppe. Warm schlug ihnen der Wind ins Gesicht. 104
Birdes hatte seinen mächtigen Stetson abgenommen und ließ den Wind mit seinen Haaren spielen. Es war doch mal etwas anderes, so ein Gefährt, besonders dann, wenn man Jahr und Tag auf einem Pferderücken gesessen hatte. Schon von weitem sah man das große Farmhaus mit seinen Nebengebäuden und mit Einbruch der Dämmerung fuhr der Wagen auf den Hof. Zufrieden stiegen sie alle aus. Aus dem Küchenfenster guckte ein Negerkopf. Es war der Koch. „Alles fertig?“ fragte Birdes. „Yes, Sir!’’ kam es zurück. Sie begaben sich ins Wohnzimmer, um dort das Essen einzunehmen. Es wurde wenig gesprochen. Erst als sie fertig waren, holte Birdes eine Flasche Gin. „Schätze, daß wir darauf einen trinken wollen.“ Das Licht war angezündet, die Gläser wurden gefüllt und man trank. Das Fenster stand weit offen und der schwache Wind spielte mit den Vorhängen, die sich langsam hin- und herbewegten. Einer der Aufkäufer holte jetzt eine Aktentasche hervor. Nachdem man alles genau errechnet hatte, wurden die Verträge unterschrieben. Dann begann man mit dem Zählen des Geldes. Ein Banknotenbündel nach dem anderen wurde sorgfältig auf den Tisch gezählt. Die Scheine knisterten, zum Teil waren sie noch neu. Birdes legte das Geld auf eine alte Truhe, die noch von seinem Vater stammte. Wieder wurden die Gläser gefüllt. „Wollt ihr heute nacht hier bleiben?“ fragte Birdes. 105
Doch die anderen lehnten ab, sie wollten noch heute wieder zurückfahren. Birdes wollte gerade sein Glas an die Lippen setzen, als ihn etwas stutzig machte. Er saß einem Viehverkäufer gegenüber, und als er diesen betrachtete, bemerkte er, daß jener plötzlich leichenblaß wurde und erregt zum Fenster starrte. Langsam drehte Birdes sich um, und dann jagte auch ihm ein Schreck durch die Glieder. Durch die Vorhänge des offenen Fensters starrte der Lauf eines Revolvers zu ihnen ins Zimmer. Während der Colt weiterhin auf sie gerichtet blieb, sah er eine Gestalt in den Raum klettern, die jetzt noch hinter dem Vorhang verborgen war. „Damned! …“ Es war ein Wort, das Birdes fast nie gebrauchte, aber diesmal kam es ungewollt über seine Lippen. Er dachte aber nicht daran, die Hände hochzunehmen. „Stick ’em up!“ ertönte eine Stimme. Immer noch dachte Birdes nicht daran, der unmißverständlichen Aufforderung Folge zu leisten. Er saß nur drei Schritte vom Fenster entfernt, aber was war das jetzt für ein weiter Weg. In diesem Augenblick dachte er noch nicht an das Geld. Dann teilte sich der Vorhang. Vor ihm stand O’Hara mit seinem mächtigen Kopf, der wie ein unbehauener Klotz aussah. Seine fast zu kleinen Augen sahen gemein und tückisch über die Anwesenden hinweg, sie wirkten wie die Augen eines Irrsinnigen. Es kam Birdes so vor, als wären sie blutunterlaufen. Er spürte, wie sein Herz stark zu klopfen begann. Nochmals murmelte er „Damned …“, aber diesmal unhörbar. Jetzt erst 106
warf Birdes einen Blick in den Raum zurück, und da sah er das Geld auf der Truhe Hegen. Jetzt erfaßte ihn ein mächtiger Schreck. Verdammt! Damit hatte er ja überhaupt nicht gerechnet. Er sah, wie die Arme der anderen mit einem kleinen Ruck hochgingen. „O’Hara!“ brüllte Birdes. Da war diese Bestie! Und wie durch Zufall hatte er an diesem Morgen doch noch an ihn denken müssen. Diese Gedankenverbindung hätte ihn eigentlich aufmerksam machen müssen. Aber wer konnte so etwas ahnen? „Yes, it’s me“, kam es zurück. O’Haras Augen flogen über das Geld. Aber um dahin zu gelangen, mußte er den Raum durchqueren. Er machte einen weiten Bogen um Birdes, der ihn jetzt mit weit geöffneten Augen betrachtete. Vorsichtig begab sich O’Hara nach der Truhe; sein Kopf wirkte wie der eines Bullen, der jeden Augenblick einen auf die Hörner nehmen wollte. Birdes dachte überhaupt nicht daran, daß dieser Bandit schießen würde. Er hatte eine furchtbare Wut auf diesen Kerl, der ihn nun erneut schädigen wollte. Birdes zitterte vor Wut am ganzen Körper. Jetzt war der Bandit bei dem Gelde angelangt. Birdes knirschte mit den Zähnen, als er sah, wie der Bandit die geordneten Bündel wahllos in die Taschen stopfte. Dann konnte er nicht mehr an sich halten. Er wollte nach seinem Colt greifen und da mußte er feststellen, daß er ihn an diesem Tage nicht umgeschnallt hatte. Auch das noch. Aber in der Ecke befand sich der Gewehrschrank, dort hingen hinter dem Glasfenster fein säuberlich die Waffen. Aber 107
auch das waren wieder einige Meter. Wofür hatte man denn eigentlich diese blödsinnigen Waffen, wenn sie einem im richtigen Moment doch fehlten? Wie konnte man diesem Gauner beikommen? Er durfte nicht wieder zum Fenster zurückgelangen, sonst würde man ihn nicht mehr erreichen – einmal in der Dunkelheit untergetaucht, würden sie O’Hara nie mehr finden. Jetzt war Birdes alles einerlei, er war entschlossen, sich zur Wehr zu setzen. Der Bandit hatte das Geld verstaut, er machte sich schon auf den Rückmarsch. Jetzt sprang Birdes zu dem Gewehrschrank. Er wagte es, weil sich zwischen ihm und dem Aufkäufer der Tisch befand, hinter dem er Deckung nehmen konnte. Ohne zu zögern, schlug er mit der Faust die Scheibe des Glasschrankes ein. Birdes spürte, wie ein Splitter ihm den Handrücken aufschlitzte, aber dann fühlte er den kalten Stahl des Gewehres. – Durchziehen, und mit einem Ruck flog die Patrone in den Lauf. Jetzt machte er eine kurze Wendung, suchte seinen Gegner. Da sah Birdes die Stichflamme auf sich zukommen, das Gewehr wurde plötzlich heiß in seinen Händen, das Zimmer raste im Kreise vor seinen Augen und dann sank er in eine tiefe Finsternis. „Noch einer da …?“ fragte O’Hara und blickte mit blutunterlaufenen Augen durch den Raum. Zum erstenmal erlebten die Viehaufkäufer ein solches Geschehen. Entsetzt blickten sie auf den Banditen, dessen mächtiger bulliger Kopf ihnen schon Furcht einjagte. Noch rauchte der Colt. Jetzt hatte. 108
O’Hara das Fenster erreicht. Birdes bewegte sich nicht mehr. Er lag still und ruhig da. Blitzschnell war O’Hara verschwunden. Aber noch wagte sich niemand zu rühren, der Schreck saß ihnen noch zu tief in den Gliedern. Wieder wehte der Vorhang so ruhig wie immer, als sei nichts geschehen. Aber das Geld war fort, und Birdes lag vor der zerbrochenen Glasscheibe des Gewehrschrankes und etwas Blut lief aus seiner Brust. Nun erst löste sich die Erstarrung der Aufkäufer. Sie eilten zu dem Farmer. „Birdes …!“ riefen sie. „Birdes .!“ Aber Birdes rührte sich nicht. Er lag dort, atmete ganz schwach, in seinem Gesicht stand ein weiches Lächeln. Sie sahen sich gegenseitig an und wagten es nicht, ihn anzurühren. „Was machen wir?“ fragte einer. Jemand atmete tief auf. „Laß ihn schlafen. Siehst du denn nicht, wie sich sein Gesicht verändert?“ Sie nickten. Birdes erwachte nicht mehr. Er ging in eine andere Welt hinein, aus der es kein Zurück mehr gab. Er hatte nichts mehr gespürt. Inzwischen rasten einige Cowboys herbei. Entsetzt betrachteten’ sie den toten Farmer. Eine Posse wurde zusammengestellt, und dann ritten sie zu den verschiedensten Towns, um alles zu alarmieren. O’Hara war in dem Bezirk und damit wahrscheinlich auch Jesse Owen, der Mann mit dem steinernen Antlitz. Es war wie ein Schrei des Entsetzens, der durch die Ortschaften ging. „Verfolgt sie, wenn ihr nicht dasselbe erleben wollt!“ hieß es überall. Neue Streifen wurden aufgestellt und als der Sheriff eintraf, 109
konnte er nur noch ein Protokoll aufnehmen. Es war Toery, der erst seit einem halben Jahr diesen Posten innehatte. Er war ein Draufgänger, der schon lange auf eine solche Sekunde gewartet hatte und jetzt feststellen mußte, daß er eigentlich zu spät kam. Man hatte Birdes auf demselben Fleck liegen lassen und erst, nachdem die amtlichen Formalitäten geklärt waren, bahrte man ihn auf. Es war noch ein Mann erschienen, der plötzlich im Raume stand, eine mächtige Gestalt. Das Gesicht war verschwitzt und dunkelbraun gebrannt, der Stetson-Hut tief ins Gesicht gedrückt, so daß nichts außer den leuchtenden hellen Augen zu erkennen war. Ernst betrachtete er die Anwesenden, prüfend flogen seine Augen von einem zum andern. „Wer ist das?“ fragte Toery einen seiner Cowboys. Aber niemand kannte diesen Mann. „Was willst du hier, Stranger?“ fragte er dann nach einer Weile. „Ich suche O’Hara.“ Toery lachte rauh auf. „Well, den suchen wir auch. – Aber wer bist du?“ Der Fremde nahm ihn etwas zur Seite, so daß sie niemand hören konnte. „Jenkins!“ sagte er kurz. Toery erschrak förmlich, als er diese tiefe Stimme hörte. Donnerwetter ja! So mußte schon der Kerl aussehen, von dem er so viel gehört hatte. „I am glad to see you. Hätte gern noch etwas mit Ihnen besprochen.“ Billy Jenkins nickte nur. Er schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. Aber dann, als hier 110
alle Formalitäten erledigt waren, gingen sie gemeinsam fort. Es wurde nicht gesprochen. Toery bemühte sich zwar, ein Gespräch in Gang zu bringen, aber Billy Jenkins starrte nur geradeaus. Er schien stark mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt zu sein. Was ging hinter dieser wuchtigen Stirn vor? Billy Jenkins war immer noch erschüttert über dieses neue, grauenhafte Verbrechen. Jetzt suchte er diese Schurken schon seit zwei Monaten und immer wieder waren sie ihm durch die Finger geschlüpft. Woher bekamen die Banditen ihre verdammt guten Informationen? Hatten sie die Viehaufkäufer beobachtet? Denn wo diese Händler auftauchten, gab es auch viel Geld. Und wo war Jesse Owen? Zu widersprechend waren die Berichte, die er im Augenblick vernommen hatte. Auf vielen Plätzen gab es in der letzten Zeit Tote; aber sie konnten nicht alle von Jesse Owen herrühren. Doch eines wußte Billy Jenkins genau, mit dem heutigen Tage hatte er sich den Banditen genähert. Irgendwo in der Nähe waren sie. Wie konnte er ihnen ein Bein stellen, eine Falle, in die sie hineinliefen? Und im stillen bat er: Ich möchte nur noch einmal ihm mit dem Colt gegenüberstehen. Nur noch einmal. Mit Freuden hätte er ihm zwischen die Augen geschossen. Ja, wenn es sich um solche Bestien handelte, dann würde auch Billy Jenkins einen tödlichen Schuß anbringen. Der Nachtwind wehte weich und warm. Es war eine Nacht, die eigentlich für andere Dinge bestimmt zu sein schien, als für solche Gedanken. Dreißig Meilen vom Colorado entfernt, konnte 111
man, wenn der Wind in derselben Richtung stand, schon das tosende Geräusch dieses gewaltigen Flusses hören. In diesem selbst heute noch fast unbewohnten Gebiet gab es wenige Wasserlöcher. Sie waren allen bekannt. Dann gab es da noch einige kleine Quellen, von denen niemand wußte, und wenn es doch der Fall war, so hütete man sich, darüber zu sprechen. Besonders die Farmer, die in diesem Bezirk wohnten, hüteten ein solches Geheimnis wie einen Schatz. Vielleicht war das Wort Quelle auch für ein solches Rinnsal übertrieben. Nur wenige tausend Liter Wasser kamen aus dem Erdreich, welches die Bäume nicht aufsogen, das nun irgendwo, schattig versteckt, schwach rieselte. Es war kein Wunder, daß ein Farmer, der in zwanzig bis dreißig Kilometer Entfernung um eine solche Schatzgrube wußte, dieses Geheimnis wie seinen Augapfel hütete. Ja, man gab sich sogar sehr viel Mühe, diese Stellen mit viel Geschick unsichtbar zu machen, damit sie von keinem Fremden jemals entdeckt wurden. Oft war es vorgekommen, daß das Vieh weit entfernt am Verdursten war. Es war dann unmöglich, die Tiere über eine große Strecke dorthin zu treiben; das hätte den Tod für sie alle bedeutet. Dann kam es vor, daß in aller Eile die Gespanne fertiggemacht wurden, jene Gefährte, die in Arizona nur allzu gut bekannt waren, jene hochrädrigen, schmalen Wagen, die mit Fässern beladen, mit vier Pferden bespannt in ungeheurem Galopp einer solchen Quelle zustrebten, um das köstliche Naß den verdurstenden Tieren zu bringen. Nur wer diese Not kannte, wußte, wie wertvoll dieses Wasser war; es 112
war mit gar keinem Geldbetrag aufzuwiegen. Prachtvoll, wenn dann so ein Fahrzeug auf dem Hof erschien und das schwappende Naß verteilt werden konnte. Wie oft wurde auf diese Weise das Vieh gerettet. Man konnte sagen, das ganze Vermögen einer Farm hing von solchen kleinen Dingen ab. An einer solchen Quelle, dreißig Meilen von dem Jony-Tal entfernt, saß Doval. Er kannte diese Quelle schon lange. O’Hara hatte ihm diesen Platz angewiesen, um hier auf ihn zu warten, denn den Hit, den sich O’Hara vorgenommen hatte, wollte er allein ausführen. In einer Bar hatten sie erfahren, daß die Viehaufkäufer unterwegs waren, und für solche Dinge hatte O’Hara entsetzlich spitze Ohren. Nun wartete Doval an dieser versteckten Stelle, daß er zurückkommen würde. Er hatte kein Feuer angezündet, manchmal lauschte er; aber er hörte nicht viel, höchstens das Summen der Moskitos. Häufig wenn er glaubte, in der Ferne ein Geräusch zu vernehmen, trampelte das Pferd dazwischen oder es schnaubte, weil es von den Moskitos geplagt wurde, und es sich dadurch Bewegung verschaffen mußte. Doval. fluchte darüber, aber er konnte es nicht ändern. Häufig ging er auf und ab, damit die Zeit vergehen sollte. Dabei rauchte er eine Zigarette nach der andern, blieb ein über das andere Mal stehen und lauschte. Aber nichts war zu hören. Das Warten war schlimmer als ein Überfall, bei dem man wenigstens wußte, was man zu tun hatte. Und hier? … Wenn er doch nur wüßte, wo Jenkins wäre. Das mußte ihm der Neid lassen, er verstand es, sich unsichtbar zu 113
machen, und darin lag seine größte Stärke. Doval hatte ständig sein Gewehr im Arm, aber es gab ihm trotzdem keine Sicherheit. Eigentlich müßte O’Hara schon längst zurück sein. Mitternacht war vorüber und O’Hara immer noch nicht da. Manchmal rauschten die Bäume träge, wenn sich ein leiser Wind erhob oder ein paar Zikaden zirpten ihr eintöniges Lied. Einmal hörte er in der Ferne den Ruf eines Rabbits. Jedes Geräusch erschreckte ihn in dieser Nacht. Vielleicht hatten sie O’Hara gefaßt. Es fehlte nur noch, daß Billy Jenkins dabei war. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, daß O’Hara sprechen würde. Wenn er es aber doch getan hatte, würde Billy Jenkins hier in der Nähe sein und ihn mit Argusaugen belauschen. Ja, er kannte schon die Methode dieses Menschen, der es verstand, sich wie ein Wolf hinter einen Baum zu legen, um dort Stunde auf Stunde zu lauern, ohne sich überhaupt zu bewegen, bis sich der andere eine Blöße gab. Man würde nur noch den tödlichen Schuß hören und dann …? Doval schüttelte mit Gewalt diese Gedanken ab. Quatsch! Billy Jenkins konnte gar nicht hier in der Nähe sein, so leicht würde sich O’Hara schon nicht fassen lassen, denn er wußte ja ganz genau, daß sein Kopf dann am nächsten Tage in einer Schlinge hängen würde. Nur dies Alleinsitzen, das behagte Doval nicht mehr. Einmal war er auf einen Baum gestiegen, aber in der Dunkelheit hatte er auch von hier oben nicht viel mehr Übersicht. Als er diesen Platz wieder ver114
ließ, trat er auf eine Waldschlange. Entsetzt fuhr Doval zur Seite, als das Tier mit einem Zischlaut die Flucht ergriff. Wie konnte ihn so etwas Harmloses überhaupt noch aufregen? Es kam nur durch die Gefahr, ständig von diesem verdammten Billy Jenkins verfolgt zu sein. Doval hörte den schnellen Hufschlag eines Pferdes näher kommen – das konnte nur O’Hara sein, denn ein anderer würde sich nicht mit so viel Geräusch dieser Oase genähert haben. Trotzdem legte er sich zur Vorsicht hinter einen Baum. Dann tauchte auch schon die Silhouette eines Reiters auf, der dicht vor ihm vom Pferde stieg. „Hallo Doval …! It’s me!“ „Okay“, kam es erleichtert über Dovals Lippen, der sich nun erhob. „War aber eine verdammt lange Zeit.“ „Yes, es ging nicht schneller … bin verfolgt worden und mußte einen mächtigen Bogen schlagen.“ „Auch das noch.“ Das fehlte Doval gerade noch. Sie ließen sich auf dem Waldboden nieder. O’Hara holte eine Karte hervor. „Erzähl doch erst mal, wie es abgelaufen ist?“ O’Hara blickte zu Doval hinüber. Mit seinen kleinen Schweinsaugen betrachtete er seinen Kumpan. „Schlecht. Ein Viehhändler war da. Hatte nur ein kleines Bündel Geld gebracht.“ Damit holte er die Scheine aus der Brusttasche hervor. Damned! – – Auch das noch. Doval hatte schon fest mit einem großen Betrag gerechnet, der sie vorerst aller Sorgen enthob und nun würde dieses Geld nur für wenige Tage reichen. Für einen anderen wäre 115
allerdings diese Summe ein Vermögen gewesen, aber das Leben dieser Banditen war teuer. Es war ja nicht nur, daß sie das Bett in einem Hotel damit bezahlten; das meiste ging im Spiel verloren. Nun betrachteten sie gemeinsam die Karte. „Wir müssen schnellstens weiter“, sagte O’Hara. „In zwei bis drei Stunden können die Verfolger schon hier sein.“ „Hast du was von Billy Jenkins gehört?“ „Nichts.“ Die Karte zeigte grob die Umgebung. Hier war das fruchtbare Tal, in dem sie sich im Augenblick befanden. Etwas weiter hinauf begann eine Steppe mit einem anschließenden Felsgebiet, das sich bis zum Colorado hinzog. „Hier müssen wir hin.“ „Verdammt“, murmelte Doval. „Dort können ja nur Kakteen leben, aber doch keine Menschen.“ „Nützt nichts, wir müssen sie abschütteln.“ Doval nickte. „Wohin soll’s denn dann gehen?“ O’Hara zeigte mit dem Finger auf die Karte. „Sieh hier … dort befindet sich eine Mulde. Es ist eine Schlucht. Hier müssen wir entlangreiten, bis wir wieder die Steppe erreicht haben, und dann reiten wir nach Momente, ist ein früheres mexikanisches Town; viel Mischblut. Dort in der Nähe wohnt Scall, bei dem können wir gut unterkommen.“ „Und wann wollen wir weiterreiten?“ „Sofort!“ „Well, mir soll’s recht sein“, murmelte Doval ergeben. Nur fort aus dieser verdammten Ecke. 116
Auch O’Hara hatte es jetzt eilig, aus diesem Bezirk herauszukommen, der sich bis zum Colorado hinüber zog. Es war zu dumm, daß dieser verdammte Birdes noch seinen Namen schreien mußte. Das war ihm mächtig peinlich. Jetzt wußte man ganz genau, wer der Täter war. Er hätte die drei Viehhändler töten können. Aber was dann? … Vielleicht wäre er dann gar nicht mehr aus dem Fenster gekommen, denn die Cowboys waren verdammt schnell zur Stelle. Eines wußte jedenfalls O’Hara genau, in Moniente gab es keine Kabelverbindung. Dort lebte es sich wie vor hundert Jahren. Außerdem war damit zu rechnen, daß man ihre Spuren völlig verlor. Wenn er auch die Sache Doval gegenüber etwas aufgebauscht hatte, so hatte er doch selbst auch das Bedürfnis, endlich wieder einmal ruhig schlafen zu können. Auch er wußte nur zu gut, wie Billy Jenkins hinter ihm her war, besonders jetzt, wenn er erst von dieser Tat erfahren würde – denn Birdes war einer jener verdienstvollen Männer gewesen, die das Tal erst so tatkräftig ausgenutzt hatten, und der mit dazu beitrug, Arizona zu dem zu machen, was es heute war. Dann saßen sie schon wieder auf ihren Pferden und ritten in den kommenden Morgen hinein. Als der Tag graute, hatten sie die erste Steppe hinter sich und erreichten bald das Felsgebiet. Dann trabten sie Stunde um Stunde durch dieses zermürbende Land. Alle paar Stunden machten sie Halt und tränkten die Pferde. Die Sonne stieg hoher und höher, sie brannte unbarmherzig Mensch und Tier auf den Rücken. Hier gab es nichts, was sich in dieser Hitze hätte hal117
ten können. Die Gäule hatten ihre Köpfe tief gesenkt und gingen nur noch im Schritt. Die Reiter ließen sie so laufen; es hätte keinen Zweck gehabt, sie jetzt noch weiter anzutreiben, dann würden sie sich in wenigen Minuten restlos verausgabt haben. Und dann …? Da brauchten sie nicht mehr rechnen. Dann war es eben vorbei; auch für sie. Hier war ein Pferd noch mehr wert als in der Steppe. Um die Mittagszeit mußten sie notgedrungen mit dem Ritt innehalten. Die Tiere waren am Ende ihrer Kraft. Keuchend und aufatmend warfen sie sich zu Boden; rasselnd gingen ihre Lungen. O’Hara nahm das Schweißtuch ab und massierte sein Pferd. Langsam, unendlich langsam kam wieder normales Leben in die Tiere. Dann gab er ihnen behutsam das letzte Wasser zu trinken. Es war nicht mehr viel, aber es frischte die Lebensgeister wieder etwas auf. Sie selbst tranken auch. Dann drehte O’Hara den Ziegensack um. „Ist alle.“ Er konnte kaum noch sprechen. So hatten die wenigen Stunden die Banditen ausgedörrt. Damned! … Beide wußten, in welch großer Gefahr sie jetzt schwebten. Aber keiner sprach davon. Nur nicht darüber nachdenken. Das würde noch fehlen, nach all diesen Kämpfen jetzt elendig hier zu verdursten. O’Hara warf einen Blick zur Sonne, die wie eine gelbe Mattscheibe über ihnen stand, so daß die Luft nur noch ein Flimmern war. Ein paar Aasgeier kamen angeflogen und ließen sich in ihrer Nähe nieder. Aber O’Hara achtete nicht darauf. Jetzt trieben die Banditen ihre Pferde wieder 118
hoch. In geringer Entfernung befand sich ein mächtiger Felsen, der etwas überhing, dort gab es zumindest etwas Schatten, und den mußten sie ausnutzen. Die Pferde fielen nach der kurzen Strecke sofort wieder hin. Aber hier war es schon besser auszuhalten und sie würden so leicht keinen Sonnenstich bekommen. Erschöpft lehnten sich die beiden Banditen an das kühlende Gestein. Wie konnte Hitze so mörderisch sein? Der Hals war ihnen wie vertrocknet, manchmal warfen sie einen Blick zur Sonne. Die Zeit wollte und wollte nicht weitergehen. Billy Jenkins war vergessen und auch Jesse Owen; sie rückten in eine unendliche Ferne. Was waren jene Männer schon gegen diese Hitze, gegen den Durst und gegen dieses unheimliche Gefühl, daß sie fast zum Irrsinn trieb. Um drei Uhr nachmittags hielt Doval es nicht mehr aus. „Ich werde wahnsinnig. Es ist mir jetzt alles ganz egal.“ Bei diesen Worten klatschte er sein Pferd, das nur widerwillig aufsprang. O’Hara folgte ihm. „Weiter, nur weiter – – bist du auch sicher, daß deine Karte stimmt?“ „Yes, sie stimmt. – Ich bin hier früher schon einmal entlang geritten. Es gibt noch einen anderen Weg, um nach Momente zu kommen, aber der wäre für uns viel zu weit gewesen.“ Doval erwiderte gar nichts mehr. Das Sprechen fiel ihm zu schwer. Langsam schleppten sich die Pferde dahin. In unendlich weiter Entfernung schien etwas Grünes zu sein. Die beiden Reiter fühlten 119
manchmal, wie sie von einem Schwindel ergriffen wurden. Besonders Doval mußte sich Immer wieder zusammenreißen, um nicht vom Pferde zu fallen. Dann senkte sich die Dunkelheit übers Land und mit ihr wurde es immer kühler. Es war wohl eine Erfrischung, aber der Durst blieb. Die Pferde wurden munterer, sie gingen sogar schon in einen leichten Trab über. Doval und O’Hara wußten nicht, wie lange sie so geritten waren. Wieder waren Stunden vergangen. Dann standen sie plötzlich vor einem Farmhause. Die Pferde drängten mit aller Macht zu dem Stall, denn dort befand sich eine Quelle. Jetzt standen sie dort und tranken, als wollten sie nie wieder aufhören. Die beiden Reiter glitten aus den Sätteln, dann gesellten sie sich zu den Tieren und tranken auch. Erschöpft ließen sie sich am Rande nieder. „Das war noch einmal dicht am Tode vorbei“, lachte O’Hara, indem er sein Gesicht mit einer Handvoll „Wasser erfrischte. „Jetzt haben wir es auch bald geschafft.“ Sie waren nur noch einige Meilen von Moniente entfernt, wo Scall wohnte. Zu ihrem Erstaunen bekamen sie auf dieser Farm niemand zu sehen. Es war ihnen ganz recht so. Vielleicht war man hier schon schlafen gegangen. Alles machte einen öden und toten Eindruck. So ritten sie weiter. Aber jetzt ließen sie sich Zeit. Nach einer knappen Stunde kam die Farm von Scall in Sicht. Wenn man sich jetzt unterhalten wollte, mußte man schon lauter sprechen, denn der Colorado 120
war nicht mehr weit von Ihnen entfernt, sein donnerndes Getöse erfüllte ständig die Luft. Jetzt sahen sie wieder grüne Bäume, Gras, ein Farmhaus. Dort gab es Betten und einen sicheren Unterschlupf. Was konnte man sich besseres wünschen auf dieser Welt! Jetzt verschwanden sogar Dovals Sorgen, der sonst immer mißtrauisch war. Nun fühlte er sich auch nicht mehr so einsam, denn O’Hara mit seinem dicken, eckigen Kopf war bei ihm. Jetzt konnte nichts mehr passieren, und hier würde sie selbst der Teufel nicht finden. Alles was Scall machte, mußte sich in einer Rechenaufgabe auflösen. Wenn er ein paar Banditen aufnahm, auf deren Köpfe eine Belohnung ausgesetzt war, und wie man hier so schön sagte: wanted for murder! (gesucht wegen Mord), so war es klar, daß solche Leute besonders bezahlen mußten – und da machten die beiden auch gar keine Ausnahme. Denn Scall konnte nicht davon leben, daß sie alle paar Jahre einmal zu ihm kamen und dann wenige Tage bei ihm verbrachten; dafür war das Risiko viel zu groß. So hatte Scall für jeden seine Sätze. Handelte es sich um einen kleinen „Crook“*, so nahm er nur einige Dollars. Aber bei diesen in fast allen Bezirken gesuchten Banditen, auf deren Köpfe dicke Prämien standen, konnte man schon etwas verlangen. Scall stand sich gut mit dem Sheriff, aber das war auch alles. Wenn man ihm aber ein solches Delikt nachwies, dann war es mit dem guten Einverständnis *
Crook = Schwindler 121
natürlich sofort vorbei und man würde ihn eines morgens aufhängen. Scall ging immer auf Sicherheit. Er hatte für diese Zwecke ein kleines Bungalow gebaut, das nur eine halbe Meile von seiner Farm entfernt, inmitten eines kleinen Waldes stand. Hier war es nicht besonders schön, denn das Innere des Bungalows bestand nur aus einem einzigen Raum und einem kleinen Pferdestall, in dem man vier Tiere unterbringen konnte. Die Bettstellen bestanden aus einfachen Brettern mit einigen Strohsäcken. Aber für einen Banditen war dies schon ein fantastisches Lager, zumindest wenn er hier das Gefühl der Sicherheit hatte. Und Scall konnte immer die Ausrede benutzen, daß er nichts von der Anwesenheit der Banditen wußte, weil er schon seit Tagen seinen Bungalow nicht mehr betreten hatte. Doval und O’Hara waren froh, als sie dieses kleine Holzhaus sahen. Jetzt konnten sie erst einmal ausschlafen, was dringend notwendig war. Dieser Bungalow bedeutete für sie ein kleines Paradies. Nachdem sie die Tür gut abgesperrt hatten, um vor Überraschungen sicher zu sein, hatten die Banditen sich hingelegt und waren in einen todesähnlichen Schlaf gefallen. So blieben sie vierundzwanzig Stunden liegen. Dann erst erwachten sie schweißgebadet. Die Luft war so stickig im Raum, daß Doval sich sofort erhob, um die Tür zu öffnen. Es war wieder Nacht und herrlich, jetzt hier draußen zu stehen. Er atmete den frischen Geruch des Grases ein. Doval hatte trotz der Strapazen zuerst nicht einschlafen können. Er wußte nicht, was daran Schuld war. Jedesmal, wenn 122
er seinen Kopf auf den alten Strohsack legte, begann es zu rauschen und zu brausen, bis er bemerkte, daß es der Colorado war, der dieses Geräusch verursachte. Überall war es zu hören, selbst wenn die Bäume für einen Augenblick mit dem Rauschen aussetzten, ertönte das starke Brausen des Flusses. Es war aber ein anderes Lied als das der Bäume, es war viel gewaltiger, viel stärker. Jetzt konnte Doval in der Ferne ein Licht erkennen. Dort mußte Scall wohnen, und noch eine Meile weiter hinauf war das Town. Es war ein armseliges Nest; zumindest war dies der äußere Eindruck. Aber Doval war im Augenblick mit anderen Problemen beschäftigt, die Flucht saß ihm noch zu sehr in den Gliedern. Wie konnten sie jetzt zu neuem Gelde kommen, ohne sich erneut in eine solche Gefahr begeben zu müssen? Drei Tage hielt es die Banditen in diesem Bungalow. Dann war die alte Unruhe wieder da, das ewig nagende Gefühl, daß sie einfach nicht zufrieden ließ. Dovals Wunsch war es, so schnell wie möglich wieder fort zu kommen, aber O’Hara hatte andere Pläne. Er wollte vorerst hier bleiben. Manchmal ritten sie ins Town und spielten. Aber Doval war vorsichtig geworden, er wollte nicht die letzten Dollars verlieren. Auch O’Hara legte darauf wenig Wert. Er hatte sich überhaupt in den letzten Tagen sehr verändert. Wieder war ein Abend hereingebrochen. O’Hara überholte sein Sattelzeug und Doval war mißmutig ins Town geritten. Dort traf er auch Scall, aber in Gegenwart anderer kannten sie sich nicht. Es sollte 123
niemand wissen, daß sie zusammengehörten. An einigen Tischen wurde gepokert. So dauerte es auch nicht lange, da hatte sich Doval schon wieder akklimatisiert und saß mit drei Mestizen zusammen und spielte ebenfalls. Aber trotz des Spielens war er immer mit anderen Dingen beschäftigt. Der Gedanke, daß er fort mußte, hatte ihn zu stark erfaßt. Von Tag zu Tag wurde das Geld weniger. Dann erhielt er eine gute Karte und für einen Augenblick war er mit den Gedanken ganz beim Spiel. Wenn er doch mal viel gewinnen würde, dann … Tatsächlich ging dieser Einsatz zu ihm. Er schob das Geld zu kleinen Häuflein zusammen und bestellte noch einen Drink. Er spürte, wie ihm der Alkohol gut tat. Ein Mexikaner stellte die Frage, ob er mitspielen könnte. Es war ein jüngerer Mann, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt. Er hatte ein ziemlich dunkles Gesicht mit stechenden Augen. Doval behagte es nicht, daß der Fremde an dem Spiel teilnahm; aber als der eine Börse mit einem Bündel Hundert-DollarNoten hervorholte, war er selbstverständlich sofort damit einverstanden. „Sit down!“ forderte er ihn auf. „Freuen uns immer, wenn wir einen neuen Partner haben.“ Jetzt hatte er wieder etwas Neues zu tun. Wie kam dieses Raubvogelgesicht in den Besitz einer solch großen Summe? Alles konnte möglich sein, aber nicht, daß er sie auf normalem Wege erworben hatte. Und dann schoß ihm eine neue Idee in den Kopf. Er mußte sehen, daß er mit diesem Mexikaner fort kam. 124
Dann wäre er aus sämtlichen Schwierigkeiten heraus. Das wäre noch ein gutes Geschäft. Doval trank noch ein Glas. Verdammt! Das Zeug schmeckte ihm heute ausnahmsweise gut. Und sofort war er wieder bei demselben Gedanken angelangt. Er würde dann in eine andere Gegend reiten können, etwas Neues beginnen – und den Start dazu trug der Mexikaner in der Tasche. Jetzt war es zehn Uhr abends. Wieder hatte Doval eine Runde gewonnen und er konnte eigentlich schon ganz zufrieden sein. Aber nun hatte er gar kein Auge mehr für das Geld, er dachte immer nur an den Mexikaner. „Noch einen Drink!“ brüllte er zur Bar, und das schlitzäugige Gesicht des Wirtes kam ihm mit einem schmierigen Lächeln entgegen und servierte. Doval warf ihm einen Dollar zu und rief großzügig: „Keep the change!“ In einem Zuge goß er das Getränk hinunter und es war ihm, als schoß es ihm dabei kraftvoll in die Arme und in den Körper. Seine Augen begannen zu rollen. Er fühlte sich heute abend verdammt stark. Hoffentlich kam dieser verrückte O’Hara jetzt nicht noch herein, mit dem er dann nur teilen mußte. Diesen fetten Bissen wollte er allein verdauen. Was wußte er, was O’Hara bei dem letzten „Hit“ mitgenommen hatte? Die tausend Dollar konnten nicht alles gewesen sein. Aber Schwamm darüber. Jetzt war er an der Reihe und das war sein Geld allein. Er würde nach Moniente sowieso nicht mehr zurückkommen. Er hatte genug von diesen gelben Gesichtern. Da kannte er schönere Gegenden, wenn nur das Geld dafür da war. 125
Zu dieser späten Stunde wurde nur noch an zwei Tischen gespielt. Aufmerksam musterte er die Bar. Die Holztische waren nun leer. Der Wirt war dabei, die letzten Gläser abzuräumen. Durch die halbgeöffnete Tür zogen die Rauchschwaden ins Freie, und von dort konnte man das Rauschen des Flusses hören, das überall gegenwärtig war. Dieses ewige Rauschen ging ihm auf die Nerven und er verstand nicht, wie die Menschen überhaupt in einer solchen Gegend wohnen konnten. Man brauchte nur ein paar Kilometer, um in grüne, waldige Berge zu kommen. Und hier? … Hundert Meter hinter dem Town gab es fast nur Sand, manchmal nur ein ganz kleines Wäldchen, das sich kümmerlich nährte. Aber nichts von der gewaltigen Pracht, die sonst das Land erfüllte. Wieder hatte Doval einen größeren Einsatz gewonnen. Damned! Das war ja ein wahrer Segen für ihn. „You are lucky“, sagte der Mexikaner. „Yes“, grinste Doval, „aber ich habe nicht mehr viel Lust zu spielen. Sitze schon zu lange am Tisch.“ Gemächlich strich er das Geld ein und häufte es. Zu einer anderen Zeit wäre dies ein Vermögen gewesen, aber für seine Pläne reichte es immer noch nicht aus. Doval hatte das bestimmte Gefühl, daß ihm an diesem Tage alles gelang. Gut, daß er nicht mehr bei Jesse Owen war. Wo dieses Gespenst jetzt wohl steckte? Sicherlich trieb er sich irgendwo in Arizona herum und suchte sie. Hier würde er sowieso nicht herkommen. 126
Doval bestellte noch einen Drink. Dann legte er die Karten weg und erklärte, daß er nun aufhören wolle. Ein Reiter näherte sich der Bar und hielt vor der Tür. Jetzt fehlte nur noch, daß O’Hara in die Bar kam. Doval konnte von seinem Platz aus zur Tür schauen. Dort sah er durch das Türfenster einen Mann die Treppen heraufkommen und an den Beinen erkannte er, daß es nicht O’Hara war. Dann flog auch schon die Tür auf. Doval erstarrte. Total verdreckt vom Staub der Steppe, den Sombrero etwas zurückgeschoben, tauchte Billy Jenkins im Rahmen auf. Er stand noch nicht dort, als er Doval bereits erspäht hatte. Der Bandit fühlte, wie sich die Blicke förmlich an ihm festsaugten. Es schien in diesem Augenblick für Billy Jenkins nichts anderes zu geben als diesen Doval, und alle anderen spürten dasselbe. Sofort hörten sie auf zu spielen und legten die Karten leise auf den Tisch zurück, als seien sie vergiftet. Dann nahm jeder sein Geld vom Tisch und ließ es in den Taschen verschwinden. Wo war Scall geblieben? Er stand doch eben noch an der Bar! Jetzt wußte es Doval. Er war nach hinten gegangen, er hatte ihm sogar noch zugeblinzelt. Was meinte er damit? Verdammt, wie war er plötzlich in eine so heikle Situation gekommen? Jetzt verschwand auch der schlitzäugige Wirt, von dem es hieß, daß er schon manchem Banditen geholfen hatte. Was hatte dieser Satan vor? Es war Doval 127
einfach unmöglich, diesem gelben Halunken zu trauen. „Abwarten!“ rief er sich selbst zu. „Well, Doval!“ ertönte es jetzt von der Tür. „Scheinst verdammt unruhig zu sein. – Where is your pal?“* „Wen meinst du?“ fragte Doval, sein ganzes Manöver ging jetzt auf Zeitgewinn. „Für so vergeßlich hätte ich dich nicht gehalten“, entgegnete Billy Jenkins. „Ich meine natürlich O’Hara.“ Langsam brachten sich die Spieler aus der Schußlinie und dann stand niemand mehr zwischen den beiden. „Ein glatter Strich zwischen uns“, dachte Doval. Es war ihm gar nicht sehr angenehm. Er wußte nur zu gut, was das Manöver bedeutete. Die Mexikaner hatten sich zum Teil in die Ecke gestellt und die Hände erhoben, damit kein Irrtum entstehen konnte. Jetzt fühlte sich Doval doch ziemlich allein. Er hatte schon zu viel von Billy Jenkins’ Schießkunst gehört, sonst hätte er schon längst gezogen. Er rechnete immer noch damit, daß etwas Neues eintreten könnte und er hatte sich nicht verkalkuliert. In dieser Sekunde ging das Licht aus. Doval reagierte in Sekundenschnelle darauf. Er stürzte den Tisch, der vor ihm stand, um und warf seinen schweren Körper dahinter. Bevor er aber Schutz fand, schoß eine Stichflamme auf ihn zu, die ihn an der Schulter erwischte. Mit einem Krach landete er hinter dem Tisch. Angeschossen …! Jetzt war in Doval die Wut erwacht. Vorsichtig blinzelte *
pal = Kamerad, Genosse 128
er um die Ecke, dann gab er mehrere Schüsse auf Billy Jenkins ab. Aber im Aufblitzen der Schüsse sah er, daß Billy Jenkins nicht mehr da war. Verdammt! Wie kam er nun hier weg? Den Schuß in der Schulter würde er schon überstehen; aber wie kam er nur hier heraus. Irgendwo galoppierte ein Pferd. Mit beiden Colts in der Hand erhob sich Doval vorsichtig. Dann schritt er langsam rückwärts nach dem hinteren Ausgang. „Scall!“ rief er leise. Aber niemand antwortete. Dann stand er in der Küche. Plötzlich erschrak er, er wäre beinahe über einen Topf gefallen. Vorsichtig tastete er sich weiter. Dann hatte er endlich die Tür gefunden. Doval war mit einem Schlage nüchtern geworden. Seine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit. Jetzt mußte er nur noch sein Pferd erreichen. Sobald er die Tür öffnete, spürte er die frische Luft. Er sog sie tief ein, und mit der frischen Luft überfiel ihn ein starker Drang zum Leben. Verdammt! Es durfte noch nicht zu Ende sein … es durfte nicht! Er mußte fort kommen, selbst wenn es ohne einen einzigen Cent wäre. Er würde nie wieder ein Verbrechen begehen, schwor er sich selbst in dieser Sekunde zu. Er wollte von jetzt ab arbeiten, und wenn es wie ein Tier sein mußte. Aber Doval wußte in seinem Unterbewußtsein schon, daß alles, was er jetzt aussinnierte, reiner Blödsinn war, und daß er es doch niemals durchführen würde. Da stand sein Pferd. Mit einem Sprung war er oben. In diesem Augenblick fühlte er einen furchtba129
ren Schlag gegen den Kopf. Er stürzte herunter, stand aber gleich wieder auf und zog erneut seinen Colt. Wieder sah Doval eine Stichflamme auf sich zukommen, sie beendete sein Leben. Mit einem Kopfschuß blieb er neben dem Pferde liegen. — — Als Scall Billy Jenkins eintreten sah, glaubte er zuerst, sein Herz würde stehen bleiben. Der Pulsschlag setzte einfach aus. Er holte tief Luft und es war nur gut, daß neben ihm ein Glas mit Gin stand, daß er in einem Zuge herunter goß. Dann ging er mit steifen, wie angeleimten Beinen hinten aus der Tür, und er wunderte sich, daß Billy Jenkins ihn nicht anrief. Dann schritt er automatisch zum Lichtschalter. Er war sich überhaupt gar nicht darüber im klaren, was er tat. Er riß den Hebel herunter, ging aus der Küche hinaus, bestieg sein Pferd und jagte nach dem Bungalow. Wenn Billy Jenkins O’Hara hier fand, war auch Scall erledigt. Was sollte er jetzt noch das Ende des Gefechtes abwarten? Das Ergebnis konnte er sich an den Fingern ausrechnen. Aber vielleicht half es Doval, daß sie plötzlich im Dunkeln waren. Scall hatte die Schüsse wohl gehört, demnach schien Doval nach dem ersten Schuß noch zu leben. Da kam der Bungalow auch schon in Sicht. Im vollen Galopp sprang er vom Pferde herunter, riß die Tür auf und eigenartig … bisher hatte er alles in furchtbarer Eile gemacht; aber jetzt, als er in der Tür stand, kam auf einmal eine unnatürliche Ruhe über ihn. Er lehnte sich gemütlich an den Pfosten und betrachtete O’Hara, der im Bett gelegen hatte, und nun 130
dort saß und darauf wartete, was Scall ihm wohl sagen würde. „Du hast mich erschrocken“, sagte O’Hara. „Well …“, meinte Scall, „wollte dir nur ‘sagen, daß Doval voraussichtlich schon tot ist.“ „Doval tot? … Wie kommst du darauf?“ „Hast du die Schüsse nicht gehört?“ „Rede nicht in Stichworten … Ich höre hier nur den Fluß rauschen. – – What’s the matter?“ „Billy Jenkins ist da. Er ist ganz plötzlich in der Bar aufgetaucht.“ „Und …?“ „Ich hab es vorgezogen, hinter der Tür zu verschwinden. Dann hab ich das Licht ausgemacht und bin hierher geritten.“ O’Hara war mit einem Satz aus dem Bett. „Verflucht …! Daß das jetzt auch gerade kommen muß. Meinst du, daß er den Weg hierher findet?“ „Ich traue dem alles zu. – Außerdem mußt du aus dem Bungalow ‘raus, denn sonst bin ich auch erledigt.“ „Ach … deshalb bist du so schnell gekommen!“ höhnte O’Hara. „Wie ist es denn ausgelaufen?“ „Keine Ahnung – – ich weiß nur, daß der Teufel ein mächtiges Konzert gegeben hat.“ O’Hara hatte sich inzwischen fertig angezogen. Dann riß er das Pferd aus dem Stall und schwang sich in den Sattel. Er überlegte eine Weile. „Verdammt!“ knirschte er zwischen den Zähnen. „Am liebsten würde ich hier bleiben.“ „Das kannst du ja machen“, meinte Scall, „dann 131
kannst du Doval gleich beerdigen. Für alles andere ist es zu spät.“ „Vielleicht war Doval aber doch schneller“, entgegnete O’Hara. Scall lachte. „Doval schneller?“ wiederholte er. „Kannst du dir so etwas vorstellen?“ Diese Worte gaben den Ausschlag. Aber O’Hara stieg noch einmal vom Pferde. Er brauchte Wasser. Er füllte den Ziegensack auf und legte ihn vorsichtig auf das Tier. Verflucht! Er hatte geschworen, nie wieder diesen Weg zurückzureiten, der ihn durch die Hölle führte und jetzt mußte er ihn nach wenigen Tagen schon wieder antreten. Das Grauen vor diesen bevorstehenden Strapazen war fast ebenso stark wie die Angst vor Gefahren, die ihm von Billy Jenkins drohten. Aber O’Hara wählte die Flucht. Es war eine Chance, zu entkommen. Und wenn er vielleicht ebenso schnell wie Billy Jenkins war, so zog er es doch vor, noch einmal den Ritt durch die Hölle zu wagen. Er hatte ein unangenehmes Gefühl im Genick, es war wie eine Faust, die ihn gepackt hatte. Er mußte fort. Dann galoppierte auch schon sein Pferd durch den Sand. Es hatte keinen Zweck zu jagen, er mußte mit den Kräften des Pferdes haushalten; nur so konnte er seinem Verfolger entkommen. Zurück, in die Gegend, die die Gefahr in sich trug, daß dort Jesse Owen auf ihn lauerte. Auch er hatte einen verdammt langen Arm und schoß wie der Blitz. Erst nach einem mehrstündigen Ritt wurde O’Hara wieder ruhiger. Vielleicht war es doch alles richtig gekommen. Er wollte Doval ja schon längst 132
los werden. Jetzt hatte er das Geld für sich allein, irgendwo würde er schon unterschlüpfen. Und Billy Jenkins …? Der sah verdreckt und verschwitzt aus. Demnach hatte er sein Pferd abgeritten und würde ihn nicht so leicht verfolgen. Inzwischen ritt Scall wieder seinem Hause zu. Jetzt hatte er keine besondere Eile. Gott sei Dank! Es war genau so, wie er es sich vorgestellt hatte: Doval war tot. Nun erst ritt Scall zu seiner Farm. Erschrocken hielt er aber schon vorher inne. In seinen Zimmern brannte Licht. Auf der Treppe stand der Sheriff. Scall wollte zuerst gar nicht vom Pferde herunter steigen. Verdammt …! Konnte ihm der Sheriff irgend etwas nachweisen? Er überlegte fieberhaft. Hatte jemand beobachtet, daß die beiden Banditen in seinem Bungalow wohnten? – Wo war Billy Jenkins jetzt? Das waren die Fragen, die Scall bewegten. Aber sie sollten schnell ihre Auflösung finden. „Komm erst einmal vom Pferd herunter“, sagte der Sheriff. Übermäßig langsam bewegte sich Scall. Dann drehte er sich gemächlich zu dem Sheriff um. „Was macht ihr denn in meinem Hause?“ „Well Scall … versuche keine Tricks“, erwiderte der Sheriff. „Dafür ist es jetzt zu spät.“ Scall entdeckte nun, daß auch einige Cowboys mitgekommen waren, die ihn überaus ernst betrachteten, und von denen jeder entschlossen war, ihn mit einigen Schüssen zu durchlöchern. Die Situation hatte sich also stark zugespitzt. Noch wußte Scall nicht, 133
welche Beweise sie hatten. Aber er war noch nicht in den Raum eingetreten, als er Billy Jenkins entdeckte. Er stand da in der Ecke, als ob er nicht bis drei zählen könnte, nur seine Augen beobachteten ihn sehr aufmerksam. Nun kam ihm Billy Jenkins entgegen. Er ging zu Scalls Pferd. „Wo kommst du jetzt her?“ fragte Billy Jenkins. „Ich war in der Bar“, sagte Scall entrüstet. „Schätze, daß es doch wohl mein Recht ist, die Flucht zu ergreifen, wenn dort eine Knallerei stattfindet.“ „Und wo warst du anschließend?“ „Nirgends!“ „So …!“ entgegnete Billy Jenkins gedehnt. „Auch nicht bei dem Bungalow?“ Scall fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß. „Ich wüßte nicht, warum ich nicht dorthin reiten dürfte.“ Jetzt wandte sich Billy Jenkins an den Sheriff. „Schätze, ihr nehmt ihn erst mal mit und zwar wegen Beihilfe. Er hat dem Mörder zur Flucht verhelfen.“ „Das ist nicht wahr!“ schrie Scall erregt, der nur zu genau wußte, welche Strafe darauf stand. „Shut up!“ brüllte ihn einer der Cowboys an. Man packte ihn, setzte ihn auf sein Pferd und dann ging es im Höllentempo Moniente entgegen. Erst im Gefängnis kam Scall wieder richtig zu sich. Inzwischen war Billy Jenkins auch schon bei dem Bungalow gewesen und an den Spuren stellte er fest, daß O’Hara hier gewesen war. Aber nun war es zu spät. Er fühlte sich jetzt müde und legte sich in dasselbe Bett, in dem der Bandit geschlafen hatte. Er hatte sich 134
eben erst zur Ruhe gelegt, als er bemerkte, daß ein Mestize aus dem Stall kam. „Was machst du denn hier?“ „Well …“, entgegnete dieser. „Ich bin doch für Scall beschäftigt.“ „Mach daß du ‘rauskommst und laß dich hier nicht mehr blicken!“ Billy Jenkins hatte Blessy in den Stall gestellt. Aber das Tier fraß nicht. Argwöhnisch betrachtete Billy Jenkins das Pferd. Blessy hatte einen schweren Tag hinter sich, aber daß sie schon so weit herunter sein sollte, konnte er sich eigentlich nicht vorstellen, denn sonst war sie doch leistungsfähiger. Aber Blessy wollte nicht fressen, sie trank nur von dem Wasser, das in einem Eimer vor ihr stand. Auch am nächsten Morgen, als Billy Jenkins aufstand, hatte sie noch nichts zu sich genommen. „Verflucht!“ murmelte Billy Jenkins. Eine dumpfe Ahnung erfüllte ihn. Er nahm einige Hände von dem Futter, mischte es mit etwas Wasser auf und nach wenigen Minuten wurde es steinhart. Irgend jemand hatte Gips unter den Hafer gemischt, hätte Blessy davon gefressen, wäre sie eingegangen. „Verdammter Mestize!“ murmelte Billy Jenkins. Er klatschte Blessy auf den Hals. „Das ist noch mal gut gegangen. Warte nur, das geht alles mit auf die Rechnung. Aber heute gibt es einen schweren Ritt.“ Billy blickte in die Ferne. Dort begann jene grausame Steppe, jenes Wüstengebiet, in dem nur Kakteen und Schlangen lebten. Er wurde bei diesen Ge135
danken ganz still. In seinen Ohren summte der Colorado. — — *
* *
Der „Golden Hill“-Distrikt war einer der größten von Arizona. Trotzdem kannten sich fast alle Farmer. Wenn sie sich auch sehr selten zu sehen bekamen, so hörte man doch dies oder jenes von dem einen oder anderen. Und wenn sie sich dann zufällig doch einmal begegneten, sei es auf einem Tanzboden oder auf einem Markt, dann hieß es: „Well, schon viel von euch gehört!“ Es waren immer dieselben wetterharten Gestalten. Zwischen Kingston, Ellistown und den Sümpfen von Pontiac wohnte der Farmer Brandt. Er war einer jener, der mit dem Betrieb nie zurecht gekommen war. Nun hatte er sein ganzes Anwesen zum Verkauf angeboten und es schien, daß Brandt Glück hatte. Schon nach einigen Tagen kam ein Hüne von Gestalt auf einem mächtigen Pferd angeritten und betrachtete die verlotterte Wirtschaft. Die beiden wurden schnell handelseinig und Brandt war froh, die Farm losgeworden zu sein. Er hatte dem neuen Mann, O’Brien, nicht erzählt, daß seine Hauptquelle praktisch versiegt war. Erst als er das Geld in der Tasche hatte, sprach er mit O’Brien darüber: „Ihr müßt da mal nachgraben. Vielleicht hilft das.“ „Was ist denn da los?“ meinte O’Brien stutzig, 136
indem er seinen Bart strich und durch seine dunklen Brillengläser Brandt betrachtete. „Was soll schon los sein! – Wie eine alte Kuh, die keine Milch mehr geben will. Vielleicht hilft ‘ne kleine Sprengung. Ich wollte ja schon lange verkaufen und habe mich aus dem Grunde nicht mehr darum gekümmert.“ Dann war O’Brien der neue Besitzer geworden. Es war ein seltsamer Mann. Aber ihm war nichts nachzuweisen. Man sagte, er sei ein Mormone*. Er hatte die Cowboys mit übernommen. Das wenige Vieh wurde sorgfältig gepflegt, und O’Brien hatte sich in seiner neuen Welt schnell eingelebt. Häufig sah man ihn des morgens einen kleinen Ritt machen, aber er kehrte stets schnell wieder zurück. O’Brien hatte einen chinesischen Koch eingestellt, den er wohl schon lange kannte, denn die beiden waren sehr vertraut miteinander. Alle paar Tage trafen ein paar Kühe ein und sie kamen aus den verschiedensten Himmelsrichtungen. Niemand wußte, was O’Brien damit bezweckte. Er selbst lächelte nur still darüber und äußerte sich selten. — — Dann trat der erste Wandel auf der Farm ein. Es war ungefähr ein Monat vergangen, als zwei Cowboys auf der Farm erschienen. Sie wurden von O’Brien eingestellt, dafür wurden zwei von dem alten Stamm entlassen. Nun standen sie da und blickten erbost auf die *
Mormone = Anhänger einer amerikanischen Sekte
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neuen Leute. „Das hätte man uns aber auch vorher mitteilen können“, sagte einer zu O’Brien. „Keep quite“, sagte O’Brien kurz. „Sieh zu, daß du weiter kommst. Schätze, daß ich euch doch ausbezahlt habe und damit meine Pflicht erfüllte.“ Dabei sah O’Brien sie durch die dunklen Brillengläser an; man konnte aus seiner Miene nicht schlau werden. Die Cowboys zogen es vor, ihre Pferde zu besteigen und fortzureiten. Dasselbe wiederholte sich einige Wochen später. Nun besaß O’Brien nur noch seine eigenen Leute. Es war ein komisches Volk, das nicht allzu viel vom Vieh verstand. Aber jetzt war auch niemand da, der dieses weiter kontrollierte. Und letzten Endes konnte O’Brien mit seinem Gelde machen, was er wollte. Jetzt sollten noch zwei Zuchtbullen eintreffen. O’Brien hatte sie aus Kanada kommen lassen. Sie waren schon unterwegs, und er wollte an diesem Abend zur Station hinüber reiten, um zu sehen, ob sie schon angekommen waren. Lester Blue befand sich um diese Zeit immer auf der Bahnstation und bediente gewöhnlich den Morseapparat. Es war seine alltägliche Beschäftigung. Er war gerade dabei, die einlaufenden Nachrichten abzulesen. Dabei saß er mit dem Rücken zur Tür gewandt. Vor ihm stand ein Messingschild. Als er einmal zufällig einen Blick in dieses Schild hineinwarf, stockte sein Herz. Eine mächtige Gestalt schob sich in die Tür, blieb dort regungslos stehen und blinzelte scharf zu ihm hinüber. Das konnte Lester Blue trotz der dicken 138
Brille, die der andere trug, erkennen. Eine Weile tat er, als wenn er nichts bemerkte. Erst dann drehte er sich herum. Vor ihm stand O’Brien. „Hallo Sheriff –! Sehe schon eine ganze Weile zu. Mochte Sie nicht stören.“ Damit reichte er ihm die mächtige Hand. Lester Blue fand kaum ein Wort der Entgegnung. „So … so …“, meinte er. „Netter Apparat“, fuhr O’Brien fort. „Wie arbeitet der eigentlich?“ „Ziemlich kompliziert“, entgegnete Lester Blue ausweichend. „Man muß schon einen Kursus durchmachen.“ „Hm … . verständlich! – Aber weswegen ich kam … ich habe zwei Bullen gekauft und hätte gern gewußt, ob Sie darüber schon Nachricht haben.“ „Yes“, entgegnete Lester Blue, „gerade eben kam der Bescheid, daß die Tiere morgen eintreffen; können dann hier auf der Station abgeholt werden.“ Immer noch betrachtete er entgeistert den mächtigen Kerl. Lester Blue fühlte sich in der Gegenwart dieses Mannes verdammt ungemütlich, und selbst das Lächeln von O’Brien konnte ihn nicht beschwichtigen. „Gut. – Dann komme ich morgen wieder“, entgegnete O’Brien und als er dem Sheriff wieder die Hand reichte und fest drückte, sagte er: „Möge Gott bei euch sein.“ Dabei blinzelte er ihn merkwürdig durch die dicken Brillengläser an. „It’s okay“, entgegnete Lester Blue hilflos. So etwas hatte er nicht erwartet. Dieser verfluchte Mor139
mone! Jetzt sah er, wie O’Brien langsam zu seinem Pferde ging. Verflucht noch mal! Was hatte der Kerl für einen Gang! Man konnte sagen, er schlich wie eine Katze und sein schwerer Körper bewegte sich doch so leicht wie eine Feder. Und sein Colt? – Es war ein mächtiges Instrument, das da an seiner Seite baumelte. Jetzt hing er zwar sehr hoch, aber Lester Blue hatte das bestimmte Gefühl, daß er nur etwas ziehen brauchte und die Waffe hing in der richtigen Lage. Er konnte es den krallenartigen Händen dieses Mannes ansehen, daß er ein erstklassiger Schütze war. Verdammt! Da hatten sie sich einen seltsamen Nachbarn eingehandelt. Lester Blue war sonst nicht so feinfühlend, aber das mußte ein Blinder spüren. Als O’Brien das Pferd bestieg, rutschte der Colt auch schon etwas tiefer. „Oho!“ sagte Lester Blue unwillkürlich zu sich selbst. Jetzt hatte er schon die richtige Lage und nun war Lester Blue auch schon fest davon überzeugt, daß ein unbedachtes Wort genügen würde, um diesen Colt entsetzlich schnell Blei durch die Gegend spucken zu lassen. Dann dachte er wieder, daß er diesen Mann doch schon einmal gesehen hatte. Irgend etwas war ihm an diesem Gang vertraut. Trotz der Brille konnte man die Augen funkeln sehen. Er nahm sich vor, auf der Hut zu sein. Nun ging Lester Blue wieder an den Apparat. Aber jetzt konnte er sich nicht mehr konzentrieren. O’Brien hatte ihn derart aus der Ruhe gebracht; daß die Buchstaben vor seinen Augen tanzten. „Danger!“ schrie es immer wieder in ihm und er wußte selbst nicht, warum. 140
Jetzt hielt er inne und sah über das Land. „Verfluchter Knecht!“ murmelte er. Es stimmte allerdings; er hatte sich zwei Zuchtbullen bestellt. Das konnte auch nur so ein Zugewanderter fertig bringen; denn hier gab es die besten Bullen. Aber demnach schien doch wieder alles seine Richtigkeit zu haben. Lester Blue fühlte sich durch diesen Gedanken wieder etwas entlastet. Man täuschte sich häufig in den Menschen, und es schien so, daß dieser O’Brien harmloser war, als er es erst angenommen hatte – ein Mensch, der von Gott eine mächtige Gestalt mitbekommen hatte und nicht wußte, wie man sie gebrauchen sollte. Wenn man in die Nähe der Pontiac Sümpfe kam, erreichte man schon vorher das flache Land. Das Gras wurde saftiger, hoher und dunkler. Manchmal wurde die Gleichmäßigkeit der Landschaft von einem Wald unterbrochen. Aber sonst bestand dieses Land eben nur aus einer Ebene, und dort oben wohnten die Squatter. Es war schwer, des Nachts hier den richtigen Weg zu finden, und es war verteufelt leicht, daß man vom Wege abkam und plötzlich in einem Sumpf endete, aus dem man nicht wieder herauskommen konnte. Dieses alles hatten die Squatter früher schon genauestens mit einkalkuliert und entsprechend ihre Häuser gebaut, die zum Teil von mehreren Seiten vom Sumpf umgeben waren. Nun schien der Mond matt über das Land. Schon seit Stunden ritt ein Reiter den Pontiac Sümpfen entgegen. Aber Pferd und Reiter schienen mit dem Gebiet vertraut zu sein, denn ohne Unterbrechung ritten 141
sie der Brixton-Farm zu. Um Mitternacht kamen sie dort an. Der Reiter ließ den Ruf eines Käuzchens erschallen. Dann blieb er still auf dem Pferde sitzen und starrte nach einem Fenster. Und gleich darauf ging auch das Licht an. Das Fenster wurde geöffnet und ein Mädchenkopf schaute heraus. „Hallo Bill!“ „Yes. – It’s me.“ Behutsam wurde das Fenster wieder geschlossen. Gleich darauf erschien Ellen vor dem Haus. „Wo kommst du jetzt her?“ Billy lächelte. „Von den Bergen“, sagte er ausweichend und um sein verstaubtes Gesicht legte sich ein leichtes Lächeln. Ellen blickte in das verschmutzte Gesicht, aus dem die Augen wie zwei helle Feuer leuchteten. „Bin aber froh, daß du da bist. Du bist sehr lange fort gewesen. – Hast du irgend etwas erreicht?“ Billy Jenkins Kopf wiegte hin und her. „Man soll nichts überstürzen“, meinte er. „Doval ist tot.“ Diese Worte gingen Ellen durch und durch. Sie kannte Doval gut. Er war eine Zeitlang auch auf ihrer Farm gewesen. Sie war damals noch klein und sie hatte oft mit ihm gespielt. Erst später war Doval zu einem rücksichtslosen Banditen geworden, und darum empfand sie den Schmerz umso tiefer. Jetzt war er tot. Billy Jenkins hatte diese Mitteilung ausgesprochen wie etwas Alltägliches; er war eben tot und das mußte so sein. „Aber es ist unwichtig“, meinte Billy Jenkins dann. „Erzähle mir lieber, wie es euch hier ergangen ist.“ 142
Ellen wollte schon beginnen, als Billy Jenkins sie am Arme faßte und sie anstarrte, daß sie förmlich erschrak. „Sprich erst von Jesse Owen.“ Sie spürte den eisernen Griff seiner Hand, der sich nun lockerte. „Billy, du hast mich furchtbar erschrocken.“ „Entschuldige. – So war es nicht gemeint. Aber verstehe recht, es interessiert mich am meisten.“ „Ich habe es dir doch damals geschrieben. – Er hat Großvater erschossen.“ „Am Spätnachmittage erschien er.“ „Warst du dabei?“ „Yes. – Ich sah ihn auf seinem Pferd heranbrausen, dachte natürlich nichts Arges. Er mußte gewußt haben, daß an dem Tage gerade viel Geld bei uns war und er wußte auch genau, wo es lag. Er schoß ihn ab, ergriff das Geld und war schon wenige Minuten später wieder verschwunden.“ „Wie sah er aus?“ Ellen schilderte ihn, so gut sie es konnte. „War der Mann aufgeregt?“ „Yes, sogar sehr.“ Billy Jenkins nickte. „So“, meinte er bedächtig. „Und nun erzähle, was sich sonst noch zugetragen hat.“ Ellen begann den Leidensweg zu schildern. Der Vater war tot und somit wurde das Farmwesen zwischen zwei Brüdern und ihr aufgeteilt. Die Brüder studierten und wollten nicht mehr zur Farm zurück. So mußte der größte Teil des Viehbestandes verkauft werden, um sie auszuzahlen. Jetzt war das Anwesen 143
kaum noch lebensfähig. Sie hatte die meisten Cowboys entlassen müssen; ein alter Weidereiter und ein Schwarzer, der schon über dreißig Jahre bei ihnen arbeitete, waren noch da. „Wo soll der Alte hin“, meinte sie, „ihn muß ich schon mit durchschleppen. Aber die anderen mußte ich entlassen. Zuerst war es entsetzlich, als die Viehaufkäufer erschienen und die Tiere abgetrieben wurden. Weil Jesse Owen damals in der Nähe war, hatte man alle Cowboys schwer bewaffnet. Sie mußten auch die Viehhändler zur Stadt zurückbringen. Und dann saß ich hier mit dem kläglichen Rest und versuchte, nun das Beste daraus zu machen. – Aber ich glaube, ich habe jetzt genug erzählt. Du wirst sicherlich hungrig sein.“ Sie gingen in die Küche, und während Ellen ein paar Eier mit Speck briet, stand Billy Jenkins neben ihr und beobachtete sie. Es war schon ein tüchtiges Mädel, das den Kopf nicht so leicht hangen ließ. Nach dem Essen gingen sie auf ihre Zimmer und legten sich zur Ruhe. Früh am nächsten Tage ging das Leben schon wieder weiter. „Wir haben einen neuen Nachbarn“, begrüßte Ellen Billy, „den mußt du unbedingt kennenlernen. Es ist ein fabelhafter Kerl, ein bißchen eigenartig, aber warum soll er es nicht sein. Schätze, wir reiten einmal zu ihm.“ „Okay, Ellen. Aber stell mich bitte nicht als Jenkins vor, nenne mich Smith.“ „Warum diese Geheimnistuerei?“ 144
„Vielleicht ist es unnötig; aber besser ist besser.“ „Gut“, entgegnete sie. — — Blessy machte trotz des vergangenen schweren Rittes einen vorzüglichen Eindruck. Dann ritten sie die wenigen Meilen zu dem neuen Farmer hinüber. Als sie dort eintrafen, war O’Brien gerade nicht anwesend. Sie betrachteten inzwischen den Betrieb. Auch die Cowboys waren fort, so daß niemand sie störte. Der Chinese kochte inzwischen Kaffee, den er dann im Wohnzimmer servierte. „Master kommen bald“, erklärte er ihnen, und es dauerte auch nicht lange, da hörten sie schon Hufgetrappel. O’Brien war den anderen, die mit dem Vieh folgten, vorausgeritten. Billy Jenkins stellte sich ans Fenster und sah ihn herankommen. An der ganzen Haltung erkannte er sofort, daß es sich um einen vorzüglichen Reiter handelte. In schwerer Gangart brauste das Pferd der Farm zu. O’Brien sprang im vollen Galopp aus dem Sattel und ließ das Pferd laufen, das nun von selbst in den Stall ging. Noch hatte er seine Gäste nicht gesehen. Da war auch schon der kleine Koch bei ihm und erzählte ihm von dem Besuch. O’Brien schritt die Treppen empor. „This is Mister Smith“, stellte Ellen Billy vor. O’Brien nahm seinen mächtigen Hut ab und legte ihn auf seine Kommode. „Nett, daß ich Sie kennenlerne. – Unterstützen Sie man das Mädchen, denn es wird auf der Farm viel Arbeit geben.“ „Es ist so“, entgegnete Billy Jenkins. 145
„Sie können auch mal meine beiden Bullen bekommen. Es wird Ihrer Herde gut tun.“ „Das ist wirklich großzügig von Ihnen“, meinte Ellen. „Und dann habe ich hier noch eine fabelhafte Lektüre.“ Dabei drückte er Billy Jenkins einige Hefte in die Hand. Als er sie aufschlug, stellte er fest, daß es sich dabei um Lehrbücher über Viehzucht handelte. Dazwischen hatte O’Brien noch einige Blätter mit heiligen Sprüchen gelegt. Nach einer kurzen Unterhaltung verabschiedeten sie sich und ritten wieder der Brixton-Farm zu. „Ist er nicht großzügig?“ fragte Ellen. „Yes“, entgegnete Billy Jenkins. „Wirklich eine großzügige Idee, dir die Bullen zur Verfügung zu stellen.“ Billy war ganz in Gedanken versunken. Er wußte selbst nicht, was mit ihm los war. Einmal fuhr er mit der Hand über sein Halstuch, als wenn es ihm zu eng würde. „Hast du irgend etwas?“ fragte Ellen. „No, no, es ist nichts“, entgegnete er wie geistesabwesend. „Ich dachte eben nur so.“ Dann kam auch schon die Farm in Sicht. An diesem Tage tat Billy Jenkins nicht viel. Kurz vor Einbruch des Abends saß er auf seinem Zimmer. Von hier aus konnte er über das Moor blicken – in dem Moor befand sich ein toter Wald, der seine kahlen Äste dem Himmel entgegen streckte. „O’Brien …“ murmelte er und noch einmal „O’Brien!“ Für Worrytown war eine Zeit angebrochen, die 146
tatsächlich voller Sorgen war. Nach dem Fortgang der großen Banditen trat schlagartig eine geradezu unheimliche Ruhe ein. Es war, als hätte man dem Felsennest den Atem fortgenommen. Schon eine Woche später merkte es der Barwirt an seinem Umsatz, und nach einem Monat verließen die ersten Einwohner ihre Häuser. Grane, der Wirt, bedauerte es nicht. Sollten sie gehen, sie konnten ja sowieso nichts, und hier gab es für sie keinen Pfennig zu verdienen. Die großen Tage von Worrytown waren wohl gezählt; sie waren vorbei, unwiderruflich vorbei. Jetzt stellten sie erst fest, daß sie alle von Jesse Owen und seinen Banditen gelebt hatten. Sollten die anderen sie verfluchen, Grane konnte es nicht. Wäre Jesse Owen noch ein Jahr im Town geblieben, er hätte ein Vermögen zusammen gehabt. Aber diese Tage waren dahin. Wohl kam noch dieser oder jener, der etwas Geld in der Tasche hatte; aber es waren nur wenige Dollars und davon konnten auch nur wenige leben. Sie waren nicht die richtigen Desperados. Jetzt warteten sie auf einen günstigen Moment, um den Mann aus Oregon, den Mormonen, für einen „Hit“ reif zu machen. Denn auch dort mußte einmal der Tag kommen, an dem verkauft wurde, denn schon jetzt sammelte sich die Herde mächtig an; das Jungvieh wurde groß. Er sollte Arizona kennenlernen. Jetzt vertrieben sie sich ihre Zeit mit kleinen Viehdiebstählen, die gerade so viel einbrachten, daß es ihnen zum Trinken in der Bar ausreichte. Aber Geld, das richtige Geld, ein Bündel von Scheinen, das brachte niemand mehr mit. 147
Grane der Wirt, kannte sie alle. Sie hatten eben nicht das richtige Zeug zu einem großen Banditen. Es war mehr dafür nötig als eine große kräftige Gestalt. Sie konnten wohl in großen Tönen reden, aber es fehlten eben jene Eigenschaften, die zu einem totalen Revolvermann gehörten. Es scheiterte bei ihnen an der Schießkunst, an der Energie, Beharrlichkeit und schnellen Entschlußfähigkeit. Und nicht nur das, ihnen fehlte schon das Feuer in den Augen. Grane kannte es, es war nur ein Aufleuchten, ein Blitz. Wenn hundert Mann in der Bar anwesend waren und ein Bandit eintrat, so mußte jeder sogleich wissen, daß jetzt die Sache ausgeschossen wurde. Es gab dann kein zurück mehr. Aber diese Männer wurden eben selten geboren. Grane konnte schon in den Augen sehen, wer zu einer solchen Gestalt heranwachsen konnte. Aber so ein Mann befand sich im Augenblick nicht in Worrytown. Keiner von ihnen besaß dieses mörderische Feuer. Wenn so ein Gunman in die Bar kam, mußten von selbst die Hände hochfliegen. Jedes Wort war dann überflüssig, der unmißverständliche Blick genügte. Grane hatte die Revolvermänner in jeder Form erlebt. Manch einer der Cowboys glaubte zu einem solchen geboren zu sein, doch sie hatten es schnell mit ihrem Leben gebüßt. Wehe dem, der seine Schießkunst zu hoch einsetzte! Ihn würde die Kugel den Bruchteil einer Sekunde eher erreichen, bevor seine eigene aus dem Lauf kam. Dann endete eine solche Geschichte mit einem kleinen Loch im Kopf oder in der Brust. Man schleifte dann den Kadaver 148
aus der Bar, legte ihn hinter das Haus, warf etwas Sägespäne über das geronnene Blut und wenn ein paar Stunden vergangen waren, sprach man schon nicht mehr davon. Der Fall war erledigt. Yes. Grane wußte, jetzt wollten sie am liebsten einen hohen Kredit haben, erzählten ihm von großen kommenden Geschäften. Er kannte all diese Storys zur Genüge. Das war ihm sattsam bekannt. So konnte man kein Geld verdienen und vorwärts kommen. Grane hatte ein paar Leute ausgewählt; es waren jene, von denen er erwarten konnte, daß sie am Leben blieben und das Geld eines Tages mit Zinsen zurückbrachten. Grane war eben Geschäftsmann durch und durch. Woher sie das Geld nahmen, wollte er nicht wissen. Er wollte nur verdienen. Was ging es ihn an, ob Blut daran klebte. Es waren gute Leute, die es aber nicht allein schaffen konnten, dazu brauchten sie einen Leader. Es waren eben Herdentiere, da konnte man sagen, was man wollte. Die Bar war am Abend wieder gut besetzt. Trotzdem war der Umsat2 nur gering. Aber um zehn Uhr abends erschien Brandy, ein kleiner, nichtssagender Kerl mit ein paar lebhaften Augen. Er war einer von jenen, die schon seit einigen Tagen „tot“ waren. Aber nun tauchte er plötzlich auf und hatte wieder Geld. Dieser Abend schien sich noch nett zu entwickeln. „Noch eine Runde!“ hieß es. „Und noch eine!“ Das war mal nach Granes Geschmack. Man wollte wissen, wo Brandy das Geld verdient hatte. Aber er schwieg sich aus. „Geht nur selbst los 149
und verdient“, war seine Antwort. Brandy war auch einer, der etwas werden konnte, aber er hatte einen Fehler; er trank zu viel, und er war eigentlich ein bißchen klein, so daß man ihm nie den richtigen Respekt entgegen brachte. Nur wer ihn kannte, fürchtete ihn, denn er konnte ungemein falsch werden und war dann mit dem Schießeisen schnell zur Hand. Heute hatte er seinen guten Tag. „Another round!“ wollte er gerade losbrüllen, aber die Worte erstarben ihm auf den Lippen. Grane wusch gerade Gläser ab und wunderte sich, daß es auf einmal so still in der Bar wurde. Neugierig blickte er durch den Raum. Alles starrte zur Tür. Langsam, Unheil ahnend, drehte er seinen Kopf herum. „Damned …!“ rief er erfreut. Im Rahmen stand Jesse Owen. Kalt und nichtssagend flogen seine Augen über die Anwesenden. „Jesse Owen …!“ schrie der Wirt jetzt. Er knallte das Glas, das er in der Hand trug, vor Freude auf den Boden. „Come in …! … Verdammt, wir dachten schon, du wärst gar nicht mehr am Leben.“ Langsam trat der Bandit ein. „Give me a drink“, war das erste, was Jesse Owen sagte. Jetzt hatte er alle Anwesenden geprüft und festgestellt, daß diese Burschen alle „echt“ waren. Er konnte jetzt ruhig zur Bar blicken, ohne befürchten zu müssen, daß von irgend einer Seite eine falsche Bewegung gemacht wurde. Grane verfolgte aufmerksam jede Bewegung des großen Banditen. Verflucht! Er war immer noch der Alte. Das war ein Bandit! Diese Augen … dieses 150
Feuer … einfach prachtvoll! Und Grane sah schon wieder die volle Kasse. Er schwelgte schon in kommenden Zeiten. „Habe gleich gewußt, daß du noch mal zurückkommst“, lächelte er. „Bleibst du nun hier?“ Jesse Owen blickte Grane an. Er wußte, daß er von diesem nie etwas Schlechtes zu erwarten hatte. „Schätze, daß ich in der Gegend bleibe“, meinte er kurz. „Aber schweig’ darüber!“ „Of course – of course –! Soll ich noch einen einschenken?“ „Nein, danke!“ Dann stand Jesse Owen auch schon wieder an der Tür, genau so unauffällig, wie er gekommen war. Noch einmal musterte er die Anwesenden. Ein Lächeln flog über Brandys Gesicht. Verdammt ja, er wußte, daß er ein verflucht guter Schütze war. Aber vor diesem Kerl beugte er sich. Es war schon ein großer Bandit, das spürte man mit jeder Faser. Noch ein Blick, der alle Anwesenden streifte, und dann war Jesse Owen schon wieder verschwunden. Jetzt wurde es laut in der Bar. „Seid still!“ brüllte Grane. „Wißt ihr, was das heißt?“ „Well …?“ tönte es zurück. „Es heißt Leben für uns. Worrytown wird wieder aufwachen! Worrytown wird in Geld schwimmen! Worrytown wird euch alle brauchen!“ schrie er in seiner Ekstase. Einer wollte dazwischen rufen. „Shut your mouth!“ brüllte Grane mutig. „Du bist 151
ein alter Hohlkopf. – Und jetzt geb’ ich eine Runde aus!“ Grane knallte die Glaser auf den Tisch, daß sie tanzten und zum erstenmal zitterte die Flasche in seiner Hand. *
* *
Jedes Jahr, wenn das Jungvieh gepuncht war, zogen die Viehaufkäufer durch das Land. So kamen sie von Farm zu Farm. Sie hatten sich, da es viele von ihnen gab, in der Form geeinigt, daß jeder seinen Distrikt abreiste. So erschienen sie eines Tages auch bei Ellen. Sie kannte die Männer schon. „Well, wie sieht es dieses Jahr aus? Was macht die Cattle und was können wir kaufen?“ „Nicht ein Stück“, entgegnete Ellen. Erstaunt horchten die Leute auf. Sie hatten von dem Umschwung noch nichts gehört und das bedeutete einen Strich durch ihre Rechnung. Denn letzten Endes war es ihr Gewerbe und je mehr sie aufkauften, umso mehr Verdienst hatten sie. Und in diesem Jahre standen die Preise gut. „Vielleicht wird der neue Farmer O’Brien euch etwas verkaufen können. Er hat ja schon eine ganz stattliche Herde beisammen.“ Auch davon wußten sie nichts und als sie hörten, daß die Farm in andere Hände übergegangen war, waren sie nicht betrübt darüber, denn der Vorgänger hatte selten etwas Gutes zu verkaufen gehabt. So trennten sie sich zeitig von Ellen und kamen 152
am Abend bei O’Brien an. Dieser weilte gerade im Stall bei den Pferden, als der Koch mitteilte, daß die Viehaufkäufer eingetroffen waren. „Sie sollen zum Stall kommen“, sagte O’Brien in seiner ruhigen Art. Er war damit beschäftigt, sein Reitpferd zu reinigen. Dann kamen die drei Männer auch schon zu ihm hinein. „Evening, Mister O’Brien.“ Jetzt hielt er mit der Arbeit inne und sah auf. „Evening, gentlemen. – Well, was gibt es Neues?“ „Wir kennen uns noch nicht. Aber das ist schnell getan. Wir kommen von der Firma Curny und sind die Viehaufkäufer in diesem Bezirk.“ „So … so …“, meinte O’Brien bedächtig, „eigentlich wollte ich erst im nächsten Jahre mit dem Verkauf beginnen. Aber wenn ich es mir richtig überlege, es ist doch schon allerhand Vieh da, welches fort könnte. Es hat schon Schlachtreife, und ich will die Tiere nicht über das Jahr durchfüttern, besonders da ich vorhabe, eine ganz neue Aufzucht anzulegen.“ Aufmerksam hörten die Männer zu. Manchmal blickten sie sich gegenseitig an, wenn O’Brien ihnen noch einen langatmigen Vortrag hielt. „Diese neuen Methoden haben doch etwas für sich“, fuhr er dann fort. „Das Vieh wächst schneller und es setzt mehr Fleisch an. Ich möchte sagen, man schafft es in derselben Zeit. – Natürlich ein Experiment, aber wie gesagt, es kann ja nie von Nachteil sein. – Waren Sie mal oben in Kanada?“ Dann führte er die Aufkäufer noch einmal um die es dort für Prachttiere gibt. Ebenso dort oben in Ore153
gon, meiner alten Heimat. – – Wir können morgen früh das Vieh betrachten.“ Dann führte er die Aufkäufer noch einmal um die Farm und zeigte ihnen seine neuesten Errungenschaften, die kanadischen Bullen. Es waren ein paar Prachttiere, die vorläufig im Stall standen. Jetzt würden selbst die Viehhändler interessiert. „Das sind wirklich ein paar erstklassige Tiere“, meinten sie, „und das kann für die Aufzucht wahrhaftig nicht schaden.“ Nachher saßen sie zusammen im Wohnzimmer. O’Brien verschwand, er hatte noch etwas zu tun. „Komischer Kerl“, meinte einer von den Aufkäufern. Der andere lächelte verschmitzt. „You said it. – Glaube aber, daß wir hier ein günstiges Geschäft machen und etwas billiger an die Ware herankommen.“ Am nächsten Morgen wurden schon in aller Frühe die Pferde gesattelt und dann ritt man zu der nur wenige Meilen entfernten Cattle. Sie befand sich gerade in einem besonders fetten Landstrich und bewegte sich sehr langsam weiter. Die Cowboys hatten das Vieh schon sondiert. Alle Tiere, die sich auf dieser Weide befanden, waren mehrjährig und zum Verkauf ausgeschrieben. Es handelte sich um neunhundert schwere Tiere, die einen überaus gepflegten Eindruck machten. Sorgfältig wurden die Tiere geprüft. Wenn die Aufkäufer auf der Brixton-Ranch zu kurz gekommen waren, so schien der Farmer O’Brien dies wieder 154
wettzumachen. Nachdem sie das Vieh ausgiebig besichtigt hatten, ritten sie gemeinsam zur Farm zurück. O’Brien verschwand eine Weile, während sich die drei Aufkäufer unterhielten. „Schätze, daß wir ihm für die Tiere achttausend Dollar bezahlen können. Damit erhält er ein gutes Gebot und wir kommen auch zurecht.“ Als O’Brien nach einer knappen Stunde zurückkehrte, hatte er wieder ein paar Hefte über Viehzucht in der Hand. „Das müssen Sie gelesen haben“, meinte er, „ganz prachtvolle Hefte. Man lernt in diesen Dingen ja nie aus.“ „Yes, of course“, entgegneten sie. „Aber nun zum Geschäft. Wir bieten Ihnen achttausend Dollar für das Vieh, so wie es auf der Weide steht.“ „Hm …“, meinte O’Brien. „Achttausend Dollar. – Ich hatte eigentlich mit einem größeren Betrag gerechnet. Aber ich gebe zu, ich bin ein schlechter Kaufmann und wenn Sie hier schon immer aufkaufen, dann soll es mir recht sein. Haben Sie das Geld da?“ „No. Das zahlen wir, wenn das Vieh an der Bahn ist.“ „No!“ entgegnete O’Brien jetzt betont. „Das kenne ich nicht. Das Vieh muß, so wie es ist, von der Weide weggekauft werden. Natürlich werden meine Cowboys Ihnen die Tiere hintreiben.“ „Wir arbeiten aber immer so“, entgegnete der eine von ihnen, „das ist hier der übliche Weg.“ „Möglich“, entgegnete O’Brien. „Aber nicht in Oregon. – Dann lassen wir das Vieh auf der Weide. – Ich hatte sowieso noch nicht vor zu verkaufen.“ 155
Verdutzt betrachteten sich die Viehhändler. Das war schon ein komischer Kauz. „Well, Mister O’Brien“, meinte dann der eine lächelnd. „So wichtig ist das ja nicht. Wir könnten eben zum Town hinunter reiten und ein Telegramm aufgeben. Dann ist das Geld am nächsten Tage hier.“ „Das soll mir recht sein“, entgegnete O’Brien. „Will gern mit hinunter reiten.“ „Okay!“ Zwei Viehhändler blieben zurück. Was sollten sie erst mit zur Bahnstation? Es genügte, wenn einer von ihnen dort erschien. Dann ritt O’Brien mit dem Aufkäufer zur Station. Lester Blue saß um diese Zeit wieder an seinem Morseapparat. Er hatte die Ankömmlinge schon von weitem gesehen. „Well, Mister O’Brien“, begrüßte er die Eintretenden. „Was gibt’s Neues? Erwarten Sie wieder ein paar Bullen?“ „No, diesmal ist es umgekehrt. – Habe allerhand Vieh verkauft und wir möchten eben bei Ihnen ein Telegramm aufgeben.“ ,Achttausend Dollar!’ funkte es wenige Minuten später durch das Kabel und raste über hunderte von Meilen zur City. Aber der Ruf ging noch weiter. Er wurde auch woanders gehört. Dann ritt man wieder zurück. Pünktlich am nächsten Morgen traf das Geld ein. In wenigen Minuten waren die Formalitäten erledigt, man kehrte zu O’Briens Ranch zurück und zahlte ihm dort das Geld aus. O’Brien hatte zwei Flaschen auf 156
den Tisch gestellt. Man trank eine Runde und dann noch eine. Heute hatte man ja noch Zeit. Morgen in aller Frühe sollte das Vieh abgetrieben werden. „Tut mir eigentlich leid, daß es nun fortkommt“, meinte O’Brien. „Man kann sich sehr schnell an die Tiere gewöhnen. – Aber wenn Sie nun im nächsten Jahr wiederkommen, habe ich noch bessere Tiere für Sie.“ „Sollte uns freuen.“ O’Brien hatte sich eine lange Zigarre angesteckt, die nun lässig zwischen seinen Lippen hing. Genußvoll sog er den Rauch ein und sah den entschwindenden Schwaden nach. Aber was war das …? Er konnte von hier aus einen Blick aus dem Fenster werfen und sah in einiger Entfernung fünf Reiter auftauchen. Verdammt noch mal! Was waren das für Gestalten? Die kamen ihm aber zur unrechten Zeit, denn dort lag immer noch das Geld. Die Viehhändler waren gar nicht darauf aufmerksam geworden. Sie bemerkten auch nicht, wie O’Brien plötzlich hinter den dicken Brillengläsern zu blinzeln anfing. Ganz gemächlich erhob er jetzt seine massige Gestalt, nahm das Geld und packte es ins Safe. So! Das wäre getan. Dann schenkte er die Gläser voll. Seine Hand zitterte nicht um einen Millimeter, so ruhig hielt er die Flasche, als er die Gläser voll schenkte, und dann stellte er sich hinten an den Kamin. Plötzlich bewegte er seinen Patronengürtel, die Colts machten einen Ruck nach unten und jetzt hingen sie in jener Lage, die Lester Blue damals im Geiste schon vor sich gesehen hatte. Würde er diese kurze Bewegung gesehen haben, hätte er alles ge157
wußt. Jetzt nahm O’Brien die Brille ab und man sah in dem dicken Gesicht ein paar teuflisch blickende kleine Schweinsäuglein, die falsch wie die eines Wiesels blickten und blutunterlaufen waren. Jetzt sprangen die Reiter vor der Tür ab. O’Brien stand mit dem Rücken an der Wand. „Kommt nur!“ zischte er unhörbar. „Auf euch habe ich schon lange gelauert.“ Ja. Der Ruf „achttausend Dollar“ war hinaus geeilt, als hätte der Wind ihn überall hingetragen, und er hatte die Einwohner von Worrytown wild gemacht. Man raste hinter Jesse Owen her. Wo war er …? Verflucht, wo war Jesse Owen? Und als man ihn nicht finden konnte, entschloß sich Brandy die Sache zu übernehmen. Dieses Geld konnte und durfte nicht die „Golden Hills“ verlassen. Jetzt konnte er zeigen, daß auch in ihm dieser „Pep“ war, und dann saßen auch schon fünf Mann auf dem Pferderücken, bis an die Zähne bewaffnet, und es ging in einem wahnsinnigen Galopp zu O’Brien, dem Priester aus Oregon. Brandy wußte, daß er nicht die richtigen Leute hatte. Aber fünf Pistolen waren fünf Pistolen! Da konnte man rechnen so viel man wollte, und jene harmlosen Viehaufkäufer würden schon die Hände in den Himmel heben. Dann kam auch schon die Farm in Sicht, dieser mächtige Komplex, an dem der neue Inhaber immer noch arbeitete und vergrößerte. Jetzt wurde es Brandy doch etwas komisch. Gleich war es so weit. Aber sicher saßen sie dort drinnen ahnungslos am Tisch. Das Ganze war ja nur eine 158
Überraschung, ein paar Minuten. Und dann fegten sie auch schon wie der Sturmwind über den freien Platz. Im Galopp sprangen sie von den Pferden und jagten die Treppe hinauf. Gleich mit drei Mann standen sie in der Tür. „Hände hoch!“ brüllte Brandy. Gemütlich saßen dort die Viehaufkäufer am Tisch. Aber dort in der Ecke … wer stand da …? Das war ja O’Brien! Aber wie sah der Kerl aus?! Verdammt! Da knallte es auch schon. Brandy fühlte sich angeschossen. Er hörte noch mehrere Schüsse. Wieder bellten Schüsse. Dann wurde es dunkel. Voller Entsetzen sah der letzte von ihnen diese Manöver. Er raste auf seinen Gaul zu und brauste in irrsinniger Flucht davon. Als Brandy, der der Schnellste von ihnen war, zum erstenmal abdrückte, ging der Schuß in die Luft und das zweitemal fand seine Hand nicht mehr den Druckpunkt. Aber näher hatte keiner das Ganze verfolgen können, so schnell hatte O’Brien die Schüsse verteilt, daß auch nicht ein einziger zu Atem kam. Und jetzt …? Die Colts waren verschwunden. O’Brien setzte seine Brille auf. Wieder tat er es mit der gewohnten Ruhe, während die Viehaufkäufer vor Entsetzen noch auf den Stühlen saßen. Was war geschehen …? Es lief ihnen jetzt noch das Grauen über den Rücken. O’Brien nahm die Zigarre wieder auf, die immer noch brannte. So schnell hatte sich das Ganze abgespielt. „Habt euch verdammt tapfer benommen“, war das erste, was er über die Lippen brachte. „Weil Sie mit 159
dem Finger zeigten und dadurch die Banditen irritiert haben, kam ich als erster zum Schuß, und ich habe immer nur geknallt.“ Keiner der Aufkäufer wußte, wer gemeint war. Yes, so war es wohl gewesen, meinten sie immer noch fassungslos. Und nun ging man zu den Banditen. Da lagen sie in einer Reihe, wie hingepackt, vier Kopfschüsse. Brandy hatte zwei. Das wußte O’Brien schon alles vorher, denn wenn sein Colt spuckte, dann wußte er auch, was er traf. „Ich zittere jetzt noch vor Erregung“, sagte er, aber ihm war davon nichts anzusehen. Eiskalt hob er einen Banditen nach dem anderen auf, und man spürte es, daß er noch nicht einmal Kraft dazu gebrauchte, um so einen Mann mit einer Hand hochzuheben. Zwei Cowboys kamen herbei. „Tragt sie hinaus!“ Und zu den Viehhändlern sagte er: „Ich bedaure das Ganze außerordentlich …“, und sie merkten es an seiner Stimme, daß er sehr ergriffen war. „Sicherlich hätten sie noch gern gelebt. Nun sind die armen Kerle tot.“ Die Viehaufkäufer kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Jetzt konnte dieser Riese sogar lächeln, er war voller Mitleid. „Ich habe so etwas Ähnliches schon mal in Oregon erlebt“, dabei legte sich ein mildes Lächeln um sein Gesicht und seine bebrillten Augen blickten scheinheilig an die Decke. „Es war grausam, ich hatte damals keine Waffe bei mir und wurde schwer verletzt.“ Dabei blickte er die Männer der Reihe 160
nach an. Aber die dachten nur, wie kann ein Mensch jetzt überhaupt noch sprechen? …“Yes“, fuhr O’Brien fort, „sehen Sie, so muß man manchmal kämpfen, ohne es zu wollen. – – Ich hasse es und es ist ein Zufall, daß ich meine Revolver bei mir hatte.“ Als die Männer zu den Waffen blickten, saßen die Colts wieder in der gewohnten Höhe so wie bei einem Anfänger. Sie bewunderten den Mut dieses Mannes und seine eisernen Nerven, der jetzt nur noch versuchte, die Angelegenheit zu bagatellisieren. Inzwischen waren die Cowboys zu dem Sheriff geritten. Am Spätnachmittage erschien Lester Blue. Er kam gleich mit einem mächtigen Gefolge von acht Mann, als wenn es jetzt noch etwas zu kämpfen gäbe. An der Schwelle des Hauses blieb er stehen. Dann ließ er sich von einem Viehaufkäufer schildern, wie sich alles zugetragen hatte, denn O’Brien befand sich gerade auf seinem Zimmer. „So …“, sagte Lester Blue. „Dann hat er allein geschossen.“ „Yes.“ „Und er war schneller als alle andern.“ „Schätze, daß man das wohl sagen kann.“ „Yes … . yes …“, meinte Lester Blue. „Verflucht …! Wie war so etwas möglich? Wie konnte man in dieser Schnelligkeit vier Kopfschüsse anbringen?“ Die Tür öffnete sich und O’Brien trat ein. „Hallo Lester Blue“, lächelte er freundlich. „Sehen Sie, so kommt es. Ich habe nicht gedacht, daß wir uns heute noch mal wiedersehen würden. Tut mir leid, daß Sie noch mal hierher mußten. Unangenehme Sache …“ 161
Lester Blue pfiff durch die Zähne. „Yes … Da gibt es ja nicht mehr viel aufzunehmen. Sind Leute aus Worrytown, mir alle bekannt. Es waren alles gute Schützen.“ Dabei blickte er O’Brien durchdringend an. „So …!“ meinte dieser. „Das habe ich mir gleich gedacht, als mir die Schüsse um die Ohren flogen. Habe wirklich Glück gehabt, daß ich am Leben blieb.“ Aber Lester Blue antwortete diesmal gar nicht. Er sah nur nochmals O’Brien durchdringend an. Aber dann wagte er es doch nicht, diesen Blick noch länger auf diesem Manne haften zu lassen. Nein … O’Brien hatte nichts getan, was gegen das Gesetz verstieß. Er befand sich in Notwehr. Aber … es war eine ganz komische Luft, die hier wehte. Er wurde schon längst nicht mehr daraus schlau. Jetzt sprach O’Brien. „Am besten ist, man macht nicht zu viel daraus. Sind tot. – – Ich werde natürlich für ein anständiges Begräbnis sorgen und ich bedaure den ganzen Zwischenfall.“ „Ich verstehe“, entgegnete Lester Blue. „Ich werde nur ein kleines Protokoll darüber aufnehmen, wie es sich eben zugetragen hat.“ O’Brien nickte kurz. Lester Blue ging erst spät am Abend fort. Während des ganzen Abends saß O’Brien in der Ecke des Raumes, dort wo es am dunkelsten war, und rauchte eine Zigarre nach der andern. Alle hatten etwas getrunken. Dann machte sich der Sheriff auf den Heimritt. Und zum erstenmal mußte Lester Blue sagen, jetzt wußte er selbst nicht mehr, was er von diesem Mann halten sollte. 162
Erst spät kam die O’Brien-Ranch zur Ruhe. Trotzdem waren am nächsten Morgen alle rechtzeitig hoch. Der Koch hatte den Tisch gedeckt und nach einem ausgiebigen frühstück verabschiedeten sich die Händler von O’Brien und ritten zur Cattle. Die Cowboys hatten während der Nacht ein mächtiges Feuer unterhalten und waren froh, daß sie mit dem Abtreiben beginnen konnten. Nun ging es über die langgestreckte Ebene, Stunde um Stunde. Allmählich verschwand das dunkelgrüne Gras der Pontiac Sümpfe und als der Abend nahte, sah man am Horizont schon Berge. Diese gefährliche Steppe mußte man noch überwinden, dann hatte man es geschafft. Für die Nacht fanden sie einen prachtvollen Lagerplatz; sie sammelten rechtzeitig genügend Holz zusammen, um ein mächtiges Feuer anzuhalten. Das Vieh hatte gut zu fressen und konnte das verlorene Gewicht aufholen. Als die Dunkelheit hereingebrochen war und sie am Lagerfeuer saßen, das ihnen die Moskitos vom Leibe hielt, gab es nur ein Gesprächsthema: der vergangene Tag und O’Brien, der Mormone. Wenn er nicht gewesen wäre, das sagten sie alle einstimmig, wären sie jetzt nicht mehr am Leben. Sie hatten noch einmal Glück gehabt. Wenn sie in die Dunkelheit sahen, konnten sie nicht weit blicken. Die ersten Tiere hatten sich schon hingelegt, um zu schlafen. Sic hatten einen langen Marsch hinter sich, wie sie es sonst nicht gewohnt waren. Das kostete ein paar Pfund Fett, aber auch das hatten die Viehaufkäufer mit einkalkuliert. Die Luft war vom Zirpen der Gril163
len erfüllt, manchmal umschwirrten sie auch Leuchtkäfer, die geräuschlos wieder in der Finsternis verschwanden. Dann hörten sie plötzlich Hufgetrappel, und als sie sich nach der Richtung, aus der die Geräusche kamen, umdrehten, jagten die Reiter auch schon heran. Schüsse fielen. „Hier ist Jesse Owen!“ brüllte eine tiefe Stimme. „Hands up!“ Zwei Cowboys erhoben sich und rasten in die Dunkelheit. Zwei Viehaufkäufer blieben auf dem Boden liegen, die Hände des anderen flogen in die Höhe. Verdammt! Was war das? Der noch Lebende blickte zu den anderen und stellte mit Entsetzen fest, daß sie schon längst in einer anderen Welt waren. Kreidebleich blickte er zu den vermummten Gestalten. Jesse Owen …! Das Wort genügte. Es war vorbei. In diesem Augenblick dachte der junge Mensch, man sollte doch eigentlich sein Leben noch einmal ablaufen sehen, bevor es zu Ende ging. Aber in seinem Kopf war jetzt nur noch eine furchtbare Angst. Jetzt ritten die meisten Reiter davon, sie trieben die Pferde zusammen, und dann jagten sie auf das Vieh zu, trieben es hoch und jagten damit davon, ohne sich um ihn zu kümmern. Er blieb, als sie verschwunden waren, auf dem Boden liegen, immer noch nicht das Glück erfassend, das ihm widerfahren war. Mein Gott! Er war am Leben geblieben. Er schüttelte die anderen, aber vergeblich. Was sollte er jetzt machen? Wo waren die Cowboys? Es gab tausend Fragen und keine Antwort. Was sollte er tun? 164
Er saß hier mitten in der Wildnis. Müde stützte er seinen Kopf. Dann warf er noch einige Zweige und Äste ins Feuer, so daß es noch einmal aufprasselte. Längst war das Vieh verschwunden. Er lag hier unter einem Sternenhimmel am Feuer und wußte nichts mit seinem Leben anzufangen. Aber dann riß er sich zusammen. Er mußte schnellstens zum Sheriff. Warum hatte er nicht gleich daran gedacht? Aber dann kam ihm die Lächerlichkeit dieses Gedankens wieder zum Bewußtsein. Bis zum Sheriff dauerte es ohne Pferd viele, viele Stunden. Trotzdem machte er sich auf den Marsch. Stunde um Stunde lief er. Der Weg war leicht zu finden. Er brauchte nur den Spuren der Cattle nachzulaufen, den Weg den er am Tage vorher entlanggeritten war. Er kam erst in den ersten Morgenstunden im Town an. Dann sprach er den Sheriff Lester Blue. „Yes, sie sind alle tot.“ Wo die Cowboys waren, wußte er nicht. Einmal glaubte er in der Ferne Schüsse gehört zu haben. Aber er konnte sich auch irren. Wohin man das Vieh getrieben hatte? Ja, wenn er das nur wüßte. Es schien nach Mexiko gebracht worden zu sein, denn man trieb es südwärts – was dorthin ging, konnte man endgültig als verloren betrachten. Trotzdem brachte Lester Blue es fertig, im Zeitraum von einer Stunde acht Cowboys zusammenzutrommeln, die nun sofort hinter den Banditen herjagten. „Schießt sie ab, wo ihr sie faßt. Nehmt keine Rücksicht! Wahrscheinlich kommt ihr zu spät; aber versucht es und bringt die Toten mit.“ 165
Dann jagten sie auch schon davon. Es war ein hoffnungsloses Beginnen. — — Es sollte sich alles bewahrheiten, was Lester Blue schon vorher vermutete. Spät am Abend kehrte die Posse mit den Toten und einigen Kühen zurück, diese Tiere waren aus der Cattle ausgebrochen, einige von ihnen fanden sie in der Nähe der Grenze. Die Banditen mußten die Grenze schon vor Stunden passiert haben. „Und nun …?“ fragte man Lester Blue. „Well … . well … das möchte ich selbst wissen. – Jesse Owen!“ murmelte er. Verdammt! Das hatte ihm noch gefehlt, daß dieser Bandit in der Gegend war. Dann konnten sie sich noch auf allerhand gefaßt machen, denn dieser Überfall war wahrscheinlich nur der Anfang. Dann schoß es Lester Blue plötzlich durch den Kopf: Jenkins war ja in der Nähe! Und ohne noch ein Wort zu sagen, holte er sein Pferd. Es gab nur eins, so schnell wie möglich zu Billy Jenkins. Vielleicht konnte er helfen. Manchmal blickte sich Lester Blue um, ob er auch nicht verfolgt wurde. Er hatte das unangenehme Gefühl, als wäre Jesse Owen auf seiner Spur. Eigentlich sollte er jetzt am Morseapparat sitzen. Aber dies ging vor. War denn niemand in der Lage, diesen Banditen abzufangen? Jetzt sah Lester Blue schon die Häuser der Brixton-Ranch auftauchen. Er hielt noch einmal sein Pferd an und kratzte sich am Kopf. Yes … Das war die Ranch … Ob Billy Jenkins wohl da war? …
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*
* *
Ein Puma streifte um die stark dezimierte Herde der Brixton-Ranch. Fast in jeder Nacht der letzten Woche hatte er sich ein Tier geholt. Das einzige was noch zu verwenden war, war dann das Fell des Tieres. Nun war eine Mutterkuh geschlagen worden. Da hatte sich Billy Jenkins auf den Weg gemacht, um diesen Räuber zu erlegen, denn dieser Verlust war im Augenblick für die Brixton-Ranch gar nicht tragbar. Ängstlich hatten sich die Tiere zusammengedrängt, wenn sie in der Nacht von dem gefährlichen Räuber Witterung bekamen. Nur ein paar Bullen schnauften wütend, sie hätten den Puma angenommen, wenn er sich gezeigt hätte. Es waren HalbwildStiere, die sich vor nichts fürchteten. Aber der Puma war zu schlau, um sich mit den Hörnern dieser Stiere zu messen. Er ging ihnen wohlweislich aus dem Wege. Er wartete, bis sich irgendein Tier von der Herde entfernte, um es dann plötzlich zu überfallen. Mit einem gewaltigen Schlag krallte er sich dann fest. Das Tier machte nur noch wenige Sätze. Dann brach es unter dem starken Blutverlust zusammen und wurde das Opfer des Pumas. Nun war Billy Jenkins schon einige Tage hinter dem Räuber her. Aber er bekam ihn nicht zu Gesicht. Wohl hatte er sich ihm genähert, mehrmals hörte er nachts seinen Schlachtruf. Der Puma hatte von dem Menschen Witterung bekommen. Immer weiter trieb 167
er Billy Jenkins in die Berge, und dort war es unmöglich, den Puma zu erlegen. So war Jenkins langsam wieder zurückgeritten. Diese Nächte waren ihm eine Wohltat, und er fühlte sich wie mit neuen Energien geladen. Als er nach der Brixton-Ranch kam, bemerkte er, daß dort mehrere Pferde vor dem Hause standen. Zur Vorsicht brachte er Blessy gleich auf eine kleine eingezäunte Weide. Dann trat er in das Haus. Ellen saß mit ernstem Gesicht auf dem Stuhl. Lester Blue und einige Cowboys, die Jenkins nicht kannte, warteten im Zimmer auf ihn. „Gut, daß Sie kommen“, sagte der Sheriff. „Hier ist wieder allerhand vorgefallen.“ Als Billy Jenkins vernommen hatte, was geschehen war, sagte er: „Ich hätte gern noch ein paar Fragen geklärt. – Wie war das eigentlich, als Sie dort am Feuer saßen? Hatten Sie Jesse Owen erkannt oder schon einmal vorher gesehen?“ „No“, entgegnete der junge Viehaufkäufer. „Ich sah diesen Banditen noch nie. Bei dem Überfall hat nur jemand gerufen: Jesse Owen! Wer es war, weiß ich nicht. Wir waren auch von dem Feuer zu stark geblendet, um in die Dunkelheit hineinsehen zu können.“ „Würden Sie irgend jemand von den Leuten wieder erkennen?“ „No, das glaube ich nicht. Es war zu dunkel, es ging auch viel zu schnell und ich war froh, daß ich am Leben blieb.“ „Das ist verständlich“, meinte Billy Jenkins. Was 168
sollte schon so ein Viehaufkäufer ohne Waffe in der Hand bei einem solchen Gefecht beginnen. „Nun erzählen Sie noch mal von O’Brien.“ Der Viehaufkäufer setzte sich zurecht. „Ich muß schon sagen, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so etwas erlebt.“ Dann erzählte er noch einmal genau den Vorgang, wie er ihn im Gedächtnis hatte. Während des Gefechtes hatte er O’Brien nicht einmal gesehen. „Ich weiß gar nicht, wo er stand. Ich blickte zur Tür, irgend jemand schrie: ,Hands up!’ und dann knallte es auch schon. Einige Banditen stürzten zu Boden, ein anderer wollte noch einmal anlegen, er schien der Gefährlichste unter ihnen zu sein. Aber dann packte er sich zu den anderen. Er stürzte nicht, sondern legte sich ganz allmählich hin, als wenn er keine Lust mehr hatte. Nachher stellten wir fest, daß sie alle sofort tot waren. O’Brien war das ganze überaus unangenehm. Er wirkte aber sehr ruhig. Das war alles, was Billy Jenkins erfuhr. Praktisch wußte er schon alles, er wollte es nur noch von einem Augenzeugen bestätigt haben. Er hatte Jesse Owen ganz woanders vermutet. Wo war dieser Bandit eigentlich in Wirklichkeit? Es war Billy Jenkins bekannt, daß er überaus rasch zu handeln pflegte und große Strecken für ihn keine Schwierigkeiten bedeuteten. War er noch mit O’Hara zusammen, diesem Schuft, der ihm schon so viele Kopfschmerzen verursacht hatte? Man erzählte von diesen beiden, daß sie unschlagbar seien. Aber Billy Jenkins gab wenig auf solche Worte. Er wollte ihnen nur noch einmal 169
gegenüber stehen, mehr nicht. Alles andere würde sich dann von selbst finden. Billy Jenkins ritt wieder zurück. Lester Blue war auf seiner Farm geblieben und wollte anschließend zur Bahn, um dort seinen Dienst zu beenden. Wo sollte er jetzt weiter suchen? Irgendwo war ein Fehler in der Rechnung. Aber der Schleier war so undurchsichtig, daß er ihn nicht zerreißen konnte. „Du machst dir zu viel Sorgen“, meinte Ellen zu Jenkins. Aber was wußte so ein Mädel schon von solchen Dingen, bei denen es um Tod und Leben ging und Sekunden entscheidend werden. Müde und abgespannt ritt ein Reiter Worrytown entgegen. Mensch und Tier waren von einer rotbraunen Staubschicht bedeckt. Es war Leg, der einzige Bandit, der den Überfall auf O’Briens Ranch lebend überstanden hatte. Er ritt seinen zerschundenen Gaul nur noch im Schrittempo. So kam er bei der Bar an. Dort befanden sich schon mehrere, die auf das Erscheinen der Banditen warteten. „Hallo Leg …!“ scholl es ihm entgegen. „Wo sind die anderen?“ Yes. – – Wo waren sie? — — „Gib mir erst mal einen Drink“, sagte er zu Grane. Und dann begann er zu erzählen, wie es geschehen war. Alle hörten gespannt zu. Das war ein ziemlich starkes Stück und selbst für Worrytown fast zu viel. Auch Grane kam kaum darüber hinweg. Dieser verfluchte Mormone. Da hatten sie sich ja 170
mächtig geirrt. Das mußte ein tollkühner Schütze sein, und Glane wunderte sich, daß er bisher von diesem Mann noch nichts gehört hatte. Wenn doch bloß Jesse Owen da wäre. Aber von ihm war seit dem Tage, da er so unverhofft erschienen war, nichts mehr zu sehen und zu hören. Vielleicht war er schon längst wieder verschwunden und dachte gar nicht mehr an Worrytown. Sie saßen noch keine zwei Stunden beisammen, als noch ein Reiter erschien. „Habe allerhand Neuigkeiten.“ Da staunten die Banditen wieder. Er berichtete, daß das Vieh abgetrieben worden war und zwar von Jesse Owen. „Was …!“ brüllte Grane. „Das kann unmöglich Jesse Owen gewesen sein! Er hat ja gar keine Leute von uns mitgenommen. Das würde Jesse Owen niemals tun.“ Nun saßen sie da und diskutierten, und kamen keinen einzigen Schritt vorwärts. Man zerbrach sich den Schädel und wußte doch nicht, woran man war. Elf Uhr schlug Granes Uhr, es war ein altmodisches Ding, das Grane schon von seinem Vater geerbt hatte. Der letzte Schlag war noch nicht verklungen, als ein Geräusch an der Tür entstand. Dann flog die Tür mit einem Schlag auf und Jesse Owen stand wie angemeißelt da. „Verflucht!“ murmelte Grane. Da war ja beinahe unheimlich. „Hast du von dieser Frechheit schon gehört?“ fragte er Jesse Owen, weil er sich als erster dazu aufraffen konnte. 171
„Yes“, entgegnete Jesse Owen. Das einzige, was man in seinem Gesicht bemerkte, war, daß sich die Lippen etwas bewegten. Verdammt! Dieser starre Blick fiel auch Grane auf die Nerven. Nun stand Jesse Owen unbeweglich an der Tür. „Well Leg, erzähl mal!“ Wieder begann Leg, aber es fiel ihm diesmal sehr schwer. Er wagte es erst nicht, Jesse Owen dabei anzusehen. Aber je länger er sprach, umso flüssiger wurde sein Bericht. Dann erzählte der andere. Nun wartete alles darauf, was Jesse Owen dazu sagen würde. Hatte er das Vieh abgetrieben? War er an diesem Coup beteiligt? „Ich war nicht dabei“, kam es dann plötzlich über seine Lippen. „Hier arbeitet jemand unter meinem Namen. Aber wir werden ihn erwischen. Schätze, daß ich in einigen Tagen mehr weiß. – – Dann hol ich mir schon die richtigen Leute hier ‘raus.“ Bei diesen Worten legte er eine Hundert-Dollarnote auf den Tisch. „Schenk Whisky dafür aus“, sagte er zu Grane, der die Note mit einem Lächeln verschwinden ließ. Sein Herz schlug wieder höher. Das war Jesse Owen! … Und Jesse Owen war sich dieser Wirkung auch nur zu gut bewußt. Er hatte nicht einen Cent für die Leute übrig. Aber er war so viel Diplomat, um zu wissen, wie eine solche Note wirkte. Daß man ihn mit solchen Taten belastete, interessierte ihn nicht, er wurde sowieso wegen tausend verschiedener Delikte gesucht, und es kam schon nicht mehr auf eine Tat mehr oder weniger an. Aber der Kerl pfuschte ihm 172
zu sehr ins Handwerk. Er hatte schon eine Ahnung, wer das sein konnte. Diesen Priester mußte er sich einmal genauer ansehen. Es tat ihm eigentlich nur um Brandy leid, der bei dem Coup draufgegangen war, denn der war tatsächlich brauchbar. Von den Banditen hatte niemand O’Brien jemals vorher gesehen. Sie hatten nur alle von ihm gehört. Aber das machte Jesse Owen nur noch neugieriger. Dann saß er auch schon wieder auf seinem mächtigen Hengst und knallte ihm die Hacken in die Weichen, daß das Tier förmlich einen Satz machte. Es bäumte sich einmal hoch auf und galoppierte dann in die Berge. Jesse Owen hatte schon eine Vermutung und wenn ihn nicht alles täuschte, dann würde „Golden Hill“ bald etwas erleben. Als er in seiner Behausung angelangt war, ging er in den kleinen Extraraum, den er sich jetzt angefertigt hatte holte einen großen Spiegel hervor und beobachtete stundenlang beim Kerzenschein sein Gesicht. — — *
* *
Trotz des Versprechens von Jesse Owen lebte Worrytown immer noch kümmerlich. Die hundert Dollar waren noch an. demselben Abend drauf gegangen. Ja, Worrytown wartete nach der gewaltigen Schlappe auf einen neuen fruchtbaren Regen, der nur durch Jesse Owen kommen konnte. An diesen Gedanken 173
klammerte sie sich. Wäre Jesse Owen nicht aufgetaucht, Worrytown wäre nach diesem Vorfall auseinander gefallen. Viel gehörte sowieso nicht dazu, denn einige der Häuser waren jetzt schon so baufällig, daß sie beim nächsten Sturm fortwehen konnten. Jetzt spukte es aber wieder in ihren Köpfen von Geld und Reichtum. Sie träumten von gewaltigen Summen, die ihnen zufließen sollten. Fast jeden Abend saß die ganze Bande bei Grane und wartete auf Jesse Owen. Aber er war schon wieder einmal verschwunden. Trotzdem, die Stunde konnte nicht mehr fern sein, und jetzt kam es ihnen erst ganz zum Bewußtsein, wie dreckig es ihnen eigentlich ging. Das Thema in der Bar war immer das gleiche, und sie wurden auch nicht müde, darüber zu sprechen. „Geld!“ hieß die Parole. Dann gehörte ihnen die Welt und Jesse Owen mußte es ihnen besorgen. Er war der letzte Halt dieser Bastion, die schon überall brüchig wurde. So wuchs Jesse Owen in ihren Augen zu einer überragenden Gestalt; er, der nur mit dem Finger zu zeigen brauchte, wo sie das Geld aufzunehmen hatten. Er war der Mann, der eines Tages das Füllhorn über ihnen ausleeren würde. Er sollte ihnen Geld in großen Mengen bringen, und so begann fast jeder Satz ihrer Unterhaltung: „Wenn Jesse Owen kommt …“ Jesse Owen war ganz woanders und er hatte ganz andere Pläne. Er war nur wenige Meilen von dem Oregon Priester entfernt. Manchmal des nachts flog Jesse Owen förmlich hoch, als hätte ihn eine Tarantel gestochen. Dann konnte er es nicht unterlassen, 174
sein Pferd zu besteigen, und dicht an O’Briens Haus heranzureiten. Manchmal sah er Licht in einem Zimmer brennen. Sicherlich wohnte dort O’Brien. Jesse Owen hatte beobachtet, daß an diesem Tage drei Mann angeritten gekommen waren und über Nacht im Hause geblieben waren. Heute nacht konnte er deshalb nichts unternehmen, so hatte er sich etwas weiter entfernt. Er mußte ein Feuer haben und als es lichterloh brannte, starrte er in die Glut. Dabei konnte er am besten nachdenken. Der Kleidung nach waren es Mestizen gewesen oder auch Mexikaner, sie waren vom Süden gekommen. Das besagte ihm sehr viel. Vielleicht lag dort die Lösung. Jesse Owen dachte im Augenblick gar nicht an einen großen „Hit“, in ihm brannte nur ein Feuer: Rache. Ja, es sollten noch viele daran glauben, bevor er diesen Distrikt verließ. Es war ihm im gewissen Sinne ganz lieb, daß wieder von Jesse Owen gesprochen wurde, denn er wußte, daß dieses Wort Billy Jenkins wie ein Magnet anzog. Was hatte er doch damals für ein Pech. Aber er hatte selbst Schuld gehabt, weil er nicht auf die linke Hand von Billy Jenkins achtete, und der Fehler hatte sich bitter gerächt. Aber das nächste Mal würde er auf mehr achten als nur auf die Hände. Früh am nächsten Morgen war Jesse Owen wieder hoch und beobachtete das Haus. Aber dort war es sehr ruhig. Vielleicht waren sie schon wieder fortgeritten. Einem plötzlichen Einfall folgend, lenkte Jesse Owen sein Pferd der Farm zu. Noch einmal prüfte er die Colts. Aber es war gar nicht nötig, sie saßen 175
schon richtig, und dann stand er auch schon auf dem Hof. Mit einem Satz war er aus dem Sattel. Zwei Cowboys erschienen. „What the hell do you want!“ Es war eine freundliche Einladung. Jesse Owen ließ sie ruhig etwas näher kommen. Er tat so, als wäre er mit seinem Pferde beschäftigt. Erst dann drehte er sich um. Entsetzt starrten die beiden in sein Gesicht. „Yes. – – staunt nur, diesmal bin ich es … Jesse Owen! Jetzt kommt der Clean up. – – Wo ist der Mormonenpriester?“ Jesse Owen hielt mit dem einen Auge das Haus ständig unter Beobachtung. Immer noch hatte er das Gefühl, daß aus dem oberen Stockwerk jeden Augenblick am Fenster ein Gewehrlauf erscheinen würde und er hätte diesen verborgenen Schützen entsetzlich schnell mit Blei eingedeckt … Aber beim Hause regte sich nichts. Die beiden Cowboys sahen sich gegenseitig an. Dann flogen ihre Hände herunter, es war wie auf eine Verabredung. Jetzt griff auch Jesse Owen zu den Waffen. Was waren das für Stümper! Als seine Schüsse schon herausflogen, wollten sie gerade die Waffen herausziehen. Weiter waren sie nicht gekommen. Was hatte sich O’Brien da für komische Leute ausgesucht, die nicht einmal schießen konnten! Nun lagen sie auf dem Boden. „To help!“ schrie jetzt jemand, und dann flog mit lautem Gezeter ein kleiner gelber Chinese um die Ecke. Es war der Koch. Aber Jesse Owen machte sich gar nicht die Mühe, diesen Gelben zu verfol176
gen. Der Abschuß dieser beiden Cowboys genügte ihm vorerst. Das andere würde kommen. Jetzt wußte der Mormone wenigstens, wer bei ihm gewesen war. Als Jesse Owen sein Pferd bestieg, hatte er ein Prickeln in den Händen. Er bedauerte es, daß sich nicht noch mehr ereignet hatte. Er war gerade im richtigen Zug. Aber O’Brien war verschwunden. *
* *
Die Saratoga Bank in Ellistown, die vor längerer Zeit von Jesse Owen leer gemacht wurde, hatte seitdem sehr viel gelernt. Die mächtigen Safes waren verbessert worden und ein Überfall hätte sich kaum noch gelohnt, denn hinter den Schaltern befanden sich nur noch die Tagessummen, die unbedingt gebraucht wurden. Sonst lag alles Geld hinter den dicken Stahlwänden des Tresors verborgen und war dem Zugriff der Banditen entzogen. Aber nicht nur in dieser Richtung hatte man gelernt. Man war noch weiter gegangen. Früher ließ man Geldtransporte, die mit dem Zuge kamen, unbewacht. Wohl waren diese Sendungen gut verschlossen, und ein Conductor hatte ein besonderes Augenmerk auf diesen Teil des Zuges. Aber das war auch alles. Man hielt es nicht einmal für nötig, diesen Mann zu bewaffnen. Heute wunderte man sich darüber, daß das damals immer gut gegangen war. Inzwischen hatte man andere Maßnahmen getroffen, die zwar etwas Geld 177
kosteten, aber sich doch rentierten, da mancher Überfall verhindert werden konnte. Manchmal wurden in einem Zuge Beträge von fünfzig- bis hunderttausend Dollar transportiert, besonders zu jenen Zeiten, wenn die Farmer ihr Vieh verkauften und die großen Summen in der Bank eingezahlt wurden. Jetzt war für die Geldtransporte ein Sonderabteil im Zuge eingerichtet worden und zwei ausgewählte Männer, auf die man sich unbedingt verlassen konnte, hüteten den Besitz. Jetzt wartete man in Ellistown auf den Zug, der wieder einen bestimmten Betrag bringen sollte. Man versuchte zwar, den Transport so geheim wie möglich vor sich gehen zu lassen und hatte als einzigen Lester Blue telegrafisch davon unterrichtet, daß er ein Augenmerk auf den Zug haben sollte. So glaubte man in jeder Richtung alles getan zu haben, um einen Überfall auszuschalten; denn es war nicht anzunehmen, daß das Kabel angezapft wurde und somit ein Fremder alle durchgehenden Nachrichten abhörte. Man war jetzt überhaupt sehr vorsichtig geworden, nachdem man erfahren hatte, daß Jesse Owen tatsächlich wieder in „The Golden Hill“ war. Es schien, als hätten es ihm die Kupferberge besonders angetan. Wieder hatte der Bandit ein paar Mann umgelegt. Er hatte zwei Cowboys abgeschossen. Das war sonst gar nicht die Methode dieses großen Banditen, der früher nur in Erscheinung trat, wenn es sich wirklich lohnte. Man sprach aber auch schon von dem veränderten Jesse Owen, dem Mann mit dem steinernen Antlitz. 178
Nun hatte der Zug schon zwei Stunden Verspätung und der Bankdirektor wartete bereits aufgeregt auf das Erscheinen des Zuges. Unruhig blickte er auf die Uhr. „Hoffentlich ist nichts vorgefallen“, murmelte er. Gestern war Billy Jenkins noch bei ihm gewesen und er hatte auch diesen von dem Geldtransport unterrichtet. Aber dann wurde der Zug von der nächsten Station gemeldet und jetzt erst atmete der Bankdirektor erleichtert auf. Demnach schien doch alles in Ordnung zu sein. Schon eine Viertelstunde später lief der Zug in Ellistown ein. Der Platz war besonders gesichert, so daß nichts passieren konnte. „Warum habt ihr euch verspätet?“ fragte der Direktor den Lokomotivführer. „Bei Kilometerstein 512 stand das Signal auf ,Halt’ Ein paar Minuten später wurden wir beschossen und mehrere Banditen versuchten den Zug zu stürmen. Man blockierte die Schienen, so daß an eine „Weiterfahrt nicht zu denken war.“ „Und das Geld?“ fragte der Direktor erregt. „Gerettet!“ lächelte das schwarze Gesicht vom Tender herunter. „Gott sei Dank!“ Jetzt wurden auch schon die Türen geöffnet und die beiden Begleiter stiegen schwerbewaffnet aus ihrem freiwilligen Stahlgefängnis. Von ihnen erfuhr man näheres über den Überfall. Der Zug wurde, kurz nachdem er gestoppt worden war, schwer beschossen. Einer der Banditen hatte gerufen: „Jesse Owen ist da!“, aber die beiden Männer hatten sich nicht 179
einschüchtern lassen und erwiderten das Feuer. Die Banditen hatten wohl nicht mit diesem Widerstand gerechnet und waren nach einem halbstündigen Gefecht abgezogen. Das Hindernis wurde beseitigt und die Fahrt fortgesetzt. Sie waren noch mit dem Abtransport des Geldes beschäftigt, als sich ein Reiter näherte. Schon am Pferde erkannte der Direktor, daß es Billy Jenkins war. Es gab nur ein Tier, das so eigenartig gebaut war – das konnte nur die Blessy sein, jenes einmalige Pferd, das sich erst auf der Steppe richtig entfaltete. Nur an den breiten Lungen war zu erkennen, daß es über eine mächtige Ausdauer verfügen mußte. „Well Direktor!“ rief Billy Jenkins vom Pferde herunter. „Alles klar?“ „Yes. Es ist alles klar. – – Aber lassen Sie sich erzählen, was vorgefallen ist.“ Billy Jenkins stieg vom Pferd, und dann hörte er noch einmal denselben Bericht. „Schätze, daß ich gleich einmal zu dem angegebenen Kilometerstein hinreiten werde.“ Und dann brauste er auch schon davon. Keine zwei Stunden später befand sich Billy Jenkins bereits an der Stelle, wo der Überfall stattgefunden hatte. Die frischen Spuren waren noch deutlich zu erkennen. Hier waren sie fortgeritten. Aufmerksam suchte Billy Jenkins die Pferdespuren ab. Es waren drei Reiter gewesen, die an diesem Überfall beteiligt gewesen waren. Billy Jenkins war vom Pferde gestiegen und prüfte mit größter Sorgfalt die Spuren und dann fand er einen Anhaltspunkt. 180
Am Hinterhuf des einen Pferdes war eine Ecke herausgesprungen. Ganz deutlich konnte er die Spur in dem weichen Erdboden erkennen. Ein Zweifel war ausgeschlossen. Sorgfältig registrierte Billy Jenkins den Abdruck. Dieses war der erste Fehler, den der Bandit gemacht hatte – diese Spur mußte ihn zu dem Täter führen. Über Billys Gesicht flog ein leichtes Lächeln. Vielleicht wußte er nun schon, wer diesen Überfall ausgeführt hatte. Da es noch früh am Tage war, beschloß er, gleich dorthin zu reiten. Es würde wahrscheinlich gar nicht auffallen, wenn er dort die Hufe der Pferde prüfte. Billy Jenkins wußte, daß er einen heißen Boden betrat, und daß sich vielleicht eine Entscheidung anbahnte, die ihm gestern noch in weiter Entfernung zu liegen schien. Sein Gesicht war ernst und verschlossen. Er faßte noch einmal zu seinen Colts. Vielleicht war es jetzt so weit. Was würde O’Brien wohl sagen? *
* *
Ein Chinese war letzten Endes ein Chinese und kein Revolvermann. Als der kleine schlitzäugige Kerl damals die Schüsse fallen hörte und die beiden Cowboys darunter zusammenbrechen sah, konnte er es sich gar nicht vorstellen, daß sie tot waren, denn sie hatten doch jeden Tag bei ihm gegessen. Sie waren stark wie die Löwen gewesen. Zitternd hatte er hinter dem Hause gestanden und gewartet, bis Jesse 181
Owen fortgeritten war. Dann erst getraute er sich aus seinem Versteck heraus. Ganz vorsichtig spähte er nach allen Seiten und dann ging er zu den beiden Männern, die immer noch auf dem Boden lagen. Er rief sie in seinem Kauderwelsch an: „Hello! … Jesse Owen ist weg!“ Aber sie rührten sich nicht mehr. Behutsam drehte er sie um und wieder erschrak der Gelbe. Wie hatten sich die beiden verändert? Sie waren ja kaum noch wiederzuerkennen! So friedlich wie sie jetzt dalagen, hatten sie in ihrem ganzen Leben noch nicht ausgesehen, so harmlos und friedlich streckten sie sich auf dem Boden. Nur der eine hatte das Auge etwas geöffnet und das war ihm unangenehm. Das Chinesenherz wurde weich, trotzdem er noch nie Gutes von diesen beiden erlebt hatte. Aber er nahm sich doch ein Herz und drückte das Auge zu, als müßte es sein, um ihnen den letzten Frieden zu bringen. Nun wartete er, daß die anderen zurückkommen würden. Was sollte er jetzt tun? Da tauchten auch schon zwei Reiter im Galopp auf. Sicherlich hatten sie die Schüsse gehört. „Wer war das?“ brüllten sie ihn an, und der kleine Chinese dachte, so stark wie ihr, waren die anderen auch. Es lagen nur ein paar Stunden dazwischen, da lebten sie genau so vergnügt, aber jetzt waren sie unheimlich still geworden. Vorsichtig trugen sie die beiden Toten in den Schatten des Hauses und ließen sie dort liegen. „Müssen warten, bis O’Brien kommt“, hieß es. Und der kleine Chinese wunderte sich, daß die anderen 182
beiden Cowboys an diesem Tage gar nicht den richtigen Hunger entwickelten. Sie saßen am Fenster und starrten in die Ferne. Aber es kam niemand. Es war still. Als der Chinesenkoch nach einer Stunde wieder hinaus ging, um noch einmal nach den Toten zu sehen, erschrak er über die Veränderung der beiden Leichen. Nein! Er mochte sie gar nicht mehr ansehen. Sie gehörten schon gar nicht mehr in diese Welt, und er konnte sich kaum noch vorstellen, daß es die beiden waren, mit denen er so lange zusammen gelebt hatte. Wie konnte der Tod so grausam sein? Es war das erstemal, daß der Gelbe so etwas erlebte. Vor kurzem hatten sie vier Tote, aber das waren Fremde, und sie waren auch sofort beerdigt worden. Widerstreitende Gefühle beherrschten seine Brust. Er mußte fort von dieser Ranch, sonst würde man auch ihn eines Tages abschießen. Der Chinese kannte sich selbst zu gut, als daß er Umwege machte. Er war feige, eine fürchterliche Angst hatte von ihm Besitz ergriffen. Wenn er schon die gefährlich aussehenden Waffen an den Hüften der Männer sah, wurde ihm anders zu Mute. Am Nachmittage näherte sich ein Reiter. Er kam im mäßigen Galopp der Farm zugeritten. Und dann sah der Chinese, wie von der anderen Seite her ebenfalls ein Reiter erschien, und das war O’Brien. Die beiden kamen fast gleichzeitig auf der Farm an. „Grüß Gott, Mister Smith!“ begrüßte O’Brien den Ankömmling. „Well, was gibt es Neues?“ 183
Jetzt erschien der Chinese auf dem Plan und auch die Cowboys traten aus dem Haus. „Jesse Owen war hier!“, rief der Chinese ängstlich. O’Briens Gesicht veränderte sich, es wurde ernst. Er schien den Gast jetzt gar nicht zu sehen. „Und was ist vorgefallen?“ „Er hat die beiden Cowboys erschossen!“ „Und wo wart ihr?“ „Wir waren bei dem Vieh.“ „Wie schrecklich! – Wo habt ihr die Toten gelassen?“ „Sie liegen jetzt hinter dem Hause.“ „Wie hat sich der Vorfall abgespielt?“ „Wir waren ja nicht hier, aber der Koch hat es uns erzählt.“ „Dann laßt den Koch berichten! – – Mister Smith, entschuldigen Sie“, sagte er nun an Billy Jenkins gewandt. „Kommen Sie mit herein. Es wird schon wieder sehr heiß.“ Der Koch stand ängstlich an der Tür. O’Brien wischte sich mit einem mächtigen Taschentuch die breite Stirn ab. „Nun erzähle mal ausführlich, was sich zugetragen hat.“ Der Chinese wollte schon beginnen, aber O’Brien unterbrach ihn. „Langsam … denk mal scharf nach. Wir wollen es genau wissen, denn wir müssen es nachher nochmal dem Sheriff berichten.“ Jetzt wußte die gelbe Seele kaum noch, was sie sagen solle. „Ich war in der Küche und gerade dabei, das Essen zuzubereiten, als ein Reiter kam. Erst wollte ich nicht hinausgehen, aber dann tat ich es 184
doch, und als ich um die Hausecke kam, sah ich Jesse Owen dort stehen.“ „Woher wußtest du, daß es Jesse Owen war?“ „Einer der Cowboys sagte es gerade. Der Fremde hatte einen mächtigen Kopf. Aber was ich in der Hauptsache bemerkte, waren die Feueraugen. Sie brannten so stark, daß man glaubte, nicht hineinsehen zu können. Als Jesse Owen kurz zu mir herüber blickte, griffen die anderen Cowboys nach den Waffen, und ich glaubte auch bestimmt, daß sie Jesse Owen erwischt hatten. Aber dieser bückte sich um einige Zentimeter, nahm die beiden haarscharf ins Visier und dann schossen auch schon beide Colts von den Hüften aus, während die andern beiden die Waffen gerade erst herausziehen wollten. Ich bin dann ins Haus gesprungen.“ „Und dann …?“ „Mehr war nicht. – Ich hörte ihn fortreiten. Es war ein großes Tier mit einem mächtigen Schritt.“ „Weiter – weiter –!“ sagte O’Brien. „Well, ich habe dann die Toten erst liegen lassen, bis die Cowboys kamen. Wir haben sie dann hinter das Haus getragen.“ „Das war richtig“, lobte er den Gelben. „Dann hast du alles getan, was du konntest. Es ist nur gut, daß du keine Waffe bei dir hattest, denn sonst hätte er dich auch noch erschossen. – Schätze, wir gehen mal zu den Toten.“ Langsam gingen sie um das Haus herum. Dort lagen die beiden Leichen im Schatten. Zwei glatte Kopfschüsse, sie hatten nichts davon spüren können. 185
Billy Jenkins und O’Brien konnten sich vorstellen, wie schnell sich alles abgespielt hatte. Auf den Gesichtern tummelten sich jetzt einige Fliegen, die O’Brien mit dem Schuh wegscheuchte. Aber sie ließen sich gleich wieder nieder. Die anderen beiden Cowboys standen daneben. „Well, beerdigt sie schnellstens. Hier können sie nicht liegen bleiben.“ Dann wandte sich O’Brien an Billy Jenkins. „Ist das nicht furchtbar? – Kann denn niemand diese Bestie fangen?“ Dabei betrachtete er durch seine dicke Brille aufmerksam Billy Jenkins. Dieser nickte nur. Jetzt hatte er fast die Gewißheit, daß Jesse Owen wirklich hier gewesen war. Er hatte schon die Spuren von O’Briens Pferd geprüft, aber die Hufe dieses Tieres waren in Ordnung, und O’Brien ritt immer dasselbe Tier. Langsam gingen sie ins Wohnzimmer zurück und ließen sich dort nieder. O’Brien füllte zwei Gläser mit Whisky. „Schätze, daß wir diesen Drink verdient haben“, sagte er mit einem leichten Lächeln. „Tut mir entsetzlich leid um die beiden Cowboys. Sie waren sehr tüchtig und zuverlässig.“ Sie tranken. Während Billy Jenkins O’Brien in den Augen behielt, schien dieser völlig ahnungslos zu sein. Manchmal blinzelte er auch zurück, aber das konnte man auf Grund der dunklen Brillengläser kaum erkennen. „Wo waren Sie denn während der Schießerei?“ erkundigte sich Billy Jenkins. „Wissen Sie“, begann O’Brien bedächtig, indem er an die Zimmerdecke sah. „Hab mir schon viele 186
Sorgen um die Brixton-Ranch gemacht. Sie kennen das junge Mädel ja, mit dem Sie einmal hier waren. Ich habe nun gehört, daß es ihr nicht besonders gehen soll. Gleichzeitig wollte ich meinen Gegenbesuch machen und da hab ich mir mal die Farm betrachtet. Nette stabile Gebäude. Man merkt doch gleich, daß diese Squatter vom alten Schlage sind. Scheint auch französisches Blut in den Adern zu haben, sind vor ungefähr hundertfünfzig Jahren eingewandert. Nächste Woche sollen meine beiden Bullen zu ihr gebracht werden. Sie können dann dort einige Wochen auf der Weide bleiben. Schätze, daß es für ihre Zucht kein Nachteil ist.“ O’Brien machte eine Pause. „Ich komme einfach nicht von den Toten los“, fuhr er dann fort. „Wenn man doch nur diesen Jesse Owen einmal fangen würde.“ Billy Jenkins saß immer noch nachdenklich auf seinem Stuhl. „Jesse Owen hat in der letzten Nacht auch einen Zug überfallen.“ Mit einem Ruck fuhr O’Briens Kopf herum. Aber dann war er auch gleich wieder der alte. „Wo war denn das?“ fragte er, und in diesem Augenblick klang seine Stimme etwas schärfer als sonst. „Bei Kilometerstein fünfhundertzwölf.“ „Haben die Banditen etwas erreicht?“ „Nothing!“ „Dann scheint es ein Racheakt gewesen zu sein, daß er bei mir erschienen ist.“ Nun erhob sich Billy Jenkins. „Sie haben gute Pferde“, meinte er wieder beiläufig. „Yes“, entgegnete O’Brien, „dafür hab ich auch 187
viel Geld ausgegeben. Aber wir können Sie uns ja einmal betrachten.“ Gemächlich schritten sie zu der Weide, die gleich hinter dem Farmgebäude lag. Dort grasten ein paar schwere Tiere, wie man sie selten in Arizona zu sehen bekam. „Ist mein Stolz“, meinte O’Brien, „sind noch jung und sollen im kommenden Frühjahr eingeritten werden.“ Aber auch unter diesen Pferden befand sich nicht das Gesuchte. „Ich werde jetzt nach der Brixton-Ranch reiten. Soll ich noch etwas bestellen?“ fragte Billy Jenkins. O’Brien überlegte eine Weile. „Ich glaube nicht, daß es da noch viel zu sagen gibt. Die Tiere kommen ‘rüber. Das haben wir schon verabredet und wenn Miss Ellen sonst Hilfe braucht, soll sie nur einen Cowboy zu mir schicken. Wir sind ja letzten Endes Nachbarn, da muß man sich gegenseitig unterstützen. – Nicht wahr, Mister Smith?“ „Of course“, entgegnete Billy Jenkins. Dann begleitete ihn O’Brien zu seinem Pferde. „Es ist ein ganz eigenartiges Tier“, murmelte er, „ich habe noch nichts Ähnliches vorher gesehen. Sicherlich besitzen Sie es schon lange.“ „No“, lächelte Billy Jenkins, „die Blessy ist erst vier Jahre alt. Aber sie ist ein überaus gelehriges Tier.“ Jetzt lachte auch O’Brien. „Man könnte beinahe das Gegenteil annehmen. Aber sehen Sie, so täuscht man sich.“ O’Brien versuchte das Pferd am Halse zu 188
klatschen. Aber Blessy machte gleich einen Satz seitwärts, und dann versuchte sie nach dem Arm von O’Brien zu schnappen. „He … Blessy!“ rief Billy Jenkins. „What’s the matter? – Sie ist eben tückisch und will mit niemand etwas zu tun haben. Ich kann es nicht aus ihr herauskriegen.“ „Never mind. – Freuen Sie sich, daß sie so ist. Lassen sie ihr doch diese Eigenschaft.“ Dann saß Billy Jenkins auch schon auf dem Pferde. „Schauen Sie wieder mal mit herein, Mister Smith.“ „Okay!“ rief Billy Jenkins vom Pferde herunter. Dann setzte sich Blessy schon in Galopp, aber diesmal lief Blessy immer seitwärts, sie tänzelte und Billy Jenkins betrachtete O’Brien noch lange sehr aufmerksam. „Verdammt!“ murmelte O’Brien unhörbar. Was verstand dieser Mensch alles? Verflucht. Er hätte so gern den Rücken des Mannes gesehen. Aber die Blessy sorgte allem Anscheine nach dafür, daß O’Brien nicht unbeobachtet blieb, bis sie aus der Schußentfernung heraus waren. Oder war das ein Trick von diesem Mister Smith, der das Pferd so fantastisch zu lenken verstand, daß es nicht einmal auffiel? Denn man sah nicht eine Bewegung mit der Hacke oder mit der Hand und trotzdem tänzelte sie. Erst nachdem sie zweihundert Meter entfernt war, ging sie auf einmal schnurgerade ab wie ein Pfeil. Merkwürdig. Jetzt hatte sie diese Launen gleich vergessen. 189
Der Kiefer von O’Brien schob sich vor und gab seinem Gesicht ein brutales Aussehen. Das ewige Lächeln war verschwunden und als Billy Jenkins nur noch wie eine Staubwolke am Horizont zu sehen war, brüllte er über den Hof: „Wo ist der Koch?“ Zitternd tauchte dieser auf. „Warum hast du die Leichen nicht gleich weggeschleppt, du blöder Halunke?!“ Dann schlug er den Gelben vor den Kopf, daß er stöhnend auf dem Boden liegen blieb. Er sprang zu den Cowboys. „Ich glaube, ihr lernt im ganzen Leben nichts dazu. War es nötig, daß dieser verdammte Schnüffler die Toten sah? Sie hätten schon längst in der Erde sein müssen. Jetzt kann ich noch zum Sheriff reiten und einen Bericht abgeben. Das ist alles nur notwendig, weil ihr nicht aufpaßt. So langsam bekomme ich hier noch einen schlechten Ruf. Seltsam, wenn ich einmal nicht da bin, klappt der ganze Laden nicht mehr.“ Jetzt war die Priesterwürde restlos von ihm abgefallen. Unwillkürlich gab O’Brien den Colts einen Ruck, daß sie nach unten flogen. Verdammt! Er war gerade in der richtigen Stimmung. Nun ging er etwas schwerer. Das Tier kehrte sich aus dem Mann heraus. Schleichend war sein Schritt und wehe dem, der ihm jetzt in den Weg gekommen wäre. Dann würden beide Colts Feuer spucken in so schneller Reihenfolge, wie man es in Arizona wohl selten zu sehen bekam. Aber dieser Mister Smith war ja nun weg, er war ihm entkommen, und er hatte ihm zugleich gezeigt, daß er ihm nicht traute. Dieses Tänzeln …! Darüber schäumte O’Brien am meisten. 190
Auch er kannte viele Tricks, aber so etwas hatte er eben noch nicht erlebt und er hätte ein Vermögen dafür gegeben, auch so ein Pferd zu besitzen. Was gingen ihn die Toten an. Jeder mußte für sich selbst aufpassen. O’Brien klatschte einen Moskito tot, der sich auf seinen Arm gesetzt hatte. Die beiden Toten waren nun verschwunden. Noch konnte man die frischen Erdhügel sehen. Aber wenn die Sonne ein paar Stunden auf die Gräber schien, war alles beim alten. Wie gesagt … häufig durfte so etwas nicht vorkommen. Das war für den Ruf seiner Farm nicht zuträglich, denn letzten Endes hatte er noch einige Dinge vor, die Geld bringen mußten, bevor er endgültig die „Golden Hill“ verließ. Jetzt verschwand er wütend auf seinem Zimmer. „Jesse Owen!“ murmelte er. Verdammt! Eigentlich hatte er ja Glück gehabt, daß er nicht anwesend gewesen war. In seinem Zimmer angekommen, stellte er sich vor den Spiegel. Bedächtig nahm er die Brille ab und sah in das Glas hinein. „Yes … Jesse Owen! …“, murmelte er. „Wenn ich dich sehe, werde ich der Schnellere sein“, und dabei blickten seine kleinen blutunterlaufenen Augen wie die eines bösartigen Stieres. „Wie ein Gepard werde ich dich angehen und dir das Blut aus dem Halse saugen. Du wirst aus dem Sattel fallen, bevor du die Augen aufmachst.“ O’Brien rieb sich die Augen mit den Handflächen. Diese verdammte Brille! Sie war wohl ein gutes Schutzund Tarnmittel; aber sonst störte sie ihn gewaltig. 191
Die Fangprämie, die auf Jesse Owens Kopf stand, würde dann auch in seinen Besitz übergehen. Er setzte sich auf einen Stuhl, daß es nur so krachte. Seine Hände baumelten bei den Colts und O’Brien spürte, wie ein glückliches Gefühl ihn überströmte. Vielleicht war es schon alles richtig so. Sein Blick flog nun Über das Land. Herrliche Gegend, bis weit hinunter, bis zu den welligen Bergen war es alles sein Eigentum. Es gehörte ihm … O’Brien . , dem Mormonenpriester aus Oregon! O’Brien setzte die Brille wieder auf und trat erneut vor den Spiegel. Ein Lächeln legte sich um seinen Mund, und mit ihm wurde das ganze Gesicht verändert. Es wurde geschmeidig und weich. Jetzt wirkte das Gesicht rund und gutmütig. Er war ein ganz anderer geworden, so konnte niemand die Bestie in ihm erkennen. *
* *
Wer durch das Grenzland von Arizona ritt, war über die ungeheure Weite dieses Landes erstaunt. Dort fand sich kaum etwas, woran sich das Auge erlaben konnte. Monotone graue Felsen, mittleres Gebirge, das zum Teil gänzlich unfruchtbar war und nur einige Blatt- und Säulenkakteen beherbergte. So konnte man tagelang reiten, ohne daß sich die Landschaft auch nur im geringsten änderte. Es gab hier einige Vogelsorten, die mit ihrem heiseren Gekrächze die 192
Luft erfüllten und viele Schlangen, es war durchweg giftiges Getier und es gehörte schon viel dazu, dieses nerventötende Land zu lieben. Dieser Teil Arizonas wurde selten von einem Fremden bereist. Manchmal erschien in dieser trostlosen Einöde eine Steppe, hier wuchs aber nur etwas eisenhartes Gras, das selbst die Pferde verweigerten. Erst wenn man weiter zum Norden ritt, kam man in einen fruchtbareren Landstrich. Dort gab es viel Gras, das manchmal so üppig war, daß man kaum hindurchschreiten konnte. Ab und zu gab es hier auch Tümpel mit kleinen Inseln. Doch hier mußte man sehr vorsichtig sein, denn es war schon mancher von einem Alligator hineingezogen worden. Ritt man von Ellistown nach Dreadwood oder Worrytown, so traf man drei verschiedene Zonen an: Berge, Steppe und einen fruchtbaren grünen Gürtel, der von einigen Farmern als Weideland ausgenutzt wurde. Wenn zwischen den Bezirken Ellistown und Dreadwood irgend etwas passierte, so wußte man es fast gleichzeitig in dem Felsennest Worrytown. Keine Zeitung konnte so schnell arbeiten und selbst wenn O’Brien versuchte, die zwei Toten zu vertuschen, so war es doch in ganz kurzer Zeit nach Worrytown durchgesickert, und man war darüber sogar genauestens im Bilde. Diesmal war Jesse Owen in Aktion getreten. Daran gab es gar keinen Zweifel. Man brauchte dazu nicht einmal die Aussage des Chinesenkochs, die Schüsse bewiesen es schon und auch das urplötzliche Auftreten. Das war typisch für Jesse Owen. Man hatte auch She193
riffs von dieser Güte gehabt, aber sie waren alle denselben Weg gegangen. Auch von dem Überfall auf den Zug hatte man in Worrytown gehört, und nun fragte man sich doch: was war mit Jesse Owen los? Jetzt kannten sie ihn bald selbst nicht mehr. Unter den Ungeduldigsten befand sich auch Leg. Wieder war die Bar gefüllt. Aber an diesem Tage waren sie alle unwirsch. Der Zustand wurde unerträglich für sie. „Schätze, daß das Felsennest keine Zukunft mehr hat“, sagte Leg. „Es hat nur den einzigen Vorteil, daß man hier praktisch vor dem Sheriff sicher ist. Aber das ist auch alles.“ Grane stemmte mißmutig seine Arme auf den Schanktisch. Leg hatte in gewissem Sinne recht. So allmählich teilte er seine Meinung. Vor kurzem war er noch fest davon überzeugt gewesen, daß es bald anders werden würde. Aber jetzt …? Ärgerlich wischte er mit einem Lappen den Tisch ab. Dann überlegte er wieder. Eigentlich könnte auch er seine Zelte hier abbrechen, denn es gab nichts Besonderes mehr, was ihn noch in Worrytown festhielt. Aber ein paar Wochen wollte er nun doch noch warten. Wenn Jesse Owen dann nicht aktiv wurde, war es ja noch Zeit genug, dieses Nest zu verlassen. Wie war es nur möglich, daß Jesse Owen sich jetzt verzettelte? Ärgerlich warf Grane den nassen Lappen in die Ecke, daß das Wasser herausspritzte. Der Kerl war sonst so clever. Was war bloß in ihn gefahren? Wie 194
konnte er sich mit so undankbaren Aufgaben beschäftigen und einige Cowboys erschießen? Wenn er diese Tat nicht begangen hätte, wäre es vorteilhafter für ihn gewesen, denn nun war die ganze Gegend gewarnt. Es sah nun ganz so aus, als sollte Worrytown seinen Namen zu Recht tragen. Man hatte hier schon seine Sorgen und es würde wohl bald so weit kommen, daß das letzte Haus leer stand. Grane besaß noch einen mächtigen Vorrat an Alkohol und den hätte er gern realisiert. Aber wenn das Geschäft so weiter lief, dann konnte er noch einige Jahre darauf sitzen bleiben. Nun horchte er wieder auf das Gemurmel im Raume. Die meisten Banditen saßen am Tisch und unterhielten sich ziemlich leise, während Leg wie ein stolzer Hahn auf und ab spazierte. Es war ihm ja auch nicht übel zu nehmen, daß er jetzt meuterte. „Jedenfalls habe ich diese Warterei satt“, fing er von neuem an, „und keine Lust mehr, mir noch länger diese Umgebung anzusehen. Und ich schätze, daß es für euch alle wohl am besten ist, wenn ihr euch auch so langsam mit dem Gedanken vertraut macht, daß hier kein Gras mehr wächst.“ „Sei mal still …!“ rief Grane. Leg sah gelangweilt zu ihm hinüber. „Well …“, meinte er dann gedehnt, „was hast du denn schon wieder?“ Grane horchte. – „No, ist schon gut“, sagte er dann. „Ich dachte, hätte eben jemand gehört.“ Leg nahm seinen Rundgang wieder auf. Alle Au195
gen hingen jetzt gespannt an ihm. „Die fetten Zeiten des Round’ups sind vorbei und diesmal sind die Farmer ohne einen Hit davongekommen. – Jesse Owen läßt einfach nichts mehr von sich hören. Schätze, daß er seine Nerven verloren hat. Er läßt es sogar zu, daß die anderen mit seinem eigenen Namen hausieren gehen und tut nichts dagegen, als daß er ein paar harmlose Cowboys zusammenschießt. Die Glanzzeit von Jesse Owen ist vorüber, und es hat auch keinen Zweck, sich Illusionen zu machen oder ihm nachzutrauern …“ Die Tür flog auf. Leg drehte sich herum. Unwillkürlich wich er einige Schritte zurück. Dort stand Jesse Owen mit ruhigem, unbeweglichem Gesicht. „Yes …“, fuhr er fort, „Jesse Owen läßt das alles zu. Er ist damals gestorben, es ist schon lange her.“ „So war es nicht gemeint“, warf Leg ein. „Shut up! …“ brüllte Jesse Owen jetzt zurück. Mit kalkweißem Gesicht stand Leg an der Wand und wartete auf die Dinge, die da kommen sollten. Er konnte sich jetzt schon vorstellen, was sich in Sekundenschnelle abspielen würde … Aber vielleicht … Da rief Jesse Owen mit vernehmlicher Stimme in den Raum: „Jesse Owen hat noch nicht die Nerven verloren! Warum ziehst du nicht?“ „Aber das ist doch Unsinn, Jesse Owen!“ „Nenne mich ,Stony Face’. – Aber zieh, you rattlesnake!“* *
rattlesnake = Klapperschlange 196
Entsetzt stand Grane an den Barschrank gelehnt. Auch er war kalkweiß geworden. Er dachte noch einmal zurück, aber er konnte sich nicht erinnern, irgend etwas gegen Jesse Owen gesagt zu haben. Hätte er es getan, so würde er jetzt keine Sekunde mehr gezögert haben, den Colt herauszureißen, um auf Jesse Owen anzulegen. Jetzt sah er den großen Banditen dort stehen. Wie genau kannte er die Haltung. Und dann flog auch schon ein Blitz aus dem Colt. Leg legte sich auf den Boden. Mit einem Blick ging Jesse Owen über die anderen Anwesenden hinweg. Er hielt immer noch den Colt in der Hand. Dann blieben seine Augen auf Grane haften, der es nun wieder mit der Angst bekam. „Warum schenkst du nicht ein? – Wieviel Leute sind wir übrigens?“ Mit dem Lauf des Colts zählte er. „Es sind elf Mann. – Ihr, Steve und Valley, bringt den Kadaver hinaus, er stört mich. Und du –“ er zeigte dabei auf einen andern, „holst einen Sack Sägespäne.“ Dann wählte er noch zwei Mann aus. „Ihr postiert euch auf die bekannten Plätze als Beobachter. Wenn sich jemand Worrytown nähert, so laßt euch nicht blicken, sondern kommt sofort hierher. – Es ist gut möglich, daß wir heute noch Besuch bekommen.“ Jetzt stand er am Bartisch. „Well …“, meinte Grane jetzt wieder in seiner vertraulichen Art, denn er hatte nun wieder Oberwasser. „Wen meinst du denn?“ Jesse Owen trank ein Glas Whisky. Dann stellte er 197
das Glas wieder auf die Tonbank. „Möglich, daß Billy Jenkins kommt.“ Grane fühlte, wie es ihm eigenartig über den Rücken lief. Dann konnte es ja noch ein mächtiges Feuerwerk geben – ausgerechnet Billy Jenkins. Jesse Owen ließ sich in der Ecke der Bar nieder. Dort hatte er seinen Platz, den er immer einnahm, wenn er hier war. So ähnlich war es damals auch in Dreadwood gewesen, nur umgekehrt, damals saß Billy Jenkins an dieser Stelle und er an der Tür. Als Jesse Owen auf dem Platz saß und der Drink vor ihm stand, probierte er aus, wie er Billy Jenkins mit derselben Manier abfertigen konnte. Damals hatte er die linke Hand nicht beobachtet und das mußte er damit bezahlen, daß ihm Jenkins seine Gesichtsmuskeln zerschossen hatte. Vielleicht konnte er das auch …! Das wäre sein größter Triumph. „Wieder unproduktiv!“ würden die anderen denken. Trotzdem wären sie wohl zufrieden, wenn es sich dabei um Billy Jenkins handelte, den Mann, den sie am meisten fürchteten, und dem sie mit allen Mitteln aus dem Wege gingen, weil von diesem Manne zu viel Gerüchte im Umlauf waren. Dieser Mann beherrschte außer seiner ungeheuren Schnelligkeit auch noch viele Tricks, die sie fürchteten. Unwillkürlich fuhr sich Jesse Owen mit der Hand über das Gesicht. Aber die Einschußstellen waren schon ganz vernarbt, kaum, daß man sie spürte, wenn man darüber hinfuhr. Ja, die anderen hielten ihn für den, der er früher einmal war: Jesse Owen, der hinter dem Gelde herjagte, um es dann unter ih198
nen zu verteilen und gewaltige Orgien zu feiern. Sie konnten außer der Starrheit seines Gesichts keine Veränderung wahrnehmen. Es war wohl ein steinernes Antlitz, in dem sich weder Freude noch Leid zeigte, das stimmte; aber sonst war für sie Jesse Owen derselbe geblieben. Und sie waren schon glücklich, daß er hier war und mit ihnen trank. Vielleicht stellte er in dieser Nacht noch eine Truppe zusammen. Würden sie Jesse Owens Pläne erraten haben, wären sie wohl aus Worrytown gehetzt und hätten sich nie wieder sehen lassen. Sie ahnten nicht, daß Jesse Owen nur noch ein lauerndes Tier war; Welten trennten Jesse Owen von seinem ersten Ich. Es hatte nichts mehr mit dem des alten Jesse Owen gemeinsam. Jetzt, nach langer, langer Zeit wußte Jesse Owen es selbst. Man hätte ihm ruhig sagen können, daß auf einer bestimmten Farm Tausende Dollars lagen, die er nur abzuholen brauchte. Jesse Owen hätte sie nicht geholt! Er wollte nur noch all diejenigen zusammen schießen, die ihm zuwider waren. Wie ein Gewitter wollte er über sie herfallen und darum saß Jesse Owen hier. Er hoffte, daß Billy Jenkins kam. Deshalb trank er auch nur wenig. So verliefen die Stunden. Mitternacht war vorbei. Aber Billy Jenkins war nicht gekommen. Die zwei Banditen standen immer noch auf ihrem Posten, Da erhob sich Jesse Owen. „Well Grane … Hier sind ein paar hundert Dollar.“ Grane wollte erst noch etwas erwidern, er wollte fragen: wie ist das nun? Kommst du nun bald? Geht 199
es wieder los? … Aber es kam kein Wort über seine Lippen. „Okay“, sagte er nur. Und dann war Jesse Owen verschwunden. Er stapfte durch die Sägespäne, die man über das Blut geworfen hatte. Ach ja … da hinten lag ja noch der tote Leg. Aber den konnten ja die anderen morgen früh beerdigen. Nachdenklich füllte Grane wieder die Gläser. Nachdem Jesse Owen verschwunden war, wurde es wieder lauter; auch tat bei vielen der Alkohol schon seine Wirkung. *
* *
Der letzte Viehaufkäufer hatte die „Golden Hills“ verlassen. Die Zeit des Viehtreibens, des „Round’ups“ und des Brennens war vorbei. Jetzt nahm der Farmbetrieb wieder seinen normalen Verlauf. Die dicken Staubwolken waren verzogen, daß Vieh befand sich wieder auf den richtigen Weideplätzen und konnte dort ungestört grasen. Jetzt galt es wieder Gewicht für das nächste Jahr zu machen. Die neue Zucht mußte heranreifen, so gab es neue, tausendfache Arbeit. Es war eine ewige Wiederholung, aber ein immer wieder neues Werden. Ellen hatte in diesem Jahr schlecht abgeschnitten. Auf der Brixton-Farm war keine Veränderung eingetreten, Vieh war überhaupt nicht verkauft worden, und sie konnte kaum noch die Löhne für ihre zwei 200
Cowboys auszahlen. Es war eine harte Zeit für sie. Trotzdem war sie jedesmal froh, wenn sie zu ihrer kleinen Cattle ritt und ihr Foreman, auch ein alter Squatter, der schon seit ihren Kindheitstagen im Dienst war, ihr alles erklärte. „Sie werden es schon schaffen“, tröstete er sie, „und außerdem … ich brauche vorerst kein Geld.“ So kam er ihr gern entgegen, denn wo soviel Tatkraft am Werke war, konnte es nur einen Aufstieg geben. Man brauchte nur ein paar Jahre, dann würde die Brixton-Ranch im alten Glanz erstehen. Die guten Weiden würden sich auffüllen mit buntem Vieh. Am Nachmittage sah Ellen eine Staubwolke, die sich der Farm näherte. Als diese herankam, erkannte sie, daß es O’Brien war, gefolgt von einem Cowboy mit den zwei Bullen. „Ich wollte Ihnen die Bullen bringen!“ „Das ist nett, Mister O’Brien.“ Sie führte ihn ins Wohnzimmer, wahrend der Cowboy die Tiere zu der Cattle weitertrieb. O’Brien ließ sich behäbig auf einem Stuhl nieder. „Sie haben es hier schön“, begann er in seiner bedächtigen Art. Ellen fühlte sich in der Gegenwart dieses Mannes nicht wohl. Sie wußte zwar nicht, was es war, aber ihr Gefühl warnte sie. O’Brien kam ihr in jeder Beziehung entgegen, er war freundlich, ja, sogar sehr liebenswürdig. Und trotzdem … Nun zündete er sich eine Zigarre an. „Was macht denn Mister Smith?“ fragte er unvermittelt. 201
„Ich weiß nicht“, entgegnete Ellen, „er kommt nicht allzu häufig hierher.“ „Wohnt er nicht bei Ihnen?“ „No“, entgegnete Ellen, „Er kommt nur manchmal zu Besuch.“ „Und ich dachte, er hätte bei Ihnen ein festes Zimmer“, kicherte O’Brien. „Arbeitet er denn als Cowboy?“ „No.“ „Wovon lebt er denn?“ „Das kann ich Ihnen nicht erklären“, entgegnete Ellen ziemlich barsch, da ihr diese Fragestellung nicht behagte. O’Brien spürte es. „Well, Miss Ellen. So war das nicht von mir gemeint. Aber Sie haben sicherlich von dem Unglück auf meiner Farm gehört, ich hätte Mister Smith ganz gern eingestellt. Hätte für mich arbeiten können. Schätze, daß er ein brauchbarer Cowboy ist.“ Nun blickte er versonnen über das Land. „Eine schöne Gegend, die sich die Squatter ausgesucht haben.“ Es wurde Ellen in der Gegenwart dieses Mannes unheimlich, wie geschickt und schnell er das Thema wechselte. Sie hörte zwei Cowboys heranreiten, die gleich darauf abstiegen und in ihrem Wohnzimmer erschienen. „Wir sollten hier behilflich sein“, sagte der Größere von ihnen. Ellen erhob sich. „Es ist nett, daß ihr gekommen seid. Kommt erst mal in die Küche, ich erkläre euch alles.“ Sie entschuldigte sich bei O’Brien und ging dann mit den beiden Cowboys fort. In der 202
Küche angekommen, hielt sie sich an der Tür fest. Ihr wurde schwindelig. „Tut mir bloß einen Gefallen und bleibt hier. Ich fürchte mich vor diesem Mann.“ „Oh, that’s all right“, sagten sie. „Sagen Sie nur ein Wort und wir werden ihm schon zeigen, wie man unter Squattern arbeitet.“ Ellen lächelte. „Nein. So ist es wohl nicht. – Aber ich mag nicht mit ihm allein sein.“ Nun ging sie wieder ins Wohnzimmer zurück. Inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen und Ellen zündete das Licht an. „Kommt Mister Smith noch heute zurück?“ „Das kann ich nicht sagen. Ich frage Mister Smith nie, wohin er reitet und wann er zurückkommt.“ O’Brien spürte deutlich die Ablehnung aus ihren Worten. Nun erhob er seinen schweren Körper. „Well, Miss Ellen, nun wollen wir hoffen, daß Sie mit Ihrer neuen Aufzucht recht viel Glück haben. Ich lasse die Bullen nach einigen Wochen wieder abholen.“ Er reichte ihr die Hand und starrte sie durch die dunkle Brille an. „Wir sehen uns ja noch häufiger, und wenn Sie mal etwas brauchen, lassen Sie es mich wissen.“ „Das ist nett, Mister O’Brien. Aber ich schätze, daß ich nun wohl über die Zeit hinweg komme.“ Dabei stieg er auf sein Pferd und ritt in den Abend hinein. Eine Weile sah Ellen dem Entschwindenden nach, bis die Dunkelheit ihn aufgesogen hatte. Noch hörte sie sein Hufgetrappel, aber dann wurde es leiser und leiser und verklang in der Ferne. Aufatmend 203
blieb sie stehen. Gott sei Dank, daß dieser Mensch fort war. Noch Stunden hielt sich O’Brien in der Nähe der Brixton-Ranch auf. In mächtigem Bogen umritt er sie und beobachtete. Er bemerkte, daß ein Fenster ständig hell erleuchtet war, sicherlich wohnte dort Mister Smith. Yes, … dieser Mister Smith, der hatte es O’Brien angetan. Sein breites Gesicht wirkte nun wieder wie das eines Bullen. Manchmal stieg er vorn Pferde und blickte minutenlang zu der Farm. Dann suchte er den Weg, den ein Reiter einschlagen mußte, um zu der Brixton-Farm zu gelangen. Er stellte in der Nähe sein Pferd in ein Gebüsch, so daß es nicht sichtbar war. Von hier aus konnte er sowohl die Farm als auch den vor ihm liegenden Weg beobachten. Aber Mister Smith kam nicht. Es blieb still. So waren einige Stunden vergangen; außer dem Gesumm der Moskitos und der Zikaden war nichts zu hören. O’Brien kannte diese Geräusche, die Moskitos konnten ihn kaum stören. Nun bestieg er wieder sein Pferd und ritt fort. Er schlug aber nicht den Weg zu seiner Farm ein, sondern ritt der Bahn entgegen. Nach einem einstündigen Ritt lag das beleuchtete Bahnhaus vor ihm. Er band in einiger Entfernung sein Pferd an. Dann schritt er zu dem Hause hinüber. Wie er durch die Scheibe sehen konnte, saß Lester Blue, wie gewöhnlich um diese Zeit, am Morseapparat. Ein Lächeln legte sich um seinen Mund. So hatte er es sich vorgestellt. Es schien schon alles seine Richtigkeit zu haben. Vorsichtig berührte er den 204
Türdrücker, der sich ohne ein Geräusch zu verursachen, öffnen ließ. Lester Blue war so in seine Arbeit vertieft, daß er nichts davon vernahm, als sich O’Brien geräuschlos zur Tür hineinschob. Erst als er diese hinter sich geschlossen hatte, sagte er mit merkwürdig leiser Stimme: „Halloo Sheriff!“ Mit einem Ruck fuhr Lester Blue herum und sprang auf. Verflucht! Wie hatte er sich erschrocken! Dann legte sich ein würgendes Gefühl um seinen Hals, aber er ließ sich nichts anmerken. „Habe Sie gar nicht eintreten hören.“ „So“, entgegnete O’Brien lächelnd, indem er ihm die Hand reichte. „Well“, meinte der Sheriff. „Was gibt es Neues?“ „Nichts von Bedeutung. – Ich war gerade hier und dachte, ich könnte gleich noch ein Telegramm aufgeben. Ich wollte ein paar Tiere zukaufen, es handelt sich um ein paar bunte Kühe aus Nevada. Es gibt da eine besondere Farm, die gerade diese Tiere heranzüchtet.“ Lester Blue hatte das bestimmte Gefühl, daß das nur eine Ausrede war. Wegen einer solchen Sache wäre O’Brien nicht mitten in der Nacht gekommen. Dieser Vorwand war zu fadenscheinig. Trotzdem tat er so, als wenn alles seine Richtigkeit hätte. O’Brien hatte sich jetzt wieder eine Zigarre hervorgeholt und bot auch Lester Blue eine an. „Nein, vielen Dank“, entgegnete dieser. „Ich habe noch zu arbeiten.“ „Sind Sie allein?“ fragte O’Brien. Er hatte die Frage ganz naiv gestellt, trotzdem 205
hörte Lester Blue den darin schwingenden Unterton mit. Aber bevor er sich recht besann, antwortete er schon und sagte: „Yes.“ In demselben Augenblick wußte er auch, daß er einen Fehler gemacht hatte. Er fühlte, wie sich ein paar Schweißperlen auf seine Stirn setzten. Währenddessen hatte sich O’Brien gemütlich in die Ecke auf einen Stuhl gesetzt und tauchte dort im Dunkel des Raumes tief unter, daß man kaum sein Gesicht erkennen konnte. Lester Blue hatte einen kleinen Spiegel, den er nun so weit herum drehte, daß er O’Brien zumindest sehen konnte. Aber das war O’Brien auch nicht entgangen, wenn er auch nicht darüber sprach. „Ist das Protokoll schon fertig?“ „Welches?“ fragte Lester Blue. „Well, betreffs des Überfalls von Jesse Owen.“ „Yes, liegt bei mir in der Wohnung.“ Wieder hatte Lester Blue einen Fehler gemacht. Verdammt, was war denn heute eigentlich mit ihm los? „Weshalb?“ fragte er nun. „Das ist gut, denn es muß noch einiges korrigiert werden.“ Lester Blue blickte jetzt zu ihm hinüber, indem er den Morseapparat aus der Hand legte. „Ich wüßte nicht, was man da noch korrigieren sollte. Jesse Owen hat die beiden doch erschossen.“ O’Brien streckte die Beine weit von sich und Lester Blue hatte das Gefühl, als wenn die Colts dabei automatisch etwas tiefer fielen. Der Blick von O’Brien wurde stechender und ließ ihn kaum noch aus 206
dem Visier. „Trotzdem wird das Protokoll noch geändert!“ „Nichts zu machen“, entgegnete Lester Blue bestimmt, „das bleibt so, wie es ist.“ „Schätze, daß wir da noch ganz kurz drüber sprechen.“ Jetzt schob sich die Gestalt von O’Brien mit dem Oberkörper vor. „Ich will Ihnen mal was sagen …“ Lester Blue wußte, jetzt kam das, was er seit langem vermutete. Jetzt würde sich die Gestalt zu dem entpuppen, was sie wirklich war. Jetzt kam die Kehrseite der Medaille zum Vorschein. Es wäre Wahnsinn, jetzt nach dem Colt zu greifen, insbesondere wo er so unglücklich saß. Aber da hielt O’Brien plötzlich inne; seine kleinen Ohren lauschten. Er hatte etwas gehört. Yes, tatsächlich. Jetzt konnte es Lester Blue auch hören. Ein Reiter! Das war seit Jahren schon nicht vorgekommen, daß des Nachts noch ein Reiter kam. Welch ein Glück! Hoffentlich hielt dieser Mann hier bei der Bahnstation an, aber das war anzunehmen, denn es gab hier in der Umgebung überhaupt kein Haus mehr, und wer hier ritt, wollte sicherlich zu ihm. O’Brien lehnte sich wieder zurück. Das Gesicht entspannte sich. „Es handelt sich hierbei nur um eine kleine Formalität“, meinte er dann, „ist gänzlich belanglos, und wenn es Ihnen zuviel Arbeit macht, können wir es natürlich auch sein lassen.“ Lester Blue spitzte die Ohren. Was waren das auf einmal für Schalmaienklänge aus einer ganz anderen Richtung. Das hatte nur der kommende Reiter be207
wirkt, der jetzt jeden Augenblick hier erscheinen mußte. Nun hielt das Pferd an. In dem Gespräch entstand eine Pause. Man wartete auf den Neuankömmling. O’Brien sog gemütlich an seiner Zigarre, er schien völlig unbelastet zu sein. Und dann ging die Tür auf. „Halloo, Mister Smith!“ sagte O’Brien erstaunt. „Hab’ nicht gedacht, daß ich Sie heute nacht wiedersehen würde.“ Billy Jenkins blieb ruhig in der Tür stehen. Ihm war nicht anzumerken, was ihn bewegte, „Habe Sie hier auch nicht vermutet“, entgegnete er ziemlich kurz. „Wollte nur noch ein Telegramm aufgeben und noch einige Kühe zukaufen. – Sie wissen ja, das ist nun mal meine Schwäche.“ Dabei lächelte O’Brien. Billy Jenkins ließ sich nun auf einem Stuhl nieder, der dicht bei der Tür stand. Von diesem Platz aus konnte er von draußen nicht gesehen werden und hatte gleichzeitig O’Brien gut im Blickfeld. O’Brien hatte dieses auch mit einem Blick erfaßt. Dieser Mister Smith machte wohl überhaupt keinen Fehler. Dafür hatte er ein besonderes Auge. Smith saß so raffiniert an der Tür, daß er die Waffe jederzeit ziehen konnte und zu gleicher Zeit wirkte die Haltung äußerst harmlos, als sei diese Lage nur durch Zufall entstanden. Aber O’Brien wußte ganz genau, wieviel Zeit man damit verbringen mußte, um das alles zu lernen. Als er Smith zum erstenmal sah, hatte er gleich gewußt, daß er diesen Mann nicht unterschätzen durfte. Er hatte ein Gefühl dafür, das sich immer wieder als richtig erwies; außerdem tauchte 208
dieser Kerl immer zur unrechten Zeit auf. O’Brien war fest davon überzeugt, daß Smith genau gewußt hatte, daß er hier war. Das Ganze wirkte wie ein Katz- und Mausspiel, Beide beobachteten sich, beide wollten nur hören, keiner wollte sich verausgaben; Mister Smith entwickelte dabei eine ungeheure Ruhe und er bewies auch mit seinen nächsten Worten, daß er die Zügel fest in der Hand hatte. „Warum binden Sie Ihr Pferd so weit vom Hause entfernt an?“ O’Brien war zuerst sprachlos darüber, daß Mister Smith auch das entdeckt hatte, ,,’ne Marotte von mir … leichter Aberglaube … wissen Sie, jeder hat ja so seine Schwäche.“ „Yes – yes –“, entgegnete Billy Jenkins. Er schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. Ruhig sog O’Brien an seiner Zigarre. Der Rauch ringelte sich in der Luft. Hinter den Brillengläsern funkelte er Billy Jenkins an. Jetzt konnte nur Geduld den Ausgleich bringen“. Nun mischte sich Lester Blue, der sich aus seiner unangenehmen Lage befreit fühlte, in das Gespräch. „Mister O’Brien wollte ein Telegramm aufgeben. Aber insbesondere sprach er von dem Protokoll, das geändert werden sollte. – Sind Sie nicht auch der Meinung, daß das Protokoll richtig ist, Mister Jenkins?“ Billy Jenkins warf einen Blick auf O’Brien. Dieser spitzte die Ohren, tat aber ganz harmlos. „Was? – – Sie sind Mister Jenkins?“ dabei lächelte er gemütlich zu ihm hinüber. 209
„Yes“, entgegnete Billy Jenkins. „Und ich dachte, Sie heißen Smith!“ „Yes, manchmal muß man einen anderen Namen tragen, weil es gesünder ist.“ „Of course –, of course –“, bestätigte O’Brien, der noch immer den richtigen Anschluß suchte. „Es gibt ja viele Menschen“, fuhr Billy Jenkins fort, „die einen falschen Namen tragen und unter ihrem Schafkleid einen mächtigen Wolf verbergen.“ O’Briens Figur straffte sich. „Sie haben recht, Mister Jenkins, so ist es. Aber es freut mich ganz außerordentlich, daß ich bei dieser Gelegenheit den großen Revolverschützen einmal kennenlerne. Habe schon viel von Ihnen gehört.“ Aber Billy Jenkins ging gar nicht darauf ein. „Die Sterblichkeitsziffer auf Ihrer Farm ist eigentlich sehr hoch.“ „Sicherlich meinen Sie das letzte Unglück.“ „No“, entgegnete Billy Jenkins. „Den Überfall von Jesse Owen.“ „Yes – yes“, O’Brien wurde sichtlich nervös. „In welchem Town waren Sie eigentlich?“ „Im Staate Oregon.“ O’Brien rückte sich zurecht. Seine Augen wurden noch kleiner, noch durchdringender. „Well Mister Jenkins … wissen Sie, ich war mal hier, mal da. Wir Mormonen sind ja nicht so ansässig, beinahe möchte ich sagen, wir haben Squatterblut in den Adern.“ Dabei lachte O’Brien. Aber Billy Jenkins blieb eisern, seine Augen gingen kaum von dem Gesicht O’Briens fort. Er nahm 210
jedes Muskelspiel dieses Mannes wahr und trotzdem war sein eigener Gesichtsausdruck ganz harmlos. Nur O’Brien wußte, welcher Größe er gegenüber saß, und er konstatierte, daß Billy Jenkins außer seiner Schießkunst auch noch andere beachtliche Eigenschaften besaß; ein Intelligenzmensch, der eiskalt und undurchsichtig in jeder Lage blieb, O’Brien war fest davon überzeugt, daß gleich noch mehr Überraschungen kommen würden. „Was sollte denn an dem Protokoll geändert werden?“ fragte er nun. „Nicht der Rede wert. – Hätte gern noch einiges erwähnt, um es ausführlicher zu gestalten. Aber wenn ich richtig darüber nachdenke, ist es eigentlich ganz egal. Denn Bericht bleibt Bericht. – Schätze, daß ich nun weiterreite.“ O’Brien erhob sich. „Sie wollten doch ein Telegramm aufgeben.“ „Richtig –“, lächelte er. „Wie kann man nur so vergeßlich sein?“ Wieder hatte er eine Schlappe erlitten. O’Brien bestellte wieder ein paar Kühe aus Nevada. Billy Jenkins erhob sich zu gleicher Zeit. „Ich reite mit Ihnen.“ Als sie draußen waren, stand Blessy direkt vor der Tür. „Well, Blessy“, sagte Billy Jenkins, „du wartest wohl schon?“ Dann schritt er zu O’Briens Pferd. „Ein schönes Tier“, sagte Billy Jenkins, als O’Brien sich aufschwang. Dann ritten sie in die Finsternis, der O’Brien-Farm entgegen. Billy Jenkins achtete stets darauf, daß O’Brien einige Schritte vor ihm ritt. „Ich dachte, Sie waren ein Cowboy, und hatte 211
schon die Hoffnung, Sie bei mir einstellen zu können. Aber ich konnte ja nicht wissen, daß Sie in Wirklichkeit Jenkins heißen.“ Billy Jenkins entgegnete nichts. „Eine herrliche Nacht“, fuhr O’Brien fort. „Ich finde dieses Land nun einmal schön.“ „Yes“, entgegnete Billy Jenkins. „Es könnte hier ganz schön sein“, und dabei sah er O’Brien ruhig an. „Können Sie in der Dunkelheit mit der Brille gut sehen?“ „Yes. – Hatte mal ein Unglück und seitdem trage ich sie.“ „Das habe ich mir gedacht“, antwortete Billy Jenkins mit merkwürdigem Tonfall. O’Brien wußte diesmal nicht, wie es gemeint war. Lester Blue war nach diesem Vorfall vorsichtig geworden. Das sollte ihm in Zukunft nicht wieder passieren, daß plötzlich jemand hinter seinem Rücken stand. Ab sofort wurde die Tür verschlossen, außerdem arbeitete Lester Blue nicht mehr in den Abendstunden. Er zog sich dann auf seine Farm zurück. Dort gab es auch genügend zu tun. Diesmal war es noch gut gegangen, aber was hätte er wohl gemacht, wenn statt Billy Jenkins Jesse Owen erschienen wäre? Stony Face! Wo er erschien, fiel jemand um, und in diesem Falle wäre er bestimmt der erste gewesen. Welches Glück, daß Billy Jenkins gerade noch zur rechten Zeit gekommen war. Was war das doch für ein seltsamer Mensch! Lester Blue war bekannt als ein Mann ohne Nerven. Aber im Geheimen gab er es doch zu, daß er Angst gehabt hatte. 212
Lester Blue war froh, in dieser Nacht in seinem Hause zu sein. Wenn er in die Ferne sah, so konnte er einige Lichter blinken sehen. Sie stammten aus Worrytown, dem Nest, von dem alles Üble kam. Ob Billy Jenkins das wohl klären konnte. Lester Blue hatte auf einmal das Gefühl, als überlebte er das Ganze nicht mehr. In der letzten Nacht war er zu dicht an der Grenze des Lebens gewesen. Es bahnte sich etwas an, es näherte sich mit so gewaltigen Schritten, daß man es kaum übersehen oder überhören konnte. Und trotzdem war ein Tag wie der andere. Aber Lester Blue brauchte nur an Billy Jenkins nüchterne Fragestellung denken. Auch er war davon überzeugt, daß bei einer Schießerei Billy Jenkins das letzte Wort reden würde. Es kam ihm so vor wie ein unheimliches Kräftemessen zwischen O’Brien und Billy Jenkins, und in diesem tödlichen Rennen lag Billy Jenkins um eine Nase voraus. Er war offensichtlich der Stärkere, er hatte die besseren Nerven und sich so ungeheuer in der Gewalt, daß man gegen ihn nicht bestehen konnte. Lester Blue hatte geglaubt, daß sich allmählich das Dunkel klären würde, stattdessen wurde es jetzt immer verworrener. Einer beobachtete den anderen und niemand wußte genau, wer der andere wirklich war. Lester Blue hätte viel darum gegeben, Billy Jenkins’ Gedanken erraten zu können – was mochte wohl hinter dieser Stirn vorgehen? Ganz in Gedanken blickte er nach dem Felsennest hinüber. Und in diesem Augenblick ging ein Licht im oberen Stockwerk der Bar an. Der Sheriff kannte die Häuser nur zu gut. Warum schlief man dort noch 213
nicht? Oder sollte dort der Auftakt zu dem großen Reigen beginnen? *
* *
Es war Nacht, wie es tausendmal war; sie unterschied sich in nichts von den vorhergegangenen. Die Sterne funkelten nur blaß auf die Erde herab und der Mond lag auf dem Rücken und bildete nur noch eine schmale Sichel. Ein paar gefärbte Wolken spielten um ihn herum und die Luft war voller Gerüche, kaum, daß der Wind die Blätter zu einem Rascheln bewegen konnte. Nur manchmal kreischte ein Vogel auf, wenn er im Schlaf von irgend etwas träumte und dann schüttelte er sein Gefieder, flatterte sich wieder zurecht und legte die Flügel wieder zusammen, um weiter zu schlafen. Viele kleine nächtliche Räuber schlichen durch das Dunkel, sie konnten jetzt in der Finsternis prachtvoll sehen. Geräuschlos bewegten sie sich gegen den Wind, um dem Opfer keine Sicherung zu geben. Vor seiner Höhle lag ein mächtiger, alter, ausgewachsener Rabbit. Sein Fell war schon zerzaust von vielen Kämpfen und manche Narbe war an ihm zu sehen. Er schlief mit offenen Augen und war schon manchem Angriff seiner Feinde blitzschnell entwischt. Aber diesmal sollte er das Opfer werden. Ein Marder statte sich an ihn herangeschlichen und dann war es auch schon zu spät. Blitzschnell hatte das gewandte Tier sich an den Hals des Rabbits festgebissen. Nun erfüllte ein erbärmliches Geschrei den Wald; 214
der Rabbit wehrte sich verzweifelt, um sein Leben zu behalten. Aber wem einmal der Marder an der Kehle saß, mit dem war es vorbei. Intensiv und unaufhaltsam sog er dem Tier das Blut aus dem Körper. Der Rabbit wurde schlapper und schlapper, seine Bewegungen ließen nach, ein letztes Röcheln, dann hauchte der Rabbit sein Leben aus. Er hatte die Waldtiere mit seinem Geschrei gewarnt. Sie saßen nun alle in der Dunkelheit, hoben die Köpfe und drängten sich dicht zusammen, als könnten sie damit der Gefahr besser begegnen. In den Bäumen zitterten die gefiederten Sänger, denn der Marder war auch ihr Todfeind. Dann hatten sie alle eine Witterung. Selbst der Marder ließ von seiner Beute ab. Ein Mensch kam mit seinem Pferd durch diese Waldschneise. Der Marder lag im tiefen Gebüsch und äugte zu dem neuen Feinde. Er pepperte einmal leise zwischen den Zähnen, es klang wie einsaugen. Aber dann wurde er ganz still, das Tier schien jetzt nur aus ein paar Augen zu bestehen, die aufmerksam jeden Schritt des Pferdes verfolgten. Langsam verklangen die Huftritte und die gewohnte Stille trat wieder ein. Der Blutgeruch des Rabbits hatte auch andere Tiere herbeigelockt und nun setzte ein Endkampf um die Beute ein, während sich der Marder in sein Versteck zurückzog. Er war satt; er hatte sich an dem Blut gelabt. Fast geräuschlos bewegte sich das Pferd, trotzdem es nun den steinigen Weg zum Felsennest nahm. Kaum, daß der Reiter die Zügel in der Hand hielt. — — Überall war es dunkel, nur in der Bar von Worry215
town brannte noch Licht, und dorthin zog es diesen Reiter mit unwiderstehlicher Gewalt. Kurz vor der Bar stieg er völlig geräuschlos von dem Pferd ab. Es blieb sofort stehen, als sich der Mann entfernte, der sich nun gewandt wie ein Puma die Treppen hinauf bewegte, ohne daß die Stufen ein knarrendes Geräusch von sich gaben. Dann blickte er in den erleuchteten Raum. Grane befand sich am Schanktisch und zählte die wenigen Dollars, die er eingenommen hatte. Dann riß der Reiter die Tür auf und sprang hinein. Der Mann stellte sich sofort neben der Tür an die Wand, um von außen nicht gesehen zu werden. Entsetzt hob Grane die Hände hoch, obgleich der Ankömmling keine Pistole in der Hand hatte. „It’s you?“ war alles, was er ganz verdutzt sagte. „Yes“, entgegnete Billy Jenkins. „It’s me. – Wo ist Jesse Owen?“ Grane blinzelte zu ihm hinüber. „Das möchte ich selbst wissen“, und in demselben Atemzuge fügte er hinzu: „Do you want a drink?“ „Wer schläft oben in den Räumen?“ entgegnete Billy Jenkins, ohne auf seine Frage einzugehen. „Nobody (niemand).“ jetzt bekam Grane wieder Mut. Langsam gingen seine Hände herunter. Er ließ sie aber zur Vorsicht auf dem Schanktisch liegen. „Was soll das bedeuten, daß ich hier in der Nacht überfallen werde?“ „Ich sagte dir schon, daß ich Jesse Owen suche – – und inwiefern fühlst du dich überfallen?“ „Wie soll ich das denn anders auffassen? Schätze, daß ich mich beschweren werde.“ 216
„Richtig, Grane …!“ lobte Billy Jenkins. „Aber vergiß es auch nicht, sonst brech ich dir noch ein paar Rippen – – Come on! Laß uns nach oben gehen!“ Grane wußte, daß es besser war, nicht so viel zu sprechen. „Es ist bestimmt keiner oben“, wiederholte er. „Keep quiet (sei still).“ Sobald sie die Treppe hinauf kamen, zog Billy Jenkins seinen Colt heraus, um für alle Fälle gesichert zu sein. Grane öffnete eine Tür nach der andern und er tat es mit einem solchen Phlegma, daß Billy Jenkins im voraus wußte, daß seine Angaben tatsächlich stimmten. Es war niemand anwesend. Nun ging Billy Jenkins wieder hinunter. Grane trat hinter seinen Schanktisch. Sie blickten sich gegenseitig an. Zwischen ihnen herrschte restlos Klarheit, sie wußten beide genau, was sie voneinander zu halten hatten. Dann war Billy Jenkins auch schon verschwunden, genau so schnell, wie er gekommen war. Er saß auf seinem Pferde und blieb in der Dunkelheit stehen wie eine Statue, unbeweglich. Eine Stunde mochte so verflossen sein, und erst als das letzte Licht in der Bar erlosch, machte der Reiter kehrt und ritt gemächlich ins Tal. Grane wäre fast geplatzt vor Wut. Wenn Jesse Owen da gewesen wäre! Das hätte einen Höllenspaß gegeben. Verdammt! Dieser Jenkins war eine große, schleichende Katze. Grane lag bis zu den Morgenstunden wach. Erst als es im Osten hell wurde und der Horizont sich mit einem zärtlichen Rot bedeckte, 217
fiel er in einen leichten, unruhigen Schlummer, und selbst da murmelte er noch: „Das muß ich Jesse Owen erzählen!“ *
* *
Als Ellistown erstand, war Dreadwood schon ein altes Town gewesen, in dem man sich an die Kämpfe aus der Pionierzeit noch gut erinnerte. Als nun in die Umgebung Dreadwoods neues Leben kam, versuchte es mit Macht, Mittelpunkt zu bleiben und seine angestammten Rechte zu bewahren. Dreadwood war das Town geblieben, in dem alle Veranstaltungen, die einen amtlichen Charakter trugen, abgehalten wurden, und so blieb es nicht aus, daß trotz der langen Anmarschwege viele Farmer und durchreisende Cowboys hier einkehrten. Dreadwood lebte zu fünfundneunzig Prozent von dem Geld der Farmer, ebenso die Bank, die die Geschäfte der Farmer übernahm. Die Bank war ein solides Unternehmen, das schon seit Jahr und Tag bestand. Der Direktor, Mister Callain, hatte alles getan, um das Geld seiner Kunden zu sichern und das System, das er in Dreadwood einführte, sollte später noch viel Nachahmung finden. Wenn man in den Zahlraum kam, so konnte man dort nur kleinere Beträge in Empfang nehmen; jeder größere Betrag wurde gesondert aus dem Safe geholt. Um aber zu dem Direktor oder zu dem ersten Clerk zu gelangen, mußte man erst ein paar Türen durchschreiten, die 218
immer verschlossen wurden. Die Zimmer befanden sich gleich neben dem großen Raum. Man hatte Schießscharten so angebracht, daß man den ganzen Zahlraum mit Feuer bestreichen konnte, ohne dabei selbst in Gefahr zu kommen. Diese Sicherung machte es den Banditen unmöglich, einen „Holt up“ zu versuchen. Trotzdem schärfte Callain jeden Tag erneut seinen Angestellten größte Vorsicht ein. Jesse Owen war wieder im Lande und man konnte nicht wissen, was dieser kaltblütige Bursche vor hatte. Er war in der letzten Zeit unberechenbar, er hatte es zwar anscheinend nicht auf große „Hits“ abgesehen, aber man konnte nicht wissen, ob die Toten, die in den letzten Wochen auf sein Konto kamen, der Anfang eines gewaltigen Sturmes sein würden. Callain hatte deshalb keine Kosten gescheut; denn Vorsicht ist noch immer besser gewesen als Nachsicht. Die Hauptstraße von Dreadwood wies seit undenklichen Zeiten keine Veränderung auf. Es war immer noch derselbe Staub und Dreck, den bereits die Väter aufwirbelten, und auch die Häuser waren dieselben geblieben. Es waren allerdings einige neu hinzugekommen; aber mit den Jahren hatten sie alle dieselbe Farbe angenommen. Holz gab es hier in rauhen Mengen und damit war die Bauweise im wesentlichen schon festgelegt. Es wäre Dummheit gewesen, kostbare Steine hierher zu schleppen, wenn man mit Holz viel billiger bauen konnte. Die wichtigste Veränderung, die seit der Pionierzeit wahrnehmbar war, betraf die Beleuchtung. Früher war es die Petroleumlampe gewesen, die ein mattes Licht 219
spendete, und heute drückte man nur auf einen Knopf und alles erstrahlte im hellsten Licht. Es war Dreadwood nicht mehr anzusehen, daß hier einst schwere Kämpfe stattgefunden hatten. Das letzte große Ereignis war immer noch das mit Jesse Owen, der seit dieser Zeit unter dem Namen „Stony Face“ bekannt war. Schon häufig waren auswärtige Besucher hier gewesen, um den Platz zu besichtigen, wo Billy Jenkins dem großen Banditen diesen Schuß beibrachte. Dreadwood gehörte in den Bezirk von Lester Blue. Aber dieser wünschte sich oft genug einen anderen Posten. Der Sheriff war kein Mann, der schwarz sah. Auch nach jener Nacht, die ihm fast das Leben gekostet hatte, war der Sheriff eigentlich wieder der alte. Schon am nächsten Tage hatte er seine Wut überwunden. Nach dem Breakfast ritt er nach Dreadwood. In der Tasche ruhte das Protokoll, das er sofort zur Post brachte, um es weiterbefördern zu lassen. Dann sagte er aufatmend: „So, das wäre geschehen.“ Er hatte noch einen bestimmten Vermerk hinzugefügt, denn man konnte nie wissen, was noch kam. Lester Blue atmete tief auf. Gott sei Dank, der Spuk war verschwunden! Es war wieder schön zu leben. Gemütlich ritt er nun zur Office. Dort war ein Boy beschäftigt, der auf alles aufpaßte, wenn keine Gefangenen da waren. Es kam in Dreadwood sehr selten vor, daß ein Gefangener eingesperrt wurde, denn bevor sich ein Bandit gefangen nehmen ließ, verschwand er im Felsennest und ließ sich in diesem Distrikt nie wieder sehen. 220
„Was gibt’s Neues?“ erkundigte sich der Sheriff. „Nothing, Mister Blue. – Nur von dem Direktor der Bank ist ein Zettel gekommen, Sie möchten mal, wenn Sie Zeit hätten, zu ihm hinkommen.“ Lester Blue warf einen Blick auf die Uhr. Er hatte noch Zeit und entschloß sich, hinüber zu gehen. Da es nur hundert Meter waren, nahm er sein Pferd nicht mit. Callain empfing den Sheriff in seinem Kontor. „Well Sheriff, habe da einen Auftrag, den Sie mit erledigen können.“ „Um was handelt es sich?“ „Achttausend Dollar sollen in den nächsten Tagen abgeliefert werden.“ „Okay“, entgegnete der Sheriff. „Was macht Jesse Owen?“ „Ich wünschte, er wäre tausend Meilen von hier.“ Callain lächelte. „Dasselbe dachte ich auch. Demnach ist nichts vorgefallen?“ „Ich habe nichts gehört“, entgegnete Lester Blue. „Wann soll das Geld denn weggebracht werden?“ Callain holte ein kleines Buch hervor und blätterte darin herum. „In drei Tagen.“ „Und wohin?“ Lester Blue hatte schon den Türgriff in der Hand, denn er wollte sich nicht länger aufhalten. „Nach der O’Brien-Farm“, sagte der Bankdirektor. Jetzt ließ Lester Blue den Türgriff doch wieder los. „Nach der O’Brien-Farm?“ fragte er ungläubig. „Yes, richtig. – Ein neuer Kunde von uns, sehr zahlungskräftig; arbeitet nur mit großen Summen.“ 221
„Aber O’Brien …“ Er setzte sich wieder auf den Stuhl und sah Callain mit einem Stirnrunzeln an. „Das ist ein verdammt unsympathischer Auftrag.“ „Das verstehe ich nicht“, entgegnete Callain. „Ich weiß wohl, daß Jesse Owen in der Nähe ist. Aber Sie nehmen doch sicherlich mehrere Leute mit!“ „No. Das ist es nicht … O’Brien wird doch wissen, daß ich das Geld überbringe.“ „Ja, wir haben es ihm angekündigt.“ „Sehen Sie, das habe ich mir gedacht.“ Wieder beherrschte Lester Blue das gleiche Gefühl, das ihn in der vergangenen Nacht beschlich, nachdem O’Brien und Billy Jenkins ihn verlassen hatten. Verflucht! Da bahnte sich etwas an, das ihm zum Verhängnis werden konnte. „Ich verstehe Sie nicht“, entgegnete Callain. „Sie haben doch schon so oft noch viel größere Beträge für uns fortgebracht.“ Nun beugte Lester Blue sich vor. „Ich will Ihnen mal etwas erzählen … . aber es ist nur für Sie bestimmt, es geht sonst niemand etwas an.“ Und dann erzählte er Callain, was sich in der Nacht zugetragen hatte. „Das ist natürlich seltsam“, meinte Callain. „Aber ich glaube, Sie sehen da zu schwarz. – Warum sollte er Sie wegen des Protokolls umbringen?“ „Ich sage Ihnen: ich wäre ein toter Mann, wenn Billy Jenkins nicht gekommen wäre.“ „Aber Sheriff …!“ lächelte Callain nun. „So kenne ich Sie ja gar nicht. Sie sehen Gespenster! Ich habe O’Brien mehrfach gesprochen, fabelhafter Kerl. 222
Ich gebe zu, er ist ein bißchen eigenartig. Aber lassen Sie ihm doch seinen Vogel. Wichtig ist doch das Geschäft.“ Aber Lester Blue hatte eine andere Meinung von dieser Sache. Callain sagte fest, fast etwas befehlend: „Sucht euch ein paar richtige Leute aus, dann kann überhaupt nichts passieren.“ Der Sheriff ging ohne zu antworten fort. Callain sah ihm mißmutig nach. Was war bloß in den Sheriff gefahren, daß er plötzlich solch komische Dinge zur Sprache brachte? Aber dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Lester Blue kam ganz in Gedanken versunken nach der Bar, wo er sein Essen einzunehmen pflegte. Wie zerschlagen saß er dort auf dem Stuhl und verzehrte seine Mahlzeit. Er war so in Gedanken versunken, daß er nichts um sich herum sah, bis ihn der Wirt aufrüttelte. „What’s the matter?“ fragte er den Sheriff. „Nothing … nothing …“, entgegnete er stumpfsinnig und dann kam ihm blitzschnell ein Gedanke: Er mußte sofort zu Billy Jenkins reiten, der würde ihn unterstützen. Das Ganze mochte zwar nach Feigheit aussehen, aber Lester Blue hatte das bestimmte Gefühl, daß er diesmal nicht mehr mit dem Leben davonkommen würde. Das wog so stark, daß er sich sagte, es wäre schon besser, Billy Jenkins aufzusuchen. Gleich nach dem Essen erhob er sich, schloß die Office ab und ritt davon. Er hatte aber Dreadwood 223
kaum eine Meile hinter sich gelassen, als er bemerkte, daß zwei Reiter hinter ihm herkamen. Lester Blue schlug deshalb den Weg zu seiner Farm ein. Unauffällig folgten ihm die beiden und der Sheriff war jetzt fest davon überzeugt, daß es ein paar Spione waren – sicherlich hatte sie O’Brien abgeschickt, um ihn zu beobachten. Lester Blue blieb bis zum Abend im Hause. Erst als die Sonne verschwand und in wenigen Minuten die Dunkelheit einbrechen mußte, holte er wieder sein Pferd hervor. Von dem Dach seines Hauses aus hatte er beobachtet, daß sich niemand mehr in der Umgebung befand. Nun konnte er den Ritt wagen. Dann jagte er auch schon in die Dunkelheit hinein. Gleichmäßig galoppierte der Gaul und Lester Blue war froh, ein so gutes Tier zu besitzen. Er nahm an diesem Abend alles überscharf wahr, er hörte das Schnaufen des Tieres, das Aufschlagen der Hufe. Mit der Zeit wurde das Geräusch weicher, weil auch der Boden weicher wurde, denn er kam jetzt in die Gegend der Squatter. Dann tauchten auch schon die Lichter der Brixton-Farm auf. Wie erlöst stieg er dort auf dem großen freien Platz vom Pferde. Der Gaul war von diesem scharfen Ritt naß, aber nicht ausgepumpt. Es tat dem Pferd nur gut, daß es wieder scharf angefaßt wurde, denn es begann allmählich Fett anzusetzen. Ellen war die erste, die den Ankömmling begrüßte. „Well Lester Blue … . Sie habe ich überhaupt nicht erwartet.“ „Kann ich mir denken“, entgegnete er. „Aber ich mußte dringend herkommen.“ 224
„Hoffentlich nichts Unangenehmes?“ „No“, lächelte er. „Es betrifft nicht Sie. Es ist etwas anderes. – Ich muß Billy Jenkins sprechen.“ „Der ist nicht da, und ich weiß auch nicht, wann er kommt.“ Für den Sheriff war diese Antwort wie ein Keulenschlag. Er hatte das Gefühl, als lauerte an jeder Ecke ein Mensch auf ihn. „Was ist es denn?“ wollte Ellen wissen. „Well …“, meinte er, „ich wollte es nur Billy Jenkins sagen. Es sollte sonst keiner wissen.“ „Dann kommen Sie erst mal mit herein.“ Lester Blue ging mit in die Küche, in der eine alte Negerin das Geschirr abwusch. Dort ließ er sich nieder. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. „So ein Pech! Kommt er denn in den nächsten Tagen zurück?“ „Das nehme ich an. Vielleicht kommt er heute abend schon.“ „Dann sagen Sie ihm doch bitte, daß ich morgen wiederkomme. Ich muß ihn unbedingt sprechen; es handelt sich um O’Brien.“ „O’Brien?“ fragte Ellen. „Was haben Sie denn mit dem zu tun?“ „Unangenehme Sache. – Ich soll dort Geld hinbringen.“ Ellen nickte nur. Sie wußte zwar nicht, wie das alles zusammenhing; aber wenn Lester Blue meinte, daß hier irgend etwas nicht seine Richtigkeit hatte, dann war auch gewöhnlich etwas daran. Der Sheriff schlürfte noch eine Tasse Kaffee. 225
Dann hielt es ihn nicht langer mehr. Er mußte wieder zurück. Müde und abgespannt stieg er auf sein Pferd. „Well Ellen – dann bis morgen und sprich nicht darüber.“ „Okay, Sheriff!“ Sie blieb noch einen Augenblick auf dem Hof stehen. Aber die Dunkelheit hatte ihn schnell aufgesogen. Lester Blue ritt wieder seiner Farm zu. Er hatte noch keine Meile zurückgelegt, als er das Pferd anhielt. Er glaubte, irgendwo ein Geräusch zu hören. Aber als das Pferd still stand und seine Hand am Colt lag, umgab ihn Totenstille. Nur aus dem Sumpf quakten einige Frösche traurig zu ihm herüber. Der Sheriff ritt weiter. Alle möglichen Gedanken gingen durch seinen Kopf; er überlegte, wie er diesen Auftrag von sich abwälzen konnte. Aber das war nicht so einfach. Wenn er doch nur noch Billy Jenkins vorher erreichte. Endlich tauchte in der Finsternis sein Farmgebäude auf; es brannte dort kein Licht mehr. Müde stieg er vom Pferd. Er wollte jetzt schlafen gehen; aber er war noch nicht an der Tür, als er glaubte, ein Knacken im Hause zu hören. Das Geräusch mußte im oberen Stockwerk gewesen sein. Sofort hatte er den Colt in der Hand. An den Fenstern war nichts Verdächtiges zu bemerken. Dann stellte er mit Entsetzen fest, daß die Haustür offen stand. Lester Blue hatte ein unangenehmes Gefühl. Es war irgend jemand im Hause. Oder hatte er vergessen, die Tür abzuschließen? Ein panischer Schrecken erfaßte ihn. Langsam rückwärts gehend, begab er sich zu seinem Pferde, 226
bestieg es und ritt im schnellsten Galopp Dreadwood entgegen. Alle paar Minuten drehte er sich um, aber niemand verfolgte ihn. So erreichte er nach einer knappen halben Stunde schweißgebadet das Town. Vorsichtig schloß er die Office auf. Jetzt hatte Lester Blue ständig den Colt in der Hand. Aber hier war nichts geschehen. Nun erst kam die Ruhe zum Teil zurück. Krampfhaft überlegte er nochmals, ob er vorher die Tür abgeschlossen hatte oder nicht; aber er konnte sich jetzt nicht mehr genau erinnern. Solche Fehler wären ihm früher nie passiert. Dieser O’Brien hatte ihn gänzlich durcheinander gebracht. In dieser Nacht schlief der Sheriff in einer Zelle, die sonst für andere Zwecke gedacht war. Als der Boy am nächsten Morgen erschien, war er erstaunt, daß der Sheriff bereits anwesend war. Aber jetzt hatte Lester Blue nicht mehr viel Zeit zu verlieren. Er ritt zur Bahn. Die dort eingelaufenen Nachrichten waren ohne Bedeutung. Dann ritt er wieder nach Dreadwood zurück. Er nahm drei seiner vertrauten Leute mit und ritt mit ihnen zu seinem Hause. „Hab’ das unangenehme Gefühl, daß man bei mir eingebrochen hat“, erklärte er ihnen. Aber jetzt am Tage machte alles wieder einen friedlichen Eindruck. Trotzdem hatte Lester Blue den Colt in der Hand, als er seine eigene Wohnung betrat. Seine Ahnung hatte ihn nicht getäuscht. Sein Wohnzimmer war völlig auf den Kopf gestellt, sämtliche Schränke durchwühlt, der Inhalt lag auf dem Boden. Lester Blue besaß noch eine kleine Truhe. Fieberhaft suchte er sie, aber sie war verschwunden. Sein Gesicht wurde 227
bleich. Er blickte einen der Cowboys entsetzt an. „Wißt ihr, was passiert ist?“ „Das sieht man ja“, kam es gelassen zurück. „Ich habe jetzt keine zehn Dollar mehr.“ „Was soll das heißen?“ „Mein ganzes Geld ist mir gestohlen worden.“ „Aber du hast es doch auf der Bank!“ „Yes“, entgegnete er. „Nur einen Teil. Aber alles, was ich hier im Hause hatte, ist weg.“ Er ließ sich auf einen Stuhl fallen. So hatte ihn sein Gefühl also doch nicht betrogen. „Ihr könnt jetzt wieder nach Dreadwood reiten. Ich werde Billy Jenkins aufsuchen. Übermorgen brauche ich euch wieder für einen Ritt zu O’Brien.“ Jetzt sahen ihn die Leute an. „Das ist doch der Mormonenpriester!“ „Richtig“, entgegnete Lester Blue, „zu dem wollen wir hin.“ Er bestieg sein Pferd, eine Stunde später befand er sich erneut auf der Brixton-Farm. Wieder war es Ellen, die ihn empfing. „Yes, Mister Jenkins ist da!“ kam sie ihm schon entgegen. Wie von einer schweren Last befreit, ging Lester Blue mit Ellen ins Wohnzimmer. Dort saß Billy Jenkins. „Mußte Sie dringend sprechen“, rief der Sheriff schon von der Tür aus. „Hab’s schon gehört“, entgegnete Billy Jenkins. „Was gibt es denn?“ Billy Jenkins rauchte eine Zigarette und hatte sich weit in den Stuhl zurückgelegt. 228
Jetzt erzählte ihm der Sheriff, daß er das Geld zu O’Brien bringen sollte, er teilte ihm auch seine Befürchtungen mit. „Wieso?“ meinte Billy Jenkins. „Mit O’Brien ist doch alles in Ordnung. Scheint ein ganz tüchtiger Kaufmann zu sein. Ich verstehe Ihre Angst nicht.“ Lester Blue staunte. Was war denn nun in Billy Jenkins gefahren? Glaubte er auch schon an O’Brien? „Außerdem ist doch gar keine Gefahr dabei“, hörte Lester Blue Billy Jenkins weiter sprechen, „denn Sie nehmen einige gut bewaffnete Leute mit.“ „Wäre mir lieber, Sie würden mitkommen.“ Um Billy Jenkins Gesicht legte sich ein schwaches Lächeln. „Schätze, daß ich dort völlig überflüssig wäre.“ Lester Blue bemerkte nicht, daß Billy Jenkins ihn aufmerksam musterte. „Man hat bei mir eingebrochen.“ „Wann?“ „In der letzten Nacht. Als ich von hier zurückkam, traute ich mich nicht in mein eigenes Haus hinein.“ Jetzt mußte Billy Jenkins unwillkürlich lächeln. „By golly, Lester Blue, das erzählen Sie bloß nicht in Dreadwood! – Wie ist es denn abgelaufen?“ „Man hat eine Kassette mit Geld und Papieren gestohlen.“ „Das ist natürlich unangenehm. – – Aber wie gesagt, zu O’Brien können Sie unbesorgt hinreiten. Da wird überhaupt nichts los sein. Ich habe schon gehört, er hat noch einiges Land hinzugekauft. Der Betrag wird wohl für die Auszahlung bestimmt sein. So 229
weit ich unterrichtet bin, gehört das Land dem Farmer Luk, der ja nun schon fast siebzig Jahre ist. Außerdem soll der Boden ziemlich moorig sein; aber für O’Brien würde es gerade passen, dann hat er von allem etwas.“ Lester Blue hörte diese Worte nur noch mit halbem Ohr. Was ging es ihn an, wofür O’Brien das Geld gebrauchte. Warum konnte Luk denn das Geld nicht von Dreadwood abholen? Weshalb sollte er es dahin bringen. Ellen hatte Kaffee gekocht. Aber er schmeckte dem Sheriff nicht. Er war so mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt und über die neue Abfuhr innerlich derart erbost, daß er nicht mehr weiter wußte. Es blieb ihm nun eigentlich nichts anderes mehr übrig, als hinzureiten, und die Dinge laufen zu lassen, wie sie kamen. Schwerfällig erhob er sich. „Well – –! Ich will dann wieder nach Dreadwood reiten.“ Er reichte Ellen die Hand. Auch Billy Jenkins hatte sich erhoben. „Ich gehe noch mit vor die Tür“, sagte er. Er begleitete Lester Blue zu seinem Pferde. Erstaunt betrachtete er das Tier, das er bei dem Sheriff bisher noch nicht gesehen hatte. Es war ein überaus kräftiges, hochbeiniges Pferd. Als der Sheriff im Sattel saß, zischte Jenkins ihn tüchtig an: „Warum erzählen Sie mir das nicht, wenn wir allein sind?“ „Wieso?“ fragte Lester Blue. „Es geht doch niemand etwas an, wer Geld bekommt und wieviel es ist! Warum die Leute aufre230
gen? – – Schätze, daß ich schon in der Nähe sein werde. Aber nun kein Wort mehr darüber.“ Lester Blue fühlte jetzt sein Herz höher schlagen. „Okay, Jenkins … also übermorgen reiten wir hin.“ Billy Jenkins antwortete gar nicht mehr. Er ging nachdenklich zurück. Ellen kam ihm entgegen. Noch einmal drehte Billy Jenkins sich um, als könnte er das, was er soeben gesehen hatte, noch nicht fassen. Da war ja dieser Fehler am Huf, den er schon so lange suchte! Aber dann legte sich wieder das bekannte Lächeln um sein Gesicht. Warum Eile? Lester Blue würde ihm nicht entgehen. Warum gab sich dieser Sheriff als Jesse Owen aus? Er besaß doch so viele Verdienstmöglichkeiten, daß er es nicht nötig hatte, solche Wege zu beschreiten. Jedenfalls war an dem Eisenbahnüberfall bei dem Kilometerstein fünfhundertundzwölf ein Reiter mit Lester Blues Pferd beteiligt. „Ich finde, du warst sehr merkwürdig zu Lester Blue“, sagte Ellen. „Wieso – –?“ „Du sagtest doch selbst einmal, daß dir O’Brien auch merkwürdig vorkommt!“ Billy lächelte und faßte sie am Arm. „Ellen, törichtes Mädchen … wenn ich wirklich mal ein Wort sage, so mußt du es nicht gleich auf die Goldwaage legen und als endgültig betrachten. Letzten Endes ist O’Brien ein neuer Mann, er ist ein komischer Kauz aber es hat jeder Mensch seine Eigenheiten. – – Aber du brauchst dir bei diesem Geschäft keine Sorgen zu machen. – Das habe ich alles schon vorher gewußt.“ 231
Diese Worte beruhigten Ellen. „Wenn du meinst, Billy?“ „Of course, Ellen. – – Aber ich glaube, unser Kaffee wird nun noch kalt.“ Lächelnd gingen sie beide hinein. Ellen sah ihn noch einmal ernst an. „Sag’ Billy, ist das auch wirklich deine Meinung?“ Aber Billy Jenkins blickte sie so offen und strahlend an, daß sie nicht mehr zweifeln konnte. „Woher kommen denn bei dir die dummen Gedanken? – – Du solltest mich doch kennen?“ Der Kaffee war noch heiß. Als Ellen nach einer Pause noch einmal zu Billy hinüber blickte, sah dieser traumverloren aus dem Fenster. Ganz leise hörte sie seine Zähne knirschen, während auf seiner Stirn eine große Falte stand. *
* *
Grane hatte nach Billy Jenkins’ „Besuch“ nichts weiter unternommen. Was sollte er auch tun? Jesse Owen zu suchen war aussichtslos. Wenn er verschwunden war, konnte man ihn doch nicht finden und vielleicht würde er es nur falsch auffassen. Grane erzählte auch den anderen nichts von dem Vorfall. Warum sollte er sie beunruhigen? Dann würden sie vielleicht Hals über Kopf die Flucht ergreifen und er mußte schließlich seinen Alkohol allein trinken. Grane wußte auch, daß Billy Jenkins es nicht auf kleine Viehdiebe abgesehen hatte. Er überließ es anderen, diese kleinen Übeltäter zu ergreifen. Er suchte 232
die Großen, an die sich sonst keiner heranwagte. Es waren durchweg Banditen, auf deren Köpfe dicke Prämien ausgesetzt waren. Eine eigenartige Stimmung lag an diesem Abend in der Luft. Ohne daß es ausgesprochen wurde, erwarteten alle Jesse Owen, und diesmal sollten sie auch nicht enttäuscht werden. Mit dem Glockenschlag zehn, der letzte Ton war noch nicht verhallt, trat Jesse Owen ein. Diesmal kam er durch die Hintertür, so daß selbst Grane erstaunt rückwärts blickte. „Well fellows! – – Schätze, morgen ist es soweit.“ Dann zeigte er mit dem Finger auf einen jungen Mann. „Du Loiry und du Bend und du Merky – – ihr drei sattelt eure besten Pferde. Wir wollen wieder Geld herbeischaffen. Ist kein großer Hit, aber achttausend Dollar sind auch nicht zu verachten.“ Granes Gesicht legte sich in tausend Falten. Endlich war wieder jene Stunde gekommen, auf die er so lange gewartet hatte. Jetzt trat Jesse Owen an den Tisch. „Give me a drink!“ Grane hatte schon lange das Glas in der Hand. Jetzt holte er die Flasche hervor und schenkte ein. Währenddessen erzählte er im Flüsterton: „Jenkins war da! – – Wollte wissen, wo du bist.“ „Wann?“ kam es ebenso leise zurück. „Last night.“ „Welche Uhrzeit?“ „Um Mitternacht. – – Es war keiner mehr hier.“ 233
„Sprich nicht darüber.“ „Es weiß niemand“, bestätigte Grane. Wieder legte Jesse Owen eine Hundert-Dollarnote auf den Tisch. „Für die boys“, meinte er nachlässig. „Aber ihr drei trinkt nicht so viel.“ Und dann hatte Jesse Owen es mächtig eilig. Diesmal verließ er die Bar auf demselben Weg, den er gekommen war. Man hörte hinten eine Tür klappen. „Was hab ich euch gesagt!“ begann Grane. „Es mußte ja so kommen!“ Aber niemand wußte, um welches Geld es sich handelte. Diese Kunde war noch nicht nach dem Felsennest durchgedrungen. Jetzt war Leben in der Bude. Es war ihnen allen, als sei neues Blut in sie übergeströmt, und wenn sie auch nicht alle an dem Hit beteiligt waren, so fiel doch auch für sie etwas dabei ab, wenn es auch nur ein paar Hunderter waren. Aber das war heute schon viel Geld. *
* *
Selten hatte Lester Blue eine Posse so sorgfältig zusammengestellt wie diesmal. Es waren fünf Mann, die den Auftrag hatten, sich bis an die Zähne zu bewaffnen. Als die Posse am Morgen bei dem Sheriff vor der Office stand, war er über den Anblick erfreut. Die Männer hatten an jeder Seite einen Colt und im Scabbard eine Remington oder das letzte Modell der Winchester, ein zwölfschüssiges Gewehr, die leichteren Kaliber hatten einundzwanzig Schuß. 234
Somit standen Lester Blue einige Hundert Schuß zur Verfügung, die, ohne nachzuladen, aus Colts und Gewehren abgegeben werden konnten. Obendrein noch die Zusicherung, daß Billy Jenkins auch in der Nähe sein würde, und der zählte noch einmal für fünf Mann. Lester Blue ritt mit der Posse zur Bank und begab sich zu Callain. Dieser saß wie gewöhnlich in seinem Kontor. „Well Lester Blue, alles fertig?“ „Ja, alles in Ordnung.“ „Sind die Zweifel verflogen?“ fragte er spöttisch. Jetzt mußte auch Lester Blue lächeln. „Sie haben gut reden. Aber ich will Ihnen etwas im Vertrauen sagen: Billy Jenkins ist auch da.“ Callain pfiff durch die Zähne. „Well, wenn der kommt, dann scheint doch ein Haar in der Suppe zu sein.“ „Mir ist jetzt aber bedeutend wohler“, meinte der Sheriff, indem er das Geld auf dem Tisch betrachtete. „Wir wollen es eben durchzählen“, sagte Callain. Das Geld war zu je tausend Dollars gebündelt. Der Direktor zählte und anschließend prüfte Lester Blue nach. Die Summe stimmte. Der Sheriff unterschrieb eine Empfangsbestätigung. „Well, then good luck … und bringen Sie mir gelegentlich die Quittung von O’Brien mit.“ „Das werde ich noch heute besorgen.“ Lester Blue war so aufgeräumt, daß Callain jetzt auch beruhigt war. Er konnte nicht ahnen, daß er Lester Blue in diesem Leben nie wiedersehen sollte. 235
So war es eben in diesem Distrikt. Manchmal kam die Todesstunde überraschend, oftmals gerade dann, wenn niemand sie erwartete und alles bestens aussah. „Schicksal!“ sagte der eine, „Unglück!“ der andere. Es war nutzlos, darüber zu streiten. Lester Blue sollte nicht wiederkommen. Aber er ging diesen letzten Weg fröhlich, unbeschwert, ohne dabei den geringsten Gedanken an den Tod zu haben. Nun ritten sie fort. Der Morgen war herrlich. Die Sonne schien zwar wie immer, aber es war noch nicht so heiß. Lester Blue fand diesen Tag besonders schön. Als sie die Townstraße hinunter ritten, lag ein dichte Staubwolke hinter ihnen. Warum Eile? – Sie hatten noch viel Zeit und bis zu O’Brien würden sie nur zwei Stunden brauchen. So zog der schwerbewaffnete Trupp gemächlich seinen Weg. Als sie einige Meilen hinter Dreadwood waren, war an einen Überfall kaum noch zu denken, denn jetzt kam flaches Land, das nur noch schwache Bodenwellen aufwies, hinter denen sich niemand verbergen konnte. Manchmal klatschte Lester Blue dem mächtigen Rappen, den er heute wieder ritt, an den Hals. Es fiel ihm nicht auf, daß das Tier mit jedem Huftritt eine Spur hinterließ, die auch Billy Jenkins bei dem Überfall am Kilometerstein fünfhundertzwölf festgestellt hatte. – Es war damals so leicht gewesen, sich als Jesse Owen auszugeben. Die Hände waren bei diesem Wort von selbst hoch gefahren. Aber jetzt weilten seine Gedanken ganz woanders; er dachte an Billy Jenkins, den er nun als seinen Beschützer betrachtete. Viel zu schnell kam für seine Begriffe die Farm 236
in Sicht. Heute war das Reiten ein Genuß. Wie oft war er mit größeren Summen allein durch diese Gegend geritten. Lester Blue wunderte sich, wie still es auf der Farm war. Nur ein Cowboy schlenderte gemütlich zu der Baracke, in der er wohnte, und wusch sich dort die Hände. Erst als sie auf den Hof kamen und, eine mächtige Staubwolke hinter sich lassend, von den Pferden sprangen, erschien O’Brien in der Tür. Seine große Gestalt füllte die Tür fast aus. Beinahe belustigt betrachtete der den stark bewaffneten Trupp. Die Cowboys waren ernst. Das war also O’Brien! Eigentlich sah er gar nicht so bestialisch aus, wie Lester Blue ihn geschildert hatte, er wirkte vielmehr wie ein ganz gemütlicher Mensch, dem man eine Knallerei gar nicht zutrauen würde. „Come in, fellows!“ rief er jetzt von der Tür aus. „Der Farmer Luk ist noch nicht da, aber er muß in Kürze eintreffen.“ Dann saßen sie im Wohnzimmer. Der kleine Chinesenkoch stellte Gläser auf den Tisch, die O’Brien selbst mit Whisky füllte. „Was gibt’s Neues in Dreadwood?“ fragte O’Brien den Sheriff. „Nichts von Bedeutung“, entgegnete dieser. „Jetzt müssen bald meine Kühe ankommen.“ „Ach ja …“, das hätte Lester Blue beinahe vergessen. Es lag schon eine Benachrichtigung vor, daß die Tiere am nächsten Tage eintreffen sollten. „Ich schicke dann ein paar Cowboys hinüber, die sie in Empfang nehmen“, sagte O’Brien. 237
Das Gespräch schlief ein. Jetzt wunderte sich selbst Lester Blue über seine Furcht. Hier schien tatsächlich alles in bester Ordnung zu sein! Warum hatte er sich bloß so aufgeregt? Aber man konnte nicht vorsichtig genug sein, und vielleicht wäre es doch anders gewesen, wenn er allein gekommen wäre. — — In der Zeit, die sie hier saßen und warteten, befand sich Billy Jenkins bei dem Farmer Luk. Er traf dort am Morgen wie zufällig ein. „Hallo!“ begrüßte er Luk, der gerade aufgestanden war. „Komme ganz durch Zufall in deine Gegend. Habe einen Puma verfolgt und den Burschen nicht erwischt.“ Luk, der Billy Jenkins ganz gut kannte, sah ihn aus seinen wasserhellen Augen an. „Pumas sollen ja auch nicht so dumm sein“, lachte er verschmitzt. Billy Jenkins war vom Pferde gestiegen und hatte sich auf eine alte Holzkiste gesetzt, die vor der Farm stand. „Nette Gegend, könnte mir gefallen.“ „Yes. – – Wenn das verdammte Moor nicht da wäre. Sechzig Prozent ist praktisch wertlos. Aber ich werde damit keinen Ärger mehr haben.“ „Wieso?“ „Das Land ist verkauft!“ Erstaunt blickte Billy Jenkins den Alten an. Der Farmer bemerkte nicht, daß Jenkins bereits alles wußte. „Yes, hab’ einen guten Preis erzielt, Achttausend Dollar für das Moor.“ Er kicherte still vor sich hin. „Genügend, um mich für die letzten Jahre zu versorgen.“ 238
„Hm – –“, meinte Billy Jenkins. „Das ist kein übles Geschäft. Ich bin ja im allgemeinen nicht so fürs Verkaufen, aber wenn es so eine Moorecke ist – – letzten Endes wird man ja auch älter. Wo willst du nachher wohnen?“ „In Dreadwood bei meinem Sohn.“ „Aha“, entgegnete Billy Jenkins. „Dann wirst du wohl auch dort das Geld empfangen.“ „No, das bekomme ich bei O’Brien. Er wollte es mir dort aushändigen.“ „Das ist aber eigenartig“, meinte Billy Jenkins. „Es wäre doch besser gewesen, er hätte es dir in Dreadwood gegeben, denn da willst du doch sowieso hin.“ „Yes“, nickte Luk. „Darüber hab ich noch gar nicht nachgedacht.“ Und dann drehte er sich mit einem Ruck zu Billy Jenkins um. „Du meinst doch nicht etwa, daß dort etwas läuft?“ „No“, entgegnete Billy Jenkins beschwichtigend. „Das glaube ich auf keinen Fall. Aber dann wäre es doch besser, du würdest gleich mit der Posse zurückreiten.“ „Mit welcher Posse?“ „Well“, entgegnete Billy Jenkins, „ich hörte vor einigen Tagen, daß Lester Blue Geldsendungen nur noch in Begleitung einer Posse wegbringt, weil Jesse Owen in der Nähe ist. Der Sheriff wird jetzt sicherlich bei O’Brien sein.“ „Das ist eine gute Idee! – Das werde ich natürlich machen. Reitest du mit?“ „Yes“, entgegnete Billy Jenkins, „den Puma erwische ich doch nicht mehr.“ 239
„No“, lächelte Luk. „Jetzt am Tage wirst du ihn nicht mehr zu sehen kriegen. Dann habe ich ja gleich Begleitung.“ Dann ritten sie den kurzen Weg der O’BrienRanch zu. Schon von weitem sahen sie die Pferde vor dem Farmhause stehen. „Du scheinst recht zu haben“, meinte Luk, indem er Billy Jenkins ansah. „Lester Blue scheint sich gut eingedeckt zu haben. Kann nur mein Vorteil sein.“ Als sie noch hundert Meter vom Farmhause entfernt waren, fragte Billy Jenkins: „Sieh dir mal das große graue Pferd an. Weißt du, ob Lester Blue das schon lange besitzt?“ „Yes, schon mehrere Jahre. Ich kenne das Tier genau. Er hat es damals als Jungtier von Dwight gekauft, der ist aber schon längst fortgezogen. Es ist ein schönes, kräftiges Tier.“ „Yes“, entgegnete Billy Jenkins. „Wirklich ein schönes Tier.“ Dabei schlossen sich seine Lippen. Jetzt hatten sie den Farmhof erreicht. Gemächlich stiegen sie von den Pferden. Billy Jenkins nahm Blessy etwas zur Seite, damit sie nicht mit den anderen Tieren ins Gehege kam. „Komm Blessy“, sagte er. „Du liebst ja doch den Schatten.“ Er stellte sie in die Nähe des Baumes. Dort blieb sie stur stehen, äugte aber zu ihm hin, und es sah aus, als hätte sie ihre eigenen Gedanken. Unauffällig fühlten Billy Jenkins’ Hände noch einmal zu den Colts. Niemand, außer O’Brien hatte davon etwas bemerkt. O’Brien saß in der Ecke des 240
großen Wohnzimmers und unterhielt sich angeregt mit Lester Blue. Jetzt sah er verdutzt auf die Eintretenden. Aber dann zauberte sich wieder das Lächeln auf sein Gesicht. „Great, daß Sie auch kommen“, lachte er Jenkins zu. „War gerade auf dem Wege.“ „Yes“, warf Luk ein. „Das ist der verhinderte Puma-Jäger.“ „So …“, entgegnete O’Brien, „ist eine interessante Jagd – – .“ „Well, dann können wir ja die Verträge unterschreiben.“ Nachdem die Formalitäten erledigt waren, händigte O’Brien Luk das Geld aus. „So …“, sagte Luk. „Dann hätten wir ja das Geschäftliche soweit hinter uns.“ „Wir können ja nachher mal zu Ihrer Farm reiten“, wandte sich O’Brien wieder an Luk, „Sie können mir dann alles Nähere noch erklären.“ „Habe heute aber keine Zeit“, entgegnete Luk, „wollte gleich nach Dreadwood reiten.“ „Wir hatten es aber doch so abgemacht“, entgegnete O’Brien und seine Augen schlossen sich etwas. „Well, das wird ja auch wohl noch einen Tag Zeit haben“, sagte Luk immer noch ahnungslos. „Selbstverständlich“, wich O’Brien aus. Dabei beobachtete er Billy Jenkins. Aber dieser saß teilnahmslos auf seinem Stuhl und beobachtete die Szene. Jetzt mischte er sich mit ins Gespräch. „Well Mister O’Brien, ich kenne die Farm von 241
Luk sehr gut. Bin schon oft dort gewesen. – – Schätze, es wäre ganz gut, wenn wir beide dahin reiten.“ O’Brien spürte, wie es in ihm zu kochen begann. So also war die Sache eingefädelt! Aber es nützte nichts. Er mußte jetzt mit den Wölfen heulen. Verschwunden waren die achttausend Dollars! Verschenkt für ein Stück Land, das kaum die Hälfte wert war. Damit hatte er nicht gerechnet. „Das ist aber nett“, und man konnte ihm ansehen, daß es nicht so gemeint war. Lester Blue saß gemütlich in seinem Stuhl. Ihm war bei dem Gespräch nichts aufgefallen. „Well – –“, meinte er nun zu Luk, „dann kannst du ja mit uns reiten.“ „Das hatte ich auch vor“, entgegnete Luk. Diesmal füllte der Chinesenkoch die Gläser. Wieder stieß man an und damit war das Geschäft erledigt. „Schätze, wir reiten gleich los“, sagte Billy Jenkins. „Das wäre mir sehr recht“, sagte O’Brien. Die beiden erhoben sich, holten ihre Pferde und ritten dann gemeinsam zu der Luk-Ranch, die nun in O’Briens Besitz übergegangen war. „Der Kauf ist gar nicht übel“, sagte Billy Jenkins. „Schätze, daß Sie mit dem Moor etwas Besonderes vorhaben.“ „Habe mir da noch keinen festen Plan gemacht“, entgegnete O’Brien. Nach zwanzig Minuten waren sie schon auf der Farm. Billy Jenkins erläuterte O’Brien alles ausführlich. Manchmal warf er einen Blick auf die Uhr 242
und erst als zwei Stunden vergangen waren, war er beruhigt. So! – Luk, Lester Blue und die Posse waren nun lange genug unterwegs, selbst O’Brien würde sie nicht mehr einholen können. Nun mußten sie schon bald in Dreadwood eintreffen. Nach menschlichem Ermessen konnte jetzt nichts mehr passieren. „Wie die Zeit vergeht“, meinte Billy Jenkins, als sie wieder bei den Pferden waren. „Sicherlich sind die anderen schon in Dreadwood.“ Dabei beobachtete er O’Brien genau. „Yes“, kam es nur kurz zurück. „Ich werde von hier aus nach der Briston-Ranch reiten“, fuhr Billy Jenkins fort. Dabei reichte er O’Brien die Hand. „Schätze, daß wir uns bald wieder mal sehen.“ Dann ritten sie in verschiedenen Richtungen davon. Während Billy Jenkins still lächelnd auf seinem Pferde saß, gab O’Brien seinem Tier die Sporen und jagte nach seiner Farm. Das hatte dieser Jenkins prachtvoll eingefädelt! Das mußte ihm der Neid lassen. Damit hatte O’Brien gar nicht gerechnet. Diese achttausend Dollar konnte er abbuchen, es wäre so leicht verdientes Geld gewesen. Wer hätte sich schon darum gekümmert, wenn der Alte nicht mehr da gewesen wäre? Kein Mensch! Und nun? – – Hätte er doch nur das Vieh nicht gekauft! Aber er tröstete sich damit, daß das letzten Endes kein Verlust war. — — Lester Blue war einige Zeit nach Jenkins mit seiner Truppe aufgebrochen. Langsam ritten sie densel243
ben Weg zurück, den sie vor Stunden gekommen waren. „Du hast Glück gehabt“, meinte der Sheriff zu Luk, „so viel Geld für deine Farm zu bekommen.“ „Yes“, entgegnete der Alte, „ich nehme an, daß er es nur getan hat, weil das Land an seine Farm anschließt, und er das Gebiet geschlossen haben will.“ „Yes. – – Aber das Moor. Was soll er damit anfangen? Das ist doch wertlos.“ „O’Brien erzählte mir, daß er dort einen Teil ausbaggern lassen will, damit sich dort mit der Zeit ein Tümpel ansammelt.“ „Gar keine schlechte Idee. – – Aber das hätte er auch billiger haben können.“ Luk lächelte. „Well – – das ist auch meine Meinung. Aber soll er damit glücklich werden.“ Er hatte die letzten Worte noch nicht ausgesprochen, als zwei Schüsse knallten. „Hölle – –!“ kam es unbewußt über des Sheriffs Lippen. Was war los? – – Er starrte nach vorn und dann bremste er seinen Gaul mit allen Mitteln. Keine zwanzig Meter vor ihm stand Jesse Owen! … Pferde galoppierten, und als der Sheriff sich umblickte, sah er, daß hinter ihm zwei Tote lagen und die anderen Cowboys seiner Posse in wilder Flucht davonjagten. „Stick’ em up!“ hörte er Jesse Owen sprechen. Jetzt erst kam Luk zum Bewußtsein, daß alles verloren war. Wäre er doch nur mit O’Brien geritten. Dann hätte er jetzt noch sein Geld behalten können. Das war zu viel für den alten Mann. 244
Lester Blues Gesicht entfärbte sich. Jetzt entdeckte er die anderen Banditen. Sie lagen auf dem Boden und hatten ihre Gewehre im Anschlag. Hier gab es kein Entrinnen. Und trotzdem – –! Irgend etwas mußte unternommen werden. Noch einmal blickte er zurück. Da sah er die anderen schon in der Ferne verschwinden, mit ihnen konnte er nicht mehr rechnen. Er hatte erst geglaubt, sie würden Jesse Owen umreiten, um von hinten an ihn heranzukommen. Nun machte der Alte eine Bewegung. Seine Hand flog zum Colt, und es blieb Lester Blue nichts anderes übrig, als das gleiche zu tun – dabei war seine Chance noch am größten. Jesse Owen stand still da und Lester Blue frohlockte schon. Aber dann geschah das, was niemand begreifen konnte, der es nicht selbst gesehen hatte. Die Pistolen lagen wie dahingezaubert plötzlich in Jesse Owens Händen. So schnell konnte sonst niemand ziehen. Dann hörte Lester Blue nur noch die Abschüsse. Er spürte, wie er aus dem Sattel sank und mit dem Kopf auf dem Boden aufschlug. Erst dann fiel er in die Finsternis. Luk hatte noch im Tode die Hand auf dem Gelde Hegen, als wollte er die Summe nicht preisgeben. Kalt und unberührt betrachtete Jesse Owen mit seinem toten Gesicht die vor ihm liegenden blutigen Körper. Nun fehlte nur noch, daß das Geld nicht da war! Mit wenigen Griffen riß er die fast erstarrten Hände von der Brusttasche herunter. Dort war es …! Ein schwaches Aufleuchten war in Jesse Owens Augen zu sehen. Sonst nichts. Un245
beweglich wie das Gesicht eines Tieres blieb sein Antlitz. Aber keine Freude kam in ihm hoch. Warum war Billy Jenkins nicht dabei? Er würde gern auf das Geld verzichtet haben, wenn er bei der Angelegenheit Jenkins hätte stellen können. Jetzt ging es zurück zum Felsennest. Wie die Furien flogen sie über das Land. In einer Entfernung von zwei Meilen passierten sie Dreadwood. Sie konnten sogar, als sie eine Bergspitze erreichten, die Häuser genau erkennen. Jesse Owen hielt für einen Augenblick sein Pferd an. Vielleicht war Jenkins dort. Aber das nützte ihm nichts. Er mußte ihm eine Falle stellen. Billy Jenkins Tage waren gezählt, so wahr er Jesse Owen hieß. — — Erst eine halbe Meile weiter hinauf kamen die Cowboys Lester Blues mit ihren Pferden zum Stehen. „Verdammt! – – Habt ihr die Leute hinter den Büschen gesehen?“ „Yes“, entgegnete der andere, „und wir hätten jetzt schon alle im Gras gelegen, wenn wir nach dem Gewehr gegriffen hätten. Ich sehe immer noch das Gesicht von Jesse Owen vor mir. Der sieht ja gar nicht wie ein Mensch aus!“ Jetzt mischte sich Binny, der kleinste unter ihnen, ins Gespräch. „Kommt – Wir wollen sie herausholen. Wir umreiten die Banditen.“ „Unmöglich“, erwiderten die beiden anderen. „Stellt euch einmal vor, wir säßen jetzt dort in der Klemme!“ Binny, der kleinste, dem man am wenigsten zugetraut hätte, war in diesem Augenblick der 246
stärkste. Das hätte niemand von ihm gedacht, denn er war einer von denen, die sich immer still verhielten und sich nicht aufdrängten. Nun hallten die Detonationen von zwei Schüssen zu ihnen herüber und sie sahen, wie der Farmer Luk und Lester Blue wie Strohpuppen aus dem Sattel fielen. Es erweckte beinahe den Eindruck, als wollten sie vom Pferde steigen. Aber dann stürzten sie mit dem Kopf zuerst nach unten. Das war deutlich genug. „Well“, sagte Binny, „noch können wir etwas tun.“ „No.“ Damit war das letzte Wort gesprochen. „Was wollen wir denn nun unternehmen?“ fragte Binny. Da er keine Antwort erhielt, fuhr er fort: „Am besten ist, ihr beiden reitet zu O’Brien und erzählt ihm, was vorgefallen ist, und ich werde inzwischen versuchen, Billy Jenkins zu erwischen.“ „Okay!“ Und dann jagten sie auch schon in den verschiedensten Richtungen davon. Die Pferde legten so scharf los, daß die Grassoden unter den Hufen hochflogen. Eile war not! Vielleicht konnte man die Banditen noch abfangen. Hoffentlich war Billy Jenkins da! Das war der einzige Gedanke, der Binny bewegte. Heute kam ihm der Weg entsetzlich lang vor, obgleich er die Strecke genau kannte, und es ging ihm viel zu langsam, obgleich er sich schon so lang wie möglich gemacht hatte und er wohl spürte, daß das Pferd in langen Sätzen über den weichen Boden raste. Nun konnte er schon in der Ferne die Ranch sehen. Dann kam er auch schon in vollem Galopp auf 247
den Hof geritten. Es war niemand zu sehen. Doch dann entdeckte er Billy Jenkins. Er stand auf der Weide neben Blessy, diesem bissigen Pferd, das sich von niemand ohne Lebensgefahr anfassen ließ. Jenkins war gerade dabei, das Tier zu reinigen. Blessy stand dabei so still wie eine Statue. Ellen stand neben ihm und sah ihm zu. Binny lenkte sein Pferd dorthin. „Warum so eilig?“ fragte Billy Jenkins, indem er mit der Arbeit innehielt. „Lester Blue ist tot.“ Binny hatte geglaubt, daß diese Worte eine große Überraschung auf Billy Jenkins ausüben würden, und er war ganz erstaunt, daß dieser sich ganz gleichgültig verhielt. „So! – – Der Bandit ist tot.“ „No. – – Ich meine Lester Blue.“ „Yes“, sagte Billy Jenkins, „ich weiß. – – Wir meinen dasselbe.“ „War Lester Blue denn ein Bandit?“ „Yes“, nickte Billy Jenkins. „Wie ist er denn ums Leben gekommen?“ „Er ist von Jesse Owen erschossen worden.“ Jetzt wurde Billy Jenkins hellhörig. Binny stieg vom Pferd. Ellen sah ganz erstaunt von einem zum andern. Was sollte das heißen, das Lester Blue ein Bandit war? Aber sie wußte genau, wenn Billy Jenkins so etwas aussprach, dann war es auch so. Binny lehnte sich erschöpft an sein Pferd. „Es passierte an der einzigen unübersichtlichen Stelle, die es auf dem ganzen Wege gibt. Zwei Schüsse krachten und zwei Mann von uns fielen aus dem Sat248
tel. Dann schwenkten die Gewehre auf uns herum und wir jagten im vollen Galopp davon. Lester Blue und Luk konnten nicht mehr entkommen, denn vor ihnen stand Jesse Owen.“ „Bist du sicher, daß es Jesse Owen war?“ „Yes, ich habe zwar nur eine Sekunde in sein starres Gesicht sehen können. Er ist es bestimmt gewesen. Ich wollte nochmals zurückreiten, aber die andern lehnten es ab. Ich habe sie zu O’Brien geschickt. Sie sollen ihn rebellisch machen.“ „Und Luk – –? Ist er auch tot?“ fragte Billy Jenkins noch einmal. „Yes, als wir fünfhundert Meter weiter anhielten, sahen wir ihn mit dem Kopf zuerst auf den Boden fallen, und wenn Jesse Owen schießt, dann gibt es keine Verwundeten.“ „Dann hat der alte Luk keine Freude mehr an seinem Geld gehabt“, sagte Billy Jenkins mehr für sich selbst, indem er zu Ellen hinüber blickte. „Und er hatte noch allerhand Pläne.“ Binny war still. Er wartete, was nun folgen würde. Aber Billy Jenkins schien sich weiter keine Gedanken zu machen. „Was sollen wir denn tun?“ fragte er jetzt ungeduldig. „Well“, meinte Billy Jenkins nachdenklich, „taxiere, ihr nehmt ein paar Leute und beerdigt die Leichen.“ „Das sowieso“, entgegnete Binny. „Aber ich meinte, was unternommen werden soll?“ Billy Jenkins sah ihn ernst an. „Well, wenn du dann noch Zeit hast, kannst du nach Dreadwood rei249
ten und die Leute unterrichten, daß sie einen neuen Sheriff wählen sollen, gleichzeitig muß der Bahnposten neu besetzt werden. – Schätze, das ist wohl alles, was in dieser Angelegenheit getan werden kann.“ „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Mister Jenkins? Soll denn sonst nichts geschehen?“ Billy Jenkins blickte auf die Uhr. „No! – Absolut nichts. Das wäre alles.“ Erstaunt betrachtete Binny Billy Jenkins. War das der Mann, auf den man so große Stücke hielt, und der sich jetzt so gleichgültig benahm? Man sollte einen neuen Sheriff wählen! Binny hatte das bestimmte Gefühl, daß man diesen Mann stark überschätzt hatte. Und fast zynisch kamen seine nächsten Worte über die Lippen. „Dann hätte ich nicht erst hierher reiten brauchen.“ Jetzt wandte sich Ellen an Billy Jenkins, während Binny zu seinem Pferde ging. „Das kann doch nicht alles sein? – Soll denn nichts unternommen werden? Soll alles beim Alten bleiben, wird diese Bestie immer weiter morden dürfen? – Man müßte doch alle Leute aufrufen, damit sie endlich einmal geschlossen hinter dem Mörder herjagen!“ Binny hatte diese Worte noch mit angehört. Er drehte wortlos sein Pferd herum und ritt ohne Gruß fort. Billy Jenkins hatte sich gebückt, um die Bürste, mit der er das Pferd bearbeitete, wieder aufzunehmen. Nun erst blickte er Ellen an, erschrocken fuhr sie zurück. Mein Gott! Was war mit Billy vorgegan250
gen? Ein paar ganz fremde, stahlharte Augen blitzten sie fast feindlich an. „Billy!“ rief sie. „Sei still“, entgegnete er nur. Ellen lief fort und verschwand im Hause. Sie hatte nur einen Blick von Billy bekommen und sie wußte, daß das Unheil im Anmarsch war. Und nun warf sie sich auf das Bett und weinte. Billy Jenkins war ein Mensch, den sie nie begreifen würde. Dann stand er plötzlich in ihrem Zimmer. „Nun sei still, Ellen. – So fängt man keine Banditen. Überlaß mir das, auch wenn es manchmal seltsam aussieht.“ Sie blickte ihn. mit ihren verweinten Augen an. Jetzt lächelte Billy sogar. „Siehst du, jetzt wirst du schon wieder vernünftig.“ „Billy! – Ich hatte eben solche Angst vor dir. Du hattest etwas in den Augen, was ich noch nie sah.“ „Vielleicht hatten die anderen es auch, als sie Luk erschossen. – Aber die hatten ja selbst Schuld“, fuhr er dann fort. „Warum mußte Lester Blue denselben Weg zurückreiten? Warum machte er keinen Umweg – nur eine halbe Meile, einige hundert Meter, und sie wären jeder Gefahr aus dem Wege gegangen. Selbst wenn sie sich nicht zum Kampf gestellt hätten, so wäre ihnen die Flucht nach Dreadwood immer gelungen. – Aber es ist schon so, wenn man diesen Menschen nicht jedes Stückchen einzeln erklärt, so begreifen sie es nie. Sie rennen mit ihrer Dummheit in den Tod und ziehen andere mit hinein. – By golly! – Wenn ich so arbeiten würde, wäre ich schon zehnmal tot und längst vergessen. Nun hat es wieder 251
so viel Blut gekostet.“ Er machte eine Pause und dann fügte er hinzu: „Aber um Lester Blue schadet es nichts.“ Ellen trocknete ihre Augen und sie sah wieder zu ihm auf, wie sie es sonst immer tat. „Was wirst du nun unternehmen?“ „Erst abwarten, Ellen. Ich kann noch gar nichts sagen. Aber jetzt will ich Blessy in den Stall bringen, sie soll noch etwas Hafer fressen.“ „Laß sie doch auf der Weide!“ „No! – Sie soll Kraftfutter haben.“ Billy Jenkins hatte diese Worte ruhig ausgesprochen, aber Ellen ahnte, was das bedeuten sollte. Dann ging er hinaus und ließ sie mit eigenartigen Gefühlen zurück. Was sollte sie reden? Man konnte ihn nicht umstimmen, wenn er einmal einen Plan gefaßt hatte. Plötzlich erschrak sie. Ein Schuß fiel. Dann noch einer. Sie lief in die Küche und blickte aus dem Fenster und da sah sie Billy Jenkins auf dem hinteren Teil des Hofes stehen. Er hatte den Colt in der Hand, mit jedem Schuß bewegte er einen kleinen Stein ein Stück weiter. Das sagte ihr alles. Manchmal fiel eine ganze Serie von Schüssen und so schnell, daß man sie nicht mehr zählen konnte. Aber Billy schien noch nicht fertig zu sein. Sie blickte wieder aus dem Fenster. Er stand immer noch auf dem gleichen Fleck und sie sah, wie manchmal seine Hand plötzlich herunter fuhr. Dann lagen die Waffen plötzlich in seiner Hand. Es waren jene Übungen, die er wohl täglich machte, aber heute hatte er eine ungewohnte Zeit dafür gewählt. 252
Für Billy Jenkins war der Weg nun klar. Er wußte, was er zu tun hatte. Vielleicht hatte er die Chance, diese Bestie zu erschießen. Es gab noch mehrere Abrechnungen zu begleichen und sie sollten alle auf einmal erfolgen. Yes. Wieder einmal ein „clean up“ und wenn ihn nicht alles täuschte, war es schon an dieser Nacht so weit. Billy Jenkins wußte, daß er dem besten Schützen, dem schnellsten Manne gegenüber stehen würde, der ihm im gewissen Sinne noch im Vorteil war, denn sicherlich rechnete Jesse Owen fest damit, daß sich Billy Jenkins jetzt an seine Spur heftete wie ein Bluthund. Vielleicht wollte Jesse Owen ihn sogar dorthin locken! Oh, er kannte die Tücken dieser Banditen! Aber niemand würde ihn jetzt daran hindern können, diesen gefahrvollen Weg zu gehen. Währenddessen stand Ellen immer noch am Fenster und sah mit brennenden Augen auf die breite Gestalt. Nun schritt Jenkins gemächlich zu seinem Pferde und streichelte es. *
* *
O’Brien mußte seine ganze Geduld zusammennehmen. Endlich waren sie mit der verrückten Besichtigung der Luk-Ranch fertig und nun jagte O’Brien wie ein Irrsinniger zu seiner Farm zurück. Als er in die Nähe kam, entdeckte er zwei fremde Pferde auf dem Hof. Auf der Treppe des Farmhauses saßen zwei Cowboys. Was wollten diese Cowboys hier? Das waren ja 253
immer noch zwei Leute von Lester Blues Posse! Hatte man sie als Spitzel zurückgelassen, oder was sollte dieses Manöver nun wieder bedeuten? Im vollen Galopp kam er vom Pferd herunter gesprungen. „Wollt ihr Tölpel hier meinen Boden dreckig treten?“ brüllte er sie an. Die beiden sahen sich entgeistert an. Was war denn mit O’Brien los? „Wir sind von Lester Blues Truppe. Er ist erschossen worden.“ O’Brien spitzte die Ohren. Was war das? – Lester Blue erschossen –? Seine Luchsaugen gingen von einem zum andern. Sollte das eine Falle sein? „Ach …!“ kam es gedehnt über seine Lippen. „Jetzt erkenne ich euch erst! – Hab euch mit zwei anderen verwechselt, ein paar Vagabunden, die gestern hier waren und zu nichts taugten. – Müßt schon entschuldigen. – Kommt mit in mein Haus, and have a drink.“ O’Brien holte sich eine seiner beliebten Zigarren. „Was sagtet ihr da eben? Lester Blue ist tot? Er war doch erst vor kurzem bei mir. Und ich habe doch dem alten Luk das Geld gegeben. Sollte –?“ „Yes –! Luk ist auch tot“, unterbrach ihn ein Cowboy. „Wir sind von Jesse Owen überfallen worden.“ Mit einem Satz war O’Brien aus dem Sessel. „Mensch, stimmt das …?“ Er war dabei so dicht an den einen Cowboy herangetreten, daß dieser förmlich zusammenzuckte. „Of course.“ Dann schilderte er ihm genau, wie es vor sich gegangen war. „Dann hat der Bandit ja auch das Geld erwischt!“ Der Cowboy bestätigte es. O’Brien rückte sich zurecht. „Well … . ihr beiden 254
könnt jetzt erst einmal hier bleiben. Ich reite eben ‘runter und komme gleich wieder zurück.“ Damit schritt er hinaus. Einem seiner Cowboys, dem er begegnete, sagte er: „Paß auf die beiden ein bißchen auf. Ich komme gleich zurück.“ Und wieder raste er mit seinem schnellen Pferd fort. Schon von weitem sah er die Ansammlung mehrerer Cowboys. Ein Gespann stand an der Seite und darauf verfrachtete man jetzt gerade die beiden Toten. „Hörte soeben von dem Unglück“, sagte O’Brien, als er dort angekommen war, „war es tatsächlich Jesse Owen?“ „Yes. – Er muß es gewesen sein. Es sind die typischen Schüsse.“ „Entsetzlich“, murmelte O’Brien. „Wie lange soll diese Bestie denn noch leben? Aber er bekam von keinem eine Antwort. Was hätten die Cowboys auch sagen sollen? Sollte er doch selbst zum Felsennest ‘raufgehen und sein Fell zu Markte tragen. Sie waren dafür nicht geeicht; sie waren Cowboys für fünfzig Dollar im Monat, aber kein Sheriff mit einem entsprechenden Einkommen. Sie hätten wohl eine Schießerei mitgemacht, das kam mal vor, aber gegen den größten Revolverhelden anzugehen, das konnte niemand von ihnen verlangen. O’Brien merkte sofort, daß die Stimmung nicht gerade gut für ihn war, und so drehte er kurz entschlossen sein Pferd wieder um und ritt gemächlich zurück. Verdammt! Es war aber auch alles gegen den Strich gegangen. Jetzt hatte auch noch Jesse Owen seine Finger dazwischen und es wurde ihm schwer, 255
auch weiterhin die Biedermannsmaske zu tragen. In ihm war die Habgier erwacht, er wollte die achttausend Dollar wieder haben. Was gingen ihn der alte Luk und Lester Blue an? Warum griffen diese Narren denn nach ihrer Pistole, wenn sie Jesse Owen gegenüberstanden? Das konnten nur Wahnsinnige tun! O’Brien spürte eine unbezwingbare Wut in sich hochsteigen. Es nützte nichts. Er mußte selbst zum Felsennest hinauf. Er war der einzige, der es schaffen konnte. Vielleicht kam Billy Jenkins auch …! Um O’Briens Gesicht legte sich ein brutales Lächeln. Das wäre dann gleich ein Abwaschen. Nun war er wieder auf der Farm angelangt. Die beiden Cowboys standen bei ihren Pferden. „Ihr könnt jetzt zurückreiten. Ich werde heute abend nach Dreadwood kommen. Wenn man eine Posse zusammenstellen sollte, bin ich mit dabei.“ Dann blieb O’Brien stehen und wartete, bis die beiden verschwunden. waren. „Reib’ mein Pferd gut ab“, sagte er zu einem der Cowboys. „Ich brauche es heute nacht.“ Dann erschienen noch zwei Mann. „Hallo –!“ rief er ihnen über den Hof zu. „Wir reiten heute abend nach dem Felsennest. Wir wollen Jesse Owen holen.“ „Wen …? … Jesse Owen?“ „Yes!“ schrie O’Brien unbeherrscht zurück. „Ihr habt schon richtig gehört.“ Er warf die Zigarre auf den Boden und zertrat sie. Dann kam der eine Cowboy zu ihm, der das Pferd gereinigt hatte. „Was gibt es sonst noch zu tun?“ „Beziehe Posten und beobachte, daß sich niemand 256
unserem Haus nähert – insbesondere niemand von der Brixton-Farm. Könnte sein, daß der Billy Jenkins sich auf den Marsch macht. Dann knall den Schurken ab. Aber so, daß du auch triffst, denn sonst hat er dich.“ Der Bandit grinste. Es war einer vom alten Stamm, den O’Brien ruhig einweihen konnte. „Du kennst doch die kleine Waldlichtung. Dort steht eine mächtige Zeder. Sie hat einen großen, breiten, ausladenden Ast. Da kannst du bequem drauf sitzen und das ganze Gelände übersehen.“ Der Bandit lächelte. „Du kannst dich auf mich verlassen.“ Dann ging O’Brien auf sein Zimmer. Mit einem Fluch nahm er die Brille ab und schleuderte sie in die Ecke. Dann stellte er sich vor den Spiegel und betrachtete seine teuflische Fratze. Das ganze Gesicht war verzerrt, die kleinen blutunterlaufenen Augen blickten falsch und gefährlich. Jetzt sollten sie ihn kennenlernen. Er war noch in die Betrachtung seines Gesichts vertieft, als er Hufgetrappel hörte. Sofort war er am Fenster. Er stemmte die Hände in die Hüften und fing an zu lachen. Sie ergriffen die Flucht … seine eigenen Leute! Diese feigen Coyoten! Am liebsten hätte er hinter ihnen hergeschrien, oder sich auf sein Pferd gesetzt und sie zusammengeschossen. Aber warum die Aufregung? Es war ja viel besser so. Jetzt konnte er ohne Hemmungen arbeiten. Verdammt! Erst war hier alles so gut angelaufen. Der erste Hit klappte. Das Vieh war in Mexiko verkauft worden und das Geld pünktlich eingetroffen. 257
O’Brien hatte noch drei bis vier solche Geschäfte machen wollen. Aber nun stellte sich heraus, daß jeder Plan in Scherben gehen mußte, so lange Jesse Owen im Distrikt war. Jesse Owen war zu hemmungslos, zu habgierig und brutal. Einer von ihnen mußte das Feld räumen und das konnte nur das steinerne Antlitz sein. Billy Jenkins hatte damals schlecht geschossen, verdammt schlecht. Das wäre ihm nie passiert. O’Brien würde es besser machen. Er war auch schneller als Jenkins. Aber bei Jesse Owen . Er gab zu, daß dieser Mann um den Bruchteil einer Sekunde schneller war als er. Jesse Owen war eben der schnellste; so ein Schütze wurde nur alle hundert Jahre geboren. Aber trotzdem würde er Jesse Owen zu fassen kriegen. Er mußte ihn überraschen. Wenn er Jesse Owen sehen würde, mußte sein Colt schon auf dessen Stirn zielen, denn sonst war es zu spät. O’Brien hatte auch hierfür schon seinen Plan. Er kannte die Schwächen Jesse Owens und die würde er ausnützen. Aber nicht nur das. Er wußte auch, wo das Geld sein konnte, diese achttausend Dollar und vielleicht auch noch mehr. Allmählich gewöhnte sich O’Brien an seine Idee. Seine roten Augen funkelten tückisch. Er zündete sich eine neue Zigarre an und paffte den Rauch gemütlich in die Luft. Verdammt noch mal …! Dieser Schuß zwischen die Augen Jesse Owens, der brachte fünftausend Dollar Kopfprämie. Er kicherte still vor sich hin. Und wenn Billy Jenkins noch kam … und auch erledigt würde, dann war 258
ganz Golden Hill für ihn allein da. Dann konnten die „Hits“ so starten, wie er es wollte. Wer würde ihn daran dann wohl noch hindern können? Es waren ja alle kleine Kreaturen, selbst Lester Blue, dieser arme Wicht. Er hatte ihn damals im Bahnhaus mit den Händen erwürgt. Jesse Owen tat ihm nur einen Gefallen damit, daß er ihn abgeschossen hatte. Plötzlich sprang O’Brien hoch. Ihm war, als hätte er etwas gehört. Sofort war er hellwach. Der Colt fiel herunter, noch einmal faßte er nach. Seine kleinen Augen flogen hin und her. Dann suchte er die Brille. Dort lag sie. Jetzt hatte er seine Sicherheit wieder. *
* *
Wohl hundertmal verließ Grane das Haus, um zu der Felsspalte zu gehen, von welcher er ins Tal hinabsehen konnte. Grane war sonst ziemlich bedächtig. Aber die lange Ruhepause, das Nichtstun und Nichtsverdienen waren ihm auf die Nerven gegangen. Noch vor drei Tagen rechnete er damit, Worrytown verlassen zu müssen und heute wäre er für kein Geld aus Worrytown fortgegangen. So hatte sich über Nacht alles geändert. Er war wieder voller Optimismus und seiner Ansicht nach bestand Grund zu größten Hoffnungen. Er hatte den Whisky auf Flaschen abgefüllt und die Regale standen zum erstenmal seit langer Zeit wieder voll. Wenn er die Flaschen sah, rechnete Grane im stillen schon aus, was dabei an Verdienst herauskam. Er wußte, was die 259
Orgien einbrachten, die in einer solchen Nacht gefeiert wurden, und das mußte man den Banditen lassen: sie waren großzügig. Sie warfen mit dem Gelde umher, als hätten sie genügend davon. Nun sah er endlich die Reiter herankommen; an der Spitze Jesse Owen. Grane ging hinein und fegte noch einmal mit dem Lappen über den Schanktisch. Seine Augen fuhren in die Runde, ob auch alles am richtigen Platz war. So sauber wie heute war die Bar schon lange nicht mehr gewesen. Nun konnte er nichts tun, als warten. Dann konnte das große Geschäft starten. Da kamen die Reiter auch schon in das Felsennest. Sie hatten die letzten Windungen überquert und dann standen sie vor der Bar. An ihrer lauten Unterhaltung hörte Grane schon, daß sie einen vollen Erfolg erzielt hatten. Dafür hatte er ein feines Ohr. Einer der Banditen blickte kurz in die Bar. „Alles okay?“ fragte einer vorsichtig. „Yes“, lächelte Grane. Erst danach trat Jesse Owen ein, ihm folgten die anderen. Ein Mann war an der Felsspitze als Beobachter zurückgelassen worden. „Well … ist alles gut verlaufen?“ fragte Grane wie beiläufig, indem er sich nicht direkt an Jesse Owen wandte. Einer von ihnen nickte ihm zu. „Wenn Jesse Owen dabei ist, muß es wohl gut verlaufen.“ Alle lachten. „Füll’ die Gläser auf!“ rief jemand. Jesse Owen ließ sich gemächlich am Tisch nieder, 260
während Grane die kleinen Whiskygläser auf den Tisch schob und die Flasche von einem Glas zum andern tanzte. Es war eine Freude, so arbeiten zu können, nicht auf Kredit, alles gegen bar! So mußte es sein. Das war nach seinem Geschmack. Zuerst bediente er Jesse Owen. „Bin verdammt froh“, sagte er halblaut zu ihm, „daß alles so gut geklappt hat. – Aber das habe ich schon vorher gewußt.“ Jesse Owen sah ihn an. Grane wußte nicht, was er von dem Gesicht halten sollte, denn es drückte nichts aus. Aber es schien doch nichts Nachteiliges zu sein; denn nun langte Jesse Owen in die Tasche und warf ein mächtiges Bündel Geld auf den Tisch. „Here is the money!“ sagte er nüchtern und dann rief er die andern herbei. Sie stellten sich im Halbkreis um den Tisch. Grane trat etwas weiter zurück. Aber er horchte auf jedes Wort, das gesprochen wurde. „Das war der erste Start nach langer Zeit“, fuhr Jesse Owen fort. „Ich habe noch Geld genug und ihr könnt euch die ganzen achttausend Dollars teilen.“ Das war noch nie da gewesen! Jesse Owen behielt sonst immer seinen share (Anteil). Auch diejenigen, die nicht mitgeritten waren, erhielten ein paar hundert Dollars. Jesse Owen ergriff wieder das Wort. „Zwei Mann werden ständig als Posten draußen bleiben müssen. Ich komme nach Dunkelwerden wieder.“ Damit erhob er sich. Jetzt wurde es laut in der Bar und ausführlich wurde über den „Hit“ berichtet. Aber Grane kannte 261
das alles schon. Er befand sich in einem Taumel. Er konnte kaum so schnell einschenken, wie die Banditen tranken. Schon flatterten die ersten großen Noten auf den Tisch. In diesem Augenblick dachte niemand an den alten Luk, dem doch eigentlich das Geld gehörte und der jetzt in die Erde kam. Sie alle waren von diesem Taumel erfaßt. Jesse Owen war da! Es gab nur eines und das war ein gewaltiger Aufstieg, was interessierte es sie schon, wer daran zugrunde ging. Nach einigen Stunden trat wieder etwas Ruhe ein. Jetzt saßen die Banditen bei dem nur allzu beliebten Spiel, dem „open poker“ und dabei brauchten sie Ruhe. Das war ihre große Leidenschaft, dann flackerte es in ihren Augen, sie waren mit Falschheit geladen. Wenn sie dabei etwas getrunken hatten, so genügte eine Bewegung, die falsch ausgelegt werden konnte, und sie griffen zum Colt. So kam es oft vor, daß sie sich dann gegenseitig abschossen. Dann war das Tier in ihnen erwacht, das sie alle Grenzen vergessen ließ. In einer solchen Sekunde vergaßen sie sogar Jesse Owen, sie vergaßen alles. Sie lebten nur noch für den Augenblick. Es war dunkel geworden. Auch Grane hatte sich wieder beruhigt. Jetzt lief alles seinen Gang. Er mußte nur aufpassen, daß es nicht zu hitzig wurde. Wenn er bemerkte, daß einer zu starre Augen am Tisch bekam, dann stand er plötzlich daneben und klopfte ihm beschwichtigend auf die Schulter. „Well Jim, Pech gehabt? – Will es gar nicht laufen? – Das ist manchmal drin.“ Und solche Worte bewirkten meistens Wunder. Das Gesicht entspannte 262
sich und gleichzeitig wurde wieder eine Runde bestellt. Um zehn Uhr abends hörte Grane hinten in der Küche ein Klappern. Er blickte von einem zum andern. Diese Geräusche waren ihnen fremd. Aber dann ging die Tür auf und Jesse Owen trat ein. Erleichtert atmeten sie auf. Gewöhnlich kam Jesse Owen durch die vordere Tür. „Haben die Posten etwas gemeldet?“ „No. Nichts. Sie sind gerade abgelöst worden.“ Jesse Owen setzte sich wieder auf denselben Platz dort bei der Tür. Von hier aus konnte er den Eingang prachtvoll beobachten. „So …“, murmelte er vor sich hin. „Hier sitze und hier bleibe ich, bis er kommt!“ Niemand hatte es gehört. Jesse Owen war ein zu guter Psychologe. Er wußte genau, wie die letzte Schreckensmeldung auf Billy Jenkins wirken würde. Er war der geborene Abenteurer, ein Mann, der jetzt nicht mehr widerstehen konnte. Es war eine derartige Herausforderung an Billy Jenkins, daß er unweigerlich kommen mußte. Das fühlte Jesse Owen mit jeder Faser. Während er diesen Gedanken nachging, lag seine linke Hand unter dem Tisch. Wundervoll konnte er von hier aus die ganze Tür mit Blei bestreuen, ohne daß die Hand sichtbar war; welch gewaltige Starke! „Grane!“ rief er nun. „Give me a drink!“ Und als dieser bei ihm war, sagte er: „Schließe sofort die Hintertür ab. Da darf heute keiner mehr durchkommen. Ich liebe keine Überraschungen, wir wollen nichts dem Zufall überlassen.“ 263
Grane wußte sofort, wie es gemeint war. „Meinst du denn, daß er kommt?“ Jesse Owen bedauerte, daß er in diesem Augenblick nicht lachen konnte. So blieb sein Gesicht starr. Wohl hob sich seine Stimme, als er fest sagte: „Ich weiß es – und ich werde ihm den Kiefer zerschießen.“ *
* *
Am Nachmittag war Ellen zur Cattle geritten, um die Cowboys für den kommenden Tag zu versorgen. Das war ihre alltägliche Beschäftigung. Als sie am Abend zurückkehrte, spürte sie schon, bevor sie die Farm erreichte, daß Billy Jenkins fort war. Sie lief durch die Räume und rief nach ihm. Aber es kam keine Antwort. Ellen wußte, Billy Jenkins war aufgebrochen, um der letzten großen Entscheidung entgegen zu gehen, und sie konnte nur Jesse Owen heißen. Fassungslos stand sie nun vor der Farm. Es wäre ihr unmöglich gewesen, jetzt hier zu bleiben. „Nach Dreadwood“, hämmerte es in ihren Schläfen. Sie mußte die Cowboys und Weidereiter zusammentrommeln. Aber sicherlich kam sie schon zu spät, um in dieses Geschehen noch eingreifen zu können. Aber hier konnte sie einfach nicht tatenlos zusehen. Billy war in die Hölle gegangen. Ob überhaupt eine Möglichkeit bestand, daß er lebend aus diesem Nest heraus kam? 264
Sie bestieg ihr Pferd. „Nach Dreadwood!“, murmelte sie; dann gab sie dem Gaul die Sporen. — — Billy Jenkins war froh, als Ellen am Nachmittage fortgeritten war. Dies war für ihn die günstigste Gelegenheit zu entkommen. Er haßte es, sich jetzt von ihr zu verabschieden. Dann trug Blessy ihn auch schon fort. Er lenkte das Pferd nach der O’Brien-Farm. Sein Gesicht war verschlossen, nichts war ihm anzumerken. Nur, daß er außerordentlich vorsichtig ritt. Sorgfältig spähte er die Umgebung ab. Er wußte, daß er an diesem Tage mit vielen Überraschungen zu rechnen hatte – da gewahrte er auch schon die erste. Im Baume saß ein Bandit. Er hatte sich dadurch verraten, daß sein Gewehr herum schwenkte, als er auf ihn anlegte. Billy Jenkins ritt einen kleinen Bogen, so daß ihn der Bandit nicht sehen konnte. Erst als er auf Coltnähe herangeritten war, ließ er Blessy mit einigen Sätzen über die Böschung hinwegspringen und dann lag der Baum keine zwanzig Meter vor ihm. Er sah den Banditen dort oben sitzen. Dieser hatte das Gewehr weggelegt und zielte mit dem Colt auf ihn. „Was für ein Stümper!“ dachte Jenkins. Der Mann dort oben versuchte wahrhaftig noch zu zielen. Dann erst hatte Billy Jenkins seinen Colt herausgerissen und mit einem klatschenden Geräusch fiel der Mann herunter. Er hatte ihn zwar nur einen schweren Armschuß verpaßt, aber damit war der Mann für ein kommendes Gefecht ausgeschaltet. „Wer hat dich hierher geschickt?“ fragte Billy Jenkins. 265
Der Bandit versuchte es zuerst mit allerlei Ausreden; aber als er in Jenkins’ Augen blickte, wußte er, daß alle Ausflüchte keinen Zweck hatten. Mit der linken Hand hielt er seinen schmerzenden rechten Arm fest, der nun blutdurchtränkt war. „O’Brien“, kam es dann mürrisch über seine Lippen. Billy Jenkins war gar nicht erst vom Pferde herunter gekommen. Jetzt setzte er seinen Ritt fort und dann lag die O’Brien-Farm auch schon vor ihm. In einer halben Stunde mußte es dunkel werden. Es war die richtige Zeit. Billy wußte genau, daß er von dem oberen Stockwerk aus gesehen werden konnte, so näherte er sich von den Baracken her, die hinter dem Farmhause lagen. Dort stellte er Blessy ab. Er nahm einen kleinen Stein und warf ihn in das offene Wohnzimmerfenster. Dann hörte er auch schon jemand die Treppe herunterkommen. O’Brien hatte dieses Geräusch vernommen, vorsichtig wie ein Tier kam er herunter. Seine Augen und Ohren waren aufs äußerste angespannt. Nichts war zu sehen. Jetzt ging er hinaus. Da sah er Billy Jenkins keine zehn Meter von der Tür entfernt stehen. „Hallo – Mister Jenkins!“ rief er, und in diesem Augenblick entspannte sich sein Gesicht und wieder lag das Lächeln darauf. „Schätze, daß wir jetzt mit dem Theater aufhören!“ sagte Billy Jenkins. O’Brien bemerkte sofort die Veränderung. Sollte er Bescheid wissen? Mit einem unauffälligen Ruck brachte O’Brien die Colts in die richtige Stellung. „Ich verstehe Sie nicht, Mister Jenkins?“ 266
„Nimm deine Brille ab – – O’ H a r a – es ist zu Ende!“ Stahlhart fiel jedes Wort und als O’Hara seinen eigenen Namen hörte, da wußte er, daß es nun keinen Umweg mehr gab. Trotzdem lag immer noch ein Lächeln auf seinem Gesicht. Jetzt nahm er ganz bedächtig die Brille ab. Billy Jenkins sah in das ihm bekannte Gesicht, die blutunterlaufenen Augen blinzelten tückisch. Billy Jenkins wußte nur zu gut, daß er jetzt ungeheuer aufpassen mußte. „Heb’ die Hände hoch!“ Auf dieses Kommando hatte O’Hara vielleicht nur gewartet. Wie ein Blitz zuckte die Hand zum Colt. Schon hatte er beide Waffen in der Hand. Und dann ertönte ein Schuß – nur ein einziger Schuß – . Erstaunt betrachtete O’Hara seinen Gegner. Wie konnte es nur möglich sein, daß ein Mann so schnell schoß? Er wollte etwas sagen, hatte aber einen Blutgeschmack im Munde; ihm wurde schwindelig. „Sollte das das Ende sein?“ – dachte er noch. Er hörte aus weiter Ferne, wie seine Colts zu Boden fielen, und das Geräusch klang außerordentlich merkwürdig. Er war so müde … . so entsetzlich müde … Von einem Schuß spürte er nichts, nur, daß es ihm warm an der Brust herunterrieselte. Und dann legte sich ein dunkles Tuch mildtätig über seine Augen. Der Tod war barmherzig, er nahm ihn schmerzlos aus dieser Welt, ihn, der so vielen anderen mit einem brutalen Lachen den Tod gebracht hatte. Ohne jede Bewegung betrachtete Billy Jenkins 267
den toten O’Hara. Er dachte nicht darüber nach, daß er einen vielfachen Mörder den Tod gebracht hatte; seine Gedanken weilten schon bei Jesse Owen. Langsam schritt Billy Jenkins zum Pferde. Wie rasch doch die Zeit verging … Jetzt wurde es schon dunkel. „Komm Blessy, let’s go. Hier haben wir unsere Arbeit getan.“ Blessy legte ihren Kopf auf seine Schulter. Billy ließ sich noch einige Minuten Zeit. Er sah, wie die Sonne versank und die Dunkelheit von dem Land Besitz ergriff. Nun war im Westen nur noch ein kleiner, heller Streifen zu sehen, aber in wenigen Minuten würde auch der verblassen. Langsam ritt Billy Jenkins dem Felsennest entgegen. Er benutzte für diesen Ritt nicht den normalen Weg. An einer einsamen Stelle ließ er Blessy stehen. „Hier mußt du warten“, sagte er zu dem Tier. Dann begann er mit dem Aufstieg. Als er die Felsen bestieg, sah er, daß Blessy zu ihm äugte. Dann fing sie an zu grasen. Nach einer halben Stunde hatte er es geschafft. Nun entdeckte er in einiger Entfernung die beiden Posten, die das vor Ihnen liegende Land ständig beobachteten. Sie hatten es sich gemütlich gemacht und sich gegen einen Felsen gelehnt. Aber er brauchte sie nicht weiter zu beachten, denn wenn er die Straße unter den Füßen hatte, konnten sie ihn nicht mehr sehen. Dann lag die Bar vor ihm. Lauter Lärm drang daraus hervor. Als er das hörte, dachte er, das habe ich doch alles schon einmal erlebt! Aber er konnte nicht 268
auf den Namen des Towns kommen. Lautlos wie ein Panther bewegte er sich vorwärts. Er begab sich sofort zu der Rückseite des Hauses. Seine Augen hatten sich so an die Dunkelheit gewöhnt, daß er tadellos sehen konnte. Unendlich langsam drückte er den Türgriff hinunter. Verschlossen –! Jetzt betrachtete er die Fassade. Billy wußte genau, von vorn durfte er die Bar nicht betreten. Von dort aus hätte er gar keine Chance, zuerst zum Schuß zu kommen. An einem Abflußrohr zog sich Billy Jenkins zum nächsten Stockwerk hoch. Er mußte dabei sehr vorsichtig arbeiten, um kein Geräusch zu verursachen. Dann schob er behutsam eines der Fenster empor und stieg hinein. Dieser Raum war leer. Es befand sich nur ein Bett und ein Stuhl darin, es war eines der typischen Hotelzimmer, wie man sie hier häufig fand. Von hier aus arbeitete er sich vorsichtig weiter. Es war sein Vorteil, daß er den Grundriß des Hauses schon kannte und daß er schon einmal hier gewesen war. Trotz der Finsternis bewegte er sich ohne Schwierigkeiten vorwärts. Dann hatte er die unterste Stufe erreicht. Jetzt konnte er schon die einzelnen Stimmen im Raume hören. Billy atmete mit offenem Mund, um auch das allerletzte Geräusch zu töten. Nun hörte er Jesse Owen sprechen. Er bestellte noch einen Drink. Hufgetrappel ertönte. Billy Jenkins lauschte. Das war eigentlich gegen sein Programm. Vorsichtig wartete er ab. Dann hörte er die Stimme des Postens: „Es kommen Leute aus Richtung Dreadwood!“ „Okay“, entgegnete Jesse Owen. 269
Jetzt wußte Billy Jenkins auch genau, wo Jesse Owen saß. Er mußte sich gleich hinter der Tür befinden. Mit einem Ruck riß er die Tür auf. Sein Colt flog sofort in die Richtung, in der Jesse Owen saß. Erstaunt betrachtete der Bandit seinen Gegner. Aber auf seinem Gesicht zeigte sich keine Regung. „Und ich dachte, die Tür wäre verschlossen –“, sagte Jesse Owen jetzt, indem er mit seinen blinzelnden Augen Grane betrachtete. Dieser stand, in tödlichem Schrecken erstarrt, vor dem Schanktisch und war nicht in der Lage sich zu bewegen. Er wußte, daß Jesse Owens Worte sein Todesurteil bedeuteten. Der Bandit hatte aber nur eine Ablenkung versucht. Er wollte zu den Waffen greifen. Auch andere im Raum hatten es getan. Jetzt schoß Billy Jenkins. Einmal, zweimal raste eine Stichflamme auf Jesse Owen zu, der nur seinen Mund etwas weiter Öffnete. Dann warf sich Billy Jenkins zu Boden. Auch Grane hatte jetzt eine Pistole in der Hand. Irgend etwas traf Jenkins am Kopf. Er fühlte, wie sich ein Schleier über seine Augen legte. Dann drückte er auf Grane ab und er sah, wie dieser hinter seinen Tisch fiel. Jetzt konnte Billy Jenkins nichts mehr sehen. Trotzdem schoß er immer weiter. Verdammt! – Jesse Owen mußte doch tot sein. Jenkins hatte keine Zeit gehabt, darauf achten zu können. Von der Tür her ertönten Schüsse. Oder träumte er –? Jetzt sah er Ellen. „Geh zur Seite!!!“ brüllte er. Irgend etwas hinderte ihn am Arm. Was war es bloß –? Nun hatte er das Gefühl, als trüge man ihn fort und er konnte sich nicht einmal da270
gegen wehren. Wo war er eigentlich? Warum konnte er die Augen nicht öffnen? … Und wo war Blessy …? Was war das bloß für ein Durcheinander! Billy versuchte nachzudenken. Was war eigentlich los? Aber er kam zu keiner vernünftigen Erklärung. Es knallte immer noch. Er vernahm es wie aus weiter Ferne, aber so, als ginge es ihn gar nichts an. Mit aufgelösten Haaren, total erschöpft, war Ellen in Dreadwood angekommen. Sofort wurde sie von den Cowboys und Reitern umringt. „Auf, ihr Männer!“ rief sie. „Oder wollt ihr Billy Jenkins allein kämpfen lassen?“ „Was ist denn los?“ „Billy Jenkins ist zum Felsennest, um euer Leben zu sparen, damit ihr besser schlafen könnt!“ „Das haben wir ja nicht gewußt, Ellen“, sagte einer. „Also fellows! Dann los!“ In wenigen Minuten hatten sie ihre Pferde herbei geholt. Der Wirt der Bar gab ihnen noch seine Waffe mit. Jetzt konnten sie schon den Ansturm wagen. Dann brausten sie auch schon zu dem Felsennest. Ellen ritt mit ihnen. Sie mußte dabei sein! Nach einem halbstündigen Ritt fegten sie auch schon wie der Sturmwind nach Worrytown hinein. Schüsse ertönten. „Er lebt noch!“ rief Ellen und auch die anderen dachten dasselbe. Sie kamen nicht zu spät. Sic gaben schon vor dem Hause ein paar Schüsse ab. Und dann sprangen sie durch die Tür und das Fenster in den Barraum. Sie sahen Billy Jenkins am Boden liegen und mit beiden Colts feuern. Aber nun hatten sie 271
selbst genügend zu tun, um mit den anderen Banditen aufzuräumen. Irgend jemand hatte Ellen zurückgerissen. „Bleib’ hier“, sagte ein Cowboy zu ihr. Sie wäre sofort mit in die Bar hineingegangen. Ellen kannte keine Furcht; sie hatte Squatterblut in den Adern. Eine Weile später kam der Arzt aus Dreadwood an. Er ging sofort in die Bar. Und nun trat auch sie ein. Sie sah, wie der Arzt einen Verband um Billys Kopf legte. Dann lebte er ja noch! … denn sonst würde er ihn nicht verbinden. Ellen konnte gar nichts anderes denken. Wenig später kam der Arzt zu ihr. „Es ist gut gegangen. – Die Schädeldecke ist wieder einmal heil geblieben.“ „Gott sei Dank!“ murmelte sie. Billy Jenkins lag immer noch in tiefer Bewußtlosigkeit. Manchmal sprach er einige wirre Worte. „Habt ihr das gesehen?“ sagte der Arzt. „Was?“ fragte Ellen. „Er muß ja entsetzlich unter den Banditen aufgeräumt haben. Von den zwölf Personen sind nur noch fünf am Leben.“ Jesse Owen saß mit seinem steineren Antlitz auf dem Stuhl, als lebte er. Er hatte in jeder Hand einen Colt, aber die Schüsse waren in den Boden gegangen. Er war zu spät gekommen. — — Nun lag Billy Jenkins auf der Brixton-Farm. Man hatte auch Blessy gefunden. Ellen und der Arzt saßen an Billys Bett, als er erwachte. Richtig! … Er war ja hinter Jesse Owen hergewe272
sen. Jetzt kamen die Gedanken wieder. Aber wo war Blessy? Vorsichtig bewegte er seinen Kopf. Jetzt entdeckte er Ellen und auch den Arzt. Dann war ja alles gut. „Wo ist Blessy?“ fragte er. „Dort!“ sagte Ellen und zeigte zum Fenster. Billy Jenkins drehte den Kopf noch etwas weiter, obgleich es ihn sehr schmerzte. Blessy stand am Fenster und schnaubte. Müde schloß er die Augen. Er wollte noch etwas schlafen. ENDE
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