Atlan ‐ Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 710 Das neue Konzil
Das Reich der Phyloser von H. G. Ewers
Die Begeg...
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Atlan ‐ Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 710 Das neue Konzil
Das Reich der Phyloser von H. G. Ewers
Die Begegnung der Sucher
Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide sich nach einer plötzlichen Ortsversetzung in einer unbekannten Umgebung wiederfindet, wo unseren Helden alsbald ebenso gefährliche Abenteuer erwarten wie etwa in Alkordoom. Atlans neue Umgebung, das ist die Galaxis Manam‐Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit bietet, die Spur des Erleuchteten, seines alten Gegners, wiederaufzunehmen, ist ein hochwertiges Raumschiff, das Atlan auf den Namen STERNSCHNUPPE tauft. Das Schiff sorgt für manche Überraschung – ebenso wie Chipol, der junge Daila, der zum treuen Gefährten des Arkoniden wird. In den drei Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben Atlan und der Daila schon manche Gefahr bestanden – sowohl im Weltraum als auch auf fremden Planeten. Und während die beiden als Gefangene einen Flug ins Ungewisse antreten, erscheinen auch andere, die mit Atlan eng verbunden sind, auf der kosmischen Bühne von Manam‐Turu. Da ist Colemayn, der Sternentramp, und da ist Anima. Atlans ehemalige »Orbiterin« trifft mit dem Modulmann und einer angeblichen Parazeit‐Historikerin zusammen. Die Not macht die drei völlig unterschiedlichen Wesen zu Freunden – und sie bestehen ihre Bewährungsprobe im REICH DER PHYLOSER …
Die Hauptpersonen des Romans: Anima, Neithadl‐Off und Goman‐Largo ‐ Drei Fremde werden zu Freunden. Tanc‐Foll ‐ Kommandant einer Weltraumexpedition der Phyloser. Enerschi‐Upp ‐ Eine phylosische Hypertechnikerin. Krell‐Nepethet ‐ Ein Mepather.
1. Die Strahlbahn stach gleich einem Pfeil aus komprimiertem Licht durch die Schwärze des Alls und bohrte sich in das Schiffswrack, das wie ein großer dunkler Klumpen auf der Oberfläche eines Meteoriten kauerte. Anima stieß einen triumphierenden Schrei aus. Ihre Augen funkelten, und ihre Wangen glühten förmlich vor Kampfeseifer. Sie justierte das Strahlgeschütz der IGEL neu ein, denn die Zielverfolgungsautomatik funktionierte seit der Kollision im n‐dimensionalen Sog nicht mehr, und da sowohl der Meteorit des Feindes als auch der, auf dem sie mit ihrem Beiboot gestrandet war, langsam rotierte, war nach jedem Schuß eine Korrektur nötig. »Euch werde ich es zeigen!«rief sie, während sie den nächsten Schuß auslöste. »Mich einfach zu rammen! Wahrscheinlich hattet ihr gedacht, mein kleines Boot damit restlos zertrümmern zu können. Dabei habt ihr selbst ganz schön etwas abgekriegt.« Sie seufzte frustriert, als die Strahlbahn diesmal mindestens fünfzig Meter neben dem feindlichen Schiff in den Felsboden fuhr. Erbittert richtete sie das Geschütz neu ein. Der nächste Schuß riß einen großen Fetzen, Außenverkleidung, der infolge der Kollision im Winkel von annähernd neunzig Grad abstand, vom feindlichen Schiff weg und ließ ihn ins All davontrudeln. Danach mußte Anima notgedrungen das Feuer einstellen, denn die beiden Meteoriten hatten sich inzwischen so weit gedreht, daß die Feinde sich nicht mehr sehen konnten. Aber Anima war
deswegen nicht untätig. Sie räumte die Steuerkanzel einigermaßen auf, denn der Boden war mit Glassplittern und positronischen Kleinelementen übersät. Dabei warf sie ab und zu einen Blick auf die beiden einzigen heilgebliebenen Ortungsschirme und musterte die weitere Umgebung. Der erste flüchtige Eindruck, den sie nach dem Rücksturz in den Normalraum von dieser Gegend des Alls gewonnen hatte, erhärtete sich und gab ihr die Gewißheit: Es gab fast keine Sterne! Ringsum erstreckte sich ein finsterer Abgrund bis ans Ende des Universums, wie es schien. Lediglich zwei Sonnen vermochte Anima auszumachen, eine weißgelbe und eine blaue. Sie waren anscheinend nur wenige Lichtmonate entfernt. Genau ließ sich das nicht feststellen, da die überlichtschnelle Ortung ausgefallen war. Aber wer sich solange im Weltraum herumgetrieben hatte wie Anima, der hatte eine Art sechsten Sinn dafür. Während ihr Meteorit sich gemächlich weiter drehte, kam eine ʹdritte Sonne, die bisher hinter einem anderen Felsbrocken des Meteoritenschwarms verborgen gewesen war, in Sicht. Anima wurde es ganz flau im Magen. Das sah so aus, als wäre sie in eine fast materielose Gegend des Universums verschlagen worden, weitab aller Galaxien. Damit sanken die Aussichten, Atlan wiederzufinden, praktisch auf den Nullpunkt. Schuld daran war nur die Besatzung des feindlichen Raumschiffs beziehungsweise des Schiffswracks. Davon war Anima überzeugt. Hätte sie ihr Diskusschiff nicht gerammt, wären sie nicht weitab aller Sterneninseln in den Normalraum zurückgefallen. Sie wandte sich wieder dem Bildschirm zu, der den vom Feind besetzten Meteoriten zeigte. Aber das andere Wrack war noch nicht wieder zum Vorschein gekommen. Sie mußte weiter warten. Als die Signalplatte der Funkanlage in kurzen Intervallen aufleuchtete, kümmerte Anima sich nicht darum. Sie war nicht daran interessiert, mit ihren Todfeinden zu reden. Vielleicht
bekamen sie ihre Waffen nicht schnell genug klar und wollten deshalb versuchen, Anima zum Stillhalten zu überreden. Aber darauf würde sie sich nicht einlassen. Schließlich hatte der Feind seinen Vorteil einer viel größeren Schiffsmasse auch schamlos ausgenutzt. Doch dann schlichen sich andere Gedanken in Animas Bewußtsein. Wie, wenn das gar nicht der Feind war, der Kontakt suchte? Es war zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber immerhin auch nicht absolut unmöglich, daß Atlan näher war, als sie auch nur zu hoffen wagte. Vielleicht saß er auf einem der zahlreichen Meteoriten fest und befand sich in Not. Anima wußte, daß sie es sich niemals verzeihen würde, wenn ihr Ritter umkäme, während sie ihm fast zum Greifen nahe gewesen war, aber auf seine Hilferufe nicht reagiert hatte. Sie ging zur Funkanlage und schaltete sie ein. Im nächsten Moment wich sie voller Abscheu und Entsetzen zurück, denn der Bildschirm zeigte das Abbild eines schrecklichen, widerlichen Wesens, das nur eine Ausgeburt aus den gentechnischen Hexenküchen des Erleuchteten sein konnte. Das Monstrum bestand aus graugrüner, lederartiger und feucht schimmernder Haut, von der nicht zu erkennen war, ob sie die Oberfläche eines Körpers darstellte oder ob sie selbst der nur fingerdicke Körper war. Es mußte sich um einen Organismus handeln, der sich entweder in der Tiefsee eines Normplaneten (worunter Anima alle Welten verstand, auf der ihr Ritter Atlan ohne großen technischen Aufwand leben konnte) oder in der Hochdruckatmosphäre eines heißen Gasriesen entwickelt hatte, denn es besaß keine eigenen Gliedmaßen, sondern hatte sich in einen Metallrahmen gespannt, der – verglichen mit der Einrichtung einer Steuerzentrale im Hintergrund der Abbildung – knapp zweieinhalb Meter lang und gut anderthalb Meter breit sein mochte und auf sechs metallenen
Beinen von zirka einem Meter Höhe stand. Das Schamloseste aber war, daß das Wesen durch das Metallrohr der vorderen Schmalseite ein gutes Dutzend Knorpelstäbchen geschoben hatte, die aufdringlich lackrot glänzten. Auch seine Kleidung sprach nicht gerade für Moral und Sitte, denn sie war lückenlos durchsichtig. Unter dem Hautkörper hing noch ein waschbrettartiges Objekt, das Anima bei genauerem Hinschauen allerdings als Gravojet‐Aggregat einzustufen vermochte. Selbstverständlich zweifelte sie keinen Augenblick daran, daß sie einen der Feinde vor sich hatte. Das bewies ihr schon der desolate Zustand der Steuerzentrale des anderen Schiffes, der weitgehend dem Zustand in ihrer eigenen Steuerkanzel glich. Außerdem mußte das Monstrum sich erst kürzlich verletzt haben. Auf der Oberseite seines Hautkörpers gab es zwei Platzwunden mit gallertartig erstarrtem, giftgrünem Blut. Anima erholte sich relativ rasch von ihrem Schreck. Sie ging ein paar Schritte näher an die Funkanlage heran. »Warum sagst du nichts?« fragte sie. »Ich bin bereit, eure bedingungslose Kapitulation anzunehmen.« Das Monstrum erwiderte nichts darauf. Statt dessen hielt es plötzlich ein leistenförmiges Metallgerät zwischen den beiden vorderen Beinrohren, die es mehrfach geknickt hatte und bewegte es vor seiner vorderen Schmalseite hin und her. Zeichensprache? Anima wünschte sich, Atlan wäre zugegen, denn der Arkonide hatte eine unheimliche Menge Erfahrungen und wäre sicher auch mit der absurden Zeichensprache eines sittlich verdorbenen Monstrums klargekommen. »Warum sprichst du nicht?« rief sie. »Dann könnte ich wenigstens die Bordpositronik einschalten, die deine Sprache vielleicht analysieren würde.« Das Monstrum hörte auf, das Gerät hin und her zu bewegen. Es schien zu überlegen. Nach einer Weile streckte es eine der
Vordergliedmaßen aus und berührte Tastenfelder und Sensorpunkte auf einer Schaltkonsole. Anima sah, daß es aus der unteren Rohrmündung des Vordergliedmaßes mittelstarke Drähte ausgefahren hatte. Sie deutete auf ihre Ohren. »Mit mir mußt du dich akustisch verständigen – oder durch Symbole«, erklärte sie. »Deine komische Zeichensprache verstehe ich nicht.« Das Monstrum erstarrte. Danach nahm es das leistenförmige Gerät abermals zwischen beide Vordergliedmaßen und bewegte es wie zuvor hin und her. Anima kam plötzlich der Verdacht, das Wesen könnte sich gar nicht mit ihr verständigen wollen, sondern versuchte, sie mit Hilfe des seltsamen Geräts hypnotisch zu beeinflussen. Andernfalls hätte es ja nur zu reden brauchen. »Du bösartiges, hinterhältiges Ungeheuer!« schrie sie aufgebracht. »Aber mit mir kannst du das nicht machen. Ab sofort kenne ich keine Rücksichten mehr. Der Kampf geht weiter, bis einer von uns vernichtet ist.« Sie schaltete die Funkanlage aus, dann kehrte sie zum Feuerleitpult zurück und sah mit grimmiger Befriedigung, daß das feindliche Schiff soeben wieder sichtbar wurde. Mit mörderischer Entschlossenheit und eiskalter Furcht im Nacken richtete sie ihr Strahlgeschütz neu aus … 2. Neithadl‐Off war enttäuscht. Sie hatte das andere Schiff nur angefunkt, weil sie einen Waffenstillstand aushandeln wollte, denn es würde mehr Zeit brauchen, wenigstens die schlimmsten Schäden zu beheben, als Goman‐Largo ursprünglich geschätzt hatte. Der Modulmann befand sich zur Zeit im abgeschalteten Fusionsreaktor, um Risse in der Innenwandverkleidung des
Reaktorkessels abzudichten. Anschließend wollte er versuchen, das Buggeschütz zu reparieren, das bei der Kollision aus allen Halterungen und Anschlüssen gerissen und aus der zertrümmerten Bugʹ Sektion tiefer in den Rumpf getrieben worden war. Aber das Wesen, das daraufhin auf dem Bildschirm der Funkanlage erschienen war, hatte völlig irrational reagiert. Zuerst hatte es sie zu verspotten versucht, indem es sich bereiterklärt hatte, die bedingungslose Kapitulation anzunehmen. Selbstverständlich dachte die Parazeit‐Historikerin nicht im Traum daran, zu kapitulieren – noch dazu bedingungslos. Entsprechend fest hatte sie deshalb das Scheinangebot zurückgewiesen und den Zweck ihres Anrufs erläutert. Das Wesen aus dem feindlichen Schiff mußte sie entweder falsch verstanden haben, oder es hatte beabsichtigt, es durch eine Art Nervenkrieg zu zermürben, indem es tat, als könnte es sie nicht hören. Vielleicht hätte es bei jemand anderem damit Erfolg gehabt, aber nicht bei Neithadl‐Off. Sie hatte das fremde Wesen sofort als weiblichen Hominiden erkannt – und über Hominiden wußte sie zuviel, als daß sie von einem solchen Wesen über dessen Wahrnehmungs‐ und Denkweisen getäuscht werden könnte. Wegen Goman‐Largo, der während seiner Arbeiten im Reaktorkessel durch weiteren Feindbeschuß besonders stark gefährdet worden wäre, hatte die Vigpanderin die Ruhe bewahrt und die Hominidin durch Zureden zum Stillhalten veranlassen wollen. Das Wesen hatte darauf mit einem hysterischen Ausbruch reagiert und dabei seine wahren Absichten verraten. Es hatte sie ein bösartiges, hinterhältiges Ungeheuer genannt und ihr die Vernichtung angedroht. Neithadl‐Off vermutete, daß es dieses Ziel von Anfang an verfolgt hatte. Es schien einem der wenigen, aber leider vorhandenen Völker anzugehören, die sich besser dünkten als andersartige Intelligenzen
und eine Art Rassismus betrieben. Wahrscheinlich hatte die Hominidin sie bereits seit längerer Zeit verfolgt und hatte die Kollision im Mahlstrom absichtlich herbeigeführt. Und jetzt feuerte die Hominidin erneut auf die DSCHWINGG. Neithadl‐Offs Körperoberfläche wurde zundertrocken vor Sorge um den Modulmann, als sie hörte, wie ein Energiestrahl sich in den Schiffsrumpf fraß. »Goman‐Largo, melde dich!« rief sie, nachdem sie das Funkgerät ihres Folienanzugs aktiviert hatte. »Ich bin in Ordnung«, sagte der Modulmann und löste damit Erleichterung bei Neithadl‐Off und eine Sekretschwemme auf ihrer Körperoberfläche aus. »Der Reaktorkessel ist abgedichtet. Du kannst wieder von Batteriebetrieb auf Kraftwerksstrom umschalten. Ich bin jetzt bei unserem Geschütz.« »Wird es wieder funktionieren?« drängte die Parazeit‐ Historikerin. »Diese verrückte Hominidin schießt uns sonst das ganze Schiff zusammen.« »Ich habe den Treffer gespürt«, erwiderte Goman‐Largo. »Aber unser Schiff hat sehr viel Masse – und das feindliche Schiff ist klein. Mit seinem schwachen Geschütz muß es lange feuern, bis es uns vernichtet hat. Eine Hominidin, sagtest du. Woher weißt du das?« »Ich hatte sie angefunkt«, antwortete Neithadl‐Off. »Und ihr einen Waffenstillstand anbieten wollen. Statt dessen hat sie mich beschimpft und uns die Vernichtung angedroht. Sie nannte mich ein Ungeheuer. Ich glaube, sie gehört einem rassistisch verseuchten Volk an.« »So etwas gibt es immer noch?« wunderte sich Goman‐Largo. »Nach so langer Zeit? Und ich hatte immer gedacht, die Intelligenzen wachsen aus ihren Kinderkrankheiten heraus.« Ein weiterer Strahlschuß traf die DSCHWINGG. Eine Warnplatte leuchtete auf. »Wir haben einen Vakuumeinbruch im Vorratsraum«, stellte Neithadl‐Off zornig fest. »Wenn die Dosenkonserven platzen, ziehe
ich der Hominidin persönlich das Fell über die Ohren!« »Meinst du das wörtlich?« erkundigte sich der Modulmann. »Genau!« bestätigte Neithadl‐Off. »Es ist zwar eine barbarische Sitte, aber sie wird von einigen Völkern praktiziert. Ich habe in einem Museum einmal Videos gesehen, die irgendwann einmal von INFO‐Piraten in einer fernen Galaxis erbeutet worden waren und die sie bei der Aushebung ihres Stützpunkts zurücklassen mußten. Darauf war akribisch genau dokumentiert, wie Hominide mit Federkämmen auf den Köpfen anderen Hominiden ohne Federkämme die Haarbälge von den Köpfen stahlen. Der Anblick hat mich damals innerlich aufgewühlt.« »So etwas kommt vor«, meinte Goman‐Largo. »Aber ein intelligentes Wesen sollte solchen Gefühlen niemals nachgeben, denn sie …« Seine nächsten Worte gingen im Tuten von Alarmhörnern unter, als der nächste Strahlschuß des Feindes die Steuerzentrale erreichte. Das Leck in der Panzerung des Schiffsherzens war zwar nur sehr klein, aber es mahnte zur Vorsicht. Neithadl‐Off zog das Schubfach aus dem Hauptsteuerpult, in dem die selbsthaftenden Flecken untergebracht waren, kippte es um, suchte einen passenden Flecken heraus und flog mit Hilfe ihres Gravojet‐Aggregats zu dem münzengroßen Loch in der Decke, durch die die Luft in einem dünnen Strahl entwich. Der Flecken wurde durch den Innendruck auf das Leck gepreßt und schweißte sich klebtechnisch fest. Damit war dieses Problem gelöst. Aber für die Parazeit‐Historikerin hatte sich ein Problem aufgeworfen, das sich nicht so einfach lösen lassen würde: das Problem, ihr und Goman‐Largos Überleben auf die Dauer zu sichern. Das war allerdings nur möglich, indem sie den Feind, der ihr Überleben so hartnäckig bedrohte, ein‐ für allemal ausschaltete. Da es ihr fraglich erschien, ob Goman‐Largo ihr einziges Geschütz rechtzeitig würde reparieren können, kam sie zu dem Schluß, daß
ihr in dieser vertrackten Situation nur noch eine Möglichkeit blieb. Sie mußte hinaus in die Einsamkeit und Kälte des Alls und hinüber zu dem feindlichen Schiff, um der verrückten Hominidin und allen eventuellen anderen Leuten in ihrer Begleitung das Fell über die Ohren zu ziehen. Neithadl‐Off zuckte zusammen, als sie die Steuerzentrale verließ und einen Energiestrahl quer durch den ringförmigen Korridor fahren sah. Ihr Zorn auf die Hominidin wuchs. Selbstverständlich hatte sie ihre Schutzfolie geschlossen, denn sie wußte, daß die meisten Sektionen des Wracks inzwischen vom Vakuum des Alls erobert worden waren. Sie würde auch keine Schleuse benutzen können, denn dazu war die Innenzelle der DSCHWINGG zu sehr verwunden. Doch es gab sicher genug Einschußlöcher, die groß genug waren, um sie hindurchzulassen. Zur Fortbewegung benutzte die Parazeit‐Historikerin ihr Gravojet‐ Aggregat, da sie die künstliche Schwerkraft ausgeschaltet hatte und die Schwerkraft des Meteoriten, auf dem das Wrack lag, zu gering war, um sich auf halbwegs vertraute Weise bewegen zu können. »Wo bist du?« hörte sie die Stimme Goman‐Largos in ihrem Anzug‐Funkgerät. »Unterwegs«, antwortete sie. »Ich inspiziere das Schiff. Kümmere dich nicht um mich, sondern richte das verflixte Geschütz wieder her!« »Du begibst dich in Gefahr – und ich soll mich nicht um dich kümmern!« protestierte der Modulmann. »Warum bleibst du nicht in der besser geschützten Steuerzentrale?« »Weil ich das Nichtstun satt habe«, erwiderte Neithadl‐Off und schwebte in den Schacht, der einmal ein Antigravschacht gewesen war. »Ich passe schon auf mich auf.« Sie schaltete das Funkgerät einfach ab. Auf keinen Fall sollte Goman‐Largo merken, daß sie die DSCHWINGG verließ. Er durfte sich keine Sorgen um sie machen. Es genügte völlig, wenn sie sich um ihn sorgte. Immerhin liebte sie ihn, was umgekehrt nicht zutraf.
Er ahnte nicht nur nichts von ihrer Liebe, sondern hielt so etwas sogar für völlig absurd. Darum würde sie ihm auch niemals verraten, welche Gefühle sie für ihn hegte. Neithadl‐Off versuchte, diese Gedanken zu verdrängen und sich statt dessen voll auf die Steuerung des Gravojet‐Aggregats und die Gefahren zu konzentrieren, die ihr drohten. Der ehemalige Antigravschacht verlief vertikal, da die DSCHWINGG eine Bauchlandung vollführt hatte. Das wäre aber nicht schlimm gewesen, wenn er nicht korkenzieherartig verdreht und teilweise aufgerissen gewesen wäre. Dadurch mußte die Vigpanderin nicht nur ständig Kurven fliegen, sondern auch messerscharfen Bruchkanten ausweichen. Als sie wieder einmal um eine Bruchkante herumsteuerte, sah sie von rechts helles Licht hereinfallen. Neugierig steuerte sie auf die Stelle zu – und gelangte wenig später an ein vierfach schottgroßes Leck, durch das das Licht einer weißgelben Sonne schien. Natürlich benutzte sie das Leck als willkommene Ausstiegsöffnung, aber ihre Gedanken waren vom Anblick der Sonne erstmals von dem Kampf gegen die Hominidin abgelenkt worden. Sie begriff mit einemmal, daß die DSCHWINGG in einem extrem sternenarmen Sektor des Universums gestrandet war und daß die Wahrscheinlichkeit, hier eine Zivilisation zu entdecken, deren Technologie weit genug fortgeschritten war, um eine Generalüberholung des Schiffes durchzuführen, nicht viel größer als null war. Nachdenklich musterte sie die weißgelbe Sonne und eine grünlich leuchtende, die ihr genau gegenüberstand. Mehr sah sie nicht. Allerdings hatte sie nach dem Erwachen aus ihrer Ohnmacht auf den Ortungsschirmen drei Sonnen gesehen – und vielleicht gab es noch ein paar mehr –, aber selbst zehn Sonnen wären noch extrem wenig gewesen. Sie blieb noch eine Weile außerhalb des Lecks im Raum »hängen«, denn zur Zeit bestand keine Gefahr durch Beschuß, da der Meteorit
zwischen der DSCHWINGG und dem Raumschiff der Hominidin lag, doch dann gab sie sich einen innerlichen Ruck und startete. Neithadl‐Off flog »unten« um den Meteoriten herum, da sie sich ausgerechnet hatte, daß sie dann zu dieser Zeit außerhalb der Sichtweite der Hominidin bleiben würde. Als sie annehmen durfte, daß der Meteorit mit dem feindlichen Schiff von ihr gesehen werden konnte, stieg ihre Aufmerksamkeit. Dennoch vermochte sie ihn nicht auszumachen. Sie vermochte überhaupt nichts auszumachen außer einer bläulich leuchtenden Sonne, die schräg »über« ihr im ansonsten tot und leer erscheinenden All stand. So schwierig hatte sie sich ihre Mission nicht vorgestellt, aber sie begriff, daß es eigentlich gar nicht anders zu erwarten gewesen war. Das Licht von ein paar einzelnen, weit entfernten Sonnen war viel zu schwach, als daß es merklich von der stumpfen Oberfläche eines Meteoriten reflektiert werden konnte. In der Steuerzentrale war es anders gewesen, denn da hatte sie ja die in Bilder umgesetzten Reflexe der Tasterortung gesehen. Die Parazeit‐Historikerin überlegte schon, ob sie nicht lieber wieder umkehren sollte, da sah sie schräg über sich eine grelle Lichtbahn sekundenlang durch die Finsternis zucken und hinter der »über« ihr liegenden Seite des Meteoriten verschwinden, auf dem die DSCHWINGG lag. Ein Strahlschuß der Hominidin! durchzuckte es sie. Gleichzeitig wurde ihr klar, daß sie sich jetzt orientieren konnte. Sie setzte die Erkenntnis auch sofort in die Tat um und beschleunigte in die Richtung, aus der der Strahlschuß gekommen war. Sie schaltete auch den an ihrem Aggregat‐Tornister befestigten Scheinwerfer ein und richtete den Lichtkegel nach schräg oben. Vorläufig aber half ihr das nichts, denn noch erreichte sein Licht nicht den Zielmeteoriten. Als es dann soweit war, kam es so plötzlich, daß sie fast mit dem Felsbrocken kollidiert wäre. Eben noch war der Lichtkegel nicht reflektiert worden – und im nächsten Augenblick schwoll in seinem
Schein eine graue Masse rasend schnell an. Hastig bremste die Wissenschaftlerin mit voller Kraft ab. Zu ihrem Glück waren optische Wahrnehmungen und Vergleiche im Weltraum so trügerisch, daß ihre Schätzung der Entfernung sich als falsch erwies. Nach ihrem Bremsmanöver landete sie weich auf der Oberfläche des Meteoriten. Sie wartete, bis ihre Nerven sich wieder halbwegs beruhigt hatten, dann packte sie ihre Kampfmittel aus der Folie, in die sie sie geschlagen und am Bauchtornister befestigt hatte: ihren Betäubungsnadler, eine Intervallfräse aus der Werkzeugkammer der Prospektoren und ein kleines Vibratormesser aus der Bordapotheke. Den Nadler und das Messer verstaute sie in Außenfutteralen ihres Schutzanzugs; die Intervallfräse klemmte sie zwischen ihre Vordergliedmaßen. Das Gerät war zwar fast so groß wie die beiden Köpfe Nafrein‐Nakrufs zusammen, aber wegen der äußerst geringen Schwerkraft des Meteoriten wog es fast nichts. Sobald Neithadl‐Off es angehoben hatte, spürte sie es kaum noch. Während sie ihren Weg fortsetzte, indem sie langsam in geringer Höhe über die Oberfläche des Meteoriten schwebte, mußte sie an Nafrein‐Nakruf denken, dem die DSCHWINGG eigentlich gehörte. Der Prospektor hatte ihr sein Schiff leihweise überlassen, damit sie nach Xissas fliegen und die Zeitgruft ausplündern konnte. Natürlich waren er und seine beiden Assistenten nur deswegen nicht mitgeflogen, weil sie Angst hatten und weil sie glaubten, in Neithadl‐Off eine Dumme gefunden zu haben, die die Arbeit für sie besorgen würde. Insofern hatte die Parazeit‐Historikerin sich nichts vorzuwerfen. Andererseits hatten sie hauptsächlich deswegen Angst gehabt, weil Neithadl‐Off ihnen etwas von Wächtern der Zeitgruft und von Fallen erzählt hatte, was von ihr zwar logisch, aber auch frei ausfabuliert worden war. Und deshalb saßen sie jetzt auf einem luftlosen Eisplaneten fest und mußten wahrscheinlich erfrieren oder verschmachten. Das machte der Vigpanderin schon zu schaffen, obwohl sie sich immer
wieder sagte, daß sie den Prospektor und seine Assistenten selbstverständlich nicht im Stich gelassen hatte, sondern vom Dimensionskatapult der Zeitgruftwächter mitsamt der DSCHWINGG und dem Modulmann in einen n‐dimensionalen Mahlstrom geschleudert worden war. Nein, sie war nicht für das Schicksal dieser drei Snakulder verantwortlich. Dennoch mußte sie immer wieder an sie denken. Das hörte auf, als sie schräg über sich abermals den Blitz eines Strahlschusses sah und daran erkannte, daß sie den Meteoriten weit genug umrundet hatte, um das kleine Schiff der Hominidin in ihr Blickfeld zu bekommen. Sie schaltete ihr Gravojet‐Aggregat aus und sank sanft zu Boden. Dort setzte sie ihren Weg zu Fuß fort, damit die Hominidin sie nicht anhand der Streustrahlung des Geräts orten konnte. Sie sah noch zweimal einen Blitz, dann hatte sie sich dem feindlichen Schiff weit genug von hinten genähert, um die schwache Helligkeit wahrzunehmen, die aus der Steuerkanzel drang beziehungsweise von der Wölbung des Kanzeldachs reflektiert und gestreut wurde. Neithadl‐Off packte die Intervallfräse fester. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Die blutrünstige Hominidin würde ihre ruchlose Tat bald bereuen. * Die Intervallfräse vibrierte leicht zwischen Neithadl‐Offs Vordergliedmaßen, als sie eingeschaltet wurde. Als die Parazeit‐Historikerin auch nach einiger Zeit noch nichts von einer Wirkung erkennen konnte, aktivierte sie ihren Scheinwerfer wieder, den sie auf der letzten Strecke vorsichtshalber abgeschaltet hatte. In seinem Lichtkegel sah sie, daß die Außenhülle des feindlichen Raumschiffs nur angekratzt war.
Sie schaltete auf Maximum. Die Intervallfräse schüttelte sich heftig, während ihre Energiefelder rasend schnell ein großes Loch in die Außenhülle des Schiffes rissen, dann befreite sie sich aus Neithadl‐Offs Vordergliedmaßen und segelte davon. Neithadl‐Off bewegte den Scheinwerfer, um das Gerät wiederzufinden, aber es blieb verschwunden. Noch während die Parazeit‐Historikerin unschlüssig vor dem Loch in der Außenhülle des fremden Schiffes stand, stach ihr plötzlich ein greller Lichtkegel auf die Sensoren. Die Hominidin! Neithadl‐Off sprang mit allen sechs Gliedmaßen gleichzeitig in die Luft und kam so aus dem Lichtkegel heraus. Dafür geriet die Hominidin in den Lichtkegel des Scheinwerfers. Neithadl‐Off hatte ihren Nadler aus dem Futteral gezogen, bevor sie wieder auf der Oberfläche des Meteoriten stand. Sie schoß drei Betäubungsnadeln auf die Hominidin ab, erzielte aber keine Wirkung. Wahrscheinlich waren die aus einer kristallisierten Chemikalie bestehenden winzigen Nadeln von der metallisch glänzenden Oberflächenbeschichtung des Raumanzugs abgeprallt, den die Hominidin trug. Mit einem Satz schnellte sich Neithadl‐Off ihrer Feindin entgegen, umklammerte das Vibratormesser mit den Tastfäden ihres linken Vordergliedes und rutschte mit der Klinge vom transparenten Kugelhelm ab, als sie der Hominidin den prächtigen Haarbalg vom Kopf lösen wollte. Ihre Aktionen waren so blitzschnell erfolgt, daß die Hominidin erst jetzt reagierte, allerdings ziemlich effizient. Neithadl‐Off ächzte, als sie zwei Fausthiebe gegen ihre Körpermitte erhielt, dann wurde sie regelrecht davongewirbelt, überschlug sich einige Male und versank danach in einer engen Schlucht. Das war wahrscheinlich ihr Glück, denn gleich darauf fuhr eine dünne Strahlbahn über den Rand der Schlucht hinweg. Offenbar
besaß die Hominidin einen Handstrahler. Die Parazeit‐Historikerin fürchtete nichts mehr, als vom sonnenheißen Strahl einer Energiewaffe verbrannt zu werden. Sie schaltete deshalb einen Notstart und schoß so schnell aus der Schlucht in den Weltraum hinein, daß die beiden Strahlschüsse, die ihre Feindin auf sie abfeuerte, weit unter beziehungsweise hinter ihr ins Leere gingen. Neithadl‐Off beschleunigte noch eine Weile, bevor sie sich darauf besann, daß sie sich nicht allzu weit von einigermaßen vertrautem Terrain entfernen durfte. Sie schaltete das Flugaggregat aus und sah sich um. Weit voneinander entfernt leuchteten fünf Sterne im All: drei gelbweiße, ein blauer und ein grüner. Sie sahen nicht viel anders aus als die Sterne eines galaktischen Gewimmels, wenn sie Lichtjahre weit entfernt waren, aber für die geübten Sinne Neithadl‐Offs war doch der geringfügige Unterschied zu sehen, an denen man Sonnen erkannte, die nur Lichtwochen oder bestenfalls wenige Lichtmonate vom Beobachter entfernt waren. Dennoch, fünf Sonnen waren kaum mehr als ein Nichts, wenn sie alles waren, was es sonst zu sehen gab. Das ganze übrige All bestand nur aus abgrundtiefer Finsternis. Kein Vergleich mit den Sternenreichen Zonen, die von der Parazeit‐Historikerin bisher bereist worden waren. Dir Verstand drohte auszusetzen, wenn sie daran dachte, daß Goman‐Largo und sie mit der DSCHWINGG vom Mahlstrom möglicherweise in ein fremdes Universum befördert worden waren, das einzig und allein aus Leere und fünf einsamen Sternen bestand. Neithadl‐Off gab einen klagenden Laut von sich. Eine Handvoll Sterne, Goman‐Largo und sie – das schien alles zu sein, was es in ihrem künftigen Leben noch gab.. Goman‐Largo! Sie war entsetzt darüber, daß sie erst jetzt daran dachte, in die DSCHWINGG und zu ihm zurückzukehren. Wer weiß, wie weit sie unterdessen schon abgetrieben war. Sie schaltete
ihr Gravojet‐Aggregat an und sofort wieder aus und versetzte sich damit in leichte Drehung, um die fünf Sonnen nacheinander mustern zu können. Sie erinnerte sich daran, daß sie vom Leck in der Außenhülle der DSCHWINGG aus eine gelbweiße Sonne gesehen hatte, der eine grüne Sonne genau gegenüberstand. Folglich mußte sie nur die grüne Sonne fixieren und sich von ihr eine Gerade zu einer gelbweißen Sonne denken, um ungefähr zu wissen, wo sie den Meteoriten mit der DSCHWINGG wiederfinden würde. Dachte sie. Es war ein Trugschluß, wie sie einsehen mußte, als sie erkannte, daß alle drei weißgelben Sonnen der grünen Sonne irgendwie gegenüberstanden, obwohl sie selbst ziemlich weit voneinander entfernt waren. Theoretisch konnte sich also der Meteorit mit der DSCHWINGG zwischen der grünen Sonne und jeder der drei weißgelben Sonnen befinden. Neithadl‐Off sah ein, daß die Orientierung im Weltraum ohne Ortungsgeräte und Instrumente erheblich problematischer war, als sie es sich bisher vorgestellt hatte. Natürlich hätte sie auf jeder der drei möglichen gedachten Linien nach dem Meteoriten mit der DSCHWINGG suchen können, aber sie ahnte, daß das nicht nur sehr zeitraubend gewesen wäre, sondern daß sie dabei außerdem auf weitere Schwierigkeiten stoßen würde, an die sie noch nicht dachte. Es würde ihr nichts weiter übrigbleiben, als eine Funkverbindung mit dem Modulmann herzustellen, ihn anzupeilen und in die betreffende Richtung zu fliegen – auch auf die Gefahr hin, daß die Hominidin den Funkverkehr abhörte und sie abzufangen versuchte. Sie schaltete das Funkgerät ein – und sofort wieder aus, als ein grell leuchtender Energiefinger aus der Dunkelheit in ihre Richtung stach und sie nur deshalb verfehlte, weil sie immer noch rotierte. Im nächsten Moment betätigte sie den Notschalter ihres Gravojet‐ Aggregats und raste davon. Sie kochte innerlich vor Zorn, denn der
brutale Feuerüberfall verriet ihr, daß die Hominidin die ganze Zeit über daraufgelauert hatte, daß sie ihr Funkgerät einschaltete. Anscheinend besaß ihr Raumanzug eine Ortungsanlage, die ihr blitzschnelle Anpeilungen ermöglichte. Nach einiger Zeit verschwand eine der gelbweißen Sonnen aus Neithadl‐Offs Wahrnehmungsbereich. Sie schloß daraus, daß ein Meteorit ihr die Sicht auf diese Sonne versperrte und entschied, diesen Meteoriten anzusteuern, auf ihm zu landen und einen Hinterhalt für die Hominidin zu legen. Gedacht, getan! Die Parazeit‐Historikerin schlug den neuen Kurs ein und setzte ihre Geschwindigkeit herab, als sie ihrem Gefühl nach dem Meteoriten nahe genug gekommen war. Ganz kurz schaltete sie immer wieder ihren Scheinwerfer an, und nach einiger Zeit wurde der Lichtkegel von einer porösen Felsoberfläche reflektiert. »Das gibt es doch nicht!« pfiff Neithadl‐Off, als sie im Lichtschein einen Gegenstand liegen sah, den sie als ihre Intervallfräse erkannte. Sie landete daneben und hob sie hoch. Das Gerät hatte eine flache Delle in die Oberfläche des Meteoriten geschlagen, schien aber unbeschädigt zu sein. Mit der Fräse zwischen den Vordergliedmaßen eilte Neithadl‐Off in weiten Sprüngen über den Felsbrocken, bis sie die gelbweiße Sonne wiedersah, die zuvor hinter dem Meteoriten verschwunden war: Ohne ihren Scheinwerfer hätte sie sich dennoch nicht orientieren können. Nach einiger Zeit entdeckte sie einen flachen Krater und an seinem Grunde den Eingang einer Höhle, der so gleichmäßig geformt war, daß die Wissenschaftlerin stutzte. Dir blieb jedoch keine Zeit, lange abzuwägen, ob sie lieber Risiken einging, indem sie die Höhle betrat oder indem sie davor stehenblieb und früher oder später von der Hominidin gefunden wurde. Sie drang mit eingeschaltetem Scheinwerfer und vorgehaltener
Intervallfräse in die Höhle ein, einen rund drei Meter durchmessenden Stollen von kreisrundem Querschnitt. Nach ungefähr dreißig Metern wurde das Licht des Scheinwerfers von einem großflächigen metallischen Objekt reflektiert. Neithadl‐ Off ging langsamer. Kurz darauf stand sie vor einer stählernen Wand, die anscheinend luftdicht mit der Stollenwandung abschloß. Die haarfeinen Linien eines Schottes erhärteten ihre Vermutung, daß sich hinter der Stahlwand eine Sektion befand, die gegen das Vakuum des Alls abgedichtet war und mit einem atembaren Gasgemisch gefüllt werden konnte. Sie überlegte noch, ob das Schott sich öffnen ließe, als von dort, woher sie gekommen war, ein Licht aufstrahlte. Die Hominidin! Neithadl‐Off fühlte sich in die Enge getrieben. Sie hob die Intervallfräse zwischen ihren Vordergliedmaßen hoch, zielte mit dem Projektionskopf auf die näher kommende Lichtquelle und wollte das Gerät einschalten, als eine unsichtbare Kraft sie von den Füßen riß und irgendwohin schleuderte. Sie wurde nicht bewußtlos, aber sie war vor Schreck wie gelähmt und mußte hilflos erleben, wie grausame Gewalten den ganzen Meteoriten durchschüttelten. Unwillkürlich erinnerte sie sich an die Berichte über Raumbeben, die andere Reisende abgegeben hatten. Diese Naturgewalten sollten durch Verzerrungen der Kraftfeldlinien entstehen, die das gesamte Weltall unsichtbar durchzogen – und sie hatten angeblich schon ganze Raumschiffe und sogar bewohnte Planeten zerrissen. Als die Parazeit‐Historikerin bemerkte, daß die Wandung des Stollens aufbrach und daß große Felsbrocken herabregneten, verlieh die Furcht ihr ungeahnte Kräfte. Sie rappelte sich auf und trippelte auf die Stahlwand zu. Die Intervallfräse ließ sie liegen, wo sie ihr aus den Vordergliedmaßen gefallen war. Als sie mit den versteiften Tastflächen ihres linken Vordergliedes das Schott berührte, ohne sich große Hoffnung zu
machen, daß es sich auf diese Weise öffnen ließe, geschah eine Art Wunder. Die beiden Hälften des Schottes glitten langsam auseinander und gaben den Blick auf eine zylindrische Kammer frei, deren Wandungen offenbar aus elastischem Panzerstahl bestanden, denn das Beben hatte ihm bisher nichts anhaben können. Ohne lange zu überlegen, stakte Neithadl‐Off hinein, immer wieder gebeutelt von neuen stoßwellenartigen Erschütterungen. Sie keuchte vor Furcht, weil draußen immer wieder Gesteinsbrocken von der Decke des Stollens regneten. Sie sah, daß ihre Todfeindin im letzten Moment vor dem endgültigen Einsturz des Stollens in die Kammer flüchtete und daß das Schott sich hinter ihr wieder schloß, aber sie versuchte nicht, sie zu vertreiben oder gegen sie zu kämpfen. Das alles war bedeutungslos geworden angesichts der entfesselten Naturgewalten. Und als es noch schlimmer wurde und das Beben die Kammer schüttelte wie ein Barmixer seinen Shaker, fanden sich Neithadl‐Off und die Hominidin plötzlich eng aneinandergeklammert wieder … 3. Irgendwann war Neithadl‐Off schließlich doch bewußtlos geworden, weil die furchtbaren Erschütterungen sie und die Hominidin immer und immer wieder wuchtig gegen die Wandung der Kammer geworfen hatten. Als sie wieder zu sich kam, zitterte sie am ganzen Körper, ein Indiz auf die Tiefe der Ohnmacht, in der ihr Geist gelegen hatte und ein Mittel ihres Organismus zur Aufheizung ihrer physischen Funktionen. Allmählich krochen die Erinnerungen aus ihrem Unterbewußtsein wieder zur bewußten Ebene des Denkens hinauf.
Neithadl‐Off erinnerte sich daran, daß sie beim Anprall an die Wandung der Kammer mehrmals schwere Verletzungen erlitten hatte. Sie sah rückwirkend grünes Blut aus Platzwunden rinnen und hörte Röhrenknochen brechen. »Ich sterbe!« jammerte sie. Als sie eine Berührung spürte, zuckte sie zusammen, denn sie ahnte, daß es nur die Hominidin sein konnte, die sie berührt hatte. Ihre Todfeindin! Jemand sprach. Das konnte nur die Hominidin sein, aber Neithadl‐Off verstand nicht viel davon, weil ihre Kenntnis der fremden Sprache noch zu gering war. Es interessierte sie auch nicht besonders. Sie würde sowieso sterben. Wozu sollte sie sich dann noch das Gerede der Hominidin anhören, die an allem schuld war! Vor allem aber daran, daß sie getrennt von Goman‐Largo sterben würde! Dieser Gedanke heizte die Lebensgeister der Parazeit‐Historikerin so vehement auf, daß sie für einen Moment glaubte, es würde sie zerreißen. Keuchend wand sie sich unter den Hitzewellen, die sie durchfluteten. Nein, sie durfte noch nicht sterben! hämmerten ihre Pulse. Sie hatte noch zwei Aufgaben zu erfüllen: erstens, die Hominidin zu töten und ihr das Fell über die Ohren zu ziehen – und zweitens, den Modulmann wiederzufinden und zu sehen, daß es ihm gutging. Danach konnte sie beruhigt ihren Geist aushauchen. Sie öffnete sich voll für alle Wahrnehmungen. Als erstes sah sie das Gesicht der Hominidin vor sich, aus dem zwei Augen sie »aufmerksam musterten. Als zweites registrierte sie das Fehlen von Schmerzen und Beschwerden, die die Verletzungen ihr verursacht haben mußten. Sie fühlte sich im Gegenteil gesund, unversehrt und unternehmungslustig. Abermals sprach die Hominidin zu ihr. Diesmal reagierte Neithadl‐Off. Sie wollte wissen, was los war.
Mit einem Griff zog sie das Aufzeichnungsgerät aus dem Futteral und hielt es verkehrt herum vor ihre Mundleiste, so daß es als Translator arbeitete. Erst, als sie das getan hatte, merkte sie, daß ihr Schutzanzug vorn offen war. Verwirrt fuchtelte sie mit ihren Vordergliedmaßen vor der Öffnung herum. »Keine Sorge, der Stützpunkt ist mit einem für uns beide atembaren Gasgemisch gefüllt«, sagte die Hominidin – und der Translator übersetzte es. »Oh!« entfuhr es Neithadl‐Off, und ihr wurde bewußt, daß auch der Kopf der Hominidin ungeschützt war. »Ist das dein Stützpunkt?« »Du machst Witze«, antwortete die Hominidin. »Ich bin zum erstenmal hier. Übrigens, mein Name ist Anima.« »Anima?« echote die Parazeit‐Historikerin. »Einfach nur Anima?« »Ganz recht«, antwortete die Hominidin. »Und wie heißt du?« »Neithadl‐Off«, antwortete Neithadl‐Off und suchte nach ihrem Vibratormesser, um die Hominidin zu töten. »Falls du dein Messer suchst, ich habe es dir abgenommen und verwahrt«, sagte die Hominidin. »Du hattest Fieberphantasien, und ich wollte nicht, daß du dich dabei unabsichtlich verletzt.« »Fieberphantasien?« wiederholte Neithadl‐Off. »Das behauptest du doch nur, um rückwirkend einen Vorwand zu haben, mich wehrlos zu machen.« »Ich gebe zu, mir ging es auch darum, dich zu entwaffnen«, erwiderte die Hominidin scharf. »Schließlich hast du mir mehr als genug Schwierigkeiten gemacht. Eigentlich wollte ich dich töten, aber du hast mir den Zutritt zu deinem Stützpunkt nicht verwehrt, als ich in Lebensgefahr schwebte. Ich war dir also ein Leben schuldig. Deshalb heilte ich deine an sich tödlichen Verletzungen. Damit ist meine Schuld allerdings getilgt.« »Mein Stützpunkt?« pfiff die Parazeit‐Historikerin irritiert. »Ich habe nirgendwo einen Stützpunkt. Und du willst meine
Verletzungen geheilt haben? Das glaube ich dir nicht. Wahrscheinlich war ich nur leicht verletzt, und meine Wunden sind von selbst geheilt.« Aber sie wußte, daß das nicht stimmte. Zu plastisch waren ihre Erinnerungen an die Stürze, die brechenden Knochen und das sprudelnde eigene Blut. Ihr Trotz schwand dahin. »Wie konntest du so schlimme Wunden heilen?« erkundigte sie sich kleinlaut. »Ich sehe hier nirgendwo chirurgische Instrumente, Medoroboter und Wundplasma.« »Ich besitze eine entsprechende Fähigkeit«, erklärte die Hominidin. »Aber warum lügst du?« »Ich lüge nie!« begehrte die Parazeit‐Historikerin auf. »Und wenn, dann so, daß es niemand merkt. Wie kommst du eigentlich zu deiner Behauptung? Ich habe doch noch gar nicht gelo … äh, noch gar nichts gesagt.« »Du hast geleugnet, daß dir dieser Stützpunkt gehört«, stellte die Hominidin fest. »Dabei sprechen die Indizien und Fakten eine unmißverständliche Sprache. Oder willst du behaupten, es sei purer Zufall gewesen, daß du auf diesen Meteoriten kamst – auf einen von ein paar Tausend – und daß sich hier ein bebensicherer Stützpunkt befindet, dessen Schott sich anstandslos vor dir öffnet und dessen künstlich erzeugte Luft du atmen kannst?« »Selbstverständlich war es Zufall!« pfiff Neithadl‐Off entrüstet. »Ich war noch nie zuvor hier und bin nur auf der Flucht vor dir auf diesen Meteoriten geraten – und den Stützpunkt entdeckte ich, weil ich dir einen Hinterhalt legen wollte und dafür eine Deckung brauchte. Warum das Schott sich ohne weiteres vor mir öffnete, weiß ich nicht, aber es war jedenfalls so. Du kannst ja Goman‐Largo fragen. Er wird dir bestätigen, daß wir aus einer Entfernung hierherkamen, die wir niemals mit unserem Raumschiff hätten überwinden können. Der Mahlstrom aus n‐dimensionalen Energien trug uns so weit – und du hast uns hier in den Normalraum zurückgestoßen, indem du uns rammtest. Warum eigentlich?«
»Aber ich habe euch nicht gerammt!« entgegnete die Hominidin. »Ich wußte nicht einmal etwas von eurer Existenz, bis ihr mein Boot rammtet. Seltsam! Sollte etwa alles ein Mißverständnis sein? Seid ihr keine Kreaturen des Erleuchteten von Alkordoom?« »Kreaturen des Erleuchteten?« echote Neithadl‐Off verblüfft. »Von Alkordoom? Ich habe diese Namen und Begriffe nie zuvor gehört. Hör einmal! Ich habe einen anständigen Beruf und bin Parazeit‐ Historikerin. Gemeinsam mit meinem Partner Goman‐Largo, einem Modulmann und Spezialisten der Zeit, spürte ich einem Zeitverbrechens‐Syndikat nach und knackte Zeitgruft auf Zeitgruft, bis es uns in dieses n‐dimensionale Dings verschlug. Ja, ich fürchte auch, es war alles ein Mißverständnis – und ich schäme mich, wenn ich daran denke, daß ich dir das Herz herausreißen, den Hals umdrehen und das Fell über die Ohren ziehen wollte. Kannst du mir verzeihen, Anima?« »Ich war dumm«, sagte Anima. »Deshalb wäre es anmaßend von mir, dir etwas verzeihen zu wollen. Aber wir wollen uns versöhnen. Im Grunde genommen war das Eis ja schon gebrochen, seit wir uns in den Armen gehalten hatten.« »Das Eis – gebrochen?« fragte Neithadl‐Off. »Oh!« machte Anima. »Das ist eine Redewendung, die ich von Atlan übernommen habe. Es bedeutet soviel wie eine Hemmschwelle überschritten zu haben.« »Atlan?« echote Neithadl‐Off fragend. »Mein Ritter«, antwortete Anima. Ihre Augen verschleierten sich. »Ich fürchte, das Beben hat endgültig alle Brücken zu ihm zerstört. Mein Boot war vorher schon ein Wrack. Jetzt kann es eigentlich nur noch ein Trümmerhaufen sein.« »Bei den Hütern der Zeit!« pfiff Neithadl‐Off erschrocken. »Die DSCHWINGG wird nicht besser aussehen. Was ist nur aus Goman‐ Largo geworden? Ich muß ihn suchen. Hoffentlich ist er nicht in den Trümmern unseres Schiffes umgekommen.«
»Goman‐Largo?« echote Anima. »Dein Partner und ein Spezialist der Zeit, wie du sagtest?« »Und der Modulmann«, ergänzte Neithadl‐Off, dann verschloß sie ihren Schutzanzug. »Ich komme mit«, erklärte Anima und klappte ihren Druckhelm zu. * Das Schott öffnete sich nicht, als Anima es berührte. Es rührte sich auch nicht, als sie dagegen schlug und trat. Neithadl‐Off sah einige Zeit verwundert zu, dann berührte sie das Schott mit den versteiften Tastfäden ihres linken Vordergliedes – und es öffnete sich. »Das ist aber komisch!« entfuhr es Anima. »Es stimmt trotzdem, daß ich vorher noch nie hier war«, erwiderte die Vigpanderin, denn sie hatte die Bemerkung gehört, da sie und die Hominidin ihre Funkfrequenzen aufeinander abgestimmt hatten. »Ich glaube dir«, versicherte Anima. »Aber ich kann kaum glauben, was ich dort sehe.« Sie deutete durch die Öffnung. Neithadl‐Off trippelte neben sie – und erstarrte förmlich, als sie die dottergelbe Sichel eines Planeten sah, der draußen im All schwebte. Hauchdünn war davor die Kante eines Ringes oder Ringsystems zu erkennen. »Sonnenlicht!« rief Anima. »Der Ring reflektiert Sonnenlicht! Ja, ja, der Planet natürlich auch! Ich bin nur überrascht, daß überhaupt eine Sonne nahe genug ist, um diese Helligkeit hervorzurufen.« »Kannst du sie sehen?« pfiff Neithadl‐Off. Erst dann bemerkte sie, daß das All unmittelbar vor der Schottöffnung anfing. »Wo ist denn unser Meteorit?« fragte sie fassungslos.
»Er muß durch das Beben auseinandergebrochen sein«, vermutete Anima. »Ein Glück, daß wir den Stützpunkt fanden. Er ist ein richtiger Bunker. Wahrscheinlich würde er sogar die Explosion einer Nukleonbombe aushalte.« »Was redest du denn da?« pfiff Neithadl‐Off ungehalten. »Unser Meteorit ist geborsten, wir sind mit dem Stützpunkt in einen Orbit um einen Planeten katapultiert worden und der Meteoritenschwarm kann sonstwo sein – und du denkst über die Haltbarkeit dieser Stahlkammer nach! Sag mir lieber, wie ich meinen Modulmann wiederfinden soll!« »Entschuldige!« bat Anima. »Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber wenn das Raumbeben so stark war, daß es uns durch den Hyperraum hierher schleuderte, dann hat es vielleicht die andere Materie ebenfalls hierher geschleudert.« »Durch den Hyperraum?« echote Neithadl‐Off. »Anders hätten wir in der kurzen Zeitspanne nicht eine solche Entfernung zurücklegen können«, meinte Anima. Sie stieß sich ab und schwebte ins Freie. »Ich sehe eine weißgelbe Sonne als kleine Scheibe. Wenn es eine der Sonnen ist, die ich vor dem Beben entdeckte, dann sind wir ihr mindestens um einige Lichtwochen näher gekommen.« Die Parazeit‐Historikerin stieß sich ebenfalls ab und schwebte neben Anima. »Eine gelbe Sonne«, sagte sie im Selbstgespräch. »Ansonsten – Dunkelheit. Nein, dort leuchtet ein Stern – und dort noch einer.« Sie versetzte sich mit einem kurzen Schub ihres Gravojet‐Aggregats in Drehung. »Nummer vier und Nummer fünf sind auch noch da«, stellte sie fest. »Aber von Meteoriten keine Spur.« »Schalten wir unsere Funkgeräte auf maximale Sendeleistung und rufen!« schlug Anima vor. »Oh, ja!« pfiff Neithadl‐Off. Sie schaltete, dann rief sie nach Goman‐Largo. Anima beteiligte sich nicht daran. Sie lauschte nur.
Neithadl‐Off hatte den Namen des Modulmanns etwa zehnmal gerufen, da knackste es in ihrem Gerät, und Goman‐Largo sagte: »Es ist schön, deine Stimme wieder zu hören, Prinzessin. Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, seit es meinen Meteoriten zerrissen und mich mit dem Wrack zu einem Gasriesen geschleudert hat, der zu einer weißgelben Sonne gehört. Aber wie kommst du hierher?« »Genau wie du«, erwiderte Neithadl‐Off glücklich. »Auch wir sind in einem Orbit um den Ringplaneten. Kannst du uns mit der DSCHWINGG holen?« »Euch?« fragte der Modulmann befremdet. »Die Hominidin und mich«, antwortete Neithadl‐Off. »Sie heißt übrigens Anima, und sie schwebt neben mir.« »Aha!« machte Goman‐Largo. »Warum hast du ihr nicht das Fell über die Ohren gezogen?« »Frechheit!« schimpfte Anima. »Wer hat da gesprochen?« erkundigte sich Goman‐Largo. »Ich habe es leider nicht verstanden.« »Das war sie«, erklärte Neithadl‐Off. »Natürlich kannst du sie nicht verstehen, da sie ihre eigene Sprache spricht. Sie dagegen versteht alles, was wir sagen, weil sie auf die kurze Entfernung meinen Translator mit ihrem Richtmikrophon abhören kann. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet.« Goman‐Largo lachte bitter. »Es gibt keine DSCHWINGG mehr, mit der ich euch holen könnte, sondern nur noch einen Trümmerhaufen, der den Namen .Raumschiff nicht mehr verdient. Was die Kollision im Mahlstrom und der Beschuß deiner Hominidin übriggelassen hatten, ist durch das Raumbeben auseinandergefallen. Aber wo seid ihr? Im Raumschiff Animas?« »Wo ihr Schiff ist, wissen wir nicht«, gab die Vigpanderin zurück. »Wir hatten uns, als das Beben anfing, in einen Stützpunkt geflüchtet, der sich im Innern eines Meteoriten befand. Davor schweben wir jetzt. Unseren Meteoriten hat es übrigens auch
zerrissen.« »Goman‐Largo soll bleiben, wo er ist«, warf Anima ein. »Ich werde die IGEL suchen und zusehen, ob ich sie in Gang bekomme. Gelingt mir das, steuere ich sie zur DSCHWINGG. Dann könnten wir probieren, ob wir aus den Trümmern der beiden Schiffe einen einigermaßen raumflugtauglichen Apparat zusammenbauen können. Wenn nicht, müssen wir versuchen, aus den Teilen wenigstens einen Hypersender zu basteln. Der Stützpunkt beweist, daß es in nicht allzu großer Entfernung eine raumfahrttreibende Zivilisation gibt, die uns vielleicht eine Rettungsexpedition schickt.« Neithadl‐Off übersetzte für Goman‐Largo. »Einverstanden«, erwiderte er. »Bleibst du bei dem Stützpunkt, Neithadl‐Off?« »Ich bleibe hier und werde ihn gründlich untersuchen«, erklärte Neithadl‐Off eifrig. »Aber sei bitte vorsichtig!« mahnte der Modulmann. »Es könnte sich um eine getarnte Zeitmaschine handeln.« »Das hätte ich längst bemerkt«, gab Neithadl‐Off zurück. »Schließlich bin ich Parazeit‐Historikerin und habe schon als Kind mit Zeitmaschinen gespielt. Wenn ich eine sehe, erkenne ich sie auch.« »Natürlich«, sagte Goman‐Largo trocken. »Ich will nur nicht, daß du versehentlich in den Zeiten verschwindest. Ich würde dich nämlich vermissen.« »Ich dich auch!« pfiff Neithadl‐Off und erschauderte wohlig. »Keine Angst! Ich werde keinen Schalter drücken, bevor ich weiß, was dadurch bewirkt wird.« »Das beruhigt mich«, erwiderte der Modulmann. » Ich werde also schon einmal die Trümmer sortieren, während Anima nach ihrem Wrack sucht und du brav im Stützpunkt ausharrst. Ab und zu werden wir uns über Funk besprechen, damit es keinem von uns zu einsam wird.« »Und Anima?« erkundigte sich die Parazeit‐Historikerin. »Sie
würde nichts verstehen.« »Ich mache euch einen Vorschlag«, sagte Goman‐Largo. »Wenn ihr Raumanzug eine halbwegs gute Positronik besitzt, dann überspiel ihr doch das Wissen, das es deinem Aufzeichnungs‐ und Übersetzungsgerät ermöglicht, jede fremde Sprache im Nu zu analysieren und hin und zurück zu übersetzen.« »Meine Positronik ist recht gut«, meinte Anima. »Wir versuchen es«, erklärte Neithadl‐Off. »Ob es möglich ist, weiß ich allerdings nicht. Mein Gerät ist nämlich mehr als ein positronischer Servo. Es verfügt über eine immense Kombinationsgabe, denn es wurde von Wesen konstruiert und gebaut, die sich erst in ferner Zukunft entwickeln werden.« »Niemand vermag in seine Realzukunft zu gehen«, sagte Goman‐ Largo mit Bestimmtheit. »Das Gerät wurde auch nicht geholt, sondern gebracht«, konterte Neithadl‐Off, während sie sich sagte, daß das alles durchaus der Wahrheit entsprechen könnte, denn sie hatte das Gerät unter mysteriösen Umständen von einem Wesen geschenkt bekommen, das so spurlos wieder verschwunden, wie es geheimnisvoll aufgetaucht war. »Darüber können wir ein andermal reden«, erklärte Goman‐Largo. »Ich wünsche euch beiden viel Glück bei allem, was ihr tut.« 4. Neithadl‐Off blickte der Hominidin nach, deren rechte Raumanzughälfte im Widerschein des Planetenlichts erstrahlte, bis sie optisch zu einem Nichts geschrumpft war, dann kehrte sie in den Stützpunkt zurück. Sie bedauerte, daß es sich als unmöglich erwiesen hatte, Animas Anzug‐Positronik mit Hilfe des Kombinationsgeräts zu einem Sofort‐Übersetzer zu machen, wie es ihr eigenes Gerät war. Dadurch
wurde eine Kommunikation erschwert, wenn auch nicht auf die Dauer unmöglich gemacht, da Animas Anzug‐Positronik nach und nach jede fremde Sprache »erlernen« und immer besser übersetzen konnte. Nachdem das Schott sich hinter ihr wieder geschlossen hatte, lauschte die Parazeit‐Historikerin dem Zischen, mit dem neue, angewärmte, Atemluft aus einem Teil der fast vollständig ummantelten Aggregate des Stützpunkts strömte. Es war ihr unverständlich, weshalb die Station keine Luftschleuse besaß, so daß jedesmal, wenn sie betreten oder verlassen wurde, ihre gesamte Luft entwich und erneuert werden mußte. Sie hatte sich schließlich in einem luftleeren Felsbrocken befunden. Aber da es niemanden gab, den sie hätte fragen können, fing sie mit der Untersuchung des Stützpunkts an. Als erstes suchte sie nach Werkzeug, denn sie brauchte etwas, um die Ummantelungen zu beseitigen. Tatsächlich fand sie nach einiger Zeit einen flachen Metallplastikkasten, der verschiedene Werkzeuge enthielt. Sie waren ungewöhnlich geformt, aber Neithadl‐Off hatte schon so viele verschiedene Werkzeuge bei so vielen unterschiedlichen Intelligenzen kennengelernt, daß sie relativ schnell erkannte, was sie als Schraubenzieher verwenden konnte, auch wenn es ganz anders geformt war als die ihr bekannten Schraubenzieher. Das gleiche traf auf Hämmer, Metallsägen, Feilen, Spannungsprüfer und andere Utensilien zu. Sie fand schließlich auch eine elektrisch betriebene Säge, die mehr einer Bohrmaschine ähnelte, mit der sie das Metallplastik der Ummantelungen aufschneiden konnte. Um nicht an unbekannte und womöglich gefährliche Dinge zu geraten, fing sie mit der Ummantelung des Aggregats an, aus dem die angewärmte Atemluft geblasen worden war. Als sie das Aggregat freigelegt und geprüft hatte, war sie recht nachdenklich geworden, denn es war aus elektronisch gesteuerten
Kompaktbausteinen zusammengesetzt, deren Herstellung einen hohen Entwicklungsstand von Wissenschaft, Technik und Technologie voraussetzte. Gleichzeitig fühlte sie, daß ihre Hoffnung wuchs, denn da es außer den fünf Sternen im Umkreis von Millionen Lichtjahren keine gab, konnten die Intelligenzen, die den Stützpunkt errichtet hatten, eigentlich nur von einem Planeten einer der fünf Sonnen gekommen sein. Wenn es Anima und Goman‐Largo gelang, aus den Trümmern der beiden Schiffe ein halbwegs funktionierendes Raumfahrzeug zusammenzubasteln, dann konnten sie die fünf Sonnen damit abfliegen und würden die Zivilisation entdecken. Falls es ihnen jedoch nicht gelang, sollte es wenigstens möglich sein, einen Hypersender zu bauen. Dann konnten sie Funkverbindung mit der Zivilisation aufnehmen und um Hilfe bitten. Sie würde ihnen zweifellos gewährt werden, denn Intelligenzen, deren Operationsgebiet sich auf eine Gruppe von fünf Sternen beschränkte, mußten hoch erfreut über jeden Besuch aus weiter entfernten Regionen des Alls sein. Systematisch setzte die Parazeit‐Historikerin ihre Untersuchung fort. Sie fand eine winzige Vorratskammer, mit deren Inhalt sie allerdings nichts anzufangen wußte. Es hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit tiefgefrorenen kirkusischen Kadaverpilzen und – ebenfalls tiefgefrorenen zolpatischen Tiefseeiern (einer Raubfischart). Doch die Ähnlichkeit war oberflächlich, so daß es sicher etwas ganz anderes war. Neithadl‐Off entdeckte schließlich auch ein zusammengelegtes Etwas, das eine Art Raumschutzanzug sein mußte. Aber wenn, dann mußte er von einem großen und monströs geformten Wesen getragen worden sein, und mit seinem Aggregatbehälter kam Neithadl‐Off überhaupt nicht zurecht. Sie legte die seltsame, teilweise gepanzerte Hülle schließlich wieder zusammen und verstaute sie dort, wo sie sie gefunden hatte. Es gab allerdings auch Dinge, deren Funktion sich ihrer
Vorstellungskraft entzog und auch welche, bei denen die Ummantelung nicht aus gewöhnlichen Metallplastik bestand, so daß sie sie nicht zu entfernen vermochte. Und es gab Dinge, die sie erschreckten. Eines war eine Art Erlebniskammer. Sie entdeckte sie rein zufällig, als sie das Bedienungspult für ein Aggregat suchte, das sie für ein Hyperfunkgerät hielt. Sie fand das Bedienungspult niemals; dafür stieß sie beim gewaltsamen Aufbrechen einer Trennwand auf die ominöse Kammer. Sie war relativ groß, verglichen mit den Ausmaßen des Stützpunkts. Neithadl‐Off hätte dreimal hineingepaßt. Der Boden bestand aus einem Gitterrost, aus dem eine schlanke Säule herausragte, auf deren Oberseite sich eine Platte mit drei Tasten befand. Neithadl‐Off entdeckte die Tasten erst, als sie sich auf den vier Hintergliedmaßen aufgerichtet hatte und mit den versteiften Tastfäden der Vordergliedmaßen die Oberseite der Säule befühlte. Als etwas unter ihren Tastfäden nachgab und ein Summen aufklang, ahnte sie, daß sie etwas in Gang gesetzt hatte, von dem sie nicht wußte, was es war. Doch da war sie noch zu neugierig, um sich zu fürchten. Angst bekam sie erst, als es unter dem Gitterrost dunkelrot aufglühte und aus den Wänden senkrechte Gitterstäbe fuhren, die sie so einengten, daß sie sich ganz aufrichten mußte. Zuerst fürchtete sie, sich in einer Art Grill gefangen zu haben, der der Zubereitung von Fleischspeisen diente, wie sie es bei verschiedenen Völkern beobachtet hatte. Aber es wurde nicht heiß, und so beruhigte sie sich wieder ein wenig. Dann wurden plötzlich auf den Wänden vier quadratische Flächen hell. Neithadl‐Off riet noch, ob es sich um Bildschirme oder Durchblickflächen handelte, denn sie sah auf einer Fläche einen Ausschnitt des Innern der Station, auf zwei Flächen überhaupt nichts und auf der vierten Fläche die Schwärze des Alls mit
Ausblick auf einen Pol des gelben Ringplaneten. Da wechselten die Bilder plötzlich. Sie zeigten alle vier Ausschnitte einer Alptraumlandschaft, durch die zwei seltsame Lebewesen schlichen, die die Parazeit‐Historikerin als Raubtiere einstufte, denn sie rissen ab und zu ihre Rachen auf und entblößten dabei mächtige Fangzähne. Als sich vor Neithadl‐Off die Wand wieder dort öffnete, wo sie in die Kammer gekommen war, geriet sie in Panik, denn sie sah, daß die Raubtiere aufmerksam wurden. Sie drückte wahllos eine andere Taste auf der Säule. Abermals ertönte das Summen, die Öffnung schloß sich wieder – und plötzlich sah die Vigpanderin auf den vier Flächen wieder das, was am Anfang zu sehen gewesen war. Im Nachhinein kam sie zu dem Schluß, daß die Alptraumlandschaft mit den zwei Bestien nicht Realität gewesen sei, sondern einfach nur der Teil eines lebensnahen Holovideospiels – und sie stufte die Kammer als Erlebniskammer ein. Allerdings nahm sie sich vor, sie nie wieder zu betreten. Dazu war sie zu sehr erschrocken. Sie hatte die Kammer kaum verlassen und die Trennwand wieder befestigt, wenn auch nur provisorisch, da meldete sich der Modulmann über Funk. »Ich habe vorhin schon zweimal versucht, dich zu erreichen«, erklärte er ihr. »Anima ist bei mir aufgekreuzt.« »Dann ist ihr Schiff noch raumtüchtig!« pfiff Neithadl‐Off freudig erregt. »Nein«, beschied ihr Goman‐Largo. »Es befand sich rein zufällig ganz in der Nähe, und es sieht nicht besser aus als die DSCHWINGG. Anima konnte es nur dank einer noch funktionierenden Gaskorrekturdüse und wegen der geringen Entfernung hierher steuern. Aber die Düse ersetzt natürlich kein Triebwerk. Wir dachten nur, daß du Bescheid wissen solltest. Wir sortieren, was übrig ist, und finden hoffentlich Werkzeug, mit dem wir arbeiten können.«
»Werkzeug?« rief die Parazeit‐Historikerin. »Damit könnte ich euch aushelfen. Ich habe einen ganzen Kasten voller Werkzeuge gefunden. Schalte dein Funkgerät auf Dauerton, dann peile ichʹ dich an und komme – mit dem Werkzeug natürlich.« »Das ist eine gute Nachricht«, erwiderte Goman‐Largo. »Aber sieh dich vor, Prinzessin! In dieser Gegend fliegen eine Menge kleine Trümmerbrocken herum, die einen Raumanzug durchschlagen können. Wahrscheinlich hat das Raumbeben die meisten Meteoriten zerstört.« »Ich werde mich vorsehen«, gab Neithadl‐Off zurück. »Bis gleich!« * Es verschlug der Vigpanderin fast die Sprache, als über ihr plötzlich ein gewaltiger Schatten war – und im nächsten Augenblick hinter ihr die Oberfläche eines Mondes im Widerschein der Sonne aufblendete. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre dort aufgeschlagen. »Ich muß vorsichtiger sein«, sagte sie zu sich selbst – und sah im gleichen Moment ein, daß unter den gegebenen Umständen die einzige Möglichkeit, Zusammenstöße dieser Art zu vermeiden, die Rückkehr in den Stützpunkt gewesen wäre. Das wollte sie aber nicht, deshalb setzte sie ihren Flug fort. Einem weiteren Mond begegnete sie nicht. Das wäre auch unwahrscheinlich gewesen. Aber viermal tauchten kleine Gesteinsbrocken dicht bei ihr auf und fielen zurück. Jeder hätte genügt, um ihren Schutzanzug zu durchschlagen. Dementsprechend erschrak sie jedesmal. Endlich verriet ihr die Stärke des Dauertons, daß sich Goman‐ Largo ganz in der Nähe befinden mußte. Da wurde er plötzlich von lauten Störgeräuschen überlagert. »Was ist los?« rief die Wissenschaftlerin unwillig.
»Funkstille!« meldete sich Anima mit der Positronik ihres Raumanzugs als Translator. »Fremde Raumschiffe! Schaltet die Funkgeräte aus!« »Aber warum denn?« erwiderte Neithadl‐Off. »Wir können jede Hilfe gebrauchen, die wir kriegen. Früher oder später hätten wir sowieso den Kontakt mit diesen Intelligenzen suchen müssen. Da können wir ihn ja auch gleich aufnehmen.« »Wir wissen nicht, was das für Leute sind«, entgegnete Anima. »Ich rate zu Vorsicht.« »Woher weißt du, daß fremde Raumschiffe in der Nähe sind?« ließ sich der Modulmann vernehmen. »Ich habe Funkverkehr zwischen mindestens zwei Schiffen aufgefangen«, antwortete die Hominidin. »Allerdings kann meine Positronik die Sprache noch nicht verstehen. Ich bin froh, daß sie inzwischen eure Sprachen übersetzt. Aber sollten wir nicht doch lieber schweigen?« »Ja!« pfiff Neithadl‐Off erschrocken und schaltete ihr Funkgerät aus, denn sie hatte zwischen sich und der von der weißgelben Sonne angestrahlten Seite des gelben Gasriesen die Konturen zweier großer Objekte entdeckt, die eigentlich nur Raumschiffe sein konnten. Sie waren ungefähr trichterförmig, aber dicht vor dem spitz auslaufenden Bug befand sich jeweils eine kugelförmige Verdickung. Hinter den weiten Schlünden der Hecksektionen lohte wabernde, ultrahelle Glut – und das war der Grund für Neithadl‐ Offs Erschrecken. Denn es bewies ihr, daß die fremden Schiffe mit einer Art Photonentriebwerk ausgerüstet waren, das seine Energie aus den Explosionen von Nukleonbomben bezog. Das aber zeugte von einem niedrigen Entwicklungsstand von Wissenschaft und Technik, und Zivilisationen auf derart niedriger Stufe waren meist ungewöhnlich dumm, aggressiv und skrupellos. Erfahrungsgemäß war es nicht ratsam, sich mit solchen Leuten einzulassen, es sei
denn, die eigene Ausrüstung war so gut, daß man sie sich vom Leibe halten konnte. Das aber vermochte die Parazeit‐Historikerin weder von sich noch von Anima oder von Gomn‐Largo zu sagen. Als die beiden fremden Schiffe stillzustehen schienen, begriff Neithadl‐Off, daß sie zuvor keinen Beschleunigungsvorgang beobachtet hatte, sondern ein Bremsmanöver. Demnach waren die Schiffe in einen Orbit um den Ringplaneten eingeschwenkt. Neugierig geworden, schaltete sie ihr Funkgerät wieder ein, hütete sich aber davor, einen Ton zu sagen. Und plötzlich fing sie eine Unterhaltung zwischen den beiden Schiffen auf! Im Unterschied zu Animas Positronik schaltete ihr Kombinationsgerät sofort auf die Übersetzung der fremden Sprache, so daß sie jedes Wort verstehen konnte. »… ist Slam‐Ussel davon überzeugt, ein Funkgespräch aufgefangen zu haben, das in einer unbekannten Sprache geführt wurde.« »Aber es gibt keine unbekannte Sprache. Folglich muß Slam‐Ussel sich geirrt haben. Ebora ist ein starker Radiostrahler. Leute mit zuviel Phantasie können seine Impulse durchaus als Funkimpulse auslegen.« »Hark‐Lom hat zwei Ansammlungen von Metall geortet, die umeinander kreisen. Es sieht aus, als wären es die Trümmer eines Raumschiffs.« »Ich habe nichts davon gehört, daß eines unserer Raumschiffe verunglückt wäre oder verschollen sei.« »Und wenn es nicht uns gehört?« »Du bist nicht ganz richtig im Kopf, Pas‐Odobal. Es kann keine fremden Raumschiffe geben, weil im ganzen Universum niemand außer uns Phylosern existiert.« »Was für eine Vermessenheit!« pfiff Neithadl‐Off schrill, ohne daran zu denken, daß ihr Kombinationsgerät jedes Wort in die fremde Sprache übersetzte.
Aber die Fremden hatten offenbar gar nicht mitbekommen, daß es nicht einer von ihnen gewesen war, der den Einwurf gemacht hatte, da Neithadl‐Offs Gerät ihre eigene Sprache perfekt sprach. »Vermessenheit! Es ist eine Tatsache. Schließlich haben wir das Universum vollständig erforscht und nirgends anderes intelligentes Leben entdeckt.« Diesmal unterlag die Parazeit‐Historikerin einem Irrtum, denn sie nahm an, daß die Worte des Fremden (oder der Fremden) an sie gerichtet gewesen waren – und sie reagierte entsprechend. »Das Universum!« rief sie höhnisch. »Als ob man mit euren Lötlampen das Universum erforschen könnte! Ihr seid mit den Dingern doch bestimmt nicht einmal überlichtschnell.« »Überlichtschnell!« wiederholte jemand. »Es besteht doch striktes Verbot, über Funk von meinen geheimen Forschungen zu sprechen. Wer war das?« »Ich«, antwortete die Vigpanderin. »Komisch, ich erkenne die Stimme nicht. Sie klingt irgendwie emotionslos.« »Natürlich«, sagte Neithadl‐Off. »Es ist ja auch die Stimme meines Kombinationsgeräts.« »Ich fürchte, da spricht tatsächlich ein fremdes Wesen.« »Unmöglich, Enerschi‐Upp! Es gibt keine anderen Intelligenzen. Das sind Geisterstimmen, zufällige Wortbildungen der Radiostrahlungen dieses Gasplaneten. Wahrscheinlich werden sie durch energetische Raumstrukturen hervorgerufen.« »Das kann ich nicht glauben, Tanc‐Foll.« »Ein Laserstrahl sollte genügen, um die Strukturen so durcheinander zu bringen, daß sie keine Geisterstimmen mehr erzeugen. Die ULUTIS ist weiter davon entfernt also ihr, als sollte die HORKA MALA ORKA das erledigen.« »Was wollt ihr machen?« pfiff Neithadl‐Off entsetzt. »Wollt ihr etwa Goman‐Largo und Anima mit Lasern beschießen?« »Wer redet denn da solchen Unfug?«
»Na, ich, Neithadl‐Off!« pfiff die Vigpanderin zornig. »Und ich rede keinen Unfug, sondern sage die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Ihr irrt euch, wenn ihr meint, es gäbe außer euch keine intelligenten Lebewesen im Universum. Ihr könntet doch eigentlich kaum etwas vom Universum kennen außer eurer engeren Heimat. Oder habt ihr Raumschiffe mit Überlichtantrieb?« Daraufhin ertönte ein wildes Durcheinander von Stimmen. Zwar wurde alles vom Kombinationsgerät übersetzt, aber es war zuviel auf einmal, als daß Neithadl‐Off etwas davon hätte verstehen können. Schließlich setzte sich eine energische Stimme durch. »Hier spricht Enerschi‐Upp!« übersetzte das Kombinationsgerät. »Ich weiß nicht, wer sich da einen schlechten Scherz mit uns erlaubt hat, aber ich weiß, daß ich seine strenge Bestrafung durchsetzen werde, wenn er sich nicht jetzt sofort dazu bekennt.« »Ich habe nicht gescherzt«, erklärte Neithadl‐Off. »Ich bin die Parazeit‐Historikerin Neithadl‐Off‐ und die Leute, deren Unterhaltung über Funk ihr abgehört hattet, sind der Modulmann Goman‐Largo und Anima, die Orbiterin des Ritters Atlan. Wir befinden uns in Raumnot und erbitten eure Hilfe.« Lange Zeit blieb es still, dann sagte Enerschi‐Upp leise: »Ich kann es nicht glauben! Nein, ich glaube es nicht, bevor ich es mit eigenen Augen gesehen habe! Tanc‐Foll, ich will, daß du diese Lebewesen einfängst! Es wäre eine Sensation für Phylos, wenn wir drei fremde Intelligenzen von unserer Expedition mitbrächten.« »Es gibt keine fremden Intelligenzen«, erwiderte jemand – wahrscheinlich der Angesprochene. »Entweder handelt es sich um energetische Phänomene – oder jemand erlaubt sich einen schlechten Scherz.« »Das werden wir dann ja sehen«, erwiderte Enerschi‐Upp. »Ich bin gespannt darauf, ob wir energetische Phänomene oder andere Phyloser einfangen. Eingefangen aber werden sie auf jeden. Fall und um jeden Preis.«
»Einfangen!« sagte Neithadl‐Off voller Abscheu. »Sie wollen uns einfangen, als wären wir wilde Tiere. Dabei sind sie nicht einmal richtig zivilisiert. Es sind Barbaren.« »Du hättest dich nicht in ihre Funkgespräche einmischen sollen«, warf Goman‐Largo ein. »Aber wenn sie solchen Unsinn redeten«, verteidigte sich die Parazeit‐Historikerin. »Außerdem hatten sie vor, euch zu lasern. Es sind wahrhaftig Barbaren. Aber sie haben sich verrechnet. Ich kann ihre Schiffe sehen. Sie befinden sich in einem Orbit um den Gasriesen, den sie offenbar Ebora nennen. Ich werde sie nacheinander entern und ihnen beibringen, wie man sich gegenüber zivilisierten Intelligenzen zu verhalten hat.« »Ist das übersetzt worden?« fragte Goman‐Largo. »Oh!« pfiff Neithadl‐Off, und schuldbewußt fügte sie hinzu: »Ja, ich hatte das Gerät nicht umgedreht. Jetzt kennen sie meine Absichten. Was soll ich tun?« »Zu uns kommen«, antwortete der Modulmann. »Anima und ich richten uns zur Verteidigung ein. Du bist näher an uns als an den beiden Raumschiffen, also wirst du hier sein, bevor die Fremden etwas unternehmen können. Ich schalte wieder auf Dauerton. Wir können ohnehin kaum noch etwas verderben.« »Ja, Goman‐Largo«, erwiderte Neithadl‐Off kleinlaut. Sie aktivierte die automatische Peilung, richtete den Kurs neu ein und schaltete das Gravojet‐Aggregat hoch. 5. Die Trümmer der DSCHWINGG und der IGEL wirkten aus der Entfernung wie ein Planet und sein Mond, die einander umkreisten. Allerdings waren sie sich so nahe, daß die Ränder der Trümmerhaufen sich beinahe berührten. Goman‐Largo und Anima signalisierten der Vigpanderin mit ihren
Lampen, wo sie sich befanden – und Neithadl‐Off landete zwischen ihnen. »Wenn wir die Funkgeräte auf geringste Reichweite schalten, können die Fremden nicht mithören«, sagte der Modulmann. Die Stimme klang leise, also hatte er die entsprechende Einstellung schon vorgenommen. Neithadl‐Off folgte seinem Beispiel. »Fertig«, sagte sie danach. »Ich auch«, erklärte Anima. »Gut!« sagte Goman‐Largo. »Neithadl‐Off, was weißt du inzwischen über diese Fremden? Wir haben ja nur dich verstehen können, wissen also nicht, was sie alles gesagt haben.« »Und ich kann kaum glauben, was sie alles für dummen, barbarischen Unsinn zusammengeredet haben«, pfiff Neithadl‐Off erregt. »Sie nennen sich Phyloser und stammen offenbar vom Planeten Phylos – und sie scheinen zu glauben, daß es im ganzen Universum außer ihnen keine intelligenten Lebewesen gibt.« »Das ist typisch für Angehörige einer Primitivzivilisation«, stellte Anima fest. »Sie müssen aus allen Wolken gefallen sein, als du dich meldetest.« »Wenn sie das nur wären«, erwiderte Neithadl‐Off. »Statt dessen hielten sie das für Geisterstimmen, für energetische Phänomene – oder für einen Scherz eines der ihren.« »Eine gewisse Skepsis ist verständlich«, meinte Goman‐Largo. »Wenn es nur das wäre«, entgegnete Neithadl‐Off. »Aber das ist mehr als Skepsis. Das ist Borniertheit. Stellt euch vor, sie hatten zuerst eure Funkgespräche aufgefangen, und einer von ihnen wollte euch lasern, weil er sich einbildete, damit die energetischen Phänomene zu beseitigen.« »Ja, haben diese Phyloser denn nicht die Raumschifftrümmer geortet?« erregte sich Goman‐Largo. »Doch«, antwortete Neithadl‐Off. »Dann ist es keine Borniertheit, sondern Skrupellosigkeit«, stellte
der Modulmann fest. »Wir haben das Weltbild der Phyloser gestört. Das ist eines der schlimmsten Sachen, die man halbziyilisierten Intelligenzen antun kann. Sehr oft reagieren sie darauf mit der Beseitigung des Störfaktors.« »Du meinst, sie wollen uns beseitigen, damit ihr Weltbild wieder stimmt?« warf Anima ein. »Aber sie können doch nicht hoffen, damit auch die Erinnerung an uns beseitigen zu können.« »Darüber haben sie anscheinend noch nicht nachgedacht«, meinte Goman‐Largo. »Aber inzwischen sehen ihre Pläne ja anders aus, wie ich Neithadl‐Offs letzten Reaktionen entnommen habe. Sie wollen uns einfangen.« »Lieber kämpfe und sterbe ich!« pfiff Neithadl‐Off. »Das ist eine Auffassung, die ich nicht akzeptiere«, erklärte der Modulmann. »Eine solche Handlungsweise wäre absolut untauglich für die Bewältigung von Aufgaben und Problemen.« »So eiskalt würde mein Ritter niemals reden«, wandte Anima ein. »Es gibt doch noch andere Dinge als die Bewältigung von Aufgaben und Problemen.« »Nenne sie mir!« forderte Goman‐Largo sie verwundert auf. »Stolz und Ehre beispielsweise«, sagte die Hominidin. »Wenn wir die Mißachtung jeglicher Moral und Ethik einfach hinnehmen würden, brächen ja alle universellen Wertvorstellungen zusammen.« »Stolz und Ehre?« echote der Modulmann und schien in sich hineinzulauschen. »Das klingt gut, aber es ist Schall und Rauch – und was universelle Wertvorstellungen angeht, so bezweifle ich, daß es so etwas überhaupt geben kann. Jeder muß doch seine Ziele verfolgen – und alles, was ihn daran hindert, hat er zu vermeiden, während er alles unterstützen muß, was ihn dabei begünstigt.« »Wir sollen uns also wie Tiere einfangen lassen!« empörte sich Neithadl‐Off. »Keineswegs«, widersprach Goman‐Largo. »Im Unterschied zu Tieren haben wir eine gewisse Würde zu bewahren, um unsere
Verhandlungsposition zu stärken. Wir werden uns nicht einfangen lassen …« »Das sage ich doch die ganze Zeit!« pfiff Neithadl‐Off. »… sondern die Phyloser bitten, uns aus Raumnot zu bergen. Das verschafft uns einen ganz anderen Status, als wenn wir eingefangen würden. Erst einmal an Bord eines ihrer Schiffe, gehen wir dann zu Verhandlungen über. Sie sind das, was man eine Entwicklungszivilisation auf der niedrigsten Stufe nennt, folglich werden sie daran interessiert sein, von uns wissenschaftlichen und technologischen Nachhilfeunterricht zu bekommen. Dafür können wir einen Preis verlangen.« »Und wenn sie nicht darauf eingehen?« fragte Neithadl‐Off. »Sie denken ganz bestimmt nicht so pragmatisch wie du, denn sie sind Barbaren.« Goman‐Largo lächelte mit den Augen. »Aber meine Prinzessin!« erwiderte er mit mildem Tadel. »Wer so beredt ist wie du, der darf doch nicht daran zweifeln, daß er andere Intelligenzen dazu bringen kann, so zu denken, wie es ihm nützt.« »Prinzessin, Prinzessin!« pfiff die Vigpanderin aufgebracht. »Warum nennst du mich dauernd Prinzessin? Ich bin keine. Oder etwa doch? Wartet einmal! Laßt mich scharf nachdenken! Irgendwann hatte ich Einsicht in meine Geburtsurkunde nehmen dürfen. Ich weiß zwar nicht mehr genau, was darin alles stand, aber ich glaube, den Titel Prinzessin gelesen zu haben. Später vergaß ich es dann wieder. Aber jetzt ist es mir wieder eingefallen.« »Was habe ich gesagt!« rief der Modulmann strahlend. »Aber wir haben lange genug geredet. Es wird Zeit, daß wir handeln. Neithadl‐Off, ich bitte dich, dir schon einmal zurechtzulegen, wie du den Phylosern gegenüber unsere Bitte formulierst. Anima und ich werden unterdessen die Vorbereitungen zur Verteidigung fortsetzen und die Phyloser mit .heißen Grüßenʹ empfangen. Anima hat immerhin einen Handstrahler, und ich konnte unser Geschütz wenigstens soweit herrichten, daß es mit einem Zehntel der
vorherigen Intensität feuert.« »Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr«, erwiderte die Parazeit‐ Historikerin. »Einmal sagst du, wir sollen um Hilfe bitten und dann erklärst du, kämpfen zu wollen. Was willst du denn wirklich?« »Alles, aber in der richtigen Reihenfolge«, erklärte Goman‐Largo. »Wir werden kämpfen, daß den Phylosern Hören und Sehen vergeht. Da wir aber einem wirklich massiven und ernstgemeinten Angriff der beiden Schiffe nicht lange widerstehen können, müssen wir rechtzeitig einlenken, den Kampf zu einem bedauerlichen Mißverständnis erklären und danach um Hilfe aus Raumnot bitten. Ich dachte, du hättest es ebenfalls so aufgefaßt.« »Das hatte ich nicht«, sagte Neithadl‐Off. »Aber jetzt weiß ich, wo es langgeht, und du kannst dich darauf verlassen, daß den Phylosern zum zweitenmal Hören und Sehen vergeht, wenn ich loslege.« »Fein«, meinte Goman‐Largo. »Dann wollen wir unseren Teil erledigen, Anima!« Neithadl‐Off sah zu, wie der Modulmann und die Hominidin zu einem verbeulten Etwas kletterten, das ganz oben auf der höchsten Stelle des Trümmerhaufens stand, der einmal die DSCHWINGG gewesen war. Das Etwas hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit einem Strahlgeschütz. »Du bist nicht nur abgebrüht, sondern eiskalt bis unter die Haut, Goman‐Largo!« zwitscherte sie leise vor sich hin. »Dennoch sehe ich zu dir auf. Aber, auf keinen Fall werde ich dir gestehen, daß ich in dich verliebt bin.« »Was hast du gesagt, Prinzessin?« klang Goman‐Largos Stimme aus ihrem Funkgerät. Neithadl‐Off erschrak so, daß ihr Herz aussetzte. Sie brachte es wieder zum Schlagen, indem sie in ihrem Knochenrahmen auf und ab schwang. »Ich warte!« mahnte Goman‐Largo. »Störe mich nicht!« pfiff sie. »Ich bin dabei, meine Rede an die
Phyloser zurechtzulegen.« * Das Strahlgeschütz feuerte in kurzen Intervallen. Der Trümmerhaufen der DSCHWINGG geriet in Bewegung. Neithadl‐Off sah die Entladungen im Zielgebiet. Sie rissen die Bugkugel des anfliegenden Phyloserschiffs, die sich eben noch im Schatten des riesigen Trichters befunden hatte, aus der Dunkelheit. Die Parazeit‐Historikerin versuchte, die Größe der Bugkugel abzuschätzen. Ihr Durchmesser schien etwa der halben Höhe der DSCHWINGG zu entsprechen, als sie noch ein Raumschiff gewesen war. Dahinter erstreckte sich eine Röhre von zirka hundert Metern Länge und zehn bis dreißig Metern Durchmesser (von vorn nach hinten zunehmend), an die sich der eigentliche »Trichter« anschloß, ungefähr fünfhundert Meter lang und mit einem größten Durchmesser von ebenfalls fünfhundert Metern. Das Schiff war eine typische volumenverschlingende Primitivkonstruktion. Am stärksten interessierte Neithadl‐Off aber die Bugspitze vor, der Kugel, denn sie war zwar höchstens zwanzig Meter lang, aber in ihr hatte sich vorn eine Öffnung gebildet, aus der sich langsam etwas schob, was eigentlich nicht zu einer Technologie paßte, die keine besseren Schiffe bauen konnte als dieses: ein Traktorstrahlprojektor. Neithadl‐Off konnte ihren Blick nicht davon abwenden. Verbissen suchte sie nach Anzeichen dafür, daß der erste Eindruck getrogen hatte und daß es gar kein Traktorstrahlprojektor war, was sie da sah, sondern vielleicht ein elektronisch gesteuertes Radarsystem. Doch sie fand nichts dergleichen, und als sich ein intensives Flimmern um das Gerät herum bildete und am Rand des Trümmerhaufens der DSCHWINGG Stücke herausgerissen und fortgezogen wurden, da gab es nicht mehr den geringsten Zweifel.
»Goman‐Largo!« pfiff sie voller Verzweiflung. »Sie packen uns mit einem Traktorstrahl! Schießt doch endlich auf den Projektor!« »Immer mit der Ruhe!« gab der Modulmann zurück. »Wir sind dabei, das Geschütz neu einzurichten. Das dauert etwas, aber solange die Phyloser nicht besser zielen, bekommen sie uns nicht zu fassen.« »Sie können uns aber auch aus reinem Versehen erwischen«, gab Neithadl‐Off zurück. Neue Hoffnung keimte in ihr, als das Flimmern wieder erlosch. Vielleicht hatten die Phyloser den Traktorstrahlprojektor auch nur in der Hinterlassenschaft einer untergegangenen Zivilisation entdeckt, und er funktionierte nur noch sporadisch. Doch dann erinnerte sie sich wieder daran, daß die Phyloser sich für die einzigen Intelligenzen im ganzen Universum hielten, und ihre Hoffnung sank bis nahe an den Nullpunkt. Wenig später hüllte sich der Projektor wieder in das charakteristische Flimmern. Unwillkürlich knickte Neithadl‐Off in den Gliedmaßen ein. Aber diesmal schossen die Phyloser noch schlechter als vorher. Der Traktorstrahl riß eine kleine Trümmerwolke aus Animas ehemaligem Schiff, dann strich er in den leeren Raum davon. Sie atmete auf, als das Geschütz wieder zu schießen anfing. Aber der Zielcomputer war anscheinend defekt, denn die Treffer lagen weit »über« dem Projektor wieder in der Bugkugel. Ihre Wirkung war auch nicht gerade berauschend. Sie brachten die Außenhülle der Kugel zwar zum Glühen, aber das war auch schon alles. Die Glutflecken kühlten jedesmal sehr schnell wieder ab, ohne daß sich Risse oder Löcher zeigten. Beim Traktorstrahlprojektor kam und ging das Flimmern in langen Intervallen – und seine Trefferqualität schien sich nicht bessern zu wollen. Sie lagen alle bei der IGEL Animas. Darum duckte sich die Parazeit‐Historikerin nicht einmal mehr, als das Flimmern wiederkehrte. Sie konzentrierte sich auf die
Beobachtung der Feuerwirkung des eigenen Strahlgeschützes. Als vor ihr eine Wolke von Trümmern aus der ehemaligen DSCHWINGG gerissen wurden, begriff sie nicht gleich, was geschah. Bis sie ebenfalls von dem Traktorstrahl erfaßt und »in die Höhe« gezogen wurde! »Hilfe!« kreischte sie. »Hilfe! Ich werde entführt!« »Sei still!« fuhr Goman‐Largo sie grob an. »Mit Geschrei änderst du deine Situation nicht. Die Zielautomatik unseres Geschützes hat ihren Geist aufgegeben, und manuell läßt sich bei den Erschütterungen, die durch den Trümmerhaufen gehen, kein vernünftiger Treffer erzielen – jedenfalls nicht dort, wo man ihn haben will. Wir stellen deshalb unser Feuer ein. Schalte du dein Funkgerät auf maximale Leistung und bedanke dich bei den Phylosern für deine Rettung! Danach kündigst du unsere Ankunft an und bedauerst das Mißverständnis, das uns beinahe dazu verleitet hätte, das Phyloserschiff zu vernichten.« »Warst du früher mal Politiker?« erkundigte sich Neithadl‐Off. »Nein«, antwortete Goman‐Largo. »Warum?« »Weil du wie ein Politiker redest«, antwortete sie. »Du nimmst einen Sack voller Fakten und schüttelst ihn so lange, bis die neue Mischung das exakt gegenteilige Bild ergibt, das die Fakten vorher ergeben hatten.« »Fakten, Fakten!« echote Goman‐Largo. »Halte dir einmal vor Augen, was Fakten wirklich sind, und du wirst eine Überraschung erleben. Es ist im Universum nichts so festgefügt, daß es sich nicht ins Gegenteil verdrehen ließe.« »Eben das ist immer und überall die Philosophie der Politiker«, meinte Neithadl‐Off. »Aber du bist doch keiner, sonst würdest du sie nicht beim Namen nennen.« »Was bringt uns dieses Geschwätz ein?« entgegnete der Modulmann rügend. »Nichts. Darum fang endlich an, den richtigen Text an den richtigen Empfänger zu senden!«
Die Parazeit‐Historikerin brauchte einige Zeit, um die kränkende Wirkung der Worte des Modulmanns zu verdauen, dann schaltete sie ihr Funkgerät auf maximale Leistung und sagte: »Ich rufe das phylosische Großraumschiff, das auf die Position zufliegt, an der das Flaggschiff des Großimperators vom Sternenreich der Xissaniten mit einem Beiboot der Abgesandten des Zeitritters Atlan kollidierte. Hier spricht Prinzessin Neithadl‐Off. Ich danke euch, daß ihr endlich meiner Aufforderung gefolgt seid, mich und die Edlen Goman‐Largo und Anima aus Raumnot zu bergen. Wenn ihr mit eurem Traktorstrahler besser gezielt hättet, wäre es gar nicht erst zu dem Mißverständnis gekommen, das den Edlen Goman‐Largo beinahe veranlaßt hätte, euch zu vernichten. Ich wünsche, daß ihr euch dafür bei ihm entschuldigt, sobald er ebenfalls an Bord ist.« Sie bekam keine Antwort, aber da die Fahrt weiter in Richtung des Phyloserschiffs ging, schienen die Primitiven ihre Worte nicht anzuzweifeln. »Wartet nur, bis ich bei euch bin!« flüsterte Neithadl‐Off. »Ich werde euch Lügen auftischen, daß die Sterne vom Himmel fallen!« Ihre Zuversicht sank, als sie sich daran erinnerte, daß es in dieser Gegend des Universums nur fünf Sterne gab, doch dann sagte sie sich, daß sie ebensogut das Schwarze vom Himmel herunterlügen könne. 6. Der Traktorstrahl setzte sie zusammen mit einer Wolke von Kleintrümmern in der Schleusenkammer des Phyloserschiffs ab. Die Trümmerwolke stürzte sofort zu Boden, und auch Neithadl‐ Off spürte die künstliche Schwerkraft, die allerdings nur etwa ein Zehntel der gewohnten betrug (womit ein Durchschnittswert gemeint ist).
Kritisch musterte sie in der grellen Beleuchtung die rohen Stahlwände mit den groben Schweißnähten und derben Nieten. Das alles paßte zu dem viel zu dickwandigen Schott, das von einem Elektromotor auf Schienen zugeschoben wurde. Aber es paßte nicht zu künstlicher Schwerkraft. Zumindest war es nicht normal, daß eine Zivilisation, die Traktorstrahlprojektoren und künstliche Schwerkraft (wenn auch nur schwache) verwendete, mit derart grober Technik arbeitete. Die Schleusenkammer füllte sich mit weißem Nebel, als Luft hineingepumpt wurde. Auch das paßte nicht zu künstlicher Schwerkraft und Traktorstrahlprojektoren. Wenn schon nicht aufgeheizte Luft eingepumpt wurde, dann hätte sie wenigstens mit starken Wärmestrahlern innerhalb der Kammer aufgeheizt werden müssen. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Nebel sich auflöste. Die Parazeit‐Historikerin las befriedigt die Anzeigen ihrer Analysatoren ab. Sie würde die Schutzfolie öffnen können, denn die Zusammensetzung der Atmosphäre an Bord war verträglich für sie. Überhaupt wies ihr Metabolismus in dieser Beziehung eine große Toleranzspanne auf. Welche Zusammensetzung optimal gewesen wäre, wußte sie nicht, denn sie hatte längst vergessen, wie die Atmosphäre auf dem Planeten Vigpander beschaffen war, so wie sie vergessen hatte, wie es dort überhaupt aussah. Als sie die Schutzfolie von ihrer vorderen Schmalseite entfernte, öffnete sich rumpelnd das Innenschott – und Neithadl‐Off sah sich mit fünf Zwergen konfrontiert, die grimmige Grimassen schnitten und klobige Rak‐Automatiken in den kleinen dicken Händen hielten. Zwerge waren es natürlich nur relativ, denn es gab, soviel sie wußte, kein Naturgesetz, das eine bestimmte Körpergröße als normal beziehungsweise optimal anderen Körpergrößen gegenüber bevorzugte. Neithadl‐Off hatte lediglich auf ihren bisherigen Exkursionen überwiegend Hominide von der Durchschnittsgröße
1,60 Meter und darüber bis zu 2,40 Meter kennengelernt. Und Hominide waren diese Zwerge dem ersten Anschein nach. Sie hatten je einen Rumpf, zwei Beine, zwei Arme und einen Kopf (letzteres war allerdings nicht unbedingt ein Charakteristikum für Hominide, denn diese Lebewesen hatten ebenso oft zwei Köpfe wie einen). Neithadl‐Off schätzte sie halb so groß ein wie Goman‐Largo. Ihre Beine wirkten stämmig, ihre Hälse kräftig und ihre Gesichter waren rund und bartlos und fleischig und von rosiger Farbe wie ihre Hände. Bekleidet waren sie mit dunkelbraunen Monturen aus grobem Stoff, schwarzen Halbstiefeln und hohen gelben Schiffchenmützen, die oben leicht umgekippt waren. »Sehr erfreut!« pfiff die Vigpanderin. »Ich bin Prinzessin Neithadl‐ Off, meine Herren. Ihr braucht deshalb aber keinen Salut zu schießen. Es genügt, wenn ihr mich zum Kommandanten dieses Schiffes bringt.« Die Zwerge tuschelten aufgeregt miteinander, dann sagte einer von ihnen, dessen Gesicht eine Spur grimmiger wirkte als die der anderen: »Du bist unsere Gefangene, Neithadl‐Off.« »Frage sie, woher sie unsere Sprache kennt!« rief ein anderer Zwerg. »Woher kennst du unsere Sprache?« fragte der Grimmige. »Ich bin sehr sprachbegabt«, antwortete die Parazeit‐Historikerin. Da sie es offenkundig nur mit untergeordneten Dienstgraden zu tun hatte, verzichtete sie darauf, gegen den Gefangenenstatus zu protestieren. Diese Zwerge waren sicher nicht entscheidungsbefugt. »Was hältst du da in deinen Griffeln?« fragte der Grimmige argwöhnisch und deutete auf das Kombinationsgerät, das Neithadl‐ Off beim Sprechen mit den Vordergliedmaßen vor ihre Mundleiste gehalten hatte. »Wenn es eine Waffe ist, dann laß es fallen!« »Es ist nur eine Sprechhilfe«, erwiderte Neithadl‐Off. »Führt mich endlich zum Kommandanten!« Sie überlegte kurz, dann fügte sie hinzu: »Bevor es zu einem Zeitparadoxon kommt.«
Das schien Eindruck auf den Grimmigen zu machen. Er wandte sich seinen Leuten zu und schrie einige Befehle. Daraufhin bewegten sich die anderen Zwerge im Gleichschritt und mit stampfenden Füßen, nahmen Neithadl‐Off in ihre Mitte und führten sie aus der, Schleusenkammer hinaus. Es ging durch mehrere verlassene Korridore und über Treppen, dann hielt die Eskorte vor einem breiten Schott an, vor dem zwei Zwerge Wache hielten, eigenartig langläufige Waffen über den Schultern, Sie sahen beinahe possierlich aus, denn sie trugen weiße Halbstiefel, weiße Handschuhe und weiße Ledergürtel über den halbkugelförmig vorgewölbten Bäuchen. Nach dem Austausch formelhafter Redewendungen zwischen dem Grimmigen und einem der Wachtposten wurde das Schott geöffnet. Neithadl‐Offs Eskorte stapfte hinein, sie trippelnd in der Mitte, hielt auf einen Zuruf des Grimmigen an, machte kehrt und stapfte wieder hinaus. Neithadl‐Off blieb deswegen nicht ohne Bewachung. In dem saalgroßen ovalen Raum, der anscheinend die Raumschiffszentrale war, denn es saßen zahlreiche Zwerge hinter Kontrollpulten und vor Bildschirmen, stand ringsum eine Kette weiterer Paradesoldaten, die aber statt der gelben Schiffchen dunkelbraune Halbschalen aus Metall auf den Köpfen trugen. Das alles aber war nur Beiwerk, das die Parazeit‐Historikerin kaum beeindruckte. Sie konzentrierte ihre Aufmerksamkeit statt dessen auf die beiden Zwerge, die auf einem Podest nicht weit von ihr in gepolsterten Metallsesseln saßen. Ein Mann und eine Frau, letztere an den hervorstechenden sekundären Geschlechtsmerkmalen zu erkennen. Der Mann trug ähnliche Kleidung wie die Zwerge der Eskorte, nur war sein Schiffchen nicht gelb, sondern rot. Die Frau dagegen war in einen hellgrünen Overall gekleidet, trug leichte weiße Schuhe, viele Ringe, Armbänder und Ketten und hatte ihr graumeliertes Haar zu einem Knoten aufgesteckt. Sie musterte die Vigpanderin durch die
starken, funkelnden Gläser einer schwarzen Hornbrille. »Ich bin Tanc‐Foll, der Kommandant der Expedition«, sagte der Mann mit tiefgestellter Stimme. Er deutete mit einem rosigen Patschhändchen auf die Frau an seiner Seite. »Das ist Enerschi‐Upp, die Chefwissenschaftlerin der Expedition und die Wissenschaftsministerin des Sternenimperiums von Phylos. Ich weiß nicht, wer sich den geschmacklosen Scherz geleistet hat, ein ausgedientes und ausgeleiertes Sprunggerät als extra‐phylosisches Monster aufzumotzen …« Weiter kam er nicht, denn Neithadl‐Off ertrug die Beleidigungen nicht länger. Sie sprang ihn mit einem Riesensatz an, riß ihm das rote Schiffchen vom Kopf und schwang ihr bisher verborgenes Vibratormesser, um ihm das Fell über die Ohren zu ziehen. Als sie sah, daß er statt eines Felles nur nackte, runzlige Haut auf der Schädeldecke hatte, hielt sie inne, dann stieß sie ihn verächtlich um, steckte das Messer weg und trippelte ein paar Schritte zurück. Das alles war so schnell gegangen, daß die Paradesoldaten gerade erst aus ihrer starren Haltung erwachten, als Neithadl‐Off schon wieder friedlich dastand. Enerschi‐Upp schnappte vor Schreck noch nach Luft, aber in ihren Augenwinkeln nistete ein kleines schadenfrohes Grinsen. Tanc‐Foll war auf dem Rücken gelandet, hatte Arme und Beine seitlich ausgestreckt und stieß einen empörten Schrei aus. »Sei still!« fuhr die Chefwissenschaftlerin der Expedition ihn an. »Du hast diese Reaktion selber provoziert.« Sie wandte sich an Neithadl‐Off, musterte sie prüfend und erkundigte sich dann: »Woher kommst du, Neithadl‐Off?« »Aus dem Sternenreich der Xissaniten, hinter den sieben Beta‐ Real‐Parallel‐Zeitebenen«, antwortete die Vigpanderin. »Da haben wir es!« keifte Tanc‐Foll. »So etwas gibt es doch gar nicht! Sieben Beta‐Real‐Parallaxen! So etwas kann sich höchstens das kranke Gehirn eines illegalen Zukunftsromanschreibers
ausdenken!« »Du solltest lieber richtig hinhören, wenn Erwachsene sprechen!« ermahnte Neithadl‐Off ihn streng. »Ich habe nichts von Beta‐Real‐ Parallaxen gesagt, sondern von den sieben Beta‐Real‐Parallel‐ Zeitebenen gesprochen – und die gibt es wirklich.« »Wahnsinn!« ächzte Tanc‐Foll. »Dieser ganze Auftritt ist nichts weiter als der Anschlag einiger Wahnsinniger auf die Unfehlbarkeit der Reinen Lehre! Enerschi‐Upp, ich verlange, daß diese pseudobiologische Konstruktion beseitigt wird!« »Ich bin die Prinzessin des Sternenreichs der Xissaniten!« pfiff Neithadl‐Off entrüstet. »Wer mich beleidigt, hat mit strengster Bestrafung zu rechnen. Mein Vater, der Kaiser der drei Gindaveld‐ Galaxien, hat mich hierher geschickt, damit ich die Verhältnisse in dieser kleinen Sternengruppe erkunde. Er wird mir eine Armada von tausend Schlachtschiffen nachsenden, wenn ich mich nicht bald wieder bei ihm melde.« »Aber wir wissen, daß es außer unserem Imperium kein anderes Sternenreich geben kann!« zeterte Tanc‐Foll mit hochrotem Gesicht. »Und wir beherrschen das gesamte Universum.« »Woraus besteht denn deiner Meinung nach dieses Universum?« erkundigte sich Neithadl‐Off nachsichtig. »Aus allen fünf Sonnen mit ihren insgesamt dreißig Planeten«, prahlte Tanc‐Foll. »Und natürlich aus den Meteorströmen, die sich kreuz und quer zwischen den Sonnen hindurchziehen und bis weit in den Raum hinausreichen.« »Das glaubt ihr tatsächlich?« staunte die Wissenschaftlerin. »Es ist beinahe ein Dogma«, warf Enerschi‐Upp ein. »Aber ich habe mich ihm nie gebeugt, sondern mich stets offengehalten für neue Erkenntnisse. Deshalb freue ich mich darüber, daß wir uns begegnet sind, Neithadl‐Off. Vielleicht kannst du uns dabei helfen, eine uralte Streitfrage zu beantworten. Mit Hilfe unserer Radioteleskope können wir in den fernen Tiefen des Alls zahlreiche kleine, blaßleuchtende Flecke erkennen. Es gibt eine Menge
Hypothesen darüber, aber keine wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse. Was ist das?« »Es sind Spiegelungen!« schrie Tanc‐Foll aufgebracht. »Reine immaterielle Spiegelungen geistiger Kräfte und sonst nichts. Wer etwas anderes behauptet, ist ein Verbrecher.« »Jetzt reicht es!« sagte Enerschi‐Upp scharf. »Wachen, sperrt Tanc‐ Foll in eine Arrestzelle und bewacht sie so, daß er nicht von seinen Anhängern befreit werden kann!« »Nein!« kreischte Tanc‐Foll. »Ich bin der Kommandant der Expedition. Legt diese alte Schachtel in Ketten und werft das sprechende Gestell aus dem Schiff!« Doch die Paradesoldaten hörten nicht auf ihn, sondern auf Enerschi‐Upp. Sie packten den Kommandanten und drängten ihn zur Zentrale hinaus. »Dieser Dummkopf!« sagte Enerschi‐Upp leise, nachdem sich das Schott hinter Tanc‐Foll geschlossen hatte. »Er ist ein erfahrener Raumfahrer, aber er hat keine Ahnung davon, wie man Politik macht. Ich wußte schon länge, daß es zwischen ihm und mir zum Bruch kommen würde und habe mir deshalb rechtzeitig die Unterstützung von Brusch‐Onoton gesichert. Natürlich sorgte er dafür, daß die HORKA MALA ORKA und die ULUTIS mit ihm ergebenen Truppen bemannt wurden. Das nur zur Klarstellung, wer hier bestimmt, Neithadl‐Off. Jetzt darfst du mir ungestört antworten.« »Wer ist Brusch‐Onoton?« begehrte die Vigpanderin zu wissen. »Unser Imperator«, antwortete Enerschi‐Upp. »Doch nun sprich!« »Mit absoluter Sicherheit kann ich deine Frage natürlich erst dann beantworten, wenn ich selber diese Flecke mit astronomischen Hilfsmitteln beobachtet habe«, erklärte Neithadl‐Off. »Aber mit sehr großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um Galaxien, um Sterneninseln mit bis zu hundert Milliarden Sonnenmassen.« Enerschi‐Upps Augen waren bei der Antwort Neithadl‐Offs immer größer geworden.
Als die Vigpanderin geendet hatte, blieb der Mund Enerschi‐Upps zu einem O geformt. Anscheinend fand sie keine Worte. Dafür schnatterten nach einer Pause die übrigen anwesenden Phyloser um so wilder durcheinander. Nur die zurückgebliebenen Paradesoldaten enthielten sich jeglicher Meinung. Nach einer ganzen Weile klappte Enerschi‐Upps Mund wieder zu. »Wenn das wahr wäre!« flüsterte sie beklommen. »Bis zu hundert Milliarden Sonnenmassen! Du meinst doch im gesamten Universum?« »In einer Galaxis«, pfiff Neithadl‐Off unerbittlich. »Das Universum ist viel größer. Es hat seinerseits viele hundert Milliarden von Galaxien – und es gibt in den Räumen und Zeiten Hunderte Milliarden von Universen. Wahrscheinlich ist ihre Zahl sogar unendlich. Jedenfalls ist bisher noch nie jemand an Grenzen gestoßen.« »Das kann sogar ich kaum glauben«, meinte Enerschi‐Upp. »Und es gibt außer unserer und deiner noch andere Zivilisationen intelligenter Wesen dort?« »Wahrscheinlich auch unendlich viele«, antwortete die Vigpanderin. »Wie aufregend!« rief Enerschi‐Upp. »Ich werde gleich einen Funkspruch an den Imperator aufsetzen, in dem ich ihm das alles mitteile – und natürlich auch, daß wir Gäste mitbringen. Wer, sagtest du doch gleich, sind die beiden anderen Xissaniten?« »Es sind keine Xissaniten«, korrigierte Neithadl‐Off. »Anima ist eine Orbiterin und Abgesandte des Zeitritters Atlan – und Goman‐ Largo ist mein Diener und Leibwächter aus dem Volke der Tigganois, aber ebenfalls von edlem Geblüt.« »Sie wurden soeben an Bord geholt«, sagte ein Phyloser von den Kontrollen her. »Sollen sie in die Zentrale eskortiert werden?« »Ja«, entschied Enerschi‐Upp. »Neithadl‐Off wird inzwischen in einer Gästekabine untergebracht.« »Ich möchte aber dabei sein, wenn Goman‐Largo und Anima
ankommen«, wandte Neithadl‐Off ein. »Nein!« erklärte Enerschi‐Upp. »Erst rede ich mit Goman‐Largo und Anima allein. Wachen, begleitet unseren Gast in seine Kabine!« Da merkte die Parazeit‐Historikerin, daß ihr endgültiger Status noch nicht feststand. Immerhin gab es einen Fortschritt. Die Soldaten, die sie diesmal eskortierten, hielten ihre Waffen nicht auf sie gerichtet. * Es dauerte fast zwei Stunden, bis Goman‐Largo und Anima ebenfalls in die Gästekabine gebracht wurden. »Was hat man nur solange mit euch angestellt?« wollte Neithadl‐ Off wissen. »Man hat uns regelrecht verhört!« entrüstete sich Anima. »Nun, ja, diese Enerschi‐Upp ist sehr wißbegierig«, sagte der Modulmann beschwichtigend und lächelte Neithadl‐Off an. »Es war gar nicht so einfach, sie vorher darüber auszufragen, was du ihr aufgetischt hattest, bevor ich ihre Fragen beantwortete.« »Sie ist mißtrauisch«, erklärte Anima. »Und sie ist auch vorsichtig. Ich habe bemerkt, daß den anderen Phylosern nicht wohl in ihrer Haut bei den Erkenntnissen ist, die Enerschi‐Upp mit unserer Hilfe gewinnt. Offensichtlich ist die Mehrzahl von ihnen entsetzt darüber, daß es andere intelligente Lebewesen gibt, die mehr vom Universum wissen als sie selbst.« »Und darüber, daß diese Lebewesen auch noch körperlich viel größer sind als sie, denke ich«, ergänzte Goman‐Largo. »Enerschi‐ Upp wird keinen leichten Stand haben.« »Nicht zuletzt wegen Tanc‐Foll«, warf Neithadl‐Off ein. »Das war der ursprüngliche Kommandant der phylosischen Forschungsexpedition. Zwischen ihm und Enerschi‐Upp besteht anscheinend eine starke Rivalität, aber nicht nur in
wissenschaftlicher, sondern auch in politischer Hinsicht. Sie hat die erste Runde gewonnen und ihn festsetzen lassen. Aber ich möchte wetten, daß er auf den beiden Schiffen noch genügend Anhänger hat, um diese Lage zu kippen. Vor ihm aber müssen wir uns vorsehen. Er würde uns einfach beseitigen lassen, wenn er könnte.« »Hat er das gesagt?« wollte Goman‐Largo wissen. »Er beschimpfte mich eine pseudobiologische Konstruktion und forderte meine Beseitigung – und die Galaxien, die sich von Phylos aus mit Hilfe von Radioteleskopen beobachten lassen, nannte er ›rein immaterielle Spiegelungen geistiger Kräfte‹.« »So ein Idiot!« schimpfte Anima. »Solche verschrobenen Weltvorstellungen kommen vor, wo die Verhältnisse wie hier sind«, meinte der Modulmann. »Die Phyloser haben über viele tausend Jahre lang außer ihrer Sonne nur vier Fixsterne an ihrem Nachthimmel gesehen. Es war doch nur logisch, daß sich deswegen die Vorstellung eines Universums zusammenreimen, das nur aus fünf Sonnen und ihren Planeten besteht. Wenn dann mit Hilfe von Instrumenten am vermeintlichen Rand dieses Universums ein paar helle Flecke ausgemacht werden, müssen sie diese Entdeckungen in ihr bisheriges Weltbild einbauen – und dadurch* kommt immer nur Unsinn zustande.« »In eine schöne Lage sind wir da geraten«, sagte Anima niedergeschlagen. »Warum mußten wir nur im n‐dimensionalen Mahlstrom miteinander kollidieren?« »Ja, warum?« erwiderte Goman‐Largo nachdenklich. »Davon war in meinem letzten Präkognitiogramm nicht die Rede. Unser Zusammentreffen ist demnach nicht vorherbestimmt gewesen.« »Dann war es reiner Zufall«, riet Neithadl‐Off. »Nein, der war es nicht«, sagte Anima entschieden. »Soweit sind wir noch nicht, daß wir alles dem Zufall in die Schuhe schieben. Bestimmt haben die Kosmokraten an ihren Drähten gezogen, mit denen sie hier etwas korrigieren, dort etwas steuern und da jemanden irgendwohin schicken.«
»Zufall war es nicht«, überlegte Goman‐Largo laut. »Vorherbestimmt war es auch nicht. Dann kann es eigentlich nur im Nachhinein korrigiert worden sein.« »Natürlich!« rief Anima. »Von den Kosmokraten, wie ich schon sagte!« »Ich weiß nichts von irgendwelchen Kosmokraten«, sagte Goman‐ Largo. »Ich auch nicht«, erklärte Neithadl‐Off. »Aber wenn Anima ihnen begegnet ist …« »Das bin ich nicht«, gestand Anima offen. »Aber es gibt sie. Ich weiß es von meinem ersten Ritter, und auch mein zweiter Ritter ist ein Beauftragter der Kosmokraten.« »Atlan?« fragte Neithadl‐Off. »Ja«, antwortete die Hominidin. »Atlan. Für eine Weile hatte ich mir eingebildet, wir wären zusammengetroffen, damit ich mit eurer Hilfe meinen Ritter Atlan wiederfinde. Aber angesichts dieser unterentwickelten Leute, an die wir geraten sind, schwimmen meine Hoffnungen mehr und mehr davon. Diese Phyloser leben in einem Sternenhäufchen, in dem es keine andere Zivilisation gibt, die vielleicht überlichtschnelle Raumfahrt betriebe. Und sie selbst sind bestimmt noch tausend Jahre von der Entwicklung eines Hyperantriebs entfernt.« »Moment mal!« pfiff Neithadl‐Off aufgeregt. »Da fällt mir wieder ein, daß ich, als ich die Funkgespräche der Phyloser abhörte, eine Bemerkung einwarf, daß deren Raumschiffe nicht einmal überlichtschnell wären. Daraufhin wiederholte jemand das Wort ›überlichtschnell‹, wahrscheinlich war es Enerschi‐Upp, und sagte, es bestünde striktes Verbot, über Funk von ihren geheimen Forschungen zu sprechen. Eigentlich kann sie damit doch nur Forschungen nach einem Hyperantrieb gemeint haben.« »Der Sache müssen wir unbedingt auf den Grund gehen!« rief Anima. »Vielleicht können wir die Forschungen Enerschi‐Upps vorantreiben. Ich kenne mich mit der Struktur des Hyperraums
recht gut aus, da ich als Raumschiff dieses Medium benutzt habe.« »Als Raumschiff?« erkundigte sich Goman‐Largo befremdet. Anima seufzte. »Jetzt habe ich es doch verraten. Das wollte ich eigentlich nicht, denn es klingt ziemlich unglaubwürdig.« »Allerdings«, warf Neithadl‐Off ein. »So ungeschickt solltest du nicht lügen.« »Anima hat nicht gelogen«, stellte Goman‐Largo fest. Er wandte sich an die Hominidin. »Sei mir bitte nicht böse, wenn ich deine subatomaren Strukturen mit Hilfe einiger Module abtastete. Ich tue so etwas normalerweise nicht, aber deine Behauptung hatte mich so neugierig gemacht, daß ich der Versuchung nicht widerstehen konnte.« Er wandte sich wieder der Vigpanderin zu. »Animas subatomare Zellstrukturen sind ungenauer variabel – und sie waren einst noch viel variabler. Ich halte es durchaus für möglich, daß sie früher ein Raumschiff aus sich bilden konnte.« »Oh!« machte Neithadl‐Off. »Nun, ja, die Wahrheit klingt ja oft unglaublicher als die Lüge.« »Bleiben wir beim Thema«, sagte der Modulmann. »Auch ich kann den Phylosern wahrscheinlich bei ihren Forschungen nach einem Hyperantrieb behilflich sein. Natürlich könnte ich ein solches Aggregat nicht allein entwickeln, dazu bin ich nicht genügend spezialisiert, aber falls brauchbare Anhaltspunkte vorhanden sind, sollten wir die Sache schon beschleunigen können.« »Wir müssen uns mit Enerschi‐Upp in …«, sagte Anima und unterbrach sich, als das bisherige monotone Brummen und Grummeln der Schiffskraftwerke von einem mahlenden Geräusch übertönt wurde, das von Sekunde zu Sekunde anschwoll. »Was ist das?« pfiff Neithadl‐Off. »Da geht ein Reaktor durch, oder?« Goman‐Largo schloß die Augen. Sein Gesicht verriet, daß er sich voll auf etwas konzentrierte.
Langsam spreizte er die Finger. »Sie haben es tatsächlich gewagt!« flüsterte er, während das mahlende Geräusch sich veränderte und sich bald darauf wie der klagende Schrei eines Giganten aus der Tiefe einer Gruft heraus anhörte. »Sie haben einen asymptotischen Antrieb ohne steuernden Nukleus! Diese Narren ahnen offensichtlich nicht, daß sie damit die Raumstruktur so stark erschüttern, daß unter Umständen Himmelskörper aus ihren Bahnen geworfen werden!« Das eigenartige Geräusch ähnelte inzwischen dem gellenden Todesschrei gequälter Kreaturen. Dazu kam, daß die Wände und die Einrichtungsgegenstände der Kabine plötzlich aussahen, als befänden sie sich hinter leicht bewegtem Wasser. Außerdem verfärbten sie sich zu einem einheitlichen, verwaschenen Grau. Der Modulmann öffnete die Augen wieder. Sein Gesicht hatte sich mit Schweiß bedeckt. Auch sein Lockenhaar war schweißverklebt. »Sie haben keine ausreichende Abschirmung!« stieß er hervor. »Dadurch besteht die Gefahr, daß die Wirkung auf das Schiff zurückschlägt! Angefangen hat es schon. Ich muß Enerschi‐Upp warnen.« Neithadl‐Off sah, wie er losstürmte und dann stehenblieb und sich suchend drehte. Da erst fiel ihr auf, daß auch die Konturen der Wände, des Schottes, des Bodens und der Decke ineinander geflossen und dadurch unkenntlich geworden waren. Während sie noch überlegte, ob es sich dabei um einen rein optischen Effekt handelte, lief Goman‐Largo erneut los, auf eine Wand zu – und durch sie hindurch. Sie schrie, aber sie hörte sich selbst nicht. Dann wurde es dunkel – und sie hatte das Gefühl, weiter und weiter in einen dunklen Schacht zu fallen, der so unendlich war wie Raum und Zeit … 7.
Mehrere Stimmen unterhielten sich miteinander. Aber Neithadl‐Off konnte kein Wort verstehen, obwohl sie sich anstrengte. Es war immer noch dunkel, aber sie hatte nicht mehr das Gefühl des Fallens. Sie fühlte im Grunde genommen überhaupt nichts – außer einer schrecklichen Leere und Einsamkeit. Vielleicht hörte sie die Stimmen gar nicht akustisch, sondern sie waren reine Gedanken, die miteinander, kommunizierten. Sie dachte darüber nach, ob sie tot sei und sich dort befand, wo es nur Gedanken gab, was bedeuten würde, daß auch sie nur noch aus der Summe ihrer Gedanken bestand. Als die Stimmen schlagartig verstummten, war es Neithadl‐Off, als hätte ihr seltsames Erlebnis eine halbe Ewigkeit gedauert. Aber sie wußte gleichzeitig genau, daß sie sich das nur einbildete. Etwas polterte, dann schrie jemand. Getrampel entfernte sich. Neithadl‐Off seufzte und schlug die Augen auf. Es war schön, wieder den eigenen Körper zu fühlen und mit den eigenen Sensoren zu sehen, zu hören und zu empfinden. »Na, endlich!« sagte jemand. Animas Gesicht tauchte in ihrem Blickfeld auf. »Wie fühlst du dich?« fragte die Hominidin. »Gut«, antwortete Neithadl‐Off und blieb still liegen, da sie kein Bedürfnis verspürte, aufzustehen und irgend etwas zu tun. »Reiß dich zusammen!« sagte Anima unwillig. »Tanc‐Foll hat offenbar die Nebenwirkungen des Experiments ausgenutzt, um aus seiner Arrestzelle auszubrechen und seine Anhänger zu einer Meuterei anzustiften. Vorhin wurde im Schiff heftig gekämpft. Dann tauchten mehrere Schwerbewaffnete auf und wollten uns gewaltsam aus der Kabine holen. Es gelang mir, sie zu vertreiben. Aber sie werden bestimmt andere Maßnahmen gegen uns ergreifen.« Neithadl‐Off stöhnte vor Anstrengung, als sie gegen ihre Lethargie ankämpfte und versuchte, sich auf die Gliedmaßen zu stellen. Dann
zitterte sie am ganzen Körper, wie immer, wenn sie ihre Lethargie nach einer Ohnmacht oder nach einem besonders tiefen Schlaf durch Aufheizung ihrer physischen Funktionen abbaute. Dieses Mal spürte sie zu ihrer Verwunderung, daß ihr Metabolismus sich viel schneller normalisierte als sonst. Es war, als hätte sie eine stimulierende Droge injiziert bekommen. »Tut es gilt?« fragte Anima. »Was?« fragte die Parazeit‐Historikerin zurück, dann fiel es ihr wie Staub von den Sensoren. »Ach, du bist das? Wie machst du das denn?« »Ich denke einfach daran«, antwortete die Hominidin. »Und wenn meine Motivation stark genug ist, dann funktioniert es.« Ächzend stellte Neitahadl‐Off sich auf die Gliedmaßen, dann sah sie sich suchend um. Die Wände der Kabine und alles andere hatten sich wieder normalisiert. Aber der Modulmann war nirgends zu sehen. »Wo ist er?« fragte sie. »Ich weiß es nicht«, antwortete Anima. »Ich habe versucht, ihn über Funk zu erreichen, aber er hat sich nicht gemeldet.« Neithadl‐Off fühlte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Sie hatte Angst um Goman‐Largo. »Vielleicht sieht er sich den Hyperantrieb an«, meinte sie. »Er hatte irgend etwas festgestellt, wahrscheinlich mit Hilfe seiner Module.« »Ja, er sagte, die Phyloser hätten einen asymptotischen Antrieb ohne steuernden Nukleus«, erwiderte Anima. »Mit diesen technischen Dingen kenne ich mich nicht so gut aus, aber ich weiß, daß die Benutzung des Hyperraums ohne ausreichende Abschirmung katastrophale Folgen haben kann. Goman‐Largo wollte anscheinend zu Enerschi‐Upp, um sie zu warnen, weil er das festgestellt hatte. Aber was meinst du mit Modulen?« Die Vigpanderin erklärte es ihr. Dabei bemerkte sie, daß Anima statt der Strahlwaffe, die die Phyloser ihr abgenommen hatten, eine der klobigen Rak‐Automatiken im Gürtelhalfter trug, wie sie sie bei
den Soldaten gesehen hatte. »Wo hast du die Waffe her?« fragte sie erstaunt. »Und wie hast du mehrere Schwerbewaffnete vertreiben können?« »Mit derselben Fähigkeit, mit der ich deinen Reaktivierungsprozeß beschleunigt habe«, antwortete die Hominidin. »Sie kann nämlich nicht nur positiv, sondern auch negativ eingesetzt werden.« »Wie fast alles«, stellte Neithadl‐Off nachdenklich fest. Sie schaltete ihr Funkgerät ein und rief nach Goman‐Largo. Doch auch diesmal meldete sich der Modulmann nicht. »Wahrscheinlich ist er in Schwierigkeiten und braucht Hilfe«, erklärte sie. »Mit deiner Waffe und unseren Fähigkeiten sollte es uns gelingen, uns bis zu ihm durchzuschlagen.« »Mit unseren Fähigkeiten?« erkundigte sich Anima verwundert. »Du kennst natürlich deine Fähigkeiten besser als ich«, erklärte die Parazeit‐Historikerin. »Aber wenn du damit mehrere Schwerbewaffnete in die Flucht schlagen konntest, eignen sie sich auch zum Angriff. Und was meine Fähigkeit betrifft, so besteht sie darin, daß ich willentlich eine Ausschüttung von Pheromonen bewirken kann, die bei andersartigen Lebewesen zu unterschiedlichen Zuständen geistiger Verwirrung führen können. Es ist nicht ungefährlich, deshalb setze ich diese Fähigkeit selten ein. Aber da sich Goman‐Largo in Lebensgefahr befindet …« »Pheromone?« echote Anima. Plötzlich lachte sie glockenhell. Aber sie wurde schnell wieder ernst. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich will dich nicht kränken. Aber als ich mir vorstellte, wie du Sexuallockstoffe versprühst und wie daraufhin von allen Seiten männliche Vertreter deiner Art angetrippelt kommen …!« »Männliche Vertreter meiner Art?« echote Neithadl‐Off grüblerisch. »Du bist doch weiblich«, meinte Anima. »Dann muß es ja auch männliche Xissaniten geben.« »Xissaniten?« fragte Neithadl‐Off. »Ich stamme von Vigpander, bin also eine Vigpanderin. Wo hast du den Ausdruck Xissaniten nur
her? Mir ist, als hätte ich ihn schon einmal gehört.« »Du hast ihn selbst benutzt, als Enerschi‐Upp dich nach deiner Herkunft fragte«, erklärte Anima. »Sie sagte es Goman‐Largo und mir. Aber anscheinend vergißt du sehr schnell, was du gesagt hast. Woran mag das nur liegen? Vielleicht daran, daß du Wahrheit und Lüge wahllos vermischt und dann nicht mehr auseinanderhalten kannst?« »Oh, nein!« widersprach Neithadl‐Off heftig. »Das kann ich sehr gut. Manche Sachen kann ich mir nur einfach nicht merken. Irgendwann muß jemand mein Gedächtnis bearbeitet haben, um einen Teil meiner Erinnerungen zu löschen. Davon ist wahrscheinlich etwas zurückgeblieben, das manche Sachen durchfallen läßt wie durch ein Sieb. Die Nebenwirkungen dieses asymptotischen Antriebs müssen zusätzlich ein paar Erinnerungen gelöscht haben. Ich habe gemerkt, daß es neue Lücken gibt.« »Also deshalb wußtest du vorhin nichts mehr von meiner Fähigkeit«, meinte die Hominidin. »Und du kannst dich anscheinend auch nicht mehr daran erinnern, wie die männlichen Vertreter deiner Art aussehen.« »Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt welche gibt«, sagte die Parazeit‐Historikerin. »Deshalb kann ich auch nicht sagen, ob meine Pheromone Sexuallockstoffe sind oder ursprünglich einem ganz anderen Zweck dienten. Auf jeden Fall aber eignen sie sich als Waffe gegen fast alle andersartigen Lebewesen.« »Gut«, stellte Anima fest. »Versuchen wir also, uns zu Goman‐ Largo durchzuschlagen. Da er in die Steuerzentrale wollte, fangen wir am besten dort mit der Suche nach ihm an.« Sie überprüfte ihre Rak‐Automatik, und Neithadl‐Off nahm ihren Betäubungsnadler zur Hand, den die Phyloser ihr nicht abgenommen hatten, weil er im Aggregatpak verborgen gewesen war. Danach gingen die beiden unterschiedlichen Wesen zum Schott. Als es sich gerade vor ihnen öffnete, knackte es aus einer
Wandöffnung, und ein Phyloser sagte: »Achtung! Hier spricht Tanc‐Foll. Ich wende mich an die künstlichen Konstruktionen zweier Extraphyloser namens Anima und Neithadl‐Off. Die mir treu ergebenen Raumfahrer der Stammbesatzung haben die HORA MALA ORKA und die ULUTIS unter ihre Kontrolle gebracht. Enerschi‐Upp befindet sich mit dem größten Teil ihrer Meuterer in Gefangenschaft. Ich werde sie nackt aus dem Schiff stoßen lassen, wenn ihr euch nicht innerhalb einer halben Stunde ergebt. Werft eure Waffen weg, zieht euch nackt aus und stellt euch in den Korridor neben das Schott eurer Kabine, dann wird euch nichts geschehen!« »Zieht euch nackt aus!« echote Anima entrüstet. »Dieser Zwerg ist ein perverser Sadist! Ist dir aufgefallen, daß er dauernd das Wort ›nackt‹ im Munde führte?« »Wer nackt ist, ist wehrlos, denkt er«, erwiderte Neithadl‐Off. »Also tun wir ihm den vermeintlichen Gefallen. Ich nehme an, daß er persönlich erscheint, um uns aus dem Schiff zu stoßen. Etwas anderes hat er bestimmt nicht vor. Wir werden es ihm zeigen.« »Ich werde ihm nichts zeigen!« empörte sich Anima. »Hast du denn kein Schamgefühl?« »Ich verstehe nicht«, erwiderte Neithadl‐Off. »Schämst du dich nicht, wenn du nackt bist und andere Wesen sehen dich?« wurde Anima deutlicher. »Aber warum denn?« wunderte sich die Parazeit‐Historikerin. »Ich bin schön. Außerdem sieht man mich immer so, wie ich bin, denn mein Folienanzug ist transparent.« »Aber mein Raumanzug nicht«, entgegnete Anima. »Ich habe Hemmungen, verstehst du?« »Ich verstehe alles«, erklärte Neithadl‐Off. »Nur dachte ich, wir wollten Goman‐Largo helfen – und das können wir am besten, wenn wir die Meuterei auf der HORA MALA ORKA niederschlagen und vor allem Tanc‐Foll ausschalten. Du willst doch deinen Atlan wiedersehen, oder?«
Animas Gestalt straffte sich. »Ja, das will ich!« sagte sie mit grimmiger Entschlossenheit. Sie riß den Verschluß ihres Raumanzugs auf und begann, sich zu entkleiden. »Na, also!« bemerkte Neithadl‐Off und widmete sich der gleichen Tätigkeit. * »Hattest du eigentlich die Schiffsnamen verstanden?« erkundigte sich Anima, als sie mit Neidhadl‐Off nackt neben dem Schott ihrer Kabine wartete. »Ja«, erwiderte die Parazeit‐Historikerin. »Das Schiff, auf dem wir sind, ist die HORA MALA ORKA – und ihr Schwesterschiff heißt ULUTIS.« »Das habe ich auch mitbekommen«, erklärte Anima unwillig. »Ich meinte doch, wie sie übersetzt heißen.« »Das weiß ich auch nicht«, pfiff Neithadl‐Off. »Eigennamen werden von meinem Kombinationsgerät nicht übersetzt. Das würde in den meisten Fällen nur Verwirrung stiften. Aber ich kann es auffordern, eine Bedeutungsanalyse zu erstellen.« Sie hob das flache Gerät, das sie als einzigen nicht zu ihrem Körper gehörenden Gegenstand aus der Kabine mitgenommen hatte, vor ihre Mundleiste und blies die entsprechende Aufforderung in die Schlitze der linken Seite. Es dauerte nicht lange, da sagte das Gerät: »Analyse abgeschlossen. HORKA MALA ORKA bedeutet soviel wie KRONE DER SCHÖPFUNG und ULUTIS heißt EINSAMKEIT.« »KRONE DER SCHÖPFUNG!« echote Anima. »Anmaßender geht es nicht mehr!« »Ja«, meinte Neithadl‐Off. »Besser hieße es KRONE DER DUMMHEIT.«
Leise pfiff sie: »Achtung, eine Gruppe Phyloser kommt! Ich puste schon einmal eine Pheromonwolke ab.« »Oh!« flüsterte Anima und bedeckte ihre Blößen mit den Händen, so gut es ging. Sie fing an zu zittern, aber in ihre Augen trat das Glitzern kalter Wut. »Ja, die Krone der Dummheit habt ihr euch geleistet!« schrie die Stimme Tanc‐Folls triumphierend von der Einmündung eines Nebenkorridors her. Natürlich hatte er verstanden, was Anima und Neithadl‐Off gesagt hatten, da das Kombinationsgerät alles in alle erforderlichen Sprachen übersetzte. »Jetzt steht ihr nackt und waffenlos da, und diesmal kann mich niemand und nichts daran hindern, euch in die nächste Schleusenkammer zu stecken und das Außenschott zu öffnen.« Er tauchte in der Einmündung auf, grinste und winkte dann nach hinten. »Packt sie!« befahl er. Eine Meute uniformierter und bewaffneter Phyloser stürmte an ihm vorbei und stürzte sich auf Anima und Neithadl‐Off. Sie warfen die Hominidin auf den Boden und schleiften sie davon – und zwei dieser Kerle sprangen auf Neithadl‐Offs Rücken und nutzten den starken Federungseffekt des mattenförmigen Rumpfes aus, um sich bis an die Decke schleudern zu lassen. Sie schafften es nur zweimal. Beim erstenmal hielt die Vigpanderin sich zurück, aber beim zweitenmal verstärkte sie den Federungseffekt willentlich. Es knallte hohl, als die Schädel der Zwerge gegen die Decke prallten, dann stürzten die Burschen herab und blieben bewußtlos liegen. Die übrigen Phyloser hatten ebenfalls nur kurzen Spaß an der Sache. Sie schienen Anima und Neithadl‐Off mit einemmal nicht mehr wahrzunehmen. Statt dessen sahen sie in ihren jeweiligen Artgenossen offenbar feindliche Kreaturen, denn sie fielen übereinander her und bearbeiteten sich ziemlich barbarisch mit Fäusten und Füßen. Glücklicherweise hatten sie ihre Waffen fallen
gelassen, so daß sie sich nicht ernsthaft verletzen konnten. Doch diese Phase ihrer geistigen Verwirrung hielt nicht lange an. Sie beendeten die Prügelei so abrupt, wie sie sie angefangen hatten, standen eine Weile reglos da und reagierten danach individuell auf die Pheromone. Manche setzten sich auf den Boden und weinten, andere zogen Schuhe und Socken aus und spielten damit. Es gab auch Zwerge, die plötzlich auf allen Vieren herumrannten und solche, die mit den Fingernägeln Löcher in die Wände zu kratzen versuchten. Tanc‐Foll reagierte besonders originell. Er stellte sich mit dem Gesicht ganz dicht zur Wand und spie dann kraftvoll dagegen, immer und immer wieder. »Eigentlich genügt diese Wirkung schon!« rief Neithadl‐Off amüsiert. »Was meinst du, Anima?« Sie blickte sich verwundert zu der Hominidin um, als sie keine Antwort bekam – und die Sensorstäbchen fielen ihr fast aus ihrer vorderen Schmalseite, als sie an Stelle der Hominidin ein Exemplar ihrer eigenen Art entdeckte. Es unterschied sich nur insofern von ihr, als seine Rumpfoberseite mit fingerlangen dünnen schwarzen Borsten bewachsen war. »Wer bist du?« pfiff die Parazeit‐Historikerin. »Doch nicht etwa eine männliche Vigpanderin?« Ihr Gegenüber wippte auf allen sechs Gliedmaßen vor und zurück, dann verschwanden die Haare von seinem Rücken, die vier hinteren Gliedmaßen wurden kürzer und dicker und die Sensorstäbchen verwandelten sich in klebrige schwarze Tentakel. »Ich bin Anihadl‐Off!« pfiff das Wesen, dann brach es zusammen. »Bei allen Zeitgrüften!« wisperte Neithadl‐Off entsetzt. »Wie konnte ich nur vergessen, daß meine Pheromone auch auf dich wirken mußten – und wenn sie sich im ganzen Schiff ausbreiten, werden alle Phyloser davon betroffen und mein Modulmann womöglich auch! Was mache ich denn jetzt bloß?« Durch das offene Kabinenschott hörte sie das Funkgerät in ihrem
Schutzanzug pfeifen. Sie trippelte in die Kabine und sprach in die Einschlupföffnung, an der sich das Gerät befand. »Neithadl‐Off! Wer ruft?« »Hier ist Goman‐Largo«, vernahm sie die Stimme des Modulmanns und wurde ganz schwach. »Weißt du, was mit den Phylosern ist, Prinzessin? Bis vor kurzem hielten sie mich noch mit ihren Waffen in Schach, dann ließen sie die Waffen fallen, trieben allerlei Unfug und zerstreuten sich.« »Das war mein Werk«, antwortete die Vigpanderin. »Aber bevor ich weiterspreche, solltest du deinen Raumanzug schließen.« »Schongeschehen«, erklärte Goman‐Largo. »Eines meiner Module meldete das Nahen einer übelriechenden Wolke, eine Art stinkender Körperausdünstungen. Ich machte daraufhin die Schotte dicht, um der Geruchsbelästigung zu entgehen. Aber Moment mal! Was weißt denn du darüber?« »Nichts, gar nichts!« pfiff Neithadl‐Off kläglich. »Ich weiß überhaupt nichts davon.« »Ja, aber warum sagtest du mir dann, ich solle meinen Raumanzug schließen?« erkundigte sich Goman‐Largo verwundert. »Oh, ja! Ach, einfach nur vorsichtshalber«, antwortete die Parazeit‐ Historikerin. »Es muß eine Ahnung kommenden Unheils gewesen sein. Ja, so war es.« Übelriechende Wolke! dachte sie immerzu niedergeschlagen und zutiefst gedemütigt. Stinkende Körperausdünstungen! Geruchsbelästigung! Meine Pheromone! »Hm!« machte Goman‐Largo. »Du reagierst, als hättest du etwas angestellt und bist so durcheinander, daß du nicht einmal überzeugend lügst. Ist Anima bei dir?« »Ja, Anima … äh, Anima ist bei mir«, stotterte Neithadl‐Off verlegen. Jemand stöhnte laut und furchterregend im Korridor. Als die Vigpanderin nachsah, erblickte sie die Hominidin wieder in ihrer vorherigen Gestalt. Sie lehnte an der Wand, hielt die Arme
um sich selbst geschlungen und atmete schwer. »Anima!« rief die Parazeit‐Historikerin. »Kann ich dir helfen?« Die Hominidin ächzte, dann sah sie Neithadl‐Off an. »Nein, danke, es geht schon wieder«, antwortete sie und fröstelte. »Es war nur anstrengend, mich von einer so ausgefallenen Form zurückzuverwandeln. Außerdem mußte ich die Giftstoffe wieder aus meinen Zellen entfernen.« »Giftstoffe?« echote Neithadl‐Off. »Die Pheromone«, erklärte Anima. »Oh!« Neithadl‐Off zuckte zusammen. »Niemals wieder setze ich diese Waffe ein!« schwor sie, dann kehrte sie in die Kabine zurück, weil sie Goman‐Largos ungehaltenes Rufen aus ihrem Funkgerät hörte. »Ja, ich bin schon wieder da!« pfiff sie. »Was heißt ›schon wieder da‹?« fragte Goman‐Largo verärgert. »Ich denke, du hast dein Funkgerät immer bei dir.« »Nicht, wenn ich nackt bin«, erklärte Neithadl‐Off. »Nicht, wenn du nackt bist«, wiederholte der Modulmann mechanisch, dann erst schien er die Bedeutung der Worte erfaßt zu haben. »Aber warum bist du nackt, Prinzessin?« »Tanc‐Foll wollte es so«, verteidigte sich die Parazeit‐Historikerin. Sie bemerkte die Zweideutigkeit ihrer Aussage erst, als Goman‐ Largo seltsam steif sagte: »Natürlich, wenn Tanc‐Foll es so wollte …« Anima lachte neben Neithadl‐Off und rief: »Du bist ein Dummkopf, Modulmann! Es war eine List von Neithadl‐Off und mir. Wir sind zum Schein auf Tanc‐Folls Bedingungen eingegangen, um ihn anzulocken – und dann hat Neithadl‐Off ihn und seine Getreuen mit ihren Pheromonen unschädlich gemacht.« »Mit ihren Pheromonen«, wiederholte Goman‐Largo betroffen. »Jetzt begreife ich alles. Es tut mir leid, Prinzessin, wenn ich dich gekränkt haben sollte.« »Ihr redet und redet!« erregte sich Anima. »Dabei wissen wir
nicht, wie lange die Wirkung der Pheromone anhält. Wir sollten alle Waffen verstecken oder aus dem Schiff werfen und die Meuterer irgendwo einsperren, solange die Gelegenheit dazu günstig ist.« »Du hast recht«, erwiderte Goman‐Largo. »Fangen wir an!« 8. »Es tut mir leid, daß ich euch ursprünglich mißtraute und daß ihr dadurch in Gefahr gerietet«, sagte Enerschi‐Upp. Sie war mit Neithadl‐Off, Goman‐Largo und Anima in der Zentrale der HORKA MALA ORKA zusammengetroffen, nachdem die Wirkung der Pheromone abgeklungen war und Tanc‐Foll mitsamt seinen Meuterern festgesetzt worden war. Beide Raumschiffe der Phyloser befanden sich nach dem Hyperraummanöver nur noch wenige Lichtminuten vor Phylos, dem dritten Planeten der weißgelben Sonne Ubnil und der Heimatwelt der Phyloser. »Vergessen wir das!« erklärte Goman‐Largo. »Wichtig ist jetzt nur, daß ihr keine neuen Experimente mit eurem unausgereiftem Hyperantrieb durchführt. Ihr hattet Glück, daß ihr mit den bisherigen Experimenten nicht die Planetenbahnen eures Heimatsystems durcheinanderbrachtet.« »Deshalb waren wir ja für das erste Experiment an die Peripherie des Universums geflogen«, erwiderte die Hyperphysikerin. »Wir konnten praktisch nur einen Meteoritenstrom gefährden. Daß wir uns mit den beiden Schiffen und den Meteoriten dabei ins Ubnil‐ System katapultierten, lag an einer plötzlich entstehenden fünfdimensionalen Aufrißfront und an der ungeheuren Masse des Gasriesen Ebora.« »Was?« rief Neithadl‐Off. »Dann habt ihr also das Raumbeben verursacht, das unsere Schiffswracks in Trümmerhaufen verwandelte und uns in eine Kreisbahn um Ebora verschlug! Und
wir hielten es für einen Ausbruch von Naturgewalten.« »Es tut mir leid«, sagte Enerschi‐Upp. »Wenn wir können, werden wir euch den angerichteten Schaden ersetzen.« »Darüber ließe sich reden«, erklärte Goman‐Largo. »Wir brauchen ein Schiff mit Hyperantrieb, und ihr braucht einen gefahrlos funktionierenden Hyperantrieb. Wenn wir euch dazu verhelfen, fordern wir als Gegenleistung dafür und als Schadensersatz ein kleines Raumschiff.« »Ihr könntet unseren Hyperantrieb tatsächlich verbessern?« fragte Enerschi‐Upp aufgeregt. »Zumindest auf dem Papier«, antwortete der Modulmann. »Ob sich diese Verbesserungen in die Praxis umsetzen lassen, wird davon abhängen, wie leistungsfähig die Industrie eures Planeten ist, denn die notwendigen Aggregate können nicht von Hand gebaut werden.« »Das sehe ich ein«, erwiderte Enerschi‐Upp. »Sobald Brusch‐ Onoton seine Zustimmung gegeben hat, werden wir landen. Dann besichtige ich mit euch die Produktionsstätte für den bisherigen Hyperantrieb.« »Gut«, sagte Goman‐Largo. »Ich hoffe, daß ihr einen Teilchenbeschleuniger habt, mit dem man Materie so zertrümmern kann, daß aus der Verschmelzung der subatomaren Trümmer ein mikroskopisch kleines Schwarzes Loch entsteht, das dann als Nukleus, also als Kern, eures asymptotischen Hyperantriebs verwendet werden kann.« Enerschi‐Upp blickte ihn verständnislos an. »Einen Teilchenbeschleuniger haben wir«, erklärte sie. »Er steht auf Niarmena, dem kleineren der beiden Monde von Phylos. Aber von einem Schwarzen Loch habe ich noch nie etwas gehört. Was soll das sein?« »Wie kann man so etwas nur nicht wissen?« rief Neithadl‐Off. »Ich fange an, zu verstehen«, sagte Goman‐Largo. »Von den Planeten der fünf Sonnen aus konnten niemals Schwarze Löcher im
All beobachtet werden, weil alle echten Galaxien und damit auch Sterne aller Generationen so weit entfernt sind, daß sie mit den hiesigen astronomischen Mitteln nicht in Einzelobjekte aufgelöst werden können.« Er wandte sich an die Hyperphysikerin. »Ein Schwarzes Loch ist eine kollabierte Sonne im Endstadium ihrer Existenz, deren Masse so groß ist, daß sie nach dem völligen Zusammenbruch eine so gewaltige Schwerkraft * auf so kleinem Raum erzeugt, daß nichts mehr diesen Ort verlassen kann, nicht einmal das Licht.« »Aber dann wäre das Schwarze Loch doch unsichtbar!« rief Enerschi‐Upp. »Genauso ist es«, bestätigte Goman‐Largo. »Aber man kann es dennoch beobachten, nämlich anhand der Raum‐Zeit‐Krümmung, die es verursacht – oder wenn es sich um die eine Komponente eines Doppelsternsystems handelt, das Materie von der anderen Komponente absaugt.« »Das alles gibt es!« rief Enerschi‐Upp verzückt. »Das ist ja phantastisch!« »Hm!« machte Goman‐Largo nachdenklich. »Für uns war das immer selbstverständlich. Aber jedenfalls wissen wir jetzt, warum ihr Phyloser gar nicht in der Lage wart, euch einen asymptotischen Antrieb mit Nukleus auszudenken.« Von irgendwo kam ein Klingelzeichen, dann rief eine Phyloserin vom großen Funkgerät her: »Ich habe Verbindung mit der FESTUNG, Kommandantin!« Enerschi‐Upp erhob sich. »Entschuldigt, bitte!« sagte sie zu ihren drei Gästen. »Ich will versuchen, Brusch‐Onoton zu sprechen und seine Erlaubnis zu erwirken, mit euch an Bord zu landen.« Sie eilte zum Funkgerät, streifte sich dort aber eine Kombination aus Kopfhörern und Mikrophon über, so daß die drei Gefährten nicht mithören konnten.
»Ich weiß gar nicht, warum sie so geheimnisvoll tut«, meinte Anima. »Und warum sie erst eine Erlaubnis einholen muß, damit sie mit uns auf Phylos landen darf«, ergänzte Neithadl‐Off. »Das ist doch eigentlich verständlich«, erklärte der Modulmann. »Unser Auftauchen verändert das Weltbild der Phyloser so radikal, daß dadurch die Stabilität ihrer ganzen bisherigen Ordnung gefährdet wird. Das kann Enerschi‐Upp natürlich nicht allein verantworten.« Die Hyperphysikerin kehrte zurück. Ihr Gesicht war gerötet, und auf ihrer Stirn glänzte Schweiß. Aber sie lächelte erleichtert. »Geschafft!« teilte sie mit. »Brusch‐Onoton hat die Landung erlaubt. Er wird vorbeugend den Raumhafen von Truppen absperren lassen und uns direkt in die FESTUNG holen.« »Die FESTUNG?« echote Goman‐Largo, die besondere Bedeutung des Substantivs nachahmend. »Was ist das?« »Der traditionelle Amtssitz des Imperators«, antwortete die Hyperphysikerin. »Es handelt sich um eine FESTUNG der Superlative. Sie ist absolut uneinnehmbar.« »Wozu braucht man eine uneinnehmbare FESTUNG, wenn es im .ganzen Universumʹ nur die eigene Zivilisation gibt?« spöttelte Anima. »Wir haben auf sieben der insgesamt dreißig Planeten starke Kolonien«, erklärte Enerschi‐Upp. »Mit einer von ihnen befinden wir uns ständig im Krieg – und alle Feinde haben bisher immer versucht, die FESTUNG zu erobern und den Imperator gefangenzunehmen. Deshalb wurde sie so stark ausgebaut.« »Ist so etwas möglich!« pfiff Neithadl‐Off befremdet. »Krieg innerhalb eines einzigen Volkes!« Enerschi‐Upp zuckte die Schultern, sagte aber nichts dazu. Eine Weile schwiegen auch Goman‐Largo, Anima und Neithadl‐ Off. Die HORKA MALA ORKA glitt unterdessen näher an Phylos heran. Bald war der Planet als graugrün, weiß und blau gemusterte
Kugel zu erkennen, die sich langsam drehte. Noch näher aber war ein Mond mit kraterübersäter, wüstenhafter Oberfläche. »Ist das Niarmena?« erkundigte sich Anima. »Nein, es ist Preet, der andere, etwas größere Mond. Niarmena befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite des Planeten. Gleich wird die FESTUNG in Sicht kommen.« »Aber Phylos ist doch noch zu weit entfernt, als daß wir ein Bauwerk mit bloßem Auge sehen könnten«, meinte Goman‐Largo. »Phylos?« entgegnete Enerschi‐Upp. »Oh, das ist wohl ein Mißverständnis. Wir landen nicht auf Phylos, sondern auf Preet, denn dort steht die FESTUNG.« »Auf Preet!« echote Goman‐Largo nachdenklich. Er musterte die Bildschirm‐Abbildung des Mondes genauer. Bald wurde erkennbar, daß das Schiff in einen Orbit um Preet einschwenkte. Als das Abbild des Mondes in den Steuerbord‐ Bildschirm gewandert war, kam am Horizont ziemlich schnell ein gigantisches Bauwerk zum Vorschein. Sogar Neithadl‐Off, die schon viele riesige Bauwerke gesehen hatte, war beeindruckt. Die FESTUNG besaß den Grundriß eines fünfzakkigen Sterns und durchmaß insgesamt mindestens achtzig Kilometer. Ihre stählernen Mauern ragten um die hundert Meter hoch aus einer von Trichtern zerwühlten Sand‐ und Schuttebene, in der über mehr als tausend Kilometer verstreut die Trümmer und Wracks von mittleren und kleinen Raumschiffen lagen. »Eine stagnierende Zivilisation«, pfiff die Parazeit‐Historikerin in die Aufzeichnungsseite ihres Kombigeräts, das sie dazu wie üblich zwischen den mehrfach geknickten Vordergliedmaßen hielt und vor der Mundleiste hin und her bewegte. »Auf einer primitiven Entwicklungsstufe stehengeblieben infolge eines starren und völlig falschen Weltbildes. Die daraus resultierende, dominierende Philosophie führte dazu, daß die weitere quantitative Entwicklung trotz Kolonisierung von Planeten anderer Sonnen keinen neuen Qualitätssprung zustande brachte. Eine Folge davon ist eine
übersteigerte Aggressivität der Phyloser, die sich in Selbstzerfleischung und Bruderkriegen äußert. Extraphylosische Intelligenzen, die an eine solche Zivilisation geraten, sind stets extrem gefährdet und können überdies zum Zünder werden, der den aufgestauten Sprengstoff mit ungeheurer Gewalt explodieren läßt.« »Wie kannst du so etwas behaupten?« fragte Anima. »Du kennst doch so gut wie nichts von der phylosischen Zivilisation.« »Erfahrung«, erklärte die Vigpanderin. »Außerdem habe ich nur eine vorläufige Analyse erstellt, die ich später mit den Tatsachen vergleichen möchte, um festzustellen, wie gut oder wie schlecht meine Analyse war.« »Mich hat sie auf jeden Fall erschreckt«, meinte Enerschi‐Upp. »Mich auch«, stellte Goman‐Largo fest. »Aber aus einem anderen Grund. Ich fühle mich nämlich gar nicht wohl, wenn ich extrem gefährdet bin.« »In der FESTUNG werdet ihr sicher sein«, versuchte die Phyloserin ihn zu beruhigen. »Aber es wird Zeit, das Beiboot zu besteigen, das uns zu Preet hinunterbringt.« Das Beiboot war ein metallener Kasten mit einem Packen chemischer Triebwerke und einem Treibstofftank an der Unterseite. Es landete in einer Wolke aus Staub, Rauch und Sand auf sechs weitgespreizten Landestützen mit ovalen Tellern im exakten Mittelpunkt der FESTUNG, wo sich der Raumhafen befand. Neithadl‐Off blickte durch ein schmales Panzerglasfenster hinaus. Sie sah eine kreisrunde Fläche von etwa fünfhundert Metern Durchmesser, die anscheinend niemals befestigt gewesen war – wahrscheinlich, weil die Triebwerksstrahlen startender und landender Raumschiffe jede Befestigung innerhalb weniger Jahre zertrümmert hätten. Hinter dem Platz lag der – ebenfalls kreisrunde – Innenrand der FESTUNG, zirka hundert Meter hohe Wände aus massivem Stahl, in denen hier und dort rechteckige Öffnungen klafften. Aus diesen
Öffnungen schoben sich zahlreiche Fahrzeuge heraus: schildbuckelähnliche Formen mit breiten Gleisketten und geladenen Raketenlaffetten an den Längsseiten. Die Parazeit‐Historikerin zählte und kam auf vierzig. »Eine beachtliche Streitmacht, um drei Extraphyloser abzuschirmen«, bemerkte sie. »Ein bißchen Repräsentation ist wohl auch dabei«, sagte Enerschi‐ Upp verlegen. Die Mondpanzer rollten bis nahe an das Beiboot heran und bildeten einen mehrfach gestaffelten Ring. Als sich eines der Fahrzeuge drehte und die Heckklappe öffnete, meinte die Hyperphysikerin: »Schließen wir die Raumanzüge! Dort sollen wir einsteigen.« Sie hatte ebenfalls einen Raumanzug übergezogen, im Vergleich zu den Anzügen der drei Extraphyloser ein plumpes und schweres Ding mit Druckluftflaschen statt Recycling‐Aggregat und nicht einmal mit dem primitivsten Fluggerät ausgestattet. Anima und Goman‐Largo nahmen je eine Hand von ihr und verließen nach dem Ausschleusungsvorgang das Boot. Als sie über die Fläche zum wartenden Fahrzeug gingen, sahen sie aus wie Vater und Mutter mit ihrem eben erst schulpflichtig gewordenen Kind. Neithadl‐Off trippelte hinterher. Als sie eingestiegen waren, schloß sich die Heckklappe, und das Fahrzeug setzte sich schaukelnd in Bewegung. Durch verglaste Schlitze an den Seitenwänden vermochte Neithadl‐Off zu sehen, wie auch die anderen Panzer anrollten und ihr Fahrzeug eskortierten. Als es durch eines der großen Tore in die FESTUNG einfuhr, strahlten links und rechts starke Scheinwerfer auf. Es ging eine breite Betonstraße entlang und danach in eine Schleusenkammer hinein. Dort hielt das Fahrzeug an. »Aussteigen!« befahl eine Stimme aus einem Lautsprecher an der vorderen Rückwand. Gleichzeitig öffnete sich wieder die Heckklappe.
»Das klang ziemlich unfreundlich«, bemerkte Anima. »Soldaten«, erklärte Enerschi‐Upp vielsagend. Sie befolgten den Befehl. Draußen wurden sie von zehn Soldaten in schweren Raumanzügen empfangen und ziemlich grob zur Frontseite des Fahrzeugs geschoben. Die Mündungen von Rak‐ Automatiken deuteten dabei auf ihre Rücken. Zum Erstaunen der drei Gefährten wurde die Hyperphysikerin nicht besser behandelt als sie. Das Außenschott der Schleusenkammer glitt zu, und als der Raum sich mit Luft gefüllt hatte, öffnete sich das Innenschott. Die Soldaten trieben ihre Gefangenen hindurch und in eine in sich geschlossene Welt voller Korridore, Kraftwerke, Kontrollräume, Wohnquartiere und andere Räumlichkeiten hinein. Nach ungefähr einer halben Stunde mußten sie einen Fahrstuhl betreten und fuhren in der engen Kabine zirka zweihundert Meter tiefer. Dort ging es erneut durch Korridore. Dann hielten sie vor einem silbrig schimmernden Panzerschott an, vor dem vier hominide Roboter mit Strahlwaffen in den stählernen Händen Wache hielten. Die Kampfmaschinen waren größer als Phyloser und wirkten für diese Zwerge bestimmt furchterregend. Auf Neithadl‐Off wirkten sie als Bestätigung einer düsteren Ahnung, die sie unbewußt schon längere Zeit geplagt hatte. Als sie die Roboter und vor allem deren Strahlwaffen sah, zog sie geistig eine Verbindungslinie davon zu dem Traktorstrahlprojektor und der künstlichen Schwerkraft der HORKA MALA ORKA und von dort zu dem Stützpunkt im Meteoritenschwarm, von dem die Phyloser offenbar nichts wußten und zu deren wissenschaftlich‐technischem Entwicklungsstand er auch nicht paßte. Ebensowenig wie Roboter und Strahlwaffen. Die Parazeit‐Historikerin wagte jedoch nicht, endgültige Schlüsse aus ihren Beobachtungen und Kombinationen zu ziehen. Sie hütete sich vor allem aber davor, auch nur eine einzige Bemerkung darüber zu machen.
Das Panzerschott klaffte in der Mitte auseinander, dann zogen sich die Hälften schnell und lautlos in die Seitenwände zurück. »Tretet näher!« sagte eine Stimme auf Phylosisch, aber mit einer Kälte, daß Neithadl‐Offs Körperoberfläche heiß und trocken wurde. Sie gehorchten. Und kamen in einen halbkreisförmigen Saal, in dessen Rückwand sich drei rechteckige Schotte befanden. Davor »spannte« sich ein vor Lichtern und Leuchtflächen funkelnder und gleißender Kontrolltisch von einer Seitenwand zur anderen – und dahinter hockte ein fast unglaublich fetter Phyloser in einem offenbar schwebenden Schalensessel, der einem halbierten Riesenei glich. Als Enerschi‐Upp und ihre Gäste den Raum betreten hatten, schloß sich das Panzerschott wieder. Erstaunt stellte Neithadl‐Off fest, daß ihnen weder die Soldaten noch die Roboter gefolgt waren. »Öffnet eure Raumanzüge!« befahl der Phyloser. »Und laßt eure Waffen stecken; sie funktionieren hier nicht!« Auch diesmal gehorchten sie. »Wo ist Brusch‐Onoton?« fragte Enerschi‐Upp, als sie ihren Druckhelm abgenommen hatte. Der fette Phyloser verzog keine Miene. »Du kennst meinen Namen?« fragte er die Hyperphysikerin. »Ja, du bist Krell‐Nepethet, der Erste Ratgeber des Imperators«, antwortete Enerschi‐Upp. »Mein Name ist Krell‐Nepethet, das stimmt«, erklärte der Phyloser. »Aber ich bin kein Ratgeber mehr, sondern der Imperator, denn ich habe Brusch‐Onoton seines Amtes enthoben und die Macht im Sternenimperium Phylos ergriffen.« »Warum?« fragte Enerschi‐Upp. »Das klang zweifelnd«, tadelte Krell‐Nepethet. »Und Zweifel dulde ich nicht. Ich habe die Macht – und ich habe das Recht. Du hättest diese Wesen niemals an Bord deines Schiffes nehmen dürfen, Enerschi‐Upp.« »Sie griffen uns an, deshalb nahm ich sie gefangen«, verteidigte
sich die Phyloserin. »Haben sie die HORKA MALA ORKA jemals in Gefahr gebracht?« erkundigte sich der Imperator von eigenen Gnaden. »Nein«, gestand Enerschi‐Upp trotzig. »Warum hast du dich dann überhaupt um sie gekümmert!« sagte Krell‐Nepethet scharf. »Sie wären längst tot, hättest du sie sich selbst überlassen.« Seine Augen glitzerten seltsam, als er die drei Gefährten einer genauen Musterung unterzog. »Ein wenig länger hätten sie wahrscheinlich doch gelebt«, meinte er anschließend. »Ihre Raumanzüge sind Produkte von ausgesprochenen Hochtechnologien. Aber ewig hätte das Recycling bei ihnen auch nicht funktioniert.« Er deutete auf Goman‐Largo. »Wer bist du, wie heißt du und woher stammst du?« »Ich bin ein Relikt aus ferner Vergangenheit«, antwortete der Modulmann. »Jemand hatte mich eine unbekannte, aber zweifellos sehr lange Zeitspanne in einem Stasisfeld gefangengehalten. Mein Name ist Goman‐Largo, und ich stamme aus dem Volk der Tigganois, wo immer das sein mag, denn es hat mich weit durch Raum und Zeit verschlagen, daß ich mich in keiner Weise mehr orientieren kann.« »Gut, gut!« sagte Krell‐Nepethet, dann deutete er auf Neithadl‐ Off. »Die gleichen Auskünfte bekomme ich von dir. Sprich!« »Ich bin die Prinzessin des Sternenreichs der Xissaniten«, log die Parazeit‐Historikerin. »Mein Vater ist der Kaiser der drei Gindaveld‐Galaxien. Er schickte mich hierher, damit ich diese fünf Sonnen mitsamt ihren Planeten erkunde und zu einer unserer kleinsten Provinzen mache.« »Was?« rief Enerschi‐Upp. »Mir hast du aber etwas anderes erzählt.« »Und du hast ihr geglaubt, Enerschi‐Upp«, sagte Krell‐Nepethet geringschätzig. »So, wie alle Phyloser nur zu bereitwillig alles glauben würden, was diese Wesen ihnen erzählten. Siehst du jetzt
ein, daß ich die Macht übernehmen mußte, um Schaden von eurem Volk abzuwenden?« »Jawohl, Imperator«, versicherte die Hyperphysikerin. »Dann wirst du auch einsehen, daß wir diese Wesen beseitigen müssen«, erklärte Krell‐Nepethet. »Nein!« schrie Enerschi‐Upp. »Sie können mir helfen, meinen Hyperantrieb zu verbessern. Er hat einige schwerwiegende Mängel, und allein schaffe ich es wahrscheinlich nicht, sie abzustellen.« »Du brauchst diese Wesen nicht«, entgegnete Krell‐Nepethet. »Denke an den Traktorstrahlprojektor, an die künstliche Schwerkraft auf euren Raumschiffen, an meine Roboter und an ihre Strahlwaffen – und dann frage dich, wer das alles erfunden hat!« Enerschi‐Upp sah ihn eine Weile lang mit immer größer werdenden Augen an, dann flüsterte sie: »Du?« »Natürlich ich«, bekräftigte Krell‐Nepethet. »Warum, hattest du gedacht, war ich Erster Ratgeber aller vier letzten Imperatoren? Sie alle schätzten nicht nur meinen Rat, sondern auch mein Wissen und Können – und ich entwickelte solche Dinge wie den Traktorstrahlprojektor, den Schwerkrafterzeuger, die positronischen Systeme, ohne die keine echten Roboter denkbar wären und Strahlwaffen, die handlich und zugleich viel stärker sind als eure Schiffslaser. Ich werde dir auch bei der Verbesserung deines Hypertriebwerks helfen, wenn ich erkenne, daß du mir treu ergeben bist.« »Womit kann ich dir meine Ergebenheit beweisen?« erkundigte sich die Hyperphysikerin. »Ich werde es dir schon bald sagen«, erwiderte Krell‐Nepethet, dann wandte er sein Gesicht wieder der Parazeit‐Historikerin zu. »Du hast mir gesagt, wer du bist und woher du stammst, aber noch nicht, wie du heißt. Sprich!« »Neithadl‐Off«, antwortete Neithadl‐Off. »Aber ich habe dir noch längst nicht alles über mich gesagt. Ich bin nämlich nicht nur die
Prinzessin des Sternenreichs der Xissaniten, sondern auch die Siegelbewahrerin der Zeitgrüfte des Ordens der Zeitchirurgen.« »Was?« entfuhr es dem Imperator, und er wirkte plötzlich sehr erschrocken, ja schon fast furchtsam. »Nein, das kann nicht sein!« rief er. »Nicht hier, durch unendlich tiefe Abgründe aus Raum und Zeit davon getrennt. Nein, nein, auch sie können diese Abgründe nicht überwinden!« »Und doch ist es so«, behauptete Neithadl‐Off, ohne recht zu wissen, ob sie und der Imperator von ein‐ und demselben sprachen. Deshalb hütete sie sich auch davor, noch mehr zu sagen. »Enerschi‐Upp!« schrie Krell‐Nepethet. »Ja?« fragte die Phyloserin. »Beweise mir deine Ergebenheit!« befahl der Imperator. »Sofort! Bring die drei Gefangenen in die Desintegrationskammer! Meine Roboter werden dir den Weg zeigen.« Neithadl‐Off kannte sich inzwischen gut genug mit der Physionomie der Phyloser aus, daß sie den Ausdruck von trotziger Ablehnung auf Enerschi‐Upps Gesicht erkannte. »Jawohl, Imperator!« soufflierte sie ihr so leise, daß Krell‐Nepethet es nicht hören konnte. »Jawohl, Imperator!« sagte Enerschi‐Upp tonlos. »Ausgezeichnet!« lobte Krell‐Nepethet. »Führe den Befehl aus!« Er deutete zu dem Schott, durch das die vier Personen hereingekommen waren – und es öffnete sich. 9. »Was ist eine Desintegrationskammer?« flüsterte Enerschi‐Upp, als sie zirka hundert Meter vom Kommandoraum des Imperators entfernt waren. »Ein Desintegrator ist ein Gerät, das ein fünfdimensionales Feld auf ein Zielobjekt abstrahlt, das die elektrostatischen
Kernanziehungskräfte neutralisiert und die betreffende Materie in seine Atome zerfallen läßt«, flüsterte Goman‐Largo. »Also wird wohl eine Desintegrationskammer nach dem gleichen Prinzip arbeiten.« »Aber das hieße, daß ihr aufgelöst werden würdet, wenn ihr …«, regte sich die Hyperphysikerin auf. »Das kann ich nicht zulassen.« Sie wandte sich der Vigpanderin zu. »Auch wenn du unser Imperium unterwerfen wolltest.« »Das genügt!« ertönte die Stimme Krell‐Nepethets aus dem Sprechgitter eines der vier Roboter. »Ich ahnte, daß du Verrat plantest, Enerschi‐Upp. Deshalb stellte ich dich auf die Probe. Wie bedauerlich für dich. Jetzt wirst du das Schicksal der Fremden teilen müssen.« »Wir werden kämpfen!« flüsterte Anima. »Wir lassen uns nicht einfach so desintegrieren!« »Und wir werden den Imperator stürzen!« rief Goman‐Largo. »Aber wer soll dann Imperator sein?« fragte Enerschi‐Upp. »Ein echter Phyloser«, erklärte Neithadl‐Off. »Denn Krell‐ Nepethet ist kein echter Phyloser. Er trägt eine Maske – und er muß aus einer viel weiter entwickelten Zivilisation stammen, denn sonst würde er nicht die Funktionsprinzipien und Konstruktionsdaten von Hochtechnologiegeräten wie dem Traktorstrahlprojektor, dem Schwerkrafterzeuger, dem Desintegrator und der Roboterpositroniken kennen.« »Ja!« erscholl Krell‐Nepethets Stimme – und diesmal war sie so fremdartig, daß auch Enerschi‐Upp nicht länger daran zweifelte, daß dieses Wesen kein Phyloser war. »Ich bin in Wirklichkeit ein Hepather, den es auf der Flucht hierher verschlagen hatte. Seit Tausenden von Jahren lebe ich unter immer neuen Masken im Imperium der fünf Sonnen und habe dafür gesorgt, daß kein Phyloser die Wahrheit über den Aufbau des Universums erkennt und daß kein Kontakt mit anderen Zivilisationen hergestellt werden kann. Niemals sollen sie mich finden.«
»Wer?« fragte Neithadl‐Off. Doch darauf antwortete der Hepather nicht. »Aber der Tod in der Desintegrationskammer wäre zu schnell für euch!« kreischte er. »Ich habe etwas Besseres! Roboter, werft sie in die Pseudolandschaft mit den Tulocks!« »Jetzt!« rief Anima. Sie setzte zum Sprung auf einen Roboter an – und Neithadl‐Off folgte ihrem Beispiel ebenso wie Goman‐Largo und Enerschi‐Upp. Aber keiner von ihnen kam weit. Aus den Brustteilen der Roboter waren blitzschnell konische Projektoren herausgefahren, über denen es flimmerte. Im selben. Augenblick fanden sich die drei Gefährten und die Phyloserin von unsichtbaren Händen festgehalten. »Fesselfelder!« stellte Goman‐Largo fest. »Das behindert nicht nur mich, sondern auch meine Module. Verlaßt euch nicht darauf, daß ich euch helfen kann!« »Ich habe gelernt, mich auf mich selbst zu verlassen«, gab Neithadl‐Off zurück. Sie mobilisierte alle ihre Kräfte, mußte aber bald einsehen, daß sie gegen die sie einschnürenden Hochenergiefelder nicht ankam. Im Gegenteil, sie wurde trotz allen Sträubens unaufhaltsam über den Boden geschleift. Den Schicksalsgefährten ging es nicht besser. Die Roboter bugsierten sie mit Hilfe der Fesselfelder in einen Nebengang hinein und nach etwa dreihundert Metern durch ein Schott, das sich automatisch vor ihnen öffnete. Dahinter ging es eine spiralförmige Rampe zirka zweihundert Meter tief hinab und einen weiteren Gang entlang, der nach rund hundert Metern erneut vor einem Schott endete. Es öffnete sich, nachdem die Roboter die vier Personen davor bugsiert hatten. Dahinter wurde eine Schleusenkammer sichtbar. Die Gefangenen wurden hineingestoßen, dann schloß sich das äußere Schott wieder. Schon nach wenigen Sekunden öffnete sich das innere Schott. Die Fesselfelder wirkten weiter, obwohl die Roboter jenseits des äußeren Schottes zurückgeblieben waren.
Fünfdimensionale Energien konnten durch normale Materie nicht behindert werden. Die Gefangenen wurden von den Kraftfeldern aus der Schleusenkammer gestoßen, dann erloschen die Energiefelder. Gleichzeitig schloß sich das innere Schott. »Ich kann die Öffnungsautomatik nicht manipulieren«, stellte Goman‐Largo fest. »Sie ist durch ein fünfdimensionales Feld abgesichert.« »EinePseudolandschaft!« pfiff Neithadl‐Off und musterte die in blutroten, flackernden Feuerschein getauchte Umgebung: einen feuerspeienden Vulkan, von dem glutflüssige Lava in einen kleinen See rann, dessen Wasser bereits kochte – und auf der anderen Seite ein lichter Wald aus Bäumen und Stämmen, die bis zu den schopfartigen violetten Blattwipfeln kahl und astlos waren. »Mir kommt sie bekannt vor.« »Aber das ist doch alles nicht wirklich!« rief Enerschi‐Upp. »Nicht natürlich«, korrigierte der Modulmann sie. »Aber materiell. Wer in die Lava fällt, verbrennt ebenso, als fiele er in natürlich entstandene Lava.« »Aber was ist es dann?« fragte Anima. »Eine dreidimensionale materielle Projektion«, antwortete Goman‐ Largo. An der rechten Seite des Waldes tauchten zwei riesige Tiere zwischen den Stämmen auf. Sie waren in den Schultern mindestens drei Meter hoch, mochten fünf Meter lang sein und besaßen eine Panzerung aus dicken Hornplatten. Ihre tellergroßen Tatzen waren mit dolchgroßen Krallen bewehrt, und auf keilförmigen Schädeln trugen sie je ein armlanges, spitz zulaufendes Horn. Anima stieß einen Schrei aus, zog ihre erbeutete Rak‐Automatik aus dem Halfter und drückte ab. Doch nichts tat sich. Anscheinend funktionierten hier Waffen ebensowenig wie im Kontrollraum des Hepathers. »Ich bin ebenfalls hilflos«, flüsterte Goman‐Largo verzweifelt und
ächzte. Die beiden Tulocks wendeten die Köpfe und blickten aus kleinen roten Augen herüber, dann scharrten sie mit den Vorderfüßen. »Es sind die gleichen Bestien, die ich in der Erlebniskammer des Stützpunkts gesehen habe!« kreischte Neithadl‐Off in Todesangst. »Sie werden uns zerstampfen und zerreißen!« Die Tulocks schnaubten, grunzten und scharrten stärker. Sie wühlten den Boden tiefgründig auf und schleuderten Erde und Wurzelstücke weg. »Leise!« mahnte Goman‐Largo. »Was hast du da gesagt, Prinzessin? Du sprachst von einer Erlebniskammer?« »Ja«, pfiff die Parazeit‐Historikerin zitternd. »Da war eine Kammer mit Durchblickflächen oder Bildschirmen an den Wänden. Auf ihnen sah ich zuerst die Umgebung des Stützpunktes: den Weltraum mit einem Pol des gelben Ringplaneten. Dann wechselte das Bild, und ich sah diese Landschaft. Nein, nicht von hier aus, sondern aus einer anderen Richtung.« Sie deutete zur linken Seite des Waldes. »Dort, hinter dem Wald! Von dort aus sah ich auf den Wald und den Vulkan – und dann kamen die beiden Bestien, die Tulocks, und eine Seite der Kammer öffnete sich. Ich fürchtete, daß die Bestien mich packen, aus der Kammer zerren und töten würden, denn sie sahen zu mir hin.« Plötzlich kreischte sie wieder: »So wie jetzt!« Die Tulocks hatten ihre Rachen aufgerissen und dabei mächtige Fangzähne entblößt – und sie scharrten nicht mehr im Boden, sondern schienen sich auf einen Spurt vorzubereiten. »Erlebniskammer?« flüsterte Goman‐Largo zweifelnd. »Aber dann hätten die Tulocks dich nicht sehen können. Wenn es das ist, was ich vermute! Und es erscheint eigentlich logisch. Kommt! Prinzessin, führe uns!« »Ja!« kreischte Neithadl‐Off wie erlöst, denn alles erschien ihr besser, als untätig dazustehen und auf den Angriff der Bestien zu warten.
Im ersten Moment versuchte sie, ihr Gravojet‐Aggregat zu aktivieren, aber es funktionierte ebensowenig wie Waffen. Also trippelte sie los, und auch damit kam sie ziemlich schnell voran. Jedenfalls hatte Enerschi‐Upp große Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Als sie die linke Seite des Waldes erreichten, grunzten die beiden Tulocks furchterregend, dann setzten sie sich Schulter an Schulter in Bewegung – und sie starteten mit beachtlicher Geschwindigkeit. »Das schaffen wir nie!« pfiff Neithadl‐Off. »Schließt eure Raumanzüge! Schnell!« Für Goman‐Largo und Anima war das kein Problem. Ihre zusammengerollten Foliendruckhelme entfalteten, versteiften und schlossen sich selbsttätig, sobald nur entsprechende Sensorpunkte berührt wurden. Aber Enerschi‐Upps primitive Konstruktion mußte erst einmal übergestülpt und dann manuell festgemacht werden. Es kam, wie es kommen mußte. Die Phyloserin stolperte und schlug hin. Der Druckhelm rollte über den Waldboden. Zwar waren im nächsten Moment Anima und der Modulmann bei ihr und halfen ihr, aber der Zeitverlust war zu groß. Die Tulocks donnerten gleich programmierten Kampfmaschinen unaufhaltsam heran und hatten die linke Seite des Waldes fast erreicht. Neithadl‐Off wußte sich nicht mehr anders zu helfen, als die einzige ihr noch verbliebene Waffe ohne Rücksicht auf Enerschi‐ Upp einzusetzen. Sie blies eine Pheromonwolke ab. Goman‐Largo und Anima hatten im gleichen Augenblick Enerschi‐Upps Druckhelm geschlossen und zogen die Phyloserin kurzerhand mit sich, als sie weiterrannten. Die Parazeit‐Historikerin hatte, da sie nicht stehengeblieben war, inzwischen einen Vorsprung von zirka zwanzig Metern erzielt. Dadurch sah sie zuerst, daß der Wald rund zehn Meter vor ihr endete – und daß nicht weit davon entfernt die Erlebniskammer auf einem Metallsockel stand, der aus dem Boden ragte. Sie sah genauso aus, wie sie sie in Erinnerung hatte – und eine Wand war geöffnet.
Doch anscheinend wirkten ihre Pheromone nicht auf die Tulocks – und dann würden sie die rettende Kammer nicht erreichen. Aber wieso sollte die Kammer überhaupt Rettung bedeuten? Sie sah von außen gar nicht besonders stabil aus, jedenfalls nicht so stabil, als könnte sie der geballten Kraft eines Tulocks widerstehen, geschweige denn der von zwei solcher Bestien. Neithadl‐Off zuckte zusammen, als sie sah, daß Enerschi‐Upp stolperte und stürzte und ihre Helfer mit zu Boden riß. Im nächsten Moment mußten die Tulocks über ihnen sein! Doch da rammten sich die Bestien gegenseitig mit den Schultern. Durch die Wucht des Aufpralls wurden sie auseinander getrieben. Sie donnerten haarscharf an den Gestürzten vorbei, stürmten dann wieder zueinander und prallten abermals zusammen. Dicht hinter Neithadl‐Off wurden die Giganten erneut auseinandergetrieben. Es krachte und splitterte ohrenbetäubend, als sie mehrere Bäume umrannten und zertrümmerten. Die Parazeit‐ Historikerin geriet an den Rand einer Panik, als ihr klar wurde, daß die Tulocks weiterhin eine tödliche Gefahr waren, obwohl ihr Verhalten offensichtlich durch die Pheromone gestört worden war. Sie kreischte gellend auf, denn die Bestien krachten fast unmittelbar vor ihr schmetternd zusammen, nur wenige Meter von der Erlebniskammer entfernt. In diesem Augenblick durchfuhr es sie siedendheiß, denn ihr wurde erstmals bewußt, daß die Erlebniskammer niemals hier sein konnte, da sie sich doch innerhalb des Stützpunkts befand, der zusammen mit den Meteoritentrümmern den gelben Gasriesen umkreiste. Dennoch sah sie die Kammer wieder, als die Tulocks auseinander stürmten und den Blick freigaben. »Worauf wartest du?« hörte sie Goman‐Largos Stimme aus ihrem Funkgerät. Erst da merkte sie, daß sie stehengeblieben war, weil sie nicht mehr gewußt hatte, was sie von der Erlebniskammer halten sollte.
Sie zögerte noch immer, aber da holten der Modulmann, Anima und Enerschi‐Upp sie ein und versetzten ihr einen Stoß von hinten. Sie stolperte weiter. Dabei sah sie, daß die beiden Tulocks etwa fünfzig Meter weit ins baumlose Hügelland gestürmt waren, dort abgestoppt hatten und soeben kehrtmachten. Im nächsten Augenblick fiel sie durch die Öffnung in die Erlebniskammer hinein und ruderte wild mit allen sechs Gliedmaßen, als sie merkte, daß die Gefährten auf sie zu stürzen drohten. Sie wurde gegen die Säule gepreßt, als die Gefährten sich in die Kammer drängten. Aus den Augenwinkeln sah sie auf zwei seitlichen Durchblickflächen, daß die Tulocks auf die Kammer losstürmten. Sie streckte sich, zögerte kurz und drückte dann mit den Tastfäden der Vordergliedmaßen die Taste auf der Säule, die sie damals zuletzt gedrückt hatte. Die Öffnung schloß sich, draußen donnerten die Tulocks an der Kammer vorbei – und dann sah Neithadl‐Off auf einer der Bildfiächen die Dunkelheit des Alls mit einem Ausschnitt des Gasriesen samt einem kleinen Stück seines Ringes und auf einer anderen Fläche einen Teil des Innern der Meteoritenstation … »Was, was?« schnappte Enerschi‐Upp und verdrehte die Augen. »Ein …!« begann Anima, verstummte aber, als Goman‐Largo mit einem Zeigefinger seine Lippen verschloß. Mit funkelnden Augen sah der Modulmann die Parazeit‐ Historikerin an, dann fragte er leise und noch ein wenig außer Atem: »Was meinst du, was das hier ist?« Er vollführte mit den Händen eine die Kammer umfassende Bewegung. Neithadl‐Offs Körperoberfläche bedeckte sich vor Aufregung mit warmem Sekret. »Ich weiß es nicht«, erwiderte sie unschlüssig. »Wenn ich eine Figur in einem utopischen Roman wäre, würde ich sagen, das sei ein Transmitter. Aber da ich real existiere und weiß, daß Lebewesen
niemals wie ihre Abbildungen über weite Entfernungen transmittiert werden können …« »Sag nie niemals!« riet ihr der Modulmann, dann fragte er ungläubig: »Du hast also tatsächlich noch nie einen Transmitter gesehen oder von realen Transmittern gehört, obwohl du doch so weit herumgekommen bist?« »Du meinst, es gibt sie wirklich?« erkundigte sich Neithadl‐Off. »Aber, Prinzessin!« rief Goman‐Largo. »Wir sind soeben von einem Transmitter abgestrahlt worden. Er hat uns das Leben gerettet. Und du zweifelst immer noch?« »Ich dachte immer, es würde sie niemals geben«, erklärte die Parazeit‐Historikerin. »Sogar jetzt kann ich mir nur schwer vorstellen, daß ich entstofflicht und zu einem Bündel Funkimpulse verwandelt über eine interplanetarische Distanz abgestrahlt wurde und jetzt wieder ich selbst bin.« »Funkimpulse!« rief Anima und lachte. »Also, so einfach ist es nun nicht!« »Natürlich nicht«, bestätigte Goman‐Largo. »Aber das Prinzip ist theoretisch gar nicht soviel anders. Wir wollen hier aber keine wissenschaftlichen Vorträge halten, sondern müssen uns dringend unsere nächsten Schritte überlegen. Der Hepather hat sicher bemerkt, daß wir durch den Transmitter entkommen sind, und ich nehme an, es gefällt ihm gar nicht, daß wir uns jetzt in seinem Stützpunkt befinden. Er wird uns so schnell wie möglich etwas nachschicken, das uns den Garaus macht.« »Roboter«, vermutete Anima. »Oder etwas anderes«, erwiderte der Modulmann und preßte die Handflächen gegen seine Schläfen. »Ich muß den Transmitter verlassen. Seine Materie emittiert eine fünfdimensionale Nachstrahlung, die meine Module mattsetzt.« Die eine Wand hatte sich unterdessen wieder geöffnet, und Goman‐Largo verschwand nach draußen. Neithadl‐Off wollte ihm folgen, aber Anima sagte:
»Es ist besser, wenn wir hier bleiben. Wahrscheinlich blockieren wir durch unsere Anwesenheit in der Kammer die Transmitterfunktion, so daß der Hepather das Gerät in der FESTUNG von Preet nicht benutzen kann. Hast du wirklich noch nie etwas von Transmittern gehört?« »Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern«, erklärte die Parazeit‐Historikerin. »Ihr wißt ja, daß ich große Gedächtnislücken habe. Möglicherweise haben die Zeitchirurgen auch an mir herumgepfuscht. Es kann aber auch sein, daß in der Galaxis, in der ich herumreiste, das Prinzip des Materietransmitter niemals für realisierbar gehalten und von niemandem realisiert wurde. Von ähnlichen Erkenntnislöchern habe ich schon gehört.« »Und auf den Parallelzeitebenen der bewußten Galaxis soll es überall das gleiche Erkenntnisloch geben?« fragte Anima zweifelnd. »Die Entwicklung auf Parallelzeitebenen identischer Koordinaten verläuft meist sehr ähnlich«, erwiderte Neithadl‐Off. »Aber wie gesagt, mein Unwissen kann auch an meinen Gedächtnislücken liegen.« »Hier!« rief Goman‐Largo von der Öffnung aus. »Das ist es! Ich habe die technische Schatzkammer des Hepathers entdeckt!« Er überreichte Anima und Neithadl‐Off je einen handlichen Strahler aus honiggelbem, stahlhartem Material. »Es sind Quintadimwerfer, abgeschirmt gegen alle anderen fünfdimensionalen Einflüsse. Ich habe auch einen.« Er schlug leicht gegen das Halfter des Gürtels, den er vorher noch nicht getragen hatte und aus dem das honiggelbe Griffstück einer Waffe ragte. »Wir sollen also kämpfen?« fragte Neithadl‐Off und wog ihre Waffe zögernd zwischen den Vordergliedmaßen. »Wir werden kämpfen müssen«, erklärte der Modulmann. »Aber vorher sorgen wir dafür, daß der Gegner angeschlagen ist.« Er zog einen – ebenfalls honiggelben – Würfel von zirka zehn Zentimetern Kantenlänge aus einer Außentasche seiner Kombination und wog ihn in der rechten Hand.
»Eine Art Struktur‐Disruptor«, erläuterte er. »Woher weißt du das alles?« erkundigte sich Anima. »Man sieht es den Dingen doch nicht von außen an, was sie vermögen.« »Das wird von den genotronisch geprägten Modulen ermöglicht, die in der Zeitschule von Rhuf in meinen Körper gepfropft wurden«, antwortete Goman‐Largo. »Mehr erkläre ich später. Aber ein Struktur‐Disruptor, das ist hypertemporal! Steigt schnell aus; dann lege ich das Ding hier auf den Gitterrost! Was immer dann hier materialisiert – und der Würfel blockiert den Transmitter nicht‐, es wird im selben Moment unbrauchbar sein, denn der Disruptor zerfetzt seine Struktur förmlich. Anschließend kehren wir nach Preet zurück.« Anima und Neithadl‐Off stiegen aus dem Transmitter und zogen Enerschi‐Upp, die vor einem Nervenzusammenbruch zu stehen schien, resolut mit. Goman‐Largo bückte sich und legte den Würfel auf den Gitterrost. Er hatte seine Hand kaum aus der Kammer zurückgezogen, als die Wand sich schloß. Ein scharfes Summen ertönte, dann öffnete sich die Wand wieder. Etwas schrie grauenvoll. Neithadl‐Offs Haut wurde heiß und trocken, als sie den Hepather in der Maske Krell‐Nepethets, aber mit einem schimmernden Raumpanzer bekleidet, in der Transmitterkammer stehen und zerfallen sah. Der Anblick wirkte, als würde der Hepather von unsichtbaren Klauen zerrissen und mit ungeheurer Gewalt innerhalb der Kammer verstreut. Innerhalb weniger Sekunden war seine Substanz bis auf ein kleines Häufchen zusammengeschrumpft, das die Parazeit‐ Historikerin an eine zusammengebackene Mischung aus kirkusischen Kadaverpilzen und zolpatischen Tiefseeiern erinnerte. Und an den Inhalt einer Kammer des Stützpunkts, die sie irrtümlich für eine Vorratskammer gehalten hatte! »Werft das ins All!« pfiff sie mit vor Entsetzen schriller Stimme.
»Ich habe Angst, daß der Hepather in Originalform wieder entsteht, wenn dieser Rest zufällig mit den Teilen von ihm zusammenkommt, die er irgendwann im Stützpunkt tiefgefroren zurückließ, weil seine Originalmasse zu groß für einen Phyloser gewesen wäre.« »Wie kommst du darauf?« fragte der Modulmann. »Ich fand damals auch seinen Raumanzug«, erklärte Neithadl‐Off. »Da begriff ich die Zusammenhänge noch nicht, aber jetzt ist mir alles klar – oder doch vieles. Ich werde euch den Anzug zeigen.« »Aber später«, entschied Goman‐Largo. »Zuerst lassen wir uns in die FESTUNG zurücktransmittieren und entschärfen die Hinterlassenschaften des Hepathers!« * Es war leichter, als sie es sich vorgestellt hatten. Zwar sträubte sich Enerschi‐Upp anfangs, ihre Atome »in dem Transmitter zerfetzen zu lassen«, aber an ihrer Ehre als Hyperphysikerin gepackt, gab sie nur zu gern nach. Als die vier Personen in dem Transmitter innerhalb der Pseudolandschaft materialisierten, waren die materiellen Projektionen schon verblaßt. Sie verwehten ganz, bevor die unterschiedlichen Wesen ausstiegen, und gaben den Blick auf eine große Halle mit groben Metallplastikwänden und kalter blasser Beleuchtung frei. Es schien, als hätte nur die geistige Ausstrahlung des Hepathers die ehemalige Landschaft und die Tulocks zusammengehalten. Auch die Roboter bedeuteten keine Gefahr mehr. Sie standen reglos und offenkundig desaktiviert herum. Möglicherweise hatte der Hepather sein Ende vorausgeahnt und deshalb verhindert, daß Fremde seine technischen Mittel benutzen konnten. »Ich bin sicher, daß wir einen Großteil seiner technischen Hinterlassenschaft umprogrammieren und reaktivieren können«,
meinte Goman‐Largo. »Es würde jedenfalls die Neukonstruktion eines kompakten und ungefährlichen Hyperantriebs sehr erleichtern.« »Und beschleunigen«, ergänzte Anima. »Ja, richtig«, meinte Neithadl‐Off. »Du willst die Suche nach deinem Ritter Atlan fortsetzen. Aber hältst du es denn für möglich, daß du aus den unendlich vielen Galaxien des Universums ausgerechnet die herausfindest, in die es ihn verschlagen hat?« Animas Augen verdunkelten sich, aber dann blitzten sie entschlossen auf. »Es muß Hinweise darauf geben – und ich werde sie finden!« erklärte sie mit Bestimmtheit. »Wir werden dir dabei helfen«, versprach der Modulmann. »Aber ihr wollt doch nicht nur einen Hyperantrieb für euch bauen?« wandte Enerschi‐Upp ein. »Natürlich nicht«, erklärte der Modulmann. »Ich schlage vor, wir bauen, nachdem wir die Konstruktion festgelegt und die notwendigen Versuche durchgeführt haben, gleichzeitig zwei Raumschiffe mit Hyperantrieb. Das eine überlassen wir euch, und mit dem anderen machen wir uns auf die Suche nach Atlan.« »Einverstanden«, erwiderte Enerschi‐Upp. Neithadl‐Off sagte nichts dazu. Sie ahnte, daß noch viele Schwierigkeiten zu überwinden waren und noch viel Arbeit zu leisten sein würde, bevor sie diesen einsamen Winkel des Universums wieder verlassen konnten. Brusch‐Onotons Schicksal mußte geklärt werden. Lebte er noch, würde entweder er oder ein anderer Phyloser das Amt des Imperators weiterführen – oder eine Phyloserin wie beispielsweise Enerschi‐Upp. Danach mußten die Phyloser behutsam an das reale Weltbild herangeführt werden – und vielleicht mußte das Volks erst mühsam davon überzeugt werden, daß das Projekt Zwillingsschiff ihm nicht nur Unkosten bereiten, sondern ungeahnten materiellen und
ideellen Gewinn bringen würde. Aber das alles konnte die Parazeit‐Historikerin nicht schrecken. Wie immer sich die Lage auch entwickelte, sie würde auf jeden Fall besser sein als früher. Denn von nun an würde sie ständig mit dem Wesen zusammen sein, das sie heimlich liebte. Mit Goman‐Largo, dem Modulmann. ENDE Nach den Schilderungen der Geschehnisse um Colemayn, dem Sternentramp, und um Anima, Atlans Orbiterin, kehren wir im nächsten Atlan‐Band wieder zu den Abenteuern unseres Haupthelden zurück. Was auf Atlan und Chipol zukommt, sobald die ZYRPHʹOʹSATH ihr Ziel erreicht, darüber berichtet Peter Terrid. Sein Roman erscheint in der nächsten Woche unter dem Titel: BASTION‐V.