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Wie George Orwells »1984« Maßstäbe für die Anti-Utopie setzte, legt die Edition '84 beispielhafte, herausragende neue Werke der positiven Utopie dem deutschen Leser vor. Alle Facetten dieser Literaturgattung sind in der Edition '84 vertreten: Roman, Story, Kurz-Kurzgeschichte; deutsche, englische, amerikanische und auch chinesische Autoren; Klassiker und Newcomer – Hohe Qualität, dieses Gütesiegel war bei der Auswahl der Einzelbände immer oberster Grundsatz. Mit den 12 Bänden der Edition '84 wird das gesamte Spectrum positiver Utopien abgedeckt und durch repräsentative Werke ein Überblick über das derzeitige Schaffen der berühmtesten Autoren auf diesem Literaturgebiet gegeben. Dieser Band: Innerhalb der Edition '84 steht dieser Band für die Verdienste der Kurzgeschichte, auf kleinstmöglichem Raum eine Situation aufzubauen und zu einem überraschenden neuen Ende zu führen. Dies zu erreichen, benötigt die Meisterschaft der besten Autoren des Genres.
Buch: Hier präsentiert Isaac Asimov in 100 Schlaglichtern alle Facetten der utopischen Literatur. 100 verschiedene Wunderwelten mit ungewöhnlichen Kurz-Kurzgeschichten von Autoren wie Isaac Asimov, Frederic Brown, Harry Harrison, Arthur C. Clarke, Bob Shaw, van Vogt, Harlan Ellison, Robert Silverberg, Robert Sheckley, Fritz Leiber, Philip Jose Farmer, Larry Niven und vielen anderen… Die meisten dieser Geschichten wurden bisher noch nie oder in Deutschland noch nicht veröffentlicht. Pressestimmen zu diesem Buch: »Wahrscheinlich hat kein anderes Genre so viele Kurzgeschichten produziert wie die Science Fiction – und dies, weil sie wahrscheinlich so sehr auf Ideen basiert… Hier kann der Leser jene Kurzweil für den Augenblick nach einem geschäftigenTag finden. Ein großer Spaß für alle!« (Publishers' Weekly) »Der reinste Genuß… Eine wundervolle Mixtur, die von Meditation zu hellem Lachen alles hervorbringt.« (Library Journal)
Aus dem Amerikanischen übertragen von Tony Westermayr Titel der Originalausgabe: Microcosmic Tales Originalverlag: Taplinger Publishing Company, New York
Made in Germany • 7/84 • 1. Auflage • 118 © der Originalausgabe 1980 by Isaac Asimov, Martin Harry Greenberg, Joseph D. Olander; Published by arrangement with Taplinger Publishing Co., New York and Writers House Inc., New York © der einzelnen Geschichten am Schluß des Bandes © der deutschsprachigen Ausgabe 1984 by Wilhelm Goldmann Verlag, München gescannt von Brrazo 06/2004 Umschlagentwurf: Design Team München Umschlagillustration: Klaus Holitzka, Mossautal Satz: Fotosatz Glücker, Würzburg Druck: Eisnerdruck GmbH, Berlin Verlagsnummer: 8408 Lektorat: Helmut Putz/Peter Wilfert Herstellung: Peter Papenbrok ISBN 3-442-08408-3
INHALT
Isaac Asimov: Einleitung: Kurz eingetauscht (INTRODUCTION: A QUICK DIP) 11 • Isaac Asimov: Dumm gefragt… (THE LAST ANSWER) 13 • Donald Franson: Ich, Vernon Lewis, bei klarem Verstand… (PACKAGE DEAL) 21 • Norman E. Hartman: Zum Totlachen! (LYCANTHROPE) 26 • Jack Ritchie: Und ihr habt Zeit für Schach? (GEMINI 74) 29 • Charles E. Fritch: Wenn du die Hand beißt, die dich füttert… (GEEVER'S FLIGHT) 32 • Phyllis Eisenstein: So gingen also meine neun frühen Geschichten verloren (LOST AND FOUND) 36 • Frederic Brown: Schädlingsbekämpfung (PATTERN) 41 • Robert Mattingly: Wir halten diese Wahrheiten für offensichtlich, daß alle Männer – und Frauen – und – (DISCOVERING A NEW EARTH) 43 • Barry N. Malzberg: Das Unmögliche dauert etwas länger (VARIETIES OF TECHNOLO-GICAL EXPERIENCE) 47 • George Zebrowski und Jack Dann: Horch, mein Schätzchen ruft (LISTEN, LOVE) 52 • Charles Sheffield: Alles hat seine Jahreszeit (THAT STRAIN AGAIN) 56 • George Henry Smith: Mit denen werden wir fertig wie Lee mit Washington (TAKE ME TO YOUR LEADER) 58 • Jack Ritchie: Wenn nicht so, dann vielleicht anders… (PUT YOUR HEAD UPON MY KNEE) 60 • Robert F. Decker: Vielleicht hätte er sogar den Asteroidengürtel abstauben können (THE BIG FIX) 63 • Harry Harrison: Ein Alptraum für
Saudi-Arabien (SPEED OF THE CHEETAH, ROAR OF THE LION) 66 • Richard Wilson: Es könnte durchaus eine Verbesserung sein (JUST CALL ME IRISH) 70 • T. E. D. Klein: Hätten Sie sich lieber einen guten Wissenschaftsautor gesucht (RENAISSANCE MAN) 75 • R. K. Lyon: Was dem inen sin Uhl – (PULPVTORLD) 81 • Arthur C. Clarke: Wer weiß, was Schlimmes lauert (THE OTHER TIGER) 84 • Patricia Matthews: Ein süßer kleiner Kerl (LITTLE WILLIAM) 87 • Alan Brennert: Schneller als eine Gewehrkugel (STEEL) 91 • Jack Ritchie: Meine Liebe! Wie Sie sich verändert haben! (APPOINTMENT ON THE BÄRGE) 97 • James Tiptree, Jr.: Der Mensch mag kommen oder gehn, doch – (AND SO ON, AND SO ON) 102 • Anthony Boucher: Wie ich dich lieb? So laß mich dir erzählen (NELLTHU) 107 • Donald Franson: Der Alptraum Krieg nimmt kein Ende (TASTE OF BATTLE) 108 • Bob Shaw: Das fünfte Stück Kuchen macht es aus (DEFLATION 2001) 114 • Walt Leibscher: ›Android‹ heißt ›menschenähnlich‹ (DO ANDROIDS DREAM OF ELECTRIC LOVE?) 117 • Mack Reynolds: Wenn du das sagst, mein Lieber, dann aber freundlich (DOG STAR) 119 • A. E. van Vogt: Richte nicht, auf daß du nicht gerichtet werdest (THE GREAT JUDGE) 121 • Paul Dellinger: Füreinander geschaffen (2001: A LOVE STORY) 126 • Frederic Brown: Du sollst dir kein Bild machen – (ANSWER) 130 • Harlan Ellison: Begnüge dich mit deinem Platz (HADJ) 131 • Henry
Slesar: Mit der Zeit paßt das Heilmittel zur Krankheit (GOOD MORNING! THIS IS THE FUTURE) 136 • Anthony Boucher: Das nehme ich Ihnen nie und nimmer ab (A SHAPE IN TIME) 141 • Barry N. Malzberg: Was ist Wahrheit? (LINKAGE) 144 • R. A. Montana: Verbrechen und Strafe (MURDER IN THE NTH DEGREE) 148 • Joanna Russ: Wenn einer eine Reise tut… (USEFUL PHRASES FOR THE TOURIST) 153 • Theodore R. Cogswell: Alles zusammen heißt Mutter (THE BURNING) 156 • Eric Vinicoff und Marcia Martin: Die Feder mächt'ger als das Schwert (ONE SMALL STEP) 161 • Mack Reynolds: Das Blut entscheidet (DEAD END) 164 • Edward Bryant: Der Gipfel der Schöpfung – (PATHS) 165 • Garen Drussa'i: Hausfrauenlos (WOMAN'S WORK) 170 • William F. Nolan: Aber so versteh doch. Da wir alle beide ich sind – (DEATH DOUBLE) 173 • Helen Urban: Wasser, klar und kühl! (TAG) 177 • Frederic Brown: Was kann man sagen man kann was? (NIGHTMARE IN TIME) 178 • Robert Silverberg: – denn wir leben morgen (THE NATURE OF THE PLACE) 179 • Isaac Asimov: I can't give you anything but love, Baby! (TRUE LOVE) 181 • Alice Laurance: Was bedeutet schon ein Name? (THE GAME OF THE NAME) 186 • Robert Sheckley: Immerhin sind rosa Mäuse entfernte Verwandte von uns (DOWN THE DIGESTIVE TRACT) 189 • Jack Ritchie: Manchmal kannst du nicht verlieren, selbst wenn du willst (UPON MY SOUL) 192 • Charles
Spano, Jr.: Und da sind wir seitdem (DRAWING BOARD) 196 • Donald Franson: Mutterleib mit Aussicht – (SHELL SHOCK) 197 • Henry Slesar: Die blaue Blume des Glücks – wo ist sie? (SPEAK) 203 • Craig Strete: Der Lordoberhenker ist nicht immer Koko (YOUR CRUEL FACE) 205 • Rick Conley: Sie hätten uns ohnehin nicht haben wollen (THE BEST LAID PLANS…) 209 • Mack Reynolds: Und HulaHoop und Transistorradios und Elektrogitarren – (DEVIL TO PAY) 211 • Manly Wade Wellman: Sagte ich zu mir, wie gesagt (WHO ELSE COULD i COUNT ON?) 217 • A. E. van Vogt: Kommt immer auf den Standpunkt an… (THE RAT AND THE SNAKE) 218 • Harry Harrison: Auf alles vorbereitet (THE FINEST HUNTER IN THE WORLD) 221 • Dennis R. Caro: – mit Baby sind's drei (LIFE) 224 • Eric Frank Russell: Wer beschreibt das Geheimnis (LOVE STORY) 226 • Robert Payes: Ich erinnere mich an die Hakenkreuze (EXILE IN LAKEHURST) 231 • Fritz Leiber: Nichts ist zu vergleichen mit 'nem Weib – (THE BAIT) 232 • Ray Russell: Bei wem wäre mehr Recht? (THE HUMANIC COMPLEX) 236 • Roberta Ghidalia: Als Katzenliebhaber billige ich das voll und ganz (FRIENDS?) 242 • Arthur C. Clarke: Hurrr-a-a-ah – (TAKE A DEEP BREATH) 247 • Sherwood Springer: Im Harem gibt es keine Jungfrau (THE QUEST OF INFIDELS) 250 • Joe Patrouch: Wo wird das alles enden? (LEGAL RIGHTS FOR GERMS) 252 • Frederic Brown: Was man von Runkelrüben sagt,
ist ja bekannt (BLOOD) 255 • R. A. Montana: Wenn alles zerbricht… (THE DIANA SYNDROME) 256 • Theodore R. Cogswell: Betrogener Betrüger (EMERGENCY RATIONS) 260 • Isaac Asimov: Angeblich zahlt es sich aus (BUY JUPITER) 265 • Henry Slesar: Wenn du dir eine Kugel in den Kopf schießt – (THE OLD MAN) 270 • Roland Green: Mann! Sie haben ihn! (EXILE'S GREETING) 274 • H. L. Gold: Nicht gucken! (THE BIOGRAPHY PROJECT) 279 • Jan Howard Finder: Der Saft der Reben (THE GRAPES OF THE RATH) 282 • Anthony Boucher: Besser der Teufel, den man kennt – (MR. LUPESCU) 284 • Ruth Berman: Alles zurück ins Paradies (WHAT I DID DURING MY PARK VACATION) 289 • Harry Harrison: Für'n General ein gefundenes Fressen, verflixt noch mal! (A FRAGMENT OF MANUSCRIPT) 291 • James Gunn: Wo ist der Unterschied? (THE BOY WITH FIVE FINGERS) 293 • Philip Jose Farmer: Das geht zu weit (THE KING OF BEASTS) 297 • Eric Frank Russell: Das muß man ihm lassen (DISPLACED PERSON) 298 • Bill Pronzini und Barry N. Malzberg: Einmal Verlierer – (A CLONE AT LAST) 302 – Fritz Leiber: ›Käfer haben Beine, das ist fad/doch nur der Mensch, der macht ein Rad‹ (x MARKS THE PEDWALK) 304 • Arthur Tofte: Friede auf Erden (THE MISSION) 309 • F. M. Busby: Geschehen und ungeschehen machen (PROOF) 312 • Isaac Asimov: Dafür plage ich mich? (DREAMWORLD) 318 • Paul J. Nahin: Wer zuletzt
lacht – (THE REUNION) 320 • Richard Wilson: ›Eigentlich wäre ich lieber in Philadelphias Grabsteininschrift von W. C. Fields (THE FUTILE FLIGHT OF JOHN ARTHUR BENN) 327 • James Stevens: Die göttliche Menschengestalt (SERVANTS OF THE LORD) 328 • Rachel Cosgrove Payes: Voll weiser Sprüche und moderner Hinweise (MATTIE HARRIS, GALACTIC SPY) 331 • Juleen Brantingham: Es hätte schlimmer kommen können (CHANGEOVER) 335 • Richard Wilson: Und sei's noch so bescheiden – (HOME TOWN) 337 • Henry Slesar: Und jeden Tag 200000 Urteile (THE PENALTY) 340 • Maggie Nadler: Jugend für die Jungen – welche Verschwendung! (THE PILL) 342 • Harry Harrison: Bis die Kriegstrommeln nicht mehr dröhnen – (THE FINAL BATTLE) 345 • Lester dei Rey: Auch das Wandern hat seine Grenze (EARTHBOUND) 347 • Larry Niven: Das endgültige Zeitparadox (ROTATING CYLINDERS AND THE POSSIBILITY OF GLOBAL CAUSALITY VIOLATION) 349 • Harlan Ellison: So nah herangekommen! (THE VOICE IN THE GARDEN) 354 • Edward Wellen: Wir wären alle besser dran (IF EVE HAD FAILED TO CONCEIVE) 355
ERIC FRANK RUSSELL Das muß man ihm lassen Er glitt aus der zunehmenden Abenddämmerung, setzte sich auf das andere Ende der Bank und blickte geistesabwesend auf den See hinaus. Die untergehende Sonne hatte Blut in den Himmel geträufelt. Mandarinenenten paddelten durch blutrote Streifen auf dem Wasser. Der Park war von seiner gewohnten Abendstille erfaßt; man hörte nur das Rascheln von Laub und Gras, das Gemurmel versteckter Liebespaare, das gedämpfte Hupen ferner Autos. Als die Bank erzitterte, um Nachricht von einem Neuankömmling zu geben, hatte ich hinübergeblickt, halb in der Erwartung, einen Penner vorzufinden, der mich um ein Almosen für eine Asylübernachtung anbetteln wollte. Der Gegensatz zwischen dem Erwarteten und der Wirklichkeit war so stark, daß ich noch einmal hinsah, lange, aufmerksam, aus den Augenwinkeln, damit er es nicht bemerkte. Trotz der Grautöne des Zwielichts war das, was ich sah, eine Komposition in Schwarz und Weiß. Er hatte schmale, feingeschnittene Züge, die so weiß waren wie seine Handschuhe und die Hemdbrust. Schuhe und Anzug waren nicht ganz so schwarz wie seine schön gewölbten Brauen und die gepflegten
Haare. Seine Augen waren das Schwärzeste – von jener durchgehenden, jenseitigen Schwärze, die nicht tiefer oder dunkler sein kann. Und doch war Leben von tiefem Glanz in ihnen. Er trug keinen Hut. An seinem Bein lehnte lässig ein schmaler Spazierstock aus Ebenholz. Um seine Schultern hing ein schwarzer Umhang mit Seidenfutter. Selbst für den Film hätte er als vornehmer Ausländer nicht besser ausstaffiert sein können. Meine Gedanken beschäftigten sich mit ihm, wie sie es zu tun pflegen, wenn sie im Augenblick keine andere Beschäftigung haben. Ein Flüchtling aus Europa, entschieden sie. Vielleicht ein berühmter Chirurg oder Bildhauer. Oder ein Schriftsteller, ein Maler, eher letzteres. Ich blickte noch einmal verstohlen hinüber. Im verblassenden Licht wirkte das bleiche Profil adlerartig. Das Leuchten in den Augen nahm mit der Dunkelheit zu. Das Cape verlieh ihm eine eigenartige Majestät. Die Bäume reckten ihm ihre Arme entgegen, als wollten sie während der langen, langen Nacht Hilfe und Trost spenden. Das Gesicht war nicht von Leidenszügen gezeichnet. Es hatte nichts gemein mit den verbrauchten, faltigen Gesichtern, die ich anderswo gesehen hatte,
Antlitze, die für immer die Erinnerungen an die Handschellen, die Peitsche und das Schreckenslager trugen. Im Gegenteil, es zeigte ein Gemisch aus Kühnheit und innerem Frieden, aus Zuversicht in den Glauben, daß die Dinge sich eines Tages wenden mußten. Impulsiv kam ich zu dem Schluß, er sei ein Musiker. Ich konnte mir vorstellen, daß er einen riesigen Chor von fünfzigtausend Stimmen dirigierte. »Ich liebe Musik«, sagte er mit leiser, sonorer Stimme. Sein Gesicht drehte sich mir zu und zeigte hohe Geheimratsecken in seinen glänzenden, schwarzen Haaren. »Wirklich?« Das Unerwartete seiner Bemerkung verstörte mich. Ohne es zu wissen, mußte ich meine Gedanken laut ausgesprochen haben. Stockend fragte ich: »Welche Art?« »Diese.« Er benützte den Stock, um die ganze Welt zu umfassen. »Das Seufzen des ausgehenden Tages.« »Ja, es ist beruhigend«, sagte ich.
»Das ist meine Zeit«, erklärte er. »Die Zeit, wenn der Tag endet – wie alle Dinge enden müssen.« »Das ist wahr«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Wir schwiegen eine Weile. Langsam zog der Horizont das Blut vom Himmel. Die Stadt steckte die Lichter an, und über ihren Türmen schwebte ein bleicher Mond. »Sie sind nicht von hier?« fragte ich. »Nein.« Seine schmalen, langen Hände lagen auf dem Stock, während er nachdenklich vor sich hinsah. »Ich habe kein Heimatland. Ich bin ein Vertriebener.« »Das tut mir leid.« »Danke«, sagte er. Ich konnte nicht einfach sitzenbleiben und ihn seiner Misere überlassen. Entweder das Gespräch weiterführen oder gehen. Es bestand kein Anlaß, sich zu entfernen. Also fuhr ich fort: »Wollen Sie mir davon erzählen?«
Sein Kopf drehte sich, und er betrachtete mich, als nähme er mich erst jetzt richtig wahr. Das unheimliche Licht in seinen Augäpfeln war beinahe fühlbar. Er lächelte langsam und nachsichtig, mit perfektem Gebiß. »Soll ich das wirklich tun?« »Sie müssen nicht. Aber manchmal hilft es, die Dinge aus dem Denken zu vertreiben.« »Das bezweifle ich. Außerdem würde ich nur Ihre Zeit vergeuden.« »Durchaus nicht. Ich vergeude sie auch so.« Er lächelte wieder und zeichnete mit der Stockspitze unsichtbare Kreise vor seinen schwarzen Schuhen. »Heutzutage ist das eine nur allzu bekannte Geschichte«, sagte er. »Ein Führer wurde durch seine eigene Glorie so geblendet, daß er sich für unfähig hielt, Fehler zu begehen. Er wies alle Ratschläge zurück und verabscheute jede Kritik. Er bekam größenwahnsinnige Anwandlungen, spielte sich als Schiedsrichter für alles von der Geburt bis zum Tod auf und erweckte dadurch eine Bewegung, die seinen Sturz anstrebte. Er schuf die Keime seiner
eigenen Vernichtung. Unter den Umständen war sein Untergang unausweichlich.« »Und mit Recht«, sagte ich. »Nieder mit allen Diktatoren!« Der Stock entglitt ihm. Er hob ihn auf, spielte kurz damit, zeichnete wieder Kreise. »Die Revolte hatte keinen Erfolg?« fragte ich. »Nein.« Er blickte auf die Kreise und zog einen Strich hindurch. »Sie erwies sich als voreilig und zu schwach. Sie wurde mit äußerster Rücksichtslosigkeit niedergeschlagen. Dann kam die Säuberung.« Seine leuchtenden Augen nahmen die Wache der Bäume ab. »Ich hatte die Opposition geschaffen. Ich halte sie immer noch für gerechtfertigt. Aber ich wage nicht zurückzukehren. Noch nicht.« »Das kann Ihnen doch nichts ausmachen. Sie sind jetzt in einem schönen Land und können sich hier gut einleben.« »Das glaube ich nicht. Ich bin hier nicht sonderlich willkommen.« Seine Stimme klang tiefer. »Nicht erwünscht – nirgends.«
»Ach, Unsinn!« gab ich zurück. »Jeder ist irgendwo erwünscht, bei irgend jemandem. Kopf hoch. Sie dürfen sich nicht unterkriegen lassen. Schließlich ist es doch schon sehr viel wert, frei zu sein.« »Niemand ist frei, bis er außer Reichweite seines Feindes ist.« Er sah mich mit einem störenden Anflug von Belustigung an. Es war beinahe, als berücksichtige er, daß ich erst lernen müsse, wie es im Leben wirklich zuging. »Wenn der Gegner alle Kanäle für Information und Propaganda in der Hand hat, wenn er sie dazu benützt, seine eigene Darstellung der Dinge zu verbreiten und die meine völlig zu unterdrücken, wenn er genau berechnete Lügen als Wahrheit anbietet und die Wahrheit als Lüge verdammt, besteht für mich wenig Hoffnung.« »Das ist Ihre Art und Weise, die Dinge zu sehen. Ich kann es Ihnen nicht verdenken, daß Sie nach den gemachten Erfahrungen Bitterkeit empfinden. Aber Sie müssen das vergessen. Hier leben Sie in einer anderen Welt. Wir haben Redefreiheit. Jeder kann sagen und schreiben, was er will.« »Wenn es nur wahr wäre.« »Es ist wahr«, erklärte ich ein wenig gereizt. »Hier können Sie den Maharadscha von Bam einen überheblichen und vollgefressenen Parasiten nennen,
wenn Sie wollen. Niemand kann sie daran hindern, auch nicht die Polizei. Wie gesagt, wir sind frei.« Er stand auf, hochragend zwischen umgreifenden Bäumen. Von meiner sitzenden Position aus erschien er riesenhaft. Der Mond beleuchtete sein Gesicht mit bleichem Geisterglanz. »Ihr Glaube ist tröstlich, aber unbegründet.« »Nein!« widersprach ich. Er wandte sich ab. Sein Umhang wölbte sich und flatterte im Nachtwind, bis er mächtigen Schwingen glich. »Mein Name ist Luzifer«, murmelte er. Danach war nur das Wispern des Windes zu hören.