Ihm verzeih ich alles Charlotte Lamb
Julia 1396
10 1/2000
scanned by suzi_kay
1. KAPITEL Normalerweise genoss Zoe e...
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Ihm verzeih ich alles Charlotte Lamb
Julia 1396
10 1/2000
scanned by suzi_kay
1. KAPITEL Normalerweise genoss Zoe es, nach einem langen Arbeitstag im Wagen nach Hause zu fahren. Dabei konnte sie sich entspannen und ihren Gedanken nachhängen, weil sie den Weg so gut kannte. Oft kamen ihr dann beim Fahren ganz neue Ideen. An diesem Abend war sie jedoch einfach zu erschöpft. Ihr Gesicht, das von flammend rotem Haar gerahmt wurde, wirkte blass, die grünen Augen blickten müde. Bereits um fünf war sie ausgestanden, um sechs am Drehort gewesen und hatte schwarzen Kaffee aus einem Plastikbecher getrunken, während sie die Szene besprachen, die sie filmen wollten. Will, der Kameramann, hatte gestöhnt, als die Sonne am verhangenen Horizont blutrot über nebligen Feldern aufging. "Ich hab's gewusst! Sieh dir den Himmel an! Ein roter Morgenhimmel bedeutet nichts Gutes! Gestern war's so schwül, da wusste ich gleich, dass ein Gewitter im Anzug ist." Gewöhnlich hatte Will einen guten Riecher fürs Wetter. Wie ein Tier konnte er Regen oder Gewitter aufziehen fühlen. Zoe hatte beschlossen weiterzuarbeiten, solange das Wetter hielt, weil Außenaufnahmen am folgenden Tag möglicherweise nicht mehr möglich waren. Also hatten sie bis nach sieben Uhr abends gedreht, als schwere Regengüsse einsetzten. "Isst du mit mir zu Abend?" hatte Will gefragt und sie mit seinen großen blauen Augen bittend angesehen.
Seufzend hatte Zoe gewünscht, er würde aufhören, sich um sie zu bemühen. Sie mochte Will sehr, aber nicht so, wie er es sich erhoffte. "Wir essen alle zusammen", hatte sie diplomatisch erklärt und bei der Verpflegungsfirma warmes Essen bestellt. Als sie am Drehort alle in den Wohnwagen geklettert waren, in dem Will mit seinen kostbaren Kameras schlief, hatte er ihr einen vorwurfsvollen Blick zugeworfen. Er war ein großer, schwerer Mann, beachtlich muskulös, und besaß kantige Züge. Kameras seien weiblich und duldeten keine Rivalinnen, deshalb habe er nie geheiratet, war seine Redensart. Dann und wann war er mit einem der Mädchen vom Film gegangen, doch diese Beziehungen waren nie von Dauer gewesen. Seine Freundinnen waren es bald leid, die zweite Geige zu spielen, weil seine Arbeit ihm über alles ging. Zoe war sicher, dass Will sein Werben schließlich aufgeben würde, wenn sie seine Einladungen immer wieder ablehnte. Außerdem glaubte sie sowieso nicht, dass er es ernst meinte. Er hoffte einfach nur, Erfolg zu haben, wo andere gescheitert waren. Da sie als uneinnehmbare Festung galt, betrachteten manche Männer es als Herausforderung, sie zu erobern. Das wurde allmählich langweilig. Der Chilireis, den die Verpflegungsfirma für das Team geliefert hatte, war genau das Richtige fürs Regenwetter gewesen. Alle hatten sich wie hungrige Wölfe darüber hergemacht, bis auf Zoe, die auf ihre Linie achtete. Kein Wunder, dass ihr jetzt der Magen knurrte. Was hatte sie zu Hause vorrätig, das im Handumdrehen fertig und kalorienarm war? Eier? Suppe? Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett verriet Zoe, dass es fast elf Uhr war. Was brauchte sie dringender? Essen oder Schlaf? Eigentlich beides.
Sie verlangsamte das Tempo an der Ecke der Hauptstraße, wo eine schmale Straße zu ihrem Haus abzweigte. Gähnend wartete Zoe, bis zwei Lastwagen vorbeigebraust waren. Unvermittelt tauchte aus der dunklen Regennacht ein Mann an Zoes Wagenfenster auf, und sie zuckte zusammen. Müde, wie sie war, glaubte sie im ersten Augenblick, sich die Erscheinung nur einzubilden. Doch dann beugte der Fremde sich vor und versuchte, die Tür zu öffnen. Als lebenserfahrene Frau von zweiunddreißig war Zoe es gewöhnt, Entscheidungen zu treffen. Sie hatte vor wenigem Angst - höchstens vielleicht vor Spinnen oder wenn der Etat überzogen oder ein Film nicht rechtzeitig fertig wurde. Doch im Moment war sie müde und abgespannt, und ihr fiel erst jetzt ein, dass sie die Türen zentralverriegelt hatte, ehe sie losgefahren war. Auch der Fremde musste das bemerkt haben, denn er klopfte ans Fenster und sagte etwas, dabei strömte ihm der Regen übers Gesicht, und das Prasseln übertönte seine Stimme. Zoe beugte sich vor und betätigte den elektrischen Fensteröffner so, dass die Scheibe einen Spalt aufglitt. "Was wollen Sie?" Die Stimme des Fremden war dunkel und etwas heiser, als hätte er sich erkältet oder zu viel geraucht. "Mein Wagen streikt. Könnten Sie mich zu einer Werkstatt mitnehmen?" Er war ungewöhnlich groß, und sein dichtes, dunkles Haar wurde von der Kapuze eines alten Marineanoraks halb verdeckt. Ein lockiger schwarzer Bart verbarg den größten Teil der unteren Gesichtshälfte des Mannes, und er wirkte eher wie ein Landstreicher als ein Wagenbesitzer. Unschlüssig betrachtete Zoe ihn. Seine Jeans waren derb und verschmutzt. Selbst wenn ihr Instinkt sie nicht gewarnt hätte, würde sie ihn nicht mitnehmen. Eine Frau, die nachts allein im Wagen unterwegs war, musste verrückt sein, einen fremden Mann in ihr Auto zu
lassen. Zoe kannte genug Horrorgeschichten von Frauen, die das getan hatten. "Die nächste Werkstatt ist schon seit neun geschlossen", erwiderte sie abweisend. "Etwas weiter unten an der Straße, gegenüber der Kirche, befindet sich eine Telefonzelle. Von dort können Sie ein Taxi rufen." Der Mann sah sie mit seinen dunklen Augen" durchdringend an. "Sie können mich hier nicht einfach im Regen stehen lassen", erklärte er scharf. "Ich bin bis auf die Haut durchnässt. Bei der Telefonzelle war ich schon, aber sie ist verwüstet. Etwa drei Kilometer von hier bin ich durch ein Dorf gekommen und habe einen Pub gesehen, der noch geöffnet zu sein scheint. Sie könnten mich ohne große Mühe dort absetzen." "Ich rufe Ihnen mit dem Handy ein Taxi", gab Zoe widerstrebend nach. Sie griff in ihre Handtasche auf dem Beifahrersitz, wühlte darin, bis sie das Handy gefunden hatte, und zeigte es dem Mann. Der Wind blies ihm Regenschwaden ins Gesicht. Frierend schüttelte er sich. "Großartig. Machen Sie dem Fahrer Dampf, damit er schleunigst herkommt, ehe ich mir eine Lungenentzündung hole." Zoe tippte ihren PIN-Code ein, musste jedoch feststellen, dass die Batterie leer war. "Tut mir Leid, es funktioniert nicht." Als Beweis hielt Zoe das Handy hoch. "Ich hab's seit heute Morgen nicht mehr benutzt, aber die Batterien nutzen sich auch ab, wenn man nicht telefoniert." Der Regen rann dem Mann wie Tränen übers Gesicht, und Mitgefühl stieg in ihr auf. Sie hätte nicht mit ihm tauschen mögen. Bei einer Frau hätte sie nicht gezögert, sie mitzunehmen, doch bei einem fremden Mann war das einfach zu gefährlich.
"Hören Sie, ich rufe Ihnen ein Taxi, sobald ich zu Hause bin", versprach sie. "Warten Sie hier, gleich kommt eins vorbei." Doch der Fremde hielt sich an der Tür fest und beugte sich so in den Wagen, dass Zoe sich bedroht fühlte. "Woher soll ich wissen, ob Sie Wort halten?" Nun verlor Zoe die Geduld. Sie war müde, hatte Kopfschmerzen und wollte nur noch nach Hause und schlafen. "Sie müssen mir eben vertrauen. Und jetzt gehen Sie mir bitte aus dem Weg, sonst fahre ich los, auch wenn Sie sich an die Tür klammern. Und glauben Sie nicht, dass ich das nicht fertig bringe." "Ach, das traue ich Ihnen durchaus zu!" Der Mann ließ die Tür nicht los. "Haben Sie sich aber auch überlegt, wie das in den Medien klingen wird?" Zoe war sicher, dass der Mann zurückweichen würde, sobald sie losfuhr. Sicherheitshalber drückte sie auf die Taste, um die Scheibe zu schließen. Zwar versuchte der Fremde, das Fenster offen zu halten, konnte jedoch nicht verhindern, dass die Scheibe nach oben glitt. Wenn er nicht eingeklemmt werden wollte, musste er die Hand zurückziehen. Entschlossen gab Zoe Gas und fuhr davon. Im Rückspiegel erhaschte sie einen Blick auf den Mann, der im strömenden Regen stand und ihr starr nachsah. Selbst auf die Entfernung wirkte er ungewöhnlich breitschultrig und groß - Zoe schätzte ihn auf gut einen Meter neunzig -, und die nassen Jeans klebten ihm an den langen, muskulösen Beinen. Sie musste sich eingestehen, dass er attraktiv und kraftvoll aussah. Doch sie gehörte nicht zu den Frauen, die sich für Männer wie ihn interessierten. Irgendwie erinnerte er sie an jemanden, aber Zoe war zu müde, um darüber nachzudenken, während sie die schmale Straße entlang zu ihrem Haus fuhr. Nach drei Minuten sah sie
das rote Dach, das von den Bäumen in ihrem Garten halb verdeckt wurde. Zoe hatte "Ivydene" wegen seiner friedvollen Lage und dem malerischen Blick auf Felder und Wälder inmitten einer fast noch unberührt wirkenden Landschaft gekauft. Zwar gab es in der Umgebung noch andere Häuser, die jedoch, hinter Bäumen verborgen, in die Landschaft eingebettet lagen. Unmittelbare Nachbarn gab es nicht, so dass auch keine erleuchteten Fenster zu sehen waren. An diesem Abend wünschte Zoe, es wäre nicht so. Die kurze Begegnung mit dem Mann hatte sie beunruhigt. Sie bog in ihre Auffahrt ein, stellte den Wagen direkt vor der Haustür ab und eilte unter das schützende rot gedeckte Verandadach des Eingangs. Von dort verschloss sie den Wagen. Der Regen trommelte auf das Verandadach und rann über die. Efeuranken an den Wänden. Rasch zog Zoe ihre Regenjacke aus und hängte sie zum Abtropfen an einen Mauerhaken. Nachdem Zoe sich auch der Stiefel entledigt und sie an die Verandawand gestellt hatte, schloss sie die Haustür auf und schaltete das Licht in der Diele ein. Sekundenlang stand Zoe reglos da und lauschte, doch außer dem lauten Ticken der großen viktorianischen Standuhr in der Diele war alles still. Seit drei Jahren wohnte Zoe nun hier. Als sie das Haus mit den drei Schlafzimmern gekauft hatte, war es ziemlich heruntergewirtschaftet gewesen. Nachdem es ein Jahr lang leer gestanden hatte, war das Dach undicht gewesen, an den Tapeten hatte sich Schimmel gebildet, und Jungen aus der Nachbarschaft hatten einige Fenster zertrümmert. Um die teuren Renovierungskosten zu sparen, hatte Zoe das Haus in ihrer Freizeit selbst auf Vordermann gebracht, es gestrichen, tapeziert und Vorhänge und Teppiche ausgesucht. Das gemütliche kleine Landhaus war in der Zeit König Eduards gebaut worden, und seine geräumigen Zimmer zeichneten sich durch hohe Decken, Stuckverzierungen, elegante
schmiedeeiserne Feuerstellen und massive Eichentüren aus. Sogar eine Anrichtekammer war vorhanden. Auf Strumpf en ging Zoe in die Küche und begutachtete den Inhalt des Kühlschranks. Sie fand nichts Besonderes. Wenn sie zu dieser späten Stunde etwas Schweres aß, würde sie nicht schlafen können. Also war es besser, sich mit Tomatensuppe und Toast zu begnügen. Im Nu hatte Zoe eine Dose geöffnet und den Inhalt zum Erhitzen in einen kleinen Topf gegeben. Jetzt brauchte sie nur noch zwei Scheiben Brot in den Toaster zu schieben. Danach ging Zoe ins Wohnzimmer und schaltete den Anrufbeantworter ein. Sie musste lächeln, als die fröhliche Stimme ihrer Schwester den Raum erfüllte. "Hallo, ich bin's. Vergiss die Grillparty am Samstag nicht, so um sechs. Wenn du willst, bring jemanden mit - wer ist der neueste Glückliche? Und irgendeine Flasche. Limo, Wein, egal was." Im Hintergrund ertönte Gequieke, untermalt von Gehämmer und krachenden Geräuschen. "Sing leise, Liebes", sagte Sancha in dem gewohnt nachsichtigen Ton, mit dem sie stets mit dem kleinen Ungeheuer sprach, das Flora hieß. Sollte dieses Gewimmer wirklich Singen sein? Zoe schaltete das erstaunlich echt aussehende elektrische Holzfeuer der Herdstelle ein. Die Zentralheizung ging abends automatisch um sechs an, doch sie lieferte nur Hintergrundwärme, und in einer Nacht wie dieser brauchte Zoe das Gefühl, vor Flammen zu sitzen. "Zoe, ich habe aufregende Neuigkeiten für dich! Ich ... lass die Katze, Liebling!" rief Sancha unvermittelt, und Fauchen und Miauen mischten sich in Floras Gesang. "Muss Schluss machen", erklärte Sancha hastig. "Sie versucht, die Katze durch die Laufstallstäbe zu ziehen. Zoe, denk daran, und komm nicht zu spät. Bis dann!" Sie legte auf, Surren ertönte, dann meldete sich eine andere Stimme.
"Zoe, bitte, ich muss dich sprechen. Darüber sollten wir doch reden können!" Zoe bediente den Schnellvorlauf, um Larrys rauchige Stimme nicht hören zu müssen. Noch vor wenigen Wochen hatte sie sich gern mit ihm getroffen, doch mehr war da nicht gewesen. Sie hatten einfach nur Spaß gehabt. Larry war ein netter junger Mann, als er aber anfing, die Sache ernst zu nehmen, hatte Zoe die Beziehung beendet. Ein glatter Bruch war besser, ehe Larry zu viel erwartete. Früher hatte Zoe manchmal gezögert und eine Beziehung zu lange fortgesetzt. Sie wollte niemandem wehtun, sich jedoch auch nicht verpflichtet fühlen, mit jemandem ins Bett zu gehen, den sie nicht liebte. Das Problem war nur, dass Larry sich nicht abweisen ließ. Nachdem Zoe ihm gesagt hatte, dass sie ihn nicht mehr treffen wolle, rief er sie mehrmals täglich an und schickte ihr beschwörende Liebesbriefe, die sie nervten. Dabei war sie nicht die erste Frau für ihn. Er hatte andere Freundinnen gehabt. Zoe wusste alles über sie, weil Larry darauf bestanden hatte, ihr alle Einzelheiten seiner früheren Beziehungen zu schildern, obwohl Zoe sie gar nicht hören wollte. Anfangs hatte sie Larry sehr gemocht, bis seine fast besessene Art, ihr seine Vergangenheit aufzudrängen, sie abzustoßen begann. Zoe selbst sprach nie von den Männern, die sie gekannt hatte. Sie schaltete diese Erinnerungen einfach ab wie ein Fernsehgerät. Lebe im Jetzt, war ihre Devise. Die Zukunft lockt. Für sie war die Vergangenheit ein Land, das sie hinter sich gelassen hatte. Warum Zeit auf etwas verschwenden, das nicht wiederkehrt? hatte sie Larry erklärt. Daraufhin hatte er fast triumphierend gelacht und gefragt, ob sie eifersüchtig sei. Das sei unnötig, hatte er ihr versichert. Keine seiner früheren Freundinnen hätte ihm so viel bedeutet wie sie. Sie sei die Frau seiner Träume. Lieber wolle er sterben, als sie zu verlieren.
An diesem Punkt hatte Zoe beschlossen, sich von Larry zu trennen. Die Sache wurde ihr zu erdrückend. Bedauerlich, dass sie nicht schon früher erkannt hatte, wie besitzergreifend er war. Dann wäre sie gar nicht erst mit ihm ausgegangen. Inzwischen wünschte sie, ihm nie begegnet zu sein. Jetzt ging es ihr nur noch darum: Wie konnte sie ihn dazu bringen, sie endlich in Ruhe zu lassen? Seufzend strich Zoe sich eine rötlich braune Locke aus dem Gesicht. Morgen würde sie Larry einen höflich kühlen Brief schreiben und ihn bitten, sie nicht mehr anzurufen oder ihr zu schreiben. Wenn er dann nicht begriff, musste sie einen Anwalt einschalten. Larry komplizierte ihr Leben nur, und sie hatte genug von ihm. Der nächste Anrufer auf dem Band war ein anderer Mann, dessen klagende Stimme Zoe ein Lächeln entlockte. "Zoe, ich bin gar nicht glücklich über die Entwicklung der Kosten,..." "Was gibt's sonst Neues?" bemerkte sie ironisch. Während der Buchhalter der Produktionsfirma jammernd eine Ausgabenliste herunterleierte, eilte Zoe in die Küche zurück, um zu verhindern, dass die Suppe anbrannte. Sie schaltete die Herdplatte aus, deckte ein Tablett, füllte Suppe in eine Schale, bestrich den Toast dünn mit Butter und trug alles ins Wohnzimmer. Philip Cross predigte immer noch düster vor sich hin, als Zoe es sich in ihrem Armsessel vor dem elektrischen Kaminfeuer gemütlich machte. "Bitte versuch zu sparen, wo immer du kannst, Zoe. Die Produktionsrechnungen sind erschreckend hoch. Ich faxe dir eine Liste mit Einsparvorschlägen. Die Transportkosten, zum Beispiel, ufern immer mehr aus - es muss doch auch billigere Möglichkeiten geben. Ruf mich an, nachdem du die Liste durchgegangen bist, und lass mich wissen, wie du darüber denkst."
Der Anrufbeantworter schaltete sich aus, und Zoe verzog das Gesicht. "Verkriech dich in deine Spinnstube, du staubige Buchhalterseele! Ich werde dir sagen, was ich denke, aber das wird dir nicht gefallen." Zoe ließ sich Tomatensuppe und Toast schmecken und verbannte Philip Cross und seine Sparpredigt aus ihren Gedanken. Im Moment wollte sie sich nicht damit befassen. Die Wärme des Feuers wirkte entspannend auf ihre müden Glieder, und sie genoss den Frieden um sich her. Nach dem Essen lehnte Zoe sich wohlig zurück, blickte auf die Kunstscheite und gähnte einige Male. Wenn sie nicht bald aufstand, würde sie im Sessel einschlafen. Langsam richtete sie sich auf und reckte sich. Dieser Tag hatte es in sich gehabt, bis zum Schluss, als dieser Bärtige ... Meine Güte! Den Mann hatte sie völlig vergessen! Zoe blickte auf die Uhr und stellte fest, dass seit ihrer Heimkehr eine halbe Stunde vergangen war. Ob der Typ immer noch dort wartete? Hatte es jetzt überhaupt noch Sinn, ihm ein Taxi zu bestellen? Aber sie hatte es versprochen und musste Wort halten. Kurz entschlossen nahm Zoe den Hörer auf und wählte die Nummer des Taxiunternehmens im Ort, das sie gewöhnlich beauftragte. Eine freundliche Männerstimme meldete sich. "Hallo, hier ist Zoe Collins." Sie berichtete von dem Autofahrer mit der Panne. "Könnten Sie bitte jemanden hinschicken, für den Fall, dass er noch dort ist. Falls nicht, berechnen Sie mir die Leerfahrt." "Geht in Ordnung, Miss Collins. Wir schicken jemanden hin", versprach der Mann und legte auf. Zoe schaltete das Licht aus, trug das Tablett in die Küche, lud die Geschirrspülmaschine und ging nach oben, um vor dem Schlafengehen zu duschen. Den ganzen Tag über hatte sie
körperlich und geistig unermüdlich gearbeitet: Sie hatte dem Team beim Rücken schwerer Gerätschaften geholfen, die Einstellungen konzentriert überwacht. Dabei war .sie ständig herumgelaufen, um sicherzugehen, dass die Darsteller ihr Bestes gaben. Die Arbeit war hart und anspruchsvoll und forderte die ganze Frau. Zoes Glieder schmerzten, und sie sehnte sich danach, die Spuren des Tages abzuwaschen. Im Schlafzimmer zog sie sich aus, ging ins Bad und drehte die Dusche an. Das warme Wasser rann ihr herrlich sinnlich über Rücken und Brüste, den flachen Bauch, die Hüften und zwischen die Schenkel. Zoe hielt die Augen geschlossen und strich sich wohlig seufzend das nasse Haar aus dem Gesicht. Jetzt fühlte sie sich wieder wie ein Mensch. Dieser Augenblick gehörte für sie zu den schönsten des Tages. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, schlüpfte sie in einen warmen grünen Pyjama und wollte ins Bett gehen, als ihr einfiel, dass sie das Drehbuch unten gelassen hatte. Vor dem Einschlafen wollte sie die Szenen nochmals durchgehen, die am Morgen gedreht werden sollten. Sie eilte nach unten und fand das Drehbuch auf dem Küchentisch, wo sie es hingelegt hatte. Zoe nahm es auf und wollte damit nach oben zurückkehren, blieb jedoch wie angewurzelt stehen, weil sie ein Geräusch wahrgenommen hatte, das von draußen zu kommen schien. Mit angehaltenem Atem lauschte sie. Wieder knarrte eine Bohle. Atmete da nicht jemand leise? Zoe bekam eine Gänsehaut. Sie hatte es sich nicht eingebildet. Draußen war jemand. Fieberhaft überlegte sie. Was konnte sie notfalls als Waffe benutzen? Den Fleischklopfer? Eines von den superscharfen Küchenmessern, die sie in der Schublade aufbewahrte? Nein, die waren zu gefährlich. Der Einbrecher konnte es ihr entwinden und gegen sie einsetzen. Zoes Blick fiel auf das Tablett, das sie benutzt hatte. Es war aus lackiertem Holz und sehr schwer.
Wenn sie dem Einbrecher damit eins über den Kopf zog, würde er vermutlich lange genug bewusstlos sein, dass sie die Polizei rufen konnte. Lautlos legte Zoe das Drehbuch auf den Tisch zurück, nahm das Tablett und Schlich damit in die Diele. In diesem Moment bewegte sich langsam der Knauf der Haustür, und sie wurde geöffnet. Zoe hob die Behelfswaffe über den Kopf und wartete reglos, dabei versuchte sie, ganz flach zu atmen. Als eine dunkle Gestalt im Türrahmen erschien, sprang Zoe vor und schlug mit dem Tablett zu. Doch der Einbrecher musste gespürt haben, dass sie hinter der Tür lauerte, oder er hatte ihr Spiegelbild im gegenüberliegenden Fenster gesehen, denn er reagierte ebenso prompt wie sie. Blitzschnell entriss er ihr das Tablett, ehe es ihn am Kopf treffen konnte, und schleuderte es durch den Raum, so dass es krachend auf dem Boden landete. Sekunden später erkannte Zoe den Mann, und ihr wurde eiskalt. Die Größe, der Bart, das dunkle Haar ... Herrje, das musste der Typ sein, den sie im Wagen hatte mitnehmen sollen! "Versuchen Sie gar nicht erst, mir nahe zu kommen." Sie tastete nach einem Stuhl, mit dem sie den Mann abwehren konnte. "Ich habe einen Kurs in Selbstverteidigung gemacht." "Bilden Sie sich bloß nicht ein, ich hätte Interesse an Ihnen!" Seine Augen glitzerten verächtlich, und Zoe schoss das Blut ins Gesicht. Doch sie gab sich gefasst und hielt den Stuhl wie einen Schild vor sich. "Was wollen Sie dann? Und wie sind Sie hierher gekommen?" "Zu Fuß. Und dank Ihnen bin ich jetzt noch nasser als vorher." "Und wieso sollte das meine Schuld sein? Ich habe den Regen schließlich nicht gemacht!" "Sie hatten versprochen, mir ein Taxi zu schicken."
"Das habe ich auch getan. Aber anscheinend haben Sie nicht lange genug gewartet." Als der Mann sie durchdringend ansah, schlug Zoe das Gewissen. Widerstrebend gab sie zu: "Na ja, ich hatte Sie anfangs vergessen, aber dann ist es mir wieder eingefallen, und ich habe das Taxiunternehmen angerufen, das ich immer beauftrage, und gebeten, dass man Sie abholt." "Und warum ist niemand gekommen?" "Woher soll ich das wissen? Aber ich habe angerufen - los, wählen Sie, und überzeugen Sie sich selbst. Dann können sie den Fahrer gleich schicken, damit er Sie abholt. Das Telefon steht dort." Zoe deutete auf die Wohnzimmertür. "Die Nummer steht auf dem Notizblock daneben. Fühlen Sie sich wie zu Hause." "Das gedenke ich auch zu tun", erklärte der Mann grimmig. Zoe wurde mulmig. "Wie meinen Sie das?" "Ich bin bis auf die Haut durchnässt, mir ist kalt, ich bin müde und halb verhungert. Nachdem ich den ganzen Weg im strömenden Regen bis hierher gelaufen bin, habe ich nicht die Absicht, in den nassen Klamotten auf ein Taxi zu warten. Jetzt brauche ich dringend erst mal ein heißes Bad, warme Sachen und etwas zu essen - in genau der Reihenfolge. Und da Sie Ihr Versprechen nicht gehalten haben, mir sofort ein Taxi zu rufen, schulden Sie mir die Dinge, die ich brauche." "Hören Sie, es tut mir Leid, dass ich das mit dem Taxi vergessen habe, aber ich bin für Ihre Probleme nicht verantwortlich. Ich habe Ihre Wagenpanne nicht verursacht und den Regen nicht bestellt. Also hören Sie auf, mir für alles die Schuld zu geben. Wie haben Sie es überhaupt fertig gebracht, mir zu folgen? Woher wussten Sie, wo ich wohne?" In den Augen des Fremden blitzte es auf, und ein ausweichender Ausdruck huschte über seine Züge. Zoe war plötzlich alarmiert. Was hatte das Ganze zu bedeuten? Irgendwie spürte sie auf einmal, dass er sie kannte oder genau
gewusst hatte, wo sie wohnte. Was ging hier vor? Wer war dieser Mann? "Sind Sie einer von meinen Nachbarn?" Die meisten Leute in der Umgebung kannte Zoe vom Sehen oder zumindest dem Namen nach, aber dieser Mann war ihr fremd. Falls sie ihn je vorher gesehen hatte, hätte sie sich bestimmt an ihn erinnert. Sie musterte den Eindringling nun genauer. Halt! Hatte sie vorhin nicht flüchtig das Gefühl gehabt, dass ihr etwas an ihm vertraut vorkam? Fieberhaft überlegte sie. Hatte sie ihn schon irgendwo getroffen? Und wenn ja, wo? Doch Zoe fiel nichts ein, obwohl das Gefühl blieb, dass sie ihn irgendwie, irgendwo schon einmal gesehen hatte. "Nein." Er zuckte mit den Schultern. "Ich habe eine Wohnung in London." Das erklärte noch lange nicht, wie er ihr Haus gefunden oder es geschafft hatte, bei ihr einzudringen. Scharf erinnerte Zoe ihn: "Sie haben mir immer noch nicht verraten, wie Sie hierher oder ins Haus gekommen sind." Das trug ihr einen feindseligen Blick ein. "Ich habe in dem Wolkenbruch zwanzig Minuten gewartet, bis mir klar wurde, dass Sie mir kein Taxi gerufen haben. Daraufhin bin ich Ihrem Wagen nachgegangen, weil ich mir dachte, dass es irgendwo Häuser geben müsste und ich bei jemandem telefonieren könnte. Als ich hier Licht sah, bin ich die Auffahrt entlanggegangen. Dann habe ich Ihren Wagen draußen wiedererkannt und einige Minuten an der Haustür geklopft, aber vergeblich." Da muss ich gerade geduscht haben, dachte Zoe. "Schließlich merkte ich, dass die Haustür unverschlossen war", setzte der Mann hinzu. "Sie lügen! Ich hatte abgeschlossen." "Nein, das haben Sie nicht. Sie war unverschlossen überzeugen Sie sich selbst", forderte der Fremde sie auf. Tatsächlich wusste Zoe nicht mehr so genau, ob sie abgeschlossen hatte oder nicht. Normalerweise tat sie das stets.
Diesmal hatte sie es jedoch besonders eilig gehabt, ins Haus zu kommen. Unschlüssig betrachtete sie die abgespannten Züge des Fremden, seine triefnasse Kleidung, und das Mitgefühl trug den Sieg davon. "Natürlich kann ich Ihnen etwas Heißes zu essen und zu trinken anbieten, aber Männersachen habe ich leider nicht. Es wäre sinnlos, Sie hier baden zu lassen und Sie dann wieder in den Regen rauszuschicken. Ich rufe das Taxiuntemehmen noch einmal an und mache Ihnen etwas zu essen, während Sie auf den Wagen warten. Was halten Sie davon?" "Hal hat Recht. Sie sind eine kaltblütige kleine Hexe", höhnte der Fremde. Argwöhnisch sah Zoe ihn an. "Hal?" "Mein Cousin Hal Thaxford." Plötzlich dämmerte es ihr. "Hal Thaxford? Sie sind sein Cousin?" Forschend betrachtete sie die Züge des Fremden, und nun wusste sie endlich, wieso er ihr bekannt vorgekommen war. Die Ähnlichkeit war da - die gleiche Hautfarbe, die gleiche Gestalt und Gesichtsform, der finstere Blick, der Hal Thaxford zu einem der bekanntesten Fernsehstars gemacht hatte. Zoe hielt nicht viel von seinen schauspielerischen Fähigkeiten. Meist tauchte er nur oberflächlich in die Rollen ein, die er spielte, und setzte vor allem auf sein blendendes Aussehen, seine erotische Ausstrahlung und die Wirkung seiner finsteren Blicke, die bei den Frauen groß ankamen. Er war stets ausgebucht und kassierte Spitzengagen, warum sich also die Mühe machen, schauspielerisch an sich zu arbeiten? "Sind Sie auch Schauspieler?" "Nein", erwiderte der Fremde verächtlich. "Ich habe nichts mit der Filmbranche zu tun, aber ich kenne die Glitzerwelt, in der Sie zu Hause sind. Hai hat mir genug davon erzählt - und auch von Ihnen."
Angelegentlich betrachtete er Zoes schlanke Gestalt in dem Pyjama, der ihre kleinen Brüste betonte und die Hüften und die langen, schlanken Beine locker umspielte. Der abschätzige Ausdruck in seinen Augen ärgerte Zoe. Gut, Hai mochte sie nicht besonders, aber das beruhte auf Gegenseitigkeit. Sie gehörte nicht zu seinen Bewunderinnen. Aber was mochte Hai diesem Mann gesagt haben, dass er sie so ansah? Zoe sollte es schnell erfahren. "Ich weiß von den berechnenden, herzlosen Spielchen, die Sie mit Männern treiben. Sie flirten mit ihnen, machen sie in sich verliebt, um sie dann eiskalt fallen zu lassen, wenn Sie ihrer überdrüssig sind. Damals habe ich Hals Geschichten unter Vorbehalt hingenommen. Ich habe seine Fotos von Ihnen gesehen und wollte einfach nicht glauben, dass eine Frau mit Ihrem Aussehen so ein Biest sein kann. Aber nachdem ich Sie jetzt erlebt habe, ist mir klar, dass Hai nicht einen Deut übertrieben hat." Als der Fremde einfach an ihr vorbei ins Wohnzimmer ging, war Zoe so verblüfft, dass sie einen Augenblick brauchte, ehe sie sich gefangen hatte und ihm nachstürmte. "Was haben Sie vor?" Sprachlos verfolgte sie, wie der Mann das Telefon ausstöpselte. "Schließen Sie den Apparat sofort wieder an!" Er drehte sich um und packte sie am Arm. "Kommen Sie mit." Zoe dachte nicht daran, ihm den Gefallen zu tun, und wehrte sich energisch. "Lassen Sie mich los, und verschwinden Sie aus meinem Haus!" "Ich habe keine Zeit, mich mit Ihnen auseinander zu setzen." Ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte der Mann ihr den Arm um die Taille gelegt und hob sie wie ein Kind hoch. Atemlos tobte Zoe: "Setzen Sie mich ab! Sofort! Für wen halten Sie sich eigentlich?"
Ohne zu antworten, warf der Fremde sie sich über die Schulter, so dass Zoes Kopf nach unten hing. Wütend trat sie mit den Füßen gegen seinen Körper und trommelte mit den Fäusten auf ihn ein. "Ich bringe Sie nach oben", erklärte der Fremde kühl und trug sie durch die Diele. Zoe war starr vor Angst, und Eiseskälte kroch in ihr hoch.
2. KAPITEL Oben angekommen, hatte Zoe sich vom ersten Schreck erholt und konnte wieder klarer denken. Sicher, der Mann war größer und sehr viel stärker als sie, aber so schnell gab sie sich nicht geschlagen. Ihr Kampfgeist war ungebrochen. Als der Fremde sie durch die offene Schlafzimmertür trug, griff Zoe ihm ins Haar und riss mit aller Kraft daran. "Lassen Sie mich runter!" Das tat er nun endlich. Er warf Zoe aufs Bett, das sie federnd auffing. Doch ehe er sie aufhalten konnte, rollte sie sich blitzschnell zur anderen Seite und sprang auf. Den Rücken gegen die Wand gedrückt, griff sie nach dem nächstbesten Gegenstand, der sich als Waffe eignete - eine schwere Bronzefigur, die Zoe vor Jahren als ersten Preis für eine Fernsehdokumentation erhalten hatte. Seitdem stand die Statue auf dem Wandregal neben dem Bett, weil Zoe über die Auszeichnung so stolz gewesen war, dass sie tagelang wie auf Wolken geschwebt war. Danach hatte sie andere Preise gewonnen, doch über keinen war sie so glücklich gewesen. Jetzt hielt sie die Figur wie einen Schläger hoch und sah den Fremden drohend an. "Glauben Sie nicht, ich würde nicht zuschlagen. Das Ding ist sehr schwer - massiv Bronze. Wenn ich Sie damit treffe, wird das ziemlich schmerzhaft, das dürfen Sie mir glauben! Also halten Sie sich lieber von mir fern,
Mister, sonst ziehe ich Ihnen eins über! Kommen Sie ja nicht näher." Tatsächlich drehte der Mann sich zur Tür um, doch statt hinauszugehen, wie Zoe gehofft hatte, schloss er von innen ab und steckte den Schlüssel in die Tasche. Zoes Kehle wurde trocken. Angespannt beobachtete sie den Eindringling und packte die Figur fester. "Ich meine es ernst! Bleiben Sie mir vom Leib, sonst wird es Ihnen Leid tun!" Doch der Mann kehrte zurück. Zoe hielt den Atem an, bereit, sofort zuzuschlagen. Der Fremde kam jedoch nicht zum Bett, sondern ging schnurstracks auf das Bad zu. Ohne Zoe eines Blickes zu würdigen, öffnete er die Badezimmertür, betrat den Raum und riegelte hinter sich ab, während Zoe fassungslos zusah. Gleich darauf wurde die Dusche aufgedreht, Wasserrauschen ertönte, und eine dunkle Männerstimme sang ein bekanntes Lied, dessen Titel Zoe im Moment nicht einfiel. Plötzlich kam sie sich in ihrer Ecke mit der hoch erhobenen Figur in den Händen lächerlich vor. Also stellte Zoe sie an den gewohnten Platz zurück und kletterte über das Bett. Schnell schlüpfte sie in ihre ältesten Jeans und einen viel zu langen grauen Pullover, den Zoe sich einmal von einem Freund geborgt hatte. Nach dem Ende der Beziehung hatte Zoe vergessen, das gute Stück zurückzugeben. Armer Jimmy! Er war .wie sein Pullover: lang, dünn und grau. Graue Augen, graubraunes Haar, eine traurige, bedrückte Gestalt. Warum sie überhaupt mit ihm gegangen war, verstand Zoe inzwischen selbst nicht mehr. In jenem Jahr war sie gerade zwanzig gewesen, Jimmy, der Dokumentarregisseur einer Fernsehgesellschaft, bereits vierzig, also doppelt so alt. Sein berufliches Ansehen hatte Zoe stark beeindruckt, und sie hatte seine Essenseinladung geschmeichelt angenommen. Danach hatte er Zoe mit seiner traurigen Art eigentlich nur noch gelangweilt, wenn er sie ins Theater
ausgeführt hatte oder an warmen Sonntagnachmittagen mit ihr ans Meer gefahren war. Als Zoe eines Tages gemerkt hatte, dass Jimmy sie heiraten wollte, hatte sie die Beziehung beendet. Jimmy war das Herz gebrochen, und er hatte sich traurig zurückgezogen. Ein halbes Jahr später war er mit einem Mädchen namens Fifi verheiratet gewesen, das er im Urlaub in Paris kennen gelernt hatte. Inzwischen besaßen die beiden drei Kinder, wie Zoe gehört hatte, und Jimmy hatte sich vom Fernsehen verabschiedet, um in der Normandie Schweine zu züchten. Gebrochene Herzen heilen schnell, dachte Zoe ironisch. "Danny Boy" hieß das Lied, das der Mann unter der Dusche sang, fiel es Zoe plötzlich ein. Er sang gut - seine Stimme war nicht ausgebildet, aber sie klang wohltönend. Zoe wurde bewusst, dass der Gesang verstummt und die Dusche abgestellt worden war. Was der Mann jetzt wohl machte? Sicher trocknete er sich ab. Zoe versuchte sich vorzustellen, wie er nackt aussehen mochte. Sofort verbot sie sich, den Gedanken weiterzuspinnen. Die Badezimmertür wurde entriegelt, der Knauf drehte sich, und der Fremde kam heraus, in einen schwarzen Bademantel gehüllt, der ihm knapp bis zu den Knien reichte. Das Kleidungsstück, das im Bad gehangen hatte, gehörte Zoe. Da der Mann entschieden größer und kräftiger gebaut war als sie, ließ es sich gerade noch in der Taille schließen. Sicherheitshalber hatte der Fremde den Gürtel verknotet, damit der Mantel nicht auf ging, aber er war entschieden zu kurz für seinen Träger. Er wirkte darin so komisch, das Zoe gelacht hätte, wenn ihr nicht eingefallen wäre, dass er unter dem Mantel nackt sein musste. Seine langen Beine waren noch feucht, das dunkle, nasse Haar klebte ihm am Kopf, und seine schmalen, muskulösen Füße waren nackt. Himmel, der Kerl war umwerfend sexy!
Es beunruhigte Zoe, mit ihm allein zu sein, vor allem, nachdem er nur noch so spärlich bekleidet war. "Ziehen Sie Ihre Sachen wieder an", forderte sie ihn auf. Er sah sie auf eine Weise an, die ihre Haut prickeln ließ. "Das soll wohl ein Scherz sein? Das Zeug ist nass und kalt. Haben Sie nicht doch irgendwelche Männersachen im Haus? Einer Ihrer Freunde hat doch sicher etwas hier gelassen." "Nein. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt." "Tja, vielleicht gehören Sie ja zu den Damen, die Kleidung mit den Männern ausrangieren", spottete der Fremde. Seine Bemerkung empörte Zoe, und ihre grünen Augen blitzten. Warte, Hal Thaxford, bis ich dich zu fassen bekomme! dachte sie. Wie konnte er es wagen, boshafte Gerüchte über sie zu verbreiten! "Hören Sie ... Mr. ... wie immer Sie heißen ..." "Hillier. Connel Hillier." Er begann, im Schlafzimmer auf und ab zu gehen und Schrank und Schubladen zu öffnen, um darin herumzustöbern. Ein ungewöhnlicher Name, dachte Zoe. Connel. Er gefiel ihr. "Also, Mr. Hillier ..." Sie sprach nicht weiter, weil ihr bewusst wurde, was er tat. "Was fällt Ihnen ein? Sie haben kein Recht, mein Zimmer zu durchsuchen! Außerdem ist das sowieso umsonst, denn bei mir finden Sie keine Männersachen." Aufgebracht eilte Zoe zu Connel Hillier und knallte die Schublade zu, in der er wühlte. "Ich habe gesagt, Sie sollen aufhören!" Er richtete sich auf und hielt ihr dunkle Socken hin. Zoe trug stets Socken, wenn sie in Stiefeln zur Arbeit fuhr, was im Winter oder bei nassem Wetter häufig der Fall war. "Welche Größe haben die? Aber eigentlich ist das egal, sie sind dehnbar, da müssten sie mir passen." Prompt setzte Connel Hillier sich aufs Bett und hob einen Fuß. Zoe erhaschte einen Blick auf seine muskulösen Waden und sah rasch fort. Gleich darauf stand er auf. "Das ist besser.
Meine Füße sind eiskalt. Ich hoffe, Sie haben wenigstens etwas zu essen im Haus. Ich bin ausgehungert. Gehen wir nach unten, dort können Sie mir etwas kochen." So viel Frechheit verschlug Zoe glatt die Sprache, was ihr nicht oft passierte. Vom ersten Augenblick an hatte sie diesen Mann nicht gemocht, nun hasste sie ihn. Gerade hatte sie sich wieder etwas gefasst, jetzt brauste sie erneut auf, "Hören Sie, Sie menschliche Dampfwalze, würden Sie endlich aufhören, mich herumzukommandieren?" "Dampfwalzen walzen, sie kommandieren nicht." Connel Hillier ging wieder ins Bad und kehrte mit seinen Sachen zurück. Wortlos holte er den Schlüssel aus der Hosentasche und schloss die Schlafzimmertür auf. Ohne sich zu vergewissern, ob Zoe ihm folgte, verschwand er aus dem Raum. Sie sah, dass er den Schlüssel stecken gelassen hatte, und war versucht, sich im Schlafzimmer einzuschließen, als ihr einfiel, dass dieser Mensch dann ungehindert im ganzen Haus herumschnüffeln und sich möglicherweise mit der Hälfte ihrer Habe davonmachen konnte. Wütend eilte Zoe ihm nach und überlegte, wie sie ihn loswerden könnte. Ausgerechnet jetzt musste ihr Handy ausfallen! Doch während der Mann aß, gelang es ihr vielleicht, unbemerkt ans Telefon zu kommen, es wieder einzustöpseln und die Polizei zu rufen ... Als Zoe in die Küche kam, stopfte Connel Hillier gerade seine nassen Sachen in ihre Waschmaschine. Er blickte kurz über die Schulter, und in seinen dunklen Augen lag ein ungeduldiger Ausdruck. "Wo ist das Waschpulver?" Fast hätte Zoe sich erboten, ihm die Arbeit abzunehmen, hielt sich jedoch rechtzeitig zurück. Typisch Frau! dachte sie zynisch.
Das wird uns von klein auf eingeimpft! Wie komme ich dazu? Soll er seinen Kram doch selbst waschen! "Im Schrank neben der Waschmaschine", erwiderte sie kühl und handelte sich einen abfälligen Blick ein. Zweifellos hatte Connel Hillier erwartet, dass sie ihm anbot, die Sachen für ihn zu waschen. Männer wollten ständig bedient werden. So waren sie programmiert. Falls sie je einen Sohn hatte, würde sie dafür sorgen, dass er Frauen nicht als Dienerinnen betrachtete. Während Connel Hillier den Schrank öffnete, sah Zoe sich in der Küche blitzschnell nach einer möglichen Waffe um. Das mit Trockenblumen gefüllte Glasnudelholz aus Griechenland an der Wand? Nein, das war eine Erinnerung an einen der schönsten Urlaube ihres Lebens, das wollte sie nicht opfern. Eine Pfanne? Nicht schwer genug. Aber der Kupfertopf würde eine hübsche Beule hinterlassen. Abwägend betrachtete Zoe das blitzblanke Geschirr neben dem Herd. Die Waschmaschine begann zu pumpeln, und Zoe blickte prüfend zu Connel Hillier. Er inspizierte gerade den Inhalt ihres Kühl- und Gefrierschranks, nahm Packungen heraus und überflog die Zubereitungsanweisungen. "Suppen sind mehr als genug da", sagte Zoe. Connel Hillier begutachtete eine Packung Hühner-Curry und zuckte mit den Schultern. "Suppe wird meinen Hunger nicht gerade stillen - das hier sieht gut aus, und Sie haben ein Mikrowellengerät. Ich esse das hier. Wollen Sie auch etwas?" Die bloße Vorstellung ließ Zoe schaudern. "Nein, danke. Spätabends esse ich nichts Schweres. Außerdem habe ich mir vorhin Suppe aufgewärmt. Hören Sie, ich rufe Ihnen jetzt ein Taxi. Sie können essen, während Sie darauf warten." Connel Hillier schob das Hühner-Curry ins Mikrowellengerät und schaltete es ein. Der Drehteller im Inneren setzte sich in Bewegung. "Ehe ich gehe, brauche ich meine Sachen. Ach, da
ist ja ein Trockner. Da kann ich sie rasch schleudern, wenn der Waschgang abgelaufen ist." Es kostete Zoe Mühe, ruhig zu bleiben. "Aber das dauert Stunden. Wenn Sie gegessen haben, müssen Sie gehen. Ich rufe Ihnen jetzt ein Taxi." Connel Hillier tat, als hätte er sie nicht gehört. Wieder öffnete er Schränke und nahm weitere Packungen heraus. Beim Anblick der folienversiegelten Kaffeebohnen, die er gefunden hatte, verzog er das Gesicht. "Nicht überwältigend, aber die tun's auch." Zoes Wangen begannen zu brennen. "Tut mir Leid, wenn mein Kaffee Ihren hohen Anforderungen nicht entspricht. Wenn Sie das nächste Mal bei mir einbrechen, hoffe ich, Ihnen etwas Besseres bieten zu können." Ihr Sarkasmus prallte glatt an Connel Hillier ab, der jetzt Kaffeebohnen in die elektrische Kaffeemühle schüttete. "Ich mag die alten französischen Holzmühlen", erklärte er umgänglich. "Da hat man das Gefühl, wirklich Kaffee zu haben. Es geht nichts über das Aroma von frisch gemahlenem Kaffee. Pulver ist für mich nur ein Notbehelf." "Mit dem Gerät hier geht es viel schneller und bequemer", widersprach Zoe. "Wie bei der Mikrowelle und dem Trockner braucht man nur einen Bruchteil der Zeit, und Zeit ist für mich kostbar. Ich bin Karrierefrau, kein Heimchen am Herd." Connel Hillier lächelte nur ironisch und begann, kaltes Wasser in die Kaffeemaschine zu füllen. "Wie ich sehe, haben Sie keine Sahne im Kühlschrank. Halten Sie Diät?" Wieder warf er Zoe einen kühl abschätzenden Blick zu, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. "Ich nicht! Aber ich werde mich wohl oder übel mit schwarzem Kaffee begnügen müssen. Hoffentlich haben Sie wenigstens Zucker." "Mr. Hillier, ich habe Sie nicht eingeladen, aber Sie sind hier Gast. Also hören Sie auf, an meiner Lebensweise herumzukritteln!" Zoe war jetzt wirklich wütend. Für wen hielt
der Typ sich eigentlich? "Im Schrank rechts ist Zucker." Sie blickte auf die Uhr. "Hören Sie, ich bin völlig erschöpft. Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir und brauche Schlaf. Morgen muss ich frühzeitig aufstehen. Würden Sie also bitte essen und dann gehen? Dem Taxifahrer ist es bestimmt egal, was Sie anhaben." Dir kam eine Idee. Sie eilte in die Diele und kehrte mit einem langen braunen Viehtreiberregenmantel zurück, den sie vor zwei Jahren in Australien erstanden hatte. "Ziehen Sie den an. Da merkt niemand, was Sie drunter tragen." Connel Hillier stellte einen Teller in den Ofen, den er eingeschaltet hatte. Er blickte auf den Mantel, kam näher, hielt ihn sich ah und nickte. "Wunderbar. Danke. Wenigstens in Kleidungsfragen besitzen Sie Geschmack. Ich borge ihn mir aus. Trotzdem möchte ich meine eigenen Sachen darunter tragen." "Ich schicke Sie Ihnen morgen zu." Doch Connel Hillier schüttelte den Kopf und ging zum Mikrowellengerät, das zu piepen begann. "Nein. Ich warte hier darauf." Fast verzweifelt versuchte Zoe jetzt, ihn loszuwerden. "Dies ist mein Haus!" rief sie außer sich. "Ich will, dass Sie gehen!" Unbeeindruckt nahm Connel Hillier das Curry-Gericht heraus und schnupperte daran. "Duftet verlockend." Er schaltete den Ofen aus, benutzte ein Küchenhandtuch, um den Teller herauszuholen, kippte das goldbraune Huhn mit der Sauce auf den Teller und umgab es mit lockerem weißem Reis, der sich ebenfalls in der Packung befunden hatte. Dann setzte Connel Hillier sich an den Tisch und begann zu essen. "Würden Sie mir bitte Kaffee einschenken?" , "Wie ist Ihre letzte Sklavin gestorben?" "Vor Verzücken." Unter unerhört langen dunklen Wimpern warf Connel Hillier Zoe einen herausfordernden Blick zu. Ihr Sinn für Humor trug den Sieg davon, und sie musste lachen.
Connel Hillier lächelte zufrieden. "Sie haben also doch menschliche Züge." "Menschliche Züge wie Erschöpfung." Zoe goss Kaffee in zwei Becher. Warum sollte sie nicht auch etwas trinken? Wie es aussah, würde sie diesen Nerventöter nicht so schnell loswerden, und schlafen gehen konnte sie nicht, solange er im Haus war. "Wie viele Stunden haben Sie denn heute gearbeitet?" "Ich bin um fünf aufgestanden und war um sechs am Drehort", erklärte Zoe und setzte sich am Tisch Connel Hillier gegenüber. Er betrachtete sie und zog die Brauen hoch. "Ihre Augen sind gerötet. Sie passen genau zu Ihrem Haar." Ihr schoss das Blut in die Wangen. "Danke", erwiderte sie spitz. "Jetzt fühle ich mich richtig toll." Mit halb geschlossenen Lidern fuhr Connel Hillier fort, sie zu mustern. "Die Jeans sind schön ziemlich abgewetzt, aber an Ihnen sehen sie todschick aus. Wie machen Sie das? Das liegt wohl daran, dass Sie eine umwerfende Frau sind und in allem verführerisch wirken - auch mit geröteten Augen. Aber das dürften Ihnen schon Millionen Männer gesagt haben." Er beugte sich vor und küsste Zoe auf den Mund, ehe sie zurückweichen konnte, dann aß er seelenruhig weiter. Verwirrt atmete sie tief ein und war wütend auf sich selbst. Dies war nun wirklich nicht ihr erster Kuss, und er hatte auch nur ein, zwei Sekunden gedauert - fast hätte sie glauben können, ihn sich nur eingebildet zu haben -, doch sie war seltsam aufgewühlt. Demonstrativ fuhr sie sich über den Mund und sah Connel Hillier abschätzig an. "Sie überbieten alles, was Männer sich bei mir an Freiheiten erlaubt haben! Was sind Sie von Beruf? Einer von den Medien-Typen? Vor allem Reporter nehmen sich so etwas heraus." Connel Hillier lachte nur. "Nein. Ich bin Forscher."
"Wie bitte?" Zoe glaubte sich verhört zu haben. Vielleicht war sie so erschöpft, dass ihre Sinne nicht mehr richtig funktionierten. "Forscher." Er war mit dem Essen fertig und schob den Teller von sich. "Ich komme gerade aus Südamerika. Dort habe ich die Anden von Tierra del Fuego bis zur Cord de Merida in Venezuela erkundet. Die Gebirgskette verläuft von einem Ende des Kontinents bis zum anderen über eine Länge von sechstausend Kilometern direkt an der Küste entlang und erreicht Höhen bis über sechstausend Meter. Ich war ein Jahr dort unten und habe meine Zeit mit klettern, filmen und zeichnen verbracht." "Ganz allein?" fragte Zoe ungläubig. Connel Hillier lachte, so dass seine blendend weißen Zähne zu sehen waren. "Nein, zum Glück nicht. Ich war Mitglied einer internationalen Expedition - zwei Dutzend Europäer, alles Spezialisten: Fotografen, zwei Ärzte, Wissenschaftler, Geologen, Biologen. Durchweg ausgebildete Kletterer, das war unerlässlich. In den Bergen muss man sich auskennen und braucht Leute, auf die man sich verlassen kann, sonst kann die Sache tödlich ausgehen." Er gähnte, stand auf, ging zur Waschmaschine und begutachtete den Inhalt. "Ich schalte jetzt auf ,Spülen', damit wir die Sachen schneller in den Trockner stecken können." "Sie sind nicht verheiratet?" Nachdenklich sah Zoe zu, wie Connel Hillier den Waschgang geschickt abkürzte. Connel Hillier drehte sich um und warf ihr einen ironischen Blick zu. "Sagen Sie bloß, Sie hätten Gewissensbisse, sich mit einem verheirateten Mann einzulassen? Davon hat Hal nichts erwähnt." "Hai kennt mich überhaupt nicht!" brauste Zoe auf. "Wir waren noch nicht mal Freunde." "Wie soll ich das verstehen? Meinen Sie mit ,Freunde' Liebhaber?"
"Nein! 'Freunde' im Sinn von Freundschaft. Hal und ich haben zusammengearbeitet..." "Er hat sich nie an Sie heranzumachen versucht?" Connels Stimme klang zweifelnd, und Zoe konnte sich vorstellen, warum. Hal Thaxford hielt sich bei keiner attraktiven Frau zurück. "Doch, er hat", räumte Zoe kühl ein. "Und sich eine Ohrfeige eingehandelt?" "Klar. Ich habe ihm gesagt, ich hätte kein Interesse, aber damit gab er sich erst zufrieden, nachdem ich ihm eine gelangt hatte. Er ist nicht sonderlich intelligent und auch kein guter Schauspieler. Viel zu hölzern. Aber typischerweise hält er sich für unwiderstehlich. Als er endlich begriffen hatte, dass ich nichts von ihm wissen wollte, spielte er den Beleidigten." "Hm." Connel Hillier betrachtete Zoe. "Hals Version klingt ein bisschen anders. Er behauptet, es sei genau umgekehrt gewesen: Er hätte kein Interesse an Ihnen gehabt, und Sie hätten sich damit nicht abfinden wollen." Das überraschte Zoe nicht, und sie zuckte mit den Schultern. "Tja, ich überlasse es Ihnen, wem Sie glauben wollen. Ach übrigens, ich habe auch nicht die Absicht, mich mit Ihnen einzulassen, Mr. Hillier. Irgendwie konnte ich mir fast denken, dass Sie nicht verheiratet sind, denn offensichtlich sind Sie es gewöhnt, sich selbst zu versorgen. Sie wissen, wie eine Waschmaschine funktioniert, und können sich etwas kochen. Wenn Sie verheiratet wären, würde Ihre Frau das bestimmt alles tun." "Heutzutage können die meisten Männer sich selbst versorgen, ob sie verheiratet sind oder nicht." "Manche Männer! Viele halten das nicht mehr für notwendig, sobald sie verheiratet sind." "Na gut, einige wenige. Aber mein Bruder kann ebenso gut ein Dreigänge-Menü auf den Tisch bringen wie seine Frau. Cherry hat eine Führungsposition und kommt oft erst gegen
Mitternacht heim. Da versorgt Declan sich selbst, wenn sie nicht da ist." "Dann haben sie sicher keine Kinder?" Connel Hillier schüttelte den Kopf. "Cherry möchte auf der Karriereleiter ganz nach oben klettern und will in den nächsten Jahren noch keinen Nachwuchs. Aber sie ist ja auch erst sechsundzwanzig, da bleibt ihr noch Zeit." "Und Ihr Bruder findet das gut?" "Eines Tages möchte er schon Kinder haben, aber damit eilt es ihm nicht. Er und Cherry haben erst vor wenigen Monaten geheiratet und lieben Geselligkeit: Essenseinladungen, Premieren, Klubleben. Abends sind sie kaum zu Hause, es sei denn, sie geben selbst eine Party." Zoe hörte zu, doch ihre Lider wurden immer schwerer, und sie gähnte wiederholt verstohlen hinter vorgehaltener Hand. Die Waschmaschine beendete den Spülgang. Connel Hillier nahm die Wäscheschüssel von der Abstellfläche und wartete, dass das Gerät zum Stillstand kam, dabei drehte er Zoe den Rücken zu, berichtete jedoch weiter von seinem Bruder. "Declan ist sowieso noch nicht reif, die Verantwortung für Kinder zu übernehmen. Partys und Gesellschaftsleben sind ihm wichtiger. Manchmal frage ich mich, warum er und Cherry überhaupt geheiratet haben. Sie sind beide so unabhängig und mit ihren eigenen Dingen beschäftigt, dass sie gar nicht wie ein Ehepaar wirken - eher wie eine Wohngemeinschaft. Aber wer weiß schon, was in einer Beziehung vor sich geht? Oft denke ich ..." Connel Hilliers leiser Tonfall wirkte beruhigend und machte irgendwie schläfrig. Zoe gähnte, hörte zu und konnte schließlich die Augen nicht mehr länger offen halten. Langsam fielen sie ihr zu, und der Kopf sank ihr auf die Arme. Später hätte sie nicht sagen können, wann sie eingeschlafen war. Zoe wachte auf, weil Licht ihre Lider traf. Gähnend reckte sie sich - und stellte fest, dass Sonnenschein ins Zimmer fiel.
Wenn Zoe sonst aufwachte, war es noch dunkel, selbst im Sommer. Die Dreharbeiten begannen stets bei Tagesanbruch und wurden erst abgebrochen, wenn das Licht nicht mehr ausreichte. Sie hätte längst fort sein müssen! Alarmiert blickte sie auf den Wecker. Acht Uhr! Schnell setzte Zoe sich auf. Wieso hatte der Wecker nicht geklingelt? Sie konnte ihn doch unmöglich überhört haben. Plötzlich fielen ihr die Ereignisse der Nacht wieder ein. Verstört blickte sie sich in ihrem Schlafzimmer um. Wie war sie hierher gekommen? Sekundenlang konnte sie sich keinen Reim darauf machen. Sie erinnerte sich nur noch, dass sie schläfrig am Tisch gesessen hatte, während Connel Hillier von seinem Bruder erzählte. Dabei musste sie eingenickt sein. Gut, aber wie war sie in ihr Bett gekommen? Panik überkam Zoe, und ihr schlug das Herz bis zum Hals. Was war in der Nacht geschehen? Nachdem sie eingeschlafen war? Zoe erinnerte sich nicht, nach oben gegangen zu sein. Wie war sie hierher gekommen? Sie war voll angekleidet gewesen und hatte den alten grauen Pullover und ihre abwetzten Jeans angehabt. Vorsichtig hob Zoe die Zudecke und blickte an sich herunter. Das Blut schoss ihr ins Gesicht. Sie trug nur noch BH und Slip. "Um Himmels willen!" stöhnte sie. Connel Hillier musste sie heraufgetragen und ausgezogen haben. Und dann ...? Was war dann passiert? Zoe brannten die Wangen, und sie wagte nicht, darüber nachzudenken. Rasch schlug sie die Decke zur Seite, sprang aus dem Bett, riss einen Morgenmantel aus dem Schrank und streifte ihn über. Dann schlich sie zum Treppenabsatz und lauschte. Wo war Connel Hillier? Im Haus herrschte Stille, und nur die vertrauten Geräusche waren zu hören: das beruhigende Ticken der Viktorianischen
Uhr im Wohnzimmer, die Zoe in einem Trödlerladen erstanden hatte, das Summen des elektrischen Kühlschranks in der Küche und aus den Bäumen im Garten das Rascheln der Herbstblätter und Vogelgezwitscher. Auf Zehenspitzen ging Zoe oben von Raum zu Raum. Von Connel Hillier keine Spur. Also stahl Zoe sich nach unten und machte sich dort auf die Suche. Doch er war nirgends im Haus, und nichts schien zu fehlen. Die Küche war blitzblank. Connel Hillier hatte das benutzte Geschirr gespült und weggeräumt, das Becken gesäubert und seine Sachen aus der Schleuder genommen. Sicher hatte er gewartet, bis sie trocken waren, sie dann angezogen und war gegangen. Der Wagen! Zoe rannte zur Haustür und riss sie auf. Doch das Auto stand immer noch vor dem Eingang, wo Zoe es abgestellt hatte. Der Regen trocknete auf dem Lack, und der Chrom blitzte in der Sonne. Verunsichert schloss Zoe die Haustür wieder. Connel Hillier war gegangen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Fast hätte Zoe glauben können, sich den ganzen Zwischenfall nur eingebildet zu haben. Doch das Telefon war immer noch ausgestöpselt. Zoe stellte die Verbindung wieder her und ging nach oben. Sie duschte und kleidete sich, an wie stets, ehe sie zur Arbeit fuhr, doch in Gedanken war sie nicht bei der Sache. Connel Hillier hatte sie nach oben getragen, ausgezogen und ins Bett gebracht. Doch war das alles, was er mit ihr gemacht hatte? Oder war er zu ihr ins Bett gekommen? Hatte er ...? Nein! versuchte Zoe, sich einzureden. Sie wäre ganz sicher aufgewacht, wenn er versucht hätte, mit ihr zu schlafen. Aber sie war auch nicht aufgewacht, als er sie nach oben getragen und ihr die Jeans ausgezogen hatte. Und so leicht waren die nicht abzustreifen ... oder doch?
Zoe überlegte. Vielleicht war sie ja wach geworden ... doch dann müsste sie sich eigentlich daran erinnern. Und sie erinnerte sich an nichts, seit ihr der Kopf auf die Arme gesunken war. Aber darüber wollte Zoe lieber nicht nachdenken. Sie eilte wieder nach unten und kochte sich einen Kaffee, ohne etwas zu essen. Ihr war der Appetit vergangen, und sie fühlte sich elend. Mit dem heißen Kaffeebecher in der Hand ging Zoe ans Fenster und trank einige Schlucke, dabei blickte sie in den hellen Herbstmorgen hinaus und versuchte, die Erinnerungen an die Nacht zu Verdrängen. Nach den wolkenbruchartigen Regengüssen war der Himmel jetzt blau und wolkenlos. Die Sonne schien strahlend wie im Sommer. Braune, goldene und bronzefarbene Blätter wehten über den feuchten Rasen und sammelten sich an der Gartenmauer. Am nächsten freien Tag muss ich das Laub zusammenrechen, nahm Zoe sich vor. Blumen gab es jetzt nur noch wenige: einen Busch dunkelroter Fuchsien, deren glockenförmige Blüten regenfeucht herabhingen, hellblaue und rosa Hortensien, einige weiße Winterrosen. Doch der Herbst brachte andere Freuden. Zoe betrachtete die zarten, tauglitzernden Spinnweben, die im Sonnenschein auf den Büschen kunstvolle Muster bildeten. Doch sosehr Zoe sich auch anstrengte, an andere Dinge zu denken, die Ereignisse der Nacht drängten sich immer wieder in ihr Bewusstsein. Wie sollte sie heute arbeiten können, sich konzentrieren ...? Zoe zuckte zusammen, als das Telefon zu klingeln begann. Zögernd nahm sie den Hörer auf und merkte, dass ihre Finger feucht wurden. "Hallo?" meldete sie sich. Das konnte unmöglich Connel Hillier sein! Warum sollte er sie anrufen? "Zoe?" Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang unsicher, aber sehr vertraut, und Zoe entspannte sich. "Bist du es? Ist alles in Ordnung?" Es war Jane, ihre tüchtige
Produktionshilfe und Mädchen für alles, eine fröhliche junge Frau Anfang zwanzig, die jetzt besorgt klang. Zoe riss sich zusammen und beeilte sich zu versichern: "Natürlich. Warum fragst du?" "Du warst so atemlos. Habe ich dich geweckt? Hast du vergessen, dass du heute ganz früh anfangen wolltest - um halb sechs? Oder hast du verschlafen?" "Ja. Entschuldige. Der Wecker hat nicht geklingelt." Die anderen mussten sie jetzt mit Recht verwünschen, weil sie alle so zeitig bestellt hatte und dann selbst nicht erschienen war. "Ich fahre gleich los, Jane. In einer halben Stunde müsste ich da sein. Was habt ihr inzwischen gemacht? Hat Will schon angefangen, die Kameras aufzubauen?" "Ja. Er ist bereits damit fertig. Jetzt hat er eine Frühstückspause ausgerufen, und die Statisten lungern herum und stärken sich mit Wurstbrötchen." "Gut. Ich beeile mich." Zoe legte auf, schloss das Haus ab, setzte sich ins Auto und verdrängte die Gedanken an das, was in der Nacht gewesen oder nicht gewesen war. Das hatte Zeit bis später. Solange der Film nicht abgedreht war, konnte sie es sich nicht leisten, von irgendetwas oder irgendjemandem abgelenkt zu werden. Und wenn sie Glück hatte, würde sie Connel Hillier sowieso nie mehr über den Weg laufen.
3. KAPITEL Am folgenden Samstag hatte Zoe frei. Häufig arbeitete sie die ganze Woche durch, offiziell jedoch nur sechs Tage. Die Filmgewerkschaften schrieben ihren Mitgliedern einen freien Tag in der Woche vor, aber das galt nicht für Regisseure, die planen, überarbeiten und Szenen umschreiben konnten, wann immer sie wollten - natürlich ohne Aufnahme-Team und Schauspieler. Die schliefen sich nach tagelangen endlosen Strapazen aus, um erst abends wieder aufzutauchen und sich so richtig auszuleben. An diesem Samstag stand Zoe erst gegen elf Uhr auf und gönnte sich ausnahmsweise ein reichhaltiges Frühstück mit frischem Obst, Ei und Toast, dabei ließ sie das Radio laufen. Jemand hatte sie zweimal angerufen, ohne seinen Namen auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen. Wer mochte das gewesen sein? Hoffentlich nicht wieder Larry, der sich allmählich zur Plage entwickelte. Die Stimme ihrer Schwester meldete sich als Nächstes. "Bist du eigentlich nie zu Hause? Hör mal, heute Abend um sechs, ja nicht vergessen! Ach, und bring 'ne Flasche mit. Möglichst Rotwein. Der passt am besten zu Steak." Nachdem Zoe die Küche aufgeräumt und ihr Bett gemacht hatte, ging sie zum Friseur, danach aß sie im Dorf-Pub und traf sich mit Freunden. Um halb drei fuhr sie zum Supermarkt und erledigte ihre Wocheneinkäufe. Wieder daheim, stellte sie die
Lebensmittel weg und erledigte die Hausarbeit in einer Stunde. Den Samstag genoss Zoe, weil sie dann ausschlafen und zeitlos und ohne Stress in den Tag hineinleben konnte. Um vier Uhr legte sie sich für eine Stunde aufs Ohr, nachdem sie sich den Wecker gestellt hatte, um auf der Grillparty ihrer Schwester nicht zu spät zu erscheinen. Als der Wecker klingelte, fuhr Zoe zusammen. Verschlafen tastete sie nach dem Störenfried, stellte ihn ab und stand sofort auf, um nicht wieder einzunicken. Gähnend ging sie ins Bad und duschte. Das lauwarme Wasser wirkte erfrischend und machte sie hellwach. Später warf sie einen Blick aus dem Fenster und stellte fest, dass Wind und Regen aufgehört hatten. Das Wetter war wärmer geworden, und die späte Nachmittagssonne strahlte von einem wolkenlos blauen Himmel. Einen schöneren Abend hätten sie sich jetzt im Herbst für die Grillparty kaum wünschen können. Zoe entschied sich für einen jadegrünen Hosenanzug, den sie besonders liebte. Unter der Jacke trug sie eine bronzefarbene ärmellose Seidentunika, passend zu ihrem keltischen Bronzearmband mit einer Runeninschrift - einer Nachbildung, die Zoe im Britischen Museum erstanden hatte. Erst gegen halb sieben kam Zoe am Haus ihrer Schwester an, wo das Fest bereits lautstark im Gang war. Aufgeregt stürmten ihr ihre beiden Neffen entgegen. "Ein Ballon ist auf dem Grill gelandet und geplatzt!" "Dad hat getobt!" "Du hättest ihn hören sollen!" Die Jungen sahen sich kichernd an. "Er hat 'nen irren Schreck bekommen!" Zoe sah die Jungen gespielt streng an. "Liege ich richtig, wenn ich vermute, dass ihr den Ballon auf den Grill gelenkt habt?" "Wir?" Der Älteste, der siebenjährige Felix, setzte eine Unschuldsmiene auf. Er kam ganz nach seinem Vater, und Zoe
konnte sich jetzt schon vorstellen, wie er aussehen würde, wenn er in Marks Alter war: groß, dunkelhaarig, athletisch und sehr attraktiv. "Er ist von 'nem Baum runtergeweht", beteuerte der sechsjährige Charlie, doch sein Wangengrübchen und das Glucksen in seiner Stimme verrieten ihn. Er war noch etwas pummelig und tolpatschig, eiferte jedoch in allem seinem großen Bruder nach. Dabei kam er eher nach Zoes Schwester. Anders als der robuste Rabauke Felix besaß Charlie Sanchas warmherziges, empfindsames Wesen, und Zoe wusste, dass ihre Schwester sich ein wenig um ihn sorgte. "Ach, da bist du ja! Ich hatte doch sechs Uhr gesagt, nicht halb sieben!" Sancha umarmte ihre Schwester, dann betrachtete sie Zoe von Kopf bis Fuß. "Du siehst aus, als wolltest du einen Nachtklub unsicher machen. Hast du diesen Edelfetzen letzten Monat in Paris gekauft?" "Nein, in London. Und ich habe ihn auch schon über ein Jahr. Entschuldige, dass ich so spät komme. An meinem freien Tag ist immer so viel zu erledigen: Einkaufen, Haushalt, na, du weißt schon. Hier, mein Beitrag für die Bar." Zoe reichte ihrer Schwester die beiden mitgebrachten Flaschen. "Chianti! Wunderbar. Danke. Damit können wir unseren Toskana-Urlaub wieder auffrischen. War toll dort, nicht wahr, Jungs?" "Ja", bestätigte Charlie schwärmerisch. "Ich habe da 'ne Menge Wein getrunken." "Du durftest ein-, zweimal einen Schluck aus dem Glas deines Vaters trinken", stellte Sancha nachsichtig richtig. "War klasse!" Felix seufzte wehmütig. "Wir hatten dort ein Schwimmbecken und waren ständig im Wasser. Ich hab Flora das Schwimmen beigebracht." "Sagen wir lieber, sich über Wasser zu halten." Seine Mutter nickte. "Sie sah so süß aus, als sie in der Plastikente
herumpaddelte. Hab ich dir die Fotos schon gezeigt, Zoe? Ich such sie später raus, ja?" "Kann's kaum erwarten. Da wir gerade bei Flora sind, wo ist das kleine Ungeheuer?" Zoe sah sich vorsichtig um. Beunruhigt blickte nun auch Sancha in die Runde. "Wo ist sie, Jungs? Ich habe doch gesagt, ihr sollt auf sie aufpassen." "Unter dem Busch dort drüben." Charlie deutete mit seiner pummeligen Hand auf eine Hortensie mit großen himmelblauen Blüten. Darunter lag Flora in einer pinkfarbenen Kattunhose und einem Pulli in der gleichen Farbe, das rote Haar zerzaust, mit offenem Mund schlafend, in den Fingern ein Stück Schmalzgebackenes. Sanchas Gesicht leuchtete vor Mutterliebe. "Ist sie nicht süß?" "So würde ich Flora eigentlich nicht bezeichnen, aber in diesem Zustand ist sie mir am liebsten: schlafend und untätig", gestand Zoe. "Ich werde erst nervös, wenn sie aufwacht und aktiv wird." Die Jungen grinsten. "Ich auch", pflichtete Charlie ihr bei. "Ständig will sie mit uns spielen", beklagte Felix sich. "Aber sie ist noch viel zu klein und fällt immer hin. Und dann schreit sie wie am Spieß, und wir bekommen die Schuld." "Du bist der Älteste und solltest auf deine kleine Schwester aufpassen", hielt seine Mutter ihm vor. Die Jungen sahen ihre Tante an und schnitten Grimassen. Vom Grillplatz winkte Mark ihnen zu. "Los, Jungs, ihr wolltet mir doch helfen!" "Wir müssen Kellner spielen und das Essen verteilen", erklärte Felix finster. "Wie langweilig!" "Ab mit euch", mahnte seine Mutter, und die beiden trotteten widerwillig davon. "Was ist mit der aufregenden Neuigkeit, die du mir versprochen hast", erinnerte Zoe ihre Schwester. Sancha strahlte. "Ich mache eine eigene Firma auf!"
Das fand Zoe wirklich erstaunlich. "Was für eine?" "Ein Fotogeschäft, natürlich! Ich habe Ladenräume in der Abbot Street gemietet. Und da es mindestens zwei Monate dauert, bis die wichtigsten Umbauten fertig sind, findet die Eröffnung vor Weihnachten unter dem Motto ,Kinder- und Schönfotos' statt." "Schönfotos?" "Na, du weißt schon - eine Frau kommt herein und möchte eine Aufnahme, auf der sie besser aussieht als in Wirklichkeit. Martha wird meine Teilhaberin, und übernimmt die Gestaltung von Haar und Make-up. Nachdem sie die Kundin in eine neue Frau verwandelt hat, schieße ich eine Fotoserie mit weicher Linse." "Das wird sicher ein Millionengeschäft", scherzte Zoe. "Du hast gut lachen! Bei dir braucht man nicht nachzuhelfen. Aber manche Frauen haben das nun mal nötig. Wie ich vor einem Jahr, weißt du noch?" "Jetzt nicht mehr. Du siehst toll aus!" Lächelnd betrachtete Zoe ihre Schwester. "Ich drücke dir die Daumen, dass die neue Firma ein Supererfolg wird. Unterstützt Mark dein Vorhaben?" "Voll und ganz. Er will sogar die Hälfte des Kapitals zuschießen. Er hält meine Idee für viel versprechend. Mark ist ein Finanzgenie, und es baut mich auf, dass er mein Konzept gut findet." "Erstaunlich", musste Zoe zugeben. "Der Mann überrascht mich manchmal. Aber Männer sind ja stets gut für Überraschungen, wenn auch nicht immer für angenehme." "Da wir gerade bei Männern sind, wo ist deiner?" fragte Sancha. Zoe reagierte verständnislos. "Wer?" "Dein neuester Favorit. Ich hab doch gesagt, du sollst jemanden mitbringen." "Da gibt's niemanden. Für private Beziehungen habe ich keine Zeit."
"Und was ist mit ... Harry? Nein, Larry? Er war der letzte Freund, den du mir vorgestellt hast." "Er wurde ein bisschen komisch, da habe ich die Sache beendet." Seufzend erwiderte Sancha: "Wenn du die Männer weiter so abservierst, wirst du noch als einsame alte Jungfer enden." "Das hab ich schon hundert Mal gehört. Ich bin alles andere als einsam. Heutzutage muss eine Frau nicht mehr heiraten, um ein erfülltes Leben zu führen. Mein Beruf ist mir wichtiger als jeder Mann. Ich verdiene gutes Geld, habe viel Spaß, und was am meisten zählt, ich liebe meine Arbeit. Wenn mir danach ist, genieße ich die Gesellschaft eines Mannes, aber ich brauche keinen, um glücklich zu sein." "Eines Tages wirst du Kinder wollen, Zoe. Warte damit nicht zulange." "Du meinst, eine Göre wie Flora?" widersprach Zoe abschätzig. "Ich bitte dich! Dann schon noch eher eine Katze." "Das meinst du nicht ernst." . "Klar doch! Eine Katze kann man nachts rauslassen, sie geht ihre eigenen Wege. Und sauber sind die Tierchen auch. Kinder machen viel Ärger, Krach und Unordnung. Mir wird nichts fehlen, wenn ich nie welche habe. Und nun mach die Flasche auf, und schenk mir ein Glas Chianti ein. Dann hol ich mir bei Mark ein ordentliches Stück Fleisch. Die Steaks und die Zwiebeln duften verlockend, und ich sterbe vor Hunger." Als Zoe sich mit einem Glas Rotwein in der Hand in ihrem leuchtenden jadegrünen Anzug und dem in der sanften Abendbrise wehenden flammend roten Haar dem Grillplatz näherte, zog Mark ironisch die Brauen hoch. "Heute ohne Mann?" zog er Zoe auf. Sie betrachtete den gut bestückten Grill. "Hast du etwas Essbereites da?" "Herrje, ich habe zwar gehört, dass du die Männer reihenweise verspeisen sollst, aber dass du es wirklich tust, hätte
ich nicht gedacht", bemerkte Mark trocken. "Tut mir Leid, aber wir servieren nur Steaks, Lammkoteletts, Hähnchenschenkel und Würstchen." "Steak tut's auch - und eine Portion Zwiebeln, aber bitte keine verbrannten." "Bitte keine Kritik an meinen Kochkünsten!" Mark legte Fleisch und Zwiebeln auf einen Teller, und Zoe sah ihm kritisch zu. Sie war ebenso wenig Marks Typ wie er ihrer. Für ihren Geschmack verhielt er sich ihrer Schwester gegenüber zu bevormundend. Warum ließ Sancha sich das gefallen? Irgendwie hatte er von allem zu viel: Er war zu groß, zu überwältigend, zu fordernd, zu männlich, zu selbstbewusst und gut aussehend. Wann immer Zoe mit ihm zusammentraf, sträubte sich alles, in ihr, und sie wusste, dass es ihm mit ihr ebenso ging. Mark bevorzugte den sehr weiblichen Frauentyp: sanft, warmherzig, zärtlich und möglichst unterwürfig. Sancha entsprach genau diesem Bild. Vor einem Jahr hatte es in der Ehe gekriselt, und eine Weile hatte Zoe erwartet, dass die beiden sich scheiden lassen würden. Doch dann hatten sie ihre Schwierigkeiten irgendwie in den Griff bekommen, und Zoe musste zugeben, dass die beiden inzwischen glücklich zu sein schienen. Seit Mark eine neue Stellung bei einer Baufirma gefunden hatte, war ihr Leben sehr viel erfreulicher geworden. Zwar verdiente er nicht mehr so viel wie vorher, aber er hatte nun mehr Freizeit, und Sancha behauptete, er hätte jetzt mehr Freude an der Arbeit. Außerdem war er von der Baustelle, auf der er tätig war, einer Umgehungsstraße, in einer halben Stunde zu Hause und hatte viel Zeit für Sancha und die Kinder. Umso erstaunlicher fand Zoe es, dass Mark Sancha in ihren neuen beruflichen Plänen unterstützte. "Bedien dich beim Salat." Mark reichte Zoe den Teller mit Steak und einem Berg Grillzwiebeln.
Als Zoe sich umdrehte, stieß sie mit einem Mann zusammen, der hinter ihr wartete. "Entschuldigung", sagte sie, ohne weiter auf ihn zu achten. "Schon gut. So langsam gewöhne ich mich daran, von Ihnen herumgeschubst zu werden." Die dunkle Stimme ließ Zoe zusammenfahren. Verblüfft erkannte sie Connel Hillier. Sein Bart war verschwunden, der Mann war jetzt glatt rasiert und trug das Haar zurückgekämmt ... und sah noch besser aus, als Zoe ihn in Erinnerung hatte. "Was machen Sie denn hier?" fragte Zoe stirnrunzelnd. Connel Hillier trug enge dunkelblaue Jeans und ein schwarzes, am Hals offenes, das seine gebräunte Haut freigab und ihn umwerfend männlich aussehen ließ. Abschätzend ließ Zoe den Blick über seine markanten Züge, die breiten Schultern, die schmalen Hüften und seine langen Beine schweifen. Dieser Mann war alles andere als ein Papiertiger. "Ich habe ihn eingeladen", sagte Mark. "Ihr kennt euch? Das wusste ich nicht." "Nein", leugnete Zoe. "Ja", erwiderte Connel. Interessiert blickte Mark von einem zum anderen. "Wer von euch beiden lügt nun?" "Wer glaubst du wohl?" Connel lächelte ihm verschwörerisch zu. "Frauen ziehen sich am liebsten mit einer Lüge aus der Affäre." "Wir kennen uns nicht", erklärte Zoe pikiert. "Wir sind uns nur kurz begegnet. Ein einziges Mal. Und das hat mir gereicht. Woher kennst du ihn überhaupt, Mark? Angeblich war er doch jahrelang auf Forschungsreisen im Ausland." "Er ist mein Chef", eröffnete Mark ihr. Zoe traute ihren Ohren nicht und atmete tief ein. "Dein Chef? Unmöglich! Mir hat er gesagt, er sei Forscher." Verächtlich wandte sie sich Connel zu. "Sie haben mich also belogen."
"Nein, das habe ich nicht. Ich war letztes Jahr auf einer internationalen Expedition in Südamerika. Aber ich bin auch Geschäftsführer einer Baufirma. Während ich ein Jahr fort war, hat mein Vater die Firma geleitet." Fieberhaft versuchte Zoe sich zu erinnern, was Connel Hillier ihr in jener Nacht erzählt hatte. "Sie sagten, Sie wohnen in London?" "Ich besitze dort eine Wohnung, die ich geerbt habe. Bisher hatte ich noch keine Zeit, sie zu verkaufen." Er hat behauptet, durch Hai Thaxford von mir gehört zu haben, überlegte Zoe. Aber vielleicht hatte auch Mark über sie gesprochen. Wenn ja, was hatte er gesagt? Misstrauisch sah Zoe ihren Schwager an, der sich köstlich zu amüsieren schien. "Dein Steak wird kalt, Zoe", ermahnte er sie. "Hol dir eine Portion Salat, und stärk dich erst mal." "Wir reden später", drohte sie Mark und bediente sich großzügig am Salat. Danach gesellte sie sich zu ihrer Schwester, die mit ihrer Nachbarin Martha Adams im Gras saß und sich mit ihr unterhielt. Zoe streckte sich neben den beiden aus. "Hallo, Martha. Wie geht's dir? Die graue Seidenbluse sieht Masse zu den roten Jeans aus. Rot steht dir fabelhaft." "Danke. Ich habe die Jeans selbst genäht. Du siehst übrigens auch fantastisch aus." Martha lächelte. Sie war Anfang vierzig, aber zierlich wie ein junges Mädchen. "Die Kombination ist todschick. Und ich kann mir auch vorstellen, von wem sie stammt." Sie nannte einen weltbekannten Designer. "Du hast Recht. Ich bin beeindruckt. Für so etwas hast du einen Blick." Nachdem sie sich eine Weile über modische Dinge unterhalten hatten, hielt Zoe es nicht mehr aus und fragte ihre Schwester: "Wie lange kennst du Connel Hillier schon?"
"Überhaupt nicht. Er ist der Geschäftsführer von Marks neuer Firma." Sanchas Neugier war erwacht. "Kennst du ihn? Du hast ihn nie erwähnt. Sag bloß, er ist deine neue Flamme?" "Unsinn! Ich bin ihm nur ein einziges Mal begegnet, und das hat mir vollauf genügt. Erinnerst du dich an das fürchterliche Unwetter Anfang der Woche? Als ich nach einem langen Drehtag nach Hause fuhr, wollte er unbedingt zu mir in den Wagen steigen, während ich an der Kreuzung warten musste." Sancha und Martha sahen sie verblüfft an. "Wie meinst du das - er wollte zu dir in den Wagen steigen?" Während Zoe aß, berichtete sie von den Ereignissen der Nacht, und die beiden Frauen hörten fasziniert zu. "Er ist tatsächlich in dein Haus eingebrochen?" fragte Sancha ungläubig. "Ja. Ich wollte gerade schlafen gehen, als ich ihn unten hörte." "Da muss es ein schöner Schock für dich gewesen sein, ihn heute Abend hier zu treffen", bemerkte Martha mitfühlend. "Er hat mit keiner Wimper gezuckt, sondern sogar so getan, als wären wir alte Freunde." Sancha bewegte sich unbehaglich. "Das Problem ist, Zoe, Mark fühlt sich in dem neuen Job sehr wohl, und es wäre schlimm, wenn er ihm kündigen würde." "Wer kündigt wem?" ertönte Marks Stimme. Alle drei sahen sich um, und er setzte sich mit seinem vollen Teller zu ihnen ins Gras. "Connel Hillier", erklärte Sancha besorgt. "Ich weiß, du hältst große Stücke auf ihn, aber hör dir erst mal an, was er mit Zoe gemacht hat! Zoe, erzähl Mark, was passiert ist." Zoe blickte an Mark vorbei zu Connel Hillier, der mit einem Glas in der Hand herankam und sie amüsiert betrachtete. "Ja, Zoe, los, erzählen Sie", bemerkte er langsam.
"Sie haben Nerven!" Empört ballte Zoe die Hände zu Fäusten. "Nach allem, was Sie mir angetan haben, kommen Sie her und machen sich auch noch über mich lustig." "Wie war's, wenn du mich erst mal aufklären würdest, was los war, Zoe." Mark schob sich einen Bissen Steak in den Mund und schien der drohenden Enthüllung gelassen entgegenzusehen. Connels spöttischer Blick ließ Zoe jetzt richtig in Fahrt kommen. "Er ist in mein Haus eingebrochen ..." "Ich bin hineingegangen, nachdem ich mehrmals geklingelt hatte. Die Haustür war unverschlossen." "Sie haben mich gegen meinen Willen nach oben getragen und dann in meinem Schlafzimmer eingeschlossen!" Mark pfiff durch die Zähne. "Donnerwetter, Con, das muss ich Ihnen lassen, Sie haben Mumm. So ein Wagnis würden nicht viele Männer auf sich nehmen." Andere Gäste waren näher gekommen und lauschten neugierig, doch Connel Hillier schien gar nicht zu merken, dass sie Mittelpunkt des allgemeinen Interesses geworden waren. Gelassen erwiderte er: "Sie haben mich mit Ihrem uneinsichtigen Verhalten gezwungen, handgreiflich zu werden. Normalerweise hätte ich so etwas nie getan. Sie wollten mich zwingen zu gehen, dabei waren Sie schuld daran, dass ich halb erfroren und bis auf die Haut durchnässt war. Haben Sie Ihrer Schwester das auch gesagt? Und wie lange Sie mich in dem Unwetter haben stehen und auf ein Taxi warten lassen, das Sie mir gar nicht Bestellt hatten?" "Ich habe Ihnen eins gerufen!" "Eine Stunde später." "Vielleicht eine halbe Stunde später", musste Zoe widerwillig zugeben. "Während ich da draußen stand und immer nasser wurde. Ich hätte mir eine Lungenentzündung holen können. Klar, dass ich meine durchnässten Sachen sofort loswerden und duschen
musste. Da ging es einfach ums Überleben." Connel blickte Mitleid heischend zu Sancha, die anteilnehmend dreinblickte. Nun setzte Connel noch eins drauf. "Außerdem habe ich mir selbst etwas zu essen gekocht." Tadelnd sah Sancha Zoe an. "Unter diesen Umständen hättest du das für ihn tun müssen, Zoe." Ehe Zoe etwas erwidern konnte, fuhr Connel seufzend fort: "Und meine Sachen habe ich auch selbst gewaschen. Ich habe Sie in nichts um Hilfe gebeten, oder? Als Sie dann eingeschlafen sind, während ich aß ..." "Ach, seien Sie still!" Zoe hatte ihrer Schwester und Martha wohlweislich nicht erzählt, wie die Sache ausgegangen war. "Sie ist eingeschlafen?" Marks Augen leuchteten. Connel nickte. "Am Tisch." "Und was haben Sie da getan?" "Was konnte ich als Gentleman anderes tun, als sie nach oben zutragen?" "Richtig", pflichtete Mark Connel bei. "Und was haben Sie dann gemacht?" Ehe Connel antworten konnte, stand Zoe hastig auf. "Ich muss mit Ihnen reden!" sagte sie scharf zu ihm und ging davon. Hinter sich hörte sie Mark lachen. Mit ihm hatte sie sich nie besonders verstanden. Es gefiel ihr nicht, wie Mark mit ihrer Schwester umging, und er missbilligte ihre ganze Lebenseinstellung, vor allem ihr Verhalten Männern gegenüber. Mark erwartete achtungsvolle Unterwerfung, und die hatte sie ihm nie gezollt. "Wohin führen Sie mich?" Connel hatte Zoe eingeholt. "An einen Ort, wo wir allein sind? Wie war's mit Ihrem Haus? Besser noch, Ihrem Schlafzimmer? Dort gefiel's mir sehr gut. Hab mich dort richtig wohl gefühlt." Inzwischen befanden sie sich außer Hörweite der anderen hinter einer Hecke junger Leyland-Zypressen, die Mark gepflanzt hatte, um die Mülltonnen und einen Schuppen zu
verdecken. Inzwischen waren die Pflanzen beachtlich in die Höhe geschossen. Zoe drehte sich zu Connel um und erwiderte kühl: "Was genau haben Sie meinem Schwager erzählt?" "Kein Sterbenswort." Connels Augen funkelten. "Er weiß nur, was Sie ihm gesagt haben." Sie glaubte ihm nicht. "Und wieso hat er dann so gelacht?" "Wahrscheinlich fand er Sie komisch. Darf ich Ihnen einen Rat geben? Wenn Sie andere nicht neugierig machen wollen, sollten Sie ihnen nicht das Gefühl geben, dass Sie etwas zu verbergen haben." Zoe stand stocksteif da. "Was sollte ich zu verbergen haben?" "Das frage ich Sie." Connel beobachtete sie amüsiert. "Ich habe keine Ahnung, worauf Sie hinauswollen." Zoe fühlte sich in die Enge getrieben. "Und das wissen Sie auch. Sie wissen..." "Nein, ich weiß nicht." Connel lächelte belustigt. "Was vermuten Sie denn, das ich weiß? Oder liegt das auf der Hand?" Wütend fuhr Zoe ihn an: "Sparen Sie sich die Wortklaubereien! Ich bin nicht in Stimmung für Spielchen!" "Aber das gibt dem Ganzen doch erst die richtige Würze. Macht es Ihnen keinen Spaß, Spielchen zu spielen, Zoe?" Connels Stimme klang leise, verführerisch, beunruhigend. Sie dachte nicht daran, mitzuspielen. "Nein! Und wechseln Sie nicht schon wieder das Thema!" "Das tue ich nicht. Genau darum geht es doch, oder etwa nicht?" "Wir sprechen über das, was Sie getan haben, nachdem ich eingeschlafen war!" "Wie ich Mark gerade gesagt habe, was hätte ich anderes tun sollen, als Sie ins Bett zu tragen?" "Sie haben vergessen, dass Sie mich ausgezogen haben!" Connel lächelte beseelt und betrachtete Zoe von Kopf bis Fuß. "Also, das habe ich nicht vergessen, glauben Sie mir."
Genau das hatte Zoe befürchtet. "Und Sie haben es Mark offensichtlich auch nicht erzählt", erklärte Connel, ohne Zoe aus den Augen zu lassen. Sie presste die Lippen zusammen und schwieg. "Ist Ihnen die Geschichte peinlich?" Connel schüttelte den Kopf. "Offen gestanden, hätte ich nicht erwartet, dass Sie verlegen werden, weil ein Mann Sie ausgezogen hat." "Sie ... hatten kein Recht dazu!" Zoe war so wütend, dass sie kaum sprechen konnte. "Na ja", lenkte Connel umgänglich ein, "ich Konnte Sie doch unmöglich in Ihren Sachen schlafen lassen, oder?" Mühsam riss Zoe sich zusammen und gab sich kühl. "Und ... was war... dann?" "Wie meinen Sie das?" fragte Connel gespielt unschuldig. Zoes Augen funkelten hassvoll. "Das wissen Sie genau. Nachdem Sie mich ausgezogen hatten ..." "Müssen Sie einen wunderschönen Traum gehabt haben", unterbrach Connel sie. "Traum?" Sie hatte etwas geträumt, aber woher konnte Connel das wissen? Es sei denn... es war kein Traum gewesen, und sie hatte die streichelnden Hände tatsächlich gespürt. Wenn sie nur wüsste, was wirklich geschehen war! Connel betrachtete sie. "Sie sehen aus, als würden Sie sich jetzt erinnern, Zoe." Ihr brannten die Wangen. "Hören Sie mit den Anspielungen auf, und sagen Sie mir endlich, was geschehen ist!" forderte sie ihn empört auf. "Was war, nachdem Sie mich ausgezogen hatten?" Vertraulich beugte Connel sich zu ihr vor, so dass Zoe sich bedroht fühlte. Dennoch hielt sie seinem Blick hocherhobenen Hauptes stand. "Was haben Sie von mir geträumt?" flüsterte Connel, und Zoe wurde es heiß. "Wieso glauben Sie, in meinen Träumen vorzukommen?"
Sanft strich er ihr mit dem Finger über die Wange. Zoe stand starr da, während Connel die Fingerspitze langsam zu ihrem Hals gleiten ließ. Genauso war es in ihrem Traum gewesen diese kraftvollen Hände hatten sie verlangend berührt. Zoe bekam Magenflattern. "Wenn es nicht so war, wird es von jetzt an der Fall sein", versicherte Connel. Zornig schlug Zoe seine Hand fort. "Rühren Sie mich nicht an!" "Das habe ich bereits getan. Und ich werde es wieder tun", versprach er beschwörend. Zoes Mund war wie ausgetrocknet. "Nein, das werden Sie nicht." Sie war wütend auf sich selbst, weil ihre Stimme bebte. Doch Connel kam noch einen Schritt näher. "O doch, Zoe, das werde ich." Er machte sich über sie lustig. Etwas anderes war noch viel beunruhigender. Sie waren einander jetzt so nah, dass sie sich fast berührten. An ihrem Hals begann eine Ader heftig zu pulsieren. Zoe wusste, was mit ihr los war. Sie war kein Schulmädchen mehr. Mit zweiunddreißig kannte sie die Reaktionen ihres Körpers genau, und ihr war klar, was das zu bedeuten hatte - das Pulsieren des Blutes in ihren Adern, die Atemlosigkeit, die Hitze zwischen den Schenkeln. Mochte sie Connel Hillier hassen, sie konnte nichts dagegen tun, dass er sie sexuell erregte. Sie begehrte ihn, und obwohl ihr Verstand sich dagegen wehrte, war die körperliche Anziehungskraft stärker. Dabei war Connel Hillier der letzte Mann, an den sie auch nur denken wollte. Aber zum Denken kam Zoe gar nicht. Was sie empfand, entzog sich ihrem Willen. Der Körper forderte sein Recht. Es war wie eine chemische Reaktion, die unaufhaltsam ablief. Zoe konnte Connel nur unverwandt ansehen, und das Verlangen breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Schweigend blickten sie sich an. Connel atmete schwer und
rasch, und Zoe glaubte, seine Körperwärme zu fühlen. Auch er begehrte sie. Ohne dass einer von ihnen sprach, wussten sie beide, was der andere empfand. Körpersprache, dachte Zoe. Langsam, senkte Connel den Kopf, und sie ließ zu, dass Connels Mund sich ihrem näherte. Wie in Trance öffnete sie die Lippen und schloss die Augen. Plötzlich spürte Zoe kleine Hände an ihrem Bein, und sie riss schockiert die Augen auf. "Ach, der kleine Teufelsbraten", stöhnte Connel, als sie die kleine Flora entdeckten, die strahlend vor ihnen stand. Sie klammerte sich immer noch an Zoes Bein und wollte wissen: "Was tut ihr da, Tantchen? Spielt ihr ein Spiel? Ich mag das Spiel nicht. Lass uns Verstecken spielen. Jetzt gleich!" "Drei sind einer zu viel", bemerkte Connel trocken. "Ich werde mit ihrem Vater sprechen. Flora gehört in weibliche Obhut." "Feigling!" rief Zoe ihm nach, als er davonging, doch er lachte nur. "Verstecken spielen, Verstecken spielen", forderte Flora lautstark. Zoe gab nach. Zehn Minuten tummelten sie sich um die Zypressenhecke herum, dann schaffte Zoe es, Flora zu ihrer Mutter zurückzulocken. Sancha und Martha waren in der Küche und spülten Gläser, als Zoe sie fand. "Ich bringe dir deinen kleinen Sonnenstrahl zurück. Mir reicht's fürs Erste", sagte Zoe zu ihrer Schwester, während Flora ihre Mutter umarmte und sich vertrauensselig an sie schmiegte. "Mumma. Tante Zoe ist gemein. Mit Onkel Con hat sie ein Spiel gespielt, aber mit mir will sie jetzt nicht mehr spielen." Interessiert betrachteten die beiden Frauen Zoes gerötetes Gesicht. "Ich habe mit ihr eine ganze Weile Verstecken gespielt", erklärte sie hastig.
Sancha lächelte. "Sie ist völlig überdreht, weil ihre Schlafenszeit längst überschritten ist." "Ich bringe sie nach oben", erbot Martha sich. Liebevoll nahm sie Flora auf den Arm und trug sie aus der Küche, dabei sang sie ein Schlaflied. "Martha scheint es tatsächlich Spaß zu. machen, das kleine Ungeheuer zu betreuen. Sie muss nicht ganz bei Trost sein." Zoe überlegte, wie sie sich davonmachen könnte, um Sancha gar nicht erst Gelegenheit zu geben, neugierige Fragen zu stellen. "Sie hat selbst keine Kinder und hängt sehr an Flora", erwiderte Sancha und betrachtete ihre Schwester forschend. Zoe blickte auf die Uhr und tat erstaunt. "Meine Güte, ich muss gehen. Um fünf klingelt mein Wecker." Ohne darauf einzugehen, fragte Sancha: "Wohin bist du mit Connel Hillier verschwunden? Was ist los, Zoe?" "Wir haben uns gestritten", erklärte Zoe ausweichend. "Was meinte Flora damit, ihr hättet ein Spiel gespielt?" "Keine Ahnung." Zoe konnte ihre Schwester nicht ansehen. Sancha kannte sie zu gut. "Was für ein Spiel?" "Frag Flora. Sie hat's behauptet. Und jetzt muss ich gehen, Sancha. Die Party war super. Bis bald." "Lass Connel in Ruhe!" rief ihre Schwester ihr nach. "Ich weiß, was mit Männern passiert, denen du den Laufpass gibst. Die können ziemlich böse werden. Ich möchte nicht, dass Mark nur deshalb seine Stellung verliert, weil du die Finger nicht von seinem Boss lassen konntest." "Ich würde seinen Boss nicht mal mit Asbesthandschuhen anfassen! " rief Zoe zurück und schlug die Küchentür hinter sich zu. Der Zwischenfall mit Connel Hillier und der Zusammenstoß mit ihrer Schwester hatten Zoe so aufgewühlt, dass sie mehrmals vor- und zurücksetzen musste, um aus der Parklücke zu kommen.
Es waren nur noch zehn Minuten bis zu ihrem Haus, als Zoe plötzlich einen Knall hörte und das Lenkrad verrissen wurde. Erschrocken nahm sie den Fuß vom Gaspedal, doch sie hatte den Wagen nicht mehr in der Gewalt. Er schleuderte seitwärts quer über die Straße, und ein flappendes Geräusch verriet Zoe, dass ein Reifen geplatzt war. Sie musste über etwas Scharfes, einen Nagel oder eine Glasscherbe, gefahren sein. Verzweifelt bremste Zoe und versuchte, den Wagen unter Kontrolle zu bekommen, konnte jedoch nicht verhindern, dass er auf den Straßengraben zuschlitterte. Glücklicherweise befand sich auf der anderen Grabenseite ein Grasbankett und keine Mauer. Mit der Kühlerhaube voran schoss der Wagen in den Graben. Zoe wurde in den Airbag gepresst, der sich beim Aufprall am Lenkrad automatisch geöffnet hatte. Ein Glück, dass es Airbags gibt, war ihr letzter Gedanke, ehe sie das Bewusstsein verlor.
4. KAPITEL "Zoe! Zoe. Wachen Sie auf. Können Sie mich hören?" Die Stimme klang vertraut, und Zoe bewegte sich, zuckte jedoch zusammen, weil das Schmerzen bereitete. Jemand, der ganz nah bei ihr war, seufzte erleichtert. "Gott sei Dank!" "Lassen Sie mich", hauchte Zoe, ohne die Augen zu öffnen. Das Kissen unter ihrem Gesicht gab seltsam nach. Wer war der Mann? Und was tat er in ihrem Schlafzimmer? Irgendwie kannte sie ihn, aber sie konnte ihn nicht unterbringen. "Ich bin So müde. Lassen Sie mich in Ruhe." "Sie müssen wach bleiben. Ich hole Sie hier raus. Es riecht nach Benzin", erklärte der Mann. Für wen hielt er sich eigentlich? "Seien Sie still", stöhnte Zoe. Sein Ton wurde drängender. "Nicht einschlafen, Zoe. Hören Sie, die Türen klemmen. Ich kann Sie nur rausholen, wenn Sie wach sind. Können Sie den Gurt ertasten und ihn öffnen? Die Windschutzscheibe ist zerschmettert. Wenn Sie den Gurt aufmachen, kann ich Sie rausziehen." "Gurt?" wiederholte Zoe matt. Was meinte er damit? War sie denn nicht im Bett? Sie zwang sich, die Augen zu öffnen. Jetzt bemerkte sie, dass das Kissen, auf dem sie lag, ein aufgeblasener Airbag war. Rippen und Hals taten ihr weh, als sie sich stöhnend aufrichtete.
"Was ist passiert?" Sie bemerkte die Glassplitter auf der Kühlerhaube und den Sitzen, die eingedrückte Kühlerhaube des Wagens, aus der Rauch quoll. Lichter erhellten die nächtliche Landstraße. "Ein Unfall", dachte Zoe laut. "Ich hatte einen Unfall." "Hören Sie auf zu reden, Zoe! Sie müssen schleunigst aus dem Wagen raus." Panik erfasste sie, und sie zerrte am Sicherheitsgurt. "Er geht nicht auf, ich schaff's nicht..." "Ganz ruhig. Warten Sie eine Sekunde, und holen Sie tief Atem, Zoe ... nur nicht den Kopf verlieren." "Ich bin ruhig!" Doch sie war voller Angst. Also gehorchte Zoe, atmete tief durch und zwang sich, klar zu denken, ehe sie den Gurt erneut zu öffnen versuchte. Diesmal klickte es, und sie war frei.
"Raus mit Ihnen." Der Helfer beugte sich durch den leeren
Rahmen der Windschutzscheibe und reichte Zoe die Hände. Jetzt erkannte sie den Mann. "Sie!" Connel Hillier verzog die Lippen. "Wer sonst? Kommen Sie, wir haben keine Zeit zu verlieren. Sie müssen hier raus." Folgsam nahm Zoe seine Hände und verzog das Gesicht, weil der Druck seiner Finger ihr heftige Schmerzen verursachte. Sie musste überall an den Händen Schnitte haben, und sicher steckten Glassplitter in den Wunden. Auch die Rippen, ihr ganzer Körper taten fürchterlich weh. Unaufhaltsam zog Connel sie aus dem Wageninnern. Zoe stieß einen Schmerzensschrei aus, als er sie durch die Windschutzscheibe hievte. Dann warf er sich Zoe über die Schulter und eilte mit seiner Last von dem qualmenden Wagen fort auf die Lichter zu, die Zoe nun als Connels Autoscheinwerfer erkannte. Er setzte Zoe auf den Beifahrersitz, legte ihr den Sicherheitsgurt an, schloss die Tür und rannte zur Fahrerseite.
Benommen und orientierungslos, wie Zoe war, ließ sie alles mit
sich geschehen. Starr blickte sie auf ihren zertrümmerten Wagen, der nur noch ein Haufen Schrott war. Sie musste froh sein, lebend davongekommen zu sein. Zwar würde ihre Vollkaskoversicherung den Schaden decken, doch damit würden ihre Beiträge im nächsten Jahr heraufgestuft werden. Das Ganze ärgerte Zoe besonders, weil sie noch nie einen Unfall verursacht hatte. Connel hatte sich neben Zoe gesetzt und ließ den Motor an, hielt jedoch hinter der nächsten Kurve auf einem Rastplatz an. Verständnislos sah Zoe Connel an. "Was soll das?" Er antwortete nicht, sondern blickte in den Seitenspiegel. "Warum haben Sie angehalten?" begann Zoe, verstummte jedoch, als eine heftige Explosion die Umgebung erschütterte und die Straße hinter ihnen von Flammen erhellt wurde. Connel pfiff durch die Zähne. "Hab ich's mir doch gedacht. Wir haben's gerade noch geschafft, außer Reichweite zu kommen!" "Das ... war mein Wagen", flüsterte Zoe und begann zu zittern. Entsetzt blickte sie in den Seitenspiegel, in dem sie die Flammenhölle sehen konnte. Connel hob ein Handy vom Wagenboden auf und begann rasch hineinzusprechen. Zoe nahm nicht wahr, was er sagte. Wie versteinert beobachtete sie die zum Himmel züngelnden Flammen. Wenig hätte gefehlt, und sie wäre selbst ein Opfer des Feuers geworden. "Alles in Ordnung?" Sie zuckte zusammen und sah Connel verstört an, der das Handy weglegte. Geduldig fragte er: "Wie fühlen Sie sich?" "Wie soll ich mich fühlen?" erwiderte Zoe matt. "Ich habe meinen Wagen zu Schrott gefahren, und alles tut mir weh. Um ein Haar wäre ich umgekommen. Wie würden Sie sich an meiner Stelle fühlen?"
Connel strich ihr das wirre Haar aus dem bleichen Gesicht. "Kommen Sie, beruhigen Sie sich." Er nahm eine Decke vom Rücksitz und breitete sie über Zoe aus. "Ich habe die Polizei gerufen und den Unfall gemeldet. Die Feuerwehr wird gleich da sein. Der Polizeibeamte sagt, ich soll Sie ins Krankenhaus bringen, ohne auf die Leute zu warten. Sie werden später mit Ihnen reden, nachdem man Sie verarztet hat." "Ich will nicht ins Krankenhaus. So schlimm bin ich doch gar nicht verletzt", widersprach Zoe mit bebender Stimme. "Ich will nur nach Hause und ins Bett." "Sie müssen so schnell wie möglich geröntgt werden", redete Connel beschwörend auf Zoe ein. "Als ich Sie fand, waren Sie bewusstlos. Ich war fast direkt hinter Ihnen, weil ich gleich nach Ihnen aufgebrochen bin. Falls Sie eine Gehirnerschütterung haben, gehören Sie in ärztliche Obhut. Sie haben einen Schock erlitten und müssen möglicherweise entsprechend behandelt werden." "Es geht mir gut. Ich will, dass Sie mich nach Hause bringen." Connel sah Zoe eindringlich an. "Sehen Sie doch in den Spiegel. Sie sind kreidebleich." Er ließ den Motor an. "Ich habe Ihre Sitzheizung eingeschaltet und sie auf Höchststufe gestellt. Sobald Ihnen warm ist, werden Sie sich besser fühlen." Seufzend schloss Zoe die Augen und haderte mit dem Schicksal. Warum musste ausgerechnet Connel Hillier sie finden? Er war der Letzte, von dem sie in diesem Zustand gesehen werden wollte. Noch nie hatte sie sich so hilflos und aufgelöst gefühlt. Connel fuhr jetzt so schnell, dass Zoe Angst bekam. Dabei hatte es sie vorher nie gestört, wenn jemand Tempo vorlegte. " Sie fahren viel zu schnell!" Seine Stimme schien von weither zu kommen. "Wir müssen so schnell wie möglich ins Krankenhaus. Schock kann sehr gefährlich sein."
"Wer... sagt... dass ich... unter Schock... stehe?" brachte Zoe mühsam hervor, weil sie vor Kälte schlotterte. "Mir ... ist nur ... kalt. Hören Sie auf, so zu rasen!" "Also gut. Aber Sie dürfen sich nicht aufregen. Lehnen Sie sich zurück, und halten Sie sich warm", sprach Connel beruhigend auf Zoe ein. Nun fuhr er langsamer, und sie schloss die Augen wieder. Die Decke hüllte sie warm ein, und Zoe spürte, dass ihr Sitz wärmer wurde. Dennoch zitterte Zoe immer noch vor Kälte, als Connel eine Viertelstunde später die nächste Stadt erreichte. Zoe hörte Verkehrsgeräusche, spürte, dass sie durch belebte Straßen fuhren, aber sie wollte die Augen nicht öffnen, obwohl sie abbogen und der Wagen hielt. Connel stieg aus und eilte zur Beifahrerseite, um Zoe beim Aussteigen zu helfen, doch ihre Beine schienen aus Gummi zu sein. Als sie unter ihr nachgaben, hob Connel sie hoch und trug sie ins Gebäude. Hilflos ließ sie den Kopf auf Connels Brust sinken und nahm alles um sich her nur in Wellen wahr. Lediglich die Gerüche um sie herum sagten ihr, dass sie sich in einem Krankenhaus befand. Die nächsten beiden Stunden erlebte Zoe nur bruchstückhaft. Sie wurde geröntgt, ein Arzt untersuchte sie von Kopf bis Fuß, und sie hörte, dass sich ein Bluterguss quer über ihren Oberkörper zog, wo der Gurt gesessen hatte. Dennoch musste sie froh sein, dass er gehalten hatte, sonst wäre sie wohl nicht mehr am Leben. Der Arzt in der Notaufnahme lächelte ihr aufmunternd zu. "Die Schnitte und Prellungen sind nicht schlimm. Sie heilen bald und sind in einigen Tagen verschwunden. Aber ich glaube, Sie haben eine Gehirnerschütterung. Auf den Röntgenbildern sind keine Anzeichen von inneren Blutungen, Brüchen oder Gehirnschäden zu sehen. Wir brauchen Sie also nicht über Nacht hier zu
behalten, aber falls Kopfschmerzen oder Sehstörungen auftreten, müssen Sie sofort herkommen, denn dann könnte es zu gefährlichen Komplikationen kommen. Legen Sie sich zu Hause sofort hin, und nehmen Sie die Tabletten, die ich Ihnen mitgebe. Einige Tage müssen Sie im Bett bleiben. Sie haben einen leichten Schock, aber ich denke nicht, dass es etwas 'Ernstes ist. Ihr Freund wird sich um Sie kümmern, nicht wahr?" Freund? Zoe war zu benommen und nickte nur, obwohl sie nicht wusste, wen der Arzt meinte. "Ich gebe Ihnen jetzt eine Spritze", setzte er hinzu, und Zoe zuckte zusammen, als sie einen Stich am Arm spürte. Erst als der Arzt sie aus dem Behandlungsraum führte, erkannte Zoe, wen er mit "Freund" gemeint hatte. Connel saß auf dem Gang und blätterte in einer Zeitung. "Alles in Ordnung?" fragte er und stand auf. "Ich habe einen Rollstuhl besorgt. Sie sind nicht sehr schwer, aber wenn ich Sie weiter so herumschleppe, bekomme ich einen Muskelkater." Der Arzt lachte. Zoe biss die Zähne zusammen. "Ich bin kein Krüppel und kann laufen." "Unsinn", erklärten die Männer wie aus einem Mund und setzten sie in den Rollstuhl. Die Würde verbot es Zoe, sich dagegen zu wehren. Connel wickelte sie wieder wie ein Baby in seine Decke, dann entfernte er sich etwas und unterhielt sich leise mit dem Arzt, so dass Zoe nicht hören konnte, was sie sprachen. Aber das kümmerte sie nicht. Sie gähnte und sehnte sich nur noch danach, endlich schlafen zu können. Gleich darauf übernahm Connel den Rollstuhl und schob ihn lange, eintönige Gänge entlang. Alles kam Zoe seltsam unwirklich vor. Fast hätte sie glauben können, bereits zu träumen. Hinterher erinnerte Zoe sich nicht mehr, wie Connel sie in den Wagen gesetzt hatte. Während der ganzen Fahrt zu ihrem
Haus schlief sie, auch als Connel sie mitsamt der Decke aus dem Wagen hob und ins Schlafzimmer hinauftrug. Erst als Connel sie aufs Bett legte, kam Zoe kurz zu sich. Verwirrt blickte sie ihm ins Gesicht und wusste nicht, warum er bei ihr war. "Was ... machen Sie?" "Ich ziehe Sie aus und lasse Sie schlafen", sagte Connel sachlich und knöpfte ihr die Jacke auf. "Und da ich das schon mal getan habe, brauchen Sie sich nicht aufzuregen." Zoe stieß seine Hände weg. "Das ... kann ich ..." "Nein, Sie können nicht. Sie sind nur halb bei Bewusstsein und viel zu schwach, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen. Es ist gleich vorbei, Zoe." Connel öffnete den Reißverschluss ihrer Hose und begann sie ihr herunterzustreifen. "Ich fürchte, der Hosenanzug wird auch mit einer Reinigung nicht mehr zu retten sein. Er ist voller Glassplitter und Blutflecken." Schaudernd blickte Zoe auf ihre Lieblingskombination. Connel hatte Recht. Das Outfit war hinüber. "Der Hosenanzug hat ein Vermögen gekostet!" "Wenn schon. Seien Sie froh, dass Sie mit dem Leben davongekommen sind. Wo haben Sie einen Pyjama, Zoe?" Connel hob ihren Oberkörper an, um ihr die Jacke auszuziehen. "Keinen Pyjama", wehrte Zoe hastig ab. "Ich schlafe so." Ihr fiel etwas ein. "Wie haben Sie die Haustür aufbekommen? Und behaupten Sie nicht wieder, sie wäre offen gewesen. Diesmal weiß ich genau, dass ich abgeschlossen hatte!" "Ich habe den Schlüssel aus Ihrer Handtasche genommen." Connel legte Zoe behutsam zurück und deckte sie mit dem warmen Daunenbett zu. "Sie... hatten kein Recht, meine Handtasche zu durchsuchen", protestierte Zoe matt. "Was hätte ich sonst tun sollen? Seien Sie doch vernünftig. Kann ich Ihnen etwas bringen? Milch? Wasser? Heißen Kakao oder Tee?"
"Nein, danke." Zoe presste die Lippen zusammen. Gegen diesen Mann kam sie nicht an. Das Licht wurde ausgeschaltet, und Zoe lag im Dunkeln. Schläfrig dachte sie über Connel nach. Ein Mann wie er war ihr noch nie begegnet. Er steckte voller Überraschungen. Sie verkrampfte sich, als sie Connel den Raum erneut betreten hörte. "Was tun Sie jetzt?" Falls er versuchen sollte, zu ihr ins Bett zu steigen, würde sie ihm die Krallen zeigen. "Tut mir Leid. Habe ich/ Sie aufgeweckt? Ich habe mich bemüht, leise zu sein. Mir ist eingefallen, dass Sie in der Nacht sicher Wasser trinken wollen. Da habe ich Ihnen einen vollen Krug und ein Glas herauf gebracht." Er stellte beides auf den Nachttisch. "Hier. Sonst noch etwas?" "Nein", erwiderte Zoe abwehrend. "Gut. Ich habe Ihre Schwester angerufen. Sie kommt morgen früh herüber." "Das hätten Sie nicht tun sollen! Sancha hat auch so schon genug um die Ohren. Außerdem bringt sie Flora mit, und dann habe ich keine ruhige Minute." "Sie ließ sich nicht davon abbringen und wollte sofort kommen, aber ich habe ihr das ausgeredet und ihr gesagt, dass ich über Nacht bei Ihnen bleibe. Jemand muss da sein,, bis Sie außer Gefahr sind." "Ich habe Sie nicht gebeten zu bleiben. Ich brauche niemanden und kann selbst auf mich aufpassen." "Nicht in diesem Zustand. Schlafen Sie. Falls Sie mich brauchen, ich bin nebenan. Hier, ich habe die Messingglocke aus dem Wohnzimmer mitgebracht. Damit läuten Sie nach mir." Zoe hörte, dass Connel die Klingel zu den anderen Dingen auf den Nachttisch stellte. Ehe Zoe widersprechen konnte, hatte Connel den Raum verlassen. Sie fühlte sich unendlich schwach und war zu
erschöpft, um wach zu bleiben. Fünf Minuten später schlief sie fest. Als Zoe erwachte, schien die Morgensonne ins Zimmer, und es duftete nach Kaffee. Kaffee! Wunderbar. Genau den brauchte Zoe jetzt. Vorsichtig setzte sie sich auf. Die Bewegung verursachte ihr Schmerzen, aber Zoe konnte nun wieder klar denken. Auch das Sehvermögen schien voll hergestellt zu sein, denn sie erkannte Connel Hillier sofort, als er ins Zimmer kam. Er war frisch rasiert und trug ein anderes Hemd und Jeans. Wie hatte er sich umziehen können? Hatte er Sachen zum Wechseln im Wagen gehabt? Überrascht blieb Connel an Zoes Bett stehen. "Sie sind ja wach! Warum haben Sie nicht gerufen? Dann hätte ich Ihnen das Frühstück schon eher gebracht." "Ich bin eben erst aufgewacht." Er trug ein Tablett, das er Zoe auf den Schoß stellte. "So, das war's: Orangensaft, Kaffee, gekochte Eier und Toast. Möchten Sie Frühstücksflocken?" "Nein, das hier ist bestens." Zoe sah zu, wie Connel die Vorhänge ganz zurückzog, um den strahlenden Herbstmorgen hereinzulassen. Dann drehte er sich um und betrachtete Zoe forschend. Dir wurde bewusst, dass sie nur BH und Slip trug, und sie zog sich die Zudecke hastig bis ans Kinn. Doch Connel lachte nur. "Was soll das, Zoe? Kommen Sie, Sie wollen mir doch hoffentlich nicht weismachen, dass Sie prüde sind? Ausgerechnet Sie?" Zoe ging darauf nicht ein und betrachtete das Tablett. "Nett von Ihnen, mir das Frühstück ans Bett zu bringen." Sie atmete den Kaffeeduft tief ein. "Das bin ich nicht gewöhnt." "Niemand bringt Ihnen das Frühstück ans Bett?" Connel zog ironisch die Brauen hoch. "Kein Wunder, dass Ihre Beziehungen nicht von Dauer waren. Sie haben sich die falschen Männer ausgesucht."
Zoe tat ihm den Gefallen nicht, sich herausfordern zu lassen. Kühl sagte sie: "Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen?" "Prima." Connel schien sich über sie zu amüsieren, was Zoes Stimmung nicht besserte. "Und Sie?" "Danke, ich auch", erwiderte Zoe beherrscht. "Wie fühlen Sie sich heute Morgen?" "Steif wie ein Brett, und meine Rippen tun höllisch weh." Sie zeigte Connel ihre Hände. "Und die Schnitte und Prellungen auch. Aber meinem Kopf geht es besser. Keine Kopfschmerzen, keine Sehstörungen." "Freut mich. Sie sehen auch viel besser aus." Connels Augen funkelten, während er Zoe im Bett betrachtete. "Zumindest das, was ich von Ihnen sehe." Mit Zoes Beherrschung war es vorbei. "Hören Sie auf, sich über mich lustig zu machen!" brauste sie auf. "Ich bin nicht in Stimmung für Spaße. Also schenken Sie sich Ihre Anspielungen darauf, dass ich nur Unterwäsche trage, und verschwinden Sie!" Connel lächelte unschuldig. "Habe ich das auch nur mit einem Wörtchen erwähnt? Sie spielen Ihre spärliche Bekleidung hoch, nicht ich." Das saß. "Sie haben mich so komisch angesehen." "Entschuldigung, falls ich das getan haben sollte. Ich bin nun mal ein ganz normaler Mann und kein Mönch. Und wenn ich eine halb nackte, wunderschöne, begehrenswerte Frau wie Sie vor mir habe, kann ich nicht anders." Das Kompliment tat Zoe gut. "Versuchen Sie's wenigstens." Connel hielt sie für wunderschön. Und begehrenswert. Hitze durchströmte sie. Er hatte sich abgewendet, und Zoe betrachtete ihn ihrerseits verstohlen. Wieder musste sie sich eingestehen, dass er ein unerhört attraktiver, athletisch gebauter Mann war: breite Schultern, durchtrainierter Körper, lange, muskulöse Beine. Seine bloße Anwesenheit in dem Baum ließ Zoe rascher atmen.
Noch nie hatte ein Mann eine solche Wirkung auf sie gehabt, und das beunruhigte sie. Er drehte sich um und betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen. "Tja, ich überlasse Sie jetzt dem Frühstück im Schmollwinkel", bemerkte er trocken. "Sie bleiben heute im Bett, ob Ihnen das passt oder nicht. Und vergessen Sie nicht, nach dem Essen die Tabletten zu nehmen. Ihre Schwester kommt gegen zehn, nachdem sie die Kinder versorgt hat.- Wenn Sie noch etwas wollen, klingeln Sie, ja?" Sobald Connel den Raum verlassen hatte, schob Zoe das Tablett von sich und schlüpfte aus dem Bett, um sich im Bad frisch zu machen. In einen Morgenmantel gehüllt, kehrte sie zu ihrem Frühstück zurück. Nachdem Zoe sich gestärkt hatte, stellte sie das Tablett auf den Boden, legte sich zurück und blickte in den strahlenden Herbstmorgen hinaus. Besser hätte das Wetter für die Dreharbeiten nicht sein können. Zoe fuhr auf. Die Dreharbeiten! Die hatte sie völlig vergessen! Das Team würde zum zweiten Mal in einer Woche untätig herumsitzen und auf sie warten. Zoe sprang aus dem Bett und sah sich nach ihrer Handtasche mit dem Handy um. Sie musste den anderen sofort Bescheid geben, was passiert war, und dann ... Was dann? Sie durfte keine Zeit mehr verlieren... sie hinkten sowieso schon erheblich hinter dem Zeitplan zurück, und sie konnte den Etat nicht noch weiter belasten. Ganz gleich, wie es ihr ging, sie musste heute arbeiten. Hektisch begann Zoe, Kleidungsstücke aus dem Schrank zu nehmen: Jeans, Sweat-Shirt, eine warme Wolljacke. "Was fällt Ihnen ein?" Connel stand an der Tür. Mit wenigen Schritten war er bei Zoe, nahm ihr die Sachen ab und warf sie auf einen Stuhl. "Sie ziehen sich nicht an, sondern verschwinden sofort wieder ins Bett!"
"Ich muss zur Arbeit! Das Aufnahme-Team wartet schon seit zwei Stunden auf mich. Wir fangen bei Tagesanbruch an. Sie wissen ja nicht, was passiert ist." "Doch, das wissen sie. Seit einer Stunde. Ich habe sie von dem Unfall benachrichtigt und auch, dass Sie einige Tage nicht arbeiten können. Also, marsch zurück ins Bett." Connel nahm Zoes Arm. "Sie haben was getan?" Wütend riss sie sich los. "Dazu hatten Sie kein Recht!" schrie sie ihn an. "Wie können Sie es wagen, sich einzumischen? Ich kann es mir nicht leisten, auch nur einen Drehtag auszulassen! Unter Umständen verzichtet die Filmgesellschaft dann ganz auf mich und sucht sich einen anderen Regisseur." "Nicht wegen ein, zwei Tagen! Spielen Sie nicht verrückt. Sie werden auf Sie warten, wenn sie wissen, dass es nur eine kurze Verzögerung gibt. In diesem Zustand können Sie nicht arbeiten, Zoe, das wäre zu gefährlich. Möglicherweise haben Sie eine Gehirnerschütterung und stehen noch unter Schock. Also schleunigst zurück ins Bett! Sie brauchen Ruhe. Der Arzt weiß, was er tut, wenn er Sie für einige Tage ins Bett verbannt. Sie hatten einen schlimmen Unfall und können froh sein, noch zu leben." "Sie kennen die Filmgesellschaften nicht. Ich bin nicht hysterisch, sondern weiß einfach, wie der Hase läuft. Die Leute von der Versicherung werden auf einem neuen Regisseur bestehen. Sie spielen verrückt, wenn durch Drehverzögerungen Verluste entstehen. Wahrscheinlich sieht man sich jetzt schon nach einem Ersatz für mich um, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren." Zoe wollte ihre Sachen vom Stuhl nehmen, doch Connel war schneller. Er hob Zoe hoch, legte sie aufs Bett und setzte sich auf die Kante.
"Es hat keinen Zweck, sich zu wehren, Zoe. Diesmal bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als sich zu fügen." Von der Tür ertönte ein Seufzer, und Zoe und Connel fuhren herum. Sancha kam ins Zimmer und machte ein entsetztes Gesicht. "Um Himmels willen, was ist los, Zoe? Ist alles in Ordnung?" "Überhaupt nicht!" Zoe war den Tränen nahe. "Befrei mich von diesem Kerl! Schmeiß ihn raus!" Sancha warf ihrer Schwester einen hilflosen Blick zu. Der "Kerl" war der neue Chef ihres Mannes, und sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Connel stand auf und strich sich das Haar aus der Stirn. "Ich habe sie erwischt, als sie sich anziehen wollte, um zur Arbeit zu fahren. Dabei darf sie nicht mal aufstehen, Sancha. Zoe steht noch unter Schock und könnte eine Gehirnerschütterung haben. Bringen Sie Ihre Schwester dazu, im Bett zu bleiben." "Raus aus meinen Haus!" erboste Zoe sich. "Ich hole den Arzt, damit er sie zur Vernunft bringt", erklärte Connel, ohne Zoe anzusehen. "Das werden Sie nicht tun! Raus mit Ihnen, und kommen Sie ja nicht wieder! Ich will Sie nie wieder sehen!" Es machte Zoe noch wütender, dass Connel nur lachte. "Da irren Sie sich, meine Liebe." Er küsste sie auf den Mund. "Bis später. Sancha, passen Sie auf, dass das Vögelchen nicht ausfliegt. Zoe muss unbedingt im Bett bleiben." Als Connel gegangen war, stand Sancha immer noch erstaunt da. "Was läuft zwischen euch beiden?" Zoe brannten die Wangen. "Nichts", erwiderte sie heftig. "Überhaupt nichts. Ich kann den Mann nicht ausstehen!" "Bist du dir da sicher?" Sancha machte ein zweifelndes Gesicht. Zornig brauste Zoe auf. "Und ob! Er verkörpert alles, was ich an Männern hasse."
"Also, wenn man mich fragen würde, ob er dein Typ ist, hätte ich Nein gesagt", gestand Sancha. "Aber ... warum hat er dich geküsst? Und ich hatte den Eindruck, nicht zum ersten Mal. Also, Zoe, was geht hier vor?"
5. KAPITEL Der Vormittag zog sich endlos hin. Zoe lag im Bett, und wenn sie nicht vor sich hindämmerte, sorgte sie sich wegen der verlorenen Drehzeit. Unten hörte sie ihre Schwester die Waschmaschine in Gang setzen und Staub saugen. Um elf brachte Sancha ein Tablett mit Kaffee und Butterkuchen herauf, den sie mitgebracht haben musste, denn Zoe holte sich Versuchungen dieser Art gar nicht erst ins Haus. Lächelnd setzte Sancha sich zu Zoe auf die Bettkante. "Mach dir um den Haushalt keine Gedanken, alles ist tipptopp." Damit handelte sie sich einen vorwurfsvollen Blick ein. "Der Haushalt ist das Letzte, an was ich denke. Ich mache mir Sorgen wegen der Dreharbeiten, Sancha. Hör zu, du willst doch sicher nicht, dass ich meine Stellung verliere, oder? Wenn ich nicht am Drehort erscheine, bin ich meinen Job los, verstehst du das denn nicht?" "Mädchen, hast du vergessen, dass du gestern fast ums Leben gekommen wärst? Connel sagt, dein Wagen sei nur noch ein Schrotthaufen gewesen." "Aber ich nicht! Ich hab nur einige Kratzer abbekommen." "Sieh dich doch mal an! Du siehst schrecklich aus - blaue Flecken überall an Armen und Beinen, ganz zu schweigen von den Schnittwunden! Und bei Schock dauert es Tage, ehe die Gefahr vorüber ist." "Vielen Dank. Du bist mir ein schöner Trost."
"Ich lasse nicht zu, dass du das Bett verlässt. Also versuch gar nicht erst, mich zu breitzuschlagen. Trink deinen Kaffee, und iss den Butterkuchen." "Kuchen esse ich grundsätzlich nicht, der macht dick." Gereizt seufzend trank Zoe einen Schluck Kaffee. "Außerdem nehme ich keine Milch in den Kaffee. Die enthält zusätzliche Kalorien." "Und stärkt das Abwehrsystem. Iss wenigstens ein Stück von dem Butterkuchen, Zoe, ich habe ihn extra für dich gebacken. Die Zutaten erhöhen den Blutzuckerspiegel und geben Kraft." "Eine Kalorienbombe", murrte Zoe und betrachtete finster den Kuchen. Ihr war klar, dass sie nicht darum herumkommen würde, ihrer Schwester zuliebe mindestens ein Stück zu essen, um sie nicht zu verletzen. "Mark sagt, Männer kuscheln sowieso lieber mit wohl gerundeten Frauen", erklärte Sancha selbstgefällig. "Hör mal, Schwesterherz, Männer mögen es, wenn ihre Frauen rundlich sind, weil sie nicht wollen, dass die Konkurrenz ein Auge auf sie wirft. Wenn sie könnten, würden sie ihre Ehefrauen am liebsten in einen Harem stecken. Im Übrigen halte ich nicht Diät, um für Männer attraktiv zu sein, sondern weil ich fit und beweglich bleiben will. Das verlangt mein Beruf." "Dein Beruf verlangt vor allem Grips, und der scheint dir im Moment abhanden gekommen zu sein. Also iss von dem leckeren Butterkuchen." Zoe kämpfte mit sich. "Hör mal, Sancha ..." "Ich höre erst, wenn du Kuchen gegessen hast." "Tyrannin!" Resigniert probierte Zoe ein Stück. Es war locker und frisch und schmeckte köstlich. Nach wenigen Bissen war nichts mehr davon übrig. "Du bäckst fantastisch", musste Zoe zugeben, und Sancha lächelte zufrieden. "Aber bitte nimm den Rest den Kindern mit. Mehr esse ich nicht." "Also gut. Aber nur, wenn du mir verrätst, was zwischen dir und Connel läuft."
"Das hab ich dir doch schon gesagt - nichts!" Zoe trank den Kaffee aus. "Und jetzt verrätst du mir etwas: Wie kommt Mark mit ihm zurecht? Die Wahrheit, bitte!" "Mark mag ihn. Er sagt, er sei sehr sympathisch und geradeheraus, er habe für alles ein offenes Ohr, und man könne zu ihm kommen, wenn es Probleme gebe. Auch die Arbeiter mögen ihn, obwohl er ihnen nichts durchgehen lässt, wenn einer Ärger macht." Sanchas Augen leuchteten. "Und er hat dein Haus blitzsauber hinterlassen. Nach dem Frühstück hat er nicht nur gespült, sondern auch die Küche aufgeräumt und das Bett gemacht, in dem er schläft." Zoes Herz klopfte unruhig. Schläft ....? Connel war doch gegangen ... oder etwa nicht? "Wie meinst du das .schläft'? Er hat letzte Nacht hier geschlafen, und das war's, hoffe ich." Einen Moment sah Sancha ihre Schwester eindringlich an, dann lächelte sie. "Er kommt heute Abend wieder her." "Nein!" Zoe fuhr im Bett auf. "Wieso glaubst du das?" "Weil er es gesagt hat." Sancha wurde ernst. "Ich kann nicht über Nacht bleiben, Zoe. Zu Hause warten die Kinder und Mark auf mich. Aber du brauchst hier jemanden, denn es könnte ja sein, dass es dir plötzlich nicht gut geht. Nach so einem Unfall können alle möglichen Komplikationen auftreten. Schock kann sehr gefährlich sein. Als Connel von sich aus die Nachtschicht übernehmen wollte, war ich dankbar. Ich dachte, du würdest nichts dagegen haben." "Du hast mich nicht mal gefragt!" "Na ja, er hat sich doch letzte Nacht um dich gekümmert, und das schien dir sehr recht zu sein. Da habe ich angenommen, dass du einverstanden sein würdest." Zoe biss die Zähne zusammen, um nicht aufzubrausen. Ihre Schwester beobachtete sie beunruhigt. "Du weißt, ich hätte dich gern zu mir genommen, aber wir haben kein Gästezimmer. Es sei denn ..." Sancha überlegte. "Ich könnte die
Jungs wieder in ein Zimmer stecken, dann wäre das kleine Zimmer für dich frei. Das ist zwar voll gestopft mit Charlies Spielsachen ... aber die könnte ich ausräumen." Die Panik in Sanchas Stimme war nicht zu überhören. Zoe dachte an Charlies winziges Zimmerchen, das mit Spielzeug aller Art überfrachtet war, mit den Modellflugzeugen, die von der Decke hingen, den Auto- und Star-Wars-Postern. Sancha würde endlos brauchen, um den Raum für einen Erwachsenen bewohnbar zu machen. Außerdem gab es dort nur ein schmales, kleines Bett. "Nein, nein, kommt überhaupt nicht in Frage", wehrte Zoe rasch ab. "Ich möchte lieber hier bleiben, auch wenn das bedeutet, dass ich Connel Hillier für eine Weile ertragen muss." Demonstrativ gähnte sie. "Ich bin schon wieder müde. Dabei habe ich stundenlang geschlafen." "Das liegt am Schock. Und an den Medikamenten." Sancha ging mit dem Tablett zur Tür. "Ich muss kurz fort, um nach den Kindern zu sehen. Martha passt auf sie auf, aber sie braucht mal eine Pause von Flora." "Das kann ich mir vorstellen!" Sancha warf ihrer Schwester einen vorwurfsvollen Blick zu. "Also, du schläfst jetzt erst mal, und ich bringe dir später das Mittagessen." Zoe ließ sich zurücksinken und schloss die Augen. Erst nach zehn Minuten hörte sie ihre Schwester davonfahren. Sofort sprang Zoe aus dem Bett, eilte zum Telefon und rief ein Tag. Dann kleidete sie sich schnell an. Sancha würde böse auf sie sein, aber ihre Stellung war wichtiger. Eine Viertelstunde später war Zoe mit Jeans und einem warmen 'hellbraunen Sweatshirt bekleidet auf dem Weg zu einer Werkstatt im Ort, bei sie schon öfter einen Wagen gemietet hatte. Der Geschäftsführer hatte bereits von dem Unfall gehört und betrachtete Zoe mitfühlend.
"Ich hätte gedacht, dass Sie schlimm aussehen, aber wenn man einmal von einigen Schnittwunden und blauen Flecken absieht, würde man nicht vermuten, dass Sie mit ihrem Auto einen Totalschaden hatten. Jetzt brauchen Sie sicher einen neuen Wagen. Kommen Sie, und sehen Sie sich meinen Bestand an", forderte er Zoe auf, doch sie winkte ab. "Heute habe ich keine Zeit. Ich schaue am Samstag vorbei." "Gehen Sie nicht zur Konkurrenz. Ich mache Ihnen ein gutes Angebot", versicherte der Mann Zoe, ehe sie "mit einem blauen Leihwagen davonfuhr. Der Drehort lag eine Autostunde von Zoes Haus entfernt. Das Team machte gerade Mittagspause, als Zoe dort ankam. Die meisten Schauspieler saßen in ihren Wohnwagen und aßen Salat vom Wagenstand der Imbissfirma, während einige vom Aufnahmestab sich mit Würstchen und Pommes frites mit roten Bohnen stärkten. Alle wurden aufmerksam und blickten verblüfft herüber, als Zoe aus dem Wagen stieg, dann begannen sie, aufgeregt zu tuscheln. Will kam Zoe in abgewetzten Jeans und T-Shirt grinsend entgegen und begutachtete die Spuren des Unfalls. "Schwindlerin! Du bist ja quicklebendig - und ich habe dir gerade Blumen geschickt." Er umarmte Zoe derb. "Das war lieb von dir, Will." Vorsichtig machte sie sich von ihm los. "Wer ist der Regisseur?" Will schnitt eine Grimasse. "Die Filmgesellschaft sieht sich nach einem um, aber im Moment habe ich übernommen, mit deinem Zeitplan und deinen Drehanweisungen. Ich habe mich als Notnagel angeboten, weil ich gehofft hatte, dass du in ein, zwei Tagen wieder auf der Matte stehst. Heute Morgen habe ich Szene fünfundvierzig ohne Dialog geschossen und den kurzen Text zwischen Fran und Philip ausgelassen. Wir sind die Einstellung in ihrem Wohnwagen nur kurz beim Essen durchgegangen. Das Licht ist bestens, und ich glaube, Profis wie
sie kriegen die Szene auch so glatt hin." Er sah Zoe abwartend an und schien nicht sicher zu sein, wie sie reagieren würde. Doch sie lächelte zufrieden. "Wunderbar. Jetzt frage ich mich, warum ich überhaupt gekommen bin. Offensichtlich kommt ihr auch ohne mich zurecht." "Unsinn", widersprach Will. "Du hattest ja am Freitag mit uns besprochen, was für heute anstand. Ich wusste also, was zu tun war, und die Schauspieler hatten es auch begriffen. Wir haben nur deine Anweisungen ausgeführt. Du bereitest alles immer gründlich vor, habe ich Ben Green gesagt." "Und wie hat er reagiert?" fragte Zoe gespannt. Der Geschäftsführer der Filmgesellschaft, ein kahlköpfiger Mann mit Adleraugen, war gewöhnlich recht umgänglich, doch wenn es ums Geld ging, konnte er schwierig werden. "Er hat gesagt, das wusste er. Wir sollten mit deinem Zeitplan für heute weitermachen. Falls du aber nicht bald wieder da sein könntest, müsste er sich nach einem Ersatz umsehen." "Möglicherweise hast du mir den Job gerettet." Zoe seufzte. "Danke, Will. Ich hole mir nur schnell eine Portion Salat, dann arbeiten wir weiter. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich mir vorher noch mal ansehen, wie du Szene fünfundvierzig gedreht hast, damit ich weiß, wie sie aussieht." "Klar", sagte Will. "Wulst du sie auf Video sehen?" Sie besprachen noch verschiedene Einzelheiten, dann ging Zoe zum Imbisswagen. Jane, die Produktionsassistentin, kam ihr entgegengeeilt. "Ich dachte, du würdest heute nicht mehr kommen. Der Mann, der bei dir am Telefon war, hat gesagt, du würdest in den nächsten Tagen nicht arbeiten können, weil du krank seist." Jane betrachtete Zoes Schnittwunden und blaue Flecken. "Wie er den Unfall geschildert hat, kannst du dich glücklich schätzen, so glimpflich davongekommen zu sein." "Sehr glücklich", gab Zoe ihr Recht und bestellte sich bei der Thekenbedienung einen Salat.
Das junge Mädchen kaute gelangweilt Kaugummi. "Thunfisch oder Käse?" "Thunfisch, bitte." Zoe blickte missbilligend auf die schmutzigen Finger des Mädchens, mit denen es eine Portion Salat aus dem Kühlschrank nahm und die Klarsichthülle entfernte. "Getränk?" "Mineralwasser, bitte." Das Mädchen kehrte zum Kühlschrank zurück, nahm eine Flasche heraus und stellte sie krachend auf Zoes 'Tablett. "Nachtisch? Es gibt Obst oder Kuchen." "Keinen Nachtisch. Übrigens sollten Sie sich die Hände mal waschen.- Am besten gleich." Prompt handelte Zoe sich einen giftigen Blick ein. Dennoch ging das Mädchen zur Spüle und begann, sich umständlich die Finger zu waschen. "Für wen hält die sich?" murrte es laut vor sich hin. Jane kicherte. "Du hast dir ihre Sympathien verscherzt." "Das ist mir egal. Es würde uns ein Vermögen kosten, wenn sie das Team und die Schauspieler mit Salmonellen ansteckte." Jane hielt mit Zoe Schritt und fragte unvermittelt: "Er klang sehr energisch. Wer war er?" Zoe runzelte die Stirn. "Wer?" "Der Typ, mit dem ich heute Morgen am Telefon gesprochen habe. Das war doch nicht dein Schwager, oder?" "Nein", erwiderte Zoe einsilbig. Neugierig sah Jane sie an. "Ein Neuer? Sieht er gut aus? Er klang jedenfalls so." "Herrje, wie kann man gut aussehend klingen?" "Er hat eine sexy Stimme." Zoe rang nach Atem. Es stimmte ja Connel hatte eine dunkle, teuflisch sinnliche Stimme. "Das ist mir noch gar nicht aufgefallen." Zoe setzte sich an den kleinen Tisch in ihrem Wohnwagen und begann zu essen.
Jane, die an der Tür stehen geblieben war, beobachtete sie. "Gibt's irgendwelche Nachrichten für mich?" "Nur von der Besetzung. Lee Williams spielt den Polizisten nicht. Er liegt mit einer Blinddarmentzündung im Krankenhaus. Hai Thaxford übernimmt seine Rolle." Entsetzt blickte Zoe auf. "Soll das ein schlechter Witz sein?" Jane lächelte triumphierend. "Ich wusste, dass dir das nicht gefallen würde." Zähneknirschend erwiderte Zoe: "Gefallen? Das ist die Untertreibung des Jahres. Jenny weiß genau, dass ich es hasse, mit ihm zu arbeiten. Warum hat sie keinen Besseren gefunden?" "Anscheinend war zu dem Zeitpunkt niemand anderes frei. Soll ich dir Jenny an die Strippe holen?" "Jetzt habe ich keine Zeit. Ich rufe sie später an." Zoe widmete sich dem Essen. "Würdest du den anderen sagen, dass ich in fünf Minuten zu arbeiten anfange, Jane?" Die Assistentin eilte davon. Während Zoe ihr kaltes Mineralwasser trank, hing sie ihren Gedanken nach. Connel Hillier schaffte ihr schon genug Probleme, da konnte sie nicht auch noch Hal Thaxford gebrauchen, schon gar nicht, nachdem sie von Connel gehört hatte, wie Thaxford sie bezeichnet hatte: herzlos, berechnend, grausam... Zoe ballte die Hände zu Fäusten. Und Connel hatte jedes Wort geglaubt! Aber nun, wenigstens würde sie jetzt Gelegenheit haben, Hal Thaxford zu sagen, was sie von ihm hielt. Und da würde sie kein Blatt vor den Mund nehmen. Wenn sie ihm mit einer Verleumdungsklage drohte, würde er es sich in Zukunft zweimal überlegen, ehe er boshafte Gerüchte über sie verbreitete. Zoe nahm das Tablett auf und verließ den Wohnwagen, um mit der Arbeit zu beginnen. Die Sonne ging unter, als die Szene endlich im Kasten war. "Morgen schießen wir Szene siebzig", bestimmte Zoe. "Das ist wieder nur eine kurze, diesmal mit Fran und Dexter, die
brauchen wir nicht zu proben. Übernimmst du für mich, Will?" Zoe fühlte sich sehr müde, ihr dröhnte der Kopf, und die Brust schmerzte bei jedem Atemzug. "Klar." Will betrachtete sie besorgt. "Geht es dir gut? Du bist so blass." Zoe rang sich ein Lächeln ab. "Zu Hause wird's mir besser gehen. Bis morgen, Will." Die Heimfahrt kam ihr endlos vor. Nur noch ein Gedanke beherrschte Zoe: ein heißes Bad und dann ins Bett. Es kostete sie alle Kraft, sich auf das Fahren zu konzentrieren. Bloß nicht noch einen Unfall riskieren! Als Zoe endlich durch das Tor ihres Grundstücks fuhr, blickte sie unbehaglich zum Haus, weil sie befürchtete, dort Licht zu sehen. Das hätte bedeutet, dass Sancha auf sie wartete und ihr Vorwürfe machen würde. Für eine Gegenüberstellung mit ihrer Schwester war Zoe an diesem Abend jedoch einfach zu erschöpft. Erleichtert atmete sie auf, als im Haus alles dunkel war. Niemand war da. Zoe parkte den Wagen am gewohnten Platz und gähnte. Die Arbeit war ihr schwerer gefallen, als sie gedacht hatte. Natürlich würde sie morgen wieder am Drehort erscheinen, obwohl sie am liebsten zu Hause im Bett geblieben wäre. Doch das hätte sie Sancha oder Connel gegenüber niemals zugegeben. Ihre Arbeit bedeutete ihr alles, und sie musste morgen antreten, ganz gleich, wie sie sich fühlte. Es gab keine anderen Häuser in Sichtweite und auch keine Straßenbeleuchtung. Alles war dunkel, als Zoe zur Haustür ging. Sie zuckte zusammen, weil sie etwas hörte - ein schwaches Seufzen. Aber das rührte sicher nur vom Wind in den Bäumen, ihre überreizten Nerven spielten ihr einen Streich. Da war niemand. Dennoch hatte Zoe das unheimliche Gefühl, dass jemand im Schatten lauerte, und ein Schauer überlief sie. Noch ehe sie die Haustür erreichte, hatte sie den Schlüssel herausgeholt, schloss auf und betrat die Diele. Im gleichen
Augenblick bewegte sich etwas hinter ihr und huschte über den Kies, dann packte jemand Zoe von hinten und stieß sie vorwärts, so dass sie der Länge nach auf dem Teppich landete. Einen Moment lag Zoe wie versteinert da und rang nach Atem. Diesmal war Connel zu weit gegangen! Sie wollte aufstehen, doch der Mann packte sie, riss sie hoch und drehte ihr Gesicht zu sich hin. "Was fällt Ihnen ein ...?" wollte Zoe wütend sagen, kam jedoch nicht dazu, weil der Angreifer ihr die Lippen mit seinem Mund verschloss. Halb erstickt, versuchte sie, den Mann fortzustoßen, der ihr unter die Jacke und das Sweatshirt griff, um ihre Brüste zu berühren. Das war nicht Connel. Zoe kannte seinen Geruch, seine Gestalt, seine Hände. Um Himmels willen, wer war der Mann? Und was ... hatte er mit ihr vor? Zoe war starr vor Angst, und kalter Schweiß brach ihr aus.
6. KAPITEL Vom Garten blies ein kalter Wind durch die offene Tür herein, und Zoe fror, aber der Luftzug half ihr, wieder klarer zu denken. Vor einiger Zeit hatte sie einen Selbstverteidigungskurs für Frauen gefilmt. Sie hatten sich mit genau dieser Situation auseinander gesetzt. Was hatte der Lehrer ihr damals geraten? Verzweifelt zwang Zoe sich, gegen die Panik anzugehen, gegen das Schreckliche, was der Mann ihr antat. Etwas, das sie einmal gesehen hatte, prägte sich ihr unauslöschlich ein. Jetzt sah sie eine Frauengruppe vor sich. Ja, das war's! Zoe bog den Kopf, so weit sie konnte, zurück, um die Augen des Angreifers vor sich zu haben, dann stieß sie ihm beide Daumen hinein, gleichzeitig zog sie die Knie an und rammte sie dem Mann in den Unterleib. Er stieß einen dumpfen Schmerzensschrei aus, ließ von Zoes Brüsten ab und griff nach ihren Händen, um sie von seinen Augen wegzureißen. "Biest! Das tut weh!" "Runter von mir!" Zoe ballte die Hände zu Fäusten und begann, den Mann mit aller Kraft ins Gesicht zu schlagen und gegen die Schienbeine und Fesseln zu treten. Er fluchte und versuchte, Zoe auf den Boden zurückzudrücken. Und plötzlich erkannte sie seine Stimme. "Larry!" Sekundenlang lag er starr da, dann stöhnte er heiser auf.
"Du ... widerlicher Kerl!" brachte Zoe heiser hervor. "Runter von mir!" Angst hatte sie vor Larry nie gehabt, und sie schob ihn heftig von sich. "Zoe ... hör zu ... ich hätte dir nie wehgetan. Ich begehre und brauche und liebe dich, das weißt du doch." "Wenn du das unter Liebe verstehst!" zischte sie. "Lass mich sofort los." Larry glitt von ihr und stand auf. Atemlos erhob Zoe sich ebenfalls und tastete nach dem Lichtschalter. Sie. Blinzelte, als die dunkle Diele in Licht getaucht wurde. Die Helligkeit wirkte ernüchternd auf Larry, und er konnte Zoe nicht ansehen. Sein Gesicht war zerkratzt, die Nase blutete. Fassungslos betrachtete Zoe ihn. "Wie konntest du das tun? Was hattest du vor? Wolltest du mich vergewaltigen? Oder sogar umbringen?" Bei der Vorstellung wurde ihr eiskalt. "N...nein", stammelte Larry. "Nein, Zoe ... Ich liebe dich und hätte dir niemals wehgetan." Ihre grünen Augen funkelten verächtlich. "Du liebst mich? Hast du mich deshalb auf den Boden geworfen und zu Tode erschreckt? Du hast eine komische Auffassung von Liebe." "Ich habe dich immer wieder angerufen, aber du wolltest nichts von mir wissen. Da war ich verzweifelt." "Deshalb hast du mich überfallen? Dachtest du wirklich, du würdest damit durchkommen? Nach deinen zahllosen Drohanrufen hätte die Polizei dich im Handumdrehen gefasst. Damit hast du dich zum Hauptverdächtigen gemacht, und ein einfacher DNA-Test hätte dich schnell als Täter entlarvt! Dann wärst du vermutlich für Jahre hinter Gitter gewandert." "Du hast mich in dich verliebt gemacht und dann eiskalt abserviert", warf Larry ihr in dem ihr so vertrauten Schmollton vor. Zoe sah ihn abschätzig an. "Ich habe überhaupt nichts gemacht. Niemand kann einen anderen zwingen, ihn zu lieben.
Wenn du mich auch nur ein bisschen geliebt hättest, wärst du nicht gekommen, um mir wehzutun." "Du hast mir wehgetan!" "Ich mag deinen männlichen Stolz verletzt haben, aber wehgetan habe ich dir nicht. Du bist besessen, aber was dich treibt, ist nicht Liebe zu mir, sondern Eigenliebe." Larry blickte Zoe an, als hätte sie ihn geohrfeigt. "Wie kannst du nur so grausam sein? Wenn ich dich überfallen habe, hattest du es verdient. Du weißt, dass ich dich liebe, aber du behandelst mich wie einen streunenden Hund." Er war puterrot im Gesicht und atmete schwer. Ehe Zoe reagieren konnte, stürzte er sich erneut auf sie und packte sie bei der Kehle. Zoe bekam keine Luft mehr, und in ihren Ohren dröhnte es. Vergeblich versuchte sie, sich aus dem Würgegriff zu befreien. In seiner Besessenheit war Larry stärker, als Zoe gedacht hatte, und es gelang ihr nicht, den Druck seiner Finger zu lockern. Ihr wurde schwarz vor Augen, doch dann ließ Larry unvermittelt von ihr ab. Hustend und nach Atem ringend stolperte sie rückwärts gegen die Wand. Benommen erkannte Zoe eine Gestalt, die vorher nicht da gewesen war. Ein anderer Mann. Er musste sie von Larry befreit haben. Wer war der Retter? Und woher war er so schnell gekommen? Vor der Tür entdeckte Zoe einen fremden Wagen. Am ganzen Körper zitternd, strich sie sich das Haar zurück. "Alles in Ordnung?" ertönte Connels dunkle Stimme. Matt flüsterte Zoe: "Ich lebe." "Sie können von Glück sagen, dass ich rechtzeitig hier war. Ich rufe die Polizei." "Warten Sie ..." Zoe hielt Connel am Arm zurück. Er blieb stehen und betrachtete sie stirnrunzelnd. "Wo ist Larry?" flüsterte sie. "Ist er fort?" Connels Augen funkelten gefährlich. "Sie kennen den Mann?"
Stumm nickte Zoe. Er presste die Lippen zusammen, dann deutete er seitwärts. Zoe folgte seinem Blick. Am Fuß der Treppe lag Larry rücklings auf dem Boden. Er hatte die Augen geschlossen, und sein Mund war geöffnet. "Was ist mit ihm?" "Ich habe ihn k.o. geschlagen", erklärte Connel. "Er sieht aus, als ob er tot wäre." "Das ist er nicht. "Bestimmt nicht?" fragte Zoe verstört. "Wenn Sie einen Moment still sein würden, könnten Sie ihn atmen hören." In dem Schweigen, das nun folgte, hörte sie Larry rasselnd durch den Mund atmen. "Wie stark haben Sie zugeschlagen?" Grimmig berichtete Connel: "Als ich hier ankam, wollte der Kerl Sie umbringen. Und nachdem ich Sie von ihm befreit hatte, ging er auf mich los. Da habe ich ihm einen Haken verpasst, um ihn ruhig zu stellen. Wenn Sie jetzt mit Ihrem Verhör fertig sind, rufe ich die Polizei." Connel ging zum Wohnzimmer, doch Zoe rief ihm nach: "Nein!" Er blieb stehen und sah sie ungläubig an. "Was soll das heißen nein? Der Mann wollte Sie erwürgen. Er ist gefährlich. Wenn Sie die Polizei nicht einschalten, wird er es erneut versuchen. Und beim nächsten Mal haben Sie vermutlich nicht so viel Glück. Wenn ich nicht rechtzeitig aufgetaucht wäre, könnten Sie jetzt tot sein." Connels scharfer Ton schien zu Larry durchgedrungen zu sein, denn er richtete sich stöhnend auf und hielt sich das Kinn. "W...was ist passiert?" Benebelt blickte er sich um und erkannte Zoe und Connel. "Oh ..." Larry sah Connels drohende Miene und holte tief Luft. "Hat der mich niedergeschlagen?"
"Ja. Und ich tu's wieder, wenn Sie eine falsche Bewegung machen." Connels Ton ließ keinen Zweifel, dass er die Drohung wahr machen würde. Vorsichtig rieb Larry sich das Kinn. "Fühlt sich an, als ob ich mit 'nem Laster zusammengestoßen wäre. Ich zeige Sie an, Mister! Mit dem Schlag hätten Sie mich umbringen können." "Sagen Sie das der Polizei", höhnte Connel. In Larrys Augen erschien ein alarmierter Ausdruck. "Polizei?" Schlagartig kam er auf die Füße. "Sie ... haben die Polizei gerufen?" Anklagend sah er Zoe an. "Das kannst du mir doch unmöglich antun. Du weißt genau, dass ich dir nie wehtun könnte. Ich liebe dich. Hast du mir nicht schon genug zugefügt? Du hast mich in dich verliebt gemacht und mich dann fallen gelassen. Nicht mal mehr mit mir sprechen wolltest du. Erst machst du mich verrückt, und dann rufst du die Polizei. Du willst mein Leben zerstören und wirst erst zufrieden sein, wenn ich im Gefängnis bin und meinen Job verloren habe." Müde winkte Zoe ab. "Geh, Larry. Er hat die Polizei noch nicht angerufen. Aber wenn du mir je wieder nahe kommst, werde ich es tun. Wage nie mehr, mich mit Anrufen oder Briefen zu belästigen. Und wenn du dich noch einmal in meinem Haus blicken lässt, wanderst du ins Gefängnis." "Zoe ... sei doch nicht so herzlos." Larry kam mit beschwörend ausgestreckten Händen auf sie zu. "Es tut mir Leid ... bitte verzeih mir... ich liebe dich." Angewidert erwiderte Zoe: "Nein, das tust du nicht. Sonst hättest du nicht versucht, mich zu erwürgen. Du liebst nur dich selbst, Larry, nicht mich." "Ich muss ständig an dich denken und kann nicht schlafen, Zoe. Gib mir noch eine Chance. Das ist doch nicht zu viel verlangt." Schroff mischte Connel sich ein. "Genug, Jungchen. Du hast gehört, was sie gesagt hat. Sie will nichts von dir wissen. Also
raus! Und komm ja nicht wieder, sonst hast du es mit mir zu tun." Larry warf ihm einen hassvollen Blick zu, dann sagte er zu Zoe: "Hast du mich seinetwegen verlassen? Ich hatte mir schon so etwas gedacht. Da musste ein anderer im Spiel sein. Bei dir gibt's immer einen anderen Mann, nicht wahr?" Empört wollte Zoe widersprechen, aber Larry ließ ihr keine Gelegenheit dazu. Verbittert schleuderte er Connel entgegen: "Sie werden schon merken, wie sie ist. Als Nächstes sind Sie dran. Investieren sie lieber keine Gefühle - Zoe wartet, bis man verrückt nach ihr ist, und schickt einen dann in die Wüste. Sie ist eiskalt und spielt so grausam mit einem wie eine Katze mit einer halb toten Maus." Die Beschuldigung traf Zoe, obwohl sie grundlos war. Connel betrachtete ihre Züge, dann wandte er sich Larry wieder zu. "Sie haben gesagt, was Sie loswerden wollten, und jetzt verschwinden Sie." Er packte Larry beim Kragen, bugsierte ihn aus dem Haus und schlug die Tür hinter ihm zu. Stumm wankte Zoe in die Küche, schaltete das Licht ein und setzte sich, weil die Beine unter ihr nachzugeben drohten. Sie fror und zitterte am ganzen Körper. Nach den Dreharbeiten war sie erschöpft gewesen. Larrys Überfall hatte ihr den Rest gegeben. Connel folgte ihr und betrachtete sie. Dann begann er wortlos, Tee zuzubereiten. Während er Tassen hinstellte, bemerkte er kühl: "Wissen Sie, fast hätte ich geglaubt, dass Hai sich in Ihnen getäuscht hat. Aber er scheint Sie zu kennen. Sie haben diesen Dummkopf Larry zerstört. Jetzt wünschte ich, ich wäre nicht so brutal mit dem armen Kerl umgegangen." "Verschwinden Sie!" Zoe kämpfte gegen die Tränen an. "Verlassen Sie mein Haus! Auf der Stelle! Und kommen Sie ja nicht wieder."
"Was ist los? Schmeckt Ihnen die Wahrheit nicht?" fragte Connel zynisch. Gequält sah Zoe ihn an, dann übermannte sie der Zorn. "Das ist nicht die Wahrheit!" versuchte sie sich zu verteidigen. "Was soll ich denn tun, wenn ich mit einem Mann ausgehe und merke, dass er mich nicht interessiert? Sind Sie nicht auch schon mal mit jemandem zusammen gewesen und haben dann erkannt, dass Sie die Bekanntschaft nicht fortsetzen möchten? Das gleiche Recht beanspruche ich für mich." Connel beobachtete sie, und seine Augen glitzerten kalt. Das brachte Zoe nur noch mehr auf. "Larry zum Beispiel anfangs mochte ich ihn. Aber dann fing er an, mir ständig von seinen früheren Freundinnen zu erzählen. Er wollte mich eifersüchtig machen. Wenn wir eine Ehemalige trafen, war er entzückt und versicherte mir immer wieder, ich hätte keinen Grund zur Eifersucht. Aber es war unübersehbar, dass er es genau darauf anlegte. Als ich nicht reagierte, fing er an zu schmollen." Connel lächelte verächtlich. "In einem hatte dieser Larry wohl Recht: Wenn Sie eifersüchtig gewesen wären, hätte das bewiesen, dass er Ihnen etwas bedeutete." Das musste Zoe zugeben. "Mag sein. Aber ich war nicht in ihn verliebt. Deshalb wollte ich ihn nicht mehr treffen. Das müssen Sie doch verstehen. Mit seinen ständigen Versuchen, mich eifersüchtig zu machen, hat er mich nur noch genervt. Und dann wollte er auch noch, dass ich ihm von meinen früheren Bekannten erzähle. Dazu hatte ich ebenso wenig Lust. Wenn eine Beziehung vorbei ist, ist sie vorbei, und es wäre unfair, über jemanden hinter seinem Rücken zu reden." "Sicher", gab Connel ihr stirnrunzelnd Recht. "Das mag kein Mann. Ich auch nicht." Zoe lachte rau auf. "Das kann ich mir vorstellen. Ich würde auch nicht wollen, dass ein Mann sich bei anderen Frauen über mich auslässt. Aber Larry wollte unbedingt alles über meine
Verflossenen wissen und hörte nicht auf, mich auszufragen. Richtig besessen war er davon. Er wollte sich einfach nicht damit abfinden, dass meine Vergangenheit für mich ein abgeschlossenes Kapitel ist, über das ich nicht rede. Und ebenso wenig war er bereit hinzunehmen, dass ich mit ihm Schluss gemacht hatte. Ständig hat er mich angerufen und mir geschrieben. Er gab einfach nicht auf. Trotzdem hätte ich nie gedacht, er könnte so verrückt sein, mich zu überfallen." Connel stellte eine Teetasse vor Zoe. "Nur gut, dass ich rechtzeitig aufgetaucht bin. Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich nicht da gewesen wäre. Haben Sie schon gegessen?" Als Zoe nur stumm vor sich hin blickte, seufzte Connel. "Also nicht. Unbegreiflich! Wollen Sie ernstlich krank werden? Als Ihre Schwester mich anrief und mir sagte, Sie hätten sich angezogen und wären verschwunden, wollte ich Sie holen kommen. Leider wusste ich jedoch nicht, wo der Drehort ist, und Ihre Schwester konnte es mir auch nicht sagen. Und eine Telefonnummer hatte sie ebenfalls nicht." "Zum Glück." Zoe sah Connel aufsässig an. "Nicht auszudenken, wenn Sie mich vor versammelter Mannschaft weggeschleppt hätten! Für wen halten Sie sich eigentlich?" "Nach dem Unfall hätten Sie auf keinen Fall sofort wieder arbeiten dürfen." "Ich kann es mir nicht leisten, meinen Film an einen anderen Regisseur zu verlieren! Sie verstehen einfach nicht..." Connel beugte sich über Zoe und sah sie eindringlich an. "Nein, Sie sind es, die nichts versteht! Ein Schock kann tödlich enden! Wenn Sie nicht vernünftig sind, könnte das Ihr letzter Film sein." "Es geht mir bestens." Zoe beugte sich etwas zur Seite, weil Connels Nähe sie beunruhigte. "Ich mag es nicht, wenn Sie mir auf den Leib rücken." In Connels Augen blitzte es auf. "Tue ich das, Zoe?"
Unwillkürlich atmete sie rascher. "Hören Sie auf, mich zu bedrohen! Erst Larry, jetzt Sie! Was ist nur plötzlich in euch Männer gefahren? Warum glaubt ihr zu wissen, was für mich am besten sei?" "Für Larry kann ich nicht antworten. Ich versuche nur, Sie zur Vernunft zu bringen, Zoe." Sanft strich Connel ihr das wirre Haar aus dem Gesicht. "Sie sind ein Dummerchen und sich selbst der schlimmste Feind." Seine bloße Nähe machte sie schwach. Zoe wandte den Blick ab, um Connels sinnlichen Mund nicht sehen zu müssen. Was ist nur mit mir los? dachte sie. Noch nie hatte sie sich so danach gesehnt, geküsst zu werden. Vielleicht stand sie wirklich noch unter Schock. "Ihre Haut ist eiskalt." Connel streichelte ihre Wange. "Trinken Sie den Tee, während ich uns etwas zu essen mache. Ich bin auch hungrig. Was haben Sie im Kühlschrank?" "Nicht viel." Mit bebenden Fingern führte Zoe die Tasse an die Lippen. Der heiße Milchtee tat ihr gut. Sie trank einige Schlucke von der süßen Flüssigkeit und beobachtete Connel, der den Inhalt des Kühlschranks untersuchte. "Wieso? Hier gibt's doch reichlich Essbares." Über Connels Schulter hinweg entdeckte Zoe, dass er Recht hatte. "Sancha muss für mich eingekauft haben. Wirklich lieb von ihr." Connel warf ihr einen bedeutsamen Blick zu. "Besonders, nachdem Sie ausgerückt sind. Verständlicherweise war Sancha aufgebracht, als sie heimkam und feststellen musste, dass Sie ausgeflogen waren." Ich werde sie anrufen und mich entschuldigen, .nahm Zoe sich vor. Gleich morgen früh. Im Moment war sie dem einfach nicht gewachsen. Connel richtete sich auf und hielt einen Teller mit Fleisch in der Hand. "Wie war's mit Steaks? Es ist genug für zwei da, und das Fleisch ist in Minutenschnelle gar. Ich esse oft Steak. Wie
ich sehe, hat Sancha auch Gemüse eingelagert. Da sind Champignons und Tomaten. Und ich könnte in der Makro Folienkartoffeln garen, es sei denn, Sie möchten lieber Pommes frites." "Nein, eine Folienkartoffel wäre prima. Pommes frites esse ich kaum. Sie sind zu kalorienreich." Zoe stellte die Tasse ab und wollte aufstehen. "Ich helfe Ihnen." Sofort war Connel bei ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. "Sie bleiben sitzen. Heute spiele ich Koch. Setzen Sie sich an die Heizung, und sehen Sie zu, dass Ihnen nicht noch kälter wird." "Diktator", murrte Zoe. Connel ging fort und kehrte mit einem Glas Orangensaft in der Hand zurück. "Hier, trinken Sie das, während ich Suppe für Sie heiß mache. Ich habe nicht vergessen, dass Sie sie gern essen. Was möchten Sie lieber: Tomaten mit Basilikum oder Spargel?" "Tomatensuppe." Zoe trank den Saft und sah zu, wie Connel herumhantierte. Er schien sich in ihrer Küche wie zu Hause zu fühlen, und das beunruhigte Zoe. Vertrautheit und Gewohnheit waren gefährlich. Wenn sie nicht aufpasste, würde er ihr fehlen, wenn er nicht da war. Connel stellte den Plastikbehälter mit Suppe ins Mikrowellengerät und schaltete es ein. Dann wusch er die Steaks, tupfte sie trocken, schnitt Tomaten und bestrich die Kartoffeln mit Öl, ehe er sie mit Salz bestreute. Zoe war beeindruckt, wie rasch und geschickt Connel sich anstellte. Minuten später stand eine Schüssel mit dampfender Suppe vor Zoe. Connel reichte ihr einen Suppenlöffel, dazu ein Brötchen und Butter. "Essen Sie das, während ich mich um den Hauptgang kümmere." Genießerisch sog Zoe den würzigen Duft ein. "Riecht köstlich. Wollen Sie nicht auch etwas probieren?"
"Nein. Steak mit Folienkartoffel reicht mir. In zehn Minuten ist alles fertig. Also ran an den ersten Gang." Wie ein Ehepaar, dachte Zoe und kostete einen Löffel Suppe. Connel bevormundete sie, und sie musste sich das verbitten, aber im Moment war sie dazu zu müde und fror. "Schmeckt's?" fragte Connel. Zoe nickte und aß weiter. "Sie schmeckt so gut, wie sie riecht." Der Rest der Mahlzeit war ebenso schmackhaft. Connel hatte die Steaks genau richtig gebraten, obwohl er Zoe viel zu viel aufgefüllt hatte, so dass sie nicht alles schaffte. Als sie mit dem Essen fertig war, fühlte sie sich träge und schläfrig. "Keinen Kaffee", bestimmte Connel, der sie beobachtet hatte. "Jetzt geht's ab ins Bett." "Mit vollem Magen?" "Sie schlafen ja schon im Sitzen ein", gab Connel zu bedenken. Und er hatte Recht. Zoe konnte die Augen kaum noch offen halten. "Erst helfe ich Ihnen, zu spülen und die Küche aufzuräumen." "Das erledige ich in fünf Minuten. Also, ab nach oben mit Ihnen, Zoe - oder soll ich Sie wieder rauftragen und ausziehen?" Dir wurde heiß, und sie blickte fort. "Auf keinen Fall!" Viel zu schnell stand sie auf und stieß sich dabei das Knie am Tischbein. Sie taumelte leicht und stöhnte vor Schmerz. Sofort war Connel bei ihr und legte die Arme um sie. "Haben Sie sich sehr wehgetan?" Zoe atmete tief durch. "Ach, es ist weiter nichts." Sie versuchte sich zu befreien, doch vergebens. Connel lachte nur und sah ihr in die Augen. "Warum die Panik, Zoe? Wovor haben Sie Angst? Vor mir? Oder vor sich selbst?" "Weder noch", log sie. "Sind Sie sich da sicher?" Connel beugte sich über sie und berührte ihren Hals mit seinem warmen Mund. Zitternd atmete Zoe tief ein. "Nicht!"
Sie bog den Kopf zurück, um sich der Berührung zu entziehen, und versuchte erneut, Connel fortzuschieben. "Ich will nicht, dass Sie mich küssen!" "Wirklich nicht, Zoe?" Ganz langsam ließ er die Lippen aufwärts gleiten. Zoe wusste, dass Connel sie jetzt küssen würde, und sie hätte sich wehren, sich losreißen und fortlaufen müssen, aber sie besaß weder den Willen noch die Kraft dazu. Als Connel ihren Mund fand, öffnete Zoe wie in Trance die Lippen und erwiderte den Kuss. Und plötzlich konnte sie nichts mehr denken. Eisige Schauer überliefen sie, und die Knie gaben unter ihr nach. Dann sank sie in sich zusammen und verlor das Bewusstsein. Als Zoe zu sich kam, schien sie zu schweben. Verwirrt öffnete sie die Augen und merkte, dass sie durch ihr Schlafzimmer getragen wurde. Dann hatte sie Connels Gesicht vor sich. "Ah ... Sie kommen wieder zu sich", sagte er heiser an ihrem Ohr. "Was war mit mir?" "Sie sind ohnmächtig geworden." "Ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht ohnmächtig geworden!" protestierte Zoe matt. "Es gibt für alles ein erstes Mal." Connel legte sie aufs Bett und schaltete die Nachttischlampe ein. "Was möchten Sie zum Schlafen anziehen?" Sofort war Zoe alarmiert. "Das ist unwichtig. Ich komme schon zurecht." Vorsichtig setzte sie sich auf und beobachtete Connel argwöhnisch. "Lassen Sie den Abwasch stehen, den erledige ich morgen. Danke für Ihre Hilfe ... das Körnen und so. Das Essen war ausgezeichnet, aber jetzt möchte ich Sie bitten zu gehen." Er warf ihr einen spöttischen Blick zu. "Haben Sie Angst, ich könnte zu Ihnen ins Bett steigen?" "Nein! Ich ... nein." Doch genau das hatte Zoe befürchtet.
Connels Augen funkelten. "Keine Sorge. Wenn ich mit Ihnen schlafe, möchte ich, dass Sie hellwach sind und genau wissen, was ich tue." Ein Schauer überlief Zoe, doch sie sah Connel fest an. "Sie werden nicht mit mir schlafen - weder jetzt noch irgendwann." Er lächelte siegessicher. "O doch, Zoe, das werde ich." Ihr Herz klopfte heftig. "Gehen Sie", flüsterte sie. Connel durfte nicht merken, wie stark sie sich zu ihm hingezogen fühlte. "Sind Sie sicher, dass Sie sich allein ausziehen können?" fragte Connel umgänglich. "Mittlerweile habe ich Übung darin." Es kostete Zoe Mühe, sich zu beherrschen. "Würden Sie jetzt bitte gehen?" forderte sie ihn auf. Connel drehte sich um und ging zur Tür. Über die Schulter hinweg sagte er: "Falls Sie mich ... für irgendetwas brauchen, ich bin noch eine Weile unten. Sie brauchen nur zu rufen, Zoe." Sie wartete, bis er gegangen war, ehe sie zur Tür huschte, um das Schlafzimmer abzuschließen. Dann kleidete Zoe sich aus, ging ins Bad, schlüpfte in einen Pyjama und legte sich wieder ins Bett. Sie stellte den Wecker auf die gewohnte Zeit und verbot sich, an Connel zu denken. Wenige Minuten später schlief Zoe fest. Der Wecker schien bereits eine Stunde später zu klingeln. Benommen stellte Zoe ihn ab. Ohne den Lärm hätte sie noch stundenlang weitergeschlafen. Am liebsten hätte sie sich wieder ins Kissen gekuschelt, aber sie musste zur Arbeit. Also zwang Zoe sich aufzustehen. Sie duschte, schlüpfte in. Jeans, ein weißes T-Shirt und einen grünen Pullover mit V-Ausschnitt. Nachdem sie sich bequeme Schuhe angezogen hatte, schloss sie leise die Schlafzimmertür auf und lauschte. Im Haus war alles still. Auf dem Weg nach unten erreichten verlockende Düfte Zoes Nase. Kaffee! Gebratener Speck!
In der Küche blieb sie wie angewurzelt stehen. Connel saß am Tisch und trank Kaffee. Nachdem Connel sie von Kopf bis Fuß gemustert hatte, zog er die Brauen hoch. "Das sieht nach Arbeitskluft aus. Falls Sie glauben, ich würde Sie zum Drehort fahren lassen, vergessen Sie's. Der Doktor hat Ihnen Bettruhe verordnet, und Sie bleiben liegen, bis er Ihnen erlaubt, wieder voll durchzustarten." Entschlossen warf Zoe den Kopf zurück. "Sie können mir nichts befehlen! Ich muss zur Arbeit. Wie oft soll ich Ihnen das noch erklären? Wenn ich nicht erscheine, überträgt die Filmgesellschaft die Regie einer anderen Person. In unserer Branche ist Zeit Geld. Wir können es uns nicht leisten, auch nur einen Tag zu verlieren. Da kann ich unmöglich riskieren, länger auszufallen. Außerdem geht es mir bestens. Ich habe die ganze Nacht geschlafen und fühle mich prima." Connel betrachtete sie genauer. "Sie sehen besser aus, das muss ich zugeben. Trotzdem ist das, was Sie vorhaben, sträflich leichtsinnig. Aber nun, ich kann Sie nicht davon abhalten, arbeiten zu gehen, denn ich habe selbst einen wichtigen Termin. Und Ihre Schwester kommt nicht vor zehn. Rufen Sie sie an, und sagen Sie ihr, was Sie vorhaben. Aber Sie sollten wenigstens frühstücken. Also setzen Sie sich, und essen Sie eine Portion Ei mit Speck." "Mir reichen ein Stück Obst und eine Tasse Kaffee." Immerhin setzte Zoe sich und sah zu, wie Connel ihr Kaffee einschenkte. Er trug an diesem Morgen einen eleganten dunklen Nadelstreifenanzug, dazu ein zart gestreiftes hellblaues Hemd mit einer dunkelblauen Seidenkrawatte. Also musste er am Abend heimgefahren sein oder Sachen zum Wechseln dabeigehabt haben. Er war frisch rasiert, trug das Haar glatt zurückgekämmt und sah umwerfend attraktiv aus. Viel zu attraktiv. Zoe blickte fort. Ihr Herz klopfte unruhig, und es fiel ihr schwer, den Kaffee zu trinken.
Connel ging durch die Küche und kam mit einem Glas Orangensaft zurück, das er vor Zoe hinstellte. "Danke. Lassen Sie sich nicht davon abhalten, ausgiebig zu frühstücken. In fünf Minuten muss ich losfahren", setzte Zoe hinzu, ohne Connel anzusehen. Wortlos kehrte er zum Herd zurück, und Zoe hörte ihn hantieren, dann kam er mit einem Teller in der Hand zurück. "Essen Sie das, sonst lasse ich Sie nicht kampflos ziehen." Einen Moment blickte Zoe stumm auf den Teller mit gebratenem Speck, Ei und Toast. Das Frühstück roch verlockend, doch sie erwiderte abwehrend: "Ich habe Ihnen doch, gesagt, dass ich nie frühstücke. Dafür fehlt mir die Zeit, und es arbeitet sich leichter mit leerem Magen." Connel blieb unerbittlich. "Dann werden Sie sich die Zeit nehmen." Sein Ton und seine Miene sagten Zoe, dass er es auf einen Kampf ankommen lassen würde. Seufzend griff sie nach Messer und Gabel und begann zu essen. Connel setzte sich Zoe gegenüber, nachdem er sich ebenfalls einen Teller mit Eiern und Speck geholt hatte. "Erzählen Sie mir von Ihrem Film," forderte er sie auf. "Wer spielt mit?" Sie nannte einige Namen. "Und gestern habe ich erfahren, dass Ihr Cousin eine Rolle übernimmt. Jemand ist krank geworden." "Hai? Hätte ich das geahnt, hätte ich ihn gestern anrufen können, um ihn nach dem Drehort zu fragen." Connel warf Zoe einen amüsierten Blick zu. "Sie gehören nicht direkt zu seinen Fans, nicht wahr?" "Nein." Zoe hatte fertig gegessen, trank den Kaffee aus und stand auf. "Ich muss los. Bin sowieso schon spät dran. Ich rufe Sancha vom Drehort aus an." Connel folgte ihr zur Haustür. "Ziehen Sie eine warme Jacke über. Laut Wetterbericht soll's heute kalt werden."
Es ging Zoe gegen den Strich, sich Befehle erteilen zu lassen. Dennoch schlüpfte sie in einen warmen karierten Anorak. "Leben Sie wohl." "Bis später", erwiderte Connel bedeutsam, als Zoe die Wagentür aufschloss. Am Hauseingang blieb er stehen und winkte Zoe nach, während sie davonfuhr. Sie winkte zurück. Wie ein eingespieltes Ehepaar, dachte sie. Verwirrt wurde ihr bewusst, dass ihr die neue Erfahrung gefiel. Sie genoss es, Connel um sich zu haben, sich von ihm bekochen und zum Abschied nachwinken zu lassen ... Himmel, ich glaube, ich habe mich in ihn verliebt, dachte Zoe entsetzt. Er fängt an, zu meinem Leben gehören. Was soll ich1 tun?
7. KAPITEL Während Zoe darauf wartete, dass Will die Kamera nach der ersten kurzen Szene an diesem Morgen umstellte, rief Zoe ihre Schwester über Handy an. Die Schauspieler waren in den Wohnwagen, um ihren Text und die nächste Einstellung durchzugehen, und die Angestellten der Verpflegungsfirma brieten etwas für die Frühstückspause. Der Geruch des heißen Öls ließ Zoe die Nase rümpfen. Es dauerte eine Zeit lang, ehe ihre Schwester sich meldete. Sobald sie Zoes Stimme hörte, platzte Sancha der Kragen. "Ach, du bist's! Du hast Nerven, mich anzurufen, nachdem du dich gestern einfach davongestohlen hast. Ich habe mir schreckliche Sorgen um dich gemacht. Wie konntest du einfach verschwinden? Und du hast es nicht mal für nötig gehalten, eine Nachricht zu hinterlassen." "Entschuldige, aber ..." "Ich habe mir die schlimmsten Dinge ausgemalt. Du hättest während der Fahrt ohnmächtig werden und wieder einen Unfall bauen können... und diesmal mit tödlichem Ausgang! Ich wusste nicht, ob ich die Polizei einschalten sollte ... da habe ich Mark angerufen, um zu hören, ob sein Chef eine Ahnung hat, wo du sein könntest..." Schuldbewusst unterbrach Zoe ihre Schwester: "Ja, Sancha, Connel Hillier hat mir Bescheid gegeben. Aber du hättest ihn
nicht ins Spiel bringen dürfen. Ich will nicht, dass er denkt, er könnte mir Vorschriften machen." "Wieso Vorschriften? Ich habe nur gefragt, ob er wisse, wo du seist." Nun sprach Zoe ganz leise, da die anderen die Auseinandersetzung nicht mitbekommen sollten. "Es war doch klar, wo ich zu finden bin. Bei der Arbeit. Ich hatte Angst, sie würden die Regie jemand anderem übertragen, und mit Recht. Glaub mir, ich musste einfach ..." "Nach so einem schrecklichen Unfall würde niemand dich feuern, weil du krank bist", erboste Sancha sich. Zoe lachte verbittert. "Du kennst das Filmgeschäft nicht." "Wenn es dort so erbarmungslos zugeht, bin ich froh, es nicht zu kennen! Ich verstehe nicht, warum du weiter für solche Leute tätig sein willst." "Weil die Arbeit mir Freude macht. Warum würde ich sonst so erpicht darauf sein, sie zu behalten?" Typisch Sancha, das Thema zu wechseln, wenn sie nicht weiterkam. "Aber du hattest doch keinen Wagen. Wie bist du da überhaupt zum Drehort gekommen?" "Nichts einfacher als das. Ich bin mit dem Taxi zur Werkstatt gefahren und habe mir dort einen Leihwagen genommen. Das hättest du dir doch denken können." "Red bloß nicht mit mir, als wäre ich nicht bei Trost. Du musstest doch wissen, dass ich mich zu Tode ängstigen würde, als ich zurückkam und dich nicht mehr vorfand." Seufzend gestand Zoe sich ein, dass Sancha Recht hatte. "Ja ... sicher. Tut mir Leid, dass du dich meinetwegen geängstigt hast. Ich habe einfach vergessen, dir eine Nachricht zu hinterlassen, weil ich so in Eile war. Es geht mir prima, wirklich ..." "Von wo rufst du an?" Sancha klang immer aufgeregter. "Bist du etwa wieder am Drehort?"
"Natürlich. Ich habe dir doch gerade erklärt, dass ich es mir nicht leisten kann, noch länger auszufallen." "Meine Güte, Zoe, wie kannst du nur so leichtsinnig sein! Wer weiß, was für Nachwirkungen der Unfall noch hat. Manchmal dauert es Tage, ehe eine Verletzung sich bemerkbar macht. Du gehörst ins Bett und nicht an einen Drehort." "Hör zu, Sancha", unterbrach Zoe ihre Schwester hastig, "sie warten auf mich, um die nächste Szene zu schießen. Jetzt muss ich Schluss machen, ehrlich. Ich wollte dich wirklich nicht beunruhigen. Mach's gut." Aufatmend schob Zoe das Handy in die Tasche zurück. Sie hasste es, sich mit ihrer Schwester zu streiten. Sancha stand ihr sehr nahe. Sie war ihre beste Freundin, obwohl sie nicht immer einer Meinung waren. Zum Beispiel, was Männer betraf. Zoe hatte nie verstanden, wieso Sancha einen Mann wie Mark geheiratet und ihm auch verziehen hatte, als er offensichtlich mit einem Mädchen aus seiner Firma fremdgegangen war. Natürlich war Sancha überzeugt, dass zwischen den beiden nichts Ernstes gewesen sein könne. Mark sei ihr stets treu gewesen, und außerdem habe das Mädchen inzwischen einen anderen geheiratet. Was auch immer geschehen sein mochte, Mark hatte Sancha sehr wehgetan, und das konnte Zoe ihm nicht verzeihen. Sancha hatte ihm drei wunderbare Kinder geschenkt. Na ja, zwei wundervolle Jungen - und Flora, die Schreckliche. Die verzogene, nerventötende Flora hatte die Ehe an den Rand einer Katastrophe gebracht. Sie hatte ihre Mutter völlig vereinnahmt und ihre ganze Aufmerksamkeit gefordert, so dass die Jungen und ihr Vater sich ungeliebt und vernachlässigt gefühlt hatten. Dennoch war Zoe sicher, dass sie Mark an Sanchas Stelle nie mehr hätte vertrauen können. Wer einmal fremdgeht, tut es wieder, hatte Zoe ihre Schwester gewarnt. Doch Sancha hatte ihr heftig widersprochen.
"Nein, das wird er nicht, Zoe! Er liebt mich. Er hat gedacht, ich würde ihn nicht mehr lieben, und sich verletzt gefühlt. Ich werde diesen Fehler nicht ein zweites Mal machen. Von jetzt an sorge ich dafür, dass Mark sich meiner Liebe immer sicher sein kann." Liebe macht blind, dachte Zoe, während sie sich zu Will gesellte. So etwas konnte ihr nicht passieren. Als Zoe an diesem Abend nach Hause kam, war sie völlig erschöpft, obwohl es diesmal nicht so spät geworden war wie sonst. Anscheinend hatte sie sich von dem Unfallschock doch noch nicht ganz erholt. Immerhin hatten sie aber wenigstens die verlorene Zeit wieder aufgeholt. Daraufhin hatte Zoe gleich nach Sonnenuntergang Feierabend gemacht und war nach einer kurzen Besprechung der Szenen für den nächsten Tag heimgefahren. Zoes Nerven waren angespannt, als sie in ihre Auffahrt einbog, denn sie musste darauf gefasst sein, dass Larry ihr wieder auflauerte. Ehe sie aus dem Wagen stieg, blickte sie sich argwöhnisch um und lauschte, doch nichts rührte sich. Niemand schien im Garten zu sein. Also holte sie ihren Schlüssel aus der Tasche, stieg aus und rannte zur Eingangstür. Rasch schloss Zoe auf und betrat das Haus. Nachdem sie die Tür hinter sich abgeschlossen hatte, lauschte Zoe auf Geräusche. Nichts Bedrohliches war zu hören, nur das vertraute Ticken der Uhren und das Raunen des Windes im Freien. Es war kühl im Haus, doch das würde sich schnell ändern. Sie zog ihre Jacke aus, hängte sie auf und ging in die Küche, wo sie die Zentralheizung einschaltete. Während Zoe den Anrufbeantworter laufen ließ, begann sie, sich ein leichtes Abendessen aus Salat und dünnen Hähnchenscheiben zuzubereiten. Die erste Nachricht stammte von Sancha. Sie las ihr nochmals die Leviten, dann hatte sie sich beruhigt und berichtete: "Hör mal, Zoe, wir sind am kommenden Samstag zu
einer Party bei Connel Hillier eingeladen. Wirst du auch dort sein? Wir könnten dich im Wagen mitnehmen. Ruf mich noch heute Abend an, falls du Zeit hast. Mach's gut." Nachdenklich schenkte Zoe sich ein Glas trockenen Weißwein aus einer Flasche ein, die Connel am Vortag geöffnet hatte. Er gab also eine Party. Sollte er. Wenn er vorbeischaute, würde sie ihm sagen, dass sie nicht käme. Zoe wollte das Glas an die Lippen setzen, hielt jedoch inne, als Connels dunkle Stimme sich auf dem Band meldete. "Zoe, ich muss unerwartet nach London fliegen und kann heute Abend nicht bei Ihnen vorbeikommen. Rufen Sie Sancha bitte an, damit sie bei Ihnen hereinschaut. Falls dieser Kerl wieder auftaucht, auf keinen Fall aufmachen. Dann rufen Sie sofort die Polizei." Eine Pause, dann wurde Connels Stimme sinnlich leise. "Gute Nacht, Zoe. Bis bald." Ein Klicken, das war's. Zoe hatte weiche Knie bekommen, und sie musste sich setzen. Warum war sie enttäuscht, dass Connel nicht kam? Sie war doch kein Schulmädchen mehr! Lange genug hatte sie allein gelebt und brauchte ihn nicht. Sie war es gewöhnt, auf sich selbst gestellt zu sein. Geistesabwesend begann Zoe zu essen und trank dazu den Wein. Danach lud sie die Spülmaschine und ging schlafen. Ich werde nicht an Connel denken, nahm sie sich vor. Müde, wie sie war, schlief sie sofort ein. Die Woche verging nur langsam, und Zoe hörte nichts mehr von Connel. Nach Feierabend kam Sancha meistens herüber, um nach ihrer Schwester zu sehen, weil sie sich Sorgen machte. "Wann wirst du endlich Vernunft annehmen, Zoe?" meinte sie eines Abends kopfschüttelnd. Zoe winkte ab. "Hör auf, mich zu nerven! Mir geht's bestens. Geh heim, und kümmere dich um deine Kinder." "Das nennt man Dankbarkeit", bemerkte Sancha anklagend. Ehe sie nach Hause fuhr, fragte sie: "Du kommst doch zu Connels Party, nicht wahr?"
Betont gleichgültig erwiderte Zoe: "Ich bin nicht eingeladen worden." Sancha sah sie überrascht an. "Aber er hat uns gesagt, du würdest kommen. Wahrscheinlich hat er vergessen, dich einzuladen, und einfach vorausgesetzt, dass du mit von der Partie bist." "Typisch. Dieser Mann setzt alles einfach voraus." "Soll ich ihn anrufen und ihm sagen, dass er vergessen hat, dich einzuladen?" Zoe schoss das Blut ins Gesicht. "Auf keinen Fall!" Jetzt lächelte Sancha. "Dein Problem ist, du bist zu stolz. Ich weiß genau, dass er dich einladen wollte. Aber dann ist er in einer dringenden geschäftlichen Angelegenheit nach London gerufen worden. Da muss er die Party vergessen haben." "Vielleicht sagt er sie ab", bemerkte Zoe beiläufig. "Nein. Er hat heute Morgen mit Mark telefoniert. Sie findet nach wie vor statt. Übrigens hat Connel sich erkundigt, wie es dir geht." Zoe gab sich gleichgültig. "So?" "Das ist einer der Gründe, warum ich heute Abend hergekommen bin. Connel hat Mark gefragt, ob ich öfters nach dir sehe." "Und was hat Mark gesagt?" "Dass ich das tue. Mark hat mich sogar gedrängt, nach dir zu sehen, weil Connel ihn darum gebeten hat." "Toll! Und ich dachte, du wärst hier, weil du mich lieb hast." Sancha lächelte nachsichtig. "Das weißt du doch. Ich wäre auch gekommen, wenn Mark mich nicht darauf angesprochen hätte, Zoe. Sicher möchtest du doch hören, dass Connel sich weiter für dich interessiert." "Warum sollte ich wissen wollen, was ihn interessiert?" Ihre Schwester warf ihr einen nachsichtigen Blick zu und öffnete die Haustür. Eisige Nachtluft strömte herein und ließ Sancha erschauern. "Ein Unwetter zieht auf, und es ist kalt
geworden. Ehe wir uns versehen, ist's Winter. Mark meint, wir sollten nach Weihnachten Skiurlaub machen. Flora ist jetzt so weit, dass wir alle Kinder mitnehmen können. Hast du Lust, mitzukommen? Wir könnten uns gemeinsam ein Chalet mit Haushälterin mieten. Da brauchte ich nicht zu kochen, und abends könnten wir ausgehen." Zoe verzog das Gesicht. "Mit Flora im Schlepptau?" "Sie wird mit jedem Tag vernünftiger. Der Kindergarten hat sie verwandelt. Dort lernt sie, mit anderen Kindern zu teilen, und sie hat jetzt keine Tobsuchtsanfälle mehr." Als Zoe ihre Schwester zweifelnd ansah, gab Sancha lachend zu: "Na ja, jedenfalls nicht mehr so oft." Ihre Augen leuchteten. "Und Connel könnte auch mitkommen. Mark hat's ihm vorgeschlagen, und Connel schien von der Idee begeistert zu sein. In den Chalets gibt's meist ein halbes Dutzend Schlafzimmer, da wird das Ganze für eine größere Gruppe billiger." "Gute Nacht, Sancha", sagte Zoe trocken und schob ihre Schwester ins Freie. "Denk darüber nach, Zoe!" rief Sancha, während sie mit fliegenden Haaren zu ihrem Wagen rannte. Zoe winkte ihr nach, dann schloss sie aufatmend die Haustür zu und ging nach oben, um schlafen zu gehen. Ihre Schwester betätigte sich mal wieder in ihrer Lieblingsrolle als Kupplerin. Seit Jahren versuchte Sancha, einen Mann für Zoe zu finden. Warum waren Verheiratete nur so versessen darauf, Ledigen einen Partner zu finden? Vielleicht konnten sie es nicht verkraften, andere frei und glücklich zu sehen. Als Zoe wenige Minuten später ins Bett schlüpfte, schaltete sie das Licht aus und gähnte. Was mag Connel jetzt in London tun? schoss es ihr durch den Kopf. Sofort verbot sie sich jeden weiteren Gedanken an diesen Mann.
Dennoch träumte sie in der Nacht von ihm. Am Freitag war Zoe völlig erschöpft, und mittags sah man ihr das an. "Nimm dir den Rest des Tages frei", riet Will ihr, während sie in Zoes Wohnwagen faden Käsesalat aßen. "Ich komme heute Nachmittag allein zurecht. Du siehst aus, als ob du mit deinen Kräften am Ende wärst." Zoe legte die Gabel nieder. "Ach Will, das wäre wunderbar!" Sie griff nach dem Drehbuch und überdachte die beiden kurzen Szenen, die für den Nachmittag angesetzt waren. Für einen so erfahrenen Filmhasen wie Will würden sich da keine Probleme ergeben. "Ich gebe zu, ich fühle mich schrecklich. Meine Batterien sind einfach leer. Bist du sicher, dass es dir nichts ausmacht?" "Klar. Du kennst doch meinen Ehrgeiz, Regisseur zu werden. Da bin ich froh über jede Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln. Außerdem sind die beiden Szenen ganz einfach. Wir haben Sie im Nu im Kasten." Erleichtert umarmte Zoe ihn. "Du bist ein Schatz! Danke, Will." Ehe sie ging, erklärte sie der versammelten Mannschaft, dass Will übernehmen würde. Zehn Minuten später befand Zoe sich auf dem Heimweg. Das Wetter war kalt und windig, aber sonnig. An den Straßenrändern sammelte sich buntes Laub, das von den kahler werdenden Bäumen wehte. Über Gärten und Häusern lag ein bläulich grauer Dunst und erfüllte die Herbstluft mit leiser Wehmut. Ein Jammer, so einen Tag im Bett zu verbringen, dachte Zoe. Um aber etwas anderes zu machen, war sie einfach zu müde. Zu Hause angekommen, überflog sie die eingegangene Post. Da der Anrufbeantworter nichts aufgezeichnet hatte, brühte Zoe sich einen Becher Tee auf, bestrich eine Scheibe Toast mit
Erdnussbutter und nahm beides mit ins Schlafzimmer hinauf. Dort streifte Zoe Jeans und T-Shirt ab und legte sich ins Bett. Nachdem sie den Toast gegessen und den Tee ausgetrunken hatte, fühlte sie sich schläfrig. Fünf Minuten später schlief sie fest. Sie hatte das Gefühl, gerade erst eingenickt zu sein, als lautes, beharrliches Klingeln sie weckte. Schlaftrunken wollte Zoe den Wecker abstellen, dann wurde ihr bewusst, dass das Klingeln von unten kam. Draußen war es dunkel. Die Leuchtziffern des Weckers zeigten neun Uhr an. Sie hatte sechs Stunden geschlafen. Und unten klingelte jemand an der Haustür. Wer konnte das so spät noch sein? Sancha? Das Klingeln hörte nicht auf. Zoe verließ das Bett, huschte zum Fenster und spähte hinaus. Es war nicht ihre Schwester, sondern ein großer Mann in Jeans und Pullover. Larry? überlegte Zoe alarmiert. Seit dem Überfall hatte sie nichts mehr von ihm gehört und bereits gehofft, ihn endlich los zu sein. Um den späten Besucher besser sehen zu können, öffnete Zoe das Fenster. Die dunkle Gestalt vor der Haustür wurde aufmerksam, trat etwas zurück und blickte zu Zoe hinauf. Das Mondlicht fiel auf Connels Gesicht. Es zeichnete seltsame Schatten auf seine markanten Züge und ließ sein dunkles Haar unwirklich silbrig schimmern. Zoes Herz begann heftig zu pochen, und sie stützte sich Halt suchend auf das Fensterbrett. "Sind Sie nackt?" fragte Connel. Der Bann war gebrochen. "Nein", erwiderte Zoe spitz. "Zufällig war ich schon im Bett. Was wollen Sie so spät noch?" "Ich komme gerade aus London zurück und wollte sehen, wie es Ihnen geht." "Bestens, bis Sie mich aufgeweckt haben."
"Tut mir Leid. Ich dachte, Sie wären noch wach, weil unten in der Küche Licht brennt." "Licht? Ich hatte gar keins eingeschaltet. Ob Sancha noch mal vorbeigekommen ist?" Zoe drehte sich um, doch Connels warnende Stimme hielt sie zurück. "Warten Sie! Gehen Sie nicht nach unten, es könnten Einbrecher sein. Wenn Sancha hier wäre, müsste ihr Wagen da stehen, aber ich sehe keinen. Vielleicht hat sich Ihr früherer Freund wieder eingefunden, und wir wissen ja, dass er gefährlich ist. Werfen Sie mir den Schlüssel herunter, dann komme ich herein und nehme mir den Eindringling vor, falls einer da ist." Zoe zögerte, doch Connels Vorschlag klang vernünftig. Also nahm sie den Hausschlüssel aus der Handtasche und warf ihn Connel herunter. Während er die Haustür aufschloss, zog Zoe sich rasch Jeans und Pullover über, bürstete ihr Haar und hatte den engen Zwischenabsatz der Treppe erreicht, als Connel ihr entgegenkam. "Wohin wollen Sie?" sagte Zoe befremdet "Oben nachsehen. Unten war niemand", erklärte er und betrachtete sie interessiert. "Sie haben sich angekleidet." Zoe ging darauf nicht ein. Misstrauisch fragte sie; "Woher soll ich wissen, ob in der Küche wirklich Licht gebrannt hat, ehe Sie kamen? Sie können mir viel erzählen. Da ich bei Tageslicht heimgekommen bin, habe ich nirgends Licht gemacht." Kühl erwiderte Connel: "Auf dem Küchentisch liegt eine Nachricht von Ihrer Schwester. Sie war um sechs Uhr hier, aber Sie haben geschlafen. Da ist sie wieder weggefahren. Und jetzt lassen Sie mich vorbei, damit ich mich vergewissern kann, dass oben niemand ist." Zögernd trat Zoe zur Seite und drückte sich an die Wand, um Connel vorbeizulassen. Auf dem schmalen Treppenabsatz kamen sie einander beängstigend nahe, und Zoe schlug das Herz
bis zum Hals. Noch nie hatte die Nähe eines Mannes sie so durcheinander gebracht. Zoe konnte Connel nicht ansehen und blickte zu Boden, doch sie beobachtete ihn unter den Wimpern hervor. Er machte keine Anstalten weiterzugehen, sondern beugte sich langsam zu ihr vor, so dass sie genug Zeit gehabt hätte, sich ihm zu entziehen. Doch Zoe blieb wie angewurzelt stehen, und ihr Mund fühlte sich trocken an. Dann stemmte Connel die Hände so gegen die Wand, dass Zoe gefangen war, und fragte leise: "Haben Sie mich vermisst?" Plötzlich konnte sie kaum noch atmen, und Verlangen, Panik und Hilflosigkeit erfüllten sie. So hatte sie noch bei keinem Mann reagiert. Heiser erwiderte sie: "Ich war viel zu beschäftigt, um irgendjemanden zu vermissen. Sie waren fort? War's schön?" Connel legte ihr einen Finger unter das Kinn, so dass Zoe ihm in die Augen sehen müsste. "Igelchen. Jedes Mal, wenn ich Ihnen zu nahe komme, igeln Sie sich ein und lassen mich Ihre spitzen Stacheln spüren." "Dann sollten Sie sich lieber von mir fern halten, finden Sie nicht?" flüsterte Zoe atemlos und versuchte, nicht auf Connels Mund zu blicken. Warum übte er diese verrückte Anziehungskraft auf sie aus? Es war ein unerhört sinnlicher Mund... Na und? Tag für Tag arbeitete sie mit umwerfend aussehenden Schauspielern mit sexy Lippen, aber keiner hatte diese unwiderstehliche Wirkung auf sie. Gegen attraktive Männer war sie immun. Warum konnte sie also nicht aufhören, Connel wie ein verzückter Teenager anzusehen? Er kam einen Schritt näher, und sie berührten sich jetzt fast. "Ich nehme an, dass Sie trotz der Warnungen des Arztes jeden Tag gearbeitet haben. Mark sagt, Sancha würde sich große Sorgen um Sie machen."
Zoes Augen blitzten kampflustig auf. Was fiel Mark ein, mit Connel über sie zu reden? "Mir geht es großartig", log sie. "Hören Sie, wollen Sie nun nach oben oder nicht? Wenn nicht, lassen Sie mich vorbei. Ich möchte in die Küche und mir Kaffee und etwas zu essen machen." "Wissen Sie, was ich möchte?" fragte Connel sinnlich leise. "Nein!" Zoe schlüpfte unter seinem Arm hindurch und wollte nach unten eilen, dabei rutschte sie aus und griff taumelnd nach dem Geländer. Blitzschnell fing Connel sie auf und riss sie an sich. Zoe klammerte sich instinktiv an ihn. Als ihr bewusst wurde, dass sie um ein Haar die Treppe herabgestürzt wäre, begann sie zu zittern. "Sie sind die unfallträchtigste Frau, die mir je begegnet ist." Connel berührte mit den Lippen ihr Ohr, und Zoe erschauerte. Unfallträchtig war sie erst, seit sie Connel kannte, aber sie hütete sich, das zuzugeben. Seit der ersten Begegnung hatte er ihr ganzes Leben durcheinander gebracht. Schauer der Erregung überliefen Zoe, als Connel die Lippen über ihren Hals gleiten ließ. Er tat das ganz sanft, und es machte ihr Angst, wie sehr sie das genoss. "Hören Sie auf!" Zoe warf den Kopf zurück, doch das hielt Connel nicht auf. Geschickt schob er den Kragen ihres Pullovers mit dem Mund beiseite und küsste ihre Schultern, den Ansatz ihrer Brüste. In aufkommender Panik griff Zoe in Connels dichtes Haar, um seinen Kopf zurückzuziehen. "Nein!" Connels Gesicht war ihrem ganz nah, und sie blickte ihm in die funkelnden Augen. "Nein!" wiederholte sie. "Ja", flüsterte er, dann bedeckte er ihren Mund mit seinem, und Zoe versank in einer Flut von Lust. Plötzlich gab es zwischen ihnen keinen Abstand mehr, ihre Körper berührten sich, und Connel hielt Zoe so fest umfangen, dass sie kaum noch atmen konnte. Er hatte ihre Lippen mit seinen geöffnet, oder
hatte sie sie unwillkürlich geöffnet? Sie war Connels hilfloses Opfer, aber warum wehrte sie sich nicht? Sie erwiderte den Kuss sogar. War sie das, die stöhnte, als würde sie ertrinken? War das ihre Stimme, die Connels Namen immer wieder fast flehend hauchte? Er streichelte ihren Rücken, und sie wisperte: "Ja. Ja. Ja. Ja." Sagte sie das laut, oder wünschte sie es sieh nur ...? "Ja, Connel, küss mich ... berühre mich ... ja, ja." Langsam ließ er eine Hand über ihren Po in den engen Jeans gleiten, während er ihr den anderen Arm um die Taille legte. Zoe verstand nicht, was Connel tat, bis ihr bewusst wurde, dass er sie hochhob und zurück nach oben trug. Auf einmal war sie hellwach und begann, gegen seine Brust zu trommeln und um sich zu treten. Er war so überrascht, dass er Zoe absetzte, noch ehe er das Bett erreichte. Sie hielt die Hände immer noch zu Fäusten geballt und sah ihn aufgebracht an. "O nein, mein Lieber, kommt nicht in Frage! So leicht bin ich nicht zu haben. Verschwinden Sie aus meinem Haus ...auf der Stelle!" Connel stand abwartend da und betrachtete sie nachdenklich. "Wieso der unerwartete Stimmungsumschwung?" "Raus!" "Noch vor einer Minute haben Sie Ja gesagt." "Nein!" "O doch. Und zwar nicht nur einmal, sondern immer wieder!" Connels Augen glitzerten sinnlich. Zoe wusste, woran er dachte, und wünschte, sie könnte vergessen, was sie gesagt und wie sie seinen Kuss erwidert hatte. Zornig brauste sie auf: "Schluss mit den Wortklaubereien! Gehen Sie endlich!" "Noch nicht. Ich will, dass Sie zugeben, was Sie empfunden haben. Sie wissen genau, dass Sie mir grünes Licht gegeben hatten."
Zoe schlug alle Vorsicht in den Wind. "Na gut", erklärte sie herausfordernd. "Ich habe es mir eben anders überlegt!" Connel lächelte ironisch. "Wenigstens geben Sie's zu. Sie hatten mir ja gestanden, dass Sie bei Männern rasch Ihre Meinung ändern. Aber ich hatte keine Ahnung, dass das bei Ihnen so blitzschnell geht. Eben noch voller Leidenschaft, im nächsten Moment eine fauchende Wildkatze. Warum haben Sie es sich plötzlich anders überlegt, Zoe?" Sie zögerte, dann entschied sie sich für Offenheit. "Das Ganze geht mir entschieden zu schnell. Ich kenne Sie so gut wie gar nicht und schlafe nicht mit fremden Männern. Verabredungen hatte ich viele, aber ich gehe nur selten mit diesen Männern ins Bett, schon gar nicht gleich beim ersten Mal. Ich halte nichts von Abenteuern für eine Nacht. Heutzutage hat man sich im Handumdrehen Aids oder eine Geschlechtskrankheit geholt. Ehe ich mein Leben bei einem Mann aufs Spiel setze, möchte ich ihn sehr gut kennen. Und Sie kenne ich kaum." Ruhig, mit ausdrucksloser Miene hatte Connel Zoe beobachtet, doch er atmete rasch, als hätte er einen Marathonlauf hinter Sich. "Gut. Ich habe verstanden. Das Gleiche gilt übrigens für mich. Ich schlafe auch nicht herum aus mehr oder weniger den gleichen Gründen." Zoes grüne Augen funkelten empört. "Trotzdem haben Sie's gerade eben bei mir versucht! Wie soll ich Ihnen glauben, wenn Sie nur große Reden schwingen und sich nicht daran halten?" Connel verzog das Gesicht. "Da haben Sie natürlich Recht. Ich war zu impulsiv und ungeduldig." Immer noch schwer atmend gestand er: "Ich habe den Kopf und die Beherrschung verloren, Zoe. Sie haben ja keine Ahnung, wie verrückt Sie mich gemacht haben, als wir uns geküsst haben. Da waren Sie auf einmal so leidenschaftlich, dass ich alle Vernunft über Bord geworfen habe."
Sie fühlte sich getroffen, und ihr schoss das Blut ins Gesicht. Aufgebracht schrie sie Connel an: "Seien Sie still! Seien Sie still! Ich will nicht mehr darüber reden. Verschwinden Sie einfach aus meinem Haus, und lassen Sie mich in Ruhe!" Zoe rannte zu ihrem Handy, das auf dem Nachttisch lag, nahm es auf und tippte Nummern ein. "Ich rufe die Polizei, wenn Sie nicht in zehn Sekunden verschwunden sind." Einen Moment lang sah es so aus, als wollte Connel trotzdem bleiben und sich mit ihr aussprechen, dann drehte er sich um und verließ wortlos das Zimmer. Zoe hörte ihn die Treppe hinuntergehen und die Haustür zuschlagen. Vom Schlafzimmerfenster aus verfolgte Zoe, wie er davonfuhr. Erst nachdem er in die Zufahrt eingebogen war, löste sich die innere Erstarrung, und Zoe brach in Tränen aus. Connel war ihr zu nahe gekommen - gefühlsmäßig und körperlich. Sie war drauf und dran gewesen, ihn gewähren zu lassen, weil sie ihn verzweifelt begehrt hatte. Jetzt verspürte sie nur noch Traurigkeit und Schmerz. Sie hatte Connel verloren. Ihr war, als wäre etwas unendlich Wichtiges zerbrochen. Etwas Unglaubliches war ihr geschenkt und in letzter Minute wieder genommen worden. Aber es war ihre Entscheidung gewesen. Sie hatte Connel weggeschickt. Warum fühlte sie sich dann schuldig und war in Tränen aufgelöst?
8. KAPITEL Am nächsten Morgen stand Zoe erst spät auf. Mehr als sonst genoss sie es, im Bett zu bleiben, solange sie wollte. Nach einem Haferbreifrühstück ging sie einkaufen und trank im "White Swan", einem beliebten Pub im Ort, Kaffee. Die Bar war voller Frauen, die ihre Wochenendeinkäufe hinter sich hatten und jetzt mit einem heißen Getränk oder Croissants vor sich gemütlich plaudernd beieinander saßen. Einige hatten ihre Kinder mitgebracht. Es war ein sonniger, aber kalter Tag, und Zoe hatte sich einen Platz am Fenster ausgesucht, so dass sie in den kleinen Garten vor dem Pub blicken konnte. Jetzt, im Spätherbst, gab es nur noch wenige Blumen, und die Bäume waren inzwischen fast kahl, bis auf eine Stechpalme, die ihre dunkelgrünen Blätter behalten hatte und mit roten Beeren geschmückt war. Die Bauern behaupteten, das deute auf einen harten Winter hin. Die Natur sorgte für ihre Vögel, wenn der Boden gefroren war und sie kaum noch Insekten fanden. Auch andere Gewächse standen in Blüte: Ein Schneeballbusch mit rosa Blüten, einige weiße Winterrosen, orangefarbene Chrysanthemen und eine Hand voll Heidekrautastern. Die Farbtupfer hoben Zoes Stimmung. Obwohl sie Connel abgewiesen hatte, begehrte sie ihn wie noch keinen Mann und musste ständig an ihn denken.
An manchen Samstagen aß sie auswärts, traf sich mit Nachbarn oder Freunden. Heute jedoch war ihr nicht danach, in ausgelassener Gesellschaft zu Mittag zu essen. Es hielt Zoe nicht lange im Pub, und sie beschloss, sich zu Hause mit Käse, Salat und einem Stück Stangenbrot zu begnügen. Ehe sie daheim ihre Lebensmitteleinkäufe auspackte, schaltete sie den Anrufbeantworter ein. "Hallo, Zoe." Connels Stimme ließ sie zusammenfahren, so dass ihr eine Schachtel mit Eiern entglitt und krachend auf dem Fliesenboden landete. "Verflixt!" Seufzend blickte Zoe auf den Eiermatsch. In dunkel sinnlichem Ton fuhr Connel fort: "Tut mir Leid wegen gestern Abend, Zoe. Könnten wir nicht noch mal von vorn anfangen? Ich gebe heute eine Party ... Mark und Sancha kommen auch. Möchten Sie sie nicht begleiten? Bitte, Zoe." Die Maschine schaltete sich ab, und Zoe lehnte sich atemlos an die Küchenwand. Einige Augenblicke kämpfte Zoe mit sich. Sollte sie hingehen? Nein. Auf keinen Fall. Sie wäre verrückt, sich darauf einzulassen, Connel wieder zu sehen. In Zukunft würde sie ihm aus dem Weg gehen. Sie erblickte ihr Bild, das der Chrombeschlag des Ofens zurückwarf: Ihre grünen Augen glänzten und waren unnatürlich groß, das Gesicht zeigte eine feine Böte, und ihre Lippen bebten. Wem willst du etwas vormachen? fragte Zoe ihr Spiegelbild. Nichts könnte dich davon abhalten, Connel wieder zu sehen. Sie hatte sich rettungslos in ihn verliebt. Dabei hatte sie Frauen, die sich einem Mann so auslieferten, stets verachtet. Geistesabwesend machte Zoe sich daran, den Boden zu säubern, ehe sie die restlichen Lebensmittel wegstellte. Fünfzehn Minuten später, während Zoe ihren Salat aß, rief Sancha an. Ihr forscher Ton ließ anklingen, dass sie
kampfeslustig gestimmt war. "Also, Zoe, kommst du heute Abend mit oder nicht?" "Ich denke schon", erwiderte Zoe widerstrebend. Nun platzte ihrer Schwester der Kragen. "Du bist unmöglich, weißt du das? Du sollst zu einer Party gehen und nicht zum Zahnarzt! Kannst du nicht wenigstens so tun, als ob du Lust dazu hättest?" Zoe seufzte. "Entschuldige. Ich esse gerade und denke an die Arbeit..." "Tust du je etwas anderes?" schnitt Sancha ihr anklagend das Wort ab. Das möchtest du wohl gern wissen, dachte Zoe. Laut sagte sie: "Was soll ich denn anziehen?" "Mark findet, wir müssten uns ein bisschen herausputzen und nicht unbedingt in Jeans antanzen. Übrigens, Connel soll einen hell erleuchteten Garten haben, in dem man herumspazieren kann. Ein Partyservice kümmert sich ums leibliche Wohl. Mark sagt, es würden auch einige wichtige Kunden da sein, die Connel beeindrucken will. Wahrscheinlich reiche Leute in Abendkleidung. Also gib dir Mühe, und wirf dich in Schale, Zoe. Tu's für Mark." "Abendrobe also ..." Klang ziemlich langweilig. Reiche Geschäftsleute in Massen waren nicht unbedingt nach Zoes Geschmack. Sie wusste nie, was sie mit ihnen reden sollte, weil sie außer ihren Geschäften kaum etwas anderes im Sinn hatten. "Natürlich! Wir holen dich um Viertel nach sieben ab, einverstanden?" Nach dem Telefonat mit Sancha setzte Zoe sich an den Küchentisch und trank ein Glas Apfelsaft. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, wo Connel wohnte. Ein Kribbeln der Erregung breitete sich in Zoes Magen aus. Wie mochte sein Haus aussehen?
Alles, was Connel betraf, machte sie neugierig seine Herkunft, seine Familie, wo und wie er lebte, was er las und in seiner Freizeit tat... Mit neu erwachter Energie begann Zoe, die Reste ihrer Mahlzeit wegzuräumen. Den Nachmittag über arbeitete sie die Drehpläne für die kommende Woche durch und machte sich Notizen für einzelne Szenen. Um sechs ging Zoe nach oben, um zu duschen und sich anzukleiden. Sie zwängte sich in ein trägerloses, rückenfreies schwarzes Minikleid, das wie eine zweite Haut saß und unter dem sie nur hauchzarte schwarze Spitzenunterwäsche trug. Kritisch begutachtete Zoe ihr Spiegelbild und fragte sich, ob das Kleid für eine private Party nicht doch etwas zu gewagt sei. Eigentlich hatte sie es für offizielle Anlässe wie Filmpremieren und Preisverleihungen gekauft, bei denen sie repräsentieren musste und von Reportern umschwärmt wurde. Es war ein Kleid, um aufzufallen und die Leute dazu zu bringen, sich die Köpfe zu verrenken - ein absoluter Hingucker. Zoe hatte es nur ein-, zweimal getragen und wusste, dass sie darin keine Ruhe haben würde. Den Männern fielen fast die Augen aus dem Kopf, wenn sie es trug, vor allem, wenn sie nicht daran dachte und sich vorbeugte, so dass mehr von ihren Brüsten zu sehen war. Sollte sie nicht doch lieber etwas weniger Gewagtes wählen? Ein Blick auf die Uhr sagte Zoe, dass ihr dafür nicht mehr genug Zeit blieb. Es war bereits sieben, und wenn sie sich nicht beeilte, waren Sancha und Mark da, ehe sie Make-up aufgelegt hatte. Vorsichtig setzte Zoe sich auf die Kante ihres Frisiertischhockers und begann, mit den Fingerspitzen Grundierung aufzutragen. Wie erwartet, kamen Sancha und Mark pünktlich. Zoe hörte ihren Wagen auf der Auffahrt vorfahren und warf einen letzten prüfenden Blick auf ihr Spiegelbild. Rasch nahm sie ihr
schwarzes Samtcape und die schwarze Abendtasche vom Bett und eilte nach unten. Als Zoe die Haustür öffnete, folgte überraschtes Schweigen, dann pfiff Mark durch die Zähne. "Dieses Kleid ..." Sancha war einen Moment sprachlos und holte tief Atem. "Das habe ich noch nie an dir gesehen. Hast du es extra für heute Abend gekauft? Da wird Connel aber staunen." "Und Stielaugen bekommen", bemerkte Mark trocken. "Ich habe mich nicht für Connel Hillier herausgeputzt", erwiderte Zoe spitz. "Und neu ist das Kleid auch nicht. Ich hab's im Frühjahr gekauft, nachdem wir für die Auszeichnung 'Bester neuer Film' nominiert worden waren. Wir hätten sie auch bekommen, aber dann hat sie uns ..." Sancha erinnerte sich sofort. "Ach ja, ich weiß! Ich hab's kurz im Fernsehen gesehen, als die Verleihung in den Nachrichten eingeblendet wurde." "Aber ich bin doch bei der Übertragung gar nicht zum Zuge gekommen. Da wir nicht gewonnen haben, waren sie an uns nicht interessiert", stellte Zoe verbittert richtig. "Nein", sagte Sancha. "Aber als die nominierten Filme für die einzelnen Kategorien angekündigt wurden, schwenkte die Kamera über die Tische, und da habe ich dich mit deiner Crew und Will und deiner Assistentin gesehen, wie immer sie heißt. Erst da habe ich gemerkt, dass das Kleid so..." Sancha sprach nicht weiter. "Was?" fragte Zoe gereizt. "Was ist mit dem Kleid?" "Nichts." Mark lächelte anzüglich und ließ den Blick langsam über Zoe schweifen - vom wild aufgetürmten roten Haar zu den makellosen nackten Schultern, über die halb entblößten Brüste und das enge schwarze Kleid bis zu den langen, schlanken Beinen in den teuren hochhackigen italienischen Pumps. "Es ist toll. Einfach super. Du wirst dir die Männer den ganzen Abend über nicht vom Hals halten können."
"Soll ich mir auch so eins kaufen?" fragte Sancha kühl "Du? Auf keinen Fall." Mark runzelte die Stirn. "Du bist meine Ehefrau, eine anständige, verheiratete Dame. Ich will nicht, dass andere Männer dich in aller Öffentlichkeit lüstern ansehen. Und das würden sie tun, wenn du so was anhättest." Stirnrunzelnd blickte Sancha Zoe an. "Siehst du, was ich meine?" "Ich sehe, dass dein Mann zwei verschiedene Messlatten anlegt - eine für dich und eine für andere Frauen. An deiner Stelle würde mir das nicht gefallen - es sei denn, du hast eine Haremsmentalität", setzte Zoe ironisch hinzu. "Also, gehen wir nun zu der Party oder nicht?" Mark lachte. "Unsere Zoe in Hochform." "Was meinst du mit Haremsmentalität?" fragte Sancha argwöhnisch. Ohne zu antworten, schaltete Zoe das Licht in der Diele aus, schloss die Haustür hinter sich ab und ging hocherhobenen Hauptes zum Wagen des Paares. "Mir ist schon klar, was Mark meint", erklärte Sancha, die sie eingeholt hatte. "Ich würde auch nicht wollen, dass andere Frauen ihm Augen machen." "Eifersucht ist kindisch", erwiderte Zoe und setzte sich ins Auto. "Ja, natürlich! Du wärst nicht eifersüchtig, wenn du den Mann, den du liebst, mit einer anderen erwischen würdest", höhnte Sancha. "Nein. Ich würde Schluss machen und ohne einen Blick zurück davongehen." "Das tust du sowieso immer!" "Wenn ihr beide so weitermacht, werdet ihr auf der Party nicht viel Spaß haben", mischte Mark sich ein, der sich ans Steuer gesetzt hatte. Zoe fiel ein, dass Mark vor einem Jahr fremdgegangen war. Damals war Sancha zutiefst verletzt, unglücklich und
eifersüchtig gewesen. Dennoch hatte sie ihn nicht verlassen und wie eine Tigerin um ihre Ehe gekämpft. Wie konnte ich das nur vergessen? fragte Zoe sich. Vor Mark durfte sie sich bei ihrer Schwester nicht entschuldigen, also schwieg sie und blickte aus dem Fenster. Mark lenkte den Wagen auf die Straße, die zum neun Kilometer entfernten Dorf Rookby führte. Dessen Hauptstraße wurde auf beiden Seiten von kleinen pastellfarbenen, terrassenförmig angeordneten Häusern gesäumt, zwischen denen sich hier und da ältere Gebäude, ein einsames schwarzweißes Tudor-Haus und ein, zwei weiß getünchte, bogenverzierte Bauten aus dem achtzehnten Jahrhundert behauptet hatten. Neben der alten Kirche bog Mark links ab. Der aus dem Mittelalter stammende Bau bestand aus einem gedrungenen Glockenturm und groben Steinmauern, die von wucherndem Gras und darin eingebetteten alten Grabsteinen umgeben waren. Fünf Minuten folgte Mark dem Weg, bis sie ein hohes weißes Tor erreichten. Mark passierte es und fuhr nun sehr viel langsamer eine breite, von Silberbirken flankierte Auffahrt hinauf, die im Schein von hohen, in Abständen aufgestellten schwarzen Lampen wie schlanke Geister wirkten. Unvermittelt zeigte sich zwischen den Bäumen das Haus, ein viereckiges Gebäude mit hell erleuchteten Fenstern, das sich dunkel gegen den sternenübersäten Nachthimmel abzeichnete. "Ist das Connels Haus?" fragte Sancha überrascht. "So riesig hatte ich es mir nicht vorgestellt." "Ja, es ist ziemlich groß und hat sechs Schlafzimmer", bestätigte Mark. "Dahinter liegen die Stallungen. Es ist ein frühgeorgianischer Bau, der um siebzehnhundertsechzig entstand. Als Connel es gekauft hat, war es ziemlich verfallen. Das Dach und ein Großteil des Putzes mussten erneuert werden, und er hat Zentralheizung legen lassen. Einige Bäume waren stark von Schimmel und Feuchtigkeit befallen. Es hat ein Jahr gedauert, bis die wichtigsten Arbeiten fertig waren. Letztes Jahr
hat Connel das Haus innen und außen renovieren lassen. Er hat eine sehr gute Firma an der Hand, die die Arbeiten ausgeführt und ihn bei der Auswahl der Möbel, Farben, Teppiche, Vorhänge und so weiter fachmännisch beraten hat. Ihm selbst fehlte die Zeit dazu. Jetzt ist alles fertig, und er ist stolz auf das Ergebnis ... deshalb die Party. Es ist eine Art Einweihungsfeier." Sancha seufzte sehnsüchtig. "In so einem Haus möchte ich auch wohnen!" "Ich auch", meinte Mark trocken. "Aber leider liege ich nicht in Connels Einkommensklasse, Liebes. Wenn du dich also nicht von mir scheiden lassen und Connel heiraten willst, wird das ein frommer Wunsch bleiben." "Ich denke darüber nach." Sancha kicherte. "Wer so ein Haus besitzt, muss ziemlich reich sein." "Ziemlich", betonte Mark und blickte kurz über die Schulter nach hinten. "Du bist so still, Zoe. Jetzt siehst du Connel in einem neuen Licht, nicht wahr?" "Ich habe überlegt, wie viel Arbeit erforderlich ist, um so ein großes Haus in Schuss zu halten", erklärte sie kühl. "Die vielen Räume müssen schließlich gepflegt werden." "Connel hat eine Wirtschafterin, die für ihn kocht, außerdem mehrere Teilzeitkräfte für die Hausarbeit und einen Gärtner." Während sie sich dem Haus näherten, betrachtete Zoe es genauer: die vielen Giebelfenster, das hochgezogene rote Dach, die elegante Bauweise. "Seine Frau müsste jeden Tag Stunden damit verbringen, das Personal anzuweisen." Mark blickte erneut nach hinten und zog die Brauen hoch. "Du bist also entschlossen, dich nicht beeindrucken zu lassen, Zoe?" Die ironische Bemerkung ärgerte Zoe, doch ehe sie antworten konnte, hielt Mark an der Vorderseite des Hauses in einer großen Parkbucht seitlich des Eingangsportals. Ein halbes Dutzend anderer Autos stand bereits dort, und es war gerade noch ein Platz für ihren Wagen frei.
Scheint also eine größere Party zu sein, dachte Zoe, als sie und Sancha ausstiegen. Während Mark das Fahrzeug abschloss, flüsterte sie ihrer Schwester zu: "Tut mir Leid, dass ich vorhin so taktlos war." Sancha lächelte versöhnlich. "Schon gut. Ich verzeih dir. Das tue ich doch immer. Bist du nervös, Zoe?" "Nervös?" "Weil du Connel wieder siehst?" "Ach was!" Zoe schoss das Blut ins Gesicht, denn ihre Schwester hatte prompt ins Schwarze getroffen. Es beunruhigte Zoe, erneut mit Connel zusammenzutreffen, weil sie ihren Gefühlen nicht traute. Mark holte sie ein. Schweigend gingen sie zu dritt über den knirschenden Kies auf das weiße Eingangsportal zu. Der sternenübersäte Himmel war wolkenlos, die Nachtluft angenehm warm, doch Zoe erschauerte in ihrem Samtumhang. Nachdem sie Connels Villa gesehen hatte, sah Zoe ihn tatsächlich in einem anderen Licht. So, wie er sie bekocht, bei ihr aufgeräumt und sie umsorgt hatte, war sie auf das hier nicht gefasst gewesen. Connel brauchte bei sich daheim nichts von all dem zu tun. Dafür hatte er Personal. Mehr noch, er lebte in einer Welt, die sich krass von ihren Lebensumständen unterschied. Sie hatten nichts gemeinsam. Die Erkenntnis bedrückte Zoe. Eine grauhaarige Frau mittleren Alters in einem schlichten schwarzen Kleid öffnete ihnen freundlich lächelnd die Haustür und führte sie in eine eichenholzgetäfelte Diele. Nachdem die Angestellte ihnen die Mäntel abgenommen hatte, geleitete sie die Ankömmlinge in einen lang gezogenen, elegant eingerichteten Raum voller Leute. Zoe kannte keinen der Gäste. Eine ebenfalls schwarz gekleidete Bedienstete bot ihnen auf einem Tablett Getränke an. Zoe entschied sich für Champagner mit Orangensaft. Sancha tat es ihr nach. Die Schwestern blieben stehen und blickten sich um.
Der Raum war klassisch eingerichtet, die Wände waren in zartem Blau gehalten, und in der Mitte der weißen, mit kunstvollen Stuckarbeiten verzierten Decke prangte ein glitzernder venezianischer Kristalllüster. Entlang der Wände luden hier und da dunkelblaue Sofas zum Ausruhen ein. Im Hintergrund führten geöffnete, von Vorhängen gerahmte Terrassentüren in den hell erleuchteten Garten. "Wie findest du die Einrichtung?" flüsterte Sancha. Zoe zuckte mit den Schultern. "Nicht überraschend. Alles erlesen und nach alter Tradition, wie man es in einem Haus wie diesem erwarten würde." "So elegant", hauchte Sancha ehrfürchtig. "Wenn einem der Stil liegt." Zoe zwinkerte Sancha zu. "Stell dir mal vor, wie Flora hier hausen würde. Wenn sie damit fertig wäre, würde nicht mehr viel von der Eleganz übrig sein." Sancha, die gerade einen Schluck Champagner trank, verschluckte sich vor Lachen. Zoe klopfte ihr auf den Rücken. "Alles in Ordnung?" "Es geht schon wieder." In diesem Moment entdeckte Zoe Connel auf der anderen Seite des Raumes, und ihr Herz begann heftig zu pochen. Sancha folgte ihrem Blick. "Sieht er nicht fantastisch aus?" Im Stillen musste Zoe ihr Recht geben. Er trug einen eleganten dunklen Anzug, der von einem erstklassigen Schneider stammen musste, ein blütenweißes Hemd und eine dunkelrote Seidenkrawatte. Er sah wirklich fantastisch aus, noch umwerfender als sonst. Unwillkürlich dachte Zoe daran, wie finster und nachdenklich er sie in jener Regennacht angesehen hatte, und musste lächeln. Kaum zu glauben, dass das derselbe Mann war. Ihr Blick glitt zu Connels Begleiterin, die strahlend zu ihm aufsah. "Wer ist die Frau, mit der er sich unterhält?" fragte Zoe gespielt gleichmütig.
"Keine Ahnung." Sancha betrachtete die junge Frau nachdenklich. "Sie ist sehr hübsch, findest du nicht?" "Hübsch" - eine glatte Untertreibung. Die Frau zog zahlreiche Männerblicke auf sich - und das zu Recht. Sie war gertenschlank und besaß eine makellose, zart gebräunte Haut. Ihr blondes Haar war zu einem weichen Nackenknoten gewunden, und sie trug ein weißes Seidengewand im Stil einer griechischem Göttin, das ihr vom gewagt tiefen Dekollete in weichen Falten bis zu den Füßen fiel. "Möchte wissen, wie sie es anstellt, dass es nicht rutscht", flüsterte Sancha. "Pure Willenskraft", erwiderte Zoe kalt. Und die Frau sah aus, als hätte sie davon reichlich. Auf ihren hellrosa geschminkten Lippen lag ein weiches Lächeln, doch ihre Züge, die blitzenden blauen Augen und das Kinn verrieten Entschlossenheit. "Wer mag sie sein?" überlegte Sancha laut. "Vielleicht arbeitet sie für ihn." Sie schienen sich sehr gut zu kennen. Waren sie ein Liebespaar? Oder es irgendwann gewesen? Jedenfalls ließ die Vertraulichkeit, mit der die junge Frau Connel ansah, darauf schließen, dass sie sehr viel mehr als nur Bekannte waren. Zoes Kehle fühlte sich an, als hätte sie Glassplitter verschluckt. Im Gegensatz zu Larry hatte Connel darauf verzichtet, ihr von seinen Verflossenen zu erzählen. Er hatte sein Liebesleben nicht einmal erwähnt. Irgendwie hatte Zoe den Eindruck gewonnen, dass er zur Zeit keine feste Beziehung hatte. Da er ein Jahr auf Forschungsreisen im Ausland gewesen war, hatte sie angenommen, dass es in seinem Leben zur Zeit keine Frau gab. "Das ist Bianca Green", erklärte Mark, der sich zu ihnen gesellt hatte. Seinem amüsierten Gesichtsausdruck nach zu schließen, hatte er ihnen bereits ein Weilchen unbemerkt zugehört. "Sie ist die Innenarchitektin, die Connels Haus
eingerichtet hat. Sieht so aus, als hättest du Konkurrenz bekommen, Zoe." Mit versteinerter Miene erwiderte sie: "Ich trete mit keiner Frau in Konkurrenz um Männer!" Sie schwieg und setzte dann abschätzig hinzu: "Außerdem interessiert Connel Hillier mich nicht." "So? Und ich hatte das Gefühl, dass du ein bisschen eifersüchtig bist", spottete Mark. Zoe presste die Lippen zusammen. "Überhaupt nicht", versicherte sie, aber irgendwie kam das nicht ganz überzeugend heraus. "Bist du dir da sicher?" fragte Mark und lachte. Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. "Ganz sicher." "Dann ist's ja gut. Ich kann mich des Verdachts nämlich nicht erwehren, dass Bianca es auf Connel abgesehen hat. Sie ist klug und ehrgeizig, aber in ihrer Branche ist es nicht leicht, Geld zu Verdienen. Sie braucht Unterstützung, jemanden mit Kapital hinter sich." Mark grinste. "Natürlich dürfte sie sich auch für Connel selbst interessieren. Es sieht ganz so aus. Sehr praktisch, sich m jemanden zu verlieben, der einem genau das geben kann, was man braucht. Ich habe das Gefühl, Bianca ist ein Glückspilz." Das Gefühl hatte Zoe auch. Die Blondine mit dem schönen Porzellangesicht war ihr auf Anhieb unsympathisch. Aber da Zoe Mark keine weitere Angriffsfläche bieten wollte, blickte sie gelangweilt fort. Richtig erleichtert war sie sogar, als sie auf der anderen Seite des Raumes Hal Thaxford entdeckte. Er trug ein auffallendes rotes Samtjackett, ein seidenes weißes Spitzenhemd mit einem roten Kummerbund und eine schwarze Satinhose, in der er wie ein Orchesterchef aus den dreißiger Jahren aussah, obwohl er sich darin wohl eher als Sexsymbol verstand. Angeregt unterhielt er sich mit einer ihn anhimmelnden Neunzehnjährigen, die ihn offensichtlich für unwiderstehlich hielt. Das tat Hai natürlich auch. Die meisten
seiner Fans waren weibliche Teenager. Eine Frau mit Verstand und Erfahrung erkannte schnell, mit wem sie es zu tun hatte. "Entschuldigt mich bitte, dort drüben ist Hal. Ich muss mit ihm über eine Rolle reden", erklärte Zoe ihrer Schwester und Mark und mischte sich unter die Menge, dabei vermied sie es sorgfältig, zu Connel hinüberzusehen, der mit der ehrgeizigen Blondine flirtete. Hal sah Zoe kommen, und seine Miene nahm einen wachsamen, unbehaglichen Ausdruck an. Bei Dreharbeiten hatte er Zoe fürchten gelernt, und sie würden jetzt wieder zusammenarbeiten ... es sei denn, sie kam herüber, um ihm mitzuteilen, dass er die Rolle nicht bekommen würde. "Ach hallo, Zoe." Sie lächelte ihn strahlend an, und er zuckte leicht zusammen, weil er so etwas von ihr nicht gewöhnt und auf das Schlimmste gefasst gewesen war. "Tut mir Leid, dass ich dich störe, Hai, aber ich möchte mit dir über eine Rolle reden." Freundlich lächelnd wandte Zoe sich dem Teenager zu, der seine Abneigung gegen sie nicht verbergen konnte. "Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns einige Minuten allein zu lassen?" "Das ist Zoe. Sie ist die Regisseurin in meinem nächsten Film", erklärte Hai dem Mädchen in einem Ton, als wäre er der Star des Films statt nur ein kleiner Nebendarsteller. "Zoe, das ist Cherie Lewin. Sie ist Schauspielschülerin." Das Ding, das sie trägt, sieht aus wie ein Liegestuhlbezug, dachte Zoe und betrachtete lächelnd das grell gelbgrün gestreifte Sackkleid des Mädchens. "Sie wollen Schauspielerin werden? Bei welcher Schule sind Sie denn eingeschrieben?" Das Mädchen nannte sie ihr, dabei starrte es unentwegt auf Zoes schwarzes Kleid, das viel von ihrer Figur sehen ließ. "Ich halte Ausschau nach Ihnen, wenn Sie mit der Ausbildung fertig sind", versprach Zoe, um dem Mädchen Mut
zu machen, obwohl es die Ausstrahlung einer ausgebrannten Glühbirne besaß. Dann wandte Zoe sich Hai zu und hakte sich bei ihm unter, um ihn fortzuführen. "Lass uns in den Garten gehen und etwas frische Luft schnappen, Hai", schlug sie vor. "Es ist ein wunderschöner Abend." Zielstrebig hielt sie auf die Terrassentüren zu, und er folgte ihr beflissen, nachdem er dem Mädchen über die Schulter zugerufen hatte; "Bis nachher, Schätzchen." Die Parkwege wurden von Lampen im viktorianischen Stil erhellt, die in so dichten Abständen aufgestellt waren, dass sie die Nacht fast zum Tag machten. Ein schwacher Rosenduft hing in der Luft, der von einem kleinen Garten inmitten einer großzügigen Rasenanlage kam. Zoe schlenderte auf die roten Backsteinstufen zu, die zu der kleinen Oase hinunterführten, und atmete den Rosenduft ein. "Ich dachte, Rosen blühen nur im Sommer. Die hier sind spät dran", sagte Hal und beugte sich in gekonnter Schauspielerpose über einen weißen Rosenstrauch. Er war sich stets bewusst, wie er aussah und wirkte. Sein Körper gehörte zu seinem Berufskapital, und er liebte, hegte und pflegte ihn. "In meinem Garten habe ich manchmal noch im Dezember Rosen", erklärte Zoe. "Das hängt von der Sorte ab. Manche blühen früh, andere spät. Wenn man die richtigen Arten kauft, kann man sich das ganze Jahr über an ihnen freuen." Sie ging weiter und blickte sich um. "Das hier scheint ein alter Rosengarten zu sein, an den Steinmauern wächst so viel Moos. Vielleicht stammt er aus der viktorianischen Zeit. Da waren solche Gärten in Mode." "Sie wirken sehr romantisch, nicht wahr? Ein wunderbarer Ort für Verliebte." Zoe kniff die Augen zusammen. "He! Du bringst mich auf eine großartige Idee. In dem Film gibt's eine sehr romantische Szene..."
"Die zwischen mir und Lindsay?" Wie stets, war Hals Interesse erwacht, weil es um ihn ging. Zoe nickte. "Ein solcher Rosengarten wäre für diese Szene genau der richtige Ort, meinst du nicht auch?" "Aber ja!" Hal schlüpfte im Geist bereits in seine Rolle. "Ich könnte ihre Hand küssen ... das wirkt bei Frauen immer." Zufrieden beobachtete Zoe ihn unter den Wimpern hervor. Hai war so leicht zu durchschauen. "Glaubst du, du könntest deinen Cousin überreden, uns seinen Garten für einen Tag zur Verfügung zu stellen? Mehr Zeit würden wir nicht brauchen. Die Szene selbst dauert nur zwei Minuten, aber diese Umgebung würde ihr erst die richtige Eindringlichkeit verleihen. Du könntest mit Lindsay dort drüben sitzen, hinter den Kletterrosen der Pergola. Das wäre genau das Richtige. Was meinst du?" "Aber ja! Ich sehe sie richtig vor mir. Eine sehr gute Idee." Hal betrachtete Zoe seufzend. "Weißt du auch, dass du in dem Kleid toll aussiehst - unglaublich sexy. Du hättest Schauspielerin werden sollen." Sie gab sich erstaunt. "Ich? Schauspielerin?" Sollte das ein Witz sein? Wer wollte schon lieber Schauspielerin als Regisseurin sein? Eine Puppe statt ein Puppenmacher? "Das wäre unmöglich. Ich kann überhaupt nicht schauspielern." "Bei deinem Aussehen brauchtest du das doch gar nicht." Hai verschlang sie förmlich mit seinem Blick. Höchste Zeit, das Thema zu wechseln, entschied Zoe. Sie wollte sich mit Hal Thaxford keine Probleme aufhalsen. "Könntest du noch heute Abend mit Connel reden?" bat sie. "Die Gelegenheit könnte nicht günstiger sein. Ich ziehe die Szene vor, und wir könnten sie am Dienstag schießen." "Ja, klar. Ich rede mit ihm." "Mach's gut", verabschiedete Zoe ihn freundlich wie einen folgsamen Hund und wollte davongehen, doch unglücklicherweise rutschte sie auf den glitschigen Pflastersteinen aus.
Hal war im selben Moment bei ihr und fing sie auf. "Gerade rechtzeitig!" Lachend sah Zoe ihn an. "Danke, Hai. Seit meinem Autounfall scheine ich unfallträchtig zu sein." "Vielleicht hatte der Unfall eine psychologische Wirkung auf dich", vermutete Hai, ohne den Arm von Zoes Taille zu nehmen. "Möglicherweise bist du innerlich so durcheinander, dass du leichter Gefahr läufst, Unfälle heraufzubeschwören." "Vielleicht." Zoe spürte Hals Hand auf ihrem Rücken und hatte das Gefühl, dass er jetzt versuchen würde, sie zu küssen. Gerade wollte Zoe sich von Hal lösen, als von den Backsteinstufen hinter ihnen eine eisige Stimme ertönte. "Probt ihr? Oder ist die romantische Szene echt?"
9. KAPITEL Hal ließ Zoe los und fuhr herum. Als er seinen Cousin erkannte, entspannte er sich und grinste. "Ach du bist's, Connel. Gerade haben wir von dir gesprochen." "So?" Connel blickte starr zu Zoe, und seine dunklen Augen funkelten, während er den Blick kritisch über ihr rotes, vom Nachtwind zerzaustes Haar, die vollen roten Lippen und dann bedeutsam über ihre Gestalt in dem engen schwarzen Kleid gleiten ließ, als hätte er sie nackt vor sich. Zoe war die Kehle wie zugeschnürt, und sie bewegte sich nervös. In diesem Moment sah Connel genauso aus wie in jener Regennacht: gefährlich, finster und drohend. Ganz offensichtlich war er wütend - aber wieso? Was hatte er? Und warum sah er sie so anklagend an, als hätte sie etwas Schlimmes getan? "Von Reden habe ich nichts gemerkt", erklärte er schneidend. "Dazu wart ihr wohl zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt." Das schien Hai zu schmeicheln, und er plusterte sich auf wie ein Papagei. Zoe verachtete ihn zutiefst. Am liebsten hätte sie ihn geohrfeigt. Anscheinend glaubte er, sie endlich erobert zu haben. Die bloße Annahme war beleidigend. Dachte Connel wirklich, sie hätte mit Hai geflirtet und ihn ermutigt, sich ihr zu nähern? Und das nach allem, was sie über den Mann gesagt hatte?
"Ihre erste Vermutung ist richtig", erwiderte sie kalt. "Wir haben über die Arbeit gesprochen." "Na klar! Wie hätte ich etwas anderes annehmen können? Ausgerechnet Sie! Als ob Sie hier draußen im Mondschein ..." Connel verzog zynisch die Lippen und musterte Zoe erneut von Kopf bis Fuß. "In diesem Kleid ..." Wie er das sagte, klang es wie eine Beleidigung, "spricht man natürlich nur über die Arbeit." Zoe war so wütend, dass ihr das Blut ins Gesicht schoss. "Das ist die Wahrheit! Ich hatte eine Idee für eine Szene, die Hai nächste Woche zu spielen hat. Aber ich überlasse es ihm, Ihnen das zu erläutern. Wenn ich noch länger hier bleibe, könnte es sein, dass ich mich vergesse." Stolz warf Zoe den Kopf zurück und ließ die Männer einfach stehen. Während sie auf das Haus zuging, spürte sie Connels feindseligen Blick im Rücken. Sicher lehnte er es jetzt ab, die Szene in seinem Garten drehen zu lassen. Er sah nicht so aus, als würde er mit sich reden lassen. Zoe war froh, dass Hai sich mit ihm auseinander setzen musste und nicht sie. Sollte Connel ihm den Kopf abreißen, ihr war das egal. Sancha schien nach ihr Ausschau gehalten zu haben, denn sie kam Zoe zielstrebig entgegen, als sie sich wieder unter die Gäste mischte. "Was hattest du dort draußen mit Hal Thaxford zu tun?" stellte ihre Schwester Zoe prompt zur Rede. "Ich dachte, du kannst den Mann nicht ausstehen!" "Fang du nicht auch noch an!" Sancha versuchte, in Zoes Zügen zu lesen. "Was soll das heißen? Wer hat dich sonst noch darauf angesprochen?" "Das tut nichts zur Sache." "Connel?" Sanchas Augen funkelten. "Ich habe ihn in den Garten hinausgehen gesehen. Wobei hat er Hal und dich ertappt?" "Bei nichts. Da war nicht das Geringste! Connel hat einfach nur eine schmutzige Fantasie!" Zoe sah, dass ihre Schwester
wissend lächelte und fuhr sie an: "Und du auch! Hai hat eine Rolle in meinem Film, und ich wollte mit ihm über seine Szenen reden, weiter nichts." Sancha nahm ihr das ebenso wenig ab wie Connel. "Auf einer Party?" Gereizt versuchte Zoe, sich ihrer Schwester verständlich zu machen. "Es bleibt einem kaum je genug Zeit, mit den Schauspielern zu reden, außer wenn sie geschminkt werden. Während der Dreharbeiten muss ich mich um so viele andere Dinge kümmern ... den Set überprüfen, die Kostüme, die Ausleuchtung ..." "Was?" "Sicherstellen, dass der Einfall des Lichts richtig ist. Das dauert ewig, weil Licht und Schatten sich ständig ändern. Aber das musst du doch auch wissen, schließlich bist du Fotografin. Es ist langweilig für die Schauspieler, die ganze Zeit ihren Platz einzunehmen. Deshalb setzen wir Komparsen ein, die sich für die Stars hinstellen, damit wir sehen können, wie das Licht auf sie fällt, wie sie durch die Kameralinse wirken, ob das Make-up glänzt oder irgendetwas an ihrem Outfit, Ohrringe zum Beispiel." Sancha hatte fasziniert zugehört. Bisher hatten sie so gut wie nie über die Filmarbeit gesprochen, wenn sie allein waren. Eine von ihnen hatte immer persönliche Probleme gehabt, gewöhnlich Sancha. Zoe selbst hatte private Schwierigkeiten kaum gekannt. Bis jetzt. Streng rief sie sich zur Ordnung. Sie hatte keine privaten Probleme. Connel war kein Problem und würde auch keins werden, weil sie ihm in Zukunft aus dem Weg gehen würde. Betont sachlich fuhr Zoe fort: "Die technischen Gesichtspunkte sind wichtig, aber obendrein erwarten die Schauspieler von mir auch noch, dass ich ihnen in allem genaue Anweisungen erteile: wie sie ihren Text sprechen, lächeln, aussehen sollen. Ständig fragen sie einen ... soll ich lächeln, soll
ich die Stirn runzeln? Soll ich dies oder das tun? Vor allem Schauspieler wie Hal Thaxford. Er braucht ständig Hilfestellung, und dann steht er trotzdem jedes Mal wieder genauso dumm da wie immer." "Er ist sexy", sagte Sancha geistesabwesend. Hal Thaxford schien sie im Moment nicht zu interessieren. Etwas anderes beschäftige sie, denn sie setzte seufzend hinzu: "Weißt du, allmählich wünschte ich, ich hätte die Filmakademie besucht, statt mich auf die Fotografie zu verlegen. Vielleicht hätte ich es da zu etwas gebracht. Aber natürlich ist es dafür jetzt zu spät. In meinem Alter kann man nicht noch mal ganz von vorn anfangen." "Sag das nicht", widersprach Zoe heftig. "Es ist nie zu spät, solange man nicht tot ist. Wenn du wirklich Kamerafrau werden willst, erkundige dich bei den Filmausbildungsstellen und sprich mit den Leuten, um zu hören, was für Möglichkeiten es für dich gibt." Doch Sancha schüttelte den Kopf. "Du vergisst, dass ich drei Kinder habe! Ich kann mich nicht um sie kümmern und gleichzeitig eine Ganztagsausbildung durchziehen. Schon gar nicht, da ich das in einer Großstadt tun müsste - wahrscheinlich in London. Während dieser Zeit würde ich dort auch wohnen, denn ich könnte unmöglich jeden Tag hin- und herfahren. Da würde ich mein Leben im Auto oder im Zug verbringen." Zoe lächelte zynisch. "Und natürlich würde Mark sich da quer legen." "Ich glaube nicht, dass er das tun würde. Aber selbst wenn er einverstanden wäre, würde ich Schuldgefühle entwickeln, wenn ich die Kinder Tag für Tag jemand anderem überlassen müsste. Sie brauchen mich. Versuch nicht, Mark als Hemmschuh hinzustellen, Zoe. Ich sehe die Sache ganz nüchtern. Solange ich hier am Ort bin, könnte ich die Kinder betreuen, aber tagtäglich größere Strecken zu fahren wäre unmöglich. Ich kann die Kinder nicht einfach ausklammern. Und wenn ich es tun würde,
wäre ich unglücklich, weil ich mich ständig um sie sorgen müsste. Nein, da ist es mir schon lieber, ein eigenes Geschäft aufzumachen. Es wird Martha und mir Spaß machen, neue Verantwortung zu übernehmen und Risiken einzugehen. Träume sind gut und schön, aber es ist besser, sich mit etwas zufrieden zu geben, das in Reichweite liegt, als etwas nachzulaufen, das unmöglich ist." "Wenn du es so siehst, hast du wohl Recht. Was bin ich froh, dass ich keine Kinder habe! Oder einen Mann, der mir vorschreibt, was ich tun soll." Hinter sich spürte Zoe eine Bewegung. Sie sah, dass Sancha überrascht die Augen aufriss, dann rang sie sich ein Lächeln ab. "Hallo, Connel! Eine tolle Party. Und Ihr Haus ist ein Traum. Ich habe Zoe gerade gestanden, wie sehr ich Sie um diesen Raum beneide. Er ist so elegant und wirkt so beruhigend." "Da schien Ihre Schwester anderer Meinung zu sein", erwiderte Connel spöttisch und beugte sich so nah über Zoe, dass sein Mund sie fast berührte. Ein Schauer der Erwartung überlief sie. Wollte er sie küssen? Vor allen Gästen? Ihr wurde ganz heiß. Sancha hatte sie beobachtet und blickte zu Boden. Was müsste sie jetzt denken? "Ich hätte Sie gern gesprochen, Zoe", erklärte Connel. "Würden Sie uns bitte entschuldigen, Sancha? Ihre Schwester und ich haben etwas Geschäftliches zu bereden." "Geschäftliches?" Zoe versuchte, klar zu denken, doch Connel war ihr entschieden zu nahe. Sie konnte überhaupt nichts denken. Dabei war sie stolz darauf gewesen, stets einen kühlen Kopf zu bewahren. "Ja, natürlich." Sanchas Stimme klang befremdet und neugierig zugleich. Connel nahm Zoes Arm und führte sie an den Gästen vorbei, die ebenso erstaunt und interessiert wie Sancha reagierten.
Schwaches Gemurmel ging durch den Raum. Die Leute redeten über sie. Was mögen sie sagen? fragte Zoe sich unbehaglich. Als sie sich der Tür näherten, die in die Diele führte, stand ihnen plötzlich die elegante Blondine gegenüber, die Zoe kalt musterte. "Gibt's Probleme, Connel?" fragte sie und zog die Brauen hoch. "Haben sich ungebetene Gäste eingeschlichen?" Ihm blieb nichts anderes übrig, als stehen zu bleiben, weil die Blondine ihnen den Weg versperrte. Zoe tat die taktlose Bemerkung ab, als wäre sie ein Scherz, und lachte. "Ich glaube nicht, dass ihr beide euch kennt", bemerkte Connel höflich. "Bianca, das ist Zoe Collins, Marks Schwägerin. Zoe ist Filmregisseurin. Vermutlich hast du schon Filme von ihr gesehen. Eine Zeit lang hat sie auch fürs Fernsehen Dokumentarfilme gedreht." Es überraschte Zoe, wie viel Connel von ihr wusste, denn sie selbst hatte ihm kaum etwas über sich erzählt. Hatte er all das von Mark? Oder von Hai Thaxford, der sie Connel gegenüber in einem so schlechten Licht hingestellt hatte? Bianca zuckte nur die Schultern und gab sich gleichgültig. "Tut mir Leid, aber der Name sagt mir nichts. Ich bin kein großer Filmfan und habe keine Zeit, mir Fernsehsendungen anzusehen." Das wunderte Zoe nicht. Es geschah oft, dass Leute sie abzutun versuchten, indem sie vorgaben, kein Interesse an Film und Fernsehen zu haben. Was kümmerte es sie schon, ob eine Fremde ihre Arbeit kannte! Die Einzigen, an deren Meinung Zoe lag, waren ihre Kollegen, die Profis, die etwas vom Fach verstanden. Also lachte Zoe nur, um der Blondine zu verstehen zu geben, dass sie sie komisch, wenn nicht gar lächerlich fand. Das gefiel Bianca ganz und gar nicht. Der Ausdruck in ihren blauen Augen wurde noch um eine Spur eisiger. Nach der
unausgesprochenen Kriegserklärung hatte sie die erste Schlacht verloren. Wieder musterte sie Zoe von Kopf bis Fuß, warf verächtlich den Kopf zurück und wandte sich Connel zu. "Darling, könnte ich dich einen Moment allein sprechen? Leider muss ich schon gehen, aber vorher möchte ich dir etwas erzählen. Es ist wichtig." Er zögerte kurz, dann erwiderte er kühl: "Natürlich. Entschuldigen Sie mich bitte, Zoe." Ehe er mit Bianca davonging, warf er Zoe einen scharfen Blick zu. "Wir unterhalten uns gleich weiter. Rühren Sie sich nicht von der Stelle." Der Kommandoton brachte Zoe in Harnisch. Für wen hielt Connel sich eigentlich? Was fiel ihm ein, ihr Befehle zu erteilen? Sie dachte nicht daran, sich daran zu halten. Sobald Connel mit der Blondine in die Diele gegangen war, eilte Zoe zu ihrer Schwester zurück. "Ich muss von hier weg, Sancha. Natürlich nehme ich mir ein Taxi. Ich möchte euch die Party nicht verderben." Sancha betrachtete Zoe besorgt, versuchte jedoch nicht, sie zurückzuhalten. "Wir haben dich hergebracht und bringen dich auch wieder nach Hause", entschied sie. "Ich hole Mark. Er unterhält sich mit Freunden, die ebenfalls für Connel arbeiten. Warte hier. Bin gleich wieder da." Zielstrebig bahnte Sancha sich einen Weg durch das Gästegewühl, doch Zoe wartete nicht. Mark war schließlich Connels Angestellter, und sie wollte ihrem Schwager keinen Ärger bereiten. Sobald Sancha außer Sichtweite war, verließ Zoe unauffällig den Baum und bat die schwarz gekleidete Haushälterin, die mit einem Tablett voll verlockender Kanapees aus der Küche kam, um ihren Samtumhang. Die Frau stellte die Platte ab, verschwand und kam gleich darauf mit dem Cape zurück. "Könnten Sie mir bitte die Nummer eines zuverlässigen Taxiunternehmens im Ort geben?" fragte Zoe.
"Die Firma ,Star' ist die beste. Soll ich für Sie anrufen?" "Das wäre sehr nett." Zoe nannte der Haushälterin ihre Adresse. "Der Fahrer soll mich unten am Tor abholen, Ein kurzer Spaziergang in der frischen Luft wird mir gut tun." Zoe öffnete die Haustür, atmete die milde Herbstluft tief ein, verabschiedete sich und begann die Auffahrt hinunterzugehen. Im Stillen verwünschte sie ihre hohen, zerbrechlichen Absätze, weil sie damit nicht rennen konnte. Sie befürchtete, dass Connel ihr nachkommen würde, wenn er merkte, dass sie gegangen war. Und wenn er es tut, wie will er mich daran hindern, zu gehen? fragte Zoe sich trotzig. Wenn sie Glück hatte, würde die Blondine ihn mit Beschlag belegen, bis sie, Zoe, mit dem Taxi davongefahren war. Die besitzergreifende Art, mit der die Frau sich an Connel gewandt hatte, ließ darauf schließen, dass sie es auf ihn abgesehen hatte. Erschauernd zog Zoe das Samtcape fester um sich, weil sie plötzlich fröstelte. Was ist nur mit mir los? fragte sie sich unwirsch. Es konnte ihr doch schließlich egal sein, ob er die geldgierige Blondine heiratete oder nicht. Erleichtert hörte Zoe einen Wagen herannahen und blickte rechts und links die Straße entlang, aber kein Fahrzeug war zu sehen. Doch, da kam ein Auto. Zoes Herz klopfte rascher, als ihr bewusst wurde, dass es ihr über die Auffahrt folgte. Waren das Mark und Sancha? Zoe drehte sich um und versuchte blinzelnd, die Marke auszumachen, doch sie erkannte nur, dass es sich um ein rotes Sportmodell handelte. Es war also nicht Marks Wagen. Jetzt schwante Zoe, wem der Wagen gehörte. Langsam fuhr er neben ihr weiter, und Connel beugte sich aus dem Fenster. "Steigen Sie ein!" "Lassen Sie mich in Ruhe!" "Seien Sie nicht kindisch, Zoe."
"Ich warte auf ein Taxi." "Das habe ich abbestellt." Aufgebracht blickte Zoe durch das geöffnete Fenster. "Was fällt Ihnen ein? Dazu hatten Sie kein Recht!" "Steigen Sie ein, sonst hole ich Sie." Hocherhobenen Hauptes ging Zoe weiter; doch Connel folgte ihr. Als er zu lachen begann, wurde sie noch wütender. "Was haben Sie vor? Sie wollen doch hoffentlich nicht den weiten Weg nach Hause laufen?" "Seien Sie still", zischte Zoe, ohne Connel anzusehen. Aber er hatte natürlich Recht. Sie verhielt sich kindisch und führte sich wie ein beleidigter Teenager auf. Unvermittelt schoss der Sportwagen davon. Connel ließ sie tatsächlich stehen! Das passte Zoe nun auch wieder nicht, obwohl sie eben noch gefordert hatte, dass er sie in Ruhe lassen solle. Sekunden später hielt der Wagen jedoch wieder. Connel sprang heraus und kam mit geschmeidigen Schritten auf sie zu. Seine Miene wirkte entschlossen, fast bedrohlich, und Zoe stand wie versteinert da. Als er sie erreichte, hob er sie wortlos hoch. Zoe wollte protestieren, aber sie kam nicht dazu, denn Connel verschloss ihr den Mund mit den Lippen und küsste sie fordernd. In Zoes Kopf war plötzlich eine seltsame Leere, doch ihr Körper reagierte so stark, dass es ihr Angst machte. So musste es sein, wenn einen der Blitz traf. Alles in ihr schien in Flammen zu stehen, und sie begehrte Connel fast schmerzlich. Wie in Trance tastete Zoe nach Connels Brust, liebkoste seinen Hals, die Nackenmuskeln, dann schob sie die Finger in Connels dichtes Haar und erwiderte den Kuss verlangend. Sie hörte Connel zufrieden aufstöhnen, aber fast im selben Moment schien ein heller Lichtstrahl über ihre geschlossenen Lider zu huschen. Lautes, anhaltendes Hupen folgte, das sie beide zusammenzucken ließ.
Immer noch hupend fuhr ein anderer Wagen an ihnen vorbei, und die Insassen riefen ihnen etwas zu, das Zoe nicht verstand. Connel gab ihre Lippen frei und trug Zoe mit seltsam unsicherem Gang zu seinem Auto. Wortlos setzte er sie auf den Beifahrersitz, schloss die Tür, ging um den Wagen herum und stieg ein. " "Schnall dich an", sagte er rau. Als Zoe mit bebenden Fingern nach dem Gurt suchte, beugte Connel sich vor und legte ihn ihr an. Connel war ihr jetzt so nah, dass sie das Gefühl hatte, kaum noch atmen zu können. Um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen, senkte sie die Lider - und blickte wie hypnotisiert auf seinen Mund. Connel atmete schwer, und Zoe war sicher, dass er sie erneut küssen würde. Erwartungsvoll schloss sie die Augen und öffnete die Lippen. "Noch nicht", sagte er heiser. "Nicht hier." Widerstrebend löste er sich von ihr, der Motor heulte auf, und der Wagen schoss davon. Zoe machte schlagartig die Augen auf. "Fahr nicht so schnell!" rief sie in aufkommender Panik. Connel warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. "Keine Angst, ich bringe dich sicher heim. Nach deinem Unfall bist du verständlicherweise immer noch überängstlich." Es lag nicht an dem Unfall oder Connels Fahrstil. Spürte er nicht, was für eine Wirkung er auf sie hatte? "Ja, das wird's wohl sein." "Mit der Zeit wird sich das geben. Hast du dir einen neuen Wagen gekauft?" "Noch nicht. Im Moment fahre ich weiter den Leihwagen. Ich hatte bisher keine Zeit, mich nach einem Ersatz umzusehen, und weiß auch nicht genau, was für ein Modell ich als Nächstes kaufen werde." "Aber doch wohl keinen Sportwagen, oder?" "Bestimmt nicht. Ich brauche viel mehr Platz, weil ich beruflich allerlei Sachen mit mir herumschleppen muss."
"Haben die Leute von deiner Versicherungsgesellschaft den Schaden schon reguliert?" "Bis jetzt nicht. Nachdem ich den Unfall gemeldet hatte, haben sie mir stapelweise Formulare zum Ausfüllen geschickt. Seitdem herrscht Schweigen." "Wenn du einen Zeugen brauchst, kannst du mich angeben." "Das habe ich bereits getan." Connel warf Zoe einen kurzen Blick zu und lächelte belustigt. "Du weißt dir stets zu helfen, nicht?" Sein Lächeln ging ihr durch und durch, und sie begehrte ihn so sehr, dass es wehtat. Als spürte Connel, was sie empfand, schwieg er und blickte geradeaus. Himmel, dachte Zoe, ich sehne mich so verzweifelt nach ihm, wie ich es noch nie in meinem Leben nach etwas getan habe. Dir Körper glühte wie im Fieber. Zoes Mund fühle sich ausgedörrt an, und sie befeuchtete sich die trockenen Lippen. Erotische Bilder liefen vor ihr ab, und sie sah Connel nackt vor sich... Unwillkürlich atmete sie rascher, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals. In ihrer wachsenden Erregung nahm Zoe die Umgebung nicht mehr wahr und erwachte erst aus ihren sinnlichen Fantasien, als Connel den Wagen zum Stehen brachte. Überrascht blickte Zoe auf ihr Haus. "Oh! Wir sind da..." "Ja." Connels Stimme klang ebenso rau wie ihre. Er stieg aus und ging um den Wagen herum, um Zoe die Tür zu öffnen. "Hast du deinen Schlüssel?" "Ja." Sie kramte in ihrer Handtasche und reichte Connel den Schlüsselbund. Er nahm ihn und ging zur Haustür, während Zoe ausstieg.
Ich bitte ihn nicht herein. Nichts überstürzen, ermahnte sie sich, weil sie genau wusste, was geschehen würde, wenn sie es tat. Doch das Verlangen siegte. Die Dielenbeleuchtung ging an, und Zoe blinzelte in das Licht. Connel hatte gar nicht erst abgewartet, hereingebeten zu werden, sondern das Haus bereits betreten und hielt ihr die Tür auf. Auf der Schwelle zögerte Zoe. Jetzt hätte sie Müdigkeit oder Kopfschmerzen vorschützen können, doch in ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nie so wach und lebendig gefühlt. Oder sie könnte behaupten, am nächsten Morgen frühzeitig aufstehen und arbeiten zu müssen. Das zumindest hätte gestimmt. "Komm rein", drängte Connel. Zoe beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen. "Nein, Connel, ich kann nicht. Ich werde nicht mit dir schlafen." Er reagierte weder überrascht noch enttäuscht. Wortlos hob er sie hoch, stieß die Haustür mit dem Fuß zu und trug Zoe nach oben. Sie kämpfte einen verzweifelten inneren Kampf. Connel tat, was sie auch wollte. Sie konnte es nicht erwarten, mit ihm ins Bett zu gehen. Dennoch mahnte die Vernunft, es nicht dazu kommen zu lassen. Außerdem durfte sie nicht zulassen, dass er sich einfach über ihr Nein hinwegsetzte. In drohendem Ton sagte Zoe: "Wenn du versuchst, mich gegen meinen Willen zu nehmen, werde ich mich mit allen Mitteln zur Wehr setzen!" "Ich tue nichts, was du nicht auch willst, Zoe." Connels Stimme klang dunkel und beschwörend. Inzwischen waren sie im Schlafzimmer angekommen, und er barg das Gesicht an Zoes Hals. "Zoe ... Zoe ... ich begehre dich so wahnsinnig." "Du kannst mich nicht haben, Connel!" Sie hoffte, dass sie entschlossen und überzeugend klang, obwohl sie schwach und nur zu hingabebereit war.
Sein Kuss ließ sie lustvoll erschauern, und sie wehrte sich nicht, als Connel den Ausschnitt ihres Kleides mit den Lippen zur Seite schob, um die Mulde zwischen ihren Brustton zu liebkosen. Zielstrebig ging er zum Bett, ließ Zoe darauf gleiten und hielt sie so umfangen, dass er sich Schuhe und Jackett ausziehen konnte. Sie versuchte sich aufzurichten, dabei begegnete sie seinen Lippen. Fordernd, sinnlich und leidenschaftlich zugleich küsste er sie, bis sie nicht mehr klar denken konnte und jeden Widerstand aufgab. Verlangend hob sie sich Connel entgegen und erwiderte den Kuss, dabei riss sie die Knöpfe seines Hemdes auf, um seine Haut, jeden Zentimeter seines muskulösen Körpers berühren zu können. "Ja, ja, ja", drängte Connel und erkundete mit den Händen nun seinerseits Zoes Körper. Er schob ihren Rock hoch und streichelte ihre nackten Schenkel. Ungeduldig streifte er sich nun auch das Hemd ab, dann zog er Zoe das Kleid über den Kopf und warf es auf den Boden. "Mein Kleid ... es bat ein Vermögen gekostet", stöhnte sie. "Es war das sexyste Kleid, das ich je gesehen habe. Den ganzen Abend über konnte ich den Blick nicht von dir abwenden, Zoe." Connel beugte sich über sie, um sie vom BH zu befreien und ihre Brüste zu küssen. Während er ihren flachen Bauch mit den Lippen liebkoste, streifte er ihr den Spitzenslip ab und flüsterte: "Aber was darunter war, ist noch viel aufregender." Zoe griff ihm ins Haar, um ihn aufzuhalten. "Das geht mir zu schnell!" wisperte sie in aufkommender Panik. "Wenn ich dich nicht bald lieben kann, werde ich verrückt." Connel entledigte sich seiner Hose, dann des Slips, so dass sie nun beide nackt waren.
Sekundenlang blickten sie sich an. Der Augenblick der Wahrheit war gekommen. Endlich sahen sie sich gänzlich unverhüllt. Zoe betrachtete Connels breite Schultern, den kraftvollen Oberkörper, die schmale Taille, die Hüften und was sich dazwischen befand. Voller Begehren ließ sie sich auf die Kissen zurücksinken. Connel atmete schwer, und Zoe konnte sein Herz heftig pochen hören. Dann glitt er auf sie, schob ihre Beine auseinander, streichelte ihre Schenkel und hob sie leicht an, um in sie eindringen zu können. Erschauernd verkrampfte Zoe sich und kam sich plötzlich wie eine Jungfrau vor. Und in gewisser Weise war Connel für sie ja auch wirklich der erste Mann, der erste, den sie liebte ... den sie so verzweifelt begehrte, dass sie es nicht mehr erwarten konnte, mit ihm vereint zu sein. Jetzt wusste sie, was körperliche Liebe wirklich war... Sehnsuchtsvoll aufstöhnend nahm sie ihn in sich auf und wusste, dass sie nun endlich die Erfüllung finden würde. Es war wunderbar, wie sie zueinander passten. Sie waren füreinander geschaffen. Nach Jahren der Trennung hatten sie sich endlich wiedergefunden. Sie liebten sich mit einer Leidenschaft, die an Ekstase grenzte. Ihre Körper verschmolzen miteinander, wurden eins. Zoe hatte Arme und Beine um Connel gelegt, während er immer tiefer in sie eindrang, bis sie aufschrie und nicht mehr wusste, was sie sagte oder tat. Hinterher sank Connel atemlos zusammen. Während er das Gesicht auf ihrem Hals ruhen ließ, hob und senkte sich seine Brust heftig. Im Schlafzimmer war es dunkel, und nur schwaches Mondlicht fiel auf den Teppich. Zoes Haut war schweißfeucht, ihr Puls hämmerte, und ihr Herz schlug wie wahnsinnig.
Langsam glitt Connel von ihr herunter, stand auf, breitete die Decke über Zoe aus, dann schlüpfte er wieder zu ihr ins Bett. Behutsam drehte er sie so, dass sie ihm den Rücken zukehrte. Wie selbstverständlich legte Connel die Arme um ihre Taille, schmiegte sich an Zoe, eine Hand unter ihrer Brust, ein Bein über ihrem, so dass ihre Körper miteinander verschmolzen schienen. Nach einer Weile flüsterte er an Zoes Nacken: "Hast du das ernst gemeint?" "Was?" fragte sie schläfrig und genoss die Wärme seiner Haut. "Ach, lass nur. Du kannst es mir am Morgen noch mal sagen." Ermattet und völlig erschöpft, schlief Zoe ein.
10. KAPITEL Irgendwann erwachte Zoe, und sekundenlang wusste sie nicht, was los war. Der Wecker klingelte nicht, und im Raum war es stockdunkel. Was hatte sie aus dem Schlaf gerissen? Gähnend beugte sie sich vor und nahm die Uhr auf. Die Phosphorzeiger standen auf elf. Zoe stellte den Wecker zurück und streckte sich wieder aus, um weiterzuschlafen. Da hörte sie, dass vor dem Haus ein Motor angelassen wurde. Was war da los? Wie elektrisiert setzte sie sich auf, als ihr die Ereignisse der Nacht wieder einfielen - die Party, die Heimfahrt in Connels Wagen, die Liebesstunden in ihrem Bett. Connel hatte neben ihr gelegen, als sie eingeschlafen war. Jetzt brauchte sie nicht einmal hinzusehen, um zu wissen, dass er nicht mehr da war. Hastig sprang sie aus dem Bett und eilte ans Fenster. Die Rücklichter des Sportwagens verschwanden gerade durch das Tor. Zoe beugte sich aus dem Fenster und blickte dem Fahrzeug betroffen nach. Warum war Connel gegangen? Und wohin? Nachdem er sie so leidenschaftlich geliebt hatte, war sie in seinen Armen eingeschlafen. Danach musste er sich vorsichtig von ihr gelöst, das Bett verlassen, sich im Dunkeln angezogen und ebenso leise das Haus verlassen haben.
Zynisch meldete sich die Stimme der Vernunft: Connel hat gehabt, was er wollte. Warum sollte er jetzt noch bleiben? Zoe schloss die Augen. Seit der ersten Begegnung hatte er sie begehrt. Hatte er das nicht sogar angedeutet? Nach dem, was er von Hai Thaxford über sie gehört hatte, war sie für ihn eine Art sexuelle Herausforderung gewesen. Hatte er es darauf angelegt, sie in ihrem eigenen Spiel zu schlagen? War er all die Wochen über auf der Pirsch gewesen, um sie ins Bett zu bekommen? Aufstöhnend bedeckte Zoe das Gesicht mit den Händen. Hai hatte Connel gegenüber behauptet, sie ginge mit Männern aus, um sie dann eiskalt fallen zu lassen. Hatte er ihr das mit gleicher Münze heimzahlen wollen? Doch damit würde er sich wohl kaum begnügen. Nachdem er sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen hatte, würde er das in alle Welt hinausposaunen wollen. Und ganz sicher würde er sich vor Hai mit seinem Triumph brüsten. Bei der Vorstellung, dass die beiden Männer sich über sie lustig machten, wurde Zoe übel. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Sie zog einen warmen Morgenmantel über, weil sie plötzlich fror, und ging nach unten. Vielleicht hatte Connel ja eine Nachricht hinterlassen. Hoffnung keimte in Zoe auf. Doch sie fand nichts. Sie kochte sich Kaffee und setzte sich mit einem dampfenden Becher vor den elektrischen Kamin. Starr blickte sie auf die rot glühenden Scheite und überlegte, was Connel als Nächstes tun würde. Eins stand fest: Sie würde sich von ihm nicht kaputtmachen lassen. Irgendwie musste sie sich ihren Stolz bewahren und durfte ihn nicht merken lassen, wie sehr sie litt. Noch vor Sonnenaufgang hatte Zoe geduscht, ihre Arbeitskleidung angezogen und fuhr zum Drehort. Nachdem sie kaum geschlafen hatte, war sie körperlich und seelisch überdreht und fühlte sich wie eine Marionette. Wie sollte sie den Tag nur überstehen?
Will und die anderen merkten schnell, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Sie warfen Zoe verunsicherte Blicke zu und fügten sich, ohne zu mucken, ihren Anweisungen. Die Schauspieler blieben möglichst in ihren Wohnwagen, die Techniker rannten wie aufgescheuchte Kaninchen hin und her und hüteten sich, Zoes eiskalte Kritik heraufzubeschwören. Glücklicherweise gab es an diesem Vormittag viel zu tun, so dass Zoe keine Zeit blieb, über ihre privaten Probleme nachzudenken. Mit fortschreitendem Tag tauchte Zoe immer mehr in die Szene ein, die sie drehten, und sie war voll mit den Routinearbeiten beschäftigt. Bei Filmaufnahmen ging ständig etwas schief. Die Tontechniker beklagten sich über fernen Verkehrslärm, ein vorüberdonnerndes Flugzeug, eine gurrende Taubenschar. Will stöhnte, weil das Licht laufend wechselte. Auch mit Filter konnte er daran nicht viel ändern. Dann spuckte ein Kabel plötzlich Funken und begann zu brennen. Will stürzte davon, holte einen Feuerlöscher und besprühte die Brandstelle mit weißem Schaum. Das Feuer erlosch, doch der Aufnahmeort war mit Schaumwolken übersät und musste gereinigt werden, ehe weitergedreht werden konnte. Vorher machten sie jedoch Mittagspause. Zoe begnügte sich mit einem Salatsandwich und einem Apfel. Will, der sich einen großen Teller Spaghetti geholt hatte, betrachtete Zoes Sandwich missbilligend. "Damit kannst du keine Kraft tanken, Mädchen! Du bist viel zu dünn. Eine Frau sollte gewisse Rundungen haben." "Kümmere dich um deinen eigenen Kram, und iss deine Spaghetti. Hör mal, in der Besetzungsliste ist mir aufgefallen..." Zoe sprach nicht weiter und kniff die Augen zusammen, weil sie Hal Thaxford entdeckt hatte, der mit einigen anderen Schauspielern beim Imbisswagen stand und zu ihr herübersah. "Er ist also da", sagte sie mehr zu sich selbst.
Überrascht sah Will sie an, nahm die Besetzungsliste auf und überflog sie. "Hai? Soll er diese Woche nicht für uns arbeiten? Er steht hier mit drauf. Wir dürften heute Nachmittag zu seiner Einstellung kommen ... wenn wir Glück haben, heißt das. Eigentlich müssten wir Szene dreiundvierzig längst im Kasten haben." "Wieder einer von diesen Tagen, an denen nichts klappt", sagte Zoe geistesabwesend. Sie sah, dass Hai auf sie zukam. Ob Connel nach der Rückkehr zur Party mit ihm gesprochen hatte? Schnell beugte Zoe sich über das Drehbuch. Falls Hal wusste, was letzte Nacht passiert war, würde er den Klatsch bereits verbreitet haben. Besorgt betrachtete Will Zoe von der Seite. "Das kann man wohl sagen. Was ist los mit dir, Zoe? Du hast heute ständig herumgebrüllt." Das konnte sie nicht abstreiten. "Entschuldige. Heute ist einfach nicht mein Tag." "Privatleben oder nur eine Frauensache?" brummelte Will und beschäftigte sich angelegentlich mit seinen Spaghetti, die mit erstaunlicher Geschwindigkeit weniger wurden. Für einen dünnen, drahtigen Mann aß er enorme Mengen. Aber natürlich verbrannte er bei der anspruchsvollen Kameraarbeit viele Kalorien. Zoe bewunderte Will. Er war sehr tüchtig und hatte mit bemerkenswerten Leuten gearbeitet: Regisseuren, die Zoe achtete, Schauspielern, mit denen sie selbst gern gedreht hätte. "Ich habe ein persönliches Problem", gestand sie. Forschend blickte Will auf und betrachtete sie. "Möchtest du darüberreden?" Sie schüttelte den Kopf. "Nein. Das ist zu persönlich." "Es hilft, wenn man sich aussprechen kann. Danach sieht man vieles klarer. Ich mag dich sehr, Zoe, und das weißt du auch."
Ja, sie wusste es, und es stimmte sie traurig. Will warb seit langem um sie, doch mehr als Freundschaft empfand sie für ihn nicht. "Danke, Will", sagte sie leise. "Du gehörst zu meinen besten Freunden." Er verzog das Gesicht. "Aber ich bin eben nur ein Freund." Spontan legte Zoe die Hand auf seine. "Nur ein Freund? Wie viele wirklich gute Freunde hast du, Will? Ich habe sehr wenige." Einen Moment blickte er auf ihre Hand, dann nahm er sie und sah Zoe fest an. "In letzter Zeit hast du dich verändert. Du bist weicher, sanfter geworden. Hast du dich verliebt? Ist es das?" Verlegen entzog sie Will ihre Hand. Ehe sie jedoch antworten konnte, gesellte sich Hai zu ihnen. "Hallo." Zoe verkrampfte sich und blickte kühl zu Hal auf. Der Ausdruck in seinen Augen verriet ihr, dass Connel noch nicht mit ihm gesprochen hatte. "Hallo, Hal", erwiderte sie erleichtert. Er lächelte selbstzufrieden. "Ich wollte dir nur sagen, dass ich mit Connel geredet habe. Er überlässt uns seinen Rosengarten für die Szene. Aber er verlangt einen Vertrag, der ihn vor Schäden und Kosten schützen soll." Die Szene hatte Zoe ganz vergessen. "Ich spreche mit der Produktionsgesellschaft über den Vertrag", erklärte sie und lächelte charmant. "Danke, Hai. Ich bin dir sehr dankbar." "Gern geschehen." Er zögerte, ehe er hinzusetzte: "Wann, denkst du, wirst du meine Szene drehen?" Zoe deutete zu Will. "Frag den Meister." "Heute, am späten Nachmittag", meinte der Kameramann. Hal seufzte und nickte. "Gut. Dann gehe ich erst mal Karten spielen." Einige von den Schauspielern und vom Aufnahmeteam, die gerade nicht gebraucht wurden, hatten sich in einem Wohnwagen zum Kartendreschen eingefunden.
Da es für Zoe taktisch klüger war, nichts von der Spielrunde zu wissen, schwieg sie. Wenn jemand von der Filmgesellschaft herausfand, dass sie so etwas duldete, würde sie Ärger bekommen. Dann würde es heißen, man bezahle die Schauspieler nicht fürs Herumsitzen, obwohl allgemein bekannt war, dass sie wegen der langwierigen Drehvorbereitungen häufig den größten Teil des Tages auf ihren Einsatz warten mussten. Wählend dieser Zeit lasen, strickten oder plauderten die Leute, oder sie vertrieben sich die Langeweile mit Kartenspielen oder Schach. Solange sie Zoe nicht im Weg waren, kümmerte es sie nicht, was sie taten. Nachdem Hai gegangen war, warf Will Zoe einen neugierigen Blick zu. "Worum ging es da eben?" Sie konnte ihn nicht ansehen. Betont beiläufig erwiderte sie: "Ach, ich hatte da gestern eine Idee. Hal und ich waren auf einer Party bei seinem Cousin ..." Erstaunt zog Will die Brauen hoch. "Du hast mit Hal eine Party besucht? Ich hatte keine Ahnung, dass du mit ihm ausgehst. Meine Güte, sag bloß nicht, du hättest dich in Hal Thaxford: verliebt? So hirnverbrannt kannst du doch unmöglich sein!" Zoe verzog das Gesicht. "Du weißt genau, was ich von Hal halte. Wir waren beide auf derselben Party, das ist alles." "So?" Gereizt lachte Zoe. "Ja! Ich war mit meiner Schwester und ihrem Mann dort, der für Hals Cousin arbeitet." Wieso erzählte sie Will das alles? "Wer ist dieser Cousin?" Will hatte seine Spaghetti verspeist und aß jetzt eine Birne. Zoe atmete tief ein. "Er heißt Hillier. Connel Hillier." Sie hatte den Namen, ohne sich zu verhaspeln, herausgebracht und fuhr erleichtert fort: "Er besitzt eine Baufirma und eine sehr schöne Villa in der Nähe von Rookby. Hai und ich sprachen draußen im Rosengarten über seine Szene ..."
"Im Dunkeln?" scherzte Will. Zoe warf ihm einen ungeduldigen Blick zu. "Versuch gar nicht erst, da etwas hineinzulesen. Im Haus war es so voll, dass wir frische Luft schnappen wollten. Dabei haben wir einen Rosengarten entdeckt." "Was Hal betrifft, bist du ganz schön empfindlich. Fast könnte ich eifersüchtig werden. Sag mal, Zoe, verbirgst du mir etwas?" "Natürlich nicht." Glücklicherweise schien Will nicht gemerkt zu haben, dass Hals Cousin an ihrer Gereiztheit schuld war. "Und ich bin wegen Hai nicht empfindlich. Der Rosengarten war einfach so romantisch, dass ich fand, er würde einen idealen Hintergrund für die Liebesszene zwischen Hai und Lindsay abgeben." Will blätterte das Drehbuch durch, fand die Szene und las sie stirnrunzelnd. "Na ja, so ein Hintergrund würde der Szene tatsächlich mehr Tiefe geben und besser zur Story passen. Aber können wir uns das leisten? Wie viel will der Mann haben?" "Von Geld hat Hal nichts gesagt." "Wenn sein Cousin geschäftstüchtig ist, werden seine Anwälte das bei der Vertragsaufsetzung tun. Ist die Sache das wert?" "Warten wir ab, was er fordert." Zoe blickte auf die Uhr. "Wir müssen weitermachen, Will." Als Zoe am Abend heimkam, war sie innerlich angespannt, weil sie darauf gefasst war, Connels Wagen vor der Haustür stehen zu sehen. Von ihm war jedoch nichts zu sehen. Wie stets schaltete Zoe als Erstes den Anrufbeantworter ein. Zwei Mitteilungen betrafen ihre Arbeit, die dritte Stimme gehörte Sancha. "Hör mal, was ist los? Warum bist du einfach davongelaufen? Mark war wütend. Wir hatten dich ins Haus seines Chefs mitgebracht, und es schadet Mark, wenn du Connel beleidigst. Ruf mich zurück. Ich möchte alles darüber hören, Zoe."
Kommt gar nicht infrage, dachte Zoe, nachdem ihre Schwester aufgelegt hatte. Als Nächstes meldete sich Philip Cross, der seine tägliche Litanei über Kostenüberschreitungen herunterbetete. "Du hast den Etat schon wieder überzögen, Zoe. Unsere Mittel sind beschränkt, wir sind nicht in Hollywood. Die Partyszene, das teure Kleid ... wer hat die Kostüme besorgt? Wozu haben wir Schneiderinnen, die billige Sachen herstellen? Du brauchtest sie nicht in London zu mieten. Und du hast zu viele Fahrzeuge eingesetzt. So viele Wagen müssen doch nicht sein..." Zoe hörte nur mit halbem Ohr hin und bereitete sich ein leichtes Abendbrot aus gegrilltem Lachs, Salat und Obst zu. Der nächste Anrufer ließ Zoe so heftig zusammenfahren, dass sie das Glas mit dem Orangensaft umstieß. Connels sinnliche Stimme ging ihr durch und durch. "Zoe, ich muss ins Ausland", erklärte er sachlich. "Wann ich zurück sein werde, weiß ich nicht. Mach's gut." Der Anrufbeantworter schaltete sich ab. Zoe bebte am ganzen Körper und musste sich setzen, weil die Knie unter ihr nachgaben. So sprach kein Liebender zur Frau seines Herzens. Connels Anruf war erschreckend unpersönlich. Sie bedeutete ihm nichts. Irgendwie hatte Zoe das schon geahnt, als Connel in der Nacht gegangen war, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Jetzt wusste sie es. Sie hatten miteinander geschlafen, danach war er verschwunden - ohne einen Blick zurück. Zorn, Beschämung, Erniedrigung überrollten Zoe wie Flutwellen. Um sich von ihrem Kummer abzulenken, wischte sie den verschütteten Orangensaft auf und machte in der Küche Ordnung. Dann ging sie nach oben und arbeitete eine Stunde an den Szenen für den nächsten Tag, ehe sie das Licht ausschaltete.
Erstaunlicherweise konnte Zoe schlafen, doch sie träumte von Connel. Verzweifelt suchte sie nach ihm, aber jedes Mal, wenn sie ihn fand, entzog er sich ihr wieder und verschwand ... In Tränen aufgelöst, erwachte Zoe. Fühlte man sich so, wenn einem das Herz brach? Bisher hatte sie so etwas nicht für möglich gehalten, sich darüber höchstens lustig gemacht. Jetzt hatte es sie erwischt. Sie gehörte zu den Zombies, den wandelnden Toten, die sich wie Roboter bewegten und nichts mehr fühlten, kein Herz und kein Hirn mehr besaßen. Die ganze Woche über arbeitete Zoe wie besessen. Von Connel hörte sie nichts. Die Anwälte der Produktionsgesellschaft teilten ihr jedoch mit, dass sie die Nutzung des Rosengartens mit Connels Anwälten vertraglich geregelt hätten. Er hatte nur eine Anzahlung gefordert, mit der mögliche Beschädigungen abgedeckt werden sollten. Wenn die Filmcrew keinen Schaden anrichtete, sollte das Geld zurückgezahlt werden. Die Anwälte waren ebenso zufrieden mit dieser Regelung wie Philip Cross. Von Hai erfuhr Zoe, dass Connel sich geschäftlich in Argentinien aufhielt. "Und wie ich ihn kenne, wird er dort heißblütige Senoritas aufreißen", bemerkte er grinsend. Zoe rang sich ein Lächeln ab. Sie brannte vor Eifersucht, aber das konnte Hai nicht wissen. Offensichtlich hatte Connel ihm von der Nacht nach der Party nichts erzählt, denn Hals ganzes Verhalten deutete nichts dergleichen an. Später fuhr Zoe ihn an: "Meine Güte, Hai, könntest du wenigstens versuchen, wie ein Mann zu klingen, statt wie eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter!" Er setzte seine finstere Miene auf, von der seine Fans schwärmten. "Ich spreche doch nur meinen Text." Sarkastisch erwiderte Zoe: "Du sollst aber nicht nur sprechen, Hai, sondern deine Rolle spielen. Ich weiß, wie schwer dir das fällt, aber kannst du's nicht wenigstens versuchen? Auf der
Schauspielschule müssen sie dir doch irgendwas beigebracht haben!" Zoe hörte, dass die Umstehenden die Luft einsogen und sich betroffen anblickten. Wie konnte sie so etwas zu Hai Thaxford sagen, dem beliebtesten Fernsehstar! Er stand mit aufgerissenem Mund da. Auch er traute seinen Ohren nicht. "Noch mal die Szene", entschied Zoe. "Alle in Position. Okay, Will? Okay, Ton? Alles bereit? Hai, hör auf, den Beleidigten zu spielen." "Und du hör auf zu nörgeln", brummelte er so leise, dass Zoe ihn kaum hören konnte. "Was hast du gesagt?" "Nichts", versicherte er rasch und spielte seine Szene ausnahmsweise einmal ausgezeichnet. Zoe wusste, dass sie sich zickig benahm, aber sie konnte nicht über ihren Schatten springen. Sie hatte Liebeskummer und litt schrecklich und musste sich irgendwie abreagieren. Ihr war zum Weinen zu Mute, doch sie musste lächeln und durfte niemanden merken lassen, wie es um sie stand. Am Samstag war Zoe bei Sancha und Mark zum Mittagessen eingeladen. Sancha hatte ein Rezept aus einem spanischen Kochbuch ausprobiert, das Mark ihr geschenkt hatte. Als Vorspeise servierte sie eine Auswahl tapas, die berühmten spanischen Appetithäppchen: gefüllte Artischocken mit Vinaigrette, Weißfischbissen, gekochte Eier mit Sardellen» Thunfisch in Tomatensauce und Garnelen. Als Hauptgericht gab es "andalusisches Huhn", wie Sancha es nannte: Hühnerbrust mit Speckstreifen, Tomaten, roten Paprikaschoten und Würstchenscheiben. "Chorizo al diablo", erläuterte Mark. "Scharf gewürzte Würstchen." Er lernte Spanisch, weil sie für den Frühling in Marbella eine Villa gemietet hatten, und er wollte sich mit den Einheimischen verständigen können.
Zoe probierte einen Bissen. "Mm, köstlich", lobte sie ihre Schwester. "Das Rezept musst du mir geben." "Schade, dass du nicht kochen kannst", zog Mark sie auf. Kühl erklärte Zoe: "Ich kann kochen, aber ich habe einfach keine Zeit dafür." "Und niemanden, den du bekochen könntest", bemerkte Mark. Sancha bewegte sich unbehaglich. "Ich hole den Nachtisch." Sie stand auf und begann die Teller abzuräumen. Zoe folgte ihr in die Küche, um Marks Anspielungen zu entgehen und ihre Schwester allein zu sprechen. Während sie die Geschirrspülmaschine luden, fragte Sancha: "Wusstest du, dass Connel wieder in Südamerika ist?" Zoe hielt das Gesicht abgewendet und sortierte Besteck in den dafür bestimmten Behälter. "Ja, ich habe davon gehört." "Mark meint, er plane eine neue Expedition. Connel ist begeistert von Südamerika. Eine Firma zu leiten ist sicher nicht so aufregend, wie warme, exotische Gegenden zu bereisen. Für Mark ergeben sich daraus aber Probleme, denn in Connels Abwesenheit müssen manche Entscheidungen aufgeschoben werden. Das meiste kann Mark regeln, aber wenn's um große Summen geht, braucht er Connels Einverständnis, um einen Vertrag abschließen zu können." Zoe war den Tränen nahe. Connel wollte also erneut länger im Ausland bleiben. Der bloße Gedanke, ihn nicht mehr zu sehen, war ihr unerträglich. Doch davon durften Sancha und Mark nichts merken. Also musste sie lächeln, auch wenn ihr das Herz schwer war. Sie konnte ihnen unmöglich gestehen, dass sie einen Mann liebte, der ihre Gefühle nicht erwiderte. "Mark meint, dass Connel vor etwas davonläuft", sagte Sancha. Zoe verkrampfte sich. "So? Und vor was?" "Vor wem, meinst du! Mark glaubt, dass Bianca sich wieder an Connel heranmachen will. Ständig ruft sie an und taucht
unter den durchsichtigsten Vorwänden in der Firma auf. Aber Connel will sie anscheinend nicht heiraten, deshalb hat er wohl das Land verlassen." "Wäre es nicht einfacher, wenn er ihr klarmachen würde, dass er sie nicht heiraten will?" fragte Zoe etwas zu scharf. "Du hast sie ja kennen gelernt. Hältst du sie für eine Frau, die so schnell aufgibt?" "Wenn er sich deutlich genug ausdrückt, würde ihr nichts anderes übrig bleiben." Sancha warf ihrer Schwester einen ungläubigen Blick zu. "Bist du wirklich so eine schlechte Menschenkennerin? Frauen wie Bianca lassen sich nicht so einfach abweisen. Connel ist ein reicher, blendend aussehender Mann. Da gibt sie nicht so schnell auf, auch wenn er behauptet, nicht heiraten zu wollen. Im Gegenteil, wahrscheinlich reizt es sie dann umso mehr, ihn doch noch zu erobern. Sie ist ein Bluthund. Wahrscheinlich hat Connel klug gehandelt, das Land zu verlassen." Darüber grübelte Zoe nach, während sie am Abend zu ihrem einsamen Haus zurückkehrte. Würde Connel überhaupt wiederkommen? Vielleicht sah sie ihn niemals wieder. Starr blickte sie durch die Windschutzscheibe auf entgegenkommende Autoscheinwerfer, ohne ihre Umgebung wirklich wahrzunehmen. Die Herbststürme hatten die Gegend am Nachmittag erreicht. Sie rüttelten an den Fenstern, pfiffen heulend durch die kahlen Bäume und füllten die Gullis mit den letzten braunen Blättern und Zweigen, so dass das Fahren schwierig, wenn nicht gar gefährlich wurde. Erschauernd rannte Zoe vom Wagen zum Haus und hielt entsetzt den Atem an, als sie hinter sich ein Geräusch hörte. Jemand lauerte in der Dunkelheit! Nicht wieder Larry! Panikartig hastete Zoe weiter, um ins Haus zu gelangen, ehe Larry sie einholen konnte. "Ich bin's, Zoe!" rief eine Stimme aus der Dunkelheit, während Zoe den Eingang erreichte. Wie versteinert stand sie
da, weil ihr bewusst wurde, wer der späte Besucher war. Sie drehte sich um, und ihr Herz schien stillzustehen. Fassungslos blickte sie dem großen Mann entgegen, der zielstrebig auf sie zukam. Zoes Kehle war wie ausgetrocknet. "Du bist zurück." Ihre Stimme klang seltsam flach und fremd, und das Blut rauschte ihr in den Ohren. "Wo bist du gewesen? Ich warte hier schon seit zwei Stunden. Samstag ist doch dein freier Tag. Da dachte ich, du würdest daheim sein." "Ich war bei Sancha und Mark zum Mittagessen eingeladen." Sie unterhielten sich beiläufig wie Bekannte. Bin ich das für Connel? fragte Zoe sich. Jemand, den er kaum kennt? Nein, dachte sie und erbebte. Er kannte sie nackt und angekleidet. In- und auswendig. "Verflixt! Ich hatte überlegt, ob ich Mark anrufen soll, aber ich wollte nicht über geschäftliche Dinge reden. Außerdem wusste ich nicht, ob du den beiden von uns erzählt hast." "Von uns?" wiederholte Zoe und erschauerte. Connel sah sie eindringlich an. "Es ist kalt hier draußen. Lass uns ins Haus gehen ... oder willst du mich heute nicht reinbitten?" Hilflos stand Zoe da, und ihr brannten Tränen in den Augen. "Geh, Connel. Geh einfach. Ich bin heute Abend zu müde, um mit dir fertig zu werden." "Warum weinst du?" "Ich weine nicht!" "Aber ich sehe Tränen in deinen Augen, Zoe." "Geh! Geh endlich!" Sie drehte sich um und versuchte, die Haustür aufzuschließen, doch es gelang Zoe nicht, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, weil ihre Finger zu sehr zitterten. Sanft schob Connel sie zur Seite, nahm ihr den Schlüssel aus der Hand und öffnete die Tür. Zoe stürmte an Connel vorbei ins Haus, aber er folgte ihr und schloss die Haustür, so dass das
Sturmgeheul nur noch gedämpft zu hören war. Wortlos schaltete er die Dielenbeleuchtung ein. Zoe blinzelte, weil die plötzliche Helligkeit sie blendete. "Hör zu, Connel, ich bin müde. Also geh!" Sie hätte ihm noch so viel sagen wollen, wagte es jedoch nicht, weil sie Angst hatte, die Fassung zu verlieren und in Tränen auszubrechen. Doch Connel ging einfach an ihr vorbei. Zoe hörte, dass er die Zentralheizung anstellte, dann Wasserrauschen, als er den Kessel füllte. Connel kannte sich bestens bei ihr aus. Zögernd zog Zoe ihren Lammfellmantel aus, hängte ihn auf und folgte Connel in die Küche. "Ich dachte, du wärst in Argentinien." "Das war ich auch. Jetzt bin ich hier." Wie ein geübter Hausmann stellte er auf ein Tablett Teekanne, Tassen, Milch und Zucker. "Sancha meinte, du würdest möglicherweise dort bleiben." "So? Deine Schwester hat eine lebhafte Fantasie. Ich war geschäftlich in Argentinien, um ein Übernahmeangebot zu prüfen - ein Bauprojekt in Millionenhöhe. Ich möchte die Firma übernehmen." "Wenn du dort drüben eine Firma übernimmst, wirst du dort wohl leben müssen." "Nicht unbedingt. Ich kann die Leitung auch einem Geschäftsführer übertragen. Mark spricht Spanisch." "Mark?" Zoe konnte Connel nur ungläubig ansehen, dann platzte sie heraus: "Aber was ist mit Sancha und den Kindern? Dann müsste Mark sie hier lassen oder die gesamte Familie aus der gewohnten Umgebung herausreißen. Sancha will im Ort gerade ein eigenes Geschäft aufmachen, und die Kinder können kein Wort Spanisch..." Ungeduldig unterbrach Connel sie. "Wir haben den Vertrag ja noch gar nicht abgeschlossen. Und selbst wenn wir die Firma übernehmen, werde ich vorher mit Mark reden." "Ich soll mich also raushalten", stellte Zoe aufgebracht fest.
"Aber Sancha und die Kinder liegen mir am Herzen und gehen mich etwas an. Ich liebe sie und möchte nicht, dass ihr Leben aus den Angeln gerissen wird." "Meinst du nicht, dass Mark das auch nicht möchte? Die beiden scheinen eine gute Ehe zu führen, und ich bin sicher, dass er alles mit Sancha bespricht, ehe er sich für oder gegen den Posten in Argentinien entscheidet." Das wusste Zoe besser. "Mark ist ein Mann vom alten Schlag, der einsame Entscheidungen trifft. Ich glaube nicht, dass er Sanchas berufliche Pläne für voll nimmt." Das Wasser kochte. Connel brühte Tee auf und trug das gedeckte Tablett zum Tisch. Schweigend beobachtete Zoe ihn. "Ich würde sagen, das ist nicht dein Problem, Zoe", erklärte Connel über die Schulter hinweg. "Die Entscheidung müssen Mark und Sancha allein treffen. Hast du nicht genug eigene Sorgen, dass du dir die Belange deiner Schwester auch noch aufhalsen willst?" "Nun mach aber 'nen Punkt!" brauste Zoe auf. "Warum nimmst du dir deinen Rat nicht zu Herzen und kümmerst dich um deine eigenen Angelegenheiten? Geh jetzt endlich, und lass mich in Ruhe!" Connel drehte sich um, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, riss er sie an sich. "Nein", sagte er mit rauer Stimme und sah ihr beschwörend in die Augen. "Mich schiebst du nicht ab, Zoe. Das lasse ich nicht zu", erklärte er und küsste sie so ungestüm, dass Zoe den Kopf zurückbiegen und sich an Connel festhalten musste. Unvermittelt gab er ihre Arme frei und nahm ihr Gesicht in beide Hände, dann küsste er Zoe erneut voller Leidenschaft. Atemlos legte Zoe die Arme um seinen Nacken und stellte sich auf die Zehenspitzen, um den Kuss zu erwidern. Plötzlich gab es
nichts mehr zu verbergen, und sie ließ Connel spüren, wie sehr sie sich nach ihm sehnte. Er flüsterte etwas an ihren Lippen, das sie erst nicht verstand, dann begriff sie. "Ich liebe dich, verflixt noch mal! Ich liebe dich." Als sie zu weinen begann, hob Connel den Kopf und sah sie auf eine Weise an, die ihr Angst machte. Heiser gestand er: "Ich hätte es dir nicht sagen sollen. Ich wusste ja, dass es falsch wäre, dir zu gestehen, was ich für dich empfinde. Aber ich konnte nicht anders, Zoe. Und ich warne dich. Wenn du mich fortschickst, kann ich für nichts garantieren." Tränen strömten ihr übers Gesicht, und sie lehnte sich matt an Connel und schob die Finger in sein dichtes Haar. "Ich liebe dich auch, Dummkopf", flüsterte sie. "Hast du das nicht gemerkt? Ich bin verrückt nach dir." Aufstöhnend riss er sie wieder an sich, und sie küssten sich verzehrend. Als sie sich endlich voneinander lösten, sah Connel ihr tief in die Augen. "Willst du mich heiraten, Zoe?" Sie zögerte keine Sekunde. "Ja", hauchte sie und stellte sich Sanchas Gesicht vor, wenn sie davon erfuhr.
-ENDE