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John Grey Fliegende Messer Er kam lautlos und tötete schnell Das ist Ronco: Ein Mann auf der Flucht, verfolgt vom Gesetz, schuldlos geächtet. Ronco ist ein einsamer Wüstenwanderer, der nirgends Ruhe findet, seit er einen Wagenzug mit zweihundert Frauen und Kindern im Halcon Canyon in einen tödlichen Hinterhalt geführt hat. Er ist dazu verurteilt, zu fliehen, gejagt von einer unbarmherzigen Rachejustiz. Kopfgeldjäger wie Ron Devlin, Abenteurer und Banditen kreuzen seinen Weg und blindwütige Männer wie Mahon Tabor, die sich geschworen haben, Ronco einzufangen und zu vernichten. Und im Tucumcar-Tal in Arizona kreuzt Ronco den Weg des Killers Savage, eines wüsten und erbarmungslosen Mannes, der seine Opfer lautlos und schnell tötet.
Die Hauptpersonen des Romans: Ronco – der Geächtete immer auf der Flucht vor dem Gesetz, aber ohne Schuld. Mark Bascomb – Chef eines Waffenschmuggelrings, der über Nacht zum Bettler wird. Savage – ein wüster, bärenhafter Killer, Leibwächter Mark Bascombs, der schnell und lautlos tötet. Seldon Culotte – Tuchwarengroßhändler, der auch dem Waffenschmuggel nicht abgeneigt ist. Ballister – Bankdirektor, der die Waffengeschäfte finanziert und zu spät merkt, daß er sich mit dem Teufel eingelassen hat.
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Sie ritten durch den Abend. Lange, pulvergraue Umhänge umhüllten ihre Gestalten und hingen glatt und faltenlos bis zu den Steigbügeln herab wie die Schwingen toter Vögel. Nach vorn gebeugt saßen sie in den Sätteln. Tief hatten sie sich die breitrandigen Hüte in die Gesichter gezogen. Drückend schwül war die Luft, und der Wind schwieg, als die Reiter Tucson erreichten und Unheil in die Stadt trugen. Drohend schälten sich ihre Umrisse aus der immer dichter werdenden Dunkelheit, leise klang das Hufgeräusch ihrer Pferde, schemenhaft wie Schattenspiele des letzten Tagesschimmers glitten sie heran. Geisterreiter in der Nacht. Die Stadt, schlief. Nur aus einigen Saloons oberhalb der Mainstreet drangen noch Geräusche: Männer lachten und sprachen laut, eine Frau sang ein Lied, irgendwo klimperte ein Klavier. Niemand sah die Fremden, die nahe der Wells-Fargo-Agentur in einem leeren Frachthof ihre Pferde zügelten und aus den Sätteln stiegen. Und nicht einer war in Tucson, der die Gefahr ahnte, die der Stadt drohte. Denn die Nacht war voll Frieden … Sie huschten zur Straße und trugen Blechkanister bei sich, die an den Sätteln ihrer Pferde gehangen hatten. Sie bewegten sich schnell und geräuschlos wie Wildkatzen und die Finsternis der Nacht nahm sie auf und verbarg sie, als wären sie ein Teil von ihr. Ungesehen erreichten sie die andere Seite der Mainstreet und hasteten durch den tiefen Staub an den Stepwalks und Vorbauten entlang. Ein klotziges, riesiges Holzgebäude tauchte plötzlich vor ihnen auf. Es ragte massig aus der Dunkelheit. Die Männer blieben stehen. Sie blickten sich um, obwohl sie nicht viel sehen konnten. Und alles blieb still. Sie raunten sich etwas zu und warteten nicht länger. Sie huschten auf das Gebäude zu und tauchten rechts und links -2-
vom Haus in Hofeingängen unter. Schweiß perlte auf ihren dunkelhäutigen Gesichtern. Ein kaltes Glitzern lag in ihren Augen, und ihre Lippen waren dünn und verkniffen. Sie waren fast schon am Ziel, und sie waren entschlossen, weiterzugehen und sich nicht aufhalten zu lassen. Die Luft in den Hinterhöfen war zum Schneiden dick, und die Männer bewegten sich jetzt langsam und vorsichtig. Als sie die Verschlußkappen der Kanister öffneten, die sie bei sich trugen, stieg ein penetranter Petroleumgestank aus den Öffnungen und sättigte die schwüle, stickige Luft … Ein Mann schritt den Stepwalk vom Westende der Stadt herauf. Er bewegte sich mit ruhigen, festen Schritten. Matt glitzerte in der Dunkelheit ein silberner Stern auf seinem Hemd. Ein tiefhängender Revolverhalfter schlug bei jedem Schritt klatschend an seinen Oberschenkel. Der Mann trug eine Winchester mit. verkürztem Lauf locker in der Armbeuge. Seine Blicke glitten über die dunklen Fassaden der still daliegenden Gebäude. Müde schritt er an dem klotzigen, großen Holzgebäude vorbei, das den Laden und das Warenlager des größten Tuchhändlers von Arizona, Mr. Seldon Culotte, beherbergte. Er verließ den Stepwalk und überquerte die Mainstreet. Staub wallte in feinen Schleiern unter seinen Stiefeln auf. Er passierte die Wells-Fargo-Agentur und erreichte den leeren Frachthof, an dem seine Runde endete. Ein Pferd schnaubte. Ein müder Windhauch strich plötzlich von Süden über die Ebene. Die schwülen, stickigen Luftmassen gerieten in Bewegung. Der Marshal fuhr herum. Wieder schnaubte dumpf ein Pferd. Er blieb stehen und beugte sich vor. Fast gleichzeitig riß er die Winchester in den Hüftanschlag. Metallisch knirschend flog der Unterhebel herum. »Wer ist da?« rief er leise. Wieder blieb es still. Der Marshal ging zwei, drei rasche Schritte in den Hof und sah erst jetzt die beiden Tiere. Instinktiv duckte er sich -3-
und wandte den Kopf. Doch kein Mensch war zu sehen. Der Marshal trat auf die Pferde zu. Scheu wichen sie vor ihm zurück. Nervös tänzelten sie. Fremde Pferde, dachte er. Die gehören niemandem in Tucson. Was sind das für Pferde? Er behielt die Winchester im Anschlag und wandte sich wieder um. Im selben Moment strich der mit einemmal aufgekommene Wind kräftig durch die Straßen von Tucson und fing sich rauschend unter einigen Vorbaudächern. Da durchbrach jäh ein fauchender Knall die Stille der Nacht. Die Erde schien zu vibrieren, der Himmel schien einzustürzen. Schlagartig erfüllte eine seltsame Spannung die Luft. Dann zuckte aus einem Hinterhof auf der anderen Seite der Mainstreet eine grelle Stichflamme hoch, die den Schleier der Finsternis zerfetzte und die Nacht für Sekunden zum Tage machte. Geblendet schloß der Marshal die Augen. Schrill wieherten die beiden Pferde hinter ihm und bäumten sich in wilder Angst auf. Sekunden später fuhr mit brüllendem Knall eine zweite Stichflamme in den Nachthimmel. Dann war das gierige Prasseln von Feuer zu hören. Für Sekunden stand der Marshal wie gelähmt. Seine Glieder waren schwer wie Blei. Das Tuchwarenlager! schrie es in ihm. Dort brennt das Tuchwarenlager von Culotte. Jemand hat es angezündet. O Hölle! Und dann rannte er auch schon, und in seinen Schläfen hämmerte das Blut. Wie mechanisch setzte er sich in Bewegung und hastete über den Frachthof. Dann sah er die Flammen, die sich an den Wänden des riesigen Gebäudes auf der anderen Straßenseite emporfraßen, das spröde Holz setzte dem Feuer keinen Widerstand entgegen. Gespenstisch tanzende Schatten fielen in den Staub der -4-
Mainstreet. »Feuer!« schrie der Marshal jetzt. Und seine Stimme überschlug sich fast. »Feuer! Hört mich denn keiner, mein Gott! Feuer in der Stadt!« Oberhalb der Straße traten Männer aus den Saloons. Sie blickten die Mainstreet hinunter und sahen das große Gebäude am Südende der Stadt brennen. Der Marshal hatte jetzt die Mainstreet erreicht. Im selben Moment stürmten zwei Männer rechts und links von dem Tuchwarenlager aus den Hofeingängen. Sie liefen über die Straße, zum Frachthof hinüber. »Stehenbleiben!« Die Stimme des Marshals klang wie brechendes Eis. Die beiden Brandstifter stürmten direkt auf ihn zu. »Sofort stehenbleiben! Keine Bewegung! Ich schieße!« Er wirbelte die Winchester an die Schulter. Breitbeinig stand er am Rand des Frachthofes und richtete sein Gewehr auf die Fremden. Sein Gesicht war hart wie aus Eisen gegossen. Die beiden Männer verharrten jäh. Unter dem Umhang des einen brüllte dumpf ein Schuß auf. Ein Mündungsstrahl raste glühend auf den Beamten zu. Der Marshal ließ sich zur Seite fallen. Sengend heiß strich die Kugel an ihm vorbei. Dann feuerte er, traf aber nicht. Die beiden Fremden wandten sich um und rannten die Straße hinauf. Von den Saloons her klangen Flüche und Schreie. Dann liefen mehrere Männer die Straße herunter. »Brandstifter!« schrie der Marshal. Er richtete sich auf. »Das sind Brandstifter. Haltet sie auf!« Die beiden Fremden drehten verzweifelt wieder um und hasteten auf einen Hofeingang zu. Sie hielten jetzt ihre Waffen in den Fäusten. Und jeder konnte es sehen, denn das Feuer prasselte und loderte grell und wild wie das Fanal eines Rachegottes und wurde vom Wind noch geschürt. Die Flammengarben schlugen hoch und erhellten die Nacht. Der -5-
schwarze Himmel färbte sich blutigrot. Dichte Rauchwolken trieben über die Dächer von Tucson. »Stehenbleiben!« brüllte der Marshal wieder. Dann jagte er los. Er hetzte quer über die Straße. Der Flammenschein fiel in sein schweißüberströmtes, angespanntes Gesicht, ließ es härter und kantiger erscheinen, als es war und spiegelte sich in seinen Augen. »Holt Wasser!« schrie er den Männern entgegen, die das Feuer angelockt hatte. »Beeilt euch, verdammt! Wir müssen löschen, sonst brennt die ganze Stadt ab!« Wieder krachten Schüsse. Die beiden Brandstifter stürmten auf die Straße zurück. Der Hofeingang, in den sie hatten laufen wollen, war von einem rostigen Eisengitter versperrt. Sie schossen jetzt wild um sich, sie taten es in panischer Verzweiflung und waren bereit, wahllos zu töten, wenn es sein mußte. Brutal und skrupellos schlugen sie sich durch. Ihre Kugeln bestrichen die Mainstreet. Männer schrien und fluchten und gingen in Deckung. Der Marshal ließ sich augenblicklich fallen. Er hebelte die Winchester durch und schoß im Liegen, blitzschnell, ohne lange zu zielen. Einer der Fremden schien gegen eine unsichtbare Wand zu prallen. Er blieb plötzlich stehen, schrie auf, ließ seine Waffe fallen und torkelte wie ein Betrunkener. Er krümmte sich zusammen, schwankte, gurgelte dumpf und fiel dann nach vorn in den Staub. Stöhnend stemmte er sich noch einmal hoch und stieß einen gequälten Schrei aus. Kraftlos sackte er wieder zu Boden und rührte sich nicht mehr. Der zweite Mann schoß fluchend auf den Marshal. Die Kugeln schlugen dicht vor ihm in den Sand. Er wälzte sich blitzschnell herum und konnte für Sekunden nichts sehen, beißender Sand drang in seine Augen. Der Fremde hetzte an ihm vorbei zum Frachthof hinüber. -6-
In den umliegenden Häusern waren inzwischen Lichter angegangen. Menschen erschienen auf den Vorbauten und Stepwalks. Von der City Hall her schrillte der durchdringende Klang des Triangles, vom Turm der Methodistenkirche dröhnte dumpf die Glocke. Wenig später stürmten aus einer Seitengasse fast zwanzig halbangezogene Männer. Sie zogen einen wackligen, flachen Wagen hinter sich her, auf dem eine Feuerspritze stand. Die Flammen hatten sich jetzt bis zum Dach des Tuchwarenlagers hochgefressen. Stützbalken knarrten und ächzten. Fensterscheiben bogen sich in der Hitze und zerplatzten knallend. Einzelne Dachsparren zerbrachen bereits und stürzten ins Innere des Hauses. Brennende Dachschindeln fielen auf die Straße. Immer heftiger tobte das Feuer und verwandelte alles in Schutt und Asche. Es verschlang das Gebäude wie ein übermächtiges, unersättliches Untier. Es fraß gierig die Tuchballen des bis zum Dach gefüllten Lagerhauses und zerstörte die Geschäftsräume. Flammen schlugen aus den zerborstenen Fenstern, und die Ladenräume an der Straßenseite hatten sich in eine Hölle, in ein Meer von Glut verwandelt. Aus dem Frachthof der Wells-Fargo-Agentur sprengte jetzt im donnernden Galopp der zweite Brandstifter heraus. Er lag flach auf dem Rücken seines Pferdes, hielt seinen Revolver in der Faust und schoß pausenlos auf alles, was sich bewegte. Angst verzerrte sein Gesicht. Sein langer Umhang flatterte im Reitwind. Der Marshal feuerte wieder, lief mit großen Sätzen auf den Frachthof zu und schoß im Laufen. Doch er traf nicht. Der Fremde jagte nach Süden davon. Die Dunkelheit nahm ihn auf. Der Hufschlag verhallte. Der Beamte wandte sich um und ließ die Winchester sinken. Er sah, daß einige Männer der Stadtfeuerwehr Schläuche entrollten und die Enden in den Brunnen auf der nahen Plaza -7-
warfen, andere begannen, die Pumpe auf dem flachen Wagen zu betätigen. Auf der Mainstreet wimmelte es jetzt von Menschen. Sie verließen die Häuser, verschlafen, halb angezogen, schimpfend und schreiend. Schrille Stimmen feuerten die Männer an der Pumpe an. Kinder weinten, Frauen schrien hysterisch. Einige Männer eilten mit Eimern herbei und schütteten Wasser ins Feuer, zischend stieg Dampf auf, doch der Brand ließ sich dadurch nicht eindämmen. Dann, endlich, füllten sich die Schläuche der Feuerwehr. Die Männer an der Pumpe schwitzten, doch sie arbeiteten pausenlos weiter. Im hohen Bogen schoß endlich das Wasser aus den Düsen der Schläuche und spritzte gegen das große Haus, das jetzt rundum brannte und jeden Moment zusammenstürzen konnte. Der Marshal von Tucson bewegte sich mit schweren Schritten über die taghell erleuchtete Mainstreet. Sein Gesicht war eingefallen und von scharfen Falten durchschnitten. Staubkrusten hatten sich auf Kinn und Wangen festgesetzt. Er blieb neben dem Fremden stehen, den er erschossen hatte, und hockte sich nach kurzem Überlegen neben den Mann. Er wälzte ihn auf den Rücken und zog ihm den Hut vom Kopf, um das Gesicht sehen zu können. Die Augen des Mannes waren weit aufgerissen und wirkten jetzt wie Glaskugeln, in denen sich die Flammen des Feuers spiegelten. Die bronzefarbene Haut des Mannes wirkte im Tode wächsern und gelblich – er war Mexikaner. Menschen rannten an dem Beamten vorbei, der sich langsam wieder aufrichtete. Ein dickleibiger, unvollständig angezogener Mann hastete auf ihn zu und schrie ihn an. Der Marshal hob den Kopf und erkannte Tom Sullivan, den Mayor von Tucson. »Was ist passiert? Reden Sie doch, Mann!« »Brandstiftung!« Der Marshal deutete auf den Toten zu -8-
seinen Füßen. »Es waren zwei Mexikaner. Den einen habe ich erschossen, der andere ist entkommen.« »Aber warum denn, zum Teufel, warum denn nur?« schrie Sullivan mit rotem Gesicht. »Woher soll ich das wissen?« Der Marshal starrte ins Feuer. Er sah, daß die Feuerwehr den Brand bereits so weit eingedämmt hatte, daß die Nachbarhäuser nicht mehr gefährdet waren. Doch die Luft war erfüllt von scharfem Brandgeruch, es stank nach verkohltem Holz, nach Asche und Ruß. Löschwasser tropfte von den Vorbaudächern. Das Dach des Tuchwarenlagers war inzwischen eingestürzt. Mit berstendem Splittern fielen jetzt auch die Stockwerke in sich zusammen. Die Seitenwände des Gebäudes lösten sich aus ihren Verankerungen. Glühende Asche stob auf. Der Marshal faßte den Mayor am Arm und zerrte ihn mit. Die Männer rannten in den Frachthof der Wells Fargo zurück. Sekunden später stürzte die Frontwand des Tuchwarenlagers krachend auf die Mainstreet. Im hohen Bogen wirbelte das große Schild mit der Aufschrift Seldon Culotte. Tuchwaren-Company durch die Luft. Einer der Feuerwehrmänner konnte sich nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit bringen. Ein brennender Balken streifte ihn wuchtig an der Schulter und riß ihn nieder. Er brüllte vor Schmerz. Dann stürzten schwelende, zollstarke Bohlen auf ihn und zerschmetterten seinen Schädel. Sein wildes Brüllen erstarb. Mit bleichem Gesicht wandte sich Sullivan ab. »Ist – ist Mr. Culotte in der Stadt?« stammelte er. Mit einer fahrigen Handbewegung strich er sich über die Stirn. »Ist er schon benachrichtigt worden?« »Er ist nicht da.« Der Marshal lief zur Straße zurück. Keuchend folgte ihm der Mayor. »Aber – aber was sollen wir denn tun, verdammt? Mr. Culotte ist der größte Tuchwarenhändler von Arizona, und …« -9-
»Das hätten Sie den beiden Brandstiftern sagen sollen!« Der Marshal wandte sich um und blickte den Mayor grimmig an. »Ich habe mich mit den beiden Kerlen herumgeschlagen, glauben Sie, daß ich da Zeit gehabt habe, darüber nachzudenken, was Mr. Culotte wohl dazu sagen würde? Und das Feuer fragt nicht, wie groß ein Mann ist. Adam Powell wird sicher in der Stadt sein.« »Der Geschäftsführer von Mr. Culotte?« »Yeah.« Der Marshal wandte sich wieder ab. »Er soll in mein Office kommen. Können Sie sich darum kümmern?« »Natürlich.« Sullivan eilte davon. Der Marshal warf noch einen Blick zum Lager- und Geschäftsgebäude von Seldon Culottes Tuchwarenhandel hinüber, das bis vor wenigen Minuten noch das größte Tuchwarengeschäft von Arizona gewesen und jetzt nur noch eine Ruine war. Stoffballen für viele hunderttausend Dollars waren zu stinkender Asche verbrannt. Das Wasser, das noch immer aus den Schläuchen der Feuerwehr strömte, löschte die letzte, vom Wind immer wieder angefachten Schwelbrände im zerborstenen Gebälk. Die Bürger verliefen sich bereits wieder und gingen zurück in ihre Häuser. Der Marshal schritt jetzt den Stepwalk hinunter zu seinem Office. * Ein Deputy-Marshal stieß die Officetür auf. Hinter ihm trat ein untersetzter, breitschultriger Mann ein. Er war unrasiert und blaß und wirkte unausgeschlafen, nervös und verstört. »Mr. Powell!« Ret Ferrer, der Marshal, erhob sich hinter seinem Schreibtisch und reichte dem Geschäftsführer von Culottes Tuchwarenhandel die Hand. Der Mann wich den Blicken des Marshals aus. Er murmelte leise etwas und setzte sich rasch. Seine Hände zitterten. Er zog die Schultern hoch - 10 -
und fröstelte, obwohl es nicht kalt war. »Ich habe Sie vorhin nicht unter den Leuten gesehen?« Der Marshal musterte ihn fragend. »Es handelt sich doch um ein Geschäft, für das Sie die Verantwortung tragen.« »Ich habe nicht gewußt, um welches Haus es sich handelte.« Adam Powell blickte starr zu Boden. »Ich habe erst vor ein paar Minuten erfahren, daß das Lagerhaus unserer Firma abgebrannt ist.« »Haben Sie schon einen Überblick über das, was vernichtet worden ist?« Powell nickte. »Es ist einfach unfaßbar«, stammelte er. »Ich weiß nicht, wie ich das Mr. Culotte beibringen soll. Er ist fortgefahren, um sich ein paar Tage bei Freunden zu erholen. Und jetzt passiert das. Das Lager war voll bis zum Dach. Wir hatten erst vor wenigen Tagen eine Lieferung von feinsten Tuchen erhalten. Für fast siebenhunderttausend Dollar Ware ist verbrannt, Marshal, das ist beinahe das gesamte Kapital der Firma. Fragen Sie mich nicht, wie es weitergehen soll.« »Können Sie sich erklären, warum zwei Mexikaner das Gebäude in Brand steckten?« »Mexikaner waren es?« Powell zögerte. Eine dumpfe Ahnung stieg plötzlich in ihm auf. »Haben Sie einen Verdacht?« Der Marshal musterte ihn scharf. »Einen Verdacht? Ich – nein, nein …« Powell schüttelte erschrocken den Kopf. »Warum sollte ich einen Verdacht haben?« »Nun, die beiden Männer waren Mexikaner. Betreiben Sie auch Geschäfte mit Mexiko?« »Geschäfte mit …« Powell blickte den Beamten unruhig an. »Wie kommen Sie darauf? Ja, wir haben einen Auftrag. Aber – aber der ist nicht aus Mexiko, und … Und warum erzähle ich Ihnen das? Nein, nein, wir haben keine Geschäftsbeziehungen nach Mexiko.« - 11 -
Ferrer blickte den anderen mißtrauisch an. »Warum sind Sie so nervös, Mr. Powell?« »Finden Sie nicht, daß das eine ziemlich dumme Frage ist?« erwiderte Powell heftig. »Ich bin der Geschäftsführer der Firma Culotte, und während ich allein in Tucson bin und die Verantwortung trage, verbrennen sämtliche Warenbestände des Geschäfts. Soll ich da etwa lachen?« Powells Stimme klang jetzt schrill und aufgeregt. »Warum fressen Sie sich an den beiden Mexikanern fest? Die beiden können doch von überallher gekommen sein, jeder kann sie geschickt haben. Ein so großes Unternehmen wie das von Mr. Culotte hat eben überall Feinde. Wir haben viele Konkurrenten in Arizona, die uns etwas am Zeug flicken wollen. Vielleicht laufen die Fäden zu dem Initiator wirklich nach Mexiko. Aber daß die Brandstifter Mexikaner waren, beweist doch gar nichts.« »Sie haben eben gesagt, Sie hätten keine Geschäftsbeziehungen nach Mexiko. Jetzt räumen Sie ein, daß die Spur der Brandstiftung vielleicht doch nach Mexiko führt. Wie soll ich das verstehen?« Ferrer beugte sich vor. »Wir haben auch keine festen amerikanischen Geschäftspartner.« Hektische, rote Flecken bedeckten jetzt Powells Gesicht. »Aber natürlich wickeln wir hin und wieder Geschäfte mit Mexiko ab. Sie drehen mir ja das Wort im Mund herum.« »Das stimmt nicht, Mr. Powell. Sie widersprechen sich selbst. Ich versuche nur, Klarheit in die Sache zu bringen. Ich verstehe nicht, daß Sie mir ständig ausweichen und sich weigern, mir zu helfen. Es geht schließlich um Ihr Geschäft.« »Eben, und Sie behandeln mich wie einen Verbrecher. Sie nehmen mich ins Kreuzverhör und verdrehen alles, was ich sage!« Powell schrie jetzt. Er stotterte vor Aufregung. »Ich kann Ihnen über die Handelsbeziehungen der Firma Culotte nichts sagen, verstehen Sie? Ich werde doch nicht hinter dem Rücken von Mr. Culotte Geschäftsgeheimnisse verraten. - 12 -
Lassen Sie mich in Ruhe, Marshal Ferrer. Ich bin total fertig, sehen Sie das nicht? Mr. Culotte wird mich vielleicht zum Teufel jagen, wenn er erfährt, was geschehen ist. Ermitteln Sie lieber, wer hinter dieser Brandstiftung steckt, und stellen Sie mir keine dummen Fragen!« Powell strich sich mit zitternden Händen eine Haarsträhne aus der Stirn. »Warum haben Sie zum Beispiel die Verfolgung noch nicht aufgenommen, he? Einer der Täter ist doch entkommen, oder?« »Sie haben mir nichts vorzuschreiben, Mr. Powell«, erwiderte der Beamte scharf. »Ich kann nur ermitteln, wenn ich von den Betroffenen ausreichende Auskünfte erhalte. Aber Sie wollen mir offenbar nicht helfen. Ihr Benehmen ist wirklich sonderbar, Mr. Powell,. Aber wie Sie wollen: Ich werde warten, bis Mr. Culotte wieder zurück ist.« »Wollen Sie damit andeuten, daß ich lüge?« Powell erhob sich. »Ich lasse mich nicht beleidigen. Ich habe Ihnen gesagt, was ich wußte.« Sein Gesicht wirkte jetzt verkniffen. Grußlos wandte er sich zum Gehen. Wieder zog er fröstelnd die Schultern hoch. Schweigend blickte der Beamte ihm nach. Er fluchte leise, als die Tür zufiel. Adam Powell trat an den Rand des Stepwalks und blickte nachdenklich in die Dunkelheit. Er suchte in seinen Taschen nach dem Tabaksbeutel und drehte sich eine Zigarette. Als sie brannte, zog er heftig und nervös daran. Mit langsamen Schritten ging er schließlich die Mainstreet hinunter. Vor der Ruine des Lager- und Geschäftsgebäudes von Culottes Tuchgroßhandel blieb er noch einmal stehen. Eine Brandwache war aufgezogen. Hunderte von Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Powell glaubte zu wissen, warum das Gebäude in Brand gesetzt worden war. Er ahnte den Zusammenhang mit einem Großauftrag aus Mexiko. Doch genaues wußte er nicht, genaues wußte nur Seldon Culotte, der Besitzer. - 13 -
Adam Powell wurde innerlich ruhiger. Tief sog er den würzigen Rauch des Kentucky-Tabaks in die Lungen. Der leichte Nachtwind hatte die schwüle Luft jetzt abgekühlt und umspielte sanft sein heißes Gesicht. Er ging zum Mietstall hinüber und holte sein Pferd. Und als er nach Süden davonritt, schlief Tucson bereits wieder. Die Gefahr war vorüber, doch viele Fragen blieben unbeantwortet. * Sanft wiegte der Wind das steigbügelhohe Gras der Ebene des Tucumcar-Landes. Die zartfarbenen Blütenpollen einiger wild wuchernder Salbeisträucher platzten auf. Blutenstaub trat wie ein feiner Nebel aus, und die Luft wurde erfüllt von einem berauschenden Duft. Von Westen kam ein Reiter. Er trieb seinen prächtigen schwarzen Hengst durch das hohe Gras und ritt auf eine Hügelkette im Osten zu. Geschmeidig saß der Mann im Sattel. Er war groß und schlank und wirkte sehnig und breitschultrig. Die breite Krempe eines flachkronigen Hutes beschattete die obere Hälfte seines eindrucksvoll geschnittenen, von der heißen Sonne des Grenzlandes tief gebräunten Gesichtes, zu dem das Blau der scharfen Augen in einem seltsamen Kontrast stand. Ein breiter, büffellederner Patronengurt wand sich um die schmalen Hüften des Reiters. Tief hing der Halfter, aus dem der abgegriffene Walnußholzkolben eines schweren 44er Colts ragte, am rechten Oberschenkel. Ronco erreichte die Hügelkette und zügelte hier den schwarzen Hengst. Er glitt aus dem Sattel und bewegte sich zu einer dichten, mehr als mannshohen Strauchgruppe auf einer Hügelkuppe hinauf. Das hohe Gras strich sanft um seine Beine. Hinter den dichten Doughwood-Sträuchern auf der - 14 -
Hügelkuppe blieb er stehen und spähte aus schmalen Augen hinunter ins Tal. In mehreren hundert Yards Entfernung lagen die Gebäude einer Ranch. Leere Stangenkorrals umgaben den großflächigen Hof. In Hufeisenform waren das Hauptgebäude, das Bunkhouse und die Ställe angeordnet. Es war die einzige Ranch im weiten Tucumcar Valley im Südwesten Arizonas. Sie lag allein in einem Meer von wogendem Gras, fetten Weiden und fruchtbaren Feldern. Es war die Ranch eines Mannes, den Ronco noch nie in seinem Leben gesehen, und den er doch schon hassen gelernt hatte: Mark Bascomb. Ein biederer Geschäftsmann, weit und breit geachtet. Und doch war er einer der Hintermänner eines weitverzweigten Waffenschmugglerringes, auf den Ronco durch Zufall gestoßen war, eines Ringes skrupelloser Geschäftemacher, die ihr Geld damit verdienten, daß sie Kriege und Konflikte schürten und den streitenden Parteien die Waffen für die Auseinandersetzungen lieferten. Ronco dachte grimmig zurück an seine eigene Vergangenheit, an das Massaker im Halcon Canyon, dessen Schuld ihm angelastet wurde. Damals war er selbst zum Opfer solcher Geschäftemacher geworden, die einen von ihm geführten Treck hatten vernichten lassen, um den Krieg zwischen Apachen und Weißen und damit ihr Geschäft anzuheizen. Aber nicht die wahren Täter hatten büßen müssen, sondern er, Ronco, war damals zum Verräter und Mörder gestempelt worden. Seit dieser Zeit war er ein gnadenlos Gehetzter, ein Vogelfreier, ein Rechtloser, der nur noch ein Ziel hatte: seine Unschuld zu beweisen und danach ein besseres, ruhigeres Leben zu führen. Männer wie Bascomb waren es gewesen, die sein ungerechtes, hartes Schicksal verschuldet hatten. Er hatte deshalb mehr als einen Grund, Männer wie Bascomb zu vernichten. Er dachte an Lewellyn Drury, einen der führenden Männer - 15 -
des Schmugglerrings, der ihn in New Mexico sterbend noch auf die Ranch im Tucumcar Valley hingewiesen hatte. Ronco legte die flache Rechte zum Schutz gegen die blendenden Sonnenstrahlen über die Augen. Er sah jetzt einige Männer auf dem Hof der Ranch. Sie trugen einfache Kleidung und schienen Cowboys aus der Ranchmannschaft zu sein. Ronco sah, daß zwei Männer mehrere Balken herbeitrugen und an einem Korral arbeiteten. Wenig später trat aus einem Anbau des Bunk-houses ein kleiner Mann, der einen verkrüppelten Fuß zu haben schien. Er schlug mit einem Kochlöffel gegen eine große, rußige Bratpfanne. Das scheppernde Geräusch hallte laut bis zu Ronco herüber. Der Koch, dachte Ronco. Das ist der Koch. Außer ihm sind nur die Cowboys auf der Ranch. Er wandte sich ab. Seit fast einer Woche schon beobachtete er die Bascomb-Ranch, und bisher hatte er noch nie einen Mann entdeckt, der so aussah, wie er sich den Besitzer vorstellte. Ronco ging zurück zu Wildcat, strich dem Tier sanft durch das lange, seidige Mähnenhaar und schwang sich wieder in den Sattel. Im raschen Trab lenkte er den schwarzen Hengst über die Ebene zu einem dichten Waldgürtel im Süden. Er wollte noch nicht aufgeben, nach Mark Bascomb zu suchen, auch wenn sein Suchen und Warten bisher erfolglos gewesen waren. Doch es war Frühsommer, die Zeit des Roundups, des Viehauftriebs. Überall in dem riesigen Gebiet der Ranch konnte sich Mark Bascomb aufhalten, und es war fast unmöglich für einen einzelnen Mann, ihn zu finden. Ronco wußte das, dennoch hoffte er auf seine Chance. Er erreichte nach einer Viertelstunde den Waldgürtel und lenkte Wildcat durch dichtes Unterholz auf eine kleine Lichtung. Hier stieg er ab und schlug sein Lager auf. Als er kurz darauf auf die Ebene hinausspähte, sah er zwei Reiter von Westen zur Ranch reiten. Und er dachte daran, was wohl geschehen würde, wenn die Cowboys ihn entdeckten. - 16 -
Bis jetzt hatte er Glück gehabt, es war ihm gelungen, sich verborgen zu halten. Doch Ronco mißtraute dem Glück. Zu viele Schicksalsschläge hatte er in seinem Leben schon hinnehmen müssen. Er konnte sich nur auf eines verlassen: auf seinen Instinkt, den Instinkt des Gejagten, der ihn bisher nicht im Stich gelassen hatte. * Glutflecke standen am Himmel. Die Mittagssonne malte Schatten wie schwarze Bilder in den Sand zwischen einigen Redwood-Kiefern. Eine Staubwolke verfilzte die Luft. Dumpf brüllten Longhornkälber den heißen Himmel an und reckten die kantigen Schädel. Knochige Rücken, zu Hunderten dicht an dicht stehend, schoben sich wie ein wogendes, braunes Meer über die saftige Weide zu den Hügeln im Osten. Krachend schlugen die gewaltigen, weit ausladenden Hornpaare, die wie ein Wald von kahlen, ausgebleichten Ästen zum Himmel ragten, aneinander. Tanzenden Schlangenleibern gleich hatten die Schwänze der Tiere sich aufgerichtet. Penetranter Rinderschweiß sättigte die kochende Luft unter der glühenden Arizona-Sonne. Ronco zügelte Wildcat rasch hinter der dichten Redwoodkieferngruppe, beugte sich im Sattel vor und wartete ab. Instinktiv tastete er mit der Rechten zum Kolben des Revolvers. Ein unbestimmtes Gefühl warnte ihn. Die prächtige Longhornherde schob sich schwerfällig an ihm vorbei und überquerte den nahen Hügelkamm. Der Boden vibrierte leicht. Dumpf dröhnte das Stampfen der vielen Hufe. Ronco ließ seine Blicke über die Rinderrücken fliegen. Er zog sich noch tiefer hinter die Baumgruppe zurück. Hinter der Herde tauchten jetzt aus einer Nebelwand aus Staub und Hitze drei Reiter auf. Sie saßen in klotzig gefertigten - 17 -
Hamley-Sätteln und schwangen Lassoenden und Bullpeitschen. Mit heiseren Schreien trieben sie die Herde immer wieder an. Ihre Füße steckten in hochhackigen Lone Star Boots, die sie in die Steigbügel gestemmt hatten. An den Beinen der Männer wippten im Rhythmus des Pferdetritts schwerlederne Chaps. Die Männer näherten sich und erreichten die Fichten. Schrill wieherten ihre Pferde. Und Ronco war der Gefahr so nahe, wie in keiner Sekunde vorher in den letzten Tagen. Und die Zeit dehnte sich, schien anzuhalten. Wenn sie zur Seite blicken! hämmerte es in Ronco. Wenn sie zu den Bäumen herüberblicken – dann müssen sie mich sehen. Da löste sich ein Stierkalb aus der Herde. Mit gesenktem Kopf stürmte es davon. Zwei weitere Kälber folgten. Einer der Cowboys riß sein stämmiges Weidepony herum und folgte den Tieren. Er stieß wütende Schreie aus und ließ die gewiß drei Yards lange Bullpeitsche knallen wie ein Gewehr. Die Kälber stürmten direkt auf die Fichtengruppe zu. Und der Cowboy ritt ihnen nach. Ronco stockte der Atem. Fest umfaßte seine rechte Faust den Kolben des 44er Colts. Jetzt! dachte er. Jetzt muß ich den Revolver ziehen, jetzt muß ich schießen. Wenn der Kerl noch näher kommt, sieht er mich. Ich darf nicht länger warten. Schrill blökte das Stierkalb, es hatte die Baumgruppe fast erreicht. Ronco riß seinen Colt aus dem Halfter. Dann war der Cowboy heran. Er ließ seine Bullpeitsche über den Rücken des jungen Stiers klatschen. Brüllend warf das Tier sich herum, senkte den kantigen Schädel und schnaubte schrill. Es stemmte die Hufe in den Sand. Staub wirbelte auf wie ein dichter Schleier. Das Gesicht des Cowboys war rot und großporig. Es glänzte vor Schweiß. Ronco sah es durch dichtes Laub deutlich vor sich. Und sein Zeigefinger krümmte sich um den Abzug des Colts. Seine Nerven waren zum Zerreißen - 18 -
gespannt. Vor seinen Augen flimmerte die Luft. Da drehte das Stierkalb plötzlich ab. Die beiden anderen Rinder folgten. Wieder knallte die Bullpeitsche. Der Cowboy riß sein Pferd herum und folgte den Tieren, ohne an der Baumgruppe zu verharren. Er stand fast in den Steigbügeln, schwang die Peitsche und jagte die abgesprengten Tiere zurück zur Herde. Kaum zehn Yards entfernt von Roncos Versteck ritten jetzt die beiden anderen Cowboys vorbei. Und Ronco hörte die Stimmen, sah ihre Gesichter. Er konnte es fast nicht glauben: Er war nicht entdeckt worden. Er hatte das Gefühl, aus einem Alptraum zu erwachen. Aufatmend wandte er den Kopf und sah, wie die Herde die Hügelkämme überquerte. Die drei Reiter folgten. Und die Gefahr war vorüber. Seine Haltung entspannte sich wieder. Er wartete noch einige Minuten, bis er die Geräusche der Herde nicht mehr hören konnte. Dann erst ritt er mit Wildcat weiter nach Westen. Er folgte der Spur niedergewalzten Grases, die die Herde hinterlassen hatte. * Ronco ritt seit einer Stunde. Und noch immer dehnte sich vor ihm die Ebene flach wie ein riesiger Teller. Es gab keine Zäune, und es gab keine Grenzen. Weit im Westen schien der glühende Himmel den Boden zu berühren, bis dorthin schien die Ranch Mark Bascombs zu reichen. Das Weideland rings um Ronco war leer und still. Während seines Ritts war er nicht mehr auf Rinder oder Mitglieder der Ranchmannschaft gestoßen. Dennoch war er wachsam. Der Wind hatte gedreht und strich ihm jetzt entgegen. Als er sich einer Senke näherte, nahm er den scharfen Geruch von Round-up-Feuern wahr. - 19 -
Ronco zog Wildcat herum und lenkte ihn auf eine Bodenfalte zu. Hier hielt er an, wischte sich mit einer fahrigen Handbewegung den dicht perlenden Schweiß aus der Stirn und griff nach der Feldflasche am Sattelhorn des schwarzen Hengstes. Er trank einen Schluck des schalen, abgestandenen Wassers, bevor er wieder die Zügel hochnahm und das Tier in der Bodenfalte nach Westen lenkte. Je weiter er ritt, desto stärker wurde der Geruch der Roundup-Feuer. Der Wind trieb jetzt auch Wortfetzen heran. Ronco hörte Männerstimmen. Er ritt jetzt langsamer, blickte sich aufmerksam um, achtete auf jedes Schattenspiel im Gras, auf jeden Strauch. Und seine Rechte hing dicht neben dem abgegriffenen Coltkolben, der sich wie eine Raubtierklaue aus dem abgewetzten Lederhalfter krümmte. Die Stimmen wurden lauter. Ronco verstand jetzt einzelne Worte, die jedoch keinen Sinn für ihn ergaben. Er wußte nur, daß er jetzt ständig darauf gefaßt sein mußte, von Cowboys der Ranchmannschaft entdeckt zu werden. Er wußte, in was für eine Gefahr er sich begab, und daß sie größer wurde, je weiter er ritt, je tiefer er sich in das Land des Waffenschmugglers Mark Bascomb wagte. Doch das konnte ihn nicht schrecken. Denn die Gefahr war sein Leben. Als er nach kurzem Ritt einige Hügel erreichte, war der Brandgeruch besonders stark und vermengt mit penetrantem Gestank von Rinderschweiß und Zigarettenrauch. Ronco stieg aus dem Sattel und zog ein lederüberzogenes Militärfernglas aus einer der Satteltaschen. Er bestieg eine der Erhebungen und legte sich unterhalb des Kamms ins hohe Gras. Er nahm das Glas an die Augen. In kaum neunzig Yards Entfernung entdeckte er zwei Feuer in einer langgestreckten Senke. Rindergebrüll schallte herüber, Männer lachten rauh. Sechs Weidereiter in fester Lederkleidung waren damit beschäftigt, Jungrindern, die in mehreren, provisorisch - 20 -
errichteten Korrals untergebracht waren, das Brandzeichen der Ranch – ein B im Kreis – einzubrennen. Zwei Männer saßen in den Sätteln stämmiger Weideponys und sprengten hinter einigen Longhornkälbern her. Sie schwangen ihre Lassos. Ein Stück weiter im Norden entdeckte Ronco eine gewaltige Rinderherde, die gewiß mehrere tausend Stück Vieh umfaßte. Zwei Reiter kreisten um die Herde und beaufsichtigten sie. Doch nirgends war ein Mann zu sehen, der Mark Bascomb hätte sein können. Ronco ließ das Fernglas wieder sinken. Nachdenklich blieb er noch einige Minuten im hohen Gras liegen und spähte zu dem Round-up-Camp hinüber. Einer der Cowboys hatte gerade ein Stierkalb eingefangen. Er sprang aus dem Sattel, riß das Tier von den Beinen, indem er das Lasso ruckartig anzog, hetzte zu dem Rind hin und schlang ihm blitzschnell die Lassoleine um die Hufe. Angsterfüllt blökte das Tier. Ein zweiter Mann riß ein glühendes Eisen aus dem Feuer und preßte es auf die Hinterhand des Jungstiers. Rauch stieg auf. Das Tier schrie. Der Cowboy sprang zurück und riß das Lasso ab. Mit einem wilden Satz erhob sich das Rind und raste verstört davon. Ronco erhob sich jetzt wieder und ging zu Wildcat zurück. Er stieg in den Sattel und trieb den Hengst an. Er fühlte, daß er auf der richtigen Spur war und sich dem Teil des Ranchgebietes näherte, in dem die Herden zur Zählung und zum Brennen zusammengetrieben wurden. Wenn Bascomb an dem Round-up teilnahm, mußte er hier zu finden sein. Ronco beschloß, einen großen Bogen nach Süden zu schlagen, um allen Gefahren zunächst auszuweichen. Er hatte die Spuren der Rinder im hohen Gras gesehen. Sie führten geradewegs nach Westen. Ronco glaubte nun zu wissen, wo der Standort der anderen Herden war. Er glaubte, der Spur nicht weiter folgen und sich dabei ständig der Gefahr aussetzen zu müssen, von Cowboys entdeckt zu werden. Im raschen Trab - 21 -
ritt er nach Süden durch das Grasland des Tucumcar Valleys. * Die Schatten waren länger geworden, der Wind schwächer. Die Luft war wie ein warmer Teig, der sich auf das Land legte und alles Leben erstickte. Ronco war seit dem Mittag nicht mehr aus dem Sattel gestiegen. Als er vor sich einen breiten Waldstreifen auftauchen sah, lenkte er Wildcat darauf zu. Ein schmaler Bach plätscherte durch das Unterholz und durchschnitt die Weide. Er endete in einem kleinen Wasserloch, das sich in einer sandigen Vertiefung gebildet hatte. Ronco zügelte den schwarzen Hengst in der Nähe des Waldes und glitt aus dem Sattel. Er blickte sich aufmerksam um, während Wildcat die wenigen Yards bis zum Bach weitertrabte, mit den Vorderläufen ins Wasser trat und den Kopf senkte, um zu saufen. Ronco folgte, als er sich davon überzeugt hatte, daß er allein war. Er füllte die Feldflasche im Bach auf und ließ sich dann neben dem Wasser nieder, um etwas von dem Trockenfleisch zu verzehren, das er in den Satteltaschen mit sich führte. Er fühlte sich völlig sicher. Die Herden vermutete er weiter nördlich. Gegen Abend wollte er dorthin reiten, wo er die Ranchmannschaften zu finden glaubte, um im Schutze der Dunkelheit nach Mark Bascomb zu suchen. Doch er hatte noch nicht lange gerastet, als von Norden Hufschlag aufklang. Er horchte auf und erhob sich rasch. Ein leiser Fluch löste sich von seinen Lippen. Er beseitigte flüchtig seine Spuren, faßte Wildcat am Zügel und eilte mit ihm auf den Waldrand zu. Er bahnte sich einen Weg durch das dichte Unterholz. Halbdunkel umfing ihn, die heiße Luft staute sich zwischen den Bäumen und war erfüllt von dem wild-würzigen Geruch nach Harz, fauligem Holz, Moos und wilden Beeren. - 22 -
Tiefhängende Zweige schlugen Ronco ins Gesicht. Schweißbahnen rannen über seine Stirn. Er wandte sich um und sah im Norden einen Reiter auftauchen, der sich rasch näherte. Ronco blieb stehen. Er hatte sich mit Wildcat tief genug ins Unterholz zurückgezogen. Vom Bach aus würde ihn niemand sehen können. Er legte dem schwarzen Hengst sanft die Linke auf die Nüstern und raunte einige beruhigende Worte. Wildcat schien zu verstehen. Er senkte den Kopf und stand still wie aus Holz geschnitzt. Ronco huschte ein Stück zurück auf den Waldrand zu und beobachtete den Reiter. Fliegen umsummten ihn, salzig schmeckte er Schweiß auf seinen Lippen. Der Reiter hatte jetzt das Wasserloch erreicht, ritt daran vorbei am Bach entlang und brachte sein Pferd dicht am Waldrand zum Stehen. Schwerfällig stieg er ab. Der Mann war groß und breit wie ein Schrank, und er bewegte sich mit der drohenden Bedächtigkeit eines Bären. Er hatte einen muskulösen, breiten Nacken wie ein Büffel. Auf einem gedrungenen, kurzen Hals saß ein ungeschlachter, kantiger, kahler Schädel. Schlitzartige, schrägstehende Augen und hohe Wangenknochen verliehen dem Mann ein mongolisches Aussehen, das von einem dünnen, schwarzen Oberlippenbart, dessen Enden bis zu den eckigen Kinnwinkeln herunterreichten, noch unterstrichen wurde. Matt glitzerten in seinen unförmigen, fleischigen Ohren kleine, rein goldene Ohrringe. Der Mann trug einen langschößigen, grauen Rock aus einfachem Tuch und ein blütenweißes Hemd. Er war gut gekleidet, doch Ronco hatte genug Männer kennengelernt, die maßgeschneiderte Kleidung trugen und dennoch nur schmutzige Mörder waren. Dieser Mann war ein Killer! Darüber gab es für ihn keinen Zweifel. - 23 -
Ronco sah, daß der ungeschlachte Mann sich neben dem Bach niederließ und auf etwas zu warten schien. Unruhig überlegte sich Ronco, was er tun sollte, wenn der Mann stundenlang sitzenbleiben sollte. Irgendwann würde Wildcat vielleicht schnauben. Der Mann würde es hören und wissen, daß er nicht allein war. Er würde das Unterholz am Waldrand absuchen. Und dann? Ronco schwitzte jetzt stärker. Die Luft schien noch schwüler, noch stickiger zu werden. Er konnte kaum atmen. Und tausend Gedanken gingen ihm in diesen Minuten durch den Kopf. * Der mongolenhafte, kahlköpfige Mann hockte reglos wie ein Götzenbild am Bach. Verzerrt spiegelte sich sein breitflächiges, brutales, häßliches Mördergesicht im Wasser. Ronco kniete hinter einem Dornengestrüpp. Ein dicker, schwarzer Käfer mit glänzendem Panzer kroch über einen schmalen Zweig des Busches dicht an Roncos Gesicht vorbei. Die Zeit schleppte sich zäh dahin. Die Minuten schienen endlos, und die Hitze des Nachmittags, die aus der Wölbung des weißglühenden Himmels auf das Land herniederstürzte, war fast unerträglich. Ronco hatte bereits nach einer Viertelstunde das Gefühl, zu verglühen. Er fühlte eine Lähmung durch seine Glieder und Gelenke kriechen. Doch er durfte sich nicht rühren. Jede Bewegung konnte ein Knacken im Gebüsch, im Unterholz, auslösen, ein Geräusch, das den brutal aussehenden Mann auf ihn aufmerksam machen konnte. Ein feines Stechen erfüllte jetzt seine Gelenke, wurde immer unerträglicher, das Blut staute sich in den Adern. Schwarze Punkte tanzten plötzlich vor Roncos Augen. Er hätte mit Wildcat tiefer in den Wald eindringen müssen, als er den Hufschlag gehört hatte. Er verdammte sich, daß er bis zum - 24 -
Waldrand zurückgegangen war, um den Mann zu beobachten, der nicht viel mehr als fünfzehn Yards von ihm entfernt an dem schmalen Bach im Gras hockte wie eine asiatische Holzstatue, die nichts von der Hitze zu spüren schien. Da klang erneut Hufschlag auf. Ronco glaubte erst, sich zu täuschen. Doch der Hufschlag wurde lauter. Und als Ronco langsam den Kopf wand, bemerkte er im Osten einen weiteren Reiter, der sich dem Wäldchen näherte. Ronco wartete gespannt. Er nahm an, daß sich die beiden Männer hier verabredet hatten und sich nicht lange aufhalten würden. Er wußte nicht, wie sehr er sich irrte. Der Reiter kam schnell heran. Er sprengte über die Weide, lenkte sein Pferd am Wald entlang und schien zum Wasserloch reiten zu wollen. Er trug Lederkleidung wie ein Cowboy und hatte ein offenes, sympathisch geschnittenes Gesicht. Lederne Chaps wippten an seinen Beinen, große, lederne Handschuhe für die Lassoarbeit baumelten am Sattelhorn. Der glatzköpfige, riesige Mann erhob sich jetzt. Ein häßliches Grinsen spielte um seine strichdünnen Lippen. Er stemmte die großen Fauste in die Hüften und rief den anderen an. »Colton!« Seine Stimme klang knarrend und unangenehm. Der Reiter schien zusammenzuzucken. Er riß die Zügel seines Pferdes zurück und wandte den Kopf. Dann entdeckte er den Mann. »Savage!« Der Reiter beugte sich im Sattel vor. »Steig ab. Ich habe etwas mit dir zu besprechen.« Der riesige Mann, den der andere Savage genannt hatte, ging mit wiegenden Schritten auf den Reiter zu. Der Mann glitt aus dem Sattel. Mißtrauisch blickte er den Riesen an. Ronco konnte von seinem Versteck aus alles sehen. Und er vergaß in diesem Augenblick die Qualen des langen, reglosen Ausharrens. »Was gibt es? Warum wartest du hier auf mich?« Der Reiter blickte zum Wasserloch hinüber. »Eine Rinderherde muß an - 25 -
diesen Bach getrieben werden. Die Wasserlöcher auf den anderen Weiden sind nicht groß genug.« »Mr. Bascomb wird sich freuen, daß seine Herde sich so vergrößert hat.« Der Riese grinste immer noch. »Er schickt mich zu dir. Man hat mir gesagt, daß ich dich hier treffen würde. Deshalb habe ich am Bach gewartet.« »Um was geht es?« »Oh, nicht viel.« Die schmalen Augen des grobschlächtigen Riesen glitzerten tückisch. Er strich sich mit spitzen Fingern über seinen schmalen, schwarzen Schnurrbart. »Mr. Bascomb läßt dir ausrichten, Colton, daß du deine Sachen packen und verschwinden sollst. Er braucht dich nicht mehr.« Der andere schürzte grimmig die Lippen. »Ausgerechnet dich hat er geschickt, um mir das zu sagen? Das soll er mir selbst sagen. Ich reite zu ihm.« Er wollte sich umwenden. Der andere aber schüttelte den kahlen, häßlichen Schädel. »Nein, du wirst nicht zu Mr. Bascomb reiten, du wirst zur Ranch reiten und deine Sachen holen. Der Boß meint, daß du nicht mehr in die Mannschaft paßt.« »So, meint er das?« Der andere nickte erbittert. »Damit hat er nicht mal Unrecht. Ich passe wirklich nicht in eine Revolvermannschaft, in eine Mannschaft, in der Männer sind, deren Gesichter verdammt gut hinter solide Eisengitter passen würden. Du gehörst auch dazu, Savage, verstehst du?« »Fein, daß du so über mich denkst.« Der mongolisch wirkende Riese grinste immer noch, doch ein harter Zug kerbte sich um seine Mundwinkel. »Aber wie kommst du darauf, daß Mr. Bascomb eine Revolvermannschaft beschäftigt?« »Weil jeder Säugling besser mit Rindern umgehen kann, als die neuen Männer, die der Boß eingestellt hat. Weiß der Teufel, was das soll. Mir paßt es schon lange nicht mehr. Ich gehe, und ich verlasse diese Ranch gern. Aber das werde ich deinem Mr. Bascomb selbst sagen. Ich bin seit Jahren Vormann auf der B-im-Kreis-Ranch und habe es nicht nötig, - 26 -
mich von einem gekauften Schläger rauswerfen zu lassen. Danach werde ich zum nächsten Sheriff gehen und ihm sagen, daß er sich die Mannschaft mal ansehen soll.« »Du bist sehr offen, Colton, du bist ein ehrlicher Mann, der sagt, was er denkt. Ich bewundere Männer, die mutig sind.« Die Stimme des Riesen klang jetzt heiser und troff vor falscher Freundlichkeit. Sein hinterhältiges Grinsen wurde noch breiter. Doch in seinen Schlitzaugen flackerte plötzlich ein gefährliches Feuer. »Mutig?« Der Vormann lachte scharf auf. »Glaubst du etwa, ich hätte Angst vor dir? Ich habe noch niemals Angst vor Männern gehabt, die ihre Fäuste und ihren Revolver an andere verkauft haben. Das werde ich Mr. Bascomb auch sagen.« Er wandte sich endgültig ab und schwang sich geschmeidig in den Sattel. »Du wirst nicht reiten!« Die Stimme des muskulösen, bärenhaften Mannes klirrte vor Härte. »Mr. Bascomb will mit so etwas nicht belästigt werden. Er hat Gäste.« »Dann hören seine Gäste eben, was für Leute dein Mr. Bascomb beschäftigt.« Der Vormann nahm die Zügel hoch. »Aus dem Weg, Savage!« Er spornte sein Pferd an und ritt direkt auf den anderen zu. Die muskulöse Brust des Pferdes rammte den Riesen fast. Er konnte in letzter Sekunde mit einem wilden Fluch zur Seite springen und wurde nur gestreift. Er stolperte. Ronco hatte der scharfen Unterhaltung mit wachsender Aufmerksamkeit gelauscht. Und er hatte begriffen, daß er näher bei Mark Bascomb war, als er es selbst vermutet hatte. Da bemerkte er aus den Augenwinkeln, daß der riesige Mann hinter dem Reiter hersprang. Und Ronco glaubte kaum, was er sah. Der Mann riß mit einer raschen Handbewegung unter seinem langschößigen Jackett einen schmalen Dolch mit langer, silbern blitzender, rasiermesserscharfer Klinge hervor. - 27 -
Roncos Augen weiteten sich. Ihm stockte der Atem. Ehe er ganz begriff, was geschah, flog der Dolch schon durch die Luft und grub sich bis zum Heft in den Rücken des Vormanns. Der Reiter zuckte zusammen und saß für einen Moment hochaufgerichtet und als wäre nichts geschehen im Sattel. Ruhig trabte das Pferd weiter. Dann schwankte der Mann. Er stieß einen gurgelnden, röchelnden Laut aus. Blut strömte aus der Wunde, sickerte in den Stoff des Hemdes. Der Blutfleck wurde immer größer. Der Mann sackte kraftlos nach vorn. Das Pferd scheute. Ronco blickte mit zusammengebissenen Zähnen auf den sterbenden Mann, der jetzt aus dem Sattel stürzte. Das Pferd wieherte schrill und sprang mit einem Satz nach vorn. Der Vormann überschlug sich und landete im hohen Gras. Sein Oberkörper fiel in den Bach. Mit dem Gesicht zuerst ging er unter. Wasser spritzte auf. Das Pferd jagte über den Bach hinweg und preschte im wilden Galopp davon. Der Mann blieb liegen. Das Wasser färbte sich rötlich. Der Mann war tot. Ronco konnte einen Moment lang nicht denken. Wie mechanisch wandte er den Kopf und blickte auf den Mörder. Der mongolisch wirkende Riese kümmerte sich jedoch nicht um sein Opfer. Er benahm sich, als wäre nichts geschehen. Mit ruhigen Schritten ging er zu seinem Pferd und schwang sich in den Sattel. Er zog das Tier herum und lenkte es zurück nach Norden. Im raschen Trab ritt er über die Weide, vorbei am Wasserloch. Er verschwand am Horizont. Erst jetzt fiel die Beklemmung von Ronco. Ungläubig schüttelte er den Kopf und schloß die Augen. Das kann doch nicht wahr sein, dachte er. Er richtete sich langsam auf. Stechender Schmerz durchzuckte seine steifgefrorenen Glieder. Mit hölzern wirkenden Schritten verließ er das Unterholz und lief dann - 28 -
hastig über die Wiese zum Bach. Neben dem Toten blieb er stehen. Das Wasser umplätscherte ihn. Sein Hut war abgetrieben. Er hatte beide Hände im letzten Todeskampf in den Schlamm des Bachbettes gekrallt. Ronco packte den Vormann an den Beinen und zerrte ihn keuchend aus dem Wasser. Er wälzte ihn auf die Seite und blickte für einen Moment in das verzerrte, im Tod starre und wächsern bleiche Gesicht und in die gläsern wirkenden Augen. Er fröstelte plötzlich und wandte sich rasch um. Er eilte zurück zum Wald und holte Wildcat aus dem Versteck. Bascomb, dachte er. Dieser Mörder kam von Bascomb. Er wird auch wieder zu ihm reiten. Die Spur des Reiters lag vor ihm. Nur nach und nach richteten sich die kräftigen Halme des Gramagrases, die die Hufe des Pferdes niedergedrückt hatten, wieder auf. Die Spur mußte zu Mark Bascomb führen, zu dem Hintermann der Waffenschmuggler in New Mexico. Ronco schwang sich in den Sattel und trieb Wildcat an. Er ritt auf der Fährte des riesigen, brutalen Mörders nach Norden, um den Mann zu finden, dessen schmutzige, blutige Geschäfte er mit Hilfe seiner Freunde in New Mexico zerschlagen hatte. * Als Ronco knapp zehn Minuten geritten war, sah er vor sich eine Rauchsäule steil in den Himmel steigen. Es herrschte völlige Windstille, und der Rauch hob sich deutlich vom farblosen Himmel ab. Ronco lenkte Wildcat nach Nordwesten zu einer dichten Baumgruppe. Dort hielt er an, holte wieder das Fernglas aus der Satteltasche und ging zum Rand der Baumgruppe. Er nahm das Glas an die Augen. Nicht weit entfernt entdeckte er in einem Tal eine Weidehütte, die aus einfachen, ungeschälten Baumstämmen - 29 -
gebaut worden war. Ringsherum waren Zelte errichtet worden. Dazwischen flackerten zwei Feuer. Über einem drehte sich ein Bratspieß mit einem jungen Rind. Würziger Bratengeruch drang bis zu Ronco herauf. Er bemerkte vier Männer am Rande dieser seltsamen ShindigParty (Party mit gebratenem Rindfleisch auf einer Ranch oder Farm). Sie hatten sich von der Gesellschaft abgesondert, trugen einfache, aber elegante Kleidung, wirkten alle sehr schmal und sehr sehnig und hatten ihre Revolver tiefgeschnallt. Es war nicht schwer, zu erkennen, daß es sich um Revolvermänner handelte. Ronco sah jetzt, wie der riesige, glatzköpfige Mörder in das Camp ritt, vom Pferd glitt und lächelnd zu den Leuten ging, die dieses Fest anscheinend veranstalteten. Es handelte sich um vier elegant gekleidete Männer, die wie Geschäftsleute aussahen, und eine schlanke, junge Frau. Ronco setzte das Fernglas ab und befeuchtete mit der Zungenspitze seine trockenen Lippen. Einer von den Männern dort unten war Mark Bascomb, einer – aber welcher? Ronco nahm das Fernglas wieder hoch. * Mark Bascomb zog die schwergoldene Taschenuhr aus der Westentasche und warf einen Blick auf das Zifferblatt. Er war ein großer, breitschultriger, massig wirkender Mann mit starkem Bauchansatz. Sein leicht angegrautes Haar hatte sich bereits gelichtet. Sein Gesicht war breitflächig und hatte einen freundlichen, gutmütigen Ausdruck, der jeden über sein wahres Wesen täuschte. Er lächelte jetzt breit, schob die Uhr in die Tasche zurück und hakte die Daumen hinter die Aufschläge seines teuren PrinceAlbert-Rocks. In seinem linken Mundwinkel hing eine - 30 -
schwarze Zigarre. »Noch etwas Wein, Mrs. Cooper?« Er blickte die junge Frau, die mit ihrem unglaublich hageren, etwas dümmlich wirkenden Ehemann stand, fragend an. Die Frau wandte den Kopf. Ihre Augen glitzerten faszinierend grün. Sie erwiderte Bascombs Blick. »Warum nicht?« Ihre Stimme klang rauchig und dunkel. Ihr Gesicht war schmal geschnitten. Langes, kastanienrotes Haar umrahmte ihr Antlitz. Mit katzenhaften Bewegungen folgte sie dem massigen Mann zu einem Weinfaß, das neben der Hütte aufgebockt war. Bascomb hielt eins der dickwandigen Weingläser unter den Zapfhahn und öffnete den Verschluß. Eine dunkelrote Flüssigkeit, die den Glanz der Sonne einfing, floß in das Glas. Bascomb reichte es der Frau. »Kalifornischer Wein, so süß und berauschend wie eine Nacht mit dir, mein Engel!« Seine Blicke glitten begehrlich über ihre Figur, die das enganliegende grüne Kleid hervorragend zur Geltung brachte. »Still!« Sie wandte rasch den Kopf. Doch ihr Mann plauderte unbefangen mit den beiden anderen Geschäftsleuten und schien nicht zu ahnen, was für ein Verhältnis zwischen seiner Frau und Bascomb bestand. »Wenn er uns hört.« Die Frau blickte Bascomb wieder an und lächelte verheißungsvoll. »Heute abend unternimmt er einen Ausritt.« »Ich werde kommen.« Bascomb atmete schwer. Schweiß perlte plötzlich auf seiner Stirn. »Du wirst mich noch um den Verstand bringen, Kate. Mein Gott, dein Mann ist ein Trottel. Aber das ist gut so.« Bascomb hatte sein Glas auch gefüllt und hob es leicht an. »Cheerio, mein Engel.« »Heute abend«, flüsterte sie wieder. Sie wandte sich ab und ging zu ihrem Mann zurück, der sie dümmlich-verliebt angrinste und sie mit seinen Blicken fast verschlang. - 31 -
Bascomb folgte ihr langsam. Der riesige, kahlköpfige, stiernackige Mann näherte sich jetzt von der Seite. »Colton ist tot«, raunte er. »Es ging nicht anders.« Dann schob er sich eine schmale Zigarre zwischen die Lippen und lächelte verbindlich, als habe er mit dem anderen nur über das Wetter gesprochen. Schweigend gesellte er sich zu den Geschäftsleuten und berichtete dann mit wohlgesetzten Worten, wie gut ihm der kurze Ausritt getan habe. Bascomb beobachtete die Gruppe einen Moment, dann trat er zu den Männern. Er ließ sich in keiner Weise anmerken, was er soeben von seinem Leibwächter erfahren hatte. »Nun, Mr. Culotte, gefällt es Ihnen auf der Ranch?« Er musterte den schlanken, gepflegt wirkenden Tuchwarenhändler aus Tucson mit schmalen Augen. Der nach der neuesten Mode gekleidete Mann mit dem glatten, ausdruckslosen Gesicht und dem energisch vorstehenden Kinn wandte den Kopf. »Ausgezeichnet, Bascomb, ganz ausgezeichnet. Ich beneide Sie um diesen herrlichen Besitz. Eine solche Ranch, auf die man sich nach dem geschäftlichen Ärger zurückziehen kann, werde ich mir auch kaufen. Es gibt nichts Besseres.« »Ganz ohne geschäftliche Hintergedanken haben Sie sich die Ranch ja sicher auch nicht angeschafft, nicht wahr?« mischte sich der dritte ein. Es war ein untersetzter, korpulenter Mann mit schlohweißem Haar und einem sauber gestutzten Kinnbart. Ihm war sein Reichtum anzusehen, und reich war er, der Bankdirektor Stanton Ballister aus Phönix, weiß Gott. Er und Culotte waren in Wahrheit diejenigen, die die schmutzigen Geschäfte Mark Bascombs finanzierten und daran mitverdienten. »Wenn man die prächtigen Rinderherden so sieht«, fuhr der Bankier fort. »Wenn Sie jedes Jahr einen Viehauftrieb durchführen und eine Herde in die Eisenbahnstädte treiben oder an die Armee verkaufen, bringt das eine Stange Geld ein, nicht wahr? Der Preis für ein gutes Longhornrind liegt im Moment bei fünfunddreißig Dollar, - 32 -
oder?« »Sie wissen besser Bescheid als ich, Mr. Ballister. Ich kümmere mich nicht darum, wenn ich ehrlich sein soll.« Bascomb trank einen Schluck Rotwein. »Die Ranch ist mein Ruhesitz. Es ist mir gleichgültig, was mit dem Vieh hier geschieht.« »Das sollte aber nicht so sein. Erschließen Sie sich diese Geldquelle, Bascomb. Es lohnt sich. Denken Sie daran, daß Sie Kredite an Mr. Culotte und mich zurückzahlen müssen.« »Meine Geschäfte haben bisher immer mehr als genug eingebracht. Haben Sie je um Ihr Geld bangen müssen, Mr. Ballister?« Bascomb lachte leise. Er ahnte nichts davon, daß sein umfangreicher Schmuggelring in New Mexico aufgeflogen und sein Waffen- und Munitionslager gesprengt worden waren. Er ahnte nicht, daß er bereits bettelarm war und niemals mehr in der Lage sein würde, auch nur einen Cent an Seldon Culotte und an Stanton Ballister zurückzuzahlen. Ebensowenig jedoch wußte Seldon Culotte, daß während seiner Abwesenheit in Tucson sein riesiges Lagerhaus in Flammen aufgegangen war, er wußte nicht, daß auch er ruiniert war und nicht mehr besaß als das, was er auf dem Leibe trug. »Ich habe keine Angst um mein Geld.« Ballister lächelte verbindlich. »Aber als alter Geschäftsmann kann ich es nicht verstehen, wenn Sie Ihre herrlichen Longhornherden nicht finanziell nutzen.« Culotte stimmte zu, und Sam Cooper, der hagere, dümmliche Ehemann der rothaarigen Frau, lauschte mit offenem Mund und nickte stets eifrig, obwohl er kein Wort von den Gesprächen der Männer verstand und auch keine Ahnung hatte, daß er nur deshalb eingeladen worden war, weil seine Frau die Geliebte Mark Bascombs war. Bascomb breitete theatralisch die Arme aus. »Aber ich bitte Sie, Gentlemen, warum reden wir vom Geschäft? Wenn wir in - 33 -
den Städten in unseren Büros sitzen, haben wir genug mit Geschäften zu tun. Hier draußen sollten wir das alles vergessen. Das Rind am Spieß müßte jetzt fertig sein. Es ist kaum drei Jahre alt, das Fleisch muß so zart sein wie Butter. Wir sollten es probieren. Kommen Sie.« Er wandte sich um und ging zum Feuer hinüber. Er winkte die abseits stehenden, einfach gekleideten Männer heran und befahl ihnen, den Bratspieß vom Feuer zu nehmen. Die Männer waren seine und Culottes Leibwächter, ihre einzige Fähigkeit bestand darin, schnell und sicher zu schießen. Das genügte, um bei den zwielichtigen Geschäftemachern hohe Gehälter zu beziehen. Schweigend folgten sie Bascombs Anweisung. Da ertönte Hufschlag von Norden. Die Menschen wandten die Köpfe. Sie sahen einen Mann aus dem Hügelland auftauchen, der jetzt hinunter ins Tal reitete. Er führte ein Pferd am Zügel, über dessen Rücken ein Mann lag. Bascomb warf dem riesigen, mongolisch wirkenden Mann einen raschen Blick zu. Doch dieser zeigte ein ausdrucksloses Gesicht und schnitt sich kaltblütig ein Stück Fleisch von dem gebratenen Rind ab. Der Reiter erreichte jetzt die Weidehütte. Es war ein Cowboy aus der Ranchmannschaft. Steifbeinig stieg er aus dem Sattel und stelzte auf Mark Bascomb zu. In seinem lederhäutigen Gesicht rührte sich kein Muskel. »Howdie, Boß.« Er sah die Frau und nahm den speckigen Stetson ab. »Tag, Madam.« Mit dem Daumen der Rechten zeigte er auf das Pferd hinter sich. »Das ist Jim Colton, der Vormann. Ich habe ihn vor einer Viertelstunde am Forrest Creek gefunden, mit einem Messer im Rücken. Er ist von hinten ermordet worden.« Betroffen blickten die Menschen den Weidereiter an, auch Bascomb, obwohl er den Mord veranlaßt hatte. »Ermordet? Wie konnte das passieren?« - 34 -
»Jim wollte auf die Südweide zum Wasserloch reiten, um nachzusehen, ob es genügend Wasser für ein paar hundert Rinder enthält. Als er nicht zurückkehrte, bin ich ihm nachgeritten. Da lag er tot neben dem Creek.« Bascomb zerquetschte einen Fluch zwischen den Lippen. »Wer kann so etwas tun? Auf meiner Ranch. Ein Mord?« »Richtig, Boß.« Der Cowboy spuckte aus und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Wenn Sie mich fragen: Es laufen zu viele wandelnde Kanonen auf Ihrer Ranch herum!« Der Mann blickte dabei zu den Revolvermännern hinüber. Ein verächtlicher Ausdruck stand jetzt in seinem Gesicht. »Es ist kein Wunder, daß es so gekommen ist. Mir wird das jedenfalls nicht passieren. Ich packe noch heute meine Sachen.« Der Mann wandte sich um und bestieg sein Pferd. Ohne ein weiteres Wort ritt er davon. Schweigend standen Culotte, Ballister, die Coopers und Bascomb da. Nach und nach nur löste sich die Erstarrung. Bascomb rief seine Leibwächter herbei und befahl ihnen, den toten Vormann hinter der Weidehütte zu verscharren. »Entschuldigen Sie diesen unfreundlichen Zwischenfall«, murmelte er in gespielter Betroffenheit. »Es ist mir alles unerklärlich. Sie sehen mich zutiefst bestürzt.« Er blickte die anderen bedauernd an. Sie nickten nur. Doch keiner hatte mehr Appetit. Düstere Beklommenheit hatte sie plötzlich befallen. Nur Savage, der kahlköpfige Killer, verspeiste in aller Seelenruhe ein großes Stück Fleisch. Die Gegenwart des Todes in Gestalt seines eigenen Opfers schien ihn nicht im geringsten zu berühren. Lauernd beobachtete Mark Bascomb seine Gäste, die sich jetzt nur noch einsilbig unterhielten. Immer wieder verständigte er sich durch Blicke mit dem unheimlichen, riesigen Mörder. Und niemand ahnte etwas von Bascombs gräßlichen Plan, den er seit Tagen hegte. Nur Savage, der Mörder, wußte Bescheid: Bascomb hatte es satt, seine großen Gewinne aus dem - 35 -
Schmuggelgeschäft zu teilen. Er fühlte sich stark genug, seine Geschäfte allein zu finanzieren. Und weil er wußte, daß die anderen niemals zustimmen würden, die geschäftlichen Verbindungen zu lösen, war er bereit, sie zu töten – alle. Mark Bascomb wollte seine Partner ermorden. Und er wußte nicht, daß er selbst bereits verloren war. In der Gesellschaft aber ahnte niemand, daß sie beobachtet wurden. * Ronco setzte das Fernglas ab und rieb sich die schmerzenden Augen. Er wußte noch immer nicht, welcher der Männer dort unten Bascomb war. Doch er war sicher, es noch herauszubekommen. Er durfte die Männer nicht mehr aus den Augen lassen. Da vibrierte plötzlich leicht der Boden. Seitlich von Ronco ertönte das dumpfe Brüllen von Rindern. Er warf den Kopf herum und sah westlich von sich eine kleine Herde von fast hundert Longhorns auftauchen. Drei Cowboys trieben die Tiere nach Osten, direkt auf sein Versteck zu. Er überlegte nicht lange. Fluchend erhob er sich, hastete zu der Baumgruppe und zog Wildcat heraus. Mit einem raschen Satz saß er im Sattel und lenkte den schwarzen Hengst nach Süden. Ihm war ein Fehler unterlaufen, er hatte nicht auf seine Umgebung geachtet. Jetzt blieb ihm nur wenig Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Er trieb Wildcat an, preschte durch das hügelige Land und glaubte sich schon gerettet, als vor ihm unvermittelt donnernder Hufschlag aufklang. Sekunden später sprengte von Süden ein einzelner Reiter über die Hügel – direkt auf ihn zu. Das, was er in den Tagen seines Hierseins ständig befürchtet - 36 -
hatte, war geschehen: Er war entdeckt worden. Aus! dröhnte es in ihm. Alles Aus! Hölle, ich verdammter Idiot! Er wußte, daß er keine Chance hatte. Dennoch riß er Wildcat noch einmal herum. Der Reiter vor ihm war keine fünfzig Yards mehr entfernt und hatte ihn bereits gesehen. »He! Bleib stehen! Wer bist du?« Die Stimme des Cowboys erreichte ihn und übertönte den dröhnenden Hufschlag. Er beugte sich im Sattel vor – und er floh. »Ein Fremder!« brüllte der Cowboy hinter ihm. Er winkte den Männern an der Herde zu. »He, Compadres, hier ist ein Fremder!« Seitlich von Ronco tauchten jetzt überraschend ebenfalls Reiter auf, die anscheinend von der Hauptherde kamen. Sie sahen ihn, spornten ihre Pferde an und jagten auf ihn zu. Schüsse krachten, Kugeln strichen sengend an Ronco vorbei. Er beugte sich noch weiter vor, zog Wildcat abermals herum und versuchte, im hügeligen Land unterzutauchen. Doch die Cowboys waren bereits ausgeschwärmt. Sie waren neben ihm, sie waren hinter ihm, sie waren vor ihm – sie waren überall. Und es gab kein Durchkommen für ihn. Er war verloren. Er saß in der Falle. Sein Plan war gescheitert. Wieder einmal war das Schicksal gegen ihn. Eine Lassoschlinge wirbelte durch die Luft, öffnete sich, senkte sich über ihn. Die Schlinge zog sich jäh um seinen Oberkörper zusammen, das Seil straffte sich. Mit gewaltiger Wucht wurde er aus dem Sattel gerissen. Er schrie unwillkürlich, flog im hohen Bogen durch die Luft, überschlug sich und prallte dann hart auf den Boden. Betäubt wälzte er sich herum und versuchte, die Schlinge abzustreifen, aufzuspringen. Der Schmerz, der ihn glühend durchschoß, trieb Wasser in seine Augen. Da waren die Cowboys schon heran und sprangen aus den - 37 -
Sätteln. Ein Fausthieb traf Ronco am Kopf. Er stürzte auf den Rücken. Harte Fäuste rissen ihn wieder hoch. Seine Arme wurden auf den Rücken gezerrt und gefesselt. Man schrie ihn an. Er verstand nichts, wußte nichts, war erfüllt von Betäubungsschleiern. Dann wurde er mitgezerrt. Wildcat hatte von selbst angehalten, als er gespürt hatte, daß sein Herr nicht mehr im Sattel saß. Jetzt wurde Ronco auf den Pferderücken gehoben. Ein Mann nahm Wildcats Zügel und führte ihn mit. Ronco schwankte. Doch er stürzte nicht aus dem Sattel. * Sie erreichten die Weidehütte. Hier hielten die Cowboys an. Ronco hob schwerfällig den Kopf. Unverhofft traf ihn ein Stoß von der Seite. Er wurde aus dem Sattel geworfen und konnte den Fall mit seinen gefesselten Händen nicht abfangen. Knallhart stürzte er mit der linken Schulter auf den Boden. Er zog den Kopf ein und versuchte, abzurollen, um dem Fall die Wucht zu nehmen. Dennoch hätte er fast geschrien vor Schmerz. Als er die Augen öffnete, stand ein großer, massiger Mann vor ihm, breitbeinig, die Fäuste in die Hüften gestemmt, und starrte ihn kalt an. Seine Stimme klang scharf und eisig. »Wer bist du? Wo kommst du her, und warum treibst du dich auf meiner Ranch herum, he?« Ronco schwieg. Er versuchte, die Schmerzen in seinem Körper zu überwinden. Dennoch begriff er, daß der Mann Mark Bascomb war, der Mann, den er gesucht hatte. Jetzt stand er vor ihm. Doch alles war ganz anders, als Ronco es sich vorgestellt hatte. »Willst du nicht antworten?« schrie Bascomb. Er nickte einem seiner Leibwächter zu. Der Mann trat heran und gab Ronco ohne zu zögern einen brutalen Tritt in die Seite. Ronco - 38 -
stöhnte und hatte das Gefühl, durchzubrechen. Von hinten klang jetzt eine Stimme auf: »Hast du den Toten vergessen, Mark? Den Vormann, der ermordet wurde? Könnte dieser Mann nicht …« Seldon Culotte, der Tuchwarenhändler, schob sich vor. »Yeah!« Einer der Cowboys nickte. »Colton ist am Creek erstochen worden. Und es gibt eine Spur von dort hierher. Ich habe sie selbst gesehen.« Mark Bascomb zögerte kurz. Dann nickte er erleichtert über diese neue Wendung des Falles. Und der stiernackige Mörder wandte sich mit höhnischem Grinsen ab, damit niemand den Triumph in seinem Gesicht sehen konnte. »Richtig«, sagte Bascomb. »Der Gedanke ist gar nicht so abwegig. Wer sollte Colton sonst umgebracht haben? Er war ein beliebter Mann, hatte keine Feinde. Fast zehn Jahre hat er auf der Ranch gearbeitet. Es gab gar keinen Grund, ihn umzubringen. Aber er ist ermordet worden. Das kann nur jemand getan haben, der Colton nicht kannte. Denn jeder, der ihn kannte, war Coltons Freund.« Bascomb setzte eine empörte Miene auf. Scheinheilig blickte er die anderen an. »Und so ein beliebter Mann wird plötzlich erstochen. Fast gleichzeitig taucht ein Fremder auf, der in der Gegend herumlungert und zu fliehen versucht, als er entdeckt wird. Was für einen Grund hat er, sich zu verstecken? Warum versucht er zu fliehen? Wahrscheinlich, weil er etwas zu verbergen hat. Und was hat er zu verbergen?« Bascombs Stimme hob sich jetzt. Er warf Ronco einen verächtlichen Blick zu. »Einen Mord hat er zu verbergen! Einen feigen, gemeinen Mord. Den Mord an meinem Vormann Jim Colton.« Bascomb wandte sich um und blickte den Cowboy an, der Ronco entdeckt hatte. »Es gibt also eine Spur von der Südweide, wo Colton ermordet wurde, bis hierher?« »So ist es, Boß.« Der Cowboy hakte die schwieligen Daumen - 39 -
hinter den breiten Waffengurt. »Das Gras hat sich zwar fast schon wieder aufgerichtet, aber die Spur ist doch noch zu erkennen. Sie ist mir gleich aufgefallen.« »Das ist der Beweis.« Bascomb wandte sich wieder Ronco zu. »Hast du es gehört? Du bist überführt, du verdammter, dreckiger Mörder. Willst du es nicht zugeben? Warum hast du meinen Vormann ermordet?« Ronco hob mühsam den Kopf. Der Schmerz in seinem Körper ließ nur langsam nach. Verständnislos blickte er Bascomb an und sah das teuflische Glitzern in den Augen des Mannes, das höhnische Grinsen, das um seine Lippen spielte. Und dann begriff er die Frage des anderen in allen Konsequenzen. Der mongolisch wirkende, kahlköpfige Mörder tauchte plötzlich neben Bascomb auf. Er grinste breit und gemein und bückte sich langsam. »Willst du nicht reden, Bruder? Willst du nicht zugeben, daß du Colton ermordet hast?« fragte er heiser. Ronco schüttelte schwerfällig den Kopf. Er konnte kaum noch denken. Verzweiflung und Wut erfüllten ihn, er wollte schreien, wollte sich aufbäumen, wollte sich wehren. Doch er konnte nicht. Er war gefesselt, und er war wie gelähmt. Er hörte das rauhe Lachen der umstehenden Cowboys, und er konnte nicht begreifen, warum alle Bascomb, dem Schurken, glaubten. Doch er war ein Fremder, und er war rechtlos. Und dicht vor sich sah er jetzt das häßliche Mördergesicht von Savage. »Er will nicht reden«, murmelte Savage böse. »Dieses Schwein!« Dann holte er aus und schlug knallhart zu. Ronco sah die Faust heranfliegen und fühlte dann schon den Schmerz des Schlages. Ihm schwanden die Sinne. Er verlor das Bewußtsein.
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* Das Brandeisen glühte im Feuer. Kate Cooper war in die Hütte gegangen, um nicht zusehen zu müssen, was Bascomb mit Ronco tat. Savage erschien mit einem gefüllten Wassereimer und leerte ihn rücksichtslos über Roncos Schädel. Das kalte Wasser traf ihn ins Gesicht. Er erwachte jäh aus der Bewußtlosigkeit und warf prustend den Kopf herum. Er rang nach Atem und hustete. Verschwommen sah er den brutalen Riesen über sich stehen, häßlich grinsend und einen Eimer in den Händen. »Er ist wieder wach, Mr. Bascomb«, murmelte der Mann schleppend. »Das Schwein ist wach.« Schritte waren im Gras zu hören. Dann tauchte Bascomb wieder in Roncos Blickfeld auf. »Willst du immer noch nicht gestehen?« Die Stimme des massigen Mannes war erfüllt von falscher Freundlichkeit. »Geben Sie es ihm nur, Bascomb, geben Sie es ihm«, zischte Culotte von hinten. »Ich habe nichts zu gestehen«, preßte Ronco mit schwerer Zunge hervor. Rosarote Schleier wallten vor seinen Augen auf. »Savage!« Bascomb sprach nur das eine Wort. Und es klang wie ein Befehl und sagte mehr, als tausend Sätze. Der riesige Mann ging zum Feuer und nahm das Brandeisen aus der Glut. Er hob es hoch, es war weißglühend. Und Savage lachte pervers. Ronco wollte herausschreien, was er wußte, wollte schreien, daß der kahlköpfige, stiernackige Mann der Mörder sei, daß er ihn selbst bei dem Mord beobachtet hätte. Doch er schwieg. Er spürte instinktiv, daß seine Lage sich dadurch nur verschlechtern konnte, daß die Männer, die bei Bascomb waren, ebenfalls Halunken waren und sich nicht für das, was er sagen würde, interessieren würden. Niemand würde ihm helfen. Alle steckten unter einer Decke. Jedes Wort von ihm - 41 -
war sinnlos. Und er war es schon zu sehr gewöhnt, falschen Beschuldigungen ausgesetzt zu sein, als daß er sich vor einem Mann verteidigt hätte, der nur ein dreckiger, brutaler, skrupelloser Verbrecher war. Schatten fielen auf Ronco. Culotte, Ballister und der hagere Cooper traten näher und blickten interessiert und voller Abscheu auf ihn. Dann trat Savage heran. Und Mark Bascomb stieß ein schrilles Lachen aus. Der Riese hielt den weißglühenden Brandstempel in der Rechten. Er blieb neben Roncos Kopf stehen und senkte langsam den Stempel auf Ronco hinunter. Die lähmenden Betäubungsschleier, die ihn noch erfüllten, wichen jäh. Panische Verzweiflung schoß in ihm hoch. Er hatte gesehen, wie der stiernackige Mann mordete, und er war sicher, daß Savage noch mehr konnte, als nur töten. Er war sicher, daß Savage in der Lage sein würde, ihm das Brandeisen der Bascomb-Ranch bei lebendigem Leibe und vollem Bewußtsein in die Haut zu drücken. Und er war sicher, daß der Mann dabei noch lachen würde. Die Hölle war nahe. Roncos Muskeln und Sehnen verkrampften sich. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er konnte nicht mehr atmen. Er dachte nur noch an eins: Wenn das Eisen meine Haut trifft, wenn es brennt, wenn das Fleisch aufquillt und der Schmerz mich halb umbringt – dann werde ich nicht schreien, niemals. Ich werde diesen dreckigen Killern nicht die Freude machen, Schwäche zu zeigen. Und wenn sie mich noch so sehr quälen. Dann spürte er die Hitze, die von dem glühenden Eisen ausging. Und er mußte geblendet die Augen schließen vor dem grellen Glutstrahl, der ihn traf. Die Hitze war unerträglich. Als er wieder die Augen öffnete, sah er das Brandeisen dicht vor sich. Er warf verzweifelt den Kopf zur Seite, versuchte, sich klein zu machen, sich von dem Mörder wegzuwinden. Savage lachte wieder. - 42 -
Ronco spürte, wie das Brandeisen dicht über seinem Kopf schwebte. Einige Strähnen seines vollen, sandfarbenen Haares verbrannten. Seine Kopfhaut spannte sich, schien zu zerreißen. Ronco glaubte, wahnsinnig zu werden. Dann war die Hitze plötzlich weg. Statt dessen zerriß eine kräftige Faust sein Hemd. Stoff knirschte. Sekunden später lag Roncos muskulöser Oberkörper frei. »Direkt auf die Brust werde ich es dir setzen, das B-imKreis«, sagte Savage schleppend. »Es wird ein schönes Zeichen sein. Jede Frau, die du noch haben wirst, wird dich dafür bewundern.« Er kicherte. »Aber vielleicht wirst du gar keine Frau mehr haben. Du bist ja ein Mörder. Der Mörder des guten alten Jim Colton. Schade, er war ein Freund von mir.« Savage kicherte wieder. »Und Mörder müssen sterben.« »Es sei denn, du gestehst endlich, Mann«, mischte sich Bascomb wieder ein. »Sag uns, warum du Colton umgebracht hast, warum du hier bist. Dann gibt es vielleicht noch eine Chance für dich.« »Vielleicht wollte er Vieh stehlen, Bascomb, und Colton hat ihn dabei erwischt«, sagte der Bankdirektor. Er strich sich über seinen kurzgestutzten weißen Kinnbart. »Auf der Südweide gibt es kein Vieh«, erwiderte Bascomb. »Der Kerl sieht auch nicht aus wie ein Viehdieb. Nein, der hat etwas ganz anderes im Sinn.« Da berührte eine Ecke des Brandstempels leicht Roncos Oberkörper. Und der Schmerz, der ihn augenblicklich durchzuckte, war unvorstellbar. Er bäumte sich auf. Und obwohl er nicht hatte schreien wollen, drang ein kurzer Laut über seine Lippen. Savage nahm das Eisen weg. Eine daumendicke Brandblase bildete sich sofort auf Roncos Brust. Die Haut platzte auf. Ein dünner Blutfaden rann über den Oberkörper Roncos. An den Wundrändern quoll das wunde Fleisch auf. Der furchtbare Schmerz brachte ihn fast um den Verstand. - 43 -
Doch noch immer schwieg er. Und sein Gesicht war entstellt und gezeichnet von den unmenschlichen Qualen, die er erdulden mußte. »Er will nicht reden. Macht ein Pferd fertig!« Bascomb gab Savage einen Wink. Der Riese und einer der Revolvermänner holten ein Weidepferd aus dem Stallanbau der Hütte. Sie legten dem Tier einen Sattel auf und schnürten ein Lasso am Sattelhorn fest. Dann stieg der schlanke Gunman auf. Savage kehrte zu Ronco zurück. Er bückte sich wortlos, packte ihn und riß ihn brutal hoch. Er schleppte Ronco zu dem Pferd und streifte ihm die Lassoschlinge über. An den Hüften zog er sie zusammen. Ronco stand jetzt und taumelte vor Schwäche. Er begriff in diesem Moment kaum, was geschah, und er wußte nicht, was Savage plante. Er brauchte nicht lange zu warten, um es zu erfahren. Schon dröhnte die knarrende Stimme des Mannes in seinen Ohren. »Vorwärts!« schrie der stiernackige Killer. »Führ ihn spazieren, French, hahaha! Etwas Bewegung wird ihm guttun!« Der Revolvermann lachte roh und gab dem Pferd die Sporen. Es wieherte schrill und galoppierte aus dem Stand los. Das Seil straffte sich mit einem gewaltigen Ruck. Die Lassoschlinge zog sich mit mörderischer Wucht um Roncos Leib zusammen. Er schrie auf und warf sich zurück. Er wurde von den Beinen gerissen, flog ein Stück durch die Luft, prallte auf den Boden, wurde mitgeschleift und wußte dann kaum noch, was geschah. Der Himmel stürzte ein, die Welt drehte sich rasend. Die Erde öffnete sich, verschlang Hügel und Weiden. Dann konnte Ronco nichts mehr sehen. Er ging unter in einer dichten, zähen Staubwolke, die die Hufe des Pferdes aufwirbelte. Im donnernden Galopp sprengte der Revolvermann über die Weide, schlug einen Bogen und ritt zur Hütte zurück. Ronco schleifte über den unebenen Boden, durch das hohe Gras. Er wurde mehr als einmal hochgewirbelt wie ein Stück - 44 -
Holz, stürzte hart auf den Boden zurück, rammte mit dem Kopf, mit Schultern und Oberkörper gegen Steine, schmeckte nur noch Staub im Mund, sah rote Schleier vor seinen Augen, verlor jedes Gefühl, starb tausend Tode, jagte durch tausend Höllen. Und er war bewußtlos, als der Reiter vor der Hütte hielt und Savage ihn vom Lasso befreite. Ronco blutete aus zahllosen Schürfwunden. Seine Kleidung war an Armen und Beinen aufgerissen. Schwere Prellungen zeichneten ihn. Blut rann aus seiner Nase. Reglos und wie tot lag er im Gras. Sein Atem ging röchelnd und schwer. Mark Bascomb trat heran und beugte sich über ihn, während das Pferd wieder abgesattelt wurde. »Weck ihn wieder auf«, knurrte er dem mongolisch aussehenden Killer zu. »Hol einen Eimer Wasser.« Er bückte sich noch tiefer und starrte in Roncos Gesicht. Und plötzlich zuckte er zusammen. Ein seltsamer Ausdruck lag in seinem Gesicht. Ohne ein Wort wandte er sich um und ging zur Hütte hinüber. Verwundert blickten die anderen ihm nach, während Savage mit klatschendem Wasser Ronco brutal aus der Bewußtlosigkeit riß. Als Ronco die Augen öffnete und das Gefühl hatte, vom Hals an abwärts gelähmt zu sein, als er nicht fähig war, zu sprechen, um den Mörder um etwas Wasser zum Trinken zu bitten, kehrte Mark Bascomb aus der Hütte zurück. Kate Cooper folgte ihm zögernd und blieb in einiger Entfernung stehen. Ronco sah den verhaßten Waffenschmuggler erst nicht. Vor seinen Augen verschwamm alles. Nur langsam begriff er, was geschehen war. Das Hämmern und Dröhnen in seinem Kopf wich nach und nach, und sein Blick wurde wieder klarer. Doch immer noch hatte er das Gefühl, sein zerschundener Körper sei zerbrochen, irgendein lebenswichtiger Nerv sei verletzt, er sei ein Krüppel. Oh, er hatte das oft bei Männern erlebt, die von Pferden geschleift worden waren. Und der furchtbare Gedanke, ein - 45 -
solches Unglück könne ihm zugestoßen sein, quälte ihn. Dann stand Mark Bascomb wieder vor ihm. Er hielt eine Zeitung in den fleischigen Händen und blätterte darin. Schließlich begann er, mit lauter Stimme vorzulesen: »Wie lange wird sich die Armee noch zum Narren halten lassen? Ronco, der Verräter beim Halcon-Canyon-Massaker, befreit einen General!« Bascomb hob den Kopf und blickte seine Gäste triumphierend an. »Der Bursche kam mir gleich bekannt vor. Als ich ihn jetzt aus der Nähe sah, ist es mir wieder eingefallen. Das hier ist der ‚San Luis Herald‘, und jetzt seht euch das Bild auf der Titelseite an!« Er drehte die Zeitung um und fuhr fort: »Das ist er: Ronco. Wir brauchen jetzt kein Geständnis mehr. In diesem Artikel steht alles drin. Dieser Mann ist ein gemeiner Mörder. Er hat zweihundert Frauen und Kinder auf dem Gewissen. Vor Jahren war er Armee-Scout in Texas und hatte die Aufgabe, Siedlerfamilien aus einem Gebiet, in dem ein Indianerkrieg tobte, zu evakuieren. Er hat den Treck in eine Falle geführt. Ein Mann, der Hunderte von Frauen und Kindern kaltblütig vernichtet, ermordet auch einen einzelnen Mann heimtückisch von hinten. Dieser Mann wird als Mörder gejagt. Es gibt einen Steckbrief, auf dem sein Name steht. Für seine Ergreifung gibt es fünftausend Dollar Belohnung.« Bascomb reichte Culotte die Zeitung, der ungläubig auf das Bild neben dem Artikel und der Schlagzeile schaute und dann nickte. »Das ist er, kein Zweifel.« Ballister nahm ihm die Zeitung aus den Händen, und der hagere Cooper drängte sich neugierig heran. »Ich habe mich an das Bild in der Zeitung erinnert.« Bascomb rieb sich triumphierend die Hände. »Und das ist nicht alles.« Seine Miene verfinsterte sich jetzt. Seine Lippen wurden schmal. »Nun weiß ich auch, warum der Kerl hier herumkriecht und uns nachschnüffelt. Oder habt ihr vergessen, - 46 -
wer uns damals in New Mexico das Geschäft mit den Indsmen zerschlagen hat?« Stanton Ballister hob den Kopf und gab Sam Cooper die Zeitung, der sich Sogleich in den Artikel über Ronco vertiefte. »Die Sache mit McGuire, natürlich.« Der weißhaarige Mann hakte die Daumen hinter die Jackettaufschläge. »Erinnern Sie sich nicht, Mr. Culotte?« »Und ob ich mich erinnere. Wir haben damals fast zwanzigtausend Dollar in Gold verloren.« Der Tuchwarenhändler nickte grimmig. »Und der Bursche, der uns damals das Geschäft versaute, hieß Ronco. Es war niemand anderes als dieser Kerl hier!« Ronco schwieg noch immer. Aber seine Hoffnung sank. Er hatte kaum noch eine Chance und begann zu ahnen, in was er hineingeraten war. »Er redet noch immer nicht.« Bascomb schürzte grimmig die Lippen. »Aber ich werde schon dafür sorgen, daß du noch genug Zeit zum Schweigen erhältst, hörst du? Wenn du erst krepiert bist, kannst du für immer schweigen.« »Woher weiß der Kerl, daß wir die Waffengeschäfte abwickeln?« Seldon Culotte trat einen Schritt auf Bascomb zu. »Kein Mensch weiß, daß wir hinter den Transporten nach Mexiko stehen. Niemand weiß, wo wir leben und uns aufhalten. Warum ist der Kerl hier? Wie hat er uns finden können? Was weiß er von uns?« »Das würde mich auch interessieren.« Stanton Ballister blickte Bascomb fragend an. »Waren Sie etwa so leichtsinnig, mit den Leuten in New Mexico direkt Kontakt aufzunehmen, so daß dieser Mann Ihre Fährte finden konnte? Wann waren Sie zuletzt in New Mexico?« »Seit Ewigkeiten nicht mehr.« Bascomb beugte sich über Ronco. Kühl strich jetzt ein Windhauch über das Land. Die Sonne stand bereits weit im Westen und färbte sich rot. Die wabernden, schwülen Luftmassen lösten sich nach und nach - 47 -
auf. Der Tag ging zu Ende. »Wie hast du mich gefunden?« fragte Bascomb heiser. »Rede, Mann! Ich muß wissen, woher du diese Ranch kennst, woher du weißt, daß ich hier lebe und daß ich mit den Waffengeschäften im Grenzland zu tun habe.« Ronco schwieg. Er blickte den anderen nur verächtlich an. »Schwein!« schrie Bascomb. Er schlug mit der flachen Hand zu. Roncos Kopf wurde zur Seite gerissen. Seine Unterlippe platzte auf. Er zerquetschte einen Fluch zwischen den Zähnen. Zorn glühte in Roncos Augen auf. Doch er konnte sich nicht wehren, noch immer war er gefesselt. Aber mit den Qualen, die die Banditen ihm zufügten, wuchs sein Zorn. »Drury!« sagte er kalt. »Lewellyn Drury hat mir deinen Namen und die Lage deiner Ranch verraten!« »Drury?« Bascomb stemmte die Fäuste in die Hüften. »Lüge!« Er spuckte das Wort beinahe aus. »Das ist eine dreckige Lüge.« »Drury ist tot.« Ronco blickte den massigen Mann vom Boden aus hart an. Seine Stimme klang spröde, und bei jedem Wort schmerzte sein Hals, schmerzte sein Gesicht, in dem die geschundene Haut sich spannte und bei jeder Bewegung zu zerreißen schien. Dennoch sprach er weiter: »Bevor er starb, hat er geredet. Du bist nicht mehr so groß, wie du glaubst, Bascomb.« »Meinst du, wie? Und Drury soll tot sein? Noch eine Lüge – Savage!« Bascomb wandte den Kopf. Der riesige Mörder stampfte heran und schwang drohend die kantigen Fäuste. »Warum kann es nicht so sein, wie er sagt?« Culotte trat neben Bascomb. Er blickte den Killer an und winkte ab. »Woher soll er sonst über alles Bescheid wissen? Irgend jemand muß es ihm gesagt haben. Und weshalb soll Drury nicht tot sein? Das Risiko, das er ständig einging, ist groß.« »Es hat Schwierigkeiten gegeben«, murmelte Ronco. »Die Übergabe der Waffen an die Mexikaner hat nicht geklappt. - 48 -
Und jetzt passen Sie gut auf, Mr. Mark Bascomb: Das Waffenund Munitionslager in New Mexico ist mit sämtlichen Waffenvorräten in die Luft gesprengt worden.« Es wurde still nach diesen Worten. Nur der Abendwind sang sein monotones Lied. Mark Bascomb wurde blaß wie ein Laken. Seldon Culotte stand wie versteinert, der Bankier hinter ihm ballte in stummer Erregung die Hände. »Alles?« fragte Culotte brüchig. »Alles ist vernichtet?« Ronco nickte. »Sie haben es erfaßt.« Culotte wandte sich ab und ging mit bleiernen Schritten zu Stanton Ballister hinüber. Plötzlich lächelte er hart und warf dann einen Blick auf Mark Bascomb, der jetzt steif und eckig wie eine Holzpuppe den Kopf schüttelte. »Nein«, flüsterte der massige Mann wie in Trance. »Nein, nein, nein! Das stimmt alles nicht. Das ist nicht wahr. Du lügst!« Seine Stimme hob sich jetzt, wurde grell und kreischend, überschlug sich fast. »Du lügst, du dreckiger Verräter und Mörder! Du lügst, du verdammter Bastard! Kein Wort von dem, was du da sagst, ist wahr. Du Hund! Du dreckiger Hund, du …« Tränen rannen plötzlich aus seinen Augen. Dann setzte Mark Bascomb sich in Bewegung und stampfte auf Ronco zu. Und er war wie von Sinnen. »Sag, daß es nicht wahr ist!« brüllte Bascomb. »Hörst du nicht? Du sollst sagen, daß du gelogen hast!« Er bückte sich. In seinen Augen flackerte ein gefährliches Irrlicht. Ronco sah den Mann dicht über sich, er sah dessen wutverzerrte Fratze, sah den Haß, die Verzweiflung, die wilde Angst und den Zorn in den Augen Bascombs. Und er wollte etwas sagen, wollte den Mann anbrüllen, daß dies die Wahrheit sei. Aber da wurde er schon gepackt und hochgerissen. Zwei Fäuste krallten sich wie Stahlzwingen um seine wundgeschlagenen Schultern. - 49 -
Ronco schrie auf. Er wurde auf die Beine gezerrt. Und er riß das rechte Knie hoch. Es grub sich in Bascombs Leib. Der massige Mann brüllte wie ein Stier. Er hob seine Fäuste und begann schreiend auf Ronco einzuprügeln. »Es ist nicht wahr! Du sollst sagen, daß es nicht wahr ist! Drury lebt noch. Nichts ist gesprengt worden. Das ist die Wahrheit. Sag es. Hörst du nicht, du Schwein? Du sollst es sagen!« Er schrie es immer wieder. Ronco stand jetzt aufrecht. Er taumelte nach jedem Schlag, ging in die Knie, krümmte sich immer wieder zusammen, kämpfte gegen die Schleier der Bewußtlosigkeit, wurde zerrissen vom Schmerz der brutalen Hiebe, die er nicht abwehren konnte. Die Fäuste Bascombs trafen ihn in den Leib, gegen den Oberkörper, ins Gesicht – überallhin. Und immer wieder schrie der Mann, Ronco solle widerrufen, was er gesagt habe. Ronco wurde rechts und links ins Gesicht getroffen. Sein Kopf flog nach hinten. Ein heftiger Stich durchzuckte sein Genick. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte wieder auf den Rücken. Verzweifelt wälzte er sich auf den Bauch und preßte das Gesicht ins Gras. Mehr konnte er nicht tun, um zu verhindern, daß der Mann ihn weiterschlug. »Schluß jetzt!« Hart und klirrend klang die Stimme Kate Coopers. Die Frau eilte von der Hütte heran. Sie war blaß, ihr Gesicht wirkte verkniffen. Sie packte Mark Bascomb von hinten und zog ihn zurück. »Hör auf!« schrie sie. Und sie war blaß. »Hörst du nicht: du sollst aufhören, sofort, Mark!« Bascomb wandte sich langsam um. Er war wie in einem Rausch. Strähnig hing ihm sein graues Haar in die schweißüberströmte Stirn. Er keuchte. Aus geweiteten Augen starrte er die Frau an. »Er soll sagen, daß er gelogen hat«, stieß er mit bebender Stimme hervor. »Er soll sagen, daß alles, was er erzählt hat, - 50 -
nicht die Wahrheit ist. Ich bin nicht ruiniert! Ich bin es nicht, ich glaube es nicht. Es darf nicht sein, und es kann nicht sein!« »Hör auf, den Mann zusammenzuschlagen, Mark.« Die Frau blickte ihn hart an. »Ich will so etwas nicht sehen. Ich kann es nicht ertragen, verstehst du? Und solange ich da bin, wirst du gefälligst Rücksicht auf mich nehmen, verstanden? Und hör auf zu jammern. Es ist widerlich.« »Ihr – ihr duzt euch?« stotterte der hagere Sam Cooper überrascht. »Aber, Kate …« »Halt dich da heraus«, fauchte sie ihn an. Er schwieg betroffen und senkte den Kopf. Ballister drehte sich zu ihm um und lächelte dünn, spöttisch, aber ohne Heiterkeit. Mark Bascomb stieß ein kreischendes Lachen aus. Er ließ von Ronco ab und wankte mit glasigem Blick an der Frau vorbei zu der Bank vor der Weidehütte. Er ließ sich schwerfällig nieder. Unsicher beobachtete der riesige Mörder Savage seinen Boß. Bascomb stützte den Kopf in beide Fäuste und stierte dumpf brütend vor sich hin. Er war erledigt, er war ruiniert, arm wie ein Bettler – er konnte es nicht begreifen. Mit steifen Bewegungen ging Culotte zu Ronco hinüber, kniete sich neben ihn und faßte ihn an der rechten Schulter. Ronco zuckte zusammen, zog den Kopf ein und spannte alle Muskeln. Er erwartete den nächsten Schlag. »Beruhigen Sie sich. Bascomb ist weg«, murmelte Culotte leise. Zögernd wälzte sich Ronco auf die Seite und blickte in das glatte, ausdruckslose Gesicht des Tuchgroßhändlers. »Ist wirklich alles zerstört? Ist nichts übriggeblieben? Ist das die Wahrheit?« fragte der Mann ernst. »Es ist die Wahrheit.« Ronco atmete schwer. Er spürte jeden einzelnen Knochen in seinem Körper. Leise sagte er: »Ich war ja selbst dabei. Fast wäre ich mit in die Luft geflogen. General Villalbas Revolutionsarmee gibt es auch nicht mehr. Inzwischen dürften Regierungstruppen mit ihr aufgeräumt - 51 -
haben.« Culotte nickte stumm. Er erhob sich und ging zu Ballister hinüber. Ronco schloß die Augen. Seine Haut war heiß, sein ganzer Körper brannte. Die Schürfwunden bluteten nicht mehr, aber in seinen geprellten Gliedern breitete sich ein taubes Gefühl aus. Ronco fühlte sich wie gerädert, und er fragte sich, was nun geschehen würde. Er war ein Risikofaktor für sie. Er wußte zuviel. Er war eine Gefahr für die drei Männer. * Sie würden ihn töten, sie hatten gar keine Wahl. Aber bis das geschah, mußte er seine Chance suchen, auch wenn sie nicht groß war. Seldon Culotte stemmte die Fäuste in die Hüften. Er blinzelte in die rubinrote Abendsonne, die bizarr geformte Schatten auf das Land warf. »Villalbas Armee ist zerschlagen«, murmelte er. »Das Geschäft ist also hinfällig!« Ballister zog eine schmale, dunkle Zigarre aus der Innentasche seines Jacketts und schob sie zwischen die Lippen. »Wir sind unser Geld los?« »So ist es. Wir haben falsch investiert. Aber Bascomb wußte ja alles besser. Er hat uns diesen sogenannten General ja in den glühendsten Farben geschildert. Es ist unsere eigene Schuld, daß wir darauf hereingefallen sind. Ha, was heißt schon ‚General‘ in Mexiko? Jeder Strauchdieb, der sich für einen Revolutionär hält und eine Banditenbande hinter sich schart, nennt sich General.« »Wir hätten Erkundigungen einziehen sollen.« Der Bankier nickte. Er sog an der Zigarre und wirkte nach der ersten Aufregung wieder völlig ruhig, ebenso Seldon Culotte. »Ich hatte hunderttausend Dollar in das Geschäft gesteckt.« Culotte zuckte mit den Schultern. »Das nächste Mal bin ich - 52 -
klüger. Lehrgeld muß jeder zahlen. Erfahrungen sind dazu da, um aus ihnen zu lernen. Hunderttausend Dollar kann ich verkraften.« »Ich hatte das Doppelte investiert.« Ballister fluchte heiser. »Das ist eine Menge Geld, auch für mich. Glücklicherweise ist meine Bank nicht arm. Ich denke, ich werde den Verlust irgendwie auffangen können.« »Sicher. Uns kann nichts passieren!« Culotte grinste. »Ich hatte mich nur leider von Bascomb beschwatzen lassen, diesem sogenannten General für seine Armee Uniformen schneidern zu lassen. Der Stoff wurde vor einigen Tagen geliefert. Er lagert in Tucson. Bestes Tuch im Wert von fast siebenhunderttausend Dollar. Villalba wollte über eine Million für die Uniformen zahlen. Ich war ein Idiot, daß ich Bascomb geglaubt habe. Mein ganzes Vermögen ist jetzt in Stoffen angelegt. Aber die Uniformen sind noch nicht gefertigt worden, ich kann den Stoff also weiterverkaufen. Bei der Qualität wird man ihn mir aus den Händen reißen.« »Aber für Bascomb sieht es nicht sehr gut aus.« Ballister schüttelte verständnislos den Kopf. »Daß er so dumm sei und so leichtsinnig mit unserem Geld umgeht, hätte ich nie gedacht.« »Er war nie besonders klug. Er war immer ein Gauner, der nur sehr viel Glück gehabt hat. Jetzt ist er pleite. Sehen Sie ihn sich an, Mr. Ballister.« Culotte lächelte zynisch. »Und ich gönne es ihm sogar, diesem aufgeblasenen, fetten Schmarotzer, der als Sohn einer Hure in einem Bordell von Dodge City in Kansas geboren wurde und stets so getan hat, als wären wir nur Schuhputzer für ihn. Dabei hätte er ohne uns kein einziges Geschäft abschließen können. Ohne uns wäre er ein kleiner Grenzschmuggler geblieben, den eines Tages die Rurales erwischt und erschossen hätten.« »Wir haben trotzdem viel Geld mit ihm verdient.« Der Bankier nahm die Zigarre aus dem Mund. - 53 -
»Das ist richtig. Aber das, was er getan hat, hätte jeder andere auch gekonnt«, knurrte Culotte. »Jetzt ist er fertig, und das ist richtig so. Jetzt wird er uns nicht mehr so arrogant behandeln.« »Werden wir mit ihm weiter im Geschäft bleiben?« »Vielleicht.« Culotte zuckte mit den Schultern. »Er hat Schulden bei uns. Die muß er abarbeiten. Er wird in den nächsten Wochen ein neues Verteilernetz in New Mexico aufbauen und neue Leute suchen müssen, damit die Lieferungen nach Mexiko wieder aufgenommen werden können.« »Gehen wir zu ihm.« Um Ballisters Lippen spielte jetzt ebenfalls ein schadenfrohes Grinsen. »Wir müssen mit ihm reden. Ah, es ist ein angenehmes Gefühl, den Burschen einmal in der Hand zu haben. Er hat uns bis jetzt auf der Nase herumgetanzt und getan, was er wollte. Nun wird er tun, was wir wollen.« Sie setzten sich in Bewegung und schlenderten zur Hütte. Ihre Gesichter drückten Überlegenheit aus. Ein Stück abseits standen vor einem der Campzelte die Coopers und stritten sich, wobei die Frau heftig auf den hageren Mann einredete. Im Türrahmen der Hütte lehnte Savage, der brutale Killer. Sein häßliches Gesicht wirkte undurchdringlich wie eine Maske. Aus seinen schlitzförmigen, leicht schrägstehenden Augen fixierte er Culotte und Ballister scharf. Sein kahler Schädel wirkte im Licht der Abendsonne unnatürlich kantig. Matt blinkten seine kleinen, goldenen Ohrringe. Mark Bascomb hob den Kopf, als er die Schritte hörte. Er blickte seine Geschäftspartner an und sah den Triumph und die Schadenfreude in ihren Gesichtern. »Ich – ich weiß wirklich nicht, wieso das passieren konnte«, murmelte er dumpf. Der Bankier zog die Augenbrauen hoch. »Sie waren sehr leichtsinnig, Bascomb. Sie hatten sich keinen seriösen Partner in Mexiko ausgesucht. Wir haben viel Geld verloren. Nun gut, - 54 -
aber Sie …« Stanton Ballister schwieg vielsagend. Bascomb preßte die Lippen zusammen. »Mich dürfen Sie nicht vergessen, Bascomb.« Culotte lächelte hämisch. »Ich hatte hunderttausend Dollar investiert, die Sie jetzt an mich zurückzahlen müssen. Denn Sie hatten die Garantie für das Geschäft übernommen. Und wenn ich an den Stoff für die Uniformen denke, den ich auf Ihren Rat hin angeschafft habe – eine Entschädigung dürfte wohl selbstverständlich sein.« »Ihr – ihr wollt mich fertigmachen.« Bascomb lehnte sich mit dem Rücken an die rauhe Holzwand der Hütte. Benommen starrte er die Männer an. Seine Stimme zitterte. »Aber – warum? Habe ich euch nicht immer gute Geschäfte vermittelt?« »Das ist jetzt egal. Es geht um unser Geld.« Culotte lächelte noch immer. Doch seine Augen glitzerten hart wie polierter Feuerstein. »Damit wir uns recht verstehen: Wir wollen Sie nicht fertigmachen – obwohl wir es könnten. Wir wollen nur, daß Sie einen Fehler wieder bereinigen.« »Das ist selbstverständlich«, stammelte Bascomb. Er nickte. »Natürlich. Ich werde dafür sorgen, daß Sie Ihr Geld zurückerhalten.« »Das ist auch das mindeste. Wir werden uns schon einigen«, sagte Culotte langsam. »Aber Sie werden einsehen, daß wir eine Sicherheit brauchen. Sie besitzen ja nun nichts mehr außer dieser Ranch. Und Sie verfügen wohl auch kaum über die nötigen Geldmittel, um die Ranch zu unterhalten. Ich schätze, Bascomb, Sie werden Ihre Ranch verkaufen müssen. Einen Ruhesitz brauchen Sie sowieso in der nächsten Zeit nicht. Sie werden mehr als genug damit zu tun haben, neue Geschäfte zu organisieren, um das verlorene Geld wieder hereinzuholen. Well, ich wäre an der Ranch interessiert, Bascomb. Ich suche ein Stück Land, auf das ich mich ab und zu zurückziehen kann, um auszuspannen. Aber viel kann ich Ihnen nicht zahlen. - 55 -
Bedenken Sie, daß Sie mir hunderttausend Dollar schuldig sind.« Mark Bascomb schwieg betroffen. Seine Züge wirkten verkniffen. Dann senkte er den Kopf und blickte sinnend zu Boden. Im Westen sank die Sonne. Der feuerrote Himmel verdunkelte sich. Der Wind ebbte ab. Die Revolvermänner, die noch immer durch das Camp strichen und das umliegende Land beobachteten, schürten die beiden Feuer. Die Flammen schlugen höher und verbreiteten karge Helligkeit. »Wir sollten – wir sollten die Party abbrechen und morgen früh nach Phönix reiten«, schlug Bascomb plötzlich vor. »Dort können wir alles weitere besprechen.« Culotte schaute ihn überrascht an, warf Ballister einen schnellen Blick zu und wandte sich dann, als der Bankier den Kopf schüttelte, wieder Bascomb zu. »Warum? Was gibt es noch zu besprechen? Der Fall ist doch ganz klar. Ich bin dagegen, daß wir den Ausflug schon beenden. Sie hatten uns doch zum Round-up eingeladen, Bascomb. Davon haben wir noch nicht viel gesehen. Das werden wir morgen noch nachholen. Sie werden doch kein Spielverderber sein, Bascomb. Ein Mann muß auch verlieren können, nicht wahr?« Culotte grinste wieder. »Außerdem«, sagte er höhnisch, »will ich doch meine zukünftige Ranchmannschaft kennenlernen und sehen, wieviel Vieh mir bald gehört.« Bascombs Gesicht blieb bleich und starr. »Gut«, sagte er tonlos. »In Ordnung. Wir bleiben hier. Schon gut, Gentlemen.« Ballister lächelte jetzt ebenfalls wieder. Er und Culotte wandten sich ab und schlenderten zu einem der Feuer hinüber. Sie sprachen leise miteinander, und Culotte lachte laut. Haßerfüllt blickte Bascomb den beiden nach. »Savage!« zischte er. Der Riese trat heran. Bascomb hob den Kopf. »Du wirst diesen Ronco gründlich fesseln und ihn hinter - 56 -
die Hütte bringen. Du wirst die ganze Nacht auf ihn aufpassen. Er darf keine Chance haben, zu fliehen.« »Sicher, Boß.« Der stiernackige Mann nickte und strich sich nachdenklich über seinen schmalen, schwarzen Schnurrbart. »Und, Savage.« Bascomb blickte wieder zu den Feuern hinüber. Kate Cooper hatte sich zu den Männern gesellt. Sie lachte leise und sprach mit Culotte. Ein seltsamer Ausdruck trat in Bascombs Gesicht. »Ich bringe die beiden um, Savage«, sagte er heiser. »Ich bringe sie um, diese Schweine, das schwöre ich. Wir werden es früher tun, als ich es geplant hatte. Bist du bereit dazu?« »Sicher, Boß.« »Dann ist es gut.« Bascomb lehnte sich wieder zurück und sog gierig die kühle Abendluft in seine Lunge. Und er dachte daran, daß er seine Geschäftspartner Seldon Culotte und Stanton Ballister sowieso hatte ausschalten wollen. Allein zu diesem Zweck hatte er die kleine Feier veranstaltet. Jetzt aber wurde das notwendiger denn je. Die beiden hatten ihn in der Hand. Er mußte sie loswerden, sonst würden sie ihn erledigen. Und der beißende Spott, die unverhohlene Schadenfreude, die er in ihren Gesichtern las, bestärkten ihn in diesem Entschluß. Nachdenklich beobachtete er den riesigen, stiernackigen, mongolisch wirkenden Kahlkopf Savages. Savage war ein Mörder. Und er war genau der richtige, den Bascomb brauchte. Jetzt tappte er durch den Abend, mit der drohenden Bedächtigkeit eines großen Bären. Und wenn Bascomb es wollte, würde er wieder töten, brutal, skrupellos, ohne Gefühl, wie eine Maschine. Stanton Ballister und Seldon Culotte, die am Feuer saßen und das inzwischen kalt gewordene Stierkalb wieder über den Flammen drehten, waren schon so gut wie tot – sie wußten es nur noch nicht. * - 57 -
Das Mondlicht lag wie ein silberner Schleier über dem weiten Land, als die beiden Männer sich oberhalb des Tales auf einem Hügelkamm aufrichteten. Sie wuchsen drohend aus den Schatten der Nacht. Das Mondlicht strahlte sie an, so daß ihre hohen Gestalten sich für kurze Momente wie Scherenschnitte aus dem Dunkel schälten. Sie spähten hinunter ins Tal, wo einsam die Weidehütte stand. Dann zogen sie sich hinter das dichte Cottonwoodgebüsch auf dem Hügel zurück. »Sie schlafen«, raunte einer der Männer. Er war groß und breitschultrig, und er war noch jung. Widerspenstige, dunkle Haarsträhnen hingen ihm in die Stirn. Der andere war älter und sehnig wie ein Wolf. Er hatte ein schmalgeschnittenes, knochiges Gesicht mit stechenden Augen, einer stark gekrümmten Nase und einem buschigen Schnauzbart. Er stieß sich einen speckigen Calispelhut in den Nacken und nickte. »Alles ist still. Wir können es versuchen.« »Ballister ist der Dicke mit dem weißen Bart, nicht wahr?« Der Jüngere grinste breit. »Den würde ich mit geschlossenen Augen finden. Der stinkt noch gegen den Wind nach Geld.« Sein kräftiges Gebiß blitzte in der Dunkelheit wie eine Kette aus makellos weißen, polierten Perlen. »Genau. Er ist in das Zelt rechts neben der Hütte gegangen.« Der Ältere hakte die Daumen hinter den breiten Patronengurt. Er hieß Slim Madock, der Jüngere nannte sich Fred Durham. Sie hätten Vater und Sohn sein können. Doch sie waren es nicht. Etwas anderes verband sie fast ebenso eng wie eine verwandtschaftliche Beziehung: Sie waren Banditen. Unbemerkt hatten sie sich bereits am Spätnachmittag genähert und sich zwischen den Hügeln oberhalb der Weidehütte versteckt. Sie hatten alles, was unten vor der Hütte geschehen war, mitangesehen. Begriffen hatten sie nicht, - 58 -
warum ein einzelner Mann von den anderen so unmenschlich gequält wurde. Doch es hatte sie auch nicht interessiert. Denn sie waren wegen etwas anderem gekommen: Sie suchten den Bankier Stanton Ballister. Am frühen Vormittag waren sie nach Phönix geritten, zwei staubige Männer, die aussahen wie tausend andere. Niemand in der Stadt hatte sie beachtet. Unauffällig waren sie durch die Straßen geritten, abgebrannt und ohne einen Cent in der Tasche. Sie hatten ein Opfer gesucht. Schließlich hatten sie eine in einer stillen Seitenstraße liegende Bank betreten – die Bank von Stanton Ballister. Es waren keine Kunden im Schalterraum gewesen. Nur ein Clerk hatte hinter einem Pult gestanden und Zahlen in ein Kontobuch eingetragen. Alles war ganz einfach gewesen. Madock und Durham hatten im Hinterhof der Bank den Safe, der im Schalterraum stand, auf einen Einspänner geladen. Der angstzitternde Clerk hatte nur einmal in die Mündungen der Revolver der Männer geblickt, dann hatte er in Windeseile die Bank abgeschlossen und war den Banditen eifrig behilflich gewesen. Er hatte schließlich sogar den Wagen gelenkt. Rechts und links von den Halunken flankiert hatte er Phönix verlassen. Die Banditen hatten dazu keine große Überredungskunst gebraucht. Es hatte genügt, daß Madock seinen Revolver wieder gezogen und ihn dem furchtsamen Marin unter die Nase gehalten hatte. Und niemand in der Stadt hatte etwas bemerkt. Doch viele Meilen draußen vor Phönix, als die Schurken den Safe hatten öffnen wollen, da waren die ersten Schwierigkeiten aufgetreten. Der Clerk hatte die Schloßkombination des Safes nicht gewußt, und als der Mann selbst nach einer »intensiven« Befragung, nach der er kaum noch in der Lage gewesen war, zu stehen, immer noch steif und fest behauptet hatte, die - 59 -
Kombination nicht zu kennen, war ihnen klar geworden, daß er die Wahrheit sagte. Dafür aber hatte er den Aufenthaltsort des Bankdirektors und Besitzers, Ballister, verraten. Und nur Stanton Ballister kannte die Kombination. »Gehen wir!« Slim Madock nahm sein Gewehr hoch, eine langläufige Winchester-Muskete im Kaliber .45 mit aufgesetztem Zielfernrohr. Er huschte voraus. Fred Durham folgte. Hohes Gras streifte leise raschelnd um ihre Beine. Sie verließen den Hügel und eilten hinunter ins Tal. Im Schutz der Dunkelheit näherten sie sich der Hütte. Da tauchte plötzlich ein Mann vor ihnen auf. Er summte leise vor sich hin und umrundete langsam die Hütte. Ein schwerer Revolver baumelte an seinem Gürtel. In den Fäusten hielt er eine schußbereite Winchester. Madock zerquetschte einen Fluch zwischen den Lippen und duckte sich augenblicklich ins hohe Gras. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Er hörte hinter sich das laute Atmen seines Kumpans. Der Wachtposten hatte die dunklen Gestalten nicht bemerkt. Er setzte seinen Weg fort. Als er wieder hinter dem Blockhaus verschwunden war, wandte Madock sich um. »Los, weg!« zischte er. »Es geht nicht!« Dann hastete er an Durham vorbei, zurück zu den Hügeln. Die beiden Banditen tauchten wieder unter in der Dunkelheit wie Schattenspiele des Grauens. Und als der Wachtposten die Weidehütte umrundet hatte, waren sie bereits wieder hinter den Cottonwoodsträuchern auf den nahen Hügelkämmen verschwunden und spähten hinunter ins Tal. Das Land lag wieder still und schlafend da, geisterhaft erhellt vom Schimmer des Mondlichts, das über dem Tal schwebte. Licht und Schatten verflossen ineinander. Die Banditen fluchten erbittert. Sie dachten an das viele Geld, - 60 -
das in einem Safe eingeschlossen war, den sie geraubt hatten. Sie dachten daran, daß sie alles damit anfangen konnten, wenn sie es erst hatten. Alles hing von dem untersetzten, weißbärtigen Bankier Stanton Ballister ab. Doch an den konnten sie nicht heran. Er schlief. Und er ahnte nichts von der Gefahr, die ihm drohte. Die Nacht hatte kein Ende für die Banditen Madock und Durham. Sie warteten ab und ballten die Hände. Sie zählten die Sekunden. * Die Nebelschwaden zerrissen. Machtvoll drang die Sonne durch den Frühdunst und erwärmte den jungen Tag. Der Tau auf Gräsern und Büschen trocknete aus. Kochfeuer prasselten. Rauchfahnen stiegen auf und wurden vom Westwind aufgelöst. Blechgeschirre klapperten, Pferde schnaubten, Lederzeug knarrte. Verschlafen traten die Menschen aus den Zelten neben der Weidehütte und gingen zum Feuer, wo das Kaffeewasser in zerbeulten Kesseln an rußigen Dreibeinen brodelte. Aus der Hütte trat Mark Bascomb. Sein Hemd stand am Hals offen. Strähnig hing ihm sein Haar in die Stirn. Er war nicht rasiert und wirkte mürrisch und einsilbig. Sein Gesicht war blaß und eingefallen. Grußlos setzte er sich neben den Coopers, Seldon Culotte und Stanton Ballister ans Feuer und ließ sich von einem der Revolvermänner pechschwarzen ArbuckleKaffee in einen Becher einschenken. Der hünenhafte, stiernackige Savage hatte bereits etwas kaltes Fleisch gegessen. Er stand neben dem Feuer und trank mit großen Schlucken seinen Kaffee, bevor er zurück hinter die Hütte ging, wo Ronco gefesselt im Gras einem ungewissen Schicksal entgegensah. Im Osten tauchten nun Reiter auf. Fünf Männer sprengten - 61 -
durch das langgestreckte Tal auf die Hütte zu. Es waren Cowboys, hagere, sehnige, lederhäutige Männer, die jedoch ihre Colts tiefer geschnallt hatten, als das normalerweise bei Cowboys der Fall war. Und ihre Hände waren glatt und nicht gezeichnet von harter Lassoarbeit. Seldon Culotte erhob sich steifbeinig. Er strich sich gutgelaunt über das glattrasierte Kinn, musterte Mark Bascomb höhnisch und warf dann einen raschen Blick auf Kate Cooper, die sich anscheinend mit ihrem Mann zerstritten hatte und kein Wort mit ihm sprach, während er sich verzweifelt um sie bemühte. Bascomb hockte zusammengesunken da und schlürfte den heißen Kaffee. Er schien nichts von seiner Umgebung wahrzunehmen und stumm mit seinem Schicksal zu hadern. Tiefe Augenringe zeichneten sein übernächtigt wirkendes Gesicht. Die Reiter erreichten jetzt die Hütte. Sie stiegen ab und traten zum Feuer. »Holt ihr uns zur Hauptherde ab?« Culotte ging auf sie zu. »Ja, Mister.« Einer der Männer nickte. »Der Boß hat uns gesagt, daß Sie sich heute das Round-up ansehen wollten.« »Richtig.« Culotte wandte sich um. »Wir werden sofort aufbrechen. Hören Sie nicht, Bascomb? Wir wollen jetzt zur Hauptherde reiten. Sie hatten uns doch selbst dazu eingeladen.« Bascomb wandte langsam den Kopf und stierte Culotte haßerfüllt an. Dann nickte er schwerfällig. »Sicher.« Er richtete sich auf. Auch die anderen erhoben sich. »Baut die Zelte ab. Packt alles zusammen.« Bascomb schüttete den Rest des Kaffees ins Feuer. Zischend stieg Rauch auf. »Sattelt die Pferde«, befahl er den Cowboys. Mit bleiernen Schritten ging er zur Hütte zurück und umrundete sie, ohne die spöttischen Blicke Seldon Culottes und Stanton Ballisters zu beachten. Nur die offene Verachtung, die Kate Cooper ihm seit gestern - 62 -
abend entgegenbrachte, brannte in ihm wie ein verzehrendes Feuer. Und daß sie sich statt dessen immer offener mit dem eleganten, schlanken Tuchgroßhändler Culotte befaßte, ließ seinen Haß noch größer werden. Er erreichte die Rückseite der Hütte und blieb hier stehen. Auf dem sandigen Boden lag Ronco, gefesselt an Händen und Füßen. Sein bloßer Oberkörper und sein Gesicht waren übersät mit Blutergüssen und verkrusteten Schürfwunden. Er wirkte hohlwangig und blickte dem massigen Waffenschmuggler aus tiefliegenden Augen entgegen. Reglos lag er da. Die Kühle des Bodens hatte in der Nacht seinen Körper durchströmt und seine Glieder versteift. Er fror, und die Kälte in seinem Körper wich nur langsam, obwohl die Luft sich rasch erwärmte. Savage wandte den Kopf, als Bascomb an der Hüttenecke erschien. Er sog an einer schmalen Zigarre. »Wir reiten gleich, Savage.« Die Stimme Bascombs klang belegt. »Du wirst mit diesem Bastard eine Stunde länger hierbleiben.« Er atmete schwer. Der riesige Killer grinste verstehend. Er kicherte heiser. »Du kannst dich auf mich verlassen, Boß! Ich werde das erledigen. Der Kerl hier wird Sie nicht mehr belästigen, er ist schon so gut wie tot.« Bascomb deutete auf den flachen Sandhügel nicht weit von Savage. Dort lag der ermordete Vormann Jim Colton begraben, der Mann, der als ehrlicher Cowboy nicht hatte mitansehen wollen, daß die Ranch zu einem Banditennest wurde. Deshalb war er jetzt tot. Bald würde Ronco es auch sein. »Verscharr ihn neben Colton«, murmelte Bascomb. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und ging zurück zu den anderen, die bereits begonnen hatten, das Lager abzubrechen. Der Mörder aber blickte Ronco jetzt mit bösem Grinsen an, und ein häßlicher Ausdruck lag in seinen Schlitzaugen. Ronco wich den Blicken Savages nicht aus. Und er dachte erbittert darüber nach, was er jetzt noch tun konnte. Ihm blieb - 63 -
noch knapp eine Stunde. Mark Bascomb hatte es selbst gesagt. Hatte er überhaupt noch eine Chance? Nein. Er mußte auf ein Wunder hoffen. Aber Ronco glaubte nicht mehr an Wunder. Diesmal schien sein Ende unabwendbar. Ein hämmerndes Stechen erfüllte seine steifen, geprellten, geschundenen Glieder. In seinem Kopf pochte. das Blut, als wenn es seinen Schädel zersprengen wollte. Doch er spürte den Schmerz kaum noch, er hatte sich daran gewöhnt. Er dachte nur noch an eins jetzt: an den Tod. * »Sie brechen auf!« Fred Durham schob sich den breitrandigen Stetson in den Nacken und legte die flache Linke zum Schutz gegen die grelle Frühsonne über die Augen. »Die Zelte haben sie schon abgebaut.« »Und was ist mit Ballister?« Slim Madock hockte im Schatten der Cottonwoodbüsche und hielt seinen langläufigen Peacemaker-Colt in der Faust. Er ließ die Trommel klickend rotieren und schob dann sorgfältig frische Patronen in die Kammern. »Er steht neben der Hütte und redet mit einem anderen, der wie ein Dandy aus der Stadt angezogen ist.« »Wir werden abwarten, wohin Ballister reitet.« »Warten, immer nur warten.« Durham spie aus und hob seine lange Winchester-Muskete vom Boden auf. Er wirbelte den Unterhebel herum, stieß den Ladeschlitten zurück und warf prüfend einen Blick durch den Lauf. Dann lud er das Röhrenmagazin des Gewehrs auf. »Ja, warten!« Slim Madock nickte. »Was sonst? Willst du hingehen und sagen: Entschuldigung, Mr. Ballister, wir haben einen Safe aus Ihrer Bank in Phönix geraubt. Es gibt nur eine Schwierigkeit: wir kriegen ihn nicht auf. Deshalb wollen wir - 64 -
Sie entführen. Wollen Sie so freundlich sein, uns zu begleiten und uns helfen, Sie zu bestehlen, Mr. Ballister?« Madock schnitt ein grimmiges Gesicht. »Hör auf, verdammt«, sagte Durham. Er strich sich sein widerspenstiges Haar nach hinten. »Du brauchst dich nicht über mich lustig zu machen.« »Hast du gedacht, ich will nicht auch so schnell wie möglich den Safe öffnen? Wer weiß, wie viele zehntausend Dollar sich darin befinden.« Madock erhob sich jetzt. Er ließ den Revolver um den Zeigefinger der Rechten wirbeln und schob ihn ins Halfter zurück. Er trat neben den jungen Banditen und spähte aus seinen schmalen Falkenaugen ins Tal. Schwer stützte er sich auf den Lauf seines Gewehrs. »Jetzt siehst du es selbst. Sie brechen auf, und es sind sogar noch ein paar Cowboys dazugekommen«, knurrte Durham wütend. »Und was sagst du nun, du kluger Mann?« »Reg dich nicht auf.« Madock wandte den Kopf. »Wir warten, bis dort unten alles zum Aufbruch zusammengepackt ist. Wenn die fetten Kerle auf ihre Pferde steigen und wegreiten wollen, greifen wir an. Wir reiten im Höllentempo hinunter, schnappen uns Ballister und nehmen ihn mit. Ich sage dir, die anderen werden so überrascht sein, daß wir mit Ballister über alle Berge sind, bevor sie uns folgen.« »Das ist sehr riskant, Slim«, gab Durham zu bedenken. »Alles ist riskant. Das ganze Leben ist ein Risiko«, erwiderte Madock kühl. »Wir satteln die Pferde und halten uns bereit. Oder willst du den Safe nicht öffnen?« »Doch, Slim, doch.« Fred Durham wandte sich um und lief zu den Pferden. Um Madocks dünne Lippen spielte ein hartes Lächeln. * Die Sonne stand noch weit im Osten, kleine Wolken kreuzten - 65 -
wie weiße Schiffchen ihre Bahn und verglühten am Firmament. Am Horizont tauchte ein Reiter auf. Er schien direkt aus dem goldenen Ball der Sonne herauszureiten, umlodert von grellen Flammen. Im donnernden Galopp sprengte er über die weite Ebene und jagte durch das Tal nach Westen auf die Weidehütte zu. Die Zelte des Camps waren bereits abgebrochen, die Feuer waren gelöscht und die Pferde gesattelt. Alles war zum Aufbruch bereit. Noch immer ahnte niemand etwas davon, daß hinter den dichten Sträuchern auf dem Hügelkamm zwei Banditen lauerten, um Stanton Ballister in einem tollkühnen Überraschungsangriff zu entführen. Sie hielten jetzt, ebenso wie die Männer an der Hütte, in ihrem Tun inne und fluchten leise. Der Reiter trieb sein abgehetztes Pferd noch einmal an. Das Tier taumelte, Schweißflocken hatten sich vor den Nüstern gebildet. Der Atem des Tieres ging pfeifend. Es stolperte häufig. Der Reiter schlug dennoch auf das Pferd ein und bohrte ihm rücksichtslos die Sporen in die Weichen. Einer der Cowboys stieß einen wüsten Fluch aus und spie auf den Boden. Dann war der Mann heran und stürzte fast aus dem Sattel. Mit zitternden Flanken blieb das Pferd, ein brauner, stämmiger Morgan-Hengst, stehen. Er ließ den Kopf sinken und schwankte. Einer der Cowboys sprang hinzu und nahm das Tier am Zügel. Langsam führte er es vor der Hütte auf und ab. Der Mann war von Kopf bis Fuß mit mausgrauem Staub bedeckt. Er wirkte erschöpft und nicht weniger ausgelaugt als das Pferd. Seine teure Kleidung hatte durch den Gewaltritt stark gelitten und sah nun schäbig aus. »Powell!« Seldon Culotte stieß überrascht den Namen aus und ließ die hübsche Kate Cooper stehen, der er gerade – mit - 66 -
Komplimenten reichlich gewürzt – ebenso romantisch wie falsch die Freuden eines Round-ups beschrieben hatte. »Adam! Sind Sie wahnsinnig geworden? Warum kommen Sie hierher, und weshalb reiten Sie das Pferd fast zu schanden. Und – mein Gott – wie sehen Sie aus?« Wenige Schritte vor seinem Geschäftsführer blieb er stehen und musterte den Mann erschrocken von oben bis unten. Die anderen schwiegen betroffen. »Mr. Culotte … es … es ist etwas Furchtbares … passiert …« »Wasser!« schrie Culotte. Er wandte sich um. »Sofort bringt jemand Wasser für meinen Partner.« Stanton Ballister nahm seine Feldflasche vom Sattelhorn und reichte sie Powell. Der nahm sie dankbar und trank gierig und mit großen Schlucken. Keuchend setzte er die Flasche schließlich ab. Seine Stimme klang jetzt kräftiger. »Ich bin gestern den ganzen Tag und auch die letzte Nacht ohne Pause geritten, um Sie zu finden, Mr. Culotte. Vorgestern nacht, in Tucson …« Er verstummte wieder und zögerte, weiterzusprechen. Er senkte den Kopf, um Culotte nicht anblicken zu müssen. »Zwei Männer«, fuhr er mit brüchiger Stimme fort, »zwei Mexikaner haben – sie haben das Tuchwarenlager angezündet. Alles – alles ist zerstört. Das Gebäude ist bis zum Keller ausgebrannt. Es konnte nichts gerettet werden, kein einziger Ballen Tuch.« Jetzt war es heraus. Und Powell schwieg. Mit Seldon Culotte aber ging eine seltsame Veränderung vor. Sein Gesicht wurde so weiß wie Schnee, seine Augen wurden starr und wirkten leblos. Bewegungslos stand er da, rührte kein Glied, nicht einen Finger, und es schien, als sei alles Leben aus ihm gewichen. »Mr. Culotte, ich …« Powell trat von einem Bein aufs andere. Er stotterte und hatte die Hände vor Aufregung geballt, daß die Fingerknöchel weißlich unter der Haut hervorschimmerten. - 67 -
»Ich konnte nichts mehr tun, meine ich. Niemand hat damit gerechnet. Ja, und als es dann passiert war …« Er zuckte mit den Schultern. »Es waren Mexikaner, Mr. Culotte, verstehen Sie, Mexikaner! Ich habe mir unterwegs alles überlegt. Die Brandstiftung muß mit dem Mexiko-Geschäft zusammenhängen, das wir in den nächsten Wochen durchführen wollten. Ich habe ja gleich geahnt, daß es ein zu riskantes Geschäft ist. Mein Gott, siebenhunderttausend Dollar haben Sie investiert. Das konnte ja nicht gutgehen, und …« Powell schwieg unsicher. Seldon Culotte stand noch immer wie vom Schlag getroffen und schien gar nicht gehört zu haben, was der andere gesagt hatte. Da stieß Mark Bascomb plötzlich ein fast irres Lachen aus und durchbrach das betroffene Schweigen. Sein Gesicht färbte sich rot, und wilder Hohn, Schadenfreude und brennender Haß schwangen in seiner Stimme mit. Das schrille Gelächter riß Seldon Culotte aus der Erstarrung. Er warf den Kopf hoch. Wut flackerte jäh in seinen Augen. Sein glattes Gesicht verzerrte sich. Er drehte sich um, und seine Augen waren schmal wie Schlitze, seine Lippen hart wie aus Eisen gegossen und dünn wie ein Strich. Eckig und steif waren seine Bewegungen. Langsam und drohend ging er auf den massigen Waffenschmuggler zu. »Du lachst, Bascomb«, sagte er schleppend und mit gefährlicher Ruhe. »Du lachst über mich?« Seine Stimme verschärfte sich, wurde metallisch klirrend und ging Mark Bascomb, der augenblicklich verstummt war, als er in die Augen des anderen gesehen hatte, durch Mark und Bein. »Warum lachst du, Mark Bascomb? Lachst du etwa, weil du glaubst, mir ginge es jetzt genau so wie dir? Glaubst du, ich wäre nun ebenso fertig wie du? Glaubst du das?« Und dann lachte Seldon Culotte, bösartig und fauchend. Abrupt brach sein Gelächter wieder ab. »Hast du nicht gehört, - 68 -
was Powell berichtet hat?« zischte er. »Mexikaner waren es. Mexikaner, du Dreckschwein, du! Wer hat mir denn das Geschäft mit diesem verdammten General Villalba aufgeschwatzt? Wer hat mir gesagt, daß das eine todsichere Sache sei? Wer hat mich dazu gebracht, mein ganzes Vermögen in feinstem Tuch für Uniformen für diese Revolutionsarmee anzulegen? Wer, he? Ich wollte das Geschäft doch nicht abschließen, ich wollte mit diesen Mexikanern nichts zu tun haben. Ich hatte wirklich todsichere Geschäfte mit der US-Armee, mit Fabriken in den Nordstaaten, mit Kanada, in Aussicht. Und wer hat die Garantie übernommen, daß alles gutgeht?« Culottes Blicke bohrten sich in sein Gegenüber. »Das warst du, Mark Bascomb. Und deshalb bin nicht ich, sondern bist du derjenige, der am schlimmsten betroffen ist. Du Idiot hast es geschafft, den größten Tuchhandel Arizonas binnen kurzer Zeit zu ruinieren. Oder glaubst du etwa, ich wüßte nicht, warum man mir das Lagerhaus angezündet hat? Villalbas Armee ist von staatlichen Truppen zerschlagen worden, das Waffenlager wurde gesprengt. Und irgendeiner, wahrscheinlich Villalba selbst, hat sicher auch meinen Namen verraten. Das alles ist nichts als eine Vergeltungsmaßnahme der regulären mexikanischen Armee. Das sieht doch ein Blinder. Warum sollte man mir sonst das Lager anzünden? Niemand hat etwas davon.« Culotte atmete schwer. Seine Wangen glänzten rot. Schweiß perlte dick auf seiner Stirn. »Mr. Culotte, ich werde Ihnen selbstverständlich sofort einen größeren Kredit geben, damit Sie Ihr Geschäft wieder aufbauen können«, erklärte Stanton Ballister. »Danke, Sir.« Culotte wirkte jetzt etwas ruhiger. Er tupfte sich den Schweiß von der Stirn. »Das ist sehr anständig von Ihnen. Aber Bascomb wird das selbst bezahlen. Hör zu, Mister, hör genau zu: Ich fordere jetzt von dir auf der Stelle mein Geld - 69 -
zurück, einhunderttausend Dollar, die ich in das Waffengeschäft gesteckt habe, siebenhunderttausend Dollar, die ich in dem Uniformgeschäft investiert habe. Du zahlst sofort, oder du gibst mir auf der Stelle einen Wertausgleich.« Bascomb blickte den anderen groß an. Er zuckte mit den breiten Schultern, und sein Gesicht ähnelte einem kranken Kalb. »Aber – aber, Mr. Culotte. Sie – Sie wissen doch –, daß ich – daß ich …« »Daß du keinen Cent hast. Jawohl, das weiß ich. Deshalb sage ich dir, Bascomb: ich nehme mir deine Ranch mit dem gesamten Viehbestand. Und du erhältst keinen Dollar von mir dafür. Alles wird verkauft. Die Einnahmen werden von den Schulden abgezogen. Es wird dann immer noch eine Summe übrigbleiben, die du nie in deinem Leben wirst aufbringen können.« Seldon Culotte zog sich sein maßgeschneidertes Jackett wieder zurecht. Er lächelte überlegen. Der erste Schock war überwunden, er wußte, daß er nicht so schlecht dastand, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. »Ja, Bascomb. Verantwortlich für alles bist du. Und du wirst zahlen, bis du blutest. Die Ranch wirst du sofort verlassen. Von mir aus kannst du dahin gehen, wo du herstammst: in das Bordell von Dodge City. Hier hast du nichts mehr zu suchen. Ich denke, Bascomb, mit viel Glück wird man dich in einem der Armenhäuser in den Nordstaaten aufnehmen. Dort hast du Bastard vielleicht noch eine Chance, ein paar Jahre zu existieren. Andernfalls kannst du dir eine Kugel in den Kopf jagen. Du bist hier fertig!« Mark Bascomb schwieg, und eine eigenartige Wandlung ging mit ihm vor. Nach den letzten Sätzen Culottes zitterte sein massiger Körper plötzlich, krampfte sich in ihm alles zusammen, übermannte ihn ein wahnsinniger Zorn, der ihm jede klare Überlegung raubte, der seine Sinne betäubte und eine Holle aufriß. - 70 -
»Du Schwein«, flüsterte Bascomb jäh, und seine Stimme zitterte dabei. »Du geschniegeltes, schmieriges Schwein! Wie sprichst du mit mir, he? Was wagst du, zu mir zu sagen …« Und dann lief sein massiger, kantiger Schädel feuerrot an. Und bevor Culotte begriff, was geschah, hatte Mark Bascomb einen Revolver unter dem Prince-Albert-Rock hervorgezogen. Mark Bascomb wurde zum Wolf. »Du Hund!« kreischte er. »Nimm das hier, schluck es und sei verflucht!« Dann bellte der Revolver auf. Der überhebliche Zug in Culottes Gesicht zerbrach wie eine dünne Glasscheibe. Der Kugeleinschlag riß den Mann von den Beinen. Er röchelte schrill, stürzte wie ein gefällter Baum und war tot, noch bevor er am Boden aufschlug. Und alle standen wie gelähmt. Nur Kate Cooper stieß einen spitzen Schrei aus. Dann warf sich Mark Bascomb herum, und in seinen Augen stand nichts als nackte Mordlust und glühender, leidenschaftlicher Haß. Ein irres, unmenschliches Gelächter löste sich von seinen Lippen. »Habt ihr denn geglaubt, ihr könntet alles mit mir machen? Habt ihr gedacht, ich ließe mich ständig treten?« »Sind Sie wahnsinnig geworden?« Stanton Ballister stellte sich mit bleichem Gesicht vor Kate Cooper. »Wahnsinnig?« brüllte Bascomb grell. »He, du stinkreicher Fettsack, vielleicht bin ich wahnsinnig. Aber du wirst gleich tot sein. Du kannst dir aussuchen, was besser ist – wahnsinnig oder tot. Und damit du es genau weißt, du vollgefressener Sack aus Phönix, ich wollte euch von Anfang an alle umbringen, euch alle. Ich habe euch nur auf diese Ranch eingeladen, um euch alle umzubringen, hast du das verstanden? Und du bist der nächste.« »Nein!« Der Bankier wollte sich mit einem mächtigen Sprung in Sicherheit bringen. Die Kugel Bascombs grub sich hoch in seine rechte Schulter und stieß ihn mit elementarer Gewalt zu Boden. Bewußtlos und blutüberströmt blieb er liegen. - 71 -
Kate Cooper begann hysterisch zu kreischen. Gleichzeitig rissen die beiden Leibwächter Culottes, die bis jetzt wie gelähmt dagestanden hatten, ihre Waffen aus den Halftern. Schüsse krachten auch von den Cowboys her. Feuerzungen leckten gierig durch die Hitze des Vormittags. Pulverdampf wogte stinkend im leichten Westwind. Die beiden Gunmen bekamen ihre Waffen nicht mehr hoch. Mit großkalibrigen Geschossen im Schädel sanken sie leblos zu Boden. »Ja! Gut!« brüllte Bascomb wie ein Irrer. Er schien den Verstand verloren zu haben. »Ja, Boys, knallt sie ab. Knallt sie alle ab! Schießt sie nieder, diese Hunde! Keiner von ihnen verdient es, weiter zu leben.« Am Stallanbau der Hütte erschien in diesem Moment der riesige, mongolenhafte Mann, der bis jetzt Ronco bewacht hatte. Er hielt seinen Colt in der Faust und stand für einen Moment breitbeinig am Rande des Geschehens. Dann hastete er mit wenigen Sätzen auf Bascomb zu. Ein blitzschneller Schuß zerschmetterte einem dritten Revolvermann, der seine Waffe gezogen und auf Bascomb gezielt hatte, die Stirn. Dann packte Savage zu. »In Deckung, Boß!« donnerte er. Er zerrte Bascomb herum und gab ihm einen heftigen Stoß. Bascomb taumelte schreiend auf die offene Hüttentür zu. »Hört auf!« schrie die Frau in den Schußlärm. »Hört doch auf, mein Gott …« Sie wollte Bascomb nachstürzen. Savage wedelte kaltblütig und ohne Skrupel mit der linken Hand fächerartig über den Hammer seines Colts. Drei Schüsse bellten in rasendem Stakkato auf und trafen die Frau in die Brust und ins Gesicht. Der hagere Sam Cooper warf sich aufheulend in Deckung. Da hatte Savage sich bereits umgedreht und hetzte hinter Bascomb her. Er faßte ihn an der linken Schulter und schleifte ihn blitzschnell in die Weidehütte. In der Hütte aber lehnte Bascomb wie betäubt an einem - 72 -
einfach gezimmerten Tisch und sah, wie der Riese Savage an der Tür stand und nach draußen feuerte. Das ständige Bellen der Schüsse klang wie ein Inferno in seinen Ohren. Langsam wankte Mark Bascomb zur Tür, hob seinen Colt und feuerte. Und er sah auf dem sandigen Platz vor der Hütte die Toten liegen. Seldon Culotte, Kate Cooper, drei Revolvermänner, darunter sein eigener Leibwächter, der auf ihn hatte schießen wollen, und Stanton Ballister, den Bascomb tot glaubte, der aber nur bewußtlos war. In Bascombs Augen war ein seltsames Glühen. Er blickte den mongolenhaften Killer von der Seite an, und seine Stimme bebte, als er flüsterte: »Töte sie, Savage, töte sie alle. Bring sie um, hörst du?« Und der Mörder nickte, hob seinen Colt und schoß wieder. * »Sieh dir das an«, keuchte Fred Durham erschrocken. »Mein Gott, Slim, sieh dir das an. Die sind wahnsinnig geworden, die sind völlig wahnsinnig geworden!« »Ballister!« stieß Madock entsetzt hervor. »Da liegt er. Er ist niedergeschossen worden. Verflucht, wenn er tot ist, dann …« »Aber was sollen wir denn jetzt tun, verdammt? Was sollen wir tun, Slim?« keuchte der junge Bandit. »Wenn der Alte tot ist, war alles umsonst. Dann kriegen wir von dem Geld im Safe keinen lausigen Cent.« Slim Madock biß sich auf die Unterlippe. »Diese Verrückten«, flüsterte er. »Oh, diese Verrückten. Die können doch nicht mehr normal sein, Teufel noch mal.« »Verflucht, er blutet. Er scheint wirklich tot zu sein.« Durham hatte seine Winchester-Muskete an die Schulter gerissen und blickte jetzt durch das Zielfernrohr. »Er darf nicht tot sein.« Madock hob sein Gewehr und tat es - 73 -
dem anderen nach. Er hatte Stanton Ballister im Fadenkreuz. Und er sah ihn so deutlich, als läge der Mann nur fünf Yards entfernt. Er sah das Blut, und er fluchte wild. Das Krachen der Schüsse hallte zu ihnen herauf. Die peitschenden Detonationen erfüllten das Tal. Pulverrauchschwaden verdunkelten den heißen Himmel. Die Sonne kletterte immer höher am Firmament. Die Luft schien zu kochen. Doch die Schießerei nahm kein Ende. »Was jetzt?« fragte Durham abermals. »Slim, was sollen wir tun?« »Es kommt nicht darauf an, was wir tun sollen, sondern was wir tun können.« Slim Madock setzte sein Gewehr ab. »Nichts«, sagte er dann, »gar nichts. Irgendwann müssen diese Wahnsinnigen da unten ja auch wieder aufhören, und dann …« »Und wenn Ballister dann tot ist? Was dann?« knurrte Durham aufgeregt. Madock zuckte grimmig mit den Schultern. Er sagte kein Wort mehr. Aus brennenden Augen blickte er hinunter ins Tal. Seine Gedanken flogen. * Ronco lebte noch. Er hörte das wilde Krachen der Schüsse, und wußte nicht, was geschehen war, obwohl er den fremden Reiter gesehen, obwohl er Bascomb brüllen gehört hatte. Er begriff nur, daß der Ausbruch des Kampfes ihm noch eine Galgenfrist verschafft hatte. Er war allein. Sein Bewacher war nicht mehr da. Ronco bäumte sich mit aller Kraft auf und zerrte an seinen Fesseln. Vergeblich. Er fiel zurück auf die Seite. Er rang nach Atem, und seine Muskeln schmerzten. Die Fesseln hielten, und sie schnitten in - 74 -
seine Haut ein. Wieder wälzte er sich herum. Ich muß weg! dachte er verzweifelt. Ich muß weg von hier. Und wenn ich mich nur verstecke, so daß sie mich nicht finden. Dann bin ich schon gerettet. Seine Blicke hetzten an der Rückseite der Hütte entlang. Am Stallanbau sah er Wildcat angehobbelt stehen. Der Sattel lag noch auf dem Rücken des prächtigen Tieres. Doch das Pferd war für Ronco unerreichbar. Wieder krachten Schüsse von der Hütte. Schreie und Flüche ertönten. Ronco blickte sich um. Erst jetzt nahm er den flachen Grabhügel, kaum anderthalb Yards von sich entfernt, wahr. Und ihn durchzuckte plötzlich ein Gedanke. Der Vormann! dachte er. Der Vormann liegt hier begraben. Und er hat das Messer noch im Rücken. Niemand hat es ihm herausgezogen. Das glaubte er, und das hoffte er auch. Das Messer … Das war die Chance, die er brauchte. Ronco war besessen von der Idee. Er wälzte sich durch den Sand. Die ungeheuren Schmerzen, die seinen mißhandelten Körper erfüllten und ihn bei jeder Bewegung quälten, verbiß er sich. Er schaffte es, sich zu dem Grabhügel hinzurollen. Als er dann wieder auf dem Rücken lag, hob er unter Aufbietung aller Kräfte die gefesselten Beine an und stemmte die hochhackigen Reitstiefel in den lockeren Sand. Er trat die Erde zur Seite, hob die Füße wieder, scharrte abermals Sand weg und arbeitete mühsam auf diese Weise weiter. Die Anstrengung grub tiefe Linien in sein Gesicht. Seine Beinmuskeln verkrampften, sein Unterleib schmerzte, ein taubes Gefühl durchfloß seine Oberschenkel. Und jedesmal, wenn er die Beine hob, wurde er verrückt vor Schmerz. Doch er überwand sich, grub weiter, denn es ging um sein Leben. - 75 -
Die Revolvermänner hatten Jim Colton nicht tief eingescharrt. Doch Ronco erschien es, als müsse er ganze Berge abtragen. Nachdem er die obere Schicht des Grabhügels weggescharrt hatte, robbte er sich rücklings auf das Grab und begann, mit seinen auf den Rücken gefesselten Händen in der weichen Erde zu wühlen. Er hoffte inbrünstig, daß niemand dem Ermordeten das Messer aus dem Rücken gezogen hatte, und er betete, bei seinem Tun nicht entdeckt zu werden. * Die Erde erzitterte. Eine Staubwolke verfinsterte im Osten den Himmel, eine Staubwolke, die nach Westen wanderte, direkt auf das langgestreckte Tal zu, in dem die Hütte stand. Innerhalb von Sekunden verstärkte sich das Beben des Bodens, als tobe tief unten in der Erde ein Vulkan, der die Erdkruste zerreißen konnte. Ein drohendes, dumpfes Dröhnen erfüllte die Luft, eine seltsame Spannung lag plötzlich über dem Tal, und der Wind von Westen schien abzukühlen. Das Dröhnen wurde lauter, wurde fast unerträglich. Es schien, als ziehe ein Gewittersturm heran, ein Unwetter von nie gekannter Heftigkeit. Und das rollende, beinahe endlose Donnern und Hämmern, das selbst den Lärm des Kampfes übertönte, klang wie der wütende Trommelwirbel des Jüngsten Gerichts. Ronco spürte unter sich das Vibrieren des Bodens. Er lag plötzlich still und lauschte angespannt. Schwerfällig hob er schließlich den Kopf. Und ein eisiger Schreck durchfuhr ihn. Denn was von Osten durch das Tal herandonnerte, war schlimmer als ein Gewitter, schlimmer als ein Erdbeben. Ronco wußte, was für eine Katastrophe auf das Tal zuraste, unaufhaltsam, unabwendbar, obwohl er noch gar nichts sehen konnte. - 76 -
Schon schmeckte er feinen Staub im Mund, der sich in seinem Hals, in seinen Schleimhäuten, in seinen Poren festsetzte, der die Luft erfüllte wie ein Nebel. Von Osten rasten die Rinder heran. Viele Tausende. Und ihre Hufe würden alles zermalmen, was ihnen in den Weg geriet. Es gab keine Rettung. Sekundenlang war er wie gelähmt. Dann verliehen das Entsetzen und die panische Verzweiflung, die ihn ergriffen, ihm übermenschliche Kräfte. Mit seinen auf den Rücken gefesselten, schmerzenden Händen scharrte er den Sand über dem Grab des erstochenen Vormanns beiseite, so schnell und so gründlich, als könne er sich frei bewegen und habe eine Schaufel. Ihm blieb kaum Zeit. Und es war kein Trost für ihn, daß es seinen Peinigern nicht viel besser erging. Es ging jetzt um Sekunden. Das Leben hatte nichts zu verschenken. Der Tod donnerte heran. Stampede … * Das Unheil wälzte sich heran, mit elementarer Kraft, mit urwüchsiger Gewalt, mit tödlicher Wucht. Und nichts konnte das grausame Geschehen verhindern. Der heftige Schußwechsel an der Weidehütte hatte die, durch das aufreibende Round-up nervöse, am östlichen Ausgang des Tales lagernde Hauptherde der Bascomb-Ranch aufgescheucht. Und nun gab es kein Halten mehr. Die Pferde neben der Hütte tänzelten nervös. Sie warfen schrill wiehernd die Köpfe hoch. Angst spiegelte sich in ihren großen Augen. Angst … Die Cowboys sprangen aus ihren Deckungen hoch und - 77 -
versuchten zu fliehen. Revolver bellten auf. Zwei, drei Männer stürzten getroffen ins Gras. Die wütende Schießerei flammte wieder auf. Die Nervosität der Kämpfenden wuchs von Sekunde zu Sekunde. Je größer die Gefahr wurde, desto heftiger wurde die Gier jedes einzelnen, den Gegner zu vernichten, um sich selbst vor der Katastrophe retten zu können. In der Weidehütte warf Mark Bascomb sich herum und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand neben der Tür. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Panik flackerte in seinen Augen. »Die Rinder sind durchgegangen, Savage. Hörst du es?« flüsterte er verzweifelt. Sein Blick wurde starr, seine Kehle eng, er konnte kaum noch sprechen. Die Furcht sprang ihn an wie ein reißendes Tier. »Eine Stampede, Savage! Eine Stampede ist ausgebrochen. Die Herde wird alles in Grund und Boden stampfen und von uns nichts übriglassen. Die alte Hütte wird niedergerannt werden. Wir müssen hier heraus. Wir müssen weg, hinüber zu den Hügeln.« »Wenn wir nur einen Schritt aus der Hütte tun, sind wir tot!« Der Hüne schmeckte ätzenden Pulverdampf auf seinen Lippen und spie aus. Sein Gesicht war von scharfen Linien durchkerbt, er wirkte eiskalt und kein bißchen beunruhigt über die Todesgefahr, die sich auf die Hütte zubewegte. »Und wenn wir hier bleiben? Was dann?« fauchte Bascomb gehetzt. Der Waffenschmuggler zitterte am ganzen Körper. »Was sollen wir denn tun?« bellte der Riese wütend. »Willst du dich abknallen lassen, Boß?« »Aber – aber die anderen können doch nicht liegenbleiben, wo sie sich jetzt verschanzt haben«, keuchte Bascomb. »Die müssen doch wissen, daß sie auch verloren sind.« »Sobald sich einer aus seiner Deckung wagt, wird er von mir niedergeschossen!« Savage hob seinen langläufigen Revolver wieder an. »Sie - 78 -
sollen nur kommen!« * Die Waffen schwiegen. Alle lauschten dem Nahen des Todes, alle warteten, daß einer die Nerven verlieren und die Deckung verlassen würde. Und alle fürchteten, selbst derjenige zu sein, selbst der immer stärker werdenden Spannung nicht standhalten zu können, selbst die Kontrolle über sich zu verlieren. Revolver und Gewehre warteten darauf, Feuer und Verderben speien zu können. Die Hütte zitterte bereits, das Gebälk knackte und ächzte. Mark Bascomb warf den Kopf hoch, als Stroh vom Dach ins Innere rieselte. »Raus hier!« entfuhr es ihm erschrocken. »Nichts wie weg von hier!« Er sprang auf die Tür zu. Savage war schneller. Er packte ihn am Kragen der Jacke und riß ihn zurück. »Hiergeblieben!« donnerte der riesige Mann. »Wir werden zu Hackfleisch zertrampelt!« kreischte Bascomb mit überschnappender Stimme. Sein Gesicht war verzerrt. »Laß mich los! Ich bringe dich um, wenn du mich nicht losläßt! Ich will nicht sterben, hörst du? Ich will doch noch nicht sterben …« Savage schlug mit der flachen Linken zu. Bascombs Kopf wurde herumgerissen. Er schluchzte dumpf gurgelnd auf, stürzte mit dem Rücken wieder an die Wand und blieb wimmernd stehen. »Aber – aber ich …«, stammelte er. »Ich will doch …« »Ich will auch nicht sterben.« Savage warf einen raschen Blick durch das Ostfenster der Hütte. Noch war die Herde nicht zu sehen, nur die Staubwolke am Himmel wurde immer dichter, verdunkelte die grelle Sonne und rückte immer näher. Dieser Anblick, und die monotonen, immer lauter werdenden - 79 -
Geräusche der hämmernden Hufe zerrten an den Nerven aller. Der riesige Mann eilte zurück zur Tür. Ein Schuß krachte und strich dicht an ihm vorbei. Er fluchte wütend. »Wir müssen hier heraus«, sagte Bascomb wieder. »Erst, wenn alle anderen tot sind«, antwortete der Killer dumpf. »Und wenn es dann zu spät ist?« heulte Bascomb. Da sprang plötzlich ein Mann hinter einem Sagebusch auf und hastete in panischer Angst zu den Pferden hinüber. Adam Powell, der Geschäftsführer des toten Seldon Culotte, hatte die immer näherrückende Bedrohung nicht mehr ausgehalten. Seine Nerven waren zu schwach für diese höllische Pokerrunde, bei der der Teufel selbst die Karte verteilte. Er rannte um sein Leben und hatte doch keine Chance. Savage lachte zynisch, als sein Revolver aufbrüllte. Adam Powell hatte den sandigen Platz vor der Hütte noch nicht einmal zur Hälfte überquert, als die Kugel ihn traf. Er wurde einmal um seine eigene Achse gerissen und stürzte wie ein nasser Sack zu Boden. Er schrie noch. Aber seine Stimme brach jäh ab. Er war der erste. Aus geweiteten Augen starrte Mark Bascomb nach draußen. Und er begriff jetzt, was geschehen würde, wenn er wie Powell losstürzte. Doch er wußte in diesen Augenblicken nicht, was schlimmer war: eine Kugel, oder die alles zermalmenden Hufe von Tausenden von Rindern. * Ronco hatte kein Gefühl mehr in Armen und Händen. Und er war nahe daran, sich den Tod zu wünschen. Dennoch grub er weiter, wie von Sinnen. Und plötzlich stieß er auf Widerstand. - 80 -
Seine Hände tasteten durch den weichen Sand. Noch einmal sammelte er alle Energien, die sein geschwächter Körper aufbringen konnte. Er war auf die Leiche des Vormanns Jim Colton gestoßen, das spürte er. Mit letzter Kraft wälzte er sich hin und her, seine Hände suchten das Messer. Er lag hoch am Kopfende des Grabes. Und als er das Haar des Toten zwischen seinen Fingern fühlte, schauderte er unwillkürlich. Schweiß lief in dichten Bahnen über sein Gesicht, über seinen ganzen Körper. Schmutz bedeckte ihn, Staubkrusten hatten sich auf Armen und Brust gebildet. Er robbte ein Stück zum Fußende des Grabes, mußte sich bei jeder Bewegung unsagbar quälen, gab aber nicht auf. Und dann, mit einemmal, gerade, als er vor Schwäche das Bewußtsein zu verlieren drohte, ertasteten seine gefesselten Hände den Messergriff. Ronco schrie unwillkürlich, und das Blut in seinen Adern schien plötzlich zu kochen. Tief steckte das Messer im Rücken des Toten. Ronco umkrallte den lederumwickelten Griff, bäumte sich auf und riß es heraus. Er fiel auf die Seite. Und im selben Moment sah er in fast einer Meile Entfernung die Herde auftauchen – wie eine alles verschlingende Flutwelle wälzte sie sich heran. Jetzt flog die Zeit. War es schon zu spät? Ronco wälzte sich herum, zog die Beine an, krümmte seinen Körper wie einen indianischen Bogen und erreichte schließlich mit dem Messer die Riemen, die seine Beine fesselten. Das Messer war scharf. Der Riemen zersprang. Ronco rollte sich herum, blieb auf dem Bauch liegen, preßte das Gesicht in den Sand und zog die Beine wieder an. Er klemmte das Messer zwischen die Fußknöchel, und wieder krümmte sich sein - 81 -
Körper. Er glaubte nicht mehr an seine Chance. Doch er hielt auch nicht inne in seinem Tun. Er streckte die gefesselten Arme, bis die rauhfaserigen Hanfstricke, die seine Handgelenke längst wundgescheuert hatten, an die rasiermesserscharfe Klinge des Dolchs stießen. Mit kurzen, ruckartigen Bewegungen rieb er die Fesseln an der Klinge auf und ab. Schrill wieherte Wildcat in diesem Augenblick auf. Es klang wie ein warnendes Trompetensignal. * Auf dem Kamm des Hügels standen die Banditen und hielten die Zügel ihrer Pferde in den verkrampften Fäusten, um die heftig scheuenden Tiere an der Flucht zu hindern. »Da kommt die Herde!« Durham zeigte nach Osten. Seine Stimme klang hohl, starr waren seine Züge. Slim Madocks Gesicht war grau wie Asche. »Hölle«, flüsterte er nur heiser. »Oh, Hölle …« Und dann schien das Ende der Welt anzubrechen. Ein braunes Meer von knochigen Rinderrücken wogte und rollte stampfend und drängend heran wie ein Orkan. Es wurde dunkel im Tal. Staub schien vom Himmel zu stürzen und sich wie eine Glocke über das Land zu legen, um Menschen, Tiere und Pflanzen zu ersticken. Mit tief gesenkten, kantigen Schädeln, dicht gedrängt, immer wieder blökend und dumpf brüllend, stürmten die Longhorns stur geradeaus durch das schmale Tal. Zehntausend Rinder – vierzigtausend Hufe … Die Hände der Banditen wurden feucht. Sie standen wie versteinert. Sie schauten hinunter zur Hütte und hielten den Atem an. Ihre Augen tränten vom beißenden Staub, der die Luft verfilzte. Und sie fühlten sich leer, und klein, und hilflos – angesichts des Infernos, das auf donnernden Hufen vor ihren - 82 -
Augen heranraste. »Ballister«, murmelte Fred Durham schwach. »Dort liegt er, vor der Hütte. Unser Geld …« Dann schwieg er, und er mußte sein Pferd bändigen das sich aufbäumte und sich losreißen wollte, um davonzustürmen. »Wir holen ihn«, zischte der hagere Madock in diesem Moment gehetzt. »Vorwärts, wir schaffen es noch.« Dann wirbelte er herum und schwang sich in den Sattel seines Pferdes. * Die Minuten vor dem Tod können lang sein wie ein Menschenalter und gleichzeitig so kurz wie ein flüchtiger Hauch. Roncos Körper schien zu zerbrechen. Noch immer war er nicht frei. Noch immer kämpfte er verzweifelt mit den Fesseln. Seine Arme und Beine erlahmten. Und doch durfte er nicht aufgeben. Der Tod war noch knapp eine halbe Meile entfernt. Da riß der Hanfstrick plötzlich. Das Messer fiel zu Boden. Ronco sackte in sich zusammen. Er warf den Kopf herum – und er sah die Rinder heranfluten. Noch vierzig Sekunden vielleicht – höchstens –, dann waren sie da. Und die Zeit spulte jetzt schnell ab wie der Fadenrest einer Garnrolle. Noch fünfunddreißig Sekunden – noch dreißig Sekunden. Ronco kam auf die Beine. Er torkelte wie ein Betrunkener, wäre beinahe wieder gestürzt. Seine Glieder waren vom langen Liegen taub und kraftlos, das Blut, von den brutalen Fesseln fast abgeschnürt, pulsierte nur zögernd durch die Adern. Ronco schleppte sich mit letzter Kraft auf Wildcat zu. Der treue Hengst wieherte abermals schrill. - 83 -
Ronco riß das Messer vom Boden hoch, erreichte den Hengst, bückte sich, zerschnitt die Stricke, die das Pferd fesselten und richtete sich wieder auf. Er umkrallte mit beiden Fäusten das Sattelhorn. Glühender Schmerz durchschoß seine Arme und Beine, wild stach das Blut in den Gelenken. Ronco rang nach Atem, denn die Luft war mit dem Staub, der unter den vierzigtausend Hufen aufwirbelte, durchsetzt. Er zog sich auf den Pferderücken, warf sich nach vorn auf den Hals des Tieres und klammerte sich fest. »Vorwärts, Wildcat!« stieß er schwach hervor. »Renn, mein Alter. Es geht um unser Leben …« Die Herde war noch dreihundert Yards entfernt – es blieben noch höchstens fünfzehn Sekunden. * Schüsse krachten in diesem Moment der höchsten Gefahr. Das dumpfe Bellen der Detonationen ging unter im Stampfen, Dröhnen und Donnern der Stampede. Sam Cooper, der hagere Mann, der nur in die Gaunergesellschaft geraten war, weil seine Frau die Geliebte Bascombs gewesen war, und der vierte Gunman, den Bascomb selbst angeworben hatte, stürmten aus ihren Deckungen, hasteten zu den Pferden. Sie rannten so schnell wie noch nie in ihrem Leben. Und nackte Verzweiflung stand in ihren Gesichtern. Sie sahen die Herde auf sich zurasen. Die Rinder waren fast zum Greifen nahe, sie sahen bereits das dunkle Glühen in den Augen der Tiere, sie sahen die breiten, kantigen Schädel, die langen, weitausladenden Hornpaare, sie sahen die wild trommelnden Hufe. Dann sahen sie gar nichts mehr. Denn von der Hütte her krachten zwei blitzschnelle Schüsse und rissen sie von den Beinen. Fast gleichzeitig stürmten Mark Bascomb und der - 84 -
riesige Savage aus der Weidehütte heraus. Sie rannten vorbei an ihren beiden letzten Opfern, die schwerverletzt zu Boden sanken und nicht mehr fähig waren, zurückzuschießen. Einige der Cowboys, die das Gefecht überlebt hatten, erhoben sich jetzt auch aus ihren Deckungen. Bascomb und Savage begannen, wie rasend auf sie zu schießen. Im selben Moment sprengte Ronco auf Wildcat hinter der Hütte hervor. Er preschte nach Norden davon. Dann hatten Bascomb und sein mongolischer Killer ihre Pferde erreicht, schwangen sich in die Sättel und jagten davon. Es blieben noch höchstens zehn Sekunden. Und von den Hügeln im Süden galoppierten in diesem Moment zwei Männer im Höllentempo heran. Sie lagen fast in den Sätteln und prügelten rücksichtslos auf ihre scheuenden Pferde ein. Gerade als Bascomb und Savage den sandigen Platz vor der Hütte verließen, fegten die Banditen Durham und Madock heran. Niemand achtete auf sie. Sie drosselten das halsbrecherische Tempo nicht. Sie ließen sich seitlich aus den Sätteln sinken, hingen nach Indianerart an den Flanken ihrer Pferde und fegten wie ein Wirbelwind auf den bewußtlosen und verletzt am Boden liegenden Bankier Stanton Ballister zu. Ihre Fäuste packten zu wie Raubvogelklauen. Ihre Finger krallten sich in das Jackett des Bankiers. Sie schleiften ihn mit, stürzten selbst fast aus den Sätteln, hielten jedoch nicht an, richteten sich wieder auf den Pferderücken auf und zerrten den Bankier vom Boden hoch. Hilflos und noch immer bewußtlos hing der weißbärtige Mann zwischen den Pferden der beiden Banditen, die die Tiere nun herumrissen und in Richtung Westen vor der Herde heranpreschten. In einem flachen Bogen jagten sie nach Norden weiter, auf eine Erhebung zu. Noch fünf Sekunden bleiben. Dann war die Herde einem Hurrikan gleich heran. Und der - 85 -
Himmel schien einzustürzen, die Welt schien aus den Fugen zu geraten. Sam Cooper, der hagere Ehegatte Kates, stieß ein lallendes, tierisches Gebrüll aus. Trotz seiner schweren Verwundung kämpfte er sich auf die Beine. Nicht weit von ihm stemmte sich röchelnd der Revolvermann hoch. Von Bascomb und Savage, von den beiden Banditen und dem Bankier, war weit und breit nichts mehr zu sehen. Die Staubwolken waren bereits zu dicht und vernebelten die Sicht. Sam Cooper aber sah dem Tod ins Auge! Die Herde erreichte die Hütte. Sie flutete daran vorbei. Stützbalken krachten und brachen. Seitenwände schwankten. Die Hütte wurde vom Fundament gerissen und zerbarst inmitten des braunen Meeres von Rinderrücken. Sam Cooper wandte sich in letzter Sekunde noch einmal ab und torkelte einige unsichere Schritte weiter. Er schrie wie ein Wahnsinniger. Hinter ihm gingen die Trümmer der Weidehütte und des Stalles unter in der Herde. Bretter und Balken flogen durch die Luft. Dann stampfte die Herde über den letzten Gunman Bascombs hinweg. Binnen weniger Sekundenbruchteile war er verschwunden zwischen den donnernden, wirbelnden, ihn gnadenlos zermalmenden Hufen. Sam Cooper kreischte immer noch. Niemand konnte ihn hören. Blut drang aus einer schweren Schulterwunde. Er taumelte vorwärts, konnte kaum noch die Füße heben. Und dann waren die Rinder heran, holten ihn ein. Ein heftiger Stoß traf ihn. Ein spitzes Horn durchbohrte seinen linken Oberschenkel. Der mörderische Schmerz war das letzte, was Sam Cooper in seinem Leben wahrnahm. Dann verlor er das Bewußtsein. Blutüberströmt wirbelte er durch die Luft wie eine willenlose, ausgestopfte Gliederpuppe. Er stürzte auf die Rücken einiger Rinder, rutschte zwischen ihnen hindurch, wurde von den Hufen erfaßt, niedergedrückt. - 86 -
Die Tiere stürmten über ihn hinweg und zerstampften ihn. Dann schien es das Tal nicht mehr zu geben. Die Spitze der Stampedeherde hatte den westlichen Talausgang erreicht, und das Tal war nun ausgefüllt mit nach Westen rasenden Rindern. Es gab keine Lücke mehr, es gab nur noch eine kochende, brodelnde, braune Masse. Noch lange Minuten vergingen, bis die zehntausendköpfige Herde das Tal durchquert hatte und sich auf der weiten Ebene im Westen auflöste. Kleinere Rindergruppen preschten, noch immer in Panik vom Schußlärm des Kampfes, in alle Himmelsrichtungen davon und verstreuten sich auf dem gewaltigen Ranchgebiet. * Ronco stürzte aus dem Sattel. Kopfüber rutschte er nach unten, verlor den Halt und fiel hart ins hohe Gras auf dem Hügelkamm an der Nordseite des Tales. Nur wenige Yards hinter ihm stürmte der Tod vorbei. Alles drehte sich in ihm. Grellfarbene Punkte tanzten vor seinen Augen. Er rang nach Atem. Seine Nerven vibrierten und zitterten wie straffgespannte Taue. In seinen Ohren dröhnte und hämmerte das Blut. Tot! schrie es in ihm. Alle sind tot. Sie haben sich gegenseitig solange belauert, bis keiner mehr weggekommen ist. Er hatte sich bei seiner Flucht nicht mehr umgeschaut, sonst hätte er es besser gewußt. Nach langen Minuten richtete er sich langsam wieder auf. Die Schwäche, die ihn nach all den Qualen und Strapazen überfallen hatte, ließ nach. Schwerfällig gelangte er auf die Beine und schwankte noch immer leicht. Wildcat schnaubte sanft und stieß ihn mit der Schnauze an. Ronco strich dem treuen Tier flüchtig durch die Mähne und wandte sich um. Er blickte hinunter auf das Meer wogender, schiebender, - 87 -
stoßender Rinderrücken, auf den Wald aneinanderkrachender Hornpaare. Und dann sah er weit im Westen plötzlich Reiter. Sein Kopf flog herum, seine Augen wurden schmal. Er erkannte zwei Männer, die er nie zuvor gesehen hatte. Er war dessen ganz sicher, obwohl die Reiter gewiß eine halbe Meile entfernt von ihm waren. Zwei Fremde! Sie ritten dicht nebeneinander, sie ritten wie der Teufel. Und dann sah er erst, daß zwischen den Pferden ein dritter Mann hing, der von den beiden Reitern rechts und links gehalten wurde. »Ballister«, entfuhr es ihm. »Mein Gott, das ist ja Ballister. Aber wo kommen die beiden Kerle her? Sind das Cowboys der Ranch?« Er schüttelte verständnislos den Kopf. Die Reiter verschwanden aus seinem Blickfeld. Sie haben ihn gerettet, dachte er. Ballister hat Glück gehabt. Aber Bascomb und dieser Killer? Wenn die beiden Fremden es geschafft haben, Ballister in Sicherheit zu bringen, warum sollen sich dann Bascomb und dieser Savage nicht auch in Sicherheit gebracht haben? Ronco trat auf den höchsten Punkt des Hügels und blickte hinunter ins Tal, das die Rinderherde gerade verlassen hatte. Er sah die Trümmer der Hütte, und er sah – bedeckt von Staub – die Toten zwischen den verstreuten Trümmern liegen. Aufmerksam musterte er alles in dem von den Tausenden von Rinderhufen verwüsteten Tal. Doch die Leichen Bascombs und des unheimlichen Riesen konnte er nicht entdecken. Besonders die Leiche Savages wäre nicht zu übersehen gewesen. Die beiden Männer waren mit dem Leben davongekommen, es konnte nicht anders sein. Ronco ging langsam zu Wildcat zurück. Er fröstelte plötzlich. Sein Oberkörper war noch immer nackt. Aus einer der Satteltaschen holte er ein frisches Hemd und streifte es über, in - 88 -
den Satteltaschen fand er auch seinen Colt wieder. Nach kurzem Überlegen entschloß er sich, den beiden Männern zu folgen, die den Bankier gerettet hatten. Er konnte ja nicht wissen, daß die Männer nicht aus uneigennützigen Motiven gehandelt hatten. Er hoffte nur, auf diese Weise etwas über Bascomb und Savage zu erfahren. Zwar spürte er jetzt, nachdem alles vorüber war, wieder stärker als vorher die Schmerzen, die ihm die Aufschürfungen und Prellungen seines Körpers bereiteten. Doch das war jetzt nicht wichtig. Er stieg auf Wildcats Rücken, griff nach der Feldflasche, die noch immer am Sattelhorn hing und prüfte, ob sie noch gefüllt war. Dann trank er gierig einige Schlucke von dem schalen, abgestandenen Wasser und trieb Wildcat an. Im raschen Trab ritt er nach Westen und stieß auch bald auf die Spur der fremden Reiter. * »Er will immer noch nicht reden, Slim, obwohl wir ihm doch das Leben gerettet haben«, sagte Fred Durham gedehnt. Er spuckte vor Ballister aus und grinste böse. »Er hat vergessen, daß die Rinder ihn zu Tode gestampft hätten, wenn wir nicht unter Einsatz unseres Lebens ins Tal geritten wären und ihn herausgeholt hätten«, knirschte der falkenäugige Bandit. »Er ist undankbar wie alle diese fetten Ratten. Aber merk dir eines, Mr. Stanton Ballister: Das, wovor wir dich bewahrt haben, können wir auch nachholen.« Slim Madock spannte langsam den Hammer seines Colts. Ballister heulte auf. Er zog den Kopf ein. Sein weißes Haar war zerzaust, Schmerz und Angst spiegelten sich in seinen Augen. Er war blaß, und sein Gesicht wirkte eingefallen und hohlwangig. Über seiner rechten Schulter war sein Jackett mit Blut getränkt. »Die Nummer des Safes«, sagte Madock eindringlich. »Sag - 89 -
uns die Schloßnummer des Safes, hörst du nicht?« Er bückte sich und riß seine flache Linke plötzlich herum. Die Rückhand klatschte Ballister ins Gesicht und ließ seine Unterlippe aufplatzen. Er kreischte. Ein dünner Blutfaden rann zum Kinn, die Wange färbte sich rot vom Schlag. Leise wimmerte der weißbärtige Mann. Da klang Hufschlag auf. Die Banditen wandten sich um. Auch Ballister hob den Kopf. Sie alle sahen den Reiter: Slim Madock zerquetschte einen Fluch zwischen den Lippen. Er hob seinen Colt und schoß. Die Detonation rollte belfernd über die Ebene. Der große, breitschultrige Mann, der von Osten heranritt, ließ sich aus dem Sattel fallen. Fred Durham nahm das Feuer auf ihn auf. Slim Madock fuhr wieder herum. Seine Linke zuckte jetzt auf den Bankier zu. Die Faust krallte sich in den Kragen des Seidenhemdes. »Wirst du jetzt reden, du verfluchte Ratte?« Er preßte dem Mann mit wilder Entschlossenheit die Revolvermündung an die Stirn. Starr blickte Ballister an dem Banditen vorbei auf den Reiter, der so unvermittelt aufgetaucht war. Er hatte den Mann erkannt, und sein Herz schlug wild. Ronco! dachte er. Mein Gott, er ist mit dem Leben davongekommen. Und er sucht mich. Er wird sich rächen wollen, er wird mich … »Rede!« schrie Slim Madock in diesem Moment. »Rede endlich!« »Ja, ja«, stammelte Ballister verstört. Und heiß durchfloß ihn die Angst. Er dachte jetzt nicht mehr an sein Geld und daran, die Banditen hereinzulegen. Er dachte nur noch an Ronco. »Aber – aber ihr müßt mich mitnehmen, wenn ich euch die Zahl sage.« Flehend blickte er den Banditen an. »Die Kombination!« brüllte Madock wieder. Hektische, rote Flecke bedeckten jetzt sein hageres Gesicht. - 90 -
»Die – Kombination.« Ballister schluckte verwirrt. »Nach links: zwei, drei, sechs, nach rechts: fünf, eins, vier«, stotterte er leise. »Na bitte, warum nicht gleich so! Hahaha!« Madock lachte grell und sprang auf. Er ließ Ballister los. »Weg jetzt, Fred. Los, schnell! Wir wissen, was wir wissen wollten.« Er hastete zu den Pferden. Fred Durham folgte ihm. Ronco erwiderte jetzt das Feuer. Die Banditen aber sprangen in die Sättel, schossen ungezielt zurück und trieben die Pferde an. »Ihr Hunde«, gurgelte Stanton Ballister in diesem Moment. Er versuchte, auf die Beine zu kommen und warf sich den Reitern in den Weg. »Bleibt hier, ihr Hunde, bleibt hier! Ihr habt versprochen, mich mitzunehmen. Laßt mich nicht allein. Nehmt mich mit. Er – er wird mich umbringen. Er wird sich an mir rächen.« Seine Stimme klang schrill, seine Augen hatten sich geweitet. Er riß beide Arme wild gestikulierend hoch. Die Pferde scheuten. Die Banditen fluchten und schwankten in den Sätteln. »Aus dem Weg!« brüllte Madock. Ihm wurde heiß. Er warf den Kopf herum und sah, daß Ronco bereits wieder im Sattel seines schwarzen Hengstes saß und heranjagte. »Weg mit dir, du verdammte Ratte!« Madocks rechte Faust fiel auf den Kolben seines Colts. Doch der Bankier erhob sich jetzt ganz und wollte den Banditen den Weg versperren. Ein Schuß krachte. Grell zuckte ein Blitz von Madocks Hüfte auf den weißbärtigen Mann zu. Ballister zuckte getroffen zusammen. Die Banditen spornten ihre Pferde an und ritten den Bankier nieder. Ein wuchtiger Stoß traf den Verletzten, als die Pferde ihn streiften. Er wurde zu Boden geschleudert und röchelte schwach. Unsicher tasteten seine Hände zum Leib und - 91 -
krampften sich hier zusammen. Wenig später rann Blut durch die Finger des Mannes, stöhnend wälzte er sich herum und krümmte sich zusammen. Blut netzte das hohe Gras. Immer noch krachten Schüsse. Kugeln strichen über den Bankier hinweg. Ronco und die Banditen lieferten sich ein kurzes, aber heftiges Feuergefecht. Dann klang donnernder Hufschlag auf, der sich rasch entfernte. Stanton Ballister nahm von allem nichts wahr. Ein gellendes Schreien rang sich aus seinem Mund. Er hatte die Augen geschlossen und konnte vor Schmerzen nicht mehr denken. Er wußte nicht, daß Ronco ihn erreichte, sein Pferd zügelte und abstieg. Er wußte nicht, daß die Banditen im Westen verschwanden und nicht mehr zurückkehrten. Er bemerkte auch nicht mehr, daß er auf den Rücken gewälzt wurde. Und als er das Bewußtsein verlor, war er von vielen Qualen erlöst. Ronco löste die verkrampften Hände des Mannes behutsam voneinander und knöpfte das Hemd Ballisters auf. Seine Züge wurden starr, als er die Wunde sah. Ein bitterer Fluch entfuhr ihm. Er hob den Kopf und blickte nach Westen. Doch die Banditen waren nicht mehr zu sehen. »Diese Lumpen«, flüsterte er zu sich selbst. »Diese verdammten Lumpen …« Er legte die Wunde, aus der unablässig Blut pulsierte, völlig frei, riß Ballisters weißes Hemd in Fetzen und tupfte das Blut vom Leib ab. Die Kugel war in den Leib knapp unterhalb des Brustkorbs eingedrungen und hatte eine große Wunde gerissen. Ronco zog dem Bankier das Jackett aus und schnitt es in Streifen. Dann schlang er den Stoff als Verband um den Leib Ballisters. Seine Hände zitterten dabei leicht. Er muß zu einem Arzt, dachte Ronco. Nur wenn er schnell zu einem Arzt kommt, hat er eine Chance, sonst stirbt er. Er dachte nicht darüber nach, daß dieser Mann bis vor kurzem noch sein Todfeind gewesen war, der kaltlächelnd - 92 -
dabeigestanden hatte, als Mark Bascomb und sein mongolenhafter Mörder ihn fast zu Tode geschunden und gequält hatten. Ronco dachte in diesem Moment auch nicht an den Waffenschmugglerring, dessen Hintermänner er hatte vernichten wollen. Er sah jetzt nur einen Menschen vor sich, der schwer verletzt war, der Hilfe brauchte. Langsam richtete sich Ronco wieder auf. Er zog den Hut tiefer in die Stirn. Grelle Sonnenstrahlen stachen ihm heiß ins Gesicht. Er ging zu dem schwarzen Hengst und klopfte ihm auf den Hals. »Du wirst mich und den anderen tragen müssen, mein Alter«, murmelte Ronco sanft. »Glaubst du, daß du das schaffen wirst?« Wildcat wackelte mit den Ohren. Er stieß Ronco leicht an und senkte die Schnauze in die linke Handfläche des Mannes. Ronco strich dem Tier durch die Mähne, schnallte die Satteltaschen ein Stück tiefer und ging zurück zu Stanton Ballister. * Die Welt schien zu schwanken, als der Bankier die Augen nach stundenlanger Bewußtlosigkeit wieder öffnete. Ein taubes Gefühl erfüllte seinen Leib, und erst nach langer Zeit begriff er, daß er auf einem Pferd saß und im Rhythmus des Pferdetritts mit dem Oberkörper leicht hin und her pendelte. Er wunderte sich darüber, und es dauerte noch länger, bis er sich wieder an alles erinnern konnte. Dann erst durchfuhr ihn der Schreck heiß und kalt. Und er wandte den Kopf. Ihm stockte der Atem. Er blickte in das Gesicht eines Mannes, dessen Tod er am Morgen noch gewollt hatte. Ronco grinste ihn breit an. »Hallo, - 93 -
wieder wach?« »Aber – aber …« stotterte Ballister mit spröder Stimme. Vor seinen Augen verschwammen die Umrisse. »Regen Sie sich nicht auf.« Ronco mußte den Mann stützen, als eine leichte Schwäche ihn zur Seite kippen ließ. »Die beiden Halunken sind weg. Ich weiß zwar nicht, was sie von Ihnen wollten, aber an das Andenken, das die beiden Ihnen hinterlassen haben, werden Sie sich noch lange erinnern. Die Kugel sitzt dicht unter dem Brustkorb, Ballister. Wenn Sie Glück haben, ist der Magen nicht verletzt. Eine verdammt schlimme Sache ist es trotzdem. Haben Sie Schmerzen?« »Nein, jetzt nicht.« »Das ist der Schock, er lähmt die Nerven. In ein paar Stunden werden Sie glauben, vor Schmerzen verrückt zu werden.« Ronco sprach nicht weiter. Er tastete über den Oberkörper des Mannes, den er vor sich im Sattel sitzen hatte. Der Leib Ballisters war heiß wie eine Ofenplatte und hart wie ein Brett. »Ihre Chance, durchzukommen, ist nicht schlecht. Alles hängt davon ab, wann wir den nächsten Arzt erreichen.« »Aber – aber mein Bauch …« »Sie haben keinen Bauchschuß«, unterbrach ihn Ronco hart. Es sollte überzeugend klingen. Doch so sicher, wie er tat, war er nicht. Der Bankier hatte viel Blut verloren. Seine Chance, zu überleben, stand fünfzig zu fünfzig. Und mit jeder Stunde, die der Ritt länger dauerte, wurde diese Chance kleiner. »Ich spüre gar nichts«, murmelte Ballister zu sich selbst. »Merkwürdig …« Er wandte wieder den Kopf und blickte Ronco an. »Warum tun Sie das für mich, Mister?« »Warum?« Ronco zuckte mit den Schultern. »Was für eine Frage. Hätte ich Sie liegenlassen sollen?« »Sie hätten Grund genug dazu gehabt.« »Vielleicht. Aber jeder hat Anrecht auf Hilfe, wenn es ihm dreckig geht. Mag sein, daß Sie das wundert, aber das ist meine Meinung. Ich bin kein Mörder. Warum haben die beiden - 94 -
Halunken Sie erst gerettet und dann niedergeschossen?« »Gerettet? Die beiden?« Ballister schürzte die Lippen. »Das waren Bankräuber, dreckige Bankräuber. Sie haben meine Bank in Phönix überfallen und den Safe im Schalterraum gestohlen. Sie wollten die Schloßkombination von mir wissen. Das war alles. Und danach …« Er schüttelte schwach den Kopf. »Aber warum helfen Sie mir, Mister? Sie können mich töten.« »Sie verwechseln mich mit Ihren Handlangern, Ballister. Ich töte keinen Hilflosen«, sagte Ronco scharf. »Und merken Sie sich, Ballister, daß ich nichts vergessen habe. Auch wenn ich Ihnen jetzt helfe. Ich bin Ihnen nur nachgeritten, weil ich von Ihnen wissen wollte, ob Bascomb irgendwo in diesem Gebiet ein Versteck hat, in das er sich zurückzieht, wenn ihm Gefahr droht.« »Bascomb ist tot«, murmelte Ballister. »Er ist nicht tot. Er lebt, und sein Killer lebt auch. Die beiden sind nicht unter den Leichen.« »Er – lebt …« Ballisters Blick wurde seltsam starr. »Dieses Schwein«, flüsterte er. »Dieser miese Hurensohn. Mit unserem Geld ist er reich geworden. Aber ich war ja von Anfang an dagegen, daß er so viel Handlungsfreiheit erhielt, daß er mit unserem Geld umgehen konnte, wie er wollte. Culotte war immer derjenige, der mich gedrängt hat, Geld zu investieren und Bascomb alles zu überlassen. Er mußte ja eines Tages größenwahnsinnig werden. Ich war ein Idiot, daß ich mich überhaupt darauf eingelassen habe. Ich brauchte das Waffengeschäft nicht, meine Bank wirft genug ab. Und jetzt! Culotte hat seine Quittung empfangen. Er hat Bascomb trotz allem nie leiden können und hat ihm das auch gezeigt, gleichzeitig aber hat er ihm Honig ums Maul geschmiert, weil Bascombs Geschäfte immer gut und lohnend waren. Als dann das Mexiko-Geschäft platzte und Culottes Lagergebäude zerstört wurde, hat er Bascomb offen seine Verachtung gezeigt. - 95 -
Das muß den Ausschlag gegeben haben, daß Bascomb durchdrehte. Und dann die Frau, Kate Cooper. Sie war Bascombs Geliebte, und sie hat sein Geld gefressen wie ein hungriges Raubtier. Deshalb war gerade das Geschäft mit der Revolutionsarmee in Mexiko so wichtig für ihn. Er besaß keinen Cent mehr. Er war selbst auch nicht mehr am Geschäft beteiligt und hätte nur zehn Prozent Provision eingestrichen. Alles Kapital stammte von uns. Wir hatten es Bascomb als Kredit überlassen. Er übernahm die Verantwortung und das ganze Risiko.« »Sie sind alt genug, um zu wissen, was Sie tun, Ballister. Wenn Sie sich an einem solchen schmutzigen Geschäft beteiligen, müssen Sie auch damit rechnen, unsaubere Partner zu haben, die Ihnen bei Bedarf in den Rücken fallen.« Roncos Stimme klang noch immer hart. Er hatte kein Mitleid mit dem Mann. »Ich werde Sie zum Doc bringen, Ballister, danach wird sich der Sheriff mit Ihnen zu befassen haben. Nach allem, was auf der Bascomb-Ranch vorgefallen ist, werden Sie sich kaum noch herausreden können. Wenn Nachforschungen in Mexiko angestellt werden, wird sowieso alles bekannt. Sie haben nur eine Chance, billig davonzukommen, wenn Sie alles gestehen.« Stanton Ballister nickte schwer. »Sicher …« Seine Stimme war von Satz zu Satz schwächer geworden. Sie war jetzt kaum mehr als ein Wispern. Eine leichte Röte hatte die Wangen des Bankiers überzogen. Der Mann schien jetzt Fieber zu haben. Er fröstelte plötzlich. Geräuschvoll schlugen seine Zähne aufeinander. »Ich – ich werde sterben«, flüsterte er. »Ich will nicht sterben …« »Unsinn, Ballister.« Roncos Stimme klang belegt. Er spürte, daß der Mann sich kaum noch halten konnte. Er mußte ihn stärker stützen. Ballister wurde schwächer. »Sie werden in Phönix gesund werden. Man wird Sie vor ein Gericht stellen und Sie können nach Verbüßung Ihrer Strafe - 96 -
mit dem Rest Ihres Geldes uralt werden.« »Geld …« Ballister schüttelte den Kopf. Seine Augen glänzten fiebrig. »Was nutzt mir das Geld? Weil ich immer mehr Geld wollte, habe ich jetzt eine Kugel im Bauch und eine in der Schulter. Vielleicht bin ich – bald – tot. Weil ich immer mehr Geld verdienen wollte. Es gibt – es gibt wichtigere Dinge, Ronco.« »Diese Einsicht haben Sie reichlich spät, Ballister.« »Die guten Einsichten erfolgen immer zu spät.« Ballister sprach jetzt undeutlich, mußte jedes Wort herauspressen und hatte Mühe, weiterzureden. »Große Lehren zieht man nur aus großen Fehlern. Und ich – ich habe große – Fehler – begangen …« Er rang nach Atem. Ronco griff zur Feldflasche am Sattelhorn und flößte Ballister einige Schlucke des abgestandenen Wassers ein. Doch es lief zu den Mundwinkeln wieder heraus. Denn der Bankier hatte das Bewußtsein verloren. Schlaff hing sein rechter Arm herunter, dessen Schulter stark angeschwollen war. Die Wunde im Leib schien sich ebenfalls bereits entzündet zu haben. Die Bauchdecke färbte sich rot. Besorgt trieb Ronco Wildcat zu größerem Tempo an, obwohl er wußte, wie sehr jeder Stoß dem Verletzten schadete. Doch auch die Zeit arbeitete gegen ihn. Und bis nach Phönix waren es noch gewiß zehn Meilen Weg … * Als Ballister wieder aus der Bewußtlosigkeit erwachte, fühlte er zum erstenmal den Schmerz, der seinen Körper erfüllte und von der Wunde im Leib ausstrahlte. Er stieß einen wilden Schrei aus und stürzte fast von Wildcats Rücken. Ronco umklammerte ihn mit beiden Armen und zügelte den Hengst. Ballister bäumte sich auf, er war nicht mehr Herr seiner - 97 -
Sinne. Der wahnsinnige, rasende Schmerz brachte ihn um den Verstand. Er versuchte, mit den Armen um sich zu schlagen, und seine Blicke waren starr ins Leere gerichtet. Schweiß strömte über sein Gesicht. Lallende, unartikulierte Laute drangen aus seinem Mund, sein Gesicht war verzerrt. Ronco bezwang den Mann, dem der Schmerz übermenschliche Kräfte zu verleihen schien, nur mit Mühe. Besorgt tastete er zum Verband Ballisters, um zu prüfen, ob die Wunde durch die heftigen Bewegungen wieder aufgebrochen sei. Aber der Bankier hatte Glück. Die dünne Schorfschicht über dem Kugeleinschlag war nicht zerrissen. Ballisters Bewegungen wurden jetzt schwächer. Er wimmerte nur durchdringend und erschöpft und hörte gar nicht, daß Ronco ihn ansprach. Sein Gesicht verfiel zusehends, seine Haut nahm eine seltsame, gelbliche Farbe an. Das Fieber schüttelte ihn und fraß in seinem Körper. Die Entzündung in der rechten Schulter war weiter fortgeschritten. Die Haut schien sich zu blähen wie die Hülle eines Ballons, und das Fleisch war knallrot. Er bekommt Wundbrand, dachte Ronco. Wenn wir nicht bald einen Doc erreichen, ist es aus. »Wasser«, lallte Ballister. »Wasser, bitte …« Ronco flößte ihm Wasser ein. Und Ballister trank gierig. Dann wimmerte er wieder vor sich hin. Ronco ritt durch den Spätnachmittag nach Nordwesten. Noch fünf Meilen bis Phönix. * Die Schatten der Dämmerung sanken über die Stadt, als der Reiter von Osten durch die Straßen ritt. Vor sich im Sattel hatte er den Verletzten sitzen, der nach vorn auf den Pferdehals gesunken war und das Bewußtsein verloren hatte. Ronco mied die hellen Straßen, er suchte sich durch dunkle - 98 -
Seitengassen seinen Weg. Aufmerksam suchten seine Blicke die Fassaden der Häuser ab. Endlich fand er, was er suchte: Vor einer Arztpraxis in einer schmalen Straße, kaum fünfzehn Yards von der Mainstreet entfernt, auf der ein lebhaftes Treiben herrschte, stieg er aus dem Sattel und hob vorsichtig Stanton Ballister herunter. Er ließ den Mann im Straßenstaub liegen und hastete zur Tür. Heftig pochte er an die starken Holzbohlen. Licht flammte im Haus auf. Schritte waren zu hören. Dann wurde die Tür geöffnet. Ein untersetzter, schnauzbärtiger Mann mit kleinen, scharfen Augen stand vor Ronco und blickte ihn fragend an. »Was gibt’s?« »Sind Sie der Doktor?« »Doc Lioness Geoffrey, ja. Was kann ich für Sie tun?« »Ich habe einen Schwerverletzten bei mir. Er muß sofort operiert werden.« Ronco wandte sich um und lief zur Straße zurück. Er bückte sich, hob den bewußtlosen Bankier auf und trug ihn zum Haus, als wäre er leicht wie eine Feder. »Was ist mit dem Mann los?« fragte der Arzt scharf. »Ich will keine Banditen in meinem Haus?« Ronco antwortete nicht. Er drängte den Mann zur Seite und trug Ballister ins Haus. Er sah Licht aus einer halboffenen Tür fallen und betrat den Raum. Es war das Behandlungszimmer. Ronco trug den Bankier zu dem breiten Operationstisch in der Mitte des Raumes und legte ihn hier nieder. Protestierend war der Arzt gefolgt. Als er jetzt jedoch den Verletzten im Licht sah, stutzte er. »Ballister!« entfuhr es ihm erschrocken. »Stanton Ballister!« »Wollen Sie ihn nicht behandeln? Soll ich ihn wieder fortschaffen?« fragte Ronco gereizt. »Woher hat er die Wunde?« Der Doc blickte Ronco mißtrauisch an. »Nicht von mir. Zwei Banditen, die am Vormittag seine Bank - 99 -
überfallen haben, haben auf ihn geschossen.« »Der Überfall, ah.« Der Arzt nickte. »Erst vor ein paar Stunden ist er entdeckt worden. Der Clerk kehrte fast lahmgeschlagen zurück und erzählte alles. Er ist von den beiden Halunken zehn Meilen vor der Stadt freigelassen worden. Vor Schwäche ist er zusammengebrochen, nachdem er hier angelangt war. Seine Füße waren voller Blasen. Aber was hat Mr. Ballister mit diesen beiden Männern zu tun? Ich denke, er hielt sich auf der Bascomb-Ranch auf. Und wer sind Sie überhaupt, Mister?« Der Arzt schlüpfte in einen weißen Kittel. »Gut, ich operiere ihn. Aber Sie werden mir dabei assistieren.« Er löste vorsichtig den Verband und untersuchte flüchtig die Wunde. »Das sieht schlimm aus«, murmelte er. »Er wird viel Glück brauchen. Sie haben meine Fragen noch nicht beantwortet, Mister.« »Mein Name tut nichts zur Sache.« Ronco schob sich die Hemdsärmel hoch. »Die Halunken hatten einen Safe gestohlen und brauchten die Kombination des Schlosses. Deshalb haben sie Mr. Ballister gesucht. Aber das ist eine lange Geschichte, das hat später Zeit. Zuerst braucht er Ihre Hilfe!« Der Arzt nickte. Er mischte ein Betäubungsmittel mit etwas Wasser und flößte es dem Bewußtlosen ein. Dann wusch er das verkrustete Blut vom Leib des Bankiers, legte sich das Operationsbesteck zurecht und griff nach einer schmalen Sonde. »Halten Sie ihn fest«, befahl er Ronco. »Er darf sich nicht rühren. Erst nehme ich mir den Bauch vor, dann die Schulter. Ich hoffe, Sie können Blut sehen.« Ronco lachte hart auf. »Fangen Sie an, Doc«, knurrte er grimmig. Er stemmte beide Fäuste auf den Oberkörper Stanton Ballisters. * - 100 -
Die Öllampe verbreitete einen kargen Schein. Es war still im Haus, und es war Nacht. Stanton Ballister stöhnte plötzlich durchdringend und qualvoll. Ronco war auf dem Eichenstuhl mit den gedrechselten Lehnen neben dem Lager des Verletzten eingenickt. Jetzt schreckte er hoch und zog die Öllampe näher heran. Er drehte den Docht höher und beugte sich über das Bett. Ballister lag in den weißen Kissen. Er war aus der Betäubung erwacht, wälzte sich unruhig hin und her und wimmerte dumpf. Als er die Augen aufschlug und sein Blick klarer wurde, erkannte er Ronco. »Wasser«, flüsterte er tonlos. »Bitte …« Ronco wandte sich um, tauchte einen weichen Stofflappen in eine Wasserschüssel und befeuchtete die Lippen des weißbärtigen Mannes. »Sie dürfen nichts trinken, Ballister. Sie haben eine schwere Operation hinter sich. Ihr Magen ist wahrscheinlich verletzt. Morgen erhalten Sie einige Schlucke Wasser, aber nur wenig. Essen dürfen Sie in den nächsten Tagen gar nichts. Sie werden das schon überstehen. Ihre Chancen, zu überleben, sind sehr gut, auch Ihre Schulterverletzung wird wieder heilen.« »Wo – wo bin ich?« »In Phönix, bei Doc Geoffrey.« »Sie – haben mich also – wirklich zu einem Doc gebracht?« »Was ich verspreche, pflege ich zu halten. Ich habe Ihnen schon mal gesagt, Sie dürfen mich nicht mit Ihren Handlangern verwechseln, Ballister.« »Meine – Handlanger …« Der Mann versuchte, ein schmales Lächeln zustande zu bringen. Es gelang ihm nicht. »Das ist vorbei«, murmelte er schwach. »Ich – habe keine – Handlanger mehr …« Er blickte zur Decke und atmete schwer. Ronco schwieg. - 101 -
»Ich bin also wirklich – über den Berg?« »Sie werden wieder gesund, Ballister. Sie haben verdammt viel Glück.« »Dann ist es gut.« Ballister wandte den Kopf und blickte nachdenklich auf den weißen Verband an seiner rechten Schulter. »Schmerzen?« fragte Ronco. »Ein wenig nur. In meinem Leib pocht es wie verrückt.« »Das Blut«, sagte Ronco knapp. »Der Doc hat Ihnen Laudanum gegeben. Das dämpft die Schmerzen.« »Ich lebe noch.« Ballister sagte es leise und mehr zu sich selbst, als könne er es nicht begreifen. Es folgte eine lange Pause, in der der Bankier schweigend zur Decke starrte und offenbar innerlich mit sich rang, wie seine zerrissenen Gesichtszüge zu erkennen gaben. Plötzlich blickte er Ronco an und schien eine Entscheidung getroffen zu haben. Das Flämmchen der Öllampe warf düstere Schatten in sein eingefallenes Gesicht. »Ich werde vor Gericht aussagen, über alles«, sagte er unvermittelt. »So? Warum?« »Wenn man dem Tod ins Gesicht geschaut hat, weiß man, was man sich selbst schuldig ist.« »Was wollen Sie aussagen, Ballister?« Ronco beugte sich interessiert vor. »Der Waffenschmuggel in New Mexico, an dem ich beteiligt war, ist nur ein kleiner Teil des ganzen Schmuggelringes.« Ballisters Stimme klang dünn und so leise, daß Ronco sie kaum verstehen konnte. »Culotte und ich finanzierten nur die Geschäfte in einem genau bestimmten Grenzabschnitt. Bascomb organisiert in diesem Bezirk den Verteilerring und besorgte die Kunden. Aber die ganze Organisation ist wesentlich größer. Wir haben Beziehungen überallhin, und die eigentlichen Führer des Rings sitzen in Behörden und in den - 102 -
Spitzen der Armee. Von dort aus ist es möglich, die Geschäfte soweit wie möglich risikolos zu betreiben.« Ballister schwieg jetzt. Er war wieder schweißüberströmt. Das Reden strengte ihn an. »Und wer sind diese Männer, die hinter allem stehen?« forschte Ronco. »Ich werde es vor Gericht sagen.« Ballister wirkte mit einemmal abweisend und verschlossen. »Wie kann ich wissen, ob Sie es sich nicht wieder anders überlegen, wenn Sie schon bei mir nicht sagen wollen, was Sie wissen?« »Damit es bekannt wird und ich noch vor der Gerichtsverhandlung ausgeschaltet werde? Ha! Sie wissen nicht, wie weit der Arm der Leute reicht, mit denen ich diese Geschäfte betrieben habe. Ich will endlich meine Ruhe haben. Nach allem, was passiert ist, weiß ich, auf was ich mich eingelassen hatte. Ich habe es satt, ständig das Risiko einzugehen, getötet zu werden. So habe ich mir das alles nicht vorgestellt. Ich bin Geschäftsmann, kein Bandit wie Bascomb. Außerdem …« Seine Stimme wurde jetzt noch schwächer. »Außerdem – auch wenn Sie mir nicht glauben und wenn es vielleicht merkwürdig klingt – habe ich das Gefühl, etwas gutmachen zu müssen.« Mit der linken Hand tastete er unruhig nach Ronco. Als Ronco sich neben ihn auf die Bettkante setzte, blickte er ihm starr in die Augen. »Holen Sie den Sheriff hierher, Ronco. Holen Sie ihn, und ich werde über alles, was ich weiß, aussagen. Nur vor dem Sheriff, vor sonst niemandem. Denn auch, wenn mir etwas passieren sollte, wird der Sheriff meine Aussage haben und in ein Protokoll aufnehmen. Dann kann eine Gerichtsverhandlung auch ohne mich stattfinden. Glauben Sie mir jetzt, daß ich alles bereue und von allem genug habe?« »Ja, Ballister.« »Dann – dann bringen Sie auch einen Pfarrer her. Ich – ich - 103 -
will mit ihm sprechen, Ronco. Ich glaube – glaube nicht an meine Heilung.« »Das müssen Sie aber.« Ronco blickte ihn fest an. »Sie müssen gesund werden wollen.« Der Bankier schwieg. Seine Augen hatten sich geschlossen. Als Ronco sich tief über den Mann beugte, bemerkte er, daß Ballister wieder das Bewußtsein verloren hatte. Ronco drehte den Docht der Öllampe wieder kleiner. Morgen, dachte er, morgen ist er kräftiger, dann bringe ich den Sheriff und den Pfarrer her. Er wird aussagen und der Schmuggelring wird zerschlagen werden. Er fühlte eine tiefe Befriedigung in sich und glaubte, sein Ziel fast schon erreicht zu haben. Nur daß Bascomb noch frei war, beunruhigte ihn. Doch irgendwann würde auch er gestellt werden. Die Hintermänner waren wichtig, die, von denen Ballister gesprochen hatte, sie waren wichtiger als Bascomb. Morgen früh würde der Sheriff ein Protokoll über alles aufsetzen, was Ballister über die weitverzweigte Organisation wußte. Bis dahin waren es nur noch vier Stunden. Ronco lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. * Kühl lag der junge Tag über Phönix, feucht hatte sich der Nebel des Morgens auf den Vorbauten der hohen, massigen Gebäude in der Mainstreet niedergeschlagen. Die Sonne hatte noch keine Kraft, und das erste Licht des erwachenden Tages schaufelte die Dunkelheit der Nacht wie eine schwarze Masse, die sich auf dem Land aufgetürmt hatte, zur Seite. Ronco verließ das Haus des Doktors Lioness Geoffrey und ging mit schleppenden Schritten zur Mainstreet. Langsam bewegte er sich die Straße hinunter und suchte das Sheriff Office. Er fand es auf Anhieb, obwohl er fremd in der Stadt - 104 -
war. Er sah Licht aus den Fenstern fallen. Der Beamte schien gerade aufgestanden zu sein. Ronco war sich des Risikos wohl bewußt, das er als steckbrieflich Gesuchter einging, wenn er einen Sheriff aufsuchte. Doch er vertraute darauf, daß der Beamte nicht alle Steckbriefe im Kopf haben konnte, und das, was auf dem Spiel stand, lohnte einen hohen Einsatz. Er pochte an die Tür. Eine rauhe Stimme ertönte. Ronco trat ein. Neben dem Schreibtisch sah er einen hageren Mann stehen, der sich vor einem zerbrochenen Taschenspiegel, den er gegen ein Buch auf dem Tisch gelegt hatte, rasierte. Sein knochiger Oberkörper war nackt. Er fröstelte leicht, als die Morgenkühle durch die Tür ins Office wehte. »Sheriff?« Ronco blieb neben der Tür stehen. Der Beamte ließ das Rasiermesser sinken und wandte den Kopf. Er nickte nur und schwieg. »Ich bitte Sie, mir einen Augenblick zuzuhören, Sheriff!« Ronco hakte die Daumen hinter den Waffengurt. »Gestern bei Einbruch der Nacht brachte ich Mr. Stanton Ballister in die Stadt. Er dürfte Ihnen bekannt sein. Mr. Ballister ist von den beiden Banditen, die gestern vormittag seine Bank überfallen hatten, auf der Bascomb-Ranch aufgesucht und schwer verletzt worden. Ich habe ihn zu Doc Geoffrey gebracht. Er ist operiert worden und liegt jetzt im Haus des Doc.« Der Sheriff hatte aufgehört, sich zu rasieren. Er griff nach einem Handtuch und trat auf Ronco zu. Stumm lauschte er. »Mr. Ballister bittet darum, bei Ihnen aussagen zu dürfen. Mr. Ballister ist Kreditgeber einer Waffenschmuggler-Organisation gewesen, in die besonders auch der Rancher Bascomb verwickelt war. Mr. Ballister will damit aufhören und den Schmugglerring auffliegen lassen. Er will, daß Sie seine Aussage zu Protokoll nehmen und ihn sofort aufsuchen. Es geht ihm sehr schlecht, vielleicht stirbt er sogar. Sie müssen sich beeilen, Sheriff.« Der Beamte verschränkte die Arme vor der Brust und - 105 -
musterte Ronco einen Moment lang schweigend. Dann knurrte er: »Sie sollten sich schämen, am frühen Morgen schon so betrunken zu sein, Mister. Ich bin noch nicht ausgeschlafen genug, um mir solche Storys auf nüchternen Magen anhören, zu können. Wer sind Sie überhaupt, und was veranlaßt Sie, hier hereinzuspazieren und mir eine so phantastische Geschichte über einen ehrenwerten Bürger unserer Stadt zu erzählen? Mr. Ballister ein Komplice von Waffenschmugglern? Daß ich nicht lache. Wie heißen Sie, Mann?« »Mein Name tut nichts zur Sache.« Ronco blickte den anderen scharf an. »Ich weiß, daß das alles unglaublich klingt. Aber es ist die Wahrheit. Sie können sich ja davon überzeugen und zu Mr. Ballister gehen.« Der Beamte schaute Ronco auf eigenartige Weise an. »Wieso tut Ihr Name nichts zur Sache? Was haben Sie zu verbergen? Entweder sind Sie total verrückt, oder Sie wollen mich hereinlegen, oder Sie sagen tatsächlich die Wahrheit.« Der Sheriff streifte sich sein Hemd über und schnallte den Revolvergurt um. »Wenn Sie mich hereinlegen wollen, warne ich Sie. Ich glaube Ihnen bis jetzt kein Wort, ich gehe nur mit, weil ich wegen des Bankraubs einige Fragen zu klären habe, auf die der Clerk von Mr. Ballister mir keine Antwort geben konnte. Ich hoffe für Sie, daß Mr. Ballister tatsächlich im Haus von Doc Geoffrey ist.« »Noch eins, Sheriff: Ballister möchte auch den Pfarrer sprechen. Er ist sehr schwer verletzt.« »Gut. Auch den Pfarrer nehmen wir mit. Der Weg führt sowieso an seinem Haus vorbei. Aber wenn Sie gelogen haben, können Sie noch auf etwas gefaßt sein. Sie scheinen mir übrigens bekannt, Mister. Ich weiß nicht, warum, aber ich habe Sie schon mal gesehen. Sie werden mir Ihren Namen schon noch verraten. Kommen Sie!« Der Sheriff verließ das Office. Ronco folgte mit gemischten Gefühlen. Die letzten Sätze des Sheriffs hatten ihm gezeigt, - 106 -
wie gefährlich das Spiel war, das er spielte. Der kühle Morgenwind umstrich sanft ihre Gesichter. Sie schritten die menschenleere, totenstille Straße hinunter. In diesem Moment klang am östlichen Stadtrand Hufschlag auf, der sich entfernte. Ronco lauschte erstaunt dem Geräusch, das der Sheriff gar nicht zu bemerken schien. * Der leichte Wind blähte die Tüllgardine vor dem Fenster des Krankenzimmers, dessen Flügel weit offen standen. Als die Männer den Raum betraten, hatte Ballister den Kopf zur Wand gedreht. Beide Hände lagen auf der Decke. Die Finger hatten sich in den Bettbezug gekrallt. »Da sehen Sie, daß ich nicht gelogen habe.« Ronco deutete auf den Mann im Bett. Der Sheriff und der Pfarrer, ein schmächtiger, froschäugiger Mann, gingen an Ronco vorbei auf das Bett zu. »Howdie, Mr. Ballister!« Der Sheriff zog seinen Hut und grinste. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie so früh am Morgen störe, aber dieser Fremde hier hat mir eine tolle Geschichte erzählt, und …« Der Sheriff verstummte jäh. Ronco stutzte. Er sah, daß Ballister sich nicht rührte. »Vielleicht hat er wieder das Bewußtsein verloren«, sagte er überrascht. »Ja.« Der Beamte beugte sich über den Bankier und wandte jetzt den Kopf. »Und zwar für immer«, sagte er gepreßt. »Er ist tot.« »Tot?« Ronco sprang mit einem Satz auf das Bett zu und zog die Decke zurück. Da sah er die Würgemale am Hals des Bankiers. Die Finger des Mörders hatten dunkle Abdrücke auf der Haut des Toten hinterlassen. Ronco fühlte sich in diesem Moment leer und ausgebrannt. Er hörte nicht, was der Sheriff sagte, und er sah nicht, daß der - 107 -
Pfarrer die Hände faltete und stumm betete. Da fiel ihm plötzlich das Hufgeräusch wieder ein, das er gehört hatte, als er mit dem Sheriff auf die Straße getreten war. Er bewegte sich wie mechanisch, drängte den Beamten zur Seite und warf einen Blick auf die verkrampften Hände des Toten. »Es muß einen Kampf gegeben haben«, sagte er aufgeregt. »Sehen Sie die Kratzwunden an den Unterarmen?« Er nahm die Hände des Toten hoch. Sie waren noch warm, obwohl das Leben aus dem Körper Ballisters gewichen war. Als Ronco die Finger des Toten auseinanderzog, um festzustellen, ob sich Blut unter den Fingernägeln befand, was darauf hätte schließen lassen, daß der Mörder von seinem Opfer durch tiefe Kratzwunden gezeichnet worden war, fiel plötzlich ein hell blinkendes Stück Metall aus der linken Hand und blieb auf dem weißen Laken des Bettes liegen: ein goldener Ohrring. In diesem Moment betrat, nur unvollständig bekleidet, der Arzt das Zimmer. Überrascht blickte er sich um. »Was soll das heißen? Was wollen Sie hier, Sheriff? Padre? Hier liegt ein schwerkranker, frisch operierter Mann, der Ruhe braucht.« Er musterte Ronco mißbilligend. »Wie konnten Sie das zulassen, Mister?« Der Geistliche breitete die Arme aus. »Komm herein, Doc Geoffrey, und schweig still angesichts des Todes. Es hat dem Herrn gefallen, diesen unglücklichen Menschen in die Ewigkeit abzuberufen!« Die Stimme des Pfarrers klang salbungsvoll und gekünstelt. »Ballister ist ermordet worden!« Ronco baute sich vor dem Arzt auf. »Mr. Ballister hatte sich an ziemlich finsteren Geschäften beteiligt. Wahrscheinlich bin ich beobachtet worden, als ich ihn gestern nacht in die Stadt brachte. Die Lumpen, um die es geht, schrecken vor nichts zurück. Sie müssen geahnt haben, daß Ballister aussagen wollte. Der - 108 -
Mörder muß im Laufe der letzten zwanzig Minuten erschienen sein, länger war ich bestimmt nicht weg. Haben Sie nichts gehört, Doc?« »Ich habe nichts gehört.« Der Arzt schüttelte betroffen den Kopf. Er ging zum Bett und fühlte Ballister den Puls. »Tot. Kein Zweifel. Erwürgt.« Er ging wieder zur Tür. »Ich sehe mich draußen auf dem Hof nach Spuren um.« »Wollen Sie immer noch die phantastische Geschichte von dem Waffenschmuggelring erzählen, in dem Mr. Ballister mitgewirkt haben soll, he?« knurrte der Sheriff spöttisch. »Schade, daß Sie es jetzt nicht mehr beweisen können. Vielleicht haben auch Sie selbst …« »Jawohl, großartig. Ich bringe Ballister um, gehe zu Ihnen und hole Sie her, um es Ihnen zu zeigen«, sagte Ronco scharf. »Etwas mehr Intelligenz sollte man vom Polizeichef eines Distrikts schon erwarten können. Und haben Sie den Ohrring nicht gesehen?« Ronco ging zum Bett zurück und hob das goldene Schmuckstück auf. »Den hat er seinem Mörder abgerissen. Na, und trage ich etwa Ohrringe? Ich habe in den letzten Tagen nur einen Mann gesehen, der Ohrringe trägt, und das ist Savage, der Leibwächter Mark Bascombs. Das ist der Mörder Ballisters, und den werde ich mir kaufen!« Ronco wandte sich um und eilte zur Tür. »Stehenbleiben!« bellte der Sheriff hinter ihm. Er hastete ihm nach und trat ihm in den Weg. Sein Gesicht wirkte jetzt eckig und hart. »Bleiben Sie hier, Freundchen. Sie führen mich zu einem Mann, einem angesehenen Bürger dieser Stadt, dessen Bank zufällig gestern überfallen worden ist und der von den Bankräubern später verletzt worden sein soll, und als wir bei ihm eintreffen, ist er tot – ermordet. Sie werden hierbleiben, bis einwandfrei bewiesen ist, daß Sie nichts mit dem Mord zu tun haben. Sie werden sich nicht aus dem Staube machen, Mister. Ich nehme Sie in Haft. Und Ihre Geschichte, daß Mr. Ballister ein Verbrecher gewesen sei, wird ebenfalls gründlich überprüft - 109 -
werden.« Er ließ seine Faust jetzt zum Coltkolben sinken. »Im übrigen ist das eine gute Gelegenheit, auch Ihre Identität zu überprüfen, Mister. Sie können sich von mir aus immer noch weigern, Ihren Namen zu nennen. Ich bin sicher, Sie von irgendwoher zu kennen. Und es wird mir bestimmt einfallen, wer Sie sind. Wenn ich Sie im Zusammenhang mit dem Mord sehe … Ich glaube, daß es einen Steckbrief mit Ihrem Bild gibt, Mister. Und ich möchte wetten, daß ich diesen Steckbrief in meinem Office finde.« »Unsinn!« fauchte Ronco. »Das wird sich erweisen. Wenn ich mich geirrt habe, werde ich mich entschuldigen. Aber selbst dann werden Sie in Haft bleiben, bis alles gründlich untersucht und geklärt ist. Trotzdem: So unschuldig wie Sie tun, sind Sie nicht, Mister. Ich nehme Sie vorläufig wegen Mordverdacht fest.« »Sie sind ja wahnsinnig. Lassen Sie den Mörder verfolgen, er kann noch nicht weit sein!« Ronco ballte aufgeregt die Hände. »Ich muß diesen Halunken stellen.« »Du mußt dein Schicksal gelassen und zufrieden tragen, mein Sohn!« warf der Pfarrer nun ein. »Alles, was geschieht, ist der Wille des Herrn. Wenn du ein gutes Gewissen hast, darfst du dich dem Vertreter des Gesetzes nicht widersetzen. Der Herr wird dir beistehen und dir Gerechtigkeit zuteil werden lassen!« »Vorwärts!« befahl der Sheriff. »Gehen wir.« »Idiot!« schrie Ronco. Er sah keinen Ausweg mehr, der Sheriff wollte ihm nicht zuhören, und wenn er erst den Steckbrief finden würde, auf dem sein, Roncos, Name stand, würde sich seine Situation noch mehr verschlechtern, und niemand würde den wahren Mörder Ballisters verfolgen. Roncos rechte Faust zuckte urplötzlich hoch und traf den Beamten mitten ins Gesicht. Die Wucht des Hiebes schleuderte den Sheriff gegen den Tisch in der Mitte des Raumes. Blut schoß ihm aus der Nase. Ronco setzte nach und hämmerte dem Mann beide Fäuste - 110 -
rechts und links gegen Kopf, Hals und Brust. Stöhnend sank der Sheriff zu Boden und rührte sich nicht mehr. Ronco wandte sich augenblicklich um. Jede Sekunde, die er hier stand, bedeutete für den Mörder Ballisters weiteren Vorsprung. »Mach dich nicht unglücklich, mein Sohn. Ein jeder Sünder kann sicher sein, die Liebe des Herrn zu besitzen. Du brauchst nicht wegzulaufen, selbst wenn du gegen das Gesetz verstoßen haben solltest. Auch für dich ist der Herr da, auch dir wird er helfen, in ein besseres Leben zurückzukehren!« rief der Pfarrer mit bebender Stimme. »Entschuldigen Sie, Padre, aber ich muß den Mörder jagen!« »Das Gesetz wird den nichtswürdigen Wicht stellen und der gerechten Strafe zuführen. Du aber wirst hierbleiben, bis der Sheriff wieder aufwacht. Du wirst dich bei ihm entschuldigen, und …« Ronco ging auf die Tür zu. Der Pfarrer trat ihm in den Weg und breitete mit einem verständnisvollen Lächeln beide Arme aus. »Tut mir aufrichtig leid, Padre«, knurrte Ronco. Dann hatte er den Geistlichen erreicht und schlug zu. Die Rechte traf den Pfarrer an der Kinnspitze und warf ihn zu Boden. Er verdrehte die Augen. Ronco hastete vorbei, zur Tür hinaus auf den Gang zur Straße. Vor dem Haus sah er Doc Lioness Geoffrey stehen und den Boden absuchen. Ronco verschwand geräuschlos durch die Hintertür in den Hof. Hier im Stallanbau hatte er Wildcat untergestellt. Er holte das herrliche Tier jetzt heraus, sattelte es und jagte davon, zum östlichen Stadtrand, von wo er den Hufschlag vor einer halben Stunde gehört hatte. Jetzt hielt ihn niemand mehr auf. Und nur zögernd erwachte die Stadt, als Ronco nach Osten ritt, Phönix verließ und in die Prärie hinausjagte, der aufgehenden Sonne entgegen. Die Hufabdrücke im weichen Sand des Weges waren frisch - 111 -
und kaum drei Stunden alt. Der beständig wehende Westwind hatte die Ränder der Einkerbungen noch nicht abbröckeln lassen. Ronco zog den Hut weiter in die Stirn und legte die flache Rechte zum Schutz gegen die Sonne über die Augen. Weit und leer lag das Land vor ihm. Irgendwo floh der Mörder des Bankiers Stanton Ballister. Ronco war sicher, daß es sich um Savage, den unheimlichen, riesigen Killer handelte, der zusammen mit Mark Bascomb, seinem Herrn, der alles vernichtenden Stampede entgangen war und in letzter Sekunde noch verhindert hatte, daß Stanton Ballister durch seine Aussage den riesigen Waffenschmuggelring sprengen konnte. Ronco wußte jetzt nur, daß er sich über die Dimension des verbrecherischen Handels ganz falsche Vorstellungen gemacht hatte. Es schien sich um eine Organisation zu handeln, die mächtiger war, als manche Territoriumsregierung, mächtiger als die Armee und das Gesetz. Mehr hatte Ballister nicht verraten können. Ronco warf sich jetzt vor, daß er nicht sofort in der Nacht noch den Sheriff geholt hatte. Der Mord wäre vielleicht nicht vermieden worden, aber die Aussage Ballisters wäre vorher in einem Protokoll festgehalten worden und hätte ihren Zweck erfüllt. Roncos ganzes Wollen und Trachten war, als er von New Mexico nach Arizona geritten war, darauf ausgerichtet gewesen, den Waffenschmuggelring zu zerschlagen, statt dessen war er auf neue Spuren gestoßen. Jetzt aber stand er wieder mit leeren Händen da. Schuld daran war Ballisters Mörder. Und Ronco war wild entschlossen, diesen Mann gnadenlos zu jagen, um den feigen Mord an Ballister zu rächen. »Weiter, mein Alter!« Ronco strich Wildcat durch das lange, seidige Mähnenhaar und klopfte dem Tier auf den Hals. »Wir müssen weiter. Sicher hat der idiotische Sheriff von Phönix längst ein Aufgebot zusammengestellt und ist hinter uns her. - 112 -
Aber er wird uns nicht kriegen. Wir werden uns statt dessen den Mörder holen.« Er trieb den Hengst an und ritt weiter auf der Spur nach Osten: Jäger und Gejagter zugleich – es war wie immer … * Die Sonne stand hoch im Mittag, als das Aufgebot einen flachen Bach erreichte. Hier endete Roncos Spur. Ratlos zügelten die Männer ihre Pferde. Es waren fünf, die sich dem Sheriff und seinem Deputy angeschlossen hatten. Es waren Städter, die nur selten eine Waffe in die Hand nahmen und vom Spurenlesen ebensowenig verstanden wie vom Verfolgen von Banditen – nämlich gar nichts. Sie waren dem Sheriff keine Hilfe gewesen, sondern hatten ihn bis jetzt nur aufgehalten. Fluchend stieg er nun aus dem Sattel und suchte das Ufer des Baches ab. Wütend wandte er sich zu seinen Leuten um. »Er ist im Bach weitergeritten. Im Bachbett bleiben keine Spuren zurück, die Strömung ist stark genug, jeden Abdruck im Grundschlamm sofort zu zerstören.« »Dann können wir wohl umkehren«, knurrte ein gedrungener, stiernackiger Mann lustlos. »Umkehren?« fragte der Sheriff gereizt. »Das kommt nicht in Frage. Wir suchen weiter. Der Kerl darf nicht entwischen. Habe ich euch in Phönix nicht gesagt, um wen es sich handelt? Sein Steckbrief lag in meinem Schreibtisch. Fünftausend Dollar Belohnung sind für die Ergreifung des Burschen ausgesetzt. Er ist ein Mörder und Verräter und hat wahrscheinlich auch den ehrenwerten Bankier Stanton Ballister auf dem Gewissen.« »Aber wo sollen wir denn suchen?« warf der Deputy Sheriff jetzt ein. Er war noch ein junger Mann, der seinen Vorgesetzten skeptisch musterte. - 113 -
»Wir werden uns teilen. Sie reiten mit drei Männern nach Süden am Bach entlang, ich reite mit den anderen nach Norden. Irgendwo muß Ronco das Wasser ja wieder verlassen haben.« Der Sheriff schwang sich in den Sattel. Er wartete, bis der junge Deputy und drei Reiter seinem Befehl gefolgt waren. Dann zog er sein Pferd herum und gab seinen zwei Begleitern den Befehl zum Weiterritt. * Ronco hatte den Bach erst nach fünf Meilen Weg verlassen und Wildcat auf steinigen Boden gelenkt, wo ebenfalls keine Spuren zurückblieben. Er war sicher, die Verfolger abgehängt zu haben. Die Spuren von Ballisters Mörder fand er rasch wieder, als er ein Stück nach Süden zur Overlandstraße ritt. Nach kurzem Suchen entdeckte er frischen Pferdekot. Als ein Stück weiter der Boden wieder sandiger wurde, waren es plötzlich zwei Hufspuren, die vor Ronco herführten und jetzt in Richtung Südosten zeigten. Mark Bascomb ist zu seinem Killer gestoßen, dachte Ronco. Jetzt sind beide wieder zusammen. Das ist gut so. Nun werde ich beide stellen. Ronco trieb Wildcat zu rascherem Tempo an. Die Mittagssonne brachte das Land zum Glühen. Der schwache Westwind fächelte dem Reiter kaum Kühlung zu. Ein dichtes Buschgebiet tauchte vor ihm auf, einige Kakteen ragten wie Wachtürme in den Himmel. Speerdornbüsche und Teufelsdornensträucher wucherten dicht an dicht verfilzt am Rande des langgestreckten Dickichts. Und hier fand Ronco wieder eine Spur, die nur von den beiden Galgenvögeln Bascomb und Savage stammen konnte. Aufmerksam glitten die Blicke Roncos über das dichte - 114 -
Unterholz am Waldrand. Doch nur der Wind wisperte leise im Gebüsch, und über den Wipfeln des ausgedehnten Buschlandes kreiste mit ruhigen Flügelschlägen ein Bussard. Es schien keine Gefahr zu geben, und doch war Ronco auf der Hut. Der Instinkt des Gehetzten, des Vogelfreien, warnte ihn. Und er kannte die Gefährlichkeit seiner Gegner, er wußte, daß sie ihn töten wollten, und er ahnte, daß sie längst gemerkt hatten, wer ihnen folgte. Schon hinter dem nächsten Strauch konnte der Mörder mit angeschlagenem Gewehr lauern, hinter dem nächsten Baum konnte die tödliche Falle aufgestellt sein, in die er laufen sollte. Er mußte überall damit rechnen, daß seine Feinde zuschlugen. Seine Rechte lag ständig auf dem Revolverkolben, seine Augen schmerzten fast, so sehr versuchte er, mit Blicken das Dickicht zu durchdringen. Vergeblich. Dann, plötzlich, entdeckte er an einem dornigen Zweig einen rötlichen Stoffetzen. Ronco zügelte Wildcat, beugte sich vor und zupfte den Fetzen von den Dornen. Nachdenklich blickte er sich um. Er glaubte, sich zu erinnern, daß Savage ein Hemd dieser Farbe getragen hatte. Ronco ließ den Fetzen fallen. Eine Falle! schrie es wieder in ihm. Nimm dich in acht, das ist eine Falle. Die Spur ist absichtlich ausgelegt. Ronco zog Wildcat herum und lenkte ihn vom Waldrand weg. Er hielt jetzt größeren Abstand zum Dickicht, und in seiner rechten Faust hielt er schußbereit den Revolver. Er war bereit, sofort abzudrücken, bei der kleinsten Gefahr. Irgendwo im dichten Unterholz vermutete er den Feind. Und er wartete auf das Krachen eines Schusses, wartete auf den harten Einschlag einer Kugel. Doch nichts geschah, und die gespannte Atmosphäre zerrte an seinen Nerven.
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* Sie trafen sich am Spätnachmittag am Bach wieder und ließen die erschöpften Pferde saufen. Müde und ausgelaugt saßen sie in den Sätteln. Resignation und Ärger spiegelten sich in ihren Zügen. »Nichts, keine Spuren«, murmelte der junge Deputy als erster. Der Sheriff schüttelte nur den Kopf. Die Schatten wurden länger. Die Sonne bekam einen seltsamen feurigen Glanz, der sich in den Fluten des Baches spiegelte und das Wasser wie flüssige Glut erscheinen ließ. »Wir müssen umkehren«, gab der Sheriff zähneknirschend zu. Der Entschluß war ihm nicht leichtgefallen, das war ihm anzusehen. »Der Halunke ist wie vom Erdboden verschwunden. Im übrigen endet ein paar hundert Yards weiter mein Amtsbereich. Die Countygrenze dürfen wir sowieso nicht überschreiten. Dann ist der Sheriff von Compasa zuständig.« Der Beamte blickte seinen Deputy von der Seite an. »Hoffentlich haben Sie vor unserem Abritt in Phönix die Behörden der benachbarten Countys telegraphisch von den Vorfällen in Phönix unterrichtet, Tom!« »Sicher, Sheriff!« »Dann werden auch woanders schon Aufgebote aufgestellt worden sein. Ronco ist kein gewöhnlicher Verbrecher. Er hat es verstanden, sich seit Jahren dem Gesetz zu entziehen. Diesmal kann er uns nicht entwischen. In den nächsten Stunden oder Tagen wird er einer Posse in die Arme laufen, dann ist es aus mit ihm. Reiten wir nach Hause.« Der Beamte zog sein Pferd herum und trieb es wieder an die Spitze des kleinen Aufgebots. Die Männer ritten zurück nach Phönix, und ihren Gesichtern war anzusehen, daß sie sehr zufrieden mit dieser Lösung - 116 -
waren. * Am Vormittag, zwei Tage nachdem Ronco Phönix verlassen hatte, um die Spur des Mörders und Waffenschmugglers Mark Bascomb und dessen Leibwächter Savage zu folgen, durchbrach plötzlich Hufschlag von mehr als einem Dutzend Pferden die Stille des weiten Landes. Ronco zügelte Wildcat sofort, richtete sich steil im Sattel auf und lauschte angespannt den sich stetig verstärkenden Geräuschen. Reiter kamen – Gefahr drohte. Ronco zog den schwarzen Hengst herum und tauchte in einer Bodenfalte unter. Sekunden später sprengten acht Reiter über die Hügelkämme in seiner Nähe. Jeder der Männer trug einen matt glitzernden Stern auf dem Hemd, sie hielten Gewehre in den Fäusten. Ein Aufgebot, weitere Jäger: Jäger auf seiner Spur? Ronco hielt den Atem an. Die Reiter entdeckten ihn nicht. Sie ritten vorbei, der drohende, dumpfe Hufschlag verklang. Heiß brannte die Sonne in die Bodenfalte, in der Ronco stand. Er nahm Wildcat am Zügel und führte das Tier wieder auf die Ebene. Hier stieg er wieder in den Sattel. Von dem Aufgebot war nichts mehr zu sehen. Ronco schmeckte salzigen Schweiß auf den Lippen. Er wußte nun, daß er sich getäuscht hatte, als er geglaubt hatte, das Aufgebot aus Phönix abgehängt und damit Ruhe zu haben. Vor ihm waren zwei Männer, die ihn bedenkenlos töten würden, wenn sie die Gelegenheit dazu erhalten würden, und hinter ihm waren wieder seine Häscher, die ihn unerbittlich jagten, ihn, den unschuldig Verurteilten. Neue Jäger ritten auf seiner Spur, doch er gab die Verfolgung - 117 -
nach den wahren Mördern Ballisters nicht auf, obwohl er die Fährte bereits mehr als einmal verloren hatte und nun mit noch mehr Schwierigkeiten zu rechnen hatte. Doch sein Schicksal hatte ihn hart werden lassen gegen Rückschläge, und er hatte gelernt zu kämpfen. Die Nacht verbrachte Ronco in einem steinigen Arroyobett. Die Nacht war lang, und er kam nicht zur Ruhe. Denn ein weiteres Aufgebot ritt dicht an seinem Versteck vorbei und riß ihn aus dem Schlaf. Danach schlief er nicht mehr ein. Die Gefahr war zu nahe. Und die Stunden schleppten sich träge dahin. Angespannt lauschte er in die Dunkelheit, und Hunderte von Gedanken gingen ihm in dieser Nacht durch den Kopf. Als endlich der Tag anbrach, fühlte er sich zerschlagen und übermüdet. Jeder Knochen schmerzte ihn, und er spürte wieder, daß er die Quälereien und Mißhandlungen auf der Bascomb-Ranch noch längst nicht überstanden hatte. Besonders in seinen Schultern zuckten immer noch beißende Stiche, wenn er sich heftig bewegte. Jetzt war die Luft feucht, und die Kühle des Morgens durchzog seinen Körper. Er richtete sich mit steifen Bewegungen auf, und seine Glieder waren schwer wie Blei. Die düsteren Gedanken der Nacht verflogen nicht mit dem Anbruch des Tages. Ronco hatte kaum noch Hoffnung, die Mörder fangen zu können. Er glaubte vielmehr, daß es besser war, die Verfolgung abzubrechen und das Gebiet rings um das Tucumcar Valley, das nun von Aufgeboten, die nach ihm suchten, durchkreuzt wurde, zu verlassen. Sollte er irgendwo untertauchen, um für kurze Zeit die gnadenlose Jagd zu vergessen? Doch als er Wildcat sattelte, sah er vor sich das Bild des Bankiers Stanton Ballister, der bereit gewesen war, den ganzen Waffenschmuggelring zu sprengen. Er war tot, und Ronco wollte dafür sorgen, daß der Mörder sich nicht lange an seiner - 118 -
Tat freuen konnte. Noch immer hatte er dieses Ziel. Und als er in den Sattel stieg, hatte er wieder etwas Hoffnung. Die Sonne stieg auf und vertrieb die Morgenkühle. Ronco lenkte Wildcat aus dem Arroyo und ritt weiter nach Südosten. * Am frühen Vormittag stieß Ronco wieder auf die Spuren von zwei Pferden, wenig später entdeckte er einen Rastplatz. Zwei Männer hatten im Schatten einiger Douglastannen ein Feuer entfacht und Fleisch gebraten. Die zu Spießen geschnitzten, angesengten Holzstöckchen lagen noch im Gras. Als Ronco den Lagerplatz absuchte, nachdem er durch Betasten der Asche in der Feuerstelle festgestellt hatte, daß die Reiter vor mindestens einer Stunde das Camp verlassen haben mußten, entdeckte er schließlich auch wieder die Spuren der Pferde, die ihm die Richtung wiesen. Er war auf der richtigen Fährte. Er hatte Mark Bascomb und Savage vor sich. Seine Niedergeschlagenheit, seine anfängliche Resignation, waren wie weggewischt. Gleichzeitig aber wuchs die innere Anspannung in ihm. Mißtrauisch blickte er sich um und folgte dann einige Schritte der Fährte im Gras. Die Spuren führten vorbei an der Baumgruppe. Etwas Metallisches glitzerte im Gras. Ronco bückte sich. Er fand einen Ohrring – den gleichen, den der ermordete Ballister in den verkrampften Fäusten gehalten hatte. Jetzt war kein Zweifel mehr möglich. Der Mörder war vor ihm. Ronco folgte der Spur noch einige Schritte weiter. Dann stutzte er. Die Fährte führte in einem Bogen um das Tannendickicht. Irritiert schaute sich Ronco um. Dann begriff er mit einemmal, was geschehen war, und für Sekundenbruchteile war er wie gelähmt. Vom Beginn der Verfolgung an hatte er sich in acht - 119 -
genommen, hatte Wachsam auf alles geachtet, was eine Falle hätte sein können. Am Morgen dieses Tages aber hatte er daran nicht gedacht. Er war zu sicher gewesen, sowieso nichts zu finden. Jetzt war es passiert: Er saß in der Falle. * Ein Gewehrlauf blinkte matt im Sonnenlicht zwischen dem dichten Gesträuch. Ronco duckte sich augenblicklich, federte zur Seite, riß im Sprung seinen Colt heraus und schoß sofort. Brüllend zerriß die Detonation die Stille. Im Gebüsch schrie ein Mann gellend auf. Die Waffe fiel zu Boden. Ronco sprang mit einem Satz auf den Strauch zu. Im selben Moment war plötzlich ein Schatten über ihm, dann traf ihn bereits ein gewaltiger Stoß. Er meinte, in den Boden gerammt zu werden und stürzte. Der Revolver entfiel seiner Faust. Er prallte hart auf den Boden, hatte das Gefühl, zerquetscht zu werden und rang nach Atem. Verzweifelt versuchte er, sich herumzuwälzen. Und als er auf dem Rücken lag, sah er das häßliche, mongolenhafte Gesicht des riesigen, stiernackigen Killers Savage dicht vor sich und spürte den heißen Atem des Mannes. Die Pranken des Mörders stemmten sich auf seine Schultern, und Ronco fühlte sich wie eine Puppe gegen den bärenhaften Mann. Ihm blieb keine Zeit mehr, über seine Fehler nachzudenken. Jetzt ging es um sein Leben. Er riß beide Beine hoch und zog die Knie wuchtig an den Körper. Sie bohrten sich in Savages Unterleib. Der Riese lief blau an und stieß ein kreischendes Gebrüll aus. Seine Griffe lockerten sich. Ronco entwand sich den Fäusten und stemmte sich hastig hoch. Unsicher gelangte er auf die Beine. Schwindel stiegen in ihm auf, glühende Stiche durchrasten sein Rückgrat. - 120 -
Der riesenhafte Mann war aus einem Baumwipfel heruntergesprungen wie ein Panther. Als Ronco jetzt wieder stand und mit Betäubungsschleiern kämpfte, richtete sich Savage gerade stöhnend auf. Sein wüstes Gesicht mit den Schlitzaugen und dem dünnen Schnurrbart war zur Fratze entstellt. »Schwein!« flüsterte er. »Ich bringe dich um, du Schwein!« »Trägst du keine Ohrringe mehr?« keuchte Ronco. Er warf einen raschen Blick auf die fleischigen Ohren des anderen und sah verkrustetes Blut an den Läppchen. Savage antwortete nicht. Er hob die Fäuste und ging auf Ronco los. Ronco aber wartete nicht. Er schlug zu. Und er legte alle Kraft in seine Hiebe. Er traf den Riesen an den Kopf und ins Gesicht. Savage aber brummte nur, und Ronco hatte das Gefühl, auf Granit zu schlagen. Seine Hände schmerzten, doch er schlug weiter, bis die Fäuste von Savage ihn trafen. Ronco fühlte sich hochgehoben und zu Boden geschleudert wie ein mit Luft gefüllter Sack. Er hatte keine Chance gegen den Mörder. Doch er wollte um sein Leben kämpfen. Verzweifelt rang er nach Atem und sah aus den Augenwinkeln plötzlich einen zweiten Mann aus dem dichten Gesträuch treten. Es war Mark Bascomb. Der massige Waffenschmuggler wirkte abgerissen und abgehetzt. Spuren von Müdigkeit und Erschöpfung hatten sich tief in sein Gesicht gegraben. Sein rechter Arm war blutüberströmt. Und das Blut pulsierte weiter heftig aus einer klaffenden Wunde an der Hand. Ronco hatte ihm bei dem kurzen Feuerwechsel den rechten Mittelfinger abgeschossen. Notdürftig hatte Bascomb sein Taschentuch um die Wunde geschlungen, doch der Stoff war bereits durchtränkt mit Blut. In seiner Linken aber hielt Bascomb einen Revolver und zielte damit auf Ronco. »Du Hund!« kreischte er. »Du dreckiger Hund! Dich lege ich um! Dich knall ich ab!« - 121 -
Ronco warf sich blitzschnell nach vorn gegen den heranstampfenden Savage. Er hämmerte ihm beide Fäuste auf den Mund und gegen den Hals. Die Unterlippe des Riesen platzte auf und blutete. Gurgelnd warf Savage den kantigen Schädel zurück und versuchte, Ronco zu packen, der sich geschickt und mit tänzelnden Bewegungen hinter dem gewaltigen Mann vor Mark Bascomb in Deckung brachte, der noch immer verzweifelt versuchte, Ronco in seine Schußlinie zu bekommen. Ronco wich den zupackenden Pranken des Killers aus, unterlief einen rechten Haken und rammte dem Riesen seinen Schädel in den Leib. Savage röchelte dumpf und krümmte sich leicht zusammen, dann aber riß er seinen rechten Fuß hoch und traf Ronco knallhart am rechten Oberschenkel. Ronco hatte damit nicht gerechnet und stürzte, fast besinnungslos vor Schmerz, zu Boden. Mit einem Wutschrei sprang Savage auf ihn zu. Sein Gesicht rötete sich. Er bückte sich langsam, und seine Fäuste krallten sich wie Stahlzwingen um Roncos Oberarme. Ronco stöhnte auf. Er konnte nicht verhindern, daß er hochgehoben wurde. »Halt ihn fest!« schrie Mark Bascomb in diesem Moment. »Halt das Schwein fest, damit ich schießen kann. Er hat mir einen Finger abgeschossen, dieser Misthund! Zum Krüppel hat er mich geschossen, zum Krüppel …« »Ich lege ihn dir zurecht, Boß«, keuchte der stiernackige Riese. »Du kriegst ihn so, wie du ihn haben willst und brauchst dann nur noch abzudrücken!« Er lachte wüst. Und er zerrte Ronco auf Bascomb zu. Der Tod war nahe. Und Ronco fühlte panische Verzweiflung in sich. Sollte er sich wie ein Hund abknallen lassen? Sollte er sterben, ohne die Gelegenheit gehabt zu haben, sich zu wehren? Savage, der mongolenhafte, bärenstarke Mann mit den kalten Mörderaugen hob Ronco hoch, als wäre er federleicht, und - 122 -
stellte ihn dann keine drei Yards von Bascomb entfernt auf. Und obwohl Ronco sich wehrte, obwohl er versuchte, zu treten und die Arme zu bewegen, schien das Schicksal unabwendbar. Höhnisch lachte der riesige Mann. Und gegen seine übermenschliche Kraft kam Ronco nicht an. Mark Bascomb lachte jetzt ebenfalls und spannte klickend den Hahn des Colts. Der Schuß krachte belfernd und dröhnend. Aber Ronco stand nicht mehr da, wo der Revolver hinzielte. Die Verzweiflung hatte ihm für wenige Sekunden eine wilde, dämonische Kraft gegeben. Er hatte sich im eisernen Griff des Riesen aufgebäumt und zur Seite geworfen. Savage war mitgerissen worden. Im selben Moment hatte der Schuß gekracht. Und die Kugel konnte Bascomb nicht mehr zurückholen. Sie grub sich in den Rücken des bärenhaften Killers und zerriß sein Leben. Die Griffe um Roncos Arme lockerten sich. Savage verdrehte ungläubig die Augen und sackte in sich zusammen. Er starb schnell. Und er starb leicht. Ein Zittern durchfloß seinen mächtigen Körper, bevor alles Leben aus ihm wich. Ronco ließ sich augenblicklich fallen und nahm hinter der Leiche des Killers Deckung. Mark Bascomb aber stieß einen hysterischen Schrei aus und warf sich herum. Er schien Ronco in diesem Moment vergessen zu haben, er sah nur den toten Savage, den einzigen Helfer, den er noch gehabt hatte. Jetzt war es aus damit, jetzt war er allein. Und die Angst wurde in Bascomb übermächtig. Er stürmte in das dichte Gesträuch. Als Ronco aufstand, seinen Colt vom Boden aufhob und zu Wildcat hastete, klang bereits donnernder Hufschlag auf. Mark Bascomb galoppierte nach Südosten davon. Ronco folgte augenblicklich. Im rasenden Galopp jagten die Männer über die Ebene. Langsam holte Wildcat auf. Ronco riß seinen Colt hoch und feuerte. Er traf nicht und trieb Wildcat zu höchstem Tempo an. - 123 -
Und dann tauchte eine Stadt vor den Reitern auf. »Compasa« stand auf dem verwitterten Ortsschild, das Ronco kaum beachtete. Er sprengte hinter dem Mörder her. Bascomb und Ronco preschten durch die menschenleere Mainstreet. Als sie jedoch die Plaza erreichten, bot sich ihnen ein farbiges Bild, erfüllt von überschäumendem Temperament und ausgelassenem Leben, wie es nur im amerikanischmexikanischen Grenzland auf einer Fiesta möglich war. Bretterbuden waren rund um die Plaza aufgestellt. Ingwerbier, Bourbon-Whisky, Tequila und kalifornischer Wein wurden ausgeschenkt. Rindfleisch wurde über offenen Feuern gebraten. Der Wagen eines Wunderdoktors stand neben einem großen, langgestreckten Zelt, und der zerlumpte Mann schwang eine riesige Zange und bot marktschreierisch jedem Bürger von Compasa eine Zahnbehandlung an. Die Menge vor dem Wagen drängte sich dicht und schrie und lachte, als sich wirklich ein Mann nach vorn schob und auf dem Stuhl des Doktors Platz nahm. Zwischen all den Zelten und Buden wimmelte es von Menschen. Kinder schwenkten bunte Fähnchen. Zigarettenrauch sättigte die heiße Luft. Am anderen Ende der Plaza, auf einer Seitenstraße, fand ein Wettbewerb im Sackhüpfen und Tauziehen statt. Rechts und links hatten sich Zuschauer geschart und feuerten die Teilnehmer an. Irgendwo spielte eine Kapelle lustige Weisen. Ronco zügelte augenblicklich den schwarzen Hengst und blickte überrascht auf das lärmende Treiben. Mark Bascomb hatte die Plaza vor Ronco erreicht und hatte sein Pferd sofort freigelassen. Er war in der lachenden und schreienden Menge untergetaucht. Phantasievoll gekleidete Gaukler, Taschenspieler und Kunstschützen belebten das Bild. - 124 -
Ronco sah ein, daß es keinen Sinn hatte, in die Menge hineinzureiten. Er hatte nach den Geschehnissen in Phönix auch allen Grund, jedes Aufsehen zu vermeiden. Sicher war auch der Marshal von Compasa über ihn unterrichtet. Ronco stieg zögernd aus dem Sattel und schlang Wildcats Zügel locker um den Querholm vor einem Barbershop. Den Revolver hatte er wieder eingesteckt, als er jetzt langsam auf die Plaza schlenderte und sich zu den Menschen gesellte. Niemand achtete auf ihn. Er fiel nicht auf. Und so konnte er ungehindert nach Mark Bascomb suchen. Seitlich von ihm brandete jetzt tosendes Gebrüll auf. Am Rande der Plaza war ein Korral aufgebaut worden. Cowboys ritten darin wilde Pferde zu. Einer der Reiter war gerade in hohem Bogen aus dem Sattel geschleudert worden und lag nun reglos neben dem Zaungatter im Staub. Ronco schob sich suchend durch die Menge. Er ließ seine Blicke über die Köpfe der Menschen fliegen, wandte sich hierhin und dorthin und überlegte, wo der Waffenschmuggler wohl verschwunden sein konnte. Vielleicht war er schon gar nicht mehr auf der Plaza? Vielleicht war er längst in eine Seitenstraße ausgewichen und verließ, während Ronco nach ihm suchte, bereits wieder die Stadt? Im Gewimmel des Festes wäre er dabei von seinem Verfolger niemals entdeckt worden. Zweifel nagten in Ronco, und mit den Zweifeln wuchs seine Unruhe. Er irrte umher und geriet schließlich in den Strom der Menschenmenge, die zu dem großen, langgestreckten Zelt hinflutete. Viele Kinder waren unter den Männern und Frauen. Ronco ließ sich von den anderen treiben. Und da, gerade als Ronco überlegte, ob er die Plaza nicht besser verlassen und vor der Stadt warten sollte, bemerkte er einen untersetzten, massigen Mann hinter dem Karren des Wunderdoktors: Mark Bascomb, den Waffenschmuggler, den Mörder. - 125 -
Zur selben Zeit, da Ronco ihn entdeckte, sah Bascomb auch seinen Verfolger. Mit ungeahnter Behendigkeit schlüpfte der dicke Mann durch die Menge. Sein breitflächiges Gesicht war maskenhaft starr. Er wieselte hinter dem Wagen des Wunderdoktors hervor auf den Zelteingang zu und war dann auch schon wieder verschwunden. Nur Sekunden später folgte ihm Ronco. Mit heftigen Ellenbogenstößen und Faustschlägen bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Männer und Frauen schrien und fluchten. Fäuste streiften auch Ronco. Menschen sprangen protestierend zur Seite, machten ihm Platz und riefen ihm wütend etwas nach. Er achtete nicht darauf. Er erreichte das Zelt und drang ein. Seine Rechte fiel jetzt wieder auf den Kolben des Colts und umklammerte ihn fest, stets bereit, sofort zu schießen. Zwielicht herrschte im Zelt. Schweiß und Tabakrauch sättigten penetrant die stickige Luft. Ronco blieb sekundenlang am Eingang stehen, bis seine Augen sich an das unsichere Licht gewöhnt hatten. Das Zelt war überfüllt. Und immer noch drängten Menschen herein. Auf morschen, schmutzigen Bankreihen saßen über zweihundert Kinder mit ihren Eltern. Es herrschte ein ohrenbetäubender Lärm. Am Kopf des Zeltes, vor den Sitzreihen, war ein Puppentheater aufgebaut, und auf der kleinen Bühne wurden Handpuppen hin- und hergeschoben. Verstellte, quäkende Stimmen sprachen einen Text dazu, und die Blicke der Kinder hingen wie gebannt an den Figuren. Mark Bascomb aber war nirgends zu sehen und schien abermals wie vom Erdboden verschluckt. Langsam schob sich Ronco durch die Sitzreihen. Wo ist er? schrie es in ihm. Hölle, er war keine zehn Yards von mir entfernt. Wo ist er jetzt hin? Bin ich denn schon verrückt? - 126 -
Da schrien die Kinder in den vordersten Sitzreihen plötzlich auf. Sie kreischten schrill mit ihren hellen Stimmen. Ronco beachtete es nicht, denn er vermutete, daß die Aufregung der Kinder mit dem Puppentheater zusammenhing. Das stimmte auch, doch anders, als Ronco vermutet hatte. Als er den Kopf wandte und einen Blick zur Puppenbühne warf, weiteten sich seine Augen erschrocken. Das angsterfüllte Schreien der Kinder hörte er mit einemmal nicht mehr. In seinen Ohren hämmerte das Blut. Wie mechanisch setzte er sich in Bewegung und zog langsam den Colt aus dem Halfter. Und er sah nur noch das Puppentheater und die Figur eines kleinen hölzernen Königs mit einem hellblauen Seidenkleidchen. Und auf diesem Seidenkleidchen bildete sich jetzt ein dunkler Fleck, der rasch immer größer wurde und fast das ganze Kleidchen bedeckte: Blut. Ronco erreichte in diesem Moment die Bühne. Da verschwand die Figur plötzlich, eine Frau kreischte hinter der Bühne grell auf. Der Vorhang wurde zur Seite gerissen. Leicht geduckt, wie eine Wildkatze im Sprung, erschien Mark Bascomb, der Bandit. Von seiner rechten Hand tropfte Blut auf den staubigen Boden des Zeltes. In der Linken jedoch hielt er seinen Revolver. Und er zielte mit der Waffe in das Publikum, das jetzt von den Plätzen aufsprang und in Panik zu geraten drohte. Frauen schrien hysterisch, Kinder weinten, Männer warfen sich unter die Bänke in Deckung. Menschen drängten rücksichtslos zum Ausgang, von Todesangst gehetzt. Einige fielen nieder, wurden von den Füßen der anderen getroffen, gingen unter in der Menge. Bascomb lachte grell und feuerte seinen Revolver ab. Brüllend hallte der Schuß in dem halbdunklen Zelt. Die Kugel durchschlug das Dach. Bascomb schwankte. Der starke Blutverlust schwächte ihn, sein Gesicht war pulvergrau, und seine Augen glitzerten - 127 -
fiebrig. Ronco sprang ihn von der Seite an und schlug mit dem Coltlauf auf das linke Handgelenk des Banditen. Bascomb heulte auf und ließ den Revolver fallen. Er krümmte sich zusammen, fuhr herum und warf sich gegen Ronco. Ronco wich blitzschnell aus, schlug dem Mann ins Gesicht. Blut schoß aus Bascombs Nase. Der Mann taumelte und stieß lallende, gurgelnde, unverständliche Laute aus. Aus den Augenwinkeln sah Ronco den verschreckten Puppenspieler und seine Frau hinter der Buhne hervorhasten und mit dem Publikum nach draußen fliehen. Da griff Bascomb wieder an. Ronco verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Noch immer hielt er den Colt in der Faust. Hart stürzte er auf den Rücken. Bascomb stampfte auf ihn zu. Mit kurzer Bewegung riß er ein Messer aus dem Stiefelschaft. Ronco schoß! Die Kugel zerschmetterte dem Waffenschmuggler und Mörder Mark Bascomb die Stirn. Er stürzte in eine endlose schwarze Tiefe, aus der es keine Rückkehr gab. Ronco sprang auf. Er wirbelte herum, den rauchenden Colt in der Faust. Gleich würde der Marshal da sein. Ronco bückte sich neben Bascomb. Er blickte den Mann einen Moment lang sinnend an. Das Jackett Bascombs hatte sich beim Sturz geöffnet. Ronco durchsuchte es kurz und zog ein zerknittertes Dokument aus einer Seitentasche. Er faltete es auseinander und wunderte sich dabei über sich selbst, daß er, statt zu fliehen, noch immer neben dem Toten kniete. Dann überflog er die wenigen Zeilen auf dem zerknitterten Papier und erhob sich wie elektrisiert: Waffenlieferung unmöglich. Dreitausend Gewehre im Augenblick nicht zu beschaffen. Lieferung erst in sechs Wochen - 128 -
wieder möglich, wenn die Route frei ist. Fernando Martinez – William B. Fly – Andrew Hilton. Ronco las diesen im Telegrammstil abgefaßten Text, und er konnte es kaum glauben, daß ihm dieses Papier in die Hände gefallen war. Da krachten Schüsse auf der Plaza. Rauhe Stimmen trieben die Menschen auseinander. Ronco warf den Kopf hoch. Gehetzt blickte er sich um. Dann setzte er mit einem Sprung hinter die Puppenbühne. Er hielt das Messer Bascombs jetzt in der Faust und schlitzte die Zeltplane auf. Er schlüpfte hinaus und hastete die angrenzende Straße hinunter. Er eilte in einen Hinterhof, durchquerte ihn, traf auf eine Seitengasse und ging dann mit ruhigen Schritten zur Mainstreet zurück. Langsam näherte er sich der Plaza. Noch immer standen hier Menschengruppen. Der Tote im Zelt war entdeckt worden. Niemand achtete auf Ronco, der Wildcat vor dem Barbershop bestieg und durch eine Seitengasse aus der Stadt ritt. Niemand folgte ihm. Er verließ Compasa und ritt hinaus in die weite Ebene. Vor ihm buckelten sich die Hügel. Heiß wie ein glühender Punkt stand die Sonne am wolkenlosen Himmel. Nachdem Ronco zwei Meilen geritten war, zügelte er Wildcat im Schatten einiger Fichten. Er zog das zerknitterte Papier aus der Tasche, das er Bascomb abgenommen hatte, und las noch einmal den Text. »Fernando Martinez«, murmelte er leise vor sich hin. »William B. Fly, und Andrew Hilton.« Er hatte diese Namen noch nie gehört. Er wußte nicht, was für Männer das waren, wo sie lebten, was sie für Positionen hatten. Er wußte nur, daß sie zur Führungsspitze des Waffenschmuggelringes gehörten, wie aus dem Brief hervorging. - 129 -
Und instinktiv ahnte er mit einemmal, daß es zwischen seinem Schicksal und diesem riesigen Schmugglerring gewisse Zusammenhänge geben mußte. Er wußte nicht, warum er das glaubte, es gab keine Anhaltspunkte dafür. Dennoch spürte er es. Und in den Jahren seiner Flucht hatte er gelernt, daß sein Gefühl ihn meist richtig leitete. Nachdenklich schob er das Papier zurück in die Tasche und trieb Wildcat wieder an. Dann ritt er weiter, tauchte unter im weiten Land. Anonym. Er entging seinen Verfolgern, suchte nach einer neuen Chance und wußte doch, daß er noch lange verdammt sein würde, sein ungerechtes Schicksal zu ertragen und täglich neu um sein Leben kämpfen zu müssen, daß er noch lange bleiben würde, was er war: Ronco – der Geächtete. * Abgehalfterte Boxer landen oft genug in der Gosse. Ig – Ignacio – Shanks ist so einer, und er beginnt abzurutschen. Er plant einen Überfall, um seine Finanzen wieder aufzubessern. Aber er nimmt sich das falsche Opfer vor – nämlich Ronco. Und Ronco erkennt, daß dieser Mann gar nicht so schlecht ist, daß nur das Schicksal dem Boxer Ig so übel mitspielte. Und er setzt auf Ig, der jetzt zeigt, daß er ein Kämpfer ist, ein Mann der einmal niedergeschlagen wurde, aber dennoch wieder aufsteht und seinem Schicksal trotzt. Ronco gibt Ig die moralische Schützenhilfe und baut ihn wieder auf. Und Ig dankt es ihm – er rettet Ronco aus einer fast ausweglosen Situation. Die Jagd auf Ronco, den Geächteten, geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 30 dieser neuen großen Western-Serie: Dynamitfäuste
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