Das Ende der Statthalter Entscheidung im Hort der Finsternis von Horst Hoffmann
Atlan - König von Atlantis - Nr. 484
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Das Ende der Statthalter Entscheidung im Hort der Finsternis von Horst Hoffmann
Atlan - König von Atlantis - Nr. 484
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In das Geschehen in der Schwarzen Galaxis ist Bewegung gekommen – und schwerwiegende Dinge vollziehen sich. Da ist Duuhl Larx, der verrückte Neffe, der für gebührende Aufregung sorgt. Mit Koratzo und Copasallior, den beiden Magiern von Oth, die er in seine Gewalt bekommen hat, rast er mit dem Organschiff HERGIEN durch die Schwarze Galaxis, immer auf der Suche nach weiteren »Kollegen«, die er ihrer Lebensenergie berauben kann. Der HERGIEN folgt die GOL'DHOR, das magische Raumschiff, mit Koy, Kolphyr und vier Magiern an Bord. Die Pthorer sind Duuhl Larx auf der Spur, um ihm seine beiden Gefangenen abzujagen, und nähern sich dabei dem Zentrum der Schwarzen Galaxis. Atlan und Razamon sind in Etappen ebenfalls in die Nähe des Ortes ge langt, an dem die Geschicke der Schwarzen Galaxis gelenkt werden. Von der Lebensblase aus kommen die beiden Männer in den »Hort der Finsternis«, die Befehls- und Produktionszentrale des Dunklen Oheims. Seit dem »Duell der Giganten« liegen die Dinge dort im argen, und als es zu schweren Kämpfen kommt, naht DAS ENDE DER STATTHALTER …
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan und Razamon - Der Arkonide und der Pthorer sollen ihrer
Gehirne beraubt werden.
Koratzo und Copasallior - Die beiden Magier im Hort der
Finsternis.
Duuhl Larx - Der verrückte Neffe greift an.
Pammion - Ein Alve, der für den Dunklen Oheim gehalten wird.
Kolphyr - Der Bera bringt das Raumschiff der Magier zur Räson.
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1. Die Magier
Zwischen dem Hort der Finsternis, jener gigantischen Anlage, deren pech schwarze Mauern sich selbst für einen fernen Beobachter noch zu beiden Seiten am Horizont verloren, und dem Raumhafen Ritiquians verlief eine breite und viel benützte Straße. Alven mit oder ohne Fahrzeuge waren ständig unterwegs, oft begleitet von ihren unterschiedlichen, unfreiwilli gen Helfern. Nachdem das Ritiquian-System zur Ruhe gekommen und der Sprößling des Dunklen Oheims besiegt war, landeten wieder Organschiffe und brachten die im Hort dringend benötigten Güter. Große Transporter nahmen sie auf und brachten sie zu den Toren der Anlage, wo sich lange Schlangen bildeten. Jedes einzelne Fahrzeug wurde peinlich genau durch sucht, bevor sich die streng bewachten Tore in den fast fünfzig Meter ho hen Mauern für es öffneten. Niemand, der dort nichts zu suchen hatte, gelangte ins Machtzentrum des Dunklen Oheims auf dem Ringplaneten. Das war mittlerweile auch den beiden Gestalten klargeworden, die von einem der unzähligen Lager schuppen aus, die dem Hort der Finsternis wie eine kleine Barackenstadt vorgelagert waren, das hektische Treiben vor den Mauern beobachteten. »Hörst du wieder etwas?« fragte Copasallior, der Weltenmagier von Oth mit gedämpfter Stimme. Koratzo blickte ihn kurz an, und für einen Moment war ein spöttisches Lächeln in seinem Blick, obwohl es für die beiden wahrhaftig nichts zu la chen gab. Doch Koratzo schien es zu genießen, daß der mächtige Copasal lior umständehalber nun fast völlig auf ihn angewiesen war. Sie durften ih re magischen Fähigkeiten nur in ganz geringem Maß anwenden, wollten sie nicht von den Alven und ihren Hilfskräften entdeckt werden. Im Grun de mußten sie sich auf passive Magie beschränken, so wie sie es seit der Landung der HERGIEN und dem Verschwinden des wahnsinnigen Neffen getan hatten. Sie wendeten ihre Fähigkeiten gerade soweit an, wie es zu ihrem Schutz nötig war. Jedes Mehr hätte ihnen zum Verhängnis werden müssen. So waren sie über die verkehrsreiche Straße bis zu den Schuppen ge langt. Die Alven sahen sie nicht. Die beiden Magier waren unsichtbar für sie. »Sie sind verzweifelt«, sagte Koratzo leise. Er hockte auf einer riesigen Holzkiste und spähte durch ein schmales, schießschartenähnliches Fenster hinaus auf die Straße mit den wartenden Fahrzeugen und den immer ner vöser werdenden Schwarzalven. Copasallior hockte auf dem kahlen Boden und hatte seine sechs Arme so ineinander verschränkt, als wären sie ver knotet. »Sie suchen einen Weg ins Freie, aber sie wissen, daß sie so gut
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wie keine Chance mehr haben, nachdem nun jeder im Hort der Finsternis weiß, wer sie sind.« Wie zu sich selbst fügte der Stimmenmagier hinzu: »Wir müssen sie herausholen.« Copasallior schwieg. Seine Einstellung war Koratzo bekannt, und der Weltenmagier war nicht umzustimmen. Sie konnten nichts für Atlan und Razamon tun. Es war fraglich, ob sie überhaupt noch dazu in der Lage waren, in den Hort der Finsternis einzu dringen. Irgend etwas war an ihm, das ihre magischen Fähigkeiten beein trächtigte, ja fast völlig nutzlos machte. Sie spürten es, hatten sich aller dings bisher gehütet, die Probe aufs Exempel zu machen. Wenn sie alle ih re Kräfte einsetzten, mochte ein Eindringen in den Hort möglich sein. Dann aber waren sie hilflos. Weder für sie noch für die beiden Gehetzten wäre damit etwas gewonnen. Ihr einziges Kapital bestand momentan darin, noch nicht entdeckt wor den zu sein. So mußten sie sich wie gewöhnliche Sterbliche verhalten und auf eine sich plötzlich bietende Chance warten. Copasallior bemühte sich zwar, dem anderen seine Verzweiflung nicht zu zeigen, aber Koratzo fühlte die Hilflosigkeit ja so wie er, und die Blicke des Stimmenmagiers zeigten immer wieder, daß er Copasalliors Maske durchschaute. Sich tarnen und beobachten – das war alles, was sie tun konnten. Dabei bereitete es Koratzo immer mehr Mühe, wenigstens über die Erlebnisse Atlans und Razamons im Hort auf dem laufenden zu bleiben. Seine magi schen Sinne durchdrangen die Mauern. Er bekam mit, was den Freunden zustieß, indem er ihre Gedanken für sich hörbar machte, aber immer häufi ger waren die Eindrücke verschwommen. Was er erfahren und mitgeteilt hatte, reichte allerdings aus, um die Stimmung Copasalliors auf den Tiefpunkt zu senken. Atlan und Razamon hatten herausgefunden, wozu der Hort der Finster nis dem Dunklen Oheim diente – abgesehen von der Funktion als Schalt zentrale, von der aus alle Befehle an die im Raum stehenden Organschiffe ergingen, bis tief in die Randbezirke der Schwarzen Galaxis hinein. Hinter den schwarzen Mauern, in dieser uneinnehmbaren Festung er blickten die Neffen des Dunklen Oheim das Licht der Welt, und es war kein geborenes Leben, das dort entstand und auf seine späteren Aufgaben in den Revieren dieser Sterneninsel vorbereitet wurde. Die Magier waren von Grauen geschüttelt worden, als Koratzo fast gleichzeitig mit Atlan und Razamon die schreckliche Wahrheit erfuhr. Die Statthalter des Oheims wurden aus Hunderten von Wesen zusam mengesetzt, über deren Völker sie später herrschen sollten. Sie waren Re tortengeschöpfe, über deren »Herstellung« vieles noch unbekannt war. Nur eines war ganz klar geworden: Von jeder Rasse des für sie vorgesehe
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nen Reviers hatten sie etwas. Von einem Volk – beziehungsweise dessen Vertreter im Hort der Finsternis, wo sich gewaltige Zoos befanden – stammte das Gehirn, von einem anderen das Herz, und wieder von anderen die Gliedmaßen. In den Operationsräumen der Bleichen Alven trennte man Gefangenen die Teile ab, die später ihren Sitz am Körper des neuen Neffen haben sollten. Selbst dessen Haut bestand aus Flicken, die Wesen völlig unterschiedlichen Aussehens abgeschält worden war. Lange hatten die Magier dazu gebraucht, diese Informationen, die noch als Schreckensvisionen in ihren Köpfen herumspuckten, einigermaßen zu verdauen. Aber das Entsetzen ließ sich nicht abschütteln. Es verstärkte das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit und lähmte. »Wir müssen hinein«, forderte Koratzo wieder, ohne sich vom Fenster abzuwenden. »Nein!« entgegnete Copasallior entschieden. »Du kennst meine Ein wände, also respektiere sie.« Seufzend fügte er hinzu: »Dieses eine Mal.« »Es wird kein zweites Mal mehr geben, wenn wir nichts tun«, versetzte der Stimmenmagier. »Wir existieren nicht für die Alven und ihre Helfer. Wir sollten versuchen, uns, durch die Kontrollen zu schmuggeln. Dazu brauchen wir deine Transmitterfähigkeiten nicht.« »Koratzo«, sagte Copasallior unwillig. »Die Alven mögen uns nicht re gistrieren, weil unsere Tarnung ihre Sinne daran hindert, das wahrzuneh men, was ihre Augen ihnen zeigen. Aber es gibt Roboter und elektronische Überwachungsanlagen, die wir nicht täuschen können.« »Das käme auf einen Versuch an.« »Koratzo …!« »Sei still!« flüsterte der Stimmenmagier schnell. »Jetzt … geschieht et was. Sie begegnen einem Alven. Er ruft sie an und …« »Und?« Copasallior hatte seine Arme entflochten und war aufgestan den. Er blickte an den aufeinandergestapelten Reihen von Kisten vorbei zum Eingang des langgestreckten, flachen Schuppens. Alles blieb ruhig. »Er erkennt sie nicht. Der Alve hält sie für Hilfskräfte. Sie sollen ihm folgen und helfen.« Fast eine Minute lang sagte keiner der Magier etwas. Copasallior klet terte auf die Kiste neben Koratzo und versuchte, ihm über die Schulter zu blicken, wobei er sich mit allen sechs Händen an der gekalkten Wand fest hielt. »Sie sollen ihm bei der Erschaffung eines neuen Neffen helfen!« stieß Koratzo dann hervor. Der Schreck ließ ihn alle Vorsicht vergessen. Er sprach laut, schrie fast. »Eines neuen … Chirmor Flog!« Koratzo fuhr herum und starrte den Weltenmagier zornig an. »Willst du immer noch warten? Er wird merken, daß sie keine Hilfs kräfte sind! Sie werden ihm niemals helfen!«
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Copasalliors Miene war wie versteinert. Koratzo schloß daraus, daß der Weltenmagier mit seinem Entschluß ins Wanken geriet und stieß in die Kerbe. »Copasallior! Wir haben es noch nicht versucht! Wenn wir unsere gan zen Kräfte zusammennehmen, schaffen wir es. Wir werden einen Ausweg finden! Bringe uns in den Hort der Finsternis, zu Atlan und Razamon! Oder ist es dir gleichgültig, was aus den armen Kreaturen wird, die für einen neuen Chirmor Flog sterben müssen?« »Was wird aus ihnen?« fragte der Weltenmagier so ruhig, daß Koratzo an dessen Verstand zu zweifeln begann. »Aus denen, denen man die Glie der abschneidet?« »Ist das jetzt das Wichtigste?« fuhr Koratzo ihn an. Er stockte. Sein Blick richtete sich wieder in die Ferne, dann stieß er hervor: »Jetzt sollen sie einen Havaren zu den Schlächtern schicken. Und … sie greifen den Al ven an!« Selbst das schien Copasallior nicht zu berühren. Noch ruhiger fragte er wieder: »Was wird aus ihnen? Töten die Alven sie, oder laufen sie als Krüppel herum? Vielleicht könnte man durch sie …?« »Du hast den Verstand verloren!«, schrie Koratzo. Erregt sprang er von der Kiste und schüttelte die Fäuste. »Dann versuche ich es eben allein. Du wirst schon sehen, was …« Weiter kam er nicht. Aus einer Ecke des Schuppens drangen Geräusche. Dann wurde eine Reihe von Kisten von hinten umgestoßen, und der Anblick der Gestalten, die nun über die Behälter kletterten, drohte Koratzo die Sinne zu rauben. Copasallior aber sagte nur: »Der wahrhaft Weise hat seine Sinne überall. Ich wußte, daß sie da wa ren. Du nicht?« Koratzo hörte nicht hin. Die Augen weit aufgerissen, wich er vor den sich langsam vorschiebenden Kreaturen zurück. Langsam stieg der Weltenmagier von der Kiste herunter und stellte sich neben Koratzo, der ihm unsichere Blicke zuwarf. »Du … wußtest es? Aber …« »Geräusche, Koratzo. Geräusche und Schatten, die sich bewegen. Keine Magie.« »Dann fragtest du deshalb laut, was aus …?« Koratzo schluckte und be mühte sich, still stehenzubleiben, während die Fremden immer näherka men. »Du meinst, sie sind jene, von denen die Alven …?« Copasallior brachte den Stimmenmagier durch eine Geste zum Schwei gen. Die unheimlichen Gestalten kamen heran, bis sie einen Meter vor den
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Magiern stehenblieben. Einige von ihnen humpelten, weil das eine Bein kürzer war als das andere. Andere hatten keine Arme oder Hände mehr. Einem fehlte ein Ohr, und wieder ein anderer hatte keine Haut mehr auf der Wange. Es war ein buntgemischter Haufen, der sich nun um Copasallior und Koratzo gruppierte und die Magier mit unverhohlener Neugier anstarrten. Einige der etwa zehn Gestalten waren von fast menschlicher Körperform, andere Vogelwesen oder Echsenabkömmlinge. Gemeinsam war ihnen al len, daß sie in Lumpen steckten, ausgemergelt wirkten – und eben ver krüppelt waren. »Wie können sie uns sehen?« fragte Koratzo flüsternd, ohne sich zu be wegen. Die Haltung der Fremden war nicht direkt drohend, doch die Blicke, mit denen sie die Magier musterten, zeigten, daß sie sie als etwas ansahen, das ihnen bereits gehörte. »Geräusche und Schatten, Koratzo«, flüsterte Copasallior. »Die Alven nahmen uns nicht wahr, weil wir uns ruhig verhielten. Du aber hast sogar geschrien. Nachdem sie uns einmal gehört und lokalisiert hatten, konnten sie sich auf uns einstellen.« Der Stimmenmagier atmete schwer. Er schwitzte und mußte seine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um den Blicken der Krüppel standzuhal ten. Copasallior aber blieb weiterhin ruhig. Koratzo begriff ihn nicht. »Verhalte dich still«, flüsterte der Weltenmagier. »Laß sie den Anfang machen.« Am liebsten wäre Koratzo einfach fortgerannt. Was versprach Copasal lior sich vom Stillhalten? Jetzt, wo Atlan und Razamon in höchster Gefahr waren, verlor er Zeit! Koratzo war nicht einmal mehr fähig, die Geschehnisse im Hort der Finsternis weiterzuverfolgen. Endlich, nach endlos erscheinenden Sekunden, trat einer der Krüppel noch einen Schritt vor und nickte langsam. In seinen Augen blitzte es spöt tisch. »Wir verraten euch nicht an die Alven«, sagte das Wesen mit krächzen der Stimme. Es war fast zwei Meter groß, humanoid und unglaublich dürr. Am rechten Arm fehlte die Hand. Der Fremde grinste, als er Koratzos Blick auf den Stumpf bemerkte. »Sie gehört jetzt einem Neffen«, sagte der Verstümmelte. »Ich kenne nicht einmal seinen Namen. Aber ihr seid fremd hier und wollt in den Hort hinein. Wir können euch helfen.« Ein einbeiniges Vogelwesen kicherte. Koratzo hatte nur noch den einen Wunsch, Glyndiszorn wäre hier und könnte ihm ganz schnell eine Falte schaffen, durch die er von hier fliehen konnte, ganz egal wohin. Das Lachen des Dürren versetzte ihm regelrechte Stiche in den Magen. »Ihr habt Angst!« amüsierte sich der Krüppel. »Vor uns! Habt ihr denn
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noch nie von den Veteranen gehört?«
»Veteranen nennt ihr euch.« Copasallior schlang die Arme umeinander
und nickte. »Natürlich wissen wir, wer ihr seid. Die Alven bringen ihre
Opfer also nicht um.«
Das schien die Krüppel unglaublich zu belustigen. Meckerndes Lachen, Husten und Kichern erfüllte den Schuppen. Es hatte nicht den Anschein, als fürchteten die Wesen, Alven auf den Plan zurufen. »Nein«, sagte der Dürre, nachdem er sich belustigt hatte. »Das tun sie nicht. Sie nehmen sich von uns, was sie brauchen, und werfen uns aus dem Hort der Finsternis. Es gibt hier draußen Hunderte von uns. Und wir wis sen viel. Ihr könnt von uns erfahren, was ihr wissen wollt. Wir haben alles gehört, was ihr sagtet, und zeigen euch einen Weg in den Hort.« »Natürlich nicht umsonst«, vermutete Copasallior. Sofort hob das Meckern, Kreischen und Kichern wieder an. Koratzos Hände fuhren zu seinen Ohren. Er setzte sich auf die Kiste unter dem Fen ster und schloß für einen Moment die Augen. Allmählich wurde er ruhiger und begann Copasalliors Absicht zu ahnen. Er war wütend auf den Weltenmagier. Das paßte wieder einmal zu ihm. Er hatte die ganze Zeit über, während er, Koratzo, mit der Beobachtung At lans und Razamons vollauf beschäftigt gewesen war, gewußt, wer sich da hinter den Kisten versteckte und sich wohl da schon Aussichten ausge rechnet, mit Hilfe der aus dem Hort Geworfenen einen Weg in die Anlage hinein zu finden. Er hatte Koratzo nichts gesagt und ihn sich den Kopf zer brechen lassen. Natürlich hätte auch er sie viel früher entdeckt, wenn er nicht ganz auf Atlan und Razamon konzentriert gewesen wäre und ihre Gedanken für sich hätte hörbar machen können. Auch jetzt war er dazu viel zu erregt und verwirrt, und die Beobachtung der Gefährten ging vor. »Umsonst ist nichts«, sagte der Dürre nun. »Wir schlagen euch einen einfachen Handel vor. Wir wissen, daß ihr mit einem Schiff gekommen seid, das noch immer auf dem Raumhafen steht. Gebt es uns und bringt uns damit ins Veteranenreich in den Bergen. Dafür verraten wir euch den geheimen Weg in den Hort.« Veteranenreich? Koratzo sah den Dürren wieder an und warf Copasallior verstohlene Seitenblicke zu. Der Weltenmagier nickte und schien bereit zu sein, auf das »Angebot« einzugehen. Natürlich, die HERGIEN war so gut wie nutz los geworden. Koratzo bezweifelte, daß sie im Fall einer Flucht weit mit ihr kämen oder überhaupt starten konnten. Aber was war das Veteranenreich? Die Krüppel nannten sich selbst »Veteranen«. Soviel war klar. Und sie hatten sich anscheinend auf höchst makabre Weise mit ihrem Schicksal
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abgefunden. Sie wirkten alles andere als vertrauenerweckend. Glaubte Co pasallior etwa, daß sie einen Machtfaktor auf Ritiquian darstellten? Koratzos Wut wurde noch größer. Wieder erwachte die uralte Rivalität zum Weltenmagier in ihm. Sollte Copasallior zusehen, wie er mit den Ker len zurechtkam. Sollte er mit ihnen reden. Koratzo hatte besseres zu tun. Er versuchte, die Krüppel einfach zu ignorieren und Atlans und Razamons Stimmen wiederzufinden. Es gelang nicht. »Es wäre zu überlegen«, ging der Weltenmagier auf den Vorschlag des Dürren ein. Das einbeinige Vogelwesen überschlug sich fast vor Begeiste rung. »Aber vorher müssen wir wissen, ob ihr uns nicht einfach Märchen erzählt.« Der Dürre richtete sich ruckhaft zur vollen Größe auf. Wieder blitzte es in seinen Augen. Empört deutete er auf seinen Stumpf und herrschte den Weltenmagier an: »Märchen? Glaubt ihr uns nicht, daß wir aus dem Hort der Finsternis kommen? Haben wir uns die Glieder selbst abgehackt?« Wie ein Echo krächzten die übrigen Veteranen ebenfalls ihre Empörung hinaus. Koratzo faßte es nicht. Sie, die eben noch über ihre Verstümme lungen lachten, gaben sich beleidigt. »Du weißt, was ich meine«, versetzte Copasallior ungerührt. »Zeigt uns den Weg in den Hort. Dann reden wir weiter. Ihr könnt uns ja daran hin dern, zu fliehen. Wir sind nur zu zweit.« Der Dürre warf ihm und Koratzo undefinierbare Blicke zu. Scheinbar widerwillig wandte er sich ab und winkte seine Kumpane herbei. Sie steckten die Köpfe zusammen und tuschelten miteinander. Koratzo nutzte dies, um den Weltenmagier mit einigen vernichtenden Blicken zu bedenken. Der zuckte nur die Schultern. Der Dürre drehte sich wieder zu ihnen um. »Es ist gut«, sagte er. »Wir bringen euch zu unserem Anführer. Bossoyk soll entscheiden. Ich denke, er wird euren Vorschlag annehmen.« Fast ver schwörerisch stieß er Copasallior an und zwinkerte ihm zu. »Immerhin sind wir ja alle Feinde der Alven und des Dunklen Oheims, oder? Ihr seid keine, die zufällig hier gelandet sind, wie die anderen. Sonst hättet ihr euch nicht so um die Alven herumgeschlichen.« »Ihre Freunde sind wir nicht«, gab der Weltenmagier bereitwillig zu. »Na, seht ihr. Und jetzt kommt. Es wird ein guter Handel werden.« Koratzo dachte nicht daran, etwas einzuwenden. Trotzig folgte er Copa sallior, als der Dürre voranschritt und die anderen Veteranen sie in die Mitte nahmen. Er hätte besser daran getan, nun doch zu versuchen, die Gedanken der Krüppel für sich hörbar zu machen. Statt dessen versuchte er wieder, et
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was von Atlan und Razamon »einzufangen«, um auf dem laufenden zu bleiben und, falls nötig, im geeigneten Zeitpunkt auf eigene Faust zu han deln. So taten sie den Veteranen den Gefallen und gingen mit ihnen. Wenn Copasallior ihre zufriedenen Blicke bemerkte, zeigte er es nicht. Oder er redete sich ein, daß die Gier, die die Veteranen kaum verbargen, allein der HERGIEN galt. Sie brauchten die Magier ja, um sie zu fliegen. Koratzo empfing nichts mehr von Atlan und Razamon. Verzweifelt ver suchte er den Gedanke zu unterdrücken, dies könne allein daran liegen, daß die beiden schon nicht mehr lebten. Wenig später fanden die beiden Magier sich in einer düsteren Bude wie der. Vorhänge aus Fetzen dämpften das aus den beiden Fenstern einfallen de Licht. Das Mobiliar bestand aus einer Holzbank, einem großen runden Tisch und einem klapprigen alten Sessel, in dem ein Zwerg mit zwei Köp fen und drei Armen saß. Vom vierten Arm war nur noch ein Stummel üb rig, über dem sich das giftiggrüne weite Gewand des Wesens leicht aus beulte. »Das ist Bossoyk, unser Anführer«, erklärte der Dürre, der als einziger mit in den Raum gekommen war. Seine Begleiter waren von drei stämmi gen Echsen, offensichtlich Bossoyks Leibwache, ziemlich unsanft wieder ins Freie geschoben worden, bevor die Tür von innen verriegelt wurde. Die Gestalt des Oberveteranen schockierte Koratzo nicht mehr. Auf dem Weg hierher, zwischen Baracken und Lagerschuppen, aufgetürmten Containern und leeren Fässern hatte er einen Eindruck von den Verstüm melten erhalten, der sie ihm bestimmt nicht sympathischer machte. Einige kamen mit vollen Händen aus Schuppen heraus, in denen Lebensmittel und andere Güter aufbewahrt wurden. Sie waren Diebe und lebten von der Hand in den Mund. Koratzo hatte natürlich zuerst Mitleid mit ihnen, denn bevor sie herkamen, mußten sie Unvorstellbares erlitten haben. Die Art und Weise, wie sie darüber hinweggingen, ja sogar einen makabren Stolz auf ihr Krüppeldasein zu empfinden schienen, ließ ihn dieses Mitleid je doch schnell vergessen. Einmal stand er kurz davor, sich Zugang zu ihren anderen Gedanken zu verschaffen, aber das, was er darin erkennen mochte, ließ ihn zurück schrecken. Und er fieberte nach neuen Informationen über Atlan und Raz amon. Wenn Copasallior sich auf das Spiel einließ – er stand auf dem Sprung, von hier zu verschwinden. Es sah nicht danach aus, als ob die Veteranen ihnen dies noch gestatten würden. »Das also sind die beiden«, sagte Bossoyk mit fistelnder Stimme. Er lehnte sich in seinem Sessel vor und musterte die Magier aus zusammen gekniffenen Augen. »Sie sehen aus, als hätten sie einiges anzubieten.«
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Dann sah er den Dürren an. »Warum steht ihr noch da? Auf sie!« Von einem »Geschäft« war nicht mehr die Rede. Bevor Koratzo seine Überraschung verdauen konnte – denn mit einem solchen Beginn ihrer »Verhandlungen« hatte selbst er bei allem Mißtrauen nicht gerechnet –, stürzten sich der Dürre und die drei Echsen auf ihn und Copasallior. Die nackte Angst ließ den Stimmenmagier Atlan für den Augenblick völlig vergessen. Das johlende Geschrei der Krüppel in den Ohren, wich er mit einem Satz bis zur verriegelten Tür zurück. Auch von draußen kamen Schreie. Mit Sicherheit warteten dort Dutzende der Banditen auf ihre Op fer. Copasallior schien aus allen Wolken zu fallen. Er wich zurück, kam ne ben Koratzo und versuchte, den ersten Angriff abzuwehren. Aber die Übermacht war zu groß. Die Echsen waren relativ unversehrt, einer fehlte ein Auge, der zweiten der Schwanz und der dritten eine größere Hautpar tie. »Los!« schrie Bossoyk schrill. »Schlagt sie nieder und reißt ihnen die Kleider vom Leib! Ich will ihr Schiff und alles, was sie bei sich haben!« Koratzo begriff augenblicklich alles – und sah, wie Copasallior in seiner Verzweiflung Anstalten machte, sich die Gegner, die ihn fast am Boden hatten, durch die Anwendung magischer Techniken nachdrücklich vom Halse zu schaffen. Das aber durfte er nicht. Verzweifelt suchte der Stimmenmagier nach einem Ausweg, während er sich gegen den Würgegriff einer Echse zu wehren versuchte. Er wurde hochgehoben, schlug mit den Armen um sich und landete unsanft auf dem Rücken. »Nicht, Copasallior!« schrie er. »Und ihr verschwindet! Wir geben euch freiwillig, was wir haben! Laßt uns los, oder ihr erfahrt unser Geheimnis nie!« Er dachte nicht lange darüber nach, was er sagte. Hauptsache, die Kerle ließen von ihm ab. »Laßt sie los!« befahl Bossoyk. Die Echsen traten zurück, und der Zweiköpfige blickte die am Boden liegenden Magier gierig an. »Ich hoffe für dich«, sagte er zu Koratzo, der sich langsam wieder auf rappelte, »daß dies kein Trick ist! Also: Von welchem Geheimnis sprichst du? Glaub mir, es ist besser für dich, mir die Wahrheit zu sagen.« Koratzo rang nach Atem und bemerkte Copasalliors wütende Blicke. Nun war er es, der sich in etwas hineingeritten hatte. Sie besaßen nichts – nichts außer ihren ohnehin fast lahmgelegten magischen Fähigkeiten. Und die durften sie nicht zeigen. »Ich warte!« sagte Bossoyk. Die Echsen hielten sich schon wieder be reit. »Nun zeig es ihnen schon!« schimpfte Copasallior zornig. »Zeig ihnen
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unser Geheimnis, Koratzo!« Der Stimmenmagier schwitzte Wasser und Blut. Natürlich, Copasallior dachte nicht daran, ihm aus der Patsche zu helfen, obwohl es auch um sei ne Haut ging. Im Gegenteil schien er Koratzo seinen Fehler so deutlich un ter die Nase reiben zu wollen, daß dies seine eigene Dummheit, sich den Banditen so überstürzt anzuvertrauen, schnellstens vergessen machte. »Also?« fragte Bossoyk drohend und gab den Echsen einen Wink. »Ich zähle bis drei! Eins, zwei …« »Wasser!« Koratzo wußte hinterher nicht zu sagen, woher ihm plötzlich die Eingebung kam. Er deutete schnell auf zwei mit schalem Wasser ge füllte Bottiche auf dem Boden und rief: »Ich kann euer stinkendes Wasser in Wein verwandeln!« Bossoyks beide Köpfe drehten sich so, daß der Anführer der Veteranen sich selbst in die Augen sah. Dann starrte er aus allen vier Augen wieder Koratzo an. »Das kann niemand. Du lügst.« Koratzo lachte gequält. Für einen Moment konzentrierte er sich und wandelte das Wasser mit einem simplen magischen Trick um, für den er ganz bestimmt nicht soviel Energie brauchte, um sich an den Dunklen Oheim zu verraten. »Kostet es«, preßte er hervor, das Gesicht schweißüberströmt. Copasalliors Miene hellte sich auf. Koratzo quittierte es mit einem tri umphierenden Seitenblick – ein wenig zu früh. Bossoyk ließ zuerst eine der Echsen vom Wein probieren, dann trank er selbst. Der Zweiköpfige starrte die beiden Magier abwechselnd an. Er schien nicht glauben zu können, was geschehen war, doch früher als Copasallior und Koratzo lieb sein konnte, stellte er sich auf die neue Situation ein. »Das ist gut!« rief er aus. »Sehr gut! Wir bekommen euer Schiff, und ihr bringt uns ins Veteranenreich. Vorher aber verwandelt ihr alles Wasser, das wir herbeischaffen können. Und denkt nicht, daß ihr Dummheiten ma chen könnt. Ihr werdet von jedem Bottich zuerst probieren!« »Etwas Schönes hast du uns eingebrockt«, flüsterte Copasallior. Lauter fragte er Bossoyk: »Und wenn wir all eure Wünsche erfüllt haben, zeigt ihr uns den Weg in den Hort der Finsternis?« Dummkopf! durchfuhr es Koratzo. Welch ein Dummkopf der Welten magier war! Dann wäre es viel zu spät für Atlan und Razamon – falls sie überhaupt noch lebten. Bossoyk aber lachte, bis sich seine Köpfe dunkelrot gefärbt hatten und er ins Husten kam. »Habt ihr im Ernst geglaubt, es gäbe einen Eingang, der nicht bewacht ist?« fragte er höhnisch. »Dann seid ihr noch dümmer, als ich dachte. Es
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gibt keinen Eingang für euch, auch keinen geheimen. Seid lieber mit dem neuen Handel zufrieden!« »Dem … neuen?« fragte Copasallior. »Natürlich. Wir kriegen euer Schiff, und da ihr sonst nichts bei euch habt, das uns als Beute genügte, seid eben ihr unsere Beute. Wir werden viel Wein haben und viele Feste feiern. Und ihr bleibt dafür am Leben.« Die Magier sahen sich an. Es bedurfte keiner Worte mehr zwischen ih nen. »Schafft sie fort«, befahl Bossoyk den Echsen. »Zum Schuppen, der der Mauer am nächsten ist.« Ob der Zweiköpfige damit eine bestimmte Absicht verfolgte, wußten die Magier nicht. Dafür war ihnen um so klarer, daß ihre Fähigkeiten um so stärker schwanden, je näher sie der schwarzen Mauer kamen. Noch hätte Copasallior eine Magie wirken können, um sich zu befreien, doch das hätte unweigerlich den dunklen Oheim auf sie aufmerksam ge macht. Sie waren hilfloser als zuvor. »Ich lasse mir etwas einfallen«, knurrte Koratzo auf dem Weg durch die Gasse, die die johlenden Veteranen für sie bildeten. Der Weltenmagier gab keine Antwort.
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2. Atlan
Razamon stand da, die Augen weit offen, die Fäuste geballt, das Gesicht zu einer Grimasse des Entsetzens verzerrt. Die Worte des Dunklen Oheims, der durch den Gersa-Predogg Panthorgh zu uns gesprochen hatte, hallten mir noch schmerzhaft im Ohr. Ich versuchte, klare Gedanken zu fassen, als Razamons furchtbarer Schrei die ursprünglich eingetretene Stil le zerriß. »Nein!« gellte es durch die riesige Kuppel. »Nein! Ihr werdet uns nicht die Gehirne herausschneiden!« Er stürzte sich auf die Maschine, die direkt vor Pammions Thron schwebte, und ich konnte das Unglück nicht mehr verhindern. Ich war wie gelähmt. Razamon prallte hart auf den Roboter, holte aus und schlug die bloße Faust gegen das Brustteil der Maschine. Mit einem qualvollen Auf schrei sprang er zurück und taumelte. Ich lief zu ihm und half ihm wieder auf die Beine. Er wollte sich wieder auf den Gersa-Predogg stürzen. Nur mit Mühe hielt ich ihn zurück. Ich re dete auf ihn ein, sagte alles Mögliche, nur um ihn zu beruhigen. Er hörte nicht einmal zu. Verzweifelt sah ich mich um. Pammion, der Bleiche Alve, hatte sich über eine Lehne seines mächtigen Throns gebeugt und beobachtete uns amüsiert. Die anderen beiden Roboter, die um den Thron schwebten, rück ten näher zusammen. Bewaffnete Alven kamen die Treppen zum Podest hochgelaufen, breite Stufen wie die eines alten Maya-Tempels. Die Alven an den zehn ringförmig ums Podest angeordneten Kontrollbänken hatten sich umgedreht und waren aufgestanden. Das Bild des Dunklen Oheims, des gewaltigen, drohenden schwarzen Ringes um die Sonne Ritiquian, war nach wie vor auf dem größten der un zähligen Bildschirme in den Kuppelwänden zu sehen, die sich wie ein Dom über uns spannten. Unbändiger Zorn stieg in mir auf. Der Schock war überwunden. Ich konnte klar denken und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Es mußte einen geben. Es konnte, durfte nicht unser Ende sein, als bloße Gehirne im Körper eines Neffen weiterzuleben und in irgendeinem Revier der Schwarzen Galaxis uns völlig unbekannte Völker zu unterdrücken. Razamon schrie: »Laß mich!« und riß sich los. Seinen im Zorn freiwer denden Bärenkräften hatte ich nichts entgegenzusetzen. Ich taumelte zu rück, als er mich vor die Brust stieß, und wurde von einem Roboter aufge fangen, bevor ich die Treppen hinabstürzen konnte. Abermals trommelten Razamons Fäuste gegen die Brust des GersaPredoggs. Panthorgh ließ es über sich ergehen, bis Pammion schrill rief:
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»Es ist genug!« Der Brustteil des Gersa-Predoggs öffnete sich, und blitzschnell schoß eine stählerne Faust auf den Berserker zu. Mit blutender Stirn blieb Raza mon am Boden liegen, direkt vor dem Thron. Panthorgh zog sich auf Befehl Pammions zurück. Der mächtigste aller Alven, die rechte Hand des Dunklen Oheims unter den Sterblichen, sah und winkte mich heran. Der Roboter gab mich frei. Mit geballten Fäusten trat ich auf Pammion zu. Razamon war bei Bewußtsein, aber unfähig, sich zu erheben. Ich sah den Alven an, verzweifelt darum bemüht, die Roboter und die Zwerge mit ihren Lähmwaffen zu ignorieren und mich zu beherrschen. Aber es war schwer! Pammions Augen funkelten mich an. Der Zwerg rutschte wieder so weit zurück, daß er mit dem Rücken gegen die Lehne des viel zu großen Throns stieß, und legte die Hände auf die Kontrollen. »Ihr habt gehört, was der Dunkle Oheim sagte«, begann er ruhig. Ich hatte den Gedanken, ihn durch einen Überraschungsangriff in meine Ge walt zu bringen und als Geisel zu benutzen, längst aufgegeben. Ein Knopf druck seiner dürren Finger genügte, um eine ganze Armee herbeizurufen. Außerdem war es wahrscheinlich, daß er blitzschnell einen Schutzschirm um sich schalten konnte. »Ihr habt euer Urteil gehört«, fuhr er fort. »Zur Strafe für eure Aufsäs sigkeit und all den Schaden, den ihr in verschiedenen Revieren und auf Pthor angerichtet habt, werdet ihr eure Gehirne zur Herstellung zweier neuer Neffen des Oheims geben in ihnen werdet ihr weiterleben und die Befehle des Herrschers ohne Zögern ausführen.« »Nie!« schrie ich ihn an. Pammion lächelte dünn. »Warte es ab, Atlan. Ich selbst werde das in die Hand nehmen, und Dil libor wird diesmal besonders gute Arbeit leisten. Vorher aber sollt ihr er fahren, welcherart eure zukünftige Existenz sein wird.« Der Dunkle Oheim hatte das befohlen. Ob dies als eine besondere Qual gedacht war, wußte ich nicht. Aber vielleicht ließ sich mit den Informatio nen, die ich nun bekam, etwas anfangen, wenn … Wenn noch ein Wunder geschah? Das berühmte Wunder im letzten Au genblick? Ich konnte nicht mehr daran glauben, und doch sträubte sich alles in mir gegen das Ungeheuerliche. Lieber wollte ich hier sterben, als mein Gehirn in den Körper eines Neffen verpflanzen zu lassen. »Ihr wißt inzwischen, woraus die Neffen geschaffen werden. Jedes ein zelne Volk ihres künftigen Reviers ist in ihnen repräsentiert, ob durch ein Glied eines ihrer Angehörigen, ein Organ, ein Auge oder nur ein Stück
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chen Haut. Sie werden sozusagen für ihr späteres Revier maßgeschneidert. Sie stellen einen Querschnitt durch die Völker eines Reviers dar.« Pammion machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Wenn er sprach, tat er das in der Manier eines Wesens, das eine lästige Pflicht zu absolvieren hatte. Nun sah er mich an und versuchte aus meiner Miene herauszulesen, wie beeindruckt ich wohl war. In mir kochte es, aber ich brachte es fertig, fast unbeteiligt zu wirken. Immerhin wurde mir nun klar, warum Duuhl Larx die unterschiedlichsten Wesen seines Reviers zu seinen Transfusionsgebundenen machen konnte. Er hatte oft genug davon gesprochen, bevor er uns nach Dorkh schickte. »Weiter!« sagte Pammion. »Ist ein solcher Körper einmal fertig, so be darf er, um überhaupt funktionieren zu können, einer ganz speziellen Ener gie, die ihm nur der Dunkle Oheim über die Gersa-Predoggs liefern kann. Schon zur Belebung werden große Mengen Energie benötigt – jene, die aus dem Oheim selbst kommt, und die andere, ohne die kein Neffe existie ren kann. Er bekommt sie zum zweitenmal bei seiner Beseelung zugeführt, danach ist er ständig auf sie angewiesen. Oh, gebt euch keinen verfrühten Hoffnungen hin. Auch als Neffen werdet ihr nicht unsterblich sein. Auch wenn diese spezielle Energie einem Neffen zugeführt wird, nutzt sich sein Körper langsam ab. Sie sind langlebig, aber nicht unsterblich.« Wieder machte er eine Pause. Mit seinen Worten hatte er jedoch zumin dest schon erreicht, daß ich meine Lage für den Moment fast vergaß. Mei ne Neugier war geweckt. Er registrierte es zufrieden. »Jene spezielle Energie, von der ich spreche«, fuhr Pammion fort, »kommt direkt aus der Lebensblase. In sie gehen alle positiven Bewußtseinsinhalte der Opfer des Dunklen Oheims auf. Sie dient dem Herrscher als eine Art Lebenserhaltungssystem für seine Neffen. Die von der Le bensblase kommende Energie ist der des Dunklen Oheims entgegenge setzt. Sie ist positiv. Damit eine Aufladung der Neffen keine unerwünschte Wirkung auf diese hat, kleidet der Herrscher die lebensspendenden Impul se in jene Ausstrahlung, die euch im Zusammenhang mit den GersaPredoggs wohlbekannt sein dürfte.« Er verpackt sie in seine eigene böse Ausstrahlung, dachte ich. Tolfex fiel mir wieder ein, der Stern der Läuterung und der Planet Ghyx. Dinge, die ich bereits dumpf geahnt hatte, wurden mir nun klar. Aber warum er zählte Pammion mir das alles? Was hatte dies mit unserer späteren »Aufgabe« als Neffen zu tun? Was Pammion nicht sagte, war, daß alle Neffen zum Sterben verurteilt waren, wenn die Lebensblase einmal vernichtet werden würde. Genau das war es, worauf Yeers und Olken, die beiden in ihr gefangenen Körperlo sen, so sehr hofften. Und sie waren überzeugt davon, daß die GOL'DHOR
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mit der großen Plejade, die die Zerstörung der Lebensblase bewirken soll te, schon ganz in der Nähe war. Und ohne die Neffen würde die Herrschaft des Dunklen Oheims über die Schwarze Galaxis zusammenbrechen wie ein Kartenhaus. Er brauchte sie, um zu herrschen. Er brauchte das von ihnen verursachte Chaos wie ein Mensch die Luft zum Atmen. Ich begann, mich an diesen Gedanken zu klammern. Ich wußte, daß ich nach einem Strohhalm griff, aber dies war die einzige Möglichkeit für uns, doch noch mit heiler Haut aus dem Hort der Finsternis zu entkommen. Zum erstenmal stellte ich mir bewußt die Frage, was mit dieser Anlage, mit den Alven und den Gersa-Predoggs geschähe, falls Yeers und Olken recht hatten und die GOL'DHOR bereits in der Nähe der Lebensblase war. Ich konnte es nur erahnen. Es mußte zum totalen Chaos kommen. Aber wo war die GOL'DHOR jetzt? Hatte sie überhaupt eine Chance, unbehelligt durch die Wachflotten der Alven zu gelangen? Meine plötzlich wieder aufflammende Hoffnung mochte noch so irreal und unberechtigt sein – sie war alles, an das Razamon und ich uns jetzt noch klammern konnten. Wir mußten Zeit gewinnen! War Dillibor in diesen Minuten schon dabei, alles für unsere Operation vorzubereiten? Stand schon irgendwo in seinen Labors der Torso eines Neffen und wartete nur darauf, daß man ihm die Schädeldecke schloß? Ich schwitzte. Mein Mund war trocken. Die Zunge klebte mir am Gau men fest. »Du sagst uns nur Dinge, die wir uns zusammenreimen konnten«, sagte ich so ruhig wie möglich, um Pammion zu improvisieren. »Du kannst uns nicht beeindrucken.« Ganz kurz zuckte es im Gesicht des Bleichen Alven. Aber er hatte sich sofort wieder unter Kontrolle. »Es ist der Wille des Dunklen Oheims, daß ich euch aufkläre«, sagte er ungerührt. »Wenn es nach mir ginge …« Er winkte ab. »Also weiter. Die vornehmliche Aufgabe der Neffen ist die, derart negativ auf ihre Reviere einzuwirken, daß so viele negative Bewußtseinsanteile entstehen wie mög lich. Diesen Tribut fordert der Herrscher von den Völkern der Schwarzen Galaxis. Je mehr Haß und Mißgunst unter den Rassen entstehen, je mehr negative Energie sich in den Bewußtseinen der Wesen bildet, desto besser. Dazu müssen die Neffen ihre Untertanen fortwährend unterdrücken und gleichzeitig Rebellionsversuche provozieren, um in den Untertanen Haß und Furcht zu schüren. Durch geeignete Maßnahmen muß jede Art von positivem Denken und Handeln schon im Keim unterdrückt werden. Die eigentliche Verwaltung der Reviere hat die Neffen wenig zu kümmern. Ih re einzige Aufgabe ist es, Haß, Neid und Furcht zu säen, damit ihre Unter
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tanen dem Oheim zum Teil schon zu Lebzeiten und nicht erst nach ihrem Tod durch ihre negative Bewußtseinsenergie nützlich sein können und ihm das geben, was er braucht.« Zum erstenmal sprach der Alve davon, daß der so allmächtige Dunkle Oheim etwas »brauchte«, daß er also auf andere angewiesen wer, um zu existieren. »Und doch gelingt es ihnen nicht«, warf ich ein, um Zeit zu schinden. »Überall hält sich positives Denken, wenn auch nur im verborgenen.« »Wie dumm du bist!« fuhr Pammion auf. »Vergiß die Furcht nicht, die in diesen wenigen keimt! Und positives Denken muß ansatzweise vorhan den sein und bleiben, um Energie für die Lebensblase zu liefern!« Er ballte eine der kleinen Fäuste. »Niemals darf es Ruhe in den Revieren geben, darauf kommt es an!« Und wenn die Neffen ausfielen, brach dieses einfache, aber wirkungs volle System zusammen. Ich wollte einen entsprechenden Einwand machen, als Razamon stöhnte und sich halb aufrichtete. Er fuhr sich über die Stirn, sah das Blut auf sei ner Hand und blickte mich an wie jemand, der aus tiefer Bewußtlosigkeit erwachte. Ich hatte keine Zeit, mich um ihn zu kümmern. Erschreckt sah ich, wie Pammion, der die Lektion offensichtlich für abgeschlossen hielt, Anstalten machte, die bewaffneten Schwarzalven herbeizurufen. Schnell machte ich einen Schritt auf ihn zu und schrie so laut, daß es bis in den hintersten Winkel der Kuppel zu hören war: »Ich glaube nicht, daß der Dunkle Oheim so mächtig ist, ein jedes le bende Wesen in dieser Galaxis zu kontrollieren! Der Kampf hat ihn ge schwächt, und die Neffen, die wir kennenlernten, waren jämmerliche Ver sager, die nicht einmal mit einem Dimensionsfahrstuhl fertig wurden! Wir werden uns niemals beugen, und am Ende werden freie Geschöpfe die Sie ger sein!« Pammion zuckte zusammen und starrte mich an wie einen Verrückten. Die Alven unten an ihren Geräten sahen wieder auf, bis Summtöne sie an ihre Arbeit zurückriefen. Die Bewaffneten und die Gersa-Predoggs warte ten auf Pammions Befehle. Doch es kam anders. Ich hatte gehofft, den Alven in ein Streitgespräch verwickeln zu kön nen. Statt dessen blinkten nun die Lichter auf Panthorghs Brustteil auf, die ich schon gesehen hatte, bevor der Dunkle Oheim durch ihn zu uns sprach. Ich hielt den Atem an. Der Dunkle Oheim hörte alles mit, was hier ge sprochen wurde, natürlich. Doch daß er, der Mächtige, sich durch meine Worte provozieren ließ, hätte ich nicht erwartet. Und es sah ganz danach aus, daß er erneut zu uns sprechen würde.
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Zeit! dachte ich. Beeil dich, GOL'DHOR! Dillibor wartet auf uns mit geschliffenen Messern! Tatsächlich drehte sich Panthorgh in der Luft, so daß er Pammion wieder den Rücken zuwandte und uns die Vorderseite. Der Alve rückte im Thron hin und her, um mich sehen zu können. Er war verunsichert. Wahrschein lich kochte er jetzt vor Wut, weil er sich zurückgesetzt fühlte. »Ihr bezweifelt meine Macht!« kam es unvermittelt aus den Lautspre chern des Roboters. »Wann begreift ihr endlich, daß ihr euch immer noch völlig falsche Vorstellungen macht? Ich werde euch zeigen, wie aussichts los euer Versuch, euch gegen mich aufzulehnen, von Anfang an war. Pam mion, zeige ihnen die Bilder aus dem Lathas-Revier!« Warum regte sich diese monströse Wesenheit so auf? fragte ich mich. Es war schwer vorstellbar, daß der Dunkle Oheim so etwas wie übertriebe ne Eitelkeit besaß. Und wenn wir ihm als Neffen ohnehin blind ergeben sein würden, welchen Sinn hatte dann eine Machtdemonstration, wie sie nun offensichtlich bevorstand? Oder ließen sich Gegner, die nicht vor ihm zittern lernten, nicht so ein fach manipulieren, wie Pammion uns weismachen wollte? Es konnte mir jetzt egal sein. Wir gewannen Zeit. Razamon war inzwi schen auf den Beinen und verhielt sich ruhig. Seine Blicke zeigten mir, daß er begriff, worauf ich aus war. Panthorgh schwebte zur Seite. Pammion beugte sich vor und lächelte kalt. Er deutete auf den riesigen Bildschirm, der den schwarzen Ring um die Sonne zeigte. »Schaut dorthin!« forderte er uns auf. Es gelang ihm nicht, seine Unge duld zu verbergen. Er hätte uns lieber jetzt schon in den Operationskam mern gesehen. Der Schirm verblaßte. Dann zeigte er einen Planeten weit draußen in den Randbezirken der Schwarzen Galaxis. Die Sterne standen dort weit auseinander. »Meeg«, sagte Pammion. »Eine Welt des Lathas-Reviers, über das der Neffe Kalar Meng herrscht – gut herrscht. Ihr werdet die Bewohner des Planeten sehen, wie sie waren, bevor die Strafexpedition zu ihnen ge schickt wurde. Danach seht ihr sie, wie sie jetzt sind.« Etwas in der Stimme des Alven ließ mich wünschen, daß uns diese Bil der erspart blieben. Wir sahen Wesen, die am ehesten mit Känguruhs zu vergleichen waren. Sie lebten in herrlichen Städten, doch der erste Eindruck täuschte. In den Straßen herrschten Mord und Totschlag. In Großaufnahmen wurden Greu eltaten aller Art gezeigt, die die Meegs aneinander verübten. Außerhalb der Städte sah es nicht viel anders aus. Rivalisierende Stämme fielen über einander her. Es gab regelrechte Schlachten.
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»Haß, Neid und Furcht!« rief Pammion begeistert aus. »Das ist es, was Kalar Meng auf dieser und den anderen Welten seines Reviers zu säen ver steht. Nun seht ihr jene, die irregeleitet wurden. Immer wieder gelingt es falschen Propheten des Guten, sich in einem Versteck zu entwickeln und einige Dummköpfe auf ihre Seite zu ziehen.« Die Bilder wechselten. Eine Handvoll Känguruhwesen saßen in einem spärlich erleuchteten Raum und redeten erregt. Zwei weitere kamen hinzu und wurden liebevoll begrüßt. Alles, was diese Geschöpfe taten, hatte den Charakter einer Demonstration der Liebe und des Friedens. »Narren!« zischte Pammion. »Sie wurden schon lange überwacht, bevor diese Aufnahmen von unseren getarnten Kameras in ihrem Hauptquartier gemacht wurden. Sie planten einen Aufstand. Aber es kam nicht dazu. Achtet auf den Meeg mit der roten Haut.« Tatsächlich unterschied sich eines der Wesen durch seine Hautfarbe von allen anderen. Es schien der Wortführer zu sein. Das Bild verblaßte, und als nächstes sahen wir wieder den Weltraum, eine vergleichsweise kleine Sonne mit dunklem Kern und, durch einen Lichtkreis besonders hervorgehoben, den Planeten. Die Sonne blähte sich auf. Die Dunkelheit in ihrem Zentrum schien ins Wallen zu geraten. Plötzlich schoß ein blasser Lichtfinger daraus hervor, erreichte den Planeten und hüllte ihn in phantastische Leuchterscheinun gen. Für Sekunden wirkte er wie eine kosmische Fackel. Dann war alles vorbei. Die Sonne beruhigte sich, und der Weltraum sah aus, als wäre nichts geschehen. »Ihr habt etwas anderes erwartet?« fragte Pammion. »Raumschiffe? Ihr sollt sehen, wie wenig ihr in Wirklichkeit wißt! Ich zeige euch die Rebel len, nachdem der Planet gesäubert wurde.« Und wir sahen sie. Sie befanden sich noch im gleichen Raum wie vor her, aber da war keine Freundschaft, kein Friede mehr unter ihnen. Sie fie len übereinander her wie Tiere. Der Rothäutige wütete am schlimmsten. Seine Augen versprühten auch dann noch lodernden Haß, als alle anderen tot am Boden lagen. »Ein jedes Wesen ist kontrollier- und manipulierbar!« rief Pammion. »Jeder, auch ihr!« Er lehnte sich wieder vor, stützte sich mit den Ellbogen auf die Thron lehnen, sah zuerst Razamon, dann mich scharf an und wollte weiterreden, als von irgendwoher Alarmsirenen schrill heulten. Pammion fuhr hoch. Ei ne Reihe Alven, die unten hinter den Kontrollpulten saßen, schrien auf und drehten sich mit weit aufgerissenen Augen um. »Was ist los?« herrschte Pammion sie an. »Der … der Neffe!« brachte einer heiser hervor. »Duuhl Larx!« Pammion zuckte heftig zusammen. Ich blickte Razamon irritiert an.
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Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Duuhl Larx auf Ritiquian? »Was ist mit ihm?« fragte Pammion schroff, und deutlich klang Angst aus seiner Stimme. »Er … er dringt in den Hort ein, Meister!« rief ein Alve. »Er … ist nicht aufzuhalten!« »Habt ihr sein Bild?« »Ja.« »Auf den großen Schirm damit!« Sekunden später wußte ich, was die Zwerge so in Schrecken versetzte. Duuhl Larx war auf dem Bildschirm zu sehen, wie er als riesiger Feuerball durch die Straßenschluchten schoß. Und er war noch schrecklicher, noch monströser geworden. Es war, als jagte eine kleine Sonne durch die Straßen. »Er … kommt hierher!« rief ein Alve von unten. »Dann haltet ihn auf!« Es war unmöglich. Gepanzerte Fahrzeuge stellten sich ihm in den Weg. Sengende Energiestrahlen schossen auf die Feuerkugel zu, die sich förm lich daran zu laben schien. Plötzlich war Dillibor, war das uns zugedachte Schicksal vergessen. Die Alven sprangen auf und liefen schreiend durcheinander. Pammion zog sich ganz weit in seinen Thron zurück. Nur die Roboter blieben ruhig. Vielleicht hätten wir das Chaos ausnützen und fliehen können. Aber wohin? Ich wußte nicht, was mit Duuhl Larx geschehen war, nachdem er uns nach Dorkh geschickt hatte. Ich wußte nicht, wie er hierhergekommen war. Nur eines war klar: Er war mächtiger geworden und schien endgültig dem Wahnsinn verfallen zu sein. Er griff den Hort der Finsternis an. Und wenn er die Zentrale Kuppel er reichte, waren wir alle verloren – die Alven, ihre Helfer und wir. Pammion sah uns an. Und aus seinem kurzen Blick sprach nackte To desangst.
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3. Die Magier Koratzo kam gar nicht mehr dazu, wenigstens den Versuch zu machen, Stimmen aus dem Hort der Finsternis zu erlauschen. Er spürte, wie die un mittelbare Nähe der schwarzen Mauer seine magischen Fähigkeiten noch stärker beeinträchtigte, und Copasallior war leicht anzusehen, wie es um seine Transmitterfähigkeiten stand. Der Weltenmagier bedachte Koratzo mit keinem Blick mehr. Stur starrte er geradeaus, an der langen Schlange der Veteranen vorbei, die mit Kübeln und kleinen Fässern gekommen wa ren, um ihr schmutziges Wasser in Wein verwandeln zu lassen. Dies war Koratzos einzige Beschäftigung. Einige stämmige Veteranen sorgten dafür, daß er keine Pause machte. Immer mehr Verstümmelte fan den sich mit Wasserbehältern vor dem Schuppen ein, dessen Tor weit of fenstand. Auf dem freien Gelände davor sangen, tanzten und grölten be reits betrunkene Krüppel. Koratzo hatte inzwischen genug beobachtet, um seinen Zorn auf die Ve teranen wieder etwas zu dämpfen. Sie konnten nichts für ihr Schicksal und hatten sich nicht aussuchen können, was aus ihnen wurde. Einmal aus dem Hort der Finsternis hinausgeworfen, wenn man sie nicht mehr brauchte, mußten sie zusehen, daß sie überlebten. Die Alven tolerierten sie und lie ßen sie gewähren. Offensichtlich bestand ein stillschweigendes Abkom men zwischen ihnen, daß die Veteranen nur soviel aus den Lagerschuppen stahlen, wie die Alven eben verschmerzen konnten. Die Verstümmelten machten davon regen Gebrauch und bevorzugten ohnehin die Fremden, die gelegentlich auf Ritiquian landeten und Wertvolleres mit sich führten. Wehe dem, der ohne Begleitung eines Alven über die Straße ging. Von einem quallenähnlichen Wesen, dem einige Tentakel fehlten, und das sich als Vorkoster gab, der jeden neuen Wein auf seine Qualität zu prüfen hatte, wußte Koratzo inzwischen auch über das sogenannte Vetera nenreich Bescheid. Es existierte nur in den Träumen der Veteranen. Sie, die hier im Elend lebten, gaben sich nur zu gerne der Illusion hin, daß es irgendwo in den Bergen ein Paradies für ihresgleichen gab. Wo dieser Garten Eden der Verkrüppelten lag, wußte keiner von ihnen zu sagen, aber Bossoyk war noch einmal erschienen und hatte angekündigt, daß er und einige andere bald mit der HERGIEN dorthin fliegen wollten. Koratzo sollte sich also beeilen. Genau das tat der Stimmenmagier. Bossoyk war bei seiner Stippvisite schon so angeheitert gewesen, daß er selbst Koratzo auf die Idee gebracht hatte, wie er und Copasallior bald ungehindert von hier verschwinden und
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weiter nach einer Möglichkeit suchen konnten, Kontakt mit Atlan und Razamon aufzunehmen. Der Gedanke daran, daß die beiden schon tot sein mochten, wurde im mer unerträglicher. Koratzo verdrängte ihn, so gut es ging. Er wirkte die lächerliche Magie des Wasserverwandelns, etwas, in dem sich schon jene übten, die in Oth erst in die Reihen der Magier aufgenommen werden wollten. Aber es dauerte zu lange. Zwar lag der Vorkoster jetzt besinnungslos neben ihm, aber der Wein war nicht stark genug, um alle Veteranen schnell genug außer Gefecht zu setzen. Außerdem weigerten sich die stämmigen Bewacher, auf die es in erster Linie ankam, zu kosten – obwohl es in ihren Augen verräterisch schim merte. »Mach Wein!« sagte der nächste, der an der Reihe war, barsch und knallte Koratzo einen Bottich vor die Füße. Der Verstümmelte hatte schon draußen getrunken, wie seine Fahne verriet. Koratzo hatte das dringende Bedürfnis, sich wenigstens für eine Minute auszuruhen, aber man ließ ihn nicht. Allmählich verlor er die Geduld. »Mach Wein!« forderte der Wartende erneut. »Worauf wartest du?« Koratzo hatte lange genug gewartet. »Hör zu«, sagte er. »Ich mache etwas Besseres. Paß auf!« Der Stimmenmagier legte die Hände flach über das Wasser und mur melte einige undeutliche Sprüche, um denen, die jetzt neugierig nach vor ne kamen, etwas zu bieten. Als er die Hände wieder fortnahm, sagte er: »Jetzt trink davon!« Der Veteran sah ihn mißtrauisch an. Einerseits konnte er es kaum er warten, von der neuen Köstlichkeit zu probieren. Andererseits – wer ga rantierte ihm dafür, daß man ihn nicht vergiften wollte? Nachdem Koratzo Bossoyk glaubhaft versichert hatte, daß er keine Ma gie mehr wirken könnte, wenn er selbst vom Wein getrunken hätte, war ihm das Kosten von jedem neuen Bottich erspart geblieben – sehr zu Co pasalliors Leidwesen, der diese ehrenvolle Aufgabe für ihn übernehmen mußte. Koratzo hatte ihn eine Weile schmoren lassen, bevor er den Wein, den der Weltenmagier trank, noch in dessen Mund wieder zu Wasser ver wandelte. Copasallior mochte einen Denkzettel verdient haben, aber er wurde schließlich noch gebraucht. Koratzo war mittlerweile fest entschlossen, ihn unter Druck zu setzen, wenn sie erst einmal hier heraus waren. Entwe der versetzte der Weltenmagier sie in den Hort der Finsternis, oder Korat zo würde auf eigene Faust versuchen, durch die Kontrollen am Tor zu ge langen. Copasallior würde ihn bestimmt nicht daran hindern können, denn der
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Wein-WasserZauber ließ sich leicht wieder umkehren. »Du trinkst zuerst«, sagte der Veteran. Koratzo verdrehte die Augen und breitete die Arme aus. »Du vertraust uns nicht? Ich hätte euch auch mit Wein vergiften kön nen, wenn ich das wollte. Außerdem darf ich nicht davon trinken. Was seid ihr? Feiglinge wie diese Burschen dort?« Er drehte den Kopf und deutete auf die Stämmigen. »Wer ist feige?« krächzte einer von diesen. »Na, ihr doch! Ihr steht da und starrt mich nur an. Dabei sehe ich jedem von euch an, wie gerne ihr probieren würdet. Was ist? Hat Bossoyk es euch verboten?« »Bossoyk hat uns nichts zu verbieten!« »Dann komm her und trink!« Der Stämmige zögerte. Koratzo seufzte und tat so, als ergäbe er sich in sein Schicksal. »Also gut. Ich werde ausnahmsweise einen Schluck nehmen. Aber dann seid ihr dran.« Er hob den Bottich hoch und trank, wobei er sofort den hochprozentigen Schnaps, in den er das Wasser diesmal verwandelt hatte, wieder neutrali sierte. Er setzte das Gefäß ab und fuhr sich mit einem lauten und genieße rischen »Aaah!« über die Lippen. Copasallior sah ihn zum erstenmal wieder an und schüttelte in stiller Qual den Kopf. Koratzo grinste. Dann blickte er die Wachen auffordernd an. Einer der Stämmigen trat zögernd vor. Koratzo hob den Bottich in die Höhe und reichte ihn ihm. Sein Besitzer wollte protestieren, besann sich jedoch eines Besseren und sah zu, wie der andere vorsichtig trank. Der Stämmige ließ den Bottich fallen und prustete los. Tränen quollen aus seinen Augen. Er tanzte von einem Bein auf das andere. »Was ist das?« stieß er hervor. »Das ist kein Wein!« »Natürlich nicht«, antwortete der Magier ungerührt. »Ich sagte doch, ihr bekommt etwas Besseres. Schnaps, wenn euch das etwas sagt. Hochpro zentiger. Trink noch einmal.« Alle sahen den Stämmigen an. Ihm blieb keine Wahl, wenn er nicht für alle Zeiten der Blamierte sein wollte. Er trank aus einem neuen Bottich, diesmal noch vorsichtiger. Er nahm zuerst kleine Schlückchen, dann größere. Er schüttelte sich, als er das Ge fäß seinem Besitzer zurückgab, aber in seinen Augen war ein merkwürdi ger Glanz. »Das ist gut«, rief er aus. »Das ist sehr gut. Ich will mehr!« »Das kannst du haben!« versicherte ihm der Magier triumphierend und stieß Copasallior mit dem Ellbogen in die Seite. Der Weltenmagier rückte
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indigniert von ihm ab und bedachte ihn mit vernichtenden Blicken. Koratzo genoß es. Er verwandelte alles Wasser, das ihm gebracht wur de, in Hochprozentigen und sah, wie die Veteranen tranken. Die Wirkung des Schnapses war so umwerfend, daß die anderen ihren Wein einfach ste henließen oder damit kamen, um auch ihn in das »neue« Getränk verwan deln zu lassen. Koratzo tat ihnen nur zu gern den Gefallen. Nach einer Viertelstunde gab es keinen Veteranen mehr, der nüchtern war, und nach weiteren zehn Minuten lagen sie alle auf dem Boden oder hockten mit blinkenden Augen da und sangen vom Veteranenreich. Auch Bossoyk und seine Echsen waren dabei. Der Anführer hatte es sich nicht nehmen lassen, sich vor dem geplanten Abflug noch selbst von der Quali tät des Getränks zu überzeugen. Koratzo streckte sich, stand auf und nickte dem Weltenmagier zu. »Wir können gehen, Copasallior. Niemand hält uns mehr.« Mürrisch blickte Copasallior ihn an. »Darauf bist du wohl sehr stolz?« fragte er. Koratzo zuckte die Schultern. »Jeder tut, was er kann«, versetzte er anzüglich. »Du wirst uns jetzt in den Hort der Finsternis bringen.« »Nein!« »Dann gehe ich allein.« »Nein!« »Wie du willst. Dann bleib eben hier.« Der Stimmenmagier drehte sich um und schritt davon. Copasallior schrie vor Zorn, sprang auf und folgte ihm schnell. Er erreichte ihn gerade, als Koratzo abrupt stehenblieb. »Ich … habe sie wieder«, flüsterte der Stimmenmagier. »Ich … ja, ich habe ihre Stimmen wiedergefunden. Sie leben, Copasallior! Und sie … sind in einer riesigen Kuppel. Ein Roboter redet zu ihnen. Nein, warte, es ist nicht der Roboter. Es ist der Dunkle Oheim!« Der Weltenmagier sah ihn aus seinen übergroßen Basaltaugen mißtrau isch an. »Das ist doch wieder einer von deinen Tricks?« Koratzo antwortete nicht darauf. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. Seine Lippen bewegten sich, als ob ein anderer aus ihm spräche. »Der Dunkle Oheim redet zu ihnen. Sie sollen bestraft werden. Er weiß, wer sie sind, und …« »Und was?« Koratzo stieß einen Schrei aus. Er fuhr herum und packte den Welten magier an den Schultern. Blankes Entsetzen stand in seinem Blick. »Sie sollen ihre Gehirne verlieren, Copasallior! Sie sollen sie hergeben, damit sie neuen Neffen eingepflanzt werden! Jetzt müssen wir in den
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Hort! Es kann jeden Augenblick geschehen!« »Du lügst!« fuhr Copasallior auf. »Das ist ein Trick. Du spielst mir et was vor, um mich zu überreden!« »Nein, bestimmt nicht!« Koratzo zitterte am ganzen Körper, und nun wurde Copasallior klar, daß er ihm nichts vormachte. »Sie sind in höchster Gefahr! Willst du zulassen, daß …« Er fand keine Worte für das Ungeheu erliche. Die Miene des Weltenmagiers aber war plötzlich wie versteinert. Copa sallior trug einen Kampf mit sich aus. Sie konnten Atlan und Razamon nicht sterben lassen – oder zulassen, daß sie ein noch weit schlimmeres Schicksal erlitten. Aber wenn Copasallior seine Transmitterfähigkeiten an wendete, mußte er sich und Koratzo an den Dunklen Oheim verraten. Andererseits: Was brachte es, untätig auf eine Chance zu warten, die sich vielleicht niemals bot? Sie waren ebenso wie Atlan, Razamon und vielleicht viele andere nur Figuren in einem Spiel, das sich immer mehr seinem Ende zu nähern schien. Sie mußten aus sich machen, was sie eben nur konnten. »Wir dringen ein«, verkündete der Weltenmagier tonlos. »Dann laß uns keine Sekunde mehr verlieren!« Copasallior nahm Koratzo bei der Hand, und kurz darauf war die Stelle, an der sie eben noch gestanden hatten, leer. Weder Koratzo noch Copasallior konnten ahnen, daß sie viel zu über stürzt handelten. Nach dem, was der Stimmenmagier aufgefangen hatte, mußten sie annehmen, daß die Gehirnoperation unmittelbar bevorstand. Koratzo war viel zu erregt, um noch einmal Kontakt zu bekommen und festzustellen, daß den beiden Freunden noch ein Aufschub gewährt war. Das Resultat ihres Verzweiflungsakts war entsprechend. Copasallior hatte damit gerechnet, daß selbst bei aller Konzentration die Nähe der Mauer seine Transmitterfähigkeiten beeinträchtigte. Er hatte sich von Koratzo so gut wie eben möglich erklären lassen, wo Atlan und Raza mon sich befanden. Dennoch war es für ihn keine Überraschung, sich in einer anderen Umgebung wiederzufinden. Sie standen in einer großen, leeren Halle – und wußten augenblicklich, daß ihre Fähigkeiten nun endgültig völlig erloschen waren. »Ich kann nichts mehr tun«, sagte Koratzo gequält. Copasallior fragte nur: »Und nun?« »Sie sind vielleicht schon … Wir müssen einen anderen Weg zu ihnen finden!« Der Weltenmagier blickte an ihm vorbei. Nur kurz sah Koratzo es in seinem Gesicht zucken. Er fuhr herum und sah die Roboter. Es waren Dutzende. Sie kamen aus urplötzlich in den Wänden entstan denen Öffnungen und kreisten die beiden Magier ein.
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»Das haben wir nun davon!« zischte Copasallior. »Wenn sie wissen, wer wir sind, bringen sie uns vielleicht zu Atlan und Razamon«, hoffte Koratzo, ohne überzeugend zu wirken. Der Schweiß lief ihm übers Gesicht. Zwei besonders große Gersa-Predoggs schoben sich vor sie. Schnarrend kam es von einer der Maschinen: »Ihr seid Unberechtigte. Ihr seid in den Hort der Finsternis eingedrun gen. Identifiziert euch!« »Wir sagen nichts!« flüsterte Copasallior schnell. »Sie wissen nicht, wer und was wir sind!« »Aber …« »Kein Aber!« Koratzo sah ein, daß der Weltenmagier recht hatte. Wenn sie ebenfalls Gefangene waren, drohte ihnen höchstens das gleiche Schicksal wie Atlan und Razamon. Oder sie wurden gelähmt und konnten überhaupt nichts mehr tun. Vielleicht aber gaben die Roboter ihnen unfreiwillig die Infor mationen, die sie brauchten? »Identifiziert euch!« wiederholte der Roboter. Copasallior starrte ihn herablassend an und schwieg eisern. Koratzo biß sich auf die Lippen. Er versuchte, an belanglose Dinge zu denken, für den Fall, daß es im Hort der Finsternis Methoden gab, mit denen man fremde Gedanken hörbar machen konnte. Die Roboter sahen sich dies eine Weile lang an. Dann, als auch auf wie derholte Aufforderung keine Antwort von den Magiern kam, schienen sie sich lautlos miteinander oder mit jemandem außerhalb dieser Halle zu un terhalten. Die Magier konnten sich denken, daß ihr Bild längst an die Be herrscher des Hortes weitergefunkt worden war. »Ihr seid Unberechtigte«, wiederholte der Gersa-Predogg. »Leistet kei nen Widerstand, oder wir sind gezwungen, euch zu paralysieren. Wir brin gen euch in die Zentrale Kuppel – zu den anderen.« Koratzo hätte fast einen Triumphschrei ausgestoßen. Seine Rechnung schien doch noch aufzugehen. Mit den »anderen« konnten nur Atlan und Razamon gemeint sein, und wenn sie zu ihnen gebracht werden sollten, mußten diese noch leben! Was die Magier in der Zentralen Kuppel unternehmen konnten, stand auf einem anderen Blatt. Allein die Hoffnung darauf, bald mit Verbünde ten zusammen zu sein, ließ die Zukunft für Koratzo in einem angenehme ren Licht erscheinen. Die beiden Magier ließen sich schweigend abführen. Copasallior blickte grimmig drein und ignorierte demonstrativ Koratzos Blicke. Als sie das Gebäude verließen, in das der Weltenmagier sie versetzt hat te, und von den Maschinen zu einem Fahrzeug geführt wurden, das gleich
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darauf abhob und mit ihnen durch meist leere Straßenschluchten jagte, war Pammion noch nicht benachrichtigt, sonst hätte er es sich kaum nehmen lassen, die beiden anderen Eindringlinge mit der Nachricht von der Gefan gennahme ihrer Verbündeten zu schockieren. Verbündete aber mußten sie in den »Augen« der Roboter sein, denn sowohl Atlan und Razamon als auch die Magier waren auf völlig rätselhafte Art und Weise im Hort er schienen. Die Alarmsirenen heulten überall auf und echoten durch die Straßen, als die Magier vor der Zentralen Kuppel landeten und von den Gersa-Pre doggs vom Fahrzeug gezerrt wurden. Verständnislos sahen sie, wie überall Alven und andere Wesen von den Straßen verschwanden und in die Gebäude rannten. Selbst die Roboter wirkten für Augenblicke wie gelähmt. Dann führten sie die Magier in die Kuppel, und wenige Minuten später betraten sie den riesigen Dom mit dem Podest in der Mitte. Koratzos Erleichterung, als er Atlan und Razamon vor dem Thron eines Bleichen Alven stehen sah, verschwand schnell, als Copasallior ihn an stieß und auf den riesigen Wandbildschirm zeigte. Eine strahlende Feuerkugel raste durch die Straßenschluchten, fuhr durch Abwehrstellungen von Robotern hindurch und vernichtete alles, was ihr im Weg war. Sie kannten diese Feuerkugel. Sie waren mit ihr an Bord der HERGIEN gewesen, bis kurz nach der Landung auf Ritiquian. Und jetzt wechselte das Bild. Eine Luftaufnahme zeigte, daß Duuhl Larx sein Ziel erreicht hatte. Mit unglaublicher Geschwindigkeit schoß er auf die Zentrale Kuppel zu und verschwand in einem der Zugänge. Koratzo lief es eiskalt über den Rücken. Mit einem leisen Aufschrei blickte er wieder zu Atlan, Razamon und dem Bleichen Alven auf dem Thron auf, die sie überhaupt nicht wahrnahmen. Sie waren so ziemlich die einzigen, die jetzt nicht in blindem Entsetzen durch die riesige Halle lie fen, über Kontrollbänke kletterten und sich vor den hoffnungslos verstopf ten Ausgängen drängten. »Das«, sagte Copasallior mit unnatürlicher Ruhe, »dürfte unser Ende sein.« Koratzo schüttelte verzweifelt den Kopf. Ihnen galt der Amoklauf des wahnsinnigen Neffen kaum. Aber wem dann? Dem Alven auf dem Thron? Von einem der Ausgänge kam ein grauenhafter Aufschrei aus Dutzen den von Kehlen. Er war da! Koratzo rannte die Stufen zum Podest hinauf.
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4. Das Goldene Schiff Verzweiflung und Hilflosigkeit herrschten auch an Bord der GOL'DHOR, die immer noch vergeblich versuchte, jenem verhängnisvollen Sog zu ent kommen, der sie daran hinderte, zur Lebensblase zu gelangen und sie gna denlos immer weiter auf den Dunklen Oheim selbst zuzog. Seit Stunden kämpften die magischen Maschinen des Raumschiffs nun schon gegen den Einfluß an. Es war, als schöbe sich die GOL'DHOR durch eine zähe Masse, die es bei jedem Stück, das sie vorankam, um so weiter zurückschleuderte. Der Planet Ritiquian mit der Lebensblase um ihn herum stand deutlich sichtbar auf den Augenfenstern im Mittelteil, in das die Passagiere sich ge flüchtet hatten. Weder die Magier Querllo, Opkul, Taldzane und Ajyhna noch Koy, der Trommler, konnten es lange in der Zentrale aushalten, in der die große Plejade auf ihrem Sockel lag und unerträglich stark strahlte. In ihr war all die überschüssige Energie vereinigt, die die GOL'DHOR auf ihrem Flug durch die Schwarze Galaxis gespeichert und an die Marmorku gel abgegeben hatte. Allein Zwertelis die Denkende verharrte nach wie vor vor der Plejade und rührte sich nicht von dort fort. Sie schien eine Einheit mit der Kugel zu bilden und hoffte auf eine neue Botschaft von Yeers und Olken. Die Körperlosen, die seit undenklichen Zeiten in der Lebensblase gefan gen waren, hatten sich nur noch einmal gemeldet und den Verzweifelten an Bord einen zweiten, vielleicht noch zwingenderen Grund genannt, wa rum sie unbedingt den Planeten erreichen mußten. Es ging nicht mehr nur um ihre Befreiung durch die große Plejade. At lan und Razamon befanden sich auf Ritiquian und brauchten Hilfe, die nur die GOL'DHOR ihnen noch bringen konnte. Das Schiff der Magier aber war dazu nicht in der Lage. Es kämpfte einen verzweifelten Kampf gegen die Einflüsse, denen es unterlag und von denen Kolphyr glaubte, daß sie aus ihm selbst heraus kamen. Seine Theorie von den gleich-, beziehungsweise entgegengesetzt gepol ten Kraftfeldern, die die GOL'DHOR und die Lebensblase, beziehungs weise der Dunkle Oheim darstellten und sich so abstießen oder anzogen, hatte sich als falsch erwiesen. Der Bera war in der Zentrale gewesen und hatte die schweigende GOL'DHOR mit viel Mühe und Geduld wieder zum Reden gebracht. Viel war nicht dabei herausgekommen. Zwar konnte er sich bis zu ei nem gewissen Maß in die GOL'DHOR »einfühlen«, denn sie ähnelte in
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vielem dem Dimensionstaucher, mit dem er nach Pthor gelangt war. Aber was sollte er ausrichten, wenn das Schiff ihn ablehnte? Und genau das tat es. Was es ihm gesagt hatte, war nichts als Ablen kung vom wahren Problem gewesen. Dessen war sich Kolphyr nun sicher. Weder der Dunkle Oheim noch die Körperlosen waren für den Sog verant wortlich, denn der Oheim würde sich hüten, eine solche Menge an positi ver Energie an sich heranzuholen, wie sie in der großen Plejade gespei chert war. Und die Körperlosen würden das Schiff nicht abstoßen, sondern zu sich holen, hätten sie die Macht dazu. Nein, Kolphyr hatte keine Zweifel mehr daran, daß die Ursache in der GOL'DHOR selbst lag. Das war aber auch schon alles, was er mit Sicher heit wußte. Die Worte der Körperlosen hallten in seinem Bewußtsein nach, als er unruhig zwischen den unheilvoll und wie in Protest summenden und brau senden Maschinen hin und her ging. Findet den wahren Grund heraus, warum die GOL'DHOR von der Le bensblase abgestoßen und zum Dunklen Oheim gezogen wird! Und immer wieder die fast flehend klingende Versicherung des Schif fes, daß es nicht »krank« sei. »Es ist krank«, murmelte der Dimensionsforscher, »und wir müssen die Ursache seiner Krankheit herausfinden, wenn wir selbst überleben wol len.« Koy, der Trommler, sah ihn vielsagend an. Er hatte keine Hoffnung mehr, und auch die Magier wußten nicht mehr weiter. Bis vor kurzem noch hatten sie mit dem Gedanken gespielt, sich mit der GOL'DHOR und der großen Plejade in den Ring um die Sonne zu stürzen, um dem Dunklen Oheim zumindest eine so schnell nicht wieder wettzu machende Schwächung zuzufügen. Yeers und Olken hatten deutlich genug erklärt, daß die positive Energie in der Marmorkugel inzwischen umge wandelt und nur auf die Gegebenheiten der Lebensblase abgestimmt war. Sie konnte dem Oheim nicht schaden. Früher oder später aber mußte die GOL'DHOR in den monströsen Ring stürzen, und es war ein Tod ohne jeden Sinn. Kolphyr wollte sein Schicksal nicht hinnehmen. Er blieb vor den Magi ern stehen und verkündete: »Ich werde noch einmal in die Zentrale gehen und versuchen, mit der GOL'DHOR zu sprechen.« »Was versprichst du dir noch davon?« fragte Koy mutlos. »Du hast es versucht und bist genauso schlau wie vorher. Sieh ein, daß es zwecklos ist, Kolphyr. Die GOL'DHOR will nicht, daß wir ihr helfen. Sie führt uns alle an der Nase herum, weiß der Himmel, weshalb.« »Ich will nicht ihr helfen, sondern uns!« sagte der Bera bestimmt.
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»Dann sprich von hier aus zu ihr! Sie hört dich hier ebensogut wie in der Zentrale. Sie hört uns alle.« »Ich muß mit ihr allein sein«, antwortete Kolphyr. »Du wirst sie nicht mehr aufhalten«, kam es von Querllo. »Sie will zum Dunklen Oheim.« Der Bera, schon auf dem Weg zum Durchgang in den Kopfteil des Schiffes, blieb stehen. Ohne sich umzudrehen, sagte er: »Wiederhole das.« Querllo sah die anderen Magier an und sagte: »Sie will zum Dunklen Oheim, wenn der Sog durch sie selbst verur sacht wird. Das ist offensichtlich.« Kolphyr drehte sich halb um, blickte den verkrüppelten Zwerg mit der rindenähnlichen Haut versonnen an und wiederholte dessen Worte: »Das ist offensichtlich.« Er nickte bedächtig, fast wie in Trance. »Das Offensichtliche, ja …« Koy schüttelte den Kopf und breitete die Arme aus. »Kolphyr, willst du uns nicht sagen, was du denkst? Du bist doch auf et was aus?« »Jetzt vielleicht«, murmelte der Bera. »Ja, ich glaube, du hast etwas sehr Wichtiges gesagt, Querllo.« Damit verschwand er im Durchgang. Für Augenblicke ergoß sich ein Schwall zwar positiver, aber unerträglich starker Impulse über die Zurück bleibenden. »Was habe ich denn schon gesagt?« wunderte sich der Lichtmagier. Koy sah ihn kurz an, drehte sich dann um, stellte sich vor die durchsich tige Wand, blickte in den Weltraum hinaus – und erschrak. Mehrere Organschiffe hatten sich zwischen die GOL'DHOR und den Ringplaneten geschoben. Koy wollte Kolphyr nachlaufen und es ihm sa gen. Er tat es nicht. Sie hatten es ja erwartet. Irgendwann mußte der Dunkle Oheim auf die Anwesenheit des Schiffes in seinem unmittelbaren Macht bereich reagieren. Jetzt sah es so aus, als wäre dieser Augenblick gekommen. »GOL'DHOR, möchtest du noch einmal mit mir reden – und diesmal die Wahrheit sagen?« Kolphyr saß wieder mit übereinander gekreuzten Beinen auf dem harten Boden der Zentrale im Kopfteil des insektenförmigen Raumschiffs. Und wieder hatte er Minuten gebraucht, um die Impulse aus der ungeheuer stark strahlenden großen Plejade abzublocken. Zwertelis hockte in unveränderter Haltung vor dem Podest mit der Mar morkugel und hielt die Augen geschlossen. Nur ein leichtes Drehen ihres Kopfes, als der Bera sie berührt hatte, zeigte, daß sie überhaupt noch lebte.
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»GOL'DHOR?« Er mußte Geduld haben, wie beim erstenmal. Doch nun drängte die Zeit noch mehr. Es fiel ihm schwerer, ruhig sitzenzubleiben und auf eine Reak tion des Schiffes zu warten, das seit seinem fast panischen Aufschrei »Ich bin nicht krank!« beharrlich geschwiegen hatte. Das Offensichtliche! überlegte Kolphyr, während er auf Antwort warte te. Er war blind gewesen, hatte nur Gedanken für seine Kraftfelder-Theo rie gehabt und dann fast resigniert, als diese sich als unzutreffend erwies. Aber Querllos einfache Feststellung hatte ihn auf eine neue Spur gebracht. Die GOL'DHOR wollte zum Dunklen Oheim, daran konnte kein Zwei fel mehr bestehen. Sie selbst erzeugte den Sog. Nun kam es darauf an, ob sie dies bewußt tat oder nicht. Wenn ja, würde sie sich kaum mehr umstimmen lassen und hatte ihre Passagiere von Anfang an geschickt getäuscht. Aber wenn der Antrieb zu ihrem Verhalten aus dem Unterbewußtsein heraus kam … Wieder rief sich der Bera alles ins Gedächtnis zurück, das er über das Schiff wußte. Was immer es trieb, es mußte seinen Ursprung in seiner Vergangenheit haben. Was prägte den Wunsch, sich in den Dunklen Oheim zu stürzen? »GOL'DHOR, bitte melde dich!« Keine Reaktion. Nur das schwach aus dem Mittelteil herüberdringende Brausen der Maschinen schien sich zu verstärken. Das paßte nicht zueinander. Einerseits produzierte die GOL'DHOR den verhängnisvollen Sog, zum anderen aber kämpften ihre Maschinen nach wie vor um jedes Stück Raum, das sie dem Ringplaneten näherbrachte, oh ne daß sie wirklich vorankam. Gab es einen Kampf innerhalb der Systeme des Raumschiffs? Wollte ein Teil von ihm zum Dunklen Oheim, der andere aber nicht? Die Vergangenheit … Diesmal holte Kolphyr in Gedanken weiter aus, bis zur Entstehung der GOL'DHOR. Ein negativer Magier hatte sie für sich geschaffen, und zwar zu negativen Zwecken. Mit den positiven Eigenschaften, die nun längst dominierten, hatte er sie lediglich zum Zweck der Tarnung ausgestattet. Hatte das Schiff dies noch nicht vergessen? War dies seine Triebfeder – die Erinnerung und der Schmerz beim Gedanken an seinen bösartigen Schöpfer? Empfand es deshalb einen solchen Haß auf alles Negative, daß es nur noch das eine Ziel kannte, den Inbegriff alles Bösen zu vernichten, den Dunklen Oheim? Je länger Kolphyr darüber nachdachte, desto einleuchtender erschienen ihm seine Überlegungen und Folgerungen. Die GOL'DHOR mußte von ei ner solchen Sehnsucht nach der Vernichtung alles Bösen besessen sein, daß sie bereit war, sich selbst und die Leben ihrer Passagiere dafür zu op
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fern. Aber es mußte wissen, daß dies unmöglich war. Es hatte die Worte der Körperlosen ebenso vernommen, ja als Relais weitergegeben, wie alle an deren. Kolphyr war nicht mehr bereit, noch länger zu warten. Er entschloß sich dazu, dem Schiff seine Vermutung auf den Kopf zuzusagen. »GOL'DHOR, ich weiß, daß du mich hörst. Wenn du nicht reden willst, tue ich es. Es gibt keinen Einfluß von außen. Du selbst produzierst den Sog, aufgrund einer völlig unrealistischen Sehnsucht. Du glaubst, den Dunklen Oheim vernichten zu können, weil du dich so an deinem Erbauer rächen willst. Das ist unlogisch und undurchführbar. Das weißt du. Warum also willst du dich und uns töten?« Kolphyr hatte das Gefühl, der Boden unter ihm begänne ganz leicht zu zittern. »Ich will niemanden töten!« hallte es in der Zentrale. Kolphyr erschrak. In der Stimme des Schiffes schwang Angst mit. »Und doch wirst du es tun, wenn du dich nicht besinnst!« entgegnete er heftig. Er mußte sich zwingen, still sitzenzubleiben. »Du irrst dich, Kolphyr. Ich habe keine Sehnsüchte.« »Dann stell den Sog ab!« »Das … kann ich nicht. Ich bin nicht krank.« »Doch, das bist du! Krank vor Haß!« Stille. Minuten vergingen, ehe das Schiff sich wieder meldete. »Ich werde den Dunklen Oheim vernichten. Das hat nichts mit einer unrealistischen Sehnsucht zu tun. Ich habe kei ne Rachegefühle und darf kein Instrument der Vernichtung sein. Der Sog zieht mich an. Es muß geschehen, was zu geschehen hat.« Die Worte des Schiffes waren nicht nur wirr und widersprüchlich in sich. Sie zeigten dem Bera, daß er ins Schwarze getroffen hatte – und noch mehr. Die GOL'DHOR verfügte über eine »Seele«, wenn auch nicht im her kömmlichen Sinne. Sie konnte fühlen und empfinden – Leid und Schmerz ebenso wie Glück und Freude. Sie besaß ein Bewußtsein, das sich nur schwer mit dem eines »natürlichen« Wesens vergleichen ließ. Aber dieses Bewußtsein war ganz offensichtlich gespalten. Tief in ihrem Innern wünschte sie sich so stark, ihre Rache zu vollziehen, daß sie, ohne es be wußt zu wollen, den Sog schuf, gegen den der andere, klare Teil ihres Be wußtseins ankämpfte. Das Brausen der Maschinen bewies es. Kolphyr sah sich vor die schier unlösbare Aufgabe gestellt, ihr dies klarzumachen. Nur dann, wenn sie erkannte, was mit ihr vorging, bestand die Chance, daß sie den Sog aufhob. Kolphyr sagte ihr, was er dachte, doch wieder erhielt er zur Antwort:
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»Ich habe keine Sehnsüchte!« Kolphyr stand auf und begann, mit gesenktem Kopf in der Zentrale um herzugehen. Kurz sah er zur großen Plejade hinüber, als erwartete er sich von ihr eine Hilfe. »GOL'DHOR«, sagte er so ruhig wie eben möglich. »Darfst du töten?« »Nein, denn das wäre eine negative Handlung.« Der Bera atmete tief ein. Er blieb stehen und sah eine der Wände an. »Das aber wirst du tun, wenn du mit uns in den Dunklen Oheim fliegst.« »Es tut mir leid, Kolphyr. Es tut mir wirklich leid, aber ich kann auf die Entwicklung keinen Einfluß mehr nehmen.« »Doch, du kannst es!« schrie der Dimensionsforscher. Er ballte die mächtigen Fäuste. So kam er nicht weiter. »Du bist stur!« schrie er und setzte sich wieder. Den Kopf tief gesenkt, dachte er nach. Konnte er das Schiff überlisten? Inwieweit war es überhaupt noch Ar gumenten zugänglich? Gar nicht mehr, gab er sich selbst zur Antwort. Es weigert sich, zu ak zeptieren, was mit ihm vorgeht, um sich vor sich selbst zu schützen. Viel leicht würde die Erkenntnis der Wahrheit sich katastrophal auswirken. »Du willst uns nicht umbringen?« fragte er schließlich. »Du willst nichts Negatives tun und hast keine Sehnsüchte?« »Ich habe keine Sehnsüchte.« »Aber du bist in Schwierigkeiten, und wir mit dir. Gibst du wenigstens das zu?« Zögernd antwortete das Schiff: »Ja, Kolphyr. Ich muß zur Lebensblase, aber ich werde sie nie erreichen können.« »Willst du dir von uns helfen lassen?« »Wie könntet ihr das, Kolphyr?« »Bist du bereit, unsere Befehle zu empfangen und auszuführen?« »Natürlich, Kolphyr, soweit ich das kann.« »Dann befehle ich dir, uns nicht zu töten. Sieh ein, daß du geschwächt bist.« Er vermied es, diesmal das Wort »krank« zu gebrauchen. Die GOL'DHOR antwortete nicht. Kolphyr hatte das Gefühl, sich im Kreis zu bewegen. Und er sah nur noch eine Möglichkeit, das drohende Unheil abzuwenden. »GOL'DHOR«, sagte er ruhig. »Ich sehe ein, daß wir uns geirrt haben. Du hast recht. Du bist nicht krank. Wir sind in eine Verkettung von Um ständen und äußeren Einflüssen geraten, die dir keine Wahl mehr läßt. Du mußt zum Dunklen Oheim fliegen. Du mußt ihn vernichten. Aber du wirst nicht zulassen, daß einer von uns dabei stirbt.«
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Quälendes Schweigen. Kolphyrs Herz klopfte heftig. Alles hing nun von der Reaktion des Schiffes ab – und ob es seine List durchschaute. »Sage mir, was ich zu tun habe, Kolphyr«, bat das Schiff endlich. Kolphyr hütete sich, in unangebrachte Erleichterung zu verfallen. Noch hatte er gar nichts gewonnen. Ob sein Plan aufging, hing allein davon ab, wie stark die unbewußte Triebfeder der GOL'DHOR wirklich war und was in ihr stärker war – die Sehnsucht, sich in den schwarzen Ring um die Sonne zu stürzen oder der Respekt vor dem Leben ihrer Passagiere. »Du wirst den Dunklen Oheim vernichten, durch die Kraft, die du auf die große Plejade übertragen hast«, sagte er langsam. »Das ist wichtiger, als die Plejade zur Lebensblase zu bringen.« Schweigen. Kolphyr hatte das Gefühl, das Schiff würde ihn belauern, voller Mißtrauen auf seine nächsten Worte warten. Er durfte sich nicht selbst verrückt machen! »Vorher wirst du uns zum Ringplaneten bringen und auf dem Raumha fen absetzen«, fuhr er fort. »Danach vernichte den Dunklen Oheim!« Es war heraus. Wenn die GOL'DHOR darauf nicht einging, gab es keine Hoffnung mehr. Kolphyr trieb ein gewagtes Spiel. Er konnte alles gewin nen oder alles verlieren. »GOL'DHOR?« Warum antwortete sie nicht? Der Bera stand auf und blickte sich wieder hilfesuchend nach der großen Plejade und Zwertelis um. Wenn die Kör perlosen in der Lebensblase alles mitverfolgen konnten, was hier an Bord geschah – warum stärkten sie ihm jetzt nicht den Rücken? Er erschrak. Sie konnten höchstens alles verderben, wenn sie sich durch ihn betrogen fühlten und eingriffen. Endlich, nach endlos erscheinenden Minuten hörte er die vertraute Stimme wieder: »Ich muß nachdenken, Kolphyr. Geh zurück zu den anderen. Ich muß allein meine Entscheidung treffen.« Das war alles. Kolphyr wollte aufbegehren, sah aber ein, daß er den Bo gen nicht überspannen durfte. Er hatte getan, was er konnte. Er hatte dem Schiff eine scheinbare Alternative geboten, einen Kompromiß. Natürlich dachte er nicht im Traum daran, es wirklich zu opfern. Es sollte glauben, endlich ohne »Gewissensbisse« das tun zu können, was es sich tief in sei nem Innern wünschte, nachdem es seine Passagiere auf Ritiquian abge setzt hatte. Dann würde kein innerer Widerstreit es mehr daran hindern, den Dun keln Oheim direkt anzufliegen – wie es längst geschehen wäre, wenn es sich nicht davor scheute, die Magier, Koy und Kolphyr mit in den Tod zu reißen. Sein Unterbewußtsein produzierte den Sog. Auch er war ein Kompro
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miß, dessen es sich ebenfalls nicht bewußt war. Für den »Wachen« Teil seines Bewußtseins war er ein Faktum. Kolphyr drehte sich um und verließ die Zentrale. Kolphyr erklärte auf die Fragen der Magier nur, daß die Möglichkeit be stünde, daß die GOL'DHOR sie nach Ritiquian brachte und dort absetzte. Weiter sagte er nichts. Die anderen hätten nur Fragen gestellt, ihm viel leicht Vorwürfe gemacht, auf die er so oder so eingehen mußte. Die Ge fahr, daß er sich dadurch verriet, war zu groß. So erntete er nur zweifelnde Blicke. Koy führte ihn zur Schiffswand und deutete wortlos auf das Bild der Organschiffe zwischen der GOL'DHOR und dem Planeten. Sollte die GOL'DHOR sich so entscheiden, wie der Bera es sich erhoff te, konnten die Schiffe ihr kaum etwas anhaben. Sie würde schon wieder auf dem Weg weg von Ritiquian sein, bevor die Gegner überhaupt merk ten, was geschah. Noch war es nicht soweit. Die GOL'DHOR ließ ihre Passagiere schmoren. Die Mienen der Magier und Koy ließen den Bera ahnen, was sie von seinen Hoffnungen hielten, und mit jeder Minute, die verstrich, wurden seine eigenen Zweifel größer.
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5. Atlan Was nun dort unten, zwischen den Kontrollbänken, vor den Ausgängen und vor den Stufen des Podests geschah, war unbeschreiblich. Keine Wor te könnten das Chaos und den Schrecken auch nur annähernd wiederge ben. Duuhl Larx war da! Er kam durch einen der Zugänge und schoß durch die zusammengedrängten Alven hindurch wie ein Blitz. Die Zwerge wi chen schreiend zurück und stoben in alle Richtungen auseinander. Sie war fen sich hinter den Kontrollen in Deckung und trampelten sich gegenseitig nieder. Von hier oben aus sah es aus wie ein riesiger Haufen aufge scheuchter Ameisen, deren Bau ausgehoben worden war. Selten hatte ich Wesen in solch panischer Angst gesehen, und mir wurde klar, daß sie – im Gegensatz zu uns – längst von der Bedrohung durch Larx gewußt hatten. Vieles geschah auf einmal. Ich hörte, wie jemand meinen Namen schrie, bis seine Stimme im allgemeinen Geschrei unterging. Koratzo kam die Stufen zum Podest heraufgerannt. Ihm folgte Copasallior, der Weltenma gier. Ich verstand nicht, wie sie hierherkamen, aber dies war nicht der Au genblick, um Fragen zu stellen. Pammion war aufgefahren und stand nun auf seinem Thron, die Rückenlehne mit beiden Händen umklammernd, daß die Knöchel kalk weiß hervortraten. Razamon stand neben mir, den Mund und die Augen weit aufgerissen und unfähig, zu begreifen, was er sah. Der Feuerball schoß an den Wänden vorbei, kam immer höher. In einer Spirale schraubte er sich bis direkt unter die Kuppelwölbung, wo er end lich zum Stillstand kam. Wie eine Miniatursonne hing er dort. Ich hatte seine Nähe oft ertragen müssen, länger als mir lieb war, aber das, was nun über uns schwebte, hat te kaum noch etwas mit dem Neffen gemeinsam, der uns nach Dorkh ge schickt hatte. Er war größer geworden, heller, in jeder Beziehung noch monströser. Die Alven strömten aus den Ausgängen, soweit sie noch in der Lage waren, sich zu bewegen. Viele lagen reglos auf dem Boden, mit dem Ge sicht nach unten und gräßlich schreiend. Nur Pammion stand auf seinem Thron und rührte sich nicht. Ich sah ab wechselnd Duuhl Larx und ihn an. Niemand konnte länger als Sekunden den Blick auf den Neffen gerichtet halten, ohne geblendet zu werden. Und Pammion gewann die Kontrolle über sich zurück! Er setzte sich wieder in den Thron und brachte die Hände über die
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Knöpfe und Tasten in den Armlehnen. Gebannt wartete ich ab, was geschehen würde. Seltsamerweise hatte ich in diesen Augenblicken keine wirkliche Angst. Das, was hier und jetzt ge schah, war von einer Tragweite, die sich nicht einmal erahnen ließ. So vie les ließ sich nicht erklären. Aber Duuhl Larx war kein Phantom. Und ich zweifelte nicht daran, daß niemand, der sich in diesem Raum aufhielt, am Leben blieb, falls der Neffe auf den Gedanken käme, die zu seiner flam menden Sphäre gehörende Vernichtungsaura zu aktivieren und auszudeh nen – bis in den hintersten Winkel des Domes. Niemand, außer Pammion, dachte ich, als ich sah, wie gelassen der Bleiche Alve die Feuerkugel nun anblickte. Und Duuhl Larx' erste Worte machten deutlich, daß nur er sein Ziel war. Ich war bestürzt, denn nun erst erkannte ich, wie sehr der Geist des Neffen bereits vom Wahnsinn zerfressen war. Seine Gier war unersättlich – die Gier nach Schwarzschock-Energie, nach Macht, nach Unsterblichkeit. Seitdem er Chirmor Flog getötet und dessen Schwarzschock-Energie in sich aufgenommen hatte, erkannte er nur noch ein Ziel: mehr! Immer mehr davon! So hatten mehrere Neffen ihr Leben lassen müssen, als Duuhl Larx mit der HERGIEN und der unfreiwilligen Hilfe seiner Gefangenen auf das Zentrum der Schwarzen Galaxis zujagte, durch immer neue Reviere hin durch, deren Neffen er umbrachte und sich ihre Energie einverleibte. Mit jedem Mal gewann er an Stärke, aber mit jedem Mal verlor er auch ein wenig mehr den Bezug zur Realität, bis ihn ein Gedanke völlig beherrsch te, der selbst ihm vorher das kalte Grausen gelehrt hätte. Er mußte den Dunklen Oheim töten! Er fühlte sich stark genug dazu. Die Schwarzschock-Energie, über die der Herrscher zweifellos verfügte, mußte ihn unsterblich und zum neuen Tyrannen der Schwarzen Galaxis machen. Als er mit der HERGIEN endlich das Ritiquian-System erreichte, war er bereits so wirr im Kopf, daß er gar nicht begriff, was die drei Ringe, die zu diesem Zeitpunkt zu sehen waren, eigentlich bedeuteten. Der Dunkle Oheim war für ihn ein Wesen aus Fleisch und Blut, ein Wesen, das er an greifen und vernichten konnte, und es konnte nur auf dem Planeten leben. So schlich sich die HERGIEN nach seinem Willen ins Ritiquian-System ein, während der Dunkle Oheim und sein machtgieriger Sprößling mitein ander in einem Kampf lagen, der schließlich zugunsten des Oheims ende te. Für Duuhl Larx war es der Kampf zwischen zwei Wesenheiten, die ihn nichts angingen. Er kam ihm gelegen, denn im Weltraum herrschte das Chaos. Organschiffe der Alven gerieten außer Kontrolle und kollidierten miteinander. Der Neffe wurde nicht aufgehalten. Er ließ die HERGIEN auf dem Ringplaneten landen und kümmerte sich nicht weiter um das Gesche
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hen im Weltraum. Hier, auf der einzigen Welt des Systems, mußte der ver haßte Dunkle Oheim zu finden sein. Duuhl Larx dachte kurz daran, sich ihm als Helfer zur Verfügung zu stellen, um sich so die Dankbarkeit und das ewige Leben zu sichern. Der Oheim würde es ihm nur zu gerne geben. Duuhl Larxens Selbstüberschätzung kannte keine Grenzen mehr. Er verwarf den Gedanken so schnell, wie er ihm gekommen war. Er al lein wollte die Macht und das ewige Leben. Niemand außer ihm sollte an seiner Herrschaft teilhaben. Der Dunkle Oheim war kein fähiger Herrscher mehr, das zeigten die chaotischen Zustände in vielen Teilen der Schwar zen Galaxis. Er, Duuhl Larx, würde dies ändern! Kaum, daß die HERGIEN gelandet war, verließ er das Schiff. Er brauchte die Magier, die ihn hierhergebracht hatten, nicht mehr. Er schoß durch den fürchterlichen Sturm, der auf Ritiquian als Folge des Kampfes im Weltraum tobte, auf den nahegelegenen Palast des Dunkeln Oheims zu – den Hort der Finsternis. Bevor er ihn jedoch erreichte, besann er sich eines anderen. Er hatte Zeit, viel Zeit. Er wollte den Herrscher zittern sehen. Er wollte aus einem sicheren Versteck heraus beobachten, wie der Dunkle Oheim nach ihm su chen ließ. Sein Kommen konnte ihm nicht entgangen sein, und er sollte Angst haben, furchtbare Angst. Dann, wenn er die Qualen seines Rivalen genügend genossen hatte, wollte er ihm den Garaus machen. Duuhl Larx fand eine Höhle in den nahen Bergen und wartete darauf, daß Alven und Organschiffe den gesamten Planeten nach ihm absuchten, daß eine Jagd auf ihn, den Mächtigen, beginnen würde. Doch nichts ge schah. Der Planet beruhigte sich wieder, und alles ging seinen gewohnten Gang. Organschiffe landeten und starteten wieder, brachten Waren und nahmen andere mit auf ihren Weg in die Schwarze Galaxis. Unbändiger Zorn bemächtigte sich des Neffen. Der Dunkle Oheim ignorierte ihn! Er war so sehr von sich eingenommen, daß er nicht begrei fen wollte, daß seine Herrschaft zu Ende war. Der Wahnsinn wucherte in Duuhl Larx' Bewußtsein. Und schließlich hielt es ihn nicht länger in sei nem Versteck. Er brauchte kein Versteck. Er war die Macht! Im Schutz seiner flammenden Aura schoß er über das Land, drang in den Hort der Finsternis ein und jagte durch die Straßenschluchten auf die riesige Kuppel im Zentrum der unübersehbar großen Anlage zu, die alle anderen Gebäude weit überragte. Dort lag sein Ziel. Dort lebte der Dunkle Oheim. Dort würde sich entscheiden, wer stärker war. Duuhl Larx hatte den Oheim nie selbst gesehen. Wie alle Neffen hatte er nach seiner Herstellung und dem Abtransport aus dem Ritiquian-System alles vergessen müssen, was den schwarzen Ring um die Sonne direkt be traf. Er besaß nur eine vage Vorstellung von seinem Rivalen, doch als er
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die zentrale Halle erreichte und den Bleichen Alven auf dem Thron sitzen saß, glaubte er sich endlich am Ziel. Ein Alve! dachte er triumphierend. Der mächtige Herrscher ist nichts anderes als ein Alve! Die feurige Kugel, jene Aura, hinter der uns die wahre Gestalt des Duuhl Larx immer verborgen geblieben war – von der ich jetzt aber annahm, daß sie zumindest eine Ähnlichkeit mit dem Neffen haben mußte, den wir im Hort der Finsternis gesehen hatten –, blähte sich auf. Ich konnte nicht län ger als zwei, drei Sekunden hinsehen und auch nicht annähernd die Größe der Aura schätzen. Doch ich hatte das Gefühl, sie wäre um das Zehnfache gewachsen. Blitze schlugen knisternd aus der Flammenkugel heraus, tra fen die Wände und leckten wie gierige Feuerschlangen an ihnen. Die ge samte Kuppel war in irrisierendes, unerträglicher werdendes Licht ge taucht. Niemand schrie mehr, als die Stimme des wahnsinnigen Neffen wie Donner über uns hereinbrach. Ein irrsinniges Lachen erfüllte die Halle drang in jeden Winkel und ließ den Boden unter unseren Füßen erzittern. »Der Dunkle Oheim – ein lächerlicher Zwerg!« hallte es von den Wän den wider. »Der mächtige Herrscher der Schwarzen Galaxis ist nicht ein mal ein würdiger Gegner! Wir alle haben einem Alven gehorcht!« Wieder das irre Lachen, das mir den Schweiß aus allen Poren trieb. Ich ahnte, was kommen würde, und machte unwillkürlich einige Schritte vom Thron zurück. Razamon folgte mir wie in Trance. Koratzo und Copasallior warteten bei den Stufen, die Augen starr auf die Feuerkugel gerichtet, bis sie die Helligkeit nicht mehr ertrugen. Pammion aber blieb ruhig. Es zuckte um seine Mundwinkel. Seine Fin ger lagen auf den Knöpfen der Armlehnen. Seine Augen richteten sich im mer wieder für kurze Sekunden auf Duuhl Larx, dann wie die eines unbe teiligten Zuschauers auf die unten am Boden liegenden Zwerge. Die drei großen Gersa-Predoggs bildeten nun ein gleichseitiges Dreieck um ihn herum. Sie warteten. Warum griff der Dunkle Oheim nicht ein? fragte ich mich. Im nächsten Augenblick hallte wieder die Stimme aus der Energieaura schmerzend in meinen Ohren. »Sieh mich an, Oheim!« schrie Duuhl Larx. »Sieh mich an, deinen Nef fen, der dir den Tod bringt! Jetzt kämpfe!« Die Feuerkugel schien in sich zusammenzufallen, doch das konnte täu schen. Sie strahlte noch heller und begann wieder unter der Decke zu krei sen, immer schneller werdend, so als nähme sie Anlauf. »Weg hier!« schrie ich und packte Razamon am Handgelenk. Der Ber serker wußte so gut wie ich, was die Stunde geschlagen hatte. Er riß sich los und stürmte die Stufen hinab. Koratzo und Copasallior hatten sich be
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reits hinter Schaltpulte geflüchtet und winkten. Neben ihnen ließen wir uns flach auf den Boden fallen. Wir kamen nicht dazu, auch nur ein einziges Wort mit den Magiern zu wechseln, die vielleicht mehr über Duuhl Larx' Auftauchen wußten als wir. Koratzo kniete bebend hinter dem Pult und deutete mit ausgestreck tem Arm nach oben. »Er greift an!« schrie er. Und wir alle sahen es. Die Feuerkugel strahlte nicht mehr so hell wie zuvor, so daß wir mit zusammengekniffenen Augen beobachten konnten, wie sie ein letztes Mal unter der Kuppeldecke kreiste und dann urplötzlich aus dieser wahnwitzig schnellen Kreiselbewegung ausbrechend, auf Pam mion zuschoß. In diesem Augenblick räumte ich dem Alven nicht den Hauch einer Chance ein, obwohl ich darauf gefaßt war, daß er über Schutzschirme und andere Defensivmaßnahmen verfügte. Gebannt sahen wir, wie Duuhl Larx ihn erreichte und das gesamte Po dest für Sekunden in ein dunkelrotes Wabern gehüllt war, aus dem nur das Strahlen der Flammenaura hervorstach. Vom Thron und dem Bleichen Al ven war nichts mehr zu sehen. Blitze schlugen auf die Wände über. Kni stern und ein wütendes Brausen, wie ich es nie zuvor in meinem Leben ge hört hatte, erfüllte die Luft. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu kön nen. Der Dom verwandelte sich in ein Tollhaus aus energetischen Entla dungen, Funkenregen und explodierenden Geräten überall um uns herum. Die Schaltpulte vor und hinter uns konnten jeden Augenblick in die Luft gehen. Doch es gab keinen Quadratmeter Raum in der riesigen Halle mehr, in dem wir jetzt noch Sicherheit gefunden hätten. Ein markerschütternder Schrei erfüllte die Kuppel. Die Stimme des Nef fen schien nun von überallher zu kommen, aus dem Wabern, in dem viel leicht nichts mehr existierte als Duuhl Larx selbst, aus den Wänden, dem zitternden Boden, der Decke. Es war ein irres Kreischen, das wir zwischen den Entladungen hören konnten, wie eine durch technische Mittel künst lich verzerrte Stimme. »Stirb in meinem Feuer, Oheim!« schrie Larx. »Stirb!« Also lebte Pammion noch. Es war unvorstellbar. Der Alve mußte in der roten Glut vergehen. Keine Schutzglocke zeichnete sich dort oben ab, und ich glaubte nicht daran, daß ein Energieschirm den vehement vorgetrage nen Angriffen des wahnsinnigen Neffen überhaupt standhalten konnte. Aber Pammion lebte – und schlug zurück. Ich mochte es dumpf geahnt haben, ich weiß es nicht mehr zu sagen. In diesem Moment, als Duuhl Larx, wie von einer mächtigen Feder gezogen, in die Halle zurückgerissen wurde und sein Schreien unsere Trommelfelle zum Platzen zu bringen drohte, wußte ich, daß es nicht Pammion allein
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war, der den Kampf aufgenommen hatte. Duuhl Larx wollte den Kampf gegen den Dunklen Oheim, und nun sah es so aus, als sollte er ihn bekommen. Auf unerklärliche Art und Weise war es der Dunkle Oheim selbst, der nun mit seinem Statthalter im Hort der Finsternis kämpfte. Pammion verfügte tatsächlich über Energieschir me, die wir jetzt, als das rote Wabern verschwunden war, sehen konnten. Aber nicht sie hatten ihn den ersten Angriff des Neffen überstehen lassen. Ein kleiner Ring hatte sich um den Thron herum gebildet, gerade so dick wie ein Männerarm und so groß, daß er den Thron und Pammion um kreisen konnte, ohne ihn zu berühren. Es war kein Tochterring des Oheims. Er war nicht tiefschwarz, sondern strahlte orangerot. Razamon stöhnte und hielt sich die Hände vor die Augen. Der Ring veränderte sich ständig, wurde heller und wieder dunkler. Manchmal sah es so aus, als wä re Pammion nur von einer Zone erhitzter, flimmernder Luft umgeben. Alle möglichen Spekulationen schossen mir durch den Kopf, während ich kurz die Augen schloß und dann wieder zur Decke der Kuppel hinauf blickte, wo Duuhl Larx wie zuvor kreiste und Schwung für den nächsten Angriff zu holen schien. Meine Frage, warum der Dunkle Oheim nicht eingriff, war von selbst beantwortet worden. Er hatte die Herausforderung angenommen. Was Pammion schützte, war kein Ring aus Schwarzschock-Energie. Nichts wä re Duuhl Larx willkommener gewesen als das, wie ich später von Copasal lior erfuhr. Es mußte sich um etwas völlig Entgegengesetztes handeln, vielleicht um etwas, das Larx die in ihm vereinigte Schwarzschock-Ener gie entzog oder ihn sonstwie schwächte, denn schwächer war er geworden. Er hatte sich die Finger verbrannt, falls er welche besaß. Die Feuerkugel strahlte nicht mehr so hell wie zuvor, und in den Kreiselbewegungen unter der Decke waren jetzt erste Unregelmäßigkeiten zu erkennen. Ich fragte mich, was ich Larx entgegengesetzt hätte, wäre ich an der Stelle des Dunklen Oheims. Wenn alle Neffen nur durch den stetigen Zu fluß aus positiver Energie aus der Lebensblase überlebensfähig waren, mußte der Oheim versuchen, sie Larx zu entziehen. Geschah dies beim Aufeinanderprall des Neffen und des Ringes um den Thron? »Kämpfe, Oheim!« hallte es von den Wänden wider. Pammion saß so ruhig da, als ginge ihn der Amoklauf des Neffen über haupt nichts an. Er mußte die ganze Zeit über gewußt haben, daß der Dunkle Oheim ihn schützen würde. Panthorgh und die anderen beiden Gersa-Predoggs schwebten in siche rer Entfernung vom Podest unter der Kuppeldecke. Mit Sicherheit »übertrugen« sie die Bilder aus der Kuppel an den Dunklen Oheim. Viel leicht taten sie noch viel mehr. Vielleicht produzierten sie den Ring um
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den Thron. Ich hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Hinter die Instru mente geduckt, sahen wir, wie Duuhl Larx sich erneut auf den Alven stürzte. Wieder war das Podest für Sekunden in das blutrote, wabernde Leuchten gehüllt, und wieder zuckten Blitze durch die Halle. Zwei unbe greifliche Mächte kämpften einen Kampf auf Leben und Tod, und schon jetzt zeichnete sich ab, wer der Sieger sein würde. Ein markerschütternder Schrei erfüllte den Dom, als Larx erneut zu rückgeschleudert wurde. Seine Flammenaura flackerte wie eine Fackel im Wind, und er taumelte in der Luft, als er schnell wieder höher stieg. Fast prallte er gegen die Decke. Es dauerte Sekunden, bis er sich unter Kontrol le hatte. Er schrie ununterbrochen, und nur selten waren einzelne Worte klar zu verstehen. Ohnmächtiger Zorn mußte den Neffen erfüllen, Zorn und das Bewußtsein, die eigenen Kräfte überschätzt zu haben. Aber er floh nicht. Er konnte nicht mehr klar denken. Sein Haß war stär ker als alles andere. »Du versteckst dich, Oheim!« schrie er. »Du kämpfst nicht selbst! Jetzt spüre meine Vernichtungsaura!« Koratzo schrie erstickt, und auch ich wußte, was die Ankündigung des Neffen bedeutete. Falls er noch in der Lage war, die Vernichtungsaura be liebig weit auszudehnen, würde Pammion wohl selbst davor geschützt sein. Wir aber mußten darin vergehen. Plötzlich, wie besessen, rüttelte Koratzo wild an Copasalliors Schultern, doch der Sechsarmige streckte nur verzweifelt alle Gliedmaßen von sich. »Ich kann euch nicht von hier wegbringen!« schrie er. »Ich kann uns nicht versetzen!« »Jetzt, Oheim!« hallte die Stimme des Neffen in meinen Ohren, die oh nehin fast taub waren. »Wie gefällt dir das?« Ich warf mich flach auf den Boden und legte die Hände in den Nacken. In anderen Teilen des Hortes der Finsternis wußte man nichts von dem ti tanischen Kampf, der in der Zentralen Kuppel tobte. Es gab keine Nach richten von dort. Die Roboter, die mit den Gersa-Predoggs in der Kuppel in Verbindung stehen mochten, gaben keine Informationen preis. Sie trie ben die Alven aus ihren Verstecken und zurück an ihre Arbeitsplätze. Dillibor stand vor einem Bullauge, durch das er in den abgetrennten Teil der Halle der Schöpfung blicken konnte, in dem in Nährlösung zwei Körper schwammen. Schwarzalven in speziellen Schutzanzügen schwam men um sie herum, doch sie konnten nichts tun. Die Rümpfe der beiden neuen Neffen waren fertig. Die Gliedmaßen sa ßen da, wohin sie gehörten. Der Kopf übergangslos auf den mächtigen Schultern. Doch er war offen. Die Schädeldecke konnte erst geschlossen werden, wenn Dillibor endlich die sehnlichst erwarteten Gehirne hatte.
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Der Bleiche Alve trat vom Bullauge zurück und warf dem Roboter, der wenige Meter hinter ihm stand, zornige Blicke zu. »Du weißt, was in der Kuppel geschieht«, fuhr er ihn an. »Ihr steht doch alle miteinander in Verbindung! Der Oheim braucht die neuen Neffen. Wie aber sollen wir sie ihm liefern, wenn ihr unsere Arbeit sabotiert?« Natürlich taten die Gersa-Predoggs dies nicht – im Gegenteil. Doch Dil libor wollte die Maschine bewußt provozieren. Seine Furcht vor den Ro botern des Dunklen Oheims war verschwunden. Er kannte nur noch seine Arbeit – und den Haß auf die beiden Eindringlinge, die ihn so gedemütigt hatten. Die Maschine schwieg. »Die beiden sind in der Kuppel«, sagte der Alve schneidend. »Ich will wissen, ob sie noch leben! Ich brauche ihre Gehirne!« Wieder wartete er vergeblich auf eine Antwort. Er sah den Roboter vol ler Zorn an und hatte plötzlich das Gefühl, daß er ihm gar nicht antworten konnte. Irgend etwas stimmte nicht mit ihm. Aber was? Daß ein Gersa-Predogg einmal versagte, gehörte zu dem wenigen, das Dillibor sich nicht vorstel len konnte. Fluchend drehte er sich um und starrte auf die beiden Behälter, in denen zwei Gehirne schwammen. »Gehirne von Revierbewohnern!« stieß er hervor und machte eine ge ringschätzige Handbewegung. »Der Befehl des Oheims lautete, die Gehir ne der Fremden zu nehmen. Und genau das werden wir tun!« »Nimm die Gehirne der Revierbewohner!« Überrascht fuhr Dillibor herum. »Du hast also die Sprache nicht verloren? Dann sag mir, ob die Frem den noch leben!« »Ihre Gehirne sind für Neffen bestimmt«, antwortete der Gersa-Pre dogg. »Nicht unbedingt für die beiden jetzt fertigzustellenden. Es werden weitere Neffen benötigt.« »Das weiß ich selbst!« fuhr Dillibor auf. »Aber wo bleiben die Teile für diese weiteren Neffen? Keine Arbeit kommt mehr voran, seitdem Duuhl Larx erschienen ist! Die Angst lähmt die Schwarzen! Du willst mir nicht helfen, also werde ich selbst gehen und mir die Gehirne holen!« »Du wirst deine Arbeit hier zu Ende bringen«, sagte der Roboter. »Und inzwischen sterben die Fremden? Du willst mir nicht sagen, ob sie noch leben, also muß ich mich selbst davon überzeugen. Ich nehme ein paar Schwarze mit, und du wirst mich nicht daran hindern.« Natürlich hatte er Angst. Allein der Gedanke, sich der Zentralen Kuppel zu nähern, in der Duuhl Larx noch stecken mußte, ließ ihn erschauern. Aber sein Haß auf die Eindringlinge war noch stärker, und seine Überzeu
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gung, daß Pammion mit Hilfe des Dunklen Oheims den wahnsinnigen Neffen eliminieren würde, war ungebrochen. Dillibor machte Anstalten, sich zu bewaffnen und den Raum zu verlas sen. Der Roboter glitt blitzschnell an ihm vorbei und verstellte ihm den Weg. »Du wirst deine Arbeit hier beenden. Dort sind die Gehirne.« »Geh mir aus dem Weg!« »Du wirst die beiden Neffen fertigstellen.« Entsetzt sah Dillibor, wie aus dem Brustteil des Gersa-Predoggs zwei Projektoren ausgefahren wurden, und sich auf ihn richteten. »Das wagst du nicht!« stieß er hervor. »Du bist zu ersetzen«, sagte die Maschine. »Es gibt andere, die deine Arbeit tun können, falls du dich weiterhin weigerst.« Der Roboter spaßte nicht. Kochend vor Wut, drehte Dillibor sich um und bellte Befehle in ein Mikrophon. Kurz darauf erschienen Schwarzal ven und brachten die Gehirne zu den in der Nährlösung warteten Hilfs kräften. Die Lippen fest aufeinandergepreßt, verfolgte Dillibor am Bullau ge, wie sie den noch unbelebten Neffenkörpern eingepflanzt wurden. Die Alven schlossen die Schädeldecke. Die ungeheuer komplizierten Arbeiten nahmen fast eine halbe Stunde in Anspruch. Dillibor blieb be bend und fluchend am Bullauge stehen und hatte das Gefühl, die Zeit ver rann ihm durch die Finger. »Wenn diese beiden belebt sind«, wandte er sich an den Roboter, »läßt du mich gehen?« »Es interessiert mich nicht, was du tust, wenn du hier nicht benötigt wirst.« Und das war erst wieder der Fall, wenn die nächsten Neffen zur Bele bung bereit waren. Bis dahin würden Stunden vergehen. Grimmig nickte der Alve und betrat die Halle der Schöpfung. Der Ger sa-Predogg nahm seinen gewohnten Platz zwischen den Maschinen blöcken ein, von denen jetzt Blitze zur energetischen Trennwand hinüber zuckten, hinter der die Neffenkörper noch nicht zu sehen waren. Noch war der abgetrennte Teil mit der Nährlösung dunkel. Die Schwarzalven verließen die Halle. Dillibor trat hinter sein Ar beitspult und wartete. In diesen Augenblicken flossen die unsichtbaren Ströme vom Gersa-Predogg auf die Neffen über und belebten sie, die Energie des Dunklen Oheims selbst und jene aus der Lebensblase. Als der Roboter das Signal gab, schob Dillibor einen Regler bis zum Anschlag vor. Der abgetrennte Teil der Halle erhellte sich. Die neuen Nef fen bewegten sich. Ihre ungleichen Gliedmaßen preßten sich gegen die Trennscheibe. »Die Schwarzalven können sie abholen und mit dem physischen Trai
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ning beginnen«, ratterte der Roboter monoton herunter. »In zwanzig Stun den werden die Neffen ihre Bewußtseine erhalten.« Dillibor gab entsprechende Befehle und verließ die Halle, ohne diesmal zurückgehalten zu werden. Auf dem Korridor hielt er eine Gruppe verängstigter Schwarzalven an. »Ihr kommt mit mir!« befahl er. »Außer dir. Gib mir deine Lähmwaf fe!« Der Angesprochene tat dies und verschwand schnell in einem Neben gang. Die anderen sahen Dillibor unsicher an, und er hütete sich, ihnen schon jetzt zu sagen, wohin sie ihn begleiten sollten. Insgeheim hoffte er, daß Duuhl Larx bereits eliminiert war, wenn er die Zentrale Kuppel erreichte.
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6. Das goldene Schiff Die Minuten wurden zu Stunden, Stunden zu Ewigkeiten. An Bord der GOL'DHOR schien die Zeit stillzustehen. Nichts deutete darauf hin, daß sich Kolphyrs Hoffnungen erfüllten. Nach wie vor bestand der Sog, kämpften die magischen Maschinen gegen ihn an und schwieg das Schiff. Mittlerweile hatten die Magier, Koy und Kolphyr genügend Vergleichs daten, um feststellen zu können, daß die GOL'DHOR sich dem Dunklen Oheim tatsächlich bereits näherte, und die Geschwindigkeit, mit der sie das tat, nahm von Minute zu Minute zu. Die Organschiffe warteten im Weltraum. Offensichtlich sollten sie erst einmal beobachten. Kolphyr war nicht sicher, ob der Oheim die Botschaft der Körperlosen, daß die in der großen Plejade gespeicherte Energie ihm nicht mehr gefährlich werden könnte, »mitgehört« hatte. Wenn ja, so wuß te er, daß ihm keine Gefahr drohte. Wenn nicht, dann war der Angriff auf die GOL'DHOR nur eine Frage der Zeit. Koy trat auf den Bera zu und legte ihm wie zum Trost eine Hand auf den Arm. »Es war sinnlos, Freund«, sagte der Trommler niedergeschlagen. »Wir wußten, daß es sinnlos war.« Kolphyr gab keine Antwort. Wieder machte sich das Gefühl in ihm breit, von der GOL'DHOR betrogen worden zu sein. Sie hätte ihre Ent scheidung längst fällen müssen! »Du brauchst dir nichts vorzuwerfen«, sagte Koy. Kolphyr trat zur Seite. Er wollte kein Mitgefühl. Zorn stieg in ihm auf. »GOL'DHOR!« rief er. »Willst du doch noch zum Instrument des Bösen werden, wie dein Erschaffer es vorsah?« »Es hat doch keinen Sinn!« entfuhr es einem der Magier. »Vernichte den Dunklen Oheim!« rief der Bera. »Aber rette unsere Le ben! Nur dann stellst du auch weiterhin eine positive Kraft dar!« »Wovon redest du?« fragte Koy entsetzt. Kolphyr winkte ab. Auch die Magier waren hellhörig geworden, doch bevor einer von ihnen Fragen stellen konnte, erklang überraschend die Stimme des Schiffes: »Ich bin eine positive Kraft. Ich muß das Negative auslöschen.« Mehr sagte sie nicht, doch plötzlich veränderten sich die Geräusche der magischen Maschinen, und ein Ruck ging durch das Schiff. »Der Sog!« rief Koy aus. »Er … besteht nicht mehr. Wir … schießen auf den Planeten zu!«
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Alle sahen es. Es war unheimlich, wie schnell der Ringplanet größer wurde. Unwillkürlich klammerten die Magier und Koy sich an Verstre bungen und den Lehnen ihrer Sitze fest. Alle hielten den Atem an. Nur Kolphyr stand breitbeinig in der Nähe des Durchgangs zur Zentrale. Die Organschiffe formierten sich und nahmen die Verfolgung auf, doch sie waren viel zu langsam. Energiestrahlen standen im Weltraum und ver blaßten. Die GOL'DHOR wich ihnen aus, als könnte sie ihre Bahnen im voraus erahnen. »Sie ist viel zu schnell!« schrie Koy. »Sie wird zerschellen!« Kolphyr schüttelte den Kopf. »Sie wird uns sicher absetzen«, sagte er. Er ging auf den Durchgang zu. »Und dann?« brüllte Querllo, um die wieder lauter werdenden Maschi nengeräusche zu übertönen. »Kolphyr, was soll das heißen, sie soll den Dunklen Oheim vernichten? Du weißt, daß sie das nicht kann!« »Sie kann es, und sie wird es tun!« Etwas in der Stimme des Dimensionsforschers ließ die Magier verstum men. Vertraut mir! wollte Kolphyr sagen, aber schon der Einwand, die prote stierend hervorgestoßene Frage Querllos war gefährlich gewesen. Für Au genblicke hatte Kolphyr befürchtet, die GOL'DHOR könnte sein Spiel durchschauen. In der Hoffnung, die Magier und Koy würden sich weiterhin ruhig ver halten, trat er auf den Durchgang zu. »Wohin willst du jetzt?« fragte Koy. »Ich werde die Landung in der Zentrale mitverfolgen.« »Aber …« Koy versuchte vergeblich, in der Miene des Beras zu lesen. Er verstand den Gefährten nicht, und es war ihm anzusehen, wieviel Mühe es ihn kostete, die eigene Neugier zu bezwingen. »Es wäre besser, wenn wir jetzt zusammenblieben.« »Wir werden sicher landen«, erklärte Kolphyr noch einmal. Es wurde höchste Zeit, daß er in die Zentrale kam. Schon hatte das Schiff den Ring der Lebensblase fast erreicht. Die Verfolger blieben hoffnungslos zurück. »Jemand muß sich um Zwertelis kümmern.« Das schien auch der Trommler einzusehen, aber immer noch war das Mißtrauen in seinen Blicken. Kolphyr konnte sich nicht länger mit ihm aufhalten. Bald würden er und die Magier alles verstehen – falls Kolphyrs Plan aufging. Er betrat zum letztenmal die Zentrale. Kolphyr kannte die Ursache für das Verschwinden des Soges. Für kurze Zeit hatte die GOL'DHOR ihre »Sehnsucht« nach der Vernichtung des Dunklen Oheims hintangestellt. In ihr lag der Sog allein begründet. Hatte das Schiff seine Passagiere erst einmal auf Ritiquian abgesetzt, würde es sofort wieder nur noch von dieser irrationalen Sehnsucht erfüllt sein und
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einen Sog produzieren, der es mit vehementer Gewalt auf den Dunklen Oheim zuriß. Dann nämlich würde es keine »Hemmnisse« mehr geben, wie die Gewissensbisse der GOL'DHOR sie nun noch darstellten. Kolphyr war nicht gewillt, es soweit kommen zu lassen. Nicht nur, daß er das unendlich wertvolle Schiff, das einzige Fortbewegungsmittel, das ihm, Koy, den Magiern und später vielleicht Atlan und Razamon zur Ver fügung stand, nicht opfern wollte; er betrachtete die GOL'DHOR ja fast als ein lebendes Wesen, und er fühlte sich dafür verantwortlich. Zwertelis die Denkende hockte unverändert vor dem Podest mit der großen Plejade davor. Kolphyr versuchte, seine Augen zu schützen, so gut es ging. Dennoch schmerzte die unerträgliche Helligkeit, die von der Mar morkugel ausging und das Fell der Denkenden golden schimmern ließ. Das dreiviertel Meter große, an einen kleinen Bären erinnernde Wesen drehte sich auch jetzt nicht um, als es den Bera kommen hörte. Es war, als weilte Zwertelis' Bewußtsein in einer anderen Welt. Kolphyr wußte, daß er ihr mit dem, was er nun tun mußte, wahrschein lich große Schmerzen bereiten würde. Er hoffte, daß ihre Bindung an die Plejade nicht so stark war, daß er irreparable Schäden hervorrief. Der Gedanke daran ließ ihn noch einmal zögern. Dann aber sah er den Ring um den Planeten bereits so nahe, daß er nun wirklich keinen Augen blick mehr zögern durfte. Die GOL'DHOR war etwas langsamer geworden, und die Alven holten wieder auf. Das magische Schiff mußte vollauf damit beschäftigt sein, gleichzeitig die Landung vorzubereiten und den Schüssen der Verfolger auszuweichen. Darauf spekulierte der Bera. Er mußte handeln, bevor die GOL'DHOR begriff, was er vorhatte. Noch glaubte sie, er wäre allein wegen Zwertelis in die Zentrale gekommen. Kolphyr legte der Denkenden sanft eine Hand auf die Schulter. Er stand neben ihr und brauchte nur die andere Hand auszustrecken, um sich die große Plejade zu greifen. »Komm, Zwertelis«, sagte er leise. »Komm jetzt mit mir.« Wie in Trance drehte sie ihm langsam das Gesicht zu. Dieser eine Au genblick genügte dem Bera. Kolphyr ließ sie los, beugte sich blitzschnell vor und griff nach der Marmorkugel. Als Zwertelis zu schreien begann, war er bereits aus der Zentrale her aus. Noch reagierte die GOL'DHOR nicht. Die schrillen Schreie der Den kenden hallten Kolphyr schmerzhaft in den Ohren. Er mußte sie ignorie ren. Er durfte sich nicht aus der Fassung bringen lassen. Nur eines zählte jetzt, nur eines … »Macht die Schleuse auf!« schrie er den Magiern zu. »Fragt jetzt nicht! Macht schnell!«
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Die Magier starrten ihn an, sahen die große Plejade, fühlten ihre uner trägliche Ausstrahlung – und begriffen. Sie schafften es mit vereinten Kräften, die Schleuse zu öffnen. Kolphyr warf die Marmorkugel in die Kammer. Das Innenschott schloß sich. »Was … tust du, Kolphyr?« meldete sich das Schiff. »Was …« »Das Außenschott auf!« schrie der Bera. Die Magier waren bereits dabei. Durch die transparenten Wände sah Kolphyr, wie sich die Schleuse nach außen öffnete und die große Plejade mit der entweichenden Luft ins Vakuum des Weltalls gerissen wurde. »Was habt ihr getan?« Die Stimme der GOL'DHOR klang verzweifelt, gerade wie die eines Menschen. »Ihr Unglückseligen! Kolphyr, du hast mich betrogen!« Der Bera ließ sich auf den Boden fallen und atmete schwer. Zwertelis erschien im Mittelteil des Schiffes, taumelte und wurde von Koy aufgefan gen. In seinen Armen verlor sie das Bewußtsein. Die Magier warfen Kolphyr scheue, aber auch anerkennende Blicke zu. Aber sie hatten Angst. Was immer der Bera der GOL'DHOR versprochen hatte – es war fraglich, ob das Schiff den »Betrug« hinnehmen würde. »Du hast keine Macht mehr, GOL'DHOR«, murmelte Kolphyr, dessen Glieder plötzlich schwer wie Blei waren. Die ganze physische Anspan nung der letzten Stunden brach nun mit einemmal durch. »Du hast sie mit der großen Plejade verloren. Du kannst den Dunklen Oheim nicht mehr vernichten. Nun befolge unsere Befehle. Bring uns sicher auf den Planeten herab!« Kolphyr wartete keine Antwort ab. Müde erhob er sich und wehrte alle Fragen ab. Diesmal öffnete er die Schleuse selbst manuell, und die GOL'DHOR wirkte dem nicht entgegen. Hinter ihm schloß sich das Innenschott. Durch den Velst-Schleier vor dem Vakuum geschützt, blickte der Bera der schnell kleiner werdenden und dann nur noch als schwach leuchtendem Punkt erkennbaren Plejade nach, wie sie auf die Lebensblase zuschoß. Nichts konnte sie nun mehr aufhalten. Der Wille der Körperlosen war erfüllt. Wir danken dir, Kolphyr! hörte er plötzlich wieder ihre Stimmen. Die große Plejade wird uns erlösen und gleichzeitig die ganze Schwarze Gala xis von einem Alptraum befreien. Gerührt stand der Bera in der offenen Schleuse und sah auf den Plane ten herab, um den sich der »Ring des immerwährenden Lebens«, die Le bensblase spannte. Die GOL'DHOR war offensichtlich zum Stillstand ge kommen, und auch die Verfolger kamen nicht näher. Im Gegenteil: sie flo hen! Die große Plejade hat den Ring erreicht, hörte er. Geh zurück ins Schiff, Kolphyr. Vor dem, was nun geschieht, wird dich auch dein Velst-Schleier
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nicht schützen können! Und es begann bereits. Ein gewaltiges Feuer schien mit unglaublicher Geschwindigkeit um Ri tiquian herumzulaufen, von dort ausgehend, wo die große Plejade in den Ring eingedrungen war. Dann schien das Weltall in einer Explosion von weißem Licht aufgerissen zu werden. Kolphyr beeilte sich, in die GOL'DHOR zu kommen. Draußen setzte sich der einmal in Gang gekommene Prozeß fort. Die Körperlosen meldeten sich nicht mehr. Sie würden es niemals mehr tun, denn sie waren nicht länger in der Lebensblase gefangen. Der »Ring des immerwährenden Lebens« löste sich in grellen Lichter scheinungen auf. Die Lichtschauer durchdrangen mühelos die Hülle der GOL'DHOR und ließen die Magier und Koy schreiend zu Boden sinken. Kolphyr versuchte als einziger, das Geschehen im Weltraum weiter zu be obachten. Er zwang sich dazu, die Augen offenzuhalten, bis nur noch ein schwaches Wetterleuchten von der ehemaligen Existenz der Lebensblase kündete. Es war vorbei. Obwohl der Bera noch nicht ahnen konnte, welche Kon sequenzen seine Verzweiflungstat zeitigen würde, empfand er große Ehr furcht. Etwas, das über Jahrtausende, vielleicht Jahrmillionen hinweg be standen hatte, existierte nicht mehr, war innerhalb von Sekunden ausge löscht worden – nur durch die der großen Plejade innewohnenden Kraft. Was geschah nun? Was geschah mit der GOL'DHOR, mit ihren Passagieren – mit dem ganzen System, in dem die Lebensblase eine für Kolphyr hoch nicht über schaubare Rolle gespielt hatte?
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7. Atlan Sekunden lagen wir still auf dem Boden, ohne zu atmen, ohne einen Fin ger zu bewegen, und warteten auf das unvermeidlich Erscheinende. Es gab keine Flucht mehr. Dies mußte das Ende sein. Aber die Vernichtungsaura des Neffen blähte sich nicht auf. Wir vergin gen nicht in ihr. Statt dessen trieb mir Duuhl Larxens fürchterlicher Auf schrei einen eisigen Schauer über den Rücken. Mein Kopf ruckte in die Höhe. Fassungslos sah ich, wie sich aus dem Ring um Pammion herum ein Ausläufer gebildet hatte, ein grell flimmern der Finger aus unbekannter Energie, der Duuhl Larx erfaßt hatte und nicht mehr losließ. Die Feuerkugel versuchte, sich freizumachen. Duuhl Larx schrie und schrie. Er verschoß Blitze nach allen Richtungen, versuchte seitlich auszubrechen, aber alle Bemühungen nützten ihm nichts. Der Strahl hielt ihn gefangen und saugte ihm die Energie aus der Aura. Es war offensichtlich. Je mehr Duuhl Larx sich zu wehren versuchte, desto schwächer wurde seine Energieaura. Zeitweise war sie so schwach, daß ich glaubte, etwas von Larxens Körper dahinter erkennen zu können. Es war unerträglich heiß in der Kuppel geworden. Die Energien, die hoch über unseren Köpfen aufeinanderprallten, heizten die Luft auf. Jeder Atemzug bereitete Schmerzen. Dann floß der Energiefinger in den Ring um Pammion zurück. Duuhl Larx war frei. Er hatte Mühe, sich in der Luft zu halten. Seine Schreie wollten kein Ende nehmen. Er war nicht mehr Herr seiner Sinne. Blinder Haß und der Wahnsinn trieben ihn noch einmal zum Angriff. Und Pammi on, so schien es, wartete nur darauf. Die Energieaura leuchtete nun so schwach, daß wir ohne weiteres hin einsehen konnten. Der Neffe kreiste noch zwei-, dreimal unter der Decke, und diesmal wirkte es wie der Flug einer vom Licht gleichzeitig angezoge nen und irritierten Motte. Seine Kräfte mußten rasch erlahmen, rascher als wir es sehen konnten. Noch einmal schoß Duuhl Larx auf den Alven zu, mehr vom eigenen Schwung mitgerissen als durch kontrollierte Bewe gung. Ein langgezogener Schrei erfüllte das Kuppelgewölbe. Wir hatten uns halb aufgerichtet und warteten fasziniert und erschüttert zugleich auf den Ausgang des Kampfes. Larx hatte nichts mehr zuzusetzen. Er mußte verlieren. Er verlor. Noch einmal, kurz bevor er Pammion erreichte, leuchtete seine Energie aura blendendhell auf, als hätte er sich den letzten Rest Energie für diesen
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Augenblick aufgespart. Larx prallte auf den Ring. Noch einmal zuckten Blitze durch die Kup pel. Noch einmal knisterte die Luft. Ich schloß geblendet die Augen und öffnete sie erst wieder, als Larx' Schreien zu einem Wimmern wurde und schließlich ganz erstarb. Er fiel wie ein Stein. Mit einem dumpfen Laut klatschte er direkt vor Pammions Thron zu Boden. Der Ring um den Thron existierte nicht mehr. Pammion brauchte ihn nicht länger. Duuhl Larx lag vor ihm, in seiner ganzen Häßlichkeit. Ich sah ihn, wie er wirklich war, und mußte gegen die aufsteigende Übelkeit ankämpfen. Für Sekunden weigerte sich mein Verstand, das zu akzeptieren, was meine Augen mir vermittelten. Razamon stand mit geballten Fäusten neben mir und rang um seine Beherrschung. Die beiden Magier waren wie zu Stein erstarrt. Der Kampf war vorbei. Duuhl Larx lebte noch, aber er hatte seine Ener giehülle verloren. Er war ein Monstrum. Falls einer von uns in diesen Augenblicken, als die meisten Alven noch am Boden lagen oder sich zögernd wieder aufrichteten, an Flucht gedacht hätte, so wären wir nicht weit gekommen. Absolute Stille herrschte in der Kuppel, wie die Ruhe nach einem fürchterlichen Sturm. Das Geschehen schlug uns alle in seinen Bann. An den Ausgängen postierten sich Robo ter, die lautlos hereingeschwebt waren. Niemand nahm Notiz von uns. Immer mehr Alven kamen hinter ihren Verstecken hervor und starrten fassungslos auf das Podest. Die drei GersaPredoggs nahmen ihren Platz um den Thron herum wieder ein und verhiel ten sich abwartend. Andere Roboter sammelten sich an den Treppen, wie der andere um uns herum. Wenn sich jetzt auch niemand um uns kümmer te – vergessen waren wir nicht. Ich erwartete insgeheim, die Stimme des Dunklen Oheims aus Panthor gh sprechen zu hören. Doch der Herrscher der Schwarzen Galaxis schwieg. Pammion redete für ihn. Triumph in den Augen beugte er sich vor und musterte den Neffen. Dann stieß er ein höhnisches Gelächter aus, und sag te schneidend: »Steh auf, Duuhl Larx!« Sein herrisches Gehabe ließ keinen Zweifel daran, daß er sich als allei nigen Sieger betrachtete, dem der Oheim höchstens ein wenig »beigestanden« hatte. Duuhl Larx lag auf der Seite. Jetzt ruckte sein Kopf in die Höhe. Mit ei ner Mischung aus Furcht und Haß blickte er den Alven an, den er immer noch für den Dunklen Oheim selbst hielt.
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Er kam in die Höhe, ein abgrundtief häßliches Wesen. Früher einmal mußte er ein typischer Neffe gewesen sein, wie Razamon und ich sie auf den Skizzen Dillibors gesehen hatten und wie uns einer, allerdings noch ein »Baby«, begegnet war. Duuhl Larx aber hatte eine furchtbare Veränderung durchgemacht. Eini ge Körperteile waren abgestorben und hingen faulend vom Rumpf herab. Andere hatten unkontrolliert zu wuchern begonnen. Mir wurde klar, wa rum er sich nie ohne die Energiehülle gezeigt hatte. Für Augenblicke emp fand ich Mitleid mit diesem Geschöpf. Dann aber rief ich mir seine Greu eltaten ins Gedächtnis zurück. Nein, Duuhl Larx hatte kein Mitleid ver dient – ebensowenig wie alle anderen Neffen des Dunklen Oheims. Larx richtete sich auf, stand für Sekunden bebend vor Pammion und hielt dem Blick des Alven stand. Dann erst, als er sah, wie Pammion an ihm herunterblickte, merkte er, daß er »nackt« war. Mit einem Laut, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, warf er sich vor dem Thron zu Boden. Dieses wahnsinnige Geschöpf, das eben noch Haß und Trotz versprüht hatte, brach nun vollkommen zusammen. Larx war nur noch ein Häufchen Elend. Ich mußte schlucken. Ohne daß ich es merkte, hatte ich ein paar Schritte auf das Podest zu gemacht und stand nun auf den untersten Stufen. »Sieh mich nicht an, Oheim!« schrie er flehend, zwei deformierte Hän de vor die Augen geschlagen. »Ihr alle, seht mich nicht an!« Pammion schob sich weit vor und lachte wieder. Der Alve war wahrhaf tig ein würdiger Statthalter seines Herrn. Er lachte grausam und versuchte, mit den kurzen Beinen nach Larx zu treten. »Warum nicht?« rief Pammion und lachte. Selten empfand ich soviel Ekel wie jetzt. Der Alve war die verkörperte Bösartigkeit. Er genoß es, den nun wehrlosen Krüppel zu quälen, bevor er Panthorg wohl wieder da mit beauftragte, das Urteil des Dunklen Oheims zu verkünden. »Seht mich nicht an! Verbiete es ihnen, Oheim! Du bist die Macht, aber …« Ein irrer Glanz trat in Duuhl Larxens Augen. Er richtete sich wieder halb auf und streckte dem Alven drei, vier Hände entgegen. »Ich bin auch stark. Gib mir meine Aura zurück, und wir werden gemeinsam herrschen. Nie wieder werde ich an dir zweifeln! Ich schwöre es!« »Ha! Ich brauche deine Hilfe nicht, Duuhl Larx. Du hast uns schon ge holfen. Aber dazu später.« Pammion beugte sich noch weiter vor, so daß ich schon damit rechnete, er würde vom Thron kippen. »Jetzt will ich wis sen, was du aus dir gemacht hast. Du hast deinen Körper, der dir vom Oheim gegeben wurde, veruntreut. Allein dafür verdienst du den Tod. Wie, Duuhl Larx?« »Sieh mich nicht an!« »Wie ist … das aus dir geworden? Antworte, Duuhl Larx!«
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Der Neffe sank völlig in sich zusammen, kroch winselnd weiter auf den Thron zu und versuchte, Pammions Füße zu berühren. Der Alve trat nach ihm und rutschte ein Stück zurück. »Die Valvken!« berichtete Larx dann jammernd. »Diese Verräter sind schuld! Ich befahl ihnen vor langer Zeit, die halbmagischen Geräte herzu stellen, die meine Sphäre erzeugen sollten. Sie taten dies, aber sie …« Der Neffe schluchzte und schlug wieder die Hände vors Gesicht. Seine Stimme klang dumpf, als er weiterredete: »Die Bestien betrogen mich. Sie wollten mich vernichten, mich, ihren Herrn! Sie lieferten mir die Geräte, und ich hüllte mich in die Energiesphäre. Als ich merkte, was sie getan hatten, war es schon viel zu spät, Oheim! Die Strahlung, die von der Sphäre ausging, veränderte meinen Körper. Ich habe ihn nicht veruntreut, Oheim! Nicht ich beging diesen Frevel. Ich bestrafte die Valvken. Ich rottete sie alle aus, bis auf einen!« Larx Gesicht wurde zur Grimasse. »Peleff! Nur ihn ließ ich am Leben und machte ihn zu meinem Transfusionsgebundenen. Ich hätte auch ihn töten sollen …!« Pammion hörte sich all dies völlig ungerührt an. Das schreckliche Schicksal, das sich da vor ihm ausbreitete, berührte ihn nicht im gering sten. Wieder stieß er sein grausames Lachen aus. »Du hast nichts anderes verdient, Duuhl Larx!« rief er. »Denn du brauchst keine Sphäre. Du wolltest die Aura nur in deiner unersättlichen Gier nach Macht, nach mehr Macht, als sie dir zustand!« »Nein!« schrie der Neffe. »Du wolltest mächtiger sein als andere Neffen! Darum tötetest du auch Chirmor Flog, Thamum Gha und all die anderen!« Ich war entsetzt. Jetzt erst erfuhr ich durch den Alven, unter welchen Umständen Larx nach Ritiquian gelangt war. Aus den Augenwinkeln her aus nahm ich wahr, wie Copasallior heftig nickte. »Nein!« schrie Larx. »Nein, nein! So war es nicht!« »Natürlich war es so! Du hast verloren, Duuhl Larx! Warum leugnest du noch? Das rettet dich nicht mehr!« »Vergib mir Oheim! Habe Mitleid mit mir!« »So wie du Mitleid mit jenen hattest, die für deine Gier sterben muß ten?« Pammion stand es denkbar schlecht an, den Moralisten zu spielen. Er stellte sich aufrecht hin und winkte einer Gruppe von Alven, die sich mitt lerweile bis ans Podest herangewagt und den heftigen Wortwechsel er schüttert mitangehört hatten. »Schafft ihn fort!« rief er ihnen zu. »Kommt her und holt ihn. Sperrt ihn gut ein, aber pflegt ihn. Er soll leben und allen Neffen gezeigt werden. Sie alle sollen sein Bild sehen, damit keiner von ihnen mehr auf abwegige Ge danken kommt!«
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Larx zuckte zusammen, starrte den Alven, den er in seinem Wahn im mer noch für den Dunklen Oheim hielt, entsetzt an und schrie heiser auf. »Das werdet ihr nicht tun! Niemand wird mich so sehen! Niemand, Oheim!« Was dann folgte, geschah so schnell, daß ich Mühe hatte, es zu verfol gen. Der verunstaltete Neffe sprang auf. In heller Verzweiflung über das ihm zugedachte Schicksal, mobilisierte er seine letzten Kräfte und stürzte vor. Pammion, siegessicher auf seinem Thron stehend, wurde diesmal völ lig überrascht. Die Alven, die Larx abführen sollten, waren noch auf den Stufen und erstarrten, als der Neffe Pammion erreichte und den Bleichen regelrecht unter sich begrub. Pammions Entsetzensschreie erfüllten das Kuppelgewölbe. Ein Arm ragte zwischen Larxens Gliedmaßen in die Hö he wie der eines Ertrinkenden. Schaudernd wandte ich mich ab. Ich sah nicht, wie Duuhl Larx Pammi on tötete. Ich sah nur das maßlose Entsetzen auf den Gesichtern der Ma gier. Erst als Duuhl Larx triumphierend aufschrie, drehte ich mich wieder um. Ich hatte erwartet, einen zufriedenen Sieger zu sehen – aber das Bild, das sich mir nun bot, nahm mir die Luft weg. Alles, was wir an Schreckli chem im Hort der Finsternis gesehen und erlebt hatten, schien nur ein Vor spiel für das gewesen zu sein, was jetzt begann. Es war der Anfang vom Ende. Dillibor kostete es einige Überzeugungskraft und handfeste Drohungen, die Schwarzalven dazu zu bewegen, zur Zentralen Kuppel zu fliegen. In zwei Gleitern jagten sie über die Kuppeln, Flachbauten und freien Plätze hinweg und zwischen hoch in den Himmel ragenden Türmen hindurch, die alle durch transparente Röhren miteinander verbunden waren. Kaum ein Wesen war unten in den Straßenschluchten zu sehen, kaum jemand bewegte sich in den Röhren. Roboter machten Jagd auf die Alven und Hilfskräfte, holten sie aus ihren Verstecken und trieben sie zusammen. Das alles wirkte auf Dillibor ein. Er konnte sich nicht erinnern, jemals etwas Vergleichbares erlebt zu haben. Solange der Hort der Finsternis be stand und solange sich die Alven zurückerinnern konnten, hatte es keine solche Verweigerung gegeben. Nein, dachte Dillibor. Es war schon keine Verweigerung mehr. Dies war fast schon ein Aufstand! Und es konnte nicht nur die panische Angst vor dem als Feuerkugel eingedrungenen Neffen sein, der die Bewohner des Hortes die Furcht vor dem Dunklen Oheim vergessen ließ. Es steckte mehr dahinter, und auch er fühlte es zunehmend. Etwas geschah, etwas Unvorstellbares. Überall kündigte es sich an. Kurz bevor er ins Freie getreten und sein Fahrzeug bestiegen hatte, mußte Dillibor entsetzt vernehmen, daß die Gefangenen aus vier Revieren
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ausgebrochen waren und den Robotern heftige Kämpfe lieferten. Nur sie hielten die Ordnung noch einigermaßen aufrecht – nur die ge haßten und gefürchteten Gersa-Predoggs. Das weckte Trotz in Dillibor. Er war nicht gewillt, den Robotern noch mehr Macht zuzugestehen, als sie ohnehin schon hatten. Sie durften den Hort nicht völlig an sich reißen. Um das zu verhindern, brauchte es Alven, die noch Herren ihrer Sinne waren. Er jedenfalls war fest entschlossen, das Seine zu tun, um die momentane Krise zu meistern. An etwas anderes als an eine Krise weigerte er sich zu denken. Also trieb er die Schwarzalven unbarmherzig an. Unter den Gleitern zo gen die Gebäude rasend schnell hinweg, und immer noch war die Zentrale Kuppel weit. Nach allen Richtungen hin erstreckte sich die Gigantanlage bis zum Horizont. Am Himmel spannte sich das dunkle Band der Lebens blase. Seltsamerweise mußte Dillibor immer häufiger zu ihr hinaufblicken. Er wußte nicht, warum, und verfluchte seine Unruhe. Der Dunkle Oheim wachte über seinen Palast. Er würde es nicht zulassen, daß er für längere Zeit außer Kontrolle geriet – oder daß etwas noch Schlimmeres geschah. »Schneller!« befahl er dem Schwarzalven an den Kontrollen. »Wir fliegen mit Höchstgeschwindigkeit, Herr«, antwortete dieser. Warum saß ihm die Angst so sehr im Nacken? Warum hatte er das Ge fühl, einen verzweifelten Kampf gegen die Zeit ausfechten zu müssen? Dillibor wollte sich nicht selbst verrückt machen, so wie alle anderen es zu tun schienen. Er dachte an die Eindringlinge, und sein Haß auf sie drängte die quälenden Gedanken und Gefühle zurück. Endlich, nach fast einer Viertelstunde, landeten die Maschinen vor der Zentralen Kuppel. Dillibor hatte die Lähmwaffe in der Hand, als er aus dem Gleiter sprang. Mit dem Lauf dirigierte er die Schwarzen vor sich her, auf den nächsten Eingang zu. Dabei entging ihm nicht, daß sich unge wöhnlich viele Roboter um die Kuppel herum postiert hatten. Er hatte die Kuppel fast erreicht, als die Umgebung plötzlich in grelles Licht getaucht wurde. Dillibor blieb stehen. Ein Schwarzalve konnte sei nen Lauf nicht schnell genug abbremsen und prallte auf seinen Rücken. Dillibor nahm es kaum wahr. Mit weit aufgerissenen Augen und offe nem Mund starrte er in die Höhe. Der Himmel schien in Flammen zu stehen. »Die … Lebensblase!« schrie ein Alve neben ihm. »Die Lebensblase brennt!« Um Dillibor herum warfen sich die Schwarzalven, soweit sie nicht schon in der Kuppel waren, in Deckung, als die ersten Blitze auf den Hort der Finsternis herabzuckten. Nur Dillibor stand aufrecht da, den Kopf weit in den Nacken geworfen.
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Und er wirkte wie eine steinerne Statue, ein lebendes Mahnmal an eine Zeit, deren Ende angebrochen war. Duuhl Larx überlebte Pammion nur um Sekunden. Völlige Stille herrschte in der Halle. Die Alven versuchten nicht mehr zu fliehen. Sie atmeten nicht, und auch wir waren unfähig, uns zu rühren. Einige Roboter glitten und schwebten ziellos durcheinander. Selbst die drei, die neben dem Thron schwebten und nicht hatten verhindern können, daß Pammion starb, wirkten nun wie außer Kontrolle geraten. Aber es war der Dunkle Oheim selbst, der sie kontrollierte! Duuhl Larx lag über Pammion, halb auf der Seite, so daß er uns das Ge sicht zuwandte. Seine Lippen bewegten sich, aber kein Laut kam mehr über sie. Nur für ein, zwei Sekunden stand unbändiger Triumph in den Blicken der unter wuchernden Hautlappen hervorschauenden Augen. Dann ging ein letztes Aufbäumen durch den Körper des Neffen. Duuhl Larx' Blick wurde gläsern. Der Wahnsinnige verlor den Halt, rutschte über die Lehne des Thrones und landete mit einem dumpfen Laut auf dem Bo den. Er war tot. Als ob er damit ein Signal gegeben hätte, begann das Kuppelgewölbe plötzlich zu beben und zu knirschen, als sollte es jeden Augenblick ein stürzen. Die Alven erwachten aus ihrer Starre und rannten ziellos davon. Jene, die noch am Boden lagen, krochen auf die Ausgänge zu, richteten sich auf, taumelten einige Meter und brachen erneut zusammen. »Atlan!« Razamon packte mich an den Schultern. Ich riß mich los, den Blick starr auf den toten Neffen neben dem Thron gerichtet. Natürlich, das letzte Aufbäumen und der Verlust seiner Sphäre mochten für Larx' Tod verantwortlich gewesen sein. Vielleicht hatte er sich zu sehr verausgabt. Vielleicht war er nur durch uns unbekannte Lebenserhaltungs systeme in seiner Sphäre überlebensfähig gewesen. Aber ich glaubte nicht daran. Mit Sicherheit hatte Pammion den Willen des Dunklen Oheims verkündet, als er das Urteil über Duuhl Larx sprach. Und der Oheim sollte die Möglichkeit haben, den Neffen am Leben zu er halten. Was war dann geschehen? Die Worte der Körperlosen waren wieder in meinem Bewußtsein. Ich weigerte mich, die Konsequenzen daraus zu se hen. Es war viel zu früh. Ein Neffe war gestorben. Aber daraus zu schlie ßen, daß in diesen Augenblicken überall in der Schwarzen Galaxis das gleiche geschah, erschien mir voreilig und zu phantastisch. Das Dröhnen wurde stärker. Der Boden bebte immer heftiger, als ob der Planet selbst in Aufruhr geraten wäre. In der Decke bildeten sich erste Ris se. Stichflammen schossen aus Geräten, und mehrere Roboter stürzten gleichzeitig ab. Nur Panthorgh hielt sich, wenn auch taumelnd, hoch in der
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Luft. »Atlan, verdammt, komm endlich zu dir! Wir müssen 'raus!« Razamon rüttelte an meinen Schultern. Ich stand für Augenblicke da und starrte den Berserker nur an. Schrecken und Entsetzen spiegelten sich in seinen Blicken. Koratzo und Copasallior liefen bereits auf einen der Ausgänge zu, an dem sich noch die Alven drängten. Kein Roboter verstell te mehr den Weg. Ohrenbetäubender Donner brachte mich endgültig in die Wirklichkeit zurück. Ein Teil der Kuppel stürzte ein. Metallteile kamen herab und be gruben Dutzende von Alven und Maschinen unter sich. Funken stoben auf. Aus einem ganzen Ring von Kontrollpulten schossen Blitze wie ein Lauf feuer. Kleine blaue Flammen züngelten an den Geräten empor. Leitungen schmorten durch, und giftige Dämpfe drangen in meine Nase. Die Hitze wurde unerträglich. Ich riß mich vom Anblick des Chaos los und begann zu rennen. Die Magier hatten vor dem Ausgang auf uns gewartet und bahnten sich eine Gasse durch die schreienden und vor Angst halb wahnsinnigen Alven. Schweiß brach mir aus allen Poren und lief in den grauen Overall, der wie eine nasse, dicke Haut an mir klebte. Plötzlich erklang eine Stimme aus mehreren der noch intakten Geräte zugleich. Gleich nach den ersten verzerrten Lauten war mir klar, wer da zu uns sprach. Ich blieb nicht stehen. Razamon lief neben mir und ließ keinen Zweifel daran, daß er mich notfalls aus der Kuppel herausgetragen hätte. Nur einmal drehte ich mich noch um, während der Atlanter ein halbes Dutzend Alven beiseite schob. Panthorgh stürzte ab und explodierte. Die Worte des Dunklen Oheims blieben unverständlich und erstarben dann ganz in einigen unartikulierten Lauten. Ich packte mit an, als sich von hinten Alven an uns vorbeidrängen woll ten, und gelangte zusammen mit den Magiern und Razamon aus der Halle. Ohne uns noch einmal umzublicken, rannten wir weiter durch fast leere Korridore, sprangen über reglos am Boden liegende Alven hinweg und suchten nach dem Ausgang aus der Zentralen Kuppel. Vergeblich versuch te ich mich an den Weg zu erinnern, den die Gersa-Predoggs genommen hatten, als sie uns hierherführten. Daß Copasallior nicht versuchte, uns mit Hilfe seiner magischen Fähigkeiten aus der Zentralen Kuppel herauszuver setzen, sagte alles über die derzeitige Verfassung der Magier. Wir liefen geradeaus. Irgendwann mußten wir so ins Freie gelangen. Das einzige, an das ich mich noch genau erinnern konnte, war, daß die Ro boter uns in Liftschächte verfrachtet und nach oben gebracht hatten. Wir mußten also abwärts. »Dort hinein!« rief ich, als wir den nächsten Schacht erreichten. Hinter uns stürzten weitere Teile der Kuppel ein. Es war schwer, die von überall
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her kommenden Verzweiflungsschreie der verirrten Alven einfach zu ignorieren und die Zwerge ihrem Schicksal zu überlassen. Aber es ging um unsere eigene Haut. Erst jetzt packte mich die Angst. Der Lift funktionierte noch. Wir verließen ihn erst, als wir sein unteres Ende erreichten, und ich konnte nur hoffen, daß er uns nicht in unbekannte Kellergewölbe gebracht hatte. Ein breiter Korridor öffnete sich vor uns. Alven taumelten ziellos umher. Ich glaubte, den Gang wiederzuerkennen. »Weiter!« rief ich. Meine Worte gingen im Krachen einstürzender Deckenteile unter. Die Magier rannten voraus. Razamon bildete wieder den Schluß. Schon bildeten sich auch hier Risse in den Wänden. Metall beulte sich aus und platzte unter ohrenbetäubendem Krachen und Krei schen. Wir mußten stehenbleiben und über die herabgekommenen Trüm mer klettern, immer wieder. Der Weg schien kein Ende nehmen zu wollen. Rauch und Staub erfüllte die Luft. Ich hustete und konnte vor Tränen zeit weise kaum etwas sehen. Dann fiel auch die Beleuchtung aus. Wir rannten durch dunkle Gänge, deren Wände und Decken an Stellen dunkelrot glühten und Blasen warfen. Und es wurde immer heißer! Endlich sahen wir helles Licht voraus. Das ließ uns noch einmal alle Kräfte mobilisieren. Wir rannten, als sei der Leibhaftige hinter uns her – und dann standen wir im Freien. Copasallior und Koratzo blieben wie angewurzelt stehen und warfen die Köpfe in den Himmel. »Der Himmel!« schrie der Weltenmagier. »Die Lebensblase … sie ist fort!« Es war, als hätten wir eine andere Welt betreten – nicht jene, die wir kann ten, seitdem wir im Hort der Finsternis materialisiert waren. Zum ersten mal lag die Gigantanlage im vollen Sonnenlicht vor uns. Doch der erste Eindruck täuschte. Auf dem freien Gelände vor der Rie senkuppel lagen umgestürzte Fahrzeuge auf der Seite und zwischen ihnen tote oder bewußtlose Alven. Andere kauerten auf dem Boden und wim merten leise vor sich hin. Kein einziger hatte den Blick zum Himmel erho ben. Die Spuren des beginnenden Verfalls zeigten sich überall. Hinter uns stürzten weitere Teile der Zentralen Kuppel ein, und vor uns sanken ganze Gebäude einfach in sich zusammen, als sei ihnen das Fundament wegge sprengt worden. Verbindungsröhren kamen krachend herab. Staubwolken wurden aufgewirbelt und nahmen die Sicht. Gleiter stürzten ab und vergin gen in Explosionen. Und der Himmel war klar! Was ich nicht zu hoffen gewagt hatte, war eingetreten. Die Lebensblase existierte nicht mehr. Das aber konnte nur bedeuten, daß Yeers und Olken recht behalten und die GOL'DHOR den
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Weg hierher gefunden hatte. Die große Plejade hatte ihren Zweck erfüllt. Die Körperlosen waren frei, und was noch schwerwiegender war: Damit waren alle Neffen des Dunklen Oheims von der für sie absolut lebens wichtigen Energiequelle ein für allemal abgeschnitten. Binnen kurzer Zeit, vielleicht schon in diesen Augenblicken, mußten sie bis auf den letzten sterben. Duuhl Larx hatte den Anfang gemacht. Meine Gedanken wirbelten durcheinander, während wir uns noch zu orientieren versuchten. Ich konnte keinen Triumph empfinden, nicht jetzt, als wir inmitten des hereinbrechenden Chaos standen und einen Weg fin den mußten, schnellstens aus dem Hort der Finsternis herauszukommen, wollten wir nicht mit ihm untergehen. Vielleicht wartete die GOL'DHOR jetzt auf dem Raumhafen auf uns. Aber weit und breit war kein Fahrzeug mehr zu sehen, das funktionstüchtig erschien. Zu Fuß würden wir Stunden, ja Tage brauchen, um zum Raumhafen zu gelangen. Soviel Zeit aber hat ten wir nicht. Wie sah es jetzt in der Schwarzen Galaxis aus? Wie würde der Dunkle Oheim reagieren? Mit dem Hort der Finsternis verlor er seine wichtigste und wahrscheinlich einzige Verbindung zur Welt der Sterblichen. Bedeu teten die unartikulierten Laute, die aus den Geräten gekommen waren, die seine Stimme für uns hörbar machten, daß er schon jetzt geschwächt war? Ein Gleiter trudelte auf uns zu. Wir rannten von der Kuppel weg. Nur Sekunden später prallte die Maschine gegen sie und verging in einer Ex plosion. »Der Fahrzeugpark, den wir gesehen haben!« rief Razamon. »Dort müs sen wir Gleiter finden!« Die Gersa-Predoggs hatten uns an ihnen vorbei in die Kuppel getragen, als wir gelähmt waren. Gehetzt sah ich mich um, aber die dichten Rauch und Staubschwaden verdeckten alles, was weiter als hundert Meter ent fernt war. »Wir müssen um die Kuppel herum!« brüllte ich, um mich verständlich zu machen. Aus mehreren Bauwerken schlugen Flammen. Ein Turm neig te sich langsam zur Seite und fiel in sich zusammen. Razamon lief vor. Die beiden Magier verfügten ganz offensichtlich nicht über die gleichen Kraftreserven wie wir. Ich ließ mich etwas zurück fallen, bis ich neben Copasallior war, und fragte: »Deine Transmitterfähigkeiten, kannst du uns jetzt fortbringen?« Die Frage war überflüssig, er hätte es ja längst getan, wäre er dazu in der Lage. Der Weltenmagier antwortete keuchend: »Es … geht nicht. Noch nicht. Etwas hemmt unsere Fähigkeiten noch immer. Aber es … wird schwächer. Ich spüre es deutlich. Es verschwindet im gleichen Maß, wie der Hort sich auflöst!«
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Auflösung, das war das richtige Wort für das, was um uns herum gesch ah. Es war gerade so, als hätte die Lebensblase auch diese Stätte für die Ewigkeit konserviert, als hätten die mächtigen schwarzen Mauern nur so lange einen Halt gehabt, wie sich der dunkle Ring um den Planeten spann te. Ich erschauerte. Razamon war stehengeblieben und wartete auf uns. Mit heftigen Arm bewegungen peitschte er uns voran. Aber Copasallior bekam kaum noch Luft. Koratzo ging es nur wenig besser. Endlich, ich schätzte, daß wir die halbe Kuppel umrundet hatten, in der nun riesige, dunkle Löcher und Risse klafften, sahen wir den Fahrzeug park vor uns. Razamon schrie triumphierend auf. Mehrere Gleiter waren ganz offensichtlich noch unbeschädigt. Andere brannten, und bald erkannten wir die Ursache dafür. Roboter standen in ih nen und zerstörten sie systematisch. »Schnell!« rief Razamon. »Nur der Dunkle Oheim kann ihnen den Be fehl dazu gegeben haben, um uns die Flucht unmöglich zu machen!« Er hatte schon eines der unversehrten Fahrzeuge erreicht und sich in den Pilotensitz geschwungen. Dunkle Rauchschwaden trieben von der Kuppel her auf uns zu. Ich konnte die Magier nur schemenhaft wahrnehmen. »Worauf wartet ihr?« schrie ich. »Los, kommt!« Koratzo stützte den Weltenmagier. Ich lief ihnen entgegen. Zu zweit trugen wir Copasallior in den Gleiter. Koratzo stieg neben ihm auf die hin tere Sitzbank. Ich war schon neben Razamon, als ich eine Stimme hörte, die mir durch Mark und Bein ging: »Ich wußte, daß ihr hierherkommen würdet. Ich habe nicht umsonst ge wartet!« Ich fuhr herum und sah den Alven hinter einem der anderen Fahrzeuge hervortreten, das Grinsen auf seinem Gesicht – und die Lähmwaffe in sei ner Hand. Von der anderen Seite kamen die Roboter heran. Projektoren richteten sich mit glühenden Mündungen auf uns. »Ich werde eure Gehirne bekommen«, sagte Dillibor. »Niemand wird mich daran hindern, zwei neue, großartige Neffen aus euch zu machen!« Er löste die Waffe aus.
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8. Atlan
Nur dem Umstand, daß Razamon und ich die ganze Zeit über insgeheim mit einem heimtückischen Angriff gerechnet hatten, war es zu verdanken, daß wir in diesem Augenblick handelten, ohne lange zu überlegen. Als ich sah, wie sich Dillibors Finger um den Auslöser des Strahlers krümmte, ließ ich mich blitzschnell aus dem Gleiter fallen, rollte mich auf dem Bo den ab und war über dem Alven, bevor dieser überhaupt begriff, was mit ihm geschah. Der Lähmstrahl fuhr über mich hinweg. Ich bekam Dillibors Handgelenk zu fassen und entriß ihm die Waffe. Hinter mir heulten die Antriebsaggregate des Gleiters auf. Ich paralysierte den Alven und ließ ihn liegen. Auch ihn mußte der Zusammenbruch seiner Welt den Verstand ge kostet haben. Er hatte nicht begriffen, daß er niemals mehr Neffen erschaf fen würde, niemals mehr seinen Schlächtern befehlen, unschuldige Wesen zu verstümmeln, um an die benötigten Gliedmaßen zu kommen. Ich stürmte davon, weg von der Stelle, an der der Gleiter geparkt gewe sen war. Razamon hatte ihn hochgebracht und jagte über die anrückenden Roboter hinweg. Grelle Lichtfinger aus deren Projektoren fuhren in den Himmel und verblaßten, ohne die Maschine zu treffen. Ich wußte nicht, ob sie nur den Befehl hatten, die Fahrzeuge zu zerstö ren. Genausogut konnte der Dunkle Oheim sie angewiesen haben, uns zu töten, falls sie uns aufspürten. Ich hatte nicht die geringste Lust, die Probe aufs Exempel zu machen und sah zu, daß ich eine Deckung fand. Die restlichen Gleiter waren dazu denkbar ungeeignet. Einer nach dem anderen verging im Beschuß der Gersa-Predoggs. Ich rannte weiter, in die Richtung, in die Razamon das Fahrzeug gesteuert hatte. Noch schossen die Roboter nicht auf mich. Dennoch blieb ich erst stehen, nachdem ich eine Feuerwand zwischen sie und mich gebracht hatte. Ich rang nach Luft. Der Qualm stach mir brennend in die Lungen und trieb mir wieder Tränen in die Augen. Meine Beine waren plötzlich schwer wie Blei. Für Augenblicke drehte sich alles um mich herum. Das Schwindelgefühl ließ nach. Ich hustete, räumte Metallträger beisei te, die einen ganzen Straßenzug versperrten, und kam mühsam voran. Manchmal gewahrte ich Geräusche und schattenhafte Bewegungen hinter mir. Vielleicht spielte mir meine Phantasie auch nur Streiche. Falls die Ro boter hinter mir her waren, sahen sie mich nicht oder hatten Befehl, uns le bend einzufangen. Wir hatten im entscheidenden Augenblick in stillem Einverständnis ge handelt. Es hatte nur die eine Möglichkeit gegeben. Razamon mußte mit dem Gleiter fliehen. Mit Sicherheit wartete er irgendwo oder suchte mich bereits, das hing davon ab, ob es ihm gelungen war, eventuelle Verfolger,
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die ebenfalls Gleiter benutzten, abzuschütteln. Ich marschierte weiter, blieb dann und wann stehen und lauschte. Wenn nicht gerade Gebäudeteile einstürzten oder Explosionen erfolgten, war es bis aufs Knistern der Feuer ruhig. Von dem Fahrzeug war nichts zu hören. Immer weiter, nur nirgendwo abbiegen! Immer in die gleiche Richtung! Ich erreichte eine große Kreuzung. Das zwischen großen, schwarzen Bodenplatten wuchernde trockene Unkraut war verkohlt. Ein seltsamer, würziger Geruch war in der Luft, und nach den ersten Atemzügen fühlte ich mich leicht berauscht. Schnell überquerte ich das freie Gelände. Jetzt kam ein leichter Wind auf und blies die Rauchschwaden davon. Als sie kurz aufrissen, sah ich mehrere Gestalten über die Kreuzung taumeln. Ich hatte Glück, daß direkt vor mir ein Eingang offenstand. Der Turm, zu dem er gehörte, trotzte den Erschütterungen noch, aber seine metalle nen Mauern waren glühend heiß. Ich versteckte mich und wartete, bis die Gestalten vorbeigezogen waren. Erleichtert erkannte ich, daß es sich weder um Alven noch um ihre Hilfs kräfte handelte. Es waren ganz offensichtlich Gefangene, denen es gelun gen war, aus ihren Glaskäfigen auszubrechen. Dennoch hütete ich mich davor, mich ihnen zu zeigen. Sie waren verrückt vor Angst und in diesem Zustand zu allem fähig. Aber wie viele steckten noch in ihren Gefängnissen und waren dazu verurteilt, einen grausamen Tod zu erleiden? Ich durfte nicht daran denken. Mit geballten Fäusten wartete ich, bis der letzte der Gruppe in der Seitenstraße verschwunden war. Dann lief ich weiter, Dillibors Lähmstrahler schußbereit in der Rechten. Ich weiß nicht, wie lange ich so herumirrte, über Hindernisse kletterte oder weiteren Gruppen von Entflohenen auswich. Immer öfter mußte ich Pausen einlegen, wenn dichter Rauch mir den Weg versperrte. Der Wind wurde stärker. Dann fand ich den Roboter. Im ersten Moment glaubte ich, Panthorgh vor mir zu sehen, aber ich war Zeuge gewesen, wie dieser explodierte. Dieser Gersa-Predogg aber, der of fenbar von einem herabstürzenden Stahlträger getroffen und halb darunter begraben worden war, glich ihm bis ins letzte Detail. Und er »lebte« noch. Schwach leuchteten kleine Lämpchen auf seinem Brustteil auf, in schneller Folge. Seine Linsen waren auf mich gerichtet. Für Augenblicke stand ich wie erstarrt, und diese Momente hätten dem Roboter gereicht, um mich zu töten, falls er dazu noch in der Lage gewe sen wäre. Er war es nicht. Mehrere Projektoren, die er ausgefahren hatte, waren abgeknickt wie Streichhölzer. Ich sah, wie er sie zu bewegen versuchte, aber er besaß keine Kontrolle mehr darüber.
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Irgend etwas hielt mich davon ab, über ihn hinwegzusteigen. Vorsichtig trat ich auf ihn zu und blieb ganz dicht vor ihm stehen. Er sah mich an. Ich spürte es ganz deutlich. Ich hörte leises Klicken und ein Schwirren, als hätte sich ein Kreisel in ihm in Bewegung gesetzt. Dann geschah das, womit ich im Stillen gerechnet hatte. Eine Stimme drang aus den Lautsprechern der Maschine, die gleiche Stimme, die aus Panthorgh gesprochen hatte. Aber das war in der Zentra len Kuppel gewesen! »Ihr glaubt, einen großen Sieg über mich errungen zu haben«, hörte ich, und obwohl der Roboter kaum mehr als ein Wrack war, hallte die Stimme des Dunklen Oheims über die Straße, wurde von den in den Himmel ra genden Wänden zurückgeworfen und jagte mir eiskalte Schauder über den Rücken. Sie war so laut, daß jeder, der sich in der Umgebung befand, sie hören mußte. »Ihr habt meine Neffen getötet, aber das Chaos bleibt bestehen, und es wird die Kräfte freimachen, die euch für eure Tat bestrafen werden! Selbst falls ihr diesen Ort lebend verlassen könnt, werdet ihr nirgendwo vor mei ner Rache sicher sein, Sterbliche! Sie wird euch verfolgen, wohin ihr euch auch wendet! Ihr werdet keine Ruhe finden! Ihr werdet …« »Schweig!« herrschte ich den Roboter an. Er sah mich und übermittelte mein Bild und mit ziemlicher Sicherheit auch meine Worte an den Dunklen Oheim. Es war mir zwar rätselhaft, da ich bisher annahm, dies könne nur in der Zentralen Kuppel geschehen, aber das abrupte Schweigen des Gersa-Predoggs lieferte mir die Bestätigung. Ich geriet in Rage und schrie: »Du selbst wirst im Chaos, das du schufst, untergehen, Oheim! Das Chaos wird sich gegen dich wenden! Es ist aus mit deiner Herrschaft!« Ich sah einen Haufen großer schwarzer Steine vor einer eingestürzten Wand, hob den größten davon auf und schmetterte ihn auf den Roboter. Alles, was sich im Lauf der letzten Stunden in mir aufgestaut hatte, mach te sich jetzt Luft. Wie ein Besessener hob ich den Stein immer wieder in die Höhe und ließ ihn auf die Maschine herabsausen, bis auch die letzten Lämpchen erloschen. Und es war nicht der Roboter, den ich erschlug. Für mich war es der Dunkle Oheim selbst. Schwer atmend stand ich vor dem Wrack. Nur langsam kam ich wieder zu mir – und verfluchte mich dafür, daß ich mich so hatte gehen lassen. Energiestrahlen fuhren direkt neben mir in den Boden und in Wände, fraßen sich in Metall und machten giftige Dämpfe frei. Ich fuhr herum und sah drei, vier Roboter aus den Rauchschwaden hinter mir auftauchen. Ich rannte um mein Leben, übersprang die Stahlträger und suchte ver zweifelt nach einer Deckung. Jetzt konnte es keinen Zweifel mehr daran geben, daß die Roboter überall im Hort der Finsternis den Befehl erhalten
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hatten, uns beim ersten Sichtkontakt zu töten. Sie kamen näher und zielten immer besser. Ich hatte keine Chance ge gen sie, rannte, schlug Haken und sprang durch Feuerwände, doch auch die Flammen hielten sie nicht auf. Eine Windböfuhr in die Straßenschlucht und wirbelte den Rauch auf. Für Sekunden sah ich, daß mir etwas Großes, Metallenes entgegenkam. Es gab kein Ausweichen. Ich warf mich flach auf den Boden und wartete auf das Ende. Energiestrahlen fauchten, aber sie fuhren über mich hinweg. Irgend etwas verging in einer Explosion, dann ein weiteres Objekt. Ich hatte die Hände in den Nacken gelegt und wagte nicht, den Kopf auch nur um Zentimeter zu heben. Aber ich lebte! Die mörderischen Strahlen schlugen nicht mehr neben mir in den Boden ein. Noch zwei-, dreimal hörte ich das Fauchen und Röhren, eine dritte Explosion, deren Druckwelle über mich hinwegfegte, und dann … Da war nur noch ein Summen in der Luft. Ich kannte dieses Geräusch. »Atlan! Verdammt, wie lange willst du noch warten?« Das war Razamons Stimme! Ich hob den Kopf und sah den Gleiter nur wenige Meter vor mir knapp über dem Boden schweben. Koratzo hatte sich weit vorgebeugt und sah mich unsicher an. Erst als ich aufsprang, atmete der Stimmenmagier auf. Augenblicklich wurde mir alles klar. Das große Objekt, das auf mich zugeschossen kam, war unser Gleiter gewesen. Ich sprang neben Razamon auf die Sitzbank und sah die drei Roboter im Staub liegen – vielmehr das, was von ihnen übriggeblieben war. Schon ließ der Berserker das Fahrzeug vorwärts schießen und so steil aufsteigen, daß Koratzo aufschrie. Ich klammerte mich an der Verkleidung fest und sah nach unten. Ein Roboter schälte sich aus den Rauchschwaden und richtete seine Projektoren auf uns. »Schneller!« schrie ich. »Wie schnell denn noch? Die Maschinen fliegen uns sowieso gleich um die Ohren!« Vor uns zweigten zwei Seitenstraßen ab. Razamon jagte das Fahrzeug in einer waghalsigen Kurve um einen Turm herum – einen Moment zu spät. Der Schuß schlug ins Heck des Gleiters ein. Wir wurden hart durchge rüttelt. Rapide verlor die Maschine an Höhe. Razamon fluchte und schwitzte. Schon kam der Boden rasend schnell auf uns zu. Koratzo schlug die Hände vors Gesicht, und Copasalliors verzerrte Miene drückte aus, wie sehr er versuchte, seine Transmitterfähigkeiten zurückzugewinnen.
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Razamon stabilisierte den Flug, als wir nur noch eine Höhe von zwei, drei Metern hatten. Seine Finger fuhren so schnell über die Kontrollen, daß ich Mühe hatte, ihren Bewegungen zu folgen. Aber wir gewannen wieder an Höhe. Der Pthorer schaffte das eben noch unmöglich Scheinen de. Wir stiegen, und dann lagen die zum Teil brennenden und eingestürz ten Gebäude der Gigantanlage unter uns. »Weit kommen wir nicht!« rief Razamon. »Copasallior?« »Es … es dauert noch! Ich brauche noch einige Minuten!« »Hoffen wir, daß wir dann noch leben!« Razamon ließ den Gleiter noch höher steigen, bis wir auf die gesamte Anlage herabblicken konnten. Über den Gebäuden war der Wind viel stär ker als unten in den Straßenschluchten. Er wurde langsam, aber sicher zu einem Sturm, und Razamon hatte alle Mühe, den Kurs zu halten. Aus dem Heck des Gleiters schlugen kleine Flammen. »Tut mir leid, daß wir dich so lange warten lassen mußten«, rief der Pthorer. Sein pechschwarzes Haar flatterte ihm um die Ohren. »Wir muß ten erst einige lästige Verfolger abschütteln.« »Geschenkt!« Auch ich mußte wieder schreien, um mich verständlich zu machen. »Ich dachte es mir. Wir müssen zum Raumhafen!« »Wir können von Glück reden, wenn wir überhaupt über den Hort der Finsternis herauskommen! Weißt du, in welcher Richtung der Hafen liegt?« Er erwartete nicht wirklich eine Antwort darauf. Niemand von uns wuß te das. Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit jagten wir über die Anlage hin weg, immer weiter auf den Rand zu, und noch war kein Ende zu erkennen. Allerdings gab es um so weniger Verwüstungen, je mehr wir uns vom Zentrum entfernten. Einige Male sah ich große Gruppen von Wesen unter schiedlichster Art auf der Flucht. Niemand tauchte mehr auf, um uns zu verfolgen. »Ich entdeckte erst in der Luft, daß der Gleiter über Strahlkanonen ver fügt!« rief Razamon. »Andernfalls …« Er überließ es meiner Phantasie, mir das »andernfalls« auszumalen. Wir alle hätten im Hort der Finsternis den Tod gefunden. Und wir waren noch nicht heraus. Unter uns loderten keine Feuer mehr. Die verheerenden Explosionen mußten vor allem dort stattgefunden haben, wo chemische Flüssigkeiten in den Labors der Alven untergebracht gewesen waren. Die Gebäude, die jetzt unter uns hinwegzogen, schienen in erster Linie der Versorgung des Zentrums und unwichtigeren Arbeiten zu dienen. Sie brannten nicht. Sie zerfielen zu Staub! Alven rannten neben den entflohenen Gefangenen um ihr Leben. Wo sie
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aufeinandertrafen, kam es zu Handgemengen. Dann wieder schienen sich die verschiedenen Gruppen zusammenzutun, um gemeinsam gegen den Untergang zu kämpfen. Ein Ruck ging durch den Gleiter. Wir sanken wieder ab. Stichflammen schossen aus dem Heck, und die beiden Magier klammerten sich an die vordere Sitzbank. »Ich kann ihn nicht mehr hochbringen!« brüllte Razamon. »Copasallior, du mußt es versuchen!« »Ich weiß nicht, ob ich …« »Versuch es!« rief ich über die Schulter. »Mehr als sterben können wir nicht!« Ich war mir da nicht so sicher. Aber die Gebäude kamen rasend schnell näher. Die Nase des Gleiters senkte sich immer mehr nach unten. Der Weltenmagier zögerte nicht mehr. Ich spürte eine seiner sechs Hän de auf meiner Schulter und sah, wie er mit den anderen nach Koratzo und Razamon griff. Für einen Moment sah ich etwas Leuchtendes in der Ferne am Himmel. Es senkte sich auf den Planeten herab wie ein riesiges Insekt. »Sieh dorthin, Copasallior!« schrie ich. »Das ist sie! Das ist die GOL'DHOR!« »Copasallior, jetzt!« brüllte Razamon. Im Heck des Gleiters erfolgte eine Explosion, dann eine weitere. Wie von einer Titanenfaust getroffen, bäumte sich das Fahrzeug auf und über schlug sich in der Luft. Das war das letzte, das ich wahrnahm, bevor sich die Welt vor meinen Augen aufzulösen schien. Wir standen im Mittelteil des goldenen Schiffes, und für lange Sekunden fiel es uns schwer zu begreifen, daß der Alptraum vorüber war – jedenfalls für den Augenblick. Die vertraute Umgebung, das leise Summen der magischen Maschinen und der Anblick der alten Weggefährten – es kam zu plötzlich. Aber ich träumte nicht. Copasallior ließ uns los und ging zu den vier Magiern. Koratzo folgte ihm nur zögernd. Razamon atmete laut aus und nickte mir grimmig zu, als wollte er sagen: Na bitte! Koy machte ein Gesicht, als traute er dem Frieden noch nicht. Kolphyr dagegen kam auf uns zu und preßte zuerst mich, dann Razamon so fest an sich, daß ich unwillkürlich an alte Zeiten erinnert wurde und befürchtete, der Bera hätte seine Vorliebe fürs Schmusen wiederentdeckt. Aber er trat zurück, stemmte die Fäuste in die Hüften und sah uns an wie eine Mutter ihre verloren geglaubten und endlich wiedergefundenen Kinder. »Willkommen an Bord!« rief er schrill aus. Dann sah er zur Decke em por und rief: »Nicht wahr, GOL'DHOR?«
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In diesem Moment zweifelte ich an seinem Verstand. Aber wie ein Echo erklang die sanfte Stimme des Schiffes: »Willkommen an Bord, meine Freunde!« Kolphyr nickte zufrieden. »So ist es gut. Ihr glaubt nicht, welche Schwierigkeiten wir hatten, euch zu retten«, sagte der Bera und blickte wieder die Decke an. »Vor allem wegen ihr.« »Vor allem wohl war es Copasallior, dem wir unsere Leben verdan ken«, berichtigte ich und sah lächelnd zu den Magiern hinüber. Copasalli or nickte dankbar. Er saß, und die Erschöpfung war ihm deutlich genug anzusehen. Ich wußte nicht, wie stark der Einfluß noch gewesen war, der seine Fähigkeiten beeinträchtigte. Jedenfalls hatte der Weltenmagier es nicht leicht gehabt. Sein Verzweiflungsakt hätte leicht ins Auge gehen können. Kolphyr wurde ernst. »Was ist geschehen, dort unten?« fragte er. Ein kurzer Blick auf einen der Bildschirme zeigte mir, daß die GOL'DHOR die Atmosphäre Ritiquians schon wieder durchstoßen hatte und in den freien Weltraum schoß. Einige helle Punkte bewegten sich vor dem Hintergrund der Sterne. »Beachte sie nicht«, sagte der Bera, der meine Gedanken zu kennen schien. »Die Schiffe der Alven bedeuten momentan keine Gefahr für uns. Sie trudeln durch den Weltraum, als ob ihre Besatzungen betrunken wä ren.« Ich begriff. Nach dem Verlust seines »Palasts« hatte der Dunkle Oheim keine Gewalt mehr über sie. Die Schaltzentrale war zerstört, die zentrale Stelle, an die er seine Befehle gegeben hatte und von wo aus diese weiter gegeben wurden. Diese einzige Verbindung zur Welt der Sterblichen war dem Oheim genommen worden. Noch immer vereinte er eine unglaubliche Machtfülle in sich, aber diese Macht war in sich isoliert worden. Ich setzte mich ebenfalls und berichtete so knapp wie möglich alles, was Razamon und ich zunächst in der Lebensblase, dann im Hort der Fin sternis erlebt hatten. Unsere Abenteuer auf Dorkh interessierten jetzt nicht. Mir kamen sie vor wie etwas, das unendlich lange zurücklag. Als ich geendet hatte, herrschte für Minuten betretenes Schweigen. Kol phyr, Koy und die Magier starrten mich an. Der Trommler war bleich ge worden. Ich konnte mir denken, was nun in ihren Köpfen vorging, und auch ich hatte das Gefühl, daß es noch einige Zeit dauern würde, bis ich das Geschehene in allen Konsequenzen verdaut hatte. »Diese Tausende von Wesen in diesen … Zoos«, sagte Koy schließlich. »Wir können sie nicht ihrem Schicksal überlassen.« Das war etwas, das auch mir Kopfzerbrechen bereitete. Aber was konn
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ten wir jetzt für sie tun? Obwohl ich sicher war, daß der Dunkle Oheim uns trotz seiner Nähe nicht mehr gefährlich werden konnte, sehnte ich mich danach, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen. Wir hatten den vielleicht entschei denden Erfolg errungen. Nichts hielt uns mehr hier. Wir konnten endlich nach Pthor zurückkehren. Außerdem – in der GOL'DHOR war es mittlerweile eng genug gewor den. Es war gar nicht daran zu denken, sie einzusetzen, um die Umherir renden in Sicherheit zu bringen. Und sie war unser einziges Schiff. »Wenn es noch nötig ist, können wir uns später um sie kümmern«, sagte ich daher. »Aber früher oder später werden sie aus den Ruinen herausfin den, vielleicht sogar auf Ritiquian heimisch werden.« Razamon warf mir einen von Skepsis erfüllten Blick zu. Koratzo aber lachte und rief: »Ja, vielleicht finden sie auch das Veteranenreich!« Er lachte wieder und winkte ab, als ich ihn verständnislos ansah. Copa sallior bedachte ihn mit bitterbösen Blicken. Ich sah Kolphyr an. »Was war mit der GOL'DHOR los? Ist sie in Ordnung?« »Jetzt wieder«, antwortete der Bera. »Aber bis vor kurzem hat sie uns Ärger genug gemacht. Wir alle können von Glück reden, daß wir sie früh genug überzeugten, sonst wärt ihr jetzt noch dort unten.« »Wir wären tot«, korrigierte ich ihn. »Was meinst du mit ›Ärger‹?« »Ich war krank«, meldete sich das Schiff. »Kolphyr hat mich davon überzeugt und geheilt.« »Was ist das?« fragte Razamon. »Ein Zirkus? Sind wir in einen Zirkus geraten?« »Nein, nein!« beeilte Koy sich zu versichern. Er stellte sich neben den Bera und gab dem Hünen einen Klaps auf den Rücken. »Ich bin froh, daß Kolphyr wieder normal ist. Zeitweise befürchtete ich schon, er würde gar nicht mehr mit uns reden, sondern nur noch mit dem Schiff.« »Das war so …«, begann der Dimensionsforscher. Dann erzählte er, was sich an Bord zugetragen hatte, nachdem die GOL'DHOR ins Ritiqui an-System eingeflogen und in den von ihr selbst geschaffenen Sog geraten war. »Du hast das einzig Richtige getan«, sagte ich, nachdem er berichtet hatte, wie er die große Plejade aus der Schleuse gespült hatte. »Und genau im richtigen Augenblick.« »Oh, die GOL'DHOR war völlig anderer Ansicht. Sie stellte sich stur und weigerte sich, uns zum Planeten zu bringen, weil sie meinte, ich hätte sie hereingelegt.« »Betrogen, Kolphyr!« meldete sich das Schiff.
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»Keine Haarspaltereien, GOL'DHOR! Habe ich dich geheilt oder nicht?« »Das hast du, Kolphyr. Ich unterlag einer irrationalen Sehnsucht.« Der Bera nickte. »So war es. Und um dir das klarzumachen, mußte ich zu einem kleinen Trick greifen. Erst als du wußtest, daß du dem Oheim nicht mehr gefähr lich werden konntest, kamst du zur Einsicht.« Razamon stöhnte und verdrehte die Augen. Er stand vor einem der Schirme und betrachtete den Weltraum. Ein Organschiff kam uns bedroh lich nahe und zog an uns vorbei, ohne sich überhaupt um uns zu kümmern. »Wie wäre es, wenn ihr euch eure Geschichten aufheben würdet, bis wir von hier verschwunden sind?« fragte er finster. Ich verstand ihn, aber die »Geschichten« taten mir gut. Es war ein groß artiges Gefühl, nach so langer Zeit wieder unbeschwert mit Freunden re den zu können, nicht ständig auf der Flucht zu sein, nicht unentwegt dem Tod ins Auge blicken zu müssen. Vielleicht war ich etwas überheblich, aber es bereitete mir Genugtuung, den Dunklen Oheim dadurch zu provozieren, daß wir es scheinbar gar nicht so eilig hatten, aus seiner Nähe zu verschwinden. Und genau das konnten wir vorerst nicht. Für kurze Zeit hatte ich vergessen, daß Pthor auf dem Weg hierher war. Uns blieb gar nichts anderes übrig, als hier auf es zu warten, denn mit ziemlicher Sicherheit raste es jetzt durch irgendeinen Dimensionstunnel auf das Ritiquian-System zu. Koy setzte sich neben mich. »Ist der Dunkle Oheim besiegt, Atlan?« fragte er zweifelnd. »Ist die Schwarze Galaxis jetzt frei?« »Ich weiß es nicht, Koy. Ich kann nicht daran glauben. Die Neffen ster ben. Aber das Chaos, das sie geschaffen haben, wird sie überdauern. Die geknechteten Völker werden nicht von heute auf morgen ihren Haß ver gessen können. Ich fürchte, uns steht noch einiges bevor.« Ich vermied es, vom Dunklen Oheim selbst zu sprechen. War es denn so sicher, daß Ritiquian mit dem Hort der Finsternis seine einzige Bastion ge wesen war? Ich widersprach mir in Gedanken selbst, aber zu oft schon hatte ich in meinem langen Leben erfahren müssen, wie fatal voreiliger Triumph sein konnte. Allein durch seine Existenz hatte der Ring in der Schwarzen Gala xis Gesetzmäßigkeiten geschaffen, die sich nicht durch einen Handstreich brechen ließen. Noch beherbergten die dunklen Sonnen ungeheure Men gen negativer Energie in ihren Kernen. Noch durcheilten die Koordinato ren der Ewigkeit die Sterneninsel in ihren Schiffen, und sie waren auf Tod und Zerstörung programmiert. Die Scuddamoren und ähnliche Voll
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strecker des Bösen verschwanden nicht einfach von der kosmischen Bild fläche. Des Bösen … Auch dies war ein relativer Begriff. Ich sträubte mich dagegen, mußte aber zugestehen, daß der Dunkle Oheim eigentlich niemals gewollt böse und grausam gehandelt hatte. Alles, was er tat und veranlaßte, war in sei ner Herkunft begründet. Es geschah rein zweckbedingt. Ich riß mich von diesen Gedanken los und versank in die Betrachtung der Bildschirme. Der Planet Ritiquian blieb hinter uns zurück, und nur noch ein Ring exi stierte in diesem System – jener um die Sonne. Wir drifteten weiter in den freien Raum hinaus, weg von diesem schwarzen Ring, in dem nun Macht und Ohnmacht gleichermaßen vereint waren.
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Weiter geht es in Atlan Band 485 von König von Atlantis mit: Insel der Lotsen von Detlef G. Winter
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