HANS AHNER
Das Ende der „Lucky Lady"
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NEUES LEBEN BERLIN
Alle Rechte beim Verlag Neues Leben, Berlin 1963 ...
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HANS AHNER
Das Ende der „Lucky Lady"
VERLAG
NEUES LEBEN BERLIN
Alle Rechte beim Verlag Neues Leben, Berlin 1963
Lizenz Nr. 303 (305/84/65)
ES 9 A
Umschlag und Illustrationen: Angel Panajotow
Typografie: Walter Leipold
Schrift: 8 p Primus
Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin • 2082
ir traten auf die Gangway hinaus und verabschiedeten uns. Die [Motoren eines dickbauchigen Breguet-Frachters heulten gerade auf. Surkin schenkte mir das winzige Modell eines Sputniks. Sogar die Antennen waren daran genau nach gebildet. Ich mußte Sergej Alexeje witsch versprechen, ihn bei nächster Gelegenheit in Moskau zu besuchen. Dann stieg ich die Treppe hinab. Unten umringte mich die Meute der Reporter, denn im August 1958 war die Tu-104 noch eine Sensation für Paris. Wir Amerikaner hatten da mals nichts Gleichwertiges im Ver kehr. Die Boeing und die Douglas standen noch in der Erprobung, und der russische Jet* war das erste Flugzeug dieser Art, wenn man von der „Comet" absah. Als ich zum Verwaltungsgebäude ging, rief mich eine LautsprecherDurchsage zur Pflicht: „Captain McIntyre von den Flying Lion Airways wird im Office der Gesellschaft er wartet." Ich sah auf die Uhr. Bei nahe hätte ich meine Besatzung ver gessen. Die Crew der „Blue Star" saß im Büro. Dick Stevens meldete mir, daß Triebwerk 3 neue Zündkerzen er halten habe, außerdem seien die Magnete geprüft worden. Pearl Atkinson und Jackie Myers blätter ten gelangweilt in Zeitschriften und stöhnten unter der Augusthitze. Ronald Collins reichte mir einen Flugauftrag. „Wir sollen um 21 Uhr direkt nach Boston starten." * Worterklärungen am Schluß der Erzählung.
Jetzt war es erst 15 Uhr. Aber ich verspürte keine Lust, in die Stadt zu fahren. Es war einfach zu heiß. So fanden wir uns alle zehn Minuten später im klimatisierten Flughafen restaurant wieder. Der kühle Oran gensaft schmeckte ausgezeichnet. Die Unterhaltung kam aber nur mühsam in Gang. Natürlich spra chen wir von dem russischen Flug zeug. Meine Besatzung hatte die Maschine nur von weitem gesehen. Ich zeigte das Geschenk Surkins herum. Die Mädchen waren ent zückt. „Very nice!" riefen sie. „Wo haben Sie es gekauft, Captain? Gibt es das im Souvenir-Shop?" Ich schüttelte den Kopf und er zählte ihnen von meinem Besuch in der Tu-104. Collins sah mich un gläubig an. „Man sagt, der Jet sei von russischen Geheimpolizisten be wacht worden?" Ich lachte und er widerte, daß er doch selbst wisse, daß an einem öffentlichen Verkehrs flugzeug nichts Geheimnisvolles sei. Und dann erzählte ich, wie ich da mals, gegen Kriegsende, Surkin kennengelernt hatte. Ich hatte bis her nur selten über dieses Aben teuer gesprochen und auch selten daran gedacht. Durch die Begeg nung mit Surkin war es wieder lebendig geworden. „Es war eine unfreiwillige Reise", begann ich. Selbst die sonst etwas teilnahmslose Jackie hörte auf, an ihrem Orangen saft zu saugen, und sah neugierig hoch. „Erzählen Sie, Captain!" rief Pearl aufgeregt. Es ist jetzt dreizehn Jahre her. Damals war ich Air-Force-Lieute nant und flog von Tinian, einer der
Südlichen Marianen-Inseln, mit der viermotorigen Superfestung gegen Japan. Sie kennen doch die B-29? Die Männer nickten. Es waren mächtige Kästen, und für einen Jäger war es beinahe un möglich, an sie heranzukommen. Die B-29 boten keinen toten Winkel. Wir flogen allerdings nicht mit vol ler Besatzung, denn es gab im Juli 45 kaum noch eine ernsthafte Ab wehr. Das kam unserer Reichweite zugute. Von Tinian bis nach Tokio waren es immerhin 1600 Meilen über den offenen Pazifik. Hin und zurück brauchten wir fünfzehn Stunden. Wie immer brachten uns die Busse nach Mitternacht zum Flug feld. Verschlafen kletterten wir aus den Wagen. Die Mechaniker ließen schon die Motoren warmlaufen. Ihr Lärm rief uns wach. Während wir die Schwimmwesten und das Gurt zeug für die Fallschirme anlegten, kam auch in jener Nacht Major Clifford zu uns. „Alles klar?" fragte er. „Wir fliegen im aufgelockerten Verband! Good luck, Gentlemen!" Das Tosen der Motoren zerriß seine Worte. Leslie Mitchell und ich klet . terten zuerst in unser Flugzeug, die „Lucky Lady". Leslie war mir ge rade erst als Copilot zugeteilt wor den. Er kam direkt aus den Staaten. Nach ein paar Proberunden hatte ich gewußt, woran ich mit ihm war: Er flog besonnen und beherrschte die Maschine. Nachdem wir unsere Plätze eingenommen hatten, schob sich der bedächtige Maxwell Wilson, unser Bordmechaniker, zwischen uns. Ich wartete, bis sich die übrigen vier über die Bordeigenverstän digungsanlage meldeten: zuerst O'Hara, der hinten im Heckstand saß. Ihn mochte ich am liebsten. Er war ein tapferer und zuverlässiger Bursche. Als nächster rief Simons. Wie meist machte er noch einen überflüssigen Witz. Er hatte davon einen unerschöpflichen Vorrat. Zu letzt gab Stroud die Uhrzeit durch. Das kam ihm als Bordfunker zu. Strouds Stimme hatte stets etwas
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Lauerndes. Ich konnte mit ihm nicht warm werden. Eigentlich hätte sich auch Lawton melden müssen, der als Bombenschütze vorn in der Kan zel lag. Aber Lawton hielt sich in diesem Punkt nie an das Reglement. Es ging ihm gegen den Strich, daß er sich mir unterordnen mußte, denn er trug den gleichen Dienst grad wie ich. So fragte ich ihn: „Alles klar, Will?" „Dachten Sie etwa nicht!" gab er zurück. Hätte ich gewußt, was uns auf diesem Flug bevorstand, ich hätte mich wohl gefragt, auf wen in meiner Mannschaft ich mich eigent lich verlassen konnte. Auf O'Hara bestimmt und auf Wilson, sicher auch auf Mitchell. Aber auf die anderen? Ich ließ die Motoren im Leerlauf röhren, bis sich Major Clifford in den Kopfhörern meldete. "Wenig später fegten wir mit Vollgas über die Piste. Die Lichter am Rand der Startbahn wuchsen zu einer Per lenschnur zusammen. Durch eine zerrissene Wolkendecke kletterten wir auf 6000 Fuß. Dort oben war nicht mit Gegenwind zu rechnen. Schräg unter uns schwammen die anderen Superfestungen. Ich über gab „George" die Steuerung und sagte zu Wilson, daß er schlafen könne. Auch die anderen, Leslie Mitchell, Lawton, O'Hara und Simons, sollten sich ausruhen. Bis zum Anflug auf Japan würde es keine Zwischenfälle geben. Es ge nügte, wenn Stroüd das Funkgerät und ich die Steuerung überwachten. Bald schliefen die anderen fest. Nur Mitchell fand keine Ruhe. Er flog ja zum erstenmal gegen den Feind. Stunde um Stunde verrann. Stroud lauschte Schlagern, die er ir gendwoher aus dem Äther gefischt hatte. Mir gefiel das nicht, denn Musik schwächt die Aufmerksam keit. „Lassen Sie das!" befahl ich ihm. Aber Stroud tat, als habe er nicht gehört. Er war überhaupt ein renitenter Bursche. Vielleicht er munterte ihn auch Lawtons Beispiel
dazu. Früher hatte Stroud ein paar Semester studiert, er war durch die Prüfungen gefallen und hatte sich dann in mehreren Berufen versucht. Die Unterstützung durch seine be güterte Familie erlaubte ihm, auf ein festes Einkommen zu verzichten und alles mögliche in Angriff zu nehmen. Ich habe für solche Men schen wenig Verständnis. Sie sind gar nicht fähig, ernsthafte Arbeit zu leisten, und werfen alles gleich hin, sobald sich ihnen Schwierig keiten in den Weg stellen. Wie hatte ich kämpfen müssen, um Pilot zu werden! Mein Vater war Fallen steller in Wisconsin. Er verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in den Wäldern, um uns ernähren zu kön nen. Eine Pilotenausbildung konnte er mir nicht ermöglichen. Ich wollte aber Pilot werden. Nachdem ich die Schule verlassen hatte, ging ich zu einem kleinen Flugunternehmen, das Trapper und Jäger in die Wäl der flog, und wurde Motorenschlos ser. Ich hoffte, daß sich dort eines Tages mein Wunsch erfüllen werde. Aber niemand dachte daran, mich auszubilden. So hielt ich die Augen offen, um mir soviel wie möglich selbst anzueignen. Gelegentlich überprüfte ich meine Kenntnisse auf einem Werkstattflug, aber Pilot wurde ich trotzdem nicht. Erst ein paar Jahre später bei der Air Force klappte es damit. Ein Mensch wie Stroud, der mal dies probierte und mal jenes, konnte gar nicht ahnen, was das für mich bedeutete: fliegen. Doch zurück zu unserem Flug. Der erste Abschnitt verlief beinahe zu glatt. Kurz nach sieben Uhr stieg Hondo als ein dünner gezackter Streifen aus dem Meer. Wir wußten, daß nun ein höllischer Tanz beginnen würde: Die japanische Flak blieb nie untätig. Wir waren daher auf 25 000 Fuß gestiegen. Hinter uns schwebte eine stählerne Wolke: die von Iwo-Shima und Okinawa ge starteten Geschwader. In Meeres höhe war eine Brise aufgekommen,
der Wind zog weiße Fäden auf dem Wasser. Da standen auch schon die kleinen schwarzen Wölkchen vor uns. Sie lösten sich rasch wieder auf, aber sofort erschienen neue am Himmel: Die Flak feuerte. Wilson drosselte die Motoren, und unser Verband schob sich nach allen Sei ten auseinander. Eine Maschine brannte. Sie schleppte eine Rauch fahne hinter sich her, wurde un ruhig und kippte über die Fläche in die Tiefe. Kleine Punkte lösten sich von ihr und fielen, sich überschla gend, dem Boden entgegen. Die Be satzung sprang ab. Major Clifford befahl Bombenwurf nach eigenem Ermessen. „Anschließend Kurs zwo — zwo — vier zum Sammeln", quarrte es aus den Kopfhörern. In diesem Augenblick erschütterte ein dumpfer Schlag die „Lucky Lady". Sie wurde hochgerissen und sogleich wieder hinabgeschleudert. Wir fühlten uns in den Gurten fest gehalten. Es polterte dumpf. Die Zeiger an den Instrumenten tanzten wie wild durcheinander. Das Flug zeug gierte nach rechts, und auf Steuerbord liefen die Motoren nicht mehr. Wir waren getroffen worden! Ich dachte in diesen Sekunden nicht daran, was das für uns bedeutete. In solchen Augenblicken handelt man nur. Ich drückte die Sprech taste. „Bomben raus! Sonst ist die Mühle nicht mehr zu halten! Luft raum beobachten! Wenn uns Jäger schnappen, geben sie uns den Rest." Die „Lucky Lady" machte nur noch geringe Fahrt und blieb zu rück. Die tückischen Wölkchen tanz ten weiter in unserer Nähe! „Noch so'n Ding, und wir können ausstei gen", überlegte Wilson laut. Auf merksam beobachtete er die Skalen für Drehzahlen und Temperaturen. Dann erhob er sich und ging nach hinten. Ich meldete dem Commander die Havarie. „Versuchen Sie Iwo-Shima oder Okinawa anzufliegen", ant wortete er. „Entscheiden Sie den Rückweg selbst. So long, Lieute 5
nant." Er sagte das so, als würden wir uns nachher beim Whisky tref fen. Der Bomberschwarm war uns schon voraus und erreichte gerade die Stadt. Im Hafen fielen die ersten Bomben. Wir standen noch immer über der Bucht. Die Flak von Boso schoß unentwegt weiter. Es waren schlimme Minuten. Die Backbord motoren dröhnten, als ob sie bersten wollten. Wilson kam vom Kontroll gang zurück und brüllte mir ins Ohr-, daß die Steuerbordtanks aus gelaufen seien. Wir kämen nicht mehr weit. Auf der Karte über schlug ich die Lage. Wir mußten so schnell wie möglich einen Flugplatz 6
erreichen. Aber welchen? Wenn noch ein Motor ausfiel, war alles vorbei. Die Maschine verlor schon an Höhe. Mit zwei Triebwerken konnte sie allenfalls in 12 000 Fuß gehalten werden. Es gab nur eine Möglichkeit: Wladiwostok! Bis da hin waren es noch 700 Meilen, quer über Hondo hinweg! In einer knap pen Stunde konnten wir die Insel hinter uns haben. Nach weiteren drei Stunden würden wir den sowjetrussischen Hafen erreichen, wenn . . . Ich meldete meinen Entschluß Clifford, dann drückte ich die „Lucky Lady" an, um möglichst rasch aus dem Feuerbereich der
Flak zu kommen. Wir hatten immer Ich nickte nur, so, als ob es sich noch 18 000 Fuß Höhe. So mogelten um eine Nebensächlichkeit handle. wir uns zwischen Tokio und Yoko Was der Tod eines Menschen be hama hindurch. deutet, begreift man erst, wenn man Vor uns blitzte ein silbernes zur Ruhe gekommen ist. Dann Etwas auf. Wilson hatte es zuerst plötzlich fehlt er. Ich war gern mit erspäht. „Jäger!" Er kroch in seinen Wilson geflogen. Er hatte nie viele Gefechtsstand in der vorderen Kup Worte gemacht, aber immer im rich pel. Schräg vor uns erschien einige tigen Augenblick zugepackt. mal der Sumida. Wir mußten un Mitchell hatte sich noch nicht ge gefähr auf der Höhe von Kawag-oje faßt. Ich konnte mich nicht um ihn stehen. Aus dem Bereich der Flak kümmern, denn ich mußte höllisch waren wir damit hinaus. Nun aufpassen. In jedem Augenblick kamen die Jäger. Näherten sie sich konnten die Jäger erneut über uns von achtern, oder waren wir un herfallen. Aber wir hatten Glück erkannt geblieben? Es vergingen und erreichten das Meer ohne Zwi ungefähr zehn Minuten, ohne daß schenfall. Damit lag der schwierig etwas geschah. Ich glaubte schon, ste Teil des Flugs hinter uns. So daß sie uns nicht gesehen hätten, glaubten wir jedenfalls. Noch drei als O'Hara aus dem Heckstand den Stunden, und wir würden Wladi Anflug zweier „Franks" meldete. wostok erreicht haben. Ich befalil Sie fegten über uns hinweg. Beim Stroud, 100 Meilen vor dem Ziel zweiten Anflug gelang es O'Hara, den Hafen anzurufen. Dann konn einen davon zu treffen. Er mußte ten uns die Japaner nicht mehr abdrehen. Der andere schoß weiter schaden. So lange aber wollten wir nach uns. Ich biß mir die Lippen Funkstille wahren, um sie nicht auf blutig. Wir waren ja nicht mehr voll unsere Spur zu setzen. manövrierfähig und flogen nur noch Während Hondo im diffusen Mor mit halber Kraft. Außerdem waren genlicht versank, dehnte sich vor nicht alle Schützenstände besetzt. uns das Japanische Die „Hayate" huschte wieder und Meer. schwarzblau Allmählich wurde ich müdel wieder vorbei. Jedesmal glaubte ich, Der Flug ruhig. Ein paarmal sie würde uns den Todesstoß ver kreuzten verlief unseren Kurs. setzen. Plötzlich hatte ich den Ein Sicherlich Schiffe handelte es sich um druck, daß Wilson nicht mehr schoß. Fischereifahrzeuge, die von den War sein MG nicht in Ordnung? — Japanern oft zu Patrouillenfahrten Es verging ungefähr eine Minute, wurden. Die Luft war glas bis mir auffiel, daß der Japaner benutzt und keine Bö erschütterte das nicht mehr kam. O'Hara meldete, klar, Ich dachte an die bevor daß er sich im Abflug befände. Viel Flugzeug. Landung in Wladiwostok, leicht war sein Kraftstoff zu Ende stehende Es war kaum anzunehmen, daß die gegangen? Ich weiß es nicht. Auf eine so lange Landebahn^ jeden Fall hatten wir verdammten Russen sie die B-29 erforderte, besaßen. Dusel. Ich rief Wilson und fragte, wie mußte ich die Mühle eben was bei ihm los sei. Da er mich nicht Notfalls der Küste aufs Wasser setzen. zu hören schien, schickte ich Mit* an Überhaupt, wer weiß, was uns er chell los. Sekunden später war Les wartete. Ich war neugierig auf lie zurück. Entsetzt aufgerissene Sowjetrußland. hatte ich in den Augen starrten mich an. In seinem Zeitungen vonOftden großartigen Gesicht zuckte es. Wilsons Kopf Taten der Russen auf dem europäi mußte von einem Geschoß zer schen Kriegsschauplatz gelesen. schmettert worden sein. Ich kannte Doch dabei hatte ich immer den diesen Anblick. Man braucht dazu Eindruck gehabt, als ob zwischen starke Nerven. den Zeilen Vorbehalte gemacht 7
würden. Aus irgendeinem Grund, über den ich mir nie Rechenschaft gegeben hatte, war mir dieses Land unheimlich. Ich hatte damals ein Buch gelesen, das dieses Gefühl verstärkte. Es hieß „In den Kerkern der GPU". Viele Amerikaner ver knüpften den Begriff Sowjetrußland mit dem Begriff Geheimpolizei. Es gab natürlich gerade damals auch viele Freunde der Sowjetunion. Zu Beginn des Krieges hatte ich eine Rundfunkansprache Roosevelts ge hört, die ganz anders klang als jenes Buch. Und Roosevelts Ansichten wurden von vielen Menschen ge teilt. Was war nun richtig? Ich hoffte, daß ich es bald erfahren würde. „Und was fanden Sie dann vor, Captain?" erkundigte sich Pearl, als ich mir eine Zigarette anzündete. Draußen war es schwül geworden, und von Nordwesten her bauten sich drohende Gewitterfronten auf. Ron Collins deutete mit dem Kopf dort hin. „Bis wir starten, ist das vorüber", meinte ich. „Können eine Abküh lung durchaus vertragen. Wenn die Temperatur etwas sinkt, kommen wir mit der vollbetankten Maschine rascher vom Boden weg." Pearl fragte noch einmal. Da aber Ron Collins gerade den Ober her beigerufen hatte, bestellten wir erst etwas zu essen. Unter dem breiten Fenster rollte eine „Super-Constel lation" der Air France vorüber. Ihr Lärm machte ein Gespräch unmög lich. Dazwischen quarrte der Laut sprecher und meldete die Ankunft der Maschine aus Casablanca. Kurz danach gaben Pan Am den Start ihres Clippers nach New York via Shannon und Gander bekannt. Vor unserem Tisch stand ein klei ner Junge und sah uns aus großen Augen an. Unsere dunkelblauen Uniformen mit ihren goldenen Streifen und Ringen schienen ihn zu beeindrucken. Jackie steckte ihm ein Abzeichen an; den geflügelten 8
Löwen, das Emblem unserer Gesell schaft. Der Kleine klatschte ver gnügt in die Hände und lief ans Fenster, wo gerade eine „Viscount" vorüberschwebte. „Nun spannen Sie Pearl nicht auf die Folter", drängte mich Stevens. Ich wollte gerade weitersprechen, als der Ober den Servierwagen her anschob. „Zwanzig Minuten Funk stille", sagte ich, „jetzt möchte ich das Kalbsmedaillon in Ruhe genie ßen." Erst nachdem ich mir eine Zigarre angezündet und den Kaffee getrunken hatte, erzählte ich wei ter. Wir sprachen wenig miteinander. Wilsons Tod hatte Leslie schwer er schüttert. Auch ich dachte an Max well. Ich versuchte Mitchell in ein Gespräch zu ziehen und erzählte ihm von meinen Gedanken über die Sowjetunion. „Ich weiß nicht", grü belte er, „was ich von Rußland und den Bolschewisten halten soll. In den Staaten habe ich einen getrof fen, der war mit seinem Geschwa der nach den Angriffen auf Berlin nach Poltawa geflogen. Muß irgend wo im europäischen Rußland liegen, weiß nicht genau, wo. Dort tankten sie ihre ,Liberators' auf und flogen zurück. Manchmal, bei schlechtem Wetter, saßen sie auch fest. Dann sahen sie, wie es so bei den Russen zugeht. Sie wohnen in primitiven Hütten und schlafen auf dem Ofen. Drei, vier Personen hausen manch mal in einem Raum " „Soviel ich weiß", wendete ich ein, „haben die Nazis in Poltawa ge haust und kaum einen Stein auf dem anderen gelassen." „Mag sein", meinte Leslie un sicher. Stroud hatte uns zugehört und mischte sich,) ironisch ins Gespräch: „Vielleicht sollten wir eine rote Fahne vorbereiten. Es ist besser, sich rechtzeitig umzustellen, als einen Genickschuß zu kriegen." In diesem Augenblick kroch Law ton aus der Kanzel hervor. Für ihn
als Bombenschützen gab es nun nichts mehr zu tun. „Möchte mich rechtzeitig nach oben zurückziehen", sagte er, „wenn Sie bei den Genos sen da drüben doch einen Bruch hinlegen sollten, ist das für mich besser, nicht wahr,Mdntyre?"Law ton versuchte auch jetzt, meine Autorität als Kommandant vor den anderen etwas anzukratzen. Es be hagte ihm eben nicht, daß er sich meinen Anweisungen fügen mußte. Sollte er reden! Mir konnte es gleich sein. Ich bekam Appetit auf eine Ziga rette. Aber ich mußte mir den Ge nuß versagen, da unser Kraftstoff system undicht geworden war. Die Müdigkeit wurde immer stärker. Unser Flug dauerte schon elf Stun den. Als ich mir einen Becher Kaffee einschenken wollte, schrillte es plötzlich Feueralarm. Die rote Kontrollampe leuchtete auf. Back bords brannte ein Motor. Sofort schloß ich den Brandhahn und riß die Zündung heraus. Das dauerte kaum zwei Sekunden. Längst hätte die grüne Signallampe leuchten müssen. War die Löschanlage etwa nicht in Ordnung? Ich drückte den Schaltknopf zweimal — dreimal — viermal! Endlich leuchtete es grün. Die Flammen verschwanden sofort. Der Qualm zerflatterte. Das hatte uns noch gefehlt! Mitten über dem Japanischen Meer! Wir schwebten im Gleitflug dahin. Die See kam immer näher. „Stroud!" schrie ich. „Rufen Sie Wladiwostok!" Er beugte sich über das Gerät: „MAYDAY MAYDAY - MAYDAY . . . " Inzwi schen versuchte ich, den Motor noch einmal anzulassen. Erst beim drit tenmal gelang es. Aber sofort zün gelten wieder die Flammen. Ich schaltete die Löschanlage ein. Es half nichts. Wir mußten auf dem Wasser niedergehen. Stroud beugte Sich zu mir. Angstschweiß stand auf seiner Stirn. „Es geht kein Ruf ab!" „Los, machen Sie weiter, sehen Sie zu, daß Sie Ihre verfluchte Kiste klarbekommen!"
Simons und O'Hara, die ich wäh rend des ganzen Flugs nicht zu Ge sicht bekommen hatte, liefen hastig nach vorn. „Zurück!" rief Mitchell. „Der ,Drachen' wird sonst kopf lastig." Wir hatten noch 10 000 Fuß Höhe und konnten vielleicht fünfzehn bis zwanzig Meilen gewinnen. „Sind alle Luken geschlossen?" erkundigte ich mich über die Eigenverständi gungsanlage. „Schlauchboote. Not proviant und Seekarten klar machen! Stroud, sorgen Sie für den Sextanten!" Der Höhenmesser ging rasch zu rück: 9000 - 8000 - 7000 - 6000 Fuß. Am Horizont sichtete ich ein Segel, konnte aber seinen Kurs nicht aus machen. Trotzdem hielt ich die „Lucky Lady" geradewegs darauf zu. In dieser Situation blieb keine Zeit zu Überlegungen. Mitchell legte mir die Anschnallgurte um. Die See war, soweit ich erkennen konnte, ruhig. Stroud hatte es auf gegeben, das Funkgerät wieder fit zu machen. Ich gab neue Anweisun gen. Dann versuchte ich die Klap pen auszufahren, um die Schwebe fähigkeit der Maschine zu erhöhen. Es rührte sich nichts. Wahrschein lich war auch die Hydraulik be schädigt. Der Schatten der „Lucky Lady" glitt über das Wasser und kam immer näher an uns heran. Das Segel war hinter der Kimm verschwunden. Ob man uns gesehen hatte? Wir waren noch 500 Fuß hoch. Ich drückte das Flugzeug etwas an, um Fahrt zu gewinnen. Der Schat ten verschwand unter der Trag fläche. Ich mußte höllisch aufpas sen, denn eine Landung auf dem Wasser hat ihre Tücken. Etwa zehn Fuß über dem Meer fing ich ab und hungerte die „Krähe" aus, solange ich konnte. Dann sackte sie durch. Der Aufprall war mäßig. Wellen klatschten gegen die Fenster. Niemand hatte sich verletzt. O'Hara und Simons öffneten schon die hintere Kuppel. Die „Lucky 9
Lady" lag ruhig im Wasser. Nur von steuerbord kam ein leises Gluckern. Als wir schließlich außen bords auf dem Rumpf hockten, wurde uns klar, in was für eine verzweifelte Lage wir geraten waren. Wenn wirklich ein Schiff auftauchen sollte, konnte es sich nur um einen Japaner handeln. Wir be rieten, was dann zu tun sei. „Es wäre besser gewesen, in Japan not zulanden", knurrte Stroud, „anstatt hier elend abzusaufen." Lawton teilte seine Meinung. „Sollten wir wider alles Erwarten aufgepickt werden", meinte er, „dann nur durch Japse. Und dann sind wir dort, wo wir längst hätten sein kön nen . . . " „... nämlich in den Ewigen Jagd gründen", ergänzte Mitchell. „Oder glauben Sie, daß die Japse mit Fliegern unserer Art viel Umstände machen? Man bezeichnet uns als Luftpiraten, Lawton! Vergessen Sie das nicht! Sich den Japanern er geben, das ist Selbstmord." „Quatsch! Das ist doch nur Ge rede, um unsere Boys scharfzu machen."
Ich wußte auch nicht, wie ich in dieser Situation entscheiden sollte.' Dennoch war es an mir, einen Aus weg zu finden. Ich war der Kom mandant. Und darin hatte Mitchell recht: Sich den Japanern ergeben war Selbstmord. Ich setzte dem fruchtlosen Ge spräch ein Ende und befahl Stroud, die Sonnenhöhe zu nehmen. Als er sieh an die Arbeit machte, merkte ich, daß er mit dem Sextanten nicht zurechtkam. „Geben Sie das Ding her, ich mache es selbst", sagte ich. Während der StandortermitÜung fiel mir auf, daß das Flugzeug fast unmerklich nach steuerbord zu hän gen begann. Der rechte Flügel tauchte leicht ins Meer. Trotzdem hatte ich noch Hoffnung, daß die „Lucky Lady" viele Tage schwimm fähig bleiben würde. Das Besteck ergab schließlich, daß wir uns auf 133° 15' 47" östlicher Länge und 42° 03' 11" nördlicher Breite befan den. Bis Wladiwostok waren es un gefähr 130 Meilen. Wohin wir im Augenblick trieben, war nicht fest zustellen. Sie sahen mich alle fragend an;
so als ob sie die Auskunft erwar teten, daß wir in spätestens zwei Stunden Land erreichen würden. Auf Lawtons Gesicht lag ein Zug der Mißbilligung. Stroud grinste hämisch. Der Ernst unserer Lage schien den beiden noch nicht klar zu sein. Simons stierte vor sich hin, wahrscheinlich hatte er Angst. Er war ein Schwächling, der leicht die Nerven verlor. Das hatte ich schon öfter beobachten können. Ich suchte den Horizont nach jenem Segel ab, das wir beim Niedergehen gesichtet hatten. Obwohl uns die See von oben als spiegelglatt erschienen war, hob und senkte sich das Wasser in gleichmäßigen Abständen. In den Tälern leuchtete es violett, und die gischtlosen Kämme zeigten ein sat tes Grün. So dauerte es eine ge raume Weile, bis ich das Schiff ent deckte. Nur die Mastspitze lugte über die Kimm, und nach einiger Zeit schien es mir, als ob der Segler mit uns parallel laufe. „Hockt sicher einer in den Riggen und beobachtet uns", überlegte Simons. „Wird so'n gelber Hund sein, der sich nicht ran traut, weil wir ihm 'ne Ladung auf den Pelz brennen könnten." Ich hatte kein gutes Gefühl. Irgend etwas stimmte da nicht mit dem Schiff. Mittag war längst übersehritten, als das Segel weiter aus dem Meere stieg. „Möchte wetten, daß der auf der Lauer liegt", knurrte Lawton und spuckte seinen Kaugummi ins Wasser. „Wahrscheinlich hat das Schwein schon jemanden beordert, der uns Maß anlegen soll." Das Boot bewegte sich jetzt auf einer Kreisbahn um uns. Es waren also Japaner! „Hätte große Lust, denen da drü ben das Segel zu durchlöchern", sagte O'Hara. „Sparen Sie die Munition, Walter! Wir werden sie noch brauchen." Ich teilte die Besatzung auf die einzel nen Schützenstände auf, um uns gegen den zu erwartenden Angriff zu sichern. Stroud sollte seine Funk
anlage überprüfen und den Notsen der kontrollieren. Einer nach dorn anderen verschwand in der Kabine, während ich weiter auf dem Rumpf saß und Ausschau hielt. Der rothaarige Simons hockte unter mir im Backbordstand. Nach einer V/eile fragte er, was mit Wil sons Leiche v/erden solle; sie würde nur die Haie anlocken. „Haie rie chen einen Toten auf zwanzig Mei len Entfernung, Sir!" rief er mit be schwörender Stimme. „Auch wenn einer im Sterben liegt, merken sie das schon von weitem." Simons' dummes Geschwätz ärgerte mich mehr als sonst. Dieser palavernde Bursche würde keine Hilfe sein, wenn es darauf ankäme, ebensowenig wie Lawton und Stroud. Auf O'Hara und Mitchell dagegen konnte ich wohl rechnen. Wilson war tot. Ihn hätte ich jetzt gern neben mir gehabt. Ich schob diese Gedanken beiseite. Das Meer war ein gefährlicher Feind. Ent weder wir widerstanden ihm, oder es zog uns hinab. Ich hatte dafür zu sorgen, daß wir überlebten. Schließlich war ich der Komman dant der „Lucky Lady"! Von Zeit zu Zeit rauchte ich eine Zigarette und ließ meine Augen die Kimm entlangschweifen. Aber außer dem verdammten Segel war weit und breit nichts zu sehen. Mitchell meinte, daß der Pott viel leicht die Nacht abwarte, um sich uns gefahrlos nähern zu können. Ich war verzweifelt und glaubte nicht mehr daran, daß es für uns eine Rettung gab. Aber zeigen durfte ich das nicht. Einen Augen blick wünschte ich, wir wären doch auf Hondo gelandet. Entsetzt wies ich diesen Gedanken zurück. Im besten Falle hätte man uns vor Ge wehrmündungen gestellt. Wahr scheinlich wären wir aufgehängt worden. Dann lieber um das Leben kämpfen! Wir trieben nun schon drei Stun den dahin. Als ich noch einmal die Sonnenhöhe nehmen wollte, hörte 11
ich ein schwaches Surren. Mit ange haltenem Atem lauschte ich. Das feine Geräusch wich einem tieferen Ton, der mehr und mehr anschwoll. Die anderen hörten es auch, sie sahen aus den Luken. Ein winziger Punkt tauchte auf. Er wurde rasch größer, und Sekunden später er kannte ich ein zweimotoriges Flug zeug. Sofort rutschte ich in die Luke. Ich sah noch, wie an der Kimm eine Leuchtpatrone aufstieg. Schiff und Flugzeug verständigten sich. Die Maschine legte sich in eine Kurve und kam im Tiefflug auf uns zu. Fontänen, von den Einschlägen herrührend, stiegen steil aus dem Wasser. O'Haras MG bellte sofort los; trocken und hart. Die Mitsubi shi orgelte über uns hinweg. Mit chell und Lawton feuerten hinter ihr her. Lawton schien nervös zu sein. Simons hatte nicht geschossen. Ob er mit dem MG nicht zurecht kam oder den Japs nicht ins Visier kriegte, konnte ich nicht feststellen. Ruhig wie über dem Flugplatz wen dete der Japaner und kam zurück. Mitchell und Lawton schössen aber mals: zu früh. Auch Mitchell war unruhig geworden. Der Japaner da gegen ließ sich Zeit. Erst einhundert Fuß vor uns schössen die Fontänen unter den Einschlägen empor. Die Geschosse prasselten in die Steuer bordfläche. Beim nächsten Anflug richtete der japanische Bordschütze seine beiden Kanonen auf unseren Heckstand. O'Hara schoß, was die Rohre hergaben. Aber es nützte nichts mehr. Ein Geschoß detonierte ganz nahe, und fast gleichzeitig stieg der Backbordflügel hoch aus dem Wasser empor. Ich verlor das Gleichgewicht und stürzte in den Rumpf. Mitchell fiel auf mich. „Wir saufen ab!" schrie Simons. Auch Lawton brüllte etwas, aber seine Stimme ging im Dröhnen des Flug zeugs unter. Es jagte noch einmal über uns hinweg. Als ich mich auf richtete, wurde mir erst bewußt, daß wir bis zu den Knien im "Was ser standen. Die obere Luke lag jetzt 12
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nahe an der Wasserlinie. Wir muß ten hinaus, wollten wir nicht wie die Ratten ersaufen. Als ich den Kopf raussteckte, war das Flugzeug weg. „Verdammte Schweine!" fluchte Simons. Wir brachten unsere beiden Schlauchboote mit der See notausrüstung aufs Wasser. Vom Rumpf aus erkannte ich, daß das Heck der „Lucky Lady" fast voll ständig zerstört war. Langsam kroch ich nach hinten, um nach O'Hara zu sehen. Er mußte ver wundet sein. Zusammengesunken lag er am Boden. Er blutete aus mehreren Wunden. Vorsichtig glitt ich zu ihm hinab, streifte seinen linken Ärmel zurück; doch der Puls war nicht zu spüren. Ihm konnte niemand mehr helfen. Der zweite Mann, den ich während dieses Flugs verlor! Obwohl ich schon längere Zeit mit Walter geflogen war, wußte ich nicht viel von ihm. Wir hatten alle so für uns allein dahingelebt. Gleich nach der Landung liefen wir auseinander, die einen zum Whisky, die anderen nach den Weibern und was weiß ich, wohin. Trotzdem hatte mich viel mit O'Hara verbunden. Die Maschine rollte, wenn auch nur langsam, immer weiter nach steuerbord. Mitchell saß auf dem Rumpf und ließ sich die Seenotaus rüstung herausreichen. „Gehen Sie in eins der Boote", riet ich ihm, „und vertäuen Sie die Wannen am Flug zeug." Ich blies meine Schwimm weste auf, denn ich brauchte nicht mehr in den Rumpf hinein. Mit einem Ruck zog ich den Knebel nach unten. Zischend strömte die Luft ein. Mitchell tat das gleiche. Über der Luke hockend, reichte ich ihm unsere Ausrüstung hinüber: Planen, Kanister, das Funkgerät, eine Angel ausrüstung und vielen Kleinkram. Ich mußte mich dabei an der Antenne festhalten, um das Gleich gewicht zu behalten. Es war eine anstrengende Arbeit. Plötzlich hatte ich einen leeren Kanister in der Hand. „Was soll das?" rief ich in den Rumpf.
,jls 'n Ölkanister, Sir!" antwortete Stroud. „Und das ö l ? " „Weiß nich!" „Und die anderen Kanister?" „Sind aufgesprungen! Das Öl schwimmt im Rumpf!" Das war ein schwerer Verlust. Wir brauchten Öl, um bei stürmi scher See das Wasser in der Nähe unserer Boote beruhigen zu können. Aus den Backbordmotoren konnten wir nichts ablassen, denn wir kamen nicht mehr an die Ablaßstutzen heran. Endlich erschienen Lawton und Simons in der Luke. Sie hatten alles ausgeräumt, was wir brauchten. Simons hielt einen Wasserkanister in der Hand und wollte damit ins Boot hinübersteigen. Er verlor aber das Gleichgewicht und ließ ihn fal len. Der Kanister schlug auf den Rumpf, und noch ehe Mitchell zu fassen konnte, versank er im Meer. „Verdammt!" rief ich wütend. „Nun ist auch noch die Hälfte unseres Trinkwasservorrates weg." Da sahen wir den Fischkutter ziemlich dicht vor uns. Er war un gefähr noch eine halbe Meile ent fernt und hielt direkten Kurs auf uns. Wir erschraken, denn an ihn hatten wir gar nicht mehr gedacht. „Die geben uns den Rest!" schrie Stroud. Wir hatten keine Waffen mehr. Unsere Pistolen lagen irgend wo im Flugzeug und hätten uns außerdem nichts genützt. An die Bord-MGs konnten wir nicht mehr heran. Wir hatten die Boote am Leitwerk vertäut und hockten teils zwischen den Flossen, teils in den Schlauchbooten. Ein paar Schüsse, und wir wären erledigt gewesen. „Ergeben wir uns doch", rief Stroud aufgeregt. Er war völlig durcheinander. Plötzlich streifte er Schwimmweste und Jacke ab, riß sich das Unterhemd vom Leib und kroch, ehe wir es verhindern konn ten, zu dem steil aufragenden Back bordflügel. Ich rief ihn zurück, aber er hörte nicht darauf. Mitchell, der
ihm am nächsten war, wollte ihn zurückholen. Doch er rutschte her unter, und es gelang ihm auch beim zweiten Versuch nicht. Alles spielte sich blitzschnell ab. Stroud zog seine Bordschuhe aus und versuchte mit bloßen Füßen auf den Flügel zu klettern. Bis zum äußeren Back bordmotor kam er verhältnismäßig leicht. Dann wurde es schwieriger. Unter Ausnutzung des Querruder spaltes klomm er mühsam noch höher. Es war unnütz, denn man konnte ihn vom Fischereiboot aus längst sehen. Mitchell versuchte zum dritten mal auf den Rumpf zu klettern. Da geschah es! Stroud glitt ab. Er ver suchte verzweifelt Halt zu finden und preßte sich platt an die Trag fläche. Ihre Neigung war aber schon zu groß. Er stürzte auf die äußere Motorgondel und schlug mit dem Kopf auf. Dann kippte er mit dem Oberkörper über die Flügelnase und stürzte kopfüber auf den unteren Propeller. Mit zerschmettertem Schädel fiel er ins Wasser. Sein Hemd rutschte langsam auf der Metallbeplankung des Flügels hin ab. Mitchell und Simons ruderten sofort an die Stelle, wo der Bord funker in den Fluten verschwunden war. Doch jede Hilfe kam hier zu spät. Der Segler war noch näher ge kommen, und wir konnten an Deck zwei Gestalten erkennen. Sollten sie uns tatsächlich aufpicken wol len? Einen Augenblick stellte ich mir vor, daß wir die Mannschaft überwältigen könnten. Dann wäre es nicht schwer, Wladiwostok zu er reichen. "Als der Segler auf Rufweite ge kommen war, forderten wir ihn auf, uns an Bord zu nehmen. Am Brückenhäuschen lehnte ein Mann. Zwei andere standen auf Deck und starrten zu uns herüber. Sie ant worteten nicht. Wahrscheinlich waren sie unbewaffnet, denn sie achteten auf genügenden Abstand. Wir riefen sie abermals an. Diesmal 13
brüllte der auf der Brücke durch ein Megaphon: „Grüßt die Hölle, ihr verdammten Strolche." Simons drohte ihm mit der Faust: „Halt die Schnauze, du elender Hund! Die Pfoten sollen dir verdor ren!" Langsam zog der Segler vorüber. Warum waren die Japaner über haupt in unsere Nähe gekommen, wenn sie uns weder abknallen konnten noch uns retten wollten? Wollten sie sich an unserem Unter gang weiden und uns nervlich zer mürben? In den folgenden Stunden nahm die „Lucky Lady" weiter Wasser auf und holte zunehmend nach steuerbord über. Bei Sonnenunter gang mußten wir die Maschine verlassen. Vorsichtig stießen wir mit den Schlauchbooten ab. Wir hat ten alle in einem Platz gefunden und zögen das andere fest vertäut hinter uns her. Mitchell und Si mons griffen in die Riemen, und langsam entfernten wir uns von dem sinkenden Flugzeug. Die Sonne verschwand unter der Kimm, und Dunkelheit senkte sich über den Ozean. Das Heck der „Lucky Lady" hob sich schwach als dunkle Silhou ette vom Himmel ab. Wir zogen die Riemen wieder ein und gingen an die Bestandsaufnahme. Dabei zeigte sich, daß der Notsender nicht betriebsfähig war. Wir konnten ihn mit unseren Mitteln nicht reparie ren und warfen ihn einfach über Bord. Der letzte Wasserkanister er wies sich als nur noch zur Hälfte gefüllt. Das war das Schlimmste, was uns passieren konnte. Es ist leichter zu hungern als zu dürsten, und angesichts der See, des vielen, vielen Wassers, ist es besonders schwer, den Durst zu ertragen. Was sollten wir nun tun? Uns irgend wohin treiben lassen? Wir brauch ten ein Ziel; schon um nicht zu ver zweifeln. Wladiwostok? Nach unse rer letzten Position waren es 130 Meilen bis dorthin. 130 Meilen im Schlauchboot? 14
Nun, es mußte sein! Ich versuchto mir einzureden, daß wir es schaffe« würden. Es waren doch schon Leute mit dem Faltboot über den Atlan tik gefahren. Wir sichteten nun die Lebensmit tel, und ich rechnete meinen Kame raden vor, daß wir ungefähr fünf zehn Tage reichen müßten. Sie nick ten nur gleichgültig und billigten meinen Plan. Dann teilte ich die Wachen ein. Lawton und Mitchell übernahmen die erste, Simons und ich die Hundewache. Die Na,qht versprach ebenso schön zu werden wie der Tag. Allmählich kamen die Sterne hervor und schickten ihr Licht zur See hinab. Je heller sie in der Dunkelheit leuchteten, desto stärker wuchs ihr Widerschein im Meer. Als schließ lich der Mond aufging, gewannen wir den Eindruck, in einem Meer flüssigen Silbers zu schwimmen. Ich habe selten eine so schöne Nacht erlebt. Hin und wieder löste sich ein fliegender Fisch aus dem Flimmern, glitzerte einen Augen blick und glitt wieder in die leichte Dünung zurück. Immer neue Sterne stiegen empor. Wenn sie über den Horizont krochen, glaubten wir das Licht eines Schiffes zu sehen. Ich zog ein Zigarettenpäckchen t unter der Schwimmweste hervor und reichte es herum. William Law ton schlug vor, alle Zigaretten zu sammenzuwerfen und sie zu ratio nieren. Damit waren alle einver standen. Mitchell als Nichtraucher sollte sie in Verwahrung nehmen. Ich hatte noch sechzehn Stück, Si mons siebenunddreißig und Lawton zwei. Insgesamt waren es also fünfundfünfzig. Wir gestatteten uns jeden Tag eine Zigarette. „Wär's nicht besser", wendete Simons ein, „wenn wir jedesmal zu dritt an einer rauchten? Dann gibt es täglich dreimal etwas." Wir stimmten zu. Das Wrack der „Lucky Lady" hob sich nun deutlicher vom Himmel ab. Wie ein Menetekel schwamm es
auf der glitzernden Fläche. Ich ver suchte mir Rechenschaft über die Widerstandskraft meiner Kamera den abzulegen. Wir mußten ja Wladiwostok erreichen! Lawton und Simons machten einen niederge schlagenen Eindruck. Sie hatten sich in ihr Geschick ergeben. Mitchell dagegen schien willens zu sein, allen Gefahren die Stirn zu bieten. Und ich selbst? Jetzt war ich noch bereit zu kämpfen. Aber würden meine Kräfte ausreichen? Langsam trieben wir über die langlaufende See, und nur das gluk kernde Schwatzen des Wassers war um uns. Seit dem Start in der letz ten Nacht hatte ich nicht mehr ge schlafen. Ich bat Leslie, mich um Mitternacht zu wecken. Auch Si
mons legte sich, so gut es ging, zur Ruhe. Wir deckten uns mit einer -Plane zu, denn es war merklich kühl geworden. Als wir wieder erwachten, hatte es sich wei ter abgekühlt. Wahrscheinlich traf uns schon die Strömung vom Ochotskischen Meer. Ich zog den Reißverschluß meiner Lederjacke bis obenhin zu. Das war gar nicht so einfach, denn die Schwimmweste lag prall an. Von der „Lucky Lady" war nichts mehr zu sehen. „Vor zwei Stunden abge soffen", bemerkte Lawton lako nisch. Ehe ich mich mit Simons an die Riemen setzte, „schoß" ich die Sterne. Das Besteck ergab, daß wir seit Mittag nur eine halbe Meile vorangekommen waren. Das war
niederschmetternd. In Zukunft wollte ich nur noch mittags die Po sition ermitteln. So vermied ich dauernde Enttäuschungen. Ich trug den Standort in das Bordbuch ein. Aus seinem Umschlag fiel etwas heraus. Es war ein Bild von Joan. Monate hatte ich das Foto nicht mehr in der Hand gehabt. Lawton und Mitchell legten sich, so gut es ging, hin. Aber Lawton, der hinter uns lag, schien keine Ruhe zu finden. Ich hatte den Ein druck, als ob er sich gewollt behut sam bewegte. Zeitweise war es still, dann rührte er sich abermals, und zuweilen glaubte ich, ein Geräusch zu vernehmen. Beim nächstenmal drehte ich mich um und sah, wie der Lieutenant gerade eine Flasche wegsteckte. „Es wäre besser, wenn wir alle etwas davon hätten", sagte ich. „Es ist kaum der Rede wert", er widerte er kleinlaut. „Keiner würde einen ordentlichen Schluck erhal ten." Ich nahm ihm die Flasche aus der Hand — sie war übrigens noch halb voll — und gab sie Mitchell, der all mählich zu unserem Furier gewor den war, zur Verwahrung. Simons lächelte erwartungsvoll. „Wie wär's wenn wir gleich mal einen Schluck bekämen, Sir? Könnten's für die Hundewache gut gebrauchen." „Es wird schlechtes Wetter kom men, dann haben wir's noch nöti ger." „Sie sind knauserig, Lieutenant", murrte er. Lawton sagte nichts. Mir war in den letzten Stunden klargeworden, daß wir doch ein bunt zusammen gewürfelter und wenig zuverlässi ger Haufen waren. Mitchell hatte sich als anständiger Kerl erwiesen. Aber Lawton und Simons würden, wenn es erst einmal ums Wasser oder um das Essen ging, nur auf ihren Vorteil bedacht sein. Ich hatte nie viel von ihnen gehalten. Aber daß bei ihnen ein so primitiver Egoismus hervorbrach, enttäuschte 16
mich. Erst jetzt lernte ich sie richtig kennen, obwohl ich schon seit fast einem J a h r mit ihnen flog. Wia sollte es nur weitergehen? Die Be lastungen würden doch immer schlimmer werden. Bis Wladiwo stok war es noch weit. Nach dieser Auseinandersetzung fiel kaum noch ein Wort. Wir ruder ten Stunde um Stunde. Gegen Mor gen änderte sich das Wetter. Ich bemerkte es mit gemischten Emp findungen. Wolken kamen auf, und der Himmel verhüllte sich zu sehends. Das Glitzern des Meeres erlosch und wich einer stumpfen Dunkelheit. Allmählich regte sich auch der Wind, und der Lauf unse res Bootes wurde unruhig. Zuwei len kamen leichte Brecher herein. Die Schläfer erwachten und schimpften vor sich hin. Mit dem aufkommenden Wind war auch die Temperatur weiter ab gefallen, und wir froren jämmer lich. Als es nach Stunden hell wurde, jagten düstere Wolkenfet zen von Osten her über das Meer. Das leere Schlauchboot pendelte wild hinter uns. Immerhin trieb der scharfe Ostwind uns rascher der Küste entgegen, als wir es mit den Riemen hätten schaffen können. Da ich mit einer weiteren Verschlech terung des Wetters rechnete, gab ich Mitchell den Befehl, die Morgen ration auszugeben. Das war nicht viel. Jeder erhielt zwei Kekse, et was Schokolade und ein Stück von einer Trockenkonserve. „Wie wär's mit einer Zigarette, Lieutenant?" fragte Simons. Ich nickte, und Mitchell öffnete die Blechbüchse. Lawton griff gie rig zu, zog sich eine Plane über den Kopf und versuchte die Ziga rette anzustecken. Scheinbar gelang ihm das nicht gleich. Immer wieder zog er die abrutschende Plane zu recht. Simons verfolgte eifersüchtig sein Tun. „Na, komm schon raus^ wir wollen auch was haben" y knurrte er böse. Lawton hatte tat sächlich schon ein Stück geraucht.
*,Das nächstemal rauch ich sie an", fuhr Simons auf. Ich entschied, daß Mitchell als Nichtraucher die Ziga "retten von nun ab anstecken sollte. Dieser Streit deprimierte mich. Hätte ich in dieser Stunde schon ge wußt, was uns noch bevorstand, wäre ich wohl verzweifelt. Die See wurde immer schwerer. Mit mächti gen Kämmen rollte sie von ächtern heran, hob unser Boot und warf es wieder hinab. Wir mußten gewaltig aufpassen, um nicht von dwars ge troffen zu werden. Der Wind wuchs sich zum Sturm aus, und wir schau kelten mitten in einem brüllenden und tosenden Hexenkessel. Längst hatten wir nichts Trockenes mehr auf dem Leib. Sturzseen rollten über uns hinweg, und die Kälte drang bis auf die Knochen. Mitchell gab einen Augenblick nicht acht. So gerieten wir quer in ein Wellen tal. Als es uns auf den nächsten Kamm hob, holte das Boot mächtig nach backbord über und begann zu kippen. Genau in diesem Augen blick, keinen Moment zu spät, rutschten wir über den Kamm hin weg, waren gerettet und gewannen unsere normale Lage wieder. Es gischtete um uns. Dazwischen tauchten die gelben Schlauchwülste des zweiten Boots aus dem Strudel. Wir Schossen abermals quer ins nächste Wellental hinunter. Schon packte uns eine neue Woge. Mitchell und ich arbeiteten verzweifelt, um das Boot wieder in unsere Gewalt zu bekommen. Die beiden anderen schienen sich nur festzuhalten. Die nächste Woge faßte uns. Wieder ging eine Sturzflut über uns hin weg, irgend etwas wurde aus dem Boot hinausgeschleudert. Seitlich tanzte das zweite Schlauchboot. Es hatte sich losgerissen. Das war das Ende. Wir mußten zusehen, wie un sere Lebensmittel über Bord gin gen. Nach vielen Stunden endlich schien der See der Atem auszuge hen. Die Wogen wurden niedriger und zogen sich weit auseinander.
Aber dann rollten sie, als ob die See nur Luft geholt hätte, erneut in ungestümer Wut an. Der Regen peitschte uns schmerzhaft ins Ge sicht. Die Uhr zeigte die Mittags stunde an. Ich ließ die Rumflasche kreisen. Erst gegen Abend legte sich der Sturm, und auch der Regen hörte auf. Die See lief aber immer noch schwer. So gingen wir in die zweite Nacht. Am Tage hatte die Wacheinteilung ihre Bedeutung ver loren, denn niemand war zur Ruhe gekommen. Deshalb ließ ich auslo sen. Die Hundewache fiel abermals auf mich. In der zweiten Nacht hälfte stellte ich fest, daß die Ge walt des Wetters nachließ. Das Meer war zwar immer noch grob, aber es lief fester vor dem Winde. Gegen Morgen flaute es endgültig ab, und wir glitten wieder über eine langlaufende See wie ehedem. Im Osten stand ein blutroter Strei fen über der Kimm. Ich hatte eigentlich die Absicht, nach dieser Strapaze reichlichere Rationen auszugeben. Aber wir hat ten eine ganze Menge Lebensmittel verloren. So mußte ich davon ab sehen. Am Vormittag legte sich der Wind, und vor uns lag das Meer, als ob es zu einer Regatta bereit sei. Wir wollten an diesem Tage ordentlich rudern. So aßen wir erst einmal einen Happen, tranken einen Schluck Wasser, und jeder be kam eine Zigarette für sich. All das hob unsere Stimmung, und es schien, als ob auch der düster vor sich hin starrende Lawton Mut ge faßt habe. Wir legten uns kräftig in die Riemen, wechselten stunden weise und kamen gut voran. Zu Mittag stellte ich fest, daß wir seit der vorletzten Nacht fast fünfund zwanzig Meilen, also ein Fünftel der Strecke, zurückgelegt hatten. In der folgenden Nacht überzogen Mond und Sterne das Meer aber mals mit blitzendem Silber. Es lag friedlich vor uns, und meine Ge danken schweiften in jene Zeit, als 17
ich noch ein kleiner Junge war. Mein Vater hielt sich tagelang in den Wäldern auf. Einmal im Monat pflegte er nach Madison zu fahren, um seinen Bedarf an Patronen und Tabak zu decken. Wenn er mir eine besondere Freude machen wollte, durfte ich ihn begleiten. Ich kannte nur die Wiesen um unser Haus, unseren See und die Wälder. Wie staunte ich über all die herrlichen und merkwürdigen Dinge, die es in Madison zu sehen gab. Unaufhör lich knatterten Autos durch die Ge schäftsstraßen. Abends bildeten hell leuchtende Reklamen einen bunten verwirrenden Wirbel. Sie flacker ten auf, verlöschten wieder, und plötzlich schwebten Figuren und Zahlen vor dem Nachtdunkel, aus einer Zigarette stiegen blaue Rauchwölkchen und verschwanden. Manchmal stand auch der Mond über den Straßenschluchten und schaute auf das bunte Treiben her unter. Wenn wir dann nach zwei stündiger Fahrt auf Parkers Sta tion den Zug verließen, schaute der Mond wieder auf uns herab. Ein mal, ich muß wohl noch sehr klein gewesen sein, fragte ich meinen Vater, ob das der gleiche Mond sei, den wir in Madison gesehen hatten. Der Vater nickte. Der Mond wan dere unaufhörlich mit uns durch die Nacht. Mit dieser Antwort war ich als Vier- oder Fünfjähriger zu frieden gewesen. Später hatte ich nie mehr daran gedacht. Erst als wir im Japanischen Meer trieben, fiel mir die Sache wieder ein. Der Mond würde jetzt auch über unse rem Hause scheinen! Doch nein, bei uns in Wisconsin war ja schon Tag. Ich nahm mir vor, falls wir je mals zu den Menschen zurückkeh ren sollten, mein Elternhaus zu be suchen. Lange war ich nicht mehr dort gewesen. Vor zehn Monaten hatte ich das letztemal einige Zeit in den Staaten verbracht. Der Ge danke an diesen Urlaub löste in mir ein unangenehmes Empfinden aus, denn ich hatte mich damals 1«
endgültig von Joan getrennt. Ur sprünglich wollten wir heiraten. Joan sprach immer davon, daß wir uns eine filling-station und ein kleines Häuschen kaufen würden. „Dann brauchst du nicht mehr zu fliegen. Wir werden sehr viel Geld verdienen und uns leisten können, was wir wollen." Ich wollte aber weder eine filling-station noch ein Häuschen haben. Joan wußte nicht, was mir das Fliegen bedeutete. Sie winkte jedesmal ab, wenn ich es ihr erklärte. „Ich weiß, ich weiß. Du wirst noch selbst daraufkom men, daß das nicht das richtige ist, wenn du einmal die Uniform aus gezogen hast." Im Laufe der Zeit bemerkte ich, daß sich Joan in diesen Gedanken verrannt hatte. „Es gefällt mir nicht, wenn du dauernd in der Welt herumfliegst. Du sollst bei mir sein und mir immer sagen, daß du mich liebst." — Sie hatte eine eigenartige Auffassung vom Leben. So hatten wir uns vor zehn Monaten getrennt. „Du sollst bei mir sein und mir im mer sagen, daß du mich liebst." Ich hatte" die letzten Sätze wohl laut vor mich hingesprochen. Leslie rief mich in die Wirklichkeit zurück. „Ich habe auch ein Mädchen in den Staaten", sagte er. „Was meinen Sie, Mclntyre, ob ich sie wieder sehen werde?" „Warum nicht?" erwiderte ich. Dann fragte er mich, wie ich unsere Chancen, Land zu erreichen, beur teile. Ich wußte, daß ich jetzt einen Verbündeten gewinnen konnte, der mir, sollten mich die Kräfte ver lassen, Ansporn sein würde. Simons schlief, und Lawton starrte in die Nacht hinaus, so als ob er einen bestimmten Punkt be obachte. Er hörte nicht auf unser Gespräch. Leslie erzählte mir aus seinem Leben, von seiner Kindheit in Iowa, von seinem Studium, das er unterbrochen hatte. Zur Fliegerei war er zufällig gekommen. William Lawton gab einen kehli gen Laut von sich. Als ich zu ihm
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hinsah, starrte er wieder aufs Meer hinaus. Was hatte er nur? Mitchell sprach weiter. „Als Junge waren zwar Lindbergh, Eddie Rickenbaker und Byrd meine Vorbilder, aber wahrschein lich wäre ich nie Flieger geworden, wenn man mich bei der Musterung nicht dazu aufgefordert hätte." Plötzlich fuhr Lawton hoch. „Schiff in Sicht!" Er griff nach der Leuchtpistole und suchte nach den Patronen. „Halt!" schrie ich und fiel ihm in den Arm. Doch er riß sich los. Auch Simons richtete sich auf. Er er kannte sofort, worum es ging. „Wir haben es satt!" brüllte er. „Ob wir zu den Fischen gehen oder von den Japsen gehängt werden, bleibt sich gleich. Aber vor dem Aufhängen will ich noch einmal richtig fressen und saufen. Los Lawton, schießen! Mitchell, gib eine Zigarette her! Ich scheiße jetzt auf alles." Mitchell rührte sich nicht. „Na wird's bald!" schrie Simons. Und zu Lawton: „Los, Lieutenant, schießen!" Ich fiel Lawton erneut in den Arm. Aber zu spät. Er drückte ab. Zischend stieg die Patrone in den Himmel. Ich war geblendet und konnte nichts von einem Schiff er kennen. Alles strahlte in Rot, das Wasser, unsere Gesichter und die Nacht. Simons tobte: „Mitchell, verfluch ter Hund, gib die Zigaretten her!" „Halten Sie den Mund, Simons!" warnte ich. Indessen schoß Lawton eine zweite Patrone ab. Wieder leuchtete es rot. Sekunden später geisterte ein Scheinwerfer durch die Nacht. Sein fahler Lichtkegel tastete sich von Südwest herüber. Geblendet schlössen wir die Augen. Er hatte uns erfaßt, aber nur einen Augen blick. Dann wanderte er weiter. Sie hatten uns nicht erkannt. Law ton schoß zum drittenmal. Der Scheinwerfer kam zurück. Wäh renddessen machte sich Simons an 20
unseren Vorräten zu schaffen. Mit chell wollte ihn daran hindern, aber er konnte ihn nicht erreichen. Si mons wich aus und schleuderte ihm eine Konservenbüchse entgegen. Sie verfehlte ihr Ziel und klatschte schwer ins Meer. „Simons!" fuhr ich ihn an. Der Bordschütze hatte jede Selbstkontrolle verloren. Er war wie ein Tobsüchtiger. Mitchell be mühte sich vergebens, ihn zu bän digen. Es sah aus, als ob sich ein Zweikampf entspinnen würde. Ich versuchte Lawton die Pistole zu entreißen. Plötzlich machte Leslie einen Riemen los. Ich begriff nicht, was er wollte. Es waren furchtbare Sekunden. Das Boot brauchte bloß zu kippen, und wir wären unrett bar verloren gewesen. Da hatte Mitchell den Riemen auch schon gelöst, und ehe ich ihn daran hin dern konnte, holte er aus und schlug den tobenden Simons nieder. Mit einem dumpfen gurgelnden Laut sank Simons ins Boot. „Vor dem haben wir erst einmal Ruhe", sagte Mitchell kleinlaut. Lawton fuhr herum. „Das wird Ihnen teuer zu stehen kommen!" brüllte er mit einer Kraft, die ich ihm gar nicht mehr zugetraut hätte. In diesem Augenblick faßte der Scheinwerfer erneut nach uns, verharrte ein paar Sekunden und tastete sich weiter. Hatten sie uns entdeckt? Waren es überhaupt Ja paner? Am Boden stöhnte Simons. Lawton suchte etwas. Er hatte die Pistole verloren. Wahrscheinlich war sie ins Wasser gefallen. „Geben Sie die Taschenlampe her, Mcln tyre!" Ich schüttelte den Kopf. „Sie haben kein Recht, uns um zubringen", polterte er los. „Sie nicht!" „Gerade das will ich vermeiden. Es sind Japaner. Es wäre unser Tod, wenn sie uns bemerkten." Von Lieutenant Lawtons sonst so energischem Wesen war nicht viel übriggeblieben. Er griff nach jedem Strohhalm, der sich bot. Der
Scheinwerfer bohrte sich noch einigemal durch die Finsternis. Als er verlöschte, konnte ich das Schiff sehen. Es war ein ziemlich großer Kasten, und es mußte, den Aufbau ten nach, ein Kreuzer sein. Er lief mit abgeblendeten Lichtern und schien auf uns zuzuhalten. Es konnte sich nur um einen Japaner handeln. Unsere eigenen Fahrzeuge befanden sich nicht in diesen Ge wässern, und wenn es ein Russe war, wäre er kaum abgeblendet ge fahren. Die Sowjetunion befand sich zu jener Zeit nicht im Kriegs zustand mit Japan. Nach einer hal ben Stunde passierte uns der Kreu zer auf Backbord. „Wollen wir es nicht doch ver suchen, Mclntyre?" fragte Lawton. „Warum jetzt schon aufgeben. Der Tod läuft uns nicht davon", antwortete ich ihm. „Unsinn", antwortete er. „Die ge hen uns bestimmt nicht an die Gur gel. Wir sind doch Schiffbrüchige." „Mensch, begreifen Sie denn nicht, daß die uns am ersten Mast auf knüpfen? Wir haben ihre Städte bombardiert." Lawton schien nicht auf meine Worte zu achten. Er richtete sich auf und schrie aus Leibeskräften in die Nacht, dorthin, wo gerade das Schiff vorbeilief. Ich ließ ihn schreien, denn es hörte ihn ja doch niemand. In dieser Nacht kamen wir nicht weit. Würden wir so Wladiwostok je erreichen? Wären wir eine ver schworene Mannschaft gewesen, wir hätten es schaffen können. Ich machte eine Pause und zün dete mir eine neue Zigarette an. Es waren beinahe noch zwei Stun den Zeit bis zum Abflug nach Bo ston. Die Sonne neigte sich dem Horizont zu, und das Gewitter hatte sich wieder verzogen, ohne eine Abkühlung zu bringen. Das Restau rant war leerer geworden. Erst als die Abendmaschinen landeten, füllte es sich wieder. Auf dem Vor
feld nahm das Heulen der Motoren kein Ende. Die Flugzeuge aus Nizza, Warschau, Bangkok, Con stantine und Los Angeles via An chorage trafen nacheinander ein. Ein Zeitungsverkäufer kam her ein und rief seine Sensationen aus: „Carlo Schmid contra Adenauer? — Tankerkönig Onassis kauft griechi schen Himmel — Wird der Eiffel turm verschrottet?" Collins warf eine Münze auf den Tisch und kaufte den „France-Soir". „Wer weiß, wie wir reagieren würden, müßten wir heute nacht im Nordatlantik niedergehen?" sprach Pearl halblaut vor sich hin. „Unter dem Druck solcher Bedin gungen würde wohl auch von uns manches abfallen, und wir würden uns nicht wiedererkennen." Ich zuckte mit den Schultern. „Mag sein, Pearl. Den Kern eines Menschen erkennt man oft erst in schwierigen Situationen. So war es eben auch damals. Wir flogen schon fast ein Jahr zusammen. Doch wir hatten immer Schwein gehabt. Kaum, daß unsere Mühle einmal angekratzt worden war von der japanischen Flak." Der Ober erkundigte sich nach unseren Wünschen. Wir bestellten abermals Orangensaft. „Wie haben Sie es denn nun doch noch geschafft?" fragte Jackie. „Wir haben es überhaupt nicht ge schafft", entgegnete ich. „Oder hat Sie ein Schiff aufge pickt?" wollte Collins wissen. Ich schüttelte den Kopf. Ehe ich fortfahren konnte, wurden wir ab gelenkt. Zwei Air-France-Piloten, die eben mit dem „Starliner" über die Arktis gekommen waren, nick ten mir zu. Dann kamen abermals Zeitungs verkauf er in das Restau rant. Sie riefen neue Sensationen aus: „Kommunistische Düsenpre miere in Orly!" Auf der ersten Seite prangte Surkins Foto. Wir riefen den Boy sofort an unseren Tisch. Nachdem wir den Artikel überflogen hatten, forderten mich 21
Collins und Holmbergh auf, den Fortgang unseres Abenteuers zu berichten. Wir trieben noch Tage im Japa nischen Meer. Das Wetter wech selte. Am fünften Tage passierte mir ein Mißgeschick. Als ich die Sonnenhöhe nehmen wollte, verlor ich im schlingernden Boot das Gleichgewicht und stolperte. Der Sextant rutschte mir aus der Hand und fiel ins Wasser. So trieben wir fortan blind dahin, unfähig, unseren Kurs und unsere Fahrt zu überprü fen. Lawton hockte schweigend im Boot, er lebte nur auf, wenn Mit chell unsere kümmerlichen Ratio nen verteilte. Eines Tages war das Wasser aufgebraucht, und es be gann der Durst. Unsere Zigaretten waren durchgeweicht. Anfangs ver suchte Lawton den Tabak zu trock nen. Aber der ständig wehende Wind nahm ihn mit sich fort. Vom siebenten Tage an ließen wir das Frühstück weg. Die Abendration gab es deshalb um Mitternacht. Für Simons hatte ich eine kleine Re serve an Lebensmitteln behalten. Er hatte sich von dem Schlag noch nicht richtig erholt. In den Augen blicken, da ihm unsere verzweifelte Lage bewußt wurde, schimpfte er hemmungslos. Da er beim Rudern ausfiel, kamen wir nur noch müh sam vorwärts, zumal auch Lawton keine Hilfe mehr war. Er starrte immerfort düster vor sich hin, und ich befürchtete bei ihm über kurz oder lang einen Tobsuchtsanfall. Heut war es besonders schlimm mit ihm. Als sich die Dunkelheit herabsenkte, brach es aus Lawton heraus. Er trommelte mit den Fäu sten auf die Knie und wollte sich auf mich stürzen. „Du, du", brüllte er, „du hast mich ins Unglück ge bracht. Wenn wir je wieder an Land kommen, laß ich dich wie einen räudigen Hund aufhängen. O'Haras und Strouds Tod gehen auf dein Konto. Wären wir in Japan ge landet, würden sie noch leben. 22
Fahr zur Hölle, du!" Er holte mit der Rechten zum Schlag aus. Seine Faust fuhr ins Leere, und er sackte mit dem Oberkörper nach vorn. So blieb er liegen. Durch seinen Kör per ging ein trockenes Schluchzen. Am Morgen des achten Tages kam ein kräftiger Wind auf. Tiefhän gende Wolkenfetzen jagten am Himmel dahin. Ich fühlte mich an diesem Tag zum erstenmal wirk lich elend. Die Hoffnung, daß ir gend etwas geschehen könnte, hatte mir Kraft gegeben. Aber nun war Tag um Tag verstrichen, ohne daß Hilfe kam. Meine Hoffnung war zerbröckelt. Was sollte aus uns werden? Ab und zu stachen Mit chell und ich die Riemen in die See, bewegten sie einigemal und zogen sie erschöpft wieder ein. Rük ken, Arme und Beine schmerzten. Der Durst quälte uns. Wir konnten nicht mehr. Am Vormittag lief die See fest vor dem Winde her. Die Wellen kämme wuchsen an, und dann peitschte der Sturm den_ Gischt über uns hinweg. Zum Gluck war dieser Sturm nur von kurzer Dauer. Gegen Mittag brach die Sonne durch die Wolken, und zwei Stun den später lachte ein blauer Him mel über uns. Es ging zwar immer noch ein kräftiger Ost, aber die Ge fahr y a r gebannt. Flaschengrüne Wasserhügel hoben und senkten sich. Wir dösten vor uns hin. Mitchell und ich verständigten uns mit Blik ken, denn das Sprechen bereitete uns Mühe. Unsere Bewegungen wurden immer schwerer. Lawton schien mit offenen Augen zu schla fen. Simons versank von Zeit zu Zeit in einem Dämmerzustand. Und dann quälte uns immer wieder der -Durst. Er wurde immer heftiger und drängte alle anderen Empfin dungen zurück. Während ich zwi schen Traum und Wachsein dahin brütete, mischte sich ein neuer Ton in das Singen des Windes und das Rauschen des Meeres. Aber er drang
noch nicht m mein Bewußtsein. Leslie hob den Kopf und sah an mir vorbei in die Ferne. Seine Augen wanderten suchend umher, und die Lippen bewegten sich. Er schien etwas sagen zu wollen, aber ihm fehlte die Kraft, laut zu spre chen. Mit der Hand zeigte er irgend wohin. Ich wendete den Kopf, aber ich sah nichts. Mühsam preßte Mit chell heraus: Clarence! Ein Flieger! Ein Flieger! Hörst du?" Ja, jetzt hörte ich es auch, das sonore Dröhnen eines Flugzeugs. Aber gleichzeitig war auch die Ent täuschung wieder da: Was nützte uns das, es konnte ja nur ein Japa ner sein. Ich hatte zwar keine Angst mehr, daß er uns zusammenschie ßen könnte. Dazu war ich zu gleich gültig geworden. Aber idi freute mich auch nicht darüber, daß nun das Ende kam. Wir befanden uns in einem eigenartigen Zustand. Lange genug hatte uns der Tod im Nacken gesessen. Wir fürchteten ihn nicht mehr. Man gewöhnt sich an alles, wenn es eine gewisse Zeit auf einen einwirkt. Das Schlimmste ver liert dann seine Schrecken. Nur die primitiven Regungen peinigten uns, der Durst und der Hunger. Wir fragten nicht mehr, ob wir im näch sten Augenblick sterben müßten, nur trinken wollten wir und essen und uns etwas bewegen können. Aber der Flieger würde uns nicht helfen, er konnte nicht zu uns herunter, natürlich würde er schießen . . . Dann sahen wir ihn. Von Westen her kam er genau auf uns zugeflo gen. Auch Lawton erkannte ihn. Er stand auf und streckte die Arme aus, als ob er das Flugzeug festhal ten wolle. Auf seinem Gesicht lag ein irrer Ausdruck. Die Maschine war ungefähr 500 Fuß hoch. Ich suchte nach ihren Kennzeichen. Da! Am Rumpf leuchtete ein roter Kreis: die Sonne! Japans Emblem. Plötzlich verzerrte sich der rote Kreis vor meinen Augen und wurde eckig. Täuschte ich mich? Spielten mir die Sinne einen Streich?
„Der Stern! Der Stern! Siehst du ihn, Clarence? Es ist ein Flugboot." Mitchell schrie jetzt und gestiku lierte mit den Armen. Würde uns der Flieger erkennen? Ich wußte, wie schwer es war, ein winziges Boot auf dem Meer auszumachen. In diesem Augenblick fielen mir die Farbpatronen ein, mit denen man das V/asser färben kann. Wo waren sie eigentlich geblieben? Dann konnte ich den roten Stern ganz deutlich erkennen. Vorn in der Glaskuppel des Flugzeugs hockte der Beobachter. Hob er nicht einen Arm? Die Tragfläche neigte sich herab. Die Maschine beschrieb eine Kurve. Hinter uns gab Lawton un verständliche Laute von sieli, Si mons schien überhaupt nichts zu begreifen. Seine Augen hatten einen fiebrigen Glanz angenommen. Das Flugboot kam in weitem Bo gen zurück und flog über uns hin weg. Ganz genau konnte ich die roten Sterne unter den Tragflächen erkennen. Erst da begriff ich, daß dieses Flugzeug ja auf dem Was ser niedergehen konnte. „Wir sind gerettet!" schluchzte Lawton. Das Flugzeug entfernte sich wieder, kam dann in einer Schleife zurück und flog noch tiefer als vorher. Aus der Kabine winkte jemand mit etwas Weißem herunter. Ja, er hatte uns entdeckt! Wir schrien durcheinan der. Er flog noch einige Schleifen und fegte schließlich zum Greifen nahe an uns vorüber. Ich glaubte seinen Sog zu spüren. Offenbar prüfte er den Wind und die See. Auf offenem Meer zu wassern ist nicht einfach, das hatte ich schon bei unserem „Schiffbruch" erfah ren. Das Wasser ist nur ganz selten eine ebene Fläche. Meistens er schwert der Wellengang das Auf setzen, und nicht selten macht er es unmöglich, besonders dann, wenn die Wellen kurz aufeinanderlaufen. Im Pazifik rollen die Wogen in gro ßen Abständen, im Japanischen Meer jedoch in sehr kurzen Inter vallen. Hier ist es also besonders 23
schwer. Diese Schwierigkeit wurde an jenem Tag noch dadurch ver stärkt, daß der Wind völlig zur Ruhe gegangen war, während die See hoch wie vordem lief. Mit gu tem Gegenwind kann man ein Wasserflugzeug viel weicher auf dem Wellenkamm aufsetzen und es dann langsam ins Tal fallen lassen. Der Russe schien sich nicht schlüssig zu werden. Er kreiste im mer noch. Oft sah es so aus, als ob er aufsetzen würde, doch dann jaulten die- Motoren abermals, und er zog das Flugzeug wieder hoch. Keiner sprach ein Wort. Die Ma schine verschwand. Ihre Motoren wurden leiser. Das Rauschen des Meeres hatte ihr Dröhnen ver schluckt. Wir sahen uns verzweifelt an und ließen uns erschöpft nieder. Ich fühlte das entsetzliche Brennen in Rachen und Hals stärker als je zuvor und war nahe daran, Salz wasser zu trinken. Wir mußten ja doch sterben! Meine Zunge war ein dicker geschwollener Klumpen. Wenn ich schluckte, brannte die Kehle, als würde sie von glühenden Messern zerschnitten. Trinken! Trinken! Nur mit Gewalt hielt ich mich zurück. Ich tauchte die Arme ins Wasser. Ich weiß nicht, ob Mi nuten oder Stunden vergangen wa ren, als uns .ein neues Geräusch aufschreckte. Manchmal klang es wie das Tuckern eines Traktors. Doch wohin wir auch blickten, es war nichts zu erkennen. Erst als uns eine Woge anhob, erblickten wir für einen Moment einen Trag flügel. Es sah aus, als schwimme er auf dem Wasser. Der Russe hatte uns also nicht im Stich gelassen! Wieder führte uns ein Wellenkamm in die Höhe. Aus der Luke sah ein Mann heraus. Sie suchten uns also. Mitchell riß sich das Hemd vom Leib und winkte. Da entdeckten sie uns. Mit laufenden Motoren rollten sie gegen das Meer. Der Pilot fing wie ein Artist jede Woge mit dem Gas ab. Er schob sich ein Stück an uns 24
vorbei und ließ sich achtern auf uns zutreiben. Endlich waren sieda. Es waren drei Mann. Zuerst zogen sie Simons an Bord. Sie fragten etwas, aber wir verstanden es nicht. Wahrscheinlich wollten sie wissen, woher wir ka men. „Americans!" sagte ich. Ich konnte nur noch flüstern. Sie nick ten. Da kamen mir plötzlich Zwei fel: Vielleicht waren es doch Japa ner? „Are you Yaps?" fragte ich. Einer der beiden Piloten lachte breit übers ganze Gesicht: „No, we are Russians!" Nachdem sie auch Lawton an Bord gehoben hatten, stieg einer ins Boot. Er reichte uns eine Ther mosflasche und sagte etwas, das wie „Tschai" klang. Mitchell trank hastig; die Flüssigkeit lief ihm über das stopplige Kinn. Der Russe nahm sie ihm mit sanfter Gewalt ab. Dann trank ich. Gierig. Während dessen sprachen die Flieger lebhaft miteinander. Obwohl wir kein Wort verstanden, begriffen wir doch bald, worum es sich handelte. Sie konnten nur zwei von uns auf nehmen, sonst kämen sie bei dem völlig eingeschlafenen Wind nicht vom Wasser los. Mich packte die Angst. Sollten Mitchell und ich abermals in der Wasserwüste trei ben? Sicher wollten sie zurückkom men. Aber der Tag neigte sich sei nem Ende entgegen. Bis Sonnen untergang würden sie es nicht mehr schaffen. Und was, wenn wieder ein Sturm aufkam? Wir waren nicht mehr in der Lage, uns gegen ein Unwetter zu behaupten. Der englischsprechende Russe kletterte ins Boot herunter und machte uns in holprigem Schul englisch klar, daß er mit im Schlauchboot bleiben würde. An seiner Stelle könne einer von uns beiden mitfliegen. Vom Wetter drohe keine Gefahr, sagte er. Ich traute dieser Prognose nicht. Wie oft hatte ich es schon erlebt, daß sich unsere „Wetterfrösche", die
mit fliegenden Laboratorien bis weit übers Japanische Meer vor stießen, geirrt hatten. Das Wetter schlug hier zu schnell um. Und un sere Meteorologen waren bei Gott nicht die schlechtesten. Zu den Rus sen dagegen hatte ich wenig Zu trauen. Und selbst dann, wenn das Wetter schön blieb — es war schwer, ein winziges Schlauchboot in den Weiten des Meeres wieder zufinden. Nun gut, ich würde zu rückbleiben. Als Kommandant der „Lucky Lady" war das meine Pflicht. Meine Kameraden waren gerettet. Damit mußte ich mich zu friedengeben. Ob ich selbst zurück kehren würde, das blieb sehr frag lich. Für meinen neuen Kameraden schien es solche Überlegungen nicht zu geben, und ich fragte mich, ob ich an seiner Stelle ebenso gehan delt hätte. Ich konnte auf diese Frage keine Antwort finden. Vor einigen Tagen hatte ich mir vor genommen, nach Wisconsin zu fah ren und dort mein Elternhaus zu besuchen, falls wir je zu den Men schen zurückkehren würden. Ich wollte mein Elternhaus noch ein mal sehn! „Mach's gut, Leslie!" sagte ich. „Morgen treffen wir uns ja wieder." Ich glaubte nicht daran. Mitchell schüttelte den Kopf. „Ich bleibe!" Ich beachtete seinen Einwand nicht und gab den Russen einen Wink, ihm hinüberzuhelfen. Ein paar Minuten später löste mein russischer Gefährte die Lei nen und schob das Boot ab. Drü ben wurden die Motoren angewor fen. Mit großem Geschick rollte der Russe gegen die See. Trotz meiner Schwäche sah ich seinen Manövern gespannt zu. Vom Geschick des Pi loten hing jetzt unser Leben ab. Es schien, als ob die See alle An strengungen unternehme, das Flug zeug festzuhalten. Bange Minuten vergingen. Es raste über die See, eine Gischtwolke hinter sich auf wirbelnd. Plötzlich wurde es
langsamer. Ganz deutlich konnte ich erkennen, daß es seinen Kurs änderte. Die schwer beladene Ma schine konnte nicht vom Wasser abkommen. Es fehlte ganz einfach der Wind. Jemand warf Ausrü stungsstücke ins Wasser, um den Vogel zu erleichtern. Beim zweiT tenmal sah es so aus, als ob die Maschine rasch freikommen würde. Nach einigen Tausend Fuß Anlauf schwebte sie einen Augenblick, dann sackte sie jedoch wieder ab und fiel hart in das Wasser zurück. „Ai-jai-jai", stöhnte mein Ge fährte, der bisher alles ziemlich ge lassen aufgenommen hatte. Der Start wurde zum zweitenmal abge brochen. Wahrscheinlich würden sie einen meiner Kameraden wieder ausladen müssen. Ich an ihrer Stelle hätte es sicher getan. Doch sie versuchten es erneut. Sie rollten nicht mehr gegen die See, sondern längs der Dünung in einem Wellen tal. Ich wagte nicht hinzusehen. Die Russen gingen aufs Ganze und ris kierten für uns Kopf und Kragen. Eine Unaufmerksamkeit des Pilo ten, und ein Stützschwimmer war abgerissen. Dann gab es einige Schiffbrüchige mehr. Wieder folgten bange Sekunden. Endlich flog die Maschine. Ein solches Können hatte ich den Russen wirklich nicht zuge traut. Und soviel Mut, soviel Hilfs bereitschaft schon gar nicht. Nach einer Schleife dröhnten sie über uns hinweg und strebten dem Festland zu. Erst jetzt, wo das Gefühl der Ein samkeit mich wieder überkam, wurde mir richtig klar, was mein neuer Kamerad auf sich genommen hatte. Freiwillig war er ins Schlauchboot gestiegen, freiwillig hatte er das Los eines Schiffbrüchi gen gewählt. Niemand konnte sa gen, ob sie uns finden würden. Von Zeit zu Zeit reichte mir der Russe einen Becher Tee. Sorgfältig zerteilte er einen Apfel und reichte mir die Stückchen herüber. Seine Hände taten alles in bedächtiger 25
Ruhe. Es waren die Hände eines Bauern, kräftig und vertrauener weckend. Ich fühlte mich wohler, weil ich kaum noch Durst empfand. Mein Gefährte zog eine eingebeulte Blechschachtel aus der Kombina tion. Zigaretten mit langen Papp mundstücken lagen darin. Als wir rauchten, begann er zu sprechen. Anfangs suchte er nach Worten, aber allmählich wurde er sicherer und sprach schneller. Ich konnte sein Englisch ganz gut verstehen. Er nannte mir seinen Namen und schrieb ihn in Blockbuchstaben auf ein Stück Papier: SERGEJ ALEXE JEWITSCH SURKIN. Auch in dieser Nacht blitzten, wie schon so oft, seitdem die „Lucky Lady" im Meer versunken war, die Sterne am schwarzblauen Himmel. Lang ausgestreckt lag ich im Boot und wunderte mich über die Ruhe meines Gefährten. Er tat, als be finde er sich auf einem Bahnsteig und warte auf einen Zug; eine all tägliche Sache. Anstatt hier zu hok ken, könnte er jetzt bei seinem Mädchen schlafen. Konnte er sich denn auf seine Kameraden so fest verlassen? Ich fragte ihn vorsichtig danach und wählte einfache Worte, damit er mich verstand. „Oh, ich weiß, was Sie sagen", erwiderte er. „Aber ich verstehe nicht, warum Sie so fragen. Meine Genossen kommen wieder, wenn die Sonne aufsteigt. Sie haben es gesagt, und daher werden sie kommen." Es war mir rätselhaft, wie Surkin zu dieser felsenfesten Überzeugung kam. Ich hätte eine Menge einwen den können, aber ich spürte, daß ich kein Recht hatte, seine Worte anzuzweifeln. Er schien meine Ge danken zu erraten. „Die Genossen kommen", sagte er noch einmal. „Man kann doch die Menschen nicht einfach ihrem Schicksal überlassen." Danach kramte er wieder seine Zigaretten hervor, und ich hing mei nen Gedanken nach. Nie hätte ich geglaubt, daß ich Sowjetrußland in 26
einem Schlauchboot auf dem Japa nischen Meer treffen würde. Nun hatte mir Surkin die erste Lektion erteilt. Seine Zuversicht gab mir Mut, und mich überkam eine wohl tuende Ruhe. Was mochte dieser Surkin wohl für ein Mensch sein? Wo kam er her? Was war er von Beruf? Ich bat ihn, mir aus seinem Leben zu erzählen. So erfuhr ich, daß er 1917, gerade im Jahre der Revolution, in irgendeinem Dorfe an der Wolga zur Welt gekommen war. Seine Eltern waren Tagelöhner ge wesen und hatten für sieben Kinder zu sorgen gehabt. Die Sowjets gaben ihnen ein Stück Land. „Aber trotz dem ging es ihnen zunächst nicht viel besser als ehedem", erklärte er mir. „Überall herrschte Mangel, und die Eltern hatten es nicht gelernt, frei und selbständig zu arbeiten. Immer hatte jemand hinter ihnen gestanden und ihnen gesagt, was zu tun sei. Plötzlich hieß es: ,Ihr seid jetzt die Herren eures Landes.' So gab es anfangs eine Menge Schwie rigkeiten. Als meine Brüder aus der Schule kamen, gingen sie sofort in die neuen Fabriken in der Stadt. Man erzählte sich Wunderdinge, was es dort alles geben sollte." „Und Sie?" unterbrach ich Surkin. „Gingen Sie auch in die Fabrik?" Er schüttelte den Kopf. „Ich blieb zu Hause und wurde der Gehilfe eines Schiffsheizers auf der Wolga. Unten im Schiffsbauch, wo es nach Öl, Schweiß und Kohlen roch, er öffnete sich mir eine neue Welt. Ge schäftig eilte ich mit Putzlappen und der Ölkanne umher. Bloß das Lesen und Schreiben bereitete mir Mühe, denn ich hatte nur vier Jahre die Schule besucht." „Wie kamen Sie denn zur Flie gerei?" drang ich in meinen Gefähr ten. Wie hatten seine Eltern als arme Bauern das Geld für die Pilo tenausbildung aufbringen können, wenn es schon mein Vater nicht ge schafft hatte? Surkin lachte. „Eines Tages meinte der alte Timofejew, mein Prinzipal,
Wie man damals sagte, es wäre am . Jjesten, wenn ich vom Schiff ver schwände und noch einmal zur Schule ginge. Wenn ich nichts dazu lerne, würden meine Enkel noch ge tiauso langsam auf der Wolga fah ren wie wir mit unserm alten Rad dampf er. Die Partei habe Zir kel für junge Arbeiter gebildet, in denen man manches nachholen könne. Das paßte mir gar nicht, und der alte Timofejew hätte sich auf Widerspruch gefaßt machen müs sen, wäre nicht gerade ein Flugzeug über dem Fluß erschienen. Ich hatte damals noch keins gesehen. Und den anderen auf dem Schiffe ging es genauso. Viele bekreuzigten sich angesichts des Doppeldeckers, der langsam am Himmel dahin ruderte. Ich zeigte mit der Hand hinauf und erklärte allen Um stehenden wichtigtuerisch, daß ich auch solch ein Aviatiker werden wolle." Ich mußte lachen, als mir Surkin diese Szene schilderte. Vor mir sah ich den kleinen Kerl, mit rußver schmiertem Gesieht, und ich hörte von seinen großen Wünschen. „Timofejew erkannte seine Chance sofort", erzählte Surkin weiter, „und wies mir umständlich nach, daß ich dazu erst etwas lernen müsse. Nun besuchte ich abends die Schule und lernte am Tage in einer Fabrik wie meine Brüder. Drei Jahre danach machte ich mein Pilotenzeugnis in der ,Ossoavia chim'. Das kostete mich keine Ko peke, denn das bezahlt bei uns der Sowjetstaat." Während Surkin erzählte, wurde ich immer begieriger darauf, das Land kennenzulernen, in dem ein mittelloser Bursche umsonst fliegen lernen konnte. Doch da geschah etwas, das all meine Hoffnungen zunichte machte. Am südwestlichen Horizont zeigte sich ein Licht. Anfangs hatte ich es gar nicht bemerkt, weil es ebenso gut ein Stern sein konnte. Dann wurde es jedoch heller und
heller. Es schien geradewegs auf uns zuzukommen. Im Osten kün dete ein schmaler Streif den neuen Tag an. Als ich wieder nach dem Licht sah, war es ver schwunden. Sicherlich hatte ich mich getäuscht, denn mein russi scher Gefährte schien nichts be merkt zu haben. Aber nach einigen Minuten blickte Surkin aufmerk sam nach Südwesten. War dort doch irgend etwas? Ich suchte den Horizont ab. Da entdeckte ich eine dünne Rauchfahne. Hatten sie von Wladiwostok ein Schiff ausgesandt? Ich teilte meine Vermutung Surkin mit. „Kaum", überlegte er. „Es würde von Nordwesten kommen." Trotzdem schien er sich nicht sicher zu sein. Er nahm das Glas an die Augen. So spähte er eine Weile, dann zuckte er unschlüssig mit den Schultern und reichte es mir. Auch ich war nicht in der Lage, etwas Genaues zu erkennen. Enttäu schung würgte mich. Sollte mich jetzt, kurz vor der Rettung, noch ein Japaner schnappen! Je näher das Schiff kam, um so mehr wuchs die Angst in mir. Surkin konnte nichts geschehen, sein Land befand sich mit Japan nicht im Kriegszu stand. Vielleicht sollten wir ver suchen, mit Hilfe der Riemen zu entkommen? Aber das war ein aus sichtsloses Beginnen! Das Schiff würde uns, falls es seinen Kurs be hielt, in ungefähr einer Stunde er reicht haben. Die einzige Hoffnung bestand darin, daß wir nicht ge sehen wurden. Es ist ja nicht leicht, ein Boot auszumachen, wenn es eine Meile entfernt ist. Ich bat Sur kin noch einmal um das Glas. Am Mast des Schiffes wehte eine Flagge: die rot strahlende Sonne auf weißem Grund. Also doch! Nun würde ich nach all den Entbehrun gen doch noch in japanische Hände fallen! Die Minuten verstrichen träge wie Stunden. Surkin erfaßte, was mich bewegte, und versuchte mich abzulenken, aber das Schiff hielt unaufhaltsam auf uns zu. In 28
zwanzig Minuten würde es mit uns auf gleicher Höhe liegen. Nun nützte auch das russische Flugzeug nichts mehr. Ich suchte verzweifelt den Himmel ab. Auf dem Japaner hatte man uns offenbar noch nicht erspäht. Das Schiff lief ungefähr 2000 Fuß auf Backbord an uns vor über. Matrosen arbeiteten an Deck. Da riß mir Surkin heftig das Glas aus der Hand und richtete es auf den nordwestlichen Himmel: Ein schwaches Surren, bald stärker, bald schwächer werdend — jetzt hörte auch ich es. „Sie suchen uns", rief Surkin mir zu. In diesem Augenblick heulte es schrill. Ich fuhr erschrocken zusammen: Drü ben auf dem Zerstörer ging die Dampfpfeife. Das Schiff stoppte. Die Bugwelle fiel in sich zusam men. An Deck liefen Menschen hin und her. Jetzt waren sie schon mit bloßem Auge zu erkennen. Sie hat ten uns entdeckt und ließen ein Boot zu Wasser. Surkin beobachtete alles durchs Glas. Drei Mann klet terten hinein und pullten los. Vom Deck schien man ihnen etwas nach zurufen, denn die Riemen verharr ten kurze Zeit regungslos über dem Wasser. Das Motorengeräusch des Flugzeugs wurde lauter, aber es war nichts zu sehen. Der Kutter setzte sich wieder in Bewegung. Ein Matrose hatte eine Maschinen pistole um den Hals hängen. Nun war es aus mit mir. Surkin rüttelte mich an der Schulter und zeigte nach steuerbord. Aber ich begriff ihn nicht. Das Boot kam näher. Da dröhnte das Flugzeug über uns hin weg. Unter seinen Tragflächen leuchteten die roten Sterne. Die Matrosen wurden unruhig, zogen abermals die Riemen ein und ver harrten unschlüssig. Hinter dem Zerstörer beschrieb das Flugboot eine Schleife und kam zurück. Die Matrosen sahen, daß es sich zum Wassern anschickte, und legten sich mit voller Kraft in die Riemen. Sie wußten nun, daß ihnen von diesem Flugzeug keine Gefahr drohte, und
hatten erfaßt, worum es ging. Mit gleichmäßigen Ruderschlägen ka men sie heran. Ron Collins schob den Ärmel sei ner Uniform zurück und sah auf die Armbanduhr. „Genau zwanzig Uhr, Captain!" mahnte er. „Tut mir leid, daß ich Sie unterbrechen muß." Ich nickte. Holmbergh rief den Ober, und wir zahlten. „Schade, daß wir nicht hören können, wie es weiterging", bedauerten Pearl und Jackie. „Versprechen Sie uns, den Rest der Geschichte nachher zu er zählen, wenn die ,Blue Star' fit ist?" „Okay", erwiderte ich, „aber nun lauft, ihr müßt noch Wasser und Lebensmittel an Bord nehmen." Sie eilten davon. Mit Collins begab ich mich zur Wetterstelle. Was uns die Meteorologen anboten, war nicht gerade aufregend. Aber son derlich schlecht war das Wetter
über dem Atlantik auch nicht. Dann gingen wir zu unserer Douglas auf das Rollfeld hinaus. Die Service wagen waren schon da, und die Mädchen dirigierten die Container an Bord. Als sie fertig waren, ließen wir uns in den weichen Kabinen sesseln nieder und rauchten noch eine Zigarette. Natürlich brannten alle darauf zu erfahren, wie unser Abenteuer endete. Es waren aufregende Minuten damals, fuhr ich fort. Die Japaner legten sich in die Riemen, was das Zeug hielt. Von Südosten her schwebte das Flugboot ganz niedrig an. Es wollte sich zwischen uns und den japanischen Zerstörer setzen. Das Boot war schon sehr nahe, und ich glaubte nicht, daß es die Rus sen noch schaffen würden. Außer dem regte sich kein Wind, und die See war spiegelglatt. Diese Um stände waren für das Seeflugzeug 29
noch schlechter als am Vortag. Der Matrose mit der Maschinenpistole riß seine Waffe hoch und schoß ins. Wasser. Er wollte uns einschüch tern. Kaum waren die Schüsse ver stummt, sprang Surkin auf, drohte mit der Faust und überschüttete die Japaner mit russischen Flüchen. Die Matrosen begriffen, daß sie es mit einem Russen zu tun hatten. Das machte sie unsicher. Auf diese Situation waren sie nicht vorberei tet. Währenddessen rollte das Flugboot heran. Aber es war noch vier- oder fünfmal so weit entfernt wie das Boot. Die Bug welle überspülte die Rumpfspitze. Die Japaner ruderten weiter; etwas -~ unschlüssig allerdings, weil sie nicht wußten, wie sie sich verhalten sollten. Außerdem fürchteten sie wohl, vom Flugboot überrannt zu v/erden. Es kam immer näher. Die Japaner ließen die Ruder fahren, sie gaben sich geschlagen. In die sem Augenblick erreichte uns das Flugzeug. Die Wurfleine stieg hoch. Sie war gut gezielt, und Surkin fing sie gleich beim erstenmal. Drüben auf dem Flugboot schüttelten sie mir die Hand. Surkin nahm seinen Platz als Copilot ein, und ich saß neben ihm. Er lachte mir zu. Nach dem Start flogen wir über den Zer störer hinweg. Tief unter uns ruderten die japanischen Matrosen mit ihrem Boot zurück. Sie zogen das Schlauchboot der „Lucky Lady" hinter sich her. Nach einer Stunde erreichten wir die Küste. Die Ab rollbahn war schwarz von Men schen. Surkin deutete mit dem Dau men hinunter und brüllte mir ins Ohr:
„Sie sind zu deiner Begrüßung gekommen!" Auf der Betonfläche kamen die Passagiere. Wir erhoben uns und gingen nach vorn. „Gehen wir an die Arbeit, Gentlemen!" sagte ich. Dann nahm ich das Sputnik-Modell aus der Tasche und stellte es auf ein Gerätepaneel. Stevens betrach tete nachdenklich die kleine ver chromte Kugel mit den winzigen Fühlern. „Stellen Sie sich vor, Cap tain, was alles zu erreichen wäre, wenn wir uns mit ihnen zusam mentäten. So wie damals. Es müßte doch möglich sein! Dann würden wir vielleicht gemeinsam zum Mond fliegen, und hier unten wäre sicher lich Ruhe." Ich schob mich in meinen Sitz. Dick hatte recht. Holmbergh rief zum Uhrenver gleich. Wir legten die Kopfhörer und Kehlkopfmikrophone um. Die Maschine vibrierte unter den Schritten der Fluggäste, dann fiel die Tür mit leichtem Stoß ins Schloß. Die rote Kontrollampe er losch. Gurgelnd sprangen die Moto ren an. Ich drückte die Sprechtaste: „Orly-Tower, this is Nectar — Coca — eigth — two, ready for take off". „Okay", krächzte es vom Turm zurück. „Start frei!" Stevens schob die Gashebel nach vorn. Die „Blue Star" fegte über die " Startbahn. Hinter uns versanken die Licht kaskaden von Paris-Orly im Dun kel der Nacht. Vor uns lag der Atlantik.
Worterklärungen achtern Aviatiker Boso Byrd, Richard Evelyn Commander Container Crew dwars jilling-Station Flossen Frank George Gieren Hayate Hondo Hundewache Jet Kimm Lindbergh, Charles Augustus Mayday Meile Menetekel Mitsubishi Orly-Tower, this is Nectar — Coca — eight — two, ready for take off Ossaviachim
Pan Am Rickenbaker, Riggen Starliner
Eddie
hinten Flugtechniker, Flieger Halbinsel, der Bucht von Tokio vorgelagert geb. 1888, gest. 1957, amerikanischer Polar forscher, überflog als erster 1926 den Nord end 1929 den Südpol engl., Kommandeur Behälter zur Aufbewahrung von Speisen und Geschirr engl., Besatzung, Mannschaft quer engl., Tankstelle feststehende Teile des Leitwerks eines Flug zeugs alliierter Codename für das japanische Jagd flugzeug Ki-84, „Hayate" (1943-1945) scherzhafte Bezeichnung des Autopiloten in der amerikanischen Fliegersprache Drehung um die Hochachse des Flugzeugs siehe Frank Japans Hauptinsel, auf der sich Tokio befindet erste Wache nach Mitternacht umgangssprachlich für Strahlflugzeug Meereshorizont geb. 1902, überquerte 1927 als erster den Nord atlantik zwischen New York und Paris Notruf. Leitet sich aus dem Französischen m'aidez (helfen Sie mir) ab Längenmaß; 1609,3 m Warnzeichen Herstellername japanischer Flugzeuge Orly Turm, NC 82, fertig zum Start in der Sowjetunion: Verband zur Förderung der Verteidigung, des Flugwesens und der Chemie. 1948 durch die DOSAAF (Bruderorga nisation der GST) abgelöst Pan American World Airways, amerikanische Luftfahrtgesellschaft bekannter amerikanischer Flieger während des ersten Weltkriegs und der zwanziger Jahre umgangssprachliche Bezeichnung für Aus sichtspunkte auf Segelschiffen Lockheed L 1649, amerikanischer viermotoriger Flugzeugtyp
Georg Kubiak
Der Ölfund
Auf dem Amazonas verunglückt ein Schiff, ein uralter, kleiner Raddamp fer. Dabei rettet Zacarias de Carvajal, einer der Passagiere, den Heizer Flavio vor dem Ertrinken. Die beiden sind die einzigen Überlebenden. Sie beschließen, sich gemeinsam nach Manaus, der nächsten Stadt, durch zuschlagen. Der Weg durch den Mato, den dichten brasilianischen Urwald, ist strapazenreich und gefahrvoll. Sie wissen nicht, ob sie ihr Ziel je errei chen werden. Solche Umstände schweißen Menschen zusammen. Und doch ist da plötzlich ein Mißklang. Es kommt soweit, daß sich Zacarias und Fla vio belauern wie zwei Feinde. Flavio ahnt nicht, daß dies alles mit der Skizze zusammenhängt, die er in seinem Brustbeutel trägt. Auf dieser Skizze ist ein ölfund festgehalten. Ehe Flavio alle Zusammenhänge durch schaut, muß er teuer bezahlen.
Ein erschütternder Lebensbericht
Wohin der Mensch gehört von Walter Kaufmann
3. Auflage • Aus dem Englischen • 368 Selten • Ganzleinen 6,80 MDN
Über die sorgenfreie Kinderzeit, die Stefan, Sohn eines jüdi schen Rechtsanwalts, in seinem Elternhaus verbringt, fallen unheilvolle Schatten. Die grausame Kristallnacht wird dem Jungen zum bestimmenden Erlebnis. Der Sechzehnjährige flieht aus Deutschland, und die bitteren Jahre des Exils be deuten für ihn Jahre der Bewährung. Wie der „Staatenlose" in Holland umherirrt, wie er zweifelt und fehlt, wie er voller Erwartung von England nach Australien gelangt und welche Fülle von Erlebnissen und Begebenheiten der neue Kontinent für ihn birgt, davon erzählt dieser Roman. Viele Menschen treten in Stefans Leben: Da ist Albert, der Freund aus Deutschland, der dem verzweifelten Emigranten beratend zur Seite steht, da sind Bill und Jack, australische Arbeiter, die ihm weiterhelfen, da ist vor allem Ruth, die Stefan in auf richtiger Liebe auf seinem schicksalhaften Wege folgt.
VERLAG NEUES LEBEN
Aus dem Leben eines jungen Ingenieurs
Im Hafen einer fernen Stadt von Nikolai Dementjew
Aus dem Russischen • Illustriert • 460 Seiten • Halbleinen 7,20 MDN
Nun hat er es endlich geschafft! Das Ingenieurdiplom ist ihm sicher, und er ist stolz darauf, der selbstbewußte und unternehmungslustige Pawel Kaurow, bester Volleyballspieler seiner Mannschaft. Wo soll ich arbeiten? Das bewegt jetzt den jungen Mann, der bisher wohl behütet im Schöße der Familie aufgewachsen ist. In Leningrad blei ben oder nach Sibirsk gehen? Der Reiz des Unbekannten und die Vorstellung von einem ab wechslungsreichen und turbulenten Leben führen ihn in den Fluß hafen des entlegenen Sibirien. Doch die Wirklichkeit stimmt nicht mit seinen Träumen überein. Als leitender Ingenieur sieht er sich vor Aufgaben gestellt, denen er noch nicht gewachsen ist. Jugendliche Ungeduld, Überheblichkeit, mangelnde Erfahrung lassen ihn schwere Fehler begehen, ja sogar einen tragischen Unfall verursachen...
VERLAG NEUES LEBEN