Frank Callahan
Cochises lange Jagd Apache Cochise Band Nr. 20
Prolog Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Mass...
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Frank Callahan
Cochises lange Jagd Apache Cochise Band Nr. 20
Prolog Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder. Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen. Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten Rasse führten. Man kann sagen, die damaligen Weißen und Mexikaner waren alles andere als weitblickend, eher nur von einer hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines Panthers glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der Indianer eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für einen Apachen-Skalp. Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«? Mitnichten. Zum Teil gab es vorausschauende und mitfühlende Männer in der Army, die aber wegen ihrer »Humanitätsduselei« nicht zu Wort gelangten, aber den Untergang der roten Rasse voraussagten und mit den Indianern fühlten. Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuerund beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von
vielen Amerikanern heutzutage bagatellisiert und, wenn die Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung abgetan wird. Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung trieb, nicht mit ansehen muß. Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft, ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen Arizonas. Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet? Sicherlich nicht, denn kein nomadisierendes Volk in Europa, Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden. Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum Leben brauchten. Zu allen Zeiten war daher für die Apachen die Welt noch in Ordnung. Erst als der weiße Mann mit seinen überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich das große graue Leichentuch über die Stämme und Sippenverbände. Ganz bestimmt wäre vor 100 und mehr Jahren möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments gegen die rote Rasse gewesen wäre. Es hat nicht an klardenkenden und verantwortungsbewußten Leuten gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im
Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu ihrem Recht zu verhelfen. Es ist nicht Aufgabe dieser Einleitung, anzuklagen und zu richten, denn niemand von uns kann sagen, daß er es womöglich hätte besser machen können. Sie alle in der damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren Kinder einer harten und erbarmungslosen Epoche, und sie waren Bewohner einer rauhen Umwelt. Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter authentische Aufzeichnung amerikanischer Geschichte, die in Romanform für den deutschen Sprachraum noch nicht oder nur in Kurzform gebracht wurde. Die guten und schlechten Weißen, die anständigen Apachen und die grausamen, tauchen namentlich in der Story auf und geben der Geschichte einen dramatischen, wenn auch makabren Hintergrund. Ihr Martin Kelter Verlag.
*** Der neue Tag erhob sich über die Range wie ein weißer Schwan mit ausgebreiteten Flügeln. Es wurde langsam Tag im Land der Chiricahuas, aber dieser Tag würde nicht anders sein als alle die anderen, die mit sengender Sonne über das ausgedörrte Land hinweggezogen waren. In den Canyons dagegen war es noch dunkel. Nur hier oben auf dem Höhenrücken, der den Canyon rechtsseitig flankierte und seinen Erosionsabraum in breiten Bahnen in die Tiefe schickte, brach der Tag an. Die hellgekleidete Gestalt, die die ganze Nacht über das rote Dämonenauge des Feuers tief unten in der Schlucht beobachtet hatte, stand auf und breitete die Arme dem gleißenden Licht entgegen. Betete der von Gestalt mächtige Indianer die aufgehende Sonne an oder sprach er mit seiner unsichtbaren Gottheit, die er mit dieser Geste verehrte? Cochise bewegte sich um keinen Zoll, während er tief in Andacht versunken mit den Geistern der Verstorbenen sprach und die der Lebenden beschwor, Recht über dem Volk der Apachen walten zu lassen und über ihrem Land. In dem Augenblick, als sich die Sonne mit ihrem äußersten Rand über die Gebirgskette der fernen Chiricahua Mountains erhob, brach Cochise seine Andacht ab. Er ging zu seinem Pferd in der Senke, gab ihm Futter aus einem mitgeführten Sack und tränkte es. Zuerst das Pferd, dachte der Jefe der Apachen. Ohne Pferd war er in dieser Einöde der Dragoon Mountains verloren. Anschließend bereitete er sich ein frugales Mahl, das aus Maiskörnern, Trockenfleisch und Wasser bestand. Gesättigt wandte er sich wieder dem Canyon zu. Auch dort unten wurde es langsam grau. Verschwommene Umrisse beim Feuer ließen Bewegungen erkennen. Das Feuer flackerte
wieder, genährt von aufgelegten Zweigen. Cochise legte sich auf den Fels und ließ seine dunklen Augen durch die Schlucht gleiten. Von Minute zu Minute erkannte er mehr. Einen Moment lang verspürte er den Drang, sein Pferd zu besteigen, damit es ihn so schnell wie möglich zu seiner Sippe brachte. Aber er gab dem Drang nicht nach. Viele Tage lang hatte er versucht, den düsteren Gedanken über die Geschehnisse der letzten Tage zu entkommen, indem er nicht mehr an die Vorfälle bei Fort Thomas dachte, aber es gelang ihm nur schwer. Viele Jahre lang war er bemüht gewesen, das Verhältnis der Apachen zu den Weißen zu verbessern. Vergeblich. Die vergangenen Tage und Nächte lagen immer noch so düster und genauso dunkel in seiner Erinnerung und unterschieden sich kein bißchen von der Zukunft, von der er nicht wußte, was sie ihm und seinem Stamm bringen würde. Sein Zögern im Salbei des Höhenzuges vor wenigen Minuten war nicht grundlos gewesen. Die Jahre hatten nichts geändert, weder der grausame Kampf gegen die Gelbgesichtigen und Weißen noch die Einstellung der Weißen gegen die Roten. Inzwischen war es auch in dem steinigen Canyon taghell geworden. Am Feuer bewegten sich vier Gestalten, die der Apache einwandfrei als Weiße erkannte. Sie bereiteten ein Frühstück und unterhielten sich lautstark über Dinge, die Cochise leider nicht verstehen konnte. Ein seltsames Kleeblatt hockte dort unten bei dem rauchlosen Feuer. Cochises Erinnerung belebte sich. Seine Gedanken suchten in weiter Ferne nach Bildern, die mit den Gesichtern dieser Hartgesottenen identisch waren. Sie erschienen, diese Bilder, wenn auch verschwommen und unklar, halb verdeckt von der vergangenen Zeit. Diese vier Weißen kannte er. Zuerst erschien ihm der schnurrbärtige Sternträger Drew Marley, der als Vertreter des Gesetzes in dieses Land gekommen war, um Banditen zu fangen.
Danach schälten sich blaß und farblos die Konturen aller jener Männer heraus, mit denen Marley es zu tun hatte. Dort unten saßen der Geierköpfige, der Bärtige, der schielte, der Dürre und der kleine Dicke, den sie Fatty genannt hatten. Cochises Gesicht wurde grimmig. Die Haut über seinen Wangenknochen wurde so straff wie ein zum Trocknen ausgespannter Skalp. Die vier Weißen machten keine Anstalten, ihr Lager nach dem Frühstück abzubrechen. Gedanken gingen durch Cochises Kopf. Es waren wohlüberlegte Gedanken, getragen von der Not seines Volkes und den stets zunehmenden Ausmaßen des Krieges zwischen der weißen und der roten Rasse. Er mußte hinunter in den Canyon, um die Männer zu belauschen. Daß sie etwas im Schilde führten, war klar. Nur was sie vorhatten, konnte er nur von ihnen selbst erfahren. Er kroch rückwärts, erhob sich und huschte zu seinem Pferd. Das Pony am Zügel führend, schritt er am Canyonrand entlang, nach einem Abstieg suchend und nach einem Versteck, wo er das Tier zurücklassen konnte. Den Abstieg fand er, schließlich auch ein Versteck für den Pinto. Ein Hohlweg schnitt tief in die Bergflanke und führte nach unten. Als er ihn halb durchschritten hatte, klaffte zu seiner Rechten ein breiter Spalt im gewachsenen Fels. Cochise stellte sein Pferd in die Klamm und band es an einem Felszacken fest. Gewandt wie eine Raubkatze glitt er in die Tiefe. Der Canyon tat sich vor ihm auf, er roch Holzfeuer und bratendes Fleisch. Ohne mit der Wimper zu zucken, eilte er durch den Canyon. Die Basen der Canyonwände waren mit hochstaudigem Unkraut bewachsen. Es kam ihm zustatten, sich ungesehen dem Lagerplatz zu nähern. Salbei und breitblättrige Unkrautpflanzen streckten sich wie eine Zunge bis nahe zum Feuer. Cochise glitt auf Händen und Zehenspitzen durch den Wildbewuchs und verstand so geschickt sich zu verbergen, daß ihn die emsig schwatzenden Weißen
nicht sehen konnten. Nur vor den Pferden mußte er sich in acht nehmen. Pferde, die unter Weißen aufgewachsen waren, mochten keine indianische Ausdünstung. Es gelang ihm, die angehalfterten Tiere in einem weiten Bogen zu umgehen, ohne daß sie überhaupt Notiz von ihm nahmen. Noch etwa zwanzig Yards. Steine, die die Erosion vom Schluchthang abgetrennt und in die Tiefe geschickt hatten, versperrten ihm den Weg. Wie eine Schlange wand er sich herum. Noch sieben Yards, nicht zu weit, um etwas zu verstehen, wenn sie laut genug sprachen. Weiße sprachen immer laut, so laut, als wollten sie mit ihren Reden und der Lautstärke eine innere Angst und Unruhe überwinden. Ein grimmiges Lächeln überflog das strenge Antlitz des Apachen. Cochises Hand glitt zum Messer in den hellen Leggins. Der Griff fühlte sich wie der Handschlag eines alten Freundes an, der seine eigene Hand wohltuend berührte. Cochise legte noch zwei weitere Meter zurück. Er verharrte, umgeben von Sagebusch und Yuccas. Zwei Schritte weiter, nur zwei kleine Schritte, wuchs eine Riege von Tamarisken, deren helle Blüten einen betäubenden Duft ausströmten. Jedoch konnten zwei Schritte zu zweihundert werden, wenn auf der anderen Seite die Gefahr lauerte, von vier bewaffneten Weißen überrascht zu werden. Der Häuptling blieb im Unkraut liegen und strengte sein Gehör an. Die krötigschleimige Stimme des Dicken tropfte monoton und irgendwie gedämpft zu dem Geierköpfigen über das Feuer hinweg. Cochise konnte deutlich den hüpfenden Adamsapfel des raubvogelnasigen Mannes sehen und den kalten Blick, mit dem er Fatty bedachte. »Seit Wochen irren wir in diesen verdammten Canyons umher und kommen zu keinem Entschluß. Ich bin dafür, die Suche nach der Mine abzubrechen und nach Tombstone
zurückzukehren.« »Bist du wahnsinnig?« fragten der Dürre und der Schieler wie aus einem Mund. »Nicht wahnsinnig, nur überlegend. Unser Proviant geht zu Ende, die Wasserflaschen sind leer, unsere Gäule abgetrieben und halb verhungert. Wie sollen wir uns noch länger in dieser höllischen Einöde aufhalten, wenn es am Notwendigsten fehlt?« »Wenn wir die Mine finden, werden unsere Mühen reichlich belohnt.« »Ja, wenn! Im Augenblick sieht's so aus, als würden wir sie nie finden. Möglicherweise stolpern wir in der entgegengesetzten Ecke dieses Landes herum, wie blinde Hühner, ihrem Glück vertrauend, irgendwann ein Korn zu finden.« »Du Hundesohn«, sagte der bärtige Schieler in die wiederkehrende Stille hinein. Und das war alles. Von da an hörte Cochise nur noch ein kurzes, rasch ersterbendes Flüstern beim niedergebrannten Feuer. Nach etwa zwanzig Sekunden, die ihm wie Stunden schienen, ertönte ein kurzes Schnaufen vor Cochise. Er blinzelte zu den Männern hinüber und wunderte sich über ihr Verhalten. Sie würfelten. Fatty hatte gerade den Lederbecher ergriffen und die drei Würfel gut gemischt auf die Decken rollen lassen. Er stieß einen gedämpften Jubelruf aus. Cochise hätte sich liebend gern ein weiteres Stück vorgewagt, konnte dies jedoch wegen der Gefahr gesehen zu werden nicht. Wenn sich einer erhob, mußte er unweigerlich den kauernden Apachen erblicken, und alle waren sie so schwer bewaffnet, daß Cochise dieses Risiko einfach nicht eingehen konnte. »Vierzehn«, sagte der Bärtige. »Laß sehen, Dicker.« Cochise hörte die Würfel klappern, danach einen kurzen Ausruf: »Sechzehn! Na, was sagst du jetzt?« »Die anderen müssen auch noch, Hugh. Das Spielglück ist
wetterwendisch, du wirst schon sehen.« Cochise sah, daß der Dürre nun an der Reihe war. Ein glucksendes Geräusch ertönte. »Dreimal die Sechs! Wir kehren nicht um, Jungs! Was meinst du, Hugh?« »Ganz deiner Meinung, Latte. Wir sind nicht die vielen Meilen geritten, um jetzt die Flinte ins Korn zu werfen. In einer Stunde reiten wir, basta!« »Und was willst du essen und trinken, wovon die Klepper wieder auf die Beine bringen?« Cochise wartete gespannt auf Antwort. Er wagte es sogar, ein wenig den Kopf zu heben, um die Galgenvögel zu mustern. Die sarkastische Entgegnung kam: »Vor rund einer Woche sahen wir in dem östlichen Tal eine nomadisierende Indianerfamilie. Die nehmen wir uns vor. Lieber auf einem halbwilden Bronco reiten als auf unseren verhungerten Zossen. Und Proviant haben die roten Kerle auch, verlaßt euch drauf!« »Du willst sie alle…?« Der Geierköpfige machte das Zeichen des Kehledurchschneidens . »Was liegt dir an ein paar dreckigen Rothäuten? Irgendwann müssen sie doch daran glauben. Ja, so!« Sein Finger glitt über seinen Hals. Cochises Wangenmuskeln spannten sich so an, daß die Haut wie Pergament wirkte. Langsam glitt er rückwärts. Er hatte genug gehört und war sich darüber klar, daß er die Sippe warnen mußte. Er kannte den Ältesten der Familie als einen tapferen Krieger und ausgezeichneten Chief. Er war weit genug vom Lager der Weißen entfernt, als diese aufbrachen. Cochise huschte in den Hohlweg und eilte zu seinem Pferd. Eine halbe Stunde später war er bereits auf dem Plateau und ritt in östlicher Richtung davon.
* Das »Bird-Cage-Theatre« in Tombstone platzte aus allen Nähten. Tabakrauch quoll wie finstere Gewitterwolken unter der Decke und suchte verzweifelt nach einem Ausgang. Männer unbekannter Herkunft und zweifelhaften Berufs scharten sich um die Spieltische und an der Theke. Es waren harte Männer, Abenteurer, die ihr Glück in den Silberminen und am Spieltisch suchten. Und nicht nur im »Vogelkäfig-Saloon«. Sämtliche Kneipen in Tombstone erwachten bei Sonnenuntergang zu einem einseitigen hektischen Leben, das bis in die frühen Morgenstunden andauerte und zu keiner Minute zum Erliegen kam. Selbst die zahlreichen Freudenhäuser mit den traditionellen roten Lampen über den Türen und die Tingeltangels, die nach den ersten Silberfunden wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, konnten sich nicht über mangelnden Zuspruch beklagen. An einem Ecktisch saßen drei wettergegerbte Gestalten mit einem vierten Mann beim Pokerspiel zusammen. Dollarnoten in der Mitte des runden Tisches mit dem grünen Filzbelag und dem mächtigen Aschenbecher aus getriebenem Silberblech stapelten sich. Ein Spiel ohne Limit schien sich anzubahnen. Der vierte Spieler, ein schlanker Mann mit blassem Gesicht, scharfen Augen und einem Schnurrbart nach neuester Mode unter der geraden Nase, konnte als Berufsspieler gelten, wenn man seine dunkle Kleidung als Maßstab für eine solche Vermutung annehmen durfte. Wyatt Earp war es auch. Berufsspieler, später Bordellbesitzer und noch später ein ausgekochter Revolvermann, der es mit der Waffe mit jedem Kunstschützen dieses Landes aufnahm, ließ keinen der Minenarbeiter aus dem Blick. Obwohl er seinen Karten die nötige Aufmerksamkeit widmete, verließen seine kalten Augen keinen Augenblick lang die Mienen und Gesten der Mitspieler.
Wyatt hatte dreimal hintereinander gewonnen und einen prächtigen Gewinn für sich verbuchen können. Aus Erfahrung wußte er, daß eine Glückssträhne bei den anderen Spielern Neid und Mißgunst auslöste. Besonders bei den Verlierern. Er kaufte zwei Karten, erhöhte um hundert und forderte. Sie legten geradezu widerwillig ihre Blätter auf den Tisch, und ihre gierigen Augen gingen rundum. Wyatt hatte schon wieder das bessere Blatt und wollte die gewonnenen Dollars nehmen. »Ihr Glück ist einfach sagenhaft, Fremder«, nörgelte ein hochgeschossener Miner und legte seine abgearbeitete Hand auf das Geld. »Ja?« »Ich meine es. Wäre es möglich, daß Sie dem Glück ein wenig nachgeholfen haben? Nur so, mit ein paar flinken Fingerbewegungen?« Earp sah auf. »Was wollen Sie damit sagen, Mann?« »Daß Sie ein Falschspieler sind.« Stühle wurden in aller Hast aus der Schußlinie gerückt. Zwei der Mitspieler sprangen auf und wichen bis an die nahegelegene Wand zurück. Eine tödliche Stille breitete sich im Lokal aus, eine Stille, die geradezu darauf zu warten schien, daß sie von detonierenden Revolvern unterbrochen wurde. Von der Theke herüber näherten sich die bulligen Gesichter zweier Rausschmeißer. Earp erwiderte: »Nehmen Sie das mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück, oder…« »Oder?« Der Mann sprang auf und zog. Er hatte sein Schießeisen bereits aus dem Gürtel, als Earps Hand zur Hüfte glitt. Wyatt machte nicht viel Umstände. Er drehte das Halfter so, daß sich die Öffnung auf den Fremden richtete und drückte ab. Erst danach zog er den Revolver aus dem Leder und ließ die anderen in die rauchende Mündung blicken.
»Pfoten hoch, Leute! Sie haben gesehen, daß er zuerst zog?« »Wir haben nichts gesehen«, sagte einer der Mitspieler maulend und quängelnd. »So, Sie haben nichts gesehen. Wohl ein Kumpel von Ihnen?« Die beiden Gorillas waren in greifbare Nähe gerückt. Wyatt gab ihnen mit dem Colt einen Wink und dirigierte sie beide zu den Spielern an der Wand. Totenstille breitete sich im »Vogelkäfig« aus. Selbst das reizlose Kichern der Animiermädchen war verstummt, das Klirren der Gläser und das knisternde Geräusch sich mischender Karten zwischen geschickten Händen. Auch das gurgelnde Geräusch fließenden Fusels in schwammtrockene Kehlen war nicht mehr zu hören, etwas, was es im »Vogelkäfig« so gut wie nie gab. »Mach keinen Quatsch, Mann«, sagte der eine Rausschmeißer grollend. »Quatsch mache ich nie, aber ich wehre mich, wenn ich mit 'nem Revolver bedroht werde. Oder soll ich mich von jedem, der nicht verlieren kann, erschießen lassen?« Wyatt gab einem der käsebleichen Mitspieler ein Zeichen mit dem Revolverlauf. »Nimm dein Halstuch, Freund, und lege das Geld da hinein. Danach trittst du wieder zurück. Kapiert?« »Bin nicht taub.« Der Mann tat, was Wyatt von ihm verlangte. Als das Halstuch verknüpft war, kam Earps nächster Befehl: »Schieb es rüber, schnell, bevor mein Finger zu jucken anfängt!« Mit der Linken griff er nach dem gewichtigen Säckchen, seine Rechte mit der Waffe bedrohte alle Waffentragenden im Spielraum. Langsam setzte sich der Spieler zur Ausgangstür hin ab. Die Atmosphäre schien mit reiner Energie geladen zu sein, so still war es. Man hörte Fußgelenke knacken, wenn irgend jemand sein Gewicht verlagerte, und den stoßweisen Atem der
bis zum Zerreißen angespannten Menschen. Wyatt erreichte unangefochten die Zwischentür. Niemand hielt einen berufsmäßigen Revolvermann auf, der so schießen konnte wie dieser Fremde. Seine Ellbogen durchstießen den Perlenvorhang. Dahinter war kein Widerstand. Earp glitt wie eine Raubkatze auf zwei Beinen hinaus und setzte sich in Bewegung. Mit langen Schritten durchmaß er den Vorraum und setzte mit einem langen Sprung durch die Eingangsöffnung. Nacht und Stille nahmen ihn auf. Wie ein gehetztes Wild rannte er zur Fremont Street, durchmaß die schmale Gasse zwischen Flys Photo Atelier und dem Harwood Haus, um auf die Third Street zu gelangen. Er schaffte es. Erregtes Gebrüll, durchsetzt mit wütenden Flüchen verebbte in seinem Rücken. Bis zum Mietstall waren es noch fünfzig Yards. Er ging langsam, um nicht zufälligen Passanten den genauen Weg seiner Flucht anzugeben. Die Situation war nicht neu für ihn. Schon oft hatte er vom Spieltisch und aus Städten fliehen müssen, wenn sein Colt mitgesprochen hatte. Die Routine, die er jedesmal hatte sammeln können, kam ihm dann beim nächsten Mal zustatten. Wyatt Earp lächelte breit und stieß die Seitentür in den Mietstall auf. Hier blieb er erst einmal stehen, um seine Augen an die trübe Stallfunzel zu gewöhnen. Er nahm das Bündel Scheine aus dem nach Schweiß riechenden Halstuch und verstaute sie in der Brusttasche. Das Hartgeld schob er in die Hosentasche und erfreute sich eine Weile am Klimpern der Geldstücke. Er hatte wieder Geld und fühlte sich als Mensch erster Klasse, wobei er keine Minute lang an den Toten dachte, dem er es abgenommen hatte. Wyatt merkte auf. Schlurfende Schritte drangen aus dem Hintergrund und kamen durch den Mittelgang. Ein seltsames Individuum, das nach Ammoniak stank wie alles hier im Stall,
blieb vor ihm stehen und wackelte mit den Ohren. Wyatt kannte den Stallmann. Er gab ihm eine Handvoll Kleingeld und befahl ihm, sein Pferd zu satteln und mit einem Futtersack auszurüsten. Schweigend machte sich der Mann an die Arbeit. Zehn Minuten später bestieg Earp sein Pferd und ritt aus dem Stall. Wohlweislich benutzte er die Seitentür. Aus dem Zentrum von Tombstone klangen laute Geräusche. Stimmen, Flüche und das Wiehern aufgeregter Pferde dröhnten, ebbten ab und kehrten wieder. Der Mann, der die Flucht aus der Stadt ergriff, wußte, was das Dröhnen zu bedeuten hatte. Der Sheriff stellte mit seinen Deputys ein Aufgebot zusammen, und das bedeutete nichts Gutes für einen Mann, der auf der Flucht war. Wyatt Earp ritt die Third Street hinunter und bog in die Allen Street ein. Die Straßen waren dunkel. Sein ausgeruhtes Pferd trug ihn rasch zur mexikanischen Siedlung, durch diese hindurch und zu den Minengebieten hinaus. Straßen gab es hier nicht mehr, und wenn man von Beleuchtung sprach, meinte man die Sterne und den Mond. Mit jeder Pferdelänge ließ er den Minen-Distrikt hinter sich liegen. Mannshohe Yuccas, Felsen und Kakteen umgaben ihn. Die Wüste hatte ihn aufgenommen. Das Aufgebot ritt nach Osten, um ihn zu fangen, er aber suchte seinen Fluchtweg im Westen. Von Minute zu Minute entfernten sie sich weiter voneinander. Im Morgengrauen wendete Earp sein Pferd. Er wollte nicht nach Westen, dort gab es für ihn nichts zu verdienen. Ein Spieler mußte unter Menschen sein, die er schröpfen konnte. Wenn er an das Aufgebot dachte, amüsierte er sich. Da ritten zehn oder mehr ausgewachsene und schwer bewaffnete Männer einem Phantom nach, während das Wild stillvergnügt hinter ihnen ritt und sich ins Fäustchen lachte. Bei Sonnenaufgang war er schon wieder an Tombstone vorbei
und legte in einem Canyon eine kurze Rast ein. Zuerst tränkte und fütterte er sein Pferd und rieb ihm mit einem Striegel den Alkalistaub aus dem Fell. Vor ihm lagen die südlichen Ausläufer der Dragoon Mountains. Südlich davon erstreckte sich die wasserlose Wüste bis nach Bisbee und weiter zur mexikanischen Grenze. Von ihm aus östlich gesehen kletterten die Chiricahua Berge mit ihrem Peak 9000 Fuß hoch in den azurblauen Himmel. Ein wildes, irres und tödliches Land, wenn man in ihm nicht Bescheid wußte. Im Augenblick hatte er keine Ahnung, wo sich die Posse aufhielt. In diesem Gewirr von Schluchten konnte man wochenlang nebeneinander reiten, ohne mehr als den Staub des anderen zu sehen. Nach dem kalten Frühstück, das er mit Wasser hinunterspülte, nahm er dem Pferd den Futtersack ab, tränkte es noch einmal aus der Feldflasche und stieg in den Sattel. Stunden vergingen. Es wurde drückend heiß und so schwül, daß ihm förmlich der Schweiß aus allen Poren floß. Er, ein wüstenerfahrener Mann, wußte genau, was er zu tun hatte, um nicht zuviel Körperwasser zu verlieren. Als die Sonne im Zenit stand, stieß er auf einen Salzstock. Er stieg ab, brach ein faustgroßes Stück ab und lutschte daran. Salz band Wasser im Körper und verhinderte Schweißausscheidungen. Am späten Nachmittag mußte er wieder eine Rast einlegen. In einem ruhigen Seitental, in dem sogar eine Quelle sprudelte, riskierte er ein Feuer und kochte sich eine warme Mahlzeit. Das Pferd graste die saftige Vegetation in der Quellennähe ab. Kein menschlicher Laut störte die Stille der Wildnis. Kojoten heulten in der Ferne, das waren die einzigen Laute außer Vogelstimmen. Wyatt kochte Bohnen, briet ein Stück Trockenfleisch in viel Fett und würgte das zähe »Steak« schließlich mit Abscheu hinunter. Als er nach dem Essen mit dem Kochzeug zur Quelle ging, um
es mit Wasser und Sand zu reinigen, glaubte er einen fremden Laut zu vernehmen. Er kniete still an dem Wasserloch und spannte alle seine Sinne an. Da war etwas in der Nähe, etwas, was vorher nicht dagewesen war. Sein erster Gedanke galt dem Aufgebot. Er schüttelte den Kopf, wußte er doch, daß es Weißen nie gelungen wäre, sich unsichtbar seinem Lager zu nähern. Also Indianer! In diesem Gebiet gab es nur Apachen, und sie waren so gefährlich, wie Hornissen im Schwarmflug. Langsam richtete er sich auf, das Geschirr in der Linken, die rechte Hand brauchte er notfalls, sich zu wehren. Während er zum Feuer zurückging, suchten seine Augen die Schlucht und ihre Ränder ab. Er sah nichts, hörte nichts mehr, aber sein wildniserfahrenes Gehör blieb geschärft. Er war nicht auf der Jagd, er wurde gejagt! Aber wer schlich sich an ihn heran? Das Aufgebot? Indianer? Eine dritte Gruppe, von deren Existenz er keine Ahnung hatte? Seine Sinne blieben scharf wie Messerklingen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er sein Pferd. Es hatte zu grasen aufgehört, spielte mit den Ohren und hielt seinen Blick auf ein Tamariskengehölz gerichtet, das sich weiter oben in der Klamm ausbreitete. Ein paar Säulenkakteen wuchsen dort, und auch Yuccas, die in voller Blüte standen. Earp sammelte die Lagergegenstände ein und verstaute sie in den Satteltaschen. Er schüttelte die lähmende Kälte seiner Gedanken ab und bewegte sich voller Furcht zu seinem Pferd. Das Feuer war heruntergebrannt und am Erlöschen. Nach ein paar Sekunden, die ihm wie die Ewigkeit vorkamen, befand er sich bei seinem Pferd, das keinen Blick von den Tamarisken ließ. Er legte die Satteltasche auf die Pferdekruppe und befestigte sie. Ohne Übergang ertönte ein kurzes pochendes Geräusch links von ihm, das in einem kratzenden Schaben endete.
Doch plötzlich wurde aus diesem seltsamen monotonen Geräusch ein schmetternder Trompetenstoß eines Hornisten, der hinter dem Kamm des nächsten Hügels zur Attacke blies. Wyatt warf sich herum, den blitzschnell gezogenen Revolver in der Hand. Diese verdammte Einbildung! Kavallerie gab es weit und breit nicht in dieser trostlosen Einöde, und einen blasenden Hornisten schon gar nicht. Was hatte ihn getrogen und seine Nerven derart gereizt, daß er den Anbruch des Jüngsten Gerichts erlebte? Wyatt spannte alle Muskeln, die wie Taue unter der Haut seiner Arme hervortraten Der Revolver wurde schwer wie Blei. Die Hand, die ihn hielt, zitterte und wurde gefühllos. Eine Weile blieb es still. Er wagte nicht, den Pferdesattel zu besteigen und orientierte sich nach dem Fächerspiel der Pferdeohren. Die Tamarisken waren es. Gewiß, nur dort konnte sich ein Mensch oder ein größeres Raubtier verbergen. Aber die Panik kam erst. Wyatt Earp vernahm ein seltsames Geräusch, das er kannte. Es war das Klatschen eines nassen Wischtuches auf einer Tischplatte aus Hickoryholz. Selbstverständlich kannte er dieses Geräusch sehr genau. Oft genug, wenn er zu schießen gezwungen worden war, hatte es es vernommen – den Einschlag einer Kugel in weiches Fleisch. Er krümmte sich zusammen, fiel in die Knie und wartete auf den Schuß, der jedoch ausblieb. Kein Pulverwölkchen stieg irgendwo auf, keine Detonation eines Abschusses erklang. Nichts! Sein Pferd wurde unruhig. Es spürte die Last des Sattels und wollte aus dieser Schlucht weg. Sein Reiter war aber anderer Meinung. Aus Erfahrung wußte er, daß er dem vermeintlichen Feind nicht den Rücken zudrehen durfte, und das mußte er, wenn er den Tamarisken Lebewohl sagen und die Klamm verlassen wollte. Als immer noch nichts geschah, kein Angriff erfolgte, kein
Schuß fiel, erhob sich Earp wieder von den Knien und ließ die Hand mit dem Revolver sinken. Langsam, Schritt für Schritt und zögernd, stahl er sich vorwärts, stets bereit, sich fallenzulassen und zu schießen. Das Gestrüpp lag dunkel, staubig und geradezu einladend vor ihm. Ein Vogel zwitscherte und flog auf, als Wyatt die ersten Zweige berührte und sie zur Seite bog. Nichts. Der Mann drang ein, schob Zweige und Ranken zur Seite und schlug ein paar Zecken tot, die ihm in die Hand bissen und sich festsaugen wollten. Gleich darauf stand er auf einer winzigen Lichtung. Er erkannte die Ursache des Klatschens. Vor ihm lag ein Indianer mit einem Pfeil in der Brust. Er war kein Apache, dieser tote Indianer. Aber es war ein Apachen-Pfeil, der ihn vom Leben zum Tod befördert hatte. Gehetzt blickte Wyatt Earp umher. Wo es Apachen-Pfeile gab, mußte es auch Apachen geben, die sie abschossen. Nichts rührte sich. Keine Bewegung erschütterte die Flora, kein Knirschen von einem Mokassin auf erdigem Grund war zu hören. Alles blieb still und nicht der leiseste Laut störte das andächtige Schweigen in dieser Natur-Kathedrale. Wyatts Revolver zirkelte in die Runde. Den Finger hielt er am Abzug des gespannten Colts. Die Nerven des einsamen Mannes signalisierten Gefahr, immer wieder Gefahr, aber er wußte nicht, woher die Gefahr kommen konnte. Wenn Apachen in der Nähe waren, würde er sie nicht eher sehen, bis sie gesehen werden wollten. Und dann, das wußte er, war es zu spät. Lange musterte er den toten Indianer. Er war mit Leggins bekleidet. An den Füßen trug er hochschäftige Wüstenmokassins, deren Ränder eine geschickte Squaw mit Perlen und den Hauern von Ebern verziert hatte. Sein
Oberkörper war nackt. Neben ihn lag ein kleiner Kriegsbogen und ein Köcher mit Pfeilen. In seinem Gürtel steckte ein Messer. In seinem aufgesteckten Haarknoten waren zwei Federn. Earp wußte, daß Apachen keine Federn als Schmuck trugen. Sie hätten sie beim Anschleichen in der zerklüfteten Bergwildnis nur gestört. Er konnte sich nicht erklären, von welchem Stamm der fremde Rote war und was er hier zu suchen hatte. Übergangslos zuckte Wyatt Earp zusammen und ließ sich fallen. Reaktion und Herumwerfen auf der Erde waren eins. Sein Colt ruckte hoch. Der Pfeil, der an seinem Kopf vorbeigezischt war, hatte ihn nur um die Stärke einer Hand verfehlt. Zwei weitere Pfeile drangen aus dem Dickicht und schlugen vor seinem Kopf in die Erde. Sie waren mit solch einer Wucht abgeschossen worden, daß sie sich bis zur Hälfte ihrer Länge in den Humusboden gruben. Nachdem der Anschlag auf ihn fehlgeschlagen war, sah er sie überraschend aus dem Dickicht auftauchen. Chiricahuas! Sechs an der Zahl, junge Krieger noch. Sie zogen die Pfeile auf ihren Bogen bis zu den Ohren durch. Die Entfernung betrug nicht mehr als fünf Meter. Die beiden ersten Roten erwischte er mit schnellen Kugeln. Der nächste Schuß ging daneben, und er brauchte eine vierte Kugel, um dem dritten Krieger einen schnurgeraden Scheitel zu ziehen. Der Mann war nur verwundet, als er zu Boden ging und ein wütendes Heulen ausstieß. Als sich Wyatt Earp den restlichen Kriegern zuwandte und sie aufs Korn nehmen wollte, stutzte er. Ihre Bogen waren entspannt, locker lagen die Pfeile an den Sehnen, aber die scharfen Spitzen mit den Widerhaken waren zu Boden gerichtet. Alle starrten sie an ihm vorbei auf etwas, was sich in seinem Rücken befand. Mit Gewalt mußte er den Kopf so weit drehen, daß er die Quelle und sein Pferd erkennen konnte. Im nächsten Augenblick glaubte Wyatt Eis im Blut zu haben.
Er fühlte seinen Herzschlag aussetzen. Als sein Blutdruck wieder einsetzte und den Lebenssaft zum Gehirn pumpte, wurde ihm schwindlig. Hinter ihm stand ein hochgewachsener Indianer mit einem mächtigen Brustkorb und einer Adlernase. Gebieterisch streckte der Indianer, ganz in weißes Leder gekleidet, seine Hand gegen die roten Krieger aus. Der kaltschnäuzige Revolvermann vergaß alles um sich herum. Die seltsame Kraft, die von dem Krieger ausging, schlug auch ihn in Bann. Wyatt wußte plötzlich, wen er vor sich hatte. Die legendäre Gestalt des mächtigen Chiricahua-Häuptlings war noch zu gut in seinem Gedächtnis verankert, als daß er diese jemals hätte vergessen können. Earp hatte Cochise im Lager der Schollenbrecher gesehen, und Cochise ihn. Auf seinen strengen Zügen lag kein Wiedererkennen, aber Wyatt wußte, daß Cochise ihn erkannt hatte. Cochise stand immer noch reglos mit ausgestreckter Hand. Die befehlende Geste war zu deutlich, um mißverstanden zu werden. Der Chief würde nicht bis in die Ewigkeit in dieser Reglosigkeit dort stehen, stumm wie ein Fisch, und trotzdem mit unmißverständlicher Befehlsgewalt. Die Kraft, die dieser Mann ausströmte, übertraf alles, was der Revolvermann und Spieler bei einem anderen Mann gesehen hatte. »Du bist ein guter Schütze, Bleichgesicht. Stecke deinen Revolver ein, niemand wird dich belästigen.« Dann sagte er etwas zu den Apachen. Wyatt verstand kein Wort. Aber als er wieder zu den Kriegern hinüberblickte, waren sie verschwunden. Ihre Toten und den Verwundeten hatten sie mitgenommen. Nur der fremde Indianer lag noch so auf der Erde, wie ihn Wyatt angetroffen hatte. »Du bist schuldlos am Tod meiner Krieger«, fuhr Cochise mit seiner sonoren Stimme fort. »Wer angegriffen wird, muß sich wehren. Sie waren noch zu jung, um zu erkennen, daß sie es mit
einem großen weißen Jäger zu tun hatten.« »Du kennst mich, Chief?« fragte Earp mit belegter Stimme. »Ich sah dich, das genügt. Du reitest in das Land der Chiricahuas?« Wyatt steckte seinen Revolver ins Halfter zurück. »Eigentlich nur hindurch. Werden deine Krieger mich aufhalten?« »Nicht, wenn ich es nicht will.« »Willst du es?« Cochise wechselte mit Earp einen langen Blick. »Ich denke nicht«, sagte er mit tiefer Stimme. »Aber die da können dir den Weg versperren, wenn sie wollen.« Er deutete auf den toten Indianer. Wyatt Earp fragte: »Wer ist der Indianer? Kein Apache, wie?« Cochises Antlitz blieb ehern. »Ein abtrünniger Mohawk aus der Sierra Pinta. Sie kommen manchmal bis ins Land der Chiricahuas, um Frauen zu stehlen. Sein Schicksal war ihm vorgezeichnet.« »Nie davon gehört«, sagte Earp. »Ich kann also reiten, Jefe?« Mit würdevoller Geste deutete Cochise nach Nordosten. »Wir haben eine kurze Strecke den gleichen Weg. Komm!« Earp ging zu seinem Pferd. Der Häuptling pfiff auf zwei Fingern. Aus einem Dickicht brach ein braungescheckter Pinto mit einer weißen Bleß und weißen Strümpfen. Kein harter Sattel zierte den Pferderücken, kein ledernes Zaumzeug. Eine bescheidene Navajodecke diente dem Häuptling als Sitz, und gelenkt wurde das Pferd mit Schenkeldruck und geflochtenen Grasseilen. Als die beiden Männer das Tal verließen, kreisten Bussarde am Himmel. Earp deutete hinauf und sagte mit belegter Stimme: »Wir hätten den roten Mann begraben sollen, wie es Christenpflicht ist, Jefe.« Cochises abweisende Antwort war: »Ich verstehe nicht, wovon du redest. Man begräbt seine eigenen Toten, nicht die des
Feindes. Laß uns schneller reiten.« »Du hast es eilig, Häuptling?« »Sehr. Eine meiner Familien ist in Gefahr, von Weißen ausgelöscht zu werden. Von vier Weißen«, setzte er düster hinzu. Wyatt beschleunigte die Gangart seines Pferdes und starrte Cochise schweigend an. Ein gewisser Ton in der sonoren Stimme ließ ihn hellhörig werden. Eine Frage von hoher Bedeutung drängte sich ihm auf. Warum hatte Cochise seine Krieger nicht mitgenommen und sie ziehen lassen? War er sich seiner Stärke so sehr bewußt, es mit vier bewaffneten Weißen aufzunehmen, oder hatte er andere Beweggründe? Wyatt Earp konnte nicht wissen, daß dieser große Indianerhäuptling noch immer unter der verlorenen Schlacht gegen die California-Volunteers am Apachen-Paß litt. Sein indianischer Stolz hatte einen Stoß erhalten, den er nicht leicht überwinden konnte. Wenn er in Einzelhandlungen sein ramponiertes Ansehen bei seinem Stamm wiederherstellen wollte, so war das nur verständlich. Aber Cochise sprach nicht darüber, und Earp wußte nichts davon. Er wunderte sich lediglich, daß der Apache ständig die Geschwindigkeit seines Mustangs steigerte und dem Tier das Letztmögliche abverlangte. Sie gelangten tiefer in die Canyons und weiter nach Osten, aber ein Ende des mörderischen Rittes war nicht abzusehen. * Die Schlucht öffnete sich zu einem Kessel und verengte sich danach wieder. Ein Creek durchlief das Tal und bewässerte es bis an die Basen der steil aufsteigenden Hänge. Busch- und Bauminseln boten an heißen Tagen Schatten, saftiges Gras Nahrung für Pferde und Schlachttiere. In der Mitte des Tales, nahe beim Wasserlauf, erhob sich ein Jacale aus dem hohen
Gras. Aber war das noch eine indianische Behausung? Rauch kräuselte zum Himmel, und wenn der Wind durch das Tal stieß, trieb er Asche und Funken mit sich fort. Cochise und Earp hielten bei Sonnenuntergang auf der Anhöhe und suchten nach einem Abstieg. Cochise knirschte mit den Zähnen. Er war zu spät gekommen, vielleicht nur um die Zeit, die die Weißen eine Stunde nannten. Der Jacale war abgebrannt, seine Bewohner getötet und die Pferde geraubt worden. Eine Sekunde lang dachte er an Te-kli-tan, den Schreienden Kriegsadler. Wenn er überlegend und zurückdenkend die Augen schloß, vermeinte er seinen Kriegsschrei in den Bergen widerhallen zu hören. Aber der Schreiende Kriegsadler war nicht mehr, und alles, was Cochise in diesem Augenblick erlebte, war Einbildung. »Sieht nicht gut aus, Jefe«, murmelte Earp mitfühlend. »Verdammt, wer hat das getan?« »Weiße.« Wyatt Earp, der absolut nichts gegen die indianische Rasse hatte, wenn sie ihn in Ruhe ließ, schüttelte den Kopf. »Unmöglich! Heiliger Affensteiß, Weiße sollen das getan haben?« Cochise nickte. Er ließ sich Zeit mit seiner Suche nach einem Abstieg. Hilfe kam sowieso zu spät, die Täter waren über alle Berge, und Tote konnte er nicht zum Leben erwecken. »Ja, weiße Männer. Ich kenne sie. Vier.« Cochise hob wie zur Bekräftigung vier Finger. »Was, du kennst sie? Teufel«, knurrte Earp, »du wirst diese sinnlose Bluttat rächen, Chief?« Cochise gab keine Antwort. Er trieb sein Pony wieder an und lenkte es zu einem Spalt hinüber, der sich in zahlreichen Windungen in die Tiefe schlängelte. »Sie benötigten eine halbe Stunde, bis sie unten waren und
ihren Pferden die Absätze in die Weichen gruben. Asche und grauer Rauch trieb ihnen mit dem Wind entgegen. Earp hustete. Seine Augen tränten und trübten seinen Blick. Er riß sich erst wieder zusammen, als sein Pferd scheute und zurückwich. Vor dem Tier lag ein verstümmelter Indianer, bei dem bereits Cochise kniete. Der Häuptling stand auf und schüttelte den Kopf. »Sie erschossen ihn und trieben ihre Pferde über den Toten hinweg. Gehen wir weiter!« Wyatt stieg aus dem Sattel, ließ sein Pferd stehen und folgte dem Häuptling der Apachen. Von der Hütte war nichts stehengeblieben. Hinter dem Aschehaufen stießen die beiden auf die Leichen dreier Frauen. Auch sie und ein Kind, das ein Stück weiter entfernt zusammengekrümmt am Boden lag, waren erbarmungslos niedergeschossen worden. Cochise knirschte hörbar mit den Zähnen. Wyatt, dem der Ekel den Magen umdrehte, konnte den Indianer verstehen. Wer in seinem Leben das Weinen verlernt hatte, konnte es wieder lernen. Wenigstens fünfzehn Tote, Männer, Frauen, Kinder und Greise, waren das Fazit eines scheußlichen Raubüberfalls. Es ist kein Wort davon dokumentarisch überliefert, aber es ist geschehen. Cochises strengem Gesicht war nichts davon anzusehen, was er dachte. Wyatt wischte sich mit dem Handrücken über die feuchten Augen, und Cochise, der es sah, revidierte im stillen sein Urteil über diesen zwielichtigen Mann. »Ich reite«, sagte er. »Großer Gott, wohin? Die Toten müssen beerdigt werden.« »Nein, nicht von uns. Sie haben ein Anrecht auf ein indianisches Begräbnis, Wyatt. Meine Krieger werden sich darum kümmern.« Er bestieg seinen Pinto und schlug den Weg zum Talausgang ein. Earp folgte ihm wortlos. Schluchten und Canyons nahmen
die beiden Reiter wieder auf, der Weg ging weiter nach Osten, und so war es dem Revolvermann recht, mit Cochise zu reiten. Je weiter er sich von Tombstone und dem Aufgebot entfernte, desto sicherer konnte er sich fühlen. Die Nacht brach nach einem Abschied des Tages mit farbenprächtiger Lichtsinfonie herein. Schatten lösten den glasklaren Strahlenkranz im Westen ab, und dann versank alles, Berge, Täler und Reiter, in Dunkelheit. Koniferengeruch strömte von den Hängen in die Täler, und der Duft, den das Land ausströmte, befreite die Seele des Weißen von den ärgsten Ängsten. Höher und höher ging es hinauf. Wyatt hatte längst die Orientierung verloren und ritt hinter dem Häuptling her. Um Mitternacht hielt Cochise bei einer Quelle an. Er stieg ab, führte das Pferd zur Abkühlung im Kreis, und ließ es erst später saufen. Wyatts Blick saugte sich an der hochgewachsenen Gestalt fest. Sterne und ein halbvoller Mond leuchteten auf eine Szene herab, die der Weiße sich nie hätte vorstellen können. Er war in Gesellschaft des berühmtesten Mannes an der Indianergrenze. Eines Mannes, der zu Lebzeiten schon zur Legende geworden war. Sein gebleichter Jagdrock hatte Fransen aus Skalphaaren an den Nähten. Die langen Beine steckten in Leggins, die an den Nähten reichlich verziert und mit dünnen Tiersehnen vernäht waren. Um den Hals trug der Häuptling als einzigen Schmuck eine Kette mit den Eckzähnen eines Grislys. Jeder Zoll ein Führer, so stand Cochise vor Earp und fixierte ihn aus dunklen Augen. »Du mußt nicht mit mir reiten, Hellauge. Mein Weg ist nicht dein Weg, meine Rache nicht deine. Reite, wenn du willst.« Wyatt schüttelte den Kopf. Er fühlte sich so im Bann dieses roten Mannes, daß es keiner weiteren Überlegung mehr bedurfte, um auf einen Weiterritt ohne den Jefe zu verzichten. Er drehte sich herum und suchte nach Brennmaterial. Cochise
entzündete ein rauchloses Feuer und unterhielt es mit dem, was Wyatt an Holz heranschleppte. Schweigend packten beide ihren Proviant aus. Earp bot Cochise Speck an, den dieser mit einem Schütteln des Kopfes ablehnte. An seine eigene Kost gewöhnt, wollte sich Cochise mit dem begnügen, was ihm immer als Nahrung gedient hatte: Getrocknetes Fleisch mit den Früchten des Wildkirschenbaumes. Sie nannten dieses fette und gallenbittere Zeug Pammikan, sie, die Apachen. Earp backte in einer kleinen Pfanne Pfannkuchen und ließ Speck aus. Als er einen fragenden Blick auf Cochise warf, lehnte der auch diese Speise ab. »Müssen wir wachen?« fragte Earp. Cochise nickte. »Nicht wegen des roten Mannes, dem das Land gehört, mehr wegen der Weißen.« »Du glaubst sie noch in der Nähe?« »Sie können nicht weit gekommen sein. Mustangs sind keine zahmen Pferde und gehorchen den Bleichgesichtern nicht. Ich werde sie in meine Hände bekommen.« »Du wirst sie töten?« »Sie haben getötet und werden gerichtet werden.« Es blieb eine Weile still am Feuer. Nur das Knistern der Flammen unterbrach die Lautlosigkeit der Gebirgsnacht. Wyatt konnte förmlich erkennen, wie die ganzen Jahre des Kampfes und der Not an dem Indianer vorbeiglitten. Vor seinem inneren Auge sah er alles wieder und fragte sich nun gewiß ganz still und stumm, was daran falsch gewesen war. Die Kämpfe in Sonora gegen die Mexikaner, die Kriege gegen die Armee der Weißen, gegen den einarmigen General Howard, gegen die »Falken« und gegen seinen Freund Thomas Jeffords. Alle defilierten an ihm vorbei, schemenhaft, aber ihre Körperlosigkeit störte den berühmten Häuptling nicht. Seine einzigen Freunde unter den Weißen waren Haggerty und Jeffords. General Howard konnte er bis zu einem gewissen Grad
ebenfalls als seinen Freund betrachten, aber dem General waren Grenzen gesetzt, und das wußte Cochise. Unter den indianischen Führern hatte er nicht einen einzigen Freund. Geronimo und Victorio strebten die Macht über alle Stämme an. Nana wurde alt und gleichgültig. Chato, Ulzana und Chihuahua standen allem, was sich nicht auf Beute bezog, gleichgültig gegenüber. Alchesay, Eskaminzin, Loco und viele andere unterstützten ihn lediglich in seinem Kampf gegen die Weißen und die olivfarbigen Eroberer, aber sie waren ohne Herz bei der Sache. Verlassen konnte er sich nur auf Naiche, seinen Zweitältesten Sohn. Cochises Gedanken verloren sich in einem uferlosen Meer aus Erinnerungen, Gegenwartsvisionen und aus einer unerklärlichen Angst vor der Zukunft. Wyatt, der ihn beobachtete, konnte sich nahezu in das düstere Schweigen des Jefe einfühlen. Seine harten, nachdenklichen Linien glätteten sich schließlich wieder, und Cochise hob den Kopf. Mit deutlicher Stimme sagte er: »Sie kommen.« Mehr nicht, kein Hinweis darauf, wer kam. Aber Wyatt verstand ihn. Er stand vom Feuer auf und rückte den schweren Patronengürtel zurecht. »Sag mir, wo, Cochise. Ich werde sie in Empfang nehmen.« »Tief unten im Canyon. Sie reiten nach Osten wie wir.« »Erwarte mich zum Morgengrauen zurück, Cochise. Adios, Häuptling!« »Halt!« Gebieterisch streckte Cochise seine Hand gegen Earp aus. »Ich werde die Strafe vollstrecken. Es ist mein Land, es waren meine Leute. Mir gehört die Rache, sonst niemandem!« * Ulzana streifte mit vier Kriegern durch die Canyons der
Dragoon Mountains. Der krummbeinige Ulzana hockte auf seinem Pinto wie ein gebeugter Affe auf einem Kamelhöcker. Der Tag versprach heiß zu werden, für Indianer gerade das richtige, um in Kampfstimmung zu geraten. Aber es gab nichts zu kämpfen. Die Schluchten des großen Gebirges waren so leer wie die Taschen eines Tramps. Bei einem Wassertümpel, der durch eine spärliche Quelle gespeist wurde, hielten die Chiricahuas ihre Pferde an und sprangen von den Reitdecken. Holz für ein rauchloses Feuer gab es genug. In der Nähe fristeten Kandelaberkakteen ein karges Leben mit Schwärmen von Fliegen, die in ihrer runzligen Außenhaut nisteten. Einer der Rothäute, Tal-bort genannt, ein älterer Krieger mit Rang und Namen, machte sich daran, die trockenen Seitenarme eines Kaktusses mit dem Tomahawk abzuschlagen. Gleich darauf knisterte das Feuer. Die Apachen zogen ihren Proviant aus den Fransengeschmückten und mit bunten Perlen bestickten Taschen und breiteten ihn auf einer Satteldecke aus. Der Proviant bestand im wesentlichen aus Maiskörnern und einem Kaninchen, das einer von ihnen mit einem Messerwurf getötet hatte. Als es über dem Feuer an einem Drehstock briet, breitete sich ein angenehmer Bratenduft in der Schlucht aus. Apachen redeten nie viel, diese hier waren aber besonders schweigsam. Wenn sie sich bewegten, geschah dies mit der bekannten katzenhaften Geschmeidigkeit und mit der Lautlosigkeit eines Panthers. Ulzana wußte, worum es ging. Die anderen auch. Aber was sie wußten, behielten sie für sich und sprachen nicht einmal andeutungsweise am Feuer darüber. Alles jedoch wußte auch der schlaue Apache nicht. Zum Beispiel hatte er keine Ahnung, daß sich kaum drei Meilen von ihm entfernt vier Weiße in einem Canyon näherten, die von Cochise und einem weiteren Weißen verfolgt wurden. Und daß sich von Norden her ein einzelner Reiter näherte,
konnte Ulzana auch nicht wissen. Dieser einzelne Weiße war John Haggerty, der Falke, wie ihn Tla-ina, Cochises Schwester, nannte, und ihr Bruder ebenfalls. John war auf dem Weg in die östlichen Dragoons. Er befolgte einen Befehl Howards, der zu erfahren versuchte, wo Cochise seine Apacheria nach dem Verlassen der Bergfeste in den Chiricahua-Mountains gesucht und gefunden hatte. Was Howard und Haggerty allerdings nicht einmal ahnen konnten, war, daß der schlaue Jefe inzwischen seinen Stützpunkt dreimal gewechselt hatte, weil ihm der Boden unter den Mokassins zu heiß geworden war. Der zentrale Teil des Muttergebirges bereitete sich darauf vor, eines der größten Abenteuer dieser Zeit zu erleben, und man konnte fast den Eindruck haben, daß sich die Berggipfel und die hochgelegenen Plateaus vornüberneigten, um die bevorstehende Auseinandersetzung mit anzusehen. Daß es mit den Mördern zu einer Auseinandersetzung kommen würde, war sonnenklar. Nur der Zeitpunkt stand nicht fest. Cochise bestimmte diesen selbst und ließ ihn sich nicht aufnötigen. Nach einer Stunde hatten die Apachen ihr Mahl eingenommen. Sie löschten das Feuer mit Sand und wollten ihre Mustangs besteigen, als ihre scharfen Ohren Geräusche vernahmen. Ulzana knurrte wie ein Hund über seiner Futterschüssel, drehte sich um und starrte in den Canyon hinein. Licht und Schatten wechselten zwischen den schroffen Klippen miteinander ab und boten zusammen mit der wild wuchernden Vegetation einen makabren Hintergrund. Aus diesem Höllenschlund heraus kamen vier Reiter. Sie machten einen gehetzten Eindruck und waren sich scheinbar der Gefahr bewußt, die sie von allen Seiten umgab. Als sie die Apachen bei der Quelle bemerkten, stießen sie gellende Schreie aus, rissen ihre Pferde herum und jagten den Weg zurück. Nicht nur Ulzana hatte bemerkt, daß sie Apachen-Ponys ritten
und zwei weitere als Ersatzpferde am Zügel führten. Er stieß einen hetzenden Schrei aus, schwang sich im Lauf auf seinen Pinto und gab ihm die Fersen zu fühlen. Die anderen Chiricahuas schlossen sich ihm an. Als sie durch den Canyon stoben, als hätte sie der Teufel mit seinem Schwanz gepeitscht, hatten sie weder Augen für ihre Umgebung noch für die Canyonränder. Nur Ulzana, der alte Fuchs, warf dann und wann einen Blick in die Runde. Unvermittelt tauchte weit voraus die hellgekleidete Gestalt Cochises hoch oben auf einer Klippe auf. Er streckte abwehrend die Rechte gegen die Apachen aus. Ulzana zügelte sein Pferd und rief den anderen ein paar Worte zu. Sie hielten an und starrten auf den Häuptling der Apachen, der in der Zeichensprache zu ihnen redete. »Laßt sie in Ruhe«, sagten die Zeichen. »Ich bin derjenige, der sie zu Tode hetzen und töten wird.« Ulzana sank auf seinem Pferd zusammen wie eine leere Hülle, der man die Stütze entzogen hatte. »Der Häuptling will sie, laßt ab von der Jagd, Brüder!« »Zastee! Tötet!« schrie Ainy-ahi-ta wild. Ulzana streckte seine Hand gegen ihn aus und erwiderte murrend »Cochise ist der Jefe aller Stämme. Widersetzt euch nicht seinem Befehl.« »Wir wollen die Weißen«, entgegnete Ainy-ahi-ta widerspenstig. »Wir wollen Beute und Skalps, deswegen sind wir ausgezogen. Ein schneller Handstreich, ein Coup, und wir haben sie!« »Cochise will es nicht.« Als Ulzana einen zweiten Blick auf die Höhe warf, war Cochise verschwunden. Statt seiner stand ein Weißer dort oben und starrte hinab. Wyatt Earp konnte die haßglühenden Blicke der Chiricahuas zwar nicht erkennen, aber er ahnte sie. Die geballten Hände sprachen eine zu deutliche Sprache.
Brüsk drehte er sich von der Felsplatte weg und verschwand. Sechzig Meter unter ihm murmelten zwei Lippenpaare: »Zastee! Wir kriegen auch dich, weißer Mann!« »Er gehört zu dem Häuptling«, entgegnete Ulzana. »Beim Ewigen Geist, laßt ihn in Ruhe!« »Was machen wir jetzt?« fragte Ascha, der dritte der Gruppe. »Keine Skalps, keine Beute. Sollen wir mit leeren Händen in unsere Jacales zurückkehren?« Ulzana wandte sich zu ihm um. »Wir waren nicht hinter den Weißen her«, erwiderte er streng. »Oder hat einer von uns gewußt, daß wir ihnen in diesem Canyon begegnen werden?« Sie schüttelten die Köpfe. »Also«, fuhr Ulzana fort, »können wir uns nicht darauf berufen, daß wir Jagd auf sie machten. Cochise wird es uns nicht glauben.« »Wir haben sie aber zuerst gesehen«, trumpfte Bapto auf. »Nein, nicht wir. Der Chief ist ihnen gefolgt, deshalb hat er die Erstrechte. Laßt uns nach Süden reiten.« »Und was wird unser Ziel sein, Ulzana?« »Wollten wir nicht zum Rio Bavispe?« »Das wollten wir«, sagten sie alle wie aus einem Mund. »Aber wenn wir das tun, dürfen wir in den Canyons nicht einmal laut atmen.« »Was meinst du, Ascha?« Ulzana schüttelte nicht verstehend den Kopf. »Sie sind ebenfalls nach Süden geflohen, und sie haben vor uns Angst. Stimmt das, Brüder?« Ascha schaute jeden an, und sie nickten beipflichtend. »Sie werden sich irgendwo verstecken, weil sie nicht nach Süden, sondern nach Sonnenaufgang wollen. Wenn sie uns hören, ergreifen sie wieder die Flucht. Cochise will sie aber in diese Richtung treiben, habt ihr begriffen?« Er deutete mit der ausgestreckten Hand in nordöstliche Richtung.
Ulzana runzelte seine Stirn. Langsam begriff er. Ascha, der Hecht, hatte recht. »Wir werden diesen Canyon verlassen und einen anderen nehmen, der auch zum Bavispe führt. Wenn wir bei der Gabelung den Weg nach Osten einschlagen und bei den drei Quellen wieder nach Süden reiten, weichen wir den Weißen aus. Wer weiß einen besseren Weg?« Alle vier Apachen schüttelten die Köpfe. Sie warfen unruhige Blicke in die Runde, als befürchteten sie, von irgend jemand beobachtet zu werden. Ulzana gab das Zeichen zum Anreiten und grub seinem Pinto die Absätze in die Weichen. Das Pferd blieb jedoch stehen. Es scheute nicht vor der aufgerichteten Gestalt in heller Wildlederkleidung, die die Hand gegen den Trupp ausstreckte. Es blieb einfach stehen und spielte mit den Ohren. Cochise machte das Zeichen des Friedens. Ulzana mit seinem Pulk Chiricahuas erwiderte das Zeichen. Sekundenlang herrschte Schweigen. Man wartete auf das Wort des Häuptlings, dem kein anderer zuvorkommen durfte. Cochise sprach nicht laut, aber was er sagte, drang bis in den letzten Winkel des Canyons. »Unrecht ist geschehen, Ulzana. Schreiender Kriegsadler wurde mit seiner Familie von vier weißen Männern getötet, sein Jacale verbrannt, seine Pferde gestohlen. Selbst Kinder und Greise verschonten die weißen Mörder nicht. Das vergossene Blut schreit nach Rache.« »Zastee!« schrien die fünf Apachen wie aus einem Mund. Cochise nickte. »Zastee! Tötet! Wer Blut vergießt, dessen Blut wird selbst vergossen werden. Die bleichgesichtigen Mörder sind geflohen und verstecken sich in den Canyons. Meine Brüder werden sie finden und langsam in die Ebene vor Dos Cabezas treiben. Dort wird Cochise die Strafe vollstrecken.« »Zastee!« grunzte der Chor gutturaler Stimmen.
Steingefrorene Wasserspeiergesichter hingen mit glühenden Augen an den Lippen des Jefe. Wieder nickte Cochise. Eine solche Treibjagd war ganz nach dem Herzen der Apachen. Unsichtbar bleiben, sich dann und wann mal kurz blicken lassen, lautlos, still wie die gefleckte Raubkatze im Süden, um dann plötzlich zuzuschlagen. Die Krieger verstanden ihren Häuptling, der wieder die Hand hob, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Die Toten müssen nach Apachenbrauch den Ewigen Jagdgründen übergeben werden. Zwei deiner Krieger, Ulzana, reiten zur Festung in den Bergen und kehren mit zehn Kriegern in das Tal Tek-li-tans zurück. Du, Ulzana, bleibst auf der Fährte der Mörder.« Cochise machte eine abschließende Handbewegung, nickte den Kriegern kurz zu und verschwand so schnell und geräuschlos, wie er gekommen war. * Wyatt Earp zuckte zusammen, als Cochise wie aus dem Nichts gezaubert vor ihm auftauchte. Er war plötzlich dort, wo vor einer Sekunde noch Luft gewesen war, und sein Erscheinen war so geräuschlos, als hätte ihn der Hauch des Großen Geistes an jener Stelle erscheinen lassen, zu der Wyatt mit bleichem Gesicht herumschwang. »Die Jagd beginnt«, sagte Cochise einfach. Earp wußte, was er meinte. Er bedauerte die Weißen nicht, weil sie seiner Hautfarbe waren. Mord blieb Mord. Ein Revolvermann mordete nicht. Dazu war er viel zu stolz. Ein echter Revolvermann, der mit seiner Waffe seinen Lebensunterhalt verdiente, bewahrt einem anderen so viel Vorsprung, daß es gesetzlich und moralisch nicht als Mord ausgelegt werden kann, wenn die Revolver gesprochen hatten. Das war die haarscharfe Grenze des ungeschriebenen
Gesetzes, und sie war Earp sehr deutlich bewußt. Nicht edelmütig war das, nur praktisch. Jeder Mann mit einem Revolver ist sein eigener Richter, wenn er ihn abdrückt. Wenn er es nicht ist, wird ein anderer Richter das Urteil über ihn sprechen. Und auf Mord stand immer der Tod am Galgen. »Eine schlimme Jagd«, sagte er, um überhaupt etwas zu sagen. »Wird sie lange dauern?« »Du kannst reiten, niemand hält dich.« »Wir haben den gleichen Weg«, sagte Earp lächelnd, ohne über die schroffen Worte Cochises beleidigt zu sein. »In deiner Gesellschaft bin ich wenigstens vor deinen Kriegern sicher.« Cochise antwortete nicht. Er ging zur Mulde hinüber und tränkte seinen Pinto aus einem Wasserschlauch. Wyatt tat es ihm nach. Wenn er bei dem Häuptling blieb, litt er keinen Wassermangel. Cochise fand selbst dort noch Wasser, wo ein Weißer nur harten Fels gesehen hätte. »Reiten wir«, sagte der Jefe und deutete mit ausgestreckter Hand über das weite Plateau. Cochise schien hier oben jeden Stein zu kennen, jeden Sumachstrauch und jede Yucca. Als in der Ferne eine Insel aus Speerdorn und Tamarisken auftauchte, hielt er darauf zu. Earp empfand das verstaubte Grün als wohltuend in der weiten Fläche aus erosiertem Gestein mit seinem monotonen Überzug aus Wüstenlack. Hinter der spärlichen Flora fiel das Gelände steil in die Tiefe. Für Wyatt ein Beweis, daß der Canyon in fünfzig Meter Tiefe einen Knick beschrieb. Cochise ritt in einen Hohlweg mit himmelanstürmenden Wänden und einer bemerkenswerten Kühle, die Tiere wie Reiter erfrischte. Es ging nach unten. Schweigend verließen sie das mesaartige Tableau und drangen wieder in die Welt der Canyons und halbdunklen Schatten ein. »Jetzt sind wir wieder Jäger«, sagte Earp kopfschüttelnd. »Nein«, erwiderte der Häuptling, »die Gejagten.«
»Verstehe ich nicht, Chief.« Cochise deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Sie sind hinter uns.« »Und deine Krieger?« »Machen die Treiber.« »Verdammter Apachentrick!« Über Cochises strenges Gesicht flog ein Hauch von Glanz. Er verstand den Weißen und wußte, daß Hochachtung vor der indianischen Kriegsführung aus ihm sprach. Der Nachmittag verging. Unermüdlich legten die Pferde Meile um Meile, Kehre um Kehre, Strecke um Strecke zurück. Die Einöde menschenleerer Canyons umgab sie mit Schweigen, Fliegen und brütender Hitze. Die Fliegen wurden zur Plage, die Hitze zur Qual. Pfeilschnell schossen Pferdebremsen durch die Schluchten, und wenn sie stachen, war das wie der Biß einer Klapperschlange. Erste Schatten sanken wie dunkle Wolken in die Täler, rollten die Canyonwände herab und gruben sich in Gesteinsspalten. Cochise lenkte seinen müden Pinto zu einer klammartigen Schlucht, die im rechten Winkel vom Canyon abzweigte. Nach ein paar Metern verbreiterte sich der Spalt zu einem ovalen Kessel. Es gab eine Quelle, viel saftiges Gras und trockenes Holz. Koniferen stiegen am Ende in die Höhe und wiegten ihre immergrünen Häupter im leichten Abendwind. Cochise stieg ab, führte sein Pferd zu einem Tümpel und ließ es saufen. Wyatt befreite sein Tier von der Last des Sattels und gab es mit einem Klaps auf die Hinterhand frei. Bevor sich die Dunkelheit ganz über das Land legte, brannte ein winziges Kochfeuer. Während sich der Häuptling mit einer einfachen Mahlzeit begnügte, briet Wyatt Speck und Bohnen und kochte Kaffee. Ein angenehmer Duft flutete durch das Tal und regte die Magensäfte des Weißen an. Sie hatten kaum gegessen, als Cochise den Kopf hob. Ein fremder Laut stand glashell in der Dunkelheit. Beschlagene
Hufe stießen klirrend gegen Steine und erzeugten Töne wie in einer Kathedrale. Schweigend stand Cochise auf und neigte lauschend den Kopf. Earp wollte sich ebenfalls erheben, aber eine Handbewegung des Häuptlings hielt ihn davon ab. »Die Mörder?« fragte der Revolvermann. Cochise schüttelte den Kopf. »Ein fremder Reiter. Ich nehme ihn mir vor.« »Ich begleite dich, falls es mehr sind.« Verächtlich winkte Cochise ab. »Ein Reiter. Er kommt durch den Canyon. Ganz bestimmt wird er den Rauch unseres Feuers riechen und herkommen.« Wie ein Schatten verschwand der Häuptling. Wyatt Earp vernahm nicht das leiseste Geräusch. Da war nur ein Huschen und Gleiten, ein leichter Windhauch, wie vom Flug einer Libelle, mehr nicht. Banges Schweigen beim Feuer. Earp durchflog die nahe Vergangenheit und durchforstete sein Gehirn nach ähnlichen Begebenheiten. Er fand nichts, gar nichts. Cochise war absolut souverän und unnachahmlich als Häuptling der Apachen, und er war allen anderen weit überlegen. Cochise hatte die mannsbreite Enge hinter sich gelassen und war in den finsteren Canyon hinausgeritten. Von Nordosten her näherte sich ein einzelner Reiter. Er saß locker und bequem, wie es Männer taten, die viel im Sattel saßen und große Strecken zurücklegen mußten. Sein Gesicht lag im Schatten einer herabhängenden Hutkrempe. Bekleidet war er mit Wildlederstiefeln und über dem Hemd trug er eine lederne Weste. Sein Halstuch flatterte rot im Reitwind. Dieser Weiße war gefährlich. Cochise sah es an seiner wachen Haltung und den flinken Augen, die alles zu bemerken schienen. Nur nicht den kauernden Apachen, der sich, so gut es möglich war, seiner Umgebung anpaßte.
Cochise konnte den fremden Reiter nicht erkennen, dazu war es zu dunkel. Der Mond war noch nicht aufgegangen, und Sterne waren nicht zu sehen. Am Canyonrand wuchsen Yuccas. Sie streckten ihre Faserstengel in die Höhe wie Comanchenspeere und standen so dicht und reglos wie Soldaten. Wie ein großer Wurm kroch Cochise hinter die verstaubte Vegetation und blieb bewegungslos liegen. Der Reiter mußte nahe an der Pflanzensammlung vorbeikommen und würde nicht eher etwas von der Anwesenheit eines Apachen wissen, bis dieser hinter ihm saß und ihm das scharfe Messer an die Kehle setzte. Er kam näher, der ahnungslose Fremde. Er pfiff nicht und sprach nicht mit sich selbst, wie das gern Männer taten, die lange Zeit mit ihrem Pferd allein durch die Wildnis ritten. Der Fremde kam lautlos heran. Cochise war es, als hätte sein Pferd Katzenpfoten anstatt beschlagener Hufe. In diesem Augenblick stieß es gegen einen Stein und hob sofort den Huf an. Cochise wunderte sich über so viel Verstand bei einem Pferd. Noch zehn Pferdelängen war der Reiter entfernt. Er ritt locker und irgendwie gelöst. Der Häuptling bewunderte die Haltung des Fremden. Apachen ritten anders, mehr auf ihren eigenen Schutz bedacht. Das dunkelbraune Pferd näherte sich mit jedem Schritt mehr der Gefahrenstelle und nickte beim Gehen, als sei es mit allem einverstanden, was sein Reiter wollte. Noch drei Pferdelängen. Cochise spannte alle seine Muskeln an und machte sich fertig zum Sprung. Zwei Längen noch, eine. Da geschah es! Das Tier witterte den Indianer, der seinen Eigengeruch zwischen den stark duftenden Yuccas verborgen gehalten hatte, und stieg mit den Vorderbeinen schlagend in die Höhe. Cochise sprang auf. Mit zwei langen Schritten unterlief er die
rotierenden Hufe und blickte in eine Revolvermündung. Cochise mußte keinen Bruchteil einer Sekunde überlegen, wie er zu handeln hatte. Seine Reaktion geschah blitzartig, viel zu schnell für den Weißen. Die Revolverhand wurde gepackt, zur Seite gedrückt und nach unten gezerrt. Der Mann kam Cochise entgegengeflogen und stürzte mit hartem Aufprall vor die Füße des Jefe. Sofort war dieser mit gezücktem Messer über ihm und setzte ihm die scharfe Klinge an die Kehle. »Jesus Christus! Cochise!« John Haggertys Schrei füllte den halben Canyon aus. »Falke!« Cochises Messer verschwand. Der Häuptling erhob sich, reichte seinem Freund die Hand und zog ihn auf die Beine. Johns Pferd hatte sich bis an die Basis der Felswand zurückgezogen und stand dort zitternd. Beide klopften sich den Staub aus der Kleidung und starrten sich dabei an. Haggerty grinste. »Eine Meisterleistung, roter Mann, mich derart zu überraschen!« »Hellauge ließ mich in seinen Revolverlauf blicken. Das kann nur der Falke.« Sie empfanden mehr als Sympathie füreinander, das wurde deutlich, sie waren Freunde. Cochise wußte von Haggertys Aufgabe, der Armee als Scout zu dienen. Er wußte aber auch, daß er diesem Mann vertrauen konnte. Seine Schwester Tla-ina liebte den Falken mit der ganzen Faser ihres jungen Herzens, aber John Haggerty war Scout für die Armee und ständig unterwegs. »Du reitest auf rotem Land, Falke. Wohin führt dein Weg?« »Dorthin und dorthin«, sagte John und deutete nach Nordosten. »Zu den Jacales der Chiricahuas?« »Nicht unbedingt.« Haggerty sah dabei weg.
Cochise wußte, daß er log. Zwecklügen waren keine Lügen, nur Taktik in einem immerwährenden Krieg zwischen Weiß und Rot. Er sagte nichts hierauf, starrte John nur an. Zwei wissende Augenpaare kreuzten sich, bis Haggerty von einer Bewegung in Cochises Rücken abgelenkt wurde. Sein Colt wirbelte hoch, der Hahn knackte, und der lange Revolverlauf reckte sich einem Weißen entgegen, der sich langsam und zögernd aus der dunklen Canyonnacht schob. Cochise, der die Bewegung in seinem Rücken gespürt hatte, schüttelte den Kopf. Haggerty ließ die Waffe sinken und trat zur Seite. Überraschen konnte man den Scout nur schwer. Das war bisher nur einem gelungen: Cochise. »Wer sind Sie? Bleiben Sie stehen und geben Sie sich zu erkennen!« »Hallo, Haggerty! Wie geht's?« John erkannte den anderen trotz der schlechten Sicht. »Hallo, Wyatt Earp! Immer zur nächtlichen Stunde unterwegs?« »Wie Sie, Haggerty, wie Sie!« Earp lachte, trat heran und reichte dem anderen die Hand. »Gewiß, wie ich. Schlimm, wenn man nachts reiten muß, um sich sein Brot zu verdienen.« Earp lachte. Er wußte genau, worauf Haggerty anspielte und machte mit seinen folgenden Worten keinen Hehl daraus, daß er von einem Aufgebot verfolgt wurde. »Sie haben recht, John. Sie sind wieder einmal hinter mir her.« »Hoffentlich nicht Cochise mit seinen Chiricahuas?« Beide grinsten sich an. Der Scout fragte: »Wieder was ausgefressen, Wyatt?« »Ein Spielchen in Tombstone. Man nannte mich Falschspieler und griff zur Waffe. Ich mußte mich doch wehren.« »Klingt einfach, wie?« antwortete Haggerty und warf einen Blick in Cochises verschlossenes Gesicht.
»Du bist auf der Jagd, Jefe, ich seh's dir an. Wer ist das Wild?« »Vier weiße Mörder.« Haggerty witterte sofort neue Komplikationen. Er wich zunächst dem Thema aus und drehte suchend den Kopf. »Ich rieche Rauch. Wo ist das Lager?« Cochise machte eine flüchtige Handbewegung und deutete auf den engen Spalt der Klamm. »Komm mit, Falke. Du wirst es sehen.« In der Nähe flatterte ein Ziegenmelker-Pärchen. Cochise beachtete die Geräusche nicht. Mit den Stimmen der Natur vertraut, wandte er sich an Haggerty und ignorierte das heftige Flügelschlagen zwischen den Surnachstauden. »Du bist den ganzen Tag unterwegs, Falke, du wirst Hunger haben. Der Mann mit dem schnellen Revolver wird dir zu essen machen.« »Ich habe keinen Hunger, Chief.« Er folgte Cochise zu dem Spalt, gleitend und mit erhobenem Kopf, wie er überall durch Türen und fremde Eingänge ging. Er war glücklich, auf Cochise gestoßen zu sein, ersparte es ihm doch den Verrat an einem alten Freund. Doch er gestattete diesem neuen Gefühl nicht, den Blick seiner Augen zu trüben, noch seinen wolfsähnlichen Gang zu verzögern. Auch entfernte er nicht seine rechte Hand von den schwarzen Walnußholzschalen seines Revolvergriffes, wie er auch nicht vergaß, spähende Blicke in den ovalen Kessel zu schicken. Mit einem einzigen Blick erfaßte er alles, auch, daß Cochise ihm seine Ausrede nicht glaubte. Das alles, was John ständig wieder und wieder in die Waagschale werfen mußte, war der Preis, den das Überleben in dieser gnadenlosen Wildnis forderte: diese unbewußte Wachsamkeit, dieses ständige Auf-der-Hut-sein, besonders in Regionen wie dieser und während der dunklen Nacht. Earp beobachtete den Scout. Wyatt erkannte mit einem einzigen Blick, daß er einen Mann der Superklasse vor sich
hatte, einen Mann, der in diesem Land Bescheid wußte und alle Schliche und Tricks kannte. Sie setzten sich. Cochise ließ das Feuer wieder aufflammen und sorgte mit Nachschub an trockenen Zweigen für Licht. Als Haggerty ihm Fragen stellte, beantwortete er sie alle wahrheitsgemäß. Er erzählte von dem Spiel in Tombstone, von seiner Flucht, später sprach er über seine Brüder, vergaß sein Leben nicht und das, was er erreichen wollte. Cochise und Haggerty hörten schweigend zu. John war sich darüber klar, daß Earp ein typisches Kind seiner Zeit war. Aufgewachsen mit einem Revolver, der Gewalt zugeneigt, ging er jeder Gefahr mit kühner Stirn entgegen und bot seine behaarte Brust jedem Pfeil und jeder Kugel dar. Cochise hatte ähnliche Gedanken. Sie bezogen sich jedoch mehr auf eine zu erwartende Gefahr durch diesen Mann. Ihm selbst konnte Earp nicht mehr gefährlich werden, weil er ihn kannte. Aber er konnte Unheil anrichten unter seinen Kriegern, die ihn nicht kannten. Haggerty und Cochise wechselten einen Blick über das Feuer hinweg. Beide dachten gleich, wie Zwillinge, die einem einzigen Ei entstammten. Und doch waren die beiden Männer so verschieden wie Tag und Nacht. Earp hatte sich thematisch erschöpft. Er fing an, von dem zu berichten, was den schweigsamen Indianer betraf. Er erzählte Haggerty von dem Massaker an der indianischen Familie. Er sprach über alles, was dem Scout neu war. Wyatt hörte erst auf zu reden, als irgendwo in der Bergwildnis ein grausig anzuhörender Schrei ertönte, der sich mit zahlreichen Echos fortpflanzte, bis er sich anhörte, als würden sich die Seelen der Gemarterten und sinnlos Hingeschlachteten dieser Welt in diesem Landstrich ein klagendes Stelldichein geben. Noch einmal dieser furchtbare Schrei. Dann lag die monotone Stille wieder wie ein Leichentuch über dem schluchtenreichen Land. Earp und der Scout waren aufgesprungen. Nur Cochise
war sitzengeblieben und regte kein Glied. Im Canyon dröhnten Hufe auf steinigem Grund, jagten in rasendem Stakkato an der Felsspalte vorbei, verfolgt vom Jagdschrei eines Timberwolfes. »Wölfe…? Hier…?« Haggertys Stimme wurde vom Zweifel befallen. Cochise winkte ab. »Menschliche Wölfe, Falke, Chiricahuas.« Earp verstand und setzte sich wieder. Haggerty jedoch blieb weiterhin stehen, die Hand am Revolver. »Ich verstehe nicht, Jefe.« Wyatt Earp erklärte es ihm. Nach und nach beruhigte sich der Scout und nahm am Feuer Platz. Es war kurz vor dem Erlöschen. Weder Cochise noch ein anderer legte Brennmaterial nach. Bodendunst erhob sich am Ende des Kessels. Über das flüchtige Lager hinweg strich Bu, die Eule, der Totenvogel für die Apachen. Cochise war zwar nicht frei von Aberglauben, aber die Eule erregte ihn nicht sonderlich. Für den wildniserfahrenen Indianer war sie ein Raubvogel und kein Götterbote. In den Canyons wurde es wieder still. Vorbei war die wilde Jagd, vorbei die Schreie in den Schluchten. Kein Laut störte mehr die Stille der verschlafenen Nacht. * Sie hielten atemlos auf einem Hang. Das Geröll unter den Pferdehufen geriet ins Rutschen und kollerte polternd die schräge Ebene hinab. Dan Laurel, der Geierköpfige, gestikulierte wild mit den Händen. Bevor er sich erklären konnte, gewahrte Josuah Lemmon eine flüchtige Bewegung oben am Hang, stieß einen Warnruf aus und riß das Gewehr aus dem Scabbard. »Nicht schießen!« brüllte Fatty und wollte der Zaunlatte das
Gewehr entreißen. Es blieb beim Wollen. Lemmon schoß zwar nicht, ließ sich aber auch nicht die Waffe wegnehmen. Vier Männer starrten aus entzündeten Augen den Hang hinauf, sahen aber keine Bewegung mehr, und sei sie noch so flüchtig. »Was war das?« »Ein Wolf.« »Hier? Nonsens!« »Doch, es war ein Wolf«, beharrte Dan Laurel auf seiner Meinung. »Und warum durfte ich dann nicht auf ihn schießen?« fragte Zaunlatte. »Wegen der Indianer, du armer Tropf«, erwiderte Hugh Bennet, der Schieler. Kaum hatte Hugh die Worte ausgesprochen, ertönte ein Wolfsschrei, der die Männer zusammenzucken ließ. Nicht der tierische Laut war es, der sie jäh in Entsetzen versetzte, sondern die Ahnung, daß sich, hinter dem Schrei Indianer verbergen konnten, die sich gegenseitig signalisierten. Eine halbe Meile weiter stand nadelspitz und gefährlich anzuhören der Antwortschrei in der Luft. »Reiten wir fort«, sagte Lemmon angstbebend. Dan Laurel hob den Kopf wie ein witternder Hund und antwortete: »Wohin? Kannst du mir sagen, wohin, wenn es sich um Apachen handelt?« »Weg, nur weg!« »Dummer Kerl! Sind es Chiricahuas, kommen wir nicht weit. Sind's nur Wölfe, brauchen wir nicht zu fliehen.« »Aber wir müssen doch was tun!« Hugh Bennet drehte sich zu dem Dicken herum. Er runzelte die Stirn und strich sich bedächtig den brustlangen Bart. »Wir werden auch was tun, Dummkopf! Aber wir lassen uns nicht durch ein bißchen Geschrei in die Flucht jagen und dann irgendwo in einer dunklen Ecke des Gebirges abmurksen.
Warten wir ab. Aber haltet die Gäule fest, daß sie uns nicht durchgehen.« Eine Weile geschah nichts. Stille lag über dem Hang. Fliegen schossen im Sonnenuntergang durch den Canyon, verfolgt von dunklen Gebirgsschwalben. Auf einer Klippe saß ein Dutzend Bussarde und spähte nach einem Abendessen aus. Es gab einfach nichts, was die abendliche Stille gestört hätte. Oder doch? Lautlos und geschmeidig zuckte ein grauer Schatten weiter oben in Kammnähe durch die dürftige Vegetation. Einmal war er kurz zu sehen, dann wieder einen langen Augenblick lang nicht. Weit hinten im Canyon bewegte sich ebenfalls etwas. Das Auge eines Weißen war nicht scharf genug, diese flüchtigen Bewegungen zu erkennen und als das zu identifizieren, was sie waren: Alles, nur keine Wölfe. Der folgende Wolfsschrei ließ die Pferde mit den Vorderbeinen in die Höhe gehen. Unter Angstgewieher warfen sie sich herum und fegten in einem halsbrecherischen Tempo, den Hang wieder hinab in den Canyon. Fatty fluchte wie ein Bürstenbinder. Lemmon, der Dürre, schrie mörderisch und zeigte seine Angst mit aller Deutlichkeit. Eine Angst, die auch von den anderen geteilt wurde. Das waren keine Wölfe. Wölfe, die ihren Jagdschrei in den sinkenden Tag schickten, konnte man sehen. Wölfe verbargen sich nicht, wenn sie ein Wild zu hetzen begannen, selbst wenn dieses Wild Menschen waren. Im Canyon beruhigten sie die Pferde. Als sich die vier Outlaws wieder sammelten, wandte sich Hugh Bennet an Fatty: »Morg«, sagte er, »Morg, hast du in deinem Leben schon mal solche Wolfsschreie gehört?« Morg Burthe schüttelte heftig den Kopf. »Nein«, sagte er voll Argwohn, was jetzt wohl in dem langsamen Verstand des anderen vorgehen mochte. »Warum willst du das gerade von mir wissen?«
»Es war nur so ein Gedanke, Junge. Vergiß es.« »Dir Bastard traue ich nicht weiter als ich dich sehe.« »So schlecht mußt du nicht von mir denken.« Morg Burthe konnte nicht mehr antworten. Von drei Seiten gleichzeitig dröhnte der Wolfsschrei, diesmal lauter und aggressiver als vorher. Unvermittelt setzten sich die Pferde aus dem Stand in Galopp in Bewegung und warfen fast die Reiter ab. In heller Panik stoben die Ponys durch die Schlucht, verfolgt von den wilden Schreien grauer Wölfe. Es gab kein Halten mehr. Hugh Bennet verschwand zuerst mit seinem Gaul hinter der nächsten Kehre, ihm folgten der Dicke, Zaunlatte und schließlich Dan Laurel, der Geierköpfige. Hinter Steindeckungen hervor kamen drei vergnügte Krieger in ihrer traditionellen Wüstenkleidung. Sie lachten, hieben sich auf die Schenkel und schwangen voller Triumph ihre Kürbisrasseln. Es war ein mächtiges Spektakel, das hinter den flüchtenden Weißen herraste, und es war genau die gewünschte Richtung, in die die Outlaws ritten. Tal-bort warf sich in die Brust und rief den Kampfschrei der Chiricahuas in die herabsinkende Dunkelheit. Die beiden anderen stimmten ein, zerrten aus geschützten Verstecken ihre Ponys und folgten den Weißen. Von nun an durften sie nicht wieder zur Ruhe kommen. »Sollen wir unsere Taktik nicht ändern?« Kleiner Fisch wandte sich an Ulzana. »Wie ändern?« »Sie müssen bald merken, daß es keine Wölfe sind, die sie jagen. Ich meine, der Schrei eines Pumas tut's auch.« Ulzanas Augen suchten die Hänge des Canyons ab, die sich deutlich von den dunkler und dunkler werdenden Hängen abzeichneten. Kein Cochise war dort oben und sah ihnen zu. »Nein«, erwiderte er in seiner gutturalen Sprache. »Es genügt.
Der Jefe wird sie am Ende der Canyonregion stellen und bestrafen. How!« Das abschließende Wort ließ die beiden anderen Apachen schweigen. Wenn Ulzana auch kein Häuptling war, so zählte sein Wort im Rat der Alten. Jüngere Krieger hatten danach in der Regel keine Stimme mehr. Lange nach Anbruch der Dunkelheit vernahmen die scharfen Ohren der Chiricahuas die Huftritte der verfolgten Pferde vor sich in der langen Schlucht. Sie trieben ihre Pintos an und ritten in einem leichten Galopp den anderen nach. Noch hielt Ulzana die Zeit für nicht gekommen, die Weißen wieder ein wenig anzuspornen. Auch Indianerpferde brauchten Ruhe und konnten nicht ständig im gestreckten Galopp rennen. Als die Weißen die Gabelung hinter sich gelassen hatten, schlugen sie ihren Weg in einen Canyon ein, der genau nach Osten führte und erst nach ein paar Meilen wieder in nördliche Richtung verlief. Für Ulzana schien die Zeit gekommen, Cochises Befehl Nachdruck zu verleihen. Er drehte sein breitflächiges Gesicht Tal-bort zu und zischte: »Schrei wie der große Wolf, Kleiner Fisch, und schrei laut.« Tal-bort ließ ein lautes Heulen erklingen, das sich mit zahllosen Echos an den Hangwänden fortsetzte. Sofort darauf klapperten weit vor ihnen wieder unbeschlagene Hufe. Zwei Gruppen fegten durch die Schlucht, wirbelten Staub auf und ließen ihn zurück. Die eine Gruppe schrie begeistert, die andere angsterfüllt. Apachentaktik. Was sie noch hinter sich ließen – eine klammähnliche Seitenschlucht, in der ein Feuer brannte und zwei weiße Männer bangen Herzens der verklingenden wilden Jagd lauschten. Nur Cochises Gesicht blieb unbeweglich. Earp und Haggerty musterten ihn fragend, aber der Häuptling gab mit keinem Zeichen zu erkennen, daß er von der Verfolgungsjagd wußte. Nachdem alles in ihrer Umgebung ruhig geworden war, und
die Stille der Nacht sich auf den Kessel senkte, nahmen sie ihre Decken und bereiteten sich ein Nachtlager. Kaum graute der Morgen im Osten, wurde Haggerty vom Rauch des Lagerfeuers geweckt. Er richtete sich auf und sah den Indianer bereits vor den Flammen sitzen. Earp schlief noch, als sich Haggerty von den Decken befreite, aufstand und zum Feuer ging. Er setzte sich wortlos, aber mit einem flüchtigen Kopfnicken, dem Jefe gegenüber. »Du bist früh auf den Beinen, Cochise.« »Es ist Tag«, erwiderte der Häuptling und deutete über die Schulter nach Osten. Seine Stimme klang lakonisch. »Wird ein schwerer Tag, wie?« Cochise nickte. »Ein heißer Tag, Falke, ein sehr heißer Tag.« Haggerty lächelte. Er erhob sich, ließ aus seiner Feldflasche Wasser in einen Henkeltopf laufen und stellte ihn auf die Flammen. »Cochise ist auf der Jagd?« »Apachen sind immer auf der Jagd.« »Es fragt sich nur, wen sie jagen?« Cochise blickte über das Feuer hinweg auf den Weißen der sein Freund sein könnte, wenn die Gegensätze, für die sie sich beide einsetzten, nicht so groß gewesen wären. John hielt dem Blick stand. »Der Falke ist nicht in dieses Land gekommen, um zu jagen. Weder Tier noch Menschen. Tla-ina wird betrübt sein, wenn sie erfährt, daß ihr weißer Freund die letzte Bergfeste der Chiricahuas auskundschaften will, um es an die Soldaten zu verraten.« John Haggerty zuckte zusammen. Sein Blick irrte zur Seite, sah Wyatt Earp an, der zum Feuer kam und die letzten Worte Cochises vernahm. »Das werden Sie doch nicht tun, Scout, oder doch?« »So lautet mein Auftrag. Es bedeutet jedoch nicht, daß General Howard einen Angriff auf Cochises Lager führen will.
Howard ist der Freund aller roten Männer.« »How!« Wyatt und Haggerty starrten Cochise an. Das How war die Bekräftigung dessen gewesen, was sie alle dachten. Wenn General Otis O. Howard nicht wäre, würde es an der Indianergrenze anders aussehen. Der Mann, der im amerikanischen Bürgerkrieg seinen rechten Arm verlor, war wirklich alles andere als ein Indianerfeind. John nahm das kochende Wasser vom Feuer und brühte Kaffeepulver auf. »Es ist schon schlimm«, sagte er, »wenn sich Freunde gegenübersitzen, die aus verschiedenen Gründen keine Freunde sein dürfen. Das ist sehr schlimm, Mr. Earp!« Cochise erwiderte kein Wort. Earp zuckte die Achseln. Von Freundschaften hatte der kaltschnäuzige Revolvermann und Berufsspieler noch nie viel gehalten, ganz besonders nicht von Freundschaften solcher Art. Wenn er auch persönlich nichts gegen die Apachen hatte, wenn sie ihn in Ruhe ließen, so war es ihm doch völlig gleichgültig, was die Armee über Indianer dachte und warum sie einen Mann wie Haggerty in die Berge schickte. Er warf einen langen Blick auf den Scout, wie um seine Gedanken zu ergründen. Aber John sah man nicht an, was er dachte oder fühlte. Seine Gedanken waren irgendwo streifend in der Bergeinsamkeit, suchend nach Tla-ina, dem Mädchen, das er liebte und doch nicht besitzen durfte, weil in der Armee Squaw-Männer ohne Ansehen waren. Earp sah ein schmales Gesicht, braunes, gewelltes Haar, das lang in Haggertys Nacken floß. Der Scout hatte helle Augen, eine hohe Stirn und schmale Lippen über einem energischen Kinn. Dieser Mann wußte, was er wollte. Das dachte Wyatt Earp in diesem Augenblick. Dankbar nahm er den Becher mit kochend heißem Kaffee entgegen und setzte ihn an die Lippen.
»Danke«, murmelte er und musterte nun den Häuptling. Cochise begnügte sich mit Wasser aus der Quelle. Dazu aß er knochentrockene Tortillas und eine Handvoll Beeren aus einem Lederbeutel. Earp setzte sich, blies lange in die dampfende braune Brühe und war sich bewußt, daß er mit dem Erscheinen des Scouts auf tiefgreifende Probleme gestoßen war, die nicht nur in den rassischen Unterschieden zu suchen waren. Zwischen Cochise und Haggerty gab es ein ganz tiefes Geheimnis, über das aber keiner in Gegenwart dritter sprach. Nach einer Weile vergaß Earp seine Gedanken und gab sich ganz dem Frühstück hin. Danach drehte er eine Zigarette und zündete sie mit einem brennenden Ast an. Er rauchte, studierte die Gesichter der seltsamen Weggenossen und wartete auf das Zeichen zum Aufbruch. Es wurde von Cochise gegeben. Die drei Männer standen auf, löschten das Feuer, sattelten die Pferde und stiegen auf. Cochise übernahm die Spitze und verließ den Kessel durch die Klamm. Im Canyon brütete bereits die erste Morgenhitze. Ein Falkenpärchen tummelte sich über ihren Köpfen und stieß pfeifende Schreie aus. Wyatt ritt hinter Cochise und Haggerty. Die beiden unterhielten sich leise. Ein paar Worte konnte der Spieler verstehen. Cochise sagte: »Wir werden eine andere Wegstrecke einschlagen müssen, wenn wir ihre Spur nicht verlieren wollen.« »Weißt du eine, Häuptling?« »Es ist mein Land«, war die kurze Erwiderung. »Täler und Berge wurden mir von meinen Ahnen anvertraut, damit ich sie gut verwalte. Das habe ich getan, bis die Weißen vordrangen.« John Haggerty erwiderte nichts darauf. Er hätte auch nichts Entlastendes sagen können. Cochise fuhr fort: »Der Krieg wird erst beendet sein, wenn es keine Indianer mehr gibt, nicht hier, nicht anderswo. Irgendwann wird alles,
was du siehst, Falke, den Weißen gehören. Und dann bleibt ihnen nichts weiter übrig, als sich gegenseitig zu bekämpfen.« »Du siehst zu schwarz, Jefe. Kein weißer Häuptling will den roten Mann aus seinem Stammesgebiet vertreiben.« Cochise drehte den Kopf herum und schaute Haggerty von der Seite her lange an. »Deine Worte sind Pfeile, Falke. Sie treffen mein Herz und lassen es bluten.« »Habe ich etwas Falsches gesagt?« »Die Weißen treffen nie die richtigen Worte, die Indianer verstehen könnten. Manchmal reden sie doppelzüngig, meistens aber unverständlich.« »Das ist die Verschiedenart der Sprachen.« Cochise schüttelte den Kopf, deutete voraus in den breiter werdenden Canyon und zeigte auf einen abschüssigen Hang, der zu einer lichtlosen Schneise zwischen zwei Bergkuppen führte. »Dort ist unser Weg.« Earp in seinem Rücken berührte mit den Fingerspitzen seinen sonnenverbrannten Hals, und ein Grinsen breitete sich über sein Gesicht. »Donnerwetter«, sagte er, »dort hinauf, das will schon was heißen!« Sein Grinsen gehörte keinem Schwachsinnigen oder einem gefühllosen Mann. Es war das Grinsen des Spielers, der eine Karte ausspielte, von der er wußte, daß sie schlecht war. Wyatt Earp wußte genau, wo er war, woher er kam und wohin er gehen mußte. Es schreckte ihn nicht. Er würde grinsen, wenn er vor einem abschußbereiten Revolver stand oder wenn man ihm die Schlinge um den Kopf legte. Das war seine Art. Er würde sie weder verfluchen noch anspucken, und er würde nicht die Hände falten zu einem Gebet. Nicht laut jedenfalls. »Dort hinauf?« fragte er. »Ich denke, da sind wir mit unseren Gäulen schneller wieder unten als wir denken.« Weder Cochise noch Haggerty gaben Antwort. John hielt sein
Pferd mit einem Zügelruck an. Cochise folgte seinem Beispiel. Sein markantes Gesicht mit den dunklen Augen war auf den sattelähnlichen Spalt dort oben gerichtet. Was sah er? Mehr als die Weißen? Earp schüttelte hinter seinem Rücken den Kopf. Dort oben in dieser Wildnis führte kein Weg mehr weiter. Keinem Weißen wäre es jemals eingefallen, hinaufzureiten, um nach einem Weg zu suchen. »Das ist eine Sackgasse.« Er straffte sich, als er das sagte, und seine Augen saugten sich an einer Bresche in der hinteren Felswand fest, die den schräggeneigten Hang abschloß. Cochises Hand zuckte vorwärts. »Reiten wir«, sagte er lakonisch. Er trieb sein Pferd tatsächlich den Hang empor und verschwand hinter aufragenden Basaltfelsen. * Morg Burthe wischte sich immerfort Schweiß und Staub aus dem Gesicht. Die Hitze in den engen Canyons war infernalisch, und nicht nur die Hitze. Der Wind wehte Staub und Sand von den Hängen und trieb beides in die Abgründe. Hugh Bennet und Dan Laurel ritten an der Spitze des Trupps. Josuah Lemmon und Laurel befanden sich in einem Zustand erbarmungswürdiger Hilflosigkeit und Angst. Die Angst um das Leben war es, die ihnen überall Wölfe und Apachen suggerierten, wo nur nackter Fels war. Ihre Phantasie spiegelte ihnen Trugbilder vor, die unter normalen Umständen einem kranken Gehirn entsprangen. Sie sahen bewaffnete Krieger auf grauen Wölfen reiten, und diese Wölfe hielten scharfgeschliffene Messer in den Fängen. Hugh Bennet, der schielende Bärtige, war aus einem anderen Holz geschnitzt. Er sah keine Phantombilder und fürchtete sich
weder vor den Apachen noch vor den eingebildeten Wölfen. So lange er ein geladenes Gewehr und seinen Colt hatte, fürchtete er nichts auf dieser Welt. Morg Burthe fürchtete die Hitze, den Staub und die Berge mehr als die Apachen. Auch er vertraute seinen Waffen und seiner eingebildeten Schießkunst. So ritten sie schnaufend, fluchend und keuchend durch den Canyon, der kein Ende nehmen wollte. Einmal war er schmal, sehr schmal, dann wurde er breit wie ein Tal. Aber in allen Fällen waren die Hänge schroff und unbesteigbar. Nicht einmal wilde Bergziegen hätten sie bezwingen können, geschweige ein unbeschlagenes Pferd mit einem Reiter auf dem Rücken. Als die Sonne im Zenit stand und ihre glühenden Pfeile senkrecht in die Schlucht schickte, war der Dicke nahe am Aufgeben. Auch die anderen hingen auf den Pferderücken wie trunkene Affen auf einem Schleifstein. Ein gewaltiger Schrei in ihrem Rücken riß sie gemeinsam hoch. Noch einmal klang der Wolfsschrei an einer anderen Stelle auf. Die gestohlenen Indianerpferde waren zu abgetrieben, um noch spontan auf die Rufe der Wildnis zu reagieren. Sie ließen die Ohren hängen und trotteten weiter ihren Weg. Hugh Bennet riß das Gewehr aus dem Scabbard und schickte mit schnellem Hebelgriff eine Patrone in die Kammer. Der Schuß, wahl- und ziellos abgefeuert, donnerte durch die Schlucht, und die Kette von Echos ließ Sand und Steine von den Steilhängen regnen. »Idiot!« sagte Josuah Lemmon erregt. »Mußt du auch noch die Apachen auf uns aufmerksam machen?« Bennet tippte sich an die Stirn. »Selber Idiot! Was glaubst du, du Einfaltspinsel, wer die verdammten Schreie ausstößt?« Schweigen legte sich wieder wie eine Wolke aus grauem Staub über die Reiter. Sie waren ausgepumpt, müde und verzweifelt. Dan Laurel rang mit seinem Gewissen und hätte
den Überfall auf die Apachensippe gern ungeschehen gemacht. Gebete aus seiner Kindheit fielen ihm ein, er stammelte sie mit aufgesprungenen Lippen und zundertrockener Zunge. Sie hatten längst kein Wasser mehr und würden auch keins in dieser Einöde finden, das wußten sie alle, ohne daß ein Wort darüber verloren wurde. Ihr eigener Wille war durch die Apachen ausgeschaltet worden. Sie unterlagen fremdem Denken und Wollen und wurden gelenkt. Sie wurden zur Schlachtbank geführt, ohne daß sie sich wehren konnten. Jeder wußte es, ohne darüber zu reden. Alle hofften sie auf ihr sprichwörtliches Banditenglück, das ihnen rechtzeitig einen Ausweg aus dieser mißlichen Lage zeigen würde. Als die Pferde auf die Wolfsschreie nicht mehr oder nur schwach reagierten, wandten die Chiricahuas eine andere Taktik an. Geröll prasselte ohne erkennbare Ursache von den Canyonhängen zwischen die steifen Pferdebeine. Die gepeinigten Tiere stießen seltsam anzuhörende Angstschreie aus, die geradezu menschlich klangen. Noch einmal rafften sie alle Kräfte zusammen und stoben in langen Sätzen einige hundert Meter tiefer in den endlosen Canyon. »Wenn wir kein Wasser finden, sind wir noch vor Sonnenuntergang erledigt«, grunzte Bennet hitzetrunken. »Mein Schinder macht's keine Meile mehr«, gab Morg Burthe zurück. Die Zaunlatte und der Geierköpfige verzichteten auf einen Dialog. Jedes Wort bedeutete Anstrengung und Qual, und wer quälte sich schon ohne Notwendigkeit. Nach einem leichten Galopp fielen die Tiere wieder in einen gleichgültigen Zuckeltrab. Er wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht, und das fortwährend. Es war heiß, und die Hitze würde noch zunehmen. »Pferd«, sagte er, »sie treiben uns, sie, die Brüder deines roten Herrn. Sie wollen es jetzt schaffen. Das können sie auch, denn
sie kennen das Land, wir nicht. Oder weißt du, Pferd, was vor uns liegt?« Das Pferd schnaubte nicht einmal. Es wackelte ein wenig mit den Ohren, aber das war eine Reaktion auf die Fliegen, die sich bei ihm festsetzten und seinen Schweiß tranken. »Na, dann eben nicht«, murmelte Bennet und blinzelte gegen die Sonne. Übergangslos hatte er den Eindruck, als ritten sie in eine völlig falsche Richtung. War es das beginnende Wüsten-Koma, der totale Blackout, hervorgerufen durch Hitze und Wassermangel, oder spielte ihm die Sonne lediglich einen Streich? Der Gedanke entlockte ihm ein fades Grinsen, das kaum seine Bartspitzen in Bewegung brachte. Für ihn und die anderen war es völlig gleich, ob die Sonne, die Hitze oder der Durst ihnen Wahnvorstellungen vorgaukelte. Es gab keinen anderen Weg für sie. Weder über die Hänge noch rückwärts. Weiter mußten sie, immer geradeaus, einmal nach Osten, dann nach Norden und schließlich in die von den Roten gewünschte Richtung Nordosten. »Ich kann nicht mehr«, keuchte der Dicke. Hugh Bennet sah in dem sich wieder einmal verbreiternden Tal eine grüne Buschinsel. Er hielt darauf zu und streckte die Hand aus. »Wir legen dort drüben eine Rast ein, Jungs. Und wenn der Teufel selbst uns zu vertreiben versucht, diesmal hat er kein Glück.« Ein dumpfes Ächzen in seinem Rücken war die ganze Antwort. * »Hier führt kein Weg mehr weiter.« Haggerty hielt sein Pferd an und schwang sich aus dem Sattel. Wyatt Earp sah die Barriere, nickte und tat es John gleich.
Cochise war ein Stück weitergeritten und drehte sich nun um. Earp bewunderte das Pony des Apachen. Es kletterte wie eine Gemse, obwohl es unbeschlagen war, und es schien kein bißchen ermüdet zu sein. »Die weißen Männer mögen mir folgen, es geht weiter.« »Zum Teufel, dort vorn ist Schluß!« Cochise schüttelte den Kopf und wies mit der Hand auf die Bresche in der Felswand ganz links. Erodiertes Gestein bedeckte den langen und sehr breiten Hang bis zur Basis der emporkletternden Felsen. Haggerty und Earp folgten der weisenden Hand, sahen aber nicht mehr, als sie von unten auch gesehen hatten. »Kommt!« forderte sie der Apache auf. »Dort oben ist Wasser.« »Wir können dort bestenfalls einen Milcheimer unter einen Bullen stellen und warten, bis Milch kommt«, knurrte Earp wütend. Hinter ihm war ein Aufgebot her, und er kraxelte mit einem verrückten Scout und einem noch verrückteren Chiricahua in der Einöde herum, ohne überhaupt zu wissen warum. Mürrisch schwang er sich wieder auf seine durchgewetzten Stiefelsohlen und zerrte sein Pferd hinter sich her. John Haggerty folgte. Sie gelangten auf eine Plattform und blieben wieder stehen. Klettern bei dieser abscheulichen Hitze war Schwerstarbeit, aber keiner der beiden Weißen wollte das zugeben und hinter dem Indianer zurückbleiben. Mit einiger Mühe konnte man bis zu jener Lücke in der abschließenden Wand hinaufgelangen. Der Geröllschutt und die Fächerhalde aus Bruchsteinen, die sich unter der Felslücke ausbreitete und mit dornigem Gestrüpp durchsetzt war, würde sogar einem Pferd den Aufstieg erlauben. »Ich nehme meine Behauptung zurück«, sagte Earp. »Man kann tatsächlich die Wand erreichen. Vielleicht finden wir sogar einen Weg nach drüben, mehr kann man wirklich nicht
verlangen.« Cochise gab keine Erklärung und keine Zustimmung. Unmittelbar vor ihm breitete sich eine flache Mulde aus, in der Stachelzeug und Cholla-Kakteen wuchsen. Stechpalmen aller Zwerggattungen gaben sich hier oben ein verlorenes Stelldichein. Cochise gab das Zeichen zum Weitergehen. Sie führten ihre Pferde beim Zügel, um ihnen den Aufstieg zu erleichtern. Die Sonne glitt auf ihrer lautlosen Bahn nach Westen und ließ den späten Nachmittag ahnen. Haggerty blieb stehen und sah einem Gecko zu, der sich auf einem Stein sonnte und träge auf die Reiter blinzelte. Als die Echse merkte, daß der Mensch sie beobachtete, glitt sie von ihrem Sonnenplatz und verschwand. Meter für Meter gelangten sie höher hinauf. Als Wyatt Earp einmal kurz nach links blickte, sah er die dunkle Mündung einer mächtigen Höhle. Er machte Haggerty und Cochise darauf aufmerksam. John nickte gleichgültig, Cochise reagierte überhaupt nicht. Merkwürdig war nur, daß er nach weiteren hundert Metern die Richtung änderte und die Höhle ansteuerte. Earp sagte kein Wort mehr. So war er nun einmal. Ein Mann in diesem rauhen Land lebte nicht nur mit seinem Pferd und seinem Revolver zusammen, er hatte sich auch eine auf ihn passende Weltanschauung zurechtgelegt. Wyatts Weltanschauung hieß: mach dir niemals Gedanken über Dinge, die dich nichts angehen. Sie keuchten weiter, rieben sich den brennenden Schweiß aus den Augen und spuckten Sand und Staub zur Seite. Sie hatten die größte Strecke bewältigt und näherten sich dem Höhlenmund. Cochise verschwand zuerst in dem tunnelartigen Gewölbe. Earp näherte sich zögernd. Cochise hatte Wasser versprochen, aber diese kostbare Flüssigkeit war nirgendwo zu sehen. John
Haggerty zerrte sein Pferd an Wyatt vorbei und verschwand in der zunehmenden Dämmerung der mächtigen Höhle. Die Pferde drängten auf einmal vorwärts und zogen nach rechts. Wyatt Earp, der inzwischen den beiden Gefährten gefolgt war, ließ dem Tier seinen Willen. Wasser plätscherte. Stagmiten glänzten in einem fluoreszierenden Licht. Gelb, grün und rosa war vorherrschend. Earp blieb stehen. Wo waren sie? In einer Zauberwelt? Seine Augen kreisten und suchten nach Anhaltspunkten. Haggerty rief ihm zu: »Kommen Sie herüber, Wyatt. Köstliches Wasser!« Earp stolperte hin. Zu seinen Füßen lag ein Steinbecken. Wasser tropfte von den Wänden und der Höhlendecke. Es war kühl hier unter der Erdoberfläche, und sehr still. Wenn das plätschernde Tropfen nicht gewesen wäre, hätte man meinen können, in einer verwunschenen Welt zu sein. Wyatt hörte das laute Schlürfen der Pferde und das gluckernde Geräusch sich füllender Feldflaschen. Neben ihm kniete der Scout und tauchte seine Flaschen in das Becken. Von Cochise sah er im Augenblick nichts. Der Häuptling hatte sich in den absolut dunklen Teil der Höhle verzogen. Wyatt hörte ihn irgendwo herumrumoren und wunderte sich. Apachen bewegten sich sonst mit einer katzenhaften Lautlosigkeit, die nachzuahmen jedem Weißen schwerfiel. Haggerty hatte seine Flaschen gefüllt und reichte sie Earp, der ihm seine leeren gab. Cochise tauchte wie ein Geist aus der Tiefe der Grotte auf und hielt Pechfackeln in den Händen. Earp und Haggerty wunderten sich, wo Cochise die Fackeln gefunden hatte. Mit dieser Höhle mußte es eine besondere Bewandtnis haben, wenn der Häuptling so genau in ihr Bescheid wußte. Gleich darauf brannte einer der Leuchtstäbe und schickte ein gelbes Licht in den Hintergrund. »Es wird Zeit«, sagte der Jefe und nahm sein Pferd beim
Zügel. Die beiden Weißen folgten schweigend und staunend. Je tiefer sie in die Höhlengewölbe eindrangen, desto gespenstischer wurde es um sie herum. Gigantische Stalagmiten und Stalagtiten wuchsen von oben und unten in die Höhe, und manche hatten sich bereits in der Mitte gefunden. Die Säulen schillerten in allen Farben und sandten das aufgenommene Licht von den Fackeln wieder in alle Richtungen aus, so daß die Grotte wie beleuchtet schien. »Wohin wenden wir uns?« fragte der Scout. »Auf die andere Seite der Bergkette. Wir sparen dreißig Meilen Sonnenglut.« Haggerty zuckte die Achseln und stapfte hinter Cochise her, der zielgenau seinen Weg fand. In dieser unterirdischen Pracht blieb Wyatt Earp plötzlich stehen. Er starrte zu einer Nischengalerie hinüber und zuckte zusammen, dabei wurden seine Augen groß wie Untertassen. »Allmächtiger!« »Was ist, Wyatt?« Haggerty hielt ebenfalls an und sah in die gleiche Richtung wie Wyatt. »Und? Was sehen Sie? Den Geist Ihrer Großmutter?« »Wenn's nur das wäre, Mann. Sind Sie denn blind?« »Kaum. Ich weiß seit einer Stunde, daß wir uns in einer geheimen Begräbnisstätte der indianischen Bewohner dieses Landes bewegen.« »Mumien«, sagte Wyatt. »Das sind doch Mumien, oder nicht?« Cochise hatte ebenfalls angehalten. Er legte seinen Arm um den Hals des geduldigen Pintos und folgte Earps weisender Hand. »Schon die Hohokams begruben ihre Toten in dieser Höhle«, sagte er. »Beim Satan, wer sind die Hohokams?« »Die Uralten, die vor uns hier lebten.«
»Apachen? Chiricahuas?« »Keine Chiricahuas, weißer Mann, Hohokams.« »Na gut, Hohokams. Wer waren sie, woher kamen sie, wo sind sie geblieben?« Cochise schüttelte den Kopf und ging weiter. Earp wandte sich an Haggerty: »Ist er plötzlich taub geworden? Mr. Haggerty, sagen Sie selbst, daß einen so was interessiert. Bitte sagen Sie es!« »Schon, Wyatt. Aber im Augenblick haben wir anderes zu tun. Ich rate Ihnen jedoch, nie allein hierher zurückzukehren, um die Ruhe der Toten zu stören. Apachen verstehen in solchen Dingen keinen Spaß.« »Ich denke nicht mal im Traum daran. Großer Gott, was sollte ich in diesem Gewölbe? Mumien zählen, oder was?« »Gold könnte Sie vielleicht locken. Ich gebe Ihnen zu diesem magischen Wort die Erklärung, daß die Uralten kein Gold kannten. Sie wußten vielleicht von seiner Existenz als Metall, hatten aber keine Ahnung von dem Wert des Edelmetalls. Lassen Sie ja die Finger von solchen Expeditionen!« Cochise drehte sich um und warf Haggerty einen dankbaren Blick zu. Er ahnte, was in der Spielernatur Earps vorging und war dem Scout dankbar für seine Worte. Vor ihnen wurde es heller. Ein riesiges graues Oval stand am Ende der Höhle und ließ Sonnenlicht durch. »Wir haben es geschafft«, sagte Haggerty befreit, während Cochise still blieb. Earp rief fast jubelnd: »Endlich wieder aus den Katakomben heraus! Dem Himmel sei Dank! Unter all den Mumien wurde es mir richtig unheimlich und…« »Tote tun den Lebenden nichts, Wyatt.« Sie stolperten mit ihren Pferden ins Freie und standen auf einem Plateau, von dem aus sie weit über den Abgrund und die Ebene blicken konnten. Die Sonne neigte sich dem Horizont zu und schenkte dem
verbrannten Land lange Schatten. Über den Berggipfeln im Westen und Osten flammten Lichter, als würden Zinnen und Grate brennen. Kiefern und Föhren wuchsen an den Abhängen und gingen weiter unten in Laubwald über. Ein märchenhaftes Land. Wyatt deutete zu dem links gelegenen Hangteil und stieß einen leisen Pfiff aus. Ein Hirsch mit einem Rudel trat aus dem Unterholz und streckte der roten Sonne sein mächtiges Geweih entgegen. »Unser Abendessen erwartet uns bereits«, sagte er und grinste in Erwartungsfreude. Cochise winkte ab. »Wir dürfen nicht schießen, Hellauge.« Er deutete auf einen tiefen Einschnitt und fuhr fort: »Dort sind die weißen Männer, die ich verfolge. Bei Tagesanbruch sehen wir sie.« Wyatt sah etwas anderes. Von Westen her drang ein Trupp Berittener in die Ebene vor und stieß bei einem alleinstehenden Salzstock auf einen Trupp Kavallerie. Unbehagen erfüllte den Revolvermann. Er ließ sich von dem Scout dessen Fernrohr reichen und stellte es auf die gewünschte Entfernung ein. Haggerty grinste, als er Wyatts betroffenes Gesicht bemerkte. Cochise, der sich seinen Teil dachte, sagte nichts. Unbeweglichen Gesichts musterte er das Land zu seinen Füßen. Jedes einzelne Gesicht studierte Earp über vier Meilen Entfernung, und die grimmigen Gesichter der Zivilisten sowie ihre Abzeichen auf den Jackenaufschlägen gaben ihm zu denken. Sheriff Hallifax unterhielt sich mit einem Lieutenant, der emsig mit den Händen redete und ständig nach Westen wies. Was sie sich zu sagen hatten, konnte Earp natürlich nicht herausfinden. Nach einer Weile trennten sich die beiden Reitertrupps und nahmen ihre unterbrochene Richtung wieder auf. Die Schatten wurden bereits grau und undurchsichtig, als beide Trupps hinter Hügeln und Bodenfalten verschwanden.
Stille kehrte ein und legte sich wie eine Decke über die Einöde. »Wir bleiben am besten hier oben«, sagte Haggerty zu Cochise. Der Häuptling nickte. »Ein Feuer leuchtet von hier aus weit über das Land. Ich wünsche nicht, daß irgend jemand unser Feuer sieht. Kehren wir in die Höhle zurück.« Er wendete sein Pferd, saß auf und ritt auf den Höhlenmund zu. »Schon wieder in diese Gruft. Verdammt, fällt der Rothaut denn nichts Besseres ein?« »Seien Sie still, Wyatt. Seien Sie um Gottes willen still! In diesen Dingen verstehen Apachen keinen Spaß.« »Ich mache auch keinen Spaß, Scout. Verdammt will ich sein, wenn mir zum Spaßen ist!« »Kommen Sie, Mann, und halten Sie den Mund. Wir müssen Cochise nicht unbedingt verärgern.« »Glauben Sie, ich fürchte mich vor ihm?« Wyatt Earp fuhr auf und griff zum Revolverkolben. »Sie sind ein Narr, Wyatt, ein blutiger Narr und ein verdammtes Greenhorn! Dort unten in der Ebene lauert ein Aufgebot auf Sie, die Armee ist auf Sie aufmerksam gemacht worden, und Sie blöder Hund spielen den starken Mann. Sie sind nicht nur ein Greenhorn, sondern auch ein ausgemachter Dummkopf. Meinen Sie, es hätte dem Häuptling keine Überwindung gekostet, Weiße durch ein indianisches Heiligtum zu führen?« »Mierda!« Earp spuckte zur Seite. Er zwang sich aber dazu, die Zügel seines Pferdes zu ergreifen und das Tier in den dunklen Mund des Berges zurückzuführen. Silbrig und lichtgetönt standen die Stalagmiten im Hintergrund wie Wächter vieler vor Jahrhunderten Verstorbener. Cochise hatte sein Pferd in einer Nische untergebracht, die groß genug war, auch die Reittiere der
Weißen aufzunehmen. Keine halbe Stunde später brannte ein Feuer aus den Resten der Kienfackeln. * Von der Höhe des Plateaus aus sahen Cochise und seine Begleiter das Aufgebot und die Kavallerie-Patrouille. Daß sie selbst gesehen werden könnten, kam ihnen nicht in den Sinn. Aber sie wurden gesehen. Und dieser Umstand machte Cochises Plan, die vier Mörder am Ausgang des Canyons zu stellen, zunichte. Der Apache, der in der Höhle am Feuer saß und sinnend in die Flammen starrte, wußte das alles nicht. Den neuen Tag hatte er dazu auserkoren, das Gesetz der Apachen zu vollstrecken. Earp und Haggerty saßen in seiner Nähe und verzehrten ein frugales Mahl. Alle drei blieben sie schweigsam und in sich gekehrt. Wyatt Earp hatte besondere Grunde für sein Schweigen, und diese Gründe verstand der Scout nur allzugut. Deswegen blieb auch er stumm und beschäftigte sich mit Dingen aus seiner Umwelt. Cochise war von Natur aus schweigsam. Hinzu kam ein unruhiges Gefühl in seinem Innern, das er sich nicht erklären konnte. Ihm lag es nicht, sich einem Weißen anzuvertrauen, auch nicht dem Falken, von dem er sehr viel hielt. Schließlich war es John Haggerty gewesen, der sich immer wieder für die Belange der Chiricahuas eingesetzt hatte und das Militär von gewaltsamen Aktionen zurückhielt. Lange nach Anbruch der Dunkelheit verließ Cochise die Höhle und verschwand hinter dem Plateau. Außer dem Knistern verbrennender Kienspäne war kein Laut zu hören. Dann und wann stampfte eines der Pferde mit dem Huf oder klirrte mit der Gebißstange. Die Minuten vertickten im Becken der Zeit und ließen keine
Frage offen. Etwas störte John Haggerty. Er hob den Kopf und lauschte. Ein kaum hörbares Klingen oder Singen wehte wie ein Hauch durch die mächtige Felsenhöhle. Einmal ertönten schwache Harfenklänge, dann waren es Schalmeien und Geigen. Nun vernahm auch Wyatt Earp die Geräusche. Er zuckte zusammen und verfärbte sich. Wie erstarrt blieb er vor dem Feuer sitzen und wagte kein Glied zu rühren. Nur seine Augen glitten einmal hierhin und dahin, sie waren ständig unterwegs, ohne jedoch auf den Grund der seltsamen Musik zu stoßen. »Hören Sie das, John?« Haggerty nickte. »Klar, bin nicht schwerhörig.« »Was ist es?« »Weiß ich nicht. Vielleicht der Wind?« »Draußen ist es windstill, also kann's der Wind nicht sein.« »Machen Sie sich keine Gedanken. In der Höhle sind Sie sicher.« »Sie auch?« »Auch ich. Jeder. Niemand kennt sie, nur die Apachen.« »Genügt das nicht?« »Was meinen Sie damit, Wyatt?« »Ach – nichts!« Wyatt stand auf und ging vor dem Feuer auf und ab. Gleich darauf blieb er wieder stehen und wandte sein blasses Gesicht Haggerty zu. »Es wird besser sein, wenn ich mich auf den Weg mache. Hier ist's unheimlich. Hören Sie nur diese Töne! Sphärische Musik nennt man so was. Stimmt doch, wie?« Haggerty zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, Mann. Jedenfalls sind die Töne kein Grund zur Beunruhigung, weil sie natürlicher Art sind und nicht von Menschen erzeugt werden.« »Klingt gut, aber nicht gut genug. Es gibt zwischen dieser Erde und dem Himmel Dinge, die wir uns nur ungenügend erklären können. Indianischer Hokuspokus soll sehr nachhaltig sein, habe ich mir sagen lassen.«
»Reden Sie doch keinen Unsinn, Mann. Die Töne werden vom Wind erzeugt und nicht von Menschen. Weder von lebenden noch von toten. Fragen Sie Cochise, der kann Ihnen das Phänomen erklären.« »Wo ist Cochise? Wie kann ich ihn fragen, wenn er nicht da ist?« »Cochise jagt.« »Beim Henker! Mitten in der Nacht?« Haggerty grinste und neigte zustimmend den Kopf. Düster erwiderte er: »Menschen.« Earp ließ den Kopf sinken. Er verstand, was der Scout meinte. Er selbst wurde ja auch gejagt. Die Töne im Hintergrund der Höhle schwollen zu einer gewaltigen Sinfonie in Dur und Moll an. Orgeltöne im tiefsten Baß füllten die Übergänge der einzelnen Tonlagen aus und erweckten ein staunendes Unglauben in den Zuhörern. Als Earp den Stalagmiten einen längeren Blick schenkte, glaubte er huschende Schatten zu sehen, die sich im Reigen wiegten. Totentanz? Er schüttelte den lähmenden Gedanken ab und konzentrierte sich ganz auf den Höhlenausgang und das Feuer. Nach einer Weile drehte er sich eine Zigarette und zündete den Glimmstengel mit einem brennenden Kienast an. Der erste Zug schon beruhigte seine Nerven. Mit einer ärgerlichen Bewegung wischte er sich den kalten Schweiß vom Gesicht und verfolgte mit wachen Augen jede Bewegung Haggertys. Ein Schatten stand plötzlich im Höhleneingang und hob sich scharf von der hinter ihm liegenden Dunkelheit ab. Er kam herein und setzte sich schweigend ans Feuer. »Erfolg gehabt, Häuptling?« fragte Haggerty. Cochise schüttelte den Kopf. Seine Miene zeigte den Ausdruck eines verkrampften Hasses, gepaart mit einer konsequenten Drohung und dem Willen zum Töten. John Haggerty verstand den Apachen. Trotzdem versuchte er,
Cochise umzustimmen. »Überlaß die Mörder dem Gesetz oder der Army, Chief. Ich sorge dafür, daß Recht und Gesetz der Weißen sie wegen der Morde an deiner Sippe zur Rechenschaft ziehen. Sie landen alle vier auf dem Schafott, das verspreche ich dir.« Cochises Antwort war kurz und eindeutig: »In meinem Land bin ich Recht und Gesetz.« John Haggerty schwieg lange. Nach dieser Abfuhr fehlten ihm die Worte, einen vernünftigen Dialog fortzusetzen. Viele Dinge fielen ihm ein, aber sie alle hatten keinen Bestand im Angesicht der kalten Drohung, die aus dem Apachen sprach. Um überhaupt was zu sagen, bemerkte er: »Du warst unterwegs, Häuptling. Hast du sie gesehen?« Cochise richtete den Blick in die Höhe und murmelte fast unhörbar: »Ich belauschte sie an ihrem Feuer. Sie wissen, wo wir sind.« »Hast du etwas von der Posse gesehen, Rothaut?« fragte Earp respektlos. Cochise gab ihm keine Antwort, richtete seinen Blick auf Haggerty und fuhr fort: »Ich bestrafe sie bei Tagesanbruch für das, was sie Tek-li-tans Sippe antaten. Mein großer weißer Freund kann mich nicht davon abhalten. How!« Haggerty war überrascht. Zum erstenmal nannte ihn Cochise seinen weißen Freund. John wußte, wie spärlich und zurückhaltend Apachen mit solchen Beteuerungen waren, und er ahnte, daß in dem Häuptling etwas vorging, was ihn verwirrte. So sehr John darüber nachdachte, was es sein könnte, er fand es nicht heraus. Ganz unerwartet erhob sich der Häuptling wieder. Einen kurzen Augenblick lang stand er unschlüssig und wie ratlos beim Feuer, angestrahlt von rötlichen und gelben Flammen, dann wandte er sich spontan um und verließ die Höhle. Über die Schulter rief er zurück:
»Sie kommen!« Das war alles, so gut wie nichts, und Haggerty und Wyatt Earp nahmen die flüchtig hingeworfenen Worte zur Kenntnis, mehr nicht. * Stockfinstere Nacht. Die Sterne standen wie glimmende Punkte hinter dem dichten Dunst, der von der Erde aufstieg. Der Mond ging erst zwei Stunden nach Mitternacht auf und würde selbst, wenn er am Himmel gestanden hätte, Cochise auf seiner einsamen Pirsch wenig genutzt haben. Er glitt wie ein Schemen auf einem unsichtbaren Pfad die Geröllhalde hinauf und verschwand lautlos wie ein Wolf hinter mächtigen Klippen aus Basalt und Porphyr. Weit vor ihm, wo ein schmales Rinnsal als Sprühregen-Wasserfall in den Hauptcanyon hinunterfiel, kamen vier Gestalten in gebückter Haltung die Felsleiste herauf. Sie näherten sich der Höhle, waren aber noch gut und gern eine halbe Meile entfernt. Cochise wand sich kriechend über die kaum zwei Fuß breite Leiste und gelangte schließlich in eine Mondlandschaft aus Klippen, zerborstenen Felsen und mit Wüstenlack bedecktes erodiertes Gestein. Disteln und Zwergkakteen gaben sich hier oben ein einsames Stelldichein, gelegentlich bewässert von einem bißchen Tau und den geringen Niederschlägen, die hier oben fielen. Am Ende der Leiste blieb er liegen, um seine Muskeln zu entspannen und zu überlegen. Er würde nicht bei jener Stelle haltmachen, die nach unten führte, und die Stelle verteidigen, die genügend Platz für einen Zweikampf bot. Die Mörder, die den Berghang heraufkraxelten, waren mit Revolvern und ihren Messern bewaffnet, also in der Überzahl, dazu noch besser bewaffnet als der Apache. Cochise trug nur
sein Messer und seinen Tomahawk, aber dieser Waffen war er sicher und von Kindesbeinen an gewöhnt. Er kroch weiter. Die Leiste, waagerecht wie mit einem Messer durchgeschnitten, wurde schmaler. Ein Stück weiter war sie kaum noch einen Fuß breit. Links und rechts drohten schauerliche Abgründe, die sich tief unten im Dunkel der Schluchten verloren. Cochise wußte nicht, wie es weiter oben aussah, und fürchtete, es würde in zwanzig oder dreißig Meter Höhe weitere Felsleisten geben, die ein Vorgehen seines Standortes möglich machten. Das würde bedeuten, daß die Mörder in seinen Rücken gelangten und bis zur Höhle vordringen konnten. Möglicherweise gab es auf der anderen Seite der nach Norden führenden Berglehne einen dritten Zugang zur Höhle, durch den die Weißen einsickern und seinen beiden Begleitern in den Rücken fallen konnten. Das durfte er nicht riskieren, weil Haggerty und Earp nicht gewarnt waren und keine Ahnung von dem hatten, was hier draußen vorging. Cochise wollte der Leiste so weit wie möglich folgen, bis er vielleicht eine Stelle fand, wo er die Schulter gegen die Wand pressen, kämpfen und sich den Rücken gegen die Übermacht freihalten konnte. Schießen konnten sie nicht. Sie wußten, daß er nicht allein war. Sie hatten von ihrem Versteck aus gesehen, wie Cochise mit seinen weißen Begleitern aus der Höhle getreten war und die Posse sowie die Patrouille beobachteten. Ein einziger Revolverschuß war in der Stille der Bergwelt weithin zu hören und würde sofort seine Gefährten auf den Plan rufen. Weiter kroch er wie ein Reptil, das ein Ziel hatte und sich auf dieses Ziel konzentrierte. Eine weitere Schwierigkeit tauchte für Cochise auf. Das schmale Felsband, auf dem er sich vorwärtsbewegte, stieg an. Es war glatt, wie poliert, und während er Meter für Meter zurücklegte und dabei spähende Blicke in die Tiefe warf, sah er
rechts unten Dämme oder Mauern aus Stein. Er traute seinen Augen nicht und fragte sich, was diese Dämme, die sich über die schrumpfende Sohle der Schlucht legten, zu bedeuten hatten. Wer sie angelegt, ahnte er: Die Hohokams, die Urvorderen, die niemand von den Chiricahuas mehr gekannt hatte. Aber zu welchem Zweck waren die Dämme angelegt worden? Cochise mußte sich wieder auf seine Kriech- und Klettertätigkeit konzentrieren und vergaß schließlich die Bauwerke. Die Felsleiste umspannte eine mächtige Klippe, wurde breiter und stieg noch weiter an. Hinter dem gigantischen Haifischzahn blieb Cochise überrascht stehen. Ihm war plötzlich, als griffe eine kalte Hand nach seinem Herzen. Links unter ihm keuchten vier Männer den langgezogenen Basalthang hinab. Rechts lag der Canyon mit den seltsamen Steindämmen. Voraus aber gab es etwas, das seinen Blick geradezu bannte. Er stand da wie versteinert und starrte auf das imposante Bauwerk aus der Vorzeit indianischen Lebens, ein Bauwerk, das man in einen hohen und breiten Felsspalt hineingebaut hatte und das mit Stockwerken, Fenstern und Türen versehen war. Dunkel glotzten die Fensteröffnungen zu ihm herüber. Nur die Schlucht trennte ihn und die Wohnburg der Urahnen, und in dieser Schlucht zog sich Damm an Damm quer über den felsigen Boden. Cochise mußte seinen Blick von dem Bauwerk lösen und sich seinen Feinden zuwenden. Sie waren inzwischen verdammt nahe. Noch sahen sie ihn nicht und konnten nicht wissen, daß er über ihnen war. Aber es war nur eine Frage von Minuten, bis sie ihn sehen mußten Der Häuptling entschloß sich, einen besseren Standort für den bevorstehenden Kampf zu wählen und schob sich an der aufsteigenden Felswand der Klippe weiter. Sein Glück hielt an. Vor ihm führte ein recht brauchbarer Pfad
an dieser gut und gern zwanzig Meter hohen Felswand hinauf. Es war ein Wildpfad, breit und sicher genug für Bergschafe, Ziegen und Schwarzschwanz-Antilopen. Kein Pferd aber wäre jemals hinaufgekommen, stellte der Häuptling mit Befriedigung fest, als er bemerkte, daß sich der Pfad über die Leiste hinaus nach unten fortsetzte. Cochise beugte sich vor und verfolgte den Pfad, bis er tief unter ihm zwischen den Wällen verschwand. Er hatte immer geglaubt, jeden Abschnitt seines Landes zu kennen wie den letzten Winkel seines Jacale, sah sich aber getäuscht. Apachen kamen so gut wie nie in diese abgeschiedene Wildnis, wo es für sie weder etwas zu jagen noch zu finden gab. Unter ihm am Hang wurde es laut. Mörderisches Fluchen tönte zu ihm herauf. »Blöder Hund, mußt du mir unbedingt auf die Finger treten?« »Selber blöder Hund! Zieh sie doch weg!« Zwei Stimmen schnauften im erbitterten Widerstreit. Eine dritte fiel mit Kichern ein und eine vierte fluchte wegen des Lärms, den die vorderen Männer machten. Sie kamen höher, das war unbestreitbar, und wenn sich Cochise seine Chance ausrechnete, stand sie gut. Immer nur einer konnte sich auf die Felsleiste schwingen, und dieser eine würde in sein geschwungenes Kriegsbeil oder in sein Messer laufen. Hier an dem Pfad würde er die Kerle erwarten. Die Kreuzung Pfad/Leiste war breit genug, einem kämpfenden und ausweichenden Krieger Stand zu bieten. Mochten sie kommen! Sie kamen. Der Mann mit dem Geierkopf und dem springenden Kehlkopf war höchstens noch zwei Meter unter der Leiste, als er den Pfad und das Bauwerk der Hohokams sah. Er zuckte zusammen und hielt in seiner Kletterei inne. »Warum gehst du nicht weiter?« ertönte eine bissige Stimme von weiter unten.
»Halt die Klappe, Josuah, und brülle nicht wie ein Affe am Spieß! Seht mal nach links, Jungs!« Sie sahen und staunten. Niemand sagte ein Wort. Der Pfad war weniger interessant für sie, es sei, sie hätten ihn früher entdeckt und mühelos zum Emporklimmen benutzen können. Jedoch fesselte sie das imposante Bauwerk auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht. Dunkle Fensterhöhlen gähnten sie an und schienen höhnisch herüberzulächeln. »So was hier…? Nicht zu fassen! Haben das die Apachen gebaut?« fragte Dan Laurel nach unten. »Quatsch! Dazu sind sie viel zu dämlich. Irgendwer… Ich weiß auch nicht, wer die Baumeister waren.« »Sieh zu, daß du weiterkommst!« rief Fatty von ganz unten. »Mir werden bereits die Hände gefühllos!« Cochise hörte es an der Wand kratzen und knirschen. Kurz darauf erschien eine Hand, die auf die Leiste übergriff. Eine zweite Hand und ein Kopf erschienen. Dan Laurel sah Cochise nicht, noch nicht. Als er seinen Körper auf das Band aus gewachsenem Fels schwang, fiel wie hergezaubert ein großer Schatten über ihn. Laurel schielte von unten in die Höhe und stieß einen gewaltigen Schrei aus. Die Streitaxt sauste auf ihn herab und schleuderte ihn zur Seite. Einen zweiten Schrei ausstoßend kippte er über die Leiste und stürzte mit rudernden Händen an seinen Genossen vorbei in die Tiefe. Aufschlag und Todesschrei verebbten in der stillen Bergnacht. Im gleichen Moment wußte Cochise, daß er einen großen Fehler gemacht hatte. Er hätte sie alle die Felsleiste betreten lassen und danach erst angreifen dürfen. Ein Schrei, ganze fünf Meter unter ihm, sagte ihm mit aller Deutlichkeit, daß die Jagd vorbei war, kaum daß sie begonnen. Hugh Bennets volltönende Stimme schrie: »Zurück, Jungs! Schnell zurück, die Rothaut ist dort oben!« Steine polterten in die Tiefe, Sand rieselte nach, und die
Flüche der drei Männer tönten so klar zu Cochise herauf, als stünden sie vor ihm. Nach einer Viertelstunde verklangen alle Geräusche auf der Canyonsohle. Still wandte sich der Häuptling der Felsleiste zu und trat den Rückweg an. * »Dieser mörderische Bastard! Wer hätte gedacht, daß die verdammte Rothaut dort oben auf uns lauert?« Josuah Lemmon stieß es voller Erbitterung heraus und schob mit der Stiefelsohle Holz in die Flammen nach. »Den hat's erwischt«, sagte Hugh Bennet und schüttelte sich. »Wenn's hell wird, suchen wir nach ihm.« »Willst du Tote wieder lebendig machen?« fragte Fatty gehässig. »Das kann niemand, aber er war unser Kumpel und verdient ein anständiges Begräbnis, oder bist du anderer Meinung, Dicker?« Fatty spuckte aus und griff nach der Kaffeekanne, die auf einem Stein neben dem Feuer stand. »Wäre es nicht besser, die Gäule zu satteln und das Weite zu suchen, bevor die Jagd auf uns wieder beginnt?« »Klar wäre das besser. Aber wohin? Wir wollen zu der Mine, die aber liegt im Südosten. Wir haben uns viel zu weit nach Nordosten treiben lassen. Wißt ihr, wo wir überhaupt sind?« Morg Burthe, der Dicke, stellte die leere Kanne zurück und beschrieb mit der Hand einen Bogen um den halben Himmelskreis. »Vor uns liegt die Durststrecke zwischen den beiden Gebirgen. Es gibt zwei Wege, die Mine zu erreichen: Der erste führt über den Apachen-Paß nach Norden. Von Fort Bowie aus dann stramm nach Osten bis zu den Peloncillo-Mountains, und von da aus direkt nach Süden. Der zweite Weg nach Südosten
führt durch die Swisshelm-Mountains und die Pedregosa-Berge nach Osten. Wasserarmes Land. Kein Grashalm wächst dort unten, kein Baum und kein Strauch. Welchen Weg nehmen wir, Hugh?« Der bärtige Schieler strich sich den verfilzten Bart und zuckte die Achseln. »Den sichersten«, sagte er. »Mit sicher meine ich den Weg, der am wenigsten von Apachen flankiert wird.« »Dann über den Paß nach Fort Bowie, klar.« »In zwei Stunden wird's Tag, Jungs«, fuhr Bennet fort. »Die Gäule haben sich erholt, also brechen wir auf.« »Und Dan? Habt ihr ihn schon vergessen?« »Dan ist nebensächlich. Einem Toten können wir nicht helfen, nur uns Lebenden. Noch Einwände?« Niemand hatte sie. Morg Burthe ging zu den Pferden, die abseits vom Lager in einem verfilzten Speerdorndickicht standen. Sie waren am frühen Abend abgesattelt, gefüttert und getränkt worden. Die vier Tiere machten einen ausgeruhten Eindruck. Morg wußte aber, daß der Schein trog. Nach zehn Meilen würden sie genauso schlapp sein wie tags zuvor. Den Tieren fehlte Wasser und besseres Futter. Beides hatten sie nicht. Wenn auch Indianerpferde genügsam waren und mit wenig Wasser auskamen, so wurden sie doch scharf geritten und strapaziert. Der Dicke kehrte um und setzte sich in Feuernähe auf einen Stein. Mit flinken Wurstfingern drehte er sich eine Zigarette und zündete sie mit einem Streichholz an. Seine Gedanken flogen zurück in jenes einsame Gebirgstal, das einer Apachen-Sippe als Lebensraum gedient hatte. Längst hatten sie alle bereut, was sie getan hatten und nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Dan Laurel hatte die rächende Nemesis durch Cochises Tomahawk erreicht, wer würde ihm folgen? Gab es für sie überhaupt ein Entkommen aus dieser Berg- und
Schlucht-Wildnis? Ein kühner Gedanke schlich sich bei Fatty ein, ein Gedanke, der mit den vier Pferden und dem freien Fluchtweg zusammenhing. Mit den Gäulen konnte er weit kommen und schneller als die Apachen sein, wenn er sie Meile für Meile wechselte. Konnte eines der Ponys nicht mehr weiter, brauchte er es nur zu wechseln und das Tier zurückzulassen, so einfach war das. Gedacht, getan. Der Dicke sprang lebhaft wie ein Gummiball auf die Füße und verschwand in der Dunkelheit. »Wohin willst du?« rief ihm Lemmon nach. Die Zaunlatte blieb aber ruhig am Feuer sitzen und drehte nicht einmal den Kopf. »Die Hosen wenden, wohin sonst?« »Entferne dich nicht so weit vom Lager, Fatty, das kann gefährlich werden.« »Für euch«, murmelte der Dicke genüßlich. »Nur für euch, ihr Dummköpfe.« Er legte seinem eigenen Pony den Sattel auf und führte es aus dem Dickicht. Draußen halfterte er das Tier an. Auf diese Art brachte er alle Pferde heraus und band sie zu einer Tropa zusammen. Morg Burthe hatte drei volle Wasserflaschen und einen halben Schlauch für die Tiere, sowie Proviant für mindestens eine Woche. Es mußte gehen. Die beiden anderen besaßen nichts mehr, weder Wasser noch Proviant, und der tote Laurel brauchte beides nicht mehr. Langsam schwang sich der Dicke in den Sattel seines Ponys. Das Tier, nur kurz an einen Sattel gewöhnt, versuchte auszubrechen. Aber Morg hielt es an der Kandare. Der lange Zug setzte sich in Bewegung und gewann den Canyon. Still war es ringsum, lautlos still. Es war, als hielte die Natur den Atem wegen des Verrats des Weißen an. Wenn auch nicht der leiseste Laut ertönte, drei Augenpaare beobachteten die Flucht des einen Weißen. Aber Blicke waren
lautlos und töteten nicht. Ulzana war sofort klar, was dort vorging. Haß rumorte in ihm, blinder, tödlicher Haß. Kein Apache hätte das je getan und seine Brüder im Stich gelassen. Seine Hand tastete nach dem kleinen Kriegsbogen und dem Köcher mit Pfeilen. Sie zuckte wieder zurück, denn dieser Mann dort unten im Canyon gehörte dem Häuptling aller Apachen und nicht ihm. »Gehen wir, how!« sagte er mit seiner gutturalen Stimme. »Die grauen Bergwölfe werden ihn treiben und jagen, bis er zusammenbricht. Zastee! Tötet!« »Zastee!« grunzten die anderen Antwort. Gleich darauf war der Platz zwischen den Klippen leer. Schatten verschmolzen mit anderen Schatten natürlichen Ursprungs und lösten sich schließlich auf. Fatty hatte den Canyonausgang fast erreicht und sah die sternenglitzernde Wüste vor sich, als ihn der erste Wolfsschrei erreichte. Mit satanischer Wildheit und täuschend echt brandete er in Wellen durch die Schlucht. Ein zweiter und dritter folgte. Aus dem Trab heraus gingen die Ponys in wilden Galopp über und fegten durch das letzte Stück der schattenerfüllten Schlucht. Auf dem quecksilbergebadeten Sand der Ebene würden die Schatten der Pferde länger und dann wieder kürzer, wenn die wilde Jagd durch eine Mulde ging. Nur mit Mühe gelang es Morg Burthe, das durchgehende Pony zu zügeln und die drei anderen Tiere zu beruhigen. Er hielt an, um sich den Angstschweiß aus dem Gesicht zu wischen. Ringsum Wüste, kalt glitzernde Steine und stachelige Flora: Von einer nächtlichen Fauna war weit und breit nichts zu sehen. »Ich hab's geschafft!« sagte Morg laut und feixend. »In der Wüste können sie mich nicht einholen. Jetzt müssen sie sich schon an die anderen halten, diese verdammten Skalpabschneider!« Wie sehr er sich irrte, merkte er sofort. Ein helles Singen kam mit Windeseile näher. Drei klatschende Schläge, als wenn man
mit einem nassen Handtuch auf eine Tischplatte schlägt, drei tierische Aufschreie, Stöhnen, ersterbendes Wiehern und drei Stürze von tödlich getroffenen Ponys. Entsetzt riß Fatty sein Gewehr aus dem Scabbard und feuerte blindlings in die Gegend. Ein Ziel hatte er nicht, und wenn er einen der Apachen gesehen hätte, wäre der huschende Schatten für ihn kein Ziel gewesen. Morg Burthe schnitt die Verbindungsleine zu den toten Pferden los und trieb sein Pony mit einem schrillen Angstschrei an. Sein Ziel war eine Hügelgruppe vor ihm, die ihm Sicherheit versprach, aber er erreichte die Hügel nicht. Aus einer Bodenwelle ritt ein Krieger mit wehenden Haaren und aufgelegtem Pfeil. Das Geschoß schwirrte heran und grub sich mit einem unheimlichen Laut vor ihm in den Sattel. Mit einem grellen Angstschrei riß Morg das ängstlich schnaubende Pferd herum und preschte in einem stumpfen Winkel wieder zu den Gebirgsausläufern zurück. Auf einer Erhebung rechts von ihm stand plötzlich ebenfalls ein berittener Apache. Ganz deutlich strahlte sein Stirnband ein helles Licht aus, das es von den Sternen empfing. Ein Pfeil zischte heran und trieb den Mörder geradewegs nach Osten. Weiter draußen bellte ein Wüstenfuchs. Eine Füchsin gab schmalzend Antwort, und schließlich lockte das heisere Bellen eines dritten Fuchses. Morg Burthe wußte, daß es keine Füchse waren, die ihr Frühkonzert anstimmten. Sein Gesicht verzog sich in tödlicher Angst. Herz und Pulse flogen, sein Blut gerann zu Eis. Und wenn er daran dachte, was man sich über die Greueltaten der Apachen erzählte, wurde ihm übel. Zu allem Unglück, das ihn mit mächtiger Faust traf, wurde es auch noch hell. Im Osten trieb eine Wand aus Licht über die Berge und vergoldete die schneeigen Zinnen der Gipfel. Sein Pferd stolperte weiter in eine Senke. Sie wurde von haushohen, runden Hügelkuppen eingeschlossen. Als das volle
Licht des heraufziehenden neuen Tages die vegetationslosen Hügel streichelte, ahnte Fatty, daß sein Verrat an den Freunden umsonst gewesen war. Auf jedem der drei Hügel hielt ein Apache auf seinem Pony, den gespannten Pfeil auf den Weißen in der Senke gerichtet. Gehetzt flog Morg Burthes Blick in die Runde. An der Basis des dritten Hügels türmten sich Felsblöcke und eine stachelige Flora. Ein Mann brauchte sich nur hinter einem dieser Blöcke zu verstecken, die den Hügelrand säumten, und er beherrschte mit seinem Gewehr die gesamte Senke und den steinernen Wall. Der Bandit holte tief Luft, sprang von seinem erschöpften Pferd, lief taumelnd durch die Senke, immer gewärtig, von einem Pfeil getroffen zu werden. Aber nichts geschah. Als er den sicheren Hort hinter den Felsen erreichte und sich auf die Erde warf und keuchend auf seine Fährte zurückschaute, sah er, wo er hingeraten war. * Die gewaltige Sinfonie der Orgel- und Schalmeientöne wurde leiser mit dem Scheiden der Nacht. Der Wind hatte sich gedreht und strich an den Pfeifen der Stalagmiten vorbei wie ein schleichendes Nachtgetier, das dem Tag ausweicht. Wyatt Earp hatte seine Angst verloren. Er saß am Feuer und legte Holz nach. Neben ihm hockte schweigend John Haggerty. Eine Art Lethargie hatte den harten Mann befallen, der sich in hundert Kämpfen mit den Indianern bewährt hatte. Beide sprachen nicht miteinander, sie warteten stumm und nachdenklich auf das Erscheinen Cochises. Jeder hatte seine eigenen Gedanken über sein Fernbleiben und seine Absicht. Earp war es egal, was der Häuptling mit den weißen Mördern anstellte. Er hatte keine Bezugspunkte zu den Indianern und ihrem Verhältnis zu den Weißen. Haggerty dachte anders darüber. Er hätte es lieber gesehen,
wenn Cochise seine persönliche Rache zurückgestellt und die Mörder an den Mitgliedern seines Volkes dem Gesetz der Weißen überantwortet hätte. John Haggerty ahnte spätere Verwicklungen mit der Armee, die sich für alle Weißen in diesem Land verantwortlich fühlte, für die guten wie auch für die bösen. Abwechselnd starrten die beiden so charakterlich verschiedenen Männer in den Höhlenmund und warteten. Der Osten schickte die ersten schüchternen Strahlen über das Gebirgsmassiv und legte einen Teppich aus gesponnenem Gold und Silber auf das Plateau. Vögel begannen ihre ersten Lockrufe und verkündeten einen verheißungsvollen Tag. Ein breiter Schatten fiel in den Eingang. Haggerty schaute auf und sah Cochise. Die hochgewachsene Gestalt in der traditionellen Häuptlingskleidung der Apachen kam stumm näher und setzte sich ans Feuer. Weder Haggerty noch Earp stellten Fragen. Ihre hellen Augen studierten aufmerksam die Gesichtszüge des Indianers, während sich die Reflexe des Feuers in Johns Haar spiegelten. »Einer«, sagte der Apache. »Die anderen werden ihm folgen.« Was sich inzwischen in der öden Bergwelt alles abgespielt hatte, darüber sprach Cochise nicht. Ein Jefe brüstete sich nicht mit Heldentaten und sprach nie über sich selbst. Haggerty verzichtete darauf, den Häuptling erneut zu bitten, die Bestrafung der Mörder der Armee zu überlassen. Es würde vergeblich sein. Verbrechen, die an Apachen begangen worden waren, wurden von dem Häuptling aller Apachen abgeurteilt. So wollte es das Gesetz dieses wilden Volkes. Draußen wurde es von Minute zu Minute heller. Wyatt Earp ließ das Feuer ausgehen. Später ging er zu den Pferden und hing ihnen die Futtersäcke um. Als alles getan war, kam er gemächlich zu der erkalteten Feuerstelle zurück. Mit seinen Gedanken war er weder bei Cochise noch bei dem Scout. Sie drehten sich einzig und allein um das Aufgebot, das
er tags zuvor gesichtet hatte. In welcher Richtung war die Posse weitergeritten? Earp beabsichtigte sich von Cochise und Haggerty zu trennen, und nur das Aufgebot hielt ihn von diesem Schritt ab. Seine Gedanken brachen wie abgeschnitten ab, als weit entfernt ein gedämpfter Wolfsruf ertönte. Cochise stand auf und wandte sich Haggerty zu. »Meine Krieger haben den zweiten Mörder gestellt. Der Falke weiß es?« Als John nur nickte und nichts erwiderte, fuhr der Häuptling fort: »Auch dieses Urteil wird vollstreckt werden – von meiner Hand.« Der Scout sagte wiederum nichts. Er hob nicht einmal den Blick. Verstand Cochise, was in dem Scout vorging, was er in diesem Augenblick dachte, fühlte und verhindern wollte? Niemand sah es ihm an. Hochgewachsen, breitschultrig, mit adlerartigem Ausdruck im Gesicht stand der Jefe vor den beiden Weißen. In seiner Gestalt und in seinem Gebahren lag etwas so Majestätisches, daß weder Haggerty noch Earp eine Antwort riskierten, die der Häuptling der Apachen mißverstehen könnte. »Der dicke Mann wird sterben«, fuhr Cochise fort. »Von dieser Hand.« Er hielt die Rechte mit dem Kriegsbeil in die Höhe und setzte kalt hinzu: »How!« Nach dieser Beteuerung verschwand er lautlos. Was zurückblieb war ein bitterer Geschmack auf Haggertys Zunge und die Erinnerung an Cochises How. »Was kommt jetzt?« fragte Earp ein wenig zerstreut. »Was soll kommen? Der zweite Mörder wird sein Leben unter Cochises Kriegsbeil aushauchen. Er holt sie sich einen nach dem anderen. Verdient haben sie es, zugegeben. Aber mir wäre es lieber gewesen, der Häuptling hätte die Kerle einem ordentlichen Militärgericht übergeben.« Wyatt Earp zuckte die Achseln und setzte sich wieder auf den Stein beim Feuer, der ihm vorher schon als Sitzplatz gedient hatte.
»Apachenart, dagegen gibt's kein Rezept, John. Da kann man auch nichts machen. Worte jedenfalls helfen nichts. Außerdem müssen auch Sie zugeben, daß Cochise im Recht ist.« Haggerty nickte und stand auf. Er schlenderte zum Höhlenmund und trat auf das Geröllplateau hinaus. Die Sonne hing wie ein messingfarbener Gong über dem Chiricahua-Gebirge im Osten und beleuchtete eine so wilde Szenerie, wie sie der erfahrene Scout noch nie gesehen hatte. Er stand da und dachte an das Land zu seinen Füßen und seinen Auftrag. Cochise wußte, was ihn in die Dragoon getrieben hatte. Er hatte mit keinem Wort erwähnt, daß Haggertys Tun falsch war. John dagegen ahnte, daß Cochises Apacheria so gut in diesem Klippengebirge versteckt war, daß kein Weißer, und sei er ein noch so guter Scout, die Festung je finden würde. Als John Haggerty nach Westen blickte und seine Augen über die Welt der Canyons und Felsenriffe gleiten ließ, sah er eine dünne Staubwolke aus einem Canyon hochsteigen. Die Staubsäule war so schwach zu erkennen, daß sie kaum von Reitern herrühren konnte. Der Staub faszinierte den immer wachen und mit seiner Umwelt vertrauten Scout. Er drehte den Kopf nach hinten und rief: »Bleiben Sie bei den Pferden, Wyatt, ich bin gleich zurück.« »Wohin gehen Sie?« »In den Canyons drüben weht Staub. Ich will wissen, wer ihn aufwühlt. Es dauert keine halbe Stunde.« Wenn er gewußt hätte, daß seine Erkundung bis lange nach Mittag dauern würde, wäre er vielleicht nicht gegangen und hätte Staub Staub sein lassen. Er wußte es aber nicht und machte sich auf den Weg. Um neun Uhr vormittags stahl sich die Sonne aus einer Seitenschlucht in den Hauptcanyon. Haggerty konnte ihr Licht noch auf dem gegenüberliegenden Hang des breiten Canyons sehen, doch in der Seitenschlucht herrschte Halbschatten und
eine erstickte Hitze. Trotz der frühen Stunde strahlten die Felsen eine Wärme wider, daß dem Scout der Schweiß aus allen Poren brach. Kein Windhauch strich über die Landschaft und kühlte das Gestein. Als Haggerty in den Seitencanyon eintauchte, orientierte er sich nach der Staubsäule. Sie wanderte langsam, aber sie wanderte. Der erfahrene Scout wußte mit beinahe absoluter Sicherheit, daß es sich dort drüben um Fußgänger handelte, die den Staub aufwirbelten. Aber wer ging in diesem Land schon zu Fuß? Er benötigte etwa eine halbe Stunde, die schmale Schlucht zu durchmessen. Fast ohne Übergang öffnete sich der Canyonmund in den großen Hauptcanyon. John suchte nach einem Versteck. Er fand es zwischen einigen Klippen, die von Dornenhecken umgeben wurden. Es war ein nahezu ideales Versteck, das er sich ausgesucht hatte. Als er zwischen die Felsen eindrang, schnüffelte er lange und anhaltend. Kein Staub hing hier in der Luft. Je tiefer er in das Dornenzeug eindrang, desto mehr gab er acht auf Schlangen und andere Tiere, die ihm gefährlich werden konnten. Gerade die Klapperschlangen und die überaus giftigen roten Sandvipern waren es, vor denen er sich in acht nehmen mußte. Ein Biß von ihnen hätte genügt, ihn mattzusetzen. Unangefochten gelangte er bis zur Mitte der Steinanhäufung und legte sich in eine Bucht von Sand und Geröll. Niemand konnte ihn von außen sehen. Er hatte kaum seinen Platz gefunden, als er die ersten Geräusche vernahm. Ein zeterndes Fluchen und Murren drang durch den hitzeglühenden Canyon, das in einem wilden und gereizten Dialog auslief. John grinste. Beinahe ahnte er, was seine Augen sehen würden. Aber als er die beiden heruntergekommenen Outlaws durch die Schlucht wanken sah, staunte er doch. Der Zufall wollte es, daß Zaunlatte Josuah Lemmon bei den Klippen nicht
mehr weiter konnte. Stöhnend ließ er sich auf einen Stein nieder und zog die Stiefel aus. Hugh Bennet, der ein Stück weitergegangen war, kehrte wieder um und ließ sich neben seinem Spießgesellen in den heißen Sand sinken. »Blasen, nichts als Blasen«, stöhnte der Dürre. »Den Hund könnte ich in Stücke schneiden, daß er uns das angetan hat.« »Fluchen und verwünschen hilft nicht, Josuah. Wir müssen weiter. Wenn wir in diesem Zustand den Apachen in die Hände fallen, können wir gleich unseren Geist aufgeben.« »Schweinehund!« »Was, ich?« »Quatsch! Fatty meine ich. Er hat die Gäule geklaut und sich aus dem Staub gemacht. Wir haben kein Wasser und keinen Proviant, und dieses Miststück sitzt vielleicht schon irgendwo in einer kühlen Kneipe und läßt sich ein kaltes Bier in den Schlund laufen. Verdammt sei seine schmutzige Seele!« John Haggertys Grinsen wurde breiter, geradezu triumphal und triefend vor Schadenfreude. Ihm wurde langsam heiß in seinem Versteck, aber er konnte sich nicht zurückziehen, weil dies ohne Geräusche nicht abgegangen wäre. »Die Mine können wir auch in den Schornstein schreiben«, fuhr der schielende Bärtige fort. »Ohne Pferde und Proviant kommen wir nie dorthin.« »Haben wir alles dem Dicken zu verdanken«, knurrte Lemmon finster. »Wenn ich ihn erwische, reiße ich ihm die Därme bei lebendigem Leib heraus.« »Du wirst ihn nicht erwischen«, antwortete Hugh Bennet zynisch. »Der ist längst über alle Berge.« »Wenn wir heil hier aus diesem Labyrinth von Schluchten herauskommen, nehmen wir seine Spur auf. Irgendwo kriegen wir ihn. Verdammt will ich sein, wenn ich den Verrat an unserer Sache ruhig hinnehme.« »Well, machen wir! Wie ist's, trampeln wir weiter?«
»Meine Füße«, jammerte Lemmon. »Sieh doch, alles voller Blasen. In diesem Zustand kann ich keine hundert Schritte mehr gehen. Ein Pferd, ein Pferd – ein Königreich für ein Pferd!« »Ach, halt die Klappe, Mann! Hier gibt's kein Pferd und du hast kein Königreich zu verschenken. Armleuchter!« »Werd ja nicht frech, Mann. Selber Armleuchter, dazu der größte Dummkopf von ganz Amerika.« Haggerty wurde es langsam zu dumm zwischen den hitzeglühenden Felsen. Die Mittagszeit schlich vorüber und keiner der beiden Kerle machte Anstalten zu verschwinden. Die Hitze brodelte förmlich zwischen den Canyonwänden. Schwärme von Bremsen flitzten wie abgeschossene Pfeile hierhin und dorthin und bissen wie gereizte Klapperschlangen. Sie raubten dem still Daliegenden fast den Verstand. Er bekämpfte sie mit bloßen Händen, aber sie peinigten ihn so, daß er beinahe den Verstand verlor und am liebsten wutbrüllend aufgesprungen wäre. Aber die Situation änderte sich schlagartig. Der Wolfsschrei hallte von allen Canyonwänden zurück und pflanzte sich in dürftigen Echos fort. Hugh Bennet sprang wie elektrisiert auf die Füße, und Lemmon hatte noch nie in seinem Leben so schnell die Stiefel angezogen wie an diesem Mittag. Beide rissen ihre Revolver aus den Halftern und sicherten nach allen Seiten. Nichts geschah. Kein Wolf und kein Apache ließ sich sehen. »Dieses Schwein haut mit den Pferden ab und überläßt uns hier den Rothäuten! Verdammt«, heulte Lemmon wutentbrannt, »das zahle ich ihm heim, und wenn ich ihm rund um den Erdball folgen müßte!« Daß zu diesem Zeitpunkt Morg Burthe gar nicht mehr lebte, konnte der Bandit allerdings nicht wissen. Die beiden Kerle machten so viel Lärm, daß es Haggerty wagen konnte, sich aus dem Gefahrenbereich zu bringen. Kriechend zog er sich zurück und tauchte unhörbar in den
gewundenen Canyon ein, der ihn über gewundene Pfade wieder zurück auf das Hochplateau brachte. Er mußte sich beeilen, obwohl Eile bei dieser infernalischen Hitze geradezu eine Qual war. Wyatt Earp war ein ungeduldiger Mann und konnte einen nicht mehr gutzumachenden Fehler begehen, wenn er auf der Suche nach dem Scout die Höhle verließ. * Morg Burthe erlebte einen Sonnenaufgang mit wenig Begeisterung. Er konnte seinen Kopf drehen, wohin er wollte, auf jedem Hügel hielt ein Apachen-Krieger auf seinem Pony, in den Händen den gespannten Bogen. Fatty ahnte, daß seine Flucht mißlungen war. Selbst sein Verrat an den Spießgesellen hatte nicht dazu beitragen können, der Rache der Chiricahuas zu entgehen. In seiner Angst versuchte er sich alle nur möglichen Vorstellungen zu machen, wie er den Rothäuten entkommen könnte. Aber es war nur Gaukelspiel, mehr nicht. Selbst die Todesangst beflügelte seine Inspiration nicht mehr, und die heraufziehende Hitze tat ein übriges, ihn mutlos zu machen. Gewiß, er hätte einen der Indianer aus seiner Deckung heraus vom Pony schießen können. Aber nur einen. Die beiden anderen hätten ihm anschließend mit ihren Pfeilen den Garaus gemacht, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Er verstand nicht, warum sie ihn nicht längst erledigt, mit ihren Pfeilen wie ein Stachelschwein gespickt und skalpiert hatten. Worauf warteten sie? Die Angst um sein Leben drang mit jeder Minute tiefer in seine Blutbahnen. Sie kroch wie ein unendlich langer Wurm zum Herzen und ließ ihn in Angstschweiß ausbrechen. Morg Burthe hatte Durst, er fühlte seinen Magen vor Hunger rebellieren. Aber sein Pony stand viele Meter von ihm entfernt
und ließ geduldig den Kopf in der Sonnenglut hängen. Für ihn waren es Meilen. Minuten tropften wie flüssiges Blei in das unermeßliche große Becken der Zeit. Kostbare Minuten. Die Sonne kletterte höher und sandte glühende Pfeile auf die verbrannte Erde. Es war, als wollte sie den Mörder bei lebendigem Leib rösten. Der Dicke schloß die Augen und legte die heiße Stirn auf den Unterarm. Ergab er sich ohne weiteren Widerstand seinem Schicksal? Konnte er außer dem Tod noch etwas anderes erwarten? Nein, er gab auf. Trotzdem riß er den bleischweren Kopf noch einmal in die Höhe, als der laute Ruf »Zastee!« aus drei rauhen Kehlen über die Mulde schallte. »Töte!« schrie einer, ein anderer: »Cochise!« Diese Stimme drang wie ein Jubelton in sein ausgetrocknetes Gehirn. Morg folgte der Blickrichtung der Krieger, und im nächsten Augenblick glaubte er, sein Herzschlag setze aus. Auf einem vorstehenden Felszacken, genau über ihm, stand ein weiterer Indianer. Er war von imposanter Gestalt und ganz in weißes Wildleder gekleidet. Eine Kette aus den Reißzähnen des mächtigen Grislys der Berge zierte seine mächtige Brust. Die Rothaut breitete die Arme aus und begrüßte die Krieger, die ein gellendes Geheul anstimmten. Es folgten Handzeichen in indianischer Zeichensprache, und wie weggezaubert verschwanden die Krieger. Still und verlassen lag das Land ringsum, und glühend heiß. Morg warf einen ängstlich spähenden Blick zu dem Zacken hinauf. Der Indianer stand noch immer dort und beobachtete den Mann unter ihm zwischen den Gesteinsbrocken. »Wer bist du, Rothaut?« krächzte Fatty. Die Antwort grub sich tief in die Seele des Weißen und ließ sein Herz beben: »Cochise, der Häuptling der Apachen!« Morgs Kopf fiel wieder auf den angewinkelten Unterarm.
Irgend etwas, ein vager Gedanke vielleicht, ließ ihn noch einmal zu Cochise hinaufstarren. »Du bist gekommen, mich zu töten?« »Ich bestrafe dich für den Mord an der Sippe aus dem Stamm der Chiricahuas.« Es klang wie beiläufig, und Morg empfand die Worte wie einen Richterspruch aus berufenem Mund. Morg wagte eine weitere Frage: »Wo sind deine Krieger? Ich sehe sie nicht mehr.« »Ich befahl ihnen, weiter auf der Fährte der anderen Mörder zu reiten. Zwei von euch sind noch am Leben. Sie werden genauso bestraft werden wie du.« »Sie haben deine Leute umgebracht, nicht ich!« schrie Morg Burthe flehend. »Töte mich nicht, Cochise! Ich kann dir sagen, wo sie sich versteckt halten, ich kenne den Weg!« brach es laut und gellend aus der gequälten Brust. Todesangst ließ den dicken Körper fünf Meter unter Cochise zittern. »Ich brauche deine Hilfe nicht, Mörder. Ich weiß immer, wer sich auf meinem Land in diesen Bergen aufhält. Du wirst sterben und den gemordeten Kriegern in den Ewigen Jagdgründen dienen, Kojote!« »Nein!« gellte es aus dem Mann heraus. Er warf sich herum, riß das Gewehr an die Schulter und gab einen Schuß auf den Indianerhäuptling ab. Seine Kugel traf nur Luft und schwirrte davon. »Ich bin hier«, sagte Cochises Stimme ganz nahe bei dem Weißen. Fatty wirbelte herum, riß wieder das Gewehr in Hüftanschlag. Er sah aber niemanden und fragte dann ganz naiv: »Wo? Wo bist du, Rothaut?« »Hier!« Noch einmal drehte sich der Weiße um seine Achse. Zu sehen war niemand, nur Steine, Sand und Disteln. »Zeige dich, damit ich dir deinen roten Wanst voll Blei
pumpen kann!« brüllte Morg Burthe mit sich überschlagender Stimme. »Verdammter roter Bastard!« Neben Morg fiel ein Stein zu Boden. Er wirbelte zur Seite, stolperte und stürzte. Das Gewehr entfiel seiner Hand und rollte zur Seite. Bevor sich der Weiße wieder aufrichten und nach seiner Flinte greifen konnte, fiel ein Schatten über ihn. »Kämpfe, weißer Mann, oder stirb!« Fatty blieb erschöpft und verängstigt liegen. Vor ihm stand Cochise mit gespreizten Beinen, das Kriegsbeil in der Faust. Morg Burthe riß sich hoch und ließ sich wieder fallen. Er machte seinen Rücken hohl und warf sich zur Seite, dabei kreischte er in höchster Todesangst: »Ich will nicht kämpfen! Nicht gegen dich, Apache!« »Feigling, komm hoch! Du wirst kämpfen und von meiner Hand fallen, gemäß dem Gesetz der Apachen!« »Nein! Nein! Nein!« Wie ein Tier versuchte Morg auf Händen und Füßen davonzukriechen. Während er sich abmühte, dem unerbittlichen Häuptling zu entkommen, fiel ihm der Revolver im Gürtel ein. Er warf sich mit letzter Kraft auf den Rücken und riß die Waffe heraus. Zum Spannen des Hahnes kam er nicht mehr. Kaum hatte er den schweren Colt in der Hand, da hob Cochise den Arm und ließ das Kriegbeil fliegen. Die scharfe Schneide traf den Weißen am Kopf. Mit einem Schrei und einem verklingenden Ächzen fiel Morg Burthe tot zurück. Cochise verzichtete auf den Skalp des Feiglings, nahm sein Tomahawk vom Boden auf und wischte die Schneide an der Kleidung des Toten ab. Eine lange Weile blieb Cochise stehen, das adlerartige Gesicht der Sonne zugewandt. Er sprach nicht mit sich selbst, er stieß keinen Jubelruf aus, denn einen Feigling zu töten war keine Heldentat. Er drehte sich um und verließ die Stätte des Todes. Kurz darauf verschwand er zwischen den Klippen.
* Haggerty erreichte atemlos und schwitzend die Höhle. Earp saß beim erloschenen Feuer und stocherte mit einem Zweig in der Asche. »Eine halbe Stunde, mehr nicht«, sagte er mit beißender Ironie. »Tut mir leid«, erwiderte John Haggerty und strich sich mit der Hand über das bräunliche Haar. »Beinahe hätten sie mich erwischt.« »Wer?« »Zwei von den weißen Mördern.« »Sonst noch jemand in der Mondlandschaft dort unten?« »Wenn Sie das Aufgebot meinen, nein. Die sind weit weg.« »Woher wissen Sie das?« »Läßt sich doch denken, oder nicht?« »Ich kann mir viel denken, Mann, aber dabei kommt nie etwas heraus.« Haggerty grinste, Wyatt grinste zurück. Alles war wieder in bester Ordnung. »Wo nur Cochise bleibt?« fragte Earp nachdenklich. »Er ist doch nicht etwa abgehauen?« »Ohne Pferd? Unsinn! Der Jefe weiß, was er tut.« »Ich traue einfach keiner Rothaut, ob sie nun Cochise heißt oder nicht.« »Sie haben aber auch nichts gegen die Indianer?« »Nein, habe ich nicht, solange sie mich in Ruhe lassen. Und Sie?« Haggerty schüttelte den Kopf, griff nach einer Wasserflasche, nahm einen tüchtigen Schluck und spülte sich den Mund aus. Erst danach trank er in kleinen Schlucken. »Sie sind stets die Dummen, was sie auch anfangen«, setzte der Scout das Gespräch fort. »In zehn bis zwanzig Jahren wird es in Arizona keine wild lebenden Indianer mehr geben.«
»Apachen?« »Alle Stämme.« »Sie meinen, man bringt sie in Reservationen unter?« »Zuerst. Später wird man sie deportieren. Ich weiß nicht genau, was die Regierung mit den Roten vorhat, aber etwas Gutes ist es auf keinen Fall.« »Das gefällt Ihnen nicht? Dabei helfen Sie doch der Armee, die Indianer auszurotten. Wie steht's damit, he?« Haggerty gab keine Antwort. Er wußte, daß er sich mitschuldig am Untergang der Apachen machte, und dieses Wissen machte ihn krank, wenn er an Tla-ina, Cochises schöne Schwester, dachte. Er trank noch einen Schluck von der warmen Brühe und stellte die Flasche zur Seite. »Warum geben Sie keine Antwort, John? Cochise scheint große Stücke von Ihnen zu halten, wie ich bemerkt habe. Er nennt Sie Falke.« Haggerty erwiderte: »Ich habe ihm mal geholfen, er ist mein Freund. Ich kann mich auf ihn verlassen und er sich auch auf mich.« »Soso«, sagte Wyatt abfällig. »Ein guter Freund der Roten.« »Sie haben keinen Grund, auf Ihre weiße Haut besonders stolz zu sein.« In Johns Stimme lag offener Hohn. »Wie kommen Sie gerade auf mich?« »Weil Sie keinen Deut besser sind als ein roter Barbar. Sie machen es mit Ihrem Schießeisen, wozu ein Indianer lediglich sein Messer zur Verfügung hat.« »Dumme Sprüche, Mann, ich habe noch keinen skalpiert.« »Das nicht, aber erschossen. Selbstverständlich hatten Sie immer den Notwehrparagraphen auf Ihrer Seite, klar, Sie würden sonst nicht hier sitzen.« Earp stand auf und ging zum Höhleneingang. »Lassen wir das«, erwiderte er. »Jeder eben auf seine Art. Ich bin ein Spieler, Sie ein braver Scout, der kein Wässerchen im
Apachenland trübt. Ich weiß Bescheid, Haggerty.« »Darf ich erfahren, was Sie wissen?« »Ich sagte, lassen wir das. Bei einem Streit können wir beide keinen Profit machen, uns aber eine Menge Ärger einhandeln.« John Haggerty trat einen langen Schritt auf Wyatt zu. Er riß ihn an der Schulter zu sich herum und trat ganz nahe an ihn heran. »Hören Sie, Wyatt, so können Sie nicht mit mir reden! Wenn Sie schon Andeutungen über meine Person machen, dann reden Sie auch gefälligst weiter. Und noch etwas: Wenn Sie jetzt ziehen, knalle ich Ihnen meine Faust aufs Kinn, daß Sie die Engel im Himmel singen hören.« »Lassen Sie mich los, Sie dämlicher Squaw-Mann!« Aus Wyatt Earp sprach unvermittelt eine kalte Drohung. Er schüttelte Haggertys Hand ab und wich zurück. Seine Hand war in der Nähe der rechten Hüfte, aber er zog nicht. »Squaw-Mann? Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?« »Durchaus nicht, Freundchen. Die ganze Indianergrenze spricht davon. Ich habe mir sagen lassen, sie soll recht hübsch sein. Ihre Sache, Haggerty, die mich keinen Deut angeht. Nur wird mir so verständlich, wieso es dazu kam, daß Cochise zu Ihnen so freundlich ist. Das ist sonst nicht die Art der Rothäute.« »Ich weiß immer noch nicht, was Sie eigentlich mit einem Squaw-Mann sagen wollen? Ich bin nicht verheiratet, weder mit einer Weißen noch mit einer Roten. Und was Cochise damit zu tun haben soll, ist sowieso unerfindlich.« »Sie haben's doch mit seiner Schwester, oder stimmt das etwa nicht?« drang Earps höhnische Stimme in Haggertys Bewußtsein. »Mann, ich sagte, mir ist das völlig egal, Sie sollten aber dann nicht so tun, als hätten Sie das Schießpulver erfunden.« Der Scout wurde fahl wie ein frisch bestaubtes Nudelbrett. Seine Hand zuckte zum Revolver, hielt aber auf halbem Weg.
»Sie sind ein gottverdammter Lügner, Earp! Los, ziehen Sie Ihre Kanone! Ziehen Sie! Wir werden sehen, wer von uns beiden der Schnellere ist!« Wyatt Earp grinste nur süffisant, griff aber nicht zum Halfter. Brüsk drehte er sich herum und verließ die Höhle. Langsam wurde John Haggerty wieder ruhig. Grimmig ballte er die Hände und schüttelte sie hinter dem Spieler her. Trotz allem war er dankbar, daß Cochise diese gehässigen Worte nicht gehört hatte. Für Earps Leben hätte er keinen Nickel mehr gegeben. Er nahm sich vor, mit keinem Wort mit dem Häuptling darüber zu reden. Wyatt wäre es sonst schlecht ergangen. John Haggerty setzte sich auf einen der Feuersteine und dachte über Earps Worte nach. Irgendwoher mußte der Spieler das Gerücht haben, und daß es sich nicht weiter ausdehnte, dafür würde er sorgen. Am Nachmittag würde er mit Wyatt reden… * Die Sonne, groß und rund wie ein kupferner Gong, warf am Nachmittag glühende Hitze über das ausgebrannte Land. Aus dem breiten Canyon taumelten zwei völlig verwahrloste Männer und brachen ein Stück außerhalb der Schlucht in die Knie. Längst hatten die Wolfsschreie ihren Schrecken für Hugh Bennet und Josuah Lemmon verloren. Selbst die gelegentlich abgeschossenen Pfeile der verfolgenden Apachen konnten sie zu keinen schnelleren Bewegungen mehr veranlassen. Die beiden Outlaws waren am Ende ihrer Kräfte, und die wahnsinnige Hitze tat ein übriges, sie restlos auszupumpen. Wasser hatten sie schon lange nicht mehr, Proviant fehlte ebenfalls. Ihre Gesichter wirkten eingefallen und bleich, und selbst die tagealten Bartstoppeln konnten das schreckliche Schicksal dieser beiden Weißen nicht mildern. Die Apachen sahen sie nicht. Krieger der Apachen sah man
nur, wenn diese gesehen werden wollten. Dafür wurden sie gesehen. Auf einer die Schlucht überragenden Klippe stand ein einzelner hochgewachsener Indianer mit mächtigem Brustkorb und einer Adlernase, die diesen Mann geradezu profilierte. Er beobachtete die beiden Weißen, sah mit handverdeckten Augen zur Sonne und dann in die Wüste hinaus. Was er weit draußen sehen konnte, gefiel ihm nicht. Eine Staubwolke glitt wie eine Windhose über das karge Land. Sie kam näher. Josuah Lemmon und Hugh Bennet sahen sie ebenfalls und diskutierten heftig. Cochise sah deutlich, wie sie sich erregt unterhielten und nach Norden deuteten. Schon bald darauf schälten sich Reiter aus dem Staub. Sie führten Packpferde mit sich und ein paar unbeladene Maulesel. Die Männer mit den hellen Feldhüten trugen blaue Uniformen und wurden von einem Captain angeführt. Josuah Lemmon, der Mann, der so dürr und aufgeschossen wie eine Zaunlatte war, richtete sich auf und winkte mit dem Hut. Voller Grimm mußte Cochise mit ansehen, wie der Trupp einschwenkte und auf seine sichere Beute zuhielt. Nach wenigen Minuten hatte die Patrouille die beiden Banditen erreicht. Soldaten sprangen von den Pferden, versorgten die Verdurstenden mit Wasser. Cochise beobachtete jede Bewegung dort unten mit Argusaugen. Als die beiden nach etwa einer Stunde von den Soldaten auf freie Maultiere gehoben wurden und mit dem Trupp nach Osten ritten, wußte der Häuptling der Apachen, daß sie vorerst seinem Zugriff entzogen waren. Lange verfolgten dunkle Falkenaugen den Ritt der Patrouille. Die Soldaten konnten aus Fort Buchanan im Südwesten des Apachen-Passes sein, aber auch aus Fort Bowie im Nordosten von Thomas Jeffords Bastion. Wenn Cochise an diesen rotbärtigen Postmeister dachte, glitt ein mildes Lächeln über seine Züge. Thomas war der zweite Weiße, den er seinen Freund nannte. John Haggerty war ein
Kämpfer und Scout der Armee. Notgedrungen mußten sich alle seine dienstlichen Maßnahmen gegen die Interessen der Apachen richten, das verstand der Häuptling. Jeffords dagegen hatte mit dem Militär nichts zu tun. Als Postmeister der Butterfield Overland wollte er stets als Zivilist verstanden werden, der sich wegen seiner exponierten Stellung beim Paß mit den Chiricahuas, die das Land dort oben kontrollierten, vertragen mußte. Außerdem war Thomas Jeffords ein wirklicher Freund der Indianer, genau wie John Haggerty. Cochise warf einen letzten Blick nach Osten und suchte auch den nördlichen Horizont ab. Von einer Sekunde zur anderen war der Platz auf der Klippe leer. Am Spätnachmittag kletterte der Häuptling wie eine Gemse den Hang zur Höhle hinauf und traf Wyatt Earp sitzend auf dem Plateau an. Er ahnte sofort, daß zwischen den beiden so verschiedenartigen Männern etwas vorgefallen sein mußte. Cochise stellte keine Fragen, betrat die Höhle mit einem kurzen Kopfnicken zu Earp hin und setzte sich an die kalte Feuerstelle. Während er aus einer Feldflasche seinen Durst löschte, studierte er die finstere Miene Haggertys. Eine steile Falte stand wie eine eingemeißelte Kerbe auf Johns Nasenwurzel. Mit wenigen Worten berichtete Cochise, daß ihm zwei der Mörder entkommen waren. Haggerty blickte ihn nur kurz und wortlos an. »Die Jagd ist zu Ende, Jefe.« »Sie beginnt, wenn die Mörder das feste Haus der Weißen verlassen.« »Du bist unerbittlich.« Cochises Hand bewegte sich in einem Halbkreis. »Alles Land gehört den Apachen. Es ist unfruchtbar und hat nur wenig Wasser. Und doch gönnen es die Weißen dem roten Mann nicht. Wenn eine Sippe von Weideplatz zu Weideplatz
zieht, wird sie verfolgt und getötet. Die Frauen der Chiricahuas werden geschändet und entführt. Ist es denn nicht das vererbte Recht des roten Mannes, sein Land, das ihn ernährt, zu verteidigen und seine Toten zu rächen?« John Haggerty gab keine Antwort. Er konnte keine geben, weil er sehr wohl wußte, wie sehr der Häuptling recht hatte. Das Unrecht, das man den Apachen angetan hatte, sprengte immer wieder die freundschaftlichen Bande zwischen einzelnen Weißen und Roten. »Du verfolgst die Patrouille, Cochise?« »Nicht sie, aber die Mörder.« »Ich werde dich verlassen, Jefe. Man erwartet mich im Hauptquartier.« »Du sollst berichten, wo sich die Bergfeste der Chiricahuas befinden?« »Ich kenne sie nicht und kann nichts berichten.« »Wollten uns die Soldaten angreifen?« »Nein, Cochise. Der einarmige weiße Häuptling ist dein Freund.« »Warum will er dann wissen, wo wir leben?« »Nur so. Man nennt das bei den Weißen strategische Kriegsführung.« »Die Soldaten des weißen Häuptlings werden uns niemals finden, Falke. Was wirst du über uns berichten?« »Ich werde lügen müssen, Cochise.« »Du bist ein aufrechter Krieger, Falke, du kannst nicht lügen. Was wirst du dem weißen Häuptling sagen?« Die Kerbe auf Haggertys Nasenwurzel wurde tiefer und länger. John machte ein sorgenvolles Gesicht und drückte seinen Kummer in fahrigen Handbewegungen aus. Cochise bohrte weiter: »Tla-ina befindet sich in meinem Jacale. Wirst du sie den Weißen ausliefern?« »Niemals!« »Ist das ein Versprechen?«
»Ein heiliges, wenn du willst. Ich werde über den Paß reiten und mit Thomas Jeffords über die Sache sprechen. Vielleicht weiß er Rat?« Cochise schüttelte den Kopf. »Thomas ist kein Krieger. Er kann uns beiden nicht helfen. Soll ich dir sagen, was du tun sollst?« Cochise fühlte, daß sich der Scout in einem inneren Zwiespalt befand und keinen Ausweg aus seiner nahezu verzweifelten Situation sah. Er nahm ein dünnes Stück Holz, ritzte Linien und Kreise in den Aschenstaub des Felsbodens. »Wenn sie von dir fordern, sie in die Berge zu führen, dann führe sie dorthin. Hier«, er deutete mit dem Stock auf einen bestimmten Punkt, »leben wir in einem zerklüfteten Tal mitten in den hohen Bergen, die ihr Weißen Dragoon-Gebirge nennt. Führe sie dorthin. Willst du?« Haggerty hob seinen Kopf. Er musterte Cochise lange und eindringlich. Dann schüttelte er den Kopf. »Sie verlangen es nicht von mir, jetzt noch nicht. Wie ich sagte, ist das Strategie. General Howard soll in den Norden versetzt werden, davon redet man jedenfalls im Hauptquartier. Ein anderer General wird kommen, der die Befehlsgewalt an der Arizonafront übernimmt. Für ihn sind diese Angaben wahrscheinlich gedacht.« »Der neue General wird den Krieg wieder beginnen?« »Das glaube ich nicht, Cochise. Er bestimmt das auch nicht. Seine Befehle erhält er aus Washington, und du weißt das recht gut, wir sprachen einmal darüber.« Cochise nickte. Er stand auf und reckte seinen sehnigen Körper. »Merke dir die Skizze, Falke, und wenn der Tag kommt, der für die Chiricahuas ein entscheidender Tag sein wird, dann führe die Soldaten zu jener Bergfeste, die ich dir aufzeichnete. Wirst du das tun?« John Haggerty stand ebenfalls auf. Er schüttelte den Kopf.
»Ich kann es nicht und werde es nicht tun können, Jefe. Viele Jahre kämpfte ich für den Frieden zwischen unseren Rassen und will jetzt nicht an der Sache zum Verräter werden.« »Führe die Langmesser zu jenem Punkt«, sagte Cochise noch einmal eindringlich. »Führe sie, Scout, sie werden nicht einen einzigen Chiricahua antreffen.« Haggerty ahnte, was in dem Häuptling vorging. Er schien zu wissen, daß ein Scout Erfolge mit ins Lager zurückbringen mußte, wenn man ihm weiterhin Vertrauen schenken wollte. Nach einer längeren Pause intensiven Nachdenkens nickte er schließlich. »Gut, ich werde es so machen, wie es dein Wunsch ist, Chief. Denke aber daran, daß sie Kanonen mitbringen werden, wenn dieser Tag Wirklichkeit werden sollte.« »Sie werden nur Steine treffen, und Steine bluten nicht.« Nach diesen Worten drehte sich Cochise um und ging ein Stück tiefer in die Höhle hinein. Bei seinem Pinto blieb er stehen und musterte das Tier. Alles war unverändert, wie er den Platz verlassen hatte. Als er aufstieg und die Höhle verließ, stand Haggerty noch an der gleichen Stelle und hob die Hand zum Gruß. Cochise grüßte zurück. Auf dem Plateau wurde Cochise von Wyatt Earp angehalten. »Du reitest, Häuptling?« »Mein Weg führt mich nach Norden.« »Darf ich mit dir reiten, Chief?« »Du behinderst mich.« Earp grinste. »Ich mache mich unsichtbar, Chief. Nur bis Fort Bowie, wenn es deine Richtung ist.« Cochise nickte. »Komm«, sagte er, mehr nicht. * John Haggerty blieb in der Höhle, bis die Hufschläge draußen
verklangen. Nach Cochises Bitte fühlte er sich leer und wie blutlos. Seine Befehlsgeber verlangten von ihm einen Verrat an den Apachen. Cochise erwartete von ihm eine Täuschung seiner eigenen Rasse. Johns Zwiespalt dämmerte mit seinem Pulsschlag bis in die Abendkühle, und so oft er sich fragte, was recht und unrecht war, geriet er in einen neuen Zwiespalt, der sich beklemmend um Herz und Seele legte. Wind kam draußen auf und brachte die unsichtbaren Orgelpfeifen wieder zum Klingen. Ein seltsamer Wind. Er befreite John nicht von seinem inneren Druck und gab auch keine Antwort auf alle seine Fragen. Müde ging er zu seinem Pferd. Er fütterte und tränkte das Tier ausreichend und legte ihm schließlich den Sattel auf. Als er es aus der Höhle führte, brach die Dämmerung über das Land. Die Sonne war noch eben als schmaler Kreisabschnitt über dem Horizont zu sehen und versank schließlich ganz in einem Meer aus Dunst. Es wurde schnell dunkel. Haggerty wußte nicht, wie er von dieser Stelle aus in die Ebene gelangen konnte. Den Geröllabhang wollte er nicht benutzen, weil er keine Ahnung hatte, wie weit die Verwitterung schon fortgeschritten war. Er kannte solche Halden und wußte, daß es für ein Pferd ganz gefährlich war, sie zu betreten. John suchte nach Spuren, fand sie und führte das Tier am Zügel auf der gut sichtbaren Fährte weiter. Auf einem gewundenen Weg ging es an einer Felswand entlang nach unten. Der Weg war allerdings nicht die Leiste, auf der Cochise gegen die Mörder einer Apachen-Sippe ausgezogen war. Es war aber auch nicht das schmale Band, das er benutzt hatte, die Outlaws zu belauschen. Die Chiricahuas kannten ihr Land, jeden Steg und Weg, das mußte er ihnen zugestehen. Und doch wunderte er sich, weshalb Cochise eine so gut sichtbare Spur hinterlassen hatte, der ein Blinder mit einem Stecken hätte folgen können. Ein Verdacht kam Haggerty. Wollte ihm Cochise etwas ganz
Bestimmtes zeigen? Wollte er ihm einen Hinweis auf etwas geben, das beiden nutzen konnte? Sein Pferd in seinem Rücken schnaubte kurz und unwillig. John, gewohnt auf die Stimmen und Veränderungen in seiner unmittelbaren Umgebung genau zu achten, blieb sofort stehen. Seine hellen Augen glitten in die Runde, suchten, forschten und fanden außer der Felsenlandschaft nichts, was auf eine Gefahr hingewiesen hätte. Heilige Stille lag über dem Land und drang in die tiefsten Schluchten, sich ausbreitend wie eine dämpfende Decke. Doch dann bemerkte der Scout etwas: dunkle Punkte in der grauen Dunkelheit vor sich. John Haggerty starrte, bis ihm die Augen tränten. Er rieb sie trocken und blickte immer wieder auf das seltsame Gebilde, das sich in der Schlucht wie ein Baudenkmal vergangener Zeit erhob. Langsam ging er abwärts. Sein Pferd gab keine Warnzeichen mehr von sich und klapperte mit harten Hufen hinter ihm her. Als er die Talsohle erreicht hatte, blieb er erst einmal witternd und sichtend wie ein Raubtier stehen. Es war tatsächlich ein Gebäude mit Fensteröffnungen und Türen. Aber sie starrten blind und unbelebt in die Nacht, als seien sie müde, stets das gleiche Bild anzustarren. John fielen Berichte von Männern ein, die eine solche Wohnsiedlung der Urbevölkerung schon gesehen hatten. Niemand wußte, wer sie erbaut hatte und wie ihre Erbauer ausgesehen hatten, auch die Apachen nicht. Die Weißen allerdings ergingen sich in Vermutungen oder taten Fragen nach solchen Bauten mit Achselzucken ab. John setzte sich wieder in Bewegung. Die helle, hochaufragende Wand mit den dunklen Fensteraugen sah gefährlich aus. Wenn der Scout auch so gut wie keine Furcht kannte und manchmal alles auf eine Karte setzte, um sein Ziel zu erreichen, so erweckte doch der Anblick dieses prähistorischen
Bauwerks eine tiefe Niedergeschlagenheit in ihm. Er konnte nicht sagen, was ihn bedrückte. Waren es die dunklen Fensterhöhlen, der Hauch vergangener Jahrhunderte, der aus den Fensterhöhlen strömte, oder war es die unterschwellige Ahnung von der endgültigen Auflösung der so stolzen und mächtigen roten Rasse? Trotz aller Fragen, die sich ihm aufdrängten, verstand er nun, weshalb Cochise die gut sichtbaren Spuren gelegt hatte. Das hier hatte er ihm zeigen wollen. Und was noch? Haggerty blieb stehen und schüttelte sich wie im Fieber. Sein Pferd berührte ihn mit seiner feuchten Schnauze und blies ihm warme Atemluft in den Nacken. Was, um Himmels willen, hatte ihm Cochise noch sagen wollen? John stand wie erstarrt, sah auf das Bauwerk, das seine Geheimnisse für sich behielt. Und dann durchfuhr es den Scout wie ein elektrischer Schlag. So abweisend waren die dunklen Fensterhöhlen gar nicht. Im Gegenteil. Plötzlich wirkten sie einladend und fordernd auf den einsamen Mann. Das Pferd stieß ihn wieder an, absichtlich oder unabsichtlich. Wer wollte das bei einem Pferd schon wissen? »Hör auf, Brauner«, sagte Haggerty murmelnd. »Siehst du nicht, daß der Jefe uns was sagen wollte? Natürlich auch dir, du dummes Pferd!« Nichts rührte sich bei dem Bauwerk. Es erhob sich auf einem Sockel aus rotem Sandstein und glitt schlank und glatt weit hinauf in den dunklen Nachthimmel, an dem die ersten blinkenden Sterne wie auf einem Samttuch aufgereiht erschienen. »Komm, Pferd, wir sehen uns das an.« Er marschierte los, zerrte das Tier am Zügel. Aber der braune Wallach rührte sich nicht vom Fleck. »Pferd, was ist los? Hast du Angst? Die dort drüben tun dir
nichts, sie sind lange nicht mehr unter den Lebenden. Komm, du brauchst keine Angst zu haben.« Das Tier trottete hinter dem Scout her, als hätten es seine gemurmelten Worte beruhigt. Vor der aufragenden Wand des Bauwerks blieb Haggerty stehen und starrte bis zu seinem höchsten Punkt hinauf. Die unbekannten Baumeister hatten es in eine mächtige Felsnische gebaut und die Stockwerke stufenartig angeordnet. John fragte sich, wer oder welche Rasse in jener fernen Zeit über so viel Bauverständnis verfügte, die statischen Belange einer solchen Wehrburg zu beachten. Endlich fand er ganz hinten an der linken Seite den Eingang. Hier mußte sich einmal eine Tür befunden haben, aber sie war verwittert oder von nachfolgenden Generationen zu Brennholz benutzt worden. John band sein Pferd an einen hochstämmigen Kaktus und betrat eine Art Halle, die sich terrassenartig um den Kern des Gebäudes wand. Die Geschosse wurden untereinander durch Schrägen verbunden. Größere Absätze hatte man wahrscheinlich mittels Leitern oder Kerbbalken überbrückt. Überall lag Staub und Kot von Fledermäusen und Eulen. Fußoder andere Abdrücke waren nirgendwo zu sehen. Kein größeres Tier oder gar Menschen hatten seit undenkbarer Zeit die Festung der Hohokams betreten. John Haggerty studierte aufmerksam seine Umgebung. Warum hatte Cochise ihn hierhergeführt, und was hatte er ihm sagen wollen? John grübelte, kehrte gedanklich noch einmal zu dem Gespräch zurück, das er mit dem Häuptling der Apachen geführt hatte. Cochise hatte ihn an seine Pflicht als weißer Scout erinnert und sich selbst als den Mann bezeichnet, der seine eigenen Pflichten ernst nimmt. Das war kein oberflächlicher Gedankenaustausch zwischen den beiden so verschiedenartigen Männern gewesen, aber er, Haggerty, hatte Cochises Angebot
gar nicht erst ernsthaft in Erwägung gezogen. Der Jefe hatte das gespürt und entschloß sich, John einen weiteren gangbaren Weg zu zeigen. Aber welchen? Sinnloses Grübeln brachte Haggerty nichts ein, außerdem störte ihn die Stille in diesem Haus und die Umgebung, die vom Mythos einer längst vergangenen Rasse geprägt worden war. War es das, was ihm Cochise hatte sagen wollen? Der Scout schüttelte in Gedanken den Kopf. Er bezweifelte, ob der Apache überhaupt jemals ein solches Gebäude der Urvorderen betreten hatte. Wie alle Indianer war auch der Häuptling der Apachen nicht ganz frei von den Urvorstellungen des Götter- und Dämonenglaubens seines Volkes. Aber was war es? Wo ließen sich Zeichen Cochises erkennen, wie ließen sie sich deuten? John wandte sich ab und ging durch den Ausgang. Er sah sein Pferd draußen stehen, spürte die warme Luft im Canyon, der seine aufgenommene Sonnenhitze an die kühle Nacht abgab. Er hörte das laute Knacken von Gesteinsspannungen, das Rascheln von Sand, der von den Hängen rieselte. John Haggerty kannte die Geräusche alle und ließ sich nicht aufhalten. Bei seinem Wallach blieb er stehen und streichelte seinen Hals. »Ich weiß es nicht, Pferd. Weißt du es? Nein, du kannst es gar nicht wissen, mit dir sprach der Jefe ja nicht. Laß es gut sein, ich komme noch dahinter. Zunächst bringst du mich ins Hauptquartier, damit ich meinen Bericht loswerde. Verdammt, wie soll der Bericht aussehen?« Nach diesem Gedankengang spürte er plötzlich, wie etwas anderes infiltrierte, wie sich seine Überlegungen plötzlich von dem abwandten, worüber er bisher nachgedacht hatte. Die geistige Verkrampfung löste sich, und er sah Cochise am Feuer sitzen und Striche und Punkte in den Staub zeichnen. Wie ein Hammerschlag brach es bei ihm durch. Übergangslos wußte er, was ihm der Häuptling hatte sagen wollen. Der
erfahrene Indianer hatte sehr wohl gewußt, daß Haggerty nicht der einzige Scout war, der im Auftrag des Generals in den Bergen nach Cochises Bergversteck suchte. Keinem Apachen-Scout wären die zahlreichen Spuren entgangen, die die Chiricahuas bei Besuchen in ihrer Apacheria hinterließen. Sie führten jeden halbwegs intelligenten Scout genau dahin, wo sich das Gros des Stammes aufhielt. John Haggerty atmete befreit auf, bestieg sein Pferd und ritt an. Um ihn nicht in einen inneren Zwiespalt zu treiben, hatte ihm Cochise nicht mit Worten gesagt, wie sie beide das Dilemma beseitigen konnten. Aber John war alles klar. Er lachte so laut und glücklich, daß sein Pferd unwillig die Ohren schwenkte. Noch einmal lachte Haggerty schallend. Das Gesichtsfeld, das sich bei ihm plötzlich erweitert hatte, ließ sogar deutlich die Perspektiven von Cochises Plan erkennen. Seine Späher würden ihm rechtzeitig berichten, wann die Weißen heranrückten, und wenn ihre Haubitzen sich auf die Bergfeste richteten, würden sie tatsächlich nur Steine treffen. Cochise würde schon vorher mit seinen Sippen und dem Gros des Familienverbandes die Feste verlassen und ungesehen Zuflucht in dem Bau seiner Ahnen gefunden haben. Auf alle Fälle deckten sich Johns Angaben mit denen anderer Scouts, die auf Mokassins durch die Berge schlichen und mit wachen Augen alles beobachteten. Er, John Haggerty, Chef-Scout der Army in Arizona, würde nicht einmal lügen müssen, um die Chiricahuas vom Untergang zu bewahren. Das jetzige Lager der Apachen war tatsächlich dort, wo es Cochise in seiner Zeichnung angegeben hatte. John ritt weiter und gelangte durch eine enge Klamm in den großen Canyon und von dort aus auf die Ebene. *
Das erodierte Gestein lag hinter ihnen, vor ihnen die Ebene zwischen den Dragoons und den Chiricahua Mountains. Im Süden standen die Pilonen der Swisshelm-Berge wie Kerzen im Sonnenglast. Ihre wenigen sehr hohen Gipfel glänzten wie die Helme der alten Spanier, die vor zweihundert Jahren dieses Land eroberten und dann doch nicht halten konnten. Cochise ritt vor Wyatt Earp. Er blickte weder über die Schulter zurück noch schaute er seitwärts. Seine dunklen Adleraugen lagen mit einem seltsamen Ausdruck auf der hügeligen Ebene im Nordosten. Kein Halm wuchs auf dem von der Sonne verbrannten Felsboden, kein Grün erfreute das Auge, nichts regte sich. Unter Gottes gütiger Hand schien dieses Land bei der Verteilung von Wasser und Vegetation zu kurz gekommen zu sein. Earp ritt eine halbe Pferdelänge hinter dem Häuptling. Wie Cochise ließ er sein Pferd im Schritt gehen und versuchte auch nicht, den Indianer zu überholen. Am frühen Vormittag sahen sie voraus die bewaldeten Höhen der nördlichen Chiricahua Mountains und später den tiefen Einschnitt des Passes an der Flanke des Gebirgsstocks in die Höhe klettern. Was hatte diese Paßstraße in den letzten Monaten nicht schon alles gesehen und erlebt? Hier oben verlor Cochise seinen erbitterten Kampf gegen die California-Volonteers. An der gleichen Stelle wurde Victorio, der Mimbrenjo, zutiefst gedemütigt und im Zweikampf gegen Cochise besiegt. Cochise blickte ausdruckslos hinauf. Was ging in diesem Augenblick in seinem Kopf vor? Bedauerte er so manche Tat und manche Fehlentscheidung, oder dachte er in diesem Augenblick an Thomas Jeffords, seinen Freund? Wyatt Earp, der von diesen Taten hier oben beim Paß nichts wußte, trieb sein Pferd an und ritt an Cochises Seite. »Reiten wir hinauf?« fragte er und deutete auf den Paßsattel. Cochise schüttelte den Kopf. »Der Weg ist näher, aber auch gefährlicher. Ich verfolge
Soldaten, von denen ich nicht weiß, was ihnen die weißen Mörder erzählt haben.« Wyatt nickte gleichgültig. Ihm war es schließlich egal, wohin er ritt und wo er landete. Hauptsache für ihn war, dem Aufgebot aus Tombstone auszuweichen und in keinen Hinterhalt zu geraten. »Was ist das dort drüben am Hang?« fragte er und deutete auf eine sich aus dem Dunst abzeichnende Erhebung. »Ein festes Haus der Weißen. Ihr nennt es Fort Buchanan.« Südlich davon ragte der Giebel eines Ranchhauses in die Höhe. Auch diese Ranch hatte ihre Vergangenheit, wenn sie im Augenblick auch von einer Mexikanerin namens Martinez schlecht verwaltet wurde. Der Rancher selbst war tot. Jeder Fußbreit Boden hätte lange Berichte liefern können, wenn er gekonnt hätte. Und jeder Meter dieser Landschaft hatte Blut geleckt. Blut von Weißen und Apachen. Das alles ging dem Häuptling der Apachen durch den Kopf, während er seine Augen umherschweifen ließ. Schon sein Schwiegervater Mangas Coloradas wollte die Versöhnung mit den Weißen. Lange Jahre strebte er Freundschaft an und den Frieden. Aber solange noch eine Rothaut auf dem Land der Väter weilte, konnte es keinen Frieden geben. Cochises scharfes Auge verfolgte die dünne Linie der Paßstraße und die Staubwolke, die den Krümmungen folgte. Sie resultierte aus einem großen Reitertrupp, der sich paßaufwärts bewegte. Ihm war klargeworden, daß die Patrouille nicht nach Fort Buchanan ritt, sondern den kürzesten Weg nach Fort Bowie benutzte. Seinem Adlergesicht waren seine düsteren Gedanken nicht abzulesen. Er wußte, daß sich die Mörder seiner Sippe mit jeder Minute weiter von ihm entfernten. Spielten aber Entfernungen bei einem Chiricahua eine Rolle? Der Weiterritt wurde zur Monotonie. Wyatt Earp fielen die Augen zu, doch die stoßende Gangart seines Pferdes verhinderte
ein Einschlafen im Sattel. Die Tageshitze tat ein übriges, ihn gegen seine Umwelt abzustumpfen. Nicht so Cochise. Als Kind dieses Landes ertrug er Hitze und Strapazen mit Leichtigkeit. Wyatt hatte sich in den vergangenen Tagen oft gewundert, wie es der Häuptling fertig brachte, immer frisch und sauber auszusehen. Nicht der kleinste Schmutzfleck verunzierte seine Kleidung. Während er selbst unangenehm nach Schweiß und Pferd roch, gelang es dem Häuptling mit undefinierbaren Mitteln, sich absolut rein zu halten. »Legen wir heute keine Rast ein, Cochise?« Der Häuptling gab keine Antwort. Er lenkte sein Pferd zu einer Insel aus losen Steinen und Buschwerk und schwang sich dort vom Pferd. »Kein Feuer«, sagte er. »Sie können es von Fort Buchanan aus sehen.« »Auch das noch«, murrte der Weiße, »ich habe mich so auf einen starken Kaffee gefreut.« Cochise drang in das Dickicht aus Speerdorn, Yuccas und dünnstämmigen Kakteen ein und zerrte sein Pferd hinter sich her. Wyatt blieb noch draußen und schickte seine Blicke in die Runde. Mitten in der Felsenansammlung hielt das Schweigen zwei gedehnte Minuten an. Dann rief der Häuptling mit gedämpfter Stimme. »Komm herein, Helläugiger, sie können dich mit ihren Ferngläsern sehen.« Wyatt Earp raffte sich auf und folgte dem gebahnten Weg bis zu Cochises Lagerplatz. Steine und dichtes Buschwerk umgab ihn. Nur der Bussard hoch in der Luft konnte sehen, daß sich hier Menschen aufhielten. Earp sattelte ab und tränkte zuerst das Pferd aus der Wasserflasche. Er ließ die warme Brühe einfach in seine Hutkrone laufen und hielt dem Tier den Hut hin. Irgend etwas störte den Spieler jedoch bei seiner Tätigkeit. War es der penetrante Geruch in seiner Umgebung oder das leise
Rascheln zwischen den Steinen? Er sah sich um, zuckte zurück und verhielt sich stocksteif. Eine Diamantklapperschlange ringelte sich zwei Schritte von ihm entfernt auf einer flachen Steinkruppe und rasselte aufgeregt mit dem Schwanzende. Wyatt wollte sich herumdrehen und fliehen, das Weite suchen. Nur fort von dieser gottverdammten Schlange, deren Biß töten konnte. Sein erlernter Wildnisinstinkt sagte ihm jedoch, daß die Schlange schneller als er sein würde. Schweißgetränkt starrte er das Reptil an, das ihn im Auge behielt, und so verharrten beide lange Minuten. »Leicht bewegen«, flüsterte die Stimme Cochises. »Wie bewegen?« Wyatt bewegte kaum die Lippen. Angst schnürte ihm die Kehle wie mit einem gestrafften Lasso zu. »Nur den Kopf oder eine Hand.« Wyatt verstand den Indianer nicht. Die Schlange lag zusammengeringelt auf der Steinplatte, wo sie sich gesonnt hatte. Sie behielt ihn genau im Auge, und wenn er auch nur die geringste Bewegung machte, würde sie vorschnellen und zustoßen. Der Spieler wagte auch nicht, den Kopf etwas zu drehen, um nachzusehen, was Cochise vorhatte. Er stand da wie Lots Weib, förmlich zur Statue erstarrt. Er überlegte, ob er den Revolver ziehen und versuchen sollte, den häßlichen kleinen Schlangenkopf mit ein paar schnellen Schüssen zu treffen. Aber Cochises Flüstern riß seine Gedanken wie mit einem Messerschnitt ab. »Hand bewegen«, kam es wie ein Hauch seitlich von Wyatt Earp. Er zwang sich dazu, Cochises Befehl zu folgen. Sofort richtete die Diamantklapperschlange den Oberkörper auf und ließ die beiden Giftzähne blitzen, dabei rasselte sie drohend mit dem Schwanzende.
Ein leises Zischen glitt wie ein Lufthauch an Wyatt Earp vorbei. Die Schlange bäumte sich auf und fiel dann unter konvulsivischem Zucken in sich zusammen. Der lange, unterarmstarke Körper streckte sich. Cochises Messer hatte der Klapperschlange glatt den Kopf vom Rumpf getrennt. »Allmächtiger!« stöhnte Wyatt Earp. Farbe kehrte in sein Gesicht zurück, aber seine Hände flatterten noch wie die Flügel einer Fledermaus. »Das vergesse ich dir nie, Chief!« Cochise kam herüber, nahm sein Messer vom Boden auf, reinigte es und schob es in die eingenähte Scheide in den Leggins zurück. Sein Blick streifte den Spieler. »Du wirst es schon morgen vergessen haben, Hellauge.« »Nein, nie! Du kannst von mir verlangen, was du willst, und du wirst es bekommen, wenn ich's besitze.« Cochise winkte ab. »Ruhe dich aus, weißer Mann, in einer Stunde reiten wir weiter.« »Warum so schnell?« »Die Zeit drängt.« »Wir holen sie sowieso nicht vor Fort Bowie ein.« »Nicht deswegen, Bleichgesicht. Die Mörder des roten Mannes entkommen mir nicht. Was sie auch anfangen, ich bin immer in ihrer Nähe.« »Zum Teufel, weshalb dann?« Cochises Hand glitt im Norden um die halbe Himmelsrose. »Deswegen, weißer Mann. Rauch-Signale des Todes, die dem Häuptling der Apachen gelten. Wir haben keine Zeit zu verlieren.« Wyatt Earp sah die Rauchzeichen von den Hügeln und Gipfeln aufsteigen und fragte sich in diesem Augenblick, wie sicher er noch in der Gesellschaft der Rothaut war. Ja, wie sicher? Er hatte sich dem Häuptling angeschlossen, um vor seinen Kriegern Ruhe zu haben. Ihm genügte es, wenn er sich auf die Posse aus Tombstone konzentrieren mußte und auf
andere Indianerstämme, deren Krieger im Land der Chiricahuas streiften. Trotz der Gefahr, die von allen Hügeln hinter dem Paß sichtbar wurde, traf er die Entscheidung, noch ein Stück mit dem Jefe zu reiten, bis er sicher sein konnte, dem Aufgebot nicht mehr zu begegnen. »Okay«, sagte er, »eine Stunde Rast, das wird meinem Pferd genügen.« Er setzte sich auf einen flachen Stein und nahm seinen Proviant aus der Satteltasche.
ENDE