In jeder Generation
gibt es nur eine Jägerin...
Irgendetwas Unheimliches und äußerst Bösartiges macht Jagd auf Sunn...
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In jeder Generation
gibt es nur eine Jägerin...
Irgendetwas Unheimliches und äußerst Bösartiges macht Jagd auf Sunnydales Schüler – und was auch immer es ist, es geht mit bestialischer Raffinesse vor. Spätestens als die Jägerin auf eine Grube voller abgenagter Menschenknochen stößt, wird ihr klar, dass sie es mit einer übernatürlichen Ausgeburt des Bösen zu tun hat. Ein Fall für die Scooby-Gang, nur leider stecken Buffys Freunde gerade selber in ziemlichen Schwierigkeiten. Oz und Xander sind regelrecht verzaubert von einer superheißen Mädchenband, die im Bronze gastiert, und Willow gerät in die Fänge einer mysteriösen Horde von Menschenfressern... Jetzt hängt alles von der Jägerin ab. Doch bevor Buffy ihren Freunden zu Hilfe eilen kann, muss sie gegen einen legendenumwobenen Vampir antreten – einen Vampir, der dem Licht der Sonne zu trotzen vermag, der jedem Bannspruch widersteht schier unglaubliche Kräfte besitzt und zudem noch ein ausgeprägtes Interesse an Joyce Summers zu haben scheint...
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John Passarella
Blanke Knochen Aus dem Amerikanischen von Michael Neuhaus
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Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Buffy, im Bann der Dämonen. – Köln: vgs
Blanke Knochen / John Passarella.
Aus dem Amerikan. von Michael Neuhaus. – 1. Aufl. – 2001
ISBN 3-8025-2842-5
Das Buch »Buffy – Im Bann der Dämonen. Blanke Knochen« entstand nach
der gleichnamigen Fernsehserie (Orig.: Buffy, The Vampire Slayer) von Joss
Whedon, ausgestrahlt bei ProSieben.
© des ProSieben-Titel-Logos mit freundlicher
Genehmigung der ProSieben Television GmbH
Erstveröffentlichung bei Pocket Books, New York 2000.
Titel der amerikanischen Originalausgabe: Buffy, The Vampire Slayer.
Ghoul Trouble.
™ und © 2001 by Twentieth Century Fox Film Corporation.
All Rights Reserved.
1. Auflage 2002
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Egmont vgs Verlagsgesellschaft mbH
Alle Rechte vorbehalten.
Produktion: Wolfgang Arntz
Lektorat: Almuth Behrens
Umschlaggestaltung: Sens, Köln
Titelfoto: © Twentieth Century Fox Film Corporation 2000
Satz: Kalle Giese, Overath
Druck: Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
ISBN 3-8025-2842-5
Besuchen Sie unsere Homepage im WWW: www.vgs.de 4
Prolog
Nicht weit hinter ihm schlugen die Wellen des Ozeans an die Mole von Sunnydales heruntergekommenem Hafenviertel. Und nur wenige Meter vor ihm erhellte die grell flackernde Neonbeleuchtung des EZ Rider Saloon die Nacht, einer Kneipe, deren Kundschaft fast ausschließlich aus Bikern bestand. Auf einem Schotterparkplatz standen, in Reih und Glied und mit beinahe militärischer Akkuratesse, etwa ein Dutzend schwerer Maschinen, allesamt nur so strotzend vor glänzendem Chrom. Der Saloon selbst war mehr schlecht als recht aus Ziegelsteinen und Spanplatten zusammengezimmert, erstere mit einem schwarzen Anstrich versehen, letztere von einem hässlichen Grün. Die Logos verschiedener Biermarken zierten als Leuchtreklame die schmalen Fenster. Das beständige Summen der Neonröhren klang wie ein Schwarm wütender Wespen. Mit lässigen, weit ausholenden Schritten steuerte Solitaire auf die Kneipe zu. Sein schwarzer Mantel flatterte im Wind und gab den Blick frei auf das schwarze Hemd, die ebenfalls schwarzen Hosen und die rote Lederweste. Es war eine jahrhundertealte Marotte von ihm, sich stets in Schwarz und Rot zu kleiden, den Farben eines Kartenspiels. Seine schwarzen Stiefel schienen kaum den Boden zu berühren, als er, so gut wie lautlos und immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die in Beton gegossene Treppe emporhuschte. Er stieß die Schwingtür des Saloons auf und trat ein. In dem schummrigen Licht, das in der verräucherten Spelunke herrschte, konnte Solitaire dreizehn ausgesprochen unfreundlich wirkende Biker erkennen. Für viele Menschen ist die Zahl Dreizehn eine Unglückszahl, dachte er bei sich. Möglicherweise aus gutem Grund. Er kicherte stillvergnügt in sich hinein, während er die Hände aneinander rieb und spürte, 5
wie freudige Erwartung in ihm aufstieg, in einem Maße, wie er es seit über einem Jahrhunden nicht mehr empfunden hatte. Wie sehr hatte er Herausforderungen dieser Art vermisst, aber die verschwindend geringe Zahl an ernst zu nehmenden Gegnern war nicht eben inspirierend gewesen. Doch das sollte sich nun ändern. Hier, in Sunnydale, warteten Gegenspieler auf ihn, die sich seiner Fähigkeiten zweifellos als würdig erweisen würden. Dennoch war er realistisch genug sich einzugestehen, dass er nach all den Jahren des ziellosen Tötens – kaum mehr als ein paar Fingerübungen, wenn er ehrlich sein wollte – nicht gerade in Höchstform war. Menschliche Faustkämpfer, Boxer, trainierten ihre Fertigkeiten mit Hilfe von Sparringspartnern, und Solitaire war sich durchaus nicht zu schade für ein kleines Übungsgefecht, um sein ursprüngliches Kampfpotenzial wiederzuerlangen. Okay, legen wir die Karten offen auf den Tisch, sagte er sich eingedenk seines angenommenen Namens... Abschätzend wanderte sein Blick über die Gruppe von Menschen, suchte nach einem Ziel. Gleichzeitig sondierte er das Terrain, das schon bald zur Kampfarena werden sollte. Die meisten der Biker lungerten in der Nähe der drei Billardtische herum, kippten Flaschenbier in sich hinein oder versenkten zielsicher ihre Spielkugeln. Fast alle hatten eine Zigarette zwischen den Fingern oder im Mundwinkel, bis auf einige wenige, die es vorzogen, sich an billigen Zigarren festzuhalten. Egal, ob sie sich für ein Leder- oder ein Jeansoutfit entschieden hatten, in jedem Fall zierte die Rückenpartie ihrer Jacke ein in Flammen stehender Totenkopf. Solitaire hatte das Gefühl, dass sich dieses Erkennungszeichen der Gang heute Abend als geradezu prophetisch erweisen würde. Hinter dem schmalen Tresen, kaum mehr als eine Ladentheke, stand ein einsamer Barkeeper und polierte mit einem schmierigen alten Lappen Gläser. Aus einer vorsintflutlichen Jukebox gegenüber der Eingangstür dröhnte 6
›Don’t Fear the Reaper‹ von Blue Oyster Cult. Solitaire fand, dass dieser Song über den Sensenmann als Sounduntermalung nicht die schlechteste Wahl war. Auf einem Barhocker in der hinteren Ecke des EZ Rider Saloon thronte, einen Ellbogen auf die Fensterbank gelehnt, ein besonders prächtiges Bikerexemplar, mit beinahe schenkeldicken Oberarmen und einem Brustumfang, den seine knopflose schwarze Lederweste kaum zu umfassen vermochte. Mit einer Hand hielt er den Griff eines Bierkrugs umfasst, der auf seiner beeindruckenden und von dichtem Haar überwucherten Wampe ruhte. Direkt neben ihm stand ein drahtig wirkender Mann, dessen Haut in Farbe und Beschaffenheit ungegerbtem Leder glich. An seinen Stiefeln befanden sich tatsächlich Sporen. Als er die Geschichte, die er offensichtlich soeben erzählte, in einer unzweideutigen Hüftbewegung gipfeln ließ, brach der Fleischklops auf dem Barhocker in dröhnendes Gelächter aus. Der Inhalt seines Krugs schwappte bedrohlich hin und her, und Bierschaum platschte auf seinen pelzigen Bauch, was er jedoch kaum zur Kenntnis nahm. Jedenfalls schien es ihn nicht weiter zu stören. Solitaire steuerte auf den nächstbesten Biker zu und sprach ihn an, genau in dem Moment, als dieser im Begriff stand, die Neunerkugel in das Eckloch zu schicken: »Kannst du mir sagen, wo ich Warhammer finde?« Eine große Narbe, wahrscheinlich von irgendeiner Messerstecherei herrührend, zog sich längs über die rechte Wange des Rockers und wies wie ein Pfeil auf das darüber liegende schielende Auge. Knapp oberhalb der Brusttasche seiner zerschlissenen Jeansjacke war sein Name – CYCLOPS – aufgestickt. Solitaire nahm an, dass es sich bei dem rechten Auge des Bikers um ein Glasauge handelte. »Verpiss dich!«, gab Cyclops barsch zur Antwort und bekräftigte seine Aufforderung mit einem gewaltigen Rülpser. Während ein fetter Biker, der an der anderen Seite des Tisches 7
stand, sich glucksend über die rüde Abfuhr amüsierte, die sein Kumpel dem Neuankömmling erteilt hatte, beugte sich Cyclops vor und setzte erneut zum Stoß an. Mit dem gesunden Auge zwinkerte er seinem wohlgenährten Partner zu: »Diesen Komikern aus der Stadt darf man bloß nichts durchgehen lassen, Hef.« Solitaire riss dem Einäugigen den Queue aus der Hand, drehte sich einmal um die eigene Achse und ließ den Stock mit Schwung in Cyclops Kniekehlen krachen. Mit einem lauten Grunzen und einem noch lauteren Fluch ging der Biker zu Boden. Sofort kam Hef um den Tisch herumgeschossen. »Hey! Was zur Hölle...?« Noch bevor er den Satz zu Ende sprechen konnte, rammte ihm Solitaire das dicke Ende des Queues in den schwabbelnden Fettbauch. Schmerzgekrümmt sackte Hef in sich zusammen und war zu weiterem Protest nicht mehr in der Lage. »Hey, du Arsch«, brüllte der Barkeeper, »du bist gerade dabei, dir Riesenärger einzuhandeln. Besser, du haust schleunigst ab, bevor sie dich mit den Füßen voran hier raustragen.« Solitaire wirbelte herum und zielte, unverkennbar in der Absicht, den Queue wie einen Speer in Richtung Theke zu schleudern. Der Barkeeper stieß einen entsetzten Schrei aus und ließ sich augenblicklich zu Boden fallen. In der nächsten Sekunde zerbarst über ihm der nikotinverschmierte Thekenspiegel und prasselte in tausend Stücken auf ihn herab. Das Spiegelbild des Speerwerfers war in ihm nicht zu erkennen gewesen. Mit rasselnden Stiefelsporen und breitbeinig wie ein Cowboy kam nun der lederhäutige Typ herangeschlurft. Solitaire wäre beinahe in lautes Gelächter ausgebrochen, wollte sich den Spaß jedoch nicht verderben. Knapp zwei Armlängen vor ihm blieb Lucky Luke stehen und zückte ein Schnappmesser. 8
»Wo hast du dein Schießeisen gelassen, Cowboy?«, fragte Solitaire spöttisch. »Man nennt mich Loon, den Irren«, gab der Biker zurück. »Und willst du wissen, warum? Weil ich verrückt genug bin, die Fressen von Typen wie dir zu tranchieren wie einen Weihnachtsbraten. Hast du noch einen letzten Wunsch, bevor ich mit meiner kleinen Operation beginne?« »Ich bin wegen Warhammer hier«, erwiderte Solitaire. »Der Rest von euch kann von mir aus weiterleben.« Solitaire konnte förmlich spüren, wie Cyclops und Hef sich ihm von hinten näherten, wahrscheinlich in der Absicht, ihn an den Armen zu packen und festzuhalten, sodass Loon mit seinem Schnappmesser leichtes Spiel hatte. Da meldete sich der annähernd fassförmige Biker auf dem hinteren Barhocker zu Wort. Er balancierte noch immer den Bierkrug auf seiner dicht behaarten Plauze. »Ich bin Warhammer«, rief er aus seiner Ecke heraus. »Wie kommst du eigentlich darauf, ich könnte meine Zeit damit vergeuden wollen, dir die Seele aus deinem jämmerlichen Kadaver zu prügeln?« »Ich kann ja verstehen, dass du Schiss hast«, grinste Solitaire. »Angst ist eine ganz natürliche Reaktion.« Wieder ließ der Biker sein dröhnendes Gelächter erschallen, und einmal mehr geriet der Krug auf seinem fetten Bierbauch merklich ins Schwanken. »Wohl kaum«, entgegnete er dann. »Du willst dich tatsächlich mit mir anlegen? Kein Problem. Nur leider musst du erst einmal an diesen... Gentlemen vorbei.« Einige der so genannten Gentlemen prusteten laut los. »Ist mir ein Vergnügen.« »Okay, dann mal los«, nickte Warhammer nach einem kurzen Moment des Schweigens. »Du bist noch viel dümmer, als ich dachte.« Konziliant breitete er die Arme aus. »Stell dich darauf ein, dass das, was von dir übrig bleibt, wenn ich mit dir
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fertig bin, kaum ausreichen dürfte, um sich die Stiefel daran abzutreten.« Loon grinste mit einem leichten Nicken dem Biker zu, der, wie Solitaire wusste, links hinter ihm stand. Solitaire brauchte sich nicht einmal umzusehen. Er kam gar nicht umhin, den biergeschwängerten Atem des Mannes zu riechen, das leise Klopfen seines beschleunigten Herzschlags zu spüren. Als Loon Anstalten machte, sich mit gezücktem Messer auf ihn zu stürzen, ließ Solitaire blitzschnell den linken Arm hervorschnellen, umfasste das Handgelenk des Rockers und drückte erbarmungslos zu. Knochen splitterten. Ein hässliches Geräusch. Mit der anderen Hand packte er den MöchtegernCowboy an der Schulter und riss ihn nach vorn. Der Biker geriet ins Straucheln und taumelte unkontrolliert an ihm vorbei. Das ausgeklappte Schnappmesser bohrte sich tief in Cyclops gesundes Auge. Na ja, dachte Solitaire, ›gesund‹ ist wohl jetzt der falsche Ausdruck. Loon ließ das Messer los und hielt sich vor Schmerz jaulend die zerquetschte Schulter. Und Cyclops fiel um wie ein gefällter Baum und schlug dumpf auf den Boden, die Klinge im Schädel. Von der anderen Seite her griff nun Hef an, schloss seine fleischigen Hände zum Würgegriff um Solitaires Hals. Solitaire bog einen von Hefs Fingern zurück, bis es laut knackte. Dann einen weiteren. Erst beim dritten Finger dämmerte es Hef, dass Solitaire soeben dabei war, ihm alle Finger zu brechen, einen nach dem anderen. Entsetzt ließ er los. Ohne sich umzudrehen, rammte ihm Solitaire den Ellbogen in das aufgedunsene Gesicht und trieb Hefs Nasenbein zurück in den Schädel. Ein weiterer Körper sank wie tot zu Boden. Doch schon kam der vierte Biker herangestürmt. Wütend schlug er den grünen Billardfluter zur Seite, sprang auf den nächstgelegenen Pooltisch und warf sich dem Eindringling mit einem Hechtsprung entgegen. Solitaire erwischte den heranfliegenden Angreifer an Kragen und Gürtelschnalle und 10
verlängerte seine Flugbahn um die wenigen Meter bis zur Jukebox, wo er unter lautem Getöse eine Bruchlandung hinlegte. Die bunte Glasabdeckung zersplitterte, und die Musik erstarb. Funken sprühten. Das Gesicht des Bikers war eine einzige blutüberströmte Ruine. Vier erledigt, noch acht weitere bis zu Warhammer. Er fragte sich, ob sie überhaupt noch Lust verspürten, dieses kleine Gemetzel fortzusetzen. Andererseits benötigte man für die Einsicht, dass ein geordneter Rückzug bisweilen die klügere Wahl war, zumindest einen Hauch von Intelligenz. Also nahm Solitaire an, dass diese Jungs allesamt bis zum bitteren Ende weiterkämpfen würden. Warhammer war von seinem Barhocker aufgesprungen; die selbstgefällige Teilnahmslosigkeit in seinen Zügen war inzwischen, wenn schon nicht gespannter Aufmerksamkeit, so doch immerhin einem Ausdruck verhaltenen Respekts gewichen. Sehr gut, dachte Solitaire. Endlich kam Bewegung in die Sache. Zwei weitere Biker versuchten nun, Solitaire in die Zange zu nehmen, jeder von ihnen bewaffnet mit einem Queue, den die beiden wie Baseball-Schläger vor sich herschwangen. Solitaire wartete, bis der erste von ihnen sich mit lautem Gebrüll auf ihn stürzte. Sein Arm zuckte hoch, und mit einem raschen Handkantenschlag zerteilte er den Billardstock in zwei sauber getrennte Hälften. In derselben Sekunde sprang er zur Seite und trat dem anderen Biker, bevor dieser überhaupt dazu kam, zum Schlag auszuholen, gegen die Brust. Brutal knallte der Rocker gegen die Wand und sank stöhnend vornüber, die Hände auf mindestens ein halbes Dutzend gebrochene Rippen gepresst. Sofort wandte sich Solitaire wieder dem anderen Angreifer zu, der immer noch seine nunmehr halbierte Schlagwaffe umklammerte. Mit brutalem Griff riss er ihm den Arm herum, der knirschend aus dem Schultergelenk sprang, brachte den fassungslosen Mann in Position und schmetterte ihn, mit dem Kopf voran, ebenfalls gegen die Wand. 11
Als Solitaire sich wieder aufrichtete, sah er gerade noch die Umrisse eines mit Stahlkappen verstärkten Stiefels auf seine Weichteile zuschießen. Doch seine Reflexe waren schneller. Er packte den Stiefel mit beiden Händen, riss ihn mit einem kräftigen Ruck herum und zwang den Fuß aus seinem Gelenk. Im nächsten Augenblick lag der Biker brüllend am Boden. Er wand sich vor Schmerz. »Hör auf! Bitte! Bitte – hör auf!« So sehr Solitaire die Qualen des Mannes auch genoss, ein derartiges Geheule war selbst für seine Ohren zu viel. Nun war er es, der zu einem Tritt ausholte – mit dem Unterschied, dass sein Stiefel das Ziel auch fand. Mit der Wucht eines Hammers traf sein Fuß den Mann an der Schläfe. Das Gejammer verstummte augenblicklich. »Schon besser«, stellte Solitaire befriedigt fest. Da stürzte sich ein weiterer Biker auf ihn und schrie: »Du hast Spud umgebracht!« In blinder Wut holte er mit seiner Bierflasche aus, doch Solitaire duckte sich nur, umfasste den Angreifer an der Taille, warf ihn herum, ließ ihn auf die Kante eines Billardtisches krachen und brach ihm das Rückgrat. Der Nächste, der sich ihm entgegenstellte, war ein Rocker namens Viper. An jeder seiner Hände steckte ein Schlagring mit spitzen Dornen aus Eisen. »Die Dinger sind maßgefertigt«, erklärte er stolz. »Damit kann man sich seine ganz persönlichen Hamburger kreieren.« Er stieß einen wilden Schrei aus und ging mit fliegenden, stachelbewehrten Fäusten auf den Gegner los. Solitaire riss einen Queue von der Wand und stieß ihn dem heranstürmenden Biker mit der Spitze voran in die Eingeweide. Als Viper benommen zurücktaumelte, schwang Solitaire den Stock herum, packte ihn am dünnen Ende, ließ ihn in hohem Bogen durch die Luft sausen und zerschmetterte dem Mann das Nasenbein. Viper ging zu Boden und blieb winselnd liegen. Dann schnappte sich Solitaire die weiße Spielkugel und die schwarze Acht. Erstere schleuderte er mit einer Kraft und 12
Genauigkeit, die ihn zweifellos als Spieler in der Baseball-Liga qualifiziert hätten, dem erstbesten Biker an den Kopf und sorgte so für eine weitere zertrümmerte Nase. Mit der Achterkugel holte er einem anderen Rocker die Schneidezähne aus dem Kiefer. Geifernd und jaulend vor Schmerz presste der Biker die Hände vor den Mund. Blutige Speichelfäden rannen durch seine Finger. Ein wohlplatzierter Tritt gegen seinen Kopf bereitete dem Elend ein Ende. Nur noch ein einziger Mann stand zwischen Solitaire und Warhammer. Er war groß, doch von gebeugter Statur, hatte eine auffällige Hakennase und einen enormen Schmerbauch, der seine Gürtelschnalle in Form des Staates Texas fast völlig verdeckte. Ein aufgenähter Flicken auf seiner Jacke verriet, dass sein Name Hawk war. Hawk machte einen ausgesprochen siegessicheren Eindruck. Im nächsten Moment wusste Solitaire auch, wieso. Der Biker zog einen 357er Revolver aus einem Schulterholster und grinste wie ein Varieteekünstler, der soeben einen Blumenstrauß aus dem Ärmel seines Smokings gezaubert hatte. Die Mündung seiner Waffe zielte genau auf Solitaires Brust. »Das Spiel ist aus, Mann!« Solitaire sah, wie sich der Finger des Mannes zitternd um den Abzug krümmte, ganz langsam, wie in Zeitlupe. Seine eigenen Hände dagegen bewegten sich mit annähernd Lichtgeschwindigkeit. Seine Rechte schnellte nach vorn, schloss sich blitzschnell um Hawks Ellbogen; gleichzeitig packte er mit der Linken dessen Handgelenk, bog den Unterarm des Bikers nach oben und drückte den Lauf der Waffe herum, weiter, immer weiter, während sich der zitternde Finger immer enger um den Abzug legte. Der Schuss ging los, als sich die Mündung der Magnum genau unter Hawks Kinn befand. Breiige Klumpen von etwas, das einmal Hawks Gehirn gewesen war, klatschten an die Wand. Leblos sank Hawk zu Boden. 13
»Wie ich schon sagte, Angst ist eine ganz natürliche Reaktion«, wiederholte Solitaire. Ein Dutzend Männer lag im Raum verstreut, einige tot, andere dem Tode nah. Der Rest benötigte, dem schwachen Winseln und Stöhnen nach zu schließen, dringend medizinische Versorgung. »Mir machst du so leicht keine Angst«, erwiderte Warhammer und stellte damit lediglich unter Beweis, dass sein eigenes Gehirn bereits ähnliche Verfallserscheinungen aufwies wie das von Hawk. Er war ungefähr genauso groß wie Solitaire, doch um einiges korpulenter, besonders was den Brustumfang und die Oberarme betraf. »Fang auf!«, rief er plötzlich und warf Solitaire den halb vollen Bierkrug an den Kopf. Mit einer raschen Handbewegung schlug Solitaire das Geschoss zur Seite und rechnete damit, im nächsten Moment den schwergewichtigen Biker wie einen tobenden Bullen auf sich zustürmen zu sehen. Stattdessen jedoch langte Warhammer nach hinten, packte den Barhocker an zwei Beinen, hob ihn hoch über den Kopf und ließ ihn wie einen Schmiedehammer auf Solitaire herabfahren, wohl in der Hoffnung, ihm mit einem einzigen vernichtenden Schlag den Schädel einzuschlagen – eine Kampftaktik, die ihm wahrscheinlich auch seinen Künstlernamen eingebracht hatte. Doch Solitaire wich leichtfüßig aus und trat Warhammer aus der Drehung heraus gegen die Außenseite seines linken Knies, das daraufhin in einem unmöglichen Winkel nach innen knickte. Warhammer brüllte vor Schmerz laut auf und holte zu einem gewaltigen Rundumschlag mit der Rechten aus. In seiner blinden Wut schien er jedoch jedes Augenmaß verloren zu haben, was Solitaire Gelegenheit gab, einen weiteren Treffer zu landen, diesmal in die rechte Niere seines Gegners. Wie ein nasser Sack ging der Biker zu Boden, schaffte es aber noch, beide Arme um Solitaires Wade zu schlingen und ihn mit 14
einem kurzen Ruck zu Fall zu bringen. Solitaire knallte hart mit dem Hinterkopf gegen die Kante eines Billardtisches, und schlagartig, für den Bruchteil eines Augenblicks, gingen bei ihm sämtliche Lichter aus. Dieser kurze Moment reichte aus, um Warhammer wieder auf die Beine kommen zu lassen. Unter vollem Einsatz all seiner Pfunde und Kilos stürzte er sich auf den niedergestreckten Gegner, hockte sich rittlings auf ihn und schlang ihm seine fleischigen Hände um den Hals. Zum ersten Mal an diesem Abend befand sich Solitaire in einer Lage, die den Einsatz besonderer Mittel erforderte, und die Verwandlung vollzog sich mit erschreckender Geschwindigkeit. Solitaires Gesichtszüge verzerrten sich, in seine Augen trat ein gelbliches Glühen, und geifernde Fänge schoben sich vor die zurückweichenden Lippen. Dann drang ein gefährliches Knurren aus seiner Kehle. Warhammer erstarrte, seine Kinnlade sackte herab. »Was zum Teufel...?« Solitaire verlor nicht eine Sekunde. Er krallte seine Finger ineinander, riss beide Arme mit unmenschlicher Kraft nach oben und sprengte Warhammers eisernen Griff. Dann ließ er seine Rechte aufwärts schnellen und rammte dem Biker seinen Handballen unters Kinn. Warhammers Mund klappte laut wieder zu. Dann bearbeitete er das Gesicht des Rockers mit einer Serie kurzer rechter und linker Haken, bis Warhammer schließlich nach hinten kippte. Blut sickerte aus seiner gebrochenen Nase und den zahlreichen Platzwunden. Mit hektischen Bewegungen, deren Sinn Solitaire zunächst verborgen blieb, fummelte der Biker an seinem Hosenbein herum. Plötzlich hielt er ein Jagdmesser in der Hand, das offensichtlich in einem seiner Stiefel gesteckt hatte. Solitaire trat ihm mit Knochen zermalmender Gewalt gegen das Handgelenk, und klirrend landete die Klinge auf dem Boden. Dann schlug er sie mit der Hand außer Reichweite. 15
Der Biker rollte zur Seite und robbte verzweifelt auf Hawks leblosen Körper zu, wo noch immer die Magnum lag. Solitaire sprang auf, packte ihn mit der Linken an den Haaren und krallte seine Rechte in den schon angegrauten Bart des Rockers. Warhammers Finger verkrampften sich, als Solitaire ihm mit einem brutalen Ruck das Genick brach. Bis zur Waffe wären es nur wenige Zentimeter gewesen. Triumphierend positionierte Solitaire seinen Stiefelabsatz auf dem Gesicht des Mannes und fischte eine Spielkarte aus seiner roten Weste. Kreuzkönig. Mit einer lässigen Handbewegung ließ er die Karte auf den leblosen Körper hinabsegeln. »Du wurdest maßlos überschätzt, Warhammer«, murmelte er. Doch das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Immerhin hatte Warhammer es geschafft, ihn zumindest einen Augenblick lang in echte Bedrängnis zu bringen – und das, obwohl er nur ein Mensch war. Solitaire hatte erst seine Fangzähne zeigen müssen, um wieder die Oberhand gewinnen zu können. Der Kämpfer in ihm konnte über diese Unzulänglichkeit nur schwerlich hinwegsehen. Derartige Schnitzer konnte er sich nicht erlauben, nicht, wenn es um einen wirklich hohen Einsatz ging. Und schon gar nicht, wenn er die bevorstehende Schlacht gewinnen, die einzigartige Herausforderung meistern wollte, der er sich in Kürze stellen wollte. Er ließ seine Fingerknöchel knacken. »Ich bin wohl ein wenig aus der Übung.« Langsam schlenderte er zur Eingangstür zurück und stieg gedankenverloren über ein paar ächzende und stöhnende Biker hinweg. Nicht ein einziger unternahm den Versuch, ihn aufzuhalten. Diejenigen, die noch bei Bewusstsein waren, verspürten lediglich unsägliche Erleichterung, als sie ihn aufbrechen sahen. Wie glücklich würden sie erst sein, wenn der Schmerz nachließ... Als Solitaire endlich zur Tür hinaus war, tauchte hinter der Theke der Kopf des Barkeepers auf. Er benötigte einige Zeit, um das ganze Ausmaß des Blutbads zu
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erfassen, das Solitaire angerichtet hatte. Mit zitternden Händen griff er zum Telefon. Draußen auf dem Schotterparkplatz des EZ Rider blieb Solitaire einen Moment lang stehen und ließ den Blick über die chromblitzenden und mit zahllosen Grateful-Dead-Aufklebern übersäten Motorräder wandern. Dann setzte er seinen Fuß auf den ledernen Sitz der vorderen Maschine und versetzte ihr einen kräftigen Stoß. Sie fielen allesamt um wie Dominosteine, eine nach der anderen. Ihr kreischender Protest, das schrille Aufbegehren malträtierten Stahls, war schon längst verklungen, als aus der Ferne Sirenengeheul ertönte. Abgesehen von der Erkenntnis, dass Solitaires kämpferische Fähigkeiten ein wenig Feinschliff benötigten, war die Begegnung mit Warhammer alles in allem eher eine Enttäuschung gewesen. Menschen waren eben naturgemäß schwach, und damit keine ernst zu nehmenden Gegner. So viel Fleisch und Blut und druckempfindliches Gerippe. Dennoch war er fest davon überzeugt, dass die Jägerin eine größere Herausforderung darstellen würde. Vielleicht sogar die größte überhaupt. Ja, dachte er, und verzog die Lippen zu einem Grinsen. Es ist ein gutes Gefühl, wieder im Rennen zu sein. Er verließ den Schotterplatz und lenkte seine Schritte auf die zweispurige Bundesstraße, hinter sich die Docks und vor sich die aufgehende Sonne. Für einen kurzen Moment hielt er noch einmal inne, blinzelte und stieß ein leises Fauchen aus. Dann griff er in die Innentasche seines Mantels und zog eine Sonnenbrille hervor. Seufzend setzte er sie auf und marschierte weiter, dem Licht des anbrechenden Tages entgegen.
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Es begann wie eine ganz gewöhnliche Routinepatrouille über den Friedhof – falls es so etwas überhaupt gab –, bis zu dem Augenblick, als es dem grobschlächtigen Vampir, bezeichnenderweise in einem Footballtrikot mit dem Schriftzug UC Sunnydale, gelang, Buffys Schrittkombination zu parieren. Er schleuderte sie zurück, und strauchelnd knallte die Jägerin mit dem Kopf an den Grabstein hinter sich. Wie betäubt sank Buffy zu Boden, viel zu benommen, um weitere Gegenwehr zu leisten. Mit einem wilden Funkeln in den gelben Augen stakste der Vampir auf sie zu. Glücklicherweise war sie nicht allein. Bewaffnet mit einem von Buffys Holzpflöcken setzte sich Xander Harris in Bewegung, um sich einmal mehr dem Schicksal in den Weg zu stellen. In Anbetracht des riesigen Vampirs wirkte der Pflock allerdings eher wie ein Zahnstocher. »Hey, Riesenbaby«, rief er. »Ich hab was für dich. Hier, direkt in meiner Hand.« Der Vampir wandte sich Xander zu und fletschte knurrend die Zähne. Aus den Augenwinkeln nahm Xander wahr, wie Willow mit der Armbrust herumhantierte, die der Vampir Buffy zuvor aus der Hand geschlagen hatte. »Lass mal überlegen«, sagte Xander gedehnt und wich langsam zurück, um den Vampir von Willow fortzulocken. »Spieler Nummer zweiundsiebzig, ein Kerl wie ein Bulldozer... Für den Angriff zuständig, schätze ich. Stimmt’s, Walross?« Vor nicht allzu langer Zeit war Xander, wenn auch nur vorübergehend, Mitglied des Schwimmteams der Sunnydale High gewesen. Zur gleichen Zeit war etwa die Hälfte des Teams zu Menschen fressenden Fischmonstern mutiert, und nun war er fest davon überzeugt, auch ohne den unschätzbaren Vorteil eines Überraschungsangriffs zu haben, dass ›schnell und beweglich‹ letzten Endes über ›kräftig und stark‹ 18
triumphieren würde. Auch wenn der massige Typ vor ihm genau dort, wo sich bei Menschen normalerweise die Seele befand, lediglich ein von blutrünstigen Dämonen gehetztes Nichts vorzuweisen hatte. Bevor ihn sein plötzlicher Mut wieder verlassen konnte, ging Xander zum Angriff über. Kaum einen Lidschlag später schloss sich ein schraubstockartiger Griff um sein Handgelenk, und die Spitze des Pflocks kam, nur wenige Zentimeter von ihrem Ziel entfernt, abrupt zum Stillstand. Der Vampir lachte laut auf und hob Xander mit einer Leichtigkeit in die Höhe, als wäre er kaum schwerer als eine Feder. »Okay«, stieß Xander keuchend hervor, »diesen Trick sollten wir noch ein wenig üben... echt ’ne tolle Nummer.« Um den Hals trug der Vampir eine eisenbeschlagene Kette. Der kleine Totenschädel aus Metall, der daran baumelte, wies den Blutsauger als einen von Skull Johns Leuten aus. Keine große Überraschung, dachte Xander. Stinkender Atem schlug ihm ins Gesicht. »Ich werde dich aussaugen bis auf den letzten Tropfen, du Zwerg. Zuerst dich, und dann die Mädchen.« »Was denn? Nicht Ladies first? Wo bleiben denn deine guten Manieren... du ranziger Fettkloß?« Ohne nennenswertes Ergebnis trat er dem Vampir gegen das Schienbein. Blitzende Fangzähne näherten sich Xanders Kehle. Angewidert verzog er das Gesicht und sagte mit übertriebener Lautstärke: »Dies wäre ein guter Zeitpunkt für den Einsatz der Kavallerie.« Doch anstelle von Hornsignalen hörte er das Geräusch eines sausenden Bolzens. Der Vampir brüllte auf und ließ Xander auf den Boden plumpsen. In Anbetracht der ausbleibenden Staubwolke nahm Xander an, dass der Schuss das Herz des Dämons verfehlt hatte. Und seine Annahme bestätigte sich, als der Vampir herumfuhr und wütend Willow fixierte. Knapp unterhalb seines rechten Schulterblatts ragte das mit einem Federbüschel versehene Bolzenende aus seinem Trikot. 19
Willow Rosenberg machte einen Schritt zurück. »Ups.« Doch der Vampir hatte schon ein anderes Ziel im Visier: Gerade versuchte Buffy, stöhnend und ächzend auf die Knie zu kommen. Abermals kippte sie benommen zur Seite. Sie, die Jägerin, verfügte über größere Widerstandskräfte als normale Menschen, erholte sich binnen kürzester Zeit selbst von schwersten Verletzungen und setzte ihre Jagd im Allgemeinen auch mit Blessuren fort, die jeden anderen außer Gefecht gesetzt hätten. Doch auch sie war verletzbar, konnte besiegt, ja, sogar getötet werden – tatsächlich war sie bereits einmal klinisch tot gewesen, für wenige Augenblicke, und nur Xanders Wiederbelebungsmaßnahmen war es zu verdanken, dass sie jetzt noch unter den Lebenden weilte. In diesem Moment begannen ihre regenerativen Kräfte zu arbeiten, doch viel zu langsam. Der Vampir ließ sich in aller Seelenruhe neben ihr auf die Knie sinken und entblößte erneut seine eindrucksvollen Fangzähne. Xander war gerade dabei, sich wieder aufzurappeln, um Buffy zu Hilfe zu eilen, als aus der anderen Richtung Angel heranstürmte. Sein offener Mantel wehte hinter ihm her wie schwarze Flügel des Unheils. Der Vampir neben Buffy wandte sich um – und konnte gerade noch entsetzt die Augen aufreißen, ehe Angels ineinander verschränkte Hände ihn mit voller Wucht am Kopf trafen. »Dramatische Auftritte sollte man wohl besser den Jungs aus dem Schattenreich überlassen«, murmelte Xander. »Das hab’ ich gehört«, keuchte Angel, während er dem footballbegeisterten Vampir einen mächtigen Tritt in die Rippen versetzte und ihn damit beinahe zu Fall brachte. »Wir hatten doch alles im Griff, stimmt’s, Willow?«, beeilte sich Xander zu beteuern und bat Willow mit einem Blick um moralischen Beistand.
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»Ja, genau! Wir, ähm, sind echte Meister darin, alles im Griff zu haben und so«, versicherte sie, während sie sich ungeschickt abmühte, einen neuen Bolzen in die Armbrust zu spannen. Angel hatte inzwischen den wesentlich größeren Vampir mit dem Rücken gegen einen Baumstamm gedrängt. »Xander, her mit dem Pflock!« »Nichts, was ich lieber täte.« In Xanders Augen trat ein grimmiges Funkeln. Gleichwohl begnügte er sich damit, Angel, der sich nun vollends zum Vampir verwandelt hatte, den Pflock zuzuwerfen. Doch der vampirische Angriffsspieler stürzte sich erneut auf Angel, noch bevor dieser mit dem spitzen Holz das Match für sich entscheiden konnte. Mit einem professionellen Schulterwurf brachte Spieler Nummer zweiundsiebzig den Gegner zu Fall. Keine geringe Leistung, wie Xander zugeben musste. Angel rollte sich ab, verlor jedoch den Pflock aus der Hand. Sofort war er wieder auf den Beinen und rammte dem bulligen Vampir das Knie ins Gemächt. Grunzend knallte Nummer zweiundsiebzig gegen einen halb umgekippten Grabstein. In diesem Moment stolperte Cordelia Chase auf die Lichtung, mit hochrotem Kopf und völlig außer Atem. Modebewusst wie immer, mit ihrem langärmeligem VAusschnitt-Pullover und dem engen Rock mit Leopardenmuster, erweckte sie eher den Anschein, als sei sie zu irgendeinem Date anstatt in Sachen Vampire und anderer nächtlicher Blutsauger unterwegs. Ihr Blick fiel auf den muskelbepackten Football-Vampir. »Mist!«, entfuhr es ihr. Xander nickte. »Wahrlich kein schöner Anblick. Zwei potthässliche Vampire, die sich im Dreck herumwälzen. Einfach widerlich.« »Das mein ich nicht«, entgegnete sie. »Ich hätte mich beizeiten mal mit dem Typ verabreden sollen.«
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»Das wird ja immer widerlicher.« Xander verzog das Gesicht und rannte zu der Stelle, wo der Pflock gelandet war. »Gibt es eigentlich irgendjemanden, mit dem du dich noch nicht verabredest hast?« »Nicht mehr viele, Xander Harris«, gab sie bissig zurück. »Mit dir hatte ich allerdings einen absoluten Tiefstand erreicht. Mittlerweile bin ich etwas wählerischer.« »Versuchung, dein Name sei Cordelia«, warf Willow mit Unschuldsmiene ein. Der stämmige Vampir sprang auf die Beine und ging abermals zum Angriff über. Brüllend streckte er die kräftigen Arme aus und stürmte auf Angel zu, der den Gegner in Abwehrstellung erwartete. Xander hatte sich inzwischen wieder des Pflocks bemächtigt, doch Angels Blick war fest auf den heranwalzenden Vampir gerichtet. Mittlerweile war Buffy wieder zu Kräften gekommen. Urplötzlich legte sie einen erstaunlichen Sprint hin und sprang dem Angreifer auf den Rücken. Sie bekam seine schwere Halskette zu fassen, schloss ihre Faust darum und versuchte den Vampir zu würgen. Doch egal wie fest sie zog, wie eng sich die Eisenbeschläge auch um seine Kehle legten, für den Vampir war das Ganze kaum mehr als eine lästige Unannehmlichkeit, gehörte er doch längst dem Reich der Toten an, wo man sich über mangelnde Sauerstoffversorgung keine großen Sorgen mehr zu machen brauchte. Angesichts der Wirkungslosigkeit ihrer verzweifelten Anstrengungen suchte Buffy Zuflucht in der letzten noch verbleibenden Möglichkeit. »Xander! Pflock!« Xander reagierte sofort. Mit einer einzigen, schnellen Bewegung fing Buffy den Pflock und rammte ihn dem Vampir mitten ins Herz. Als Nummer zweiundsiebzig mit einem Knall zu Staub verpuffte, fiel Buffy von ihrem Logenplatz und landete...
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... direkt in Angels Armen. Sie pustete sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht und sagte: »Wir sollten Treffen dieser Art in Zukunft vermeiden.« Für einen kurzen Moment sah sie in seinen Augen so etwas wie Verlangen aufflackern und hegte die Befürchtung, dass er in ihrem Blick das Gleiche las. Nicht, rief sie sich zur Besinnung. Das gibt nur Probleme. »Kann ich nicht versprechen«, erwiderte er. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich von seinem Blick zu lösen – und aus seinen Armen. Ein wenig verlegen streckte sie ihm die Halskette entgegen, die sie immer noch mit der linken Hand umklammert hielt. Zwischen ihren Fingern baumelte der kleine Metallschädel. Angel nickte. »Skull John.« »Schon der Dritte heute Nacht«, stellte Buffy fest. »Bald hab ich eine ganze Kollektion von diesen Grufti-Accessoires.« »Lauter Skull-John-Deppen«, gab Xander zu bedenken. »Aber vom Obermotz selbst keine Spur.« Willow schien ganz andere Sorgen zu haben. »Wo ist Oz?«, erkundigte sie sich. Cordelia machte ein bestürztes Gesicht. »Vorhin war er noch direkt neben mir.« Die Vampire dieser Stadt hatten ihren Meister gefunden. Sein Name war Skull John, und ihm war nur äußerst schwer beizukommen. Während seine Gefolgschaft, leicht erkennbar an dem an einer Kette baumelnden Totenschädel, in wachsender Zahl nachts die Gegend unsicher machte, hielt sich Skull John dezent im Verborgenen. Wenn ich nur genug von seinen Jungs zu Staub pulverisiere, dachte Buffy, wird er schon irgendwann aus seinem Versteck hervorkriechen und mir persönlich vor den Pflock rennen. Das war zwar nur eine Theorie, aber die einzige Möglichkeit, die sie derzeit hatte. Also hatte sich die Scooby-Gang, auch bekannt als das 23
Jägerteam, in zwei Trupps aufgeteilt – Willow, Xander und Buffy auf der einen, Angel, Cordelia und Oz auf der anderen Seite – und auf Patrouille begeben. Auf jeden Fall konnte man bei dieser Konstellation ausschließen, dass ihr Vorankommen durch wilde Knutschereien behindert wurde oder auch nur durch einen Gedanken daran. Denn obwohl weder Xander noch Cordelia irgendein gesteigertes Interesse daran erkennen ließen, sich wieder näher zu kommen oder gar auf Tuchfühlung zu gehen, schien es nach wie vor ratsam, die beiden nicht zusammen in ein Team zu stecken. Es ging allein um ihre Mission, einzig um die Jagd auf Vampire – doch nun war einer von ihnen verschwunden... Oz hatte sich dicht hinter Cordelia befunden, als etwas unter einem Busch zu seiner Rechten plötzlich seine Aufmerksamkeit erregte, ein blasses Schimmern, kaum auszumachen im schwachen Licht des Mondes. Vorsichtig ging er darauf zu, beugte sich hinab und hob es auf. »Interessant«, bemerkte er und hetzte hinter Cordelia her. In seiner Hast übersah er die in einen schwarzen Umhang gehüllte Frau, die jenseits der eisernen Friedhofsumzäunung in Bewegungslosigkeit verharrte. Das rote Haar hing ihr wild ins Gesicht. Kaum war Oz mit seiner Beute davongeeilt, nahm sie die Verfolgung auf, huschte gebückt vom einen Baum zum nächsten, lautlos und unbemerkt. Sie war so sehr damit befasst, Oz nicht aus den Augen zu verlieren, dass sie unvermittelt mit einer weiteren schwarz gekleideten Frau zusammenstieß, die, aus der anderen Richtung kommend, ebenfalls den Friedhofzaun entlangschlich. Ihr Haupt zierte ein Irokesenschnitt, dessen weiße Pracht in eine Art Pferdeschwanz mündete. Sie packte die Rothaarige am Oberarm und bedeutete ihr, still zu sein. In ihrer Hand hielt sie einen alten, zerschlissenen Lederranzen. »Hast du ihn gesehen?«, wisperte die Rothaarige. 24
»Nicht nur ihn«, erwiderte die andere Frau. »Wir verschwinden besser von hier. Ich erklär’s dir später.« »Oz!«, rief Willow mit leicht alarmiertem Tonfall in der Stimme. »Sie haben geläutet?«, sagte Oz, der plötzlich neben ihr stand. »Oh!« Willow schnappte erschrocken nach Luft. »Ich meine ›Oh, da bist du ja!‹ Oder besser: ›Wo hast du gesteckt?‹ Wir haben uns echt Sorgen gemacht. War’s nicht so?« Die anderen nickten. »Leute, ich hab ein paar schlechte Neuigkeiten«, verkündete Oz in dem für ihn typischen stoischen Tonfall. Sein unruhiger Blick indes sprach eine andere Sprache. »Normalerweise kommen schlechte Nachrichten von dir immer um Vollmond herum, in Form eines pelzigen Präsentpakets«, erinnerte ihn Xander. Oz grinste gequält. Jeden Monat war er drei Tage lang – vielmehr drei Nächte lang – gezwungen, sein Dasein als Werwolf zu fristen. Ansonsten war er eigentlich eher von der ruhigeren Sorte, ein ausgesprochen cooler Typ, den kaum etwas aus der Fassung zu bringen vermochte, und dessen einzige Leidenschaften Willow und seiner Band – den Dingoes Ate My Babe – gehörten, in der er als Leadgitarrist brillierte. Doch im Moment wirkte er äußerst beunruhigt. »Was gibt’s, Oz?«, hakte Buffy nach. »Das hier«, antwortete Oz und präsentierte ihnen sein Fundstück. »Was ist das?«, wollte Cordelia wissen. »Ich meine, wirklich.« Sie sollten die Antwort auf Cordelias Frage erst am nächsten Morgen erhalten, als sich das Jägerteam in der Schulbibliothek der Sunnydale High versammelte. »Wenn mich nicht alles 25
täuscht«, sagte Rupert Giles, seines Zeichens Schulbibliothekar und Buffys Wächter, und schob nachdenklich die Brille auf die Stirn, »handelt es sich um ein Femur.« »Diese niedlichen, knuddeligen Äffchen aus dem Zoo?«, meinte Xander. »Femur, Xander«, erklärte Giles. »Nicht Lemur.« »Ach so, ein Weibchen?« »Der Oberschenkelknochen eines erwachsenen Menschen, und ziemlich... abgenagt, wie mir scheint.« »Abgenagt?« Cordelia verzog angeekelt das Gesicht. »Sie meinen, wie aufgefressen?« »Klasse, schon wieder so ’ne abgedrehte Geschichte«, stöhnte Xander. »Endlich Nachschub.« Giles kam hinter dem Tresen der Buchausgabe hervor. In der einen Hand hielt er den Knochen, mit der anderen fuhr er sich durch die widerspenstigen Haare. Er sah Oz an. »Es lag auf dem Friedhof herum, sagtest du?« Oz nickte. »Unter einem Busch. Ganz in der Nähe vom Zaun.« Giles wandte sich Buffy zu. »Und du hast nirgendwo ein geschändetes Grab gesehen?« Buffy schüttelte den Kopf. »Es könnte durchaus sein, dass irgendjemand den Knochen einfach über die Umzäunung geworfen hat. Das sieht nicht nach dem Werk von Vampiren aus.« »Meinte Angel auch«, sagte Buffy. Angel war als Einziger von ihnen dem Treffen in der Bibliothek ferngeblieben. Gezwungenermaßen, denn als Vampir – ein Vampir zwar, der mit dem Fluch einer Seele gestraft war, mit einem Gewissen und allem, was dazugehörte, aber dennoch ein Vampir – scheute er das Tageslicht wie der Teufel das Weihwasser. Während Buffy und die anderen die Schulbank drückten und mit Giles Krisensitzungen abhielten, lag er wahrscheinlich in seinem sicheren Unterschlupf und schlief den todesähnlichen Schlaf der Verdammten. 26
»Vielleicht sollten wir zunächst einmal klären, worüber wir hier eigentlich reden«, schlug Xander vor. »Angesichts der Tatsache, dass sich Sunnydale mitten auf dem Höllenschlund befindet, gibt es vermutlich eine ganze Palette von Möglichkeiten, eine abscheulicher als die andere.« Die ursprünglich spanischen Siedler hatten dem heutigen Sunnydale einen weitaus treffenderen Namen verpasst: Boca del Infierno, der Schlund der Hölle. Und nicht ohne Grund hatte Giles diesen Ort einmal als »Zentrum mystischer Energien« bezeichnet, von dem sich Dämonen und andere Schreckgestalten, deren Nichtexistenz den Kindern dieser Welt immer wieder glaubhaft versichert wird, angezogen fühlten wie Nationalparkbären von vollen Picknickkörben. »Höllenhunde können wir wohl auch ausschließen«, fuhr Giles fort. »Höllenhunde sind ziemlich brutal und bestialisch. Dieser Knochen ist jedoch in exzellentem Zustand.« Willow runzelte die Stirn. »Nicht so exzellent wie er wäre, wenn noch... äh... jemand dranhinge und brüllen könnte: ›Autsch, mein Bein tut weh!‹« »Hmm, ganz richtig«, stimmte Giles ihr zu. »Ich schätze, wir sollten unsere Nachforschungen auf Dämonen mit Hang zum Kannibalismus konzentrieren.« »Also ausnahmsweise mal keiner von diesen Dämonen Marke Seelenfresser, die ja gerade wie Unkraut aus dem Boden schießen«, konstatierte Xander. »Hier scheint es jemand mehr auf Fleisch und Gewebe abgesehen zu haben«, erwiderte Giles trocken, »vom Knochenmark gar nicht zu reden.« Ein Schauer durchfuhr Cordelia. »Kann ich bitte die Erste sein, die ›Igitt‹ sagt?« »Ich mach mit und erhöhe auf ›Igittigitt‹«, fügte Willow hinzu.
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»Kann es sein, dass das irgendwas mit dem Fraß in der Cafeteria zu tun hat?«, warf Xander ein. »Mein Gott, was geben die uns da bloß zu essen?« »Xander, bitte«, sagte Giles. »Ach ja«, ereiferte sich Xander, »ihr Briten und eure Fleischpastetchen. Man sieht ja, wohin das führt.« »Xander!«, rief ihn Buffy zur Räson, dann sah sie Giles an. »Also, woran denken Sie? Zombies? Ghule?« »Schon möglich«, erwiderte ihr Wächter und legte den Knochen auf dem Tisch ab. »Ich habe die Nacht der lebenden Toten mindestens ein dutzend Mal gesehen, und ich kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass ich mich mit den Essgewohnheiten von Zombies ein wenig auskenne.« Xander gab keine Ruhe. »Aber Ghule sind doch wohl eher so etwas wie Gespenster oder Poltergeister, oder irre ich mich da? Rasseln mit Ketten herum, klopfen mitten in der Nacht an Zimmerwände und sorgen dafür, dass im Fernseher nur noch Schneegestöber zu sehen ist.« »Entgegen weit verbreiteter Klischees sind Ghule nicht mit Geistern zu verwechseln«, erklärte Giles. »Ghule sind absolut körperliche Wesen, Dämonen, deren Existenz ganz eigenen Gesetzen gehorcht. Wenn ich mich recht entsinne, werden sie in orientalischen Volkslegenden als ausgesprochen niederträchtige Kreaturen geschildert, denen zudem eine ziemliche Vorliebe für Menschenfleisch zu Eigen ist. Doch hierzu müsste ich erst ein paar genauere Recherchen anstellen.« »Niederträchtige dämonische Menschenfresser also«, fasste Xander zusammen. »Für mich stehen sie damit definitiv auf der Seite der Bösen.« Giles ging nicht darauf ein. »Willow«, fuhr er fort, »könntest du nach Berichten über Leute Ausschau halten, die hier im Umkreis als vermisst gemeldet wurden? Gut möglich, dass 28
unser Menschenfresser bereits seit längerem die Gegend unsicher macht und wir es nur noch nicht bemerkt haben. Wir müssen uns unbedingt Klarheit über das wahre Ausmaß des Problems verschaffen.« »Sie kennen mich doch«, grinste Willow. »Mir ist jede Gelegenheit willkommen, wenn ich mich nur im Cyberspace rumtreiben kann.« »Du bist eben cybersüß«, frotzelte Oz. Lächelnd setzte sich Willow an den Bibliothekscomputer. Ein wahres Trommelfeuer prasselte auf die Rechnertastatur nieder, als sie mit ihrer Online-Recherche begann. Giles war mit der Zeit dazu übergegangen, dieses inmitten seiner staubbedeckten Bücherstapel und archaischen Wälzer ruhende Monument moderner Informationstechnologie zu tolerieren – und wenn er es schon nicht begreifen konnte, so hatte er es doch zu schätzen gelernt. Bevor Jenny Calendar, eine mittlerweile dahingeschiedene leidenschaftliche TechnoSchamanin, in sein Leben getreten war, hatte Giles allem, was auch nur im Entferntesten mit elektronischer Datenverarbeitung zusammenhing, grundsätzlich misstraut. Seiner etwas altmodischen Meinung nach – einige würden sie auch schlichtweg antiquiert nennen –, durfte alles, was von Wichtigkeit und wahrer Bedeutung war, ausschließlich Papier anvertraut werden. »Giles«, meldete sich Buffy zu Wort, »haben Sie nicht irgendwas übersehen?« »Hab ich das?« Sie nickte. »Hier in Sunnydale neigen die Leute seit jeher zu einem ziemlich blassen Teint.« »Gründe dafür gibt’s hier am Höllenschlund schließlich genug«, fügte Xander hinzu. Giles zog die Stirn in Falten. »Ich verstehe. Willow, vielleicht solltest du deine Suche auf Funde menschlicher Überreste eingrenzen. Knochen. Insbesondere blanke 29
Knochen.« Er wandte sich wieder Buffy zu. »Zombies und Ghule ziehen meist als ganze Meute umher. Halte also permanent die Augen offen.« »Buffys Rund-um-die-Uhr-Service, immer für Sie da, kompetent und zuverlässig«, erwiderte Buffy und lächelte ihn zuversichtlich an. »Machen Sie sich um mich keine Sorgen, Giles.« Doch der Ausdruck in seinem Gesicht ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er sich durchaus Sorgen machte. Wie immer. Sie war die Jägerin, und er war ihr Wächter. Er wusste, dass eine Jägerin weder unsterblich noch unverletzbar war, und Buffy war nur aus dem Grunde in die Position der Auserwählten nachgerückt, weil ihre Vorgängerin ein frühzeitiges Ende gefunden hatte. Für eine Jägerin kam jedes Ende zu früh, für sie gab es keine goldenen Armbanduhren, wie man sie als Geldanlage an den runzeligen Handgelenken in Ehren ergrauter Ladys sah, keinen Ruhestand, keine Pläne für einen geruhsamen Lebensabend. Jägerinnen neigten dazu, früh zu sterben, die meisten von ihnen wurden kaum älter als zwanzig. Einzig Buffys Mutter machte sich um sie noch größere Sorgen als Giles, vor allem seit jenem Tag, an dem Buffy gezwungen gewesen war, sie über das Doppelleben ihrer einzigen Tochter aufzuklären. »Trotzdem«, beharrte Giles. »Ich verbiete dir, allein auf Patrouille zu gehen, solange wir nicht ganz genau wissen, womit wir es eigentlich zu tun haben.« Buffys linke Augenbraue war bei dem Wort ›verbieten‹ unweigerlich in die Höhe geschossen und schien entschlossen zu sein, dort noch eine ganze Weile zu verharren – als Zeichen äußerster Missbilligung. Und Giles wusste dieses Zeichen sehr wohl zu deuten. »Also gut, ich rate dir dringend, nicht ohne Begleitung loszuziehen.« In der Vergangenheit hatte sich Buffy immer wieder über gewisse Grundregeln, die eine Jägerin zu berücksichtigen hatte, 30
hinweggesetzt, und Giles hatte mehr als einmal zugeben müssen, wenn auch nur widerwillig, dass ihre Methoden sich bisweilen durch ausgesprochene Effektivität auszeichneten. Aus diesem Grunde räumte er ihr erheblich mehr Freiräume ein als jeder anderen Jägerin zuvor, ein Umstand, der ihm schon des Öfteren Probleme mit dem Rat der Wächter, der daheim in England saß, verschafft hatte. Buffy grinste. »Schon viel besser, Giles.« »Bitte, sei vorsichtig«, sah Giles sich veranlasst hinzuzufügen, während er einmal mehr seine Brille zurechtrückte. »Bevor ich’s vergesse«, sagte Buffy. »Ich hab letzte Nacht noch ein paar von diesen bescheuerten Dingern eingesammelt.« Sie schüttete die braune Einkaufstüte aus, die sie an diesem Morgen mit in die Schule geschleppt hatte, und drei Ketten fielen klimpernd auf den Tisch. An jeder hing ein kleiner Totenschädel. Giles nahm sie in die Hand und runzelte die Stirn. »Skull John. Mit diesen hier dürftest du etwas mehr als ein Dutzend von seinen Leuten erledigt haben.« »Nicht, dass ich sie zählen würde, aber es waren vierzehn.« »Wie erwartet. Spikes Verschwinden hat eine Lücke in die Hierarchie der Vampire Sunnydales gerissen und sie ihres Anführers beraubt. Und die Natur verabscheut nun mal Lücken jedweder Art.« »Die Mächte des Bösen offensichtlich auch«, bemerkte Xander. »Skull John ist ein ziemlich undurchsichtiger Bursche«, sagte Buffy in dem Versuch, einen Zusammenhang herzustellen. »Meinen Sie, er könnte für den Knochen verantwortlich sein, den wir gefunden haben?« Giles schüttelte den Kopf. »Ungeachtet seiner schaurigen Faszination für Totenköpfe, ist er ein Vampir, und das
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Interesse von Vampiren an der menschlichen Anatomie geht selten über einen unstillbaren Durst nach Blut hinaus.« »Hab’s notiert. Skull John ist nicht unser Menschenfresser. Trotzdem hab ich immer noch einen Pflock, auf dem sein Name steht.« Es läutete zur ersten Unterrichtsstunde. »Geht diese Plackerei schon wieder los!«, schimpfte Buffy und stapfte genervt zur Tür hinaus.
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»Auf dem Rücken eines Pferdes über die grünen Hügel Irlands galoppieren, in der Ferne eine mittelalterliche Burg im aufsteigenden Morgennebel. Eine von diesen richtig alten Dingern, mit Zugbrücke und so«, sagte Willow verträumt. »Romantisch, Will«, nickte Buffy. Dann schloss sie die Augen und lauschte einen Moment in sich hinein. »Maui«, sagte sie schließlich wehmütig und ließ den exotischen Klang des Wortes förmlich auf ihrer Zunge zergehen. Sie hatten sich während einer gemeinsamen Freistunde auf eine Schulhofbank zurückgezogen und vertrieben sich die Zeit mit der Osterferienversion des beliebten Spiels ›Überall, bloß nicht hier‹. »Ich liege am Strand von Maui, nippe an einem dieser Drinks mit bunten Papierschirmchen und genieße den Sonnenaufgang.« »Hawaii, ja – aber Moment, wenn es Morgen ist, kann Angel ja gar nicht dabei sein, um mit dir gemeinsam diese Schirmchendinger zu schlürfen. Er würde sich einen ziemlichen Sonnenbrand holen.« »Stimmt«, gab Buffy ihr Recht und verzog das Gesicht. »Machen wir also aus dem Sonnenaufgang einen Sonnenuntergang und lassen Angel ein wenig später hinzukommen. Ich denke, so geht’s.« »Guter Plan.« Das Schrillen der Schulglocke ertönte, und schon hörte man die Schüler in den Hof stürmen. Kurz darauf schlenderte Oz auf das Ende der Bank zu, auf der Willow saß, stellte einen Fuß auf die Sitzfläche und balancierte sein Buch auf dem Knie. »Hey«, begrüßte er Willow. »Selber ›Hey‹.«
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Aus der anderen Richtung kam Xander heran, nachdem er es endlich geschafft hatte, sich durch einen Pulk lärmender Schüler hindurchzukämpfen. »Was geht ab, Leute?« »Wir verplanen gerade unsere Osterferien«, klärte ihn Willow auf. »Allerdings in der Überall-bloß-nicht-hierVariante, du weißt schon, bei der Geld keine Rolle spielt.« »Ich könnte ein paar Tage im Sauerstoffzelt vertragen«, bemerkte Oz. Als er Willows Stirnrunzeln sah, fügte er hinzu: »Natürlich nur in einem dieser lauschigen Modelle für Verliebte.« »Fort Lauderdale oder Daytona Beach«, sagte Xander und ließ den Blick versonnen in die Ferne schweifen. »Es geht doch nichts über die alten Klassiker.« »Und über die Visionen von braun gebrannten Bikinischönheiten, die in deinem Kopf Samba tanzen«, bemerkte Buffy. »Das Musterbeispiel eines jungen Mannes, der nur an das Eine denkt.« »Wer hat hier was von Bikinis gesagt?«, verteidigte sich Xander. »Und wieso überhaupt diese Tagträume?«, wechselte er rasch das Thema. »Das muss doch einen Grund haben, oder?« Willow schüttelte den Kopf. »Im Geschichtsunterricht sind heute Referate verteilt worden. Die Themen wurden ausgelost. Wer ein anderes Thema haben möchte, sackt gleich eine ganze Note runter.« »Ist doch ’ne Kleinigkeit für dich, Will«, meinte Xander. »Du meisterst jedes Thema.« »Genau das ist das Problem«, warf Buffy ein. »Wie?«, fragte Xander verwirrt. Willow seufzte. »Mein Thema ist die Geschichte Sunnydales. Von den spanischen Siedlern bis zur Gegenwart.« »Okay, eine ziemliche Zeitspanne, zugegeben«, sagte Xander. »Aber Sunnydale ist ein kleines Nest. Wo ist das Problem?« 34
»Sie ist ein wenig unschlüssig«, erwiderte Buffy. »Inwiefern?« Willow blickte ihn an. »Soll ich den Begriff ›Höllenschlund‹ schon in der Einleitung oder erst im Schlussteil bringen?« Oz grinste verschlagen. »Nimm keine Rücksicht. Nur raus mit der Sprache.« »Oz!«, entgegnete Willow empört. »Irgendwie ist es gar nicht gut, wenn man zu viel weiß«, meinte Oz nun. »’ne echte Zwickmühle.« »Exakt«, stimmte Willow ihm zu. »Und deshalb bleibt uns nichts weiter übrig, als uns in unseren Tagträumen einige Zeitzonen von hier weg zu katapultieren.« »Lass die Sache platzen«, schlug Xander vor. »Gib dich mit der weniger guten Note zufrieden. Mit den Jahren ist mir aufgefallen, dass es für meine Eltern kaum einen Unterschied macht, ob ich mit einer Zwei oder einer Drei nach Hause komme. Hauptsache, ich bring ihr Leben nicht durcheinander.« »Erinnerst du dich noch an meine Halbjahrsnote in Physik?«, sagte Oz. »Genau die gleiche wie im letzten Jahr.« Er schüttelte resigniert den Kopf. »Als ob man in einer Zeitschleife festhängt. Nimm halt, was du kriegen kannst.« Was im Klartext heißt, ich soll ein neues Thema nehmen und mich mit einer schlechteren Note zufrieden geben, dachte Willow. »Ich möchte nicht einfach so aufgeben... oder lügen«, erwiderte Willow. »Das wäre das Gleiche wie Schummeln.« »Ich hab hier was für euch«, verkündete Xander plötzlich. »Genau das Richtige für Leute mit ethischen Problemen.« Er fischte einen Flyer aus seinem Schreibblock. »Habt ihr das hier schon gelesen? Eine neue Band im Bronze. Sonderprogramm. Nur fünf Konzerte. Interessiert?« Buffy riss ihm den Flyer aus der Hand und studierte die aufkopierte grobkörnige Schwarzweißfotografie der Band, über der in stilisierten Lettern ihr Name – Vyxn – prangte. »Xander,
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das ist ’ne reine Mädchenband, lauter Tussis in Lederklamotten... na ja, in knappen Lederklamotten.« »Ich jedenfalls bin für Frauen in der Rockmusik«, verteidigte sich Xander. »Außerdem sollen sie echt klasse sein. Ich hab gehört, dass sie im College wie eine Bombe eingeschlagen sind.« Oz warf einen flüchtigen Blick auf den Flyer. »Interessant.« Der gute alte Oz, dachte Buffy und schmunzelte innerlich. Sie vermochte nicht zu sagen, ob er nur neugierig oder vielleicht auch ein bisschen neidisch war. »Könnte doch ganz witzig werden«, meinte Xander. »Was meint ihr?« »Miss Summers!«, hörte man in diesem Moment eine aufgeregte Frauenstimme rufen. Alle Blicke richteten sich auf die schwarzhaarige Frau, die mit einem chaotischen Stapel Aktenmappen unter dem Arm auf sie zugeeilt kam. Sie sah aus, als stünde sie kurz vor einem organisatorischen Super-GAU. »Gott sei Dank habe ich Sie endlich gefunden.« »Das kann nichts Gutes bedeuten«, flüsterte Xander Oz zu. Willow blickte Buffy fragend an, doch die zuckte nur mit den Schultern. »Ich sitze hier und genieße die Sonne«, sagte sie und lächelte die Frau an. Wenn man sich Nacht für Nacht ausgehungerten Vampiren gegenübersah, verlor eine Heimsuchung vom Typ ›völlig planlose Verwaltungsbeamtin‹ einiges von ihrem Schrecken. Na ja, zumindest meistens, räumte Buffy in Gedanken ein. Rektor Snyder beispielsweise hatte durchaus seine krassen Momente. »Ich glaube, wir sind uns noch nicht begegnet.« »Mein Name ist Carole Burzak«, stellte sich die Frau vor. »Mrs. Burzak. Ihre neue Schülerberaterin. Hätten Sie vielleicht ein paar Minuten Zeit für ein persönliches Gespräch? Es könnte sich als durchaus wichtig für Ihre Zukunft erweisen.«
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Buffy hüpfte von der Bank, warf den anderen einen leicht verunsicherten Blick zu und entfernte sich ein paar Schritte mit ihrer neuen Schülerberaterin: »Meine Zukunft?« »Genau«, nickte Mrs. Burzak. »Meiner Meinung nach wird heutzutage viel zu sehr in den Tag hineingelebt, anstatt Vorsorge für kommende Zeiten zu treffen. Lerne, lese, leiste was, hast du, kannst du, bist du was.« »Entschuldigung?« »Ich bin ein wenig beunruhigt über ihre roten Zonen, Miss Summers«, fuhr Mrs. Burzak fort, sich in kryptischen Andeutungen zu versteigen, deren Sinn sich Buffy völlig verschloss. »Ich habe mir Ihre Noten und Ihr schulisches Engagement angesehen und dabei zwei gelbe Zonen und eine rote festgestellt. Ich fürchte, wenn Sie sich nicht baldmöglichst darum kümmern, gefährden Sie in unverantwortlicher Weise Ihre Zukunft.« »Gelbe Zonen? Rote Zonen? Haben die irgendwas mit Football zu tun? Ich bin nämlich nicht im Cheerleaderteam, müssen Sie wissen...« »Fleiß, Miss Summers, Sie haben jede Menge mit Ihrem Fleiß zu tun. Ich habe da ein eigenes System entwickelt.« »Das Burzak-System?« »Ich habe ein Diagramm erstellt, in das ich die Häufigkeit Ihres Fehlens und Zuspätkommens, die Ergebnisse Ihrer Klausuren und mündlicher Tests sowie die Anzahl der von Ihnen übernommenen Referate eingetragen habe. Junge Lady, Sie laufen Gefahr, in drei Fächern durchzufallen: Englisch, Mathe und Geschichte. Setzen Sie alle drei Kurse in den Sand, wiederholen Sie das Jahr und können Ihre Pläne fürs College direkt vergessen. Sie hatten doch vor, im nächsten Jahr aufs College zu gehen, oder irre ich mich da?« Noch bevor Buffy irgendetwas entgegnen konnte, begann Mrs. Burzak in ihren Unterlagen zu wühlen. »Ah ja, hier haben wir es ja. Universität von Kalifornien zu Sunnydale.« 37
»Vielen Dank, dass Sie sich so viele Sorgen um mich machen«, sagte Buffy betreten, »um meine... um meine Zonen und so.« »Nehmen Sie die Sache nicht auf die leichte Schulter, Miss Summers«, fuhr Mrs. Burzak ungerührt fort. »Man bekommt im Leben nur selten eine zweite Chance. Ich rate Ihnen, Ihre Defizite so bald wie möglich auszugleichen. Und wenn ich Sie wäre« – sie rupfte Buffy den Vyxn-Flyer aus der Hand und überflog ihn mit abschätzigem Blick, bevor sie ihn ihr zurückgab – »würde ich damit beginnen, meine Abende mit Büchern zu verbringen anstatt mit Rockbands.« »Bücher gut«, nickte Buffy, »Rockbands schlecht. Hab verstanden.« Mrs. Burzak sah sie für ein, zwei Sekunden mit durchdringendem Blick an. »Miss Summers, Buffy. Sie sollten wissen, dass ich niemals einen Schüler verloren gebe, auch wenn er selbst sich schon längst aufgegeben hat.« »Danke, ähm... sehr beruhigend.« »Für mich gehören diese gelben und roten Zonen ebenso in meinen Verantwortungsbereich wie in den Ihren. Wir sind ein Team. Zusammen werden wir dafür sorgen, dass alle Ihre Zonen bis zur Abschlussprüfung wieder im grünen Bereich sind. Großes Burzak-Ehrenwort!« Sie sortierte nach einem nur schwer nachvollziehbaren System ihre in Unordnung geratenen Akten, nickte energisch und stapfte von dannen. Benommen schlurfte Buffy zu den anderen zurück. »Das war...«, setzte Xander an. »Wir können nichts dafür. Wir haben alles mitbekommen, das mit deinen Zonen und so«, erklärte Willow. »Sie will, dass alle meine Zonen wieder grün werden«, beschwerte sich Buffy. Oz nickte verständnisvoll. »Ist echt nicht einfach, grün zu sein.«
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Die Tafel mit den Veranstaltungshinweisen am Eingang des Bronze kündigte in grellen Lettern – ›SONDERPROGRAMM – NUR FÜNF KONZERTE‹ – den Auftritt von Vyxn an. In der Mitte klebte ein großes Konzertplakat mit einem Foto der Band: vier ausnehmend verführerische Vamps mit schier unglaublichen Frisuren und gerade mal so viel Lederfetzen ausstaffiert, wie nötig waren, um einer Verhaftung zu entgehen. Eine dicke Makeup-Schicht unterstrich den ebenso provokanten wie übertrieben lasziven Ausdruck ihrer Gesichter. »Billig«, sagte Buffy. »Geschmacklos«, meinte Willow. »Cool«, kommentierte Xander. »Ob sie nach der Show wohl auch Poster verkaufen?« »Wir bleiben nicht bis nach der Show«, rief ihm Buffy ins Gedächtnis. »Denk dran: nur bis zur Pause. Das war der Deal. Hier stinkt’s gewaltig nach ›roter Zone‹.« »Na, immerhin haben wir unsere Bücher dabei«, meinte Willow und schlenkerte mit ihrem Rucksack. »Das ist schon mal ein Pluspunkt. Ein bisschen Musik, ein paar Vampire zur Strecke bringen, und anschließend lernen.« »Lauter Dinge, die das Herz eines Dämonenjägers höher schlagen lassen«, meinte Xander. Im Bronze legte man wenig Wert auf Exklusivität. Und auch was das Publikum betraf, war man hier alles andere als wählerisch, was sich jedoch in keinster Weise negativ auf die allabendlichen Einnahmen auswirkte. In Sunnydale besaß das Bronze nur wenig, um nicht zu sagen gar keine Konkurrenz. Doch Alkohol gab es auch hier nur gegen Vorlage des Ausweises. Die Musiker der Vorgruppe wankten über die Bühne wie Schlafwandler, und kaum einer von ihnen schien sich zu erinnern, wie er sein Instrument zu spielen hatte. Passend zum 39
somnambulen Gesamteindruck der Band säuselte der Leadsänger mit monotoner Stimme und geschlossenen Augen seine Verse ins Mikrofon. Ihre Darbietung wurde mit einem höflichen Applaus belohnt, der verebbte, noch bevor sie von der Bühne herunter waren. Buffy, Willow und Oz hockten an einem Tisch, auf dem sich ein Haufen von Schulbüchern stapelte. Xander saß, ohne derartige Zwänge, aber einsam, auf einem Sofa in der Nähe der Bühne und fieberte ungeduldig dem Auftritt von Vyxn entgegen. Nirgendwo eine Spur von Cordelia, die offensichtlich hoffte, ihren angeschlagenen Ruf wiederherstellen zu können, indem sie den Kontakt zu Xander und dem Rest der Scooby-Gang auf ein Minimum reduzierte. Wie auch immer, als die Lichter erloschen und dicke Nebelschwaden auf die Bühne quollen, nahm Xander eine straffere Haltung ein und war mit seinen Gedanken fraglos mehr bei der bevorstehenden Show von Vyxn als bei seiner gescheiterten Beziehung mit ihrer Durchlaucht Königin C. Rotlicht überflutete die Bühne, und die Nebelschwaden lösten sich auf. Die Bandmitglieder waren bereits auf ihren Plätzen. Unbeweglich standen sie da, wie steinerne Statuen, von Götterhand dem Nebel abgetrotzt. Das Haupt der Leadsängerin zierte ein in alle Richtungen strebender schwarzer Haarwust, der an den Schläfen abrasiert war. Das Mikrofon in ihrer Hand ließ sie beinahe achtlos herunterbaumeln. An den Drums saß eine Brünette mit Meckiefrisur und Nietenhalsband; flankiert wurde sie von der Bassistin, einer Grazie mit wildem roten Haarschopf und grellem Lidstrich, und der Leadgitarristin, die mit einem mächtigen weißen Irokesenschnitt aufwartete, der sich zum Nacken hin zu einem langen Pferdeschwanz verjüngte. Einen Moment lang hatte Xander das Gefühl, dass die letzten beiden erst zu ihm und dann zu dem Tisch, an dem Buffy, Willow und
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Oz saßen, hinüberschauten, bevor sie sich mit einem kurzen Blick verständigten. Verhaltener Begrüßungsapplaus erfüllte das Bronze. Xander fühlte sich verpflichtet, die etwas schlappe Stimmung in den hinteren Reihen des Publikums ein wenig aufzuheizen: »Haut rein, Vyxn!« Langsam hob die Sängerin das Mikrofon an die Lippen. »Wir freuen uns, dass ihr alle gekommen seid«, hauchte sie, senkte den Kopf, nur um plötzlich wieder aufzublicken und mit funkelnden Augen zwischen ihren ins Gesicht gefallenen Haarsträhnen hervor ins Publikum zu starren. »This could be the last night of our lives.« Ein Herzschlag. Dann setzten die Drums ein, ein hämmernder Beat, akzentuiert von einem dröhnenden Bass. Die Leadgitarre jaulte los und wurde wenige Takte später von der melancholischen Stimme der Leadsängerin übertönt. »This could be the last night of our lives, Is the sky all red? All the people dead? And you can’t believe a single word that she said Was it all untrue? Did she tell you lies? In the final days... I’ll be there for you.« Xanders Kopf wippte im Rhythmus der Musik auf und ab. Buffy beugte sich zu Willow und Oz herüber: »MillenniumSyndrom?« »Sie hängt fast ständig einen Halbton daneben«, bemerkte Oz, »aber irgendwie klappt’s doch.« »Vielleicht liegt’s an ihrer Aufmache«, vermutete Buffy. »Nein«, sagte Oz. »Es ist die Stimme. Sie ist ziemlich... signifikant.«
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»Du meinst, so ähnlich wie bei Celine Dion?«, wollte Willow wissen. »Aber mit wesentlich weniger Volumen«, bemerkte Buffy. »Kein Wunder«, erwiderte Willow, »ich meine, mit diesem Würgehalsband.« Die letzten Töne des Songs gingen unter in lang anhaltendem Beifall. Die Sängerin deutete eine leichte Verbeugung an: »Vielen Dank, Sunnydale.« Sie trat ein paar Schritte zurück und stellte ihre Bandmitglieder vor. Jedem Namen folgte stürmischer Applaus. »An den Drums: Nash.« Nash wirbelte mit einem ihrer Schlagzeugstöcke und ließ ihn auf ein Becken krachen. »Carnie am Bass. An der Leadgitarre: Rave. Und mein Name ist Lupa. Zusammen sind wir – Vyxn!« Mit einem übertriebenen Hüftschwung, der zweifellos zu einem gewissen Anteil auf das Konto ihrer mindestens sieben Zentimeter hohen Stiefelabsätze ging, kam sie wieder nach vorn. »Und wir sind ziemlich kaputt.« Auf dieses Stichwort hin setzte die irokesenhäuptige Leadgitarristin zu einer Midtempo-Nummer an. Abermals erhob Schwarzschopf Lupa ihre eindringliche Stimme. »I’m devastated by you every day. My friends keep telling me to run away. But it’s so hard for me, You’re always killing me – with words...« Xander kam nicht umhin Cordelia zu bemerken, als sie das Bronze betrat und absichtlich sein Blickfeld kreuzte. Sie würdigte ihn nicht eines Blickes und schlug auch um den Tisch, an dem Buffy mit Willow und Oz saß, einen großen Bogen. Sie war fest entschlossen, sich wieder ihren ehemaligen, zweifelsohne besseren Kreisen anzuschließen. Vorher jedoch sollte er noch einmal deutlich zu spüren bekommen, dass er es war, der einen Verlust erlitten hatte, und 42
nicht sie. Ihre Beziehung war Geschichte, und offensichtlich war ihr sehr daran gelegen ihm zu demonstrieren, dass sie mindestens ebenso leicht über ihn hinweggekommen war wie er über sie. Mir ist sie egal, dachte Xander. Definitiv. Im Übrigen war es diesem wunderbaren Abend gar nicht zuträglich, weiterhin der Vergangenheit nachzuhängen. Er richtete seine ungeteilte Aufmerksamkeit wieder auf die Bühne. Nach dem zweiten Song sprang Xander auf und brach in begeistertes Gejohle aus. Buffy schaute ihn an, als wäre ihm soeben ein Paar Antennen gewachsen. Obwohl Hörner, sagte sie sich, dem Vergleich wohl besser standhielten. Sie ließ ihren Blick durch das Bronze schweifen und bemerkte eine ganze Reihe weiterer begeisterter Typen, die ebenfalls Standing Ovations gaben. Ausschließlich Jungs. »Warum überrascht mich das nicht?«, fragte sie Willow. Lupa drehte sich mit dem Rücken zum Publikum und reichte den Applaus mit ausgebreiteten Armen an ihre Band weiter. Sie sah Carnie und Rave an und sagte etwas, das offenbar nicht für die Ohren des Publikums bestimmt war. Beide nickten. »Super, was?«, rief Xander Buffy und den anderen zu, deren Tisch sich nur wenige Meter hinter seinem Sofa befand. Ganz offensichtlich hatte er Mühe, sich von dem Anblick, der sich ihm auf der Bühne bot, loszureißen. »Geht so«, gab Willow mit einem loyalen Blick auf Oz zurück. »Sie sind ganz okay«, kommentierte der Gitarrist der Dingoes. Lupa wandte sich wieder an ihr Publikum. »Ihr seid großartig«, bedankte sie sich. Xander jauchzte begeistert auf. »Sieht so aus, als hätten wir bereits einen großen Fan hier in Sunnydale«, fuhr Lupa fort. Sie hüpfte von der Bühne herunter und steuerte zielstrebig auf Xander zu; das Mikrokabel schleifte sie lässig hinter sich her. 43
Je näher sie kam, desto tiefer gruben sich die Furchen in Buffys Stirn. Xander schien wie hypnotisiert, seine Augen wurden immer größer. Wahrscheinlich liegt’s an dem riesigen Dekolleté, dachte Buffy und schob ihre plötzlich aufkommende Unruhe als unbegründet beiseite. Seufzend schnappte sie sich eines der Schulbücher und blätterte ziellos darin herum. Lupa beugte sich zu Xander und flüsterte: »Sag mir, wie du heißt.« »Äh... ähm... Xander«, stammelte er und grinste breit. »Xander«, wisperte sie, als wäre sein Name das schönste Wort der Welt, mit so viel Hingabe in der Stimme, dass Xander weiche Knie bekam. Er hatte das Gefühl, als bestünde zwischen ihnen plötzlich ein unsichtbares Band. Mit dem Wissen um Namen war es eine eigentümliche Sache, eine besondere Kraft ging davon aus. Sie stelzte zur Bühne zurück und verkündete: »Das nächste Lied möchte ich unserem größten Fan in Sunnydale widmen: Xander. Es trägt den Titel ›Heartbreaker‹.« Aufgeregt drehte sich Xander zum Tisch um: »Habt ihr gehört? Sie spielen einen Song für mich!« »Ja«, versetzte Buffy. »Wir haben’s mitgekriegt.« Ein hämmernder Beat dröhnte durch das Bronze. Mit hoch über den Kopf erhobenen Armen klatschte Lupa den Rhythmus vor, ein nicht ganz unproblematisches Unterfangen mit dem Mikro in der Hand. Nicht lange, und annähernd das gesamte Bronze machte begeistert mit. An einem abseits gelegenen Tisch rümpfte derweil eine einsame Cordelia angesichts des tobenden Mobs missbilligend die Nase und stocherte gelangweilt mit dem Strohhalm in ihrem halb leeren Glas herum. Sie wäre vor Schreck beinahe vom Stuhl gekippt, als jemand ihr von hinten auf die Schulter tippte.
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»Cordelia?«, ließ eine sonore Stimme verlauten. »Cordelia Chase?« Sie drehte sich um. »Du erinnerst dich doch noch an mich, oder?« Er sah umwerfend aus. Groß, braun gebrannt, blond gewelltes Haar, blaue Augen und ein schlichtweg phänomenales Lächeln. Selbst wenn ihr dieses Lächeln nicht aus zahlreichen TV-Werbespots und der im Nachmittagsprogramm ausgestrahlten Soap Wanderlust vertraut gewesen wäre, hätte sie ihn sofort wieder erkannt. Über zwei Monate hinweg waren sie regelmäßig miteinander ausgegangen, bis er schließlich vor zwei Jahren nach L.A. gezogen war. »Natürlich erinnere ich mich an dich«, erwiderte sie. Sie warf einen flüchtigen Blick in Richtung Bühne, doch Xander war immer noch völlig hin und weg. »Troy Douglas. Wie schön, dich wiederzusehen!«
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»Troy, ich fass es nicht. Was treibt dich denn in das gute alte Sunnydale?«, brüllte Cordelia über die sich allmählich ihrem dramatischen Höhepunkt nähernde Ballade hinweg, in der es um irgendeinen ›Herzensbrecher‹ ging. »Ich besuche für ein paar Wochen meine Mutter«, erwiderte er. »Und ich hatte gehofft, dich irgendwo zu treffen. Hab mir fast gedacht, dass ich dich hier finden würde.« »Viel mehr Möglichkeiten gibt’s hier in der Gegend ja auch nicht«, rief sie ihm ins Gedächtnis. »Dein Freund scheint sich ja prächtig zu amüsieren«, sagte Troy und wies nickend in Xanders Richtung, der nach wie vor mit dem Kopf auf und ab wippte und gut gelaunt auf seinen Knien herumtrommelte. »Wer... der? Ich meine, wir sind nicht befreundet...« »Du siehst andauernd zu ihm hinüber«, erklärte Troy. »Ich hab gedacht...« »Er ist schwer zu übersehen, bei dem Affentheater, das er aufführt, um sich in Szene zu setzen«, entgegnete Cordelia. »Er scheint gar nicht zu merken, wie lächerlich er sich damit macht.« Troy sah zur Band hinüber, lauschte einen Moment lang der Musik und gab dann sein Urteil ab: »Gar nicht mal so übel.« »Aber auch nicht gerade umwerfend.« »Ich weiß nicht. Irgendwie haben sie etwas Vereinnahmendes.« »Das hat Fußpilz auch.« Troy lachte. »Ganz die alte Cordelia.« »Du siehst gut aus«, wechselte sie das Thema. »Du hast dich kaum verändert.« Sein cremefarbener Rollkragenpullover bildete mit dem schokoladenbraunen Jackett ein in jeder Hinsicht geschmackvolles Ensemble. 46
»Das Kompliment kann ich nur zurückgeben, Cordelia. Ich hab dich wirklich vermisst.« »Vielen Dank«, sagte sie. »Man liest zur Zeit ja einiges über dich in der Boulevardpresse. Stimmt es, dass dir sämtliche Starlets zu Füßen liegen?« Troy grinste. »Neben dir verblassen sie natürlich völlig.« »Immer noch der alte Charmeur«, erwiderte sie. Nichtsdestoweniger ging ihr das Kompliment runter wie Öl. »Vielleicht ist weiter hinten noch ein Tisch frei«, schlug Troy vor. »Wo’s etwas ruhiger ist. Die Musik ist doch ein wenig... störend.« »Ganz meine Meinung.« Cordelia erhob sich von ihrem Platz, nahm ihr Glas, hakte sich bei Troy unter und hoffte, dass Xander zufällig herüberblickte und mitbekam, dass Cordelia Chase es absolut nicht nötig hatte, Typen wie ihm hinterherzutrauern. »Was dagegen, wenn wir uns ein bisschen umschauen?« »Ganz und gar nicht.« Zielstrebig navigierte ihn Cordelia in Richtung des Sofas, auf dem Xander immer noch vor sich hin wippte, und blieb nur wenige Schritte vor ihm stehen. »Ich dachte, ihr seid nicht...« »Sind wir auch nicht«, unterbrach ihn Cordelia. Schließlich blickte Xander doch endlich auf. »Cordelia? Alles klar?« »Xander, erinnerst du dich noch an Troy Douglas?« Sie machte eine Kunstpause. »Bevor er nach L.A. ging und Karriere als Filmstar gemacht hat, sind er und ich oft ausgegangen. Miteinander.« Xander deutete mit dem Finger auf Troy. »Hey! Dich kenne ich doch!«, rief er aus. »Du bist doch der Typ mit dieser Doktor-Irgendwie-Pickelpaste!« »Das ist schon ein paar Jährchen her«, sagte Troy. »Ich vergesse nie eine Pickelfresse.«
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»Wir suchen uns weiter hinten einen Tisch«, ließ Cordelia ihn wissen. »Okay. Schön für euch«, entgegnete Xander und rang sich ein gönnerhaftes Grinsen ab. Cordelia setzte ihr bezauberndstes Lächeln auf, drehte sich auf dem Absatz um und stolzierte mit ihrer neuesten Eroberung im Schlepptau davon. Xander blickte den beiden einen Augenblick lang versonnen hinterher, dann zog ihn die Musik wieder in ihren Bann. Xander ließ sich einen Song nach dem anderen ins Trommelfell blasen, und nicht ein einziges Mal kehrten seine Gedanken zu Cordelia zurück. Schließlich war die Band mit ihrem ersten Set durch, und Lupa kündigte eine kurze Pause an. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die wilde schwarze Mähne und warf Xander eine Kusshand zu. Doch als sie von der Bühne ging, sah sie zu dem Tisch hinüber, an dem die Jägerin saß, und zog kaum merklich die Stirn in Falten. Xander seufzte und schüttelte den Kopf. Er fühlte sich benommen, als wäre er soeben aus einem wunderbaren Traum erwacht. Als er den Blick hob, standen Buffy, Willow und Oz neben ihm, Buffy und Willow mit ihren Schulbüchern unterm Arm. »Hey, Xander«, sagte Willow. »Wer war dieser Typ neben Cordelia? Er kommt mir irgendwie bekannt vor.« »Sieht ziemlich gut aus«, meinte Buffy und versuchte, an ihm vorbeizuspähen, dorthin, wo Cordelia und Troy, wie Xander annahm, einen freien Tisch ergattert hatten. »Eine von Cordelias alten Flammen«, erklärte er geistesabwesend. »Das grenzt den Personenkreis nicht sonderlich ein«, bemerkte Willow. »Troy Soundso«, brummte Xander. »Dieser Typ aus der Anti-Pickel-Werbung.« 48
»Ach ja, richtig«, erwiderte Willow. »Troy Douglas. Er spielt doch den Sunnyboy in Wanderlust, dieser Daily Soap.« Sie räusperte sich. »Nicht, dass ich mir so etwas anschauen würde. Aber ist er nicht vor ein paar Jahren nach L.A. gezogen?« »Er ist nur zu Besuch«, klärte Xander sie auf. »Und schon schmeißt sich Cordelia an ihn ran«, konstatierte Buffy missbilligend. »Sie will sich nur wichtig tun«, meinte Xander. »Mich eifersüchtig machen, schätze ich.« »Und? Funktioniert’s?«, erkundigte sich Oz. »Natürlich nicht«, erwiderte Xander. »Okay. Vielleicht ein bisschen. Aber ich habe mit der Sache komplett abgeschlossen. Ich frage mich allerdings, ob er eine Limousine hat. Cordelia fährt total auf Limousinen ab.« »Ich überlasse es dir, das herauszufinden«, sagte Buffy. »Wir gehen. Ich muss mit Angel auf Patrouille gehen und darf mich anschließend noch bis tief in die Nacht in meine Bücher vergraben, von wegen rote Zone und so.« »Und ich muss noch diese ganze Sunnydale-HöllenschlundGeschichte zu Papier bringen«, stöhnte Willow niedergeschlagen. »Oder auch nicht«, wandte Oz ein. »Genau das ist die Frage«, erwiderte Willow seufzend. Xander reckte den Hals und hielt nach Cordelia Ausschau. »Wir sehen uns später, Leute.« »Bist du sicher, dass eine von ihnen die Jägerin ist?«, erkundigte sich Lupa. »Ich hab gesehen, wie sie einen Vampir erledigt haben«, erwiderte Rave und strich sich mit der Hand über ihren Irokesenkamm. »Die Rothaarige hatte eine Armbrust, die Blonde einen Pflock.« »Nur eine von ihnen kann die Jägerin sein«, bemerkte Carnie. 49
»Aber welche?«, meinte Lupa. »Arbeiten Jägerinnen nicht immer allein?«, wandte Nash ein, während sie an ihrem Nietenhalsband herumfummelte. »Du hast gesagt, die Jägerin ist allein. Vier gegen eine. Ein Kinderspiel, hast du gesagt.« Lupa betrachtete sich im Spiegel. Rundherum waren kleine Glühbirnen eingeschraubt, von denen die Hälfte jedoch durchgebrannt war. »Nichts, womit wir nicht fertig würden«, beruhigte sie Nash. Sie fuhr sich mit einem ihrer grell lackierten Fingernägel über die Wange und ließ einen schmalen Streifen von reptilienartigem Grün zurück. In der nächsten Sekunde war er bereits wieder verschwunden. Sie wusste, dass es riskant gewesen war, ihren kleinen Trupp hierher zu führen, direkt in das Revier der Jägerin. Doch nur wer wagt, gewinnt. »Eine kleine Komplikation, nicht der Rede wen.« »Ich für meinen Teil hasse Komplikationen«, entgegnete Nash. »Vielleicht war es ein Fehler, hierher zu kommen.« »Willst du etwa mein Urteilsvermögen in Frage stellen?«, erwiderte Lupa und blickte Nash drohend an. Die Schlagzeugerin zupfte einen Moment lang ihr Dekolleté zurecht, bevor sie dem bohrenden Blick der Sängerin schließlich auswich. »Wer? Ich? Ich tue, was man mir sagt.« »Das solltest du auch weiterhin so halten.« Lupa hatte immer schon die kräftigste und dominanteste Stimme von allen gehabt, sogar als ihre Gruppe noch mehr als ein Dutzend Mitglieder zählte. Deshalb gab sie nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne den Ton an. Als Anführerin hatte sie in zweierlei Hinsicht für ihre Gruppe zu sorgen: Sie musste sie ernähren und zudem darauf achten, dass sie nicht allzu sehr zusammenschrumpfte. Ersteres war nie ein Problem gewesen. Sobald diese knackigen jungen Burschen sie einmal singen gehört hatten, kamen sie immer wieder angerannt und wollten mehr. Sie konnten gar nicht anders. Im Gegenteil, mit jedem Konzert wurde der Drang stärker, war übermächtig. Und wenn 50
das Haus erst einmal rappelvoll war, wenn sie ihr alle restlos und unwiderruflich verfallen waren, brauchte Lupa nur noch von der Bühne herunterzublinzeln und sich einen von ihnen herauszupicken. Ein paar persönliche Worte, verheißungsvolles Geflüster, und ihr Nachtmahl war so gut wie gesichert. Nein, das bisschen Singen und Flirten war wirklich zu keiner Zeit ein Problem gewesen. Lupas Versagen betraf einen ganz anderen Punkt: In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren, seit jenem Tag, an dem sie ihre ferne Heimat verlassen hatten, war die Stärke ihres Trupps aufgrund diverser Krankheiten, Fahnenflucht oder einfach nur tragischer Unfälle dramatisch reduziert worden. Zuletzt war Viola von ihnen gegangen. Lupa hatte sie töten müssen, nachdem sie versucht hatte, ihr die Führung streitig zu machen und Vyxn aufzulösen. Nicht bereit, die alten Grundsätze über Bord zu werfen, hatte sie immer schon gegen die Idee, sich vor Publikum zu produzieren, Front gemacht. Ihr Verrat war für Lupa nicht überraschend gekommen. Tja, dachte Lupa, Viola ist nur noch Kadaver. Soll sie doch verrotten. »Lupa?«, hörte sie Rave sagen. »Bist du so weit?« Lupa nickte, hielt es jedoch für angebracht, die anderen einmal mehr auf ihre unverzichtbaren Qualitäten hinzuweisen, bevor sie sich wieder auf die Bühne begaben: »Wir werden hier ein ebenso reiches Mahl halten wie an jedem anderen Ort zuvor. Habt ihr gesehen, wie einfach es war, dieses Milchgesicht... unter meinen Einfluss zu zwingen?« Carnie lachte. »Der ist ja jetzt schon reif.« »Er gehört zu ihnen«, warf Rave ein. »Ich hab ihn zusammen mit der Jägerin gesehen, welche von beiden es auch immer ist.« Auf Lupas Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. »Seht ihr«, sagte sie und bedachte Nash mit einem vielsagenden Blick. »Eine Komplikation weniger.« Sie schaute noch einmal prüfend in den Spiegel, zupfte ihr Lederdress zurecht und verzog ihre menschlichen Lippen – nur ein weiteres kleines 51
Detail ihrer perfekten Maskerade. Sie waren wie unsichtbare Raubtiere, die lautlos inmitten ihrer ahnungslosen Beute Jagd machten. Lupa wusste, dass sie ihre Autorität zu einem nicht geringen Teil ihrer enormen Zuversicht verdankte. Und sie hatte allen Grund, zuversichtlich zu sein. Sie hatte die Zügel wieder fest in der Hand, und ihr Ziel schien zum Greifen nah. Sie spürte, dass ihrer aller Schicksal sich an einem Wendepunkt befand. »Und bald schon wird die Jägerin mir gehören.« Xander fand es allmählich an der Zeit, Cordelia davon in Kenntnis zu setzen, dass ihre kleine Inszenierung auf ihn nicht den geringsten Eindruck gemacht hatte; wie zufällig nahm er Kurs auf ihren Tisch. Allerdings nur, um sie im nächsten Moment über irgendetwas, das Troy gerade gesagt hatte, lauthals lachen zu hören und Zeuge davon zu werden, wie sie sanft seine Hand berührte und ihm schöne Augen machte. Das sah gar nicht gut aus. Xander wurde klar, dass Cordelia längst kein Theater mehr spielte, um ihn eifersüchtig zu machen. Und genau das machte ihn eifersüchtig. »Hey, Cordy«, rief Xander. Cordelia warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Oh, du Armer, ist der Kleinmädchenzirkus schon vorbei?« »Wie ich sehe, hat der Akne-Terminator dir ein wenig die Zeit vertrieben.« »Hör zu... Andrew, stimmt’s?« »Xander«, korrigierte Cordelia Troy. »Cordelia und ich plaudern nur ein wenig über die alten Zeiten.« »Außerdem«, setzte Cordelia hinzu, »kann es dir völlig egal sein, mit wem ich mich unterhalte.« »Auch wieder wahr«, meinte Xander, wenig besänftigt. Cordelia lächelte, nur allzu bereit, ein wenig Öl ins Feuer zu gießen. »Xander, Troy hat mir gerade erzählt, dass er für einen 52
Emmy in der Sparte Vorabendprogramm nominiert worden ist.« »Vorabend? Heißt das, er hat nach achtzehn Uhr Ausgangssperre?« »Es ist ein Award für herausragende schauspielerische Leistungen in Daily Soaps«, erklärte Cordelia. »Herausragende schauspielerische Leistungen in Daily Soaps? So was gibt’s doch gar nicht«, spottete Xander. »Genauso wenig wie Riesengarnelen. Oder Soldaten, die nicht total verblödet sind. Reine Verarsche.« Troy stand auf und stieß seinen Stuhl zurück. Xander wich keinen Zentimeter zurück. Cordelia seufzte. »Okay, okay, möglicherweise hat Xander noch nicht mitbekommen, dass die Karrieren vieler großer Stars in Daily Soaps begonnen haben.« »Möglicherweise«, sagte Troy und ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken. »Xander?«, insistierte Cordelia. Sie drückte seine Hand, die er, wie ihm jetzt erst auffiel, unwillkürlich zur Faust geballt hatte. »Wenn du das sagst«, meinte er. »Sehr gut«, atmete sie auf. »Waffenstillstand.« In diesem Moment brandete stürmischer Beifall auf, hauptsächlich getragen von dem enthusiastischen Einsatz der männlichen Zuhörerschaft. Xander warf einen Blick über die Schulter und sah, dass Vyxn soeben wieder die Bühne betraten. Ebenso perplex wie zerknirscht fragte er sich, wie er so dämlich hatte sein können, seinen kostbaren Platz in der ersten Reihe aufzugeben. Abermals presste Cordelia seine Hand, diesmal merklich fester. »J-ja?«, stieß er hervor. »Troy und ich wollten gerade ein wenig frische Luft schnappen«, eröffnete sie ihm, und ein alarmierendes Lächeln
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umspielte ihre Mundwinkel. Xander bemerkte es nur allzu deutlich. »Ich... äh«, setzte Xander an. Was er eigentlich hatte sagen wollen, war: ›Wir sehen uns dann später.‹ Stattdessen wanderte sein Blick von Cordelia zu Troy und wieder zurück. Wieder verspürte er einen schmerzhaften Stich in der Magengegend. Sicher, er war längst über die Sache hinweg, doch das änderte nichts daran, dass er sich plötzlich wie das dritte Rad am Wagen fühlte. Sein erzwungenes Grinsen geriet beinahe zur Grimasse. »Frische Luft? Prima Idee.« Sie bahnten sich ihren Weg zwischen den Tischen hindurch und an der Bühne vorbei nach draußen. Xander warf noch einen letzten Blick zurück, und einen Augenblick lang schien es ihm, als würde Lupa, die Leadsängerin, ihm zuwinken. Aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein. Rave tänzelte zu Lupa hinüber, während sie ihre Gitarre nachstimmte. »Sieht aus, als hättest du ihn verloren«, flüsterte sie. Lupa schüttelte den Kopf. »Keine Bange, er hat den Köder schon gefressen. Ich lasse lediglich die Leine noch etwas locker. Er wird zurückkommen. Er kann gar nicht anders. Und dann zieh ich den Fisch an Land.« »Das Ganze hat mich eben einfach nicht angetörnt«, sagte Buffy, als sie mit Angel die Straße zu ihrem Haus hinunterschlenderte. Ausnahmsweise war die abendliche Patrouille relativ ruhig verlaufen. Scheinbar dünnten die Reihen von Skull Johns Stoßtrupps allmählich aus. Weit und breit hatten sich weder Vampire noch Dämonen noch irgendwelche Höllenhunde blicken lassen, was Buffy Gelegenheit gab, sich dann und wann auf einen Grabstein zu hocken und ein oder zwei ihrer Bücher aufzuschlagen. Auch 54
wenn sich die Beschäftigung mit Lehrstoff, sobald Angel in der Nähe war, nie als sonderlich produktiv erwies. Jedenfalls nicht, wenn man Produktivität als das lückenlose Erfassen und Abspeichern von Textinformationen definierte. »Und die Jungs schon?« »Das kann man wohl sagen!«, erwiderte Buffy. »Musikalisch waren Vyxn okay. Ganz annehmbar, aber mehr auch nicht.« »Nun, das sagt wohl alles«, antwortete Angel und lächelte anzüglich. »Genau«, meinte Buffy. »Extremer Sabberfaktor.« »Eine Mädchenband ist nun mal für Jungs gedacht.« »So ist das wohl«, gab sich Buffy geschlagen. »Klar, wenn eine Horde halb nackter Typen in ledernen Tangaslips und mit eingeölten Oberkörpern auf der Bühne herumkaspern würde, könnte ich ebenfalls nur hoffen, dass mir der Geifer nicht auf die eigenen Schuhe trieft.« »Das würde niemals geschehen«, sagte Angel. »Als Dame von Welt...« »Genau«, bestätigte Buffy und nickte bestimmt. »... würdest du dir das Kinn natürlich mit einer Serviette abwischen.« »Ich würde – Hey!«, rief Buffy plötzlich und holte zu einer heftigen Ohrfeige aus, um ihm sein freches Grinsen auszutreiben. Geschickt wich er aus, packte ihren Arm und zog sie an sich. Willenlos ließ sie sich in seine Arme sinken, neigte den Kopf in den Nacken, spürte die Berührung seiner kalten Lippen und versuchte, nicht an die Zukunft zu denken. Ihr und Angel war nur ein Glück vergönnt, das im Heute lag, in nahezu perfekten Augenblicken wie diesen, in denen jeder Gedanke an ein Morgen erstarb. »Ich glaube, wir sind da«, sagte Buffy. Sie waren vor ihrem Haus angekommen. »Also bis morgen«, gab er zurück.
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Sie stand kurz davor, in Tränen auszubrechen. Doch dann rang sie sich ein tapferes Lächeln ab, schlenderte zum Hauseingang, warf ihm noch eine Kusshand zu und öffnete die Tür. Als sie sich noch einmal nach ihm umdrehte, war er bereits verschwunden, und unweigerlich drängte sich Buffy die Frage auf, wem von ihnen der Abschied wohl schwerer gefallen war. Als sie wenig später Morpheus Armen entgegendämmerte, neben sich das aufgeschlagene Mathebuch, wurde ihr klar, dass sie Unrecht hatte. Es gab mehr für sie beide als nur das Heute. Sie hatten eine gemeinsame Geschichte. Und diese Geschichte knüpfte das Band zwischen ihnen enger als jeder Kuss in lauer Frühlingsnacht es je vermocht hätte. Und da ihre Zukunft in den Sternen stand und der Vergangenheit nachzuhängen zu schmerzvoll war, träumte sie eben vom Heute. Sie schlief tief und ruhig. Nicht weit entfernt lag Xander ebenfalls in seinem Bett und ließ den Abend Revue passieren. Er dachte an Cordelia und Troy, deren romantisches Tête-à-tête er sabotiert hatte. Ein Song ging ihm durch den Kopf, kam durch irgendeine verborgene Hintertür in sein Bewusstsein gekrochen, wie ein Virus, der sich in seinen Gehörgängen einnistet und nach und nach von ihm Besitz ergreift. In seinem Dämmerzustand merkte er nicht einmal, dass er leise mitsummte und den Text in sein Kissen brabbelte: »In the final days... I’ll be there for you.«
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Solitaire fand bald heraus, dass Sunnydale, gleichsam der Vorort zum Höllenschlund, ein eigenes und weit verzweigtes Abwasser- und Tunnelsystem besaß. So war er auch nicht allzu überrascht über seine Entdeckung, dass ein machtvoller Vampir dieses Tunnelsystem zu seinem Hauptquartier erkoren hatte. Obwohl den meisten Menschen an Stärke und Kraft weit überlegen, waren Vampire nach Solitaires Maßstäben dennoch Kreaturen niederen Ranges. Und wo konnte eine Anführernatur wie er besser ein paar wenigstens halbwegs brauchbare Spießgesellen rekrutieren als an einem Ort, von dem diese Vampirmeute sich angezogen fühlte wie Fliegen von einem Misthaufen? Solitaire bekam einen dieser Tölpel an der Gurgel zu packen und zerrte ihn durch einen der schwach erleuchteten Seitentunnel hinter sich her. Der Name seines Opfers war, wie er rasch erfuhr, Marcus, und nach baldiger, schmerzhafter Bekanntschaft mit seinem Fleischermesser – ihm fehlten nun seine hässlichen Vampirklauen – war Marcus nur allzu gern bereit, Solitaires Begehr nach besten Kräften zu unterstützen. Marcus war über den plötzlichen Verlust seiner Gliedmaßen einigermaßen aus der Fassung geraten. »Stell dir einfach vor, du hättest einen Arm auf den Rücken gebunden, wenn du Menschen jagst«, hatte Solitaire ihn beruhigt. Marcus presste wimmernd den Armstumpf an die Brust und stammelte etwas davon, dass Skull John Solitaire schon zeigen werde, wer in Sunnydale das Sagen habe. Doch seine Züge hatten nach der kleinen Amputation einiges von ihrer vampirtypischen Bedrohlichkeit verloren. Man muss diese Blutsauger eben möglichst an der kurzen Leine halten, dachte Solitaire. Sie gelangten an eine Tunnelgabelung. »Hör auf zu winseln«, fuhr Solitaire seinen Begleiter an, »sonst reiße ich dir die 57
andere Hand auch noch ab und stopf sie dir ins Maul. Wo geht’s lang?« Marcus wies mit dem Kopf nach rechts, als wäre der Verrat, den er an Skull John beging, geringer, wenn er sich lediglich auf Gesten beschränkte. Brutal drehte ihm Solitaire den gesunden Arm auf den Rücken und stieß ihn vorwärts. »Wie weit?« »Wir sind gleich da«, stöhnte Marcus. »Au, das wirst du noch bereuen.« »Halt die Klappe«, schnauzte Solitaire ihn an. Er schien völlig gelassen. Skull John würde nicht so leicht zu besiegen sein wie Warhammer. Eine einzige Unachtsamkeit könnte schlimme Folgen haben. Wahrscheinlich sogar fatale, dachte Solitaire. Die bevorstehende Auseinandersetzung würde ihm alles abverlangen, ihm Klarheit darüber verschaffen, ob er schon bereit war, sich dem Kampf mit jener Jägerin zu stellen, von der die Kunde an sein Ohr gedrungen war. Vor ihnen weitete sich der Gang zu einer Art Grotte, von der mehrere Stollen abzweigten. Am hinteren Ende der Höhle stand ein mit schwarzem Samt überzogener Sessel. Und auf diesem provisorischen Thron fläzte sich der imponierendste Vampir, den Solitaire jemals erblickt hatte: ein wahrer Schrank von einem Dämon, Furcht erregend und ganz ohne Frage äußerst gefährlich. Etwa ein Dutzend menschlicher Totenschädel, die er an einer Kette um den Hals trug, wiesen ihn als ausgesprochenen Menschenfeind aus. Sein Thronsaal dagegen war weit weniger beeindruckend. Ein Poster mit den Höllenvisionen aus dem Jüngsten Gericht von Hieronymus Bosch zierte eine der rauen Wände, gehalten lediglich von ein paar Streifen Tesafilm. An der rechten Wandseite des Raumes stand ein langer Holztisch, mit Lederriemen für diverse Körperteile der menschlichen Gefangenen. Solitaire konnte Blutflecken auf der dunkelbraunen Fläche ausmachen, einige angetrocknet und 58
schwarz, andere noch relativ frisch. Um den Tisch standen ein paar wacklige alte Stühle. Die gegenüberliegende Wand war von orangefarbenen Kästen für Milchflaschen gesäumt, zweifellos vom Hinterhof irgendeines Supermarkts geklaut. Petroleumlampen sorgten für spärliche Beleuchtung. Seiner ganzen Haltung nach zu urteilen, verkörperte Skull John jenen Typus des unangefochtenen Herrschers, der es längst nicht mehr nötig hatte, sich noch selbst auf die Jagd zu begeben, und der es stattdessen vorzog, sich sein königliches Mahl von seinen Untertanen servieren zu lassen. Solitaire hätte es nicht verwundert, wenn Skull John die Arterien und Venen seiner Opfer erst noch über einem großen Kelch hätte austropfen lassen, ehe er sich an ihrem Blut labte. Und natürlich wäre der Kelch vergoldet, dachte er. Skull John richtete sich in seinem Sessel auf, als er den Eindringling und seinen Gefangenen erblickte. »Ein ungebetener Gast! Wie kommst du dazu, dich hierher zu wagen?«, grollte er. »Mein Freund Marcus hat mir erzählt, dass du für diesen Lotterhaufen hier verantwortlich bist«, erwiderte Solitaire. »Offensichtlich hat Marcus ein etwas loses Mundwerk«, knurrte Skull John. »Sei ganz beruhigt, seine Strafe bekommt er schon noch.« »Nur keine Umstände«, erwiderte Solitaire und griff in eine der Taschen seines schwarzen Mantels. »Der hier gehört mir.« Er zog einen sauber zugeschnitzten Holzpflock hervor. Marcus’ loses Mundwerk wurde noch um eine Nuance größer, diesmal vor Verblüffung. Seine Augenbrauen verformten sich zu dicken Wülsten, und spitze Fangzähne blitzten auf. Er versuchte sich loszureißen, fauchend vor Furcht, doch Solitaire ließ nicht locker und rammte ihm den hölzernen Pflock mitten ins Herz. Blitzschnell riss er ihm dann die Kette mit dem kleinen Metallschädel vom Hals, und explosionsartig verpuffte der Vampir zu Staub. Solitaire klopfte sich den Schmutz von 59
den Händen und von seiner roten Lederweste und warf Skull John die Halskette vor die Füße. »Neue Interessenten dafür gibt’s sicher genug. Aber zuerst habe ich ein paar Fragen an dich.« »Meine Strafe wäre weit weniger milde ausgefallen«, sagte Skull John und bequemte sich endlich von seinem samtüberzogenen Thron herab. Direkt vor Solitaire blieb er stehen, die Fäuste in die Hüften gestemmt – die klassische Pose des Herausforderers, der sich noch als Herr der Lage wähnt. »Wer zur Hölle bist du? Und was treibt dich hierher, von offensichtlichen Selbstmordgelüsten mal abgesehen?« »Man nennt mich Solitaire.« Skull John kratzte sich am Kinn. Die Menschenschädel an seinem Hals klackten dabei aneinander wie ein makabres Windspiel. »Solitaire...«, wiederholte er, dann weiteten sich seine Augen in plötzlicher Erkenntnis. »Ach ja... ich habe diesen Namen schon einmal gehört. Vor mehr als einem Jahrhundert. Bist du nicht dieser Vampir, von dem behauptet wird, er könne der Glut der Sonne widerstehen?« »Mein Ruf eilt mir wohl noch immer voraus«, bemerkte Solitaire. »Ich nehme an, ein paar Informationen erübrigst du sicher gern.« Skull John lachte bellend auf. »Du glaubst doch nicht etwa, dass ich Angst vor dir habe? Dass ich vor lauter Bammel alles preisgebe, was du von mir wissen willst? Jetzt hör mal gut zu, Solitaire. Tagwandler oder nicht, hier unten sind wir einfach nur Vampire, du ebenso wie ich. Ich bin dir ebenbürtig. Streich das wieder. Hier unten bin ich dir überlegen.« Er hob Marcus’ Halskette auf. »Vielleicht solltest du sie tragen. Als Zeichen deiner Ergebenheit.« Solitaire grinste. »Wenn du mir sagst, was ich wissen will, lasse ich dir vielleicht deine Wahnvorstellungen.« Ich muss ihn aus der Reserve locken, dachte Solitaire. Der Kerl wird mit gar
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nichts herausrücken, solange ich ihm nicht ein wenig auf die Sprünge helfe. »Okay, spielen wir also nach deinen Regeln«, sagte Skull John. Er begann ihn zu umkreisen, wich ein paar Schritte zurück, kam wieder heran und ließ ihn bei all dem nicht den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen, bereit, sich in einem kurzen Moment der Unachtsamkeit ohne Zögern auf ihn zu stürzen. »Was genau möchtest du denn von mir wissen?« »Den Namen der Jägerin.« »Hier gibt’s eine Jägerin?«, fragte Skull John und spielte den Ahnungslosen. »Warum weiß ich dann nichts davon?« »Ich weiß, dass sie hier irgendwo steckt«, erwiderte Solitaire. »Ein Ort wie dieser muss sie anziehen wie ein Magnet. Genau wie euch. Und ich bin sicher, dass sie bereits etliche deiner Jungs aufgespießt hat.« »Ich komme und gehe, wann und wohin ich will. Diese Jägerin interessiert mich nicht.« »Noch eine Wahnvorstellung. Meinetwegen«, meinte Solitaire. »Jetzt aber raus mit ihrem Namen.« »Und selbst wenn ich ihn weiß, warum sollte ich ihn dir verraten?« »Weil ich dir einen Gefallen tun würde, Johnny«, entgegnete Solitaire. »Ich würde sie für dich erledigen.« Skull John lachte laut auf. »Das haben schon ganz andere Vampire versucht als du.« »Es wäre praktisch ein Freispiel für dich«, gab Solitaire zu bedenken. »Du kannst nur gewinnen.« »Geh nach Hause und vergiss die Jägerin. Sie spielt in einer völlig anderen Liga als du.« Skull John schnippte mit den Fingern. Aus jedem der beiden Gänge links und rechts neben seinem Herrscherstuhl trat ein grobschlächtiger Vampir hervor. Die beiden waren ausgesprochen kräftig gebaut und starrten Solitaire aus glühenden Vampiraugen zähnefletschend an. Sie trugen schwarze T-Shirts, die unvermeidlichen Schädelketten 61
und khakifarbene Hosen. Solitaire erkannte mit einem Blick, dass es sich um Zwillinge handelte. »Jetzt mach schon, dass du hier rauskommst. Kyle und Carl zeigen dir, wo’s langgeht.« »Sag mir noch eins«, stichelte Solitaire weiter. »In welcher Liga spielst du eigentlich, dass du andere für dich aufs Spielfeld schickst?« Skull John machte einen Schritt auf ihn zu und ließ nun ebenfalls seine Vampirzähne aufblitzen. »Ich kümmere mich schon seit Jahren nicht mehr um die Drecksarbeit«, fauchte er. Solitaire verpasste ihm mit der Rechten kurzerhand einen Haken, der ihm das Nasenbein zertrümmerte. Brüllend warf sich Skull John auf ihn, und geschickt nutzte Solitaire die Wucht des Ansturms aus, um seinen Gegner zu Boden zu reißen. Er zog ein Bein an und ließ es mit solcher Vehemenz nach oben schnellen, dass Skull John über ihn hinwegsegelte und lautstark gegen die Wand krachte. Mehrere seiner Schädeltrophäen gingen dabei zu Bruch. Zum Vorschein kamen mehrere der verbliebenen Eck- und Backenzähne. Noch bevor Skull John sich von dem Aufprall erholen konnte, war Solitaire wieder auf den Beinen, setzte ihm mit zwei schnellen Schritten hinterher und landete einen weiteren kräftigen Tritt in dessen Magengrube, der den selbst ernannten König der Vampire, kaum hatte dieser sich halbwegs wieder aufgerappelt, erneut zu Boden gehen ließ. Immerhin schaffte er es, Solitaires Bein zu packen und den Angreifer ebenfalls zu Fall zu bringen. Sofort rollte er sich auf ihn und umfasste mit beiden Händen Solitaires Kopf. Er war so sehr damit beschäftigt, den Schädel des Gegners wie den Drehverschluss einer Flasche vom Hals schrauben zu wollen, dass er den Aufwärtshaken gar nicht kommen sah. Schon war er eines seiner imposanten Vampirzähne verlustig gegangen. Skull John tobte. Entschlossen riss er eine der Petroleumlampen vom Haken und hob sie mit beiden Händen hoch über den Kopf, um sie Solitaire aufs Haupt zu schmettern. 62
Dieser konnte gerade noch rechtzeitig den Arm hochreißen. Die Lampe zerbarst, flog in hohem Bogen davon und landete krachend auf dem hölzernen Foltertisch. Hinter sich konnte Solitaire das Auflodern von Flammen hören. Er duckte sich, umklammerte Skull Johns Oberschenkel und schleuderte ihn unter Aufbietung all seiner Kräfte auf den von einem brennenden Petroleumteppich bedeckten Tisch. Skull John brüllte wie am Spieß und versuchte, sich von dem Tisch herunterzuwälzen, während er gleichzeitig nach den Flammen schlug, die ihm den Rücken und die Arme versengten. Solitaire schnappte sich daraufhin einen der klapprigen Stühle und zog ihn seinem Gegner über den Schädel. Taumelnd brachte sich der Anführervampir vor Solitaire und dem brennenden Tisch in Sicherheit. »Was steht ihr da rum!«, brüllte er seine beiden wie geklont wirkenden Handlanger an. Sofort stürzte sich Kyle – oder war es Carl? – auf Skull Johns Thron, riss den schwarzen Samtbezug herunter und machte sich daran, die Flammen zu ersticken. »Doch nicht das Feuer, du Idiot«, schrie Skull John, der strauchelnd immer weiter zurückwich. Carl schien die Situation endlich erfasst zu haben und stürmte auf Solitaire zu, doch es war bereits zu spät. Noch bevor er auch nur drei Schritte machen konnte, hatte Solitaire den völlig benommenen Vampirführer erreicht und ihn nach einem kurzem Handgemenge mit tödlichem Griff umschlungen. Wie angewurzelt blieb Carl stehen. »Tut endlich irgendwas!«, brüllte Skull John verzweifelt. »Macht ihn fertig.« Zögernd kamen die beiden Brüder näher. Da zückte Solitaire einen Pflock und setzte ihn Skull John auf die Brust. »Noch einen Schritt weiter, und euer Boss ist Geschichte. Noch zwei Schritte weiter, und ihr werdet ihm
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folgen.« Gebieterisch blickte er in Skull Johns wutverzerrte Grimasse. »Pfeif sie zurück.« »Tut, was er sagt«, presste Skull John hervor, gerade so laut, dass sie ihn verstehen und seiner Order Folge leisten konnten. Die Vampirzwillinge hielten inne und schienen irgendwie erleichtert. Solitaire war klar, dass sie darauf spekulierten, sich auch in der kommenden Nacht noch ihres untoten Daseins zu erfreuen. Er verstärkte den Druck seiner Arme gerade um so viel, wie nötig war, um Skull Johns uneingeschränkte Aufmerksamkeit zu erlangen. »Ihr Name?« »Summers«, ächzte Skull John. »Buffy Summers.« »Mach’s gut, Johnny«, sagte Solitaire. »Noch irgendwas, das ich wissen sollte?« Skull John schien ebenso verwirrt wie bestürzt. »Was? Nein, nichts.« »Ich werde dich am Leben lassen«, beruhigte ihn Solitaire. »Und weißt du auch warum? Nein, warte. Ich sag dir warum. Ich verlass mich darauf, dass du und deine Tölpelbande von der Bildfläche verschwindet, bis ich mein kleines, ganz persönliches Tête-à-tête mit der Jägerin hatte. Nicht, dass ich glaube, dass einer von euch ihr in irgendeiner Weise gewachsen wäre, aber sonst kommt ihr Hundesöhne noch auf die Idee, euch zusammenzurotten und gemeinsam Jagd auf sie zu machen. Also, Hände weg von ihr. Sie gehört mir.« »Gehört dir«, wiederholte Skull John, jedoch wenig überzeugend. »Na so was, da hab ich’s mir doch glatt wieder anders überlegt«, sagte Solitaire. »Ich sollte dich wohl doch besser aus dem Verkehr ziehen.« Er hob den Pflock, als wollte er zum Stoß ausholen. »Halt! Halt! Da ist noch etwas anderes.« »Das klingt schon viel besser«, lenkte Solitaire ein, aber ohne den Pflock wieder sinken zu lassen. »Schieß los.«
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»Ich hab gehört, dass sie... einen Vampir als Freund hat«, keuchte Skull John, »der auf sie aufpasst.« »Einen Vampirkavalier, hmm?« Solitaire fragte sich, welchen Grund es für einen Vampir geben konnte, sich mit einer Jägerin einzulassen. Vielleicht als Gegenleistung dafür, dass sie sein Leben verschonte? Doch andererseits, was konnte einer Jägerin schon am Leben eines Vampirs gelegen sein? Sehr merkwürdig, dachte er. »Eine äußerst delikate Zusammenstellung.« »Hab mir gedacht, dass dir das gefällt«, stieß Skull John hervor, wieder einigermaßen gefestigt. »In der Tat sehr interessant«, erwiderte Solitaire und fletschte seine beachtlichen Vampirzähne, mehr für die Zwillinge, die ihn nicht aus den Augen ließen, als für Skull John, der sein beeindruckendes Mienenspiel ohnehin nicht sehen konnte. »Und tschüss.« »Was...?« In der gleichen Sekunde fuhr der Pflock durch Skull Johns Herz. Und einmal mehr verging ein Vampir in einer explodierenden Staubwolke. Scheppernd fielen die Totenschädel, eben noch an Skull Johns Hals, zu Boden. »Du hast ihn umgebracht«, sagte Kyle tonlos und starrte auf den Schädelhaufen, den einzig sichtbaren Beweis, dass eben dort noch vor wenigen Augenblicken sein Herr und Gebieter gestanden hatte. »Er wurde allmählich lästig«, war Solitaires einziger Kommentar. Carl räusperte sich. Das reichte, um die Seite zu wechseln. »Ganz meine Meinung.« »Johnny hatte ein paar ziemlich ungesunde Ansichten«, fuhr Solitaire fort. »Ihr dagegen tut immer nur das, was man euch sagt, hab ich Recht, Jungs?« Beide nickten eifrig. »Also, sagt das auch dem Rest von Skull Johns Leuten. Von nun an hört ihr nur noch auf mich, auf niemand sonst. Zunächst etwas relativ Einfaches: Lasst die Finger von der Jägerin. Ich glaube 65
nicht, dass euch das sonderlich schwer fallen wird. Haben wir uns verstanden?« Erneutes Nicken. »Noch Fragen?« Heftiges Kopfschütteln. »Gut«, sagte er und lächelte zufrieden. »Gentlemen, ich denke, wir sind uns einig.« Man konnte ihnen ihre Erleichterung deutlich ansehen. »Noch eine Sache«, fügte er hinzu. »Schmeißt endlich diese dämlichen Halsketten weg.« Nachdem Solitaire gegangen war, entdeckten die Vampirzwillinge die Spielkarte, die er zurückgelassen hatte – eine Karodame. Sie lag auf dem Boden inmitten der Totenschädel. Auf dem Weg von der Mensa zu seinem Spind hielt Xander plötzlich inne und stellte verblüfft fest, dass er sich an keine einzige der vergangenen Unterrichtsstunden mehr erinnern konnte. Auf den unbequemen Stühlen hatten sich seine Gedanken auf Wanderschaft begeben, waren zurückgeeilt zum Vyxn-Konzert am Abend zuvor. Richtige Ohrwürmer, die Lieder von denen, dachte er. Aber so ist das eben, überlegte er dann. In einigen Tagen würden Vyxn längst weitergezogen sein und die Dinge wieder jenen Lauf nehmen, der als durchaus normal zu bezeichnen war, zumindest an einem Ort wie dem Höllenschlund. Ich sollte dieses kleine Intermezzo genießen, solange es noch geht, nahm er sich vor. Da erspähte er Oz, der soeben versuchte, ein Schulbuch aus seinem Schließfach herauszuangeln, das in dem Stapel natürlich wieder mal ganz unten lag – ein unerklärliches Naturgesetz. Sogleich setzte Xander neuen Kurs, schlenderte den Schulkorridor hinunter und trommelte mit den Fingern auf die offen stehende Blechtür. »Hey, Oz.« »Hey« »Sehen wir uns heute Abend beim Konzert?« »Klar doch«, erwiderte Oz und ließ die Tür scheppernd ins Schloss fallen. 66
In der Pause stand Buffy neben der Buchausgabe der Schulbibliothek und wartete darauf, dass sich Giles endlich von seinem dicken Nachschlagewerk losriss, fraglos eine Art Who’s Who der dämonischen Unterwelt. »Jemand zu Hause?«, fragte sie schließlich. »Entschuldigung, Buffy«, murmelte Giles und warf einen letzten Blick auf den Text, der seine Aufmerksamkeit so sehr gefesselt hatte. »Es war eine ruhige Nacht, sagtest du?« »Weit und breit nicht ein einziger Bösewicht«, bemerkte sie nochmals. »Absolut tote Hose. Hatte sogar Zeit für ein paar kleine Studien.« »Tatsächlich?« »Sie brauchen gar nicht so ein verwundertes Gesicht zu machen, Giles«, erklärte Buffy. »Ich hab wirklich die eine oder andere Lektion in meinen Schulbüchern gelesen. Manche sogar zweimal.« »Nein, nein, Buffy. Ich finde es nur ausgesprochen erfreulich, dass du es offensichtlich geschafft hast, ein wenig Ordnung in dein Leben zu bringen.« »Wurde ja auch Zeit«, erwiderte Buffy. »Heute Morgen hatte ich eine nette, ungemein motivierende Unterhaltung mit meiner neuen Schülerberaterin. Und die ist nicht nur ausgesprochen hartnäckig, sondern auch noch der Meinung, dass man niemals genug für die Schule tun kann.« »Ich neige dazu, ihr Recht zu geben – außer natürlich, es handelt sich um die Jägerin.« »Eben«, entgegnete Buffy mit honigsüßer Stimme. »Also, irgendwas Neues über unseren Menschenfresser? In Anbetracht dessen, dass ich über keinen einzigen lebenden Leichnam gestolpert bin, können wir Zombies wohl guten Gewissens ausschließen.« »Seh ich auch so«, stimmte Giles zu. »Willow hat ein paar Vermisstenanzeigen ausfindig gemacht, aber nicht einen 67
einzigen Hinweis auf irgendwelche menschlichen Knochenfunde gefunden. Nur ein Opfer also bis jetzt. Da in sämtlichen verfügbaren Quellen zum Thema Ghule berichtet wird, dass sie in Rudeln umherziehen, sollten wir uns jedoch besser auf ein Blutbad größeren Ausmaßes einstellen. Darüber hinaus habe ich mir die alten Wächteraufzeichnungen noch mal angesehen; nirgendwo ist explizit erwähnt, dass in dieser Gegend jemals Ghule gesichtet worden sind. Allerdings scheinen eine ganze Reihe anderer Kreaturen mit ausgesprochen großer Vorliebe für Menschenfleisch einen Abstecher hierher gemacht zu haben.« »Toll«, warf Buffy ein. »Wir sind eben eine Dämonendelikatesse.« »Besonders wird vor einer ganz bestimmten Kreatur gewarnt, mehr als zwei Meter groß.« Giles griff nach dem alten Wälzer, der aufgeschlagen auf dem Büchertresen lag, und drehte ihn herum, sodass Buffy einen Blick auf die skizzenhafte Zeichnung werfen konnte. Sie las die Bildunterschrift. »Der Rasselu-Dämon.« Giles nickte und rezitierte eine kurze Textpassage. »Mit brennendem Haupt und von magischen Flammen umloderten Klauen röstet der Rasselu-Dämon seine Opfer bei lebendigem Leibe, zieht ihnen die versengte Haut ab und nagt ihnen das Fl...« »Bitte«, unterbrach ihn Buffy und hob dankend die Hand. »In der Mensa gab es heute eine ziemlich undefinierbare Fleischpampe. Könnten wir den Rest auf ein anderes Mal verschieben?« Xander und Oz saßen an einem Tisch in der Nähe der Bühne, vor sich zwei Colagläser, deren Inhalt sich jedoch nur noch auf die Eiswürfel beschränkte, da sie es versäumt hatten, Nachschub zu ordern. Obwohl es bis zum Beginn von Vyxns zweitem Konzert in Sunnydale noch eine Weile dauern würde, 68
fiel es Xander schwer, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Unentwegt blickte er zur Bühne und versuchte, irgendein Anzeichen dafür zu entdecken, dass die Band endlich mit der Show beginnen würde. »Will kommt also nicht mehr?«, fragte er Oz. Es war gut möglich, dass er die gleiche Frage heute Abend schon einmal gestellt hatte; er konnte sich nicht mehr so genau erinnern. »Sie zermartert sich immer noch das Hirn wegen diesem Geschichtsreferat«, antwortete Oz. »Ist für sie ’ne Art Ehrensache.« »Hast du ihr nicht deine Hilfe angeboten?« »Klar.« »Und?« »Sie kam mir wieder mit ihrer Ehrensache«, erwiderte Oz. »Sie meinte, das ist ihre Entscheidung und dass ich das respektieren muss.« »Vielleicht sollten wir in der Schule mal anregen, dass in Zukunft auch die Integrität eines Schülers benotet wird«, schlug Xander halbherzig vor, während er sich gleichzeitig fragte, ob Vyxn wohl im gleichen Outfit auftreten würden wie am vergangenen Abend. »Jedenfalls würdest du dann ein paar Punkte für guten Vorsatz bekommen.« »Guten Vorsatz?«, wiederholte Oz fragend. Xander nickte. »Ja, zumindest seit du davon abgerückt bist, sie bei Vollmond allesamt zur Hölle schicken zu wollen.« Oz war zu dem Entschluss gelangt, dass es besser war, Willow eine Zeit lang einfach in Ruhe zu lassen. Trotzdem fand er es irgendwie merkwürdig, dass er an diesem Abend schon wieder mit Xander im Bronze rumhing. Wieso denn auch nicht?, fragte er sich dann. Doch es war mehr als das. Den ganzen Tag über war ihm die betörende Stimme der Leadsängerin nicht aus dem Kopf gegangen. Vielleicht war es nicht die schlechteste Idee, sich hier und heute davon zu überzeugen, dass nicht mehr dahinter steckte als seine verklärte 69
Erinnerung, dass er einem Zauber erlegen war, den es gar nicht gab. Die Menge begann zu johlen, als die Band auf die Bühne trat. Es war nicht zu überhören, dass das Publikum heute fast ausschließlich aus jungen Männern bestand. Oz machte es nichts aus, dass die Band das gleiche Programm wie am vorherigen Abend herunter spulte, die gleichen Songs, die gleiche Reihenfolge, die gleichen Gesten. Verzückt lauschte er Lupas Stimme. Sie war durch und durch betörend. Oz hatte bereits eine ganze Weile gebannt auf die Bühne gestarrt, als ihm plötzlich jemand durchs Blickfeld lief. Seine Augen wanderten nach oben und er erkannte Cordelia, an ihrer Seite ihre jüngste Eroberung, Troy. »Hallo, Xander«, sagte sie und blieb praktisch direkt vor dessen Nase stehen. »Oh, hi, Cordy«, gab der zurück und verrenkte sich fast den Hals bei dem Versuch, an ihr vorbei auf die Bühne zu starren. »Scheint so, als könntest du von diesen abgehalfterten Lederschlampen gar nicht genug bekommen.« »Nur ein weiterer Beweis für meinen schlechten Geschmack«, versetzte er. »Auf dich bin ich ja schließlich auch mal abgefahren, schon vergessen?« »Hauptsache, du amüsierst dich gut, Xander. Vielleicht führst du eines Tages tatsächlich mal so was wie ein Leben.« Sie dirigierte Troy zu einem der freien Tische. Xander fand es unter seiner Würde, ihr hinterherzugucken. »Ist sie weg?«, erkundigte er sich bei Oz, ohne den Blick von der Bühne abzuwenden. »Definitiv«, versicherte dieser ihm und musste zu seiner Schande feststellen, dass er ebenso fasziniert auf die Bühne starrte... bis Willow vor ihn trat. Er hob den Kopf und entdeckte nun auch Buffy und Angel neben ihr. Buffy bedachte Angel mit einem einigermaßen befremdeten Blick: Auch der Vampir schien Gefallen an der Band gefunden zu haben.
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»Hey, Babe«, begrüßte Oz seine Freundin und riss sich mit mehr oder weniger leidlichem Erfolg von dem furiosen Treiben auf der Bühne los. »Hey«, erwiderte Willow, merklich enttäuscht darüber, dass er ihr nicht seine ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen ließ. Sie wandte sich zu Angel um, als bedürfe Oz’ Fauxpas dringend einer Erläuterung: »Sie hat wirklich eine sehr beeindruckende Stimme.« »Angel, du bist doch ein Mann«, sagte Buffy. »Wo würdest du sie einordnen? Top-Ten, Independent Charts, Tanzkapelle oder ewige Garagenband?« »Ich gehöre altersmäßig wohl nicht mehr ganz zu ihrer Zielgruppe.« »Ist klar«, wischte Buffy seinen Einwand beiseite. »Los, deine Bewertung.« »Von den unverkennbaren körperlichen Reizen mal abgesehen...«, setzte Angel an. »Halt dich nicht mit Nebensächlichkeiten auf.« »Rein musikalisch?« Buffy nickte. »Sie sind... bemüht.« »Bemüht?« »Ja«, nickte er. »Es ist kein Feuer, keine Leidenschaft in ihrem Spiel. Schwer zu erklären. Vielleicht liegt es daran, dass sie den Eindruck machen... nie selbst erlebt zu haben, worum es in ihren Songs geht.« »Na, siehst du«, wandte sich Buffy nun an Willow. »Kein Grund, sich zum Trottel zu machen.« Willows Blick wanderte über die Menge, blieb einen Moment an Oz hängen und verharrte schließlich bei Buffy. »Davon gibt’s hier ja auch schon jede Menge.« Willow zog einen Stuhl heran und setzte sich direkt vor Oz’ Nase. Verwundert hob er eine Augenbraue. »Oz, könntest du uns helfen?« 71
»Jetzt gleich?« »Jetzt gleich wäre großartig.« »O... okay«, seufzte er. »Jetzt gleich.« Sie ergriff seine Hand und sah Buffy an. »Es gibt da etwas, das ich gern mal überprüfen würde. Wahrscheinlich ist es ohne Belang.« »Okay, Will«, erwiderte Buffy. »Sei vorsichtig. Angel und ich machen sicherheitshalber noch einen kleinen Kontrollgang durch den Weatherly Park, bevor ich mich nach Hause trolle und den Tag ganz nach Schülertradition mit einem guten Buch in der Hand ausklingen lasse.« Oz und Willow schlenderten Hand in Hand davon, doch Oz drehte sich immer wieder zur Bühne um. Ihm fiel auf, wie die Sängerin von Vyxn irgendeinem tumben Kerl etwas ins Ohr flüsterte. Angel verfolgte das Treiben der Band mit jenem intensiven Blick, von dem Buffy bislang angenommen hatte, dass er ausschließlich für sie reserviert war. »Hey«, beschwerte sie sich und verpasste ihm einen Knuff. »Du wirst mir doch wohl nicht auch noch zum Trottel, oder?« Sofort wandte er sich von der Bühne ab und sah ihr in die Augen. »Auf keinen Fall«, erwiderte er. »Aber hör doch nur, ihre Stimme... Sie ist so...« »Betörend?«, schlug Buffy vor. »Fremdartig«, beendete Angel seinen Satz.
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Aus irgendeinem unerfindlichen Grunde wirkte der Friedhof von Sunnydale stets düsterer als die umliegende Gegend. Die beständige Brise, die an diesem Abend ging, fuhr raschelnd durch das Laub, trieb verspielt einige Papierfetzen vor sich her und schuf alles in allem eine Geräuschkulisse, die unheimlich genug war, die beunruhigten Blicke des Paares zu rechtfertigen. Beide waren sich des Umstands leider nur allzu bewusst, dass irgendwelche plötzlich auftauchenden Schreckgestalten mitnichten ausschließlich im Reich der Märchen und Fantasy anzusiedeln waren. Bisweilen konnte ein kleiner Wissensvorsprung etwas durchaus Beklemmendes haben. »Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?«, erkundigte sich Oz, während er Willow zu dem Busch führte, unter dem er den Schenkelknochen gefunden hatte. »Nein«, gab Willow zu. »Da sind wir.« »Immerhin habe ich vorgesorgt. Siehst du?« Willow überreichte Oz einen der beiden Holzpflöcke, die sie vorsichtshalber eingesteckt hatte. »Ich hab sie in der Bibliothek mitgehen lassen.« »Jetzt fehlt uns nur noch eine Jägerin«, meinte Oz sarkastisch. »Es ist nicht das erste Mal, dass wir ohne sie klarkommen müssen.« »Das stimmt.« »Abgesehen davon wird es nicht lange dauern«, versprach Willow. Sie ging in die Hocke, und ihr Oberkörper verschwand in dem Busch. »Was treibst du da?«
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»Spurensicherung«, kam es aus dem Gestrüpp. »Ich suche nach irgendetwas, das sich mit diesem Oberschenkelknochen in Verbindung bringen lässt.« »Nach dem Schienbein vielleicht?« »Ich bin auf einen Polizeibericht gestoßen, in dem von einem vermissten College-Studenten die Rede ist«, erklärte Willow. »Ein gewisser Roben John Wallace, erstes Semester. Seit zwei Tagen spurlos verschwunden. Ich dachte, wir könnten vielleicht einen eindeutigen Beweis dafür finden, dass der Knochen von ihm stammt. Nicht, dass das für ihn noch irgendeine Rolle spielen würde, aber immerhin wären wir dann einen kleinen Schritt weiter.« Nachdem sie einige weitere Minuten damit zugebracht hatte, das Erdreich aufzuwühlen und um Grabsteine und Friedhofsstatuen herumzukrabbeln, setzte sie sich auf die Fersen und streckte seufzend den Rücken durch. »Nichts«, konstatierte sie, und maßlose Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Wir haben doch schon einmal alles abgegrast«, erinnerte Oz sie an jene Nacht, in der er den Knochen gefunden hatte. »Ja, aber wir haben lediglich nach weiteren Knochen gesucht«, wandte Willow ein. »Ich hab gedacht, wir hätten vielleicht etwas übersehen, etwas weniger Auffälliges, eine dunkle Brieftasche zum Beispiel oder so was. Irgendwas.« Sie kam wieder auf die Beine. »Tut mir Leid, dass ich deine Zeit vergeudet habe.« »Mit Willow Rosenberg?« Oz legte ihr einen Arm um die Schulter. »Wer würde denn da von Zeitvergeudung reden?« Willow lächelte. Da drang ein Rascheln vom Gehsteig jenseits der eisernen Friedhofsumzäunung zu ihnen herüber. Bestürzt starrten beide in die Richtung, aus der das Geräusch zu kommen schien. Willow atmete hörbar auf, als sie die leere Chipstüte bemerkte, die den Bordstein entlangwirbelte, weiter und immer weiter... direkt an einer Straßenlaterne vorbei. »Was ist das?« 74
»Was?« »Da vorne, gleich neben dem Baum dort.« Sie deutete mit dem Finger auf einen kleinen Gegenstand, der schwach schimmernd den matten Schein der Straßenlampe reflektierte. »Irgendwas Metallisches.« »Vielleicht ’ne leere Coladose?«, vermutete Oz. »Nein«, widersprach Willow. »Zu klein.« Sie stürmte den Weg zurück, den sie gekommen waren. »Hey! Warte!«, schrie Oz ihr hinterher und sah sie schon im Geiste in einen frisch von den Toten auferstandenen Vampir hineinrasen, der sich nach dem ersten Drink der Ewigkeit sehnte. An der Eingangspforte hatte er sie endlich eingeholt. Gemeinsam rannten sie den Eisenzaun entlang bis zu jenem Baum, unter dem Willow das glänzende Objekt erspäht hatte. »Wo ist es...?«, keuchte Willow und blickte sich suchend um. »Es ist weg – Nein! Hier!« »Was ist es?« Sie sah ihn an. »Ein Ring«, sagte sie und drehte ihn in der Hand. »Ein Highschool-Ring. Sunnydale High. Mit dem Logo der Razorbacks. Oh, guck mal!« Sie reichte ihm ihr Fundstück. »Was denn?« »Schau dir die Innenseite an!« Oz hielt den schweren Goldring näher ans Licht. Deutlich konnte er die Gravur erkennen. Sie bestand aus nur drei Buchstaben: RJW. Währenddessen hatte Cordelia im Bronze reichlich Mühe, Troy bei der Stange zu halten. Anstatt gepflegte Konversation zu betreiben, wie es sich für einen Gentleman gehörte, saß er mit aufgestelltem Ellbogen, das Kinn in die Hand gestützt, am Tisch und ließ seinen Blick permanent zwischen Cordelia und der Band hin- und herschweifen. Zunächst versuchte sie über diesen offensichtlichen Mangel an guter Kinderstube 75
hinwegzusehen, doch nachdem auch schon Xander einmal zu viel über sie hinweggesehen hatte, begann sie allmählich die gesamte Männerwelt zu hassen. »Troy«, sagte sie und erzwang sich seine Aufmerksamkeit zurück. »Wie ist das eigentlich, wenn man in einer Daily Soap die Hauptrolle spielt?« »Es ist... ähm... tja...«, stammelte er. »Diese Band nimmt einen irgendwie völlig in Beschlag, findest du nicht auch?« »Wie Fußpilz«, erwiderte sie. »Schon vergessen? Du hast meine Frage nicht beantwortet.« »Nein... ich... äh, Hauptrolle in einer Daily Soap, richtig?« »Du hast’s erfasst.« Tapfer versuchte er, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. »Für einen ambitionierten Schauspieler ist es ein bisschen frustrierend, alles muss möglichst nach dem ersten Take im Kasten sein. Der Fernsehzuschauer sieht in der Woche nur fünf Stunden Wanderlust, doch um diese fünf Stunden abzudrehen, sind täglich acht bis zehn Stunden harte Arbeit erforderlich. Auch wenn man nicht bei jeder Szene dabei sein muss, ist der Zeitdruck doch mörderisch.« Nun war es Cordelia, die sich abwandte, um einen Blick über die Schulter zu werfen. Doch sie sah sich bloß nach Xander um, der einige Tische weiter saß und, wie alle um ihn herum, rhythmisch mit dem Kopf wippte. »Glaubst du, er ist normal?« »Was... wer?« »Xander Harris natürlich, dumme Frage!«, gab Cordelia zurück und drehte sich wieder um – unglücklicherweise genau in dem Moment, als Troys Aufmerksamkeit wieder zur Bühne und zu Lupas elegischem Gesang abdriftete. Sie schlug seinen Ellbogen zur Seite, und um ein Haar wäre er mit dem Kinn auf die Tischplatte geknallt. »Ist das alles, was nötig ist, um euch Typen zu sabbernden Idioten zu machen? Ein paar aufgetakelte Miezen in Lederlumpen?« 76
»Bei aller Fairness, aber diese Lumpen sind strategisch ausgesprochen effizient platziert.« »Ich finde das überhaupt nicht komisch.« »Ich auch nicht«, versicherte ihr Troy. »Wir gehen wohl besser.« »Jetzt gleich?« »Auf der Stelle«, sagte Cordelia energisch. Sie klemmte sich ihre Handtasche unter den Arm und zog Troy am Ellbogen hinter sich her. Zielstrebig marschierte sie auf dem Weg nach draußen an Xanders Tisch vorbei. »Bis dann, Xander«, rief sie ihm zu. »Wir sind dann mal weg.« Xander schaute blinzelnd zu ihr auf. »Cool«, sagte er, ein wenig entrückt. »Tu nichts, was ich nicht auch tun würde.« Ein hämisches Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Das dürfte wohl kein Problem sein.« Kurz nachdem sie davongestürmt war, mit einem nur allzu willigen Troy im Schlepptau, blickte Xander in einem seiner flüchtigen klaren Momente zur Tür hinüber. »Was war das denn gerade?«, fragte er sich. Im diesem Augenblick setzte die Leadsängerin mit dem nächsten Song ein, und seine Aufmerksamkeit wurde zurück auf die Bühne gelenkt. Noch vor dem zweiten Vers stand er wieder völlig in Lupas Bann. Buffy und Angel schritten derweil einen unbefestigten Weg entlang, der sich quer durch den Weatherly Park erstreckte. Wieder und wieder huschten ihre Blicke über die den Pfad säumenden Bäume oder vereinzelt stehende Buschreihen, die hoch genug waren, um einem ausgehungerten Mitglied der Höllenschlund-Gesellschaft Deckung zu gewähren. Diese unangenehmen Wegelagerer kamen in jeder erdenklichen Gestalt und Größe daher, doch die meisten von ihnen waren einfach nur groß und hässlich; eines jedoch hatten sie alle gemeinsam: Sie sahen Menschen grundsätzlich als ihre 77
rechtmäßige Beute an. Einige, wie zum Beispiel die Vampire, hatten es auf menschliches Blut abgesehen, andere, wie der mysteriöse Menschenfresser, mit dem sie es derzeit zu tun hatten, mehr auf deren Fleisch. Der Rest zog es im Allgemeinen vor, sich als kleinen nächtlichen Imbiss ein oder zwei menschliche Seelen einzuverleiben, bevor es auch für ihn Zeit wurde, sich zur Ruhe zu betten. Buffy vermochte nicht zu sagen, welche Sorte sie am abscheulichsten fand, doch sie hatte ohnehin nie viel übrig gehabt für sinnlose Kategorisierungen; daher lautete die Devise, mit der sie dem unmenschlichen Appetit dieser Ausgeburten der Hölle entgegentrat, ebenso schlicht wie ergreifend: immer drauf. An ihrer Schulter hing baumelnd ihr Rucksack – Zeichen eines möglicherweise etwas übereilten Optimismus. Höchstwahrscheinlich würde sie zunächst die Dienste von Mr. Pointy in Anspruch nehmen müssen, ehe sie Gelegenheit finden würde, ihre Nase in eines der Schulbücher zu stecken. Das Schicksal hatte sie zur Jägerin bestimmt, und diese Rolle drohte von ihrem Leben mehr und mehr Besitz zu ergreifen. Der Gedanke daran, die Abschlussklasse noch einmal wiederholen zu müssen, während Willow, Oz und Xander, von Cordelia ganz zu schweigen, größeren, erfreulicheren, zumindest anderen Dingen entgegenblickten, war für sie ein weitaus größerer Alptraum als irgendwelche Seelen-Dämonen, die in der Stadt mal wieder ihr Unwesen trieben. Sie war fest entschlossen, dem bisschen Normalität in ihrem Leben so viele glückliche Augenblicke abzuringen wie nur irgend möglich, selbst wenn sie sich dafür an einen so Furcht erregenden Ort wie das College begeben musste. Zu diesen glücklichen Augenblicken zählten auch die Stunden, die sie an der Seite von Angel verbrachte, obwohl man ihre Beziehung schwerlich als normal bezeichnen konnte: sie ein siebzehnjähriger Teenager, der noch zur Highschool ging, er ein um die zweihundertundvierzig Jahre alter Vampir, 78
der zufälligerweise eine Seele und damit so etwas wie ein Gewissen besaß. Ansonsten passten sie ganz gut zusammen. Manchmal gelang es ihr sogar sich vorzustellen, dass sie ein Pärchen waren wie jedes andere auch, einfach nur Freund und Freundin, völlig normal. Besonders in solch kalten, windigen Nächten wie dieser. »Du meinst also, sie lassen dich völlig kalt?«, erkundigte sich Buffy nun schon zum dritten Mal. Natürlich ging es wieder mal um Vyxn. »Keinerlei erotische Fantasien oder Zwangsvorstellungen?« »Nein«, sagte Angel lächelnd. »Aber ich beginne allmählich, mir um dich Sorgen zu machen.« »Um wen? Um mich?«, fragte sie ungläubig. »Ich bin einfach nur heilfroh, dass sie dich nicht auch um den Verstand gebracht haben, wie...« Wie wen?, überlegte sie dann. Wie die anderen jungen Männer? War Angels mangelnde Begeisterung für Vyxn nur ein weiterer warnender Wink des Schicksals, dass er anders war als die anderen Jungs? »Wie was?« »Nichts«, antwortete Buffy. »Du hast völlig Recht. Ich leide unter Zwangsvorstellungen. Nächstes Thema.« »Okay. Schlag eins vor.« »Na gut«, erwiderte Buffy, »wir könnten darüber reden, dass ich in drei Fächern auf der Kippe stehe und vielleicht sitzen bleibe. Oder wir unterhalten uns über diesen Menschenfresser, ist wahrscheinlich auch interessanter.« Sie wirbelte herum, um Angel in die Augen zu blicken. In diesem Moment bemerkte sie es. Sie verließ den Spazierpfad und ging zielstrebig auf das zu, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. »Was ist?«, wollte Angel wissen. Eine Reihe Heckensträucher vor der Parkumzäunung. Alle fein säuberlich gestutzt. Nahezu identisch. Bis auf einen. »Sieh dir mal diese Büsche an«, forderte sie ihn auf. 79
»Was ist damit?« »Nicht alle«, erwiderte sie. »Nur den hier.« Eine der mittleren Heckenpflanzen hob sich etwas von der Buschreihe ab, schien irgendwie anders, dunkler. Bei Tage wäre sie Buffy sicher sofort aufgefallen, doch jetzt, mitten in der Nacht, war der Unterschied kaum auszumachen. Die kleinen Blätter waren braun und zerbröselten zwischen den Fingern. Sie brach einen der Zweige ab. Angel trat neben sie und runzelte die Stirn. »Tot«, konstatierte er. »Zumindest so gut wie«, nickte Buffy. Sie beugte sich hinab und stellte fest, dass das Erdreich um die Wurzel herum locker war. Als sie es zur Seite schob, schrammten ihre Knöchel über etwas Hartes. Sie wischte noch etwas mehr Erde beiseite und sah etwas Helles durchschimmern. Sie klopfte mit den Fingern dagegen und bedachte Angel mit einem fragenden Blick. »Sperrholz?« Angel hockte sich neben sie, und mit vereinten Kräften gelang es ihnen, die Sperrholzplatte zu lockern und hochzuhieven. Zurück blieb ein gähnendes Loch, aus dem heraus ihnen ein bleicher Totenschädel entgegengrinste. Ein Käfer huschte verschreckt in eine der leeren Augenhöhlen. Vor Entsetzen verlor Buffy den Halt, rutschte aus und plumpste mit einem Ächzen auf ihr Hinterteil. Angel ließ die Holzplatte wieder fallen und sah sie betroffen an. »Was war das da unten? Konntest du irgendwas erkennen?« »Knochen«, erwiderte sie. »Jede Menge Knochen.« Angel bückte sich und wuchtete zum zweiten Mal die schwere Sperrholzplatte hoch. Als er sie zur Seite stieß, fiel sein Blick auf einen ganzen Berg voller Gebeine. Buffy klopfte sich den Dreck ab und trat neben ihn. »Da ist noch was«, sagte Angel, streckte eine Hand aus und wühlte in dem Knochenhaufen herum, um schließlich etwas Langes, Schwarzes daraus hervorzuziehen.
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Zuerst dachte Buffy an eine Schlange, doch dann fiel ihr ein, dass Schlangen in aller Regel nichts mit Messingschnallen am Hut hatten. »Ein Gürtel?« Angel schob mehrere große Knochen beiseite und förderte einen weiteren Fund zu Tage. »Eine Brieftasche«, stellte er fest und machte sich daran, den Inhalt zu prüfen. Buffy sah ihm über die Schulter: »Kreditkarte, Automobilklub-Mitgliedskarte, Studentenausweis der UC Sunnydale. Tony Lima.« Angel schaute Buffy mit jenem grimmigen und unerbittlichen Blick an, den sie schon kennen gelernt hatte, als ihre Wege sich vor drei Jahren zum ersten Mal kreuzten. Es war ein Blick, der abschrecken, der ihr Angst einjagen sollte, zu ihrem eigenen Besten. Und für gewöhnlich erfüllte er seinen Zweck. »Das ist nur einer von vielen«, stellte er fest. »Es hat gerade erst begonnen.« Nachdem er sich die komplette Show von Vyxn reingezogen hatte, fühlte sich Xander ziemlich erledigt. Irgendwie schienen diese vier Frauen jede ihrer schweißtreibenden Nummern dadurch zu kompensieren, dass sie bei der nächsten noch mehr aufdrehten. Er hatte immer geglaubt, ein Livekonzert würde eine Band an die Grenzen ihrer physischen Belastbarkeit treiben, doch auf Vyxn schien das tobende Publikum geradezu wie ein Jungbrunnen zu wirken. Sie badeten förmlich in dem Applaus. Manche Leute sind eben wie geschaffen fürs Showgeschäft, dachte er bei sich. Als sich die Band nach der zweiten Zugabe endgültig verabschiedete, fühlte sich Xander beinahe zu schwach, um von seinem gut gepolsterten Sitzplatz hochzukommen – von dem langen und beschwerlichen Weg nach Hause gar nicht zu reden. Träge sah er sich um. Die meisten der anderen Jungs sahen genauso ausgepowert aus, wie er sich fühlte. Merkwürdigerweise waren die weiblichen Gäste bereits alle 81
gegangen. Na ja, vielleicht nicht ganz so merkwürdig, korrigierte er sich. Falls sie mit ihren Verehrern hier gewesen waren, hatten sie höchstwahrscheinlich mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt wie Cordelia. Doch das war nicht sein Problem. Das Einzige, was ihn an diesem Abend noch interessierte, war, es irgendwie nach Hause zu schaffen, sich auf seine Matratze zu knallen und einfach nur zu schlafen. Da tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter. Xander drehte sich um und sah die Bassistin vor sich stehen, Carnie, die mit den wilden roten Haaren. Sein Herz machte einen Sprung. Er versuchte in eine halbwegs aufrecht sitzende Haltung zu gelangen – ein Kraftakt, der ihn mehr Anstrengung kostete, als er jemals für möglich gehalten hätte. Dann fiel sein Blick auf den mächtigen, sich zu einem Pferdeschwanz verjüngenden Irokesenschnitt der Leadgitarristin, deren Name ihm bedauerlicherweise entfallen war. Ihr schien seine Verlegenheit nicht zu entgehen. »Ich bin Rave«, half sie ihm aus der Klemme. Sie deutete auf Carnie: »Und das ist Carnie.« »Hört mal, ihr Mädels seid echt große Klasse«, begann er und wäre beinahe über seine eigenen Worte gestolpert. »Ihr seid ’ne geile Truppe. Und ich sag das nicht nur, weil...« ›Weil ihr halb nackt seid‹, wäre ihm um ein Haar herausgerutscht. »Weil wir so hübsch sind?«, fragte Carnie grinsend. Sie setzte sich rechts neben ihn, ihr nackter Oberschenkel streifte sein Hosenbein. »Genau«, meinte Xander. »Äh, genau das wollte ich sagen. Schönheit und, äh, Talent. Zwei hervorragende Qualitäten, wie geschaffen füreinander.« »Lupa meint, du bist ein großer Fan von uns«, sagte Rave. Sie zog einen Stuhl heran und nahm zu seiner Linken Platz. Noch mehr nacktes Bein, doch tapfer versuchte er Blickkontakt zu halten. »Der allergrößte«, bestätigte er nickend.
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»Und darum haben wir auch gestern für dich ›Heartbreaker‹ gespielt, für dich ganz allein.« »Das war echt... echt klasse«, stammelte Xander. Mein Gott, wie arm, dachte er. »Hättest du gern«, fragte Carnie und machte eine Pause, um ihm zuzuzwinkern, »ein Autogramm?« »Äh... ja, sicher hätte ich gern ein Autogramm«, entgegnete Xander und hätte sich selbst ohrfeigen können, als er ihr eine aufgeweichte Papierserviette hinschob, die auf dem kleinen Tisch gelegen hatte. In schnörkeliger Schrift kritzelten Rave und Carnie ihre Namen darauf. Nur die Vornamen. »Vielen Dank«, sagte Xander. »Wirklich super.« »Weißt du«, begann Rave und kratzte sich mit einem ihrer kunstvoll lackierten Fingernägel am Kinn. Für einen Moment hatte Xander den Eindruck, dass sich an genau dieser Stelle ein dunkler Streifen abzeichnete und sofort wieder verschwand, doch das war sicher nur ein Schatten, nahm er an, hervorgerufen durch das diffuse Licht im Bronze. »Wir möchten dich gern etwas fragen.« »Oh«, entfuhr es Xander, und ihm kamen einige ziemlich wilde Fantasien in den Sinn. »Über die Mädchen, die heute Abend bei dir am Tisch waren«, erklärte Carnie. »Oh, die, ähm, du meinst Cordelia? Die mit diesem geschniegelten Lackaffen, den sie wie ein kleines Hündchen hinter sich herschleift?« Carnie warf Rave einen sonderbaren Blick zu und meinte dann: »Die Blonde und diese Kleine, die die gleichen Haare hat wie ich.« Sie zupfte an ihren roten Strähnen herum, und mit einiger Verzögerung wurde Xander klar, dass sie auf Willow anspielte. Doch Carnies Haarpracht war von einem unnatürlichen Rot, knallrot, um genau zu sein, und diese Farbe kam direkt aus einer Flasche voller künstlichem Färbemittel; Willows Haarfarbe hingegen war die, mit der sie schon zur 83
Welt gekommen war. »Das dürften Buffy und Willow gewesen sein. Willow ist die mit den, ähm, roten Haaren.« »Buffy und Willow...«, wiederholte Rave, als krame sie in ihrer Vergangenheit. »Sie kamen uns irgendwie bekannt vor. Wir haben überlegt, ob wir sie vielleicht schon mal irgendwo getroffen haben.« Carnie stand auf. »Nein, diese Namen sagen mir gar nichts.« Rave erhob sich ebenfalls von ihrem Stuhl. »Muss wohl am Licht gelegen haben.« »Okay«, sagte Xander, schwang sich auf die Füße und stolperte über ein Tischbein. »Tut mir Leid, dass ich euch nicht weiterhelfen konnte, Ladys, aber, äh, nochmals danke für die Autogramme. Bin morgen bestimmt wieder mit von der Partie.« Carnie schenkte ihm ein zweideutiges Lächeln und warf ihm eine Kusshand zu. »Natürlich bist du das.« Xander legte einen ausgesprochen souveränen Abgang hin, fiel fast der Länge nach über einen der Tische, wirbelte mit einem plötzlichen Schwung herum, stakste unsicheren Schrittes dem Ausgang entgegen und wusste offensichtlich immer noch nicht so recht, wie ihm geschah. Als er zur Tür herauspolterte, kam ihm ein merkwürdiger Umstand in den Sinn. Carnies und Raves Make-up war tadellos gewesen, absolut perfekt. Doch das war nicht das Befremdliche an der Sache: Sie hatten stundenlang unter heißen Bühnenscheinwerfern herumgetobt, ohne Unterbrechung eine Nummer nach der anderen gespielt, aber aus irgendeinem unerfindlichem Grunde waren sie – trotz all der Anstrengung – nicht einmal annähernd ins Schwitzen geraten. Rave blickte Carnie an und zog eine Augenbraue hoch. »Und?« Carnie zuckte mit den Schultern. »Immerhin wissen wir jetzt ihre Namen.« »Lupa wird das nicht gerade vom Hocker hauen.« 84
Carnie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie kann nicht erwarten, dass wir einfach zu ihm gehen und ihn fragen, welche von beiden die Jägerin ist.« »Für Lupa würde er wahrscheinlich sein Innerstes nach außen kehren«, sagte Rave, dann lachte sie über das Bild, das sie unbeabsichtigt heraufbeschworen hatte. »Dann soll Lupa es doch aus ihm herauskitzeln«, schlug Carnie vor. »Außerdem ist es eh noch zu früh. Und dieser Ort ist viel zu öffentlich. Was, wenn er Verdacht schöpft und sich aus dem Staub macht? Es war Lupa, die uns hierher gebracht hat. Soll sie doch das Risiko eingehen.« »Du hast Recht«, stimmte Rave zu. »Trotzdem, hast du gesehen, wie sie getobt haben? Sie konnten gar nicht genug bekommen. Mit denen haben wir garantiert ein leichteres Spiel als mit diesen Oberschlaubergern vom College.« »Vielleicht sind wir einfach nur besser geworden«, meinte Carnie. Sie brachen in schallendes Gelächter aus.
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Joyce Summers stellte ihrer Tochter ein Glas Orangensaft hin und räusperte sich: »Buffy, ich habe gestern einen Anruf von einer gewissen Mrs. Burzak von der Highschool bekommen.« Buffy legte den Vollkorn-Muffin, in den sie gerade hatte hineinbeißen wollen, wieder auf die Untertasse zurück. »Die Schülerberaterin.« »Sie ist sehr besorgt über deine schulischen Leistungen«, fuhr Joyce fort. »Sie hat irgendwas von roten...« »Zonen gesagt«, beendete Buffy den Satz. »Rote Zonen, gelbe Zonen. Ich weiß alles über diese Zonen.« »Sie hat da so ein...« »System«, nickte Buffy. »Ich weiß.« »Okay, Buffy. Ich hoffe, dass du dir die Sache zu Herzen nimmst«, sagte Joyce. »Immerhin steht dein College-Studium auf dem Spiel.« »Mach ich, Mom.« Joyce setzte sich, nippte an ihrem Kaffee und holte tief Luft. »Buffy, ich weiß, dass dieser... ich meine, dein...« »Jägerinnen-Job.« »Genau«, bestätigte Joyce und räusperte sich abermals. »Dein Jägerinnen-Job.« Buffy wusste, dass Joyce immer noch nicht ihren Frieden gemacht hatte mit der Rolle, die das Schicksal für ihre Tochter bereitgehalten hatte. Zuerst hatte Joyce geglaubt, es sei Buffys freie Entscheidung gewesen, so etwas wie ein etwas makabres Hobby. Doch leider war dem nicht so, und das wussten sie beide. Buffys Rolle als Jägerin würde erst in jenem Augenblick enden, in dem auch ihr Leben vorbei war. Ihre Mutter hatte diese Tatsache schließlich akzeptiert, wenn auch widerwillig. Noch immer wünschte sie sich für ihre Tochter, dass sie das Leben eines ganz normalen Teenagers führen konnte, mit allen Träumen und Erfahrungen, 86
die dazugehörten, einschließlich Freund, beruflicher Karriere und später vielleicht sogar einer eigenen Familie. Joyce startete einen neuen Versuch. »Ich weiß, dass dein Job als Jägerin ein Teil deines Lebens ist, ein Teil von dir«, begann sie. »Doch du bist viel mehr als nur das. Du hast ein so unglaubliches... Potenzial.« »Meine Mutter«, seufzte Buffy. »Mein Cheerleader.« »Ich möcht dich nur daran erinnern, dass es mehr im Leben gibt, in deinem Leben, als...« »... als große, hässliche, fiese Monster umzubringen?« »Genau«, erwiderte Joyce, und der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. »Ich weiß, Mom«, gab Buffy zu. »Glaub mir, ich mache mir auch so meine Gedanken über diese... roten Zonen. Ich möchte wirklich aufs College, Mom.« Giles musterte den Highschool-Ring, den er in der Hand hielt, und las die Initialen. »RJW«, murmelte er. »Einen Zufall können wir in Anbetracht der Umstände wohl ausschließen. Gute Arbeit, Willow.« Willow strahlte. »Vielen Dank, Giles. Aber Oz hat mir dabei geholfen.« »Sie ist viel zu bescheiden«, wehrte Oz ab. »Willow mit den Adleraugen.« »Trotzdem«, betonte Giles. »Ich bin froh, dass sie nicht allein losgestiefelt ist. Willow, was macht eigentlich dein Referat über die Geschichte Sunnydales?« »Wenn ich die hohe Sterblichkeitsrate, die ganzen vermissten Personen und die zahllosen Berichte über mysteriöse... äh, nun ja... Erscheinungen beiseite lasse – jedenfalls hab ich schon jede Menge Karteikarten gesammelt. Das ist doch ein Anfang, oder nicht?« Oz nickte solidarisch.
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Giles runzelte die Stirn. »In der Tat. Ich bin sicher, du wirst das Beste daraus machen.« Die Bibliothekstür flog auf und ächzend stapfte Buffy herein, unter dem Arm einen Stoß Bücher und über der Schulter einen großen, unförmigen Matchbeutel. Giles’ Gesichtszüge entspannten sich, und lächelnd registrierte er, wie reflexartig sich seine Hand um den Ring geschlossen hatte. »Buffy«, begrüßte er sie. »Gut, dass du da bist. Willow hat das Opfer mittels eines Highschool-Rings identifizieren können, den sie und Oz auf dem Gehsteig vor dem Friedhof gefunden haben und der einer als vermisst gemeldeten Person gehörte.« »Klasse«, keuchte Buffy. »Aber wir haben schon wieder neue Probleme.« »Wie meinst du...?«, wollte Giles gerade fragen, da wuchtete sie bereits den zerschlissenen Matchbeutel auf den Tresen der Buchausgabe. Sie berichtete von ihrer gemeinsamen Patrouille mit Angel im Weatherly Park. »Wir haben eine ausgehobene Grube mit noch mehr Knochen gefunden, mit viel mehr Knochen... und das hier.« Sie kippte den Beutel aus, und eine Flut von Brieftaschen, Armbanduhren, Ringen und anderen Schmuckstücken ergoss sich über den Tresen. Joyce Summer wollte sich gerade auf den Weg zur Kunstgalerie machen, als es an der Haustür klingelte. Sie spähte durch den Spion und sah einen hoch gewachsenen, breitschultrigen Mann mit blassem Gesicht. Trotz seines durchaus kräftig zu nennenden Haaransatzes konnte man unter dem zu einem strengen Bürstenschnitt heruntergestutzten blonden Haar deutlich die Kopfhaut erkennen. Ehemaliger Soldat, vermutete Joyce. Er war in einen langen schwarzen Mantel gehüllt und trug eine dick umrandete Brille, die sie an alte Fotos von Teddy Roosevelt erinnerte. Unter seinem Arm klemmte eine große dunkle Aktentasche, und alles in allem 88
machte er einen entwaffnend ratlosen Eindruck. Sie öffnete die Tür. »Kann ich Ihnen helfen?« »Gut möglich«, erwiderte der Mann. Das grelle Sonnenlicht ließ ihn ein wenig mit den Augen blinzeln. Seinem Teint nach zu urteilen hielt er sich nicht allzu häufig in der Sonne auf. Wahrscheinlich hat er eine empfindliche Haut, dachte Joyce. »Sie sind mir von einem Bekannten empfohlen worden.« »Hat es etwas mit der Galerie zu tun?«, erkundigte sich Joyce. »Genau«, antwortete er. »Mit der... Kunstgalerie.« »Sie sind Kunsthändler?« »Ich handele mit sumerischen Artefakten. Darf ich?« Er wies auf die Tür. »Ich würde Ihnen gern einige meiner Kostbarkeiten zeigen.« »Ich war zwar gerade auf dem Sprung in die Galerie«, entgegnete Joyce, »aber bitte, kommen Sie doch herein. Ein paar Minuten hab ich noch.« »Vielen herzlichen Dank«, erwiderte er mit einem Nicken und lächelte sie verbindlich an. »Ich hoffe, dass das, was ich Ihnen zu zeigen habe, Sie für diesen kleinen Aufschub entschädigen wird.« Er trat in die Diele und knöpfte seinen schwarzen Mantel auf. Joyce erhaschte einen flüchtigen Blick auf seine rote Lederweste. »Wie wir wissen, wurde Robert John Wallace erst vor zwei Tagen als vermisst gemeldet«, erklärte Giles. »Wer oder was auch immer ihn verspeist hat, es war ziemlich schnell und ausgesprochen gründlich.« »Nachdem Buffy und Angel ein ganzes... tja... Depot voller Knochen gefunden haben, wissen wir zumindest, dass er nicht das einzige Opfer ist«, stellte Willow fest. »Und in Anbetracht des ganzen Schmucks und der Armbanduhren dürfte es sich wohl kaum um Raubmorde gehandelt haben«, setzte Giles hinzu. 89
Oz stöberte in den Brieftaschen und den anderen persönlichen Sachen herum, die Buffy angeschleppt hatte. »Ist dir schon mal aufgefallen, dass der ganze Kram ausschließlich männlichen Opfern gehörte?« »In der Grube war nicht eine einzige Handtasche«, nickte Buffy. »Ich meine nicht nur die Brieftaschen«, sagte Oz. »Schau dir all diese Armbanduhren an. Alles Männeruhren.« Giles trat hinter Oz und nickte. »Oz hat Recht. Auch diese Highschool-Ringe gehörten ausschließlich Männern. Ebenso die Halsketten, dem Design nach zu schließen.« Xander kam schlurfend zur Bibliothekstür herein. Er machte einen reichlich übernächtigten Eindruck. Sein Blick fiel auf Buffys Ausbeute, und sogleich begann er den Haufen einer näheren Inspektion zu unterziehen. »Hat einer von euch ein Fundbüro überfallen? Ich hätte da noch ein paar alte Galoschen anzubieten, falls jemand...« »Xander«, unterbrach ihn Willow. »Buffy und Angel haben die Sachen in einer Grube voller Menschenknochen gefunden.« Xander ließ das goldene Armband, das er in die Hand genommen hatte, fallen wie eine heiße Kartoffel. »Okay, keine Galoschen.« »Ich fürchte nein«, sagte Oz. »Auch gut«, meinte Xander. »Sie hätten sowieso nicht zu diesem Krempel gepasst.« Er ließ sich auf einen der Stühle plumpsen, legte seine Füße auf den Tisch und lehnte sich mit im Nacken verschränkten Händen und einem breiten Grinsen zurück. »Ich glaub, mich hat’s erwischt.« »Ich dachte, zwischen dir und Cordelia ist es endgültig aus und vorbei«, bemerkte Buffy. »Wer redet denn von Cordelia?«, erwiderte Xander. »Ich meine Carnie, oder vielleicht auch Rave, ist noch nicht ganz raus. Obwohl Lupa natürlich ein ganz besonderer Platz in
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meinem Herzen gebührt. Hey, nichts gegen Schlagzeugerinnen, aber findet ihr nicht auch, dass Nash irgendwie hochnäsig ist?« »Xander, ich glaube du verwechselst da Triebhaftigkeit mit Liebe«, sagte Buffy. »Wäre nicht das erste Mal«, pflichtete ihr Willow bei. »Triebhaftigkeit. Liebe«, meinte Xander achselzuckend. »Was macht das für einen siebzehnjährigen jungen Mann schon für einen Unterschied?« »Ungeachtet Xanders Herzensangelegenheiten«, meldete sich Giles wieder zu Wort, »sollten wir schleunigst so viele der Opfer identifizieren wie möglich. Wir müssen herausbekommen, wo sie gewohnt haben, auf welche Schule sie gegangen sind oder wo sie gearbeitet haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich aus diesen Informationen eine Art Muster ergibt, sodass wir vorhersagen können, wo die Kreatur das nächste Mal zuschlägt.« Augenblicklich driftete Willow in Richtung Bibliothekscomputer ab. »Klingt nach einem Fall für Cybergirl«, sagte sie. »Auf jeden Fall etwas, das mich für eine Weile von diesem ätzenden Ich-weiß-was-was-du-nicht-weißtReferat über die Geschichte von Sunnydale ablenkt.« »Ich zerstöre ja nur ungern deine Illusionen, Will«, bemerkte Xander, »aber dieses mysteriöse Loch voller abgenagter Menschenknochen fällt genau unter diese Rubrik.« »Stimmt«, meinte Willow und ließ das Kinn in die Hände sinken. »Ich bin verdammt. Wie soll ich nur jemals dieses Referat zustande bringen? Das ist nicht fair. Ich weiß einfach zu viel.« Giles fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Willow, ich fürchte, du wirst dich auf die allgemein zugängliche Literatur über die Geschichte unserer Stadt beschränken müssen.« »Und damit aus meinem Herzen eine Mördergrube machen«, seufzte Willow. »Wenn ich doch nur unter kurzzeitiger Amnesie leiden würde, zumindest so lange, bis ich mit diesem 91
blöden Referat durch bin. In diesen Soaps passiert das alle Nase lang. Nicht, dass ich mir so etwas anschauen würde, aber das sagte ich ja bereits.« Cordelia kam gerade noch rechtzeitig zur Tür herein, um Willows letzte Bemerkung aufzuschnappen. »Was ist mit Soaps? Redet ihr etwa über mich und Troy?« »Nein, Cordy«, entgegnete Xander. »Es dreht sich auf der Welt nicht immer nur alles um dich und deine aktuellen Eroberungen.« »Wie kommt’s, dass du überhaupt noch hier bist?«, entgegnete Cordelia. »Ich dachte, du hättest längst die Schule geschmissen, um als Roadie hinter diesen supergrandiosen Vyxn herzuhecheln.« »Vixen?«, fragte Giles, leicht verwirrt. »Roadie? Ich fürchte, ich kann nicht ganz folgen.« »V-y-x-n«, buchstabierte Buffy. »Eine Mädchenband, die letztens im Bronze aufgetreten ist. Sie wissen schon, dieses ganze Gefasel von Carnie, Rave, Lupa und Nash vorhin.« Sie warf Giles einen verschwörerischen Blick zu. »Ah ja«, machte Giles und nahm seine Brille ab – für ihn der einfachste Weg, den Blickkontakt mit Cordelia zu vermeiden. »Vielen Dank für die Auskunft.« »Was für ein Gefasel eigentlich?«, hakte Cordelia nach. Jetzt ergriff Willow die Initiative: »Xander hat gerade erzählt... dass er einen Fanklub gründen will. Und jetzt kann er sich nicht entscheiden, welche der Musikerinnen ihm... ähm... am besten gefällt.« »In der Tat eine schwierige Entscheidung«, gab Oz mit unbewegter Miene zu bedenken. Cordelia bedachte Xander mit einem vernichtenden Blick. »Seh ich so aus, als würde ich mir darüber Gedanken machen, welche Poster er sich über sein Bett pinnt?«, meinte sie mit einer verächtlichen Handbewegung. »Wohl kaum, weil es mich nämlich nicht die Bohne interessiert.« 92
»Warum auch? Du hast ja Troy, an dem du dich in einsamen und kalten Nächten aufwärmen kannst«, schoss Xander zurück. »Das ist doch wohl...!« Giles sah sich gezwungen zu intervenieren. »Hört zu, ich finde das alles ja ausgesprochen faszinierend«, sagte er, wenngleich sein Tonfall das Gegenteil vermuten ließ, »aber vergessen wir nicht eine Kleinigkeit?« Er wies auf den Haufen persönlicher Hinterlassenschaften. »Wir müssen alles über diese Opfer in Erfahrung bringen, bevor noch mehr Leute umgebracht werden.« »Geschafft, ich hab einen!«, drang Willows Stimme vom Computer her zu ihnen hinüber. Sie hatte ein paar der Brieftaschen mit zum Terminal genommen und sich darangemacht, die Namen der Opfer mit den örtlichen Polizeiberichten über vermisste Personen zu vergleichen. »Brandon Cortez, seit fünf Tagen verschwunden. Ebenfalls Student der UC Sunnydale. Wurde zum letzten Mal gesehen, als er von einer Feier seiner Studentenverbindung aufbrach. Von seinem Zimmergenossen als vermisst gemeldet. Es fehlt jede Spur von ihm.« »Na ja, das stimmt ja nun nicht mehr so ganz«, meinte Xander und kramte in der Brieftasche herum. »Führerschein, ausgestellt in New Mexico.« »Hier ist noch einer«, rief Willow. »Dave Shephard. Vor sechs Tagen von seinen Eltern als vermisst gemeldet.« Sie blickte auf und sah die anderen an. »Und er ging auf die Sunnydale High.« »Sagt mir nichts«, meinte Buffy. »Nichts als junge Männer bisher«, stellte Giles fest. »Es ist nicht auszuschließen, dass Xander und Oz sich in akuter Gefahr befinden.« »Sind wir das nicht ständig?«, ließ Xander verlauten. »Als offizielle Mitglieder der Scooby-Gang?«
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»Das ist natürlich nicht von der Hand zu weisen«, räumte Giles ein. Er hatte sich mit dem Gedanken, dass die Jägerin gleich ihre ganze Clique als Helfer einspannte, nie so recht anfreunden können. Eine Zeit lang hatte er sogar befürchtet, allein schon die Existenz einer solchen Scooby-Gang könnte ein schlechtes Licht auf seine Qualitäten als Wächter werfen. Dennoch musste er zugeben, dass es gewisse Vorteile barg, in einem Team zu arbeiten, vor allem, was die Sicherheit betraf. Überdies befand sich seine Jägerin, Buffy, in einer absoluten Ausnahmesituation. Schließlich befanden sie sich direkt auf dem Höllenschlund. Da die durchschnittliche Lebenserwartung einer Jägerin nicht eben hoch war, konnte sich Buffy wirklich glücklich schätzen, eine solch treue Gefolgschaft hinter sich zu wissen, die ihr den Rücken freihielt und ihre Chancen zu überleben ein wenig verbesserte. »Nichtsdestotrotz, keiner von euch beiden hat besonders viel Erfahrung als favorisierte Zielscheibe dämonischer Übergriffe. Ihr tätet also gut daran, euch entsprechend vorzubereiten.« »Eine gute Verteidigung ist die halbe Miete«, gab Oz ihm Recht. Begeistert rieb sich Xander die Hände. »Alles, was wir brauchen, ist ein kleiner Tipp von Cyber-Will, damit wir wissen, wem genau wir einen kräftigen Tritt in den Hintern verpassen sollen.« »Xander, das ist der falsche Moment, um Witze zu machen«, ermahnte ihn Giles. »Wir haben genau zwei Möglichkeiten«, erwiderte Xander. »Wir können Witze darüber machen... oder wegrennen und laut um Hilfe schreien.« »Tja, in Anbetracht dieser Alternativen...«, begann Willow zaghaft. »Hör zu, Will, wir haben Giles an Bord. Und der ist, wie wir alle wissen, ein ausgewiesener Fachmann, wenn es darum geht,
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Dämonen in den Allerwertesten zu treten. Also, was hast du für uns?« Willow schüttelte den Kopf. »Was auch immer diese jungen Männer... weggeputzt haben mag«, sagte sie, »Zeugen gibt es jedenfalls keine.« Cordelia durchwühlte den Haufen mit den persönlichen Habseligkeiten der Opfer, der immer noch auf dem Büchertresen lag. »Und was ist mit dem ganzen Kram hier?« »Eine durchaus berechtigte Frage, Cordelia«, erwiderte Giles und schob seine Brille hoch. »Ich schlage vor, dass wir die Sachen nach eingehender Untersuchung wieder zurück in die Grube schaffen und anschließend die Polizei anrufen – natürlich anonym. Dann kann die sich darum kümmern, die Angehörigen zu verständigen.« »Eigentlich wollte ich damit nur sagen, dass das Zeug viel zu lädiert und verschmutzt ist, um es zu verhökern oder selber zu tragen oder sonst irgendwas«, stellte Cordelia richtig. »Glauben Sie, die Angehörigen möchten den Krempel wirklich zurück haben?« Giles zog bedrohlich die Stirn in Falten angesichts eines solch eklatanten Mangels an Mitgefühl. »Da bin ich mir so gut wie sicher, Cordelia.« »Die Leute haben einfach keinen Sinn für Geschmack.« Cordelia rümpfte die Nase, offensichtlich blind für das Unwetter, das sich gerade auf Giles Stirn zusammenbraute. »Die Polizei?«, griff Buffy auf. »Ich bin ziemlich gespannt, wie die sich ein Loch voller Menschenknochen erklärt.« »Amoklaufende Holzfäller«, schlug Xander vor. »Das Knochendepot von streunenden Hunden.« »Die Anzahl der Opfer deutet darauf hin, dass wir es eher mit einer Meute von Menschenfressern zu tun haben als nur mit einem einzelnen Beutejäger, möglicherweise mit einem Rudel Ghule.«
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»Ich brauche mir also keine Sorgen mehr über diesen feuerköpfigen Hibachi-Dämon zu machen, von dem Sie so beeindruckt waren?«, erkundigte sich Buffy grinsend. »Rasselu-Dämon«, korrigierte sie Giles. »Nein, ich denke nicht.« Gellend läutete die Schulglocke den Beginn des Unterrichts ein. »Willow, du setzt deine Nachforschungen am besten in einer deiner Freistunden fort«, schlug Giles vor. Er warf einen argwöhnischen Blick auf den Computer, räusperte sich und fügte hinzu: »In der Zwischenzeit werde ich selbst ein paar Recherchen anstellen, über größere Knochenfunde, Massengräber – was es da eben so gibt.« »Sie sind ’ne echte Frohnatur«, sagte Cordelia und verdrehte die Augen. Dann klaubte sie eilig ihre Bücher zusammen und stakste zielstrebig Richtung Ausgang. »Ich sollte einfach nicht mehr hierher kommen.« »Kein Problem«, meinte Xander. »Wir tauschen einfach die Schlösser aus.« Doch sie war bereits zur Tür hinaus. Buffy knallte die Tür ihres Spinds zu und empfand so etwas wie grausame Befriedigung darüber, dass sie ihr Mathebuch in der Dunkelheit eingesperrt hatte. Der einzige Wermutstropfen an der Sache war, dass diese Kerkerhaft nur von kurzer Dauer sein würde. Am späten Nachmittag würde sie das blöde Ding wieder mit nach Hause schleppen. Es repräsentierte schließlich eines ihrer Problemfächer. »Willow«, sagte Buffy, »ich denke, es ist an der Zeit, dieser gelben Zone die weiße Flagge zu zeigen.« »Buffy, Mathematik ist gar keine üble Sache, ich meine, wenn man mal über den praktischen Nutzen nachdenkt.« »Den praktischen Nutzen?«
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»Na ja, du weißt schon, falls man mal ausrechnen möchte, wie lange ein Armbrustbolzen bei einer bestimmten angenommenen Fluggeschwindigkeit in der Luft bleibt... Okay, ich hab gelogen. Mathematik ist übel, ziemlich übel sogar.« Sie seufzte. »Da hast du’s. Und? War ich dir eine gute Stütze?« »Die beste. Da kommt übrigens gerade noch so eine ziemlich üble Sache auf uns zu, und ihre Geschwindigkeit ist...« – sie senkte die Stimme – »... entschieden zu hoch!« »So, so, so«, sagte Rektor Snyder. »Wenn das mal nicht unsere liebe Ms. Summers ist.« Demonstrativ blickte er auf seine Armbanduhr und notierte die Zeit auf einem Zettel an seinem Clipboard. Wie ein heimtückisches Reptil lauerte er den Schülern in den Korridoren auf, als führten sie allesamt nur Böses im Schilde, und als bestünde seine einzige Aufgabe darin, eines Tages auch noch dem Letzten von ihnen das schmutzige Handwerk zu legen. »Rektor Snyder«, begrüßte ihn Buffy. »Ich beobachte Sie, Ms. Summers«, sagte er scharf. Er warf einen Blick auf sein Clipboard. Buffy konnte eine ausgedruckte Tabelle erkennen, in die jede Menge handschriftliche Notizen gekritzelt waren. »Ich habe hier Ihren kompletten Stundenplan. Falls ich mich nicht irre, hatten sie in der letzten Stunde Mathematik – aber wo ist dann ihr Mathematikbuch? Wie wollen Sie je auf einen grünen Zweig kommen, wenn Sie die erforderlichen Bücher nicht dabei haben? Oder gehen Sie zu diesem lästigen Unterrichtsfach neuerdings einfach nicht mehr hin? Das würde einiges erklären.« »Würde was erklären?«, hakte Buffy nach. »Warum Ihre Leistungen in Mathematik solch enorme Defizite aufweisen, nach Mrs. Burzaks Erkenntnissen«, erwiderte Snyder und weidete sich ganz offensichtlich an Buffys Verlegenheit. »Hören Sie, Snyder...«, setze Buffy an und vergaß in ihrem Zorn völlig, ihn mit seinem Titel anzureden. Wie weit war 97
Burzaks Spionagenetz an dieser Schule bereits gediehen? Warum kann diese Frau mich nicht einfach in Ruhe lassen?, dachte Buffy. »Das Buch liegt in meinem Spind. Ich war beim Unterricht. Glauben Sie mir, den vergesse ich nicht so schnell.« »Ein vorbildlicher Schüler stürzt nach dem Unterricht nicht gleich in die Pause«, beharrte Snyder. »Er bleibt noch in der Klasse und bittet die Lehrkraft um ein paar Extraaufgaben, um seine Note zu verbessern. Aber davon abgesehen habe ich Buffy Summers noch nie zu den vorbildlichen Schülern an dieser Schule gezählt.« »Sie tun ihr Unrecht«, schaltete sich Willow ein. »Gerade eben hat Buffy mich gebeten, heute bei ihr zu übernachten, damit wir gemeinsam lernen können.« »Hab ich?« »Hast du.« »Hab ich«, bestätigte Buffy dann, nickte heftig und sah Snyder auftrumpfend an. »Sie will die halbe Nacht lang büffeln«, fuhr Willow fort. »Und da sagen Sie, sie sei keine vorbildliche Schülerin?« Snyder nickte und schien ein wenig besänftigt, für den Moment jedenfalls. »Aber glauben Sie nicht, ich würde deshalb nicht auch weiterhin ein wachsames Auge auf Sie werfen, Ms. Summers, vom ersten Läuten bis zum Ende der letzten Stunde. Laut Mrs. Burzak haben Sie ernsthafte Schwierigkeiten, und sie hat mich gebeten, mit ihr gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass Sie nicht auf die schiefe Bahn geraten. Ich möchte nicht noch einmal erleben... dass Sie aufgrund irgendeines Ausrutschers ein weiteres Mal von einer Schule verwiesen werden.« Doch das boshafte Funkeln in seinen Augen sprach Bände. Buffy wusste ganz genau, dass er nichts lieber erleben würde als genau das. Als sie wieder allein waren, fragte Buffy: »Findest du es nicht auch beunruhigend, dass Rektor Snyder und wir der gleichen Spezies angehören sollen?« 98
»Wir sind am Höllenschlund«, meinte Willow. »Da weiß man nie.« »Auch wieder wahr«, erwiderte Buffy. »Danke, dass du mir aus der Klemme geholfen hast, Willow, aber das wäre wirklich nicht...« Willow hob abwinkend die Hand. »Meine Tasche zum Übernachten ist schon gepackt.« »Aber was ist mit deinem Geschichtsreferat?«, fragte Buffy. »Ich weiß, wie sehr dir dieses ganze Dilemma mit der Redlichkeit zu schaffen macht. Nicht, dass Redlichkeit eine schlechte Sache wäre.« »Ich glaube, ich krieg von dem Referat schon Ausschlag«, sagte Willow und kratzte sich unwillkürlich am Arm. »Ich würde mir wie eine Betrügerin vorkommen, wenn ich die Geschichte Sunnydales einfach fälsche. Wie steht’s denn dann um meine journalistische Ehre?« »Willow, du bist keine Journalistin.« »Dann eben um meine theoretische journalistische Ehre.« »So darfst du das nicht sehen«, meinte Buffy. »Betrachte es einfach als kleine Übung im kreativen Schreiben.« »Das Gewissen ist ein ziemlich nerviger kleiner Plagegeist«, entgegnete Willow. »Es zwickt dich und drückt dich und kippt dir klammheimlich irgendwelche Muntermacher in die Milch, sodass du nachts kein Auge zumachst.« Sie seufzte. »Wenigstens werde ich nur von einem Problem rein akademischer Natur zerfressen. Oz und Xander dagegen stehen derzeit vielleicht auf der Speisekarte des Übernatürlichen. Ich werde mich an Oz ranhängen, aber was ist mit Xander?« »Ich schätze, dass Cordelia in seiner Nähe herumscharwenzelt, und sei es auch nur, um sich davon zu überzeugen, wie fürchterlich unglücklich er ist.« »Aber Cordelia hat doch jetzt Troy«, wandte Willow ein. Buffy blieb nicht verborgen, wie das Gesicht ihrer Freundin plötzlich verträumte Züge annahm. »Er spielt diesen Zack 99
Garner in Wanderlust, kennst du das? Zack ist der aufsässige Sohn reicher Eltern und kann supergut mit Pferden umgehen, und mit Frauen. Er... oh... ich meine, nicht, dass ich mir so etwas anschauen würde, wirklich nicht, ich hab’s irgendwo gelesen, oder aufgeschnappt...« Willow biss sich auf die Unterlippe und verzog verdrießlich das Gesicht. »Meine Mutter erzählt manchmal davon.« »Hmm«, grinste Buffy. »Vielleicht sollte ich mal eine Folge aufnehmen.« »Echt?«, wollte Willow wissen und ließ sich gleich wieder mitreißen. »Wenn du möchtest, leih ich dir ein paar von – ich meine, ja, vielleicht solltest du mal eine aufnehmen.« »Okay... wo waren wir stehen geblieben?« »Bei Pferden?«, fragte Willow unschuldig. »Xander«, korrigierte sie Buffy. »Ach ja, richtig«, nickte Willow. »Xander.« »Xander ist im Vyxn-Wahn«, stellte Buffy fest. »Was bedeutet, dass er sich auch weiterhin im Bronze herumtreiben wird. Zumindest die nächsten paar Abende. Vielleicht ist es dort für ihn auch am sichersten, solange wir noch im Dunkeln tappen.«
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7
Buffy schlenderte durchs Haus und rief nach ihrer Mutter: »Mom?« Sie vermutete sie in der Küche, wahrscheinlich in irgendeinen Versandhauskatalog vertieft oder über einem Kreuzworträtsel brütend. Doch in der Küche war niemand. Als Buffy ihren Rucksack auf den Tisch warf, knirschte es unter ihren Füßen, und ihr Blick fiel auf den Boden. Die Fliesen waren übersät mit zahlreichen großen und kleinen Keramikscherben – die traurigen Überreste der sandfarbenen Tasse vom Philadelphia Art Museum, aus der ihre Mutter an diesem Morgen ihren Kaffee getrunken hatte. »Mom?«, rief Buffy alarmiert. Keine Antwort. Dann entdeckte sie die Spielkarte, die direkt neben ihrem Rucksack auf dem Küchentisch lag, ein Kreuzbube. Schritte drangen von der Kellertreppe, kamen näher. Vorsichtig zog Buffy einen Holzpflock aus ihrer Tasche und schlich lautlos zur Kellertür. Die stand einen Spalt breit offen. Das hätte ihr eigentlich schon beim Hereinkommen auffallen müssen. Wie unachtsam, schalt sie sich. Sie drückte sich neben der Tür an die Wand, bereit, sich auf alles und jeden zu stürzen, wer oder was auch immer es gewagt haben mochte, in ihr Heim einzudringen. Die Tür öffnete sich. Buffy hob den Pflock. Ihre Mutter schnappte nach Luft und hätte beinahe die Dreckschippe und den Handfeger fallen gelassen, die sie aus einem Kellerregal heraufgeholt hatte. »Buffy!« »Mom!«, stieß Buffy aus. Ihr Herz raste. Um ein Haar hätte sie ihre eigene Mutter gepfählt! »Du hast mich zu Tode erschreckt«, japste Joyce Summers atemlos.
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»Frag mich mal«, entgegnete Buffy, nicht weniger außer Atem. »Ich... ich hab die zerbrochene Tasse auf dem Fußboden gesehen und dachte...« »Dass sie mir aus der Hand gerutscht ist, als ich den Geschirrspüler leer geräumt habe?« »Tja... das wäre eine Erklärung.« Sie folgte ihrer Mutter in die Küche und half ihr, den Scherbenhaufen zu beseitigen. »Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass Willow heute bei uns übernachtet, vorausgesetzt, du hast nichts dagegen. Sie will mir in Mathe helfen. Könnte spät werden.« »Sehr gut, Buffy«, lobte Joyce ihre Tochter. »Ich bin froh, dass du, was deine schulischen Probleme anbelangt, endlich Initiative zeigst. Ach übrigens, ich hatte heute Morgen Besuch.« »Doch nicht etwa von meiner Schülerberaterin? Sie...« »Nein. Von einem Mann. Einem Fremden.« »Von einem Fremden? Wie fremd?«, fragte Buffy nach, und ihr Ärger über Mrs. Burzak wich einem erneuten Gefühl drohender Gefahr. »Es war schon ziemlich merkwürdig«, erwiderte Joyce, die sich den Vorfall wieder ins Gedächtnis rief. »Er sagte, er würde mit sumerischen Kunstgegenständen handeln und hätte meinen Namen von einem Bekannten erhalten, und er könnte sich vorstellen, dass ich mich möglicherweise für den Katalog in seiner Aktentasche interessieren würde.« »Und? Was hatte er anzubieten? Alte zerbrochene Töpfe und Vasen?« »Nichts.« »Wie – nichts?«, wunderte sich Buffy. »Ich kann nicht ganz folgen. Er hat geglaubt, du würdest dich für nichts interessieren?« »Das ist ja das Merkwürdige an der Sache«, meinte Joyce und lachte. »Er war ein ziemlich zerstreuter Kauz, so zerstreut, dass er sogar vergessen hat, seine Aktentasche zu packen. Er ist 102
extra hierher gekommen, nur um, kaum war er im Haus, festzustellen, dass seine Aktentasche komplett...« »Wart mal ’nen Moment«, unterbrach sie Buffy alarmiert. »Du hast ihn hereingebeten?« »Ja, und ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte Joyce. »Dass ein... ein Vampir nicht über eine fremde Schwelle treten kann, ohne dazu aufgefordert zu sein. Aber Buffy, es war helllichter Tag. Er hat vielleicht ein wenig geblinzelt, aber ganz fraglos ist er an einem wunderschönen sonnigen Tag in der Gegend herumspaziert, ohne dicke Wolken von Rauch hinter sich herzuziehen. Das wäre sogar mir aufgefallen.« »Hat der Typ seinen Namen gesagt?« Buffy kippte die Überreste der Kaffeetasse in den Abfalleimer. »Na ja, er hat seine Karte dagelassen, wenn man so will«, erwiderte Joyce. Sie nahm die Spielkarte in die Hand, den Kreuzbuben. »Er hatte auch seine Visitenkarten vergessen, deshalb hat er seine Telefonnummer einfach auf die Rückseite dieser Spielkarte gekritzelt. Ich hab ihm angeboten, später in der Galerie noch mal vorbeizuschauen, doch er hat sich dort weder blicken lassen noch telefonisch gemeldet.« »Zeig mal«, sagte Buffy. Sie las den Namen, L’taire, – französisch, wie sie vermutete – und die Telefonnummer. Dann griff sie zum Telefon und wählte. Nach wenigen Freizeichen verkündete eine unpersönliche Stimme: »Der von Ihnen gewünschte Teilnehmer ist zur Zeit nicht erreichbar.« Buffy unterbrach die Verbindung und wählte die Nummer von Giles’ Wohnung. Wie immer meldete sich ihr Wächter mit einer Stimme, die vermuten ließ, dass er soeben in einen seiner staubigen, alten Wälzer vertieft gewesen war und die Rückkehr in die Welt der Lebenden noch nicht ganz vollzogen hatte. »Buffy, du bist’s, hallo. Gut, dass du anrufst. Ich war gerade dabei, mich mit der Frage auseinander zu setzen, ob in unserem Fall noch andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen sind, mit 103
denen sich das Fleisch restlos vom Knochen lösen lässt. Ein Säurebad zum Beispiel. Oder die Opfer könnten gegart worden sein, bis das Fleisch...« »Sie sollten mal wieder an die frische Luft gehen, Giles«, unterbrach ihn Buffy. »Hören Sie, meine...« »Ach ja, und eine Mrs. Burzak hat mich gebeten, mit dir zu reden. Sie sagte etwas von deinen... roten Zonen?« Buffy seufzte. Und was ist mit Ihren, Giles?, fragte sie sich unweigerlich. »Wir können ein andermal über meine Gouvernante reden, Giles. Der Grund, warum ich anrufe...« »Warum du anrufst? Ach ja, richtig. Also, worum geht’s?« »Meine Mutter hatte heute recht merkwürdigen Besuch.« »Von einem Lexikonvertreter vielleicht?« »Nein«, erwiderte Buffy, ohne auf Giles’ reichlich uninspirierten Versuch, komisch zu sein, einzugehen. »Er hat ihr erzählt, dass er mit Artefakten handelt. Doch nachdem meine Mutter ihn hereingebeten hat, stand er mit leerer Tasche da und musste unverrichteter Dinge wieder abziehen.« »Hm«, meinte Giles. »Du sagtest heute. Tagsüber?« »Heute Morgen«, bestätigte Buffy und ließ ihre Schultern sinken. »Ich weiß. Offensichtlich kein Vampir. Aber trotzdem merkwürdig.« Buffy schilderte ihm, was ihre Mutter ihr über den sonderbaren Gast berichtet hatte. »Und die Aktentasche war völlig leer?« Einen Moment Schweigen am anderen Ende der Leitung. »Entweder ist er unglaublich schusselig, oder er hat nur einen Vorwand gebraucht, um sich Zutritt in euer Haus zu verschaffen.« »Genau das ist es, was mich beunruhigt«, antwortete Buffy. Sie drehte die Spielkarte in ihrer Hand um. »Kreuzbube...« »Was hast du gesagt?« »Seine Visitenkarten hatte er auch nicht dabei«, erklärte sie. »Hat seine Telefonnummer einfach auf eine Spielkarte geschrieben.«
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»Eine Spielkarte? Hm... wieso kommt mir das irgendwie bekannt vor?« »Sie sind der Wächter«, meinte Buffy. »Das ist Ihr Part.« »Ich bin sicher, es fällt mir wieder ein«, sagte Giles. »Am besten, du bringst die Karte morgen mit.« Lupa stiefelte in der Garderobe von Vyxn auf und ab und schlug sich ohne Unterlass mit einem Funkmikrofon auf die Hand. Nach jeder Berührung blieb ein schwacher Grünschimmer zurück, der rasch verblasste und wieder einem natürlichen Hautton wich. »Unser erstes Set war vielleicht ein bisschen zu heftig.« »Wir haben sie genau da, wo wir sie hinhaben wollten.« Nash ignorierte den Einwand. Sie ließ ihren Schlagzeugstock durch die Finger wirbeln und gegen eine Stuhllehne knallen. Genau das ist das Problem, dachte Lupa. Das Publikum war praktisch willenlos, reif für die Ernte, die Jägerin fast zum Greifen nah, sie selbst jederzeit zum Kampf bereit... und trotzdem zögerte Lupa die Entscheidung hinaus. Als Anführerin der Gruppe war es an ihr, den Reigen zu eröffnen, wie die Menschen zu sagen pflegten. Doch irgendetwas ließ sie zaudern. Rave verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich kopfschüttelnd gegen die Wand. »Wir hätten niemals so lange gewartet, wenn du nicht so viel Angst vor der Jägerin hättest.« »Ich habe keine Angst vor ihr«, entgegnete Lupa wütend. »Dann beweis es uns«, sagte Carnie, ein wenig zu nassforsch für Lupas Geschmack. Immer war es der Magen der Rothaarigen, der nach einem opulentem Mahl als Erster wieder zu knurren begann. Doch der Hunger nagte an ihnen allen, machte sie nervös und reizbar; mehr und mehr geriet die wachsende Ungeduld der anderen für Lupa zum Prüfstein ihrer eigenen Autorität. »Heute Abend könnt ihr euch einen aussuchen.« 105
»Ich würde Xander nehmen«, schlug Nash vor. »Ganz meine Meinung«, stimmte Carnie zu. »Er ist wirklich zum Anbeißen.« Sie musterte ihre sorgfältig lackierten Fingernägel, krümmte die Finger, streckte sie wieder aus und beobachtete, wie auf der Haut über ihren Knöcheln grüne Flecken zum Vorschein kamen und ihre Nägel sich wie scharfe, tödliche Widerhaken zu einem schmutzigen Gelb verfärbten. In ihrer natürlichen Form glichen sie eher den Krallen oder Klauen von Tieren als den fragilen Fingernägeln eines Menschen. Sie ballte die Hand zur Faust, öffnete sie wieder, und der Spuk war vorbei. »Schnappen wir ihn uns.« Lupa schüttelte den Kopf. »Nein. Er ist ein Freund der Jägerin. Wir brauchen ihn noch.« »Dann irgendeinen anderen, Lupa«, meldete sich nun Rave zu Wort. »Wir haben Hunger.« Lupa nickte. Während Carnie und Nash für gewöhnlich zu Sklavinnen ihres wachsenden Verlangens nach Nahrung wurden, ohne jede Rücksicht auf das Wohl der Gemeinschaft, war Rave die Einzige in der Gruppe, die sich – mehr noch als Lupa selbst – auch darüber Gedanken machte, was nach ihrer nächsten Mahlzeit sein würde. Aus der Not des Augenblicks heraus hatte Lupa den kühnen Entschluss gefasst, sie alle direkt in die Jagdgründe der Jägerin zu führen, in der Hoffnung, dass die Konfrontation mit einem mächtigen Gegner sie wieder zusammenschweißen, sie wieder stärker machen würde. Doch aus lauter Vorsicht hatte sie es versäumt, sich um ihre ganz natürlichen Bedürfnisse zu kümmern. Welchen Sinn machte es, sich der Jägerin entgegenzustellen, wenn man vor Hunger kaum aufrecht stehen konnte? Die Zeit war reif für einen weiteren kühnen Schritt. »Heute Nacht«, versprach Lupa. »Heute Nacht werden wir uns satt essen.« Xander saß gemeinsam mit Oz und Troy Douglas an einem der runden Tische im Bronze, nippte dann und wann an seiner Cola 106
und wartete voller Ungeduld auf das Ende der Konzertpause. Er trug ein kariertes Hemd über einer weiten Khakihose, während Oz mit einem grünen Sweatshirt und dunkler Jeans daherkam. Troy hatte sich für einen schiefergrauen zweiteiligen Designeranzug entschieden, der höchstwahrscheinlich mehr gekostet hatte als Xanders gesamte Garderobe zusammengenommen. Xander ließ seine Blicke über das Publikum schweifen, das fast ausnahmslos aus jungen Männern bestand. Offensichtlich hatte sich die Kunde von Vyxns phänomenaler Show wie ein Lauffeuer verbreitet. Nur noch ein paar Abende, dachte Xander. Da hieß es, so viel mitzunehmen wie nur irgend möglich. Wer konnte schon wissen, wie weit der nächste Tourneestop der Band von Sunnydale entfernt war? »Also keine Willow heute Abend, Oz?« »Erst Geschichtsreferat, dann Mathesession bei Buffy, dann mal sehn«, gab Oz zurück und schob sich eine Salzbrezel in den Mund. »Ihr Einsatz ist wirklich bewunderungswürdig«, sagte Xander. Er wandte sich an Troy: »Was ist mit dir, Mr. Clerasil? Hat dich Cordelia doch noch von der Leine gelassen?« Troy gluckste in sich hinein. »Bleiben wir doch besser bei Mr. Douglas.« Er nahm sich ebenfalls eine Brezel. »Jedenfalls kommt sie noch, nur etwas später.« »Ihr beiden habt wohl ernsthafte Absichten?« »Wir kennen uns seit einer halben Ewigkeit. Wir haben uns eben ’ne Menge zu erzählen, das ist alles«, erwiderte Troy. »Abgesehen davon werde ich wohl bald wieder von hier verschwinden.« »Das ist gut... ich meine...« Die Menge fing an zu johlen und erhob sich geschlossen von den Sitzen, als Vyxn auf die Bühne kamen. Donnernder Applaus erfüllte das Bronze. Carnie eröffnete den zweiten Teil der Show mit einer klagenden Basslinie, die Nash etwas später 107
mit einem langsamen, schlichten Beat unterlegte. Lupa hielt ein Mikro in der hohlen Hand, hob es dicht an ihre Lippen und begann zu singen. »The night weeps for you, The rain is falling down, And I am hollow now On the bus out of town...« Der Song trug den Titel »Bus Stop«, und die Band hatte ihn bisher an jedem Abend gespielt, doch heute löste das Lied bei Xander ein unterschwelliges Gefühl von Sehnsucht aus, so, als hätte er irgendetwas verloren, etwas, das einmal ein Teil von ihm gewesen war, etwas, das er nur wiedererlangen konnte, wenn er sich leidenschaftlich genug darum bemühte. Doch noch ehe Lupa mit dem ersten Vers zu Ende war, hatte Xander bereits aufgehört, sich darüber zu wundern. Er lehnte sich zurück und lauschte der Musik. Ein paar Songs später nickten Xander, Oz und Troy zum Beat der Drums einvernehmlich mit den Köpfen. Keiner von ihnen nahm noch den anderen wahr, alles um sie herum versank in den Fluten der Belanglosigkeit, einzig Vyxn waren noch von Bedeutung. »Das zieht einem ja die Schuhe aus!«, zerriss Cordelias Stimme eine weitere wehmütige Ballade. Mit einem Kopfschütteln befreite sich Troy aus dem Spinnennetz, das all seine Sinne umfangen hatte. »Oh... äh...– Cordelia, schön dich zu sehen.« Oz hob den Kopf und sah sie an: »Hey.« »Hi, Cordy«, sagte auch Xander und wandte sich gleich wieder der Bühne zu. Cordelia Chase stand da wie ein Racheengel, die Hände empört in die Hüften gestemmt. »Xander, du bist ein hoffnungsloser Fall, von dir hatte ich auch nichts anderes 108
erwartet. Aber du, Oz? Ich dachte, du hättest, zumindest was Musik betrifft, einen etwas besseren Geschmack. Und Troy« – sie schüttelte vorwurfsvoll den Kopf – »von dir bin ich am allermeisten enttäuscht. Ich dachte echt, du bist ein bisschen erwachsener als diese hormongesteuerten Milchgesichter.« »Ich... ich wollte dich gleich anrufen...« Troys Fehler bestand darin, dass er mitten in seinen Erklärungsversuchen einen verstohlenen Blick auf die Bühne riskierte. »Geschenkt. Wie ich sehe, sind deine Gehirnzellen mehr als ausgelastet.« Als sie gegangen war, hatte Troy einen Moment lang das Gefühl, dass er ihr nachgehen sollte, doch genau in diesem Augenblick zeigte Lupa, die soeben ihren Song beendet hatte, mit dem Finger auf ihn. »Zeit für eine kleine Widmung«, säuselte sie ins Mikrofon und kam von der Bühne und direkt auf ihn zu. Sie beugte sich zu ihm hinab und gestattete ihm ein paar ebenso unerwartete wie atemberaubende Einblicke in ihr Dekolleté. Als sich ihre Gesichter auf gleicher Höhe befanden, fiel ihm auf, dass ihre Haut ungewöhnlich glatt und trocken war, und dass sie einen moschusartigen Geruch verströmte. »Sag mir, wie du heißt«, wisperte sie ihm ins Ohr. »Troy«, flüsterte er prompt zurück, wie einem fremden Zwang gehorchend. »Troy Douglas.« »Ah, Troy«, murmelte sie, so leise, dass nur er sie verstehen konnte. »Was für ein schöner Name. Du weißt, was ich von dir will, Troy. Ich will, dass du...« Ihre Worte prasselten so schnell auf ihn ein, dass es ihm nicht möglich war, eins vom anderen zu unterscheiden, geschweige denn ihren Sinn zu erfassen. Dennoch drangen Lupas Befehle tief in sein Unterbewusstsein und nahmen von ihm Besitz. Xander beobachtete die Szene, höchst verärgert darüber, dass Lupa Troy die Ehre eines eigens für ihn gespielten Songs angedeihen ließ und nicht ihm. Zuerst hatte sich Troy an Cordelia rangeschmissen, und nun machte er ihm auch noch 109
Vyxn abspenstig. Er sah, wie Troys Lächeln gefror und der verzückte Ausdruck in seinen Augen mehr und mehr einem idiotischen Blick ins Leere wich, sah, wie Troy schließlich nickte, zweimal, ganz bedächtig. Dann richtete sich Lupa wieder auf und trat ein paar Schritte zurück. Xander nahm an, dass sie Troy ihre Telefonnummer zugeflüstert hatte, damit er sie nach dem Konzert anrufen konnte. Mit einem Satz sprang Lupa zurück auf die Bühne, legte einen verführerischen Hüftschwung hin und drehte sich langsam wieder zum Publikum um. »Dies ist der letzte Song vor der Pause. Er heißt ›Tender Heart‹, und wir spielen ihn für Troy, diesen prachtvollen Gentleman gleich hier vorn, der weder Kosten noch Mühen gescheut hat, sich für uns so richtig in Schale zu werfen.« Jetzt übertreibt sie aber, dachte Xander verstimmt. Er fand den Song, der nun folgte, bei weitem nicht so mitreißend wie sonst, was vor allem daran lag, dass er unentwegt zu Troy hinüberschielte. Er wollte unbedingt sehen, wie dieser auf die unerwartete Huldigung reagierte, aber mehr als dessen versteinerte Miene bekam er nicht zu Gesicht. Doch wie auch immer, kaum war der Song zu Ende, kam wieder Leben in Troy. Er blickte Xander und Oz an. »Ich muss Cordelia finden«, erklärte er. »Muss mich bei ihr entschuldigen.« »Eine Entschuldigung.« Xander nickte beifällig. »Schon hast du sie wieder da, wo du willst.« Troy zuckte mit den Schultern, als sei Xanders Bemerkung einer Antwort nicht würdig, und hetzte zwischen ein paar Tischen hindurch in Richtung Ausgang. Lupa blickte ihm enttäuscht hinterher und zog einen Schmollmund. Dann hob sie die Hand und winkte ins Publikum. »Wir genehmigen uns nur mal schnell einen kleinen Imbiss«, sagte sie. »Lauft nicht weg!« Die Menge brach in Gelächter aus, johlte und applaudierte, als sei allein schon die 110
Vorstellung, sie könnte diesen Ort der Glückseligkeit früher als nötig verlassen, der Inbegriff des Absurden. »Bis in zehn Minuten, Jungs!« Als die Band die Bühne verlassen hatte, sah Xander Oz an. »Du bleibst doch noch bis zum Schluss, Oz, mein Freund?« Xander fühlte sich total ausgepowert, nun, nachdem die Band verschwunden war. Er blickte sich um und bemerkte, dass all die Typen, die sich gerade eben noch die Kehlen aus dem Leib gebrüllt und die Hände wund geklatscht hatten, nun offenbar das Opfer eines kollektiven Durchhängers waren. Die spektakuläre Show hatte sie alle völlig erschöpft. Was ja auch nicht verkehrt ist, dachte Xander, oder etwa doch? »Klar doch«, antwortete Oz. Er nahm den Korb vom Tisch, drehte ihn um und stellte verwundert fest, dass er leer war. »Wir brauchen noch mehr Brezeln.« Draußen in der kühlen Abendluft kam Troy Douglas allmählich wieder zu sich. Benommen schaute er von rechts nach links und konnte sich nicht erklären, warum er das Bronze überhaupt verlassen hatte. Vor ein oder zwei Augenblicken hatte er noch etwas erledigen wollen, etwas Wichtiges, doch jede Erinnerung daran war wie weggefegt. Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und seufzte schwer. Er erinnerte sich vage, dass er Cordelia anrufen wollte, doch dafür war es jetzt wahrscheinlich eh zu spät. Was war denn bloß noch mit ihr gewesen...? »Troy...« Die Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Einen Moment lang dachte Troy, er hätte sie sich nur eingebildet. »Troy...« Abermals wanderte sein Blick von links nach rechts. Weit und breit war niemand vor dem Bronze zu sehen. Woher kam bloß diese Stimme?
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»Troy Douglas...«, hörte er es nun wispern, ein wenig eindringlicher. Die Stimme gehörte definitiv einer Frau. »Wer ist da?«, fragte er. Die Stimme schien von der rechten Seite des Bronze gekommen zu sein. Langsam bewegten sich seine Füße in diese Richtung. Vielleicht war es Cordelia, die dort in der Dunkelheit auf ihn gewartet hatte, ging ihm durch den Kopf. »Cordelia? Cordelia, bist du das?« Vorsichtig näherte er sich der Seitenfront des Gebäudes, spähte um die Ecke und konnte die schattenhaften Umrisse einer Gestalt erkennen. »Komm zu mir...« Eine Frau. Sie schien ein wenig größer zu sein als Cordelia und drückte sich in der Nähe einer großen, verbeulten Mülltonne herum – ein reichlich unromantisches Ambiente und ganz bestimmt kein Ort, den Cordelia für ein Rendezvous in Erwägung gezogen hätte. Wie auch immer, er war es durchaus gewohnt, dass die weiblichen Fans von Wanderlust ihm an den unmöglichsten Plätzen auflauerten, um ein Autogramm zu ergattern, und vielleicht sogar noch einen kleinen Kuss. Auf einem Flughafen war ihm ein Teenie sogar mal auf die Herrentoilette gefolgt, nur um ihm mitzuteilen, dass sie sein größter Fan war. Eine weitere Frauengestalt trat hinter dem Abfallbehälter hervor, gefolgt von einer dritten und einer vierten. Sie schwärmten aus, doch ohne sich ihm zu nähern. »Komm her zu uns, Troy...«, flüsterte die erste von ihnen mit einer Stimme, die ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Irgendetwas an dieser Stimme kam ihm vertraut vor... und an der Art, wie sie seinen Namen aussprach, als würde sie zärtlich seine Seele streicheln. Noch bevor er sich dessen bewusst wurde, ging er bereits auf sie zu. »Hallo, Ladies«, sagte er, immer noch in dem Glauben, dass es irgendwelchen Fans oder Groupies gelungen war, seinen derzeitigen Aufenthaltsort herauszubekommen. Doch die Frauen vor ihm waren alles andere als Ladies. 112
Willow Rosenberg hatte stundenlang über ihrem Geschichtsreferat gebrütet und schließlich, als Ausdruck ihrer Kapitulation, verzweifelt die Hände hochgeworfen. Kapitulation klang vielleicht ein wenig zu endgültig, fand sie, und deshalb hatte sie einen einstweiligen strategischen Rückzug daraus gemacht, zumindest für die Dauer des heutigen Abends. Sie kam sich vor wie eine Heuchlerin, wie ein Papagei, der wider besseren Wissens die Daten und Berichte der offiziellen Geschichtsschreibung nachplappert. Wenngleich sie Oz auch gesagt hatte, dass sie sich nicht allzu lange mit ihrem Referat aufhalten und alsbald zu Buffy begeben wollte, hatte sie die Waffen doch weitaus früher gestreckt als geplant. Es machte wenig Sinn, sich schon jetzt auf den Weg zu Buffy zu machen. Die war um diese Zeit wahrscheinlich ohnehin mit Angel unterwegs, um nach weiteren Knochenhaufen zu fahnden und bei dieser Gelegenheit einige gerade erwachende Vampirgreenhorns mit Mr. Pointy bekannt zu machen. Stattdessen fand Willow sich wenig später vor dem Bronze wieder, und sie hoffte, Oz und Xander dort anzutreffen. Oz hatte es zwar geschickt zu verbergen versucht, doch ihr war keineswegs entgangen, dass er von Vyxn – diesen grässlichen Rock-Sirenen mit ihren verfilzten Mähnen und ihren jämmerlichen Lederfetzen namens Bühnenoutfit – durchaus angetan war. Willow bezweifelte, dass sein Interesse an Vyxn rein fachlicher Natur war, insbesondere in Anbetracht des reichlich dürftigen musikalischen Talents der Musikerinnen. Für Willow repräsentierten sie all das, was sie selbst nicht war, und die Tatsache, dass Oz ihrem marktschreierischen Sexappeal erlag, vermittelte ihr ein Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit. Sie konnte mit ihnen in keinster Weise konkurrieren... na ja, abgesehen vielleicht von dem Umstand, dass sie es wie keine andere verstand, in absoluter Rekordzeit 113
eine umfangreiche Internet-Recherche durchzuführen. Doch Willow war sich ziemlich sicher, dass dieses Talent kaum dazu geeignet war, ganzen Heerscharen von jungen Männern den Kopf zu verdrehen. Wahrscheinlich, dachte sie, wären sie eher verunsichert. Und Jungs reagierten auf Verunsicherungen aller Art im Allgemeinen ausgesprochen sensibel. Obwohl Oz ihr das Gefühl gab, etwas ganz Besonderes zu sein, hatten sich diese kleinen, gleichwohl nagenden Zweifel tief in ihr Unterbewusstsein hineingefressen. Und nun konnte sie nur noch daran denken, was sie nicht war. Vor ihr hatte Oz andere Freundinnen gehabt, aber sie nahm an, dass sie einem Vergleich mit ihnen durchaus standhalten konnte, waren sie doch allesamt sang- und klanglos in der Versenkung verschwunden, zumindest dem Anschein nach. Für sie jedoch war Oz ihr erster Freund, was gleichzeitig bedeutete, dass sie nicht eben viel Erfahrung mit Beziehungen vorweisen konnte. Woher sollte sie wissen, warum die eine Freundschaft zerbrach und die andere nicht? Vielleicht sah Oz etwas in Vyxn, das sie ihm nicht geben konnte, irgendetwas, das ihn zu der Überzeugung gelangen ließ, dass Willow Rosenberg am Ende doch nicht so einmalig und großartig war, wie er geglaubt hatte. Zweifel brauchten nicht viel, um zu gedeihen, sie nährten sich aus sich selbst heraus. Sie malte sich aus, was für ein Gesicht er wohl machen würde, wenn sie im Bronze plötzlich vor ihm stand, eine selbstbewusste und spontane junge Frau, die auch mal auf eigene Faust loszog, um Spaß zu haben. Spontaneität war etwas, das wusste sogar sie, worauf Jungs in aller Regel ziemlich abfuhren. Mal sehn, dachte sie und setzte sich in Bewegung. Doch sie kam nicht weiter als bis zu der Tafel mit den Konzerthinweisen, an der das Vyxn-Plakat prangte. Kurz bevor sie ihren spontanen Abstecher ins Bronze in die Tat umsetzen konnte, drangen von der seitlichen Gebäudefront her 114
merkwürdige Geräusche an ihr Ohr. Das Ganze klang irgendwie nach Rauferei, sodass sie zunächst annahm, ein paar Heißsporne von der Highschool würden dort auf die für sie typische Art und Weise das ein oder andere Problem ausdiskutieren. Doch Willow war, was all die abstoßenden und Grauen erregenden Missgeburten anbelangte, die der Höllenschlund gelegentlich ausspuckte und auf die Einwohnerschaft Sunnydales losließ, viel zu sehr im Bilde, um der Sache nicht näher auf den Grund zu gehen. Behutsam schlich sie an der Mauer entlang. Als offizielles Mitglied des Jägerteams empfand sie es in gewisser Weise als demütigend, sich bei dem Vorsatz zu ertappen, beim geringsten Anzeichen von irgendetwas Übernatürlichem augenblicklich davonzulaufen. »Rückzug ist auch eine Form von Strategie«, flüsterte sie sich leise Mut zu. Dennoch hatte sie, seit sie jenem kleinen Kreis von Eingeweihten im Umfeld der Jägerin angehörte, bereits unzählige Male dem Bösen ins Auge gesehen, und immer war es ihr gelungen, sich zumindest einen Hauch von Mut und Tapferkeit zu bewahren. Vorsichtig lugte sie um die Ecke und beobachtete drei dunkle, schemenhafte Gestalten, die sich über einen am Boden liegenden Jungen beugten. Ihr erster Gedanke war, dass er sich, mit Alkohol voll bis obenhin, übergeben hatte und nun erschöpft darniederlag, umringt von seinen besorgten Freunden. Doch dieser Eindruck verflog rasch, als sie feststellen musste, dass es sich bei den stehenden Gestalten ausnahmslos um Frauen handelte, während der Dahingestreckte auch bei genauerem Hinsehen definitiv dem männlichen Geschlecht zuzurechnen war. Das für sich genommen war bereits ungewöhnlich genug. Viel bemerkenswerter fand Willow es jedoch, dass das Geräusch, das sie vernommen und irrtümlich für Knüffe und Schläge gehalten hatte, von den Frauen ausging – ein lautstarkes Schmatzen und Grunzen, wie von Schweinen, die sich um den 115
Fresstrog drängeln. Oder von hungrigen Wölfen, die sich um ihre Beute kabbeln, dachte Willow. Sie hatte genug gesehen, um zu erkennen, dass für den jungen Mann jede Hilfe zu spät kommen würde. Nicht zu spät hingegen war es dafür, sich selbst schleunigst aus dem Staub zu machen, bevor sie zum zweiten Gang des grausigen Nachtmahls wurde. Sie zog sich vorsichtig zurück, schrappte jedoch mit dem Absatz an einem Stein entlang. Die Frauengestalt, die sich ihr am nächsten befand, fuhr herum, und ihre wilde rote Mähne ließ vor Willows geistigem Auge augenblicklich das Bild von Vyxns Bassistin, Carnie, erstehen. Nur, dass das Gesicht, das sie hier und jetzt vor sich sah, mit grünen Flecken übersät war und das Maul oben wie unten mehrere Reihen kräftiger Hauer entblößte, derb und wuchernd und blutverschmiert. Wie Widerhaken wuchsen hexenartige Klauen aus den knorrigen Fingernägeln der Gestalt. Zu ihren Füßen lag, die eine Gesichtshälfte in Schatten getaucht und die andere überströmt vom eigenen Blut, Troy Douglas. Willow konnte eine weitere der grüngesichtigen Hyänen identifizieren: Rave, die Leadgitarristin, unschwer zu erkennen an ihrem weiß gefärbten Irokesenschopf. Und bei der dritten Gestalt musste es sich, der Igelfrisur und dem Nietenhalsband nach zu schließen, um die Drummerin, Nash, handeln. Womit sich eine beängstigende Frage aufdrängte. »Tut mir Leid, dass ich nicht zum Essen bleiben kann, aber...« Als Willow einen weiteren Schritt zurück machte, spürte sie hinter sich einen leichten Luftzug und vernahm das Geräusch hart auf dem Boden aufsetzender Stiefel. Sie erstarrte, als sich eine krallenbewehrte Klaue schwer auf ihre Schultern legte. Willow drehte den Kopf herum und erblickte Lupa, die Sängerin und letztes Glied der Truppe. Sie hatte immer noch ihr chaotisch nach allen Seiten hin abstehendes und an den Schläfen akkurat abrasiertes Haar, doch auch ihr Teint wies einen deutlichen Stich ins Grüne auf. In den gelben Augen 116
loderte ein wildes Feuer, und in ihrem Rachen prangten mehrere Reihen mörderischer Reißzähne, zwischen denen noch die Reste von rohem Fleisch zu erkennen waren. Willow merkte, wie ihre Knie nachgaben. »Sie hat Angst«, informierte Lupa die anderen. »Viel zu viel Angst.« Willow war sich nicht sicher, was diese Bemerkung zu bedeuten hatte, bis Rave zurückrief: »Dann ist sie wohl kaum die Jägerin.« »Wenn ihr mich fragt, sollten wir sie töten«, meinte Nash. Lupas rechte Klaue legte sich um Willows Hals, und scharfe Krallen gruben sich in ihr Fleisch. Willow bezweifelte, dass sie noch dazu kommen würde, irgendeinen Hilfeschrei auszustoßen, sollte Lupa sich dazu entschließen, ihr die Kehle herauszureißen. Nicht, dass das für Willow einen großen Unterschied gemacht hätte. Sie würde ohnehin schon tot sein, wenn endlich Rettberg einträfe. »Nein«, entschied Lupa plötzlich und lockerte unverhofft den Griff um Willows Gurgel. »Mag sein, dass sie nicht die Jägerin ist, trotzdem spüre ich eine sonderbare Kraft, die von ihr ausgeht. Sie könnte uns von Nutzen sein.« Willow versuchte sich freizukämpfen, doch es fehlte ihr schlichtweg an der nötigen Kraft. Gewaltsam riss Lupa sie herum, grub eine ihrer unnachgiebigen Klauen tief in Willows Schulter und verschloss ihr mit der anderen brutal den Mund. »Möchtest du gerne hier und gleich sterben?« Willow schüttelte heftig den Kopf. »Gut. Falls du nämlich auf die Idee kommen solltest, zu schreien oder einen Fluchtversuch zu starten, werde ich dir auf der Stelle die Kehle aufschlitzen. Hast du mich verstanden?« Willow nickte, nicht weniger heftig. »Was hast du vor?«, erkundigte sich Carnie knurrend. »Ich sag euch, sie vergeudet nur unsere Zeit«, fauchte Nash. »Wir sollten die Göre abmurksen, sofort.« 117
»Rave weiß, was ich im Sinn habe«, erklärte Lupa. Rave nickte. »Nun, wir brauchen dringend eine neue Keyboarderin, nach Violas frühzeitigem Ende.« »Du willst sie zu einer von uns machen?«, fragte Carnie und schien ernsthaft über Lupas Idee nachzudenken. »Ich hab ein Gespür für so was«, erwiderte Lupa. »Sie wird einen erstklassigen kleinen Ghul abgeben, da bin ich mir sicher. Ganz abgesehen davon ist sie, solange ihre Verwandlung noch nicht stattgefunden hat, ein hervorragender Köder für die Jägerin.« Lupa blickte auf Willow hinab und hob die Klaue, mit der sie ihr den Mund zuhielt. »Deine Entscheidung.« Ghule!, dachte Willow entsetzt. Giles hatte bereits vermutet, dass die abgenagten Knochen das Werk von Ghulen waren. Und wir haben geglaubt, dass sie sich irgendwo versteckt halten, dabei waren sie die ganze Zeit mitten unter uns!, wurde ihr schlagartig bewusst. »Ihr könnt doch nicht wirklich... Menschen in Ghule verwandeln?« »Nur die weiblichen«, antwortete ihr Lupa. »Nur ein klitzekleines Ritual, und du bist mit von der Partie. Als Mitglied unserer Band. Du lernst ein bisschen Keyboardspielen, kommst viel in der Welt herum und hast jede Menge Fans, von denen du dir ab und an mal einen hinter die Kiemen schieben darfst.« »Aber... aber dann kann ich ja gar nicht aufs College gehen«, stammelte Willow. Vampire konnten aus Menschen Vampire machen, da schien es durchaus nicht abwegig, dass auch Ghule aus Menschen Ghule machen konnten. Lupas Klaue schloss sich wieder ein wenig fester um ihren Hals. »Wenn ich dir die Kehle herausreiße, kannst du deine College-Pläne ebenfalls begraben. Los jetzt, wie lautet deine Entscheidung?« »Warte... warte! Das ist eine Entscheidung von ziemlich großer Tragweite, immerhin geht es nicht nur ums College. Ich 118
müsste von zu Hause fort und mich von Menschenfleisch ernähren – und ich glaube nicht, dass das auch nur annähernd koscher ist – und, genau! Da wäre noch diese Sache mit der ewigen Verdammnis. Wär es... äh... okay für euch, wenn ich... ähm... noch mal darüber schlafe und euch meinen Entschluss morgen mitteile?« Lupas Griff ähnelte immer mehr einem Schraubstock, »Auf keinen Fall.«
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8 »Mom, hat Willow angerufen?« »Nein, mein Schatz.« Joyce Summers blickte kurz von den Seidenblumen auf, die sie auf einer Kommode in der Diele zu einem bunten Strauß zusammensteckte. Buffy setzte sich an den Küchentisch und starrte auf das Telefon an der Wand. Sie war über eine Stunde zu spät von ihrer ereignislosen Patrouille mit Angel zurückgekehrt – keine Knochen, keine geheimen Massengräber, keine Kreaturen, die sich im Schutz der Dunkelheit herumtrieben – und hatte fest damit gerechnet, dass Willow sich inzwischen gemeldet haben würde. Vielleicht hatte sie ihre gemeinsamen Pläne für den Abend auch einfach vergessen, überlegte sie, doch andererseits wäre das sehr untypisch für Willow. Buffy rief Willows Mutter an und erfuhr, dass ihre Freundin tatsächlich aus dem Haus gegangen war, um bei ihr zu übernachten. Allerdings hatte sie auch irgendetwas von einem Treffen mit Oz erwähnt. Also wählte Buffy die Nummer von Oz und stellt sich innerlich schon darauf ein, dass Willows Beziehungskiste ihre Pläne ein wenig durcheinander gebracht hatte. Doch Oz hatte sie zum letzten Mal morgens in der Schule gesehen. Er sei mit Xander und Troy im Bronze gewesen, den ganzen Abend. Troy sei allerdings etwas früher gegangen, einer wutschnaubenden Cordelia hinterher. »Willow hat sich nicht blicken lassen«, teilte Oz ihr mit. »Aber wir waren auch nicht verabredet...« »Hmm.« »Was ist denn los?« »Ich weiß nicht«, erwiderte sie. »Möglicherweise gar nichts. Vielleicht ist es noch zu früh, um sich Sorgen zu machen. Ich werd noch ein bisschen rumtelefonieren. Wenn ich mit meinem Latein am Ende bin, treffen wir uns alle bei Giles.«
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Rupert Giles stand da mit einer Tasse Tee in der Hand, und es war schon eine ganze Weile her, dass Buffy ihn zuletzt daran hatte nippen sehen. Wahrscheinlich, vermutete sie, half sie ihm einfach nur beim Denken. Ihr Wächter starrte unverwandt auf den Kreuzbuben, den Buffy ihm überreicht hatte, und konnte sich selbst dann nicht von der Spielkarte losreißen, als die anderen zu rekapitulieren versuchten, wann sie Willow zum letzten Mal gesehen hatten. Auch Cordelia war gekommen. Zuerst hatte es Buffy widerstrebt, bei ihr anzurufen, doch es konnte durchaus sein, dass Willow ihr irgendwo begegnet war, und Buffy wollte alle Möglichkeiten ausschöpfen. Zum Glück hatte sich Cordelia genügend Interesse an Willows Wohlergehen bewahrt, um den Weg hierher zu finden, auch wenn sie etwas von Verzicht auf Schönheitsschlaf gebrabbelt hatte, kaum dass sie zur Tür herein war. »Willow hatte also keine Ahnung davon, dass ihr im Bronze wart?«, erkundigte sich Buffy bei Oz, der viel zu aufgeregt war, um sich hinzusetzen. Die Hände in die Hosentaschen vergraben, den Kopf gesenkt und mit verbissener Miene, dachte er angestrengt nach und ließ offensichtlich den gesamten letzten Tag vor seinem inneren Auge Revue passieren, in der Hoffnung, auf etwas zu stoßen, das in irgendeiner Weise mit Willows Verschwinden zusammenhängen mochte. »Wahrscheinlich hat sie nur eins und eins zusammengezählt«, meinte Oz. »So viele Läden gibt’s hier ja nicht.« »Cordelia, hast du sie nicht gesehen?« »Ich war höchstens eine Minute dort«, antwortete Cordelia. »Gerade lang genug, um mitzubekommen, dass Troy diesem Klub der Oberdeppen« – sie wies in Xanders und Oz’ Richtung – »beigetreten ist. Und die hätten Willow nicht einmal bemerkt, wenn sie auf einem der Billardtische Striptease getanzt hätte.« 121
»Das ist nicht fair«, widersprach Oz und runzelte verärgert die Stirn. »Troys Entschuldigung war wohl ’ne ziemliche Zeitverschwendung«, brummelte Xander. »Kommt mir irgendwie bekannt vor.« »Welche Entschuldigung?« »Er ist dir doch gleich hinterhergerannt«, sagte Xander. »Na ja, vielleicht nicht gleich«, korrigierte ihn Oz. Er behielt wohlweislich für sich, dass Troys schlechtes Gewissen augenscheinlich erst dann erwacht war, nachdem Vyxn einen Song für ihn gespielt hatten. »Ich hab ihn jedenfalls nicht mehr gesehen.« Cordelia seufzte, dann fügte sie bekümmert hinzu: »Er hat versprochen, mir einen Termin mit dem Produzenten von Wanderlust zu verschaffen, wegen Probeaufnahmen und so. Den kann er sich von mir aus jetzt sonstwo hinstecken.« »Moment mal, Cordelia«, warf Giles ein, der nun endlich von seinem Kreuzbuben aufblickte. »Soll das etwa heißen, dass Troy ebenfalls verschwunden ist?« »Na ja, zumindest hat er sich nicht mehr bei mir gemeldet.«
»Giles, Sie glauben doch nicht...?«, setzte Buffy an.
Giles nickte. »Es entspräche dem Muster.«
»Welchem Muster?«, wollte Cordelia wissen. »Dem
hormongesteuerter Typen?« »Dem Hormongesteuerte-Typen-werden-von-Ghulen aufgefressen-Muster«, klärte Xander sie auf. Giles kam hinter der Küchenanrichte hervor. »Wir müssen uns unbedingt Klarheit verschaffen. Versuch ihn zu erreichen.« »Ich ruf mal bei seiner Mutter an«, nickte Cordelia und kramte ihr Handy aus der Tasche. »Aber wenn er drangeht, leg ich auf. Ich will nicht mit ihm reden.« Es dauerte eine Weile, ehe jemand am anderen Ende der Leitung den Hörer abnahm. »Seine Mutter«, teilte sie den anderen mit, indem sie nur die Lippen bewegte. Laut erkundigte sie sich danach, ob Troy zu 122
sprechen sei. Nach beendetem Gespräch steckte sie das Handy zurück in die Tasche. »Sie sagt, sie hätte ihn nicht mehr gesehen, seit er gestern Abend ins Bronze gegangen ist.« »Und zuletzt wurde er gesehen, als er das Bronze verließ«, konstatierte Giles. »Und genau dorthin ist wahrscheinlich auch Willow gegangen, bevor sie von der Bildfläche verschwand«, fügte Xander hinzu. »Troy und Willow«, sinnierte Cordelia. »Ihr meint doch nicht etwa, dass die beiden... auf dumme Gedanken gekommen sein könnten?« »Wohl kaum«, erwiderte Giles. Er zog Cordelias Befürchtung nicht eine Sekunde lang in Erwägung. »Sie haben Recht. Willow ist definitiv nicht sein Typ.« Giles ließ sich auf das Sofa sinken. »Es ist nicht auszuschließen, dass das, was für den Tod der anderen jungen Männer verantwortlich ist, auch Troy und Willow zum Verhängnis wurde.« »Junge Männer?«, wandte Cordelia ein. »Willow mag zwar in ziemlich altertümlichen Klamotten rumlaufen, aber ein Mann ist sie deshalb noch lange nicht.« »Vielleicht ist sie unfreiwillig Zeuge geworden bei dem... na, bei was auch immer«, meinte Buffy hastig und schluckte das, was sie eigentlich hatte sagen wollen, angesichts Oz’ betretener Miene hinunter. »Wir sollten im Bronze nach Hinweisen suchen«, schlug Giles vor. »Xander, Oz, ist euch irgendwas Merkwürdiges aufgefallen, nachdem Troy abgerauscht ist?«, fragte Buffy. »Lass mich überlegen... Er ist in der Pause gegangen«, erwiderte Xander. »Es war so etwas wie Ruhe eingekehrt, eine Art Verschnaufpause, die Musik kam vom Band, ein paar Typen haben Billard gespielt. Dann sind Vyxn noch mal auf die
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Bühne gekommen, ihr letzter Auftritt, nur ein paar Songs.« Xander schüttelte den Kopf. »Nein, nichts Ungewöhnliches.« »Trotzdem, das Bronze ist der letzte Ort, an dem Troy gesehen wurde«, beharrte Giles. »Ich denke, wir sollten uns dort mal umschauen. Vielleicht finden wir irgendetwas, das uns weiterhilft. Ich pack schon mal ein paar Fackeln... äh, Taschenlampen ein.« Giles wollte gerade die Spielkarte auf dem Couchtisch ablegen, als er plötzlich mitten in der Bewegung innehielt und Buffy ansah: »Jetzt weiß ich’s wieder.« »Was?« »Moment.« Giles ging zu dem Zeitschriftenständer hinüber, in dem unter anderem mehrere ordentlich zusammengefaltete Tageszeitungen steckten. Er überflog die Schlagzeilen und tippte schließlich mit dem Finger auf einen Artikel, der es bis auf die erste Seite geschafft hatte. »Hier!«, verkündete er und las laut vor: »›Gewalttätige Ausschreitungen in verrufener Kneipe. EZ Rider. Mehrere Tote und Verletzte.‹ Aha! Auf der Leiche eines Mannes... eines Bikers namens Warhammer... wurde eine Spielkarte gefunden.« »Sie glauben, dass dieser Franzose, der meiner Mutter auf die Pelle gerückt ist, etwas damit zu tun hat?« »Franzose?«, meinte Giles verwundert. »Ach so, ich verstehe, wegen des Namens. S.O. L’taire. Solitaire.« »Giles, finden Sie, das ist der richtige Augenblick, um ans Kartenspielen zu denken?« »Solitaire«, wiederholte Giles nachdenklich. »Ich meine mich zu erinnern, in alten Texten einmal etwas über einen ungewöhnlichen Vampir gelesen zu haben, der sich Solitaire nannte.« »Vampir? Der Solitaire, von dem wir gerade reden, hat Buffys Mom seine Aufwartung bei hellstem Sonnenschein gemacht«, rief Xander ihm in Erinnerung.
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»Ja, nicht eben unproblematisch, das Ganze«, räumte Giles ein und rückte seine Brille zurecht. »Für mich scheint er eher irgend so ein Abzocker zu sein«, meinte Xander. »Ein ziemlich schusseliger Abzocker, wie ich zugeben muss. Aber bestimmt kein Geschöpf der Finsternis.« »Und warum hat er seinen Fuß erst dann über die Schwelle gesetzt, nachdem er in aller Form dazu aufgefordert worden ist?«, warf Cordelia ein. »Abzocker-Ehre?«, schlug Oz vor. »Irgendwas stimmt mit dem Kerl jedenfalls nicht«, sagte Buffy. »Sehr richtig«, bemerkte Giles. »Und deshalb sollten wir lieber wachsam bleiben, solange wir nicht mehr über ihn wissen. Buffy, du und die anderen nehmt euch das Bronze vor. Ich werde zu dir nach Hause gehen und die Einladung an Solitaire mit einem Bannspruch rückgängig machen. Nur um sicherzugehen.« »Klingt nach einem guten Plan«, stimmte Buffy zu. »Auf dem Weg zum Bronze holen wir dann noch Angel ab.« Xander warf ihr einen kurzen Blick zu. Sie wusste, dass er an das letzte Mal dachte, als sie einen derartigen Bannspruch über Buffys Haus ausgesprochen hatten, damals, als Angel seine Seele verloren und sich in Angelus, die Inkarnation seiner bösen Seite, zurückverwandelt hatte. Giles schloss hinter ihnen die Tür, kramte eilig seine Sachen zusammen und verstaute sie in einer zerschlissenen schwarzen Ledertasche: ein altes, in Leder gebundenes Buch, welches den Beschwörungsspruch enthielt, die notwendigen magischen Ingredienzien sowie eine Phiole mit geweihtem Wasser, ein kleines Metallkreuz, einen Holzpflock und eine Armbrust nebst einigen Schussbolzen. Er nahm zwar nicht an, dass er auf dem Weg zum Haus der Summers einem Vampir in die Arme laufen würde, doch als Wächter hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, stets alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. 125
Da ertönte ein leises Klopfen an der Tür. Wahrscheinlich Xander, dachte Giles und fragte sich, was der Hilfsjäger wohl vergessen haben mochte. Er warf die Ledertasche auf das Sofa und öffnete die Tür. »Ja... was soll das?« Weit und breit war niemand zu sehen. Giles streckte den Kopf zur Tür hinaus, und kräftige Finger schlossen sich um seinen Hals und schnürten ihm die Luft ab. Ein großer, muskulöser Mann trat aus dem Schatten neben der Tür hervor, ohne den Griff seiner Hand zu lockern. Sein blondes Haar war auf die Länge von Streichholzköpfen heruntergestutzt, und sein blasses, tief zerfurchtes Gesicht geprägt von hohen Wangenknochen und schmalen, grausamen Lippen. Er trug einen schwarzen Mantel und eine rote Lederweste. »Ich hatte schon befürchtet, sie würden niemals wieder gehen«, sagte er. »Nun, bitte mich herein, Wächter.« Giles schätzte die Menge möglicher Optionen, die ihm augenblicklich zur Verfügung standen, als denkbar gering ein. Manchmal blieb einem nichts anderes übrig, als die Realität zu akzeptieren. »Aber... selbstverständlich, kommen Sie nur herein«, krächzte er. Brutal stieß ihn der Mann zurück, und Giles taumelte rückwärts in seine Wohnung hinein, wenngleich er dabei auch ein wenig übertrieb, um so auf schnellstmögliche Weise bis zu seiner Tasche vorzustoßen, die auf dem Sofa lag. Im Vorbeistolpern riss er sie an sich. Sie stand immer noch offen, und deutlich konnte er das stumpfe Ende des Holzpflocks erkennen, der, dem Himmel sei Dank, ziemlich weit oben lag. Der Eindringling knallte die Tür hinter sich zu und lehnte sich lässig dagegen. Als er eine Spielkarte aus der Westentasche zog – eine Karo-Zehn – und sich mit der Kante unter den Fingernägeln entlangfuhr, wurde Giles schlagartig klar, mit wem er es zu tun hatte. Wissen ist Macht, dachte er bei sich, jedenfalls manchmal. »Ich fordere Sie auf, mir auf der 126
Stelle Ihren Namen zu sagen«, verlangte Giles. Er fummelte mit der Hand in der Tasche herum, in der Hoffnung, dass es so aussah, als hätte er irgendeinen nervösen Tick. »Buffy Summers muss wirklich eine bemerkenswerte junge Dame sein«, begann Solitaire. »Ich fürchte, ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte Giles. Seine Finger berührten den Griff des Holzpflocks. Langsam, Zentimeter um Zentimeter, ließ er ihn in seine Hand gleiten, verborgen vor den Blicken seines Widersachers. »Ich muss zugeben, ich war ziemlich beeindruckt, als mir das Gerücht zu Ohren gekommen ist, dass eine Jägerin den Bund von Taraka zerschlagen haben soll«, fuhr Solitaire ungerührt fort. Er schnippte mit einem Finger gegen die Spielkarte. »Ich hab mich unwillkürlich gefragt, ob sie wohl bereit ist für eine größere Herausforderung.« Er sah Giles direkt in die Augen. »Für mich zum Beispiel.« »Wer sind Sie?«, fragte Giles abermals und richtete den Pflock in seiner Hand mit der Spitze auf den Gegner aus, sodass er ihn nur noch hervorzuziehen brauchte, wenn der Moment gekommen war. »Falls du immer noch nicht darauf gekommen sein solltest, wer ich bin, Wächter«, sagte Solitaire und machte einen Schritt auf ihn zu, »fände ich das wirklich ausgesprochen enttäuschend.« Giles schluckte schwer, schloss seine Finger enger um den Griff des Holzpflocks und spürte, wie die Innenfläche seiner Hand feucht wurde. »Ich geb dir einen kleinen Tipp«, sagte Solitaire und entblößte fauchend ein Paar langer Fangzähne, während seine Augenbrauen zu den charakteristischen Stirnwülsten eines Vampirs transformierten. Er machte einen weiteren Schritt in Richtung Giles. »Ich weiß durchaus, was... was Sie sind«, stotterte Giles. »Nur nicht, was genau Sie eigentlich von mir wollen.« 127
»Ich will, dass du deiner Jägerin eine Botschaft von mir übermittelst...« »Und hier ist eine Botschaft von mir...!« Giles machte einen Satz nach vorn und zielte mit dem Holzpflock direkt auf Solitaires Brust. Er stieß zu... und ein gnadenloser Griff schloss sich wie ein Schraubstock um sein Handgelenk. Zitternd kam die Spitze des Pflocks nur wenige Zentimeter vor ihrem Ziel zum Stillstand. Giles versuchte sich mit aller Kraft dem Griff des Gegner zu entwinden, doch stählerne Finger hielten sein Handgelenk unbarmherzig umklammert. Er hörte das Splittern von Knochen. Der jähe Schmerz raubte ihm beinahe die Besinnung. »Würdest du jetzt vielleicht die Güte haben, mir zuzuhören?«, sagte Solitaire spöttisch und zwang den Wächter mit etwas zusätzlichem Druck auf dessen geschundenes Handgelenk in die Knie. »Eine... eine Botschaft, sagten Sie?«, presste Giles mit schmerzverzerrtem Gesicht hervor. »Genau«, erwiderte Solitaire. Er legte Giles die Karo-Zehn auf das angewinkelte Knie und entwand den tauben Fingern des Wächters mit der nunmehr freien Hand gewaltsam den Holzpflock. Er ließ ihn in die Luft schnellen und fing ihn dann geschmeidig am spitzen Ende wieder auf. »Sag deiner Jägerin, dass schon ganz andere als sie dafür gestorben sind, meine Bekanntschaft zu machen.« »Wie originell«, spottete Giles. Er biss die Zähne zusammen, als ihn abermals ein jäher Schmerz durchzuckte. »Vielleicht nicht besonders originell...« Solitaire fauchte erneut und zog dem Wächter das stumpfe Ende des Pflocks über den Schädel »... aber äußerst effektiv.« Giles spürte noch, wie er die Besinnung verlor. Dann wurde um ihn herum alles schwarz.
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Nachdem sie sich eine Weile vor dem Bronze umgesehen hatten, stellte Xander die obligatorische Frage: »Wonach suchen wir eigentlich?« Natürlich hatte das Lokal so früh am Abend noch nicht geöffnet. Nur der schwache Schein einiger Straßenlaternen tauchte die Vorder- und Seitenfront des Gebäudes in mattes, von Schatten unterbrochenes Licht, mehr eine Abschreckung für Brandstifter und ähnliches Gesindel als eine brauchbare Beleuchtung. Sie waren mit drei Taschenlampen angerückt, wie Diebe in der Nacht, die jeden Grund hatten, sich im Verborgenen zu halten. Eine davon bekam Oz, der es vorzog, allein auf die Suche zu gehen, eine weitere teilten sich Buffy und Angel, womit die dritte für Xander und Cordelia blieb, zwischen denen momentan eine Art halbherziger Waffenstillstand zu herrschen schien. »Keine Ahnung, Xander«, beantwortete Buffy schließlich dessen Frage. »Nach Fußspuren?« »Auf Asphalt?« »Nach Streichholzheftchen«, meinte Cordelia. »In Filmen finden sie immer Streichholzheftchen. Die führen sie dann zu irgendeinem Nightclub, in dem die Killer rumhängen.« Xander schaute flüchtig zu Oz hinüber, der aber glücklicherweise nicht zugehört hatte. Dann wandte er sich wieder Cordelia zu. »Was?«, keifte diese. »Was hab ich denn jetzt schon wieder verbrochen?« »Wir sind schon beim Nachtklub«, erklärte ihr Buffy geduldig. »Wir suchen nach einer Spur, die wieder von hier wegführt, zu... egal, was auch immer.« Xanders Blick schweifte suchend zu dem viereckigen Abfallbehälter hinüber, der in der Nähe des seitlichen Hinterausgangs vom Bronze stand. Cordelia, wenig begeistert von dem Gedanken, allein in dem halbdunklen Schatten zurückzubleiben, stakste ihm brüskiert hinterher. Nachdem er zunächst die nähere Umgebung sondiert hatte, schob Xander 129
die schwere Metallabdeckung der Mülltonne zurück und ließ den Lichtkegel seiner Taschenlampe über den stinkenden Unrat wandern. Über die Maßen erleichtert, zwischen all den bierdurchtränkten Pappkartons und Kneipenabfällen nicht einen Arm oder ein Bein oder gar eine ganze Leiche zu entdecken, wandte er den Blick wieder ab. »Ich nehme an, von euch hat nicht zufällig jemand einen Taucheranzug dabei?« Niemand gab ihm eine Antwort. »Okay, ich wär auch schon mit ’ner Wäscheklammer für die Nase zufrieden.« Abermals keine Antwort. Er zuckte mit den Achseln. »Hätte mich auch gewundert.« Er drückte Cordelia die Taschenlampe in die Hand und stemmte sich an der Kante der Tonne hoch. »Du willst doch nicht wirklich da rein, oder?«, fragte Cordelia entsetzt. »Soll ich dir den Vortritt lassen?« »Das ist komplett ekelhaft.« Cordelia schüttelte sich. »Nein, er hat Recht«, sagte Oz, der zu ihnen herübergekommen war, als er sah, was Xander beabsichtigte. Als Oz seine Finger auf die obere Kante des Abfallbehälters legte, um sich hochzuwuchten, streckte ihm Xander abwehrend eine bereits völlig mit Kaffeesatz überzogene Hand entgegen. »Ich mach das schon, Oz. Zu eng hier für uns beide und... den ganzen Mist hier. Aber du könntest mal mit deiner Taschenlampe reinleuchten. Vielleicht verscheucht das die Ratten.« Cordelia machte einen Satz zurück und starrte mit großen Augen auf ihre nackten Zehen, die aus den offenen Schuhen ragten. »Ratten! Igitt – da drin sind Ratten? Ich hasse Ratten. Ich wäre nicht einmal hier, wenn es nicht um Troy gehen würde. Aber du und deine Scooby-Gang, ihr seid wahrscheinlich die einzigen, die ihn finden können« – sie blickte Oz an – »und Willow natürlich auch. Das ist ja klar. Es ist nur – ich hasse Ratten.«
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»Ich bin auch nicht gerade verrückt nach diesen Biestern, Cordy«, sagte Xander. Giles versuchte stöhnend die Dunkelheit abzuschütteln, die über ihn gekommen war wie längst überfälliger Schlaf. Mit der unverletzten Hand tastete er vorsichtig nach der Platzwunde an seinem Kopf. Sein Haar war völlig verklebt von halb geronnenem Blut, das ihm bis in die Augen gelaufen war. In seinem Handgelenk tobte ein hämmernder Schmerz. Wahrscheinlich hatte der ihn aus der Ohnmacht gerissen. Im ersten Moment wusste Giles weder, wo er war, noch, was eigentlich geschehen war. Kraftlos ließ er die Hand wieder auf die Brust fallen. Seine Finger berührten etwas Flaches, Rechteckiges. Er hob es an sein Auge. Eine Spielkarte. Plötzlich konnte er sich wieder an alles erinnern. Solitaire. Sein Handgelenk. Die Botschaft an Buffy. Dann ein mörderischer Schlag auf den Kopf. Giles setzte sich halb auf, stellte fest, dass das Schwindelgefühl sich einigermaßen in Grenzen hielt, und schaffte es mühsam, indem er sich an der Wand abstützte, wieder auf die Füße zu kommen. Er musste unbedingt zum Bronze, Buffy warnen. Auch wenn er mehr als wackelig auf den Beinen war. Als er auf die Tür zutaumelte, hatte er das Gefühl, auf Stelzen zu gehen, die Füße kilometerweit unter ihm und fernab jeglicher Kontrolle. Definitiv kein Zustand, in dem man sich ans Steuer setzen sollte, dachte er. Er schleppte sich zum Telefon, und ihm schoss der irrationale Gedanke durch den Kopf, dass Eltern in Flugzeugen immer gesagt wurde, im Falle eines Druckabfalls zuerst die eigenen Sauerstoffmasken aufzusetzen, um so in der Lage zu sein, ihren Kindern beim Anlegen der Masken zu helfen. Wirklich befremdlich... er hatte doch gar keine Kinder. Mit zitternden Fingern wählte er die Nummer des Notrufs. »Hallo? Ja, äh, Rupert Giles hier. Ich glaube, ich benötige dringend medizinische Hilfe... Ja, sie lautet...« Als ihm seine 131
eigene Adresse nicht mehr einfallen wollte, verfiel er auf den rettenden Gedanken, diese kleine Gedächtnislücke mit Hilfe seines Führerscheins zu schließen. In seinem Dämmerzustand kam er sich einen Augenblick lang ziemlich clever vor. Da wurde er erneut Opfer eines Schwindelanfalls, offensichtlich Symptom einer schweren Gehirnerschütterung. Auch noch das, seufzte er innerlich. Manchmal sind es eben die kleinen Siege, die zählen, beruhigte er sich dann und versuchte abermals, die Benommenheit abzuschütteln. Sauerstoff!, ging ihm durch den Kopf, während er auf die Ankunft des Rettungswagens wartete. Er starrte auf den Ziffernblock des Telefons und hatte das Gefühl, irgendetwas Wichtiges vergessen zu haben. »Ah... Buffy, richtig.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Um diese Zeit war sie sicher noch beim Bronze, telefonisch also nicht erreichbar. Cordelia besaß ein Handy, doch er wusste ihre Nummer nicht. Schließlich wählte er die Zahlenkombination der Summers. Wahrscheinlich würde er Joyce aufwecken, doch dies war schließlich ein Notfall, und er würde – würde... Erneut legte sich der Mantel der Dunkelheit über ihn, schnell, viel zu schnell. Er nahm gerade noch wahr, wie der Hörer aus seiner Hand glitt und zu Boden fiel, mit einem dumpfen Gepolter, das bereits nicht mehr in diese Welt gehörte. Pechschwarze Nacht umfing ihn, deren tobendes Rauschen nur durchbrochen wurde von einem einzigen, immer schwächer werdenden Gedanken... Sauerstoff. Hätte Xander zur Gattung der Borstentiere gehört, wäre er zweifelsohne in einen wahren Freudentaumel ausgebrochen. Tapfer kämpfte er sich durch leere Bierflaschen und Coladosen hindurch, durch verrottete Bananenschalen und Berge von zerbröselten Kartoffelchips, durch vergammelte Snacks und Käsebrötchen, angebissene Frikadellen, aufgeweichte Bierdeckel, fetttriefende Papierservietten, stinkende 132
Zigarettenkippen und – ein unverwüstlicher Evergreen – wahre Heerscharen angekauter Kaugummis. Irgendjemand hatte sogar mehrere Schachteln mit chinesischem Essen in der Tonne versenkt. Nun hatten Hühnchenteile und pappige Klumpen von Reis in seinem Haar ein neues Zuhause gefunden. Keine Ratten, zum Glück, obschon ihm noch vor wenigen Augenblicken eine verängstigte braune Maus über den Fuß gehuscht war. Er hatte bei ihrem Anblick, auch wenn er es Cordelia gegenüber vehement abzustreiten versuchte, gequiekt wie ein kleines Mädchen. Hey, so eine kleine Maus konnte schließlich, soweit er wusste, durchaus die Tollwut haben. »Nichts«, sagte Xander schließlich. Nichts zumindest, was in irgendeiner Weise auf Willow oder Troy hingewiesen hätte. Alle anderen Dinge, die man für gewöhnlich in einer Mülltonne zu finden erwarten durfte, hatten mit beachtlicher Zielstrebigkeit ihren Weg in Xanders Haare, in sein T-Shirt, seine Hosentaschen, seine Schuhe und sogar in seine Socken gefunden. Auch wenn seine Suche erfolglos geblieben war, so hatte er sich doch zumindest einen zwar kleinen, doch nichtsdestoweniger bleibenden Eindruck vom Leben einer gemeinen Straßenratte verschaffen können. Er streckte Cordelia eine dreckverschmierte braune Hand entgegen. »Hilf mir hier raus.« »Niemals«, wehrte sie ab und wich kopfschüttelnd einige Meter zurück. »Nicht, bevor du gebadet hast – mindestens ein paar hundert Mal.« Oz kam herbei, reichte Xander die Hand und zog ihn aus dem Unrat heraus. »Danke, Mann«, sagte Oz angesichts Xanders Zustand und dem seiner Klamotten. In Anbetracht des verbissenen Ausdrucks in Oz’ Gesicht überkam Xander die Gewissheit, dass sein Einsatz als Mülltonnentaucher das Mindeste war, was er hatte tun können. Xander und Willow waren Freunde, wahrscheinlich sogar Freunde fürs Leben. Es gab nichts, was er nicht zu tun bereit 133
wäre, um Will aus der Patsche zu helfen. Doch zwischen ihr und Oz war es etwas Besonderes, und er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie es in Oz im Augenblick aussah. »Kein Problem«, erwiderte Xander. Er pulte sich ein paar weiße Reiskörner aus dem Ohr. »Ich wünschte nur, ich hätte da drin irgendwas gefunden, das uns weiterhelfen könnte.« »Ich weiß«, sagte Oz niedergeschlagen. Der Schein seiner Taschenlampe fiel auf einen dunklen Fleck an der Außenseite der Mülltonne. In den Stunden der Abenddämmerung wirkte das schwache Licht der Straßenlaternen noch blasser und diffuser als sonst, doch Xander konnte deutlich die rote Tönung des Flecks erkennen, und er hatte ernsthafte Zweifel, dass es sich um Ketchup handelte. Er ging in die Hocke und schrak davor zurück, die Stelle zu berühren, hatte Angst, trotz seiner schmutzstarrenden Hände die Nässe zu spüren, Angst, seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt zu finden. Überdeutlich nahm er die Parfümwolke von Cordelia wahr, die nun neben ihm stand – überdeutlich vor allem deshalb, weil der Geruch ihres Eau de Toilettes einen bemerkenswerten Kontrast zu dem kaum auszuhaltenden Gestank darstellte, den er selbst um sich herum verbreitete. »Sieh doch nur«, flüsterte Cordelia. Sie deutete mit dem Finger nach unten. Xander nickte und brachte ein paar weitere Reiskörner zum Absturz. »Ich weiß«, sagte er. »Sieht aus wie Blut.« Oz bückte sich und richtete seine Taschenlampe auf die dunkle Stelle. »Nein«, erwiderte Cordelia. Sie hob einen Stofffetzen auf, der unter einem der Mülltonnenräder eingeklemmt gewesen war. »Ich meine das hier«, sagte sie und hielt ihn den anderen hin. »Ein Klamottenlabel?«, fragte Xander verwirrt.
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»Mein Gott – seid ihr Typen denn blind?«, fuhr Cordelia sie an. »Das ist von Versace.« Oz runzelte die Stirn. »Hallo«, sagte sie. »Könnt ihr mal ein bisschen mitdenken? Troys Anzug gestern Abend. Er war von Versace.« In diesem Moment kehrten Buffy und Angel von einem weiteren Erkundungsgang um das Bronze zurück. Buffy richtete ihre Taschenlampe auf das Stück Stoff zwischen Cordelias Fingernägeln, las das Logo des Herstellers und erfasste sofort, was dieser Fund zu bedeuten hatte. »Sie... es... was auch immer, haben Troy erwischt«, stellte sie fest und blickte Angel an, der zustimmend nickte. »Ich hasse diese Stadt«, schimpfte Cordelia. »Alle Typen, die mir gefallen, werden irgendwann von Dämonen gefressen!« »Oh nein – oh nein!«, kreischte Xander auf und zeigte auf den Boden. »Schaut euch das an, Leute! Der Reis – der Reis bewegt sich!« Er hüpfte schreiend umher, klopfte sich mit der Hand auf dem Kopf herum, zerzauste sich die Haare und zappelte, als wäre ein ganzes Heer von Ameisen über ihn hergefallen. »Oh Gott... oh, mein Gott! Das ist ja nicht auszuhalten!« Cordelia blickte auf die Stelle am Boden, auf die Xander gedeutet hatte. »Sind das...?« Angel nickte: »Maden.« Cordelias schlug sich die Hand vor den Mund. »Oh, ich glaub, mir wird schlecht!« »Nimm am besten die Mülltonne dort«, schlug Angel vor. Buffy ging zu Oz hinüber, der ein wenig abseits stand und nichts von all dem, was um ihn herum geschah, wahrzunehmen schien. Sie legte ihren Arm um seine Schulter. »Wir finden sie, Oz. Das verspreche ich dir.« »Willow lebt«, sagte Oz leise. »Ich weiß es.« Willow lebte, doch sie spürte jeden einzelnen ihrer Knochen. 135
Für die Dauer ihres dritten Auftritts hatten Vyxn sie, gefesselt und geknebelt, in den Kleiderschrank ihrer Garderobe hineingequetscht. In die andere Schrankhälfte, ihr genau gegenüber, hatten sie einen großen Sack plumpsen lassen, in dem sich das befand, was von Troy noch übrig war. Und das war nicht eben viel, nachdem sie ihre kleine Zwischenmahlzeit in der Konzertpause beendet hatten. Ungeachtet ihrer wilden Gier nach Menschenfleisch hatten sie doch genügend Umsicht besessen, alle Spuren ihres grausamen Gelages sorgsam zu beseitigen. Willow hatte sich nicht allzu viele Hoffnungen gemacht, dass ihre Freunde sie bald würden finden können. Auch jetzt hegte sie wenig Hoffnung auf Rettung, nicht zuletzt aus dem Grunde, dass sie selbst nicht die geringste Ahnung hatte, wo sie sich befand. Sie hatten sie ebenfalls in einen muffigen Sack gesteckt, in den Laderaum ihres Tourneebusses geworfen und waren mir ihr losgebraust, direkt in ihre verborgene...Vorratskammer? Dann hatten sie ihr eine enge Manschette um den Hals gelegt und sie an einen massiven Balken – mit mehreren, in regelmäßigen Abständen angebrachten Ringen – gekettet, der in einer der Wände des Raums fest verankert war. Die beiden Fenster an der gegenüberliegenden Wand waren mit dicken Brettern vernagelt. Nun drang das frühe Morgenlicht durch die schmalen Ritzen und ließ Myriaden von Staubkörnern umhertanzen. Die Wände waren in mattem Grünton gestrichen, doch an mehreren Stellen war die Farbe bereits abgeblättert; grober Mörtel kam darunter zum Vorschein. Dort, wo auch der Putz dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen war, gaben große Löcher den Blick frei auf Bruchstein und Lattenwerk. Sie konnte sie hören, alle vier, wie sie sich unterhielten und lachten, beinahe wie richtige Menschen; doch wohl kaum etwas war weiter von der Wahrheit entfernt als das. Zwar hatten sie Willow den Knebel wieder abgenommen, doch sie wusste, dass Schreien zwecklos war. Lupa hatte ihr versichert, 136
dass das verlassene Haus viel zu einsam lag, als dass irgendjemand sie hätte hören können, egal wie Willow sich auch die Lunge aus dem Halse brüllen mochte. Nash hatte lauthals um Hilfe geschrien, nur um ihr zu demonstrieren, wie hoffnungslos ihre Lage war. Dann waren sie und die anderen in hemmungsloses Gelächter ausgebrochen und hatten Willow vorerst allein gelassen. Doch nun öffnete sich erneut die Tür, und Carnie, die rothaarige Bassistin, kam herein. Sie kaute an etwas herum, das verdächtig nach den Resten eines menschlichen Unterarms aussah. Hinter ihr konnte Willow Lupa, Rave und Nash erkennen, die um einen alten Holztisch herum saßen und mit ihren eigenen riesigen Fleischportionen beschäftigt waren. »War ein bisschen viel für uns«, sagte Carnie spöttisch. »Möchtest du mal abbeißen?« »Nein, danke, mir ist schon schlecht.« Carnie lachte. »Wenn du eine von uns werden willst, solltest du deine Aversion gegen rohes Menschfleisch besser ablegen.« »Kein Problem, hab ohnehin nicht die Absicht, mich euch anzuschließen.« Carnie kicherte und zuckte mit den Achseln. »Entweder wirst du eine von uns«, belehrte sie Willow und verwandelte sich, wie um ihren Worten das nötige Gewicht zu verleihen, in ihre grün gefleckte, reißzahnbewehrte Ghulgestalt, »oder« – sie wedelte mit dem blutigen Armstumpf vor Willows Gesicht herum – »du siehst bald auch so aus. Brauchst es nur zu sagen.«
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»Okay, Giles«, sagte Buffy, als sie neben dem Krankenhausbett ihres Wächters stand. »Hier sind die Berichte und all die anderen muffigen Bücher, die Sie haben wollten.« Sie legte die alten, in Leder gebundenen Wälzer auf dem mobilen Nachttisch ab, wo sie zweifelsohne die ein oder andere Krankenschwester beunruhigen würden. »Vielen Dank, Buffy.« »Sieht aus wie die Bestsellerliste des Wächterrats.« »Bestimmte Werke – der Pergamum-Kodex, die Schwarzen Chroniken, die Schriften des Dramius, um nur einige zu nennen – haben sich im Laufe der Zeit als von unschätzbarem Wert erwiesen, in der Tat«, erwiderte Giles. »Und irgendwie hat es nicht ein einziges davon zum Vorschlagsband im Buchclub geschafft.« »Hat mit dem Ritual, das die Einladung deiner Mutter rückgängig machen sollte, alles geklappt?«, erkundigte sich Giles. Buffy nickte eifrig. »Alle Dämonen gerettet und die Menschheit vernichtet. Hab da aufgehört, wo Sie weitergemacht haben«, sagte sie. »Oder war es umgekehrt?« Ihr verschmitztes Grinsen verschwand so jäh aus ihrem Gesicht, als wäre es niemals da gewesen. Sie zog einen Stuhl heran und setzte sich neben das Bett. »So, Giles, nun mal raus mit der Sprache. Sie haben meine Mutter am Telefon gebeten mir ausrichten, Sie lägen im Krankenhaus, wären aber ansonsten ganz okay.« Ihr Blick wanderte von seinem eingegipsten Unterarm zu dem Verband um seinen Kopf. »Für mich sieht das ganz und gar nicht okay aus.« »Nichts Ernsthaftes«, versicherte Giles. »Gehirnerschütterung, gebrochenes Handgelenk, leichte Schädelverletzungen. Ärgerlich, aber keinesfalls 138
lebensbedrohlich. Jetzt aber zu dir. Habt ihr was über Willow herausbekommen?« Buffy stemmte sich aus dem Krankenhausstuhl heraus und schlenderte zum Fenster. Durch die Lücken zwischen den einzelnen Lamellen der Jalousie blickte sie auf die ordentlich in Reihe geparkten Autos hinab. Ich sollte etwas unternehmen, dachte sie, irgendwas – wenn ich nur wüsste, wo ich anfangen soll. Willow war ihre beste Freundin, und alles, was Buffy nun antworten konnte, war: »Nein.« »Nichts, was darauf hindeutet, dass sie beim Bronze verschwunden ist? Sie oder Troy?« »Wir nehmen an, dass Troy diesen Menschenfressern in die Hände gefallen ist, diesen Ghulen, oder was immer sie sein mögen«, erklärte Buffy. »Nachdem er das Bronze verlassen hat. Cordelia hat einen Fetzen seines Anzugs identifiziert, und außerdem haben wir Blutspuren gefunden. Wir wissen allerdings nicht, ob Willow auch dabei war, ob sie auch...« »Ich verstehe«, unterbrach sie Giles. »Zumindest gibt der Umstand, dass ihr nichts gefunden habt, was auf ihre Anwesenheit schließen lässt, Anlass zu der Hoffnung, dass sie noch am Leben ist.« Buffy nickte und wandte sich wieder dem Krankenbett zu. »Xander und Oz haben mir versprochen, sich für ein paar Stunden aufs Ohr zu hauen. Aber höchstwahrscheinlich sind sie schon wieder auf der Suche.« »Sie werden dich in der Schule vermissen. Was ist mit deiner Mutter?« »Hat in der Highschool angerufen und mich entschuldigt. Was Rektor Snyder schwerlich davon abhalten wird, gleich mit seiner teuflischen kleinen Liste zu meiner Schülerberaterin zu rennen, um ihr schwarz auf weiß zu präsentieren, was für eine unartige Schülerin ich bin.« »Buffy, du darfst auf keinen Fall die Schule vernachlässigen«, ermahnte sie Giles. »Oder deinen Schlaf. Du 139
musst auf die Herausforderungen vorbereitet sein, die vor dir liegen. Andernfalls wirst du weder Willow noch dir selbst eine große Hilfe sein. In Anbetracht des Ernstes der Lage sollten wir wohl überlegt und effizient vorgehen.« Giles blätterte in einem der Wälzer herum, runzelte die Stirn, klappte den Band wieder zu und nahm einen anderen zur Hand. Er blätterte auch diesen durch und tippte schließlich mit dem Finger auf eine bestimmte Seite. »Hier steht was über Ghule, die Menschen fressen«, erklärte er. »Wie ich schon sagte, entstammen die Legenden über sie dem orientalischen Kulturkreis.« Er überflog den Absatz und prägte sich die wichtigsten Fakten ein. »Ghule sind weibliche Wüstendämonen, die Reisende – ich nehme an, männliche – in ihren Bann locken und dann verspeisen.« »Wir haben in Sunnydale aber keine Wüste«, wandte Buffy ein. Sie tippte sich mit dem Finger an die Stirn. »Sehen Sie? Bei mir funktioniert die Sache mit der Wohlüberlegtheit bereits.« »Aber wir haben den Höllenschlund.« »Okay, aber dieser Solitaire passt irgendwie nicht ins Bild«, gab Buffy zu bedenken. »Erstens ist er ein Mann. Und zweitens hätte er Sie, wenn er ein Ghul wäre, zweifellos als Imbiss verdrückt.« »Nein, wenn mich nicht alles täuscht, ist Solitaire eher ein Einzelgänger«, erwiderte Giles. »Darauf deutet bereits sein Name hin, ungeachtet seiner großen Vorliebe für Kartenspiele. Ich fürchte, Solitaire ist nichts anderes als ein Vampir, ein sehr mächtiger Vampir allerdings.« »Ein Vampir, der sich eben noch mal kurz auf die Sonnenbank knallt, bevor er seinen Morgenspaziergang macht?« Giles zog die Stirn kraus. »Das ist das... äh, Anormale daran. Es ist nicht auszuschließen, dass er irgendeinen magischen Ring besitzt oder ein Amulett, irgendwas, das ihn vor den 140
Strahlen der Sonne schützt. Mach dir eine Notiz. Du willst es ihm bitte abnehmen, wenn du ihm bei Tageslicht begegnest.« »Ich könnte ihn doch auch ganz einfach pfählen.« »Ganz richtig«, räumte Giles ein. »Mir fällt gerade ein, dass in den Aufzeichnungen eines Wächters einmal ein Vampir mit dem Namen Solitaire erwähnt wurde. Doch diese Aufzeichnungen sind drei- bis vierhundert Jahre alt.« Er schob die dicken Wälzer beiseite und begann, die nach Jahreszahlen sortierten Wächterberichte durchzublättern. Verärgert schüttelte er den Kopf, als es ihm nicht gelang, den Eintrag sofort wieder zu finden. »Um ihn ranken sich Unmengen von Gerüchten und Legenden, allesamt in die Welt gesetzt von Legionen von Untoten, die einen höllischen Respekt vor ihm hatten. Ich bin der Sache seinerzeit nicht weiter auf den Grund gegangen, da es in den letzten paar Jahrhunderten verdächtig ruhig um ihn geworden ist.« »Was hat er Ihnen denn erzählt, Giles?« »Im Wesentlichen, dass er es auf dein Leben abgesehen hat«, entgegnete Giles. »Wie originell.« »Hab’ ich ihm auch gesagt. Wie auch immer, er war von deinem Ruf ausgesprochen beeindruckt.« »Nicht doch, ich werd noch ganz rot.« »Dies ist eine ernste Angelegenheit, Buffy«, sagte Giles. »Ganz besonders beeindruckt war er übrigens davon, wie du die Sache mit dem Bund von Taraka gemeistert hast. Ganz offensichtlich hat ihn das dazu bewogen, in dir einen würdigen Gegner zu sehen.« »Klingt nach einem Revolverhelden aus dem Wilden Westen«, meinte Buffy. »Ein nicht ganz unzutreffender Vergleich«, stimmte Giles zu. »Und dieser Biker – Warhammer? Was war das? Eine Art Warm-up?«
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»Die anderen Biker, die er umgebracht hat, standen ihm einfach nur im Weg. Er hatte es einzig und allein auf Warhammer abgesehen, der Rest hätte, wenn es nach ihm gegangen wäre, unbehelligt abziehen können. Deine Mutter und ich sind wahrscheinlich nur noch am Leben, weil wir für ihn unbedeutende Randfiguren sind.« »Wenn er es auf mich abgesehen hat«, überlegte Buffy, »warum stellt er sich mir dann nicht einfach?« »Er umkreist dich, will mehr über dich erfahren, sucht nach irgendeinem Schwachpunkt«, erklärte Giles. »Er liebt den Kampf, aber vermutlich liebt er ebenso sehr die Vorfreude darauf. Die psychologische Komponente des Kräftemessens ist für ihn genauso wichtig wie die rein physische.« »Das Einzige, was er damit erreicht, ist, dass ich allmählich echt sauer auf ihn werde.« »Er wird versuchen, sich einen maßgeblichen Vorteil zu verschaffen, bevor er angreift. Wenn es stimmt, dass er gegen das Sonnenlicht immun ist, solltest du ständig auf der Hut sein, Tag und Nacht.« Es ließ sich nicht länger leugnen: Willow hatte Hunger. Jedes Mal, wenn ihr der Magen knurrte, rief sie sich in Erinnerung, was mit Troy geschehen war, und schlagartig verging ihr jeglicher Appetit. Doch allmählich konnte auch dieser Gedanke ihren wachsenden Hunger nicht mehr verdrängen. Sie versuchte, sich in den Schlaf zu flüchten, aber der Holzfußboden war viel zu hart und unbequem, und beinahe alle fünfzehn Minuten wachte sie mit tauben und schmerzenden Gliedern wieder auf. Das trug nicht gerade zur Besserung ihrer Lage bei. Um sich zu beschäftigen, begann sie die eiserne Manschette zu untersuchen, die man ihr um den Hals gelegt hatte. Sie fühlte sich alt an, handgefertigt, aber stabil. Ebenso schien das Vorhängeschloss von einer Qualität zu sein, wie sie im 142
vorindustriellen Zeitalter einmal Standard gewesen sein mochte. Und auch die Kette, mit der sie am Balken festgemacht war, bestand aus identischen, maschinell hergestellten Gliedern aus rostfreiem Stahl. Vergeblich versuchte sie den Ring aus dem Balken herauszudrehen; ohne das richtige Werkzeug würde hier wohl kaum etwas zu machen sein. Der Balken selbst war unverrückbar mit der Wand verbunden und – wie sie aufgrund der Anordnung der hineingeschlagenen Nägel annahm – direkt an den Holzverstrebungen des Hauses angebracht. Natürlich war stets mindestens ein Mitglied von Vyxn hier im Versteck als Wache postiert worden, seit sie in diesen Raum gesperrt worden war, sodass sie zudem keinen großen Lärm machen durfte. Rasch wandte sie sich von der Wand ab, als sie hörte, wie sich hinter ihr die Tür öffnete. Wieder war es Carnie, doch diesmal in Begleitung von Lupa, der Anführerin der Ghule. Sie bauten sich, beide in ihrer menschlichen Gestalt, rechts und links vor Willow auf. Im Nebenzimmer konnte Willow Rave und Nash erkennen, die, in das matte Licht einer Petroleumlampe getaucht, an einem Tisch saßen. Anders als Carnie und Lupa hatten sie ihre natürliche, von gezackten Zähnen und messerscharfen Klauen strotzende Ghul-Gestalt beibehalten, um so das rohe Fleisch besser von den Knochen reißen zu können. Der Schlachthausgeruch, der von außen hereinströmte, drehte Willow den Magen um, und eine Woge der Erleichterung überkam sie, als Lupa die Tür zustieß und sie von dem abscheulichen Anblick befreite. »Irgendeine Lieblingsküche?«, wollte Carnie wissen. »Thailändisch? Mexikanisch? Chinesisch?« »Ich bin nicht hungrig«, log Willow. »Trotzdem danke.« »Aber du wirst es bald sein«, versicherte ihr Lupa. »Was wollt ihr eigentlich von mir?«
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Lupa beugte sich zu ihr hinab. »Wir möchten nur, dass du Mitglied in unserem kleinen Klub wirst. Alles, was es dazu braucht, ist eine... nun, nennen wir es mal Initiation.« »Initiation?« Eigentlich wollte Willow gar nichts Näheres darüber erfahren. Sie hegte wenig Hoffnung, die Ghule davon überzeugen zu können, dass sie einen großen Irrtum begingen, doch je mehr sie in Erfahrung bringen konnte, desto größer wurden ihre Chancen, vielleicht auf etwas zu stoßen, das ihr die Gelegenheit bot, sich aus ihrer prekären Lage zu befreien. In ihrer augenblicklichen Situation musste sie jeden Vorteil nutzen. Mochte er auch noch so gering sein. »Es ist ganz leicht, wirklich«, erklärte ihr Lupa. »Alles, was du dafür tun musst, ist, das noch lebende Fleisch deines besten Freundes zu essen.« »Ich denke, etwa ein Viertel Pfund sollten reichen«, fügte Carnie hinzu. »Könnte ich stattdessen nicht einfach einen perversen Anruf machen?«, schlug Willow vor. Lupa schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht, gerade kräftig genug, um sie zum Verstummen zu bringen. »Erzähl uns was über Buffy.« »Buffy – wer?« Willow presste eine Hand auf die glühende Wange. »Sie ist nicht meine... wir sind uns nur... ein- oder zweimal im Schulfoyer begegnet. Ich glaube, ich weiß nicht mal ihren Nachnamen. Was ist mit ihr?« »Netter Versuch«, sagte Lupa. Sie richtete sich wieder auf. »Wir möchten nur ungern hässlich werden, und Folter ist ein so hässliches Wort. Doch so weit wollen wir es nicht kommen lassen... jedenfalls nicht jetzt. Im Augenblick müssen wir uns erst mal auf unsere nächste Show vorbereiten. Also, denk darüber nach. Noch hast du Zeit. Zeit, um einsichtig zu werden. Und Hunger zu bekommen.« Sie ließen sie allein zurück, schlossen hinter sich die Tür. Willow konnte hören, wie sie sich im Vorraum leise 144
unterhielten, doch ihre Stimmen waren zu undeutlich, um etwas zu verstehen. Mittlerweile war es draußen deutlich dunkler geworden. Und mit dem Licht des Tages ging auch ihre Zuversicht dahin. »Und?«, fragte Rave, als Carnie und Lupa wieder zu ihr und Nash an den Tisch zurückkamen, auf dem eine große Schüssel mit feucht schimmernden Knochenresten stand. »Nicht so laut«, warnte sie Lupa und setzte sich an das Kopfende des Tisches. »Sie spielt immer noch die tapfere kleine Heldin.« Nash kaute hingebungsvoll auf einer abgetrennten Hand herum, drehte die Finger dann, nachdem sie sie sauber abgenagt hatte, aus den Gelenken heraus und warf sie in die überquellende Schüssel. Sie wies mit dem Kopf in Richtung Tür und verzog verächtlich das Gesicht. »Aus der wird niemals ein richtiger Ghul, ich sag’s euch.« »Blödsinn«, erwiderte Rave, während sie damit beschäftigt war, sich ein großes Stück von einem Oberschenkel einzuverleiben. »Wie bitte?«, fragte Nash. »Du vergisst eins«, erinnerte sie Lupa. »Das Ritual muss nicht freiwillig vollzogen werden. Und nach der Verwandlung spielt es ohnehin keine Rolle mehr. Sie wird eine von uns sein, fest zu unserer Gruppe gehören.« Nash leckt sich die Klauenfinger ab. »Dieses Modepüppchen«, murmelte sie schmatzend, »diese Brünette, die sich immer gleich so aufregt. Die wäre die weitaus bessere Wahl, wenn ihr mich fragt.« »Aber wir haben nun mal die hier«, entgegnete Lupa. »Sie mag zwar nicht die Jägerin sein, aber sie hält sich ziemlich wacker. Sie ist ganz schön stark. Das spüre ich deutlich.« »Sie wird uns nichts als Ärger einbringen, wartet nur ab«, beharrte Nash. 145
»Wie auch immer, wir müssen unseren Trupp wieder aufstocken«, fuhr Lupa fort. »Außerdem können wir eine neue Keyboarderin gut gebrauchen. Also warum nicht sie? Mal abgesehen davon: Sollte sie tatsächlich nur Ärger machen, können wir sie ja später immer noch umbringen. Im Moment brauche ich sie allerdings lebendig.« Carnie grinste vielsagend. »Ich verstehe... ein Köder für die Jägerin.« »Glaubst du wirklich, die Jägerin fällt auf so was rein?« Rave war skeptisch. »Diese Jägerin hat, wie wir gesehen haben, einen festen Freundeskreis«, erklärte Lupa. »Jeder Einzelne von ihnen ist wie eine Lücke in ihrer Verteidigung. Sie werden uns zu ihr führen, ob sie wollen oder nicht, und die Kleine wird das Opfer bringen. Und zwar ohne zu zögern. Da bin ich mir sicher.« Xander fühlte sich genauso erschöpft, wie Oz aussah. Fast den gesamten Tag lang bis spät in die Nacht hinein hatten sie Sunnydale nach einem Zeichen von Willow abgegrast. Um jede Möglichkeit auszuschöpfen, hatten Willows Eltern Vermisstenanzeige erstattet. Sunnydales Ordnungshüter hatten, natürlich, erst einmal vierundzwanzig Stunden vergehen lassen, ehe sie bereit waren zur Kenntnis zu nehmen, dass es Willow Rosenberg überhaupt nicht ähnlich sah, so einfach von der Bildfläche zu verschwinden. Mittlerweile hatten sie vielleicht schon die üblichen Maßnahmen ergriffen, eine Fahndung eingeleitet – falls sie so etwas bei vermissten Personen überhaupt taten –, Flyer verteilt, einigen Leuten ein paar Fragen gestellt und sich bei örtlichen Buslinien erkundigt. In ihren Akten führten sie Willow vermutlich lediglich als einen weiteren Teenager, der von zu Hause davongelaufen war. Xander wagte stark zu bezweifeln, dass auch nur ein einziger von ihnen die Möglichkeit in Erwägung zog, Willow könnte mit einem der zahlreichen unerklärlichen Phänomene, von 146
denen Sunnydale in steter Regelmäßigkeit heimgesucht wurde, in Konflikt geraten sein. Vielmehr nahm er an, dass sie allesamt die Meinung vertraten – schon um ihres eigenen Seelenfriedens willen –, Sunnydales lange Geschichte von Tod, Zerstörung und verschollenen Menschen sei nun wirklich so ungewöhnlich nicht. Oz und Xander hatten die üblichen Orte und Plätze, an denen die mannigfaltige Bewohnerschaft des Höllenschlunds dann und wann über die Stränge zu schlagen pflegte, restlos abgeklappert. Sogar zum Campus der UC Sunnydale waren sie mit Oz’ Van gefahren und hatten Willows Foto herumgezeigt. Nun lehnte Xander abgekämpft an einem Baum im Weatherly Park und massierte sich die Füße. »Ich hab schon Blasen auf meinen Blasen.« Oz stand da, die Hände in den Taschen, und schüttelte nur den Kopf. »Geh nach Hause. Ruh dich ein bisschen aus.« »Und was ist mit dir?« »Mir geht’s gut. Ich bin noch fit.« »Nimm’s mir nicht krumm, Oz«, sagte Xander, »aber du siehst erbärmlich aus.« »Ich trink einfach einen Kaffee.« »Bei deinem Zustand wirst du ihn wohl intravenös zu dir nehmen müssen, wenn er etwas nützen soll«, erwiderte Xander. »Außerdem, hast du vergessen, was Giles gesagt hat? Junge Friss-mich-ich-schmeck-lecker-Kandidaten wie wir sollten nachts nicht allein durch die Gegend rennen. Wir tun Willow keinen Gefallen, wenn wir in irgendeinem Kochtopf landen.« »Was schlägst du dann vor?« »Nach Hause gehen. Ein paar Stunden schlafen. Von vorne anfangen.« »Ich weiß nicht...« »Hör zu, Buffy und Angel sind auch noch da. Sie werden die Suche fortsetzen«, erinnerte ihn Xander. »Die Fahne des Jägerteams wird weiterwehen.« 147
Oz seufzte und gab seiner Erschöpfung nach. »Okay.« Sie machten sich zu seinem Van auf, der am anderen Ende des Parks stand. »Aber nur ein paar Stunden.« »Was ist das für ein Kerl, dieser Solitaire? Muss ich mir Sorgen machen?«, fragte Buffy Angel. Seit sie ihm von Solitaires Auftauchen bei ihrer Mutter und bei Giles berichtet hatte, war Angel nachdenklich und still geblieben. Und je mehr er schwieg, umso mehr wuchs ihre Unruhe. Sie streiften über den Friedhof von Sunnydale, in der Hoffnung, dass, wer oder was auch immer den Oberschenkelknochen und Highschool-Ring von Robert John Wallace hier fallen gelassen hatte, zum Schauplatz der Tat zurückkehren würde. Anschließend wollten sie noch einmal den Weatherly Park durchkämmen, insbesondere die Gegend um die Knochengrube herum. Falls diese Menschenfresser für Willows Verschwinden verantwortlich waren und es Buffy gelingen sollte, ihrer habhaft zu werden, war sie sicher, sie mit Hilfe ihrer bewährten Überredungskünste dazu bewegen zu können, sie unverzüglich zu Willow zu führen. »Ich versuch mich an die Geschichten zu erinnern, die ich über ihn gehört habe«, sagte Angel. »Du bist ihm also nie persönlich begegnet?« Angel schüttelte den Kopf. »Es gab mal einen Vampir namens Solitaire, in Europa. Er war anscheinend immer allein unterwegs, auf der Suche nach anderen mächtigen Vampiren, die er herausfordern konnte. Seine krankhafte Selbstherrlichkeit wurde von vielen Vampiren gefürchtet. Aber das war mehr als hundert Jahre vor meiner Zeit. Alles, was ich gehört habe, sind die Legenden über ihn... im Grunde genommen nur Gerüchte.« »Er tötet also Vampire, ja?«, hakte Buffy nach. »Komisch, dass ihn niemand der Jägerinnengewerkschaft gemeldet hat. Das ist doch eigentlich mein Job.« 148
»Er hat sie zum Zweikampf gezwungen. Mann gegen Mann«, fuhr Angel fort. »Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten hundert Jahren irgendetwas über ihn gehört zu haben. Bin davon ausgegangen, dass er endlich mal seinen Meister gefunden hat.« »Vielleicht haben wir es ja auch mit einem ganz anderen Bösewicht zu tun«, überlegte Buffy. Abermals schüttelte Angel den Kopf. »Entweder er ist es selbst, oder irgendjemand versucht sich für ihn auszugeben. Und da wir hier über einen Vampir sprechen, tendiere ich eher dazu, Ersteres zu glauben. Warhammer zum Kampf herauszufordern entspricht absolut seinem Stil.« »Warhammer ist aber kein Vampir«, erinnerte ihn Buffy. Angel zuckte mit den Achseln. »Nehmen wir an, dass er lediglich einen kleinen Nervenkitzel brauchte. Vielleicht ist er es leid, sich mit Vampiren zu messen, was auch erklären würde, warum er seine Fühler nicht nach der Unterwelt ausstreckt. Warhammer war der härteste Brocken der BikerGang. Also hat Solitaire sich ihn herausgepickt. Wahrscheinlich als leichtes Workout, so eine Art Sparring.« Buffy blieb stehen. Angel sah sie fragend an: »Was?« »Mir ist nur gerade aufgefallen, dass es in letzter Zeit ziemlich ruhig in der Gegend ist.« Angel erriet ihren Gedanken. »Skull John.« »Jede Wette, Solitaire hat ihn sich gekrallt.« »Garantiert hat er Solitaires Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ebenso wie du...«, sagte Angel besorgt. »Nach dem, was er Giles gesagt hat, eilt dir dein Ruf offensichtlich voraus. Du bist der Hauptgrund für seine Anwesenheit.« »Du meinst... während ich versuche, Willow aufzuspüren, hat mich dieser Solitaire die ganze Zeit im Fadenkreuz?« »Nein, nein, dieser Typ liebt’s persönlicher«, entgegnete Angel. »Er würde niemals aus der Entfernung angreifen. Er will, dass du deiner Nemesis direkt ins Auge blickst.« 149
»Klasse, vielleicht schickt er mir ja ’ne Einladung«, meinte Buffy und seufzte. »Mit der Bitte um Antwort.« »Glaub mir, es wird kommen, doch bestimmt nicht mit der Post«, sagte Angel. »Aber du bist nicht allein. Das weißt du.« Buffy gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. »Angel – mein Beschützer.« Oz hatte so gut wie kein Auge zugetan. Unruhig hatte er auf dem Bett gelegen, sich hin und her gewälzt und von einer Seite auf die andere geworfen, während eine Schreckensvision die nächste gejagt und jeden Anflug von Schlaf im Keim erstickt hatte. Er hatte sich dazu gezwungen, im Bett zu bleiben, ruhelos, für ein paar Stunden. Schließlich jedoch war der Gedanke, tatenlos hier herumzuliegen, während Willow sich wahrscheinlich in fürchterlicher Gefahr befand, immer unerträglicher geworden. Er war in seinen Van gestiegen und ziellos durch die leeren Straßen geirrt, hatte einfach nur gesucht, unaufhörlich gesucht, ohne jegliche Anhaltspunkte, aber wenigstens tat er etwas. Doch irgendwann wurde ihm klar, dass er so nicht weiterkam. Er fuhr über eine Bordsteinkante und parkte den Van direkt vor dem Eingang des Weatherly Park, wo er und Xander einige Stunden zuvor ihre Suche unterbrochen hatten. Der Ort ließ ihn sich der Sinnlosigkeit seines Tuns bewusst werden. Das ist völliger Schwachsinn!, dachte er. Er stieg aus, knallte die Wagentür hinter sich zu und grübelte, ob er vielleicht irgendetwas übersehen hatte, ob es irgendeinen Ort gab, an dem er noch nicht gewesen war. Seufzend ließ er sich auf eine Bank neben einem öffentlichen Fernsprecher sinken, stützte die Ellbogen auf die Knie und legte frustriert den Kopf in die Hände. Er atmete mehrere Male tief durch, um seine Gedanken zu klären.
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In diesem Moment wurde ihm bewusst, dass noch etwas anderes in seinem Kopf herumspukte: Vyxn. Die Band sollte ihn jetzt eigentlich am allerwenigsten interessieren. Dennoch hatte sie sich in seinen Gedanken eingenistet wie ein permanentes Kribbeln unter der Haut, das nicht genau zu lokalisieren war und sich auch nicht abstellen ließ. Er verpasste gerade ihre Show. Der letzte Teil ihres Konzerts neigte sich in diesem Augenblick wahrscheinlich seinem Ende zu... und diese Vorstellung machte ihn schier verrückt. Der Begriff Entzugserscheinung ging Oz durch den Kopf. Obwohl Cordelia wahrscheinlich eher seinen verrückt spielenden männlichen Hormonen die Schuld geben würde. Um seine Gedanken von Lupa und dem Rest der Band abzulenken, beschloss Oz, sich mit Buffy in Verbindung zu setzen, sie zu fragen, ob es irgendetwas Neues von Willow gab – obgleich er sicher war, dass sie sich in diesem Fall längst bei ihm gemeldet hätte. Aber so würde er Vyxn vielleicht wieder aus seinem Kopf herausbekommen. Anschließend wollte er Xander anrufen, mit ihm eine Zeit vereinbaren, wann er ihn von zu Hause abholen und die Suche gemeinsam mit ihm fortsetzen sollte. Oz ging zu dem öffentlichen Fernsprecher, warf ein paar Münzen ein und wählte Buffys Nummer. Nur um wenig später die Stimme ihrer Mutter zu hören. Er wollte ihr gerade eine Nachricht für Buffy mitteilen, als sie ihn mitten im Satz unterbrach: »Oh... warte, ich glaube, da kommt sie gerade.« Kurz darauf war Buffy selbst am Telefon. »Oz, es tut mir so Leid. Wir haben nichts Neues herausgefunden. Diese ganze Geschichte bringt mich fast um den Verstand. Ich kann mir vorstellen, wie du dich dabei fühlen musst. Wie sieht’s mit dir und Xander aus? Hattet ihr mehr Glück?« »Nichts.« »Habt ihr wenigstens mal kurz geschlafen?« »Zählt Hin- und Herwälzen auch?« 151
»Nicht wirklich, fürchte ich«, meinte Buffy. »Giles ermahnt mich ständig, gut mit meinen Kräften hauszuhalten. Das gilt auch für euch, Jungs.« »Buffy – danke.« »Wir finden sie, Oz«, versprach Buffy. »Wenn jemand einfallsreich ist, dann Willow, und das nicht nur, weil sie das kleine Hexeneinmaleins beherrscht.« »Ich weiß.« Bevor er einhängen konnte, sagte Buffy noch: »Giles hat ein paar alte Schinken über orientalische Legenden ausgegraben, in denen es unter anderem um Menschenfresser aus der Wüste geht. Ghule sind demnach weibliche Wüstendämonen, die Männer verhexen und in ihre Fänge locken, ganz offensichtlich direkt auf ihren Esstisch. Bleib immer in unmittelbarer Nähe von Xander. Unternimm nichts allein.« Gute Idee, dachte Oz. Sobald er Xander wieder eingesackt hatte, war er nicht mehr allein. »Wie geht es Giles?« »So la la«, meinte Buffy. »Sie wollen ihn über Nacht dabehalten, zur Beobachtung. Solitaire hätte weitaus Schlimmeres mit ihm anstellen können, aber er wollte ihn wohl nur ein wenig in die Mangel nehmen, um mir einen Schrecken einzujagen. Ich hab Giles gesagt, dass niemand ungestraft so mit meinem Wächter umspringen darf.« »Pass auf dich auf, Buffy.« »Du auch, Oz.« Nachdem er aufgelegt hatte, rief Oz bei den Harris an, nur um zu erfahren, dass Xander bereits vor mehr als einer Stunde das Haus verlassen hatte. Er habe allerdings, wusste man ihm zu berichten, vage etwas vom Bronze erwähnt. Schlagartig verspürte Oz wieder jenes merkwürdige Kribbeln. Wenn Xander im Bronze war, musste Oz ihn eben dort auflesen. Möglicherweise bekam er dann sogar noch die letzten Songs mit. Und vielleicht wurde er auf diese Weise auch dieses nervige Kribbeln unter der Haut wieder los. Die Begründungen 152
waren aus der Luft gegriffen, aber ihm blieb ohnehin kaum eine andere Wahl. Auf halbem Weg zum Bronze ertappte er sich dabei, wie er das Gaspedal bis zum Anschlag durchtrat und das Lenkrad so fest umklammerte, dass die Knöchel seiner Finger weiß hervortraten. Ihm dämmerte langsam, wie hochgradig verzweifelt er versuchte, Vyxn noch zu sehen, bevor ihre Show zu Ende war. Plötzlich fielen ihm Buffys Worte ein... Ghule, weibliche Wüstendämonen, die Männer verhexen und in ihre Fänge locken. Das Bronze. Troy war beim Bronze angegriffen worden. Und Willow war vermutlich auf dem Weg ins Bronze gewesen, um Oz zu treffen, bevor sie verschwunden war. Außerdem war Xander – obwohl sie vereinbart hatten, dass Oz ihn zu Hause abholen würde – ins Bronze gegangen. War er hierher gelockt worden? Oz wehrte sich nicht länger gegen das widernatürliche Verlangen, Vyxn zu sehen. Im Gegenteil. Er wollte sie unbedingt treffen, so bald wie möglich. Sie würden ihn zu Willow führen.
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Xander hatte keine Ahnung, wieso er schon wieder im Bronze gelandet war. Er war immer noch völlig fertig, nachdem er kaum mehr als eine Stunde geschlafen hatte. Er konnte sich nur noch daran erinnern, dass er plötzlich aufrecht im Bett gesessen hatte und nur noch von dem einen beunruhigenden Gedanken erfüllt gewesen war, er könnte die Show verpassen. Er wusste, wenn er sich beeilte, würde er den letzten Teil noch mitbekommen; mit Oz konnte er sich danach immer noch treffen. Kein Mensch würde ihm ernsthaft vorwerfen können, er sei deshalb Willow gegenüber weniger loyal, oder? Als ihm selbst einige Bedenken kamen, hatte er sie mit dem Argument hinweggefegt, dass er ja ohnehin nicht schlafen konnte. Allemal angenehmer als zuzugeben, dass er einfach nur irgendeinem undefinierbaren inneren Drang nachgegeben hatte... Als der letzte Song verklungen war, wandte sich Lupa an ihr Publikum, das selbstredend fast ausnahmslos aus jungen Männern bestand: »Vielen Dank, Leute, ihr seid großartig. Morgen werden wir noch einmal für euch spielen, unser letztes Konzert hier. Ich hoffe, ihr seid alle wieder dabei. Jetzt geht’s erst mal nach Hause... und träumt was Schönes von uns!« Sie lachte anzüglich, und die Menge brach in einen wahren Begeisterungstaumel aus, einschließlich Xander. Dessen Befindlichkeit näherte sich allmählich einem komatösen Zustand. Das bisschen Energie, das noch in ihm gesteckt hatte, war dem lauthalsen Brüllen nach einer Zugabe zum Opfer gefallen. Gleichwohl erhob er sich, wie von unsichtbaren Strippen gezogen, von seinem Platz, als Lupas Blick auf ihm verweilte. Sie hob ihren Zeigefinger und formte mit den Lippen ein einziges Wort: Warte. 154
Der Rest der Band zog sich in den Backstage-Bereich zurück. Lupa kam von der Bühne herunter und setzte sich zu ihm an den kleinen Tisch. Ihr Mikro legte sie vor sich ab. »Na?« »Geile Show.« »Absolut«, erwiderte Lupa mit einem spöttischen Grinsen. Einmal mehr wunderte sich Xander darüber, dass sie überhaupt nicht ins Schwitzen geraten war. Allein die heißen Bühnenscheinwerfer sollten eigentlich ausreichen, ihre Haut vor Schweiß glänzen zu lassen, dachte Xander. »Wirklich unglaublich, dass ich vorher noch nichts von Vyxn gehört habe.« »Wir sind schon... ewig auf Tour«, sagte sie mit einem weiteren nicht klar einzuordnenden Grinsen. »So kommt es uns jedenfalls manchmal vor. Also, wo hast du gesteckt?« Xander hob fragend die Augenbrauen. »Du bist erst während unseres letzten Sets hier aufgetaucht.« »Äh, ich war unterwegs, auf der Suche nach...« Xander seufzte und wandte den Blick ab. Eine Woge von Schuldgefühlen brach über ihn herein. »Nichts.« Sie flüsterte seinen Namen, legte ihre Hand unter sein Kinn und zwang ihn mit sanftem Druck, ihr wieder in die Augen zu schauen. »Erzähl mir von deinem Problem, Xander.« Ihre Stimme hatte etwas merkwürdig Hypnotisches, Unerbittliches. »Ich... ich hab mir Sorgen um eine Freundin gemacht, die verschwunden ist«, erzählte er. »Ich sollte eigentlich draußen sein und nach ihr suchen, anstatt hier mit dir herumzusitzen. Sorry, soll keine Beleidigung sein.« »So hab ich’s auch nicht aufgefasst«, erwiderte Lupa. »Wer ist sie?« »Äh... Willow«, antwortete Xander. Er hatte plötzlich das Bedürfnis, ihr alles zu erzählen, widerstand aber dem Zwang. »Du und Willow, seid ihr sehr eng befreundet?« »Die besten Kumpels, seit einer Ewigkeit.« 155
»Was du nicht sagst«, meinte Lupa. »Hör zu, vielleicht kann ich dich aufmuntern.« »Im Augenblick wohl kaum.« »Komm mit in unsere Garderobe«, fuhr sie fort. »Wie wär’s mit noch ein paar Autogrammen? Ich schau auch mal nach, ob ich für dich noch irgendwo ein Demo-Tape von uns auftreiben kann.« »Ich... ich sollte wirklich besser nicht mitkommen«, sagte Xander, wenngleich ihm der Gedanke ungeheuer verführerisch erschien. »Nun mach schon«, setzte sie ihm weiter zu. »Nur ein oder zwei Minuten. Nebenbei bemerkt, ich glaube, Carnie hat ein Auge auf dich geworfen. Hey, wir könnten dich auch mit unserem Tourbus rumkutschieren und gemeinsam nach Willow Ausschau halten. Die wird ganz schön beeindruckt sein, wenn sie sieht, dass du die komplette Band mobilisiert hast, um nach ihr zu suchen. Na, was meinst du?« Lupa bemerkte ein paar Highschool-Schüler, die sich in der Nähe des Tisches herumdrückten, die Ohren in Lauschposition gebracht und unverkennbar neidisch auf den glücklichen Stern, unter dem Xander augenscheinlich stand. Sie warf ihnen wütende Blicke zu. Unter anderen Umständen wäre sie durchaus nicht abgeneigt gewesen, sie als kleine Happen für zwischendurch in Erwägung zu ziehen, doch hier und jetzt empfand sie sie als ausgesprochenes Ärgernis. »Geht nach Hause, hab ich gesagt.« Sie grummelten irgendeine Entschuldigung und schlurften davon, wie kleine, brave Lämmchen. »Was ist jetzt, Xander?« Es schien fast so, als wüsste sie genau, dass er niemals in der Lage sein würde, ihr Angebot abzulehnen. Nur ein oder zwei Minuten, dachte Xander und versuchte, rational an die Sache heranzugehen. Ein oder zwei Minuten konnten niemandem schaden. »Nach dir«, sagte er schließlich, mit einem verwegenen Grinsen auf den Lippen.
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Keine der anderen schien überrascht, als er die Garderobe betrat. »Hi, Xander«, meinte Carnie und hob grüßend die Hand. Xander betrachtete die zahlreichen Bandplakate, die sich im Laufe der Jahre an den Wänden angesammelt hatten, jedes von den Mitgliedern der jeweiligen Band handsigniert. Er konnte sogar ein Plakat der Dingoes entdecken, mit einem schwungvoll hingekritzelten ›OZ‹ darauf. Das innerste Heiligtum, dachte er ehrfürchtig. »Ratet mal, wer seine beste Freundin ist«, fragte Lupa in die Runde, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Carnie hob die Hand. »Wie wär’s mit Willow?« »Wow«, staunte Xander. »Wie hast du...?« Er wandte sich zu Lupa um, doch an ihrer Stelle erblickte er nun eine grünhäutige Kreatur mit mehreren Reihen scharfer Reißzähne und einem Mikro in der krallenbewehrten Klaue. Schlagartig wurde ihm klar, dass er die Ghule gefunden hatte... beziehungsweise sie ihn. »Ganz einfach«, knurrte Lupa, der Ghul. »Willow ist für uns beinahe so etwas wie eine Schwester.« Und wie eine Keule sauste das Mikro auf ihn herab. Oz hatte die komplette Show verpasst. Er wusste es in dem Moment, als er den Wagen anhielt und ein Haufen HighschoolTypen aus dem Bronze herausströmte. Sie sahen abgespannt aus, und unglücklich. Er verspürte einen Stich in der Magengrube. Er hatte wirklich das Bedürfnis, die Band noch einmal zu hören. Doch dafür war es nun zu spät, also besann er sich auf den anderen Grund, aus dem er zum Bronze gefahren war. Xander. Er war wegen Xander hier... und um herauszufinden, ob Vyxn irgendetwas mit Willows Verschwinden zu tun hatten.
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Da tauchte in der Tür des Bronze ein vertrautes Gesicht aus der Schule auf. Oz schob sich durch die herausdrängende Meute und rief: »Hey, Jake. Hast du Xander gesehen?« »Und ob«, gab Jake zurück. »So ein Glückspilz.« »Wie?« »Vyxn, ich meine, die Sängerin, hat ihn hinter die Bühne abgeschleppt.« Jake schüttelte ratlos den Kopf. »Erst schmeißt er sich an Cordelia Chase ran. Und nun das hier. Kann man so viel Glück auf einmal haben?« Fatalerweise hatte Oz den betrüblichen Verdacht, dass Xanders Glückssträhne soeben beschlossen hatte, sich in ihr Gegenteil zu verkehren. »Danke, Mann.« Oz schwamm weiter gegen den Strom, kämpfte sich durch eine Traube von Nachzüglern hindurch, bis er endlich im Bronze stand. Fast alle Tische waren verlassen. Und nirgendwo eine Spur von Xander. Oz kannte sich hinter der Bühne bestens aus. Der Flur war finster, aber passierbar. Wenig später hatte er ihre Garderobe gefunden. Auf einem Schild stand in schwarzen Lettern der Name VYXN geschrieben. Er lauschte einen Augenblick mit angehaltenem Atem, drückte, als er weder Stimmen noch irgendetwas anderes ausmachen konnte, die Klinke herunter und öffnete die Tür. Der Raum war leer. Zu spät, dachte er erschüttert. »Immerhin wissen wir, dass er hier war und sich, kurz bevor er abgetaucht ist, noch mit der Band unterhalten hat«, konstatierte Buffy. Sie und Angel waren Oz sogleich zu Hilfe geeilt, doch auch zu dritt hatten sie wenig Licht in die Sache mit Xanders plötzlichem Verschwinden bringen können. »Was hat der Manager vom Bronze noch mal gesagt?« Buffy stellte Oz diese Frage bereits zum dritten Mal. »Keine feste Anschrift?« Oz schüttelte den Kopf. »Rostfarbener Tourbus. Getönte Scheiben.« 158
»Nicht gerade viel«, stellte Angel fest. »Wie ist er mit ihnen in Kontakt getreten?«, fragte Buffy. »Sie haben wohl eher ihn kontaktiert«, erklärte Oz. »Haben ihm einen Song vorgespielt.« Buffy verzog das Gesicht. »Und er hat sie vom Fleck weg engagiert. Wieso wundert mich das nicht?« Über eine Stunde waren sie herumgefahren, in einem immer größeren Radius, und hatten nach dem Tourneebus Ausschau gehalten, ohne Erfolg. Schließlich waren sie zum Bronze zurückgekehrt. Buffy seufzte. »Ich hätte damit rechnen müssen.« »Wieso?«, meinte Oz. »Ich wusste, dass mit Vyxn irgendwas nicht stimmt«, sagte Buffy. »Ich hab mir nur eingeredet, es läge an...« »Verrückt spielenden männlichen Hormonen«, fragte Oz spöttisch. »Unglücklicherweise«, nickte Buffy. »Wölfe im Schafsfell«, konstatierte Angel. »Wie bitte?« »Vyxn«, erklärte er. »Sie sind wirklich clever. Bewegen sich unerkannt mitten unter uns. Plakate, Sonderkonzerte, provozierendes Outfit... niemand würde mehr dahinter vermuten.« »Ich mache mir Sorgen um Xander«, sagte Buffy. »Sogar noch mehr als um Willow. Er ist das perfekte Festmahl für hungrige Ghule. Wir sollten Giles anrufen. Vielleicht hat der ja eine Idee, wie wir sie finden können.« »Ist einen Versuch wert«, nickte Oz. Ein kurzer Anruf ergab, dass Giles das Krankenhaus entgegen ärztlichen Rat und auf eigene Verantwortung verlassen hatte. Buffy rief daraufhin sogleich bei ihrer Mutter an, um sich zu erkundigen, ob vielleicht eine Nachricht für sie hinterlassen worden war. Nachdem sie den Hörer wieder in das
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Münztelefon eingehängt hatte, kam sie zu den anderen zurück. »Giles hat sich gemeldet. Er ist wieder zu Hause.« »Auf geht’s«, sagte Oz. »Giles, sollten Sie nicht unter ärztlicher Aufsicht sein?« »Mein Krankenhausaufenthalt war eine reine Vorsichtsmaßnahme«, antwortete Giles. »Außerdem war ich mit dem Stapel von Nachschlagewerken und Berichten, den du mir gebracht hast, durch – ergo habe ich mich eben selbst entlassen. Hinzu kommt, dass es mir, offen gestanden, im Krankenhaus zu viele... Störungen gab, um wirklich produktiv recherchieren zu können.« »Störungen?« »Nun ja, zum Beispiel diese etwas ältere Krankenschwester, die beim Anblick der Farbillustration eines Slighor-Dämon, der sich gerade die Eingeweide von über Bord gegangenen Seeleuten einverleibt, doch tatsächlich jedes Mal laut aufgekreischt hat.« »Normalerweise sind Krankenschwestern doch nicht so zart besaitet«, meinte Oz. »Man muss ihr zugute halten, dass die Darstellung ziemlich realistisch ist.« Giles nippte an seinem Earl Grey Tee, einen Arm in Gips und den Kopf bandagiert. Jedes Mal, wenn er eine Seite in dem Buch, dem gerade seine Aufmerksamkeit galt, umblättern wollte, musste er zuerst die Tasse absetzen. Während sie ihn beobachtete, überkam Buffy das Gefühl, dass sie alle Menschen, die ihr nahe standen, nur in Schwierigkeiten brachte. Weil sie die Jägerin war, befand sich auch ihre Mutter in Gefahr, Willow war spurlos verschwunden, Giles hatte seinen Kopf hinhalten müssen, und nun war auch noch Xander gekidnappt worden. Noch niemals zuvor hatte sie sich so hilflos gefühlt. Um das plötzlich aufwallende Gefühl von Schuld wieder abzuschütteln, wandte sie sich erneut ihrer 160
Aufgabe zu, ihrer Aufgabe als Jägerin. »Erzählen Sie mir mehr über diese Wüstenghule«, forderte sie Giles auf. »Wieso zum Beispiel haben sie sich entschlossen, eine Rockband zu gründen?« »Kreaturen, die schon seit Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden Jagd auf Menschen machen, um sich am Leben zu erhalten, müssen sich entweder anpassen oder sie sterben aus.« »Also ich bin für Plan B«, bemerkte Oz. »Den alten Quellen nach beschränkte sich die Jagd dieser orientalischen Ghule ursprünglich auf einzelne Reisende, die sie mit einer Art Sirenengesang in den eigenen Untergang lockten«, erklärte Giles weiter. »Mit wachsender Weltbevölkerung wurden die einsamen Landstriche immer seltener. Es sieht ganz so aus, als hätte bei diesen Ghulen aufgrund des Mangels an Beute eine Art Adaption stattgefunden. Sie sind aus ihren Löchern gekrochen, hinaus in die Welt gezogen und haben ihre Jagdmethoden entsprechend den neuen Verhältnissen geändert.« »Und sind nun eine sexy Mädchenband, die männliche Groupies verputzt«, meinte Buffy. »Sieht ganz so aus«, bestätigte Giles. »Ja.« »Sie können also ihr eigentliches Erscheinungsbild verbergen, genauso wie...« Ihr Blick traf den von Angel. »Vampire«, beendete dieser den Satz. »Tja, und jetzt?« Giles schob seine Brille hoch. »Die Band gibt noch ein weiteres Konzert, richtig?« Oz nickte. »Dann müssen wir wohl oder übel ihren morgigen Auftritt abwarten und ihnen anschließend in ihren Schlupfwinkel folgen.« »Warum so lange warten?«, wollte Buffy wissen. »Ich bin dafür, dass wir ihre schräge Party einfach platzen lassen.« »Und was ist, wenn sie alle dabei draufgehen? Oder wenn es einer von ihnen gelingt zu entkommen?« 161
Buffy zog die Stirn kraus. »Haben wir wirklich keine andere Wahl?« »Nachdem du keinerlei Hinweis darauf gefunden hast, dass Vyxn Xander gleich vor Ort erledigt haben, besteht die Hoffnung, dass sie ihn noch am Leben erhalten, irgendwo, in einer Art Vorratskammer.« »Und welche Garantie haben wir dafür?« »Gar keine, fürchte ich«, gestand Giles. »Aber wir wissen, dass sie Frischfleisch bevorzugen. Falls sie ihn nicht schon vor der Show beseitigen, wird er anschließend noch am Leben sein, zumindest noch eine Weile. Es ist sicherer, sie zu verfolgen. Wenn wir das Risiko eingehen, dass sie entkommen, haben wir nachher keine Ahnung, wo wir nach ihnen suchen sollen.« Buffy nickte. »Wenigstens haben wir einen Plan.« Angel warf einen Blick auf die Uhr, dann sah er Buffy an. »Ich verabschiede mich dann mal.« Bevor sie aufbrachen, drückte Giles mit seiner gesunden Hand Oz’ Arm. »Oz, es ist durchaus denkbar, dass sie Willow und Xander gemeinsam am Leben erhalten. Gib die Hoffnung nicht auf.« Oz nickte unmerklich. »Danke«, sagte er leise. Als sich Giles Haustür öffnete, zog sich Solitaire in die Schatten zurück. Die Jägerin war in Begleitung ihres VampirGalans – diesem Angel – und eines weiteren jungen Mannes, der ebenfalls nicht völlig menschlich war, wenn Solitaires Gefühl ihn nicht trog. Doch Letzterer war für Solitaire im Augenblick von eher nebensächlichem Interesse. Bald schon würde die Morgendämmerung hereinbrechen, und dieser Herzensbrecher von einem Vampir würde sich vor der Sonne in Sicherheit bringen müssen. In Solitaires Züge trat ein hämisches Grinsen. Nicht mehr lange, und Angel würde ganz andere Sorgen haben als die sengenden Strahlen der Sonne.
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Die Eintönigkeit ihrer Haft ließ Willow immer wieder einnicken, trotz des unbequemen Holzbodens. Manchmal lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Wand, doch in dieser Position ließ es sich ebenfalls nicht lange aushalten. Sie war gerade wieder weggedöst, als die Geräusche eines Handgemenges, das sich auf der anderen Seite der verschlossenen Tür abzuspielen schien, sie aufschreckten. Ihr erster Gedanke war, dass endlich Rettung nahte, doch dann fiel ihr ein, dass Ghule möglicherweise auch Feinde hatten, die für Menschen ebenso todbringend waren wie sie selbst. Besonders für Menschen, die hilflos an einen Balken gekettet waren. »Wer... wer ist da?«, rief sie zaudernd. Sie setzte sich aufrecht hin, mit dem Rücken an die Wand. Leise rasselte die Kette. Im nächsten Moment ließ ein von außen gegen die Tür geführter Tritt den Holzrahmen splittern und sprengte sie auf. Rave und Carnie hielten jede einen Arm ihres neuen Gefangenen – ein junger Bursche, der sich wehrte wie ein Todeskandidat auf dem Weg zum Schafott. Nash quetschte sich an ihnen vorbei und zog nicht weit von Willow entfernt eine weitere Kette durch einen Ring an der Wand, während Rave und Carnie den Typen zu bändigen versuchten und in den Raum hineinzerrten. Obwohl Willow sein Gesicht nicht erkennen konnte, kam ihr irgendetwas an ihm vertraut vor. Lupa, die Anführerin der Ghule, betrat als Letzte den Raum. Sie baute sich vor dem jungen Mann auf und brüllte: »Es reicht!« Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, verpasste sie ihm einen derben Schlag in die Magengrube. Als er wie ein Taschenmesser zusammenklappte und verzweifelt nach Luft schnappte, legte sie ihm blitzschnell eine alte Eisenmanschette um den Hals. Im gleichen Moment kam Nash herbei und schob den Stift eines schweren Vorhängeschlosses durch das letzte Glied der Kette und den Ring an der Halsmanschette. Mit
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einem hässlichen, erschreckend endgültig klingenden Geräusch schnappte das Schloss zu. »Handschellen«, wies Lupa Nash an. Der Ghul mit dem Nietenhalsband nickte, rannte hinaus und kam mit einem Paar jahrhundertealter Handschellen zurück, zwei dicke, eiserne Armreifen, die durch eine Kette miteinander verbunden waren, kaum länger als zwanzig Zentimeter. Carnie und Rave zwangen dem Gefangenen die Arme auf den Rücken und hielten sie fest, bis Nash die Handschellen mit einem langen Schlüssel verschlossen hatte, wie ihn in längst vergangener Zeit durch Verliese schlurfende Gefängniswärter bei sich zu tragen pflegten. Als die Ghule zurücktraten, sackte der Gefangene in sich zusammen und blieb in Seitenlage am Boden liegen, immer noch schwer atmend nach dem harten Schlag, den Lupa ihm versetzt hatte. Nun konnte Willow auch sein Gesicht erkennen. »Xander?«, brachte sie heiser hervor. Sie riss sich zusammen, hustete einmal und sagte: »Ich... ich meine, wer ist das?« Xander brachte sich mühsam in eine sitzende Position. »Will? Bist du’s?« Er hatte seine Gefangennahme durch Vyxn noch gar nicht richtig realisiert, war erst wieder zu sich gekommen, als sie ihn vor ihrem baufälligen Haus aus dem Tourneebus gezerrt hatten. Während sie ihn durch die Vordertür bugsierten, war allmählich die Erinnerung zurückgekehrt, die Erinnerung an Lupa, wie sie in ihrer wahren Gestalt als Ghul vor ihm gestanden hatte. Erst in diesem Moment hatte er zu toben begonnen, doch ohne Erfolg. Allzu rasch war er überwältigt und in Ketten gelegt worden. Der einzige Lichtblick an der Sache war, dass er endlich Willow gefunden hatte und dass sie am Leben war. Obwohl sie aus irgendeinem Grunde vorgab, ihn nicht zu kennen. »Will? Was ist los?« Sie wich seinem Blick aus. »Tut mir Leid. Hab keine Ahnung, wer du bist.« 164
Im spärlichen Licht der Petroleumlampe, die im vorderen Zimmer von der Decke hing, schaute sich Xander in seiner neuen Behausung um, in der Hoffnung, irgendetwas zu entdecken, wodurch sich Willows merkwürdiges Verhalten erklären ließe. Sie befanden sich in einem rechtwinkligen Raum, etwa vier Meter lang und vielleicht drei Meter breit, und waren an die der Tür gegenüberliegende Wand gekettet, knapp einen Meter voneinander entfernt. Die einzige Lichtquelle war eine Lampe im anderen Zimmer; sie brannte mit kleiner Flamme. Rechts von ihnen befand sich ein Doppelfensterrahmen, ohne Glas, dafür jedoch mit Brettern vernagelt. Durch die kleinen Ritzen drang bei Tage wahrscheinlich der ein oder andere Sonnenstrahl, doch des Nachts war es hier drin bestimmt stockduster, selbst bei Vollmond. Die Wände waren vor längerer Zeit in einem hässlichen Grünton gestrichen worden; hellere, viereckige Flecken markierten die Stellen, an denen einmal Bilder oder Spiegel gehangen haben mochten. Etwas oberhalb der Fußleisten klafften große Löcher im Putz, überall dort, wo einmal Steckdosen oder Telefonbuchsen angebracht gewesen waren. Von der Decke hing eine Strippe mit Lampenfassung herab, ohne Glühbirne. Was Xander am meisten beunruhigte, war der üble Gestank, der aus dem Vorderzimmer hereindrang. Vor Jahren hatte er einmal hinter dem Sofa seiner Eltern eine tote Feldmaus entdeckt. Sie zu finden war überhaupt kein Problem gewesen. Der strenge Geruch von Verwesung hatte ihn direkt zu ihr geführt. Doch was er hier roch, war noch tausendmal schlimmer. Die Kenntnis um die wahrscheinliche Ursache für diesen faulen Gestank rief heftiges Würgen bei ihm hervor. Direkt vor ihm und Willow ragte Lupa auf, flankiert von Rave und Carnie; Nash hielt sich, an den Türrahmen gelehnt, im Hintergrund.
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»Er behauptet, dass ihr beide Freunde seid«, sagte Lupa zu Willow. »Nein. Sind wir aber nicht«, widersprach Willow hastig. »Er ist mir völlig fremd. Hab ihn nie zuvor gesehen.« »Eigenartig«, meinte Lupa. »Er hat gesagt, ihr wärt die besten Kumpel.« Xanders Blick flog zwischen ihnen hin und her. »Was geht hier ab, Will?« »Ganz einfach«, wisperte ihm Willow eilig zu. »Du kennst mich nicht.« »Was? Ich kenne dich praktisch von klein auf, wir...« »Klingt, als hätten wir unseren Mann«, bemerkte Carnie. »Was habt ihr mit Willow gemacht?«, brüllte Xander. »Was ist hier eigentlich los?« »Ach, nichts weiter, wir benötigen lediglich Willows besten Freund, für ein kleines Ritual, das wir zelebrieren wollen, sobald wir wieder Neumond haben. Und das wird, wenn ich mich nicht täusche, genau morgen der Fall sein.« Auch wenn Xander einen ziemlich heftigen Schlag auf den Kopf bekommen hatte, überkam ihn doch die dumpfe Vorahnung, sich gerade eben seine eigene Schlinge geknüpft zu haben. »Ich bin echt nicht sehr bewandert in Ritualen.« »Glaub mir, Xander, du willst nichts darüber wissen«, sagte Willow. »Eins dieser langweiligen alten Rituale halt, mit jeder Menge Blut und dem ganzen Blabla drumherum«, setzte ihn Carnie in Kenntnis. »Doch der Teil, der dann kommt, ist wesentlich interessanter. Zum Schluss wird Willow nämlich von deinem lebenden Fleisch essen und unsere Ghul-Schwester werden.« Xanders Augen hatten sich während ihrer Rede mehr und mehr geweitet. »Willow? Eine von euch Spice Ghouls? Niemals! Willow, sag doch was!« Willow senkte den Kopf und schwieg.
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»Willow? Mach keinen Scheiß! Was ist mit den Jokes, die wir immer gerissen haben, von wegen ›Menschen essen keine Menschen‹ und so, jeden Dienstag, wenn’s in der Cafeteria Gulasch gab?« Willow hob den Kopf, sah jedoch nicht ihn an, sondern die Ghule. »Ich mach’s nicht.« Lupa ging vor ihr in die Hocke. »Da wär ich mir mal nicht so sicher, Kleines. In Anbetracht der weitaus schlimmeren Alternative wirst du hübsch brav tun, was wir dir sagen.« Willow spuckte ihr ins Gesicht. Lupa blinzelte nur kurz. »Es ist nur eine Frage der Zeit. Weniger als vierundzwanzig Stunden, genauer gesagt.« Wutentbrannt stürzte Xander sich auf Lupa. Hätte seine Kette ihm mehr Spielraum gelassen, und hätte er die Hände nicht auf dem Rücken gehabt, wäre es ihm vielleicht sogar gelungen, sie zu packen und ihr irgendeinen Schaden zuzufügen. Stattdessen stemmte er sich mit vollem Gewicht gegen seine Fesseln, bis er ausglitt und zur Seite plumpste. Lupa versetzte ihm einen Tritt in den Magen. »Du möchtest doch sicher jede einzelne Minute deiner letzten vierundzwanzig Stunden bei vollem Bewusstsein erleben, oder etwa nicht?«, schrie sie ihn an. Während er würgend nach Luft schnappte und Speichelfäden aus seinem Mund zu Boden tropften, ging sie neben ihm in die Hocke und flüsterte sanft: »Glaub mir, Xander. Es gibt keine Rettung.« Und für einen kurzen Augenblick glaubte er ihr tatsächlich, bedingungslos, als würden ihre Worte alle Last von ihm nehmen, all den Kummer und die Ausweglosigkeit. Er begann unkontrolliert zu zittern, als die Verzweiflung ihn wieder mit eisigem Griff umfing. »So ist’s schon besser«, sagte Lupa und richtete sich auf. »Nun haben wir schon zwei von ihnen«, bemerkte Rave. »Meinst du, die Jägerin wird sich jetzt endlich blicken lassen?«
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»Oh, sie wird«, versicherte ihr Lupa. »Dafür werde ich schon sorgen. Und wenn ich persönlich der Köder bin.« »Was willst du von Buffy?«, fragte Willow. Es war ohnehin längst zu spät, noch zu leugnen, dass sie sie kannte. »Was ich von der Jägerin will?« Lupas Haut nahm ihre natürliche grüne Färbung an. Sie fletschte die kreuz und quer aus dem Maul ragenden Zähne und ballte die Klaue langsam zur Faust, als ob sie etwas in der Hand zerquetschen würde. »Ach, ein oder zwei Häppchen von ihrem noch schlagenden Herz würden mir schon reichen. Doch das ist ein völlig anderes Ritual.« Carnie lachte bösartig. »Trotzdem, zwei zum Preis von einem, das hat schon was.« Nash kicherte. »’ne richtige Schlachtplatte, sozusagen.« Nachdem die Ghule das Zimmer verlassen hatten, harrte Xander weiter am Boden aus, noch immer unfähig zu sprechen. Sie hatten die Tür zwar hinter sich zugezogen, doch der geborstene Rahmen verhinderte, dass sie sich fest verschließen ließ. Als sie sich knarrend einen Spalt breit öffnete, fiel ein Lichtstreifen auf den Boden und bewahrte ihn und Willow vor völliger Finsternis. Er konnte die Ghule draußen lachen hören, sogar über sein eigenes Ächzen und Stöhnen hinweg. Zögernd beugte sich Willow zu Xander hinüber und konnte vage die Schwellung an seiner Stirn erkennen. »Xander... bist du okay? Den Umständen entsprechend, mein ich.« »Ihre... ihre Stimme hat mich völlig umgehauen«, stammelte er. »Wie damals, als ich mit dem Fahrrad fuhr und dieses Auto in einem Affenzahn um Haaresbreite an mir vorbeigeschossen ist. Ich konnte einfach nicht aufhören zu zittern.« »Ist es denn jetzt weg? Dieses Gefühl?« Xander nickte nur, als wollte er jeden Gedanken daran verdrängen.
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»Ich werd’s überleben«, sagte er schließlich. »Jedenfalls bis zu dem Teil der Geschichte, an dem die Ghule mich fertig machen – Stopp, was rede ich denn da?« »Hoffentlich nicht die Wahrheit«, meinte Willow mit einem knappen Nicken. »Einen schönen Ärger haben wir uns da eingebrockt.« Er versuchte sich aufzusetzen, so weit es sein aufbegehrender Magen und seine gefesselten Arme zuließen, und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. »Beim nächsten JägerteamTreffen werde ich ’ne Risikozulage beantragen, da kannst du Gift drauf nehmen. Könntest du mir bitte eine Frage beantworten?« »Was denn?« »Was ist das für ein komisches Geräusch?« »Mein Magen«, erwiderte Willow, ein wenig verlegen. »Er knurrt.« Xanders Augen weiteten sich. »Dein Magen? So laut?« Willow nickte. »Ich bin wirklich ganz schön hungrig.« »Hunger wie ›Ich hätte gern noch ein zweites Stück Kuchen‹ oder wie ›Oh, mein bester Kumpel sieht heut echt zum Anbeißen aus‹?« »Sagen wir mal so: Ich könnte wahrscheinlich den ganzen Kuchen verdrücken.« »Sehr gut... für einen Augenblick war ich nämlich wirklich beunruhigt. Okay, wollen mal sehen...« Xander krümmte seinen Körper, so gut es ging, und versuchte mit einer Hand in seine Hosentasche zu langen. »Was hast du vor?« »Wenn mich nicht alles täuscht, müssten sich noch ein paar Riegel Schokolade in meiner linken vorderen Hosentasche befinden.« »Xander, solltest du wirklich Schokolade in der Tasche haben, dann lieb ich dich für immer!«
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Xander zog die Augenbraue hoch. »Ich hab ja schon so manche plumpe Anmache gehört, aber...« Endlich hatte er die Schokolade erwischt. Er fischte seinen Schatz hervor und streckte ihn Willow entgegen. »Ist wohl ein bisschen weich geworden.« »Egal. Her damit!« Ungeduldig riss sie das Silberpapier herunter. Nachdem sie sich gleich mehrere Stücke auf einmal in den Mund gestopft hatte, fragte sie mampfend: »Oh... wie sieht’s mit dir aus?« »Nein, nein, lass es dir nur schmecken«, lehnte Xander ab. »Ich hatte heute Abend schon was. Abgesehen davon ist mir im Moment wichtiger, dass du dir den Bauch vollschlägst. Dieses Knurren macht mich echt nervös.« Willow aß weiter, bis nur noch wenige Stückchen übrig waren. »Wie kommen wir hier bloß raus, Xander? Ich mach mir Sorgen.« »Du machst dir Sorgen? Wer soll denn morgen als Menü des Tages auf den Tisch kommen?« Xanders Tonfall war flapsig, um sie ein wenig aufzumuntern, doch diese Fassade war eine äußerst dürftige. Seine Sorge war weitaus größer, als er bereit war zuzugeben. »Sie können mich nicht dazu zwingen, dich zu essen, Xander.« »Diese Biester haben einen Vertrag mit dem Übernatürlichen«, gab Xander zu bedenken. »Wer weiß, wozu die fähig sind?« »Wir müssen uns was einfallen lassen, um Buffy zu warnen.« »Genau, Will«, sagte Xander mit grimmiger Miene. »Wenn wir es nämlich nicht schaffen, diese dämlichen Halsmanschetten und Ketten loszuwerden, ist Buffy die Einzige, die uns aus diesem Schlamassel wieder raushauen kann.«
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Buffy wusste weder ihren Freunden noch sich selbst zu helfen. Sie kam sich komplett nutzlos vor. Sie saß auf ihrem Bett, den Rücken an einen Stapel Kissen gelehnt, und starrte auf die Nachrichten, die ihre Mutter am Telefon für sie notiert und ihr an die Schlafzimmertür gepappt hatte – direkt in Augenhöhe, damit sie sie auch ja nicht übersehen konnte. Buffy las das Ganze noch einmal. Beides stammte von Mrs. Burzak, in deren Brust wohl eher das Herz einer Kommando- als das einer Schülerberaterin schlug. In der ersten Nachricht verlieh sie ihrer ernsthaften Besorgnis über Buffys Fehlen in mehreren von roten und gelben Zonen überschatteten Unterrichtsfächern Ausdruck, während die zweite Buffy daran erinnern sollte, dass in zweien davon – in Mathe, gelbe Zone, und Geschichte, rote Zone – am nächsten Tag wichtige Prüfungen stattfinden würden. In diesen Fächern durchzurasseln hieße höchstwahrscheinlich das Jahr wiederholen. Das Problem war nur, dass dieser nächste Tag bereits heute war und bis zu den Prüfungen nur noch wenige Stunden blieben. Bei der ganzen Misere mit Willow und Xander fiel es Buffy schwer, an so etwas wie Schule überhaupt nur zu denken. Ihr war klar, dass niemandem damit geholfen war, wenn sie weiterhin ergebnislos darüber nachgrübelte, wie sie ihren Freunden helfen konnte. Giles hatte ihr und Oz mehrmals versichert: »Es gibt nichts, was ihr vor dem Ende der nächsten Vyxn-Show für sie tun könnt. Ruht euch erst einmal aus und spart eure Kräfte für morgen.« Natürlich hatte ihr ach so vernünftiger Wächter Recht, wie immer. Trotzdem hasste sie es zu warten, auch wenn das noch immer besser war als sinnlos in der Gegend herumzusuchen. Die Wut über ihre Ohnmacht war mittlerweile völliger Frustration gewichen. Wir wissen, wer die 171
Ghule sind, und wir haben einen Plan, machte sie sich klar. Unglücklicherweise war dieser Plan verbunden mit... Warten. Sie seufzte schwer und stieß den unordentlichen Haufen Notizzettel beiseite. Viel zu aufgedreht, um zu schlafen, blätterte Buffy halbherzig in den sterbenslangweiligen Schulbüchern herum. Ihre Hoffnung, einmal ein HighschoolDiplom nach Hause zu tragen, schien an diesem Punkt kaum mehr als eine absurde Übung in Aussichtlosigkeit. Wenn sie in den letzten paar Tagen doch wenigstens ab und an mal ernsthaft die Nase in eines ihrer Bücher gesteckt hätte... na ja, es gab ja immer noch die Möglichkeit einer Nachprüfung. Inzwischen begrüßten draußen die ersten Vögel lautstark den neuen, verheißungsvollen Tag, dem Buffy, halb dösend, halb wach, die Schulbücher über die Bettdecke verstreut, entgegendümpelte. Als der Wecker wenig später mit zynischem Gekreische auf ihre Gehörgänge eindrosch, kostete es sie unendlich viel Überwindung, nicht die Schlummertaste zu drücken, den Kopf unter das Kissen zu stecken und einfach liegen zu bleiben. Sie kam wesentlich früher in der Schule an als sonst. Selbst Rektor Snyder machte bei seinem Vermerk ein mehr als überraschtes Gesicht. Wahrscheinlich würde er mir am liebsten einen Mikrosensor implantieren, um jeden meiner Schritte zu überwachen, dachte Buffy. In Anbetracht seines unschwer erkennbaren Wunsches, sie scheitern und endgültig von der Schule verwiesen zu sehen, empfand sie außerordentliche Befriedigung bei dem Gedanken, ihm mit ihrer Überpünktlichkeit gründlich die Laune verdorben zu haben. Ihre sich bessernde Stimmung erhielt allerdings einen deutlichen Dämpfer, als ihr wieder einfiel, dass es bis zu ihren beiden Prüfungen nur noch wenige Stunden waren. Sie startete durch und begab sich auf direktem Wege in die Bibliothek. Als sie eintrat, schaute Giles verwundert von seinem großformatigen Nachschlagewerk für Wächter auf, 172
dessen Seiten voller Wasserflecken waren. Der Ledereinband des Wälzers zeigte bereits einige alarmierende Anzeichen von Auflösungserscheinungen und schien definitiv schlimme Zeiten durchgemacht zu haben. »Oh, Buffy, gut, du bist früh dran heute. Bevor ich’s vergesse – und ich weiß, du hast im Moment ganz andere Sorgen –, ich habe Mrs. Burzak hoch und heilig versprechen müssen, dich daran zu erinnern, dass heute deine...« »Prüfungen sind«, vollendete Buffy den Satz. »Glauben Sie mir, und wenn ich’s noch so sehr versuche, ich denke zur Zeit an nichts anderes.« »Nach dem, was sie gesagt hat, sind diese Prüfungen ziemlich schwierig.« »Ziemlich«, gab Buffy trocken zurück. »Wenn du möchtest«, bot Giles an, »könnte ich dir den ein oder anderen hilfreichen Tipp geben, als dein Privatlehrer sozusagen.« »Keine Zeit«, erwiderte Buffy. Jetzt erst bemerkte sie Oz, der still am Computertisch saß – genau dort, wo Willow für gewöhnlich ihre Recherche-Wunder vollbrachte. »Hey, Oz.« Er blickte auf, offenbar ein wenig verwirrt. »Hey.« Dunkle Ränder lagen unter seinen Augen, und sein Haar machte einen noch ungekämmteren Eindruck als sonst. Seine Klamotten waren völlig zerknittert. Buffy nahm an, dass er nicht gerade viel Schlaf bekommen hatte, wenn überhaupt. »Wir finden sie, Oz.« Sie versuchte, zuversichtlich zu klingen. »Heute Abend. Ich versprech’s dir.« »Danke.« »Buffy, ich furchte, es gibt noch etwas, worüber wir uns Sorgen machen sollten«, meinte Giles. »Solitaire?« »Ja, aber woher... ach ja, stimmt, aber...« Giles schaute hinunter auf sein Buch, räusperte sich, sah wieder Buffy an und schüttelte den Kopf. 173
»Giles, spucken Sie’s aus«, sagte Buffy. »Ich bin viel zu müde, um mich noch von irgendwas schocken zu lassen.« »Ich glaube, es ist schlimmer, als wir dachten«, erklärte Giles. »Ich habe Berichte über einen Vampir gefunden, dessen Geschichte sich wie eine Novellensammlung über Tod und Zerstörung liest und zurückreicht bis in das Italien der Renaissance. Zu dieser Zeit kannte man ihn allerdings unter anderem Namen: Dies Pedes oder ›Lichtgänger‹, wegen seiner Fähigkeit, dem Tageslicht zu trotzen. Er stellte den mächtigsten Vampiren nach, um sich mit ihnen zu messen und sie zu vernichten; und sie fürchteten ihn wie kaum einen anderen, vor allem auf Grund seiner bereits erwähnten Immunität gegen Sonnenstrahlen. Offenbar bestand seine bevorzugte Taktik darin, sie immer dann anzugreifen, wenn sie am verwundbarsten waren, also bei Tage.« »Demnach verfügt dieser Lichtgänger also über ein magisches Amulett oder etwas in dieser Art?« »Möglich, aber das wäre reine Spekulation.« »Sind Sie sicher, dass es sich bei Solitaire und diesem alten Dämon aus Italien um ein und denselben Vampir handelt? Vielleicht hat Solitaire den magischen Gegenstand auch im Fundbüro der Untoten gefunden?« »Ich habe die Chroniken zweier Wächter, die insgesamt den Zeitraum von rund siebzig Jahren abdecken, unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht«, entgegnete Giles. Er nahm seine Brille ab und massierte sich den Nasenrücken. »In der ersten berichtet ein über alle Maßen beunruhigter Wächter vom Tod seiner Jägerin durch die Hand von Dies Pedes. Die andere Chronik enthält einen kurzen Passus, in dem ein schon relativ betagter Wächter einige – allerdings rein hypothetische – Rückschlüsse zieht, auf der Grundlage von ziemlich dünnen Erkenntnissen zur Vorgehensweise des merkwürdigen Vampirs und zu Orten und Zeiten seines
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Auftauchens, von diversen Gerüchten aus der Unterwelt, in denen davon die Rede ist, dass...« »Kommen Sie zur Sache, Giles.« »Äh... ja, unbedingt«, unterbrach Giles mit einem Ausdruck des Bedauerns seinen Vortrag. »Um es kurz zu machen: Dieser zweite Wächter war der festen Überzeugung, dass aus Dies Pedes Solitaire wurde, und dass dieser seinen Namen aufgrund seiner großen Vorliebe für besagtes Kartenspiel annahm, oder um damit seiner Natur als Einzelkämpfer Rechnung zu tragen. Vermutlich trifft beides zu.« »Also hat dieser Supervampir, der früher unter dem Namen Dies Pedes durch die Lande zog, eine Jägerin platt gemacht?« »Vor etwa einhundertfünfzig Jahren, ja«, erwiderte Giles. »Seitdem hat er allerdings keinen weiteren Versuch mehr unternommen. Andernfalls hätte ich schon viel früher von ihm gehört.« Der Gedanke, der Buffy nun kam, konnte wahrscheinlich nur einer Jägerin kommen. Einer Jägerin – oder Solitaire. Es war so nahe liegend... so klar. »Sie wissen, warum, oder?« »Warum was?« »Warum er sich in all den Jahren keine weitere Jägerin vorgeknöpft hat.« »Nun, ich nehme an, er hat für lange Zeit geschlafen. Ich bin nicht sicher, was du –« »Er hat es sich selbst beweisen wollen.« »Was beweisen?« »Dass er der Herausforderung gewachsen war. Dem Kampf mit einer Jägerin«, erklärte sie. »Er ist ihr entgegengetreten, siegreich gewesen und zufrieden weitergezogen.« »Ich verstehe«, sagte Giles. »Aber warum...?« »Warum ich? Und warum jetzt?« Giles nickte. Buffy grinste säuerlich. »Ich schätze, er hält mich für keine gewöhnliche Jägerin. Eine besondere Art von Herausforderung. Er will...«
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Oz hatte die ganze Zeit nur zugehört. Nun stand er auf. »... eine weitere Partie.« »Das würde vermutlich seiner Denkweise durchaus entsprechen«, stimmte Giles zu. »Zumindest wissen wir jetzt, was dich erwartet.« »Wie beruhigend«, meinte Buffy sarkastisch. »Falls Solitaire tatsächlich mehr als fünfhundert Jahre alt ist – fünfhundert Jahre, in denen er einen mächtigen Vampir nach dem anderen ausgeschaltet hat –, muss er über unglaubliche Kräfte verfügen.« Buffy ließ sich auf einen Stuhl plumpsen und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich hätte heute Morgen lieber nicht auf meine Haferflocken verzichten sollen.« Die mit barocken Schnitzereien verzierte Tür von Angels Domizil gab schon beim ersten Stoß bedenklich nach. Solitaire trat ein weiteres Mal zu, und die große Pforte sprang berstend auf, mit einem Krachen, das laut genug war, um selbst Tote aufzuwecken. Wie treffend, grinste Solitaire in sich hinein. »Schatz, ich bin wieder zu Hause!«, brüllte er und betrat den großen Raum. »Angel, komm raus, spielen! Es ist so ein schöner Tag heute!« Nichts. »Du glaubst mir nicht?« Solitaire schlenderte zur Ostseite des riesigen Zimmers. »Hier, ich beweise es dir!« Wie es sich für den Wohnsitz eines Vampirs gehörte, waren sämtliche Fenster mit schweren Stoffen verhängt. Solitaire riss einen der Vorhänge herunter. Grelles Tageslicht flutete herein und teilte den Raum in eine helle und eine dunkle Sphäre. Staubpartikel flirrten in den Sonnenstrahlen und verliehen ihnen fast so etwas wie Konsistenz. Solitaire ging zum Fenster an der Westseite und zerrte auch dort den Vorhang herunter. Noch mehr Licht drang in den Raum. 176
Mit ein paar Schritten war Solitaire bei dem offenen Kamin und riss einen langen Schürhaken aus seiner Halterung. Er ließ ihn wie einen Baseball-Schläger ein paar Mal hin und her sausen und lauschte dem pfeifenden Geräusch, mit dem er die Luft zerteilte. »Brauchst du einen Wecker, um aus den Federn zu kommen, du Schlafmütze?« Solitaire wurde langsam ungeduldig. Er stellte sich breitbeinig hin, holte weit aus und fegte mit dem eisernen Haken den Kaminsims leer. Die Vasen, Glasskulpturen und Porzellanfiguren, die nicht sofort zu Bruch gingen, flogen durch den Raum und zerbarsten geräuschvoll an der nächsten Wand. Da endlich tauchte an der dem Kamin gegenüberliegenden Seite des Zimmers in einem dunklen Durchgang Angel auf. Schützend hob er den Handrücken vor die tagblinden Augen und versuchte blinzelnd die grellen Lichtbahnen zu durchdringen, die den Raum durchfluteten. Der Fußboden war ein einziges Patchwork aus Licht und Schatten, dessen hellere Bereiche für ihn so tödlich waren wie brodelnde Lava. Wobei der Boden noch der weitaus ungefährlichere Teil dieser dreidimensionalen Todesfalle war. Die von Sonnenstrahlen zerschnittene Luft im Raum fühlte sich an, als wäre sie voller statischer Energie. Angels Haut begann bedrohlich zu kribbeln. »Ah, der Schläfer erwacht«, begrüßte ihn Solitaire. Der Vampir lieferte sich ohne Scheu der Helligkeit des Tages aus. Sorglos spazierte er im Zimmer umher. Seine Hände waren in gleißendes Licht getaucht, doch sie verbrannten nicht, ebenso wenig wie seine Gesichtshaut. »Verschwinde«, zischte Angel. »Nicht so voreilig, Freundchen«, erwiderte Solitaire und blieb absichtlich an der lichtdurchflutetsten Stelle des Raumes stehen. »Ich hab gehört, dass du und die Jägerin euch ziemlich nahe steht.« »Lass die Finger von Buffy.« Wütend presste Angel die Zähne aufeinander. Im Moment waren seine Worte nur eine 177
leere Drohung: Solange Solitaire im Licht der Sonne stand, waren Angel die Hände gebunden. »Ich habe lang genug gewartet.« »Du übernimmst dich.« Solitaire kicherte. »Ich möchte, dass du Buffy – als ihr kleiner Schmusevampir – eine Botschaft von mir übermittelst«, sagte er und schlug sich mit dem Schürhaken in die offene Hand. »Und ich fürchte, die Botschaft ist ganz schön bitter.« »Tut mir Leid, Giles, aber das halte ich bei Ihrem augenblicklichen Zustand für keine gute Idee«, war Buffys Kommentar gewesen, als sie in ihrer Freistunde die Bibliothek betreten und sich unversehens einem Wächter gegenübergesehen hatte, der in einem mit dicken Polstern versehenen Schutzanzug steckte, von jener Art, wie Ausbilder von Kampfhunden ihn trugen – oder Wächter, die mit ihrer Jägerin trainieren wollten. Doch Giles war der Meinung, dass die beständige Sorge um ihre Freunde und die damit verbundene permanente seelische Belastung zu einer nicht zu unterschätzenden Beeinträchtigung ihrer Reflexe geführt haben könnte. Daher hatte er ein kleines Workout für absolut unabdingbar gehalten. Was sie nicht ahnen konnte, war, dass er insgeheim die Absicht hegte, sie nebenbei mit einem wahren Feuerwerk an Prüfungsfragen zu bombardieren. Doch Buffy weigerte sich strikt, den auf Solitaires Konto gehenden Verletzungen des Wächters auch nur eine weitere hinzuzufügen. »Vielleicht hast du Recht«, hatte Giles schließlich eingeräumt und seine Brille hochgeschoben. Mit dem dick ausgepolsterten Trainingshandschuh wirkte die Bewegung ebenso unbeholfen und komisch, als würde jemand versuchen, mit Backofenhandschuhen Chopin zu spielen. »Ich hole den Punchingball.«
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In der Zwischenzeit war Buffy in ihre Trainingsklamotten – kurzes Top, weite Jogginghosen, Turnschuhe – geschlüpft, und seit nunmehr fünfzehn Minuten prügelte und hämmerte und trat sie ununterbrochen auf den Sack ein, ließ eine Angriffs- oder Verteidigungskombination nach der anderen auf ihn niederprasseln, jede einzelne wahrscheinlich ausreichend, um selbst einen Schwergewichtsboxer auf die Bretter zu schicken. Mit jedem Treffer spürte sie, wie etwas von der nervösen Gereiztheit, die sich seit Willows und Xanders Verschwinden bei ihr aufgestaut hatte, von ihr wich. Ganz nebenbei gelang es ihr sogar, die eine oder andere der potenziellen Prüfungsfragen, die Giles ihr ohne Unterlass an den Kopf warf, richtig zu beantworten. »Das hat gut getan«, keuchte sie schließlich, einigermaßen außer Atem. Ihr Gesicht, ihre Arme, die unbedeckte Taille glänzten vor Schweiß, während sie um die auf dem Boden verstreuten Bälle herumtänzelte, um ihre Muskulatur zu lockern. »Sie ahnen ja nicht, wie sehr ich mich danach gesehnt habe, mal wieder so richtig auf etwas einzudreschen.« Giles hatte seinen gepolsterten Schutzanzug während ihres kleinen Warm-ups wieder abgestreift und beiseite gelegt. Er räusperte sich. »Im Nachhinein bin ich, wenn ich das sagen darf, ganz froh, dass du auf meine Dienste als Punchingball verzichtet hast.« »Tritt niemals einen Mann, der am Boden liegt«, erwiderte Buffy. »Na ja, andererseits sollte man bei Vampiren...« »Heißt das, ich kann dich, ohne mir Sorgen um meine Gesundheit machen zu müssen, nach deinem Mathetest von heute Morgen fragen?« »Sagen wir mal so, Mathe war halbwegs berechenbar«, grinste Buffy. »Aha«, schlussfolgerte Giles. »Deine bevorstehende Prüfung in Geschichte wird demnach also...«
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»... eine ständige Wiederholung sein«, nickte Buffy. »Obwohl sich die schlechten Noten natürlich nicht wiederholen werden. Positiv denken heißt die Devise.« »Nun, ich stelle jedenfalls fest, dass deine Laune schon wesentlich besser geworden ist.« »Ein Test erledigt, der zweite bald vorbei.« Buffy versetzte einem imaginären Gegner drei kurz geschlagene Haken und einen schulterhohen Tritt. »Diese Unsicherheit und Warterei macht mich noch völlig verrückt. Aber heute Abend...« Sie ging in die Hocke, stützte sich mit den Händen am Boden ab und ließ ihren Fuß mit solcher Wucht nach vorne schnellen, dass er jedem Dämon zweifellos die Kniescheibe zertrümmert hätte. Vorausgesetzt natürlich, der Dämon besaß überhaupt dergleichen. Bei einigen war das nämlich nicht der Fall. Buffy sprang aus der Hocke in den Stand, die Hände triumphierend in die Hüften gestemmt. »Heute Abend werden wir Willow und Xander finden. Und dann mache ich Gulasch aus dieser untalentierten Girlieband.« »Vergiss nicht Solitaire.« Buffy schlug sich mit der Faust in die Hand. »Wenn er klug ist«, sagte sie, erfüllt von wieder erwachter Zuversicht, »schwingt er sich in den nächsten Bus und verschwindet aus meiner Stadt.« Lauernd ging Solitaire auf Angel zu und schwang den Schürhaken dabei wie eine Axt – als wollte er Feuerholz hacken. Angel ergriff die Offensive, machte unter Berücksichtigung der dunklen Bodenflächen einige rasche Ausfallschritte, bekam die gusseiserne Stange zu packen und versuchte sie Solitaires Griff zu entwinden. Doch Solitaire hatte mit Angels Angriff gerechnet. Ruckartig ließ er den Feuerhaken einmal vor- und wieder zurückschnellen, sodass Angel das Gleichgewicht verlor. Dann riss er die Waffe, die
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Angel immer noch umklammert hielt, mit Gewalt herum, um seinen strauchelnden Gegner ins Licht zu zerren. Im letzten Moment, kurz bevor die Strahlen der Sonne ihn erfassen konnten, ließ Angel den Schürhaken los. Doch er war dem Licht bereits bedrohlich nahe, und ihm schien, als hätte jemand die Luke eines Schmelzofens aufgestoßen. Solitaire spürte nichts dergleichen. Er stürzte auf direktem Wege hinter Angel her, der sich in Richtung Kamin taumelnd in Sicherheit zu bringen versuchte, und ließ die Waffe auf ihn niedersausen. Der eiserne Widerhaken bohrte sich in Angels Schulter und riss sein Hemd in Fetzen. Angel knurrte, fletschte die Vampirzähne und zog wütend die dicken Augenwülste zusammen. Dann hob er einen schweren Lehnstuhl vom Boden und schleuderte ihn dem Widersacher entgegen. Solitaire stieß das heranfliegende Möbelstück mit einer Armbewegung zur Seite, verlor dabei jedoch den Schürhaken aus der Hand. Angel stürzte der Waffe sogleich hinterher, doch Solitaire war mit einem Satz bei ihr und versetzte ihr einen Tritt, der sie einige Meter weiter schlittern ließ – direkt in das gleißende Sonnenlicht hinein. Abrupt hielt Angel in seiner Bewegung inne. Nur wenige Zentimeter trennten ihn vom tödlichen Tageslicht – bis Solitaire dem Vampir einen kräftigen Stoß verpasste. Unversehens geriet Angel ins Taumeln, rollte sich dann aber geistesgegenwärtig ab und schaffte es, ungeachtet der kleinen Flämmchen, die auf seinen Händen und seinem Gesicht aufzüngelten und seine Kleidung zu entzünden drohten, das Fenster zu erreichen. Mit einer Hand ergriff er den schweren Vorhang, den Solitaire herabgerissen hatte, und warf ihn sich wie einen Umhang über die Schulter, während er gleichzeitig mit der anderen Hand den eisernen Schürhaken vom Boden klaubte. Blitzschnell hechtete er zur Seite und stand kaum einen Lidschlag später wieder im rettenden Schatten. Keuchend versuchte er, das Feuer auf seiner Haut mit dem Vorhang zu ersticken. Die Schmerzen und die Angst 181
angesichts der drohenden Gefahr, jeden Augenblick in Flammen aufzugehen, kosteten ihn einige wertvolle Sekunden. Aus dem Sonnenlicht heraus kam Solitaire auf ihn zugestürmt und trat ihm mit voller Wucht in den Unterleib, sodass er rückwärts gegen die Wand krachte. Solitaire bekam den Schaft des Schürhakens zu fassen, umklammerte ihn mit beiden Händen, wirbelte herum und schleuderte Angel abermals in das todbringende Licht. Wieder umfing Angel die heiße Glut der Sonne. Schmerzgepeinigt brüllte er auf, ließ den Feuerhaken fahren und rettete sich mit einem schwerfälligen Satz aus der Gefahrenzone. Dabei löste sich der Vorhang über seiner Schulter und warf einen letzten, flüchtigen Schatten über seinen Träger, bevor er flatternd zu Boden fiel. Solitaire holte mit einem Arm aus und ließ den Schürhaken in Angels rechte Kniekehle fahren. Die Waffe verhakte sich in Angels Hose, und mit einem kräftigen Ruck riss Solitaire seinem Gegner das Standbein weg. Angel kippte vornüber und fing den Sturz mit den Händen ab. Er hatte das Gefühl, als sei direkt auf seinen Hinterkopf eine Lötlampe gerichtet. Einmal mehr entfloh er dem Tageslicht, das beinahe sein Haar entflammt hätte, wälzte sich in Windeseile aus der Ostseite des Raumes heraus, wo die Einstrahlung der Sonne am intensivsten, am tödlichsten war. Solitaire setzte ihm gnadenlos nach, prügelte ihn vor sich her wie einen Hund. Ein schmerzhafter Hieb traf Angel an den Hüften, ein weiterer zerfetzte ihm fast den Oberarm. Mit brachialer Gewalt bohrte sich die Stahlkappe eines Stiefels in seine Nieren und er landete auf dem Rücken. Stöhnend vor Schmerz blieb Angel liegen. Solitaire stellte sich breitbeinig über ihn und schlug mit dem Schürhaken auf ihn ein wie mit einem Gummiknüppel, versetzte ihm einen gewaltigen Schlag gegen das Kinn und riss ihm im nächsten Moment die Stirnhaut in Fetzen. Angel hob schützend den Arm, als die Waffe erneut auf ihn herabsauste. Dann hörte er Knochen splittern. 182
Mit diabolischem Gelächter packte Solitaire Angels gebrochenen Arm, verdrehte ihn und schleifte den Gegner hinter sich her, dem Ostfenster entgegen. Tapfer biss Angel die Zähne aufeinander und langte mit der freien Hand nach Solitaires Arm. Abermals sauste der Feuerhaken auf ihn nieder, fuhr ihm mitten durchs Gesicht. Alles um ihn herum wurde grau und dunkel. Verzweifelt kämpfte er gegen die einsetzende Ohnmacht an. Es war ein ungleicher Kampf und das Terrain für ihn denkbar schlecht, doch irgendwie musste es ihm gelingen, Solitaire aufzuhalten, bevor dieser sich Buffy vornehmen konnte. Angels Rücken brannte, als hätte jemand ihn mit flüssigem Blei übergossen, und von seinem Hemd stieg schmutziger Rauch empor. Nur noch wenige Zentimeter trennten ihn vom tödlichen Sonnenlicht. Der beißende Geruch nach verbrannter Haut lag in der Luft. Erneut presste er die Zähne aufeinander, mahlte vor Anstrengung mit dem Kiefer, doch nun verweigerten ihm seine Beine jeglichen Dienst. Das rechte war wahrscheinlich sogar gebrochen. Und auch an seinen Armen schienen tonnenschwere Gewichte zu hängen. Doch irgendwie brachte ihn der Schmerz zur Besinnung, ließ ihn erneut nach einer Möglichkeit suchen, das Ruder wieder herumzureißen. »Da wären wir«, verkündete Solitaire schließlich. Trotz seines bösartigen Grinsens war nicht zu übersehen, dass er reichlich aus der Puste war. »Ich hoffe, du hörst mir jetzt endlich zu.« »Lass Buffy in Ruhe«, stieß Angel tonlos hervor. »Du hast es wohl immer noch nicht kapiert, was?« Solitaires Augenbrauen formten sich zu schweren Wülsten, und er präsentierte ein paar seiner beeindruckenden Fangzähne. »Vielleicht bringt ja ein wenig frische Luft deine kleinen grauen Zellen auf Trab.« Solitaire zerrte Angel in Richtung Hauspforte, auf das Tageslicht zu. Angel hing an seinem Arm wie ein nasser Sack, 183
sodass Solitaire schließlich den Schürhaken fallen lassen musste, um ihn mit beiden Händen zu packen. »Warte...«, flüsterte Angel, als gäbe er sich geschlagen. Knapp vor dem lichtdurchfluteten Eingang hielt Solitaire inne. »Du hast Recht«, meinte er. »Wenn ich dich in der Sonne verkokeln lasse, wird kaum genug von dir übrig bleiben, um meine Botschaft zu übermitteln. Was ich dir jetzt sage, werde ich nicht wiederholen, verstanden? Bist du bereit?« »Bereit«, bestätigte Angel. Und riss den Kopf zurück, ließ ihn mit aller Gewalt wieder nach vorn schnellen und zerschmetterte Solitaire mit der Stirn das Nasenbein. Dieser brüllte auf und stieß ihn wutentbrannt zurück, was genau das war, was Angel mit seiner Aktion hatte erreichen wollen. Doch Angels gefühlloses rechtes Bein widersetzte sich jeglicher Kontrolle, und als er zum Sprung ansetzte, um zu dem am Boden liegenden Schürhaken hinüberzugelangen, knickte es einfach weg, und Angel schlug der Länge nach hin. Sofort war Solitaire wieder über ihm, bohrte ihm seinen rechten Stiefelabsatz in den Rücken und hielt ihn so am Boden. Gleichzeitig bückte er sich nach dem Feuerhaken. Verzweifelt griff Angel nach dem einzigen Gegenstand, den seine Hände erreichen konnten: Solitaires linker Stiefel. Er packte ihn und brachte den Widersacher mit einem kräftigen Ruck zu Fall. Doch noch im Fallen holte Solitaire bereits wieder mit der gusseisernen Stange aus. Der spitze Widerhaken schoss mit solcher Gewalt und Geschwindigkeit auf Angels Gesicht zu, dass er ihm fraglos die Kopfhaut vom Schädel gefetzt hätte. Jäh riss Angel den Kopf zur Seite, doch er konnte dem Schlag nicht mehr vollends ausweichen. Schwer traf ihn das Eisen an der Stirn. Dieses Mal versank alles um ihn herum in völliger Schwärze. Als Angel wenige Sekunden später blinzelnd wieder die Augen aufschlug, blickte er in Solitaires triumphierendes Gesicht. Die Nase seines Gegners war geschwollen, ein 184
Rinnsal aus dunklem Blut sickerte daraus hervor. Eine Hand hatte er in Angels zerrissenes und blutverschmiertes Hemd gekrallt, die Knöchel in Angels Kehle gedrückt. »Gib endlich auf«, fauchte er. »Hier meine Botschaft. Sie ist wirklich ganz leicht zu merken. Nur vier Worte, damit ich sicher bin, dass du auch nichts durcheinander bringst. Sag der Jägerin... sie ist die Nächste.« Dann war Solitaire verschwunden. Mit leerem Blick starrte Angel an die Decke. Der Schmerz kroch durch seine Glieder wie ein lebendiges Wesen, das immer neue Orte zu finden schien, in denen es sich einzunisten lohnte. Irgendwann erreichten die durch die Fenster dringenden und immer höher steigenden Sonnenstrahlen auch seine schmale Oase der Dunkelheit. Eines seiner Hosenbeine begann zu schwelen und verbrannte seine Haut. Es war mehr der Geruch als der Schmerz, der ihn aus seinem dumpfen Zustand riss. Er rollte sich auf den Bauch und schleppte sich zum Kamin wie ein verwundetes Tier, zog sich dann mit letzter Kraft hinein und brach endgültig zusammen, dort, wo die Schatten am tiefsten waren. Ein letztes Wort drang über seine kraftlosen Lippen. »Buffy...«
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Als der Abend hereinbrach, machten sich die Ghule endlich auf den Weg und ließen Willow und Xander in dem barackenartigen Haus zurück. »Du hast wahrscheinlich keine Schokolade mehr in irgendeiner Tasche gebunkert, oder?« Xander schüttelte den Kopf. »Hätte mir jemand gesagt, dass ich über Nacht bleibe, hätte ich natürlich mehr eingesteckt.« Er winkelte die Beine an und versuchte sich herumzurollen – mit dem Ergebnis, dass er heftig mit dem Kopf an die Wand knallte. »Sollte das so ausgesehen haben, als hätte es wehgetan, dann deshalb, weil es das auch hat.« »Was hast du vor?« »Etwas, das ich mal im Fernsehen gesehen hab«, erklärte Xander. »Ich will die Handschellen unter meinen Füßen durchziehen, damit ich die Hände nach vorne bekomme.« »Lass mal sehen.« Abschätzend musterte Willow die Handschellen und die Kette, die sie miteinander verband. »Es gibt da ein Problem.« »Was? Meinst du etwa, ich bin nicht beweglich genug?« »Nein«, erwiderte Willow. »Der Platz reicht nicht. Es sei denn, du versuchst ein Bein nach dem anderen durch die Kette zu bekommen.« »Okay, also doch nicht beweglich genug. Das schaff ich nie im Leben.« Er seufzte schwer. »Wahrscheinlich haben die Ghule die gleiche Fernsehshow gesehen und ihre Ketten gekürzt.« »In diesen Dingen sind sie ziemlich clever«, stimmte Willow deprimiert zu. »Hey, Will, warum versuchst du’s nicht? Du bist viel schlanker als ich und, jede Wette, auch um einiges gelenkiger.«
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Kurz bevor sie zu ihrer letzten Show aufgebrochen waren, hatten Vyxn Willow sicherheitshalber ebenfalls die Arme mit Handschellen auf den Rücken gebunden. »So«, hatte Lupa nach vollbrachtem Werk gesagt, »das sollte ausreichen, um euch vor weiterem Ärger zu bewahren.« »Mal abgesehen von dem Ärger mit euch«, war Xanders Antwort gewesen. Carnie hatte lauthals losgelacht und erwidert: »Du bist wirklich zum Anbeißen – was den Nagel wohl auf den Kopf trifft.« »Okay«, meinte Willow jetzt. »Vorhang auf für die Schlangenfrau.« Sie zog die Knie an, rollte sich auf den Rücken und streckte die Arme durch. Sie benötigte zwei Anläufe, bevor es ihr gelang, die Kette unter ihren Fersen hindurchzuziehen. Dann stand sie auf und streckte ihre in Handschellen steckenden Hände aus. »Voilà!«, sagte sie, nicht ohne Stolz. »Klasse, Will! Du hast es geschafft!« »Vielleicht kannst du meinem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge helfen«, entgegnete Willow, und das siegreiche Lächeln gefror ihr auf den Lippen. »Wie war das noch mal, was bringt mir das jetzt eigentlich?« »Wenn der Naziwächter zurückkommt, stürzt du dich auf ihn, schlingst ihm die Kette um den Hals und würgst ihn, bis er bewusstlos wird. Dann schnappen wir uns seinen Schlüssel, befreien uns von den Handschellen und einer von uns, wahrscheinlich ich, zieht seine Uniform an – die mir, Wunder über Wunder, wie angegossen passen wird – und setzt die völlig ahnungslosen anderen Wächter außer Gefecht.« »Du weißt, dass es hier keine Naziwächter gibt?« »Zugegeben, mein Plan hat noch ein paar kleine Schwachpunkte.« Willow ging zu dem Balken an der Wand und prüfte den Ring, an den sie gekettet war. »Versuch ihn herauszudrehen«, schlug Xander vor. 187
»Hab ich schon längst«, teilte ihm Willow mit. »Als du noch nicht hier warst. Ohne Hebelkraft ist da nichts zu machen.« »Hast du nicht vielleicht irgendeinen magischen Trick auf Lager?«, wollte Xander wissen. »Irgendeinen Zauberspruch, der im Umkreis von zehn Metern sämtliche Ketten sprengt? Oder alle Schlösser aufschnappen lässt?« Willow seufzte. »So einen Schlüsselspruch hab ich schon ausprobiert. Ohne Erfolg. Oh... aber ich weiß einen Spruch, mit dem ich die Ketten zum Rasseln bringen kann.« »Wozu soll das gut sein?« »Es ist so unheimlich«, sagte Willow und erschauderte. »Ich hab auch schon versucht, den Ring auf magische Weise zu lockern, doch er sitzt viel zu fest. Das Einzige, was dabei herausgekommen ist, waren höllische Kopfschmerzen.« »Da hilft nur noch brachiale Gewalt«, stellte Xander fest. Er stellte sich auf Zehenspitzen vor seinen eigenen Ring und versuchte, ihn irgendwie zu packen, was ihm auch gelang. Unbeholfen und schwitzend bemühte er sich ihn herauszudrehen, doch das verdammte Ding rührte sich nicht von der Stelle. »Wir brauchen ein Brecheisen.« Willow blickte suchend im Raum umher. »Alles ausverkauft.« »Mist«, fluchte Xander und trat mit dem Fuß gegen die Bruchsteinwand. »Wir könnten die ganze Hütte eintreten und würden immer noch an diesem blöden Balken hängen.« Er machte ein paar Schritte in den Raum hinein, so weit es seine Kette zuließ. Das vernagelte Fenster war ebenso unerreichbar wie die Tür, die windschief in ihrem verzogenen Rahmen hing. Willow hatte sich bereits wieder auf den Boden gesetzt und starrte auf ihre klobigen Handschellen. Xander seufzte und gesellte sich zu ihr. »Wenn ich nur eine Haarklammer hätte. Irgendwie würde ich die Schlösser schon aufkriegen«, sagte Willow. »Echt? Das würdest du schaffen?« 188
»Na ja, im Fernsehen sieht es immer ziemlich einfach aus«, erwiderte sie und rang sich ein Grinsen ab. »Was sollen wir denn bloß machen, Will?« »Auf Buffy warten.« Abermals stieß Xander einen schweren Seufzer aus. »So viel zu meinem zerbrechlichen männlichen Ego«, sagte er frustriert. »Dir ist schon klar, dass es eigentlich mein Job wäre, die holde Königstochter aus ihrem...« – er ließ seinen Blick über die schmutzigen Wände, den abbröckelnden Putz, das zugenagelte Fenster gleiten – »Turmverlies zu befreien?« »Ist das dein Ernst?«, fragte sie und verzog den Mund zu einem reichlich verunglücktem Lächeln. »Steht im Handbuch für Ritterlichkeit«, gab er zurück. »Auf Seite sechzehn, unter ›Befreiungsaktionen und Rettung aus höchster Not‹.« »Nicht das«, erwiderte Willow. »Ich meine, was du über mich gesagt hast – du weißt schon – das mit der holden Königstochter. Hold hieß doch im Mittelalter so viel wie hübsch.« »Stimmt«, bestätigte Xander. »Du findest mich also hübsch?«, fragte Willow und hob das Kinn. »Natürlich tue ich das.« »Aber du hast es mir gegenüber nie erwähnt, ich meine, du bist nie zu mir gekommen und hast gesagt: ›Hi, Willow, weißt du, du bist richtig hübsch.‹« »Die wenigsten von uns edlen Rittern tragen ihr Herz auf der Zunge«, erklärte Xander. »Aber du denkst es?«, hakte Willow nach. »Auch wenn du es niemals sagen würdest?« »Klar, Will, aber mit echten Kumpels ist das so eine Sache. Da gibt es Regeln und Prinzipien, die es einem verbieten, sich in irgendwelche Gefühlsduseleien zu versteigen.«
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»Ja dann... ich verstehe«, meinte Willow und richtete ihren Blick wieder auf die Handschellen. »Und außerdem hab ich ja auch Oz, der mir diesen ganzen romantischen Kram sagen kann.« »Oz ist ein Supertyp«, nickte Xander. »Er ist im Augenblick sicher ganz krank vor Sorge um dich.« »Armer Oz«, seufzte Willow. »Ich würde zu gern wissen, ob ich ihn jemals wiedersehe.« »Wir sitzen ganz schön in der Patsche«, erwiderte Xander und gab sich Mühe, seinem Tonfall etwas Optimistisches anhaften zu lassen. »Erwarte von mir bitte keine verbindlichen Aussagen über unsere nähere Zukunft.« »Schon gut, Xander«, lenkte Willow ein. »Falls es dich tröstet, ich finde, du bist auch ein Supertyp.« Inzwischen war es im Raum zunehmend dunkler geworden, nicht ein Sonnenstrahl drang mehr durch die Ritzen des vernagelten Fensters. Willow konnte kaum noch Xanders Gesicht erkennen. Und mit dem letzten Licht des Tages schienen auch ihre letzten, schwachen Hoffnungen dahinzuschwinden. »Buffy holt jetzt sicher gerade Angel ab«, bemerkte Xander. »Und Oz«, fügte Willow hinzu. Sie fühlte sich schrecklich bei dem Gedanken, dass Oz sich wegen ihr solche Sorgen machte. Wie gern hätte sie ihm irgendwie zugebeamt, dass sie okay war. Na ja, zumindest für den Augenblick, räumte sie in Gedanken ein. »Sie werden uns finden, Xander. Ich weiß es einfach.« Xander nickte in der immer schwärzer werdenden Finsternis. Irgendwie wusste Willow, dass Xander befürchtete, nicht genügend Zuversicht in seine Stimme legen zu können, um überzeugend zu klingen. Auch sie hatte Zweifel, was ihre Rettung betraf. Selbst wenn Buffy sie finden würde, waren da immer noch die Ghule. Und die warteten nur darauf, sich mit vereinten Kräften auf sie zu stürzen. 190
So ungern sie es auch zugab, die Scooby-Gang steckte in ernsthaften Schwierigkeiten. »Angel!«, stieß Buffy tonlos hervor. Schon von weitem konnte sie erkennen, dass die Türen zu seinem Domizil gewaltsam geöffnet worden waren. Als sie näher kam, entdeckte sie Abdrücke von schweren Stiefeln auf der Türoberfläche, sah das geborstene und zersplitterte Holz, dort, wo das Schloss gesprengt worden war. Jemand hatte die Tür eingetreten. Und leider konnte sie sich nur allzu gut denken, wer das gewesen sein mochte. Sie blieb vor der Tür stehen und lauschte, ob sich irgendein Geräusch ausmachen ließ, doch alles, was sie vernahm, war das dumpfe Hämmern ihres eigenen Herzschlags. Sie fischte einen Holzpflock aus ihrem Rucksack, schob die Tür einen Spalt breit auf und schlüpfte hinein. Der riesige Raum war in düstere Schatten getaucht, doch das schwache Licht der Straßenbeleuchtung, das durch den Türspalt hereinsickerte, lenkte ihre Aufmerksamkeit auf das unverhüllte Fenster... und auf den zerknitterten Vorhang, der darunter auf dem Boden lag. Da drang ein schwaches Stöhnen von der anderen Seite des Zimmers herüber und zog ihren Blick auf ein dunkles Etwas, das zusammengekauert in dem offenen Kamin lag. »Angel«, schrie Buffy auf. Eine krächzende Stimme antwortete ihr, unverständlich zwar, doch deutlich zu hören. Sie eilte zur Feuerstelle hinüber und schob den Pflock wieder in den Rucksack. Was auch immer hier geschehen sein mochte, es war längst vorüber. Angel lag da wie ein Fötus, die Knie an die Brust gezogen und die Unterarme seitlich gegen den Kopf gedrückt. Als er ihre Stimme vernahm, begann er vorsichtig die Arme und Beine zu bewegen. Seine Kleidung war zerfetzt und blutverschmiert und in großen Teilen versengt. Auf seiner Haut 191
hatten die Brandblasen hässliche rote Flecken hinterlassen. Abermals ließ Buffy den Blick durch das Zimmer schweifen und schlussfolgerte, dass er in den Kamin gekrochen sein musste, weil dieser die einzige Stelle im ganzen Raum war, an der er vor den Strahlen der Sonne geschützt blieb. Nur hier konnte er sich, wenn überhaupt, von den verheerenden Verletzungen, die er davongetragen hatte, wieder erholen. Auf dem Boden, direkt neben Angels Füßen und in der Dunkelheit kaum zu erkennen, lag eine Spielkarte. Eine PikNeun. Solitaire, dachte Buffy wütend. Tränen füllten ihre Augen, und alles um sie herum begann zu verschwimmen. Sie ballte ihre Fäuste zusammen, so fest, dass sie zu zittern begannen. Dann streckte sie eine Hand nach Angel aus, wollte ihm irgendwie helfen, doch was konnte sie schon für ihn tun, was die immensen Selbstheilungskräfte eines Vampirs nicht ebenfalls und viel besser als sie zu leisten vermochten? In gewisser Weise trug sie die Schuld an allem. Solitaire war nur aus einem einzigen Grund über Angel hergefallen: um sie, die Jägerin, zu verspotten. »Solitaire«, krächzte Angel. »Ich weiß«, erwiderte Buffy. »Er hat das Sonnenlicht als Waffe eingesetzt und damit alle Vorteile auf seiner Seite gehabt.« Sie drückte ihre Wange an seine. Wie ein Fächer fiel ihr blondes Haar über sein gerötetes Gesicht. »Angel, du bist in Sicherheit«, beruhigte sie ihn. »Die Sonne ist längst untergegangen.« »Ich vielleicht« – Angel hustete schwach – »aber du nicht. Das nächste Mal bist du an der Reihe.« »Um Solitaire kümmere ich mich später«, entgegnete Buffy. »Sag mir lieber, wie ich dir helfen kann.« Doch sie wusste die Antwort bereits. »Konserven«, flüsterte Angel. »Im Kühlschrank.« Konserven. Blutkonserven. Sie nickte und stand auf, um ihm seinen Energy-Drink zu besorgen. Auch wenn er eine Seele 192
und ein Gewissen besaß, hatte er nach wie vor die Bedürfnisse eines Vampirs. Vor allem und in erster Linie das Bedürfnis nach Blut. Bei den ersten Schlucken musste sie ihm noch helfen, doch dann zeigte das Blut bereits seine Wirkung. Angel setzte sich auf, drehte ihr ein wenig befangen den Rücken zu und trank den Rest der Konserve aus eigener Kraft. Buffy zog sich in einen bequemen Lehnstuhl zurück, die Ellbogen auf die Knie und das Kinn in die Hände gestützt, während Angel gierig die zweite und die dritte Blutkonserve leerte. In ihren Zügen zeichnete sich lediglich Besorgnis ab, nicht eine Spur von Ekel, den er, Buffy kannte ihn schließlich gut genug, bei ihr hervorzurufen fürchtete. Sie hatten zu viel gemeinsam durchgemacht, als dass sein Verlangen nach Blut Buffy noch hätte stören können. Als er tief Luft holte und versuchte, auf die Beine zu kommen, wollte Buffy aufspringen, um ihm zu helfen, doch er streckte ihr nur abwehrend eine Hand entgegen und hielt sich mit der anderen am Kaminsims fest. Sie verstand. Er, Angel, benötigte ihre Hilfe nicht, er konnte selbst auf sich aufpassen... und auf sie, wenn sie ihn brauchen würde. »Angel, ich...« »Nein«, unterbrach sie Angel. »Ich bin wieder okay.« »Du siehst nicht so aus, als ob...« »Ich bin ein Vampir, vergiss das nicht«, fiel Angel ihr abermals ins Wort. »Ich erhole mich ziemlich schnell. Geht mir schon viel besser. Hab’s gleich überstanden.« Er kratzte sich an einer wunden Stelle im Nacken, und der neuerlich aufflackernde Schmerz ließ ihn jäh zusammenzucken. »Außerdem haben wir jetzt Nacht. Sein Vorteil ist dahin.« »Es stimmt also tatsächlich«, sagte Buffy. »Er ist... immun gegen Sonneneinstrahlung.« »Definitiv«.
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Während Angel sich sortierte und mit bedächtigen, kleinen Schritten seine zerschundenen und verbrannten Beine auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüfte, berichtete ihm Buffy von Giles’ Entdeckung, dass es sich bei Solitaire und Dies Pedes – dem Lichtgänger – um ein und denselben Vampir handelte. Angel machte ein skeptisches Gesicht. »Ich hab zwar schon mal ansatzweise Gerüchte über einen lichtresistenten Vampir gehört, aber das ist lange her, und ich hab dem nie irgendeine Bedeutung beigemessen. Vampire sind nun mal keine Sonnenanbeter. Ich hab das Ganze immer für eine Art modernen Mythos gehalten. Ein Ammenmärchen.« »Um die kleinen Vampirkinder zu erschrecken?«, meinte Buffy, doch Angel schien im Augenblick wenig Sinn für Humor zu haben. »Die ganzen Bücher und Wächter-Chroniken können sich doch nicht irren, oder etwa doch?« Angel schüttelte den Kopf. Visionen von einem quietschfidel im hellsten Sonnenschein herumspazierenden Solitaire marterten seinen Verstand. »Was auch immer er ist, er ist äußerst gefährlich.« »Jedenfalls scheint der Kampf nicht sonderlich fair gewesen zu sein«, stellte Buffy fest und wies auf das vorhanglose Fenster. »Nachts hätte es auch nicht viel besser ausgesehen«, erwiderte Angel. Er sah ihr direkt in die Augen, mit jenem durchdringenden Blick, der ihr jedes Mal aufs Neue einen Schauer über den Rücken jagte, aus guten ebenso wie aus bedenklichen Gründen. »Buffy, dieser Solitaire besitzt eine unglaubliche Kraft. Du solltest ihn auf keinen Fall unterschätzen.« »Mach dir um mich keine Sorgen, Angel«, winkte Buffy ab und erhob sich von ihrem Stuhl. »Ich bin mehr als bereit, ihm die hässliche Visage zu polieren, falls ich sie überhaupt irgendwann einmal zu sehen bekomme. Im Moment mache ich mir ohnehin viel mehr Gedanken um Willow und Xander. 194
Wenn es uns nicht gelingt, die Ghule bis zu ihrem Schlupfwinkel zu verfolgen, sehe ich schwarz für die beiden.« »Und du möchtest meine Hilfe.« »Klar«, sagte Buffy. »Doch das war vor... dem hier. Du solltest zu Hause bleiben, dich...« »Unsinn. Ich komme mit.« Buffy war froh, ihn an ihrer Seite zu wissen. So konnte sie möglicherweise weiteres Unheil von ihm fern halten, ihn notfalls beschützen, wenn er in Gefahr geriet. Ihre Freunde steckten in Schwierigkeiten, weil sie nicht bei ihnen gewesen war, als es darauf ankam. Sie konnte – würde – so etwas nicht noch einmal zulassen. Wer nicht fähig war, aus den Fehlern der Vergangenheit eine Lehre zu ziehen, würde immer wieder mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben. Immerhin etwas, was sie im Geschichtsunterricht gelernt hatte. Sie erinnerte sich an den Spruch, der auf dem motivierenden Poster zu lesen stand, das Mrs. Burzak in ihrem Büro aufgehängt hatte. Demnach galt es bei den Chinesen als Inbegriff des Irrsinns, immer und immer wieder das Gleiche zu tun und zu hoffen, dass irgendwann einmal etwas anderes dabei herauskam. »Gut«, antwortete sie knapp. Er nickte. »Wie lautet der Plan?« Im Bronze spielten Vyxn den zweiten Teil ihres letzten Gigs in Sunnydale. Cordelia Chase ließ ihren Blick über die aufgeregte Schar junger Männer wandern und schüttelte verständnislos den Kopf. Unterschätze niemals die männliche Libido, war ihr erster Gedanke. Man sollte ihnen allen ein Schlabberlätzchen umbinden, ihr zweiter. Obwohl sie annahm, dass mehr im Spiel war als nur erotische Anziehungskraft, jedenfalls wenn sie Buffy, Oz und Giles Glauben schenken durfte. Cordelia konnte in der Menge einige, wohl mehr als Alibi dienende Mädchen ausmachen, die neben ihren männlichen Begleitern standen und mehr oder weniger ein reines 195
Schattendasein fristeten, hatten ihre Kavaliere doch ausnahmslos Augen für die vier Frauen – oder was immer sie auch sein mochten –, die auf der Bühne ihre Show abzogen. Ihre ehemalige Mitgliedschaft in der Scooby-Gang hatte Cordelia gelehrt, dass in Sunnydale scheinbar völlig alltägliche Ereignisse oftmals Gefahr bedeuteten, und nur Narren und Idioten konnten so naiv sein, vor den Zeichen drohenden Unheils die Augen zu verschließen. Daher war sie mehr als geneigt, diese Rock-Ladies nicht für das zu halten, was sie auf den ersten Blick zu sein schienen. Auch wenn alles in ihr sich dagegen sträubte, hatte sie sich schließlich doch bereit erklärt, ihren Beitrag an der für heute Abend geplanten Rettungsaktion zu leisten. Immerhin bestand die, wenn auch geringe, Chance, dass Troy noch am Leben war, und wenn dem so sein sollte, wollte sie auf jeden Fall zur Stelle sein, um ihm zur Seite zu stehen. Schließlich hatte er ihr Probeaufnahmen versprochen. Wie würde es aussehen, wenn sie ihn in dem Moment, wo es ein wenig brenzlig wurde, einfach fallen ließ? Wenigstens ein Fünkchen Loyalität sollte man sich schon bewahren, sagte sie sich, auch auf die Gefahr hin, dass man im Irrenhaus landet. Giles hatte ihr hoch und heilig versichert, dass die hypnotische Kraft der Musik ausschließlich auf Männer wirkte. Doch das bedeutete auch, dass sie dazu verurteilt war, sich all die langweiligen und nervtötenden Balladen und Songs über verschmähte Liebe oder einigermaßen zweifelhafte Formen der Selbstbefreiung anzuhören, bis zum Schluss, die volle Ladung. Währenddessen hockten die Männer in Oz’ Van und kauten auf den Nägeln herum. Giles hatte die Band zwar noch nie gehört, zog allerdings vor, es auch dabei zu belassen; zu groß sei die Gefahr, dass auch er dem Gesang der Sirenen erliege. Oz hingegen hatte eingeräumt, nach wie vor einen regelrechten Zwang zu verspüren, sich abermals die Show anzusehen, auch jetzt noch, da er wusste, welche Ausgeburt des Bösen Vyxn in Wirklichkeit waren. Es war anzunehmen, dass Angel, als 196
Vampir, kaum in die bevorzugte Zielgruppe der dämonischen Band fallen würde – wahrscheinlich entsprach rohes Vampirfleisch nicht eben ihren Vorstellungen von einer kulinarischen Sensation. Doch er war in einem schlichtweg katastrophal zu nennenden Zustand, immer noch fix und fertig von seiner kleinen Auseinandersetzung mit dem Supervampir. So viel zu den Jungs, dachte Cordelia, doch was war mit der ach so unerschrockenen Jägerin? Buffy hätte eigentlich mit ihr leiden müssen, hier, direkt an ihrer Seite. Oz saß am Steuer seines Vans und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Nur die Ruhe bewahren, rief er sich selbst zur Räson. Bald würde das Konzert vorüber sein, und die Rettungsaktion konnte endlich beginnen. Von seinem Fahrersitz aus konnte er den Tourneebus von Vyxn sehen, kaum fünfzig Meter entfernt, in dunkle Schatten gehüllt. Ihn quälte die völlig irrationale Befürchtung, dass der rostfarbene Bus sich urplötzlich und wie durch Zauberhand mit einem Mal in Luft auflösen könnte. Also ließ er ihn nicht eine Sekunde aus den Augen, bereit, auf die geringste Bewegung hin sofort zu reagieren. Indes versuchte Giles verzweifelt, an irgendetwas anderes zu denken als an das unerträgliche Jucken unter seinem Gipsverband, das dummerweise genau an einer der Stellen ausgebrochen war, die sich mit seinem eigens zu diesem Zweck mitgeführten Zehn-Zentimeter-Lineal nicht erreichen ließen. Er hielt den Blick unverwandt auf die Tür des Bronze gerichtet und wartete darauf, endlich Cordelia mit der Nachricht herauskommen zu sehen, dass die Band soeben damit begonnen hatte, ihr Equipment zusammenzupacken. Nach allem, was er gehört hatte, ging er allerdings nicht davon aus, dass das Konzert vor elf Uhr zu Ende sein würde. Mehr aus Neugierde denn aus irgendwelchen anderen Gründen hätte er sich die Band gern einmal angehört. Doch das Risiko war zu 197
groß, selbst wenn es sich nur um eine kleine Kostprobe ihres zweifelhaften Könnens handeln mochte. Er dachte an Odysseus, der sich an den Mast seines Schiffes hatte binden lassen, sodass er dem Gesang der Sirenen lauschen konnte, ohne Gefahr zu laufen, ihrem unheilvollen Ruf zu folgen. Giles konnte nur beten, dass Willow und Xander sich in relativer Sicherheit befanden. Obwohl sie dem Jägerteam aus freiem Entschluss beigetreten waren, fühlte er sich doch für sie verantwortlich. Wenn es ihnen nicht gelang, sie zu retten, würde er sich sein Leben lang die schlimmsten Vorwürfe machen. Als wäre all das nicht genug, quälte ihn zudem noch die Sorge um Buffys Chancen in Bezug auf Solitaire, falls es zu einer offenen Auseinandersetzung kommen sollte. Bei seinem Kampf gegen den legendären Vampir hatte Angel ganz klar den Kürzeren gezogen. Offensichtlich betrachtete dieser Lichtgänger einen anderen Vampir als lohnenswertere Herausforderung als einen alternden Wächter. Giles sollte eigentlich froh und dankbar sein, dass Solitaire ihn als vergleichsweise harmlos einstufte. Doch irgendwie ärgerte es ihn auch. Unwillkürlich drängte sich ihm die Frage auf, worin eigentlich sein Nutzen für die Jägerin bestand. Buffy ließ Angel nicht aus den Augen; zu groß war ihre Angst, dass er aufgrund seiner schweren Verletzungen einem Kampf gegen die Ghule oder einer weiteren Konfrontation mit Solitaire nicht gewachsen war. Jedes Mal, wenn sie ihm in die Augen sah, fiel es ihr zunehmend schwerer, alle Anzeichen von Sorge aus ihren Zügen zu verdrängen. »Angel?«, flüsterte sie leise. »Meinst du, du schaffst es?« Einen Moment lang dachte er ernsthaft über die Frage nach, dann nickte er langsam. »Die Knochen sind wieder zusammengewachsen, die Brandwunden fast verheilt. Es geht mir gut, es ist nur... es schmerzt wie die Hölle.«
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»Wenn das einer weiß, dann wohl du«, meinte Buffy. »Schließlich bist du ja mal dort gewesen.« Angel zuckte zusammen. Im nächsten Moment bereute Buffy ihre flapsige Bemerkung bereits. Sie versuchte, Angels augenblicklicher Verfassung nicht zu viel Beachtung zu schenken, aus Angst, er könnte sonst ihre übergroße Sorge bemerken. Angel war um Haaresbreite am Tod vorbeigeschlittert, und er war noch immer leicht unsicher und wacklig auf den Beinen, auch wenn er das Gegenteil behauptete. Buffy entschied, dass es Zeit für einen Themenwechsel war. »Hast du vielleicht ein paar brauchbare Tipps? Nur für den Fall, dass sich Solitaire doch noch traut, mir persönlich gegenüberzutreten, anstatt immer nur Leute zu verprügeln, die mir was bedeuten.« »Er ist ziemlich kräftig«, erwiderte Angel. »Unglaublich kräftig. Und ein äußerst gerissener Gegner. Er wird jeden auch noch so geringen Vorteil, der sich ihm bietet, sofort erkennen und augenblicklich nutzen.« Buffy runzelte die Stirn. »Mit anderen Worten, er hat keine Schwächen?« »Doch, sein Ego.« »Sein Ego?«, fragte Buffy nach. »Was soll das heißen? Soll ich ihn vielleicht um ein Autogramm bitten, bevor ich ihn aufspieße?« »Selbstüberschätzung«, erläuterte Angel. »Er ist maßlos stolz auf seine vermeintliche Überlegenheit.« Buffy nickte langsam. »Je dicker es kommt...« »Desto platter ist man hinterher«, meldete sich Oz nun von vorn zu Wort. »Sorry, ich...« Zwei harte Erschütterungen trafen den Van. »Das Wagendach!«, schrie Angel. Ein dunkler Schatten sprang auf der Seite des Beifahrers von dem zerbeulten Dach herunter, eine Sekunde später tauchte eine weitere Gestalt neben der Fahrertür auf. Bei dem ersten 199
Anzeichen drohender Gefahr hatte sich Buffy sogleich nach vorne geworfen und hing nun mit dem Oberkörper eingeklemmt zwischen den vorderen Sitzen. Ihr Blick flog mehrmals nach links und nach rechts, und auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein Ausdruck der Verblüffung ab. »Zwillinge?« Zwei völlig identische Vampire ragten neben dem Van auf, an jeder Seite einer, und glotzten sie aus dämonischen Augen an. Beide trugen schwarze Hosen und eine rote Lederweste. Buffy warf einen raschen Blick über die Schulter, doch Angel schüttelte nur den Kopf. Offenbar hatte er die beiden noch nie zuvor gesehen. Dennoch deuteten die roten Westen darauf hin, dass zwischen ihnen und Solitaire irgendeine Verbindung bestand. »Ich bin Kyle«, stellte sich der Vampir auf Oz’ Seite vor und riss die Fahrertür auf. »Und ich Carl«, sagte der zweite und tat es an der Beifahrerseite seinem Zwillingsbruder gleich. Kyle packte den völlig überrumpelten Oz am Kragen und schickte ihn mit einem kräftigen Wurf aufs Straßenpflaster. Währenddessen zerrte Carl auf der anderen Seite Giles aus dem Wagen. Noch im Fallen riss der Wächter den Gipsarm hoch und verpasste dem Vampir eine blutige Nase. »Komm raus, Jägerin!«, brüllte Kyle. »Wir haben dir etwas mitzuteilen!«
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13 Buffy verlor nicht eine Sekunde. Noch bevor Giles auf das Pflaster schlug, war sie bereits über den Vordersitz gesprungen und hielt den Pflock kampfbereit in der Hand. Carl beging den verhängnisvollen Fehler, zunächst einmal sein beschädigtes Riechorgan abzutasten. Als er Buffy heranstürmen sah, war es bereits zu spät. »Warte...!«, konnte er gerade noch aufschreien, ehe sich der Pflock durch sein Herz bohrte und er mit einem dumpfen Knall zu einer Wolke aus Staub verpuffte. Buffy sprintete um die Kühlerhaube herum. »So ein Doppelpack macht gleich noch mal so viel Spaß«, spottete sie höhnisch und näherte sich Kyle, dem nunmehr bruderlosen Zwilling. »Du hast Carl umgebracht«, sagte dieser ungläubig. »Bloß keinen Neid«, gab sie zurück. »Du bist als Nächster dran.« »Warte«, versuchte er sie aufzuhalten, die Arme abwehrend nach vorne gestreckt. »Wir... ich meine, ich habe eine Botschaft für dich.« »Hat sich ausgebotschaftet jetzt«, versetzte Buffy. Oz hatte sich inzwischen wieder aufgerappelt und stand nun genau hinter Kyle. Doch irgendeine plötzliche Bewegung oder ein verräterisches Geräusch warnte den Vampir. Alarmiert riss er den Kopf herum und rammte Oz den Ellbogen in den Leib, knapp unterhalb des Brustkorbs. Oz sackte in sich zusammen und japste nach Luft. Buffy nutzte sogleich die Gunst des Augenblicks, tat einen jähen Satz nach vorn und verpasste dem Vampir einen gewaltigen linken Haken. Noch während er versuchte, die Benommenheit wieder abzuschütteln, packte sie ihn mit der Linken am Aufschlag seiner Weste und hob die rechte Hand mit dem Pflock hoch über den Kopf, um Kyles 201
sonnenlosem Dasein ein ebenso rasches wie schmerzloses Ende zu bereiten. Zielsicher ließ sie den Pflock niedersausen, die Spitze direkt auf das ohnehin längst nicht mehr schlagende Herz gerichtet... »Deine Mutter!«, schrie Kyle, von Todesangst gepackt. In letzter Sekunde hielt Buffy inne. »Er hat deine Mutter«, brachte Kyle hervor. Seine Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. »Solitaire?« Kyle nickte heftig. Sein Blick blieb unverwandt auf die Spitze des Pflocks gerichtet. Buffy konnte es sich nicht leisten, an seinen Worten zu zweifeln. Sie musste so viel wie nur irgend möglich aus diesem Vampir herauspressen. Schließlich stand das Leben ihrer Mutter auf dem Spiel. Als ihr klar wurde, wie knapp sie davor gestanden hatte, ihm das Lebenslicht auszupusten, ohne sich Solitaires Bedingungen nur angehört zu haben, fuhr ihr ein eiskalter Schauer den Rücken hinab. Die Erkenntnis schnürte ihr beinahe die Kehle zu, und mit rauer Stimme fuhr sie ihn an: »Lebt sie?« »Ja, soviel ich...« »Wo?« »Er hat gesagt, wir sollten dich ihm überlassen. Dir einfach nur die Nachricht überbringen und abhauen.« »Wo?«, wiederholte Buffy und drückte ihm den Pflock an die Brust. »In der Galerie«, sprudelte es aus Kyle hervor. »Er hat gesagt, er würde sie zur Galerie schaffen.« »Sonst noch was?« »Komm allein, oder sie wird sterben«, platzte der Vampir heraus. »Wenn du dich bis Mitternacht nicht dort eingefunden haben solltest, wird er sie ebenfalls umbringen. Mehr weiß ich nicht.« »Bist du dir da sicher? Wirklich absolut sicher?« 202
»Ja! Absolut!« »Vielen Dank für die Nachricht«, sagte Buffy. »Hier ist dein Botenlohn!« »Neeeeiin!!«, brüllte Kyle, als ihm zu spät klar wurde, wie ihre letzten Worte gemeint waren. Seine hervorzuckenden Hände – ebenso wie der Rest von ihm – rieselten als Staub auf den Boden hinab, noch ehe er den Holzpflock abzuwehren vermochte. In der Zwischenzeit hatte Angel Oz auf die Beine geholfen, und die beiden standen nun hinter ihr. Von der anderen Seite kam, sich den Schmutz von den Kleidern klopfend, Giles heran. »Ich möchte dein Verhalten ja nicht als unsportlich bezeichnen, aber...« »Dann lassen Sie’s auch«, fiel ihm Buffy ins Wort. »Sie glauben doch nicht etwa, dass ich einen Vampir laufen lasse, nur weil er ein wenig kooperativ gewesen ist?« Giles räusperte sich. »Ganz recht.« »Habt ihr es mitgekriegt?«, wollte Buffy wissen. »Er hat meine Mutter in seiner Gewalt. In der Galerie.« Die anderen nickten mit betroffenen Gesichtern. Wahrscheinlich machten sie sich ebensolche Sorgen um ihre Mutter wie sie. »Wenn wir jetzt das Feld räumen, laufen wir Gefahr, Vyxn und mit ihnen Willow und Xander zu verlieren«, gab Giles zu bedenken. »Ein klassisches Dilemma«, stellte Oz fest. »Kein Dilemma«, widersprach die Jägerin. »Ich gehe allein zur Galerie.« »Buffy, das ist genau das, was er...« »Giles, Sie haben seine Bedingungen gehört. Ich kann... ich werde nicht das Leben meiner Mutter aufs Spiel setzen.« »Ich verstehe.« »Gut«, sagte Buffy zu ihrem Wächter. Sie hielt ihm die ausgestreckte Hand hin. »Ich brauche Ihre Wagenschlüssel. Ich nehme das Gilesmobil.« 203
»Buffy, Autos sind nicht gerade deine... vielleicht sollten wir...« »Keine Zeit für Diskussionen, Giles.« »Also gut«, meinte er und drückte ihr die Schlüssel von seinem Citroën in die Hand. »Bitte nimm dich in Acht – ich meine, mit Solitaire und all dem.« »Seht ihr nur zu, dass ihr Vyxns Versteck ausfindig macht. Und wartet auf mich, wenn es irgendwie geht«, sagte Buffy. »Giles, Sie und Oz sind dem magischen Zauber von Vyxn schutzlos ausgeliefert. Angel müsste also gegen alle Ghule auf einmal kämpfen, vier gegen einen. Es wäre wirklich fatal, wenn es ihnen gelingen würde, sie beide irgendwie zu beeinflussen und auf ihn zu hetzen.« »Woher willst du wissen, wo...?« »Cordelia soll euch mit ihrem Wagen hinterherfahren«, unterbrach ihn Buffy. »Sobald sie weiß, wo die Ghule sich verstecken, kommt sie wieder hierher zum Bronze und wartet auf mich. Alles klar?« Angel blickte sie besorgt an. »Buffy, ich könnte...« Doch sie schüttelt bereits den Kopf. »Wenn Solitaire oder einer seiner Vampirkomplizen dich sieht, könnte es meiner Mutter an den Kragen gehen. Das Risiko kann ich unmöglich eingehen. Abgesehen davon, wie sollen Giles und Oz allein mit vier Ghulen fertig werden? Sie brauchen dich. Für mich wärst du bestenfalls ein Risikofaktor.« Angel nickte nur kurz. Buffy schaffte es, Giles’ Citroën ohne Unfall zur Galerie zu manövrieren, vorausgesetzt, man zählte eine heftige Kollision mit einer Bordsteinkante und eine abgesprungene Radkappe nicht als Unfall. Noch immer hatte sie Angels angespannten Gesichtsausdruck vor Augen. Der Vampir hatte sie nur ungern aufbrechen sehen, allein einem übermächtigen Gegner entgegen, hatte sich schließlich aber doch ihrer einleuchtenden 204
Argumentation und ihrer Sorge um ihre Mutter gebeugt. Und noch ein weiteres Problem lastete schwer auf ihren Schultern: Was, wenn es Solitaire gelang, sie zu besiegen, sie zu töten? In diesem Fall würde sie wohl kaum in der Lage sein, ihren Freunden im Kampf gegen die Ghule zur Seite zu stehen. Sie versuchte alle Sorgen und Befürchtungen, die sie bedrückten, zu verdrängen, als sie sich der Galerie näherte. Sollte Solitaire tatsächlich so mächtig sein, wie Angel und Giles behaupteten, galt es, einen klaren Kopf zu bewahren und sich durch nichts ablenken zu lassen. Schließlich hatte er ihre Mutter. Ein beunruhigender Gedanke drang aus ihrem Unterbewusstsein an die Oberfläche. Als sie zum Bronze aufgebrochen war, hatte ihre Mutter sich zu Hause befunden. War es Solitaire irgendwie gelungen, den Bannspruch, den sie über das Haus verhängt hatte, auszutricksen? Sie war sich sicher, alles genau nach Vorschrift gemacht zu haben. Doch andererseits würde es sie kaum verwundern, wenn ein Vampir, der am hellen Tag sein Unwesen trieb, auch dazu in der Lage war, ohne Probleme in ein Haus hineinzuspazieren, in das ihn niemand gebeten hatte. Vielleicht verfügte er wirklich über irgendeinen Talisman oder besondere magische Kräfte. Sie war sich über seine tatsächlichen Fähigkeiten zwar nicht im Klaren, doch eines wusste sie mit Bestimmtheit: Dieser Gegner war keinesfalls zu unterschätzen. Solitaire war alles andere als ein gewöhnlicher Vampir. Zu nervös, um einfach an ihrem Tisch sitzen zu bleiben und sich Vyxns uninspirierte Musik um die Ohren hauen zu lassen, war Cordelia aufgestanden, schlenderte nun ziellos im vorderen Bereich des Bronze umher und wartete darauf, dass die Zeit verging. Zumindest bis irgend so ein Tölpel, in völlig vergammelten Klamotten und augenscheinlich noch reichlich grün hinter den Ohren, sie anrempelte und ihr um ein Haar seine Cola über das rote Kleid gekippt hätte. Sein blasses 205
Gesicht war gezeichnet von dunklen Rändern unter den Augen, und sein herabhängender Unterkiefer, seinem Empfinden nach offenbar Ausdruck betonter Lässigkeit, verlieh seinen Zügen einen geistesgestörten Touch. Er brummelte irgendeine Entschuldigung und machte Anstalten, um sie herumzugehen. »Pass doch auf, du Idiot«, fuhr Cordelia ihn an. Sie war so aufgebracht, dass ihr beinahe entgangen wäre, wie Lupa sich von ihrem Publikum verabschiedete. »Wir müssen heute leider etwas eher Schluss machen«, sprach sie in ihr Mikro. Ein kollektiver Aufschrei des Bedauerns ging durch die Menge. »Aber ihr wart großartig.« Das Milchgesicht neben ihr mit den eingefallenen Augen murmelte irgendetwas Unverständliches und stolperte, den Blick starr auf die Bühne gerichtet, mit sperrangelweit geöffneter Futterluke davon. Cordelia blickte sich um und sah weitere wie hypnotisiert wirkende Typen, allesamt mit demselben leeren, Schlaf-ist-was-für-Weicheier-Ausdruck im Gesicht. Falls Vyxn auf die Idee kommen sollten, ihr kleines Gastspiel in Sunnydale um ein paar Konzerte zu verlängern, würden die Jungs wahrscheinlich irgendwann vor Erschöpfung zusammenbrechen. Nicht nur, dass die Ghule ihre eigenen Fans auffraßen, nein, sie raubten denjenigen, die sie verschonten, auch noch jegliche Lebenskraft. »... unseren letzten Song«, hörte Cordelia Lupa sagen, als ihr Blick auf die dunklen Flecken fiel. Dieses sabbernde und brabbelnde Ausbund von einem Trampeltier hatte es doch tatsächlich geschafft, ihr mit seiner Cola das Kleid zu ruinieren. »... trägt den Titel ›Farewell, Again, Forever‹.« »Na toll«, stieß Cordelia hervor und stürzte zwecks Schadenseindämmung in Richtung Damentoilette davon. Währenddessen begab Lupa sich zur Bühnenmitte und begann mit der letzten Nummer: »If I never see you again, 206
Will you remember me? Our time was so short, But that’s the way it must be...« Es war eine Falle, und Buffy stand im Begriff, offenen Auges hineinzutappen. Nicht, dass sie irgendeine Wahl gehabt hätte. Ihre Mutter schwebte in Lebensgefahr – was spielte es da für eine Rolle, dass Buffy ihr eigenes Dasein riskierte? Joyce hätte gewiss niemals zugelassen, dass ihre Tochter wegen ihr ein solches Risiko einging. Doch Buffy war nicht nur Joyce Summers’ Tochter, sondern zudem die Auserwählte, die Jägerin. Es war ihre Bestimmung, immer wieder aufs Neue gegen das Böse zu kämpfen, so lange, bis sie eines Tages – wenn ihre Zeit gekommen war – unterliegen und sterben würde. Doch bis dahin, so viel stand für Buffy fest, würde es noch eine ganze Weile dauern. Sie hatte nicht die Absicht, ihre Mutter zu einem Opfer dieses immer währenden Kampfes gegen die Mächte der Dunkelheit werden zu lassen. Nachdem sie den Citroën einen Häuserblock von der Galerie ihrer Mutter entfernt abgestellt hatte, kramte sie das bescheidene Waffenarsenal zusammen, das sie aus Oz’ Van mitgenommen hatte – eine Armbrust, mehrere Schussbolzen, einen Pflock – und machte sich auf den Weg. Erste Priorität: ihre Mutter befreien und in Sicherheit bringen. Zweite Priorität: Solitaire eine ganz persönliche Einführung in die Möglichkeiten und Funktionsweisen von Mr. Pointy geben. Dann wieder ab zum Bronze, wo – hoffentlich – Cordelia bereits auf sie warten würde, um sie rechtzeitig zu dem Versteck der Ghule zu führen. Sie hoffte inständig, dass Willow und Xander noch am Leben waren. Haltet durch, Leute, schickte sie ihre stille Botschaft in die Nacht. Eins nach dem anderen. Der Wagen ihrer Mutter stand direkt vor der Galerie, leicht schräg, die Vorderreifen auf dem Bordstein. Solitaire hatte 207
Joyce Summers offenbar gezwungen, hierher zu fahren, und sie musste gewusst haben, dass er sie lediglich als Köder benutzte, um ihre Tochter, ihr einziges Kind, in eine tödliche Falle zu locken. Für Buffy stand es außer Frage, dass Solitaire für all das bezahlen würde – dafür, dass er Giles’ Handgelenk zertrümmert hatte, dafür, dass er beinahe Angel umgebracht hatte, dafür, dass er ihre Mutter terrorisierte. Sein Kredit war mehr als abgelaufen. Die Galerie war unverschlossen. Buffy spähte durch die Glastür in die Dunkelheit und versuchte, irgendeine Spur von ihrer Mutter oder von Solitaire ausfindig zu machen. Matt fiel das fahle Licht der Straßenbeleuchtung in die Galerie hinein, doch sie konnte nur wenig erkennen; der größte Teil des Ausstellungsraumes lag in düstere Schatten getaucht. Sie selbst dagegen würde von jemandem, der sich auf der anderen Seite der Glastür befand, deutlich zu sehen sein. Als sie nach dem Türknauf griff, entdeckte sie die Spielkarte auf dem Fußabtreter. Herz-Acht. Legte man die Acht seitwärts hin, wurde daraus das mathematische Zeichen für unendlich. Doch Buffy hegte berechtigte Zweifel, dass sich hinter Solitaires Kartenspiel-Macke irgendeine tiefere Bedeutung verbarg. Wahrscheinlich ließ er die Karten fallen, wie sie gerade kamen. Dieses Mal wirst du das Spiel verlieren, Solitaire, dachte sie grimmig. Gleichwohl drückte sie die Tür so langsam und vorsichtig auf wie nur möglich. Über ihr gaben wispernd und raunend kleine Klangstäbe aus Kristall Kunde von ihrem Eindringen. So viel zu dem Überraschungseffekt, auf den sie insgeheim gehofft hatte, mochte der daraus erwachsende Vorteil auch noch so winzig sein. Achtlos ließ sie die Tür hinter sich zufallen. Eine alte Ritterrüstung stand wie ein stummer Wächter in der Nähe der Tür, eine riesige Doppelaxt in den matt glänzenden Handschuhen aus Eisen, die scharfe Klinge auf dem Boden 208
abgestellt. Buffy erinnerte sich, dass ihre Mutter davon gesprochen hatte, demnächst eine Ausstellung zum Thema Mittelalter auszurichten. Jäh überfiel sie der schaurige Gedanke, dass genau jetzt, in diesem Augenblick, Solitaire in der Rüstung stecken könnte. Die Vorstellung entbehrte nicht einer gewissen Ironie, hatte doch Solitaire jene Zeiten, als Rittersleute noch in diesen unförmigen und scheppernden Dingern aufs Schlachtfeld zogen oder in Turnieren und Zweikämpfen ihre Kräfte maßen, tatsächlich selbst erlebt. Vielleicht hatte dort sogar seine Vorliebe für Wettkämpfe und Duelle ihren Ursprung. Die Wand zu ihrer Linken war mit einer Unmenge von Waffen und Schilden, die aus diesem Zeitalter stammten, geschmückt, wenngleich sich darunter auch einige Nachbildungen befanden. Auf der gegenüberliegenden Seite hingen – über einer Reihe von Schaukästen mit mehr als sechshundert Jahre alten Objekten, teils Originale, teils kunstvoll gefertigte Repliken – Nachdrucke von Gemälden aus der gleichen Epoche. Eines der Bilder, eine Schreckensvision irgendeines Künstlers des vierzehnten Jahrhunderts, kannte sie sogar. Sie hatte es einmal in einem von Giles’ Büchern gesehen: Die untere Hälfte zeigte eine Szene mit zahlreichen, von der Pest dahingerafften Menschen, die, teilweise bereits von Fäulnis zerfressen, in offenen Särgen lagen; im oberen Teil des Bildes stritten sich Engel und Dämonen um deren Seelen. Diese außerordentlich makabre Darstellung von Tod und Vergänglichkeit hatte sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt. Plötzlich drang von der anderen Seite der Galerie ein ersticktes Stöhnen an ihr Ohr. Buffy fuhr herum und konnte in einer dunklen Nische ihre Mutter ausmachen, die gefesselt und geknebelt auf dem Boden kauerte, den Rücken an die Wand gelehnt. Ihre Augen waren vor Angst weit aufgerissen, und verzweifelt deutete sie mit dem Kopf in die andere Ecke der Raumes, die in nahezu völliger Dunkelheit lag. 209
Solitaire tauchte aus dem Schatten auf und trat in den matten Schein der Straßenbeleuchtung, der von draußen hereinfiel. Sein pechschwarzer Mantel und die ebenso dunklen Hosen blieben eins mit der Finsternis, nur seine rote Lederweste und sein blasses Gesicht zeichneten sich vor dem Hintergrund der Nacht ab. Wie eine düstere Erscheinung schien er im Raum zu schweben, ein unheimlicher Bote des Todes, der gekommen war, sich die Seelen der Verdammten zu holen. »Endlich stehen wir uns gegenüber, Jägerin«, sagte er mit tiefer, fester Stimme. »Wer hat sich denn die ganze Zeit versteckt?«, entgegnete Buffy, in der Absicht, ihn zu provozieren und zu einer unüberlegten Handlung zu verleiten. Ich muss unbedingt Mom hier rausschaffen, dachte sie. »Nun, die Zeit des Wartens ist vorüber«, erwiderte Solitaire und breitete salbungsvoll die Arme aus. »Alle Vorbereitungen sind getroffen. Bevor ich sie gefesselt habe, war deine Mutter noch so freundlich, die Alarmanlage auszuschalten. Es wird uns also niemand stören. Kein übereifriger Gesetzeshüter wird hereinplatzen und das ästhetische Schauspiel unseres spektakulären Zweikampfes unterbrechen. Wir haben das Feld für uns, zumindest bis zum Tagesanbruch. Ich würde vorschlagen, wir machen das Beste daraus.« »Zur Abwechslung hab ich mal eine Botschaft für dich«, zischte Buffy, die Armbrust bereits in der Hand. »Keine Angst, ich werde gleich zur Sache kommen.« Sie feuerte den Bolzen ab. Solitaires Hand war nur schemenhaft zu erkennen, als er mit schier unglaublicher Reaktionsschnelligkeit den Bolzen aus der Luft fing, nur wenige Zentimeter von seiner Brust entfernt. »Ha! Du hast Sinn für Humor.« Er kicherte in sich hinein. »Ich liebe das. Meinst du, du kriegst noch ein Lächeln für mich hin, bevor du deinen letzten Seufzer tust, Jägerin?« Er brach den Bolzen entzwei und warf ihn beiseite. 210
»Das mit dem Lächeln ist kein Problem«, versetzte Buffy und lud ihre Armbrust nach. »Nur leider wirst du es nicht mehr erleben.« Entschlossen feuerte sie den zweiten Bolzen ab. Solitaires Arm schoss nach oben, und der jäh aus seiner Bahn geworfene Bolzen bohrte sich hinter ihm in die Wand. »Sprüche klopfen kannst du offensichtlich«, stellte er fest. »Gut. Aber auf die Dauer ein wenig ermüdend. Sollen wir endlich anfangen?« »Zuerst lässt du meine Mutter frei«, verlangte Buffy. Sie hatte gehofft, Solitaire ein rasches Ende bereiten zu können, doch allem Anschein nach würde sich die Angelegenheit unangenehmer gestalten als erwartet. »Sie hat nichts mit dieser Sache zu tun. Sie stellt für dich keinerlei Bedrohung dar.« »Sie bleibt hier«, erwiderte Solitaire bestimmt. »Ich finde, man sollte einer Mutter die Gelegenheit geben, Zeuge des ruhmreichen Endes ihrer Tochter zu werden.« Buffy musste sich, koste es, was es wolle, auf jeden Fall zuerst um ihre Mutter kümmern. Solitaire brüstete sich damit, ein ehrenhafter Kämpfer zu sein. Vielleicht ließ sich über sein Kriegerethos etwas erreichen. »Nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich... unterliegen sollte, versprich mir, dass du sie dann gehen lässt.« »Warum sollte ich?« »Es wäre... ehrenhaft.« »Ich fürchte, nach unserem kleinen Tänzchen werde ich ausgesprochen... durstig sein.« »Du bist nichts als Abschaum«, spie Buffy hervor. Er war ein Vampir. Was hatte sie erwartet? Eine große Geste der Menschlichkeit? »Es wird ein Kampf um Leben und Tod«, entgegnete Solitaire ungerührt. »Bist du bereit, deinem Schicksal ins Auge zu sehen?« Er griff in seine Westentasche, zog eine Spielkarte hervor und zeigte sie ihr: eine Pik-Sieben. »Betrachte das PikZeichen als deine Grabschaufel.« Er legte die Karte mit der 211
Rückseite nach oben auf einen der gläsernen Schaukästen. »Ich hoffe, dass du dein Bestes gibst«, sagte er. »Wir werden sehen, ob es ausreicht, Jägerin.« »Zeit für eine kleine Pfählaktion, Vampir«, gab Buffy zurück und machte sich bereit. Sie schleuderte ihm die Armbrust entgegen und hielt im selben Moment bereits ihren Pflock in der Hand. Solitaire riss den Oberkörper zur Seite, ließ die Armbrust an seinem Kopf vorbeisegeln und erwartete geduldig ihren Angriff, den Blick unverwandt auf den Holzpflock geheftet. Doch anstatt mit dem Pflock voran auf ihn loszustürmen, schlug die Jägerin auf ihrer freien Hand ein Rad und trat ihm mit beiden Beinen gegen die Brust. Er taumelte zurück, und Buffy, die sich sogleich wieder aufgerichtet hatte, setzte ihm ohne Zögern hinterher, diesmal die Spitze des Holzpflocks direkt auf sein Herz gerichtet. Er blockte ihren Angriff mit dem linken Arm ab und stieß ihr mit brutaler Gewalt den rechten Handballen unters Kinn. Buffys Kopf flog in den Nacken, und sie verlor den Boden unter den Füßen. Im Straucheln klammerte sie sich an Solitaires Weste und riss ihn mit sich. Sie fiel hintenüber und knallte hart mit dem Kopf auf den Boden, sah einen beängstigenden und schmerzhaften Augenblick lang nur noch Sterne vor den Augen. Dennoch war es ihr im Fallen gelungen, dem Gegner den Fuß in den Unterleib zu stemmen und ihn über sich hinwegzuhebeln. Mit lautem Grunzen krachte er nun hinter ihr auf den Boden. Buffy rollte sich auf die Seite und war im nächsten Moment bereits wieder sprungbereit. Solitaires kurzzeitige Verblüffung verschaffte ihr einen kleinen Vorteil, und sie hatte keineswegs die Absicht, diesen ungenutzt zu lassen. Sie stürzte sich auf ihn und rammte ihm, gerade als er im Begriff stand, sich wieder aufzurappeln, ihr Knie ins Gesicht. Der Vampir brüllte vor Schmerz laut auf, holte dann zu einem unkontrollierten Schwinger aus und 212
erwischte sie mit der Faust am Ohr. Knorpel knackten, und Haut zerplatzte unter der Wucht seines Schlages. Die Jägerin spürte, wie warmes Blut ihren Hals hinablief. Buffy wich einen Schritt zurück und versuchte zu Atem zu kommen. Solitaire erhob sich und ragte bedrohlich vor ihr auf. Er setzte zu einem Sidekick an, doch sie bekam mit beiden Händen seinen Fuß zu fassen und riss ihn mit aller Kraft herum. Abermals stürzte Solitaire zu Boden, was Buffy Gelegenheit gab, sich wieder ihres Holzpflocks zu bemächtigen, den sie bei der Aktion fallen gelassen hatte. Doch es blieb bei der Absicht, denn Buffy hatte einen unbedachten Augenblick lang vergessen, dass sie es mit einer Kreatur zu tun hatte, deren Fähigkeiten und Reaktionsvermögen nicht nach menschlichen Maßstäben zu bemessen waren. Kaum hatte sie Solitaires Fuß losgelassen, war er, anscheinend alle Gesetze der Schwerkraft außer Kraft setzend, sogleich wieder auf den Beinen, sah ihre Waffe auf dem Boden liegen und verlor nicht eine Sekunde. Er schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht, und Buffys Kopf wurde brutal herumgerissen. Dann schob Solitaire beide Hände unter ihre Achseln und hob sie kurzerhand in die Höhe. Jeglichen Halts beraubt hing sie vor ihm in der Luft. Ihr Gegner grinste boshaft. Ein dünnes Rinnsal aus Blut zog sich von der aufgeplatzten Unterlippe bis zu seinem Kinn hinab. Mit seinem borstigen Kurzhaarschnitt und dem diabolischen Ausdruck im Gesicht wirkte er wie ein dem Größenwahn verfallener Feldwebel. »Kommst du auf deine Kosten, Jägerin?« Ungeachtet seines äußerst schmerzhaften Griffs rang Buffy sich ein sarkastisches Lächeln ab. »Du verstehst es wirklich, mit Frauen umzugehen.« Immer noch lächelnd rammte sie ihm ihr Knie unters Kinn. Brüllend stob er durch den Raum und ließ sie von hoch oben in eine der Ausstellungsvitrinen krachen. Die Glasabdeckung 213
zerbarst in tausend Stücke, und ihr Kopf knallte mit einem hässlichen Geräusch an eine der Metallverstrebungen. Einen Augenblick lang war sie wie betäubt. Solitaire packte sie erneut, zerrte sie aus dem Trümmerhaufen heraus und schleuderte sie, mit dem Kopf voran, durch den Raum. Sie versuchte noch, sich abzurollen, doch ihre beinahe gefühllosen Glieder versagten ihr den Dienst. Wie eine Betrunkene rumste sie, halb torkelnd, halb fallend, gegen die gegenüberliegende Wand und sackte in sich zusammen. Ihre Mutter stieß unter dem Knebel einen dumpfen Aufschrei aus. Buffy versuchte, ihrer Benommenheit Herr zu werden, und sah verschwommen, wie Solitaire ein antikes Breitschwert aus einer Aufhängung an der Wand riss. Er packte es mit beiden Händen und preschte voran, um es der am Boden liegenden Jägerin durch die Eingeweide zu stoßen. Im letzten Moment warf sie sich zur Seite, spürte, wie die scharfe Klinge den Stoff ihres Ärmels zerriss, wie kaltes Metall ihre Haut aufritzte, bevor es sich zentimetertief in die Holzdielen bohrte. Kurz entschlossen sprang sie auf die Beine und versetzte der zitternd im Boden steckenden Klinge einen so kräftigen Tritt, dass sie klirrend zerbrach. Solitaire schnappte sich das nunmehr auf halbe Länge gestutzte Schwert und zielte damit auf Buffys Kopf. Buffy duckte sich zur Seite, und die Klinge landete hinter ihr im Wandputz. Nun zerrte die Jägerin einen gewaltigen, dreieckigen Schild aus seiner Halterung und zog ihn dem Vampir über den Schädel. Solitaire ließ den Schwertknauf los und wich taumelnd zurück. Sie setzte ihm nach, brachte ihn mit einem zweiten und einem dritten Schlag zunehmend in Bedrängnis, ließ den Schild ein viertes Mal auf ihn niederkrachen und stellte ihm gleichzeitig ein Bein. Solitaire geriet ins Stolpern, stürzte kopfüber in die zertrümmerte Glasvitrine und riss sie, unter einem Hagel aus Scherben und zerbrochenen Antiquitäten, mit sich zu Boden. 214
Mit einem Satz war Buffy bei ihrem auf den Dielen liegenden Holzpflock und hielt ihn, als Solitaire, über und über mit Glasscherben bedeckt und scheinbar etwas wacklig auf den Beinen, sich wieder aufzurichten versuchte, bereits wieder in der Hand. Sein von tiefen Schnittwunden entstelltes Gesicht hatte mittlerweile kaum mehr etwas Menschliches. Dunkle Vampirwülste überschatteten seine Augen, und extrem lange Fangzähne ragten zwischen seinen Lippen hervor. Sie unterschieden sich völlig von denen all der anderen Vampire, die sie während ihrer Laufbahn als Jägerin aufgespießt hatte, waren länger und spitzer und bedeutend Furcht erregender. Einen Augenblick lang fragte sich Buffy, ob die Art und Weise, wie Vampire ihre gefährlichen Fänge zu präsentieren pflegten, wohl auf Kreaturen wie Solitaire zurückgehen mochte. Doch so schnell, wie der Gedanke gekommen war, war er auch wieder verschwunden. Sie packte ihren Gegner am Revers und zielte mit dem Pflock genau auf sein Herz. »Wenn du wieder in der Hölle bist«, presste Buffy hervor, »sag ihnen, dass dich die Jägerin schickt.« Sie stieß ihm den Pflock in die Brust, tief genug, um ihm sein uraltes, verdorrtes Herz zu durchbohren. Doch Solitaire lachte nur. Buffy sah ihn bestürzt an. Erst seine Resistenz gegen Sonnenstrahlen, dann seine offensichtliche Fähigkeit, einem Bannspruch zu trotzen, und jetzt ließ sich der Kerl nicht einmal pfählen. »Wie?« Solitaire grub seine kräftigen Hände in ihre Schultern. »Ich will dir ein kleines Geheimnis verraten«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Ich bin gar kein Vampir. Ich spiele nur manchmal einen, fürs Fernsehen.« Buffy riss die Arme nach oben, um sich aus seinem Griff zu befreien. Sie machte ein paar Schritte zurück, blieb jedoch in Abwehrposition und beobachtete, wie er den Pflock aus seiner Brust zog. Dunkelgrünes Blut quoll aus der Wunde. 215
»Tatsächlich hast du mein Herz nicht einmal annähernd getroffen. Meine Herzen, sollte ich wohl besser sagen. Ich hab sechs Stück davon, eins über dem anderen, entlang der Wirbelsäule.« »Was bist du?« »Bisher habe ich dir lediglich einen Teil meines wahren Gesichts offenbart«, antwortete Solitaire. Sie sah, wie seine Haut grün und fleckig wurde, sein Kopf größer und größer. Den oberen Fängen wuchs aus dem Unterkiefer ein weiteres Paar spitzer Zähne entgegen, und sein stoppeliges Haar machte dornenartigen Stacheln Platz. An seinem Hinterkopf traten zwei Hörner hervor, wurden immer länger, immer gewaltiger, bis sie schließlich ein Format erreicht hatten, das selbst einen ausgewachsenen Bullen vor Neid hätte erblassen lassen. »Ich bin zwar selbst ein Dämon«, grollte er. »Persönlich kann ich Vampire allerdings nicht ausstehen. Ekelhafte Bastardbrut.« Plötzlich machte alles einen Sinn, natürlich. Angel hatte von Anfang an nicht an die Legenden von diesem Lichtgänger geglaubt, und das völlig zu Recht. Ein echter Vampir würde eine direkte Sonneneinstrahlung niemals überleben. Der Lichtgänger war nichts weiter als ein Mythos, von einem Dämon in die Welt gesetzt, der unter dem Deckmantel eines angeblich unverwundbaren Vampirs durch die Weltgeschichte zog, um unter den Untoten dieser Erde Angst und Schrecken zu verbreiten. Doch mochte Solitaire auch jedem Vampir an Kraft und Stärke überlegen sein, so hieß das noch lange nicht, dass er unverwundbar war. Er ist ein Dämon, dachte Buffy, und Dämonen können sterben. Ihr fiel noch etwas ein, was Angel über ihn gesagt hatte, und zwar, dass Solitaire als Krieger unter einem krankhaft übersteigerten Ego litt und von nichts auf der Welt mehr eingenommen war als von sich selbst. »Du bist nichts weiter als ein jämmerlicher Feigling und Betrüger«, höhnte Buffy.
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»Harte Worte«, versetzte Solitaire. Bedrohlich trat er einen Schritt vor, doch Buffy wich um die gleiche Distanz zurück. »Und nun, da du weißt, dass du mich nicht pfählen kannst, sei ein braves Mädchen und stirb.« »Du versteckst dich hinter einer Maskerade. Du fällst über deine Gegner her, wenn sie am verwundbarsten sind, weil du genau weißt, dass du einen fairen Kampf niemals gewinnen könntest.« Sie wies auf ihre Mutter. »Du nimmst Geiseln. Wenn irgendjemand unehrenhaft ist, dann du!« »Wie kannst du es wagen!« Solitaires grüne Haut wurde einen Ton dunkler, und seine Augen begannen rot zu glimmen wie zwei glühende Kohlen. Brüllend stürzte er sich auf sie und schmetterte sie unter vollem Einsatz seines Gewichts zurück. Ein mörderischer Schlag nach dem anderen prasselte ihr ins Gesicht. Sie fühlte, wie ihr die Sinne schwanden und die Knie weich wurden. War vielleicht doch keine so gute Idee, ihn zu reizen, schoss es ihr durch den Kopf. Der Dämon schloss seine Klaue um ihren Hals, in der anderen hielt er den Pflock. »Ich nehme an, dein Herz befindet sich genau dort, wo es hingehört«, stieß er boshaft hervor. »Welch herrliche Ironie! Die Jägerin durchbohrt von ihrem eigenen Pflock.« Er hob die Waffe und zielte. Endlich war es Joyce Summers gelungen, sich von ihrem Knebel zu befreien. Tapfer ignorierte sie den brennenden Schmerz in ihrer Kehle und schrie so laut sie konnte: »Buffy!« Die Stimme ihrer Mutter brachte Buffy wieder zur Besinnung. Sie zog das Knie an und rammte Solitaire den Absatz ihres Stiefels auf den Fuß. Für den Bruchteil einer Sekunde lockerte sich sein Griff, Zeit genug, ihre Hand zur Faust zu ballen und sie ihm mit voller Wucht in die Kehle zu treiben. Ihr Schlag hätte jeden normalen Menschen den Adamsapfel und noch dazu die Luftröhre gekostet, doch leider besaß Solitaire weder das eine noch das andere. Er wurde nur noch wütender und taumelte ein paar Schritte zurück, 217
ärgerlicherweise jedoch nicht vor Schmerz. Dann senkte er den Kopf und preschte abermals auf sie los, in der Absicht, sie mit seinen mächtigen Hörnern aufzuspießen. Doch Buffy bekam sie zu fassen und klammerte sich mit festem Griff daran fest, von der plötzlichen Idee besessen, sie könnten sich als seine Achillesferse erweisen, wenn es ihr nur gelänge, sie aus dem Schädel zu brechen. Solitaire indes riss schnaubend den Kopf hoch und stürmte los. Die Jägerin trug er wie einen menschlichen Rammbock vor sich her. Sie krachte mit dem Rücken in die Galerietür hinein, deren Glas unter lautem Getöse zerbarst. Als Solitaire erneut Anlauf nehmen wollte, verlor sie den Halt und fiel wie betäubt in einen Haufen voller Scherben. Schwer atmend blieb sie liegen, zu erschöpft, um wieder aufzustehen, zu kraftlos, um weiterzukämpfen. Doch was sie am allermeisten lähmte, war der Gedanke, wie rasch sich das Schlachtenglück gegen sie gewendet hatte. »Oh, Buffy«, hörte sie die verzweifelte Stimme ihrer Mutter. Buffys Blick suchte Solitaire. Aus irgendeinem Grund hatte er sich zurückgezogen, doch nun kam er erneut auf sie zu, mit den Fingern gegen einen flachen Gegenstand schnippend, den er in der Hand hielt. Die Spielkarte, wurde ihr schlagartig bewusst. »Game over, Jägerin«, erklärte er mit dumpfer Stimme. Buffy versuchte aufzustehen, rutschte aus und zerschnitt sich an einer großen Glasscherbe den Unterarm. Solitaire lachte dröhnend. »Nur keine Umstände. Ich kann dir den Hals auch dort umdrehen, wo du sitzt. Falls es dich tröstet: Du warst ein würdiger Gegner. Buffy, die Jägerin.«
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Oz traute seinen Augen nicht, als die Scheinwerfer des Tourneebusses plötzlich hell aufflammten. Weder hatte er eine der Vyxn-Musikerinnen in den Wagen steigen sehen noch war Cordelia aus dem Bronze herausgekommen, um ihm den baldigen Aufbruch der Band mitzuteilen. Dennoch fuhr der Bus in eben diesem Augenblick aus seiner Parklücke heraus. »Showtime«, rief Oz und drehte den Zündschlüssel herum. Stotternd begehrte der Motor auf, weigerte sich anzuspringen. Oz versuchte es noch einmal. »Nun mach schon...« »Wo bleibt bloß Cordelia?«, fragte Giles besorgt und steckte suchend den Kopf aus dem heruntergekurbelten Wagenfenster. Aus dem Bronze drängten sich lauter erschöpfte Männer, müde, abgekämpft, stumpf. »Keine Ahnung, aber wir können nicht auf sie warten – da kommt sie!« Cordelia kämpfte sich schubsend und mit den Armen rudernd durch die Menge. Der Tourneebus der Band bog rechts ab, und geblendet von dem grellen Scheinwerferlicht schlossen Giles, Oz und Angel einen Moment lang die Augen. Dann riss Cordelia die Seitentür vom Van auf und sprang hinein. »Tut mir Leid«, keuchte sie, völlig außer Atem. »Irgend so ein Volltrottel hat mir seine Cola übers Kleid gekippt. Ich musste erst...« »Cordelia, du musst uns hinterherfahren, wir...« »Hey, wo ist Buffy?« Endlich war der Van angesprungen. Oz trat das Gaspedal durch, und der Motor heulte laut auf. »Leute, sie hauen uns ab!« »Cordelia, wir haben jetzt keine Zeit für Erklärungen«, sagte Giles. »Fahr uns einfach hinterher. Wenn wir wissen, wo sich 219
die Ghule versteckt halten, fährst du hierher zurück und wartest auf Buffy.« Cordelia stieg wieder aus. »Hinter euch her, das Versteck finden, wieder zurück, Buffy einsacken. Hey, kein Problem.« Während sie zu ihrem nur wenige Meter entfernt abgestelltem roten Sportflitzer rannte, zog Angel die Seitentür wieder zu, und Oz setzte aus der Parklücke heraus. Mit einem leichten Anflug von Panik stellte er fest, dass Vyxns Tourbus bereits verschwunden war. Die anderen schienen seine Not nicht zu bemerken – bis sie seine gehetzten Blicke sahen. Verzweifelt spähte er nach rechts und nach links, schaute in den Rückspiegel und in die Seitenspiegel, verdrehte den Kopf in alle nur erdenklichen Richtungen, doch der rostfarbene Bulli blieb wie vom Erdboden verschluckt. Ein paar quälende Augenblicke lang war Oz fest davon überzeugt, dass sie die Ghule verloren hatten, und mit ihnen jede Chance, Willow zu retten. Schließlich beugte sich Angel über die Vordersitze und sondierte mit seinen nachtsichtigen Vampiraugen die Umgebung. Er deutete mit dem Finger nach rechts. »Da«, sagte er. »Vier Ampeln weiter. Sie biegen gerade links ab.« Oz starrte einen Moment lang angestrengt in die gewiesene Richtung, bevor auch er den Tourbus entdeckte. Erleichtert stieß er die Luft aus, die er unwillkürlich angehalten hatte. Er trat aufs Gaspedal, um noch bei Gelb über die Kreuzung zu kommen, warf einen Blick in den Rückspiegel und sah, dass Cordelias Sportwagen ihm genau in dem Moment hinterher jagte, als die Ampel auf Rot umschaltete. Sie holte rasend schnell auf und hängte sich dicht an seine Stoßstange. Angel schaute mit leerem Blick in die Richtung, in die Buffy davongebraust war. Er hatte das Gefühl, eigentlich neben ihr in Giles’ Auto sitzen zu sollen, doch Buffy hatte Recht: Das Risiko für ihre Mutter war zu groß. Trotzdem, sollte ihr irgendetwas zustoßen, würde er es sich niemals verzeihen, 220
nicht mit ihr gefahren zu sein. Und für einen Vampir konnte niemals eine verdammt lange Zeit sein, eine unerträgliche Ewigkeit. Es sei denn, er entschloss sich irgendwann einmal zu einem kleinen Spaziergang im strahlenden Sonnenschein. Pass auf dich auf, Buffy, dachte er, ich kann... ich will ohne dich nicht mehr sein. Buffy war bei ihrem Plan, wie sie gegen Solitaire vorgehen sollte, von Beginn an von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Solitaires angebliche Vergangenheit als sonnenresistenter Vampir war nichts weiter als eine arglistige Täuschung, lediglich dem Zweck dienend, echte Vampire das Fürchten zu lehren. Oder Gegner im Kampf an der Nase herumzuführen. Sie hatte sich bei dem Versuch, ihn in eine Position zu drängen, die es ihr erlaubte, ihn mit ihrem Holzpflock aufzuspießen, fast völlig verausgabt. Und sie hatte es geschafft, hatte ihm letzten Endes tatsächlich den Pflock in die Brust getrieben. Am Ende ihrer Kräfte angelangt, versuchte sich Buffy aufzurichten. An ihren Armen und Beinen schienen Gewichte aus Blei zu hängen, ihre Muskeln zitterten und schmerzten vor Erschöpfung. Glasscherben knirschten und splitterten, als sie wieder zu Boden sackte. Sie hatte sich etwa ein Dutzend Schnittwunden zugezogen, und etwa doppelt so viele Quetschungen und Prellungen. Doch der Dämon hatte mindestens ebenso viel abbekommen, wenn nicht gar mehr. Nur dass er noch aufrecht stand, was man von ihr leider nicht behaupten konnte. Ein hämisches Grinsen trat in Solitaires Züge. »Mir kommt da gerade eine fabelhafte Idee«, sagte er. »Anstatt die Mutter Zeuge der Hinrichtung ihrer Tochter werden zu lassen, machen wir’s einfach umgekehrt. Die Jägerin sieht dabei zu, wie ihre Mutter stirbt, bevor sie selbst den Gnadenstoß erhält. Es würde
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mir meinen Triumph unendlich versüßen. Wie sieht’s aus, Jägerin? Einverstanden?« Solitaire zog einen Krummdolch aus einer an der Wand befestigten Scheide und berührte mit dem Finger vorsichtig die Spitze. Obwohl Hunderte von Jahren alt, war die Waffe immer noch tödlich. Langsam wandte er sich um und sah zu Joyce Summers hinüber. Sie keuchte entsetzt auf, als ihr klar wurde, was er beabsichtigte. Jetzt oder nie, dachte Buffy. Sie biss die Zähne zusammen und war mit einem Satz auf den Beinen. »Warte!« Solitaire drehte sich zu Buffy um und blickte sie mit einem selbstgefälligen Grinsen an, als erwartete er, dass sie ihm im nächsten Moment um Gnade winselnd zu Füßen sank. »Warten? Worauf?« »Auf das hier!«, gab Buffy zurück und warf sich ihm mit einer scharfzackigen Glasscherbe in der Hand, die sie vor seinen Blicken verborgen gehalten hatte, entgegen, zog sie ihm quer über die Brust und ließ dort eine klaffende Wunde zurück, aus der sich ein weiterer Schwall seines dunkelgrünen Blutes ergoss. Solitaire war völlig perplex, doch nur für einen kurzen Moment. Er stürzte sich mit dem Dolch auf sie, und Buffy konnte gerade noch den Kopf zurückreißen, um seinem mächtigen Hieb zu entgehen, der ihr Gesicht fraglos in zwei Hälften geteilt hätte. Die blitzende Klinge zischte um Haaresbreite an ihrer Nasenspitze vorbei. Während sie noch um ihr Gleichgewicht rang, setzte Solitaire schon nach und rammte ihr den Handballen unters Kinn. Sie taumelte zurück und knallte mit dem Hinterkopf an den Metallrahmen der Eingangstür. Ein ganzes Universum explodierte vor ihrem inneren Auge, und abermals sank sie kraftlos zu Boden. Ein oder zwei Augenblicke lang war sie unfähig, sich zu rühren. Die Verbindung zwischen ihrem Gehirn und ihren Muskeln schien komplett unterbrochen. 222
»Okay, wo waren wir stehen geblieben?«, sagte Solitaire. Er wandte sich um und ging erneut auf Buffys Mutter zu. Die tödliche Gefahr, in der sich Joyce nun befand, jagte Buffy einen Adrenalinstoß durch die Adern. Einmal mehr rappelte sie sich mühsam wieder auf, während sie mit dem Blick bereits nach irgendeiner brauchbaren Waffe suchte. Ihre Finger schlossen sich um den kalten Schaft der Doppelaxt, die in den Eisenpranken der Ritterrüstung nahe des Eingangs ruhte. Entschlossen packte sie das Beil wie einen Baseball-Schläger und versuchte, ihre Erschöpfung zu ignorieren. »Solitaire!« »Unglaublich«, stieß der Vampir hervor, hielt jäh inne und drehte sich wieder nach ihr um. »Du gibst wohl niemals auf, was?« Sie holte aus und schlug zu. Sausend fuhr die Axt durch die Luft. Zuerst glaubte sie ihn vollends verfehlt zu haben. Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein Ausdruck maßloser Bestürzung ab, der auch dann nicht aus seinen Zügen wich, als er wie in Zeitlupe vornüberzukippen begann. Besser gesagt sein Korpus, denn die beiden geschwungenen Hörner, die aus dem hinteren Teil seines Schädels ragten, zog es, den Gesetzen der Schwerkraft folgend, in eine andere Richtung. Solitaires Haupt neigte sich leicht nach hinten, rollte den bereits im Fallen begriffenen Rücken hinab, prallte von den gespannten Wadenmuskeln ab und kullerte, einen großen Halbkreis beschreibend, einmal quer durch den Ausstellungsraum, bevor es unter einer noch unbeschädigten Glasvitrine zur Ruhe kam. Mit einem dumpfen Geräusch krachte der Rest von Solitaire auf die Holzdielen. Der Krummdolch entglitt seinen leblosen Klauen und landete direkt vor Buffys Füßen. »In Stresssituationen sollte man niemals den Kopf verlieren«, sagte Buffy, mehr zu sich selbst. Ihre Mutter jedenfalls schien ihre Worte kaum wahrzunehmen. Völlig geschockt und fassungslos und mit heruntergeklappter Kinnlade starrte sie auf den abgetrennten Kopf. 223
Als Buffy sich bückte, um den Dolch aufzuheben, vernahm sie ein gurgelndes Geräusch, das aus Solitaires Korpus zu dringen schien. Sein grüner Leib begann sich unter den schwarzen Kleidern und der roten Lederweste brodelnd aufzulösen, schmolz dahin wie Butter in einer Pfanne. Sein Körper zerfloss zu einer dickflüssigen Masse, aus der ätzender Rauch emporstieg. Wenig später war er nunmehr eine grünliche Lache aus klebrigem Schleim. Als seine Kleider in sich zusammenfielen, glitt eine Hand voll Spielkarten aus seiner Westentasche. Etwas weiter entfernt hatte sich Solitaires Haupt zu einer kaum weniger ekelhaften Pampe zersetzt. Alles, was von seinen Hörnern übrig blieb, waren zwei kleine Häuflein grauer Asche. Buffy rannte zu ihrer Mutter hinüber, löste ihre Fesseln und befreite sie von dem Knebel, der ihr lose um den Hals hing. Dann drückte sie sie fest an sich. »Bist du in Ordnung, Mom?« »Mir geht’s gut, Schatz«, erwiderte Joyce. »Aber was ist mit...?« »Mir auch«, beruhigte sie Buffy rasch. Sie sah zu der schleimigen Pfütze hinüber und schüttelte den Kopf. »Er hat geglaubt, mich zermürben zu können, indem er meine Familie und meine Freunde attackiert. Doch das hat mich nur noch verbissener kämpfen lassen.« »Er hat dich wohl unterschätzt.« »Sein letzter Fehler«, stellte Buffy fest. »Mom, ich muss wieder los. Willow und Xander brauchen...« »Halt dich nicht mit Erklärungen auf, Buffy.« »Bist du sicher, dass du okay bist?« »Völlig. Und jetzt geh!« »Ich liebe dich, Mom«, rief Buffy über die Schulter, während sie bereits in Richtung Ausgang stürmte. »Ich liebe dich auch«, gab Joyce zurück. »Und gib auf dich Acht!« Doch Buffy war bereits verschwunden. 224
»Autsch«, schrie Xander auf. »Ich glaub, ich hab mir den Zeh gebrochen – streich das, ich meine gleich alle beide.« Sowohl seine Schuhe als auch seine Hosen waren völlig mit Holzspänen und Mörtel bedeckt. Wütend hatte er auf die brüchige Wand eingetreten, mit dem Ziel, sich genügend Platz zu verschaffen, um die Hände hinter den schweren Balken zu bekommen, an den sie gekettet waren. Obwohl Willow ihm versichert hatte, dass der Balken felsenfest in der Wand verankert sei, war er der Meinung gewesen, dass es immerhin einen Versuch wert war. Weise, wie sie war, hatte Willow – wohl auch in Ermangelung einer besseren Idee – auf eine weitere Diskussion verzichtet und sich so weit von Xanders kleiner Privatbaustelle zurückgezogen, wie es ihre Ketten zuließen. Dennoch musste sie aufgrund des aufgewirbelten Staubs und Drecks pausenlos husten. »Ein Königreich für einen Vorschlaghammer«, keuchte Xander. Er ließ sich auf den Boden plumpsen und zog vorsichtig den Schuh von seinem verletzten Fuß. »Wenn du dir schon unbedingt etwas wünschen willst«, schlug Willow vor, »wie wär’s dann mit einem Bolzenschneider?« »Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht?«, frotzelte Xander, doch der unbeschwerte Tonfall, den er seiner Stimme zu geben versuchte, schien reichlich missglückt. Es war vor allem ein Umstand, der ihm zunehmend Sorgen bereitete. »Uns läuft allmählich die Zeit davon, stimmt’s?« »Ja«, gab Willow zur Antwort. In der Dunkelheit wirkte ihre Stimme noch ängstlicher, noch verlorener. »Verdammt«, fluchte Xander und schmiss seinen Schuh gegen den geborstenen Türrahmen. Das Wurfgeschoss prallte ab, kam wie ein Bumerang zu ihm zurückgeflogen und zischte haarscharf an seinem Kopf vorbei. »Okay, ich trag mich für eins dieser Krisenmanagement-Seminare ein... falls wir hier 225
jemals wieder rauskommen.« Xanders Wutanfall war nicht umsonst gewesen: Durch die Erschütterung in Bewegung versetzt, schwang die Tür knarzend auf. »Na siehst du, immerhin hast du schon mal die Tür aufbekommen«, unternahm Willow den schwachen Versuch, ihn ein wenig aufzumuntern. »Sie war bereits kaputt.« Xander stieg der Gestank von vor sich hin gammelndem Fleisch in die Nase, der nun, dank seiner Aktion, verstärkt in ihre Gefängniszelle drang. »Stimmt, war mir fast entfallen.« »Hey, schau mal da rüber.« Xander deutete auf den Tisch, der in dem anderen Raum stand. »Siehst du das auch?« »Den Tisch?« »Auf dem Tisch. Etwas Glänzendes.« Xander erhob sich und beugte sich vor, um mehr erkennen zu können. »Will, das... das ist der Ring mit dem Schlüssel für unsere Halsmanschetten. Sie haben ihn einfach da liegen lassen.« »Warum auch nicht?«, meinte Willow wenig beeindruckt. »Wir können ja doch nicht dran.« »Wenn ich ein Seil hätte, könnte ich es um einen dieser Mörtelbrocken knoten und versuchen, uns die Schlüssel zu angeln«, überlegte er. »Hab das mal in einem alten Western gesehen.« »Ein Seil wär wirklich gut«, nickte Willow. »Wir könnten es neben den Vorschlaghammer und den Bolzenschneider legen.« Xander seufzte. »Schon klar, ein typischer Fall von ›Ach, hätt ich doch bloß‹.« »Nein, warte! Ich hab da so eine Idee. Ich hab das schon mal ausprobiert. Ist gar nicht so schwer, vielleicht könnte ich...« »Was? Das klingt ja fast so, als hätte Superhirn wieder mal irgendeinen genialen Plan.« »Vielen Dank«, erwiderte Willow. »Aber ich brauche dazu absolute Ruhe.« »Absolute Ruhe?« 226
»Ich stecke noch ziemlich in den Kinderschuhen. Was Levitation anbelangt, meine ich, du weißt schon, Sachen zum Schweben bringen, allein durch die Kraft der eigenen Gedanken. Muss wohl irgendwas mit meinem erwachenden Hexennaturell zu tun haben.« »Du kannst Sachen zum Schweben bringen?« »Na ja, hauptsächlich Bleistifte und Kugelschreiber«, räumte sie ein. »Aber es erfordert höchste Konzentration, und im Moment bin ich leider ziemlich müde und hungrig. Und außerdem habe ich grässliche Kopfschmerzen von diesem ganzen herumwirbelnden Staub hier.« »Nicht zu vergessen die seelische Belastung durch die Aussicht, Punkt Mitternacht zu einem Menschen fressenden Ghul zu mutieren.« »Danke, dass du mich daran erinnerst.« »Ein bisschen Motivation ist nie verkehrt«, meinte Xander. »Und wenn wir nicht bald hier rauskommen, werde ich noch als Xanderfilet in den Kochbüchern der Hölle verewigt.« »Okay, okay, halt jetzt einfach mal die Klappe.« Xander beobachtete gespannt, wie Willow konzentriert die Augenbrauen zusammenzog und das Objekt der Begierde mit starrem Blick fixierte. Einen stabilen, etwa armreifgroßen Ring, an dem mehrere altertümlich anmutende lange Schlüssel hingen. Sie musste ihn bloß vier, vielleicht fünf Meter bewegen, damit sie an ihn rankamen. Xanders Blicke flogen zwischen dem Ring und Willow hin und her und suchten nach irgendeinem Anzeichen dafür, dass Willows kleiner Hexentrick erste Erfolge zeitigte. Zunächst konnte er allerdings lediglich etwas von der immensen Anstrengung erkennen, die es Willow kostete. Mit fest aufeinander gebissenen Zähnen, zuckenden Augenbrauen und zitternden Fingern beschwor sie den Ring. Der indes rührte sich nicht von der Stelle. Doch dann wurde er plötzlich von einem schwachen Vibrieren erfasst, wurde wie von Geisterhand an einer Seite angehoben, bis er schließlich 227
aufrecht stehend auf der Tischplatte ruhte, leicht schwankend und vornübergeneigt, als würde er von Willow angezogen wie von einem Magnet. Doch es waren mitnichten magnetische Kräfte am Werk, es war Telekinese – und es schien zu funktionieren! »Das ist es, Will!« Deutlich vernehmbar stieß Willow den Atem aus. »So geht das nicht.« »’tschuldigung«, sagte Xander. »Ich...« »Nein, ist schon okay«, erklärte Willow. »War mein Fehler.« »Er hat sich bewegt. Ich hab’s genau gesehen.« »Ich darf die Luft nicht anhalten«, sagte Willow. »Es dauert einfach zu lange. Ich verliere dabei die Konzentration. Okay, nächster Versuch.« Sie beruhigte ihren Atem und streckte erneut die Hände nach dem Schlüsselring aus. Diesmal benötigte sie weitaus weniger Zeit als zuvor. Wieder ging ein Zucken und Beben durch den Ring, und auch wenn Xander eigentlich erwartet hatte, ihn auf sie zu schweben zu sehen, so war er doch kaum weniger beeindruckt, als das begehrte Objekt mit einem schabenden Geräusch über die hölzerne Tischplatte wanderte. Der Ring mit all den Schlüsseln, die daran hingen, übertraf bei weitem das Gewicht eines einfachen Bleistifts, der zweifellos Willows angeschlagenem Allgemeinzustand angemessener gewesen wäre. Doch jetzt war nicht der rechte Augenblick für Rücksichtnahme. Alles, was Willow zu tun brauchte, war, den Ring irgendwie in Reichweite zu manövrieren. Schweißperlen sammelten sich in ihren Augenbrauen, tropften ihr ins Gesicht und rannen den Hals hinab, wobei sie dunkle Spuren auf ihren mit einer dünnen Staubschicht bedeckten Wangen hinterließen. Starr hielt Willow den Blick auf den Schlüsselring geheftet. Staub kitzelte in Xanders Nase, doch er versuchte, den Niesreiz zu unterdrücken. Jede kleinste Bewegung, jedes noch so geringe Geräusch konnte dazu
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führen, dass Willow aus dem tranceähnlichen Zustand, in den sie sich hineinversetzt hatte, wieder herausgerissen wurde. Als der Schlüsselring über die Tischkante kippte und mit einem scheppernden Klirren auf den Boden fiel, stieß sie keuchend den Atem aus. In ihrer Konzentration unterbrochen, blickte sie kurz zu Xander hinüber. Er lächelte sie an und nickte ihr aufmunternd zu. Nach einer kurzen Verschnaufpause, gerade lang genug, um einmal tief Luft zu holen und den steifen Nacken zu strecken, machte sich Willow wieder ans Werk. Bald schon traten die Sehnen ihrer ausgestreckten Hände hervor wie straff gespannte Hochspannungsleitungen, und das Zittern ihrer Finger wurde zusehends stärker. Zentimeter um Zentimeter schrappten die Schlüssel den Fußboden entlang, gezogen von dem schweren Ring, auf den sich Willows Kräfte zu fokussieren schienen. Ihr Geist zerrte einzig und allein an dem Ring. Die Schlüssel mussten, ob sie wollten oder nicht, hinterher. Als sich ihr Gewicht mehr und mehr nach vorn verlagerte, schnürte ihr die eiserne Manschette, an der sich die Kette befand, beinahe den Hals ab. Xander vermeinte eine blutende Fleischwunde zu erkennen, die hinreichend Begründung für den Nutzen eine Tetanusspritze gab. Nur noch wenige Zentimeter, und die Schlüssel gehörten ihnen. Sie würden wieder freikommen und der Alptraum hätte ein Ende. Oz schaltete die Scheinwerfer aus, als Vyxns Tourbus in eine unbefestigte und offensichtlich private Zufahrtsstraße einbog. Erfreulicherweise hatte Cordelia die Situation gleich erfasst und es ihm in ihrem Sportwagen gleichgetan. Hier, abseits der Hauptstraße, hätten zwei ihrem Bus hinterherfahrende Autos augenblicklich Vyxns Misstrauen erregt. Doch auch ohne das verräterische Licht der Scheinwerfer hielt Oz einen beträchtlichen Sicherheitsabstand. Die Straße war holprig und 229
voller Schlaglöcher, und Oz war gezwungen, das Tempo zu drosseln. Wenn der Scooby-Gang das Glück weiterhin gewogen blieb, würden die Ghule viel zu sehr damit beschäftigt sein, nicht im Graben zu landen, um dem knapp hundert Meter hinter ihnen fahrenden dunkelblauen Van Beachtung zu schenken. Und Cordelias signalfarbener Sportwagen wurde ohnehin von Oz’ erheblich größerem Bulli gedeckt. Hinter einem kleinen Waldstück schlängelte sich die Straße einen steilen Hügel hinauf und endete neben einem heruntergekommenen, wahrscheinlich verlassenen zweistöckigen Haus mit Spitzdach. Unheil verkündend ragte es als düstere Silhouette vor dem Hintergrund des vergleichsweise bescheidenen Hügels empor. Vor dem Haus erstreckte sich eine wild wachsende Wiese, die zu weiten Teilen völlig von Unkraut überwuchert war. Irgendetwas an dem Haus rief in Oz eine vage Erinnerung wach. »Nein«, stieß er flüsternd hervor, als sie zur sicheren Erkenntnis wurde, und unwillkürlich trat er auf die Bremse. Giles sah ihn fragend an. »Was?« »Das ist das Gatton-Haus.« »Ich fürchte, ich muss passen – Gatton, sagtest du?« »In den späten Achtzigern«, erklärte Oz. »Der alte Gatton hat damals seine Frau und seine beiden Kinder auf dem Speicher erhängt und sich selbst im Anschluss eine Kugel durch den Kopf gejagt.« Und in diesem Haus steckt Willow!, dachte Oz. Sie muss da drin sein! »Dem Zustand nach zu urteilen, wurde das Haus seitdem nicht mehr bewohnt.« »Die Leute sagen, dass es dort spukt.« »Nun ja – in Anbetracht seiner Lage auf dem Höllenschlund halte ich das durchaus nicht für ausgeschlossen.«
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»Ich glaube nicht, dass wir hier auf Geister stoßen werden«, sagte Angel vom Rücksitz aus. »Lediglich auf eine Bande von Ghulen, die sich dort breit gemacht hat.« Vyxn hatten ihren Bus auf der ungepflegten Kiesauffahrt geparkt, die neben dem Haus einige Meter den Hügel hinaufführte. Nun erloschen die Scheinwerfer, und kurz darauf öffnete sich die Wagentür. Vier Gestalten stiegen aus und huschten ins Haus. »Wir bleiben am besten hier stehen«, schlug Giles vor. »Hier sind wir im Schutz der Bäume, und die Gefahr, entdeckt zu werden, ist relativ gering.« Oz nickte. Er blickte in den Rückspiegel und sah, wie Cordelia in ein paar raschen Zügen ihren Sportwagen wendete. Auf dieser Straße rückwärts zu fahren hieß, einen Achsenbruch oder Schlimmeres zu riskieren. Bald wird sie mit Buffy zurückkehren, dachte Oz, vorausgesetzt, Buffy hat diesen Solitaire bereits erledigt. Und das war gar nicht mal so sicher. »Was jetzt?«, meinte er. Alles in ihm drängte danach, einfach auf das Haus loszustürmen, kurzerhand die Tür einzutreten und Willow irgendwie herauszuholen. Doch andererseits musste er sich selbst eingestehen, dass sein rationales Denken im Augenblick möglicherweise den einen oder anderen Aussetzer haben mochte. »Wir verteilen uns ums Haus«, erklärte Angel. »Greifen sie von allen Seiten gleichzeitig an.« »Wir sollten in dieser Situation vorsichtig zu Werke gehen«, warnte Giles. »Wir sind nur zu dritt, und da drin sitzen immerhin vier blutrünstige Ghule, die noch dazu die Fähigkeit besitzen, uns zu willenlosen Marionetten zu machen.« »Ihr Gesäusel hat auf mich keine Wirkung«, rief ihm Angel in Erinnerung. »Wirklich ein interessantes Phänomen«, bemerkte Giles. »Ich vermute, das Fleisch von Untoten ist für Ghule wenig verlockend, und aus diesem Grund...« 231
»Giles!«, würgte Oz ihn ab. »Oh, ja, tut mir Leid. Wie ich schon sagte, wir sind drei gegen vier, wobei ich nur einen Arm benutzen kann, und du, Angel, dich immer noch nicht ganz von deinen...« »Machen Sie sich um mich keine Sorgen«, unterbrach ihn Angel. »Ich bin wieder zu fünfundachtzig... sagen wir, neunzig Prozent einsatzbereit.« »Falls Oz und ich ihrem Singsang erliegen sollten, hieße das vier gegen einen«, fuhr Giles fort. »Vielleicht sogar sechs gegen einen, wenn es ihnen gelingt, uns negativ zu beeinflussen.« »Also, was schlagen Sie vor?«, fragte Oz. »Wir können doch nicht einfach rumsitzen und warten! Willow – und Xander – sind wahrscheinlich da drin!« »Ich sage ja gar nicht, dass wir warten sollen«, erwiderte Giles. »Nur, dass wir ihnen nicht unvorbereitet gegenübertreten sollten.« Er griff in eine der Seitentaschen seiner Tweedjacke, die er, da sie ihm bei seinem Gipsarm eher hinderlich war, über die Rückenlehne des Vordersitzes geworfen hatte. »Und deshalb habe ich vorsichtshalber das hier eingesteckt«, sagte er und zog zwei flache Schachteln hervor. »Ohropax«, las Oz auf dem Aufdruck. Die Männer um Odysseus hatten sich die Ohren mit Wachs verschlossen, als sie die Insel der Sirenen umschifften; die Scooby-Gang verließ sich lieber auf die weich gepolsterten Ohrstöpsel der Neuzeit. »Es kann sein, dass sie nicht hundertprozentig zuverlässig sind«, erklärte Giles. »Wir sollten also keinesfalls den Fehler begehen, leichtsinnig zu werden.« »Schauen wir mal«, sagte Oz. Er schnappte sich eine der Schachteln, riss sie auf und rollte die zylinderförmigen Stöpsel zwischen den Fingern, bis sie schmal genug waren, um sie sich in die Gehörgänge zu schieben. Fast augenblicklich begannen sie sich wieder auszudehnen. »Sagen Sie irgendwas.« »Kannst du mich hören«, fragte Giles. 232
»Ja, aber nur sehr gedämpft«, erwiderte Oz. »Aber meine eigene Stimme klingt so komisch.« »Das ist völlig normal«, versicherte ihm Giles. »Angel, ich halte es für besser, wenn du ebenfalls Ohrstöpsel benutzt.« »Aber ich bin...« »Bisher haben sie lediglich versucht, Menschen zu beeinflussen«, unterbrach ihn Giles. »Möglicherweise verfügen sie noch über andere... Tonhöhen oder Frequenzen, mit denen sich auch Vampire kontrollieren lassen. Sicher ist sicher.« Angel nickte und nahm ihm die Schachtel aus der Hand. Oz zog seine Stöpsel wieder heraus. »Also, wie lautet Ihr Plan?«, erkundigte er sich. »Im Idealfall führt Buffy den ersten Angriffsschlag«, entgegnete Giles und hob, um Oz’ Einwand zuvorzukommen, sogleich die Hand. »Dennoch, wir können nicht mit Bestimmtheit sagen, wie lange sie noch... anderweitig beschäftigt ist. Also liegt es bei uns.« Er räusperte sich. »Angenommen, Willow und Xander befinden sich tatsächlich in diesem Haus, sollten wir, solange wir den Überraschungseffekt noch auf unserer Seite haben, mit äußerster Entschlossenheit vorgehen.« »Ich werd mal auskundschaften, ob es eine Möglichkeit gibt, irgendwo unbemerkt reinzukommen«, sagte Angel. »Sehr gut«, erwiderte Giles. Behutsam schob Angel die Seitentür auf und schlüpfte hinaus in die Nacht. Schweigend beobachteten Giles und Oz, wie er, in seinem schwarzen Mantel kaum mehr als ein flüchtiger dunkler Schatten, gebückt über die Wiese huschte und sich vorsichtig an sein Ziel heranpirschte. Als er es erreicht hatte, schlich er in geduckter Haltung an der Außenwand entlang und war im nächsten Moment hinter dem Gatton-Haus verschwunden. Die Uhr tickte erbarmungslos weiter.
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Als Buffy sich der großen Hauptkreuzung näherte, an der sie links abbiegen musste, um zum Bronze zu gelangen, sah sie vor sich gerade noch das Heck von Cordelias rotem Sportwagen in der Querstraße verschwinden. Sie weiß, wo die Ghule stecken, schoss es Buffy durch den Kopf. Im nächsten Moment registrierte sie, dass die Linksabbiegerampel, auf die sie zuraste, bereits von Gelb auf Rot umgesprungen war. Die aus der Gegenrichtung kommende Autoschlange setzte sich träge in Bewegung. »Sorry, Giles«, sagte sie, trat das Gaspedal durch und zog den Wagen hart nach links, ganze fünfzig Meter von der Kreuzung entfernt. Als der Citroën rumpelnd über den Mittelstreifen donnerte, wurde sie hochgeschleudert und knallte mit dem Kopf an das Wagendach. Ungeachtet des heranbrausenden Gegenverkehrs und des Risikos eines Frontalzusammenstoßes behielt sie stur die eingeschlagene Richtung bei. Als das Fahrwerk kreischend an der Straßenbegrenzung entlangschrammte, kurz bevor sie in einem Affenzahn in die Ausfahrt der Tankstelle hineinraste, die sich direkt an der Kreuzung befand, verzog sie gequält das Gesicht. Sie fegte zwischen einem riesigen Stapel von Getränkepaletten und einem völlig perplexen Tankwart hindurch, der seinen Gummiwischer fallen ließ und sich mit einem beherzten Satz über die Motorhaube des Wagens, den er soeben betankt hatte, in Sicherheit brachte – für den Fall, dass noch mehr von ihrer Sorte kamen. Der Citroën bretterte an der anderen Seite der Tankstelle wieder auf die Straße. Buffy zwang ihn abermals über den Mittelstreifen und riss, einen Funkenschweif hinter sich herziehend, das Lenkrad entschlossen nach links. Sobald sie Cordelias Cirrus wieder vor sich sah, nur drei Häuserblocks weiter, begann sie wie wild zu hupen und pausenlos das Fernlicht zu betätigen, ein Spektakel, das ausreichen sollte, um sogar Cordelias Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. 234
Willow streckte sich so weit vor, wie sie konnte. Der Schlüsselring war nur noch wenige Zentimeter von ihren Fingern entfernt. Xander war zwar größer als sie und hatte auch längere Arme, doch leider waren selbige nach wie vor auf seinem Rücken aneinander gekettet. Also hing alles von Willow ab. Der große Ring erzitterte und rückte einige weitere Zentimeter heran, im Anhang die schweren Eisenschlüssel. Willow stöhnte vor Anstrengung auf. Sie war dermaßen weggetreten, dass sie Xanders Versuche, sie anzutreiben, kaum mitbekam... und erst recht nicht den Grund für seine plötzliche Aufregung. Die Stimmen vor dem Haus nahm sie nicht wahr. Doch als sich die Tür zu dem vorderen Zimmer öffnete, war es, als hätte jemand auch ein Tor zur Außenwelt aufgestoßen; schlagartig wurde ihr klar, dass sie nun schon so gut wie verloren hatten. Ihre zitternden Fingerspitzen berührten den Ring, unfähig, ihn zu ergreifen. Irgendjemand schrie: »Die Tür ist auf!« »Die Schlüssel!« Willow hielt den Atem an, als es ihr gelang, ihren Mittelund Zeigefinger auf den Ring zu legen. »Ich hab ihn!« Sie versuchte, den Ring an sich zu ziehen – – als er jäh unter einem Fuß begraben wurde. »Ihr wollt uns doch nicht etwa schon verlassen?«, fragte Lupa spöttisch, bückte sich und riss Willow den Ring aus der zitternden Hand. Xander sah den verzweifelten Ausdruck im Gesicht seiner Freundin, als sie wieder zurück an die Wand kroch. »Du hast getan, was du konntest, Will.« Sie nickte, doch die Niedergeschlagenheit blieb. Sie hatte es beinahe geschafft, aber beinahe war eben nicht genug. Lupa bemerkte die Löcher, die Xander in die Wand getreten hatte, all den Staub und die herumliegenden Mörtelbrocken, 235
deren Zahl seit ihrer letzten Gefangenenvisite dramatisch angestiegen war. »Natürlich habt ihr hier erst mal alles so richtig durcheinander gebracht, war ja klar. Na ja, vielleicht waren wir auch nicht gerade die perfekten Gastgeber. Aber ich versichere euch, gleich wird’s für euch beide interessanter.« »Hat irgendwer mitbekommen, ob uns jemand gefolgt ist?«, fragte Lupa die anderen Ghule. »Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, ich hab am Ende der Straße ein Paar Rücklichter gesehen«, erwiderte Rave. Lupa sah fragend Nash und Carnie an, doch beide schüttelten einvernehmlich den Kopf. Ihnen war nichts aufgefallen. »Zeit, dass wir unseren Freunden hier eine kleine Zugabe geben. Nash, warum siehst du nicht einfach mal nach, ob für unseren Ehrengast, den wir noch erwarten, alles vorbereitet ist? Einschließlich unserer kleinen Jägerinnenüberraschung.« »Das Motto der Ghule, sag ich nur: Allzeit bereit.« Nash huschte ins Nebenzimmer und ließ die Tür weit genug offen, dass Willow sehen konnte, wie die Drummerin die Petroleumlampe anzündete und den Docht weit nach oben drehte. Schlagartig wurde das vordere Zimmer in gelbes Licht getaucht. Sodann öffnete sie den Deckel einer Holztruhe und kramte irgendeinen merkwürdigen Gegenstand aus Metall hervor. Lupa wandte sich an die Gitarristin. »Rave, lass uns mit dem Initiationsritus beginnen.« Rave nickte, verschwand durch die Tür und kehrte kurz darauf mit einem antiken eisernen Kelch und einem juwelenbesetzten Dolch zurück, in dessen Bronzegriff sich vor Qualen windende Menschenkörper eingearbeitet waren. Sie schob die Tür hinter sich ein Stück weit zu, sodass zwar immer noch genügend Licht hereinfiel, Willow jedoch nicht mehr sehen konnte, was für eine so genannte Jägerinnenüberraschung Nash im Nebenraum
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zusammenmontierte. Rave übergab Lupa den Dolch und stellte den Kelch in der Mitte des Zimmers auf den Boden. »Haltet ihm die Hände fest«, befahl Lupa Carnie und Rave. »Wir fangen an.« Alle drei Ghule, die sich mit Willow und Xander im Raum befanden, transformierten zu ihrer wahren Gestalt, mit grün gefleckter Haut, gezackten Reihen mächtiger Hauer und mit grässlichen Klauen an den kräftigen Armen. Einmal mehr überkam Willow beim Anblick der Ekel erregenden Kauwerkzeuge völlige Entmutigung. Die Vorstellung, dass zwischen all den Reißzähnen wahrscheinlich noch die Reste ihrer letzten barbarischen Mahlzeit steckten und vor sich hinrottend den Grund für den stinkenden Atem der Ghule lieferten, drehte Willow den Magen um. Zwei der Ghule bauten sich nun neben Xander auf, an jeder Seite einer, packten ihn an den Armen – die er immer noch auf dem Rücken hatte – und verdrehten ihm die Hände, sodass seine Handflächen nach oben wiesen. Obwohl Xander verzweifelt versuchte, sich ihnen zu widersetzen, vermochte er nichts gegen sie auszurichten. Kurz entschlossen verlegte er sich darauf, nach Lupa und ihrem Zeremoniendolch zu treten. »So kommen wir nicht weiter, Lupa«, stöhnte Rave. »Dreh ihm den Saft ab!« Die Anführerin der Ghule stieß einen Seufzer aus. »Na gut. Obwohl es mehr Spaß macht, wenn sie ein bisschen dabei rumzappeln.« Lupa blickte Xander tief in die vor Panik weit aufgerissenen Augen. Als sie zu sprechen begann, war ihre Stimme warm und sanft, legte sich wie eine dichte Nebeldecke über seinen aufgewühlten Verstand, wie eine akustische Droge, die ihn all sein Leid und alles Elend dieser Welt vergessen ließ. »Xander, du musst ganz still stehen. Nick einfach, wenn du mich verstanden hast.« Willow hatte keine Ahnung, wie Lupa das anstellte, aber es schien perfekt zu funktionieren. Xander stellte jeden 237
Widerstand ein und blieb ruhig, geradezu relaxed auf der Stelle stehen. Sein Blick bekam etwas Apathisches, verlor sich im Nichts, als wäre es Xander völlig egal, was mit ihm geschah. Entsetzt sah Willow, wie er langsam nickte. »Gut«, ließ Lupa verlauten. »Machen wir weiter.« Carnie und Rave bogen ihm wieder die Handflächen nach oben. »Hört auf damit!«, schrie Willow, sprang auf und versuchte mit ihren in Handschellen steckenden Händen Carnie von Xander wegzuzerren. Carnie ließ für einen Moment von Xander ab, rammte Willow ihren Ellbogen in den Magen und versetzte ihr einen Schlag ins Gesicht, der sie rückwärts gegen die Wand taumeln ließ, wo sie unter dem Rasseln ihrer Ketten betäubt wieder zu Boden sank. »Es ist unhöflich, jemanden bei der Arbeit zu stören, Kleines«, meinte Carnie. Mit zwei raschen Bewegungen schlitzte Lupa Xanders Handflächen auf. Augenblicklich erwachte dieser aus seiner Lethargie und brüllte vor Schmerz laut auf. »Ich sagte doch, dass es etwas wehtun würde.« Carnie und Rave hielten seine Hände über den Kelch, den Lupa vom Boden genommen und ihnen gereicht hatte. Langsam füllte er sich mit Blut. Xander versuchte sich loszureißen, doch abermals griff Lupa ein: »Bleib stehen.« Xander nickte. Schließlich zog Rave den Kelch beiseite und ließ seinen Inhalt auf den Boden tropfen. Nachdem sie das Gefäß abgestellt hatte, öffnete sie das kleine Vorhängeschloss, das an Xanders Halsmanschette hing, und befreite ihn von der Kette. Dann nahm sie ihm die Handschellen ab. »Stell dich in den Kreis, Xander.« Steif setzte sich Xander in Bewegung, als würde er einen schweren inneren Kampf ausfechten – doch nichtsdestotrotz 238
leistete er ihrem Befehl Folge. Als er den Mittelpunkt des Kreises erreicht hatte, blieb er stehen und wartete. »Xander?«, versuchte Willow ihn zurückzuholen. »Du bist frei! Lauf!« Lupa lachte. »Noch bist du kein Ghul, Willow. Doch eines Tages, glaub mir, werden die Männer laufen, wenn du es ihnen befiehlst.« »Ich hab kein Interesse daran, ein Ghul zu werden«, versetzte Willow und hob trotzig das Kinn. »Und wir stehen nicht auf lange Rituale«, entgegnete Lupa. »Zumindest hält sich unsere Begeisterung dafür in Grenzen. Aber bald haben wir’s geschafft. Du brauchst nur noch von seinem lebenden Fleisch zu kosten, und nach einem etwa vierzehn Tage währenden Fieber, begleitet von Wahnvorstellungen und Übelkeit, wird deine Verwandlung vollzogen sein. Dann bist du eine von uns.« »Ja, und dann kommt der angenehme Teil«, versicherte ihr Carnie. »Glaub mir, wir werden jede Menge Spaß miteinander haben.« Nash kam zurück in den Raum. »Oh, ihr habt euch schon umgezogen«, sagte sie und nahm ebenfalls ihre Ghulgestalt an. Sie wandte sich Lupa zu: »Alles klar, die Jägerin kann kommen.« »Gut«, nickte Lupa. »Ich kann ihr Herz schon beinahe schmecken, wenn ich die Augen schließe, hmmm.« »Wie schön für dich«, antwortete Nash. »Aber was ist mit uns? Wir hätten auch gern ein Stück davon ab, ist es nicht so, Ghule?« Rave und Carnie wichen stumm ihren Blicken aus. »Kommt schon, ich bin ja wohl nicht die Einzige, die ebenfalls ganz gern an der Jägerin herumknabbern würde. Es ist genug für alle da, sage ich. Warum solltest du sie für dich alleine...?« Blitzartig riss Lupa den Zeremoniendolch hoch und setzte ihn Nash an die Kehle. Nur ein einziger kleiner Ruck nach oben, und die lange Klinge würde Nash durch den Rachen 239
fahren und ihr das Gehirn zerfetzen. »Ich glaube, du hast da was vergessen, Nash. Das Ritual folgt festen Regeln. Eine davon lautet, dass das Herz der Jägerin in einem Stück verschlungen werden muss. Und nur der Anführerin steht es zu, die Kraft von zehn Ghulen zu erlangen und für hundert Jahre unverwundbar zu sein. Die Frage ist, Nash – und vergiss nicht, Viola hat sich ihr auch stellen müssen und leider die falsche Antwort gegeben: Bist du wirklich bereit, mich als Anführerin unserer Gruppe herauszufordern?« Nash schüttelte mit angstvoll aufgerissenen Augen den Kopf. »Wie schön, dass wir einer Meinung sind«, sagte Lupa spöttisch. Sie drückte der Schlagzeugerin die Dolchspitze etwas fester an die Kehle. »Noch irgendwelche Fragen, Nash?« Das Nietenhalsband der Drummerin wippte einmal auf und ab, als Nash schluckte. Abermals schüttelte sie den Kopf. »Hab wohl was übersehen, was?« Lupa ließ Nash wieder los. Sogleich fuhr sich die Schlagzeugerin mit der Hand über die Kehle. Grünes Blut sickerte aus der kleinen Wunde, die die Spitze des Dolches hinterlassen hatte. »Willow war gerade dabei, sich uns anzuschließen«, setzte Lupa sie in Kenntnis. »Wie schön«, erwiderte Nash und wandte sich, offensichtlich um ein paar Pluspunkte bemüht, an Willow. »Hau nur tüchtig rein. Ich bin sicher, es wird dir schmecken.« Lupa hob den Dolch, an dessen Klinge immer noch Xanders Blut klebte. »Was darf’s denn sein? Brust oder Keule?« »Ihr seid wahnsinnig«, stieß Willow flüsternd hervor. »Ihr seid alle wahnsinnig.« »Sie hat einfach noch nicht lang genug geschmachtet«, meinte Carnie. »Lieber verhungere ich!«
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»Leider können wir darauf keine Rücksicht nehmen«, versetzte Lupa barsch. »Das Ritual muss in einer einzigen Neumondnacht vollzogen werden.« »Tja, das Leben ist kein Zuckerschlecken«, erwiderte Willow und verschränkte die Arme vor der Brust. Doch der Gedanke an Süßes löste in ihrem Magen gleich wieder ein grummelndes Knurren aus, obwohl ihr von dem heftigen Stoß in die Eingeweide, den Nash ihr vorhin verpasst hatte, immer noch übel war. Willow verspürte entsetzlichen Hunger... doch solchen Hunger würde sie niemals haben. »Wir vergeuden nur unsere Zeit«, stellte Rave fest. »Wenn ihr mich fragt, ich würde es ihr einfach in den Mund stopfen«, schlug Nash mit einem boshaften Grinsen vor und entblößte etwa drei Dutzend schmutzig gelber Beißer, von denen in langen Fäden der Speichel tropfte. »Das würdest du nicht!«, fuhr Willow auf, dann schwieg sie einen Moment betreten. »Was red ich da? Natürlich würdest du.« »Wär ’ne Möglichkeit, aber viel zu unsicher«, schüttelte Lupa den Kopf. »Wir könnten aus bestimmten Körpersekreten einen speziellen Trank zusammenmixen, aber das würde einige Zeit in Anspruch nehmen. Und dann müssten wir ihr das Zeug auch noch irgendwie eintrichtern, was, so wie sie sich anstellt, ebenfalls nicht von jetzt auf gleich zu machen ist.« Sie wandte sich Willow zu. »Andererseits werden wir ganz bestimmt nicht noch einen weiteren Monat darauf warten, ob du es dir vielleicht anders überlegst und isst, was auf den Teller kommt. Also, wie wär’s mit einem kleinen Deal? Du verdrückst jetzt auf der Stelle ein saftiges Stück von deinem netten Kumpel hier – wenn du möchtest, könnte ich ihn sogar davon überzeugen, dass er nicht allzu viel Schmerz dabei verspürt –, und im Gegenzug werde ich dafür sorgen, dass er sich nicht mehr daran erinnern kann, wer da eigentlich an ihm herumgeknabbert hat. Anschließend nehmen wir ihm die 241
Ketten ab, und er kann gehen, wohin er will. Was hältst du davon?« »Ihr würdet ihn tatsächlich laufen lassen?«, fragte Willow skeptisch. Lupa lächelte sie an, wobei sie sich alle Mühe gab, nicht allzu viele ihrer dolchartigen Zähne zu zeigen. »Klar. Warum denn nicht? Uns geht es nur darum, dass du, wenn wir wieder von hier aufbrechen, mit gesunden, grünen Bäckchen neben uns sitzt und wir endlich eine neue Keyboarderin haben.« »Keyboarderin«, wiederholte Willow wie betäubt. »Keine Bange, wir drücken dir schon kein Tambourin in die Hand«, witzelte Carnie. Willow biss sich auf die Lippe und suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus diesem Dilemma. Lupa log, so viel stand für sie fest. Die Ghule würden Xander niemals abziehen lassen. Er wusste einfach zu viel über sie, über ihre Tarnung als Musikerinnen. Doch selbst wenn sie Lupas Worten Glauben hätte schenken wollen, so wäre sie doch niemals dazu in der Lage gewesen, ein Stück von Xanders Fleisch zu essen, egal wie winzig es sein mochte. Allein die Vorstellung war zu abscheulich, um auch nur einen Moment lang darüber nachzudenken. Zur Zeit war Xander ohne Fesseln, und Willow schoss der Gedanke durch den Kopf, dass es ihr vielleicht gelingen könnte, wenigstens ihn zu retten, auch wenn sie selbst sich dafür würde opfern müssen. »Mein Angebot gilt nicht ewig«, konstatierte Lupa. »Sag was, Willow.« Xander drehte schwerfällig und offensichtlich unter größten Anstrengungen den Kopf. »Tu’s nicht, Will!«, flüsterte er heiser. Lupa fauchte ihn an und kam nun doch nicht umhin, ihre kompletten Zahnreihen zu entblößen. »Schweig, unwürdiges Stück Fleisch.« Doch ihr Tonfall war zu gereizt, zu hastig und unmelodiös, um ihn wieder einzulullen. Als sie sich dessen 242
bewusst wurde, schlug sie ihm einfach ins Gesicht. »Allmählich verliere ich die Geduld«, wandte sie sich wieder Willow zu. In ihren Augen glomm ein gefährliches Feuer. »Entweder du entscheidest dich für uns, oder ich werde euch beide töten!« »Okay, okay«, sagte Willow. »Aber wenn ich es schon mache, will ich das Stück wenigstens selbst herausschneiden.« Sie holte tief Luft und streckte ihre Hände aus. »Gib mir den Dolch.«
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Durch die mit Brettern vernagelten Fenster in der Vorderfront des Gatton-Hauses drang ein schwacher Schimmer und tauchte den wild wuchernden Rasen in ein gespenstisches Licht. Noch immer hatte das Haus nichts von seinem Geheimnis preisgegeben. Angel war ebenfalls nicht wieder aufgetaucht. Allmählich begann Oz sich ernsthafte Sorgen zu machen. »Warum dauert das nur so lange?«, meinte er, in der Hand das schwere Brecheisen, das er soeben aus der großen Werkzeugkiste hinten im Wagen hervorgekramt hatte. »Was treibt Angel da bloß?« Giles hatte seine schussbereite Armbrust gegen das Armaturenbrett gelehnt und wollte gerade etwas erwidern, als ein plötzliches zusätzliches Gewicht den Bulli leicht nach unten wippen ließ. Überzeugt davon, dass sie entdeckt worden waren, wirbelte er auf seinem Sitz herum und riss, einen Finger bereits am Abzug, die Armbrust hoch. »Whoa!«, stieß Angel hervor und sah den Wächter mit erhobenen Händen an. »Ich bin auf Ihrer Seite, schon vergessen?« »Nein«, erwiderte Giles, scheinbar gelassen, doch sein Herz raste wie verrückt. Um ein Haar hätte er Willows und Xanders derzeit aussichtsreichste Chance auf Rettung durch einen einzigen unbedachten Schuss auf null reduziert. »Willow ist da drin«, meldete sich nun Oz zu Wort. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. »Ist sie doch, oder?« Angel nickte. »Alle beide. Aber irgendwas Merkwürdiges geht dort vor. Eine Art Ritual. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.« Giles war gleichzeitig erleichtert – unendlich erleichtert – und alarmiert. Willow und Xander lebten, doch sie befanden sich nicht eben in Sicherheit. »Schieß los«, forderte er Angel auf. 244
»An der Seite vom Haus befindet sich eine Art Luke, durch die man in den Keller gelangt. Sie war mit einem Vorhängeschloss gesichert, doch die Bretter sind so morsch, dass es sich leicht herausbrechen ließ – Giles, Sie und Oz dringen dort in das Haus ein. Kann sein, dass einer der Ghule den Hintereingang bewacht, aber sie dürften wohl kaum damit rechnen, im Haus selbst angegriffen zu werden. Ich geh euch ein paar Minuten Vorsprung.« »Was ist mit dir?«, wollte Oz wissen. »Ihre übernatürlichen Kräfte können mir nichts anhaben, also komme ich mit möglichst viel Getöse direkt durch die Vordertür rein. Das dürfte sie erst mal eine Weile beschäftigen. Dann seid ihr dran. Wir nehmen sie von zwei Seiten in die Zange. Machen sie fertig, bevor sie überhaupt mitbekommen, was Sache ist.« »Moment mal.« Giles war skeptisch. »Du willst in das Haus da, ohne dass dich jemand hineingebeten hat, hab ich das richtig verstanden?« »Dort leben schon lange keine Menschen mehr«, erklärte Angel. »Kein Problem also.« »Dann packen wir’s mal an«, sagte Oz. »Ohropax für alle«, verordnete Giles. Alle drei stopften sich ihre Wattestöpsel in die Ohren. »Da wär noch etwas.« Er ignorierte den dumpfen Klang seiner eigenen Stimme, griff in eine sackleinene Tasche, zog ein langes, blitzendes Krummschwert hervor und überreichte es Angel. »Ein Krummschwert?«, fragte dieser. Er wog es prüfend in der Hand. Giles nickte. »Ghule stammen ursprünglich aus dem Orient. Es wäre gut möglich, dass eine dort geschmiedete Klinge bei ihnen größeren Schaden anzurichten vermag als jede andere Waffe.« »Können wir endlich?«, erkundigte sich Oz.
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Giles konnte ihm seine Ungeduld nicht verübeln. Sie kletterten, jeder von ihnen seine Waffe in der Hand, aus dem Van, huschten unter den dunklen Bäumen hindurch und näherten sich durch das hohe Gras robbend allmählich dem Haus. Angel tippte Giles auf die Schulter, wies mit dem Kopf auf die Vordertür und hob zwei Finger. Giles nickte, legte eine Hand auf Oz’ Arm und deutete auf die Hausecke. Angel gab ihnen genau zwei Minuten, um ins Haus zu gelangen. Als Giles sich noch einmal zu ihm umdrehte, war der Vampir bereits verschwunden und in Position für seinen Frontalangriff gegangen. Giles legte einen Zahn zu, um Oz wieder einzuholen. Sie fanden die Luke, von der Angel gesprochen hatte, sofort. Wie ein großer Keil ragte sie aus der Hauswand hervor. Langsam, aber stetig hob Oz die aus halb verrotteten Brettern bestehende Klappe an, darauf bedacht, jedes Knarren oder Quietschen zu vermeiden. Er schlich vorsichtig die in Beton gegossenen Treppenstufen hinab und machte eine Handbewegung, als wollte er eine Klinke herunterdrücken. Das war das Zeichen für eine Tür. Dann hob er sein Brecheisen, um Giles zudem darüber in Kenntnis zu setzen, dass er nicht die Absicht hatte, sich durch dieses kleine Hindernis von ihrem Vorhaben abbringen zu lassen. Oz trat auf die nächste Stufe, hielt einen Moment inne, blickte sich nach seinem Begleiter um und riss die Augen auf. Trotz seines heftigen Herumfuchtelns mit dem Brecheisen erhob sich der Wächter und schlich Richtung Vorderfront des Hauses davon. In einiger Entfernung hatte Giles durch die hohen Grashalme flüchtig etwas Rotes aufblitzen sehen, und etwas näher, in gebückter Haltung auf ihn zueilend, in schwarzen Cargo Pants, einem Top mit Spaghettiträgern und mit wehendem blonden Haarschopf...
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»Buffy...«, flüsterte er erleichtert. Er nahm einen seiner Ohrstöpsel heraus. »Ich dachte schon, du würdest überhaupt nicht mehr kommen.« »Besser zu spät als tot«, sagte sie mit gesenkter Stimme. Offensichtlich hielt sie ihr blutiges Ohr und die zahllosen Schrammen und Schnittwunden auf ihren Armen nicht für weiter erwähnenswert. Giles sah, dass sie sich eine neue Armbrust aus dem Van geholt hatte. Jedenfalls war es nicht die gleiche, mit der sie zur Galerie ihrer Mutter aufgebrochen war. »Und... Solitaire...?« »Hat den Kopf verloren«, erwiderte sie. »Aber meiner Mutter geht’s gut.« Da brach Cordelia aus dem hohen Gras und dem Unkraut hervor, geriet auf dem lockeren Kies ins Stolpern und schaffte es gerade eben noch, nicht lang hinzuschlagen. »Schlamperei«, fluchte sie leise, noch völlig außer Atem, »da hat wohl jemand vergessen, den Rasen zu mähen.« Buffy ergriff Giles’ an seinem gesunden Arm, in dem er seine eigene Armbrust hielt. »Giles, wie ist die Lage? Und wo steckt Angel?« Lupa warf den Dolch in die Luft, fing ihn wieder auf und streckte ihn Willow mit dem Heft voran entgegen. »Denk dran«, sagte sie, »du bist immer noch angekettet, und wir sind zu viert.« »Ich weiß«, entgegnete Willow, so kleinlaut sie konnte. Lupa berührte Xanders Schulter. »Xander«, sprach sie ihn mit sanfter, melodischer Stimme an. »Du wirst keinerlei Widerstand leisten. Hast du verstanden?« Er nickte mit leerem Blick. Lupa sah auf Willow hinunter, die direkt neben dem Kreis kauerte, den Rave mit Xanders Blut auf den Boden gezeichnet hatte. »Fang an«, forderte die Anführerin sie auf. Willow nahm ihr den Dolch aus der Hand, hielt ihn mit der Spitze gen Boden gerichtet. Xander starrte unbeteiligt 247
geradeaus. Mit nur einem Schuh an den Füßen hatte er beinahe etwas Clowneskes. Wahrscheinlich tun ihm immer noch die Füße weh von seiner Rumtreterei gegen die Wand, dachte Willow. »Es tut mir so Leid, Xander«, flüsterte sie. »Mach schon«, drängte Lupa. »Schneid dir ein schönes Stück von ihm ab. Nur ein paar kleine Häppchen, und du gehörst zu uns.« Etwas Schweres knallte an die Außentür, hob sie aus ihren rostigen Angeln und sprengte sie auf. Einen Lidschlag später war das laute, metallische Geräusch einer hochschießenden Sprungfeder zu hören, dann ein deutliches Stöhnen. Oh nein!, dachte Willow, Buffy?! »Einmal Jägerinnen-Flip«, höhnte Carnie. »Eiskalt serviert.« Lupa stieß die Durchgangstür auf, und Willows Blick fiel in ein leeres Zimmer. Die äußere Tür hing, immer noch leicht schwankend, lose in einem der vergewaltigten Scharniere. Eine merkwürdige, ölig glänzende Vorrichtung war auf dem Tisch befestigt, von der aus ein dünner Draht zur Decke und von dort zu der aufgebrochenen Tür gespannt war. Doch er hing lose herab... die Falle war bereits zugeschnappt. »Buffy?«, rief Willow mit angsterfüllter Stimme. Angel hatte genau zwei Minuten gewartet, dann war er, in der linken Hand das Krummschwert, aus seiner Deckung hervorgestürzt und auf die Tür losgeprescht. Aus vollem Lauf warf er sich mit der Schulter dagegen und riss sie aus ihren altersschwachen Halterungen. Er wollte gerade das Krummschwert in seine Kampfhand nehmen, da bemerkte er den erzitternden Draht, hörte das durch seine Ohrstöpsel nur dumpf hindurchdringende Geräusch von schnappendem Metall. Ein jähes Aufblitzen von Stahl, und in seiner Seite brach ein loderndes Feuer aus. Er stöhnte laut auf, taumelte zurück und sackte vor dem Haus zu Boden. Ungläubig starrte er auf den mit Widerhaken versehenen Speer, der sich durch seinen 248
Unterleib gebohrt hatte. Er war in eine Falle getappt, die eigentlich für Buffy bestimmt gewesen war. Eine Falle, die sie mit ziemlicher Sicherheit das Leben gekostet hätte. Ihm hingegen würde der Speer, der weit an seinem Herzen vorbeigegangen war, lediglich eine Zeit lang wahre Höllenqualen bescheren. »Angel!«, schrie Buffy auf und sprintete in geduckter Haltung an der Hausfront entlang zu ihm, dicht gefolgt von Giles mit seiner Armbrust. »Ich bin okay«, gab Angel zurück, seine Stimme kaum mehr als heiseres Krächzen. »Hier!« Er warf ihr das Krummschwert zu, und sie fing es geschickt mit der rechten Hand auf. Er bemerkte ihre besorgten Blicke. »Ich bin okay«, presste er nochmals hervor. »Geh!« Als er sich den mit Widerhaken besetzten Speer immer tiefer in den Leib hineintrieb, um ihn schließlich an der anderen Seite wieder herauszuziehen – wobei in seinen Zügen dann und wann die Grimasse eines Vampirs zum Vorschein kam –, nickte sie und wandte sich dem Haus zu. Sie wusste, dass sich seine Wunden schon bald wieder schließen würden. Willow und Xander bedurften ihrer Hilfe weitaus dringender. Ohne große Mühe gelang es Oz, die Kellertür mit dem Brecheisen aus dem Schloss zu hebeln. Als sie aufschwang, ließ der Gestank, der ihm entgegenschlug, ihn einen Schritt zurücktreten. Hinter ihm hielt sich Cordelia, bewaffnet mit Buffys Armbrust, würgend die Hand vor den Mund. »Das... das hier ist das Gatton-Haus, hab ich Recht?«, fragte sie nervös. Oz nickte. »Bitte sag, dass wir nicht da rein müssen.« Cordelias Gesicht war aschfahl. »Du kannst gerne hier warten, wenn du willst«, schlug Oz vor. Er betrat die düsteren Kellerräume. 249
»Auf gar keinen Fall«, flüsterte Cordelia und war im nächsten Moment bereits dicht hinter ihm. Oz blieb einen Augenblick stehen, um seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen, doch alles, was er ausmachen konnte, waren übereinander getürmte Kisten, an den Wänden entlangführende Leitungsrohre und die vagen Umrisse eines klobigen, alten Heizkessels. Dann machte der Gang einen Knick, und sie sahen sie: drei dunkle Gestalten, die von der Decke baumelten, die Köpfe auf die Brust gesenkt. Oz stockte der Atem. Keuchend klammerte sich Cordelia an seinen Arm. »Das sind sie!«, wisperte sie entsetzt. »Gatton hat sie hier unten erhängt.« »Nein«, entgegnete Oz. »Das können sie nicht sein. Er hat sie auf dem Speicher getötet.« »Speicher. Keller. Was macht das für einen Unterschied?« »Sie hätten die Leichen niemals einfach hier hängen lassen«, bemerkte Oz. »Spukgeschichten. Geister. Gatton-Haus. Rastet da bei dir nicht irgendwas ein?« Er griff in eine seiner unergründlichen Hosentaschen und zog die Stablampe hervor, die er aus dem Van mitgenommen hatte. Er knipste sie an und bekam im gleichen Moment von Cordelia einen derben Schlag zischen die Rippen. »Du hattest die ganze Zeit eine Taschenlampe dabei?« »Ich wollte nicht, dass sie uns bemerken.« Die drei Gestalten hingen unbeweglich da. Oz war sich ziemlich sicher, dass es sich nicht um Gespenster handelte. Er ließ den Schein seiner Taschenlampe über jeden einzelnen der drei Körper streifen, beziehungsweise über das, was noch von ihnen übrig geblieben war, und wanderte mit dem Lichtkegel den massiven Deckenbalken entlang. Eine schwere Eisenstange war daran befestigt, mit großen Haken aus Stahl – ähnlich denen, die in Schlachthäusern zu finden waren –, an denen die Leichen hingen. An ihren Knochen befanden sich nur noch 250
spärliche Reste von Fleisch, in ihren aufgeschlitzten Leibern nicht ein einziges vollständiges Organ. Cordelia hatte genug gesehen. Wieder musste sie würgen. »Der in der Mitte«, keuchte sie. »Oh, mein Gott! Ich glaub, das ist – das war Troy.« »Ich weiß.« In diesem Moment vernahmen sie über sich ein lautes Krachen, gefolgt von einem metallischen Geräusch. »Wir müssen hoch!« »Nach dir«, erwiderte Cordelia und klammerte sich an seinem T-Shirt fest, während sie gleichzeitig mit größtmöglichem Abstand an den vom Balken herabbaumelnden Leichen vorbeizukommen versuchte. Als Oz die wacklige Holzstiege hinaufstürzte, verlor Cordelia den Halt und stolperte gegen das altersschwache Treppengeländer. Splitternd gab es unter ihrem Gewicht nach. Oz fuhr herum und hielt sie in letzter Sekunde fest. Noch einmal huschte der Schein seiner Taschenlampe über einen der ausgeweideten Körper, streifte wie zufällig über eine Kellerratte, die bräsig und fett auf der verwüsteten Schulter hockte. Geblendet von dem plötzlichen Licht zuckte sie mit dem spitzen Kopf zur Seite, doch Cordelia hatte das von dunklem Rot verschmierte Maul bereits gesehen. Buffy stürmte in das Haus und trat achtlos den Tisch beiseite, der nun laut polternd gegen einen Kühlschrank krachte, der aussah, als stamme er direkt vom Sperrmüll. Buffy mochte nicht darüber nachdenken, was die Ghule darin aufbewahrten, vor allem nicht angesichts der Tatsache, dass es in dem Haus nicht einmal Strom gab. Die Konstruktion, der Angel zum Opfer gefallen war, bestand in der Hauptsache aus einer großen Sprungfeder, die, einmal ausgelöst, nur ein einziges Projektil abfeuern konnte. Sie lag auf dem Boden, jetzt ebenso nutzlos wie harmlos. Buffy erfasste die Situation im hinteren Zimmer 251
binnen eines Herzschlags, erhob das Krummschwert und rief: »Willow isst nur koscheres Fleisch!« Lupa schaute verdutzt aus der Wäsche, als Buffy quicklebendig vor ihr stand. »Wir haben dich doch eben reinkommen gehört... der Speer...« »Sorry«, entgegnete die Jägerin. »Ich pflege meine Vorkehrungen zu treffen. Allerdings hat Angel jetzt eine Mordswut auf euch. Und meine ist mindestens doppelt so groß.« Als würde sie aus irgendwelchen unheilvollen Schriften zitieren, erwiderte Lupa: »Dem Ghul, der das noch schlagende Herz einer Jägerin verschlingt, wird zehnfache Stärke und hundertjährige Unverletzbarkeit zuteil.« Buffy seufzte. »Steht heute eigentlich überall die Jägerin auf der Abschussliste?« »Ich bin nicht wählerisch«, meinte Rave und ging auf Willow zu. »Mir ist jedes Herz recht, Hauptsache, es schlägt noch.« »Wie du siehst, Jägerin, haben wir dich erwartet. War ja zu erwarten, dass du uns die Ehre eines kleinen Besuchs erweisen würdest«, sagte Lupa. »Und jetzt leg dein Schwert auf den Boden und ergib dich. Oder deine Freunde werden sterben.« »Tut mir Leid«, sagte Willow noch einmal zu Xander und jagte ihm dann, ohne hinzuschauen, die Dolchspitze zwischen die lädierten Zehen. Xander jaulte laut auf und hielt sich, auf einem Bein auf und nieder hüpfend, den malträtierten Fuß. Willows Rechnung war aufgegangen: Der jähe Schmerz hatte ihn aus seinem Zustand der Lethargie herausgerissen. Hinter Buffy erschien nun Giles in der Tür, die Armbrust über seinen Gipsarm gelegt. »Showtime!«, verkündete Buffy. Xander geriet ins Stolpern, krachte mit Rave zusammen und riss sie mit sich gegen die Wand. 252
Lupa witterte ihre Chance, deutete mit dem Finger auf Giles und bleckte grinsend ihre hässlichen Hauer: »Du! Ich befehle dir, die Jägerin zu töten. Sofort!« Obwohl Giles die Worte deutlich hören konnte, mit denen die Anführerin der Ghule die Kontrolle über ihn zu übernehmen versuchte, filterten die Ohrstöpsel doch alles an Intonation und Nachdruck, die notwendig waren, um ihn seines freien Willens zu berauben, aus ihrer Stimme heraus. Giles Antwort stand ihrem Befehl an Direktheit um nichts nach: »Ich denke nicht daran.« Er richtete seine Armbrust auf Lupa, krümmte den Finger... und schoss Nash mit dem Bolzen ein Auge aus. Nash taumelte zurück und sank, mit einer Klaue das aus ihrer Augenhöhle ragende Bolzenende umfassend, tödlich getroffen zu Boden. »Hm, hab eigentlich auf die andere gezielt«, brummelte Giles. »Genau genommen, auf ihr Herz.« Die dröhnenden Tritte eiliger Füße drangen über den Korridor heran, und wenig später betraten Oz und Cordelia die Arena. Cordelia war kreidebleich, die Armbrust hing lose in ihrer Hand, den Bolzenlauf gen Zimmerdecke gerichtet. Auch Oz machte einen reichlich verstörten Eindruck, stand da mit gehetztem Blick, das Brecheisen mit weiß hervortretenden Fingerknöcheln fest umklammernd. Irgendetwas im Keller muss ihnen einen Heidenschrecken eingejagt haben, dachte Buffy. »Team komplett«, stellte die Jägerin dann fest. Nur Angel fehlte noch, um die schlagkräftige Truppe zu vervollständigen. Wie auf ein Stichwort hin war das Knirschen aus dem Holz gerissener Nägel zu hören. Lupa versetzte Willow einen Schlag ins Gesicht und entwand ihr den Zeremoniendolch. Sogleich wandte sie sich wieder Buffy zu. In ihren Ghulaugen glühte ein wildes Feuer, und Speichel rann ihr das Kinn herab, als würde ihr bei dem Gedanken an das schlagende Herz der Jägerin 253
buchstäblich das Wasser im Munde zusammenlaufen. Mit hoch erhobenem Dolch stürzte sie sich auf ihr Opfer. Hinter ihr setzte Angel durch das Fenster der Arrestzelle – die Bretter, mit denen es vernagelt gewesen war, hatte er mit bloßen Händen heruntergerissen – und ging auf Rave los, die soeben im Begriff stand, ihre scharfen Klauen in Xanders Gesicht zu schlagen. Carnie sah Oz aus dem Korridor treten und warf sich ihm mit ausgestreckten Krallen wie eine Wildkatze entgegen. Entsetzt schrie Cordelia auf und feuerte ihre Armbrust auf den rothaarigen Ghul ab. Der Bolzen sauste durch Carnies wüst abstehenden Haarschopf hindurch, nur wenige Millimeter an ihrem grün gefleckten Ohr vorbei, und riss hinter ihr die Petroleumlampe vom Haken. Als diese zu Boden fiel und zerbarst, ergoss sich das auslaufende Öl über den Holzfußboden und fing augenblicklich Feuer. Die zunächst nur kleinen, dann immer größer werdenden Flammen warfen flackernde Schatten an die Wände. Die Wucht von Carnies Angriff riss Oz von den Beinen, noch bevor er dazu kam, sein Brecheisen zum Einsatz zu bringen. Auch Cordelia wurde zurückgeworfen und fiel hintenüber und der Länge nach auf einen alten, sperrigen Holzstuhl. Buffy blendete alles andere aus, als sie zum Angriff überging. Aus dem Stand heraus rammte sie Lupa ihren Absatz ins Brustbein. Beide stürzten zu Boden. Lupa rollte sich ab, kam in die Hocke, schnellte nach vorn und warf sich, die Spitze des Dolchs auf die Jägerin gerichtet, erneut in die Schlacht. Buffy, die ebenfalls wieder auf den Beinen war, sprang zur Seite und konterte mit einem etwas ungeschickt aus der Rückhand geführten Hieb mit dem Krummschwert. Federnd setzte Lupa mit einem Salto über die Klinge hinweg, landete wieder auf den Füßen, ging aus der Bewegung heraus sogleich wieder in Abwehrstellung und ließ den Dolch an 254
ihrem ausgestreckten Arm langsam von einer Seite zur anderen wandern. Lauernd umkreisten sich die beiden Kontrahentinnen, mittlerweile im vorderen Raum angelangt, jede auf eine Lücke in der Deckung der anderen wartend. Mit nur einer Hand lud Giles seine Armbrust nach und legte sie, abermals Ziel nehmend, auf seinen Gipsarm. Leider feuerte er sie genau in dem Moment ab, als Lupa zu einer Finte ansetzte. Knapp zischte der Bolzen an ihrem Hinterkopf vorbei und bohrte sich mit einem dumpfen Aufschlag in die Zimmerwand. Inzwischen hatte Cordelia es geschafft, sich von dem erstaunlich anhänglichen Holzstuhl zu befreien. Sie hob ihn hoch über den Kopf und hielt Ausschau nach einem geeigneten Landeplatz. Direkt vor ihr rangen Oz und Carnie um das Brecheisen, und es sah so aus, als sollte es der Bassistin, die Oz in ihrer Gestalt als Ghul an körperlicher Kraft haushoch überlegen war, gelingen, das Eisen dem krampfhaften Griff des am Boden liegenden Gegners zu entwinden. Cordelia nahm kurz Anlauf und ließ den Stuhl auf Carnies Rücken krachen. »Na super!«, schrie sie dann auf. »Jetzt hab ich mir auch noch ’nen Fingernagel abgebrochen!« Den weitaus größeren Schaden hinterließ der Stuhl jedoch bei Carnie, als er auf ihren Schultern splitternd zerbrach. Sie bäumte sich stöhnend auf und ließ das Brecheisen los. Kaum hatte Oz die Kontrolle über seine Waffe zurückerlangt, hob er sie an, um ungeachtet seiner ungünstigen Position zum Schlag auszuholen. In diesem Moment täuschte Buffy einen Angriff vor, und Lupa sah sich veranlasst, mit einem raschen Satz nach hinten auszuweichen. Sie prallte mit Carnie zusammen, die daraufhin das Gleichgewicht verlor und genau in dem Moment auf Oz hinunterstürzte, als das Brecheisen, mit dem scharfen Ende nach oben, im rechten Winkel zum Boden stand. Es fuhr ihr durch die Kehle und durchtrennte mit einem hässlichen Knirschen ihre Halswirbel. Oz kämpfte sich unter dem leblosen 255
Körper hervor, während Cordelia daneben stand, auf ihre ruinierte Maniküre hinabstarrte und sich stöhnend über irgendwelche Splitter in ihrer Hand beschwerte. Er stieß Carnies Leichnam mit aller Kraft beiseite und verzog angeekelt das Gesicht, als einige Hautfetzen von ihm abfielen. Er konnte förmlich dabei zusehen, wie der tote Körper von Fäulnis zersetzt wurde. Angel war immer noch mit Rave beschäftigt, die unter normalen Umständen für ihn kein Gegner gewesen wäre. Doch im Augenblick lief er mit einem ziemlich großen Loch im Bauch herum, hervorgerufen durch einen nur allzu entgegenkommenden Speer voller Widerhaken. Auch wenn ihn die Verletzung nicht umbringen würde, so hatte sie ihn doch so weit geschwächt, dass es seiner Gegnerin gelungen war, ihn in Bedrängnis zu bringen und niederzuschlagen. Rittlings hockte sie auf ihm und grub ihre krallenbewehrten Klauen in seine Kehle. Angels Hand schoss nach oben und suchte hektisch nach Xanders ehemaliger Halsmanschette, die immer noch an der am Balken befestigten Kette hing. Xander erkannte Angels Absicht, kroch über die tot am Boden liegende Nash hinweg – der Armbrustbolzen ragte unverändert aus ihrer Augenhöhle heraus – und schnappte sich das begehrte Stück. Er schlang es Rave um den Hals und zerrte sie mit Leibeskräften nach hinten, bis sie schließlich von Angel abließ. Der Vampir hob die nunmehr befreiten Arme, umfasste mit beiden Händen Raves Kopf, riss ihn mit einem kräftigen Ruck herum und brach ihr das Genick. Xander ließ die Kette los, und schwer sackte der Ghul zu Boden. »Jetzt sind wir wieder quitt, alter Blutsauger«, sagte er befriedigt. Angel ignorierte die Beleidigung, nickte nur und sah sich nach Buffy um. Diese hatte bereits einen mehr als harten Kampf gegen Solitaire hinter sich, und es war anzunehmen, dass auch sie sich allmählich dem Ende ihrer Kräfte näherte. 256
Während Xander mit dem Schlüsselring bewaffnet auf Willow zuhumpelte, um sie von ihrer Halsmanschette und den Handschellen zu befreien, stürzte er durch die Tür in das Vorderzimmer. Buffy stand mit dem Rücken zu einem der vernagelten Fenster und erwartete Lupas Angriff – die Anführerin kam gerade mit hoch erhobenem Dolch auf sie zugestürmt. An der gegenüberliegenden Wand züngelten Flammen empor, griffen auf die Zimmerdecke über und breiteten sich unaufhaltsam aus. Überall war dicker, schwarzer Rauch. In wenigen Minuten würde das ganze Haus in Flammen stehen. Sie mussten schleunigst hier raus. »Buffy!«, schrie Angel. Ghul und Jägerin brachen in einem Wirrwarr aus Armen und Beinen durch das Fenster, Sperrholz zersplitterte und stob hinter ihnen in alle Richtungen. Eng umschlungen landeten die beiden Gegnerinnen unsanft auf der Kieszufahrt vor dem Haus, und Buffys Krummschwert flog in hohem Bogen davon. Sie verpasste dem Ghul zwei harte Schläge mit der Faust, stieß ihn zurück und rollte sich rasch zur Seite. Während Lupa noch damit beschäftigt war, ihre Knochen zu sortieren, war Buffy längst wieder auf den Beinen und versuchte, in der Dunkelheit der Neumondnacht ihre Waffe zu erspähen. »Gib auf, Jägerin«, drohte Lupa und stakste mit dem langen Dolch in der Hand auf sie zu. Sie stieß mit der Klinge nach ihr, doch Buffy konnte ihrem Angriff mühelos ausweichen. »Sieh dich doch mal um«, erwiderte Buffy. »Deine GhulKumpel sind allesamt Geschichte. Es wäre klüger gewesen, meine Freunde aus der Sache herauszuhalten. Du hast sie wohl ein wenig unterschätzt. Andererseits war das bei dem generell nicht sonderlich hohen IQ von Dämonen auch wohl kaum anders zu erwarten.« Lupa brüllte erbost auf und trieb Buffy mit einer Serie von immer heftiger werdenden Dolchattacken vor sich her. Mit 257
kurzen Sprüngen wich die Jägerin Meter um Meter zurück, bis sie mit dem Rücken an die Beifahrertür von Vyxns Tourneebus knallte. Lupa verzog das hässliche Gesicht zu einem breiten Grinsen und hob den Dolch zum vernichtenden Stoß. Im letzten Moment jedoch warf sich Buffy zur Seite, und die Spitze der Klinge schrammte kreischend am Wagenblech entlang. »Wenn ich dir erst dein Herz aus dem Leib gerissen habe, können dir deine Freunde auch nicht mehr helfen«, schrie Lupa mit schriller Stimme. »Schöne Grüße an deinen Kieferorthopäden«, erwiderte Buffy, sprang aus dem Stand in die Luft und versetzte ihr einen Tritt gegen das Maul, der ihre verwachsenen Zahnreihen dramatisch lichtete. Buffy rannte zum Haus zurück, und Lupa stürzte ihr, Blut, Zähne und Geifer spuckend, hinterher. Das Feuer hatte bereits ein bedrohliches Ausmaß angenommen, doch immerhin war die Zufahrt nun so hell erleuchtet, dass Buffy der Krummschwertgriff, der aus einem Büschel Unkraut herausragte, sogleich ins Auge sprang. Als Lupa Anstalten traf, ihr ein Sperrholzbrett hinterherzuschleudern, brachte sie sich mit einem Hechtsprung in Richtung ihrer Waffe aus der Schusslinie und packte das Schwert genau in dem Moment, als das Brett an ihrem Fuß entlangschrappte und ihr die Haut vom Knöchel riss. Buffy sprang wieder auf die Beine – das Schwert hielt sie mit nach hinten geneigter Klinge in einer Hand – und trat ein paar Mal probeweise mit dem ramponierten Fuß auf. Ätzender Rauch quoll aus der nur wenige Meter entfernten Vordertür heraus, drang ihr in die Atemwege und trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie sah Lupa erst, als diese mit ihrem Dolch beinahe schon über ihr war, und hatte nicht einmal mehr Zeit, ihre Waffe richtig zu greifen. Stattdessen riss sie sie einfach hoch und rammte dem Ghul den Schwertknauf gegen die Stirn. 258
Desorientiert torkelte Lupa zurück. Buffy drehte das Schwert mit einer raschen Bewegung herum, packte es mit beiden Händen, holte aus zu einem mächtigen Schlag und spaltete Lupa den Schädel. In Höhe des Schlüsselbeins blieb die Klinge stecken. Als ihr der leblose Körper entgegensackte, ließ die Jägerin den Schwertgriff los und trat einen Schritt zurück. Da setzte Angel aus dem offenen Fenster heraus. Als er federnd in die Hocke ging, um den Aufprall abzuschwächen, zuckte er zusammen und presste eine Hand auf den melonengroßen Blutfleck, der sein weißes Hemd verunstaltete. »Bist du okay?« Angel nickte. »Und du?« »Bin heilfroh, dass ich mir mein Herz nicht auf den Ärmel tackern muss.« Buffy beugte sich grinsend zu ihm herab und streckte ihm eine Hand entgegen. »Sind alle draußen?« »Alle zur Hintertür raus.« An der Seite des Hauses tauchten nun Oz und Willow auf und kamen auf sie zu. »Ich habe nicht einen Moment daran gezweifelt, dass du noch am Leben bist«, sagte Oz. »Und ich wusste, dass du kommen würdest, um mich zu retten«, erwiderte Willow. Sie blieben stehen und knutschten leidenschaftlich herum. »Willow. Oz. Ihr werdet beobachtet«, rief Buffy ihnen zu. Einen Augenblick lang schien es so, als hätten sie es gar nicht gehört, doch dann blickte Willow errötend zu Buffy hinüber. »Ups«, gab sie mit einem schelmischen Grinsen von sich. Giles bog als Nächster um die Hausecke, dicht gefolgt von einer Cordelia, die gute Miene zum bösen Spiel machte und Xander gestattete, sich mit einer Hand auf ihrer Schulter abzustützen. Er hielt einen Schuh in der Hand und heulte bei jedem Hüpfer laut auf, manchmal sogar mehrmals hintereinander. »Mein Gott, hör endlich mit dem Gewinsel 259
auf«, meinte Cordelia genervt. »Ich möchte bloß mal wissen, wie ich so blöd sein konnte, mich jemals mit dir einzulassen.« »Nur ein kleiner Anfall vorübergehender geistiger Umnachtung«, entgegnete Xander. »So hab ich es jedenfalls für mich definiert.« Er ließ sich in den Kies plumpsen, streifte den zerfetzten Schuh über seinen geschwollenen Fuß und machte erst gar nicht den Versuch, ihn zuzuschnüren. Sein Blick fiel auf Lupas leblosen Körper, der nur wenige Meter von ihm entfernt mitten auf der Auffahrt lag. »Oh Mann! Diese Ghule halten sich echt nicht lange«, sagte er, mehr an sich selbst gerichtet, und rümpfte angewidert die Nase. Es ließ sich nicht leugnen. Auch Buffy bemerkte den ekelhaften Gestank, ähnlich dem von ranzig gewordenem Fleisch, der von Lupas aufgedunsenem Leichnam ausging. Er sah aus, als hätte er mindestens drei volle Wochen lang vor sich hinfaulend in einem Sumpf gelegen. Reif für den Komposthaufen, dachte Buffy. Willow sah zu Cordelia hinüber, die frierend und mit vor der Brust verschränkten Armen allein in der Nacht stand. »Cordelia, wegen Troy...« »Ich weiß«, erwiderte Cordelia und warf Oz einen kurzen Blick zu. »Wir haben das, was von ihm noch übrig war, im Keller gefunden.« »Es tut mir Leid«, sagte Willow. »Na ja, ich werde in meinem Leben schon noch mal einige Angebote zu Probeaufnahmen bekommen.« »Schon mal was von Mitgefühl gehört, Cordy?«, meinte Xander. Cordelia blickte ihn herausfordernd an. »Was? Das Ganze ist bereits zwei Tage her. Hab ich nicht lange genug getrauert? Wir hatten uns nicht einmal mehr verabredet. Außerdem, du glaubst doch nicht etwa, dass ich mich der Gefahr aussetze, in meinem Alter bereits Sorgenfalten zu bekommen?« »Natürlich nicht«, entgegnete Xander. 260
Giles trat an die Seite seiner Jägerin, die Armbrust über die Schulter geworfen, und schaute auf das brennende Haus. »Alles in allem würde ich sagen, dass die Sache einen unerwartet erfreulichen Ausgang genommen hat.« »Ist das die unter britischen Bibliothekaren übliche Variante für ›Ende gut, alles gut‹?«, fragte Xander nach. Willow runzelte die Stirn. »Ich glaub, ich werde Veganerin.«
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Epilog
»Fragen Sie Buffy doch mal nach ihren Problemzonen«, forderte Willow Giles auf. Buffy strahlte ihn erwartungsvoll an. »Problemzonen? Ach ja, der Grund für dein gefährdetes College-Studium.« Giles schob sich ein Lineal unter den Gipsverband und begann hektische Kratzbewegungen zu vollführen. Schließlich seufzte er erleichtert auf. »In Anbetracht deines erfreuten Gesichtsausdrucks darf ich hoffentlich annehmen, dass sich die Situation ein wenig entschärft hat?« »Sie dürfen. Kommando –, ich meine, Schülerberaterin Burzak hat mich heute Morgen im Foyer angequatscht«, berichtete Buffy. »Aus den beiden gelben Zonen sind zwei grüne geworden und aus der roten eine blinkende gelbe.« »Eine blinkende gelbe, sagst du?« »Oh, das ist gut«, erklärte ihm Buffy. »Oder zumindest nicht schlecht, hoff ich jedenfalls.« »Da bin ich mir sicher«, pflichtete Giles ihr loyal bei. »Snyder ist auch da gewesen und hat sich auf seinem Clipboard Notizen gemacht«, fügte Buffy noch hinzu. »Dann ist ja alles in bester Ordnung«, sagte Giles, offensichtlich wenig interessiert, weitere Details zu hören. Xander meldete sich zu Wort: »Mir ist immer noch nicht ganz klar, was ich von diesem Solitaire zu halten habe. Er war kein Vampir, so viel hab ich verstanden. Aber was war er dann? Einfach nur irgend so ein Dämon mit ’nem riesigen Komplex?« »Im Prinzip trifft das durchaus den Kern der Sache«, meinte Giles. »Solitaire hat sich eine völlig neue Identität zugelegt, inklusive einer immerhin mehrere Jahrhunderte zurückreichenden neuen Vergangenheit. Und das alles nur, um 262
seine Gegner zu verunsichern und sie in Angst und Schrecken zu versetzen.« »Apropos Vergangenheit«, warf Buffy ein. »Wenn das nächste Mal in einem der alten Wächterberichte irgendetwas scheinbar keinen Sinn ergibt, dann hat das vielleicht einen guten Grund. Diese Erkenntnis hätte mich beinahe das Leben gekostet.« »In der Tat«, stimmte Giles ihr zu. »In diesem besonderen Fall wären wir fraglos besser beraten gewesen, wenn wir Angels Instinkten vertraut hätten. Er hat von Anfang an nicht an den Mythos von einem geheimnisvollen Lichtgänger geglaubt.« »Und Solitaire hat keine gemeinsame Sache mit den Ghulen gemacht?«, fragte Xander. »Nein«, erwiderte Giles. »Wie kommst du darauf?« »Sie wissen doch«, meinte Xander, »Dämonen und Ghule gehen gemeinsam zur Schule.« »Ächz«, machte Buffy und verdrehte die Augen. »Da wir gerade von Geschichtsverfälschung sprechen«, sagte Giles. »Willow, hast du dir mittlerweile überlegt, wie du das Dilemma mit deinem Referat über die Geschichte Sunnydales lösen willst?« »Die Sache hat mich fast um den Verstand gebracht«, erwiderte diese. »Die Frage war: Bleibe ich bei der Wahrheit und berichte über alles, was ich weiß, oder verfasse ich eine im Grunde genommen einzige große Lüge? Also habe ich... na ja, ich...« »Was?« »Sie hat die Hauptstraße genommen«, erklärte Oz und grinste geheimnisvoll. »Die Hauptstraße?«, meinte Giles. »Ich bin nicht sicher, ob ich ganz folgen kann.«
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Willow griff in ihren Aktenordner und zog einen dicken Stoß Papier hervor. »Sehen Sie selbst, was ich geschrieben habe«, forderte sie ihn auf und drückte ihm den Stapel in die Hand. Giles blätterte durch die Seiten, und ein leichter Anflug von Panik trat in seinen Blick. »Ah ja, ich seh schon... der Höllenschlund, der Meister, die Jägerin, Spike und Drusilla... hier steht wirklich alles! Willow, du hast doch nicht etwa...!?« Mit einem spöttischen Grinsen auf den Lippen zauberte Willow einen weiteren, wesentlich kleineren Stapel aus dem Ordner hervor und überreichte ihn ebenfalls dem Wächter. Dessen Blicke huschten über die Seiten. Dann nickte er und seufzte erleichtert auf. »Statistiken, Diagramme, Bevölkerungszuwachs, Industrie und... kein Wort über übernatürliche Phänomene.« Er sah sie an. »Viel besser, aber wie...?« Willow zuckte mit den Schultern und setzte ihre Unschuldsmiene auf. »Ich musste das Referat etwas kürzen. Es wurde einfach zu lang.«
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