David H. Gehne Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Stadtforschung aktuell Band 111 Herausgegeben von Hellmut W...
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David H. Gehne Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Stadtforschung aktuell Band 111 Herausgegeben von Hellmut Wollmann
David H. Gehne
Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Hans-Böckler-Sitftung.
D 61
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15756-6
Danksagung
Seit 1998 habe ich mich mit dem Thema Bürgermeisterwahlen beschäftigt, intensiver in den letzten zweieinhalb Jahren, in denen die Arbeit geplant, die Daten erhoben und der vorliegende Text geschrieben wurde. Ein langer Weg geht damit zu Ende, viele Menschen haben mich ein Stück der Strecke begleitet, einige auch den ganzen Weg. Nicht allen kann ich hier danken. Mein erster Dank gilt Prof. Dr. Ulrich von Alemann für seine Unterstützung und Begleitung meiner Dissertation, für die er die richtige Mischung aus Verbindlichkeit und Freiheit gefunden hat. Auch meinem Zweitgutachter, Prof. Dr. Uwe Andersen, danke ich für sein Interesse und die Bereitschaft, auch im wohlverdienten Ruhestand die schwere Bürde des Begutachtens auf sich zu nehmen. Bedanken möchte ich mich auch bei meinen Düsseldorfer Kollegen, die sich im Promotionskolloquium kritisch mit meiner Arbeit auseinander gesetzt und mir in vielen weiteren Gesprächen wichtige Anregungen gegeben haben. Mein besonderer Dank gilt aber PD Dr. Lars Holtkamp, der in allen Phasen meiner Beschäftigung mit Bürgermeisterwahlen immer wieder gerne und kritisch mit mir über meine zum Teil noch sehr unfertigen Ideen diskutiert hat. Herzlich gedankt sei auch Markus Klaus von der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU NW (KPV NW) und Robert Krummbein von der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik NRW (SGK NRW), die in Hintergrundgesprächen die Wahlergebnisse der Bürgermeisterwahlen 2004 mit mir diskutiert und mir damit wichtige Anregungen für die Wahlanalyse gegeben haben. Ich danke meinen Eltern, die immer daran geglaubt haben, dass aus der Doktorarbeit noch etwas wird. Mein letzter Dank gilt meiner Frau, Dr. Melanie Tajnsek-Gehne, die nicht nur das Manuskript Korrektur lesen musste, sondern auch die schwierigen und die schönen Phasen der Arbeit mit mir geteilt hat. Ihr und unseren Kindern Friedrich und Clara ist diese Studie gewidmet.
Bochum, Frühjahr 2008
David H. Gehne
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ..................................................................................................................... 9
1.1 Die Einführung der Direktwahlen der Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen ........... 9 1.2 Aufbau der Arbeit ....................................................................................................... 13 2
Forschungsstand, theoretischer Rahmen, Fragestellungen und Methoden ........ 15
2.1 Institutioneller Wandel, Kontextfaktoren und Pfadabhängigkeit ............................... 2.1.1 Institutionen und Akteure im historischer Institutionalismus ......................... 2.1.2 Zwischen Indifferenz und Determinismus: Einfluss von Institutionen in der lokalen Politikforschung ....................................................................... 2.1.3 Zusammenfassung: Folgen des institutionellen Wandels: Angleichung oder Kontinuität politischer Muster? .............................................................. 2.2 Wahlrecht und Parteiensystem .................................................................................... 2.2.1 Parteien und Wahlen: Kandidatenrekrutierung, Kandidatenauswahl und Kandidatennominierung ........................................................................... 2.2.2 Parteien und Wahlen auf der kommunalen Ebene: Einfluss konkurrenzund konkordanzdemokratischer Muster .......................................................... 2.2.3 Wahlrecht und Parteiensystem: Institutionenlogik und Wechselwirkungen von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ................. 2.2.4 Bürgermeisterwahlen, Ratswahlen und lokale Parteiensysteme ..................... 2.2.5 Zusammenfassung: Wandel des kommunalen Parteiensystems und ‚Ent-Parteipolitisierung’ durch Einführung der Direktwahl des Bürgermeisters in NRW? ................................................................................
16 16 24 32 34 34 46 69 80
96
2.3 Bürgermeisterwahlen in NRW: Theoretischer Rahmen, Fragestellung und Methoden .............................................................................................................. 99 2.3.1 Theoretischer Rahmen .................................................................................... 99 2.3.2 Hypothesen .................................................................................................... 104 2.3.3 Methoden ....................................................................................................... 107 3
Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen .................................................... 111
3.1 Politische Wettbewerbssituation: Entwicklung der Ratswahlen 1946 – 2004 ......... 113
8
Inhalt
3.1.1 Wahlergebnisse und Parteiensystem bei Ratswahlen 1946 – 2004 .............. 3.1.2 Wahlergebnisse und Parteiensystemmerkmale 1984-2004 bei Ratswahlen nach Gemeindegröße und Region ............................................. 3.1.3 Lokale Parteiensystemtypen 1984, 1994 und 2004 ...................................... 3.1.4 Entwicklung der Mehrheitsverhältnisse in den Räten 1989-2004 ................ 3.1.5 Zusammenfassung: Kontinuität und Wandel bei Ratswahlen in NRW ........ 3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004: Kandidatenangebot und Wahlergebnisse .... 3.2.1 Kandidatenangebot und Wahlergebnisse bei den Bürgermeisterwahlen 1999 ........................................................................... 3.2.2 Kandidatenangebot und Wahlergebnisse bei den Bürgermeisterwahlen 2004 ........................................................................... 3.2.3 Normalisierung, Polarisierung, Verselbstständigung: Zusammenfassung und Vergleich der Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004 ............................. 3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004: Kandidatenauswahl und Kandidatenprofile ............................................................................................... 3.3.1 Kleine Kommunen: Hünxe und Xanten ........................................................ 3.3.2 Mittelstädte: Hilden und Marl ....................................................................... 3.3.3 Großstädte: Duisburg und Essen ................................................................... 3.3.4 Zusammenfassung: Kandidatenauswahl und Kandidatenprofile ..................
114 122 139 152 160 163 167 195 220
223 226 237 252 267
4
Bürgermeisterwahlen in NRW zwischen Kontinuität und Wandel – eine Bilanz ............................................................................................................. 273
5
Anhang ..................................................................................................................... 283
5.1 Literaturverzeichnis ................................................................................................... 283 5.2 Abbildungsverzeichnis .............................................................................................. 296 5.3 Tabellenverzeichnis ................................................................................................... 297 5.4 Wahlrecht im Ländervergleich .................................................................................. 301
1 Einleitung
1.1 Die Einführung der Direktwahlen der Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen Mit der ersten Direktwahl der hauptamtlichen Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen 1999 kam die Reform der Gemeindeordnung von 1994 zu ihrem Abschluss. Die überarbeitete Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalens (GO NRW) ordnete die kommunalpolitische Leitungsstruktur neu. Die ursprüngliche Zweiköpfigkeit der Gemeindeverwaltung, bestehend aus dem ehrenamtlichen Bürgermeister als Vorsitzendem des Rates und Repräsentant der Gemeinde und einem vom Rat gewählten Stadtdirektor als Leiter der Verwaltung, wurde abgeschafft und durch den direkt von der Bürgerschaft gewählten hauptamtlichen Bürgermeister ersetzt, der diese Funktionen in sich vereint. Diese „Verfassungsrevolution“ (Andersen 1998b, 59) stand am Ende eines langen Beratungsprozesses des Landtags. Die Grundkonstruktion der Machtverteilung an der Gemeindespitze, die ursprünglich am britischen System des local government orientiert war, wurde seit ihrer Einführung kritisch gesehen. Haupteinwand der sich bis Ende der 1980er Jahre verschärfenden Diskussion war die Diskrepanz zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit hinsichtlich der Aufgabenverteilung an der Gemeindespitze, die in vielen Fällen zu Übergriffen in die Kompetenzbereiche der jeweils anderen Position an der Gemeindespitze führte. Von einem Teil der Kritiker wurden diese Entwicklungen allein auf die Gemeindeordnung zurückgeführt (vgl. z.B. Banner 1984 und 1989), die zu ändern sei, um eine transparente Machtverteilung und eine effizientere Kommunalpolitik in den Kommunen zu bewirken und Reibungsverluste in der Führungsstruktur zu vermindern. Andere Beobachter waren deutlich skeptischer bei der Beurteilung der Ursachen der unterschiedlichen Führungsund Entscheidungsstrukturen in den Städten und Gemeinden in NRW und betonten stärker den Einfluss der örtlichen politischen Kultur auf die Ausgestaltung der Entscheidungsstrukturen in einer Kommune (vgl. Voigt 1992). In der kommunalwissenschaftlichen Debatte um die GO NRW markierte die zweite Position jedoch eine Minderheitenmeinung, die aber zusammen mit den Thesen Banners die Pole der Debatte über den Einfluss institutioneller Regelungen auf die Kommunalpolitik in NRW markierte. Zur effizienzorientierten trat zudem eine partizipationsorientierte Mängelanalyse der GO NRW hinzu, die in der Einführung der Direktwahl der Bürgermeister und von Sachplebisziten eine notwendige und im Vergleich zu anderen Ländern überfällige Ausweitung der Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerschaft sah (z.B. Wollmann 1999). Diese verschiedenen Deutungen der Reform der Gemeindeordnung haben bei aller unterschiedlichen Gewichtung von Einflussfaktoren, Randbedingungen, Auswirkungen und Opportunitätsstrukturen eines gemeinsam: alle befassen sich mit den Wirkungen von politischen Institutionen. Politische Akteure interessieren sich in der Regel wie im Fall der Gemeindeordnungsreform für die Wirkungen von politischen Institutionen wie z.B. Wahlsystemen auf ihre Chancen des Machterwerbs und Machterhalts. Das kommunalwissenschaftliche Spektrum reicht von sehr hohen Erwartungen an die Wirkung von Institutionen in
10
1 Einleitung
eine bestimmte Richtung z.B. bei Banner hinsichtlich der Steigerung der Effizienz von Verwaltung oder Wollmann hinsichtlich der Förderung von Partizipation und Demokratie, bis hin zu einer geringen Erwartung beispielsweise von Voigt, der das Bild einer eindeutig vorhersehbaren Wirkung relativiert und die Bedeutung von Kontextfaktoren wie der politischen Kultur hervorhebt, von denen wiederum die Wirkung von Institutionen abhängig sei. Die in dieser Arbeit behandelten Regelungen wie Gemeindeordnung und Kommunalwahlgesetze sind zweifelsohne politische Institutionen in einem klassisch politikwissenschaftlichen Sinn, da sie durch eigens konstruierte Normen der autoritativen Konfliktregelung dienen und einen Apparat mit geeignetem Personal zu deren Durchsetzung breit halten (vgl. Czada 1995, 205). Die Beschäftigung mit politischen Institutionen im engeren Sinn (Verfassungen und Gesetze, staatliche Ordnung etc.) hat in der politischen Theorie seit der Antike eine bedeutende, wenn nicht die zentrale Rolle gespielt. Nach einer Phase der Zuwendung zu stärker behavioristischen Analysen politischen Verhaltens kam es seit Ende der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zu einer „Renaissance des Institutionalismus“ (Mayntz/Scharpf 1995, 40) mit verschiedenen Strömungen und Schwerpunkten der Analysen. Zwei Themenbereiche sind auch jetzt wieder aktuell: Die Erklärung des Entstehens und der Veränderung politischer Institutionen (Institutionen als abhängige Variable) und die Wirkung von Institutionen als anregender, ermöglichender oder begrenzender Handlungsrahmen von Akteuren (Institutionen als unabhängige Variable). Der Schwerpunkt der eigenen Forschungsarbeit liegt im zweiten Bereich, der Auswirkung der Einführung der Direktwahl der Bürgermeister in NRW auf die politischen Konkurrenzverhältnisse und das Parteiensystem in den Kommunen. Die Arbeit orientiert sich an einem weiten Institutionenbegriff, wie er im historischen Institutionalismus Verwendung findet. Institutionen sind „(…) formal and informal procedures, routines, norms and conventions embedded in the organizational structure of politics (…)” (Hall/Taylor 1996, 954). Diese sehr weite Definition ist relativ unscharf, einfacher wäre es sicher, nur politische Institutionen einzubeziehen, deren Texte in Gesetzesblättern veröffentlicht werden. Eine Ausweitung der Definition ist aber notwendig, da Analysen von rechtlichen Regelungen wie Gemeindeordnung und Kommunalwahlgesetz allein nicht ausreichend sind, um Akteurshandeln etwa bei der Auswahl von Bürgermeisterkandidaten zu erklären. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere ungeschriebene Regeln wie z.B. das Erstzugriffsrecht auf die Kandidatur von Mitgliedern der Parteieliten von Bedeutung sind. Grundlegende Reformen von politischen Institutionen sind in Deutschland seltene Ereignisse. Nach der Verabschiedung des Grundgesetzes und der Landesverfassungen bis Mitte der 1950er Jahre kann man auf dieser Ebene von einem relativ konstanten institutionellen Rahmen ausgehen. Wahlrechtsreformen sind auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems ebenso selten wie grundlegende Verfassungsänderungen. Die letzten wichtigen Veränderungen des Wahlrechtes zum Bundestag nach der Einführung von Erstund Zweitstimme und der Sperrklausel auf Bundesebene betrafen zur Bundestagswahl 1987 das Auszählungsverfahren (Umstellung von d’Hondt auf Hare/Niemeyer) und die Verkleinerung des Bundestages zur Wahl 1998 von 656 auf 598 Sitze, die aber keine grundsätzlichen Veränderungen des Wahlsystemtyps der personalisierten Verhältniswahl bedeuteten (Nohlen 2004, 305 ff.). Ähnliches gilt für die Landesebene und bis in die 1990er Jahre für die kommunale Ebene.
1.1 Einführung der Direktwahl
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Umso mehr Bewegung gab es dagegen seit den 1990er Jahren auf kommunaler Ebene in Deutschland. In allen westdeutschen Flächenländern wurde die Direktwahl der Bürgermeister eingeführt, in allen Ländern außer NRW und dem Saarland zusätzlich das Stimmgebungsverfahren bei der Ratswahl auf Vorzugsstimmensysteme oder Kumulieren/Panaschieren umgestellt. Die GO NRW blieb nach ihrer Verabschiedung durch den Landtag 1952 in ihrer Grundstruktur über vierzig Jahre in Kraft. Die letzte einschneidende Reform politischer Institutionen mit deutlichen Auswirkungen auf die Kommunalpolitik in NRW vor der GO-Reform 1994 war die 1975 abgeschlossene kommunale Gebietsreform (Kost 2003, 201), die mit der Einführung der Bezirksvertretungen in Großstädten verbunden war. Die Einführung des direkt gewählten hauptamtlichen Bürgermeisters 1994 stellt eine Abkehr vom rein repräsentativ-parlamentarischen System der Norddeutschen Ratsverfassung dar und ergänzt dieses durch ein „präsidentielles“ Element: den Bürgermeister als Verwaltungschefs. Die Direktwahl der Bürgermeister eröffnet Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerbern eine völlig neue Arena der Konkurrenz um Wählerstimmen und damit Macht in der Kommunalpolitik. Wahlsysteme sind besondere politische Institutionen, denn sie regeln die Umsetzung von Partei- und/oder Kandidatenpräferenzen der Bürgerschaft in Stimmen und von Stimmen in Mandate. Im Fall einer Personenwahl wie der Bürgermeisterwahl enthält das Wahlsystem eine Entscheidungsregel, die festlegt, wer die Wahl gewonnen hat. Wahlsysteme können zum einen das Wahlverhalten der Bürgerschaft beeinflussen, da sie die technischen Wirkungen von Mehrheits- oder Verhältniswahlsystemen und deren Folgen auf die Mandatsverteilung bei der Stimmabgabe berücksichtigen (oder auch nicht), zum anderen können Wahlsysteme mittelbar neben anderen Faktoren das Parteiensystem eines Landes oder einer Kommune beeinflussen: Electoral Systems matter. Allerdings weist Nohlen im Rahmen seiner intensiven Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten ParlamentsWahlsystemen – ähnlich wie Voigt im Zusammenhang mit der GO-Reform – auf die Wirkung von Kontextbedingungen („gesellschaftliche Kräfte und politische Machtkonstellationen“, Nohlen 2004, 56) auf die Entstehung und Entwicklung von Wahlsystemen hin und lehnt darüber hinaus gesetzmäßige Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen Wahlsystem und Parteiensystem grundsätzlich ab (Nohlen 2004, 404). Ziel meiner Auseinandersetzung mit den Wirkungen von Wahlsystemen ist daher auch nicht die Messung der Veränderung eines „realen“ lokalen Parteiensystems mit all seinen gesellschaftlichen Verknüpfungen, da Kontextbedingungen wie die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse aufgrund der Datenlage nur unzureichend erfasst werden können. Im Vordergrund steht hingegen der Vergleich der elektoralen Parteiensysteme in zwei unterschiedlichen Wahlarenen: Bürgermeisterwahl und Ratswahl im Zeitvergleich, die aber zeitlich (gleicher Wahltermin), personell (Rekrutierung von Kandidaten durch Parteien) und organisatorisch (Wahlkampf) verknüpft sind. Die unterschiedlichen Wahlsysteme der beiden Arenen können aufgrund der verschiedenen mechanischen und psychologischen Wirkungen von Mehrheits- und Verhältniswahl sehr wohl Auswirkungen auf das Parteien- und Kandidatenangebot haben, ohne dass schon vorher absehbar wäre, welche Wechselwirkungen zwischen den Wahlarenen stattfinden. Der Zeitvergleich von zwei Wahlen wird helfen, die Strategien der Akteure zu analysieren und etwaige Lernprozesse aufzuzeigen. Dazu wird eine These aufgegriffen, die in der kommunalwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Reform des institutionellen Arrangements eine besondere Rolle spielt:
12
1 Einleitung
die „Ent-Parteipolitisierungs-These“ von Wehling (2003, 311). Sie besagt, dass bei der Umsetzung einer Reihe von institutionellen Änderungen im Richtung der Süddeutschen Ratsverfassung der Einfluss von Wählergruppen und Einzelbewerbern in der Kommunalpolitik steige, da das institutionelle Arrangement in Süddeutschland durchlässiger für die konkordanteren Einstellungen der Bürgerschaft sei. Dem entgegen steht die „parlamentarisch“-parteienfreundliche Tradition des Landes NRW und Kontextbedingungen wie z.B. die wesentlich höhere durchschnittliche Gemeindegröße in NRW, die Parteieneinfluss begünstigen. Im Jahr 2004 fand die zweite Runde der Direktwahlen der Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen statt, so dass man mittlerweile auf zwei Wahlgänge und insgesamt zehn Jahre Erfahrung mit den neuen institutionellen Regelungen in der Kommunalpolitik zurückblicken kann. Das Design „Ein Fall – zwei institutionelle Rahmen im Zeitvergleich“, das wie gesagt auch eher selten zu beobachten ist, hat den Vorteil, dass Veränderungsprozesse nicht in unterschiedlichen Fällen beobachtet werden müssen, sondern dieselbe Stadt mit zum Teil auch denselben Akteuren sich dem neuen Rahmen anpassen muss. Diese Konstellation kann die Chance erhöhen, festzustellen, ob tatsächlich der veränderte Rahmen die Ursache für Verhaltensänderungen ist. Diese Arbeit verfolgt zwei Ziele: Erstens ist sie eine ausführliche Bestandsaufnahme der ersten beiden Runden der Direktwahlen der Bürgermeister in NRW im Vergleich zu den gleichzeitig stattfindenden Ratswahlen. Zweitens will sie die Frage beantworten, ob sich aufgrund der Einführung bestimmter institutioneller Regelungen der Einfluss von Parteien verringert und wenn dies so ist, unter welchen Bedingungen es geschieht. Die Ent-Parteipolitisierungs-These wird für die Bürgermeisterwahlen in vier Untersuchungsbreichen diskutiert (Kandidatenauswahl, Kandidatenprofile, Kandidatenangebot und Wahlergebnisse). Die Entwicklung der elektoralen Parteiensysteme bei Rats- und Bürgermeisterwahlen wird in einer quantitativ-ökologischen Wahlanalyse auf der Basis einer Vollerhebung von Kandidatenangebot und Wahlergebnissen aller Städte und Gemeinden in NRW bei Rats- und Bürgermeisterwahlen untersucht. Die Bereiche Kandidatenauswahl und Kandidatenprofil werden in einer qualitativen Fallstudienanalyse von sechs unterschiedlich großen Kommunen analysiert. Der Vorteil der Beschäftigung mit Kommunalwahlen im eigenen Bundesland liegt in der Möglichkeit, unmittelbar vor Ort mit überschaubarem Aufwand die ungeheuer spannenden Anpassungs- und Auseinandersetzungsprozesse von lokalen Akteuren beobachten zu können. Dabei ist auch im Zeitvergleich der Eindruck entstanden, dass die Direktwahlen, über die unmittelbare Folge der Besetzung eines Amtes mit einer Person hinaus, die kommunalen Verhältnisse in Verbindung mit weiteren Neuregelungen wie der Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid und der Abschaffung der Sperrklausel bei Ratswahlen in Bewegung gebracht haben. Der Prozess der Annäherung an das Institutionenarrangement in Süddeutschland ist nach der Wahl 2004 weiter fortgeschritten. Im Herbst 2007 verabschiedete der Landtag NRW weitere Änderungen der Gemeindeordnung und des Kommunalwahlrechtes. Besonders durch die Verlängerung der Amtszeit der Bürgermeister um ein Jahr auf sechs Jahre entfällt eine nordhrein-westfälische Besonderheit, denn die Wahlen nach 2009 werden dadurch entkoppelt sein. Diese Veränderungen werden den Bürgermeister weiter in seiner Position stärken.
1.2 Aufbau
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1.2 Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit ist in vier Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel enthält die Einleitung und die Erläuterung der Gliederung. Im zweiten Kapitel wird der theoretische Rahmen der Studie in entwickelt und Fragestellung und Methoden der vorliegende Studie erläutert. Kapitel 2.1 widmet sich in einem allgemeinen Zugang der Wirkung von Institutionen auf Akteure und politische Prozesse. Dabei wird die Forschungsperspektive des historischen Institutionalismus aufgegriffen (Hall/Taylor 1996; Pierson 2004), vor dessen Hintergrund der kommunalwissenschaftliche Forschungsstand zur Wirkung von Institutionen diskutiert wird. Kapitel 2.2 beschäftigt sich mit den Parteien und Wählergruppen als wichtigsten Akteuren bei Kommunalwahlen sowie dem Forschungsstand zu Wahlrecht und Parteiensystemen. Dabei werden jeweils zunächst zentrale Erkenntnisse aus anderen Bereichen der Politikwissenschaft zusammengefasst und dem kommunalen Forschungsstand gegenübergestellt Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit der Vorstellung des Forschungsdesigns. Nach einer knappen Zusammenfassung des theoretischen Rahmens werden ausgehend von zwei Szenarien zum Einfluss von Parteien nach der Reform der Gemeindeordnung jeweils zwei konkurrierende Hypothesen zu den Untersuchungsbereichen Kandidatenauswahl, Kandidatenprofile, Kandidatenangebot und Wahlergebnisse bei Bürgermeisterwahlen sowie zur Entwicklung der elektoralen Parteiensysteme bei Rats- und Bürgermeisterwahlen vorgestellt. Abgeschlossen wird das Kapitel mit der Skizzierung der angewendeten Forschungsmethoden. Kapitel 3 bildet den empirischen Hauptteil der Arbeit. Im ersten Schritt erfolgt eine intensive Analyse der Ratswahlergebnisse unter Berücksichtigung der Gemeindegröße und von regionalen Unterschieden, da für die Analyse der Bürgermeisterwahlen zunächst der politische Kontext geklärt werden muss. Auf Basis der Ratswahlergebnisse werden darüber hinaus mit Hilfe multivariater statistischer Verfahren jeweils vier Parteiensystemtypen für die Bezugsjahre 1984, 1994 und 2004 entwickelt. Abgeschlossen wird dieser Abschnitt mit der Darstellung der Entwicklung der Mehrheitsverhältnisse in den Gemeinderäten Im zweiten Schritt erfolgt die vergleichende, quantitativ-ökologische Analyse der Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004 in den Untersuchungsbereichen Kandidatenangebot und Wahlergebnisse. Diese werden jeweils mit den gleichzeitig stattfindenden Ratswahlen verglichen und die Entwicklungen im Zeitvergleich in drei Trends zusammengefasst. Im dritten Schritt werden die Untersuchungsbereiche Kandidatenauswahl und Kandidatenprofile in sechs Fallstudien vertiefend analysiert und die Ergebnisse der Fallstudienanalyse in den wichtigsten Punkten zusammengefasst. Das fünfte Kapitel dient abschließend der Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und der Diskussion und Modifikation der zur Rolle der Parteien aufgestellten Hypothesen. Ein Ausblick zum Abschluss bewertet die Ergebnisse auch vor dem Hintergrund der Weiterentwicklung des institutionellen Rahmens infolge der Veränderung der Gemeindeordnung NRW 2007.
2 Forschungsstand, theoretischer Rahmen, Fragestellungen und Methoden
Im folgenden Kapitel wird der theoretische Rahmen und die Fragestellungen der Bürgermeisterwahlstudie entwickelt. Der Ausgangspunkt dieser Arbeit lag in der Reform der Gemeindeordnung in NRW 1994. Was bewirkt ein solch tief greifender institutioneller Wandel? Wie reagieren politische Akteure auf veränderte Rahmenbedingungen? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, ist eine Auseinandersetzung mit der Wirkung von Institutionen auf Akteure und politische Prozesse über den Forschungsstand in der lokalen Politikforschung hinaus erforderlich, da dieser zum einen nicht sehr breit ist und da zum anderen der theoretischen Debatte in der lokalen Politikforschung ein eigener Akzent hinzugefügt werden soll. Zu diesem Zweck werden Ansätze aus verschiedenen Bereichen der Politikwissenschaft diskutiert und für die eigene Forschungsarbeit adaptiert. Dies geschieht im Reißverschlussverfahren, zuerst wird in einem Themenbereich der zu adaptierende Ansatz vorgestellt, dann folgt der entsprechende Forschungsstand der lokalen Politikforschung. Das folgende Kapitel ist in drei große Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt widmet sich der grundsätzlichen Perspektive auf institutionellen Wandel und damit verbunden der Diskussion über die Wirkung von Institutionen auf Akteursverhalten und Machtstrukturen. Im ersten Schritt werden die Strömungen des NeoInstitutionalismus nach Hall und Taylor vorgestellt und begründet, warum der historische Institutionalismus sich am besten als Forschungsperspektive für das durchgeführte Projekt eignet. Im zweiten Schritt wird der kommunalwissenschaftliche Forschungsstand zum Einfluss von Institutionen auf die Kommunalpolitik dargestellt. Der zweite Abschnitt des Kapitels werden in vier Schritten Akteuren und Institutionen bei Wahlen vorgestellt. Im ersten Schritt werden die wahlbezogenen Funktionen von Parteien in den Vordergrund gerückt. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Rolle der Parteien bei der Kandidatenrekrutierung und Kandidatenauswahl, die einen Teil der Selektionsfunktion bildet. Dazu wird der Forschungsstand der Parteienforschung zum Thema Kandidatenselektion referiert, um daraufhin die Standardverfahren der Kandidatenauswahl zu beschreiben. Im zweiten Schritt wird dann der Forschungsstand zur Rolle von Parteien und Wählergruppen in der Kommunalpolitik und bei Kommunalwahlen im regionalen Vergleich in Deutschland aufgearbeitet und die wenigen Studien zu Bürgermeisterwahlen vorgestellt. Nachdem die Akteursebene damit abgedeckt ist, werden im dritten Schritt Ansätze der vergleichenden Wahlsystemforschung analysiert, wiederum mit dem Ziel der Übertragung von Thesen auf die Bürgermeisterwahlen in NRW. Da es ein wichtiges Ziel dieser Arbeit ist, Rats- und Bürgermeisterwahlen im Zusammenhang zu analysieren, liegt der Schwerpunkt auf Theorien, die die Wechselwirkungen von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in den Fokus nehmen. Im vierten und letzten Schritt wird diesen Theorien der kommunale Forschungsstand gegenübergestellt und eine eigene, ländervergleichenden Übersicht der Wahlsysteme bei Rats- und Bürgermeisterwahlen erstellt. Auf dieser Grund-
16
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
lage werden dann abschließend institutionelle Hypothesen zur Entwicklung der elektoralen Parteiensysteme entwickelt und der Ertrag des Kapitels zusammengefasst. Im dritten Abschnitt werden auf dieser Grundlage Fragestellungen, Hypothesen und Methoden der vorliegenden Studie vorgestellt.
2.1 Institutioneller Wandel, Kontextfaktoren und Pfadabhängigkeit Der kommunale Institutionenwandel in den 1990er Jahren liefert ebenso wie die einschneidenden Umbrüche in Osteuropa einen Anlass, sich mit der Wirkung von Institutionen auf politische Prozesse und Machtverteilung zu befassen. In der lokalen Politikforschung gibt es wie auch in der vergleichenden Politikwissenschaft eine Tradition der vergleichenden Analyse der Wirkung von Institutionen, allerdings ohne dass es in der Vergangenheit von Seiten der lokalen Politikforschung eine intensive Adaption von theoretischen Ansätzen aus dem Bereich der vergleichenden Politikwissenschaft gegeben hätte. Ein wichtiger Grund für diesen geringen Austausch könnte darin liegen, dass ein Teil der Forscher, die sich mit Kommunalpolitik befassen, politische Prozesse auf der lokalen Ebene nur als Selbstverwaltung betrachten, die nach anderen Regeln funktioniert als die „richtige“ Politik. Nach der Reform der Kommunalverfassungen in den 1990er Jahren sind jedoch einige Ansätze der Rezeption zu beobachten, die im nächsten Abschnitt dargestellt werden sollen. Im Folgenden werden im ersten Teil des theoretischen Rahmens theoretische Ansätze aus der vergleichenden Politikwissenschaft vorgestellt (Neo-Instituionalismus) und dem entsprechenden Forschungsstand der lokalen Politikforschung gegenüber gestellt. Das Kapitel wird mit einem Zwischenfazit abgeschlossen, in dem die bisherigen Ergebnisse zusammengefasst werden.
2.1.1
Institutionen und Akteure im historischer Institutionalismus
Die Bedeutung institutioneller Rahmenbedingungen zur Erklärung politischer Prozesse gewinnt seit Ende der 1970er Jahre wieder verstärkt an Beachtung. Die Analyse politischer Institutionen gehörte aber schon seit ihrer Entstehung zum Kerngeschäft der Politikwissenschaft. Der „ältere Institutionalismus“ konzentrierte sich bei der Analyse von Regierungssystemen jedoch nahezu vollständig auf formal verfasste Regelsysteme wie Verfassungen, Gesetze, Geschäftsordnungen usw., die politisches Handeln regulierten und weitestgehend erklären sollten1. Der institutionelle Ansatz der Politikwissenschaft, der im Deutschland der Nachkriegszeit vorherrschte, beschäftigte sich im Schwerpunkt mit den „OutputFunktionen des Staates wie Parlament, Regierung, Verwaltung, Rechtssprechung“ (Beyme 2000, 97) und vernachlässigte die Input-Funktionen des politischen Systems. Im Gegensatz
1 Vgl. Czada 1995, 210. Immergut schlägt vor, die Unterscheidung von altem und neuem Institutionalismus aufzugeben und stattdessen von der institutionellen Tradition der Politikwissenschaft zu sprechen (Immergut 1998, 8). Die Rechtswissenschaft hat dagegen laut Haus (2005a, 8) „den alten Institutionalismus niemals verabschiedet – was insofern verständlich ist, als der alte Institutionalismus selbst von einer legalistischen Perspektive geprägt war.
2.1 Institutioneller Wandel
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dazu stand ab den 1950er Jahren die behavioralistische Revolution, die ausschließlich den Einfluss von informellen Strukturen, der Machtverteilung und besonders das Verhalten und die Einstellung von Akteuren in den Vordergrund der Betrachtung rückte (Thelen/Steinmo 1992, 3f.). Die weitgehende Negation der Bedeutung institutioneller Regelungen führte dann ab den späten siebziger Jahren ausgehend von den USA zu einer Wiederentdeckung von Institutionen in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen. „The new institutionalists vehemently rejected observed behaviour as the basic datum of political analysis; they do not believe that behaviour is a sufficient basis for explaining ‘all the phenomena of government’. For behaviour occurs in the context of institutions and can only be so understood.” (Immergut 1998, 6)
Ausgangspunkt für die politikwissenschaftliche Debatte waren die Arbeiten von March und Olsen (1984 und 1989), die sich zunächst in einem Aufsatz und in ihrem später erschienen Buch kritisch mit den nicht-institutionalistischen und auf das individuelle Verhalten fixierten Mainstream des Behavioralismus und der Rational-Choice-Theorie auseinander setzten. Verstärkt wurde die Wiederentdeckung der Institutionen in Deutschland ab 1989 durch den Zusammenbruch des Ostblocks und die zunehmenden Krisen in bereits konsolidierten Demokratien und die dadurch notwendige gewordene „demokratische Konsolidierung von Institutionen im Polity-Bereich“ (Beyme 2000, 108). Der Schwerpunkt der Beschäftigung der deutschen Politikwissenschaft mit Institutionen lag in den 1990’er Jahren auf dem Thema Institutionenwandel (vgl. Göhler 1997) vor allem in Transformationsprozessen in Osteuropa, aber auch mit Bezug zur Entwicklung der Europäischen Union. Strömungen des Neo-Institutionalismus (Hall/Taylor) In den letzten Jahren finden sich neo-institutionalistisch inspirierte Arbeiten jedoch v.a. in vergleichenden Arbeiten der Politikwissenschaft2. Doch gibt es nicht, wie der Sammelbegriff des „Neo-Institutionalismus“ suggeriert, nur eine, sondern verschiedene Strömungen des Neo-Institutionalismus, die sich in den unterschiedlichen Disziplinen parallel zueinander entwickelt haben. Verschiedene Autoren haben seit Mitte der neunziger Jahre den Versuch unternommen, diese Strömungen zu gruppieren und ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu benennen3. Hall und Taylor (1996 952 ff.) unterscheiden drei Formen des neuen Institutionalismus, die im Weiteren kurz vorgestellt werden sollen:
2
Rational-Choice-Institutionalismus, soziologischer Institutionalismus, historischer Institutionalismus.
Vgl. z.B. Manow 2002 zur vergleichenden Erklärung von Ämterpatronage; Detterbeck 2002 zum Wandel politischer Parteien in Westeuropa; Pütz 2004 zum Parteienwandel in Frankreich oder Kuhlmann o.J. zur institutionellen Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Paris. 3 Vgl. z.B. Hall/Taylor 1996, Schulze 1997, Immergut 1998 und Peters 1999, um nur die zu nennen, an denen sich die weitere Darstellung orientieren wird.
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Alle drei Formen werden anhand von zwei Fragen diskutiert: Wie wird die Beziehung zwischen Institutionen und Verhalten von Akteuren analysiert? Wie wird der Prozess des Entstehens und der Veränderung von Institutionen erklärt? Hall und Taylor (1996, 955 ff.) entwickeln zwei analytische Ansätze zur Einordnung neo-institutioneller Theorien4. Der kalkulierende Ansatz („calculus approach“) betont instrumentelles Handeln und die strategische Abwägung bei Entscheidungen zwischen verschiedenen Handlungsalternativen. Gewählt wird die Alternative, die den größten Vorteil verspricht. Institutionen determinieren die Handlungsmöglichkeiten von Akteuren und ermöglichen dadurch einem Akteur, mehr oder weniger sicher die Handlungsmöglichkeiten anderer Akteure einzuschätzen und in seine Abwägung einzubeziehen. Kontinuität von Institutionen wird dadurch erklärt, dass es sich für ein Individuum in der Regel eher lohnt, sich an vorhandene Regeln zu halten als die Kosten der Verletzung von Regeln in Kauf nehmen zu müssen. Institutionen sind umso langlebiger, je mehr sie zur Lösung von Kollektivgutproblemen beitragen und je eher sie lohnende Tauschvorgänge zwischen Akteuren ermöglichen. Der kulturelle Ansatz („cultural approach“) bezieht anders als der kalkulierende Ansatz die Bedeutung von Routinen und Gewohnheiten für das Verhalten in die Betrachtung ein, ohne dabei rationales oder zweckgerichtetes Handeln völlig aus der Betrachtung auszuschließen. Die Interpretation der Situation wird, ausgehend von einem breiten Verständnis der Perspektive eines Individuums, moralisch, emotional und auch – aber nicht zuerst – strategisch, durch Institutionen gefiltert. Institutionen bieten dadurch nicht nur einen Rahmen für strategische Interaktion, sondern beeinflussen die Identität, das Selbstbild und die Präferenzen von Akteuren (Hall/Taylor 1996, 955). Kontinuität von Institutionen wird dadurch erklärt, dass sie ein Teil der Routinen und des Gewohnten sind und von Akteuren nicht ohne weiteres als Objekt von Veränderung und Gestaltung wahrgenommen werden. “Institutions are resistant to redesign ultimately because they structure the very choices about reform that the individual is likely to make.“ (Hall/Taylor 1996, 956).
Beide analytische Ansätze haben für die drei Institutionalismen eine unterschiedliche Bedeutung. Der Rational-Choice-Institutionalismus entstand etwa zur selben Zeit wie der historische Institutionalismus, jedoch ohne dass es einen Austausch zwischen den Vertretern der verschiedenen Institutionalismen gab. Innerhalb des Rational-Choice-Institutionalismus können verschiedene Strömungen unterschieden werden, auf die an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen werden kann. Ihnen gemeinsam ist, dass der kalkulierende Ansatz dominant ist. Institutionen senken Transaktionskosten der politischen Akteure5 und ermöglichen politische Kooperation, indem sie dazu beitragen, Kollektivgutprobleme zu lösen6.
4
Immergut unterscheidet auf ähnliche Weise zwischen „two orientations: rational choice and interpretation“ (Immergut 1998, 28). 5 Hall und Taylor greifen zum Beleg Arbeiten zur Gesetzgebung des amerikanischen Kongresses auf (vgl. Hall/Taylor 1996, 959 ff.) 6 Wenn man gesellschaftlichen Frieden als Kollektivgut begreift, das nur mit Hilfe des Gewaltmonopols des Staates produziert werden kann, finden sich gewisse Parallelen hinsichtlich der Erklärung des Entstehens von
2.1 Institutioneller Wandel
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Institutionen sind Teil des Handlungsrahmens, sie definieren Regeln und Sanktionen, die das Verhalten von Akteuren beeinflussen und sie bewirken, dass auch das wahrscheinliche Verhalten andere Akteure eingeschätzt werden kann. Akteure haben einen festes Set von Präferenzen und verhalten sich bewusst strategisch, um diese umzusetzen. Präferenzen und Ziele von Akteuren sind weitgehend unabhängig von institutionellen Rahmenbedingungen (Schulze 1997, 10). Politische Prozesse werden als eine Abfolge von Kollektivgutproblemen analysiert. Politische Ergebnisse werden von den strategischen Abwägungen der Akteure geprägt und nicht von unbewussten Routinen und Traditionen. Schließlich wird die Entstehung und die Kontinuität von Institutionen dadurch erklärt, dass Akteure Institutionen vergleichen und sich, da ihnen bestimmte Institutionen mehr Nutzen versprechen als andere, bewusst für die nützlicheren Institutionen entscheiden. Institutionen sind daher das „aggregierte Ergebnis individueller Entscheidungen“ (Schulze 1997, 10). Institutionen entstehen in einer „Tabula-Rasa-Situation“ (Peters 1999, 47), sie verändern sich aufgrund sich wandelnder Präferenzen oder verschwinden ganz und werden durch neue Institutionen ersetzt, die keine Spuren ihrer Vorgänger tragen. Der soziologische Institutionalismus entstand Ende der siebziger Jahre im Bereich der Organisationstheorie. Der Institutionenbegriff ist wesentlich weiter gefasst als in der Politikwissenschaft, er umfasst neben formalen Regeln, Normen und Abläufen auch Symbole und Mythen, kognitive Spuren und moralische Vorstellungen, die insgesamt den Bedeutungsrahmen bilden, der das individuelle Handeln umfasst. Institutionen prägen das Selbstbild und die Identität von sozialen Akteuren. Der Ansatz geht zurück auf den soziologischen Konstruktivismus sowie den von Berger und Luckmann (1972) geprägten symbolischen Interaktionismus. Institutionalisierung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Individuen eine gemeinsame Definition der sozialen Wirklichkeit und der Bedeutung gelebter Regeln und geglaubten Vorstellungen aufbauen (Mayntz/Scharpf 1995b, 42). Die Formen von Institutionen sind kulturell geprägt und nicht notwendigerweise nur an einer möglichst effizienten Erfüllung eines Zwecks orientiert. Der soziologische Institutionalismus folgt daher dem kulturellen Ansatz. Rationales Handeln wird jedoch nicht völlig aus der Betrachtung ausgeschlossen. Vertreter des Ansatzes betonen aber auch, dass die Vorstellung, was als rational wahrgenommen wird, sozial und kulturell konstruiert ist und daher u.a. auch von Institutionen beeinflusst wird (Hall/Taylor 1996, 965). Der soziologische Institutionalismus erklärt Entstehung und Veränderung von Institutionen nicht wie der Rational-Choice-Institutionalismus rein effizienzorientiert. Vielmehr können beispielsweise neu eingeführte Regeln die soziale Legitimität einer Organisation und ihrer Mitglieder steigern. Dadurch kann die ökonomische Effizienz sogar gemindert werden. In einer stärker funktionalistischen Variante des soziologischen Institutionalismus können sich Organisationen an Veränderungen ihrer Umwelt anpassen und so ihr Überleben sichern. Dazu benötigen sie aber die Fähigkeit, Veränderungen in ihrer Umwelt zu erkennen und Wege zu finden, wie ihre Organisation solchen externen Herausforderungen angepasst werden kann (Peters 1999, 108). Eine Gemeinsamkeit des soziologischen mit dem Rational-ChoiceAnsatz liegt in der Vernachlässigung von langfristigen Entwicklungsprozessen, die bei
Institutionen durch Vertragsschluss bei Thomas Hobbes und Vertretern eines Rational-Choice-Institutionalismus (vgl. ähnlich Czada 1995, 205 f.).
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
beiden Ansätzen zu einer etwas eindimensionalen Ursache-Wirkungskette führt (Schulze 1997, 16). Im historischen Institutionalismus dagegen wird das Verhältnis von Akteur und Institution wesentlich differenzierter analysiert. Die Bezeichnung historischer Institutionalismus wurde in erster Linie von Steinmo und Thelen geprägt, die die Bezeichnung von Skocpol übernahmen (Thelen/Steinmo 1992, 28). Es wird ein weiter Institutionenbegriff bevorzugt: „(…) they define them as the formal or informal procedures, routines, norms and conventions embedded in the organizational structure of the polity or political economy. They can range from the rules of a constitutional order or the standard operating procedures of a bureaucracy to the conventions governing a trade union or bank-firm relations.” (Hall/Taylor 1996, 954).
Neben den formellen Regelungen werden in einem starken Maß auch informelle Konventionen und Routinen berücksichtigt, die ein unterschiedliches Maß an Verbindlichkeit haben können. In vier Punkten unterscheidet sich der historische Institutionalismus von den anderen Formen (Hall/Taylor 1996, 954):
Wie die Definition von Institutionen schon vermuten lässt, haben Vertreter dieses Ansatzes ein relativ breites Verständnis des Verhältnisses zwischen Institutionen und individuellem Verhalten. Im Gegensatz zur Rational-Choice-Theorie können Akteure in verschiedenen Handlungskontexten unterschiedliche Handlungslogiken verfolgen (Immergut 1998, 17). Auch die verhaltenssteuernde Wirkung von verfassten Institutionen muss nicht überall gleich sein, sondern ist von Kontextbedingungen einer gegebenen Situation und der Wirkung nicht verfasster Institutionen (Konventionen, Routinen, Traditionen) abhängig, die wiederum stark von ihrer Vergangenheit geprägt sind (Hall/Taylor 1996, 957). Vertreter des Ansatzes verwenden sowohl den kalkulierenden als auch den kulturellen Ansatz. Dieser „Eklektizismus“ hat aber auch Nachteile. So ist die Kausalkette der Wirkung von Institutionen auf das Verhalten der Akteure in manchen Arbeiten nicht exakt genug beschrieben (Hall/Taylor 1996, 966). Der historische Institutionalismus untersucht ungleiche Machtverteilung zwischen sozialen Gruppen aufgrund der Entwicklung und des Wirkens von Institutionen, beispielsweise bei der vergleichenden Analyse von Steuerpolitik unter Berücksichtigung unterschiedlicher Einflusschancen sozialer Gruppen (Steinmo 1993). Die Entwicklung und Veränderung von Institutionen wird geprägt von Pfadabhängigkeit und nicht vorhergesehenen Wirkungen. Pfadabhängigkeit bedeutet, dass einmal gewählte institutionelle Formen oder Policies von Akteuren beibehalten werden und nur dann geändert werden, wenn endogener oder exogener Druck auf die Akteure so stark wird, dass die ursprüngliche Trägheit der Pfadverfolgung überwunden werden kann (Peters 1999, 64). Pierson betont den Einfluss von sich selbst verstärkenden Prozessen („self-reinforcing processes“, Pierson 2004, 10) als Ursache für die Trägheit der Pfadverfolgung. Vertreter des historischen Institutionalismus untersuchen außerdem, wie es zur Wahl eines bestimmten Pfades kommt und in welchen Situationen („critical junctures“ Hall/Taylor 1996, 958) unter welchen Bedingungen ein solcher
2.1 Institutioneller Wandel
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Pfadwechsel überhaupt möglich ist7. Allerdings kritisiert Peters, dass der „historical institutionalism is not a fertile source of explanation for change in organizations and institutions“, da er besser dazu benutzt werden kann, das unveränderte Bestehen von Institutionen zu erklären, als deren Veränderung vorauszusagen (Peters 1999, 70). Außerdem können unvorgesehene Wirkungen die Effizienz von Institutionen beeinträchtigen (Hall/Taylor 1996, 958). Zur Erklärung politischer Ergebnisse sollen neben Institutionen auch andere Faktoren berücksichtigt werden, wie beispielsweise die sozioökonomische Entwicklung sowie politische Ideen, Vorstellungen und Programme.
Zusammenfassung Die vorliegende Untersuchung der Bürgermeisterwahlen in NRW orientiert sich aus drei Gründen am Ansatz des historischen Institutionalismus: Bevorzugung eines weiten Institutionenbegriffs, Betonung der Kontextabhängigkeit der Wirkung von Institutionen auf das Verhalten von Akteuren und die Bedeutung von Pfadabhängigkeit bei der (Weiter-) Entwicklung von Institutionen und das Verhalten von Akteuren. Ein weiter Institutionenbegriff, wie er im historischen Institutionalismus verwendet wird, ist besser geeignet, das Verhalten von Akteure bei den zurückliegenden Bürgermeisterwahlen zu erklären. Zunächst ist es aber sinnvoll, nach Benz8 verfasste Institutionen, formale und informale Regeln zu unterscheiden. „Die Stabilität von Institutionen beruht vor allem auf formalen Regeln. Die Ordnungs-, Orientierungs- und Koordinationswirkung von Institutionen hängt aber auch von der Regelauslegung und –anwendung der Akteure in den Institutionen ab. Darüber hinaus gehören zur Realität von Institutionen auch informale Regeln und soziale Normen, also so genannte ‚standard operation procedures’, Gewohnheiten, Entscheidungsstile und normative Selbstbeschreibungen der organisierten Realität, auf die sich zusammenarbeitende Akteure geeinigt haben. Im Unterschied zu formalen Regeln sind sie flexibel, allerdings nur im Rahmen eines vorgegebenen Entwicklungspfades.“ (Benz 2004, 20).
In der folgenden Tabelle wird am Beispiel der Kandidatenauswahl für Bürgermeisterwahlen der unterschiedliche Charakter der verschiedenen Formen verdeutlicht:
7 Vgl. dazu auch die Analyse der Entwicklung des deutschen Föderalismus von Lehmbruch (2002), der darauf das Konzept der Pfadabhängigkeit anwendet. 8 Vgl. auch Benz 2004, 20.
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Tabelle 1: Verfasste Institutionen, formale und informale Regeln bei der Kandidatenauswahl bei Bürgermeisterwahlen Typ verfasste Institutionen formale Regeln
informale Regeln
Erläuterung Gemeindeordnung, Wahlgesetze und - ordnungen, Hauptsatzung einer Gemeinde Fristen für Kandidatennominierung, passives Wahlrecht (Basismerkmale des Kandidatenprofils wie Alter, Nationalität), Anzahl der Unterschriften für Einzelbewerber Konventionen, Tabus, ungeschriebene Regeln bei der Kandidatenauswahl (z.B. Vorschlagsrecht des Amtsinhabers, Pflicht zur Ochsentour für Kandidaten), Modi der Kandidatensuche (Findungskommission, Vorauswahl im kleinen Kreis etc.)
Quelle: Eigene Darstellung.
Verfasste Institutionen sind die für das Forschungsfeld relevanten Gesetze und Verordnungen, die veröffentlicht und rechtlich bindend sind. Die Reform der Gemeindeordnung in NRW von 1994 und die daraufhin angepassten rechtlichen Regelungen für die Kommunalwahl bilden den Anlass für die hier vorliegende Untersuchung, da dadurch der Untersuchungsgegenstand „Bürgermeisterwahl“ erst entstanden ist. Der Untersuchungszeitraum liegt nach der Reform. Die Reform selbst und damit der Wandel verfasster Institutionen ist nicht Thema der vorliegenden Studie. Formale Regeln ergeben sich aus den verfassten Institutionen. Sie sind bindend für die Akteure und ihre Einhaltung wird in der Regel von staatlichen Einrichtungen kontrolliert (z.B. Wahlleiter). Informale Regeln sind sozial vereinbarte, nicht rechtlich vorgeschriebene, aber in den Traditionen von Organisationen eingebettete, für die Öffentlichkeit nicht transparente Regeln, Konventionen oder auch Tabus, die das Verhalten von Akteuren beeinflussen können. Für Bürgermeisterwahlen sind das beispielsweise Modi der Kandidatensuche (z.B. Findungskommissionen), ungeschriebene Regeln wie das Vorschlagsrecht eines scheidenden Amtsinhabers oder das in manchen Fällen existierende Tabu der Nominierung eines auswärtigen Bewerbers. Zwei Fragen zum Verhältnis von formalen und informalen Regeln sind hier besonders bedeutsam: 1. 2.
Gibt es Unterschiede bei der Wirkung von formalen und informalen Regeln auf das Verhalten der Akteure? Welche Wechselwirkungen und Rückkoppelungen gibt es zwischen formalen und informalen Regeln?
Zunächst einmal ist es schwierig a priori festzulegen, ob ein Typ von Institutionen wichtiger ist, denn das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ein institutioneller Determinismus tendiert dazu, die formalen Regeln für einzig bedeutsam zu halten, eine stärker soziologisch geprägte Sicht wird die informalen mindestens für gleich wichtig halten. Wie sich zeigen wird, sind die hier betrachteten formalen Regelungen aber nicht in allen Bereichen so eindeutig und eng formuliert, dass sie keinen Raum für die Wirkung von informalen Regeln
2.1 Institutioneller Wandel
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lassen würden. Zwar lässt sich durch die Analyse der neuen verfassten institutionellen Regelungen beispielsweise eine bestimmte Institutionenlogik9 der Mehrheitswahl10 ableiten, die dazu dienen kann, rationale Anpassungsstrategien beispielsweise der Kandidatenauswahl zu entwickeln. Es zeigt sich aber bereits bei der ersten Direktwahl der Bürgermeister in NRW 1999 (vgl. Holtkamp/Gehne 2002), dass sich viele Akteure nicht einer solchen Institutionenlogik angepasst haben, sondern ihre Akteurslogik wohl auch an anderen Einflussfaktoren wie z.B. den politischen Traditionen ihrer Partei orientiert war. Die zweite Frage kann zum einen auf die Entstehung und Veränderung von Institutionen bezogen werden. Im vorliegenden Fall hieße das konkret, ob für die Reform der Gemeindeordnung veränderte informale Regeln der Akteure ursächlich waren. Diese Frage wird im Weiteren aber nur am Rande behandelt. Da die Veränderung des verfassten institutionellen Rahmens als gegeben angesehen wird, geht es eher darum, ob und wie sich die informalen Regeln an den veränderten rechtlichen Rahmen anpassen. Ein zu deterministisches Verständnis der Wirkung des verfassten institutionellen Rahmens auf das Verhalten der Akteure wird abgelehnt, da dies im Grunde bedeuten würde, dass es nur eine richtigen, weil am meisten Nutzen (d.h. Wählerstimmen) hervorbringende Anpassung von Verhalten an den institutionellen Rahmen gibt, die unabhängig von Kontextfaktoren immer gilt. Wie aber der Vergleich zwischen einzelnen Städten und Gemeinden in einem Land zeigen wird, gibt es bei gleichen institutionellen Rahmenbedingungen örtlich ganz unterschiedliche Erfolgsstrategien, die stark von Kontextbedingungen (z.B. Gemeindegröße oder lokale Besonderheiten des politischen Wettbewerbs)11 beeinflusst werden. In einem Fall kann rationale Anpassung an die Institutionenlogik den Erfolg bringen, in einem anderen traditionelles und routinisiertes Handeln im Einklang mit den Erwartungen der Wählerschaft stehen. Also wird wie im historischen Institutionalismus sowohl ein kalkulierender als auch ein kultureller Ansatz befürwortet12. Das Verständnis der Pfadabhängigkeit der Entwicklung von Institutionen wird geteilt. Gerade die Reform der Gemeindeordnung mit ihrer unvollständigen Übernahme des süddeutschen Modells zeigt deutliche Merkmale von „nordrhein-westfälischer“ Pfadabhängigkeit in der Reform formaler Institutionen. Aber auch hinsichtlich der Analyse der Akteurslogik in der Auseinandersetzung mit neuen institutionellen Rahmenbedingungen kann Pfadabhängigkeit im Sinne der Beibehaltung alter Traditionen und Gewohnheiten im Bereich der informalen Regeln eine Rolle spielen.
9 Zu den Begriffen Institutionenlogik und Akteurslogik siehe Pütz 2004, 17 ff. Pütz Dissertation zum Parteienwandel in Frankreich nach der Einführung der direkten Präsidentschaftswahlen in der V. Republik hat eine ähnliche Fragestellung wie die vorliegende Arbeit. 10 Näheres dazu in Kapitel 2.2.3 in einer Gegenüberstellung der Logik des Mehrheits- und Verhältniswahlrechts. 11 Auch Nohlen (2004, 18) betont die Bedeutung von Kontextfaktoren und bevorzugt auch den „historischempirischen Ansatz der neuen Institutionenlehre“. 12 Ähnlich bei Pütz 2004, die in ihrem Untersuchungsansatz ebenfalls Institutionenlogik und Parteilogik als mögliche Einflussfaktoren für Parteienwandel einbezieht: „Um Parteienwandel zu erklären, wird somit das Konzept des rationalen Akteurs mit dem der traditionsgebundenen Anpassung vereint.“ (Pütz 2004, 25).
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
2.1.2 Zwischen Indifferenz und Determinismus: Einfluss von Institutionen in der lokalen Politikforschung Die Debatte über die Wirkung von Institutionen auf Akteure und politische Prozesse und Ergebnisse blieb in der Vergangenheit nicht auf die „große“ Politik beschränkt, sondern wurde auch in der lokalen Politikforschung in Deutschland intensiv geführt. In diesem Abschnitt sollen die Grundlinien dieser Debatte nachgezeichnet werden und die wichtigsten Punkte für die vorliegende Arbeit diskutiert werden. Somit werden in diesem Kapitel in erster Linie Arbeiten diskutiert, die Institutionen als unabhängige Variable betrachten. Im Vordergrund stehen als verfasste Institutionen die verschiedenen Gemeindeordnungen, die bis zur Reformwelle der 1990er Jahre in Deutschland existierten13. Grundsätzlich lassen sich sieben verschiedene sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die lokale Politik unterscheiden (Bogumil/Holtkamp 2005, 8; Kleinfeld 1996, 38; Blanke/Benzler 1991, 10):
staatsrechtliche und demokratietheoretische Perspektive („Kommunalpolitik“ z.B. Naßmacher/Naßmacher 1999) institutionspolitisch-verwaltungswissenschaftliche Perspektive („Stadtpolitik“, z.B. Hesse 1986, Heinelt/Wollmann 1991), policy-analytische Perspektive („Lokale Politik“, z.B. Blanke/Evers/Wollmann 1986), finanzwissenschaftliche Perspektive („Kommunalfinanzen“, z.B. Mäding 1991, 1996, Junkernheinrich 1991), sozialökonomische und –ökologische Perspektive („Regionalökonomie“, „Stadtentwicklungspolitik“, z.B. Häußermann/Siebel 1987, Hamm/Neumann 1996, Strohmeier 1997) soziologisch-zivilisationstheoretische Perspektive („Stadtsoziologie“ z.B. Friedrichs 2004, Häußermann/Siebel 2004), betriebswirtschaftliche Perspektive („Neues Steuerungsmodell“, z.B. Reichard 1994, Jann/Bogumil u.a. 2004).
Die Darstellung in diesem Abschnitt bezieht sich auf die ersten drei genannten Perspektiven, da diese die eher politikwissenschaftlichen Zugänge sind (vgl. auch Bogumil/Holtkamp 2005, 8). Die Diskussion konzentriert sich im Weiteren auf die Autoren, die sich vergleichend mit der Wirkung von unterschiedlichen Kommunalverfassungen (polity) auf kommunale Machtverteilung und Entscheidungsstrukturen (politics)14 und Politikfelder (policies) befassen. Die Darstellung erfolgt chronologisch und beginnt mit Pionierstudien der 1970er Jahre, verfolgt die Diskussionen im Vorfeld der Reformwelle der Gemeindeordnungen in den 1980er Jahren, um abschließend einige Studien, die nach der Reform der Gemeindeordnung in NRW erarbeitet wurden, vorzustellen. Nicht berücksichtigt werden
13 14
Vgl. auch ähnliche Überblicke bei Bogumil 2001; 2002 sowie Bovermann 1999. Auf die Rolle von Parteien in der Kommunalpolitik wird in Kapitel 2.2.2 näher eingegangen.
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die eher verwaltungswissenschaftlichen Debatten zu Themen wie Modernisierung und Ökonomisierung der Kommunalverwaltung15. Forschungsstand zum Einfluss von Institutionen auf die Kommunalpolitik Die Anfänge der empirischen Forschung zum Einfluss von Kommunalverfassungen auf Entscheidungsstrukturen liegen in den 1970er Jahren. Dabei ging es einer Reihe von Politikwissenschaftlern auch darum, sich vom traditionellen „Paradigma der kommunalen Selbstverwaltung“ (Bovermann 1999, 10) abzusetzen16. Nach dem Paradigma „kommunale Selbstverwaltung“ sind Kommunen staatsrechtlich keine eigenständige staatliche Ebene unterhalb von Bund und Ländern, sondern Teil der Exekutive des Landes und damit in erster Linie Verwaltung. Diese Auffassung von Kommunalpolitik ist in den Rechtswissenschaften verbreitet, ein typischer Vertreter dieses Paradigmas ist Knemeyer (Knemeyer 1994, 1997, 1998; Knemeyer/Jahndel 1991). Demgegenüber sieht das Paradigma „kommunale Demokratie“ (Bovermann 1999, 13) die Kommunen durchaus als eigenständige Ebene im Staatsaufbau. Kommunale Systeme werden ebenso wie andere politische Ebenen mit dem Maßstab der Gewaltenteilung analysiert. Lokales Handeln ist politisch, da es eben nicht nur um den Vollzug von Verwaltungsvorschriften geht, sonder um die Auswahl aus mehreren Handlungsalternativen. Ebenso unterscheiden sich zwischen den beiden Paradigmen die Auffassungen zur Stellung der Volksvertretung, das Demokratie-, Politik- und Parteienverständnis. Wollmann, eher ein Anhänger des Paradigmas „kommunale Demokratie“ betont jedoch, dass es in der Auseinandersetzung aus seiner Sicht nicht um eine Gegenüberstellung juristischer und politikwissenschaftlicher Betrachtungsweisen ginge, „in der jene das rechtliche Sollen und diese das tatsächliche Sein in den Blick rücken“ (Wollmann 1998a, 62), sondern um verschiedene juristische Interpretationen des geltenden Rechtes. Wegweisende Studien für ein neues Verständnis kommunaler Politik Anfang der 1970er Jahre waren die der „Community-Power-Forschung“17 zuzuordnende WertheimStudie von Ellwein und Zoll (Ellwein/Zoll 2003), auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, die Oberbürgermeister-Studie von Grauhan (Grauhan 1970) und die auf den Zusammenhang von Kommunalverfassung und Entscheidungssystem zielende Untersuchung von Derlien (Derlien u.a. 1976) die zuerst kurz vorgestellt werden sollen18. Vor den Reformen der 1990er Jahre unterschied man in der Literatur vier Grundtypen von Gemeindeordnungen: Die Norddeutsche Ratsverfassung in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, die Süddeutsche Ratsverfassung in Baden-Württemberg und Bayern, die Bürgermeisterverfassung in Rheinland-Pfalz, dem Saarland und in kleineren Gemeinden Schleswig-Holsteins und die (unechte) Magistratsverfassung in Hessen, Bremerhaven und
15
Vgl. dazu im Überblick Bogumil/Holtkamp 2005, Jann/Bogumil 2004, Wollmann/Roth 1998, Kleinfeld 1996; zur Verwaltung in NRW Grunow 2003. Vgl. Wollmann 1998a, der die Lager ähnlich wie Bovermann unterscheidet, aber als Diskursgemeinden bezeichnet. 17 Für einen Überblick zu dieser Forschungsrichtung vgl. Haasis 1978. 18 Als weitere Einzelstudien zu kleineren Untersuchungsgemeinden sind z.B. zu nennen: Luckmann 1970 und Schirra 1989. 16
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in den größeren Städten von Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein19. Dabei galten folgende Unterscheidungsmerkmale: monistische oder dualistische Verteilung der Zuständigkeiten auf Rat und Verwaltungsspitze, Ein- oder Zweiköpfigkeit bezüglich der personellen Funktionsteilung zwischen Ratsvorsitz und Verwaltungsleitung, monokratische oder kollegiale Verwaltungsführung sowie direkte oder indirekte Wahl des Hauptverwaltungsbeamten. Grauhan untersuchte die Auswahl und Stellung von Oberbürgermeistern in 20 Untersuchungsstädten aus deutschen Ländern, die in ihrer Kommunalverfassung direkt oder indirekt gewählte hauptamtliche Bürgermeister hatten, vom Rat gewählte Hauptverwaltungsbeamte wie damals in NRW wurden nicht einbezogen. Der Wahlmodus galt als das zentrale Unterscheidungsmerkmal. Ziel der qualitativen Studie war die Entwicklung eines Modells der politischen Verwaltung. Zudem ist das Buch eine der wenigen kommunalen Bürgermeisterwahlstudien, da sich Grauhan nicht nur mit amtierenden Oberbürgermeistern, sondern auch mit der Kandidatenauswahl, Wahlvorbereitung und den Wahlergebnissen beschäftigte20. Der Verfassungstyp beeinflusste zwar die Kandidatenauswahl und den Wahlvorgang (Grauhan 1970, 118 ff.), was auch nicht anders zu erwarten war. Hinsichtlich der Frage, ob die Verwaltungsleitung segmentiert oder zentralisiert ist, ließ sich kein eindeutiger Zusammenhang zum Verfassungstyp herstellen. Wichtiger waren das Ausmaß des Parteieinflusses, die Mehrheitsverhältnisse im Rat im Verhältnis zur Parteizugehörigkeit des Oberbürgermeisters sowie das Rollenbild des Oberbürgermeisters entweder als zentraler Politiker oder als „Mann des Ausgleichs“ und Zeremonienmeisters im Rat (Grauhan 1970, 325 ff.) Eine weitere wichtige Pionierstudie zum Zusammenhang von Macht- und Entscheidungsstrukturen und Kommunalverfassung wurde von Derlien u.a. vorgelegt. Die Autoren orientierten sich zwar an Grauhan, da sie sich mit verwaltungsinternen Entscheidungsprozessen beschäftigten, erweitern aber den Fokus, indem sie den Verwaltungschef als einen Akteur unter vielen einordnen und auch nach dem Einfluss anderer Akteure fragen. Darüber hinaus werden abweichend von Grauhan vier Mittelstädte anhand von qualitativen Akteursinterviews und Dokumentenanalysen untersucht, die die vier o.g. Grundtypen von Kommunalverfassungen abdeckten (Derlien 1976, 2f., 15 f.). Der Entscheidungsprozess wurde in Phasen aufgeteilt, von der Initiative über die Beratungen im Rat und den Ausschüssen bis zum Ratsbeschluss und unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses der Verwaltung analysiert. Die Ergebnisse lassen sich in drei Punkten zusammenfassen:
19 20
deutliche Überlegenheit der Verwaltung gegenüber dem Rat aufgrund ihres Informationsvorsprungs bei der Initiierung und Vorbereitung von Beschlüssen, Alternativauswahl in erster Linie innerhalb der Verwaltung, Funktionsverlust der Ratsberatungen durch eine Verlagerung der Arbeit in die Ratsausschüsse, in denen Verwaltungsvorlagen durchaus auch verändert werden können (vgl. auch Bogumil/Holtkamp 2005, 33).
Zur genaueren Definition der Typen vgl. Köser 1979, 405ff., Kleinfeld/Nendza 1996, 75ff. und Freis 1998, 34ff. Auf diese Teile der Studie wird in Kapitel Parteien und Wahlen noch näher eingegangen.
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Diese generellen Trends gelten unabhängig von der Kommunalverfassung (Derlien u.a. 1976, 116f.), Entscheidungsmuster werden von der Kommunalverfassung höchstens geschwächt oder verstärkt. In einer abschließenden Bemerkung relativiert Derlien die Wirkung unterschiedlicher Verfassungsrahmen: „Bedingt durch den Versuch, jeweils die Auswirkungen von Verfassungsmerkmalen auf die empirischen Tatbestände zu analysieren, und durch die damit gegebene Tendenz, Erklärungen primär im strukturellen Bereich zu suchen, könnte der Eindruck entstehen, bei den aufgezeigten Zusammenhängen handele es sich um deterministische Beziehungen. Daß die Formalstruktur jedoch vielfach nur Möglichkeiten bietet, nicht aber die faktische Nutzung dieser Möglichkeiten in eindeutiger Weise vorprogrammiert, sollte deutlich geworden sein.“ (Derlien 1976, 128).
Am Ende der Studie stand also eine deutliche Skepsis des Forscherteams gegenüber der Wirkung von verfassten Institutionen. Die Autoren warnen jedoch auch aufgrund der geringen Datenbasis vor weiteren Generalisierungen21. Der nächste Schub der Debatte über den Einfluss verschiedener institutioneller Regelungen kam in den 1980er Jahren. Banner, damals Vorstand der „Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung“ (KGSt), entwickelte in verschiedenen Beiträgen Thesen zur Leistungsfähigkeit verschiedener Kommunalverfassungen (Banner 1984; 1988; 1989) mit Blick auf die Verwaltungseffizienz und die Haushaltssicherung, die auch Einfluss auf die Reformdebatte in NRW hatten (vgl. Bovermann 1999, 127). Banner hatte zunächst in den 1970er Jahren (Banner 1972) aus demokratietheoretischen Gründen die fragmentierte Führungsstruktur der Norddeutschen Ratsverfassung befürwortet, da sie den Rat gegenüber einer übermächtigen Verwaltung stärke, änderte seinen Bewertungsmaßstab aufgrund der wachsenden kommunalen Haushaltsprobleme in den 1980er Jahren aber hin zu einer Höherbewertung der Effizienz (Bogumil 2001, 90). Banner unterscheidet zunächst Fachpolitiker (z.B. Verwaltungsmitarbeiter aus Ämtern und Dezernaten sowie politikfeldorientierte Ratsmitglieder), die in erster Linie ihr Politikfeld fördern wollen und Steuerungspolitiker (z.B. Verwaltungsmitarbeiter aus Querschnittsabteilungen, Ratsmitglieder in Steuerungsausschüssen und die Verwaltungsleiter), die auch den Gesamtetat im Auge haben. Das Verhältnis von Fach- und Steuerungspolitikern wird durch die Gemeindeordnung und örtliche Faktoren geregelt. Je mehr Einfluss die Fachpolitiker haben und desto größer die parteipolitische Aufladung der Kommunalpolitik ist, desto weniger wird Haushaltsdisziplin eingehalten. Im Vergleich der nordrhein-westfälischen und der badenwürttembergischen Gemeindeordnung schneidet letztere hinsichtlich der Hauhaltssicherung wesentlich besser ab. In Nordrhein-Westfalen fehle es an einem zentralen Steuerungspolitiker, da die Position des Stadtdirektors als Leiter der Gemeindeverwaltung zu schwach sei. Es herrsche ein Führungspluralismus, der zu einer Dominanz der Fachpolitiker führe, die eine unkontrollierte Ausgabenpolitik betrieben und es so erschweren würden, ein politisches Ziel wie den Haushaltsausgleich durchzusetzen. In den Ländern der Süddeutschen Ratsverfassung, vor allem in Baden-Württemberg, könne der direkt gewählte Bürgermeister diese Aufgabe übernehmen. In seiner Rolle als Bindeglied zwischen Politik und Verwal-
21
Diese Einschränkung der Verallgemeinerungsfähigkeit der Ergebnisse wurde laut Bogumil von vielen Rezipienten der Studie jedoch ignoriert (Bogumil 2001, 95 FN 99).
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
tung, ausgestattet mit eigenen, unentziehbaren Kompetenzen und einer eigenen Legitimationsgrundlage durch die Direktwahl, sei er eher in der Lage, das politische Ziel „Haushaltsausgleich“ durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund betonte Banner die Notwendigkeit einer Reform der Norddeutschen Ratsverfassung in NRW hin zu einer Regelung, die deutlich dem baden-württembergischen Modell angepasst sein sollte22. Obwohl Banner an verschiedenen Stellen betont, dass es keine ideale Kommunalverfassung gäbe und ebenfalls lokale Einflussfaktoren von Bedeutung seien (insbesondere der Parteienwettbewerb), schreibt er den verschiedenen Kommunalverfassung doch eine wesentlich größere Steuerungswirkung zu als beispielsweise Derlien u.a. es taten. Banners Thesen zum Einfluss der Kommunalverfassung wurden von verschiedenen Autoren empirisch überprüft und inhaltlich kritisiert23. Winkler-Haupt prüfte Banners Thesen anhand eines Vergleichs der Haushaltspolitik von je zwei Mittelstädten in Baden-Württemberg und NRW. Er kam zu dem Ergebnis, dass sich die Unterschiede der Gemeindeordnungen im Politikfeld der Haushaltspolitik stärker auswirken, als im allgemeinen Entscheidungsprozess (Winkler-Haupt 1988, 197), so dass man diese Untersuchung als Bestätigung der Thesen Banners werten kann24. Kunz und Zapf-Schramm prüften Banners Thesen mit einem ganz unterschiedlichen methodischen Design. Sie untersuchten die Haushaltslage von allen kreisfreien Städten der Bundesrepublik Deutschland mit einer multivariaten statistischen Analyse (Kunz/ZapfSchramm 1989, 169ff.), die neben der Zuweisung der Kommunen zu einem Verfassungstyp auch Kontrollvariablen aus dem Bereich der Kontextbedingungen und Ressourcenausstattung der Kommunen berücksichtigt25. Die Autoren schlussfolgerten, dass Banner als widerlegt angesehen werden müsse, da in ihrer Analyse kein Einfluss der Kommunalverfassung auf die finanzielle Leistungsfähigkeit einer Gemeinde messbar war. Trotz dieses ambivalenten Ergebnisses der empirischen Überprüfung blieben Banners Thesen weiter wichtig für die Reformdebatte. Ein weiterer Befürworter der süddeutschen Ratsverfassung ist Wehling, der in zahlreichen Veröffentlichungen (z.B. Wehling/Siewert 1987; Wehling 1989; 1991; 1998b; 2000; 2003) die Vorzüge des Süddeutschen Ratsverfassung erläutert. Der Bürgermeister sei aufgrund seiner starken Kompetenzausstattung und seiner direkten demokratischen Legitimation der zentrale Akteur der Kommunalpolitik. „Der Bürgermeister in Baden-Württemberg ist die dominierende Figur im kommunalpolitischen Willensbildungsprozess. Dort, wo alle Fäden zusammenlaufen, sitzt er wie die Spinne im Netz. Das gilt nicht nur für alle kommunalpolitischen Aktivitäten in der Gemeinde, es betrifft vielmehr alles, was auf seine Gemeinde bezogen ist und hier auf seinem Territorium sich ereignet.“ (Wehling 2000, 185)
22
Vgl. auch das Schaubild zur Wirkung von Kommunalverfassungen bei Bovermann 1999, 15. Vgl. die Zusammenfassung bei Bogumil 2001, 97 ff.. 24 Winkler-Haupts methodische Vorgehensweise wurde von Derlien (1994, 70) deutlich wegen der Auswahl der Fälle kritisiert, da er den politischen Kontext (Parteizugehörigkeit des Bürgermeisters, Zusammensetzung des Rates) mit der Kommunalverfassung variierte. 25 Zu einer Übersicht der verwendeten Kontrollvariablen vgl. Kunz/Zapf-Schramm 1989, 173. 23
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Dazu kommt eine ausgeprägte parteipolitische Konkordanz26 bei gleichzeitig in der Regel parteilosen Bürgermeistern (Wehling/Siewert 1987), die seine Stellung weiter stärkt. Wehling betonte aber (anders als Banner), dass es nicht allein auf die Gemeindeordnung ankomme, sondern auch weitere verfasste Institutionen, wie beispielsweise das Wahlrecht zum Gemeinderat, in die Betrachtung miteinbezogen werden müssten, um die Vorteile eines bestimmten Arrangements zu erklären. Er versteht die verfasste Institution eher als Filter denn als Determinante, da z.B. bestimmte (Wahl-) Institutionen durchlässiger für die Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger sind als andere (Wehling 1989, 95). So gibt z.B. das Kumulieren und Panaschieren bei Gemeinderatswahlen in Baden-Württemberg den Bürgern mehr Auswahlmöglichkeiten als die Listenwahl in NRW. Daher gewinnt in Wehlings Betrachtungsweise der Faktor politische Kultur, also die Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger zum Profil von Gemeinderäten oder der Rolle von Parteien sowie Kontextbedingungen wie die Gemeindegröße an Bedeutung, so dass sich die gleichen Institutionen in verschiedenen Städten, Regionen oder Ländern unterschiedlich auswirken können. Warnte Wehling Ende der 1980er daher noch davor, das „baden-württembergische Modell als Allheilmittel“ (Wehling 1989, 95) zu betrachten, formulierte er nach der Reformwelle der Gemeindeordnungen der 1990er Jahre weniger vorsichtig: „Diese Regelungen [Stärkung der Position des Bürgermeisters, Einführung der Direktwahl und von Kumulieren und Panaschieren; DHG] sollen – und werden vermutlich auch – zu einer ‚EntParteipolitisierung’ von Kommunalpolitik führen, entsprechend dem Vorbild und den Erfahrungen der Länder, die bisher die Süddeutsche Ratsverfassung praktizieren.“ (Wehling 2003, 312).
Ohne auf den Faktor politische Kultur weiter einzugehen, rechnet Wehling nun mit einer Konvergenz der Politikstile in der Kommunalpolitik, wenn die institutionellen Arrangements sich angleichen. Ähnlich wie Wehling plädiert Voigt (1992) in seiner Analyse der kommunalen Entscheidungsstrukturen in NRW für die Einbeziehung weiterer Faktoren neben der Analyse der verfassten Institutionen, allerdings mit einem völlig anderen Ergebnis hinsichtlich der Beurteilung der Norddeutschen Ratsverfassung. Anhand einiger Fallstudien zeigt Voigt, dass sich unter derselben Kommunalverfassung durchaus unterschiedliche Macht- und Entscheidungsstrukturen entwickeln können. Er unterscheidet Fälle mit
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exekutiver Führerschaft (kleine Gemeinden mit einem schwachen Rat, starke Stellung des Gemeindedirektors), gemäßigtem Populismus (eher Großstädte mit SPD-Mehrheit im Rat, der Bürgermeister, der zugleich ein Landtags- oder Bundestagsmandat hat, ist zentraler Steuerungspolitiker) und Partei- und Fraktionsherrschaft (Großstadt mit eindeutiger Mehrheit einer Partei, Fraktionsvorsitzender der Mehrheitsfraktion ist zentraler Steuerungspolitiker, wenn er ein Landtags- oder Bundestagsmandat hat) (Voigt 1992, 10f.).
Vgl. Wehling 1991. Auf die Rolle der Parteien in der Kommunalpolitik wird in Kapitel 2.2.1 näher eingegangen.
30
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Die wichtigsten Einflussfaktoren sind die Gemeindegröße und der Einfluss der Parteien, die sich jeweils in der Verflechtung der politischen Ebenen durch Mehrfachmandate und dadurch eine Aufwertung von Fraktionsvorsitzendem und Bürgermeister gegenüber dem Stadtdirektor als Leiter der Verwaltung auswirkten. Der von Banner noch als wesentlicher Schwachpunkt der Norddeutschen Ratsverfassung angesehene Führungspluralismus wird von Voigt weniger kritisch beurteilt, vielmehr scheint er einer Führungsstruktur, die den örtlichen Gegebenheiten (Gemeindegröße und Ratsmehrheit) angepasst ist, den Vorzug vor einer zu einseitigen Befürwortung der exekutiven Führerschaft nach süddeutschem Modell zu geben. Daher bezieht Voigt auch eindeutig Stellung gegen eine Reform der GO NRW nach süddeutschem Muster (Voigt 1992, 11f.). Allerdings stellt auch Voigt fest, das die Norddeutsche Ratsverfassung die Rollen der Akteure weniger eindeutig definiert und determiniert als die Süddeutsche Ratsverfassung (Voigt 1992, 9), so dass hier festgehalten werden muss, dass es neben der generellen Frage nach dem Einfluss von polity auf politics, vor allem auch auf die inhaltliche Qualität der institutionellen Regelungen ankommt27. Je weniger eindeutig die institutionelle Regelung Kompetenzen definiert, desto mehr Einfluss können Kontextbedingungen und politische Kultur auf die Ausgestaltung der Rollen und die Wechselwirkungen der Akteure nehmen. Zum Abschluss der Diskussion des Forschungsstandes werden noch drei Arbeiten vorgestellt, die sich mit den Veränderungen der Machtstrukturen infolge der Reform der Gemeindeordnung in NRW 1994 befassen28. Bovermann (1999) untersucht in seiner Habilitationsschrift den Einfluss des institutionellen Rahmens der neuen Gemeindeordnung in NRW auf die kommunalpolitischen Prozesse (politics) und Politikmuster in der Regierungsphase in vier Mittelstädten. Es handelt sich um qualitative Fallstudien (Bovermann 1999, 147 f.), die Mitte 1998 durchgeführt wurden. In der Ratswahlperiode 1994-1999 konnten Kommunen unter bestimmten Bedingungen auf das neue Recht umsteigen und vorzeitig einen hauptamtlichen Bürgermeister durch den Rat wählen. Die vier Untersuchungsgemeinden bei Bovermann hatten von dieser Möglichkeit frühzeitig Gebrauch gemacht und die zum Untersuchungszeitpunkt gesammelten Erfahrungen der Akteure bilden die empirische Grundlage der Studie. In allen vier Gemeinden ergab sich ein Trend zur exekutiven Führerschaft des Bürgermeisters. Dieses Politikmuster liegt aber nicht in Reinform vor, sondern ist, wie es die institutionelle Stärke des Rates in der GO NRW erwarten lässt, mit Formen der Partei- und Fraktionsherrschaft kombiniert (Bovermann 1999, 304). Ob sich diese Kombination zugunsten oder zulasten der Position des Bürgermeisters auswirkt, hängt von dem Parteibuch des Bürgermeisters im Zusammenhang mit den Mehrheitsverhältnissen im Rat ab. Eine eigene Ratsmehrheit stärkt die Position des Bürgermeisters, eine abweichende birgt zumindest die Gefahr der Einschränkung seiner Kompetenzen über die Hauptsatzung. Allerdings zeigte sich bei Bovermann, dass der Rat von seiner in der GO NRW angelegten Vetoposition nur in Ausnahmefällen Gebrauch macht. Weiterhin trägt der unabhängig von der Veränderung der GO NRW vorhandene Informationsvorsprung des Verwaltungsleiters zur Stärkung des Bürgermeis-
27
Vgl. auch Bogumil 2001, 98 f. Zum Reformprozess der Gemeindeordnung in NRW vgl. Freis 1998, Lingk 1999, Schulenburg 1999, Bovermann 1999, sowie den Sammelband von Haus 2005 sowie Holtkamp 2005, die die Reformprozesse in Deutschland vergleichend analysieren.
28
2.1 Institutioneller Wandel
31
ters bei. Insgesamt gesehen ist also ein starker Einfluss der neuen Gemeindeordnung auf Politikmuster in den Untersuchungsgemeinden festzustellen, der sich zugunsten der Machtposition des Bürgermeisters auswirkt. Da es sich in Bovermanns Studie noch um ratsgewählte hauptamtliche Bürgermeister handelt, ist infolge der Direktwahl von einer weiteren Stärkung der Bürgermeister auszugehen. Holtkamp (2000, 2002a) analysiert in seiner Dissertation die Auswirkungen von verschiedenen Reformkonzepten auf die Haushaltspolitik der Kommunen in NordrheinWestfalen. Neben Haushaltssicherungskonzepten und dem „Neuen Steuerungsmodell“ werden die Auswirkungen der Einführung des direkt gewählten hauptamtlichen Bürgermeisters (polity) auf die Haushaltspolitik (policy) von kreisangehörigen Gemeinden im Zeitraum 1997-1999 untersucht. Das Forschungsdesign bestand aus einer Kombination von quantitativen (Analyse aller kreisangehörigen Gemeinden) und qualitativen Elementen (Fallstudien in drei kreisangehörigen Gemeinden zwischen 30.000 und 90.000 Einwohnern). Die Befragten in den Fallstudienstädten sahen eine Zunahme der Machtressourcen des hauptamtlichen Bürgermeisters, betonten jedoch auch, dass der Bürgermeister bei wichtigen Entscheidungen auf die Ratsmehrheit angewiesen und mit der Anwendung des Rückholrechtes disziplinierbar sei (Holtkamp 2002a, 66). Insbesondere bei unklaren Mehrheiten in den Gemeinderäten sowie bei Mehrheiten einer anderen Partei konnte der Bürgermeister in den Entscheidungsprozessen keine dominante Rolle spielen. Holtkamp und Bovermann kommen also beide zu dem Ergebnis, dass die Machtposition des Bürgermeisters gestärkt sei, aber auch von den Mehrheitsverhältnissen im Rat abhängt. Der Bürgermeister hat dann die größten Chancen, zum zentralen Steuerungspolitiker zu werden, wenn er eine „eigene“ Ratsmehrheit hinter sich weiß. Im Rahmen eines Länder vergleichenden Forschungsprojektes zur Bürgerkommune29 wurden von einem Forscherteam, dem der Autor angehörte, im Jahr 2002 alle Bürgermeister sowie die Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD in Gemeinden über 20.000 Einwohner in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen schriftlich befragt. Im Zentrum stand ein Vergleich der Machtpositionen der Bürgermeister in Selbst- und Fremdeinschätzung in diesen Ländern mit unterschiedlicher institutionellen Rahmenbedingungen für die Kommunalpolitik (Gehne/Holtkamp 2005, 87). Die Machtposition der Bürgermeister in NRW ist deutlich geringer ausgeprägt als bei ihren Kollegen in Baden-Württemberg, was sich auf die unterschiedliche Kompetenzausstattung in den Gemeindeordnungen beider Bundesländer zurückführen lässt. In dem jeweiligen institutionellen Rahmen gibt es in beiden Bundesländern Abstufungen der Machtpositionen der Bürgermeister, die von den unterschiedlichen Rat-Bürgermeister-Konstellationen abhängen. Die am stärksten ausgeprägte Machtposition haben Bürgermeister in sog. Homogenitätskonstellationen, also mit eigener Mehrheit im Rat, die geringste in Kohabitationsfällen. Die institutionellen Unterschiede erklären also nicht alleine die Variationen der Machtpositionen. Ein Bürgermeister in NRW, der eine absolute Ratsmehrheit hinter sich hat, kann beinahe genauso mächtig sein wie sein Kollege in Baden-Württemberg, der keine hat. Auch in dieser Untersuchung ließ sich die Wirkung von Kontextfaktoren wie Ratsmehrheiten oder Gemeindegröße feststellen.
29
Vgl. Bogumil/Holtkamp 2002 sowie Bogumil/Holtkamp/Schwarz 2003.
32
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Zusammenfassung „Polity matters, but how?“, so könnte man knapp den Ertrag dieses Abschnitts zusammenfassen. Der Überblick über Studien der letzten dreißig Jahre ergab nur wenige diese Feststellung relativierende Ergebnisse z.B. von Derlien u.a. (1976). Das Spektrum der Bedeutungszuschreibung reichte jedoch „von spielt im Sinne der Fragestellung keine oder nur eine geringe Rolle“ (Derlien u.a 1976., Grauhan 1970, Kunz/Zapf-Schramm 1989) bis hin zu einer fast schon deterministischen Interpretation z.B. bei Banner (1984). Die Mehrzahl der Autoren lehnt einen institutionellen Determinismus jedoch ab, hier ist eher Wehlings frühere Interpretation von Institutionen als Filter typisch, die Akteurshandeln ermöglichen oder auch einschränken (Wehling 1989). Darüber hinaus ist Wehling Recht zu geben, wenn er betont, dass das ganze relevante Institutionenarrangement und seine Wechselwirkungen analysiert werden muss. Der Vergleich mit Voigt (1992) zeigt aber, dass es auch auf die inhaltliche Qualität der Institutionen ankommt. Je weniger klar die Kompetenzen eines Akteurs (z.B. des Bürgermeisters) in Abgrenzung zu anderen Akteuren definiert sind, desto mehr Möglichkeiten für unterschiedliche Machtkonstellationen sind denkbar. Wie jedoch Gehne/Holtkamp (2005) nachweisen konnten, hängt auch innerhalb eines klaren Kompetenzrahmens wie in Baden-Württemberg die Machtposition des Bürgermeisters vom Einfluss von Kontextfaktoren wie der Ratsmehrheit und der Gemeindegröße ab, wenn auch weniger stark als in NRW. Die Wirkung von verfassten Institutionen kann also – das zeigen beinahe alle Studien – nicht ohne die Kontrolle bzw. Variation von Kontextfaktoren untersucht werden. Die wichtigsten Kontextfaktoren sind die Gemeindegröße, die Mehrheitsverhältnisse im Rat und die politische Kultur im Sinne der Einstellung von Einwohnern und Eliten gegenüber Akteuren wie z.B. dem Bürgermeister, zur Rolle von Parteien oder dem Politikstil (konkordanz- oder konkurrenzorientiert). Im Sinne einer weiten Definition von Institutionen, wie sie im historischen Institutionalismus üblich ist, können bedeutende Teile des Kontextfaktors politische Kultur dem Bereich der informalen Regeln zugeordnet werden, denn aus einer Einstellung (z.B. „Befürwortung eines parteilosen Bürgermeisters“) kann durch Interpretation und Anwendung durch Akteure eine ungeschriebene Regel oder „Standard operating procedures“ werden (z.B. „Der Bürgermeister soll parteilos sein.“). Im Weiteren wird nur der Teil des Faktors politische Kultur betrachtet werden, der dem Bereich der informalen Regeln zugeordnet werden kann.
2.1.3 Zusammenfassung: Folgen des institutionellen Wandels: Angleichung oder Kontinuität politischer Muster? Eine einschneidende Veränderung des instutionellen Rahmens wie in NRW hat sicher Folgen für politischen Muster in diesem Land. Daher erschien es notwendig, im Rahmen dieses Kapitels auf den Forschungsstand zur Bedeutung von Institutionen und instutitonellem Wandel einzugehen und diesen mit dem Institutionenverständnis der lokalen Politikforschung in Beziehung zu sezten. Die vorliegende Untersuchung der Bürgermeisterwahlen in NRW orientiert sich aus drei Gründen am Ansatz des historischen Institutionalismus: Bevorzugung eines weiten Institutionenbegriffs, Betonung der Kontextabhängigkeit der Wirkung von Institutionen auf
2.1 Institutioneller Wandel
33
das Verhalten von Akteuren und die Bedeutung von Pfadabhängigkeit bei der (Weiter-) Entwicklung von Institutionen und das Verhalten von Akteuren. Ein weiter Institutionenbegriff, wie er im historischen Institutionalismus verwendet wird, ist besser geeignet, das Verhalten von Akteure bei den zurückliegenden Bürgermeisterwahlen zu erklären. Nach Benz (2004) werden verfasste Institutionen, formale und informale Regeln unterschieden. Verfasste Institutionen sind die für das Forschungsfeld relevanten Gesetze und Verordnungen, die veröffentlicht und rechtlich bindend sind. Die Reform der Gemeindeordnung in NRW von 1994 und die daraufhin angepassten rechtlichen Regelungen für die Kommunalwahl bilden den Anlass für die hier vorliegende Untersuchung, da dadurch der Untersuchungsgegenstand „Bürgermeisterwahl“ erst entstanden ist. Formale Regeln ergeben sich aus den verfassten Institutionen. Sie sind bindend für die Akteure und ihre Einhaltung wird in der Regel von staatlichen Einrichtungen kontrolliert (z.B. Wahlleiter). Informale Regeln sind sozial vereinbarte, nicht rechtlich vorgeschriebene, aber in den Traditionen von Organisationen eingebettete, für die Öffentlichkeit nicht transparente Regeln, Konventionen oder auch Tabus, die das Verhalten von Akteuren beeinflussen können. Ein deterministisches Verständnis der Wirkung des verfassten institutionellen Rahmens auf das Verhalten der Akteure wird abgelehnt, da dies im Grunde bedeuten würde, dass es nur eine richtige, weil am meisten Nutzen (d.h. Wählerstimmen) hervorbringende Anpassung von Verhalten an den institutionellen Rahmen gibt, die immer und überall gilt. Die Analyse des Forschungsstandes der lokalen Politikforschung zeigt, dass es aber auch auf die inhaltliche Qualität der institutionellen Regelungen ankommt. Diese können Kompetenzen eindeutig zuweisen, wie beispielsweise die Gemeindeordnung in BadenWürttemberg, oder Raum für die Ausgestaltung der Machtverteilung durch die Akteure lassen, wie es am Beispiel der Machtstrukturen der alten Gemeindeordnung in NRW von Voigt (1992) zu sehen war. Bei der Analyse der Bürgermeisterwahlen wird aber im Weiteren davon ausgegangen, dass es auch bei gleichen institutionellen Rahmenbedingungen örtlich ganz unterschiedliche Erfolgsstrategien geben kann, die stark von Kontextbedingungen beeinflusst werden. Die rechtlichen Regelungen sind auch im Bereich der Kommunalwahlen nicht so eng gezogen, dass z.B. das Kandidatenprofil durch das passive Wahlrecht schon weitgehend vorgeprägt wäre. In einem Fall kann rationale Anpassung an die Institutionenlogik den Erfolg bringen, in einem anderen traditionelles und routinisiertes Handeln im Einklang mit den Erwartungen der Wählerschaft stehen. Also wird wie im historischen Institutionalismus nach Hall/Taylor (1996) sowohl ein kalkulierender als auch ein kultureller Ansatz befürwortet. Zu beachtende Kontextbedingungen sind – wie der Forschungsstand zeigt – die Gemeindegröße, die langfristige parteipolitische Prägung einer Gemeinde, die man über die Ratswahlergebnisse messen kann und die politische Kultur, die in dieser Arbeit aber nur etwas eingeschränkt im Sinne von Einstellungen der Akteure gegenüber informalen Regeln einbezogen werden kann. Das Verständnis der Pfadabhängigkeit der Entwicklung von Institutionen wird geteilt. Gerade die Reform der Gemeindeordnung mit ihrer unvollständigen Übernahme des süddeutschen Modells zeigt deutliche Merkmale von „nordrhein-westfälischer“ Pfadabhängigkeit in der Reform formaler Institutionen. Aber auch hinsichtlich der Analyse der Akteurslogik in der Auseinandersetzung mit neuen institutionellen Rahmenbedingungen kann Pfadabhängigkeit im Sinne der Beibehaltung alter Traditionen und Gewohnheiten im Be reich der informalen Regeln eine Rolle spielen.
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem Der zweite Teil des theoretischen Rahmens widmet sich zunächst der Akteursebene von Kommunalwahlen. Parteien haben zwar kein Monopol der Kandidatenaufstellung, sind aber die wichtigsten Akteure bei Wahlen auf verschiedenen Ebenen, des politischen Systems. Im ersten Abschnitt wird die Rolle von Parteien allgemein und der Forschungsstand zu Rekrutierung, Auswahl und Nominierung von Kandidaten für die Bundestagswahlen in Deutschland dargestellt, um die „Standard operating procedures“ von Rekrutierung, Auswahl und Nominierung durch Parteien zu analysieren. Den Erkenntnissen der Forschung zu Parteien im Allgemeinen wird im zweiten Abschnitt wie auch im vorangegangenen Kapitel der kommunale Forschungsstand gegenübergestellt, um die Besonderheiten der Rolle der Parteien auf kommunaler Ebene herauszuarbeiten. Dabei wird sich zeigen, dass der Einfluss von Parteien auch vom Ausmaß kommunaler Konkordanz abhängt. Auf beiden Ebenen ist der Forschungsstand allerdings recht schmal. Der dritte Abschnitt verbindet die Analyse von Institutionen und Akteuren. Hier wird die Debatte über den Einfluss von Wahlsystemen auf Parteiensysteme aufgegriffen. Zunächst wird nach Nohlen (2004) die Institutionenlogik von Mehrheits- und Verhältniswahl analysiert, um dann wiederum unter Rückgriff auf Shugart/Carey (1992) die Wechselwirkungen der Wahlen in präsidialen Systemen und semipräsidentiellen Mischsystemen vergleichend zu betrachten. Im vierten Abschnitt wird der allgemeinen Debatte über Wahlrecht und Parteiensysteme zunächst der Forschungsstand zu Bürgermeisterwahlen in Deutschland gegenübergestellt. Vergleichbare Thesen zur Wirkung von Wahlrecht auf das Parteiensystem gibt es in der kommunalen Debatte aber nicht. Daher wird dann nach einer ländervergleichenden ausführlichen Darstellung des Wahlrechtes bei Rats- und Bürgermeisterwahlen eine integrierte Übersicht zu Wechselwirkungen zwischen Wahlrecht- und Parteiensystem bei Ratsund Bürgermeisterwahlen vorgelegt. Die Hypothesen zur Entwicklung der Parteiensysteme sind an die Thesen von Shugart/Carey zu präsidialen Systemen und Mischsystemen angelehnt. Im letzten Abschnitt werden dann die Ergebnisse des Kapitels zusammengefasst.
2.2.1 Parteien und Wahlen: Kandidatenrekrutierung, Kandidatenauswahl und Kandidatennominierung Wahlen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems in Deutschland sind zentrale Ereignisse im Organisationsalltag von Parteien. Kandidatinnen und Kandidaten werden überwiegend von Parteien ins Rennen geschickt, Wahlprogramme werden diskutiert und beschlossen und ein Wahlkampf ohne ehrenamtliche Beteiligung der Mitglieder ist auch in der heutigen Zeit der Professionalisierung von Wahlkämpfen nicht denkbar. Und nicht zuletzt: Parteien treten zu Wahlen an, da über Wahlen in Demokratien Macht für einen bestimmten Zeitraum verteilt wird. Im Weiteren werde ich mich in diesem Absatz auf einen Teil der wahlbezogenen Funktionen von Parteien konzentrieren und besonders die Auswahl von Kandidaten in den Vordergrund rücken, ein Bereich der Parteien - und Wahlforschung, der meiner Ansicht nach bisher zu wenig Beachtung gefunden hat. Vor dem Hintergrund der Implementation eines neuen Amtes, des hauptamtlichen Bürgermeisters, verbunden mit
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
35
einem neuen direkten Wahlmodus, war es in NRW im Vorfeld der ersten Direktwahl der Bürgermeister besonders interessant, wie Parteien als „adaptive Akteure“ (Detterbeck 2002, 16) versuchten, sich hinsichtlich ihrer Kandidatenauswahl den veränderten institutionellen Rahmenbedingungen anzupassen – oder ob sie weiterhin die bisher bewährten Strategien verfolgten. Dazu ist es im ersten Schritt sinnvoll, in einer breiteren Herangehensweise die „Standard operating procedures“ der Kandidatenauswahl von Parteien, wie sie der Literatur zu entnehmen sind, darzustellen, um in der eigenen empirischen Untersuchung mögliche Veränderungen dieser Strategien festzustellen und zu diskutieren30. Im folgenden Abschnitt werden dann die Besonderheiten der Rolle von Parteien in der Kommunalpolitik dargestellt. Parteien: Definitionen und Funktionen Von Alemann definiert Parteien über ihre Funktionen, entgegen der Minimaldefinition wie sie beispielsweise von Schultze31 vorgeschlagen wird: „Parteien sind auf Dauer angelegte, freiwillige Organisationen, die politische Partizipation für Wähler und Mitglieder anbieten, diese in politischen Einfluss transformieren, indem sie politisches Personal selektieren, was wiederum zur politischen Integration und zur Sozialisation beiträgt und zur Selbstregulation führen kann, und damit die gesamte Legitimation des politischen Systems zu befördern.“ (von Alemann 2003, 11).
In der Definition sind sieben Parteienfunktionen enthalten: Partizipation, Transmission und Selektion haben einen unmittelbaren Bezug zu Wahlen. In der Selektionsfunktion ist die Personalrekrutierung und –auswahl mit der Auswahl von inhaltlichen Alternativen zusammengefasst (von Alemann 2003, 214). Integration und Legitimation sind eher Funktionen des gesamten Parteiensystems, da in einem pluralistischen System niemals eine Partei allein diese Funktionen erfüllen kann und sollte. Sozialisation beschreibt das Lernen von Politik durch die Mitglieder im Alltag einer Organisation, und Selbstregulation bedeutet die selbstreflexive Beschäftigung mit eigenen Organisationsstrukturen und internen Machtströmungen32. Nach von Beyme hat die Rekrutierungsfunktion in den letzten 50 Jahren „im Gegensatz zu den anderen (...) Funktionen einen gewaltigen Bedeutungszuwachs“ erfahren (v. Beyme 2001, 355). Bei Steffani findet sich die Rekrutierungsfunktion an zwei Stellen der von ihm beschriebenen Sektoren der politologischen Parteienanalyse: erstens und eher indirekt im Sektor zwei „Parteien als Instrumente der Machtausübung“ (Steffani 1988, 554f.). Steffani verweist hier auf das legitime Recht der Parteien, durch Übernahme von Regierungsämtern Macht auszuüben. In einer repräsentativen Demokratie sei es daher notwendig, bei Wahlen
30
Schmitz (1983) wählt in seiner Untersuchung der Partizipation in und durch Parteien auf lokaler Ebene aufgrund des geringen Forschungsstandes eine ähnliche Vorgehensweise. „Partei (…) meint im allgemeinsten Begriffsverständnis eine Gruppe gleichgesinnter Bürger, die sich die Durchsetzung gemeinsamer politischer Vorstellungen zum Ziel gesetzt haben.“ (Schultze 2001, 350). 32 Der Rekrutierungsfunktion von Parteien wird auch in anderen Funktionskatalogen ein zentraler Stellenwert eingeräumt, vgl. z.B. v. Beyme 2001, 317; Schmid 2001, 462; Schultze 2001, 351f.; Steffani 1988, 549ff.; Wiesendahl 1980 184ff. 31
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Kandidaten zu präsentieren, die dann der wahlberechtigte Bürger wählen kann oder auch nicht. Rekrutierung und Nominierung sind in diesem Sinne als eine „vermittelnde, d.h. dienende Funktion und Kompetenz“ im Auftrag des Souveräns Staatsvolk anzusehen (Steffani 1988, 554). Nach dieser eher gesamtsystemaren Einordnung der Rekrutierung wird diese zweitens im vierten Sektor „Parteien als Interessengruppe und Karrierevehikel“ aus einer individuellen Perspektive von Personen diskutiert, die an einer politischen Karriere interessiert sind. „Wer heute eine politische Karriere verfolgt, wird dies schwerlich an den politischen Parteien vorbei unternehmen können. Vor allem dann nicht, wenn er keine bloße Beamten- oder Fachexpertenposition anstrebt. Wer folglich ein öffentliches Wahlamt gewinnen will, wird sich dazu nach Möglichkeiten der Angebote einer Partei ‚bedienen’ müssen.“ (Steffani 1988, 559).
Mitgliederstarke Parteien, die verlässliche Wahlerfolge erzielen und an Regierungen beteiligt sind, sind in dieser Hinsicht das interessantere Betätigungsfeld für karriereorientierte Bürger, da sie mehr Ämter und Mandate anzubieten haben. Es gibt aber auch eine größere parteiinterne Konkurrenz um diese Positionen. Kleinere Parteien mit weniger Mitgliedern und geringeren Stimmenanteilen haben weniger Positionen anzubieten. Aufgrund der kleineren Rekrutierungsbasis der Mitglieder dürfte die Konkurrenz geringer sein (Poguntke 2001, 264f.). Allerdings ergibt sich durch eine einseitige Reduktion auf die Funktion als Karrierevehikel auch die Gefahr, dass Parteien nur noch als Mittel der Patronageinteressen von Parteimitgliedern erscheinen, die darüber hinaus nicht am „politischen Überleben, Erfolg und Ansehen“ (Steffani 1988, 559) der Partei interessiert sind. Von Alemann verweist in seiner Diskussion von Steffanis Ansatz aber zu Recht darauf, dass Patronageinteresse und Interesse an der Förderung der eigenen politischen Karriere nicht als das Hauptmotive für ein Engagement in einer politischen Partei tragen, da gemessen an der Gesamtzahl der Mitglieder nicht genug attraktive Posten zu vergeben wären (v. Alemann 2003, 214, Greven 1987, 58). Diese These wird auch durch neuere Befragungsergebnisse bestätigt. In der Potsdamer Parteimitgliederstudie gaben insgesamt 11% der Mitglieder an, aus Interesse an einem öffentlichen Mandat und 8% aus Interesse an einem Parteiamt eingetreten zu sein. 72% wollten dagegen mit ihrem Eintritt den Einfluss der Partei stärken und 68% für die Ziele der Partei eintreten, so dass „kollektive politische Anreize“ insgesamt als deutlich wichtiger eingeschätzt werden konnten (Klein 2006, 35ff.). Von Alemann fasst daher in seinem Funktionskatalog die Rekrutierungsfunktion mit der Funktion der Auswahl von inhaltlichen Alternativen aus dem gesellschaftlichen Interessenspektrum zur Selektionsfunktion zusammen, um diese in ihrer Bedeutung etwas zu relativieren und betont, dass auch andere Interessengruppen und Verbände die Auswahl von politischem Personal beeinflussen. Parteien besäßen daher zwar ein Privileg auf Rekrutierung politischen Personals, aber kein Monopol (v. Alemann 2003, 212 ff.). Parteien sind im repräsentativen politischen System weitgehend allein für die Rekrutierung politischen Personals zuständig (Rudzio 2003, 121). In der Bundesrepublik Deutschland bestimmen Parteien hauptsächlich das Kandidatenangebot, das den Wählern zur Auswahl bei Landtags-, Bundestags- und Europawahlen zur Verfügung steht. Zwar gibt es auf allen Wahlebenen im Wahlrecht die Möglichkeit, auch parteiunabhängig auf der Basis von Unterstützungsunterschriften zu kandidieren, diese wird aber relativ wenig genutzt. Bei der Landtagswahl 2000 in NRW beispielsweise traten insgesamt 1.358 Kandida-
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
37
tinnen und Kandidaten an, von denen nur 20 Einzelbewerber (1,5%) in Wahlkreisen waren (Andersen/Gehne 2005a, 25). Bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz 2001 war von 540 Kandidatinnen und Kandidaten ein Bewerber parteiunabhängig (0,2%) (Andersen/Gehne 2006, 26). Und bei der Bundestagswahl 2002 waren 60 von 3.543 Kandidatinnen und Kandidaten Einzelbewerber oder Bewerber von Wählergruppen (1,7%) (Andersen/Gehne 2005b, 36). Diese Beobachtungen sind zwar nicht repräsentativ, aber auch nicht untypisch für die Anteile der parteifreien Bewerbungen. Ein anderes, vor allem auch regional unterschiedliches Bild ergibt sich aber bei Kommunalwahlen, die im Abschnitt 2.2.4 näher betrachtet werden. Parteien stellen darüber hinaus das Regierungspersonal in Bund und Ländern, parteilose Bundesminister waren beispielsweise bisher eher die Ausnahme. Nach einer Untersuchung von Helms waren im Zeitraum 1949-1992 von 141 Bundesministern nur drei parteilos, die Hälfte von ihnen aber sogar Mitglieder des Bundesvorstands ihrer Parteien (Helms 1993, 640). Dieser Befund deutet über die Mitgliedschaft hinaus auf eine ausgeprägte Parteibindung der Minister hin. Parteien nehmen aber nicht nur bei Parlamentswahlen und bei der Regierungsbildung auf verschiedenen Ebenen des politischen Systems starken Einfluss auf das personelle Angebot, sondern sie bestimmen auch in der öffentlichen Verwaltung und in verschiedenen anderen gesellschaftlichen Bereichen bei der Besetzung von Ämtern mit. Diese Einflussnahme hat ihnen in der Vergangenheit beträchtliche Kritik eingebracht. Tatsächliche oder vermutete Parteipatronage ist eines der zentralen Themen der normativen Parteienkritik33 (v. Arnim 1993; Scheuch/Scheuch 1992), das gerade in der Öffentlichkeit auf große Resonanz stößt. Es gibt dagegen drei Hauptstoßrichtungen der politikwissenschaftlichen, empirisch orientierten Kritik an der Rekrutierungspraxis der Parteien:
Der personelle Einfluss der Parteien habe sich auf zu viele nicht genuin politische gesellschaftliche Bereiche ausgedehnt („Kolonialisierung der Gesellschaft durch Parteien“, v. Beyme 1995, 58). Die von Parteien rekrutierten Personen seien für bestimmte Ämter und Mandate ungeeignet, da nicht ihre fachliche Qualifikation, sondern ihre Parteibindung ausschlaggebend für ihre Wahl bzw. Ernennung sei (vgl. z.B. Lorig 2001). Der Auswahlprozess und allgemeiner die Karriereverläufe in Parteien seien intransparent und mit Blick auf die parteiinterne Demokratie undemokratisch (z.B. Niclauß 1995, 191f.).
Trotz aller Kritik und einer nahezu ständigen Konjunktur von Krisenszenarien des Parteiensystems (Jun 2002, 770) ist die Funktion der Parteien, politisches Personal zu rekrutieren, in der Politikwissenschaft grundsätzlich jedoch nicht umstritten, da sie in einem repräsentativen System normativ gut begründet ist und es zur Erfüllung dieser Funktion auch keine praktikable Alternative zu den Parteien gibt (v. Alemann 2003, 171).
33
Zur Einordnung der verschiedenen Formen von Parteienkritik siehe v. Alemann 2003, 182 ff.
38
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Forschungsstand: Rekrutierung, Auswahl und Nominierung von Kandidaten Will man allerdings wissen, wie in und durch Parteien Kandidaten rekrutiert, ausgewählt und nominiert werden, sieht man sich mit einem schmalen Forschungsstand konfrontiert. „Umso verwunderlicher ist es, dass in der Bundesrepublik vierzig Jahre vergangen sind, ohne dass sich die Politikwissenschaft systematisch forschend den Fragen zugewandt hat, aus welchem Reservoir Kandidaten für den Bundestag kommen, wer sie mit welchem Verfahren in den Parteien auswählt und nach welchen Kriterien dies geschieht.“(Schüttemeyer/Sturm 2005, 540)
Es gibt nur wenige Studien, die sich direkt mit Auswahlprozessen beschäftigen und die auch zum Teil schon sehr alt sind34. Kommunale Fallstudien werden aufgrund der besonderen Rolle der Parteien in der Kommunalpolitik allerdings erst im nächsten Abschnitt diskutiert. Der Schwerpunkt der Forschung in Deutschland liegt auf den Auswahlprozessen zu Bundestagswahlen, andere Ebenen werden eher stiefmütterlich behandelt. Zeitliche und regionale Bezüge der Fallstudien schränken deren Generalisierbarkeit ein. Für den nicht sehr breiten Forschungsstand sind verschiedene Gründe denkbar. Zum einen ist für Fallstudien zu Rekrutierung und Auswahl von Kandidaten auch wegen der Dauer solcher Prozesse das Verhältnis von Erhebungsaufwand und Chancen der Generalisierbarkeit ungünstig. Zum anderen, und darauf hat Kaack (1971, 467) schon hingewiesen, sind Parteien auch nicht unbedingt daran interessiert, über diese internen Prozesse Auskunft zu geben. Außerdem wüssten die Parteizentralen in der Regel auch weniger über die Abläufe in den niedrigeren Organisationsstufen, als man annehmen würde. Kaack kombiniert in seiner eigenen Studie daher quantitative Analysen mit Erfahrungswerten, die eher „zufälligen Einblicken“ des Autors entspringen. Er wendet daher bezüglich seiner eigenen Vorgehensweise selbstkritisch ein, dass dieses Verfahren nach streng wissenschaftlichen Maßstäben angezweifelt werden könne, aber in der Praxis ohne Alternative sei (Kaack 1971, 469). Im nächsten Schritt wird die Begriffsverwendung der Begriffe Kandidatenrekrutierung, Kandidatenauswahl und Kandidatennominierung in dieser Arbeit geklärt, um dann jeweils den Forschungsstand zu diesen Themen mit den folgenden Schwerpunkten kurz zu diskutieren:
34
Studien zur Kandidatenauswahl (s.o.). Rekrutierung und Auswahl als Nebenaspekt der Eliteforschung, wenn auch die Karrieren der befragten Positionsinhaber miterfasst werden (Herzog 1975, 1982, HoffmannLange 1992, 2003, Borchert 1999, Borchert/Stolz 2003). So lassen sich zwar Hypothesen darüber entwickeln, welcher Typ von Politiker sich in parteiinternen Auswahlprozessen in der Regel durchsetzt, genau genommen kann man aber die Erfolgsmerkmale eines Kandidaten ohne Kenntnis des Angebotes an alternativen Kandidaten nicht exakt isolieren, da man sie nicht mit dem Profil der Mitbewerber einer parteiinternen Konkurrenz vergleichen kann.
Vgl. z.B. zu Bundestagskandidaten die älteren Studien von Kaufmann/Kohl/Molt 1961, Zeuner 1970 und Kaack 1971. Eine neuere Studie zu den Direktkandidaten zur Bundestagswahl 2002 stammt von Schüttemeyer/Sturm 2005.
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
39
Kandidatenauswahl und -nominierung als Thema der Auseinandersetzung mit innerparteilicher Demokratie (v. Alemann 1992, 2003; Niedermayer 1993). Kandidatenrekrutierung ist immer zuerst Mitgliederrekrutierung, denn Mitglieder können auch zukünftige Kandidaten sein, müssen es aber nicht. Es ist sogar eher unwahrscheinlich, denn laut einer Schätzung bei von Alemann (2003, 144ff.) sind 75-80% der Mitglieder an der Basis einfache Beitragszahler ohne größere Aktivitäten. Von Alemann unterscheidet drei weitere Gruppen von Parteimitgliedern, die in unterschiedlichen Anteilen je nach Partei die restlichen 20-25% der Mitglieder ausmachen: die ehrenamtlich Aktiven, die hauptamtlich Aktiven und die Mandatsträger (v. Alemann 2003, 144 f.). Rekrutierung ist daher ein langfristig angelegter und dauerhafter Prozess des Auf- und Ausbaus eines Reservoirs an potentiellen Kandidaten mit ungewissem Ausgang, denn Mitglieder werden in der Regel nicht per Headhunter für bestimmte Aufgaben geworben, sondern entschließen sich freiwillig zur Mitgliedschaft35. „Mitglieder werden zunächst nicht positions- und rangspezifisch nach Kriterien der Ausbildung, Fähigkeiten und Qualifikationen rekrutiert, sondern nur für die Position des ‚einfachen’ Mitglieds.“ (Mintzel/Oberreuter 1992, 498).
Die Mitgliedschaft in einer Partei ist in Deutschland an wenige Vorraussetzungen gebunden: Mindestalter, ein ideologisch-programmatisches Bekenntnis, das keiner weiteren Überprüfung unterzogen wird und keine weitere Parteimitgliedschaft (Mintzel/Oberreuter 1992, 498). Daraus folgt für die Organisation die Notwendigkeit eines möglichst großen Mitgliederbestandes. Die Mitgliederentwicklung der etablierten Parteien ist aber seit 1990 rückläufig36. Der Mitgliederrückgang wirkt sich regional unterschiedlich aus. Daher kann die Auswahl von Kandidaten für Positionen, die ein bestimmtes Qualifikationsniveau erfordern (z.B. Bürgermeister als Verwaltungsleiter), zum Problem werden, da es auch für große Parteien keine Gewähr gibt, „(…) aus ihrem Mitgliederreservoir nach Anzahl und Qualifikation genügend Mitglieder für Führungspositionen auf den verschiedenen Ebenen und Sektoren der politischen Herrschaftsordnung auswählen zu können.“(Mintzel/Oberreuter 1992, 498). Die Wahrscheinlichkeit sinkt, je weniger Mitglieder die Organisationseinheit (z.B. Wahlkreise bei der Bundestagswahl oder ein Ortsverband) hat, die für die Auswahl eines Kandidaten zuständig ist37. Die Parteien haben die Notwendigkeit der „Pflege“ des Potentials an brauchbaren Kandidatinnen und Kandidaten erkannt und bieten zunehmend Möglichkeiten der parteieigenen Fortbildung und Qualifizierung
35
Zu Motiven der Mitgliedschaft vgl. Niedermayer 2001. Zur Mitgliederstruktur und – entwicklung vgl. Gabriel/Niedermayer 2001 sowie die bis zum Jahr 2006 aktualisierte Übersicht von Niedermayer unter http://www.polwiss.fu-berlin.de/osz/dokumente/PDF/AHOSZ11.pdf (Stand 27.11.2007). 37 Alternativ wäre es möglich, diese Themen nicht aus Sicht der Organisation Partei zu diskutieren, sondern die individuelle Perspektive eines an einer politischen Karriere orientierten Bürgers einzunehmen, wie dies z.B. Borchert (1999) und Borchert/Stolz 2003 tun, die politische Karrieren untersucht haben. Politische Karrieren sind mit einem besonderen Element der Unsicherheit behaftet verbunden, der demokratischen Anbindung an den Wählerwillen (Borchert/Stolz 2003, 148). Diese Perspektive wird an geeigneten Stellen einfließen.
36
40
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
über die parteinahen Stiftungen, die Bildungswerke und auf der kommunalen Ebene der kommunalpolitischen Vereinigungen an38. Die Sozialstruktur von Parteimitgliedern unterscheidet sich in einigen Merkmalen sowohl von der Gesamtbevölkerung als auch von ihrer Wählerschaft. Hinsichtlich des Altersaufbaus dominieren mittlere und ältere Jahrgänge, der Anteil der Männer ist deutlich höher als der der Frauen, gemessen an der Verteilung der Berufsgruppen ist der öffentliche Dienst überrepräsentiert und der Anteil der Mitglieder mit höherem Bildungsgrad ist deutlich größer als in der Bevölkerung (Gabriel/Niedermayer 2001, 286ff.; v. Alemann 2003, 142f.). Unter Kandidatenauswahl wird in dieser Arbeit im Unterschied zu Kandidatenrekrutierung der Prozess verstanden, der sich ca. ein bis zwei Jahre vor der eigentlichen Nominierung eines Kandidaten abspielt. Der Zeitkorridor der Nominierung wird von dem jeweiligen Wahlgesetz bestimmt, das festlegt, in welchem Zeitraum in Bezug zum Wahltermin ein eigens dafür gewähltes Gremium (in der Regel eine Delegierten – oder Mitgliederversammlung) Kandidaten nominieren kann. Abbildung 1:
Zeitliche Abfolge von Rekrutierung, Auswahl und Nominierung von Kandidaten
No minie ru ngsko rridor Wahltermin K andid aten ausw ahl
M i tg l i e d e r r e k r u t i e r u n g Quelle: Eigene Darstellung
Die Bundestagwahl 2002 fand beispielsweise am 22.09. 2002 statt, die Nominierungsfrist für Wahlkreise und Landeslisten begann im August 2001 und endete am 18.07. 2002, also etwa zwei Monate vor dem Wahltermin. Wenn ein Delegiertenparteitag für einen Wahlkreis im April 2002 stattgefunden hätte, dann würde die Phase der parteiinternen Kandidatenauswahl zu Beginn des Jahres 2001 begonnen haben39.
38
Beispielsweise die Kommunalakademie (http://www.bundes-sgk.de/servlet/PB/menu/1219384/index.html) der „Bundesvereinigung der Sozialdemokratischen Kommunalpolitiker“ (SGK), die Kommunalakademie der Friedrich-Ebert-Stiftung (http://www.kommunalakademie.net/) oder für die CDU die Akademie-kommunal der „Kommunalpolitischen Vereinigungen der CDU und CSU Deutschlands“ (KPV) oder der Bereich „KAS kommunal“ der Konrad-Adenauer-Stiftung (http://www.kas.de/politik_kultur/kommunalpolitik/48_webseite.html). Alle Internetseiten wurden am 05.07.2006 aufgesucht. 39 Daten aus Andersen/Bovermann/Gehne 2002a, 27 ff.
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
41
Die Kandidatenauswahl wird in der Regel durch die lokalen Parteieliten dominiert, einfache Mitglieder habe darauf weniger Einfluss, aber auch höhere Parteiebenen können die Auswahl nicht vorbestimmen (Kaack 1971, 596; Niedermayer 1993, 241; Poguntke 2001, 266; v. Alemann 2003, 156; Schüttemeyer/Sturm 2005, 546): „Die Kandidatenauswahl in den großen westdeutschen Parteien ist (…) nicht von oben diktiert oder von außen aufgezwungen; sie ist im wesentlichen Sache der Basisorganisationen der Parteien, wenngleich es dort gewöhnlich nur kleine Zirkel lokaler Funktionäre sind, die die Personalentscheidungen vorbereiten und damit auch weitgehend vorbestimmen.“ (Herzog 1982, 88).
Die Dominanz der Funktionäre und Mandatsträger bei der Kandidatenauswahl ist eines der Hauptargumente der Vertreter der Oligarchisierungsthese, die besagt, dass große Organisationen automatisch dazu tendieren, den Einfluss der Mitglieder zugunsten der Führungszirkel zu schwächen (Michels 1989). Diese These ist jedoch höchst umstritten. Niedermayer wendet ein, dass der Status des einflussreichen Funktionärs mangels Konkurrenz auf der lokalen Ebene leicht zu erreichen wäre und eher davon ausgegangen werden müsse, dass auf der lokalen Ebene das Problem nicht in mangelnden Beteiligungschancen und einer die Beteiligung der Mitglieder einschränkenden Führungsclique liege, sondern in der geringen Partizipationsbereitschaft der Mitglieder (Niedermayer 1993, 242.). Ähnlich fasst Schmitz seinen Überblick zu Partizipationsmöglichkeiten von Parteimitgliedern auf lokaler Ebene zusammen: „Überblickt man die Möglichkeiten zur Teilnahme an Wahlentscheidungen für parteiinterne Ämter auf der Ebene des Ortsverbandes, so sind sie zahlreich und beeindruckender als der Gebrauch, der von ihnen gemacht wird oder gemacht werden kann. Wer auf Ortsebene Einfluß ausüben will, scheint dazu in der Lage zu sein, soweit er bestimmte soziale Voraussetzungen erfüllt, über Zeit verfügt, Einsatzbereitschaft und subjektive Kompetenz.“ (Schmitz 1983, 195)
Außerdem muss die Annahme relativiert werden, es würde in jedem Fall aufgrund einer großen Anzahl von Interessenten eine intensive Konkurrenz um Mandate und Ämter herrschen, die aber von den Parteieliten aus Eigeninteresse eingeschränkt oder verhindert werde. Das Potential an geeigneten Kandidaten ist vermutlich geringer als angenommen, wenn man die Mitgliedszahl zugrunde legt, wie die folgende Modellrechnung von Kaack (1971, 602) am Beispiel eines „typischen“ Bundestagswahlkreises der SPD zeigt:
42
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Tabelle 2: Eingrenzung des Kandidatenpotentials bei Bundestagswahlen (Kaack) Anzahl 3200
Anteil 100%
- 2720 480 - 96 384 - 288 96 - 64 32 - 16
85% 15% 3% 12% 9% 3% 2% 1% 0,5%
16 -8
0,5% 0,25%
8 -4 4
0,25% 0,125% 0,125%
Gruppe Durchschnittl. Mitgliederanzahl auf Bundestagswahlkreisebene (SPD) Nicht aktiv Aktive Mitglieder Ohne Funktionäre Funktionäre Auf kommunalpolitischen Horizont beschränkt Überlokal aktive Mitglieder Infolge mehrstufiger Hierarchie ohne Chance Innerer Kern der Partei Mit Ämtern saturiert (aus eigener Überzeugung, vielleicht mit Nachhilfe der Parteifreunde) Ernsthafte Ambitionen Ohne Anhang, Hausmacht bzw. Protektion, ohne Ausgangsbasis (Kandidaten der einsamen Illusion) Ambitionierte mit Hintergrund Repräsentanten aussichtsloser Minderheiten Ambitionierte, die in die engere Wahl kommen könnten: das effektive Kandidatenpotential
Quelle: Tabelle 156, aus: Kaack, Heino 1971: Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems. Opladen, S. 602.
Diese Berechung ist zwar nicht repräsentativ, zeigt aber anschaulich, wie Auswahlprozesse in einer Parteigliederung ablaufen und welche Merkmale die Chancen von Kandidatinnen und Kandidaten verbessern oder verschlechtern können. Je nach Wahlebene und Amt oder Mandat kann sich das Gewicht dieser Merkmale aber verändern. Die Initiative zur Kandidatenauswahl geht meistens von den Vorständen aus, ein Teil der beteiligten Funktionäre sind auch selbst potentielle Kandidaten, so dass es nicht nur um die Auswahl eines geeigneten Kandidaten geht, sondern auch um Kompensationen für nicht berücksichtigte Personen. Bei Bundestagswahlen wird der Auswahlprozess dann kompliziert, wenn zu einem Wahlkreis mehrere Orts- und Kreisverbände gehören und diese sich auf einen Kandidaten einigen müssen, da verschiedene Führungsgruppen zu einer gemeinsamen Lösung kommen müssen (Kaack 1971, 603; Schüttemeyer/Sturm 2005, 546). Besteht Uneinigkeit zwischen den an der Vorauswahl beteiligten Personen, erweitert sich schrittweise der Kreis der involvierten Mitglieder, in Ausnahmefällen bis hin zu einer unter Beteiligung der Öffentlichkeit geführten Auseinandersetzung um die Kandidatur, die dann auch zur „Schlammschlacht“ ausarten kann. Allerdings findet in der Regel gar kein Auswahlprozess statt, wenn der Mandatsträger selbst wieder antritt. Dieser kann seinen Bekanntheitsgrad und seine Erfahrung in die Wagschale werfen und hat so einen deutlichen Vorsprung vor seinen potentiellen Mitbewerbern (Kaack 1971, 612 ff.). Bei der Bundestagswahl 2002 hatten 57% der CDU- und 66,5% der SPD-Wahlkreiskandidaten bei der Nominierung keine Gegenkandidaten. Noch weniger Gegenkandidaten gab es bei kleinen Parteien, was auf die geringere Konkurrenz zurückgeführt wurde. Bei großen Parteien war
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
43
die Konkurrenzsituation ausgeprägter, da aufgrund der hohen Zahl an gewonnenen Direktmandaten in manchen Landesverbänden sichere Listenplätze knapp wurden (Schüttemeyer/Sturm 2005, 548)40. Fälle mit internen Gegenkandidaten sind also die Ausnahme. Wenn eine Auswahlprozess tatsächlich stattfindet, kommt nach Niedermayers Auswertung des Forschungsstandes ein ganzes Kriterienbündel ins Spiel, das die Kandidatenauswahl beeinflussen kann: „Mandatsprestige und bisherige Erfolge, Gruppenzugehörigkeit, regionale Repräsentation, kommunales Engagement, Fachkompetenz, Integrität, persönliche Sympathie, Proporzüberlegungen, lokale Popularität und Verbundenheit, soziale Partizipation (insbesondere Tätigkeit in lokalen Vereinen), sozialstrukturelle Faktoren, Anziehungskraft auf neue Wählerschichten, Rolle und Funktion innerhalb der Partei und die dadurch mobilisierbare ‚Hausmacht’.“ (Niedermayer 1993, 242)
Diese Kriterien müssen mit drei weiteren Faktoren gewichtet werden: der Wahlebene, der Gemeindegröße und der Existenz eines Amtsinhabers (Niedermayer 1993, 242). Das Kriterienbündel weist auf ein doppeltes Dilemma bei der Kandidatenauswahl hin. Zum einen wird es keinen Kandidaten geben, der alle Kriterien erfüllen kann, so dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass die Auswahl in der einen oder anderen Hinsicht suboptimale Ergebnisse liefern wird. Zum anderen verdeutlicht die Kombination von Kriterien, die Wähler ansprechen sollen (z.B. Fachkompetenz, lokale Popularität und Verbundenheit) und von Kriterien, die eher die Parteimitglieder betreffen (z.B. Proporzüberlegungen oder Rolle und Funktionen in der Partei) den von von Alemann beschriebenen Widerspruch zwischen Mitgliedschaftslogik und Einflusslogik, der sich in Interessenorganisationen nur schwer auflösen lässt (v. Alemann 2003, 131). Wie sich Kandidaten von „einfachen“ Parteimitgliedern unterscheiden, ist auf der Grundlage der vorliegenden Studien schwer zu beschreiben, da man mehr über gewählte Mandatsträger weiß als über unterlegene Kandidaten, denn erfolglose Kandidaten interessieren in der Regel nicht. Die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Kandidatur für einen Landtag oder den Bundestag scheint aber zu steigen, wenn vorher bestimmte „Bewährungsstufen“ durchlaufen wurden (v. Alemann 2003, 147):
langjährige Mitgliedschaft in einer Partei und vorher auch in den entsprechenden Schüler- und Jugendgruppen, Übernahme erster Parteiämter auf kommunaler und regionaler Ebene, erste Mandatserfahrungen auf der kommunalen Ebene oder im Landtag, Wahl in den Bundestag.
In einer Studie zu Landtagsabgeordneten von Borchert/Stolz (2003) waren 75% aller befragten Landtagsabgeordneten Aufsteiger, die ihren Weg entweder über eine Karriere in der Kommunalpolitik (62%), in der Partei (29%) oder sonstigen Funktionen (9%) begannen.
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Bei der Kandidatenauswahl zur Bundestagswahl 1969,die Kaack eingehend untersucht hat, hatten 87% der CDU- und 77% der SPD-Bundestagsabgeordneten bei ihrer erneuten Kandidatur keine Gegenkandidaten, zehn Prozent der CDU- und 20% der SPD-Abgeordneten konnten sich gegen Gegenkandidaten durchsetzen und nur jeweils drei Prozent unterlagen einem Gegenkandidaten in einer Kampfabstimmung (Kaack 1971, 614).
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Weitere 20% aller Abgeordneten waren Seiteneinsteiger, der Rest sog. Absteiger von höheren Ebenen (Borchert/Stolz 2003, 157ff.). Der geringe Anteil der Seiteneinsteiger ist wenig überraschend, wenn man bedenkt, welchen Weg viele der Mandatsträger bis zu ihrem ersten Mandat zurückgelegt haben. Der Typus des Seiteneinsteigers widerspricht auch der schon angesprochenen Mitgliedschaftslogik. Die Kandidatennominierung für Wahlkreise und Listenmandate auf verschiedenen Ebenen des politischen Systems ist ein in erster Linie rechtlicher Vorgang, der von den entsprechenden Wahlgesetzen im Detail geregelt wird. Daher enthalten die meisten Parteisatzungen dazu gar keine eigenen Regelungen mehr (Poguntke 2001, 266). Wahlkreiskandidaten und Landeslisten bei Landtags- und Bundestagswahlen werden in Mitglieder- oder Delegiertenversammlungen in geheimer Abstimmung gewählt41. Wie die Kandidatenbefragung von Schüttemeyer/Sturm zeigte, gibt es Unterschiede zwischen den großen Parteien hinsichtlich des präferierten Nominierungsverfahrens. So werden 64,4% der CDUKandidaten in einer Mitgliederversammlung gewählt, 85,2% der Kandidaten der CSU und 72,4% der Kandidaten der SPD in Delegiertenversammlungen (Schüttemeyer/Sturm 2005, 544). Die Einhaltung der Nominierungsvorschriften wird von Wahlleitern je nach Wahlgang auf Wahlkreis, auf Landes- und Bundesebene kontrolliert. Da oft die personellen Entscheidungen schon vorher im Kreis der Vorentscheider getroffen worden sind, werden Kandidaten in Wahlkreisen auf Parteitagen in der Regel ohne Widerspruch bestätigt. Die Verabschiedung von Landeslisten kann dagegen schon konfliktreicher verlaufen, da die Koordination der verschiedenen Interessengruppen mit Hilfe verschiedener Proporzverfahren (Kaack 1971, 622ff.) wesentlich schwieriger sein und daher am Parteitag noch zu Auseinandersetzungen und Kampfabstimmungen um aussichtsreiche Listenplätze führen kann (Rudzio 2003, 183). Normalerweise sind Parteitage aber stärker ein Mittel der Selbstdarstellung und Demonstration von Einigkeit gegenüber der Öffentlichkeit und den politischen Gegnern als der Auseinandersetzung über Inhalte und Personen, so dass von der Parteitagsregie versucht wird, öffentlich ausgetragenen Streit zu vermeiden. Rudzio resümiert: „Was an der Basis zu beobachten ist, setzt sich ähnlich auf den höheren Parteiebenen fort: dass sich Entscheidungsprozesse in kleinere Gremien verlagern, während demokratisch besonders legitimierte Parteitage meist nur in akklamierend-bestätigender Rolle in Erscheinung treten werden.“ (Rudzio 2003, 182).
Als Reaktion auf Mitgliederschwund und sinkendes Engagement von Mitgliedern wird auch in Parteien über neue Wege der Aktivierung und Beteiligung von Mitgliedern und der Werbung von neuen Mitgliedern diskutiert. Empirische Studien ergeben, dass Mitglieder die direkte Beteiligung an wichtigen Entscheidungen befürworten würden (Lübke 2002). Dies gilt nicht nur für Sachfragen, sondern auch für Personalentscheidungen wie die Aufstellung eines Wahlkreiskandidaten bei der Bundestagswahl oder für die Urwahl eines Bundesvorsitzenden (Lübke 2002, 725 f.). Seit Mitte der neunziger Jahre haben verschiedene Parteien mit Formen der Mitgliederbefragung experimentiert. Eines der ersten bekannten Beispiele war die Urwahl des Parteivorsitzenden der SPD Scharping 1993. Aktuelle
41
Zu institutionellen Regelungen für NRW vgl. Andersen/Bovermann/Gehne 2002a, 27ff. und Andersen/Gehne 2005a, 24ff..
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
45
Beispiele waren Ende 2004 der Mitgliederentscheid der CDU in Baden-Württemberg, der Oettinger zum Nachfolger des zurückgetretenen Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden Teufel bestimmte und die Mitgliederbefragung der CDU in Rheinland-Pfalz zur Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl 2006, die Böhr für sich entscheiden konnte. Bisher liegt aber noch keine zusammenfassende wissenschaftliche Bewertung dieser Versuche der stärkeren Einbindung der Mitglieder an der Auswahl von Kandidaten vor, die auch die auf Wahlkreisebene gemachten Erfahrungen einbezieht. Über die Motivation der Parteiführungen, die diese Verfahren initiiert haben, kann man im Einzelfall streiten. Ob es dabei immer in erster Linie um die Stärkung der innerparteilichen Demokratie ging, darf bezweifelt werden. In den Fällen Oettinger und Böhr kann die Ursache auch in einer defekten Führungsstruktur der Landespartei gesehen werden. Keines der konkurrierenden Lager war mehr in der Lage war, sich innerhalb der Führungsstrukturen mit seinem Personalvorschlag durchzusetzen, so dass die Parteiführung ihr Heil letztendlich in der Mitgliederbefragung suchen musste. Die Mitglieder bekamen in diesen Fällen eine Schlichterrolle zugewiesen, da es eine Absprache gab, das Votum der Mitglieder auf jeden Fall umzusetzen, auch wenn dies als Übergriff in die Entscheidungsfreiheit von Delegierten (Rheinland-Pfalz) oder Landtagsabgeordneten (Baden-Württemberg) gewertet werden kann. Diese Vorgehensweise mag letztlich gut für die innerparteiliche Demokratie sein, spricht aber nicht für die Entscheidungsfähigkeit der Parteiführung bei der Personalauswahl. Für eine erfolgreiche politische Arbeit benötigt eine Partei aber beides. Zusammenfassung Parteien haben zwar kein Monopol der Rekrutierung und Auswahl von Kandidaten, aber ein Privileg, das sie intensiv nutzen. In der politikwissenschaftlichen Diskussion ist die Selektionsfunktion von Parteien grundsätzlich nicht umstritten, sie gehört in allen Funktionskatalogen zu den wichtigsten Funktionen von Parteien. Kritik macht sich daran fest, wie Parteien Kandidaten auswählen (Intransparenz und mangelnde Partizipation der Mitglieder) und welche Ergebnisse die Auswahl erbringt (ungeeignete Personen). Die zugeschriebene Bedeutung der Selektionsfunktion in der Wissenschaft steht aber beinahe in einem umgekehrten Verhältnis zum Forschungsstand in diesem Bereich, der nicht sehr breit und eher veraltet ist. Trotzdem lassen sich aufgrund des Forschungsstandes auf einer allgemeinen Ebene die „Standard operating procedures“ von Rekrutierung, Auswahl und Nominierung in und durch Parteien nachvollziehen. Rekrutierung ist ein langfristig angelegter Prozess der Gewinnung von Mitgliedern, die parteiintern sozialisiert und ausgebildet werden. So entsteht ein Reservoir potentieller Kandidaten für Ämter und Mandate. Dieser Prozess ist nur schwer steuerbar und sein Ausgang ist ungewiss, so dass in konkreten Auswahlprozessen hinsichtlich des Sozialprofils und der nötigen Qualifikationen nicht immer geeignete interne Bewerber vorhanden sein müssen. Die Kandidatenauswahl, die vor der eigentlichen Nominierung stattfindet, wird in der Regel von den Parteieliten dominiert, die häufig aus ihrer Mitte einen geeigneten Kandidaten auswählen. Daher ähnelt das Profil der Kandidaten auch stark dem der Parteieliten. Offene Konflikte sind eher unüblich, meistens gibt es keine parteiinternen Gegenkandidaten, vor allem dann, wenn Mandatsträger erneut kandidieren. Auch hier zeigt sich, dass die Konkurrenz nicht sehr ausgeprägt sein muss, da verschiedene Profilmerkmale dazu führen, dass Personen nicht in Frage kommen, wie Kaack es exemplarisch beschrieben hat. Die
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Dominanz der Eliten ist nicht immer eine Folge deren Machtgebrauchs, sondern kann auch in mangelnder Partizipationsbereitschaft der Mitglieder begründet liegen. Die Kriterien der Kandidatenauswahl sind vielfältig und müssen der jeweiligen Ebene oder Funktion entsprechend angepasst werden. Die Auswahl unterliegt einem doppelten Dilemma. Erstens wird es oft keinen Kandidaten geben, der alle Kriterien erfüllen kann, so dass die Wahrscheinlichkeit eines suboptimalen Auswahlergebnisses groß ist. Zweitens unterliegt auch die Kandidatenauswahl den von von Alemann beschriebenen Widerspruch zwischen Mitgliedschaftslogik und Einflusslogik, da z.B. die Anforderungen, die Wähler und Mitglieder an das Profil eines Kandidaten stellen, nicht immer deckungsgleich sind. Die Nominierung ist einerseits ein entsprechend der Wahlgesetze geregelter formaler Vorgang, der den legalen Zugang von Kandidaten zur Wahl regelt. Andererseits ist sie ein symbolischer Vorgang, da die entsprechenden Parteitage von den Parteien zunehmend zur Selbstdarstellung und Demonstration von Einigkeit gegenüber der Öffentlichkeit genutzt werden. Daher ist es auch wenig verwunderlich, dass offene Konkurrenz um Kandidaturen eher die Ausnahme ist, da die Parteitagsregie bemüht ist, alles im Vorfeld abzustimmen. Wenn Konflikte stattfinden, werden sie von den Medien meist aufmerksam registriert. Sowohl Auswahl als auch Nominierung lässt sich aber nur schwer „von oben“, d.h. von formal nicht für die Nominierung zuständigen höheren Parteiebenen steuern, da sich die zuständigen Parteigliederungen ihr Recht der Nominierung nicht streitig machen lassen wollen. Daher kann es dazu kommen, dass solche Einflussversuche auf Parteitage „von unten“, also von den Delegierten, verhindert werden. Sowohl bei der Kandidatenauswahl als auch bei der Nominierung experimentieren Parteien zunehmend mit neuen, stärker an der Mitgliederbeteiligung orientierten Formen. Ob dies auf Dauer der parteiinternen Demokratie zugute kommt, muss an anderer Stelle analysiert werden. Ob Parteien auch unter neuen institutionellen Rahmenbedingungen ihren Routinen folgen, oder sich den neuen Rahmenbedingungen anpassen, wird in dieser Arbeit eine der Leitfragen sein. Ein Teil der empirischen Analysen wird sich der Frage der parteiinternen Kandidatenauswahl bei Bürgermeisterwahlen mit dem Anspruch widmen, die Faktoren zu ermitteln, die Parteien dazu bringen, ihre bewährten Pfade zu verlassen.
2.2.2 Parteien und Wahlen auf der kommunalen Ebene: Einfluss konkurrenz- und konkordanzdemokratischer Muster Im folgenden Abschnitt werden zunächst die Grundpositionen zur Rolle der Parteien in der Kommunalpolitik aus Sicht verschiedener Strömungen in der kommunalwissenschaftlichen Debatte nachgezeichnet. Dann wird kurz auf die besondere Wettbewerbssituation bei Wahlen auf kommunaler Ebene eingegangen, da Parteikandidaten bei Rats- und Bürgermeisterwahlen deutlich mehr Konkurrenz durch Wählergruppen und Einzelbewerber haben als bei Landtagswahlen oder gar bundesweiten Wahlen. Analog zum vorangegangenen Kapitel wird im nächsten Schritt der recht geringe Forschungsstand zu Rekrutierung, Auswahl und Nominierung bei Bürgermeisterwahlen wiedergegeben um abschließend die Besonderheiten der kommunalen Ebene im Vergleich zu anderen Ebenen zusammenzufassen.
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
47
Grundpositionen zur Rolle der Parteien in der Kommunalpolitik Die Bewertung von Rolle und Funktionen von Parteien auf der kommunalen Ebene unterscheidet sich stark unter den wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit Kommunalpolitik und –verwaltung auseinander setzen. In diesem „verfassungspolitischen Bekenntnisstreit“ (Holtmann 1998, 208) stehen auf der einen Seite die Anhänger des Paradigmas der kommunalen Selbstverwaltung, die auf dieser Grundlage dem Einfluss von Parteien skeptisch bis ablehnend gegenüber stehen. Sie befürworteten in den Reformdebatten der 1980er und 1990er Jahren Reformen des institutionellen Rahmens, die den Parteieneinfluss z.B. durch eine Veränderung des Wahlmodus bei der Ratswahl (Kumulieren und Panaschieren) beschränken sollten (stellvertretend Knemeyer/Jahndel 1991, Knemeyer 1998, Banner 1984). Auf dieses Lager soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden42. Auf der anderen Seite befinden sich Vertreter des Paradigmas der kommunalen Demokratie, die Parteieneinfluss als normal und zweckmäßig ansehen und sich zum Teil mit deutlichen Worten von dem „vordemokratischen Politikverständnis“ (Holtmann 2001, 406) und der „dezidiert antiparteilichenTradition“ (Gabriel 1991, 372) mancher juristischer Kommunalwissenschaftler abgrenzen (vgl. Naßmacher 1997; Naßmacher/Naßmacher 1999, 34). Allerdings sind in diesem Lager auch Juristen zu finden, z.B. Lintz (1973), der zwar das Gebot der kommunalen Selbstverwaltung als begrenzendes Prinzip der Parteientätigkeit ansieht und die Stadtverwaltung für unpolitisch hält, Parteien aber aufgrund ihrer Funktionen (besonders Aktivierung und Mediatisierung) trotzdem für notwendig und nicht durch andere Organisationen (z.B. Vereine) ersetzbar hält (Lintz 1973, 177). Oder Strauß (1998), die in ihrer Dissertation die Übertragbarkeit der Parteienstaatstheorie von Leibholz (1967) auf die lokale Ebene überprüft und zu dem Ergebnis kommt, dass sich die Leibholzsche Parteienstaatstheorie als ein „konstruktiver Ansatz zur Lösung aktueller Herausforderungen der Kommunalpolitik erweist.“ (Strauß 1998, 131)43. Vertreter dieses Paradigmas gehen in der Regel grundsätzlich davon aus, dass Parteien auf kommunaler Ebene die gleichen Funktionen wahrnehmen sollen und müssen wie auf anderen politischen Systemebenen. Einige Autoren stellen seit den siebziger Jahren einen anhaltenden Trend der Parteipolitisierung der Kommunalpolitik fest und bewerten diese als Modernisierungsprozess, der aufgrund der wachsenden sozialen und ökologischen Probleme notwendig gewesen sei. „Die moderne Sichtweise [von Kommunalpolitik; DHG], die eher von Politikwissenschaftlern und Sozialdemokraten vertreten wird, hält Parteipolitik auch im Rathaus für notwendig, weil das Ringen einer Gesellschaft um mehr Gleichheit und mehr öffentliche Dienstleistungen auch in den Gemeinden stattfindet. Träger dieses Ringens sind die politischen Parteien und Fraktionen in Bund, Land, Kreis und Gemeinde.“ (Nassmacher/Nassmacher 1999, 33)
Holtmann sieht auch aufgrund der wachsenden Politikverflechtung zwischen den Systemebenen eine Aufwertung der Parteipolitik in den Kommunen:
42
Vgl. dazu auch Kapitel 2.1.2. Eine Feststellung, die in dieser Form in der Parteienforschung sicher nicht unumstritten wäre. Vgl. den Überblick zur Leibholz-Rezeption bei Stöss 2001.
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
„Längst nehmen Ortsverbände von Parteien, ihre Ratsfraktionen und parteigebundenen hauptamtlichen Verwaltungsbeamten, insbesondere (Ober-)Bürgermeister und Landräte auf kommunaler Ebene wichtige Funktionen politischer Steuerung wahr, weil sie als Teil ihrer Gesamtpartei und als lokale Organisationen spezifische Handlungsressourcen aktivieren können.“ (Holtmann 2001, 409).
Das Politikverständnis dieser Gruppe entspricht – anders als bei den weiter unten zu diskutierenden Autoren – eher konkurrenzdemokratischen Mustern. Holtkamp kritisiert dieses Lager, da bei der Abwertung kommunaler Konkordanzdemokratie zugunsten von Konkurrenzdemokratie mit Parteieneinfluss einseitig die Schwächen der Konkordanzdemokratie hervorgehoben würden. Die Autoren verknüpften normative und empirische Fragen zu stark und übersähen durch die Extrapolation der Parteipolitisierung der 1970er Jahre seit den 1980er Jahren die Differenzierung nach unterschiedlichen regionalen Entwicklungspfaden (Holtkamp 2003, 4f.). Auf der politikwissenschaftlichen Seite sind aber auch verschiedene empirisch orientierte Positionen zu nennen, die Parteieneinfluss differenzierter analysieren: zum einen die Autoren, die eine Ausweitung von Formen der Bürgerbeteiligung jenseits und in Ergänzung zu lokalen Parteien und der repräsentativen Demokratie befürworten (Wollmann 1998b, 1999; Roth 1998; Bogumil/Holtkamp/Schwarz 2003). Sie erhoffen sich davon eine Steigerung der Input-Legitimation von Kommunalpolitik, die die Parteien alleine nicht mehr ausreichend zu leisten vermögen. Dieser Strang der Diskussion ist der Auseinandersetzung um den Umbau und die Modernisierung der Kommunalverwaltung unter stärkerer Beteiligung der Bürgerschaft zuzuordnen und soll an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden. Zum anderen gibt es einige Autoren, die Rolle und Funktion von Parteien in der Kommunalpolitik vergleichend untersuchen. Ausgehend von der Beobachtung, dass Parteieneinfluss regional variiert, wird versucht, Einflussfaktoren zu isolieren, die den unterschiedlichen regionalen und lokalen Parteieneinfluss erklären (z.B. Gabriel 1979; Engel 1988; Wehling 1991; Kersting 2002; Holtkamp 2003; 2006). Wehling benennt drei Dimensionen der Parteipolitisierung von Kommunalpolitik: die inhaltliche, die prozedurale sowie die personelle Dimension (Wehling 1991, 150). Inhaltliche Parteipolitisierung bedeutet laut Wehling die Orientierung an übergeordneten politischen Programmen in der Argumentation auf Gemeindeebene sowie die Diskussion von Themen in der Gemeindevertretung, für die die Gemeinde gar nicht zuständig ist (z.B. „Atomwaffenfreie Zonen“). Prozedurale Parteipolitisierung ist erkennbar am Ausmaß konkurrenzdemokratischer im Vergleich zu konkordanzdemokratischen Verhaltensmustern. Ein Indikator wäre der Anteil einstimmiger Abstimmungen im Gemeinderat und die damit zunehmende Bedeutung von Vorentscheidungen und Fraktionsdisziplin. Personelle Parteipolitisierung ergibt sich aus dem Anteil der Verwaltungsspitzen sowie von Gemeinderatsmitgliedern, die politischen Parteien angehören und die sich in Fraktionen organisieren. Eine besonders starke Parteipolitisierung liegt dann vor, wenn auch unterhalb der Verwaltungsspitze die Mitarbeiter parteipolitisch zugeordnet werden können bzw. das Parteibuch sogar als Zugangsvoraussetzung zu diesen Stellen gilt (Wehling 1991, 150). Parteipolitisierung wird nach Wehling von drei Variablen beeinflusst: Gemeindegröße, Typ der Kommunalverfassung und der politischen Kultur (Wehling 1991, 158). Konzentriert man sich auf die personelle Parteipolitisierung der Kommunalpolitik, ergeben sich folgende Wirkungen der Einflussfaktoren. Je größer die Gemeinde ist, desto eher müssen Wählerinnen und Wähler von der Orientierungsfunktion der Parteien
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
49
Gebrauch machen, da sie das Kandidatenangebot nicht mehr überblicken können. Je größer die Gemeinde, desto mehr sind die Kandidatinnen und Kandidaten für den Gemeinderat und vor allem auch für das Bürgermeisteramt auf die organisatorische und finanzielle Unterstützung der Parteien angewiesen. Dadurch wächst die Bedeutung der Selektionsfunktion der Parteien. Das Institutionenarrangement (Gemeindeordnung und kommunales Wahlrecht) kann die Parteipolitisierung der Kommunalpolitik dämpfen, wenn bestimmte institutionelle Regelungen gelten. Bei der Ratswahl wäre dies beispielsweise das Wahlverfahren (z.B. Kumulieren und Panaschieren), da es den Einfluss der Parteien auf die Besetzung des Rates zugunsten der Wählerinnen und Wähler eingeschränken kann. Auch bei Bürgermeisterwahlen kann die Ausgestaltung des Vorschlagsrechts Parteieinfluss beschränken. Der „frühe“44 Wehling geht jedoch nicht so weit, den Institutionen determinierende Wirkungen zuzuschreiben, sondern hält Institutionen für mehr oder weniger hindernd oder fördernd für die Präferenzen der Akteure. Daher kommt der Variable politische Kultur eine große Bedeutung zu, die dazu führen kann, dass „ein und dieselbe Kommunalverfassung (…) durchaus anders ausgefüllt werden [kann; DHG], je nach vorherrschender politischer Kultur.“ (Wehling 1991, 159). Wehlings Thesen zum regional unterschiedlichen Parteieinfluss waren fast schon ein Forschungsprogramm für eine regional vergleichende Studie, die er selbst aber nicht durchgeführt hat. Wehlings Aussagen stützten sich in der Regel auf seine genaue Kenntnis des Landes Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg ist der Anteil der parteigebundenen Bürgermeister traditionell niedriger als in anderen Bundesländern (Wehling/Siewert 1987). In Abgrenzung zu anderen Bundesländern weist er darauf hin, dass dort aufgrund der Gemeindegrößenstruktur (Durchschnittsgröße unter 10.000 Einwohner), der Kommunalverfassung (starke Position des Bürgermeisters, kein Vorschlagsrecht der Parteien sowie Kumulieren und Panaschieren bei der Ratswahl) und der politischen Kultur im Sinne der Einstellung der Bürgerschaft gegen Parteienkonflikte sowie der konkordanten Einstellung der Bürgermeister und Ratsmitglieder die Parteipolitisierung weniger ausgeprägt sei. Dementsprechend ist die Bedeutung der Selektionsfunktion von Parteien in der Kommunalpolitik in Baden-Württemberg geringer als auf anderen politischen Ebenen. Jedoch ließ sich an der regionalen Differenzierung innerhalb des Landes in die Landesteile Baden und Württemberg auch der Einfluss der politischen Kultur nachweisen, da in Baden bei gleichem institutionellem Arrangement die Parteipolitisierung ausgeprägter war (Wehling/Siewert 1987, 83 ff.)45. Die Einflussfaktoren Gemeindegröße46 und institutioneller Rahmen47 sind weitgehend akzeptiert und gut erforscht. Wie es dazu kommt, dass die Gemeindegröße Einfluss auf die 44
Anders der spätere Wehling (2003), der nach der Reform der Gemeindeordnungen eine Angleichung an süddeutsche Politikmuster erwartet (vgl. auch Kapitel 2.1.2). 45 Eine Bestätigung der regionalen Unterschiede in Baden-Württemberg ergaben auch die Studien von Mielke zu den politischen Traditionen in Baden-Württemberg (1991), Köser (2000) zu den Gemeinderäten und die Analyse von Gehne/Holtkamp (2005) zu den baden-württembergischen Bürgermeistern. 46 Vgl. z.B. die Ergebnisse zum Einfluss der Gemeindegröße auf das lokale Parteiensystem in Rheinland-Pfalz (Gabriel 1991), das die Gemeindegröße berücksichtigende Forschungsprojekt zur Kommunalwahl 1999 in NRW mit Fallstudienstädten in verschiedener Größe sowie landesweiten Analysen (Andersen/Bovermann 2002), oder die Befragung von Fraktionsvorsitzenden und Bürgermeistern im Ländervergleich Baden-Württemberg – Nordrhein-Westfalen unter Einbeziehung der Gemeindegröße (Gehne/Holtkamp 2005). 47 Vgl. die Ausführungen im Kapitel 2.1.2.
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Funktionen von Parteien hat, wird in folgendem klassischen Zitat aus einem frühen Aufsatz von Mayntz geradezu idealtypisch formuliert: „ ‚Abends sitzen wir alle auf den Milchkannen, da wird gesagt, was gesagt werden muss, da brauchen wir keine Parteien.’– dieses Zitat drückt in wenigen Worten aus, wie sich der Bewohner der kleinen Gemeinde überwiegend die Willensbildung für die Gemeindegestaltung denkt. Die Menschen, die im Gemeinderat sitzen, sind seine Nachbarn, Vereinsfreunde und Berufskollegen. Er kennt sie persönlich.“ (Mayntz 1955, 66).
Diese (idyllische) Form von gemeindlicher Milchkannen-Basisdemokratie bedarf tatsächlich keiner Repräsentation, Vermittlung oder Orientierung durch Parteien. Die hier hervorgehobene „soziale und personelle Nähe“48 ist eine Besonderheit der sehr kleinen, sozial homogenen Gemeinde, die heute in vielen Gegenden so nicht mehr existiert. Trotzdem ist unmittelbar nachvollziehbar, dass die Wahrscheinlichkeit, Ratsmitglieder, Parteifunktionäre oder den Bürgermeister persönlich zu kennen mit der Gemeindegröße sinkt. Lehmbruch weist darauf hin, dass sich kleine Gemeinden lange noch in einem Stadium der Honoratiorenpolitik befunden hätten, da mit Vorliebe bestimmte lokal bedeutsame Persönlichkeiten in den Gemeinderat gewählt würden. Der Bürgermeister war dagegen der einzige Akteur, dessen Rolle sich professionalisiert habe, da er für die Kontakte nach außen zuständig sei und mit den einschlägigen Rechtsvorschriften vertraut sein müsse (Lehmbruch 1979, 323ff.). Lehmbruch verdeutlicht den besonderen Charakter der Ortspartei mit dem Bild vom „Januskopf der Ortsparteien“, die auf der lokalen Ebene ein anderes Gesicht zeigen als auf anderen politischen Ebenen. Auf der lokalen Ebene würden sie sich unsichtbar machen und darauf beschränken, ihren Mitgliedern Geselligkeit und Zusammenhalt zu vermitteln, da den Parteien von der Bürgerschaft auf lokaler Ebene keine besondere Rolle zugebilligt werde. Sie seien nur ein Verein unter vielen. Das andere Gesicht des Januskopfes schaut aber in Richtung der „großen Politik“, hinsichtlich der die Parteien ihre Orientierungsfunktion für die Bürgerschaft ausfüllen müssen (Lehmbruch 1979, 330.). Thesen über den Einfluss der politischen Kultur auf die Funktion von Parteien sind ebenfalls weit verbreitet, allerdings gibt es nur wenige Fall- und Länderstudien, für die auch die dazu notwendigen aufwändigen Bevölkerungsumfragen durchgeführt wurden und in denen der Parteienaspekt oft nur am Rande thematisiert wurde. Einige neuere Beispiele sind:
Die Stuttgart-Studie von Gabriel/Brettschneider/Vetter (1997) und die Responsivitätsanalyse von Walter (2002), die dasselbe Datenmaterial verwendet, bezogen sich in erster Linie auf die Gemeinderatswahlen in einer Großstadt. Es wurden zwar Erkenntnisse über die politische Kultur in einer Großstadt gewonnen, die aber nur begrenzt übertragbar sind. Für die Wahlstudie zur ersten Bürgermeisterwahl in NRW von Andersen/Bovermann (2002) wurden zwar Bevölkerungsumfrage in vier unterschiedlich großen Fallstudien-
48 Andersen unterscheidet weiterhin nach der räumlichen, sachlichen und emotionalen Dimension von Nähe, die eine Besonderheit der kommunalen Ebene ist, die zwar von der Gemeindegröße berührt wird, aber im Vergleich zu anderen politischen Ebenen das Potential zu einer besonderer Problemlösungsfähigkeit der Kommunalpolitik unter Beteiligung der Bürgerschaft hat (Andersen 1998a, 17f.).
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
51
städten und eine landesweite Bevölkerungsumfragen durchgeführt, die Ergebnisse zur politischen Kultur flossen aber nur am Rande in die Analyse des Wahlverhaltens in den Fallstudienstädten (Bovermann 2002), die Responsivitätsanalyse (Holtkamp 2002b) und den Kenntnisstand der Bevölkerung zur Reform der Gemeindeordnung ein (Andersen 2002). Im Projekt „Bürgerkommune“ (Bogumil/Holtkamp 2002; Bogumil/Holtkamp/Schwarz 2003) wurde eine ländervergleichende Analyse der Einstellung von kommunalen Mandatsträgern in zwei Fallstudien durchgeführt, die allerdings nicht durch landesweite Bürgerbefragungen ergänzt werden konnte, so dass die Wirkung des Faktors politische Kultur zwar für die Fallstudienstädte gut isoliert, aber darüber hinaus nicht verallgemeinert werden konnte. Daher ist die Wirkung dieses Einflussfaktors weniger gut empirisch belegt. Oft wird versucht, indirekt auf eine unterschiedliche politische Kultur zu schließen oder nur selektiv einen Teil des sehr breiten Komplexes „Einstellung der Bevölkerung und der Eliten“ zu thematisieren.
Auch Holtkamp muss in seinen Überlegungen zum unterschiedlichen Ausmaß von kommunaler Konkordanzdemokratie aufgrund bisher nicht vorhandener ländervergleichender Studien für den Faktor politische Kultur stellvertretend einen Hilfsindikator verwenden: den Organisationsgrad (Anteil der Parteimitglieder in Prozent an den Parteibeitrittsberechtigten). In Anlehnung an Wehling und Lehmbruch entwickelte Holtkamp ein Konzept der kommunalen Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie, das auf vier Phasen der Kommunalpolitik angewendet wird: Nominierungs-, Wahlkampf-, Wahl- und Regierungsphase (Holtkamp 2003, 12; 2008, 95). Je stärker konkurrenzdemokratische Muster dominieren, desto größer ist der Einfluss von Parteien in allen kommunalpolitischen Phasen. In der Nominierungsphase ist im konkurrenzdemokratischen Extremtyp für das Kandidatenprofil vor allem die innerparteiliche Bewährung ausschlaggebend, weniger die Qualifikation für das angestrebte Amt, im konkordanzdemokratischen Extremtyp das außerhalb der Partei gewonnene soziale Ansehen. In der Wahlkampf- und Wahlphase erfüllen die Parteien in der Konkurrenzdemokratie eine wichtige Orientierungsfunktion. In der Konkordanzdemokratie wird diese entweder von anderen (kommunalen) Organisationen übernommen (Wählergemeinschaften, Vereine) oder durch die persönliche Kenntnis der Kandidaten und ihrer Ziele ersetzt. Holtkamp ordnete die Länder in Deutschland nach drei unabhängigen Variablen (Organisationsgrad, Gemeindegröße und Kommunalrecht) auf einem Konkordanzindex ein. Die sich daraus ergebende Annahme, dass in NRW eher konkurrenzdemokratische und in BadenWürttemberg stärker konkordanzdemokratische Politikmuster dominieren, ließ sich auch empirisch nachweisen (Bogumil/Holtkamp 2005; Gehne/Holtkamp 2005) und wird auch in dieser Arbeit weiter aufrechterhalten. Ob NRW aber weiterhin das „Mutterland der Parteipolitisierung“ bleibt, d.h. eine regionale länderspezifische Kontinuität der Politikmuster auch nach den einschneidenden institutionellen Reformen sichtbar ist, oder ob NRW sich aufgrund des veränderten institutionellen Rahmens in Richtung einer süddeutschen Konkordanzdemokratie entwickelt, müssen zukünftige Studien vor allem auch zur Regierungsphase zeigen.
52
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Tabelle 3: Phasenmodell der Extremtypen von Konkurrenz- und Konkordanzdemokratie in der Kommunalpolitik (Holtkamp) Phase Nominierungsphase innerparteiliche Selektionskriterien Wahlkampfphase Wahlkampfstrategie Wahlphase Wahlverhalten
Regierungsphase personelle Parteipolitisierung von Rat Bürgermeister und Verwaltung prozedurale Parteipolitisierung
inhaltliche Parteipolitisierung exekutive Führerschaft
Konkurrenzdemokratie
Konkordanzdemokratie
Bewährung in der Parteiarbeit
soziales Ansehen (bzw. zumindest keine starke Bewährung)
starke Parteiorientierung
starke Kandidatenorientierung
starke Parteiorientierung; niedrige Stimmenanteile von Wählergemeinschaften
starke Kandidatenorientierung, hohe Stimmenanteile von Wählergemeinschaften
stark ausgeprägt
schwach ausgeprägt
hohe Verflechtung zwischen Mehrheitsfraktion und Verwaltung (mit Ausnahme von Kohabitationskonstellationen)
geringe Verflechtung
Mehrheitsregel im Rat
Einstimmigkeitsregel im Rat
geschlossenes Abstimmungsverhalten der Fraktionen stark ausgeprägt
weniger geschlossenes Abstimmungsverhalten im Rat schwach ausgeprägt
schwach ausgeprägt
stark ausgeprägt
Quelle: Abbildung 7, aus: Holtkamp, Lars 2008: Kommunale Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie. Wiesbaden, S. 95.
Personelle Parteipolitisierung bei Rats- und Bürgermeisterwahlen Anders als bei Landtags-, Bundestags- und Europawahlen haben Parteien bei Bürgermeister- und Ratswahlen kein faktisches Monopol der Kandidatennominierung, allerdings gibt es hinsichtlich des parteiunabhängigen Kandidatenangebotes und der Wahlergebnisse große regionale Unterschiede. Im nächsten Schritt werden nun knapp die rechtlichen Grundlagen und einige Beispiele zur Zusammensetzung von Gemeinderäten und zur Parteimitgliedschaft von Bürgermeistern aus dem kommunalen Forschungsstand präsentiert, um die Besonderheiten der Konkurrenzbedingungen für Parteien und Wählergruppen auf lokaler Ebene zu verdeutlichen.
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
53
In allen Ländern gibt es im Wahlrecht49 bei Gemeinderatswahlen die Möglichkeit, parteiunabhängig zu kandidieren, sei es auf unabhängigen Listen oder – falls vorhanden – auch als Einzelbewerber in einem Wahlkreis. Wählergruppen werden in den Wahlgesetzen aller Länder explizit genannt (Holtmann 2001, 415), sie sind die Hauptkonkurrenten von Parteien bei Gemeinderatswahlen. Eine zu starke Privilegierung der Parteien im Wahlrecht auf kommunaler Ebene verhinderte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zur Kandidatur bei Kommunalwahlen mit Bezug auf die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 28 GG, aus der sich ergebe, „(…) dass in den Gemeinden und Kreisen die örtlich orientierten Rathausparteien und Wählervereinigungen den politischen Parteien grundsätzlich gleichgestellt sind.“50 In Wahlgesetzen dürften Parteien nicht nur deshalb von einem Unterschriftenquorum zur Kandidatur ausgenommen werden, weil sie ihre Ernsthaftigkeit durch die Beteiligung an einer Landtags- oder Bundestagswahl schon nachgewiesen hätten. Aufgrund des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl müsse dies auch für die erfolgte Kandidatur von Parteien oder Wählergruppen bei Kommunalwahlen gelten. Wahlergebnisanalysen auf Basis der Verteilung der gültigen Stimmen können Aufschluss über das Parteienangebot bei Ratswahlen und damit das Ergebnis der Auswahl- und Nominierungsaktivitäten von Parteien geben. Wenn es sich aber um aggregierte Mandatsverteilungen handelt, ist zu berücksichtigen, dass es in einigen Ländern noch Sperrklauseln gibt, so dass ein Teil der angetretenen Gruppierungen in diesen Auswertungen nicht auftauchten. Es gibt leider keine systematische bundesweite Aufarbeitung der Gemeinderatswahlergebnisse auf Landesebene, beispielsweise des Statistischen Bundesamtes, die die Wahlergebnisse auch auf Gemeindeebene berücksichtigt. Bei den angebotenen Statistiken handelt es sich meist um eine Mischung der Wahlergebnisse von kreisfreien Städten und Kreistagen, die zu einem landesweiten Wahlergebnis zusammengefasst sind. Bei Kreistagsund Ratswahlen handelt es sich meiner Ansicht nach aber um unterschiedliche Wahlebenen, die nicht vermischt werden sollten. Daher können im Folgenden nur sehr selektiv ländervergleichende Daten analysiert werden, da es aus forschungsökonomischen Gründen nicht möglich war, die notwendigen Erhebungen selbst durchzuführen. Zu Problemen der Erhebung und Vergleichbarkeit von Gemeinderatswahlergebnissen vgl. auch den Aufsatz von Holtkamp/Eimer (2006, 250), deren Auswertungen zu Wählergruppen weiter unten dargestellt werden. Der Deutsche Städtetag hat in seiner Mitgliederbefragung aus dem Jahr 2001 (Fischer 2002) die Zusammensetzung der Räte und die Parteizugehörigkeit von Ratsmitgliedern bundesweit erhoben. Die folgende Abbildung fasst die Ergebnisse zur Parteizugehörigkeit der Ratsmitglieder in den 13 Flächenländern (ohne Stadtstaaten) zusammen.
49 50
Vgl. die Vergleichstabelle zum Wahlrecht bei Ratswahlen in Tabelle 98: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes Band 12 (1960), S. 10, zitiert aus: Holtmann 2001, 417.
54
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Abbildung 2:
Parteizugehörigkeit der Ratsmitglieder im Ländervergleich (Deutscher Städtetag)
100% 90%
12,06
11,85
8,24
6,71
6,98
25,61
80%
26,82
23,10
20,34 32,41
40,64
60%
10,34
9,40
19,40
22,80
35,35
11,19 21,11
44,36
38,73
28,18
18,60
25,84
40%
24,71
27,42
37,90
30% 20%
13,01
45,96
70%
50%
4,21
10,53
23,45
41,24
41,22
10%
37,48
36,87
50,50
42,74
48,31
46,08
43,75
35,66
37,81
39,01
20,15
M ec kle
CDU
SPD
Grüne
Sa ar
la nd Sa ch Sa se ch n se nSc A hl nh es al w t ig -H ol st ei n Th ür in ge n
P R
W N R
rg nb H es ur se gVo n rp om m N er ie n de rs ac hs en
en bu
ye rn Ba
Br an d
BW
0%
FDP
PDS
andere
Quelle: Daten aus: Fischer, Josef 2002: Bürgermeister und Stadträte in Deutschland. Stadtforschung und Statistik 2/02, 18. Anmerkung: Eigene Darstellung. Hervorhebung der Werte von CDU, SPD, anderen sowie der PDS in den neuen Ländern. Gesamtanteile CDU/CSU 42,8%; SPD 32,6%; Grüne 5,5%; FDP 3,4%; PDS 2,9%; andere 12,7%.
In allen deutschen Ländern gehörten weit über die Mehrheit aller Mitglieder des Rates einer der folgenden Parteien an: CDU, SPD, Grüne, FDP und PDS. Niedrig ist der Anteil aller parteigebundenen Ratsmitglieder in Bayern (insgesamt 76,5%) und Baden-Württemberg (74,4%). Besonders hoch mit jeweils über neunzig Prozent in Mecklenburg-Vorpommern (91,8%), Niedersachsen (93%), NRW (93,3%) und dem Saarland (95,8%). In den meisten Ländern stellte die CDU die meisten Ratsmitglieder, außer in Schleswig-Holstein, Brandenburg und Hessen (wenn auch nur knapp vor der CDU), wo die meisten Ratsmitglieder der SPD angehören. Die anderen haben ihre Hochburgen in Bayern und BadenWürttemberg, den Ländern der alten süddeutschen Ratsverfassung. Die Kategorie der ‚anderen Ratsmitglieder’ lässt sich auf Grundlage der Quelle nicht weiter differenzieren. In der Regel wird es sich um Angehörige von Wählergruppen handeln, wie die Analyse der Wahlergebnisse von Wählergruppen im folgenden Abschnitt zeigt. Die bis in die 1990er Jahre in manchen Ländern sinkenden Anteile von Wählergruppen bei Gemeinderatswahlen galten lange als einer der wichtigsten Belege für die Parteipolitisierung von Kommunalpolitik (Holtkamp/Eimer 2006, 249). Holtkamp und Eimer kommen in ihrer Analyse zu Fall und Aufstieg der Wählergemeinschaften jedoch zu einem differenzierten Ergebnis. Sie teilen die alten Bundesländer in zwei Gruppen ein, wie den folgenden Abbildungen zu entnehmen ist.
55
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
Abbildung 3:
Wahlergebnisse von Wählergruppen / gemeinsamen Wahlvorschlägen in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im Zeitvergleich (Holtkamp/Eimer)
Prozent der gültigen Stimmen
50 40
38,7
37,9 35,4 33,6 29
30
35,7
34,9
31,9 31,9 31,9 30,4 30,2 30 25,9
31,7 29,7 27,4
25,8 24,3
37,8
36,2
29,7
27
25,5
24,9 22,7
20
16,7
17,5
17,5
17,1 15,6
15,5
15,5
BAY BW RLP
14,6
10 0
'48'49'50'51'52'53'54'55'56'57'58'59'60'61'62'63'64'65'66'67'68'69'70'71'72'73'74'75'76'77'78'79'80'81'82'83'84'85'86'87'88'89'90'91'92'93'94'95'96'97'98'99'00'01'02'03'04
Quelle: Abbildung 1 aus: Holtkamp, Lars/Eimer, Thomas R. 2006: Totgesagte leben länger ..., in: Jun, Uwe/Kreikenbom, Henry/Neu, Viola (Hrsg.): Kleine Parteien im Aufwind. Frankfurt a.M.,, S.255.
In Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz erzielten die Wählergruppen über den gesamten Beobachtungszeitraum relativ hohe Ergebnisse mit wenigen Schwankungen. Die Autoren führen dies für Bayern und Baden-Württemberg auf die besondere regionale politische Kultur und das seit den 1950er Jahren geltende, für Wählergruppen günstige Wahlrecht zurück. Darüber hinaus ist die Gemeindegrößenstruktur in allen drei Ländern bestimmt von kleineren Gemeinden, die ebenfalls ein besseres Wettbewerbsfeld für Wählergruppen sind als Großstädte (Holtkamp/Eimer 2006, 252ff.). Wie eine vergleichende Analyse des Kandidatenangebotes bei Ratswahlen in Baden-Württemberg und NRW 1999 ergab, traten in Baden-Württemberg in Gemeinden unter 20.000 Einwohnern in 37% der Gemeinden keine Kandidaten der CDU und in 43% der Gemeinden keine Kandidaten der SPD zu Gemeinderatswahlen an, dafür aber in 96% der Fälle Kandidaten von Wählergruppen, die dort auch 48% der Mandate gewinnen konnten, deutlich mehr als CDU (29% ) und SPD (13,9%). Es unterschied sich also nicht nur das Ergebnis bei Kommunalwahlen nach Gemeindegröße, sondern auch das überhaupt zur Verfügung stehende Angebot, so dass selbst große Parteien in kleinen Gemeinden sich zum Teil nicht mehr in der Ratswahlarena präsentieren oder Listenverbindungen mit Wählergruppen eingehen. Listenverbindungen sind im Wahlrecht in Baden-Württemberg anders als in NRW möglich. In NRW konnte dieser Effekt so nicht beobachtet werden (Gehne/Holtkamp 2005, 88ff.). CDU und SPD traten in Gemeinden unter 20.000 Einwohnern flächendeckend zu den Ratswahlen an, Wählergruppen dagegen nur in 65% der kleinen Gemeinden. Die CDU errang 53% der Mandate, die SPD 28% und die Wählergruppen nur gut 9% der Ratssitze. Diese Ergebnisse weisen auf größere regionale Unterschiede des kommunalen Parteiensystems hin, denen in Kapitel
56
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Bürgermeisterwahlen, Ratswahlen und lokale Parteiensysteme weiter nachgegangen werden soll. Abbildung 4:
Wahlergebnisse von Wählergruppen / gemeinsamen Wahlvorschlägen in Hessen, Niedersachsen, Saarland und NRW im Zeitvergleich (Holtkamp/Eimer) 1946-2004
40 Prozent der gültigen Stimmen
35,8 32,6
30
28 25,5
NRW HES SRL NDS
24,2 22,9
21,5
20,7
20
18,2
14,1
10
9,5
9,2
9,2
12,1
9,9
9,2 7,6
7,2
3,6
2,9
4,3
3,1
1,5
2,7
2,7
8,1
7,6
6,1 4,6
3,2 3,4
8,1
8
7,1
5,8
5,2
0
13,3
11,5 11,3
11,3
3,7
3,7
5
6,3
4,6
0,7
0,7 '45'46'47'48'49'50'51'52'53'54'55'56'57'58'59'60'61'62'63'64'65'66'67'68'69'70'71'72'73'74'75'76'77'78'79'80'81'82'83'84'85'86'87'88'89'90'91'92'93'94'95'96'97'98'99'00'01'02'03'04'05
Quelle: Abbildung 2 aus: Holtkamp, Lars/Eimer, Thomas R. 2006.: Totgesagte leben länger ..., in: Jun, Uwe/Kreikenbom, Henry/Neu, Viola (Hrsg.): Kleine Parteien im Aufwind. Frankfurt a.M., ., S.256.
Die Wahlergebnisse der Wählergruppen unterliegen dagegen in den anderen vier untersuchten Ländern weit größeren Schwankungen, die auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sind. In den 1950er Jahren galt in Hessen, Niedersachsen und dem Saarland ein Wahlrecht, das Wählergruppen benachteiligte und das faktisch einem Verbot gleichkam (Holtkamp/Eimer 2006, 254). Diese Regelungen wurden erst in den 1960er Jahren durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes korrigiert (vgl. Fußnote 50). Die massiven Stimmeneinbrüche der 1970er Jahre sind auf die einschneidenden kommunalen Gebietsreformen in diesen Ländern zurückzuführen, die vor allem die kleinen Gemeinden von der Landkarte verschwinden ließen, die ehemals Hochburgen der Wählergruppen waren. Der seit den 1990er Jahren in diesen Ländern zu beobachtende Anstieg der Wahlergebnisse ist auch von Änderungen des Wahlrechts in NRW (Abschaffung der 5%-Hürde 1999) und Niedersachsen (Einführung Kumulieren und Panschieren 1981) beeinflusst worden51. 51
Holtmann zeichnet ein anderes Bild der Entwicklung der Wählergruppen auf kommunaler Ebene, indem er ohne regionale Differenzierung drei Phasen unterscheidet: späte 1940er bis frühe 1960er Jahre relativ starke Wählergruppen, Einbruch seit den frühen 1960ern und eine Aufschwungsphase seit den 1980er Jahren, die er auf einen Strukturwandel der Wählergruppen zurückführt, die auch für jüngere postmaterialistische Wähler attraktiv seien (Holtmann 2001, 424ff.).
57
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
Die rechtlichen Rahmenbedingungen bei Bürgermeisterwahlen ermöglichen in den meisten Ländern ebenfalls die Kandidatur von parteiunabhängigen Bewerbern. In allen Ländern können Kandidaten von Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerber zur Wahl antreten52, mit Ausnahme von Bayern, wo nur Parteien und Wählergruppen ein Vorschlagsrecht haben und Schleswig-Holstein, wo nur Einzelbewerber und im Rat vertretene Parteien Wahlvorschläge machen können. In Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt sind dagegen nur Einzelbewerber zur Wahl zugelassen. Abbildung 5:
100%
Parteizugehörigkeit der Bürgermeister im Ländervergleich (Deutscher Städtetag) 2,00
5,08 15,96
90%
3,03 10,91
14,00
4,17
2,38 2,38
0,30 12,46
1,10 13,26
2,56
20,83
80%
7,51
21,36
39,41
5,88
2,78
19,12
25,00
33,33
3,03 24,24 45,10
70% 41,82
60%
13,24
29,17
50% 40%
66,67
46,96
34,74
25,49
31,78 65,28
30%
61,90 51,47
42,42
40,85
20% 10%
15,15 36,11
50,00
37,50
37,57
30,77
22,00
21,19
48,48 30,56
27,45
CDU
SPD
Grüne
ar la Sa
FDP
nd Sa ch Sa se ch n se nSc An hl ha es lt w ig -H ol st ei n Th ür in ge n
P R
W R
N
ie de
rp
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M ec kl en bu r
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n
en bu rg
Ba ye r
Br an d
BW
0%
PDS
keine
andere
Quelle: Daten aus: Fischer, Josef 2002: Bürgermeister und Stadträte in Deutschland. Stadtforschung und Statistik 2/02, 18. Anmerkung: Eigene Darstellung, Hervorhebung der Werte von CDU, SPD, Parteilosen und anderen. Gesamtanteile CDU/CSU 42,6%; SPD 33%; Grüne 0,3%; FDP 1,7%; PDS 0,5%; keine 17,6%; andere 4,3%.
Die Parteizugehörigkeit der Bürgermeister wurde ebenfalls in der schon im Zusammenhang mit der Parteizugehörigkeit der Ratsmitglieder ausgewerteten Befragung des Deutschen Städtetags erfasst. In den meisten statistischen Veröffentlichungen werden dagegen die Wahlvorschlagsträger (Parteien, Wählergruppen, Einzelbewerbung) erfasst, was die Vergleichbarkeit erschwert, da in manchen Ländern davon auszugehen ist, dass auf dem Ticket von Parteien häufig auch parteilose Bewerber fahren.
52
In der Regel müssen neue Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerber Unterstützungsunterschriften sammeln, um antreten zu können, deren Anzahl mit der Gemeindegröße variiert. Für die Kommunalwahl NRW vgl. Andersen/Bovermann/Gehne 2004, 32,
58
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
In allen Ländern sind mehr als die Hälfte der Bürgermeister Mitglied von SPD oder CDU, jedoch mit großen Unterschieden hinsichtlich der Zusammensetzung. In NRW und Rheinland-Pfalz sind über 60%, in Sachsen immerhin noch über 50% der Bürgermeister Mitglied der CDU. Die SPD hat ihre Hochburgen im Saarland (66,67%), in Brandenburg (50%) und in Niedersachsen mit knapp unter 50% der Bürgermeister mit SPD-Parteibuch. Bürgermeister der Grünen, von FDP und der PDS sind eher die Ausnahme, was hinsichtlich der PDS in den neuen Bundesländern doch überrascht, da sie dort bei Landtagswahlen gute Ergebnisse einfährt. Deutlich höher ist in einigen Bundesländern der Anteil der Bürgermeister ohne Parteibuch, die insgesamt 17,6% der Bürgermeister ausmachen. Den höchsten Anteil parteiloser Bürgermeister gab es in Schleswig-Holstein (45,1%), gefolgt von BadenWürttemberg (39,4%) und Thüringen (24,24%). NRW hat einen eher unterdurchschnittlichen Anteil an parteilosen Bürgermeistern mit 12,5%. Bürgermeister, die Mitglieder anderer Gruppierungen (vermutlich wie bei den Ratswahlen in der Regel Wählergemeinschaften) sind, spielen nur in Bayern eine größere Rolle, wo sie knapp 16% der Bürgermeister stellen. Die vergleichsweise größere Bedeutung der „anderen“ in Bayern lässt sich vermutlich auf den Ausschluss der Kandidatur als Einzelbewerber im Wahlrecht zurückführen. Fasst man die Anteile der Parteimitglieder im Rat und bei den Bürgermeistern zusammen, und teilt diese nach der Höhe in unterschiedliche Stufen der personellen Parteipolitisierung ein, ergibt sich folgendes Bild des Zusammenhangs von personeller Parteipolitisierung und Politikmuster im Ländervergleich:
59
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
Tabelle 4: Konkordanz- und konkurrenzdemokratische Länder und personelle Parteipolitisierung im Vergleich 2001 Parteimitglieder Rat 74,39
Parteimitglieder Bm
Parteipolitisierung Rat
Parteipolitisierung Bm
Kombination
55,51
3
1
76,55 87,94 88,15 89,47
76,53 84,00 86,06 95,24
3 4 4 4
3 4 4 5
86,99 89,66
75,00 72,22
4 4
3 3
mittel – sehr gering mittel – mittel hoch – hoch hoch – hoch hoch – sehr hoch hoch – mittel hoch – mittel
88,81 91,76
72,73 75,00
4 5
3 3
93,02
85,64
5
4
NRW
93,29
87,24
5
4
Saarland
95,79
97,44
5
5
SchleswigHolstein
90,60
54,90
5
1
BadenWürttemberg Bayern Brandenburg Hessen RheinlandPfalz Sachsen SachsenAnhalt Thüringen MecklenburgVorpommern Niedersachsen
hoch – mittel sehr hoch – mittel sehr hoch – hoch sehr hoch – hoch sehr hoch – sehr hoch sehr hoch –sehr gering
Quelle: Eigene Darstellung auf der Grundlage von Abbildung 2: und Abbildung 5:. Daten aus Fischer, Josef 2002: Bürgermeister und Stadträte in Deutschland. Stadtforschung und Statistik 2/02, 18. Anmerkung: Parteimitglieder im Rat und Bm: Summe der Anteile der Parteimitglieder von CDU, SPD, Grüne, FDP und PDS. Kodierung der Variablen Parteipolitisierung von Rat und Bm: 50 bis unter 60% Parteimitglieder = sehr geringe Parteipolitisierung; 60% bis unter 70% = geringe Parteipolitisierung; 70% bis unter 80% = mittlere Parteibindung; 80% bis unter 90% = hohe Parteibindung; über 90% = sehr hohe Parteibindung.
In elf Ländern ist die personelle Parteipolitisierung in den Räten hoch oder sehr hoch und in zwei Ländern mittel. Bei den Bürgermeistern fällt die personelle Parteipolitisierung etwas schwächer aus, sie ist in sechs Ländern sehr hoch bzw. hoch, in fünf mittelhoch und in zwei niedrig. In allen Ländern ist sie im Rat etwas ausgeprägter als bei den Bürgermeistern, jedoch hat die Parteipolitisierung in den meisten Ländern im Prinzip im Rat und bei den Bürgermeistern dieselbe Tendenz, nur in Baden-Württemberg (mittel – sehr gering) und Schleswig-Holstein (sehr hoch – sehr niedrig) ist die Differenz der Rangplätze größer als
60
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
einen Rang53. Analysiert man die Kombinationen der Merkmale, bilden wieder NRW (sehr hohe Parteipolitisierung) und Baden-Württemberg (mittlere und sehr geringe Parteipolitisierung) die Pole in der Abstufung des Ausmaßes der Parteipolitisierung, entsprechend der Gegenüberstellung der alten Typen Nord- und Süddeutscher Ratsverfassung. Forschungsstand zu Rekrutierung, Auswahl und Nominierung bei Bürgermeisterwahlen Der knappe Überblick zur Parteizugehörigkeit von Bürgermeistern und Ratsmitgliedern lässt den Schluss zu, dass Parteien bei der Rekrutierung- und Auswahl von Bürgermeistern und Ratsmitgliedern eine wichtige Rolle spielen, wenn auch mit regional unterschiedlich großer Konkurrenz durch Parteilose und Wählergruppen. Lokale elektorale Parteiensysteme54 unterscheiden sich von landes- oder bundesweiten Systemen, da es Gruppierungen und Personen gibt, die nur bei Kommunalwahlen antreten. Die Analyse der Merkmale von bereits gewählten Bürgermeistern sagt relativ wenig über die internen Auswahl- und Rekrutierungsprozesse der Parteien und Wählergruppen aus und gar nichts über die Größe und Struktur des Kandidatenangebotes bei Bürgermeisterwahlen. Verallgemeinernde Schlüsse in Bezug auf interne Auswahlkriterien und Erfolgsprofile unterliegen einer Fehlschlussgefahr, da man das zur Auswahl stehende interne Angebot nicht kennt und daher die Profilmerkmale nicht vergleichen und dadurch erfolgreiche Merkmale isolieren kann. Die Ratswahlergebnisse sind in dieser Hinsicht aussagekräftiger, da sie durch die in allen Ländern im Prinzip angewendete Verhältniswahl das lokale Parteiensystem stärker widerspiegeln, vor allem wenn es keine Sperrklauseln gibt, die einen Teil der antretenden Gruppierungen ausschließt. Die regional variierende Stärke von Wählergruppen bei Ratswahlen weist auf konkordantere Strukturen und eine geringere Bedeutung der Parteien hin. Da es relativ wenige brauchbare Studien zur Rekrutierung, Auswahl, Nominierung und Wahl von Bürgermeistern gibt, die auch das Kandidatenangebot einbeziehen, werden die nun folgenden Ausführungen knapp und hinsichtlich der zu ziehenden Schlüsse spekulativ sein. Wie in den vorangegangenen Kapiteln soll dabei im Schwerpunkt die Rolle der Parteien berücksichtigt werden. Rekrutierung wird in dieser Arbeit als ein langfristig angelegter Prozess des Auf- und Ausbaus eines Reservoirs an potentiellen Kandidaten verstanden, der in und durch Parteien und in der Kommunalpolitik auch durch Wählergruppen stattfindet. Die vorliegenden Studien vermitteln ein unvollständiges Bild der Rekrutierung von Bürgermeistern, das wiederum starke regionale Unterschiede aufweist, die auf die Bedeutung von institutioneller Pfadabhängigkeiten und regionaler politischer Kultur verweisen. Gerade in den Ländern, die von der Rats- auf die Direktwahl der Bürgermeister umgestellt (z.B. Rheinland-Pfalz und Saarland) oder zusätzlich noch von Zwei- auf Eingleisigkeit reduziert hatten (Niedersachsen und NRW), stellte sich die Frage, wie sich die Rolle der Parteien weiter entwickeln würde. Indikatoren im Sozialprofil von Kandidaten und Bürgermeistern für die Rekrutie-
53
Dieser Unterschied lässt sich in Baden-Württemberg auf das besondere Wahlrecht bei der Bürgermeisterwahl zurückführen, Parteien können keine Kandidaten aufstellen. Die große Diskrepanz in Schleswig-Holstein lässt sich so nicht erklären, auch finden sich keine anderen institutionellen Unterschiede, die darüber Aufschluss geben könnten. 54 Der Begriff umfasst hier ebenfalls die Wählergruppen.
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
61
rungsaktivitäten einer Partei sind die Dauer der Mitgliedschaft vor der ersten Kandidatur und die bisherige politische Biografie eines Kandidaten (bisherige Parteifunktionen und politische Ämter und Mandate), leider sind so detaillierte Daten nur in wenigen Studien zugänglich. Grundsätzlich scheint es für hauptamtliche Bürgermeister zwei Karriereprofile zu geben, die unterschiedliche Aspekte ihrer Tätigkeit betonen: ein kommunalpolitischparteigebundenes Karriereprofil und ein professionell-verwaltungsorientiertes Karriereprofil, die sich nicht in jedem Fall gegenseitig ausschließen, sondern in manchen Fällen auch in Kombination auftreten. Laut Wehling sei in Baden-Württemberg (geringere durchschnittliche Gemeindegröße, kein Nominierungsrecht der Parteien und konkordante politische Kultur) der verwaltungsorientierte Karrierepfad dominant, er schätzt, dass rund 90% der hauptamtlichen Bürgermeister entweder Verwaltungsfachwirte (kleinere Gemeinde) oder Juristen (größere Gemeinden) seien. Die Bürgermeister kämen in der Regel von außen, d.h. sie sollten keine familiären oder sonstigen Verbindungen zu Gruppen vor Ort haben. Etwa die Hälfte der Bürgermeister seien Parteimitglieder, mit steigender Gemeindegröße wüchse jedoch dieser Anteil. Wehling führt dies auf notwendige organisatorisch-instrumentelle Wahlkampfunterstützung zurück. Das Verhältnis zur Partei bleibe aber instrumentell, frisch gewählten Bürgermeister versuchten sich schnell von ihrer Partei und sonstige sie unterstützende Gruppen zu distanzieren (Wehling 1999, 6; 2003a, 28, Bäuerle 1998, 61). Parteimitgliedschaft sei aus Sicht der Wähler notfalls hinnehmbar, aber eigentlich nicht erwünscht. Dieses süddeutsche Bild deutet auf eine geringe Rolle der Parteien bei der Rekrutierung von Bürgermeistern hin. Parteien können wohl nur noch eine Entscheidung darüber fällen, ob sie einen Kandidaten im Wahlkampf unterstützen oder nicht. Ein Kandidat mit Parteibindung und deutlicher Profilierung als Kommunalpolitiker habe laut diesem weit verbreiteten Bild keine Chance bei den Wählern. Die Bedeutung der Parteien bei der Rekrutierung wächst aber mit der Gemeindegröße. Leider gibt es keine vergleichbaren Studien über Bürgermeister in Bayern, so dass der Einfluss der Gestaltung des Nominierungsrechts auf die Rolle der Parteien bei sonst weitgehend gleichem Verfassungstyp nicht isoliert werden kann. Der höhere Anteil der parteigebundenen bayerischen Bürgermeister in Abbildung 5: lässt aber die Hypothese plausibel erscheinen, dass Parteien in Bayern mehr Einfluss auf die Rekrutierung von Bürgermeistern haben. Eine Kombination von Verwaltungskompetenz und Parteigebundenheit und damit einem größeren Einfluss der Parteien auf die Rekrutierung scheint in den Ländern der früheren Bürgermeisterverfassung vorzuliegen, in denen es vor der Einführung der Direktwahl eine ratsgewählte Einheitsspitze gab. Darauf verweisen die Ergebnisse der älteren Studien von Gabriel (1991) zu Rheinland-Pfalz, der einerseits betont, dass die Verwaltungskompetenz sehr wichtig sei, andererseits feststellte, dass fast alle Bürgermeister in der Stichprobe Parteimitglieder waren, in der Regel Mitglieder der Mehrheitspartei im Rat (Gabriel 1991, 388f.). Das erhöhte die Anforderungen an die parteiinterne Rekrutierung, da verwaltungskompetente Kandidaten auf aussichtsreiche günstige Plätze der Ratswahlliste platziert werden mussten, wenn nach den Gemeinderatswahlen aus der Mitte des Rates ein Bürgermeister gewählt werden sollte. Mielke und Benzners (2000) Studie wertet die Erfahrungen mit den ersten Direktwahlen in Rheinland-Pfalz unter Einbezug des Kandidatenangebotes aus. Danach traten CDU und SPD nahezu flächendeckend mit Kandidaten zu Bürgermeisterwahlen an, in einem Drittel der Gemeinden Wählergruppen und in 30% Einzelbewerber. In kleineren Gemeinden traten im Schnitt weniger Kandidaten an, davon aber ein höherer
62
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Anteil an Kandidaten von Wählergruppen und Einzelbewerber. In Gemeinden über 20.000 Einwohnern erhöhte sich die Anzahl der Kandidaten, was aber einer höheren Repräsentanz der kleinen Parteien geschuldet war. Ein hoher Anteil der Amtsinhaber trat an und wurde wiedergewählt, so dass die Autoren schließen, dass „(…) die Zäsur bei der Elitenrekrutierung durch die Veränderung des Wahlmodus bislang nicht so einschneidend ausfiel, wie das unter Umständen zu erwarten war.“ (Mielke/Benzner 2000, 372f.). Schirras (1989) Fallstudie über eine saarländische Gemeinde in den 1970er und 1980er Jahren, also noch vor der Einführung der Direktwahl der Bürgermeister, deutet wie Gabriels Analyse auf einen noch recht großen Einfluss der Parteien auf die Rekrutierung unter der alten Bürgermeisterverfassung hin. In den Ländern, die früher zweigleisige Verfassungen hatten (Niedersachsen und NRW), waren vor der Einführung des hauptamtlichen Bürgermeisters die verschiedenen Karrierepfade zwei Positionen zugeordnet: dem Bürgermeister als parteipolitischgebundener Spitze und dem Stadtdirektor als kompetentem Verwaltungsleiter, von dem aber vor allem in NRW auch eine Parteimitgliedschaft erwartet wurde. Drei Viertel der nordrhein-westfälischen Stadtdirektoren waren in einer Befragung von Schulenburg aus den 1990er Jahren Parteimitglieder, deren Anteil in größeren Gemeinden noch höher lag, die ehrenamtlichen Bürgermeister dagegen waren alle Mitglieder einer Partei oder Wählergruppe. Allerdings übten nur knapp 7% der Stadtdirektoren ein Parteiamt aus, aber etwas mehr als die Hälfte der ehrenamtlichen Bürgermeister (Schulenburg 1999, 183ff.). Es deutet einiges darauf hin, dass die Parteimitgliedschaft vieler Stadtdirektoren eher einen instrumentellen Charakter hatte, um vom Rat gewählt zu werden, während die ehrenamtlichen Bürgermeister eine längere Partei- und Kommunalpolitikkarriere in ihrer Gemeinde durchlaufen hatten, bevor sie dieses Amt oft auch als Krönung ihrer kommunalpolitischen Laufbahn übernehmen konnten. Dieser Unterschied zwischen den Positionsgruppen wirkt sich bis heute auf das Profil der hauptamtlichen Bürgermeister in NRW aus, da sehr viele Amtsinhaber der alten Doppelspitze bei der ersten Direktwahl 1999 ins neue Amt gewählt wurden und 2004 viele von ihnen wieder gewählt wurden (Gehne 2002, 228). Die hauptamtlichen Bürgermeister sind zwar in der Regel Parteimitglieder und werden von „ihren“ Parteien nominiert, üben aber nur in geringem Maß Parteiämter aus (Gehne 2002, 231). Ergebnisse einer Befragung von Bürgermeistern in NRW aus dem Jahr 2002 deuten sogar darauf hin, dass viele Bürgermeister nach ihrer Wahl ihre Parteiämter aufgegeben haben, da sie diese nicht mit ihrem neuen Amt für vereinbar hielten. Von „strammen Parteisoldaten“ könne daher keine Rede sein, vielmehr sei nach ihrer ersten Wahl eine Ablösungstendenz beobachtbar, da eine gewisse Parteidistanz als Vorteil für das Wirken als Bürgermeister gelte (Nienaber 2004, 144ff.). Parteilose Bürgermeister sind in NRW noch die Ausnahme, 15% haben kein Parteibuch und haben auch in der Regel nicht für Parteien kandidiert. Sie sind eher in kleineren Gemeinden unter 50.000 Einwohnern anzutreffen (Gehne 2002, 227ff., Nienaber 2004, 140f.; Gehne/Holtkamp 2005,122f.). Der schmale Forschungsstand für Niedersachsen weist ähnliche Tendenzen auf (Gissendanner 2005). Es gibt nur sehr wenige Studien mit unterschiedlichem zeitlichen, regionalen und methodischen Zuschnitt, die auch die Kandidatenauswahl bei Bürgermeisterwahlen behandeln. Im Weiteren werden kurz die Ergebnisse von Grauhan, Schirra und der für diese Arbeit natürlich besonders relevanten Studie zur ersten Direktwahl in NRW vorgestellt. Grauhan vergleicht in seiner Großstadt-Studie Fälle mit direkter und indirekter Wahl und rekonstruiert die Abläufe und die beteiligten Akteure der Kandidatenauswahl bei Bür-
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
63
germeisterwahlen (Grauhan 1970, 97ff.). In den untersuchten Fällen ging der Auswahl eine Vakanz der Stelle voraus, bei einer erneuten Wahl des Amtsinhabers gab es in der Regel keine Kandidatendiskussion. Bei indirekter Wahl haben vor allem die Fraktionen großen Einfluss auf die Auswahl, da diese den Kandidaten im Rat vorschlagen müssen. Grauhan unterscheidet nach Fraktionen mit absoluter und Fraktionen mit relativer Mehrheit im Gemeinderat. Fraktionen mit absoluter Mehrheit führen die Auswahl selbstständig und unabhängig vom den anderen Ratsfraktionen durch. Die Auswahl wird in Abstimmung mit den Parteigremien durchgeführt, die Delegiertenversammlung hat jedoch im Vergleich zum Parteivorstand wenig Einfluss. Die Fraktionen sind aber sowohl bei Fällen mit absoluter als auch mit relativer Mehrheit aber auch von der Partei abhängig, da die Ratsmitglieder erneut nominiert werden wollen. Wenn es zwischen Fraktion und Parteivorstand zu Konflikten kommt, setzt sich in der Regel aber die Fraktion durch. Bei absoluter Mehrheit werden die anderen Fraktionen nicht vorher konsultiert, bei der Ratswahl gibt es keinen Gegenkandidaten. Stellenausschreibungen, die in manchen Gemeindeordnungen vorgeschrieben sind, laufen zwar parallel zur parteiinternen Auswahl, ergeben aber höchstens ergänzende Informationen. Bei Ratskonstellationen mit relativer Mehrheit stellt in der Regel die stärkste Fraktion den Bürgermeister, Ausnahme sind beispielsweise Minderheitskoalitionen gegen eine Fraktion mit relativer Mehrheit. Die Auswahl des Bürgermeisters ist in Fällen mit relativer Mehrheit meist bereits Bestandteil von Koalitionsverträgen, die auch die Kompensation der kleineren Partner durch Dezernentenstellen o.Ä. regeln. Der Verhandlungsaufwand ist dadurch wesentlich größer. Der Ablauf der parteiinternen Nominierung bei indirekter Wahl folgt den folgenden Schritten: Zunächst Beratung des Parteivorstandes, dann des erweiterten Parteivorstandes und in der Fraktion. Dann folgt eine gemeinsame Sitzung von erweitertem Parteivorstand und Fraktion und abschließend folgt die Abstimmung in der Fraktion. Delegiertenversammlungen werden zwar in den meisten Fällen auch beteiligt, ihre Beteiligung wird jedoch von den anderen Akteuren nicht als wichtig angesehen (Grauhan 1970, 117). Bei direkter Wahl des Bürgermeisters unterscheidet Grauhan Auswahl und Nominierung nach Mehrheits- und Minderheitsgruppen gemessen an den Stärkeverhältnissen im Gemeinderat. Im Fall einer Wiederwahl findet kein Auswahlprozess statt. Gegenkandidaten werden meistens erst nominiert, wenn der Hauptkandidat der Mehrheitspartei feststeht, dem aufgrund der Stärke seiner Partei die besten Siegchancen zugebilligt werden. Der Hauptkandidat wird in der Regel genauso ausgewählt und aufgestellt wie bei indirekter Wahl. Die Fraktion ist auch an den Vorberatungen beteiligt, die Entscheidung fällt aber die Delegiertenversammlung, der aber nur ein Kandidat präsentiert wird. Kampfabstimmungen sind dort sehr selten. Die Delegiertenversammlung kann im Vergleich zu Fällen mit indirekter Wahl im Konfliktfall mehr Einfluss als die Fraktion haben, da ihre Nominierung bei direkter Wahl wahlrechtlich ausschlaggebend ist. Minderheitsparteien bilden oft mit anderen Gruppierungen Wahlkomitees zur Unterstützung eines gemeinsamen Kandidaten55. Wahlkomitees unterstützen eher parteiunabhängige Kandidaten, da unter Beteiligung mehrerer Parteien und Gruppierung dann die Einigung auf einen Kandidaten leichter ist. Die Mög-
55
Grauhan unterscheidet zwischen echten Wahlkomitees, die vor der Auswahl des gemeinsamen Kandidaten gegründet wurden und unechten Wahlkomitees, die nach der Auswahl eines Kandidaten durch eine Partei zur Unterstützung im Wahlkampf gebildet werden (Grauhan 1970, 119).
64
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
lichkeit der Aufstellung eines Wahlkomitees mit externer Unterstützung setzt auch die parteiinternen Auswahlgremien unter Druck, bei Auswahl und Nominierung die Interessen der Bürgerschaft bzw. von anderen Gruppen außerhalb der Partei stärker zu berücksichtigen, da es für die parteiinterne Opposition leichter möglich wäre, mit anderen externen Gruppen einen Kandidaten gegen den offiziellen Parteikandidaten zu präsentieren. Bei Direktwahlen gibt es im Gegensatz zu indirekten Wahlen meistens mehrere Kandidaten, also auch alternative Angebote für parteiinterne Kritiker. Daher sind bei Direktwahlen die parteiinterne Konkurrenz um die Kandidatur und der Druck auf die Auswahlgremien größer als bei indirekter Wahl. Die Fallstudie zu einer kleineren saarländischen Gemeinde von Schirra ergab ein ähnliches Bild der indirekten Wahl des Bürgermeisters wie bei Grauhan. Die CDU hatte in der untersuchten Gemeinde über den gesamten Untersuchungszeitraum die absolute Mehrheit im Rat. Bei der ersten Ratswahl nach der Kommunalwahl 1974 trat nur der Bewerber der Mehrheitspartei an. Die SPD-Opposition hatte zwar einen amtstauglichen Spitzenkandidaten präsentiert, der aber bei der Ratswahl des Bürgermeisters aufgrund der klaren CDUMehrheit nicht mehr gegen den CDU-Kandidaten antrat, der gewählt wurde und bis 1982 amtierte (Schirra 1989, 209ff.). Bei der nun folgenden Vakanz gab es einen internen Auswahlprozess der CDU mit zwei Kandidaten. Einer von ihnen gewann eine Probeabstimmung in der CDU-Fraktion und trat schließlich als offizieller Kandidat der CDU zur Ratswahl an und wurde gewählt. Das Verfahren wurde im Konsens zwischen Parteiführung und Fraktion durchgeführt. Die SPD-Oppostion wollte bei dieser Wahl einen Gegenkandidaten aufstellen, der zwar keine Chance hatte, aber Präsenz zeigen sollte. Außerdem wollte die SPD demonstrieren, dass man durchaus geeignete Kandidaten habe. Die absehbare Niederlage vor Augen gestaltete sich die Kandidatensuche jedoch schwierig, bis sich ein mit 33 Jahren relativ junger Kandidat fand, der in der Ratswahl des Bürgermeisters erwartungsgemäß dem CDU-Kandidaten unterlag (Schirra 1989, 232ff.). Die Studie zur ersten Direktwahl der Bürgermeister in NRW thematisierte Kandidatenauswahl und –nominierung in vier Fallstudienstädten aus Sicht verschiedener befragter Akteure und ergänzend in einer landesweiten Befragung aller Bürgermeisterkandidaten, die nach den Umständen ihrer eigenen Kandidatur befragt wurden. Bei der landesweiten Kandidatenbefragung wurde als Konfliktindikator nach der Zahl der parteiinternen Gegenkandidaten bei Auswahl und Nominierung gefragt. In den meisten Fällen gab es keine Gegenkandidaten, abgesehen von einem deutlich höheren Anteil an CDU-Kandidaten, die angaben, einen oder mehrere Gegenkandidaten gehabt zu haben. Eine Ursache dieser etwas höheren Konkurrenz bei CDU-Kandidaten konnte aber nicht gefunden werden. Eine weitere Frage ermittelte, von wem die Initiative zur Kandidatur ausgegangen war und wie diese insgesamt verlaufen ist.
65
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
Tabelle 5: Bürgermeisterkandidaten bei der Kommunalwahl 1999 in NRW nach Nominierungsgruppen und Anzahl der internen Gegenkandidaten (in %) Gegenkandidaten Kein Gegenkandidat Ein Gegenkandidat Mehr als ein Gegenkandidat
Gesamt
Nominierungsgruppen SPD CDU Grüne 82,1 68,1 84,5
FDP 88,3
Sons. 88,9
WG 88,5
13,2
20,4
10,3
10,4
11,1
9,4
13,8
4,8
11,5
5,2
1,2
-
2,1
5,8
80,4
Quelle: Tabelle 10 aus: Holtkamp, Lars/Gehne, David H. 2002: Bürgermeisterkandidaten zwischen Verwaltungsprofis, Parteisoldaten und Schützenkönigen, in: Andersen, Uwe/Bovermann, Rainer (Hrsg.) Im Westen was Neues. Opladen, S. 83.
Tabelle 6:
Bürgermeisterkandidaten bei der Kommunalwahl 1999 in NRW nach Initiative und Verlauf ihrer Kandidatur (in %)
Initiative und Verlauf der Kandidatur Vom Vorstand zur Kandidatur gedrängt Kandidatur war logische Folge der Vorposition Im Laufe der internen Diskussion wurde eine Liste aufgestellt, ich konnte mich gegen die anderen durchsetzen Von einer einflussreichen Gruppierung vorgeschlagen Als Außenstehender zur Kandidatur aufgefordert worden. Es wurde eine Mitgliederbefragung durchgeführt Anderes
Nominierungsgruppen SPD CDU Grüne FDP 27,1 20,6 26,4 37,2
Sons. 22,2
WG 31,3
Gesamt 27,2
70,7
69,9
64,9
51,2
55,6
60,4
65,1
10,6
11,4
7,5
6,1
7,3
9,1
16,1
21,7
12,6
20,7
44,4
18,8
18,3
4,8
11,8
5,7
3,7
22,2
9,4
7,3
11,0
8,1
13,8
7,9
14,6
10,4
5,9
6,3
10,3
9,8
13,5
8,3
22,2
Quelle: Tabelle 11 aus: Holtkamp, Lars/Gehne, David H. 2002: Bürgermeisterkandidaten zwischen Verwaltungsprofis, Parteisoldaten und Schützenkönigen, in: Andersen, Uwe/Bovermann, Rainer (Hrsg.) Im Westen was Neues. Opladen, S. 84.
Die Antwortvorgabe „Kandidatur war logische Folge der Vorposition“ war bei allen Gruppen die am häufigsten genannte, was darauf schließen lässt, dass dort, wo Inhaber von Parteiämtern, Mandatsträger oder Inhaber anderer gemeindlicher Spitzenpositionen zur Verfügung standen, aus deren Sicht kein formales Auswahlverfahren für nötig gehalten wurde.
66
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Dies gilt besonders für kandidierende Amtsinhaber (Stadtdirektoren, ehrenamtliche und hauptamtliche Bürgermeister), die jeweils zu über neunzig Prozent angaben, dass ihre Vorposition entscheidend war. Weiterhin sind Antwortvorgaben von einer bestimmten Bedeutung, die auf den Einfluss von einzelnen Vorentscheidern in Rat und Partei hinweisen. Weniger wichtig scheinen besondere Auswahlverfahren zu sein, insbesondere Mitgliederbefragungen wurden nur von 10% aller Befragten genannt. Auch die Rekrutierung von parteiexternen Bewerbern („Als Außenstehender zur Kandidatur aufgefordert“) war im Gegensatz zu den Erfahrungen in Baden-Württemberg von nur geringer Bedeutung. Die Ergebnisse der Kandidatenauswahl in den Fallstudienstädten fassen die Autoren wie folgt zusammen: „Ɣ Wenige Parteimitglieder in herausgehobenen Positionen in Partei, Fraktion oder Verwaltung treffen eine Vorauswahl des Bürgermeisterkandidaten ihrer jeweiligen Partei. Ɣ Sie sind in der Regel nicht durch eine Findungskommission gewählt worden, sondern es sind eher informelle Netzwerke in denen diese Absprachen getroffen werden. Ɣ Eine Sondierung findet fast ausschließlich im lokalen Umfeld der Partei statt. Ɣ Man sucht nach Kandidaten, die man aufgrund langer Beziehungen schon gut kennt und denen man das Amt zutraut (‚Wer kauft schon gerne die Katze im Sack, insbesondere wenn man hinterher eng zusammenarbeiten muss?’). Ɣ Nicht selten nutzen die wenigen beteiligten Vorentscheider (z.B. Fraktions- oder Parteivorsitzende, Amtsinhaber) auch die Vorauswahl, um sich selbst als Kandidaten erfolgreich ins Spiel zu bringen. Ɣ Schließlich wird den einfachen Parteimitgliedern nur ein Kandidat präsentiert (sofern eine Einigung in den informellen Netzwerken gelang), der dann zum Bürgermeisterkandidaten gekürt wird.“ (Holtkamp/Gehne 2002, 87)
Die zusammenfassende Darstellung der Rekrutierungs- und Auswahlprozesse auf kommunaler Ebene in NRW ähnelt sehr stark dem im vorangegangenen Kapitel nachgezeichneten Forschungsstand zur Kandidatenauswahl auf anderen politischen Ebenen. Die Auswahl und Nominierung von Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters lief in den Fallstudienstädten in der Regel ohne Gegenkandidat ab, wenn es Gegenkandidaten gab, wurde die Auswahl eines Kandidaten im Vorfeld parteiintern geklärt, da Nominierungsparteitage oft schon als Teil des Wahlkampfes angesehen werden und Konflikte vermieden werden sollen. Die Kandidaten waren in der Regel parteigebunden, Vorentscheider hatten aufgrund ihres Einflusses auf die Auswahlverfahren auch selbst gute Chancen, nominiert zu werden. Es gab aber auch zwei Fälle mit einem ausgeprägten parteiinternen Kandidatenwettbewerb bis hin zu einer endgültigen Entscheidung auf den Nominierungsparteitagen. In beiden Fällen konnte die intensive parteiinterne Konkurrenz auf einen zu dieser Zeit stattfindenden Umbruch in der Führungsstruktur der Partei zurückgeführt werden, der die sonst im Vorfeld ablaufenden Einigung in den Parteigremien auf einen Kandidaten blockierte und letztlich eine Entscheidung der Mitglieder über diese Frage erforderlich machte (Holtkamp/Gehne 2002, 61ff.). Es gab sowohl in der landesweiten Analyse als auch in den Fallstudienstädten Beispiele parteiunabhängiger Einzelbewerbungen, jedoch mit deutlichen Unterschieden hinsichtlich des Kandidatenprofils (parteilose Verwaltungsprofis vs. Protest- oder Spaßkandidaten) und der offenen oder verdeckten Unterstützung von Parteien, die nicht selbst Kandidaten nominiert hatten (Holtkamp/Gehne 2002). Die Bedeutung der Einzelbewerber war in dieser Studie aber noch vergleichsweise gering, knapp 12% aller gewählten Bürgermeister hatten
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
67
parteiunabhängig kandidiert und waren eher in kleinen Gemeinden erfolgreich (Gehne 2002, 224). Zusammenfassung Ob Parteien auf der kommunalen Ebene eine Rolle spielen sollen, scheint zunächst einmal eine normative Frage zu sein, deren Beantwortung von der Zuordnung zu einem der beschriebenen Paradigmen abhängig ist. Empirisch feststellbar ist, dass es ein regional unterschiedliches Ausmaß an personeller Parteipolitisierung gibt. Ob dies verurteilt oder begrüßt wird, hängt von der Grundeinstellung der Autoren zur kommunalen Demokratie ab. Der Autor selbst kann wohl als Anhänger des Paradigmas der kommunalen Demokratie eingeordnet werden, obwohl Parteipolitisierung meiner Ansicht nach weder grundsätzlich positiv oder negativ ist. Eine solche normative Bewertung wäre nur nach einer eingehenden vergleichenden Analyse des Outputs von Kommunalpolitik mit verschiedenen Graden an Parteipolitisierung denkbar, diese empirische Basis für ein Urteil fehlt meiner Ansicht nach aber bisher. Die Perspektive dieser Arbeit orientiert sich daher an dem ausführlich vorgestellten vergleichend-empirischen Ansatz von Holtkamp, der sich darum bemüht, die regionale Varianz des Parteieneinflusses abhängig von Kontextfaktoren zu analysieren. Diese Vorgehensweise steht im Einklang mit der eigenen Forschungsperspektive des historischen Institutionalismus, da das Institutionenarrangement einen wichtigen, aber nicht den einzigen Bestandteil der erklärenden Variablen bildet. Weitere Variablen sind die Gemeindegröße und der Organisationsgrad in Parteien als Stellvertretervariable für eine parteifreundliche politische Kultur. Holtkamps Kritik an Autoren wird geteilt, die einem generellen Trend der Parteipolitisierung diagnostizieren, ohne die empirisch feststellbaren regionalen Unterschiede zu beachten. Holtkamps Ansatz der kommunalen Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie wird im Weiteren zur Einordnung des Untersuchungsfalls NordrheinWestfalen verwendet, da der Verfasser ebenfalls der Auffassung ist, dass in NRW eher konkurrenzdemokratische Politikmuster anzutreffen sind und der Einfluss der Parteien auf die Kommunalpolitik vergleichsweise hoch ist. Parteien dominieren die Wahlen auf kommunaler Ebene weniger klar als auf anderen Ebenen des politischen Systems. Das Wahlrecht bei Rats- und Bürgermeisterwahlen ermöglicht in fast allen Ländern die Kandidatur von Wählergruppen und Einzelbewerbern. Bei Rats- und Bürgermeisterwahlen gab es daher auch deutlich mehr Konkurrenz durch Wählergruppen und Einzelbewerber, wenn auch mit großen regionalen Unterschieden. Insbesondere in Baden-Württemberg und Bayern war der Anteil der Wählergruppen bei Gemeinderatswahlen besonders hoch, Baden-Württemberg ist darüber hinaus nach Schleswig-Holstein eine Hochburg der parteilosen Bürgermeister. NRW kann dagegen mit Blick auf die Wahlen noch als „Mutterland der Parteipolitisierung“ gesehen werden, mit vergleichsweise niedrigen, wenn auch in letzter Zeit steigenden Anteilen von Wählergruppen bei Ratswahlen und einem niedrigen Anteil an parteilosen Bürgermeistern, mit vergleichsweise großen Gemeinden und einer – soweit sich das feststellen ließ– konkurrenzdemokratischen politischen Kultur, die Parteieneinfluss eher fördert als in anderen deutschen Ländern. Dies bestätigte auch die Einordnung von NRW auf dem Konkordanzindex von Holtkamp, der das Ausmaß der personellen Parteipolitisierung für NRW gut vorausgesagt hat. Der schmale Forschungsstand zur Rekrutierung, Auswahl und Nominierung von Bürgermeisterkandidaten lässt nur wenig fundierte Aussagen über den Einfluss von Parteien
68
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
zu. Es sind jedoch regionale Entwicklungspfade erkennbar, die auch nach der Angleichung der Merkmale der Gemeindeordnungen Spuren der alten Institutionen aufweisen. Der Einfluss von Parteien auf das Kandidatenangebot bei Bürgermeisterwahlen scheint in Ländern, in denen es früher eine indirekte Wahl des Verwaltungschefs gab (z.B. Rheinland-Pfalz, Saarland und NRW), höher zu sein, als in Baden-Württemberg, wo schon länger die Direktwahl praktiziert wird und eher konkordante Politikmuster vorherrschen. Bayern stellt in dieser Hinsicht eine Ausnahme dar, da parteifreie Bewerbungen institutionell ausgeschlossen sind. Die vorhandenen neueren Studien für NRW zeigen aufgrund des hohen Anteils an Amtsinhabern der alten Doppelspitze unter den hauptamtlichen Bürgermeistern noch eine deutliche Prägung des Profils und der Parteibindung entsprechend der vorher dominanten Karrierepfade von Stadtdirektor und ehrenamtlichem Bürgermeister. Allerdings hat Nienaber nachgewiesen, dass sich hauptamtliche Bürgermeister nach ihrer Wahl zum Teil von ihren Parteien distanzieren, um sich stärker dem Bild des „Bürgermeisters aller Bürger“ anzunähern, so dass es hier ein Indiz für nachlassenden Einfluss von Parteien in NRW auf sich im Amt befindende Bürgermeister gibt, das durchaus auch im Einklang mit der Stärkung der Unabhängigkeit ihrer Position im Vergleich zu der alten Doppelspitze steht. Die zusammenfassende Darstellung der Rekrutierungs- und Auswahlprozesse auf kommunaler Ebene in NRW ähnelt sehr stark den im vorangegangenen Kapitel nachgezeichneten „Standard operating procedures“ des Forschungsstandes zur Kandidatenauswahl auf anderen politischen Ebenen. Parteieliten nehmen starken Einfluss auf die Auswahl von Kandidaten. Konflikte werden im Vorfeld informell unter den Vorentscheidern geklärt, der Mitglieder- oder Delegiertenversammlung wird nur ein Kandidat präsentiert, um sich nach außen möglichst geschlossen zu präsentieren. In NRW gab es bei der Direktwahl der Bürgermeister 1999 noch eine Präferenz für parteigebundene Bewerber. Die vorgestellten Fallbeispiele, in denen große Parteien keine eigenen Kandidaten nominierten und parteilose Bewerber unterstützten, waren 1999 eher die Ausnahme, zeigten aber strategische Alternativen zur Präsentation eigener Kandidaten auf. Diese Beispiele weisen aber auch, wie die Studie von Grauhan, auf weitere Einflussfaktoren auf das Auswahlverhalten von Parteien hin:
Position der Partei im politischen Wettbewerb: Nach Grauhan schlossen sich Minderheitsparteien zur Unterstützung eines gemeinsamen Kandidaten zusammen, eine Option, die auch zur Steigerung der Außenorientierung im Kandidatenprofil führen konnte, während die Mehrheitsparteien eher einer Mitgliederorientierung folgten. In einer Großstadt der NRW-Studie befand sich die CDU 1999 in einer extremen DiasporaSituation, die bei der Strategie der Unterstützung eines unabhängigen Kandidaten ungewohnte Experimentierfreude förderte. Keinen eigenen Kandidaten zu präsentieren war für eine große Partei aber immer noch die Ausnahme. Amtsbonus: Die Wiederwahlquote von Amtsinhabern war in NRW 1999 sehr hoch (Gehne 2002). Wenn ein Amtsinhaber antritt, findet in seiner Partei in der Regel keine weitere Diskussion über die Kandidatur statt. Andere Gruppierungen warten ab, was die Mehrheitspartei bzw. der Amtsinhaber unternehmen, bevor sie einen eigenen Kandidaten auswählen. Die NRW-Studie zeigte aber auch, dass die Kandidatur eines bekannten parteiunabhängigen Bürgermeisters das Kandidatenangebot in kleinen Gemeinden sehr stark beeinflussen kann. Sowohl die beiden kleinen Parteien, eine Wäh-
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
69
lergruppe als auch die CDU entschieden sich dafür, keine eigenen Kandidaten ins Rennen zu schicken und stattdessen den Amtsinhaber zu unterstützen. Gemeindegröße: Kleine Gemeinden bieten parteiunabhängigen Kandidaten eher eine Möglichkeit, einen konkurrenzfähigen Wahlkampf zu führen, während mit steigender Gemeindegröße die finanziellen und materiellen Ressourcen der Parteien für eine erfolgreiche Kampagne benötigt werden und die Wählerschaft aufgrund der geringen persönlichen Bekanntheit stärker die Orientierungsfunktion der Parteien in Anspruch nehmen muss. Daher nimmt die personelle Parteipolitisierung und damit die Bedeutung der Kandidatenauswahl von Parteien laut Wehling mit der Gemeindegröße zu.
„Parties matter, but will they still?“ – so könnte man also die Situation in NRW bei Kommunalwahlen zusammenfassen, denn die Veränderung des institutionellen Rahmens kann mittelfristig auch die Rolle der Parteien beeinflussen, sei es, weil der neue Wahlmodus der Direktwahl durchlässiger für die Präferenzen der Wählerschaft ist als die indirekte Wahl und so neuen parteifreien Bewerbungen zum Erfolg verhilft, oder weil sich Parteien an den neuen Rahmen anpassen, indem sie beispielsweise Kandidaten mit geringerer Parteibindung auswählen, um ihre Erfolgschancen zu wahren, ohne jedoch das elektorale Feld völlig zu räumen. Nicht auszuschließen ist, dass bestimmte institutionelle Elemente im Zusammenspiel mit den diskutierten Kontextfaktoren das lokale Parteiensystem beeinflussen. Welche Hypothesen und Forschungsergebnisse es über den Einfluss von Wahlrecht auf das Parteiensystem es gibt, soll in den nächsten beiden Abschnitten dargestellt werden.
2.2.3 Wahlrecht und Parteiensystem: Institutionenlogik und Wechselwirkungen von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen Die Beschäftigung mit Wahlsystemen und ihren Wirkungen auf die Eigenschaften von Parteiensystemen ist ein traditionsreiches Forschungsfeld der vergleichenden Politikwissenschaft mit einem breiten Forschungstand und einer intensiven theoretischen Debatte. In der kommunalen Wahlforschung gibt es nur den Ansatz einer den Besonderheiten der lokalen Ebene angepassten Theoriebildung, wie im nächsten Kapitel gezeigt werden soll. Daher sollen im folgenden Abschnitt zunächst Grundzüge der Analyse von Wahlsystemen und Parteiensystemen vorgestellt werden, um dann einige klassische Hypothesen zu Wirkungen von Wahlsystemen auf Parteiensysteme unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu diskutieren. Abschließend werden die Hypothesen vorgestellt, die zur Analyse der Bürgermeisterwahlen in NRW adaptiert werden. Wahlsysteme „Wahlrechtsfragen sind Machtfragen“ (Schoen 2005, 573). Dies gilt zum einen für das Wahlrecht im engeren Sinne, also das Recht zu wählen oder gewählt zu werden, das den Zugang zur Macht umfasst, zum anderen aber auch für Wahlsysteme, die die Verteilung von Macht durch Wahlen regeln. Wahlsysteme stellen einen besonderen Teil der institutionellen Regelungen einer Demokratie dar. Wahlsysteme werden hier nach Nohlen (2003, 691) in einem engeren Sinn verstanden:
70
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
„Wahlsysteme stellen Verfahren dar, mittels derer (a) die Wähler ihre Partei- und / oder Kandidatenpräferenz in Wählerstimmen ausdrücken und durch die (b) Stimmenzahlen in Mandate übertragen werden. Die technischen Regelungen, die ein Wahlsystem trifft, umfassen den gesamten Wahlprozess von der wahlgesetzlich geregelten Wahlbewerbung bis zur Ermittlung des Mandatsergebnisses.“ (Nohlen 2003, 693)
Die technischen Regelungen von Wahlsystemen lassen sich in vier Bereichen zusammenfassen (Nohlen 2003, 693; Schoen 2005, 574 ff.):
Die Untergliederung des Wahlgebietes in Wahlkreise als für das Wahlsystem wichtigste Variable (Einer-, kleine, mittelgroße oder große Wahlkreise). Die Formen der Kandidatur (Einzelkandidatur oder verschiedene Arten von Listen: starr, lose gebundene oder freie Listen). Das Stimmgebungsverfahren (eine oder mehrere Stimmen, Art der Stimmabgabe beispielsweise Vorzugsstimmen, Kumulieren und Panaschieren). Das Stimmenverrechnungsverfahren mit den Merkmalen Entscheidungsmaßstab (Mehrheit- oder Verhältniswahl), Verrechnungsebene (Wahlkreis, Land/Region, Staat), Divisoren- oder Wahlzahlverfahren, Überschuss- und Reststimmenverwertung und Sperrklauseln.
Weltweit existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Wahlsysteme, die sich aber hinsichtlich ihrer Mehrheitsregeln und Repräsentationsprinzipien den Grundtypen Mehrheits- oder Verhältniswahlsystem zuordnen lassen. Nohlen, einer der Hauptvertreter der Heidelberger Schule der vergleichenden Politikwissenschaft, untersucht diese ausführlich in seiner Schrift „Wahlrecht und Parteiensystem“, die als das deutschsprachige Standardwerk zu diesem Thema gelten kann, an dem sich auch die weitere Darstellung von Wahlsystemen weitgehend orientiert56. Tabelle 7: Grundtypen von Wahlsystemen (Nohlen) Grundtyp Mehrheitswahl Verhältniswahl
Entscheidungsregel Mehrheit siegt Anteil entscheidet
Repräsentationsprinzip Mehrheitsbildung Abbild der Wählerschaft
Quelle: Abbildung aus: Nohlen, Dieter 2004: Wahlrecht und Parteiensystem. Opladen, 132.
Die Klassifikation von Wahlsystemen erfolgt nach dem Repräsentationsprinzip, da dieses das politische Ziel definiert, während die Entscheidungsregeln die Mittel darstellen (Nohlen 2004, 133). Aber erst zu den Entscheidungsregeln. Beim Typ der Mehrheitswahl hängt die Vergabe eines Mandates oder eines Amtes von der Erreichung der geforderten Mehrheit von Stimmen ab. Man kann absolute und relative Mehrheitswahl unterscheiden, je nachdem ob man zur Erreichung eines Mandats mindestens eine Stimme mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen benötigt, oder ob man nur mehr Stimmen als der zweit-
56
Zur internationalen Diskussion vgl. LeDuc/Niemi/Norris 2002.
71
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
stärkste Kandidat braucht (auch „First-past-the-post-Regel“ genannt). Wenn bei absoluter Mehrheitswahl im ersten Wahlgang kein Bewerber die absolute Mehrheit erhält, muss ein zweiter Wahlgang abgehalten werden, in dem andere Regeln gelten können. Bei der Wahl des französischen Staatpräsidenten z.B. ziehen wie auch bei der nordrhein-westfälischen Bürgermeisterwahl bis 2007 nur die beiden im ersten Wahlgang erfolgreichsten Kandidaten in den nächsten Wahlgang ein (Schoen 2005, 581). Weiterhin gilt die absolute Mehrheitswahl. Bei Verhältniswahl erfolgt die Vergabe der Mandate nach Stimmenanteilen, die verschiedene Kandidaten oder Parteien bekommen haben. Entscheidende Bedeutung bei der Vergabe der Mandate haben die verschiedenen mathematischen Zuteilungsverfahren (z.B. Hare/Niemeyer oder d’Hondt) und – falls vorhanden – Sperrklauseln. Die Repräsentationsprinzipien der Grundtypen unterscheiden sich ebenfalls grundlegend. Das Ziel der Mehrheitswahl bei Parlamentswahlen ist, eine stabile parlamentarische Mehrheit einer Partei zu erreichen und zwar unabhängig davon, ob sie bei den Wahlen überhaupt eine Stimmenmehrheit erreichen konnte. Das Ziel der Mehrheitswahl bei Präsidentschaftswahlen ist die eindeutige Ermittlung eines siegreichen Kandidaten. Das Ziel der Verhältniswahl ist eine möglichst genaue Wiedergabe der politischen Kräfteverhältnisse der Bevölkerung durch die Mandatsverteilung im Parlament, also eine möglichst genaue Übertragung der Verteilung der Stimmen in die Mandatsrelationen. Eine Mehrheit erreicht eine Partei also nur dann, wenn sie auch eine Mehrheit der Bevölkerung gewinnen konnte (Nohlen 2004, 132). Mehrheitsregel (Majorz) und Verhältnisregel (Proporz) haben unterschiedliche politische Auswirkungen (Nohlen 2004, 135 ff.), die in der folgenden Tabelle zusammengefasst sind. Tabelle 8: Politische Auswirkungen der Entscheidungsregel (Nohlen) Auswirkungen hinsichtlich Erfolgswert der Stimme Zuordnung Stimmabgabe-Wahlergebnis Hochburgenanfälligkeit Unabhängigkeit des Abgeordneten Interne Variationsbreite des Wahlsystems
Majorz Ungleich Einfach
Proporz Gleich Schwierig
Hoch Bedingt größer
Gering Bedingt niedriger
Geringer
Höher
Quelle: Abbildung aus: Nohlen, Dieter 2004: Wahlrecht und Parteiensystem. Opladen, 141.
Die Mehrheitsregel bewirkt, dass nur die Stimmen des siegreichen Kandidaten zählen, mit der Folge, dass der Erfolgswert der Stimmen ungleich ist. Dies kann in politischen Hochburgen einer Partei dazu führen, dass die politischen Gegner resignieren und nicht mehr zur Wahl antreten, da es sich für sie nicht lohnt. Die Zahl der Kandidaten würde sinken und die Vielfalt des politischen Spektrums darunter leiden. Die Stimmen, die ein Kandidat über die geforderte Mehrheit hinaus erreicht, zählen aber auch nicht und sind in der nationalen Gesamtrechnung bei reinen Mehrheitswahlsystemen vergeudet. Das kann vor allem für Parteien mit starken Hochburgen nachteilig sein. Für die Mehrheitswahl spricht die klare Entscheidungssituation für den Wähler, der das Ergebnis seiner Stimmabgabe unmittelbar vor
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Augen hat. Die Kombination von Mehrheitswahl mit kleinen – meist Ein-PersonenWahlkreisen – bringt darüber hinaus eine größere Nähe von Abgeordnetem und Kandidat mit sich. Im Gegensatz zur Mehrheitswahl gewährleistet die Verhältniswahl eher die Erfolgswertgleichheit der Stimmen, da in der Regel fast alle Parteien Anteil an den Mandaten haben, abhängig von der Gesamtgröße der Versammlung und der Existenz von Sperrklauseln. In der Endabrechnung kann es sogar auf jede Stimme ankommen, so dass die Parteien sich intensiver um Stimmen bemühen und dadurch auch die Wahlbeteiligung ansteigen kann. Verhältnissysteme benötigen mathematische Verfahren, die ausgehend von der Stimmenverteilung die Verteilung der Mandate regeln. Diese Verfahren sind zum Teil so kompliziert, dass es für einen Wähler wenig nachvollziehbar sein kann, was eigentlich mit seiner Stimme geschieht. Die Kombination der Verhältniswahl mit Listenwahl, deren Zusammensetzung von den Wählern nicht beeinflusst werden kann, wird auch oft als Nachteil der Proporzregel angesehen. Parteiensysteme: Strukturmerkmale und Arten des Wandels In der Regel geht der Anspruch der Forschung über Wahlsystemtypen aber über Deskription und Klassifikation hinaus und fragt nach den Auswirkungen von Wahlsystemen auf Parteiensysteme57. Parteiensysteme werden hier verstanden als das „strukturelle Gefüge der Gesamtheit der politischen Parteien“ in einer Untersuchungseinheit (Nohlen 2004, 65). Wenn im Weiteren von lokalen Parteiensystemen die Rede ist, umfasst der Begriff auch die Wählergruppen. Ohne auf diese schon lange stattfindenden Debatten eingehen zu wollen (vgl. Schoen 2006), werden in den folgenden Abschnitten die Grundzüge der Beschreibung von Parteiensystemen genannt und einige Hypothesen zum Zusammenhang von Wahlrecht und Parteiensystem diskutiert. Niedermayer (2003) unterscheidet die strukturell-inhaltlichen Analysedimension und die elektorale und die parlamentrisch-gouvernementale Wettbewerbsebene: Tabelle 9: Parteiensystemeigenschaften (Niedermayer) Ebene Elektorale Ebene Parlamentarischgouvernementale Ebene
Struktur Format, Fragmentierung, Asymmetrie, Volatilität Format, Fragmentierung, Asymmetrie, Volatilität
Inhalt Polarisierung Polarisierung, Segmentierung, Koalitionsstabilität
Quelle: Abbildung 1 aus: Niedermayer, Oskar 2003: Parteiensysteme, in: Jesse, Eckhard/Sturm, Roland (Hrsg.) 2003: Demokratien des 21. Jahrhunderts im Vergleich. Opladen, S. 264.
Die Strukturmerkmale sind bei beiden Ebenen gleich, der Inhalt unterscheidet sich jedoch, da auf der parlamentarisch-gouvernementalen Ebene ein Schwerpunkt auf der Frage von Mehrheitsbildung und Regierungsfähigkeit liegt, die bei starker Segmentierung eines Par-
57 Vgl. dazu die grundlegende Arbeit von Duverger (1959), dessen frühe Arbeit durch die Formulierung seiner Gesetze für die meisten Autoren, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, immer noch ein Ausgangspunkt, zuletzt z.B. Schoen 2005 oder Tiemann 2006.
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
73
teiensystems gefährdet sein kann (Niedermayer 2003, 270). Die Bezugsebene der Analyse ist ebenfalls unterschiedlich, da für die elektorale Ebene Parteienangebot und Wahlergebnisse bei Parlamentswahlen58, auf der parlamentarisch-gouvernementale Ebene jedoch die Sitzverteilung im Parlament berücksichtigt wird, je nach Wahlsystem sind größere Unterschiede denkbar. Die folgende Darstellung der Parteiensystemeigenschaften nach Niedermayer (2003, 264ff.) konzentriert sich aufgrund des Charakters der vorliegenden Wahlstudie auf Struktur und Inhalt der elektoralen Ebene. Er verwendet folgende Strukturmerkmale:
Format: Ein einfaches und relativ gut zugängliches Merkmal eines Parteiensystems ist die Anzahl der in ihm enthaltenen Parteien, die über die Anzahl der bei Parlamentswahlen antretenden Parteien gemessen wird. Die Anzahl wurde im Zusammenhang mit verschiedenen anderen Merkmalen in der Vergangenheit häufig zur Bestimmung verschiedener Parteiensysteme verwendet59 und gilt als das „most traditional and most widely accepted criterion for classifying party systems“ (Mair 2002, 89). Die Fragmentierung ergänzt die Betrachtung der Anzahl der Parteien durch die Analyse ihrer Größenverhältnisse. Fragmentierungsindizes, z.B. die „Effective Number of Parties“ nach Laakso/Taagepera (1979) oder der Rae-Index (Rae 1968) messen des Grad der Zersplitterung eines Parteiensystems, dabei entspricht die effektive Anzahl der Parteien der realen Anzahl, wenn alle Parteien den gleichen Stimmenanteil haben, die Machtverhältnisse also ausgeglichen wären. Asymmetrie bezieht sich auf die Größenverhältnisse der beiden größten Parteien in einem Parteiensystem. Gibt es eine strukturelle Asymmetrie zugunsten einer Partei, hat diese dauerhaft eine größere Chance der Machtausübung und dominiert das Parteiensystem zulasten der Chancengleichheit in der Übernahme der Regierung. Der Begriff der Volatilität bezieht sich auf den Wandel von Parteiensystemen zwischen zwei Wahlen und geht auf Pedersen (1979) zurück. Pedersen war der Auffassung, dass der Wandel von Parteiensystemen unabhängig vom erreichten Zustand beobacht werden sollte und Indikatoren daher nur das Ausmaß des Wandels messen sollten. Der Pedersen-Index misst daher den Saldo der Wanderungsbewegungen zwischen Parteien. Polarisierung ergänzt die strukturellen Systemeigenschaften durch ein inhaltliches Kriterium. Niedermayer unterscheidet zwischen Dimensionalität und Stärke der Polarisierung. Die Dimensionalität der Polarisierung von Parteiensystemen unterscheidet inhaltlich nach zentralen Konflikten innerhalb des Parteiensystems, die Stärke misst, wie heterogen oder homogen das Parteiensystem in Bezug auf diese Konflikte ist. Grundlegend zur Analyse von Konfliktlinien war die Theorie politischer Konfliktstrukturen von Lipset und Rokkan (1967), auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. Zur Analyse der Polarisierung eines Parteiensystems müssen zunächst auf
58 Auch Nohlen bezieht sich im Schwerpunkt auf Parlamentswahlen. Den auch für die Analyse von Bürgermeisterwahlen spannenden Wechselwirkungen zwischen den Wahlen in präsidentiellen und Mischsystemen wird anhand der Thesen von Shugart und Carey (1992) und Neto und Cox (1997) später noch nachgegangen. 59 Duverger (1959) unterschied beispielsweise Zwei- und Vielparteiensysteme, Sartori (1976) vier Typen (Zweiparteiensystem, Moderater Pluralismus, Polarisierter Pluralismus und Dominiertes Parteiensystem), indem er die Anzahl und die ideologische Distanz einbezog.
74
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
der Grundlage von Literatur- und Dokumentenanalyse, Expertenurteilen und Bevölkerungsorientierung wichtige Konfliktlinien bestimmt und dann die Parteien auf diesen Dimensionen verortet werden, um abschließend anhand der inhaltlichen Distanzen zwischen den Parteien den Grad der Polarisierung zu bestimmen (Niedermayer 2003, 270). Die Messung der Polarisierung ist relativ aufwendig. Da es häufig nicht nur darum geht, statische Zustände zu beschreiben, sondern Veränderungen von Parteiensystemen zu analysieren, ist es sinnvoll, wie Niedermayer verschiedene Intensitätsstufen des Wandels von Parteiensystemen zu unterscheiden, um die Reichweite der Veränderung fassbar zu machen. Tabelle 10: Vier Intensitätsstufen des Wandels von Parteiensystemen (Niedermayer) Stufe 1. Temporäre Fluktuation 2. Partieller Wandel 3. Genereller Wandel 4. Transformation
Inhalt kurzfristige Veränderung von Systemeigenschaften ohne langfristigen Trend Veränderung nur einer bzw. sehr weniger Systemeigenschaften gleichzeitige oder sukzessive Veränderung vieler Eigenschaften radikale Veränderung aller Eigenschaften, so dass ein neuer Parteiensystemtyp entsteht.
Quelle: Eigene Darstellung nach Niedermayer 2003, 271.
Niedermayer kommt in seiner Analyse der Veränderung des deutschen Parteiensystems nach der Vereinigung zu dem Ergebnis, dass der Wandel partiell bleibt und eine Systemtransformation ausgeblieben ist (Niedermayer 2003, 271ff.). Thesen über die Wirkungen von Wahlsystemen auf Parteiensysteme unterscheiden sich hinsichtlich ihres sachlichen Bezugs und ihrer Reichweite. Unmittelbare oder mechanische Wirkungen von Wahlsystemen auf Parteiensysteme sind relativ unumstritten (Schoen 2005, 584). Dass beispielsweise die absolute Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen problematisch für die Repräsentanz kleinerer Parteien im Parlament sein kann, wie auch Sperrklauseln in Verhältniswahlsystemen, ist eine Folge des Wahlsystems. Mittelbare oder psychologische Wirkungen des Wahlsystems entstehen dadurch, dass Akteure (Parteien, Kandidaten, Wählerschaft) mechanische Wirkungen wahrnehmen und ihr Verhalten dem institutionellen Anreiz entsprechend ausrichten. Daraufhin werden Wirkungen auf die Zahl der gesamtgesellschaftlichen Parteien, der Wahlbeteiligung oder der Systemstabilität prognostiziert, um nur einige Beispiel zu nennen. Nohlen lehnt eine zu starke antithetische Gegenüberstellung von Mehrheits- und Verhältniswahl in Verknüpfungen mit einfachen Kausalaussagen oder „Gesetzen“ über die Auswirkungen der Wahlverfahren auf das Parteiensystem und politische Prozesse – wie vom normativen Ansatz der Wahlsystemforschung be-
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
75
fürwortet – ab60. Er verknüpft Thesen über die Auswirkung der Formen der Kandidatur auf die Parteibindung des Kandidaten und dessen (Un-)Abhängigkeit von der Partei stark mit der Analyse von Kontextfaktoren wie z.B. der Art des politischen Systems, der Struktur der politischen Parteien, der Rolle der Parteien im Entscheidungsprozess sowie gesellschaftliche Faktoren (Nohlen 2004, 138), entsprechend seiner theoretisch-methodischen Grundhaltung, die er „im historisch-empirischen Ansatz der neuen Institutionenlehre“ verortet (Nohlen 2004, 18). Wahlsystem und Parteiensystem in präsidentiellen Systemen Die bisher vorgestellten Ansätze beziehen sich in erster Linie auf parlamentarische Systeme und das Wahlrecht zu Parlamenten als Einflussfaktor auf Parteiensystemeigenschaften. Da es in dieser Arbeit aber um eine Analyse von Bürgermeisterwahlen in einem Mischsystem geht (Rat-Bürgermeisterverfassung), ist es notwendig, auch die Wechselwirkungen zu diskutieren. In der Regel scheint man in der vergleichenden Parteiensystemforschung davon auszugehen, dass die Parlamentswahlen entscheidender für die Eigenschaften von Parteiensystemen sind, abgesehen von Analysen bezüglich einzelner Länder wie den USA und Frankreich, wo dem Präsidenten und Präsidentschaftswahlen größerer Einfluss zugeschrieben wird. Die Wechselwirkungen zwischen den Wahlarenen werden jedoch von nur wenigen Autoren systematisch berücksichtigt61. Ein weit reichender Ansatz wurde von Shugart und Carey (1992) vorgelegt, der im Weiteren kurz zusammengefasst werden soll. Shugart und Carey verbinden die Analyse der Wirkungen der Wahlarenen auf das Parteiensystem und erweitern die Analyse um den Faktor des ‚Electoral Cycle’: “The other principal variable that we shall explore is the electoral cycle, simply meaning the timing of election to the two branches, executive and assembly, in relation to one another.” (Shugart/Carey 1992, 208)
Wird der Präsident mit relativer Mehrheit gewählt, müsste nach Duvergers Gesetzen eher ein Zweiparteiensystem vorliegen, wird das Parlament dagegen in großen Wahlkreisen mit Verhältniswahl gewählt, ist nach Duverger eher ein Vielparteiensystem zu erwarten. Die Hypothese von Shugart und Carey (1992, 207) lautet, dass prinzipiell beides möglich ist, abhängig von den Zeitpunkten der beiden Wahlen, die entweder verbunden (‚concurrent’) oder entkoppelt sein können (‚non-concurrent’). Zunächst aber zu den Auswirkungen der verschiedenen Wahlsysteme bei Präsidentschaftswahlen auf die Wahlergebnisse, das Kandidatenangebot und das Parteiensystem.
60
Besonders deutlich wird dies in Nohlens Auseinandersetzung mit Duverger, dem er empirische, methodische und theoretische Mängel in seiner klassischen Analyse bescheinigt (Nohlen 2004, 396), mit Rae, dessen Thesen tautologisch seien (Nohlen 2004, 397) und mit Sartori, dessen Gesetze er als im Grunde trivial bezeichnet (Nohlen 2004, 401). 61 Vgl. Lijphart 1994 und Powell (1982), die Präsidentialismus als Dummy-Variable (1 für Präsidentialismus, 0 für Paralmentarismus) verwenden, ohne beispielsweise nach dem Wahlsystem bei Präsidentschaftswahlen zu differenzieren. Anders z.B. Amorim Neto und Cox (1997), die den Ansatz von Shugart und Carey aufnehmen.
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Tabelle 11: Auswirkungen der Wahlsysteme bei Präsidentschaftswahlen auf die Wahlergebnisse, das Kandidatenangebot und das Parteiensystem (Shugart/Carey) Wahlsystem relative Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl in zwei Wahlgängen
Wahlergebnisse Ɣ Starke Konzentration der Stimmen Ɣ Zwei Bestplatzierte erreichen über 85% der Stimmen Ɣ Geringere Konzentration Ɣ Zwei Bestplatzierte erreichen unter 85% der Stimmen
Kandidatenangebot Ɣ Anreiz zur Bildung von Unterstützungskoalitionen für den Erstplatzierten und den Hauptherausforderer Ɣ Wenige Kandidaten Ɣ geringere Anreize zur Unterstützung, dagegen hoher Anreiz zur Kandidatur, da bei großer Fragmentierung jeder Chancen hat, in die Stichwahl einzuziehen Ɣ Viele Kandidaten
Parteiensystem Ɣ Tendenz zur Konsolidierung Ɣ Kleine Parteiensysteme
Ɣ Hemmt Konsolidierung, Tendenz zur Fragmentierung Ɣ Große Parteiensysteme
Quelle: Eigene Darstellung auf der Grundlage von Shugart/Carey 1992, 209ff.)
Die relative Mehrheitswahl fördert eher Konsolidierung und Konzentration von Parteiensystemen, da sie auch für andere Parteien einen Anreiz zur Unterstützung der zwei bestplatzierten Kandidaten bietet und die Anzahl der Kandidaten insgesamt klein bleibt. Die absolute Mehrheitswahl in zwei Wahlgängen erhöht die Wahrscheinlichkeit für fragmentierte Parteiensysteme, da die Anreize zur Unterstützung anderer Kandidaten gering sind. Im Gegenteil, je mehr Kandidaten antreten, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit gewinnt. Die Chance, dass ein Zweitplatzierter mit relativ niedrigem Ergebnis in die Stichwahl einziehen kann, erhöht sich eher und dient als Anreiz zur Kandidatur auch für kleine Parteien. Bündnisse gibt es in der Regel erst in der Stichwahl, wenn im ersten Wahlgang unterlegene Kandidaten über Wahlempfehlungen und damit Stimmenpakete für die Stichwahl verhandeln und sich dadurch auch Vorteile für ihre Situation im Parlament erhoffen. Daher empfehlen die Autoren eher die Anwendung der relativen Mehrheitswahl, da das Ergebnis der absoluten Mehrheitswahl zu stark von den Umständen und auch Zufällen des ersten Wahlganges abhängt (Shugart/Carey 1992, 213ff.)62. Da es letztlich um eine Übertragung der Hypothesen auf Bürgermeisterwahlen in NRW bis 2004 geht und es in Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt im ersten Wahlgang nur die abso-
62
Ein typisches Beispiel für den Einfluss von Zufälligkeiten des ersten Wahlganges war die Präsidentschaftswahl in Frankreich 2002. Neben Präsident Chirac kandidierten im ersten Wahlgang weitere 15 Kandidatinnen und Kandidaten, unter anderem der sozialistische Hauptherausforderer Jospin. In die Stichwahl kamen aber der Amtsinhaber mit 19,88% der Stimmen und LePen, der Kandidat der rechtsextremen Front National, mit 16,86% der Stimmen. Jospin scheiterte nur knapp mit 16,18% der gültigen Stimmen. Gewählt wurde der Präsident mit 82,21% der gültigen Stimmen. Quelle: http://www.wahlrecht.de/ausland/frankreich.html (10.10.2006).
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
77
lute Mehrheitswahl gab, wird im Folgenden aus Gründen der Übersichtlichkeit nur der Einfluss des Electoral Cycle auf Fälle mit absoluter Mehrheitswahl des Präsidenten dargestellt. Grundsätzlich gilt die Regel, dass bei nicht verbundenen Wahlen die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass es bei Präsidentschaftswahlen mit relativer Mehrheitswahl und Parlamentswahlen mit Verhältniswahlen in großen Wahlkreisen aufgrund der unterschiedlichen mechanischen und psychologischen Wirkungen der Wahlsysteme auch unterschiedliche elektorale Parteiensysteme gibt (Shugart/Carey 1992, 241). Bei Präsidentschaftswahlen mit absoluter Mehrheitswahl im ersten Wahlgang in Kombination mit Verhältniswahl des Parlaments in großen Wahlkreisen gibt es aber keine großen Unterschiede hinsichtlich der Anzahl der Parteien zwischen verbundenen und unverbundenen Wahlen. Es ist sowohl bei Präsidentschaftswahlen als auch bei Parlamentswahlen mit einem Vielparteiensystem zu rechnen (Shugart/Carey 1992, 223). Sind die Wahlen verbunden, werden auch Parteien bei der Präsidentschaftswahl Kandidaten präsentieren, die keine Gewinnchancen haben, um ihr Wahlergebnis bei den Parlamentswahlen zu verbessern. Denn die Wählerschaft neigt in dieser Kombination zu einer einheitlichen Stimmabgabe in beiden Wahlgängen (Shugart/Carey 1992, 239). Sind die Wahlen nicht verbunden, präsentieren Parteien ohne Siegchancen Kandidaten, um, wie oben schon erwähnt, Vorteile für ihre Situation im Parlament während der Legislatur zu erreichen. Bei nicht-verbundenen Wahlen ist je nach Zeitpunkt der Parlamentswahl in Relation zur Präsidentschaftswahl mit Auswirkungen auf das Wahlergebnis der Partei des Präsidenten zu rechnen, auf die hier aber nicht näher eingegangen werden kann (Shugart/Carey 1992, 242ff.). Festzuhalten ist, dass die im Prinzip konzentrierende Wirkung des Verfahrens der Mehrheitswahl auf das Kandidatenangebot unter bestimmten Bedingungen relativiert wird und das Kandidatenangebot eher Merkmale der Verhältniswahl zeigt. Zusammenfassung Diese Arbeit folgt wie Nohlen dem Ansatz des historischen Institutionalismus, es ist aber meiner Ansicht nach kein Widerspruch darin zu sehen, bestimmte Aussagen über die Wirkung von Wahlsystemen auf Parteiensysteme in Form von Hypothesen für eigene Analysen zu verwenden, ohne dabei die Absicht zu verfolgen, nach einer möglichen Bestätigung einer Hypothese diese zum Gesetz aufzuwerten. Institutionen definieren Opportunitätsstrukturen für Akteure, sie fördern und ermöglichen eine Verhaltensweise und erschweren eine andere. Aus der Funktionsweise, wie sie z.B. durch die Entscheidungsregel und das Repräsentationsprinzip beschrieben worden sind, erscheinen bestimmte Verhaltensweisen eher im Einklang mit diesen Regeln zu stehen als andere (also wahrscheinlicher zu sein), ohne dass aus dieser Feststellung sofort eine gesetzmäßige Aussage über das Verhalten entstehen muss. Die Institution kann als Anreizstruktur interpretiert werden, ganz im Sinne der psychologischen Effekte von Wahlsystemen bei Duverger. Aussagen über Verhaltensoptionen, die aus einer noch zu beschreibenden Institutionenlogik erfolgen, sind Hypothesen, zu denen es wiederum in der Regel Alternativhypothesen geben kann, die das Gewicht anderer Einflussfaktoren außerhalb der Institutionenlogik betonen. Der Ausgangspunkt zu einer zunächst getrennten Beschreibung der Institutionenlogik von Wahlsystemen liegt im unterschiedlichen Erfolgswert der Stimmen in den beiden Grundtypen, die sowohl Wähler (Nachfrager) als auch Parteien (Anbieter) beeinflussen. Besonders krass erscheint die „Verschwendung“ von Stimmen bei der relativen Mehrheits-
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
wahl in Einerwahlkreisen, in Extremfällen kann die Mehrheit der Stimmen verloren sein. Daher kann der Anreiz zur Kandidatur vor allem bei kleineren Parteien hier sehr gering sein und es dadurch zu einer Reduktion des elektoralen Angebots kommen. Damit wird im Kern der Argumentation von Duverger hinsichtlich der Entwicklung auf Wahlkreisebene gefolgt (Duverger 1959, 221ff.), ohne dass die Ausweitung auf die Anzahl der gesamtgesellschaftlichen Parteien auch übernommen wird. Das wäre für eine Auseinandersetzung mit Kommunalwahlen auch nicht sinnvoll, da sich das Parteienangebot von dem Angebot auf anderen Ebenen des politischen Systems unterscheidet. Tabelle 12: Institutionenlogik von Mehrheits- und Verhältniswahl unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf das Kandidatenangebot Typ Mehrheitswahl
Erfolgswert der Stimmen niedrig
Verhältniswahl
hoch
Institutionenlogik
Angebotseffekte
Kandidaturanreiz Ɣ hoch für große Parteien Ɣ niedrig für kleine Parteien Kandidaturanreiz Ɣ hoch für große und kleine Parteien
Ɣ kleines Kandidatenangebot Ɣ Konzentration wahrscheinlich Ɣ breites Kandidatenangebot Ɣ Fragmentierung wahrscheinlich
Quelle: Eigene Darstellung.
Anders sieht es in reinen Verhältniswahlsystemen aus, deren Kandidaturanreiz für Anbieter sehr hoch sein kann, da bei einer entsprechend hohen Mandatszahl im Wahlgebiet und fehlenden Sperrklauseln beinahe alle Stimmen zählen können. Ein breites Angebot an Kandidaten und eine Fragmentierung der Stimmenverteilung wären wahrscheinlich. Damit die beschriebenen Angebotseffekte eintreten können, müssen mindestens zwei Bedingungen zutreffen (Schoen 2005, 589):
Eliten und Wählerschaft verhalten sich eher kurzfristig strategisch und sind in der Lage, die Anreizstrukturen zu erkennen, da sie ausreichende Kenntnisse des Wahlsystems haben. Untersuchungen bei Bundestagswahlen deuten darauf hin, dass dies zumindest bei der Wählerschaft nicht der Fall ist. Handeln Eliten und Wählerschaft aber aufgrund von ideologischen Überzeugungen, Parteibindung oder Gruppenloyalität, ist die Anreizstruktur des Wahlsystems relativiert. Eliten und Wählerschaft müssen sich der Verteilung der politischen Chancen in einem Gebiet bewusst sein, um diese in ihre Kalkulation einbeziehen zu können. Selbst wenn zurückliegende Wahlergebnisse bekannt sind, ist aufgrund wachsender Volatilität ungewiss, ob diese die Wahlchancen tatsächlich abbilden. Bei Kommunalwahlen sagen diese auch nichts über die Chancen von Einzelbewerbern oder neuen Gruppierungen aus.
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
79
Ob beide Bedingungen in einer konkreten Wahlsituation tatsächlich erfüllt sind, kann häufig bezweifelt werden. Schoen weist aber zu Recht daraufhin, dass die Voraussetzungen für strategisches Handeln auf der Angebotsseite des politischen Marktes eher vorliegen, als auf der Nachfragerseite, bei den Wählerinnen und Wählern (Schoen 2005, 590). Die hier vorliegende Analyse der Bürgermeisterwahlen in NRW wird sich auf die Anbieterseite konzentrieren. In der folgenden Tabelle werden die Aussagen zur Institutionenlogik und die Struktur des elektoralen Parteiensystems unter der Berücksichtigung von Wechselwirkungen in präsidentiellen Systemen nach Shugart und Carey zusammengefasst. Die Wahrscheinlichkeit einer getrennten Entwicklung der elektoralen Parteiensysteme nach unterschiedlichen Institutionenlogiken steigt, wenn die Präsidentschaftswahlen mit relativer Mehrheitswahl und Parlamentswahlen mit Verhältniswahlen in großen Wahlkreisen nicht verbunden sind. Wenn die Wahl des Präsidenten nach absoluter Mehrheitswahl und das Parlament mit personalisierter Verhältniswahl zusammen abgehalten werden (verbundene Wahlen), ist aber eher mit Vielparteiensystemen bei beiden Wahlgängen zu rechnen. Die Kandidaturanreize für nicht aussichtsreiche Parteien bei der Präsidentschaftswahl gehen eher von der parlamentarischen elektoralen Arena aus, da es entweder um die Verbesserung des Wahlergebnisses bei der Parlamentswahl oder mit Blick auf die Verhandlungen um Stimmenpakete in einer Stichwahl um eine Stärkung der Position einer Partei bei der Koalitionsbildung nach den Wahlen geht. Der Erfolgswert der Stimmen ist dann nachrangig.
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Tabelle 13: Institutionenlogik und Struktur des elektoralen Parteiensystems in präsidentiellen Systemen Typ Ɣ Unverbundene Wahl
Institutionenlogik Ɣ Getrennte Kandidaturanreize je nach Wahlsystem
Ɣ Relative Mehrheitswahl des Präsidenten
Ɣ Präsidentschaftswahlen hoher Anreiz für große Parteien, geringer Anreiz für kleine Parteien
Ɣ Verhältniswahl des Parlaments in großen Wahlkreisen
Ɣ Parlamentswahl hoher Anreiz für große und kleine Parteien
Ɣ Parteiensystem groß und fragmentiert
Ɣ Verbundene Wahl
Ɣ Kandidaturanreize der Verhältniswahl dominant
Ɣ Absolute Mehrheitswahl des Präsidenten mit zwei Wahlgängen
Ɣ hoher Anreiz für große und kleine Parteien Ɣ hohe Wahrscheinlichkeit für Stichwahlen Ɣ hoher Anreiz für große und kleine Parteien
Ɣ Gleiche elektorale Parteiensysteme Ɣ Mehrheit für Partei des Präsidenten im Parlament wahrscheinlicher Ɣ Parteiensystem groß und fragmentiert Ɣ keine Unterstützungsbündnisse im ersten Wahlgang Ɣ Parteiensystem groß und fragmentiert
Ɣ Verhältniswahl des Parlaments in großen Wahlkreisen
Elektorale Parteiensysteme Ɣ Unterschiedliche elektorale Parteiensysteme Ɣ Mehrheit für die Partei des Präsidenten im Parlament unwahrscheinlicher Ɣ Parteiensystem klein, Konzentration auf Hauptbewerber Ɣ Unterstützungsbündnisse
Quelle: Eigene Darstellung.
2.2.4 Bürgermeisterwahlen, Ratswahlen und lokale Parteiensysteme In diesem Kapitel soll zunächst der schmale Forschungsstand zu Direktwahlen der Bürgermeister zusammengefasst werden. Dabei konzentriert sich die Darstellung auf wenige Studien, die für die eigene Untersuchung maßgeblich sind. Im zweiten Teil des Kapitels erfolgt eine vergleichende Darstellung der rechtlichen Grundlagen von Rats- und Bürgermeisterwahlen. Dann werden Thesen aus dem Forschungsstand zum Zusammenhang von Wahlrecht und Parteiensystem auf kommunaler Ebene präsentiert, um abschließend eine integrierte Übersicht der Wahlsysteme von Rat und Bürgermeister im Ländervergleich vorzustellen, die die in Kapitel 2.2.3 entwickelten Hypothesen zu den Wirkungen auf das Parteiensystem einbezieht. Zum Abschluss werden die Ergebnisse des Kapitels zusammengefasst.
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
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Forschungsstand zu Bürgermeisterdirektwahlen Zum Kandidatenangebot und zu den Wahlergebnissen bei Bürgermeisterdirektwahlen gibt es seit der Einführung in allen Ländern in Deutschland keine vergleichenden statistischen Dokumentationen aus Quellen der amtlichen Statistik63, allenfalls einzelne Studien zu Ländern und Fallstädten mit zeitlicher Beschränkung auf wenige Wahljahre, die im Folgenden auszugsweise dargestellt werden sollen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) stellt regelmäßig ein Verzeichnis der Bürgermeister- und Ratswahlergebnisse (Kommunales Wahllexikon) in Städten über 50.000 Einwohnern zusammen, ohne jedoch zusammenfassende Auswertungen beispielsweise nach Parteizugehörigkeit und Gemeindegröße durchzuführen (KAS 2005). Die einzige ländervergleichende Studie, die sich auch mit direkten und indirekten Bürgermeisterwahlen befasst, stammt von Grauhan (1970), der allerdings „nur“ 20 Großstädte untersucht hat. Zu folgenden Ländern liegen ebenfalls Studien vor, die sich mit direkten Bürgermeisterwahlen beschäftigen: Mielke/Benzler (2000) fassen das Kandidatenangebot und die Ergebnisse von 139 Urwahlen nach Einführung der Direktwahl in Rheinland-Pfalz zusammen. Bürgermeisterwahlen in Niedersachsen nach 1996 hat Gissendanner (2005) anhand einiger Fallstudien untersucht, sein Hauptinteresse liegt jedoch auf den Wirkungen der Direktwahl auf die Regierungsphase. Für das Saarland gibt es eine neuere fallstudienbasierte Untersuchung. Stegmann (2003) widmet sich explizit der Direktwahl in drei Städten und fragt nach Demokratie steigernden Wirkungen der Direktwahl. Das Arbeitspapier zu Baden-Württemberg und Hessen von Gründler und Lückemeier (1999) fasst Impressionen zum Wahlkampf bei Bürgermeisterwahlen zusammen und wird weiterhin nicht berücksichtigt. Der unbestrittene Experte für Direktwahlen in Baden-Württemberg ist der in dieser Arbeit schon mehrfach zitierte Wehling (1987, 1998c, 1999), der seit Jahrzehnten die kommunale Szene in BadenWürttemberg beobachtet, ohne aber systematische Auswertungen von Bürgermeisterwahlen unter Berücksichtigung des Kandidatenangebotes und der detaillierten Wahlergebnisse durchzuführen. Da die Wahlen in Baden-Württemberg jedoch entkoppelt sind, wäre dies auch mit besonderen organisatorischen Schwierigkeiten verbunden. Diese Lücke ist umso bedauerlicher, da Baden-Württemberg bisher beim institutionellen Rahmen und der Rolle der Parteien immer als Kontrastfall zu NRW dienen konnte. Zur ersten Direktwahl in NRW gibt es eine ausführliche Studie (Andersen/Bovermann 2002), zu der der Verfasser verschiedene Beiträge geleistet hat (Holtkamp/Gehne 2002; Gehne/Holtkamp 2002; Gehne 2002), auf die im Weiteren noch näher eingegangen wird. Der Überblick zu den Bürgermeisterwahlen in Rheinland-Pfalz von Mielke/Benzler und die Studie von Andersen/Bovermann sind die einzigen dem Autor bekannten Studien, die Kandidatenangebot und Wahlergebnisse flächendeckend erfassen, daher wird im Weiteren im Schwerpunkt auf diese eingegangen.
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Bürgermeisterwahlergebnisse werden beispielsweise vom Statistischen Landesamt in NRW für die 23 kreisfreien Städte mit Kandidatenangebot und Stimmenverteilung präsentiert. Für die 373 kreisangehörigen Gemeinden wird jedoch nur Name, nominierende Partei und das Ergebnis des Wahlsiegers in Prozent der gültigen Stimmen veröffentlicht, aber keine Angaben über das Kandidatenangebot. Vgl. z.B. . http://www.wahlen.lds.nrw.de/kommunalwahlen/2004/kreisang_Gem/bb_Gem/d570004kw0400.html Diese Praxis gilt im Prinzip auch für alle anderen Länder, mit Ausnahme von Bayern, vgl. http://www.statistik.bayern.de/wahlen/kommunalwahlen/ .
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Bürgermeisterwahlen in Rheinland-Pfalz Die Direktwahl der Bürgermeister und Landräte wurde in Rheinland-Pfalz im Jahr 1993 eingeführt. Die Einführung der Direktwahl galt als bedeutende Zäsur. Ähnlich wie in NRW ging der Einführung eine längere Beratung im Landtag voraus, in der die Hoffnungen und Vermutungen über die Wirkungen der Einführung der Direktwahl artikuliert wurden (Mielke/Benzner 2000, 361ff.)64. Die Autoren zogen im Jahr 2000 eine erste Bilanz der bisher stattgefundenen 139 Direktwahlen von Bürgermeistern und Landräten. Die Bürgermeisterwahlen sind von den Ratswahlen entkoppelt, dies bedeutet aber nicht, dass sie nicht auch aus Kostenersparnisgründen zusammen mit Wahlen auf anderer Ebene stattfanden. Diese Koppelung erhöhte die Wahlbeteiligung erheblich, die im Schnitt in gekoppelten Fällen mit 75,5% deutlich über den entkoppelten Fällen mit nur durchschnittlich 54,7% lag. Die Koppelung hat auch die Tendenz der Ergebnisse beeinflusst, die die andere Wahl dominierende große Partei hat in der Regel auch bei den Urwahlen besser abgeschnitten (Mielke/Benzner 2000, 380). Die Anzahl der Kandidaten schwankte mit der Gemeindegröße und lag in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern bei durchschnittlich 2,8 Kandidaten, fiel in den mittleren auf 2,5, und lag in den großen Gemeinden bei 3,2 Kandidaten (Mielke/Benzner 2000, 366ff.). Das elektorale Parteiensystem bei Bürgermeisterwahlen setzte sich aber in den Gemeindegrößenklassen unterschiedlich zusammen, denn in kleinen Gemeinden traten wesentlich mehr Wählergruppen und Einzelbewerber, in großen Gemeinden dagegen deutlich mehr Parteien zur Wahl an. CDU und SPD erreichten den höchsten Deckungsgrad an Kandidaturen mit jeweils um die neunzig Prozent Teilnahmen an den untersuchten Bürgermeisterwahlen. Grüne (19%), FDP (13%) und sonstige Parteien beteiligten sich seltener an Bürgermeisterwahlen als Wählergruppen (33%) und Einzelbewerber (30%), die deutlich mehr Präsenz zeigten. Es gab nur wenige Fälle, in denen Parteien und Wählergruppen gemeinsame Kandidaten unterstützten. Ob Einzelbewerber von Parteien unterstützt wurden, lässt sich nicht nachvollziehen. In 65 der 139 Fälle traten Amtsinhaber zur Wahl an, ein relativ niedriger Anteil, den die Autoren in erster Linie auf den Wechsel des Wahlmodus von indirekt auf direkt zurückführten, der einige alte Amtsinhaber, die plötzlich parteiinterne Konkurrenz hatten oder ihre Wahlchancen in der Direktwahl für niedrig hielten, davon abhielt zu kandidieren. 56 Amtsinhaber wurden gewählt, was einer Erfolgsquote von 86% entspricht. Der Anteil der erfolgreichen alten Amtsinhaber war in Gemeinden unter 15.000 Einwohnern mit 93% wesentlich höher. In wenigen Fällen unterlagen Amtsinhaber von CDU und SPD anderen Bewerbern, die als Einzelbewerber angetretenen Amtsinhaber wurden jedoch alle gewählt. Nach Parteien aufgeschlüsselt waren 45,3% der Wahlsieger von der CDU und 33,8% der Wahlsieger von der SPD nominiert worden. in 11,5% der Fälle gewann ein Einzelbewerber die Wahl, in 8,6% Bewerber von Wählergruppen und in einer Gemeinde ein Kandidat der Grünen. Bewerber von Wählergruppen und Einzelbewerber konnten sich eher in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern durchsetzen und erzielten dort im Schnitt aller Kandidaten auch wesentlich höhere Ergebnisse. Zwei Drittel der Wahlen wurden im ersten Wahlgang entschieden. Die Ergebnisse der Bürgermeisterwahl werden in dieser Studie nur indirekt mit den Ergebnissen der Gemeinderatswahlen verglichen. Die Autoren operationa64
Zum Reformprozess in Rheinland-Pfalz vgl. auch Haus 2005b und Holtkamp 2005.
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
83
lisierten den politischen Kontext einer Gemeinde, indem sie die Mandatsverhältnisse nach absoluten und relativen Mehrheiten für die beiden großen Parteien unterscheiden65. Bei absoluten Mehrheiten der CDU gewann in 72% der Fälle der CDU-Kandidat, bei absoluter Mehrheit der SPD gewann in 92% der Fälle der Kandidat der Gemeinderatsmehrheit. In Fällen mit relativer Mehrheit von SPD oder CDU gelang es wesentlich mehr Kandidaten anderer Gruppierungen, die Wahlen für sich zu entscheiden, die SPD verzeichnete in 50% dieser Fälle „Heimspielniederlagen“, die CDU in 40%66. In insgesamt sechzig Prozent aller Gemeinden stimmen in Rheinland-Pfalz die parteipolitische Tendenz der Ratsmehrheit und der Parteizugehörigkeit der Bürgermeister also überein. Die durchschnittliche Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen in Rheinland-Pfalz (65,2%) liegt unter der Wahlbeteiligung bei Gemeinderatswahlen (74,3%). Sie war etwas höher in kleineren Gemeinden oder in Fällen mit ausgeprägter Konkurrenzsituation und knappen Wahlergebnissen im ersten Wahlgang. Am höchsten war die Wahlbeteiligung jedoch bei mit anderen Wahlen gekoppelten Bürgermeisterwahlen (75,5%). Bürgermeisterwahlen in NRW 1999 Die Studie zur ersten Direktwahl der Bürgermeister in NRW umfasste die Untersuchungsbereiche Kandidatenauswahl und -nominierung, Kandidatenangebot, Wahlkampf, Wahlergebnisse und Wahlverhalten, die im Schwerpunkt in den Fallstudienstädten (Kandidatenauswahl, Nominierung und Wahlverhalten), zum Teil aber auch im Vergleich mit landesweiten Untersuchungsergebnissen behandelt wurden (Kandidatenangebot, Wahlkampf, Wahlergebnisse) (Andersen/Bovermann 2002a). Die Ergebnisse werden nun konzentriert auf die landesweiten Ergebnisse in den Bereichen Kandidatenangebot und Wahlergebnisse dargestellt, um abschließend noch Lücken im Untersuchungskonzept zu benennen, die in der vorliegenden Studie geschlossen werden sollen. Die erste landesweite Direktwahl der Bürgermeister in NRW fand 1999 am gleichen Termin mit den Ratswahlen statt (gekoppelte Wahl). In 396 Gemeinden traten insgesamt 1484 Kandidatinnen und Kandidaten an (Holtkamp/Gehne 2002, 68ff.). Der Frauenanteil lag bei 14,8%. Durchschnittlich traten 3,7 Kandidaten pro Gemeinde an, die Anzahl der Kandidaten pro Gemeinde stieg mit der Gemeindegröße von 2,9 in Gemeinden unter 100.000 Einwohner bis auf 5,3 in Städten über 100.000 Einwohner. Keine Partei trat in allen Gemeinden zur Bürgermeisterwahl an, die großen Parteien erreichten aber mit 92% (SPD) und 94% (CDU) den höchsten Deckungsgrad an Kandidaturen. Kandidaten der Grünen traten in 63%, der FDP in 51%, von Wählergruppen in 33% an. Einzelbewerber kandidierten in 30% der Gemeinden. Die Einzelbewerber konnten formal in zwei Gruppen geteilt werden: Amtsinhaber (Stadtdirektoren und hauptamtliche Bürgermeister) konnten ohne weitere Unterstützung ihre Kandidatur als Einzelbewerber einreichen, was sie in 11% der Gemeinden taten. Der Anteil der Kommunen mit Kandidaten von SPD, CDU, Grünen und FDP steigt mit der Gemeindegröße, wenn auch bei den kleineren Parteien auf niedrigerem
65
Zuzüglich eines Falles mit relativer Mehrheit einer Wählergruppe, der aber nicht weiter analysiert wird (Mielke/Benzner 2000, 379). Eine relative Mehrheit im Gemeinderat kann allerdings sehr knapp sein und wenig über Dominanzstrukturen in der politischen Wettbewerbssituation aussagen, so dass Siege anderer Bewerber wahrscheinlicher sein können.
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Niveau. SPD und CDU kandidieren in Städten über 50.000 Einwohner flächendeckend, mit Ausnahme der Großstadt Duisburg, in der kein formal von der CDU nominierter Bürgermeisterkandidat zur Wahl antrat67. Von den kleineren Parteien erreichen die Grünen in Städten über 100.000 Einwohnern einen Deckungsgrad von 100%, die FDP bleibt auch in dieser Größenklasse deutlich unter dieser Quote. Niedriger liegen insgesamt gesehen die Anteile der Kandidaten von Wählergruppen und der Einzelbewerber über alle Größenklassen. Kandidaten von Wählergruppen und Einzelbewerber waren kein Phänomen der kleineren Gemeinden. In knapp unter 50% der Großstädte in NRW traten Einzelbewerber zur Wahl an, obwohl die formalen Hürden der Kandidatur hinsichtlich der Anzahl der Unterstützungsunterschriften hier deutlich höher lagen. Eine Besonderheit bei der ersten Direktwahl in NRW lag darin, dass es aufgrund der Reduktion der Doppelspitze auf einen Amtsinhaber sowie durch die vorzeitige Ratswahl des neuen hauptamtlichen Bürgermeisters in gut 40% der Gemeinden verschiedene Kandidaten mit dem Status des Amtsinhabers gab, die in Gemeinden, die bis zur Wahl die Doppelspitze behalten hatten, auch gegeneinander antraten. In 68% aller Städte und Gemeinden kandidierten hauptamtliche Bürgermeister oder Stadtdirektoren, davon in 18 Städten/Gemeinden Stadtdirektoren in Konkurrenz zum ebenfalls kandierenden ehrenamtlichen Bürgermeister. In 9,1% der Städte/Gemeinden kandidierten ehrenamtliche Bürgermeister und in 23% der Städte/Gemeinden trat kein Amtsinhaber zur Wahl an. Die überwiegende Mehrheit der Kandidaten hatte Erfahrung in Kommunalpolitik und/oder –verwaltung. Der Anteil der Kandidaten mit Erfahrung in der Kommunalpolitik stieg mit der Gemeindegröße, der Anteil der Kandidaten mit Erfahrung in der Kommunalverwaltung sank dagegen. Die Kandidaten waren von Ausnahmen abgesehen in der Regel Mitglieder der Parteien oder Wählergruppen, die sie nominiert hatten. Die Kandidatenprofile sowohl in der landesweiten Kandidatenbefragung als auch in den vier Untersuchungsgemeinden weisen einige Gemeinsamkeiten auf. Der durchschnittliche Kandidat ist um die 50 Jahre alt, Parteimitglied, berufstätig im öffentlichen Sektor, männlich und hat einen Hochschulabschluss. Bei den Berufen der Bewerber ist weiterhin auffällig, dass die Arbeitszeiten zum Teil relativ flexibel sind (Lehrer, Anwälte, Beratungstätigkeiten) und so relativ gut auf die Erfordernisse des Wahlkampfes und der zum Teil vorhergehenden kommunalpolitischen Tätigkeit abgestimmt werden können. Die Kandidaten weisen eine sehr hohe Gemeindebindung auf: Sie sind in der Regel in der Gemeinde ihrer Kandidatur aufgewachsen und Mitglied in mehreren Vereinen. 55,5% aller Kandidaten von Parteien und Wählergruppen hatten eine hohe Bindung an ihre Gruppierung im Wahlkampf, 40% eine mittlere und 4,5% eine geringe Bindung(Gehne/Holtkamp 2002, 101ff.) 68. Der Anteil der Kandidaten mit geringer Parteibindung war bei allen Nominierungsgruppen niedrig. Die kleineren Parteien und Wählergruppen wiesen die höchsten Anteile an Kandidaten mit starker Parteibindung auf, den niedrigsten Anteil die CDU-Kandidaten, die dagegen den höchsten Anteil an Kandidaten mit mittlerer Parteibindung aufwiesen. Der Anteil der SPD-Kandidaten mit hoher Parteibindung überstieg leicht den Anteil der Kandidaten mit mittlerer Parteibindung.
67
Vgl. auch die Ausführungen zu Auswahl und Nominierung in Kapitel 2.2.2. Die Variable Parteibindung integriert vier Faktoren des Wahlkampfes, die Parteibindung demonstrieren: Kandidatur für den Rat, womöglich als Spitzenkandidat auf Platz 1 der Ratswahlliste; organisatorische und strategische Zusammenarbeit oder Distanz; Verwendung des Parteilogos auf den Wahlplakaten.
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2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
85
Analysiert man die Parteibindung nach Erfahrung/Vorposition in der Kommunalpolitik und -verwaltung, ergibt sich, dass die Parteibindung bei Kandidaten mit Erfahrung in der Kommunalverwaltung und Stadtdirektoren geringer, bei Kandidaten ohne Erfahrung, Erfahrung in der Kommunalpolitik und den ehrenamtlichen Bürgermeistern jedoch stärker ausgeprägt war. Auch Einzelbewerber wurden von Parteien und/oder Wählergruppen unterstützt, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß nach den erwähnten Untergruppen. So gaben nur knapp ein Fünftel der Einzelbewerber/Unterschriften an, von Parteien oder Wählergruppen unterstützt zu werden, von den Einzelbewerbern aus dem Amt wurden etwas über 90% von Parteien oder Wählergruppen unterstützt. Dieses Ergebnis ist ein deutlicher Hinweis auf den besonderen Einfluss, den die Bewerbung von Amtsinhabern als Einzelbewerber auf das Kandidatenangebot haben kann, da Parteien in solchen Fällen auf eigene Kandidaturen verzichten und diese „unechten“ Einzelbewerber unterstützen69. Sowohl die Auswertung der Fallstudien als auch die Ergebnisse der landesweiten Kandidatenbefragung ergaben, dass sich die meisten Parteikandidaten im Wahlkampf nicht deutlich von ihrer Partei abgrenzten. Die Kandidaten sahen zwar einerseits die Notwendigkeit, sich als Persönlichkeit zu profilieren und die Gestaltung des Wahlkampfes nicht allein ihrer Partei zu überlassen, andererseits waren sie auf die verschiedenen Unterstützungsleistungen der Parteien angewiesen. Die Kandidaten der kleinen Parteien waren auch Zugpferde für ihre Parteien im Ratswahlkampf, deren öffentliche Präsenz im Rahmen des Bürgermeisterwahlkampfs helfen sollte, das Ratswahlergebnis ihrer Partei zu sichern oder zu verbessern70. Darüber hinaus wurde deutlich, dass Parteien mit zunehmender Gemeindegröße eine wichtige Orientierungsfunktion für die Wählerschaft erfüllen und somit ein deutliches parteipolitisches Profil in größeren Städten eher nützlich als schädlich sein kann. Zusammenfassend konnte man feststellen, dass sich im Wahlkampf deutlich die in der Gemeindeordnung verankerte Verbindung der beiden Wahlgänge widerspiegelt. Zwar wurde von den Akteuren eine stärkere Personalisierung des Wahlkampfes bei gleichzeitiger Abwertung des Ratswahlkampfes festgestellt, dies schlug sich jedoch nur in Grenzen in der Wahlkampfstrategie der Parteibewerber nieder. Die Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Bürgermeisterwahl 1999 lag landesweit bei 55,1%, sie sank mit der Gemeindegröße und lag in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern bei durchschnittlich 68,7%, in Gemeinden über 100.000 Einwohnern bei 51,3% (Gehne 2002, 221ff.; Andersen/Bovermann/Gehne 2002, 196ff.). In knapp einem Drittel der Gemeinden entschied sich die Wahl erst in der Stichwahl. Von den neuen hauptamtlichen Bürgermeistern kandidierten 88,1% für eine Partei. Bei den Wahlsiegern dominierten eindeutig die CDU-Kandidaten, zwei Drittel aller Gemeinden hatte nach der Wahl einen CDUBürgermeister. In knapp 20% der Gemeinden gewann die SPD die Bürgermeisterwahl, in 12% der Gemeinden Einzelbewerber, davon drei Viertel als Einzelbewerber aus dem Amt. Ausnahmen bildeten Erfolge kleinerer Parteien (Grüne: 2 Gemeinden; FDP: 1) oder Wählergruppen (4). Die CDU stellt in allen Gemeindegrößenklassen den höchsten Anteil an hauptamtlichen Bürgermeistern, am deutlichsten in Städten zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern. Wahlsieger von kleinen Parteien und Wählergruppen sowie die beiden Typen
69
Vgl. die Darstellung der Fallstudienstadt Hünxe in Kapitel 2.2.2. Für die Annahme einer Verbesserung des Wahlergebnisses gibt es allerdings keine überzeugenden empirischen Belege, vgl. Holtkamp/Gehne 2003.
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
von erfolgreichen Einzelbewerbern traten dagegen eher in kleineren Gemeinden auf, wobei sich in Gemeinden mit 50.000 bis 100.000 Einwohner immerhin noch einige Einzelbewerber aus dem Amt finden lassen. In knapp 60% aller Gemeinden gewann ein Amtsinhaber entweder der alten Doppelspitze oder der noch vom Rat gewählten Einheitsspitze der Übergangszeit die Wahl. Jedoch unterschieden sich die Erfolgsquoten der Kandidaten mit einem Amtbonus nach verschiedenen Teilgruppen. Die CDU-Amtsinhaber hatten Erfolgsquoten (Anteil der Wahlsieger an den Kandidaten der Teilgruppe) von 96% für die hauptamtlichen Bürgermeister, 92% für die Stadtdirektoren und 70% für die ehrenamtlichen Bürgermeister. Die entsprechenden Werte für die SPD lauteten 51% für die hauptamtlichen Bürgermeister, 57% für die Stadtdirektoren sowie 33% für die ehrenamtlichen Bürgermeister und liegen damit deutlich unter denen der CDU-Bewerber. Das bedeutet umgekehrt, dass sich bei der CDU auch 58% der Bewerber ohne Amtsbonus durchsetzen konnten, dagegen nur 8% bei der SPD. Der Parteienvergleich zeigt, dass der Bundestrend offensichtlich als Filterfaktor zu Lasten der SPD und zu Gunsten der CDU wirksam war. Von den Einzelbewerbern mit Amtsbonus wurden die kandidierenden hauptamtlichen Bürgermeister zu 100% und die Stadtdirektoren zu 71% gewählt. Der einzige als Einzelbewerber angetretene ehrenamtliche Bürgermeister scheiterte dagegen. Im Hinblick auf die schon bei den Einzelkandidaten diskutierten Teilgruppen ergibt sich folgender Befund. Mit Amtsbonus und Unterstützung mindestens einer der Großparteien konnten sich 93% der Einzelbewerber durchsetzen. Mit Amtsbonus, aber ohne Unterstützung, d.h. gegen Bewerber beider Großparteien, schafften es 47% der Einzelkandidaten. Ohne Amtsbonus, aber mit Unterstützung zumindest einer der beiden Großparteien waren 50% der Einzelbewerber erfolgreich. Charakteristisch für die erste Direktwahl in NRW war, dass sich ohne Amtsbonus und ohne Unterstützung einer der beiden Großparteien nur 7% der Einzelbewerber behaupten konnten. Die These, dass Amtsinhaber generell eine gute Wahlchance hätten, wird durch die genannten Erfolgsquoten untermauert, gilt aber nicht ohne Einschränkungen. Die wichtigste Einschränkung für Parteibewerber war der Bundestrend. Bei den Einzelkandidaten erweist sich der Einfluss des Amtsbonus und der Unterstützung durch eine der Großparteien als annähernd gleich stark. Darüber hinaus spielt für alle Kandidaten die lokale Situation eine wichtige Rolle. Hierzu zählen die Gemeindegröße, die sozialstrukturell bedingte parteipolitische Kräftekonstellation, das Kandidatenangebot, das individuelle Kandidatenprofil sowie auch die bisherige Amtsführung. Fast alle Wahlsieger hatten Erfahrung oder Vorpositionen in der Kommunalpolitik oder -verwaltung (insgesamt 95%). Knapp ein Viertel der Wahlsieger kann sich auf Erfahrungen bzw. Vorpositionen im Bereich Kommunalpolitik (ehrenamtliche Bürgermeister eingeschlossen) stützen, 45% bringen Erfahrungen bzw. Vorpositionen im Bereich Kommunalverwaltung (Stadtdirektoren eingeschlossen) mit. Knapp 25% der Wahlsieger waren bereits in der Übergangszeit hauptamtliche Bürgermeister. Ob dies für eine besondere Präferenz der Wähler für den reinen Verwaltungsfachmann spricht, lässt sich auf dieser Grundlage jedoch nicht beurteilen, da die auf Landesebene aggregierten Daten keine Auskunft über das Profil der Mitbewerber vor Ort geben. Richtet man abschließend den Blick auf das Sozialprofil der neu gewählten Bürgermeister, so zeigt sich, dass lediglich 5% der Wahlsieger Frauen waren, davon sechs von der SPD, 13 von der CDU und eine von einer Wählergruppe nominierte Kandidatin. Damit war der Frauenanteil der Wahlsieger deutlich niedriger als der Kandidatinnenanteil von 15%.
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
87
Die Wahlsieger waren wie die Kandidaten in ihrer Mehrzahl in den mittleren Jahren, alteingesessen, in ihrer Amtsgemeinde beruflich sowie sozial integriert und lebten in einer ehelichen Gemeinschaft. Sie wiesen ein hohes Bildungsniveau auf und waren weitgehend im öffentlichen Sektor sowie in geringerem Ausmaß im Handels- und Dienstleistungssektor beruflich tätig. Insgesamt unterscheidet sich das Sozialprofil der neuen Bürgermeister in NRW kaum von dem aller Bürgermeisterkandidaten. Als Fazit kann man festhalten, dass sich bei der Uraufführung unter den Kandidaten und gewählten Bürgermeistern viel Kontinuität feststellen ließ. Ein Großteil der Kandidaten und Bürgermeister hatte Erfahrung in Kommunalpolitik und –verwaltung, so dass davon ausgegangen werden kann, dass bei der Kandidatenauswahl im Wesentlichen aus einem schon vorhandenen Pool an Parteimitgliedern geschöpft wurde, vor allem dann, wenn Amtsinhaber der alten Doppelspitze oder hauptamtliche Bürgermeister zur Verfügung standen. Der unterschiedlich wirkende Amtsbonus verweist aber auch auf den Einfluss des Bundestrends zulasten einer Partei, ein Faktor, der sich im Forschungsdesign schlecht kontrollieren lässt und sich vermutlich stärker bei verbundenen Bürgermeisterwahlen auswirkt als bei entkoppelten. Der hohe Anteil an Parteikandidaten mit mittlerer Parteibindung im Wahlkampf verweist auf verbundene Strategien von Parteien und Bürgermeisterkandidaten, in denen die Kandidaten aber die Notwendigkeit sahen, eigene Akzente zu setzen. Auf der Ebene der untersuchten Fallstudienstädte konnten das Kandidatenangebot und das Wahlverhalten bei den verbundenen Rats- und Bürgermeisterwahlen verglichen werden. Die tatsächlichen Wahlergebnisse in den Fallstudienstädten deuten noch einmal auf Unterschiede im Wahlverhalten zwischen den beiden miteinander verbundenen Wahlen hin. Für die Ratswahl traf eher die in der kommunalen Wahlforschung vertretene Konvergenzhypothese zu, nach der das Wahlverhalten bei Bundestags- und Kommunalwahlen ähnlich ist und Unterschiede in den Wahlergebnissen auf verschiedene Grade der Mobilisierung zwischen den Parteien zurückzuführen sind71. Für die Bürgermeisterwahl bestätigte sich dagegen eher die ebenfalls von lokalen Politikforschern diskutierte Differenzhypothese, die von erheblichen Unterschieden zwischen dem Wahlverhalten bei Bundestags- und Kommunalwahlen ausgeht und vor allem der Kandidatenorientierung höhere Bedeutung beimisst. Allerdings ist die Gültigkeit dieser These von bestimmten Bedingungen abhängig, zu denen die Kandidatenkonstellation, das taktische und strategische Wahlverhalten der Anhänger kleinerer Parteien, das Kandidatenprofil, die Größe der unterstützenden Parteien und nicht zuletzt die Gemeindegröße zählen. Zudem wurde die Personenorientierung durch den gleichzeitigen Einfluss der Parteiorientierung und durch den allgemeinen bundespolitischen Trend eingegrenzt, der bei dieser Kommunalwahl besonders ausgeprägt war und auch auf die Bürgermeisterwahl durchschlug. Der Schwerpunkt der Studie zur Direktwahl 1999 lag auf der Analyse der Fallstudienstädte, die landesweiten Ergänzungskomponenten bezogen hauptsächlich auf das Profil und die Strategien der Bürgermeisterkandidaten und der gewählten Bürgermeister. Auf der Landesebene fehlen für 1999 bisher systematische vergleichende Analysen des elektoralen Parteiensystems bei Rats- und Bürgermeisterwahlen auf Basis des Kandidatenangebots und der Wahlergebnisse in Verknüpfung mit den in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellten Fragestellungen zur Verbindung von Wahlsystem und Parteiensystem. Zwar können mit 71
Zur Konvergenz- und Differenzhypothese vgl. Gabriel 1997, S. 154.
88
2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
diesen Daten nur Hypothesen über das Wahlverhalten formuliert werden, das Angebotsverhalten der Parteien und Wählergruppen kann aber im Zusammenspiel mit den erhoben Daten des Forschungsprojektes besser erfasst werden. Daher wird in der eigenen Analyse der Bürgermeisterwahlen in NRW ein Schwerpunkt auf diesen Bereich gelegt, ergänzt durch die Fortschreibung der Entwicklung in den Fallstudienstädten in den wesentlichen Merkmalen, wenn auch mit einem deutlich reduzierten Erhebungsaufwand. Das Wahlverhalten bei Bürgermeisterwahlen und Ratswahlen im Vergleich auf der Basis von Befragungsdaten kann in dieser Studie nicht thematisiert werden, da der Erhebungsaufwand in einem Dissertationsprojekt ohne zusätzliche Förderung nicht zu leisten war. Wahlrecht bei Rats- und Bürgermeisterwahlen in Deutschland Im nächsten Abschnitt folgt der letzte Schritt des bundesweiten Vergleichs des institutionellen Arrangements der Kommunalpolitik in Deutschland: der Vergleich des Wahlrechts bei Rats- und Bürgermeisterwahlen. Bei den Ratswahlen haben die Länder überwiegend Verhältniswahlsysteme mit freien Listen und Kumulieren und Panaschieren eingeführt. In dieser Gruppe unterscheiden sich in die Länder noch darin, ob die Wählerschaft drei Stimmen vergeben kann (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) oder so viele Stimmen, wie Vertreter insgesamt gewählt werden (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz). In Rheinland-Pfalz und Thüringen ist dieses Wahlverfahren zudem noch mit einer Sperrklausel gekoppelt, die es sonst nur noch in Schleswig-Holstein und im Saarland gibt. In NRW72 (personalisierte Verhältniswahl mit starren Listen) und dem Saarland (Verhältniswahl mit starren Listen) kann nicht kumuliert und panaschiert werden, die Wählerschaft hat nur eine Stimme, die sie einer starren Liste geben kann, ohne bei der Stimmabgabe die Reihenfolge verändern zu können. In NRW ist die Stimmabgabe außerdem gekoppelt mit der gleichzeitigen Wahl eines Wahlkreisvertreters. SchleswigHolstein hat als einziges Land unterschiedliche Wahlverfahren gestaffelt nach der Gemeindegröße mit Mehrpersonenwahlkreisen in kleinen Gemeinden und Einpersonenwahlkreisen in Gemeinden ab 10.000 Einwohnern. In fünf Ländern wird das Auszählungsverfahren nach d’Hondt und in acht das Verfahren nach Hare/Niemeyer verwendet, das auch bei der Bundestagswahl eingesetzt wird und dem nachgesagt wird, es würde unter bestimmten Bedingungen kleine Parteien weniger benachteiligen als d’Hondt73. Die Altersgrenze des passiven Wahlrechts liegt einheitlich bei 18 Jahren. Das aktive Wahlrecht wird in fünf Ländern bei 16 und in den restlichen Ländern bei 18 Jahren erreicht. Eine Übersicht des Wahlrechts bei Ratswahlen in Deutschland zeigt Tabelle 98: im Anhang. Im Vergleich zur Gemeinderatswahl gab es bei Bürgermeisterwahlen relativ wenig institutionelle Varianz. Im ersten Wahlgang müssen in allen Ländern Bewerber mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen erreichen, um die Wahl für sich zu entscheiden (absolute Mehrheitswahl). Nur in Brandenburg gibt es zusätzlich ein Zustimmungsquorum
72
Im Rahmen dieser Arbeit wird das für die Wahlen 2004 gültige Kommunalwahlrecht in NRW dargestellt. Vgl. z.B. die Neuberechnung der Mandatsverteilung bei der Ratswahl in Essen 1994 in Andersen/Bovermann/Gehne 1999.
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2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
89
von 15% der Wahlberechtigten74. Falls kein Bewerber im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen erlangt, findet eine Stichwahl zwischen den zwei Bewerbern mit den meisten Stimmen statt. Gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. In BadenWürttemberg und Sachsen erfolgt dagegen ein zweiter Wahlgang, an dem alle Kandidaten des ersten Wahlganges erneut und auch neue Kandidaten teilnehmen können. Gewählt ist dann, wer die meisten Stimmen erhält (relative Mehrheitswahl). Eine Zusammenstellung der Regelungen des Wahlrechts bei Bürgermeisterwahl befindet sich in Tabelle 99: im Anhang75. In den meisten Ländern in Deutschland können Einzelbewerber und von Parteien oder Wählergruppen nominierte Bewerber antreten. In Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt gibt es dagegen nur Einzelbewerbungen, in Bayern nur von Parteien und Wählergruppen nominierte Bewerber und in Schleswig-Holstein nur Einzelbewerber und Bewerber vom im Rat vertretenen Parteien und Wählergruppen. Die Amtsdauer der Bürgermeister beträgt in den meisten Ländern zwischen fünf und acht Jahren. In Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein kann die Länge der Amtszeit des Bürgermeisters in der Hauptsatzung festgelegt werden, sie beträgt in Mecklenburg-Vorpommern zwischen sieben und neun Jahren und in Schleswig-Holstein zwischen sechs und acht Jahren. Im Forschungsstand zu Kommunalwahlen finden sich nur wenige Aussagen dazu, ob und wie die Wahlsysteme bei Rats- oder Bürgermeisterwahlen das elektorale Parteiensystem beeinflussen. Der Schwerpunkt der kommunalen Wahlforschung liegt zum einen auf der Dokumentation und Deskription von Ratswahlergebnissen durch statistische Ämter, die aber über ihren gesetzlichen Auftrag hinaus meist einen geringen analytischen Anspruch haben. Zum anderen gibt es seit den 1990er Jahren eine wachsende Zahl an Studien zum kommunalen Wahlverhalten, insbesondere mit Blick auf die Frage nach Konvergenz oder Divergenz des Wahlverhaltens auf kommunaler Ebene mit anderen Ebenen des politischen Systems76. Der Angebotsseite, also den Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerbern, wird in der Regel weniger Aufmerksamkeit geschenkt, so dass nur aus wenigen Fallstudien überhaupt etwas über ihre Wahrnehmung der institutionellen Anreizstrukturen bekannt ist. Die Ausnahmen wurden bereits in Kapitel Parteien und Wahlen auf der kommunalen Ebene: Einfluss konkurrenz- und konkordanzdemokratischer Muster behandelt. Darüber hinaus gibt es einige in der Regel nur schwach empirisch untermauerte Thesen über die mechanischen und psychologischen Wirkungen von Wahlverfahren, die sich weniger auf die Struktur von elektoralen Parteiensystemen beziehen, als auf die Bedeutung von Parteien in der Kommunalpolitik und die Wahlchancen von Wählergruppen. Beispielsweise reduziert Kumulieren und Panaschieren den Einfluss der Parteien auf die Zusammensetzung des Rates, da die Wählerschaft die Reihenfolge auf den Listen stark beeinflussen kann77. Die so zu-
74
Zustimmungsquoren gibt es in anderen Ländern auch dann, wenn nur ein Kandidat antritt, diese wurden in der Übersicht nicht berücksichtigt. 75 Zu Vergleichszwecken wurde die ab 2007 neu eingeführten Regeln bei Bürgermeisterwahlen in NRW in die Übersicht aufgenommen. Die weitere Diskussion der Wirkung von institutionellen Regelungen bezieht sich jedoch auf die bei der Bürgermeisterwahl 2004 gültigen Regelungen. 76 Vgl. Kevenhörster 1976, der mit seinen Thesen zum kommunalen Wahlverhalten einige Forschungsarbeiten angeregt hat. Ein Überblick dazu findet sich bei Holtkamp 2008, 171ff.. 77 Vgl. den Überblick zu Effekten des Stimmgebungsverfahrens bei Holtkamp 2008, 175.
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
nehmende Personenorientierung der Wähler soll die Chancen von Wählergruppen verbessern. (Holtmann 2001, 417). Starre Listen können dagegen in ihrer Zusammensetzung gänzlich von den Parteien bestimmt werden, da die Wählerschaft die Liste nur als Ganzes wählen kann. Dieses Argument ist aber eher für die parteiinterne Kandidatenauswahl relevant, als für die Struktur eines lokalen Parteiensystems. Kersting erwartet durch die Kombination der Einführung von Kumulieren und Panaschieren und der Abschaffung von Sperrklauseln eine wachsende Zersplitterung des Parteiensystems im Sinne einer Abwendung von den großen Parteien und einer Zunahme von Wählergemeinschaften in den Räten, die sich auch aus nicht auf den Parteilisten berücksichtigten Kandidaten rekrutieren. (Kersting 2002, 148). Wehlings „Ent-Parteipolitiserungs-Hypothese“ (Wehling 2003, 311) ist dagegen weitreichender. Sie bezieht sich das Zusammenwirken der institutionellen „Regelungen Direktwahl der Bürgermeister mit erheblicher Kompetenzausstattung“ und „Einführung von Kumulieren und Panaschieren“, das dazu führen soll, dass sich die politischen Muster den Ländern der süddeutschen Ratsverfassung annähern. Diese Hypothese betrifft natürlich auch die Struktur des lokalen Parteiensystems. Aus dieser knappen Aussage kann leider nicht interpretiert werden, welche Eigenschaften von Parteiensystemen davon betroffen sind. Die einzige dem Autor bekannte Studie zu lokalen Parteiensystemen in einem Land, die sich an Methoden der vergleichenden Parteiensystemforschung orientiert, stammt von Gabriel (1991). Gabriel verbindet die Analyse des lokalen Parteiensystems in 49 verbandsfreien Gemeinden in Rheinland-Pfalz mit der Frage der Einordnung des Landes als kommunale Wettbewerbs- oder Konsensdemokratie. Methodisch orientiert er sich an der Vorgehensweise zur Analyse nationaler Parteiensysteme, die er den kommunalen Fragestellungen anpasst. Der Stimmenanteil der lokalen Wählergruppen wird als Indikator für konsensdemokratische Strukturen verwendet. Es wird sowohl die elektorale (Stimmenverteilung und Fragmentierung) als auch die parlamentarisch-gouvernementale Ebene (parteipolitische Besetzung der Verwaltungsspitze und Abstimmungsverhalten im Rat) einbezogen. Der institutionelle Kontext wird konstant gehalten, ebenso wie die Gemeindegröße, da die verbandsfreien Gemeinden eher die größeren Gemeinden in Rheinland-Pfalz sind. Auf der elektoralen Ebene war im Untersuchungszeitraum (1974-1984) eine Zunahme der Fraktionalisierung78 festzustellen, die aber die beherrschende Stellung der beiden großen Parteien nicht wesentlich beeinflusste (Gabriel 1991, 382f.). Der dominante Parteiensystemtyp war ähnlich wie zu dieser Zeit auf der Bundesebene das konzentrierte Vielparteiensystem. In der kommunalpolitischen Regierungspraxis verbinden sich traditionell-konkordanzdemokratische mit parteienstaatlich-konkurrenzdemokratischen Prinzipien (Gabriel 1991, 396.). Ähnliche Studien zu anderen Ländern in Deutschland fehlen, so dass auf dieser Grundlage keine Hypothesen über den Einfluss des institutionellen Rahmens möglich sind.
78
Die Fraktionalisierung wurde mit Hilfe des Rae-Index gemessen, dessen Werte zur Klassifizierung verschiedener Parteiensystemstrukturen eingesetzt wurden. Gabriel unterschied zwischen Hegemonialsystemen, bipolaren Wettbewerbssystemen, konzentrierten Mehrparteiensystemen und fragmentierten Vielparteiensystemen (Gabriel 1991, 381).
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
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Integrierte Übersicht zu den Wirkungen von Wahlsystemen auf Parteiensysteme im Ländervergleich Dieser Studie liegt die Annahme zugrunde, dass die Übernahme und Anpassung von Hypothesen aus der vergleichenden Politikwissenschaft ergiebig für die Analyse des Wandels lokaler Parteiensysteme nach der Reform der Gemeindeordnung in den 1990er Jahren sein kann. Die adaptierten Hypothesen beziehen sich auf die Besonderheiten von Mischsystemen und die Wechselwirkungen der verschiedenen Institutionenlogiken bei zwei zum Teil miteinander verkoppelten Wahlen, der Rats – und der Bürgermeisterwahl. Die Institutionenlogiken von Bürgermeisterwahlen und Ratswahlen enthalten widersprüchliche Anreize für Akteure, die zu einem unterschiedlichen Angebot an Kandidaten und Listen führen kann. Welches elektorale Parteiensystem ein genaueres Abbild des außerhalb der Wahlen existierenden Parteiensystems darstellt, kann nicht abschließend festgestellt werden. Unterschiede zwischen elektoralen und „realen“ Parteiensystemen können z.B. dann auftreten, wenn bei Ratswahlen Parteien oder Wählergruppen noch nicht oder nicht mehr antreten, obwohl sie als Organisationen noch existieren und sich beispielsweise auf anderen Ebenen des politischen Systems politisch betätigen. Im Weiteren wird davon ausgegangen, dass das elektorale Parteiensystem bei Ratswahlen eher dem realen Parteiensystem entspricht, als das bei Bürgermeisterwahlen, da – wie die Auswertungen des Kandidatenangebotes bei Holtkamp und Gehne am Beispiel NRW gezeigt hat – keine Partei in allen Gemeinden des Landes bei der Bürgermeisterwahl Kandidaten nominiert hatte. Die folgende Tabelle integriert die Aussagen zu den Wahlsystemen in den Abbildungen zum Wahlrecht bei Rats- und Bürgermeisterwahlen mit den Hypothesen zu den Wirkungen und Wechselwirkungen von Wahlsystemen auf Parteiensystem in Tabelle 12: und Tabelle 13: am Beispiel der Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen79. Wenn im Folgenden von elektoralen Parteiensystemen die Rede ist, sind Wählergruppen und Einzelbewerber ebenfalls gemeint.
79
Eine vollständige Übersicht mit allen Ländern findet sich in Tabelle 100: im Anhang.
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Tabelle 14: Übersicht zu den Wirkung von Wahlsystemen auf Parteiensysteme bei Ratsund Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen Kriterien Rat Verbundene Wahl Rat und BM Rat: Wahlsystem, Listenform Institutionenlogik Ratswahl Tendenz Parteiensystem Rat (Format und Fragmentierung) Bm Bm: Wahlsystem 1. Wahlgang Institutionenlogik Bm.wahl
Baden-Württemberg
Nordrhein-Westfalen
nein
ja
Verhältniswahl, freie Listen hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien groß und fragmentiert
personalisierte Verhältniswahl, starre Listen hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien groß und fragmentiert
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
nur Einzelbewerber
hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien
Quelle: Eigene Darstellung
Folgende Kriterien werden in der Übersicht berücksichtigt:
Verbundene Wahlen Rat und Bürgermeister: Verbundene Wahlen gibt es formal nur noch in Bayern und NRW. In anderen Ländern können wie am Beispiel RheinlandPfalz gezeigt wurde, die Bürgermeisterwahlen am selben Termin mit anderen Wahlen stattfinden (z.B. Landtags- oder Bundestagswahlen). Sicher scheint die Wirkung der Koppelung auf die Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen zu sein, die dann abhängig von der Ebene der gekoppelten Wahl in der Regel höher ist. Mit anderen Worten kann von der Koppelung eine homogenisierende Wirkung ausgehen, wie auch Shugart/Carey annahmen, die eine Angleichung der elektoralen Parteiensysteme in Richtung des Parteiensystems bei Parlamentswahlen erwarteten, da auch Parteien kandidierten, die keine Chancen hatten, aber ihre Situation im Parlament verbessern wollten. Shugart/Carey schrieben diese Wirkung aber in erster Linie dem Wahlverfahren der absoluten Mehrheitswahl zu. In der vorliegenden Übersicht wird, wie es in der kommunalen Diskussion üblich ist, davon ausgegangen, dass bei nicht verbundenen Wahlen auch bei absoluter Mehrheitswahl getrennte Kandidaturanreize bei Bürgermeisterwahlen vorliegen, also die Wahlgänge unabhängiger sind. „Parlamentarische“ Kandidaturanreize haben bei nicht verbundenen Bürgermeisterwahlen eine geringere Bedeutung. Wahlsystem des Rates: In allen Ländern gibt es mit Ausnahme von Kleinstgemeinden große Wahlkreise nach Nohlen (2004, 477), d.h. die Gesamtzahl der nach Verhältniswahl zu vergebenden Sitze liegt über 11, so dass in der Regel nicht von einer die kleinen Parteien einschränkenden Wahlkreisgröße ausgegangen werden muss. Dieser Fak-
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
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tor wird in der Übersicht nicht berücksichtigt, da er in allen Ländern relativ einheitlich ist. In allen Ländern gibt es grundsätzlich Verhältniswahlsysteme, auch wenn die Ausgestaltung in NRW (mit Wahlkreisen) deutlich von der beispielsweise in BadenWürttemberg abweicht. Damit ist aber keine grundsätzlich andere Institutionenlogik verbunden, da die Antwort auf die Frage, ob eine Kandidatur sich für eine kleinere Gruppierung lohnt nicht davon abhängt, ob es Wahlkreise gibt80. Wichtiger ist dagegen der berücksichtigte Faktor der kommunalen Sperrklauseln, die es in RheinlandPfalz, dem Saarland und Thüringen gibt und die ein echtes Erfolgshindernis für kleinere Parteien und Wählergruppen darstellen. Die Form der Liste in Zusammenhang mit den vermuteten Personalisierungseffekten betrifft eher die Frage des Einflusses der Parteien auf die Zusammensetzung des Rates, der bei freien Listen geringer ist als bei starren. Institutionenlogik bei der Ratswahl: Aufgrund der vorgestellten Unterschiede im Wahlsystem des Rates gibt es hier entsprechend der Ausführungen in Tabelle 12: in Verbindung mit dem Vorhandensein von Sperrklauseln zwei mögliche Institutionenlogiken: „hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien“ und bei Vorhandensein einer Sperrklausel „hoher Kandidaturanreiz für große Parteien, geringerer für kleine Parteien“. Tendenz des Parteiensystems im Rat: Von den Kriterien bei Niedermayer sind in dieser Übersicht Format (Anzahl der Parteien) und Fragmentierung in ihrer Tendenz berücksichtigt. Als These wird von zwei Zuständen ausgegangen: „groß und fragmentiert“ als Tendenz in Ländern ohne Sperrklausel und „mittel und konzentriert“ in Ländern mit Sperrklauseln. Genauere Werte können aufgrund der fehlenden Daten nicht angegeben werden. Wahlsystem des Bürgermeisters im ersten Wahlgang: Das Wahlsystem im ersten Wahlgang ist in allen Ländern einheitlich die absolute Mehrheitswahl. Wie schon beim Punkt „Verbundene Wahlen“ erläutert, wird hier entgegen der Annahmen von Shugart/Carey die Wirkung der Entkoppelung der Wahlen auf die Struktur des Parteiensystems höher eingeschätzt, als die Wirkung des Wahlsystems. Diese Annahme entspricht dem Stand der kommunalen Debatte zur Koppelung von Bürgermeister- und Ratswahlen (z.B. Wehling 2003, 310)81. Institutionenlogik bei der Bürgermeisterwahl: Aufgrund der möglichen Koppelung der Wahlen wird nur in NRW und Bayern davon ausgegangen, dass der Effekt der absoluten Mehrheitswahl in Verbindung mit „parlamentarischen“ Kandidaturanreizen voll durchschlägt und zu einem hohen Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien führt. In den anderen Ländern nähert sich die Institutionenlogik eher den klassischen Annahmen zur Mehrheitswahl an: hoher Kandidaturanreiz für große Parteien, niedri-
In NRW müssen kleinere Parteien und Wählergruppen Wahlkreiskandidaten aufstellen, um Stimmen zu erhalten, da es im Gegensatz zum Wahlrecht bei Bundestagswahlen nur eine Stimme gibt, mit der Wahlkreiskandidat und Liste gleichzeitig gewählt werden. Die Notwendigkeit, in möglichst allen Wahlkreisen Präsenz zu zeigen, kann in Großstädten mit sehr vielen Wahlkreisen die personellen Kapazitäten von kleinen Gruppierungen überschreiten. Dieser Effekt des Wahlsystems auf die Aussichten kleinerer Gruppierungen kann aber wohl vernachlässigt werden. 81 Doch kann auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass die These von Shugart/Carey zur Wirkung der absoluten Mehrheitswahl auch bei Bürgermeisterwahlen zutrifft.
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
ger für kleine Parteien. Eine Kandidatur lohnt für kleinere Gruppierungen nicht, wenn die Gewinnschancen zu niedrig erscheinen. Kostengünstiger ist die Beteiligung an einem Unterstützungsbündnis. Tendenz des Parteiensystems bei Bürgermeisterwahlen: Da davon ausgegangen wird, dass das elektorale Parteiensystem bei Ratswahlen eher dem realen Parteiensystem entspricht als das bei Bürgermeisterwahlen, werden die Aussagen zu Format und Fragmentierung der elektoralen Parteiensysteme bei Bürgermeisterwahlen in Relation zu Format und Fragmentierung bei Ratswahlen formuliert. Bei der Kombination der Merkmale absolute Mehrheitswahl und entkoppelte Wahlen wird eher mit einem kleineren und konzentrierteren Parteiensystem als bei Ratswahlen gerechnet. Es treten weniger Kandidaten von Parteien und Wählergruppen zur Bürgermeisterwahl an, als im Rat vertreten sind, so dass das elektorale Parteiensystem trotz der nur bei der Bürgermeisterwahl antretenden Einzelbewerber kleiner ist als bei der Ratswahl. Anders dagegen bei der Kombination absolute Mehrheitswahl und verbundene Wahlen, hier werden tendenziell größere und fragmentiertere elektorale Parteiensysteme bei Bürgermeisterwahlen erwartet, die den Parteiensystemen bei Ratswahlen zwar sehr ähnlich sind, aber zusätzlich noch die Einzelbewerber enthalten können.
Für den Untersuchungsfall NRW werden folgende Zusammenhänge als Hypothesen vorgeschlagen. Aufgrund der verbundenen Wahlen von Rat und Bürgermeister und der personalisierten Verhältniswahl ohne Sperrklausel bei der Ratswahl wird mit einem großen und fragmentierten Parteiensystem bei Ratswahlen gerechnet. Da es bei absoluter Mehrheitswahl des Bürgermeisters bei steigender Anzahl der Kandidaten unwahrscheinlicher wird, dass ein Kandidat in der ersten Runde die erforderliche Mehrheit erhält, sinkt die Bedeutung der Erwartung des Wahlsieges bei einer Kandidatur zugunsten anderer Anreize, beispielsweise die Verbesserung der eigenen Verhandlungssituation bei Koalitionsverhandlungen („parlamentarische“ Anreize). Das im ersten Wahlgang errungene Stimmenpaket kann einem der Teilnehmer des zweiten Wahlgangs in Form einer Wahlempfehlung angeboten werden, um dafür gewisse Zugeständnisse für die Zusammenarbeit während der Ratswahlperiode zu erlangen. Anders sieht es im Kontrastfall Baden-Württemberg aus. Zeigt die Ratswahl aufgrund des Wahlsystems noch eine Tendenz zu großen und fragmentierten Parteiensystemen, folgt die nicht verbundene Bürgermeisterwahl einer eigenen Logik, besonders aufgrund des Ausschluss von parteinominierten Kandidaten. Laut Wehling ist eine offene Parteiunterstützung sogar schädlich und Kandidaten werden außerhalb der lokalen Gruppierungen rekrutiert (Wehling 2003, 309). Für „parlamentarische“ Anreize gibt es auch aufgrund der geringen Fraktionsdisziplin keine Grundlage (Gehne/Holtkamp 2005, 103ff.), die (offene) Unterstützung eines parteilosen Einzelbewerbers durch eine Partei oder Wählergruppe wäre kontraproduktiv. Daher unterscheidet sich das elektorale Parteiensystem bei Bürgermeisterwahlen gänzlich von dem bei Ratswahlen. Die Bürgermeisterwahl in Baden-Württemberg folgt ihren eigenen Gesetzen.
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
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Zusammenfassung Seit Einführung der Bürgermeisterdirektwahlen in den 1990er Jahren gab es nur wenige Forschungsprojekte, die über den (begrenzten) Horizont der Fallstudie hinaus Bürgermeisterwahlen systematisch untersucht haben. Ausnahmen waren die Studien zu RheinlandPfalz und NRW, die knapp vorgestellt wurden. In beiden Länderstudien wurde erneut die Bedeutung von Kontextfaktoren deutlich, insbesondere die Gemeindegröße konnte sowohl in Rheinland-Pfalz und NRW als bedeutender Einflussfaktor auf die Größe und Zusammensetzung des elektoralen Parteiensystems isoliert werden, das in kleineren Gemeinden stärker von Einzelbewerbern und Wählergruppen geprägt wurde. Der Faktor „politischer Kontext“ wurde nur in der Rheinland-Pfalz-Studie landesweit berücksichtigt, aber auch in NRW ist davon auszugehen, dass dieser von Bedeutung ist. Der Faktor politische Kultur im Sinne der Einstellung von Bevölkerung und Eliten zur Rolle der politischen Parteien konnte in beiden Studien in der landesweiten Analyse nicht einbezogen werden, da dazu keine Erhebungen durchgeführt wurden. Es bestätigt sich die Wirkung des Amtsbonus als wahlentscheidender Faktor, insbesondere die 100%-Erfolgsquote der Einzelbewerber in beiden Ländern ist bemerkenswert, wenn auch bei wenigen Fällen. In NRW lieferte die Analyse der Erfolgsquoten auch wichtige Hinweise auf den starken Bundestrend zulasten der SPD bei der Kommunalwahl 1999. Für weiter gehende ländervergleichende Analysen ist der vorhandene Forschungsstand zu Bürgermeisterwahlen über die genannten Beispiele hinaus jedoch zu schmal. Im zweiten Teil des Kapitels wurden die Wahlsysteme bei Rats- und Bürgermeisterwahlen im Ländervergleich ausführlich vorgestellt. Ziel war neben der in dieser Studie noch fehlenden Darstellung dieses wichtigen Teils des institutionellen Arrangements von Kommunalpolitik, zu einer integrierten Darstellung der Wirkung der Wahlsysteme auf die elektoralen Parteiensysteme zu gelangen. Mit Hilfe der Übertragung der in den vorangegangenen Kapiteln entwickelten Hypothesen gelang so eine Beschreibung der zu erwartenden Trends der Entwicklung der elektoralen Parteiensysteme in den Merkmalen Format und Fragmentierung bei Rats- und Bürgermeisterwahlen. Dabei wird davon ausgegangen, dass das elektorale Parteiensystem bei Ratswahlen eher das „reale“ Parteiensystem darstellt, denn es gibt für politische Gruppierungen wenig (institutionelle) Gründe, nicht bei Ratswahlen anzutreten, aber einige taktische Erwägungen, dies nicht bei Bürgermeisterwahlen zu tun. Daher werden das Format und die Fragmentierung des Parteiensystems bei Bürgermeisterwahlen in der Übersicht immer in Relation zum Parteiensystem bei Ratswahlen betrachtet. Als entscheidender Faktor erwies sich dabei die Frage, ob Rats- und Bürgermeisterwahlen verbunden oder nicht verbunden sind. Bei nicht verbundenen Wahlen wird im Gegensatz zu Shugart/Carey auch bei absoluter Mehrheitswahl von einer eigenständigen Entwicklungstendenz des Parteiensystems ausgegangen, die verbundene Wahl wirkt dagegen stark homogenisierend. Bei den vorangegangenen Ausführungen ist aber zu bedenken, dass sich die Hypothesen bisher ausschließlich auf institutionelle Einflüsse beziehen, Kontextfaktoren wie z.B. die Gemeindegröße sind nicht berücksichtigt. Die Größe eines elektoralen Parteiensystems hängt sicher auch von der Größe der Gemeinde und dem Ausmaß ihrer gesellschaftlichen Konfliktstrukturen ab. Die Zusammensetzung nach Parteien und kommunalen Wählergruppen scheint ebenfalls abhängig von der Gemeindegröße zu variieren, da Wählergruppen ihre Hochburgen eher in kleinen Gemeinden haben. Der bisherige Forschungsstand reicht aber nicht aus, um diese Zusammenhänge empirisch nachzuvollzie-
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
hen. Ein wichtiges Ziel der vorliegenden Studie ist daher, den Einfluss von Kontextfaktoren auf die institutionellen Hypothesen in einem Land zu untersuchen. Die Übersicht zeigte noch einmal die Besonderheiten des institutionellen Arrangements in NRW im Vergleich zu allen anderen Ländern in Deutschland. NRW war das einzige Land, das verbundene Bürgermeisterwahlen und ein Verhältniswahlsystem mit starren Listen kombiniert. Dieses institutionelle Arrangement, in Verbindung mit einer großen Wahrscheinlichkeit für konkurrenzdemokratische Politikmuster, ließ weiterhin ein hohes Ausmaß an personeller Parteipolitisierung der Kommunalpolitik in NRW wahrscheinlich erscheinen. Die Einführung der Direktwahl der Bürgermeister, ohne gleichzeitige Einführung der anderen genannten institutionellen Merkmale, wird alleine nicht für eine EntParteipolitisierung im Sinne Wehlings ausreichend sein.
2.2.5 Zusammenfassung: Wandel des kommunalen Parteiensystems und ‚EntParteipolitisierung’ durch Einführung der Direktwahl des Bürgermeisters in NRW? Die Einführung der Direktwahl der Bürgermeister bei gleichzeitiger Aufwertung des Amtes durch die Zusammenlegung der Funktionen des Stadtdirektors und des früheren ehrenamtlichen Bürgermeisters hat zu einem Wandel des Regierungssystems der Kommunen in NRW geführt. Hatte die Gemeindeordnung in NRW vor der Reform 1994 Züge eines parlamentarischen Systems (Ratsverfassung), gibt es nun ein kommunales Mischsystem analog zu semipräsidentiellen Systemen mit einer deutlichen Aufwertung des hauptamtlichen Bürgermeisters im Vergleich zum früheren Verwaltungsleiter. Im Vergleich zu den Gemeindeordnung in anderen Ländern ist der Einfluss des Bürgermeisters aber geringer und der Einfluss des Rates größer. Wie einschlägige Untersuchungen zeigten (Bovermann 1999; Holtkamp 2000; Bogumil 2001; Holtkamp/Gehne 2005), führten diese institutionellen Änderungen seit 1994 zu einer Aufwertung der Machtposition des Bürgermeisters in NRW in der Regierungsphase82. Der Bürgermeister kann eher die Rolle des exekutiven Führers einnehmen, die Zeiten des lokalen Führungspluralismus (Voigt 1994) scheinen der Vergangenheit anzugehören. Doch hängt die Machtposition des Bürgermeisters in NRW – typisch für Mischsysteme – stärker als in Baden-Württemberg von den politischen Mehrheitsverhältnissen im Rat ab (Gehne/Holtkamp 2005). Daher ist die Parteibindung des Bürgermeisters weiterhin ein wichtiger Faktor in NRW, da die Parteizugehörigkeit des Bürgermeisters im Verhältnis zur Ratsmehrheit abhängig von der Kombination (Kohabitation oder Homogenität) fördernd oder hemmend für die Funktionsfähigkeit des lokalen politischen Systems sein kann. Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es in NRW eine größere Wahrscheinlichkeit für konkurrenzdemokratische Politikmuster, aufgrund der Besonderheiten der Gemeindeordnung, der Gemeindegrößenstruktur und des relativ hohen Organisationsgrades in Parteien (Holtkamp 2008, 113). Die hohe personelle Parteipolitisierung im Rat und bei den Bürgermeistern bestätigte die Einordnung83. Daher kann NRW auch zwölf Jahre nach der Reform der Gemeindeordnung als „Mutterland der Parteipolitisierung“ von Kommunalpolitik gel-
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Zur Einteilung der Phasen vgl. Tabelle 3:. Vgl. Tabelle 4:.
2.2 Wahlrecht und Parteiensystem
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ten. Aber auch in NRW ist langfristig ein Wandel der Politikmuster infolge der institutionellen Reformen nicht auszuschließen. Anzeichen dafür liefern die Studien von Schulenburg (1999), Nienaber (2004) und anderen, in denen es Hinweise auf eine sinkende Parteibindung der Bürgermeister in NRW im Amt und auf ein sich ausbreitendes Selbstverständnis als „Bürgermeister aller Bürger“ gibt, das stärker auf Konsens und Integration als auf parteipolitisch aufgeladenen Konflikt zielt. Zwar sei die exekutive Führerschaft in NRW noch mit Merkmalen der Parteiherrschaft kombiniert, doch könnte der Bürgermeister bei mehrfacher Wiederwahl und besseren Wahlergebnissen als seine Partei an Gewicht und Autonomie gewinnen (Bogumil 2001, 193). Auch in der Nominierungs -, Wahkampf - und Wahlphase ist die Parteiorientierung in NRW größer als im Typ der kommunalen Konkordanzdemokratie. Der Schwerpunkt der vorliegenden Studie liegt auf einer intensiven landesweiten Analyse der Wahlergebnisse von Rat - und Bürgermeisterwahl im Vergleich sowie auf Kandidatenauswahl und Kandidatenprofile in wenigen Fallstudienstädten. Die Wahlkampfphase wird aber im Weiteren nicht mehr betrachtet. Die besondere Institutionenlogik der Direktwahl war eine neue Herausforderung für die Parteien und Wählergruppen in NRW. Bei der Uraufführung 1999 unterschieden sich die Methoden der Kandidatenauswahl in und durch Parteien nicht wesentlich von den „Standard operating procedures“, wie sie in Kapitel Parteien und Wahlen: Kandidatenrekrutierung, Kandidatenauswahl und Kandidatennominierung anhand des Forschungsstands zur Kandidatenauswahl nachvollzogen wurden. Die Kandidatenauswahl, die vor der eigentlichen Nominierung stattfindet, wird in der Regel von den Parteieliten dominiert, die häufig aus ihrer Mitte einen geeigneten Kandidaten auswählen. Daher ähnelt das Profil der Kandidaten auch stark dem der Parteieliten. Offene Konflikte sind eher unüblich, meistens gibt es keine parteiinternen Gegenkandidaten, vor allem dann, wenn Amtsinhaber oder Mandatsträger erneut kandidieren. Die Kandidaten bei der ersten Direktwahl der Bürgermeister 1999 in NRW waren in ihrer Mehrzahl parteigebunden und hatten Erfahrung in Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung in der Regel in der Gemeinde gesammelt, in der sie auch kandidierten (Holtkamp/Gehne 2002). In Drei-Viertel aller Gemeinden kandidierten zudem Amtsinhaber, die eine hohe Erfolgsquote bei der Wahl hatten (Gehne 2002). Es konnte nur wenige Experimente bei der Kandidatenauswahl durch Parteien festgestellt werden. Aber in kleineren Gemeinden zeichneten sich bei dieser Wahl abweichende Strategien auch der großen Parteien ab, die auf eine eigene Kandidatur verzichteten und einen Einzelbewerber aus dem Amt unterstützten. Diese Vorgehensweise war für NRW noch eher untypisch. Noch kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob dies nur ein Phänomen des Übergangs war, da es für die Parteien wenig aussichtsreich gewesen wäre, gegen die schon kandidierenden Amtsinhaber, die sie ja zum Teil selbst im Rat gewählt hatten, eigene Kandidaten ins Rennen zu schicken. Oder haben wir es mit einem neuen Trend zu tun, einer Art schleichenden BadenWürttembergisierung von unten? Die ausführliche Analyse der Bürgermeisterwahlen 2004 auch unter Berücksichtigung anderer Kontextfaktoren (z.B. den politischen Mehrheiten) im Vergleich wird dazu erste Hinweise geben, ob sich in kleineren und mittleren Gemeinden eine personelle „Ent-Parteipolitisierung“ an der Gemeindespitze verfestigt. Die Analyse von Wahlergebnisdaten ist nicht nur dazu nützlich, festzustellen, wer eine Wahl gewonnen hat. Die Analyse von Wahldaten (Stimmenverteilungen) wird in der vergleichenden Politikwissenschaft auch zur Analyse von Struktur und Wandel von Parteien-
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
systemen eingesetzt. In der Regel liegt der Schwerpunkt solcher Vergleiche auf parlamentarischen Systemen (Nohlen 2004), es gibt aber auch Autoren, die die Wechselwirkungen der elektoralen Arenen bei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen analysieren (Shugart/Carey 1992). Der Ansatz von Shugart und Carey, die sich besonders mit den Wirkungen und Wechselwirkungen der Wahlsysteme bei verbundenen und nicht-verbundenen Präsidentschaftswahlen befasst haben, wurde für die Analyse lokaler elektoraler Parteiensysteme übernommen und angepasst. Bei nicht verbundenen Wahlen wird im Gegensatz zu Shugart/Carey auch bei absoluter Mehrheitswahl von einer eigenständigen Entwicklungstendenz des elektoralen Parteiensystems bei Bürgermeisterwahlen ausgegangen, die verbundene Wahl wirkt dagegen stark homogenisierend auf die Parteiensysteme. Bei verbundenen Bürgermeisterwahlen wie in NRW, mit einem Verhältniswahlsystem bei der Ratswahl, sind die Parteien mit ähnlichen Kandidaturanreizen konfrontiert. Die Kandidatur bei der Bürgermeisterwahl mit absoluter Mehrheitswahl lohnt sich auch für Parteien und Wählergruppen, die keine Siegchance haben, da es „parlamentarische“ Anreize gibt, beispielsweise das Stimmenpaket einer kleinen Partei im ersten Wahlgang als Verhandlungsmasse für Koalitionsverhandlungen im Rat oder die Kandidatur als Zugpferd zur Verbesserung des Ratswahlergebnisses. Für NRW wird davon ausgegangen, dass durch die „parlamentarische“, parteienfreundliche Tradition des Landes das elektorale Parteiensystem bei der Ratswahl eher dem realen Parteiensystem ähnelt, und daher werden Aussagen zum elektoralen Parteiensystem bei Bürgermeisterwahlen in Bezug zum Parteiensystem bei Ratswahlen formuliert. Bei Ratswahlen gibt es in NRW nach Abschaffung der Sperrklausel durch ein Urteil des Landesverfassungsgerichts 1999 einen hohen Kandidaturanreiz für kleine und große Parteien und Wählergruppen, daher wird als Hypothese formuliert, dass das Parteiensystem bei Ratswahlen groß und fragmentiert ist. Bei der Bürgermeisterwahl ist es sogar noch größer, da im Prinzip alle Parteien und Wählergruppen auch bei der Bürgermeisterwahl antreten und dazu noch Einzelbewerber kommen. Bei den vorangegangenen Ausführungen ist aber zu bedenken, dass sich die Hypothesen bisher ausschließlich auf institutionelle Einflüsse beziehen, Kontextfaktoren wie z.B. die Gemeindegröße oder politischer Kontext sind nicht berücksichtigt. Einige Ergebnisse zum Kandidatenangebot 1999 haben schon gezeigt, dass die Akteurslogik in einigen Fällen von der Institutionenlogik abweicht. Ziel dieser Studie ist, genauer herauszuarbeiten, unter welchen Bedingungen dies geschieht und daraus folgend die institutionell basierten Hypothesen um die Wirkung von Kontextfaktoren zu erweitern, die dann auch in anderen Ländern geprüft werden können. Bei der Analyse von Struktur und Wandel der elektoralen Parteiensysteme wird Wehlings Ent-Parteipolitisierungs—Hypothese aufgegriffen (Wehling 2003). Die Parteiensystemeigenschaften bei Niedermayer, die auch für die Analyse der lokalen elektoralen Parteiensysteme genutzt werden, werden dazu um die Eigenschaft „Kommunalisierung“ ergänzt. Kommunalisierung bedeutet die Anzahl der Wählergruppen und Einzelbewerber und ihr Stimmengewicht als Erfolgsmaßstab. Zunächst wird das Ausmaß der Kommunalisierung der elektoralen Parteiensysteme bei Rats- und Bürgermeisterwahlen im Vergleich der beiden Wahlen gemessen, um dann anhand der Kontextfaktoren festzustellen, in welchem Typ von Gemeinde die Ent-Parteipolitisierung von Kommunalwahlen besonders ausgeprägt ist. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes zur ersten Direktwahl der Bürgermeisterwahl in NRW 1999 bilden das Fundament, auf dem diese Studie ruht. Leider war es nicht möglich, alle Untersuchungselemente zu replizieren, insbesondere die Entwicklung des Wahl-
2.3 Bürgermeisterwahlen in NRW
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verhaltens bei Bürgermeisterwahlen kann nicht im Zeitvergleich untersucht werden. Die Weiterentwicklung der Hypothesen konzentriert sich auf die Angebotsseite, die Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerber. Die vorliegende Studie ist daher ein Dokument des Wandels des Verhaltens der Akteure auf der Angebotsseite des politischen Marktes infolge institutioneller Reformen.
2.3 Bürgermeisterwahlen in NRW: Theoretischer Rahmen, Fragestellung und Methoden
2.3.1 Theoretischer Rahmen Mit der ersten Direktwahl der hauptamtlichen Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen 1999 kam die Reform der Gemeindeordnung zu ihrem Abschluss. Im Jahr 2004, zehn Jahre nach Verabschiedung der Reform durch den Landtag, fand die zweite Runde der Direktwahlen der Bürgermeister statt, so dass jetzt eine ausreichende Grundlage für eine Analyse der Entwicklungen auf der elektoralen Ebene vorhanden ist. Bürgermeisterdirektwahlen sind, wie sich gezeigt hat, ein Stiefkind der ohnehin nicht sehr differenzierten, eher auf Gemeinderatswahlen konzentrierten kommunalen Wahlforschung. Befriedigender ist der Forschungsstand zum Wandel der kommunalen Machtverhältnisse in der Regierungsphase in NRW nach der Reform. Eine Analyse der Entwicklung der Bürgermeisterwahlen fehlte aber bisher. Die ausführliche Studie zur ersten Direktwahl der Bürgermeister in NRW 1999 hat zwar den Startpunkt der Entwicklung dokumentiert und analysiert, zur Bürgermeisterwahl 2004 in NRW liegen aber bisher keine Studien vor, die die Entwicklungen auf der elektoralen Ebene im Zeitvergleich thematisieren. Die vorliegende Studie soll diese Lücke in den Untersuchungsbereichen Kandidatenauswahl, Kandidatenprofile, Kandidatenangebot bei der Bürgermeisterwahl und der vergleichenden Analyse der Wahlergebnisse von Ratsund Bürgermeisterwahlen füllen. Der Anspruch geht aber über den zeitlichen Vergleich der Bürgermeisterwahlen hinaus und setzt die Bürgermeisterwahl außerdem in Beziehung zur gekoppelten Ratswahl, da davon ausgegangen wird, dass die lokalen Akteure die unterschiedlichen Wahlen ebenfalls nicht unabhängig von einander betrachten. Die elektoralen Parteiensysteme bei Rats- und Bürgermeisterwahlen sind nicht voneinander unabhängig. Theorieadaption Aufgrund des bis in die 1990er Jahre geringen Forschungsstandes zu Bürgermeisterwahlen und kommunalen Parteiensystemen, war es für den theoretischen Rahmen dieser Arbeit notwendig, theoretische Ansätze aus drei Bereichen der Politikwissenschaft zu adaptieren:
Neo-Institutionalismus: Die Forschungsperspektive des historische Institutionalismus bei Hall/Taylor (1996); Parteienforschung: Forschungsstand zu Kandidatenauswahl und Rekrutierung in Deutschland;
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Vergleichende Wahlsystem- und Parteiensystemforschung: Adaption der Institutionenlogik von Mehrheits- und Verhältniswahlsystemen (Nohlen 2004), Strukturmerkmale von Parteiensystemen (Niedermayer 2003) und Thesen zu den Wechselwirkungen des Einflusses auf Parteiensysteme in parlamentarisch-präsidentiellen Mischsystemen (Shugart/Carey 1992).
Im Folgenden wird erläutert, wie diese theoretischen Elemente für das Untersuchungskonzept der Bürgermeisterwahlstudie zusammengefügt werden. Die kommunalwissenschaftliche Debatte zum Einfluss von Institutionen schwankte in der Vergangenheit zwischen Determinismus (z.B. Banner 1984) und Indifferenz (z.B. Derlien u.a. 1976). Dazwischen befanden sich Autoren, die eine bestimmte Wirkung eines institutionellen Rahmens beschrieben, aber auch darauf hinwiesen, dass die Wirkung von Institutionen nicht unabhängig von Kontextbedingungen analysiert werden dürfe und dies vergleichende Studien erfordere (Wehling 1989; Voigt 1992). Der kommunale Institutionenwandel in den 1990er Jahren liefert, ebenso wie die einschneidenden Umbrüche in Osteuropa für die vergleichende Politikwissenschaft, einen Anlass, sich mit der Wirkung von Institutionen auf politische Prozesse und Machtverteilung in den Kommunen zu befassen. Die Forschungsperspektive des historischen Institutionalismus (Hall/Taylor 1996) ist aus drei Gründen auch für die lokale Politikforschung besonders brauchbar: Bevorzugung eines weiten Institutionenbegriffs, Betonung der Kontextabhängigkeit der Wirkung von Institutionen auf das Verhalten von Akteuren und die Bedeutung von Pfadabhängigkeit bei der (Weiter-)Entwicklung von Institutionen und des Verhaltens von Akteuren. Ein weiter Institutionenbegriff, der neben verfassten Institutionen auch formale und informale Regeln umfasst, ist besser geeignet, das Verhalten von Akteuren bei Bürgermeisterwahlen zu erklären. Verfasste Institutionen sind die für das Forschungsfeld relevanten Gesetze und Verordnungen, die veröffentlicht und rechtlich bindend sind. Die Reform der Gemeindeordnung in NRW von 1994 und die daraufhin angepassten rechtlichen Regelungen für die Kommunalwahl bilden den Anlass für die hier vorliegende Untersuchung, da dadurch der Untersuchungsgegenstand „Bürgermeisterwahl“ erst entstanden ist. Formale Regeln ergeben sich aus den verfassten Institutionen. Sie sind bindend für die Akteure und ihre Einhaltung wird in der Regel von staatlichen Einrichtungen kontrolliert (z.B. Wahlleiter). Informale Regeln sind sozial vereinbarte, nicht rechtlich vorgeschriebene, aber in den Traditionen von Organisationen eingebettete, für die Öffentlichkeit nicht transparente Regeln, Konventionen oder auch Tabus, die das Verhalten von Akteuren beeinflussen können. Für Bürgermeisterwahlen sind das beispielsweise Modi der Kandidatensuche (z.B. Findungskommissionen oder Auswahl im kleinen Vorentscheiderkreis), ungeschriebene Regeln wie das Vorschlagsrecht eines scheidenden Amtsinhabers oder das in manchen Fällen existierende Tabu der Nominierung eines auswärtigen Bewerbers. Ein zu deterministisches Verständnis der Wirkung des verfassten institutionellen Rahmens auf das Verhalten der Akteure wird abgelehnt, da dies im Grunde bedeuten würde, dass es nur eine richtige, weil am meisten Nutzen (d.h. Wählerstimmen) bringende Anpassung von Verhalten an den institutionellen Rahmen gibt, die unabhängig von Kontextfaktoren vor Ort für das ganze Land gilt. Wie aber der Vergleich zwischen einzelnen Städten und Gemeinden in einem Land zeigen wird, gibt es bei gleichen institutionellen Rahmenbedingungen örtlich ganz unterschiedliche Erfolgsstrategien, die stark von Kontextbedingungen (z.B. Gemeindegröße oder lokale Besonderheiten des politischen Wettbewerbs) beeinflusst werden. In einem Fall
2.3 Bürgermeisterwahlen in NRW
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kann rationale Anpassung an die Institutionenlogik den Erfolg bringen, in einem anderen traditionelles und routinisiertes Handeln im Einklang mit den Erwartungen der Wählerschaft stehen. Also wird wie im historischen Institutionalismus sowohl ein kalkulierender als auch ein kultureller Ansatz befürwortet. Das Verständnis der Pfadabhängigkeit der Entwicklung von Institutionen des historischen Institutionalismus wird geteilt. Gerade die Reform der Gemeindeordnung in NRW mit ihrer unvollständigen Übernahme des süddeutschen Modells zeigt deutliche Merkmale von „nordrhein-westfälischer“ Pfadabhängigkeit in der Reform formaler Institutionen. Aber auch hinsichtlich der Analyse der Akteurslogik in der Auseinandersetzung mit neuen institutionellen Rahmenbedingungen kann Pfadabhängigkeit im Sinne der Beibehaltung alter Traditionen und Gewohnheiten im Bereich der informalen Regeln eine Rolle spielen. Im Vergleich zu seinem Vorgänger als Verwaltungsleiter ist die Machtposition des Bürgermeisters gestärkt worden, was auch von den lokalen Akteuren so eingeschätzt wird (z.B. Bovermann 1999; Holtkamp 2000; Gehne/Holtkamp 2005). Die Stärkung der Machtposition des Bürgermeisters hatte aber nicht nur Konsequenzen für die Machtverteilung in der Regierungsphase, sondern auch für die Konkurrenzverhältnisse bei der Bürgermeisterwahl. In jeder Gemeinde ist im Vorfeld der Wahl zunächst die wichtigste Frage, ob der Amtsinhaber wieder antritt, da er in der Regel aufgrund seines Amtsbonus gute Wahlchancen hat (Grauhan 1970; Mielke/Benzner 2000; Gehne 2002). Nordrhein-Westfalen: Mutterland der Parteipolitisierung Wie gezeigt werden konnte, gibt es auf der kommunalen Ebene bei Rats- und Bürgermeisterwahlen wesentlich mehr Konkurrenz durch Wählergruppen und Einzelbewerber als auf anderen Wahlebenen. Ist die dominierende Rolle von Parteien bei Rekrutierung und Auswahl von politischem Personal auf anderen politischen Ebenen in der Politikwissenschaft grundsätzlich unumstritten (Alemann 2003), gibt es zur Rolle der Parteien in der Kommunalpolitik durchaus normativ abweichende Meinungen. Abgesehen von normativen Positionen ließen sich aber auch empirisch regional unterschiedliche Grade der Parteipolitisierung (Wehling 1991) nachweisen. Die Einschätzung der Rolle von Parteien und das Ausmaß der personellen Parteipolitisierung hängen in NRW von einer geringen Wahrscheinlichkeit für konkordanzdemokratische Politikmuster in der Kommunalpolitik ab (Holtkamp 2008). NRW kann im Ländervergleich immer noch als „Mutterland der Parteipolitisierung“ gelten. Die politische Kultur ist in NRW, soweit man das feststellen kann, parteienfreundlicher als beispielsweise in Baden-Württemberg. Deshalb hält sich vermutlich die „EntParteipolitisierung“ infolge der (begrenzten) Übernahme von Merkmalen der süddeutschen Ratsverfassung bisher in Grenzen. Aber es gibt auch Indizien für den sinkenden Einfluss von Parteien wie eine gewisse Parteidistanzierung von Bürgermeistern im Amt während der Regierungsphase (Schulenburg 1999; Nienaber 2004) und die Erfolge von parteiunabhängigen Einzelbewerbern in kleineren Gemeinden, so dass Wehlings „EntParteipolitisierungs-These“ als Folge des institutionellen Wandels (Wehling 2003) weiter nachgegangen werden soll, auch weil Lerneffekte der Akteure wohl längere Zeiträume in Anspruch nehmen.
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Kandidatenauswahl bei Bürgermeisterwahlen Die Kandidatenauswahl bei Bürgermeisterdirektwahlen war eine neue Herausforderung für Parteien und Wählergruppen in NRW. Aufgrund des geringen Forschungsstandes zur Kandidatenauswahl bei Bürgermeisterwahlen wurden zunächst die Ergebnisse zur Rekrutierung, Auswahl und Nominierung bei Bundestagswahlen rezipiert, um die „Standard operating procedures“ von Parteien zu ermitteln, ausgehend von der Annahme, dass es hinsichtlich der prinzipiellen Vorgehensweise im Normalfall wenig Unterschiede gibt. Ein Vergleich der Vorgehensweisen bei der Auswahl von Bundestagskandidaten mit dem nordrhein-westfälischen Forschungsstand bestätigt diese These (Holtkamp/Gehne 2002). Kandidatenauswahl findet im kleinen Kreis der Vorentscheider statt, die nicht selten auch selbst potentielle Kandidaten sind. Ausgewählt werden eher orts- und parteigebundene Personen mit Erfahrung in Verwaltung und Politik. Es gibt wenig bis keine Gegenkandidaten. Wenn ein Amtsinhaber zur Wahl antritt, erübrigt sich in der Regel eine weitere Diskussion. Die These, dass durch die Direktwahl die Parteien sich stärker an den Vorlieben der Wähler und weniger an internen Kriterien der Partei orientieren, kann für die Wahl 1999 so nicht bestätigt werden. Die These der Steigerung der Wählerorientierung auch im Sinne einer „EntParteipolitisierung“ soll aber nicht gänzlich aufgegeben werden, da eine Partei in der Opposition eher bereit sein könnte, weniger parteigebundene Kandidaten zu nominieren, um ihre Chancen zu verbessern. Solche Lerneffekte können aber erst mit der Zeit auftreten. Eine weitere Option ist der Verzicht auf eine Kandidatur. Bei großen Parteien kann diese Strategie immer noch als Ausnahme gelten, bei kleinen Parteien kam dies 1999 schon häufiger vor und wurde mit mangelnden personellen (geeignete Kandidaten) und materiellen Ressourcen (keine Finanzmittel für einen zusätzlichen Wahlkampf) begründet. Auch der Verzicht von Parteien auf eine Kandidatur kann als „Ent-Parteipolitisierung“ interpretiert werden, zumal wenn sie das Feld ganz Bewerbern von Wählergruppen und Einzelbewerbern überlassen. Ziel einer Bürgermeisterwahlstudie muss sein, diese Fälle zu erfassen und zu erklären, unter welchen Kontextbedingungen (z.B. Gemeindegröße, Mehrheitsverhältnisse) die Wahrscheinlichkeit für Kandidaturverzicht am größten ist. Lokale elektorale Parteiensysteme in NRW Die vorliegende Studie geht über den Zeitvergleich der Bürgermeisterwahlen hinaus und setzt die Bürgermeisterwahl außerdem in Beziehung zur gleichzeitig stattfindenden Ratswahl, da davon ausgegangen wird, dass die lokalen Akteure die unterschiedlichen Wahlen ebenfalls nicht unabhängig von einander betrachten. Die Teilnahme oder Nicht-Teilnahme von Parteien und Wählergruppen an der Bürgermeisterwahl setzt eine strategische Entscheidung voraus, die von verschiedenen Kontextfaktoren beeinflusst werden kann. Eine integrierte Betrachtung beider Wahlarenen ist innovativ, da es bisher üblich war, die Wahlen getrennt zu analysieren. Diese Bürgermeisterwahlstudie geht nicht nur aufgrund der Koppelung der Wahltermine von einer Verbindung der Wahlen aus, sondern sieht auch auf der Akteursebene die Notwendigkeit einer integrierten Analyse, da die selben Parteien, Wählergruppen und Einzelpersonen in einer Gemeinde vor der Entscheidung stehen, ob sie sich an Kommunalwahlen beteiligen und in welche der elektoralen Arenen sie sich begeben. Die Verbindung ergibt sich außerdem aus der Systemlogik einer Rat-
2.3 Bürgermeisterwahlen in NRW
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Bürgermeisterverfassung, die die Machtposition des Bürgermeisters teilweise an die Mehrheitsverhältnisse im Rat koppelt. Es wird davon ausgegangen, dass es ein hypothetisches „reales“ Parteiensystem in einer Gemeinde gibt, das auch die Wählergruppen umfasst. Dieses „reale“ Parteiensystem hat aber zwei elektorale Ausprägungen bei Bürgermeister- und Ratswahlen. Aufgrund der parlamentarischen-parteienstaatlichen Tradition in NRW wird davon ausgegangen, dass das Parteiensystem bei Ratswahlen eher dem realen Parteiensystem entspricht als das Parteiensystem bei Bürgermeisterwahlen. In Kontext der Einführung der Direktwahl ergeben sich daraus zwei Leitfragen: 1. 2.
Welche Unterschiede gibt es zwischen den elektoralen Parteiensystemen bei einer Wahl und wie kann man sie erklären? Wie verändern sich die elektoralen Parteiensysteme zwischen zwei Wahlen und wie kann man diese Veränderungen erklären?
Elektorale Parteiensysteme sind Ergebnis von Akteurshandeln, also von Entscheidungsprozessen in Organisationen (Parteien und Wählergruppen) und von Einzelpersonen. Ihr Handeln wird von institutionellen Arrangements beeinflusst, aber auch von Kontextbedingungen wie der Gemeindegröße, der eigenen Position im politischen Wettbewerb (eigene Erfolgschancen) und dem sonstigen Kandidatenangebot (Bewerbung von Amtsinhabern). Da das institutionelle Arrangement konstant gehalten wird, kann sich die Analyse auf die Wirkung von Kontextfaktoren auf Akteurshandeln konzentrieren. Aufgrund des geringen Forschungstandes zu lokalen Parteiensystemen wurde hinsichtlich der Institutionenlogik von Mehrheits- und Verhältniswahl Nohlen (2004) und hinsichtlich der Wechselwirkungen zwischen Rats- und Bürgermeisterwahl der Ansatz von Shugart/Carey (1992) adaptiert. Der integrierte Vergleich der Kommunalwahlsysteme der Länder in Deutschland verdeutlichte die Besonderheiten des Institutionen-Arrangements in NRW bis zur Reform 2007. Die Kombination von absoluter Mehrheitswahl der Bürgermeister und Verhältniswahl mit starren Listen bei der mit der Bürgermeisterwahl verbundenen Ratswahl gab es in keinem anderen Land. Als entscheidender Faktor für die Übertragung von Hypothesen erwies sich dabei die Frage, ob Rats- und Bürgermeisterwahlen verbunden oder nicht verbunden sind. Bei nicht verbundenen Wahlen wird im Gegensatz zu Shugart/Carey auch bei absoluter Mehrheitswahl von einer eigenständigen Entwicklungstendenz des Parteiensystems ausgegangen, die Verbindung der Wahlen wirkt dagegen stark homogenisierend auf die Struktur des Parteiensystems bei Rats- und Bürgermeisterwahlen. Es wird daher bei der Ratswahl mit einem großen und fragmentierten Parteiensystem gerechnet, das sich weitgehend mit dem Parteiensystem bei Bürgermeisterwahlen deckt. Bei der Bürgermeisterwahl ist zusätzlich mit der Bewerbung von Einzelbewerbern zu rechnen. Bei den vorangegangenen Ausführungen ist aber zu bedenken, dass sich die Hypothesen bisher ausschließlich auf institutionelle Einflüsse beziehen, Kontextfaktoren wie z.B. die Gemeindegröße sind noch nicht berücksichtigt. Die Größe eines elektoralen Parteiensystems hängt sicher auch von der Größe der Gemeinde und dem Ausmaß ihrer gesellschaftlichen Konfliktstrukturen ab. Die Zusammensetzung nach Parteien und kommunalen Wählergruppen scheint ebenfalls abhängig von der Gemeindegröße zu variieren, da Wählergruppen ihre Hochburgen eher in kleinen Gemeinden haben. Der bisherige Forschungsstand reicht aber nicht aus, um diese Zusammenhänge empirisch nachzuvollziehen. Ein
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
wichtiges Ziel der vorliegenden Studie ist daher, den Einfluss von Kontextfaktoren auf die institutionellen Hypothesen in einem Land zu untersuchen. Auch bei der Analyse von Struktur und Wandel der elektoralen Parteiensysteme wird Wehlings „Ent-Parteipolitisierungs-Hypothese“ aufgegriffen. Die für die Analyse der lokalen elektoralen Parteiensysteme genutzt Parteiensystemeigenschaften bei Niedermayer (2003) werden dazu um die Eigenschaft „Kommunalisierung“ ergänzt. Kommunalisierung bedeutet die Anzahl der Wählergruppen und Einzelbewerber und ihr Stimmengewicht als Erfolgsmaßstab. Zunächst wird das Ausmaß der Kommunalisierung der elektoralen Parteiensysteme bei Rats- und Bürgermeisterwahlen im Vergleich der beiden Wahlen gemessen, um dann anhand der Kontextfaktoren festzustellen, in welchem Typ von Gemeinde die EntParteipolitisierung von Kommunalwahlen besonders ausgeprägt ist.
2.3.2 Hypothesen In den 1990er Jahren kann es zu einer bemerkenswerten Angleichung der Gemeindeordnungen in den Bundesländern. Die Länder der ehemaligen Norddeutschen Ratsverfassung, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, übernahmen wesentliche Merkmale der Süddeutschen Ratsverfassung, ohne diese jedoch vollständig zu kopieren. Wehling erwartet in Folge des institutionellen Wandels durch die Einführung von aus seiner Sicht wesentlichen Merkmalen der Süddeutschen Ratsverfassung in anderen Bundesländern einen Trend der „Ent-Partei-Politisierung“ (Wehling 2003) nach süddeutschem Muster, vor allem dann, wenn neben der Direktwahl des Bürgermeisters auch das Wahlrecht zum Rat verändert wird (Kumulieren und Panaschieren). Die Ausweitung der Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger führt zu einer direkteren Wirkung der Präferenzen der Bürgerschaft auf die lokale Politik, die Parteieneinfluss auf die Kommunalpolitik nicht oder nur eingeschränkt befürworten. Folgt man Wehlings These, so ist im Ländervergleich bei einer Konvergenz des institutionellen Arrangements ebenfalls eine Konvergenz der Politikmuster und des Verhaltens der Akteure zu erwarten. Die wichtigste unabhängige Variable wäre dann also der institutionelle Rahmen. Wenn man stärker die Unterschiede zwischen den beiden Bundesländern sowohl hinsichtlich des institutionellen Rahmens als auch hinsichtlich nicht institutioneller Kontextfaktoren ins Auge fasst, wird man eher eine Kontinuität der Entwicklung in NRW erwarten, in der die Polity-Dimension nur eine von mehreren unabhängigen Variablen zur Erklärung von möglichen Veränderungen des Einflusses von Parteien ist. Weitere wichtige nichtinstitutionelle Faktoren als unabhängige Variablen für NRW sind die Gemeindegrößenstruktur (Durchschnittsgemeindegröße über 40.000 Einwohner) und deutlich konkurrenzdemokratischere Politikmuster, eine parteienfreundlichere politische Kultur mit einer stärkeren Verankerung der Parteien in der Bevölkerung als in Baden-Württemberg (Holtkamp 2008) sowie die parteienstaatlich-parlamentarische Tradition. Daher wäre auch nicht von einer „Ent-Partei-Politisierung“ von Kommunalpolitik in Nordrhein-Westfalen auszugehen, sondern von einem gleich bleibenden Parteieneinfluss auf die Kommunalpolitik aufgrund der Anpassung der Parteien an den neuen institutionellen Rahmen mit dem Ziel des Machterhalts.
2.3 Bürgermeisterwahlen in NRW
105
Bezogen auf die Studie „Bürgermeisterwahlen in NRW“ wären diese beiden Ausgangshypothesen in den Untersuchungsbereichen Kandidatenauswahl, Kandidatenprofile, Kandidatenangebot und Wahlergebnisse wie folgt zu operationalisieren: Die Kandidatenauswahl findet bei Bürgermeisterwahlen durch Parteien und Wählergruppen und in Form von Selbstrekrutierung parteiunabhängiger Bewerber (Einzelbewerber) statt. Da es sich im Kontext von Bürgermeisterwahlen analog zu Wehlings Dimensionen der Parteipolitisierung (Wehling 1991) um eine personelle Ent-Partei-Politisierung handelt, gilt: 1.a Wählergruppen werden bei der Kandidatenauswahl eine wachsende Bedeutung erhalten, die Selbstrekrutierung parteiunabhängiger Bewerber bei der Bürgermeisterwahl wird zunehmen.
Bei gleichbleibendem Parteieneinfluss lautet dagegen die Alternativhypothese: 1.b. Die Parteien sind weiterhin die wichtigsten Akteure bei der Auswahl von Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl. Die meisten Kandidaten werden von Parteien nominiert.
Folgt man der Ent-Parteipolitisierungs-Hypothese, werden sich die Kandidatenprofile in Zukunft verändern: 2.a Bei der Bürgermeisterwahl kandidieren zunehmend parteiunabhängige Verwaltungsfachleute.
Aber auch die Parteien reagieren in Folge der Debatten um Politikerverdrossenheit und sinkende Wahlbeteiligung auf die Präferenzen der Bürgerschaft. 2.b Parteienkandidaten sind keine reinen Parteisoldaten mehr, Bürgernähe und Verwaltungskompetenz gewinnen in Relation zur Parteibindung als Profilmerkmal von Parteikandidaten an Bedeutung.
Das Kandidatenangebot bei der Bürgermeisterwahl wird stark von der lokalen Wettbewerbssituation beeinflusst. Die lokale Wettbewerbssituation wird durch die politischen Mehrheitsverhältnisse (langfristiger Faktor, Ratswahlergebnisse seit 1984) sowie durch die Bewerbung des amtierenden Bürgermeisters (kurzfristiger Faktor) definiert. 3.a Auch in Kommunen mit Parteiensystemen, die von einer Partei dominiert sind und in denen Amtsinhabern kandidieren, treten verstärkt parteiunabhängige Einzelbewerber zur Wahl an, die von Wählergruppen, kleinen Parteien und großen Parteien in Diaspora-Situation unterstützt werden. Infolgedessen nimmt die Anzahl der Kandidaten ab und der Anteil der parteigebundenen Kandidaten insgesamt sinkt.
Da Parteien, wie in Hypothese 1.b behauptet, weiterhin die zentrale Rolle bei der Auswahl von Bürgermeisterkandidaten spielen, ändert sich wenig am Kandidatenangebot, da große Parteien „Flagge zeigen“ müssen. Kleine Parteien treten aufgrund parlamentarischer Anreize zur Wahl an (Verbesserung der Ratswahlchancen, Stimmpaket aus erstem Wahlgang als Morgengabe für Bündnisverhandlungen). Allerdings ist bei kleinen Parteien aufgrund ihrer Ressourcenausstattung mit einem Einfluss der Gemeindegröße zu rechnen:
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
3.b Große Parteien nominieren weiterhin Kandidaten für die Bürgermeisterwahl, unabhängig von der Wettbewerbssituation. Mit sinkender Gemeindegröße verzichten kleine Parteien aus Ressourcengründen auf eine Kandidatur und entscheiden sich für die Unterstützung eines anderen Kandidaten. Daher sinkt die Gesamtzahl der Kandidaten, der Anteil der parteigebundenen Kandidaten bleibt aber hoch.
Die Wahlergebnisse bei der Bürgermeisterwahl 1999 wurden im Wesentlichen von zwei unterschiedlichen Faktoren geprägt. Zum einen wirkte sich mit dem Amtsbonus ein lokaler Angebotsfaktor aus. Sechzig Prozent der Wahlsieger waren auch vorher bereits Inhaber einer der kommunalen Spitzenämter. Die Wiederwahlchancen von aus dem Amt kandidierenden Einzelbewerbern waren bei wenigen Fällen besonders hoch. Der zweite Faktor war der sog. Bundestrend, der sich 1999 zugunsten der CDU auswirkte (Gehne 2002). Das Überschwappen der Stimmung von einer anderen Ebene stellt einen unkontrollierbaren, aber in der Vergangenheit höchst wirksamen Faktor dar, und zwar nicht nur bei gekoppelten Wahlen. Die Ent-Partei-Politisierungs-Hypothesen bleiben davon aber unberührt, da die Wähler sich stärker an lokalen Faktoren orientieren. 4.a Der Anteil der parteiunabhängigen Wahlsieger an allen Bürgermeistern steigt. Der Gesamtstimmenanteil von parteiunabhängigen Einzelbewerbern und Kandidaten von Wählergruppen steigt ebenfalls.
Durch die in Hypothese 3.b behauptete Veränderung des parteigebundenen Kandidatenangebotes kommt es zu einer Verlagerung in der Stimmverteilung. Wähler kleiner Parteien geben in kleineren Gemeinden ihre Stimmen tendenziell aussichtsreicheren Kandidaten großer Parteien. 4.b. Der Anteil der parteigebundenen Bürgermeister bleibt hoch. Der Gesamtstimmenanteil aller Parteikandidaten auch. Es kommt jedoch in kleinen Gemeinden zu einer Konzentration des (Partei-) Stimmenpotentials auf die zwei besten Kandidaten.
Zusammengenommen haben diese Entwicklungen in den beiden unterschiedlichen Szenarien auch Auswirkungen auf die elektoralen Parteiensysteme bei Rats und Bürgermeisterwahlen. 5.a Bei zunehmender personeller Ent-Parteipolitisierung der Bürgermeisterwahlen nimmt die Größe des elektoralen Parteiensystems ab. Der Stimmenanteil an Wählergruppen und Einzelbewerbern steigt, ebenso die Konzentration der Stimmen auf nicht parteigebundene Bewerber. Die elektoralen Parteiensysteme bei Rats- und Bürgermeisterwahl unterscheiden sich zunehmend. Das elektorale Parteiensystem bei der Ratswahl ist wesentlich größer und fragmentierter als bei der Bürgermeisterwahl, da neben den Parteien auch zunehmend mehr Wählergruppen antreten.
Bei Hypothese 5.a ist auch der Einfluss der Gemeindegröße zu berücksichtigen. Mit der Gemeindegröße sinkt die Größe des Parteiensystems bei Rats- und Bürgermeisterwahlen. Bei gleich bleibender Parteipolitisierung ergeben sich andere Entwicklungen der elektoralen Parteiensysteme:
2.3 Bürgermeisterwahlen in NRW
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5.b Das elektorale Parteiensystem bei Bürgermeisterwahlen ist groß, fragmentiert und nur mäßig kommunalisiert und unterscheidet sich vom elektoralen Parteiensystem bei Ratswahlen nur durch zusätzliche Kandidatur von Einzelbewerbern. Mit sinkender Gemeindegröße nimmt die Größe des elektoralen Parteiensystems durch den Kandidaturverzicht von kleinen Parteien bei Bürgermeisterwahlen ab und die Unterschiede zum Parteiensystem bei Ratswahlen nehmen zu.
Die beiden Szenarien sind bewusst zugespitzt worden, um eine Falsifizierbarkeit der Hypothesen zu erleichtern. Die Frage „Do parties matter and will they still?“ kann unter Umständen nach zwei Runden der Direktwahl der Bürgermeister noch nicht abschließend beantwortet werden. Trotzdem ist es ein Ziel dieser Studie aufzuzeigen, welches der Szenarien in Zukunft unter welchen Rahmenbedingungen das wahrscheinlichere sein wird.
2.3.3 Methoden Die vorliegende Studie kann als vergleichende Kommunalwahlstudie charakterisiert werden. Auf der Basis einer Vollerhebung der Kommunalwahlergebnisse aller 396 Städte und Gemeinden in NRW bei zwei gleichzeitig stattfindenden Wahlen (Rats- und Bürgermeisterwahlen) zu zwei Messzeitpunkten (1999 und 2004) werden Angebot und Ergebnisse der beiden Wahlen auf zwei räumlichen Ebenen (Landesebene und Fallstädte) verglichen. Dabei werden zum einen in den quantitativ deskriptiven Teilen der landesweiten Wahlanalysen die im vorangegangenen Abschnitt für die Bereiche Kandidatenangebot und Wahlergebnisse formulierten Hypothesen überprüft. Bei diesem Teil der Studie handelt es sich um eine quantitativ ökologische Wahlanalyse, da bestimmte Umwelteigenschaften (Gemeindegröße und politischer Kontext) eingezogen werden und die regionale Verteilung von Angebot und Wahlergebnisse beschrieben werden84. Da es sich um eine Vollerhebung handelt, werden Verfahren der deskriptiven Statistik eingesetzt. Aufgrund der Verwendung von raumbezogenen Aggregatdaten ist es nicht möglich, unmittelbar auf individuelles Verhalten zu schließen (Fehlschlussgefahr), daher wird in der Wahlforschung zur Analyse des Wahlverhaltens in der Regel die Erhebung von Individualdaten bevorzugt (Roth 1998, 18; Falter/Winkler 2005, 132). Die Vorbehalte gegen die Wahlökologie spielen für die vorliegende Studie jedoch keine Rolle, da das Wahlverhalten ohnehin nicht behandelt wird, sondern Angebot und Wahlergebnisse in räumlichen Aggregaten (alle Städte und Gemeinden in NRW)85. Die Ratswahlergebnisse wurden aus der Landesdatenbank des Statistischen Landesamt NRW abgerufen. Die Bürgermeisterwahlergebnisse wurden im Rahmen einer eigens durchgeführten Vollerhebung jeweils nach den Bürgermeisterwahlen bei den Städten und Gemeinden erhoben86.
84
Zur Wahlökologie allgemein vgl. Heberle 1978, Roth 1998 und Falter/Winkler 2005. Für NRW liegt eine speziellere Studie von Marciniak (1978) vor. Verfechter von wahlökologischen Analysen wenden gegen Analysen auf der Basis von Befragungsdaten ein, dass mit Aggregatdaten wenigstens Daten über tatsächliche Verhalten analysiert würden (Ergebnisse der Stimmabgabe) und nicht Meinungen oder angebliches Verhalten (Falter/Winkler 2005, 131). 86 Ich danke an dieser Stelle Juliane Kinast, die im Rahmen eines vom Autor geleiteten Lehrforschungsprojekts im Wintersemester 2004/2005 bei der Erhebung und Eingabe der Daten behilflich war. 85
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2 Forschungsstand, Fragestellungen, Methoden
Je ähnlicher sich die elektoralen Parteiensysteme bei Bürgermeister- und Ratswahlen sind, desto weniger eigenständig wird die Bürgermeisterwahl gesehen und desto mehr verstehen die lokalen Akteure die Bürgermeisterwahl nur als eine weitere Arena des parteiorientierten Wettbewerbs bei der Ratswahl. Die abhängigen Variablen zur Analyse des Kandidatenangebotes und der elektoralen Parteiensysteme sind die Anzahl der Kandidaten (Format) und die Verteilung der Kandidaten auf die unterschiedlichen Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerber (Deckungsgrad, Kommunalisierung). Die unabhängigen Variablen sind neben den in den wahlbezogenen Regelungen konstanten institutionellen Rahmenbedingungen, die Gemeindegröße und die langfristige lokale Wettbewerbssituation gemessen an den Wahlergebnissen zum Gemeinderat und als kurzfristiger Faktor die Anzahl der kandidierenden Amtsinhaber für alle Städte und Gemeinden in NRW. Für die Analyse der Wahlergebnisse reicht die Feststellung, welcher der Bürgermeisterkandidaten die Wahl gewonnen hat, nicht aus, daher musste analog zur Ratswahl die genaue Stimmenverteilung bei der Bürgermeisterwahl erhoben werden, da das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik NRW diese Daten nur für kreisfreie, nicht aber für kreisangehörige Gemeinden veröffentlicht. Die Wahlergebnisdaten werden zur vergleichenden Analyse von Konzentration, Fragmentierung, Asymmetrie, Kommunalisierung und Volatilität der elektoralen Parteiensysteme bei den Rats- und Bürgermeisterwahlen verwendet. Der Vergleich der Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004 soll die Frage klären, ob es Hinweise dafür gibt, dass sich eines der geschilderten Szenarien zur Rolle der Parteien verfestigt. Ergänzend zur landesweiten Analyse wurden sechs Fallstädte qualitativ untersucht. Bei der Fallauswahl war weniger Repräsentativität im statistischen Sinne das Ziel, sondern die Auswahl von Fällen, die typische Kombinationen der aufgeführten unabhängigen Variablen hinsichtlich der Gemeindegröße, der Kandidatur von Amtsinhabern und der Mehrheitsverhältnisse vereinen sollten und die außerdem bereits in anderen Studien untersucht worden waren. Die Basisdaten der Fälle zum Kandidatenangebot und den Wahlergebnissen wurden bereits für die landesweite Analyse erhoben und durch weitere Daten sowie durch Auswertung der fallstudienbezogenen Literatur ergänzt. Die qualitative Untersuchung der Fallstudien dient vor allem der Diskussion der Hypothesen zur Kandidatenauswahl in verschiedenen Handlungssituationen und des Vergleichs der Kandidatenprofile. Basismerkmale des Profils wie der Nominierungsmodus wurden landesweit erhoben, Profilmerkmale wie die Erfahrung in Kommunalpolitik und Verwaltung mussten jedoch in einer Fallanalyse auf Basis der Auswertung der vorhandenen Literatur und der Presseberichterstattung durchgeführt werden87, da es bei der Bürgermeisterwahl 2004 nicht möglich war, eine landesweite Kandidatenbefragung wie 1999 durchzuführen. Dieser Teil der Studie ist eher explorativ. Zwar wurden im letzten Abschnitt für diese Untersuchungsbereiche ebenfalls Hypothesen formuliert, aber die Anzahl der Fälle reicht nicht aus, um diese zu bestätigen oder zu verwerfen. Ziel kann nur die Weiterentwicklung und Verfeinerung der Hypothesen sein. 87
Zur Vorgehensweise der qualitativen Dokumentenanalyse vgl. Mayring 2002.
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2.3 Bürgermeisterwahlen in NRW
In Tabelle 15: wurden die verschiedenen methodischen Elemente zusammengefasst und den Hypothesen zugeordnet. Tabelle 15: Zwei-Ebenen-Analyse und Methodenmix Methode Analyse von Sekundärdaten
Dokumentenanalyse Quelle: Eigene Darstellung.
Untersuchungsobjekte Lokale Wettbewerbssituation: Ratswahlergebnisse 1984-2004 Bm-Kandidatenangebot 1999 und 2004 Bm-Wahlergebnisse 1999 und 2004 Lokalzeitungen und vorhandene Literatur
Ebene Landesebene und Fälle
Hypothesen 3, 4 und 5
Landesebene und Fälle Landesebene und Fälle Fälle
3, 4 und 5 3, 4 und 5 1 und 2
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Das Land Nordrhein-Westfalen wurde 1946 aus den in der britischen Besatzungszone liegenden Teilen der ehemaligen Rheinprovinz und der Provinz Westfalen gebildet. Das Land wurde 1947 noch um das Gebiet Lippe-Detmold erweitert und erhielt damit seine heutige Gestalt (vgl. Kost 2000, 176; Brunn/Reulecke 1996, 26 f.). Formell galt zunächst die Deutsche Gemeindeordnung von 1935 weiter (Lingk 1999, 15). Sie entsprach aber selbstverständlich nicht den Anforderungen einer demokratischen Neuordnung der Verhältnisse. Die britische Besatzungsmacht entschloss sich jedoch dazu, in ihrer Besatzungszone88 ein stark an die britische Vorstellung des local government angelehntes Modell einzuführen. Mit der Verordnung Nr. 21 der britischen Militärregierung trat am 1. April 1946 die revidierte Deutsche Gemeindeordnung in Kraft. Wichtigstes Ziel war die Abschaffung des Führerprinzips, das durch das „Prinzip der gemeinschaftlichen Verantwortung“89 ersetzt wurde. Zum Abschluss kam die Einführung der revidierten Deutschen Gemeindeordnung mit der ersten Gemeinderatswahl am 15. September 1946, deren Wahlrecht noch stark am britischen Mehrheitswahlrecht orientiert war. Bereits am 17. Oktober 1948 wurden erneut die Gemeinderäte gewählt, diesmal aufgrund eines Wahlgesetzes des neuen nordrhein-westfälischen Landtages. Das Wahlrecht wurde auf das noch heute geltende System der personalisierten Verhältniswahl mit geschlossenen Listen umgestellt. Die GO NRW trat einen Tag nach der Kommunalwahl am 10.11. 1952 in Kraft und löste die von den Briten verordnete revidierte Deutsche Gemeindeordnung ab. Die GO NRW von 1952 blieb, obwohl sie einer Vielzahl von Änderungen unterworfen war, in ihren Grundzügen bis 1994 erhalten. Bis zur Reform 1994 gab es also eine lange Phase der Kontinuität des institutionellen Rahmens von Kommunalpolitik in NRW. Die Einführung der Direktwahl der Bürgermeister bei gleichzeitiger Aufwertung des Amtes durch die Zusammenlegung der Funktionen des Stadtdirektors und des früheren ehrenamtlichen Bürgermeisters hat zu einem Wandel des Regierungssystems der Kommunen in NRW geführt. Hatte die Gemeindeordnung in NRW vor der Reform 1994 Züge eines parlamentarischen Systems (Ratsverfassung), gibt es nun ein kommunales Mischsystem mit einer deutlichen Aufwertung des hauptamtlichen Bürgermeisters im Vergleich zum früheren Verwaltungsleiter (Rat-Bürgermeisterverfassung). Gleichzeitig sank damit die Bedeutung der Ratswahl, die nicht mehr wie vor der Reform die einzige Legitimationsquelle im lokalen System ist. Darüber hinaus wurde 1994 auch durch die Einführung direktdemokratischer Verfahren (Bürgerbegehren und Bürgerentscheid) die Stellung des Rates relativiert, da die Bürgerschaft unter bestimmten Bedingungen Entscheidungen in Abstim-
88
Die britische Besatzungszone umfasste neben dem Gebiet des heutigen Landes NRW auch die Gebiete der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein; die auch in dieser Zone liegenden Stadtstaaten stellen einen Sonderfall dar und werden nicht weiter betrachtet. 89 Zitiert aus dem Vorspruch der Verordnung Nr. 21 der Britischen Militärregierung, zitiert nach Richter 1987, 62.
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3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
mungen selbst treffen kann (Kost 2005). Trotzdem hat die Ratswahl natürlich nicht völlig an Bedeutung verloren. Die Machtposition des Bürgermeisters in NRW hängt – typisch für Mischsysteme – stark von den politischen Mehrheitsverhältnissen im Rat ab. Auch gilt in NRW weiterhin grundsätzlich das Prinzip der Allzuständigkeit des Rates. Das institutionelle Arrangement in NRW hatte bis 2007 im Vergleich mit den anderen Ländern in Deutschland einige Besonderheiten wie z.B. die immer noch vergleichsweise starke Stellung des Rates, die mit der Ratswahl verbundenen Bürgermeisterwahlen und auch die Verhältniswahl des Rates mit starren Listen. NRW unterscheidet sich außerdem hinsichtlich der größeren Wahrscheinlichkeit für konkurrenzdemokratische Politikmuster und der Gemeindegrößenstruktur von anderen Ländern in Deutschland, so dass eine eigenständige, weiterhin von Parteipolitisierung geprägte Entwicklung der kommunalpolitischen Politikmuster erwartetet werden kann. Es gab jedoch im bisherigen Forschungsstand auch erste Anhaltspunkte für einen Wandel der Politikmuster bei Kommunalwahlen in Richtung einer Kommunalisierung und Ent-Parteipolitisierung. Zwischen diesen beiden Trends bewegt sich die folgende Analyse der Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen 1999 und 2004. Die Analyse geht jedoch über den Zeitvergleich der Bürgermeisterwahlen hinaus und setzt die Bürgermeisterwahl außerdem in Beziehung zur gleichzeitig stattfindenden Ratswahl, da davon ausgegangen wird, dass die lokalen Akteure die unterschiedlichen Wahlen ebenfalls nicht als unabhängig voneinander betrachten. Vor der Analyse der ersten beiden Runden der Bürgermeisterwahl wird im ersten Abschnitt des Kapitels die politische Wettbewerbssituation als Hintergrund für die Bürgermeisterwahlen anhand der Ratswahlergebnisse in vier Schritten analysiert: 1. 2. 3. 4.
Ratswahlanalyse auf Landesebene aggregiert für den Zeitraum 1946-2004, Analyse der Wahlergebnisse und von ausgewählten Parteiensystemeigenschaften in fünf Gemeindegrößenklassen für den Zeitraum 1984-2004, Bestimmung von Parteiensystemtypen mit Hilfe multivariater statistischer Methoden für die Ratswahlen 1984, 1994 und 2004 und schließlich Darstellung der Entwicklung der Mehrheitsverhältnisse in den Gemeinderäten im Zeitraum 1989-2004.
Die unterschiedlichen Zeiträume der verschiedenen Analyseschritte ergeben sich aus der unterschiedlichen Detailtiefe der vorhandenen Daten. Im zweiten Abschnitt werden dann das Kandidatenangebot und die Wahlergebnisse der Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004 unter Berücksichtigung der Gemeindegröße quantitativ analysiert. Dabei werden Angebot und Ergebnisse jeweils mit den gleichzeitig stattfindenden Ratswahlen verglichen, um die Frage zu klären, ob sich die Bürgermeisterwahlen eigenständig entwickelt haben. Im Zeitvergleich liegt der Fokus besonders auf der Frage, ob und in welchen Gemeinden die Kommunalisierung wächst und inwieweit die Bürgermeisterwahlen weiterhin parteipolitisiert sind. Im dritten Abschnitt werden – in Ergänzung zur landesweiten Analyse – sechs unterschiedlich große Fallstudienstädte untersucht, hier gilt die besondere Aufmerksamkeit den Kandidatenauswahlprozessen und den Kandidatenprofilen der Gegenkandidaten insbesondere in Fällen, in denen Amtsinhaber zur Wahl angetreten sind.
113
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Abgeschlossen wird der empirische Hauptteil der Arbeit mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse im letzten Abschnitt des Kapitels.
3.1 Politische Wettbewerbssituation: Entwicklung der Ratswahlen 1946 – 2004 Die Analyse der Entwicklung der Ratswahlen in NRW seit 1946 steht am Anfang der Auseinandersetzung mit Bürgermeisterwahlen, da es zu kurz greifen würde, nur den Tellerrand der Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004 im Auge zu behalten, ohne auch einmal einen Blick darüber hinaus zu riskieren. Zwar werden Angebot und Ergebnisse der Bürgermeisterwahlen unmittelbar nur mit den zeitgleich stattfindenden Ratswahlen verglichen, die lokale politische Wettbewerbssituation, wie sie in den Ratswahlergebnissen zum Ausdruck kommt, ist aber eine wichtige unabhängige Variable für die Analyse der Bürgermeisterwahlen. Die Ratswahldaten wurden im Februar 2005 und die verwendeten Bevölkerungsdaten für die Bezugsjahre im August 2005 aus der Landesdatenbank des Statischen Landesamtes Nordrhein-Westfalen abgerufen und für die Analyse aufbereitet. Die Analyse der Ratswahlergebnisse erfolgt in vier Schritten, die aufgrund der unterschiedlichen regionalen Tiefe und Merkmalsdichte der vorhandenen Daten verschiedene inhaltliche, zeitliche und regionale Bezüge aufweisen. Tabelle 16: Merkmalsdichte und Zeitbezug der verwendeten Ratswahldaten Zeitraum 1946-1975
ab 1979 ab 1984 ab 1989
Merkmale Wahlergebnisse in Prozent der gültigen Stimmen SPD, CDU, FDP, Sonstige + Stimmenverteilung, SPD, CDU, FDP, Sonstige + Grüne + Mandatsverteilung + Wählergruppen
Regionale Gliederung auf Landesebene aggregiert auf Ebene der 396 Städte und Gemeinden auf Ebene der 396 Städte und Gemeinden auf Ebene der 396 Städte und Gemeinden
Quelle: Eigene Darstellung.
Im ersten Abschnitt erfolgt eine knappe Darstellung der Entwicklung der Wahlergebnisse und des Parteiensystems auf Landesebene für den gesamten Zeitraum 1946-2004. Die Grünen traten ab 1979 zu Kommunalwahlen in NRW an, wurden aber erst ab 1984 in den Statistiken ausgewiesen. Die Wählergruppen waren in einem Teil der Gemeinden im gesamten Zeitraum präsent, werden aber sogar erst ab 1989 ausgewiesen. Die Phaseneinteilung von Cryns und Hembach (1987) wird aufgenommen und um die neueren Entwicklungen ergänzt. Da die Aggregation auf Landesebene regionale Unterschiede eher verdeckt, werden im zweiten Abschnitt die Wahlergebnisse und Parteiensysteme für die vierte und fünfte Entwicklungsphase ab 1984 hinsichtlich der Gemeindegröße und regionaler Merkmale analysiert. Für die regionale Analyse wird auf die Einteilung der politischen Regionen bei Bick
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3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
(1985) zurückgegriffen, die zwar für die Analyse von Landtagswahlen entwickelt wurde, sich aber gut auf die Entwicklung bei Ratswahlen übertragen lässt. Nach der ausführlichen Exploration der Wahldaten in Abschnitt zwei werden in Abschnitt drei mit Hilfe multivariater Verfahren die Strukturen der 396 Städte und Gemeinden auf jeweils vier Parteiensystemtypen für die Wahljahre 1984, 1994 und 2004 verdichtet und im Zeitvergleich analysiert. Zur Abrundung der Analyse der Entwicklung der Ratswahlen wird abschließend in Abschnitt vier die Entwicklung der Ratsmehrheiten ab 1989 in die Betrachtung einbezogen, die Daten für frühere Wahlen lagen leider nicht vor. Damit wird der Bezug von der Analyse der Verteilung der gültigen Stimmen zur Analyse der Mandatsverteilung gewechselt. Neben der Analyse der Verteilung der Ratsmehrheiten wird der Einfluss der Abschaffung der Sperrklausel 1999 auf die Zusammensetzung der Räte untersucht. Im letzten Abschnitt werden die Ergebnisse zusammengefasst, die Tendenzen des Wandels der lokalen Parteiensysteme vor dem Hintergrund der in Kapitel 2.2.4 vorgestellten Hypothesen zur Institutionenlogik von Ratswahlen in NRW diskutiert.
3.1.1 Wahlergebnisse und Parteiensystem bei Ratswahlen 1946 – 2004 Das Wahlsystem bei der ersten Ratswahl 1946 war eher an dem britischen Mehrheitswahlrecht orientiert und unterschied sich noch deutlich von dem später geltenden und in den Grundzügen unveränderten Wahlrecht von 1948-1994. Die Zahl der zu wählenden Vertreter richtet sich nach der Einwohnerzahl, die eine Hälfte von ihnen wird in Wahlkreisen, die andere von Listen gewählt90. Das Gemeindegebiet wird in Wahlbezirke aufgeteilt, die in etwa die gleiche Einwohnerzahl repräsentieren sollen. Es handelt sich um ein Verhältniswahlsystem mit geschlossenen Listen, da der Wähler nur eine Stimme hat mit der er Wahlbezirkskandidat und Reserveliste der Partei gleichzeitig wählt. Die Verteilung der Sitze erfolgt in zwei Schritten. Zuerst erfolgt die Verteilung der Sitze nach dem Anteil der auf Gemeindeebene erreichten Stimmen nach dem Verfahren von d’Hondt (bis 1994) unter Berücksichtigung der Parteien und Wählergruppen, die 5% der gültigen Stimmen erreicht haben. Im zweiten Schritt werden zunächst die in den Wahlbezirken errungenen Mandate einer Partei von der Gesamtzahl abgerechnet und der Rest der Mandate in der Reihenfolge der Reserveliste vergeben. Erreicht eine Partei in den Wahlkreisen mehr Mandate, als ihr nach dem Verhältnisausgleich zustehen, gibt es Überhangs- und Ausgleichsmandate (Cryns/Hembach 1987, 109ff.). Ab der Ratswahl 1999 wurde für den Verhältnisausgleich anstelle des Verfahrens von d’Hondt das Verfahren von Hare/Niemayer verwendet und ebenfalls zugunsten der kleineren Gruppierungen die 5%-Sperrklausel nach einem Urteil des Landesverfassungsgerichts abgeschafft. EU-Bürger erhielten das aktive und passive Wahlrecht und das Alter für das aktive Wahlrecht wurde auf sechzehn Jahre herabgesetzt. Das Alter zur Erlangung des passiven Wahlrechts bei Ratswahlen blieb bei achtzehn Jahren. Ansonsten blieb das Wahlsystem bei der Ratswahl auch nach der Gemeindeordnungsreform gleich.
90
Vgl. im Weiteren auch Andersen/Bovermann/Gehne 1999.
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3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Nach einer kurzen Darstellung der Entwicklung der Wahlbeteiligung wird im Folgenden die Entwicklung der Wahlergebnisse und des Parteiensystems auf Landesebene in fünf Phasen analysiert. Methodische Vorbemerkung Wahlergebnisse auf Landesebene werden in diesem Abschnitt als Anteile der landesweit erhaltenen gültigen Stimmen berechnet. Bei dieser Vorgehensweise wird nicht nach Gemeindegröße gewichtet, daher ist diese Darstellung hinsichtlich der Wahlergebnisse von Gruppierungen, die ihre Hochburgen in kleineren Gemeinden haben, verzerrt. Trotzdem wird in diesem Abschnitt so vorgegangen, da für den Zeitraum 1946-1975 keine gemeindebezogenen Daten aus der Landesdatenbank NRW erhältlich sind und nur auf diese Weise die gesamte Entwicklung dargestellt werden kann. Ein Vorteil der Aggregation auf Landesebene liegt in der guten Vergleichbarkeit mit anderen auf Landesebene aggregierten Daten wie beispielsweise Landtagswahlergebnissen. Zwar werden in dieser Studie keine Wahlergebnisse verschiedener Ebenen verglichen, aber die Daten sind in diesem Abschnitt so aufbereitet, dass dies in einem späteren Analyseschritt erfolgen könnte. Zur Analyse der lokalen Parteiensysteme werden in dieser Studie verschiedene bewährte und aus der Literatur bekannte Maßzahlen für Parteiensystemmerkmale verwendet, die der folgenden Abbildung zu entnehmen sind: Tabelle 17: Parteiensystemmerkmale Name Format Konzentration Asymmetrie Volatilität Fragmentierung
Zahl der relevanten Parteien
Kommunalisierung Quelle: Eigene Darstellung.
Beschreibung und Quelle Anzahl der kandidierenden Parteien und Wählergruppen (Niedermayer 2003) Addierte Anteile von SPD und CDU (Niedermayer 2003) Differenz Ergebnisse der beiden großen Parteien (Niedermayer 2003) Pedersen-Index: Summe der Netto-Veränderung der Wahlergebnisse zwischen zwei Wahlen (Pedersen1979) Rae-Index: Fragmentierung des Parteiensystems (1Quadratsumme der Stimmenanteile der Parteien), Sonstige und Wählergruppen werden als Sammelkategorie aufgenommen (Rae 1968). Die Interpretation der Werte orientiert sich an Gabriel (1991, 381): R<0,45 = schwacher Parteienwettbewerb aufgrund Dominanz einer Partei; 0,45 < R < 0,55 = annähernd bipolares Parteiensystem; 0,55 < R < 0,65 = Mehrparteiensystem mit Konzentrationstendenzen auf zwei große Parteien; R > 0,65 = fragmentiertes Parteiensystem Effectiv Number of Parties votes (ENoPv): 1/ Quadratsumme der Stimmenanteile der Parteien , Sonstige und Wählergruppen wurden als Sammelkategorie aufgenommen (Laakso/Taagepera 1979) Gesamtanteile der Wählergruppen.
116
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Das Merkmal der Kommunalisierung wurde für diese Studie entwickelt und soll einen Eindruck über die Stärke der parteifreien Gruppierungen in einer Stadt/Gemeinde oder auf Landesebene vermitteln. Fünf Phasen der Entwicklung der Ratswahlergebnisse 1946-2005 Die Wahlbeteiligung bei Ratswahlen in NRW lag im Durchschnitt des gesamten betrachteten Zeitraums bei knapp 71%, die Entwicklung seit 1999 deutet aber auf einen langfristigen Trend niedriger Wahlbeteiligungen bei Kommunalwahlen hin. Ausgesprochen hohe Wahlbeteiligungen lagen bei der Kommunalwahl 1975 (86%) und 1994 (82%) vor, die aber beide mit anderen Wahlen gekoppelt waren, die die Wahlbeteiligung nach oben zogen. Die Ratswahl 1975 fand zum gleichen Termin wie die Landtagswahl, die Wahl 1994 zeitgleich mit der Bundestagswahl statt. Bis 1965 war die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen in NRW im Vergleich der Wahlebenen immer die höchste, dann folgte die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen und am niedrigsten war die Beteiligung an Landtagswahlen. 1969 lag die Wahlbeteiligung bei Ratswahlen erstmals unter der bei der folgenden Landtagswahl. (Cryns/Hembach 1987, 116). Dieses Muster ist bis heute so vorzufinden. Die Wahlbeteiligung nach der Wahl 1994 sinkt dramatisch, auch verglichen mit der letzten „reinen“ Kommunalwahl 1989 (66%) markiert die Wahlbeteiligung im Jahr 2004 einen neuen Tiefststand von knapp 55%, der noch leicht unter dem Niveau von 1999 liegt. Das weitere Sinken der Wahlbeteiligung nach 1999 verdeutlicht, dass die mit der Ausweitung von Partizipationsmöglichkeiten durch die Reform der Gemeindeordnung verbundenen Hoffnungen auf eine Steigerung der Wahlbeteiligung enttäuscht wurden (Gehne 2002, 222). Die Entwicklung der Ergebnisse der Ratswahlen in NRW lässt sich im betrachteten Zeitraum in fünf Phasen einteilen91.
91
Damit wird die drei Phasen umfassende Darstellung von Cryns/Hembach um die neueren Entwicklungen erweitert (vgl. Cryns/Hembach 1987, 112ff.).
117
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Abbildung 6:
Entwicklung der Wahlergebnisse bei Ratswahlen in NRW 1948-2004 (% der gültigen Stimmen)
90
1
80
2
3
4
5
70 60 50 40 30 20 10 0 1946
1948
1952
1956
Wahlbeteiligung
1961
1964
SPD
1969 CDU
1975
1979
Grüne
1984 FDP
1989
1994
Wgr.
1999
2004
sonstige
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der Wahldaten http://www.wahlen.lds.nrw.de/kommunalwahlen/ab1946.html (Stand 26.10.2006) Anmerkung: Pfeile markieren Wahlen, die als Beginn einer neuen Phase gelten können. Sonstige enthalten bis 1989 Wählergruppen und weitere Parteien. 1948 KPD 7,8%, Zentrum 9,7%; 1952 KPD 4,5%, Zentrum 5,9% und BHE 3,5% (Angaben aus: Alemann 1985, 256).
In der ersten Phase 1946-1956 gab es noch eine relativ starke Zersplitterung der Parteienlandschaft, die in den relativ hohen Ergebnissen der Sonstigen zum Ausdruck kommt. Leider ist nur teilweise nachvollziehbar, welche Gruppierungen sich hinter dieser Sammelkategorie verbergen, so dass es über den gesamten Zeitraum 1948-1989 nicht möglich ist, genaue Angaben über die Stärke der Wählervereinigungen zu machen. Der Anteil der Sonstigen stieg bei der Kommunalwahl 1948 von 16,3% sogar noch auf 19,6% an, erreichte damit seinen Höchststand und sank in den folgenden Wahlen beständig. Für die zweite und dritte Kommunalwahl gibt es allerdings Angaben zur Zusammensetzung der Sonstigen aus anderer Quelle (Alemann 1985, 256). Bei der zweiten Kommunalwahl 1948 erhielt die KPD 7,8% der gültigen Stimmen und das Zentrum 9,7%, 1952 erreichte die KPD noch 4,5%, das Zentrum 5,9% und der „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE) 3,5% der gültigen Stimmen. Daraus ergibt sich bei der zweiten Wahl noch ein Potential von 2,1% und bei der dritten Wahl von 1,8% der gültigen Stimmen, das sich Wählergruppen
118
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
vermutlich auch noch mit anderen sonstigen Parteien teilten. Die Wahlergebnisse der CDU sanken von einem hohen Ausgangswert 1946 (46%) bei den folgenden zwei Wahlen unter die 40%-Marke. Bei der Wahl 1956 erholte sich das Ergebnis zwar im Vergleich zu 1952 und stieg um knapp drei Prozentpunkte auf 38,6%, lag aber bei dieser Wahl zum ersten Mal deutlich unter dem der SPD (44,2%). Die SPD hatte ihre Wahlergebnisse seit 1946 stetig verbessert und wurde bei der Kommunalwahl 1956 zum ersten Mal stärkste Kraft92. 1956 kann auch als Wendepunkt der Entwicklung gelten, da der Anteil der Sonstigen (8%) erstmals unter dem der FDP (9,6%) lag, die sich von dieser Wahl an bis zum Aufkommen der Grünen 1984 als dritte kommunale Kraft etablierte. Die zweite Phase (1956-1969) ist von der weiteren Konzentration des Parteiensystems auf SPD und CDU geprägt, die sich in der Rolle der stärksten kommunalen Partei abwechseln. Ab 1969 sind die beiden großen Parteien nahezu gleich stark, die Differenzen bei den Wahlen 1969 und 1975 nur noch sehr gering. Gleichzeitig sinken die Anteile der Sonstigen bis auf 2,4% 1969. Die FDP verliert im Vergleich zu ihrem höchsten Ergebnis 1961 (10,2%) knapp 4 Prozentpunkte und erreicht 1969 nur noch 6,3%, bleibt aber eindeutig dritte Kraft. Die dritte Phase beginnt 1969, reicht bis zum Aufkommen der Grünen 1984 und ist geprägt von einer Dominanz der beiden großen Parteien auf hohem Konzentrationsniveau. Die Kommunalwahl 1979 war die erste Wahl nach dem endgültigen Abschluss der einschneidenden Gebietsreform in NRW93. Die räumliche Gliederung der Städte und Gemeinden ist seitdem nicht mehr verändert worden, so dass die Wahlergebnisse ab 1979 auf kommunaler Ebene verglichen werden können. Bei der Kommunalwahl 1979 waren CDU (45,6%) und SPD (44,6%) auf Landesebene nahezu gleich stark, die FDP blieb mit 6,3% der gültigen Stimmen in etwa auf dem gleichen Niveau wie 1975. Die Sonstigen (3,45%) konnten im Vergleich zu ihrem Tiefststand bei der Wahl 1975 um gut zwei Prozentpunkte zulegen. Hier deutet sich schon eine neue Entwicklung an, die sich erst ab 1984 auch in den Daten widerspiegelt: das Aufkommen der Grünen, die in einigen Kommunen schon ab 1979 als grüne Wählergruppen angetreten waren (Cryns/Hembach 1987, 117). Mit der Kommunalwahl 1984 beginnt die vierte Phase der Entwicklung der Wahlergebnisse in NRW, die sich bis zur ersten Kommunalwahl nach der Reform der Gemeindeordnung 1999 erstreckt. Die Phase bis zur Wahl 1999 ist gekennzeichnet von einer Asymmetrie zugunsten der SPD, einem Abschmelzen des hohen Konzentrationsgrades der beiden großen Parteien, stetig wachsenden Anteilen der Grünen bei Kommunalwahlen, einer leicht zurückgehenden bzw. stagnierenden Entwicklung bei der FDP und stärker werdenden Wählergruppen, die zwar erst seit 1989 in der Statistik ausgewiesen sind, jedoch auch schon 1984 als Teil der Sonstigen eine wichtigere Rolle gespielt haben müssen. Die Kommunalwahl 1999 war in verschiedener Hinsicht einschneidend, so dass nicht nur wegen der institutionellen Veränderungen – vor allem der Abschaffung der 5%Sperrklausel bei Ratswahlen – vom Beginn der fünften Phase ausgegangen werden kann.
92
Klönne führt einen ähnlichen Effekt zugunsten der SPD bei Landtagswahlen auf den Zerfallsprozess von KPD und Zentrum im gleichen Zeitraum zurück (Klönne 1985, 80). Der starke Rückgang der Sonstigen 1956 legt einen ähnlichen Schluss für die kommunale Eben nahe. 93 Einen ausführlichen Überblick zur Gebietsreform bietet der zum dreißigjährigen Jubiläum erschienene Sammelband van Dinther 2005.
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
119
Ein augenfälliges Merkmal der neuen Phase ist – wie oben schon erwähnt – die stark gesunkene Wahlbeteiligung. Ein weiteres Merkmal sind die stark gestiegenen Wahlergebnisse der CDU, die 1999 mit knapp fünfzig Prozent der gültigen Stimmen das beste Ergebnis nach dem Zweiten Weltkrieg erreichen konnte. Dieses Ergebnis, das auch vom starken Bundestrend zulasten der SPD bei der Kommunalwahl 1999 beeinflusst wurde (Andersen/Bovermann 2002a), konnte die CDU bei der Wahl 2004 zwar nicht mehr erreichen. Prägend für die neue Phase ist daher eher der große Vorsprung vor der SPD, die ihr schon 1999 sehr niedriges Ergebnis von knapp 34% auch 2004 nicht verbessern konnte, sondern noch zwei Prozentpunkte verlor und damit ihr schlechtestes landesweites Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg einfuhr. Die Grünen konnten nach ihrem bundespolitisch verursachten Einbruch bei der Wahl 1999 im Jahr 2004 wieder das Ergebnis von 1994 erreichen und den dritten Platz klar gegen die FDP verteidigen. Gleichzeitig legten sowohl die FDP als auch Wählergruppen und Sonstige zu, so dass in der fünften Phase von einer wachsenden Zersplitterung der lokalen Parteiensysteme ausgegangen werden muss. Vergleich der Parteiensystemmerkmale 1946-2004 In der folgenden Tabelle wird die landesweite Entwicklung des Parteiensystems bei Kommunalwahlen in einigen Maßzahlen zusammengefasst. Aufgrund der Datenlage konnte die Kommunalisierung des Parteiensystems nicht über den ganzen Zeitraum erfasst werden, auch das Format (Anzahl der Parteien und Wählergruppen) kann aufgrund der nicht genau aufgeschlüsselten Sonstigen nicht näher bestimmt werden. Die Konzentration des Parteiensystems hat im Untersuchungszeitraum bis zum Beginn der Phase drei stark zugenommen und erreicht 1975 einen Höchststand von 91,6%, um dann in Phase vier ab 1984 langsam abzuschmelzen. In Phase fünf lag sie mit 74% auf dem niedrigsten Wert seit 1952. Relativ hohe Werte auf dem Pedersen-Index 1984 und 1999 signalisieren größere Verschiebungen im Parteiensystem, 1984 wohl hauptsächlich zugunsten der Grünen, 1999 zugunsten der CDU. Der niedrige Wert 1969 weist eher auf die noch in geringem Umfang steigende Konzentration hin. Die Asymmetrie, die anfangs zugunsten der CDU vorlag, baute sich in Phase 1 bei den Wahlen 1948 und 1952 durch Stimmenverluste der CDU ab. In Phase 2 spiegeln die Asymmetrie-Werte 1956 und 1964 die wechselnde Vorreiterrolle der beiden großen Parteien bei Kommunalwahlen. Ab 1969 kann in Phase 3 dann von einem relativ symmetrischen Parteiensystem mit leichten Vorteilen für die CDU ausgegangen werden. In Phase 4 ab 1984 übernahm die SPD die Vorreiterrolle, die sie bis einschließlich 1994 halten konnte. 1989 erreichte die SPD mit gut fünf Prozent den größten Vorsprung vor der CDU im gesamten Untersuchungszeitraum. Phase 5 wird bisher von einer klaren kommunalen Dominanz der CDU charakterisiert, die SPD brach 1999 drastisch ein und konnte ihr Ergebnis auch 2004 nicht wieder verbessern.
120
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 18: Entwicklung des elektoralen Parteiensystems auf Landesebene bei Ratswahlen 1946 -2004 im Überblick Konzentration
Asymmetrie
Volatilität
Jahr
CDU+SPD
CDU-SPD
1946
79,4
12,6
PedersenIndex -
Fragmentierung RaeIndex 0,65
Zahl der Parteien
Kommunalisierung
ENoPv 2,84
% der Wgr. -
1948
73,5
1,7
8,4
0,69
3,19
-
1952
71,7
-0,5
5,9
0,70
3,36
-
1956
82,4
-6
10,7
0,64
2,80
-
1961
85,7
4,3
7,4
0,62
2,63
-
1964
89,7
-3,5
5,9
0,59
2,44
-
1969
91,3
0,1
2,7
0,58
2,37
-
1975
91,6
0,6
1,2
0,58
2,35
-
1979
90,20
0,96
2,15
0,59
2,43
-
1984
84,41
-1,10
7,29
0,63
2,74
-
1989
80,03
-5,67
5,68
0,67
3,00
3,70
1994
81,40
-2,27
5,11
0,66
2,91
4,59
1999
82,72
15,43
10,33
0,64
2,76
4,96
2004
74,01
10,81
9,70
0,70
3,34
7,95
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Jahre, die den Beginn einer neuen Phase darstellen, sind fett hervorgehoben. Parteiensystemeigenschaften: Konzentration: Addierte Anteil in Prozent der gültigen Stimmen von CDU und SPD; Asymmetrie: Anteil der gültigen Stimmen der CDU minus Anteil der gültigen Stimmen der SPD; Volatilität: Gemessen mit dem Pedersen-Index (Summe der positiven Zugewinne der betrachteten Parteien im Vergleich zweier Wahlen (Pedersen 1979); Fragmentierung: Gemessen mit dem Rae-Index (1-Quadratsumme der Stimmenanteile der Parteien), Sonstige wurden als Sammelkategorie aufgenommen (Rae 1968); Zahl der Parteien: Gemessen mit der Effectiv Number of Parties (ENoPv) 1/ Quadratsumme der Stimmenanteile der Parteien ), Sonstige wurden als Sammelkategorie aufgenommen (Laakso/Taagepera 1979); Kommunalisierung: Addierte Anteile der Wählergruppen auf Landesebene.
Die Fragmentierung des elektoralen Parteiensystems bei Ratswahlen stieg, wie die Werte des Rae-Index und der ENoP zeigen, in der ersten Phase bis 1952 zunächst an. Die Fragmentierung verringert sich dann in der zweiten Phase bis 1964 auf einen relativ konstanten Wert, so dass ab diesem Zeitpunkt von einem Mehrparteiensystem mit starker Konzentrationstendenz auf zwei große Parteien ausgegangen werden kann, wie auch die Werte
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
121
des ENoPv zeigen. Ab der dritten Phase kann dann vom Vorliegen eines stabilen Zweieinhalb-Parteiensystems ausgegangen werden94. Seit den siebziger Jahren hat dann die Fragmentierung des Parteiensystems wieder stark zugenommen. Konnte man in der dritten und vierten Phase in den achtziger und neunziger Jahren noch tendenziell von einem Mehrparteiensystem mit Konzentrationstendenzen auf zwei größere Parteien ausgehen, erreichte die Fragmentierung in der fünften Phase bisher im Jahr 2004 sowohl beim Rae-Index als auch bei der effektiven Anzahl der Parteien wieder das Niveau von 195295. In der fünften Phase liegt also wieder ein stark fragmentiertes Parteiensystem wie in den fünfziger Jahren vor. Die kleinen Parteien konnten beständig zulegen und erreichten 2004 einen gemeinsamen Stimmenanteil von 18% der gültigen Stimmen. Der Anteil der Wählergruppen und damit das Ausmaß der Kommunalisierung des Parteiensystems stieg seit dem Beginn der Ausweisung der Ergebnisse an und erreichte 2004 knapp 8%. Die Abschaffung der Sperrklausel 1999 hat sicher die Kandidaturanreize für kleine Parteien erhöht und auch Einfluss auf die gestiegene Fragmentierung ausgeübt, wie auch die Analyse der Erfolgsquoten bei den Ratswahlen seit 1989 weiter unten zeigen wird. Der Effekt konnte sich aber erst 2004 deutlich auswirken, da die Sperrklausel 1999 erst wenige Monate vor der Kommunalwahl abgeschafft wurde und Gruppierungen so sehr wenig Zeit blieb, die organisatorischen, personellen und finanziellen Anforderungen einer Kandidatur zu bewältigen96. Zusammenfassung Die Entwicklung der Wahlergebnisse und des Parteiensystems in den ersten drei Phasen ähnelt stark den Entwicklungen bei Landtagswahlen in NRW, auch wenn der Beginn der Phasen aufgrund unterschiedlicher Wahltermine abweicht und manche Entwicklungen sich bereits auf kommunaler Ebene andeuten, die später auch auf Landesebene erfolgen (vgl. Korte/Florack/Grunden 2006). Diese Interpretation der Kommunalwahlergebnisse als „Frühindikator“ (Cryns/Hembach 1987) ist relativ populär, aber in letzter Zeit finden sich Beispiele für und auch Beispiele gegen diese Interpretation. Ab Phase 4 steigt die Kommunalisierung und ab Phase 5 außerdem die Fragmentierung des Parteiensystems an, so dass eher von einer eigenständigen kommunalen Entwicklung ausgegangen werden kann. Der sprunghafte Anstieg der Fragmentierung bei den Ratswahlen 2004 deutet auf einen nachgeholten Effekt der erst kurz vor der Wahl 1999 erfolgten Abschaffung der 5%-Sperrklausel hin, die sich erst bei der folgenden Wahl als starker Kandidaturanreiz für kleine Parteien und Wählergruppen auswirken konnte.
94
Vgl. zur sehr ähnlichen Entwicklung des Parteiensystems auf Bundesebene hinsichtlich der Sonstigen und der Konzentration auf die beiden großen Parteien Alemann (2003) und Jesse (2001). Bei der Kommunalwahl 1952 gab es jedoch bereits eine Sperrklausel, die in NRW schon 1948 eingeführt worden war, vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur kommunalen Sperrklausel in NRW vom 23.01. 1957, Text unter: http://www.oefre.unibe.ch/law/dfr/bv006104.html#Rn043 (Stand 30.10.2006). 96 Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs NRW vom 05.08. 1999, Text einsehbar unter http://www.wahlrecht.de/kommunal/verfgh.htm (Stand 30.10.2006). 95
122
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
3.1.2 Wahlergebnisse und Parteiensystemmerkmale 1984-2004 bei Ratswahlen nach Gemeindegröße und Region Da die Aggregation auf Landesebene regionale Unterschiede eher verdeckt, werden im nächsten Abschnitt die Wahlergebnisse und Parteiensysteme gemeindebezogen für die vierte und fünfte Entwicklungsphase ab 1984 unter Berücksichtigung der Einwohnerzahl und regionaler Merkmale analysiert. Die Städte und Gemeinden werden nach ihrer Einwohnerzahl in fünf Größenklassen zusammengefasst. Für eine regionale Analyse wird auf die Einteilung der politischen Regionen bei Bick (1985) zurückgegriffen, die zwar für die Analyse von Landtagswahlen entwickelt wurde, sich aber gut auf die Entwicklung bei Ratswahlen übertragen lässt. Methodische Vorbemerkungen Im Folgenden wird nun die Entwicklung von Wahlergebnissen und Parteiensystem bei Ratswahlen im Zeitraum 1984-2004 unter Einbeziehung der Gemeindegröße analysiert. Dazu werden die 396 Städte und Gemeinden in fünf Klassen eingeteilt97. Die Einwohnerzahl in NRW wuchs im untersuchten Zeitraum von 16.703.662 Einwohnern (Stand 31.12. 1984) auf 18.075.352 Einwohner (31.12. 2004). Die Entwicklung der Verteilung auf die verwendeten Größenklassen kann der folgenden Abbildung entnommen werden. Der Anteil der Gemeinden unter 10.000 Einwohnern ist im betrachteten Zeitraum gesunken, der Anteil der Gemeinden mit über 100.000 Einwohnern (Großstädte) ist seit 1989 konstant geblieben. Der Anteil der Gemeinden zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern ist leicht gestiegen, der Anteil der Gemeinden zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern ist leicht gesunken. Die größten Veränderungen ergaben sich bei den Gemeinden zwischen 20.000 und 50.000 Einwohnern, deren Anteil in zwanzig Jahren um fünf Prozentpunkte angestiegen ist.
97
Dazu wird zu Vergleichszwecken die Einteilung im Sammelband zur Kommunalwahl 1999 beibehalten (Andersen/Bovermann 2002).
123
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Abbildung 7:
Gemeindegrößenklassen in NRW 1984 - 2004
100% 7,3
7,6
7,6
7,6
7,6
9,6
9,6
11,1
11,4
11,9
30,1
31,3
33,1
34,8
35,9
31,6
31,1
15,9
14,6
13,6
1994
1999
2004
80%
60%
40% 32,6
31,8 32,3
20%
20,5
19,7
0%
1984
1989 unter 10.000
10.000 - 20.000
20.000 - 50.000
50.000 - 100.00
über 100.000
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Einwohnerdaten des LDS NRW, Einwohnerzahlen jeweils zum Stichtag 31.12. des Wahljahres.
Die bisher gewählte Vorgehensweise der Beschreibung von Wahlergebnissen knüpfte an die bekannte Darstellungsweise von Kommunalwahlergebnissen an, die zwar Hinweise auf Trends auf der Landesebene geben kann und vor allem auch dem Vergleich der politischen Kräfteverhältnisse mit anderen Wahlebenen dient. Die Aggregation der Stimmen auf Landesebene hat jedoch den entscheidenden Nachteil, dass sie die Mehrheitsverhältnisse auf Gemeindeebene nur verzerrt wiedergeben kann, da die Stimmen der Großstädte in der Gesamtrechnung stärker zu Buche schlagen und nicht danach differenziert wird, ob eine Partei oder Wählergruppe überhaupt flächendeckend angetreten ist. Diese Darstellungsweise wirkt sich im Gesamteindruck also stark zulasten der Parteien und Wählergruppen aus, die ihre Hochburgen in kleineren Gemeinden haben. Berechnet man beispielsweise für die Ratswahl 1999 das arithmetische Mittel der Anteile der Wählergruppen, ergibt sich ein Wert von 7,25%. Der auf Basis der auf Landesebene aggregierten Stimmen berechnete Anteil lag dagegen nur bei 4,96%.
124
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 19: Drei Möglichkeiten der Berechnung eines Landesergebnisses am Beispiel der Wählergruppen 1999 Methode Auf Landesebene aggregiert: Summe der gültigen Stimmen auf Landesebene geteilt durch Summe aller gültiger Stimmen auf Landesebene
Wählergruppen 1999 4,96%
Mittelwert der Anteile landesweit: Summe der Anteile geteilt durch Gesamtzahl der Gemeinden
7,25%
Mittelwert der Anteile mit Kandidatur: Summe der Anteile geteilt durch Zahl der Gemeinden mit Kandidatur
10,80%
Vor- und Nachteile Vergleich mit anderen Wahlen auf Landesebene möglich Unterschätzung der lokalen Bedeutung von Gruppierungen, die ihre Hochburgen in kleinen Gemeinden haben Vergleich mit anderen Parteien auf Landesebene möglich. Dämpft den Verzerrungseffekt durch Gewichtung pro Gemeinde Verzerrung möglich, da auch Fälle eingehen, in denen die Gruppierung nicht angetreten ist Keine Verzerrung durch Größeneffekte. Genauer Eindruck der Stärke einer Gruppierung in Kandidaturgemeinden Eingeschränkte Vergleichsmöglichkeit, da nicht absehbar ist, in wie viel Gemeinden eine Gruppierung angetreten ist.
Quelle: Eigene Darstellung.
Berücksichtigt man bei der Berechnung des arithmetischen Mittels der Anteile der Wählergruppen nur die Fälle, in denen auch Wählergruppen angetreten sind, ergibt sich sogar ein Wert von 10,8%. Da man aber die Anzahl der Gemeinden mit Kandidatur nicht kennt, sagt letzterer Wert zwar etwas über den gemeindebezogenen Erfolg aus, kann aber darüber hinaus nicht mit anderen Parteien oder gar mit den Ergebnissen anderer Wahlen verglichen werden. Zur Vermeidung des in NRW üblichen Großstadt-Bias in der Analyse von Kommunalwahlen wird im Weiteren zwar die Gemeindeebene als Bezugsebene gewählt, aber die Mittelwerte der Anteile bezogen auf die Gesamtzahl der Gemeinden landesweit oder in einer Gemeindegrößenklasse berechnet, da die Ergebnisse der Parteien und Wählergruppen in den Größenklassen auf derselben Basis verglichen werden sollen. Im Weiteren werden nun pro Wahljahr die Wahlergebnisse (Mittelwerte der Anteile), der Deckungsgrad (Anteil der Gemeinden pro Größenklasse, in denen eine Gruppierung
125
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
antritt) und die Struktur des elektoralen Parteiensystems dargestellt und hinsichtlich ihrer Entwicklung analysiert. Wahlergebnisse und Parteiensystem 1984-2004 Mit der Ratswahl 1984 begann Phase 4 der Entwicklung des Parteiensystems auf Landesebene. Wie der Größenvergleich jedoch zeigt, lag eine Asymmetrie zugunsten der SPD nur in den Städten ab 50.000 Einwohnern vor. In Gemeinden unter 50.000 Einwohnern war die CDU deutlich stärker, ihr Vorsprung vor der SPD betrug in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern sogar über 20 Prozentpunkte. CDU und SPD traten in allen analysierten Wahlen flächendeckend an. Der Stimmenanteil der Grünen stieg mit der Gemeindegröße leicht an. Die Grünen traten erst in weniger als der Hälfte der Gemeinden unter 20.000 Einwohnern an, den höchsten Deckungsgrad erreichten sie in Gemeinden zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern. Tabelle 20: Ratswahlen 1984: Wahlergebnisse und Deckungsgrad in fünf Gemeindegrößenklassen Wahlergebnisse unter 10.000 10.000 bis unter 20.000 20.000 bis unter 50.000 50.000 bis unter 100.000 über 100.000
SPD 30,7 35,8
1984 CDU 53,2 48,5
Grüne 3,4 4,0
FDP 5,2 6,3
Sonstige 7,5 5,4
38,4
45,2
6,4
5,4
4,6
44,3
41,5
7,3
4,6
2,3
45,1
39,0
7,8
4,5
3,6
SPD 100,0 100,0
1984 CDU 100,0 100,0
Grüne 37,0 48,8
FDP 66,7 86,0
Sonstige 45,7 41,1
100,0
100,0
74,8
90,8
52,9
100,0
100,0
86,8
100,0
63,2
100,0
100,0
75,9
100,0
100,0
Deckungsgrad unter 10.000 10.000 bis unter 20.000 20.000 bis unter 50.000 50.000 bis unter 100.000 über 100.000
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Sonstige umfassen andere Parteien und Wählergruppen. Fett hervorgehoben sind bei SPD und CDU jeweils die stärkere Partei je Größenklasse und bei kleinen Parteien und Wählergruppen jeweils die stärkste Gruppierung je Größenklasse.
126
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Die FDP hatte ihre besseren Ergebnisse in Gemeinden unter 50.000 Einwohnern und ist nur noch in Gemeinden zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern die dritte Kraft. Die FDP erreichte jedoch im Vergleich der kleinen Parteien und sonstigen Gruppierungen in allen Gemeindegrößenklassen den höchsten Deckungsgrad und kandidierte in Gemeinden über 50.000 Einwohnern flächendeckend. Hinter der Sammelkategorie Sonstige verbargen sich weitere kleine Parteien und die bei dieser Wahl noch nicht gesondert ausgewiesenen Wählergruppen. Die Sonstigen waren in Gemeinden unter 10.000 die stärkste Gruppierung, ihre weitere Entwicklung wird bei den nächsten Wahlen nur noch am Rande diskutiert. Die Darstellung des Parteiensystems wird im Vergleich zum vorangegangenen Abschnitt um das Format (durchschnittliche Anzahl der Gruppierungen pro Größenklasse) ergänzt. Die Volatilität wird aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht weiter berücksichtigt. Tabelle 21: Ratswahl 1984: Parteiensystem in fünf Gemeindegrößenklassen
unter 10.000 10.000 bis unter 20.000 20.000 bis unter 50.000 50.000 bis unter 100.000 über 100.000 Gesamt
Format
Konzentration
Asymmetrie
Fragmentierung
Anzahl 3,49 3,76
CDU+SPD 83,89 84,31
CDU-SPD 22,42 12,67
Rae-Index 0,57 0,59
Zahl der Parteien ENoPv 2,40 2,54
4,18
83,54
6,81
0,61
2,63
4,50
85,86
-2,81
0,61
2,58
4,76 3,98
84,09 84,1
-6,18 10
0,62 0,60
2,62 2,55
Quelle: Eigene Darstellung Anmerkung: Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 18:.
Die durchschnittliche Anzahl der Gruppierung stieg mit der Gemeindegröße. Traten in Gemeinden unter 20.000 Einwohnern im Durchschnitt drei bis vier Gruppierungen zur Wahl an, waren es in Städten über 50.000 Einwohnern vier bis fünf Gruppierungen. Die Konzentration war in allen Gemeindegrößenklassen nahezu gleich groß, die Abweichungen vom Gesamtwert waren nur gering. Jedoch war wie schon festgestellt die CDU in Gemeinden unter 50.000 Einwohnern die dominantere Partei, die Asymmetrie zugunsten der SPD in den größeren Gemeinden war jedoch nicht annähernd so stark wie die Asymmetrie zugunsten der CDU in Gemeinden unter 20.000 Einwohnern. Die Fragmentierung stieg zunächst mit der Gemeindegröße leicht an, um dann in Städten ab 20.000 Einwohnern in etwa gleich zu bleiben. In allen Gemeindegrößenklassen lag hinsichtlich der Werte des RaeIndex tendenziell ein Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien vor. Dazu kamen in kleineren Gemeinden ein bis zwei und in größeren Gemeinden zwei bis drei kleinere Parteien oder Wählergruppen in unterschiedlicher Zusammensetzung.
127
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Die Ratswahl 1989 war in der landesweiten Analyse die Wahl mit der größten SPDDominanz in der vierten Phase. Der Vergleich der Größenklasse zeigt aber, dass das Muster der vorangegangenen Wahl weiter bestand. Die SPD war nur in den Städten über 50.000 Einwohnern stärker als die CDU. Der Vorsprung der CDU in den kleineren Gemeinden hatte sich aufgrund von Einbußen bei der CDU zwar verringert, die SPD aber nicht in gleichem Maße ihre Ergebnisse verbessert. Tabelle 22: Ratswahl 1989: Wahlergebnisse und Deckungsgrad in fünf Gemeindegrößenklassen Wahlergebnisse SPD unter 32,1 10.000 10.000 bis 36,8 unter 20.000 20.000 bis 40,1 unter 50.000 50.000 bis 44,6 unter 100.000 über 45,2 100.000 Deckungsgrad SPD unter 100,0 10.000 10.000 bis 100,0 unter 20.000 20.000 bis 100,0 unter 50.000 50.000 bis 100,0 unter 100.000 über 100,0 100.000
1989 CDU 45,8
Grüne 4,4
FDP 6,8
Wgr 10,5
Sonstige 0,4
43,9
5,2
7,1
6,6
0,4
40,8
6,3
6,6
5,4
0,8
37,3
6,6
6,1
2,6
2,8
34,3
8,3
6,2
2,5
3,6
1989 CDU 100,0
Grüne 52,6
FDP 75,6
Wgr 51,3
Sonstige 11,5
100,0
65,9
85,7
46,0
18,3
100,0
79,8
91,1
56,5
25,0
100,0
86,8
100,0
42,1
71,1
100,0
90,0
100,0
43,3
93,3
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Sonstige umfassen weitere Parteien. Fett hervorgehoben sind bei SPD und CDU jeweils die stärkere Partei je Größenklasse und bei kleinen Parteien und Wählergruppen jeweils die stärkste Gruppierung je Größenklasse.
128
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Die bei dieser Wahl erstmals ausgewiesenen Wählergruppen belegten in den Gemeinden unter 10.000 Einwohnern deutlich den dritten Platz98. Ihre Ergebnisse sanken mit der Gemeindegröße, was sicher auch mit dem immer noch relativ geringen Deckungsgrad zu tun hat. Die Sonstigen spielten in Gemeinden unter 50.000 Einwohnern so gut wie keine Rolle, in den Städten über 50.000 Einwohnern eine geringe Rolle. Die FDP war in den Gemeinden zwischen 10.000 und 50.000 Einwohnern die stärkste der kleinen Gruppierungen, die Grünen in den Städten über 50.000 Einwohnern. Der Deckungsgrad der Grünen ist bei der Wahl 89 in allen Gemeindegrößenklassen gestiegen, außer in der Klasse zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern. Die FDP erreichte aber trotzdem noch in allen Gemeindegrößenklassen den höchsten Deckungsgrad der kleinen Gruppierungen. Das elektorale Parteiensystem ist im Vergleich zur vorangegangenen Wahl von einer wachsenden Zersplitterung geprägt, sowohl die durchschnittliche Anzahl der Gruppierungen als auch der Fragmentierungs-Index und die Zahl der Parteien weisen darauf hin. Es kann aber nicht klar herausgearbeitet werden, ob dieser Effekt nur aufgrund der ab dieser Wahl erfolgten Ausweisung der Wählergruppen zustande kommt. Tabelle 23: Ratswahl 1989: Parteiensystem in fünf Gemeindegrößenklassen
unter 10.000 10.000 bis unter 20.000 20.000 bis unter 50.000 50.000 bis unter 100.000 über 100.000 Gesamt
Kommunalisierung
Rae-Index 0,62
Zahl der Parteien ENoPv 2,75
7,04
0,63
2,79
6,58
80,84
0,71
0,64
2,82
5,44
5,18
81,94
-7,24
0,64
2,81
2,55
5,70
79,47
-10,90
0,65
2,89
2,49
4,50
80,21
3,65
0,63
2,80
6,30
Format
Konzentration
Asymmetrie
Fragmentierung
Anzahl 3,99
CDU+SPD 77,93
CDU-SPD 13,73
4,22
80,66
4,60
% Wgr 10,49
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 18:.
98 Berücksichtigt man nur 40 Kandidaturgemeinden, erhielten die Wählergruppen in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern durchschnittlich sogar 20,45% der gültigen Stimmen (zum Vergleich: Grüne 8,3%/41 Gemeinden; FDP 9,0%/59 Gemeinden).
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
129
Die Konzentration sank in allen Gemeindegrößenklassen, am stärksten in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern (minus sechs Prozentpunkte) sowie in Großstädten (minus knapp fünf Prozentpunkte). Die Entwicklung der Kommunalisierung deutete darauf hin, dass in kleinen Gemeinden davon eher die Wählergruppen, in größeren Städten die kleinen Parteien profitieren. Das Muster der Asymmetrie nach Gemeindegröße bleibt erhalten, der Vorsprung der CDU in kleineren Gemeinden sinkt jedoch deutlich. Die SPD kann ihre Position in Gemeinden über 50.000 Einwohnern ausbauen und erreicht in den Großstädten mit durchschnittlich 10,90 Prozentpunkten Vorsprung vor der CDU ihren höchsten Vorsprung im gesamten Untersuchungszeitraum. In allen Gemeindegrößenklassen lag hinsichtlich der Werte des Rae-Index noch ein Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien vor. In Großstädten erreichte der Rae-Index jedoch bereits die Schwelle zur Einstufung als fragmentiertes Parteiensystem. Die Fragmentierung der Wahlergebnisse wirkte sich aufgrund der 5%-Sperrklausel jedoch nicht auf die Zusammensetzung der Gemeinderäte aus. Die Ratswahl 1994 fand am selben Termin wie die Bundestagswahl 1994 statt. Das hatte, wie weiter oben schon erwähnt, starke Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung. Es ist anzunehmen, dass auch das Wahlverhalten von der Koppelung nicht ganz unbeeinflusst war, der Vergleich der Kommunalwahlergebnisse kann in dieser Frage aber nur wenige Indizien liefern99. Im Prinzip bleibt auch bei dieser Wahl das schon bekannte Muster hinsichtlich der großen Parteien erhalten. Die CDU legte wieder leicht zu und blieb in Gemeinden unter 50.000 Einwohnern die stärkste Partei. Die SPD hatte in allen Größenklassen außer in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern leichtere Einbußen zu verzeichnen, blieb aber in den Größenklassen über 50.000 Einwohnern die stärkste Partei. Die Grünen, deren Deckungsgrad in allen Gemeindegrößenklassen anstieg, konnten vor allem in den Großstädten zulegen und verteidigten ihren dritten Platz vor der FDP in Städten über 50.000 Einwohnern und konnten die FDP in Städten zwischen 20.000 und 50.000 Einwohnern gar überholen. Die FDP, deren Deckungsgrad in allen Klassen leicht sank, hatte bei dieser Wahl in allen Größenklassen Verluste zu verzeichnen und sank in den Gemeindegrößenklassen über 10.000 Einwohnern unter die magische 5%-Grenze, was dazu führte, dass sie in nur noch in einem Drittel der Gemeinderäte vertreten war (Andersen/Bovermann 2002a, 20). Die Wählergruppen konnten ihren Deckungsgrad steigern, vor allem in den größeren Mittelstädten und Großstädten nahm der Anteil der Kandidaturen um über 30 Prozentpunkte zu. In den Gemeindegrößenklassen zwischen 10.000 und 100.000 Einwohnern konnten die Wählergruppen ihre Ergebnisse leicht verbessern, in den Großstädten blieben sie auf einem niedrigen Stand und in den Gemeinden unter 10.000 Einwohnern hatten sie sogar leichtere Einbußen zu verzeichnen. In Gemeinden unter 20.000 Einwohnern verteidigten sie ihren dritten Platz vor den Grünen und der FDP.
99
Im Prinzip wäre davon auszugehen, dass sich die Kommunalwahlergebnisse den Bundestagswahlergebnissen annähern. Gleichzeitig lässt sich jedoch ein weiteres Anwachsen der Wahlergebnisse der Wählergruppen beobachten, das mit dieser Annahme nicht zu erklären wäre. Wie im vorherigen Abschnitt gezeigt, hat auch die Konzentration auf die beiden großen Parteien nur mäßig zugenommen. In einigen Kommunen ließen sich jedoch Verluste der damaligen Regierungsparteien auf Bundesebene (CDU und FDP) beobachten, so dass am ehesten von Verzerrungen der Kommunalwahlergebnisse dieser Parteien auszugehen ist. Im Ausmaß sind diese Effekte jedoch nicht zu vergleichen mit dem angenommen Bundestrend bei der Wahl 1999, die nicht gekoppelt war. Insgesamt gesehen halte ich die Verzerrungen der Ergebnisse durch die Koppelung mit der Bundestagswahl 1994 für nicht sehr stark.
130
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 24: Ratswahl 1994: Wahlergebnisse und Deckungsgrad in fünf Gemeindegrößenklassen Wahlergebnisse SPD unter 32,5 10.000 10.000 bis 34,9 unter 20.000 20.000 bis 38,8 unter 50.000 50.000 bis 43,4 unter 100.000 über 45,0 100.000
1994 CDU 46,8
Grüne 6,3
FDP 5,0
Wgr 9,1
Sonstige 0,3
45,0
6,7
4,8
8,2
0,3
42,8
7,6
4,3
6,3
0,3
39,8
7,7
3,6
4,7
0,8
36,1
11,3
3,2
2,6
1,8
Deckungsgrad SPD unter 100,0 10.000 10.000 bis 100,0 unter 20.000 20.000 bis 100,0 unter 50.000 50.000 bis 100,0 unter 100.000 über 100,0 100.000
1994 CDU 100,0
Grüne 63,5
FDP 71,4
Wgr 54,0
Sonstige 7,9
100,0
73,4
81,3
61,7
14,1
100,0
83,2
87,8
62,6
13,7
100,0
88,6
97,7
75,0
45,5
100,0
96,7
100,0
80,0
90,0
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Sonstige umfassen weitere Parteien. Fett hervorgehoben sind bei SPD und CDU jeweils die stärkere Partei je Größenklasse und bei kleinen Parteien und Wählergruppen jeweils die stärkste Gruppierung je Größenklasse.
Die Struktur des Parteiensystems unterschied sich bei dieser Wahl nicht sehr stark von der Wahl 1989. Die Fragmentierung hinsichtlich der Zahl der Parteien hat nur in den Großstädten zugenommen, die Konzentration des Parteiensystems blieb auf einem relativ hohen Niveau. Die Asymmetriemuster im Vergleich der Größenklassen blieben konstant, nur die Dominanz der SPD in den Großstädten nahm deutlich ab, vermutlich eine Folge der verbesserten Wahlergebnisse der Grünen in dieser Klasse. Rae-Index und die effektive Zahl der Parteien haben sich im Vergleich zur letzten Wahl nur wenig verändert. Die Kommunalisie-
131
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
rung sinkt nach wie vor mit der Gemeindegröße, wie die Beschreibung der Ergebnisse der Wählergruppen, jedoch mit Veränderungen im Bereich der mittleren Größenklassen. Ein Effekt der Koppelung könnte in der Dämpfung der Entwicklung der Fragmentierung liegen, die in den letzten Wahlen stärker angestiegen war. Tabelle 25: Ratswahl 1994: Parteiensystem in fünf Gemeindegrößenklassen
unter 10.000 10.000 bis unter 20.000 20.000 bis unter 50.000 50.000 bis unter 100.000 über 100.000 Gesamt
Format
Konzentration
Asymmetrie
ENoPv
Kommunalisierung % Wgr.
15,43
Fragmentierung RaeIndex 0,63
Anzahl
CDU+SPD
CDU-SPD
4,06
78,84
2,76
9,95
4,37
81,67
10,58
0,64
2,82
8,28
4,6
81,7
4,7
0,64
2,78
6,64
5,27
83,16
-3,47
0,63
2,76
4,76
6,40
81,45
-7,10
0,64
2,80
2,94
4,65
80,92
6,51
0,63
2,79
7,21
Zahl der Parteien
Quelle: Eigene Darstellung Anmerkung: Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 18:.
Mit der Kommunalwahl 1999 beginnt die fünfte Phase der Entwicklung der elektoralen Parteiensysteme in NRW. Vor allem die Abschaffung der 5%-Sperrklausel kurz vor der Wahl führt zu einer starken Veränderung der Zusammensetzung der Räte, die weiter unter noch genauer dargestellt werden soll. Da diese einschneidende Änderung des Wahlsystems bei Ratswahlen erst sehr knapp vor der Wahl umgesetzt wurde, fiel die Ausweitung des Angebotes bei Ratswahlen noch begrenzt aus. Die deutlichste Veränderung liegt in dem stark verbesserten Abschneiden der CDU, die in allen Größenklassen stark zulegen konnte und sogar auch in den Städten über 50.000 Einwohnern die SPD klar hinter sich lassen konnte. Die Wahlergebnisse der SPD verschlechterten sich in allen Größenklassen, in Großstädten sogar um durchschnittlich zehn Prozentpunkte. Die Grünen, deren Deckungsgrad in allen Größenklassen anstieg, verloren ebenfalls in allen Größenklassen, so dass bei beiden Parteien als Ursache von einem Malus der rot-grünen Koalition auf Bundesebene ausgegangen werden kann. Die Grünen konnten jedoch den dritten Platz in allen Größenklassen über 20.000 Einwohnern behaupten. Die FDP konnte als potentieller Partner der CDU im Bund allerdings von der Bundesstimmung zulasten der rot-grünen Koalition nicht im gleichen Umfang profitieren wie die CDU. Sie blieb in allen Gemeindegrößenklassen hinter den Wählergruppen und den Grünen. Die Wählergruppen
132
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
verteidigten ihren dritten Platz in Gemeinden unter 20.000 Einwohnern und übernahmen den dritten Platz von den Grünen in der Klasse zwischen 20.000 und 50.000 Einwohnern. Der Deckungsgrad an Kandidaturen der Wählergruppen stieg in allen Gemeindegrößenklassen an. Sie konnten ihre Position in den Großstädten leicht ausbauen. Die Sonstigen sind abgesehen von den Großstädten ohne Bedeutung. Tabelle 26: Ratswahl 1999: Wahlergebnisse und Deckungsgrad in fünf Gemeindegrößenklassen Wahlergebnisse SPD unter 26,9 10.000 10.000 bis 29,6 unter 20.000 20.000 bis 31,6 unter 50.000 50.000 bis 36,3 unter 100.000 über 35,2 100.000
1999 CDU 54,1
Grüne 4,7
FDP 4,4
Wgr 9,7
Sonstige 0,2
52,4
4,9
4,5
8,2
0,1
51,4
5,1
4,5
7,1
0,2
49,0
5,4
4,3
4,3
0,7
46,7
7,7
4,2
3,7
2,6
Deckungsgrad SPD unter 100,0 10.000 10.000 bis 100,0 unter 20.000 20.000 bis 100,0 unter 50.000 50.000 bis 100,0 unter 100.000 über 100,0 100.000
1999 CDU 100,0
Grüne 72,4
FDP 62,1
Wgr 63,8
Sonstige 8,6
100,0
81,6
72,8
64,8
8,0
100,0
84,8
89,1
69,6
13,8
100,0
93,3
95,6
66,7
31,1
100,0
100,0
100,0
73,3
80,0
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Sonstige umfassen weitere Parteien. Fett hervorgehoben sind bei SPD und CDU jeweils die stärkere Partei je Größenklasse und bei kleinen Parteien und Wählergruppen jeweils die stärkste Gruppierung je Größenklasse.
133
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Die Konzentration des Parteiensystems hat leicht zugenommen, die Asymmetrie zugunsten der CDU konnte in allen Gemeindegrößenklassen festgestellt werden, so dass die in den 1980er und 1990er Jahren feststellbare Dominanz der SPD in den Großstädten bei dieser Wahl beendet wurde. Die durchschnittliche Anzahl der Gruppierungen hat sich dagegen kaum verändert, die Fragmentierung sank, außer in den Großstädten, wo sie gleich blieb. Die Werte des ENoPv lagen in allen Größenklassen unter den Werten von 1994. Die Kommunalisierung blieb in etwa auf dem gleichen Niveau. Tabelle 27: Ratswahl 1999: Parteiensystem in fünf Gemeindegrößenklassen Format
unter 10.000 10.000 bis unter 20.000 20.000 bis unter 50.000 50.000 bis unter 100.000 über 100.000 Gesamt
Konzentration
Asymmetrie
CDU+SPD
CDU-SPD
4,10
81,02
27,24
Fragmentierung RaeIndex 0,59
4,36
82,29
23,44
4,7
83,1
5,13
Zahl der Parteien ENoPv
Kommunalisierung % Wgr.
2,51
9,70
0,60
2,57
8,21
19,8
0,61
2,60
7,09
85,33
12,74
0,61
2,61
4,31
6,30
81,94
11,56
0,64
2,78
3,41
4,67
82,70
20,61
0,61
2,59
7,25
Quelle: Eigene Darstellung Anmerkung: Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 18:.
Die Ergebnisse der Ratswahl 2004 bestätigen in der Tendenz die Muster bei der vorangegangenen Wahl. Die CDU bleibt trotz größerer Verluste klar stärkste Partei in allen Größenklassen. Die SPD verliert nach den schon sehr niedrigen Ergebnissen 1999 gleichmäßig in allen Größenklassen und kann von den Verlusten der CDU nicht profitieren. Gewinner sind die kleinen Parteien und Wählergruppen mit Ausnahme der Sonstigen in Gemeinden unter 50.000 Einwohnern. Alle Kleinen verbessern ihre Ergebnisse in allen Gemeindegrößenklassen. Aber weiterhin blieben die Wählergruppen in den Gemeinden bis 50.000 Einwohnern auf Platz drei, darüber belegten die Grünen Platz drei. Die FDP konnte im Gegensatz zu den Grünen ihren Deckungsgrad wieder steigern. Noch stärker war jedoch die Zunahme an Kandidaturen der Wählergruppen, die vor allem in Städten über 50.000 Einwohnern ihren Deckungsgrad um 15 bzw. in Großstädten um 23 Prozentpunkte steigern konnten. Die Konzentration des Parteiensystems sank bei dieser Wahl zum ersten Mal seit 1984 wieder deutlich im Vergleich zur letzten Wahl, was darauf hindeutet, dass die großen Par-
134
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
teien gegenüber den kleineren Gruppierungen an Boden verloren. Die Asymmetrie zugunsten der CDU verstärkte sich in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern und erreichte mit knapp 28 Prozentpunkten den höchsten Wert im Untersuchungszeitraum. In den anderen Gemeinden verringerte sich die Asymmetrie um bis zu knapp sieben Prozentpunkte, ohne dass die SPD die CDU jedoch in einer Größenklasse überholen konnte. Tabelle 28: Ratswahl 2004: Wahlergebnisse und Deckungsgrad in fünf Gemeindegrößenklassen Wahlergebnisse SPD unter 23,8 10.000 10.000 bis 27,8 unter 20.000 20.000 bis 28,5 unter 50.000 50.000 bis 34,6 unter 100.000 über 33,7 100.000
2004 CDU 51,7
Grüne 5,9
FDP 6,5
Wgr 12,1
Sonstige 0,1
49,7
6,3
6,6
9,5
0,2
46,2
7,1
7,2
10,6
0,5
42,5
7,7
6,9
7,2
1,1
38,6
10,9
6,0
6,8
4,0
Deckungsgrad SPD unter 100,0 10.000 10.000 bis 100,0 unter 20.000 20.000 bis 100,0 unter 50.000 50.000 bis 100,0 unter 100.000 über 100,0 100.000
2004 CDU 100,0
Grüne 72,2
FDP 72,2
Wgr 68,5
Sonstige 5,6
100,0
75,6
78,0
67,5
8,1
100,0
84,5
96,5
76,8
16,9
100,0
93,6
100,0
78,7
48,9
100,0
100,0
100,0
96,7
90,0
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Sonstige umfassen weitere Parteien. Fett hervorgehoben sind bei SPD und CDU jeweils die stärkere Partei je Größenklasse und bei kleinen Parteien und Wählergruppen jeweils die stärkste Gruppierung je Größenklasse.
135
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Die Auswirkungen der Veränderung des Wahlsystems bei Ratswahlen führten bei der Ratswahl 1999 dazu, dass nahezu alle Gruppierungen, die kandidierten, auch in den Rat einzogen. Das erfolgreiche Abschneiden bedeutete einen deutlichen Kandidaturanreiz für kleine Parteien und Wählergruppen und führte zu einer Steigerung der Anzahl der kandidierenden Gruppierungen sowie der Fragmentierung in allen Größenklassen. Eine differenzierte Analyse der Zunahme und Verringerung der Anzahl der kandidierenden Gruppierungen nach Gemeindegröße zeigt aber, dass in Gemeinden unter 50.000 Einwohnern in mehr als 60% der Fälle die Anzahl der Gruppierungen gleich bleibt oder gar sinkt, in Großstädten jedoch in über 80% der Fälle zum Teil stark ansteigt. Erstmals steigen auch die Werte des ENoPV in Gemeinden über 20.000 Einwohnern über drei und die Werte des Rae-Index über 0,65, so dass in diesen Größenklassen von einem stark fragmentierten Parteiensystem ausgegangen werden muss. Die Kommunalisierung hatte in allen Gemeindegrößenklassen zugenommen, die Wählergruppen hatten sich auch in den Großstädten sowohl hinsichtlich des Deckungsgrades und der Wahlergebnisse etabliert. Tabelle 29: Ratswahl 2004: Parteiensystem in fünf Gemeindegrößenklassen
unter 10.000 10.000 bis unter 20.000 20.000 bis unter 50.000 50.000 bis unter 100.000 über 100.000 Gesamt
Format
Konzentration
Asymmetrie
Anzahl
CDU+SPD
CDU-SPD
4,20
75,48
27,89
Fragmentierung RaeIndex 0,62
4,41
77,48
21,82
5,0
74,8
5,79
Zahl der Parteien ENoPv
Kommunalisierung % Wgr.
2,74
12,02
0,63
2,80
9,42
17,7
0,66
3,06
10,50
77,17
7,87
0,67
3,09
7,13
8,53
72,29
4,94
0,71
3,45
6,78
5,08
75,80
18,24
0,65
2,97
9,69
Quelle: Eigene Darstellung Anmerkung: Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 18:.
Abschließend soll ein Blick auf die regionale Verteilung der Wahlergebnisse der beiden großen Parteien in den Phasen 4 und 5 geworfen werden. Bick (1985, 210) unterscheidet in seiner Analyse der Landtagswahlen die Entwicklung der großen Parteien in acht Regionen in NRW:
136
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Ruhrgebiet: Bochum, Bottrop, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm, Herne, Mülheim, Oberhausen und die Kreise Ennepe-Ruhr, Recklinghausen, Unna, Wesel. Düsseldorf/Wuppertal/Köln: Düsseldorf, Köln, Krefeld, Leverkusen, Remscheid, Solingen, Wuppertal und Kreis Mettmann. Eifel/Bonn/Oberbergisches Land: Aachen, Bonn und die Kreise Aachen, Düren, Rhein-Erft, Euskirchen, Heinsberg, Rheinisch-Bergischer, Rhein-Sieg und Oberbergischer Kreis. Niederrhein: Mönchengladbach, Kreise Neuss, Kleve und Viersen. Münsterland: Münster, Kreise Borken, Coesfeld, Steinfurt, Warendorf. Sauerland: Kreise Hochsauerlandkreis, Märkischer Kreis, Olpe, Siegen, Soest. Bielefeld/Herford: Bielefeld, Kreise Gütersloh, Herford, Lippe, Minden-Lübbecke. Paderborn/Höxter: Kreise Höxter und Paderborn.
Abbildung 8:
Entwicklung der Wahlergebnisse der CDU bei Ratswahlen in acht Regionen in NRW 1984-2004
65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 1984 Ruhrgebiet
Düsseldorf
1989 Eifel
1994 Niederrhein
Münsterland
1999 Sauerland
2004 Bielefeld
Paderborn
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Mittelwerte der Anteile der CDU in einer Region. Einteilung der Regionen nach Bick 1985.
Da es bisher keine vergleichbaren regionalen Analysen für Ratswahlen in ganz NRW gibt100, bietet es sich an, Bicks regionale Einteilung zu übernehmen, zumal sich zeigen wird, dass sie auch heute noch regionale Schwerpunkte der großen Parteien gut abbildet.
100 Vgl. z.B. Bovermann, der die Entwicklung auf verschiedenen Wahlebenen in einer Region, dem Ruhrgebiet, vergleicht (Bovermann 1996).
137
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Die Entwicklungen der landesweiten Wahlergebnisse von CDU und SPD in Phase 4 und 5 werden im Prinzip wie die Abbildung zeigt in allen Regionen vollzogen. Selbst in der Region Paderborn, einer ausgesprochenen Hochburg der CDU, sank bei den Wahlen 1989 der Anteil der CDU deutlich ab, stieg 1994 wieder an um 1999 mit knapp über 60% einen Höchststand zu erreichen. Bei der Wahl 2004 sank er etwa wieder auf das Niveau von 1984. Die Reihenfolge der Regionen 2004 hat sehr große Ähnlichkeit mit der Verteilung bei Landtagswahlen Ende der 1980er Jahre. Die höchsten durchschnittlichen Anteile erhält die CDU in der Region Paderborn. Die Regionen Münsterland, Niederrhein, Sauerland und Eifel bilden ein zweites Knäuel mit Werten zwischen 48% und 50%. Mit etwas Abstand folgt die westfälische Region Bielefeld/Herford und dann die stark großstädtisch geprägten Regionen Düsseldorf und das Ruhrgebiet, traditionell die schwächste Region der CDU. Der Vergleich der regionalen Ergebnisse der SPD in Abbildung 9: zeigt in Phase 4 eine relativ konstante Entwicklung in den stärkeren Regionen Ruhrgebiet, Bielefeld/Herford und Düsseldorf, in den schwächeren SPD-Regionen Paderborn, Münsterland und Niederrhein findet zwischen 1984 und 1989 sogar noch ein Anstieg der Wahlergebnisse der SPD statt. Abbildung 9:
Entwicklung der Wahlergebnisse der SPD bei Ratswahlen in acht Regionen in NRW 1984-2004
65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 1984 Ruhrgebiet
Düsseldorf
1989 Eifel
1994 Niederrhein
Münsterland
1999 Sauerland
2004 Bielefeld
Paderborn
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Mittelwerte der Anteile der SPD in einer Region. Einteilung der Regionen nach Bick 1985.
Dann folgt der schon in den vorangegangenen Analysen deutlich gewordene jähe Absturz der Ergebnisse 1999, der sich in allen Regionen 2004 noch leicht fortgesetzt hat. Die Wahlergebnisse der SPD liegen in allen Regionen 2004 unter denen Ergebnissen von 1984. Die
138
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Reihenfolge 2004 entspricht ähnlich wie bei der CDU dem von Bick Mitte der achtziger Jahre für die Landtagswahlen gezeichneten Bild, nur dass die SPD 2004 in keiner Region mehr stärker ist als die CDU, nicht einmal im Ruhrgebiet, wo der Vorsprung der CDU mit 0,5 Prozentpunkten jedoch äußerst knapp ist. Trotzdem muss in den meisten Regionen nach der Ratswahl 2004 von einer starken Dominanz der CDU ausgegangen werden, die nur in der großstädtisch geprägten Region Düsseldorf (durchschnittliche Asymmetrie 13 Prozentpunkte) und der westfälischen Region Bielefeld/Herford (durchschnittliche Asymmetrie 9 Prozentpunkte) etwas schwächer ausfällt. In den anderen, ländlich katholischen geprägten Regionen liegt der Abstand der CDU vor der SPD bei über 20 Prozentpunkten. Zusammenfassung Die Analyse der Wahlergebnisse und der elektoralen Parteiensysteme unter Berücksichtigung der Gemeindegröße ergänzt das in der landesweiten Analyse beschriebene Bild der elektoralen Parteiensysteme in den Phasen 4 und 5. Phase 4 war auf der Landesebene geprägt von einer Asymmetrie zugunsten der SPD, die bei der Kommunalwahl 1989 am stärksten ausgeprägt war. Im Vergleich der Gemeindegrößenklassen ergibt sich aber ein anderes Bild der Dominanz hinsichtlich der großen Parteien. Die SPD dominierte zwar das Parteiensystem in den großen Mittelstädten und Großstädten, in den kleineren Mittelstädten unter 50.000 Einwohnern und in den kleineren Gemeinden war aber in der gesamten Phase 4 die CDU mit deutlichem Abstand die stärkste Partei. Die Dominanz der SPD fiel im Vergleich auch nie so deutlich aus wie die der CDU, die bis zu 20 Prozentpunkte Vorsprung auf die SPD hat. In Phase 4 sank die Konzentration des Parteiensystems, vor allem durch das Aufkommen und die – gemessen am Deckungsgrad – wachsenden Verbreitung der Grünen und durch Stimmenzuwächse und die wachsende Verbreitung der Wählergruppen; aber auch mit Blick auf die Rolle der kleineren Gruppierungen sind in den Gemeindegrößenklassen unterschiedliche Muster erkennbar. Die Wählergruppen belegten am Ende von Phase 4 in den beiden unteren Gemeindegrößenklassen den dritten Platz, in den Städten und Gemeinden über 20.000 Einwohnern übernahmen gegen Ende der Phase jedoch die Grünen den dritten Platz von der FDP, die vor allem bei der Kommunalwahl 1994 stark an Boden verloren hatte. Das elektorale Parteiensystem in Phase 4 kann also als Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien charakterisiert werden, in dem die Rolle der dominanteren großen Partei mit der Gemeindegröße variiert. Dazu traten im Durchschnitt in kleineren Gemeinden zwei und in größeren Städten bis zu drei kleinere Parteien und Wählergruppen an. Die Kommunalisierung wuchs insgesamt in dieser Phase und war in den kleineren Gemeinden deutlich stärker ausgeprägt als in den Großstädten. Die Entwicklung des Parteiensystems in Phase 5 war geprägt von einer starken Dominanz der CDU, die durchgehend in allen Gemeindegrößenklassen vorhanden war. Trotz erheblicher Verluste der CDU bei der Ratswahl 2004, die auch als ein Stück Normalisierung nach der Bundestrend-Wahl 1999 interpretiert werden können, hat sich an diesem Bild grundsätzlich nichts geändert. Die Ergebnisse der SPD verschlechterten sich 2004 in allen Gemeindegrößenklassen, so dass, wie auch schon in der Vergangenheit, der Kommunalwahl die Funktion eines „Frühindikators“ (Cryns/Hembach 1987, 121) für den Wechsel der Mehrheitsverhältnisse auf der Landesebene 2005 zukommt. Der bis 1994 gebremste Trend der Fragmentierung nahm nach Abschaffung der 5%-Sperrklausel 1999 wieder an Fahrt auf
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
139
und erreichte 2004 das Niveau der frühen 1950er Jahre, wenn auch unter veränderten Wettbewerbsbedingungen. In den Gemeinden unter 20.000 Einwohnern fiel die Fragmentierung jedoch geringer aus, dort traten im Durchschnitt nur vier bis fünf Gruppierungen zur Wahl an. In Großstädten dagegen kandidierten im Durchschnitt acht bis neun Gruppierungen, darunter viele Splitterparteien, die in kleineren Gemeinden – wie die Ergebnisse zeigten – bedeutungslos sind. Die Kommunalisierung der Parteiensysteme hat in Phase 5 weiter zugenommen, die Wählergruppen haben auch in den Großstädten Fuß gefasst, sind aber noch deutlich stärker in Gemeinden unter 50.000 Einwohnern. Hinsichtlich der Struktur der elektoralen Parteiensysteme können in Phase 5 zwei Trends unterschieden werden:
In kleineren Städten und Gemeinden liegt (noch) ein relativ gering fragmentiertes Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei Parteien vor, das von der CDU dominiert wird und in dem Wählergruppen dort, wo sie präsent sind, den dritten Platz einnehmen. In Mittel- und Großstädten gibt es ein stärker fragmentiertes Mehrparteiensystem, dessen Zersplitterung mit der Größe noch zunimmt. Das Parteiensystem wird von der CDU dominiert, wenn auch weniger ausgeprägt als in den kleineren Gemeinden. In Gemeinden ab 50.000 Einwohnern belegen die Grünen den dritten Platz, in Großstädten kandidieren zunehmend Kleinstparteien und Wählergruppen.
3.1.3 Lokale Parteiensystemtypen 1984, 1994 und 2004 Die Analysen in den vorangegangenen Abschnitten haben bereits reichlich Anhaltspunkte für die Beschreibung lokaler elektoraler Parteiensysteme in NRW geliefert. Es gibt sicherlich kein einheitliches lokales Parteiensystem in NRW, obwohl auch in dieser Arbeit zunächst in Kapitel 3.1.1 die Strukturen auf Landesebene analysiert worden sind. Die Berücksichtigung der Gemeindegröße und von regionalen Unterschieden ergab dann erste Hinweise auf unterschiedliche regionale Strukturen von lokalen elektoralen Parteiensystemen. Da aber sowohl die bisher beschriebenen Tendenzen der Unterschiede der Parteiensysteme nach Regionen und Gemeindegröße als auch die sicherlich banale Feststellung, dass das Parteiensystem vermutlich in jeder Gemeinde seine unverwechselbaren Eigenheiten aufweise, ein gleichermaßen unbefriedigendes Bild der lokalen Parteiensysteme ergibt, wird im folgenden Abschnitt mit Hilfe multivariater Analyseverfahren ein Ansatz einer handhabbaren und plausiblen Reduktion der lokalen Komplexität auf wenige Parteiensystemtypen für die Ratswahlen 1984, 1994 und 2004 vorgestellt.
140
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Methodische Vorbemerkungen Nach einer ausführlichen Exploration der vorhandenen Daten zu den Ratswahlen 19842004 in den vorangegangenen Kapiteln werden nun mit Hilfe multivariater statistischer Verfahren Typologien der Parteiensysteme für drei Wahlen erstellt. Die Wahlen 1984 und 1994 markieren Beginn und Ende der Phase 4 der Entwicklung der Wahlergebnisse auf Landesebene. Die Wahl 1994 hat in diese Studie auch deshalb eine besondere Bedeutung, da sie die politischen Kräfteverhältnisse vor der ersten Direktwahl der Bürgermeister 1999 definierte. Die Verzerrungen der Wahlergebnisse durch die Koppelung mit der Bundestagswahl werden nicht für so gravierend gehalten, dass die Wahlergebnisse für eine solche Analyse völlig ungeeignet wären. Die Ratswahl 2004 wurde ausgewählt, da sie das (vorläufige) Ende von Phase 5 markiert und die Wahlergebnisse weniger von Trends anderer Wahlebenen beeinflusst sind als 1999. Außerdem hat sich die Wirkung der Abschaffung der Sperrklausel auch erst 2004 wirklich auf die Ratswahlen ausgewirkt. Daher erscheint die Wahl 2004 normaler und kommunaler als die 1999. Zur Typologisierung der lokalen elektoralen Parteiensysteme wurden Clusterzentrenanalysen der Wahlergebnisse 1984, 1994 und 2004 durchgeführt. Die gewählte Vorgehensweise folgt den Empfehlungen bei Backhaus u.a. (2000) zur Durchführung von Clusteranalysen. Es handelte sich jeweils um Vollerhebungen, daher waren keine Verfahren notwendig, die die Güte der verwendeten Stichproben überprüften. Am Anfang steht die Annahme, dass jede Kommune ein eigenes elektorales Parteiensystem aufweist, dass mit Hilfe der Wahlergebnisse in Prozent der gültigen Stimmen beschrieben werden kann. Diese sollen dann mit Hilfe eines Gruppierungsverfahrens zu möglichst wenigen Typen zusammengefasst werden. Die Elemente in einem Parteiensystem-Cluster sollen dabei möglichst ähnlich, die Cluster untereinander möglichst verschieden sein. In der Praxis sind diese drei Anforderungen häufig schlecht zu optimieren, so dass das Verfahren letztlich immer zu einem Kompromiss von geringer Anzahl, Ähnlichkeit und Differenz führen muss. Als Ausgangsvariablen wurden die Ergebnisse der Parteien und Wählergruppen in Prozent der gültigen Stimmen verwendet, wobei die Ergebnisse der Wählergruppen und Sonstigen zusammengefasst sind. Zuerst wurde mit diesen Ausgangsvariablen eine explorative Faktorenanalyse durchgeführt, erstens um die Anzahl der für die Clusteranalyse notwendigen Variablen zu reduzieren und zweitens um Variablen zu generieren, die untereinander nicht korrelieren, anders als die Ursprungsdaten, die zum Teil ausgeprägte Zusammenhänge aufweisen, was für die Durchführung einer Clusteranalyse nicht empfehlenswert ist (Voß 1997, 302). Die Faktoren wurden nach der Hauptkomponentenmethode extrahiert und Rotationsverfahren unterzogen. Ziel war, dass die Ladungen für die einzelnen Gruppierungen sich möglichst nur auf einen Faktor beziehen, was im Wesentlichen auch gelungen ist. Das Verfahren der Clusterzentrenanalyse (auch K-Means Verfahren genannt, Voß 1997) wurde aufgrund der relativ großen Fallmenge (396 Städte und Gemeinden) gewählt. Außerdem bietet dieses Verfahren die Möglichkeit, die Anzahl der Cluster vorzugeben und sich durch Vergleich von Lösungen mit unterschiedlich großer Anzahl von Clustern der Lösung des bereits erwähnten Optimierungsproblems anzunähern. Im Folgenden werden die Ergebnisse der multivariaten Analysen zusammengefasst. Die unterschiedlichen Strukturen der Parteiensystemcluster einer Wahl werden dann mit den schon bekannten Parteiensystemmerkmalen beschrieben und nach drei Regeln benannt. Die ausführlichen Ergebnisse von Faktorenund Clusteranalysen sowie die Benennungsregeln sind im Anhang dokumentiert.
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
141
Parteiensystemtypen bei der Ratswahl 1984 Die Faktorenanalyse der Wahlergebnisse von 1984 ergab drei Faktoren101, von denen der erste das Verhältnis von SPD und CDU abbildet, der zweite das Verhältnis von Grünen und Sonstigen und der dritte das Verhältnis von Grünen und FDP. Die Clusteranalyse ergab vier Parteiensystemcluster. Diese werden nach drei Regeln benannt. Grundlage sind die Mittelwerte der Merkmale von den Clustern zugeordneten Kommunen.
Kommunalisierung: Gemeinsame durchschnittliche Anteil der Wählergruppen, die Benennung erfolgt nach den gemessenen Werten:Wgr < 5% keine Erwähnung; 5% > Wgr. < 10% = kommunalisiert; 10% > Wgr < 20% = stark kommunalisiert; 20% < Wgr = sehr stark kommunalisiert Fragementierung nach dem Rae-Index: Übernahme der Interpretation der Werte bei Gabriel 1991: Rae-Index = 0,45 – 0,55 : annähernd bipolar bzw. Anzahl der Parteien verknüpft mit Dominanzaussage; Rae-Index = 0,55 – 0,66 : Mehrparteiensystem mit Konzentrationstendenz auf zwei große Parteien verknüpft mit Dominanzaussage falls vorhanden; Rae-Index = über 0,65 : Vielparteiensystem ggf. verknüpft mit Dominanzaussage Dominanz einer Partei: Verknüpfung des durchschnittlichen Anteils von CDU/SPD mit der Asymmetrie CDU/SPD Dominanz: [Partei] > 60% Asym. > 30% [Partei]Hegemonie; [Partei] 55-60% sehr ausgeprägte Dominanz; [Partei] 45-55%, Asym. >20 ausgeprägte Dominanz; [Partei] 40-45%, Asym. > 10 Dominanz; Asym < 10 keine Dominanzaussage unabhängig von der Höhe des Wahlergebnisses
Geordnet nach absteigender Dominanz der CDU können die Typen wie folgt beschrieben werden können:
101 Fünf Extremfälle hinsichtlich der Wahlergebnisse der Sonstigen wurden aus der Analyse ausgeschlossen. Angewendet wurde das Verfahren der Hauptkomponentenanalyse. Die Ursprungslösungen wurden nach der Rotationsmethode Varimax mit Kaiser-Normalisierung rotiert, dazu wurden vier Iterationen benötigt. Zusätzliche Angaben finden sich im Dokument „Ergänzende Informationen, Tabellen und Quellen, das unter der Adresse http://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DocumentServlet?id=6524 (Stand 28.01.2008) heruntergeladen werden kann.
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3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 30: Drei-Parteiensystem mit CDU-Hegemonie 1984 (83 Fälle, durchschnittliche Größe 14.837 Einwohner) n 83 Größe
SPD 32,1 Format
Durchschnittliche Einwohnerzahl 14.837
Anzahl Parteien
3,1
CDU 60,4 Konzentration CDU+SPD
Grüne 2,2 Asymmetrie CDU-SPD
FDP 2,2 Fragmentierung Rae-Index
Sonstige 3,0 Zahl der Parteien ENoPv
92,5
28,3
0,51
2,1
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Alle Angaben sind Mittelwerte der Anteile eines Clusters. Format: Durchschnittliche Anzahl der angetretenen Gruppierung; Konzentration: Addierte Anteile in Prozent der gültigen Stimmen von CDU und SPD; Asymmetrie: Anteil der gültigen Stimmen der CDU minus Anteil der gültigen Stimmen der SPD; Fragmentierung: Gemessen mit dem Rae-Index (1-Quadratsumme der Stimmenanteile der Parteien), Sonstige wurden als Sammelkategorie aufgenommen (Rae 1968); Zahl der Parteien: Gemessen mit der Effectiv Number of Parties (ENoPv) 1/ Quadratsumme der Stimmenanteile der Parteien ), Sonstige wurden als Sammelkategorie aufgenommen (Laakso/Taagepera 1979). Kommunalisierung: Durchschnittlicher Anteil der Wählergruppen.
Der Typ Drei-Parteiensystem mit CDU-Hegemonie wird geprägt von sehr hohen Wahlergebnissen der CDU und einer ausgeprägten Asymmetrie zugunsten der CDU. Sowohl die Anzahl der angetretenen Gruppierungen als auch die Fragmentierung sind gering. Die Anteile der kleinen Parteien und der Sonstigen, die bei dieser Wahl noch die Wählergruppen umfassen, sind niedrig. Der Typ Drei-Parteiensystem mit CDU-Hegemonie kommt durchschnittlich eher in kleineren Gemeinden vor. Tabelle 31: Mehrparteiensystem mit ausgeprägter Dominanz der CDU 1984 (127 Fälle, durchschnittliche Größe 40.395 Einwohner) n 127 Größe
SPD 33,7 Format
Durchschnittliche Einwohnerzahl 40395
Anzahl Parteien
4,2
CDU 48,6 Konzentration CDU+SPD
82,3
Grüne 8,5 Asymmetrie CDU-SPD
FDP 8,2 Fragmentierung Rae-Index
Sonstige 0,1 Zahl der Parteien ENoPv
14,9
0,62
2,7
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Alle Angaben sind Mittelwerte der Anteile eines Clusters. Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 30:.
Im zweiten Typ ist der Abstand von SPD und CDU kleiner, beträgt aber immer noch knapp 15 Prozentpunkte. Die Konzentration ist geringer als im ersten Typ, die Fragmentierung dafür deutlich ausgeprägter. Die Wahlergebnisse von Grünen und FDP sind mit acht Pro-
143
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
zent in etwa gleich hoch, Sonstige spielen keine Rolle. Das Parteiensystem ähnelt sehr stark dem polarisierten Vier-Parteiensystem der 1980er Jahre im Bundestag nach Aufkommen der Grünen. Der Typ Mehrparteiensystem mit ausgeprägter Dominanz der CDU ist eher in den Mittelstädten anzusiedeln. Tabelle 32: (Stark kommunalisiertes) Mehrparteiensystem mit ausgeprägter Dominanz der CDU 1984 (56 Fälle, durchschnittliche Größe 25.032 Einwohner) n 56 Größe
SPD 27,5 Format
Durchschnittliche Einwohnerzahl 25031
Anzahl Parteien
4,3
CDU 45,9 Konzentration CDU+SPD
Grüne 2,4 Asymmetrie CDU-SPD
FDP 6,2 Fragmentierung Rae-Index
Sonstige 18,6 Zahl der Parteien ENoPv
73,1
18,6
0,63
2,7
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Alle Angaben sind Mittelwerte der Anteile eines Clusters. Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 30:.
Die durchschnittlichen Ergebnisse von SPD und CDU liegen bei diesem Typ unter denen in Typ 2, die Konzentration ist geringer, die Asymmetrie dafür aber etwas größer. Die Fragmentierung ist in etwa gleich groß wie in Typ 2, vollkommen unterschiedlich gestaltet sich aber die Zusammensetzung der kleinen Parteien und Sonstigen. Die Grünen liegen im Durchschnitt unter drei Prozent, die FDP bei sechs, die Sonstigen aber bei 18 Prozent, der höchste Wert, den die Sonstigen im Vergleich der Parteiensystemtypen 1984 erreichen. Im Vergleich zu den Wahlergebnissen von 1989 liegt die Vermutung nahe, dass es sich auch 1984 schon um Fälle mit starken Wählergruppen handelte, diese aber noch nicht ausgewiesen waren. Daher wird die Eigenschaft der starken Kommunalisierung 1984 noch in Klammern gesetzt. Die durchschnittliche Gemeindegröße liegt im Bereich der kleinen Mittelstädte.
144
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 33: Mehrparteiensystem mit ausgeprägter Dominanz der SPD 1984 (125 Fälle, durchschnittliche Größe 71.165 Einwohner) n 125 Größe
SPD 49,0 Format
Durchschnittliche Einwohnerzahl 71.165
Anzahl Parteien
4,2
CDU 37,6 Konzentration CDU+SPD
Grüne 5,3 Asymmetrie CDU-SPD
FDP 4,7 Fragmentierung Rae-Index
Sonstige 3,4 Zahl der Parteien ENoPv
86,6
-11,4
0,60
2,5
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Alle Angaben sind Mittelwerte der Anteile eines Clusters. Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 30:.
Der vierte Typ ist von einer ausgeprägten Dominanz der SPD geprägt. Die Konzentration ist etwas höher als bei Typ 2 und 3, die Fragmentierung geringer. Die durchschnittlichen Ergebnisse der kleinen Parteien sind niedriger. Die Grünen liegen vor der FDP, die Sonstigen liegen im Schnitt deutlich unter Typ 3. Dieser Typ weist mit knapp über 70.000 Einwohnern die höchste durchschnittliche Gemeindegröße der vier Typen auf und verweist damit auf die schon in Tabelle 20: deutlich gewordene Stärke der SPD 1984 nicht nur in den Großstädten über 100.000 Einwohnern, sondern auch in den großen Mittelstädten zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern. Parteiensystemtypen bei der Ratswahl 1994 Die Faktorenanalyse der Wahlergebnisse von 1994 ergab ebenfalls drei Faktoren102, von denen der erste das Verhältnis von SPD und CDU abbildet, der zweite das Verhältnis von Grünen und Wählergruppen und der dritte das Verhältnis von FDP und Sonstigen. Die Ladungsmuster haben sich im Vergleich zu 1984 verändert, da die Wählergruppen nun gesondert in die Analyse eingehen konnten. Die CDU schnitt insgesamt im Vergleich zu 1984 etwas schwächer ab, die SPD erreichte 1994 im Vergleich zu ihrem Hoch 1989 wieder das Niveau von 1984. Besonders auffallend war bei der Ratswahl 1994 die Schwäche der FDP, die nur noch in einem Drittel der Gemeinden über die 5%-Sperrklausel kam. Diese Veränderung der Wahlergebnisse schlägt sich auch in den vier Parteiensystemtypen nieder. Der Typ „Drei-Parteiensystem mit CDU-Hegemonie“ ist 1994 verschwunden, die beiden anderen Typen mit CDU-Dominanz bleiben aber erhalten.
102
Angewendet wurde das Verfahren der Hauptkomponentenanalyse. Die Ursprungslösungen wurden nach der Rotationsmethode Equamax mit Kaiser-Normalisierung rotiert, dazu wurden vier Iterationen benötigt. Zusätzliche Angaben finden sich im Dokument „Ergänzende Informationen, Tabellen und Quellen, das unter der Adresse http://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DocumentServlet?id=6524 (Stand 28.01.2008) heruntergeladen werden kann.
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3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Tabelle 34: Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDU-Dominanz 1994 (156 Fälle, durchschnittliche Größe 31.981 Einwohner) n
SPD
CDU
Grüne
FDP
Sonstige
155 Größe
33,5 Format
49,7 Konzentration
8,3 Asymmetrie
5,5 Fragmentierung
0,1 Zahl der Parteien
Durchschnittliche Einwohnerzahl 31.981
Anzahl Parteien
CDU+SPD
CDU-SPD
Rae-Index
ENoPv
4,4
83,2
16,1
0,62
2,7
Wählergruppen 2,8 Kommunalisierung Wählergruppen
2,8
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Alle Angaben sind Mittelwerte der Anteile eines Clusters. Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 30:.
Das Mehrparteiensystem mit CDU-Dominanz ähnelt sehr stark dem gleichnamigen Typen 1984, abgesehen von den niedrigeren Ergebnissen der FDP und den leicht steigenden Ergebnissen der Wählergruppen. Die Konzentration bleibt auf hohem Niveau, die Asymmetrie hat leicht zugenommen. Die Fragmentierung bleibt im Durchschnitt auf demselben Niveau wie 1984. Die Kommunalisierung ist niedrig. Die durchschnittliche Einwohnerzahl ist im Vergleich zu 1984 mit gut 30.000 Einwohnern deutlich niedriger, was sich auf einen hohen Anteil kleinerer Gemeinden zurückführen lässt, die 1984 noch dem Typ DreiParteiensystem mit CDU-Hegemonie zugerechnet wurden. Tabelle 35: Stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDUDominanz 1994 (86 Fälle, durchschnittliche Größe 16.893 Einwohner) n
SPD
CDU
Grüne
FDP
Sonstige
86 Größe
29,9 Format
45,6 Konzentration
3,2 Asymmetrie
2,6 Fragmentierung
0,1 Zahl der Parteien
Durchschnittliche Einwohnerzahl 16.893
Anzahl Parteien
CDU+SPD
CDU-SPD
Rae-Index
ENoPv
4,3
75,5
15,6
0,65
2,9
Wählergrup pen 18,5 Kommunalisierung Wählergruppen
18,5
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Alle Angaben sind Mittelwerte der Anteile eines Clusters. Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 30:.
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3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Die prägende Eigenschaft dieses Typs ist die für nordrhein-westfälische Verhältnisse sehr starke Kommunalisierung, die Wählergruppen erhalten durchschnittlich 18,5% der gültigen Stimmen. Die CDU liegt deutlich vor der SPD. Die anderen kleinen Parteien sind vergleichsweise schwach. Die Konzentration ist vergleichsweise niedrig, die Fragmentierung ist hoch. Diesem Typ werden 1994 deutlich mehr Fälle zugerechnet als 1984, ein Vergleich der Zuordnung ergab, dass ein Drittel der Gemeinden dieses Typs 1984 noch dem Typ Drei-Parteiensystem mit CDU-Hegemonie zugerechnet wurden. Daher ist die deutlich niedrigere durchschnittliche Einwohnerzahl 1994 nachvollziehbar. Tabelle 36: Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien 1994 (14 Fälle, durchschnittliche Größe 79.614 Einwohner) n
SPD
CDU
Grüne
FDP
Sonstige
14 Größe
37,5 Format
42,3 Konzentration
8,5 Asymmetrie
3,1 Fragmentierung
4,7 Zahl der Parteien
Durchschnittliche Einwoh nerzahl
Anzahl Parteien
CDU+SPD
CDU-SPD
Rae-Index
ENoPv
79.614
5,6
79,8
4,7
0,65
2,9
Wählergrup pen 3,7 Kommunalisierung Wählergruppen
3,7
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Alle Angaben sind Mittelwerte der Anteile eines Clusters. Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 30:.
Der Typ des Mehrparteiensystems mit Konzentration auf zwei große Parteien bildet 1994 eine relativ kleine Fallgruppe, nur 14 Städte und Gemeinden wurden diesem Typ zugerechnet. Typbildend ist die relativ geringe Asymmetrie von unter fünf Prozentpunkten zugunsten der CDU, einem Abstand, der bei Wahlen recht leicht eingeholt werden kann. Grüne und Sonstige sind vergleichsweise stark. Die Fragmentierung ist ausgeprägt und der Typ weist die höchste durchschnittliche Anzahl kandidierender Gruppierungen bei der Wahl 1994 auf. Solche, zwischen den großen Parteien umstrittenen Städten und Gemeinden, waren 1994 sowohl große Mittelstädte und Großstädte, als auch kleinerer Gemeinden, so dass hier die durchschnittliche Gemeindegröße das Bild eher verzerrt zugunsten der großen Kommunen wiedergibt. Die Hälfte der Fälle war vorher CDU-dominierten Typen zuzurechnen, die andere Hälfte dem SPD-dominierten Typus. Der SPD-dominierte Typus hat sich 1994 hinsichtlich der Zusammensetzung der kleineren Parteien und Wählergruppen verändert. Grüne und Wählergruppen haben zugelegt, die FDP blieb in etwa gleich. Die durchschnittlichen Ergebnisse der SPD liegen um vier Prozentpunkte unter den Ergebnissen von 1984, die CDU ist in etwa gleich stark.
147
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Tabelle 37: Kommunalisiertes Mehrparteiensystem SPD-Dominanz 1994 (141 Fälle, durchschnittliche Größe 72.989 Einwohner) n
SPD
CDU
Grüne
FDP
Sonstige
141 Größe
45,6 Format
36,2 Konzentration
7,9 Asymmetrie
4,3 Fragmentierung
0,1 Zahl der Parteien
Durchschnittliche Einwoh nerzahl
Anzahl Parteien
CDU+SPD
CDU-SPD
Rae-Index
ENoPv
72.989
5,0
81,8
-9,5
0,64
2,8
Wählergruppen 5,5 Kommunalisierung Wählergruppen
5,5
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Alle Angaben sind Mittelwerte der Anteile eines Clusters. Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 30:.
Die Konzentration hat wie die Asymmetrie abgenommen, die Fragmentierung deutlich zugenommen. Gut siebzig Prozent der Gemeinden gehörten auch 1984 schon zu dem von der SPD dominierten Typ, die restlichen stammen aus 1984 noch CDU-dominierten Typen. SPD-dominierte Kommunen gibt es 1994 noch in allen Gemeindegrößenklassen, gut siebzig Prozent haben aber über 20.000 Einwohner. Die Veränderungen der Typen 1984 und 1994 lassen sich in drei Punkten zusammenfassen.
Abbau der extremen Dominanz der CDU, leichter Anstieg der Kommunalisierung und Fragmentierung, geringer Zuwachs im Lager der SPD-dominierten Kommunen.
Parteiensystemtypen bei der Ratswahl 2004 Die Faktorenanalyse der Wahlergebnisse von 2004 ergab ebenfalls drei Faktoren103, die Ladungsmuster unterscheiden sich aber von den anderen Wahlen. Der erste Faktor lädt hoch mit Grünen, FDP und den Wählergruppen, der zweite mit CDU und SPD und der dritte mit SPD, Sonstigen und Wählergruppen. Insgesamt gesehen haben sich die Wahlergebnisse im Vergleich zu 1994 stark verändert. Die CDU ist deutlich stärker als 1994, die
103
Es wurde das Verfahren der Hauptkomponentenanalyse angewendet. Die Ursprungslösungen wurden nach der Rotationsmethode Equamax mit Kaiser-Normalisierung rotiert, dazu wurden acht Iterationen benötigt. Zusätzliche Angaben finden sich im Dokument „Ergänzende Informationen, Tabellen und Quellen, das unter der Adresse http://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DocumentServlet?id=6524 (Stand 28.01.2008) heruntergeladen werden kann.
148
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
SPD hat stark an Stimmen verloren. Die kleinen Parteien und Wählergruppen haben deutlich zugelegt. Die Renaissance der Dominanz der CDU und die ausgeprägte Schwäche der SPD spiegeln sich auch in den vier Parteiensystemtypen für die Ratswahl 2004 wieder. Aufgrund der Stärke der CDU gibt es 2004 wieder einen Parteiensystemtyp mit CDUHegemonie in kleineren Gemeinden. Die durchschnittlichen Ergebnisse der SPD in diesem Typ sind aber noch deutlich niedriger als 1984. Die Konzentration ist relativ hoch und die Asymmetrie erreicht mit 39 Prozentpunkten einen Höchstwert. Tabelle 38: Kommunalisiertes Vier-Parteiensystem mit CDU-Hegemonie 2004 (71 Fälle, durchschnittliche Größe 17.359 Einwohner) n
SPD
CDU
Grüne
FDP
Sonstige
71 Größe
22,1 Format
61,4 Konzentration
3,8 Asymmetrie
3,8 Fragmentierung
0,2 Zahl der Parteien
Durchschnittliche Einwohnerzahl 17.359
Anzahl Parteien
CDU+SPD
CDU-SPD
Rae-Index
ENoPv
4,1
83,5
39,3
0,55
2,3
Wählergrup pen 8,6 Kommunalisierung Wählergruppen
8,6
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Alle Angaben sind Mittelwerte der Anteile eines Clusters. Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 30:.
Die Anzahl der Parteien und die Fragmentierung sind aber höher als bei dem vergleichbaren Typ von 1984. Grüne, FDP liegen im Durchschnitt unter 5%, nach Abschaffung der Sperrklausel ist es jedoch wahrscheinlich, dass sie auch mit diesen Ergebnissen in die Räte eingezogen sind. Siebzig Prozent der zugeordneten Gemeinden haben unter 20.000 Einwohner. Gut fünfzig Prozent gehörten auch 1984 zu diesem Typ. Prägend für den folgenden Typ ist weiterhin die Dominanz der CDU, ihr durchschnittlicher Anteil liegt zwar leicht unter dem ähnlichen Typ von 1994, die SPD ist aber wesentlich schwächer, so dass die Asymmetrie noch zugenommen hat. Grüne, FDP und Wählergruppen konnten im Vergleich zu 1994 ebenfalls zulegen, letztere jedoch unter dem Niveau der Wählergruppen in den anderen drei Typen 2004. Knapp zwei Drittel der Kommunen 2004 gehörten auch schon 1994 zu diesem Typ, weitere dreißig Prozent waren 1994 jedoch noch dem SPD-dominierten Typ zugerechnet worden. Knapp siebzig Prozent der Kommunen dieses Typs haben zwischen 20.000 und 50.000 Einwohner.
149
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Tabelle 39: Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDU-Dominanz 2004 (151 Fälle, durchschnittliche Größe 38.899 Einwohner) n
SPD
CDU
Grüne
FDP
Sonstige
151 Größe
47,6 Format
27,9 Konzentration
9,5 Asymmetrie
9,8 Fragmentierung
0,2 Zahl der Parteien
Durchschnittliche Einwohnerzahl 38.899
Anzahl Parteien
CDU+SPD
CDU-SPD
Rae-Index
ENoPv
4,8
75,5
19,8
0,66
3,0
Wählergruppen 4,8 Kommunalisierung Wählergruppen
4,8
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Alle Angaben sind Mittelwerte der Anteile eines Clusters. Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 30:.
Der dritte Parteiensystemtyp 2004 unterscheidet sich stark nach dem Ausmaß der Kommunalisierung und Fragmentierung von den anderen Systemtypen. Wählergruppen erhalten 2004 durchschnittlich 20% der gültigen Stimmen. Die kleinen Parteien erreichen um die fünf Prozent der gültigen Stimmen, die Sonstigen sind unbedeutend. Die Konzentration liegt mir 69% deutlich unter den Werten der anderen Typen 2004, die Asymmetrie ist mit knapp 15 Prozentpunkten ausgeprägt. Tabelle 40: Sehr stark kommunalisiertes Vielparteiensystem mit CDU-Dominanz 2004 (102 Fälle, durchschnittliche Größe 27.254 Einwohner) n
SPD
CDU
Grüne
FDP
Sonstige
102 Größe
27,0 Format
42,0 Konzentration
4,9 Asymmetrie
5,7 Fragmentierung
0,1 Zahl der Parteien
Durchschnittliche Einwohnerzahl 27.254
Anzahl Parteien
CDU+SPD
CDU-SPD
Rae-Index
ENoPv
5,2
69,0
14,9
0,69
3,3
Wählergrup pen 20,2 Kommunalisierung Wählergruppen
20,2
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Alle Angaben sind Mittelwerte der Anteile eines Clusters. Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 30:.
150
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Etwa vierzig Prozent der Fälle in diesem Typ waren 1994 noch dem Typ stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDU-Dominanz zugeordnet worden, knapp unter vierzig Prozent dem Typ kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit SPD-Dominanz, so dass für beide Teilgruppen von einer Verstärkung der Kommunalisierung auszugehen ist. Gut fünfundsiebzig Prozent der Kommunen dieses Typs haben zwischen 20.000 und 50.000 Einwohner. Die Schwäche der SPD 2004 führt im Vergleich mit 1994 dazu, dass es keinen eigenen Typen mit SPD-Dominanz mehr gibt, Fälle mit vergleichsweise gutem Abschneiden der SPD und einer geringen Asymmetrie werden dem nächsten Typ zugeordnet, der die eher umstrittenen Fälle ohne ausgeprägte Dominanz einer großen Partei umfasst. Tabelle 41: Kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien 2004 (72 Fälle, durchschnittliche Größe 113.737 Einwohner) n
SPD
CDU
Grüne
FDP
Sonstige
72 Größe
39,7 Format
38,6 Konzentration
7,9 Asymmetrie
4,8 Fragmentierung
2,9 Zahl der Parteien
Durchschnittliche Einwohnerzahl 113.737
Anzahl Parteien
CDU+SPD
CDU-SPD
Rae-Index
EnoPv
6,4
78,3
- 1,1
0,67
3,1
Wählergrup pen 6,0 Kommunalisierung Wählergruppen
6,0
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Alle Angaben sind Mittelwerte der Anteile eines Clusters. Parteiensystemeigenschaften vgl. die Anmerkung zu Tabelle 30:.
Die SPD liegt durchschnittlich leicht vor der CDU, die Konzentration bewegt sich auf einem mittleren Niveau. Die Repräsentanz von kleinen Parteien und Wählergruppen führt zu einer hohen Anzahl an kandidierenden Parteien und zu einer ausgeprägten Fragmentierung. Die Kommunalisierung bewegt sich im Vergleich der Typen eher auf einem niedrigen Niveau. Gut die Hälfte der Kommunen dieses Typs haben über 50.000 Einwohner, darunter auch 18 der 30 Großstädte in NRW. Knapp drei Viertel der Kommunen gehörten 1994 noch zum SPD-dominierten Typus. Die Veränderungen der Typen 2004 im Vergleich zu 1994 lassen sich in drei Punkten zusammenfassen.
Renaissance der extremen Dominanz der CDU, starker Anstieg von Kommunalisierung und Fragmentierung, Verschwinden des Lagers der SPD-dominierten Kommunen, Ausbau des Lagers der fragmentierten und politisch umstrittenen Kommunen.
151
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Abgerundet wird dieser Abschnitt mit der folgenden Abbildung zur Verteilung der vier Parteiensystemtypen 2004 auf die schon aus Abbildung 8: und Abbildung 9: bekannten Regionen in NRW. Die Dominanz der CDU in den ländlich-katholisch geprägten Regionen Paderborn, Münsterland, Aachen/Eifel und Niederrhein zeigt sich auch in den im Vergleich deutlich höheren Anteilen der CDU-dominierten Parteiensystemtypen, wenn auch mit absteigender Tendenz hinsichtlich des Anteils an Kommunen mit CDU-Hegemonie. Abbildung 10: Lokale elektorale Parteiensysteme bei Ratswahlen 2004 im regionalen Vergleich 100% 10,0%
7,6%
6,8% 12,4%
90% 10,0%
70%
29,4%
22,7%
80%
30,0%
29,4%
18,6% 39,0%
15,0%
52,8%
60% 50% 40% 30%
34,0%
39,4% 28,8%
29,4%
53,6% 58,8%
22,6%
65,0% 26,0%
20% 30,3%
10%
41,2%
25,4%
24,5% 15,5% 8,8%
10,0%
0% Paderborn
Münsterland
Sauerland
Aachen/Eifel Niederrhein
Kom. Mehrparteiensystem mit CDU-Hegemonie Sehr stark kom. Vielparteiensystem mit CDU-Dominanz
Bielefeld
Düsseldorf
Ruhrgebiet
Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDU-Dominanz Kom. Mehrparteiensystem
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkungen: Einteilung der Regionen nach Bick 1985.
Die mit Abstand „schwärzeste Ecke“ des Landes ist auch in dieser Betrachtungsweise die Region Paderborn mit knapp zwei Drittel der Gemeinden mit CDU-Hegemonie. Die höchsten Anteile des eher umstrittenen kommunalisierten Mehrparteiensystems erreichen die Regionen Bielefeld, Düsseldorf und das Ruhrgebiet, Regionen, in denen die SPD noch vergleichsweise gut abgeschnitten hat. Die Kommunalisierung der Parteiensysteme ist in allen Regionen von Bedeutung, der Typ des sehr stark kommunalisierten Vielparteiensystems mit CDU-Dominanz kommt besonders häufig in den Regionen Sauerland, Bielefeld/Herford, Niederrhein und Düsseldorf vor.
152
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Zusammenfassung Die Veränderungen der lokalen elektoralen Parteiensysteme werden von Wandel und Kontinuität geprägt. Kontinuität ist bei den CDU-dominierten Systemtypen zu beobachten. Die CDU hat in den drei analysierten Wahlen jeweils in zwei bis drei Systemtypen dominiert. Knapp über sechzig Prozent der Städte und Gemeinden, die 2004 zu einem CDUdominierten Systemtyp gehörten, waren auch schon 1984 einem CDU-Typ zugerechnet worden. Zwar nahm der Anteil der CDU-dominierten Kommunen 1994 ab und der Anteil der SPD-dominierten Kommunen zu und es gab keinen CDU-Typ mit Hegemonie mehr, 2004 kam es jedoch zu einer Renaissance der CDU-Dominanz in NRW, knapp über 80% der Städte und Gemeinden konnten den CDU-dominierten Parteiensystemtypen zugerechnet werden. Aber auch die CDU-dominierten Typen 2004 waren von dem zunehmenden Trend der Kommunalisierung und Fragmentierung betroffen. Kommunalisierung ist - wie die Analyse schon 1984 zeigte – aber kein ausschließliches Phänomen der 1990er Jahre, sondern begann in einem Teil kleinerer Städte und Gemeinden schon früher. In den Jahren 1984 und 1994 gab es jeweils noch einen von der SPD-dominierten Systemtyp, der Anteil der zugerechneten Kommunen stieg 1994 sogar noch von 30 auf 35 Prozent, hauptsächlich große Mittelstädte oder Großstädte. Die Ratswahl 1994 markiert jedoch das Ende der goldenen 1980er und 1990er Jahre für die SPD, die in dieser Zeit landesweit die stärkste Partei bei Ratswahlen war. Nach der Kommunalwahl 1999, dem Annus horribilis der SPD in NRW, verschwand das Lager der SPD-dominierten Kommunen 2004 und ging in dem Typus des kommunalisierten Mehrparteiensystems ohne ausgeprägte Dominanz einer Partei auf. Die SPD liegt zwar noch in einigen Städten und Gemeinden vor der CDU, diese Fälle reichten jedoch nicht für einen eigenen Parteiensystemtyp aus.
3.1.4 Entwicklung der Mehrheitsverhältnisse in den Räten 1989-2004 Zur Abrundung der Analyse der Entwicklung der Ratswahlen wird abschließend in diesem Abschnitt die Entwicklung der Ratsmehrheiten ab 1989 in die Betrachtung einbezogen, die Daten für frühere Wahlen lagen leider nicht vor. Damit wird der Bezug von der Analyse der Verteilung der gültigen Stimmen zur Analyse der Mandatsverteilung gewechselt. Neben der Analyse der Verteilung der Ratsmehrheiten wird der Einfluss der Abschaffung der Sperrklausel 1999 auf die Zusammensetzung der Räte untersucht. Entwicklung der Mehrheitsverhältnisse in den Räten 1989-2004 In der folgenden Abbildung kann im ersten Schritt die Entwicklung der Erfolgsquoten bei Ratswahlen nachvollzogen werden. Die großen Parteien zogen – mit Ausnahme der SPD in einer Gemeinde 1989 – immer in den Rat ein. Die Grünen konnten sowohl ihre Verbreitung steigern als auch schon vor Abschaffung der 5%-Sperrklausel eine relativ hohe Erfolgsquote erreichen. Die FDP hatte vor allem 1994 einen starken Einbruch zu verzeichnen und zog nur noch in 42,1% der Fälle auch in den Rat ein, wenn sie kandidierten.
153
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Tabelle 42: Anzahl der Kandidaturen und Erfolgsquoten bei Ratswahlen 1989-2004
SPD CDU Grüne FDP Wgr1 Wgr2 Wgr3 Wgr4 Wgr5
1989 Kandidatur 396 396 283
99,7 100,0 94,0
1994 Kandidatur 396 396 311
348 193 26 4 -
80,7 86,5 61,5 25,0 -
337 252 44 4 -
%
100,0 100,0 97,4
1999 Kandidatur 396 396 333
42,1 77,4 36,4 0,0 -
323 266 41 4 -
%
100,0 100,0 100,0
2004 Kandidatur 396 396 326
97,2 98,5 80,5 100,0 -
349 288 93 20 4 2
%
%
100,0 100,0 99,7 99,7 97,9 97,8 75,0 50,0 50,0
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Erfolgsquoten entsprechen dem Anteil einer angetretenen Gruppierung, die auch Mandate erringen konnte. Sonstige wurde zur Steigerung der Übersichtlichkeit nicht berücksichtigt.
Die FDP konnte dann auch am stärksten von der Abschaffung der Sperrklausel profitieren und zog 1999 in 97,2% der Städte und Gemeinden, in der sie Kandidaten aufgestellt hatte, auch in den Rat ein, obwohl sie sich hinsichtlich ihrer Wahlergebnisse insgesamt gesehen nicht verbessern konnte. Die Wählergruppen haben ihre Verbreitung gesteigert und nach einem Einbruch der Erfolgsquote bei der Wahl 1994 ab 1999 wieder hohe Werte zu verzeichnen. Wie der Tabelle zu entnehmen ist, haben in einem Teil der Gemeinden im dargestellten Zeitraum sogar mehr als eine Wählergruppe kandidiert, in wenigen Fällen 2004 sogar bis zu fünf. Allerdings sind die Erfolgsquoten ab der dritten Wählergruppe doch etwas niedriger. Die schon im letzten Abschnitt gezeigte Steigerung des Deckungsgrades und nun auch der Erfolgsquoten führte zu einem sichtbaren Wachstum der Anzahl der Gruppierungen in den Gemeinderäten. Die durchschnittliche Anzahl der Gruppierungen im Rat sank zunächst von 3,93 1989 auf 3,69 1994, um dann im Durchschnitt um fast eine ganze Gruppierung auf 4,51 1999 anzusteigen. 2004 stieg die Anzahl dann weiter auf 4,88 pro Rat. Räte mit vielen Gruppierungen gab es nach der Wahl 2004 vor allem in Großstädten, 70% der Räte in Großstädten hatten sieben und mehr Gruppierungen im Rat. Bei der Wahl 1994 hatten selbst in Großstädten 70% der Räte noch drei Gruppierungen. In den anderen Größenklassen hatten die Mehrzahl der Räte 2004 vier oder fünf Gruppierungen.
154
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 43: Anzahl der Gruppierungen in den Räten 1989-2004 Anzahl 2 3 4 5 6 7 8 9 Gesamt Mittel wert
1989 n 14 89 212 73 7 1 396 3,93
1994 % 3,5 22,5 53,5 18,4 1,8 0,3 0,0 0,0 100,0
n 11 151 191 41 2 396 3,68
1999 % 2,8 38,1 48,2 10,4 0,5 0,0 0,0 0,0 100,0
N 5 36 161 151 35 6 2 396
2004 % 1,3 9,1 40,7 38,1 8,8 1,5 0,5 0,0 100,0
4,51
n 5 25 131 147 49 24 8 7 396
% 1,3 6,3 33,1 37,1 12,4 6,1 2,0 1,8 100,0
4,88
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Fett hervorgehoben jeweils die beiden höchsten Anteile eines Bezugsjahres.
Die Entwicklung der Mehrheitsverhältnisse spiegelt die im Zeitraum 1989-2004 gewachsene Dominanz der CDU wieder. Die Gesamtzahl der absoluten Mehrheiten ging zunächst von 196 1989 auf 184 im Jahr 2004 zurück, um dann 1999 auf 194 anzusteigen. Nach der Ratswahl 2004 verringerte sich die Zahl der absoluten Mehrheiten auf 135. Die CDU konnte ihre Dominanz bei absoluten und relativen Mehrheiten zwischen 1989 und 1994 leicht ausbauen und war 1994 in knapp 62% der Städte und Gemeinden die stärkste Kraft. Der sprunghafte Anstieg der Dominanz der CDU 1999 spiegelt das durch die Sonderkonjunktur des Bundestrends zulasten der SPD nach oben geschnellte Wahlergebnis der CDU wieder. Der Rückgang der absoluten Mehrheiten der CDU bei der Wahl 2004 kann in dieser Hinsicht als Normalisierung interpretiert werden, da ihre Anzahl wieder leicht über dem Niveau von 1994 angekommen ist. Die CDU ist auch nach der Wahl 2004 immer noch die bestimmende Kommunal-Partei in NRW, da sie in über 80% der Städte und Gemeinden die stärkste Partei im Rat ist.
155
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Tabelle 44: Entwicklung der Ratsmehrheiten 1989-2004
CDU
SPD
Wgr
N
abs. Mehrheit rel. Mehrheit abs. Mehrheit rel. Mehrheit Patt CDU/SP D abs. Mehrheit rel. Mehrheit
1989 n 119
% 30,1
1994 n 127
% 32,1
1999 n 192
% 48,5
2004 n 132
% 33,3
101
25,5
117
29,5
162
40,9
199
50,3
75
18,9
58
14,6
2
0,5
3
0,8
84
21,2
75
18,9
30
7,6
52
13,1
15
3,8
17
4,3
8
2,0
7
1,8
2
0,5
-
0,0
-
0,0
-
0,0
-
0,0
2
0,5
2
0,5
3
0,8
396
396
396
396
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Absolute Mehrheit der Mandate: Mehr als die Hälfte der Mandate; relative Mehrheit der Mandate: mehr Mandate als jede andere Gruppe; Patt CDU/SPD : gleich viel Mandate von CDU und SPD. Fett die zwei höchsten Anteile pro Jahr. Ab 1999 ohne Stimme des Bürgermeisters.
Die SPD hat zwischen 1989 und 1994 mäßig an Boden verloren, ihr Anteil an absoluten und relativen Mehrheiten ging um 6 Prozentpunkte zurück, sie war aber immer noch in gut einem Drittel der Städte und Gemeinden stärkste Kraft im Rat. Der 1999 erfolgte radikale Einbruch konnte bei der Wahl 2004 nur zum Teil wieder aufgefangen werden, die Anzahl der absoluten Mehrheiten stieg von zwei auf drei, ist damit aber weit von der Höchstzahl von 75 im Jahr 1989 entfernt. Der Anteil der Gemeinden mit relativen Mehrheiten der SPD stieg wieder um gut sechs Prozentpunkte auf 13% an. Unter Berücksichtigung der Stimmenverluste auf Landesebene können diese Ergebnisse nicht als Erfolg, sondern eher als Konsolidierung der SPD auf niedrigem Niveau interpretiert werden. Die Zunahme der relativen Mehrheiten eröffnet der SPD jedoch in einigen Gemeinden die Chance, als stärkste Gruppierung in Bündnissen und Koalitionen wieder mehr Einfluss auf die Kommunalpolitik zu nehmen. Wenige Kommunen mit einem Patt zwischen CDU und SPD sowie die in wenigen Gemeinden sehr starken Wählergruppen ändern das gezeichnete Bild nicht wesentlich. In zwei weiteren Analyseschritten wird nun das Bild von Veränderung und Kontinuität der Ratsmehrheiten in NRW komplettiert. Im ersten Schritt werden in der nächsten Tabelle jeweils die Veränderungen zwischen zwei Wahlen im Zeitraum 1989-2004 dargestellt. Im Vergleich der Wahlen 1994 und 1989 und 1999 und 2004 fällt das hohe Ausmaß an Kontinuität der Ratsmehrheiten ins Auge, 1994 hatten 61,9% der Gemeinderäte dieselbe Ratsmehrheit wie bei der Wahl davor, 2004 sogar 68,7% der Kommunen. Der niedrigere Konti-
156
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
nuitätswert 1999 weist auf den Umbruch der Mehrheitsverhältnisse in weit mehr als der Hälfte der Städte und Gemeinden in NRW hin. Tabelle 45: Gemeindebezogene Veränderungen der Ratsmehrheiten zwischen zwei Wahlen 1989-2004
keine Veränderung CDU Î CDU SPD Î SPD SPD Î CDU CDU Î SPD Sonstige Veränderungen Anzahl
1994– 1989 Anzahl 245 57 34 24 6 30 396
% 61,9
19991994 Anzahl 184
14,4 8,6 6,1 1,5 7,6
73 19 95 0 25 396
% 46,5
20041999 Anzahl 272
% 68,7
18,4 4,8 24,0 0,0 6,3
81 3 1 23 16
20,5 0,8 0,3 5,8 4,0
396
Quelle: Eigene Darstellung Anmerkung: Keine Veränderung: gleiche Mehrheit wie bei der vorangegangenen Wahl; CDUÎ Î CDU / SPD Î SPD: Wechsel von relativer zu absoluter Mehrheit einer Partei oder umgekehrt; SPD Î CDU / CDU Î SPD: Wechsel von relativer oder absoluter Mehrheit einer Partei zu relativer oder absoluter Mehrheit einer anderen; Sonstige Fälle: Wechsel von oder zu Patt oder Wählergruppen werden nicht weiter aufgegliedert.
Neben den weiter bestehenden Mehrheitsverhältnissen kommt es zwischen zwei Wahlen auch häufig zum Wechsel des Ausmaßes der Dominanz einer Partei, also beispielsweise von einer absoluten Mehrheit der SPD zu einer relativen Mehrheit der gleichen Partei, ohne dass die Gemeinde ganz in das andere Lager übergeht. Abschwächung oder Verstärkung der Dominanz wird dabei zunächst nicht unterschieden. 1994 gab es 14,4% der Gemeinden mit Wechsel bei der CDU und 8,6% mit Wechsel bei der SPD. Auch 1999 kommt es in ähnlichem Ausmaß zu Verschiebungen innerhalb der Lager. Bei der Kommunalwahl 2004 gab es im Vergleich zu 1999 etwas größere Verschiebungen zwischen relativen und absoluten Mehrheiten der CDU, jedoch kaum Veränderungen im SPD-Lager. Der Austausch zwischen den Lagern nahm 1999 aufgrund der einschneidenden Verschiebungen der Machtverhältnisse stark zu, in knapp einem Viertel der Kommunen wechselte die Mehrheit von der SPD zur CDU. Kann es bei der Wahl 1994 noch in geringem Ausmaß zum Wechsel der Mehrheit von CDU zu SPD, unterblieb dieser 1999 völlig. Die Veränderungen bei der Wahl 2004 waren dann weniger einschneidend, in einem Fünftel der Fälle kam es zu einem Wechsel innerhalb des CDU-Lagers, zum einem großen Teil handelte es sich um die Reduktion der großen Anzahl von absoluten Mehrheiten zu relativen Mehrheiten. Die Verschiebungen im SPD-Lager waren nur gering, auch der Wechsel von SPD zu CDU war unbedeutend. Dafür kam es in knapp sechs Prozent der Gemeinden wieder zur Verschiebung der Mehrheit von CDU zur SPD. Trotz der geringen Stimmenverluste der SPD scheint der nach unten weisende Trend gestoppt zu sein. Die Situation der CDU hat sich nach dem extremen Boom wieder etwas normalisiert. Es wird interessant sein, in welche Richtung sich die Mehrheitsverhältnisse bei der Wahl 2009 weiterentwickeln.
157
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
Im zweiten Schritt werden nun die Mehrheitsverhältnisse im Jahr 2004 mit den Mehrheitsverhältnissen von 1989 verglichen, um so noch ein exakteres Bild von Kontinuität und Wandel zu erhalten. Tabelle 46: Vergleich der Struktur der Ratsmehrheiten 2004 und 1989 2004 1989
CDU
SPD
Wgr Anzahl
abs. Mehr. rel. Mehr. abs. Mehr. rel. Mehr. Patt CDU/SPD rel. Mehr.
CDU abs. Mehr.
rel. Mehr.
SPD abs. Mehr.
rel. Mehr.
65,9
15,6
-
1,9
Patt CDU/ SPD -
Wgr rel. Mehr.
Anzahl
-
119
20,5 3,0
36,2 12,1
100
1,9 80,8
28,6
33,3 -
101 75
6,8 3,0
31,7 4,5
-
11,5 3,8
71,4 -
33,3 -
84 15
0,8 132
199
3
52
7
33,3 3
2 396
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Die jeweils zwei höchsten Werte jeder Spalte sind fett hervorgehoben. Lesehilfe: In 65,9% der Gemeinden mit absoluter Ratsmehrheit der CDU 2004 hatte die CDU 1989 ebenfalls die absolute Mehrheit. Der Zusammenhang beider Merkmale ist relativ stark (CramersV = 0,422).
Bei den absoluten Mehrheiten der CDU 2004 lag im Vergleich zu 1989 eine ausgeprägte Kontinuität vor, in 65,9% der Gemeinden mit absoluter Ratsmehrheit der CDU 2004 hatte die CDU 1989 ebenfalls die absolute Mehrheit. In gut einem Fünftel der Gemeinden mit absoluter Mehrheit gab es 1989 eine relative Mehrheit der CDU. In nur knapp unter zehn Prozent der Gemeinden mit absoluter Mehrheit der CDU 2004 war 1989 die SPD die stärkste Partei. In Gemeinden mit relativer Mehrheit der CDU war in gut der Hälfte der Fälle 1989 auch die CDU die stärkste Partei. In 15% der Fälle hatte sie 1989 sogar die absolute Mehrheit, so dass in diesen Gemeinden eine Abschwächung der Dominanz der CDU vorliegt. In knapp 44% der Fälle mit relativer CDU-Mehrheit war 1989 jedoch die SPD die stärkere Partei, in 12% sogar mit absoluter Mehrheit, so dass der Wechsel der Mehrheit zugunsten der CDU in dieser Gruppe überwiegt. Die SPD konnte aus Sicht des Jahres 2004 einen Teil ihrer Bastionen halten, in drei Kommunen mit absoluter Mehrheit der SPD 2004 hatte sie auch 1989 die absolute Mehrheit104. In 80% der Gemeinden mit relativer Mehrheit 2004 hatte die SPD 1989 noch eine absolute Mehrheit, in 11% ebenfalls eine relative Mehrheit. In nur zwei Gemeinden fand ein Wechsel von der CDU zur SPD statt.
104
Absolute Mehrheiten der SPD gab es 2004 in den Kommunen Rödinghausen, Bergkamen und Bönen.
158
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Bei der Ratswahl gab es drei Fälle von relativen Mehrheiten von Wählergruppen105. In einem der Fälle hatte die Wählergruppe auch 1989 die relative Mehrheit. Die Wahlergebnisse der Wählergruppen haben sich im Untersuchungszeitraum stark verbessert und sie haben sich in den kleineren Gemeinden als dritte Kraft etabliert, sind in NRW aber noch lange nicht so dominant wie beispielsweise in Baden-Württemberg, wo sie nach der Ratswahl 1999 in mehr als der Hälfte der Gemeinden stärkste Gruppierung waren106. Das bisher gezeichnete Bild der Parteiprägung der Regionen wird auch durch die regionale Analyse der Mehrheitsverhältnisse im Rat bestätigt. Abbildung 11: Vergleich der Ratsmehrheiten in den Regionen NRW 2004 100% 10,0%
7,6%
6,8% 12,4%
90% 10,0%
70%
29,4%
22,7%
80%
30,0%
29,4%
18,6% 39,0%
15,0%
52,8%
60% 50% 40% 30%
34,0%
39,4% 28,8%
29,4%
53,6% 58,8%
22,6%
65,0% 26,0%
20% 30,3%
10%
41,2%
25,4%
24,5% 15,5% 8,8%
10,0%
0% Paderborn
Münsterland
Sauerland
Aachen/Eifel Niederrhein
Kom. Mehrparteiensystem mit CDU-Hegemonie Sehr stark kom. Vielparteiensystem mit CDU-Dominanz
Bielefeld
Düsseldorf
Ruhrgebiet
Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDU-Dominanz Kom. Mehrparteiensystem
Quelle; Eigene Darstellung. Anmerkung: Einteilung der Regionen nach Bick (1985).
Die Region Paderborn ist am deutlichsten CDU-dominiert, 85% der Gemeinden haben eine absolute Mehrheit der CDU im Rat. Im Münsterland und am Niederrhein haben immerhin noch 47% bzw 44,1% der Gemeinden eine absolute Mehrheit der CDU im Rat. Die wenigen absoluten Mehrheiten der SPD gibt es in den Regionen Bielefeld/Herford und im
105 Relative Mehrheiten der Wählergruppen gab es 2004 in den Kommunen Hilchenbach (29% der Mandate, stark fragmentiertes Parteiensystem, Rae-Index = 0,77), Schalksmühle (39% der Mandate, fragmentiertes Parteiensystem, Rae-Index = 0,71) und Beelen (50% der Mandate, aufgrund gradzahliger Gesamtzahl der Mandate keine absolute Mehrheit, Mehrparteiensystem mit zwei großen Parteien, Wgr und CDU; Rae-Index = 0,63). 106 Vgl. Gehne/Holtkamp 2005, 96 sowie den Vergleich der Ergebnisse von Wählergruppen von Holtkamp/Eimer in Abbildung 3:.
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
159
Ruhrgebiet, die auch die höchsten Anteile an Gemeinden mit relativen SPD-Mehrheiten haben (24% bzw. 54,7%). Gemeinden mit relativen Mehrheiten der Wählergruppen sind in den Regionen Münsterland und Sauerland zu finden.
Zusammenfassung Hinsichtlich der Mehrheitsverhältnisse in den Gemeinderäten in NRW bestimmen im Zeitraum 1989-2004 die beiden großen Parteien das Bild. Mehrheiten von Wählergruppen kamen nur in äußerst wenigen Fällen vor, diese waren aber zum Teil ausgesprochene Hochburgen, die über den gesamten Zeitraum relativ hohe Ergebnisse der Wählergruppen aufwiesen. Trotz einer wachsenden Kommunalisierung der Wahlergebnisse in NRW können die Wählergruppen nur in sehr wenigen Fällen den Rat dominieren. Daher muss in NRW immer noch von einer hohen personellen Parteipolitisierung der Gemeinderäte ausgegangen werden. Das Verhältnis zwischen den beiden großen Parteien ist von einer wachsenden Dominanz der CDU geprägt. Waren noch 1989 55,6% der Räte CDU-dominiert (absolute und relative Mehrheiten zusammengenommen), lag dieser Anteil 2004 bei 83,6% der Städte und Gemeinden. Der Anteil sank zwar im Vergleich zu 1999, dennoch ist die CDU weiterhin die wichtigste Kommunalpartei in NRW. Die SPD hatte in ihrem besten Jahr 1989 in gut 40% der Räte eine absolute oder relative Mehrheit der Mandate, der Anteil sank leicht 1994 und stürzte 1999, dem Annus horribilis der NRW-SPD, auf nur noch 8,1% Räte mit SPD-Dominanz ab. 2004 stieg der Anteil der relativen und absoluten Mehrheiten wieder an, dies kann mit Blick auf die leicht negative Entwicklung der Wahlergebnisse insgesamt aber nur als eine Konsolidierung auf niedrigem Niveau angesehen werden. Der Vergleich der Verteilungen der Mehrheiten 2004 mit 1989 offenbart eine bemerkenswerte Kontinuität der „harten Kerne“ der politischen Lager, obwohl der „harte SPDKern“ im Beobachtungszeitraum natürlich beträchtlich geschrumpft ist und früher SPDdominierte Städte und Gemeinden zur CDU gewechselt sind. Zwar gelang es, einen kleinen Teil 2004 wieder zurückzugewinnen, es ist aber kaum abzusehen, wie sich die Dominanzstrukturen bei den nächsten Wahlen weiterentwickeln werden. Auch die regionale Landkarte der politischen Mehrheitsverhältnisse im Rat ist von einer konstanten CDU-Dominanz vor allem in den eher ländlich-katholischen Gebieten geprägt. Die SPD hat ihren regionalen Schwerpunkt weiterhin im Ruhrgebiet, darüber hinaus hat sie in der Region Bielefeld/Herford in einem Viertel der Räte eine relative Mehrheit. Die roten Festungen an Rhein und Ruhr sind geschleift worden, übrig blieben nur noch einige scheinbar uneinnehmbare Bergfriede im schwarzen Feindesland.
160
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
3.1.5 Zusammenfassung: Kontinuität und Wandel bei Ratswahlen in NRW Die Einführung der Direktwahl der Bürgermeister bei gleichzeitiger Aufwertung des Amtes durch die Zusammenlegung der Funktionen des Stadtdirektors und des früheren ehrenamtlichen Bürgermeisters hat zu einem Wandel des Regierungssystems der Kommunen in NRW geführt. Gleichzeitig sank damit die Bedeutung der Ratswahl, die nicht mehr wie vor der Reform die einzige Legitimationsquelle im lokalen System ist. Trotzdem sind die Ratswahlen natürlich weiterhin wichtig für die Kommunalpolitik vor Ort, da ein Teil der Kompetenzen des Bürgermeisters von der Ratsmehrheit „gestaltet“ werden kann und der Rat weiterhin die Allzuständigkeit besitzt. In dieser Studie wird davon ausgegangen, dass Bürgermeister- und Ratswahlen nicht unabhängig voneinander sind, sondern sowohl von der Wählerschaft als auch den Angebotsakteuren aufgrund der institutionellen Ausgestaltung (gekoppelte Wahl) und der „parlamentarischen“ parteienfreundlichen Tradition des Landes beide Wahlen in Zusammenhang gesehen werden müssen. Der erste Teil der Wahlanalyse widmete sich der Entwicklung von Wahlergebnissen und Parteiensystemen bei Ratswahlen unter Berücksichtigung der Gemeindegröße und regionaler Unterschiede. Ziel war, die Entwicklung des politischen Kontextes der Städte und Gemeinden vor und nach den ersten Bürgermeisterwahlen zu analysieren. Dabei wird der politische Kontext als unabhängige Variable betrachtet, der den Wettbewerb bei Bürgermeisterwahlen präformiert. Eine Bestandsaufnahme des politischen Kontextes in NRW war lange überfällig, da die letzte ausführlichere Analyse der Ratswahlen in NRW aus den 1980er Jahren stammt (Cryns/Hembach 1987). Im Folgenden werden nun die Ergebnisse der Ratswahlanalyse knapp zusammengefasst und in zwei Szenarien zugespitzt und abschließend an die institutionellen Hypothesen des theoretischen Rahmens rückgebunden. Wie die Analyse der Ratswahlen auf Landesebene zeigte, hat sich die politische Landkarte in NRW seit Ende der 1990er Jahre stark verändert. Die Ratswahlen nach der Reform der Gemeindeordnung (Phase 5) waren von den folgenden Trends geprägt: dem Ausbau der CDU-Dominanz sowie zunehmender Kommunalisierung und Fragmentierung der lokalen elektoralen Parteiensysteme. Es wird daher für zukünftige Analysen von einer stärker eigenständigen kommunalen Entwicklung der Ratswahlergebnisse ab Phase 5 ausgegangen, die sich von den Trends auf Landes- und Bundesebene abkoppelt. Der sprunghafte Anstieg der Fragmentierung bei den Ratswahlen 2004 deutet auf einen nachgeholten Effekt der erst kurz vor der Wahl 1999 erfolgten Abschaffung der 5%Sperrklausel hin, die sich erst bei der folgenden Wahl als starker Kandidaturanreiz für kleine Parteien und Wählergruppen auswirken konnte. Die Aggregation auf Landesebene ergab jedoch nur ein verzerrtes Bild der Entwicklung in den Städten und Gemeinden, besonders das Gewicht der Ergebnisse der Großstädte verzerrt in der Gesamtbetrachtung das Bild. Die Analyse der Wahlergebnisse und der elektoralen Parteiensysteme unter Berücksichtigung der Gemeindegröße und regionaler Unterschiede ergänzt das in der landesweiten Analyse beschriebene Bild. War Phase 4 (1984-1994) auf der Landesebene geprägt von einer Asymmetrie zugunsten der SPD, die bei der Kommunalwahl 1989 am stärksten ausgeprägt war, ergibt der Vergleich der Gemeindegrößenklassen ein anderes Bild der Dominanz hinsichtlich der großen Parteien. Die SPD dominierte zwar 1989 das Parteiensystem in den großen Mittelstädten und Großstädten, in den kleineren Mittelstädten unter 50.000 Einwohnern und in den klei-
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
161
neren Gemeinden war aber in der gesamten Phase 4 die CDU mit deutlichem Abstand die stärkste Partei. In Phase 4 sank die Konzentration des Parteiensystems, vor allem durch das Aufkommen und gemessen am Deckungsgrad der wachsenden Verbreitung der Grünen sowie durch Stimmenzuwächse und wachsende Verbreitung der Wählergruppen; aber auch mit Blick auf die Rolle der kleineren Gruppierungen sind in den Gemeindegrößenklassen unterschiedliche Muster erkennbar. Die Wählergruppen belegten am Ende von Phase 4 in den beiden unteren Gemeindegrößenklassen den dritten Platz hinter CDU und SPD. In den Städten und Gemeinden über 20.000 Einwohnern übernahmen gegen Ende der Phase jedoch die Grünen den dritten Platz von der FDP, die vor allem bei der Kommunalwahl 1994 stark an Boden verloren hatte. Die Entwicklung der Wahlergebnisse in Phase 5 war geprägt von einer verstärkten Dominanz der CDU, die durchgehend in allen Gemeindegrößenklassen vorhanden war. Trotz erheblicher Verluste der CDU bei der Ratswahl 2004, die auch als ein Stück Normalisierung nach der Bundestrend-Wahl 1999 interpretiert werden können, hat sich an diesem Bild grundsätzlich nichts geändert. Die Ergebnisse der SPD verschlechterten sich 2004 in allen Gemeindegrößenklassen. Der bis 1994 gebremste Trend der Fragmentierung nahm nach Abschaffung der 5%-Sperrklausel 1999 wieder an Fahrt auf und erreichte 2004 das Niveau der frühen 1950er Jahre, wenn auch unter veränderten Wettbewerbsbedingungen. In den Gemeinden unter 20.000 Einwohnern fiel die Fragmentierung jedoch geringer aus, dort traten im Durchschnitt nur vier bis fünf Gruppierungen zur Wahl an. In Großstädten dagegen kandidierten im Durchschnitt acht bis neun Gruppierungen, darunter viele Splitterparteien, die in kleineren Gemeinden, wie die Ergebnisse zeigten, bedeutungslos waren. Die Kommunalisierung der Parteiensysteme hat in Phase 5 weiter zugenommen, die Wählergruppen haben auch in den Großstädten Fuß gefasst, sind aber noch deutlich stärker in Gemeinden unter 50.000 Einwohnern. Die Veränderungen der Mehrheitsverhältnisse in den Räten und der lokalen elektoralen Parteiensysteme werden von Kontinuität und Wandel geprägt. Kontinuität ist bei den CDU-dominierten Systemtypen zu beobachten. Die CDU hat in den drei analysierten Wahlen jeweils in zwei bis drei Systemtypen dominiert. Knapp über sechzig Prozent der Städte und Gemeinden, die 2004 zu einem CDU-dominierten Systemtyp gehörten, waren auch schon 1984 einem CDU-Typ zugerechnet worden. Zwar nahm der Anteil der CDU-dominierten Kommunen 1994 ab und es gab keinen CDU-Typ mit Hegemonie mehr, nach 1999 kam es jedoch zu einer Renaissance der CDU-Dominanz in NRW, knapp über 80% der Städte und Gemeinden konnten den CDU-dominierten Parteiensystemtypen zugerechnet werden. Aber auch die CDU-dominierten Typen im Wahljahr 2004 haben sich verändert, da sie ebenfalls von dem zunehmenden Trend der Kommunalisierung und Fragmentierung betroffen waren. Kommunalisierung ist, wie die Analyse schon 1984 zeigte, aber kein ausschließliches Phänomen der 1990er Jahre, sondern begann in einem Teil kleinerer Städte und Gemeinden schon früher. Auch der Vergleich der Verteilungen der Ratsmehrheiten 2004 mit 1989 offenbart eine bemerkenswerte Kontinuität der „harten Kerne“ der politischen Lager, obwohl der „harte SPD-Kern“ im Beobachtungszeitraum natürlich beträchtlich geschrumpft ist und früher SPD-dominierte Städte und Gemeinden zur CDU gewechselt sind. Zwar gelang es der SPD, einen kleinen Teil der Räte 2004 wieder zurückzugewinnen. Diese Teilerfolge können mit
162
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Blick auf die leicht negative Entwicklung der Wahlergebnisse insgesamt aber nur als eine Konsolidierung auf niedrigem Niveau angesehen werden. Der Wandel des kommunalpolitischen Kontextes betrifft in erster Linie die SPD. In den Jahren 1984 und 1994 gab es jeweils noch einen von der SPD-dominierten Parteiensystemtyp, der Anteil der Kommunen des SPD-Typs stieg 1994 sogar noch von 30 auf 35 Prozent, hauptsächlich große Mittelstädte oder Großstädte. Die Ratswahl 1994 markiert jedoch das Ende der goldenen 1980er und 1990er Jahre für die SPD, die in dieser Zeit landesweit die stärkste Partei bei Ratswahlen war. Nach 1999, dem Annus horribilis der SPD in NRW, verschwand das Lager der Kommunen mit SPD-dominierten Parteiensystemen und ging 2004 in dem im Vergleich zu 1994 deutlich ausgebauten Typus der kommunalisierten Mehrparteiensystems ohne ausgeprägte Dominanz einer Partei auf. Auch die regionale Landkarte der Parteiensystemtypen und der Mehrheitsverhältnisse im Rat ist von einer kontinuierlichen CDU-Dominanz vor allem in den eher ländlichkatholisch geprägten Gebieten geprägt. Die SPD hat zwar ihren regionalen Schwerpunkt weiterhin im Ruhrgebiet, die ehemaligen roten Hochburgen an Rhein und Ruhr sind aber kaum noch zu erkennen. Die Entwicklung der Ratswahlen seit den 1980er Jahren kann zugespitzt im Szenario der zwei „Welten der Kommunalpolitik“ zusammengefasst werden, die sich hinsichtlich der Politikmuster polarisieren werden:
Die beständige Welt der ländlichen Konkordanzdemokratie: Kleinere Städte und Gemeinden mit konstanter langjähriger CDU-Dominanz in ländlich-katholischen Regionen mit zum Teil sehr starken Wählergruppen. Der Trend der Fragmentierung ist gebremst, da FDP und Grüne sowie sonstige Parteien keine wichtige Rolle spielen. Die Gemeinderäte haben klare Mehrheitsstrukturen. Die personelle Parteipolitisierung ist aufgrund der für nordrhein-westfälische Verhältnisse starken Wählergruppen weniger stark. Die Wahrscheinlichkeit für konkordanzdemokratische Strukturen ist groß. Die volatile Welt der urbanen Konkurrenzdemokratie: Mittlere und große Städte in urbanen und suburbanen Regionen mit fragmentierten Mehrparteiensystemen ohne ausgeprägte Dominanz, in denen die Vorherrschaft zwischen den großen Parteien häufig wechselt. Neben den beiden großen Parteien gibt es mehrere kleine und kleinste Parteien und Wählergruppen im Rat. Es ist aufgrund der unübersichtlichen Mehrheitsverhältnisse mit wechselnden Mehrheiten zu rechnen. Die personelle Parteipolitisierung ist aufgrund der schwächeren Wählergruppen stärker ausgeprägt. Die Wahrscheinlichkeit für konkurrenzdemokratische Strukturen ist groß.
Wie sich in der Analyse der Ratswahlergebnisse schon andeutete, gibt es einen Zusammenhang mit der Gemeindegröße, der aber nicht so stetig war wie vorher erwartet wurde, da es vor allem im Bereich der Mittelstädte nicht klar ist, zu welchem Pol Kommunen tendieren. Die regionale Kontinuität der politischen Verhältnisse war wesentlich deutlicher zu erkennen, zwar sind auch die Regionen hinsichtlich ihrer Größenstruktur unterschiedlich, die regionalen Unterschiede deuten aber auf ein ganzes Bündel sozialer und wirtschaftlicher Einflussfaktoren hin, die die Parteiensysteme beeinflussen können. Diese Einflüsse können aber in dieser Studie nicht weiter analysiert werden. Abschließend sollen nun die beiden institutionalistischen Thesen wieder aufgegriffen werden und in Zusammenhang mit den Ergebnissen der Ratswahlanalyse diskutiert werden.
3.1 Ratswahlen 1946 - 2004
163
Für den Untersuchungsfall NRW wurde aufgrund des Ratswahlsystems folgender Zusammenhang als Hypothese vorgeschlagen: Die personalisierte Verhältniswahl ohne Sperrklausel führt zu einem großen und fragmentierten Parteiensystem bei Ratswahlen.
Dieser Zusammenhang lässt sich tendenziell für mittlere und große Städte und Gemeinden in NRW bestätigen, auch wenn die Wirkung der Abschaffung der Sperrklausel erst mit Verzögerung eingetreten ist. Die durchschnittliche Anzahl der kandidierenden Gruppierungen ist stark gestiegen, die Fragmentierung ist ausgeprägt. In Großstädten ist dies auch auf die stark steigende Anzahl an Kandidaturen von Splitterparteien zurückzuführen. Auch in den kleineren Städten und Gemeinden ist die Fragmentierung angestiegen, dies lässt sich jedoch eher auf die wachsende Kandidatur von Wählergruppen zurückführen. Allerdings gibt es auch hier eine gewisse Kontinuität, da in einem Teil dieser Gemeinden Wählergruppen auch in den 1980er Jahren schon relativ stark waren. Der Anstieg der Fragmentierung ist aber gebremst, da vor allem die sonstigen Parteien eine wesentlich geringere Bedeutung haben. Die Veränderung des institutionellen Rahmens wirkt hier also als Filter für soziale und wirtschaftliche Strukturen, der vorhandenen Konfliktstrukturen zu elektoraler Präsenz verhilft, wenn sie genug Rückhalt in der Wählerschaft finden. Der Wegfall der Sperrklausel hat dazu geführt, die Hürde zum Einzug in den Rat stark zu senken. Die Kandidaturanreize auch für Gruppierungen mit relativ wenig Rückhalt sind gestiegen. Gibt es in einer Gemeinde aber weniger ausgeprägte Konfliktstrukturen, sind auch dem Wachstum des Parteiensystems dadurch Grenzen gesetzt. Zur Bestätigung dieser differenzierten institutionellen Hypothese müssten aber die Konfliktstrukturen in die Analyse mit einbezogen werden. Darüber hinaus wurde Wehlings Ent-Parteipolitisierungs-Hypothese aufgegriffen (Wehling 2003), die besagte, dass bei Einführung des süddeutschen Institutionenarrangements mit einer Ent-Parteipolitisierung nach süddeutschem Muster zu rechnen wäre. Das institutionelle Arrangement in NRW wurde aber nur durch den Wegfall der Sperrklausel an das süddeutsche Arrangement angeglichen, das Wahlsystem blieb das gleiche. Die Kommunalisierung der lokalen elektoralen Parteiensysteme in NRW ist im Untersuchungszeitraum zwar gewachsen, in einem Teil kleinerer und mittlerer Gemeinden belegen Wählergruppen den dritten Platz hinter SPD und CDU. Aber nur in sehr wenigen Gemeinden dominieren sie das Parteiensystem, so dass nur in diesen Fällen von einer fortgeschrittenen Ent-Parteipolitisierung ausgegangen werden kann. Bisher weist der Trend eher Richtung einer Kommunalisierung bei relativ hoher Konzentration auf zwei große Parteien, d.h. die Konkurrenz der Wählergruppen betrifft eher die Bedeutung der kleinen Parteien als der großen Parteien.
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004: Kandidatenangebot und Wahlergebnisse Im folgenden Kapitel werden nun die Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004 vergleichend analysiert, zum einen mit Bezug zu den gleichzeitig stattfindenden Ratswahlen und zum anderen im Zeitvergleich der beiden Wahlen. In den nächsten beiden Abschnitten werden zuerst die besonderen Umstände der Bürgermeisterwahl 1999 beschrieben, um dann die
164
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Nominierungsregeln und das Wahlsystem bei Bürgermeisterwahlen in NRW kurz vorzustellen, die im Wesentlichen bei beiden Wahlen Gültigkeit hatten. Umstände der Bürgermeisterwahl 1999 Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung der Kommunalverfassung einen Tag nach der Kommunalwahl am 17. Oktober 1994 begann die lange Übergangsphase bis zur ersten Direktwahl der hauptamtlichen Bürgermeister am 12. September 1999. In dieser Phase hatten die Städte und Gemeinden unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit107, vorzeitig durch Wahl eines hauptamtlichen Bürgermeisters durch den Gemeinderat auf das neue Recht umzusteigen, eine in dieser Form in Deutschland einmalige Lösung. Bis zum letztmöglichen Termin der Umstellung (31.12.1998) hatten 163 Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit der Umstellung genutzt, davon 16 kreisfreie Städte und 147 kreisangehörige Städte und Gemeinden. Der Anteil der Kommunen, die auf die neue Gemeindeordnung umgestellt hatten, nahm mit der Gemeindegröße zu. So hatten in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern nur 29,3% (17 Städte/Gemeinden) einen hauptamtlichen Bürgermeister, in den Großstädten über 100.000 Einwohnern dagegen 60,0% (18 Städte). Ein Grund für die Umstellung lag in der strategischen Überlegung, dem neuen Bürgermeister durch eine möglichst frühe Ratswahl eine bessere Ausgangsposition bei der ersten Direktwahl zu verschaffen. Wie ein Vergleich des Kandidatenangebotes mit der Liste der Amtsinhaber nach dem Stichtag ergab, war dies jedoch nicht der Fall. Von den 163 hauptamtlichen Bürgermeistern der Übergangszeit kandidierten 20 nicht in ihrer Amtsgemeinde. Die Gründe dafür waren nur in wenigen Einzelfällen bekannt108. Aufgrund der unterschiedlichen Nutzung der Umstellung gab es bei der Bürgermeisterwahl sowohl neue hauptamtliche Bürgermeister als auch „alte“ ehrenamtliche Bürgermeister und Stadtdirektoren, die als Amtsinhaber zu Wahl antraten. Dazu gab es einige wenige Kommunen, in denen Stadtdirektoren gegen ehrenamtliche Bürgermeister antraten, oft aus Protest gegen die eigene Nichtberücksichtigung durch die Partei. Die Kommunalwahl 1999, mit der die Umsetzung der neuen Gemeindeordnung in die entscheidende Phase trat, war in mehrfacher Hinsicht eine Uraufführung. Zum einen fand zum ersten Mal die Direktwahl der Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen statt, zum anderen ergaben sich einige bedeutende Änderungen des aktiven Wahlrechts sowie von Regelungen, die die Zusammensetzung der Gemeinderäte entscheidend beeinflussten. Die Kommunalwahl 1999 war eine verbundene Wahl. In kreisfreien Städten wurden am gleichen Termin die Oberbürgermeister, die Stadträte und die Bezirksvertretungen, in kreisangehörigen Städten/Gemeinden die Landräte, die Kreistage, die Bürgermeister und die Gemeinderäte gewählt.109
107 War die Stelle des Stadtdirektors vakant, oder lief die Amtszeit vor der Kommunalwahl 1999 aus, konnte der Rat entweder einen hauptamtlichen Bürgermeister, oder einen Stadtdirektor für den Rest der Ratswahlperiode wählen (vgl. Krell/Wesseler 1994, 105 sowie Schulenburg 1999, 126ff.) 108 Der SPD-Oberbürgermeister von Gelsenkirchen wurde 1999 von seiner Partei aufgrund von persönlichen Affären und Kritik an seiner Amtsführung nicht zur Wiederwahl nominiert. Dieser Fall weist auf den Nachteil der strategischen Überlegungen zur Schaffung eines Amtsbonus hin, zumal wenn dieser durch persönliche Verfehlungen zum „Amtsmalus“ wird. 109 Die Wahlen von Landräten, Kreistagen und Bezirksvertretungen werden im Weiteren nicht berücksichtigt.
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
165
Nominierungsregeln und Wahlsystem bei Bürgermeisterwahlen Die rechtlichen Grundlagen zur Durchführung der Kommunalwahl ergeben sich einerseits aus den wahlbezogenen Regelungen der Gemeindeordnung NRW sowie andererseits aus dem vom Landtag NRW beschlossenem Kommunalwahlgesetz (KWG)110. Im Folgenden sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen der Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004 unter besonderer Berücksichtigung der Vorschriften zur Aufstellung von Bürgermeisterkandidatinnen und -kandidaten zusammengefasst werden. Eine zusammenfassende Übersicht zu den Voraussetzungen des aktiven Wahlrechts bietet die folgende Tabelle: Tabelle 47: Kriterien des aktiven Wahlrechts bei Bürgermeisterwahlen Deutsche Staatsbürgerschaft (Art. 116 Absatz 1 des Grundgesetzes) oder Staatsbürgerschaft eines anderen Mitgliedslandes der Europäischen Union (KWG §7) Mindestens vollendetes 16. Lebensjahr (KWG §7) Hauptwohnsitz in der Gemeinde seit mindestens drei Monaten (KWG §7) Ausnahmen (nicht wahlberechtigt): • Entmündigung • richterliche Aberkennung des Wahlrechts (KWG §8) Quelle: Andersen/Bovermann/Gehne 1999, 19; ergänzt um Fundstellen.
Die Ausweitung des Wahlrechts auf die Einwohner aus Staaten der Europäischen Union ist eine Folge des Vertrags von Maastricht, in dem sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verpflichtet hatten, Bürgerinnen und Bürgern anderer Mitgliedsstaaten das kommunale Wahlrecht einzuräumen. Der Landtag NRW hat diese Anpassung am 12.12.1995 vorgenommen. Die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre war dagegen eine politische Entscheidung der rot-grünen Landesregierung von 1998, die sich dadurch eine stärkere Einbindung von Jugendlichen in politische Prozesse erhoffte. Tabelle 48: bietet eine zusammenfassende Übersicht zu den Voraussetzungen des passiven Wahlrechts für das Amt des Bürgermeisters. Tabelle 48: Kriterien des passiven Wahlrechts (Bürgermeister) Deutsche Staatsbürgerschaft (Art. 116, Absatz 1 des Grundgesetzes ) oder Staatsbürgerschaft eines Mitgliedslandes der Europäischen Union Mindestens vollendetes 23. Lebensjahr (GO § 65, Absatz 5), höchstens vollendetes 68. Lebensjahr (§ 195. Absatz 4 LBG) Hauptwohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland (GO § 65, Absatz 5) Keine besondere berufliche Qualifikation Ausnahmen: • Entmündigung • richterliche Aberkennung des Wahlrechts Quelle: Andersen/Bovermann/Gehne 1999, 23; ergänzt um Fundstellen.
110 Das KWG für die Wahlen 1999 und 2004 blieb im Wesentlichen auf dem Stand vom 30.06. 1998, vgl. http://sgv.im.nrw.de/lmi/owa/pl_text_anzeigen?v_id=4520040121111440485#FN1 .
166
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Die untere Altersgrenze liegt im Gegensatz zum passiven Wahlrecht zum Rat bei 23 Jahren. Darüber hinaus gibt es mit 68 eine obere Altersgrenze. Sie ergibt sich aus den Regelungen des Landesbeamtengesetzes und findet aufgrund des Status des Bürgermeisters als kommunaler Wahlbeamter Anwendung. Von einer Residenzpflicht wurde abgesehen, d.h. ein Bürgermeisterkandidat muss nicht in der Gemeinde wohnen, in der er kandidiert. Dies soll die Bewerbung auswärtiger Kandidaten ermöglichen. Gewählt werden können ausdrücklich auch Bundestags- oder Landtagsabgeordnete und Mitglieder des Kreistags oder des Rates. Im Falle einer Wahl zum Bürgermeister besteht jedoch eine Unvereinbarkeit dieser Ämter mit dem Amt des Bürgermeisters. Bei der Bewerbung für das Amt des Bürgermeisters können im Hinblick auf den Weg zur Kandidatur drei Typen unterschieden werden: Kandidaten von Parteien und Wählergruppen, Einzelbewerber und „aus dem Amt“ heraus kandidierende Einzelbewerber. Kandidaten von Parteien oder Wählergruppen müssen in einer Mitglieder- oder Vertreterversammlung gewählt worden sein, die innerhalb der letzten 15 Monate vor der Wahl stattgefunden haben muss. Kandidaten von Parteien und Wählergruppen, die zur Zeit der Bewerbung um das Amt nicht im Rat, Kreistag, Landtag oder Bundestag vertreten sind, müssen Unterstützungsunterschriften sammeln. In Gemeinden bis zu 10.000 Einwohnern sind dies mindestens dreimal so viele, in Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern mindestens fünfmal so viele Unterstützungsunterschriften, wie der Rat Mitglieder hat (KWG § 15). Einzelbewerber können sich selbst vorschlagen. Sie müssen entsprechend den Regelungen für Parteikandidaten, deren Parteien nicht in den Vertretungskörperschaften vertreten sind, im Normalfall Unterstützungsunterschriften sammeln. Ausgenommen von der Verpflichtung, Unterstützungsunterschriften beizubringen, sind jedoch die aus dem Amt kandidierenden Einzelbewerber. Hierzu zählten bei der Kommunalwahl 1999 bereits amtierende hauptamtliche Bürgermeister und noch im Amt befindliche Gemeindedirektoren, nicht dagegen noch amtierende ehrenamtliche Bürgermeister (KWG § 46d). Für die Wahlentscheidung gilt, dass jeder Wähler bei der Bürgermeisterwahl eine Stimme hat. Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhalten hat (absolute Mehrheitswahl). Falls nur ein Bewerber kandidiert, müssen mindestens 25% der Wahlberechtigten für ihn gestimmt haben (Zustimmungsquorum). Falls im ersten Wahlgang keiner der Kandidaten den nötigen Stimmenanteil erhalten hat, findet zwei Wochen nach dem ersten Wahlgang eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten statt, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten haben. Gewählt ist dann, wer von den gültigen Stimmen die meisten erhält (KWG § 46c). Die Gemeindeordnung ist seit ihrer Verabschiedung 1994 in verschiedenen Punkten111 angepasst worden, ohne dass die grundsätzlichen Strukturen der Kompetenzverteilung zwischen Rat und Bürgermeister dabei verändert worden wären. Eine wichtige Veränderung betrifft jedoch die Abwahl und Wahl der Bürgermeister. Nach der Gemeindeordnungsreform 1994 wählte nach Ausscheiden eines Amtsinhabers durch Tod, Eintritt in den Ruhestand oder Abwahl der Rat für den Rest der Amtszeit einen Nachfolger. Diese Regelung war ein bei der Überarbreitung der Gemeindeordnung vergessenes Relikt des alten repräsentativen Systems und passte nicht mehr in die Logik der unmittelbaren Wahl des Verwaltungschefs. Ab dem Jahr 2000 galt dann die Regelung, dass nach Ausscheiden eines 111
Vgl. die Übersicht auf http://sgv.im.nrw.de/lmi/owa/pl_text_anzeigen?v_id=2320021205103438063#FN31 .
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
167
Amtsinhabers in der laufenden Amtszeit ein Nachfolger durch die Bürgerschaft gewählt würde (GO § 65, Absatz 2). Die Amtszeit wurde dann bis zum Ende der nächsten Ratswahlperiode verlängert, so dass die übernächste Wahl des Bürgermeisters wieder mit der Ratswahl verkoppelt ist. Es wurden also einerseits in bestimmten Fällen entkoppelte Bürgermeisterwahlen eingeführt, andererseits aber vom Gesetzgeber dafür Sorge getragen, dass die Wahlen auch in Einzelfällen nicht entkoppelt sind, mit dem Preis einer oft deutlich längeren Amtszeit der „zwischendurch“ gewählten Bürgermeister112. Diese neue Regelung hat zur Folge, dass in 16 Städten und Gemeinden113 aus unterschiedlichen Gründen vorzeitig ein neuer Bürgermeister gewählt wurde und 2004 in diesen Kommunen keine Bürgermeisterwahlen stattfanden. Diese Fälle werden bei der Analyse der Bürgermeisterwahl 2004 nicht berücksichtigt.
3.2.1 Kandidatenangebot und Wahlergebnisse bei den Bürgermeisterwahlen 1999 Bei der Kommunalwahl 1999 wurden am 12.09.1999 in allen 396 Städten und Gemeinden am selben Termin Rat und Bürgermeister gewählt. In 118 Städten und Gemeinden fand zwei Wochen später am 26.09.1999 eine Stichwahl der beiden besten Bewerber um das Bürgermeisteramt statt. Auf die Ergebnisse der Stichwahl wird weiter unten näher eingegangen. Die für diese Analyse notwendigen Daten wurden im Rahmen des Bochumer Forschungsprojektes zur Kommunalwahl 1999 erhoben und dem Verfasser zur weiteren Analyse zur Verfügung gestellt. Im folgenden Abschnitt werden das Kandidatenangebot und die Wahlergebnisse bei den Bürgermeisterwahlen 1999 dargestellt und analysiert. Die Darstellung erfolgt gemeindebezogen, Untersuchungsobjekte sind die Gemeinden in NRW, nicht Kandidaten oder einzelne Parteien oder Wählergruppen. Die Gemeinden werden zu verschiedenen Gruppen zusammengefasst, sei es in den schon bekannten Gemeindegrößenklassen oder nach den in Kapitel 4.1.3 definierten Parteiensystemtypen bei Ratswahlen. Die Analyse des Angebotes bezieht sich im Wesentlichen auf die gemeindebezogene Verteilung der Kandidaten nach verschiedenen Kandidatentypen und Einbeziehung der Gemeindegröße. Folgende Nominierungsgruppen werden unterschieden: Von Parteien oder Wählergruppen nominierte Kandidaten, Einzelbewerber aus dem Amt (EB Amt) und Einzelbewerber mit Unterstützungsunterschriften (EB). Das Kandidatenangebot 1999 wird mit den Parteiensystemtypen von 1994 in Beziehung gesetzt wird, da die Ergebnisse der vorangegangenen Wahl den politischen Kontext von Kandidatenauswahlprozessen bilden. Außerdem wird als wichtiger Gesichtspunkt des Wettbewerbs die Bewerbung von Amtsinhabern analysiert. Bei der Bürgermeisterwahl 1999 gab es sowohl Fälle mit Kandidatur von in der Übergangszeit gewählten hauptamtlichen Bürgermeistern, als auch Fälle mit Kandidatur von ehrenamtlichen Bürgermeistern oder Stadtdirektoren sowie Fälle mit Kandidatur
112
Der Oberbürgermeister von Köln, Fritz Schramma, der im September 2000 als Nachfolger des im Amt verstorbenen Vorgängers Harry Blum gewählt wurde, hat beispielsweise eine Amtszeit von neun Jahren und muss sich erst 2009 seiner Wiederwahl stellen. 113 Burbach, Coesfeld, Ennigerloh, Greven, Halle (Westf.), Hamminkeln, Hemer, Hörstel, Kamen, Köln, Mülheim a.d. Ruhr, Sassenberg, Stadtlohn, Vlotho, Voerde und Weeze.
168
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
von beiden Amtsinhabern der alten Doppelspitze. Das Kandidatenangebot bei Bürgermeisterwahlen wird mit dem Angebot der gleichzeitig stattfindenden Ratswahlen verglichen, um die Angebotsunterschiede der beiden Wahlen zu beschreiben und die Ergebnisse der Analyse mit den in Kapitel 2.2.4 aufgestellten Hypothesen zu den Wirkungen von Wahlsystemen auf Parteiensysteme zu vergleichen. Wie auch beim Angebot wird zur Analyse der Wahlergebnisse der Bürgermeisterwahl 1999 zunächst die gemeindebezogene Verteilung der Wahlsieger auf die verschiedenen Nominierungsgruppen nach Gemeindegröße dargestellt. Abweichend von der Vorgehensweise beim Angebot werden die Wahlergebnisse der Bürgermeisterwahl 1999 mit den elektoralen Parteiensystemen in Beziehung gesetzt, die aus der verbundenen Ratswahl resultieren, da es um den Vergleich der Tendenzen der Wahlergebnisse der beiden verbundenen Wahlen geht. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei dem Abschneiden der Amtsinhaber gewidmet. Im zweiten Teil der Analyse der Ergebnisse werden die Wahlergebnisse der Bürgermeister in Prozent der gültigen Stimmen mit den Wahlergebnissen bei den Ratswahlen verglichen. Diese Analysen ergänzen zum einen den schon gewonnen Eindruck über das Abschneiden der verschiedenen Kandidatengruppen, eröffnen aber auch die Möglichkeit, die Entwicklung der Ergebnisse bei Rats- und Bürgermeisterwahlen zu vergleichen, um auch auf der Ebene der Wahlergebnisse die Frage zu diskutieren, ob sich bei verbundenen Bürgermeister- und Ratswahlen jeweils eine eigene Entwicklung anbahnt, oder ob die beiden Wahlgänge denselben Trends folgen. Die Analyse der Bürgermeisterwahlen 1999 dient in erster Linie der Bestandsaufnahme des Zustandes bei der ersten Direktwahl, der Zeitvergleich der Entwicklungen erfolgt am Ende der Analyse der Wahlen 2004. Das Kandidatenangebot bei Bürgermeisterwahlen 1999 Insgesamt gab es 1999 1484 Kandidatinnen und Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl. Bei 396 Städten und Gemeinden traten also im Durchschnitt 3,75 Kandidaten pro Gemeinde an. Berücksichtigt man die Gemeindegröße, so sinkt die durchschnittliche Anzahl der Kandidaten von 5,3 Kandidaten in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern bis auf 2,9 in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern. Tabelle 49: Anzahl der Kandidaten je Gemeinde bei der Bürgermeisterwahl 1999 Anzahl n in %
1 5 1,3
2 58 14,6
3 111 28,0
4 119 30,1
5 76 19,2
6 20 5,1
7 4 1,0
8 1 0,3
9 2 0,5
gesamt 396 100%
Quelle: Eigene Darstellung.
Wie Tabelle 49: zu entnehmen ist, traten in knapp sechzig Prozent der Kommunen drei oder vier Kandidaten zur Bürgermeisterwahl an. Es gab aber auch sehr große Kandidatenfelder mit bis zu neun Bewerbern, dies aber nur in wenigen Fällen. Das andere Extrem waren Bürgermeisterwahlen ohne Gegenkandidaten, die aber nur in fünf Gemeinden vorkamen. Im Vergleich mit dem Angebot der gleichzeitig stattfindenden Ratswahlen gab es in 33,3% der Fälle genauso viele Kandidaten/Listen wie bei den Ratswahlen, in 6,1% der Fälle mehr und in 60,6% weniger Bürgermeisterkandidaten als Ratswahllisten. Der Zusammenhang zwischen Anzahl der Kandidaten bei Bürgermeisterwahlen und Größe des
169
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
Parteiensystems bei Ratswahlen war von mittlerer Stärke (Korrelation nach Spearman = 0,505). Die folgende Tabelle zeigt die Verteilung der Kandidatenanzahl nach Größenklassen. Tabelle 50: Anzahl der Kandidaten je Gemeinde nach Größenklassen 1999 Anzahl Kandidaten
1
10.000 – 20.000 3
20.000 – 50.000 1
50.000 – 100.000 -
über 100.000 -
Gesamt
n
unter 10.000 1
%
1,7%
2,4%
,7%
-
-
1,3%
21
19
17
1
-
58
%
36,2%
15,2%
12,3%
2,2%
-
14,6%
n
23
47
36
4
1
111
%
39,7%
37,6%
26,1%
8,9%
3,3%
28,0%
n
9
42
45
19
4
119
%
15,5%
33,6%
32,6%
42,2%
13,3%
30,1%
n
4
11
28
17
16
76
%
6,9%
8,8%
20,3%
37,8%
53,3%
19,2%
n
-
3
9
2
6
20
%
-
2,4%
6,5%
4,4%
20,0%
5,1%
n
-
-
2
-
2
4
%
-
-
1,4%
-
6,7%
1,0%
n
-
-
-
1
-
1
%
-
-
-
2,2%
-
,3%
n
-
-
-
1
1
2
%
-
-
-
2,2%
3,3%
,5%
n
58
125
138
45
30
396
%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
2 3 4 5 6 7 8 9 Gesamt
Größenklassen
5
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Fett hervorgehoben sind die jeweils zwei höchsten Werte einer Gemeindegrößenklasse. Korrelation nach Spearman = 0,486.
Ein sehr kleines Kandidatenangebot (1-2) gibt es ausschließlich in Gemeinden unter 50.000 Einwohnern. Die Anzahl steigt mit der Gemeindegröße, unter 10.000 Einwohner besteht das typische Kandidatenangebot aus zwei oder drei Kandidaten (75,9% der Fälle). In Städten und Gemeinden zwischen 10.000 und 20.000 sowie zwischen 20.000 und 50.000 Ein-
170
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
wohnern waren es drei bis vier (71,2%; 58,7), zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern zwischen vier und fünf (80%) und in Großstädten zwischen fünf und sechs Kandidaten (73,3%). Ein großes Kandidatenangebot (sechs und mehr Kandidaten) gibt es aber auch vereinzelt in kleineren und mittleren Gemeinden, so dass der Zusammenhang zwischen Gemeindegrößenklasse und Kandidatenanzahl mittelstark ist (Korrelation nach Spearman = 0,486). Der Vergleich der Kandidatenanzahl unter Einbezug der Größenklassen ergab keine gravierenden Abweichungen von der landesweiten Verteilung. Keine Gruppierung trat in allen Städten und Gemeinden zur Bürgermeisterwahl an, auch CDU und SPD hatten nur einen Deckungsgrad von 93,9% bzw. 91,7% der Gemeinden mit Kandidatur eines eigenen Kandidaten. Allerdings liegt der Deckungsgrad der kleineren Parteien und der Wählergruppen noch deutlich unter diesen Werten. Den niedrigsten Deckungsgrad unter den im Landtag vertretenen Parteien hatte die FDP mit 51% der Kommunen. Tabelle 51: Kandidaten nach Nominierungsgruppen bei der Bürgermeisterwahl 1999
Anzahl Deckungsgrad Bm (%) Deckungsgrad Rat in % Differenz Deckungsgrad / DifferenzIndex
SPD
CDU
Grüne
FDP
Wgr.
EB 101 25,5 **
EB Amt 44 11,1 **
Sonstige 17*** -
gesamt 1484 396
363 91,7
372 93,9
248 62,6
202 51,0
137 32,8 *
100
100
84,1
81,6
67,2
-
-
-
396
8,3
6,1
21,5
30,6
34,4
-
-
-
100,9/ 500 = 0,20
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Deckungsgrad Bm: Anteil der Gemeinden mit Bm-Kandidatur einer Gruppierung. * Anteil der Gemeinden mit Kandidatur mindestens einer Wählergruppe; ** Anteil der Gemeinden mit Kandidatur mindestens eines Einzelbewerbers. In 21 Kommunen gab es zwei und in vier drei Einzelbewerber. *** Kandidaten der Parteien DVU, Rep, PDS, ÖDP, Zentrum, DMP und STATT-Partei.
Auch die Wählergruppen und Einzelbewerber hatten jeweils einen Deckungsgrad von deutlich unter 50% der Kommunen. In insgesamt 11,1% der Gemeinden kandidierten Einzelbewerber aus dem Amt (Stadtdirektoren und hauptamtliche Bürgermeister). Auf die Verteilung der Kandidaturen der anderen Amtsinhaber wird weiter unten eingegangen. In 45% aller Fälle gab es weder Kandidaten von Wählergruppen noch Einzelbewerber, in 9% der Fälle von Wählergruppen und Einzelbewerbern und in 46% der Kommunen von nur einer der beiden Gruppen. Das Angebot an Kandidaturen war 1999 jedoch insgesamt gesehen noch deutlich von personeller Parteipolitisierung geprägt, insgesamt 80% aller Kandidaten waren von Parteien nominiert worden. Der Deckungsgrad bei Bürgermeisterwahlen, d.h. der Anteil der Gemeinden mit Kandidatur einer Nominierungsgruppe, lag bei allen Gruppierungen, die auch bei Ratswahlen antraten, unter dem Deckungsgrad bei Ratswahlen. Da es keine Gemeinden gibt, in denen
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
171
eine der Gruppierungen nur zur Bürgermeisterwahl, aber nicht zur Ratswahl antrat, steht die Differenz des Deckungsgrades bei Rats- und Bürgermeisterwahlen für den Anteil an Gemeinden, in denen eine Gruppierung nur bei Ratswahlen antrat. Die SPD hatte in 8,3% der Städte und Gemeinden keinen Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl aufgestellt, trat also nur bei der Ratswahl an, die CDU in 6,1% der Kommunen. Die Grünen beteiligten sich in 15,9% der Kommunen weder an der Rats-, noch an der Bürgermeisterwahl, in 21,5% nominierten sie nur für die Ratswahl und in 62,6% der Kommunen bei Rats- und Bürgermeisterwahl Kandidaten. Die FDP war in 19,4% der Gemeinden bei Kommunalwahlen nicht präsent, in 30,6% der Kommunen nur bei der Ratswahl und in 51 % bei Rats- und Bürgermeisterwahl. Wählergruppen gab es in 31,8% der Fälle 1999 noch nicht, in 34,4% trat mindestens eine Wählergruppen nur bei der Ratswahl und in 32,8% der Kommunen traten Kandidaten von mindestens einer Wählergruppe bei Rats- und Bürgermeisterwahlen an. Zu Vergleichszwecken wird auf der Basis dieser Werte der Differenz-Index eingeführt114. Der „Startwert“ des Differenzindex liegt bei 0,20, einem relativ geringen Wert auf der Landesebene. Der Anteil der Kommunen mit Kandidaten von SPD, CDU, Grünen und FDP steigt mit der Gemeindegröße, wenn auch bei den kleineren Parteien auf niedrigerem Niveau. SPD und CDU kandidieren in Städten über 50.000 Einwohnern flächendeckend, mit Ausnahme der Großstadt Duisburg, in der kein formal von der CDU nominierter Bürgermeisterkandidat zur Wahl antrat. Von den kleineren Parteien erreichen die Grünen in Städten über 100.000 Einwohnern einen Deckungsgrad von 100%, die FDP bleibt auch in dieser Größenklasse deutlich unter dieser Quote. Niedriger liegen insgesamt gesehen die Anteile der Kandidaten von Wählergruppen und der Einzelbewerber über alle Größenklassen. Der Anteil der Kommunen mit Kandidaturen von Einzelbewerbern „aus dem Amt“ sinkt mit der Gemeindegröße. Jedoch bleibt festzuhalten, dass Kandidaten von Wählergruppen und Einzelbewerber kein Phänomen der kleineren Gemeinden sind. In knapp unter 50% der Großstädte in NRW traten normale Einzelbewerber zur Wahl an, obwohl die formalen Hürden der Kandidatur hinsichtlich der Anzahl der Unterstützungsunterschriften hier deutlich höher lagen. In einer Großstadt trat ein Stadtdirektor als Einzelbewerber aus dem Amt an.
114 Der Differenz-Index misst die Unterschiede des Deckungsgrades zwischen Rats- und Bürgermeisterwahlen auf einer Aggregatebene. Der Differenz-Index entspricht der Summe der Abweichungen aller betrachteten Gruppierungen (hier fünf) geteilt durch die Summe der maximal möglichen Abweichungen (hier bei fünf Gruppierungen = 500, d.h. Ratskandidatur in allen Gemeinden, Bürgermeisterkandidatur in keiner Gemeinde). Der Wert beträgt 0, wenn der Deckungsgrad der Gruppierungen bei Rats- und Bürgermeisterwahlen gleich ist und 1, wenn alle Gruppierungen in allen Fällen nur bei Ratswahlen antreten. Für den landesweiten Vergleich 1999 ergibt sich die folgende Rechnung: Differenz-Index = 8,3 + 6,1 + 21,5 + 30,6 + 34,4 / 500 = 0,20
172
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Abbildung 12: Deckungsgrad an Kandidaturen nach Gemeindegrößenklassen bei der Bürgermeisterwahl 1999 100,0 100,0
100,0
94,2
93,6 90,0
100,0
89,6
87,9
100,0 96,7
94,2 86,7
86,7
79,3 80,0 73,3 70,0 63,0 57,2
60,0
56,0 46,7
50,0 40,0
40,0
37,9
46,7
42,0 35,6 28,9
30,0 20,0
26,4
24,1 15,0 19,0
16,8
15,5
13,8 10,1
12,0
10,0
6,7
3,3
0,0
unter 10.000
10.000 - 20.000 SPD
CDU
20.000 - 50.000 Grüne
FDP
Sonstige
50.000 - 100.000 Wgr
EB
über 100.000
EB Amt
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Deckungsgrad = Anteil der Gemeinden einer Größenklasse mit Kandidatur einer Gruppierung. Deckungsgrad der Sonstigen nach aufsteigender Größe 1,7 ; 1,4 ; 0,0 ; 13,3 ; 23,3.
Auch in den Größenklassen gibt es zum Teil erhebliche Abweichungen des Deckungsgrades an Kandidaturen bei Rats- und Bürgermeisterwahlen. Der Anteil der Gemeinden, in denen die SPD nur bei Ratswahlen antrat, lag bei 20,1% und sank mit der Gemeindegröße auf 5,8% in der Größenklasse zwischen 20.000 und 50.000 Einwohnern. Darüber kandidierte die SPD flächendeckend bei Rats- und Bürgermeisterwahlen. Die Werte der CDU lagen insgesamt niedriger als bei der SPD, jedoch trat auch die CDU in 12,1% der Gemeinden unter 10.000 Einwohner ausschließlich zur Ratswahl an. Die Anteile der Gemeinden mit Kandidatur bei Ratswahlen sind bei den kleinen Parteien und Wählergruppen in den Größenklassen unter 50.000 Einwohnern erheblich höher als in größeren Gemeinden. Die Summe der Abweichungen je Größenklasse sinkt mit der Gemeindegröße. Je geringer die Abweichungen im Deckungsgrad, desto ähnlicher ist das Kandidatenangebot bei Rats- und Bürgermeisterwahlen. In Gemeinden zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern treten beispielsweise in allen Gemeinden Kandidaten von CDU und SPD bei Rats- und Bürgermeisterwahlen an. Die Werte des Differenzindex liegen in den Größenklassen unter 20.000 Einwohnern über dem landesweiten Wert von 0,20, in der Klasse zwischen 20.000 und 50.000 Einwohnern knapp unter dem landesweiten Wert und in den Klassen über 50.000 Einwohnern deutlich unter dem landesweiten Wert des Differenz-Index. Die Unterschiede der elektoralen Parteiensysteme von Rats- und Bürgermeisterwahlen nehmen also mit der Gemeindegröße ab.
173
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
Tabelle 52: Differenzen zwischen dem Deckungsgrad bei Ratswahlen und bei Bürgermeisterwahlen 1999 nach Größenklassen Partei
SPD CDU Grüne FDP Wgr Summe der Differenzen DifferenzIndex Anzahl Kommunen
unter 10.000 20,7 12,1 34,5 38,0 48,3 153,6
Größenklassen 10.000 – 20.000 20.000 50.000 10,4 5,8 6,4 5,8 25,6 21,8 32,8 31,9 38,4 27,6 113,6 92,9
50.000 100.000 0 0 6,6 22,3 31,1 60,0
über 100.000 0 3,3 0 13,3 26,6 43,2
0,31
0,23
0,18
0,12
0,09
58
125
138
45
30
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Sonstige wurden nicht berücksichtigt. Deckungsgrad bei Ratswahlen minus Deckungsgrad bei Bürgermeisterwahlen = Anteil der Gemeinden einer Größenklassen, in denen eine Gruppierung nur bei der Ratswahl antritt.
Die Gründe, zu einer Wahl anzutreten, unterscheiden sich nach der Größe einer Gruppierung115. Kleine Gruppierungen treten in der Regel zu Bürgermeisterwahlen an, da sie sich ein besseres Ergebnis bei der Ratswahl erhoffen (Zugpferd-Effekt) oder ihr Stimmenpaket im ersten Wahlgang als Verhandlungsmasse für die Aushandlung von Koalitionen oder Bündnissen im Rat einem der Teilnehmer der Stichwahl anbieten (parlamentarischer Anreiz). Dieser Nutzen entfällt jedoch, wenn es nicht zu einer Stichwahl kommt. Wenn sie nicht nominieren, dann versprechen sie sich entweder keine Vorteile von einer Kandidatur, oder eine kleine Gruppierung hat keine ausreichenden finanziellen Ressourcen und/oder hatte keinen geeigneten Kandidaten. Dann bleiben die Option, einen anderen Kandidaten zu unterstützten und zur Wahl zu empfehlen, oder sich gar nicht zum Thema Bürgermeisterwahl zu äußern. Bei großen Parteien ist die Lage weniger eindeutig. Ressourcenmangel und Schwierigkeiten, geeignetes Personal zu finden, mag in manchen Fällen die Ursache für eine Nicht-Teilnahme an der Bürgermeisterwahl sein. Normalerweise versuchen aber beide großen Parteien in allen Städten und Gemeinden bei Bürgermeisterwahlen präsent zu sein. Im nächsten Schritt wird die Struktur der Kandidatur von Amtsinhabern dargestellt und geprüft, ob das Nominierungsverhalten von großen Parteien von der Kandidatur eines
115
Vgl. den Forschungsstand in Kapitel 2.2.4.
174
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Amtsinhabers beeinflusst wird. Als Amtsinhaber werden nur solche Personen gewertet, die unmittelbar vor der Wahl ein Amt innehatten. Bei den Bürgermeisterwahlen 1999 trat in 23% der Fälle kein Amtsinhaber an. In 36% der Kommunen trat ein hauptamtlicher Bürgermeister der Übergangszeit, in 9,1% ein ehrenamtlicher Bürgermeister und in 27,3% der Stadtdirektor zur Wahl an. In 4,5% der Fälle trat der Stadtdirektor gegen den ehrenamtlichen Bürgermeister an, meistens Fälle, in denen einer der Amtsinhaber von seiner Partei bei der Nominierung nicht berücksichtigt worden war und aus Protest gegen den Parteikandidaten antrat oder Fälle, in denen der Stadtdirektor parteilos war und von der Partei nicht nominiert wurde oder nicht nominiert werden wollte. Diese Konfliktfälle sind eine Besonderheit der Übergangszeit, zum Teil haben diese „Rebellen“ aber auch die Wahl gewonnen. In der folgenden Tabelle werden die verschiedenen Typen von Amtsinhaberkandidaturen nach Gemeindegröße aufgeschlüsselt dargestellt. Der Anteil der Gemeinden ohne Kandidatur eines Amtsinhabers sank mit der Gemeindegröße und lag in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern bei 29,3%, in Großstädten dagegen nur bei 16,7%. Tabelle 53: Kandidatur von Amtsinhabern nach Größenklassen 1999 Amtsinhaber
Größenklassen 10.000 20.000 26,4
20.000 50.000 20,3
50.000 100.000 17,8
über 100.000 16,7
n
%
kein Amtsinhaber SPD hBm SPD eBm SPD Std CDU hBm CDU eBm CDU Std FDP Std Wgr eBm EB hBm EB Std Std + eBm n
Unter 10.000 29,3
91
23,0
3,4 1,7 3,4 13,8 5,2 22,4 1,7 3,4 10,3 5,2 58
10,4 2,4 2,4 17,6 4,0 22,4 0,8 5,6 4,0 4,0 125
21,7 2,9 6,5 13,8 6,5 15,2 2,9 5,1 5,1 138
33,3 8,9 13,3 8,9 4,4 4,4 2,2 6,7 45
50,0 6,7 10,0 6,7 6,7 3,3 30
75 14 23 55 21 64 1 1 13 20 18 39 6
18,9 3,5 5,8 13,9 5,3 16,2 0,3 0,3 3,3 5,1 4,5 100, 0
%
100
100
100
100
100
Quelle: Eigene Darstellung Anmerkung: Insgesamt 18 Fälle der Konfliktvariante Std - Ebm, darunter 7 CDU Std – SPD eBm, 3 SPD Std – CDU eBm und weitere 8 Fälle mit Beteiligung von Einzelbewerbern.
Die Amtsinhaber der CDU prägen deutlich das Bild in den kleineren und mittleren Gemeinden, die der SPD in Städten über 50.000 Einwohnern. Amtsinhaber, die als Einzelbewerber antraten, gab es eher in Städten und Gemeinden unter 50.000 Einwohnern. Wenn
175
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
man von der Wirkung eines Amtsbonus ausgeht, also dem Amtsinhaber aufgrund seines Bekanntheitsgrades und der Bewährung im Amt gute Gewinnchancen zubilligt, könnte dies die Erfolgschancen anderer Bewerber mindern und Gruppierungen davon abhalten, eigene Kandidaten aufzustellen. In Fällen ohne Amtsinhaber und mit Kandidatur eines Amtsinhabers der SPD liegt der Deckungsgrad bei fast allen Gruppierungen nah bei bzw. über den landesweiten Werten, außer bei Einzelbewerbern in Fällen mit SPD-Amtsinhabern. Tabelle 54: Deckungsgrad nach Amtsinhaberkandidatur 1999
SPD CDU Grüne FDP Wgr EB n Format
kein Amtsinhaber
SPD Amt
CDU Amt
EB Amt
91,2 97,8 61,5 52,7 40,7 38,5 91 3,99
100 97,3 69,6 68,7 37,5 22,3 112 4,1
97,1 100 63,6 41,4 27,1 9,3 140 3,41
45,4 48,5 45,4 24,2 24,2 100 33 3,15
Sonstige Konstellationen 85 90 50 55 25 65 20 4
Gesamt 91,7 93,9 62,6 51,0 32,8 36,6 396
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Sonstige Konstellationen umfassen eine Gemeinde mit Kandidatur des FDP-Stadtdirektors, eine Gemeinde mit ehrenamtlichen Bürgermeister einer Wählergruppe und 18 Gemeinden mit gleichzeitiger Kandidatur des Stadtdirektors und des ehrenamtlichem Bürgermeisters.
In Fällen mit Kandidatur eines CDU-Amtsinhabers liegt der Deckungsgrad der SPD über dem landesweiten Wert, erreicht aber nicht die vollständige Deckung. Am deutlichsten sind die Unterschiede bei Einzelbewerbern aus dem Amt, hier liegt der Deckungsgrad bei allen Gruppierungen deutlich unter den landesweiten Werten, d.h. die Bewerbung von Einzelbewerbern aus dem Amt hatte in vergleichsweise wenigen Fällen die stärkste Auswirkung auf das Kandidatenangebot bei Bürgermeisterwahlen. Auch große Parteien in Städten und Gemeinden unter 50.000 Einwohnern nominierten keine eigenen Kandidaten, wenn sie es mit Amtsinhabern mit guten Gewinnchancen zu tun hatten und sich eine Kandidatur nicht lohnte. So haben z.B. von 13 Bürgermeistern, die als Einzelbewerber aus dem Amt antraten, sieben gar keinen Gegenkandidaten einer großen Partei, drei nur einen von der SPD und drei nur einen von der CDU. Selten kam der Kandidaturverzicht auch bei Amtsinhabern der anderen großen Partei vor, nur einer von insgesamt 55 hauptamtlichen Bürgermeistern der CDU hat keinen SPD-Gegenkandidaten und drei von 75 hauptamtlichen Bürgermeistern der SPD keinen CDU-Gegenkandidaten. Fälle ohne Kandidatur eines Amtsinhabers, in denen die großen Parteien nicht oder nur zum Teil antraten, deuten auf eine Unterstützung eines aussichtsreichen Kandidaten durch mindestens eine der großen Parteien hin. Abschließend wird nun das Kandidatenangebot dargestellt, differenziert nach den vier Parteiensystemtypen der Ratswahl 1994, die in Kapitel 3.1.3 entwickelt wurden. Ausschlaggebend für den politischen Kontext von Kandidatenauswahl und –nominierung sind
176
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
jeweils die Wahlergebnisse und Parteiensystemtypen der vorangegangenen Wahl, die die Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Ratswahlperiode prägen und als Orientierungsmarke für möglichen Erfolg dienen können116. Tabelle 55: Parteiensystemtypen (1994) und Kandidatur von Amtsinhabern bei der Bürgermeisterwahl 1999 Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien
Kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit SPDDominanz
Gesamt
25,8
Sehr stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDUDominanz 26,7
14,3
18,4
23
11,6
9,3
35,7
57,4
28,3
54,8
40,7
42,9
9,9
35,4
5,2
12,8
0
9,9
8,3
2,6 155
10,5 86
7,1 14
4,3 141
5,1 100
Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDUDominanz
kein Amtsinhaber SPD Amtsinhaber CDU Amtsinhaber EB Amtsinhaber Sonstige Gesamt
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkungen: Sonstige Konstellationen umfassen eine Gemeinde mit Kandidatur des FDP-Stadtdirektors, eine Gemeinde mit ehrenamtlichem Bürgermeister einer Wählergruppe und 18 Gemeinden mit gleichzeitiger Kandidatur des Stadtdirektors und des ehrenamtlichen Bürgermeisters.
Die Kandidatur von Amtsinhabern wird nicht vollständig durch den Parteiensystemtyp vorbestimmt, auch in Parteiensystemen mit CDU-Dominanz gab es 1999 Amtsinhaber der SPD oder Einzelbewerber. Wie auch in den Fallstudien gezeigt werden kann, gab es in der Übergangszeit trotz relativer Mehrheit für die CDU und großem Vorsprung vor der SPD Fälle, in denen breite Ratsbündnisse Amtsinhaber gegen die Mehrheitspartei wählen konnten. Ob diese Amtsinhaber trotz eines „feindlichen“ Umfelds in gleichem Maße von ihrem 116 Zumindest dann, wenn man von einem eher parteiorientierten Wahlverhalten ausgeht. Bei der ersten Direktwahl 1999 ist der Kontrast zwischen den prognostizierten Erfolgschancen nach dem Wahlergebnissen der letzten Ratswahl und den tatsächlichen Wahlergebnissen bei der Bürgermeisterwahl besonders krass gewesen. Die lokalen Akteure ahnten bei der Kandidatenauswahl vor der Wahl 1999 aber nichts von dem sich anbahnenden Erdrutsch und wussten auch noch nichts über mögliche Besonderheiten des Wahlverhaltens, daher war es plausibel, die Wettbewerbssituation nach den letzten Ratswahlen zu analysieren.
177
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
Amtsbonus profitieren können wie andere Amtsinhaber, muss sich erst zeigen. Trotz dieser Einschränkung waren in den beiden CDU-dominierten Typen die CDU-Amtsinhaber jeweils die größte Gruppe, wie auch die Gruppe der SPD-Amtsinhaber in dem SPDdominierten Parteiensystemtyp. In den beiden CDU-Parteiensystemen war der Anteil der Kommunen ohne Amtskandidatur deutlich höher als in den beiden anderen Parteiensystemtypen. In den Kommunen des Typs stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDU-Dominanz und des Typs kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit SPDDominanz gab es höhere Anteile an aus dem Amt kandidierenden Einzelbewerbern als in den anderen Typen. Vergleicht man den Deckungsgrad nach Parteiensystemtypen, zeigt sich, dass der Deckungsgrad der SPD in sehr stark von der CDU dominierten Parteiensystemen besonders niedrig war, in der Regel verzichtete die SPD in Kommunen diesen Typs mit Kandidatur von CDU-Amtsinhabern und Einzelbewerbern auf eine Nominierung. Aber auch in 5% der SPD-dominierten Kommunen traten keine SPD-Kandidaten an, auch hier gab es also Fälle mit Unterstützung von parteiunabhängigen Einzelbewerbern. Tabelle 56: Parteiensystemtypen (1994) und Deckungsgrad bei der Bürgermeisterwahl 1999 Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien
Kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit SPDDominanz
Gesamt
92,9 99,4 70,3 55,5 2,6 20,6 13,5 6,5 155
Sehr stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDUDominanz 82,6 90,7 33,7 27,9 0 52,3 4,7 19,8 86
100 100 78,6 42,9 14,3 14,3 28,6 7,1 14
95 89,4 70,2 61 7,1 36,2 25,5 11,3 141
91,7 93,9 62,6 51 32,8 25,5 11,1
3,6
3,4
3,8
4
3,75
Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDUDominanz
SPD CDU Grüne FDP Sonstige Wgr EB EB Amt Anzahl Gemeinden Ø Anzahl Kandidaten
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Deckungsgrad = Anteil der Gemeinden einer Größenklasse mit Kandidatur einer Gruppierung.
178
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Die durchschnittliche Anzahl der Kandidaten ist in den CDU-dominierten Typen etwas niedriger, allerdings liegt die durchschnittliche Gemeindegröße dieser Typen auch unter den beiden anderen. Der Deckungsgrad der CDU war besonders niedrig in der Gruppe der Kommunen mit sehr stark kommunalisierten Mehrparteiensystemen mit ausgeprägter CDU-Dominanz und in der Gruppe der Fälle mit kommunalisierten Mehrparteiensystemen mit SPD-Dominanz. In beiden Fallgruppen kann – ebenso wie bei der SPD – in der Regel von der Unterstützung von Amtsinhabern, die als Einzelbewerber antreten, ausgegangen werden. Die Präsenz von FDP und Grünen war tendenziell niedriger in Kommunen des Typs sehr stark kommunalisierten Mehrparteiensystems mit ausgeprägter CDU-Dominanz, der Deckungsgrad von Wählergruppen und Einzelbewerbern aus dem Amt war höher in kommunalisierten Parteiensystemtypen. Zusammenfassung: Angebot bei Bürgermeister- und Ratswahlen unterschiedlich Das Kandidatenangebot bei der Bürgermeisterwahl 1999 wurde stark von Kandidaten geprägt, die von Parteien nominiert waren. Nur knapp 20% aller Kandidaten waren von Wählergruppen nominiert oder traten als Einzelbewerber zur Wahl an. In 45% der Fälle gab es weder Kandidaten von Wählergruppen noch Einzelbewerber, 54% der Fälle mindestens Kandidaten einer Gruppe. Trotzdem bestimmten auch in kleineren Gemeinden Parteien das Bild. Das typische Kandidatenangebot in kleineren Gemeinden lag zwischen zwei und drei, in Mittelstädten zwischen drei und vier, und in Großstädten zwischen fünf und sechs Kandidaten. In einem Drittel der Fälle kandidierten bei Bürgermeisterwahlen genauso viele Kandidaten, wie es Listen bei Ratswahlen gab. In gut sechzig Prozent der Fälle waren es aber weniger Kandidaten als Ratswahllisten. Der Vergleich des Deckungsgrades bei Rats- und Bürgermeisterwahlen zeigte, dass das Kandidatenangebot bei Bürgermeisterwahlen nicht nur in der Regel kleiner war, sondern auch anders zusammengesetzt. Dabei galt die Regel: Je kleiner die Gemeinde, desto reduzierter das Kandidatenangebot bei Bürgermeisterwahlen und, wie die Werte des Differenz-Index zeigten, desto unterschiedlicher war das elektorale Parteiensystem bei Rats- und Bürgermeisterwahlen. Bei allen kleinen Gruppierungen gibt es eine Anzahl Fälle, in denen sie weder bei Bürgermeister- noch bei Ratswahlen präsent sind. Für den Vergleich des Angebots wurden nur die Fälle berücksichtigt, in denen kleine Gruppierungen mindestens bei der Ratswahl antraten. Die unterschiedliche Zusammensetzung des Kandidatenangebotes war hauptsächlich auf das Nominierungsverhalten der kleineren Gruppierungen zurückzuführen, 85% der landesweiten Differenzen des Deckungsgrades gingen auf das Konto kleinerer Parteien und Wählergruppen. Dass die Unterschiede des Kandidatenangebotes nicht ausschließlich auf den Kandidaturverzicht der kleineren Gruppierungen zurückzuführen ist, liegt daran, dass auch die großen Parteien in bestimmten Fällen nicht zur Bürgermeisterwahl antraten. SPD und/oder CDU nominierten keine eigenen Kandidaten, wenn in Städten und Gemeinden unter 50.000 Einwohnern aussichtsreiche Amtsinhaber antraten. Das waren in der Regel Einzelbewerber aus dem Amt, in wenigen Fällen aber auch Amtsinhaber der jeweils anderen Partei. Der Kandidaturverzicht eröffnete zwei andere strategische Optionen: Unterstützung des Amtsinhabers oder Unterstützung eines aussichtsreicheren Gegenkandidaten. Welche Option letztendlich gewählt wurde, kann aufgrund der Daten nicht in jedem Fall gefolgert werden.
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
179
In drei Viertel aller Kommunen traten 1999 Amtsinhaber zur Wahl an, denen aufgrund ihres Bekanntheitsgrads und der Bewährung im Amt a priori gute Erfolgschancen zugebilligt werden. Bei der Bürgermeisterwahl 1999 kandidierten häufiger Stadtdirektoren und hauptamtliche Bürgermeister als ehrenamtliche Bürgermeister, was bei der alten Doppelspitze auf eine gewisse Bevorzugung des Verwaltungsleiters bei der Kandidatenauswahl hinweist. Die ehrenamtlichen Bürgermeister waren aber auch im Durchschnitt älter (Schulenburg 1999), so dass auch darin ein Grund für den geringeren Anteil an ehrenamtlichen Bürgermeistern zu sehen ist. In der Regel kandidieren Amtsinhaber für ihre eigene Partei. In wenigen Konfliktfällen traten Amtsinhaber 1999 gegen Kandidaten ihrer Partei an. Diese Konfliktvariante war aber auch ein Phänomen des Übergangs, da es in sechzig Prozent der Kommunen noch zwei Amtsinhaber gab, von denen aber nur wenige (eher Stadtdirektoren) nicht akzeptieren wollten, dass ihre Partei jemand anderen nominiert hatte. Bei Wahlerfolg eines solchen „Rebellen“, kann ein solcher Konflikt aber längerfristig die Atmosphäre der Kommunalpolitik einer Gemeinde belasten117. Parteinominierte Amtsinhaber hatten in der Regel einen aussichtsreichen Gegenkandidaten einer anderen großen Partei. Aussichtsreich, wenn man das Wahlergebnis bei den letzten Ratswahlen zugrunde legt und davon ausgeht, dass ein Teil der kleineren Gruppierungen nicht zur Wahl antreten und deren Wähler sich für einen anderen Kandidaten entscheiden müssen. Die Dominanzstrukturen des lokalen Parteiensystems beeinflussten dabei die Amtsinhaberkandidatur, da in den meisten Fällen ein Amtsinhaber für die dominante Partei antrat. Es gab aufgrund von großen Ratskoalitionen gegen die Mehrheitspartei in der Übergangszeit aber auch von anderen Parteien nominierte Amtsinhaber, deren Erfolgschancen vermutlich geringer waren. Darüber hinaus gab es in knapp zehn Prozent der Gemeinden Einzelbewerber aus dem Amt. Dieser Typus hatte im Vergleich den stärksten Kandidaturabschreckungseffekt auf andere Nominierungsgruppen, denn ein Teil dieser Bewerber hatte keinen Herausforderer einer großen Partei oder nur einen, was in der Regel auf die Unterstützung durch die andere große Partei hinauslief. Die Gruppe war zwar noch nicht sehr groß, das Angebotsverhalten der großen Parteien unterschied sich aber sehr stark von anderen Kommunen, in denen der Kandidaturanreiz höher war. Insgesamt können zugespitzt drei Angebots-Szenarien unterschieden werden:
In kleineren, eher CDU-dominierten Gemeinden traten bei den Bürgermeisterwahlen zwei bis drei Kandidaten an, darunter ein Amtsinhaber einer großen Partei oder als Einzelbewerber, ein Herausforderer einer großen Partei und zum Teil ein weiterer Kandidat einer kleinen Partei oder Wählergruppe. Eine weitere kleine Gruppierung beteiligt sich nur an den Ratswahlen. Hier ist die Differenz des Angebots bei Rats- und Bürgermeisterwahlen am größten, vor allem wenn Einzelbewerber aus dem Amt kandidieren.
117 So kam es z.B. in Datteln (Kreis Recklinghausen) und Lünen (Kreis Unna) 1999 zu Wahlsiegen von Rebellen gegen die SPD, die auch bis zur Bürgermeisterwahl 2004 die Atmosphäre belasteten. Der Bürgermeister von Datteln wurde Ende 1999 von der SPD wegen parteischädigenden Verhaltens aus der Partei ausgeschlossen, da er als Einzelbewerber ohne Segen der örtlichen SPD-Gremien angetreten war (Vgl. WAZ online „SPD wirft Bürgermeister von Datteln aus der Partei“,12.11.1999 / Politik / Mantel, in Internet unter http://hugoarchiv.waz.de/detail.php?query=85906&article=14753273 (11.12.2006).
180
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
In mittleren Gemeinden, die sowohl CDU- als auch SPD-dominiert sein konnten, traten drei bis vier Kandidaten an. Darunter ein Amtsinhaber einer großen Partei, ein Herausforderer der anderen großen Partei und ein bis zwei weitere Kandidaten kleiner Gruppierungen. Ein bis zwei kleinere Gruppierungen beteiligen sich nur bei der Ratswahl. In vor 1999 noch SPD-dominierten Großstädten traten bei Bürgermeisterwahlen fünf bis sechs Kandidaten an. Darunter der Amtsinhaber, ein Herausforderer der anderen großen Partei und drei bis vier andere Kandidaten von kleineren Gruppierungen. Alle Gruppierungen beteiligen sich auch an den Ratswahlen. Hier ist die Differenz zwischen dem Angebot bei Rats- und Bürgermeisterwahlen am geringsten.
Wahlsieger bei den Bürgermeisterwahlen 1999 Der Mittelwert der Wahlbeteiligung bei den Bürgermeisterwahlen lag am 12.09.1999 bei 60,1%. Die Wahlbeteiligung unterschied sich zum Teil jedoch erheblich zwischen den Kommunen, die höchste Wahlbeteiligung gab es beispielsweise in der Stadt Marienmünster im Kreis Höxter (5.430 Einwohner) mit 76,7%, die niedrigste in Duisburg mit 41,2% (519.793 Einwohner). Wie die beiden Extrembeispiele schon vermuten lassen, sank die Wahlbeteiligung mit der Gemeindegröße. In Gemeinden unter 10.000 Einwohnern lag sie durchschnittlich bei 68,7%, in Großstädten bei 51,3%118. Tabelle 57: Wahlsieger nach Nominierungsgruppen und Wahlgang 1999 Wahlgang Gewinner erster Wahlgang Gewinner Stichwahl Gesamt
SPD
CDU
Grüne
FDP
Wgr
EB 6
EB Amt 21
Gesamt 278
n
33
217
-
-
1
% n
41,8 46
82,5 46
2
1
25,0 3
50,0 6
57,4 14
70,2 118
% n %
58,2 79 19,9
17,5 263 66,4
100 2 0,5
100 1 0,3
75,0 4 1,0
50,0 12 3,0
42,6 35 8,8
29,8 396 100
Quelle: Eigene Darstellung.
Am 26.09.1999 fanden in 118 Städten und Gemeinden Stichwahlen statt. Die Wahlbeteiligung sank durchschnittlich um acht Prozentpunkte119 und lag landesweit bei nur noch 51,6%. Die niedrigste Wahlbeteiligung bei einer Stichwahl gab es in Mönchengladbach mit
118 Durchschnittliche Wahlbeteiligung in den anderen Gemeindegrößenklassen: 10.000 bis 20.00 Einwohner: 63,5%; 20.000 bis 50.000: 59,2%; 50.000 bis 100.000 Einwohner 54,9%. Korrelation nach Spearman = - 0,76. 119 Nur in der Gemeinde Westerkappeln (Kreis Steinfurt) stieg die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl um 1,3 Prozentpunkte auf 61,9%.
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
181
30,2%, d.h. die Wahlsiegerin der CDU wurde bei einem Wahlergebnis von 60,9% der gültigen Stimmen in der Stichwahl von insgesamt nur 18,2% aller Wahlberechtigten gewählt. Von 396 1999 gewählten Bürgermeistern kandidierten 345 (87,1%) für eine Partei, der Rest für Wählergruppen und als Einzelbewerber. Der Anteil der hinsichtlich der Kandidatur entparteipolitisierten Bürgermeister war damit vergleichsweise niedrig. Zwei Drittel der Wahlsieger waren von der CDU nominierte Kandidaten, die auch überwiegend im ersten Wahlgang gewählt wurden. Die wenigen siegreichen Kandidaten der kleinen Parteien und Wählergruppen wurden beinahe ausschließlich, die Einzelbewerber zur Hälfte und die parteiunabhängigen Amtsinhaber zu 40% in der Stichwahl gewählt. Die SPD konnte in knapp zwanzig Prozent der Kommunen die Bürgermeisterwahl gewinnen. Über die Hälfte von ihnen konnte sich erst in der Stichwahl als „Gewinner der zweiten Chance“ durchsetzen. Das galt auch für kandidierende Amtsinhaber der SPD. Gerade der Vergleich der SPD- und CDU-Anteile der Stichwahlsieger (58,2% gegenüber 17,5%) deutet auf einen auf den Bundestrend zurückführbaren Effekt zugunsten der CDU hin. Dieser These wird im Zusammenhang mit der Analyse der Wirkung des Amtsbonus noch weiter nachgegangen. Tabelle 58: Kommunen mit und ohne Stichwahl 1999 Merkmale Einwohnerzahl Kandidatenanzahl Amtsinhaber Konzentration Fragmentierung Rae-Index
mit Stichwahlen 67.926 4,5 45% SPD-Amtsinhaber, 10 % CDU-Amtsinhaber 74,8% 0,64
ohne Stichwahlen 35.915 3,4 46% CDU-Amtsinhaber, 22,7% SPD-Amtsinhaber 87,1% 0,50
Quelle: Eigene Darstellung.
Vergleicht man Fälle mit und ohne Stichwahl nach einigen in dieser Studie bereits verwendeten Merkmalen des Kandidatenangebotes und von Parteiensystemen zeigt sich, dass Stichwahlen 1999 eher in größeren Gemeinden vorkamen. Die Kandidatenanzahl war im Durchschnitt um 1 höher und es traten in 45% der Fälle SPD-Amtsinhaber zur Wahl an. Die Konzentration der Stimmen auf SPD und CDU war in Fällen mit Stichwahl etwas niedriger und die Fragmentierung deutlich ausgeprägter als bei Fällen ohne Stichwahlen.
182
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 59: Kandidierende Amtsinhaber und Wahlausgang 1999 Wahlsieger von … SPD CDU EB Grüne FDP Wgr Gesamt
zwei Amtsinhaber 2 11,1 8 44,4 8 44,4 -
SPD
CDU
EB
Sons.
Gesamt
n % n % n % n
kein Amtsinhaber 12 13,2 64 70,3 10 11,0 1
58 51,8 54 48,2 -
6 4,3 130 92,9 2 1,4 1
1 3,0 5 15,2 27 81,8 -
2 100,0 -
79 19,9 263 66,4 47 11,9 2
% n % n % n
1,1 1 1,1 3 3,3 91
18
112
0,7 1 0,7 140
33
2
0,5 1 0,25 4 1,0 396
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Amtsinhaber der Nominierungsgruppen sind zusammengefasst. Die Erfolgsquoten der Amtsinhaber sind kursiv.
Knapp sechzig Prozent aller Gemeinden werden auch nach der ersten Direktwahl 1999 von einem Amtsinhaber der alten Doppelspitze oder einem bereits vom Rat gewählten hauptamtlichen Bürgermeister regiert. Vierzig Prozent hatten nach der Wahl 1999 einen neu gewählten Bürgermeister. In 18% der Fälle waren dies Kandidaten, die einen Amtsinhaber geschlagen haben. Von den kandidierenden Amtsinhabern der verschiedenen Nominierungsgruppen sind von den SPD-Amtsinhabern 51,8%, von den CDU-Amtsinhabern 92,9% und von den Einzelbewerbern 81,8% wieder gewählt worden. In seltenen Fällen wurden 1999 auch CDU-Amtsinhaber von SPD-Kandidaten geschlagen. Einzelbewerber unterlagen (wenn überhaupt) eher Kandidaten der CDU, ein hoher Anteil von ihnen hatte aber ohnehin keinen Herausforderer einer großen Partei. Auf die Unterschiede der Erfolgsquoten der unterschiedlichen Amtsinhabertypen wird weiter unten noch eingegangen. Die Bürgermeisterwahlen in Kommunen ohne Amtsinhaber wurden ebenfalls überwiegend von der CDU gewonnen. Die Verteilung der Bürgermeister nach Nominierungsgruppen und Gemeindegrößenklassen zeigt deutlich die 1999 gewachsene Dominanz der CDU in allen Größenklassen.
183
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
Tabelle 60: Wahlsieger nach Gemeindegrößenklassen 1999
SPD CDU Grüne FDP Wgr EB EB Amt
10.000 20.000 22 17,6 80 64,0 1 0,8 2 1,6 6 4,8 14
20.000 50.000 30 21,7 96 69,6 1 0,7 11
50.000 100.000 10 22,2 33 73,3 2
über 100.000 10 33,3 20 66,7 -
Gesamt
n % n % n % n % n % n % n
unter 10.000 7 12,1 34 58,6 1 1,7 1 1,7 2 3,4 5 8,60% 8
% n
13,8 58
11,2 125
8,0 138
4,5 45
30
8,8 396
79 19,9 263 66,4 2 0,5 1 0,3 4 1,0 12 3,0 35
Quelle: Eigene Darstellung.
Die CDU stellt in allen Gemeindegrößenklassen den höchsten Anteil an Wahlsiegern, in den Städten zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern, knapp drei Viertel. Wahlsiege von kleinen Parteien, Wählergruppen und von Einzelbewerbern gab es hauptsächlich in Gemeinden unter 50.000 Einwohnern. In Gemeinden unter 10.000 Einwohnern übersteigt der Anteil der Einzelbewerber (zusammen 22,4%) den Anteil der SPD-Wahlsieger (12,1%). Die SPD belegt aber sonst hinter der CDU den zweiten Platz. Den höchsten Anteil an SPDWahlsiegern gab es 1999 in den Großstädten mit 33,3%. Für eine vergleichende Analyse des Amtsbonus der verschiedenen Typen von Amtsinhabern werden in der folgenden Abbildung die Erfolgsquoten, d.h. der Anteil einer Gruppe von Amtsinhabern, der wiedergewählt wurde, gegenübergestellt.
184
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Abbildung 13: Erfolgsquoten der kandidierenden Amtsinhaber 1999
100 96,4 92,6 71 70
57,6 50,7 33,3
0
10
20
30
40
50
SPD eBm
SPD hBm
SPD Std
CDU eBm
60 EB Std
70 CDU Std
CDU hBm
80
90
100
EB hBm
Quelle: Eigene Darstellung.
Die hinter der These des Amtsbonus stehende Vermutung, eine Amtsinhaber habe generell aufgrund seines Bekanntheitsgrades und seiner Bewährung im Amt eine große Chance der Wiederwahl, kann 1999 nicht für alle Gruppen gleichermaßen bestätigt werden. Die höchsten Erfolgsquoten hatten als Einzelbewerber kandierende Bürgermeister, gefolgt von den hauptamtlichen Bürgermeistern und Stadtdirektoren von der CDU. Als Einzelbewerber kandidierende Stadtdirektoren und ehrenamtliche Bürgermeister von der CDU hatten mit siebzig Prozent Erfolgsquote auch noch recht gute Wiederwahlchancen120. Die niedrigsten Erfolgsquoten hatten Amtsinhaber der SPD, insbesondere die ehrenamtlichen Bürgermeister von der SPD, von denen nur ein Drittel auch zu hauptamtlichen Bürgermeistern gewählt wurde121. Sogar CDU-Kandidaten ohne Amt hatten eine höhere Erfolgsquote als ehrenamtliche und hauptamtliche Bürgermeister von der SPD. Selbst wenn man einschränkend berücksichtigt, dass im Einzelfall auch lokale Gründe für die Abwahl eines Amtsinhabers vorliegen können, beispielsweise aufgrund von schlechter Amtsführung o.Ä. und den Wahlausgang in Fällen einbezieht, in denen SPD-Amtsinhaber sich in einem CDUdominierten Kontext bewähren mussten, weisen die im Vergleich sehr niedrigen Erfolgs-
120 Zum Vergleich: Von 372 CDU-Kandidaten waren 153 Amtsinhaber, von denen insgesamt 137 gewählt wurden (89,5%). Von den übrigen 219 CDU-Kandidaten ohne Amt wurden 126 gewählt (57,5%). 121 Zum Vergleich: Von insgesamt 363 SPD-Kandidaten waren 119 Amtsinhaber, von denen 60 gewählt wurden (50,4%). Von den übrigen 244 SPD-Kandidaten wurden 19 gewählt (7,8%).
185
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
quoten der SPD-Amtsinhaber wiederum auf den Bundestrend zulasten der SPD hin. Dies ist ein weiteres Indiz für die These, dass das Wahlverhalten durch den Bundestrend zugunsten der CDU beeinflusst wurde. Vor dem Hintergrund des erdrutschartigen Wahlsieges der CDU bei den Bürgermeisterwahlen 1999 lässt sich dieser Befund zugespitzt auch so interpretieren, dass SPDKandidaten nur dann überhaupt eine gute Wahlchance hatten, wenn sie Amtsinhaber waren. Der Amtsbonus der SPD-Amtsinhaber wurde in gut der Hälfte der Fälle vom Bundestrend zulasten der SPD aufgehoben. Berücksichtigt man die Parteiensystemtypen von 1994 als politischen Kontext bis zur Wahl 1999, lässt sich das Abschneiden der Amtsinhaber bei der Bürgermeisterwahl für die drei wichtigsten Nominierungsgruppen folgendermaßen zusammenfassen:
Die CDU konnte in den von ihr dominierten Parteiensystemen ihre Position halten und verlor nur wenige Bürgermeistersessel an Kandidaten der SPD, kleinerer Parteien und Wählergruppen oder Einzelbewerber. CDU-Bewerber konnten sich aber auch in 45% der Fälle gegen SPD-Amtsinhaber durchsetzen, die in Kommunen mit SPDdominierten Parteiensystemen antraten. SPD-Bürgermeister konnten sich in 55% der Kommunen behaupten, die 1994 ein SPD-dominiertes Parteiensystem hatten, davon viele erst in der Stichwahl. In stärker CDU-dominierten Parteiensystemen wurden aber immerhin auch noch 40% der SPDBürgermeister im Amt bestätigt. Bürgermeister, die als Einzelbewerber antraten, wurden alle wiedergewählt. Einzelbewerber, die Stadtdirektoren waren und Einzelbewerber ohne Amt hatten in kommunalisierten Parteiensystemen mit relativ starken Wählergruppen bessere Chancen als in den weniger kommunalisierten Typen.
Das Verhältnis von Ratsmehrheit und Bürgermeister war 1999 bei den großen Parteien homogen, in der Regel war der Bürgermeister auch von der im Rat dominanten Partei nominiert worden. Größeres Konfliktpotential lag aber in der Kombination relative Mehrheit der CDU und SPD-Bürgermeister, die insgesamt in gut zehn Prozent aller Fälle vorlag. Tabelle 61: Bürgermeister und Ratsmehrheiten 1999
SPD CDU EB Sons. N
CDU abs. Mehrheit 3,2 87,1 6,9 2,8 217
rel. Mehrheit 29,5 49,6 20,1 0,7 139
SPD abs. Mehrheit 100,0 2
rel. Mehrheit 87,5 9,4 3,1 32
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Fälle mit Kohabitationspotential sind fett hervorgehoben.
Patt CDU/SPD 25,0 50,0 25,0 4
Wgr. rel. Mehr heit 100,0 2
Gesamt Anzahl
79 263 47 7 396
186
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Weitere Kombinationen die zumindest ein gewisses Kohabitationspotential122 aufwiesen, sind in der Tabelle grau unterlegt, spielen aber landesweit betrachtet keine besonders große Rolle. Abschließend werden die parteipolitische Tendenz des Parteiensystems und die Nominierungsgruppe der Bürgermeister123 zu Typen zusammengefasst und nach Regionen dargestellt. Vergleicht man die Verteilung der sechs Typen in acht Regionen (Bick 1985), ergibt sich ein sehr ähnliches Bild der Dominanzstrukturen wie beim Vergleich der Ratsmehrheiten in Abbildung 11:. Abbildung 14: Bürgermeister nach Nominierungsgruppen und Parteiensystemen in den Regionen 1999 100%
5,9
5,2
2,9
4,5
8,8
1,7 6,8
4,0 2,0
5,0 5,0
8,2
18,9
2,9
17,6
80% 9,4
5,9
7,5
11,8
10,0
19,7
15,0
20,3
10,3
13,6
13,4
10,2
32,0
60% 22,6 85,3
40%
75,0 58,8
62,1
61,9
61,0 50,0
20%
39,6
0% Ruhrgebiet
Düsseldorf
Aachen/Eifel Niederrhein Münsterland
CDU-dominiert und CDU Bm ohne Dominanz mit CDU Bm
CDU-dominiert und SPD-Bm ohne Dominanz mit SPD Bm
Sauerland
Bielefeld
Paderborn
CDU-dominiert und EB/Sons. Bm ohne Dominanz mit EB/Sons. Bm
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Einteilung der Regionen nach Bick 1985.
122 Eine Befragung von Bürgermeistern in NRW aus dem Jahr 2002 ergab, dass es in nur 6,2% der Kommunen über 20.000 Einwohnern tatsächlich kommunale Kohabitation gab, also dem Bürgermeister aus seiner Sicht eine anders parteipolitisch gefärbte Ratsmehrheit gegenüberstand. Deutlich häufiger gaben die Bürgermeister an, dass sie es mit unklaren und wechselnden Mehrheiten zu hätten, die ihnen aber natürlich mehr Möglichkeiten der Durchsetzung von Beschlüssen ließen (Gehne/Holtkamp 2005, 134). Zu kommunalen Kohabitationen vgl. auch Klieve/Stibi 2001. 123 Insgesamt gab es bei vier Parteiensystemtypen und drei Gruppen von Bürgermeistern (SPD, CDU und EB/Sonstige) 1999 elf Kombinationen, eine Kombination war nicht besetzt. Diese wurden noch einmal zu sechs Gruppen zusammengefasst, indem die CDU-dominierten Parteiensysteme den Mehrparteiensystemen ohne Dominanz gegenübergestellt wurden, die jeweils in Kombination mit Bürgermeistern von SPD, CDU und Einzelbewerbern /Sonstige vorkamen.
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
187
In allen Regionen hatte die jeweils größte Gruppe an Kommunen ein CDU-dominiertes Parteiensystem und einen CDU-Bürgermeister. Besonders häufig gab es diese Kombination in den Regionen Niederrhein, Paderborn, Münsterland und Eifel. Die Kombination CDUDominanz und Bürgermeister Einzelbewerber/Sonstige gab es besonders häufig in den Regionen Sauerland, Münsterland und Paderborn. Die SPD hatte im Ruhrgebiet in etwas über vierzig Prozent der Kommunen die Bürgermeisterwahlen gewonnen, in gut zwanzig Prozent der Fälle in Kombination mit einem CDU-dominierten Parteiensystem. Diese Kombination lag auch in knapp einem Drittel der Gemeinden in der Region Bielefeld vor. In den meisten Gemeinden in NRW lag eine Übereinstimmung der parteipolitischen Tendenz der Gemeinden mit der „Farbe“ des Bürgermeisters vor. Bürgermeister- und Ratswahl 1999 im Vergleich Da Bürgermeister- und Ratswahlen verbunden sind, bietet es sich an, neben dem Angebot auch die Wahlergebnisse vergleichend zu analysieren. Nachdem die Verteilung der Wahlsieger auf die Kandidatengruppe schon ausführlich dargestellt wurde, geht es im folgenden Abschnitt um den Vergleich der Wahlergebnisse bei Rats- und Bürgermeisterwahlen in Prozent der gültigen Stimmen. Wie auch bei der Analyse des Angebotes ist dabei das Ziel, die Unterschiede der beiden Wahlen unter der generellen Fragestellung zu beschreiben, ob die Kombination der Wahlsysteme von Rats- und Bürgermeisterwahl eher die Ähnlichkeit oder die Differenz der elektoralen Parteiensysteme fördert, und unter welchen Bedingungen was wahrscheinlicher erscheint. Das Kandidatenangebot ist Folge von Akteurshandeln auf Seiten von Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerbern. Die Wahlergebnisse sind Ausdruck des Wahlverhaltens der Wählerinnen und Wähler. Das Angebot an Kandidaten schränkt jedoch in der Regel die Wahlmöglichkeiten der Wähler ein und wirkt insofern als Filter für die Umsetzung von Präferenzen in Wahlverhalten, nämlich dann, wenn es einen präferierten Kandidatentyp gar nicht gibt oder eine Gruppierung nicht antritt. Kurz skizziert gibt es bei verbundenen Bürgermeisterwahlen für Wähler folgende, typische Wahlsituationen. Wähler kleiner und großer Parteien haben grundsätzlich dieselben Wahlmöglichkeiten bei verbundenen Wahlen. Wenn ihre Partei bei beiden Wahlen antritt, können sie den Kandidaten ihrer Partei in beiden Wahlgängen wählen. Das Ergebnis wäre gleich. Sie können aber auch bei der Ratswahl ihre Partei und bei der Bürgermeisterwahl einen anderen Kandidaten wählen. Dann müssten sich die Ergebnisse unterscheiden. Wenn ihre Partei nur bei Ratswahlen antritt, was bei kleineren Gruppierungen wie gezeigt häufiger vorkommt, müssen die Wähler von Parteien ohne Kandidat sich entscheiden, welchen der anderen Kandidaten sie wählen oder ob sie gar nicht an der Wahl teilnehmen wollen. Da sich diese Prozesse in der Realität überschneiden, kann mit Hilfe einer Analyse von Wahlergebnisdaten keine genaue Aussage über das Wahlverhalten getroffen werden, da die Differenzen zwischen den Ergebnissen nur Auskunft über die Veränderungssaldi einer Einheit (z.B. Gemeinde, Wahlbezirk, Kandidat o.ä.) geben können. Trotzdem lohnt sich eine Analyse der Differenzen der Wahlergebnisse von Rat und Bürgermeister, da nach verschiedenen Kriterien (z.B. Amtsinhaberkandidatur) analysiert werden kann, wo diese Differenzen besonders ausgeprägt sind. Diese Vorgehensweise kann zur Weiterentwicklung von Hypothesen zum Angebotsverhalten der Nominierungsträger beitragen.
188
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Grundlage des Vergleichs der Wahlergebnisse sind im ersten Schritt nur Fälle, in denen eine Gruppierung bei Rats- und Bürgermeisterwahlen angetreten ist. Die einzelnen Gruppierungen haben daher unterschiedliche Bezugsgrößen und können nicht unmittelbar miteinander verglichen werden. Zunächst werden die durchschnittlichen Anteile der Nominierungsgruppen bei Bürgermeister- und Ratswahlen verglichen. Dann wird auf der gleichen Grundlage die Wirkung des Zugpferdeffekts bei kleineren Gruppierungen analysiert. Im zweiten Schritt werden die Wahlergebnisse sowie ausgewählte Eigenschaften der elektoralen Parteiensysteme bei Bürgermeisterwahlen im Vergleich der vier Parteiensystemtypen bei Ratswahlen 1999 verglichen. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst. Die Ergebnisse der Ratswahlen 1999 können wie folgt zusammengefasst werden: Die CDU hatte deutliche Zugewinne und war stärkste Partei in allen Gemeindegrößenklassen. Die SPD konnte sich selbst in ihren früheren Hochburgen nicht behaupten und verlor landesweit an Stimmen. Kleinere Parteien und Wählergruppe konnten sich nicht wesentlich verbessern, der Trend der Kommunalisierung und Fragmentierung der elektoralen Parteiensysteme war eher gebremst. In der folgenden Tabelle werden die durchschnittlichen Anteilswerte der Ergebnisse der wichtigsten Nominierungsgruppen und die durchschnittlichen Differenzen zu den Ratswahlergebnissen gegenübergestellt. Gesondert ausgewiesen sind die Ergebnisse der Amtsinhaber. Tabelle 62: Vergleich der Wahlergebnisse nach Nominierungsgruppen 1999 SPD Ø Anteile Differenz BmRat n
CDU
33,9
SPDAmt 44,1
Grüne
FDP
Wgr
EB
53,0
CDUAmt 62,9
5,5
5,7
9,8
30,5
EB Amt 58,3
2,5
6,4
0,9
5,9
-0,8
-0,1
-1,2
-
-
363
112
372
140
248
202
130
120
33
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Nur Fälle mit Kandidatur bei Rats- und Bürgermeisterwahlen. Mittelwert der Anteile.
Wenig überraschend schnitten CDU-Kandidaten deutlich besser ab als SPD-Kandidaten. Im Vergleich wiesen sowohl bei SPD als auch bei der CDU die Amtsinhaber die besseren Wahlergebnisse auf als alle Kandidaten ihrer Partei, der durchschnittliche Anteil lag bei beiden Gruppierungen etwa elf Prozentpunkte über dem durchschnittlichen Gesamtanteil. Kandidaten der beiden großen Parteien bekamen im Durchschnitt mehr Stimmen als ihre Partei bei den Ratswahlen, Kandidaten kleinerer Parteien, dort wo sie antraten, weniger, wobei die Differenzen bei den kleinen Gruppierungen 1999 gering waren. Besonders groß waren die Differenzen zum Ratsergebnis bei Amtsinhabern von CDU und SPD. Die Stimmenanteile von Einzelbewerbern können nicht mit Ratswahlergebnissen verglichen werden, ihre Stimmenanteile müssen aber Ergebnis einer Wechselwahl sein. Da Einzelbewerber oft keine Gegenkandidaten haben und das Kandidatenangebot dann in der Regel kleiner ist als
189
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
bei Ratswahlen, mussten sich Wähler dann entscheiden, welchen anderen Kandidaten sie wählen. Auch bei den Einzelbewerbern schnitten die Amtsinhaber wesentlich besser ab. Tabelle 63: Vergleich der Ratswahlergebnisse von Gruppierungen mit und ohne Bürgermeisterkandidat Gruppierung Grüne FDP Wgr
% gültigen Stimmen mit Kandidat ohne Kandidat 6,4 5,7 5,7 4,9 11,1 10,5
eta 0,127 0,143 0,047
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Es wurden nur Fälle berücksichtigt, in denen einen Gruppierungen mindestens bei Ratswahlen angetreten ist. Mittelwerte der Anteile in Prozent der gültigen Stimmen.
Eine wichtige Motivation zur Kandidatur für kleine Parteien war der Zugpferdeffekt, also die Hoffnung, dass mit einem Bürgermeisterkandidaten die Partei oder Wählergruppe auch mehr Aufmerksamkeit und ein besseres Ergebnis bei der Ratswahl erhalten würde. Vergleicht man das Abschneiden von den kleinen Parteien und Wählergruppen mit und ohne Bürgermeisterkandidat, zeigt sich, dass bei allen Gruppierungen die Unterschiede nicht sehr ausgeprägt sind124. Die Unterschiede der durchschnittlichen Anteilswerte liegen zwischen 0,6 und 0,8 Prozentpunkte, das Zusammenhangsmaß Eta ergab bei allen Gruppierungen nur geringe Werte, so dass auf dieser Ebene nicht von einem das Wahlergebnis bei Ratswahlen verbessernden Effekt der Kandidatur bei Bürgermeisterwahlen ausgegangen werden kann (Holtkamp/Gehne 2003). Vergleicht man die durchschnittlichen Anteile und Differenzen nach Parteiensystemtypen 1999125, zeigt sich, dass die Kandidaten der großen Parteien in allen Parteiensystemtypen ebenfalls etwas mehr Stimmen bekamen als ihre Partei bei der Ratswahl, mit Ausnahme der CDU-Kandidaten in Fällen mit stark kommunalisiertem Mehrparteiensystem mit CDUDominanz, die etwas weniger Stimmen erhalten haben. In diesen Fällen war die Differenz der Wahlergebnisse bei SPD-Kandidaten dagegen etwas größer. Die Dominanzstrukturen der Ratswahlen, die in den Parteiensystemtypen zum Ausdruck kamen, bestätigen sich im Prinzip auch bei den Bürgermeisterwahlen. Die Bürgermeisterwahlen, und das zeigen die Differenzen, haben zwar ihre Eigenheiten, koppelten sich aber 1999 nicht grundsätzlich von den Entwicklungen bei Ratswahlen ab. Die Unterschiede zwischen den Ergebnissen bei Rats- und Bürgermeisterwahlen waren dort besonders groß, wo Einzelbewerber sehr stark waren. Fälle mit sehr starken Einzelbewerbern gab es häufiger in Parteiensystemen, die stark kommunalisiert waren oder weniger stark von der CDU dominiert waren.
124
Diese Vorgehensweise ignoriert bewusst die Tatsache, dass es lokal natürlich sehr viele Gründe geben kann, warum eine Partei mehr oder weniger Stimmen bekommen kann. Die Empfehlung der Landesparteien an die Ortsverbände, unbedingt einen Kandidaten aufzustellen zu sollen, wird in der Praxis jedoch ebenso pauschal geäußert. 125 Vgl. die Parteiensystemtypen 1999 im Anhang 5.
190
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 64: Wahlergebnisvergleich nach Parteiensystemtypen 1999 Kommunalisiertes Vierparteiensystem mit CDUHegemonie
Anteile Differenz Bm-Rat n
Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDUDominanz
Anteile Differenz Bm-Rat n
Stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit CDUDominanz Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien
Anteile Differenz Bm-Rat n
Anteile Differenz Bm-Rat n
SPD 25,1 1,0
CDU 64,5 2,8
Grüne 5,2 -0,2
FDP 3,6 -0,4
Wgr 11,5 -0,9
EB 19,9 -
92
96
48
21
34
18
SPD 34,0 2,7
CDU 51,7 0,3
Grüne 6 -1
FDP 7,3 0,3
Wgr 6,4 -1,3
EB 32,6 -
148
150
122
112
41
45
SPD 39,5 4,3
CDU 44,2 -0,5
Grüne 4,1 -0,4
FDP 4,7 0,2
Wgr 13,3 -1,2
EB 40,5 -
76
76
38
41
44
38
SPD 41,4 2,1
CDU 48,1 1,2
Grüne 5,5 -1
FDP 2,7 -0,9
Wgr 4 -1
EB 15,7 -
47
47
40
28
12
11
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Nur Fälle mit Kandidatur bei Rats- und Bürgermeisterwahlen. Mittelwert der Anteile.
Im nächsten Schritt werden nun ausgewählte Parteiensystemeigenschaften bei Rats- und Bürgermeisterwahl 1999 verglichen. Dazu werden wie auch schon in den vorangegangenen Kapiteln die durchschnittlichen Werte der Systemmerkmale analysiert. Aus Vergleichsgründen mit den Ratswahlanalysen werden im Gegensatz zu den vorangegangenen Tabellen die durchschnittlichen Werte mit allen Fällen eines Typs unabhängig vom Deckungsgrad einzelner Gruppierungen gewichtet. In eher kleineren Gemeinden des Typs kommunalisiertes Vierparteiensystem mit CDU-Hegemonie (96 Fälle) gab es durchschnittlich die niedrigste Anzahl an Kandidaten der Bürgermeisterwahl mit 3,2, die – wie in den anderen Typen auch – etwa eine Einheit kleiner war als bei Ratswahlen. Die Konzentration bei Bürgermeisterwahlen war im ersten Typ etwas höher als bei den Ratswahlen. Die Fragmentierung war bei Bürgermeisterwahlen deutlich niedriger als bei Ratswahlen, der Wert des Rae-Index von 0,48 bei Bürgermeisterwahlen weist auf die sehr hohen Wahlergebnisse der CDU auch bei Bürgermeisterwahlen hin. Die Kommunalisierung bei Bürgermeisterwahlen, also die addierten Anteile von Einzelbewerbern und
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
191
Wählergruppen, wich nur um 0,1 Prozentpunkte von der Kommunalisierung der Ratswahlen ab. Die Volatilität zwischen Rats- und Bürgermeisterwahlen wird mit einem modifizierten Pedersen-Index gemessen, der hier nicht die Veränderung zwischen zwei Wahlen im Zeitvergleich misst, sondern die Unterschiede des elektoralen Parteiensystems bei zwei gleichzeitig stattfindenden Wahlen aufgrund der Differenzen der Anteile in Prozent der gültigen Stimmen126. Die Interpretation ist aber die gleiche: bei 100 Punkten unterscheidet sich das elektorale Parteiensystem gemessen an der Stimmenverteilung vollständig zwischen Ratsund Bürgermeisterwahl, bei 0 ist es genau gleich. Die Volatilität ist höher, je mehr Gruppierungen auf eine Kandidatur verzichten. Werte über 90 wurden bei der Bürgermeisterwahlen 1999 in wenigern Fällen erreicht, in denen Einzelbewerber aus dem Amt kandidierten und keine Gegenkandidaten hatten, oder Gegenkandidaten, die auch als Einzelbewerber antraten. Niedrige Werte ergaben sich vor allem dann, wenn die Anzahl der Kandidaten bei Bürgermeisterwahlen gleich der Anzahl der Ratswahllisten war und keine aussichtsreichen Einzelbewerber antraten.
126 Die Unterschiede der Wahlbeteiligung bei gleichzeitigen Rats- und Bürgermeisterwahlen sind sehr gering, daher kann man die Anteile der gültigen Stimmen vergleichen, da davon ausgegangen wird, dass kein bedeutender Wechsel ins Nichtwählerlager stattgefunden hat.
192
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 65: Vergleich ausgewählter Systemmerkmale nach Parteiensystemtypen 1999 Format
Anzahl Kandidaten/Listen
Kommunalisiertes Vierparteiensystem mit CDUHegemonie Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDUDominanz Stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit CDUDominanz Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien
Konzentration CDU+ SPD
Fragmentierung RaeIndex
Kommunalisierung Anteil Wgr und EB
Volatilität Bm-Rat
Angebotsunterschied Diff. Deckungsgrades Rat-Bm 109,4
Bm Rat Diff.
3,2 4,2 -1
88,6 86 2,6
0,48 0,54 -0,06
7,7 7,6 -0,1
12,9 -
Bm Rat Diff.
3,9 4,7 -0,8
82,1 82,4 -0,3
0,56 0,62 -0,06
10,7 3,8 6,9
17,4 -
104,9
Bm Rat Diff.
3,7 4,8 -1,1
77,3 77,9 -0,6
0,56 0,64 -0,08
23,6 15,5 8,1
26,5 -
134,1
Bm Rat Diff.
4,3 5,3 -1
87,7 85,8 1,9
0,56 0,61 -0,05
6,9 2,6 4,3
13,1 -
110,3
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Werte wurden aus Vergleichsgründen mit der Ratswahl für alle Fälle unabhängig von Angebotsunterschieden berechnet.
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
193
Die Volatilität war im ersten Typ mit durchschnittlich 12,9 Prozentpunkten Nettoveränderung zwischen den Bürgermeister- und Ratswahlen im Vergleich der Parteiensystemtypen am niedrigsten. In Kommunen des Typs Mehrparteiensystem mit ausgeprägter Dominanz der CDU gab es eine etwas höhere Nettoveränderung zwischen den Wahlen von 17,4 Prozentpunkten, was wohl hauptsächlich auf die bei Bürgermeisterwahlen im Vergleich stärker ausgeprägte Kommunalisierung zurückzuführen ist. Die Konzentration auf zwei große Parteien war bei beiden Wahlen in etwa gleich hoch, die Fragmentierung bei Bürgermeisterwahlen niedriger als bei den Ratswahlen. Eine hohe Volatilität ging 1999 einher mit einer relativ hohen Differenz des Deckungsgrades bei Rats- und Bürgermeisterwahlen, der Zusammenhang ist aber nicht linear. Der Effekt wird vom tatsächlichen Wechselwahlverhalten der Wähler kleiner Gruppierungen gefiltert, das in den saldierten Verschiebungen (Volatilität) nicht mehr unmittelbar nachvollziehbar ist. In Fällen des Typs stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit CDU-Dominanz war die Konzentration auf SPD und CDU mit Abstand am niedrigsten und der Unterschied zwischen den Wahlen gering. Die Kommunalisierung war sowohl bei Bürgermeister- als auch bei Ratswahlen im Vergleich der Typen am höchsten. Die Differenz von 8 Punkten bei der Kommunalisierung und die im Vergleich höchste Volatilität weisen auf das sehr gute Abschneiden von Einzelbewerbern in Fällen dieses Typs hin. Mehrparteiensysteme mit Konzentration auf zwei große Parteien hatten die höchste Anzahl von Kandidaten und Listen bei beiden Wahlen. Die Konzentration war bei Ratsund Bürgermeisterwahlen relativ hoch, das Ausmaß der Fragmentierung ähnlich wie bei den beiden vorangegangenen Typen. Die Kommunalisierung bei Rats- und Bürgermeisterwahlen war am schwächsten ausgeprägt, daher lag auch die Volatilität nur knapp über dem niedrigen Wert des ersten Typs. Erdrutschsieg für die CDU: Zusammenfassung der Bürgermeisterwahl 1999 Die Uraufführung der Bürgermeisterwahlen hatte einen strahlenden Sieger auf sämtlichen Bühnen: Die CDU konnte landesweit zwei Drittel aller Bürgermeisterposten gewinnen. Die Bürgermeisterwahlen folgten damit grundsätzlich dem Trend bei den Ratswahlen, beide Wahlen wurden sehr stark durch einen negativen Trend zulasten der im Bund regierenden rot-grünen Koalition beeinflusst. Für den durchschlagenden Erfolg der CDU bei Bürgermeisterwahlen gibt es verschiedene Belege:
CDU-Kandidaten konnten sich nicht nur in von ihr dominierten Parteiensystemen behaupten, sondern konnten sich auch in 45% der Fälle gegen SPD-Amtsinhaber durchsetzen, die in Kommunen mit SPD-dominierten Parteiensystemen antraten. Darüber hinaus gewannen sie auch in Fällen ohne Amtsinhaberkandidatur die meisten Direktwahlen. CDU-Wahlsieger sind seltener in Stichwahlen gewählt worden. CDU-Kandidaten mit und ohne Amtsbonus hatten im Vergleich relativ hohe Erfolgsquoten. Die meisten CDU-Bürgermeister konnten nach 1999 in Gemeinden mit CDUdominierten Parteiensystemen regieren.
194
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
CDU-Kandidaten insgesamt und CDU-Amtsinhaber hatten durchschnittlich höhere Wahlergebnisse in Prozent der gültigen Stimmen als SPD-Kandidaten und SPDAmtsinhaber.
Die SPD musste wie auch bei den Ratswahlen eine einschneidende Niederlage hinnehmen und konnte in nur knapp 20% der Kommunen die Bürgermeisterwahlen gewinnen. Die Niederlage lässt sich in folgenden Punkten beschreiben:
SPD-Bürgermeister konnten sich in 55% der Kommunen behaupten, die 1994 ein SPD-dominiertes Parteiensystem hatten, davon viele aber erst in der Stichwahl. In stärker CDU-dominierten Parteiensystemen wurden aber nur noch 40% der SPDBürgermeister im Amt bestätigt. Die Erfolgsquoten der verschiedenen Typen von SPD-Amtsinhabern lagen deutlich unter denen der anderen Amtsinhabertypen. SPD-Kandidaten ohne Amtsbonus hatten eine Erfolgsquote von unter zehn Prozent, so dass zugespitzt festhalten kann, dass SPD-Kandidaten nur dann überhaupt eine Wahlchance hatten, wenn sie Amtsinhaber waren. Ein großer Teil der SPD-Bürgermeister musste nach 1999 in Kommunen mit CDUdominierten Parteiensystemen regieren. SPD-Kandidaten insgesamt und SPD-Amtsinhaber hatten durchschnittlich deutlich niedrigere Wahlergebnisse in Prozent der gültigen Stimmen als CDU-Kandidaten. Im Durchschnitt waren ihre Ergebnisse auch in allen Parteiensystemtypen niedriger als die der CDU.
Jenseits der 1999 insgesamt gesehen sehr starken personellen Parteipolitisierung der Wahlsieger gab es aber auch in knapp zwölf Prozent der Fälle Wahlsieger, die als parteiunabhängige Einzelbewerber zur Wahl angetreten waren. Aufgrund der Ent-ParteipolitisierungsHypothese nach Wehling ist bei zukünftigen Wahlen mit einem wachsenden Anteil an parteiunabhängigen Kandidaten und Bürgermeistern zu rechnen. Mit den Wahlergebnissen 1999 ist ein Startpunkt einer möglichen Entwicklung in einer noch relativ kleinen Gruppe von Kommunen markiert worden, der folgendermaßen charakterisiert werden kann:
Bürgermeister, die als Einzelbewerber antraten, wurden alle wiedergewählt. Ein Teil von ihnen hatte aber auch keinen Gegenkandidaten einer großen Partei oder nur einen Herausforderer einer großen Partei. Einzelbewerber, die Stadtdirektoren waren und Einzelbewerber ohne Amt hatten in kommunalisierten Parteiensystemen mit relativ starken Wählergruppen bessere Chancen als in den weniger kommunalisierten Typen. Etwa die Hälfte der Einzelbewerber wurde erst in der Stichwahl gewählt. Die Erfolgsquoten der Einzelbewerber aus dem Amt gehörten 1999 mit zu den höchsten Erfolgsquoten. Die meisten Bürgermeister dieser Gruppe mussten nach 1999 in Kommunen mit CDUdominierten Parteiensystemen regieren.
Kleine Parteien und Wählergruppen waren in einer Reihe von Kommunen zu den Bürgermeisterwahlen angetreten, in der Regel um ein besseres Ergebnis für ihre Parteien bei der Ratswahl zu erzielen. Der Unterschied der durchschnittlichen Wahlergebnisse insgesamt
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
195
war bei allen kleinen Gruppierungen eher gering, so dass zumindest in dieser Betrachtungsweise sich der Aufwand einer Kandidatur nicht zu lohnen scheint. Der Vergleich der Wahlergebnisse zeigte, dass Kandidaten kleinerer Gruppierungen in der Regel etwas weniger Stimmen bekommen als ihre Partei bei Ratswahlen. Vermutlich wechselt also ein Teil der Wählerschaft der kleinen Parteien zu aussichtsreicheren Kandidaten der großen Parteien oder zu aussichtsreichen Einzelbewerbern, wie auch die Ergebnisse dieser Gruppierungen nahe legen. Die Wahlergebnisunterschiede waren 1999 dort, wo sie antraten, durchschnittlich sehr gering, so dass die Vermutung nahe liegt, dass aber ein größerer Teil der Wählerschaft der kleinen Parteien durchwählt. Hinsichtlich der Unterschiede der elektoralen Parteiensysteme bei Rats- und Bürgermeisterwahlen kann als Ergebnis der Analysen festgehalten werden, dass sich das Kandidatenangebot in den meisten Fällen unterschied. Entgegen der in Kapitel 2.2.4 entwickelten Hypothese war in der Regel die Anzahl der Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl geringer. Der Deckungsgrad an Kandidaturen war bei allen Gruppierungen bei Bürgermeisterwahlen niedriger als bei Ratswahlen. Die Fragmentierung bei Bürgermeisterwahlen war ebenfalls niedriger als bei den Ratswahlen. Die größten Unterschiede zwischen Rats- und Bürgermeisterwahlen, sowohl was das Kandidatenangebot betrifft, als auch hinsichtlich der Wahlergebnisse, gab es 1999 in Fällen mit Kandidatur von Einzelbewerbern. In diesen Fällen war das Angebot bei Bürgermeisterwahlen deutlich kleiner als bei Ratswahlen, da oft mehr als eine Gruppierung auf eine Kandidatur verzichtete. Die Volatilität zwischen den Wahlgängen war in diesen Fällen am größten, so dass die These nahe liegt, dass dann viele Wähler bei der Ratswahl eine Partei oder Wählergruppe und bei den Bürgermeisterwahlen den Einzelbewerber wählten. Die geringsten Unterschiede zwischen den beiden Wahlen gab es in Kommunen der Typen „Kommunalisiertes Vierparteiensystemen mit CDU-Hegemonie“ und „Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei Parteien“.
3.2.2 Kandidatenangebot und Wahlergebnisse bei den Bürgermeisterwahlen 2004 Bei den Kommunalwahlen 2004 fanden am 26.09.2004 in 380 Städten und Gemeinden mit den Ratswahlen verbundene Bürgermeisterwahlen statt, in 16 Städten und Gemeinden nur Ratswahlen, da in ihnen während der zurückliegenden Wahlperiode bereits ein neuer Bürgermeister gewählt werden musste. In 106 Kommunen fanden zwei Wochen später Stichwahlen zwischen den beiden besten Bewerbern des ersten Wahlgangs statt. Der Anteil der Fälle mit Stichwahlen an allen Kommunen mit Bürgermeisterwahlen blieb in etwa gleich und lag 2004 bei 27,9% (1999: 29,3%). Die für die folgenden Analysen notwendigen Wahldaten der Bürgermeisterwahl wurden im Rahmen eines vom Verfasser durchgeführten Lehrforschungsprojektes an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf erhoben und aufbereitet127.
127 Zweisemestriges Lehrforschungsprojekt „Bürgermeisterwahlen in NRW“ (Leitung: David H. Gehne) im Rahmen des Bachelor-Studiengangs Sozialwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Sommersemester 2004 – Wintersemester 2004/2005). An dieser Stelle sei allen TeilnehmerInnen des Lehrforschungsprojektes herzlich für die aktive und engagierte Teilnahme gedankt.
196
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Die Struktur des Kandidatenangebots der Bürgermeisterwahlen 2004 wird im Folgenden nach denselben Kriterien und in der gleichen Reihenfolge dargestellt wie im vorangegangenen Abschnitt und mit den Ergebnissen von 1999 verglichen. Vergleiche beziehen sich ausschließlich auf die Kommunen, in denen beide Bürgermeisterwahlen stattfanden. Wie auch beim Angebot wird zur Analyse der Wahlergebnisse der Bürgermeisterwahl 2004 zunächst die gemeindebezogene Verteilung der Wahlsieger auf die verschiedenen Nominierungsgruppen nach Gemeindegröße dargestellt. Abweichend von der Vorgehensweise beim Angebot werden die Wahlergebnisse der Bürgermeisterwahl 2004 mit den elektoralen Parteiensystemen in Beziehung gesetzt, die aus der verbundenen Ratswahl resultieren, da es um den Vergleich der Tendenzen der Wahlergebnisse der beiden verbundenen Wahlen geht. Zusätzlich werden die Entwicklungen im Zeitvergleich der beiden Wahlen in den wichtigsten Punkten dargestellt. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei dem Abschneiden der Amtsinhaber gewidmet. Im zweiten Teil der Analyse der Ergebnisse werden die Wahlergebnisse der Bürgermeister in Prozent der gültigen Stimmen mit den Wahlergebnissen bei den Ratswahlen verglichen und in einer Zusammenfassung anhand der Hypothesen zu Kandidatenangebot und Wahlergebnissen diskutiert. Das Kandidatenangebot bei den Bürgermeisterwahlen 2004 Bei der Bürgermeisterwahl 2004 traten insgesamt 1253 Kandidatinnen und Kandidaten in 380 Städten und Gemeinden zur Wahl an. Damit sank die durchschnittliche Anzahl der Kandidaten von 3,75 1999 auf 3,3 Kandidaten pro Stadt oder Gemeinde. Berücksichtigt man die Gemeindegrößenklassen, so sinkt die durchschnittliche Kandidatenanzahl von 5,9 in Städten über 100.000 Einwohnern bis auf 2,2 in Städten unter 10.000 Einwohnern. Tabelle 66: Anzahl der Kandidaten je Gemeinde bei der Bürgermeisterwahl 2004 Anzahl n in %
1 26 6,6
2 104 26,3
3 106 26,8
4 76 19,2
5 33 8,3
6 20 5,1
7 10 2,5
8 3 0,8
9 2 0,5
Gesamt 380 100%
Quelle: Eigene Darstellung.
Über 50% der Kommunen hatten 2004 2 oder 3 Kandidaten, der Anteil der Kommunen mit nur einem Kandidaten hat im Vergleich zu 1999 um fünf Prozentpunkte auf 6,6% zugenommen. In den 26 Kommunen mit nur einem Kandidaten traten 25 Amtsinhaber zur Wahl an (10 von der CDU, 15 als Einzelbewerber). Der Anteil an Städten mit einem Kandidatenangebot von sieben und mehr Kandidaten hat ebenfalls leicht zugenommen, so dass im Vergleich zu 1999 insgesamt von einer sinkenden durchschnittlichen Anzahl von Kandidaten ausgegangen werden kann, bei gleichzeitiger Zunahme von sehr kleinen und sehr großen Kandidatenfeldern, die sich in der Gesamtbetrachtung nivellieren. Im Vergleich zu den gleichzeitig stattfindenden Ratswahlen gab es in 13,1% der Kommunen genauso viele Kandidaten wie Listen bei der Ratswahl, in 2,8% der Kommunen mehr und in 80,1% der Städte und Gemeinden weniger Kandidaten bei Bürgermeisterwahlen als Listen bei der Ratswahl. Der Zusammenhang zwischen Größe des Angebotes bei Ratswahlen und Bürgermeisterwahlen hat sich im Vergleich zu 1999 zwar etwas abge-
197
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
schwächt, war aber immer noch relativ hoch (Korrelation nach Spearman = 0,463; 1999 Spearman = 0,505). Tabelle 67: Anzahl der Kandidaten je Gemeinde nach Größenklassen bei der Bürgermeisterwahl 2004 Größenklassen
1 2 3 4 5 6 7 8 9
10.000 – 20.000 11
20.000 – 50.000 2
50.000 – 100.000 -
über 100.000 -
Gesamt
n
unter 10.000 13
%
24,1%
9,2%
1,5%
-
-
6,8%
n
24
49
26
5
-
104
%
44,4%
41,2%
19,7%
10,6%
-
27,4%
n
10
42
39
12
3
106
%
18,5%
35,3%
29,5%
25,5%
10,7%
27,9%
n
7
16
35
16
2
76
%
13,0%
13,4%
26,5%
34,0%
7,1%
20,0%
n
-
1
23
4
5
33
%
-
,8%
17,4%
8,5%
17,9%
8,7%
n
-
-
7
5
8
20
%
-
-
5,3%
10,6%
28,6%
5,3%
n
-
-
-
4
6
10
%
-
-
-
8,5%
21,4%
2,6%
n
-
-
-
1
2
3
%
-
-
-
2,1%
7,1%
,8%
n
-
-
-
-
2
2
%
-
-
-
-
7,1%
,5%
n
54
119
132
47
28
380
%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
100,0%
26
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Korrelation nach Spearman = 0,586
Weiterhin gibt es auch bei Bürgermeisterwahlen 2004 Fälle mit sehr kleinem Kandidatenangebot (1-2), hauptsächlich in Städten und Gemeinden unter 50.000 Einwohnern. Die durchschnittliche Anzahl steigt weiterhin mit der Gemeindegröße, aber nicht mehr so stetig wie 1999. In den Klassen unter 10.000 Einwohnern (1-2 Kandidaten) und zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern (2-3) ist die Größe des typischen Kandidatenangebots im Vergleich zu 1999 um 1 reduziert worden. In der Klasse zwischen 20.000 und 50.000 Einwoh-
198
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
nern blieb sie bei 3-4 Kandidaten. In der Größenklasse zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern (3-4) verringerte sich die typische Anzahl um 1, während sie in Großstädten wiederum um 1 zunahm (6-7 Kandidaten). Der Zusammenhang zwischen Gemeindegrößenklasse und Kandidatenanzahl hat sich verstärkt (Korrelation nach Spearman = 0,586; 1999 Spearman = 0,486). Wiederum entsteht im Vergleich der beiden Wahlen der Eindruck, dass die Extreme (kleine Gemeinden vs. Großstädte) 2004 deutlicher konturiert sind als 1999. Tabelle 68: Kandidaten nach Nominierungsgruppen bei der Bürgermeisterwahl 2004 SPD
CDU
Grüne
FDP
Wgr .
EB
EB Amt
Sons.
n
311
344
155
137
129
100
44
1253
Deckungsgrad Bm in % Deckungsgrad Rat in % Diff. Deckungsgrad
81,8
90,5
40,8
36,6
27,3 *
26,3 **
11,6
33 *** -
100,0
100,0
82,6
88,5
62,4
-
-
-
380
18,2
9,5
41,8
51,9
35,1
-
-
-
156,5
DifferenzIndex
380
0,31
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Deckungsgrad: Anteil der Gemeinden mit Kandidatur einer Gruppierung. Deckungsgrad Rat nur bei Fällen, in denen auch Bürgermeisterwahlen stattfanden. * Anteil der Gemeinden mit Kandidatur mindestens einer Wählergruppe; ** Anteil der Gemeinden mit Kandidatur mindestens eines Einzelbewerbers. In 19 Kommunen gab es zwei und in zwei drei Einzelbewerber. *** Kandidaten der Parteien DVU, Rep, NPD, PDS, Ödp, Zentrum und STATT-Partei.
Bei allen Gruppierungen außer den Einzelbewerbern ist der Deckungsgrad im Vergleich zu 1999 gesunken (vgl. auch die Differenzen in Abbildung 15:). Der Deckungsgrad an Kandidaturen der SPD ist im Vergleich zu 1999 um knapp zehn Prozentpunkte auf 81,8% gesunken. Die Unterschiede des Kandidatenangebotes bei Rats- und Bürgermeisterwahlen haben auf der Landesebene zugenommen, wie Tabelle 68: zu entnehmen ist. Die Summe der Differenzen stieg von 100 Punkten 1999 auf 156 Punkte 2004 an, der Wert des DifferenzIndex von 0,20 auf 0,31. Der Deckungsgrad bei Ratswahlen blieb in Kommunen mit Bürgermeisterwahlen 2004 bei SPD und CDU gleich hoch, sank leicht bei Grünen und Wählergruppen und stieg leicht bei der FDP. Dagegen sank der Deckungsgrad bei Bürgermeisterwahlen bei CDU und Wählergruppen mäßig und bei den anderen, auch an Ratswahlen beteiligten Gruppierungen stark, so dass insgesamt eine deutliche Zunahme an Fällen zu verzeichnen war, in denen vor allem kleine Gruppierungen nur bei Ratswahlen antraten, wie auch die folgenden Analysen unter Einbezug der Gemeindegröße zeigen werden.
199
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
Abbildung 15: Rückgang des landesweiten Deckungsgrades bei der Bürgermeisterwahl 1999 und 2004 91,3
93,7
90,5
90,0
81,8 77,0 70,8 70,0
62,1 51,1 50,0
40,8 36,1
32,6 28,4
30,0
30,5 32,1 22,0
19,2 11,6
6,8 3,9 2,9
10,0
-3,2
-10,0
-9,5 SPD
CDU
1,3
-4,2 Grüne -21,3
FDP -15,0
Sonstige
12,9
Wgr
1,6
-2,8 EB
-6,2 EB Amt
EB gesamt
Amt gesamt
-30,0
1999
2004
Differenz
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Deckungsgrad = Anteil der Gemeinden einer Größenklasse mit Kandidatur einer Gruppierung. Es wurden nur Fälle berücksichtigt, in denen 1999 und 2004 Wahlen stattgefunden haben (n=380).
Der Deckungsgrad an CDU-Kandidaturen sank ebenfalls, aber um nur gut drei Prozentpunkte auf 90,5%. Die Grünen waren nur noch in gut vierzig Prozent der Kommunen bei Bürgermeisterwahlen mit eigenen Kandidaten beteiligt (- 21,3 Prozentpunkte), die FDP in gut einem Drittel (- 15 Prozentpunkte). Die beiden kleinen Parteien hatten damit auch den höchsten Rückgang des Deckungsgrades zu verzeichnen. Der Anteil an Gemeinden mit Kandidaturen von Einzelbewerbern und Einzelbewerbern aus dem Amt blieb in etwa gleich groß. Der Gesamtanteil an Kommunen mit Bewerbung von Amtsinhabern sank um gut sechs Prozentpunkte auf 70,8%.
200
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Abbildung 16: Deckungsgrad an Kandidaturen nach Gemeindegrößenklassen bei der Bürgermeisterwahl 2004 100,0
97,9 97,9
100,0
95,5
75,0
76,5
80,0
96,4
87,9
87,4
90,0
96,4
75,0
74,1
70,2
70,0 57,4 60,0 46,2 48,5
50,0
46,8 44,7
40,0
35,2
34,5
32,6
33,3 28,6
30,0 22,2 20,0 13,0 13,0
18,5 19,3
21,3 13,4
10,0 0,0
unter 10.000
10.000 - 20.000 SPD
CDU
20.000 - 50.000 Grüne
FDP
Sonstige
50.000 - 100.000 Wgr
über 100.000
EB
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Deckungsgrad = Anteil der Gemeinden einer Größenklasse mit Kandidatur einer Gruppierung.
Der Rückgang der Kandidaturen der SPD hat sich vor allem auf den Deckungsgrad in den Gemeindegrößenklassen unter 20.000 Einwohnern ausgewirkt (vgl. auch Tabelle 69:). In der Klasse unter 10.000 Einwohnern treten in nur noch 57,4% der Gemeinden SPDKandidaten zur Bürgermeisterwahl an (- 21,5% im Vergleich zu 1999), in der Klasse zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern in 76,5% (- 12,9%). Der Rückgang in den darüber liegenden Gemeindegrößenklassen fiel dagegen geringer aus. Die CDU hat in den Klassen unter 20.000 Einwohnern ebenfalls einen Rückgang zu verzeichnen, tritt aber immer noch in drei Viertel bzw. knapp neun Zehntel der Gemeinden in den beiden unteren Größenklassen an. In den anderen Größenklassen hatte die CDU geringe Zu- und Abnahmen zu verzeichnen, die aber keinen eindeutigen Trend im Zusammenhang mit der Größe ergeben. Bei FDP und Grüne sank in allen Größenklassen der Deckungsgrad, bei den Grünen besonders stark in Gemeinden zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern. Der höchste Rückgang der FDP fand dagegen in den großen Mittelstädten zwischen 50.000 und 10.000 Einwohnern statt. Der Deckungsgrad der Wählergruppen sank in kleineren Gemeinden, stieg in Großstädten aber um 28,6 Prozentpunkte an, hauptsächlich Fälle, in denen sie zum ersten Mal kandidierten. Der leichte Anstieg an Kandidaturen von Einzelbewerbern aus dem Amt ist auf die zur Wiederwahl antretenden Amtsinhaber zurückzuführen, auf die weiter unten noch eingegangen wird. Für die Vergrößerung des Kandidatenangebotes in Großstädten
201
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
sind auch in starkem Maße die zunehmenden Kandidaturen sonstiger Parteien verantwortlich. Tabelle 69: Differenzen des Deckungsgrades an Kandidaturen nach Gemeindegrößenklassen im Vergleich der Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
SPD CDU Grüne FDP Sonstige Wgr EB EB Amt
unter 10.000 -21,5 -13,6 -14,6 -11,6 -1,8 -2,8 -10,0 6,4
10.000 20.000 -12,9 -6,0 -37,3 -21,7 0,0 -12,8 -2,6 6,5
20.000 50.000 -5,9 1,7 -16,3 -8,5 1,5 -9,6 10,7 -1,6
50.000 100.000 -2,1 -2,1 -16,5 -26,5 1,6 9,1 -18,5 4,2
über 100.000 -3,6 3,6 -3,6 -10,7 32,1 28,6 -14,2 -3,6
Quelle: Eigene Darstellung.
Der Anteil der Gemeinden, in denen die SPD nur noch bei Ratswahlen antritt, hat sich in den unteren beiden Größenklassen verdoppelt und liegt in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern bei 42,6% (1999: 20,7) und in Gemeinden zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern bei 23,5% (1999 10,4%). Selbst in größeren Mittelstädten und Großstädten gibt es vereinzelt Fälle, in denen die SPD nicht zur Bürgermeisterwahl antritt. Die CDU kandidiert in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern in einem Viertel der Fälle nur für den Rat, auch dieser Wert hat sich verdoppelt, wie auch der Anteil der Gemeinden zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern mit ausschließlicher Ratskandidatur der CDU (12%, 1999: 6,4%). Weitere Veränderungen bei der CDU fallen nicht sehr ins Gewicht. Der Rückgang an Kandidaturen der CDU fällt auch wegen des sehr hohen Anteils an Amtsinhabern (s.u.) geringer aus als bei der SPD, da Amtsinhaber in der Regel wieder für ihre Partei antreten und die CDU daher in vielen Kommunen gar nicht vor der Frage steht, ob sich eine HerausfordererKandidatur lohnt.
202
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 70: Differenzen zwischen dem Deckungsgrad bei Ratswahlen und bei Bürgermeisterwahlen 2004 nach Größenklassen
SPD CDU Grüne FDP Wgr Summe der Differenzen DifferenzIndex n
Unter 10.000 42,6 25,9 50,0 59,2 53,7 231,5
10.000 20.000 23,5 12,6 27,8 36,3 53,8 154,0
20.000 50.000 12,1 4,5 39,4 47,7 41,6 145,4
50.000 100.000 2,1 2,1 23,4 53,2 29,8 110,7
Über 100.000 3,6 0,0 3,6 25,0 18,3 50,4
0,46
0,31
0,29
0,22
0,10
54
119
132
47
28
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Sonstige wurden nicht berücksichtigt. Deckungsgrad bei Ratswahlen minus Deckungsgrad bei Bürgermeisterwahlen = Anteil der Gemeinden einer Größenklasse, in denen eine Gruppierung nur bei der Ratswahl antritt. Die jeweils zwei höchsten Werte sind fett hervorgehoben.
Bei kleinen Gruppierungen hat sich im Vergleich zu 1999 der Trend verstärkt, sich nur noch auf die Ratswahlen zu konzentrieren und sich nicht mehr mit eigenen Kandidaten an Bürgermeisterwahlen zu beteiligen. Bei der FDP hat sich der Anteil der Kommunen in allen Größenklassen erhöht, in denen sie nur noch bei Ratswahlen präsent ist, besonders stark in kleinen Gemeinden und großen Mittelstädten. Auch bei den Grünen hat sich der Anteil der Gemeinden mit reiner Ratskandidatur in drei Größenklassen erhöht, nur in der Klasse 10.000 bis 20.000 Einwohner ist er leicht gesunken. In Großstädten sind sie aber in nur einer Stadt nicht bei der Bürgermeisterwahl angetreten. Die Werte des Differenz-Index sind in allen Größenklassen gestiegen, am stärksten in der Klasse unter 10.000 Einwohnern (0,46; 1999: 0,31), in den Großstädten jedoch nur geringfügig (0,10; 1999 0,09), so dass sich hier das Bild nicht nur hinsichtlich der Anzahl der Kandidaten, sondern auch was die Unterschiede zwischen den elektoralen Parteiensystemen bei Rats- und Bürgermeisterwahlen angeht, polarisiert hat. 2004 traten in knapp dreißig Prozent der Fälle keine Amtsinhaber zur Wahl an. Die größte Gruppe an kandidierenden Amtsinhabern in allen Gemeindegrößenklassen stellte die CDU (46,8% der Fälle), Bürgermeister der SPD und Einzelbewerber aus dem Amt traten in jeweils 11,6% der Kommunen an. Dazu kamen zwei Bürgermeister der Grünen in Gemeinden unter 20.000 Einwohnern. Bürgermeister als Einzelbewerber kamen häufiger in Gemeinden unter 20.000 Einwohnern vor.
203
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
Tabelle 71: Kandidatur von Amtsinhabern nach Gemeindegrößenklassen 2004
Keine Amtsinhaber SPD hBm CDU hBm EB hBm Grüne hBm n %
Unter 10.000 24,1
10.000 20.000 25,2
20.000 50.000 37,1
50.000 100.000 23,4
Über 100.000 32,1
n
%
112
29,5
9,3 44,4 20,4 1,9
13,4 43,7 16,8 0,8
9,1 46,2 7,6 -
12,8 57,4 6,4 -
17,9 50,0 -
44 178 44 2
11,6 46,8 11,6 0,5
54 100,0
119 100,0
132 100,0
47 100,0
28 100,0
380 100,0
100,0
Quelle: Eigene Darstellung.
Im Vergleich der beiden Bürgermeisterwahlen war es besonders interessant, ob die Bürgermeister wieder für ihre Partei antreten würden, oder ob sich ein Teil der Amtsinhaber „selbstständig“ machen würden, auch mit Blick auf eine breitere Akzeptanz in der Wählerschaft (Stichwort: „Bürgermeister aller Bürger“)128. Zunächst fällt auf, dass bei CDU und SPD ein hoher Anteil der Bürgermeister nicht mehr zur Wahl antrat. Die Gründe für den Kandidaturverzicht sind im Einzelnen nicht bekannt. Eine Reihe der Bürgermeister von 1999 war in einem Alter, dass sie bei einer erneuten Kandidatur 2004 im Laufe der nächsten Wahlperiode die Altersgrenze überschreiten würden und möglicherweise deshalb nicht mehr antraten (Gehne 2002, 228). Der Vergleich zeigt, dass aber die Kandidatur für die eigene Partei auch 2004 die Regel war. Es gibt jedoch bei SPD und CDU einige Ausnahmen, bei denen Amtsinhaber nach zum Teil heftigen Konflikten nicht mehr für ihre Partei antraten129. Insgesamt gesehen sind diese Fälle aber extrem selten. Die Kandidatur für eine Partei scheint auch für Amtsinhaber noch immer die bessere Wahl zu sein.
128 Plausibel wäre ein Wechsel der Kandidatur-Strategie auch für parteilose Bürgermeister, die 1999 noch für eine Partei antraten (Gehne 2002, 231). 129 Ein Beispiel, das überregional Aufsehen erregte, war die Einzelbewerber-Kandidatur der CDU-Bürgermeisterin in Marl (Kreis Recklinghausen), die daraufhin von ihrer Partei aus den Mitgliedslisten gestrichen wurde (vgl. Kapitel 4.3.2). In Gangelt (Kreis Heinsberg), Wenden (Kreis Olpe), Netphen (Kreis Siegen-Wittgenstein) und Selm (Kreis Unna) kandidierte der ehemals für die CDU angetretene Bürgermeister gegen einen CDU-Kandidaten. Einen ähnlichen Fall gab es bei der SPD in Rösrath (Rheinisch-Bergischer Kreis). In den Gemeinden Nordwalde (Kreis Steinfurt) und Mettmann (Kreis Mettmann) trat der ehemalige SPD-Kandidat unabhängig an, aber ohne Gegenkandidat der SPD, was auf einen weniger konflikhaften Verlauf und eine mögliche Unterstützung des Einzelbewerbers hinweist. Einen ähnlichen Fall auf Seiten der CDU gab es in Oerlinghausen (Kreis Lippe).
204
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 72: Kandidatur von 1999 gewählten Amtsinhabern bei den Bürgermeisterwahlen 2004 1999 SPD
CDU
Grüne
FDP
Wgr
EB
n
29
68
-
-
2
13
Gesamt 112
% n % n % n % n % n
38,2 44 57,9 3* 3,9 76
27,2 176 70,4 6** 2,40 250
2 100,0 2
1 100,0 1
50,0 2 50,0 4
27,7 2 4,3 32 68,1 47
29,5 44 11,6 178 46,8 44 11,6 2 0,5 380
2004 Keine Kandidatur SPD CDU EB Grüne Gesamt
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Lesehilfe: 38,2% der 1999 gewählten Bürgermeister, die von der SPD nominiert waren, traten 2004 nicht mehr an. 57, 9 % traten wieder für ihre Partei an und 3,9% traten als Einzelbewerber zur Wahl an. * Kandidatur des 1999 SPD-nominierten Bürgermeisters als Einzelbewerber in Nordwalde, Mettmann und Rösrath. ** Kandidatur des 1999 CDU-nominierten Bürgermeisters als Einzelbewerber in Gangelt, Oerlinghausen, Wenden, Netphen, Selm und Marl.
In Fällen ohne Kandidatur eines Amtsinhabers lag der Deckungsgrad aller Gruppierungen über den landesweiten Werten. Alle SPD-Bürgermeister haben einen Herausforderer von der CDU, umgekehrt verzichtet die SPD in 16,9% der Kommunen mit CDUBürgermeistern auf eine Kandidatur. Wie auch schon 1999 lag bei Bewerbung von Bürgermeistern als Einzelbewerber der Deckungsgrad bei allen Gruppierungen deutlich unter den landesweiten Werten, so dass hier der stärkste „Kandidatur-Abschreckungs-Effekt“ zu vermuten ist. In Gemeinden unter 50.000 Einwohnern haben 21 von 44 parteiunabhängig kandidierenden Bürgermeistern keinen Gegenkandidaten der großen Parteien, in neun Fällen kandidiert nur eine große Partei und die andere unterstützt den Einzelbewerber. SPDBürgermeister hatten in allen Fällen einen Herausforderer der CDU, aber 30 von 178 CDUBürgermeistern hatten keine Herausforderer von der SPD. Die SPD hat also 2004 im Vergleich zu 1999 deutlich häufiger auch gegen CDU-Bürgermeister auf eine Kandidatur verzichtet.
205
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
Tabelle 73: Deckungsgrad nach Amtsinhaberkandidatur
SPD CDU Grüne FDP Sonstige Wgr EB n Format
Kein Amt
SPD- Amt
EB- Amt
100 100 50 31,8 9
CDUAmt 83,1 100 42,1 39,3 6,2
89,3 94,6 41,1 42 9,8 32,1 37,5 112 3,63
43,2 40,9 22,7 13,6 0
Grüne Amtr 0 0 100 0 0
34,1 6,8 44 3,45
29,8 18,5 178 3,25
Gesamt 81,8 90,5 40,8 36,6 -
9,1 100 44 2,55
0 0 2 2
27,3 26,3 380 3,3
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Deckungsgrad: Anteil der Gemeinden mit Kandidatur einer Gruppierung.
Abschließend wird nun das Kandidatenangebot in vier Parteiensystemtypen von 1999 dargestellt130. Ausgehend von der These, dass Parteiensystem und Mehrheitsverhältnisse der vorangegangenen Wahl den politischen Wettbewerb und die Kandidatenauswahl beeinflussen, zeigt sich, dass mit abnehmender CDU-Dominanz auch zunehmend andere Amtsinhaber 2004 zur Wahl antreten. Deutlich höher sind die Anteile von SPD-Amtsinhabern im Typus des sehr stark kommunalisierten Mehrparteiensystems mit CDU-Dominanz und in den Kommunen des Typs Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien. Amtsinhaber als Einzelbewerber gab es seltener in Parteiensysteme mit CDUHegemonie und in den Mehrparteiensystemen ohne Dominanz, ihr Anteil war höher im Parteiensystemtyp des sehr stark kommunalisierten Mehrparteiensystems mit CDUDominanz.
130
Zu den Ergebnissen der Faktor- und Clusteranalysen für 1999, die hier nicht dargestellt wurden vgl. die Angaben im Dokument „Ergänzende Informationen, Tabellen und Quellen, das unter der Adresse http://docserv.uniduesseldorf.de/servlets/DocumentServlet?id=6524 (Stand 28.01.2008) heruntergeladen werden kann.
206
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 74: Parteiensystemtypen (1999) und Kandidatur von Amtsinhabern 2004
kein Amt SPDAmt CDU Amt EBAmt Grüne Amt n
Kommunalisiertes Vierparteiensystem mit CDUHegemonie
Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDUDominanz
Stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit CDU-Dominanz
Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien
Gesamt
25,0
29,7
33,3
30,4
29,5
-
11,0
19,5
21,7
11,6
67,4
46,5
27,6
43,5
46,8
6,5
12,3
19,5
4,3
11,6
1,1
0,6
-
-
0,5
92
155
87
46
380
Quelle: Eigene Darstellung.
Diese Amtsinhaber hatten es in der zurückliegenden Wahlperiode oft mit auch mit CDUdominierten Räten zu tun (hohe Wahrscheinlichkeit für kommunale Kohabitation). Gerade bei relativen Mehrheiten der CDU waren aber auch andere Konstellationen denkbar131. Parteigebundenen Amtsinhabern, die sich in einem von einer anderen Partei dominierten politischen Kontext zur Wiederwahl stellten, wurde vor der Wahl oft eine geringere Erfolgschancen vorausgesagt als Amtsinhabern mit homogenem politischen Kontext.
131
Vgl. z.B. die Fallstudie Hilden (Kreis Mettmann).
207
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
Tabelle 75: Deckungsgrad 2004 nach Parteiensystemtyp (1999)
SPD CDU Grüne FDP Sonstige Wgr EB EB Amt N Ø
Kommunalisiertes Vierparteiensystem mit CDUHegemonie
Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDUDominanz
Stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit CDU-Dominanz
Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien
Gesamt
77,2 97,8 33,7 22,8 1,1
82,6 91,6 42,6 45,2 1,3
80,5 83,9 28,7 23 3,4
91,3 93,5 71,7 56,5 43,5
81,8 90,5 40,8 36,6 -
23,9 17,9 6,5
19,4 20 12,3
40,2 20,7 19,5
45,7 21,8 4,3
27,3 26,3 11,6
92 2,8
155 3,2
87 3,2
46 4,7
380 3,3
Anzahl Kandidaten Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Deckungsgrad: Anteil der Fälle pro Typ mit Kandidatur einer Gruppierung.
In Kommunen mit CDU-Hegemonie liegt der Deckungsgrad bei allen Gruppierungen außer der CDU unter den landesweiten Werten. Allerdings gibt es auch bei CDU-Hegemonie im Rat Fälle, in denen die CDU auf eine Kandidatur zugunsten der Unterstützung eines Einzelbewerbers verzichtet. Die SPD hatte in diesem Typus den geringsten Deckungsgrad. Das Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien ist der Typus mit der am stärksten ausgeprägten Parteienkonkurrenz und der höchsten personellen Parteipolitisierung. Kommunen des Typs stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit CDUDominanz hatten dagegen einen etwas geringeren Deckungsgrad an CDU-Kandidaturen, aber vor allem eine deutlich niedrigere Repräsentanz der kleinen Parteien und einen deutlich höheren Deckungsgrad an Wählergruppen und Einzelbewerbern aus dem Amt, so dass hier die personelle Parteipolitisierung am geringsten war. Zusammenfassung und Vergleich des Kandidatenangebotes 1999 und 2004 Bei der Bürgermeisterwahl 2004 ging die personelle Parteipolitisierung des Kandidatenangebotes im Vergleich zu 1999 leicht zurück. Der Anteil der Parteikandidaten an allen Kandidaten sank zwar leicht, aber in den meisten Kommunen war immer noch der größte Anteil an Kandidaten von Parteien nominiert worden. Die personelle Parteipolitisierung des Kandidatenangebotes war 2004 am stärksten im Parteiensystemtyp des Mehrparteiensystems ohne ausgeprägte Dominanz einer Partei in größeren Städten. Am geringsten war die personelle Parteipolitisierung bei Bürgermeisterwahlen in Kommunen mit stark kommunalisiertem Parteiensystem mit CDU-Dominanz. Die durchschnittliche landesweite Kandidatenanzahl sank von 3,75 auf 3,3 Kandidaten. Die
208
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Anzahl der Kandidaten steigt 2004 mit der Gemeindegröße, wenn auch nicht mehr so stetig wie 1999. Dafür haben sich 2004 im Vergleich die Extreme deutlicher konturiert: es gab eine Zunahme von Fällen mir sehr kleinem Angebot (1-2), geringer Einwohnerzahl und ebenfalls eine Zunahme sehr großer Kandidatenangebote (mehr als sechs) in Großstädten. Auch die Unterschiede zwischen den elektoralen Parteiensystemen bei Rats- und Bürgermeisterwahlen haben sich verstärkt, je kleiner die Gemeinde, desto größer die Unterschiede. Der Anteil der Kommunen mit gleich großem Angebot wie bei den Ratswahlen sank 2004, in 80% der Kommunen ist das Kandidatenangebot kleiner als bei Ratswahlen. Der Deckungsgrad an Kandidaturen bei der Bürgermeisterwahl ist bei allen Gruppierungen gesunken. Im Vergleich mit dem Angebot der verbundenen Ratswahl zeigte sich, dass 2004 vor allem die kleinen Gruppierungen sich zunehmend auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und nur noch bei Ratswahlen antreten und bei Bürgermeisterwahlen das Feld den großen Parteien und Einzelbewerbern überlassen. Offensichtlich scheint bei den kleineren Gruppierungen das Modell „Kandidat als Zugpferd“ 2004 nicht mehr die große Bedeutung gehabt zu haben wie 1999. Aber auch die großen Parteien, vor allem aber die SPD, verzichteten 2004 häufiger auf eine Kandidatur, wenn sie es mit aussichtsreichen parteiunabhängigen Amtsinhabern zu tun hatten. Zwar sind sie immer noch in den meisten Fällen präsent, man darf jedoch gespannt sein, ob sich der Trend des Kandidaturverzichts bei großen Parteien bei den nächsten Wahlen weiter verstärkt. Die für 1999 formulierte Regel kann nach der Analyse des Angebots 2004 wie folgt ergänzt werden: Je kleiner die Gemeinde, desto reduzierter ist das Kandidatenangebot bei Bürgermeisterwahlen und desto unterschiedlicher als bei Ratswahlen und desto stärker konzentriert sich die Auseinanderssetzung auf zwei Hauptkontrahenten (in der Regel Bürgermeister und Herausforderer). In siebzig Prozent aller Städte und Gemeinden trat 2004 ein Amtsinhaber zur Wahl an. In der Regel traten Bürgermeister auch wieder für ihre Partei an, wie auch 1999 gab es aber auch bei der zweiten Direktwahl wenige Konfliktfälle, in denen Amtsinhaber gegen ihre Partei kandidierten. Diese Fälle mögen zwar unterm Strich spannender, weil konflikthafter sein als die „normalen“ Kommunen, prägen aber nicht das Gesamtbild. Darüber hinaus gab es wie auch schon 1999 bei den Bürgermeisterwahlen 2004 Amtsinhaber von SPD und Grünen, die in einem von der CDU dominierten Umfeld antraten. Ihre Erfolgschancen sind im Vergleich zu Amtsinhabern mit homogenem politischen Kontext geringer. Einzelbewerber entziehen sich dieser Betrachtung, da sie a priori keinem Lager zugeordnet werden können. Bürgermeister als Einzelbewerber gab es häufiger in Mehrparteiensystemen mit ausgeprägter CDU-Dominanz und in stark kommunalisierten Mehrparteiensystemen mit CDU-Dominanz. Auch 2004 hatten parteinominierte Amtsinhaber in der Regel einen aussichtsreichen Gegenkandidaten, aber sowohl der Anteil der Bürgermeisterwahlen ohne Kandidatenwettbewerb als auch der Anteil der CDU-Bürgermeister ohne Herausforderer von der SPD nahmen im Vergleich der beiden Direktwahlen zu. Ob dieser Trend sich in Zukunft weiter verstärken wird, oder ob zumindest die großen Parteien wieder verstärkt auf eigene Kandidaturen setzen werden, ist noch nicht absehbar. Wenn gegen den Amtsbonus kein elektorales Kraut gewachsen ist, entscheidet sich diese Frage vor allem in Kommunen, in denen in Zukunft kein Amtsinhaber mehr antritt. Das Kandidatenangebot 2004 war in diesen Fällen etwas größer als in Fällen mit Amtsinhabern und der Deckungsgrad aller Gruppierungen lag über den landesweiten Werten. Ohne diesen Befund überinterpretieren zu wollen,
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
209
spricht das eher für einen weiterhin parteipolitisierten Wettbewerb, in den die Parteien nach Ausscheiden des Amtsinhabers wieder einsteigen. Die typischen Angebots-Szenarien von 1999 werden wie folgt weiterentwickelt:
In kleineren, von der CDU dominierten Gemeinden traten bei den Bürgermeisterwahlen zwei Kandidaten an, darunter der CDU-Amtsinhaber oder ein Einzelbewerber und ein Herausforderer der SPD, der von anderen Gruppierungen unterstützt wird. Zwei weitere kleinere Gruppierungen beteiligen sich nur an Ratswahlen. Die Differenz des Angebots bei Rats- und Bürgermeisterwahlen ist in diesem Szenario am größten, vor allem wenn Bürgermeister als Einzelbewerber ohne Gegenkandidaten antreten. In mittelgroßen, von der CDU dominierten Kommunen traten drei bis vier Kandidaten an. Darunter der CDU-Bürgermeister, eine Herausforderer der SPD und ein bis zwei weitere Kandidaten kleinerer Gruppierungen. Je stärker die Kommunalisierung in diesem Szenario ausgeprägt ist, desto eher treten Bürgermeister als Einzelbewerber an. Ein bis zwei kleinere Gruppierungen beteiligen sich nur an den Ratswahlen. In größeren Städten ohne ausgeprägte Dominanz einer Partei kandidierten fünf bis sechs Bewerber bei den Bürgermeisterwahlen, darunter ein Amtsinhaber einer großen Partei, der Herausforderer der anderen großen Partei und drei bis vier andere Kandidaten. Alle Gruppierungen beteiligen sich auch an den Ratswahlen, die Angebote bei Rats- und Bürgermeisterwahlen waren gleich.
Wahlsieger bei den Bürgermeisterwahlen 2004 Der Mittelwert der Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen lag am 26.09.2004 bei 59,4%. Die Wahlbeteiligung unterschied sich damit kaum von der Wahlbeteiligung 1999 (60,1%). Die niedrigste Wahlbeteiligung sowohl im ersten Wahlgang (45,2%) als auch in der Stichwahl (31,2%) gab es in Mönchengladbach (261.966 Einwohner)132, die höchste in Laer mit 87,8% (Kreis Steinfurt, 6.316 Einwohner). In Gemeinden unter 10.000 Einwohnern lag die Wahlbeteiligung durchschnittlich bei 66,2%, in Großstädten bei 51,3%133, so dass weiterhin von einem relativ starken Zusammenhang von Einwohnerzahl und Höhe der Wahlbeteiligung ausgegangen werden kann. Das insgesamt niedrige Niveau der Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen und die Unterschiede nach Größe haben sich im Vergleich zu 1999 kaum verändert. Am 10.10. 2004 fanden in 106 Städten und Gemeinden Stichwahlen statt. Die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl sank durchschnittlich um 10 Prozentpunkte und lag landesweit bei 46,5% und damit um fünf Prozentpunkte niedriger als bei Stichwahlen 1999. Von 380 2004 gewählten Bürgermeistern kandidierten 314 für eine Partei (82,6%), damit sank der Anteil der hinsichtlich ihrer Kandidatur parteigebundenen Bürgermeister im Vergleich zu 1999 um fünf Prozentpunkte. Der Anteil der Wahlsieger, die als Einzelbewerber angetreten sind, nahm zu und lag 2004 bei 16%, darunter 10,5% Amtsinhaber. Dazu stieg
132 Der Sieger der Stichwahl in Mönchengladbach war Norbert Bude (SPD), der aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung von nur 16,1% aller Wahlberechtigten gewählt wurde. 133 Durchschnittliche Wahlbeteiligung in den anderen Größenklassen: 10.000 bis 20.000 Einwohner: 62,0%; 20.000 bis 50.000: 58,0; 50.000 bis 100.000: 54,2; Korrelation nach Spearman = -0,70.
210
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
der Anteil der Wahlsieger von Wählergruppen leicht an, so dass der Anteil der nicht parteigebundenen Bürgermeister bei dieser Wahl insgesamt zugenommen hat. Tabelle 76: Wahlsieger nach Nominierungsgruppen und Wahlgang 2004 Wahlgang Gewinner 1. Wahlgang Gewinner Stichwahl Gesamt
FDP
Wgr
EB
183
Grüne Amt 2
-
1
% 51,6 n 45
83,9 35
100,0 -
1
% 48,4 n 93 % 24,5
16,1 218 57,4
2 0,5
100,0 1 0,3
n
SPD
CDU
48
Gesamt
8
EB Amt 32
20,0 4
38,1 13
80,0 8
72,1 106
80,0 5 1,3
61,9 21 5,5
20,0 40 10,5
27,9 380 100,0
274
Quelle: Eigene Darstellung.
Der Anteil der CDU-Bürgermeister betrug 2004 57,4%. Sie wurden überwiegend im ersten Wahlgang gewählt, auch wenn sie nicht aus dem Amt kandidierten. Die SPD konnte in einem Viertel der Kommunen die Bürgermeisterwahl für sich entscheiden. Der im Vergleich zur CDU niedrigere Anteil an Wahlsiegern im ersten Wahlgang wurde in erster Linie durch Wahlsieger verursacht, die nicht aus dem Amt kandidierten (Anteil Stichwahl 79,2%, bei SPD-Bürgermeistern nur 7,5%). Der Amtsbonus zog bei dieser Wahl auch bei SPDBürgermeistern wesentlich besser als 1999, worauf weiter unten noch näher eingegangen wird. Auch 2004 fanden Stichwahlen eher in größeren Gemeinden mit einer durchschnittlich höheren Kandidatenanzahl, einer geringeren Konzentration auf die beiden großen Parteien und einer stärkeren Fragmentierung des elektoralen Parteiensystems im ersten Wahlgang statt. Berücksichtigt man beide Runden der Direktwahlen, gab es in 54,4% der Kommunen bisher gar keine Stichwahlen, in 33,2% mindestens eine und in 12,4% der Fälle bei beiden Wahlen. Tabelle 77: Kommunen mit und ohne Stichwahl 2004 Merkmale Einwohnerzahl Kandidatenanzahl Amtsinhaber Konzentration Fragmentierung Rae-Index Quelle: Eigene Darstellung.
mit Stichwahlen 77.422 4,6 48% kein Amtsinhaber, 5,7% SPD, 35,8% CDU 77,2 0,65
ohne Stichwahlen 30.528 2,8 22,3% kein Amtsinhaber, 13,1% SPD, 51,1% CDU 84,3 0,47
211
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
Stichwahlen fanden 2004 eher in Kommunen ohne Bewerbung eines Amtsinhabers statt, 1999 waren es noch eher Städte mit SPD-Amtsinhabern. Die Anzahl der Kandidaten und die Fragmentierung waren in Fällen ohne Stichwahl 2004 noch etwas niedriger als 1999. Im nächsten Schritt wird nun in den folgenden Tabellen das Abschneiden der Amtsinhaber näher analysiert. Tabelle 78: Kandidierende Amtsinhaber und Wahlausgang 2004 Wahlsieger von … SPD CDU EB Grüne FDP Wgr Gesamt
n % n % n % n % n % n % n
Kandidierende Amtsinhaber kein SPD CDU Amtsinhaber 33 40 20 29,5 90,9 11,2 58 4 152 51,8 9,1 85,4 17 4 15,2 2,2 1 0,9 3 2 2,7 1,1 112 44 178
EB
Grüne
Gesamt
4 9,1 40 90,9 44
2 100,0 2
93 24,5 218 57,4 61 16,0 2 0,6 1 0,3 5 1,3 380
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Amtsinhaber der Nominierungsgruppen sind zusammengefasst. Die Erfolgsquoten der Amtsinhaber sind fett hervorgehoben.
Gut sechzig Prozent der Bürgermeister wurden 2004 wiedergewählt, wie auch nach der ersten Direktwahl 1999 wurden knapp vierzig der Prozent der Bürgermeister neu gewählt. Gut dreißig Prozent aller Bürgermeister in NRW waren auch schon vor der Wahl 1999 Amtsinhaber gewesen, darunter 70 von der CDU, 27 von der SPD und 22 Einzelbewerber. Der Anteil der Gemeinden mit abgewählten Amtsinhabern lag 2004 bei neun Prozent und sank damit im Vergleich zu 1999 um neun Prozentpunkte. Die Erfolgsquoten der kandidierenden Amtsinhaber lassen sich den grau unterlegten Zellen in der folgenden Abbildung entnehmen. Die Erfolgsquoten von SPD-Bürgermeistern und Einzelbewerbern waren 2004 gleich hoch, jeweils 90,9% wurden wiedergewählt, die Erfolgsquote der CDU-Amtsinhaber war 2004 etwas niedriger, lag aber immer noch bei 84,5%. Wie die Übersicht zeigt, wurden zwanzig CDU-Bürgermeister von SPD-Kandidaten geschlagen und zwei von Kandidaten von Wählergruppen. Die zwei Bürgermeister von den Grünen wurden beide wiedergewählt. Gerade die hohe Erfolgsquote der SPD-Amtsinhaber 2004 im Vergleich zu 1999 (nur 50,7% bei hauptamtlichen Bürgermeistern) untermauert die Amtsbonus-These, denn diese gilt ja par-
212
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
teiunabhängig, denn Vorteile des Amtes haben erst einmal nichts mit dem Parteibuch des Amtsinhabers zu tun, es sei denn man würde davon ausgehen, dass beispielsweise SPDBürgermeister generell schlechtere Bürgermeister sind als andere. Dafür gibt es aber keine nachvollziehbaren Belege. Die im Zeitvergleich etwas niedrigeren Erfolgsquoten von CDU-Bürgermeistern (1999 noch 96,4%) und Einzelbewerbern (1999 noch 100%) können daher auch als Normalisierung gewertet werden, denn auch eine sehr hohe Erfolgsquote ist wohl eher unwahrscheinlich, da aufgrund lokaler Besonderheiten und/oder durch Probleme der Amtsführung auch ein „Amtsmalus“ vorliegen kann und daher auch eine gewisser „Schwund“ bei Bürgermeistern normal sein müsste. Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse wird deshalb für nordrhein-westfälische Verhältnisse die Hypothese formuliert, dass Amtsinhaber bei zukünftigen Wahlen eine Wiederwahlchance von neunzig Prozent haben. Unter Berücksichtigung der Parteiensystemtypen von 1999 als politischem Kontext vor der Wahl 2004, lässt sich das Ergebnis der Bürgermeisterwahlen 2004 für die Nominierungsgruppen CDU, SPD und die Einzelbewerber wie folgt zusammenfassen:
Die CDU konnte in den Parteiensystemen mit CDU-Hegemonie sowie ausgeprägter Dominanz ihre Position halten. CDU-Bürgermeister erreichten in diesen Fällen Erfolgsquoten von 95% und 86%. In Gemeinden ohne Kandidatur eines Amtsinhabers in diesen Systemtypen konnte die CDU in Fällen mit Hegemonie 78% und in Fällen mit ausgeprägter Dominanz 49% der Wahlen für sich entscheiden. Die Erfolgsquoten von CDU-Bürgermeistern lagen in Fällen mit starker Kommunalisierung (71%) und in Mehrparteiensystemen ohne Dominanz einer Partei (70%) unter der Erfolgsquote aller CDU-Bürgermeister. In stark kommunalisierten, von der CDU dominierten Parteiensystemen konnte die CDU 48% der Wahlen ohne Amtsinhaber gewinnen, in Fällen mit Mehrparteiensystemen ohne Dominanz nur 28%. In diesen beiden Typen muss von einem Abschmelzen der Dominanz der CDU ausgegangen werden. Insgesamt wurden neun von zehn Bürgermeistern der SPD 2004 wiedergewählt. Ihre Erfolgsquoten waren auch in den von der CDU dominierten Parteiensystemen hoch, lediglich in den Fällen mit Mehrparteiensystem ohne Dominanz lag sie bei nur 70%, drei Amtsinhaber unterlagen CDU-Kandidaten. Allerdings gelang es der SPD 2004 nicht nur, die Position zu halten, sondern SPD-Kandidaten gelang es auch in allen Systemtypen von 1999, vor allem in Fällen ohne Amtsinhaber, Wahlen für sich zu entscheiden. Bezieht man jedoch diese Erfolge auf die Parteiensystemtypen von 1994, zeigt sich, dass SPD-Kandidaten in zwei Drittel der Fälle dort wieder gewinnen konnten, wo ihre Partei 1994 noch dominant war. Also wurden 2004 in einem Teil der Kommunen die 1999 vom Bundestrend mitverursachten Wechsel an der Gemeindespitze wieder korrigiert. Die Erfolgsquote der Einzelbewerber hat sich 2004 normalisiert und lag bei neunzig Prozent (1999 noch 100%). In CDU-dominierten Parteiensystemen unterlagen insgesamt vier parteiunabhängige Bürgermeister CDU-Bewerbern. Insgesamt haben die Einzelbewerber einen Zuwachs zu verzeichnen, da sie in Fällen ohne Amtsinhaber einige Wahlen gewinnen und in wenigen Fällen auch CDU-Bürgermeister schlagen konnten.
213
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
Die Verteilung der Bürgermeister nach Nominierungsgruppen und Größenklassen wird in den Gemeinden unter 50.000 Einwohnern von Bürgermeistern der CDU bestimmt, obwohl auch dort der Trend des leichten Abbaus der Dominanz der CDU 2004 feststellbar ist. Tabelle 79: Wahlsieger nach Gemeindegrößenklassen 2004
SPD CDU Grüne FDP Wgr EB EB Amt
10.000 20.000 21 17,6 69 58,0 1 0,8 1 0,8 9 7,6 18
20.000 50.000 27 20,5 87 65,9 2 1,5 8 6,1 8
50.000 100.000 23 48,9 19 40,4 1 2,1 1 2,1 3
über 100.000 15 53,6 13 46,4 -
Gesamt
n % n % n % n % n % n % n
unter 10.000 7 13,0 30 55,6 1 1,9 2 3,7 3 5,5 11
% n
20,4 54
15,1 119
6,1 132
6,4 47
28
10,5 380
93 57,1 218 57,4 2 0,5 1 0,3 5 1,3 21 5,5 40
Quelle: Eigene Darstellung.
In Gemeinden unter 20.000 Einwohnern war 2004 ein leichter Zuwachs bei den Einzelbewerbern zu beobachten, obwohl diesmal nicht alle Bürgermeister dieser Kategorie wiedergewählt wurden (s.u.). Einschneidender war jedoch die Veränderung in Städten über 50.000 Einwohnern. Hatte die CDU 1999 auch in diesen Größenklassen mit deutlichem Abstand vor der SPD die meisten Bürgermeistersessel erobert, übernahm 2004 in einer Mehrzahl der Städte wieder ein Bewerber der SPD die Amtskette. In Kommunen zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern stieg auch die Kommunalisierung leicht an, nach der Wahl wurden insgesamt 10,4% der Städte dieser Größenklasse von Einzelbewerbern bzw. einem Wahlsieger einer Wählergruppe regiert. Das Verhältnis von Ratsmehrheit und Bürgermeister blieb auch nach 2004 bei beiden großen Parteien homogen, die meisten Bürgermeister waren von der im Rat dominanten Partei nominiert worden.
214
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 80: Bürgermeister und Ratsmehrheiten 2004
abs. Mehrheit
rel. Mehrheit
abs. Mehrheit
rel. Mehrheit
Patt CDU/SPD
rel. Mehrheit
Gesamt Anzahl
1,6 87,4 11,0 127
23,0 53,4 19,9 3,7 191
100,0 3
79,6 8,2 12,2 49
71,4 14,3 14,3 7
66,7 33,3 3
93 218 61 8 380
CDU
SPD CDU EB Sons. n
SPD
Wgr.
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Fälle mit Kohabitationspotential sind fett hervorgehoben.
Größeres Konfliktpotential lässt sich in den Kommunen vermuten, in denen die Zusammensetzung heterogen ist, also der Bürgermeister von einer anderen Partei nominiert wurde als der im Rat dominanten. Im Vergleich der beiden Wahlen hat sich das Konfliktpotential zwischen den beiden großen Parteien insgesamt eher vermindert. Gestiegen sind aber die Anteile der Kombinationen mit einer großen Partei, die im Rat dominierte und Sonstigen oder Einzelbewerber auf dem Bürgermeistersessel. Wenn ein Einzelbewerber von der Partei, die die Ratsmehrheit stellt, auch unterstützt wurde, dürften daraus weniger Probleme entstehen. Bisher gibt es aber keine Forschungsergebnisse aus der Regierungsphase, die es möglich machen, das Konfliktpotential solcher Konstellationen einzuschätzen. In der folgenden Abbildung wird abschließend die regionale Verteilung der Bürgermeister nach Nominierungsgruppen und parteipolitischen Tendenzen der Parteiensysteme 2004 dargestellt. Der Vergleich mit 1999 in den darauf folgenden Ausführungen bezieht sich nur auf Fälle, in denen in beiden Jahren Wahlen stattfanden, daher können die Aussagen nicht unmittelbar mit den Werten in Abbildung 14: verglichen werden.
215
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
Abbildung 17: Bürgermeister nach Nominierungsgruppen und Parteiensystemen in den Regionen 2004 100%
4,1%
6,3%
90%
2,1% 7,2%
3,0% 9,1%
1,7% 5,0% 1,7%
5,3% 1,8%
18,8%
5,0% 27,1%
9,1% 15,5%
22,8%
15,0%
26,7%
38,8%
70%
2,1% 18,8%
7,0%
12,4%
10,4%
60%
10,0%
50%
12,2%
40%
8,2%
22,9%
18,8% 78,8% 59,8%
14,3%
20% 10%
5,0%
3,1%
80%
30%
2,1%
75,0% 63,2% 55,0%
37,5%
35,4%
22,4%
0% Ruhrgebiet
Düsseldorf
Aachen/Eifel Niederrhein Münsterland
CDU-dominiert und CDU Bm ohne Dominanz mit CDU Bm
CDU-dominiert und SPD-Bm ohne Dominanz mit SPD Bm
Sauerland
Bielefeld
Paderborn
CDU-dominiert und EB/Sons. Bm ohne Dominanz mit EB/Sons. Bm
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Einteilung der Regionen nach Bick 1985. 380 Fälle mit Bürgermeisterwahlen 2004.
Die Regionen Paderborn, Niederrhein, Sauerland, Eifel und Münsterland waren auch 2004 eindeutig CDU-dominiert, in den Regionen Paderborn und Sauerland auch nahezu ohne Veränderungen in der Verteilung auf die verschiedenen Kombinationen von Parteiensystem und Bürgermeister. Die Dominanz der CDU hatte in den Regionen Münsterland und Düsseldorf deutlich abgenommen, sie blieb aber die stärkste Gruppierung. In beiden Regionen konnte die SPD nicht von den Verlusten der CDU profitieren, dagegen stiegen die Anteile der Kombinationen mit Einzelbewerber/Sonstigen als Bürgermeister deutlich an. In den Regionen Ruhrgebiet und Bielefeld hat die SPD ihre Position im Vergleich zu 1999 deutlich ausbauen können und stellte in beiden Regionen wieder die Mehrheit der Bürgermeister, darunter in der Region Ruhrgebiet in vierzig Prozent der Fälle in Kombination mit einem Parteiensystem ohne ausgeprägte Dominanz einer Partei. Das regionale Bild der Kombination Parteiensysteme – Bürgermeister ist im Vergleich der beiden Wahlen bunter geworden. Aber es gibt auch beträchtliche Kontinuität im Bereich der stark von der CDU dominierten Regionen. Die SPD konnte bei der Bürgermeisterwahl einen Teil der 1999 verloren Gemeinden zurückgewinnen, so dass die Ergebnisse der Bundestrend-Wahl teil-
216
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
weise wieder korrigiert worden sind, allerdings in der Regel unter Austausch der alten Eliten durch neuen Kandidaten134. Bürgermeister- und Ratswahlen 2004 im Vergleich Der Vergleich der Rats- und Bürgermeisterwahlen folgt der Vorgehensweise des vorangegangenen Abschnitts. Zunächst werden die Wahlergebnisse der Bürgermeisterkandidaten mit den Wahlergebnissen „ihrer“ Ratswahllisten in Fällen mit gleichzeitiger Kandidatur verglichen. Dann wird die Auswirkung des Zugpferdeffekts auf die Wahlergebnisse kleiner Gruppierungen mit und ohne Kandidat analysiert und abschließend Wahlergebnisse und Systemmerkmale nach Parteiensystemtypen von 2004 verglichen. Die Ratswahlergebnisse 2004 können wie folgt knapp zusammengefasst werden: Die CDU blieb trotz Verluste stärkste Partei in allen Größenklassen. Die SPD verliert gesamt gesehen in geringem Maße weiter Stimmen, konsolidiert sich damit aber auf niedrigem Niveau und kann in Regionen, in denen sie früher stark war, wieder war an Boden gewinnen. Alle kleinen Gruppierungen verbessern ihre Ergebnisse, daher verstärkte sich die Fragmentierung und Kommunalisierung der Ratswahlen. Der durchschnittliche Anteil aller SPD-Kandidaten bei den Bürgermeisterwahlen 2004 lag bei 34,5% und ist im Vergleich zu 1999 leicht angestiegen, der Anteil aller CDUKandidaten lag bei 51,8% und ist leicht gesunken. Tabelle 81: Vergleich der Wahlergebnisse nach Nominierungsgruppen 2004 SPD Ø Anteile Differenz Bm-Rat N
CDU
34,5
SPDBm 58,4
Grüne
FDP
Wgr
EB
51,8
CDU -Bm 61,0
8,7
7,5
11,5
42,8
EB Amt 69,5
4,5
18,6
3,3
8,1
-0,5
-0,1
-1,7
-
-
311
44
348
178
155
137
108
119
44
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Nur Fälle mit Kandidatur bei Rats- und Bürgermeisterwahlen. Mittelwert der Anteile.
Ein stärkerer Zuwachs war 2004 – wie auch bei den Ratswahlen – bei den kleinen Gruppierungen zu verzeichnen. Die Einzelbewerber gewannen durchschnittlich 42,8% der gültigen Stimmen und haben damit in dieser Betrachtungsweise sogar die SPD überholt, allerdings bei einem deutlich niedrigeren Deckungsgrad an Kandidaturen. Die Ergebnisse der Amtsinhaber lagen bei allen drei ausgewiesenen Gruppierungen deutlich über den durchschnittlichen Anteilen aller Kandidaten. Der Abstand zum Gesamtanteilswert hatte sich im Vergleich zu 1999 bei CDU-Bürgermeistern (+10 Prozentpunkte) und Einzelbewerbern (+27 Prozentpunkte) kaum verändert, anders bei SPD-Amtsinhabern. 134 Fälle wie in Dormagen (Rhein-Kreis-Neuss), wo der 1999 abgewählte SPD-Bürgermeister 2004 erneut für seine Partei antrat und seinen Nachfolger von der CDU schlug, dürften sehr selten sein.
217
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
Die 2004 noch verbliebenen SPD-Amtsinhaber haben deutlich besser abgeschnitten als ihre Vorgänger 1999. Dieser Befund ist neben der hohen Wiederwahlquote ein weiterer Beleg für die durchschlagende Wirkung des Amtsbonus auch bei SPD-Bürgermeistern 2004. Die durchschnittlichen Differenzen von Bürgermeister- und Ratswahlergebnissen wiesen die gleichen Tendenzen auf wie 1999, Kandidaten großer Parteien erhielten mehr Stimmen als die Ratswahlliste, Kandidaten kleiner Parteien weniger, dort wo sie noch antraten, denn der Deckungsgrad war ja bei kleinen Gruppierungen eher gesunken. Allerdings war der durchschnittliche Vorsprung der Bürgermeisterkandidaten großer Parteien wesentlich größer als 1999, vor allem SPD-Amtsinhaber haben wesentlich mehr Stimmen erhalten als ihre Ratswahllisten. Die größeren Stimmenverlagerungen zugunsten von Amtsinhabern lassen sich zum größten Teil auf den geringeren Deckungsgrad in diesen Fällen zurückführen. Dort wo Bürgermeisterkandidaten kleinerer Parteien antraten, waren die durchschnittlichen Abweichungen im Vergleich zu 1999 in etwa gleich geblieben. Die Ratswahlergebnisse kleiner Gruppierungen sind 2004 insgesamt gestiegen, wie auch die Werte in Tabelle 82: zeigen. Der Deckungsgrad an Kandidaturen kleinerer Gruppierungen bei Bürgermeisterwahlen war 2004 im Vergleich zu 1999 gesunken, so dass schon die Vermutung geäußert wurde, dass die Bedeutung der Kandidatur als Zugpferd 2004 abgenommen hat. Die positiven Effekte einer Kandidatur auf das Ratswahlergebnis waren auch schon 1999 nicht sehr beeindruckend (vgl. Tabelle 63:). Tabelle 82: Vergleich der Ratswahlergebnisse von Gruppierungen mit und ohne Bürgermeisterkandidat 2004 Gruppierung Grüne FDP Wgr
% gültigen Stimmen mit Kandidat ohne Kandidat 9,1 8,1 8,0 7,5 13,3 13,3
eta 0,159 0,075 0,0
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Es wurden nur Fälle berücksichtigt, in denen einen Gruppierungen mindestens bei Ratswahlen angetreten ist. Mittelwerte der Anteile in Prozent der gültigen Stimmen.
2004 lagen die durchschnittlichen Stimmenanteile mit Kandidaten bei Grünen und FDP wieder über den Anteilen ohne Kandidaten, bei den Wählergruppen waren sie gleich hoch. Da der Abstand bei den Grünen etwas zugenommen hat, war auch der Wert für Eta etwas angestiegen, bei der FDP jedoch gesunken. Bei den Wählergruppen ließ sich gar kein Zusammenhang mehr feststellen. Insgesamt gesehen bestätigt der Vergleich 2004 das Ergebnis von 1999, der Effekt einer Bürgermeisterkandidatur auf das Ratswahlergebnis war auf dieser Analyseebene nicht sehr groß. Vergleicht man die durchschnittlichen Anteile und Differenzen nach Parteiensystemtypen 2004135, zeigt sich, dass die Kandidaten großer Parteien in allen Parteiensystemtypen mehr Stimmen bekamen als ihre Partei bei Ratswahlen. Die CDU-Dominanz bei Ratswah-
135
Vgl. Tabelle 38: bis Tabelle 41:.
218
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
len bestätigte sich im Prinzip auch bei Bürgermeisterwahlen, im Typ des kommunalisierten Mehrparteiensystems ohne ausgeprägte Dominanz einer Partei waren die durchschnittlichen Anteile der SPD-Kandidaten deutlich höher als die der CDU-Kandidaten, so dass davon ausgegangen werden kann, dass sich die Renaissance der SPD bei Bürgermeisterwahlen im Schwerpunkt in diesem Systemtyp abgespielt hat. Tabelle 83: Wahlergebnisvergleich nach Parteiensystemtypen 1999 Kommunalisiertes Vierparteiensystem mit CDUHegemonie
Anteile Diff. BmRat n
Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDUDominanz
Anteile Diff. BmRat n
Sehr stark kommunalisiertes Vielparteiensystem mit CDUDominanz
Anteile Diff. BmRat n
Kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien
Anteile Diff. BmRat n
SPD 22,8 0,5
CDU 70,0 4,2
Grüne 9,8 3,1
FDP 6,7 1,1
Wgr 10,6 -0,9
EB 49,1 -
50 SPD 32,3 3,4
63 CDU 53,2 4,5
15 Grüne 10,8 0,1
10 FDP 8,9 -1,0
10 Wgr 7,5 -1,4
16 EB 46,0 -
119 SPD 33,8 6,2
136 CDU 45,1 2,7
66 Grüne 6,8 0,9
70 FDP 7,1 0,4
29 Wgr 17,6 -2,9
44 EB 44,6 -
77
83
33
29
40
41
SPD 48,4 7,5
CDU 39,9 1,0
Grüne 6,5 -2,2
FDP 4,5 -0,9
Wgr 7,3 -0,5
EB 25,1 -
65
66
41
28
29
18
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Nur Fälle mit Kandidatur bei Rats- und Bürgermeisterwahlen. Mittelwert der Anteile.
Einzelbewerber hatten 2004 in allen CDU-dominierten Systemtypen sehr gute Wahlergebnisse, deutlich niedriger lagen ihre durchschnittlichen Ergebnisse in Fällen mit kommunalisierten Mehrparteiensystemen ohne Dominanz einer großen Partei, dort traten in beinahe allen Fällen Kandidaten großer Parteien an, so dass es wenig Spielraum für Wahlempfehlungen zugunsten von Einzelbewerben gab. Daher muss die Faustregel zur Erklärung der Differenzen von 1999 modifiziert werden: Die Unterschiede zwischen den Ergebnissen bei Rats- und Bürgermeisterwahl waren 2004 nicht nur dort besonders groß, wo Einzelbewerber stark waren, sondern auch in Fällen, in denen Amtsinhaber von CDU und SPD antraten, da diese 2004 ihren Abstand zu den Ratswahlergebnissen ihrer Parteien vergrößern konnten.
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
219
Im letzten Schritt werden nun ausgewählte Systemeigenschaften bei Rats- und Bürgermeisterwahlen 2004 verglichen. Wie auch schon im vorangegangenen Abschnitt werden zur Analyse der Parteiensystemeigenschaften alle Fälle eines Typs unabhängig vom Deckungsgrad einbezogen. Die Volatilität war in allen Typen deutlich höher als 1999, auch die Angebotsdifferenzen bei Rats- und Bürgermeisterwahlen sind in allen Typen deutlich angestiegen. Die Kommunalisierung bei Bürgermeisterwahlen hat in allen CDUdominierten Typen im Vergleich zu 1999 zugenommen, nur in den Mehrparteiensystemen lag der durchschnittliche Anteil von Einzelbewerbern und Wählergruppen noch unter zehn Prozent. Die Kommunalisierung der Bürgermeisterwahlen ist in allen Typen größer als bei Ratswahlen. In kleineren Gemeinden des Typs „Kommunalisiertes Vierparteiensystem mit CDU-Hegemonie“ gab es mit durchschnittlich 2,7 Kandidaten die niedrigste Kandidatenanzahl aller Typen. Das Kandidatenangebot bei Bürgermeisterwahlen war damit durchschnittlich 1,7 Kandidaten kleiner als bei Ratswahlen. 1999 lag der Abstand noch bei einem Kandidaten. Die Konzentration war im ersten Typ höher und die Fragmentierung niedriger als bei Ratswahlen. Der Wert des Rae-Index war 2004 in diesem Typ mit 0,41 im Vergleich am niedrigsten. In Kommunen des Typs Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDUDominanz gab es durchschnittlich 3,2 Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl, das waren 1,6 Kandidaten weniger als bei der Ratswahl. Die Konzentration war bei den Bürgermeisterwahlen deutlich niedriger als im ersten Typ und die Fragmentierung ausgeprägter. In Fällen des Typs „Sehr stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit CDUDominanz“ lag die durchschnittliche Kandidatenanzahl bei 3,4 und damit 1,8 Kandidaten niedriger als bei Ratswahlen. Die Konzentration war sowohl bei Bürgermeister- als auch bei Ratswahlen mit Abstand am niedrigsten, die Fragmentierung lag bei Bürgermeisterwahlen wie auch beim vergleichbaren Typ 1999 bei 0,56. Die niedrige Konzentration kann bei Rats- und Bürgermeisterwahlen auf die auch den Typ prägende sehr hohe Kommunalisierung von Rats- und Bürgermeisterwahlen zurückgeführt werden. Volatilität und Angebotsdifferenz waren 2004 in Kommunen dieses Typs am stärksten ausgeprägt; wie auch schon 1999 gab es 2004 wieder viele Einzelbewerber mit guten Wahlergebnissen. Kommunalisierte Mehrparteiensysteme ohne Dominanz einer Partei hatten – wie auch 1999 – die höchste Anzahl von Kandidaten und Listen bei beiden Wahlen. Die Konzentration bei Rats- und Bürgermeisterwahlen war relativ hoch, das Muster der Fragmentierung ähnlich wie bei den beiden vorangegangenen Typen. Die Kommunalisierung hat zwar im Zeitvergleich auch hier zugenommen, war aber 2004 im Vergleich mit den anderen Typen eher schwach. Volatilität und Angebotsdifferenzen waren im Vergleich zu den anderen Typen 2004 ebenfalls am niedrigsten.
220
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 84: Vergleich ausgewählter Systemmerkmale nach Parteiensystemtypen 2004
Kommunalisiertes Vierparteiensystem mit CDUHegemonie Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDUDominanz Sehr stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit CDUDominanz Kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien
Format
Konzentration
Fragmentierung
Kommunalisierung
Volatilität
Angebotsunterschiede Differenz des Deckungsgrades Rat-Bm
Anzahl Kandidaten/Listen
CDU+SPD
RaeIndex
Anteil Wählergruppen und Einzelbewerber
Bm-Rat
Bm Rat Diff.
2,4 4,1 -1,7
88,3 83,5 4,8
0,41 0,55 -0,14
13,0 8,6 4,4
27,1 -
186,2
Bm Rat Diff.
3,2 4,8 -1,6
80,2 75,5 4,7
0,53 0,66 -0,13
15,2 4,8 10,4
26,2 -
186,7
Bm Rat Diff.
3,4 5,2 -1,8
72,2 69,0 3,2
0,56 0,69 -0,13
27,0 20,2 6,8
32,2 -
211,7
Bm Rat Diff.
4,2 6,4 -2,2
86,3 78,3 8,0
0,56 0,67 -0,11
9,5 6,0 3,5
19,4 -
170,8
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Werte wurden aus Vergleichsgründen mit der Ratswahl für alle Fälle unabhängig von Angebotsunterschieden berechnet.
3.2.3 Normalisierung, Polarisierung, Verselbstständigung: Zusammenfassung und Vergleich der Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004 Für einen einheitlichen Trend der Beeinflussung des Wahlergebnisses durch eine andere politische Ebene wie 1999 gab es bei den Kommunalwahlen 2004 keine Hinweise. Vielmehr waren die Wahlergebnisse der wichtigsten Gruppierungen geprägt von zwei stärker kommunalen Entwicklungen: dem Amtsbonus und einer wachsenden Anpassung der Wahlergebnisse an den politischen Kontext (Parteiensysteme), von dem CDU- und SPDKandidaten, aber auch Einzelbewerber profitieren konnten. Für diese Trends gibt es bei den wichtigsten Nominierungsgruppen verschiedene Belege.
3.2 Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004
221
Die Erfolgsquoten der Bürgermeister haben sich angeglichen. Waren noch 1999 die Erfolgsquoten der SPD-Amtsinhaber deutlich niedriger als die der anderen Amtsinhaber, was auf der Ebene der Wahlergebnisanalyse als Indiz für einen Bundestrend zulasten der SPD-Bewerber interpretiert wurde, waren 2004 die Erfolgsquoten von SPD-Bürgermeistern und Einzelbewerbern aus dem Amt gleich hoch, die Erfolgsquote der CDU-Bürgermeister etwas niedriger. Dieses Ergebnis untermauert die Amtsbonus-These, da die Vorteile des Amtes parteiunabhängig gelten. Die im Zeitvergleich gesunkenen Erfolgsquoten der CDUAmtsinhaber und Einzelbewerber aus dem Amt und die gestiegenen Erfolgsquoten der SPD-Amtsinhaber können daher auch als eine Normalisierung gewertet werden. Die Erfolgsquoten waren auch relativ unabhängig von der Tendenz des elektoralen Parteiensystems bei Ratswahlen. Aufgrund der Erfahrungen der beiden Wahlen wird für NordrheinWestfalen die These aufgestellt, dass Amtsinhaber eine Wiederwahlchance von 90% haben. Zehn Prozent Schwund bei einer Nominierungsgruppe aufgrund von lokalen Problemen wird als normal angesehen. Für die einheitlichere Wirkung des Amtsbonus spricht auch die Entwicklung der Wahlergebnisse der Amtsinhaber von SPD und CDU gegenüber den Wahlergebnissen bei Ratswahlen. Der Vorsprung der SPD-Bürgermeister vergrößerte sich und das Bild passte sich damit an das Muster der Differenz bei CDU-Bürgermeistern an. In insgesamt neun Prozent der Kommunen wurden Bürgermeister abgewählt. Dieser Anteil war 2004 nur halb so groß wie 1999. Von der Abwahl waren Bürgermeister aller Nominierungsgruppen betroffen, gewählt wurden stattdessen Herausforderer verschiedener Nominierungsgruppen, ohne dass auf den ersten Blick ein einseitiger Trend zugunsten einer Partei erkennbar wäre. Wenn man jedoch die elektoralen Parteiensysteme von 1994 berücksichtigt, fällt auf, dass ein größerer Teil der Niederlagen der CDU-Bürgermeister gegen SPD-Kandidaten in Kommunen stattfand, die noch 1994 SPD-dominiert waren, so dass in diesen Fällen von einer Korrektur der vom Bundestrend verursachten Wechsel an der Gemeindespitze ausgegangen werden kann. Ähnliches gilt für Kommunen ohne Kandidatur von Amtsinhabern. CDU-Kandidaten konnten eher in Fällen mit CDU-dominierten Parteiensystemen gewinnen, SPD-Kandidaten in Fällen mit Mehrparteiensystemen ohne ausgeprägte Dominanz, in denen aber noch 1994 die SPD dominierte. Auch hier kann zum Teil von einer Korrektur der Ergebnisse von 1999 ausgegangen werden. Wie der Vergleich der Wahlergebnisse bei Bürgermeister- und Ratswahlen zeigt, gilt dies aber nicht in gleichem Maße für die Ergebnisse bei Ratswahlen, da hat die SPD eher stagniert. An der Gemeindespitze fand also 2004 eine moderate Renaissance der SPD statt, tendenziell in Kommunen, die früher einmal SPD-dominiert waren. Der Gesamtanteil der SPD-Bürgermeister stieg auf ein Viertel aller Bürgermeister an, trotzdem waren immer noch 57,4% der Bürgermeister von der CDU nominiert worden, die tendenziell in Gemeinden regierten, deren Parteiensysteme von der CDU-dominiert waren, so dass auf dieser Ebene von einer Homogenisierung von Bürgermeister und politischem Kontext ausgegangen werden kann. Diese Tendenz war auch im Zeitvergleich der Kombinationen von Ratsmehrheit und Nominierungsgruppe des Bürgermeisters zu erkennen. Einzelbewerber aus dem Amt entziehen sich zunächst diesen Zuordnungen. Insgesamt gesehen haben die parteiunabhängig kandidierenden Bürgermeister 2004 einen Zuwachs von fünf Prozentpunkten zu verzeichnen. Das Feld wurde 2004 aber noch durch die parteinominierten Bürgermeister bestimmt. Es gibt auch nur drei Gemeinden in NRW, die nach 2004 als kommunalisiert gelten können, da in diesen Gemeinden die Wählergruppen eine
222
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
relative Mehrheit in den Gemeinderäten haben und die Bürgermeister entweder Einzelbewerber oder von einer Wählergruppe nominiert waren. Parteiunabhängige Bürgermeister gab es nach 2004 in allen Parteiensystemtypen. Der Anteil der Kommunen mit stark kommunalisiertem Vielparteiensystem mit CDU-Dominanz mit Einzelbewerbern als Bürgermeister lag jedoch mit knapp einem Viertel über dem Gesamtanteil. Außerdem ergab der Wahlergebnisvergleich, dass die Kommunalisierung der Bürgermeisterwahlen in stark kommunalisierten Parteiensystemen auch höher war, so dass es einen gewissen Zusammenhang zwischen Kommunalisierung des Parteiensystems bei Ratswahlen und Erfolgen von Einzelbewerbern und Kandidaten von Wählergruppen gibt. Die Homogenisierung war aufgrund der im Vergleich zu anderen Bundesländern schwächeren Wählergruppen bei Ratswahlen nicht so ausgeprägt wie bei SPD und CDU. Die Bedeutung kleiner Parteien und Wählergruppen hat für die Bürgermeisterwahl eher abgenommen, der Deckungsgrad sank 2004 bei allen Gruppierungen, bei Ratswahlen stieg er weiter an. Die Bedeutung des Zugpferd-Effekts hat eher abgenommen, sowohl was die Anzahl der Kandidaturen angeht als auch beim Vergleich der Wahlergebnisse in Fällen mit und ohne Kandidaten. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass sich die kleineren Gruppierungen eher auf ihr Kerngeschäft konzentrieren – die Kandidatur bei Ratswahlen – und die Bürgermeisterwahl tendenziell den beiden Bewerbern mit den größten Erfolgschancen überlassen, seien es Kandidaten der großen Parteien oder Einzelbewerber. Allerdings tritt dieser Effekt nicht so eindeutig in größeren Städten mit Mehrparteiensystemen ohne Dominanz auf und in Fällen ohne Amtsinhaberkandidatur, die einen höheren Deckungsgrad an Bewerbern kleinerer Parteien aufweisen. Die Unterschiede der elektoralen Parteiensysteme haben sich insgesamt gesehen eher vergrößert. Die Unterschiede des Angebots stiegen insgesamt an, wie die Werte des Differenz-Index zeigten, jedoch deutlich stärker in Gemeinden unter 20.000 Einwohnern als in Großstädten, wo der Anstieg sehr gering ausfiel, so dass von einem Einfluss der Gemeindegröße ausgegangen werden muss. Die größten Unterschiede der Angebote gibt es weiterhin bei Kandidatur von Einzelbewerbern aus dem Amt, aber auch bei CDU-Bürgermeistern haben die Angebotsunterschiede zugenommen. Daher galt 2004 die Regel, dass das Kandidatenangebot bei Bürgermeisterwahlen umso reduzierter und konzentrierter auf die Auseinandersetzung zwischen zwei Hauptkontrahenten ist (in der Regel Amtsinhaber und Herausforderer), je kleiner die Gemeinde ist. Der Vergleich der Entwicklung der elektoralen Parteiensysteme zeigte aber auch, dass die Anzahl der Kandidaten und die Fragmentierung bei Bürgermeisterwahlen in allen Parteiensystemtypen niedriger waren als bei Ratswahlen. Die skizzierten Entwicklungen bei Kandidatenangebot und Wahlergebnissen im Vergleich der Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004 lassen sich in drei Trends zusammenfassen:
Normalisierung: Die Kommunalwahlen 2004 waren insgesamt gesehen kommunaler geprägt als die Kommunalwahlen 1999. Der Amtsbonus hat sich parteiunabhängig ausgewirkt und es kam zu einer wachsenden Homogenisierung der parteipolitischen Tendenzen von Bürgermeister und Parteiensystem. Auch die Vorherrschaft der CDU ist in dieser Hinsicht normal, da sie bei Ratswahlen schon lange das Bild prägt. Verselbstständigung: Die Unterschiede zwischen Bürgermeisterwahlen und Ratswahlen haben zugenommen. sowohl hinsichtlich der Anzahl der Kandidaten/Listen, des Deckungsgrades an Kandidaturen und auch hinsichtlich von Konzentration und Fragmentierung der Parteiensysteme. Gerade der wachsende Kandidaturverzicht der klei-
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
223
neren Gruppierungen steigert die Konzentration des Kandidatenwettbewerbs bei Bürgermeisterwahlen auf zwei Hauptkontrahenten, die beide eine gewisse Chance haben, die Wahl zu gewinnen. so dass das Bild zunehmend dem Wettbewerb bei relativer Mehrheitswahl ähnelt. Kandidaturen als Zugpferd für die Ratswahl und damit aufgrund parlamentarischer Anreize gehen zurück und die organisatorische Verbindung der Wahlgänge verliert dadurch etwas an Bedeutung. Polarisierung: Gerade der im letzten Punkt skizzierte Prozess der Verselbstständigung der Bürgermeisterwahlen verläuft nicht überall gleichmäßig. Hinsichtlich der Anzahl von Kandidaten und Listen sowie der Differenzen des Deckungsgrades entwickelten sich zwei Pole, die sich 2004 im Vergleich zu 1999 stärker konturiert haben Auf der einen Seite die kleineren Gemeinden mit kleinem Kandidatenangebot bei Bürgermeisterwahlen und Konzentration auf zwei oder gar mit nur einem Kandidaten und Parteiensystemen mit starker CDU-Dominanz. Auf der anderen Seite befinden sich größere Städte mit einem großen Kandidatenangebot sowohl bei Rats- als auch bei Bürgermeisterwahlen mit kommunalisierten Mehrparteiensystemen ohne ausgeprägte Dominanz einer Partei. Zwischen den Polen liegen eine große Zahl Kommunen, die mal eher zum einen und mal zum anderen Pol tendieren. Das Nebeneinander dieser zwei unterschiedlichen Welten der Kommunalpolitik ließ sich auch in der regionalen Verteilung von Bürgermeister und Parteiensystemen zeigen, in der einige Regionen eindeutig dem ersten Pol näher standen (z.B. Paderborn, Niederrhein und Eifel) und andere eher dem zweiten, etwas urbaner geprägten Pol (z.B. Ruhrgebiet oder Bielefeld). Ob diese Polarisierung von Dauer ist, oder ob sich mit der Zeit eine der beiden Tendenzen durchsetzen wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Dass Bürgermeisterwahlen beispielsweise in Hünxe und Köln jemals nach den gleichen Mustern ablaufen werden, darf jedoch bezweifelt werden.
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004: Kandidatenauswahl und Kandidatenprofile Im folgenden Kapitel werden in Ergänzung zu den vorangegangenen Analysen die Bürgermeisterwahlen in sechs kurzen Fallstudien untersucht. Die qualitative Untersuchung der Fallstudien dient vor allem dem Vergleich von Kandidatenauswahl und Kandidatenprofilen in verschiedenen Handlungssituationen. Basismerkmale des Profils wie der Nominierungsmodus wurden landesweit erhoben, Profilmerkmale wie die Erfahrung in Kommunalpolitik und Verwaltung werden in einer Fallanalyse auf Basis der Auswertung der vorhandenen Literatur und der Presseberichterstattung erhoben, da es bei der Bürgermeisterwahl 2004 nicht möglich war, eine landesweite Kandidatenbefragung wie 1999 durchzuführen. Dieser Teil der Studie ist eher explorativ, da keine Falsifikation der Hypothesen angestrebt wird, sondern diese aufgrund der Interpretation der Fallstudien weiterentwickelt werden136. Bei der Auswahl der Fälle wurden zunächst die vier im Bochumer Kommunalwahlprojekt bearbeiteten Fälle einbezogen (Andersen/Bovermann 2002). Dabei handelte es sich um die kleineren Kommunen Hünxe und Xanten (kleiner als 20.000 Einwohner) und die Groß136
Zur Einordnung dieses Teils als explorativ vgl. Behnek/Baur/Behnke 2006, 35.
224
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
städte Duisburg und Essen (größer als 500.000 Einwohner). Dieses Sample wurde um die zwei Mittelstädte Hilden und Marl ergänzt (zwischen 50.000 und 100.000 Einwohner) und damit die ganze Breite der Größenklassen abgedeckt. Fünf der Kommunen liegen in der Region Ruhrgebiet, eine in der Region Düsseldorf. Dis Auswahl ist damit, was die regionale Streuung angeht, nicht repräsentativ. Hinsichtlich der lokalen Wettbewerbsbedingungen fehlen die eindeutig von der CDU dominierten Fälle. Vor 1999 gab es nur in zwei der Fallstädte eine relative Mehrheit der CDU im Rat. Hinsichtlich der Nominierungsgruppen der Bürgermeister sind alle wichtigen Gruppierungen vertreten (CDU, SPD und Einzelbewerber), allerdings sind die Einzelbewerber sogar etwas überrepräsentiert, da in zwei Fällen die Bürgermeister als Einzelbewerber antraten (Hünxe und Marl 2004). Es gab aber nur einen Fall bei einer Wahl (Essen 1999), in dem kein Amtsinhaber zur Wahl antrat, bei beiden Wahlen traten landesweit in zwischen 25 (1999) und 30 Prozent (2004) der Kommunen keine Amtsinhaber an. Daher sind die Ergebnisse der Fallstudienanalyse nur begrenzt verallgemeinerbar. Aus forschungsökonomischen Gründen wurde im Gegensatz zur Bochumer Studie auf die Analyse von Presseberichterstattung zurückgegriffen und keine ausführlichen Akteursinterviews durchgeführt. Die Presseberichterstattung zu Kandidatenauswahl und Kandidatenprofilen wurde anhand der Online-Archive der Lokalzeitungen Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ, im Internet unter www.waz.de), der Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung (NRZ, im Internet unter www.nrz.de), der Zeitungen der Verlagsgruppe Lensing und Wolf (im Internet unter www.westline.de) sowie anderer im Internet verfügbarer Quellen einbezogen, die aufgeführt werden, wenn sie verwendet wurden. Diese Vorgehensweise schränkte zwar die Möglichkeiten der Fallauswahl ein, da Kommunen ohne Lokalzeitung mit Zeitungsarchiv im Internet nicht berücksichtigt werden konnten, andererseits erwiesen sich die Recherchemöglichkeiten in den Online-Archiven als sehr ergiebig für die Fallanalyse, da der Nachrichtenwert der untersuchten Prozesse hoch war. Die Presseberichterstattung wird in einer nicht-quantitativen Dokumentenanalyse explorativ ausgewertet, d.h. einzelne Textelemente wurden ausgewählt und – ergänzt durch weiteres Material – interpretiert137. Die verwendeten Zeitungsartikel sind im Dokument „Ergänzende Informationen, Tabellen und Quellen“ dokumentiert, das unter im Netz heruntergeladen werden kann138.
137 Zu Methoden der qualitativen Textinterpretation vgl. Mayring 2002, v.Alemann/Tönnesmann 1995 sowie Reh 1995. 138 http://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DocumentServlet?id=6524 (Stand 28.01.2008)
225
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
Tabelle 85: Fallstudienstädte im Überblick Kommune Hünxe
Einwohner Ende 2004 13.781
Xanten
21.367
Hilden
56.524
Marl
91.207
Duisburg
504.403
Essen
588.084
Konstellation 1999
Konstellation 2004
Patt CDU-SPD im Rat, hauptamtlicher Bürgermeister kandidiert als Einzelbewerber Relative CDU-Mehrheit im Rat, ehrenamtlicher SPD-Bürgermeister kandidiert Relative CDU-Mehrheit im Rat, ehrenamtlicher SPD-Bürgermeister kandidiert Relative Mehrheit der SPD im Rat, hauptamtlicher SPD-Bürgermeister kandidiert
Relative Mehrheit CDU im Rat, Bürgermeister kandidiert als Einzelbewerber Absolute Mehrheit der CDU, CDUBürgermeister kandidiert
Absolute Mehrheit der SPD im Rat, kandidierende hauptamtliche SPDOberbürgermeisterin Relative Mehrheit der SPD im Rat, kein Amtsinhaber kandidiert
Relative CDU-Mehrheit im Rat, SPDBürgermeister kandidiert Relative CDU-Mehrheit im Rat, CDUBürgermeisterin (1999) kandidiert als Einzelbewerberin Relative Mehrheit der SPD im Rat, kandidierende hauptamtliche SPDOberbürgermeisterin Relative CDU-Mehrheit im Rat, CDUOberbürgermeister kandidiert
Quelle: Eigene Darstellung.
Die sechs Fallstudien werden nun in drei Abschnitten nach aufsteigender Größe dargestellt. Zunächst wird jeweils der Fall knapp vorgestellt, dann wird die lokale Wettbewerbssituation anhand der Ratswahlergebnisse 1984-2004, der Mandatsverteilung im Rat 19892004 und der Entwicklung des Parteiensystemtyps skizziert, um im Hauptteil der Fallstudie Kandidatenauswahl, Kandidatenprofile und Wahlergebnisse der beiden Bürgermeisterwahlen vergleichend zu analysieren. Jede Fallstudie wird durch eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse abgeschlossen. Das Kapitel endet mit einer Gesamtzusammenfassung der Ergebnisse der Fallstudien, in der vor dem Hintergrund der Ergebnisse die Hypothesen diskutiert werden.
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3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
3.3.1 Kleine Kommunen: Hünxe und Xanten Fallstudie zur Bürgermeisterwahl in Hünxe: Kurz-Profil der Gemeinde Die Gemeinde Hünxe liegt im Kreis Wesel, nördlich von Dinslaken an der Autobahn A3. Die Bevölkerungszahl stieg zwischen 1999 und 2004 geringfügig von 13.613 auf 13.781 (jeweils zum 31.12. des Jahres). Hünxe gehört damit zur Größenklasse der Städte und Gemeinden zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern. Hinsichtlich der regionalen Zuordnung ist die Gemeinde Teil des Ruhrgebiets (Bick 1985), da der Kreis Wesel zum Gebiet des Regionalverbandes Ruhr zählt. Obwohl die Gemeinde einen eher ländlichen Charakter hat, ist sie doch auch vom Bergbau geprägt, da es in den angrenzenden Stadtteilen von Dinslaken Zechen gab und die Arbeiter zum Teil in Hünxe wohnten. Hünxe gehörte zu den Fallstudienstädten im Bochumer Projekt zur Uraufführung der Bürgermeisterwahl 1999 (Andersen/Bovermann 2002), die Kommunalwahl 1999 ist daher sehr gut dokumentiert. Die Entwicklung 2004 wurde mit Hilfe von im Internet veröffentlichten Artikeln der Neuen Ruhr / Neuen Rhein Zeitung (NRZ) nachvollzogen, die im Anhang dokumentiert sind. Lokale Wettbewerbssituation in Hünxe Bis zur Kommunalwahl 1994 war die SPD die stärkste Partei in Hünxe. Ihr bestes Ergebnis im Untersuchungszeitraum errang sie 1984 (44,4%), dann folgte ein kontinuierlicher Abstieg bis auf nur noch 31,4% der gültigen Stimmen im Jahr 2004. Bis 1994 bestand das elektorale Parteiensystem bei Ratswahlen aus vier Parteien, bei der Ratswahl 1994 trat mit den „Unabhängigen Sozialdemokraten Hünxe“ (USH) erstmals eine Wählergruppe an. Die USH war eine Abspaltung der SPD, die 1994 auf Anhieb 7,8% der gültigen Stimmen erreichte und so die Schwächung der SPD vorantrieb. 2004 benannte sich die Wählergruppe in „Unabhängige Wählergemeinschaft Hünxe“ (UWH) um und erreichte mit 10,3% ihr bestes Ergebnis im Untersuchungszeitraum. Die CDU war seit 1994 gleich auf mit der SPD (36,8%), legte 1999 stark zu (44,1%), bekam aber 2004 nur 37,3% der gültigen Stimmen. Die Entwicklung der Ergebnisse der großen Parteien liegt damit nah am Landestrend: weitere Verschlechterung bei der SPD und starke Stimmenverluste der CDU können als Normalisierung des Ergebnisses von 1999 gewertet werden. Grüne und FDP schafften es über den gesamten Zeitraum, in den Gemeinderat einzuziehen. 2004 bekamen die kleinen Parteien und die Wählergruppe zusammen 31,2% der gültigen Stimmen, was gleichzeitig eine relativ geringe Konzentration auf SPD und CDU von knapp unter siebzig Prozent bedeutet. Die Fragmentierung des elektoralen Parteiensystems ist in zwei Dekaden deutlich angestiegen (Rae-Index 1984 0,66, 2004 0,73).
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3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
Abbildung 18: Entwicklung der Ratswahlergebnisse in Hünxe 1984-2004 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 1984
1989 SPD
1994 CDU
Grüne
1999 FDP
2004
USH / UWH
Quelle: Eigene Darstellung.
Die Mehrheitsverhältnisse im Rat wechselten von einer relativen Mehrheit der SPD 1984 und 1989 über eine Patt-Situation 1994 über zur CDU, die 1999 und 2004 eine relative Mandatsmehrheit hatte. Grüne, FDP und UWH konnten sich alle bei der letzten Wahl 2004 um ein Mandat verbessern und haben zusammen genommen genauso viele Mandate wie die SPD, ein Hinweis auf die ebenfalls gewachsene Fragmentierung des Rates. Tabelle 86: Entwicklung der Mandatsverteilung in Hünxe 1989-2004 Mandate
Gesamt
SPD
CDU
Grüne
FDP
1989 1994 1999 2004
33 33 32 32
15 13 11 10
11 13 14 12
4 3 2 3
3 2 3 4
USH / UWG 2 2 3
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Die jeweils stärkste Gruppierung ist fett hervorgehoben. Wählergruppe ab 1994 Unabhängige Sozialdemokraten Hünxe (USH), ab 2004 Unabhängige Wählergemeinschaft Hünxe.
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3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Nach Abschaffung der Sperrklausel hat sich das Angebot bei Ratswahlen nicht verändert. Alle kleinen Gruppierungen hatten ohnehin bei allen Wahlen im Untersuchungszeitraum mehr als 5% der gültigen Stimmen erhalten. Hinsichtlich der in Kapitel bestimmten Parteiensystemtypen gehörte Hünxe 1984 zum Typ Mehrparteiensystem mit ausgeprägter Dominanz der SPD, 1994 zur Gruppe der kommunalisierten Mehrparteiensysteme mit SPD-Dominanz und 2004 zum Typ kommunalisiertes Mehrparteiensystem ohne ausgeprägte Dominanz einer Partei. Die Abschwächung der SPD-Dominanz ist ähnlich in vielen Städten und Gemeinden zu beobachten. Bürgermeisterwahl 1999 und 2004 in Hünxe Zur Bürgermeisterwahl 1999 traten nur zwei Kandidaten an: der als Einzelbewerber aus dem Amt kandidierende hauptamtliche Bürgermeister und ein Kandidat der SPD139. Der Bürgermeister war in der Ratswahlperiode 1994-1999 mit Unterstützung aller Parteien vorzeitig zum hauptamtlichen Bürgermeister gewählt worden. Er ist in Hünxe aufgewachsen und war vor seiner Wahl dreißig Jahre in der Verwaltung in Hünxe tätig, zuletzt als Stadtdirektor. Er war in keiner Partei Mitglied. Seine Kandidatur wurde von CDU, FDP, der USH und den Grünen unterstützt, die alle keine eigenen Kandidaten nominiert hatten. CDU, FDP und USH hatten schon bei der vorzeitigen Wahl zum hauptamtlichen Bürgermeister signalisiert, dass sie bei der ersten Direktwahl auf eigene Kandidaturen verzichten wollten, die Grünen sprangen erst kurz vor der Kommunalwahl 1999 auf diesen Zug auf. Insofern erübrigte sich für alle unterstützenden Parteien und Wählergruppen die Kandidatenauswahl. Die SPD nominierte als einzige Partei einen Kandidaten gegen den als außerordentlich bekannt und beliebt geltenden Bürgermeister. Parteiintern gab es nur einen Bewerber, der dann auch nominiert wurde, auch weil die Erfolgsaussichten gering waren. Der Kandidat der SPD hat sich selbst vorgeschlagen und den Nominierungsprozess damit angestoßen. Er war langjähriges Partei- und Ratsmitglied und ist in Hünxe aufgewachsen. Neben Hünxe kandidierte in zwölf weiteren Städten und Gemeinden der hauptamtliche Bürgermeister als Einzelbewerber aus dem Amt. Die Kandidatenanzahl liegt mit 2 unter der durchschnittlichen Kandidatenanzahl in ihrer Gemeindegrößenklasse von 3,4 Kandidaten. In Fällen mit Kandidatur des hauptamtlichen Bürgermeisters als Einzelbewerber war es nicht ungewöhnlich, dass eine oder sogar beide große Parteien auf eine eigene Kandidatur verzichteten. In sechs Fällen trat entweder nur ein SPD- oder CDU-Gegenkandidat an, in sieben Fällen trat weder ein SPD- noch CDU-Kandidat gegen einen als hauptamtlicher Bürgermeister kandidierenden Einzelbewerber an. Ein ähnlicher Befund gilt auch für die 20 Gemeinden, in denen 1999 Stadtdirektoren als Einzelbewerber aus dem Amt kandidierten. In neun Fällen trat entweder nur ein Kandidat der beiden großen Parteien an, in drei Fällen weder ein SPD- oder CDU-Kandidat. Somit stand der Fall Hünxe stellvertretend für eine kleine, aber dennoch interessante Gruppe von Fällen, in denen Hauptverwaltungsbeamte als Einzelbewerber kandidierten. In den meisten dieser Fälle lag ein unvollständiges Kandidatenangebot hinsichtlich der Kandidatur der beiden großen Parteien vor. Wie das Beispiel
139
Vgl. im Weiteren Holtkamp/Gehne 2002, 57ff..
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3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
Hünxe zeigte, war es dann nicht unwahrscheinlich, dass eine der großen Parteien diesen Einzelbewerber unterstützt. Der hauptamtliche Bürgermeister gewann die Bürgermeisterwahl 1999 mit deutlichem Abstand vor dem Kandidaten der SPD. Er erhielt 74,5% der gültigen Stimmen, der SPDKandidat 25,5%. Damit erhielt der SPD-Kandidat auch deutlich weniger Stimmen als seine Partei, was darauf hin deutet, dass auch viele SPD-Wähler ihre Stimmen dem Amtsinhaber gegeben haben. Der Fall Hünxe stand damit für die durchschlagende Wirkung des Amtsbonus auf das Wahlergebnis vor allem von parteiunabhängigen Bürgermeistern, die 1999 insgesamt eine Wiederwahlquote von 100% erreichten. Aber auch die Zusammensetzung des Kandidatenangebotes wurde durch den Amtsbonus beeinflusst, da sich in diesen Fällen viele Parteien und Wählergruppen für eine Unterstützung des Amtsinhabers entschieden. Daher unterschied sich in diesen Fällen das elektorale Parteiensystem bei Rats- und Bürgermeisterwahlen stark. Tabelle 87: Rats- und Bürgermeisterwahlen in Hünxe 1999 und 2004 im Vergleich
Rat 1999 Bm 1999 Diff 99 Rat 2004 Bm 2004 Diff 04
SPD
CDU
Grüne
FDP
USH/ UWH
EB
Format
32,9 25,5 -7,4 31,4 -31,4
44,1 -44,1 37,3 -37,3
7,8 -7,8 8,9 -8,9
9,3 -9,3 12,0 -12,0
5,9 -5,9 10,3 -10,3
74,5 74,5 89,6* 89,6
5 2 -3 5 1 -4
Volatilität BmRat
74,5
89,6
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: * Bei nur einem Kandidat Anteil der „Ja-Stimmen“. Restliche Stimmen in Prozent der gültigen Stimmen. Volatilität Rat – Bm: Gemessen mit einem Pedersen-Index (Summe der positiven Zugewinnen der betrachteten Parteien im Vergleich von Bürgermeister- und Ratswahlen.
Dieser Effekt verstärkte sich bei der Bürgermeisterwahl in Hünxe 2004 sogar noch. Der parteiunabhängige Bürgermeister hatte bereits im September 2003, ein Jahr vor der Wahl, signalisiert, dass er wieder antreten würde. Daraufhin beschloss die SPD bei ihrer Mitgliederversammlung am 18.09.2003 einstimmig, diesmal auch auf eine Kandidatur zu verzichten und den Bürgermeister zu unterstützten (vgl. NRZ Dinslaken, 09.09. 2003 „Auch SPD will Hansen unterstützen“ sowie NRZ Wesel, 18.09.2003 „Hünxer SPD steht voll hinter Hermann Hansen“). Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Rat der Gemeinde Hünxe verwies zur Begründung dieses Strategiewechsels auf die Ergebnisse des Bochumer Forschungsprojektes 1999 sowie die große Beliebtheit des Bürgermeisters in der Bürgerschaft. CDU, FDP und die Wählergruppe verzichteten ebenfalls auf eine Kandidatur und unterstützten den Bürgermeister, der äußerte, er hätte gerne einen Gegenkandidaten gehabt (vgl. NRZ Dinslaken, 20.01. 2004 „Unterstützung für Hansen“ sowie NRZ Wesel, 19.09.2004 „Man soll nie nie sagen“). Nur die Grünen konnten sich 2004 nicht dazu durchringen, den Bürgermeister zu unterstützen, einen eigenen Kandidaten hatten aber auch sie nicht nominiert.
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3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Bei den Bürgermeisterwahl 2004 gab es insgesamt 26 Fälle mit nur einem Kandidaten, davon 15 Kommunen mit Kandidatur des Bürgermeisters als Einzelbewerber und 10 mit Kandidatur des CDU-Bürgermeisters und eine ohne Amtsinhaber-Kandidatur. Es handelt sich um kleine Gemeinden mit durchschnittlich 11.696 Einwohnern. Von den 15 parteiunabhängigen Bürgermeistern hatten vier auch 1999 keinen Gegenkandidaten gehabt, in den elf anderen Gemeinden verkleinerte sich wie in Hünxe das Kandidatenangebot. Der Bürgermeister erhielt bei der Wahl 2004 89,6% der gültigen Stimmen (bei Kandidatur nur eines Kandidaten Ja-Stimmen). Der Anteil der Gegenstimmen war außerordentlich niedrig, die Wahlbeteiligung mit 64% nicht niedriger als in anderen Gemeinden dieser Größenklasse. Die Unzufriedenheit der Wählerschaft mit dem doch sehr kleinen Kandidatenangebot scheint also nicht sehr groß gewesen zu sein. Alle 25 Bürgermeister ohne Gegenkandidaten wurden in NRW 2004 wiedergewählt, durchgehend mit Ergebnissen zwischen 72% und 93% der gültigen Stimmen. Die als Einzelbewerber antretenden Bürgermeister hatten insgesamt nur noch eine Erfolgsquote von 90,9%, ein Teil von ihnen unterlag Kandidaten der CDU. Der sehr hohe Wert bei der Volatilität ist typisch für Fälle mit erfolgreichen Bürgermeistern dieses Typs, da im Vergleich zur Ratswahl das Ergebnis des Bürgermeisters als Wechsel im Parteiensystem zwischen den beiden Wahlen gewertet wird. Zusammenfassung: Baden-Württembergisierung in NRW? Der Fall Hünxe steht für eine noch kleine, aber im Vergleich der beiden Wahlen wachsende Gruppe von kleineren Städten und Gemeinden mit parteiunabhängigen Bürgermeistern, die so fest im Sattel sitzen, dass sie keine ernsthaften Gegenkandidaten mehr haben. Die Wahl ist dann keine Auswahl im Sinne der Wahlfunktionen mehr, sondern eine Akklamation mit entsprechenden Ergebnissen. Der Amtsbonus spiegelt sich aber nicht nur im Wahlergebnis, sondern auch im Kandidatenangebot. Selbst große Parteien steigen aus dem Wettbewerb um das Amt aus und überlassen dem Amtsinhaber das Feld. Ob die Ursache in einer konkordanteren politischen Kultur in einer Gemeinde wie Hünxe liegt, oder ob sich das Verhalten der lokalen Akteure in Bezug auf die Bürgermeisterwahl dauerhaft in Richtung Baden-Württembergisierung in NRW gewandelt hat, wird sich aber erst dann wirklich zeigen, wenn der derzeitige Amtsinhaber nicht mehr antritt. Wenn die Akteure dann den parteipolitischen Wettbewerb um das Bürgermeisteramt nicht wieder eröffnen, sondern erneut mehrere Gruppierungen gemeinsam einen parteiunabhängigen Kandidaten suchen und unterstützen, kann man von einem dauerhaft veränderten, stärker konkordanzdemokratischen Politikmuster ausgehen. Fallstudie zur Bürgermeisterwahl in Xanten: Kurz-Profil der Gemeinde Die Stadt Xanten liegt auf der linken Rheinseite und gehört wie auch Hünxe zum Kreis Wesel. Damit ist Xanten Teil der Region Ruhrgebiet. Xanten hatte Ende 2004 21.367 Einwohner und gehörte damit zur Klasse der Gemeinden zwischen 20.000 und 50.000 Einwohnern. Xanten gehörte zu den Fallstudienstädten im Bochumer Projekt zur Uraufführung der Bürgermeisterwahl 1999 (Andersen/Bovermann 2002), die Kommunalwahl 1999 ist daher sehr gut dokumentiert. Die Entwicklung 2004 wurde mit Hilfe von im Internet veröf-
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
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fentlichten Artikeln der Neuen Ruhr / Neuen Rhein Zeitung (NRZ) nachvollzogen, die im Anhang dokumentiert sind. Lokale Wettbewerbssituation in Xanten Bei allen Ratswahlen außer 1989 traten fünf Gruppierungen zur Wahl an: CDU, SPD, Grüne, FDP und die Wählergruppe „Freie Bürger-Initiative Xanten“ (FBI). 1989 kandidierte die FDP nicht für den Rat. Im gesamten Untersuchungszeitraum war die CDU in Xanten mit deutlichem Abstand die stärkste Partei. Bewegten sich ihre Wahlergebnisse 1984 und 1989 noch knapp unter der 50%-Marke, erlebte sie bei den Ratswahlen 1994 einen Einbruch und erhielt nur knapp 43% der gültigen Stimmen. Obwohl dies immer noch einen Vorsprung der CDU gegenüber der SPD von 17 Prozentpunkten bedeutete, konnten die anderen Ratsparteien gemeinsam in einer breiten Koalition einen SPD-Kandidaten zum ehrenamtlichen Bürgermeister gegen die CDU wählen, der dann auch bei der ersten Bürgermeisterwahl als Amtsinhaber antrat. Die CDU übersprang bei den Ratswahlen 1999 die 50%-Marke und erhielt eine absolute Mehrheit der Mandate, die sie 2004 nur knapp um einen Sitz verfehlte. Die SPD erhielt 1984 mit gut dreißig Prozent ihr bestes Ergebnis, ihre Ergebnisse schwankten in den folgenden Wahlen immer zwischen 23 und 26 Prozent der gültigen Stimmen. Besonders auffallend am Xantener Parteiensystem ist die für nordrheinwestfälische Verhältnisse starke Wählergruppe FBI, die 1989 und 1994 jeweils 20% der gültigen Stimmen bekam und damit deutlich auf Platz drei lag. Die Wählergruppe brach dann 1999 drastisch auf nur noch 11 Prozent ein, verbesserte sich in der folgenden Wahl allerdings wieder auf 13 Prozent der gültigen Stimmen. Die FDP war durchgehend schwächer als die Grünen und konnte im gesamten Zeitraum nicht die 5%-Marke überschreiten. Allerdings reichten die Ergebnisse nach 1999 zum Einzug in den Rat. Komplettiert wird das Bild von den Grünen, die nach einem zwischenzeitlichen Einbruch 1999 mit gut 5% 2004 mit über acht Prozent sogar wieder ihre Ergebnisse zwischen 1984 und 1994 überbieten konnten. Die CDU hatte 1989-1994 und 1999-2004 eine absolute Mehrheit im Rat. In der Ratswahlperiode 1994-1999 hatte die CDU zwar eine relative Mehrheit, jedoch zeigt das Beispiel Xanten, dass eine relative Mehrheit unter bestimmten Bedingungen nicht ausreicht, um auch zu regieren. Als sich die Chance ergab, verbündeten sich alle anderen Gruppierungen im Rat gegen die CDU und bestimmten für eine kurze Phase die Kommunalpolitik in Xanten.
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3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Abbildung 19: Entwicklung der Ratswahlergebnisse in Xanten 1984-2004 60
50
40
30
20
10
0 1984
1989 SPD
1994 CDU
Grüne
1999 FDP
2004
FBI
Quelle: Eigene Darstellung.
Tabelle 88: Entwicklung der Mandatsverteilung in Xanten 1989-2004 Mandate 1989 1994 1999 2004
gesamt 39 39 38 38
SPD 10 11 10 9
CDU 20 17 21 19
Grüne 3 3 2 3
FDP 0 1 2
FBI 6 8 4 5
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Die jeweils stärkste Gruppierung ist fett hervorgehoben. Wählergruppe Freie Bürger-Initiative Xanten (FBI).
Nach der Ratswahl 2004 fehlte der CDU ein Mandat zur absoluten Mehrheit, da aber auch der Bürgermeister CDU-Mitglied ist, hat die CDU de facto eine knappe absolute Mehrheit im Rat. Die durchgehende Dominanz der CDU und die guten Ergebnisse der Wählergruppe spiegeln sich auch in der Entwicklung des elektoralen Parteiensystems in Xanten. Gehörte
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
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die Gemeinde 1984 und 1994 zum Typ stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit ausgeprägter Dominanz der CDU, wechselte sie 2004 zum Typ „Sehr stark kommunalisiertes Vielparteiensystem mit CDU-Dominanz“. Bürgermeisterwahl 1999 und 2004 in Xanten Bei der ersten Direktwahl 1999 traten in Xanten drei Kandidaten zur Wahl an: der von der SPD nominierte ehrenamtliche Bürgermeister, ein Kandidat der CDU und ein Kandidat der FDP140. Der ehrenamtliche Bürgermeister war vor seiner Wahl in der Ratswahlperiode 1994-1999 Fraktionsvorsitzender der SPD im Rat. Er lebt und arbeitet seit dreißig Jahren in Xanten, war 59 Jahre alt und von Beruf Lehrer. Der CDU-Kandidat war 32 Jahre alt und damit im Vergleich relativ jung. Er ist in Xanten aufgewachsen, hatte Rechtswissenschaften studiert und war bei einer Kreisparkasse in Sachsen beschäftigt, kehrte also für seine Kandidatur in die Stadt zurück. Er hatte noch keine kommunalpolitische Erfahrung in Xanten gesammelt. Der Kandidat der FDP hatte keine Erfahrung in Rat oder Verwaltung, war 49 Jahre alt, lebte seit zehn Jahren in Xanten und war Inhaber einer Unternehmensberatungsfirma. Die Kandidatenauswahl in der SPD verlief reibungslos. Die Wahl des Bewerbers zum ehrenamtlichen Bürgermeister war bereits eine Vorentscheidung für die Kandidatur bei der Bürgermeisterwahl 1999. Die Grünen, die den Bürgermeister ebenfalls im Rat gewählt hatten, unterstützten ihn auch bei der Direktwahl und nominierten keinen eigenen Kandidaten. Die FBI nominierte zwar auch keinen eigenen Kandidaten zur Bürgermeisterwahl, empfahl aber auch nicht die Wahl des Amtsinhabers, obwohl auch sie ihn im Rat gewählt hatte. Nach Aussage des Fraktionsvorsitzenden sei eine Wahlempfehlung bei der großen Heterogenität der Einstellungen einer Wählergruppe nicht zu vermitteln. Bei der Kandidatenauswahl der FDP gab es nur einen Kandidaten. Da die Partei zum Zeitpunkt der Kandidatenauswahl nicht im Rat vertreten war, erhoffte sie sich wohl einen positiven Effekt der Kandidatur auf ihr Wahlergebnis. Nur in der CDU kam es bei der Kandidatenauswahl zu einem Wettbewerb mehrerer Kandidaten, in dem sich der letztendlich nominierte junge Kandidat gegen zwei ältere und kommunalpolitisch erfahrene Bewerber durchsetzen konnte. Die sehr knappe Entscheidung wurde in einer Mitgliederversammlung getroffen, ihr ging eine zum Teil aggressive parteiinterne Auseinandersetzung voraus („Schlammschlacht“). Ein Argument der Befürworter des jungen Kandidaten war der Kontrast des Kandidatenprofils auch hinsichtlich des beruflichen Hintergrunds gegenüber dem ehrenamtlichen Bürgermeister von der SPD. Xanten war einer der seltenen Fälle (insgesamt 14, ohne die Städte und Gemeinden, in denen zwei Amtsinhaber der alten Doppelspitze antraten), in denen ein ehrenamtlicher Bürgermeister für die SPD kandidierte. Mit drei Kandidaten lag Xanten leicht unter dem Durchschnitt der Gemeindegrößenklasse mit 3,4 Kandidaturen. Hinsichtlich der beiden großen Parteien lag ein vollständiges Kandidatenbild vor, von den kleinen Gruppierungen nominierte jedoch nur die FDP einen Kandidaten. In dieser Größenklasse war Kandidaturverzicht jedoch nichts Ungewöhnliches; in 30% der Städte/Gemeinden hatten entweder FDP oder Grüne keinen eigenen Bürgermeisterkandidaten nominiert. Im Fall Xanten unter140
Vgl. im Weiteren Holtkamp/Gehne 2002, 57ff..
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3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
stützten die Grünen den für die SPD kandidierenden ehrenamtlichen Bürgermeister, eine verbreitete Strategie von kleineren Parteien mit geringeren personellen und materiellen Ressourcen. Tabelle 89: Rats- und Bürgermeisterwahlen in Xanten 1999 und 2004 im Vergleich
Rat 1999 Bm 1999 Diff 99 Rat 2004 Bm 2004 Diff 04
SPD
CDU
Grüne
FDP
FBI
Format
26 44,5 18,5 23,6 25,2 1,6
54,2 53,1 -1,1 50,2 53,8 3,6
5,6 0 -5,6 8,5 6,3 -2,2
2,3 2,4 0,1 3,9 3,3 -0,6
11,9 0 -11,9 13,8 11,4 -2,4
5 3 -2 5 5 0
Volatilität RatBm
18,6
5,2
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: In Prozent der gültigen Stimmen. Volatilität Rat – Bm: Gemessen mit einem Pedersen-Index (Summe der positiven Zugewinne der betrachteten Parteien im Vergleich von Bürgermeister- und Ratswahlen).
Im ersten Wahlgang konnte sich der CDU-Kandidat mit knapp neun Prozentpunkten Vorsprung gegen den ehrenamtlichen Bürgermeister durchsetzen. Der Bürgermeister konnte seinen Amtsbonus zwar nicht in einem Wahlerfolg ummünzen, schnitt aber wesentlich besser ab als seine Partei bei der Ratswahl (+ 18,5 Prozentpunkte). Diese Differenz lässt die These zu, dass auch einige Wähler anderer Parteien für den SPD-Kandidaten gestimmt haben und die Strategie der Wahlempfehlung eine gewisse Resonanz gefunden hat. Der Kandidat der CDU hatte etwas weniger Stimmen bekommen als seine Partei. Landesweit konnte die Hälfte der für die SPD kandidierenden ehrenamtlichen Bürgermeister die Wahl für sich entscheiden. Zulasten des SPD-Kandidaten in Xanten wirkten sich vermutlich zwei Faktoren aus: Zum einen die Tatsache, dass Xanten langfristig betrachtet eine CDU-dominierte Stadt ist und die SPD strukturell keine eigene Mehrheit hatte. Zum anderen gelang es dem ehrenamtlichen Bürgermeister der SPD nicht in ausreichendem Maße, das Potenzial der Parteien und der Wählergruppe, die in der letzten Ratswahlperiode eine Koalition gegen die relative Mehrheit der CDU bildeten, für sich zu mobilisieren. Vor diesem Hintergrund stellt sich der Wahlsieg des CDU-Kandidaten als eine durch Rückenwind von der Bundesebene geförderte Wiederherstellung der CDU-Vorherrschaft dar. Dazu bedurfte es dann auch keines ausgeprägten kommunalpolitischen Profils des Wahlsiegers, zumal dieser gerade das Potential seiner Partei bei der Ratswahl auch für sich mobilisieren konnte. Bei der Bürgermeisterwahl 2004 traten in Xanten fünf Kandidaten an, alle auch im Rat vertretenden Gruppierungen hatten im Gegensatz zur Wahl 1999 selbst Kandidaten nominiert. Neben dem CDU-Bürgermeister, der sich der Wiederwahl stellte, gab es eine Kandidatin der SPD und einen Kandidaten von den Grünen, der FDP und der FBI. Grüne und FBI beteiligten sich zum ersten Mal an der Bürgermeisterwahl. Der CDU-Bürgermeister ist bereits kurz vorgestellt worden. Die Kandidatin der SPD war 45 Jahre alt und Pflegedienstleiterin in einem Krankenhaus. Sie lebte seit einigen Jah-
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
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ren in Xanten und war Mitglied des SPD-Vorstandes und sachkundige Bürgerin in einem Ratsausschuss (vgl. NRZ Rheinberg, 07.03.2004 „Zuhören ist der erste Schritt“ sowie NRZ, 05.05. 2004 „Viel Persönliches über eine ‚ehrliche Haut’“). Der Kandidat der Grünen war 23 Jahre alt und machte eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann. Er war Ratsmitglied und Ortsverbandsvorsitzender seiner Partei (vgl. NRW Rheinberg, 09.05.2004 „Kämpfen statt resignieren“). Der Kandidat der FDP war 41 Jahre alt und Schifffahrtskaufmann von Beruf. Er verfügte über keine kommunalpolitische Erfahrung in Xanten (vgl. NRZ Rheinberg, 19.05.2004 „Die Chancen sehen, nicht die Probleme“). Der Kandidat der FBI war 63 Jahre alt, Rentner und verfügte über langjährige kommunalpolitische Erfahrung in Xanten (vgl. NRZ Rheinberg, 23.03.2004 „Kandidatur FBI“). Im Gegensatz zur Bürgermeisterwahl 1999 hat keine der kleinen Gruppierungen erwogen, einen anderen Kandidaten zu unterstützten. Vielmehr ging es allen kleinen Gruppierungen darum, ihrer Partei oder Wählergruppe mehr Aufmerksamkeit im Wahlkampf zu verschaffen und die absolute Mehrheit der CDU zu brechen. Oder wie es der Kandidat der FDP laut NRZ-Artikel auf den Punkt brachte: „Neben der politischen Profilschärfung sei es einfach so, dass auch in der Politik vieles eine Frage des Marketings sei, und mit einem eigenen Kandidaten sei eine Partei eben besser am Markt präsent und gefragt“ (Vgl. NRZ Rheinberg, 19.05.2004 „Die Chancen sehen, nicht die Probleme“).
Der CDU-Bürgermeister hatte schon im Sommer 2003, ein Jahr vor der Kommunalwahl, seine Bereitschaft zur Kandidatur erklärt und wurde am 22.07.2003 von seiner Partei erneut nominiert. Es gab keine internen Gegenkandidaten (vgl. NRZ Rheinberg, 22.07.2003 „CDU / Warum der Vorstand sich für Christian Strunks erneute Nominierung entschieden hat.“). Die SPD nominierte ihre Kandidatin erst im März 2004 ohne interne Gegenkandidatin. Die FBI zog ebenfalls im März nach und im Mai 2004 stellten Grüne und FDP ihre Kandidaten vor. Insgesamt gesehen verliefen die parteiinternen Kandidatenauswahlprozesse reibungslos und der Öffentlichkeit wurde nur ein Kandidat präsentiert. In 46,2% der Gemeinden in derselben Größenklasse wie Xanten kandidierten CDUBürgermeister, durchschnittlich hatten sie aber eher zwei Gegenkandidaten als vier wie in Xanten. Die Anzahl der Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl 2004 lag mit fünf über dem Klassenmittelwert von 3,5. Insgesamt hatten nur 13,1% aller Gemeinden bei Rats- und Bürgermeisterwahl ein gleich großes Kandidatenangebot wie in Xanten. Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Zunahme der Kandidaten und der intensive Wettbewerb bei der Bürgermeisterwahl 2004 in Xanten für die Gemeindegrößenklasse und für eine Gemeinde mit Kandidatur eines CDU-Bürgermeisters im Vergleich eher ungewöhnlich waren. Der CDU-Bürgermeister wurde 2004 im ersten Wahlgang der Bürgermeisterwahl mit 53,8% der gültigen Stimmen wiedergewählt. Sein Ergebnis war in etwa genauso hoch wie 1999, er erhielt 2004 aber 3,6 Prozentpunkte mehr als seine Partei. Die SPD-Kandidatin schnitt mit 25,2% der gültigen Stimmen zwar etwas besser ab als ihre Partei, aber wesentlich schlechter als ihr mit einem Amtsbonus ausgestatteter Vorgänger. Sie konnte wesentlich weniger Stimmen aus anderen Lagern gewinnen, ein Indikator dafür ist der sehr geringe Volatilitätswert 2004. Die Kandidaten der kleinen Gruppierungen erhielten alle weniger Stimmen als ihre Partei bei den Ratswahlen, ihre Gruppierungen schnitten aber bei den Ratswahlen alle besser ab als 1999. In dieser Hinsicht kann man den Wahlausgang als Bestätigung ihrer Zugpferd-Strategie werten. Es gelang ihnen auch, eine absolute Mehrheit der
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3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
CDU bei den Ratswahlen zu verhindern, allerdings so knapp, dass es mit der Bürgermeisterstimme doch noch zu einer absoluten Mehrheit der CDU reichte. Es gelang ihnen jedoch nicht, den Wahlausgang bei der Bürgermeisterwahl zu beeinflussen. Landesweit wurden 86% der CDU-Bürgermeister wiedergewählt. Insgesamt werden nach der Kommunalwahl 2004 65% der Gemeinden aus derselben Größenklasse wie Xanten von CDU-Bürgermeistern regiert. Allerdings schnitten die CDU-Amtsinhaber im Durchschnitt mit 61% der gültigen Stimmen besser ab als der Bürgermeister in Xanten, die meisten von ihnen allerdings mit wesentlich weniger Konkurrenz. Zusammenfassung: Reconquista durch die CDU Nach einer kurzen Phase des Machtverlustes 1994-1999 konnte sich die CDU 1999 in Xanten sowohl bei der Bürgermeisterwahl mit ihrem noch relativ jungen Kandidaten gegen den ehrenamtlichen Bürgermeister durchsetzen, als auch bei der Ratswahl wieder die absoluet Mehrheit gewinnen. Xanten war hinsichtlich des Wahlausganges 2004 ein typisches Beispiel für eine CDU-dominierte kleinere Gemeinde in NRW. Der CDU-Bürgermeister wird wiedergewählt, die CDU verliert bei den Ratswahlen an Stimmen, bleibt aber klar die stärkste Fraktion im Rat. Die SPD kann sich im Vergleich zu 1999 nicht verbessern, die kleinen Gruppierungen gewinnen dazu. Ungewöhnlich war 2004 eher der Strategiewechsel der kleineren Gruppierungen bei der Bürgermeisterwahl, die im Gegensatz zu 1999 wieder auf den Zugpferdeffekt setzten und von der Unterstützung eines aussichtsreicheren Kandidaten absahen. Dagegen nahm landesweit der Kandidaturverzicht bei kleineren Gruppierungen eher zu, so dass insgesamt gesehen eher von einer sinkenden Bedeutung des Zugpferdeffektes auszugehen war. Möglicherweise gingen auch die kleineren Gruppierungen ohnehin davon aus, dass der Bürgermeister wiedergewählt werden würde und haben sich daher auf ihre eigenen Ziele konzentriert, also die Verbesserung des Wahlergebnisses bei den Ratswahlen. Die Herausforderin von der SPD unterschied sich hinsichtlich ihres Profils vom Amtsinhaber der CDU, sie war eine Frau und kam aus einem sozialen Beruf, in dem sie aber auch die Chance hatte, Verwaltungserfahrung zu sammeln, wenn auch in einem völlig anderen Tätigkeitsbereich. Die Kandidatin war parteigebunden und hatte Bezüge zur Stadt Xanten, gehörte aber nicht zum engeren Führungszirkel der Ortspartei. Über einen intensiven parteiinternen Wettbewerb in der SPD um die Kandidatur war den Quellen nichts zu entnehmen. Gleichzeitig drängt sich der Eindruck auf, dass sich auch keine der führenden Figuren aus der Ortspartei (Ortsverbandsvorsitzender und Fraktionsvorsitzender) darum gerissen hätte, gegen den Amtsinhaber anzutreten. Insgesamt gesehen setzte die SPD in Xanten auf ein Kontrastprofil, wollte aber auch keine ihrer zentralen Figuren in einem aussichtslosen Wahlkampf verheizen. Die Wählerschaft hielt die Kandidatin gemessen an ihrem Ergebnis jedenfalls nicht für eine überzeugende Alternative zum Amtsinhaber.
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
237
3.3.2 Mittelstädte: Hilden und Marl Fallstudie zur Bürgermeisterwahl in Hilden: Kurz-Profil der Gemeinde Die Stadt Hilden liegt im Kreis Mettmann, verkehrsgünstig am Autobahnkreuz von A46 und A3 und im Speckgürtel von Düsseldorf. Die Stadt gehört zur Region Düsseldorf (Bick 1985). Hilden hatte Ende 2004 56.524 Einwohner und gehört damit zur Klasse der Städte zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern (große Mittelstädte). Über die Kommunalwahl 1999 in Hilden gibt es eine Untersuchung von Marcinkowski (2001), die sich im Schwerpunkt auf der Grundlage einer Bevölkerungsumfrage mit dem Wahlverhalten bei der Bürgermeister- und Ratswahl 1999 befasst. Daher sind die Informationen über Kandidatenauswahl und Profile abgesehen vom Bürgermeister für 1999 nicht vorhanden. Bei der Kommunalwahl 2004 war Hilden Gegenstand eines vom Verfasser geleiteten Lehrforschungsprojektes an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, das die Kandidatenauswahl, Wahlkampf und Wahlergebnisse bei den Bürgermeisterwahlen 2004 zum Inhalt hatte. Materialien und Bericht des Lehrforschungsprojektes (Kinast/Lerch u.a. 2005) sind Grundlage für die Auswertungen der Bürgermeisterwahl 2004. Lokale Wettbewerbssituation in Hilden Das Parteiensystem bei Ratswahlen hat sich in Hilden im Zeitraum 1984-2004 von vier auf sechs Gruppierungen vergrößert und kommunalisiert, da die beiden dazu gekommenen Gruppierungen Wählergruppen sind141. Ab 1994 traten „Die Unabhängigen Hilden“ (DUH) zu Ratswahlen an, ab 1999 die „Bürgeraktion Hilden“ (BA). Die CDU war im gesamten Untersuchungszeitraum stärkste Partei im Rat, ihre Wahlergebnisse sanken aber kontinuierlich von 1984 (48,2% der gültigen Stimmen) bis auf 40,2% 2004, unterbrochen von einem Zwischenhoch 1999 (44,7%). Das CDU-Ergebnis 1999 hatte sich jedoch nicht so stark verbessert wie in anderen Kommunen, in denen sich der Bundestrend viel stärker auch bei der Ratswahl zugunsten der CDU auswirkte. Die Wahlergebnisse der SPD stiegen bis 1994 (38,6%) leicht an und sanken dann 1999 auf 34,2%, die auch 2004 nicht wieder überboten wurden. Die Grünen waren seit 1984 ständig im Rat vertreten, sanken 1999 zwar unter 5%, konnten aber 2004 ihr Ergebnis wieder auf 6,9% verbessern. Die FDP war vor Abschaffung der Sperrklausel nur in der Wahlperiode 1989-1994 im Rat vertreten. Die kleinen Gruppierungen hatten 2004 einen gemeinsamen Stimmenanteil von gut 25% der gültigen Stimmen, die zwei Wählergruppen erhielten davon knapp die Hälfte. Die Fragmentierung ist im Untersuchungszeitraum stark angestiegen und lag 2004 bei einem Wert des Rae-Index von 0,70.
141
Bei den mit den Bundestagswahlen gekoppelten Ratswahlen 1994 traten einmalig auch die Republikaner an, die hier nicht weiter berücksichtigt werden.
238
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Abbildung 20: Entwicklung der Ratswahlergebnisse in Hilden 1984-2004
60
50
40
30
20
10
0 1984
1989 SPD
1994 CDU
Grüne
1999 FDP
DUH
2004 BA
Quelle: Eigene Darstellung.
Die CDU hatte 1989-2004 die relative Mehrheit im Rat, wenn auch mit abnehmender Mandatsanzahl. Wie auch in Xanten bildete sich in der Ratswahlperiode 1994-1999 ein Bündnis gegen die relative Mehrheit der CDU aus SPD und Grünen, die in dieser Phase einen ehrenamtlichen Bürgermeister von der SPD wählten, der auch 1999 zur Direktwahl antrat. Nach der Wahl 1999 hätte es theoretisch verschiedene Möglichkeiten einer kleinen Koalition unter Führung der CDU gegeben. Tatsächlich kam es jedoch seitdem zu einer informellen großen Koalition zwischen CDU und SPD, so dass Hilden entgegen dem ersten Eindruck gar kein Kohabitationsfall ist.
239
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
Tabelle 90: Entwicklung der Mandatsverteilung in Hilden 1989-2004 Mandate 1989 1994 1999 2004
gesamt 51 51 52 46
SPD 20 22 18 16
CDU 23 24 23 18
Grüne 4 5 2 3
FDP 4 3 3
BA 3 4
DUH 3 2
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Die jeweils stärkste Gruppierung ist fett hervorgehoben. Wählergruppen Die Unabhängigen Hilden (DUH) und Bürgeraktion (BA).
Bei der Ratswahl 2004 konnten die kleinen Gruppierungen außer der DUH ihre Mandate halten oder sich noch verbessern, obwohl der Rat um sechs Sitze verkleinert wurde. Die Ergebnisse der Ratswahl 2004 in Hilden ähneln stark den landesweiten Trends: Zuwächse bei den kleinen Gruppierungen, Verluste bei der CDU und Konsolidierung auf niedrigem Niveau bei der SPD. Der Abbau der CDU-Dominanz und die Kommunalisierung nach 1994 spiegeln sich auch in der Entwicklung des Parteiensystems wieder. Gehörte Hilden 1984 noch zu der Gruppe der Mehrparteiensysteme mit ausgeprägter Dominanz der CDU, wechselte die Kommune 1994 in die Gruppe der Mehrparteiensysteme mit Konzentration auf zwei große Parteien, um 2004 dann schließlich der Gruppe der kommunalisierten Mehrparteiensysteme mit Konzentration auf zwei große Parteien zugerechnet zu werden. Bürgermeisterwahl 1999 und 2004 in Hilden Bei der Bürgermeisterwahl 1999 traten in Hilden fünf Kandidaten an: der ehrenamtliche Bürgermeister der SPD sowie Kandidaten von CDU, Grüne, FDP und DUH. Der ehrenamtliche Bürgermeister der SPD war in der Ratswahlperiode 1994-1999 von SPD und Grünen ins Amt gewählt worden, trotzdem nominierten die Grünen einen eigenen Kandidaten für die Bürgermeisterwahl. Der ehrenamtliche Bürgermeister der SPD war 1999 52 Jahre alt und von Beruf Gymnasiallehrer. Er wohnte seit seinem dritten Lebensjahr in Hilden und war seit 1978 in der Kommunalpolitik aktiv, zunächst als Ratsmitglied, von 1989-1994 als stellvertretender ehrenamtlicher Bürgermeister und ab 1994 als ehrenamtlicher Bürgermeister. Über die Profile der anderen Kandidaten und die Kandidatenauswahl bei der Bürgermeisterwahl 1999 liegen keine weiteren Informationen vor. Hilden war damit wie Xanten 1999 einer der seltenen Fälle (insgesamt 14, ohne die Städte und Gemeinden, in denen zwei Amtsinhaber der alten Doppelspitze antraten), in denen ein ehrenamtlicher Bürgermeister für die SPD kandidierte. Das Kandidatenangebot in Hilden lag mit fünf Kandidaten leicht über dem Durchschnitt der Gemeindegrößenklasse mit 4,5 Kandidaturen. Von den auch bei der Ratswahl antretenden Parteien und Wählergruppen hatte nur die BA keinen eigenen Bürgermeisterkandidaten aufgestellt, so dass Hilden zur großen Gruppe der Kommunen zählte, in denen das Angebot bei Bürgermeisterwahlen kleiner war als bei Ratswahlen. Der ehrenamtliche Bürgermeister der SPD konnte sich 1999 in der Stichwahl gegen den CDU-Kandidaten durchsetzen. Er schnitt im ersten Wahlgang um 8,9 Prozentpunkte besser ab als seine Partei, lag aber nur 1,1 Prozentpunkte vor dem Gegenkandidaten der CDU, der
240
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
mit 42,0% der gültigen Stimmen 2,7 Prozentpunkte weniger bekommen hatte als seine Partei bei der Ratswahl. Die Kandidaten der Grünen und der DUH hatten ebenfalls weniger Stimmen bekommen als ihre Partei bei der Ratswahl, der Kandidat der FDP 0,7 Prozentpunkte mehr. Die Volatilität war mit 9,6 Punkten im ersten Wahlgang eher gering und ging hauptsächlich auf den SPD-Kandidaten zurück, der Stimmen aus anderen Lagern gewinnen konnte. Tabelle 91: Rats- und Bürgermeisterwahlen in Hilden 1999 und 2004 im Vergleich
Rat 1999 Bm 1999 Differenz 1999 Stichwahl 1999 Differenz 1. Wahlgang – Stichwahll Rat 2004 Bm 2004 Differenz 2004
SPD
CDU
Grüne
FDP
DUH
BA
Format
34,2 43,1 8,9
44,7 42,0 -2,7
4,3 2,9 -1,4
5,7 6,4 0,7
6,2 5,5 -0,7
4,8 -4,8
6 5 -1
58,8
41,2
-
-
-
-
2
15,7
-0,8
-
-
-
-
-
34,4 51,4 17
40,2 38,9 -1,3
6,9 3,8 -3,1
6,4 -6,4
3,9 -3,9
8,0 5,9 -2,1
6 4
Volatilität
9,6
15,7
17
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: In Prozent der gültigen Stimmen. Wählergruppen: „Die Unabhängigen Hilden“ (DUH) und Bürgeraktion Hilden (BA). Sonstige traten nur bei der Ratswahl 1994 an und sind der Übersichtlichkeit halber nicht aufgeführt. Volatilität Rat – Bm: Gemessen mit einem Pedersen-Index (Summe der positiven Zugewinne der betrachteten Parteien im Vergleich von Bürgermeister- und Ratswahlen.
Im zweiten Wahlgang gewann der SPD-Kandidat mit 58,8% der gültigen Stimmen, sein Vorsprung auf den CDU-Bewerber vergrößerte sich auf 17,6 Prozentpunkte. Die Wahlbeteiligung sank zwar von 55,8% im ersten Wahlgang auf 50% bei der Stichwahl, der Vorsprung des SPD-Kandidaten war aber kein Effekt der sinkenden Wahlbeteiligung, sondern er konnte in der Stichwahl Stimmen dazugewinnen, der CDU-Kandidat verlor dagegen noch Stimmen. Landesweit konnte sich die Hälfte142 der für die SPD kandidierenden ehrenamtlichen Bürgermeister bei der Wahl durchsetzen. In Hilden hatte sich der Amtsbonus zugunsten des SPD-Kandidaten ausgewirkt, auch wenn es nicht für einen Wahlsieg im ersten Wahlgang reichte. Der SPD-Wahlsieger in Hilden erhielt zwar schon im ersten Wahlgang mehr Stimmen als seine Partei bei der Ratswahl, die Volatilität zwischen den Wahlgängen war aber insgesamt nicht sehr hoch. Allerdings wurden auch landesweit über die Hälfte der SPDWahlsieger erst in der Stichwahl gewählt. Der Fall Hilden war 1999 daher typisch für die vom Bundestrend gebeutelte SPD, wenn ein Kandidat überhaupt Wahlchancen hatte, dann 142
Ohne Berücksichtigung der Fälle mit zwei Amtsinhabern.
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
241
eher als Amtsinhaber denn als „normaler“ Kandidat. Eher untypisch war, dass die CDU in Hilden nicht in so starkem Maße vom Bundestrend profitierte wie in anderen Kommunen, was die Wahlchancen des SPD-Bürgermeisters natürlich verbesserte. Bei der Bürgermeisterwahl 2004 traten in Hilden nur noch vier Kandidaten an: der SPD-Bürgermeister sowie Kandidaten von CDU und BA und eine Kandidatin der Grünen (Vgl. Kinast/Lerch u.a. 2005). Die BA hatte zum ersten Mal einen Kandidaten nominiert, FDP und DUH hatten 2004 im Gegensatz zu 1999 auf eine Kandidatur verzichtet. Der SPD-Bürgermeister wurde bereits kurz vorgestellt. Der CDU-Kandidat war zum Zeitpunkt der Wahl 34 Jahre alt, Jurist und arbeite als Referent der CDU-Landtagsfraktion. Er war erst nach Bekanntgabe seiner Kandidatur nach Hilden gezogen und hatte vor Ort keine kommunalpolitische Erfahrung. Der CDU-Kandidat war ein typisches Beispiel für einen Kandidatenimport, wie dem folgenden Abschnitt zur Kandidatenauswahl zu entnehmen ist. Die Kandidatin der Grünen war 51 Jahre alt und lebte seit über zwanzig Jahren in Hilden. Die Diplom-Ingenieurin arbeitete beim Landschaftsverband Rheinland. Die Kandidatin war bereits von 1994-1999 stellvertretende Bürgermeisterin in Hilden und zum Zeitpunkt ihrer Nominierung Fraktionsvorsitzende der Grünen im Rat der Stadt und Vorstandsmitglied. Der Kandidat der BA war 50 Jahre alt und von Beruf Versicherungskaufmann. Vor seinem Eintritt in die Wählergemeinschaft war er 25 Jahre Mitglied der CDU und dort in verschiedenen Funktionen aktiv. Zum Zeitpunkt seiner Nominierung war er Mitglied im Rat und im Kreistag des Kreises Mettmann. Die Nominierung des SPD-Bürgermeisters durch seine Partei war eher Formsache. Nachdem er signalisiert hatte, dass er wieder für seine Partei antreten wolle, gab es keinen Grund, noch nach weiteren Kandidaten zu suchen. Auch parteiintern meldeten sich keine Gegenkandidaten. Der SPD-Bürgermeister wurde Anfang 2004 einstimmig nominiert. Die Kandidatensuche der CDU war etwas langwieriger. Nachdem 1999 eine interne Lösung präsentiert worden war, war diesmal im Vorfeld relativ früh klar, dass in den eigenen Reihen scheinbar kein aussichtsreicher Kandidat zu finden war. Hilden war von den Eckdaten her für einen externen Kandidaten durchaus attraktiv. Es musste zwar ein Amtsinhaber geschlagen werden. Die Erfolgschancen dafür schienen aber nicht schlecht zu sein, da die CDU bei der Ratswahl 1999 knapp 45% der gültigen Stimmen erhalten hatte und gut 10 Prozentpunkten Vorsprung vor der SPD hatte. Aus Sicht der CDU fehlte es dem Amtsinhaber in erster Linie an Verwaltungskompetenz. Gesucht wurde ein Kandidat, der sich hinsichtlich seiner Qualifikation vom Amtsinhaber unterscheiden sollte. Der Stadtverbandsvorsitzende suchte dann über Kontakte auch außerhalb von Hilden nach geeigneten Kandidaten und stellte schließlich eine Liste von sechs Kandidaten zusammen, die dem Vorstand präsentiert wurde. Darauf befand sich u.a. ein älterer Bewerber aus der Wirtschaft, eine Kandidatin aus der Hildener CDU und der später ausgewählte Bewerber. Der Kandidat stellte sich dann im Sommer 2003 dem Parteivorstand vor. Entscheidend für die Auswahl war dann das Kontrastprofil zum Amtsinhaber (jung, Jurist) und die Zusicherung des Kandidaten, vor der Wahl nach Hilden zu ziehen. Der CDU-Kandidat wurde im November 2003 den Mitgliedern vorgestellt und auf einem Ortsparteitag mit 98% Zustimmung als offizieller Kandidat nominiert. Er hatte also einige Monate Vorlauf vor dem eigentlichen Wahlkampf, um sich in der Stadt bekannt zu machen. Teil der Strategie war der Versuch, andere Gruppierungen davon zu überzeugen, auf eigene Kandidaten zu verzichten und den CDU-Kandidaten zu unterstützen. Dies gelang jedoch nur teilweise.
242
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Der Kandidat der BA wurde Ende 2003 vom Vorstand zur Kandidatur aufgefordert. Obwohl er zuerst aufgrund des hohen persönlichen Aufwands und der schlechten Erfolgsaussichten nicht antreten wollte, ließ er sich schließlich doch überzeugen. Die BA rechnete mit der Wiederwahl des Amtsinhabers und rechnete nicht mit einem Erfolg des CDU-Herausforderers. Eine Unterstützung des CDU-Kandidaten kam auch nicht in Frage. Das Hauptziel der eigenen Kandidatur war, Aufmerksamkeit zu erregen und dadurch das Ratswahlergebnis zu verbessern. Der Kandidat wurde im Juni 2004 einstimmig zum Bürgermeisterkandidaten gewählt. Die Grünen entschlossen sich erst recht spät zur Kandidatur, im Frühjahr 2004 wurde zunächst der Kontakt zum Amtsinhaber gesucht. Zu einer Unterstützung kam es jedoch nicht, da die SPD im Rat nicht mit den Grünen kooperierte, sondern in der Regel in einer großen Koalition mit der CDU abstimmte und die Grünen vor diesem Hintergrund lieber ihr eigenes Profil schärfen wollten. Die Kandidatur zielte also in erster Linie auf die Verbesserung des Ratswahlergebnisses. Eine Kandidatin passte zum Pateiimage und sollte dann auch einen gewissen Kontrast zu dem ansonsten männlichen Kandidatenangebot herstellen. FDP und DUH entschieden sich gegen eigene Kandidaturen und unterstützten den CDU-Kandidaten im Wahlkampf. Beide Gruppierungen hatten aber bei den Ratswahlen das Ziel, eine absolute Mehrheit der CDU zu verhindern, damit es in der kommenden Ratswahlperiode zu einer Zusammenarbeit mit der CDU im Rat kommen würde. Die DUH lehnte zwar eine Koalition mit der CDU aufgrund ihres Selbstverständnisses zwar ab, hatte aber eine konkrete Absprache mit der CDU getroffen, so dass man auch bei FDP und DUH hauptsächlich von parlamentarischen Anreizen für den Verzicht auf eine Kandidatur ausgehen kann. Die Größe des Kandidatenangebotes in Hilden war 2004 mit vier Kandidaten typisch für die Gemeindegrößenklasse zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern in NRW. SPDBürgermeister waren in dieser Größenklasse aber eher selten, die in nur 12,8% der Städte kandidierten. Auch hatten alle SPD-Bürgermeister Herausforderer von der CDU. Das Kandidatenangebot war 2004 in Hilden kleiner als bei den Ratswahlen, wie auch in insgesamt 80% aller Fälle. Der SPD-Bürgermeister gewann die Bürgermeisterwahl 2004 mit 51% der gültigen Stimmen und lag damit zwar nur knapp über der absoluten Mehrheit, aber satte 13 Prozentpunkte vor seinem Herausforderer von der CDU. Er hatte auch als einziger Bürgermeisterkandidat mehr Stimmen als seine Partei bekommen (+17 Prozentpunkte), selbst der CDUKandidat hatte weniger Stimmen als seine Partei bekommen. Die Unterstützung von FDP und DUH hat sich also im Wahlergebnis nicht ausgewirkt. Grüne und BA konnten beide 2004 ihr Ratswahlergebnis verbessern, insofern hatten sie ihr Hauptziel erreicht. Aber auch die FDP hatte auch ohne Kandidaten besser abgeschnitten als 1999, die DUH hatte ohne Kandidaten Stimmen verloren, so dass es zusammenfassend schwer zu beurteilen ist, ob die Veränderungen der Ratswahlergebnisse der kleinen Gruppierungen auf die Kandidatur zurückzuführen sind, oder ob sie auf anderen lokalen Faktoren beruhen. Die SPD-Bürgermeister erreichten insgesamt 2004 eine Wiederwahlquote von 90%, also lag Hilden in dieser Hinsicht durchaus im Trend. Insgesamt gesehen konnte die SPD auch in den großen Mittelstädten wieder zulegen und stellte knapp 50% der Bürgermeister in dieser Größenklasse. Wie etwa die Hälfte seiner Amtskollegen hat der SPDBürgermeister mit einer relativen CDU-Mehrheit im Rat zu tun, was für den Bürgermeister
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
243
von Hilden aber schon fast Routine ist, da dies nach 1999 auch schon der Fall war. Der Bürgermeister von Hilden gehört zu dem knappen Drittel aller Bürgermeister in NRW, die auch schon vor 1999 ein Amt hatten. Von den ehemaligen ehrenamtlichen Bürgermeistern dürfte er aber einer der letzten sein, die noch im Amt sind. Zusammenfassung: Amtsbonus trotz schwierigem Umfeld Der Wahlausgang 2004 in Hilden bestätigt die Amtsbonusthese. Der Amtsinhaber, der 1999 noch in die Stichwahl musste, konnte sich 2004 im ersten Wahlgang durchsetzen und erhielt dabei deutlich mehr Stimmen als seine Partei. Das Kandidatenangebot war auch relativ typisch für einen Fall mit SPD-Amtsinhaber in dieser Größenklasse: Amtsinhaber, Herausforderer von der CDU und zwei Kandidaten kleinerer Gruppierungen als Zugpferde für ihre Ratslisten. Bemerkenswert war jedoch der Strategiewechsel der CDU, die 2004 auf einen externen Kandidaten setze, der sich in seinem Profil (jung, zugezogen, Jurist) vom Amtsinhaber unterschied. Man rechnete sich durchaus Chancen aus, den Amtsinhaber in die Stichwahl zu zwingen und dann die entscheidenden Stimmen für sich zu mobilisieren. Aber der Kandidat war auch mit der Perspektive geholt worden, dass er bei einer Niederlage als kommender Mann für die nächste Wahl aufgebaut werden sollte. Denn es war auch klar, dass ein externer Kandidat größere Schwierigkeiten haben würde, in der doch recht kurzen Zeit bis zur Wahl einen entsprechenden Bekanntheitsgrad aufzubauen. Dieser Plan schien auch zunächst aufzugehen, der CDU-Kandidat wurde nach der Wahl 2004 stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender und im Juni 2005 zum Stadtverbandsvorsitzenden gewählt (vgl. Westdeutsche Zeitung Kreis Mettmann, 03.06 2005 „Hilden: Die Gräben sind immer noch tief“). Ein Jahr später warf er aber überraschend das Handtuch und trat von seinen Ämtern zurück und legte sein Ratsmandat nieder, da er sich ganz seiner beruflichen Karriere widmen wolle. Mit Unstimmigkeiten zwischen Partei und Fraktion habe sein Rückzug aber nichts zu tun (vgl. NRZ Düsseldorf Süd, 19.05 2006 „Herlitz wirft das Handtuch“). Zwei Jahre nach der Wahl muss das Experiment der Hildener CDU endgültig als gescheitert angesehen werden. Fallstudie zur Bürgermeisterwahl in Marl: Kurz-Profil der Gemeinde Die Stadt Marl liegt im Kreis Recklinghausen im nördlichen Ruhrgebiet und hatte Ende 2004 91.207 Einwohner und zählt damit zur Klasse der Kommunen zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern. Die Stadt gehört nach Bick (1985) zur Region Ruhrgebiet. Die Entwicklung der Stadt war ab dem 19. Jahrhundert zunächst vom Bergbau geprägt, dann siedelten sich Chemieunternehmen an („Chemiepark Marl“). Im Gegensatz zu vielen anderen Städten der Region ist in Marl die Zeit des Bergbaus noch nicht vorbei, die Zeche „Augusta Victoria/Blumenthal“ wird als Verbundbergwerk weiterhin von der Deutschen Steinkohle betrieben und hat 3.800 Mitarbeiter143. Kandidatenauswahl und Kandidatenprofile konnten gut über die Archive der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (WAZ) und der „Marler Zeitung“ (MZ) nachvollzogen werden. 143
Vgl. http://www.deutsche-steinkohle.de/content.php?id=6 (Stand 18.12. 2006).
244
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Lokale Wettbewerbssituation in Marl Die Entwicklung des Parteiensystems in Marl war im Zeitraum 1984-2004 von drei Entwicklungen geprägt: stark abnehmende Wahlergebnisse der SPD und wachsende Fragmentierung und Kommunalisierung. Bei der Ratswahl 1984 traten fünf Gruppierungen an und die SPD konnte eine absolute Mehrheit der Mandate erringen. Die Anzahl der kandidierenden Gruppierungen steigerte sich bis 2004 auf sieben, darunter seit 1994 die Wählergruppen „WIR für Marl“ (WIR) und ab 2004 zusätzlich die Wählergruppe Bürgerunion Marl (BUM). Das Wahlergebnis der SPD sank bis auf 37,7% der gültigen Stimmen 2004. Die CDU konnte bis 1994 ihr Ergebnis von 32,1% auf 36,2% steigern und überholte 1999 mit 43,8% die SPD und wurde zum ersten und einzigen Mal stärkste Partei im Rat, denn ihr Ergebnis stürzte 2004 auf 31,8% der gültigen Stimmen ab und die SPD wurde wieder stärkste Fraktion im Rat. Auf die Gründe dieser Entwicklung des CDU-Ergebnisses wird weiter unten näher eingegangen. Abbildung 21: Entwicklung der Ratswahlergebnisse in Marl 1984-2004
60
50
40
30
20
10
0 1984
1989 SPD
CDU
1994 Grüne
1999 FDP
Wgr
2004 Sonstige
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Wählergruppen: 1994- 1999 WIR in Marl (WIR), ab 2004 addierte Anteile von WIR und Bürgerunion Marl (BUM). Sonstige
Die Grünen hatten 1984 ein Ergebnis von 11% der gülteigen Stimmen erhalten, ihr Ergebnis sank aber im Untersuchungszeitraum bis auf 6,5% 2004. Die FDP konnte dagegen zule-
245
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
gen und 5,6% erringen. Bei allen anderen Wahlen hatte sie nicht mehr als 5% der gültigen Stimmen erhalten. Die Wählergruppen konnten ihr Ergebnis deutlich verbessern und erreichten 2004 ein Ergebnis von knapp 15%, so dass in Marl von einer ausgeprägten Kommunalisierung des Parteiensystems ausgegangen werden kann. Die Gründung der zweiten Wählergruppe (BUM) stand im Zusammenhang mit dem Konflikt der CDUBürgermeisterin mit ihrer Partei, die dann 2004 nicht mehr für die CDU kandidierte, sondern als Einzelbewerberin antrat (s.u.). Im Untersuchungszeitraum sank die Konzentration auf SPD und CDU von 84,8% auf 69,5%, die Fragmentierung stieg von einem Wert des Rae-Index von 0,60 1984 auf 0,73 2004, einen der höchsten Werte bei Ratswahlen in dieser Größenklasse. Die SPD hatte 1989 noch die absolute Mehrheit der Mandate, die aber bereits 1994 verloren ging. Die SPD behielt aber 1994 die relative Mehrheit der Mandate, die sie auch 2004 wieder erringen konnte, mit der gleichen Mandatszahl wie 1999, da die CDU gleichzeitig sechs Mandate verlor. Die CDU konnte bei der Bundestrendwahl 1999 die relative Mehrheit der Mandate von der SPD übernehmen. Die Anzahl der Gruppierungen im Rat stieg von vier 1989 bis auf sieben 2004. Dies lässt sich aber weniger auf die Abschaffung der Sperrklausel 1999 zurückführen, als auf einen generellen Trend der Fragmentierung, da alle Gruppierungen außer den Sonstigen 2004 über 5% der gültigen Stimmen erhalten hatten. Tabelle 92: Entwicklung der Mandatsverteilung in Marl 1989-2004 Mandate 1989 1994 1999 2004
gesamt 51 51 50 50
SPD 26 24 19 19
CDU 15 20 22 16
Grüne 6 4 3 3
FDP 1 3
WIR 3 5 5
BUM 3
Sons. 4 1
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Die jeweils stärkste Gruppierung ist fett hervorgehoben. Wählergruppen „WIR in Marl“ (WIR) und „Bürgerunion Marl“ (BUM). Sonstige 1989 Republikaner und 2004 PDS.
Marl gehörte 1984 und 1994 zu den SPD-dominierten Parteiensystemtypen. Wachsende Kommunalisierung und abnehmende Dominanz der SPD mündeten 2004 in die Zuordnung des Falls zum Parteiensystemtyp des kommunalisierten Mehrparteiensystems mit Konzentration auf zwei große Parteien. Bürgermeisterwahl 1999 und 2004 in Marl Bei der Bürgermeisterwahl 1999 in Marl traten fünf Kandidaten an: der bereits 1995 gewählte hauptamtliche Bürgermeister der SPD, eine Kandidatin der CDU, Kandidaten der Grünen und der Wählergruppe WIR sowie ein Einzelbewerber, der Unterschriften gesammelt hatte. Der SPD-Bürgermeister war 1995 vorzeitig auch mit Stimmen der CDU vom Rat gewählt worden. Er war 1999 56 Jahre alt, Jurist und kam nicht aus Marl. Die Herausforderin der CDU war 47 Jahre alt und Rechtsanwältin. Sie war eine externe Kandidatin, da sie vom Stadtverbandsvorsitzenden für die Kandidatur in Marl außerhalb der kommunalpolitischen Netzwerke in Marl gefunden worden war (vgl. WAZ Cocktail / Mantel, 26.07.1999 „Sachkundige Bürgerin will im Rathaus den Ton angeben“). Der Kandidat der
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Grünen war Lehrer an einem Gymnasium in Marl, 60 Jahre und als Gründungsmitglied der Grünen in Marl seit zwanzig Jahren für seine Partei Mitglied im Rat (vgl. WAZ Marl, 05.05.1999 „Paul Wagner Bürgermeisterkandidat“). Für die WIR kandidierte 1999 der 55 Jahre alte Fraktionsvorsitzende im Rat. Dazu kann ein Einzelbewerber, der Unterschriften gesammelt hatte. Er war 34 Jahre alt und Kraftfahrer. Der Einzelbewerber war gebürtiger Marler und trat zur Wahl an, da „(…) er keiner Partei angehöre und deshalb objektiv und unabhängig sei – und weil er Mißstände in Marl entdeckt habe“ (vgl. WAZ Marl, 11.08.1999 „Fünfter Bewerber als Bürgemeister“). Diese Begründung der Kandidatur war 1999 relativ typisch für Einzelbewerber/Unterschriften, die in der Regel lokale Protestkandidaten waren (Holtkamp/Gehne 2002). Die FDP hatte 1999 keinen eigenen Kandidaten nominiert, sondern unterstützte die Import-Kandidatin der CDU. Die Größe des Kandidatenangebotes in Marl war mit fünf Kandidaten durchaus typisch für die Größenklasse zwischen 50.000- und 100.000 Einwohnern. SPD-Bürgermeister traten 1999 in über 50% der Fälle des Typs kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit SPD-Dominanz an. Allerdings hatte das Kandidatenangebot in Marl auch seine Besonderheiten. Zwar traten in den meisten Gemeinden dieser Größe Kandidaten der Grünen an, aber nur in einem Viertel der Kommunen gab es keine Kandidatur der FDP. Dafür gab es in Marl je einen Kandidaten einer Wählergruppe und einen Einzelbewerber, was nur in einem Drittel der Kommunen in dieser Größenklasse der Fall war. Der Bürgermeister der SPD wurde im Februar 1999 von seiner Partei mit großer Mehrheit nominiert, allerdings war im Vorfeld unsicher, wie deutlich die Entscheidung für ihn werden würde. Zwar war klar, dass der vorzeitig vom Rats gewählter Bürgermeister auch antreten solle, die Unsicherheit im Vorfeld über die Höhe des Ergebnisses ließ aber auf Akzeptanzprobleme des Bürgermeisters in einem Teil der Partei schließen (vg. WAZ Marl, 22.02. 1999 „SPD votiert klar für Dr. Fliedner“). Die CDU hatte schon im November 1998 ihre Kandidatin für die Direktwahl präsentiert, die dann im März 1999 offiziell nominiert wurde (vgl. WAZ Marl, 24.03.1999 „CDU-Parteitag bestätigt Kandidatin“). Da sie in Marl völlig unbekannt war, wurde sie schon relativ früh der Öffentlichkeit vorgestellt und begann damit, sich in der Kommunalpolitik vor Ort einen Namen zu machen. Die Strategie, eine externe Kandidatin zu holen, war vom Stadtverbands- und Fraktionsvorsitzenden gegen parteiinternen Widerstand durchgesetzt worden. Die Entwicklungen nach der Wahl 1999 führten Ende 2003 dazu, dass der Stadtverbandsvorsitzende von Partei- und Fraktionsvorsitz zurücktrat und die Verantwortung für die von ihm vorgeschlagene Strategie übernahm. Die Grünen nominierten im Mai 1999 ihren Kandidaten, der sich zwar für eine Alternative zu den anderen Bewerbern hielt, sich aber keine Gewinnchancen ausrechnete (vgl. WAZ Marl, 05.05.1999 „Paul Wagner Bürgermeisterkandidat“). Daher kann man davon ausgehen, dass es auch den Grünen in Marl in erster Linie um Aufmerksamkeit für ihre Ratswahlliste ging, genauso wie der Wählergruppe. Der Einzelbewerber erklärte erst im August 1999 seine Kandidatur, für das Wahlergebnis spielte er wie die meisten Einzelbewerber/Unterschriften keine Rolle. Die FDP unterstützte die CDU-Kandidatin, da sie als externe Kandidatin unbelastet von den Grabenkämpfen der Marler Kommunalpolitik wäre und gegen das immer noch rot eingefärbte Ratshaus ein Gegengewicht bilden könnte (vgl. WAZ Marl, 04.08.1999 „FDP: Mit frischem Wind drei Plätze im nächsten Rat“). Eine Koalitionsaussage wäre mit der Empfehlung jedoch nicht verbunden gewesen. Bei der Bürgermeisterwahl 1999 in Marl konnte sich dann die CDU-Kandidatin in der Stichwahl gegen den SPD-Bürgermeister durchsetzen. Im ersten Wahlgang blieb sie nur
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
247
knapp unter der absoluten Mehrheit. Die CDU-Kandidatin bekam als einzige Kandidatin im ersten Wahlgang mehr Stimmen als ihre Partei bei der Ratswahl. Selbst der Bürgermeister bekam etwas weniger Stimmen als seine Partei, was mit Amtsbonus eher ungewöhnlich war. Der SPD-Bürgermeister ging mit 11 Prozentpunkten Rückstand auf die CDUKandidatin in die Stichwahl, er konnte über das Potential seiner Partei hinaus keine zusätzlichen Stimmen gewinnen. Die Volatiliät zwischen Rats- und Bürgermeisterwahl war im ersten Wahlgang gering und bezog sich nur auf das Ergebnis der CDU-Kandidatin. Keine kleine Partei hatte eine Empfehlung für die Stichwahl ausgesprochen (vgl. WAZ Marl, 17.09.1999 „Prominenz hilft lokalen Kandidaten“). Die Stichwahl gewann die CDUKandidatin mit 57,6% der gültigen Stimmen, sie vergrößerte ihren Vorsprung vor dem SPD-Bürgermeister auf 15 Prozentpunkte. Beide Kandidaten konnten ihr Ergebnis im Vergleich zum ersten Wahlgang bei den gültigen Stimmen verbessern, vergleicht man jedoch die absoluten Stimmenzahlen der Bewerber bei beiden Wahlgängen, stellt sich heraus, dass beide sogar Stimmen verloren hatten. Da aber die Wahlbeteiligung von 53,5% im ersten Wahlgang auf 44,8% in der Stichwahl gesunken war und die CDU-Kandidatin in geringerem Ausmaß Stimmen verloren hatte als der SPD-Bürgermeister, reichte ihr schon im ersten Wahlgang vorhandener Vorsprung für dieses klare Ergebnis. Bei den Bürgermeisterwahlen 1999 konnte sich nur die Hälfte der SPD-Amtsinhaber durchsetzen, die anderen verloren gegen CDU-Kandidaten. Insgesamt gelang es der CDU, in drei Viertel aller Gemeinden der Größenklasse zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern die Wahlen zu gewinnen. Marl gehörte nach der Bürgermeisterwahl 1999 zu der Gruppe der Kommunen mit CDU-dominiertem Parteiensystem und CDU-Bürgermeisterin, die in der Region Ruhrgebiet vierzig Prozent der Fälle ausmachte. Bei der Bürgermeisterwahl 2004 in Marl vergrößerte sich das Kandidatenangebot, es traten mit sieben Kandidaten zwei mehr zur Wahl an als noch 1999. Neben Kandidaten von SPD, CDU, FDP, Grünen und WIR traten die Bürgermeisterin als Einzelbewerberin aus dem Amt und ein weiterer Einzelbewerber/Unterschriften144 zur Wahl an. Auf die Gründe für den Bruch der Bürgermeisterin mit ihrer Partei wird weiter unten noch eingegangen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit konzentriert sich die Darstellung im Weiteren auf Profil und Auswahl bei SPD und CDU und das Verhältnis der CDU zur Bürgermeisterin, weitere Gruppierungen werden nur dort erwähnt, wo es für die Interpretation des Wahlausgangs notwendig erscheint.
144 Der Einzelbewerber war ein Wiederholungstäter, da er 1999 bereits in Duisburg als Einzelbewerber angetreten war (vgl. Holtkamp/Gehne 2002).
248
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Tabelle 93: Rats- und Bürgermeisterwahlen in Marl 1999 und 2004 im Vergleich Rat 1999 Bm 1999 Differenz 1999 Stichwahl 1999 Differenz 1. Wahlgang – Stichwahl 1999 Rat 2004 Bm 2004 Different 2004 Stichwahl 2004 Differenz 1. Wahlgang – Stichwahl 2004
SPD 38,4 38,3 -0,1
CDU 43,8 49,7 5,9
42,4
57,6
4,1
7,9
37,7 25,5 -12,2
31,8 23,1 -8,7
Grüne 5 3,5 -1,5
FDP 2,5 -2,5
WIR 9,5 7,5 -2
BUM -
Sons. 0,8 -0,8
6,5 3,8 -2,7
5,6 4,0 -1,6
9,5 7,5 -2
5,4
3,5
-5,4
-3,5
EB 1 0,9 0,9
EB 2 -
35,2 35,2
0,9 0,9
31,2
68,8
5,7
33,6
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: In Prozent der gültigen Stimmen. Wählergruppen: „WIR in Marl“ (WIR) und „Bürgerunion Marl“ (BUM). Volatilität Rat – Bm: Gemessen mit einem Pedersen-Index (Summe der positiven Zugewinne der betrachteten Parteien im Vergleich von Bürgermeister und Ratswahlen).
Zunächst zum Profil der Kandidaten: Die Bürgermeisterin wurde bereits vorgestellt. Der SPD-Kandidat 2004 war in der Ratswahlperiode 1999-2004 Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Rat der Stadt Marl. Er war 2004 52 Jahre alt und von Beruf Schulleiter in Marl. Der CDU-Kandidat war 50 Jahre alt und Rechtsanwalt. Er war für die CDU Mitglied im Rat und im Kreistag. Bei der Bürgermeisterwahl 2004 trat die Bürgermeisterin der Stadt Marl als Einzelbewerberin aus dem Amt gegen einen Kandidaten der CDU an. Die Bürgermeisterin war zu diesem Zeitpunkt noch CDU-Mitglied. Schon bald nach ihrer Wahl 1999 kam es zu Konflikten mit der CDU im Rat, da die Bürgermeisterin nicht in der Form mit der CDURatsfraktion kooperierte, wie es von der Partei erwartet wurde und da sie bei Abstimmungen gegen die CDU-Ratsfraktion votierte145. Mitte 2001 eskalierte die Situation zwischen Bürgermeisterin und CDU erstmals und es kam zu ersten öffentlichen Rücktrittsforderungen, u.a. mit der Begründung, dass sie ihr Amt nicht der eigenen Tüchtigkeit, sondern der
145 So die Stellungnahme des Stadtverbandsvorsitzenden auf der Internetseite des CDU-Stadtverbands, unter http://www.cdu-marl.de/_modul_aktuelles/news_show.php?id=101 (Stand 23.11.2006).
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
249
Marler CDU verdanke (vgl. Marler Zeitung, 17.08.2001 „Heinrich soll zurücktreten“). Nachdem sich die Situation im Laufe des Jahres 2001 wieder beruhigt hatte (vgl. Marler Zeitung, 17.09.2001 „Schlussstrich unter offenem Streit“), eskalierte der Streit erneut im Vorfeld der Bürgermeisterwahl Ende 2002. Nachdem die Bürgermeisterin nach Aussage des Stadtverbandsvorsitzenden schon in der Vergangenheit eine unabhängige Kandidatur als Druckmittel eingesetzt hatte, erklärte sie Ende November 2002 gegenüber der Marler Zeitung, sie würde auf jeden Fall wieder zur Wahl antreten, entweder für ihre Partei oder als unabhängige Kandidatin (vgl. auch Marler Zeitung, 21.11.2002 „Heinrich kandidiert“). Daraufhin kündigte der Stadtverbandsvorsitzende der CDU seinen Rücktritt an, da er die Verantwortung für die Kandidatur von Frau Heinrich 1999 und damit auch für die Konflikte, die sich seine Partei damit eingehandelt habe, trage. Allerdings wurde er im März 2003 wieder zum Stadtverbandsvorsitzenden gewählt (Vgl. Marler Zeitung, 20.01.2003 „CDU will mit neuer Mannschaft ‚viele Tore schießen`“). Ab Mitte des Jahres 2003 verstärkte die CDU ihre Aktivitäten der Kandidatenauswahl, die schließlich in einem internen Wettbewerb mit fünf Kandidaten ab Oktober 2003 durchgeführt wurde (vgl. Marler Zeitung 15.10.2003, „Mit Herz um jede Stimme kämpfen“). Der Bürgermeisterin wurde trotz allem angeboten, sich an diesem Verfahren zu beteiligen, was diese jedoch ablehnte (vgl. WAZ Marl, 18.06.2004 „Jetzt ist es offiziell: Uta Heinrich ist wieder Kandidatin“). Danach spitzte der Konflikt sich zu, denn die Bürgermeisterin unterstützte Ende 2003 sogar noch die Gründung der Bürgerunion Marl (BUM), die der CDU auch bei der Ratswahl Konkurrenz machen sollte. Die Bürgermeisterin wollte für diese zwar nicht kandidieren, aber durchaus als Zugpferd fungieren (vgl. Marler Zeitung, 03.12.2003 „BürgerUnion tritt 2004 zur Wahl an“). Die CDU nominierte im Februar 2004 nach Abschluss des parteiinternen Auswahlverfahrens einen Gegenkandidaten zu „ihrer“ Bürgermeisterin. Noch vor der Wahl 2004 löschte der CDU-Kreisverband die Mitgliedschaft der Bürgermeisterin mit der Begründung, sie habe Beiträge nicht bezahlt, um einem formalen Ausschlussverfahren wegen parteischädigenden Verhaltens aus dem Weg zu gehen. Dieser Konflikt warf ein deutliches Licht auf die vom Konflikt zwischen Bürgermeisterin und CDU geprägte Atmosphäre der Kommunalpolitik in Marl. Obwohl Wählergruppen in Marl vergleichsweise stark waren und die Bürgermeisterin als Einzelbewerberin antrat, waren die Politikmuster in dieser Kommune nicht konkordant, sondern von Konflikten und Konkurrenz geprägt. Die SPD präsentierte ihren Kandidaten im Juli 2003, mehr als ein Jahr vor der Kommunalwahl. Offiziell nominiert wurde er dann im Januar 2004. Die Präsentation fand zu einem Zeitpunkt statt, als noch nicht klar war, wie sich CDU und Bürgermeisterin einigen würden. Die CDU-interne Kandidatenauswahl war zwar noch nicht abgeschlossen, die SPD präsentierte sich dagegen als einige Partei, in der alle hinter dem Kandidaten stünden (vgl. Marler Zeitung, 10.07.2003 „Rückenwind soll Vogel in das Rathaus tragen“). Die restlichen Kandidaten wurden dann im Laufe des Jahres 2004 nominiert. Marl war 2004 eine von insgesamt 10 Kommunen mit einem sehr großen Kandidatenangebot von sieben Kandidaten, von denen vier allerdings auch in dieser Größenklasse lagen. In insgesamt nur 19 Kommunen gab es 2004 zwei Einzelbewerber. Die Bürgermeisterin von Marl war eine der wenigen Einzelbewerber aus dem Amt in dieser Größenklasse. Sie hatte deutlich mehr Konkurrenz als die Einzelbewerber aus dem Amt in kleineren Gemeinden, was aber auch – wie gezeigt – an der besonderen Konfliktgeschichte mit ihrer Partei liegt. Dass ein Amtsinhaber nicht mehr für die Partei antrat, die ihn 1999 nominiert
250
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
hatte, war aber sehr selten, in Bezug auf die CDU kam dies 2004 nur in sechs Kommunen vor. Die Bürgermeisterin gewann auch die Wahl 2004 erst in der Stichwahl. Im ersten Wahlgang bekam sie 35,2% der gültigen Stimmen, deutlich weniger als 1999 (49,7%). Trotzdem lag sie sowohl vor dem Kandidaten der CDU (23,1%) als auch vor dem SPDKandidaten (25,5%), der dann als Zweitplatzierter in die Stichwahl einzog. Die Konzentration der Stimmen auf CDU und SPD war aufgrund der Amtskandidatur mit unter fünfzig Prozentpunkten sehr gering. Die Kandidaten der beiden großen Parteien haben außerdem beide im ersten Wahlgang erheblich weniger Stimmen bekommen als ihre Partei bei den Ratswahlen. Die Volatilität war aufgrund der Wahlergebnisse der Einzelbewerber mit 36 Punkten Verschiebung sehr groß. Keine der im Rat vertretenen Parteien gab eine Wahlempfehlung für die Stichwahl ab, der CDU-Fraktionsvorsitzende erklärte, er werde die Bürgermeisterin aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit nicht wählen, empfahl aber auch nicht die Wahl des SPD-Kandidaten (vgl. WAZ Marl, 09.10.2004 „Die meisten geben keine Wahl-Empfehlung“). In der Stichwahl konnte die Bürgermeisterin ihr Ergebnis in Prozent der gültigen Stimmen fast verdoppeln und gewann die Stichwahl mit 37 Prozentpunkten Vorsprung klar gegen den SPD-Kandidaten. Zwischen den Wahlgängen fanden größere Verschiebungen statt. Der SPD-Kandidat verlor absolut betrachtet Stimmen und die Bürgermeisterin gewann diesmal in der Stichwahl Stimmen dazu, bei gleichzeitig sinkender Wahlbeteiligung in der Stichwahl (40,0%, -12 Prozentpunkte). Das führte zu einem klaren Ergebnis der Stichwahl. Zumindest in der Stichwahl war der Amtsbonus der Bürgermeisterin auch am Ergebnis klar zu erkennen. Fälle, in denen wie in Marl Amtsinhaber gegen Kandidaten ihrer Parteien antraten, waren 2004 eher selten. Die Einzelbewerber aus dem Amt hatten insgesamt eine Erfolgsquote von neunzig Prozent, insofern ist der Wahlausgang in Marl nicht überraschend. Auch in fünf der sechs Kommunen mit ehemals CDU-nominierten Einzelbewerbern konnten sich die Einzelbewerber durchsetzen, meistens sogar im ersten Wahlgang. Bürgermeister, die als Einzelbewerber aus dem Amt gewählt wurden, sind in dieser Größenklasse aber weiterhin die Ausnahme, nur 6,4% der Kommunen wurden nach 2004 von Einzelbewerbern regiert. Zusammenfassung: Kollateralschaden einer Kandidatinnen-Importstrategie Marl war in verschiedener Hinsicht ein besonderer Fall. Schon die Kandidatenauswahl 1999 war eher untypisch für NRW-Verhältnisse, das „Casting“ einer Kandidatin außerhalb des lokalen Umfelds war damals noch eher die Ausnahme (Holtkamp/Gehne 2002). Der Verlauf des Konfliktes zwischen Bürgermeister und Partei deutet aber auf die Risiken der Auswahl von externen Kandidaten hin, die nicht in der lokalen Partei verankert sind und daher auch mit dem gewachsenen Einfluss des Amtes im Rücken verstärkt eigene Wege gehen und wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Ortspartei nehmen. Solche „Kollateralschäden„ verstärken auf jeden Fall nicht die Neigung einer Gruppierung, bei der Kandidatenauswahl auf das Experiment der externen Bewerbung zurückzugreifen. Die CDU änderte 2004 auch ihre Vorgehensweise und führte einen transparenten internen Kandidatenwettbewerb durch, bei dem sich Bewerber parteiintern vorstellen mussten und die Mitglieder sich ohne viel Druck von oben für einen der Bewerber entscheiden konnten. 1999 hatte der Vorsitzende das Verfahren noch stark dominiert. Da aber auch
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
251
diese Vorgehensweise nicht von Erfolg gekrönt war, darf man gespannt sein, wie die CDU bei der nächsten Wahl ihren Kandidaten auswählt. Die SPD hatte auf den konventionellen Weg der Nominierung ihres Frontmannes im Rat gesetzt, wohl davon ausgehend, dass dieser auch vergleichsweise bekannt sein müsste und daher eine Chance gegen die Amtsinhaberin haben könnte. Das niedrigere Wahlergebnis des SPD-Kandidaten weist jedoch darauf hin, dass viele SPD-Wähler ihrer Partei nicht gefolgt sind und zur Bürgermeisterin umgeschwenkt sein könnten. Die hohe Anzahl an Kandidaten und die Fragmentierung des Wahlergebnisses im ersten Wahlgang erschwerte die Entscheidung der Bürgermeisterwahl im ersten Wahlgang. Stichwahlen sind unter solchen Wettbewerbsbedingungen sehr wahrscheinlich. Bei beiden Stichwahlen spielte die Frage der Wahlempfehlung der nicht an der Stichwahl beteiligten Gruppierungen keine Rolle, es gab keine Verknüpfung mit der Frage der Bündnisverhandlungen im Rat. Der Wahlsieg der Bürgermeisterin lässt sich auch zu einem großen Teil auf den Amtsbonus zurückführen. Zunächst war er für die Einzelbewerberin die Eintrittskarte in die Stichwahl gegen ein komplettes Feld an Parteikandidaten und in der Stichwahl führte er zu einem deutlichen Vorsprung der Amtsinhaberin vor dem Herausforderer. Der Fall Marl mahnt zur Vorsicht vor vorschnellen Einordnungen der Politikmuster einer Kommune, ohne Kenntnis der örtlichen Umstände in der Kommunalpolitik. Auf den ersten Blick sprechen die relativ hohen Wahlergebnisse der Wählergruppen und die Tatsache, dass die Bürgermeisterin parteiunabhängig angetreten ist, für eine hohe Wahrscheinlichkeit für konkordanzdemokratische Politikmuster. Wenn man allerdings das Kandidatenangebot und die Umstände der Kandidatenauswahl berücksichtigt, wird klar, dass die Atmosphäre der Kommunalpolitik in dieser Stadt von tiefgehenden Konflikten zwischen der CDU und der Bürgermeisterin so stark geprägt wird, dass sich auch die anderen Gruppierungen dem nicht entziehen können.
252 3.3.3
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Großstädte: Duisburg und Essen
Fallstudie zur Oberbürgermeisterwahl in Duisburg: Kurz-Profil der Stadt Die Stadt Duisburg liegt am westlichen Rand des Ruhrgebietes am linken Rheinufer. Sie hatte Ende 2004 504.403 Einwohner und war damit eine der dreißig Großstädte in NRW. Duisburg galt lange als ein Zentrum der Montanindustrie, selbst nach drei Jahrzehnten des wirtschaftlichen Strukturwandels ist die Wirtschaftsstruktur nach der Westwanderung der Eisen- und Stahlproduktion in den 1990er Jahren immer noch davon geprägt. Darüber hinaus ist der Binnenhafen ein weiterer wichtiger Wirtschaftsfaktor. Duisburg gehörte zu den Fallstudienstädten im Bochumer Projekt zur Uraufführung der Bürgermeisterwahl 1999 (Andersen/Bovermann 2002), die Kommunalwahl 1999 ist daher sehr gut dokumentiert. Die Entwicklung 2004 wurde aus der Berichterstattung der Lokalzeitungen WAZ und NRZ nachvollzogen. Die Darstellung konzentriert sich bei beiden Wahlen auf die Hauptkontrahenten SPD und CDU, weitere Kandidaten und Gruppen werden einbezogen, wenn sie Einfluss auf den Wahlausgang hatten. Lokale Wettbewerbssituation in Duisburg Duisburg galt bis zur Kommunalwahl 1999 als ausgesprochene Hochburg der SPD mit Wahlergebnissen um die sechzig Prozent der gültigen Stimmen und der absoluten Mehrheit im Rat seit den 1950er Jahren. Das Wahljahr 1999 ging auch am Parteiensystem in Duisburg nicht spurlos vorüber und stellt einen ersten deutlichen Einschnitt in der politischen Entwicklung der Stadt dar. Allerdings behielt die SPD 1999 die relative Mehrheit im Rat und konnte sich auch bei der Wahl des Oberbürgermeisters durchsetzen. Der Absturz der SPD unter die Vierzig-Prozent-Marke erfolgte im Vergleich zu anderen Städten im Ruhrgebiet verspätet erst 2004, im Gegensatz zu vielen anderen Kommunen im Ruhrgebiet blieb die SPD selbst dann noch vor der CDU stärkste Partei. Die Entwicklung des Parteiensystems wird außerdem von einem starken Anstieg der Anzahl der kandidierenden Gruppierungen bei der Ratswahl und einer wachsenden Fragmentierung der Wahlergebnisse und der Mandatsverteilung im Rat geprägt. Wählergruppen und damit die Kommunalisierung des Parteiensystems spielten aber in Duisburg nur eine geringe Rolle. Die SPD hatte noch 1984-1994 eine hegemoniale Stellung im Parteiensystem in Duisburg mit Wahlergebnissen um die sechzig Prozent und einem Vorsprung vor der CDU zwischen 28 und 35 Prozentpunkten. Die CDU konnte erst 1999 mit knapp über vierzig Prozent das Dreißig-Prozent-Ghetto verlassen, blieb aber weiterhin knapp hinter der SPD, die 1999 gegen den Landestrend 45,3% der gültigen Stimmen bekam, damit aber ihre absolute Mehrheit verlor.
253
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
Abbildung 22: Entwicklung der Ratswahlergebnisse in Duisburg 1984-2004
60
50
40
30
20
10
0 1984
1989 SPD
1994 CDU
Grüne
1999 FDP
2004
Sonstige
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Wählergruppen sind aufgrund niedriger Wahlergebnisse in der Grafik nicht berücksichtigt.
Die Grünen waren seit 1984 im Rat vertreten und hatten seitdem Ergebnisse erzielt, die deutlich über der Fünf-Prozent-Marke lagen. Die FDP schaffte erst nach Abschaffung der Sperrklausel den Einzug in den Rat, blieb aber im gesamten Zeitraum unter der FünfProzent-Marke. Ab 1999 saßen darüber hinaus Vertreter der PDS im Rat. Bei den Ratswahlen 2004 verloren beide großen Parteien an Stimmen, die SPD lag aber immer noch knapp vor der CDU. Die Anzahl der kandidierenden Gruppierungen explodierte als verspätete Folge der Abschaffung der Sperrklausel bei der Wahl 2004. Noch 1984 traten in Duisburg fünf Gruppierungen zur Ratswahl an, von denen drei in den Rat einzogen. Bei der Ratswahl 2004 stieg die Anzahl der Gruppierungen im Vergleich zu 1999 von sieben auf elf. Neben den „üblichen Verdächtigen“ SPD, CDU, Grünen, FDP traten die Parteien PDS, Republikaner, NPD, „Aufbruch Mittelstand Partei“ (AMP), „Pro Bürger Partei“ (PBP) sowie zwei Wählergruppen zur Wahl an. Die Konzentration auf die beiden großen Parteien sank im gleichen Zeitraum von 88% auf 74%, die Anteile der Sonstigen stiegen im gleichen Zeitraum von 0,8% auf 11% der gültigen Stimmen. Die Fragmentierung stieg von einem Wert des Rae-Index von 0,57 1984 auf 0,70 2004. Im Gegensatz zu anderen Großstädten (z.B. Essen) spielen Wählergruppen beim Anstieg der Fragmentierung jedoch kaum eine Rolle, zwei kandidierende Wähler-
254
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
gruppen erhielten 2004 1,4% der gültigen Stimmen, was für eine von ihnen sogar für einen Ratssitz reichte.146 Tabelle 94: Entwicklung der Mandatsverteilung in Duisburg 1989-2004 Mandate 1989 1994 1999 2004
gesamt 75 75 74 74
SPD 49 46 34 28
CDU 20 22 31 27
Grüne 6 7 4 7
FDP 2 3
Wgr 1
Sons. 3 8
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Die jeweils stärkste Gruppierung ist fett hervorgehoben. Sonstige 1999 drei Mandate der PDS; Sonstige 2004 PDS vier, Republikaner eins, PBP zwei und AMP ein Mandat. Wählergruppe 2004: Duisburger Alternative Liste (DAL) ein Mandat.
1989 und 1994 gab es jeweils drei Fraktionen im Duisburger Rat und die SPD hatte die absolute Mehrheit der Mandate. 1999 kamen die FDP und die PDS hinzu, die SPD verlor im Vergleich zu 1994 12 Mandate und die CDU gewann neun dazu. Die Anzahl der Gruppierungen erhöhte sich auf fünf. Nach der Wahl 2004 saßen Mandatsträger von neun Gruppierungen im Rat, mit der Folge, dass eine Mehrheitsbildung jenseits einer großen Koalition stark erschwert wurde147. Duisburg gehörte 1984 und 1994 zu den SPD-dominierten Parteiensystemtypen mit einer sehr stark ausgeprägten Dominanz der SPD. Nach der Wahl 2004 war die Stadt dem Parteiensystemtyp Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien zuzurechnen, mit der Besonderheit, dass die Kommunalisierung des Parteiensystems nur eine geringe Bedeutung hatte. Oberbürgermeisterwahl 1999 und 2004 in Duisburg Bei der Oberbürgermeisterwahl 1999 in Duisburg traten fünf Kandidaten an: neben der SPD-Oberbürgermeisterin ein Kandidat der Grünen und drei Einzelbewerber/Unterschriften148. Die Oberbürgermeisterin war 1998 von der absoluten Mehrheit der SPD im Rat vorzeitig ins Amt gewählt worden. Sie war zum Zeitpunkt der Wahl fünfzig Jahre alt und von Beruf Lehrerin. Sie war in Duisburg aufgewachsen und hatte Erfahrung in der Kommunal-
146 Die DAL hatte mit 931 Stimmen (0,53%) aufgrund des Hare/Niemeyer-Verfahrens einen Sitz im Rat bekommen, die AMP hatte mit 2766 (1,6%) ebenfalls nur einen Sitz bekommen. Dieses Beispiel weist auf die problematischen Folgen des Sitzverteilungsverfahren nach Hare/Niemeyer hin, das vor allem bei der Zuteilung der letzten Sitze nach Bruchteilen zu ungerechten Ergebnissen führen kann (vgl. http://www.wahlrecht.de/news/2004/20.htm 21.12.2006). 147 Die Struktur der Gruppierungen im Rat hat sich seit der Wahl 2004 durch verschiedene Aus- und Übertritte bereits mehrmals geändert, darauf einzugehen würde hier aber zu weit führen. Die starke Fragmentierung der Räte in manchen Städten und die damit verbundenen Schwierigkeiten der Mehrheitsbildung gehörte aber durchaus zu den Themen, die im Zusammenhang mit der Abschaffung der Sperrklausel kritisch zu diskutieren wären. 148 Im Weiteren vgl. Holtkamp/Gehne 2002.
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
255
politik und war zuletzt von 1995-1998 Fraktionsvorsitzende der SPD im Rat. Der Kandidat der Grünen war 47 Jahre alt und mittelständischer Unternehmer. Er war Gründungsmitglied der Grünen in Duisburg und zwischen 1985 und 1990 Ratsmitglied. Von den drei Einzelbewerbern wurde einer von CDU und FDP unterstützt, der nun kurz vorgestellt wird. Die anderen Einzelbewerber werden im Weiteren nicht mehr berücksichtigt149. Der von CDU und FDP unterstützte Einzelbewerber war 55 Jahre alt, Physik-Professor und ehemaliger Rektor der Universität Duisburg. Er wohnt nicht in Duisburg, hatte aber aufgrund seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit an der Universität eine Bindung an die Stadt, war aber bisher nicht in Duisburg kommunalpolitisch aktiv. Auf die näheren Umstände seiner Kandidatur wird weiter unten noch näher eingegangen. Die SPD-Oberbürgermeisterin wurde 1998 vorzeitig durch den Rat gewählt. Der langjährige über die Grenzen der Stadt hinaus bekannte SPD-Oberbürgermeister trat ab und die Partei beschloss, die Übergangsregelung zu nutzen, auch um sich bei der ersten Direktwahl in eine günstigere Position zu bringen, als wenn man ohne Amtsinhaber zur Wahl hätte antreten müssen. Die damalige Fraktionsvorsitzende hatte sich 1998 parteiintern gegen den Parteivorsitzenden der SPD durchgesetzt. In dieser Situation wurde es von der Fraktionsund Parteiführung aber bewusst vermieden, die beiden internen Kandidaten den Mitgliedern zur Abstimmung zu präsentieren, da befürchtet wurde, dass eine solche Zuspitzung die Partei spalten könne. Mit der Entscheidung für die Faktionsvorsitzende war dann auch klar, dass sie 1999 aus dem Amt für die SPD kandidieren sollte. Sie wurde in einem klassischen Verfahren über Delegiertenwahlen ohne Gegenkandidaten auf einem Parteitag erneut nominiert. Die Duisburger CDU nominierte keinen eigenen Kandidaten, sondern unterstützte einen Einzelbewerber: den in der lokalen Öffentlichkeit bekannten ehemaligen Rektor der Duisburger Universität. Diese Strategie wurde zwei Jahre im Vorfeld der Kommunalwahl durch den damals neu angetretenen Fraktionsvorsitzenden der CDU unter Einbezug des Parteivorstandes entwickelt und von einem Parteitag bestätigt. Die CDU befand sich in Duisburg seit Jahrzehnten in einer ausgesprochenen Diaspora-Situation mit einem äußerst geringem Stammwählerpotential. Man ging daher zum Zeitpunkt der Kandidatenaufstellung davon aus, dass ein „reiner“ Parteikandidat nur sehr geringe Erfolgschancen hätte, zumal seine Gegnerin die mit einem Amtsbonus ausgestattete Oberbürgermeisterin war. Die Unterstützung einer parteiunabhängigen Kandidatur einer Person des öffentlichen Lebens erschien daher als eine geeignete Strategie, um zusätzlich zu den eigenen Anhängern wechselwillige und unzufriedene Wähler anderer Lager zu gewinnen und damit die festgefügte Dominanz der SPD zu durchbrechen. Die Duisburger FDP unterstützte ebenfalls die Strategie der CDU per Votum auf ihrem Kreisparteitag im Frühjahr 1999 und empfahl ihren Anhängern, den Einzelbewerber zu wählen. Die Grünen dagegen stellten einen eigenen Kandidaten auf, mit dem Ziel, ihr eigenes Ergebnis bei der Ratswahl zu verbessern und eine absolute Mehrheit der SPD zu verhindern. Die Stadt Duisburg war 1999 eine von 15 Großstädten in NRW, in der eine von der SPD nominierte hauptamtliche Bürgermeisterin zur Wahl antrat. Entsprach die durchschnittliche Kandidatenanzahl mit fünf noch in etwa der durchschnittlichen Kandidatenan149
Zu Profil und Umständen ihrer Kandidatur vgl. Holtkamp/Gehne 2002, 59ff.
256
3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
zahl aller Großstädte, so unterschied sich die Kandidatenkonstellation in Duisburg hinsichtlich zweier Merkmale von denen der restlichen Großstädte in NRW: Zum einen lag ein unvollständiges Kandidatenbild vor, da kein von der CDU nominierter Kandidat antrat, und zum anderen war Duisburg die einzige Großstadt, in der drei Einzelbewerber zur Wahl antraten. Da einer der Einzelbewerber von CDU und FDP im Wahlkampf unterstützt wurde, erklärte dies teilweise auch die höhere Zahl an Einzelbewerbern. Kandidaturverzicht einer großen Partei war jedoch in Großstädten 1999 die Ausnahme. Die SPD-Oberbürgermeisterin gewann 1999 die Wahl mit 53,3% der gültigen Stimmen im ersten Wahlgang. Ihr Herausforderer, der von CDU und FDP unterstützte Einzelbewerber, bekam 35,0% der gültigen Stimmen. Die Oberbürgermeisterin bekam acht Prozentpunkte mehr als ihre Partei bei der Ratswahl, ein Hinweis auf die Wirkung des Amtsbonus. CDU und FDP hatten 44,1% der Stimmen erhalten. Vor dem Hintergrund der Wahlempfehlung der beiden Parteien für den Einzelbewerber hatte dieser neun Prozentpunkte weniger erhalten als die beiden Parteien bei der Ratswahl, so dass man daraus schließen kann, dass ein Teil der Wählerinnen und Wähler von FDP und CDU bei der Ratswahl nicht der Empfehlung der Parteien gefolgt sind. Der Kandidaten der Grünen erhielt etwas weniger Stimmen als seine Partei. Tabelle 95: Rats- und Oberbürgermeisterwahlen in Duisburg 1999 und 2004 im Vergleich
Rat 1999 Bm 1999 Differenz 1999 Rat 2004 Bm 2004 Differenz 2004 Stichwahl 2004 Differenz Stichwahl – 1. Wahlgang 2004
SPD
CDU
Grüne
FDP
Wgr
Sons.
EB
45,3 53,3 8,0
41,5 -41,5
6,0 5,2 -0,8
2,6 -2,6
-
4,5 -4,5
35 35,0
EB 2+3 6,5 6,5
37,9 37,6 -0,3
36 40,2 4,2
9,9 9 -0,9
4,4 3,5 -0,9
1,4 -1,4
11,0 9,7 -1,3
-
-
38,7
61,3
1,1
21,1
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: In Prozent der gültigen Stimmen. Wählergruppen vgl. Tabelle 94:; Sonstige Oberbürgermeisterwahl 2004 PDS, AMP und PBP.
Die Volatilität war mit fast 50 Punkten sehr groß, zum einen durch die Stimmenverlagerung zugunsten der Oberbürgermeisterin, zum anderen aber wegen des zusammen genommen sehr hohen Ergebnisses der drei Einzelbewerber. In einem Fall wie Duisburg wird klar, dass der Volatilitätswert nur im Zusammenhang mit einem Vergleich des Angebotes bei den beiden Wahlen sinnvoll interpretiert werden kann. Bei sehr unterschiedlichem Angebot wie in Duisburg sind die Wähler ja gezwungen zu wechseln. Wäre der Wert bei der Volatilität ähnlich hoch bei gleichem Angebot, müssen andere Ursachen, z.B. starke Persönlichkeitseffekte der Kandidaten, gesucht werden.
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
257
Der Erfolg der SPD-Oberbürgermeisterin in Duisburg im ersten Wahlgang war im Vergleich mit dem Abschneiden ihrer Amtskollegen eher ungewöhnlich. Auch ihre Partei verlor zwar bei der Ratswahl stark an Stimmen, jedoch nicht in dem Ausmaß wie in anderen ehemaligen SPD-Hochburgen. Die SPD blieb stärkste Partei im Rat und stellte weiterhin das Stadtoberhaupt. Das sehr stark verbesserte Abschneiden der CDU bei der Ratswahl zeigt aber auch, dass sich der Bundestrend zugunsten der CDU auch in Duisburg ausgewirkt hat. Darüber hinaus ging die von der CDU gewählte Strategie der Unterstützung eines Einzelbewerbers, der durch seine Parteiunabhängigkeit Stimmen aus anderen Lagern gewinnen sollte, nicht auf. Der unterstützte Kandidat war offensichtlich weder wechselwilligen Wählern anderer Lager noch einem Teil des eigenen Anhangs als Alternative zur hauptamtlichen Bürgermeisterin zu vermitteln. Dazu kam, dass CDU-Wähler bei der Bürgermeisterwahl, die über die Strategie ihrer Partei nicht informierten waren, „ihren“ Kandidaten auf dem Stimmzettel nicht wiederfanden150. Bei der Oberbürgermeisterwahl 2004 traten in Duisburg sieben Kandidaten zur Wahl an, zwei mehr als 1999: die SPD-Oberbürgermeisterin und Kandidaten der Parteien CDU, FDP, Grüne, PDS, AMP und PBP. PDS und FDP hatten zum ersten Mal einen eigenen Kandidaten nominiert, AMP und PBP traten zum ersten Mal bei Kommunalwahlen in Duisburg an. Im Weiteren konzentriert sich die Darstellung auf Profil und Kandidatenauswahl bei SPD und CDU. Die SPD-Oberbürgermeisterin wurde bereits vorgestellt. Der CDU-Kandidat war 49 Jahre alt, gebürtiger Duisburger und Lehrer an einem Berufskolleg in Uerdingen. Der CDU-Kandidat wurde Anfang 2003 zum Fraktionsvorsitzenden der CDU im Rat gewählt. Die erneute Kandidatur der CDU-Oberbürgermeisterin war relativ früh klar, sie nutzte die Vorstellung ihrer Halbzeitbilanz im Januar 2002, um ihre Kandidatur anzukündigen (vgl. NRZ Duisburg 03.01.2002 „OB Zieling will 2004 wieder kandidieren“). Es gab keine Gegenkandidaten in der SPD. Im Juli 2003 wurde sie auf einem Parteitag als Kandidatin präsentiert (vgl. NRZ Duisburg, 07.07.2003 „98 Prozent Rückhalt für Bärbel Zieling“) und im Dezember 2003 bei der Wahlkreiskonferenz nominiert. Die Zustimmung bei der Nominierung war mit 86% der abgegebenen Stimmen jedoch für eine Amtsinhaberin relativ niedrig (vgl. NRZ Duisburg, 05.12.2003 „SPD kürte Zieling zur OB-Kandidatin“). Der Diskussionsprozess in der CDU um die Strategie bei der Oberbürgermeisterwahl 2004 verstärkte sich Anfang 2003. Zunächst erklärte der Parteivorsitzende im Januar 2003 seinen Verzicht auf die Kandidatur. Im Frühjahr 2003 einigte sich die Parteiführung auf eine Sichtung möglicher Kandidaten, der Herausforderer sollte aber erst Anfang 2004 vorgestellt werden (vgl. NRZ Duisburg, 30.01.2003 „Mahlberg will nicht als OB-Kandidat antreten“). Im Gegensatz zu 1999 sollte 2004 aber unbedingt ein Bewerber mit Stallgeruch antreten, entweder der Parteivorsitzende (der schon abgewinkt hatte), der Fraktionsvorsitzende im Rat oder ein prominentes CDU-Mitglied von außerhalb. Die Idee eines externen CDU-Kandidaten fand aber wenig Rückhalt und schließlich meldete der Fraktionsvorsitzende im September 2003 öffentlich seine Kandidatur an. Die Partei hielt sich zwar offiziell an den Fahrplan, nachdem der Fraktionsvorsitzende seinen Hut in den Ring geworfen hatte, war die Entscheidung aber im Grunde schon gefallen (vgl. NRZ Duisburg, 10.09.2003
150 Ein Indiz für die Verwirrung einiger Wähler war auch der hohe Anteil an ungültigen Stimmen von knapp vier Prozent (zum Vergleich: Essen 1%, Düsseldorf 1,5%; Dortmund 1,2% ungültige Stimmen).
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3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
„Adolf Sauerland (CDU) zur OB-Kandidatur bereit“). Er wurde im Januar 2004 vom CDUVorstand einstimmig als Kandidat vorgeschlagen (vgl. NRZ Duisburg, 21.01.2004 „Sauerland will OB werden“) und Anfang Februar 2004 auf dem Kreisdelegiertenparteitag mit großer Zustimmung zum Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl nominiert (vgl. NRZ Duisburg, 09.02.2004 „Neue Wege bei der Kürung von Sauerland“). Duisburg war 2004 eine von sechs Großstädten mit sieben Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl. Damit lag die Anzahl über der durchschnittlichen Kandidatenanzahl dieser Größenklasse von 5,9. Das Kandidatenangebot war zwar wie in 80% der Kommunen kleiner als bei der Ratswahl, trotzdem gehörte Duisburg mit neun Parteien und zwei Wählergruppen bei der Ratswahl und sieben Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl zu den Kommunen mit intensivem Wettbewerb in beiden Wahlarenen. Die Oberbürgermeisterin der SPD trat wieder für ihre Partei an, wie auch die große Mehrheit ihrer Amtskollegen und sie hatte wie alle ihre SPD-Kollegen in dieser Größenklasse einen CDU-Herausforderer. Die CDU trat nach 1999 wieder zur Oberbürgermeisterwahl an, so dass der Deckungsgrad der beiden großen Parteien 2004 in dieser Größenklasse wieder bei 100% lag. Der CDU-Kandidat gewann die Oberbürgermeisterwahl 2004 in der Stichwahl. Er lag überraschend mit 40,2% der gültigen Stimmen schon im ersten Wahlgang knapp drei Prozentpunkte vor der SPD-Amtsinhaberin, die mit 37,6% sogar etwas weniger Stimmen als ihre Partei bei der Ratswahl erhalten hatte. Der CDU-Kandidat hatte dagegen gut vier Prozentpunkte mehr als seine Partei bei der Ratswahl erhalten. Die Kandidaten der kleineren Parteien hatten weniger Stimmen als ihre Partei bekommen. Die Volatilität war im ersten Wahlgang mit knapp über vier Punkten recht gering und ergab sich nur aus dem Vorsprung des CDU-Kandidaten vor seiner Partei. Die SPD-Amtsinhaberin konnte 2004 im ersten Wahlgang nicht von ihrem Amtsbonus profitieren. Sie konnte sich nicht vom Abwärtstrend der SPD abkoppeln, die bei den Ratswahlen im Vergleich zu 1999 knapp acht Prozentpunkte einbüßte. Direkt nach der Wahl kam es zu Verhandlungen zwischen CDU und Grünen über eine Zusammenarbeit im Rat. Beide Parteien hatten zwar zusammen keine Mehrheit, wollten aber von Fall zu Fall die fehlenden Stimmen von den anderen kleineren Gruppierungen einwerben. Die Grünen empfahlen daraufhin ihren Anhängern, bei der Stichwahl den CDU-Kandidaten zu wählen, ebenso wie die PBP (vgl. NRZ Duisburg, 06.10.2004 „Grüne sind obenauf“ und NRZ Duisburg, 01.01.2004 „PBP sagt Ja zu Adolf Sauerland“). Die FDP dagegen gab keine Empfehlung für die Stichwahl ab (NRZ Duisburg, 04.10.2004 „FDP empfiehlt keinen der beiden OB-Kandidaten“). Die Stichwahl gewann der CDUKandidat mit 61,3% der gültigen Stimmen, die SPD-Kandidatin konnte im Vergleich zum ersten Wahlgang bei den gültigen Stimmen nur um 1,1 Prozentpunkte zulegen und erhielt 38,7% der gültigen Stimmen. Die Wahlbeteiligung sank von 48% auf 37,8%, beinahe zwei Drittel aller Wahlberechtigten zogen es vor, zu Hause zu bleiben. Der CDU-Kandidat konnte bei den absoluten Stimmenzahlen im Vergleich zum ersten Wahlgang zulegen, die SPDAmtsinhaberin verlor knapp ein Fünftel der Stimmen in absoluten Zahlen. Daher konnte der CDU-Kandidat trotz stark sinkender Wahlbeteiligung sein Ergebnis noch sehr stark ausbauen. Die Erfolgsquote der SPD-Bürgermeister lag 2004 bei 90%, die Niederlage der SPDOberbürgermeisterin fand daher gegen den Trend der hohen Erfolgsquoten der Amtsinhaber statt. 2004 gelang es der SPD bei den Bürgermeisterwahlen eher, „geraubte“ Hochburgen zurückzugewinnen, die Niederlage in Duisburg war ein herber Rückschlag im Prozess der kommunalen Konsolidierung der SPD. Es ist zu vermuten, dass es für den weiteren
3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
259
Niedergang der SPD in Duisburg 2004 hausgemachte Ursachen gibt, diese zu rekonstruieren würde aber an dieser Stelle zu weit führen. Insgesamt wirkt der Wahlausgang in Duisburg wie ein um fünf Jahre verzögertes Echo der Bundestrend-Wahl von 1999. Zusammenfassung: Erst gegen den Trend, dann 2004 ein Déjà-vu-Erlebnis für die SPD Noch 1999 sträubte sich das Duisburger Wahlergebnis gegen den landesweiten Trend. Die SPD-Oberbürgermeisterin wurde im ersten Wahlgang gewählt, die SPD verlor zwar stark bei der Ratswahl, war aber immer noch stärkste Partei im Rat. Die SPDOberbürgermeisterin profitierte von ihrem Amtsbonus und koppelte sich vom Abwärtstrend ihrer Partei ab. Zu diesem Erfolg hat 1999 aber auch das Scheitern des strategischen Experiments der CDU beigetragen, einen parteiunabhängigen Einzelbewerber zu unterstützen. Die Idee erschien aus einer ausgesprochenen Diaspora-Situation heraus plausibel. Da die CDU selbst das Potential für eine absolute Mehrheit nicht sah, sollte ein unabhängiger Kandidat Stimmen aus anderen Lagern werben. Dieses Kalkül ging aber nicht auf, das Wahlergebnis legte vielmehr nahe, dass der Einzelbewerber nicht einmal das Potential der ihn unterstützenden Parteien voll ausschöpfen konnte. Diese Erfahrung führte bei der CDU 2004 zu einem Strategiewechsel, ein Kandidat mit Stallgeruch sollte es diesmal sein, der auch unter dem Parteilabel auf dem Stimmzettel zu finden sein sollte. Die Kandidatur des Fraktionsvorsitzenden erscheint dann nur folgerichtig, da der Frontmann im Rat vermutlich noch mit Abstand der bekannteste Kommunalpolitiker der Partei war, aber in der Regel immer noch einen deutlich niedrigeren Bekanntheitsgrad aufweist als das Stadtoberhaupt. Das Profil des Kandidaten mag dann zwar wenige Überraschungen bergen, aber in Großstädten scheint es bisher noch wichtiger zu sein, die Parteibindung zu bedienen, um Wahlen zu gewinnen. Die Kandidatenauswahl fand unter Federführung der Parteispitze ohne Beteiligung der Mitglieder statt. Dass eine SPD-Amtsinhaberin 2004 eine derart deutliche Niederlage hinnehmen musste, ohne dass ein ähnlich starker Trend für oder gegen eine der beiden großen Parteien absehbar war, kann nur auf lokale Gründe zurückgeführt werden. Vor allem ist es ihr nicht gelungen, das SPD-Potential im ersten Wahlgang zu mobilisieren und im zweiten verlor sie sogar noch einen erheblichen Teil ihrer Stimmen aus dem ersten Wahlgang. Von der Wirkung eines Amtsbonus war bei diesem Wahlergebnis jedenfalls nichts zu spüren. Die Oberbürgermeisterwahl in Duisburg 2004 wirkt aber auch wie eine strategische Blaupause für Oppositionsparteien, die gegen Amtsinhaber antreten müssen. Es wurde zunächst ein eigener Kandidat aufgestellt, der das Potential der eigenen Partei im ersten Wahlgang optimal ausschöpft und gegen einen Amtsinhaber antritt, dessen Klientel entweder zu sehr vom Erfolg überzeugt ist oder aus anderen Gründen wenig motiviert, an der Wahl teilzunehmen. Das breite Angebot an Kandidaten erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Stichwahl, daher sollte man auch davon absehen, schon im ersten Wahlgang Unterstützungsbündnisse zu schmieden. Ist die Stichwahl erst einmal erreicht, lassen sich die Verhandlungen auch effektiver gestalten und allen Wählern ist klar, worum es geht. Wenn dann die Mobilisierung dieses Potentials für den Herausforderer gelingt und die Trägheit der Wähler des Amtsinhabers anhält, hat der Herausforderer eine Siegchance in der Stichwahl. Die elektorale Entwicklung bei Rats- und Bürgermeisterwahlen in Duisburg war wie auch in Essen typisch für eine Gruppe von eher größeren Kommunen in NRW, in denen
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sich die Fragmentierung des Rates aufgrund der Abschaffung der Sperrklausel stark gesteigert hat und sich gleichzeitig aufgrund der Zugpferd-Kandidaturen der „Sonstigen“Gruppierungen das Kandidatenangebot bei der Oberbürgermeisterwahl ebenfalls vergrößert hat, ähnlich wie es in Kapitel 2.2.4 aufgrund des besonderen institutionellen Rahmens in NRW vermutet worden war. Fallstudie zur Oberbürgermeisterwahl in Essen: Kurz-Profil der Stadt Die Stadt Essen liegt mitten im Ruhrgebiet. Sie hatte Ende 2004 588.084 Einwohner und war damit eine der dreißig Großstädte in NRW. Essen galt lange als ein Zentrum der Montanindustrie, heute dominieren Firmen aus Handel und Dienstleistung die Wirtschaftsstruktur. Wahrzeichen des Strukturwandels ist die stillgelegte Zeche Zollverein, deren Gebäude von der UNESO 2001 zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Essen gehörte zu den Fallstudienstädten im Bochumer Projekt zur Uraufführung der Bürgermeisterwahl 1999 (Andersen/Bovermann 2002), die Kommunalwahl 1999 ist daher sehr gut dokumentiert. Die Entwicklung 2004 wurde aus der Berichterstattung der Lokalzeitungen WAZ und NRZ nachvollzogen. Die Darstellung konzentriert sich bei beiden Wahlen auf die Hauptkontrahenten SPD und CDU, weitere Kandidaten und Gruppen werden einbezogen, wenn sie Einfluss auf den Wahlausgang hatten. Lokale Wettbewerbssituation in Essen Die Entwicklung des Parteiensystems in Essen wurde in den letzten zwanzig Jahren zum einen von der abnehmenden Dominanz der SPD geprägt, die ab 1999 durch die Vorherrschaft der CDU abgelöst wurde und zum anderen von einer schon 1994 beginnenden wachsenden Zersplitterung zunächst des Angebotes bei Ratswahlen und ab 1999 durch den Wegfall der Sperrklausel auch der Mandatsverteilung im Rat. Die SPD hatte noch bei den Ratswahlen 1984, 1989 und 1994 eine absolute Mehrheit der Mandate errungen, 1994 aufgrund der noch gültigen Sperrklausel mit knapp unter 50% der gültigen Stimmen. Die CDU verharrte bis 1999 im Dreißig-Prozent-Ghetto, aus dem sie erst bei der Bundestrend-Wahl 1999 ausbrechen konnte. 1999 wechselte dann die Vorherrschaft auf die CDU, die CDU gewann im Vergleich zu 1994 16 Prozentpunkte dazu und lag mit 49,6% der gültigen Stimmen nun ihrerseits knapp unter der absoluten Mehrheit. Aufgrund der starken Zersplitterung im Rat reichte es aber 1999 auch mit der Stimme des CDU-Oberbürgermeisters nicht für eine absolute Mehrheit im Rat. Bei der Ratswahl 2004 verlor die CDU dann im Vergleich zu 1999 wieder zehn Prozentpunkte und bekam 39,4% der gültigen Stimmen. Davon konnte allerdings die SPD nicht profitieren, die 2004 mit 36,4% ihr Ergebnis zwar um knapp 1,5 Prozentpunkte verbessern konnte, aber damit immer noch hinter der CDU lag. Die Grünen gehörten über den gesamten Zeitraum den Rat an und ereichten 1994 und 2004 Ergebnisse von knapp über zehn Prozent der gültigen Stimmen. Die FDP war nur 1989-1994 und ab 1999 im Rat vertreten.
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3.3 Bürgermeisterwahlen in den Fallstädten 1999 und 2004
Abbildung 23: Entwicklung der Ratswahlergebnisse in Essen 1984-2004
60
50
40
30
20
10
0 1984
1989 SPD
CDU
1994 Grüne
1999 FDP
Wgrx
2004 Sonstige
Quelle: Eigene Darstellung.
Insgesamt gesehen sank die Konzentration auf die beiden großen Parteien von 88% 1984 auf nur noch 74% 2004, die Fragmentierung stieg im gleichen Zeitraum von einem Wert des Rae-Index von 0,59 auf 0,71 an, so dass Essen ab 2004 zu den Kommunen mit sehr stark fragmentiertem Parteiensystem zu zählen war. Tabelle 96: Entwicklung der Mandatsverteilung in Essen 1989-2004 Mandate 1989 1994 1999 2004
Gesamt 83 83 82 82
SPD 43 44 29 28
CDU 28 30 40 32
Grüne 8 9 7 9
FDP 4 2 3
Wgr 5
Sons. 4 5
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: Die jeweils stärkste Gruppierung ist fett hervorgehoben. Wählergruppen 2004 „Essener Bürger Bündnis“ (EBB) vier Mandate, „Essen steh Auf“ (AUF) ein Mandat; Sonstige 1999 PDS zwei Mandate und Republikaner zwei Mandate; 2004 Die Linke/PDS zwei Mandate, DKP ein Mandat und Republikaner zwei Mandate.
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3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
Schon 1994 waren bei der Ratswahl in Essen insgesamt acht Gruppierungen zur Wahl angetreten, von denen aufgrund der Sperrklausel jedoch nur SPD, CDU und die Grünen in den Rat einzogen. Zur Ratswahl 2004 traten insgesamt neun Gruppierungen und zwei Einzelbewerber in Wahlkreisen an151, von denen ohne Sperrklausel neun in den Rat einzogen, darunter die Wählergruppe AUF und die DKP mit je einem Mandat bei einem Ergebnis von unter einem Prozent der gültigen Stimmen. 1989 und 1994 hatte die SPD die absolute Mehrheit im Rat, ab 1999 die CDU, die allerdings im Vergleich zu 1999 acht Mandate einbüßte. Essen gehörte 1984 und 1994 zu den SPD-dominierten Parteiensystemtypen. Der Wechsel der Vorherrschaft von der SPD zur CDU, die aber 2004 weit weniger Vorsprung vor der SPD hatte als früher die SPD gegenüber der CDU, führte zur Zuordnung des Essener Parteiensystems 2004 zum Typ kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien. Oberbürgermeisterwahl 1999 und 2004 in Essen Bei der Oberbürgermeisterwahl 1999 in Essen traten sechs Kandidaten an: neben den Kandidaten von SPD, CDU, Grünen, FDP und Republikanern trat ein Einzelbewerber /Unterschriften an152. Es gab keinen kandidierenden Amtsinhaber, da weder einer der Amtsinhaber der alten Doppelspitze antrat noch auf die neue Gemeindeordnung umgestellt worden war. Der Essener SPD-Oberbürgermeisterkandidat war 46 Jahre alt und in Essen aufgewachsen. Er war bis 1999 zehn Jahre Europaabgeordneter der SPD, hatte aber keine Erfahrung in der Kommunalpolitik in Essen. Der CDU-Kandidat war im Gegensatz zum SPDKandidaten in der Essener Kommunalpolitik langjährig tätig und seit 1994 CDUFraktionsvorsitzender. Er war 55 Jahre alt, in Essen aufgewachsen und von Beruf Rechtsanwalt und Notar. Für die Grünen kandidierte die 44 Jahre alte Fraktionsvorsitzende, für die FDP, die nicht im Rat war, die ehemalige Fraktionsvorsitzende der FDP der Ratswahlperiode 1989-1994. Auf den Kandidaten der Republikaner und den Einzelbewerber wird nicht näher eingegangen. In der SPD gab es einen ausgeprägten Wettstreit um die Kandidatur für das Amt des Oberbürgermeisters. Aus der anderthalb Jahre vor der Kommunalwahl durchgeführten konsultativen Mitgliederbefragung ging dann der schon vorgestellte Kandidat siegreich hervor. Er erhielt 71% der Stimmen bei der Mitgliederbefragung. Er hatte sich eher als Modernisierer profiliert, während die unterlegene Kandidatin als Vertreterin des linken Lagers galt. Entscheidend für das Votum der Mitglieder war die Unterstützung der hinter den Kandidaten stehenden parteiinternen Einflussgruppen. So standen hinter dem schließlich nominierten Kandidat die Parteispitze und der „starke Mann“ der Essener SPD, der Fraktionsvorsitzende im Rat. Die unterlegene Kandidatin dagegen wurde eher von der parteiinternen Opposition unterstützt (Stichwort: „SPD von unten“). Bei der offiziellen Nominierung schließlich votierten 34 der 35 Ortsvereine für den Kandidaten. Es war jedoch nicht
151 Listen von SPD, CDU, Grünen, FDP, PDS, Republikaner, DKP und der Wählergruppen AUF und Essener Bürger Bündnis (EBB). 152 Im Weiteren vgl. Holtkamp/Gehne 2002.
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auszuschließen, dass der im Hintergrund weiter schwelende parteiinterne Konflikt Auswirkungen auf das Wahlergebnis bei der Bürgermeisterwahl haben würde. Auch in der CDU gab es einen weit vor der Wahl beginnenden Auswahlprozess unter Federführung der Parteispitze mit drei parteiinternen Bewerbern, in dem sich der Fraktionsvorsitzende im Rat gegen einen Dezernenten der Stadt Essen und einen örtlichen Landtagsabgeordneten durchsetzen konnte. Der Kandidat wurde dann vom Parteivorstand zur Nominierung vorgeschlagen und ohne Gegenkandidat auf einem Delegiertenparteitag gewählt. Typisch für die kleineren Parteien war eher, dass aufgrund der geringen Erfolgschancen einer Kandidatur häufig die Konkurrenz im Vorfeld der Nominierung gering war und daher vom Fraktions- oder Parteivorsitzenden die Bürgermeisterkandidatur erwartet wurde. Essen war 1999 eine von vier Großstädten in NRW, die die Doppelspitze beibehalten hatten und in der keiner der Amtsinhaber zur Wahl antrat. Anzahl und Zusammensetzung des Kandidatenangebotes 1999 gab es ähnlich wie in Essen in 14 von 30 Großstädten in NRW. Die Kandidatenzahl in Essen liegt mit sechs Kandidaten leicht über der durchschnittlichen Kandidatenzahl in Großstädten mit 5,3. Die Kandidatenkonstellation in Essen war also einerseits hinsichtlich der Vollständigkeit des Kandidatenbildes typisch für Großstädte in NRW, hinsichtlich der Kandidatur von Amtsinhabern jedoch eher untypisch. Der CDU-Kandidat konnte sich überraschend bei der Oberbürgermeisterwahl 1999 im ersten Wahlgang mit 16 Prozentpunkten Vorsprung vor dem SPD-Kandidaten durchsetzen. Tabelle 97: Rats- und Oberbürgermeisterwahlen in Essen 1999 und 2004 im Vergleich Rat 1999 Bm 1999 Differenz 1999 Rat 2004 Bm 2004 Differenz 2004 Stichwahl 2004 Differenz 1. Wahlgang – Stichwahl 2004
SPD 35,0 36,4 1,4
CDU 49,4 51,7 2,3
Grüne 8,1 6,4 -1,7
FDP 2,8 1,7 -1,1
Wgr -
Sons. 4,6 1,6 -3
EB 2 2
34,2 36,4 2,2
39,4 49,0 9,6
10,7 6,0 -4,7
4 2,3 -1,7
5,4 -5,4
6,2 3,9 -3,4
2,4 2,4
45,1
54,9
8,7
5,9
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkung: In Prozent der gültigen Stimmen. Wählergruppen und Sonstige bei Ratswahlen vgl. Tabelle 96:; Sonstige Oberbürgermeisterwahl 1999: Republikaner; 2004 PDS und DKP.
Sowohl der SPD-Kandidat (+1,4) als auch der CDU-Kandidat (+2,3) hatte mehr Stimmen als seine Partei bekommen, die Beträge sind aber eher niedrig. Alle anderen Kandidaten hatten weniger Stimmen als ihre eigene Partei. Da die CDU aber sehr stark zugelegt hatte
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3 Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen
und die Partei auch bei den Ratswahlen knapp unter der Fünfzig-Prozent-Marke lag, reichte es für den CDU-Kandidaten für einen Wahlsieg im ersten Wahlgang. Der SPD-Kandidat konnte nur in geringem Maße über das Potential seiner Partei hinaus Stimmen holen. Der Wahlausgang in Essen war 1999 typisch für einen Teil der ehemals SPDdominierten Großstädte im Ruhrgebiet, in denen die SPD nicht nur im Rat, sondern auch an der Gemeindespitze die Macht an die CDU verlor. Neben dem schon allseits erwähnten Bundestrend haben sich in Essen sicherlich auch lokale Gründe ausgewirkt, wie die Unzufriedenheit der Bürgerschaft mit Großprojekten der Stadtpolitik, die zu drei Bürgerbegehren in der Ratswahlperiode 1994-99 geführt hat. Es gelang dem SPD-Kandidaten weder, das eigentlich vorhandene Wählerpotenzial der SPD in Essen zu mobilisieren, noch aufgrund seines Bekanntheitsgrades in ausreichendem Maß Stimmen aus anderen Lagern zu gewinnen. Bei der Oberbürgermeisterwahl 2004 in Essen traten sieben Kandidaten an, einer mehr als 1999: der CDU-Oberbürgermeister, der Herausforderer von der SPD und Kandidaten von Grünen, FDP, PDS, DKP und ein Einzelbewerber/Unterschriften. Ein Teil der für den Rat kandidierenden Gruppierungen hatte keinen Oberbürgermeisterkandidaten, unter anderem die Republikaner, die 1999 noch angetreten waren. Im Weiteren konzentriert sich die Darstellung auf Profil und Kandidatenauswahl bei CDU und SPD. Der CDU-Oberbürgermeister wurde bereits vorgestellt. Für die SPD trat der Fraktionsvorsitzende im Rat der Stadt Essen an. Er war in Essen aufgewachsen, 49 Jahre alt und Diplomingenieurchemiker bei einem Unternehmen der Montanindustrie. In der SPD tobte während der Kandidatenauswahlphase ein parteiinterner Machtkampf, auf den weiter unten noch näher eingegangen wird, dessen Folgen noch weit über den Wahltermin hinaus die Partei belastete. Die CDU präsentierte bereits Mitte November 2003 in einer eigenen Veranstaltung ihren Oberbürgermeister erneut als Spitzenkandidat für die Kommunalwahl 2004. Anfang Dezember 2003 wurde er dann auf einem Parteitag offiziell nominiert. Es gibt keine Hinweise auf parteiinterne Konkurrenz oder Abgrenzungsversuche des Oberbürgermeisters gegenüber seiner Partei. Die CDU präsentierte sich geschlossen und stand hinter ihrem Kandidaten (vgl. WAZ Essen, 08.12.2003 „CDU steht geschlossen hinter Reiniger als OBKandidat“). In der Essener SPD schwelte nach der Wahlniederlage 1999 ein parteiinterner Machtkampf, der eskalierte, nachdem gegen den einflussreichen Fraktionsvorsitzenden und Landtagsabgeordneten staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen verschiedener Delikte aufgenommen wurden. Der spätere Oberbürgermeisterkandidat wurde im Mai 2003 zum Fraktionsvorsitzenden gewählt, nachdem der vorherige Fraktionsvorsitzende von der Parteispitze zum Rücktritt gedrängt wurde und im Juni 2003 auch sein Ratsmandat niederlegte. (vgl. WAZ Essen, „Personalstreit der SPD geht in nächste Runde“). Zeitgleich mit der Auseinandersetzung über den politischen Verbleib des Ex-Fraktionsvorsitzenden fand in der Essener SPD die Auswahl des Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl statt. Es gab neben dem neuen Fraktionsvorsitzenden mit dem Bundestagsabgeordneten noch einen weiteren parteiinternen Kandidaten. Anfang Oktober entschied der SPD-Vorstand einstimmig, den Fraktionsvorsitzenden als Kandidaten vorzuschlagen (vgl. WAZ Essen, 05.10.2003 „SPD-Spitze soll nicht nur abnicken“). Der Fraktionsvorsitzende wurde Ende November 2003 von einem Parteitag mit 85% Zustimmung zum Kandidaten gewählt. Außerdem wurde bei diesem Parteitag ein neuer Unterbezirksvorsitzender gewählt, so dass
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nach Austausch der Partei- und Fraktionsführung alle Zeichen für einen Neuanfang bei der Essener SPD sprachen (vgl. WAZ Essen, 23.11.2003 „SPD stellt Nowack per Doppel-Paß ins Abseits“). Daraus wurde aber leider nichts, denn der ehemalige Fraktionsvorsitzende blieb Vorsitzender eines großen Ortsvereines und nutzte diese Position – mit einigem Rückhalt aus der Mitgliedschaft im Norden der Stadt – dazu, der neuen Partei– und Fraktionsführung das Leben schwer zu machen. Die Spaltung der Partei in ein kleineres Lager der Anhänger des Ex-Fraktionsvorsitzenden und ein weit größeres Lager der Befürworter eines Neuanfangs überschattete auch den Wahlkampf und hielt noch weit über den Wahltermin hinaus an153. Essen war 2004 eine von sechs Großstädten mit sieben Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl. Damit lag die Anzahl über der durchschnittlichen Kandidatenanzahl dieser Größenklasse von 5,9. Das Kandidatenangebot war zwar wie in 80% der Kommunen kleiner als bei der Ratswahl, trotzdem gehört Essen mit neun Listen und zwei Einzelbewerbern bei der Ratswahl und sieben Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl zu den Kommunen mit intensivem Wettbewerb in beiden Wahlarenen. Der Oberbürgermeister der CDU trat wieder für seine Partei an, wie auch die große Mehrheit seiner Amtskollegen und er hatte wie alle seine CDU-Kollegen in dieser Größenklasse einen SPD-Herausforderer. Der CDU-Oberbürgermeister wurde 2004 wiedergewählt, musste allerdings diesmal in die Stichwahl gegen den Kandidaten der SPD. Der Oberbürgermeister blieb im ersten Wahlgang mit 49% der gültigen Stimmen knapp unter der absoluten Mehrheit, hatte aber knapp 13 Prozentpunkte Vorsprung vor dem SPD-Herausforderer. Beide Kandidaten hatten mehr Stimmen als ihre Partei bei der Ratswahl bekommen, der Vorsprung des Oberbürgermeisters (+ 9,6) war aufgrund seines Amtsbonus aber wesentlich größer als der des SPD-Kandidaten (+ 2,2). Der Oberbürgermeister konnte sich vom Abwärtstrend der CDU bei den Ratswahlen abkoppeln. Die anderen Kandidaten hatten im ersten Wahlgang wesentlich weniger Stimmen bekommen als ihre Partei bei der Ratswahl. Nach dem ersten Wahlgang begannen Verhandlungen zwischen CDU und den Grünen über eine Zusammenarbeit im Rat. Für eine Mehrheit kam es aber auf die Stimme des CDU-Oberbürgermeisters im Rat an. Trotzdem konnten sich die Grünen nicht zu einer Wahlempfehlung für den CDUOberbürgermeister durchringen (vgl. NRZ Essen, 30.09.2004 „Schwarz-grüne Seufzer“). Die FDP gab keine Wahlempfehlung ab, auch weil sie den Avancen der CDU gegenüber den Grünen kritisch gegenüber stand (vgl. WAZ Essen, 07.10.2004 „VOR DER WAHL“). In der Stichwahl setzte sich der Oberbürgermeister mit 55% der gültigen Stimmen mit knapp zehn Prozentpunkten Vorsprung durch. Nach gültigen Stimmen legten beide Kandidaten im Vergleich zum ersten Wahlgang zu. Beide verloren aber in absoluten Zahlen Stimmen, der Oberbürgermeister sogar wesentlich mehr als sein Herausforderer. Da aber die Wahlbeteiligung von 49% auf 39% im zweiten Wahlgang sank und der Oberbürger-
153 So wollte der Ex-Fraktionsvorsitzende 2004 erneut in seinem Wahlkreis für den Rat kandidieren, das Votum seines Ortsvereins wurde jedoch beim Delegiertenparteitag der Essener SPD überstimmt und der Oberbürgermeisterkandidat in seinem Wahlkreis aufgestellt (vgl. WAZ Essen, 23.11.2003 „SPD stellt Nowack per Doppel-Paß ins Abseits“). Der Ortsverein Altenessen sprach sich wiederum für eine Nachnominierung ihres Vorsitzenden aus (WAZ Essen, 01.03.2004 „Norden sammelt sich hinter Nowack“). Der Ex-Fraktionsvorsitzende wurde schließlich im November 2005 wegen Insolvenzverschleppung und Vorteilsannahme zu 15 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Er blieb weiterhin Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Altenessen (vgl. WAZ Essen, 02.11.2005 „Nowack akzeptiert Verurteilung“ und 03.04.2006 „Altenessener heben ihren "Willi" wieder auf den Thron“).
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meister im ersten Wahlgang schon vorne lag, konnte die Abwanderung seiner Wähler im zweiten Wahlgang seinen Wahlsieg nicht verhindern. Die Motivation zur Stimmabgabe der Wähler des als sicherem Sieger geltenden Oberbürgermeisters war offensichtlich wesentlich niedriger, als bei den Wählern des SPD-Herausforderers. Die Erfolgsquote der CDU-Bürgermeister lag 2004 bei 85%, daher passt der Erfolg des Essener Oberbürgermeisters in das landesweite Bild. In einem Teil der vor 1999 SPDdominierten Kommunen wurden die CDU-Wahlsieger von 1999 jedoch 2004 von SPDKandidaten geschlagen und die Kommunen, zumindest was das Bürgermeisteramt angeht, ins SPD-Lager zurückgeholt (z.B. Gelsenkirchen, Waltrop, Castrop-Rauxel und Unna). Stichwahlen waren bei CDU-Oberbürgermeistern aber eher die Ausnahme, nur 16% der CDU-Bürgermeister wurden in einer Stichwahl gewählt. Zusammenfassung: CDU-Durchmarsch gegen eine mit sich selbst hadernde SPD Der Wahlsieg der CDU 1999 in Essen kam überraschend, vor allem der Durchmarsch des CDU-Kandidaten im ersten Wahlgang der Oberbürgermeisterwahl. Die Vorherrschaft im Rat wechselte von der SPD zur CDU. Dieser Wahlsieg wurde sicher auch durch den Bundestrend zugunsten der CDU ermöglicht, es gab aber auch eine gewisse Unzufriedenheit mit der seit Jahren die Stadt beherrschende SPD, deren Machtposition auch schon bei der Wahl 1994 bröckelte. Günstig für die CDU war dabei auch, dass in Essen kein SPDAmtsinhaber zur Wahl antrat. In dieser Situation hatten sowohl SPD als auch CDU 1999 Kandidatenauswahlverfahren mit mehreren internen Kandidaten unter der Regie der Parteiführung durchgeführt. Bei der SPD wurden 1999 die Mitglieder befragt, die sich eindeutig für den Kandidaten entschieden. Bei der CDU entschied die Parteiführung. Beide Kandidaten waren typische Vertreter der lokalen Parteieliten, ein Mandatsträger der Region einer anderen Politikebene bei der SPD und der Fraktionsvorsitzende der CDU im Rat. Im Vergleich gesehen hatten 1999 die lokalen Eliten (Fraktionsvorsitzende, Dezernenten und Amtsleiter) die besseren Chancen als Mandatsträger anderer Ebenen, die eher selten ausgewählt wurden (Holtkamp/Gehne 2002). 2004 fand bei der CDU keine Kandidatenauswahl statt, der Oberbürgermeister trat wieder für seine Partei an. In der SPD gab es wieder zwei Kandidaten, man einigte sich in der Führungsspitze auf die Kandidatur des Fraktionsvorsitzenden, der sich gerade im parteiinternen Machtkampf gegen den ehemaligen starken Mann der Essener SPD durchgesetzt hatte. Mitgliederbeteiligung bei der Auswahl fand 2004 nicht statt, aus Sicht der Befürworter parteiinterner Demokratie ein Rückschritt. Aufgrund der tiefgehenden parteiinternen Konflikte im Zusammenhang mit dem Rücktritt des früheren Fraktionsvorsitzenden zitterten der neuen Parteiführung aber ohnehin vor jedem Parteitag die Knie, da man offenbar vorher nie einschätzen konnte, wie stark der Widerstand gegen die neue Führungsriege sich in Wahlergebnissen und Debatten niederschlagen würde. Eine solche Situation scheint für die Förderung der Mitgliederbeteiligung nicht förderlich zu sein154.
154 Anders dagegen, wenn solche Machtkämpfe noch nicht entschieden sind. Beispiele auf anderen Ebenen des politischen Systems (vgl. Kapitel 2.2.1) deuten eher darauf hin, dass bei durch akute Machtkämpfe blockierten Führungsstrukturen den Mitgliedern die Rolle des Schlichters übertragen wird und das Ergebnis des Mitglieder-
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Die Wahl des Fraktionsvorsitzenden war relativ typisch, da der Frontmann der Partei im Rat noch einige Profilierungschancen hatte und etwas Zeit, seinen Bekanntheitsgrad bis zur Wahl zu steigern. Das Beispiel der Essener SPD zeigt aber auch, dass eine Partei, die sich in der Kandidatenauswahlphase und im Wahlkampf für die Bürgermeisterwahl hauptsächlich mit sich und ihren Konflikten beschäftigen muss, Schwierigkeiten haben wird, an der Wahlurne zu bestehen. Gemessen an Intensität und Dauer der Auseinandersetzung war das Ergebnis der SPD bei der Kommunalwahl 2004 gar nicht so schlecht und lag noch ziemlich nah am Landestrend. Der Wahlausgang in Essen 2004 war auch ein Beispiel für die Wirkung des Amtsbonus. Der Oberbürgermeister hatte im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit zwar knapp verfehlt, er hatte aber wesentlich mehr Stimmen als seine Partei bei der Ratswahl erhalten und sich vor allem von dem Abwärtstrend der CDU bei den Ratswahlen abgekoppelt. Sein Vorsprung reicht trotz erheblicher Stimmenverluste bei sinkender Wahlbeteiligung aber auch noch in der Stichwahl. Wahlempfehlungen spielten bei der Stichwahl keine Rolle, obwohl die Grünen mit der CDU über ein Ratsbündnis verhandelten. Eine Empfehlung für einen CDU-Kandidaten wollte die Grünen-Parteispitze der Basis dann nicht auch noch zumuten, da schon die Verhandlungen über eine Zusammenarbeit mir der CDU nicht unumstritten waren. Es gab 2004 aber auch durchaus Fälle, in denen ein CDU-Amtsinhaber ähnlich wie in Essen mit einem deutlichen Vorsprung im ersten Wahlgang in die Stichwahl musste und diese dann verlor, auch weil seine Wähler vielleicht glaubten, das Rennen sei ohnehin gelaufen und an der Stichwahl nicht mehr teilnahmen. Diese Beispiele zeigen, dass Stichwahlen unkalkulierbare Risiken bergen, da je nach Kandidatenangebot und Wahlergebnissen im ersten Wahlgang die Mobilisierung der Lager im zweiten Wahlgang sowie der Wechsel der Wähler, die jetzt ohne Kandidaten dastehen, das Ergebnis des ersten Wahlgangs drehen können. Die elektorale Entwicklung bei Rats- und Bürgermeisterwahlen in Essen war typisch für eine Gruppe von eher größeren Kommunen in NRW, in denen sich die Fragmentierung des Rates aufgrund der Abschaffung der Sperrklausel stark gesteigert hat und gleichzeitig aufgrund der Zugpferd-Kandidaturen einiger Gruppierungen das Kandidatenangebot bei der Oberbürgermeisterwahl sich ebenfalls vergrößert hat, ähnlich wie es aufgrund des besonderen institutionellen Rahmens in NRW zu vermuten war.
3.3.4 Zusammenfassung: Kandidatenauswahl und Kandidatenprofile Jeder der vorgestellten Fälle hat seine Eigenheiten, z.B. überlagern parteiinterne Konflikte wie in Marl oder Essen die Kandidatenauswahlverfahren der Parteien, trotzdem lassen sich bestimmte Muster des Wettbewerbs bei Bürgermeisterwahlen beschreiben, die über die Fallgrenzen hinaus verallgemeinerbar sind. Diese werden im folgenden Abschnitt in den wichtigsten Punkten zusammengefasst, unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses der Gemeindegröße und der sich wandelnden Rolle der Parteien. Dabei liegt der Schwerpunkt der Betrachtung auf den großen Parteien und – mit Bezug zu den Thesen zur Ent-
entscheids von den Akteuren als eine Art basisdemokratisches Gottesurteil angesehen wird, dessen Ergebnis alle akzeptieren müssen.
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Parteipolitisierung – auf den Einzelbewerbern bei Bürgermeisterwahlen. Zunächst wird jedoch kurz auf die Rolle der kleinen Parteien eingegangen. Die Rolle der kleinen Parteien wurde in den Fallstudien zugunsten einer größeren Übersichtlichkeit bei wachsender Anzahl der Kandidaten nur begrenzt analysiert. In einem Teil der Fälle bestätigt sich aber das erwartete Bild. Kandidaten wurden zur Verbesserung des Ratswahlergebnisses nominiert. Diese Überlegung war in vielen Fällen auch wichtiger als eine mögliche Schwächung eines Kandidaten einer großen Partei, der für die Anhänger der kleinen Partei das geringere Übel darstellte, z.B. wurden grüne Kandidaten gegen SPDKandidaten nominiert wie beispielsweise in Xanten. Kandidaten kleiner Parteien waren oft die „üblichen Verdächtigen“ (z.B. Fraktionsvorsitzende, Ratsmitglieder, Ortsvorsitzende) aus dem meist recht überschaubaren Kreis der lokalen Parteieliten. Im Gegensatz zur landesweiten Entwicklung 2004 hat in den kleinen und mittleren Kommunen die Repräsentanz von Kandidaten kleinerer Parteien nur wenig abgenommen, in Xanten war die Anzahl der Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl sogar gewachsen. In den beiden Großstädten bestätigte sich die institutionelle Hypothese für die Ratswahl, die Abschaffung der Sperrklausel führte 2004 zu einer starken Erhöhung der Kandidaturen von kleinen Gruppierungen und zu einer starken Vergrößerung der Anzahl der Gruppierungen im Rat. Die Anzahl der Kandidaten bei den Oberbürgermeisterwahlen wuchs, aber nicht im selben Ausmaß, denn nicht jede kleine Gruppierung trat auch in beiden Arenen an. Ein weiterer Anreiz zur Kandidatur ergab sich für kleinere Gruppierungen aus der Möglichkeit der Verhandlung über Wahlempfehlungen für die Stichwahl. Der Einfluss der kleinen Gruppierungen auf die Stichwahlen ist aber nur schwer zu analysieren, da in einigen Fällen keine Angaben über Wahlempfehlungen vorlagen. Nur in Duisburg wurde die Empfehlung der Grünen für den CDUKandidaten 2004 mit Zusagen über eine Zusammenarbeit im Rat verknüpft. Ob die Wählerschaft der Grünen jedoch den Kandidaten aufgrund der Empfehlung wählte, oder dies ohnehin getan hätte, ist nicht zu klären. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass Wahlempfehlungen für die Stichwahl nur von zweifelhaftem Wert waren. Die Kandidatenauswahl von Parteien hatte entsprechend dem Forschungsstand folgende Merkmale (vgl. Kapitel 2.2.1). Amtsinhaber werden in der Regel von ihren Parteien aufgestellt. Parteieliten nehmen starken Einfluss auf die Auswahl von Kandidaten. Konflikte werden im Vorfeld informell unter den Vorentscheidern geklärt, der Mitglieder- oder Delegiertenversammlung und der Öffentlichkeit wird nur ein Kandidat präsentiert, um sich nach außen möglichst geschlossen darzustellen. Abweichungen von diesem Schema ergeben sich tendenziell, wenn eine Partei sich in der Diaspora befindet und/oder aussichtsreiche Amtsinhaber kandidieren. Die großen Parteien stellten in der Regel in allen Fallstudienstädten eigene Kandidaten auf. Ausnahmen waren der Kandidaturverzicht der CDU in Duisburg 1999 und der Fall Hünxe bei beiden Wahlen. Auf den Fall Hünxe wird weiter unten im Zusammenhang mit der Bedeutung der Einzelbewerber noch näher eingegangen. In beiden Fällen kandidierten jedoch Amtsinhaber, so dass hier durchaus ein Zusammenhang zu vermuten ist. Amtsinhaber traten in der Regel wieder für ihre Partei an, außer in Marl, wo die CDUBürgermeisterin 2004 als Einzelbewerberin in Folge von Konflikten während der Regierungsphase gegen ihre Partei kandidierte. Landesweit betrachtet kam dies nur sehr selten vor, eine Ursache für die Konflikte zwischen Bürgermeisterin und Ortspartei lag auch in der Art der Kandidatenauswahl der CDU in Marl 1999, auf die noch eingegangen wird. In zwei Fällen wurden hauptamtliche Bürgermeister abgewählt (Marl 1999 und Duisburg
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2004), in einem weiteren Fall wurde ein ehrenamtlicher Bürgermeister nicht in der Direktwahl bestätigt (Xanten 1999). Die anderen Amtsinhaber wurden wiedergewählt, so dass die Amtsbonusthese auch für Fallstudien aufrechterhalten werden kann. Die landesweite Analyse der Bürgermeisterwahlen ergab ebenfalls (vgl. Kapitel 4.2), dass sich die Kandidatur von aussichtsreichen Amtsinhabern auf das Kandidatenangebot auswirken kann, da kleine Parteien und zum Teil auch große Parteien nicht mehr antreten, wenn sie sich keine Siegchancen ausrechnen. Diese These bestätigt sich im Fall Hünxe, wo der Bürgermeister bei beiden Wahlen als Einzelbewerber antrat und 1999 nur einen und 2004 keinen Gegenkandidaten mehr hatte. Auch in Duisburg 1999 verzichtete die CDU zwar auf eine eigene Kandidatur gegen die SPD-Oberbürgermeisterin, unterstützte aber die Kandidatur eines Einzelbewerbers gegen die Amtsinhaberin. Dieses Beispiel weist darauf hin, dass der Kandidaturverzicht auch Platz für alternative Strategien schafft. In den anderen untersuchten Fällen waren kaum Auswirkungen der Kandidatur von Amtsinhabern auf das Kandidatenangebot feststellbar, in einigen Fällen wurden aber die Auswahlprozesse durch die Amtsinhaberkandidaturen beeinflusst. In den Fallstudien finden sich bei beiden Wahlen einige Auswahlprozesse, die im Wesentlichen dem Standard-Schema entsprechen. Typisch dafür waren z.B.
die Kandidatenauswahl der CDU in Essen 1999, die eine interne Sichtung der Kandidaten unter Führung des Parteivorsitzenden durchführte mit dem Ergebnis, dass der Fraktionsvorsitzende im Rat zur Bürgermeisterwahl antrat, oder die Kandidatenauswahl der SPD in Xanten 2004, die nach einem ähnlichen Schema stattfand wie bei der CDU in Essen.
Dagegen gab es auch verschiedene Beispiele, in denen die Kandidatenauswahl von dem genannten Standard-Schema abwich. Im Folgenden werden Beispiele für drei Abweichungen von der Standard-Vorgehensweise vorgestellt und kurz diskutiert: Konflikte bei der Kandidatenauswahl, abweichendes Kandidatenprofil als strategische Entscheidung und offene Auswahlverfahren mit Mitgliederbeteiligung. In drei Fällen wurde die Kandidatenauswahl von öffentlich ausgetragenen Konflikten überschattet.
In Xanten 1999 kam es bei der CDU zu einer Kampfkandidatur, die in einem relativ knappen Mitgliederentscheid zugunsten des späteren Bürgermeisters entschieden wurde. Wie auch im Fall der Essener SPD 2004 lagen die Ursachen der Konflikte aber eher in einem einschneidenden Umbruch der Parteiführungsstrukturen, der auch auf der Bühne der Kandidatenauswahl ausgetragen wurde, als im Wettbewerb um die Kandidatur. Die Kandidatenauswahl der CDU in Marl 2004 wurde vom Konflikt mit der Bürgermeisterin überschattet, bis es zu einem offenen Bruch mit der Partei kam und die Bürgermeisterin als Einzelbewerberin gegen einen CDU-Kandidaten antrat. Ursachen für diese Konflikte waren die Unstimmigkeiten während der Regierungsphase und indirekt auch die Auswahl-Strategie der Marler CDU 1999.
Die CDU in Marl entschied sich 1999 – wie auch die CDU in Hilden 2004 – für die Nominierung einer externen Kandidatin. In beiden Fällen traten SPD-Bürgermeister zur Wahl an
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und die Parteiführung der CDU entschied sich für das „Casting“ eines Kandidaten mit Kontrastprofil zum Amtsinhaber anstelle der Auswahl unter den vorhandenen Führungsfiguren. In beiden Fällen wurde die Vorgehensweise von der Parteiführung vorgeschlagen und durchgesetzt, der externe Kandidat wurde dann den Mitgliedern präsentiert. In beiden Fällen war die Strategie mittelfristig nicht von Erfolg gekrönt. In Marl gewann die externe Kandidatin zwar die Wahl gegen den Amtsinhaber, in der Regierungsphase kam es jedoch zu heftigen Konflikten mit dem schon oben geschilderten Ausgang bei der Wahl 2004. In Hilden konnte der externe Kandidat nicht gegen den Bürgermeister gewinnen. Es gelang außerdem auch nicht, ihn über die Wahlperiode weiter als Kandidat aufzubauen, so dass er später den Ortsverband wieder verließ. In beiden Fällen entsteht der Eindruck, dass bei externen Kandidaten das Risiko besteht, dass Kandidat und Ortsverband eigentlich nicht zueinander passen und daraus Konflikte entstehen können. Beispiele abweichender Verfahren der Kandidatenauswahl gab es bei der Essener SPD 1999 und bei der CDU in Marl 2004. In Essen kam es 1999 im Vorfeld der Nominierung zu einem Mitgliederentscheid mit zwei internen Kandidaten, dessen Ergebnis vom Delegiertenparteitag übernommen wurde. Dieses Experiment mit parteiinterner Mitgliederbeteiligung wurde auch aufgrund der Führungskrise 2004 nicht wiederholt, da man wohl befürchtete, dass dann die schwelenden Konflikte erst recht wieder angefacht würden. Die CDU in Marl führte 2004 einen offenen internen Kandidatenwettbewerb mit mehreren Kandidaten durch, die sich den Mitgliedern in Vorstellungsrunden präsentierten und der in der Nominierung eines Kandidaten mündete, allerdings ohne regelrechten Mitgliederentscheid. Dieses Verfahren wurde gewählt, da 1999 die Parteiführung eine Kandidatin durchgesetzt hatte und es nach den negativen Erfahrungen mit dieser Strategie klar war, dass ein neuer Weg mit stärkerer Mitgliederbeteiligung beschritten werden musste, um über dieses Verfahren die Unterstützung des schließlich nominierten Kandidaten durch die Mitglieder zu gewährleisten. Zusammengefasst lassen sich für die beschriebenen Fälle drei Hauptursachen für abweichende Verfahren und sonstige Experimente bei der Kandidatenauswahl benennen, die auch in Kombination auftreten können:
Führungsstrukturen im Umbruch und parteiinterne Konflikte, die auch bei der Kandidatenauswahl eine Rolle spielen, ungünstige Wettbewerbsbedingungen (Kandidatur gegen Amtsinhaber und/oder Diaspora-Situation), die die Experimentierfreude fördern, Lerneffekte, die dazu führen, dass andere Verfahren und Strategien ausprobiert werden.
Eine Ent-Parteipolitisierung der Bürgermeisterwahlen war eigentlich nur im Fall Hünxe zu beobachten. Der als Einzelbewerber kandidierende, parteilose Bürgermeister hatte 1999 nur einen und 2004 gar keinen Gegenkandidaten mehr. Er gewann beide Wahlen mit eindeutigen Ergebnissen. Bei den Wahlen 2004 hatten alle anderen Parteien und Wählergruppen auf eine Kandidatur verzichtet, da sie entweder mit der Amtsführung des Bürgermeisters zufrieden waren und seine Wiederwahl wünschten, oder sich keine Chancen ausrechneten, mit einer Kandidatur gegen den Amtsinhaber erfolgreich zu sein. Wenn die Parteien langfristig auf eine Kandidatur verzichten und auch nach Ausscheiden des derzeitigen Amtsinhabers wieder einen parteiunabhängigen Verwaltungschef befürworten werden, kann in dieser
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Gemeinde von einem Wandel der Politikmuster bei den Bürgermeisterwahlen ausgegangen werden. Wenn die Parteien und Wählergruppen nach Ausscheiden des jetzigen Amtsinhabers wieder in den Parteienwettbewerb um das Amt einsteigen, war die „BadenWürttembergisierung“ der Bürgermeisterwahlen in Hünxe nur ein vorübergehender Effekt, der auf der Person des Amtsinhabers beruhte. Zwei weitere Fälle weisen auf den ersten Blick Merkmale von Ent-Parteipolitisierung auf, müssen nach meiner Ansicht jedoch anders bewertet werden. In Duisburg unterstützte die CDU zusammen mit der FDP die Kandidatur eines parteiunabhängigen Einzelbewerbers, der für einen Einzelbewerber, der nicht aus dem Amt kandidierte, ein relativ hohes Ergebnis erzielen konnte. Ursache für diese Vorgehensweise war aber weniger die konkordante Einstellung der beteiligten Akteure, sondern ein strategisches Experiment der Duisburger CDU, die sich in (scheinbar) aussichtsloser Situation nur mit dieser Strategie Chancen gegen die SPD-Oberbürgermeisterin ausrechnete. Aufgrund des Wahlergebnisses kann das Experiment als gescheitert betrachtet werden. Die Duisburger CDU setzte 2004 dagegen auf eine sehr konventionelle Strategie mit der Kandidatur ihres Fraktionsvorsitzenden im Rat. Da dieser schließlich die Wahl 2004 gewann, sprechen die Erfahrungen in dieser Großstadt eher gegen Experimente mit parteiunabhängigen Kandidaten und für eine Parteipolitisierung der Oberbürgermeisterwahlen, die der Wählerschaft eine Orientierung an Parteilabels erlaubt. In Marl gewann 2004 die Bürgermeisterin als Einzelbewerberin aus dem Amt die Bürgermeisterwahl gegen Kandidaten der beiden großen Parteien. Auch dieser Fall ist kein Beispiel für Ent-Parteipolitisierung nach Wehling, da die Ursache für die Entscheidung der Bürgermeisterin, parteiunabhängig zu kandidieren, letztlich der Konflikt mit ihrer Partei über ihre Amtsführung und die Rollenverteilung zwischen Bürgermeisterin und Ratsfraktionen ist. Auf Seiten der Marler CDU war immer noch eine gewisse „Krönungsmentalität“ zu erkennen, da sie von der Bürgermeisterin als Dank für ihre Wahl Kooperation und Entgegenkommen erwartete. Die Bürgermeisterin teilte, mit dem Selbstbewusstsein der direkt gewählten Amtsinhaberin ausgestattet, diese Haltung nicht und ging ihren eigenen Weg. Die daraus folgende Ent-Parteipolitisierung hat jedenfalls nichts mit einer konkordanten Einstellung der Akteure zu tun, sondern ist gewissermaßen ein Kollateralschaden der Strategie der CDU, eine externe Kandidatin zu nominieren, die (unglücklicherweise) auch noch die Wahl gewonnen hat.
4 Bürgermeisterwahlen in NRW zwischen Kontinuität und Wandel – eine Bilanz
Anlass der Studie und Fragestellungen Anlass der Studie war die Einführung der Direktwahl der Bürgermeister in NRW. Die vorliegende Bürgermeisterwahlstudie hatte den Vergleich der Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004 zum Thema. Diese Arbeit verfolgte zwei Ziele. Zum einen war sie eine ausführliche Bestandsaufnahme der ersten beiden Runden der Bürgermeisterwahlen in NRW im Vergleich zu den gleichzeitig stattfindenden Ratswahlen. Zum anderen ging es um die Frage, ob sich aufgrund des institutionellen Wandels auch der Einfluss der Parteien in Bezug auf Kommunalwahlen verringere, ähnlich wie in Süddeutschland, wo die Direktwahl der Bürgermeister schon seit fünfzig Jahren praktiziert wird.
Theoretischer Rahmen Zur Beantwortung der beiden Fragen wurde ein theoretischer Rahmen konstruiert. Aufgrund des geringen Forschungsstandes zu Kommunalwahlen und einer nicht sehr fortgeschrittenen Theoriebildung in diesem Bereich, wurden Anleihen aus anderen Bereichen der Politikwissenschaft gemacht. Zunächst wurde als grundsätzliche Perspektive der historische Institutionalismus als Forschungsperspektive gewählt, da die Verwendung eines weiten Institutionenbegriffs sinnvoll erschien. Darüber hinaus war die Betonung der Kontextabhängigkeit der Wirkung von Institutionen auf Akteure für die eigene Forschungsarbeit angemessener, als ein zu deterministisches Verständnis der Wirkung von Institutionen. Im zweiten Teil des theoretischen Rahmens ging es um Akteure und Institutionen bei Kommunalwahlen. Da es wenige brauchbare Studien zu Bürgermeisterwahlen gibt, wurde der Forschungsstand zu Rekrutierung, Auswahl und Nominierung von Kandidaten in der Parteienforschung diskutiert, um in Sinne des historischen Institutionalismus „Standard Operating Procedures“ der Kandidatenauswahl zu beschreiben. Dahinter stand die Annahme, dass die Vorgehensweise sich unter den Bedingungen der Parteienherrschaft nicht wesentlich nach der politischen Ebene unterscheidet. Die Kandidatenauswahl wird in der Regel von den Parteieliten dominiert. Öffentliche Konflikte werden vermieden und den Delegierten wird zur Nominierung nur ein Kandidat präsentiert, der sich aus den Eliten rekrutiert. Der Forschungsstand zur Bürgermeisterwahl in NRW wies, zumindest was die Abläufe der Kandidatenauswahl angeht, in eine ähnliche Richtung wie die „Standard Operating Procedures“, so dass diese als Hypothese beibehalten wird. Eine Verringerung der Bedeutung von Parteien bei Bürgermeisterwahlen würde dagegen auch einen einschneidenden Wandel der „Standard Operating Porcedures“ nach sich ziehen, da diese sich weniger an
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4 Bürgermeisterwahlen – eine Bilanz
den Bedürfnissen der Organisation und der Eliten als an der Wählerschaft orientieren müssten. Nordrhein-Westfalen konnte bis in die 1990er Jahre im Vergleich der Länder als „Mutterland der Parteipolitisierung“ von Kommunalpolitik gelten. Im Vergleich konnte ein hohes Maß an personeller Parteipolitisierung des Rates und an der Gemeindespitze festgestellt werden. Ursache hierfür war eine größere Wahrscheinlichkeit für konkurrenzdemokratische Politikmuster aufgrund der Besonderheiten der Gemeindeordnung, der Gemeindegrößenstruktur und des relativ hohen Organisationsgrades in Parteien. Die Diskussion des kommunalen Forschungsstandes verwies wiederum auf die Bedeutung von Kontextfaktoren für die Bürgermeisterwahlen. Die politische Wettbewerbssituation prägt die Strategien bei der Kandidatenauswahl, wie auch die Kandidatur von Amtsinhabern als kurzfristiger Faktor das Kandidatenangebot beeinflussen kann. Die Gemeindegröße gemessen an der Einwohnerzahl hat Auswirkungen auf die Chancen von parteilosen Bewerbern, die in kleinen Gemeinden eher Erfolg haben als in großen. Nachdem die Akteursebene damit abgedeckt war, widmete sich der letzte Teil des Theoriekapitels dem Forschungsstand zum Einfluss von Wahlsystemen auf Parteiensysteme, und dabei insbesondere dem Verhältnis von Parlaments- und Präsidentenwahlen in Mischsystemen. Ein Ziel der Auseinandersetzung war dabei immer, die Entwicklung von Rats- und Bürgermeisterwahlen im Zusammenhang zu analysieren, da ein Verständnis für die Veränderungen der Rolle der Parteien bei Kommunalwahlen nur möglich ist, wenn man die Wechselwirkungen zwischen beiden Arenen berücksichtigt. Dazu wurden Hypothesen von Shugart und Carey über die besonderen Wechselwirkungen der beiden Wahlen für Kommunalwahlen adaptiert. Die Frage nach der Bedeutung der Parteien wurde in Aussagen über die Veränderung elektoraler Parteiensysteme „übersetzt“. In Ergänzung zu klassischen Merkmalen wurde das Merkmal von Parteiensystem der Kommunalisierung eingeführt, das die Bedeutung von Wählergruppen und Einzelbewerbern für die elektoralen Parteiensysteme misst. Im Vergleich der Wahlsysteme von Rat und Bürgermeister in Deutschland zeigten sich die Besonderheiten des NRW-Systems, das die Verhältniswahl des Rates mit der absoluten Mehrheitswahl des Bürgermeisters bei gekoppelten Wahlen kombiniert. Für NRW wurde davon ausgegangen, dass durch die „parlamentarische“, parteienfreundliche Tradition des Landes die elektoralen Parteiensysteme weiterhin parteipolitisiert sind. Dem entgegen steht die Ent-Parteipolitisierungsthese von Wehling, die bei der Übernahme von wesentlichen Elementen der süddeutschen Ratsverfassung von einer Verringerung des Einflusses von Parteien bei beiden Wahlen ausgeht. Die Kommunalisierung der elektoralen Parteiensysteme müsste also wachsen.
Hypothesen und Forschungsdesign Die beiden unterschiedlichen Positionen zur Entwicklung der Bedeutung von Parteien nach der Reform der Gemeindeordnung wurden in den vier Untersuchungsbereichen der Bürgermeisterwahl (Kandidatenauswahl, Kandidatenprofile, Kandidatenangebot und Wahlergebnisse) und für die Entwicklung der elektoralen Parteiensysteme in jeweils zwei gegensätzliche Hypothesen gegossen, die im folgenden Abschnitt bei der Zusammenfassung der Ergebnisse noch einmal wiedergegeben und diskutiert werden.
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Die Bereiche Auswahl und Profil wurden in einer Fallstudienanalyse anhand sechs unterschiedlich großer Kommunen untersucht. Die Bereiche Angebot und Ergebnisse wurden mittels einer quantitativen ökologischen Wahlanalyse auf der Grundlage einer Vollerhebung der Rats- und Bürgermeisterwahlergebnisse aller Städte und Gemeinden in NRW betrachtet. Die abhängigen Variablen zur Analyse des Kandidatenangebotes und der elektoralen Parteiensysteme waren die Anzahl der Kandidaten (Format) und die Verteilung der Kandidaten auf die unterschiedlichen Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerber (Deckungsgrad, Kommunalisierung). Die unabhängigen Variablen waren neben den – in den wahlbezogenen Regelungen konstanten institutionellen Rahmenbedingungen – die Gemeindegröße und die langfristige lokale Wettbewerbssituation, gemessen an den Wahlergebnissen zum Gemeinderat 19842004 und als kurzfristiger Faktor die Anzahl der kandidierenden Amtsinhaber für alle Städte und Gemeinden in NRW. Der Vergleich der Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004 sollte die Frage klären, ob es Hinweise dafür gibt, dass sich eines der geschilderten Szenarien zur Rolle der Parteien verfestigt und unter welchen Kontextbedingungen dies geschieht.
Ergebnisse: Kontinuität und Wandel bei Bürgermeisterwahlen in NRW Die Ergebnisse der Studie werden im folgenden Abschnitt in der oben angegebenen Reihenfolge der Bereiche zusammengefasst und in jedem Bereich abschließend die Hypothesen diskutiert. Ratswahlanalyse Der eigentlichen Analyse der Bürgermeisterwahlen vorgeschaltet war eine gemeindebezogene Ratswahlanalyse, die den politischen Kontext der Bürgermeisterwahlen klären sollte und der Beschreibung von elektoralen Parteiensystemen bei Ratswahlen diente, die auch bei der Analyse der Bürgermeisterwahlen verwendet wurde. Wie die Ergebnisse zeigten, hat sich die politische Landkarte seit Ende der 1990er Jahre stark verändert. Die CDU konnte ihre landesweite Dominanz ausbauen und ist die bestimmende Kommunalpartei in NRW. Die SPD hatte 1999 bei den Ratswahlen stark an Boden verloren und konnte sich 2004 nur auf niedrigem Niveau konsolidieren. Gleichzeitig wuchs bei Ratswahlen die Kommunalisierung und Fragmentierung der elektoralen Parteiensysteme. Die institutionell abgeleitete These, dass die personalisierte Verhältniswahl ohne Sperrklausel zu großen und fragmentierten Parteiensystemen führt, konnte aber mit Zeitverzögerung 2004 nur in mittleren und großen Städten bestätigt werden. In kleineren Gemeinden scheinen dem Wachstum der Parteiensysteme andere Grenzen gesetzt zu sein. In vielen Regionen des Landes war bei den elektoralen Parteiensystemen eine Kontinuität der CDU-Dominanz zu beobachten. Der Wandel der kommunalpolitischen Machtverhältnisse betraf vor allem die SPD, die bei den Ratswahlen 2004 keinen der Systemtypen mehr dominieren konnte und auch die Rolle der kleinen Parteien, die zugunsten der Wählergruppen an Boden verloren. Eine Ent-Parteipolitisierung der Ratswahlen im Sinne einer Dominanz von Wählergruppen gab es aber nur in sehr wenigen Kommunen.
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4 Bürgermeisterwahlen – eine Bilanz
Gleichzeitig kam es aber zu einer Polarisierung der Politikmuster, die zugespitzt in zwei Typen beschrieben werden kann Die beständige Welt der ländlichen Konkordanzdemokratie: Kleinere Städte und Gemeinden mit konstanter langjähriger CDU-Dominanz in ländlich-katholisch geprägten Regionen mit zum Teil sehr starken Wählergruppen. Der Trend der Fragmentierung ist gebremst, da FDP und Grüne sowie sonstige Parteien keine wichtige Rolle spielen. Die Gemeinderäte haben klare Mehrheitsstrukturen. Die personelle Parteipolitisierung ist aufgrund der für nordrhein-westfälische Verhältnisse starken Wählergruppen weniger stark. Die Wahrscheinlichkeit für konkordanzdemokratische Strukturen ist groß. Die volatile Welt der urbanen Konkurrenzdemokratie: Mittlere und große Städte in urbanen und suburbanen Regionen mit fragmentierten Mehrparteiensystemen ohne ausgeprägte Dominanz, in denen die Vorherrschaft zwischen den großen Parteien häufig wechselt. Neben den beiden großen Parteien gibt es mehrere kleine und kleinste Parteien und Wählergruppen im Rat. Es ist aufgrund der unübersichtlichen Mehrheitsverhältnisse mit wechselnden Mehrheiten zu rechnen. Die personelle Parteipolitisierung ist aufgrund der schwächeren Wählergruppen stärker. Die Wahrscheinlichkeit für konkurrenzdemokratische Strukturen ist groß. Kandidatenauswahl bei Bürgermeisterwahlen Die Hypothesen zur Kandidatenauswahl bei Ent-Parteipolitisierung lauteten: 1.a Wählergruppen werden bei der Kandidatenauswahl eine wachsende Bedeutung erhalten, die Selbstrekrutierung parteiunabhängiger Bewerber bei der Bürgermeisterwahl wird zunehmen.
Bei gleich bleibendem Parteieneinfluss lautet dagegen die Alternativhypothese: 1.b. Die Parteien sind weiterhin die wichtigsten Akteure bei der Auswahl von Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl. Die meisten Kandidaten werden von Parteien nominiert.
Die Analyse der Kandidatenauswahl in den Fallstudienstädten bei den beiden Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004 ergab, dass in den meisten Städten die Parteien weiterhin die wichtigsten Akteure bei der Auswahl von Kandidaten waren. Die großen Parteien stellten in der Regel eigene Kandidaten auf, auch kleine Parteien hatten in den meisten Fällen Kandidaten zur Verbesserung ihres Ratswahlergebnisses nominiert. Anders als vorher erwartetet, spielen die Wählergruppen bei der Kandidatenauswahl nur eine geringe Rolle, wie auch die landesweite Analyse des Angebotes zeigte. Daher kann Hypothese 1.b vorläufig als bestätigt angesehen werden. Es gab deutlich mehr Beispiele, die den „Standard Operating Procedures“ entsprachen, als Beispiele, die davon abwichen. Es gab eigentlich nur einen Fall (Hünxe), der hinsichtlich der Rolle von Einzelbewerbern der Hypothese 1.a entsprach. Dort kandidierte 2004 der Bürgermeister als Einzelbewerber und hatte keinen Gegenkandidaten mehr, so dass hier tatsächlich von einer Ent-Parteipolitisierung gesprochen werden kann. Es handelte sich um eine kleine Gemeinde, in der der Bürgermeister auch schon vor der Reform der Gemeindeordnung Hauptverwaltungsbeamter war, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich um ein personelles Übergangsphänomen handelt. Von zwei weiteren Beispielen mit Einzelbewerbern in größeren Städten ließ sich eines auf die Auswahlstrategien von Parteien, das andere auf
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Konflikte über die Amtsführung einer Partei-Bürgermeisterin während der Amtszeit zurückführen. In den untersuchten Fällen war Ent-Parteipolitisierung bei der Auswahl also eher die Ausnahme. Kandidatenprofile Nach der Ent-Parteipolitisierungs-Hypothese verändern sich die Kandidatenprofile: 2.a Bei der Bürgermeisterwahl werden zunehmend parteiunabhängige Verwaltungsfachleute kandidieren.
Aber auch die Parteien reagieren in Folge der Debatten um Politikerverdrossenheit und sinkende Wahlbeteiligung auf die Präferenzen der Bürgerschaft. 2.b Parteienkandidaten sind keine reinen Parteisoldaten mehr, Bürgernähe und Verwaltungskompetenz gewinnen in Relation zur Parteibindung als Profilmerkmal von Parteikandidaten an Bedeutung.
Hinsichtlich der Kandidatenprofile kann für die Fallstädte nicht von einer sinkenden Parteibindung ausgegangen werden. Ein Beispiel wie Duisburg 2004 spricht sogar eher dafür, dass nach einem Experiment 1999 die Parteibindung 2004 wieder wichtiger wurde. Auch die Importkandidaten in Marl 1999 und Hilden 2004 waren parteigebunden. Die Parteien bemühten sich, bei der Präsentation ihrer Kandidaten deren Verwaltungskompetenz herauszustreichen, auch wenn sie bei manchen Kandidaten nur in Grundzügen oder in anderen Verwaltungsbereichen vorhanden war. In einigen Fällen schien aber die kommunalpolitische Funktion vor Ort ausschlaggebend zu sein, da 2004 immer noch viele parteigebundene Fraktionsvorsitzende gegen Amtsinhaber kandidierten. Daher ist auch bei den Kandidatenprofilen tendenziell die Parteipolitisierungshypothese zu bestätigen, wobei diese aber folgendermaßen modifiziert wird: 2. Die Parteibindung der Kandidaten ist weiterhin wichtig, die lokale Bekanntheit und die Verwaltungskompetenz gewinnen in Relation zur Parteibindung jedoch an Bedeutung.
Das landesweite Kandidatenangebot Das Kandidatenangebot bei der Bürgermeisterwahl wird stark von der lokalen Wettbewerbssituation beeinflusst. 3.a Auch in Kommunen mit Parteiensystemen, die von einer Partei dominiert sind und in denen Amtsinhabern kandidieren, treten verstärkt parteiunabhängige Einzelbewerber zur Wahl an, die von Wählergruppen, kleinen Parteien und großen Parteien in Diaspora-Situation unterstützt werden. Infolgedessen nimmt die Anzahl der Kandidaten ab und der Anteil der parteigebundenen Kandidaten insgesamt sinkt.
Da Parteien, wie in Hypothese 1.b behauptet, weiterhin die zentrale Rolle bei der Auswahl von Bürgermeisterkandidaten spielen, ändert sich wenig am Kandidatenangebot.
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3.b Große Parteien nominieren weiterhin Kandidaten für die Bürgermeisterwahl, unabhängig von der Wettbewerbssituation. Mit sinkender Gemeindegröße verzichten kleine Parteien aus Ressourcengründen auf eine Kandidatur und entscheiden sich für die Unterstützung eines anderen Kandidaten. Daher sinkt die Gesamtzahl der Kandidaten, der Anteil der parteigebundenen Kandidaten bleibt aber hoch.
Das Kandidatenangebot bei Bürgermeisterwahl 2004 war weiterhin von personeller Parteipolitisierung geprägt. Sie war zwar etwas geringer in kleinen Gemeinden mit stark kommunalisiertem und von der CDU dominiertem Parteiensystem und stärker ausgeprägt in mittleren und großen Städten mit Mehrparteiensystemen ohne ausgeprägte Dominanz einer Partei. Die Gesamtzahl der Kandidaten sank, insbesondere durch den Kandidaturverzicht kleiner Parteien, die 2004 nicht mehr so stark auf den Zugpferdeffekt setzten wie 1999. Aber auch große Parteien verzichteten in wenigen Fällen auf eine Kandidatur, v.a. wenn sie es mit aussichtsreichen parteiunabhängigen Amtsinhabern zu tun hatten. In siebzig Prozent der Kommunen traten 2004 wieder Amtsinhaber zur Wahl an, was in einem Teil der Fälle zu wachsendem Kandidaturverzicht führte. Unter Berücksichtigung der Gemeindegröße ließen sich zugespitzt drei Angebotsszenarien unterscheiden: In kleineren, von der CDU dominierten Gemeinden traten bei den Bürgermeisterwahlen zwei Kandidaten an, darunter der CDU-Amtsinhaber oder ein Einzelbewerber und ein Herausforderer der SPD, der von anderen Gruppierungen unterstützt wird. Zwei weitere kleinere Gruppierungen beteiligen sich nur an Ratswahlen. Die Differenz des Angebots bei Rats- und Bürgermeisterwahlen ist in diesem Szenario am größten, vor allem wenn Bürgermeister als Einzelbewerber ohne Gegenkandidaten antreten. In mittelgroßen, von der CDU dominierten Kommunen traten drei bis vier Kandidaten an. Darunter der CDU-Bürgermeister, ein Herausforderer der SPD und ein bis zwei weitere Kandidaten kleinerer Gruppierungen. Je stärker die Kommunalisierung in diesem Szenario ausgeprägt ist, desto eher treten Bürgermeister als Einzelbewerber an. Ein bis zwei kleinere Gruppierungen beteiligen sich ausschließlich an den Ratswahlen. In größeren Städten ohne ausgeprägte Dominanz einer Partei kandidierten fünf bis sechs Bewerber bei den Bürgermeisterwahlen, darunter ein Amtsinhaber einer großen Partei, der Herausforderer der anderen großen Partei und drei bis vier andere Kandidaten. Alle Gruppierungen beteiligen sich auch an den Ratswahlen, die Angebote bei Rats- und Bürgermeisterwahlen waren gleich. Eine Ent-Parteipolitisierung des Angebotes findet also nur in kleinen Gemeinden mit stark kommunalisiertem und von der CDU dominiertem Parteiensystem statt, insgesamt gesehen war die Bedeutung 2004 aber gering. Wiederum wird also eher die Parteipolitisierungs-Hypothese bestätigt, die aber wie folgt ergänzt wird: 3. Große Parteien nominieren Kandidaten für die Bürgermeisterwahl, außer wenn aussichtsreiche Amtsinhaber antreten. Mit sinkender Gemeindegröße verzichten kleine Parteien aus Ressourcengründen auf eine Kandidatur und entscheiden sich für die Unterstützung eines anderen Kandidaten. Daher sinkt die Gesamtzahl der Kandidaten, der Anteil der parteigebundenen Kandidaten bleibt aber hoch.
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Wahlergebnisse Im Bereich Wahlergebnisse lautet die Ent-Parteipolitisierung-These: 4.a Der Anteil der parteiunabhängigen Wahlsieger an allen Bürgermeistern steigt. Der Gesamtstimmenanteil von parteiunabhängigen Einzelbewerbern und Kandidaten von Wählegruppen steigt ebenfalls.
Durch die in Hypothese 3.b behauptete Veränderung des parteigebundenen Kandidatenangebotes kommt es zu einer Verlagerung in der Stimmverteilung. Wähler kleiner Parteien geben in kleineren Gemeinden ihre Stimmen tendenziell aussichtsreicheren Kandidaten großer Parteien. 4.b. Der Anteil der parteigebundenen Bürgermeister bleibt hoch. Der Gesamtstimmenanteil aller Parteikandidaten auch. Es kommt jedoch in kleinen Gemeinden zu einer Konzentration des (Partei-) Stimmenpotentials auf die zwei besten Kandidaten.
85% aller Wahlsieger bei den Bürgermeisterwahlen 2004 waren von Parteien nominiert worden. Der Anteil der parteiunabhängigen Einzelbewerber stieg damit um fünf Prozentpunkte auf 15% an. Aufgrund des bei Einzelbewerbern oft kleineren Kandidatenangebotes konnte diese ihre Wahlergebnisse verbessern. Kandidaten von Wählergruppen spielten aber bei den Bürgermeisterwahlen so gut wie keine Rolle. Einzelbewerber waren 2004 eher erfolgreich in Kommunen mit stark kommunalisierten und von der CDU dominierten Parteiensystemen. Die Amtsinhaber hatten in allen Gruppen eine Wiederwahlquote von gut neunzig Prozent, so dass weiterhin von einer verbreiteten Kontinuität an der Gemeindespitze ausgegangen werden kann. Dort, wo kleine Parteien auf eine Kandidatur verzichteten, kam es zu einer Konzentration der Stimmen auf zwei Hauptkontrahenten. Die Hypothesen können in der Tendenz beide bestätigt werden, nur dass der Anstieg der parteiunabhängigen Wahlsieger nicht sehr groß ist und insgesamt gesehen die Bedeutung der Ent-Parteipolitisierung als gering anzusehen ist. Daher bietet es sich an, die beiden Hypothesen zu verschmelzen: 4. Der Anteil der parteiunabhängigen Bürgermeister steigt langsam, liegt aber deutlich unter dem Anteil der parteigebundenen Bürgermeister. Je stärker das elektorale Parteiensystem bei Ratswahlen kommunalisiert ist, desto eher gewinnen parteiunabhängige Bewerber die Bürgermeisterwahlen.
Elektorale Parteiensysteme bei Rats- und Bürgermeisterwahlen Zusammengenommen hatten diese Entwicklungen in den beiden unterschiedlichen Szenarien auch Auswirkungen auf die elektoralen Parteiensysteme bei Rats- und Bürgermeisterwahlen. 5.a Bei zunehmender personeller Ent-Parteipolitisierung der Bürgermeisterwahlen nimmt die Größe des elektoralen Parteiensystems ab. Der Stimmenanteil an Wählergruppen und Einzelbewerbern steigt, ebenso die Konzentration der Stimmen auf nicht parteigebundene Bewerber. Die elektoralen Parteiensysteme bei Rats- und Bürgermeisterwahl unterscheiden sich zunehmend,
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das elektorale Parteiensystem bei der Ratswahl ist wesentlich größer und fragmentierter als bei der Bürgermeisterwahl, da neben den Parteien auch zunehmend mehr Wählergruppen antreten.
Bei Hypothese 5.a war auch der Einfluss der Gemeindegröße zu berücksichtigen. Mit der Gemeindegröße sank die Größe des Parteiensystems bei Rats- und Bürgermeisterwahlen. Bei gleich bleibender Parteipolitisierung ergaben sich andere Entwicklungen der elektoralen Parteiensysteme: 5.b Das elektorale Parteiensystem bei Bürgermeisterwahlen ist groß, fragmentiert und nur mäßig kommunalisiert und unterscheidet sich vom elektoralen Parteiensystem bei Ratswahlen nur durch zusätzliche Kandidatur von Einzelbewerbern. Mit sinkender Gemeindegröße nimmt durch den Kandidaturverzicht von kleinen Parteien die Größe des elektoralen Parteiensystems bei Bürgermeisterwahlen ab und die Unterschiede zum Parteiensystem bei Ratswahlen nehmen zu.
Die Unterschiede der elektoralen Parteiensysteme bei Rats- und Bürgermeisterwahlen haben sich bei den Kommunalwahlen 2004 hinsichtlich der Größe, des Deckungsgrades und der Fragmentierung insgesamt gesehen vergrößert, und zwar unabhängig von dem Parteiensystemtyp oder dem Ausmaß der Kommunalisierung. Nur in den Großstädten waren die Unterschiede zwischen den elektoralen Parteiensystemen bei Rats- und Bürgermeisterwahlen 2004 geringer, da dort kleine und kleinste Gruppierungen weiterhin auch zur Bürgermeisterwahl antraten. Beide Hypothesen treffen in der Tendenz zu, allerdings gab es das in Hypothese 5.a beschriebene Ent-Parteipolitisierungs-Szenario noch in relativ wenigen Städten und Gemeinden. Hypothese 5.b muss allerdings hinsichtlich des Verhältnisses der elektoralen Parteiensysteme modifiziert werden: 5.b Das elektorale Parteiensystem bei Bürgermeisterwahlen ist groß, fragmentiert und nur mäßig kommunalisiert. Mit sinkender Gemeindegröße nimmt durch den von Kandidaturverzicht von kleinen Parteien die Größe des elektoralen Parteiensystems bei Bürgermeisterwahlen ab und die Unterschiede zum Parteiensystem bei Ratswahlen nehmen zu.
Normalisierung, Verselbstständigung und Polarisierung Die Veränderungen im Vergleich der Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004 lassen sich in drei Trends zusammenfassen: Normalisierung: Die Kommunalwahlen 2004 waren insgesamt gesehen kommunaler geprägt als die Kommunalwahlen 1999. Der Amtsbonus hat sich parteiunabhängig ausgewirkt und es kam zu einer wachsenden Homogenisierung der parteipolitischen Tendenzen von Bürgermeister und Parteiensystem. Für die Zukunft wird eine eigenständige Entwicklung der Kommunalwahlen unabhängig von Trends anderer Ebenen erwartet, außer Kommunalwahlen sind mit anderen Wahlen gekoppelt (z.B. mit Bundestagswahlen). Verselbstständigung: Die Unterschiede zwischen Bürgermeisterwahlen und Ratswahlen haben zugenommen. sowohl hinsichtlich der Anzahl der Kandidaten/Listen, des Deckungsgrades an Kandidaturen als auch hinsichtlich von Konzentration und Fragmentierung der Parteiensysteme. Gerade der wachsende Kandidaturverzicht der kleineren Gruppierungen steigert die Konzentration des Kandidatenwettbewerbs bei Bür-
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germeisterwahlen auf zwei Hauptkontrahenten, die beide eine gewisse Chance haben, die Wahl zu gewinnen. so dass das Bild zunehmend dem Wettbewerb bei relativer Mehrheitswahl ähnelt. Kandidaturen als Zugpferd für die Ratswahl und damit aufgrund parlamentarischer Anreize gehen zurück und die Verbindung der gekoppelten Wahlgänge wird relativiert. Polarisierung: Gerade der im letzten Punkt skizzierte Prozess der Verselbstständigung der Bürgermeisterwahlen verläuft nicht überall gleichmäßig. Hinsichtlich der Anzahl von Kandidaten und Listen sowie der Differenzen des Deckungsgrades entwickelten sich zwei Pole, die sich 2004 im Vergleich zu 1999 stärker konturiert haben. Auf der einen Seite die kleineren Gemeinden mit kleinem Kandidatenangebot bei Bürgermeisterwahlen und Konzentration auf zwei oder gar nur einen Kandidaten und Parteiensystemen mit starker CDU-Dominanz. Auf der anderen Seite befinden sich größere Städte mit einem großen Kandidatenangebot sowohl bei Rats- als auch bei Bürgermeisterwahlen mit kommunalisierten Mehrparteiensystemen ohne ausgeprägte Dominanz einer Partei. Zwischen den Polen liegen eine große Zahl Kommunen, die mal eher zum einen und mal zum anderen Pol tendieren. Das Nebeneinander dieser zwei unterschiedlichen Welten der Kommunalpolitik ließ sich auch in der regionalen Verteilung von Bürgermeister und Parteiensystemen zeigen, in der einige Regionen eindeutig dem einen Pol näher standen (z.B. Paderborn, Niederrhein und Eifel) und andere eher dem anderen, etwas urbaner geprägten Pol (z.B. Ruhrgebiet oder Bielefeld). Ob diese Polarisierung von Dauer ist, oder ob sich mit der Zeit eine der beiden Tendenzen durchsetzen wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Dass Bürgermeisterwahlen beispielsweise in Hünxe und Duisburg jemals nach den gleichen Mustern ablaufen werden, darf jedoch bezweifelt werden. Die kombinierte Analyse von Rats- und Bürgermeisterwahlen hat sich insgesamt gesehen bewährt. Die Übertragung von Hypothesen aus der vergleichenden Politikwissenschaft war für diese Wahlstudie ergiebig, da sich dadurch ein differenzierteres Bild der Veränderungen und Wechselwirkungen der beiden Wahlen zeichnen ließ. Der gleiche institutionelle Rahmen bringt also durchaus unterschiedliche Akteurstrategien hervor, die durch den politischen Kontext und die kurzfristige Wettbewerbssituation beeinflusst werden. Die Gemeindegröße als unabhängige Variable hat sich in einem statistischkorrelativen Sinn nicht bewährt. Sie taugte aber zur Konstruktion von polaren Typen, da die extremen Positionen (sehr kleine und sehr große Kommunen) sehr wohl unterschiedliche Profile hatten. Das breite Feld der mittelgroßen Städte und Gemeinden tendierte mal zum einen, mal zum anderen Pol, ohne dass sich diese Tendenzen ausschließlich auf die Einwohnerzahl zurückführen ließen. Die Gemeindegröße ist in dieser wie auch in anderen kommunalwissenschaftlichen Studien aber auch ein Platzhalter, der stellvertretend für soziale, wirtschaftliche und politisch-kulturelle Strukturen verwendet wird, da meistens nicht ausreichend Daten zur Verfügung stehen, um diese Zusammenhänge ebenfalls in die Analyse einzubeziehen. Dass die Gemeindegröße allein in NRW unterschiedliche Strukturen von Parteiensystemen nicht vollständig erklären kann, verweist auf die Notwendigkeit weiterer, sozialräumlicher Analysen der Städte und Gemeinden in NRW. Dazu sollte der sehr ergiebige Ansatz der politischen Regionen in NRW weiter ausgebaut werden. Insgesamt gesehen bleibt Nordrhein-Westfalen auch nach zwei Runden der Direktwahl der Bürgermeister das „Mutterland der Parteipolitisierung“, wenn auch mit einer deutlichen, schwarzen Einfärbung. In den Regionen ließ sich eine beeindruckende Kontinuität
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der lokalen politischen Verhältnisse in CDU-dominierten Parteiensystemen feststellen. Der Wandel betraf zum einen die SPD, die nach ihrem Annus horribilis 1999 in vielen Regionen einen Machtverlust hinnehmen musste, der sich auch 2004 nur zum in wenigen Fällen wieder rückgängig machen ließ. Zum anderen ließ sich eine wachsende Kommunalisierung der elektoralen Parteiensysteme feststellen, die bei Ratswahlen vor allem zulasten der Position der kleinen Parteien ging. Von einer Ent-Parteipolitisierung im Sinne einer Dominanz von parteiunabhängigen Gruppierungen kann aber nur in ganz wenigen Fällen gesprochen werden.
Ausblick Seit der Kommunalwahl 2004 ist der institutionelle Rahmen von Kommunalpolitik in NRW weiter an die Süddeutsche Ratsverfassung angepasst worden. Mit der Verlängerung der Amtszeit des Bürgermeisters auf sechs Jahre entfällt die Koppelung der Wahlen. 2009 wird zum letzten Mal eine Bürgermeisterwahl zusammen mit den Ratswahlen abgehalten. Ab 2007 gilt aber schon die Abschaffung der Stichwahlen, der Bürgermeister wird in nur einem Wahlgang mit relativer Mehrheit gewählt. Die Position des Bürgermeisters wird dadurch und in Verbindung mit weiteren Veränderungen der Gemeindeordnung, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden kann, weiter gestärkt. Durch die Entkoppelung wird die Eigenständigkeit der Bürgermeisterwahlen in NRW weiter wachsen. Aufgrund der Einführung von gemeinsamen Kandidaturen (Nominierung eines Kandidaten durch mehrere Parteien und Wählergruppen) steigt der Anreiz, auf eine eigene Kandidatur zu verzichten. Die Anzahl an Kandidaturen wird dadurch weiter sinken, vor allem kleinere Gruppierungen werden die Kandidatenempfehlung der eigenen Kandidatur vorziehen. Der Wettbewerb wird sich damit weiter auf das Muster „Platzhirsch gegen Herausforderer“ zuspitzen. Die relative Mehrheitswahl birgt das Risiko, dass bei einer knappen Entscheidung der unterlegene Bewerber das Ergebnis nicht anerkennt. Es gab zwar auch bei Stichwahlen in der Vergangenheit knappe Entscheidungen, die absolute Mehrheit ist aber in Deutschland im Gegensatz zu „First pass the Post“ als legitimierende Entscheidungsregel anerkannt. Der Wahlausgang wird aber weiterhin stärker von der hohen Erfolgsquote der Amtsinhaber beeinflusst werden als von der geltenden Mehrheitsregel. Für Herausforderer wird der Amtsinhaber bei Abwesenheit von Skandalen und Fehlverhalten noch schwerer zu besiegen sein als bisher, da der Eventcharakter der Stichwahl nach dem Motto „Den kriegen wir jetzt weg!“ entfällt. Die Entkoppelung der Wahlen wird auch die Anzahl der Städte und Gemeinden mit Kohabitationspotential erhöhen. Da der Rat nach dem alten Verfahren gewählt wird, ist auch in Zukunft von einem hohen Maß an Parteipolitisierung auszugehen, das auch zu Reibungen mit dem weiter gestärkten Bürgermeister führen wird. Kumulieren und Panaschieren als zentraler Faktor für Ent-Parteipolitisierung auf Seiten des Rates wurde entgegen der Ankündigung der Landesregierung nicht eingeführt, so dass NRW sich immer noch in manchen Merkmalen deutlich von Baden-Württemberg unterscheidet. Die institutionellen Weiterentwicklungen in NRW bieten vielfältige Ansatzpunkte, die Wirkung von Institutionen auf Akteure zu untersuchen. In der vorliegenden Studie wurden die Entwicklungspfade analysiert, die bisher beschritten wurden. Welchen neuen Wege nun eingeschlagen werden, müssen weitere Forschungen auf dieser Grundlage zeigen.
5 Anhang
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294
5 Anhang
Rudzio, Wolfgang 1968: Die Neuordnung des Kommunalwesens in der Britischen Zone. Stuttgart. Rudzio, Wolfgang 2003: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. 6. Auflage. Opladen. Rüther, Günther (Hrsg.) 1996: Repräsentative oder plebiszitäre Demokratie - eine Alternative? Baden-Baden. Sarcinelli, Ulrich/Falter, Jürgen W. u.a. (Hrsg.) 2000: Politische Kultur in Rheinland-Pfalz. Mainz, München. Sartori, Giovanni 1976: Parties and Party Systems: A Framework for Analysis. Cambridge. Scheuch, Erwin K./ Scheuch Ute 1992: Cliquen, Klüngel und Karrieren. Über den Verfall der politischen Parteien. Eine Studie. Reinbek. Schimanke, Dieter (Hrsg.) 1989: Stadtdirektor oder Bürgermeister? Beiträge zu einer aktuellen Kontroverse. Stadtforschung aktuell Bd. 23. Basel, Boston, Berlin. Schirra, Christina 1989: Politik in einer Gemeinde. Eine Untersuchung am Beispiel von Marpingen. Saarbrücker Politikwissenschaft Bd. 9, Frankfurt a.M. u.a.. Schmid, Josef 2001: Parteien, in: Andersen, Uwe/Woyke, Wichard (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Bd. 406. Fünfte, aktualisierte Auflage, S. 462-466. Schmidt, Manfred G. 2000: Demokratietheorien. Eine Einführung. 3., überarbeitete und erweitere Auflage. Opladen. Schmidt-Eichstaedt, Gerd 1989: Grundformen der inneren Gemeindeverfassung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Gabriel. Oscar W. (Hrsg.): Kommunale Demokratie zwischen Politik und Verwaltung. Beiträge zur Kommunalwissenschaft Bd. 29. München, S. 17-33. Schmitz, Mathias 1983: Partizipation in/durch Parteien, in: Gabriel, Oscar W. (Hrsg.): Bürgerbeteiligung und kommunale Demokratie. Beiträge zur Kommunalwissenschaft Bd. 13. München, S. 173-239. Schoen, Harald 2005: Wahlsystemforschung, in: Falter, Jürgen W./Schoen, Harald (Hrsg.): Handbuch Wahlforschung. Wiesbaden, S. 573-607. Schüttemeyer, Suzanne S./Sturm, Roland 2005: Der Kandidat – das (fast) unbekannte Wesen: Befunde und Überlegungen zur Aufstellung der Bewerber zum Deutschen Bundestag, in: ZParl 3/2005, 539-553. Schulenburg, Klaus 1999: Direktwahl und kommunalpolitische Führung. Der Übergang zur neuen Gemeindeordnung in Nordrhein-Westfalen. Stadtforschung aktuell Bd. 74. Basel, Boston, Berlin. Schultze, Rainer-Olaf 2001: Partei, in: Nohlen, Dieter (Hrsg.): Kleines Lexikon der Politik. München, S. 350-352. Schulze, Holger 1997: Neo-Institutionalismus. Ein analytisches Instrument zur Erklärung gesellschaftlicher Transformationsprozesse. Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin. Arbeitspapiere des Bereichs Politik und Gesellschaft, Heft 4/1997. Berlin. Shugart, Matthew Soberg/Carey, John M. 1992: Presidents and Assemblies. Constitutional Design and Electoral Dynamics. Cambridge. Steffani, Wilfried 1988: Parteien als soziale Organisationen. Zur politologischen Parteienanalyse, in: ZParl Heft 4/88, S. 549-560. Stegmann, Michaela 2003: Die Direktwahl der Bürgermeister im Saarland. Blieskastel. Steinmo, Sven 1993: Taxation and Democracy: Swedish, British and American Approaches Financing the Modern State. New Haven. Steinmo, Sven/Thelen, Kathleen/Longstreth, Frank (Hrsg.) 1992: Structuring Politics. Historical instituionalism in comparative analysis. Camebridge. Strauß, Karin 1998: Leibholz kommunal. Zur Übertragbarkeit der Parteienstaatstheorie des Staatsrechtlers Leibholz auf die Kommunalpolitik. Münster, u.a.. Strohmeier, Klaus Peter 1997: Alternativen zur politischen Partizipation durch Bürgerbeteiligung an der Aufgabenerfüllung. Kommunale Problemlösungsstrategien und Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips, in: Gabriel, Oscar W./Knemeyer, Franz-Ludwig/Strohmeier, Klaus Peter: Neue
5.1 Literaturverzeichnis
295
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296
5 Anhang
Bundeszentrale für politische Bildung. Schriftenreihe Band 356. 2., völlig überarbeitete und aktualisierte Auflage. Bonn, S. 37-49. Wollmann, Hellmut 1999: Kommunalpolitik: Mehr (direkte) Demokratie wagen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 49 (1999) 24-25, S. 13-22. Wollmann, Helmut/Roth, Roland (Hrsg.) 1998: Kommunalpolitik. Politisches Handeln in den Gemeinden. Bundeszentrale für politische Bildung. Schriftenreihe Band 356. 2., völlig überarbeitete und aktualisierte Auflage. Bonn. Zeuner, Bodo 1970: Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl 1965. Den Haag.
5.2 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3:
Abbildung 4:
Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19:
Zeitliche Abfolge von Rekrutierung, Auswahl und Nominierung von Kandidaten ................................................................... 40 Parteizugehörigkeit der Ratsmitglieder im Ländervergleich (Deutscher Städtetag) .................................................... 54 Wahlergebnisse von Wählergruppen / gemeinsamen Wahlvorschlägen in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im Zeitvergleich (Holtkamp/Eimer ) ............................................................... 55 Wahlergebnisse von Wählergruppen / gemeinsamen Wahlvorschlägen in Hessen, Niedersachsen, Saarland und NRW im Zeitvergleich (Holtkamp/Eimer) ............................................................... 56 Parteizugehörigkeit der Bürgermeister im Ländervergleich (Deutscher Städtetag) ............................................................................... 57 Entwicklung der Wahlergebnisse bei Ratswahlen in NRW 1948-2004 (% der gültigen Stimmen) ...................................... 117 Gemeindegrößenklassen in NRW 1984 – 2004 ....................................... 123 Entwicklung der Wahlergebnisse der CDU bei Ratswahlen in acht Regionen in NRW 1984-2004 .......................................................... 136 Entwicklung der Wahlergebnisse der SPD bei Ratswahlen in acht Regionen in NRW 1984-2004 .......................................................... 137 Lokale elektorale Parteiensysteme bei Ratswahlen 2004 im regionalen Vergleich .......................................................................... 151 Vergleich der Ratsmehrheiten in den Regionen NRW 2004 ................... 158 Deckungsgrad an Kandidaturen nach Gemeindegrößenklassen bei der Bürgermeisterwahl 1999 ............................................................. 172 Erfolgsquoten der kandidierenden Amtsinhaber 1999 ........................... 184 Bürgermeister nach Nominierungsgruppen und Parteiensystemen in den Regionen 1999 .............................................................................. 186 Rückgang des landesweiten Deckungsgrades bei der Bürgermeisterwahl 1999 und 2004 ......................................................... 199 Deckungsgrad an Kandidaturen nach Gemeindegrößenklassen bei der Bürgermeisterwahl 2004 ............................................................. 200 Bürgermeister nach Nominierungsgruppen und Parteiensystemen in den Regionen 2004 .............................................................................. 215 Entwicklung der Ratswahlergebnisse in Hünxe 1984-2004 ................... 227 Entwicklung der Ratswahlergebnisse in Xanten 1984-200 4 .................. 232
5.3 Tabellenverzeichnis
297
Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23:
238 244 253 261
Entwicklung der Ratswahlergebnisse in Hilden 1984-2004 ................... Entwicklung der Ratswahlergebnisse in Marl 1984-2004 ...................... Entwicklung der Ratswahlergebnisse in Duisburg 1984-2004 ............... Entwicklung der Ratswahlergebnisse in Essen 1984-2004 ....................
5.3 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11:
Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14:
Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22:
Verfasste Institutionen, formale und informale Regeln bei der Kandidatenauswahl bei Bürgermeisterwahlen ......................................... 22 Eingrenzung des Kandidatenpotentials bei Bundestagswahlen ............... 42 Phasenmodell der Extremtypen von Konkurrenz- und Konkordanzdemokratie in der Kommunalpolitik (Holtkamp) .................. 52 Konkordanz- und konkurrenzdemokratische Länder und personelle Parteipolitisierung im Vergleich 2001 ...................................................... 59 Bürgermeisterkandidaten bei der Kommunalwahl 1999 in NRW nach Nominierungsgruppen und Anzahl der internen Gegenkandidaten . 65 Bürgermeisterkandidaten bei der Kommunalwahl 1999 in NRW nach Initiative und Verlauf ihrer Kandidatur (in % )......................................... 65 Grundtypen von Wahlsystemen (Nohlen ).................................................. 70 Politische Auswirkungen der Entscheidungsregel (Nohlen) .................... 71 Parteiensystemeigenschaften (Niedermayer) ............................................ 72 Vier Intensitätsstufen des Wandels von Parteiensystemen (Niedermayer) .............................................................. 74 Auswirkungen der Wahlsysteme bei Präsidentschaftswahlen auf die Wahlergebnisse, das Kandidatenangebot und das Parteiensystem (Shugart/Carey) ......................................................................................... 76 Institutionenlogik von Mehrheits- und Verhältniswahl unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf das Kandidatenangebot ........... 78 Institutionenlogik und Struktur des elektoralen Parteiensystems in präsidentiellen Systemen ........................................................................... 80 Übersicht zu den Wirkung von Wahlsystemen auf Parteiensysteme bei Rats- und Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ................................................................................. 92 Zwei-Ebenen-Analyse und Methodenmix ................................................ 109 Merkmalsdichte und Zeitbezug der verwendeten Ratswahldaten ........... 113 Parteiensystemmerkmale ........................................................................ 115 Entwicklung des elektoralen Parteiensystems auf Landesebene bei Ratswahlen 1946 -2004 im Überblick ..................................................... 120 Drei Möglichkeiten der Berechnung eines Landesergebnisses am Beispiel der Wählergruppen 1999 .................................................... 124 Ratswahlen 1984: Wahlergebnisse und Deckungsgrad in fünf Gemeindegrößenklassen ......................................................................... 125 Ratswahl 1984: Parteiensystem in fünf Gemeindegrößenklassen .......... 126 Ratswahl 1989: Wahlergebnisse und Deckungsgrad in fünf Gemeindegrößenklassen ......................................................................... 127
298 Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27: Tabelle 28: Tabelle 29: Tabelle 30: Tabelle 31: Tabelle 32:
Tabelle 33: Tabelle 34: Tabelle 35:
Tabelle 36: Tabelle 37: Tabelle 38: Tabelle 39: Tabelle 40: Tabelle 41:
Tabelle 42: Tabelle 43: Tabelle 44: Tabelle 45: Tabelle 46: Tabelle 47: Tabelle 48:
5 Anhang
Ratswahl 1989: Parteiensystem in fünf Gemeindegrößenklassen .......... Ratswahl 1994: Wahlergebnisse und Deckungsgrad in fünf Gemeindegrößenklassen ......................................................................... Ratswahl 1994: Parteiensystem in fünf Gemeindegrößenklassen .......... Ratswahl 1999: Wahlergebnisse und Deckungsgrad in fünf Gemeindegrößenklassen ......................................................................... Ratswahl 1999: Parteiensystem in fünf Gemeindegrößenklassen .......... Ratswahl 2004: Wahlergebnisse und Deckungsgrad in fünf Gemeindegrößenklassen ......................................................................... Ratswahl 2004: Parteiensystem in fünf Gemeindegrößenklassen .......... Drei-Parteiensystem mit CDU-Hegemonie 1984 (83 Fälle, durchschnittliche Größe 14.837 Einwohner) ......................... Mehrparteiensystem mit ausgeprägter Dominanz der CDU 1984 (127 Fälle, durchschnittliche Größe 40.395 Einwohner) ....................... (Stark kommunalisiertes) Mehrparteiensystem mit ausgeprägter Dominanz der CDU 1984 (56 Fälle, durchschnittliche Größe 25.032 Einwohner) .............................................................................................. Mehrparteiensystem mit ausgeprägter Dominanz der SPD 1984 (125 Fälle, durchschnittliche Größe 71.165 Einwohner) ....................... Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDU-Dominanz 1994 (156 Fälle, durchschnittliche Größe 31.981 Einwohner) ....................... Stark kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDU-Dominanz 1994 (86 Fälle, durchschnittliche Größe 16.893 Einwohner) .................................................................................. Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien 1994 (14 Fälle, durchschnittliche Größe 79.614 Einwohner) ........................ Kommunalisiertes Mehrparteiensystem SPD-Dominanz 1994 (141 Fälle, durchschnittliche Größe 72.989 Einwohner) ....................... Kommunalisiertes Vier-Parteiensystem mit CDU-Hegemonie 2004 (71 Fälle, durchschnittliche Größe 17.359 Einwohner) ......................... Mehrparteiensystem mit ausgeprägter CDU-Dominanz 2004 (151 Fälle, durchschnittliche Größe 38.899 Einwohner) ....................... Sehr stark kommunalisiertes Vielparteiensystem mit CDU-Dominanz 2004 (102 Fälle, durchschnittliche Größe 27.254 Einwohner) ............. Kommunalisiertes Mehrparteiensystem mit Konzentration auf zwei große Parteien 2004 (72 Fälle, durchschnittliche Größe 113.737 Einwohner) .............................................................................................. Anzahl der Kandidaturen und Erfolgsquoten bei Ratswahlen 1989-2004 ............................................................................ Anzahl der Gruppierungen in den Räten 1989-2004 .............................. Entwicklung der Ratsmehrheiten 1989-2004 .......................................... Gemeindebezogene Veränderungen der Ratsmehrheiten zwischen zwei Wahlen 1989-2004 ......................................................................... Vergleich der Struktur der Ratsmehrheiten 2004 und 1989 ................... Kriterien des aktiven Wahlrechts bei Bürgermeisterwahlen .................. Kriterien des passiven Wahlrechts (Bürgermeister) ...............................
128 130 131 132 133 134 135 142 142
143 144 145
145 146 147 148 149 149
150 153 154 155 156 157 165 165
5.3 Tabellenverzeichnis
299
Tabelle 49: Tabelle 50: Tabelle 51:
168 169
Tabelle 52: Tabelle 53: Tabelle 54: Tabelle 55: Tabelle 56: Tabelle 57: Tabelle 58: Tabelle 59: Tabelle 60: Tabelle 61: Tabelle 62: Tabelle 63: Tabelle 64: Tabelle 65: Tabelle 66: Tabelle 67: Tabelle 68: Tabelle 69:
Tabelle 70: Tabelle 71: Tabelle 72: Tabelle 73: Tabelle 74: Tabelle 75: Tabelle 76: Tabelle 77: Tabelle 78: Tabelle 79: Tabelle 80: Tabelle 81:
Anzahl der Kandidaten je Gemeinde bei der Bürgermeisterwahl 1999 . Anzahl der Kandidaten je Gemeinde nach Größenklassen 1999 ........... Kandidaten nach Nominierungsgruppen bei der Bürgermeisterwahl 1999 ......................................................................... Differenzen zwischen dem Deckungsgrad bei Ratswahlen und bei Bürgermeisterwahlen 1999 nach Größenklassen ................................... Kandidatur von Amtsinhabern nach Größenklassen 1999 ..................... Deckungsgrad nach Amtsinhaberkandidatur 1999 ................................ Parteiensystemtypen (1994) und Kandidatur von Amtsinhabern bei der Bürgermeisterwahl 1999 ............................................................. Parteiensystemtypen (1994) und Deckungsgrad bei der Bürgermeisterwahl 1999 ......................................................................... Wahlsieger nach Nominierungsgruppen und Wahlgang 1999 ............... Kommunen mit und ohne Stichwahl 1999 ............................................... Kandidierende Amtsinhaber und Wahlausgang 1999 ............................ Wahlsieger nach Gemeindegrößenklassen 1999 .................................... Bürgermeister und Ratsmehrheiten 1999 ............................................... Vergleich der Wahlergebnisse nach Nominierungsgruppen 1999 ......... Vergleich der Ratswahlergebnisse von Gruppierungen mit und ohne Bürgermeisterkandidat ............................................................................ Wahlergebnisvergleich nach Parteiensystemtypen 1999 ........................ Vergleich ausgewählter Systemmerkmale nach Parteiensystemtypen 1999 ....................................................................... Anzahl der Kandidaten je Gemeinde bei der Bürgermeisterwahl 2004 . Anzahl der Kandidaten je Gemeinde nach Größenklassen bei der Bürgermeisterwahl 2004 ......................................................................... Kandidaten nach Nominierungsgruppen bei der Bürgermeisterwahl 2004 ......................................................................... Differenzen des Deckungsgrades an Kandidaturen nach Gemeindegrößenklassen im Vergleich der Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004 ......................................................................................... Differenzen zwischen dem Deckungsgrad bei Ratswahlen und bei Bürgermeisterwahlen 2004 nach Größenklassen ................................... Kandidatur von Amtsinhabern nach Gemeindegrößenklassen 2004 ...... Kandidatur von 1999 gewählten Amtsinhabern bei den Bürgermeisterwahlen 2004 ..................................................................... Deckungsgrad nach Amtsinhaberkandidatur ......................................... Parteiensystemtypen (1999) und Kandidatur von Amtsinhabern 2004 .. Deckungsgrad 2004 nach Parteiensystemtyp (1999) ............................. Wahlsieger nach Nominierungsgruppen und Wahlgang 2004 ............... Kommunen mit und ohne Stichwahl 2004 ............................................... Kandidierende Amtsinhaber und Wahlausgang 2004 ............................ Wahlsieger nach Gemeindegrößenklassen 2004 .................................... Bürgermeister und Ratsmehrheiten 2004 ............................................... Vergleich der Wahlergebnisse nach Nominierungsgruppen 2004 .........
170 173 174 175 176 177 180 181 182 183 185 188 189 190 192 196 197 198
201 202 203 204 205 206 207 210 210 211 213 214 216
300 Tabelle 82: Tabelle 83: Tabelle 84: Tabelle 85: Tabelle 86: Tabelle 87: Tabelle 88: Tabelle 89: Tabelle 90: Tabelle 91: Tabelle 92: Tabelle 93: Tabelle 94: Tabelle 95: Tabelle 96: Tabelle 97: Tabelle 98: Tabelle 99: Tabelle 100:
5 Anhang
Vergleich der Ratswahlergebnisse von Gruppierungen mit und ohne Bürgermeisterkandidat 2004 .......................................................... 217 Wahlergebnisvergleich nach Parteiensystemtypen 1999 ........................ 218 Vergleich ausgewählter Systemmerkmale nach Parteiensystemtypen 2004.........................................................................220 Fallstudienstädte im Überblick ............................................................... 225 Entwicklung der Mandatsverteilung in Hünxe 1989-2004 ..................... 227 Rats- und Bürgermeisterwahlen in Hünxe 1999 und 2004 im Vergleich ................................................................... 229 Entwicklung der Mandatsverteilung in Xanten 1989-2004 .................... 232 Rats- und Bürgermeisterwahlen in Xanten 1999 und 2004 im Vergleich ................................................................... 234 Entwicklung der Mandatsverteilung in Hilden 1989-2004 ..................... 239 Rats- und Bürgermeisterwahlen in Hilden 1999 und 2004 im Vergleich ................................................................... 240 Entwicklung der Mandatsverteilung in Marl 1989-2004 ........................ 245 Rats- und Bürgermeisterwahlen in Marl 1999 und 2004 im Vergleich ................................................................... 248 Entwicklung der Mandatsverteilung in Duisburg 1989-2004 ................ 254 Rats- und Oberbürgermeisterwahlen in Duisburg 1999 und 2004 im Vergleich ................................................................... 256 Entwicklung der Mandatsverteilung in Essen 1989-2004 ...................... 261 Rats- und Oberbürgermeisterwahlen in Essen 1999 und 2004 im Vergleich ................................................................... 263 Institutionelle Regelungen zu den Gemeinderatswahlen in den deutschen Ländern .................................................................................. 301 Institutionelle Regelungen zu den Bürgermeisterwahlen in den deutschen Ländern ................................................................................. 302 Integrierte Übersicht zu den Wirkungen von Wahlsystemen auf Parteiensysteme im Ländervergleich ...................................................... 304
Rheinland– Pfalz
NRW (2007)
MecklenburgVorpommern Niedersachsen NRW
Verhältniswahl; freie Liste personalisierte Verhältniswahl; starre Liste personalisierte Verhältniswahl; starre Liste Verhältniswahl; freie Liste
5
5
5
Verhältniswahl; freie Liste
Verhältniswahl; freie Liste Verhältniswahl; freie Liste
5
5
5
Verhältniswahl; freie Liste
6
Brandenburg Hessen
Verhältniswahl; freie Liste
5
BadenWürttemberg Bayern
Wahlsystem, Listenform
Dauer der Wahlperiode
Land
Ja, bis zu drei Stimmen
Nein
Ja, bis zu drei Stimmen Nein
Ja, bis zu drei Stimmen
Ja, bis zu drei Stimmen Ja, bis zu drei Stimmen
Ja, bis zu drei Stimmen
Ja, bis zu drei Stimmen
Kumulieren, Panaschieren
= Zahl der zu vergebenden Sitze
1
1
3
= Zahl der zu vergebenden Sitze 3
= Zahl der zu vergebenden Sitze = Zahl der zu vergebenden Sitze 3
Anzahl der Stimmen
SainteLaguë/Schepers Hare/Niemayer
Hare/Niemayer
Hare/Niemayer
Hare/Niemayer
Hare/Niemayer
Hare/Niemayer
d’Hondt
d’Hondt
Auszählverfahren
3,03%
ein Sitz
-
-
-
-
-
-
-
Sperrklausel
Tabelle 98: Institutionelle Regelungen zu den Gemeinderatswahlen in den deutschen Ländern
5.4 Wahlrecht im Ländervergleich
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Parteien und Wgr explizit genannt Ja
18/18
16/18
16/18
16/18
16/18
18/18
18/18
18/18
Aktives / passives Wahlrecht 18/18
5
5
5
5
5
Saarland
Sachsen
SachsenAnhalt SchleswigHolstein
Thüringen
Verhältniswahl; freie Liste
Verhältniswahl; starre Liste Verhältniswahl; freie Liste Verhältniswahl; freie Liste personalisierte Verhältniswahl; freie Liste
Wahlsystem, Listenform
Ja, bis zu drei Stimmen
Ja, bis zu drei Stimmen Ja, bis zu drei Stimmen Kein Kumulieren; panaschieren in Gemeinden bis 10.000 Einwohner
Nein
Kumulieren, Panaschieren
= Zahl der zu vergebenen Direktmandate: bis 10.000 EW 2-7 Stimmen; ab 10.000 1 Stimme 3
3
3
1
Anzahl der Stimmen
Hare/Niemayer
d’Hondt
Hare/Niemayer
d’Hondt
d’Hondt
Auszählverfahren
5%
5% oder ein Direktmandat
-
-
5%
Sperrklausel
Ja
Ja
Ja
Ja
Parteien und Wgr explizit genannt Ja
18/18
16/18
16/18
18/18
Aktives/passives Wahlrecht 18/18
6
1952
1993/ 1998
BadenWürttemberg Bayern
Brandenburg
8
Amtsdauer Bm 8
In Kraft seit 1956
Land
E/P/W
P/W
Nominierung durch E
absolute Mehrheitswahl und 15%-Quorum der Wahlberechtigten
absolute Mehrheitswahl
Wahlverfahren 1. Wahlgang absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl; Stichwahl der zwei besten Bewerber absolute Mehrheitswahl und 15%Quorum der Wahlberechtigten; Stichwahl der zwei besten Bewerber,
Wahlverfahren 2. Wahlgang relative Mehrheitswahl; neuer Wahlgang, keine Kandidateneinschränkung
Tabelle 99: Institutionelle Regelungen zu den Bürgermeisterwahlen in den deutschen Ländern
ja
Nein
Nein
Abwahl?
Quelle: Tabelle 1 aus: Holtmann, Everhard 2001: Parteien und Wählergruppen in der Kommunalpolitik, in: Gabriel u.a. (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland. Bonn, S. 416. Ergänzt durch eigene Recherchen und Angaben aus: http://www.wahlrecht.de/kommunal/index.htm (Stand 17.01.2008).
Dauer der Wahlperiode
Land
8
7
6/8
6
1994
1994
1994
1996
1994
Sachsen
SachsenAnhalt SchleswigHolstein Thüringen E/P/W
E/PR
E
E/P/W
E/P/W
E/P/W gemeinsame Vorschläge E/P/W
E/P/W
E/P/W
E/P/W
Nominierung durch E/P/W
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
relative Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
Wahlverfahren 1. Wahlgang absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl; Stichwahl der zwei besten Bewerber
absolute Mehrheitswahl; Stichwahl der zwei besten Bewerber relative Mehrheitswahl; neuer Wahlgang, keine Kandidateneinschränkung absolute Mehrheitswahl; Stichwahl der zwei besten Bewerber absolute Mehrheitswahl; Stichwahl der zwei besten Bewerber
absolute Mehrheitswahl; Stichwahl der zwei besten Bewerber
absolute Mehrheitswahl; Stichwahl der zwei besten Bewerber absolute Mehrheitswahl; Stichwahl der zwei besten Bewerber kein zweiter Wahlgang
Wahlverfahren 2. Wahlgang absolute Mehrheitswahl; Stichwahl der zwei besten Bewerber absolute Mehrheitswahl; Stichwahl der zwei besten Bewerber
ja
ja
ja
ja
ja
ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Abwahl?
Quelle: Abbildung 9 aus: Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars 2005: Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung. FernUniversität Hagen Kurs Nr. 33919. Hagen, S.58. Ergänzt durch eigene Recherchen. Anmerkung: E= Einzelbewerbung; P=Parteien, PR= im Rat vertretene Parteien; W=Wählergruppen.
7
8
1993
Rheinland– Pfalz Saarland
5
1994
6
8
1996
2007
7/9
Amtsdauer Bm 6
In Kraft seit 1991/ 1992 1999
NRW (2007)
MecklenburgVorpommer n Niedersachsen NRW
Hessen
Land
Verbundene Wahlen Rat und Bm?
nein
ja
nein
nein
nein
nein
BadenWürttemberg
Bayern
Brandenburg
Hessen
MecklenburgVorpommern
Niedersachsen
Verhältniswahl; freie Liste
Verhältniswahl; freie Liste
Verhältniswahl; freie Liste
Verhältniswahl; freie Liste
Verhältniswahl; freie Liste
Verhältniswahl; freie Liste
Rat: Wahlsystem, Listenform, Sperrklausel; hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien
Institutionenlogik Ratswahl
groß und fragmentiert
groß und fragmentiert
groß und fragmentiert
groß und fragmentiert
groß und fragmentiert
Tendenz Parteiensystem Rat (Format und Fragmentieurng) groß und fragmentiert
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl,
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
Bm: Wahlsytem Erster Wahlgang
hoher Kandidaturanreiz für große, niedriger für kleine Parteien hoher Kandidaturanreiz für große, niedriger für kleine Parteien hoher Kandidaturanreiz für große, niedriger für kleine Parteien hoher Kandidaturanreiz für große, niedriger für kleine Parteien
hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien
nur Einzelbewerber
Institutionenlogik Bm.wahl
Integrierte Übersicht zu den Wirkungen von Wahlsystemen auf Parteiensysteme im Ländervergleich
Land
Tabelle 100:
kleiner und konzentrierter
kleiner und konzentrierter
kleiner und konzentrierter
kleiner und konzentrierter
größer und fragmentierter
kleiner und konzentrierter
Tendenz Parteiensystem Bm im Vergleich zu Rat
Verbundene Wahlen Rat und Bm
ja
nein
nein
nein
nein
nein
Land
NRW
NRW (2007)
Rheinland– Pfalz
Saarland
Sachsen
SachsenAnhalt
Verhältniswahl; freie Liste
Verhältniswahl; freie Liste
Verhältniswahl; starre Liste 5% - Sperrklausel
personalisierte Verhältniswahl; starre Liste 1-Sitz Sperrklausel Verhältniswahl; freie Liste, 3,03% - Sperrklausel
personalisierte Verhältniswahl; starre Liste
Rat: Wahlsystem, Listenform, Sperrklausel;
hoher Kandidaturanreiz für große, geringerer für kleine Parteien hoher Kandidaturanreiz für große, geringerer für kleine Parteien hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien
hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien
Institutionenlogik Ratswahl
groß und fragmentiert
groß und fragmentiert
mittel und konzentriert
mittel und konzentriert
groß und fragmentiert
groß und fragmentiert
Tendenz Parteiensystem Rat (Format und Fragmentieurng)
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
relative Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
Bm: Wahlsytem Erster Wahlgang
hoher Kandidaturanreiz für große, niedriger für kleine Parteien hoher Kandidaturanreiz für große, niedriger für kleine Parteien
hoher Kandidaturanreiz für große, niedriger für kleine Parteien
hoher Kandidaturanreiz für große, niedriger für kleine Parteien
hoher Kandidaturanreiz für große, niedriger für kleine Parteien
hoher Kandidaturanreiz für große und kleine Parteien
Institutionenlogik Bm.wahl
kleiner und konzentrierter
kleiner und konzentrierter
kleiner und konzentrierter
kleiner und konzentrierter
kleiner und konzentrierter
Tendenz Parteiensystem Bm im Vergleich zu Rat (Format und Fragmentieurng) größer und fragmentierter
nein
nein
SchleswigHolstein
Thüringen
Quelle: Eigene Darstellung.
Verbundene Wahlen Rat und Bm
Land
personalisierte Verhältniswahl; freie Liste 5% - Sperrklausel oder ein Direktmandat Verhältniswahl; freie Liste, 5% - Sperrklausel
Rat: Wahlsystem, Listenform, Sperrklausel;
hoher Kandidaturanreiz für große, geringerer für kleine Parteien
hoher Kandidaturanreiz für große, geringerer für kleine Parteien
Institutionenlogik Ratswahl
mittel und konzentriert
mittel und konzentriert
Tendenz Parteiensystem Rat (Format und Fragmentieurng)
absolute Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
Bm: Wahlsytem Erster Wahlgang
hoher Kandidaturanreiz für große, niedriger für kleine Parteien
hoher Kandidaturanreiz für große, niedriger für kleine Parteien
Institutionenlogik Bm.wahl
kleiner und konzentrierter
Tendenz Parteiensystem Bm im Vergleich zu Rat (Format und Fragmentieurng) kleiner und konzentrierter